Mahlerei und Bildhauerarbeit
in Rom
fuͤr Liebhaber des Schoͤnen in der Kunſt
bei Weidmanns Erben und Reich.1787.
[][]
Inhalt.
- Villa Albani.S. 1 bis S. 59
Ueber Winkelmanns Enthuſiasmus: Ein
Wort zu ſeiner Apologie. Warnung, das Ur-
theil anderer uͤber Werke der Kunſt nicht un-
bedingt anzunehmen. Werth der Sammlung
in der Villa Albani fuͤr den unbefangenen Lieb-
haber des Schoͤnen. Verdienſte des Cardinals
Albani um die neuere Kunſt, und die Kenntniß
der alten: Der wiederhergeſtellte gute Geſchmack
in der Sculptur, und die wahre Richtung des
antiquariſchen Studii, ſcheinen von dieſer Villa
ausgegangen zu ſeyn. Beſchreibung der Villa.
Schoͤne Buͤſte der Minerva. Schoͤner Kopf
eines Fauns. Buͤſte des Antinous. Gallerie
oder großer Saal: Muſter eines praͤchtigen
und geſchmackvollen Ammeublements. Minerva.
Charakter der Minerva. Leucothea. Plafond
2von
[]Inhalt.
von Mengs: Beurtheilung deſſelben. Beſtaͤ-
tigtes Urtheil uͤber den Meiſter. Ueber den
hoͤchſten Zweck der Mahlerei; ob die Alten uns
darin zum Muſter dienen koͤnnen? Fortge-
ſetzte Beſchreibung der Gallerie. Thetis. - Pallaſt Colonna.S. 60 bis S. 110
Die beruͤhmte Cencia. Bruſtbild der heili-
gen Magdalena von Guido. Einige ſchoͤne Ge-
maͤhlde von Tizian. Eine heilige Familie aus
Raphaels erſter Manier. Bemerkungen uͤber
den Stil der groͤßten Landſchaftsmahler: Claude
le Lorrain, Caſpar Pouſſin, und Salvator Roſa.
Luftperſpektiv was ſie iſt. Lebende Figuren in
der Landſchaft: bezeichnendes Nebenwerk. Ueber
den laͤndlichen und den heroiſchen Stil in der Land-
ſchaftsmahlerei. Zwei der ſchoͤnſten Landſchaften
Pouſſins. Mutter Gottes mit dem todten Chriſt
von Guercino. Ecce Homo: das beſte Ge-
maͤhlde des Correggio in Rom. Bemerkungen
uͤber dieſen Meiſter. Begriff des Helldunkeln:
Verſchiedenheit deſſelben von Colorit, Ruͤndung,
Beleuchtung und willkuͤhrlichem Spiel heller und
dunkler Partien. Wie Correggios Staͤrke im
Helldunkeln zu beurtheilen iſt. Zweifel: Ob
man in groͤßeren Compoſitionen ein ganz wah-
res Colorit beibehalten koͤnne? Correggio erſter
Lehrer der Gruppirung, des Contrapoſto, der
Pyramidalgruppen. Schmelz der Farben dieſes
Meiſters. Grablegung Chriſti von Guercino. - Villa Negroni.S. 111 bis 121
Erleichterung des Begriffs vom Mahleriſchen.
Sogenannter Marius. Schoͤnes Basrelief.
Amor auf einem Leoparden reitend. Begriff
eines Mithras (in der Note). Schoͤner Kopf
eines Paris: Beweis der Moͤglichkeit unter
ſchoͤnen Formen des Koͤrpers eine fehlerhafte
Seele errathen zu laſſen. Unterſchied zwiſchen
Ausdruck des Charakters, und dem Symbol
gewiſſer Eigenſchaften der Seele. Beruͤhmte
Gruppe zweier Kinder. - Pallaſt Doria.S. 122 bis S. 136
Madonna betend uͤber dem ſchlafenden Chriſt,
von Guido. Sechs Ovale, von Annibale Car-
raccio. Vortreffliche Landſchaft von Claude le
Lorrain. Die Mutter Gottes bei dem Leichname
Chriſti, von Annibale Carraccio. Zwei ſchoͤne
Bildniſſe auf einer Tafel, wahrſcheinlich von
Raphael. Ein anderes Bildniß von Tizian. - Villa Medicis.S. 137 bis S. 155
Nachricht uͤber die Gruppe der Niobe, (in
einer Note). Schoͤne Figur eines Weibes in
ſchwermuͤthiger Stellung. Sogenannte Cleo-
patra. Begriff einer Roma.
Pallaſt Corſini.S. 156 bis S. 162 - Villa Aldovrandini.S. 163 bis S. 183
Die Aldovrandiniſche Hochzeit, ein antikes
Gemaͤhlde. Empfehlung einiger Behutſamkeit
bei dem vergleichenden Urtheil des Verdienſtes der
alten Mahler mit dem Verdienſte der neuen.
Gedanken uͤber den mechaniſchen Theil der alten
Mahlerei. - Pallaſt Quirinale, oder del Monte
Cavallo.S. 184 bis S. 201
Capelle des Guido Reni. Stil dieſes Mei-
ſters. Plis formés d’ une maniere mé-
plate. Nachricht von dem weinenden Petrus
im Pallaſt Zampieri zu Bologna; (in einer Note).
Der heilige Sebaſtian von Tizian. Bemerkun-
gen uͤber den Stil des Fra Bartholomaͤo di St.
Marco. Kreuzigung des heiligen Petrus von
Guido. Die heilige Petronilla von Guercino. - Villa Ludoviſi.S. 202 bis S. 219
Der Ludoviſiſche Mars. Charakter eines Mars.
Papirius mit der Mutter. Arria und Paͤtus.
Bemerkungen uͤber den Stil des Guercino. Mah-
lereien dieſes Meiſters. Coloſſaliſcher Kopf der
Juno. - Pallaſt Boccapaduli.S. 220 bis S. 252
Die Sacramente von Nicolas Pouſſin. Be-
merkungen uͤber dieſen Meiſter. Pruͤfung ſeiner
Verdienſte um das Uebliche. Feſtſetzung des
Begriffs den man mit dieſem Worte zu verbinden
hat.
[]Inhalt.
hat. Die fruͤheren Meiſter, die wider das Ueb-
liche geſuͤndigt haben, verdienen unſere Nachſicht.
Verſchiedenheit des Ueblichen von mechaniſcher
und dichteriſcher Wahrſcheinlichkeit, imgleichen
von dem Schicklichen. Die Gruͤnde zur Nach-
ſicht fuͤr den aͤlteren Kuͤnſtler koͤnnen dem gegen-
waͤrtigen nicht zu Statten kommen. Man darf
das Uebliche nicht mit hiſtoriſcher Treue verwech-
ſeln. Verſchiedene Regeln, die bei der Bezeich-
nung des hiſtoriſch Wahren zur Anwendung kom-
men. Reſultat der Eroͤrterung verſchiedener
Punkte, die bei der Beſtimmung des Begriffs
vom Ueblichen zur Frage gebracht ſind. Anwen-
dung der jetzt feſtgeſetzten Grundſaͤtze auf Pouſſins
Vorzuͤge in Beobachtung des Ueblichen. Fort-
geſetzte Pruͤfung ſeiner Verdienſte um die uͤbrigen
Theile der Mahlerei. Beurtheilung der Ge-
maͤhlde. - Villa Pamfili.S. 253 bis S. 256
- Pallaſt Mattei.S. 257 bis S. 263
Beruͤhmter Kopf des Cicero. Die Ehebre-
cherin von Pietro da Cortona. - Villa Olgiati.S. 264 bis S. 266
Mahlereien von Raphaels Schuͤlern nach den
Zeichnungen ihres Meiſters. - Pallaſt Barberini.S. 267 bis S. 320
Zwei antike Gemaͤhlde. Der ſchlafende Faun.
Schoͤner antiker Loͤwe. Plafond des Pietro da
Cortona.
[]Inhalt.
Cortona. Ob weitlaͤuftige Compoſitionen der
Mahlerei zutraͤglich, und angemeſſen ſeyn moͤgen?
Pietro da Cortona, und ſein Stil. Erklaͤrung
der Worte: il Spirito, Il Sfumato, in der
Mahlerei. Die Spieler von Carravaggio.
Eſther und Ahasverus von Guercino. Wieder-
erkennungszeichen eines Prieſters der Cybele.
Tod des Germanicus von Pouſſin. Unterſchei-
dungszeichen des intereſſanteſten Augenblicks einer
Begebenheit zur ſichtbaren Darſtellung in Ruͤck-
ſicht auf Ausdruck. Heilige Magdalena von
Guido. Heiliger Andreas Corſini von demſelben
Meiſter. Die Eitelkeit und Beſcheidenheit von
Leonardo da Vinci. Charakteriſtiſche Kennzei-
chen des Stils dieſes Meiſters. Raphaels Ge-
liebte: la Furnerina. Unter welchen Einſchraͤn-
kungen man berechtiget ſey, uͤber die Originalitaͤt
eines Gemaͤhldes zu urtheilen?
Villa[[1]]
Villa Albani.
Winkelmann legt der Sammlung von Kunſt-Ueber Win-
kelmanns
Enthuſias-
mus: Ein
Wort zu ſei-
ner Apologie.
werken in dieſer Villa einen ſehr hohen
Werth bei. Es ſcheint, daß jedesmal, wenn er
in ſeinen Schriften darauf ſtoͤßt, ſeine Einbildungs-
kraft beſonders entflammt werde. Der vormalige
Beſitzer dieſer Sammlung, der verſtorbene Cardinal
Albani, war ſein Wohlthaͤter und ſein Freund: er
verdankte dem Aufenthalte an dieſem Orte die hei-
terſten Stunden, welche geſchaͤfftloſe Thaͤtigkeit, eine
Einſamkeit, welche die Phantaſie befluͤgelt, und ein
lehrreicher und herzlicher Umgang mit den intereſſan-
teſten Maͤnnern, in Rom und aus der Fremde, zu
geben im Stande ſind. Die frommen Regungen,
die ihn hinriſſen, von den Zeugen des hoͤchſten Ge-
nuſſes ſeines Lebens, als von deſſen Quellen zu reden,
verdienen unſere nachſichtsvolle Verehrung, wenn
wir gleich bey dem bloßen Anblick des nunmehro
wieder Unbelebten, abgezogen von aͤußerer Veran-
laſſung zum Enthuſiasmus, denſelben nicht immer
mit ihm theilen koͤnnen.
Zweiter Theil. AWenn
[2]Villa Albani.
Wenn die Begeiſterung, mit der Winkelmann
uͤber manches Werk ſpricht, nicht ſtets durch deſſen
Schoͤnheit gerechtfertiget wird, ſo duͤrfen wir nicht
glauben, daß er ſeine Einbildungskraft in Arbeit
geſetzt habe, den Zuhoͤrer durch ein erlogenes Feuer
zu blenden. Nein! Seine ſchoͤne Seele war vieler
Irrungen faͤhig, aber keines abſichtlichen Betrugs.
Es war Anhaͤnglichkeit an dem Beſitzer, an dem
Urheber des Kunſtwerks, es war Freude uͤber einen
feinen von ihm zuerſt ausgefundenen Aufſchluß uͤber
deſſen Bedeutung, durch die ſein Herz — ſein Ver-
ſtand, in einen leidenſchaftlichen Affekt verſetzt wur-
den, der an ſich der Empfindniß des Schoͤnen fremd,
dennoch auf Rechnung derſelben von dem Betrogenen
geſetzt wurde.
Nur eine erkuͤnſtelte Begeiſterung verdient
unſere Verachtung, der Witz, der die Larve der
Empfindung annimmt. Wenn Winkelmanns kalte
Nachahmer unter uns Deutſchen ihre erlogenen Ge-
fuͤhle in Ausrufungen und Bombaſt huͤllen, die der
geſunde Menſchenſinn verleugnet; wenn Italieniſche
Abbati uns mit auswendig gelerntem Redeſchmuck
in Gallerien verfolgen; dann laßt uns dieſe verwuͤn-
ſchen! Und ich habe euch oft verwuͤnſcht, ihr Ueber-
laͤſtigen, die ihr mich von Bewunderung des Kunſt-
werks auf Bewunderung eurer ſchoͤnen Beſchreibung
abzuziehen ſuchtet!
das Urtheil
anderer uͤber
Werke der
Inzwiſchen hat die gutherzige Schwaͤrmerey
den Nachtheil, daß unſer Geſchmack noch groͤßere
Gefahr laͤuft, in die Irre gefuͤhrt zu werden, und
es ſcheint daher hier der Ort zu ſeyn, einige Regeln
der
[3]Villa Albani.
der Behutſamkeit zu geben, das Urtheil, ſelbſt derKunſt nicht
unbedingt
anzunehmen.
Verſtaͤndigſten in der Kunſt, auf eigene Pruͤfung
zuruͤckzufuͤhren. Da dieſe Regeln mit der Kunſt,
das Schoͤne zu finden, in dem genaueſten Verbande
ſtehen, ſo moͤgen ſie als eine ſchickliche Einleitung zu
dieſem Theile gelten.
Ohne den Nahmen des Meiſters eines Werks,
ohne das Urtheil, das lange uͤber deſſen Werth ge-
faͤllt iſt, vorher zu wiſſen, ſuche der Liebhaber daſ-
ſelbe ohne Begleiter zu betrachten. Sein Gefuͤhl
iſt dann noch nicht praͤoccupirt: Weder die Schaam,
das ſchoͤn zu finden, was neben ihm getadelt wird,
noch der Vorwurf, den man ſich macht, da kalt zu
bleiben, wo andere in Entzuͤckung gerathen, werden
ſeiner Empfindung eine ſchiefe Richtung geben. Iſt
ſein Gefuͤhl beſtimmt, hat er es vor ſich ſelbſt zu
rechtfertigen geſucht, dann frage er andere, um es
zu berichtigen. Contraſtirt ihr Ausſpruch gaͤnzlich
mit dem ſeinigen, ſo gehe er zum zweitenmale hin
und ſehe; und findet er dann noch keine Gruͤnde,
von ſeiner erſten Meinung abzugehen; Klugheit ge-
bietet ihm zu ſchweigen: keine Autoritaͤt in der Welt
aber vermag ihn zu zwingen, ſein Gefuͤhl in das
Gefuͤhl eines andern zu beugen.
Die Vergleichung des gegenwaͤrtigen Eindrucks,
den ein gewiſſes Kunſtwerk auf uns macht, mit
denen, die wir vorher von dem Anblick aͤhnlicher er-
halten haben: die genaue, aber ungezwungene Pruͤ-
fung, ob nicht hier und dort ein beſonderes Verhaͤlt-
niß, eine leidenſchaftliche, und, wenn ich ſo ſagen
darf, eigennuͤtzige Lage, uns etwas Anziehendes in
A 2dem
[4]Villa Albani.
dem Werke zeige, das nicht ſowohl in demſelben, als
in uns liegt, ſcheinen die getreueſten Schiedsrichte-
rinnen uͤber das Verdienſt eines Kunſtwerks, als
ſchoͤnes Kunſtwerk, zu ſeyn.
Das Gefuͤhl des Schoͤnen verlangt durchaus eine
ruhige Gemuͤthsverfaſſung, die kein Vergnuͤgen
ſucht, als welches der gegenwaͤrtige Genuß darbietet:
ohne Ueberzaͤhlung desjenigen, was wir dadurch fuͤr
das Kuͤnftige gewinnen, ohne Nahrung fuͤr Affekte,
die das Herz oder der Verſtand — denn auch dieſer
hat die ſeinigen — ſchon vorhero hatten. Gebrau-
chen wir nicht die Vorſicht, dieſe fremden Ruͤckſich-
ten auf fruͤhere Begriffe und Neigungen, auf Abſich-
ten und Wuͤnſche, von dem Vergnuͤgen, das die
Kuͤnſte gewaͤhren, zu trennen; ſo laufen wir Ge-
fahr, dieſes bei einem wiederholten Anblick nicht wie-
der zu finden, und auf einen Genuß zu rechnen,
den viele andere Gegenſtaͤnde viel vollſtaͤndiger und
viel dauerhafter zu gewaͤhren im Stande ſind.
Eine Porcia, die nach dem Tode ihres Gemahls
bei dem Anblick eines Gemaͤhldes der Andromache
dem gepreßten Herzen zuerſt durch Klagen Luft
macht; ein Caͤſar, der vor der Bildſaͤule Alexan-
ders ehrgeizige Thraͤnen vergießt, duͤrfen bei veraͤn-
derter Lage auf einen aͤhnlichen Eindruck, den auch
ſehr mittelmaͤßige Stuͤcke auf ſie gemacht haben wuͤr-
den, nicht ferner rechnen.
Der Kuͤnſtler, dem ſich bei der Beurtheilung
eines Kunſtwerks zu gleicher Zeit alle die Schwierig-
keiten darſtellen, die der widerſtrebende Stoff, oder
das Mangelhafte der Werkzeuge dem Urheber deſſel-
ben
[5]Villa Albani.
ben entgegen geſetzt haben, ſchaͤtzt daſſelbe hauptſaͤch-
lich nach dem Werthe der Ueberwindung dieſer Hin-
derniſſe. Er freuet ſich, daß ein Menſch, wie er,
ſo viel vermocht hat; die Erwaͤgung des Schweren
in der Kunſt, deren Ausuͤbung er ſich gewidmet hat,
erhoͤhet den Begriff von der Vortrefflichkeit ſeiner
Wahl. Er wird ſtolz auf Kenntniſſe, die ihn in
den Stand ſetzen, uͤber die Erforderniſſe zur Voll-
kommenheit zu urtheilen: er billigt, er verwirft nicht
ſelten, um gelehrt zu ſcheinen: er lobt, weil in des
Vorgaͤngers Unvollkommenheiten Entſchuldigung fuͤr
ſeine Fehler liegt; oft tadelt er, weil jener einen an-
dern Weg eingeſchlagen iſt, zur Vortrefflichkeit zu
gelangen, als den, den er genommen hat.
Dies iſt nicht das einzige Beiſpiel, daß das Ur-
theil uͤber die Schoͤnheit eines Werks von den ver-
ſchiedenen Zwecken abhaͤngt, die man mit dem Stu-
dio der Kunſt, die es hervorgebracht hat, verbindet.
Die Erlaͤuterung, die die Geſchichte und die Fabel
durch die Bekanntſchaft mit den ſchoͤnen Ueberreſten
des Alterthums erhalten, ſpannt allein den Fleiß des
Grammatikers, des Critikers, der ſich mit kaltbluͤ-
tiger Unterſuchung Werken nahet, die beſtimmt wa-
ren, Begeiſterung und Innigkeit in ihren Zuſchauern
hervorzubringen. Ihm ſind Kunſtwerke Denkmaͤ-
ler, und die Innſchrift auf der Baſe hat oft fuͤr ihn
mehr Werth, als die Form der Figur, die ſie
bezeichnet.
So ſehr der Philoſoph, deſſen denkender Geiſt
den Fortſchritten der Ausbildung einer Nation in den
Schritten zur Vollkommenheit in ihren Kuͤnſten
A 3nach-
[6]Villa Albani.
nachſpaͤhet, in anderer Ruͤckſicht Anſpruch auf unſere
Verehrung hat; das Verdienſt, welches er einem
Stuͤcke beilegt, kann daſſelbe fuͤr den Liebhaber nicht
beſtimmen: denn der unfoͤrmlichſte Verſuch des
Handwerkers muß jenem in Betracht der Folgerun-
gen, die er daraus zieht, ſo wichtig ſeyn, als das
erhabenſte Werk des Kuͤnſtlers.
Kaum weiß ich, ob ich nach Maͤnnern, die ſich
aus Abſichten, die immer mittelbar zu unſerm Ver-
gnuͤgen beitragen, der Kenntniß und dem Studio
der Kuͤnſte nahen, ſolche nennen darf, die durch die
verkehrte Anwendung, die ſie von denſelben machen,
dies Vergnuͤgen gaͤnzlich zerſtoͤren! Jene Litterato-
ren der Kunſt, eine unausſtehliche Menſchenart!
die nur weiß, um zu wiſſen, der Gedaͤchtniß und
Erinnerungsvermoͤgen ſtatt Empfindniß und Einbil-
dungskraft von der ſtiefmuͤtterlichen Natur zu Theil
geworden iſt, und die ein Stuͤck nur in ſo fern ſchaͤtzen,
als jene Kraͤfte ihrer Seele dadurch in Thaͤtigkeit ge-
ſetzt werden! Nichts ſuchen ſie ſorgfaͤltiger an einem
Kunſtwerke auf, als die Zeit, in der es verfertiget
worden, die Schickſale, die es erfahren hat; durch
welche Haͤnde es gegangen; wie viel dafuͤr zu ver-
ſchiedenen Zeiten bezahlt, oder von Fuͤrſten und En-
gellaͤndern geboten, welchen Gefahren des Untergan-
ges es in dieſer oder jener Feuersbrunſt entkommen
iſt: und dann eine Menge Anekdoten aus der Lebens-
geſchichte des Urhebers, der eingeſchloſſen in ſeiner
Werkſtatt vielleicht blos in ſeinen Werken gelebt hat!
Oder jene Brocanteurs, jene Bildertroͤdler,
denen die Groͤße und Laͤnge des Kunſtwerks, der
Geſchmack
[7]Villa Albani.
Geſchmack der Mode an dieſer oder jener Vorſtel-
lungsart, kurz die gelegentliche Veranlaſſung zum
beſſern oder ſchlechtern Verkauf ſtatt des innern Wer-
thes gilt: die endlich vermoͤge des glaͤnzenden Firniſ-
ſes, mit dem ſie ein veraltetes Stuͤck uͤberſetzen, ſich
berechtiget halten, alles zu loben, was ſich in ihrer
Polterkammer findet, und alles zu tadeln, was ſich
nicht dahin hat verirren koͤnnen!
Oder jene beſchwerlichen Lobredner, von denen
ich ſchon geredet habe, denen ein gemeinſchaftlicher
Geburtsort mit dem Meiſter, oder der Stoff zu hoch-
toͤnenden Declamationen, die Gewaͤhr der Vollkom-
menheit eines Werks leiſten: die ihm tauſend Vor-
zuͤge andichten, an die bei der Verfertigung nie ge-
dacht iſt, und die wirklich vorhandenen uͤberſehen!
Oder jene eben ſo beſchwerlichen Tadler, die um
zu ſagen: ich habe geſehen, von dem Gegenwaͤrtigen
nichts ſehen, oder durch die unbetraͤchtlichſten Fehler
gegen die uͤberwiegenden Schoͤnheiten in einem Mei-
ſterſtuͤcke blind werden!
Dieſe Erfahrungen moͤgen hinreichen, um zu
zeigen: Daß individuelle Lage, Befriedigung großer
und kleiner Leidenſchaften, Vorurtheil der Erziehung,
und beſondre Richtung unſrer Aufmerkſamkeit, das
Urtheil uͤber die Schoͤnheit eines Werks auf mannich-
faltige Art modificiren koͤnnen.
Wer alſo von meinen Leſern das ſeinige beſtim-
men will, oder das Urtheil anderer, die er zu Rathe
zieht; der pruͤfe: ob er und ſein Begleiter in der
ruhigen Stimmung ſind, die den Genuß des Schoͤ-
nen zulaͤßt? ob dieſe nicht Kuͤnſtler ſind, nicht Anti-
A 4quare,
[8]Villa Albani.
quare, nicht Forſcher der ungeſchmuͤckten Wahrheit,
nicht Brocanteurs, nicht Landesleute, Freunde des
Kuͤnſtlers; ob dieſe nicht darauf rechnen, einen glaͤn-
zenden Cirkel mit Declamationen oder Spitzfindigkei-
ten zu unterhalten; — und findet er nichts von dem
allen, ſo halte er ſich dreiſt an das Urtheil, das Em-
pfindung ihm eingiebt, und die Vergleichung mit
Erfahrungen aͤhnlicher Empfindungen beſtaͤtigt.
Sammlung
in der Villa
Albani fuͤr
den unbe-
angenen
Liebhaber
des Schoͤnen.
Wer ſich mit dieſer Vorſicht an der Hand Win-
kelmanns der Betrachtung der Kunſtwerke in der Villa
Albani naht, wird das guͤnſtige Urtheil, welches er
daruͤber faͤllt, nicht in ſeinem ganzen Umfange unter-
ſchreiben koͤnnen. Inzwiſchen verſchiedene Stuͤckt
verdienen die unbefangenſte Bewunderung, und die
Art, wie ſie alle zur Verſchoͤnerung dieſes Landſitzes
angewandt ſind, wird das Ganze zu einem Aufent-
halte machen, nach dem ſich der Liebhaber des Schoͤ-
nen oft wieder hinſehnt.
In der That, die Anordnung derſelben in die-
ſer Villa ruft die Beſchreibungen der Alten ins Ge-
daͤchtniß, die ſie uns von aͤhnlichen Ausſchmuͤckungen
der ihrigen hinterlaſſen haben. Schade! daß der
Geſchmack in den Gebaͤuden, die ſie enthalten, nicht
reiner iſt; aber dieſe gehen mich hier nichts an. Fuͤr
mich iſt es genung, daß die unendliche Menge von
Ueberbleibſeln des Alterthums, die ein einziger Mann,
der verſtorbene Cardinal Albani, hieher zu vereinigen
gewußt hat, mein Erſtaunen erregt, und daß ich
das ausgezeichnete Gluͤck nicht genung bewundern
kann, mit dem er ſo viele zu einander paſſende Gegen-
ſtaͤnde
[9]Villa Albani.
ſtaͤnde aufgefunden hat, die durch die gute Wuͤr-
kung, die ſie an dem Orte ihrer Aufſtellung hervor-
bringen, zu ihrer gegenwaͤrtigen Beſtimmung ur-
ſpruͤnglich verfertigt zu ſeyn ſcheinen.
Der verſtorbene Cardinal Albani hat von ſeinerVerdienſte
des Cardi-
nals Albani
um die neuere
Kunſt und die
Kenntniß der
alten; der
wiederherge-
ſtellte gute
Geſchmack in
der Sculptur
und die wah-
re Richtung
des antiqua-
riſchen Stu-
dii ſcheinen
von dieſer
Villa ausge-
gangen zu
ſeyn.
fruͤheſten Jugend an alles, was ſich von alten Kunſt-
werken zu ſeiner Zeit auftreiben ließ, mit unermuͤde-
ter Sorgfalt geſammelt: Und ſeine Zeit dauerte lang,
ſie war der Befriedigung ſeiner edlen Liebhaberei ſehr
guͤnſtig. Er ward 80 Jahr alt, und ehe er den
Geſchmack an der Antike wieder belebt hatte, theilte
er ihn mit Niemanden in Rom.
Ihm gebuͤhrt das Lob, dieſen Geſchmack wie-
der hergeſtellet zu haben: durch das Anſehn ſeines
Beiſpiels bei ſeinen Landsleuten, durch die Unterhal-
tung, die fremde Liebhaber in ſeinem Umgange fan-
den, durch den Schutz, den er Gelehrten und Kuͤnſt-
lern angedeihen ließ. Dieſe wurden bei ihm mit ein-
ander vertrauet, ſie lernten einer von dem andern:
Mengs und Winkelmann ſammleten hier den Stoff
zu Werken, durch die ein neues Licht in der Kunſt
aufgieng. Der Kuͤnſtler wurde auf die Ideen von
wahrer Schoͤnheit, von einfacher Groͤße und Bedeu-
tung in den Werken der Alten zuruͤckgefuͤhrt, und
der Antiquar lernte dieſe als ſchoͤne Kunſtwerke ſtudie-
ren. Die haͤufigen Ergaͤnzungen verſtuͤmmelter
Statuen, und die Lehren des Cardinals, der in dem
Umgang mit der Antike alt geworden war, verdraͤn-
geten vorzuͤglich in der Sculptur jenen ausſchweifen-
den Kirchenſtil der Schuͤler des Algardi und Bernini,
um dem reinern der Alten Platz zu machen. Zuletzt
A 5zogen
[10]Villa Albani.
zogen die roͤmiſchen Magnaten manches vergeſſene
Meiſterſtuͤck aus ihren finſtern Polterkammern her-
vor, und ſtellten ſie entweder ſelbſt an Oertern auf,
die wenigſtens zugaͤnglich fuͤr Liebhaber und Kuͤnſtler
wurden, oder brachten ſie, aufgeklaͤrt uͤber den Preiß,
den dieſe verkannte Waare vor den Augen der Schuͤ-
ler des Cardinals erhielt, in merkantiliſchen Umlauf,
der immer mehr als eine gaͤnzliche Verſteckung den
Kuͤnſten vortheilhaft wurde.
bung der
Villa.
Der verſtorbene Cardinal ſcheint den Plan zu
Anlegung der Gebaͤude in dieſer Villa erweitert zu
haben, ſo wie er eine groͤßere Menge von Kunſtwer-
ken erhielt, die er darinn aufſtellen wollte.
Das Hauptgebaͤude beſteht aus einem Corps de
Logis, zwiſchen zwei, wie es ſcheint, erſt ſpaͤter an-
gehaͤngten Fluͤgeln. Vor dieſem Hauſe eine Ter-
raſſe, dann eine große Fontaine, und gegen uͤber ein
Gebaͤude im halben Cirkel, ein ſogenannter Xyſtus
oder Hemycyclum: vorn mit rund umhergehenden
Arkaden, die einen offenen Porticus bilden, an deſ-
ſen hinterer Wand Statuen in Niſchen aufgeſtellt
ſind: hinten mit Zimmern.
Zur Linken, wenn man von dem Hauptgebaͤude
ab auf dieſen Xyſtus zugeht, mehrere kleine Gebaͤude,
von denen ich nachher die vorzuͤglichſten naͤher anzei-
gen werde; und hinter denſelben verſchiedene Partien,
Grotten, Fontainen, die nicht gleich ins Auge fallen.
Zur Rechten in eben dieſer Richtung ein Bos-
quet, ein Obelisk in der Mitte verſchiedener darauf
ſtoßender Alleen, gruͤne Raſenplaͤtze u. ſ. w.
Der
[11]Villa Albani.
Der Garten ſelbſt iſt ziemlich im franzoͤſiſchen
Geſchmack. Die Ausſicht von der Terraſſe vor dem
Hauſe ab auf den Xyſtus mit der zwiſchen liegenden
Fontaine iſt mir die liebſte Partie, und bei dem
Xyſtus, dem Wohnhauſe gegen uͤber, hat der Car-
dinal offenbar aͤhnliche Anlagen der Alten, von denen
wir aus ihren Schriften wiſſen, vor Augen gehabt.
Das Hauptgebaͤude.
Porticus vor demſelben.
Zwei Sphynxe von Baſalt.
Rechter Hand am Ende † eine ſchoͤne Figur,
die zu fliegen ſcheint, denn ſie haͤngt an dem Mar-
morblocke mit dem Gewande, und ihre Fuͤße be-
ruͤhren die Erde nicht. Die Geſichtsbildung iſt ſehr
reizend, und das Gewand vortrefflich geworfen; doch
koͤnnte die Ausfuͤhrung beſſer ſeyn. Auf dem Kopfe
traͤgt ſie ein Diadem, und in der Hand eine Fackel.
Allein die beiden Arme ſind neu. Man nennt dieſe
Figur eine Juno, eine Ceres, eine Iris.
In den Niſchen ſtehen: † ein Tiber mit ei-
nem jugendlichen Kopfe, von dem Winkelmann
redet, 1)ein Auguſt, ein Lucius Verus, ein
Septimius Severus, ein Trajan, ein Ha-
drian.
Man hat dieſen Figuren die Koͤpfe ziemlich will-
kuͤhrlich aufgeſetzt. Die Statue des Septimius
Severus faͤllt durch die nackten Beine bei dem gehar-
niſch-
[12]Villa Albani.
niſchten Koͤrper auf. Winkelmann bemerkte ſehr
ſcharfſinnig, daß dieſes ſonderbare Coſtume am er-
ſten auf den Kaiſer Hadrian paſſe. Denn dieſer
befahl nicht nur ſeiner Leibwache zur Wiederherſtel-
lung der alten Diſciplin, den Dienſt mit unbekleide-
ten Fuͤßen zu verrichten; ſondern gieng ihnen auch
ſelbſt darunter vor. Winkelmann rieth daher dem
Cardinal, dieſer Statue ihren wahren Kopf aufzu-
ſetzen: Allein es iſt dabei geblieben.
Inwendig im Hauſe.
Der Sonderbarkeit des Suͤjets wegen bemerke
ich auf dem Gange zur Kuͤche einige Basreliefs,
aus ſchlechtem Etruſciſchen Alabaſter, welche auf
Kuͤche und Tafel Beziehung haben. Sie ſind von
ſchlechter Ausfuͤhrung.
Linker Hand in einem Cabi-
nette.
† Ein großes Gefaͤß von Alabaſtro Fio-
rito, in deſſen Mitte ſich eine Maske befindet.
Einige Buͤſten, worunter ein gut drappir-
ter Auguſtus.
Eine Statue Antonins des Frommen.
† Ein Gladiator, der eine Victoria traͤgt,
Fuͤſſe neu, und Eine weibliche Figur mit einem
Kopfe, deren Haare nach der noch jetzt bei den Ita-
lienern gewoͤhnlichen Mode, in ein Netz gebunden
ſind. Koͤpfe mit dieſem Putze nennt man gemeiniglich:
Sapho, ohne allen Grund.
Darauf
[13]Villa Albani.
Darauf tritt man in die Gallerie der Grie-
chiſchen Buͤſten oder Termen, denen ziemlich
willkuͤhrliche Nahmen gegeben ſind. Viele darunter
ſind ſchoͤn, viele aber auch ſehr mittelmaͤßig. Unter
die beſten rechnet man Themiſtocles, Paris und
Scipio Africanus.
In den Niſchen ſtehen Statuen, die ſehr re-
ſtauriret ſind. Der ſeelige Cardinal geſtand ſelbſt,
ſie waͤren es [f]facciatamente, auf eine unverſchaͤmte
Weiſe. Einzelne Theile ſind ſchoͤn.
Am Ende der Gallerie findet man † eine
ſitzende weibliche Figur, die den Finger an die
Backe legt. Sie hat einen ſehr guten Ausdruck des
Nachdenkens, daher viele darin eine Mnemoſyne
oder die Mutter der Muſen ſehen.
Rechter Hand. Capelle.
Hier trifft man eine ſchoͤne Urne aus Porphyr
an, die ſtatt Altars dient.
Dann wieder ein Cabinet mit einer † groſ-
ſen Vaſe, aus Alabaſtro Fiorito, mit einer erha-
ben gearbeiteten Maske in der Mitte. Sie iſt dem
Gefaͤße auf der linken Seite voͤllig aͤhnlich.
† Eine ganz vortreffliche coloſſaliſcheSchoͤne Buͤ-
ſte einer Mi-
nerva.
Buͤſte einer Minerva. Sie iſt die ſchoͤnſte, die
ich von dieſer Goͤttin kenne, und ſcheint ehemals zu
einer Statue gehoͤrt zu haben. Aber ſchon in alten
Zeiten hatte man ſie zur Buͤſte adaptiret.
† Eine vortreffliche und aͤußerſt ſeltene
Statue Domitians.2)
Eine
[14]Villa Albani.
Eine Statue Marc Aurels.
Eine ſehr ſeltene Statue des Pupienus
Ehemals in der Villa Veroſpi. 3)
Lucius Verus und Marcus Aurelius, zwei
Buͤſten.
Aus dem Cabinette tritt man wieder in eine
Gallerie von Buͤſten oder Termen nebſt Sta-
tuen in den Niſchen. Auch hier ſind wieder die
Benennungen oft willkuͤhrlich, und das Gute iſt mit
dem Schlechten vermiſcht. Ich bemerke eine
Diana, die ein Reh traͤgt.
Am Ende dieſer Gallerie in zwei Cabinettern:
Sturz eines gefangenen Koͤnigs mit einem
Gewande von einer ſehr raren Marmorart Breccia
d’ Egitto.4)Ein Loͤwe aus gruͤnem Baſalt.
Mehrere Basreliefs. Ein Marſyas. Eine
bekleidete weibliche Figur.
Fluͤgel zur Linken.
Im erſten Zimmer.
† Ein ſchoͤner Kopf der Cybele, der nach
dem einſtimmigen Zeugniſſe aller Ruſſen der Czaa-
rin Catharina der Zweiten ungemein aͤhnlich ſiehet.
Mehrere Basreliefs aus gebrannter Erde,
unter andern dasjenige, welches die Verfertigung
des
[15]Villa Albani.
des Schiffs der Argonauten vorſtellet, und von
dem Winkelmann redet, 5a) imgleichen ein anderes
von Porphyr. Es ſtellet den Daͤdalus vor, wie
er ſeinem Sohne Icarus die Fluͤgel bereitet.5b)
Eine gemahlte Landſchaft.6)
† Eine vortreffliche Buͤſte des Jupiter
Serapis aus gruͤnem Baſalt. Ich ziehe ſie der
aͤhnlichen Buͤſte im Muſeo Vaticano vor, aber das
Kinn iſt neu. 7a)
Ein junger Lucius Verus, Statue.
Euripides, hoch erhoben auf einer Tafel gear-
beitet, woran das Verzeichniß der von ihm verfertig-
ten Theaterſtuͤcke ſtehet.
Diogenes und Alexander, Basrelief. 7b)
Ein Schauſpieler.
Ein ſchoͤner weiblicher Koͤrper in einer
Stellung, die ſich fuͤr eine Tochter der Niobe paſſen
wuͤrde.
Noch zwei Schauſpieler.
Ein Kind, das ſich mit einer Maske bedecket,
und durch die Oeffnung des Mundes die Hand ſteckt.
Zweites Zimmer.
† Eine vortreffliche Vaſe von Marmot,
mit einer Frieſe rund umher, die die Thaten des
Hercules vorſtellt: in der Mitte ein Meduſenkopf.
Unter
[16]Villa Albani.
Unter den vielen Statuen, die in den Niſchen
ſtehen, bemerke ich eine Pallas im Stile des
hohen Alterthums. Der Kopf, ſagt Winkelmann,
gleicht einem Egyptiſchen Werke. 8)
Zwei kleine Basreliefs mit Amorinen auf
Waͤgen, die von verſchiedenen Thieren gezogen wer-
den. Der Gedanke iſt ſehr artig, und koͤnnte dem
Kuͤnſtler zu einer Nachahmung mit verbeſſerter Aus-
fuͤhrung Anlaß geben.
Zwei Vaſen von ſchoͤner Form.
Ein Nil im Kleinen.
Drittes Zimmer.
Einige Termen von Alabaſtro Fiorito.
Sonderbar ſind die Zeugungsglieder, die, unter
dem Gewande angrgeben, durchſcheinen.
Ein altes Moſaik, welches eine Landſchaft
an den Ufern des Nils vorſtellet.
Eine antike Fontaine, welche einem Kinde
zum Spielwerke gedient zu haben ſcheint.
Viertes Zimmer.
Ein trunkener Faun ſehr reſtauriret.
Ein Basrelief im ſogenannten Etruſciſchen
Stile.
Ein Schauſpieler.
Eine Badewanne von weiß und ſchwarzem
Granit: ein aͤußerſt ſeltenes Stuͤck.
Die
[17]Villa Albani.
Die aͤußere Seite dieſes Nebengebaͤudes oder
Fluͤgels iſt mit einem Porticus gezieret, unter wel-
chem man eine Diane von Epheſus antrifft.
Fluͤgel rechter Seite.
Um der Symmetrie willen hat man dieſem Fluͤ-
gel gegen uͤber eine Faßade erbauet, hinter wel-
cher jedoch kein Gebaͤude, ſondern ein Bos-
quet iſt.
Dieſe Faßade hat ein Portal, welches auf vier
† ſchoͤnen weiblichen Caryatiden ruhet. Sie
ſind ſehr reſtauriret.
Oberer Theil des Mittelge-
baͤudes.
Auf der Treppe.
Mehrere Basreliefs: Ein Fragment der
Fabel der Niobe; Hercules in dem Garten
der Heſperiden; zwei tanzende Bacchantinnen
und Leucothea mit ihrem Zoͤgling dem Bacchus
und Nymphen. Winkelmann 9) haͤlt das letzte
fuͤr das aͤlteſte, nicht allein von Hetruriſchen, ſon-
dern auch uͤberhaupt von allen erhobenen Arbeiten in
Rom. Es iſt aber, ſo wie die uͤbrigen alle, merkwuͤr-
diger fuͤr den Gelehrten, als fuͤr den Liebhaber und
Kuͤnſtler.
Im
Zweiter Theil. B
[18]Villa Albani.
Im Vorzimmer.
† Ein Faun, der einen Schlauch traͤgt.
Der Ausdruck iſt gut, er zeigt Staͤrke und Behen-
digkeit, auch ſind die Umriſſe fließend, vielleicht iſt
aber der Koͤrper ein wenig zu kurz.
Erſtes Zimmer des obern
Geſchoſſes.
Einige Marinen von Manglar.
Einige Koͤpfe der Roſalba.
Zweites Zimmer.
Kopf eines Kindes und einer Alten.
Buͤſten.
Drittes Zimmer.
† Apollo Sauroctonon, eine gute Statue aus
Bronze mit Augen von Silber. Sie iſt in der
Groͤße eines Knaben von 10 Jahren, bei St. Bal-
bina gefunden.
Winkelmann 10) legt dieſer Statue ein Lob bei,
welches ſie nicht ganz verdient. Er haͤlt ſie beinahe
fuͤr ein Werk des Praxiteles. Haͤtte dieſer Meiſter
nichts beſſers zu machen gewußt, ſo wuͤrde ihn
ſein
[19]Villa Albani.
ſein Copiſt in der Villa Borgheſe weit uͤbertroffen
haben.
† Ein Bacchus und ein Faun, ein Paar
kleine reizende Figuren, die in ihrer Kleinheit um ſo
ſeltener und intereſſanter ſind: Vielleicht iſt aber auſ-
ſer dem Koͤrper nichts daran alt.
† Die Apotheoſe des Hercules, dem Ge-
lehrten intereſſanter als dem Kuͤnſtler; inzwiſchen
hat die Figur der Victoria einen angenehmen Cha-
rakter.
† Ein ſchoͤner Kopf in Basrelief, wel-
chen man den Poet Perſius genannt hat, ob derſelbe
gleich einen Mann von reiferem Alter vorſtellet, und
folglich auf den Perſius, der im 29ſten oder 30ſten
Jahre ſtarb, nicht gedeutet werden kann. 11) An-
dere halten ihn fuͤr einen Hadrian.
Ein Canopus aus gruͤnem Baſalt.
Einige kleine Figuren aus Bronze.
Eine Diana und eine Minerva, deren
Koͤpfe und Haͤnde von Bronze ſind, das Gewand iſt
von Alabaſter. 12)
Zwei Figuren des Diogenes, eine jede
mit einem Hunde. Der eine von dieſen Hunden
iſt antik.
Acht antike Begraͤbnißurnen aus Alaba-
ſter und drei aus Porphyr.
B 2Drei
[20]Villa Albani.
Drei moderne Vaſen, von denen zwei aus
rothem Porphyr, 13) und eine aus gruͤnem Granit iſt.
Viertes Zimmer.
Kopf eines
Fauns.
† Der ſchoͤne Kopf des Fauns, den ehe-
mals der Conte Marſigli beſaß. Die Bruſt iſt von
Cavaceppi reſtaurirt.
Winkelmann 14) rechnet ihn unter die ſchoͤnſten
des Alterthums, und mit Recht. Der Ausdruck
unbefangener laͤndlicher Froͤhlichkeit iſt vortrefflich.
Unter dem Kinne haͤngen Warzen.
Fuͤnftes Zimmer.
Antinous als Oſiris. Die ganze Maske
iſt modern.
Sechstes Zimmer.
Antinous.
† Antinous eine halbe Figur: Basrelief.
Auſſerordentlich ſchoͤn, und vielleicht das merkwuͤr-
digſte Stuͤck in dieſer Sammlung. Die eine Hand
war bei der Findung des Werks verſtuͤmmelt, und
nebſt dem Arme in einer Richtung, die es anzuzeigen
ſchien, daß ehemals ein Zuͤgel damit gehalten ſey.
Dieſer Umſtand verglichen mit jenem, daß das
Marmorſtuͤck in der inwendigen Seite ausgehoͤhlet
iſt,
[21]Villa Albani.
iſt, fuͤhrte Winkelmann auf die Vermuthung, daß
dieſes Bruchſtuͤck ehemals einen Theil einer ganzen
Gruppe ausgemacht, und den Antinous auf einem
Wagen, ein Zeichen der Vergoͤtterung, vorgeſtellt
habe. 15)
Ein neuerer Kuͤnſtler hat den Verſuch gemacht,
dieſe Idee wieder herzuſtellen, und iſt dabei auf eine
merkwuͤrdige Erfahrung gekommen. Denn als er
die Pferde, die den Wagen zogen, in ihrer natuͤr-
lichen Groͤße darſtellte, ſo wurde die Hauptfigur ſo
unanſehnlich, daß dieſer Uebelſtand die alten Kuͤnſt-
ler hinreichend rechtfertigt, welche die Pferde allemal
den menſchlichen Figuren aufopferten.
Jetzt traͤgt unſere Figur einen Blumenkranz,
und iſt in der Villa Hadrians gefunden. Sie giebt
einen zuverlaͤſſigen Beweis von dem Flor der Kunſt
unter dieſem Kaiſer ab.
Ein weiblicher Kopf, den man Agrippina
nennt.
Der große Saal.
großer Saal.
Muſter eines
praͤchtigen
u. geſchmack-
vollen Am-
meuble-
ments.
Ein Muſter eines praͤchtigen und zugleich, wel-
ches ſo ſelten zuſammentrifft, eines geſchmackvollen
Ammeublements.
Die Marmorarten, womit die Waͤnde bekleidet
ſind, bieten ihrer Abwechſelung ungeachtet dem Auge
lauter ſanfte und angenehm einſtimmende Farben dar.
Vier Saͤulen von Porphyr mit Baſen und
Capitaͤlern von Bronze ſtuͤtzen die Architraven der
B 3Thuͤren,
[22]Villa Albani.
Thuͤren, uͤber welche man zwei ſchoͤne antike Tro-
phaͤen von weißem Marmor angebracht hat.
Ueber der dritten ſieht man ein Basrelief,
deſſen Figuren mehrere weibliche Gottheiten
vor einem Tempel vorſtellen. Sie ſind im alt-
griechiſchen Stil gezeichnet; Winkelmann ſchließt
jedoch aus der Korinthiſchen Saͤulenordnung des
Tempels, welche erſt in ſpaͤtern Zeiten erfunden
wurde, daß dieſer Stil blos nachgeahmt ſey. 16)
Schade iſt es, daß die Architraven der Thuͤre
von vermahltem Holze ſind. Eine Sparſamkeit,
welche zu ſehr mit der uͤbrigen Pracht dieſes Saales,
und mit dem Reichthum an Marmor in allen uͤbri-
gen Theilen abſticht. Vielleicht ſind auch die Ara-
beſken theils von eingelegter Arbeit, theils von Mo-
ſaik, und die untermiſchten modernen Cameen von
Alabaſter an den Pilaſtern verſchwendet, und nicht
am rechten Orte.
An den Waͤnden bemerket man vier große vier-
eckigte Basreliefs, und vier andere kleinere
ovale. Sie ſind alle der Aufmerkſamkeit werth,
ich will aber nur ein einziges hier herausheben. Es ſtellet
einen Mann vor, der einen Haſen haͤlt, gegen
den ein Hund anſpringt. Es dienet zur Erklaͤ-
rung einer Statue auf dem Capitol, wie ich dort
bemerket habe.
Auf den Tiſchen von ſchwarz und weißem Mar-
mor ſtehen vier Buͤſten aus Bronze und Ba-
ſalt. Die ſchoͤnſte darunter gehoͤret einem jungen
Manne,
[23]Villa Albani.
Manne, um deſſen Stirn ein Diadem gewunden
iſt. Die Augaͤpfel ſind von moderner Compoſition,
der Mund aber iſt ſchon ehemals vergoldet geweſen.
In zwei Niſchen mit Spiegeln bekleidet ſtehen
zwei vortreffliche Statuen uͤber Lebensgroͤße. Die
eine ſtellet † eine Minerva vor, deren Arme mo-Minerva.
dern ſind. Der Kopf hat etwas ernſthaftes, das
aber nicht zuruͤckſtoßend iſt. Das Gewand iſt un-
vergleichlich.
Winkelmann ſetzt dieſe Statue in die Zeiten des
hohen Stils unter den Griechen. „Sie iſt, ſagt er,
der großen Kuͤnſtler dieſer Zeit wuͤrdig, und das
Urtheil uͤber dieſelbe kann um ſo viel richtiger ſeyn,
da wir den Kopf in ſeiner urſpruͤnglichen Schoͤnheit
ſehen. Denn es iſt derſelbe auch nicht durch einen
ſcharfen Hauch verletzet worden, ſondern er iſt ſo
rein und glaͤnzend, als er aus den Haͤnden ſeines
Meiſters kam. Es zeiget ſich in dem Kopfe eine
gewiſſe Haͤrte, welche aber beſſer empfunden als be-
ſchrieben werden kann. Man koͤnnte in dem Ge-
ſichte eine gewiſſe Grazie zu ſehen wuͤnſchen, die daſ-
ſelbe durch mehr Rundung und Lindigkeit erhalten
wuͤrde.“ 17)
An einer andern Stelle bemerkt er: „Die Unter-
lippe haͤnge ein wenig herunter, zum Zeichen mehre-
rer Ernſthaftigkeit.“ 18).
B 4Der
[24]Villa Albani.
Minerva.
Der Charakter der Minerva iſt weibliche Schoͤn-
heit verbunden mit maͤnnlichem Ernſte. Ihr geſenk-
tes Haupt, und ihr in ſich gekehrter Blick zeigen
Nachdenken und Pruͤfung an. Ihre gewoͤhnlichen
Attribute: der Helm, der Bruſtharniſch, die Eule,
zuweilen die Schlange ꝛc. ſind bekannt.
Bei dem Begriff, den ſich die Alten von dieſer
Goͤttin machten, ſcheint zwar die Hauptidee: Weis-
heit, zum Grunde gelegen zu haben; aber ſo wie
dieſe Weisheit ſich in verſchiedener Anwendung thaͤtig
aͤußert, ſo hat man dieſen Begriff auch auf verſchie-
dene Art beſtimmt.
Bald bezeichnet die Goͤttin, Weisheit welche
kriegeriſche Tapferkeit leitet, und vermoͤge dieſer Ei-
genſchaft, welche der Nahme Pallas andeutet, fuͤhrt
ſie das Schild, das von dem Ziegenfelle, womit es
urſpruͤnglich bedeckt war, Aegis heißt. Bald giebt
man dieſer Weisheit eine der Zartheit ihres Ge-
ſchlechts angemeſſene Richtung. Sie wird entweder
die Geſellſchafterin der Muſen, die Beſchuͤtzerin
unterhaltender Talente: Minerva; oder die Vor-
ſteherin haͤuslicher den Weibern eigener Arbeiten,
beſonders der Stickerei: Ergane. Welche wohl-
thaͤtigere Anwendung kann aber die Weisheit erhal-
ten, als die Befoͤrderung des Haupterforderniſſes zur
Gluͤckſeligkeit unſers Lebens: der Geſundheit? In
ſo fern ſie dieſe zu erhalten lehrt, wird ſie Hygea,
Minerva
18)
[25]Villa Albani.
Minerva ſalutifera, medica genannt, und dann
fuͤhrt ſie eine Schlange bei ſich.
Die andere Statue gegenuͤber ſtellet † eineLeucothea.
Leucothea vor, die den Bacchus in ihren Armen
traͤgt, und ihn mit Blicken der Zaͤrtlichkeit anſchaut.
Das Kind ſtreckt ſeine Arme nach ihr aus. Der
Kopf der Leucothea gleicht der beruͤhmten Buͤſte der
Ariadne auf dem Capitol. Der rechte aufgehobene
Arm iſt ſchlecht reſtaurirt. Auf den Achſeln iſt ein
Mantel befeſtiget. 19)
Leucothea hieß vor ihrer Vergoͤtterung Ino.
Sie war die Schweſter der Semele, der Mutter
des Bacchus, deſſen Erziehung ſie uͤbernahm. Dieſe
Statue iſt einzig in ihrer Art.
† Plafond von Mengs.
Mengs.
Dieſer beruͤhmte Plafond beſteht aus einem Mit-
tel- und zwei Seitenſtuͤcken. Das mittelſte Ge-
maͤhlde ſtellet den Parnaß, von den beiden Seiten-
gemaͤhlden aber das eine einen fliegenden Genius,
das andere den Ruhm unter einer weiblichen Fi-
gur vor.
Der Parnaß enthaͤlt den Apollo, die neun Mu-Beurthei-
lung des Pla-
fond von
Mengs.
ſen und ihre Mutter Mnemoſyne.
Von dieſen Figuren ſcheinen die mehreſten vor
ſich ſtehend nur mit ſich ſelbſt beſchaͤfftigt zu ſeyn:
Sie zeigen keinen Ausdruck einer verbundenen oder
von mehreren vereinigten Perſonen unter einander ab-
hangenden Thaͤtigkeit.
B 5Ich
[26]Villa Albani.
Ich geſtehe, daß ich dieſe Compoſition nicht
billigen kann.
Es iſt nicht genung, wie mich duͤnkt, daß
mehrere Perſonen in einem Gemaͤhlde darum verei-
nigt angetroffen werden, weil man ſie ſich vereinigt
denken kann: es ſey, daß ſie durch Aehnlichkeit ihres
Charakters, ihrer Beſtimmung, ihrer Schickſale
znſammengezaͤhlt werden, oder daß ſie ſich der Erin-
nerung bei der Nennung ihres Namens zu gleicher
Zeit darſtellen. Nein! ich will, daß ein ſichtbarer
gemeinſchaftlicher Zweck ſie zuſammenbringe, daß ſie
zuſammen ſtehen, weil ich ſie zuſammen handeln ſehe;
Kurz! daß der Grund, aus dem ich mir ihre Ver-
einigung erklaͤre, in dem Bilde ſelbſt liege, nicht in
der Erinnerung an ihre homogenen Eigenſchaften.
Ein jedes Gemaͤhlde von mehreren Figuren muß
eine dramatiſche und wenn man lieber will, eine pan-
tomimiſche Situation enthalten; die Darſtellung
einer coexiſtirenden Handlung; keine Aufzaͤhlung der
Akteurs.
Ich wuͤrde es dem Raphael ſchlechten Dank
wiſſen, wenn er die Philoſophen in der Schule von
Athen, oder die Kirchenvaͤter in dem Streit uͤber
das heilige Teſtament, ſelbſt den Apollo und die Mu-
ſen in ſeinem Parnaß mit getrenntem Antheile an einer
aktuellen Beſchaͤfftigung nur darum zuſammengerei-
het haͤtte, weil ſie einen gemeinſchaftlichen Nahmen
fuͤhren, oder eine gemeinſchaftliche Beſtimmung ha-
ben, wornach ich ihr Zuſammenſtreben nicht gegen-
waͤrtig bemerke.
Man
[27]Villa Albani.
Man kann einwenden: die Muſen und Apollo
ruhen hier neben einander; es iſt ſchon intereſſant ge-
nung, zehn weibliche Figuren von verſchiedener
Schoͤnheit neben einem ſchoͤnen jungen Mann in
ſchweſterlicher und bruͤderlicher Einigkeit zu erblicken:
Allein dieſes unbefangene Ruhen neben einander wuͤrde
doch immer mit einem gewiſſen Ausdruck eines wech-
ſelſeitigen zaͤrtlichen Genuſſes vergeſellſchaftet ſeyn
muͤſſen, wenn nicht dem Endzweck, dem Auge
ſchoͤne Formen darzubieten, auch der beſondere, und
der Mahlerei gewiß wichtigere, durch den Ausdruck
des Antheils, den der Menſch an den neben ihm
handelnden Menſchen nimmt, mehrere Figuren zu
einem Ganzen zu verbinden, aufgeopfert werden ſollte.
Die Muſen haͤtten, — ein Bild der Harmonie
zwiſchen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften — mit Roſen-
kraͤnzen umwunden, ſich im frohen Reihetanze dre-
hen, oder mit Entzuͤcken auf die Geſaͤnge des Apollo
horchen, oder einen ihrer Lieblinge, allenfalls den
Cardinal Albani ſelbſt zu ihren Geheimniſſen ein-
weihen, ihm den Becher angefuͤllt mit dem Waſſer
der heiligen Quelle reichen koͤnnen. Dann haͤtten
die neben einander geſtellten Figuren uns auf den
Begriff des verſchwiſterten Bandes zuruͤckgefuͤhrt.
So aber ſtehen ſie, außer den beiden, die mit einan-
der tanzen, wie einzelne Statuen, als Clio, als
Melpomene, als Thalia, jede fuͤr ſich, jede nur mit
der Arbeit beſchaͤfftigt, die ihnen der Dichter anwei-
ſet, wenn er ſie einzeln braucht.
Aber ſelbſt in dieſer Ruͤckſicht iſt nicht immer der
allgemeine feſtgeſetzte Charakter beibehalten. Die
ſuͤßli-
[28]Villa Albani.
ſuͤßliche Mine paßt ſich nicht fuͤr die tragiſche Muſe.
Ueberhaupt kann man den mehreſten Koͤpfen unſers
Kuͤnſtlers den Vorwurf machen, daß ſie ſelten das
Gefuͤhl großer hoher Seelen geben. Die mehreſten
haben eine Lieblichkeit, die an das Unbedeutende,
Fade graͤnzt, und der Kopf des Apollo in dieſem
Bilde entgeht dieſem Vorwurf gleichfalls nicht.
Sollte nicht dieſes uͤbertriebene Beſtreben nach
gefaͤlligem Reiz, welches ich auf die lange Ausuͤbung
der Miniaturmahlerei, bei unſerm Kuͤnſtler ſetze,
dem Ausdruck der Koͤpfe, die wir hier vor uns ſehen,
eine gewiſſe mißfallende Eintoͤnigkeit geben? Zwei
darunter ſind nach lebenden Perſonen gebildet: Die
Muſe, die ſich auf den Ellnbogen ſtuͤtzt, ſtellt die
Marquiſe Lepri vor; zu der Mnemoſyne hat ſeine
Frau geſeſſen. Beide ſind Portraits in dem hiſto-
riirten Bilde geblieben.
Die Stellungen jeder einzelnen Figur ſind ſehr
abwechſelnd und ſehr ſchoͤn gewaͤhlt, aber ſie ſtehen
zu einzeln, ſie gruppiren mit den uͤbrigen nicht zu-
ſammen. Man ſagt: Mengs habe wenig Werth
auf den Theil der mahleriſchen Erfindung gelegt, der
mehrere Figuren in abwechſelnden Lagen zu einem
Ganzen verbindet, das dem Auge eine wohlgefaͤllige
Form darbietet. Er habe nur in Ruͤckſicht auf den
Vortheil gruppirt, den die Beleuchtung daraus zieht.
Inzwiſchen, es iſt nicht zu leugnen, daß die Grup-
pirung noch eines von dieſem independenten Reizes in
Ruͤckſicht auf die Zeichnung der Formen groͤßerer
Maſſen in einem Bilde faͤhig iſt. Das Auge liebt
ſeine Axe an den Umriſſen der Figuren die neben ein-
ander
[29]Villa Albani.
ander ſtehen, ununterbrochen fortzudrehen, und
von der einen zu der andern durch eine ſchickliche Ver-
bindung geleitet zu werden. Es haßt alle Spruͤnge,
die ſeine Aufmerkſamkeit zerſtreuen. Die Regel der
Pyramidalgruppirung und des Contrapoſto, oder
die gegen einander geſtellten Gliedmaßen verſchiede-
ner Figuren unter eine Anſicht zu bringen, iſt zwar
oft uͤbertrieben worden, hat aber, wenn ſie mit ge-
hoͤriger Maͤßigung gebraucht wird, ohnſtreitigen
Anſpruch auf unſer Vergnuͤgen. Mengs, der den
Mißbrauch ſeiner Vorgaͤnger in dieſem Stuͤcke ein-
ſah, hatte dennoch Unrecht, den Grundſatz ſelbſt zu
verwerfen.
Allerwaͤrts, wo ich das Werk unſers Mengs
im Einzelnen betrachte, zieht es meine ganze Be-
wunderung auf ſich. Vielleicht iſt nie in neuern
Zeiten ein maͤnnlicher Koͤrper ſchoͤner gemahlet wor-
den, als der des Apollo. Alle uͤbrige Figuren ſind
ſchoͤn geſtellt, ſehr fein und richtig gezeichnet, 20)
gut geruͤndet, und colorirt mit einer Staͤrke, die
nur einem Mengs in Gemaͤhlden al Freſco moͤglich
war. An einigen Orten duͤrfte dieſe zu ſchoͤn ſeyn.
Z. B. in dem blauen Gewande der Mnemoſyne,
und uͤberhaupt in allen Figuren auf dem zweiten
Plane, die nach den Regeln der Luftperſpektive zu
ſtark vortreten.
Die Figuren dieſes Parnaſſes ſind gemahlt, als
wenn ſie in horizontaler Richtung geſehen werden
ſollten:
[30]Villa Albani.
ſollten: Hingegen die Gemaͤhlde zu den beiden Sei-
ten dieſes Plafonds ſtellen ſchwebende Figuren in der
Verkuͤrzung vor, und contraſtiren, wie man leicht
denkt, durch dieſen angenommenen Augenpunkt mit
den Figuren in dem Mittelgemaͤhlde.
Wenn man die Beſtimmung eines Plafonds
erwaͤgt, ſo kann man nicht leugnen, daß dieſe Figu-
ren an ihrer Stelle mehr Wuͤrkung thun als die vori-
gen: Moͤgen doch dieſe immerhin fuͤr ſich betrachtet
ſchoͤner ſeyn. Un bon propos ſagt Montaigne
n’eſt pas toujours à propos. Ich ſchließe
mich daher an diejenigen an, die dieſen Seitenge-
maͤhlden, unter denen die Renommee beſonders hoch-
geſchaͤtzt wird, viel Lokalverdienſt beilegen: unbe-
kuͤmmert uͤber nachſtehenden Ausſpruch unſers Win-
kelmanns: „Durch pedantiſche Kuͤnſtler ohne Em-
pfindung, da dieſe theils durch das Schoͤne nicht ge-
ruͤhret werden, theils daſſelbe zu bilden unfaͤhig ge-
weſen, ſind die gehaͤuften und uͤbertriebenen Verkuͤr-
zungen in den Gemaͤhlden an Decken und Gewoͤlbern
eingefuͤhret, und dieſen Plaͤtzen dergeſtalt eigen ge-
worden, daß man aus einem daſelbſt ausgefuͤhrten
Gemaͤhlde, wenn nicht alle Figuren wie von unten
auf erblicket erſcheinen, auf die Ungeſchicklichkeit des
Kuͤnſtlers ſchließet. Nach dieſem verderbten Ge-
ſchmacke werden insgemein die zwei Ovalſtuͤcke an der
Decke der Gallerie in der Villa Albani dem mittleren
Hauptgemaͤhlde von eben dem großen Kuͤnſtler vor-
gezogen, wie dieſer in der Arbeit ſelbſt vorausſah,
und auch in Verkuͤrzungen und im Wurfe der Ge-
waͤnder nach Art des neuen und des Kirchenſtils dem
groͤberen Sinne Nahrung und Weide hat geben
wollen.
[31]Villa Albani.
wollen. Eben ſo wird der Liebhaber der Kuͤnſte ur-
theilen, wenn derſelbe Bedenken hat fuͤr einen Son-
derling gehalten zu ſeyn ꝛc.“ 21)
Ob mein Urtheil durch eine aͤhnliche Furcht
beſtimmt ſey, moͤgen die Gruͤnde zeigen, womit ich
im erſten Theile meine Beurtheilung der Plafonds in
den Logen des Vaticans unterſtuͤtzt habe. Auf dieſe
beziehe ich mich, und bemerke nun noch hier, einige
kleinere Gemaͤhlde, die rund umher nach
Zeichnungen von Mengs nach Art der Bas-
reliefs grau in grau ausgefuͤhrt ſind.
Die eben beurtheilten Mahlereien ſcheinen das
Urtheil zu beſtaͤtigen, welches ich im erſten Theile
bei der Beſchreibung der Camera de Papiri im Va-
tican uͤber unſern in mehrerer Ruͤckſicht merkwuͤrdigen
Landsmann gefaͤllet habe.
Mengs hat einzelne, vorzuͤglich jugendliche Fi-Beſtaͤtigtes
Urtheil uͤber
das Ver-
dienſt des
Mengs als
Mahler.
guren in einer Vollkommenheit gemahlt, die ich
keinem andern Kuͤnſtler kenne. Ich wuͤrde, wenn
ich zu waͤhlen haͤtte, kein Bedenken tragen, Figu-
ren, an denen liebliche Heiterkeit den Hauptzug im
Charakter ausmacht, mir lieber von ihm, als von
einem Raphael, Correggio oder Tizian mahlen zu
laſſen. Er zeichnete, ruͤndete, und colorirte ſo gut,
als einer von ihnen. Hat ſein Ausdruck nicht das
Bedeutungsvolle des Raphael, ſo hat er mehr Reiz,
und weniger Affektation als die laͤchelnden Figuren
des Correggio.
Ueber-
[32]Villa Albani.
Ueberhaupt glaube ich, daß die Bildhauerkunſt
dadurch verlohren hat, daß er ihr ſeine Bemuͤhungen
nicht widmete. Denn der Ausdruck einer Seele in
einem Zuſtande der Ruhe iſt ihm oft gegluͤckt, da ich
ihm hingegen die aͤchte Darſtellung der Seele in Thaͤ-
tigkeit des Affekts ſelten kenne.
Er hatte ſich ein Ideal von der Mahlerei der
Alten entworfen, auf welches er nur durch ihre
Sculptur geleitet werden konnte. Vermoͤge deſſel-
ben ward ihm Schoͤnheit der Bildung des Koͤrpers
hoͤchſte Beſtimmung der Mahlerei. Wir Neueren
aber ſuchen dieſe in dem Intereſſe eines wohlgefaͤlli-
gen Ausdrucks einer ſichtbaren neben einander beſte-
henden Handlung. Sollten wir uns auch irren, ſo
fuͤrchte ich doch, daß dieſer Irrthum mit unſerer Den-
kungsart, mit unſerer Weiſe das Schoͤne zu em-
pfinden zu ſehr zuſammenhaͤnge, als daß wir je-
mals fuͤr die entgegengeſetzte Wahrheit Sinn erhal-
ten ſollten.
Es iſt nicht gleichguͤltig, zu eroͤrtern, wer von
uns beiden Recht hat, ob Mengs, ob wir, die wir ei-
nem Raphael und andern aͤlteren Meiſtern die Bildung
unſers Geſchmacks in der Mahlerei verdanken.
Mengs iſt das Haupt einer Schule geworden, deren
Zoͤglinge in alle Theile der Welt ausgegangen ſind.
Seitdem hoͤrt man von der einen Seite von Idealen,
von der nothwendigen Nachahmung der Antike pre-
digen, von der andern uͤber Mangel an Ausdruck
und Leben klagen.
Man hoͤre wie die erſten declamiren:
Schoͤnheit iſt der Zweck aller bildenden Kuͤnſte:
und den Begriff dieſer Schoͤnheit findet man nur in
den
[33]Villa Albani.
den Formen der alten Statuen: Wenn man ſie
durch den Pinſel auf das Tuch uͤbertraͤgt, ſo wird
die Wuͤrkung ihrer Schoͤnheit durch den Zauber der
Farben und der Beleuchtung noch erhoͤhet werden:
Keine Suͤjets, deren Ausdruck das Ideal der ſchoͤ-
nen Geſtalt ſchwaͤchen muß: Keine heftige Affekten:
Kein Contraſt, keine Gruppen deren ſchoͤne Form im
Ganzen die Schoͤnheit einzelner Theile verſteckt: We-
nige Figuren mit einem edeln Ausdruck ohne ſtarke
Bewegung der Gliedmaßen neben einander geſtellt;
ſo verfuhren Parrhaſius und Apelles, ſo ſehen wir
die Basreliefs der Alten.
Und nun die Grundſaͤtze der andern Parthei:
Schoͤnheit iſt uͤberhaupt ſichtbare Vollkommen-
heit, nicht blos Vollkommenheit der Umriſſe in ihrer
Uebereinſtimmung gegen einander: Mahlerei iſt nicht
Sculptur: Wir wiſſen nichts von der Mahlerei der
Alten: wenn wir von ihrer Sculptur fuͤr unſere neue
Mahlerei erborgen, ſo laufen wir Gefahr, ſtatt Ge-
maͤhlde colorirten Stein zu liefern.
Ich bin auf der Seite dieſer letzten: ich will
meinen Geſchmack zu rechtfertigen, und beiher die
Gruͤnde der gegenſeitigen zu widerlegen ſuchen.
Die bildenden Kuͤnſte gewaͤhren uns ein doppel-Ueber den
hoͤchſten
Zweck der
Mahlerei: ob
die Alten uns
darinn zum
Muſter die-
nen koͤnnen.
tes Vergnuͤgen. Einmal dasjenige, welches aus
dem Anſchauen ſchoͤner Geſtalten entſpringt: Dann
dasjenige, welches bei der Gewahrnehmung einer
intereſſanten Handlung zum Grunde liegt. Ganz
etwas anders iſt es von einer ſchoͤnen Bildung ange-
zogen zu werden: ganz etwas anders bei dem Anblick
Zweiter Theil. Ceines
[34]Villa Albani.
eines Koͤrpers, deſſen Bewegungen eine thaͤtige Seele
anzeigen, eine angenehme Unterhaltung zu finden.
Der Eindruck einer ſchoͤnen Geſtalt laͤßt ſich ohne
wuͤrkliche aktuelle Thaͤtigkeit der Seele mithin ohne
merkliche Bewegung des Koͤrpers gedenken. In
den mehreſten Statuen der Alten finden wir nur die
Faͤhigkeit zu handeln, den Charakter des wirkenden
Weſens in der Geſtalt in ruhiger Faſſung angedeutet,
und es ſcheint ſelbſt, daß eine zu lebhafte Anſtren-
gung des Koͤrpers als eine Folge eines ſehr intereſſir-
ten Zuſtandes der Seele den Formen der Schoͤnheit
nachtheilig ſey.
Hingegen das Intereſſe, welches wir an Dar-
ſtellung der Handlung nehmen, iſt von dem Aus-
druck einer wuͤrklich thaͤtigen Seele, mithin eines
Koͤrpers in Bewegung unzertrennlich. Denn die
bildenden Kuͤnſte haben kein anderes Mittel, die Ak-
tivitaͤt der Seele deutlich zu machen, als die Aktivi-
taͤt des Koͤrpers.
So gut ich mir nun das Ideal, oder, wenn ich
ſo ſagen darf, das Summum von einer Darſtellung
eines ſchoͤnen Koͤrpers ohne das Ideal oder das
Summum einer intereſſanten Handlung denken kann,
ſo gut kann ich mir das Ideal einer intereſſanten
Handlung ohne das Ideal einer ſchoͤnen Geſtalt
denken.
Der heilige Andreas Corſini vom Guido, der
mit dem Ausdruck gaͤnzlicher Hingebung ſeine Seele
zu Gott erhebt, iſt unſtreitig dem Ideal einer in-
tereſſanten Handlung naͤher, als der an Geſtalt un-
endlich vollkommenere Antinous im Belvedere.
Aber
[35]Villa Albani.
Aber wird man ſagen: Der Kuͤnſtler vereinige
beide Vorzuͤge in ihrer hoͤchſten ſichtbaren Vollkom-
menheit: er mahle den heil. Andreas Corſini ſo ſchoͤn
als den Antinous: Der Bildhauer gebe dem Anti-
nous einen eben ſo intereſſanten Ausdruck als der
Mahler dem heil. Andreas Corſini gegeben hat. —
Kann er dies, ſo liegt ſeine Verbindlichkeit dazu auſ-
ſer Zweifel. In dieſer Vereinigung liegt Schoͤnheit,
nicht in vollkommener Geſtalt allein, nicht in voll-
kommenem Ausdruck allein.
Wenn er es aber nun nicht kann: wenn ſeine
Kraͤfte, wenn die Graͤnzen ſeiner Kunſt es nicht zu-
laſſen? Wenn er nicht im gleichen Grade intereſſant
und ſchoͤn ſeyn kann, wo ſoll das Summum, wo
das Minimum jeder Kunſt liegen, ſoll er immer
mehr intereſſant, oder immer mehr ſchoͤn ſeyn? Wol-
len wir lieber die Figur auf dem Gemaͤhlde mit Auf-
opferung des Bedeutungsvollen unter idealſchoͤnen
Formen, oder die Statue mit minder uͤbereinſtim-
menden Umriſſen bedeutungsvoller ſehen? Dies iſt
die Frage, deren Beantwortung nur die Regel giebt:
Daß jede Kunſt ihre eigenthuͤmlichen Vorzuͤge und
ihre eigenthuͤmlichen Maͤngel hat; daß ſie daher
bei ihrer Annaͤherung zur ſichtbaren Vollkommenheit
ſich denjenigen Theil derſelben vorzuͤglich vor Augen
ſetzen muͤſſe, den ſie am ſicherſten zu erreichen hoffen
darf. Dieſer iſt ihr Hauptzweck, der andere Neben-
zweck: und da wir ein Werk von ſterblichen Haͤnden
in der hoͤchſten ſichtbaren Vollkommenheit zu ſehen
nicht hoffen duͤrfen, ſo nennen wir dasjenige ſchoͤn,
was ſich dem Hauptzweck am meiſten naͤhert, ohne
ſich von dem Nebenzweck am weiteſten zu entfernen.
C 2Mehr
[36]Villa Albani.
Mehr als ein Grund ſcheint der Bildhauerei
den Zweck anzuweiſen, durch ſchoͤne Geſtalten mehr
als durch Darſtellung intereſſanter Handlungen Ein-
druck auf den Zuſchauer zu machen. Denn wenn
jede Kunſt denjenigen Eindruck am liebſten hervor-
bringen ſoll, den ſie am vollſtaͤndigſten hervorbrin-
gen kann; ſo finden wir, daß die Sculptur den voll-
ſtaͤndigſten Genuß, die hoͤchſte Illuſion von demjeni-
gen gewaͤhrt, was wir mit der Hand greifen, fuͤhlen,
mit dem Auge lange und von allen Seiten in mehre-
ren Profilen betrachten, mithin ſo gut als greifen
koͤnnen. Dies ſind die feſten Formen des Koͤrpers.
An ihnen lieben wir das Uebereinſtimmende, das
Wohlgeordnete, das Schoͤne zu uͤberſehen, im De-
tail zu unterſuchen, dann wieder im Ganzen gegen
einander zu halten. Wenn wir Reiz von dieſen For-
men fordern, wenn wir ſie in Bewegung ſehen wol-
len, ſo iſt es doch hauptſaͤchlich in Ruͤckſicht auf die
vortheilhaftere Art, wie die feſten Formen, die Um-
riſſe des Koͤrpers, das was wir greifen koͤnnen, ſich
dadurch darſtellen; und in allen Faͤllen, wo wir ei-
nen betraͤchtlichen Theil des Anziehenden der Geſtalt
aufopfern muͤſſen, verlangen wir die Bewegung nicht.
Dieſen Grundſaͤtzen getreu haben die alten Bild-
hauer ihre Figuren gemeiniglich mit ruhiger Faſſung
der Seele dargeſtellt. Die wenigen, die wir in ei-
nem merklichen Grade von Thaͤtigkeit gebildet finden,
ſind es doch vorzuͤglich in Ruͤckſicht auf den Vortheil,
den die Stellung ihres Koͤrpers daraus zieht.
Iſt es nun ausgemacht, daß Bildhauerei den
hoͤchſten Genuß der ſchoͤnen Geſtalt giebt, ſo laſſen
ſie
[37]Villa Albani.
ſie uns unterſuchen, ob ſie in einem gleich hohen
Grade der Darſtellung intereſſanter Handlungen
faͤhig ſey.
Zu dem Begriff und noch mehr zur Mitempfin-
dung einer Handlung gehoͤrt zweierlei: eine deutliche
Vorſtellung des Zuſtandes, in welchem ſich die
Seele bei der Bewegung des Koͤrpers befindet, das
Wie? Dann der Veranlaſſung dieſes Zuſtandes,
des Grundes der Bewegung: das Warum? In
den mehreſten Faͤllen laͤßt ſich die Befriedigung dieſes
letzten Anſpruchs in den bildenden Kuͤnſten nicht den-
ken, ohne daß ich die Lage zeige, worin ſich die
handelnde Perſon zu den Gegenſtaͤnden befindet, die
ſie umgeben. Eine Figur mit aufwaͤrts gekehrtem
Blick und ausgeſtreckten Haͤnden giebt noch keine
Vorſtellung der Freude uͤber den Anblick der Sonne;
und ſelbſt bei Affekten, deren taͤgliche Erſcheinung
uns unbekuͤmmert uͤber deren gegenwaͤrtigen Ent-
ſtehungsgrund macht, iſt die Darſtellung der be-
ſtimmten Veranlaſſung derſelben kein fuͤr unſer Ver-
gnuͤgen gleichguͤltiger Zuſatz. Heliodor der vor der
Erſcheinung des Engels erſchrickt, und ein erſchrocke-
ner Mann uͤberhaupt, werden in Anſehung des Ein-
drucks, den ſie auf den Zuſchauer machen, in keine
Vergleichung kommen koͤnnen.
Beide Erforderniſſe zu einer deutlichen und voll-
ſtaͤndigen Erkenntniß einer ſichtbaren und coexiſtiren-
den Situation oder Handlung ſcheint mir die Bild-
hauerei in dem naͤmlichen Grade von Vollkommen-
heit, womit ſie Schoͤnheit der Formen giebt, nicht
liefern zu koͤnnen. Einmal iſt ſie nicht im Stande,
C 3den
[38]Villa Albani.
den Antheil, den die handelnde Perſon an einem Ge-
genſtande außer ihr nimmt, ſo deutlich und unver-
kennbar zu geben, als ihre Schweſter die Mahlerei.
Das Anheften des Blicks, das feinere Muskelnſpiel
ſowohl des Geſichts als der Haͤnde, die Veraͤnderung
der Farbe hat der Meißel weniger in ſeiner Gewalt
als der Pinſel. Alle diejenigen Affekte alſo, die eine
Veraͤnderung auf den Koͤrper in der Abſicht hervor-
bringen, damit eine aͤußerliche Wuͤrkung auf andere
daraus entſtehe; die ſich mit andern verbinden muͤſ-
ſen; welche ſtreben, das Uebel abzuwenden, oder
das Gute zu erlangen; Zorn, Furcht, Verlangen,
liegen beſonders außer den Graͤnzen der Sculptur.
Nicht zu gedenken, daß ein ſehr heftiger Affekt, den
doch manche Situation nothwendig macht, den For-
men der Schoͤnheit zu nachtheilig iſt, als daß ſie ſich
daran wagen duͤrfte. Es giebt auch Affekte, die
in ihren Aeußerungen von ſehr kurzer Dauer ſind,
z. B. Zorn, wuͤthendes Leiden. Will die Sculptur
die voruͤbergehende Aeußerung einer auf dieſe Art er-
ſchuͤtterten Seele anheften, ſo entſteht daraus ein
Widerſpruch mit der harten feſten Materie, der we-
nigſtens mich immer unbefriedigt gelaſſen hat.
Die Sculptur liefert alles, was in der Natur
feſt, und einer Dauerhaftigkeit faͤhig iſt, die uns
zum Betaſten einladet, ſo vollkommen illuſoriſch,
daß ſie uns in allen uͤbrigen Darſtellungen, die ſie
unternimmt, eine aͤhnliche Treue zu erwarten berech-
tiget. Eine Statue ſtoͤßt uns auf: Sie bleibt,
wenn wir gleich das Auge, den Sinn, durch den
wir am mehreſten gewohnt ſind, uns taͤuſchen zu laſ-
ſen, zudruͤckten.
Nie
[39]Villa Albani.
Nie aber werden dieſe Maͤngel auffallender als
wenn ſich die Sculptur an Vorſtellungen von Situa-
tionen wagt, zu deren deutlicher Erkenntniß die Zu-
ſammenſetzung der handelnden Perſon mit vielen an-
dern, mit Nebenwerken, und nun gar mit Gegen-
ſtaͤnden erfordert wird, die ſich nicht greifen laſſen;
z. E. mit Gebaͤuden, mit Gegenden u. ſ. w. Das
Unnatuͤrliche faͤllt auf; außerdem habe ich ſchon im
erſten Theile bei Gelegenheit des Farneſiſchen Stiers
bemerkt, welche Schwierigkeiten ſich weitlaͤuftigen
Compoſitionen in der Bildhauerkunſt entgegen ſetzen.
Ich bemerke nur noch hier am Ende: daß eine ganze
Compoſition von Geſtalten, die den vollkommenſten
Eindruck der Schoͤnheit der Formen intendiren, ein-
foͤrmig werden muͤßte, und ohne Nachtheil der Deut-
lichkeit des Ausdrucks verſchiedener Affekte ſich nicht
denken laſſe.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit der Mahlerei.
Dieſe hat zwar auch Schoͤnheit zum hoͤchſten Zweck,
aber in einem viel weitlaͤuftigeren Verſtande als blos
Schoͤnheit der Umriſſe, Vergnuͤgen an dem Ueber-
einſtimmenden, an dem Wohlgeordneten. Ihr iſt
Schoͤnheit ſichtbare Vollkommenheit, die ſie in einem
wohlgefaͤlligen Ausdrucke einer coexiſtirenden Hand-
lung ſuchet. Ich ſetze die Einſchraͤnkung wohlge-
faͤllig hinzu, weil ſie den Ausdruck, der widrige
Formen hervorbringt, ſcheuet, und die Schoͤnheit
derſelben zur Verſtaͤrkung des Intereſſe braucht.
Aber da ſie auf das Anziehende einer ſchoͤnen Geſtalt
in Ruhe nicht den naͤmlichen Anſpruch hat als ihre
Schweſter die Sculptur, ſo arbeitet ſie auch weniger
darauf los: und von jeher hat man diejenigen Mah-
C 4ler
[40]Villa Albani.
ler am hoͤchſten geſchaͤtzt, die die Darſtellung des
Eindrucks einer thaͤtigen Seele auf den Koͤrper zum
Gegenſtande ihrer Bemuͤhungen gemacht haben.
Mich duͤnkt mit Recht! Eine ſchoͤne Figur in
Ruhe in der Mahlerei, und in der Bildhauerkunſt,
welch ein Unterſchied! Dieſe letzte giebt einen ſo voll-
ſtaͤndigen Genuß, wir treten um ſie herum, wir be-
ſchauen, wir betaſten ſie von allen Seiten; die Illu-
ſion, welche ſo hoch getrieben iſt, als die bildenden
Kuͤnſte es zulaſſen, ſcheint uns ſo ſehr an ihrer Stelle,
ſo richtig angewandt, um die Anſpruͤche auszufuͤllen,
welche wir an Uebereinſtimmung ſichtbarer Theile zum
ſichtbaren Ganzen machen! Aber der gemahlten Fi-
gur in Ruhe ſcheint, ſo ſchoͤn ſie iſt, noch immer
etwas abzugehen. Iſt es die wirkliche Ruͤndung,
iſt es der Anſpruch den uns die Farbe, der Blick,
die deutlichſten Zeichen des Lebens auf merkbarere An-
deutung eines wuͤrkſamen Weſens geben? Genung!
die Erfahrung lehrt es, wo es auf Schoͤnheit der
Geſtalt ankommt, da vereinigen wir uns mit einem
Werke in runder Bildnerei viel inniger als mit ei-
nem andern auf der Flaͤche.
Den Abgang dieſes Genuſſes erſetzt die Mahlerei
durch Darſtellung der Geſtalt in Handlung. Dieſe
liefert ſie in einer mehr befriedigenden Maaße als alle
uͤbrige bildende Kuͤnſte. Bei einzelnen Figuren,
die getrennt von aͤußeren Verhaͤltniſſen ſtehen, flie-
ßen freilich Mahlerei und Bildhauerkunſt zuſammen,
aber auch hier hat die erſte den Vorzug einer groͤßeren
Treue in Darſtellung des Affekts. Wer ſich davon
uͤberzeugen will, darf nur den Kopf einer Niobe und
einen
[41]Villa Albani.
einen Magdalenenkopf vom Guido vergleichen. Der
zum Himmel gekehrte Blick, die rollende Thraͤne,
die Farbe, das fliegende Haar, die Haͤnde, denen
man es anſieht, daß ſie den ſchoͤnſten Buſen ſchlagen,
nicht blos betaſten: Alles dies druͤckt die Bildhauerei
nicht mit gleichem Gluͤcke aus. Große Compoſitio-
nen aber, die mit dem Affekt der handelnden Perſon
zugleich die Veranlaſſung der Handlung in ihrer Lage
gegen andere zeigen, giebt die Mahlerei allein.
Die Mahlerei iſt privilegirt, uns zu taͤuſchen.
Wir erblicken ein Gemaͤhlde wie ein Phantom, wie
eine Erſcheinung an der Wand, die verſchwindet,
ſo bald wir darnach greifen. Alles, was daher in
der Natur dem Scheine aͤhnlich iſt, entweder der
Geſchwindigkeit wegen, mit der es uͤbergeht, oder
weil wir nie durch das Gefuͤhl uns von deſſen Wuͤrk-
lichkeit haben uͤberzeugen koͤnnen, ſtimmt mit dem
Umfang ihrer Hervorbringungskraft uͤberein. Da-
hin gehoͤrt der fluͤchtige Eindruck der Seele auf den
Koͤrper, dahin ein großer Umfang von Gegenſtaͤn-
den, die ſich mit den Haͤnden nicht auf einmal umfaſ-
ſen laſſen.
Sollte ſie daher auch bei Darſtellung dieſes blos
Sichtbaren den Grad der Illuſion nicht erreichen,
auf den die Sculptur in Hervorbringung zu betaſten-
der Koͤrper Anſpruch machen kann; wir verzeihen
ihr. Sie liefert uns tauſend Begebenheiten, die
wir lieber mangelhaft als gar nicht ſehen wollen, und
zu deren verſinnlichter Anheftung die runde Bild-
hauerei ganz außer Stande iſt; die flache aber mit
groͤßerem Beduͤrfniß unſerer Nachſicht.
C 5Laſſen
[42]Villa Albani.
Laſſen Sie mich meine bisherigen Bemerkungen
noch einmal unter einem Geſichtspunkt zuſammen-
faſſen.
Die Sculptur liefert den Genuß ſchoͤner Geſtal-
ten vollſtaͤndiger als jede andere bildende Kunſt:
hingegen zur vollſtaͤndigen Darſtellung einer Hand-
lung, zum Ausdruck einer wirklich thaͤtigen Seele,
in der Lage, die dieſe Thaͤtigkeit rechtfertigt, iſt ſie
weniger geſchickt. Dieſer letzte Vorzug gebuͤhrt der
Mahlerei in einem Grade, den keine andere Kunſt
erreicht; dagegen gewaͤhrt ſie den Eindruck einer ſchoͤ-
nen Bildung mangelhafter als die Bildhauerkunſt.
Nun ſoll jede Kunſt dasjenige am liebſten her-
vorbringen wollen, was ſie am vollſtaͤndigſten her-
vorbringen kann: mithin muß die Bildhauerkunſt
in allen Faͤllen, wo ſich Schoͤnheit der Bildung und
Ausdruck einer thaͤtigen Seele in gleicher Vollkom-
menheit nicht erreichen laſſen, lieber die Seele in
Ruhe laſſen, auf den Antheil, den wir an ihrem in-
tereſſirten Zuſtande nehmen, in der groͤßten Vollkom-
menheit Verzicht leiſten, um das Anziehende einer
ſchoͤnen Geſtalt zu bewahren, und umgekehrt die
Mahlerei lieber weniger vollkommen an Geſtalt und
deſto wahrer im Ausdruck derjenigen Faſſung der
Seele ſeyn, welche die Handlung erfordert.
Aber ſollten ſich nicht beide in einem gleich hohen
Grade vereinigen laſſen? Da die Alten auf dieſer
Stufe der Vollkommenheit geſtanden haben, warum
ſollten nicht wir Neueren? —
Wir wiſſen nichts gewiſſes von den hiſtoriſchen
Compoſitionen der alten Mahler. Es hat ſich kein
vor-
[43]Villa Albani.
vorzuͤgliches Werk dieſer Art auf uns erhalten. Was
wir von ihnen es ſey an Beiſpielen oder an Grund-
ſaͤtzen, fuͤr die Mahlerei erborgen koͤnnten, wuͤrde
blos von der Sculptur zu borgen ſeyn: und von die-
ſer laͤßt ſich ſo gut wie gar nichts borgen. Es
ſcheint vielmehr, daß die Regel der Abwechſelung in
der Einheit; des Contraſts; der nothwendigen Ver-
nachlaͤßigung der Nebenfiguren; der Streit zwiſchen
dem Ausdruck eines lebhaften Affekts, und der Ueber-
einſtimmung der Umriſſe unter einander, es zu aller
Zeit unmoͤglich gemacht habe, die Darſtellung einer
Begebenheit, die mehrere Akteurs erfordert, mit
lauter Idealen ſchoͤner Geſtalten zu vollfuͤhren.
Doch es ſey! Die Griechen haben es gekonnt.
Koͤnnen es darum die Neueren? Die Griechen waren
von der ſchoͤnſten Natur umringt, alle ihre Erfah-
rungen uͤber die Aeuſſerung der Seele auf den Koͤrper
machten ſie an den ſchoͤnſten lebenden Geſchoͤpfen.
Wo ſoll der neuere Kuͤnſtler die ſeinigen machen?
Nicht in der Natur? Am Stein, der in einer ganz
andern Abſicht bearbeitet, ruhig vor ihm ſteht, von
alle dem, was ihn umgiebt ſo abſticht, daß er hun-
dertmal mehr Schoͤpfer als ſein Vorgaͤnger der
Grieche ſeyn muͤßte, um ihn ohne Nachtheil fuͤr
Wahrheit in eine thaͤtige Lage zu uͤbertragen?
Ich habe ſchon bei einer andern Gelegenheit ge-
aͤußert, daß ich die Urſache, warum Raphael die
ſchoͤnſten Ueberbleibſel der Alten in ſeinen Gemaͤhlden
nicht nutzte, hauptſaͤchlich darinn ſuche, daß er den
Punkt, wo die idealiſche Geſtalt, die er in Ruhe ſah,
mit dem Ausdruck einer thaͤtigen Seele, die er, um
treu
[44]Villa Albani.
treu zu ſeyn, ſehen wollte, zuſammentrifft, zu fin-
den verzweifelte.
Wie viel leichter kann auch dem Griechen die
Vereinigung des Ideals eines intereſſanten Ausdrucks
und des Ideals der Geſtalt geworden ſeyn? Dies
Volk, ſo faͤhig der feinſten Empfindungen, durch
hoͤheren Scharfſinn, und reizbarere Nerven, ſchloß
vielleicht aus Bewegungen des Koͤrpers, deren Be-
deutung uns entgehen wuͤrden, auf Affekte, zu deren
Darſtellung wir eine ſtarke Anſtrengung der Glied-
maaßen verlangen.
Es laͤßt ſich aber auch ein von dieſem verſchie-
dener Fall annehmen: Die Mahlerei der Alten war
nicht die Mahlerei der Neueren. Dieſe Voraus-
ſetzung iſt gar nicht unwahrſcheinlich: denn in keiner
Kunſt ſind die Neueren ſo ſehr original als in dieſer,
haben aus Mangel an Vorbildern ihre Beiſpiele,
Regeln der Wuͤrkung und der dahin abzweckenden
Mittel, ſo ganz ſich ſelbſt zu verdanken. Sind die
wenigen Gemaͤhlde der Alten, die wir ſpaͤter aufge-
funden haben, ihre Basreliefs, Copien nach ihren
verlohren gegangenen Meiſterſtuͤcken, wenigſtens in
dem naͤmlichen Stile gedacht; ſo weichen die Grund-
ſaͤtze ihrer dichteriſchen und mahleriſchen Erfindung
ganz von den unſrigen ab. Sie haben ihre Suͤjets
weniger reich an intereſſantem Ausdrucke gewaͤhlt,
weniger darauf geachtet, dem Nachdenken und der
Mitempfindung Nahrung zu geben: Sie haben we-
niger Ruͤckſicht darauf genommen, jeder einzelnen
Figur einen unzuzertrennenden Antheil an der Haupt-
handlung nehmen zu laſſen, ſie als Theil des Ganzen
zu
[45]Villa Albani.
zu betrachten: Sie haben ſie weder nach den Regeln
der Perſpektive, noch der Gruppirung in Ruͤckſicht
auf Form und Beleuchtung der Maſſen zuſammen-
geſtellt: Allerwaͤrts haben ſie den Eindruck der
Schoͤnheit im Einzelnen beſorgt: Kurz! die Mahle-
rei und die Bildhauerkunſt haben ſich bei ihnen in Ab-
ſicht auf Erfindung und Anordnung keinesweges un-
terſchieden.
Geſetzt wir naͤhmen dies an; enthaͤlt dies eine
unbedingte Verbindlichkeit zur Nachfolge fuͤr die
Neueren? Ich glaube nicht. Die Griechen hatten
ein ſo feines Empfindniß fuͤr die Schoͤnheit der Ge-
ſtalt, ihre Einbildungskraft, ihr Herz wurden durch
jede Veranlaſſung ſo leicht in Bewegung geſetzt, daß
wir noͤrdlichen Voͤlker auf ein aͤhnliches Vergnuͤgen
in eben der Staͤrke keinen Anſpruch machen duͤrfen.
Wir verlangen viel ſtaͤrkere Raͤder um unſere Auf-
merkſamkeit zu ſpannen. Die Meiſterſtuͤcke der
Griechiſchen Buͤhne wuͤrden auf der unſrigen ſchlech-
tes Gluͤck machen, und ich fuͤrchte, man muͤßte uns
ein anderes Clima, andere Nerven, und vorzuͤglich
unſern Begriffen von den Vorzuͤgen der Mahlerei
eine ganz andere Richtung geben, damit auch die
Gemaͤhlde der Alten uns gefallen koͤnnten.
Sollten wir aber den Abfall des Genuſſes, den
wir auf dieſem Wege leiden, nicht auf einem andern
wieder einbringen koͤnnen? So ſcheint es! Raphael
und Correggio ſcheinen durch die Beduͤrfniſſe der Na-
tion, fuͤr die ſie arbeiteten, geleitet, von ſelbſt auf
dieſen Weg gekommen zu ſeyn. Seitdem dieſe groſ-
ſen Meiſter unſer Vergnuͤgen durch ihre Meiſterſtuͤcke
beſorgt,
[46]Villa Albani.
beſorgt, und wirklich bei Ermangelung von Vorbil-
dern durch deren Zuſammenhaltung wir die Aechtheit
der neuen Verfahrungsart haͤtten pruͤfen koͤnnen, un-
ſern Geſchmack erzogen haben, muß die Erfindung
eines Gemaͤhldes nach ganz andern Grundſaͤtzen ge-
pruͤfet werden, als ein Werk der runden und flachen
Bildnerei.
Uns iſt ein Gemaͤhlde, ich rede von weitlaͤufti-
gern Compoſitionen, ein Ganzes, das Herz, Kopf
und Einbildungskraft, durch wahren und wohlgefaͤl-
ligen Ausdruck einer Handlung unter Mitwuͤrkung
der Faͤrbung und Beleuchtung zu intereſſiren im
Stande iſt. Wir wollen, daß die handelnden Per-
ſonen einen vollſtaͤndigen Begriff der Situation ge-
ben, in der ſie ſich befinden, daß die Gruͤnde, war-
um dieſe Figur ſo und nicht anders ſich gebaͤhrdet, aus
der Gebaͤhrde der neben ihr ſtehenden erklaͤrbar ſey.
Wir leiden keinen Fehler, der die Illuſion zerſtoͤren
kann, keine Vernachlaͤßigung der Nebenwerke, ſo
bald die Hauptabſicht, den Ausdruck wahr zu ma-
chen, darunter leidet.
Wir vermeiden zwar ſorgfaͤltig das Widrige,
wir ſuchen die Schoͤnheit der Geſtalt, aber ſie iſt
allenthalben dem Ausdruck des Ganzen unterge-
ordnet.
Was den Ausdruck der Handlung auf eine wohl-
gefaͤllige Art unterſtuͤtzen kann, iſt ſchoͤn. Muͤſſen
wir um die Hauptfigur herauszuheben, eine minder
ſchoͤnere bei ihr hinſtellen; wir machen uns daraus
kein Bedenken: Muͤſſen wir die Menſchen an einem
Orte zuſammendraͤngen, muͤſſen wir den Grad des
Antheils
[47]Villa Albani.
Antheils beſtimmen, den verſchiedene Menſchen an
einer Handlung zu nehmen im Stande ſind; wir
entziehen dem Auge oft die Theile des Koͤrpers, die
an Geſtalt die ſchoͤnſten ſind, und zeigen ihm andere,
die den Ausdruck des Ganzen beſſer unterſtuͤtzen.
Ja! zuweilen opfern wir den einzelnen Theil des
Koͤrpers der Form der Maſſe mehrerer zuſammen-
gruppirten auf. Das Auge will Ruhe haben, wir
halten eine ſchoͤne Figur im Schatten.
Alles dies beweiſt, wie viel wir uͤber die Noth-
wendigkeit einer ſchoͤnen Bildung einzelner Figuren
zu Gemaͤhlden, die eine Handlung darſtellen, an-
ders denken als die Bildhauer und vielleicht auch die
Mahler der Alten. Wir konnten nicht ſo ſchoͤn
ſeyn, wie ſie, moͤchte ich mit dem Apelles ſagen, wir
haben geſucht reicher zu werden, und wenn wir den
Eindruck des Ganzen durch Schoͤnheit zu unterſtuͤtzen
ſuchen, ſo beſorgen wir dieſe doch nur in ſo fern wir
zugleich bedeutungsvoll bleiben koͤnnen; die Alten
waren ſo bedeutungsvoll als ſie ſich ſchoͤn erhalten
konnten. Unſere Mahlerei verhaͤlt ſich zu ihrer
Sculptur, als Kuͤnſte, die das Coexiſtirende darſtel-
len, wie ſich in Kuͤnſten, die das Succeſſive ſchildern,
die Pantomime zum Tanz verhaͤlt. Ja! wenn ich
nur witzig ſeyn wollte, ſo moͤchte ich ſagen, daß die
Mahlerei den Begriff des Coexiſtirenden, die Bild-
hauerei des einzeln Exiſtirenden unter den bildenden
Kuͤnſten am vollſtaͤndigſten lieferen.
Sind dieſe Vorausſetzungen wahr, wie ſie denn
die Erfahrung beſtaͤtigt, ſo folgt daraus, daß die
Spur zur Vollkommenheit in der Mahlerei nicht von
der
[48]Villa Albani.
der Schoͤnheit zur Wahrheit des Ausdrucks, ſondern
umgekehrt ausgehe: daß daher die Befolgung eines
Weges, den die Bildhauerei in Ruͤckſicht auf einen
ganz andern Zweck einſchlaͤgt, mit unendlichen Ge-
fahren der Verirrung verknuͤpft ſey.
Welches iſt die erſte Regel, die man dem
Schauſpieler giebt, der durch ſeine Aktion ein deutli-
ches Bild von dem Zuſtande ſeiner Seele in einer ge-
wiſſen Situation geben ſoll? Er ſoll uͤber die Sorge
fuͤr die Schoͤnheit ſeiner Gebaͤhrden, nie die Wahr-
heit des Ausdrucks aus den Augen ſetzen. Und eine
andere Regel, die von dieſer abhaͤngt: Er ſoll nie
dem Taͤnzer, und waͤre ſeine Stellung noch ſo wohl-
gefaͤllig, dieſe ſclaviſch abborgen. Er ſoll auf die
Natur um ihn herum, auf ſeine eigene Empfindung
zuruͤckgehen, ſie zuerſt zu Rathe ziehen, die Aktion,
die ſie ihn lehrt, nach den Grundſaͤtzen der Schoͤn-
heit, von denen ſeine Seele im Allgemeinen durch-
drungen iſt, ummodeln, nicht nach gegebenen Vor-
bildern der Schoͤnheit im Einzelnen beſtimmen.
Mich duͤnkt eine gleiche Verbindlichkeit ruhet
auf dem Geſchichtsmahler. Wenn er ſeine erſte
Ruͤckſicht auf Schoͤnheit der Bildung einzelner Figu-
ren nimmt, wenn er gar in dieſer Abſicht ganze
Statuen der Alten in ſeine Gemaͤhlde uͤbertraͤgt; ſo
wird er den Ausdruck, der der Situation angemeſ-
ſen iſt, ganz gewiß verfehlen. Er wird nicht hoffen
duͤrfen, die Schoͤnheit des Originals zu erreichen,
und die Empfindung der Wahrheit wird in ihm
erkalten.
Die langſame mechaniſche Behandlung loͤſcht
ohnehin das Feuer der Einbildungskraft ſo leicht aus,
und
[49]Villa Albani.
und ſtumpft die Spitze des Gefuͤhles ab; wie viel
groͤßer iſt dieſe Gefahr, wenn wir Geſchoͤpfen einer
fremden Erfindung einen der ſelbſt gedachten Situa-
tion angemeſſenen Ausdruck geben ſollen. Geſchoͤ-
pfen, die wir in einem Zuſtande der Ruhe vorgeſtellt
ſehen, welcher fuͤr die Wuͤrkung, die ſie hervorbrin-
gen ſollten, vollkommen paßte, und die wir nun
erſt in einen leidenſchaftlichen verſetzen muͤſſen!
Aber wie ſoll es denn der Kuͤnſtler machen?
Soll er dem baͤrtigen Bettler die Rolle eines Apoſtels
geben, der Buhlerin die Rolle einer Diana? Ich
billige ſo wenig das Modell aufgerafft von der
Straße, als das Meiſterſtuͤck hergeholt aus den
Saͤlen des Vaticans: obgleich in Ruͤckſicht auf
Wahrheit, die Bequemlichkeit das lebende Modell
in die paſſende Stellung zu ſetzen, dieſem einen un-
ſtreitigen Vorzug vor dem unbeweglichen Steine
anweiſet.
Aber o! junger Mahler! wenn du Genie haſt
zur Darſtellung handelnder Menſchen unterſtuͤtzt von
einer wohlgeleiteten Ausbildung, du wirſt nicht fra-
gen, woher du deine Geſtalten nehmen ſollſt! Du
haſt den Keim zu Affekten in dir ſelbſt, du haſt dir
ſelbſt und andern ihre Aeußerungen abgeſtohlen! Du
wirſt begeiſtert von einem heiligen Feuer, mit der
Vorſtellung einer Situation, die einer wohlgefaͤlligen
ſichtbaren Darſtellung faͤhig iſt, zugleich die Geſtal-
ten in deiner Seele aufſteigen ſehen, die ſie verlangt!
Sie werden die ergreifende Wahrheit haben, die ein
langes Studium der Natur deiner Erinnerung ein-
gepraͤgt hat; Sie werden den Zuſatz von Schoͤnheit
Zweiter Theil. Dhaben,
[50]Villa Albani.
haben, mit dem zu ſchaffen, durch deine lange Be-
kanntſchaft mit den Antiken, und durch dein ſtetes
Streben, die Natur zum Ideal zu heben, dir zur
Fertigkeit, zur andern Natur geworden iſt! Geht
ihnen etwas an Wahrheit, an moͤglicher Schoͤnheit
ab, fuͤhre ſie auf die Natur, auf die Antike zuruͤck;
aber daß ſie nie das Eigenthuͤmliche des Charakters
verlieren, den die Situation fordert, den deine Em-
pfindung ihnen mittheilte!
Beſchrei-
bung derGallerie.
Im erſten Zimmer zunaͤchſt dem
Saale.
† Basreliefuͤber dem Camine Antiope zwi-
ſchen ihren beiden Soͤhnen Zethus und Am-
phion. Der Ausdruck des Troſtes, den ſie ihrer
Mutter geben, iſt unvergleichlich. 23)
In dem letzten Zimmer.
Zwei weibliche Buͤſten von gruͤnem Ba-
ſalt, von gutem Charakter.
Eine Buͤſte aus weißem Marmor.
Nebengebaͤude Caſino.
Im erſten Zimmer mit dem Billard.
Mehrere Statuen in Niſchen. Man findet
nichts Außerordentliches darunter.
In
[51]Villa Albani.
In einem Nebenzimmer, das mit Arabeſ-
ken gezieret iſt, trifft man einen weiblichen Sa-
tyr, und in einem kleinen Cabinet dabei ein Bas-
relief im Etruſciſchen Stile an.
Linker Hand von dem Billard ſieht man
in einem kleinen Hofe uͤber einer kleinen Fon-
taine den Prieſter, von dem Winkelmann 24)
glaubt, daß er ein Etruſciſches Werk ſey. Kuͤnſtler
und Liebhaber werden ſich wohl nicht dabei aufhalten.
Auf dem Wege von hieraus zum ſogenann-
ten Caffeehauſe oder zur Grotte.
Eine Gruppe eines Satyrs, der den
Apollo auf der Floͤte ſpielen lehrt, einen Ju-
piter, und einen Paris.
In dem Caffeehauſe oder in der Grotteſelbſt.
† Eine ſchoͤne Vaſe von weißem Marmor,
mit einem Bacchanal von gutem Stile.
Pollux, der den Lynceus umbringet,
Basrelief mit Figuren in Lebensgroͤße.
Eine Vaſe, die zu dem Baſſin einer Fontaine
gedient zu haben ſcheint, mit ſchoͤnen Figuren von
Faunen, Bacchantinnen, Hermaphroditen u. ſ. w.
Sie ſind von ſchoͤner Erfindung.
Theſeus, der ſeine Waffen unter einem
Felſen findet. Basrelief.
D 2Ein
[52]Villa Albani.
Ein Sarcophag mit der Hochzeit des
Peleus. Winkelmann 25) ſpricht davon mit vielen
Lobeserhebungen. Auch ſind Zuſammenſetzung und
Stil vorzuͤglich in Koͤpfen und Gewaͤndern des Lobes
werth; aber die Ausfuͤhrung iſt hin und wieder ver-
nachlaͤßiget, und die Figuren ſind ein wenig kurz.
Mit wenig Muͤhe wuͤrde man ein vortreffliches Werk
daraus machen.
Noch bemerke ich der Seltenheit wegen, eine
Phaͤdra, die von der Amme getroͤſtet wird,
welche nachher bei dem Hippolytus auf eben dieſem
Basrelief zur Unterhaͤndlerin wird.
Unter den Statuen.
Zwei Wiederholungen eines Amors der
den Bogen ſpannt. Die Koͤrper, die antik ſind,
ſehr ſchoͤn.
Ein Alexander, ein ſitzender Auguſt ge-
harniſcht.
Eine ſitzende Roma mit einem Gewande von
ſchwarzem Marmor.
Unter einer Fontaine.
Eine Nymphe und zu beiden Seiten zwei
coloſſaliſche Koͤpfe von Flußgoͤttern. Win-
kelmann 26a) haͤlt dieſe Koͤpfe fuͤr Tritonen. Floß-
federn bilden ihre Augenbraunen. Sie unterſchei-
den ſich von einem aͤhnlichen Kopfe in dem Muſeo
Clementino durch einen gemeinern Charakter.
Xyſtus
[53]Villa Albani.
Xyſtus oder Hemicyclium.
Aeſop, eine Terme voller Charakter.
Ein ſchoͤner Tiber, und ein Trajan.
Buͤſten.
Otto eine ſeltene Buͤſte. Naſe neu. 26 b)
Eine Pallas wegen großer Sohlen merk-
wuͤrdig.
Eine Diana.
Caligula als Prieſter,27) ſchlecht, aber rar.
Auf den Saͤulen einige Schauſpieler mit
Maſken. Vitellius und Antonin der Fromme.
Buͤſten.
† Aeſculap eine gute Statue. Winkel-
mann 28 a) ruͤhmt vorzuͤglich den Kopf und bemerkt
daran die gehobenen Haare, in welchem einzelnen
Theile kein beſonderer Unterſchied ſey zwiſchen dem
Vater der Goͤtter und deſſen Enkel.
† Titus, Buͤſte.
Veſpaſian, Buͤſte.
Hadrian.
Theophraſt, Buͤſte mit einem antiken
Nahmen.
Septimius Severus, Caracalla, Lucius
Verus, Buͤſten.
Ein Hercules Bibax oder trunkener Her-
cules, Statue. Er ſtuͤtzt ſich ſchwankend auf ſeine
Keule. Auf dieſe Vorſtellung iſt man wahrſcheinlich
D 3durch
[54]Villa Albani.
durch die Bemerkung gekommen, daß Maͤnner von
ſtarker Natur nicht immer die enthaltſamſten zu ſeyn
pflegen. 28 b)
† Thetis. In den Truͤmmern der Villa
Antonini Pii gefunden. Der Kopf, ein Arm, beide
Haͤnde, und ein Bein ſind neu. Sie iſt bis auf
die Schenkel unbekleidet, und lehnt ſich auf ein Ru-
der, welches auf einem Triton ſtehet. Mit dieſem
hat ſich ein Theil der Baſe erhalten, worauf drei
Dolche erhoben gearbeitet ſind, und die, wie Win-
kelmann 29) behauptet, nicht, wie gemeiniglich an-
genommen wird, am Vordertheile, ſondern am
Hintertheile der alten Schiffe befindlich waren. Nach
dieſer Idee iſt die Baſe ergaͤnzt.
Winkelmann geraͤth bei Beſchreibung dieſer
Statue in eine Art von Entzuͤckung, die man ſeinem
feurigen Gefuͤhle fuͤr das Schoͤne, und ſeiner dank-
baren Anhaͤnglichkeit an dem Cardinal ſeinem Goͤnner
zu Gute halten muß. — „Sie gehoͤre, ſagt er,
„unter die allerſchoͤnſten des Alterthums.“ — „In
keiner weiblichen Statue, die mediceiſche Venus
kaum ausgenommen, erſcheine die Jugend an der
Graͤnze des reifern Alters ſo ſchoͤn, ſo zuͤchtig rein.“ —
„Ihr Haupt gleiche der aufbrechenden Knoſpe einer
Fruͤhlingsroſe.“ — „Unter dem Gewande erblicke
man die ſchoͤnſten Schenkel, die je in Marmor gebil-
det worden.“ — „Der dichteriſche Meiſter dieſer
Nereide bringe ſie aus den Wellen des Meeres her-
aus, annoch ungeruͤhrt von Liebe“ ꝛc. —
Ganz
[55]Villa Albani.
Ganz ſo viel duͤrften unbefangene Augen wohl
nicht in dieſer Statue finden. Inzwiſchen gehoͤrt
ſie immer unter die ſchoͤnſten und ſeltenſten dieſer
Sammlung. Ihr Charakter laͤuft mit dem Cha-
rakter einer Venus zuſammen.
Galba, ſeltene und ſchoͤne Buͤſte. 30)
Ich vermuthe auch, daß hier die weibliche
Statue mit einem maͤnnlichen Geſichte ſtehet, von
der Winkelmann 31) als von der angeblichen Mutter
des Heliogabalus redet, die ich aber uͤberſehen zu
haben bekennen muß.
An den Baſen dieſer Statuen ſind Basreliefs
angebracht, die fuͤr die Kunſt wenig Merkwuͤrdiges
haben.
Hinter dieſem Xyſtus findet ſich ein Vorſaal,
in dem man mehrere Aegyptiſche Figuren antrifft.
Eine Aegyptiſche Prieſterin aus weißem
Alabaſter mit Hieroglyphen. Der obere Theil iſt
modern. Winkelmann 32) ſpricht weitlaͤuftig davon.
Sie gehoͤrt aber nicht in meinen Plan.
Eine Iſis aus ſchwarzem Baſalt. Sie
ſcheint eine Nachbildung des aͤlteren Stils zu ſeyn.
Inzwiſchen verraͤth das zwiſchen den Bruͤſten zu-
ſammengeknuͤpfte Gewand den Kuͤnſtler mit griechi-
ſchen Ideen. 33)
D 4Eine
[56]Villa Albani.
Eine Menſchenfigur mit einem Loͤwen-
kopfe. Winkelmann ſagt: 34 a) der Kopf habe
etwas von einem Loͤwen, einer Katze und einem
Hunde zugleich, und nennt ſie Anubis. Vermi-
ſchung des Griechiſchen und Aegyptiſchen Stils aus
rothem Mamor oder wie andere wollen, aus Lava.
Den Bruͤſten nach ſollte man dieſe Statue fuͤr eine
Bubaſtis halten.
Eine große Aegyptiſche Figur von Roſſo
antico. Scheint aus der Zeit des Hadrians zu ſeyn.
Ein Aegyptiſcher Prieſter aus ſchwarzem
Marmor auf den Hacken ſitzend.
Hinter dieſem Vorzimmer folgt ein Saal.
Er iſt ſehr ſchlecht decoriret, und der Plafond,
der ein Bacchanal vorſtellet, und nach einer Zeich-
nung des Gulio Romano gemahlt iſt, macht dem
Meiſter wenig Ehre.
Man ſieht hier zwei Statuen von ſchwarzem
Marmor, einen tanzenden Faun, und einen
Ringer, der ein Oehlflaͤſchchen haͤlt,34 b) an
deren Fußgeſtellen aber † zwei ſehr ſchoͤne Mo-
ſaiken. Das eine ſoll eine Schule der Philo-
ſophie, das andere Heſione vorſtellen, die Her-
cules errettet. Auf dem letzten bemerkt Winkel-
mann 35) den Schleier, womit Heſione ihr Haupt
bedeckt, als den einzigen, der ihm bekannt iſt.
In
[57]Villa Albani.
In der Mitte des Gartens eine ſchoͤne
Fontaine, die aus einem großen Baſſin von
ſchwarzem Granit beſtehet, welches vier Atlanten
oder Sylenen tragen. Die Atlanten haben viel
Charakter und Ausdruck, und die Maſſe des Gan-
zen iſt mahleriſch und wohl angeordnet.
Ferner trifft man darin mehrere Sphynxe,
eine große Chimaͤra, viele Statuen, Buͤſten,
Sarcophagen, die zu Fontainen dienen, eine
ſchoͤne gut erhaltene Meta Circi, ein wildes
Schwein in einer Grotte, und einen Obeliſk an.
Dieſen Obeliſk bekam der Cardinal auf eine ſon-
derbare Art. Er diente einer der Thuͤren des Pal-
laſtes des Prinzen Santa Croce zum Pfeiler. Ein
Englaͤnder fand ihn, und der Cardinal hatte viele
Muͤhe und Koſten, ihn zu erhalten.
Unter der Terraſſe vor dem
Hauſe.
† Zwei vortreffliche coloſſaliſche Buͤſten
des Titus und des Trajans.36)
Ein Flußgott aus ſchwarzem Marmor.
Zwei Sphynxe aus Granit.
Noch ein anderer Flußgott aus ſchwar-
zem, und
Ein dritter aus weißem Marmor. Alle
in Niſchen, die auf Caryatiden ruhen.
D 5Auf
[58]Villa Albani.
Auf der Terraſſe vor dem Hauſe ſelbſt,
eine vortreffliche Vaſe, die auf Greifen ſtehet;
zwei Loͤwen aus weißem Marmor; einige
Termen und Statuen.
Winkelmann 37) erwaͤhnt einer erhobenen Arbeit
in dieſer Villa, worauf ein kindlicher Satyr oder
Faun (er nennet ihn das ſchoͤnſte Kind, welches ſich
aus dem Alterthume erhalten hat) mit ſolcher Wol-
luſt aus einem Schlauche trinke, daß die Augaͤpfel
in die Hoͤhe gedrehet waͤren.
Nach den Erkundigungen, die ich daruͤber in
Rom einzog, ſollte dieſes Werk ſchon bei Lebzeiten des
Cardinals abhanden gekommen ſeyn, ohne daß man
den Ort feiner gegenwaͤrtigen Aufbewahrung wuͤßte.
Jetzt finde ich in der neuen italiaͤniſchen Ueberſetzung
der Winkelmanniſchen Geſchichte der Kunſt von Fea
T. II. p. 122. n. B. daß es ins Muſeum Clemen-
tinum gekommen ſey, und daß man bei der Reſtau-
ration dem Knaben eine Schaale in die Haͤnde gege-
ben habe, in der Stellung, als wolle er ſie zum
Munde bringen, um daraus zu trinken. Ich habe
dies Werk bei meiner Anweſenheit in Rom nicht
gefunden.
Winkelmann 38) gedenket auch eines als Bac-
chus ergaͤnzten Apollo 9 Palme hoch, von der Mitte
des Koͤrpers an bis auf die Fuͤße bekleidet, als eines
Beweiſes, daß in einigen Statuen des Apollo
deſſen
[59]Villa Albani.
deſſen Bildung einem Bacchus ſehr aͤhnlich ſey. Ich
habe dieſe Figur wahrſcheinlich uͤberſehen, ſo wie
zwei jugendliche Hermen 39) mit dem Felle eines
Hundekopfs, wie Hercules mit der Loͤwenhaut be-
deckt. Wahrſcheinlich Lares, Penates oder Haus-
goͤtter, und die Nemeſis, nach Winkelmann 40) die
einzige Statue dieſer Goͤttin in der Welt.
Wenn auch der Antiquar in meiner Beſchrei-
bung etwas vermiſſen ſollte, ſo fuͤrchte ich doch fuͤr
den Liebhaber ſchon zu umſtaͤndlich geweſen zu ſeyn.
Ich muß uͤberhaupt bei dieſer Gelegenheit meine Leſer
wiederholend erinnern, dies Werk nicht als eine
Nomenclatur all und jeder Werke anzuſehen, die
vielleicht in verſchiedener Ruͤckſicht verſchiedenen
Beobachtern merkwuͤrdig ſeyn koͤnnten. Ich ſchreibe
uͤber Mahlerei und Bildhauerkunſt in Rom, nicht
uͤber jedes daſelbſt befindliche Stuͤck insbeſondere.
Was mein Gefuͤhl fuͤr das Schoͤne rege gemacht hat,
habe ich aufgezeichnet, und ich liefere es jetzt ſo wie-
der, wie ich glaube, daß es jenes Gefuͤhl, und
die Grundſaͤtze rechtfertigen kann, auf die ich es zu-
ruͤckfuͤhre. Die Bildung des Geſchmacks iſt mein
einziger Wegweiſer: und nur dann verdiene ich Vor-
wuͤrfe, wenn ich ein Stuͤck vorbei laſſe, welches
dieſe auf eine merkliche Art befoͤrdern kann.
Pallaſt
[60]
Pallaſt Colonna.
Erſte Reihe von Zimmern, die ehemals
der Cardinal Pamfili und jetzt der
Prinz d’ Avello Bruder des Con-
netable bewohnet.
Erſtes Zimmer.
Iſt von Pozzo1) und Angelini2a) in ſchlechtem
Geſchmacke decorirt.
In dem zweiten Zimmer findet man einige
Landſchaften von Pouſſin2b)in Waſſerfar-
ben. Sie ſind vortrefflich gedacht.
In
[61]Pallaſt Colonna.
In einer Kammer darneben, eine Ma-
donna auf durchſichtigen Alabaſter gemahlt,
uͤber einem Altar in einer Niſche. Das Licht faͤllt
hinten durch, und wenn das Zimmer vorn verdun-
kelt wird, ſo iſt der Effekt pikant.
Nach einigen Zimmern, die mit Gobelins
tapeziret ſind, folgt ein anderes mit einer Auf-
erſtehung des Lazarus von Battoni. Dies
Bild iſt eigentlich ohne Wahrheit, aber es hat das
Verdienſt einer guten Anordnung und eines ſehr pikan-
ten Helldunkeln.
Man ſieht hier auch einige Landſchaften von
Lucatelli in der Manier des Salvator Roſa, den
er uͤberhaupt nachzuahmen ſuchte.
Zwei Landſchaften des Claude Lorrain,
die aber nicht zu ſeinen beſten Werken gehoͤren.
† Zwei ganz vortreffliche Marinen von
Backhuyſen.3)
In
[62]Pallaſt Colonna.
In einem darauf folgenden
Saale.
Zwei der beſten Landſchaften des Ori-
zonte.
Eine ſehr ſchoͤne Marine von Lucatelli.
Zwei Pouſſins in Waſſerfarben.
te Cencia.
† Die beruͤhmte Cencia. So nennt man
einen weiblichen Kopf, der die Gewaͤhr fuͤr jene
Worte eines unſrer beruͤhmteſten dramatiſchen Schrift-
ſteller leiſtet: Die Natur wollte bei der Bildung des
Weibes ihr Meiſterſtuͤck machen, aber ſie nahm den
Stoff zu fein. Wo waͤre der determinirteſte Eheſcheue,
der gegen das Gluͤck, das ihm aus dieſen Augen voll
unausſprechlicher Sanftmuth, Hingebung und Em-
pfindbarkeit verſprochen wuͤrde, nicht gern allen Vor-
zuͤgen des ungebundenen Standes entſagte? Wo der
Spoͤtter des weiblichen Geſchlechts, deſſen Pfeile an
dieſen Zuͤgen voll unbefangener Unſchuld nicht ſtumpf
zu Boden fielen? Kein Gedanke an ein anderes
Geſetz, als das was die Natur ihrem Herzen ein-
ſchrieb, hat dieſes je in heftigere Bewegung geſetzt,
und ſind ihr Wuͤnſche uͤbrig geblieben; — ſie wird
die Gewaͤhrung mit Dankbarkeit, die Verſagung
ohne Murren tragen.
Kurz! Cencia iſt das Ideal der ſanfteſten, ge-
fuͤhlvolleſten, reinſten und duldſamſten weiblichen
Seele, nicht das Ideal der Formen, nicht eines
hohen Ausdrucks. Man kann ſchoͤner ſeyn, viel-
leicht intereſſanter, aber liebenswuͤrdiger iſt man nicht.
Dieſe Liebenswuͤrdigkeit, dieſe Liebenswuͤrdig-
keit des Herzens, die aller Herzen gewinnt, iſt die
Urſache
[63]Pallaſt Colonna.
Urſache geweſen, warum man die Geſtalt, die ſie in
ihren Zuͤgen zeigt, ſo gern uͤberall hat um ſich haben
moͤgen. Von keinem Gemaͤhlde ſieht man haͤufigere
Copien als von dieſem.
Nimmt man den Nahmen, den man dieſem
Kopfe beilegt, als gewiß an, ſo gehoͤrt er einer Va-
termoͤrderin. Man traͤgt ſich naͤmlich in Rom mit
einer Geſchichte, nach welcher der Ort, wo gegen-
waͤrtig die Villa Borgheſe befindlich iſt, die Beſitzung
einer reichen Familie war, Cenci genannt. Das
Haupt derſelben, ein Ausbund aller Laſter, hat,
nach eben dieſer Sage, wiederholte Angriffe auf die
Unſchuld ſeiner Tochter gewagt, denen zu entgehen,
dieſe einige Moͤrder, den unnatuͤrlichen Vater umzu-
bringen, beſtellte. Als dieſe ſchon in der Kammer
verborgen waren, hat die Tochter den Dolch ergrif-
fen, und den Vater ſelbſt im Schlafe erſtochen.
Mutter und Bruder haben darum gewußt: Sie ſind
alle drei vor der Engelsburg enthauptet worden, und
die paͤbſtliche Kammer hat ihr Vermoͤgen eingezogen,
von dem der Cardinal Scipio Borgheſe, Neffe des
damaligen Pabſtes Paul des 5ten an dem Platze,
deſſen Beſitzung einen Theil deſſelben ausmachte, die
beruͤhmte Villa Borgheſe angelegt hat.
Andere geben der Geſchichte eine andere Wen-
dung, glauben die Familie ſey blos ein Opfer der
Haabſucht der Familie Borgheſe geworden, und
das angedichtete Laſter eine Beſchoͤnigung ihrer Bos-
heit. Andere leugnen ſie ganz ab, und gewiß iſt es,
daß ſie nicht vielmehr, als die Autoritaͤt einer italie-
niſchen Novelle fuͤr ſich hat, die im Manuſcript
in
[64]Pallaſt Colonna.
in der Bibliothek des Prinzen Chigi aufbewahrt
wird.
Genung, der erſteren Behauptung nach, hat
Guido Reni dieſes Portrait nach der Moͤrderin in
dem Aufzuge gemahlt, wie ſie zum Richtplatz gefuͤhrt
worden, und dieſe Nachricht iſt in Deutſchland durch
Hrn. Lavaters phyſiognomiſche Fragmente beſonders
ausgebreitet worden. Mir ſcheint ſie ſehr verdaͤchtig.
Nicht zu gedenken, daß die eben angefuͤhrte Novelle
der Delinquentin am Tage ihrer Hinrichtung ein
ſchwarzes Gewand giebt, und daß ſie hier im weiſ-
ſen erſcheint; daß zu Freſcati in der Villa Mondra-
gone ein Bildniß der Cencia haͤngt, das, den Ab-
ſtand der Natur gegen das Ideal abgerechnet, mit
dem unſrigen nicht die geringſte Aehnlichkeit hat: wie
laſſen ſich die heitere Ruhe, die reizvolle Unbefangen-
heit, die ſanfte Zaͤrtlichkeit, Hauptzuͤge in dem gegen-
waͤrtigen Kopfe, mit der Faſſung der Ungluͤcklichen
am Tage ihrer Hinrichtung reimen? Auch bei dem
hoͤchſten Bewußtſeyn von Unſchuld wuͤrde doch ihr
Blick uͤber den Tod ihres Vaters, uͤber das Schick-
ſal ihrer Mutter und ihres Bruders ernſter und einge-
zogener geworden ſeyn. Kurz! ich glaube man geht
am ſicherſten, wenn man ſchlechtweg ſagt: es iſt ein
idealiſirtes Portrait eines jungen Maͤdchens in dem
angegebenen Charakter.
So zweifelhaft wie die Bedeutung iſt auch der
Nahme des Meiſters. Man ſchreibt dies Bild dem
Guido Reni zu, aber die Behandlung iſt ganz ver-
ſchieden von derjenigen, die wir ihm kennen. Die
Umriſſe ſind bis zur Ungewißheit verſchmolzen, und
die
[65]Pallaſt Colonna.
die Schatten fallen ins braunroͤthliche. Wahrſchein-
lich iſt es von ſpaͤterer Hand: Doch! es ſey von wem
es wolle, es bleibt immer ein ſehr angenehmes Bild.
Eine ſehr intereſſante Frage wuͤrde es ſeyn:Wahrſchein-
lichkeit uͤber
Wahrheit in
den bilden-
den Kuͤnſten.
wenn dieſer Kopf wirklich der Cencia gehoͤrt haͤtte,
waͤre der Mahler, der ſie in dem Augenblicke der
Ermordung ihres Vaters haͤtte darſtellen wollen, be-
rechtigt geweſen, denſelben beizubehalten, da er ſo
ſehr mit dem Charakter contraſtirt, von dem wir eine
ſo kuͤhne That erwarten duͤrfen?
Ich glaube nicht: und zwar nach der Regel,
daß in den bildenden Kuͤnſten das Wahre dem Wahr-
ſcheinlichen aufgeopfert werden muͤſſe. Der Dichter
koͤnnte durch Entwickelung einer Reihe von Atrocitaͤ-
ten es vielleicht wahrſcheinlich machen, daß auch das
ſanfteſte Geſchoͤpf endlich zu einem verzweifelten Ent-
ſchluß gegen den Urheber ſeiner Tage gebracht worden
waͤre; aber der Mahler, der die handelnde Perſon
nur einmal zeigt, muß ſie mit dem Charakter zeigen,
der die gegenwaͤrtige Handlung am auffallendſten be-
greiflich macht: ſo wie ich ſie da ſehe, wuͤrde ſie den
Stahl gegen ſich ſelbſt kehren, nicht gegen den Vater.
Eine Saͤule von Roſſo Antico. Die dar-
an befindlichen Basreliefs ſind mittelmaͤßig.
Zur Wohnung des Prinzen d’Avello ge-
hoͤren noch einige Zimmer im obern Geſchoß.
Hier findet man
Den verlohrnen Sohn von Salvator Roſa.
Ein Gaſſenjunge, der mit vieler Wahrheit darge-
ſtellt iſt.
Zweiter Theil. EMeh-
[66]Pallaſt Colonna.
Mehrere Landſchaften von Pouſſin in Waſ-
ſerfarben.
Eine andere ebendeſſelben Meiſters in Oehl,
die einen Sturm vorſtellet, iſt von großem
Effekt. Doch faͤllt die Faͤrbung zu ſehr ins Gruͤne.
Ein alter Kopf von Guido.
Ein heiliger Hieronymus von Spagnoletto.
Eine Familienſcene, die man das Teſta-
ment nennet, von ebendemſelben.
In einem andern Zimmer trifft man meh-
rere Gemaͤhlde vom Stendardo,4a)Orizonte,
und Guaſpro degli Occhiali an.
heiligen
Magdalenavon Guido.
In einem Schlafzimmer.
† Eine heilige Magdalena, Bruſtſtuͤck von
Guido. Fuͤr mich der ſchoͤnſte Weiberkopf, der je
in neueren Zeiten gemahlt iſt: das Kunſtwerk, das
ich unter allen in Rom waͤhlen wuͤrde, wenn ich nur
eines mit einer einzelnen Figur zu waͤhlen haͤtte: der
hoͤchſte Punkt der Vereinigung des Ausdrucks einer
thaͤtigen Seele, und der Schoͤnheit der Geſtalt, den
ich in der Mahlerei kenne, und annehmen mag.
Eine Cencia unterſcheidet ſich von einer Magda-
lena, wie die Gattin von der Geliebten. Jene
koͤnnt
[67]Pallaſt Colonna.
koͤnnt ihr achten, wenn ihr ſie nicht anbetet. Dieſe
iſt euch alles oder ſie iſt euch nichts.
Der hoͤchſten Tugenden faͤhig, wie der hoͤchſten
Irrungen, zu denen heißes Blut und uͤberſpannte
Phantaſie ſo leicht verfuͤhren koͤnnen, hat Magda-
lena im Rauſch der Sinne eine Zeitlang die Forde-
rungen ihres leeren Herzens zu betaͤuben geſucht.
Aber umſonſt! Ihr liebeſchwaͤrmeriſches Auge er-
hebt ſich jetzt zum Himmel, den ihre Einbildungskraft
an die Stelle des Irrdiſchen ſetzt, das die Wuͤnſche
ihres pochenden Buſens nicht hat befriedigen koͤnnen!
Thraͤnen rollen jetzt uͤber ihre Wangen, Zeugen der
Reue, daß ſie ehemals durch eitle Freude entſtellt
ſind! Jetzt fliegt unbekuͤmmert um den Beifall der
Sterblichen das goldene Haar ſchmucklos um ihren
Buſen. Sie ſchlaͤgt die gefalteten Haͤnde darwider
voll Zerknirſchung, Innbrunſt und Hingebung in die
Gnade des Himmels. Welch ein Weib fuͤr den
Mann, der ihre Einbildungskraft und ihre empfin-
dungsvolle Seele auszufuͤllen im Stande geweſen
waͤre! Wie ſehr muͤſſen ſelbſt die uͤberwundenen
Schwachheiten die Sicherheit zu der Staͤrke zu der
Haltſamkeit erhoͤhen, mit der ſie forthin an der Tu-
gend haͤngen wird! So viel uͤber den Ausdruck.
Und nun die Schoͤnheit der Form! Es iſt nicht
das Ideal der Antike, mit deſſen Anblick uns zugleich
alle Erinnerung und alle Hoffnung aͤhnlicher Erſchei-
nungen in der Natur verlaͤßt! Nein! Wir fuͤhlen
wohl, daß die Zuͤge, aus denen dieſer Kopf zuſam-
mengeſetzt iſt, uns nur einzeln in der Natur aufge-
ſtoßen ſind, allein wir verzweifeln nicht daran, ſie
einſt in wirklicher Vereinigung anzutreffen.
E 2Viel-
[68]Pallaſt Colonna.
Vielleicht duͤrfte man in einer Kunſt, deren
Hauptvorzug Ausdruck einer thaͤtigen Seele iſt, das
Ideal der Formen nicht treiben. Die Wahrſchein-
lichkeit, auf die es bei Darſtellung des Affekts am
meiſten ankoͤmmt, duͤrfte groͤßer ſeyn, wenn die Ge-
ſtalt, die ſie ausdruͤckt, uns mit Huͤlfe einzelner Er-
fahrungen begreiflich wird.
Man behauptet inzwiſchen, daß Guido die gluͤck-
liche Vorſtellungsart der Magdalenen, die er ſo haͤu-
fig wiederholt hat, nur dem haͤufigen Studio nach
dem Kopfe der Niobe zu danken habe. So bald
man dieſer Behauptung die Erklaͤrung giebt, daß
Guido Reni durch haͤufige Vergleichung der ſchoͤnen
Natur mit dem ſchoͤnen Originale in Stein, die Ver-
einigung von Wahrheit und Schoͤnheit gefunden habe,
die wir in ſeinen Magdalenen Koͤpfen bewundern,
daß er dieſer Niobe die Bildung ſeiner Ideen uͤber-
haupt verdanket habe: wohl! ich trete bei. Soll
aber Guido Reni den Kopf der Niobe copirt, ihm
den Ausdruck abgeborgt, nichts weiter gethan haben,
als durch die Magie der Farben das Runde auf die
Flaͤche zu uͤbertragen, ſo muß ich dieſes leugnen.
Im Detail haben beide Koͤpfe der Niobe und der
Magdalena nichts Aehnliches als die Richtung des
Kopfs in die Hoͤhe, und die Regelmaͤßigkeit der Zuͤge
uͤberhaupt. Niobe iſt eine majeſtaͤtiſche ernſte Schoͤn-
heit, mit dem Bewußtſeyn ihres Werthes, und dem
Gefuͤhl unverdienter Strafe: Magdalene die bekehrte
Suͤnderin, die ſchoͤne Buͤßende, die warmes ju-
gendliches Blut hat ſo gut als eine. An fuͤhlbarer
Wahrheit des Ausdrucks iſt Magdalene uͤber Niobe
fuͤr uns noͤrdliche Voͤlker; an Schoͤnheit der Ge-
ſtalt
[69]Pallaſt Colonna.
ſtalt aber unter dieſer, ſelbſt fuͤr uns. Vielleicht
koͤnnte eine Magdalene in Ruͤckſicht auf einzelne Figu-
ren fuͤr die letzte Beſitzung der Mahlerei gelten, eine
Niobe fuͤr die gemeinſchaftliche Graͤnze.
Die Zeichnung iſt aͤußerſt richtig und beſtimmt.
Die Finger der Hand ſcheinen ein wenig zu lang,
aber ſie ſind von ſchoͤner Form. Die Faͤrbung iſt
ein wenig ſchwach, und faͤllt ins Graue.
Eine heilige Familie von Albano.
Eine heilige Thereſe von Guido Cagnacci.
Dieſelbe Stellung und der naͤmliche Ausdruck, wie
in der Statue des Bernini in der Kirche Santa
Maria della Vittoria.
Zwei Schlachten von Salvator Roſa.
St. Peter der Maͤrtirer. Eine Skizze zu
oder wie andre behaupten, ein Studium im Kleinen
nach4b) dem beruͤhmten Gemaͤhlde dieſes Meiſters,
welches zu St. Giovanni e Paolo in Venedig
haͤngt.
St. Paul der Maͤrtirer ward in Geſellſchaft eines
Moͤnchs beim Eingange eines Waldes von einem
Moͤrder uͤberfallen. Der Moͤnch entfloh, aber St.
Paul ward umgebracht. Dies iſt die Geſchichte,
die der Pinſel des Tizians an dem angezeigten Orte
vorgeſtellt hat. Sie macht das Suͤjet eines der be-
ruͤhmteſten Gemaͤhlde in Italien aus, und dies ſteht
gaͤnzlich ſeinem Ruhm. 5)
E 3Ver-
[70]Pallaſt Colonna.
Verloͤbniß der heiligen Catharina von Pie-
tro di Cortona. Eine angenehme Zuſammen-
ſetzung. Die Behandlung hat jedoch nicht das
s[f]umato, das Verſchmolzene, das Verblaſene,
welches ſonſt den Charakter des Pinſels dieſes Mei-
ſters ausmacht. Vielleicht duͤrfte unſer Bild eine
Copie des Carlo Maratti nach einem Originale ſei-
nes Meiſters ſeyn.
In
[71]Pallaſt Colonna.
In einem andern Zimmer trifft man unter
mehreren Landſchaften von Lucatelli, Orizonte, Sten-
dardo auch eine von Pouſſin in Waſſerfarben an,
die eine Ausſicht [auf] einen Fluß darſtellet, und ehe-
mals zum Deckel eines Claviers gedienet hat.
Wieder in einem andern Zimmer ſieht man
eine Ausſicht von Rom, und eine andere von
Tivoli von Guaſpro degli Occhiali.
Untere Zimmer in der Wohnung
des Connetable.
Der Plafond des erſten Zimmers iſt von
Benedetto Luti. Martin der Fuͤnfte uͤberreicht
dem heiligen Carl Barromaͤus die Schluͤſſel des heil.
Petrus. Das Verdienſt dieſes Gemaͤhldes beſteht
in der Harmonie und Annehmlichkeit der Farben,
und der Vertheilung des Lichts. Uebrigens ſehen ſich
die Koͤpfe alle aͤhnlich, und ſind ohne Ausdruck. Auch
iſt die Zeichnung unrichtig und das Colorit ohne
Wahrheit blos nach der Palette ausgedacht.
Rund herum hat Battoni die Tugenden die-
ſes Pabſtes allegoriſch vorgeſtellt. Man merkt
den Figuren an, daß ſie nach kuͤnſtlich geſtellten Aca-
demien gezeichnet, und in einem ſehr conventionellen
Colorit gemahlt ſind. Diejenige, welche die Lampe
haͤlt, iſt eine der beſten, und hat etwas von der
Manier des Guido.
E 4Unter
[72]Pallaſt Colonna.
Unter den Staffeleigemaͤhlden Eine Entfuͤh-
rung der Europa. Ich geſtehe, daß ich mich
des Nahmens des Meiſters ſo genau nicht mehr erin-
nere. Die Compoſition iſt gut, und zum Theil von
einem alten Basrelief genommen; auch iſt die Faͤr-
bung ſehr lieblich. Aber die Perſpektiv iſt nicht gut
beobachtet, und der Ausdruck nicht der gluͤcklichſte.
Eine Madonna mit dem Kinde. Sie
haͤlt ein Buch. Man ſchreibt dieſes Bild dem Ra-
phael zu, aber es ſcheint nur aus ſeiner Schule zu
ſeyn. Es iſt zu wenig Wahrheit und Richtigkeit in
den Extremitaͤten, um es dem Meiſter ſelbſt bei-
zulegen.
Ein Bauer, der Bohnen iſſet. Bambo-
ſchade von Annibale Carraccio, voller Wahrheit.
Ein Mann, der auf dem Claviere ſpielt,
von Tintoretto.
Eine heilige Magdalena und ein heiliger
Petrus von Guido.
ne Gemaͤhlde
von Tizian.
† Cephalus und Procris oder vielmehr
Venus und Adonis von Tizian. Ein Bild von
dem man viele Wiederholungen findet. Dieſes hier
hat einen großen Charakter von Originalitaͤt. Den
ſchlafenden Amor im Hintergrunde abgerechnet, iſt
das Bild ſehr gut zuſammengeſetzt, und in Anſehung
der Faͤrbung aus der beſten Zeit des Meiſters. Der
Ruͤcken der Venus iſt vorzuͤglich ſchoͤn.
† Ganymeds Entfuͤhrung von Tizian.
Die Stellung des Adlers iſt nicht ſehr natuͤrlich, in-
zwiſchen wird durch ſeine ſchwarze Farbe des Kna-
ben weißes Fleiſch mehr gehoben. Ewig Schade!
daß
[73]Pallaſt Colonna.
daß Carlo Maratti den Hintergrund beim Aufmah-
len zu blau gehalten hat.
† Ein Prieſter, eins der ſchoͤnſten Bildniſſe
von Tizian.
† Eine Magiſtratsperſon. Bildniß deſ-
ſelben Meiſters.
Chriſtus erweckt den Lazarus von Salviati.
Ein todter Chriſt zwiſchen zwei Engeln.
Ein ſchoͤnes Gemaͤhlde von Leandro Baſſano.
Eine Madonna mit dem Chriſt und meh-
reren Heiligen. Die Koͤpfe ſcheinen ſchoͤn, die
Faͤrbung kraͤftig zu ſeyn, aber es haͤngt zu hoch, um
mit einiger Zuverſicht beurtheilt zu werden.
Ecce Homovon Albano mit drei Engeln
die uͤber ihn weinen, vom Albano. Traurige
Vorſtellungen gehoͤren nicht in das Fach dieſes Mah-
lers der Grazien. Inzwiſchen iſt die Faͤrbung gut.
Der heilige Paul und Moſes, zwei Koͤpfe von
Guercino aus ſeiner erſten etwas ſchwarzen Manier.
David von Guido Cagnacci.
† Eine heilige Familie mit mehreren Hei-Eine heilige
Familie aus
Raphaels er-
ſter Manier.
ligen, und Gott der Vater in einer Glorie
von Engeln. Zwei Gemaͤhlde, die ehemals ein
einziges ausmachten, von Raphael, und zwar aus
ſeiner erſten Manier. Ungeachtet des gothiſchen
Geſchmacks, der in dieſem Gemaͤhlde herrſcht, und
den man vorzuͤglich an dem natuͤrlich aufgetragenen
Golde wieder erkennt; ohngeachtet der Trockenheit in
den Umriſſen und der Faltenordnung bemerkt man
ſchon vortreffliche Koͤpfe voller Ausdruck und die groͤßte
Richtigkeit in der Zeichnung der Extremitaͤten. Die
Faͤrbung iſt zu dunkel.
E 5Zwei-
[74]Pallaſt Colonna.
Zweites Zimmer.
gen uͤber den
Stil der
groͤßten Land-
ſchaftsmah-
ler: Claude
le Lorrain,
Caſpar Pouſ-
ſin, und Sal-
vator Roſa.
In dieſem Zimmer haͤngt eine Samm-
lung von Werken der groͤßten Landſchafts-
mahler.
Die vorzuͤglichſten unter dieſen ſind: Claude le
Lorrain, Caſpar Pouſſin und Salvator Roſa.
Claude Gelee aus Lothringen, daher gemei-
niglich Claude le Lorrain genannt, ward 1600
gebohren, und ſtarb 1682. Er iſt als der groͤßte
Landſchaftsmahler neuerer Zeiten bekannt: ihm
allein gebuͤhrt das Lob, die Natur mit Wahl und
doch immer mit Treue dargeſtellt zu haben: Meh-
rentheils brachte er Architektur in den Vorgruͤnden
an, und waͤhlte Gegenden und Tageszeiten, welche
die Seele zu ſanfter Feier erheben. Sein Baum-
ſchlag iſt ſehr abwechſelnd. Vielleicht iſt die Form
der Blaͤtter nicht immer hinreichend beſtimmt, aber
die Maſſe des Ganzen und die Faͤrbung iſt vortrefflich.
Die Fernen ſind das Schoͤnſte in ſeinen Gemaͤhlden,
er mahlte ſie aͤußerſt duftig. Man behauptet, daß
er das Geheimniß der Luftperſpektiv, die er zu dem
hoͤchſten Grade der Vollkommenheit brachte, dem
Sandrart zu danken habe, den er einſt bei einem
Studio nach der Natur zu dieſem Endzweck uͤber-
raſchte.
ve, was ſie
iſt.
Luftperſpektiv, iſt die Wiſſenſchaft der Regeln,
nach welchen ſich Licht und Schatten, und die davon
abhaͤngende Faͤrbung, nach Maaßgabe der Entfer-
nung der Gegenſtaͤnde und der zwiſchen dieſe und un-
ſer
[75]Pallaſt Colonna.
ſer Auge tretenden Luft abaͤndern. Je entfernter
ein Koͤrper von uns iſt, je mehr verliert ſeine Farbe
an Lebhaftigkeit. In großer Entfernung verliert
ſich die natuͤrliche Farbe ganz in der Farbe der Luft.
Figuren verſtand Claude le Lorrain nicht zu mah-
len, ſie ſind alle ſpindelfoͤrmig, und in Proportion
zu den Gegenſtaͤnden, die ſie umringen, zu groß.
Allein dieſe Figuren ſind fuͤr den eigentlichenLebende Fi-
guren in der
Landſchaft,
bezeichnen-
des Neben-
werk.
Landſchaftsmahler nur Nebenwerk. Er ordnet die
lebenden Figuren den unbelebten Gegenſtaͤnden nur
darum zu, um den Stil der Vorſtellung zu bezeich-
nen, und durch die Verſchiedenheit des Charakters
der Perſonen, die er in einer gewiſſen Gegend auf-
treten laͤßt, auf die Gruͤnde zu fuͤhren, warum er
bald eine ſanfte, bald eine rauhe, bald eine kunſtloſe,
bald eine angebauete Natur gewaͤhlt hat.
Je nachdem der Eindruck der Landſchaft blosUeber den
laͤndlichen
und den he-
roiſchen Stil
in der Land-
ſchaftsmah-
lerei.
liebliche oder hohe Empfindungen erregt, dem Her-
zen Nahrung giebt, oder die Einbildungskraft befluͤ-
gelt, theilt man den Stil der Landſchaft in den
laͤndlichen und den heroiſchen ab.
Caſpre Dughet, nach ſeinem Schwager und
Lehrmeiſter Nicolaus Pouſſin gemeiniglich Guaſparo
Pouſſino genannt, war 1613 gebohren, und
ſtarb 1675. Er iſt in der Ordnung der Landſchafts-
mahler der zweite. Seine Compoſitionen ſind ſchoͤn,
und laſſen gemeiniglich gebirgigte Gegenden mit
Waͤldern von Eichen, Waſſerfaͤllen und Ausſichten
auf Ebenen von ungeheurem Umfange ſehen. Seine
Werke ſind leicht wieder zu kennen: denn ob er gleich
eine gute Art hatte, die Natur vorzuſtellen, ſo war
dieſe
[76]Pallaſt Colonna.
dieſe Art doch einfoͤrmig, das heißt: er war manie-
rirt. Der Eindruck, den ſeine Werke machen, iſt,
ſie leiten die Seele zum Nachdenken und verſenken
ſie in Melancholie. Die Formen ſeiner Baͤume, zu
denen er gemeiniglich Eichen waͤhlte, ſind nicht ſon-
derlich wahr, die Blaͤtter ſind zu groß. Der Ton
ſeiner Faͤrbung iſt finſteres Gruͤn, uͤbrigens aber
harmoniſch. Die Fernen haben nicht das Luftige
ſeines Vorgaͤngers.
Salvator Roſa iſt das dritte unter den großen
Lichtern in der Landſchaftsmahlerei. Er ward 1615
gebohren, und ſtarb 1673. Auch er hatte nur
eine Manier, und kann daher nur fuͤr gewiſſe Par-
tien als Muſter aufgeſtellt werden. Wenn die
Faͤrbung des Pouſſins zu ſehr ins finſtere Gruͤn faͤllt,
ſo faͤllt hingegen die Faͤrbung des Salvator Roſa zu
ſehr ins gelblich Graue. Sie iſt ganz unwahr,
zieht aber durch ihre Harmonie ſehr an. Seine
Landſchaften ſcheinen Raͤuberhoͤhlen zu ſeyn, deren
Bewohner, Spitzbuben, Banditen, Zigeuner, er
mit Geiſt und Leben darſtellte. Schrecken und
Schaudern uͤberfaͤllt den Zuſchauer bei dem Anblick
ſeiner ſchroffen Felſen, deren herabhaͤngende Stuͤcke,
von ſtruppichten Tannen und verwachſenem Gebuͤſch
bedeckt, das lumpichte Geſindel, das darunter
Schutz ſucht, zu begraben drohen.
ſchoͤnſten
Landſchaften
Pouſſins.
† Abraham erſteigt mit ſeinem Sohne
Iſaac einen waldichten Berg, auf welchem
dieſer geopfert werden ſoll. Rechts auf dem
Vorgrunde der Aufgang auf den waldichten Berg,
links in der Ferne uͤber eine weite Ebene hin, die
Aus-
[77]Pallaſt Colonna.
Ausſicht aufs Meer. Die ſchoͤnſte Landſchaft, die
man vom Pouſſin wenigſtens in Rom kennt. Die
Erfindung iſt vortrefflich, und die Ausfuͤhrung ent-
ſpricht ihr voͤllig. Der Mahler hat mit wenigen
Pinſelſtrichen eine Ebene geſchaffen, die der Zuſchauer
kaum mit dem Auge abreichen zu koͤnnen glaubt.
Der Baumſchlag iſt vorzuͤglich in den Eichen wohl
gerathen. Es iſt ein Oehlgemaͤhlde.
† Eine andere Landſchaft eben dieſes
Meiſters, gleichfalls in Oehl, wird von Kennern
der vorigen beinahe gleich geſchaͤtzt. Das hiſtoriſche
Suͤjet iſt die Verheißung Abrahams. Gott er-
ſcheint in den Luͤften, und vor dem Schauer, der
ſeine Gegenwart begleitet, beugen ſich die Gipfel der
Baͤume wie im Sturme. Der Gedanke iſt erhaben,
und die Ausfuͤhrung gluͤcklich.
Zu beiden Seiten zwei Landſchaften vom
Orizonte.
Diana mit ihren Nymphen, in einer Land-
ſchaft mit reicher Architektur, von Claude le
Lorrain.
Ueber den beiden Fenſtern zwei Landſchaf-
ten Pouſſins in Waſſerfarben.
Unter einer mittelmaͤßigen Landſchaft aus
der Bologneſiſchen Schule eine andere Land-
ſchaft Pouſſins in Waſſerfarben. Man ſieht
einen Waſſerfall darauf. Sie iſt vortrefflich gedacht.
Darunter eine andere mit Bergen in der
Ferne, die mit Schnee bedeckt ſind, von eben
demſelben in Oehl.
Noch
[78]Pallaſt Colonna.
Noch von dieſem Meiſter eine andere auf
Holz. Die Faͤrbung iſt ſehr kraͤftig. Man ſieht
darauf tanzende Nymphen.
Die Findung des Moſes. Eine Landſchaft
von Salvator Roſa.
Noch eine andere von demſelben mit einem
Manne, der ein Waſſer durchwadet, und nach
einem ſehr erſchrockenen Menſchen mit dem Bogen
zielt. Wahrſcheinlich die Fabel des Reiſenden, der
durch das ſtuͤrmiſche Regengeſtoͤber, mit dem er un-
zufrieden war, vom Tode errettet wurde, weil es
die Sehne des Bogens erſchlaffte, auf welcher der
Raͤuber den Pfeil wider ſein Leben gerichtet hatte.
Ein heftiger Sturm erſchuͤttert die Baͤume.
Ueber den beiden Thuͤren zwei andere
Landſchaften von Salvator Roſa.
Zur Seite zwiſchen den beiden Thuͤren
drei Landſchaften von Kaſpar Pouſſin in Waſ-
ſerfarben.
Das Urtheil des Paris, Landſchaft von
Claude le Lorrain mit Figuren von Carlo
Maratti.
Grade gegen uͤber der Parnaß von Claude
le Lorrain.
Dido zeigt dem Aeneas das neu erbauete
Carthago von demſelben. Die gar zu reiche
Architektur duͤrfte ein Verſtoß wider die Zeitrech-
nung ſeyn.
Aeneas, der einen Hirſch ſchießt, von
demſelben.
† Galathea mit ihren Nymphen vom Al-
bano. Die Compoſition iſt aͤußerſt lieblich. Die
weibli-
[79]Pallaſt Colonna.
weiblichen Figuren ſind ſehr ſchoͤn gezeichnet. Die
Gruppe der Galathea iſt von der ſchoͤnſten Form und
das Helldunkle von pikanter Wuͤrkung. In der
Figur des Polyphems erkennt man den Schuͤler der
Carracci.
An der entgegen geſetzten Seite nach dem großen
Fenſter zu:
Eine Bamboſchade vom Michael Angelo
dem Bamboſchadenmahler.
Mars koͤmmt zur Venus vom Albano.
Venus ſchlaͤft, die Liebesgoͤtter entkleiden den Mars.
Die Zuſammenſetzung iſt allerliebſt, die Ausfuͤhrung
koͤmmt ihr nicht gleich.
Zwei Landſchaften vom Orizonte.
Ein junger Held, der die Muſen aufſucht,
in einer Landſchaft mit dem Tempel der Sybille
zu Tivoli, und einer Ausſicht aufs Meer von
Claude le Lorrain.
EinNoli me tangerein einer Landſchaft
von Paul Brill.
Große Gallerie.
Zur Linken, Kroͤnung Chriſti von Carlo
Maratti.
Joſeph und Potiphars Frau von dem-
ſelben.
Der heilige Petrus vom Engel geweckt
von Lanfranco.
† Herodias, die den Kopf Johannes
des Taͤufers in ein Becken legt, welches ihr
ein junger Menſch vorhaͤlt: Bei ihr einige
Wei-
[80]Pallaſt Colonna.
Weiber von ihrer Begleitung. Dieſes große
aber nicht ganz geendigte Bild iſt vom Guido. Die
Anordnung iſt gut, aber die Stellung der Herodias
gezwungen, und ihrem ſchoͤnen Kopfe fehlt es an
Ausdruck. Die uͤbrigen Weiberkoͤpfe ſind ſehr lieb-
lich. Den Gewaͤndern merkt man den Gliedermann
an. Das Helldunkle iſt mit Verſtand behandelt.
Die Faͤrbung faͤllt ins Graue.
† Venus und Amor von Paul Veroneſe.
Dieſe Gruppe iſt gut gedacht. Amor haſcht nach
dem Bogen, den ihm Venus vorenthaͤlt. Aber
dieß lehrt bloß die Stellung; die Koͤpfe ſagen nichts,
und nehmen gar nicht an der Handlung Theil. Die
Faͤrbung iſt ſchoͤn. Nur Schade, daß der aͤngſt-
lich fromme Beſitzer dieſer Gallerie den vorher zu
entbloͤßten Buſen der Venus mit einem Gewande
hat bedecken laſſen. Die Stoffe ſind ſchoͤn, und
das Helldunkle iſt gut behandelt. Die Zeichnung iſt
incorrekt, das eine Bein der Venus laͤßt ſich ſchlech-
terdings aus dem Gewande nicht heraus finden.
Venus und Amor, ein ſchlechtes Gemaͤhlde,
das man dem Andrea Sachi zuſchreibt.
† Der verlohrne Sohn vom Guercino.
Eben dieſes Suͤjet hat der Mahler auch in dem Pal-
laſt Doria behandelt, aber das Bild, das wir vor
uns haben, hat ohnſtreitig vor jenem viele Vorzuͤge.
Die Zuſammenſetzung iſt zwar nicht ohne Fehler.
Der junge Mann, der zur Seite die Gardine auf-
hebt, und wahrſcheinlich den aͤlteſten Sohn vorſtel-
len ſoll, nimmt gar keinen Theil an der Handlung.
Der verlohrne Sohn hingegen vergießt wahre Thraͤ-
nen
[81]Pallaſt Colonna.
nen der Reue, und man ſieht, daß das Andenken ſei-
ner Fehltritte ſchwer auf ihm ruht. Nur im Munde
iſt etwas Gezogenes, das man wegwuͤnſcht. Seine
Stellung druͤckt vortrefflich den Zuſtand ſeiner Seele
aus, die ſich ganz dem Schmerze uͤberlaͤßt. Ob er
gleich beinahe ganz nackt iſt, ſo hat ihm der Mahler
doch einen Schnupftuch in die eine Hand gegeben,
um ſich die Thraͤnen abzutrocknen. Die andere
Hand uͤberlaͤßt er ſeinem Vater, auf deſſen Geſichte
man den Ausdruck des geruͤhrten Vaterherzens lieſt.
Liebkoſend ſucht er ihn zu troͤſten, und bedeckt zu
gleicher Zeit mit einem Mantel ſeine Bloͤße. Die
Zeichnung iſt ziemlich richtig, die Faͤrbung aus ſei-
ner beſten Zeit, und das Helldunkle wie gewoͤhnlich
vortrefflich.
† Das Verloͤbniß der heiligen Catharina.
Ein großes Gemaͤhlde vom Parmeggianino, um
ſo intereſſanter, weil es ſelten iſt, von dieſem Mei-
ſter Gemaͤhlde in dieſer Groͤße zu finden. Ausdruck
darf man hier nicht ſuchen, auch keine ſonderlich gute
Zuſammenſetzung. Waͤhrend, daß die heilige Ca-
tharina den Chriſt beim Kinn ergreift, um ihn zu
kuͤſſen, und ihr erhabener Gemahl die Hand auf ih-
ren Buſen legt, ſieht die Madonna nach einer andern
Seite. Von den umher ſtehenden Heiligen nimmt
keiner an der Handlung Theil, und einer von ihnen
kuͤßt ſogar — Wie werden unſere Critiker uͤber den
Anachroniſmus ſchreien! — das Crucifix. Uebri-
gens iſt die Anordnung und die Gruppirung gut.
Der Mahler hat den Koͤpfen und Stellungen das
Liebliche des Correggio zu geben geſucht, aber es iſt
zur Affektation geworden. Die Zeichnung iſt nicht
Zweiter Theil. Fganz
[82]Pallaſt Colonna.
ganz correkt; die Gewaͤnder ſind von ſchlechter Wahl;
die Schatten haben nachgeſchwaͤrzt.
† Vertreibung Adams und Evas aus
dem Paradieſe vom Domenichino. Der Ge-
danke iſt vortrefflich, obgleich in Anſehung der
Gruppe Gottes des Vaters zum Theil vom Michael
Angelo entlehnet. Die Figuren unſerer erſten El-
tern ſind voll Ausdruck. Der Faͤrbung fehlt es an
Harmonie.
Cimon im Anſchauen ſchlafender Nym-
phen verlohren, ein Gemaͤhlde des Nicolaus
Pouſſin, in der Zeit, als er den Tizian nachzuah-
men ſuchte. Man hat aber gleiche Muͤhe, das
Vorbild und den Nachahmer zu erkennen.
Opfer Caͤſars von Carlo Maratti. For-
tuna bringt ihm eine Krone. Gedanke und Aus-
druck ſind verfehlt, auch mangelt es an Harmonie.
Die Stellungen ſind uͤbertrieben. Die Anordnung
in Ruͤckſicht auf die gute Form der Gruppen, iſt
allein der Aufmerkſamkeit des Kenners werth.
Eine Heilige, die bei einem Grabe geſtei-
niget wird.
David mit dem Goliathskopfe in Beglei-
tung der Weiber, die ſeinen Sieg beſingen.
Beide vom Guercino aus ſeiner rothen Manier.
Die Schatten ſind uͤbertrieben. Uebrigens iſt die
Faͤrbung kraͤftig, und die Figuren treten gut hervor.
Magdalena im Hauſe des Phariſaͤers vom
Baſſano. Man ſehe nur das Fleiſch des Halſes
und der Schulter der Magdalena, fuͤr das Uebrige
kann man blind ſeyn.
Der
[83]Pallaſt Colonna.
Der heilige Johannes in der Wuͤſten,
voͤllig nackt, von Salvator Roſa. Wahr-
ſcheinlich hat der Prinz Colonna uͤber den heiligen
Johannes des Salvator Roſa gedacht, wie die
Magd beim Moliere uͤber den Tartuͤff: Ich koͤnnte
ſie nackt wie die Hand ſehen, und ſie wuͤrden mich
nicht reizen. Denn er hat die Bloͤße dieſer Figur
nicht bedecken laſſen. Zum Beſten der Kunſt waͤre
die Bekleidung dieſer ekelhaften Bloͤße ſtatt der des
Buſens der vorhin angezeigten Venus zu wuͤnſchen
geweſen. Bilder von der Groͤße des gegenwaͤrtigen
ſind von dieſem Meiſter rar. Dies iſt ſein groͤßtes
Verdienſt.
Eben dieſes kann man von einem andern
Bilde eben dieſes Meiſters ſagen, das den hei-
ligen Johannes in der Wuͤſte predigend vor-
ſtellt. Die Figuren auf ſelbigem gleichen einem
Haufen von Lazaroni.
† Die Mutter Gottes mit dem todtenMutter Got-
tes mit dem
todten Chriſt
vom Guerci-
no.
Chriſt, eins der ſchoͤnſten Bilder des Guercino,
obgleich die Zuſammenſetzung ſich nicht ganz rechtfer-
tigen laͤßt. Der Leichnam Chriſti iſt ſitzend auf ſei-
nem Grabſteine abgebildet. Dieſe Stellung, die
an und fuͤr ſich ſelbſt etwas Steifes hat, iſt uͤberher
einem todten Koͤrper unnatuͤrlich oder wenigſtens un-
gewoͤhnlich. Die Mutter außer ſich vor Schmerz,
ſtuͤrzt auf ihren Sohn zu, gleichſam als wollte ſie
auf ihn fallen. So wahr dieſer Ausdruck des hoͤch-
ſten Schmerzens und muͤtterlicher Innbrunſt iſt, er
enthaͤlt eine ſichtbare Unwahrſcheinlichkeit; und ein
Koͤrper, den wir immer außer dem Gleichgewichte
F 2ſehen,
[84]Pallaſt Colonna.
ſehen, iſt fuͤr die Kunſt eben ſo wenig ein ſchicklicher
Gegenſtand, als ein ganz unbeweglicher ſteifer Leich-
nam. Dies abgerechnet, iſt der Ausdruck edel,
ſchoͤn und ergreifend wahr. Die Faͤrbung iſt aus
der ſchoͤnſten Zeit dieſes Meiſters, und die Figuren
heben ſich hoch vom Grunde ab.
Hagar mit dem Engel und die Samarite-
rin, zwei Gemaͤhlde des Mola.
Zwei Bildniſſe auf einem Gemaͤhlde vom
Tintoret. Voll geiſtreicher Behandlung, aber
nicht ohne Incorrektionen.
Eine Bamboſchade von Rubens. Sie iſt
von ihm, aber eins ſeiner ſchwaͤchſten Bilder. An-
dere nennen Jordaens als den Meiſter.
Eine Heilige, die das heil. Abendmahl
aus den Haͤnden der Engel empfaͤngt von Carlo
Maratti. Die Koͤpfe des Engels und der Heiligen
haben eine gewiſſe Lieblichkeit ohne Bedeutung. Die
Sucht, die Figuren in ihrer Stellung, und ihre ein-
zelnen Gliedmaßen in ihrer Lage unter einander, recht
abwechſelnd zu machen, — das ſogenannte Contra-
poſto der Italiener — hat den Meiſter zu den un-
natuͤrlichſten und gezwungenſten Drehungen verleitet.
Ein heiliger Franciscus vom Muziano.
Eben dieſer Heilige vom Guido.
Die Mahlerei und die Bildhauerkunſt vom
Guercino. Sehr verdorben.
Einige Koͤpfe von Maͤnnern und Wei-
bern auf demſelben Gemaͤhlde, aus der Vene-
tianiſchen Schule.
Die Himmelfahrt Mariaͤ. Man ſchreibt
ſie dem Rubens auch dem Vandyck zu, wahrſchein-
lich
[85]Pallaſt Colonna.
lich aber iſt dies Bild eine Copie; die Farbe faͤllt zu
ſehr ins Graue.
† Eine Flucht nach Aegypten vom Guido.
Ein aͤhnliches Bild findet ſich zu Neapel in der Kirche
des heiligen Philippus Neri. Das Bild iſt vortreff-
lich gedacht. Vielleicht wuͤrden wir die Stellung
der Maria, in der ſie den Schleier uͤber ihr Kind
zieht, gezwungen finden, wenn dieſe Handlung nicht
einen gluͤcklichen Streifſchatten hervorbraͤchte. Der
Kopf der Madonna iſt ohne Ausdruck. Deſto ſchoͤ-
ner iſt der Kopf des heiligen Joſephs, und aͤußerſt
reizend der Engel, welcher der Jungfrau eine Blume
darbietet. In den Gewaͤndern iſt zu viel Aengſt-
lichkeit. Die Faͤrbung iſt aus ſeiner erſten Zeit, und
faͤllt ins Schwarze. Das Bild hat ſehr gelitten.
Die Wuͤrkung des Helldunklen muß vortrefflich ge-
weſen ſeyn. Man ſieht noch jetzt, wie weiſe Licht
und Schatten vertheilt ſind.
Theil der Gallerie, der durch Stu-
fen abgeſondert iſt.
† Hart am Fenſter einEcce Homo vonEcce Ho-
mo: das be-
ſte Gemaͤhl-
de des Cor-
reggio in
Rom.
Correggio. Halbe Figuren. Ueber die Origina-
litaͤt iſt kein Zweifel. Auguſtino Carraccio hat es
unter ſeinem Nahmen geſtochen.
Man kann die Zuſammenſetzung dieſes Gemaͤhl-
des nicht als Muſter anpreiſen. Pilatus lehnt ſich
zum Fenſter heraus, und zeigt den Chriſt, der unten
ſteht. Die Madonna faͤllt in Ohnmacht, und der
heilige Johannes empfaͤngt ſie in ſeine Arme. Ein
F 3Soldat
[86]Pallaſt Colonna.
Soldat ſteht in der Ecke. Die Figuren ſind nicht
gut gruppirt, und zu einzeln hingeſtellt. Der Chriſt
hat den Ausdruck eines Mannes, deſſen Schoͤnheit,
die jedoch in ihrer Bluͤthe nie zum Ideal erhoben ge-
weſen ſeyn kann, durch koͤrperlichen Schmerz und
Krankheit gewelkt iſt, und blos mit ſeinem eigenen
Leiden beſchaͤfftiget, ſieht er nicht auf ſeine Mutter,
die in Ohnmacht faͤllt. Dieſe hingegen zeigt durch
Mine und Stellung ſehr wohl den Schmerz, der ihr
das Herz abdruͤckt.
Es hat dem Mahler an Platz zur Anordnung
ſeiner Figuren gefehlt, daher ſind die Figuren ſo wun-
derlich geſtellt daß die Haͤnde der Madonna ſogar
auf einen Tiſch gelegt ſind. Ein ſehr ungluͤcklicher
Gedanke! Der heilige Johannes betrachtet die Mut-
ter Gottes nicht mit der Theilnehmung des Mitleids,
ſondern mit dem Entzuͤcken eines Liebhabers. Der
Kopf des Pilatus iſt ſchoͤn, und die Hand, womit
er den Chriſt zeigt, von trefflicher Verkuͤrzung.
Auch iſt der Kopf des Soldaten gut. Die Zeich-
nung im Ganzen iſt nicht uͤbel, aber die Haͤnde des
Chriſts ſind zu ſteif.
Die Farbe hat ſehr gelitten, ſie faͤllt etwas ins
Braune, und iſt aus des Meiſters erſter Zeit.
Dem ohngeachtet iſt ſie voll ſchoͤner Tinten. Der
Hauptvorzug dieſes Gemaͤhldes beſteht in der ſchoͤ-
nen Ruͤndung. Die Figuren heben ſich hoch von der
Flaͤche ab.
Dies Bild iſt das beſte Werk des Correggio in
Rom: allein zur Kenntniß des Werths dieſes
großen Kuͤnſtlers bei weitem nicht hinreichend.
Hierzu
[87]Pallaſt Colonna.
Hierzu wird eine Reiſe nach Parma oder Dresden
erfordert.
Antonio di Allegris ward zu Correggio imBemerkun-
gen uͤber den
Correggio.
Modeneſiſchen 1484 gebohren. Der Nahme ſeiner
Vaterſtadt ward die Bezeichnung des vorzuͤglichen
Talents, das ſie hervorgebracht hatte. Er ſtarb
wahrſcheinlich 1534.
Wie ſoll ich mir den Charakter des Mahlers
denken, deſſen Werke den allgemeinſten Anſpruch
auf den Beifall der Kenner, und zugleich des unge-
lehrten Haufens haben? Deſſen Werke beim erſten
Anblick anziehen, und ſich am haͤufigſten der Erin-
nerung ungerufen wieder darſtellen?
Ich denke ihn mir mit der gutherzigen Unbefan-
genheit des gluͤcklichen Alters, das nur von dem
Schein der Dinge geruͤhrt wird: mit einem Herzen,
das nur fuͤr ſanfte Eindruͤcke Sinn hat, und mit einer
Gleichheit des Humors, die durch keine heftige Er-
ſchuͤtterungen von Freude und Traurigkeit unterbro-
chen, auf die Unterſcheidungszeichen der Dinge, die
ſie umgeben, nur in ſo fern achtet, als ihre Geſtal-
ten ſie angenehm afficiren.
Iſt meine Vermuthung wahr, ſo muß Correg-
gio einer der gluͤcklichſten Menſchen geweſen ſeyn:
gluͤcklich durch eine Einbildungskraft, die ihm wa-
chend Bilder zufuͤhrte, wie man ſie getaͤuſcht von
Morgentraͤumen eines geſunden Schlafes ſieht, lieb-
lich aber ohne hohe Bedeutung; oder gluͤcklich durch
die fortdauernde Stimmung, die wir uͤbergehend
an denen bemerken, welche die Wuͤrkung des Weins
in wohlthaͤtiger Maaße empfinden: In ihrer Sorglo-
F 4ſigkeit
[88]Pallaſt Colonna.
ſigkeit gleiten dieſe uͤber die Oberflaͤche der Dinge weg,
ohne ihr Weſen zu durchdringen, ihr Herz wird offen,
zutraulich, verbindet ſich genau mit dem Gegenwaͤr-
tigen, ihr Auge ſieht die Umriſſe, die Farbe, das
Licht und den Schatten ohne genaue Beſtimmung des
Einzelnen in einander fließen, und druͤckt ſich ihrer
Seele mit dem Reize einer entkoͤrperten Erſchei-
nung ein.
Iſt die Mahlerei ein Schein; liefert ſie die Ge-
ſtalten nur wie ſie in einer gewiſſen Entfernung geſehen
werden, in der wir uͤber Richtigkeit der Umriſſe,
uͤber Wahrheit einzelner Tinten nicht mehr im Stande
ſind, zu urtheilen; wo lauter Maſſen von Farben,
Maſſen von Licht und Schatten uns das Erkenntniß
der Wuͤrklichkeit der Gegenſtaͤnde außer uns geben:
ſo hat Correggio die Geheimniſſe dieſer Kunſt beſſer
als jeder andere verſtanden.
Dieſes Talent, die ſichtbaren Gegenſtaͤnde in
einer gewiſſen Entfernung mit einer ergreifenden
Wuͤrklichkeit darzuſtellen, die kein anderer Kuͤnſtler
in dem Grade erreicht hat, iſt es, welches nebſt dem
Ausdruck einer gefaͤlligen Grazie dem Correggio die
Bewunderung der Kenner zugezogen hat. Weniger
wahr als Tizian in Darſtellung des Koͤrperlichen;
weniger wahr als Raphael in Darſtellung der Seele;
ſchoͤner als jener, oft gefaͤlliger als beide, hat er den
Erſcheinungen, die er hinzauberte, einen Reiz zu ge-
ben gewußt, den wir fuͤr alle das Vergnuͤgen nicht
hingeben wuͤrden, das bei naͤherer Unterſuchung des
Wahren und Bedeutungsvollen auf die Seite ſeiner
Nebenbuhler tritt.
Man
[89]Pallaſt Colonna.
Man ſtreitet von beiden Seiten mit guten Gruͤn-
den uͤber die Frage: ob Correggio ſeine Talente allein
der Natur, oder zu gleicher Zeit einer gebildeten Er-
ziehung, und der Kenntniß der Werke ſeiner Vor-
gaͤnger in neueren Zeiten, und der Antike zu danken
gehabt habe?
Diejenigen, die dies leugnen, ſetzen ihn in die
niedrigſte Claſſe des Poͤbels, und behaupten, daß
er unter der Sorge fuͤr die nothduͤrftigſten Beduͤrf-
niſſe des Lebens erlegen ſey. Die andern machen ihn
zu einem wohlhabenden Mann von der beſten Abkunft,
und ſpuͤren in jedem Zuge ſeines Pinſels ein Vorbild
aus aͤlteren Kunſtwerken auf. Man geht auf beiden
Seiten zu weit. Es ſcheint kaum wahrſcheinlich,
daß ein Mann, der von Kindheit an gegen Elend
angekaͤmpft hat, das feine Empfindniß heiterer
Schoͤnheit habe bewahren koͤnnen, das ſeine Werke
auszeichnet. Ohnſtreitig trifft man in den Werken
des Andrea Mantegna, ſeines Zeitgenoſſen und
wahrſcheinlich ſeines Lehrers, jene Spuren des Re-
flexes an, die er nachher bis zur hoͤchſten Vollkom-
menheit ausgebildet hat; in den Werken des Leonardo
da Vinci jene Idee von Grazie, der er das Gezwun-
gene zu benehmen wußte; und in der Antike jene
Groͤße der Formen, die er in ſeine Koͤpfe uͤbertrug,
wenn er ſie gleich durch einen Zuſatz uͤbertriebener Ge-
faͤlligkeit oft wieder verkleinert hat.
Allein dieſe Wegweiſer haben ſeinem Geſchmack
nur von weitem Richtung gegeben. Er ſcheint ihre
Vorzuͤge dunkel und im Allgemeinen empfunden, und
mit Huͤlfe der ihm eigenen Perceptionsart in die
F 5Erfah-
[90]Pallaſt Colonna.
Erfahrungen uͤbertragen zu haben, die er aus der
Natur entlehnte.
Er nahm alſo ſeine Formen aus der Natur,
die ihm ſein Vaterland zeigte, aber er gab ſie mit
einem Zuſatz ſeiner Einbildungskraft wieder: ſo wie
der Weinſtock, den man aus noͤrdlichen Laͤndern
nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte
Fruͤchte traͤgt.
Correggio verdient nicht als Muſter fuͤr dichteri-
che Empfindung aufgeſtellt zu werden. Er arbeitete
fuͤr Kloͤſter und Kirchen. Die Suͤjets wurden ihm
aufgegeben: mehreſtentheils waren es Verſammlun-
gen von Heiligen.
Der Ausdruck, der ihm am beſten gluͤckte, war
der einer heiteren Ruhe und gefaͤlliger Froͤhlichkeit.
Zu dem Ausdruck ſtarker Leidenſchaft ſcheint ſein Pin-
ſel weniger geſchickt geweſen zu ſeyn, nach den weni-
gen Verſuchen dieſer Art zu urtheilen, die uns von
dieſem Meiſter uͤbrig ſind. Seine Grazie hat hin
und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An-
maaßung, gefallen zu wollen.
Von ſeiner Anordnung der Figuren, oder von
der eigentlichen mahleriſchen Erfindung will ich
ganz zuletzt reden, wenn ich von ſeinem Hauptver-
dienſt: dem Helldunkeln, werde geſprochen haben.
Jugendliche Figuren, vorzuͤglich Engel, ſind
ſeine ſchoͤnſten: Man erkennt ſeine Weiber an den
großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augaͤpfeln
wieder, an einer etwas breiten ſenkrechten Naſe, und
an dem Munde, der zum Laͤcheln gezogen iſt. Den
Figuren der Gottheit gab er eine gewiſſe idealiſche
Schoͤn-
[91]Pallaſt Colonna.
Schoͤnheit, die inzwiſchen mehr den Ausdruck ſchwa-
cher Guͤte als der Majeſtaͤt an ſich traͤgt. In der
Darſtellung des reifen Alters, der Helden, der Cha-
raktere, die Seelengroͤße und Hoheit vorausſetzen,
ſcheint er nicht ſeine Staͤrke gehabt zu haben.
Correggio hatte den Grundſatz, ſeine Gegen-
ſtaͤnde ſo darzuſtellen, wie man ſie aus einiger Ent-
fernung erblickt. Die Umriſſe wurden alſo nicht
ſcharf angedeutet, ſondern floſſen mit der Luft mit
dem Grunde zuſammen. Was dadurch an Weich-
heit und Lieblichkeit auf der einen Seite gewonnen
wurde, das gieng auf der andern an Beſtimmtheit
und zuweilen ſelbſt an Richtigkeit verlohren. Seine
Linien ſind alle ausgeſchweift und ſchlaͤngelnd. In
Verkuͤrzungen war er außerordentlich: er war der
erſte, der ſie in Deckenſtuͤcken einfuͤhrte: Bei der
Wahl ſeines Faltenſchlags dachte er hauptſaͤchlich dar-
auf, große Maſſen auszufinden, die faͤhig waͤren,
das Licht und den Schatten zuſammen zu halten:
Die Andeutung des Nackenden ward daruͤber oft aus
den Augen geſetzt.
So bald ich das Colorit des Correggio in einzel-
nen Theilen ſeiner Gemaͤhlde unterſuche, ſo iſt es
unwahr. In der Carnation ſind die Lichter weißer
an den weiblichen, gelber an den maͤnnlichen Figu-
ren, als die Wahrheit des Fleiſches es zulaͤßt.
Seine Halbſchatten beſtehen aus einer gruͤnlichen
Lage, die, ſo gefaͤllig ſie iſt, doch ſo rein und un-
gemiſcht in der Natur nicht angetroffen wird.
Seine Schatten ſind zu braun.
Wenn man aber die Farbe ſeiner Gemaͤhlde mit
der Farbe vergleicht, welche den Gegenſtaͤnden eigen
iſt,
[92]Pallaſt Colonna.
iſt, die in einer gewiſſen Entfernung geſehen werden,
ſo erhaͤlt ſie einen groͤßern Schein von Wahrheit.
Sie wird naͤmlich ſo wahr, als ſie ſeyn muß, um
die Wuͤrkung des Helldunkeln oder der harmoniſchen
Abwechſelung heller und dunkler Partien hervorzu-
bringen, aber nicht wahr genung, um das Gefuͤhl
der wuͤrklichen Farbe bei naͤherer Unterſuchung in der
Maaße wie Tizian zu erwecken.
Helldunkeln:
Verſch ie den-
heit deſſelben
von Colorit,
Ruͤndung,
Beleuchtung,
und willkuͤhr-
lichem Spiel
heller und
dunkler Par-
tien.
Correggio iſt der erſte geweſen, der den Zauber
des Helldunkeln in ſeinen Gemaͤhlden gezeigt hat:
Viele nach ihm haben ſeine Grundſaͤtze befolgt, und
zum Theil was die Vertheilung heller und dunkler
Partien ohne Ruͤckſicht auf Wahrheit der Farbe
anbetrifft, mit eben ſo vielem Gluͤck als er. Nur
darin hat er einen von allen ſeinen Nachfolgern
noch nicht erreichten Vorzug, daß er dieſe hellen,
dieſe dunklen Partien durch Farben ausgetheilet hat,
die kein anderer Beleuchter ſo lieblich und der Natur
ſo nahe tretend zu miſchen wußte.
Nichts hat mir bei dem Studio der Kunſt mehr
Muͤhe gemacht, als den Unterſchied eines vollkom-
menen Colorits und eines vollkommenen Helldunklen
zu begreifen, und noch ſchwerer wird es mir, ihn
andern begreiflich zu machen. Alle Kunſtbuͤcher,
ſelbſt Mengs nicht ausgenommen, laſſen hier viel
Schwankendes und Unbeſtimmtes in den Begriffen,
die ſie mit den Woͤrtern: Farbengebung, Colorit
Beleuchtung und Helldunkles verbinden. In der
That fließen auch dieſe Begriffe in dem einzigen eines
vollkommenen Mahlers zuſammen. Wenn wir aber
die Theile der Mahlerei nach den Vorzuͤgen beſtim-
men,
[93]Pallaſt Colonna.
men, die große Meiſter getrennt von andern beſeſſen
haben, ſo ſind ſie verſchieden, und muͤſſen von mir
nothwendig abgeſondert werden, wenn ich nicht in
Lob und Tadel die groͤßte Unbeſtimmtheit bringen
will. Dieſe Unbeſtimmtheit aber hat die nachthei-
ligſten Folgen fuͤr unſere Art die Wahrheit der Nach-
ahmung zu beurtheilen. Wir finden in den meh-
reſten Kunſtbuͤchern einen Rembrandt, einen Ru-
bens, einen Andrea Sacchi als gute Coloriſten auf-
gefuͤhrt, ob ſie gleich bei Bekleidung der Gegenſtaͤnde
mit Farbe keinen andern Regeln als denen des Hell-
dunkeln und der Harmonie gefolget ſind: Man hat
wohl gar das Colorit eines Carravaggio geprieſen,
ob er gleich nur ſeine Koͤrper zu ruͤnden wußte.
Das Wort Farbengebung iſt ſeit einiger Zeit in
einem ſo weitlaͤuftigen Verſtande fuͤr die ganze Wuͤr-
kung, die durch den Auftrag der Farbe erreicht wird,
ja! ſogar fuͤr Behandlung der Farbe genommen
worden, daß man Gefahr laͤuft ſich gar nicht mehr
zu verſtehen, wo man es braucht. Ich will daher
lieber das Wort Colorit durch Faͤrbung, Farbenmi-
ſchung geben, oder das auslaͤndiſche Wort Colorit
ſelbſt beibehalten, da es ohnehin laͤngſt das Buͤrger-
recht bei uns erhalten hat.
Colorit alſo: Bekleidung eines Gegenſtandes
mit der Farbe, die ihn von andern ſichtbaren Gegen-
ſtaͤnden in der Natur unterſcheidet, iſt vom Hell-
dunkeln, von der Vertheilung heller und dunkler Par-
tien durch Wahl der Farben und Beleuchtung nach
weiſen Grundſaͤtzen weſentlich verſchieden. Die Ver-
wechſelung beider Begriffe hat einen doppelten Grund.
Helle
[94]Pallaſt Colonna.
Helle und dunkle Partien werden in einem Gemaͤhlde
durch Anwendung von Koͤrpern, die ihrer Farbe
nach des Eindrucks des Lichts mehr oder weniger
faͤhig ſind, oft allein gebildet, und immer ſehr unter-
ſtuͤtzt. Ihre Auswahl zur Hervorbringung des
Helldunkeln ſetzt Kenntniß ihrer Eigenſchaften in
Ruͤckſicht auf Farbe zum Voraus. Man hat eines
der Huͤlfsmittel, deren ſich die Mahlerei bedient,
helle und dunkle Partien in einem Gemaͤhlde erſchei-
nen zu laſſen, fuͤr den Zweck ſelbſt genommen, ohne
zu bedenken, daß auch ungefaͤrbte Zeichnungen, Ku-
pferſtiche, der Wuͤrkung des Helldunkeln faͤhig ſind,
ob ſie gleich der Farben ganz entbehren.
Auf der andern Seite iſt die Beobachtung der
Veraͤnderung, die der Zufluß von Licht auf die Farbe
eines Koͤrpers hervorbringt, ein nothwendiger Theil
des Colorits, um runde Koͤrper auf einer Flaͤche er-
hoben erſcheinen zu laſſen: Denn das Zuruͤckweichen
der Theile, die ſich vom Auge entfernen, wird haupt-
ſaͤchlich durch Abſchwaͤchung des zuſtroͤmenden Lichts
ausgedruͤckt. Dieſe Veraͤnderung in dem Zufluß
des Lichts, wodurch helle und dunkle Partien ent-
ſtehen, die man eigentlich nur Ruͤndung nennen ſollte,
hat man mit dem Helldunkeln verwechſelt. Und
nur zu oft verſteht man unter dieſem letzten Ausdrucke
weiter nichts als den Contraſt von Licht und Schat-
ten, wodurch flache Theile als erhoben erſcheinen.
Freilich kann ohne dieſe Ruͤndung der Mahler nicht
mahlen, aber auch der Kupferſtecher kann ohne ſie
nicht in Kupfer ſtechen, und beide koͤnnen gut ruͤnden,
ohne das Helldunkle zu verſtehen, d. i. die Veraͤn-
derung des Hellen zum Dunkeln, die der Zufluß des
Lichts
[95]Pallaſt Colonna.
Lichts auf einen Koͤrper hervorbringt, ausdruͤcken,
ohne die Abwechſelung, die dadurch entſteht, nach
kluger Einſicht ihrer Wuͤrkung im Ganzen aus-
zutheilen.
Um die Verſchiedenheit des Colorits von der
Abwechſelung heller und dunkler Partien, wie ſie
durch die eigentliche Ruͤndung entſteht, und den Ab-
ſtand dieſer Ruͤndung von der weiſen Vertheilung
heller und dunkler Partien in einem Gemaͤhlde, (von
dem eigentlichen Helldunkeln,) beſſer zu unterſchei-
den, bitte ich um einige Aufmerkſamkeit auf folgende
Bemerkungen.
Der Italieniſche Nahme Chiaro oscuro,
von dem das franzoͤſiſche Clair obſcur und unſer
deutſches Helldunkle herſtammt, bedeutete urſpruͤng-
lich Gemaͤhlde aus einer Farbe, deren hellere Mi-
ſchung Chiaro, das Licht, die dunklere oscuro,
den Schatten anzeigt: Der Zuſatz von Weiß und
Schwarz liefert in Gemaͤhlden aus einer Farbe die
nothwendigen Miſchungen, um die zur Ruͤndung er-
forderliche Degradation des Lichts zum Schatten,
mithin auch die daraus entſtehende Abwechſelung hel-
ler und dunkler Theile, auszudruͤcken. In vielfar-
bigen Gemaͤhlden kann man die Ruͤndung auch durch
andere Miſchungen begreiflich machen. Nicht blos
der Zuſatz von Weiß und Schwarz macht einen
gewiſſen Theil hervorragend oder zuruͤckweichend, d. i.
hell oder dunkel, ſondern die reinen Farben tragen
auch die urſpruͤngliche Verſchiedenheit an ſich, das
Auge bald mehr bald weniger anzuziehen, je nach-
dem ſie durch ihre lockere oder dichtere Conſiſtenz
mehr
[96]Pallaſt Colonna.
mehr oder weniger Lichtſtrahlen auffangen. Zum
Beiſpiel, das Gelbe zieht das Auge mehr an als
das Blaue, das Rothe mehr als das Dunkelvio-
lette u. ſ. w.
Nun nehme man den Fall an: Jemand wollte
ein Geſicht mit lauter gelben, rothen, blauen und
dunkelvioletten Farben bedecken: Waͤre es unmoͤg-
lich, Ruͤndung damit hervorzubringen? Gewiß
nicht. Das Gelbe wuͤrde die erhobenſten, das
Blaue die zuruͤckweichendern, und das Dunkelviolette
diejenigen Theile andeuten, die ſich im Schatten
verlieren; das Rothe koͤnnte zum Reflex dienen.
Ein ſolches Colorit koͤnnte noch ſo unwahr ſeyn, es
wuͤrde dem ohngeachtet alle Vorzuͤge der Ruͤndung,
ſelbſt des Helldunkeln, haben. In der That, un-
ſere neuere Fechtelmahlerei beruhet auf keinen andern
Grundſaͤtzen, und in einem weniger auffallenden
Grade hat das an ſich conventionelle Colorit der
Niederlaͤnder kein anderes Verdienſt. Abwechſelung
heller und dunkler Partien, welche die Ruͤndung
der Flaͤche hervorbringt, und von dieſer wieder her-
vorgebracht wird, iſt alſo von der Wahrheit des
Colorits noch weſentlich unterſchieden.
Aber ſelbſt eine vortrefflich colorirte Figur, eine
Figur, die mit lauter wahren Farben das Erhobene
und das Zuruͤckweichende, Licht und Schatten, mit
einem Worte Ruͤndung darſtellte, wuͤrde darum
noch keinen Anſpruch auf die Wuͤrkung machen koͤn-
nen, die eine weiſe Vertheilung heller und dunkler
Partien in merklicher Abwechſelung und Vereini-
gung zu einem beleuchteten Ganzen hervorbringt.
Ein
[97]Pallaſt Colonna.
Ein gutes Colorit erfordert Ruͤndung, aber Ruͤn-
dung iſt hier nur Ingredienz der Wahrheit, nicht
Folge einer weiſen Auswahl desjenigen, was ich dem
Auge naͤher zu ruͤcken, was ich dem Auge entziehen
zu muͤſſen glaube. Tizians Werke ſind immer mit
wahren Farben geruͤndet, ſelten aber ſind die ver-
ſchiedenen geruͤndeten Koͤrper ſo zuſammengeſtellt,
daß ſie eine von der Wuͤrkung des Hervorragens von
der Flaͤche independente Wuͤrkung der Einheit und
der Mannichfaltigkeit in hellen und dunkleren Par-
tien, mit einem Worte, des Helldunkeln her-
vorbringen.
Dagegen haben die Kuͤnſtler unter des Correggio
Fahne bemerkt, daß in demjenigen, was urſpruͤng-
lich Behelf der Kunſt, Beduͤrfniß der Wahrheit
war, im Grunde eine Quelle neuer Schoͤnheiten
liege: daß die poetiſche und mahleriſche Wuͤrkung
aus der weiſen Vertheilung heller und dunkler
Partien wahren und weſentlichen Vortheil ziehen
koͤnne.
Denn um einer Flaͤche nunmehro die gehoͤrige
Abwechſelung in Einheit zu geben, die ſie zu einem
ſchoͤnen Ganzen macht, haben jene Meiſter ſich nicht
blos genuͤgen laſſen, die Koͤrper einzeln zu ruͤnden,
ſondern dieſe geruͤndeten Koͤrper nun auch, je nach-
dem jeder durch ſeine Farbe mehr oder weniger Licht-
ſtrahlen aufzufangen im Stande war, in ſchicklicher
Verbindung des Hellen und Dunkeln mit einander
abwechſeln laſſen. Hier iſt Wahl. Denn man
kann zwei ſchwarze Koͤrper neben einander geſtellt
ſehr wohl als runde Koͤrper erſcheinen laſſen, nur
Zweiter Theil. Gdie
[98]Pallaſt Colonna.
die Forderung des Geſchmacks laͤßt dieſes nicht wohl
zu: es faͤllt nicht ſo gut ins Auge.
Weiter: Der Kuͤnſtler, der auf einer Flaͤche
arbeitet, nimmt die Quelle de Lichts, womit er ſeine
Figuren von dem Grunde abhebt, nicht außer dem
Gemaͤhlde, ſondern in demſelben an: es ſey die
Helle des Tages, das Licht des Mondes, das Leuch-
ten einer Flamme, der Wiederſchein erleuchteter
Koͤrper auf andere u. ſ. w.
Ein Gemaͤhlde iſt wie ein Theater anzuſehen,
auf welches der Zuſchauer aus einem dunkeln Orte
hinblickt, mithin das Licht nicht auffangen kann,
wie er will, ſondern ſo nehmen muß, wie es ihm der
Decorateur von ſeinen angebrachten Laͤmpchen auf die
vorgeſtellten Gegenſtaͤnde fallen laͤßt. Dieſes Licht
alſo kann der Kuͤnſtler nach Gefallen leiten: bald
es hemmen, indem er gewiſſe Koͤrper vorruͤckt, bald
zuſtroͤmen laſſen, indem er andere Koͤrper wegraͤumt.
Hier iſt wieder Wahl, nicht blos Beduͤrfniß der
Wahrheit. Der Held kann auch im Schatten ge-
ruͤndet ſeyn, ſich vom Grunde abheben, aber wir
ſehen ihn lieber im Lichte, darum leitet der Kuͤnſtler
daſſelbe dahin. Dies heißt im eigentlichſten Ver-
ſtande Beleuchtung.
Dieſer beiden Mittel, der Wahl unter hervor-
tretenden und zuruͤckweichenden Farben, und der
Leitung des zufallenden Lichtes, bedient ſich nun der
Kuͤnſtler zum Wohlgefallen der innern und der aͤuſ-
ſeren Sinne helle Partien mit dunkeln abwechſeln,
und zu einem Ganzen ſich vereinigen zu laſſen: mit
einem Worte er unterſtuͤtzt durchs Helldunkle mah-
leriſche und poetiſche Wuͤrkung.
Will
[99]Pallaſt Colonna.
Will er die Aufmerkſamkeit des Zuſchauers auf
den intereſſanteſten Ausdruck richten, Hauptperſonen
hervorheben, Nebenperſonen zuruͤckhalten; er wird
helle Farben, hoͤheres Licht hieher bringen: So wird
das Helldunkle ein Theil der poetiſchen Erfindung.
Soll hingegen die mahleriſche Wuͤrkung dadurch ge-
winnen; er wird theils durch Wahl der Farben,
theils durch die Beleuchtung mehrere der Form ihrer
Umriſſe nach verſchiedene Koͤrper zu einer Maſſe, und
dieſe wieder zu einem Ganzen verbinden, das ſich
mit Leichtigkeit uͤberſehen laͤßt, ſich von ſelbſt ord-
net, und dem Auge bald Geſchaͤfftigkeit bald Ruhe
gewaͤhrt.
Oft macht die bloße willkuͤhrliche Abwechſelung
heller und dunkler Maſſen dem Auge Vergnuͤgen,
dies wird jedoch am vollſtaͤndigſten, wenn ſie mit
Wahrheit verbunden und von Weisheit geleitet iſt.
Auch der Kupferſtecher iſt nicht ganz des Huͤlfs-
mittels, durch die Abwechſelung der natuͤrlichen Far-
ben der Koͤrper helle und dunkle Partien zu bilden,
entbloͤßt. Die verſchiedene Form und Anzahl der
Schraffirungen vertritt bei ihm die Stelle der Farbe.
Und ſo waͤren wir denn auf den vollſtaͤndigen
Begriff des Geheimniſſes des Helldunkeln geleitet:
Es iſt weiſe Vertheilung heller und dunkler
Partien, nach weſentlicher Verſchiedenheit
der Farben der Koͤrper, in Ruͤckſicht auf
ihre Faͤhigkeit das Licht mehr oder minder auf-
zufangen, und der Maſſe von Licht, die der
Kuͤnſtler darauf zufließen laͤßt.
Wir werden nun auch die Verſchiedenheit fuͤhlen,
die zwiſchen Helldunkeln und Colorit, zwiſchen Hell-
G 2dunkeln
[100]Pallaſt Colonna.
dunkeln und Ruͤndung, zwiſchen Helldunkeln und
Beleuchtung eintritt. Ein gutes Colorit beſteht
nicht ohne Ruͤndung, aber es beſteht ohne Hell-
dunkles; dies zeigt Tizian. Ein gutes Helldunkle
beſteht ohne gutes Colorit; dies zeigen viele Kupfer-
ſtecher, dies zeigt beinahe die ganze niederlaͤndiſche
Schule. Ruͤndung iſt nur ein weſentliches Be-
ſtandtheil des Helldunkeln, Beleuchtung nur ein
Mittel es hervorzubringen; dies zeigen viele Ge-
maͤhlde, in denen blos die Wahl gewiſſer Farben die
Haltung unterbricht, z. E. das dunkelblaue Ge-
wand der Mnemoſyne in dem Parnaß von Mengs:
Endlich kann auch das bloße Spiel heller und dunkler
Partien, nicht fuͤr eine weiſe Vertheilung derſelben
gelten; dies zeigt die neuere Venetianiſche und Nea-
politaniſche Schule.
gios Staͤrke
im Helldun-
keln zu beur-
theilen iſt.
Wenn wir alſo unſern Correggio groß im Hell-
dunkeln nennen, ſo nehmen wir auf die Wahrheit
und Weisheit ſeiner Vertheilung heller und dunkler
Partien Ruͤckſicht: auf die Abwechſelung derſelben,
die er durch Wahl der Farben, durch Wahl der
Quellen und Gaͤnge des Lichts in ſeine Gemaͤhlde zu
bringen wußte, ohne der Harmonie zu ſchaden.
Weil das Auge Wahrheit liebt, ſo iſt der Urſprung
des Lichts, die Leitung deſſelben, immer in dem Ge-
maͤhlde deutlich motivirt: Weil das Auge das
Schoͤnſte am auffallendſten zu ſehen wuͤnſcht, ſo ſind
diejenigen Farben, die es am meiſten anziehen, da-
hin geſetzt, das hoͤchſte Licht dahin geleitet, wo er
jenes hinzulenken wuͤnſchte. (Schade! daß dies
oft mehr mit Ruͤckſicht auf blos mahleriſche als poeti-
ſche Schoͤnheit geſchehen iſt). Weil das Auge
Abwech-
[101]Pallaſt Colonna.
Abwechſelung liebt, ſo iſt das Helle mit dem Dun-
keln in Contraſt gebracht: Weil das Auge Ordnung
liebt, ſo iſt das Helle und Dunkle nicht zerſtreuet,
ſondern in leicht abzuſondernde groͤßere Maſſen ge-
bracht: Weil aber das Auge auch Uebereinſtimmung
liebt, und das Abſtechende, Schneidende haßt, ſo
ſind die Uebergaͤnge vom Hellen zum Dunkeln leicht,
allmaͤhlig fortſchreitend; und dies letzte Geheimniß
hat er noch mehr der Auswahl durch ſich ſelbſt hervor-
ſtechender und zuruͤckweichender Farben, als der Lei-
tung des Lichts zu verdanken. Correggio iſt aber
auch darum doppelt groß im Helldunkeln, weil er
zu gleicher Zeit im Colorit der Natur treuer geblieben
iſt, als alle andere Meiſter, die einer aͤhnlichen Wuͤr-
kung nachgeſtrebt haben. Ganz wahr iſt er nicht
geweſen, immer hat die Ruͤckſicht auf die Wuͤrkung,
welche die Tinte als helle oder dunkle Partie fuͤr das
Ganze hervorbringen wuͤrde, die Ruͤckſicht auf oͤrtliche
Wahrheit im Einzelnen, um etwas geſchwaͤcht.
Aber es fraͤgt ſich noch: ob bei weitlaͤuftigeren Com-
poſitionen die Wahrheit der Faͤrbung im Einzelnen,
mit der Wahrheit der Faͤrbung im Ganzen beſtehen
koͤnne?
Ich wuͤnſchte Zeit zu haben, auseinanderzuſetzen,Zweifel: ob
man in groͤſ-
ſeren Compo-
ſitionen ein
ganz wahres
Colorit beibe-
halten koͤnne?
warum ich nicht glaube, daß es fuͤr ſterbliche Kuͤnſt-
ler moͤglich ſey, ein ganz wahres Colorit mit einem
ſehr guten Helldunkeln, in einem Gemaͤhlde das
mehrere Figuren enthaͤlt, zu verbinden: warum dies,
außer in einzelnen Figuren, fuͤr Ton, Harmonie,
Haltung und Luftperſpektiv mit vielen Gefahren ver-
knuͤpft ſey: warum endlich Correggio, um Correg-
gio zu ſeyn, nicht wie Giorgione, Tizian, Vandyck
G 3und
[102]Pallaſt Colonna.
und Mengs habe coloriren koͤnnen. Doch fuͤr den
Liebhaber wuͤrde ich ſchwerlich verſtaͤndlich werden,
und fuͤr den Kuͤnſtler? dem muß man nichts ſagen,
was ihn abhalten koͤnnte, ſo wahr im Einzelnen zu
werden, als er es werden kann. Wer wie Tizian
colorirt, wird bei unſern groͤßern Kenntniſſen der-
jenigen Theile der Kunſt die groͤßere Gemaͤhlde zu ei-
nem gefaͤlligen Ganzen machen, dieſen leicht ſo viel
an Wahrheit aufopfern koͤnnen, als die Zuſammen-
ſtimmung erfordert.
Ueberhaupt verdanken wir dem Correggio Vie-
les von der Kenntniß der Theile der Mahlerei, welche
ein Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition zu einem
gefaͤlligen Ganzen machen. Unſtreitig hat er darin
den nachfolgenden Mahlern wenigſtens auf die erſte
Spur geholfen.
ſter Lehrer der
Gruppirung,
des Contra-
poſto, der Py-
ramidal-
gruppen.
Wenn er bei der Anordnung ſeiner Gemaͤhlde,
bei der Zuſammenſtellung ſeiner Figuren in Gruppen
zuerſt auf die Wuͤrkung des Helldunkeln Ruͤckſicht
nahm, ſo konnte dies doch nicht geſchehen, ohne daß
er auch zugleich den Umriß dieſer Gruppen beſorgt
haͤtte. Er mußte naͤmlich bald bemerken, daß ſolche
zuſammengeſtellte Figuren, wenn ſie ſich an Groͤße
und Stellung gleich waͤren, eine unangenehme Ein-
foͤrmigkeit hervorbringen wuͤrden. Er machte ſie da-
her an Groͤße verſchieden, ließ die Stellungen der
einzelnen Gliedmaaßen gegen einander abwechſeln,
und verband wieder das Ganze zu einer Form, deren
Grundflaͤche ſich unvermerkt gegen die Hoͤhe zu ver-
ſchmaͤlert, und deren aͤußerer Umriß das Auge von
einem Koͤrper zum andern fuͤhrt. Kurz! Correggio
ward
[103]Pallaſt Colonna.
ward auch Lehrer des Contrapoſto, der Pyramidal-
gruppen, und aller der Regeln, die man bei der
Gruppirung in Abſicht auf Form und Zeichnung auf
Koſten der Wahrheit und des Schicklichen in neueren
Zeiten uͤbertrieben hat.
Man lobt den Correggio oft des Schmelzes ſei-Schmelz der
Farben dieſes
Meiſters.
ner Farben wegen, und mit Recht. Unrecht aber
wuͤrde man haben, wenn man dieſes Lob blos von der
Behandlung des Pinſels, von dem Vertreiben der
Farben in einander verſtehen wollte. Sehr oft hat
er ſeine Tinten rein aufgeſetzt und ſtehen laſſen. Aber
er wußte ſie nach ihrer innern Uebereinſtimmung ſo
vortrefflich zu waͤhlen, daß in der einen immer der
Uebergang zu der andern liegt. Daraus entſtand
jene Vermaͤhlung aller zur Bedeckung der Tafel ge-
brauchten Farben, welche das Ganze wie den Guß
eines Spiegels, wie den Fluß des Emails erſcheinen
laͤßt. Dieſe Harmonie iſt es alſo, welche verbun-
den mit einer geſchickten Vertreibung der wohlge-
waͤhlten Farben in einander, den Schmelz, das
Ineinanderfließende der Farben des Correggio ſo be-
wundernswuͤrdig macht.
Man ſieht in dieſem Zimmer noch mehrere
Bildniſſe, die man dem Vandyck zuſchreibt.
Sie koͤnnen aus ſeiner Schule ſeyn. Einige ſind Co-
pien nach Venetianiſchen Meiſtern.
Eine Magdalena, die man dem Guido bei-
legt.
EinEcce Homo vom Albano. Eine Wie-
derholung des Gemaͤhldes im erſten Zimmer. Es
hat Vorzuͤge vor jenem.
G 4† Eine
[104]Pallaſt Colonna.
Chriſti von
Guercino.
† Eine Grablegung Chriſti. Vielleicht
die ſchoͤnſte Compoſition, die jemals dem Guercino
gegluͤckt iſt. Der Mahler hat den Augenblick ge-
waͤhlt, in dem der Chriſt ins Grab gelegt wird.
Joſeph von Arimathia haͤlt ihn bei den Fuͤßen, und
der heilige Johannes umfaßt ihn von hinten zu.
Zwiſchen dieſen beiden Maͤnnern ſteht die Mutter
Gottes. Halb bedeckt ſie ihr Geſicht, und wagt
kaum, den letzten Blick auf den Liebling ihrer Seele
zu werfen, den die Erde nun bald umſchließen wird.
Magdalena hebt ihre Augen in Thraͤnen gebadet zum
Himmel.
Die Anordnung iſt weiſe und der Handlung an-
gemeſſen: Aber der Ausdruck iſt der vorzuͤglichſte
Theil in dieſem Gemaͤhlde. Der Chriſt hat zwar
nicht die Hoheit eines Gottes, aber die Mine, die
er noch im Tode beibehaͤlt, zeigt den ſanften Schlum-
mer des Gerechten. Welche Miſchung von Trau-
rigkeit und Ehrfurcht herrſcht auf dem Geſichte des
heiligen Johannes! Er ſcheint den Ausbruch ſeines
Schmerzes zuruͤck zu halten, bis er ſich dieſer letzten
Liebespflicht gegen ſeinen Freund und Lehrer entlediget
haben wird. In dem Joſeph von Arimathia be-
merkt man einen Zug von Gutherzigkeit, der ſich in
der Sorgſamkeit aͤußert, mit der er ſeinen Herrn
ſanft zur Ruhe legen will. Die Mutter Gottes iſt
trefflich gedacht und ausgefuͤhret. Schuͤchtern blickt
ſie auf den Chriſt, indem ſie ihr Geſicht halb aus den
davor gelegten Haͤnden herauszieht. Die Magda-
lena iſt eins von den gewoͤhnlichen Geſichtern des
Guercino. Sie hat den naiven Ausdruck des
Schmerzes einer huͤbſchen Baͤurin. Die Faͤr-
bung
[105]Pallaſt Colonna.
bung iſt aus ſeiner beſten Zeit. Das Helldunkle
pikant. Ich leugne es nicht, es iſt mir das liebſte
Gemaͤhlde in der Gallerie.
† Der Tod des Regulus. Eine biſarre
Compoſition des Salvator Roſa. Regulus ſteckt
ſchon in der Tonne. Man entdeckt nur noch den
hervorragenden Kopf. Die Carthaginenſer, wah-
rer Neapolitaniſcher Poͤbel, ſind beſchaͤfftigt, Naͤgel
in die Tonne zu ſchlagen. Die Anordnung, das
Helldunkle und die Behandlung verdienen uͤbrigens
Aufmerkſamkeit.
Man kann dies Bild als ein Beiſpiel einer ſchlech-
ten Wahl der Situation anfuͤhren, die eine Bege-
benheit zur ſichtbaren Darſtellung darbietet. Laͤßt
ſich aus der ganzen Geſchichte des Regulus ein Augen-
blick herauswaͤhlen, der aͤrmer an intereſſantem Aus-
druck waͤre, als dieſer?
Eine Schlacht des Bourgognone, und eine
Jagd, von demſelben. Man kann hier auf eine
bequeme Art den Salvator mit dem Bourgognone
vergleichen.
† Eine Aſſumption der Madonna vom
Lanfranco. Eins ſeiner beſten Werke. Man
ſieht ihm an, daß er den Correggio nachzuahmen
geſucht hat. Die Faͤrbung iſt zu grau.
Eine heilige Magdalena vom Guercino aus
ſeiner guten Zeit. Der Buſen im Halbſchatten iſt
vortrefflich. Der Ausdruck iſt nicht edel.
Eine heilige Familie von Andrea del Sarto.
Sie iſt von ihm, aber keins ſeiner beſten Werke.
G 5Eine
[106]Pallaſt Colonna.
Eine Sybille und ein heiliger Hieronymus
vom Guercino. Wahrſcheinlich Copien, ſo wie
eine andere heilige Magdalena, die man ihm gleich-
falls zuſchreibt.
Eine Frau mit ihrem Kinde und einige
andere Bildniſſe auf demſelben Gemaͤhlde.
Man ſchreibt es dem Mola zu. Es hat viel von
der Benetianiſchen Schule.
Eine heilige Familie von Salviati.
† Die Peſt von Nicolaus Pouſſin. Die
Wahl des Suͤjets iſt uͤberhaupt nicht gluͤcklich. Hier
Etwas uͤber die Art, wie er daſſelbe behandelt hat.
Die Scene geht in einer Straße vor, in der man
mehrere Tempel ſieht. In einem von dieſen be-
merkt man eine zerbrochene Statue, das Volk naͤhert
ſich derſelben in Haufen, wahrſcheinlich, weil ſie die-
ſem Zufall die Urſach des Ungluͤcks zuſchreiben, das
ſie heimſucht. Auf dem Vorgrunde ſtehen drei vor-
zuͤgliche Gruppen. Ein junger Mann findet im Vor-
beigehn ſeinen Vater todt hingeſtreckt, auf ſeinem
Geſichte mahlen ſich Entſetzen und Schmerz. Eine
Mutter liegt todt zwiſchen zweien Kindern, von de-
nen das eine gleichfalls todt, das andere aber noch
am Leben iſt. Der Mann, der ſich uͤber ſein Weib
beugt, und ſich die Naſe zuhaͤlt, ſtoͤßt das lebende
Kind zuruͤck, das ſich ſeiner Mutter naͤhern will,
und das aͤlteſte, das hinzulief ſeine Mutter noch ein-
mal zu umarmen, haͤlt der Grosvater auf. End-
lich eine ſterbende Frau, die ihr Kind einer Freun-
din anbefiehlt, die es weinend von ſeiner Mutter
trennt. Im Hintergrunde wird ein Todter begraben.
Das
[107]Pallaſt Colonna.
Das Bild iſt voll des fuͤrchterlichſten Ausdrucks.
Die Zeichnung iſt richtig, aber den Gewaͤndern merkt
man wie gewoͤhnlich den Gliedermann an. Faͤrbung
und Helldunkel ſcheinen gut geweſen zu ſeyn, haben
aber in der Folge der Zeit gelitten.
Man trifft in der Gallerie einige Staruen an,
aber ſie ſind ganz unbedeutend.
Ich komme nun zu einigen Theilen des Palla-
ſtes, die man gewoͤhnlicher Weiſe nicht ſieht.
So haͤngen in den untern Zimmern an der Erde
einige Marinen von Tempeſta, und einige Ge-
maͤhlde al Freſco von Kaſpar Pouſſin.
Zu den Zimmern des Cardinals Pamfili
gehoͤren einige andere Zimmer in dem obern
Theile des Hauſes.
Man findet daſelbſt unter mehreren Ge-
maͤhlden † Ein ganz vortreffliches Bildniß ei-
nes Cardinals von Domenichino, ingleichen
† Vier Koͤpfe von Tizian in einer Glorie.
Ohngeachtet des gelben Grundes, worauf ſie ge-
mahlt ſind, heben ſich die Koͤpfe ungemein.
Der Prinz und die Prinzeſſin bewohnen
die ſogenannten Mezzaninen.
In dem erſten Zimmer finden ſich eine
Menge Landſchaften von Placido Coſtanzi,
Orizonte und andern, aber auch zwei von
Claude Lorrain.
Im
[108]Pallaſt Colonna.
Im zweiten Zimmer.
Zwei Landſchaften von Salvator Roſa.
Einige Heilige vom Garofalo, und meh-
rere Niederlaͤnder.
Im dritten.
Ein Cardinal in einer Bibliothek. Man
ſchreibt dies Bild dem Albert Duͤrer zu.
Zwei kleine Landſchaften von Salvator
Roſa.
Eine heilige Familie in der Manier des
Baroccio.
Poliſchinell und ein Soldat von Salva-
tor Roſa.
Viertes Zimmer.
Zwei Landſchaften mit Waſſerfaͤllen von
Pouſſin.
Zwei andere von Salvator Roſa.
Im fuͤnften Zimmer.
Eine Herodias nach Tizian. Die Ma-
donna im Ausdruck des Schmerzes uͤber ihren
Sohn,(Mere de douleur) ein verdorbenes
Gemaͤhlde von Tizian.
Der Triumph des Bacchus und ein Be-
graͤbniß, zwei Bilder, die dem Nicolaus Pouſ-
ſin zugeſchrieben werden.
Eine
[109]Pallaſt Colonna.
Eine Magdalena von Feti.
Eine angelegte Magdalena von Guido.
Zwei Landſchaften von Mola.
Im ſechsten.
Zwei Pouſſins und zwei vortreffliche Sal-
vator Roſas.
Chriſt in den Limben von Venuſti.
Einige Schlachten von Bourgognone und
Cerquozzi.
Im ſiebenden Zimmer.
Vier ſchoͤne Landſchaften von Pouſſin in
Waſſerfarben.
Noch eine mit einem Sturm von demſelben.
Eine Landſchaft von Claude Lorrain.
Zwei Marinen von Manglar.
Im achten.
Mehrere Perſpektive von Vanvitelli, Lu-
catelli und andern.
Im neunten.
Zwei kleine Landſchaften von Domenichino
und viele andere, welche Copien ſcheinen.
Ueberhaupt iſt die Menge der Gemaͤhlde in die-
ſen Zimmern unbeſchreiblich.
Es ſind einige Bologneſer, und vorzuͤglich
einige Treviſanis darunter, die nebſt einer Menge
von
[110]Pallaſt Colonna.
von Niederlaͤndern fuͤr die Liebhaber dieſes Stils von
Werth ſeyn koͤnnen: Ich habe ſie aber in ſolcher
Eile ſehen muͤſſen, daß ich kein Urtheil daruͤber zu
faͤllen wage.
In der Bibliothek iſt die beruͤhmte Vergoͤt-
terung Homers befindlich, ein Basrelief, wel-
ches ich jedoch nur anzeige, weil ich verſaͤumet habe,
es zu ſehen. Man ſagt, der Werth deſſelben ſey
als ſchoͤnes Kunſtwerk betrachtet, nicht außeror-
dentlich.
In dem Garten ſteht Marcus Antonius
Colonna zu Pferde in Bronze.
Dem Liebhaber ſchoͤner Frieſen und architek-
toniſcher Zierrathen werden auch die Ruinen
in dieſem Garten nicht entgehen.
Villa
[111]
Villa Regroni.
Ich wollte nur von Kunſtwerken reden: und doch!Erleichte-
rung des Be-
griffs von:
Mahleri-
ſchen.
die Natur in dieſer Villa iſt ſo voll mahleriſcher
Gegenſtaͤnde, mahleriſcher Wuͤrkung, ich verdanke
ihr ſo heitere, gluͤckliche Stunden; ich kann ſie un-
moͤglich mit Stillſchweigen uͤbergehen!
Ehemals war dieſe Villa nach dem Zwange der
Symmetrie eingerichtet, und diente zum Parade-
platze der Repraͤſentation eines Cardinals. Aber
ſchon ſeit langer Zeit hat die Vernachlaͤßigung ihrer
gegenwaͤrtigen Beſitzer die Natur in ihre vorigen
Rechte wieder eingeſetzt. Sie giebt nun wahreren
Genuß.
Wie einladend zu hoher Begeiſterung ſind nicht
jetzt ihre verwachſenen Gaͤnge! Wie abwechſelnd
ſchoͤn ihre Lorbeern, Pinchen, Myrthen und Cy-
preſſen! So edel in ihrer Form, ſo melancholiſch
feierlich in ihrer Farbe! Das ſpricht, das fuͤhlt;
es ſind Seelen der Vorwelt, die nach hohem Leiden
jetzt unter dieſer Rinde von den Anfaͤllen des Schick-
ſals ruhen, und ihrer Schwermuth ungeſtoͤrt nach-
haͤngen.
Mein Blick heftet ſich bald auf die Ruinen der
Baͤder des Diocletians in der Ferne, bald auf eine
halb verſtuͤmmelte Statue eines Roͤmers vor mir,
den ſeine Zeitgenoſſen groß nannten, und den wir
nicht kennen. Aus dem gruͤnlichen Rachen eines
bemooßten Loͤwens rieſelt ein duͤnner Waſſerſtrang
mit einfoͤrmigem Getoͤne, und indem dies meine
Seele
[112]Villa Negroni.
Seele in Nachdenken uͤber vereitelte Plane, uͤber
verirrte Wuͤnſche und aufgegebene Hoffnungen ein-
lullt; girrt die Turteltaube zu meiner Seite.
Aber daß dieſe Stimmung nicht zur Schwer-
muth werde, lebt Alles um mich herum. Hier
eine Bauerhuͤtte, dort ein praͤchtiges Caſino.
Das Land iſt einzeln an die Einwohner Roms aus-
gethan. Sie nutzen es theils zu Gartengewaͤchſen,
theils — ſo groß iſt der Umfang dieſer Villa mitten
in der Stadt! — zu Weiden fuͤr Pferde, Kuͤhe
und Schaafe. Der Hirt auf ſeinen Stab gelehnt
ſpielt mit ſeinem Hunde; die Heerden draͤngen ſich
in Haufen zuſammen, die Roͤmerin ſetzt ihr Koͤrb-
chen neben ſich nieder, ihr Kind an ihre Bruſt zu
druͤcken, und ein Paar Liebende Arm in Arm ent-
gehen der Wachſamkeit ihrer ſtrengen Aufſeher unter
dieſen Schatten. Wie verſtaͤndlich dieſer Ausdruck!
Wie mahleriſch das Alles, wenn nun der markige
Strahl der untergehenden Sonne daruͤber her
faͤhrt!
Die Gewohnheit, von Jugend auf Alles in der
Natur wie ein Gemaͤhlde zu betrachten, jedes Ge-
maͤhlde auf die Natur zuruͤckzufuͤhren, erregt meine
Dankbarkeit in allen Faͤllen, wo ich entweder die
Natur ohne Zuſatz in einen Rahmen faſſen koͤnnte,
oder wo die huͤlfreiche Hand der Kunſt mir in der
Natur ein Gemaͤhlde zubereitet hat.
Beides finde ich in der ſogenannten Partie des
Michael Angelo, dem nur die Verehrung der
Italiener fuͤr ein ſo viel umfaſſendes, und mit groſ-
ſen Ideen ſchwangeres Genie, die Erfindung dieſes
Huͤgels beilegen konnte,
Eine
[113]Villa Negroni.
Eine ſitzende Roma in coloſſaler Groͤße mit
weißen Extremitaͤten und ſchwarzem Gewande, thront
auf einer Anhoͤhe unter einer Gruppe von Pinchen,
Cypreſſen und Mandelbaͤumen. Mehrere Mahler
haben ſie in ihren Werken angebracht, und mich
duͤnkt, ich kenne nichts, was mein Gefuͤhl fuͤr mah-
leriſche Wuͤrkung ſo ausfuͤllt, meinen Begriff daruͤber
ſo ſehr beſtimmt. Ich ſahe ſie einſt beim Untergang
der Sonne, als der Mandelbaum gerade in Bluͤthe
ſtand. Die Stufenleiter von Geſtalten: erſt die co-
loſſaliſche Roma, am einfachſten in Abwechſelung
ihrer Theile, dann der buſchigte Mandelbaum, dann
die fechtelartige Fichte und endlich die pyramidenfoͤr-
mige Cypreſſe, deren Gipfel ſich zu einer ſchmaͤleren
Hoͤhe zuſammenſpitzte; die verſchiedenen Miſchungen
von Farben, die ſich im gelblichen Abglanz der nie-
dergehenden Sonne zu einem Ton vermaͤhlten; die
abwechſelnden Lichter und Schatten, durch die der
Baum mit der Statue, die Statue wieder mit dem
Baume zu einer Maſſe vereinigt wurden, bald durch
die dunkle Farbe verſtaͤrkt, bald durch die helle ge-
brochen, endlich doch in ſanften Uebergaͤngen zuſam-
menfloſſen.
Alles dies ſage ich, gab mir das wahre Ge-
fuͤhl des eigentlich Mahleriſchen, des weſentlichſten
Unterſcheidungszeichen der Mahlerei von ihren ver-
ſchwiſterten Kuͤnſten: merkliche Abwechſelung von
Formen, merkliche Abwechſelung von Farben, end-
lich — ſelbſt eine Art der Faͤrbung — merkliche Ab-
wechſelung von hellen und dunkeln Partien, welche
die Nerven des Auges auf vielfache Art ſpannen,
Zweiter Theil. Hund
[114]Villa Negroni.
und dennoch durch Uebereinſtimmung ihrer Anſtren-
gung das Qualvolle nehmen.
Nun zu den Kunſtwerken, die in mehreren Ge-
baͤuden ſtehn.
In einem kleinen Caſino mitten im
Garten.
Zwei in der Mauer befeſtigte Basreliefs.
Das eine ſtellt ein Bacchanale vor, und iſt in einem
guten Stile gearbeitet, aber ſehr ergaͤnzt.
ter Marius.
† Eine Conſular Statue, welche unter
dem Nahmen Marius beruͤhmt iſt: eine Benen-
nung, fuͤr die man keinen hinreichenden Grund anzu-
geben weiß. 1) Der Kopf dieſer Figur hat ungemein
viel Charakter; die Stellung Natur und Wahrheit;
das Gewand einen vortrefflichen Wurf. Die linke
Hand iſt neu. Auch in Anſehung des Coſtume ver-
dienet dieſe Statue Aufmerkſamkeit. 2)
Eine andere Conſular Statue. Gut; aber
unter der vorigen.
Neptun von Bernini. Eines der mittelmaͤſ-
ſigſten Werke dieſes Meiſters. Es war auch nur
zur Verzierung eines Springbrunnens verfertigt
worden.
Eine Statue, die als Gaͤrtner reſtaurirt
worden, weil man ein krummes Meſſer in dem Leib-
bande
[115]Villa Negroni.
bande bemerkte, und dieſes fuͤr ein Gartenmeſſer an-
ſah. Der Leibband iſt von Seilen, die mehrmals
um den Leib gewunden, und kuͤnſtlich zuſammenge-
flochten ſind. Winkelmann 3) erklaͤrt dieſe Figur
fuͤr einen Sieger, der im Wettrennen auf Wagen
im Circo den Preis davon getragen hat. Kopf und
Arme ſind neu.
In dem Hauptgebaͤude.
Unten auf der Diele und in einem Zim-
mer darneben: ein großer Vorrath von Sta-
tuen. Die mehreſten darunter ſind mittelmaͤßig.
Ich hebe zwei heraus: weibliche Figuren mit Koͤr-
ben auf dem Haupte, welche ehemals zu Caryati-
den gedient zu haben ſcheinen. Ihre Koͤpfe ſind rei-
zend und ihre Gewaͤnder ſchoͤn geworfen. Die Haare
fallen an beiden Seiten auf die Schultern herab. Sie
tragen vielen weiblichen Schmuck, unter andern Ohr-
gehaͤnge von Marmor, und Armbaͤnder uͤber den
Knoͤcheln. 4)
Eine weibliche Figur mit einem Diadem
und guter Drapperie. Die Haͤnde ſind ſchlecht
reſtaurirt.
Eine ſchoͤne Buͤſte des Cardinals Mon-
talti, von Algardi.
Auf der Treppe.
Eine wilde Schweinsjagd. Der Kampf
eines Tritons mit einem Meerungeheuer.
H 2Ein
[116]Villa Negrom.
Ein Bacchanal und noch eine Jagd. Bas-
reliefs.
† Unter mehreren ſchlechten Statuen be-
merke ich eine die als Minerva reſtaurirt iſt, wegen
ihres ſchoͤnen Gewandes, das auch wegen der ſeltenen
Art, womit es befeſtigt iſt, merkwuͤrdig wird. Ein
Rieme oder Guͤrtel, der uͤber der rechten Schulter unter
den linken Arm durchgeht, haͤlt es zuſammen. Kopf
und Arme ſind neu. Den einen derſelben hebt ſie in
die Hoͤhe, wahrſcheinlich um den Speer damit zu
halten. Inzwiſchen fuͤrcht’ ich, daß es dieſe Figur
iſt, welche den Herrn Burckhard 5) veranlaßt, in
dieſer Villa eine donnerſchleudernde Minerva zu fin-
den. Denn ich wuͤßte uͤbrigens keine, die dieſe An-
gabe rechtfertigen koͤnnte.
Weiter hinauf noch einige gute Basreliefs.
Eine Frauensperſon, die ſich auf den Arm
eines Mannes ſtuͤtzt. Hocherhobene Arbeit von
gutem Stile.
Basrelief.
† Eine weibliche Figur, die einen Tem-
pel mit Blumen kraͤnzt. Ein hocherhobenes
Werk von ſehr gutem Stile. Nur ein Arm und ein
Fuß ſind modern. Geſichtsbildung und Stellung
ſind ſo wie der Kopfputz ſehr reizend. Das fliegende
Gewand iſt vortrefflich, und zeigt ſehr gut das Na-
ckende an. Dies Basrelief iſt oft copirt worden.
Drei Helden aus der Odyſſee. Man er-
kennt unter ihnen den Ulyſſes an der Muͤtze.
Eine
[117]Villa Negroni.
Eine Frieſe mit dem Triumphe des Bac-
chus und der Ariadne. Von guter Compoſition
und gutem Stile.
Eine andere mit Amorinen, die mit Huͤlfe
eines Fauns einen trunkenen Satyr tragen.
Ein Satyr, der auf den Schultern eines
Fauns haͤngt, waͤhrend daß ein anderer ihm
Streiche auf den Hintern austheilt. Der Idee
wegen merkwuͤrdig.
In einem großen Saale.
† Ein Amor von weißem Marmor, mitAmor auf ei-
nem Leopar-
den reitend.
Weinreben bekraͤnzt, und eine Weintraube
haltend, wird von einem Leoparden von
ſchwarzem Marmor getragen, auf deſſen Ruͤ-
cken ein Ziegenfell von Roſſo antico ausge-
ſpreitet iſt. Winkelmann 6) hat Recht, dieſen
Amor als eines der ſchoͤnſten Kinder des Alterthums
anzufuͤhren. Der Kopf hat einen vortrefflichen Aus-
druck, und das Fleiſch iſt ſehr zart und weich. Die
beiden Beine ſcheinen modern.
† Ein junger Apollo mit einem Kopfe, der
nach einer lebenden Perſon gebildet zu ſeyn ſcheint.
Dieſer Kopf iſt voller Charakter, und ſcheint viel
Aehnlichkeit mit dem einer Statue zu haben, die der
Cavaliere Azara unter dem Nahmen eines Britanni-
cus beſitzt. Der Koͤrper iſt ſo ſchoͤn, daß Mengs
denſelben bei ſeinem Apollo in der Villa Albani zum
H 3Vor-
[118]Villa Negroni.
Vorbilde genommen zu haben ſcheint. Die Arme,
die ihn zum Apollo machen ſind neu. 7)
Mithras von ſchwarzem Marmor. Die
Compoſition iſt weitlaͤuftiger und die Ausfuͤhrung beſ-
ſer als gewoͤhnlich. 8)
† Kopf
[119]Villa Negroni.
† Kopf eines Paris von vortrefflichem Cha-Schoͤner
Kopf eines
Paris: Be-
weis der
Moͤglichkeit
auch unter
ſchoͤnen For-
men des Koͤr-
pers eine feh-
lerhafte
Seele erra-
then zu laſ-
ſen.
rakter, obgleich ein wenig hart in der Ausfuͤhrung.
Haͤtte Sulzer 9) dieſen Kopf geſehen, ſo wuͤrde
er das, was Plinius von einem Gemaͤhlde des Eu-
phranor ſagt, nicht ſo unglaublich gefunden haben.
Plinius bemerkt naͤmlich Lib. LXXXIV. 8. In
einem Gemaͤhlde des Paris vom Euphranor werde
vorzuͤglich bewundert, daß man zu gleicher Zeit den
Schiedsrichter der Goͤttinnen, den Verfuͤhrer der
Helena und den Meuchelmoͤrder des Achilles darin er-
kannt habe. Dieſes Lob geht auf den Ausdruck des
Charakters in der Mine dieſes verſchmitzten Weich-
lings, hinterliſtig im Siege uͤber Maͤnner und Wei-
ber, und dieſen letzten zugleich theuer und gefaͤhrlich.
Hier iſt von einer Allegorie gar nicht die Rede, wovon
Sulzer jene Worte zu verſtehen ſcheint. Nicht jedeUnterſchied
zwiſchen
Ausdruck
des Charak-
ters, und
Symbol ge-
wiſſer Eigen-
ſchaften der
Seele.
Bezeichnung deſſen, wozu man ſich von einem Men-
ſchen zu verſehen hat, iſt Sinnbild oder Allegorie.
Eine kleine Nymphe oder Muſe mit einer
Taube. Der Guͤrtel uͤber den Huͤften iſt merk-
wuͤrdig.
Eine große bekleidete Figur. Auf dem
Kopfe traͤgt ſie einen Schleier und einen ſonderbaren
Kopfputz. Es ſcheint das Bildniß einer Kaiſerin
zu ſeyn. Dieſe Statue hat viel Wahrheit.
Eine kleine Statue, als Hygea reſtaurir[t].
† Ein Pariskopf von ſchoͤnem Charakter
bis an den Rand des Kinnes verhuͤllt. 10)
H 4Eine
[120]Villa Negroni.
Eine weibliche drappirte Figur. Der
Kopf gleicht der juͤngern Fauſtina, ſie iſt durch die
modernen Arme zur Ceres geworden.
Eine Statue aus ſchwarzem Marmor mit
ſilbernen Augen, dem Kopfputze nach ein Mauri-
tanier, aber als Mars oder Gladiator reſtaurirt.
Arme, Schenkel und Beine neu. Bei ihm eine
Terme des Hercules.
Einige Buͤſten.
In dem Zimmer des Cuſtos die-
ſer Villa.
Gruppe
zweier Kin-
der.
† Eine Gruppe von Amorinen, deren
einer dem andern eine Larve vorhaͤlt, worauf
dieſer vor Schrecken ruͤcklings zur Erde
ſtuͤrzt.11) Gedanke und Ausdruck ſind vortrefflich.
Allein die Zeichnung ſcheint unrichtig, und die Aus-
fuͤhrung vernachlaͤßiget zu ſeyn.
Schoͤne Buͤſte eines Cardinals.
Pallaſt
[122]
Pallaſt Doria.
Große Gallerie.
Wenn man rechter Hand hinein tritt.
Das Verloͤbniß der heiligen Catharina.
Aus der erſten Manier des Tizian. Die
Umriſſe ſind etwas ſteif, und die Farben noch etwas
roh, aber dennoch friſch und ſaftig. Die Stellung
des Chriſtus iſt unſchicklich. Die Landſchaft iſt
ſchoͤn und ſehr kraͤftig colorirt, aber mit Vernach-
laͤßigung der Luftperſpektiv.
Der heilige Hieronymus von Spagno-
letto.
Die Grablegung Chriſti von Ludovico
Carraccio, oder von Padoanino. Die Zu-
ſammenſetzung dieſes Gemaͤhldes iſt ſehr gut, und
hat im Ganzen etwas Erhabenes und Edles. Nur
ſcheinen mir die Figuren der Engel, deren einer den
Chriſtus beim Kinn faßt, der andre aber ſeine Fin-
ger kreuzweiſe in die erſtarrten Finger des Heilands
legt, zu ſpielend und der Wuͤrde des Gegenſtandes
nicht angemeſſen. Der Ausdruck iſt uͤbrigens gut,
vorzuͤglich in den beiden Weibern. Die Zeichnung
ſcheint hin und wieder etwas unbeſtimmt z. E. im
Arme des Alten. Die Faͤrbung faͤllt zu ſehr ins
Graue.
Ein alter Kopf mit einer weißen Roſe auf
dem Tiſche, von Tizian.
Ein
[123]Pallaſt Doria.
Ein anderer Kopf, den man auch dem Ti-
zian zuſchreibt, aber nicht in ſeinem Stile.
Ein Weiberkopf, der nach Leonardo da
Vinci copirt zu ſeyn ſcheint.
† Aldobrandiniſche Hochzeit copirt von
Pouſſin. Die Figuren ſind etwas ſchwerfaͤlliger
als im Original. Der junge ſitzende Mann iſt zu
braun colorirt. Ein Fehler, den Pouſſin um ſo eher
haͤtte vermeiden muͤſſen, da das Original nur durch
den Einfluß der Zeit ſo braun geworden iſt. Denn
das Bein, was ſich erhalten hat, iſt von guter Faͤrbung.
† Eine heilige Magdalena, die vor Er-
mattung von Schmerz eingeſchlafen zu ſeyn
ſcheint, von Michael Angelo Carravaggio.
Wahrſcheinlich diente ihm ſeine Magd zum Vorbilde.
Man muß geſtehen, daß er ſie ſehr treu copirt hat.
So niedrig die Wahl der Formen iſt, ſo bleibt dies
Bild doch eins der beſten dieſes Meiſters in Anſehung
des Tons der Faͤrbung, der nicht, wie gewoͤhnlich,
uͤbertrieben ſchwarz und gelb iſt.
† Ein alter Kopf mit Lorbeeren bekraͤnzt.
Voller Wahrheit bis in den kleinſten Details. Viele
Kenner halten dies Werk eines Tizians wuͤrdig.
Bamboſchade von Teniers.
† Skizze von Correggio in Waſſerfar-
ben. Das Original iſt in Spanien. Es ſtellet
ein allegoriſches Suͤjet vor, welches man ſchwerlich
erklaͤren wird. Man erkennet den Meiſter in den
Koͤpfen und den Haͤnden wieder.
† Ein Juͤngling umarmt einen Bock, ne-
ben ihm eine Taube auf einem Zweige von
Carrg-
[124]Pallaſt Doria.
Carravaggio. Man erklaͤrt dies Bild gemeini-
glich fuͤr eine Allegorie der Geilheit und der Unſchuld.
† Opfer Iſaacs. Mengs und viele Kenner
halten es fuͤr Tizians Werk, andere ſchreiben es dem
van der Eckhout 1) zu. Die Compoſition iſt nicht
die beſte, aber der Ausdruck iſt nicht ohne Verdienſt.
Die Zeichnung iſt weder unedel noch incorrekt genug,
um den Tizian als Meiſter auszuſchließen. Im
Iſaac ſind eine Menge ſchoͤner Halbtinten.
Zwei Apoſtelkoͤpfe von Guercino.
Der weinende Petrus von Lanfranco.
Petrus im Gefaͤngniß vom Engel geweckt
von Lanfranco. Der Engel gleicht einem Straſ-
ſenjungen.
Magdalena von Cambiaſi.
Zwei Gemaͤhlde von Breughel. Eins der-
ſelben ſtellt die Schmiede des Vulkans vor. Der
Ort der Scene iſt aus den Ruinen von Tivoli ge-
nommen.
Magdalena in einer ſchoͤnen Landſchaft
von Annibale Carraccio. Die Formen ſind zu
groß fuͤr eine weibliche Geſtalt.
Simſon von Guercino in einem Tone, der
zwiſchen dem Rothen und Schwarzen die Mitte haͤlt.
† Eine allerliebſte Landſchaft von Dome-
nichino, mit Weibern und Kindern, die durchs
Waſſer waten. Die Compoſition ſcheint der Natur
abgeſtohlen zu ſeyn. Schade, daß in der Ausfuͤh-
rung
[125]Pallaſt Doria.
rung nicht eben die Uebereinſtimmung mit der Natur
herrſcht.
Eine andere Landſchaft von eben demſel-
ben mit einem Waſſerfall. Ein ſehr angenehmes
Bild.
† Suſanna mit den Alten von Annibale
Carraccio. Zuſammenſetzung, Ausdruck und
Zeichnung ſind vortrefflich. Selbſt die Faͤrbung iſt
gut; nur fallen die Formen der Suſanna zu ſehr ins
Rieſenmaͤßige.
Verloͤbniß der heiligen Catharina von Lu-
dovico Carraccio auf Schiever. Vortrefflich an-
geordnete Gruppe.
Bethlehemitiſcher Kindermord von Ma-
zolino.
Bauern, die ihre Proceſſe vor Gericht
mit klingender Muͤnze vertheidigen. Karri-
katuren voller Ausdruck. Der harte und trockene
Stil laͤßt auf die erſten Zeiten der niederlaͤndiſchen
Schule ſchließen.
Eine heilige Familie von Garofalo.
Eine Zeichnung von Guido mit Kreiden
von verſchiedenen Farben.
Eine Madonna und eine heilige Familie
vom Saſſoferrati. Beide Bilder haben ange-
nehme Koͤpfe und liebliche Stellungen, wenn es
ihnen gleich uͤbrigens an Ausdruck fehlt.
Eine Landſchaft von Torreggiani.
Bethſabe mit einer Unterhaͤndlerin von
Brunkhorſt. Die Behandlung iſt gut.
† Drei
[126]Pallaſt Doria.
† Drei Bilder von Guercino, aus denen
man die verſchiedenen Manieren dieſes Meiſters ken-
nen lernen kann. Der heilige Johannes iſt aus
ſeiner erſten ſchwarzen Manier. Der verlohrne
Sohn, der zu ſeinem Vater zuruͤck kehrt, iſt aus
der zweiten, die ins Rothe faͤllt, und endlich die
heilige Agnes, die den Scheiterhaufen beſteigt, iſt
aus ſeiner dritten hellen Manier. Alle dieſe Bilder
zeigen eine ganz vortreffliche Behandlung, eine zwar
etwas conventionelle, aber doch nicht uͤbertriebene
Faͤrbung, und vorzuͤglich eine vortreffliche Wuͤrkung
in der Abwechſelung des Schattens und des Lichts.
Aber alle ſind ſchlecht componirt, und der Ausdruck
fehlt entweder ganz, oder iſt gemein. Ich nehme
inzwiſchen den Kopf der heiligen Agnes aus, denn in
dieſem Kopfe iſt viel edle Hingebung in den Willen
des Himmels.
† Die Madonna mit dem Kinde von
Parmeggiano. Der Kopf des Chriſts hat viel
von Correggio, und iſt ſehr angenehm; der Kopf
der Madonna aber hat etwas gezogenes.
Eine heilige Familie von demſelben, eine
Skizze voller Affektation.
Ein Satyr, der einen jungen Faun auf
der Floͤte ſpielen lehrt. Man ſchreibt dies Bild
dem Ludovico Carraccio zu, ich halte es vom An-
nibale.
† Bildniß eines Pabſtes von Velasquez.
Es iſt vortrefflich gemahlt, und voller Charakter,
inzwiſchen faͤllt das Fleiſch ins Rothe, und ſcheint zu
weich, zu ſchlaff.
† Eine
[127]Pallaſt Doria.
† Eine Madonna, die uͤber dem ſchlafen-Mabonna
betend uͤber
dem ſchlafen-
den Chriſt.
den Chriſt betet, von Guido. Dieſes beruͤhmte
und ſo oft copirte Bild iſt von der feinſten Zeichnung,
und der Schlaf des Chriſts ungemein wahr. Nach
meinem Geſchmack aber hat der Kopf der Madonna
nicht Ausdruck genug, die Farbe ſcheint mir zu
ſchwach und gruͤnlich, und der Chriſt zu platt, zu
wenig geruͤndet.
Zwei Landſchaften von Claude le Lorrain
von ſeiner erſten Manier, ehe Sandrart ihn uͤber
das Luftige der Fernen belehrt hatte.
Zwei der beſten Landſchaften von Paul
Brill.
Santa Maria Aegittiaca von Feti.
Bethlehemitiſcher Kindermord von Bo-
nati, ſchlecht componirt.
Chriſt im Oehlgarten von Venuſti.
Der heilige Johannes aus der Schule des
Guercino.
† Schoͤne Landſchaft von Claude le Lor-
rain, mit einer Flucht nach Aegypten. Der
Baumſchlag iſt vortrefflich. Die dichtbelaubten
Eichen darauf ſcheinen wahre Behauſungen der Voͤ-
gel. Die Ferne iſt vortrefflich.
Ehe man das Uebrige der Gallerie ſieht, wird
man gut thun, in die Nebenzimmer zu gehen.
Nebenzimmer.
Eine große Landſchaft von Guaſpro
Pouſſin.
Drei
[128]Pallaſt Doria.
Drei Marinen von Manglar, vortrefflich
componirt.
Fruͤchte von Tamm.2)
Mann und Frau. Die Frau haͤlt einen
Apfel. Die Compoſition iſt ſchlecht. Dem ohnge-
achtet giebt man das Gemaͤhlde fuͤr Tizians Ar-
beit aus.
Ein Mannskopf in eben dem Stile, den
man an dem Schulmeiſter im Pallaſt Borgheſe be-
merkt.
Eine ſchoͤne Landſchaft mit Figuren von
Bourgognone in der Manier des Salvator Roſa.
Einige Landſchaften von Orizonte.
Eine Flucht nach Aegypten von Nicolaus
Pouſſin, ſchoͤn componirt, mit vielem Geiſt, aber
ohne Wahrheit ausgefuͤhrt.
Kreuzabnehmung von Salviati.
Uebriger Theil der Gallerie.
Das Paradies von Breughel. Andere hal-
ten es von Savary. Man kann die Feinheit des
Pinſels, die Sorgfalt in der Ausfuͤhrung, den
Schmelz der Farben, und zu gleicher Zeit das Leichte
der Behandlung nicht genug bewundern.
St. Johannes von Guercino aus der Zeit,
da er den ſchwarzen Ton in ſeinen Gemaͤhlden verließ,
und in den rothen uͤbergieng.
Land-
[129]Pallaſt Doria.
† Landſchaft von Claude le Lorrain mit
Architektur, die nicht ganz an ihrer Stelle zu ſeyn
ſcheint. Es herrſcht Siroccoluft in dem Bilde, und
die Waͤrme derſelben iſt vortrefflich ausgedruͤckt.
St. Rochus, den ein Engel heilt, von
Carravaggio. Gemeiner aber wahrer Ausdruck.
Der Hund iſt ſehr gut.
† Angelica findet Medor von Guercino.
Ein ſehr ſchoͤnes Bild, in dem vorzuͤglich die Extre-
mitaͤten von aͤußerſter Wahrheit ſind. Die Farbe
hat etwas Unwahres, und viel Aehnlichkeit mit der-
jenigen, die man in dieſes Meiſters Freſco Gemaͤhl-
den antrifft. Das Licht iſt zu gelb, und die Schat-
ten ſind zu ſchwarz. Auch ſind die hellen Partien
zu willkuͤhrlich zerſtreuet, zu flatternd (les lumieres
papillottent).
Kinder von Cignani, andere ſagen von
Ghezzi, von ſehr falſchem Colorit. Die maͤnnli-
chen ſcheinen von Gold, die weiblichen von Silber.
Ein Kopf von Baroccio, an dem die leichte
Behandlung zu bewundern iſt.
Ein angelegter Kopf von Guido.
Venus und Adonis von Paolo Vero-
neſe.
Icarus und Daͤdalus ſoll von Albano ſeyn,
wahrſcheinlich nur Copie.
Ein heiliger Franciscus, den zwei Engel
unterſtuͤtzen, ſchoͤnes Gemaͤhlde von Annibale
Carraccio.
Ein Concert von Palamedes.
Zweiter Theil. J† Ein
[130]Pallaſt Doria.
† Ein Paradies von Baſſano. Es iſt
eins ſeiner ſchoͤnſten Bilder. Die Carnation iſt ſeht
wahr. Die Thiere ſind voller Leben.
Heil. Johannes von Valentin.
le von Anni-
bale Carrac-
cio.
† Sechs Landſchaften von Annibale Car-
raccio. Es ſind halbe Ovale, die dazu beſtimmt
geweſen ſcheinen, von unten auf geſehen zu werden.
Eigentlich nur Skizzen, aber von ſo vortrefflicher
Compoſition, daß der Kuͤnſtler ein eigenes Studium
daraus machen kann.
Die ſchoͤnſten ſind
Die Himmelfahrt Mariaͤ. Die Scene
geht am Ufer des todten Meeres vor. Aufgenom-
men durch Engel ſchwebt die Heilige uͤber dem Meere,
an deſſen Ufer die Juͤnger und Apoſtel neben ihrem
Grabe ihr ſtaunend nachſehen. Hin und wieder
ſieht man andere Monumente und Grabmaͤhler.
Es liegt etwas unbeſchreiblich Hohes in dem Gedan-
ken dieſes Bildes, nur duͤrfte die Handlung des heil.
Johannes, der die Begebenheit in dem Augenblicke
da ſie vorgeht, aufzeichnet, nicht an der rechten
Stelle ſtehen. Der Mahler hat dieſen Gedanken
im Großen in einer Capelle der Kirche della Ma-
donna del Popolo ausgefuͤhrt, aber da ihn der
enge Platz zu ſehr beſchraͤnkte, weniger gluͤcklich, als
man nach dieſem Entwurfe haͤtte vermuthen duͤrfen.
Das zweite dieſer Gemaͤhlde iſt die Heim-
ſuchung Mariaͤ. Die beiden Heiligen umfaſſen
ſich mit einem ſehr wahren Ausdrucke von Zaͤrtlich-
keit. Die Figur die das Buͤndel traͤgt, iſt ſehr rei-
zend, und die Baͤurin bei der Frau mit dem Kinde
von der einnehmendſten Unbefangenheit.
Das
[131]Pallaſt Doria.
Das dritte eine Flucht nach Aegypten.
Tauben fliegen voran, und zeigen der Unſchuld den
Weg. Die heil. Familie iſt uͤber einen Fluß geſetzt
worden. Das alte Schloß auf dem Berge thut
Wuͤrkung.
Die drei uͤbrigen ſtellen die Anbetung der
Koͤnige, der Hirten, und eine Grablegung
vor. Sie ſind von geringerem Werthe.
† Eine Landſchaft von Claude le LorrainVortreffliche
Landſchaft
von Claud
le Lorrain.
mit der Ausſicht auf einen Fluß, der ſich kruͤmmend
ſchlaͤngelt. Die ſchoͤnſte Landſchaft, die ich von die-
ſem Meiſter kenne. Die Ferne iſt unvergleichlich.
Alles iſt Wahrheit und Natur. Die Luft wahre
Luft, der Himmel durchſichtig, das Auge verliert
ſich in die Ferne.
† Magdalena von Tizian. Vortreffliche
Carnation. Der Arm iſt wahres Fleiſch. Der
Kopf leider hier und da retouchirt. Alle Kenner
halten einſtimmig dies Bild fuͤr Original. Aber
man ſieht allerwaͤrts Copien und Wiederholungen
deſſelben.
Heimſuchung Mariaͤ von Garofalo. Es
hat ſchoͤne Partien. Man muß vorzuͤglich die Lo-
calfarben dieſes Meiſters bewundern, die ſich bis
auf dieſen Tag friſch und unveraͤndert erhalten
haben.
Zwei Koͤpfe, Carricaturen aus der aͤlteren
niederlaͤndiſchen Schule.
Ein kleines Portrait einer Frauen im
Schleier, von Holbein.
J 2Ein
[132]Pallaſt Doria.
Einige Zimmer beim Herausgehen
aus der Gallerie.
Eine Carita Romana von Valentin.
Die Schuͤler zu Emmaus von Lanfranco.
Eine Magdalena angeblich von Guercino.
Copie einer heil. Familie nach Raphael,
deren Original in Frankreich iſt, und von der ſich
eine beſſere Copie im Pallaſt Albani findet.
In einem andern.
St. Peter findet den Groſchen in dem
Fiſche von Calabreſe.
Eine Landſchaft von Mola.
Zwei Bildniſſe von Mierefeld.
Ein junger Menſch aus der Schule des
Parmeggiano.
In einem andern.
Gottes bei
dem Leich-
nam Chriſti,
von A. Car-
raccio.
† Die Mutter Gottes bei dem Leichnam
Chriſti von Annibale Carraccio. Sie haͤlt den
Obertheil deſſelben auf ihrem Schooße. Ein Engel
zu ihrer Seite haͤlt des Sohnes Hand, und zeigt
die Naͤgel, mit denen er ans Kreuz geheftet war,
der andere verſucht mit der zuckenden Spitze des Fin-
gers die Stachel der Dornenkrone.
Dies Bild iſt ſehr beruͤhmt, und Winkel-
mann 3) fuͤhrt es als eines der wenigen Gemaͤhlde
an,
[133]Pallaſt Doria.
an, in denen der Chriſt mit der Wuͤrde des Charak-
ters und der Schoͤnheit der Bildung dargeſtellet ſey,
mit denen ſich der Kuͤnſtler den eingebohrnen Sohn
Gottes denken muͤſſe.
Man kennt noch zwei Wiederholungen von die-
ſem Bilde, die eine in der Kirche zu St. Franceſco
a Ripa zu Rom, die andere in der Gallerie zu Capo
die Monte bei Neapel. Die erſte unterſcheidet ſich
von der unſrigen durch mehrere in die Zuſammen-
ſetzung aufgenommene Figuren. Die letzte ſcheint
mit der unſrigen ſehr genau uͤbereinzuſtimmen, nur,
wenn ich mich nicht irre, hat das Bild von Capo
di Monte mehr Anzeigen des Caracciſchen Stils.
Das Colorit, welches an dem unſrigen ziemlich leb-
haft iſt, faͤllt dort mehr ins Graue. Die Zeichnung
hier iſt incorrekt, die Schulter des Chriſts ſcheint
ausgeſetzt zu ſeyn, und laͤuft nicht natuͤrlich genug
in den Wirbelknochen. Auch iſt die Haltung an
jenem Bilde beſſer. An beiden ſcheint man der Er-
findung vorwerfen zu koͤnnen, daß der eine Engel
durch ſein kindiſches Verſuchen des Stachels der
Dornenkrone die ernſthafte Stimmung der Seele des
Zuſchauers unterbricht.
Die Anordnung iſt unvergleichlich. Eine der
ſchoͤnſten Kegelgruppen, die man ſehen kann. Der
Ausdruck iſt in den Figuren der Mutter Gottes und
des Chriſts wahr, edel und anziehend. Die erſte
zeigt klagenden Schmerz: ſie haben den erſchlagen,
den meine Seele liebt! Von dem Ausdrucke im
Chriſt habe ich ſchon geſprochen.
Hagar und Iſmael von Vouet.
J 3Eben
[134]Pallaſt Doria.
Eben dies Suͤjet von Mola.
Cain und Abel von Salvator Roſa.
Icarus und Daͤdalus von Andreas
Sacchi.
Bildniſſe auf
einer Tafel,
wahrſchein-
lich von Ra-
phael.
† Zwei Bildniſſe auf einer Tafel. Jeder-
mann geſteht, daß dieſes Werk von Raphael zu ſeyn
verdient, aber ob es von ihm ſey, bleibt immer un-
gewiß. Beide Koͤpfe haben viel Charakter. Die
Zeichnung iſt correkt und aͤußerſt feſt. Die Faͤr-
bung naͤhert ſich in Anſehung der Kraft derjenigen,
die man in dem Bildniſſe Raphaels in der Caſa Al-
toviti Avila in Florenz bemerkt. Aber da das Bild
auf Leinwand gemahlt iſt, und da Vaſari nur ein
einziges Gemaͤhlde auf Leinwand von dieſem Meiſter,
naͤmlich den heiligen Johannes, der jetzt zu Florenz
befindlich iſt, anfuͤhrt; ſo wollen Kenner aus dieſem
Grunde zweifeln, ob es dieſem Meiſter beizule-
gen ſey.
Bildniß von
Tizian.
† Ueber dieſen Bildniſſen ein anderes
von einem Alten, mit einer Klocke vor ſich
auf dem Tiſche, von Tizian. Die Nachahmung
der Natur kann nicht weiter getrieben werden.
Bildniß einer Frauen mit einem Halskra-
gen, deſſen Weiße die Carnation des Geſichts ſehr
hebt. Aus der niederlaͤndiſchen Schule. Viele
halten es fuͤr des Rubens Arbeit. Aber dazu iſt die
Behandlung zu furchtſam.
Ein anderes Bildniß einer Frauen. Ke-
cker und beſtimmter.
Heilige Familie von Mola.
Eine
[135]Pallaſt Doria.
Eine Kreuzabnehmung von Vaſari. In
dieſem Bilde iſt Alles uͤbertrieben: Vorzuͤglich die
heilige Magdalena, deren Glieder alle verdreht
ſcheinen. Die Zuſammenſetzung iſt zum Theil vom
Daniel di Volterra erborgt. Der Koͤrper des
Chriſts und einige Gewaͤnder ſind nicht ohne Ver-
dienſt.
Iſaacs Opfer von Calabreſe.
Heil. Familie von Garofalo.
Kreuzabnehmung von Paolo Veroneſe.
Endymion mit einem Sehrohr, angeblich
von Guercino. Deutung der bekannten Fabel,
deren allegoriſche Vorſtellung fuͤr die Kunſt ſchick-
licher zu ſeyn ſcheint, als die vereinfachte Ent-
wickelung.
Ein Kopf, den man dem Tizian zuſchreibt.
Der Plafond iſt von Bottani, lebenden Di-
rektor der Gallerie von Mantua.
In einem andern Zimmer.
Eine ſehr ſchoͤn gedachte Landſchaft von
Kaſpar Pouſſin.
Eine Madonna mit dem Kinde. Beide
ſind unter einem Concerte von Engeln einge-
ſchlafen. Ein heiliger Johannes dient zum
Pulte. Von M. A. Carravaggio.
Ein Sturm von Tempeſta.
Ein Tuͤrk zu Pferde mit Wildpret, das
er geſchoſſen hat von Caſtiglione.
J 4Letztes
[136]Pallaſt Doria.
Letztes Zimmer.
Mehrere Landſchaften von Kaſpar Pouſ-
ſin, die ehemals auf einem Schirme befindlich ge-
weſen ſind.
Vier Landſchaften von Schwanefeld. Sie
ſind ſchoͤn, ob ſie gleich gelitten haben. Man er-
kennt darin das Studium dieſes Meiſters nach
Claude le Lorrain.
Villa
[137]
Villa Medicis.
Die beſten Statuen, die ehemals in dieſer
Villa ſtanden, ſind jetzt nach Florenz
gebracht. 1)
J 5Auf
[138]Villa Medicis.
1)
[139]Villa Medicis.
1)
[140]Villa Medicis.
1)
[141]Villa Medicis.
1)
[142]Villa Medicis.
1)
[143]Villa Medicis.
1)
[144]Villa Medicis.
1)
[145]Villa Medicis.
1)
Zweiter Theil. K
[146]Villa Medicis.
1)
[147]Villa Medicis.
Auf dem erſten Treppenabſatz ein Apollo
uͤber Lebensgroͤße, mit einem Schwan zu ſei-
nen Fuͤßen: in dem weichlichern Charakter, worin
er dem Bacchus aͤhnelt. Er iſt von Seiten des
Gedankens und der Stellung nicht ohne Verdienſt.
Aber die Ausfuͤhrung iſt mittelmaͤßig. Vielleicht
eine Copie nach einem vortrefflichen Werke.
In dem Porticus des Hauptgebaͤudes
nach dem Garten zu ſechs drappirte weibliche
Figuren coloſſaliſch. Sie verdienen alle Auf-
merkſamkeit vorzuͤglich in Ruͤckſicht der Gewaͤnder.
Koͤpfe und Arme aber ſind beinahe an allen neu.
† Nur diejenige weibliche Figur, die beimSchoͤne Fi-
gur eines
Weibes, in
nachdenken-
der, ſchwer-
muͤthiger
Stellung.
Eintritt in den Garten linker Hand ſteht, das
Haupt auf den Arm geſtuͤtzt, iſt davon auszu-
nehmen. Vielleicht duͤrfte uͤberhaupt dieſe Figur die
K 2beſte
1)
[148]Villa Medicis.
beſte Statue unter denen ſeyn, die noch in dieſer
Villa befindlich ſind. Der Kopf iſt ſchoͤn. Die
Haare fliegen zerſtreuet um ihren Nacken, und ſo-
wohl in Mine als Stellung herrſcht Schwermuth.
Die Stellung iſt ſimpel und edel.
Das Gewand iſt gut gedacht, aber vielleicht
nicht eben ſo gut ausgefuͤhrt. Der untere Theil des
Arms, auf den ſie ſich ſtuͤtzt, iſt reſtaurirt. Ueber
die Bedeutung getraue ich mich nicht zu entſchei-
den. 2)
† Zwei Loͤwen, deren einer antik, der
andere modern iſt, und zwar von der Hand des
Flaminius Vacca. Der moderne hat den
Vorzug einer getreueren Nachahmung der Natur.
Aber der antike hat mehr Charakter von Kraft und
Staͤrke. 3)
In dem Innern des Pallaſtes.
Eine ſchoͤne Vaſe von Alabaſter.
Eine andere von Marmor.
Junger
[149]Villa Medicis.
Junger Faun mit dem Pan in der gewoͤhn-
lichen ſchluͤpfrigen Stellung.
Faun in der gewoͤhnlichen Stellung. Mit
einem Arme ruht er auf einem Stamm, den andern
ſtuͤtzt er in die Seite.
Ihm gegen uͤber ein anderer in der naͤm-
lichen Stellung. Beide ſind mit Kornaͤhren be-
kraͤnzt.
Buͤſte des Lucius Verus.
Buͤſte Antonins des Frommen.
Zwei Statuen der Venus mit Amorinen
zu ihren Fuͤßen. In der Stellung der medicei-
ſchen, aber groͤßer und ſehr reſtaurirt.
Eine dritte den vorigen aͤhnlich, aber klei-
ner. Der Rumpf iſt allein alt und ſchoͤn.
Eine Venus im Bade in jener Stellung,
wo ſie halb kniend mit vorgebogenem Koͤrper auf den
Ferſen ruhet. 4) Die unſrige iſt modern und wahr-
ſcheinlich aus der Florentiniſchen Schule.
Ein ſchoͤner Faun wieder mit dem einen Arm
in die Huͤfte geſtemmt, mit dem andern an den
Stamm eines Baumes gelehnt.
Ein Apollo mit dem Schwane dem Capito-
liniſchen aͤhnlich. Er blickt in die Hoͤhe.
Ein anderer ſcheint eine moderne Copie des
vorigen zu ſeyn.
Eine antike Copie des Farneſiſchen Hercu-
les im Kleinen.
Ein Pan, der den Apollo auf der Floͤte
unterrichtet. Der Apollo iſt ſchoͤn.
K 3Ein
[150]Villa Medicis.
Ein Ringer, der ſich mit Oehl ſalbet, mit
einer modernen Nachahmung.
† Ein ſehr ſchoͤner Faun, der einem Leo-
parden eine Weintraube zeigt.
Ein anderer, als Bacchus ergaͤnzt, gleich-
falls ſchoͤn.
Mercur, oder vielmehr Ringer, mit einem
ſchoͤnen Kopfe.
Ein anderer Mercur ſehr reſtaurirt.
Ein Faun mit dem Leoparden, ſehr re-
ſtaurirt.
Einige Buͤſten.
Zwei Soͤhne der Niobe.
Ein ſchoͤner Panzer als Trophaͤe aufgerich-
tet. Scheint modern.
Noch ein Sohn der Niobe.
Copie der Pſyche zu Florenz, die man
faͤlſchlich unter die Toͤchter der Niobe zaͤhlt.
Buͤſte des Septimius Severus.
Peleus und Thetis, ein Basrelief aus der
Florentiniſchen Schule.
Ich uͤbergehe einige Buͤſten und Vaſen, die der
Aufmerkſamkeit weniger werth ſind.
An der Gartenfaßade des Hauptgebaͤudes
ſind mehrere Basreliefs eingemauert. Sie
ſcheinen zum Theil von ehemaligen Triumphbogen
genommen zu ſeyn, und ſind von gutem Stile.
Ich bemerke darunter vorzuͤglich: Apollo und
Diana. Zwei ſchoͤne Opfer. Hercules, der
einen Loͤwen erdruͤckt, und das Urtheil des
Paris.
[151]Villa Medicis.
Paris. Die Zuſammenſetzung des letztern iſt ſehr
verwickelt. Wenn man einzelne Gruppen heraus-
naͤhme, ſo koͤnnten ſie einen guten Stoff zu einer ge-
ſchmackvolleren Zuſammenſetzung abgeben.
In den Niſchen des Gebaͤudes ſtehen meh-
rere Statuen und Buͤſten, die nicht ohne Werth
zu ſeyn ſcheinen.
Unten am Hauſe bemerke man: Einen
barbariſchen gefangenen Koͤnig. Das Gewand
von Porphyr iſt eben ſo ſchoͤn geworfen, als fleißig
ausgefuͤhrt. Der Kopf von weißem Marmor iſt an-
tik, aber die Haͤnde ſind nebſt einem Theile des
Arms modern. Er ſteht auf einem Piedeſtal, auf
dem man in erhobener Arbeit eine Victorie bemerkt,
die einen Gefangenen an eine Trophaͤe feſſelt. An
den Seiten ſtehen an der einen ein gefangener Bar-
bar, und an der andern ein junger Held, gleichfalls
erhoben gearbeitet.
Ein anderer gefangener Koͤnig, dem vori-
gen aͤhnlich, ſelbſt in Anſehung der Ergaͤnzungen.
Auch iſt das Piedeſtal dem vorigen bis auf den einzi-
gen Unterſchied nach gleich, daß bei der Victorie
keine Trophaͤe befindlich iſt.
Ein dritter gefangener Koͤnig, das Ge-
wand gleichfalls von Porphyr. Er ſtuͤtzt das
Haupt auf den Arm. Der obere Theil iſt modern.
Ueberhaupt iſt die Arbeit daran geringer als an den
vorigen.
K 4Ein
[152]Villa Medicis.
Ein vierter gefangener Koͤnig von weißem
Marmor. Er hat ſehr gelitten. Der untere Theil
ſcheint modern.
Laͤngs dem Fluͤgel des Hauſes ſtehen meh-
rere Statuen, die zum Theil ſehr ergaͤnzt ſind.
Ich habe ſchon mehrmals meine Gedanken uͤber
die Art geaͤußert, wie man mittelmaͤßige Antiken
anſehen muß. Wenn man gleich fuͤr den Augenblick
wenig Genuß fuͤr die Empfindung des Schoͤnen zu
erwarten hat; ſo gewoͤhnt man doch das Auge an
den Stil der Alten, je mehr man von ihren Werken
betrachtet. Man findet in allen eine große Simpli-
citaͤt des Ausdrucks und der Stellung, richtige Ver-
haͤltniſſe und einen guten Geſchmack in den Gewaͤn-
dern, die das Nackte bedecken, ohne es dem Auge
zu entziehen. Dies ſind Grundlagen der Schoͤnheit;
die Bekanntſchaft damit unterſtuͤtzet das Gefuͤhl der
Vollkommenheit an andern Orten.
Weiterhin koͤmmt man in ein Nebengebaͤude
oder Caſino, in deſſen Niſchen Statuen ſtehen.
Mir ſind darunter merkwuͤrdig geweſen:
Eine weibliche Figur als Pallas reſtau-
rirt mit einem Gewande von Porphyr ohne
Guͤrtel. Das Nackende, deſſen Umriſſe ſehr ſwelt
ſind, iſt ſehr gut angedeutet.
† Neptun eine alte und ſeltene Statue. Win-
kelmann erwaͤhnt ihrer. 5) Zu den Fuͤßen liegt ein
Triton.
[153]Villa Medicis.
Triton. Die Arme und das eine Bein ſind modern.
Der Kopf hat viel vom Charakter eines Jupiters
aber weniger Majeſtaͤt. Eine Statue von der erſten
Claſſe iſt ſie inzwiſchen nicht.
Auguſt. Der Kopf iſt modern.
In einem Pavillon zur Seite.
Eine maͤnnliche Figur auf einem Meer-
pferde, ſcheint eine moderne Arbeit zu ſeyn.
Eine moderne Copie des Borgheſiſchen
Sylens aus Bronze.
Mars von Giovanni da Bologna. Dieſe
Statue hat eine ſehr gezwungene Stellung. Die
Muſkeln ſind ſowohl an Menge als Staͤrke uͤbertrie-
ben. Sie haben nicht die wahre richtige Form, und
ſitzen nicht an ihrer Stelle.
Ein großes Gefaͤß von Porphyr auf
einem Fuße.
In dem Pavillon nach der Villa Bor-
gheſe zu liegt † die beruͤhmte Cleopatra, dieSogenannte
Cleopatra.
man wohl, ſo wie die oben von mir beruͤhrte in der
Clementiniſchen Sammlung (die ihr an Schoͤnheit
K 5weit
5)
[154]Villa Medicis.
weit uͤbergeht) fuͤr eine ſchlafende Nymphe wird gel-
ten laſſen muͤſſen. Wuͤrklich alt iſt wahrſcheinlich
an dieſer Statue nur der Torſo bis auf die Mitte der
Schenkel, und der obere Theil des linken Arms mit
der Schlange. Der untere Theil iſt unſtreitig neu,
ſo wie der Arm, auf den ſie ſich ſtuͤtzt, und die linke
Bruſt; zweifelhaft aber der Kopf und der Theil des
Arms, den ſie uͤber den Kopf geſchlagen hat. 6)
Zu beiden Seiten ſtehen zwei ſehr reſtau-
rirte Muſen, auch findet man in dem naͤmli-
chen Pavillon einige Basreliefs. Unter an-
dern eine Frieſe von trefflicher Arbeit. 7)
Es giebt noch mehrere Statuen in dieſem
Garten, unter denen ich zwei ſitzende Figuren
einer Roma bemerke, von denen die eine co-
loſſaliſch, die andere kleiner mit einem Ge-
wande von ſchwarzem Marmor bekleidet iſt.
Roma.
Roma iſt in ganzen Statuen von einer Mi-
nerva wohl ſchwerlich zu unterſcheiden, wenn ſie ſteht.
Denn
[155]Villa Medicis.
Denn die Attribute einer Siegesgoͤttin auf der Hand,
oder eines Legionenzeichens, die ſie auf Muͤnzen be-
zeichnen, ſind gemeiniglich verlohren gegangen. Ob
der freiere ſtolzere Blick der Gebieterin vieler Reiche,
ſie von der Pallas hinreichend auszeichne, wie Win-
kelmann 8) glaubt, laſſe ich dahin geſtellt ſeyn.
Wir nennen aber diejenigen Statuen, welche
die Bekleidung der Minerva haben, wenn ſie ſitzend
vorgeſtellet ſind: Roma.
In der Mitte des Gartens.
Ein kleiner Obeliſk.
Zwei ungeheure Vaſen von orientaliſchem
Granit.
Pallaſt
[156]
Pallaſt Corſini.
Auf der Diele des Hauſes zwei Statuen
von Gips, mit Gewaͤndern von wuͤrkli-
chem Leinen, das nachher uͤbertuͤncht worden.
Ich fuͤhre ſie an als einen Beweis, wie ſehr es zum
Gefuͤhl der Wahrheit neben der Treue der Nach-
ahmung zugleich mit auf die Wahl der Formen an-
komme, an denen wir einen Gegenſtand wieder zu
erkennen gewohnt ſind. Denn dieſe Gewaͤnder, ob
ſie wohl von Leinen ſind, ſcheinen uns dennoch unna-
tuͤrlich, weil ihr Wurf in der Natur zu ſelten vor-
koͤmmt.
In dem erſten Zimmer oben.
Ein Sarcophag mit Tritonen, imgleichen
Ein antikes Moſaik, welches einen Ochſen-
treiber vorſtellt.
In der Gallerie.
† Ein Chriſtuskopf mit der Dornenkrone
von Guercino. Der Ausdruck iſt nicht ſowohl
edel als wahr; die Faͤrbung voller Kraft, ohne daß
darum die Schatten uͤbertrieben waͤren. Das Bild
hat gelitten, und iſt vorzuͤglich an den Haͤnden retou-
chirt. Dem ohngeachtet haͤlt man es fuͤr eins der
beſten von dieſem Meiſter in Rom.
Ein
[157]Pallaſt Corſini.
Ein Kopf von Rembrandt, mit vieler
Wahrheit und Ruͤndung gemahlt.
Eine nackte Frau von Furini. Wenn man
ein Gemaͤhlde dieſes Meiſters geſehen hat, hat man
ſie alle geſehen. Er war ein Florentiner, und trat
in den geiſtlichen Stand. Geſchah es um fuͤr die
Nuditaͤten, die er ſo haͤufig vorgeſtellt hatte, zu
buͤßen, oder um bequemere Gelegenheit zu natuͤrli-
chen Modellen zu erhalten?
Eine Nativitaͤt von Ludovico Carraccio,
oder Paſſignani. Kuͤnſtler ſchaͤtzen dies Gemaͤhlde
wegen der Gewaͤnder.
St. Peter, der die heil. Agathe heilt, von
Lanfranco.
Eine heilige Familie von Baroccio.
Ein heiliger Hieronymus und eine Cleo-
patra, zwei Copien nach Guercino von ſeinem
Vetter dem Gennari.
Eine Madonna mit dem Kinde. Sehr
gemeine Natur von Carravaggio. Andere hal-
ten ſie vom Shidone. Dies letztere iſt nicht wahr-
ſcheinlich.
Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft von Both, die
man fuͤr einen Berghem ausgiebt.
Zwei angebliche Landſchaften von Pouſſin.
Eine alte Frau und ein Greis, zwei ange-
legte Koͤpfe voller Ausdruck, die men dem Holbein
zuſchreibt.
Madonna mit dem Kinde. Man nennt
Vandyk als den Meiſter, ich halte aber dafuͤr, ſie
ſind von Saltarolli ſeinem Schuͤler.
Eine
[158]Pallaſt Corſini.
Eine heilige Familie angeblich von Fra
Bartholomeo. Allein um ſie dieſem Meiſter bei-
zulegen, iſt weder die Zeichnung correkt, noch die
Drappirung ſchoͤn genung. Ich halte dies Bild fuͤr
ein Werk der Sieneſiſchen Schule.
Chriſt und die Samaritanerin von Guer-
cino, rothe Manier.
St. Bartholomaͤus von demſelben, ſchwarze
Manier.
Verloͤbniß der heiligen Catharina von
Saſſoferrati.
Eine heilige Familie von Garofalo.
Trauung Joſephs und Mariaͤ von Paolo
Veroneſe. Sehr ſchoͤn componirte Skizze.
Einige ſchoͤne Niederlaͤnder.
Apollo als Hirte von Albano.
Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, ſchoͤne
Landſchaft von Domenichino.
Eine alte Copei nach dem Bildniſſe Ju-
lius des Zweiten von Raphael.
Geſchichte der Lucinda vom Lanfranco.
Die Landſchaft iſt ſchoͤn.
Philipp der Zweite von Tizian.
Heiliger Bartholomaͤus von Lanfranco,
von kraͤftigem Colorit.
† Heil. Jacob von Annibale Carraccio,
ſehr ſchoͤnes Gemaͤhlde.
Ecce Homo halbe Figur von Vaſari.
Eine heil. Familie von Sordo, einem Schuͤ-
ler des Baroccio.
Heil. Magdalena von Solmiena.
Heil Martinus von Bourgognone.
† In
[159]Pallaſt Corſini.
† In dieſer Gallerie ſteht auch eine ſchoͤne
Sella Curulis von Marmor mit Basreliefs,
die Krieger vorſtellen.
In dem folgenden Zimmer.
† Noah bringt ein Dankopfer nach uͤber-
ſtandener Suͤndfluth, und der Regenbogen
zeigt ſich am Himmel von Nicolaus Pouſſin.
Die Compoſition dieſes Bildes iſt unvergleichlich.
Obgleich die Figuren des Noah und ſeiner Frauen
nicht den edelſten Charakter haben, ſo iſt doch uͤbri-
gens der Ausdruck wahr. Die Faͤrbung iſt auch
kraͤftiger, und das Helldunkle beſſer beobachtet, wie
in den meiſten Stuͤcken dieſes Meiſters. Inzwi-
ſchen traͤgt man ſich in Rom mit der Anekdote: Es
ſey dieſes Gemaͤhlde kein Original, ſondern nur eine
Copei; das Original habe ein franzoͤſiſcher Kuͤnſtler
nach Paris verkauft. Ich laſſe die Wahrheit dieſer
Nachricht auf ihrem Werth und Unwerth beruhen.
Es genuͤgt mir in dem Bilde, was wir vor uns ha-
ben, das Verdienſt eines Originals zu finden.
† Herodias, die den Kopf Johannis des
Taͤufers traͤgt, von Guido. Dies Bild iſt ſehr
ſchoͤn: obgleich ein wenig ſchwach an Faͤrbung. Der
Kopf der Herodias iſt beſonders ſchoͤn.
Der heil. Johannes von Guercino. Ge-
meine Natur voller Wahrheit, aus ſeiner beſten
Manier.
Einnoli me tangere vom Baroccio.
Der heilige Hieronymus von Muziano.
Andere ſagen von Tizian.
† Ein
[160]Pallaſt Corſini.
† Ein kleiner St. Georgens Kopf von
Raphael, wie man behauptet. Die Zeichnung iſt
von aͤußerſter Feinheit.
Mehrere Gemaͤhlde von Callot, voller Er-
findung und ſehr geiſtreich ausgefuͤhrt.
† Ein Kopf des Cardinals Farneſe, der
nachher unter dem Namen Pauls des Dritten den
paͤbſtlichen Thron beſtieg. Man iſt ſich nicht einig,
ob man dieſes Bild dem Raphael oder dem Tizian
beilegen ſoll. Beide Meiſter begegneten ſich zuweilen
in der Nachahmung der Natur. Inzwiſchen ſcheint
mir doch das Gemaͤhlde nicht beſtimmt genung ge-
zeichnet, um es dem Raphael zuzuſchreiben.
Die Ehebrecherin wird dem Tizian zugeſchrie-
ben. Vielleicht ohne hinreichenden Grund.
† Raphaels Geliebte als Magdalena von
Giulio Romano. Die Zeichnung iſt ſehr correkt,
und lieblicher, als ſie es von dieſem Meiſter zu ſeyn
pflegt.
Eine heilige Familie, die in einer Glorie
mehrerer Heiligen erſcheint, von Garofalo.
Eine heil. Familie von C. Maratti.
Grablegung von Ludovico Carraccio.
Der heil. Franciscus von Annibale Car-
raccio.
Ein Haaſe wird Albert Duͤrern zugeſchrieben.
St. Peter von Nicolaus Pouſſin.
Das Wunder der Brodtaustheilung, von
Palma Vechio.
Chriſtus vor dem Pilatus wird dem Van-
dyck ohne Grund zugeſchrieben.
Ein
[161]Pallaſt Corſini.
Ein kleines Gemaͤhlde mit Figuren von
Salvator Roſa.
In einem Nebenzimmer.
† Eine Landſchaft mit einem Waſſerfalle
von Kaſpar Pouſſin. Sehr ſchoͤn.
Zwei Landſchaften von Bourgognone ſchei-
nen nicht Original zu ſeyn.
St. Sebaſtian von Rubens.
Chriſtus lehrt im Tempel von Luca Gior-
dano.
Tygerjagd von Rubens.
† Bildniß eines Gonfaloniere aus dem
Hauſe Savelli von Domenichino. Die Zeich-
nung iſt ſehr ſchoͤn. Aber die Faͤrbung ſcheint nicht
ganz dieſem Meiſter zu gehoͤren.
In dem Zimmer, worin die Bild-
niſſe haͤngen.
† Ein ſehr ſchoͤnes eines deutſchen Cardi-
nals, von Albert Duͤrer. Vor ihm eine Glocke.
† Ein anderes eines Cardinals, von Do-
menichino.
† Ein ſehr ſchoͤner Kopf von Holbein.
† Ein anderer von Albano.
† Noch ein Bildniß von Giulio Romano
mit einer ſchoͤnen Hand.
† Ein Cardinal von Velasquez.
Ein Kopf von Vandyck.
Ein Pabſt von Tintoret.
Zweiter Theil. LEin
[162]Pallaſt Corſini.
Ein anderer Kopf, den man dem Giorgio-
ne beilegt.
In einem andern Zimmer.
Einige Madonnen von Carlo Maratti und
Saſſoferrati.
EinEcce Homo von Carlo Dolce.
- Note. Winkelmann ſpricht S. 775. ſeiner Geſchichte
der Kunſt Wiener Edition von einem antiken ſilber-
nen Becher, der in dieſem Pallaſte ſeyn ſoll. Dem
Vernehmen nach iſt er nicht mehr hier.
Villa
[163]
Villa Aldovrandini.
Dieſe Villa gehoͤrt nicht dem Hauſe Doria, wie
H. Dr. Volkmann 1) ſchreibt, ſondern dem
Hauſe Borgheſe, aus welchem der zweite Sohn ſie
unter dem Nahmen Principe Aldovrandini gegenwaͤr-
tig im Beſitz hat.
Die Aldovrandiniſche Hochzeit, ein anti-Die Aldo-
vrandiniſche
Hochzeit, ein
antikes Ge-
maͤhlde.
kes Gemaͤhlde. Es bleibt ausgemacht, daß es eine
Hochzeit vorſtellt, ob ſich gleich ſo wenig der be-
ſtimmte Nahme der Neuvermaͤhlten, als die Be-
deutung jeder Figur im Einzelnen mit Gewißheit an-
geben laͤßt. Winkelmann 2) haͤlt es fuͤr eine Vor-
ſtellung der Vermaͤhlung des Peleus und der Thetis,
bei welcher drei Goͤttinnen der Jahrszeiten, oder drei
Muſen das Brautlied ſingen und ſpielen.
Die Figuren etwa zwei Palme hoch ſind nach
Art alter Basreliefs hinter einander auf einen Plan
geſtellt, und ſo wenig durch den Ausdruck eines un-
getrennten Antheils an einer ſichtbaren Handlung als
durch die Gruppirung zu einem Ganzen verbunden.
Man muß jede Figur fuͤr ſich betrachten, ſo findet
man große Schoͤnheiten, reitzende Stellungen, flieſ-
ſende Umriſſe, ſchoͤne Gewaͤnder. Die Leierſpielerin
iſt von mehreren neuen Mahlern in ihren Werken ge-
nutzet worden.
L 2Das
[164]Villa Aldovrandini.
Das Colorit hat ſehr gelitten.
Dies iſt das beſte antike Gemaͤhlde, das mir
bekannt geworden iſt, und es wird mir eine ſchickliche
Veranlaſſung geben, meine Ideen uͤber das was wir
von der Mahlerei der Alten wiſſen, auseinander zuſetzen.
einiger Be-
hutſamkeit
bei dem ver-
gleichenden
Urtheil des
Verdienſtes
der alten
Mahler ge-
gen das Ver-
dienſt der
neuen.
Nichts iſt gewagter, duͤnkt mich, als das Ur-
theil, das wir uͤber den Werth antiker Mahlereien
in Vergleichung mit den Werken unſerer modernen
Meiſter faͤllen: und doch iſt nichts gewoͤhnlicher, als
daß wir bald einen Apelles, einen Parrhaſius, ei-
nen Zeuxes weit uͤber alles hinausſetzen, was die
Mahlerei in neueren Zeiten von großen Maͤnnern auf-
zuweiſen hat; bald den Griechen und Roͤmern ſelbſt
die erſten Grundbegriffe dieſer Kunſt abſprechen.
Wie kann man ſo verfahren! Haben wir hinrei-
chende Data von der Mahlerei der Alten, um ein
Urtheil, es ſey nun zum Vortheil oder zum Nachtheil
der Neueren, vollſtaͤndig zu unterſtuͤtzen und zu recht-
fertigen? Unterſcheiden, beſtimmen wir genung die
verſchiedenen Erforderniſſe zur Vollkommenheit, um
die Grade derſelben gehoͤrig abzuſtufen? Vergeſſen
wir auch nicht, daß die Anſpruͤche, die man an eine
gewiſſe Kunſt macht, nach Verſchiedenheit der Be-
griffe, des Geſchmacks, durch Zeit und Raum ge-
trennter Voͤlker verſchieden, und eben daher die Werke,
die ſie unter andern Verhaͤltniſſen liefert, etwas ſehr
Gutes ſeyn koͤnnen, ohne gerade das zu ſeyn, was
wir von ihnen erwarten?
Ich vermuthe ſehr, keiner unſerer kecken Dikta-
toren geht mit dieſer Behutſamkeit zu Werke: und
doch ſcheint ſie ſo noͤthig!
Denn
[165]Villa Aldovrandini.
Denn die Mahlereien der Alten die wir beſitzen,
gehoͤren, aller Vermuthung nach, nicht zu dem Vor-
trefflichſten der alten Kunſt, und vielleicht nicht ein-
mal zu dem ſehr Guten. Sie ſind groͤßeſtentheils
in den verſchuͤtteten Pompeji, Herculanum und an-
dern Landſtaͤdten gefunden, wohin ſich die Meiſter in
der Kunſt wahrſcheinlich nicht verirret haben, die
feſten Waͤnde zu verzieren. Ich ſage hieher gekom-
men, die feſten Waͤnde zu verzieren, weil die beweg-
lichen Gemaͤhlde, die, ſo wie die dort aufgefundenen
Statuen von vorzuͤglicherem Werthe, von andern
Oertern haͤtten herbeigeſchafft werden koͤnnen, wahr-
ſcheinlich bei der Zerſtoͤhrung und Verſchuͤttung der
Stadt verlohren gegangen ſind.
In der Hauptſtadt, in Rom, haben ſich zwar
gleichfalls einige Gemaͤhlde erhalten, aber die Art,
wie ſie auf uns gekommen ſind, berechtigt uns eben ſo
wenig anzunehmen, daß zu den Zeiten des Flors der
Kunſt bei den Alten ein beſonderer Werth auf ſie ge-
legt ſey.
Es ſind gutentheils Gemaͤhlde in Moſaik, die,
aus den Fußboͤden verſchuͤtteter Gebaͤude ausgenom-
men, fuͤr etwas anders als architectoniſche Zierrathen
nicht gelten, und am wenigſten zum Maaßſtabe des
Werthes dienen ſollten, welchen die Originalien koͤn-
nen gehabt haben, nach denen ſie verfertigt ſind.
Die Bluͤthe des Genies in allen Theilen der Kunſt
geht bei einer ſolchen Nachbildung verlohren. Mo-
ſaiken ſind die Graͤnze, wo die Arbeit des Handwer-
kers ſich von dem ſchoͤnen Kunſtwerk trennet; und
wer wird uͤberhaupt das Vorzuͤglichſte dazu beſtim-
men, mit Fuͤßen getreten zu werden?
L 3Ande-
[166]Villa Aldovrandini.
Andere Gemaͤhlde auf naſſen Kalk oder trockenen
Grund gemahlt, ſind beinahe durchgehends aus den
Waͤnden unterirrdiſcher Gemaͤcher ausgehoben. Wie
haͤtten ſie ſich auch anders auf uns erhalten koͤnnen?
In den obern Geſchoſſen der Pallaͤſte angebracht,
wuͤrden ſie mit dieſen zu gleicher Zeit eingeſtuͤrzt, und
zertruͤmmert ſeyn. Laͤßt ſich aber wohl vermuthen,
daß man an Orten, wo ein reines helles Licht zur
Beleuchtung fehlt, etwas mehr als bloße Bekleidung
der Waͤnde zur voruͤbergehenden Beluſtigung des
Blicks, von der Mahlerei werde gefordert haben?
Mich duͤnkt ich habe etwas vor mir, wenn ich
vermuthe unter den Werken der Mahlerei, die ſich
auf uns erhalten haben, ſind keine Meiſterſtuͤcke eines
Parrhaſius, Apelles und anderer großen Kuͤnſtler
der Alten zu ſuchen: Iſt gar dasjenige wahr, was
Winkelmann 3) behauptet, daß unter den Kaiſern
die Mahlerei bereits in Verfall gerathen ſey, ſo wuͤrde
der Werth, den man auf Stuͤcke legen duͤrfte, die
beinahe alle in Gebaͤuden der Kaiſer gefunden ſind,
noch geringer ſeyn, und meine Vermuthung dadurch
einen hoͤheren Grad der Gewißheit gewinnen.
Sind die Beweiſe, die wir aus wuͤrklichen Bei-
ſpielen fuͤr die Vortrefflichkeit der alten Mahlerei
hernehmen, aͤußerſt mangelhaft, ſo ſind diejenigen,
welche die Zeugniſſe aͤlterer Schriftſteller liefern ſollen,
aͤußerſt unzuverlaͤſſig. Dieſe werden nicht ſelten durch
einen redneriſchen und poetiſchen Schmuck verdaͤch-
tig, mit dem der Schriftſteller mehr die Unterhaltung
des
[167]Villa Aldovrandini.
des Leſers als deſſen Belehrung zum Zweck gehabt zu
haben ſcheint. Oft verrathen ſie einen gaͤnzlichen
Mangel an Kenntniſſen des Eigenthuͤmlichen der
Mahlerei, und beinahe immer laſſen uns die ſchwan-
kenden Ausdruͤcke im Zweifel, ob die Einbildungs-
kraft des Beſchauers die mangelhafte Andeutung des
Gebildeten nicht allein bis zur wuͤrklichen Darſtellung
ausgefuͤllt habe.
Denn wie unbeſtimmt und vielfach iſt der Be-
griff, den ſich das Auge von der Wahrheit und
Schoͤnheit des Colorits machen kann, wenn das Ohr
vernimmt, daß auf den Wangen einer Venus die
Roſen mit den Lilien vermiſcht gelegen haben! Paßt
dieſer Ausdruck nicht ſo gut auf die geſchminkte Puppe,
als auf die Venus eines Tizians? Und wenn man
von einem gemahlten Ochſen lieſt, daß, ob er gleich
nur von vorn zu []ſehen geweſen waͤre, man dennoch
auf ſeine ganze Laͤnge habe ſchließen koͤnnen; laͤßt ſich
aus dieſem perſpektiviſchen Probeſtuͤckgen des gering-
ſten unſerer Anfaͤnger die kuͤnſtliche Verſchmelzung
heller und dunkler Farben, die weiſe Vertheilung des
Lichts und Schattens eines Correggio mit Sicherheit
folgern?
Truͤgeriſch iſt ſchriftſtelleriſches Lob, nicht blos
in Theilen der Kunſt die fuͤr das forum des Auges
gehoͤren, nein! ſelbſt in denjenigen an deren Beur-
theilung der innere Sinn des Menſchen den haupt-
ſaͤchlichſten Antheil nimmt!
Mit welchem Enthuſiasmus redet Algarotti 4)
von der Marter der heiligen Agatha, einem Ge-
L 4maͤhlde
[168]Villa Aldovrandini.
maͤhlde des Tiepolo in der Kirche di St. Antonio zu
Padua! Man lieſt, ſagt er, in dem Geſichte der
Heiligen den Schmerz und die Hoffnung der Seelig-
keit, u. ſ. w. Wer ſich Staͤrke genung zutrauet,
den ekelhaften Anblick einer Frauensperſon zu ertragen.
deren abgeſchnittene Bruͤſte blutig umherliegen, der
gehe hin und ſehe! der Ausdruck iſt Carricatur, die
Zeichnung unbeſtimmt und manierirt, das Colorit
wahre Fechtelmahlerei, und das Helldunkle conven-
tionell.
Aber, hoͤre ich die Verehrer des Alterthums ein-
wenden, wenn nun ſchon das Mittelmaͤßige, das
Schlechte, das ſich auf uns erhalten hat, das Vor-
trefflichſte der neueren Kunſt ſo weit hinter ſich laͤßt! —
Aber, rufen mir die Anhaͤnger der Neueren entgegen,
wenn nun in den Werken der Alten, ſie moͤgen ſo
ſchlecht ſeyn wie ſie wollen, nicht einmal die Spur
eines Begriffs von den eigenthuͤmlichen Vorzuͤgen der
Mahlerei angetroffen wird! Die Spur muͤßte ſich
doch wenigſtens finden, die Vermuthung eines ent-
fernten Nachſtrebens, vorzuͤglich in ſolchen Theilen,
welche weniger von der mechaniſchen Uebung in der
Ausfuͤhrung, als von der wiſſenſchaftlichen Kenntniß
in der Zuſammenſetzung abhaͤngen, und daher theils
leichter beobachtet, theils leichter wieder gefunden
werden. Selbſt in dem geſudeltſten Conterfei unſe-
rer heutigen Meiſterſtuͤcke findet ſich eine Andeutung
des Helldunkeln, der Gruppirung, der Luft- und
Linienperſpektiv. Wenn wir nun aber in den Wer-
ken der alten Sudler dieſe Theile nicht blos vernach-
laͤſſigt, gerade zu beleidigt ſehen! — der Schluß folgt
von ſelbſt.
Lieben
[169]Villa Aldovrandini.
Lieben Maͤnner! wollen wir durchaus urtheilen,
ſo laßt uns die verſchiedenen Theile der Vollkommen-
heit eines Gemaͤhldes unterſcheiden; unterſcheiden die
verſchiedenen Wuͤrkungen, welche die Alten und die
Neueren von der Mahlerei erwarteten.
Ich geſtehe: die Gemaͤhlde der Alten erfuͤllen
nicht die Forderungen, die ich an eine gute poetiſche
Erfindung mache. Die Suͤjets, die darauf vorge-
ſtellt ſind, ſind fuͤr mein Herz und meine nordiſche
Einbildungskraft, welche gern ein wenig ſtark bewegt
zu werden lieben von geringem Belang. Mehren-
theils ſind ſie aus religioͤſen Vorſtellungen hergenom-
men. Vorzuͤglich aber vermiſſe ich in groͤßeren
Compoſitionen den ungetrennten Antheil mehrerer
Perſonen an einer Handlung, der fuͤr ſich durch eine
paſſende Pantomime einen vollſtaͤndigen Aufſchluß
uͤber die dargeſtellte Situation enthielte. Gemeini-
glich koͤmmt mir der Ausdruck fuͤr die Lage uͤbertrie-
ben, oder unbedeutend vor. Phyſiognomie, Cha-
rakter haben die Figuren, ſelbſt zuweilen Ausdruck
einer Gemuͤthsverfaſſung, welche durch die indivi-
duellen Verhaͤltniſſe der dargeſtellten Perſonen moti-
virt wird; aber ſelten liegen dieſe Verhaͤltniſſe im
Bilde: gemeiniglich ſetzt der Kuͤnſtler die Kenntniß
derſelben bei dem Anſchauer zum Voraus, und ſtellt
ſeine Akteurs auf eine Art vor, als haͤtten dieſe nicht
ſowohl den Auftrag, mich uͤber ihre Beſchaͤfftigung
zu verſtaͤndigen, als mir die ſchoͤnſten Stellungen zu
zeigen, in denen bei einer ſolchen Veranlaſſung ſich
einzelne Figuren denken laſſen.
Bei einzelnen Figuren mag uns denn ſelbſt nach
unſern heutigen Begriffen dies genuͤgen. Aber bei
L 5einer
[170]Villa Aldovrandini.
einer groͤßeren Compoſition, die einen vollſtaͤndigen
Aufſchluß uͤber die Lage der dargeſtellten Perſonen
durch die Art geben ſoll, wie ein Akteur pantomimiſch
auf den andern wuͤrket, verlangen wir mehr; und
dieſe Forderung, behaupte ich, wird uns in den
auf uns gekommenen Mahlereien der Alten in einer
Maaße verſagt, die uns zu glauben berechtigt, daß
ſelbſt ihre Meiſterſtuͤcke dieſen Weg fuͤr unſer Vergnuͤ-
gen zu arbeiten, nicht verfolgt haben.
Je mehr ich uͤber die Sache nachdenke, je mehr
halte ich mich uͤberzeugt, daß die Alten bei ihren groͤſ-
ſeren Compoſitionen weniger dramatiſirten als wir;
daß ſie bei der Verſammlung mehrerer Figuren an
einem Orte weit weniger auf das Zuſammenhandeln,
als auf die Aufſtellung mehrerer vereinigten Schoͤn-
heiten Bedacht nahmen; daß daher das Vergnuͤgen
des Auges an ſchoͤnen Formen immer hoͤchſter Zweck
ihrer Mahlerei war.
Hieraus fließen nun zugleich andere Regeln fuͤr
die mahleriſche Anordnung. Sollen die Figuren
einzeln geſehen werden, ſo muͤſſen ſie, die eine vor
der andern, Raum haben, mithin nicht hinter, ſon-
dern neben einander ſtehen. Beinahe alle Gemaͤhlde
der Alten, die ich kenne, ſind wie die beſten ihrer
Basreliefs angeordnet. Inzwiſchen ſind mir zu
Portici ein Paar Gruppen aufgefallen, deren Figu-
ren einige tiefer, einige hoͤher, nach den gehoͤrigen
Verhaͤltniſſen der Naͤhe und Entfernung und mit
ſchicklicher Abwechſelung von Stellungen vorgeſtellet
waren. Allein daraus laͤßt ſich nicht folgern, daß
die Alten die Wuͤrkung einer ſchoͤnen Anordnung auf
eben
[171]Villa Aldovrandini.
eben ſo gewiſſe Regeln, und in ihrer Anwendung es
zu eben der Fertigkeit gebracht haben, als ein An-
drea Sacchi, oder Annibale Carraccio. Ganz
etwas anders iſt es drei oder vier Figuren in eine
Gruppe zu bringen, und zwanzig und mehr Figuren
in verſchiedene große Maſſen, dann wieder zu einem
leicht zu uͤberſehenden Ganzen zu vereinigen. Jenes
lehrt die getreue Nachbildung der Natur, hiezu wird
Wahl, Erfahrung und Ueberlegung erfordert.
Daß man doch uͤberhaupt Wahl von Zufall,
das Weſentliche von dem Moͤglichen, groͤßere Com-
poſitionen von Gemaͤhlden, die aus einer, zwei oder
hoͤchſtens vier Figuren beſtehen, unterſcheiden wollte!
Man findet nicht allein Schattirung, Abwechſelung
von Licht und Schatten, ſondern auch Spuren von
Reflexen in den Gemaͤhlden der Alten. Ich erin-
nere mich auf einem derſelben in Portici ein Bein
in der Verkuͤrzung gemahlt geſehen zu haben, auf
deſſen Knie und Fuß das Licht ſehr richtig fiel, waͤh-
rend daß eben ſo richtig der mittlere Theil des Beins
im Schatten gehalten war. Was will man aber
daraus folgern? Jeder Schuͤler, der zum erſten
Mahle nach einem lebenden Modelle arbeitet, kann
dieſe Wuͤrkung des Lichts wahrnehmen, und wenn er
treu nachahmt, ſie andeuten. Aber iſt dies einerlei
mit der weiſen Austheilung des Lichts, mit dem ver-
ſchmolzenen Uebergang derſelben in den Schatten,
die wir an dem Pinſel des Correggio bewundern?
Kann der Schluß mit Sicherheit gelten, weil hier
ein Klecker einmal eine Wuͤrkung der Abwechſelung
des Lichts und Schattens im Einzelnen angedeutet
hat, ſo haben die Meiſter in der Kunſt die ganze
Magie
[172]Villa Aldovrandini.
Magie des Helldunkeln in eben der Maaße wie die
Neueren verſtanden?
Von dem Colorit der Alten wiſſen wir nur ſo
viel, ſie brauchten gute dauerhafte Farben. Aber
dies gilt nur von den reinen ungemiſchten Hauptfar-
ben. (couleurs vierges.) Fuͤr die Kunſt ihrer
Farbenmiſchung buͤrgt uns nichts. Es laͤßt ſich aus
dem was wir ſehen, nichts fuͤr, nichts wider ſie fol-
gern. Es ſind mittelmaͤßige Werke, Decorations-
mahlereien, meiſtens ſchnell und auf den erſten
Strich hingearbeitet; und was das ſchlimmſte iſt,
alle verblichen. Es iſt eine bekannte Erfahrung,
daß Gemaͤhlde, welche Jahrhunderte durch in feuch-
ten Gewoͤlbern verſchloſſen geweſen ſind, wenn ſie
nachher an die Luft gebracht werden, immer verder-
ben, und nicht ſelten ganz verzehret werden.
Luft und Linienperſpektiv iſt in keiner mir bekann-
ten groͤßeren Compoſition der Alten beobachtet, und
wenn man nicht auf eine ganz unverantwortlich par-
theiiſche Art Ruͤndung einzelner Figuren, Abſtufung
und Abſchwaͤchung entfernterer Gegenſtaͤnde gegen die
naͤheren in einem geringen Raume, nach dem bloßen
ungebildeten Augenmaaße, mit den kuͤnſtlichen Re-
geln der Optik vermengen will, ſo kann man dreiſt
behaupten, daß die Alten ſie nicht gekannt haben.
Hingegen in einem auch fuͤr unſere heutige Kunſt
aͤußerſt wichtigen Theile, in der Zeichnung, haben
ſie ſelbſt nach dem, was wir von ihren Handwerkern,
ihren Decorationsmahlern kennen, unſere Neueren
uͤbertroffen. Wir finden in den armſeligen Ueber-
bleibſeln ihrer Mahlerei, eine Wahl der Formen,
eine
[173]Villa Aldovrandini.
eine Zierlichkeit der Stellungen, eine Richtigkeit der
Verhaͤltniſſe, eine Weisheit in dem Wurfe der Ge-
waͤnder und dem Schlage der Falten, eine Dreiſtig-
keit und Fertigkeit der Hand, dergleichen in unſern
neueren Zeiten kaum ein Raphael ſich wuͤrde ruͤhmen
koͤnnen. Kurz! alle die Vorzuͤge, die uns die beſten
Basreliefs der Alten ſo werth machen, finden ſich
auf einigen ihrer Gemaͤhlde wieder: Auf Gemaͤhl-
den, die wahrſcheinlich nur ein ſchwacher Abſchatten
von ihren verlohren gegangenen Meiſterſtuͤcken ſind.
Was folgt aus alle dieſem? Die Vorzuͤge der
Alten waren vermuthlich verſchieden von den Vor-
zuͤgen der Neueren, nach der Verſchiedenheit der
Wuͤrkung die ſie intendirten. Sie wollten dem
Auge gefallen: darum zeichneten ſie ſo ſchoͤne For-
men, darum koͤnnen ſie ſo ſchoͤn colorirt haben, wel-
ches wir aber nicht wiſſen.
Den Verſtand zu unterhalten, das Herz zu ruͤh-
ren, die Einbildungskraft zu beſchaͤfftigen, war ih-
nen geringere Sorge: darum wandten ſie auch weni-
ger auf die poetiſche und mahleriſche Anordnung.
Sie mahlten auch dann, wann ſie mehrere Fi-
guren vereinigten, immer die einzelne menſchliche
Form neben der einzelnen menſchlichen Form, darum
iſt es glaublich, daß ſie das Helldunkle vernachlaͤßigt
haben, und gewiß, daß ſie in der Luft- und Linien-
perſpektiv bis zu keinen ſicheren Regeln fortgeſchrit-
ten ſind.
So vermuthe ich: wenn ich vermuthen ſoll.
Mein groͤßter Ruhm iſt ſonſt hier mit einigen alten
Philoſophen zu ſagen: das was ich weiß, iſt, daß
ich
[174]Villa Aldovrandini.
ich gar nichts weiß. Finde ich ein altes Gemaͤhlde,
das, als Gemaͤhlde, (im neueren Sinn) meine
Forderungen befriedigt, ſo genieße ich im Stillen,
ohne Anmaaßung aus einzelnen Beiſpielen generelle
Saͤtze zu folgern.
uͤber den me-
chaniſchen
Theil der
Mahlerei der
Alten.
Hier noch einige Gedanken uͤber den mechani-
ſchen Theil der Mahlerei der Alten, woruͤber Win-
kelmann 5) weder ſo viel geſagt hat, als der Liebha-
ber wiſſen moͤchte, noch es ſo geſagt hat, wie es die
Erfahrung beſtaͤtigt.
Wir wiſſen nicht mit Gewißheit, ob die Alten
in Oehl und Miniatur gemahlt haben. Gewoͤhnlich
geſchah es auf trockenem Grunde mit Farben, die
mit Leim, Gummi und Eierweiß zubereitet waren
(a Guazzo, detrempe) auf naſſen Moͤrtel
(al fresco) und mit encauſtiſcher Verfahrungsart.
Die beiden erſten ſind auch bei uns gewoͤhnlich.
Die letzte wieder herzuſtellen haben ſich der Graf
Caylus, Bachelier, der Baron Taubenheimer, und
ein gewiſſer Calau in Berlin, viele zum Theil ver-
gebliche Muͤhe gegeben.
Ich bin nicht im Stande, uͤber die Richtigkeit
der verſchiedenen Meinungen dieſer Maͤnner zu urthei-
len, da ich ſelbſt geſtehen muß, daß mir nie einer
ihrer Verſuche zu Geſichte gekommen iſt. Inzwi-
ſchen glaube ich, daß diejenigen, welche bei der Zu-
bereitung der Farben ein fettiges Wachs gebrauchen,
oder die mit Wachs trocken gemiſchten Farben ge-
ſchmol-
[175]Villa Aldovrandini.
ſchmolzen auftragen, ſich am weiteſten von der Ver-
fahrungsart der Alten entfernen.
Plinius verſichert, daß getaͤfelte Waͤnde, ja!
Schiffe ganzer Flotten mit der encauſtiſchen Maſſe
beſtrichen worden, und daß dieſe zu einer unaufloͤs-
lichen Feſtigkeit gediehen ſey.
Beides laͤßt ſich kaum denken, wenn man ent-
weder ein ſehr fettiges Wachs annimmt, oder ein
zaͤhes, das nur durchs Feuer waͤhrend des Auftrages
zur Behandlung geſchickt wird.
Wahrſcheinlicher iſt es mir, daß die zaͤhe Ma-
terie des Wachſes oder gewiſſer Harze durch eine vor-
laͤufige Aufloͤſung durchs Feuer der Vermiſchung mit
dem fluͤßigern Oehle, oder gar mit Waſſer und da-
durch auf eine Zeitlang bei dem Auftrage des Aus-
einandertreibens, ohne fernere Anwendung des
Feuers, faͤhig geworden ſey: Daß man nachher
dieſe Farbe von ſich ſelbſt an der Luft trocknen laſſen,
oder daß man wenigſtens erſt nach dem Auftrage
durch angebrachtes Feuer die Maſſe in den damit
bedeckten Grund, ſo zu ſagen, eingeſenget habe.
In dieſem letzten Falle wuͤrde die Verfahrungsart
mit unſerer heutigen Porcellainmahlerei, in dem er-
ſten aber, mit dem Betheeren unſerer modernen
Schiffe einige Aehnlichkeit gehabt haben.
Inzwiſchen dies ſind Hypotheſen, die ich dem
Liebhaber nicht gern aufdringen moͤchte. Nur ſo
viel ſcheint mehr als Hypotheſe zu ſeyn: Eine ſo zaͤhe
Materie als das gewoͤhnliche Wachs, das nur
durchs Feuer auf kurze Zeit fluͤßig wird, laͤßt ſich
nicht ohne die groͤßten Schwierigkeiten zur Farben-
miſchung
[176]Villa Aldovrandini.
miſchung, Vertreibung, und gleich ebenen Gruͤn-
dung brauchen: eine ſo fettige, wie das Jungfer-
Wachs iſt einer reinen Behandlung nicht faͤhig, bleibt
immer Schmiererei, und kann zu einer unaufloͤsli-
chen Feſtigkeit nicht gelangen. Wahrſcheinlicher
iſt alſo die encauſtiſche Maſſe ein harziger Firniß ge-
weſen, der vor dem Auftrage zu der gehoͤrigen Fluͤſ-
ſigkeit und Conſiſtenz zubereitet, in der Folge der
Zeit verhaͤrtete. Wie das Feuer dabei angewandt
wurde, ob vor dem Auftrage, ob nachher, iſt bis jetzt
noch nicht ausgemacht: nur ſo viel iſt gewiß, bei
dem Auftrage ſelbſt, um der Maſſe die Behand-
lungsfaͤhigkeit, das maniable, nur auf die Zeit des
Auseinandertreibens zu geben, dazu kann dieſes Ele-
ment nicht gebraucht ſeyn: mithin iſt der Begriff
der Encauſtik als: Einbrennungskunſt, eine Chi-
maͤre.
Die Alten mahlten auf Moͤrtel, Holz, Metall,
Haͤute, feine Leinwand, Elfenbein, Aegyptiſches
Papier u. ſ. w.
Wenn wir diejenigen Farben abrechnen, die
uns America in neueren Zeiten geliefert hat, ſo be-
dienten ſie ſich, bis auf einige wenige nach, derſel-
ben die wir noch jetzt haben. Was Plinius unter
den vier Farben verſtanden wiſſen wolle, deren ſich
die erſten Meiſter in der Kunſt allein ſollen bedient
haben, iſt noch nicht ausgemacht, und fuͤr den Lieb-
haber eine Nachricht, die er auf ihren Werth und
Unwerth beſtehen laͤßt. Wichtiger wird ihm der
Unterſchied zwiſchen den Gemaͤhlden, die man Mo-
nochrommen (Monochromata) und ſolchen, die man
Poly-
[177]Villa Aldovrandini.
Polychrommen (Polychromata) nennt, und uͤber
dieſe will ich noch einiges hinzuſetzen.
Wem ſind die ſchoͤnen Zeichnungen der Taͤnzerin-
nen nicht bekannt, der Bacchantinnen, die in ihrer
Wuth die gezaͤhmten Centauren mit den Ferſen und
Stoͤßen des Thyrſus antreiben, und in dem Muſeo
zu Portici aufbehalten werden! Wer hat nicht mehr
als einmahl in ſeinem Leben die Zeichnungen auf den
Gefaͤßen von gebrannter Erde bewundert! Nirgends
findet man Abſaͤtze, von neuem angeſetzte Linien,
alles ſcheint mit einem Striche, ohne die geringſte
Verbeſſerung hingeſetzt zu ſeyn. Wenn man nun
bedenkt, daß der Thon ſich aͤußerſt ſchwer bemahlen
laͤßt, daß er die Feuchtigkeit der Farben ſogleich ein-
zieht, und gemeiniglich in dem Pinſel nichts als Erde
zuruͤcklaͤßt, ſo wird die Geſchwindigkeit und Leichtig-
keit, mit der jene ſo richtig, ſo keck hingeſetzten Fi-
guren gemahlt ſeyn muͤſſen, zum unerklaͤrbaren
Wunder. Winkelmann 6) hat daher auch die große
Superioritaͤt der alten Zeichner uͤber die groͤßten un-
ſerer Zeiten vorzuͤglich mit darauf gebauet, daß die
Bemahler jener Gefaͤße aus Thon, welche wahr-
ſcheinlich keine Apelles, Zeuxes, Parrhaſius geweſen
ſind, einen Raphael an Fertigkeit, Zuverlaͤßigkeit
und Richtigkeit der Zeichnung uͤbertroffen haͤtten.
Allein wenn man die Natur dieſer Monochrom-
men etwas genauer unterſucht, ſo wird das Wunder-
bare zum Theil wegfallen.
Die
Zweiter Theil. M
[178]Villa Aldovrandini.
Dieſe Monochrommen oder Monochromata ſind
naͤmlich Gemaͤhlde aus einerlei Farbe. Bald er-
ſcheinen die darauf vorgeſtellten Figuren, mit einem
hellen Umriſſe auf dunkelm Grunde, und die lichteren
Partien ſind gleichfalls hell wie der Umriß: bald iſt
der Grund hell, die Umriſſe ſind dunkel, und dunkel
ſind auch die ſchraffirten Schatten. Auf den erſten
Anblick glaubt man die Umriſſe, die hellen oder dunk-
leren Partien waͤren mit dem Pinſel aufgetragen, und
dann wuͤrde das Wunderbare beſtehen.
Allein alle Erfahrungen widerſprechen der Moͤg-
lichkeit eines ſo geſchwinden und doch richtigen Auf-
trages auf eine ſo widerſtrebende Maſſe. Man be-
merkt nicht die geringſte Erhoͤhung, welche die auf-
getragene Farbe nothwendig veranlaßt haben muͤßte.
An mehreren Gemaͤhlden iſt die Figur abgeſprungen,
der untere Grund zeigt ſich unbeſchaͤdigt, welches bei
der Impregnation deſſelben mit der feuchten Farbe,
ſchlechthin nicht moͤglich geweſen waͤre.
Es wird daher wahrſcheinlicher, daß dieſe Zeich-
nungen auf eben die Art verfertigt ſind, wie unſere
heutigen Sgraffiti. Es iſt naͤmlich bekannt, daß
Polydoro da Carravaggio und viele andere Italiener
ihrem Moͤrtel eine ſchwarze Farbe gaben, und dieſen
nachher mit einem weißen Kalkanſtrich uͤberzogen.
Wollten ſie nachher auf dieſer auf ſolche Art zuberei-
teten Flaͤche Figuren erſcheinen laſſen, ſo entbloͤßten
ſie den ſchwarzen Anwurf mit einem eiſernen Stifte,
und trattegirten, oder ſchraffirten die Schatten nach
Art der Zeichnungen gleichfalls durch Aufkratzen.
Ein ſolches Gemaͤhlde nennen die Italiener Sgraffito,
oder
[179]Villa Aldovrandini.
oder auch mit dem generellen Nahmen fuͤr alle Ge-
maͤhlde aus einer Farbe Chiaro oscuro. Hier
werden die Umriſſe und die Schattenpartien ſchwarz:
Grund und Lichter bleiben weiß.
Unſere Kupferſtecher verfahren beim Radiren
auf eine aͤhnliche Art, nur daß ſie den ſchwarzen Fir-
niß aufkratzen, ſo daß Umriſſe und Lichter hell wer-
den, Grund und Schatten aber dunkel bleiben.
Ich habe auch wohl Glastafeln geſehen, die hinten
mit einem ſchwarzen Firniß bedeckt waren: Man
hatte die Zeichnung mit dem Griffel in dieſen Firniß
hineingegraben, und die Glastafel ſodann auf eine
uͤbergoldete Platte gelegt: dadurch erſchienen die Lich-
ter und Umriſſe auf einem ſchwarzen Grunde wie
golden.
Auf aͤhnliche Art ſtelle ich mir vor, iſt man
mit den Monochrommen der Alten verfahren. Man
hat zwei Lagen von Farben auf eine Tafel gebracht,
oder nur eine auf die natuͤrliche der Flaͤche. Man
hat die oberſte weggehoben, und bald die hellere, bald
die dunklere Farbe zu den Umriſſen, zu den Maſſen
der Lichter und der Schatten gebraucht. 7) Da-
durch wird nun die große Preciſion der Zeichnungen
begreiflicher, weil die fehlerhaften Stellen durch eine
neue Ueberſetzung mit der obern Lage von Farbe leicht
verbeſſert werden konnten. Man begreift ferner,
M 2warum
[180]Villa Aldovrandini.
warum der Auftrag des Pinſels nicht zu ſpuͤren iſt,
und endlich laͤßt ſich auch das erklaͤren, warum nach
abgeſprungenen Figuren, der Grund unverſehrt er-
ſcheinet. Denn wenn die ganze obere Lage abge-
ſprungen iſt, ſo hat ſich nothwendig auch die dadurch
vorgeſtellte Figur verlieren muͤſſen.
Es iſt mir wahrſcheinlich, daß vorzuͤglich bei
den Monochrommen auf Gefaͤßen aus gebrannter
Erde, zu der obern Lage eine enkauſtiſche Maſſe
gebraucht ſey, die nachher, wenn das Sgraffiren
geſchehen war, durchs Feuer eine unaufloͤsliche Fe-
ſtigkeit erhielt.
Polychrommen (Polychromata) waren Ge-
maͤhlde in mehreren Farben. Es iſt gar nicht un-
wahrſcheinlich, daß einige derſelben, auf eben die
ſgraffirte Art, wie die Monochrommen, durch einen
Zuſatz von mehreren vielfarbigen Lagen uͤbereinander,
verfertigt worden: gar nicht unwahrſcheinlich, daß
die ſgraffirten Zeichnungen zum Theil nur durch den
Auftrag, entweder enkauſtiſcher oder anderer Farben
colorirt, oder wenn man lieber will, angefaͤrbt ſind;
und bei den Gefaͤßen von gebrannter Erde, leidet
dieſe Verfahrungsart bei mir keinen Zweifel.
Aber aͤußerſt unrecht wuͤrde man auch den
Alten thun, wenn man behaupten wollte, ihre
Mahlerei haͤtte nun weiter in nichts als in der
Illuminirung ſolcher vorher in Schatten und Licht
gebrachter Zeichnungen beſtanden. Es iſt wahr,
Fra Bartholomeo hat auf dieſe Art ſeine vorher
grau in grau gemahlten Zeichnungen gefaͤrbt: aber
auch mit welchem Anſpruch auf Wahrheit des Colorits?
Colorit
[181]Villa Aldovrandini.
Colorit iſt Farbenmiſchung, nicht bloßes Anſtreichen
mit Farbe — doch! warum ſoll ich hier dasjenige
wiederholen, was ich im erſten Theile uͤber Tizians
Colorit geſagt habe. Dieſe Kunſt der Farbenmi-
ſchung den Alten ganz abzuſprechen, dazu haben wir
kein Recht: aber wahr iſt es, viele ihrer auf uns
in Freſco und enkauſtiſcher Farbe erhaltenen Poly-
chrommen ſind weiter nichts als ſgraffirte, in Licht
und Schatten ausgearbeitete Zeichnungen, die nach-
her illuminirt worden.
Ich gehe nun zur Beſchreibung der uͤbrigen in
dieſer Villa aufbehaltenen Kunſtwerke fort.
† Bacchus in Begleitung ſeines ganzen Zu-
ges eilt zur verlaſſenen Ariadne ſie zu troͤſten:
von Tizian. Es hat ſehr gelitten. Man bemerkt
darauf einen Satyr, der als eine Carricatur des
Laocoon, von Schlangen umwickelt iſt.
Ein Concert in der Manier des Parmeg-
gianino.
Arethuſa und Alpheus, Sbozzo von dem-
ſelben.
Ein kniender Moͤnch von Annibale Car-
raccio.
Eine Landſchaft mit Vieh von Roſa di
Tivoli.
Johannes der Taͤufer, und ein heiliger
Sebaſtian, beide von Bronzino.
Ein Portrait, angeblich von Giorgione.
Ein anderes von Tintoretto.
M 3Eine
[182]Villa Aldovrandini.
Eine heilige Familie, angeblich von A. del
Sarto.
Eine heilige Familie aus Raphaels Schule.
Ein ſchoͤner Weiberkopf, von Benvenuto
Garofalo.
Einige Baſſano’s.
† Ein Bacchanal von Giovanni Bellini mit
der Jahrszahl 1514 und ſeinem Nahmen. Man
ſagt, dies ſey das letzte Werk dieſes Meiſters, wel-
ches er in ſeinem 90ten Jahre anfieng, und, vom
Tode uͤbereilt nicht endigen konnte. Es war fuͤr den
Herzog von Ferrara beſtimmt, und Tizian legte die
letzte Hand daran.
David und Goliath, von Cav. d’Arpino.
Die Enthauptung Johannes des Taͤu-
fers, von Agoſtino Carraccio.
Eine ſchoͤne heilige Familie, von Perrino
del Vaga. Die Zeichnung iſt fein, obwohl etwas
manierirt.
Man findet hier noch außerdem eine Samm-
lung von Gemaͤhlden der erſten Meiſter nach Wieder-
herſtellung der Mahlerei. Sie ſind dem Litterator
der Kuͤnſte merkwuͤrdiger als dem Liebhaber.
Statuen und Basreliefs.
Eine ſchluͤpfrige Gruppe eines Fauns und
eines Hermaphroditen.
Eine Venus auf einem Schwane wahr-
ſcheinlich neu.
An
[183]Villa Aldovrandini.
An der aͤußeren Seite der Mauer des Haupt-
gebaͤudes † ein Basrelief, welches einen Juͤng-
ling und einen Alten vorſtellt, die mit den ſo-
genannten Ceſtus, (Riemen von Leder, von deren
Enden einer um die Hand gewickelt wurde, der an-
dere aber zum Schlagen diente,) ſtreiten.
Einige andere, die von Triumpfboͤgen genom-
men zu ſeyn ſcheinen.
† Einige ſchoͤn gedachte und fleißig ausgefuͤhrte
Frieſen.
† Eine Kuh in Lebensgroͤße aus Mar-
mor. Sie iſt beruͤhmt, und wuͤrde verdienen es
zu ſeyn, wenn nicht ſo vieles daran neu waͤre. Sie
ſteht im Garten.
Eine Ziege. Ich habe ſie nicht geſehen. Sie
war zu meiner Zeit verſchloſſen.
Pallaſt
[184]
Pallaſt Quirinale
oder auchdel Monte Cavallo.
† Capelle des Guido. Eins der weitlaͤuftig-
ſten Werke dieſes Meiſters.
Guido Reni.
Guido Reni ward 1575 zu Bologna geboh-
ren: Waͤre Apelles dort und dazumals gebohren
worden; ich glaube er wuͤrde wie Guido gemahlet
haben.
Kein Mahler der Neueren hat ſo ſehr wie er im
Geiſte der Alten gedacht, und die Grundſaͤtze, die ſie
bei der Bildung der Schoͤnheit beobachteten, auf die
Darſtellung der Natur ſeines Landes, auf die Vor-
wuͤrfe die den Pinſel des Kuͤnſtlers in neueren Zei-
ten hauptſaͤchlich beſchaͤfftigen, anzuwenden gewußt:
Mehr als jedem andern iſt es ihm gegluͤckt, die edle
Geſtalt, den einfachen Reiz, der aus der Ueberein-
ſtimmung der Zuͤge entſteht, mit einer hohen Bedeu-
tung des Charakters, und einem erhabenen und wah-
ren Ausdruck des Affekts zu vereinigen.
Allgemein gilt inzwiſchen dieſes Zeugniß nicht.
Seine Engel, ſeine Johannes haben nicht die unbe-
fangene Holdſeligkeit, den himmliſchen Liebreiz, (Kin-
der des Wohlſtands, der Freiheit, und des Clima
bei den Griechen,) die wir an einem Bacchus, oder
einem Apollino bewundern: Seine David, ſeine
Erzengel Michael, nicht den Ausdruck von Helden-
groͤße, mit dem ein Apollo im Belvedere, ein Ajax
unſere Seele faßt. Die Denkungsart ſeines Zeit-
alters,
[185]Pallaſt Quirinale.
alters, die Begriffe ſeiner Religion, der Ort an
dem er lebte ſtanden ihm im Wege, die Idee eines
thaͤtig großen Geiſtes in ſeiner Seele zu zeugen. Die
Koͤpfe der jugendlichen maͤnnlichen Figuren ſind
auf ſeinen Gemaͤhlden gemeiniglich unbedeutend,
und die Stellungen theatraliſch gezwungen. Hinge-
gen iſt ihm die duldende Staͤrke der Helden ſeiner
Kirche auszudruͤcken viel beſſer gegluͤckt: und wo zeigt
ſich dieſe mehr als in Kindern, Weibern, und Alten!
Hier hat er Einfalt zur lieblichen Unſchuld, unthaͤtige
Duldung zum edeln Vertrauen auf die Vorſicht zur
Ergebung in den Willen des Himmels, und froͤm-
melnde Andaͤchtelei, zur Inbrunſt, ja! zur voͤlli-
gen Entkoͤrperung, und Vereinigung mit der Gott-
heit gehoben.
Aber auf die Vorſtellung dieſer Charaktere, und
dieſer Affekten war das Talent des Guido auch bei-
nahe ganz eingeſchraͤnkt. Darf ich vergleichen? Nicht
ſowohl der kuͤhne Odendichter war er, der in ſeiner
Begeiſterung Gottheiten vom Himmel herabzieht;
vielmehr der Elegiſche der in feierlicher Stimmung
den Menſchen uͤber das Irrdiſche weghebt. Kann
der dreiſte aber paſſende Ausdruck verziehen werden?
Guido war auch kein dramatiſcher Mahler. In groͤſ-
ſeren hiſtoriſchen Compoſitionen iſt er ſelten gluͤcklich
geweſen. Er hat ſie geliefert, weil der Geſchmack
ſeines Zeitalters es mit ſich brachte. Aber ſelten haͤn-
gen die Perſonen durch einen gemeinſchaftlichen Antheil
an der Haupthandlung zuſammen, und machen ſie
pantomimiſch deutlich. Es iſt immer die einzelne
Figur, neben der einzelnen Figur zu ihrer Seite in
Ruͤckſicht auf poetiſche Erfindung. Selbſt der mah-
M 5leri-
[186]Pallaſt Quirinale.
leriſchen merkt man es an, daß er keine ganz ſichere,
auf wahre Kenntniß des Weſens dieſer dramatiſchen
Art von Mahlerei gebauete Begriffe hatte. Oft
vermißt man in ſeinen groͤßeren Compoſitionen, Grux-
pirung, Helldunkles, Harmonie, kurz! die Theile
wodurch ein weitlaͤuftiges Gemaͤhlde zu einem ſchoͤ-
nen Ganzen wird.
In einzelnen Geſtalten alſo hat Guido ſeine
Groͤße. Man findet in ihnen die ſchoͤnſte Natur
ſeiner Zeit in die Form der Antike gegoſſen. Die
Umriſſe ſeiner Koͤrper ſind aͤußerſt ſwelt, vorzuͤglich
mahlte er ſchoͤne Haͤnde.
Die Gewaͤnder dieſes Meiſters werden ſehr ge-
ſchaͤtzt. Er fuͤhrte vielleicht zuerſt die halbflachen
Falten ein, die man im Franzoͤſiſchen plis formés
d’une maniere méplate nennt. Wenn naͤmlich
ein Gewand uͤber ein rundes Glied faͤllt, ſo pflegt es
nicht immer rund anzuliegen, ſondern es bildet in
der Mitte eine halbrunde Flaͤche. Es nimmt durch
ſeine eigene Conſiſtenz und durch das Geſetz der
Schwere noch eine andere Lage an, als diejenige die
Plis formés
d’ une ma-
niere mé-
plate.ihr die Impreſſion des Koͤrpers giebt, an dem es
ruht. Es iſt rund durch das Glied, an welches es
in der Mitte anſtoͤßt, und es wird aus einander ge-
zogen durch die Steifigkeit des Stoffs und durch den
Fall auf andere Glieder oder andere Falten des Ge-
wandes.
Dieſe Art die Falten zu ſchlagen, iſt ſehr vor-
theilhaft fuͤr die Beleuchtung, weil ſie die hellen und
dunkeln Partien nicht zu ſehr unterbricht, und mit
den eckigten oder auch ganz runden Falten angenehm
contra-
[187]Pallaſt Quirinale.
contraſtirt. Guido Reni ſoll durch die Kupferſtiche
des Albert Duͤrers zuerſt auf dieſe Entdeckung geleitet
ſeyn, oder vielmehr das was dort ſchon im Keime
lag, nur entwickelt haben.
Seine Zeichnung war aͤußerſt fein, aber nicht
immer ganz richtig, und zuletzt verfiel er ins Ma-
nierirte. Sein Colorit iſt ſich ſehr ungleich. Zu-
erſt folgte er der Manier der Carracci, deren Schuͤ-
ler er war, und dann iſt es ziegelroth im Lichte und
traurig grau im Schatten. Bald darauf ſcheint er
ſich den M. A. Carravaggio zum Muſter genommen
zu haben; da findet man die Lichter ins Gelbe, die
Schatten ins Schwarze uͤbertrieben. Hierauf naͤ-
herte er ſich dem Correggio oder ward vielmehr ſelbſt
Original, und ſo iſt ſein Colorit aͤußerſt lieblich,
friſch, hell, und dennoch kraͤftig. Die Halbſchat-
ten fallen inzwiſchen ins Gruͤne. Endlich ward er
ſein eigener Copiſt, manierirter Handwerker, und
nun zeichnen ſich ſeine Gemaͤhlde kaum von colorirten
Kupferſtichen aus, ſind kreideweiß in den Lichtern,
und gruͤn in den Schatten. Doch auch dann zieht
er noch immer durch die Harmonie der Farben an.
Es iſt immer nur ein Ton, in den das Ganze ein-
ſtimmt, er mag traurig, finſter, hell oder ſchwach
ſeyn. Doch gilt dies wieder hauptſaͤchlich von ſeinen
einzelnen Figuren, von ſeinen groͤßeren Compoſitio-
nen kann man dies nicht durchaus behaupten.
Zuweilen iſt das Helldunkle vortrefflich beobach-
tet; aber auf ſeine Gemaͤhlde mit mehreren Figuren
kann dieſes Lob nicht in ſeinem vollen Umfange aus-
gedeh-
[188]Pallaſt Quirinale.
gedehnet werden. Es iſt oft viel zu willkuͤhrlich
geleitet. Seine fruͤheren Werke ſind wie des Carra-
vaggio ſeine durch uͤbertriebene Verfinſterung der
Schatten gerundet, die lezten ſind zuweilen zu
flach.
Die Behandlung des Pinſels iſt eines der groͤßten
Verdienſte unſers Meiſters. Die dreiſte zuverlaͤßige
Art, mit der er ihn fuͤhrte; die kecken Zuͤge, womit
er Haare, Runzeln des Fleiſches, uͤberhaupt alle
das Detail angab, welches nur durch den Schein
des Ohngefehrs mit dem es da ſteht, als wahr er-
greift, nur durch den Schein der Nachlaͤßigkeit,
mit der es behandelt wird, dem Vorwurf
der Trockenheit entgeht; werden dieſem Kuͤnſtler
am erſten zum Wiedererkennungszeichen die-
nen. Doch kann man auch hieher die Art rech-
nen, wie er die hoͤchſten Lichter aufblickte, ohne ſie
zu vertreiben.
Er ſtarb 1642.
Es iſt ſchwer, den Guido in allen ſeinen ver-
ſchiedenen Manieren von ſeinen Schuͤlern zu unter-
ſcheiden. Allein in ſeiner beſten Zeit wird man ihn
an der Feinheit der Zeichnung vorzuͤglich im Auge
und in den Haͤnden; an den ſchoͤnen Ovalen der
Weiberkoͤpfe, die gemeiniglich in die Hoͤhe blicken;
an der Erhabenheit des Ausdrucks der Affekten, die
mehr weibliche Einbildungskraft als maͤnnliche Gei-
ſtesſtaͤrke vorausſetzen; an den halbflachen Falten;
an der friſchen hellen Farbe; an den gruͤnlichen
Halbſchatten; an der Harmonie der Farben in ein-
zelnen
[189]Pallaſt Quirinale.
zelnen Figuren; und vorzuͤglich an der freien Be-
handlung des Pinſels wieder erkennen. 1)
An der Kuppel der Capelle im Pallaſt Quirinale
hat Guido die Himmelfahrt Mariaͤ vorgeſtellt.
Sie iſt ſehr verdorben. Die Idee zur Figur Gottes
des Vaters iſt auch hier vom Michael Angelo entlehnt.
Um ihn herum ſpielen Engel auf verſchiedenen Inſtru-
menten. Viele darunter haben reizende Koͤpfe und
Stellungen. Im Ganzen iſt die Glorie zu gelb.
Dies Gemaͤhlde iſt al Freſco.
Ueber
[190]Pallaſt Quirinale.
Ueber dem Altare eine Annunciation, in
Oehl. Dem Kopfe der Madonna, der uͤbrigens ſehr
ſchoͤn iſt, fehlt es an Ausdruck. Die Engel, die in
der Glorie tanzen, ſind gut gedacht. Die Drappe-
rien ſcheinen ein wenig trocken, und zu aͤngſtlich in
Falten gelegt. Sie zeigen uͤbrigens das Nackte
wohl an.
In der kleinen Tribune des Pabſtes: Die
Madonna, die an den Windeln des Kindes
naͤhet: Zwei Engel beten ſie an. Der Ge-
danke iſt ſehr artig, und die Madonna aͤußerſt rei-
zend. Die Engel, vorzuͤglich derjenige, der ihre
Arbeit zu bewundern ſcheinet, ſind zu affektirt. Das
Colorit dieſes Gemaͤhldes iſt ſchwach, es iſt ſo wie
die folgenden al Freſco.
Zu beiden Seiten Adam und ein Pa-
triarch.
An den Fenſterwaͤnden einige Patriarchen
und Engel. Es ſind einige ſehr angenehme Figu-
ren darunter.
In den Winkeln unter der Kuppel: vier
Patriarchen, die mit zu vieler Eile, ohne die Na-
tur zu Rathe zu ziehen, gemahlt zu ſeyn ſcheinen.
† Die Geburt Chriſti, uͤber der Thuͤr.
Es ſind 18 Figuren auf dieſem Gemaͤhlde, an wel-
chem Zuſammenſetzung und Anordnung nicht zu loben
ſind. Die Kindbetterin ſieht man in einer Ecke;
zwei Engel fliegen durchs Fenſter herein. Einige
Weiber waſchen das neugebohrne Kind, waͤhrend
daß andere Geſchenke herbeibringen. Diejenigen,
die um den Chriſt beſchaͤfftiget ſind, machen die
ſchoͤnſte
[191]Pallaſt Quirinale.
ſchoͤnſte Gruppe aus. Unter den Koͤpfen dieſer Wei-
ber ſind einige ſehr reizende. Inzwiſchen bemerkt
man weder idealiſche Schoͤnheit noch große Mannig-
faltigkeit in der Wahl. Auch fehlt hin und wieder
Ausdruck und Charakter. Guido’s Staͤrke beſtand
in Koͤpfen die in die Hoͤhe ſehen: Niedergebuͤckte
ſind ihm weniger gegluͤckt. Uebrigens iſt der Ge-
ſchmack im Kopfputz und Gewaͤndern vortrefflich;
die Zeichnung fein, und das Colorit weniger ſchwach,
als in den uͤbrigen Gemaͤhlden dieſer Capelle, die
im Ganzen ſehr gelitten haben.
Auf dieſe Capelle folget eine Reihe von Zim-
mern mit vielen Gemaͤhlden, die jedoch wenig be-
traͤchtlich ſind. Die beſten darunter ſind folgende:
Im erſten.
Eine heilige Familie, die man dem Tizian
beilegt: Iſt aber eher vom Paolo Veroneſe oder
nur aus ſeiner Schule.
Im folgenden.
Ein heiliger Johannes der Taͤufer nach
Raphael. Ein Bild, das man an ſo vielen Or-
ten antrifft. 2)
Sowohl in dieſem als in den folgenden Zimmern
ſind viele Frieſen und Plafonds von Cavalliere
Giuſeppe d’ Arpino.
In
[192]Pallaſt Quirinale.
In einem andern.
Eine Verkuͤndigung von Carlo Maratti.
In dem Eßzimmer des Pabſtes.
† Eine Madonna mit dem Kinde von
Carlo Maratti, die nachher an den Thurm des
Schloſſes in Moſaik gebracht iſt. Der Kopf der
Madonna und des Kindes haben beide viel reizendes.
In einem andern.
Ein Gemaͤhlde aus der erſten Manier des
Raphael, wenigſtens wird es dafuͤr ausgegeben,
aber wahrſcheinlich iſt es nicht von ihm.
Man tritt darauf in eine große Gallerie,
die von Ciroferri, Bourgognone und andern
vermahlt iſt. Salvator Roſa hat einen Gi-
deon darin vorgeſtellet, der den Thau aus dem
Felle druͤcket.
Von Carlo Maratti iſt die Geburt der
Maria. Man ſieht dieſem Stuͤcke an, daß der
Meiſter den Guido hat nachahmen wollen.
Unter allen dieſen Gemaͤhlden iſt nichts Be-
ſonders.
Aus dieſer Gallerie koͤmmt man in dieje-
nigen Zimmer, worin die eigentliche Samm-
lung von Staffeleigemaͤhlden befindlich iſt.
Im
[193]Pallaſt Quirinale.
Im erſten.
† Der heilige Sebaſtian von Tizian.Der heilige
Sebaſtian
von Tizian.
Mehrere Heilige ſtehen in einer Reihe neben einander,
ohne die geringſte Verbindung. In der Glorie ſieht
man die Madonna mit dem Chriſt, und einigen En-
geln die Maͤrtyrer Kronen halten. Die Koͤpfe haben
alle Wahrheit, aber außer den zwei aͤlteſten, beinahe
gar keinen Ausdruck. Die Zeichnung der Koͤrper
und Gewaͤnder iſt ſchlecht. Aber was man in die-
ſem Gemaͤhlde bewundern muß, iſt die Ruͤndung,
die Wahrheit des Fleiſches und der Stoffe. Der
heilige Sebaſtian iſt die ſchoͤnſte Figur. Nach ihr
fuͤhrt das Bild den Nahmen. Es iſt aus ſeiner
dunklern Manier, und dem Pabſte von der Republik
Venedig geſchenkt.
Der heilige Petrus und der heilige Paul.
Zwei Gemaͤhlde, die viel von der Manier des Fra
Bartholomaͤo haben. Sie koͤnnten von ihm ſeyn.
Man hat in Rom von dieſem Meiſter keineBemerkun-
gen uͤber den
Stil des Fra
Bartholo-
maͤo di St.
Marco.
Werke, die uns in die Kenntniß ſeines Stils einfuͤh-
ren koͤnnten. Was ich von Unterſcheidungszeichen
deſſelben in Florenz geſammelt habe, will ich hie-
her ſetzen.
Er wagte ſich ſelten an große Compoſitionen,
und wenn er es that, ſo begnuͤgte er ſich die Figuren,
die zu ſeinem Suͤjet gehoͤrten, ſymmetriſch neben ein-
ander zu ſtellen. Seine Koͤpfe haben wenig Aus-
druck, und ſcheinen alle von dem naͤmlichen Modelle
genommen zu ſeyn. In der Zeichnung bemerkt man
große Formen; ſeine Extremitaͤten ſind ſehr genau,
und ſogar mit zu ſcharfen Umriſſen angegeben. Seine
Zweiter Theil. NGewaͤn-
[194]Pallaſt Quirinale.
Gewaͤnder ſind vortrefflich, und koͤnnen als Muſter
angeſehen werden.
Die Art, wie er ſeine Gemaͤhlde anlegte, war
ſehr ſonderbar. Er zeichnete die Umriſſe der Figuren
mit ſcharfen Linien, ſchattirte ſie grau in grau, und
uͤberzog ſie nachher mit durchſichtigen Farben. Dies
giebt ſeinen Gemaͤhlden das einfoͤrmige Anſehen illu-
minirter Kupferſtiche. Seine Carnation faͤllt ins
Braune. Vom Helldunkeln hatte er keinen Begriff.
Fra Bartholomaͤo di St Marco lebte von
1469 — 1488. Er ſtudirte nach Leonardo da
Vinci, M. Angelo und der Antike. Von dem er-
ſten nahm er die fleißige Behandlung an, von den
letzten entlehnte er die großen Formen und Maſſen.
Den Zunahmen: Fra, bekam er, als er ein Domi-
nicanermoͤnch wurde.
David mit dem Kopfe Goliaths vor
Saul, von Guercino in ſeiner violetten und dun-
keln Manier.
Thomas und der Chriſt aus Guercino’s
Schule, oder eine Copie nach ihm.
Ein heiliger Georg, der uͤber den Dra-
chen ſiegt, ein großes Gemaͤhlde von Pordenone.
Marter des heiligen Stephanus, aus der
Florentiniſchen Schule.
des heil. Pe-
trus von
Guido.
† Die Kreuzigung des heil. Petrus von
Guido. Man kann von dieſem ſchoͤnen Gemaͤhlde
nicht zu viel Gutes ſagen. Es beſteht aus einer
Gruppe von vier Perſonen, die vortrefflich angeordnet
iſt. Eben ſo ſo ſchoͤn ſind Zeichnung und Ausdruck.
Das
[195]Pallaſt Quirinale.
Das Helldunkle thut die pikanteſte Wuͤrkung. Die
Faͤrbung iſt aus der dunklern Manier des Meiſters,
kraͤftig, aber zu ſchwarz in den Schatten.
Dies Gemaͤhlde findet man in der Sacriſtei von
St. Peter in Moſaik gebracht.
Zweites Zimmer.
Fuͤnf Gemaͤhlde des Andrea Sacchi: Die
heilige Helena, die einen Todten auferwecket;
Die Marter des heiligen Andreas; Die Ent-
hauptung eines Heiligen: Chriſtus, der ſein
Kreuz traͤgt, und der heilige Gregorius, der
einem Unglaͤubigen das mit Blut gefaͤrbte
Kelchtuch zeigt.
Das letzte iſt in der Sanct Peters Kirche in
Moſaik gebracht, und hat wie die uͤbrigen das Ver-
dienſt einer guten mahleriſchen Anordnung. Die
Farbe iſt gut aufgetragen, kraͤftig und harmoniſch.
Aber genaue Uebereinſtimmung mit der Natur ſucht
man in Ausdruck, Zeichnung und Wahrheit der Lo-
calfarben vergebens. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht.
Die Geburt Chriſti von Pietro da Cortona.
Die Anordnung iſt ſehr gut, die Koͤpfe der Weiber
haben das Gefaͤllige aber Einfoͤrmige, was dieſem
Meiſter eigen iſt.
Im dritten Zimmer.
† Die Marter des heiligen Erasmus von
Pouſſin. In Moſaik gebracht ſieht man es in der
Peterskirche. Ein Gegenſtand wie dieſer haͤtte nie
N 2gemahlt
[196]Pallaſt Quirinale.
gemahlt werden ſollen. Der auf der Erde liegende
Heilige iſt gebunden, man hat ihm den Bauch auf-
geſchnitten, und ſeine Eingeweide werden ihm aus
dem Leibe gehaſpelt. Die Anordnung hat Verdienſt.
Der Ausdruck iſt wahr: Vorzuͤglich in dem heidni-
ſchen Prieſter, der dem Heiligen die Statue des Her-
cules zeigt, welcher zu opfern jener Maͤrtyrer ſich ge-
weigert hatte. Aber uͤbrigens ſieht man leicht ein,
daß der Ausdruck in einem Heiligen, den man aus-
weidet, und in einer Menge von Henkern nur ſehr
widrig ſeyn koͤnne. Die Zeichnung iſt correkt, aber
etwas ſchwerfaͤllig, vorzuͤglich in den ſchwebenden
Engeln. Die Faͤrbung iſt wie gewoͤhnlich Weinhe-
fenartig. Das Helldunkle iſt ſehr gut ausgeſonnen
geweſen, und wuͤrde einem Mahler, der die Halb-
tinten wohl zu behandeln verſtanden haͤtte, treffliche
Zufaͤlle von Licht und Schatten dargeboten haben.
Nach Pouſſins Ausfuͤhrung bleibt es freilich ohne
Wuͤrkung. Die Anordnung ſo vieler Figuren in ei-
nem kleinen Raume iſt zu loben.
Eine Transfiguration. Ich weiß, daß
viele dieſes Bild dem Andrea Sacchi beilegen, aber
die Geſichtsbildungen, die Behandlung der Gewaͤn-
der, die Faͤrbung, und vorzuͤglich die kecken Pinſel-
ſtriche in den Haaren und Extremitaͤten, ſcheinen mir
den Guido Reni anzuzeigen.
† Die Marter des heiligen Martinianus
und des heiligen Proceſſus von Valentin. Der
Ausdruck und die Wahl der Formen ſind gemein,
und die Anordnung ohne Weisheit. Die Behand-
lung, kraͤftige friſche Farben und Ruͤndung, ſind
die
[197]Pallaſt Quirinale.
die Hauptverdienſte dieſes Gemaͤhldes. Es iſt in
St. Peter in Moſaik gebracht.
† Eine Madonna, die ihr ſchlafendes
Kind mit einem Schleier bedecket von Guido.
Ein ſchoͤner Gedanke; Eine reizende Gruppe; Schoͤne
Formen; Ein Ausdruck eben ſo wahr als lieblich!
Vielleicht fehlt es der Faͤrbung wider die Gewohnheit
des Meiſters bei ſo einfachen Compoſitionen, an Har-
monie. Sie iſt zu roth in den Lichtern, zu gruͤn im
Schatten.
Saul der den Wurfſpieß auf David
ſchleudert von Guercino aus ſeiner guten Manier.
Die Zeichnung iſt nicht die richtigſte.
Eine Flucht nach Aegypten, von Barroc-
cio. Der heilige Joſeph bietet dem Chriſt Kirſchen
an. Eine Wiederholung des Gemaͤhldes im Pallaſt
Borgheſe, 3) das aber vor dieſem hier, — ein wah-
res Fechtelgemaͤhlde, — viele Vorzuͤge hat.
Eine der vorigen beinahe aͤhnliche Be-
handlung deſſelben Suͤjets von Carlo Maratti.
Der heilige Joſeph bietet dem Kinde Erdbeeren an.
Einige Engel kroͤnen die Madonna mit Blumen, an-
dere ſingen. Der Gedanke iſt ſehr artig, und die
Koͤpfe ſind huͤbſch, wie gewoͤhnlich.
Eine heilige Familie aus der Schule des
Rubens.
Eine heilige Familie aus der Schule des
Andrea del Sarto.
N 3Ein
[198]Pallaſt Quirinale.
Ein todter Chriſt zwiſchen Engeln, die
Paſſionsinſtrumente halten. Schule des
Guercino.
Ein heiliger Franciscus mit der Madonna,
und dem Chriſt, aus der Schule des Pietro
da Cortona.
Viertes Zimmer.
Die Madonna mit der heiligen Caͤcilia,
der heiligen Agnes, dem heiligen Hubert, und
dem heiligen Ludewig aus der Schule des
Paolo Veroneſe.
Noch einige andere, von denen die beſten
aus der Florentiniſchen Schule ſind.
Großer Saal.Sala paulina.
Einige Gemaͤhlde al Freſco von Lanfranco
und Carlo Veneziano. Mehrere Cartons
von Carlo Maratti und andern, welche zu
Moſaiken in der Peters Kirche gedient haben.
Ein großes Basrelief von Landini, einem
Florentiner. Es ſtellet das Fußwaſchen vor.
Eine mittelmaͤßige Copie von Raphaels
Transfiguration.
Petronilla
von Guerci-
no.
† Die heilige Petronilla von Guercino.
Die poetiſche Erfindung in dieſem Gemaͤhlde laͤßt ſich
nicht als Muſter anpreiſen. Unten wird der Koͤrper
der Petronilla aus der Gruft gezogen, und oben
kniet
[199]Pallaſt Quirinale.
kniet ſie ſchon vor Chriſto in einer Glorie. Die
Hand, die man unten am Rande des Bildes wie
abgeſchnitten aus der Erde herausragen ſiehet, und
welche einem Mann gehoͤren ſoll, der unten in der
Grube dem Koͤrper nachhilft, macht einen uͤblen Ein-
druck. Aber dies abgerechnet, hat das Gemaͤhlde
ſehr große Schoͤnheiten. Die Figuren ſind wenig-
ſtens in Ruͤckſicht auf Beleuchtung gut zuſammen
gruppirt. Die Koͤpfe haben viel Ausdruck, die
Zeichnung iſt wahr, obgleich ohne Feinheit und ohne
edle Wahl der Formen. Was die Gewaͤnder be-
trifft, ſo ſcheinen ſie alle in einer Troͤdelbude zuſam-
mengeſucht zu ſeyn. Die Faͤrbung iſt ſehr kraͤftig,
nur faͤllt die Carnation ein wenig zu ſehr ins Rothe,
und die Schatten ſind zu ſchwarz. Dieſen letzten
Fehler bemerkt man vorzuͤglich in den weißen Gewaͤn-
dern. Das Hauptverdienſt dieſes Gemaͤhldes iſt das
Ergreifende der Darſtellung, durch Ruͤndung der
Figuren, die aus dem Grunde hervorzutreten ſcheinen.
Die Luft iſt zu blau.
Man tritt darauf in die paͤbſtliche Capelle,
deren Decke nach den Zeichnungen des Al-
gardi von Stuckaturarbeit, wiewohl in ziem-
lich ſchlechtem Geſchmacke, verzieret iſt.
Es giebt noch eine Capelle in dieſem Pal-
laſte mit einem Gemaͤhlde, das den Chriſt
unter den Kriegsknechten vorſtellet. Es iſt
al Freſco, und ſcheinet aus der Schule des Guido
zu ſeyn.
N 4Der
[200]Pallaſt Quirinale.
Der Garten des Quirinale enthaͤlt einige
Statuen, unter welchen folgende die merkwuͤrdig-
ſten ſind:
Apollo in einer Niſche zur rechten Hand uͤber
einer Fontaine. Scheint ſchoͤn zu ſeyn. Der Kopf
der antik iſt, hat einen gewiſſen melancholiſchen Zug,
der vermuthen laͤßt, daß dieſe Gottheit entweder in
einer beſondern Situation z. Ex. Im Schmerz uͤber
den Tod des Hyacinthus vorgeſtellet ſey, oder, daß
uͤberhaupt ein anderer Held dadurch bezeichnet werde.
Dies letztere iſt um ſo eher moͤglich, da der Arm,
mit dem er ſich auf die Leier ſtuͤtzt, ſo wie die Leier
ſelbſt, neu iſt.
Eine Statue der Juno Lucina mit einer
ſchoͤnen Drapperie.
Ein weiblicher coloſſaliſcher Kopf von groſ-
ſem Charakter, der aber ſehr gelitten hat.
Ein Jupiter und unter demſelben ein antiker
Sarcophag, der zum Waſſerbehaͤltniß dienet.
Eine Urne, deren Form nicht ſowohl, als die
Verzierungen von artiger Erfindung ſind. Sie ſtel-
len Amorinen mit den Attributen der Venus vor.
Oben auf dem Deckel ſchnaͤbeln ſich Tauben.
Es giebt auch einige Fontainen in dieſem Gar-
ten, die einen ſehr mahleriſchen Effekt machen.
Wer ſich einen Begriff von dem ſchlechten Ge-
ſchmacke der Paͤbſte im Anfange dieſes Jahrhunderts
machen will, muß einen Blick [auf] die Statuen
werfen, die eine Schmiede des Vulkans dar-
ſtellen ſollen, und in der Grotte mit dem Waſſer-
werke ſtehen, das eine Orgel treibt. Waͤren dieſe
elen-
[201]Pallaſt Quirinale.
elenden Bilder auch wahre Meiſterſtuͤcke, wie ſehr
wuͤrde ſich der betriegen, der von der Aufſtellung ſtei-
nerner Menſchen in einer natuͤrlichen Grotte wahre
und angenehme Illuſion erwartete!
In einem vom Pabſt BenedictXIVer-
baueten Caſino finden ſich zwei Cabinetter.
In dem einen hat Battoni den Plafond ge-
mahlt. Das Mittelgemaͤhlde ſtellet den heiligen
Petrus vor, der die Schluͤſſel empfaͤngt.
Rund herum vier Evangeliſten von derſelben Hand.
Man bewundert darin jene Harmonie des Tons und
jene pikante Wuͤrkung abwechſelnder Lichter und
Schatten, die ohne richtig vertheilt zu ſeyn das Auge
anziehen. Die Koͤpfe haben eine unedle Wahrheit.
Der Chriſt iſt ganz fremd bei der Handlung.
Man ſieht hier zwei Landſchaften von Pla-
cido Coſtanzi.
In dem Cabinet linker Hand ſieht man
gleichfalls den heiligen Petrus, der die Schluͤſ-
ſel empfaͤngt, von Agoſtino Maſucci. Die For-
men des Chriſts ſind an ſich gut, aber die Stellung
iſt ſchlecht. Die Koͤpfe der Apoſtel haben Ausdruck.
Faͤrbung und Haltung ſind nicht ſonderlich.
† Zwei ſchoͤne Ausſichten von Pannini, die
eine vonMonte Cavallo,die andere vonSanta
Maria Maggiore.
Villa
[202]
Villa Ludoviſi.
Hauptgebaͤude.
Vorplatz.
Claudius. Eine Buͤſte voller Ausdruck
graͤmlicher Schwaͤche.
Ajax oder Agamemnon. Ein Kopf von
hocherhobener Arbeit, eingemauert uͤber die Thuͤr
des Eingangs. 1)
† Apollo eine Statue uͤber Lebensgroͤße.
Zu ſeinen Fuͤßen ein Hirtenſtab als Zeichen ſeines
Hirtenſtandes. Winkelmann legt dem Kopfe ein
Lob bei, das ich nicht ganz als verdient anerkennen
kann. 2)
Ein anderer Apollo gleichfalls ſitzend.
Eine Venus.
Ein Aeſculap.
Ein Antonin der Fromme, nackend, an
dem Kopf und Arme aber neu ſcheinen.
In
[203]Villa Ludoviſi.
In dem großen Saale.
† Der beruͤhmte Ludoviſiſche Mars. ErDer Ludovi-
ſiſche Mars.
hat ehemals den Theil einer Gruppe mit der Venus
ausgemacht, denn man ſieht auf den Schultern das
Ueberbleibſel eines Stuͤck Marmors, welches wahr-
ſcheinlich die Hand der Goͤttin geweſen iſt. Um
ſeine Beine windet ſich ein Amor, an dem Kopf und
Arme modern ſind; aber auch das Antike iſt mit-
telmaͤßig.
Mars ruhet. Er ſchlaͤgt ſitzend beide Arme
uͤber das gebogene Knie. Dieſe Stellung macht eine
ſchoͤne Academiſche Figur, obgleich durch die ausge-
ſtreckten Arme, die natuͤrlicher Weiſe die Muskeln
des Halſes verlaͤngern, dieſer Hals beim erſten An-
blick von der Junktur der Arme zu weit entfernt
ſcheint. Weder Kopf noch Koͤrper ſind bis zum
Ideal hoher Schoͤnheit hinaufgehoben. Inzwiſchen
verdienen die fließenden Umriſſe und die Weichheit
des Fleiſches, ohne Nachtheil fuͤr den Begriff von
Staͤrke, den wir mit dieſem Gotte verbinden, alles
Lob. Neu ſind: Naſe, Hand und Fuß.
Mars traͤgt den Charakter der Tapferkeit an ſich,Charakter
eines Mars.
die man von dem Krieger erwartet, der den Befeh-
len eines andern gehorchet. Wenn Mercur durch
ſeine Geſchmeidigkeit, Hercules durch rohe Staͤrke
ſich auszeichnen, ſo verbindet Mars hingegen beide
Vorzuͤge in ſo fern mit einander, als ſie zum Streit
in der Schlacht nothwendig ſind. Er iſt Soldat,
wo Minerva Feldherr iſt; Bild des Muths, der
fuͤr ſich ſteht. Ideal eines jugendlichen aber reifen
Heldens,
[204]Villa Ludoviſi.
Heldens, eines Kriegers der Mann fuͤr Mann
kaͤmpft, und nicht wie ein Theil einer Maſchine, in
Reih und Glied unbeweglich dem Tode oder dem
Siege entgegengeht.
Eine andere Statue, gleichfalls als Mars
reſtaurirt. Allein der Kopf gehoͤrt einem jungen
Hercules, und dieſer Kopf iſt, der neu angeſetzten
Naſe ungeachtet, ſchoͤn. Der Koͤrper ſtimmt mit
dem Kopfe nicht uͤberein. Die Stellung iſt unedel,
und die Arme die ſich kreuzen, bringen eine uͤble
Wuͤrkung hervor.
Ein Hercules, nach der ſchwankenden Stel-
lung zu urtheilen, trunken.
Ein junger Bacchus.
Eine Venus, eine Cleopatra, die erſte aus
der Florentiniſchen Schule, die andere aus der Schule
des Bernini.
Zweites Zimmer rechter Hand.
mit der
Mutter.
Gruppe von Marmor, Papirius mit der
Mutter. Ehe ich mich darauf einlaſſe, eine der
Erklaͤrungen anzunehmen, deren man ſo unzaͤhlige uͤber
dieſe Gruppe giebt, — der eben angezeigte Nahme
iſt nur ein Wiedererkennungszeichen — frage iſt zu-
erſt: Was iſt neu, was iſt alt an dieſer Statue?
Unſtreitig neu ſind beide Arme der Mutter, der eine
Arm des jungen Mannes, und die eine Haͤlfte ſeines
rechten Fußes. Aeußerſt zweifelhaft wird mir uͤber-
her: ob die Maske des Kopfes der Mutter alt ſey?
Denn 1) hat dieſe Maske keinen wahren antiken
Cha-
[205]Villa Ludoviſi.
Charakter, 2) koͤmmt der Marmor des Vorder-
theils des Kopfs mit dem Marmor des Hintertheils
und der uͤbrigen Figur, ſo viel man bei der aͤußern
Politur urtheilen kann, nicht uͤberein. 3) Sieht
man deutlich die Fugen der Anſetzung. Wenn man
nun dieſe Maske der Mutter, dieſe Arme der Mut-
ter und des Sohns abſondert, ſo bleibt eine weibliche
Figur groͤßer als die maͤnnliche, die ſie mit der noch
alten Hand umarmt. Wahrſcheinlich duͤrften dieſe
Umſtaͤnde das Intereſſe einer juͤngern Mannsperſon
an ein aͤlteres Frauenzimmer anzeigen. Auf dem
Geſichte des jungen Mannes, welches unſtreitig antik
iſt, ſieht man unverkennbar einen traurigen Zug, der
mit Zaͤrtlichkeit vermiſcht ſcheint. Ich folgere da-
her mit ziemlicher Gewißheit, daß dieſes nicht das
Verhaͤltniß zweier Liebenden andeute, ſondern daß
der Ausdruck bruͤderlicher oder kindlicher Zaͤrtlichkeit
die Abſicht des Kuͤnſtlers geweſen ſey. Und daher
finde ich die Erklaͤrung Winkelmanns, daß dies
Werk den Oreſt und die Elektra vorſtelle, nicht un-
paſſend, jedoch nicht ausſchließend. Denn dieſe
Gruppe kann eben ſo wohl ihre Erklaͤrung aus jedem
andern Sujet der Mythologie finden, wobei kindliche
oder bruͤderliche Liebe zum Grunde liegt. 3)
Die Formen des jungen Mannes ſind ſehr ſchoͤn;
die Drapperie der Frau iſt vortrefflich; ob dieſe aber
einen nicht ganz griechiſchen Charakter an ſich trage,
moͤgen andere entſcheiden, welche die Gewaͤnder
roͤmiſcher
[206]Villa Ludoviſi.
roͤmiſcher und griechiſcher Weiber beſſer als ich von
einander zu unterſcheiden wiſſen.
Die griechiſche Innſchrift zeiget, daß dieſe Gruppe
vom Menelaus, des Stephanus Schuͤler, gearbei-
tet worden. 4)
Paͤtus.
Arria und Paͤtus. Unter dieſem offenbar
falſchen Nahmen geht die Gruppe eines Mannes,
der ſich mit einer Hand erſticht, und mit der andern
eine Frauensperſon haͤlt, die erſtochen vor ihm kraft-
los niederſinkt. Auf der Erde liegt ein Schild, und
eine Degenſcheide.
Das
[207]Villa Ludoviſi.
Das ſehen wir jetzt, das begreifen wir. Ueber
eine andere Erklaͤrung laſſe ich mich auch nicht einſt
bis zur Muthmaaßung ein. Denn dieſe Gruppe iſt
offenbar zuſammengeſetzt und reſtaurirt. Die
Gruͤnde, woraus ich dieſes ſchließe, in der Note. 5)
Daß
[208]Villa Ludoviſi.
Daß dieſe Gruppe mir zu einem neuen Beweiſe
diene, wie die Kenntniß der beſtimmten Veranlaſ-
ſung einer Handlung das Vergnuͤgen zwar erhoͤhe,
aber nicht allein ausmache. Wir wiſſen nichts von
den Schickſalen dieſer beiden Ungluͤcklichen, aber wer
ſetzt ſich nicht ſelbſt ihre Geſchichte zuſammen, und
erklaͤrt daraus den Ausdruck? Es iſt ein eiferſuͤch-
tiger Gemahl, der ſeine Gattin ſeiner Wuth geopfert
hat, und ſich nun ſelbſt die verdiente Strafe giebt:
Es ſind zwei Liebende, die das grauſame Verhaͤng-
niß, das ſie zu trennen drohet, nicht haben uͤberleben
wollen. Kurz! es ſind zwei Perſonen, die mit ein-
ander ſterben, von denen die eine den letzten Stoß
bereits empfangen hat, die andere ihn ſich giebt.
Iſt dieſer Ausdruck wahr, ſo iſt er intereſſant ge-
nung an ſich ſelbſt, ohne daß wir die zufaͤlligen Ne-
benumſtaͤnde, die dieſe Begebenheit beſtimmten Per-
ſonen an einem beſtimmten Orte und zu beſtimmten
Zeiten beilegen, zu wiſſen brauchen. Wer iſt uͤber
dieſe Welt mit einem Herzen hingegangen, das nicht
in der Heftigkeit einer geſtoͤrten Leidenſchaft nur im
Tode Vereinigung mit einem andern gewuͤnſcht haͤtte!
Doch! ſo viel bei einem Werke in Stein zu
fuͤhlen verlange ich nicht. Wie iſt die Stellung?
Bringt ſie die Muſkeln in eine vortheilhafte Lage?
Das
5)
[209]Villa Ludoviſi.
Das iſt die erſte Frage, nach der ich ein Suͤjet, das
den Meißel beſchaͤfftiget, pruͤfe; und ich kann mir
in dem gegenwaͤrtigen Falle antworten: ſie iſt vor-
theilhaft.
Die Spannung der Muſkeln, und das Stre-
cken der Glieder in der maͤnnlichen Figur die ſich er-
ſticht, contraſtirt ſehr gut mit der zuſammenſinken-
den ſchlaffen Stellung der weiblichen, die ſchon er-
ſtochen iſt. Dieſe Stellung der weiblichen Figur iſt
in dem Werke dem Gedanken nach gut angegeben,
uͤbrigens aber iſt ſie kaum aus dem groben gehauen
und voller Incorrektionen in der Zeichnung. Beide
Arme ſind neu.
An der maͤnnlichen iſt außer dem Gedanken
auch die Ausfuͤhrung ſehr ſchoͤn; die Stellung in
dem was alt iſt, vortrefflich, der Umriß fließend,
das Muſkelnſpiel beſtimmt, und dennoch weich.
Aber der Arm, mit dem ſie ſich erſticht iſt von die-
ſem Lobe auszunehmen: Seine Lage iſt gezwungen:
Der Ort, an dem er ſich die Wunde beibringt, un-
natuͤrlich. Er ſtoͤßt das Schwerdt in die Junktur
des Halſes und der Bruſt, und noch dazu auf der
rechten Seite. Ich halte ihn fuͤr neu, ſo wie den
rechten Fuß.
Ob der Kopf neu oder aufgeſetzt ſey, vermag
ich nicht zu beurtheilen. So viel iſt gewiß, der
Stil in dieſem Kopfe iſt von dem in dem Koͤrper
verſchieden: Er traͤgt einen Knebelbart und iſt uͤber-
haupt von niedriger Natur.
Die Geſchichte des Paͤtus und der Arria iſt be-
kannt. In der Erwartung eines ſchimpflichen To-
Zweiter Theil. Odes
[210]Villa Ludoviſi.
des mit dem der Kaiſer Claudius ihren Gemahl be-
drohete, ſtieß ſich Arria den Dolch in die Bruſt,
und uͤberreichte ihn ihrem Gemahl mit den auffor-
dernden Worten: Es ſchmerzet nicht.
Welcher ſichtbare Zeitpunkt aus dieſer Begeben-
heit iſt wohl fuͤr die bildenden Kuͤnſte der geſchickteſte?
Unſtreitig der, wo ſich Arria bereits entleibt hat,
und, — nicht wo ſie ihm den Dolch mit den Wor-
ten darreicht: es ſchmerzet nicht; ſondern wo ſie mit
dem letzten Ausdruck zaͤrtlicher Empfindung auf den
Paͤtus blickt, der ſich nun auch erſticht. Hier iſt
der Augenblick, der den unzweideutigſten und reich-
haltigſten Ausdruck liefert: Auch den wahrſcheinlich-
ſten. Denn die Seelengroͤße, die das Sprechen
der Worte begleiten muß, wird in den bildenden
Kuͤnſten zur Unempfindlichkeit, und der erſchrockene
Mann zu ihrer Seite bei jeder Auslegung ein Feig-
herziger.
Fuͤr die Mahlerei wuͤrde der Augenblick, wo
Arria in den Armen des Paͤtus liegend den Dolch in
ihre Bruſt ſtoͤßt, gleichfalls einen intereſſanten Aus-
druck liefern.
Weſt hat beiden den Augenblick der Ueberrei-
chung des Dolchs vorgezogen. Ich kenne ſein Bild
nur aus dem Kupfer. Nach dieſem zu urtheilen,
iſt die Mine der Arria unbedeutend, des Paͤtus,
Carricatur erſchrockener Schwaͤche.
† Proſerpinens Raub von Bernini.
Wahrheit darf man in den Werken dieſes Meiſters
nicht ſuchen. Die Figuren ſcheinen von Wachs, der
Aus-
[211]Villa Ludoviſi.
Ausdruck iſt uͤbertrieben. Aber die vortreffliche
Behandlung des Marmors verdient unſere Auf-
merkſamkeit.
In dem Zimmer linker Hand.
Ein Mercur. Winkelmann 6) ſagt, die Rolle,
die ihm in die Hand gegeben waͤre, ſey neu. Er irrte
ſich, ſie iſt alt, ſcheint aber keine Rolle, ſondern der
Zipfel des zuſammen genommenen Gewandes zu ſeyn.
Bacchus.
Eine ſchoͤne bekleidete weibliche Figur
uͤber Lebensgroͤße, an der aber Kopf, Arme und
Haͤnde neu und ſchlecht ergaͤnzt ſind.
Ueber dieſer Statue haͤngt eine große
Maſke von Porphyr, im Profil, welche einen
Bacchus vorzuſtellen ſcheint.
In dem Caſino des Gartens.
In dieſem Caſino trifft man mehr MahlereienBemerkun-
gen uͤber den
Stil des
Guercino.
von Guercino an, als an irgend einem andern
Orte in Rom.
Giovanni Franceſco Barbieri ward 1590
zu Cento bei Bologna gebohren, und weil er ſchielte,
nannte man ihn il Guercino da Cento. Er ſtarb
1666.
Er lernte in der Schule der Carracci: die Ma-
nier des M. Angelo Carravaggio war ihm fruͤh be-
kannt; aber er ward mehr Schuͤler der Natur als
irgend eines Meiſters.
O 2Inzwi-
[212]Villa Ludoviſi.
Inzwiſchen er ſahe dieſe Natur durch eine ihm
allein eigene Netzhaut des Auges, (wenn ich ſo ſagen
darf,) die ſich in Abſicht der Farbe dreimal veraͤn-
derte. Das heißt: man kennt ihm drei verſchiedene
Manieren: Die ſchwarze, die rothe, und die helle;
oft ertappt man ihn auch auf den Uebergaͤngen von
der einen zur andern.
Seine Zuſammenſetzung, in Ruͤckſicht auf dich-
teriſche und mahleriſche Vorzuͤge, iſt ſich zu ungleich,
als daß man ihm ein weſentliches Verdienſt darunter
beilegen koͤnnte. Ich habe im Pallaſt Colonna ein
Gemaͤhlde vom ihn angefuͤhrt, das die erhabenſten
Empfindungen verraͤth. Allein dies iſt eine Aus-
nahme. Daſſelbe Urtheil mag auch von der Art
gelten, wie er ſeine Figuren ſtellte. Im Ganzen
verdienet er nicht als Compoſiteur zum Muſter auf-
geſtellt zu werden.
Sein Ausdruck iſt oft wahr, oft geziert, oft
unbedeutend. Man kann ihn ſelten eines unedlen
wegen tadeln, aber auch eben ſo ſelten eines edlen
wegen loben. Laͤndliche Naivetaͤt, die zuweilen
baͤuriſche Einfalt ſtreifte, ſproͤder Ernſt, wie man ihn
wohl bei bloͤden Landmaͤdchen antrifft, ſind die Cha-
raktere ſeiner Weiber. Seine maͤnnlichen jugendlichen
Figuren ſind Genoſſen der vorigen, Contadini, ehr-
liche Bauerkerls, nur daß ſie ſtatt des flinken raſchen
Ausdrucks, den der niederlaͤndiſche in den Gemaͤhlden
dieſer Schule hat, gemeiniglich einen weinerlichen Zug
auf dem Geſichte tragen, der auf den Druck, unter
dem die paͤbſtlichen Bauern leben, ſchließen laͤßt. Die
Alten haben einen unvergleichlichen Charakter von
Guther-
[213]Villa Ludoviſi.
Gutherzigkeit in allen Gemaͤhlden dieſes Meiſters.
Große Verſchiedenheit brachte er nicht in ſeine Koͤpfe;
er ſcheint fuͤr jedes Alter und Geſchlecht ein oder zwei
Modelle gehabt zu haben. Die Formen der Koͤrper
nahm er daher, wo er die Koͤpfe nahm, jedoch mit
Wahl. Die Weiber ſind ſchlanke Bologneſer Bau-
erdirnen, ſtark an Knochen und Muſkeln, und wohl-
behalten an Fleiſch. So auch die Maͤnner. Seine
Zeichnung iſt ſchwerfaͤllig, aber gemeiniglich ohne
auffallende Unrichtigkeiten. Sein Colorit ohne je-
mals ganz wahr zu ſeyn, iſt oft ſehr angenehm, vor-
zuͤglich in den helleren Stuͤcken, in denen er dem
Guido gleich zu kommen trachtete. In den uͤbrigen
aber wird man unnatuͤrliche ſchwarze oder rothbraune
Schatten, violette Mitteltinten, und grellgelbe Lich-
ter finden. Seine Freſcogemaͤhlde ſind voller Staͤr-
ke, aber von conventioneller Farbe, zu gelb im Hel-
len, zu ſchwarz im Dunkeln.
Guercino bezaubert uns vorzuͤglich durch die
Ruͤndung, die er ſeinen Figuren zu geben wußte.
Sie treten ſtark hervor. Auch vertheilte er zuweilen
das Licht mit Weisheit, aber oft beleidiget die Zer-
ſtreuung, das Schneidende deſſelben die Augen.
Naͤchſt dem Guido hat vielleicht niemand unter
den Italienern den Pinſel ſo ſehr in ſeiner Gewalt ge-
habt, als Guercino. Seine Behandlung iſt vor-
trefflich. Mit einem Nichts wußte er ſeinen Extre-
mitaͤten taͤuſchende Wahrheit zu geben. Er hat
hohle Haͤnde gemahlt, in die man greifen moͤchte.
So viel vermag die weiſe Beſorgung des Details
ohne Nachtheil fuͤr das Ganze!
O 3Unſer
[214]Villa Ludoviſi.
Unſer Kuͤnſtler verleugnet ſich nie unter allen
den abwechſelnden Geſtalten, in denen er ſich zeigt.
Denn dieſe Abwechſelung war nicht der objektiviſchen
Verſchiedenheit zuzuſchreiben, nach welcher ſich die
Gegenſtaͤnde in der Natur, je nachdem ſie unter an-
dern Verhaͤltniſſen, zu andern Zwecken wahrgenom-
men werden, wuͤrklich verſchieden zeigen; ſondern
der ſubjektiviſchen, nach welcher der Kuͤnſtler die
Gegenſtaͤnde auf ſeinem Gemaͤhlde anders wollte er-
ſcheinen laſſen, um eine andere Art von mahleriſcher
Wuͤrkung hervorzubringen. Er verbeſſerte nur die
Manier nicht die Kunſt der Nachahmung nach den
Regeln der Treue, und der individuellen Wahrheit.
Er hatte alſo immer nur Manier, aber man muß es
geſtehen, er hatte ſie mit einem Scheine von Wahr-
heit, der uͤber die Abweichung von der Natur in dem
Gemaͤhlde verblendet, oder wohl gar uns verleitet
die Gegenſtaͤnde in der Natur fernerhin mit dem Zu-
fatze zu ſehen, den wir aus dem Gemaͤhlde entlehnt
haben. Man koͤnnte den Guercino einen verbeſſer-
ten M. Angelo Carravaggio nennen. Weniger nie-
drig in der Wahl der Suͤjets und der Formen, war
er zugleich wahrer in den Theilen, die zu ihrer Dar-
ſtellung gehoͤren: allein er waͤhlte ſo wie dieſer nur
aus der Natur um ihn herum, kleidete ſo wie dieſer
ſeine Figuren aus der Troͤdelbude, und ſetzte endlich
ſo wie dieſer den Haupteindruck, den er von ſeinen
Gemaͤhlden erwartete, in den Zauber der Ruͤn-
dung.
Nun zur Beſchreibung ſeiner Mahlereien in
dieſem Caſino.
Unteres
[215]Villa Ludoviſi.
Unteres Zimmer.
† Das Gemaͤhlde in der Mitte des Pla-Mahlereien
des Guerci-
no.
fonds ſtellet die Aurora vor, die dem Bette
des Tithon entflohen, in ihrem Wagen daher
faͤhrt, und Blumen auf die Erde ſtreuet.
Die Horen gehen vor ihr her, und vertreiben
die Geſtirne. Die Anordnung dieſes Gemaͤhldes
iſt ſchoͤn, auch bewundert man mit Recht den kraͤfti-
gen Pinſel, den ſchoͤnen Auftrag der Farben, die
Leichtigkeit der Ausfuͤhrung und die pikante Wuͤr-
kung der Ruͤndung; den Hauptvorzug in den Ge-
maͤhlden dieſes Meiſters. Allein was Farbe und
Zeichnung anbetrifft, ſo iſt in beiden nur ein Schein
von Wahrheit vorhanden, der eine genauere Pruͤ-
fung nicht aushaͤlt. Der Tithon hat keinen edlen
Ausdruck.
Linker Hand ſieht man den anbrechenden
Tag unter der Figur eines gefluͤgelten Juͤng-
lings mit brennender Fackel. Dieſe Figur tritt
erſtaunlich vor, iſt mit vieler Wahrheit, und unbe-
greiflicher Leichtigkeit gemahlt.
Rechter Hand iſt die Nacht unter der Fi-
gur eines Frauenzimmers vorgeſtellet, das
beim Leſen eingeſchlafen iſt. Sie ſitzet in den
Truͤmmern eines Gebaͤudes, die durch eine
Lampe erhellet werden. Eine Eule guckt aus
ihrem Loche hervor, und eine Fledermaus
fliegt umher. Zu den beiden Seiten der Nacht
ſchlafen zwei Knaben. Der Gedanke iſt fein,
die Abwechſelung des Lichts und Schattens thut wie
gewoͤhnlich viele Wuͤrkung; aber die Figuren ſind
aͤußerſt unedel.
O 4Ueber
[216]Villa Ludoviſi.
Ueber der Thuͤre eine allerliebſte Gruppe
von Amorinen, die Voͤgel fangen.
An Buͤſten findet man in dieſem Saale:
Eine Matidia,7)einen Septimius Severus,
und einen Hercules.
In einem Zimmer darneben ſtehet † ein
coloſſaliſcher Kopf des Marcus Aurelius
von Bronze mit einem Gewande von Por-
phyr.8)
Beim Heraufgehen zu einem obern Zim-
mer, trifft man auf der Treppe einen guten
Kopf der Juno an.
Im zweiten Geſchoß.
Ein Saal mit einem Plafond von Guer-
cino. Es ſtellet eine fliegende Fama vor, die
in die Trompete ſtoͤßt. Ein Genius, der
einen Lorbeerkranz und eine Krone von Gold
haͤlt, zeigt ſie dem Apollo und der Bellona,
die ſich umarmt halten. Ein Phoͤnix fliegt vor
der Fama voraus zur Sonne. Wahrſcheinlich
ein
[217]Villa Ludoviſi.
ein allegoriſches Bild des Ruhms ohne Gleichen, den
ſich die Beſitzer dieſer Villa durch ihre Tugenden in
Krieg und Frieden erworben haben. Ich ziehe die-
ſes Gemaͤhlde denen im untern Saale weit vor.
Die Zeichnung iſt edler, die Faͤrbung wahrer.
Vorzuͤglich ſchoͤn iſt der Kopf der Bellona, der Koͤr-
per des Genius, der Arm der Fama, mit dem ſie
die Trompete faßt. Das Hauptverdienſt dieſes
Werks, ſo wie der uͤbrigen dieſes Meiſters, bleibt
aber immer die Wuͤrkung der Abwechſelung in Licht
und Schatten; die Ruͤndung; die vortreffliche Be-
handlung; jene kecken breiten Pinſelſtriche; jener
kraͤftige Farbenauftrag, durch den dieſes Gemaͤhlde
al Freſco die Waͤrme eines Oehlgemaͤhldes erhaͤlt.
Bei ſo vielen Vorzuͤgen kann man immerhin Nach-
ſicht mit einigen Unrichtigkeiten haben, die man in
dieſem Gemaͤhlde antrift. So ſcheint z. E. der
Koͤrper der Fama in der Mitte abgebrochen, und
das eine Bein des Genius iſt ganz verzeichnet.
Unter den Buͤſten in dieſem Zimmer: Antonin
der Fromme. Hadrian.
In einem dritten Caſino dieſes
Gartens.
Die Bibliothek. Worin noch einige Bild-
hauerwerke ſtehen. Man ſieht ſie nur mit beſon-
derer Erlaubniß des Prinzen.
† Ein coloſſaliſcher Kopf der Juno. Er Coloſſali-
ſcher Kopf
der Juno.
ſtand ehemals am Eingange der Villa. Er wird
mit Recht fuͤr den ſchoͤnſten Kopf dieſer Goͤttin in
O 5Rom,
[218]Villa Ludoviſi.
Rom, und fuͤr einen der ſchoͤnſten des Alterthums
gehalten. 9) Er hat den Charakter ernſter majeſtaͤ-
tiſcher Schoͤnheit, der dieſer Goͤttin eigen iſt.
Ein anderer kleiner Kopf derſelben Goͤt-
tin, der nach derſelben Idee gearbeitet zu ſeyn ſcheinet.
Eine etwas ſchluͤpferige Gruppe eines
Pans mit einem Faune.
Mehrere Basreliefs in die Wand ge-
mauert.
Im Garten.
Die zahlreichen Statuͤen im Garten ſind vom
Wetter ſtark beſchaͤdigt.
Merkwuͤrdig haben mir geſchienen:
Ein Jaͤger im Begriff ein wildes Schwein
mit der Lanze zu durchbohren. Dieſer Jaͤger
hat viele Aehnlichkeit mit dem ſogenannten Amphion
der Gruppe der Niobe zu Florenz.
Mehrere Fechter, und drappirte weib-
liche Figuren.
Eine Conſular-Statue, in derſelben Stel-
lung, als der vermeintliche Marius in der Villa
Negroni. 10)
Eine coloſſaliſche Juno voller Majeſtaͤt.
Zwei gefangene Koͤnige, mit mordernen
Beinen.
Ein mittelmaͤßiges antikes Grabmahl, auf
einem hohen Geſtell worunter ein Satyr ſteht,
welcher
[219]Villa Ludoviſi.
welcher der ſchlechten Ausfuͤhrung ohngeachtet fuͤr das
Werk des Michael Angelo ausgegeben wird.
Ein Silen auf einem Schlauche liegend,
in coloſſaliſcher Groͤße.
An der Baſis worauf er ruhet, eine Schlacht
en Basrelief, woraus Raphael Einiges zu ſeiner
Schlacht Conſtantins des Großen genommen zu
haben ſcheint. 11)
Pallaſt
[220]
Pallaſt Boccapaduli.
mente von
Nicolas
Pouſſin.
Die Sammlung von Gemaͤhlden in dieſem Pal-
laſte verdient allein unſere Aufmerkſamkeit
durch die Sacramente des Nicolas Pouſſin, die
darin befindlich ſind.
gen uͤber die-
ſen Meiſter.
Nicolas Pouſſin, ein Franzoſe, in der Nor-
mandie gebohren, lebte von 1594 — 1665.
Pouſſin iſt der Mahler des Litterators. Wer
auch keine Empfindung fuͤr das Schoͤne hat, findet
dennoch in feinen Werken Genuß. Man kann dar-
uͤber raiſonniren, dreiſt ſeinen Witz ſpannen, man-
nigfaltige und feine Bedeutung herauszuſuchen, ſo
leicht laͤuft man nicht Gefahr, mehr herauszufinden,
als der Zuſammenſetzer hinein gelegt zu haben ſich
eingebildet haben mag.
Pouſſin ward zu einer Zeit gebohren, als die
Vorzuͤge ſeiner Vorgaͤnger und die Fehler ſeiner Zeit-
genoſſen ihn in den Stand ſetzten, ſeine Kunſt auf
Grundſaͤtze zu bringen. Die Critik ward ſeine Kruͤcke.
Alles was Nachdenken, Ueberlegung, Studium zu-
ſammen tragen koͤnnen, hat er geliefert, obwohl mit
dem Gepraͤge, daß er nicht umſonſt gelehrt geweſen
ſey. Er hatte ſelbſt den Witz der Empfindung: die
Gedanken zu vielen ſeiner Gemaͤhlde erwecken hohe
Gefuͤhle, jedoch, fuͤrcht’ ich, oft mehr bei dem Zu-
hoͤrer, als bei dem Beſchauer. Dieſer wird aus
den Fehlern wider dichteriſche Wahrſcheinlichkeit,
wider das Schickliche, wider mahleriſche Wuͤrkung
gewahr
[221]Pallaſt Boccapaduli.
gewahr werden, daß es ihm an der Einbildungskraft
fehlte, die eine ſichtbare Begebenheit wie eine Er-
ſcheinung faßt, an dem Gefuͤhle, welches das We-
ſentliche von dem Unweſentlichen ausſcheidet, endlich
an den mechaniſchen Talenten der Hand, die den Ge-
danken der Seele ohne merklichen Abfall auf das
Tuch hinzaubern. 1)
Pouſſin erzaͤhlte die Begebenheiten, die er aus
der Geſchichte oder Fabel waͤhlte, mit allen begleiten-
den Umſtaͤnden. Waͤre er ein Geſchichtſchreiber ge-
worden, ſo iſt zu glauben, daß er mit eben ſo viel
Witz als Voltaire, den Vorzug einer groͤßeren hiſto-
riſchen Treue uͤber ihn gehabt haben wuͤrde.
Einige Kunſtrichter koͤnnen unſern Kuͤnſtler we-Pruͤfung der
Verdienſte
des Pouſſins
um das Ueb-
liche.
gen der Sorgfalt, mit der er das Uebliche beobach-
tete, nicht genung loben. Andere hingegen werfen
ihm vor, daß er ſo viel Muͤhe darauf gewandt habe,
die Scene zu bezeichnen, daß der Ausdruck der
Handlung, die darauf vorgieng, daruͤber verlohren
gehen muͤſſen. In dieſem Verſtande gilt das Wort,
das ich mich erinnere irgendwo beim Mengs geleſen
zu haben: „Zu einem Gemaͤhlde, an welches die
vorzuͤglichſten Mahler neuerer Zeit Hand anlegen
wuͤrden, duͤrfte Pouſſin nur den Grund angeben.“
Mich
[222]Pallaſt Boccapaduli.
Mich duͤnkt ich irre mich nicht, wenn ich be-
haupte, daß die mehreſten Schriftſteller, welche bis
jetzt uͤber das Uebliche geſchrieben haben, den Begriff
deſſelben ſo wenig als den Grad des Verdienſtes, den
deſſen Beobachtung fuͤr unſer Vergnuͤgen hat, genau
beſtimmt haben. Die Eroͤrterung der Fragen:
Was iſt das Uebliche? Iſt es mit der Wahrſchein-
lichkeit, mit dem Schicklichen, mit hiſtoriſcher Treue
einerlei? Hat der Beobachter deſſelben wuͤrklich An-
ſpruch auf unſere Dankbarkeit? In wie weit duͤrfen
Fehler dagegen auf unſere Nachſicht Anſpruch ma-
chen? Kann eine gar zu große Sorgfalt in Bezeich-
nung zufaͤlliger Beſtimmungen unſer Vergnuͤgen eher
ſchmaͤhlern als befoͤrdern? Dieſe Eroͤrterung, glaube
ich, kann nicht außer dem Zwecke dieſes Werks lie-
gen, und ſteht hier am rechten Orte.
Laſſen Sie uns nie vergeſſen, daß der einzige
Weg, den die bildenden Kuͤnſte haben, uns von
der Abſicht und der Meinung einer Compoſition zu
unterrichten, das Auge iſt: daß dieß allein eine voll-
ſtaͤndige Verſtaͤndigung von dem dargeſtellten Vor-
wurf geben muß. Gewiſſe Vorerkenntniſſe werden
bei dem Beſchauer unſtreitig vorausgeſetzt: Allein
dieſe muͤſſen ſo allgemein ausgebreitet ſeyn, daß es
eines beſondern Unterrichts bei dem einzelnen Kunſt-
werke nicht bedarf, ſondern daß die Faͤhigkeiten und
Kenntniſſe eines jeden, der auf den Genuß der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte berechtiget iſt, zu der Vollſtaͤndigkeit des
Begriffs der Darſtellung zureichen.
Es giebt viele Vorwuͤrfe der Darſtellung, welche
vollſtaͤndig zu erkennen, es ſchlechterdings nur einer
Auf-
[223]Pallaſt Boccapaduli.
Aufmerkſamkeit auf die Vorfaͤlle im menſchlichen Le-
ben bedarf, von denen jeder Menſch, entweder durch
eigene Erfahrung oder durch die fuͤr eigene Erfahrung
geltende Erzaͤhlung der Augenzeugen, waͤhrend der
Zeit in der er uͤber dieſen Erdboden hinwandelt, eine
Vorſtellung erhaͤlt: Vorwuͤrfe, die in der Natur zu
allen Zeiten wieder kommen, weil ſie ihren Grund
in der unveraͤnderlichen Wuͤrkungskraft der Leiden-
ſchaften, oder der Natur haben: mithin Vorwuͤrfe,
die aus allen Zeiten, von allen Orten her entlehnt,
jeder Menſchenart beigelegt werden koͤnnen.
Ob es Venus, Cleopatra, oder das Maͤdchen
meiner Vaterſtadt iſt, deren Lilienarm den braͤunli-
chen Nacken eines Mars, eines Caͤſars, oder eines
modernen Kriegers umſchlingt, was kuͤmmert mich
das? Genung zu meinem Vergnuͤgen, genung zu
meiner Verſtaͤndigung, daß der Vorfall mir aus der
alltaͤglichen Erfahrung bekannt iſt, daß im Spiel
der Minen und in Stellung der Ausdruck natuͤrli-
cher, der ganzen Menſchheit und jedem Geſchlecht
insbeſondere gemeinen Empfindungen liegt. Das
Auge eines jeden, ſage ich mit einem erborgten Aus-
druck: Das Auge eines jeden macht hier die Expoſi-
tion, das Herz die Erzaͤhlung.
Wenn wir den Hauptgrund der aͤſthetiſchen
Wuͤrkung einer Darſtellung unterſuchen, deren Vor-
wurf aus der Geſchichte oder aus der Fabel ent-
lehnt iſt, ſo werden wir finden, daß ohne jenen
Ausdruck allgemein bekannter Empfindungen, ſogar
die Bezeichnung eines beſtimmten Falls weder ver-
ſtaͤndlich, noch ſehr intereſſant iſt. Die Situation
die
[224]Pallaſt Boccapaduli.
die wir bekannten Perſonen beilegen, in einen be-
ſtimmten Zeitraum, in ein gewiſſes Land verſetzen,
muß auch alsdann unſerer Aufmerkſamkeit werth
ſeyn, wenn wir ohne weitere Vorbereitung in dem
Augenblicke, den die Darſtellung gewaͤhlt hat, zu
deren Anblick hinzutraͤten: keine der dabei intereſſirten
Perſonen kennten, nichts von ihren Lebensumſtaͤnden
wuͤßten, als daß ſie Menſchen ſind, wie Menſchen,
die wir aus eigener Erfahrung kennen, handeln und
empfinden. Ein Caͤſar der durchs Meer ſchwim-
mend wichtige Papiere mit einer Hand in die Hoͤhe
haͤlt, wird uns im Gemaͤhlde weniger verſtaͤndlich
ſeyn, weniger intereſſiren, als der Landmann in einer
Landſchaft des Domenichino, der ſein furchtſames
Maͤdchen durchs Waſſer traͤgt.
Inzwiſchen giebt es mehrere Faͤlle, in denen
mein Vergnuͤgen auf keine gleichguͤltige Art dadurch
erhoͤhet wird, daß ich die Perſonen, welche einen
Ausdruck zeigen, der jedem, auch gar nicht unter-
richteten Menſchen verſtaͤndlich und intereſſant iſt,
beſtimmt wieder erkenne; daß ich mir ſogleich ins
Gedaͤchtniß rufe, wo ſie gehandelt, zu welcher Zeit
ſie gelebt haben, die Begebenheiten, die der gegen-
waͤrtigen vorausgegangen, und diejenigen, die ihr
nachgefolgt ſind.
Ich finde naͤmlich bei allen Begebenheiten, die
der Seltenheit wegen, mit der ſie ſich im Leben zu-
tragen, aus der Reihe gewoͤhnlicher Vorfaͤlle heraus-
treten, meine Neugierde geſpannt, die naͤheren Um-
ſtaͤnde, unter denen ſie ſich zugetragen haben, zu er-
fahren. Ein Mord, zum Beiſpiel, traͤgt ſich wahr-
ſcheinlich
[225]Pallaſt Boccapaduli.
ſcheinlich waͤhrend der Lebenszeit eines jeden Menſchen
zu: Dieſer iſt entweder Augenzeuge deſſelben, oder
er erhaͤlt doch von ſeinen Zeitgenoſſen eine ſo vollſtaͤn-
dige Erkenntniß von dem Eigenen und Beſonderen
in Minen und Stellungen der dabei intereſſirten
Perſonen, daß er die Darſtellung deſſelben bei dem
erſten Anblick wird erkennen koͤnnen. Allein die
Seltenheit des Auftritts macht ihn begierig die Ver-
anlaſſung, die Folgen, ſogar die Nahmen der Ak-
teurs zu wiſſen, und die Verſagung dieſes Wunſches
iſt fuͤr ihn wuͤrkliche Schmaͤhlerung ſeines Ver-
gnuͤgens.
Auſſerdem wird der Antheil, den ich an einer an
ſich intereſſanten Situation nehme, dadurch erhoͤhet,
daß ich ſolche Perſonen in dieſelbe verſetzt ſehe, die
vorhero ſchon einen Anſpruch auf meine Aufmerkſam-
keit hatten. Ja! mit dem Anblick ihrer gegenwaͤr-
tigen Lage erinnere ich mich aller Vorfaͤlle ihres Le-
bens die vorher und nachgegangen ſind.
Das Intereſſe an denen im Bilde dargeſtellten
Perſonen dehnt ſich durch die Erinnerung auf alle
die verwandten Kuͤnſte aus, die ſich mit Darſtellung
ihrer Begebenheiten beſchaͤfftiget haben. Ich ſehe
nicht den Aeneas von der Dido fliehen, ohne an das
vierte Buch der Aeneide, nicht den ſterbenden Ger-
manicus, ohne an die Rede deſſelben beim Tacitus
zu denken. Dieſe Verſtaͤrkung des Vergnuͤgens
durch die Vermaͤhlung der Ideen, ſcheint es dem
Kuͤnſtler zum Geſetz gemacht zu haben, beinahe
immer beſtimmten Perſonen aus der Fabel und Ge-
ſchichte, einen an ſich verſtaͤndlichen Ausdruck allge-
mein bekannter Empfindungen beizulegen.
Zweiter Theil. PDie
[226]Pallaſt Boccapaduli.
Die bildenden Kuͤnſte haben nun kein anderes
Mittel den Zuſchauer von dem Beſonderen und Ei-
genen der Zeit in der, des Orts, an dem ſich die
Begebenheit zugetragen hat, der Perſonen, die da-
bei intereſſirt geweſen ſind, zu unterrichten, als daß
ſie die Verſchiedenheit der Gebraͤuche, der Moden,
des Geſchmacks in Kleidung und Gebaͤuden, die ei-
genthuͤmlichen Produkte eines jeden Landes andeuten,
und zuweilen ſogar ihre Zuflucht zu Sinnbildern neh-
men. Dieſe zufaͤlligen Unterſcheidungszeichen einer
Begebenheit von andern, dieſe Andeutung des Moͤg-
lichen bei dem Wuͤrklichen, ſetzt eine Kenntniß von
Zeiten und Laͤndern zum Voraus, die ſich weiter als
der Kreis unſerer taͤglichen Erfahrungen erſtreckt.
Hier aber bitte ich vorzuͤglich zu erwaͤgen, auf
welche Kenntniſſe der Kuͤnſtler bei ſeinen Beſchauern
rechnen darf. Er arbeitet nicht fuͤr eine beſtimmte
Claſſe von Menſchen, etwa fuͤr Gelehrte, fuͤr Ge-
ſchichtsforſcher; nein! er arbeitet fuͤr wohlerzogene
Menſchen uͤberhaupt, die durch Wohlſtand und Muße
auf den Genuß geſellſchaftlicher Talente berechtiget
ſind.
Um zu erfahren, welche Kenntniſſe dieſen ge-
laͤufig ſind, darf er nur auf die Art Ruͤckſicht nehmen,
wie ſie dieſelben einſammeln, auf den Zweck, zu dem
ſie einſammeln. Sie ſuchen Nahrung fuͤr ihr Herz,
fuͤr ihre Einbildungskraft, hoͤchſtens Unterhaltung
ihres Verſtandes, und ſchoͤpfen dieſe nicht aus den
Jahrbuͤchern der Critik, ſondern aus den oft ſehr
unzuverlaͤßigen Quellen der Converſation, der Ge-
maͤhlde-Gallerien, der Dichter und ſolcher Geſchicht-
ſchrei-
[227]Pallaſt Boccapaduli.
ſchreiber, die weniger den Trieb nach Wahrheit,
als nach dem Außerordentlichen zu befriedigen geſucht
haben.
Ferner! Wie hoͤren, wie leſen dieſe wolluͤſtigen
Genießer? Wahrlich nicht wie ein Goguet oder Win-
kelmann! Was ihre Einbildungskraft ſpannt, was
ihr Herz ruͤhrt, das druͤckt ſich ihrem Gedaͤchtniſſe
ein: von dem Ueberfluͤßigen zu dieſem Ver-
gnuͤgen bewahren ſie nur ſo viel auf, um die
Begebenheit gelegentlich von andern aͤhnlichen aus-
zuſcheiden.
Auf dieſe ſuperficielle Kenntniß von dem Zufaͤlli-
gen einer Begebenheit, das heißt: von demjenigen,
was dieſe von Vorfaͤllen, die taͤglich wieder kommen
koͤnnen, unterſcheidet, iſt nun die Verbindlichkeit des
Kuͤnſtlers gegruͤndet, nichts darzuſtellen, was dieſer
widerſpricht, was die Wiedererkennung erſchweret:
Kurz, die Verpflichtung, das Uebliche zu beob-
achten.
Das Uebliche heißt alſo nichts weiter, als:Feſtſetzung
des Begriffs
den man mit
dem Worte:
das Uebliche,
il Coſtume,
verbinden
muͤſſe.
die Andeutung ſolcher zufaͤlligen Unterſchei-
dungszeichen, die nach denen unter der Claſſe
von Menſchen, die auf den Genuß der Kuͤnſte
berechtiget iſt, gelaͤufigen Begriffen dazu die-
nen, eine Begebenheit, die mit allen Menſchen,
zu jeder Zeit, an allen Orten intereſſiren wuͤrde,
beſtimmten Perſonen, die zu einer gewiſſen
Zeit an gewiſſen Orten gelebt haben, beizu-
legen.
P 2Das
[228]Pallaſt Boccapaduli.
Meiſter, die
wider das
Uebliche ge-
ſuͤndiget ha-
ben, verdie-
nen unſere
Nachſicht.
Das Maaß der Kenntniſſe uͤber Geſchichte und
Fabel, die unter den Zeitgenoſſen in Umlauf ſind,
beſtimmt alſo die Verpflichtung des Kuͤnſtlers wider
die hergebrachten Begriffe in dem Zufaͤlligen nicht
anzuſtoßen: und dies ſollten wir nie vergeſſen, wenn
die Vorwuͤrfe, die wir einem Paolo Veroneſe, einem
Rembrandt uͤber die Verletzung des Coſtume nach
unſern Begriffen machen, uns uͤber ihre uͤbrigen
Vorzuͤge verblenden wollen. Fuͤr wen mahlten dieſe
Kuͤnſtler? Fuͤr Nationen, bei denen uͤber den Trieb
nach klingendem Erwerb, die Bildung des Geiſtes
groͤßeſten Theils vernachlaͤßiget wurde. Dieſe wur-
den nicht in ihrem Vergnuͤgen geſtoͤrt, nicht in die
Irre geleitet, wenn ſie den edlen Venetianer, den
Portugieſiſchen Juden bei der Hochzeit von Canaan
ſtatt der wahren Gaͤſte ſahen; der groͤßere Haufe
dachte ſich die Begebenheit mit Akteurs aus ſeiner
Zeit, aus ſeinem Lande. Wie viel laͤßt ſich nicht
ſelbſt fuͤr die Anachroniſmen ſagen, die jene fruͤheren
Mahler in der Darſtellung geiſtlicher Geſchichten be-
gangen haben! Ein heiliger Franciſcus mit dem
Crucifix in der Hand, der eine Mutter Gottes mit
dem Chriſtkinde anbetet, ſcheint uns eine Abſurditaͤt.
Aber zur Zeit des verfertigten Gemaͤhldes war es
keine. Damals waren nicht blos Legenden von der-
gleichen Erſcheinungen, welche Heilige gehabt haben
ſollten, gaͤng und gaͤbe; der Mahler ſah auch der-
gleichen Auftritte taͤglich um ſich herum in den da-
maligen Proceſſionen, in den geiſtlichen Schauſpielen
oder Pantomimen. Will man den Mahler, der
ſo viel mit der Hand arbeitet, kluͤger wiſſen als den
Dichter, der ſeinen Kopf allein braucht?
Eine
[229]Pallaſt Boccapaduli.
Eine andere Ruͤckſicht ſollte uns noch billiger
machen. Rembrandt und Paolo Veroneſe kleideten
ihre Figuren aus modernen Troͤdelbuden, oder mo-
dernen Kramladen; aber dieſer Anzug war dem einen
zum Zauber ſeines Helldunklen, dem andern zur Ver-
fuͤhrung durch glaͤnzende Farben unentbehrlich. Haͤt-
ten ſie uͤber die Beobachtung hiſtoriſcher Treue jene
Vorzuͤge aufopfern muͤſſen, und wahrſcheinlich Nichts
fuͤr mein Vergnuͤgen gethan; ſo weiß ich nicht, warum
ich uͤber den Genuß, den ſie mir einzig geben konnten,
die Entbehrung desjenigen nicht verſchmerzen ſollte,
der mein Vergnuͤgen nur erhoͤhet, nicht einzig und
allein ausmaͤcht.
Denn gewiß weder mechaniſche noch eigentlicheVerſchieden-
heit des Ueb-
lichen von
mechaniſcher
und dichteri-
ſcher Wahr-
ſcheinlich-
keit, imglei-
chen von
dem Schick-
lichen.
dichteriſche Wahrſcheinlichkeit, oder mahleriſche Wuͤr-
kung, haͤngen von der Beobachtung des Ueblichen ab:
nicht einſt das Schickliche iſt mit dem Ueblichen ei-
nerlei. Die mechaniſche Wahrſcheinlichkeit beruhet
in den Bewegungen des Koͤrpers nach den Geſetzen
der Statik, des Gleichgewichts, in den Veraͤnderun-
gen die Licht und Schatten auf die beleuchteten Koͤrper,
nach den Regeln der Optik, hervorbringt.
Die dichteriſche Wahrſcheinlichkeit ſetzt Aeuße-
rungen der Seele durch den Koͤrper zum Voraus, die
wir nach den Erfahrungen beurtheilen, die wir uͤber
die Abwechſelung des Ausdrucks einer theilnehmenden
Seele nach den Stuffen des Alters, nach der Ver-
ſchiedenheit des Geſchlechts, des Standes, und der
Wichtigkeit des Gegenſtandes, der ſie beſchaͤfftigt,
gemacht haben. Dieſe beiden Wahrſcheinlichkeiten,
die in den bildenden Kuͤnſten nie getrennt ſeyn koͤn-
P 3nen,
[230]Pallaſt Boccapaduli.
nen, ſetzen weiter nichts zum Voraus, als Aufmerk-
ſamkeit auf die gewoͤhnlichen Vorfaͤlle des menſchli-
chen Lebens. Sie ſind es, die wir in jede Vorſtel-
lung einer Begebenheit zuerſt bringen, die man uns
von entfernten Orten und Zeiten her erzaͤhlt, oder
darſtellt; erſt wann wir in dieſem Stuͤcke befriedigt
ſind, bekuͤmmern wir uns um die hiſtoriſche Wahr-
ſcheinlichkeit, und vergleichen dasjenige was wir ſehen
oder hoͤren, mit demjenigen, was wir von dem Zu-
faͤlligen bei aͤhnlichen Begebenheiten an entfernten
Orten, zu verſchiedenen Zeiten, gehoͤrt haben.
Das Gefuͤhl der nothwendigſten Beſtandtheile
der Wahrheit bleibt alſo, wenn auch das Zufaͤllige
zu deren Erkenntniß wegfaͤllt. Iſt es nicht die
Hochzeit zu Canaan ſo iſt es eine jede andere. Der
hoͤchſte Nachtheil, der aus der Unbeſtimmtheit ent-
ſtehen kann, iſt dieſer, daß unſere Neugier unbe-
friedigt bleibt, indem wir einen an ſich erklaͤrbaren
Ausdruck gern beſtimmten Perſonen beilegen moͤchten.
Allein wie ſelten iſt dies der Fall, wenn der Mahler
ſich an bekannte Vorwuͤrfe haͤlt? Wer erkennet nicht
eine Judith, die dem Holofernes den Kopf abhauet,
wenn gleich Kanonen vor Bethulia ſtehen? Wer
nicht den Moſes, der Waſſer aus dem Felſen ſchlaͤgt,
wenn gleich die Kinder Iſrael in ſpaniſcher Tracht
einhergehen? Moͤchten doch unſere neueren Kuͤnſtler,
in deren Gemaͤhlden ſelten Fehler wider hiſtoriſche
Wahrſcheinlichkeit, und nur gar zu haͤufig wider dich-
teriſche und mechaniſche angetroffen werden, das
Nothwendige nicht dem blos Angenehmen auf-
opfern!
Auch
[231]Pallaſt Boccapaduli.
Auch das Schickliche iſt mit dem Ueblichen nicht
einerlei. Das Schickliche iſt das Ideal der dichte-
riſchen Wahrſcheinlichkeit: es iſt die Auswahl unter
demjenigen, was nach dem Gange der Affekten ſich
an den theilnehmenden Perſonen bei einer Begeben-
heit aͤußern kann. Es iſt weder mechaniſch noch
dichteriſch unwahrſcheinlich, daß ein Auſſaͤtziger ſich
krazt, waͤhrend daß Chriſtus ſeinen Mitkranken hei-
let: es iſt auch nicht wider das Uebliche. Allein es
paßt, es ſchickt ſich nicht in den Eindruck, den die
Darſtellung einer heiligen Handlung auf mich machen
ſoll, es iſt wider meine Begriffe von Anſtand, wider
ſittliche Wahrſcheinlichkeit, mit einem Worte: wider
das Schickliche.
Daß dieſe Betrachtungen den Liebhaber billig
machen moͤchten gegen Meiſterſtuͤcke aͤlterer Meiſter,
die ein ganz anderes Uebliche hatten als wir! Die
wenn ſie unſre Forderungen in Anſehung des Zufaͤlli-
gen der Wahrheit oft unbefriedigt laſſen, denjenigen,
die wir an die nothwendigen Beſtandtheile derſelben
zu machen berechtiget ſind, ein deſto groͤßeres Ge-
nuͤge leiſten.
Ich will damit aber keinesweges den jungenDie Gruͤnde
zur Nachſicht
fuͤr die aͤlte-
ren Kuͤnſtler
koͤnnen den
gegenwaͤrti-
gen nicht zu
Gute kom-
men.
Kuͤnſtler zu einer Nachlaͤſſigkeit in dieſem Stuͤcke auf-
fordern. Nein! er erhoͤhe mein Vergnuͤgen, indem
er mir Gelegenheit giebt, viel mehr zu denken, als
ich ſehe. Allein davor warne ich ihn: kein Stolz
auf dieſen Nebenvorzug, keine uͤbertriebene Sorge
fuͤr die Andeutung der hiſtoriſchen Wahrheit.
Ehemals erforderte die Kenntniß des Ueblichen
wenigſtens einen gewiſſen Aufwand von Seelenkraͤf-
P 4ten,
[232]Pallaſt Boccapaduli.
ten, die wenn ſie nicht zum Talent des Kuͤnſtlers ge-
hoͤrten, dennoch Anſpruch auf die Stelle eines Cere-
monienmeiſters haͤtten geben koͤnnen: ich meine Ge-
daͤchtniß, und Fleiß im Nachforſchen, wie es ehe-
mals gehalten ſey: Allein ſeitdem wir mehrere Werke
uͤber das Uebliche haben, 2) in denen dem Kuͤnſtler
vorgearbeitet, fuͤr ihn zuſammen getragen iſt, ſo be-
darf es um Meiſter in dieſem Fache zu ſeyn, nur
einer Fertigkeit im Nachſchlagen, mithin iſt die Be-
obachtung des Ueblichen jetzt eine wahre Erbaͤrm-
lichkeit.
das Uebliche
nicht mit hi-
ſtoriſcher
Treue ver-
wechſeln.
Bei allem Fleiße den aber der Kuͤnſtler auf das
Uebliche wendet, vernachlaͤſſige er nie die Grundſaͤtze
der Wahrheit und der Schoͤnheit, und verwechſele
es nie mit hiſtoriſcher Treue. Er darf von dem als
wahr erkannten nur dasjenige zur Anwendung brin-
gen, was ohne Nachtheil fuͤr mahleriſche Wuͤrkung,
Verſtaͤndlichkeit und Ruͤhrung, in Anwendung ge-
bracht werden kann.
Ich kann es nicht genung dem Kuͤnſtler ſagen,
er mahlt weniger fuͤr den Verſtand, als fuͤr das
Herz und die Einbildungskraft der Zuſchauer. Die
untern Seelenkraͤfte ſind es, auf die er wuͤrken ſoll,
nicht
[233]Pallaſt Boccapaduli.
nicht die oberen. Ich will von einem Gemaͤhlde
unterhalten, geruͤhrt, geſpannt, nicht belehrt ſeyn:
werde ich es zugleich mit, deſto beſſer! Allein dieſer
Vortheil iſt zufaͤllig, liegt nicht in dem Weſen der
Kunſt. Sollte er weſentlich ſeyn, ſo muͤßten alle
diejenigen, die ſich der Betrachtung eines Kunſt-
werks nahen, nicht allein gleiche Kenntniſſe und Faͤ-
higkeiten hinzubringen, ſondern auch ein allgemeines
Intereſſe an der Belehrung nehmen. Dies iſt aber
nicht der Fall. Fuͤr einen Antiquar, fuͤr einen Ge-
lehrten, der ein Gemaͤhlde kritiſch unterſucht, giebt
es hundert Beobachter, die auf den erſten Blick
von der Abſicht des Werks verſtaͤndigt, und, weil
von der Wuͤrkung des erſten Blicks gemeiniglich die
hoͤchſte Ruͤhrung abhaͤngt, mit dieſem zugleich ge-
ruͤhrt ſeyn wollen.
Der Kuͤnſtler darf nur mit der groͤßten Behut-Verſchiedene
Regeln die
bei der Be-
zeichnung
des hiſtoriſch
Wahren zur
Anwendung
kommen.
ſamkeit von der einmal angenommenen Vorſtellungs-
art abweichen, wenn er mir nicht unverſtaͤndlich wer-
den will. Denn in allen Faͤllen, wo die Verſtaͤn-
digung durch den erſten Blick darunter leiden wuͤrde,
daß er einen uͤblichen Irrthum durch eine kritiſch er-
wieſene Richtigkeit verbeſſert, verhaͤrte ich mich gegen
das Verdienſt der Genauigkeit bei dem zu gelehrten
Kuͤnſtler. Er darf daher nicht eher verbeſſern, als
bis er uͤberzeugt iſt, daß die Verbeſſerung entweder
keiner erheblichen Mißdeutung unverworfen, oder
doch, daß die Aufklaͤrung, auf der ſie beruht, ſo
ausgebreitet unter der Claſſe zwiſchen den Gelehrten
und den Ignoranten iſt, als es vorhero der Irr-
thum war.
P 5Ob
[234]Pallaſt Boccapaduli.
Ob ich dem Opfermeſſer in der Hand des Prie-
ſters dieſe oder jene Form gebe, iſt im Grunde einer-
lei. Genung daß ich das Meſſer zu dem beſtimm-
ten Gebrauche darin wieder erkenne. Sind wir,
auf den Genuß der Kuͤnſte Berechtigte, aber ge-
wohnt nach der Bibeluͤberſetzung, die wir allein leſen,
uns den juͤdiſchen Hohenprieſter in gelber Kleidung
zu denken; ſo darf der Kuͤnſtler, der uns nicht in die
Irre fuͤhren will, uns nicht eher dieſen Hohenprie-
ſter im himmelblauen Gewande zeigen, bis er uͤber-
zeugt iſt, daß die juͤdiſchen Heiligthuͤmer des Lundius
eben ſo allgemein geleſen werden, als jene Bibeluͤber-
ſetzung; oder bis er durch andere Nebenumſtaͤnde
uns, ohngeachtet der ungewoͤhnten Farbe, auf den
Begriff eines juͤdiſchen Hohenprieſters deutlich zuruͤck-
fuͤhren kann.
Ein Kunſtrichter, 3) von dem der Kuͤnſtler und
der Liebhaber mehr lernen wuͤrden, wenn er nicht
ſeine guten Bemerkungen oft in einen unertraͤglich
pretioͤſen Stil eingekleidet haͤtte, ſcheint ohngeachtet
der Billigkeit mit der er an die Beobachtung des
Ueblichen erinnert, dennoch den Begriff deſſelben mit
hiſtoriſcher Treue zuweilen verwechſelt zu haben. Wie
wuͤrde er es ſonſt dem Kuͤnſtler zur Nothwendigkeit
gemacht haben, den Hohenprieſter Caiphas, der
ſeine Kleider zerreißt, in ſeiner gewoͤhnlichen Haus-
kleidung, nicht in der feierlichen Tempelkleidung dar-
zuſtellen. Ich weiß viel, wie dieſe ausgeſehen ha-
ben mag: woran ſoll ich meinen Mann erkennen?
Ich
[235]Pallaſt Boccapaduli.
Ich will um von der Abſicht eines Gemaͤhldes ver-
ſtaͤndigt zu werden, nicht erſt gelehrte Commentarien
zu Rath ziehen. Immerhin moͤgen Koͤnige nur bei
feierlichen Gelegenheiten Kronen tragen: Es iſt ein
Attribut, das nur ihnen zukoͤmmt, das mich ohne
Zweideutigkeit allein auf ihre Beſtimmung im buͤr-
gerlichen Leben zuruͤckfuͤhrt.
Ich wiederhole es noch einmal: Die bildenden
Kuͤnſte haben nur in einem Falle die Verbindlichkeit
auf ſich, dem Wuͤrklichen getreu zu bleiben, naͤmlich
bei allem, was von dichteriſcher und mechaniſcher
Wahrſcheinlichkeit abhaͤngt; wo die Pruͤfung des
Dargeſtellten, nach der Erfahrung, die mein Auge
taͤglich macht, mich ſogleich von der Falſchheit uͤber-
zeugen kann. In allem uͤbrigen richtet ſich Wahr-
heit immer nur nach Convention, und dieſe nach den
Beduͤrfniſſen des Angenehmen. Selbſt bei uns iſt
das Uebliche weiter nichts als verabredeter Irrthum
mit einem Scheine von Wahrheit verbunden, auf
dem Theater wie in dem Gemaͤhlde. Wir ziehen
unſern Roͤmern keine Reifroͤcke mehr an, aber wir
unterſcheiden doch gewiß nicht die Moden nach den
verſchiedenen Zeitpunkten vom Romulus an bis auf
den Conſtantin. Was koͤnnten auch die Kuͤnſte da-
bei gewinnen; was der Eindruck, den ſie auf unſer
Herz, auf unſere Einbildungskraft machen ſollen?
Die Moden auf dem Bilde ſind dem Geſetze der
Schoͤnheit zuerſt unterworfen, ſie ſollten es billig
auch auf dem Theater ſeyn, wie ſelten ſind ſie es im
geſellſchaftlichen Leben!
Duͤ
[236]Pallaſt Boccapaduli.
Duͤ Bos 4) legt dem Kuͤnſtler die Verbindlich-
keit auf, den Perſonen, deren Begebenheiten er aus
der Geſchichte entlehnt, die individuelle Bildung bei-
zulegen, die uns Medaillen, wuͤrkliche Bildſaͤulen,
ſogar ſchriftliche Beſchreibungen uͤberliefern.
Ohne Einſchraͤnkung kann ich dieſen Satz nicht
billigen.
Vielleicht hat der Mahler keinen hoͤheren An-
ſpruch auf den Nahmen eines Schoͤpfers, als wenn
er beruͤhmte Maͤnner, die Jahrhunderte vor ihm ge-
lebt haben, mit Bildungen wieder herſtellt, die
ihre Handlungen rechtfertigen; wenn er jedem Men-
ſchenkenner den Ausruf abpreßt: hat der Weltuͤber-
winder nicht ſo ausgeſehen, ſo haͤtte er ſo ausſehen
muͤſſen!
So leicht darf ſich der Kuͤnſtler um dieſen Vor-
zug nicht bringen laſſen, ſo leicht den Nahmen eines
Schoͤpfers mit dem eines Copiſten nicht austauſchen:
und ſeine Feſtigkeit in dieſem Stuͤcke kann ihm um
ſo weniger zur Hartnaͤckigkeit ausgelegt werden, wenn
man auf die Unzuverlaͤßigkeit der Quellen, auf den
Zweck der Kunſt, und auf die großen Schwierigkei-
ten, die ſich dem Ausdruck bei entlehnten Geſtalten,
die nicht mit demſelben in der Seele aufſteigen, ent-
gegen ſetzen, Ruͤckſicht nimmt.
Ich habe ſchon an einem andern Orte geaͤußert,
wie wahrſcheinlich es iſt, daß die Geſtalten beruͤhm-
ter Maͤnner, die wir in wuͤrklichen Kunſtwerken be-
ſitzen,
[237]Pallaſt Boccapaduli.
ſitzen, ſchon ehemals mehr nach den Geſetzen der
Wahrſcheinlichkeit als der Treue gebildet wurden.
Muͤnzen liefern nur ſelten eine vollſtaͤndige Idee von
Eigenthuͤmlichkeit: und die Beſchreibungen! — Wer
weiß es nicht, daß jeder Leſer ſich dabei ſein beſonde-
res Bild denkt? daß nur koͤrperliche Fehler als auf-
fallende Unterſcheidungszeichen ſich der Seele eindruͤ-
cken? Daß aber der Kuͤnſtler ſich an dieſe genau
halten ſolle, wird wohl niemand verlangen. We-
nigſtens zweifle ich, daß derjenige, der bei der Dar-
ſtellung der beruͤhmteſten Philoſophen des Alterthums
die Nachrichten des Sidonius Apollinaris genau be-
folgen wollte, ſich um unſer Vergnuͤgen ſehr verdient
machen wuͤrde. 5)
Laſſen Sie uns nie vergeſſen, daß der Zweck
der Kunſt nicht Ueberlieferung der Lebensumſtaͤnde
beruͤhmter Maͤnner, ſondern Darſtellung einer in-
tereſſanten Begebenheit aus ihrem Leben iſt; daß
ich ſie nur einmal ſehe; daß dieſes eine Mal, dieſer
eine Blick, mir daher die vollſtaͤndigſte Aufloͤſung
uͤber ihre Einwuͤrkung auf die Begebenheit geben
muͤſſe; und daß es mithin mehr darauf ankomme,
was
[238]Pallaſt Boccapaduli.
was ich ihnen auf ihr ehrlich Geſicht von der ſichtba-
ren Handlung zutrauen darf, als auf das, was ich
ihnen Kraft bewaͤhrter Zeugniſſe an Eigenſchaften zu
glauben muß, wenn gleich ihre Geſtalt luͤgt. Wie
oft iſt dies der Fall bei individuellen Bildungen; wie
oft hat eine Verwahrloſung in der Jugend, oder ein
Unfall bei reiferen Jahren, einem Ageſilaus ein hin-
ckendes Bein, einem Alexander einen ſchiefen Hals
gegeben! In den Kuͤnſten, die fuͤrs Vergnuͤgen
arbeiten, hat das Wahrſcheinliche allemal den Vor-
zug vor dem Wahren. Von der Schwierigkeit,
eine fremde Geſtalt mit einem ſelbſt gedachten Aus-
drucke zu beleben, habe ich ſchon an einem andern
Orte geredet.
Ich kann alſo die Regel des duͤ Bos nur in dem
Falle als richtig gelten laſſen, wenn die beſtimmte
Bildung ſo allgemein bekannt und gewoͤhnlich iſt,
daß der Mahler, ohne mich in die Irre zu fuͤhren,
dieſelbe unveraͤndert laſſen muß. Z. E. die Stutznaſe
des Socrates, die kurze ſtaͤmmige Figur des heiligen
Petrus. Wie wenig kommt dabei hiſtoriſche Treue
in Anſchlag? En imitation l’ idée reçuë, et
generalement établie tient lieu de verité.6)
Der hoͤchſte Mißbrauch hiſtoriſcher Treue wuͤrde
unſtreitig in den bildenden Kuͤnſten dieſer ſeyn, wenn
der Kuͤnſtler den Ausdruck der Affekten durch die ſitt-
liche Denkungsart der Vorwelt wollte motiviren
laſſen. Moͤgen immerhin die Alten vermoͤge ihrer
politiſchen, moraliſchen und phyſiſchen Erziehung ihre
Empfin-
[239]Pallaſt Boccapaduli.
Empfindungen ganz anders geaͤußert, ſich bei aͤhn-
lichen Vorfaͤllen ganz anders genommen haben, als
wir: wenn ich Wahrheit des Ausdrucks mit einem
Blicke pruͤfe, ſo gehe ich in mich ſelbſt zuruͤck, ich
ſetze mich an die Stelle des Akteurs, ich will mich
in ihm wiederfinden.
Ein Zeno, der keine Mine verzieht, wenn
man ihm das Bein zerſchlaͤgt, iſt fuͤr den Blick, der
das Gemaͤhlde waͤgt, eine Statue. Umſonſt ſagt
mir meine Erinnerung, daß dieſer beſtimmte Mann
durch lange Uebung eine ſolche Oberherrſchaft uͤber die
jedem Menſchen gewoͤhnlichen Affekte erhalten hatte,
die bis zur Unempfindlichkeit gegen koͤrperlichen
Schmerz gieng. Ich ſehe den beſtimmten Mann
nur einmal, nur in einer Lage, ich ſehe ihn als
Menſch.
Die Andeutung des Zufaͤlligen bei der Wahrheit
des hiſtoriſch Wahrſcheinlichen hat keine andere Abſicht,
als die Verſtaͤndigung des Zuſchauers von der beſtimm-
ten Veranlaſſung eines an ſich intereſſanten Ausdrucks.
Alle Andeutungen, die dazu nichts beitragen, ſind
uͤberfluͤſſige Nebenwerke, die, falls ſie durch mahle-
riſche Wuͤrkung nicht gerechtfertiget werden, die Auf-
merkſamkeit nur zerſtreuen. Wenn ich die Tochter
des Pharao mit ihren Begleiterinnen den ausgeſetzten
Moſes am Ufer eines Fluſſes finden ſehe, ſo weiß ich,
daß dieſer Fluß der Nil iſt: die Pyramiden im Hin-
tergrunde ſind zur Bezeichnung der Scene ganz uͤber-
fluͤßig. Verbirgt gar ein unthaͤtiger Flußgott ſein
Haupt im Schilfe, ſo enthaͤlt die allegoriſche Andeu-
tung eines laͤngſt erklaͤrten Nebenumſtandes, zugleich
eine Unſchicklichkeit.
Vor-
[240]Pallaſt Boccapaduli.
Vorzuͤglich aber muß ich den Kuͤnſtler vor dem
Mißbrauch bezeichnender Nebenwerke warnen, die
nicht allgemein bekannt ſind. Man betrachtet dieſe
nur gar zu oft als Anſchlagzettel zu einer pantomimi-
ſchen Vorſtellung, und will durch irgend ein Beſon-
deres, das nur gerade bei dieſer Begebenheit vor-
koͤmmt, auf den Begriff der vorzuſtellenden Bege-
benheit fuͤhren. Recht wohl! wenn wir das Be-
ſondere kennen, wenn wir uns nie die Handlung ohne
daſſelbe denken. Aber wehe dem witzigen Kuͤnſtler,
wenn wir uns uͤber das Beſondere mehr als uͤber die
Begebenheit muͤſſen unterrichten laſſen! Er liefert
uns Raͤthſel, die wir nicht aufloͤſen moͤgen.
Von den Pflichten der Treue bei Familienbild-
niſſen, bei Volksmonumenten, Grabmaͤhlern, und
Zugaben von erlaͤuternden Abbildungen zu Buͤchern,
rede ich hier nicht. Ich betrachte hier die Kunſt
als Unterhaltung meines Herzens, meiner Einbil-
dungskraft, nicht als darſtellende Ueberlieferung in-
tereſſanter Nachrichten.
So wuͤrde meine Unterſuchung uͤber das Uebli-
che, die ohnehin wider meinen Willen ziemlich weit-
laͤuftig gerathen iſt, geſchloſſen werden koͤnnen. Das
Reſultat iſt kurz dieſes:
Eroͤrterung
verſchiedener
Punkte, die
bei der Be-
ſtimmung
des Begriffs
Der Zweck des Ueblichen iſt: Verſtaͤrkung des
Antheils, den ich an einer intereſſanten Begebenheit
nehme, indem ich dieſe beſtimmten Perſonen, an ei-
nem beſtimmten Orte, zu beſtimmten Zeiten beizule-
gen, durch Andeutung zufaͤlliger Nebenumſtaͤnde
authoriſirt werde. Da die Beobachtung deſſelben
kein weſentliches Beſtandtheil meines Vergnuͤgens
ausmacht,
[241]Pallaſt Boccapaduli.
ausmacht, von mechaniſcher und dichteriſcher Wahr-vom Uebli-
chen zur
Frage ge-
bracht ſind.
ſcheinlichkeit, imgleichen von mahleriſcher Wuͤrkung
unabhaͤngig iſt, die Verbindlichkeit dazu ſich nach
dem Grade der minderen oder groͤßeren Aufklaͤrung
veraͤndert; ſo haben die fruͤheren Beleidiger meiner
gegenwaͤrtigen Begriffe in dieſem Stuͤcke, allerdings
Anſpruch auf meine Nachſicht. Dem neueren Kuͤnſt-
ler kann ſie weniger wiederfahren, inzwiſchen muß er
aus der Beſorgung des Ueblichen ſich kein beſonderes
Verdienſt beilegen, und ſie nie mit hiſtoriſcher Treue
verwechſeln. Dieſe iſt in allen Faͤllen ſchaͤdlich, wo
die Verſtaͤndlichkeit ſeines Werks dadurch erſchweret
oder nicht befoͤrdert wird; oder wo hoͤhere weſentli-
chere Vorzuͤge der Kunſt, es ſey dichteriſche Wahr-
ſcheinlichkeit, oder Schoͤnheit, oder mahleriſche Wuͤr-
kung derſelben aufgeopfert werden muͤſſen.
Laſſen Sie mich die Verdienſte eines Pouſſin
um das Uebliche auf dieſe Grundſaͤtze zuruͤckfuͤhren.
Wie oft finden wir noch in ſeinen Werken FehlerAnwendung
der fetzt feſt-
geſetzten
Grundſaͤtze
auf Pouſſins
Vorzuͤge in
Beobach-
tung des
Ueblichen.
wider das Uebliche nach unſern heutigen Begriffen!
Wie oft hat er hiſtoriſche Treue bis zur Unverſtaͤnd-
lichkeit getrieben! Wie oft hat er unſere Aufmerk-
ſamkeit durch uͤberfluͤßige Nebenwerke nur zerſtreuet!
Wie oft unſere Neugier gereitzet, ohne ſie zu befrie-
digen! Und wie oft uͤber die Sorge fuͤr die Bezeich-
nung des Zufaͤlligen, die wichtigere fuͤr das Noth-
wendige zum Gefuͤhle der Wahrheit, dichteriſche
Wahrſcheinlichkeit, und das Schickliche verabſaͤumt!
Der Ausdruck in Pouſſins Gemaͤhlden iſt oftFortgeſetzte
Pruͤfung der
Verdienſte
unbedeutend, oft monoton, und liegt immer mehr
in der Stellung, als im Spiel der Mine. Es
Zweiter Theil. Qſcheint,
[242]Pallaſt Boccapaduli.
Pouſſins um
die uͤbrigen
Theile der
Mahlerei.ſcheint, daß bei ihm von dem Auge ab bis in die
Hand zu vieles verlohren gieng, und daß er kaum
die Haͤlfte von dem ausfuͤhrte, was er ſich dachte.
Seine dichteriſche Anordnung war nicht immer fehler-
frei, in Anſehung der mahleriſchen aber kann er zum
Muſter dienen.
In der Wahl ſeiner Formen hielt er ſich an die
Antike, aber er ſammelte zu aͤngſtlich, als daß das
Schoͤne mit dem Leben, mit der Einheit einer Vor-
ſtellung, in ſeiner Seele haͤtte aufſteigen koͤnnen.
Es fehlt ſeinen Figuren an Freiheit und Adel: und
wenn ſein Geiſt durch Anſtrengung ſich zuweilen bis
zu dem Begriff der Vollkommenheit erhob, ſo ward
die Hand nicht gehorſam ihn zu verſinnlichen.
Pouſſin zeichnete nach richtigen Verhaͤltniſſen,
aber eckigt und ſteif. Seine Gewaͤnder ſind zu aͤngſt-
lich gelegt, und das Trockene der Ausfuͤhrung deutet
die Nachbildung eines naſſen Gewandes an, das
uͤber den Gliedermann geworfen war.
Unſer Kuͤnſtler hat eine Zeitlang dem Tizian im
Colorit nachgeſtrebt, aber es mangelte ihm zu ſehr
an mechaniſchem Talent, um ihn auch nur von fern
zu erreichen. Seine Carnation iſt ſchmutzig: wein-
hefenartig im Hellen, nußbraun im Dunkeln. Die
Farben ſind durchaus verblichen, und veraͤndert.
Das Helldunkle iſt beſſer gedacht als ausgefuͤhrt.
Dieſes Urtheil im Allgemeinen mag durch nach-
folgende detaillirte Beurtheilung ſeiner Hauptwerke
in Rom gerechtfertiget werden.
† Die
[243]Pallaſt Boccapaduli.
† Die letzte Oehlung. Dies Suͤjet ſcheintBeurthei-
lung der Ge-
maͤhlde.
durch die Verſchiedenheit und Deutlichkeit des Aus-
drucks der Affekten, die dabei in Bewegung kommen
koͤnnen, zur mahleriſchen Bearbeitung vorzuͤglich
geſchickt.
Man denke ſich in dem Sterbenden einen Andreas
Corſini des Guido. Zum letzten Male hat er die
Folge ſeiner Handlungen uͤberſchauet, und voll des
edelſten Zutrauens zu der Barmherzigkeit ſeines
Schoͤpfers geht er muthig der Einweihung zum Tode
entgegen. Er ſieht den Prieſter begleitet von ſei-
nem Gefolge ſich in einiger Entfernung naͤhern,
und mit der letzten Anſpannung ſeiner Kraͤfte,
unterſtuͤtzt von einem alten Diener, richtet er ſich noch
einmal in die Hoͤhe; heftet ſeine ſehnſuchtsvollen
Augen auf das Staͤrkungsmittel, das ihm dar-
gebracht wird, und troͤſtet durch den Druck ſeiner
Haͤnde die verzweifelnde Gattin, die troſtloſe Mutter
und die jammernden Kinder. Wie ſehr wuͤrde dieſer
Ausdruck unſerer geruͤhrten Theilnehmung werth
ſeyn?
In Pouſſins Bilde iſt der Sterbende durch den
unbeweglich liegenden halberſtarrten Koͤrper, durch
die gebrochenen Augen keines intereſſanten Ausdrucks
weiter faͤhig. Der Prieſter an ſich eine der unin-
tereſſanteſten Perſonen, die wir uns bei dieſer Hand-
lung denken koͤnnen, nimmt die Mitte des Bildes ein.
Sein Koͤrper uͤber den Sterbenden hingebogen, in-
dem er deſſen Augen mit Oehl beſtreicht, entzieht
dem Zuſchauer groͤßeſtentheils den Anblick des Ster-
benden. Vielleicht gewinnen wir noch dabei, denn
Q 2das
[244]Pallaſt Boccapaduli.
das Wenige, was wir davon erkennen, zeigt einen
durch lange Krankheit abgezehrten Alten.
Der Liebhaber, der in Anſehung der Hauptfigur
in ſeiner Erwartung ſich getaͤuſcht findet, hofft durch
den intereſſanten Ausdruck der umſtehenden Perſonen
ſchadlos gehalten zu werden. In der That! welcher
mannichfaltigen Modificationen iſt nicht die Aeuße-
rung des Schmerzes faͤhig, die kindliche, elterliche,
eheliche Liebe, Anhaͤnglichkeit langjaͤhriger Treue,
nach Verſchiedenheit des Alters und des Geſchlechts
uͤber die bevorſtehende Trennung von dem Geliebte-
ſten auf Erden, hervorzubringen im Stande iſt!
Allein was findet man davon in dieſem Bilde? Der
Acolyth, der die Fackel haͤlt, der Chorknabe, neh-
men den Vordergrund ein, die Amme, die das
Kind auf den Armen traͤgt, zeigt nicht den gering-
ſten Antheil an der Handlung, 7) und die Perſonen,
die
[245]Pallaſt Boccapaduli.
die aus und eingehen, ſich Gefaͤße zureichen u. ſ. w.
zerſtoͤhren den Eindruck des Ganzen auf eine unſchick-
liche Weiſe.
Das Intereſſe ſchraͤnkt ſich alſo lediglich auf vier
weibliche Figuren ein, von denen zwei jugendliche,
in denen ich die Toͤchter des Sterbenden erkenne, mit
naſſen gen Himmel gerichteten Augen und gefalteten
Haͤnden, Beſſerung fuͤr den Vater zu erflehen ſchei-
nen; zwei mehr bejahrte Frauenzimmer aber, wahr-
ſcheinlich Gattin und Mutter, verhuͤllen mit dem
Geſichte zugleich den Ausdruck des Schmerzes.
Nun iſt zwar jener aus einem Gemaͤhlde des
Timanthes entlehnte Gedanke: dem Zuſchauer lieber
gar keine Darſtellung von dem hoͤchſten Gipfel des
Schmerzes als eine mangelhafte geben zu wollen;
einmal angewandt, ein ſehr gluͤcklicher Behelf; aber
oͤfterer wiederholt, 8) Zeichen einer Armuth die uns
unmuthig uͤber den Kuͤnſtler macht.
So viel uͤber die Erfindung dieſes Gemaͤhldes.
Des Kuͤnſtlers Augenmerk ſcheint nicht auf Darſtel-
lung eines intereſſanten Auftritts aus den letzten Stun-
den eines Chriſten gegangen zu ſeyn, der mit der
letzten Oehlung den feierlichen Segen zu einer Wall-
fahrt in ein beſſeres Leben erwartet, waͤhrend daß die-
jenigen, die ihm in dieſem Leben die Naͤchſten waren,
Q 3das
[246]Pallaſt Boccapaduli.
das Graͤßliche des letzten Abſchieds, der grauen-
vollen Einweihung zum Tode fuͤhlen: Nein! er hat
uns eine getreue Beſchreibung der Umſtaͤnde geliefert,
die eine Ceremonie der Kirche zu begleiten pflegen.
So wenig ich dieſe Wahl billigen kann, ſo ſehr
bewundere ich die mahleriſche Anordnung in dieſem
Bilde. Die Figuren ſind vortrefflich zuſammen
gruppirt, ſie haͤngen ſehr gut zuſammen, und jede
einzelne iſt mit großer Weisheit geſtellt. Man be-
merkt durchaus ſchoͤne Koͤpfe, und gute Verhaͤltniſſe,
in der Zeichnung des Nackenden. Die Gewaͤnder
ſind gut gedacht, nur zu aͤngſtlich und trocken ausge-
fuͤhrt. Die Faͤrbung iſt wie gewoͤhnlich verblichen,
und duͤſter. Bey dem Helldunklen hat der Kuͤnſtler
nicht die Natur zu Rathe gezogen; ſonſt wuͤrde er
den Abglanz oder den Schein der Fackel angedeutet
haben, die der Acolyth in Haͤnden traͤgt, und deren
Licht gegenwaͤrtig nur einen hellen Fleck macht.
Schon in dieſem Bilde finde ich einen Beweis
von Pouſſins wahrer Schwatzhaftigkeit im Herer-
zaͤhlen desjenigen, was einem jeden deutlich war.
Wen wird die Handlung ſelbſt nicht darauf fuͤhren,
daß hier ein Chriſt ſtirbt? Inzwiſchen Pouſſin war
damit nicht zufrieden: er mahlt ein Schild an die
Wand mit dem Anagramm
pro Chriſto:
den chriſtlichen Streiter anzuzeigen.
Ich weiß inzwiſchen nicht mehr genau, ob dieſer
Zug ſich auf unſerm Bilde, oder auf der Wieder-
holung deſſelben Suͤjets in Paris befindet.
St. Johannes tauft das Volk im Jordan.
Das Suͤjet ſcheint keines ſehr intereſſanten und ab-
wech-
[247]Pallaſt Boccapaduli.
wechſelnden Ausdrucks faͤhig, es kann hauptſaͤchlich
nur die Gelegenheit darbieten, einige academiſche
Figuren zuſammen zu gruppiren. Dieſe finden wir
hier gut benutzet, auch einige ausdrucksvolle Koͤpfe:
z. E. den Kopf des Phariſaͤers. Nur wird man die
Figur wegwuͤnſchen, die das Ungeziefer von dem
Gewande ſucht. Sie paßt auf keine Weiſe in die
Vorſtellung einer ſo heiligen Handlung: ſie iſt un-
ſchicklich. 9)
Die Zeichnung hat das Verdienſt der Beobach-
tung richtiger Verhaͤltniſſe. Ueber Faͤrbung und
Helldunkles kann man nicht mehr urtheilen. Die
Landſchaft iſt gut gedacht.
Die Taufe Chriſti. Iſt es ſchicklich, ja!
iſt es nur wahrſcheinlich, daß einige der Umſtehen-
den, die ſich taufen laſſen wollen, das Hemd und
die Struͤmpfe abziehen, waͤhrend daß andere uͤber
die Herabſendung des heiligen Geiſtes, uͤber die
Stimme, die ſich vom Himmel hoͤren laͤßt, in Er-
ſtaunen bis zur ſchweigenden Anbetung des Unbegreif-
lichen gerathen? Ich bin mit der Erfindung und
dem Ausdruck dieſes Bildes im Ganzen hoͤchſt unzu-
frieden. Die Engel, die dem Heiland dienen, ſind
verworfene Sclaven, deren einer mit affektirter
Dienſtgefliſſenheit ſehr zierlich den Saum ſeines Klei-
des auffaßt, damit es nicht ins Waſſer tauche. Der
Chriſt und der heilige Johannes ſind beide nicht edel
Q 4genung.
[248]Pallaſt Boccapaduli.
genung. Die Menſchen, an denen der Kuͤnſtler
wahres Erſtaunen ausdruͤcken wollte, ſpielen es nur
durch uͤbertriebene Gebaͤrden. Inzwiſchen giebt es
auch einzelne ſchoͤne Figuren auf dieſem Bilde. Hie-
her gehoͤrt der Mann, der anbetet, und in deſſen
Schooße ſich ein ſchuͤchternes Kind verbirgt.
Die mahleriſche Anordnung dieſes Bildes iſt
ſchoͤn. Die Gewaͤnder ſind gut gedacht, aber trocken
ausgefuͤhrt. Man merkt ihnen zu ſehr den Glieder-
mann an.
Die Ehe, unter dem Bilde der Einſeg-
nung des heil. Joſephs und der Maria. Was
dem Pouſſin oft zu wiederfahren pflegte, iſt ihm auch
hier wiederfahren: Die beiden Hauptfiguren Jo-
ſephs und der Maria ſind am wenigſten ſchoͤn, und am
unbedeutendſten im Ausdruck. Unter den Zuſchauern
giebt es viel ſchoͤnere und viel intereſſantere Figuren.
Vorzuͤglich wird man den Ausdruck andaͤchtiger
Theilnehmung in der alten Anna, und der Neugierde
in einigen jungen Maͤdchen mit Gefallen bemerken.
Allein das Hauptverdienſt dieſes Gemaͤhldes be-
ſteht in der vortrefflichen Anordnung. Es wimmelt
von Figuren, und dennoch nicht die geringſte Un-
ordnung; uͤberall ſchoͤn zuſammen gruppirte Par-
tien, die ſich wieder zu einem ſchoͤnen Ganzen ver-
einigen. Es fehlt auch nicht an ſchoͤnen Koͤpfen und
Stellungen.
Die Drapperien ſind ſehr gut gedacht, aber
auch hier zu aͤngſtlich nach den Falten copirt, in
die der Meiſter ſie uͤber den Gliedermann gekniffen
hatte.
Die
[249]Pallaſt Boccapaduli.
Die Firmelung. Der Kuͤnſtler hat uns ein
angenehmes Bild von kindlich ſchuͤchterner Anbe-
tung, und weiblicher Froͤmmigkeit geliefert, und
dadurch ungefaͤhr die Forderungen erfuͤllt, die wir
an ein Suͤjet machen koͤnnen, das eines hoͤheren
Intereſſes nicht faͤhig ſcheint. Die Epiſode des
Kindes, das ſich vor dem Prieſter fuͤrchtet, und
dem die Mutter Muth einſpricht, iſt natuͤrlich und
wahr. Die Anordnung iſt auch hier zu loben, ſo
wie die Wahl der Koͤpfe, der Wurf der Gewaͤn-
der, die guten Verhaͤltniſſe: Aber die eckigten ſtei-
fen Falten, die Haͤrte in den Umriſſen, das Schwer-
faͤllige der Figuren uͤberhaupt, und die duͤſtere Faͤr-
bung ſind auch hier, als gewoͤhnliche Fehler unſers
Meiſters, zu tadeln. Das Helldunkle iſt ſchlecht
beobachtet.
Die Prieſterweihe. Der Chriſt uͤber-
giebt dem Apoſtel Petrus die Schluͤſſel des
Himmels. Pouſſin hat hier wieder gezeigt, daß
ihm poetiſche Erfindung, als ein Talent das ſich
immer gleich bleibt, nicht eigen war. Wie haͤtte
er ſonſt bei einer Handlung, die fuͤr alle Apoſtel ſo
intereſſant war, weil einem unter ihnen ein ſo großer
Vorzug vor den uͤbrigen eingeraͤumet wurde, den ei-
nen Apoſtel hinter die andern ſich auf die Knie wer-
fen laſſen koͤnnen, ſo daß dieſe ihm den Anblick des
Vorganges gaͤnzlich entziehen? Die Gruppe ward
dadurch pyramidal, aber die Wahrheit des Ausdrucks
gieng daruͤber verlohren. Man vergleiche mit dieſem
Gemaͤhlde die Vorſtellung eben dieſer Handlung
von Raphael in dem Pallaſt zu Hamptoncourt.
Q 5Welcher
[250]Pallaſt Boccapaduli.
Welcher Unterſchied! Dort zeigt jede Figur denjeni-
gen Affekt, den der Charakter rechtfertiget. Auf-
merkſamkeit, freudigen Antheil, ſtillen verbiſſenen
Neid, Ausbruch des Zorns u. ſ. w. Hier ſind
mehrere Apoſtel bloße Zuſchauer, andere ganz un-
intereſſirt bei dem, was ſie wenigſtens durch die Neu-
heit des Vorfalls intereſſiren ſollte. Der Chriſt hat
die Figur eines ſchoͤnen Juͤnglings, aber ſein Kopf
iſt ohne Ausdruck. Inzwiſchen verdient die Grup-
pe, in welcher der ſanfte theilnehmende Johannes
mit dem erſtaunten Andreas und dem neidiſchen Ju-
das contraſtirt, allerdings unſern Beifall. Nur
wuͤnſchte ich, der Kuͤnſtler haͤtte bei dem letzten außer
der bleichen Geſichtsfarbe nicht noch das ekelhafte
brennende Haar ſo auffallend herausgehoben. Uebri-
gens hat dies Bild die gewoͤhnlichen Fehler und Vor-
zuͤge unſers Meiſters.
fuͤr den
Misbrauch,
Verworfen-
heit der See-
le durch ei-
nen ſehr ent-
ſtellten Koͤr-
per zu be-
zeichnen.
Bei Gelegenheit der Figur des Judas, die der
Kuͤnſtler bis zur Carricatur haͤßlich vorgeſtellt hat,
muß ich vor einem Misbrauch warnen, der ſich
nur gar zu ſehr eingeſchlichen zu haben ſcheint.
Unter dem Vorwande des Ausdrucks, in der Idee
daß der Koͤrper das Gepraͤge der Haͤßlichkeit der
Seele an ſich tragen muͤſſe, liefern uns die Kuͤnſtler
unter der Fahne des Leonardo da Vinci gemeini-
glich entſtellte Bildungen, die entweder Ekel oder
Lachen erwecken. Nie kann die Verbindlichkeit, die
Schoͤnheit dem Ausdruck aufzuopfern, ſo weit
ausgedehnt werden, daß man uns unleidliche For-
men vorſtellen duͤrfe. Denn die unangenehme Em-
pfindung eines widrigen Ausdrucks wird das
ange-
[251]Pallaſt Boccapaduli.
angenehme Gefuͤhl, das aus Gewahrnehmung des
Wahren entſteht, weit uͤberwiegen.
Der Ausdruck einer verworfenen Seele liegt weit
mehr in den beweglichen Theilen des Koͤrpers, als in
den feſten. Man wird nicht allein alle ſchoͤnen See-
len in einem entſtellten Koͤrper durch Reproduction
ihrer koͤrperlichen Fehler in einer ſcheußlichen Rolle
beleidigen, man wird auch gegen die Erfahrung han-
deln, die uns oft die ſchlechteſten Menſchen unter an-
genehmen Geſtalten zeigt. Ja! oft iſt es gerade zu
unwahrſcheinlich, daß eine Seele, die auf eine ſo
auffallende Art am Koͤrper gezeichnet iſt, ſich das
Vertrauen der mithandelnden Perſonen habe erwer-
ben koͤnnen, z. E. im Judas Iſcharioth. Ich ver-
lange keine Schoͤnheiten, nur gleichguͤltige Geſtalten,
die durch ihre feſten Theile nicht beleidigen, und
durch ihre beweglichen die Verworfenheit ihres Cha-
rakters deutlich genung an den Tag legen.
Ich weiß, daß dies viel ſchwerer iſt, als Carri-
caturen zu mahlen, ich weiß, daß ein ſehr feines
Gefuͤhl dazu gehoͤrt, den Punkt zu treffen, wo Aus-
druck mit dem Geſetz: nichts Widriges darzuſtellen,
zuſammentrifft. Aber ſo lange wir den Kopf des
Carracalla im Pallaſt Farneſe, die Koͤpfe eines Ra-
phaels, und das Hoͤchſte der Kunſt in dieſem Stuͤcke,
die Koͤpfe des Paris, die ſich auf uns erhalten haben,
bewundern, ſo lange duͤrfen wir an der Moͤglichkeit
nicht verzweifeln.
Das
[252]Pallaſt Boccapaduli.
Das heilige Abendmahl iſt wahrſcheinlich
nur eine Copie. Inzwiſchen ſieht man auch ſchon
der Copie an, daß das Original ſchlecht angeordnet
geweſen ſeyn muͤſſe. Die Figuren ſind zu ſymme-
triſch neben einander gereihet.
Die Buße. Die reuige Magdalena zu
den Fuͤßen Chriſti in dem Hauſe des Phari-
ſaͤers. Gleichfalls eine Copie, in der man jedoch
eine beſſere Anordnung wiederfindet.
Villa
[253]
Villa Pamfili.
An der aͤußern Seite des Hauſes ſind mehrere
Basreliefs eingemauert, die aber nicht außer-
ordentlich ſind. 1)
In den Souterrains.
† Die Plafonds ſind mit Stuccaturarbeiten
gezieret, zu denen Algardi die Zeichnungen hergege-
ben hat, die unter ſeiner Aufſicht ausgefuͤhret ſind.
Sie ſtellen Arabeſken mit untergemiſchten
Basreliefs vor, und ob ſie gleich nur leicht wegge-
arbeitet ſind, ſo fuͤllen ſie doch ihre Beſtimmung hin-
reichend aus. Ueberhaupt kann man ſie als Muſter
von Decorationen dieſer Art betrachten. Sie ſind
nicht verſchwendet, und nicht ſehr erhoben ge-
arbeitet.
Man findet hier viel Statuen, und Bas-
reliefs. Die beſten ſind:
Jacob der mit dem Engel ringt, Gruppe,
ein ganz rundes Werk aus der Schule des Al-
gardi, mittelmaͤßig.
† Ein
[254]Villa Pamfili.
† Ein ſchoͤner Genius, Haͤnde und Arme
gut ergaͤnzt.
Ein Sarcophag mit der Jagd des Me-
leagers.
Ein anderer mit der Fabel des Endymion.
Beide von mittelmaͤßiger Ausfuͤhrung.
Eine weibliche Figur als Ceres reſtaurirt.
Oben im erſten Geſchoß.
Erſtes Zimmer.
† Ein ſchoͤner Kopf des Jupiter Sera-
pis.2) Er iſt coloſſal.
† Der Duca Pamfili und ſeine Gemah-
lin Olympia von Algardi. Beide Koͤpfe haben
viel Charakter und Wahrheit, ſonderlich der letzte.
† Ein ſchoͤnes Kind mit den paͤbſtlichen
Inſignien, von eben dieſem Meiſter.
† Kopf eines ſchoͤnen Genius, den man
Antinous nennt.
Venus mit dem aufgeſetzten Kopfe einer
Julia di Tito.
† Kopf des Pabſts Pamfili in Bronze
von Algardi.
Zweites Zimmer.
Eine Veſtalin.
Ein Apollino.
Ein kleiner Marſyas.
Drit-
[255]Villa Pamfili.
Drittes Zimmer.
† Der ſogenannte Clodius, deſſen Arme
neu ſind. Der Kopf, der dieſer Statue gehoͤrt,
hat wuͤrklich wie Winkelmann ſehr richtig bemerkt, 3)
in Anſehung der Haare Aehnlichkeit mit der vermein-
ten Mutter des Papirius, oder Elektra in der Villa
Ludoviſi. Auch finden ſich Spuren von Bruͤſten.
Das Gewand iſt ſehr ſchoͤn. 4)
Julia Severi ſonſt auch Julia Pia genannt.
Im vierten.
Unter den hier befindlichen Statuen iſt nichts
Erhebliches.
Ein Bildniß eines jungen Maͤdchens.
Nur angelegt, aber gut, und vielleicht vom Tizian.
Triumph des Bacchus Zeichnung von
Giulio Romano.
Die Verfertigung des Kreuzes, eine Zeich-
nung, die man dem Raphael beilegt.
Im fuͤnften.
† Eine ſchoͤne Buͤſte der aͤlteren Fauſtina.
† Ein ſchoͤner ſtehender Hermaphrodit.
Kopf und Arme neu.
In
[256]Villa Pamfili.
In einer Rotunda ſind die Statuen alle
modern, und mittelmaͤßig.
Im zweiten Geſchoß.
Marcus Aurelius.
Eine ſogenannte Praͤfica.
Eine große Landſchaft von Michael Angelo
Cerquozzi.
† Amor als Hercules. Arme und Beine
ſind ergaͤnzt. Der Leib hat ſehr viel Verdienſt.
Ein kleiner Bacchus von Roſſo d’ Egitto.
In einem andern Zimmer.
Eine liegende Venus, die dem Tizian zuge-
ſchrieben wird, viel wahrſcheinlicher aber von Pa-
duanino iſt.
Pſyche und Amor ein mittelmaͤßiges Ge-
maͤhlde von Guido Cagnacci.
In dem Garten ſtehen viele Statuen, von
denen aber wenige Aufmerkſamkeit verdienen. 5)
Pallaſt
[257]
Pallaſt Mattei.
An den Waͤnden der innern Seite des Gebaͤudes
nach dem Hofe zu ſind eine Menge von Basre-
liefs eingemauert, welche Aufmerkſamkeit verdienen.
Ein Paar Maͤnner, die einen Ochſen zum
Opfer fuͤhren. Figuren in Lebensgroͤße.
Zwei Bacchanalien, mit vortrefflich gezeich-
neten Figuren. Die Ausfuͤhrung iſt mit Liebe
beſorgt.
Ein Opferzug Aegyptiſch-Griechiſcher
Prieſter.
Eine Loͤwenjagd des Kaiſers Commodus.
Andere Jagden nach wilden Schwei-
nen ꝛc.
Die Muſen, Apollo und Minerva. Apollo
ſcheint das Portrait eines Kaiſers zu ſeyn.
Ein Proſerpinenraub.
Die Jagd des Meleagers.
Ajax und Caſſandra.
Der Fußgaͤnger in Rom kann durch den Hof
dieſes Pallaſts einen Richtweg nehmen, und der Lieb-
haber wird dieſen nicht leicht verſaͤumen, weil er im
Voruͤbergehen einige Blicke auf dieſe Basreliefs wer-
fen kann. Sie gehoͤren unter die beſten von Rom,
und dienen dazu, das Auge an den guten Stil der
Alten zu gewoͤhnen.
Solche Gelegenheiten, wo man beinahe wider
ſeinen Willen mit jedem Schritt auf etwas ſtoͤßt, das
den Sinn des Schoͤnen zu erweitern und zu ſchaͤrfen
Zweiter Theil. Rim
[258]Pallaſt Mattei.
im Stande iſt, findet man nur in Rom, und vor-
zuͤglich dann, wann der Liebhaber nicht zu bequem
und zu verzaͤrtelt iſt, um zu Fuß ſeine Reiſen in die
Pallaͤſte und Kirchen anzuſtellen.
Die Verzierung der Mauern mit Basreliefs iſt
gewiß wider den guten Geſchmack in der Architektur,
und den Kunſtwerken ſelbſt nicht vortheilhaft, weil
ſie dadurch zu weit vom Auge fortgeruͤckt werden.
Allein in dem gegenwaͤrtigen Falle ſind wir ihr eini-
gen Dank ſchuldig; denn durch ſie ſind die Basreliefs
von dem Pallaſte auf gewiſſe Weiſe unzertrennlich
geworden, und die Beſitzer haben Bedenken getra-
gen, Stuͤcke, die dem Anblick aller Voruͤbergehen-
den ausgeſetzt waren, mit ihren uͤbrigen beweglicheren
Schaͤtzen zu Gelde zu machen.
Von den antiken Statuen, woran dieſer Pallaſt
ehemals ſo reich war, iſt zwar vieles ins Muſeum
Clementinum gekommen, und daher fuͤr den Liebha-
ber nicht verlohren, vieles aber iſt auch an Engel-
laͤnder und andere Fremde verkauft, um in einſamen
und entlegenen Landguͤtern zu modern.
Die merkwuͤrdigſten Stuͤcke unter den noch vor-
handenen ſind:
Vier Saͤulen, deren Capitaͤler Frucht-
koͤrbe bilden.
Eine Pallas.
Die Goͤttin des Ueberfluſſes. Die Attri-
bute, die ihr den Nahmen gegeben haben, ſind neu.
Vier antike Seſſel, drei von Pariſchem Mar-
mor, einer von Baſalt, mit Kuͤſſen von eben der
Materie.
Einige
[259]Pallaſt Mattei.
Einige ſchoͤne Bruchſtuͤcke.
† Ein beruͤhmter Kopf des Cicero, in-Beruͤhmter
Kopf des
Cicero.
tereſſanter der Schoͤnheit wegen als des Nahmens.
Denn dieſer iſt großen Zweifeln unterworfen, und
hat ſeinen ganzen Grund in der Warze, die in Ge-
ſtalt einer Erbſe (Cicer) der Backe eingeſetzet iſt.
Die Vorfahren des großen Marcus Tullius haben
zwar daher ihren Familiennahmen erhalten, allein
wir finden keine Nachricht, daß er dergleichen ſelbſt
gehabt habe.
Mahlereien.
Ich uͤbergehe im erſten und zweiten Zimmer
zwei Plafonds, die wahrſcheinlich von Creſpi oder
Paſſignano und Pomerancio gemahlt ſind, um ein
Staffeleigemaͤhlde von Carravaggio: Die heilige
Martha und Magdalena, anzuzeigen.
Im dritten Zimmer: Ein heiliger Hierony-
mus von Muziano.
Eine Hirtenanbetung von Paſqualino
Roſſi.
Im vierten: Joſeph und Potiphars Weib,
am Plafond, von Lanfranco.
Judas verraͤth den Chriſt mit einem
Kuß, von Carravaggio. Andere ſagen von
Honthorſt, welches weniger wahrſcheinlich iſt.
Fuͤnftes Zimmer: Joſeph im Gefaͤngniſſe
mit Pharaons Hofbedienten, am Plafond, von
Lanfranco.
† Ein heiliger Petrus, ſchoͤner Kopf, von
Guido.
R 2Der
[260]Pallaſt Mattei.
Der Chriſt und der heilige Petrus von
Baroccio.
Eine heilige Familie. Man ſagt vom Par-
meſan. Sie ſcheint fuͤr dieſen Meiſter zu ſchlecht
zu ſeyn.
Gallerie. Der Plafond ſtellt mehrere
Suͤjets aus der Geſchichte des Salomo vor.
Man legt ihn dem P. da Cortona bei: Mengs
ſoll ihn dem Gobbo da Cortona zugeſchrieben
haben. Die beiden mittelſten Stuͤcke: die Koͤnigin
von Saba, und Salomons Abgoͤtterei haben viel
von des erſtbenannten Kuͤnſtlers Manier, und eini-
ges Verdienſt.
Gebt dem Caͤſar was des Caͤſars iſt, und
Der heil. Petrus, der den heil. Paulus
zum letzten Mal umarmt, da beide zum Richt-
platz abgefuͤhrt werden. Zwei Gemaͤhlde aus
der erſten Manier des Rubens.
Chriſtus lehrt als Knabe im Tempel von
Carravaggio. Ein Bild mit wahren Koͤpfen.
Eine Hirtenanbetung von P. da Cortona,
ſehr beſchaͤdigt.
Das Opfer Iſaacs, man ſagt, von Guido.
Beſſer, aus der Bologneſiſchen Schule.
† Die Einſetzung des heiligen Abend-
mahls von Valentin. Eins der beſten Gemaͤhlde,
die ich von dieſem Meiſter kenne. Es iſt voll Wahr-
heit, und von dem pikanteſten Effekt. Aber frei-
lich, Charakter und Formen ſind aͤußerſt ſchlecht
gewaͤhlt.
† Die
[261]Pallaſt Mattei.
† Die Ehebrecherin von P. da Cortona.Die Ehebre-
cherin, von
P. da Corto-
na.
Unſtreitig das ſchoͤnſte Gemaͤhlde in dieſer Gallerie,
und wenn ich es ſagen darf, unter denen, die dieſer
Meiſter je hervorgebracht hat.
Es iſt wahr, die Compoſition verdient wenig
Lob. Man wird ſich der Begebenheit, die hier
vorgeſtellt iſt, erinnern. „Die Schriftgelehrten
„und Phariſaͤer brachten ein Weib zu Chriſto, das
„des Ehebruchs uͤberfuͤhrt war, und ſprachen um
„ihn zu verſuchen: Moſes hat im Geſetz geboten,
„eine uͤberfuͤhrte Ehebrecherin zu ſteinigen. Was
„ſagft du? Chriſtus buͤckte ſich nieder, und ſchrieb
„auf die Erde. Als ſie nun anhielten ihn zu fragen,
„richtete er ſich auf, und ſprach zu ihnen: Wer un-
„ter euch ohne Suͤnde iſt, der werfe den erſten Stein
„auf ſie, und buͤckte ſich nieder und ſchrieb auf die
„Erde. Da ſie aber das hoͤrten, giengen ſie hin-
„aus von ihrem Gewiſſen uͤberzeuget ꝛc.“
Dies Suͤjet iſt des reichen, abwechſelnden, deut-
lichen Ausdrucks wegen, zu dem es Anlaß giebt, aͤuſ-
ſerſt vortheilhaft fuͤr die Mahlerei. Die reuige Angſt
in der Suͤnderin, die Beſchaͤmung, der laute und
verbiſſene Aerger in den Phariſaͤern, der Ausdruck
der Hoheit und der Milde im Chriſtus, machen un-
ter andern die Vorſtellung dieſer heiligen Geſchichte
von Agoſtino Carraccio im Pallaſt Zampieri zu Bo-
logna, zu einem der intereſſanteſten Bilder.
Der Ausdruck in dem ſchuldigen Weibe iſt auch
unſerm Kuͤnſtler vortrefflich gegluͤckt. Der bloße
Anblick ihrer Geſtalt enthaͤlt die voͤllige Entſchuldigung
ihres Fehltritts. Mit ſo viel Reitzen die ganze Ver-
R 3fuͤhrungs-
[262]Pallaſt Mattei.
fuͤhrungskunſt der Maͤnner aufzubieten, mit ſo viel
Ahndung einer brennenden Einbildungskraft und
eines weichen Herzens in jedem ihrer Zuͤge, wie buͤßt
der geſenkte Blick und die zitternde Lefze den ungluͤck-
lichen Augenblick, den erſten und einzigen vielleicht,
in dem ſie ſchwach war. Hier iſt keine gewoͤhnliche
Suͤnderin werden wir uns ſagen
— Cette ame qui s’accuſe,
Fût foible fût coupable et non pas ſans excuſe.
Wer ſollte es aber nun glauben, daß der Kuͤnſt-
ler, ſtatt den Chriſtus aufgerichtet mit warnender
aufgehobener Hand und vorgeſtrecktem Arme vorzu-
ſtellen — Eine Aktion mit der er beim Carraccio
die Worte begleitet: Wer unter euch ohne Suͤnde
iſt, der werfe den erſten Stein auf ſie: — ihn ſich
niederbuͤcken, auf die Erde wuͤrde haben ſchreiben laſ-
ſen. Dieſe Stellung nimmt ſeiner Geſtalt die ohne-
hin nicht die edelſte iſt, alle Wuͤrde und Hoheit.
Ueberhaupt iſt der Augenblick vor der Antwort
Chriſti ungluͤcklich gewaͤhlt. Er motivirt nur den
einfachen wenig intereſſanten Ausdruck der Neugierde
in den Phariſaͤern; und die Art wie er dargeſtellt wird,
iſt gar laͤcherlich: Sie ſetzen Brillen auf, das Ge-
ſchriebene zu leſen.
Aber dieſe Fehler in dem Gedanken werden durch
große Schoͤnheiten in der Ausfuͤhrung wieder einge-
bracht. An Kraft der Farben, und an pikanter
Wuͤrkung des Helldunkeln koͤmmt es den beſten Ge-
maͤhlden des Guercino bei. Die mahleriſche Anord-
nung iſt bei unſerm Meiſter immer vortrefflich, und
der eigenthuͤmliche Reitz ſeines Pinſels, das Duftige,
das
[263]Pallaſt Mattei.
das Verblaſene der Behandlung, zeigt ſich hier in
aller ſeiner Lieblichkeit.
Mengs ſchaͤtzte dies Gemaͤhlde ſehr hoch, und
kam oft hieher, es zu betrachten.
In einem andern Zimmer.
Ein Plafond von Domenichino, oder wie
andere ſagen von Albano. Er ſtellet den Traum
Jacobs von der Himmelsleiter vor. Die Engel ha-
ben reitzende Koͤpfe und die Gewaͤnder ſind gut ge-
dacht.
Im Nebenzimmer.
† Rahel und Jacob beim Brunnen.
Dieſer Plafond iſt ganz ungezweifelt von Domeni-
chino aber aus ſeiner erſten Manier. Schoͤn ſind
beide Figuren nicht, aber gefaͤllig durch den Aus-
druck naiver Unſchuld der dieſem Kuͤnſtler beſonders
gluͤckte. Rund herum ſind Academiſche Figuren
und Verzierungen grau in grau, und in einem
guten Geſchmack gemahlt.
Villa
[264]
Villa Olgiati,
welche jetzt dem Ruſſiſchen Conſul
Santini zugehoͤret.
von Rapha-
els Schuͤlern
nach den
Zeichnungen
ihres Mei-
ſters.
Dies war der Ort, an dem Raphael zuweilen in
den Armen der Liebe von ſeinen Arbeiten in
der Kunſt ausruhete: Von einer Beſchaͤfftigung, der
er unzaͤhlige Reitze abborgte, den Genuß der Muſe
zu erhoͤhn.
In einem der Zimmer dieſes Pallaſts findet
man Mahlereien, die von Raphaels Schuͤlern nach
den Zeichnungen ihres Meiſters ausgefuͤhret, und
von ihm hin und wieder retouchiret ſind. Sie be-
ſtehen in drei Gemaͤhlden, umgeben von Arabeſken
mit untergemiſchten Figuren.
† Das erſte dieſer Gemaͤhlde ſtellet die
Hochzeit der Roxane und des Alexanders vor.
Es laͤßt ſich nichts Reitzenderes als dieſe Compoſition
denken. Amor und Hymen fuͤhren den Alexander
zur Roxane, die auf ihrem Brautbette ſitzt. Er
bietet ihr die Krone an, die ſie mit ſchuͤchterner Be-
ſcheidenheit nicht anzunehmen wagt. Mehrere Amori-
nen haben ſich ſeiner Waffen bemaͤchtiget, einige ſchlep-
pen ſeine Lanze, andere tragen einen ihrer Bruͤder auf
ſeinem Schilde. Ein kleiner Amor hat ſich in den
Panzer geſteckt, und kriecht mit dieſer Laſt wie eine
Schnecke fort. Die Anordnung iſt ſehr gut, und
der Ausdruck wie gewoͤhnlich vortrefflich. Inzwi-
ſchen laſſen einige Incorrektionen, und der Mangel
an
[265]Villa Olgiati.
an Beſtimmtheit in der Zeichnung, auf die Ausfuͤh-
rung dieſes Bildes durch einen der Schuͤler des Ra-
phaels ſchließen.
Das Gemaͤhlde gegen uͤber ſtellet einige
Maͤnner und Weiber vor, die, waͤhrend daß
Amor ſchlaͤft, ſeine Pfeile gegen eine Scheibe
verſchießen, die an eine maͤnnliche Herme an-
gelehnet iſt. Viele unter dieſen Figuren
ſchweben in der Luft. Es haͤlt ſchwer, die Be-
deutung dieſes Bildes zu errathen. Die einzelnen
Figuren haben die ſwelteſten und ſchoͤnſten Umriſſe.
Das dritte ſtellet Roxane an ihrer Toi-
lette vor; ihre Weiber bringen ihr Gefaͤße
mit Blumen.
Außer dieſen drei Gemaͤhlden mit weitlaͤuftigern
Compoſitionen findet man mehrere einzelne Figu-
ren in die Arabeſken hineingewebt.
Angefuͤllt mit dem Gegenſtande, dem dieſer Ort
geheiligt war, hat der Kuͤnſtler das Bild ſeiner
Geliebten in mehreren verſchiedenen Stellungen
dargeſtellt. Schade! daß ihre Geſichtsbildung nicht
den Charakter ſanfter Feinheit an ſich traͤgt, die man
dem Frauenzimmer zutrauen ſollte, an die ſich Ra-
phaels Herz zu haͤngen im Stande war.
Die uͤbrigen Figuren ſind eben ſo viel Traͤume
einer ſuͤß ſchwaͤrmenden Einbildungskraft. Bald
Sirenen deren Schwaͤnze ſich in Blumen endigen,
bald Maͤnner, die leicht uͤber Blumenſtengel weg-
ſchluͤpfen. Dann wieder Amorinen mit verſchiedenen
R 5Spielen
[266]Villa Olgiati.
Spielen beſchaͤfftiget. Einige derſelben wiegen ſich
auf Schaukeln, andere baͤndigen muthige Roſſe, die
ihre loſen Bruͤder durch geſchwaͤnkte Fahnen ſcheu
machen. Kurz! alles kuͤndiget den Ort der Freu-
den eines Mannes an, der auch die kleinſten durch
die Feinheit ſeiner Empfindungen aufzufaſſen, und
durch den Reitz der Einbildungskraft zu erhoͤhen
wußte.
Pallaſt
[267]
Pallaſt Barberini.
Souterrains.
Erſtes Zimmer.
† Septimius Severus von Bronze. Arme
und Fuͤße neu.
Hippolytus und Atalanta von Marmor; Fi-
guren unter Lebensgroͤße. Nur der Torſo iſt an bei-
den Statuen alt, und dieſer iſt an beiden ſchoͤn.
Eine kleine Figur. Die Extremitaͤten von
Bronze, neu: Das Gewand von Alabaſter, alt.
† Kopf des Septimius Severus, und
des Hadrian im jugendlichen Alter. Beide von
Bronze.
Zweites Zimmer.
Unter mehreren Kindern, auch eins mit Halb-
ſtiefeln. Dieſe mit der untern Haͤlfte des Koͤrpers
ſind alt. Der Kopf iſt neu. Man glaubt, der
Koͤrper habe zur Statue des Kaiſers Caligula im
Knaben-Alter gehoͤrt.
Ein anderes mit einem Vogel in der
Hand, ſcheint eine Copie nach dem Kinde im Pal-
laſt Borgheſe zu ſeyn.
Hygea und Aeſculap.
Zwei Sarcophagen mit liegenden Figuren,
die eine ſtellt den Bacchus (Kopf und Arme modern)
die andere eine Frauensperſon vor. An dieſem
letzten
[268]Pallaſt Barberini.
letzten iſt ein Basrelief mit Bacchantinnen be-
findlich.
Eine kleine Muſe oberhalb der Huͤften um-
guͤrtet.
Buͤſte des Pythagoras.
† Eine Buͤſte einer Dame, aus dem Hauſe
Barberini von Bernini. Die Arbeit iſt daran zum
Erſtaunen beſorgt.
Venus Victrix, Juno und Diana. An
allen dieſen drei Statuen ſind die Koͤpfe neu. Die
Juno iſt die vorzuͤglichſte: an dieſer iſt die Drapperie
vortrefflich.
Ein Silen ſcheint modern.
Saal.
Marc Aurel eine Statue, an der Fuͤße und
Arme neu ſind.
Auguſt.
† Eine große griechiſche Iſis mit dem
Harpocrates, ſchoͤn, obgleich mit derjenigen, die
auf dem Capitol befindlich iſt, nicht zu vergleichen.
Sie traͤgt auf dem Haupte einen halben Mond, ei-
nen Cirkel und zwei Federn. Dies kann aber auch
ein neuer Zuſatz ſeyn. Ein Schleier mit Franzen
faͤllt ihr vom Hinterkopfe auf die Schultern. Sie
traͤgt einen Unterrock und ein Oberkleid, das nur bis
auf die Knie herunter geht; Dieſes iſt wie gewoͤhnlich
mit den Zipfeln auf der Bruſt zuſammen gebunden.
Viele Buͤſten, unter denen einige modern ſind.
Unter den letzten bemerke man eine Nonne.
Der
[269]Pallaſt Barberini.
Der Chriſt als Kind auf dem Kreuze
ſchlafend. Schule des Bernini. Der Kopf iſt
ſchoͤn und wahr. Aber der Koͤrper ein wenig waſſer-
ſuͤchtig.
Ein Held mit Aepfeln in der Hand auf
dem Ruͤcken; als Paris ergaͤnzt: Arme und Fuͤße
neu.
Basrelief mit Bacchantinnen, ſchoͤn.
Alexander Farneſe zu Pferde, kleines Mo-
dell in Bronze von der Statue, die zu Piacenz ſteht.
Zweiter Saal.
Eine Frau mit dem Schleier. Sie hat mit
einer Fauſtina Aehnlichkeit.
† Schoͤne Coloſſaliſche Muſe, von der
Winkelmann redet. 1) Ihre Augen ſind ausgehoͤhlt.
Der Kopf iſt voll edeln Ausdrucks, auch die Stel-
lung hat etwas Ehrwuͤrdiges. Die Falten fallen
ſenkrecht, Zeichen eines ſehr alten Stils. Sie haͤlt
eine Leier, die groͤßeſtentheils alt iſt. Nur der
rechte Arm und die Finger, mit der ſie die Leier haͤlt,
ſind neu.
Eine andere drappirte Muſe, ſchoͤn aber be-
ſchaͤdigt.
Mehrere Buͤſten, unter denen eine Juno in
coloſſaler Groͤße, mit einem Diadem und einer
Loͤwenhaut, die vorzuͤglichſte iſt.
Ein junger Menſch im Bade, Kopf neu.
Eine Gruppe auf einander liegender Kin-
der, ſchlecht.
Zimmer
[270]Pallaſt Barberini.
Zimmer zur Seite.
Eine Menge neuerer Buͤſten, in Marmor,
gebrannter Erde und Bronze. Einige derſelben ſind
ſehr ſchoͤn.
An Statuen.
Eine ſchlafende Diana. St. Sebaſtian:
wahrſcheinlich aus der Schule des Bernini.
Mehrere Sarcophagen: unter andern eins
mit Muſen, die Federn auf dem Kopfe tragen.
Ein aͤhnliches findet man im Pallaſt Mattei.
Im folgenden.
Ein Bock mit einem neuen Kopfe.
Eine Ziege.
Ein Genius mit dem Fuͤllhorn in Bronze.
Der Stil iſt Etruſciſch. Das Fuͤllhorn ſoll neu
ſeyn, wie Winkelmann ſagt. 2)
Eine ſitzende Aegyptiſche Figur mit einem
Rocke, der ſich gleich einer Glocke erweitert. Win-
kelmann gedenkt ihrer. 3)
Oſiris mit einem Sperberkopfe. 4)
Eine andere Aegyptiſche Gottheit in der
Form, die man gemeiniglich dem Antinous zu-
ſchreibt.
† Ent-
[271]Pallaſt Barberini.
† Entfuͤhrung der Europa, ein antikes Mo-
ſaik. Es iſt ziemlich fein. Es ward im Tempel
des Gluͤcks zu Paleſtrina gefunden. Die Begleite-
rinnen der Europa ſtehen am Ufer, und ihr Vater
Agenor laͤuft herzu. 5)
In einem andern Zimmer.
† Venus mit einigen Amorinen, ein Gemaͤhl-Zwei antike
Gemaͤhlde.
de al Freſco, welches man fuͤr alt ausgiebt. Winkel-
mann ſelbſt erklaͤrt es dafuͤr. 6) Er behauptet je-
doch, es koͤnne keine Venus vorſtellen, weil die weib-
liche Figur Warzen auf den Bruͤſten habe. 7) Man
koͤmmt allgemein dahin uͤberein, daß der Kopf der
Venus von Carlo Maratti uͤbermahlt und die Amo-
rinen ihm hinzugefuͤgt worden. 8) Duͤrfte ich mei-
ner Empfindung trauen, ſo wuͤrde ich das ganze Ge-
maͤhlde fuͤr neu, und aus der Florentiniſchen Schule
halten. Obgleich die Gruͤnde womit ich dieſe Mei-
nung unterſtuͤtze, ſich beſſer fuͤhlen als ſagen laſſen,
ſo will ich doch den Betrachtenden hier auf die haͤngen-
den mit ſtarken Warzen verſehenen Bruͤſte, auf die ge-
zwungene Stellung, auf die gedreheten Finger, die ohne
allen Grund auseinander geriſſen und geſpannt ſind,
endlich
[272]Pallaſt Barberini.
endlich auf die ganz ungewoͤhnlichen Verkuͤrzungen
aufmerkſam machen.
† Eine ſitzende Roma. Sie haͤlt eine Vi-
ctoria. Gleichfalls ein antikes Gemaͤhlde, uͤber
deſſen Authenticitaͤt mir kein Zweifel uͤbrig bleibt.
Das Gewand iſt gut geworfen, doch ſind die Falten
etwas ſteif, die Umriſſe etwas hart: Die Farbe iſt
verblichen.
Zwei Basreliefs deren eines den Raub der
Proſerpina vorſtellt, und ungeachtet der Verſtuͤm-
melungen ſchoͤn iſt.
Die drei Grazien, klein, ſcheinen von mo-
derner Hand nach der Gruppe im Pallaſt Ruſpoli
copirt zu ſeyn.
Ein ſchoͤner Kopf Jupiters.
Buͤſte des Bacchus von Bernini.
Eine andere des Apollo von demſelben.
Ein ſchoͤner Kopf des Hercules.
Meleagers Begraͤbniß, ein Basrelief in
gutem Stile.
Einige Perſonen, die bei einem Mauſoleo
verſammelt ſind. Basrelief.
Eine kleine Figur eines Athleten. Der
Koͤrper iſt ſchoͤn. Das uͤbrige iſt modern und mittel-
maͤßig.
Letztes Zimmer.
de Faun.
† Der ſchlafende Faun. Die beiden Beine
und der eine Arm ſind aus Stucco von Bernini er-
gaͤnzt. Der Ausdruck des Schlafs iſt unvergleich-
lich, uͤbrigens iſt die Natur roh und baͤuriſch, wie
es
[273]Pallaſt Barberini.
es der Charakter dieſer Gottheit mit ſich bringt.
Die Stellung iſt ſehr natuͤrlich und wahr, und das
Spiel der Muskeln vortrefflich. Dieſe Statue,
welche ehemals auf dem Caſtel St. Angelo geſtanden
hat, iſt bei der Belagerung der Gothen von den be-
lagerten Roͤmern zur Vertheidigung nebſt andern auf
die Feinde herunter geworfen, und demnaͤchſt bei
Ausraͤumung des Grabens gefunden worden.
† Adonis mit dem wilden Schweine.
Eine Gruppe des Guiſ. Mazzoli Sineſi. 9) Der
Kopf iſt lieblich, die Stellung aber gezwungen. Die
Behandlung des Marmors iſt aͤußerſt delicat.
Mehrere Buͤſten, darunter ein Caracalla
von Bronze, und eine Minerva.
Nero, von dem Winkelmann ſagt, daß er
neu ſey. 10)
Ein ſchlafendes Kind al Freſco. Manier
des Guido.
Ein Jaͤger, der ein Hirſchkalb haͤlt. Der
Kopf iſt neu.
Es haͤngen in dieſen Zimmern auch eine Menge
von Gemaͤhlden, bei denen ich mich jedoch nicht
aufhalte, da der groͤßte Theil derſelben aus Copien
zu beſtehen ſcheint.
In unbewohnten Zimmern zur Seite
ſtanden zu meiner Zeit mehrere moderne Buͤſten.
Eine
Zweiter Theil. S
[274]Pallaſt Barberini.
Eine kleine Statue mit einem modernen
Iſiskopfe. Winkelmann 11) haͤlt ſie des breiten
Hauptbandes oder der Inſula wegen, die auf die
Schultern herunter faͤllt, fuͤr eine Veſtalin.
Eine andere weibliche Statue, die einen
Anubis haͤlt, mit einem neuen Kopfe. 12)
Eine moderne Gruppe der Latona.
tiker Loͤwe.
Auf der Treppe, die zu den obern Zim-
mern fuͤhrt † ein in die Wand gemauerter
coloſſaliſcher Loͤwe. Er erſcheint jetzt als hoch-
erhobene Arbeit, aber wahrſcheinlich war er ehemals
ganz rund, und wie Winkelmann 13) glaubt, von
einem Grabmale genommen. Ein hoͤherer Aus-
druck von Majeſtaͤt und Staͤrke laͤßt ſich nicht denken,
und dennoch iſt ein großer Theil der Schnauze und
des Rachens neu.
Pi tro da
Co. tona.
In dem großen Saale, in den man zuerſt tritt,
hat Pietro da Cortona eine Decke gemahlt,
die man fuͤr eine der erſten Freſcomahlereien in der
Welt haͤlt. Als Plafond betrachtet, hat man Recht,
dieſer Decke einen vorzuͤglichen Werth beizulegen.
Sie ſoll den Triumph des Ruhms des Hauſes
Barberini darſtellen. Die ganze Zuſammenſetzung
beſteht aus einer weitlaͤuftigen Allegorie, die gemei-
niglich folgendermaaßen entziffert wird.
In
[275]Pallaſt Barberini.
In der Mitte der Decke wird das Barberiniſche
Wappen durch die Tugenden in Gegenwart der Vor-
ſehung, der Zeit, der Parzen, und der Ewigkeit,
die mit Sternen gekroͤnt iſt, in den Himmel gehoben.
Zur Seite ſchleudert Minerva Donnerkeile auf die
Titanen. Gegenuͤber ſtehen die Religion und der
Glaube zwiſchen der Wolluſt und einem Silen.
Weiterhin toͤdtet Hercules die Harpyen. In den
Wolken ſchweben die Gerechtigkeit und der Ueberfluß,
unten ſteht die Menſchenliebe. Dann bemerkt man
wieder die Werkſtatt Vulkans, und außerdem den
Frieden, welcher den Tempel des Krieges verſchlieſ-
ſet; Mars liegt an Ketten; die Fama verkuͤndigt
den Frieden.
Alle dieſe verſchiedenen Vorſtellungen erſcheinen
auf einer Flaͤche; an einander haͤngend, in einander
greifend; ohne Zwiſchenraum, ohne irgend etwas,
das fuͤr eine Abtheilung gelten koͤnnte. Der Him-
mel oͤffnet ſich, als das Barberiniſche Wappen ſich
naͤhert, und da zeigen ſich dieſe Meteore.
Man preiſet dieſen Plafond als eine der reichſtenOb weitlaͤuf-
tige Compo-
ſitionen der
Mahlerei zu-
traͤglich, und
angemeſſen
ſeyn moͤgen?
Compoſitionen, die jemals aus einem Pinſel gefloſ-
ſen ſind. Hat denn der Mahler, der ein Gemaͤhlde
mit vielen Figuren ausſtaffirt, einen wuͤrklichen An-
ſpruch auf unſere Dankbarkeit? Loben wir nicht die
Weisheit eines Kuͤnſtlers, der mit wenigen Figuren
den vollſtaͤndigen Ausdruck einer Handlung, ein leicht
zu uͤberſehendes Ganze liefert? Wird dasjenige,
was wir an einem andern Orte uͤber weitlaͤuftige
Werke in runder Bildhauerei feſtgeſetzt haben, wo
nicht ſeine voͤllige, doch eine verhaͤltnißmaͤßige An-
S 2wendung
[276]Pallaſt Barberini.
wendung auf Gemaͤhlde finden? Nicht allerdings!
Das Mahleriſche ſcheint eine merkliche Abwechſelung
von Stellungen, Gruppen u. ſ. w. zu verlangen, zu
der man bei weitlaͤuftigen Compoſitionen leichtere
Veranlaſſung findet. Die Menſchen lieben Auf-
zuͤge, Pomp, uͤberhaupt zuſammengedraͤngte Hau-
fen von Menſchen. Raphael hat uns gezeigt, daß
Ausdruck und Zuſammenhang ſehr wohl mit einer
Menge von handelnden Figuren beſtehen koͤnne: mit-
hin erhoͤhet derjenige, welcher der Wahrheit und dem
Intereſſe unbeſchadet, mehrere vereinigte Menſchen
darſtellt, unſtreitig mein Vergnuͤgen.
Localverhaͤltniſſe muͤſſen hier freilich mit in An-
ſchlag kommen, und die erſte Sorge des Erfinders
muß dahin gehen, ſolche Begebenheiten zur Dar-
ſtellung zu waͤhlen, an der viele Perſonen einen ſicht-
baren und natuͤrlichen Antheil nehmen koͤnnen. Denn
ſonſt werden viele muͤßige Perſonen, die nur zur
Ausfuͤllung der Flaͤche dienen, meine Aufmerkſam-
keit zerſtreuen, und den Eindruck der wuͤrklich thaͤti-
gen Figuren ſchwaͤchen. Wenn man daher einen
Kuͤnſtler der Sparſamkeit wegen lobt, ſo iſt dies
von Faͤllen zu verſtehen, wo der Reichthum zur Ver-
ſchwendung wuͤrde.
Plafonds ſcheinen der Groͤße des Feldes wegen,
welches der Kuͤnſtler auszufuͤllen hat, zu dergleichen
weitlaͤuftigen Compoſitionen beſonders geſchickt. Al-
lein eine Menge von einzelnen Handlungen, die nur
einer unſichtbaren Beziehung wegen an einen Ort zu-
ſammen gedraͤnget ſind, machen die vollgepfropfte
Flaͤche noch keinesweges zu einem Ganzen.
Dies
[277]Pallaſt Barberini.
Dies iſt hier der Fall. Die Mahlereien des
Pietro da Cortona enthalten eine Gallerie von Ge-
maͤhlden eines Meiſters, denen nichts als der Rahme
fehlt, um ſich von einander abzuſondern: Und es
ſcheint wuͤrklich, der Rahme wuͤrde hier keinen un-
weſentlichen Dienſt geleiſtet haben, theils um die un-
ſchickliche Durcheinanderwerfung heidniſcher und
chriſtlicher Vorſtellungen zu vermeiden; theils den
Standort naͤher zu beſtimmen, aus dem das Einzelne
perſpektiviſch richtig und doch nicht unfoͤrmlich erſchei-
nen ſoll; uͤberhaupt aber, um aller Verwirrung vor-
zubeugen. Die Allegorie haͤtte dadurch an Deutlich-
keit nicht verlohren, weil das Mittelgemaͤhlde die
Beziehung der uͤbrigen Gemaͤhlde hinreichend wuͤrde
angedeutet haben. Freilich waͤre die Decke dann
nur eine Gallerie geblieben, in der man zur Ehre des
Beſitzers Gemaͤhlde aufgeſtellt haͤtte, welche durch
wuͤrkliche Beiſpiele die abgezogenen Begriffe ſeiner
Tugenden verſinnlichen ſollten; und jetzt ſieht man
den Himmel offen, man ſieht eine Erſcheinung.
Aber welchen Himmel? In dem perſonificirte Ab-
ſtracta chriſtlicher und heidniſcher Tugenden, ſogar
beſtimmte Charaktere von Gottheiten, durcheinan-
der ſchweben, und auf die abentheuerlichſte Art!
Das Auge hat die groͤßte Muͤhe, die einzelnen
Vorſtellungen auseinander zu trennen. Nirgends
findet es Ruhe.
Ein Sturmwind ſcheint die Figuren an ihren
Platz geworfen zu haben. Das Feuer des Mahlers
zeigt ſich in ungebaͤndigter Einbildungskraft. Die
Stellungen ſind uͤbertrieben: die Koͤpfe ohne Ausdruck
S 3und
[278]Pallaſt Barberini.
und unter einander ſich alle aͤhnlich. Die Zeichnung
hat mehrere Incorrektionen. Das Colorit, welches
ſehr gelitten hat, kann glaͤnzend, kann gefaͤllig ge-
weſen ſeyn, aber wahr war es nie. Das Licht iſt
aͤußerſt willkuͤhrlich, und nur in der Abſicht zu
blenden vertheilt. Kurz! das ganze Gemaͤhlde iſt
ein ſchoͤner Schein, hinreichend den Blick in die
Hoͤhe zu ziehen, aber nicht ihn anzuheften.
Vielleicht iſt dies Alles, was man von einem
Plafond verlangen darf, und betrachtet man dieſe
Mahlereien mit gehoͤriger Ruͤckſicht auf dieſe Beſtim-
mung, ſo wird man der Fruchtbarkeit an geiſtreichen
Erfindungen, der Leichtigkeit der Behandlung, und
vorzuͤglich der perſpektiviſchen Wuͤrkung, die nie-
mand beſſer verſtand, als Pietro da Cortona, alle
Gerechtigkeit wiederfahren laſſen muͤſſen.
Moͤchte Pietro da Cortona doch nichts als Pla-
fonds gemahlt haben! Dorthin gehoͤrt jenes wilde
Feuer, jene handwerksmaͤßige Fertigkeit, welche
die Italiener Spirito nennen, dort erwarten wir
nur Schein nur Schminke. Allein wenn wir Ge-
maͤhlde von ihm ſehen, die auf naͤhere Pruͤfung be-
rechtigt ſeyn ſollten, ſo muͤſſen wir ausrufen, was
jener Spartaner dem Sophiſten antwortete, welcher
ſich ruͤhmte, ſeine Zuhoͤrer alles glauben zu machen,
was er wollte: Beim Himmel! es giebt keine Kunſt,
und es wird nie eine Kunſt geben, deren Grund nicht
Wahrheit ſey!
Cortona,
und ſein
Stil.
Pietro Berettini ward 1596. zu Cortona
gebohren, und lebte bis 1681. Er iſt unſtreitig
der Stifter des falſchen Geſchmacks, der ſich in der
letzten
[279]Pallaſt Barberini.
letzten Haͤlfte des vorigen Jahrhunderts auszubreiten
anfieng, bis in die Mitte des jetzigen allgemein fort-
gedauert hat, und bis jetzt noch nicht allgemein aus-
gerottet iſt.
Die Carracci ſtrebten nach Vereinigung aller
Theile der Mahlerei, die ein Gemaͤhlde zu einem
vollkommenen Ganzen machen koͤnnen. Sie wollten
richts aufgeben, alles umfaſſen, was man ſich in
dem Ideale eines großen Mahlers vereinigt denken
darf. Die Unmoͤglichkeit, dieſe Forderungen, die
der Kuͤnſtler an ſich ſelbſt macht, durch wuͤrkliche
Erfuͤllung zu befriedigen, ſah Pietro da Cortona ein,
allein er traf einen Ausweg, machte der Menge
glauben, daß ſie erfuͤllt waͤren, und betaͤubte durch
ihren Beifall ſein eigenes Gefuͤhl, und das Gefuͤhl
weniger Kenner.
Wir haben vorhin dem Paolo Veroneſe einen
aͤhnlichen Kunſtgriff abgemerkt. Sophiſt fuͤr So-
phiſt: Beide machten ſich die Schwachheiten ihres
Jahrhunderts zinsbar. Paolo bezauberte die groͤ-
bern Sinne eines Volks, das unter Sorge fuͤr Er-
werb und Herrſchſucht zur Ausbildung der feineren
keine Zeit uͤbrig behielt: Pietro brachte den Witz
ſeiner Zeitgenoſſen in Schwingung, die zu gelehrt,
um an bloßer Treue der Darſtellung Unterhaltung zu
finden, zu wenig aufgeklaͤrt, um das Einfache zu
ſchaͤtzen, in der Mahlerei wie in der Poeſie Con-
cetti ſuchten. Herzen die das Bedeutungsvolle von
dem Spitzfindigen, das Wahre von dem Schein,
den Reitz von der Affektation zu unterſcheiden wiſſen,
ſind von jeher ſeltener geweſen, als Augen die geblendet
S 4ſeyn
[280]Pallaſt Barberini.
ſeyn moͤgen, oder Koͤpfe, die ihr Suͤmmchen von
Kenntniſſen durch Entraͤthſelung verwickelter Erſin-
dungen verzinſen wollen.
Jeder Kuͤnſtler, der gegenwaͤrtigen Ruf, Zu-
neigung der Großen, wohlbeſetzte Tafeln, dem Be-
wußtſeyn ſeiner Vollkommenheit, dem Beifall der
Wenigen unter ſeinem Volke, die wuͤrklich ſehen und
waͤgen, und die Meinung kommender Jahrhundert-
beſtimmen, vorzieht; der folge der Verfahrungsart
des Paolo und Pietro, der ſchicke ſich in den herr-
ſchenden Geſchmack. Vielleicht iſt dies allein wahre
Klugheit des Weltbuͤrgers, allein fuͤr das Beſte der
Kuͤnſte iſt zu wuͤnſchen, daß ihre Anhaͤnger ſtets
argloſe Erdenbewohner bleiben moͤgen.
Alles was den Blick des Kenners auf einen
Augenblick anzieht, und den unaufmerkſamen Zu-
ſchauer gerade ſo viel Augenblicke unterhaͤlt als er un-
terhalten ſeyn will, findet ſich in den Gemaͤhlden un-
ſers Meiſters. Allegorien, die das Herz leer laſſen,
aber den Witz beſchaͤfftigen: eine Menge von Figu-
ren, die einzeln unrichtig gezeichnet, doch im Gan-
zen durch keine auffallende Vernachlaͤßigung der Ver-
haͤltniſſe beleidigen: Eine Anordnung, die den Re-
geln der poetiſchen Erfindung gemeiniglich zuwider,
die mahleriſche Wuͤrkung trefflich unterſtuͤtzt: Nur
ein Kopf fuͤr jedes Alter, fuͤr jedes Geſchlecht, aber
dieſer gefaͤllig gewaͤhlt. Kein vollſtaͤndiger Aus-
druck, aber ein verſtaͤndlicher durch uͤbertriebene Ge-
baͤrden. Ein Colorit das ohne wahr zu ſeyn, die
Tafel hell, lieblich, und aus einem Tone faͤrbt:
Eine Beleuchtung endlich, die wenn ſie gleich uner-
klaͤrbare
[281]Pallaſt Barberini.
klaͤrbare Wege nimmt, doch immer dem Auge durch
Abwechſelung des Lichts und Schattens Unterhaltung
gewaͤhrt:
Ich daͤchte ein Theil der zauberiſchen Kuͤnſte
waͤre erklaͤrt, wodurch das Blendwerk eines Pietro
da Cortona den fluͤchtigen Beobachter anzieht.
Aber worin liegt das Geheimniß, welches zu-
gleich den Kuͤnſtler, den aufmerkſamen Liebhaber,
jener Fehler wegen, beſchwichtiget. Denn wenn
gleich das Mittelmaͤßige den großen Haufen anfangs
ſtaͤrker ruͤhrt, als das ſehr Gute, weil es ihm naͤher
iſt; ſo verlaͤßt er doch bald ſeine Creaturen, wenn der
ſelbſtſtaͤndige Mann ihm verſichert, daß er ſich laͤ-
cherlich machen wuͤrde, ſich ihrer ferner anzunehmen.
Man mag ſagen, was man will, das Ver-
gnuͤgen, welches die nachahmenden Kuͤnſte dem den-
kendſten Kopfe gewaͤhren, als Kuͤnſte gewaͤhren,
haͤngt doch immer zum großen Theil von der Treue
der Nachahmung, und von der Bewunderung der
Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers ab. Wie natuͤrlich!
wie kuͤnſtlich! iſt ein Ausruf, der von dem: wie
ſchoͤn! noch ganz verſchieden iſt, und den gewiß der
erſte Anblick eines Blumenſtraußes von van Huyſum
ſelbſt einem Winkelmann, ſo voll ſein Kopf auch
immer von Idealen war, wird abgejagt haben.
Allein die Darſtellung eines Vorwurfs, ſo baar
wie wir ihn taͤglich in der Natur finden, wird unſere
Aufmerkſamkeit vorzuͤglich alsdann wenig feſſeln,
wenn wir ſchon mehrere aͤhnliche Nachbildungen ken-
nen, und die Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, ſollte er
auch noch ſo viel Aufwand derſelben gemacht haben,
S 5wird
[282]Pallaſt Barberini.
wird uns nach einer gewiſſen Folge guter Nachahmer,
wenig mehr auffallen.
Bei einem Volke, das eine ſo verſatile Einbil-
dungskraft hat, als der Italiener, hat der Kuͤnſtler
keinen unbedeutenden Anſpruch auf ihre Achtung, der
ihnen ſchon gewoͤhnlich gewordene Vorſtellungen in ei-
nem neuen Lichte zeigt, und dadurch zu gleicher Zeit
ihre Aufmerkſamkeit auf den Vorwurf ſelbſt, und
auf die Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, der ihn her-
vorgebracht hat, gleichſam zu verſtaͤhlen weiß.
des Worts:
il Spirito
in der Mah-
lerei.
Dieſe Neuheit verbunden mit der Gabe ſeine
Geſchicklichkeit recht fuͤhlbar zu machen, iſt es was
die Italiener mit dem Worte con Spirito von ei-
nem Werke, als hoͤchſtes Anrecht auf ihre Bewun-
derung ruͤhmen.
Man ſieht leicht, wohin das fuͤhrt. Die
Schwierigkeiten neu zu ſeyn, werden mit jedem Jahre
groͤßer. Man verfaͤllt endlich auf ſolche Extrava-
ganzen — daß es einem Carraccio, einem Mengs
durch Zuruͤckfuͤhrung auf Wahrheit, wieder neu zu
werden gluͤckt.
Das Gefuͤhl der Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers
haͤngt vorzuͤglich von der Leichtigkeit der Behandlung
ab. Um leicht zu mahlen, wird man anfaͤnglich
nur unbeſtimmt, und hoͤrt damit auf zu kleckſen.
So ſieht man noch jetzt die Werke der neueren
Napolitaner und Venetianer: und um eben ſo witzig
zu ſprechen, wie ſie mahlen: — uͤber das Geiſtreiche
in ihren Erfindungen iſt die geſunde Vernunft, und
uͤber das Geiſtreiche der Behandlung das Koͤrperliche
verlohren gegangen.
Pietro
[283]Pallaſt Barberini.
Pietro da Cortona der erſte Vorgaͤnger auf die-
ſem Wege zu gefallen, nachdem die Carracci und ihre
Schuͤler an Wahrheit wieder gewoͤhnt hatten, iſt
noch nicht bis zum Abentheuerlichen vorgedrungen;
und man kann daher noch gerecht ſeyn gegen den Auf-
wand von Erfindungskraft, und gegen die Leichtig-
keit der Ausfuͤhrung, die er in ſeinen Werken zeigt.
Sie ſcheinen wie ein Hauch auf die Tafel geblaſen.
Dies nennen die Italiener il Sfumato, und dieſerErklaͤrung
des Worts:
il Sfumato.
Vorzug hat neben der vortrefflichen mahleriſchen An-
ordnung, den großen Kenntniſſen der Linien-Perſpektiv,
und dem hellen, lieblichen, harmoniſchen Ton der
Farbe, dieſem Meiſter, ſelbſt bei Kennern, das
Lob des geiſtreichſten Handwerkers zu Wege gebracht.
Seine Gewaͤnder ſind in unbeſtimmte Falten,
und vorzuͤglich die weißen in zu viel kleinliche, wie
etwa Flor, gelegt. Daran kennt man ihn am leich-
teſten wieder. Doch! er iſt ſich ſtets ſo aͤhnlich, daß
man keine Gefahr laufen wird, wenn man eins ſeiner
Bilder geſehen hat, die uͤbrigen zu verkennen.
In dem folgenden Saale.
Eine Copie der Transfiguration Ra-
phaels. Die Koͤpfe ſind ohne Charakter; die Zeich-
nung iſt ohne Richtigkeit. Die Schatten ſind nach-
geſchwaͤrzt.
Mehrere Cartons zu Tapeten von Roma-
nelli. Sie koͤnnen auch von einem Schuͤler des
Pietro da Cortona ſeyn.
Ein
[284]Pallaſt Barberini.
Ein großes allegoriſches Gemaͤhlde. Es
hat viel von Valentin.
Buͤſten: Vitellius Lucius Verus. Mar-
cus Aurelius. Der Kaiſer Aelius. Julia di
Tita.
† Ein ſogenannter Marcus Brutus, ſehr
ſchoͤn.
† Ein ſchoͤner Kopf eines jugendlichen
Weibes, mit einer Hauptbinde.
Ein Pabſt.
An Statuen.
Ein junger ſchoͤner Hercules, die Arme
modern.
Eine Amazone mit modernen Armen.
Mehrere weibliche Figuren, die als Ceres
reſtaurirt ſind.
Zwei Kaiſerinnen, deren eine eine Fauſtina,
die andere eine Plotina zu ſeyn ſcheint.
Ein kranker Faun, eine ekelhafte Vorſtellung
von Bernini.
Eine Conſular-Statue, die zwei Buͤſten
auf den Haͤnden traͤgt. Man nennt ſie den aͤltern
Brutus mit den Soͤhnen. Sie iſt mittelmaͤßig.
In einem andern Saale.
Zwei Gemaͤhlde von Romanelli. Das
eine ſtellt ein Bacchanal, das andere ein Goͤtterfeſt
vor.
In
[285]Pallaſt Barberini.
In einem daran ſtoßenden Zimmer.
† Die heilige Magdalena, eine halbe Figur
von Guido. Man glaubt es ſey eine Copie nach
dem groͤßern Gemaͤhlde in den obern Zimmern, aber
es iſt wahrſcheinlicher eine Wiederholung deſſelben
Gegenſtandes von der eigenen Hand dieſes Meiſters:
Denn einige Partien ſind hier ſchoͤner, als in dem
obern Gemaͤhlde. Der Ausdruck zerknirſchter Reue
iſt vortrefflich. Die Zeichnung iſt ſehr fein, doch
kann die linke Bruſt etwas zu tief liegen. Das Ge-
wand ſcheint manierirt. Die Faͤrbung faͤllt ins Graue.
† Die Spieler von Carravaggio. DiesDie Spieler
von Carra-
vaggio.
Gemaͤhlde vereinigt viele Schoͤnheiten. Ein Paar
falſche Spieler betriegen einen dummen Neuling.
Die Mine von Einfalt in dem letzten iſt unvergleich-
lich. Einer der Schelme ſpielt mit ihm, und zieht
hinten eine falſche Carte hervor, waͤhrend daß ſein
Geſelle, der hinter dem Betrogenen ſteht, ihm mit
den Fingern die Zahlen der Carten deſſelben zeigt.
Der Ausdruck iſt vortrefflich, die Zeichnung gut,
die Faͤrbung kraͤftig, und das Helldunkle von ſehr
pikanter Wuͤrkung.
Simſon vom Calabreſe, David vom Car-
ravaggio.
H. Petrus, erſte Manier des Guido.
Eine Lautenſpielerin nach dem Originalge-
maͤhlde des Carravaggio im Pallaſt Giuſtiniani.
† Ein Portrait Raphaels mit der Jahrs-
zahl 1518. Es iſt zweifelhaft, ob es von ihm ſey.
Inzwi-
[286]Pallaſt Barberini.
Inzwiſchen bleibt es allemal ein ſchoͤnes Gemaͤhlde,
obgleich die Faͤrbung ſehr verblichen iſt.
Carita man legt ſie dem Guido bei. Es
koͤnnte wohl eine Copie ſeyn.
Ein todter Chriſt, in der Verkuͤrzung.
Schule der Carracci.
† Jacob, dem Rahel zu trinken reicht,
von Pouſſin. Die Anordnung dieſes Gemaͤhldes
iſt wie gewoͤhnlich, ſehr gut. Die Weiber haben gute
Formen. Die Figur Jacobs iſt nicht edel genug,
und die Gewaͤnder ſind zu geſucht. Die Faͤrbung
iſt verblichen.
Zwei Bruſtbilder aus Tizians Schule.
Ein Kopf im Pelze, wahrſcheinlich von Paul
Veroneſe.
Ein ſchoͤnes Bildniß eines Cardinals, von
Scipio Gaetani.
† Angelika und Medor zwei angenehme Fi-
guren von Auguſtino Carraccio.
Heil. Hieronymus von Gerharddella
notte oder Honthorſt.
Zwei Skizzen von Pouſſin, aus der roͤmi-
ſchen Geſchichte.
Opferung Iſaacs, und eine heilige Ca-
tharina, vom Carravaggio.
Chriſt im Oehlgarten von Lanfranco.
Heil. Familie, angeblich von Albano.
In
[287]Pallaſt Barberini.
In einem andern Zimmer.
Daͤdalus und Icarus von Guercino.
Drei alte Koͤpfe und ein Kind, das einen
Apfel haͤlt, aus der Venetianiſchen Schule.
Wohnzimmer des Prinzen.
† Eſther und Ahasverus. Dies ſchoͤne BildEſther und
Ahasverus
von Guerci-
no.
iſt durch den Kupferſtich des Strange bekannt ge-
worden. Die Anordnung iſt gut. Der Ausdruck
der in Ohnmacht fallenden Eſther, und des Schre-
ckens der Frauen die ſie umgeben, wahr, aber nicht
edel. Der Koͤnig ſollte einen Ausdruck von Guther-
zigkeit und Hoheit haben. Allein dieſer iſt misgluͤckt,
und zur kleinmuͤthigen Repraͤſentation herabgewuͤr-
diget. Die Faͤrbung, die ſehr gelitten hat, faͤllt
ins Rothe. Das Helldunkle iſt der vorzuͤglichſte
Theil dieſes Gemaͤhldes.
† Tobias, der ſeinen Vater heilt. Wah-
rer aber niedriger Ausdruck. Von Valentin.
Zimmer der Prinzeſſin.
Die Madonna, die uͤber dem ſchlafenden
Chriſt betet, nach dem Originalgemaͤhlde des Gui-
do im Pallaſt Doria.
Heilige Familie von Carlo Maratti. Das
Profil der Madonna iſt reitzend.
Wenn
[288]Pallaſt Barberini.
Wenn man ſich auf die andere Seite des Pal-
laſts wendet, ſo trifft man noch einige Zimmer an,
in denen Gemaͤhlde haͤngen. Vielleicht ſagt man
von dieſen dasjenige mit Recht, was man im Gan-
zen der Barberiniſchen Sammlung vorwirft: Daß
viele gute Originale mit Copien ausgetauſchet ſind.
Jedoch finden ſich hier auch einige Originale, unter
denen ich folgende auszeichne:
In einem Zimmer mit lauter
Bildniſſen.
† Eine Frau in ſchwarz gekleidet voller
Wahrheit.
Ein alter Mann gleichfalls in ſchwarzer Klei-
dung. Sie ſcheinen beide aus der Venetianiſchen
Schule zu ſeyn.
† Eine Hagar mit dem Engel von Andrea
Sacchi oder wie andere wollen, von Mola.
Ein heil. Hieronymus von Guercino.
Eine heilige Familie von Pietro da Cor-
tona.
Jacob mit den Engeln, von Lanfranco.
Einige Bilder von Ciroferri, unter andern
ein Opfer.
Einige andere von Camaſſei.14)
In
[289]Pallaſt Barberini.
In einem der Zimmer dieſes Geſchoſſes — ich
will aber die Wahl haben, ob es nicht in einem der
vorhergehenden auf der andern Seite ſey — iſt auch
ein Plafond von Andreas Sacchi.15)
Zimmer, in deſſen Mitte ein Spring-
brunnen.
Rund um dieſen Springbrunnen ſtehen einige
Statuen, unter denen ich einen kleinen Prieſter
der Cybele und ein Kind bemerke.
Die Prieſter der Cybele zeichnen ſich aus, durchWiederer-
kennungszei-
chen eines
Prieſters der
Cybele.
weibliche Formen, die ihre verſchnittene Natur an-
deuten, durch die phrygiſche Kleidung, und den un-
bedeckten Unterleib.
Auch
Zweiter Theil. T
[290]Pallaſt Barberini.
Auch ſind in den Niſchen der Wand Statuen
und Buͤſten befindlich. Es ſchien mir nicht, daß
etwas Außerordentliches darunter waͤre.
Zimmer im obern Theile des Pallaſts, welche
zu meiner Zeit derDuca di Monte
Libretobewohnte.
In dem erſten Zimmer iſt nichts Merkwuͤr-
diges anzutreffen.
In dem zweiten.
Germanicus
von Pouſſin.
† Der Tod des Germanicus von Pouſſin.
Germanicus war vom Tiber an Kindes Statt
angenommen. Er ſtarb in Antiochia. Man glaubt,
daß Tiber eiferſuͤchtig auf ſeinen Ruhm, ihn durch
einen gewiſſen Piſo und deſſen Weib Plancina habe
vergiften laſſen. Folgende Nachrichten von den letz-
ten Stunden dieſes großen Mannes liefert uns
Tacitus.
„Als er ſein Ende herankommen ſah, beſchwor
„er ſeine Freunde, ihn an ſeinen Feinden, dem Piſo
„und deſſen Weibe der Plancina wegen der empfind-
„lichen Kraͤnkungen zu raͤchen, die er im Leben von
„ihnen hatte erdulden muͤſſen; und die Verraͤtherei,
„nicht ungeahndet zu laſſen, mit der ſie jetzt ſeinen
„Tod auf die ſchaͤndlichſte Weiſe befoͤrdert hatten.
„Die erſte Pflicht der Freundſchaft, ſprach er,
„iſt nicht den Abgeſchiedenen mit muͤßigen Klagen zu
„ehren, ſondern ſeines Willens eingedenk, ſeine Auf-
„traͤge
[291]Pallaſt Barberini.
„traͤge auszufuͤhren. Auch Unbekannte werden den
„Germanicus beweinen, ihr werdet ihn raͤchen,
„wenn ihr anders an ihm, nicht an ſeinem Gluͤcke
„gehangen habt. Zeigt dem roͤmiſchen Volke die
„Enkelin des vergoͤtterten Auguſt, dieſe meine Gat-
„tin: zaͤhlt ihm meine ſechs Kinder vor. Erbar-
„men wird den Anklaͤgern zur Seite ſtehen, und be-
„rufen ſich die Angeklagten auf einen ſchaͤndlichen
„Befehl; man wird ihnen nicht glauben, oder keine
„Entſchuldigung darin finden.
„Die Freunde ergriffen die Hand des Sterben-
„den und ſchwuren: eher den Geiſt aufzugeben, als
„den Vorſatz ihn zu raͤchen.
„Darauf kehrte er ſich zu ſeiner Gemahlin, und
„bat ſie bei ſeinem Andenken, bei der Zaͤrtlichkeit zu
„ihren gemeinſchaftlichen Kindern, ihre Erbitterung
„zu unterdruͤcken, ihren Geiſt unter das widrige
„Schickſal zu beugen, und nach ihrer Ruͤckkehr in
„die Stadt durch keine Anmaaßung auf einen Antheil
„an der hoͤchſten Gewalt diejenigen aufzubringen,
„welche ſie in Haͤnden haͤtten.“
So weit die Erzaͤhlung, aus der der Kuͤnſtler
drei verſchiedene Zeitpunkte zur ſichtbaren Darſtel-
lung herausheben zu koͤnnen ſcheinet.
Einmal: denjenigen waͤhrend des Anfangs der
Rede des Germanicus;
Zweitens: denjenigen, in dem er ſeine Rede
endigt, und ſeine Freunde herzueilen, ihm Rache zu
ſchwoͤren;
Drittens: denjenigen, wo er ſeine Frau zur
Maͤßigung ihres hohen Geiſtes ermahnet.
T 2Alle
[292]Pallaſt Barberini.
dungszei-
chen des in-
tereſſanteſten
Augenblicks
einer Bege-
benheit zur
ſichtbaren
Darſtellung
in Ruͤckſicht
auf Aus-
druck.
Alle Kunſtrichter empfehlen dem Mahler den in-
tereſſanteſten Moment, Zeitpunkt, Augenblick, die
intereſſanteſte Situation in einer Begebenheit zu
waͤhlen. Recht wohl! Aber welches iſt hier der in-
tereſſanteſte Augenblick? Iſt es derjenige, der den
Geſchichtſchreiber am mehreſten beſchaͤfftiget hat,
der Rede; oder derjenige, uͤber den er am geſchwin-
deſten weggeht: die Freunde traten herzu und ſchwu-
ren ꝛc. ꝛc.?
Dies verdient eine Eroͤrterung.
Ich nehme hier das Wort Intereſſe fuͤr Theil-
nehmung des Beſchauers an den Gedanken, an den
Empfindungen, an denen davon abhaͤngenden Hand-
lungen, der Perſonen, die im Bilde zur Darſtel-
lung einer Begebenheit vor uns aufgeſtellet ſind.
Ich rede alſo von der dramatiſchen Mahlerei, von
groͤßeren hiſtoriſchen Compoſitionen; von dem In-
tereſſe, welches der Ausdruck zu einem ſichtbaren
Zwecke thaͤtiger Perſonen giebt. Von dem Intereſſe,
welches die einzelne Figur, die beſchreibende Dar-
ſtellung einer beſtimmten Perſon in einer bekannten
thaͤtigen Lage giebt, rede ich nicht: noch weniger von
dem Intereſſe, welches die ſchoͤne Geſtalt in Ruhe
einfloͤßt, durch Uebereinſtimmung der Zuͤge, Indi-
vidualitaͤt des Charakters, Reiz der Stellung u. ſ. w.
am allerwenigſten aber von dem Intereſſe, welches
wir an der Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers bei der Aus-
fuͤhrung nehmen. Von dieſen Quellen des Intereſ-
ſanten in den ſchoͤnen Kuͤnſten vielleicht ein an-
dermal.
Alſo hier einiges uͤber die Frage: welcher Au-
genblick iſt in Ruͤckſicht auf Ausdruck mehrerer zu
einer
[293]Pallaſt Barberini.
einer Handlung vereinigten Perſonen unſerer Theil-
nehmung am wuͤrdigſten? Und da antworte ich: der-
jenige, der den vollſtaͤndigſten, den beſtimmteſten,
und den abwechſelndſten Ausdruck motivirt.
Ich habe von jeher eine groͤßere hiſtoriſche Com-
poſition als ein ſtillſtehendes pantomimiſches Drama
betrachtet, das von der fortſchreitenden Pantomime
ſich dadurch unterſcheidet, daß es mit einem Male
verſtanden und empfunden werden muß.
Das Intereſſe, welches wir daran nehmen,
ſcheint, in Ruͤckſicht auf Ausdruck, auf dem naͤmli-
chen Grunde zu beruhen, worauf das Intereſſe an
jeder dramatiſchen Darſtellung gebauet iſt. Unſere
Neugierde will zu gleicher Zeit unterhalten und be-
friedigt, gereizt und geſtillet ſeyn. Wir verlangen
eine Verwickelung, einen Knoten, neben der Aufloͤ-
ſung; eine Schwierigkeit neben der Erklaͤrung, in
dem angehefteten pantomimiſchen Auftritte, wie in
dem pantomimiſchen Drama, worin ſich mehrere
Auftritte folgen.
Sonderbar! wird man rufen; und doch iſt
nichts natuͤrlicher, nichts ſicherer, nichts auf eine
taͤgliche Erfahrung unumſtoͤßlicher gebauet. War-
um zieht ein Haufen zuſammengedraͤngten Volkes
den Blick des Mannes aus dem Fenſter, oder aus
einer andern Entfernung an ſich? Die Scene iſt be-
reits geordnet, er hat ſie nicht entſtehen ſehen, er
hoͤrt nicht die Worte, welche die dabei intereſſirten
Menſchen ſprechen; ſie ſuchen nicht ſich ihm verſtaͤnd-
lich zu machen: Aber ihre Thaͤtigkeit ſpannt ſeine
Neugierde, er ſucht nach dem Motive: Er findet
es, er loͤſet auf, er iſt unterhalten.
T 3Alſo
[294]Pallaſt Barberini.
Alſo der Ausdruck von Thaͤtigkeit, den der Be-
ſchauer an denen im Bilde aufgeſtellten Perſonen be-
merkt, iſt, wenn ich ſo ſagen darf, das Problem;
die Entdeckung des Motivs, die Solution. Er
liebt die Billigkeit des Affekts zu beurtheilen, das
unterhaͤlt ihn: er findet ihn wahr, das muß ihn
ruͤhren.
Man koͤnnte die Sache umkehren. Der Mann
im Fenſter ſieht einen Todten, einen Kranken auf der
Gaſſe fallen. Wie werden ſich die Umſtehenden da-
bei gebaͤrden? Das iſt die Aufgabe: die Wahrneh-
mung der Gebaͤrden, die Aufloͤſung. Ich bin es
zufrieden.
Ich bin es zufrieden, ſage ich; aber mit der
Einſchraͤnkung: das ſtillſtehende pantomimiſche Dra-
ma gebe mir die Illuſion eines wuͤrklichen Auftritts,
den ich in der Natur aus der Ferne, ohne Verdoll-
metſchung durch Worte, durch den bloßen Blick er-
kenne, ſo vollſtaͤndig, als es nur immer ſie zu geben
im Stande iſt: Der Mangel irgend eines Theiles,
der zur Erklaͤrung noͤthig iſt, erinnere mich nicht dar-
an, daß es nur Aefferei iſt; daß ſich gewiſſe Perſo-
nen nur ſo hingeſtellet haben, um mir zu zeigen, wie
ſie da ſtehen koͤnnten, wenn ein Todter oder Kranker
wuͤrklich vor ihnen laͤge, ob er gleich nicht da liegt.
Mit einem Worte: Der Ausdruck der intereſſirten
Perſonen ſey nicht ohne das Motiv ihres affektvollen
Zuſtandes in dem Bilde anzutreffen.
Nur gar zu gewoͤhnlich iſt der Misbrauch den
man von der Mahlerei als einer bloßen Huͤlfskunſt
der Geſchichte oder der dichteriſchen Fabel macht.
Man
[295]Pallaſt Barberini.
Man ſieht ein Gemaͤhlde als einen erlaͤuternden
Kupferſtich an, der einem Buche beigefuͤgt worden;
und fuͤr jeden Beſchauer der nicht die Stelle des Ge-
ſchichtſchreibers oder Dichters gegenwaͤrtig hat, wor-
aus das Suͤjet des Bildes genommen iſt, bleibt es
alsdann ein quaͤlendes Fragment, das weder Herz
noch Geiſt befriedigt.
Ein ſolcher Misbrauch iſt dem Gange zuwider,
den unſere Erfahrungen uͤber das Intereſſe eines Bil-
des zu nehmen pflegen; dem Anſpruch, den auch un-
gelehrte, aber von Herz und Auge gebildete, Ge-
nießer der ſchoͤnen Kuͤnſte auf aͤſthetiſche Wuͤrkung
von einem Gemaͤhlde zu machen berechtiget ſind; und
dem Begriff von Vollkommenheit eines Werks, die
von Selbſtſtaͤndigkeit unzertrennlich iſt. Endlich zieht
dieſer Misbrauch auch den Verluſt einer großen und
der Mahlerei eigenthuͤmlichen Schoͤnheit nach ſich.
Der Liebhaber der in eine Gallerie tritt, ſagt
ſich nicht: ich habe den Tacitus geleſen, ich bin doch
neugierig, wie Pouſſin den ſterbenden Germanicus
wird vorgeſtellet haben! Nein, er ſieht einen Kran-
ken, der mit einer Hand auf ſein weinendes Weib,
auf ſeine jammernden Kinder zeigt, und die andere
gegen Maͤnner ausſtreckt, die ſein Lager umringen,
auf ihn zu eilen, Antheil an ihm nehmen, etwas ver-
heißen. Warum ſind ſie ſo thaͤtig? Warum wei-
chen ihre Koͤrper auf dieſe beſtimmte Art von der Lage
eines Koͤrpers in Ruhe ab? Dies ſind die erſten
Fragen, die die Neugierde thut. Sie entdeckt das
Motiv: den Sterbenden, der ſeine Freunde um
Beiſtand fuͤr ſeine Familie anruft; nun geht ſie
T 4wieder
[296]Pallaſt Barberini.
wieder auf den Ausdruck zuruͤck, und pruͤft deſſen
Wahrheit.
Wehe dem Liebhaber des Schoͤnen, der den
Tacitus nicht geleſen hat, wenn das Bild nicht ſagt,
warum ſich die darauf vorgeſtellten Perſonen ſo und
nicht anders gebaͤrden! Aber wehe auch dem gelehr-
ten Kuͤnſtler, der ſich auf ein Buch beruft! Man
wird dem Vorgeben nicht glauben, moͤchte ich mit
dem Germanicus ſagen, oder es als Entſchuldigung
nicht gelten laſſen.
Denn werden wir wohl ſelbſt bei der bekannteſten
Geſchichte, die das Suͤjet eines fortſchreitenden pon-
tomimiſchen Dramas ausmacht, dem Compoſiteur
die Expoſition der Schickſale ſchenken, die ſeine han-
delnden Perſonen in den Affekt verſetzen, der uns
durch Gebaͤrden verdollmetſcht werden kann? Wuͤr-
den wir es dem Noverre Dank wiſſen, wenn er uns
einzelne abgeriſſene Scenen aus der Geſchichte der
Horazier und Curiazier geliefert, und ſich uͤbrigens
des Zuſammenhangs wegen auf den Livius berufen
haͤtte, der in den Haͤnden eines jeden wohlerzogenen
Menſchen iſt?
Ich kann nur dasjenige Werk der ſchoͤnen Kuͤnſte
fuͤr ein vollkommenes Werk gelten laſſen, das fuͤr
ſich ſo vollſtaͤndig iſt, als es die Graͤnzen der Kunſt
zulaſſen: und ſo lange ich im taͤglichen Leben, auf
dem Theater und in den Gemaͤhldegallerien Darſtel-
lungen von Handlungen finde, deren Urſache und
Wuͤrkung ich ohne Dollmetſcher mit einem Blicke
waͤge und erkenne; ſo lange mache ich an jedes Werk,
das auf Vollkommenheit Anſpruch macht, dieſelben
Forde-
[297]Pallaſt Barberini.
Forderungen. Welche Quelle neuer und der Mah-
lerei eigenthuͤmlicher Schoͤnheiten in der gleichzeitigen
Beaͤugung der Urſach und der Aeußerung der Af-
fekten liege, davon noch weiter unten.
Alſo der intereſſante Ausdruck eines dramatiſchen
Gemaͤhldes muß vollſtaͤndig ſeyn, das heißt: ich
muß deſſen Billigkeit nach der Urſach die ihn moti-
virt, aus dem Bilde ſelbſt beurtheilen koͤnnen.
Und wie kann ich das, wenn er nicht zu gleicher
Zeit aͤußerſt beſtimmt iſt, wenn ich mir nicht ſagen
kann: der Mann der ſich ſo und nicht anders ge-
baͤrdet, muß nothwendig von einem Objekte die und
keine andere Impreſſion erhalten haben?
Gedanken die der aufgeſtellte Akteur als Gedan-
ken in ſeiner Seele bewahrt, laſſen ſich nicht mahlen.
Denn die einzige Art wie die Mahlerei das was in
dem Innern des Menſchen vorgeht, ſinnlich macht,
iſt die Veraͤnderung, die dadurch auf den Koͤrper
hervorgebracht wird, und durch bloße Vorſtellungen,
Ideen, Begriffe, wird die Lage des Koͤrpers nicht
beſonders modificirt. Doch! ſollte der Akteur im
Bilde, der gemahlte Akteur nicht wiederum zum
Mahler werden koͤnnen? Elender Behelf! der
laͤngſt von dem Theater proſcribirt iſt, und den wir
auch im Rahmen nicht dulden ſollten. Ein gemahl-
ter Akteur, der auf ein anderes Gemaͤhlde im Bilde
zeigt, das die Gedanken ſeiner Seele ſchildert, iſt
mir eben ſo froſtig laͤcherlich und anmaaßend unwahr-
ſcheinlich, als der Mimiker, der, wenn er die Welt
bezeichnen will, den Arm in einen Cirkel herum wen-
det. Man muß ſich immer denken, daß die vor
T 5uns
[298]Pallaſt Barberini.
uns aufgeſtellten Akteurs wuͤrklich reden, daß wir
nur zu weit entfernt ſind, ſie zu hoͤren. Man gehe
ans Fenſter, in jeder Minute werden uns verſtaͤnd-
liche Auftritte erſcheinen, wobei fuͤr uns kein Wort
geredet wird, wobei man gar nicht die Abſicht hat
uns zu verſtaͤndigen, und wo wahrlich die Gemaͤhlde
die man uns in dieſer Abſicht vorhalten koͤnnte, ziem-
lich weit hergeholt werden muͤßten.
Gedanken alſo als Gedanken bringen keine merk-
liche Veraͤnderung auf den Koͤrper hervor. Es iſt
wahr! ſelbſt ernſte Betrachtung, ruhiger Dialog,
Raiſonnement, laſſen ſich im Allgemeinen und in ſo
fern verſinnlichen, als das Herz daran unvermerkt
Theil nimmt, und die Seele dadurch in eine gewiſſe
Faſſung geſetzt wird, die ſich auf der Oberflaͤche des
Koͤrpers aͤußert: Mithin laͤßt ſich die Art, wie die
Seele uͤberhaupt denkt, durch die Modification des
Koͤrpers mahlen: Aber das was ſie denkt, die ein-
zelnen Gedanken keinesweges.
Und wenn ſich nun die einzelnen Gedanken nicht
angeben und bezeichnen laſſen, ſo iſt der Ausdruck
eines Betrachters, eines Redenden, eines raiſonni-
renden Philoſophen ein elendes unbeſtimmtes Frag-
ment, das weder unſern Verſtand noch unſer Herz
zur theilnehmenden Mitempfindung aufzufordern im
Stande iſt: ein Ausdruck der von dem Zuſtande
eines Koͤrpers in Ruhe ſo wenig abweicht, daß es
fuͤr das theilnehmende Auge eben ſo gut waͤre, er
wiche gar nicht davon ab. Er mag wohl ſehr gute
Sachen ſagen, der Mann dort der demonſtrirt, aber
was habe ich davon? ich kann ihn nicht hoͤren.
Die
[299]Pallaſt Barberini.
Die beruͤhmte Landſchaft des Pouſſin: et in
Arcadia ego iſt bekannt. Hier ſieht man ein
Grabmal. Auf dem Deckel des Sarcophags liegt
die Statue eines jungen Maͤdchens in der Bluͤthe der
Jahre. An der Urne ſelbſt ſteht die Innſchrift et
in Arcadia ego (Auch ich war in Arcadien). Man
ſetze den Socrates dabei, in der Faſſung wie er die
tiefſten Unterſuchungen uͤber die Unſterblichkeit der
Seele angeſtellt hat; Man ſetze die Todtengraͤber aus
Shakeſpears Hamlet dabei mit dem Ausdruck den
ſie gehabt haben koͤnnten, wenn ſie die feinen witzigen
Gedanken, die ihnen der Dichter beilegt, wuͤrklich
aus ſich ſelbſt herausgeſponnen haͤtten; welch ein un-
befriedigendes Schauſpiel fuͤr das bloße [Auge], ver-
glichen mit den Juͤnglingen und Maͤdchen die in
Pouſſins Bilde mit Roſen den Leib umwunden,
aber mit Schwermuth in Stellung und Mine, das
fruͤhe Grab ihrer Genoſſin betrachten.
Das Herz! das Herz iſt es, deſſen Affekte ſich
am beſtimmteſten, am deutlichſten auf der Oberflaͤche
des Koͤrpers aͤußern, und uns durch ihre deutliche
Beſtimmtheit zur Theilnehmung einladen. Nicht
die Operationen des Verſtandes, nicht der Eindruck
des bloßen Anſchauens bringen eine ſo merkliche Ver-
aͤnderung auf den Koͤrper hervor, daß ſie von jedem
durch den bloßen Anblick richtig ausgelegt, verſtan-
den, und weil ſich kein Antheil denken laͤßt ohne
Kenntniß deſſen was ihn verdient, mitempfunden
werden koͤnnten. Empfindungen alſo, Gefuͤhle,
die koͤnnen wir mahlen, aber auch dieſe nicht alle mit
gleichem Gluͤcke.
Es
[300]Pallaſt Barberini.
Es ſind naͤmlich unter dieſen Empfindungen und
Gefuͤhlen einige, die, ſo zu ſagen, mehr intenſiv als
extenſiv, concentriſch als excentriſch wuͤrken: bei de-
nen die Seele entweder ihre Kraͤfte zu ſehr innerlich
braucht, um ſie nach außen zu wuͤrken zu laſſen,
oder die Umſtehenden auf die ſie wuͤrken will, durch
die bloße Groͤße der Empfindung zu ſehr erſchuͤttert
glaubt, um nicht der Mitwuͤrkung der Gebaͤrden
uͤberhoben zu ſeyn. Vielleicht glaubt ſie auch, daß
die aͤußere Ruhe, den Begriff der Leichtigkeit erhoͤhe,
mit der ſie dieſe gewoͤhnlichen Menſchen uͤbernatuͤrlichen
Geſinnungen hegt; oder endlich, daß aͤußere Ruhe
eine weſentliche Eigenſchaft der Wuͤrde, der Hoheit
des Geiſtes ſey, deren Gefuͤhl ſie den Umſtehenden
mittheilen moͤchte.
Genung! Empfindungen die einen betraͤchtlichen
Aufwand von Staͤrke, Feſtigkeit und Hoheit der
Seele erfordern, ſuͤblime Empfindungen, aͤußern ſich
ſelten anders als durch Worte bei ruhigem Koͤrper;
laſſen ſich daher nicht beſtimmt deutlich durch das Ge-
maͤhlde machen, und verlieren aus eben dieſem
Grunde ihre aͤſthetiſche Wuͤrkung. Die Worte des
Corneille: qu’ il mourut, die er dem Vater der
Horazier in den Mund legt, macht keine Pantomime
deutlich. Der Anfang der Rede des Germanicus,
die Empfindung: Unbekannte werden mich beweinen,
ihr werdet mich raͤchen, kann der Pinſel nicht ver-
ſinnlichen.
Hingegen alle die Empfindungen, die ſich gerne
durch Gebaͤrden mittheilen, dieſe als ein nothwen-
diges Verſtaͤrkungsmittel des Eindrucks, gleichſam
als
[301]Pallaſt Barberini.
als Symbolen des Anziehens und Zuruͤckſtoſſens an-
ſehen: Empfindungen der Zaͤrtlichkeit, des Mitlei-
dens, der Furcht, des Zorns, des Haſſes u. ſ. w.
ſind fuͤr die Mahlerei aͤußerſt geſchickt. Sie ſind deut-
lich, weil die handelnde Perſon nicht der Mahler ſich
durch Gebaͤrden deutlich machen will; ſie ruͤhren,
weil die handelnde Perſon nicht der Mahler durch
Gebaͤrden ruͤhren will.
Dies waͤre alſo das zweite Erforderniß eines
intereſſanten Augenblicks fuͤr die Mahlerei: er muß
Empfindungen motiviren, die ſich gern durch Ge-
baͤrden deutlich machen, deren Ausdruck beſtimmt
iſt, und deswegen das Herz zur Theilnehmung ein-
laden kann.
Ein drittes Erforderniß eines intereſſanten Au-
genblicks fuͤr die Mahlerei, beſteht darin: daß er
bei den verſchiedenen Perſonen, die zur Darſtellung
einer Handlung concurriren, einen abwechſelnden
Ausdruck motivire.
An und fuͤr ſich iſt es ſchon eine Regel der ſicht-
baren Vollkommenheit, daß alle Einfoͤrmigkeit ver-
mieden werde. Dazu tritt aber noch der Umſtand,
daß indem mehrere zuſammen vereinigte Perſonen
durch ihre verſchiedene Lage gegeneinander ihre ab-
wechſelnden Gebaͤrden wechſelſeitig motiviren, die
Aufloͤſung des gemeinſchaftlichen Zwecks erleichtert,
die Beurtheilung der Billigkeit und Wahrheit ihres
Antheils im Einzelnen aber erſchweret wird. Die
Seele des Beſchauers findet alſo zu gleicher Zeit eine
groͤßere Unterhaltung ihrer Neugierde, und eine be-
quemere Befriedigung derſelben.
Außer-
[302]Pallaſt Barberini.
Außerdem wird die Vorſtellung von dem Ein-
druck, den die thaͤtige Lage der Hauptfigur auf die
Umſtehenden gemacht hat, an Lebhaftigkeit gewin-
nen, wenn wir dieſe dadurch in thaͤtige Lage verſetzt
ſehen: und endlich liegt in dieſem Reichthum des
Ausdrucks der einzige Erſatz fuͤr den Verluſt an
Staͤrke und Schoͤnheit des Ausdrucks, den der
Mahler ſeiner Hauptfigur nicht in gleicher Maaße
wie der Geſchichtſchreiber oder Dichter zu geben im
Stande iſt.
Wenn Tacitus uns den Germanicus waͤhrend
der Rede ſchildert, ſo geſchieht es mit ſo intereſſanten
Zuͤgen, daß die Vorſtellung in dem Bilde nie der
Idee gleich kommen kann, welche die Groͤße des
Redners erweckt. Dagegen ſehen wir in dieſem
Augenblicke bei dem Dichter die Agrippina, ihre
Kinder, die Freunde, entweder gar nicht, oder als
unbedeutende Maſchinen. Inzwiſchen ſie ſind es an
und fuͤr ſich gar nicht. Agrippina koͤmmt beim
Schluſſe der Rede in eine ſehr intereſſante Situation,
und die Freunde in eine nicht viel minder intereſſante;
nur Germanicus verliert in dieſem Augenblicke bei
dem Geſchichtſchreiber in etwas. Die Mahlerei
aber waͤhlt dennoch dieſen letzten, und macht dadurch,
daß ſie uns ſo verſchiedene Menſchen jeden fuͤr ſich,
und dennoch durch gleichzeitige Beſchauung in derje-
nigen Lage zeigen kann, worin er am mehreſten un-
ſerer Theilnehmung werth iſt, auf gewiſſe Weiſe wie-
der gut, daß wir die Hauptfigur bei ihr nicht ſo in-
tereſſant ſich gebaͤrden ſehen, als bei den verſchwi-
ſterten Kuͤnſten intereſſant reden hoͤren koͤnnen.
Hieraus
[303]Pallaſt Barberini.
Hieraus ſcheint nun ſo viel klar zu folgen: daß
wir nicht denjenigen Moment am liebſten gemahlt
ſehen muͤſſen, der ſich am liebſten erzaͤhlt hoͤren
laͤßt. Der Mahler iſt nicht Ueberlieferer geſchehener
Begebenheiten, der uns fragen kann, was wir vor-
zuͤglich gern von den Todesumſtaͤnden des großen
Germanicus erfahren moͤchten: ſondern wir muͤſſen
ihn als einen Zauberer betrachten, der, da er die
abgeſchiedenen Geſtalten des Germanicus, der Agrip-
pina, ihrer Kinder, ihrer Freunde, zwar auf beſtaͤn-
dig, aber nur unter der Bedingung erwecken kann,
daß wir ſie immerfort in eben der Lage ſehen ſollen,
worin wir ſie den erſten Augenblick erblicket haben,
uns nun die Wahl unter verſchiedenen Augenblicken
laͤßt. Auf welchen wird ſie fallen? Gewiß! Wenn
wir die wahren Graͤnzen der Kunſt nicht verkennen,
und nicht unſer einzelnes Vergnuͤgen mit Aufopferung
des allgemeinen beſorgt wiſſen wollen, den, der den
beſtimmteſten, den vollſtaͤndigſten und den abwech-
ſelndſten Ausdruck motivirt.
Waͤre die alte Art die Schauſpiele aufzufuͤhren
noch gewoͤhnlich, wo eine andere Perſon ſprach, eine
andere den Ausdruck durch Minen, Stellung und
Bewegung unterſtuͤtzte; ſo wuͤrden die Kennzeichen
des Intereſſanten fuͤr die Mahlerei viel leichter anzu-
geben ſeyn. Man haͤtte ſich nur die Ohren verſto-
pfen duͤrfen, und den Zeitpunkt, wo der Ausdruck
der ſtummen Akteurs zugleich dem Auge verſtaͤndlich
und dem Geiſte unterhaltend geweſen waͤre, dreiſt als
den wahren Zeitpunkt des Intereſſanten fuͤr die Mah-
lerei angeben duͤrfen.
Hat
[304]Pallaſt Barberini.
Hat man Abziehungskraft genung, um bei dem
Anblick eines Gemaͤhldes die beſtimmte Geſchichte,
die es darſtellt, zu vergeſſen; ſo wird man noch jetzt
dieſes Pruͤfungsmittel des ſichtbar Intereſſanten mit
Vortheil anwenden koͤnnen. Man darf ſich alsdann
nur fragen: wuͤrde ich den Ausdruck der dargeſtell-
ten Perſonen deutlich, billig, und unterhaltend fin-
den, wenn ich auch nichts von der vorgeſtellten Be-
gebenheit wuͤßte? Verſtaͤndiget der bloße Anblick der
ſichtbaren Lage der Akteurs ſolche Empfindungen,
die mir intereſſant ſind, wenn ich ſie unvorbereitet in
der Natur finde?
Die Bekanntſchaft mit den beſtimmten Worten,
welche die Perſonen geſprochen haben, wird alsdann
mein Vergnuͤgen an der Vorſtellung erhoͤhen, aber
allein vollenden ſoll ſie dieſes Vergnuͤgen nicht. Der
Dialog iſt in der Mahlerei ein Commentar, eine
Note zu den Gebaͤrden: die Gebaͤrden ſind keine Com-
mentare zu den Worten.
Was aber von den Worten gilt, die der Dichter
oder Geſchichtſchreiber den handelnden Perſonen in
den Mund legt, gilt auch von allen denjenigen, die
der Geſchichtſchreiber fuͤr ſie redet, durch welche er
uns mit ihren vorhergehenden und nachfolgenden
Schickſalen bekannt macht.
Ich wiederhole eine Regel, auf die ich nicht ge-
nung zuruͤckfuͤhren kann: das Auge eines jeden mache
ſich ſeine eigene Expoſition, das Herz eines jeden ſeine
eigene Erzaͤhlung: wenn die Erinnerung des einzel-
nen Beobachters hinzutritt, ſo vermehre ſie nur das
gegenwaͤrtige Intereſſe durch Aſſociation des vorher
empfundenen, und erkannten!
Wenn
[305]Pallaſt Barberini.
Wenn dieſe Grundſaͤtze auf das Bild des Todes
des Germanicus angewandt werden, ſo finden wir,
daß Pouſſin ſie genau beobachtet, daß er gut gewaͤh-
let hat.
Germanicus hat eben ſeine Rede geendigt, und
noch zeigt ſeine Gebaͤrde den Eindruck an, den er
durch ſeine letzten Worte auf ſeine Freunde hat her-
vorbringen wollen. Sie ſollten dem roͤmiſchen Volke
ſein Weib und ſeine Kinder zeigen: Dieſer Anblick
wuͤrde das Mitleiden uͤber jede Beſorgniß vor hoͤhern
Schutz der Bosheit ſiegen laſſen. Den Ausdruck,
den er einſt von ſeinen Freunden bei ihren Klagen vor
dem Volke verlangt, den nimmt er ſchon jetzt in
Mine und Stellung an, und verſtaͤrkt dadurch die
Bewegungsgruͤnde, mit denen er die Aufforderung
zur Rache an ſeine Freunde unterſtuͤtzt. Ja! er
braucht vielmehr die einzigen, die eine ſtumme Spra-
che zulaͤßt. Denn wie wird er ſie mit bloßen Ge-
baͤrden an die Pflichten der Freundſchaft erinnern
koͤnnen; und wenn er es kann, etwa durch die An-
deutung eines Gemaͤhldes des Achilles, der um ſeinen
Freund Patroclus zu raͤchen den Leichnam des Hek-
tors ſchleift, wird dies Bild im Bilde ſo ruͤhren wie
dieſe lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art?
Sehet dieſe Kinder, ruft er, dieſe Mutter! man hat
ihnen ihren Vater genommen!
Richardſon 15b) ſagt, man leſe in der Mine des
Germanicus mehr wehmuͤthiges Bitten an ſeine
Freun-
Zweiter Theil. U
[306]Pallaſt Barberini.
Freunde, ſich ſeiner Kinder anzunehmen, als Un-
muth und Durſt nach Rache: Das ſtimme mit der
Geſchichte nicht uͤberein. Wer heißt ihn aber auch
den Germanicus im Anfange der Rede zu ſehen?
mit dem Ende derſelben ſtimmt der Ausdruck ſehr
uͤberein.
Geſetzt aber: es waͤre nicht. Was zwingt den
Kuͤnſtler mit der Begebenheit, die er von dem Ge-
ſchichtſchreiber entlehnt, zugleich die Art des Vortra-
ges zu borgen? Pouſſin erzaͤhlt, die Sache auf dieſe,
Tacitus auf eine andere Weiſe.
Sind aber wuͤrklich der Dichter und der Ge-
ſchichtſchreiber ſo weit aus einander? Wenn Ger-
manicus ſeine Freunde zur Rache aufforderte, ſo
uͤbertrug er ihnen eine Pflicht, die nach der Moral
der Alten ſeinen Kindern oblag. Ihr huͤlfloſes Al-
ter ließ dieſes nicht zu: Der Vater bittet ſeine
Freunde, ſie derſelben zu entledigen; ſo bat er ſie
doch wohl im Grunde, ſich ſeiner Kinder anzu-
nehmen.
Richardſon ſagt: dieſer Gedanke ſey niedrig und
gewoͤhnlich. Das Niedrige finde ich nicht, und das
Gewoͤhnliche duͤrfte kein Vorwurf ſeyn. Wer ſich
jetzt dem Bilde naht, ohne den Tacitus und den Ger-
manicus zu kennen, der ſieht einen Sterbenden, der
ſeinen Freunden ſein Weib und ſeine Kinder empfiehlt.
Dieſer Vorfall, wenn er ſich taͤglich zutragen kann,
und daher von jedem Menſchen von Gefuͤhl verſtan-
den wird, iſt darum noch nicht ſo alltaͤglich gewor-
den, daß er unſere Aufmerkſamkeit ermuͤdet, wenn
wir
[307]Pallaſt Barberini.
wir ihn im Bilde wiederfinden. Haͤtte Pouſſin
hingegen einen Mann mit einer Mine voll Unmuth
zwiſchen betheurenden Freunden und weinenden Gat-
tin und Kindern gemahlt, ſo wuͤrden ihn nur die Le-
ſer des Tacitus verſtanden haben: Alle uͤbrigen wuͤr-
den glauben er mache ihnen Vorwuͤrfe, er klage ſie
als Urheber ſeines Todes an, und man wuͤßte nicht
warum. Dann waͤre es richtig, was Richardſon
ſagt, daß man ohne Kenntniß der Geſchichte von
dem Suͤjet eines Gemaͤhldes nichts verſtehen
koͤnne.
Inzwiſchen dies nur zur Rechtfertigung des Ge-
dankens unſers Kuͤnſtlers: Denn bei der Ausfuͤh-
rung iſt es ihm wie in mehreren ſeiner Werke gegan-
gen: Die Nebenfiguren uͤbertreffen die Hauptfi-
gur an Schoͤnheit der Formen, und Adel des
Ausdrucks.
Dem Germanicus zur Seite ſitzt Agrippina,
und verhuͤllt ihr Geſicht. Bei ihr das zweite ihrer
Kinder, welches nur fuͤr den Schmerz der Mutter
Empfindung zu haben ſcheint. Das Juͤngſte
wird von der Waͤrterin herbeigetragen, und der
aͤlteſte Sohn ſteht weinend hinter dem Bette des
Vaters.
Einer der vornehmſten Officiere hebt auf dem
Vorgrunde die Hand in die Hoͤhe, gleichſam bei den
Goͤttern Rache zu ſchwoͤren. Mehrere Kriegsleute
draͤngen ſich herzu, dem Sterbenden ewige Treue
zuzuſagen. Zwei andere, die in Schmerz verſunken
ſich im Hintergrunde halten, ſcheinen Perſonen zu
U 2ſeyn,
[308]Pallaſt Barberini.
ſeyn, die er zu ſeiner Bedienung im Leben am meh-
reſten um ſich hatte.
Hier faͤllt es dem Richardſon bei, wieder eine
ſonderbare Critik zu machen. Verfuͤhre man nicht
mit beſonderer Nachſicht mit dem Meiſter, ſagt er,
ſo muͤßte man annehmen, daß Germanicus und ſeine
Freunde zu gleicher Zeit geſprochen haͤtten. Pouſſin
bedarf dieſer ſeiner Nachſicht nicht. Germanicus
hat ſeine Rede geendigt, und in dem naͤmlichen Au-
genblicke fallen ſeine Freunde ein. So iſt es der
Staͤrke des Eindrucks angemeſſen, den ſeine Rede
auf ſie gemacht hat. Germanicus redet noch durch
die ausdrucksvolle Gebaͤrde, aber nicht mehr mit
dem Munde. Der Sterbende, den die Sprache
ſchon verlaſſen hat, ſucht noch durch Zeichen und
Minen ſich verſtaͤndlich zu machen. Richardſon iſt
in ſeiner Critik ſtets von dem Eindruck geleitet wor-
den, den der Anfang der Rede des Germanicus auf
ihn gemacht hatte. Er hat den Mahler uͤber den
Geſchichtſchreiber vergeſſen.
Die Anordnung dieſes Bildes iſt vortrefflich.
Es ſind 16 Koͤpfe darauf, die ſich einer dem andern
nicht im Wege ſtehen. Auch iſt die Wahl der Bei-
werke ſehr weiſe.
Ich habe ſchon von dem Ausdrucke der Figur
des Germanicus geredet. Unter den Kriegern ſind
herrliche Koͤpfe. Die Zeichnung iſt correkt, aber
ſie hat zu viel vom Basrelief an ſich, und iſt im
Ganzen ein wenig ſteif. Die Gewaͤnder ſind zu ge-
ſucht und zu aͤngſtlich behandelt. Die Haltung muß
vortreff-
[309]Pallaſt Barberini.
vortrefflich in dieſem Bilde geweſen ſeyn, auch war,
wie ich glaube, die Faͤrbung gut. Beide Partien
aber haben zu ſehr gelitten, um mit Zuverlaͤßigkeit
daruͤber zu urtheilen. 16a)
Mehrere Romanelli’s und Vouet’s die ich
uͤbergehe.
Mehrere Baſſano’s, unter denen einige Auf-
merkſamkeit verdienen.
Zweites Zimmer.
† Heilige Magdalena von Guido. GanzeHeil. Mag-
dalena von
Guido.
Figur von vortrefflichem Ausdrucke und hoher Schoͤn-
heit. Guido’s Magdalenen ſind Suͤnderinnen hoͤ-
herer Art, die durch ausſchweifende Imagination
fielen, nicht durch Eitelkeit oder zuͤgelloſe Sinnlich-
keit. Die Zeichnung iſt von hoͤchſter Feinheit. Das
Gewand hat nur etwas Trockenheit in dem Wurf
der Falten. Die Faͤrbung faͤllt ein wenig ins
Graue.
† Der heilige Andreas Corſini, von dem-Heiliger An-
dreas Cor-
ſini von dem-
ſelben Mei-
ſter.
ſelben. Es iſt unmoͤglich einen wahreren Ausdruck
religioͤſer Schwaͤrmerei zu ſehen. Der Heilige glaubt
ſich in ſeiner ſuͤßen Traͤumerei ſchon entkoͤrpert, und
zu der Gemeinſchaft mit den obern Geiſtern erhaben.
Zugleich herrſcht viel ſanfte Guͤte auf dem Geſichte,
nebſt einer Ahndung von Kraͤnklichkeit. Die Zeich-
U 3nung
[310]Pallaſt Barberini.
nung iſt ſehr correkt und fein: Die Faͤrbung wieder
etwas ſchwach.
Die vier Evangeliſten von Guercino.
Der heilige Hieronymus, angeblich von
Spagnolet.
Drittes Zimmer.
und Beſchei-
denheit von
Leonardo da
Vinci.
† Die Eitelkeit und Beſcheidenheit. Eins
der ſchoͤnſten Gemaͤhlde von Leonardo da Vinci.
Man kann die Idee des Mahlers nicht recht begrei-
fen, alſo auch nicht den Ausdruck recht beurtheilen.
Inzwiſchen bleibt der Kopf der Eitelkeit immer etwas
zu manierirt. Die Zeichnung iſt aͤußerſt richtig,
und beſtimmt bis zur Haͤrte. Das Gewand und
die Haare ſind mit aͤußerſter Sorgfalt behandelt:
Man koͤnnte ſagen: mit Trockenheit. Der Ton faͤllt
in die Farbe des Weinhefens. Die Figuren haben
viel Ruͤndung.
ſtiſche Kenn-
zeichen des
Stils dieſes
Meiſters.
Leonardo da Vinci oder Vince ward 1445
in der Naͤhe von Florenz gebohren. Wir ſind ihm
aus einem doppelten Grunde Achtung ſchuldig: Als
Kuͤnſtler, und als Lehrer mehrerer Kenntniſſe, wel-
che als Grundlagen zu der Vollkommenheit anzuſehen
ſind, zu der ſeine Nachfolger die Kunſt gehoben ha-
ben. Er brachte zuerſt die Linien-Perſpektiv und die
Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤrpers auf gewiſſe
Regeln: er ſchaͤrfte zuerſt die Nothwendigkeit ein, die
Anatomie zu ſtudieren: Er wagte es zuerſt andere
als bloße geiſtliche Suͤjets zu behandeln, und man
bemerkt in ſeinen Werken zuerſt den Begriff von dem
hoͤchſten
[311]Pallaſt Barberini.
hoͤchſten Zwecke der Mahlerei, die Affekten der Seele
mit Wahrheit darzuſtellen.
Man ſieht wenig weitlaͤuftige Compoſitionen von
dieſem Meiſter, aber diejenigen die uns uͤbrig ge-
blieben ſind, verrathen einen uͤberdachten Plan, und
die Abſicht, jede Figur einen beſtimmten Antheil an
der Haupthandlung nehmen zu laſſen.
Seine Figuren haben Ausdruck: nur iſt die Lieb-
lichkeit ſeiner Weiberkoͤpfe Minauderie, gezwungene
Lieblichkeit. Auch ſehen ſie ſich an Form alle unter
einander aͤhnlich. Alle haben gekniffene Augen, ge-
zogene Lippen, Gruͤbchen in den Wangen. Wenn
er Maͤnner von ſchlechtem Charakter hat ſchildern
wollen, ſo hat er den Ausdruck bis zur Carricatur
uͤbertrieben.
Er zeichnete gemeiniglich richtig, und immer
ſehr beſtimmt. Vielleicht zu ſehr, ſo daß ſeine Um-
riſſe daruͤber hart geworden ſind. Seine Haͤnde ſind
wahr, und gewaͤhlt, aber doch zu knoͤchern. Die
Gewaͤnder zeigen das Nackende gut an, allein der
Faltenſchlag iſt im kleinlichten Geſchmack geordnet,
und zu trocken ausgefuͤhrt.
Die Carnation faͤllt bei jugendlichen Figuren ins
Weinhefenartige, bei aͤlteren ins Nußbraune. Wah-
re Mezzotinten kannte er nicht: aber die Localfarben
der Gewaͤnder ſind rein, und noch jetzt friſch und
wohl erhalten.
Vom Helldunkeln, und der damit correſpondi-
renden Gruppirung hatte er keinen Begriff. Er
rundete jede Figur durch Abſchwaͤchung des Weißen,
vertrieb
[312]Pallaſt Barberini.
vertrieb die Umriſſe nicht, und kannte keine Reflexe.
Daher die geringe Wuͤrkung ſeiner Gemaͤhlde auf den
großen Haufen.
Der aͤußerſte Fleiß, der an das Ueberfluͤßige
wie an das Nothwendige verſchwendet wurde,
herrſcht in der Behandlung: Daher das Kleinlichte,
das Trockene.
Er ſtarb 1520 zu Fontainebleau in den Armen
des Koͤnigs Franz des erſten. Man ſahe ehemals
ſein Hauptwerk zu Mailand. Es ſtellte die Aus-
theilung des heil. Abendmahls vor. Allein es iſt
jetzt ſo verdorben, ſo oft retouchirt, daß es nur einen
ſehr mangelhaften Begriff von demjenigen geben
kann, was es ehemals war.
Leonardo da Vinci war in vielen Wiſſenſchaften
ſtark, die mit ſeinem Hauptgeſchaͤffte, der Kunſt, in
keinem genauen Verbande ſtehen. Er war fuͤr ſeine
Zeit ein univerſelles Genie, und erlangte als ſolches
bei denen die das Centrum kannten, in dem ſo ver-
ſchiedene Vollkommenheiten zuſammentrafen, einen
erhoͤheten Grad von Achtung. Aber dem jungen
Kuͤnſtler kann man nicht genung einpraͤgen, daß die
Nachwelt das Werk getrennt von dem Meiſter ſieht,
und dem Todten nichts weiter von ſeiner Geſchick-
lichkeit anrechnet, als was auf ſie gekommen iſt, und
was ſie gegenwaͤrtig ſieht.
Geliebte:
la Furneri-
na.
† Raphaels Geliebte, von ihm ſelbſt ge-
mahlt, wie es ſein Nahme auf dem Armbande an-
zeigt. Dies Bildniß iſt unter dem Nahmen la Fur-
nerina bekannt. Die Perſon die es vorſtellt, iſt
nicht ſchoͤn, und hat einen ziemlich materiellen, ob-
gleich
[313]Pallaſt Barberini.
gleich wahren Charakter. In der Beſtimmtheit der
Contouren erkennt man den großen Zeichner wieder:
Aber vielleicht ſind ſie nicht genung verſchmolzen.
Das Colorit hat ſehr verlohren.
Gerade gegen uͤber eine Copie dieſes Bildes
die man dem Giulio Romano zuſchreibt. Faſt duͤrfte
ſie zu ſchlecht fuͤr dieſen Meiſter ſeyn.
In den Mezzaninen trifft man eine Menge
von Gemaͤhlden an, die alle anzufuͤhren außer den
Graͤnzen meines Zwecks liegt. Hier ſind einige der
vorzuͤglichſten.
Ein ſchoͤnes Bildniß einer Koͤnigin von
England von Petrus Leli.
Ein Bildniß des Garofalo.
† Die letzte Oehlung, ein ſehr ſchoͤnes Ge-
maͤhlde aus der deutſchen Schule, mit Koͤpfen voller
Ausdruck und Bedeutung.
Heil. Hieronymus von Guercino.
Heil. Sebaſtian von Andreas Sacchi.
In einem andern Zimmer.
Eine heilige Familie. Skizze von Par-
meggianino.
Porcia die gluͤende Kohlen ſchluckt von
Domenico Feti.
Die Himmelfahrt des heil. Sebaſtian,
ſcheint aus der Schule des Lanfranco zu ſeyn.
Zweiter Theil. XDer
[314]Pallaſt Barberini.
Der wunderbare Fiſchzug, nach dem Ge-
maͤhlde Raphaels zu Hamptoncourt. Dieſes Ge-
maͤhlde iſt ſo kraͤftig colorirt, daß man es dem Tizian
beilegen moͤchte, und der Stil der Faͤrbung hat viel
Aehnlichkeit mit dem heil. Abendmahl von Schia-
vone im Pallaſt Borgheſe.
In einem andern.
† Herodias mit dem Henker, ganze Figu-
ren, die man dem Leonardo da Vinci beilegt, und
wahrſcheinlich aus deſſen Schule ſind. Die Aus-
fuͤhrung iſt ſehr beſorgt. Es hat gelitten.
Ein Kopf einer Heiligen, aus der Schule
des Andrea del Sarto.
In einem andern.
† Zwei ſchoͤne Landſchaften von Claude le
Lorrain.
Ein ſchoͤner Kopf von Holbein auf Kupfer.
Mehrere Niederlaͤnder, unter denen einige
Breughel, und ein ſehr ſchoͤner Rembrandt befind-
lich iſt.
In einem andern.
† Zwei große vortreffliche Landſchaften
von Claude le Lorrain. Die eine ſtellt eine Ma-
rine mit Architektur vor, die von der untergehenden
Sonne erleuchtet wird. Die andere ein laͤndliches
Feſt.
† Meh-
[315]Pallaſt Barberini.
† Mehrere Landſchaften von Albano, die
mit Suͤjets aus der heiligen und profanen Geſchichte
ausſtaffirt ſind. Sie haben viel Verdienſt vorzuͤg-
lich in Anſehung der Zuſammenſetzung.
Eine heilige Familie von demſelben. Sehr
reitzend.
Eine Bamboſchade mit mehreren Blinden,
von Feti.
Vier Landſchaften, die man dem Claude le
Lorrain beilegt. Sie ſind aber von Johann Both,
ſeinem Schuͤler.
Eine Annonciation im Stil des Barroccio.
Zwei ſchoͤne Landſchaften von Salvator
Roſa.
Mehrere Niederlaͤnder worunter einige von
Hoͤllen-Breughel ſind.
Letztes Zimmer.
Ueber dem Camine.
Der Hirt, der den Remus und Romulus
ſeinem Weibe bringt, von Pietro da Cortona,
oder aus ſeiner Schule. Man ſieht eine aͤhnliche
Vorſtellung zu Paris im Hotel de Toulouſe.
Anmerkungen uͤber dieſen Pallaſt.
Man wirft den Beſitzern vor, daß ſie viele Ori-
ginale der Gemaͤhlde-Sammlung verkauft, und
Copien dafuͤr ſubſtituirt haͤtten. Dies kann nur
von denen Gemaͤhlden gelten, die in den Souterrains
befindlich ſind, und in einigen der Kammern des
X 2erſten
[316]Pallaſt Barberini.
erſten Geſchoſſes. Die ehemals beruͤhmten Haupt-
gemaͤhlde ſind noch alle vorhanden, wie dieſes die
Vergleichung meiner Beſchreibung mit derjenigen,
die Richardſon zu Anfange dieſes Jahrhunderts von
dieſem Pallaſte lieferte, deutlich zeigt.
Aber koͤnnen nicht dieſe Hauptgemaͤhlde nur Co-
pien ſeyn? Ich behaupte dreiſt, daß dieſe Vermu-
thung weder auf die Magdalena des Guido, noch auf
deſſen Andreas Corſini, noch auf die Furnerina des
Raphael u. ſ. w. zutreffen koͤnne: und bei dieſer Ge-
Unter wel-
chen Ein-
ſchraͤnkun-
gen man be-
rechtiget ſey
uͤber die Ori-
ginalitaͤt ei-
nes Gemaͤhl-
des zu urthei-
len?legenheit muß ich kurz die Frage beruͤhren: Kann
der Kenner leicht hintergangen werden, die Nachah-
mung mit dem Originale zu verwechſeln?
Unbedingt moͤchte ich die Frage nicht mit: Nein!
beantworten. Man muß mehrere Faͤlle unter-
ſcheiden.
Der Kuͤnſtler des Originals war ſelbſt Nach-
ahmer. Dies waren alle diejenigen, welche ſich
nach den Werken ihrer Vorgaͤnger bildeten, und nur
dadurch neu wurden, daß ſie die einzelnen Vorzuͤge
derſelben in einer Vereinigung zeigten, welche das
Ganze als neu und nie vorher geſehen erſcheinen ließ.
Hier wird der Duft der Originalitaͤt, wenn ich ſo
ſagen darf, viel unmerklicher als in Werken ſolcher
Meiſter die nur in einem beſondern Theile der Kunſt
der Vollkommenheit nachſtrebten.
Denn einmal muß dieſer Theil in einer beſondern
Schoͤnheit erſcheinen, wenn er uns gegen die Maͤngel
der uͤbrigen nachſichtig machen ſoll, und unſerer Auf-
merkſamkeit die blos auf den einen Punkt gerichtet
iſt,
[317]Pallaſt Barberini.
iſt, entgeht ſelten die Anmaaßung, der Zwang, das
Unbeſtimmte der Nachahmung.
Inzwiſchen muß auch hier wieder unterſchieden
werden, ob der eigenthuͤmliche Vorzug eine große
Fertigkeit in der Ausfuͤhrung oder nur Weisheit in
der Compoſition vorausſetzt. Pouſſin hat zum Bei-
ſpiel viele eigenthuͤmliche Vorzuͤge in ſeiner Zuſammen-
ſetzung, wenige in der Ausfuͤhrung. Es wird viel-
leicht nicht unmoͤglich ſeyn, mich mit einer Copie nach
dem Tode des Germanicus von Pouſſin zu hinter-
gehen, aber ſchwerlich mit einer Copie nach der Trans-
figuration Raphaels.
Der Copiſt hat ſelten denjenigen Theil, worin
ſein Vorbild Meiſterſtuͤck iſt, beſonders ausgebildet,
und in neueren Zeiten iſt die Methode, nur einem
Vorzuge hauptſaͤchlich nachzuſtreben, ganz veraltet.
Eine andere Bemerkung, die hier nicht aus der
Acht zu laſſen iſt: Gemaͤhlde, die durch Wuͤrkung
ſehr abſtechender Farben, oder ſehr abſtechender
Lichter frappiren, laſſen ſich leichter nachahmen, als
ſehr hell und ſanft gehaltene Gemaͤhlde. Unterſchei-
dungszeichen werden dort auffallender, mithin die
Aehnlichkeit leichter zu erkennen, und unſere Aufmerk-
ſamkeit weniger zum Auseinanderkennen geſpannt.
Ich kenne viele gluͤckliche Copien nach Rembrandt
und keine einzige nach Correggio.
Ferner: alle Meiſter die manierirt ſind, wer-
den leichter nachgeahmt als diejenigen, welche der
Natur treu gefolgt ſind. Jene haben nur eine Ver-
fahrungsart, dieſe unzaͤhlige. Ich kenne viele gluͤck-
X 3liche
[318]Pallaſt Barberini.
liche Copien nach Salvator Roſa, wenige nach
Tizian.
Das Schwerſte in der Nachahmung iſt Be-
ſtimmtheit, und Freiheit in der Zeichnung und im
Ausdruck. Wo das Original Aengſtlichkeit oder
Ungewißheit verraͤth, da hat der Nachahmer gut
Spiel.
Endlich muß man darauf Ruͤckſicht nehmen, ob
das Vorbild ein Hauptwerk, d. i. ein ſolches iſt, in
dem der Kuͤnſtler ſeine ihm eigenthuͤmlichen Vorzuͤge
in merklicher Vollkommenheit angebracht hat: oder
nur eines ſeiner mittelmaͤßigen Werke. Daß die
letzten ſich viel eher nachahmen laſſen, iſt be-
greiflich.
Und nach dieſen Vorausſetzungen behaupte ich
nun dreiſt: daß in allen Faͤllen, wo das Gemaͤhlde
einen eigenthuͤmlichen Vorzug eines gewiſſen Mei-
ſters in beſonderer Vollkommenheit zeigt, und zwar
in den Theilen der Mahlerei, die eine große Fertig-
keit in der Ausfuͤhrung, Treue und Wahrheit in
Nachbildung der Natur erfodern, mir nicht leicht
eine Copie fuͤr ein Original aufgehangen werden
koͤnne. Geſchaͤhe es aber dem ohngeachtet! — nun
ich bin zufrieden, die Copie fuͤr das Original hinzu-
geben.
Man traͤgt ſich mit verſchiedenen Anekdoten,
nach weichen große Meiſter ſich in den Copien und
den ſogenannten Paſticci, oder Original-Gemaͤhl-
den in Geſchmack anderer Meiſter, ſollen geirret
haben. So ſoll Giulio Romano einſt die Copie
des
[319]Pallaſt Barberini.
des Andrea del Sarto nach dem Portrait Julius
des Zweyten von Raphael fuͤr ein Original, le Bruͤn
den Kopf einer Magdalena von Mignard im Ge-
ſchmack des Guido verfertigt, fuͤr einen Guido ge-
halten haben. 16b) Man muͤßte ſehr genau die Local-
verhaͤltniſſe, unter denen die Verwechſelung geſche-
hen iſt, den Charakter der Beurtheiler und der
Werke wiſſen, um durch dieſe Erfahrungen meine
Grundſaͤtze fuͤr widerlegt zu halten. Was ich von
vortrefflichen Copien und Paſticci geſehen habe, hat
mir nur unter den vorausgeſchickten Beſtimmungen
ein Genuͤge gethan. Man halte die Copie der Fur-
nerina des Raphael gegen das Original, um den
Unterſchied zwiſchen beiden zu fuͤhlen.
Einige ſchoͤne Statuen ſind ins Muſeum Cle-
mentinum gekommen, und dort angezeigt.
Hr. Dr. Volkmann iſt voller Unrichtigkeiten.
Zum Beweiſe mag dienen, daß er von der Treppe,
die er doch beſtiegen haben muß, anfuͤhrt, ſie ſey
ohne Stufen. Sie hat deren allerdings.
Der Knabe, der in den Arm eines andern beißt,
Spielknochen in der Hand haͤlt, und wie Winkel-
mann 17) glaubt den Patroclus vorſtellen ſoll, der
den Chryſonymus wider Willen toͤdtet, iſt verkauft.
Der
[320]Pallaſt Barberini.
Der Kopf eines Marius, von dem er gleichfalls
redet, 18) iſt nicht mehr vorhanden.
Das Gefaͤß von Glas, worin des Kaiſers Alex-
ander Severi Aſche nach eben dieſem Autor 19) ge-
weſen, ſoll der Ritter Hamilton in Neapel an ſich ge-
kauft haben, und neuerlich finde ich in den oͤffent-
lichen Blaͤttern, daß der Herzog von Marlborough
es aus dem Muſeo der verſtorbenen Herzoge von
Portland erſtanden habe.
Der Aegyptiſche Antinous ohne Kopf, den er
als im Barberiniſchen Garten befindlich anfuͤhrt, 20)
iſt nicht mehr vorhanden, ſo wie die Tafel von Orien-
taliſchem Granit mit Hieroglyphen. 21)
[][][]
ſchoͤnſten maͤnnlichen Beine beilegt. Auch dies
ſcheint uͤbertrieben.
le Statue di Roma, welche zu Coburg 1784 mit
den Briefen Winkelm. an einen Freund in Liefland
heraus
Kopf dieſer Statue abgeſondert gearbeitet, und
dem Rumpfe eingeſetzet worden.
ren, die dem Kuͤnſtler nicht ganz gegluͤckt zu ſeyn
ſcheinen.
daß er ſein Waſſer laͤßt.
S. 820. von dem zweiten ebendaſelbſt S. 829.
Er trat in den Jeſuiterorden. Sein Haupt-
verdienſt iſt Perſpektivmahlerei, die er bis zur
hoͤchſten Illuſion trieb. Schade, daß ſein Ge-
ſchmack in der Architektur, und vorzuͤglich in den
Decorationen, weder ſimpel noch edel iſt, und daß
ſeine Farben ſo leicht verblichen.
ein geſchickter Blumenmahler, mehr der Leichtig-
keit als der Wahrheit wegen, die er in ſeine Werke
brachte, merkwuͤrdig.
ſchaft der Nahme Pouſſin ſchlechtweg genannt
wird,
niederl. Schule. Geſchickter Marinenmahler.
Guaſpro Pouſſin. Sein Vetter Nicolaus hat
zwar auch Landſchaften gemahlt: aber dann pflegt
der Vornahme mit genannt zu werden. Bei hiſto-
riſchen Compoſitionen deutet hingegen der Nahme
Pouſſin ſchlechtweg den Nicolaus an. Denn in dieſer
Art Mahlerei war der Caſpre nicht ſonderlich ſtark.
1649. geſt. 1719. mahlte gemeiniglich Feldſchlach-
ten, Caravanen, Pferdemaͤrkte, Roͤmiſche Feſte ꝛc.
und da er in dieſen Aufzuͤgen haͤufig Fahnen an-
brachte, ſo erhielt er daher den Nahmen Stendardo.
ſanten und abwechſelnden Ausdruck der Wuth in
dem
und des Schreckens in dem fliehenden Moͤnche.
Das wahre Maaß in der Darſtellung dieſer ver-
ſchiedenen Gemuͤthsbewegungen iſt dem Mahler
ohne alle Carricatur gegluͤckt. Mit Recht billigt
man die Sparſamkeit in den Figuren, deren An-
zahl die Verſtaͤndlichkeit des Suͤjets erledigt. Sie
ſind gut mit einander verbunden. Die Formen,
ohne ſchoͤn zu ſeyn, vorzuͤglich in Koͤpfen und Haͤn-
den wohl gewaͤhlt.
Die Zeichnung iſt correkt, nur ſcheinen die Ver-
kuͤrzungen nicht durchgehends natuͤrlich, woran
aber das nachgeſchwaͤrzte Colorit Schuld ſeyn kann.
Aus eben dieſer Urſach erklaͤre ich mir den Mangel
an Haltung und Harmonie. Man wirft der Car-
nation mit Recht vor, daß der Ton derſelben zu
ſehr ins Rothe faͤllt: Sie bleibt aber demohngeach-
tet tizianiſch. Oben ſieht man eine Glorie von En-
geln: Kinder, wie ſie Tizian mahlte, das heißt,
die ſchoͤnſten der neueren Kunſt.
Die Landſchaft iſt ſchoͤn gedacht, und mit Leich-
tigkeit behandelt, nur fehlt der Duft in der Ferne.
Man war dazumal auf das Geheimniß der Luft-
perſpektive noch nicht gekommen.
ler S. 76.
dermaßen uͤber dieſe Statue aus: Ein Apollo in
der Villa Negroni, in dem Alter und in der Groͤße
eines jungen Menſchen von 15 Jahren, kann unter
die ſchoͤnſten jugendlichen Figuren in Rom gezaͤhlet
werden; aber der eigene Kopf deſſelben ſtellet kei-
nen Apollo vor, ſondern etwa einen kaiſerlichen
Prinzen aus eben der Zeit. Es fanden ſich alſo
noch einige Kuͤnſtler, welche aͤltere und ſchoͤne Fi-
guren ſehr gut nachzuarbeiten verſtanden haben. —
Ich daͤchte, es duͤrfte ſchwer werden, den Beweis
dieſer Zeitrechnung zu fuͤhren.
Mithras.Mithras, Genius der Sonne. Urſpruͤnglich per-
ſiſche Idee, die aber Griechen und Roͤmer nach ih-
rer eigenen Vorſtellungsart umbildeten. Man
ſieht ihn gemeiniglich als Juͤngling mit einer phry-
giſchen Muͤtze, einem orientaliſchen Leibrocke mit
engen Ermeln, die ſich an den Knoͤcheln der Hand
ſchließen, und einem uͤber die Schultern herabflie-
genden Mantel. Er kniet auf einem niedergewor-
fenen Stiere, den er mit der linken Hand bei den
Hoͤrnern faßt, und mit dem Dolche in der rech-
ten verwundet. Rund herum findet man ſymbo-
liſche Figuren z. B. Hund, Schlange, Scorpion ꝛc.
bald mehr, bald weniger. Sie ſcheinen zwar jede
fuͤr ſich unerklaͤrbar, jedoch im Ganzen den Lauf
und Einfluß der Sonne zu bezeichnen.
Allegorie.
Tracht
kern eigen geweſen.
nem Apollo mit einer modernen Violine. Dieſer
iſt nicht mehr vorhanden:
S. 389. d. G. d. K. von einem Tyger aus Ba-
ſalt, den ich mich nicht erinnern kann, geſehen zu
haben.
H. Volkmann hiſtor. krit. Nachrichten uͤber Ita-
lien S. 247. fuͤhrt drei Landſchaften von Pouſſin
an, die nicht mehr vorzufinden ſind.
Das Kind mit dem Schwane, welches er aus
Burckhards Werke in der Note anfuͤhrt, ſteht auf
dem Campidoglio.
geſt. 1674. einer der beſten Schuͤler Rembrands.
ihn auch Dappre, weil er immer von einem ta-
pfern Pinſel ſprach.
hier weggegangen ſind, ſind der Apollino, die
Vaſe mit dem Opfer der Iphigenia, und die
Gruppe der Niobe.
Dieſe Gruppe iſt bis jetzt nicht mit gehoͤriger
Genauigkeit beſchrieben, und wie ich glaube, mit
zu vieler Partheilichkeit beurtheilet worden. Sie
dient mir zum Beweiſe einiger Grundſaͤtze, die ich
bei dem Genuß der Werke der Alten dem Liebhaber
nicht genung empfehlen kann. Ich hoffe daher
leicht Verzeihung zu erhalten, wenn ich in einer
Note, die jeder, der nicht glaubt, daß ſie an ihrer
Stelle ſtehe, uͤberſchlagen kann, die Bemerkungen
mittheile, die ich uͤber dieſes claſſiſche und be-
ruͤhmte Werk in Florenz zu machen Gelegenheit ge-
funden habe.
Gruppe der Niobe.Gruppe der
Niobe.
Man hat vor wenigen Jahren eine Abhandlung
uͤber dieſe Gruppe unter dem Titel: Diſſertazio-
ne ſulle ſtatue appartenenti alla Favola di Niobe
in Firenze 1779. erhalten. Sie enthaͤlt in Folio
Format eine Beſchreibung mit Kupfern, welche die
Statuen, die jetzt in einem Zimmer vereinigt ſte-
hen, die Ringer aus der Tribune, das Pferd in
der Gallerie, und einige Basreliefs, welche zur
Erlaͤu-
Verfaſſer iſt der Cav. Angelo Fabroni, provvedi-
tore Generale dello Studio di Piſa. Außer eini-
gen hiſtoriſchen Nachrichten, die vielleicht die Probe
nicht aushalten, giebt dieſe Abhandlung nicht
viel mehr als Auszuͤge aus dem Winkelmann. Die
Lobeserhebungen ſind, nach Art der Italiener, auch
an das Unbetraͤchtlichſte verſchwendet. Die Zeich-
nungen ſind nicht immer richtig, und die Koͤpfe
durchaus verfehlt. Da ſie inzwiſchen zur Wieder-
erkennung dienen, ſo will ich die Nummern der
Kupfer meiner Beſchreibung beifuͤgen.
Die Figuren ſtehen jetzt jede einzeln an den Waͤn-
den eines Saales herumgeſtellt, der ein laͤnglichtes
Viereck ausmacht. Die eine der kuͤrzern Seiten
nimmt die Mutter ein; vor ihr liegt der ſterbende
Sohn. An der gegen uͤber befindlichen kurzen
Seite ſteht der Vater oder auch der Paͤdagog, und
an den beiden laͤngern Seitenwaͤnden ſtehen die
uͤbrigen Figuren, zwoͤlfe an der Zahl.
Niobe die Mutter. In dem Augenblicke der
Betaͤubung, in die ſie durch das Gefuͤhl des erlit-
tenen und des kommenden Uebels geworfen wird.
Sie blickt gen Himmel, den Ort, von dem die
Strafe der ſtolzen Mutter herabkoͤmmt. Ihre
juͤngſte Tochter ſucht Schutz in ihrem Schooße, ſie
lehnt ſich uͤber dies ihr Liebſtes her, und ohne in
ihrer Verwirrung zu bedenken, daß kein Mittel vor
den unvermeidlichen Pfeilen der erzuͤrnten Gotthei-
ten ſchuͤtze, greift ſie nach dem unzulaͤnglichſten:
Sie zieht den Schleier von hinten uͤber, ihr Kind
zu bedecken.
Der Eindruck des Ganzen iſt feierlich ſchoͤn; die
coloſſaliſche Geſtalt unterſtuͤtzt den Eindruck der er-
greifen-
ziehende.
Der Kopf iſt der intereſſanteſte Theil. Dievon
Schmerz gezogenen Augenbraunen, der offene
Mund, deſſen Unterlippe ſchlaff herabhaͤngt, geben
einen Ausdruck, von dem man ſich nach Gypsab-
druͤcken und Kupferſtichen keinen Begriff macht,
der keine auch der kleinſten Abaͤnderungen leiden
darf, ohne zur Carricatur zu werden, und der ſo
wie er da iſt, das wahre Maaß der ſtarren Furcht
enthaͤlt, der entſeelten Angſt, des Uebergangs zur
ohnmaͤchtigen ſchlaffen Verzweiflung. Es iſt ein
Charakter von unbeſchreiblicher Groͤße uͤber dieſen
Kopf ausgegoſſen, und doch hat er ſchon gelitten
und iſt ſtark mit Gyps ausgebeſſert. Die Bruſt
iſt reif und voll, ohne haͤngend zu ſeyn.
Von dem Geſichte der Tochter, welche die Mut-
ter an ſich gedruͤckt haͤlt, iſt wenig zu ſehen: Aber
die Stellung iſt reizend und dem Alter angemeſſen.
Einige haben die Gewaͤnder getadelt, andere,
und unter dieſen Winkelmann, haben das Ge-
wand der Mutter als ein Muſter einer guten Be-
kleidung geprieſen. Dieſen letzten kann ich nicht
beitreten. Das Gewand der Mutter liegt hart
an, wie naſſes Leinen. Die Falten ſind zu gerad-
linigt. Das Gewand der Tochter klebt dergeſtalt
an den Koͤrper, daß die Streifen, welche die Fal-
ten ausdruͤcken ſollen, Striemen aͤhneln, die in
die Haut geſchnitten ſeyn koͤnnten.
Neu ſind an der Mutter: beide Arme, und der
Theil des Schleiers, welcher uͤber den Arm gezo-
gen iſt. An der Tochter der rechte Arm und das
linke Bein. Der hintere Theil iſt nicht ausgear-
beitet, und zeigt, daß die Figur hinten an einer
Wand geſtanden hat.
Eine
wand in die Hoͤhe, und dem vorgebeugten Koͤr-
per nach zu urtheilen, ſcheint ſie eines ihrer bereits
erlegten Geſchwiſter zu betrauren. (Fabroni nr. 5.)
Mich duͤnkt, der Kopf iſt ohne Ausdruck, die
neue Naſe nicht recht ins Kreuz geſetzt; vielleicht
liegt es daran, daß der Mund zu grimaſſiren ſcheint,
vielleicht war derſelbe aber auch urſpruͤnglich an
der linken Seite zu ſehr geoͤffnet. Das Erhobene
der. Bruͤſte iſt wenig angegeben. Das Gewand,
welches uͤber den Schultern zuſammengeheftet iſt,
wird unter der Bruſt durch einen Guͤrtel zuſammen-
gefaßt. Es iſt weniger ſteif, als an der Mutter.
Neu ſind: die Naſe, beide Arme, der Theil des
in die Hoͤhe gehaltenen Gewandes, der rechte Fuß,
verſchiedene Falten.
Eine andere Tochter. (Fabr. nr. 13.) Der Aus-
druck iſt beinahe derſelbe mit dem der Mutter,
nur in geringerer Maaße. Ueberhaupt ſcheint ſie
der Mutter Bild im jungfraͤulichen Alter. Meinem
Urtheile nach, iſt ſie die ſchoͤnſte Figur der Gruppe.
Schwerlich wird man ein vollkommeneres Oval fin-
den. Sie hat nur ſchwellende Bruͤſte. Auch ihr
Gewand klebt zu ſtark an den Koͤrper. Arme und
Fuͤße ſcheinen neu zu ſeyn. Man verlaͤßt dieſe
ſchoͤne Geſtalt nicht ohne Muͤhe.
Der ſterbende Sohn zwiſchen dieſen drei Figu-
ren ſehr gluͤcklich in die Mitte gelegt, um den Aus-
druck ihrer Empfindungen beſſer zu rechtfertigen.
(Fabroni nr. 3.)
Es iſt eine der ſchoͤnſten und ausdruckvolleſten
Figuren in Marmor. Der Pfeil hat ihn unter
der Bruſt durch die Rippen getroffen, man bemerkt
beide Oeffnungen, die er beim hinein und heraus-
fahren geſchlagen hat. Der Juͤngling ſcheint zu
roͤcheln.
klebt am Gaumen; die Augen ſind halb geſchloſſen;
die Bruſt hebt ſich ſtark. Eine ſeiner Haͤnde, die
ſich in ihrer urſpruͤnglichen ſchoͤnen Form erhalten
hat, liegt unter der Bruſt. Der rechte Arm ruht
uͤber dem Haupte. Die Muskeln haben die aͤuſ-
ſerſte Beſtimmtheit ohne die geringſte Haͤrte. Das
untere Ohr iſt tiefer ausgearbeitet, als das obere.
Die Knoͤrpel der Knie ſcheinen beinahe ein wenig
zu ſtark angegeben zu ſeyn. Neu ſind; die Beine
und der Arm uͤber dem Haupte.
Ein fliebender Knabe. Er haͤlt den rechten
Arm ausgeſtreckt in die Hoͤhe, um den Linken iſt
ein Theil des Gewandes geſchlagen. (Fabr. nr. 10.)
Daß beide Arme neu ſind, wird eingeſtanden.
Wahrſcheinlich iſt nur der Rumpf alt, und der
Kopf aufgeſetzt, denn er iſt gegen den Koͤrper zu
klein, wenigſtens iſt er ſehr beſchaͤdigt.
Ueberhaupt glaube ich nicht, daß dieſe Figur
einen Theil der urſpruͤnglichen Gruppe ausgemacht
habe. Die Umriſſe haben etwas wolluͤſtiges, weich-
liches, ausgeſchweiftes, das mit der beſtimmten
Einfalt in den bisher angezeigten Statuen contra-
ſtirt. Auch das Gewand iſt in Vergleichung mit
den uͤbrigen zu wolligt, und abwechſelnd in dem
Faltenſchlage. Der Rumpf iſt gut.
Noch ein fliebender Sohn (Fabr. nr. 8.) iſt
nicht recht geſtellt. Man muͤßte ihn von hinten zu
ſehen, und man ſieht ihn von vorn. Dieſer vor-
dere Theil iſt vernachlaͤßigt. Das Geſicht iſt haͤß-
lich geflickt: Der rechte Arm iſt neu. Er gehoͤrt
zur Gruppe.
Ein verwundeter Sohn, der ſinkend ſich zu
halten ſucht, das Knie auf den Boden, den rech-
ten Arm in die Seite ſtemmt, und den andern Arm
und
nr. 9.) Einige finden den Ausdruck eines edlen
Unmuths uͤber die Ungerechtigkeit der ſtrafenden
Gottheiten in Mine und Stellung. Mir ſcheint
mehr ſtaunende Gewahrnehmung eines ſchnell uͤber-
raſchenden Uebels darin zu liegen, nebſt einer Be-
muͤhung deſſen Folgen abzuwehren. Denn die
Stirn iſt nicht gerunzelt, und die Augenbraunen
ſind nicht zuſammengezogen. Kopf und Leib ſind
ſchoͤn; die Statue gehoͤrt dem Stile und der Mar-
morart nach zur Gruppe. Der unausgearbeitete
Ruͤcken und das liegende Bein, das unterhalb der
Huͤfte ohne Andeutung des Reſts in den Marmor-
block wie in einen Sumpf vergraben iſt, zeigt, daß
dieſe Figur an der Wand geſtanden hat.
Die Figur iſt gut conſervirt, nur vier Zehen des
rechten Fußes, die Naſe und die Oberlippe ſind er-
gaͤnzt. Der Marmor iſt ſehr gelb geworden.
Eine weibliche Figur, die in geſtreckter Stel-
lung nach einem Gegenſtande in der Luft zu greifen
ſcheint, (Fabroni nr. 15.) gehoͤrt nicht zur Gruppe.
Es hat dieſe Figur mit der ſogenannten Pſyche im
Campidoglio die groͤßte Aehnlichkeit, und man fin-
det ſogar auf dem Ruͤcken Spuren der abgeſaͤgten
Fluͤgel. Viele finden in der Stellung dieſer Figur
den Augenblick ausgedruͤckt, in dem der Gott, auf-
geſcheucht durch die unbedachtſame Neugier ſeiner
Geliebten, von ihr fliehet.
So viel iſt gewiß: Gedanke und Behandlung
paſſen nicht in den Stil der uͤbrigen Gruppe. Die
Bruͤſte ſind viel ausgebildeter, das Gewand iſt viel
freier und leichter bearbeitet, und der Marmor von
anderm Korne. Sonſt hat dieſe Figur große
Schoͤnheiten. Beide Arme und die Naſe ſind neu.
Dann
Dann folgen zwei Figuren, ein Sohn und eine
Tochter. (Fabroni nr. 7. und 14.) die weder dem
Marmor noch der Behandlung nach zur Gruppe
zu gehoͤren ſcheinen. Sie haben ſtarke Ergaͤnzun-
gen gelitten.
Ein fliehender Sohn, der ſich mit dem Ge-
wande von hinten zu []bedecken ſucht, (Fabr.
nr. 6.) hat dagegen Gruppenrecht. Er iſt ſchoͤn
und der Ausdruck der Angſt vortrefflich. Die Naſe,
die Haͤlfte des Arms, um den das Gewand gewor-
fen iſt, der ganze linke Arm, und die Unterlippe
ſind neu. Die Figur hat an einer Wand geſtanden.
Der Vater Amphion, oder der Paͤdagog,
(Fabroni nr. 1.) iſt gewiß kein urſpruͤnglicher
Theil der Gruppe geweſen: es iſt ein entlehnter
Zuſatz, bei dem man die Compoſitionen aͤhnlicher
Vorſtellungsarten auf Basreliefs vor Augen ge-
habt hat. Die Statue iſt gar nicht in Rom ge-
funden. Der Kopf von gemeinem Charakter ſo
wie beide Arme ſind neu, und mit dieſen Armen
das Schwerdt, das er in der Hand haͤlt. Die
Bekleidung paßt weder zu dem Coſtume noch zu
dem Stile der uͤbrigen Gewaͤnder.
Eine fliehende Tochter die den Mantel uͤber
den Kopf zieht. (Fabroni nr. 12.) Eine der
ſchoͤnſten Figuren dieſer Sammlung und zur Gruppe
gehoͤrend.
Die Naſe iſt angeſetzt, vielleicht auf eine Art,
die der hohen Schoͤnheit dieſes Kopfes einigen
Nachtheil bringt. Die linke Hand, der rechte Arm,
und beide Fuͤße ſcheinen neu. Das Gewand iſt
wieder zu ſteif.
Eine Statue eines Mannes, der einen
Streich von oben abzuwehren ſcheint. Dieſe
von einem der Aufſeher der Gallerie Luigi Lanzi,
einem
Manne hinzugefuͤgte Figur, iſt von Fabroni nicht
mit aufgezeichnet. Sie ſtand ehemals in der
Großherzoglichen Gallerie unter dem Nahmen En-
dymion. Allein ſie ſcheint ſo wenig die aͤltere als
die neuere Beſtimmung auszufuͤllen. Die gemeine
keinesweges heldenmaͤßige Natur, die ſtarken Mus-
keln bezeichnen den gewoͤhnlichen Ringer, nicht die
Soͤhne der Niobe, die ſich zur Zeit der Cataſtrophe
im Ringen uͤbten. Der Kopf und der obere Arm
ſcheinen neu.
Lanzi hat die Figur nur hinzugefuͤgt, um den
vierzehnten Sohn herauszubringen. Eine Ver-
bindlichkeit, die ihm nicht einſt die Autoritaͤt der
Basreliefs, die aͤhnliche Vorſtellungen liefern, auf-
legte.
Zuletzt bemerke ich noch eine weibliche Figur,
(Fabroni nr. 11.) an der alle Extremitaͤten neu zu
ſeyn ſcheinen. Der bloße Anblick lehrt, wie wenig
dieſe Figur beſtimmt geweſen ſey, mit den uͤbrigen
ein Ganzes auszumachen.
Man rechnet zu Theilen dieſer Gruppe, das
Pferd das in der Gallerie ſteht, und die Ringer in
der Tribune. Das Pferd iſt Meilenweit von den
uͤbrigen Figuren gefunden, ſonſt wuͤrde es nach dem
Basrelief in dem Muſeo Clementino, worauf bei
der Vorſtellung eben dieſer Fabel das Pferd ange-
troffen wird, gut hieher paſſen.
Die Ringer gehoͤren nicht hieher. Nicht weil
ſonſt ſechzehn Soͤhne herauskaͤmen, denn die uͤbri-
gen vierzehn ſind ſehr zweifelhaft, ſondern weil
Marmor und Stil nicht uͤbereinſtimmen, und die
Vorſtellung aͤußerſt unſchicklich an ſich ſelbſt, und
unpaſſend zu dem Augenblicke der Cataſtrophe waͤre.
So ernſthaft meinten es doch wohl die Bruͤder
nicht,
wie hier die Arme aus der Kugel haͤtten beugen
ſollen.
Ich begreife nicht, wie ein ſo eifriger Verehrer
der Alten wie Winkelmann war, dadurch, daß er
dieſe Idee wieder aufwaͤrmte, dem Urheber der
Gruppe allen Anſpruch auf einen vernuͤnftigen Zu-
ſammenſetzer nahm. Dieſe beiden jungen Herren
ringen geruhig fort, waͤhrend daß ihre Bruͤder
und Schweſtern rund um ſie herum vor den Pfei-
len der Gottheiten fallen. Unwahrſcheinliche, laͤ-
cherliche Idee! die dem Kuͤnſtler darum nicht bei-
gelegt werden kann, weil dieſe Figuren mit den
uͤbrigen zuſammengefunden ſind. Wahrſcheinli-
cher iſt es, daß der ſpaͤtere Beſitzer, ein Midas,
dieſe Figuren zuſammenſammelte, um ſucceſſive
Auftritte in einem coexiſtirenden zu vereinigen. a)
Ueberhaupt wird man jetzt einſehen, wie wenig
aus der Nachricht, daß 13 Figuren (naͤmlich die
Mutter mit der juͤngſten Tochter, und die beiden
Ringer, jede fuͤr eins gerechnet) zuſammenge-
funden worden, fuͤr den urſpruͤnglichen Zuſam-
menhang derſelben zu einem Werke, zu einem Gan-
zen nach der Idee des Kuͤnſtlers bei der Verferti-
gung, gefolgert werden koͤnne. Dieſer wußte beſ-
ſer, daß ſolche weitlaͤuftige Compoſitionen in run-
der Bildnerei mit Schwierigkeiten in der Ausfuͤh-
rung verknuͤpfet ſind, welche die Wuͤrkung derſel-
ben auf den Zuſchauer nicht ſattſam belohnet. Es
findet ſich auch auf den bekannten Basreliefs mit
dieſer
in Rom: Coburg, 1784. bemerkt, daß dieſen Figuren
ſchon von Alters her die meiſten Koͤpfe eingeſetzt worden.
Toͤchtern und ſieben Soͤhnen nicht beobachtet, und
man ſieht nicht ein, was den Kuͤnſtler zu deren
arithmetiſchen Aufſtellung haͤtte bewegen ſollen.
Er zeigte ihrer ſo viele als die Einbildungskraft
des Zuſchauers zur Vollſtaͤndigkeit des Ausdrucks
der verſchiedenen Gemuͤthsbewegungen verlangt,
die durch dieſe Cataſtrophe in den handelnden Per-
ſonen hervorgebracht werden konnten: Er zeigte
ihrer ſo viel, als dieſer Ausdruck Abwechſelung in
Stellungen, und Schoͤnheit der Bewegungen mo-
tivirt.
Vielleicht duͤrfte jetzt auch die Beantwortung der
Frage: wie dieſe Figuren zu einer Gruppe haͤtten
angeordnet ſeyn koͤnnen? ſo ſchwer nicht fallen.
Ich rede aber nur von der Anordnung des erſten
Urhebers.
Sind von den anfaͤnglich zuſammengehoͤrenden
Figuren keine abgekommen, ſo haben die Mutter,
vier Soͤhne und vier Toͤchter die urſpruͤngliche
Gruppe ausgemacht. Von dieſen ſind einige ſo
ausgearbeitet, als wenn ſie frei geſtanden haͤtten,
andere, als wenn ſie an eine Wand gelehnt geweſen
waͤren: einige, als haͤtte der Vordertheil ihres
Koͤrpers, andere, als haͤtte der Hintertheil deſ-
ſelben geſehen werden ſollen. Weitere Merkmahle
des Ineinandergreifens, des Zuſammenhangs der
Figuren bemerken wir nicht.
Nun ſtelle ich mir vor, daß dieſe Figuren eine
Wand ausgefuͤllet haben. Die Mutter mit der
Tochter, die in ihrem Schooße Schutz ſucht, ſtand
in der Mitte: Vor ihr lag der ſterbende Sohn:
Auf der einen Seite frei, von der Wand ab, ſtand
die Tochter, die ihn zu betrauren ſcheint, auf der
andern die Tochter, die zum Himmel blickt, gleich-
falls
Ruͤcken zu geſehen, der fliehende Sohn, und ge-
gen uͤber der Sohn in ſinkender Stellung. Die
beiden entgegengeſetzten Enden haben der fliehende
Sohn, und die fliehende Tochter ausgefuͤllt, beide
wieder frei.
Aus dieſer Diſtribution der Figuren wuͤrde eine
den beſten Basreliefs der Alten aͤhnliche Dispoſi-
tion von vortretenden und zuruͤckweichenden Figu-
ren in gehoͤriger Abwechſelung von Groͤße und
Stellung erfolgen, die ohne Ruͤckſicht auf mahle-
riſche Gruppirung, als welche hier ganz wegfaͤllt,
dem Auge ein anziehendes Ganze ohne die geringſte
Aufopferung einzelner Formen koͤnnte dargeboten
haben.
ſondern eine der Toͤchter des Atlas und der Ple-
jone; eine der Plejaden, die traurend uͤber das
Schickſal von Troja ſtets mit haͤngenden Haaren
und einſam gebildet wurde? Richardſon nennt
unſere Figur eine Matrona Sabina.
Basrelief genommen, und von Giov. Scerano
gerundet. Ich zweifle ſehr an der Wahrheit dieſer
Nachricht.
„Statue
„Villa Medicis befindet, etwas verſchieden von
„der Bildung des Jupiters: Denn es iſt der Bart
„krauſer, und ein Unterſchied in dem Wurfe der
„Haare, die ſich von der Stirne erheben.“ Dies
muß ſo verſtanden werden, daß ſie ſtruppigter und
kuͤrzer ſind.
ſer Villa ein Sarcophag ausgebeſſert, der in der
[Villa] lange zur Badewanne gedient hatte. Er iſt
mit Basreliefs geziert von gar beſonderer und
weitlaͤuftiger Zuſammenſetzung. Eine wahre Be-
handlung im Geiſt eines hiſtoriſchen Trauerſpiels.
Man ſieht einen Prinz zur Welt kommen, zu ſei-
nem Vater gefuͤhrt werden, auf die Jagd gehen,
regieren und heirathen. Die Ausfuͤhrung iſt nicht
außerordentlich, aber der Stil im Ganzen gut,
auch trifft man einige einzelne Figuren an, die Ver-
dienſt haben.
Seite 233.
der Schatten, nicht ſo kuͤnſtlich wie auf unſern
heutigen Sgraffiti ſind.
von dem wei-
nenden Pe-
trus, im Pal-
laſt Zampie-
ri, zu Bo-
logna.
im Pallaſt Zampieri zu Bologna ſprechen, welches
Cochin, voyage d’ Italie T. II. p. 172. ſec. edit.
nicht allein fuͤr das ſchoͤnſte von Guido, ſondern,
weil er alle Vorzuͤge der Mahlerei darin vereinigt
findet, auch fuͤr das vollkommenſte in ganz Italien
haͤlt. Man ſehe hier, wie der bloße Kuͤnſtler ſpricht!
Der heilige Petrus, an ſich eine unedle Figur, weint
nicht wie ein Mann, ſondern wie ein ungezogenes
Kind, und kratzt ſich dabei hinter den Ohren, waͤh-
rend daß ein anderer Heiliger, von eben ſo niedri-
ger Natur, ihn troͤſtet. Die Extremitaͤten ſind
nichts weniger als ſchoͤn, nicht einſt richtig gezeich-
net, und die Schatten ſind offenbar uͤbertrieben.
Was hat denn dies Bild um ſo ſehr anzuziehen?
Fuͤr den rohen Betrachter einen um ſo faßlichern
Ausdruck, als er an Carricatur graͤnzt, eine Ruͤn-
dung, durch welche die Figuren ſich von dem Grun-
de herauszuheben ſcheinen; fuͤr den Kuͤnſtler aber
die kecke Behandlung, mit der die kraͤftigſten Far-
ben in vollkommener Harmonie nicht einzeln auf-
getragen, ſondern zuſammen gegoſſen ſcheinen.
„Der ſchoͤnſte Kopf des Apollo iſt ohne Zweifel der
„einer wenig bemerkten ſitzenden Statue deſſelben
„uͤber Lebensgroͤße. Es iſt derſelbe eben ſo un-
„verſehrt, als der des Apollo im Belvedere, und
„einem ſtillen Apollo weit gemaͤßer. Dieſe Sta-
„tue iſt in Abſicht eines dem Apollo beigelegten
„Zeichens als die einzige, die bekannt iſt, zu be-
„merken, und dies iſt ein krummer Schaͤferſtab an
„dem Steine liegend, worauf Apollo ſitzet. Es
„wird dadurch ſein Hirtenſtand abgebildet.“
Oreſtes ꝛc.
Recht die gewoͤhnliche Erklaͤrung von der Mutter
des Papirius mit ihrem Sohne, und ſeine eigene
fruͤher gewagte, die aus der Geſchichte der Phaͤdra
und des Hippolytus hergenommen iſt. Hippoly-
tus verwarf den Antrag der Phaͤdra mit Abſcheu,
und dieſen deutet der geruͤhrte Antheil in den Mi-
nen, der um die Mutter geſchlungene Arm, nicht
an. Ob die kurzen abgeſchnittenen Haare ſchlecht-
hin auf eine Elektra und einen Oreſtes weiſen muͤſ-
ſen, getraue ich mir nicht zu entſcheiden. Unge-
woͤhnlich ſind freilich die abgeſchnittenen Haare
bei weiblichen Figuren des Alterthums, und in
der unſrigen mit dem Sandrart eine maͤnnliche wie-
der zu erkennen — er haͤlt ſie fuͤr den Aurelius und
Lucius Verus, ſo wie Perrier ſchlechtweg fuͤr
Bruͤder die ſich umarmen — verhindert der bloße
Anblick.
geſetzt ſeyn, dies zeigt die Verſchiedenheit des Stils
in beiden Figuren, dies zeigt die erſtaunliche Un-
gleichheit des Werths zwiſchen dem Koͤrper der
maͤnnlichen Figur, der mit ſo vieler Sorgfalt und
Weichheit behandelt iſt, und dem Koͤrper der weib-
lichen, an dem die Ausfuͤhrung hart und vernach-
laͤßiget iſt. Der Kopf der maͤnnlichen Figur
ſtimmt ſo wenig mit dem Koͤrper uͤberein, daß
ich darauf ſchwoͤren wollte, er ſey aufgeſetzt, ob
ich mich gleich demſelben nicht bis zur genauern
[Unterſuchung] habe naͤhern koͤnnen. Der Arm mit
dem Schwerdte iſt ganz neu, und kann theils in
Ruͤckſicht ſeiner eigenen gezwungenen Lage, theils
in Ruͤckſicht auf die Stellung des ganzen Koͤrpers,
die der Handlung ſo wie wir ſie jetzt ſehen, ganz
zuwider ſcheint, unmoͤglich der antiken, und ver-
loren gegangenen Lage, aͤhnlich geweſen ſeyn.
Winkelmann glaubt in dieſer Gruppe den Tra-
banten des tyrrheniſchen Koͤnigs Aeolus zu ſehen,
„welchen dieſer an ſeine Tochter abſendete mit ei-
„nem Degen, womit ſich dieſelbe entleiben ſollte,
„nachdem gedachter ihr Vater ihre Blutſchande
„mit ihrem Bruder erfahren hatte.“ Winkelmann
geſtehet, daß wir den fernern Ausgang der Ge-
ſchichte nicht wiſſen, aber er findet es gar nicht
unwahrſcheinlich, „daß der Trabant, welcher ohne
„Un-
„gen mit betruͤbtem Geſichte uͤberbrachte, ſich den-
„ſelben in die Bruſt geſtoßen habe, da er geſehen,
„daß ſich Camache mit demſelben entleibte.“ Win-
kelmann, G. d. K. S. 801. — Welch ein Edel-
muth fuͤr einen Trabanten mit dem Knebelbarte!
gen der Loͤcher in den Ohren, die zu Ohrgehaͤngen
beſtimmt geweſen zu ſeyn ſcheinen.
Hr. Volkmann, der alles verwechſelt, nennet ihn
Hiſt. Kr. Nachrichten, S. 275. Edit. 1777. eine
Statue von Porphyr mit einem Kopfe von Bronze.
ten uͤber dieſe Villa ſind wieder voller Unrichtigkei-
ten. Winkelmann redet S. 421. G. d. K. von
einer Pallas uͤber Lebensgroͤße, welche Schuhe von
Korkholz mit Leder uͤberzogen trage, von Antio-
chus aus Athen verfertiget. Ich habe ſie eben ſo
wenig finden koͤnnen, als jene ſitzende ſenatoriſche
Statue von der Hand des Zeno, Sohn des Attis
aus Aphrodiſium, deſſen Nahme auf dem Zipfel
ſtehen ſoll. Eben dieſer Schriftſteller erwaͤhnet
ihrer S. 826. ſ. G. d. K. In der Vorrede zur
G. d. K. gedenkt er eines Hercules mit dem Horn
des Ueberfluſſes. Es kann ſeyn, daß dieſe Sta-
tue unter den vielen kleineren Figuren in dieſer Villa,
die in Ruͤckſicht auf ſchoͤne Kunſt wenig Aufmerk-
ſamkeit verdienen, meiner Nachſuchung entgan-
gen iſt.
uͤber den Stil eines Kuͤnſtlers nicht auf einzelne
Ausnahmen, ſondern auf die Fehler und die Vor-
zuͤge Ruͤckſicht nehme, die man gewoͤhnlich in ſei-
nen Werken findet.
nen: Coſtume des anciens Peuples par Bardon:
und le Coſtume des Peuples de l’ antiquité,
prouvé par les Monumens, par André Lens
Peintre, zu ſeyn. Von dieſem letzten iſt die neue-
ſte Edition 1785. zu Dresden mit Zuſaͤtzen und Be-
richtigungen von G. H. Martini herausgekommen.
Erſter Theil, S. 230.
T. I. p. 251.
va, Aratus panda, Zenon fronte contracta,
Epicurus cute diſtenta, Diogenes barba co-
mante, Socrates coma candente, Ariſtoteles
brachio exſerto, Xenocrates crure collecto,
Democritus riſu labris apertis, Chryſippus
propter numerorum indicia conſtrictis, Eucli-
des propter menſurarum ſpatia laxatis, Clean-
thes propter utrumque corroſis.
cramente wiederholt, und dieſe Werke befinden ſich
zu Paris. In dem Gemaͤhlde von der letzten Oeh-
lung iſt die Amme mit dem Kinde mehr mit der
Haupthandlung verbunden: Sie naͤhert ſich mit
dem Kinde dem ſterbenden Vater, und dies ſtreichelt
ihn in dem Augenblicke, da er die letzte Oehlung
empfaͤngt. Ich geſtehe, daß ich dieſen Gedanken
fuͤr den Ort und die Zeit unpaſſend halte. Er un-
terbricht die Handlung, und es iſt unnatuͤrlich,
daß man das Kind in dem Augenblicke der Bei-
bringung des Sacraments dem Vater ſich ſo ſehr
habe naͤhern laſſen. Uebrigens hat dieſes Ge-
maͤhlde in Anſehung der mahleriſchen Anordnung
und der Ausfuͤhrung Vorzuͤge vor dem unſrigen.
Gedanken angebracht, man findet ihn auch auf
dem Bilde des Todes des Germanicus im Pallaſt
Barberini.
Form. Wer uͤber hiſtoriſche Wahrheit chicaniren
wollte!
der ſogenannte Papirius mit der Mutter, nach der
Gruppe in der Villa Ludoviſi, Mars und Ve-
nus, nach der Gruppe in der Villa Borgheſe, und
die ſogenannte Vermaͤhlung oder Alceſte und Her-
cules ſind neu.
tav. 30. p. 62. behauptet: Dieſe Figur ſtelle einen
Hercules in Weiberkleidern vor.
Battoni, von der Winkelmann S. 859. redet, fin-
det ſich bei einem Nebengebaͤude. Es iſt kaum
noch die Spur einer menſchlichen Figur darauf zu
erkennen.
Den Sclaven, der wie Seneca in der Villa
Borgheſe geſtaltet ſeyn ſoll, und von dem Winkel-
mann S. 811. redet, ſteht jetzt im Muſeo Clemen-
tino.
zioni ſopra le Statue di Roma, welche den Brie-
fen an einen Freund in Liefland beigedruckt ſind.
S. 68.
S. d’Argensville. Man ſucht ihn vergebens beim
Fueßli.
keit, daß ich dieſen Plafond uͤberſehen habe. Ich
bin auch von meinen Fuͤhrern nie darauf aufmerk-
ſam gemacht worden, ob ich gleich dieſen Pallaſt
zu mehreren Malen beſucht habe. Er ſoll meh-
rere auf der Erdkugel triumphirende Tugenden vor-
ſtellen, die den Inbegriff der goͤttlichen Weisheit
des Pabſtes ausgemacht haben. Richardſon De-
ſcript. des tabl. etc. T. III. S. 264. ſpricht mit
vielen Lobeserhebungen davon, und ſagt: es ſey eines
der anziehendſten Werke, die er jemals geſehen habe;
das Colorit zart und lieblich. Hingegen Volkmann
Hiſtoriſch kritiſche Nachrichten, Th. 2. S. 285. be-
hauptet: die Zuſammenſetzung ſey ſehr mittelmaͤſ-
ſig, das Colorit ſchwach, das Ganze thue keine
Wuͤrkung, jedoch treffe man in einigen Koͤpfen ei-
nen guten Ausdruck an.
p. 270.
nen in der Zeichnung, und einen Mangel an Hal-
tung vor.
Erzaͤhlung geantwortet: Ei! ſo machen ſie doch
allemal Guido’s.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq1m.0