[][][][][][][]
Rahel.

Ein
Buch des Andenkens

für ihre
Freunde.

‘— — ſtill und bewegt.’
(Hyperion.)

Zweiter Theil.

Berlin,: 1834.
Bei Duncker und Humblot.
[][[1]]

An Varnhagen, in Prag.



Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute ſehr lieb! Wenn
du wüßteſt bei welchem Geſchrei zu Gott, ich deiner heute ge-
dachte, dich wünſchte: dein ganzer Werth, dein beſtes Sein
mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu
fatiguirt!


— — An dich dacht’ ich; an dich wollt’ ich mich lehnen,
in deinen Armen dieſe Thränen weinen; dies ſchreien. Ich
erwarte ſehnlichſt deine Antwort. Es iſt 12 Nachts. Ich
ſchreibe jetzt nur, um dich inſtändigſt zu bitten, eh er nach
Wien verſchwindet, dem Hrn. von Noſtitz ja ſeinen Traum
von Prinz Louis und Schillers Geiſterſeher abzufragen, und
ihn genau aufzuſchreiben! Auch laß dir Louis’s Tod genau
erzählen, und ſchreib’ ihn auch auf. Mir erzählte er beides
göttlich: ſo naiv, ſo darſtellend, ſo unbewußt ſchön: ſo natür-
lich; mahn’ ihn an, daß er’s wieder ſo mache: aber ſag’ ihm
nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand
ihn ſehr zu ſeinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme,
kriegeriſche Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unſchul-
II. 1
[2] dig, liebenswürdig, und ſo herzlich als ſchicklich gegen mich,
und erforderlich gegen den Reſt. Wir ſprachen innig von un-
ſerm geliebten Freund, Noſtitz wie ich’s nur wünſchen konnte.
Grüß’ ihn ſehr von mir, als einer großen „Wohlwollenden.“
Marwitz konnt’ ich gar nicht genug von ihm erzählen: der
quälte mich eben ſo, in einem Briefe, dir dieſen noch heute
zu ſchreiben: da ich einmal das Projekt, du ſollteſt Tod und
Traum aufſchreiben, hatte laut werden laſſen. Leb’ ſehr wohl.
Wie ein Phönix gehſt du heute aus meiner Leidenſchaft her-
vor! Schreib mir: und trau mir! —


Noch Eins! Wolf war ſehr geſchmeichelt von deiner Re-
zenſion: und es ſchien ihm ſehr leid zu ſein, daß das Blatt
[Öſterreichiſcher Beobachter] hier nicht geleſen wird. „Wie
hat er denn das ſo ſchnell dort?!“ — O! er hat ſchon Niebuhr,
und Goethens Leben. — „J! ſo! Nun Goethens Leben hat
man wohl.“ — Er hat alles. — Kurz, er war überaus char-
mirt. Gleich den Abend drauf als ich dir ſchrieb, kam er.
Lebe wohl! Ich erliege ſonſt. Künftig, liebes Kind, ſchreib’
ich dir, wie du dich artig haben mußt, wenn du bei mir lebſt:
und mich nicht Einmal ärgern mußt. Weil es gar nicht nö-
thig iſt, und ich es nicht ertragen kann: meine Geſundheit
meine ich, die iſt ſo ſchwach, daß ſie der Reſt des Reſtes iſt,
von allem, was ich beſitzen ſollte, und je beſaß. Adieu. Ant-
wort. Gewiß kommt in dieſen Tagen dein Brief. Adieu.


[3]

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



Unpaß genug! und es iſt eine ausgemachte Sache, daß
Sie mich noch todt martern: denn mitten in dieſen Zuſtänden
bin ich auf nichts befliſſen, als Ihnen alles zu erzählen, über
alles genaue Rechenſchaft zu geben. Dabei ſteht kein Augen-
blick ſtill, und es folgen Ereigniſſe und Gedanken. Damit
nun auch für Sie eine zu verſtehende Folge möglich werde,
wie es außen und innen übereinander ging, ſo will ich die
Dinge der Zeit nach vortragen, wie ſie übereinander gingen.
Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirteſten vom
Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der
Lebendigkeit, die dies beſonders heiſcht, und in welcher es
vorging, nicht darſtellen zu können. Als Sie ankamen, fan-
den Sie mich ſehr perplex, — Sie ſahen, glaub’ ich, es nicht
ganz. Auch dies, die Urſache davon ſollen Sie erfahren: aber
erſt ganz am Ende dieſes Briefes. —


Ich erwartete einen Menſchen, mit dem ich etwas ab-
machen wollte, welches meine ganze Seele unter ſeiner [Ge-
walt]
hatte: dabei — Sie wiſſen, was, und auch wohl wie —
hatte ich Ihnen geſchrieben, wollte Ihnen noch ſchreiben, und
dachte in dieſer Seelenklemme in taktloſen Zwiſchenräumen
an Sie und an das, was ich Ihnen noch ſagen wollte.
Hauptſächlich war Eines davon dies: daß man, als Unſinni-
ger, ſein Leben in Schmutz, Unſinn, Dürre, Sand und Wuſt,
in wahnſinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,
1 *
[4] daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebſtahl an uns ſelbſt
geſchieht und gräßlicher Mord iſt. Bloß weil wir ewig Ap-
probation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und
nicht tapfer genug ſind, menſchlich Antlitz nicht zu fürchten,
und dreiſt zu ſagen, was wir möchten, wünſchen und begeh-
ren. Nichts iſt heilig und wahr, und unmittelbare Gottes-
gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für
anerkanntes Nichts. Das Fremdeſte laſſen wir uns aufbür-
den, und ſo kommen wir uns ſelbſt abhänden. Ich ſelbſt,
wie ſelten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie
ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich
wieder zu der Sehnſucht kommen, die ich voriges Frühjahr
erlitt, als das neue Jahr grad’ aus Erd’ und Himmel brach,
und Sie wegreiſten. Ich erlebte eine Welt — ich ſchrieb es
Ihnen, — was aber wär’ es geworden, hätte ich Sie nur
vier Tage länger behalten!! Ich verging faſt in Sehnſucht
und Bedürfniß, es mit Ihnen zu ſehen. Ich Elende,
Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! — Gott
ſieht jetzt mein innerſtes Herz und dieſe Thränen! Niedrige,
Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu laſ-
ſen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da-
mals waren — grade durch die Reihe Leben, das wir geführt
hatten, durch den Gang der Geſpräche, die Blüthen der Stim-
mung und des Frühlings! — Was hätte es Ihrem für alle
Ewigkeit fertigen Bruder geſchadet, wenn Sie vier Tage ſpä-
ter nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn
Sie mich ſo hätten beglücken können! Laſſen Sie ſich das
für Ihre eigene Perſon zur ewigen Warnung dienen. Be-
[5] zwingen Sie keine Stimmung, keine Gefühlsblüthe! Sie
werden nachher verzweifeln; in der kargen Ausübung der
unnahrhaften Verſtändigkeit. Unterſuchen Sie ſich immer
genau: und fürchten Sie Weisheit, die nicht aus dem Her-
zen ſcheint.


Nur Neigung, nur Herzenswünſche! Kann ich ihnen nicht
leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergeriſ-
ſen und mißhandelt, ſo will ich ſie von nun an in mir er-
gründen, und ſie anbeten! Gottes ſtarker Wille iſt das im
Herzen — im dunklen, blutwogenden —, der keinen Namen
bei uns hat, deßwegen täuſchen wir uns, bis es todt iſt. Sie
haben mich gefaßter gefunden die letzten Tage. Was iſt es
anders, als daß ich zu meiner Neigung wieder hinabgeſtiegen
war, über die ich mich erheben, zerſtreuen wollte. Glücklich
bin ich fürwahr nicht von ihr gemacht; noch ſanft, noch nur
menſchenverſtändlich behandelt; und doch erhalt’ ich mich nur
ſelbſt, wenn auch in herbem Zuſtand, wenn ich mich ihr hin-
gebe, mich ihrer ganz erinnere, und nicht Sinnen und Herz
ihre Güter vertauſchen will.


Ich bin krank geworden, ſeit einem Ärger, den ich ge-
habt: ich kann durchaus nichts mehr ertragen! Nun ſollte
ich an dieſe Zeilen fügen, wie ich vorgeſtern und geſtern Abend
zugebracht; vergebens! Sie ſollen es haben, aber in einem
künftigen Brief. Dieſer ſoll weg wie er iſt; damit er bald
ankommt. Morgen ſchreibe ich Ihnen die beiden Abende. In
dieſem will ich Ihnen noch ſagen, was kürzer iſt, wozu keine
Laune gehört, und was mehr in meine heutigen ſchmerzhaften
Gedanken paßt.


[6]

Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit
Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie
ſchon für mich wünſchten, hab’ ich dieſem Bruche mit zuzu-
ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück,
daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr
hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir,
wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt’ ich ver-
zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am
meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin-
gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne
und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog’ auf Wog’
unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le-
gen die ganze Laſt ganz auf mich. „Sie trägt ſo viel, ſo
gut, warum nicht auch dies!“ Dies ſagt ſich niemand; aber
ſo geſchieht’s, weil — ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich
bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief
nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu! — —



Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund,
und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie
eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche
Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden-
den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und
brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit
denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt.
die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des
nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die-
[7] ſes Lebens, dieſer Erde. Verzeihen Sie mir ja dieſen Brief
wie er hier ſteht! Ich möchte um keinen Preis, was ich oben
von Ihnen zu fordern ſchien, — und dachte ſchon ſo, als nur
die Züge aus meiner Feder waren, ja als ich ſie noch machte —,
daß Sie mich ſchonten, für mich litten, ſchafften und mach-
ten: alsdann wären Sie ja auch Ambos; und dafür ſoll Gott
uns behüten. — Ihnen aber die beiden Abende, Dienstag
und Mittwoch zu beſchreiben, dazu bin ich zu ſchwach: zu
erſchöpft endlich, zu irritirt; alles dies rein der Körper. Wie
es mit meiner Seele iſt, weiß wenigſtens ich nicht: die ſcheint
in der That von Unſterblichem gemacht zu ſein. Hören Sie
aber von anderem, wenn es möglich iſt dergleichen zu beſchrei-
ben, auszudrücken, ja ſich ſelbſt anders, als unwillkürlich, zu
wiederholen. — —


An Varnhagen, in Prag.



Ich habe zuletzt Clemens Brentano’s Brief geleſen, alſo
fange ich von ihm an. Der Brief gefällt mir ſehr, und ich
habe mich in ihm nicht geirrt. O! hätte ich doch ewig mei-
nen wahren Blick über Menſchen befolgt, ewig dem Ausſpruch
gefolgt, der mit ſo unumſtößlicher Wahrheit mitten in meiner
Seele über jeden mir Vorkommenden zu mir herauftönen will.
Ich finde eine unausſprechliche Milde und Biegſamkeit in die-
ſem Briefe: und ich muß dir wieder ſagen, eine außerordent-
liche Ähnlichkeit mit mir darin. Auffallend, und ſehr unver-
[8] muthet war mir gleich die Handſchrift; nie hätte ich ſie von
ihm ſo erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tauſend
ſolche. Mich intereſſirt ſein Gemüthe ſo, und mich dünkt ich
kenne es ſo ſehr, daß ich für mein Leben gerne wiſſen möchte,
womit du ihn ſo gekränkt haſt. Auch ſehr meine Art mich
auszudrücken, dieſe Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende
Entſchuldigung unter deiner Geſtalt hätte machen können! ich
hätte ihm unendlich geſchmeichelt, ſeinem Herzen; ich hätte
es verſtanden, wie man es machen muß. Du ſchriebeſt mir
ja, er wäre nach Wien, und ſo ſagte ich hier auch immer aus.
Mir iſt die Geſchichte oder Anekdote, woraus er ſein Stück
ſchreibt, wie das Meiſte, was ich geleſen habe, nicht gegen-
wärtig; und du ſprichſt mir davon wie zu einer Mad. Staël,
die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du ſchreibſt gut
über ſeine Art zu ſchreiben; ich aber wünſche nun ſchon von
ihm eine ſtrengere Manier; du weißt, ich will die Schriftſtel-
ler ſchreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier.
Von mir hat ſich Herr Clemens, wie ich von einem Öſterrei-
cher in ſeiner Naivetät erfahren habe, wieder plaiſant geäu-
ßert; was er geſagt hatte, wollte mir der Menſch gleich nicht
erzählen, als er ſah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen
Begehren ich haſtig danach fragte, und das Ganze wieder be-
ſchönigen. Ich that das gleich ſelbſt: und erfuhr auch nicht
was er geſagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är-
gert mich nur in ſo weit, als es der etwanigen Bekanntſchaft
zwiſchen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge-
faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachläſſig-
oder abgeneigt dazu machen muß: ich fürchte mich aber gar
[9] nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge-
winnen: ich weiß was er ſich an Menſchen wünſchen muß;
und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn,
er aber nicht mich geleſen hat. Daß er aber nicht beſonnen
genug iſt, lieber über eine ausgezeichnete Perſon, die er nicht
kennt, nichts zu ſagen und zu meinen, das verdrießt mich am
meiſten; und daß ſein Innres, ſein Schickſal und das ſeiner
Freunde, ihn nicht dazu beſtimmen, grade das Gegentheil von
gemeinen, rohen, weitſchichtigen Urtheilen zu denken; wie ich
es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer,
von der ich dir neulich ſchrieb; die mich gut, mehr als noch
rein menſchlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr
machte, ehe ſie wußte, wer ich war; und als ſie es erfuhr,
nicht ſchön ſich über mich äußerte, und ich ſchäme mich zu ſa-
gen, nicht wahr; — ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche
Ungünſtige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor-
ſtellung die Perſon fehlte, auf die alles ankommt: ich ſah ſie,
und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus
Beſcheidenheit, gegen ſie, darin feſt hielt. Sie hat unaus-
ſprechlich dadurch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich
einer Solchen, aber ordinair ſein, nicht. Dies lies ihm alles.
— Warum lobſt du mich auch ſo ſehr! Lieber! dann kann
man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe
es aber doch! Lieb’ und lobe mich nur! kommen doch ſchlechte
Menſchen durch falſches Lob empor; ſo müſſen beſſere, da
man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes
gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und
ich will eſſen. Adieu Lieber!


[10]

Das Komiſchſte in der Welt iſt, daß ich ganz überleſen,
und unbedacht geleſen hatte, daß Clemens ſchreibt: „Da wir
ja auch über Rahel, Fouqué, Arnim, und Grimm, und mich
ſelbſt anderer Meinung ſind“ ꝛc. ich alſo eine Art Rolle in
dem Streit, und in den vorgelegten Verſöhnungspunkten habe!
Wenn du es nun für unſchicklich und arrogant ſcheinend an-
ſiehſt, theile ihm das Obige nicht mit: arrogant, weil es ſo
ſehr unperſönlich war. Ich habe erſt jetzt ſeinen Brief noch
Einmal geleſen; und was ich ſchrieb, bezog ſich auf Sonſti-
ges. — Vorzüglich aber war alles darauf gemünzt, daß ich
ihm gut bin. — Wie erkenne ich dich an den Zitaten, wo du
ihm „peinlich“ warſt! bei ſolchen Dingen kannſt du auch zur
Pein werden! Ich würde gar Abends nicht ſchreiben, ſollte
der Brief morgen nicht auf die Poſt, und ich für einen letzten
Tag immer Störungen, von Menſchen, Geſchäften, Aufträgen,
und Kränklichkeit fürchte. Du mußt gar nicht recht nachrech-
nen, wie ſchnell ein Brief geht oder nicht, wenn du ſagen
kannſt in deiner Seele, R. ſchreibt ſo lange nicht. Nun leſe
ich deinen Kritzelbrief bei Lichte noch Einmal, und dann will
ich antworten. Fettig Papier und eine Gräuelfeder habe ich! —


Lieber Varnhagen! Wenn du Goethen ſchreibſt, laſſ’ ihm
nur rechte Zeit, und ihn durch wahre Beſcheidenheit ſehen,
wie hoch du ſeinen weiſen gütigen Brief ſchätzeſt. Marwitz
hat mir ganz göttlich drüber geſchrieben, und kann die Güte,
den Ton des Briefs nicht genug bewundern. Der iſt unſer
Konfident. Was der von Goethe alles ſchreibt und ſagt,
möchte ich ihm auch ſpediren. Ich — für mein Theil, bin
[11] ganz beſchämt und geſtört, daß ich ihn nicht mehr ſo heimlich
liebe; und daſtehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig
bleiben; denn ich ſelbſt, kann es nicht ſo herausſpinnen aus
dem Herzen, und weiß ich, was er noch ſchreibt und thut?
was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu ſagen, wenn
ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft ſein Leben ſie wieder
macht; wie ſie auf mich fallen, auf mich: und was ich manch-
mal glücklich redneriſch erſchöpfend antworten kann, wie ich
manchmal königlich ſchweige, zur höchſten Konfuſion der Re-
denden, nicht weil ich ſchweigen will, weil ich ſchweigen muß:
und ſie ſehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor-
ten an Stellen im Buche ſelbſt zu verweiſen; „Überleſen Sie
doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe ſelbſt giebt, den Ge-
ſichtspunkt, den er für ſolche Biographieen angiebt, daß er die
Zeit ſchildert in bewußter meiſterhafter Unſchuld: zeigt und
ſagt, wie ſich ein Menſch in und an ihr entwickelt, entwicklen
kann und muß.“ So frug mich Graf Egloffſtein eigends in
einem dazu angeſtellten Beſuch: „Was denken Sie von Goe-
the’s Leben?“ Erſt wollt’ ich nicht reden; er brachte mich
doch dahin. Ich konnte ihm in ſehr klaren, bündigen —
nicht meine Force — Worten eine ordentliche Erklärung vor-
tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für
ihn neuen Gedanken, und ſagte, ganz ehrlich und froh am
Ende: „Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint.“ Der
muß mir nun in die Leſekabinette, und das Caſino und ſeine
tauſend Geſellſchaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei-
nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babyloniſch
iſt die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetſcher ſein
[12] muß! Siehſt du, daß ich Recht habe, Bentheim ſo zu lieben?
Auch auf mich haben die bibliſchen Stellen den größten Ein-
druck gemacht, als die reinſte beauté. Wie erhaben, wie
abgezogen: das reifſte Beſchauen und Begründen aller Ge-
ſchichte, mit dem unbefangenſten, kindlichſten Auffaſſen ge-
paart! Wie göttlich! Mein alter Spruch: widerſprechende
Eigenſchaften, in Harmonie gebracht, machen den großen
Mann. — Das Buch hat aber das größte Aufſehen gemacht,
und hat die größten Verehrer, wüthendſten Anhänger. Wolf
ſagt, zweitauſend Exemplare wären gleich weggeweſen. Schede
bracht’ es mir ehrlich; die vergöttern es. —


— Es tutet 12 Uhr. Noch ein Wort. Varnhagen! ich
ſehe dir ernſt in die Augen; und ſchmeichle dir ſehr jetzt! Miß-
verſtehe meine Worte nicht, die ohne Ton und Blick hier ſte-
hen! — Vergiß nicht, daß deine Freiheit mir das Wichtigſte
iſt, und ſein muß — nicht aus Pflicht etwa verſtanden —
und daß es ganz von dir abhängt, daß auch deine Nähe mich
ſehr glücklich macht. Nur laß mich zu Oſtern deine Pläne
wiſſen. Gute Nacht! —



Es war grade ſo wie ich es befürchtet heute, mit den
Störungen, die langweiligſten, gräßlichſten, und doch unver-
mutheten, mich überfallenden Familienbeſuche, und Frauenbe-
ſuche, ich bin ganz erſtorben. Gnädiger Gott! dergleichen
ertrag’ ich nicht mehr. — Daß Joſephine P. ſo beſchränkt iſt,
weiß ich ſehr wohl: dies allein machte, daß ich nicht gleich,
als ich ſie kannte, bei ihr blieb. Nicht allein ich will mich
abſolut mit höchſter Einſicht nicht beſchränken; und hätte ich
[13] eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil
zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte
dieſe meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle
meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir
finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch
keine! —


Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie
Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab-
zuwarten“. In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch
ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob
man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab’ ich
Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem
Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne
ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg,
wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die
Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute,
die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber-
lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!


An Varnhagen, in Prag.



Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten,
alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht
ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir
beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus-
gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver-
[14] zweifelt, klage aber aus dem reinſten, tiefgefühlteſten, ſtärkſten
Ekel nicht mehr: bin auch ſeit geſtern, ohne alle Urſache, au-
ßer, daß ich in einigen Tagen der [Zerſtreuungen] wegen, die
mir meines Bruders junge Ehe abzwingt, gar nicht zu leſen
verſucht habe, körperlich vergnügt, wegen zwei Nächten Schlafs.
Vorgeſtern hatte ich die Familien, Hamburger Fremde, Minna
Spazier, die ich oft und gerne ſehe, Fouqué und Marwitz zum
Thee. Wolf, der Minna kennen lernen wollte, ließ mir
ſpät abſagen. Marwitz war ſeit Freitag bis geſtern in Erb-
geſchäften hier. Wir ſprachen uns ganz klar.


— Ich kenne ſehr wohl dieſe Art von Beweisführung,
und Aufbauung von Syſtemen; jeden beliebigen Punkt in
der Natur kann man ſich wählen, und daherum den Reſt des
Univerſums ſpielen und ſich bewegen laſſen: geſchieht dies aber
befangen und eigenſinnig, ſo mag der Erfinder noch ſo geiſt-
reich ſein, er wird närriſch, und riskirt es zu bleiben. Ein
großartiges Verfolgen aller nur zu erfindenden Syſteme, ein
ſolches Losſagen davon, ein ſtarkes Ergeben in alle Möglich-
keiten, die ein höherer Geiſt in ſeinen Händen hält, ein na-
türliches Anerkennen der Dinge, die für uns ſind, ein ehrliches
Verfahren in den Tiefen unſers eignen Geiſtes, dies dünkt
mich iſt fromm, und gottgefällig; und gefällig allen ſeinen
Geſandten und Geweihten. Basta!


Frau von Fouqué ſah ich zweimal, einen Mittag aß ſie
unverhofft, — weil ſie mich Einmal verfehlt, und keine andere
Zeit mehr hatte, — mit ihren Töchtern bei mir, Marwitz blieb
auch, Hanne hatte ich für Clara genöthigt. Frau von Fouqué
iſt ganz liebenswürdig. Äußerſt wahr in allem. Ganz
[15] natürlich: und freundſchaftlich und gut mit mir. Sie hat
unſer Aller höchſten Beifall. Heute Morgen iſt Robert mit
ihnen nach Nennhauſen gereiſt. Sie frug mich nach dir, und
nach deiner Uniform, und meinte, ſie müßte dir ſehr gut
ſtehen. Sie iſt in allem ſo gütig und unbefangen, als wie
ſie dies ſagte.


Geſtern ſchickte mir Schleierm. was ich dir hier einlege.
Alſo der iſt gut mir dir. Wenn du kommſt, Lieber, ich bitte
dich, mache nur alle Leute wieder gut und keine neue böſe;
es iſt mir unerträglich; und in jedem Briefe werd’ ich dich
darum bitten müſſen. Ich bin gar keine Zänke und Scenen
gewohnt; und eine gewiſſe Tagesruhe und Ebenheit iſt der
ganze Reſt menſchlichen Glücks, was ich beſitze; dies und
perſönliche Unabhängigkeit, ſehr von meiner Börſe, aber von
keinem Menſchen beſchränkt. Ich bitte dich um Gottes willen!
raube und ſtöre mir dies Letzte nicht!! — Und warum auch
dies, Varnhagen? Du haſt grade alle Mittel, dich bei Men-
ſchen angenehm zu machen — und dies wird deiner Lage nach
noch beſonders nöthig — und bei mir auch: wollteſt du das
nicht? Ich bin mit Marwitz und Andern ganze Tage, und
ganz vertraut: und nie entſteht eine Scene; und keiner als
du macht mir ſolchen Vorwurf: und mit dir zanken ſich ſo
Viele. Auch weißt du’s ſehr gut. Du liebſt mich ja! Laß
mich’s empfinden! Leids iſt mir bei allen Himmeln genug
geſchehen! Mich loben und lieben von neuem, trotz meiner
äußerſt beſchränkten Lage, alle Klaſſen von Menſchen meiner
Geſelligkeit wegen: ſie iſt nichts als Güte: und die wollteſt du
nicht fühlen? ſie uns läugnen? Nein: du wirſt beſſer ſein! —


[16]

Nun möcht’ ich dir am Ende des Bogens gerne für alle
deine Liebesworte danken; ich habe dir eben in dieſem Briefe
nicht geſchmeichelt; ſei verſichert, ich fühle ein jedes, und
nehme es in’s Herz auf, wie es aus deinem kommt: das iſt
die Hauptſache; und ſo wird auch kein Betragen an mir vor-
beigleiten. Du biſt noch über niemanden ſo tief und klar-
ſehend geweſen, als über Clemens Brentano, und ſo wohlbe-
redt und worttreffend: ich meine nicht allein in deinem letzten
Briefe; ich fand’s ſchon früherhin, vergaß aber öfters es dir
zu ſagen. Sei wahr gegen ihn und ſanft. Seine Schweſter
ſollte die vorige Woche eintreffen, ich weiß nicht, ob ſie ge-
kommen iſt. Fichte, mein lieber Herr und Meiſter, hat mich
durch Fouqué grüßen laſſen, und mir Vorwürfe machen laſ-
ſen, daß ich ihn nicht ſehe: mir ſehr erwünſcht: aber ich kann
nicht in die Kälte gehen; ſie iſt jetzt erſt ſtreng. Grüß und
pflege Joſephinen: es iſt ganz ſo wie du von ihr ſagſt. —


An Varnhagen, in Prag.



— Ich bin allein, ohne leſen zu können, — ſeit drei Ta-
gen geht es etwas — und ohne Menſchen ertragen zu kön-
nen: unzufrieden mit den Geſchwiſtern. Ohne Luft, Muſik,
Augen-Weide, oder nur-Punkt. Ohne Hoffnung für irgend
ein Glück, oder Amüſement; den Sommer fürchtend: und
ganz
in einem großen Meer, von zahlloſen Tropfen
des Mißlingens. Ohne Narrheit, ohne eine jene Welt.
Denn
[17] Denn dieſe iſt mir eben ſo gut eine jene. Kurz! in der lang-
weiligſten Verzweiflung! Es dauert zu lange; zur Probe,
zur Buße, zu was es ſei. Für ein edles Geſchöpf. — — Auf
dies Leben hoff’ ich nicht mehr. Ich kenne nichts Elenderes,
als ſo bis ſechzig hinan zu warten; mit Hoffnung. — Mir
geht’s ja Schritt vor Schritt ſchlechter durch jedes événement
durch! Und kein Freund: kein Menſch kann mir nur ſagen,
thun Sie dies, oder das: es iſt nichts zu thun. Es geht ihr
gut genug, denken ſie dumpf, nicht deutlich: die mich am we-
nigſten
haſſen. Freunde laſſen es geſchehen. Erſchöſſ’ ich
mich: wunderten ſie ſich, wie über Kleiſt. Dieſe Begräbniß-
feier, mich nicht zu wundern, habe ich ihm wenigſtens ge-
halten! —


Du biſt der Einzige auf der Erde, der mir begegnet biſt,
der da fühlt und weiß, bei dem es immer rege iſt, wie über-
natürlich ſchlecht es mir geht. Wie keine Antwort auf alle
Anforderungen des Lebens meiner Natur kam. Nie. Davon
biſt du ergriffen, und das iſt ein großer Theil deiner Liebe zu
mir. Für dein Aug’ allein, iſt das ſchreckliche Schauſpiel da!


Hätteſt du mich ſelbſt gemordet, und ein Bewußtſein
ſchwämme noch auf der Erde, ſo würde ich dich dafür wieder
mit Liebe erfaſſen müſſen, wie jetzt. Das wollt’ ich dir längſt
gerne ausdrücken; und jetzt iſt’s Schuldigkeit; und es geht oft,
und immer, lieblicher in mir her, als ich’s jetzt in Krankheit
und aller und jeder Betrübniß aufſetze. Das weißt du auch;
und dieſe Wurzel trug dir Liebeszweige, und auch manche
Blüthe. — War es Eitelkeit, ſo nahm meine Eitelkeit den
Weg, auf dem ich dachte: er wird mich anders, als die an-
II. 2
[18] dern Frauen behandeln; Neigung ſcheint ihn zu mir zu füh-
ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge-
wachſen. Ich ſtehe auch als Freund hoch über allen bei dir. —


— So irrſt du auch, mein lieber Freund, und ſagſt dir
durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorſagſt:
„Man lebt unwachſam in die Jugendjahre hinein, und ſieht
ſich unerwartet zum Böſewicht geworden aus einem guten
Kinde.“ Ein Kind iſt ein unentwickelt unberührtes Ding, und
immer gut, weil ſein Toben gegen Tiſche, Stühle und Spiel-
zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerſtörung
man ihm nicht anrechnet; ſo iſt’s nicht ſchlecht, im Mangel
der Begriffe höchſtens! Aber die Jugendjahre ſind die tugend-
ſamſten, ſchönſten, aufflammendſten; ich verzeihe grade der
Jugend nichts Schlechtes. Das iſt gewiß ein faules Pro-
dukt: wo die höchſte Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht-
ſinnig kann tobende Jugend wohl ſein, aber nur gegen ſich
ſelbſt. Ja, eine edle glaubt gar nicht, daß man Andere
beeinträchtigen, verletzen kann. Erſt ſpät, wenn man ſelbſt
dahin iſt; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum
finden kann, noch Stelle zum Bleiben, iſt es möglich, daß
man endlich ſich entſchließt, ſich Platz zu machen, und ſollten
auch Andere — doch Verwundete und Verwunder — eine
Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er
ſelbſt die wahre Jugend durch ſolche Handlung von ſich ab-
ſtreift. Wenn ich Staatsgeſetze zu geben hätte: ſo ſchützte
Tollheit keinen Verbrecher vor Todesſtrafe, wenn ſich ſeine
Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene ſteht, anhöbe; wenn
er ſich ſelbſt verletzt, kann er nach dem Tollhauſe.


[19]

„Glaube mich nicht ſchwach: ich habe Frevelmuth genug
in mir, um weiter zu leben, Beſonnenheit genug, um in Thä-
tigkeiten zu beſtehen, für die mir kein Gemüth und kein Geiſt
bleibt!“ So ſchreibſt du mir im letzten Brief; nicht geden-
kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: „Ich ſtehe
hoch über meinen Fehlern.“ So, mein ſehr Lieber, denk’ ich
von dir: und habe es dir ſchon öfter geſagt: „Das iſt ein
gebildeter Menſch, der ſeine Anlagen bezwingt, wenn Natur
nicht gnädig gegen ihn war; der ſie nur in ſich einſieht; ſie
ermeſſend behandlen, iſt einen Schritt weiter.“ So ungefähr
ſagte ich. Du ſtehſt als der Gebildetſten Einer mit deiner
Einſicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund!
haſſe ſie immer, nenne ſie dir, bekämpfe ſie. Du liebſt ja
das Schöne ſo in Andern, biſt ſo gerecht, ſo tapfer in der
Aufweiſung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich ſelbſt
urbar, wo Dürre gelaſſen iſt, und laß dich von deinen Freun-
den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher
alles heilender, weicher Zuſtand dies iſt.


Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängſtigt
mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und
Liebe wohl anſehen. Du ſprichſt von meinem „Talent“!?
hab’ ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu faſſen;
und manchmal barock, in komiſch- oder tragiſcher Hülle, es zu
nennen was ich ſah. Mein Unglück — ſag’ ich ja ſchon lange
— iſt zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir
auch nie geholfen. Ich bin eine Falſchgeborne, und ſollte eine
Hochgeborne, eine ſchöne Hülle für meinen innren wohl ergie-
bigen Grund ſein! Eher hätteſt du ihm von meinen wirklich
2 *
[20] vielen Verbindungen und Bekanntſchaften ſprechen ſollen.
Darauf zielten auch ſeine Fragen; und er merkte es wohl,
der Merker par excellence, daß es eine ſolche Perſon ſein
müſſe. Doch wie es ſei! Und ſieht er mich je, ſo wird er ſchon
wiſſen, was — Gebratenes — an mir iſt. Adieu. Indeſſen!

Lebwohl!


An Varnhagen, in Prag.



Heute vor dem Finſterwerden gab man mir deinen Brief,
wo der über mich geſchriebene an die Gräfin Pachta drin lag.
— Mit großen Liebespulſen antwortete mein Innerſtes auf
jedes deiner Liebesworte, und Sehnſucht, der Wunſch dich zu
ſprechen, bildete ſich in meiner Seele. Gewiß ſah ich dich
mein in einem gewiſſen Sinn auf ewig, und ſo antwortete
ich auch dir. Ich freute mich, daß mein Montag abgegan-
gener Brief dir jede Antwort auf den heutigen eigentlich ſchon
im voraus brachte. Mit einem ſchwer aus dem Herzen drin-
genden Seufzer ſah ich den an Joſephine an, ſtand der zu
gebeugten Seele, des Körpers wegen an, ihn zu leſen, und
gedrängt von mir ſelbſt, that ich’s doch. Ach lieber Freund,
in welch Geſchrei zu Gott, und Herzpochen für Schmerz,
fiel ich nach dem Leſen. Alles weiß ich: jedes hab’ ich wohl
ſelbſt hundertmal in verſchiedenen Briefen, wo von mir endlich
alles ſteht, ſelbſt geſagt. Aber wie gräuelhaft, wie rettungs-
los, wenn es auch von außen, wie Mauren, ausgeſprochen
[21] von fremdem Geiſt, uns entgegentritt. Ach, warum mußteſt
du mich auch jetzt ſchon ſo ſtark halten, daß heute dieſer Brief
kam. Ich fühlte mich eben ſo krank, daß ich es nicht mehr
zu ſcheiden wußte, wer den andern erſt ſo gemacht hatte, Ge-
danke oder Körper; aber durch lange Tage und Nächte durch,
hatte ich mir die ſchärfſte, genauſte, unumſtößlichſte Rechen-
ſchaft noch Einmal gegeben, wo die wahre Wendung meines
Weſens geſchah, welche mein ganzes Schickſal gründen mußte:
denn eine gewaltſame, nicht liebliche iſt vorgefallen; und
Karakter bildet Schickſal, Naturingredienzien ſo oder ſo ge-
ſtellt. Ereigniß, und Gründe, erwog ich noch Einmal! und
ach! zu was als humilité — ich kann das deutſche Wort nicht
finden — zu Verzweiflung der Edlen, konnte dies führen.
Und wie zu einem Chore kam dein Brief die Tragödie voll-
kommen zu machen. Laß es dir nicht leid ſein, auch viel Liebe
habe ich darin erfahren; und mein noch lebendes Herz hat
ſie wohl, ja ganz erkannt. Ärgeres noch, als in deinem pa-
négyrique
ſteht, ſagt ſich die arme ausgeſetzte Rahel! Dies
können die Menſchen glauben, du weißt es; wenn Großes,
Beſonderes in ihr iſt, ſo iſt es das; ſie weiß, was in ihrem
Kreiſe iſt, und ſieht und ſagt ſich das Härteſte, wie wohl ſel-
ten ein Menſch dies auf der Erde that. Und ſo kann ich
ſagen, mein Schmerz und mein Verluſt iſt unendlich; darum
verſtehe ich auch alle andern — Schmerzen, — darum iſt auch
der Verdruß immer ſo groß, wenn du, der Einzige, dem ich
ſo bekannt bin, der Engel, den mir Gott mit Troſt in meine
Zeit ſchickte, wenn der abſpringt, und mich ärgern mag, oder,
welches eins iſt, ſich ſelbſt mit einemmale fehlt! — Aus die-
[22] ſem Geſichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir!
Freilich muß ich mit dir ſtrenger und härter ſein, als mit
Allen: von dir ganz allein fordert’ und erwartet’ ich; und
thu es noch.


Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinzufallenden
Müdigkeit, mußt’ ich dir noch heute ſagen. Sonſt verliere
ich die Worte, die tiefſte Stimmung wieder. Als ich ganz
müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute
fürchtete — ich ſollte ihr Geheimrath Wolf zitiren laſſen, kam
meine älteſte Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich
weinte langſam immer fort, in des Mädchens Gegenwart,
nämlich mein Herz und meine Augen. Doch ſprach ich oft,
und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchmal ganz
ſchweigen muß, iſt das das Höchſte. Minna kam Gottlob
nicht, und ſo konnt’ ich Wolf auch weglaſſen. Schlaf recht
wohl! — Die blinden rohen Leute! — mir geſchähe das bei
einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele
hätte! — mich unweiblich zu finden: iſt das weiblich, ſich
auf Menſchen und Schickſal ohne Wahl wie auf ein Lot-
terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder
Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie
erlaubſt du deinen Menſchen ſich zu verſperren! ganz
klein, ganz klein! Nun fällt’s mir erſt wieder ein! Dein
Brief an Joſephinen ließ mir mich wieder ſehen, wie eine
Todte, ein Geiſt ohne Blut und Leben, der neben ſeinem
an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große
Natur! iſt es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je-
mand zu faſſen, in einen Begriff, als wir es auszuſprechen
[23] vermögen! Sonſt wär’ ich ja auch wohl, in Gottes Gnade,
ſchon todt hingeſchlagen. Gute Nacht!



Ich habe eine ſchlechte Nacht gehabt, nicht möglich ein-
zuſchlafen: — am Morgen, wo ich denn immer einſchlafe,
ſtellten ſich Hähne vor mein Fenſter, und wetteiferten in ihrem
abominablen Geſchrei auf’s genauſte. — Am Ende ließ ich ſie
wegjagen. So iſt’s auf den Straßen unſerer edlen Stadt.
Hühnerhorden! Dann ſchlief ich noch ein wenig. Ich ſehe
ſehr deteriorirt aus. Natürlich! Krank, keine Luft, keine
Zerſtreuung keiner Art. — Sonſt, wie ich die Behülfliche —
mit meinen ewig geringen Mittlen — ſein konnte, ging alles:
aber an wen kann, ſoll ich mich wenden! Auch iſt meine
ganze Geſellſchaft zerſtört, zerſtreut, todt, arm. Dabei, bei
dieſem Knappen, bin ich Dankbarkeit ſchuldig, und zur Laſt;
denen, die ich meiden möchte unter den beſten Bedingungen;
was ich am meiſten fürchtete, wogegen ich fünfzehn Jahre
rang, muß ich bis auf den Boden leeren. — — Es ſind nun
ſechs Wochen, daß ich ganz zu Hauſe bin — wie oft und lang
vorher! — und nichts geht bei mir vor, als kleine unange-
nehme Häuslichkeiten: und ich habe keine andere Senſation
von außen, als die ich mir ſelbſt gebe! Entſchuldige alſo
mein endliches Zuſammenbrechen. Du haſt ganz außerordent-
lich das reine, unbefangene, kraftvolle Zuhören und Auffaſſen
von Joſephine in deinem Briefe ausdrücken können! Dieſe
Schönheit der Seele, die nur ein Zeichen von andern Schön-
heiten iſt, gewann ihr meine ehrende Liebe mit zuerſt. Ach!
[24] und was will die; ſie war ſchön, und edelgeboren! Bei
Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele ſind eben ſo
ſchön und ſo viel werth. Worin hält ſie ſich wohl für weib-
licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für
ſie
! „Anmuth,“ Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber
ſo ſcheinen: denn du biſt wirklich der Menſch, bei dem ich
anfing: ſollte von Liebe die Rede ſein, auch zu fordern. —
In der Erſcheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie
des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab’ ich noch. Wann
findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech-
ten Pulsſchlag gegen irgend eine Kreatur! — will ich für
mich beſonders mehr? Nicht für alle Menſchen, und Thiere
faſt, daſſelbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter
gelaſſen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute?
„Hülfreich, edel und gut!“ wie’s Goethe gebeut. O! Gott!


Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz iſt gekommen mit
Erneſtine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß
Hr. von Knorr eben ſo delikat für dich war, als er für ſich
ſelbſt würde geweſen ſein, alſo bin ich über deine Angelegen-
heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger
Rollen, ſondern die Orſina, Maria Stuart, und in dem ver-
bannten Amor, ohne Beifall geſpielt: das will aber gar nichts
gegen ſie ſagen: weil ſie hier nur ihre Alten mit den alten
Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in’s The-
ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim
recht beſonders von mir, ich denke ſehr oft an ihn mit großer
Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über-
ſetzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich ſchäme
[25] mich, daß man dies in unſrer Litteratur finden wird, und
wundere mich zum Tod, daß ein Buchhändler es angenommen
hat. Neumann ſehe ich nicht mehr. Frau von Fouqué hat
mir mit Robert geſchrieben, der fünf Wochen bei ihnen war.
Ich werde ihr antworten. Das Briefchen iſt gut, tüchtig, und
wahrhaft. Viele Empfehlungen an Hrn. von Noſtitz! Vor-
geſtern ſpielte die Longhi. Sie gefiel nicht: das Publikum
ſagt, ſie reißt die Harfe. Wenn es Recht hat, nenne ich es
das Publikum.

Adieu. R. R.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



„Allgegenwärt’ger Balſam allheilender Natur.“ Auch dem
menſchlichen Geiſte muß ſo etwas beigegeben ſein; ein ſeliges
Vergeſſen, ein nur auf ein Maß Zeit gegebenes Faſſen des
Unheils; und auch ich habe ſchon öfters empfunden die Unzu-
länglichkeit in mir des Verzweiflens und Unglückaufnehmens.
Denn ſo eben wollt’ ich losſchreien über der Franzoſen Ver-
geßlichkeit! Sie machen, ſo lange die Revolution währt, und
beſonders die in Frankreich, und in ihren Büchren ſeit der
Zeit, als hätte es dergleichen noch gar nicht gegeben. Und
was war dieſe Revolution gegen Karls VI Regierung! Chauf-
feurs
, Septembriſeurs, Verräther, an Bürgern und König,
gab’s aus allen Klaſſen; Mord, Mordenlaſſen, falſche Eide,
wozu die Religion und ihre erſten Diener in Anſpruch und
zu Zeugen genommen waren, war Tagesſitte. — Frankreich
[26] iſt das bewunderungswürdigſte Land! Erſtlich, begreife ich
nicht, wo in einer ganzen ſolchen Zeit nur eine Ernte, eine
Ausſaat, eine Fabrikation zu Stande kam; und dann, wie
in wenigen ruhigen Regierungsjahren ſich eine ſo freundlich
feine Sitte bilden konnte, die das Muſter der übrigen Erde
wurde. Das ſind wahrlich ächte Menſchen; ſehr bös, ſehr
vergeßlich, und leichtſinnig; ſehr religions- und ehrbedürftig,
geſchickt und zerſtörend, geiſtreich und roh; und ganz unbe-
greiflich. Und ſolche unbegreifliche Unſinne gehen vor! oder
iſt das nur der Verfaſſer der Memoiren? Welch entſetzliches
Aufheben wird von Johanns von Burgund Ermordung ge-
macht, als wenn er ein unſchuldig Täubchen wäre, und der
Herzog von Orleans von ſeinem Girren umgefallen wäre?
Als Johann den vor, — oder hinter, kurz beim Ausgang einer
Kirche — morden ließ, und es drei Tage nachher ſelbſt ge-
ſtand, geſchah nichts; als kriegen, welches immer ſeinen Gang
hatte; und als Mörder, Mörder eines königlichen Prinzen,
eines Verwandten, war nicht von ihm die Rede. Wiſſen Sie,
was ich bemerke, woraus großentheils das Unglück der Zeiten
beſteht? Daß eine immer in die andere greift; und nicht die
neue in die alte, ſondern die alte noch in die neue. Frank-
reichs Unglück, zum Exempel, hätte damals gar nicht ſo wach-
ſen können, wären nicht ſo viele feſte Schlöſſer dort, ſo viele
kleine Gebiete, ſo verflochtene Herrſchaften vorhanden gewe-
ſen; und der Sinn und die Meinung all der Beſitzer davon:
daß ſie theils eigenmächtig und wehrſtändig ſind, und theils
das Recht haben einen Lehnsherrn nach Belieben zu wählen.
Von den Vilains war nur beiläufig die Rede, und das durch
[27] die frömmſten weiſeſten Leute, deren immer nur wenige ſein
können. Was ich hier geſagt habe, heißt nur mit andern
Worten: Schade, und Jammer! daß der Geiſt unſerm Aus-
üben auf Erden immer vor iſt; welches ſich ewig von neuem
zu unſerer Qual und Schmerz wiedererzeugt. Ich kann gar
nicht raiſonniren, wie Sie ſehen; weil ich immer bis zum Erd-
ball, der Menſchen Geiſt, und dem lieben Gott komme; und
dann an dem Berg ſtehe: und ein Raiſonnement ſoll ſchreiten.
Aber ich wollte meinem Geſchichtsprofeſſor mich doch auch Ein-
mal produziren: und ihm zeigen, daß ich mir Gedanken bei
Leſung derſelben mache; welches mir mit Gedächtniß noch
ſchwerer gelänge. — Nun warte ich auf einen Brief von Ih-
nen! bis mir etwas einfällt. —



Wer weiß, ob man mich ſo lange allein laſſen wird, bis
ich Ihnen ein paar Zeilen werde geſchrieben haben! Sie ſe-
hen, Undankbarſter, wann dieſer Brief angefangen iſt. Sie
ſind ſtumm, und ſchicken mir auch kein Buch; und nun muß
ich mit meinem Leſen warten. Dazwiſchen leſe ich, wenn ſie
mich nicht ſtören, ein altes Buch, den Streit von Mendels-
ſohn und Jacobi betreffend, den ein gradgeſinnter, vernunft-
rechter Menſch darlegt; Mendelsſohn hat Unrecht. Dieſer
letztere aber hat, welches dabeigebunden iſt, die Schrift eines
engliſchen Juden [Manaſſeh Ben Israel] überſetzt, und eine
Vorrede dazu geſchrieben, die meine Bewunderung ausmacht,
ſo elegant und beſonnen iſt ſie geſchrieben; auch das Buch
könnte, nein, ſollte, den jetzigen Überſetzern ein Muſter abge-
[28] ben. Des Juden Buch betrifft ſeines Volkes Zuſtand in Eu-
ropa, und die Auseinanderſetzung der Gründe an die engliſche
Regierung, aus welchen ſie ſie bei ſich aufnehmen ſollte: es
iſt im Original engliſch; der Verfaſſer lebte zu Cromwells Zeit
in Amſterdam, und bekam die Erlaubniß, nach England hin-
über zu gehen. Er ſchreibt einen ſehr ſchönen Brief an einen
vornehmen Engländer. (Ich, die unter Friedrich Wilhelm von
Preußen lebt, ſchrieb vorgeſtern einen großen original-deut-
ſchen Brief an Frau von Fouqué; welches mich abhielt, dem
Ritter von der Marwitz, meinem Freunde, zu ſchreiben.) Unter
einem Uſurpator, wie man’s nennt, regt ſich die Menſchheit,
es ſei unter (entre heißt dies „unter“) welchen ſcheuslichen
Larven und Geſtalten es wolle, immer; dünkt mich. Könnt’
ich doch Einmal ganz ausſprechen, wie die Geſchichte vor mei-
nem Geiſte liegt. Iſt es nicht Jammer und Schade, daß ich
die Geſchichte nicht weiß, wie Sie? Nein! ſo viel, wie bei
und an mir, iſt lange nicht verwahrloſt worden! Sind Sie
noch zerſtreut, lieber Hamlet? Hamlet, wegen: „Zweifle,
ob die Wahrheit lüge“ ꝛc.


— Die Menſchen zu einer Höhe zwingen, und haben, wo
ſie ſich nicht halten können, iſt wahrlich ſchülerhaft. Aber
nichts iſt ſchwerer wieder mit aus der Welt zu nehmen, als
der Drang nach Bewunderung, Liebe, Wohlwollen; die Reich-
und Weichherzigen übereilen ſich dieſe Schätze auszuſchütten;
und nur ſehr wenige, auch mit Maß und großer Stärke, zu
jenen Gaben, Begabte, ſind weiſe vor dem großen Defizit.
Ich bin es mit und während (!) der größten Einſicht nicht.
Da ſteh’ ich wieder! Feſt hatt’ ich mir vorgenommen, nicht
[29] mehr von mir zu ſprechen: wie von einem ausgegangenen
Baum: an deſſen Stelle endlich neue Pflanzungen kommen
müſſen. Mein Geiſt lebt aber noch: und wie ſoll ſich der an-
ders nennen, als: ich? Mit mir ſteht es höchſt elend. Meine
innerſte Geſundheit ſcheint erſchüttert; und außer meinen Ge-
ſchwiſtern merken’s alle Menſchen an meiner ganzen Haltung
und Weiſe; auch ich fühle es, auf alle Weiſe, von der ſtum-
pfeſten Eitelloſigkeit, bis zum konvulſiven Schmerz — Schrei
der Thränen —, und in wahrer Verzweiflung bin ich, wenn
ich glaube, ich würde nicht wieder geſund, und ſo hingepeitſcht
bis in’s taube, ſtumme Grab: ohne Geſundheits gefühl vor-
her; jedoch lodert mein Geiſt immer von neuem wieder auf,
als ſchüttete man große Behälter voll Schwefel auf eine
Flamme; der ſie zu dämpfen ſcheint, und furchtbar nährt.
Dies kann ich denn den Freunden nicht, nicht einmal jeder
Umgebung, verbergen. Immer noch Einmal überdenke ich das
Überdachte, kombinire es zu andern Gegenſtänden des Denkens,
und es muß paſſen. Theils bin ich dazu gezwungen; theils
geht das in meinem Kopf wie in einem Gebiete vor, wo ich
nur das Hinſehen habe; wie große Vegetationen, die ſich die
atmoſphäriſchen Kräfte unter einander ſelbſt verleihen, in dem
einmaligen zum Leben gezauberten Daſein! Mein unſchuldig-
ſter, und auch leidenloſeſter, faſt amüſanter Moment iſt, wenn
ich ganz neugierig werde, wie das noch mit mir und allem
werden wird.


Ich war auch in der Komödie, wo ich das Opferfeſt habe
ſpielen ſehen. Dies iſt doch die größte Marter, die man ſich
anthun kann: ſich durch ſchmerzbringende Töne, und Verkehrt-
[30] heiten, ſtillſitzend, und zur Bewunderung einer Maſſe von
Menſchen, die doch alle acht Groſchen haben, beweiſen zu laſ-
ſen, wie entfernt unſere Nation von aller Kunſt iſt; durch
zehnfach mißverſtandene Ausübung einer, die die meiſten ge-
braucht, und, wie jede von ihnen, alle in ſich begreift; einer
Kunſt, die den Menſchen ſo natürlich iſt, daß ſie durch eine
Schule von verrenkten Ein- und Anſichten erſt aus ihnen muß
ausgerottet werden: von welcher Schule — wie ſelten gelingt
dergleichen! — Rebenſtein ein lebendiges Ideal iſt; zur ſicht-
baren Glorie des großen Meiſters. Amen! Ich brauche Luft! denn
ich ſchöpfte nicht Athem vor Disguſt. Leben Sie wohl! Und ver-
dienen Sie ſolche lange Briefe durch eben ſo lange.

R. R.


Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.



Rahel erzählte, wie ſie, während des albernſten Geſprächs
Anderer, die tiefſten, göttlichſten Gedanken gehabt habe. „Nein,
Marwitz, ſagte ſie, und es flog mir wie ein Strom, über den
lauter ſolche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer-
ken ihn gar nicht, weil ſie nur das Grüne ſehn.“


„Und wir ſprachen wie der Wind, der hoch über die Erde
weggeht, und die Erde merkt es gar nicht“ ſagte ſie ein an-
dermal von einem leidenſchaftlichen Geſpräch, daß ſie in Ge-
genwart inſipider Menſchen geführt hatte.


[31]

Von der Staĕl ſagte Rahel: „die nichts hat, als einen
mich inkommodirenden Sturmwind. Es iſt nichts Stilles in ihr.“


Ich erinnerte ſie an die Stelle in Schleiermachers Weih-
nachtsfeier, wo die Kleine die Muſik findet: („Ach Muſik,
große Muſik, Muſik für mein ganzes Leben! Kinder, ihr
ſollt ſingen!“) — „O Gott, gnädiger Gott! rief ſie ganz lei-
denſchaftlich aus, wie kannſt du ſo etwas erlauben von dei-
nem geiſtreichen Prieſter!“ — Wir lachten.


Von Schleiermachers Kritik der Ethik: „Es iſt wie eine
Fabrik von Hämmern, die das Höchſte arbeiten, aber ſelbſt
nicht das Höchſte ſind.“


Von der Orangerie im Maxiſchen Garten, einem finſtern,
inwendig verfallenen ſchmutzigen Loche mit großen trüben Fen-
ſtern: „Das ſei die Reſidenz des Gottes der Spinnen; da
hauſe er, ganz hypochondriſch, von allen Göttern entfernt und
mit ihnen verzürnt.“


Wir redeten von den unbequemen öſterreichiſchen Wurſt-
wagen, und wie lächerlich es an dem alten Ligne ſei, daß er,
um den jungen zu ſpielen, darauf herum fahre. „Der, ſagte
Rahel, ſollte ſich lieber Probe tragen laſſen auf einer Bahre,
um zu ſehen, ob ſeine Leiche es auch aushalten und nicht
etwa wieder lebendig werden würde.“ Denſelben, in einer
gewiſſen Uniform, nannte ſie den „Polizeikönig.“


[32]

An Frau von Fouqué, in Nennhauſen.



Eh Sie mir noch geſchrieben haben, hätte ich Ihnen ſchrei-
ben können: und bei mir iſt es gewiß, daß wir uns ſehr
verſtehen würden; ſich zu verſtehen iſt ja das urgenteſte und
menſchlichſte Bedürfniß der Menſchen; woran ſie zwar ſo
häufig, aber doch nur durch ein paar Urſachen verhindert
werden. Sie wollen entweder aus kleineren Abſichten, in
denen ſie ſich verlieren, lügen; oder ſie ſind unverſtändig, und
die feinen Spitzen der Sinne, woraus der Sinn beſteht, feh-
len ihnen. Sie, liebe Frau von Fouqué, erſcheinen mir
wahrhaft und verſtändig; und die innigſte Freundſchaft un-
ter uns würde mir weniger auffallen, als ein Stillſtand in
unſerer Bekanntſchaft. Dieſe Meinung flößten Sie mir gleich
ein, und jedesmal, daß ich Sie ſah, wurde ich darüber ſiche-
rer. Um ſo mehr aber möchte ich Ihnen danken für Ihre An-
rede, und für die Art derſelben; läßt man nicht oft das Köſt-
lichſte, zumeiſt für uns Beſtimmte, aus abgeſtumpftem Muth,
endlicher Läſſigkeit, und immer zunehmender äußerer Zer-
ſtreuung ſeitab liegen; und greift nach unwerthen Dingen,
an die man die Tage und Kräfte in Unmuth und Feigheit,
hingiebt! Mein Dank, daß Sie mir geſchrieben haben, muß
ſich als Bewunderung äußern, daß es Ihnen möglich war,
auf Anforderung eines Andern einen ſo weichen, lieben, na-
türlichen Brief zu ſchreiben! Mich dünkt, ich hätte es nicht
vermocht. Künftig aber, Liebe, ſchicken Sie mir nie wieder
einen
[33] einen offenen Brief; mir iſt, als entflöge den Zeilen geiſtiger
Duft, wenn meine Augen nicht die erſten ſind, die ſie leſen:
mein Vorurtheil geht ſo weit, daß ich mir ein Gewiſſen dar-
aus mache, einem Freund, wie es doch manchmal kommt, eine
Stelle zu zeigen, ehe ich einen Brief zu ſeinem Herrn ſchicke.
— Glauben Sie es, liebe Frau von Fouqué, ich war ſehr
ſaiſirt, bei der Stelle in Ihrem Briefe, die Sie einen Schrei
nennen, und noch ehe Sie ſie ſo nannten. Was verſtehen
Sie darunter: „Ich habe mich unzähligemal verloren?“ War
Ihr Herz veräußert? Oder konnten Sie ſich lange vor Ih-
rem innren Gerichte nicht vorfinden? „Aber ich finde mich
wieder. Das iſt gut, aber macht nicht gut.“ (Dies der
Schrei.) Iſt meine zweite Frage Ihr Fall, ſo glaube ich, das
Wiederfinden macht auch gut.


An ſich arbeiten; klar machen, was uns verwirrt und
drückt; und wären es die größten Schmerzen, zum größten
Bankrutt führend, heißt ja gut ſein: Faſern und Nerven,
Wünſche in uns, können wir doch nicht ausſtreichen: und ſoll-
ten dieſe allein nicht heilig ſein, nicht mit der Scheu der
Frömmigkeit betrachtet, behandelt werden, als andere Werke
und Feſtſtellungen der Natur, ja als der tiefe Hang, das
große Bedürfniß, recht zu thun, in uns? Ich fühle ganz, daß
es nur Ein unerträgliches Übel giebt: wenn man dies Be-
dürfniß nicht befriedigt hat, und das Gewiſſen krank iſt. Na-
türlich, dies iſt das uns gelaſſene Gebiet; und wir quälten,
hätten wir die Mittel, an ſie zu kommen, wie wir ſie bei
uns ſelbſt haben, Andere eben ſo, bis wir hätten, was wir
vermiſſen, und was uns recht und ſchön in jedem Falle dünkt.
II. 3
[34] Kann man aber mehr thun, als ſich ändern, reinigen, beſſern?
Hat man Macht über geſchehene Dinge? Gäbe man nicht
Leben und Glück, um manches wieder herzuſtellen? Gehört
das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten
Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebſte! beſonders
was Sie unter „verloren“ verſtehn.


Sie dieſen Sommer zu beſuchen, gehört unter die Lieb-
linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu-
ſammen ſehen, aus uns hervorholen, ſprechen, ſpazirengehen,
und ſo gewiß „durch einander lernen!“ Im Freien, von Ge-
meinem abgewandt, neben Geſcheidten zu ſein, kann eine Se-
ligkeit ſein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich
nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig
ſagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre
in Ihrem Dorf ein Wirths- oder anderes Haus, wo ich mich
einmiethen könnte. Beſuchte ich Sie nur allein, nur Frau
von Fouqué, ſo ginge alles an: aber ſo würde ich mich im-
mer als Gaſt der andern Herrſchaften auch fühlen, und mich
gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was
haben die von dir, und was ſollen die von dir denken! Ich
habe kein Talent, als mein Daſein, und damit können Sie
nur zufrieden ſein: bin nichts, und ohne agrément. Dann habe
ich keine — beſonders jetzt — ſchußfeſte Geſundheit; und bin
leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewiſſe Bequemlich-
keiten miſſen ſoll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur
Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta-
gesſtunden ganz unfähig, unter Menſchen zu bleiben; wo aber
grade die Hausgeſellſchaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäſte
[35] verlangte. Nun bin ich nicht ſo hinfällig, daß ich nicht trotz
dieſen Bedürfniſſen leben und bleiben könnte, aber auf keine
angenehme Weiſe für mich: und in einem Vergnügen, in einer
Freude, je n’aime pas à pâtir, zu vermiſſen, geſtört zu ſein.
Sie verſtehen das Leben; ich füge kein Wort hinzu.


Es iſt mir gewiß lieb, meinen Bruder ſo gut bei Ihnen
zu wiſſen: und es gehört mit zu den vorzüglichſten Gütern
auf der Welt für ihn, daß er Sie Freundin, und Ihr Haus
als ein ihm wohlwollendes ſich nennen kann. Mein innerſtes
Herz gönnt es ihm! Und ſo zag’ ich faſt, ein Wort über ſein
Stück zu ſagen, welches von Ihrem großmüthigen Urtheil ſo
weit überflügelt wird! Ich kann mit zwei Worten ſagen:
Die Behandlung des Stücks entſpricht dem energiſchen Plan,
der kräftigen Konzeption deſſelben nicht. Für mich ein das
Ganze überſchreiender Mißton; weil er aus der tiefſten Tiefe
des Ganzen, ja des ganzen Seins des Dichters, herauf tönt.
Die Geſpräche ſind matt für dieſe Situationen: bei nah kein
allgemeingültiger Spruch, die Leiden und Leidenſchaft ſo
gern, als ewige Sentenzen für die Verhältniſſe ausſtößt, die
ſie hemmen, drücken, und eigentlich hervorbringen! u. ſ. w.
Was Sie davon rühmen, bleibt doch wahr; aber mit dem,
was ihm fehlt, hätte es ein zerreißender Geſang bleiben kön-
nen, über einen von der Geſchichte hervorgebrachten Mißſtand,
den künftige Zeiten noch immer hätten verſtehen und nach-
ſingen müſſen, und wären ſie längſt ſchon in neuen Verwir-
rungen befangen. Wie wir noch von Sklaven ſingen, und
ganz verſtehen, was das bei alten Völkern hieß, und zu-
wege bringen mußte! — Dies der Wahrheit zum Opfer;
3 *
[36] ungern taſt’ ich Robert in dieſem Stücke, bei Ihnen an!
Über Geiſtesprodukte, Kunſtgegenſtände, iſt es mir unmöglich
zu ſprechen, und meine Meinung zu verſtecken; dieſen Ge-
ſchöpfen giebt der Urtheilende das Urtheil mit Leben: ſie kön-
nen, mein’ ich, nicht beſtehen, zur Exiſtenz kommen, kann das
Urtheil ſie nicht durchlaſſen. So lange Robert weg war, war
ich krank, und konnte nicht ſchreiben. Haben Sie die Gnade,
dies Hrn. von Fouqué mit vielem Dank von mir, und die
liebſten Grüße zu ſagen. Noch bin ich ſchwach, und das Schrei-
ben wird mir ſchwer: aus dieſer Urſach muß mir auch Frau
von Fouqué verzeihen, daß ich nicht gleich antwortete. Sonſt
ſchreib’ ich wohl gerne, oder vielmehr lange, wenn ich anfange.
Wie hier ſteht! Geſtern Abend war den halben Abend von
Fouqué’s die Rede bei mir; Mad. Spazier war bei mir, und
die frug Roberten auf’s Blut über dieſes Paar aus: ich fiel
ihm oft in die Rede, und dozirte mit.


Mit Marwitz ſprech’ ich ſehr oft von Frau von Fouqué:
der iſt eine ſcharfe Acciſe, oder vielmehr eine ſehr großartige,
auf einfache Art organiſirte. Lobt und preiſt Sie ſehr, und
läßt Sie breit durch: jedesmal für mich eine neue Fete. Ich
empfehle mich auf’s beſte dem Fräulein Clara; ich wäre gewiß
auf den Ball gekommen, konnte aber kein Billet bekommen,
und war ſchon zu krank-ſchwer, um Himmel und Hölle um-
zukehren. —


Sie antworten mir bald?! les mains jointes!


[37]

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



Sittliche Menſchen, die keine Narren ſind, geſtellt wie
wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein
vom Tod berührt. Ich habe mich längſt gewundert, keinen
ſolchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieſes Wun-
ders und meiner Behauptung, ſind zu oft, zu lange darge-
legt in allen meinen Briefen an Sie! „Grau in Grau.“
Dies ſind meine Worte ſchon vor Jahren an Varnhagen.
So ſollen die friſcheſten, bibliſchten, ich meine frömmſten, le-
bendigſten, Gemüther ausdauren müſſen? Mir mir iſt es
nur noch ſchrecklicher! Sie wiſſen, wo ich mit meinem Verge-
hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenloſe Angſt,
und Sorge den Fuß auf mich geſetzt. Angſt vor Exceſſen —
von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es
nur beſtreiten ſoll. Dieſe beiden niedrigſten Affekte, oder was
es ſonſt iſt, ſteht meine Seele, wie ſie iſt, lebendig nicht aus;
ſie ſchrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl’ ich. Die
edlern Klagen, das gerechte Vermiſſen, ſchweigen; und wenn
ich auch jetzt für Ruhe, Glück und Seligkeit dem Himmel
verpfände, ſo weiß ich von allem doch wie es iſt. Wie mir
iſt, iſt keinem Gefangenen, und keinem König im übelſten
Zuſtand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom-
miſſair und einen Bedienten als Einquartierung; der Herr
aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines
Glück, welches ſich in jeder Viertelſtunde ändern kann.
[38] Ich ſehe niemand, gehe nicht aus: und fürchte mich unver-
nünftig. Sie haben mir vortrefflich geſchrieben: und das Ge-
fühl darüber wend’ ich dazu an, daß es mir wenigſtens die
Kraft geben ſoll einen Brief zu ſchreiben, wenn auch nicht zu
antworten. Ja mein theurer Mitmenſch! — mehr noch als
zufälliger Freund — Sie drücken es aus, wie man über Gott
nicht ſprechen kann. Wenn der Begriff eines ſolchen Daſeins
nicht die Gränze des unſrigen iſt, was iſt er denn! Eine
gränzenloſe Unterwerfung muß es ſein jedesmal, von etwas
Unendlichem erzeugt, was in uns vorgeht, was wir auffaſ-
ſen! — Schneidende Meſſer ſind es mir, wenn ſie ſo dreiſt
weg von Gott ſprechen, wie von einem Amtsrath; und grade
den Stummen, Übererfüllten, von ihm (ihm!) abwendig glau-
ben. Dieſe Empfindungen machen mir auch jetzt wieder in der
Bibel alle Reden und Geſetze in der Wüſte. Ich werde mei-
ner Nation ganz abgewandt; wenn ich auch Moſes die Ge-
rechtigkeit muß widerfahren laſſen, daß er’s mit ſechsmalhun-
derttauſend Jungvolk nöthig hatte. Gräßlich geſchrieben und
vorgetragen iſt es gewiß. Nur bis nach Joſephs Geſchichte
iſt es ſchön; ſo weit ich bin. —


Ich brachte dieſe Woche Schl. einen Theil von Heinrich
Kleiſts Erzählungen wieder, und wollte von ihm ein Buch,
und griff Spinoza. Ich leſe ihn. Den habe ich mir zeitle-
bens anders gedacht. Ich verſtehe ihn ſehr gut. Fichte iſt
viel ſchwerer. Es iſt ſonderbar; mir kommt immer vor, als
ſagten alle Philoſophen daſſelbe; wenn ſie nicht ſeicht ſind.
Sie machen ſich andere Terminologieen, die man ehrlich, gleich
annehmen kann; und den Unterſchied find’ ich nur darin, daß
[39] ſich ein jeder bei einem andern Nichtwiſſen beruhigt; entweder
aus einem ſolchen ſeine Deduktion anfängt, oder ſie dahin-
führt, oder, weniger ſtreng, es mit drunter laufen läßt. Spi-
noza gefällt mir ſehr; er denkt ſehr ehrlich, und kommt bis
zum tiefſten Abſoluteſten und drückt es aus; und hat den
ſchönen Karakter des Denkers; unperſönlich, mild, ſtill; in der
Tiefe beſchäftigt, und davon geſchickt. „Von den Gemüths-
bewegungen“ ennuyirt mich; weil das Wichtige im „vom
Geiſte“ ſchon vorkommt, und wie ſich’s weiter fortbewegt mir
und uns Allen genug bekannt iſt; den abſtrakten, einſamen
Mann aber unterhielt, wie es ſcheint. So viel ich von Spi-
noza! Ich lieb’ ihn aber ſehr, den Mann. Wiſſen Sie, was
Fauſt Gretchen antwortet, als ſie ihn frägt: „Glaubſt du an
Gott?“ Das ſchönſte Gebet! Welch ſchöne Gebete ſtrömten
ſchon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der
Geiſt ſchon Gedanken empor! — Über — ch haben Sie Recht.
Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beſchrieben; wie
unſchuldig, wie ehrlich, und wie wirklich geſehen: das erfindet
man noch ſchwerer, als man’s ſieht. Das Abſpeiſen, neumo-
diſcher Art, mit dem Glaubensweſen, iſt meiner tiefſten Seele
zuwider. Einzeln ſteht dieſer Behelf: auf keinem Grund
und Boden erwachſen; nicht auf Güte, nicht auf keuſchem
Auffaſſen der Geſchichte, nicht auf Enthuſiasmus des göttlich-
ſten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was
Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf ſchlechte Weiſe,
wie Theater und Galerien beſucht werden, hauſen ſie und dis-
putiren, und verſchanzen ſie ſich gegen les ennuis (den „gro-
ßen Verdruß“) in’s neuerfundene Glaubensweſen hinein und
[40] herum! Und kaum paßt dies zur Wahrheit, die Sie mir von
— ch loben; und die ich glaube. Sie lieb’ ich doppelt wegen
Ihrem Brief, und Ihren Gebeten darin. Es giebt nichts
anders! Wer nicht in der Welt wie in einem Tempel um-
hergeht, der wird in ihr keinen finden.


Ich kann Ihnen nichts ſchreiben, — als: tröſten Sie
mich! Machen Sie mir Hoffnung zu Sommer, zu Luft, zu
Grünem!“ Zu anderm, als ich ſehe, was mich ganz
erdrückt. Leben Sie wohl! Varnhagen hat mir wieder einen
Liebesbrief geſchrieben, mit einer Einlage von Hrn. von No-
ſtitz an mich; recht artig in jeder Art. Antworten konnt’ ich
dem aus Unſeligkeit nicht. Varnhagen nur wenig, damit er
nicht denkt, ich ſei böſe. Was ihm Graf Golz geantwortet
hat, weiß ich nicht, da Neumann ſeit zehn Tagen bei Fouqué
iſt, und erſt morgen wiederkommen ſoll. — Ich wünſche Sie
wohl zu ſehen! — aber nicht zum Zeugen meiner Angſt. Kom-
men Sie! Adieu! Ach! wär’ ich auf einem ſchönen, ruhigen
Berg, und ſähe glückliche Familien!

Adieu! R. R.


Schl. fragte mich gleich höchſt freundlich nach Ihnen;
pour me plaire, glaub’ ich.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



Vorgeſtern Abend, lieber Marwitz, erhielt ich ein Schrei-
ben von Hrn. von Klewiz, worin mir geſagt wurde, ich würde
„nach dem Drang der Umſtände“ (?) geſchont werden, und
[41] ſollte künftig nur einen employés oder Offizier zur Einquar-
tierung haben. Von Hrn. Br. iſt weiter nichts erfolgt, dies
halte ich aber für eine Folge. Dies endlich danke ich Ihnen!
Ich war ſo ganz durchdrungen, wie Sie es nur ſein können,
von dem Opfer, welches Sie mir durch die Ihrem Sein ganz
unangemeſſenen und widerſprechenden Schritte auf dem Bureau
brachten. Aber ich habe es gefordert, und ließ es mir bringen;
weil Sie anders in meiner Seele ſtehen ſollen, als all die, die
ich wie Weihnachtspuppen in meinem Geiſte anſehe, denen
nur ich, und ſie mir nie leiſten. Jetzt iſt auch eine Zukunft:
und ich will nicht mit allen Verſprechungen und Erfüllungen
bis über das Grab hinausgeſchoben ſein! Ich leiſte was ich
vermag auch gleich, und ſtets: und meine Liebe und Achtung
iſt eine fruchtbringende; ſo ſollen meine Freunde auch ſein.
Sie ſind ſo gut wie ich: oder keine. Zu lange bin ich ver-
ächtlich ſchonend mit Schund umgegangen: mit wem ich ſo
rede, wie mit Ihnen, der muß ſein können, wie ich. Es ward
mir ſo ſchwer als Ihnen, Sie dahingehen zu laſſen — dies
glauben Sie! — aber lieber war mir alles, als auch Sie in
mir anzuklagen, und fahren zu laſſen! Sie werden nicht fin-
den, daß ich von einer Kleinigkeit eine zu große Wichtigkeit
mache: es iſt keine Kleinigkeit, was uns plagen kann: und es
iſt keine Kleinigkeit, ob der, den wir als Freund behandlen,
uns von dieſer Plage rettet, wenn er kann, oder nicht. „Des
Lebens Baum iſt friſch und grün,“ und will manchmal mit
der Scheere beſchnitten, mit Thätigkeit behandelt, mit dem
Meſſer geputzt ſein. Apropos! der Mahler Müller hat mir
göttliche Augenblicke erweckt, herbe häufige Thränen gekoſtet.
[42] Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und
ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an
dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat
weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht,
weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt. —


Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter-
wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz
an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie.
Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo-
lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch.
Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald.
Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald,
Luft; und bete darum. —


An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.



Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief
aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin;
Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach-
richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich
gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen
kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren
müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur
wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und
iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte
um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu
[43] häufig geſchieht! Den Verluſt meiner Mutter fühle ich alle
Tage herber, anſtatt daß dies Andenken ſich mildern ſollte.
Man wird mit dem Alter nur geſchickter, mit dem Alter ſich
zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzuſehen, was
es vermißt, was man ihm leiſten ſollte, und was es ausge-
ſtanden hat! Manchmal denke ich, meine Sehnſucht nach
meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha-
ben, das Vermiſſen ihrer, bei dem von andern wünſchenswer-
then Dingen, iſt eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch
zu große Zerſtreuung über mein Verhältniß zu ihr! — ob-
gleich ich mir keine beſtimmten Fehler gegen ſie habe zu Schul-
den kommen laſſen. Reue, Schmerz, Gram, Vermiſſen, alles
muß dazu dienen, uns frömmer, ſtiller, und nachdenklicher
über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir
iſt es wenigſtens der Fall; daß, ſeitdem ich gar keine Hoff-
nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerſte
verloren, und habe hingeben müſſen, ich nicht ſo ſtechendes
Unglück, als ſonſt fühle, und ruhiger die ſchönen Gegenſtände
der Natur anſehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle
Ihnen das, liebe Kouſine, weil auch Sie hart mit dem Glück
zu kämpfen haben; und dieſe Betrachtung, und mein Exem-
pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geiſt genom-
men hat, führen kann! Denken Sie feſt an Gott, Liebe! —
den man in großem Unglück findet; ich weiß es! — und daß
wir nichts ſelbſt machen, und veranſtalten können; wie wun-
derbar unſer ganzes Daſein, und unſer Tod iſt; daß die Höch-
ſten auf der Erde allem unter worfen ſind, was uns und
den Geringſten martert. Daß Sonne, Luft, Freiheit; Erquik-
[44] kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, ſelbſt in
der Lage, worin wir nun Einmal ſind. Ich wenigſtens war
ſchon ſo höchſt unglücklich, durch Leidenſchaft, Umſtände, Men-
ſchen, Kränkung, Sorge; ſo höchſt elend durch ſchwere lange
Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das
ganze Leben zu beſchauen, und aufzugeben. Sie haben ge-
wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich iſt Rahel
und deren Geſchwiſter gegen mich! und o! Gott! wie tief
elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge-
wünſcht, gehofft, nach dem ich — ſchon Unglück genug — das
Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entſagen; das iſt
mir verſagt, für ewig! Jetzt lebe ich allein; eingezogen,
ohne Geſellſchaft beinah; weil ich ſie nicht bewirthen kann,
und mich nach meinen Decken ſehr ſtrecken muß! Ich bin in
einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal ſpa-
ziren gehen, weil ich es allein, wollt’ ich auch ſo weit gehen,
nicht kann, und beinah nie Geſellſchaft dazu habe: und ſie
auch beinah vermeide, weil dies koſtſpielig iſt, wenn man nicht
auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein
Geld! Dies iſt meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie
gränzenlos; dies iſt jetzt meine Leidenſchaft. Ich bin einge-
geſperrt. Dabei hatte ich ſchwere Sorge, Angſt und Koſten,
mit Einquartierung, und habe ſie noch. Meine jüngern Brü-
der ſind verreiſt, mein älteſter wohnt mit den Seinen im Thier-
garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchſt ſelten
hinkomme. In die Komödie geh’ ich manchmal in neun Mo-
naten nicht; aus obenbenannten Urſachen, und weil ſie mir
nicht mehr ſo gefällt als ſonſt. Dieſen Winter war ich ſechs
[45] Wochen recht krank, dieſen Sommer vor zwei Jahren — jetzt
zwei Jahr — drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be-
ſonders vier Wochen einen heftigen Bruſtkrampf. Jetzt bin
ich recht geſund, und äußerſt vergnügt davon und darüber;
und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel ſpa-
ziren gehe — welches ich mich in der Stadt unterſtehe —
oder ſpät an meinem Fenſter ohne Licht den Himmel beſchaue,
oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge-
ſundheit habe, und mich doch Keiner quält; oder ſtören
darf; da denk’ ich denn an allerhand! Ich ſchreibe Ihnen
dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein
Exempel, welches Sie ſonſt vielleicht beneidet — nämlich meine
Lage — zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un-
glück! darin hat man ſie nicht, aber ſehr nöthig! Wenn
Sie mir wieder ſchreiben, laſſen Sie mich auch wiſſen, wie
Sie leben, wohnen, und ſind; ob Sie ein Kind bei ſich ha-
ben; womit Sie ſich beſchäftigen, ob Sie viel im Freien ſind,
dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntſchaf-
ten im Orte haben. Ich leſe viel; und habe liebe edle
Freunde; viele ſind todt; und die meiſten abweſend. Nur
Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann ſehe. Die
Muſik habe ich wegen Krankheiten ſehr vernachläſſiigen müſ-
ſen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe!
doch kann ich noch ſpielen. Ich ſehe nicht kränklich aus: ſon-
dern belebt und friſch. Die Natur hatte es gut mit mir im
Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; ſo wurde ich ge-
drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich
wohne neben meinem älteſten Bruder an, und ſehe die viel. —
[46] Schreiben Sie mir auch von den Kindern Ihrer Schweſter;
wir bekommen von Magdeburg keine Nachricht. Glauben
Sie nicht, liebe Kouſine, daß wenn ich etwas für Sie hätte,
ich mich erſt würde anreden laſſen um es Ihnen zu ſchicken.
Aber Sie haben doch Recht, mich angeſprochen zu haben, und
ich danke Ihnen aus Herzensgrunde für Ihr ſchönes Zutrauen!
Weil ich mir in Jahren kein Zeug machen laſſe, ſo habe ich
auch im Augenblick nichts, was ich Ihnen ſchicken kann: auch
keine Mittel, daß Sie ſich etwas anſchaffen könnten. Aber
es ſchadet doch nichts! ich will ſchon ſorgen und allerlei An-
ſtalt treffen, daß Sie nächſtens etwas erhalten! Leben Sie
wohl, ſchreiben Sie mir, wann die Luſt Ihnen ankommt: und
verlaſſen Sie ſich wenigſtens auf meine Geſinnung, wenn mir
auch die Mittel fehlen, ſie Ihnen thätlich zu bezeigen! Ihre
treue Kouſine Rahel. Meine Addreſſe iſt: Mlle. Rahel Ro-
bert, Behrenſtraße No. 48. Weiter nichts.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



Um fünf Uhr, lieber Freund, erhielt ich Ihren Brief von
Sonnabend. — Ich zog mich grade an; lief gleich nach der
Stadt — wo ich bis jetzt bleiben mußte — übermorgen ſoll
ich Beſcheid haben: da nichts gleich geht, und immer einige
Bedingungen obwalten. — Gott! was habe ich heute ſchon
für Menſchen geſprochen, für Verhältniſſe berührt, für drük-
kendes, klemmendes, darbendes Unglück nahe geſehn! Was
[47] erſpähe, was erfrage ich auch alles, wie iſt die Welt! Welche
Schickſale. Welche ſtille, ungerühmte Größe, Religion im
höchſten Sinn, lebt in Weibern, die ich in grasbewachſenen,
vergeſſenen Höfen fand. — Wie iſt alles anders, als es von
den berühmteſt Klügſten ausgeſchrieen, gedruckt, geleſen und
geglaubt wird!!! Gott weiß nur die Bewandtniſſe, die inneren
Herzensbeweggründe; und manche von ihm herabgelaſſene,
wahrhafte, unbetrügliche, einfache gute Menſchen. Mich hat
er auch dazu erwählt. Der furchtbringendſte Frevel wär’ es,
wenn es nicht wahr wäre, und ich es ſagte. Aber alle Tage
werde ich frömmer und innerlicher; und reinige mich mehr.
Und was ſah ich für Wolkenſpiele! Wie find’ ich durch ein
Wunder Gottes, einen neuen Sinn, neue Sinne möchte ich
ſagen, das Feld in der leibhaftigen Stadt?! Wie ſah ſie jetzt
eben erſt aus! Ich komme von der Spandauerſtraße über die
lange Brücke durch das Schloß über den Opernplatz. So
klingts nach nichts; wie war’s aber, wie ſah’s aus? Wie
war ich? Was hatte ich beſorgt? Welche Herzensbewegungen
gehabt? — In welchen Stimmungen bin ich mitten in Ber-
lin, in der Stadt, in der gleichgültigen Frevelſtadt, wie jede
iſt. Wie dankbar, wie hoffnungsreich für’s innere Leben,
und alle Exiſtenz dadurch: dabei las ich Athalie und Eſther
von Racine; mit ganz anderem Sinn, mit der größten Er-
hebung! O! könnte man ſeine Seele ſeinen Freunden zum
Genuß und Gebrauch ſchicken! Könnt’ ich Sie froh machen!
Manche ungewohnte Angſt und Sorge, ich weiß es, ſchleicht
um Ihr Herz. Ach! daß ein jeder ſeines leiden muß; und
Liebe, die ſo viel iſt, und hilft, ſo wenig helfen kann! Adieu!
[48] Donnerstag reiſt Minna; welch Schickſal hat die! Ich er-
warte ſie, ſie will ſich bei mir ausruhen, und etwas eſſen.
Adieu! Wir werden noch Freude haben, wenn nicht großes
Unglück kommt. —



Jung-Stillings Leben hat mich durchaus an Retif’s de
la Bretonne Leben erinnert. Beide ſind geiſtvoll genug, um
daß ihnen ihre eigene Wolluſt ein nothwendig zu löſendes
Problem ward. Auf Retif’s Seele waren die überſtarken
Sinne, und eine ſolche ſaftvolle Geſundheit wie Saiten aufge-
zogen; und durch dieſer Schwingungen Getön vermochte ſein
Geiſt erſt Rechenſchaft zu fordern, und abzulegen; woran ihn
eine große Gabe ſittlicher Anlagen mahnte: darum ſprechen
wir von ihm, und darum mußte er ſchreiben. Die Wollüſtig-
keit Stillings iſt ſchwächlicherer Art; und vergeht — wie man
verlaufen ſagt — ſich mehr, weil ſie in ein einfach reiner Ge-
biet übergreift, wo ſie gar nicht anzutreffen ſein ſoll. Er thut
ſich gut mit Religion, und iſt mit Wolluſt fromm. Er hat
aber den Vorzug vor Retif, daß in dem Gebiete der Forſchun-
gen über dieſes Lebens und unſeres Geiſtes Gränzen er mit
Einfällen begabt iſt; die er zu durchdenken wohl vermag. Das
iſt ſeine gehaltvolle, denkende, anreizende Seite; auch bleibt
er auf dieſer ehrlich, welches die größre Hälfte ſeines Lebens
verdient ſehr anziehend zu machen, wie ſie es auch thut. Mehr
zu Ende hat er zu viel Wohlgefallen und Gewohnheit genom-
men an der Mittheilung der wichtigſten und heiligſten ſeiner
innren Begegniſſe; er denkt nur an Mittheilen, an die Wir-
kung
[49] kung davon; und da er dies nicht deutlich weiß noch ausdrückt,
ſondern ſeine früheren Zuſtände auszudrücken glaubt, ſo ſcheint
er unwahr zu werden, da wo er ſich zu irren anfängt: inter-
eſſirt aber in der That nicht mehr ſo ſehr, als im Anfang,
und der Art nach ganz und gar nicht mehr.



Nün will ich meine fünf Träume aufſchreiben, in der
Folge, wie ſie mir träumten. Vor zehn Jahren hörte ich auf,
den erſten zu träumen, der mir wohl ſechs Jahre bald öfter
bald ſeltener träumte. Ich befand mich immer in einem vor-
nehmen bewohnten Palaſt, vor deſſen Fenſtern gleich ein groß-
artiger Garten begann; eine mäßige Terraſſe vor dem Ge-
bäude, und dann gleich große Linden und Kaſtanienbäume
auf einem beinah unregelmäßigen Platze, der zu Gängen,
Teichen, Laubgängen und dem Gewöhnlichen in ſolchen Gär-
ten führte. Die Zimmer des Gebäudes waren immer erhellt,
offen, und die Bewegung einer großen Aufwartung darin;
ſo ſah ich immer eine ganze Reihe geöffnet vor mir da; in
deren letztem eigentlich die Geſellſchaft der vornehmſten Per-
ſonen war, wovon ich jedoch keinen Einzelnen mir denken
konnte, obgleich ich ſie alle kannte, zu ihnen gehörte, und zu
ihnen hin ſollte. Dies aber, ungeachtet die Thüren offen
waren, und ich wohl ihre Rücken, an einem großen Spiel-
tiſche — wie eine Bank — ſah, konnte nie geſchehen. Mich
hinderte ein Unvermögen, eine Lähmung, die in der Luft der
Zimmer und in der Erhellung zu liegen ſchien; ich dachte mir
dieſe Hemmung nie im Ganzen, und glaubte nur jedesmal von
II. 4
[50] andern Zufälligkeiten gehindert zu ſein; und gedachte auch
jedesmal zu meiner Geſellſchaft zu kommen. Jedesmal aber,
wenn ich noch ſechs bis acht Zimmer von ihr entfernt war,
ſtellte ſich ein Thier in dem Zimmer ein, wo ich war, welchem
ich keinen Namen geben konnte, weil ſeines Gleichen nicht in
der Welt war; von der Größe eines dünneren Schafes, als
Schafe gewöhnlich ſind; rein und weiß wie unbetaſteter
Schnee; halb Schaf, halb Ziege, mit einer Art von Angola-
Haaren; bei der Schnauze röthlich wie der reinlichſte, rei-
zendſte Marmor, Aurorfarbe, die Pfoten eben ſo. Dieſes
Thier war mein Bekannter; ich wußte nicht, woher: es liebte
mich unendlich; und wußte es mir zu ſagen, und zu zeigen:
ich mußte es behandeln wie einen Menſchen. Es drückte mir
mit ſeinen Pfoten die Hände, und das ging mir jedesmal bis
in’s Herz; es ſah mich ſo voll Liebe an, wie ich mich nicht
erinnere eine größere in eines Menſchen Auge geſehen zu
haben; am gewöhnlichſten nahm es mich bei der Hand, und
da ich immer zur Geſellſchaft wollte, ſo durchſchritten wir die
Zimmer, ohne jemals hinzukommen; das Thier ſuchte mich
zärtlich, und als hätte es wichtige Urſachen, davon abzuhal-
ten; weil ich aber hinwollte, ſo ging es in Liebe gezwungen
immer mit. Nicht ſelten auf die ſonderbarſte Weiſe; die Pfoten
nämlich bis zum zweiten Gelenk unter den Dielen; durch die
ich auch nach einer andern Etage hinunter ſehen konnte, und
die doch feſt waren; manchmal ging auch ich ſo mit dem
Thiere; bald im Erdgeſchoß, bald eine Treppe hoch, meiſt
unten. Die Bedienten merkten gar nicht auf uns, obgleich ſie
uns ſahen; ich nannte dieſen liebenden Liebling mein Thier;
[51] und wenn ich eher da war, ſo fragte ich nach ihm: denn es
übte auch auf mich eine große Gewalt aus, und ich erinnere
mich nicht in meinem ganzen Leben wachend eine ſo den
Sinnen nach ſtarke Empfindung gefühlt zu haben, als mir
der bloße Händedruck dieſes Thieres machte. Dies aber war
es nicht allein, was meine Anhänglichkeit ausmachte; ſondern
ein herzüberſtrömendes Mitleid; und daß ich ganz allein
wußte, daß das Thier leiben, ſprechen konnte, und eine menſch-
liche Seele hatte. Beſonders aber hielt mich noch etwas Ge-
heimes: welches zum Theil auch darin beſtand, daß keiner
mein Thier ſah oder beachtete, als ich; daß es ſich an keinen
wandte; daß es ein tiefes vielbedeutendes Geheimniß zu ver-
ſchweigen ſchien, und daß ich nicht ungefähr wußte, wo es
war und hinging, wenn ich es nicht ſah. Doch befremdeten
und beunruhigten mich dieſe Dinge alle nicht Einmal bis zur
Frage an mich ſelbſt; und im Ganzen feſſelte mich des Thie-
res Liebe, und ſein anſcheinendes Leiden davon, und daß ich es
durch meine bloße Gegenwart ſo überirdiſch glücklich machte,
welches es mir immer zu zeigen wußte. Manchmal nur,
wenn es mich ſo bei der Hand führte, und ich ſie ihm innig
zärtlich wiederdrückte und wir uns in die Augen ſahen, ſo
erſchreckte mich der Gedanke plötzlich: Wie kannſt du einem
Thiere ſolche Liebkoſungen erzeigen: es iſt ja ein Thier! Es
blieb aber beim Alten; dieſe Auftritte wiederholten ſich mit
kleinen Abwechſelungen immer wieder: nämlich immer in
neuen Träumen: in demſelben Lokal. Es kam aber, daß ich
lange dieſen Traum nicht gehabt hatte; und als er mir das
erſtemal wieder träumte, ſo war alles da, das Schloß, die
4 *
[52] Zimmer, die Bedienten, der Garten, die Geſellſchaft; ich wollte
auch wieder hin; nur war etwas mehr Bewegung, und eine
Art Unruh in den Zimmern, ohne ſonſtige Störung noch Un-
ordnung; ich ſah mein Thier auch nicht; welches, wie mich
dünkte, mir ſchon ſehr oft gefehlt hatte, eine lange Zeit her;
ohne mich beſonders zu kränken noch zu befremden, obgleich
ich mit den Dienern des Hauſes davon geſprochen hatte. Weil
die unruhige Bewegung mich noch mehr ſtörte, als die ge-
wöhnliche Gewalt, die mich vom letzten Zimmer abhielt, ſo
trat ich de plain pied aus großen Glasfenſtern auf die Ter-
raſſe, die ſich bald in den Platz mit Bäumen ohne weitere
Gränze verlor; dort waren zwiſchen den alten Bäumen hin
und her helle Laternen auf großen Pfählen angezündet; ich
betrachtete müßig die erleuchteten Fenſter des Schloſſes, und
das prächtig beſchienene große Laub der Bäume: die Diener
liefen häufiger und mehr als ſonſt hin und wieder; ſie beach-
teten mich nicht, ich ſie nicht. Mit einemmale ſehe ich dicht
an einem großen Baumſtamm, halb auf ſeiner ſtarken Wur-
zel, mein Thier zuſammengekrümmt, mit verſtecktem Kopf, auf
dem Bauch ſchlafend liegen: es war ganz ſchwarz mit bor-
ſtigem Haar: Mein Thier! ſchrei ich, mein Thier iſt wieder
da; zu den Bedienten, die mit Geräthen in den Händen und
Servietten über den Schultern, in ihren Gängen bloß ge-
hemmt, aber nicht ganz nahe tretend, ſtehen bleiben. Es
ſchläft, ſag’ ich; und tippe es mit der Fußſpitze an, um es
ein wenig zu rütteln: in demſelben Augenblick ſchlägt es aber
über ſich um, fällt auseinander, und liegt platt da als Fell;
die rauche Seite auf der Erde, trocken und rein. „Es iſt ein
[53] Fell, es war alſo todt!“ rufe ich. Der Traum ſchwindet;
und nie hab’ ich wieder von dem ſchwarzen noch dem weißen
Thier geträumt. — —


In meinem dritten Traum befand ich mich auf einem
äußerſten Bollwerke einer ſehr anſehnlichen Feſtung, welches
ſich in breiter, flacher, ſandiger Ebne weit von dem Orte ab
hinausſtreckte. Es war heller lichter Mittag; und das Wetter
an dieſem Tage einer von den zu hellen Sonnenſcheinen, die
eine Art von Verzweiflen hervorbringen, weil ſie nichts Er-
quickliches haben, durch keine nahrhafte Luft dringen, oder
auf Gegenſtände fallen, die auch beruhigenden, ergrünten
Schatten werfen könnten. Dieſes Wetter wirkte um ſo mehr,
als die ganze Gegend aus dürrer, vegetationsloſer, ſandſteiniger
Erde, die ſich in wirklichem Sande verlief, beſtand; holperig
und uneben; wie Orte ausſehen, wo man Sand gräbt. Dieſer
zu helle und alles zu hell machende Sonnenſchein reizte mir
Augen und Nerven nur zu ſehr auf; und ängſtigte mich ſchon
auf eine eigne Weiſe. Man ſah auf der unſeligen Fläche
nichts; und der Eindruck davon war, als ob die Sonne zor-
nig durcheilte, dieſen nichtswürdigen Ort nicht gar umgehen
zu können! So ſtand ich dicht mit der Bruſt am Rande
dieſer alten Schanze — denn ſie war beſchädigt, wie vieles
umher — von einem ganzen Volke hinter mir gedrängt; dieſe
Menſchen waren alle wie Athenienſer angezogen, F. ſtand
neben mir, mit bloßem Haupte, wie ſie gekleidet, aber in
roſenfarbenem Taffent; ohne im geringſten lächerlich auszu-
ſehen. Ich ſollte von dieſer Schanze, die die letzte der ganzen
Feſtung war, hinunter geworfen werden; tief hinab; unter
[54] Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Feſtungs-
ſtücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und ſchrie zu F.,
der ihr König war, er möchte Ja ſagen! Er ſtand grauſam
verbiſſen da, und ſah nach der Tiefe: man ſchrie ſtärker und
heftiger, und forderte ſein Ja; immer dichter an mir; ſie
faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich ſuchte
ihm in die Augen zu ſehen, und ſchrie immer: „Du wirſt
doch nicht Ja ſagen?“ Er ſtand unbeweglich verlegen da;
verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja geſagt zu haben. „Du
wirſt doch nicht Ja ſagen?“ ſchrie ich wieder; das Volk ſchrie
auch: und er. „Ja!“ ſagte er. Man ergriff mich, ſtürzte
mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als
ich nach der letzten Tiefe kommen ſollte, erwachte ich.


Und wußte in tiefſter Seele wohl, wie F. gegen mich
war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als
ob die Geſchichte wahr geweſen wäre: ich war ſtill; aber ich
hatte mich nicht geirrt. —


Fünfter Traum. Dieſen ſchrieb ich Marwitz gleich
den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn
nicht vergeſſen wollte, und er mich ſehr affizirt hatte. — —



Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, dieſen
Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Menſch menſchliche
Geſchicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer
Einſicht, weil er es für mich als gut erkannte, dieſe Einwilli-
gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke
ich mir immer, und dieſer Gedanke nur kann mich tröſten für
[55] allen erlittenen, ſonſt unvergeltbaren, Schmerz. Vielleicht
war es nur ſo möglich, die Perſönlichkeit zu gewinnen, und
den Keim künftiger Erhebungen in gedeihlichern Exiſtenzen;
wenn es auch nur das wäre, was die unſelige Menſchheit
bedeuten ſoll, daß der bewußtloſe im Ganzen der Gottheit
aufgelöſet geweſene Lichtpunkt als Menſchenſeele in das ſelbſt-
ſtändige Daſein eines eigenen Ganzen göttlich hinüberginge!
O gewiß iſt es auf dieſe Weiſe; höher konnten meine Gedan-
ken nicht klimmen am Rande aller Wiſſenſchaft, und keine
Weisheit wurde mir bekannt, die höher gedrungen ſei. —


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



Hätte ich vorgeſtern Zeit gehabt, Ihnen zu antworten, ſo
hätten Sie einen ſehr guten Brief bekommen; ich hatte ihn
ſchon fertig im Kopfe. Jetzt eben hat man mir wieder die
Stimmung und Faſſung geraubt, als ich Ihren Brief noch
Einmal las, das Papier auf dem Tiſch lag, und ich grad
hinging. Mir kam ein Billet von Behrenhorſt, ein Brief von
Mad. Spazier aus Strelitz, ein Billet von einem unglückli-
chen jungen Menſchen. Auf das erſte mußte ich antworten,
den Brief konnt’ ich vor Kleinheit nicht ausleſen, das letzte
nimmt mich ein. Vorher war ich bei meiner Kranken, der Por-
tugieſin, mit dem Arzt, und beſorgte Küche, und Wirthſchaft
dort, für den ganzen Tag. Es geht ihr ſehr beſſer.


Brutus alſo ſagt mir, daß wir uns ſo bald nicht ſehen
[56] werden! (Brutus ſagt zum Caſſius bei Shakeſpeare: „Sehn
wir uns wieder, nun ſo lächeln wir,“ und darauf: „Wo nicht,
iſt wahrlich wohlgethan dies Scheiden.“) Wenn das Feld
meiner Seele zu böſen Ahndungen umgeackert wäre, ſo könn-
ten mich die Sprüche dieſer Römer ſorgen machen und trau-
rig machen; wie ſie unendlich, ganz unergründlich ſchön
ſind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu
ſehr beſchäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entſteht,
oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und
Anklang, die dieſer Spruch in jenen Gängen meiner Seele
aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich
nur Shakeſpeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt,
der ihm den Tod der Lady ankündigt, als ſchon alles verlo-
ren iſt, und er ſich zum letztenmal harniſcht, antworten läßt:
„Sie hätte ein andermal ſterben ſollen!“ —


Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten.
Wenn ich ſagte, Angſt und Sorge beſchleichen Ihr Herz: ſo
meint’ ich auch nur Angſt, daß Sie für Gemeines zu ſorgen
haben, und mit ihm handhaben müſſen; und daß, eben weil
Sie dies — auch aus großer Neuheit — nicht können, die
Sorge darum größer anwachſe, als ihre Natur es mit ſich
bringe. Ich ging ſo weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin
durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, deſſen Sie ſich
für Ihren Freund jetzt annehmen müſſen, etwas verhaßt würde,
und nicht mehr als ein Luſtort und eine Freiſtatt erſcheinen
würde, wo man müſſige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt.
Für’s Erſte nur, verſteht ſich. Ihr Brief iſt einer der ſchönſten,
die ich von Ihnen habe: Ihr darſtellendes mahleriſches Talent
[57] war darin recht wach; ſo haben Sie mir die Mutine — ſo
ſoll ſie heißen — und die Mutter überaus treffend geſchildert.
Ich ſage Ihnen frei heraus, ich war doch überraſcht von ihr.
Sie war ſo verdrießlich und ſtellte ſich ſo roh dar, daß es
mich auch in der Klaſſe, worin ſie gehört, und ich ſie ver-
muthen konnte, frappirte! Wie ich Ihnen ſchon ſchrieb, ſie
war ängſtlich, und bei ihr wurde dies zum höchſten Maulen,
ſo daß ſie nicht einmal hübſch war, was mich am meiſten
wunderte. Mein Reden, mein Zureden, meine Aufnahme, das
artige Haus, in das ſie kommen ſoll, die anſtändige Wirthin,
brachten ſie zu ſich ſelbſt; und es kamen Sonnenſcheine von
Jugend und Hübſchheit über ſie. — Doch über den geſtrigen
Abend, und über die Perſon mündlich. — Viel etwas Wichti-
geres! Das Mädchen iſt einmal fertig auf der Welt wie ſie
da iſt. Was ſich mit ihr zugetragen, iſt geſchehen; und dar-
um ganz gut. Jedes Ereigniß iſt roh, und nur das, was
wir daraus bilden; dies im menſchlichſten Vereine, des Geiſtes,
der Einſicht, und des beſten Willens zu thun, ſei unſer Werk!
Ich bin der Meinung, daß die neun dunklen Monate, die ein
Kind mit ſeiner Mutter zuzubringen hat, vom größten Ein-
fluß auf ſein ganzes Werden ſind; da das Kind meines wer-
den ſoll, und Sie verſprochen haben ihm Verſorger zu ſein,
ſo habe ich ſehr darauf beſtanden, daß es, auch noch blind,
ſchon in edlen, freundlichen, für die Mutter gewiß erhebenden
Umgebungen umhergetragen werde; und daß beſſere Sitte,
und Laune, ihm mit Gewalt, durch und in das Blut einge-
flößt werden! und aus dieſer großen Rückſicht eine Mehraus-
gabe nicht geſcheut. Nun haben Sie noch zu thun; denn
[58] der Menſch iſt ſterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde —
mir ſind junge Freunde und Bekannte genug geſtorben! —
ein Teſtament zu machen nach allen Formen und Rechten,
worin Sie beſtimmen, wie es mit dem Kinde gehalten ſein
ſoll, was es verzehren, und beſitzen ſoll. Beſäße ich nur et-
was, ſo würde ich ſo dringend wenigſtens nicht ſein. Aber
Sie wiſſen, ich habe kaum für mich ſelbſt: und ſtürbe ich, ſo
wäre das Geſchöpf eine arme Waiſe. Nehmen will ich es
mit Freuden; koſten ſoll es Sie natürlich nur, was es braucht;
dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. — Wie wir
alle Details zu verabreden haben, findet ſich noch. Sind Sie
meiner Meinung? Auch die ganz erſte Jugend, Umgebung,
und Behandlung halte ich für ſo wichtig.


Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beſchreiben:
mit den glücklichſten Worten. Voß auch! —


Von meiner Portugieſin mündlich! Der Süden ſcheint
mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: ſo mit
allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine
ſchöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein
Talent; aber all dieſen Mißlaut beſchwichtigt durch eine reine
Himmelsgabe: eine ewig innere Muſik, und in der Tiefe
nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderſeele! Wie
komme ich auf mich? und nicht unfreigebig!


Leſen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für ſechs
Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es geſtern vor
dem Zubettegehen, und weinte die herzlichſten Thränen darü-
ber; ſagen Sie, ob es Ihnen auch ſo vorkömmt. Daß man
dem Kinde viel vorgeredet hatte, ſehe ich auch; doch iſt’s ein
[59] Segen, und wunderbar; denn wahr iſt dies. Adieu, Ant-
wort! Und wenn Sie krank ſind, will ich’s wiſſen: die Frau
ſagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die
durch Ihren Brief gehen. Ich ſehe heute noch die Mutine.


R. R.


An Frau von Grotthuß, in Dresden.



Dein Brief war einer der ſchönſten: nämlich auch von
deinen! ſo reif, daß er ſüß war; ſo fertig, ſo ſanft; und ſo
alles und das Beſte vorausſetzend! Lange hat mir nichts
ſo gefallen, mich nichts ſo gefreut! — Lies auch Fernow’s
Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter-
weiſe ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein-
fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus
für eine kunſtfertige, bis zur höchſten glatteſten Einfachheit
geſteigerte Schreiberin erkenne. Je m’ineline profondément, et
avec le plus grand plaisir!
Weißt du nichts von Goethe?
Marwitz iſt in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von
mir; ich war im vorigen Herbſt mit Marwitz bei ihm. Unſer
Theater exiſtirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be-
zaubert. Er ſingt nach verſchiedenen Manieren, und keiner
Schule; ohne Leidenſchaft, noch irgend eine Stimmung oder
Tiefe. Kurz, er und ſeines Gleichen ſind von und für’s Pu-
blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt;
keine ernſte Muſe, kein Lächelblick irgend einer Grazie! —


[60]

Was du mir von deinen Gelübden ſagſt, verſtehe ich
ganz. Hält man dergleichen nicht, ſo würde man toll.
Nicht aus Gewiſſen; aber weil ſonſt nichts mehr wahr wäre. —


Lies auch Möſers von Osnabrück patriotiſche Phantaſien;
ſeine osnabrückiſche Geſchichte, ihre Vorrede; vermiſchte Schrif-
ten von ihm, und darin „über den Werth der wohlgewogenen
Neigungen“. Seite 14 und 22 beſonders. Göttlicher Mann!
Kein Neuer. —


Auch du müßteſt von Luft und Umſtänden geſund ge-
ſchmeichelt werden! Adieu. Gott ſchütze dich! Schreibe ja
ſehr bald!

R. R.


An Ludwig Robert, in Poſen.



Ich habe mehr als Pflicht erfüllt: ich habe die Räuber,
ſage die Räuber geſehen, und Kora von Kotzebue! Daß letz-
teres Stück wie es daſteht gegeben wird, macht den Sitten
der Deutſchen ächte Schande; daß es überhaupt gegeben wird,
zeigt von der groben Rohheit des größeren Publikums unſe-
rer Nation; daß Kotzebue es machte, von der Stümperhaf-
tigkeit ſeiner Begriffe und der völligen Plattheit ſeiner Ge-
ſinnungen, denn auf Einer Stufe ſtehen ſie darin gar nicht.
Den keuſchen Iffland, im Aufſtellen des Schicklichen und im
Bemühen der Geſchmacksreinigung, verſteh’ ich hierin nicht.
Unſere Schauſpieler verdienen wirklich ein ſittenreinigendes
Wollſpinnen, weil ſie dieſe leeren unanſtändigen Grobheiten
[61] mit Wohlgefallen ſpielten; in ihrem Sinne, als wäre es
Shakſpeariſcher Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch,
als es der Verfaſſer konzipirte, und ſich recht drin wälzten,
ohne doch eine nur verſtändliche Perſönlichkeit hervorzubrin-
gen, ſondern bloße Bretterunart, und ſonſt gar nichts. Eßlair
müßte ſolche Aufführungen tilgen helfen; und nicht ſie beför-
dern, veranlaſſen. Auch war es denn leider ganz leer zu mei-
nem Schrecke: obgleich er ungeſehen dies verdiente. — Er
ſieht trotz eines ſchlechtern Anzugs, als wir hier zu ſehen ge-
wöhnt ſind, nicht wie ein Hiſtrion, ſondern wie ein Menſch
aus; mit beweglichem regſamen Blick und Mienenſpiel, läng-
lich geſchnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau-
chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend-
lich viel geſpielt hat, und Beifall gewohnt iſt. Er hat eine
hohe Hervengeſtalt, und muß Halbgötter und phantaſtiſche
Menſchen ſehr ſchön darſtellen; eine Stimme wie ich ſie nie
hörte, mit einer ſo umfaſſenden, in allen Tönen einnehmenden
Skala. (Als er geſtern Morgen einen Augenblick bei mir
geweſen, und wegging, ſagte Dore: „Ein hübſcher Mann!“ —
Ja! — „Und er hat ſo was Sanftmüthiges an ſich.“ Sie
wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götterſtimme.)
Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht’
ich ſie nennen, die man, wenigſtens ich, nach den erſten fünf
Bewegungen vermißte. Schöne Füße für ſo große Geſtalt,
die jedoch nicht hinderlich erſcheint; und gar kein eitles Spiel
für Publikum; ſo iſt er öfters mit dem Rücken gegen die Zu-
ſchauer gekehrt, welches mir ſehr wohlgefällt, ich immer wünſche,
und nicht begreife warum darin die Schauſpieler ſo viel be-
[62] denklicher, aber nicht genug, als die Tänzer ſind; in jedem
Moment wird doch in keiner Rolle geſprochen, und da thut
eine lebhafte natürliche Wendung des Menſchen ſehr gut, und
belebt Schauſpieler und Zuſchauer. Es kommen ihm nicht
Einfälle genug in’s Gemüth, alſo fallen ihm nicht genug
Nüancen des Vortrags ein; und daher iſt er der Meinung
zu oft ſich in den Affekt ſetzen zu müſſen, in welchem man
gar nicht anders kann als ſchreien, dies iſt die Urſache,
warum er dies zu oft, und daher öfters ohne richtigen Grund
noch treffende Wirkung, thut; bei Leibe aber nicht für’s grö-
bere Parterre und deſſen groben Beifall, ſondern aus reinem
Irrthum und Mangel, aber doch verführt von der zu willi-
gen, alles leiſtenden Stimme, die ihm ſchon ſo herrlichen Bei-
fall ſchaffte, und Zeit ihres Lebens ſchaffen muß. In ſeinen
beſten Momenten erinnert er an Fleck und an Talma, wie
dieſer auch in ſeinen beſten an Fleck. Abſtrakte Mienen, des
ſich ſammelnden Gemüths, oder des Wendens der Seele zu
Himmel und Schickſal, haben ſie alle drei ſehr gleich. Er
ſpielt ſehr deutſch, und doch wie Einer, der die Franzoſen ge-
ſehen, erwogen und benutzt hat; dies in ſeinen theatraliſchen
Bewegungen, die er gehöriger Weiſe al fresco nimmt; aber
bei weitem nicht mannigfaltig und witzig genug: wie denn
Witz ihm in allem, was er auch gut leiſtet, am meiſten fehlt.
Dabei ſpielt er nach Stimmung und Eingebung; und aus
großer Routine auch mit Überlegung, womit er ſich klug genug
unterſtützt, wenn er ſich ſchwächeren Herzens fühlt. So gab
er die Räuber. In der Stelle, wo er die groben Ermahnun-
gen des Mönchs anzuhören hat, ſah er mit ſchwarzem, vorn
[63] aufgeklappten, mit rothen Federn in die Stirn gedrückten
Hute, gradauf ſtehend auf eine paſſende Streitaxt gelehnt,
außerordentlich gut, und menſchlich, und edel, lebendig zuhö-
rend aus; wie ein wirklicher Menſch, und hochartig. Auch
antwortete er in edelgefaßtem Schmerz dem Mönche ſehr
ſchön in den abgebrochenen Reden. Als er ſich erſchießen
wollte, ſpielte er meiſterhaft; eindringend verſtändig, verloren
forſchend, und unglücklich; mit den paſſendſten Gebärden; ſo
gelungen als möglich. Auch erſtach er das Mädchen ſo außer-
ordentlich als es nur möglich iſt; wie Fleck, wenn er ſo etwas
gut machte. Auch kann er ſehr ſchön ohne Worte sangloti-
ren
, il n’y a point de mot dans notre langue; Schluchzen al-
lein iſt es nicht, Wimmern und Schluchzen. Noch machte er
manches ſchön; ich rede vom Schönſten. Ja! noch Eins!
Er las den Brief des Vaters gleich zu Anfang göttlich, und
war in dem Zimmer zu Hauſe, wie nur große Schauſpieler,
wie Menſchen in ihren Zimmern, Helden. Er wurde den
Abend ſehr beklatſcht und herausgerufen: und es war jenes
Klatſchen in der Luft, welches ganz allein nach gutem Spiel
erfolgt, und nicht von der Menge der Hände abhängt. Vor-
geſtern ſpielte er Rolla bei leerem Hauſe; mit der Fähigkeit,
die du ihm nun kennſt; nahm aber die Rolle, eine Nüance
oder ein paar, franzöſiſcher; und die Rolle, ſage ich, lie-
ferte ihm nicht jene Momente, in denen er mir völligen Bei-
fall ablocken konnte. Er wurde wieder herausgerufen. Übri-
gens habe ich das Publikum noch nie gerechter gefunden;
wo ſie konnten, ehrten ſie den fremden Künſtler; wo ſie muß-
[64] ten, zeigten ſie ihren völligſten Beifall unbefangen gern, und
wahrlich ſie ſchienen’s beide Abende auch ganz zu verſtehn.


Eßlair macht einen ſo lieben Eindruck als Menſch, und
zeigt den in ſeinem ganzen Vortrag ſo, daß man ihn perſön-
lich lieben muß: dafür war ich ihm ſchon mit meinem ganzen
Herzen dankbar. Sein kleiner Beſuch hat ihn in meiner
Gunſt beſtätigt. Er hat etwas liebenswürdig Gütiges. Rauch-
taback roch ich, dies gehört diesmal zur fehlenden Nüance
von feinſter Welt. Er behauptet keine Zeit zu haben; er
eilte ſo, daß ich beinah nichts mit ihm ſprechen konnte, als
von deinen regrets, zu einer Probe vom Tell, der heute ge-
geben wird; hier die Austheilung. — Leb wohl! Ich bin zu
müde: ich habe einen kranken Kopf, und nur meine Theater-
leidenſchaft und du konnten mich ſchreiben machen. —


N. S. Er brachte mir einen Brief von J. S. — Meine
ganze Liebe wallt zu Flecks Grabe. Die Propheten, Dichter
und Künſtler, die Gottgeſandten, ſollten doch ſo lange die
Welt ſteht, leben, und nicht ſich deteriorirend altern, wie wir
Gemeinſten, Elendeſten. Ich bin heute völlig elend; in allem!
Eßlair bleibt nur bis den 14. Die Bethmann, die ich nach
der Probe ſprach, kann nicht genug erzählen, wie herrlich er
in Theſeus iſt, und wie über alle Maßen vortrefflich in der
Beichte; ſie ſagt, darin ſtellte er den Theſeus auf den Kopf.
Grad umgekehrt!



Als Mirabeau in Berlin war, ſah ich ihn, in bürgerli-
chem Anzug, ganz das Anſehn habend, wie die damaligen
Hof-
[65] Hofleute ſeiner Nation; in einfacher Kleidung, die, obſchon
vornehmer Geſellſchaftsrock, oder gar Kourkleidung, doch ſchon
ſehr nach dem nachherigen engliſchen Anzug hinneigte: er trug
ein leicht gekrauſt gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und
Strümpfe, und dazu paſſende Kleider; ohne Gold, Silber,
noch Stickerei. Er hatte dunkle, lebhafte Augen, die mit ſtar-
ken Augenbraunen dennoch weich blickten; war pockennarbig,
und breiter, aber nicht feiſter Geſtalt; er hatte das Anſehen,
wie Einer, der viel, und mit Vielen gelebt hat; auch bewegte
er ſich mehr, als die Leute von ſeiner Klaſſe pflegen: denn er
hatte nichts Kompaſſirtes; er zeigte ſich in den gleichgültig-
ſten, und kleinſten Bewegungen ſeiner Perſon, als ſehr thätig,
und als Einer, der alles ſelbſt unterſucht, kennen lernt, und
ergründet; ſo gebrauchte er ſeine Lorgnette, und ich möchte
ſagen ſein ganzes Ich. Er ging in die deutſche Komödie, in
die Kouliſſen: und brachte täglich ſeine Briefe ſelbſt auf die
Poſt, wo ich ihn zu halben und ganzen Stunden verweilen
ſah, während eine Dame und ſein achtjähriger Sohn ihn im
Wagen erwarteten. Mein Vater zeigte ihn mir als Nichts,
als den Grafen Mirabeau; ich wußte gar nichts von ihm:
und um ſo zuverläſſiger traue ich meinem damaligen Urtheil:
er machte einen guten Eindruck auf mich: obgleich er mir alt,
und nicht niedlich und hübſch vorkam; weil ich faſt ein Kind
war, und nur blonde ſchlanke Menſchen liebte. Weiter weiß
ich mich nichts zu erinnren: er ſah auch aus, als Einer, der
viel gelitten und diskutirt hatte.


II. 5
[66]

Nach einer fürchterlichen, aber weichen Nacht; mit ſehr
beſtürmtem, mißhandeltem Herzen. Meine unſeligen Gedan-
ken! Das hellere Wiſſen lief Sturm dagegen, und es war
keine Gnade; ſie ließen es nicht in Ruh. Um vier Uhr wacht’
ich noch: und krank fühl’ ich mein Herz noch jetzt. Wie
ſollte es auch kommen! Wer ſchmeichelt ihm wohl! Welcher
Umſtand; wer thut ihm gut! Vieles hat mir der Himmel in
meiner Noth gelaſſen, dieſen Strahl ſeiner allmächtigen Sonne
hat er mir noch nie zukommen laſſen! Soll ich wirklich ſo
ſterben? Wie ich verſtehe ein Herz zu heilen, zu ſchonen!
Man könnte dies anders nennen: ſtill!


Eigentlich wollt’ ich dies niederſchreiben. Wie finde ich
Goethe groß in den Worten, die der Prinz im Triumph der
Empfindſamkeit ſagt: „O ihr Götter! ſchickt mir ein neues un-
bekanntes Glück aus den Weiten der Welt!“ Wie ſchlagen dieſe
wenigen Worte bis nach den zwei äußerſten Enden des Menſchen
hin. Ganz zertrümmert iſt das Gemüth des Prinzen; nichts da-
von hat er ſich vorbehalten; alles ehrlich eingeſetzt; das Schick-
ſal konnte ihm, und nahm ihm, alles in der Puppe: ohne Herz,
fühlt er — nur dies kann er noch fühlen — kann er nicht le-
ben! Er hat keine Hoffnung; in der ganzen bekannten Welt
iſt ihm nichts geblieben, eine zu bilden; ſein Inbegriff iſt hin!
Der Geiſt iſt ihm noch übrig geblieben; mit dem hält er noch
alles für möglich; eine neue Welt, die er nicht erfinden kann;
mit dieſem Geiſte ſetzte er der Götter Macht voraus; ſein Herz
muß von ihrer Güte haben, weiter leben; und ſo fleht er ſie im
gefühlten Untergang an.


[67]

Sonderbar iſt’s! Die Andern glauben auch Liebe beſchrei-
ben zu können; und ſind noch recht ſtolz darauf, wenn ſie
ſie, wie ſie es neunen, nicht als Leidenſchaft gefühlt haben:
ſie meinen, dann ging es um ſo beſſer — haben ſie ſich aus
Goethe’s Definition eines Dichters im Meiſter herausſtudirt.
— Mit geſtampften Lumpen, Galläpfeln und Gänſekielen hof-
fen ſie herauszuwürfeln die furchtbar-großen und doch trö-
ſtenden Orakelſprüche, die aus dem Tempel nur kommen, den
die Natur ſich ſelbſt geſchaffen hat, in dem Herzen der gelungen-
ſten Menſchen! Nie! ihr ſtolz glücklichen Wüſtlinge, die ihr
noch immer ein Reſtchen für euch zurückbehaltet! Ihr Armen!
deren Sinn nichts ganz trifft. — — —


Novalis ſagt: „die Liebe iſt eine ewige Wiederholung.“
Sie iſt die größte Überzeugung, ſage ich. Unüberwindlich iſt
Auge, Ohr und Gefühl überzeugt; unüberwindlich unſer Herz
von dem Gegenſtande, den wir lieben; unüberwindlich der
Eindruck; und iſt die Überzeugung zu überwinden, ſo lieben
wir nicht mehr. Daher lieben nur Menſchen; hohe überzeu-
gungsfähige Geſchöpfe. Mittheilen, beweiſen, läßt ſie ſich
nicht. Jeder liebt allein, wie man allein betet.


Thekla iſt ganz und gar nur die tragiſche Gurli. Beide
ohne Knochen, Muskeln und Mark; ganz ohne menſchliche
Anatomie; ſo bewegen ſie ſich auch, wo gar keine menſchlichen
Glieder ſind. Mir aber zum Erſtaunen mit dem Beifall des
ganzen deutſchen Publikums! Eben fällt mir aber nach langen
Jahren Wunderns ein, daß ſich die Leute eben daran ergötzen,
dieſe bei natürlicher Gliederung nicht hervorzubringenden Be-
5 *
[68] wegungen zu ſehn; und bei dieſem ihrer Moral ſchmei-
chelnden
Schauſpiele der geſunden menſchlichen Organiſation
vergeſſen. Vergeſſenheit, die täglich in Anſtalten des noth-
wendigſten Heils und des Ergötzens anzutreffen iſt.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



— Geſtern Morgen war ich bei der W., weil ſie vor-
geſtern Morgen bei mir war, ohne mich zu treffen. Sie führte
mich in ihr Kabinet; nach einigem Redewechſel, und einer Be-
ſtellung über eingeladene Gäſte, nach welchem ich ſah, daß ſie
mich nun nicht einladen würde, ſagt’ ich ihr in der größten
Herzensmilde, mit dem hochblickendſten Geiſte, ob ſie gedenke
T. zu ſehen; worauf ſie mir Ja antwortete; und worauf ich
ſie bat, ſie möchte ihm nun die Beſtellung machen, die Sie
vergeſſen haben; — von Ihnen jedoch erwähnt’ ich hierbei
nichts. — Ich ſah über dieſe Nichteinladung weg, wie über
alle: und wie über die, welche mir ſchon aus dieſem Hauſe
zu Theil geworden ſind. Ich ſagte ihr bald, ich würde ihr
meine Träume bringen und leſen: ſie war beſchämt, innig und
dankbar; und frug mich, wie ſie nur dergleichen bei mir ver-
diene, mit wahrhafteſter Beſcheidenheit, Stocken, und innrer
Bewegung: auch Ihnen hätte ſie ſchon daſſelbe geſagt. Ich
bedeute ihr, wie ſie bei mir ſtehen muß; auch nicht aus der
Haut, und wir umarmten uns. Dann ſagt’ ich ihr, warum
[69] ich ihr meine Briefe nicht gerne zeigen möchte: ſie ſah es ganz
ein; blieb aber dabei, bei ihr ſchade auch dies nicht, was ich
angeführt hatte. —


Wir ſprachen ſtundenlang weitläufigſt; ich ſetzte ihr B.’s
niedrig rohes Betragen gegen mich auseinander, das der K.,
der M., wie ich ſie ſchone, was ich thue, was ſie thun und
ſind; ſie giebt mir alles zu, und fügt noch zu. Ich ſage ihr,
wie ſchonend, wie nie faits nennend, ich verführe: wie unhei-
lig grob ſie mit Vermuthungen umgingen. — Ich empörte
mich ohne empört zu ſein, des Menſchenunrechts wegen, wel-
ches man mir unermüdet bis am Rande der Gruft zufügt:
daß Rohheit, Unvernunft, und karge Gaben, von all dieſen
das Gegentheil mißhandeln, mit dem Applaus der Menge;
mit der Zulaſſung meiner Freunde. Denn nun fiel mir ein,
daß auch eben dieſe W. mich doch zu bitten und bei den eben
für närriſch und unſittlich Erklärten beim Thee durchzuführen
den Muth nicht hätte! Direkt ſagt’ ich nichts: aber ich be-
hauptete, gegen meinen erſten Freund würd’ ich ein Schäuer-
mädchen durchführen, hielt ich ſie für edler und ſittlicher als
ihn: (und ich habe es gethan; kürzlich). Endlich hörte dies
Geſpräch, bis an all ſeine benachbarten Gränzen geführt, auf:
und wir ſprachen von Ihnen; ungefähr wie ſonſt. Ich mußte
der W. verſprechen, Mittwochs und Sonnabends Vormittag
zu kommen: dann wären die Kinder weg: ich verſprach zu mor-
gen
mit den Träumen zu kommen. Sie zweifelte noch Ein-
mal, rührender noch, wie ſo ſie mir was ſei, ich ihr ſo etwas
zeigen wollte: dankte mir freudig und überſchwänglich! und
nachdem ſie mir die Kinder gezeigt hatte, und nach tauſend
[70] Freundlichkeiten, ging ich. Auf der Straße aber fiel es mir
auf’s Herz, mich nicht immer von neuem mißhandlen zu
laſſen. Ich will nicht. Mir falle auch ein edles Opfer. Von
der W. grade will ich es nicht leiden. Von niemand mehr.
Die M., die B., die K., die nichtgeachteten, kann ſie bitten?
Mich ſoll ſie bitten. Dies iſt mein letzter Ausſpruch. Mor-
gen gehe ich nicht zu ihr; ich laſſe ihr abſagen. — Ich kann
endlich jeden miſſen: mich hat das Leben nicht vernichtet:
mich hat es wirklich und wahrhaft umgeſchmiedet auf ſeinem
feurigen Ambos. Auch kann dies ein jeder; mich wieder miſ-
ſen. Glück auf! ich bin’s zufrieden. Voll bleibt die Welt.
Mir überkömmt ſo ſo viel Witz, Laune, Ideen, Leben, Zärt-
lichkeit nicht; mein ſparſames Futter beſcheert mir jeder Hof.
Dieſe Worte ſtehen alle hart neben einander; ich merke es
ſelbſt. Schieben Sie den Anſchein darauf: daß Sie von allen
meinen Entſchlüſſen den Grund und die Gründe kennen: daß
ich heute abſolut nicht mit der Feder ſchreiben kann: und alſo
jedes Wort zu ſparen ſuche, Nervenzittern, und das größte
Echauffement habe.


Zu meinem letzten Brief an Sie, Lieber, habe ich wohl
gefühlt, muß ich einen Nachtrag machen. Dies war ein Brief,
wo ich Ihnen mein Herz aufklappte; und weiter nichts. Wo
ich Ihnen mein Bewußtſein aufſchlug, daß Sie wie ich Ge-
genwart und Vergangenheit ſchauen möchten! damit Sie ſich
faſſen! und für mich, ertragen, was ich ertragen muß. Denn
unmittelbar hatten Sie nichts zu ertragen; Sie wollte ich
bereiten, Sie ſchonen, damit Sie mich ſchonen, und verſtän-
den, und mir das Leben nicht ſaurer machten. Helfen ſollen
[71] Freunde. Denn verſtehen ſollen Sie; und gütig wollen.
So helfe ich jedesmal. Wie leiſe fühle ich was häßlich
iſt; wie übergehe ich’s! und weiß das Beſſere herauszuhe-
ben, und zur Freude und Bequemlichkeit, zur Schonung her-
auszulegen. Es liefert uns die Erde nichts rein; iſt es der
Wille, ſo iſt es ſchon viel. Wir irren uns Alle, und verwir-
ren uns, im Ergreifen; retten wir das Bewußtſein, ſo iſt das
viel! das Leben wird Ihnen an Ihnen ſelbſt nur dies wieder-
holt zeigen. So ſein Sie auch nachſichtig und einſichtig gegen
mich. Wer hat einen Freund aufzuweiſen, wie ich, der, aus
den innerſten Urſachen beſtimmt, ſein Leben nur mit mir zu-
bringen will; nur an meiner Seite das beſte Glück finden
kann! Dies Gut iſt ſelten. Es iſt nicht rein: aber es reinigt
ſich jeden Tag: das bin ich ſicher, und erlebe es. Was kann
mir noch geboten werden? oder — wer bietet mir etwas.
Meine Klagen aber, wenn ich verletzt bin, müſſen in Ihren
Schooß fallen; aber ſie müſſen darin nicht erblühen; mir zu
neuem Leid. Wie tief vergrabe ich Ihre? Sie denken der
Wind hat ſie entführt.


— Nicht Sie, nicht ich, nicht die Götter ohne Wunder,
können mein Schickſal erneuen: dies muß ich ausſpielen. Die
Blume iſt zerdrückt auf dieſer Pflanze, dies vergeſſen Sie
nicht. Ihr Laub macht Illuſion. Beſonders erwarte ich die
Hülfe, die Nachſicht wenigſtens, die Schonung, die ich leiſte.
(Ich bin äußerſt geſtört; äußerſt echauffirt.) Soll ich den
Troſt, mich beklagen zu dürfen, entbehren? damit nicht noch
größere Spannungen für mich erwachſen? O! nein. Sein
wir menſchlich! Schonen wir uns! Heute aber ehr’ ich Sie
[72] über alles, und ſage Ihnen grade was ich verlange. Sie wiſ-
ſen, wie ſchwer mir das wird.

Adieu. R. R.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.



Ihr ſehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen
zu ſchreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich ſchon vor-
aus, in dem, den ich Ihnen ſchickte. Nehmen Sie ſich mit
rauchenden Zimmern u. dgl. ſehr in Acht: es verdirbt einem
ganze Nächte, und im Rückſchlag — par ricochet — ganze
Tage; und genau genommen iſt doch nichts ärger, allein recht
arg, als wenn wir uns ſelbſt fehlen: die Feſtigkeit, die der
richtig ſpielende Körper giebt, iſt auf der Stelle Luxus; wenn
man es auch nur als höchſte Nothwendigkeit anſchlagen will.
Alle dieſe Weisheit iſt mir geſtern überkommen (und ich pre-
dige ſie nur in Folge großer Narrheit und Unachtſamkeit von
meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem
Himmel, nach vielem Verdruß, allein ſpaziren ging. Zwar
natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel — oder wie
es heißt — am Potsdammer Thor, da ſah ich viel Himmel;
die Luft iſt da ländlich; es war ſtill. Und wie böſe Hüllen
fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau-
berte, und ich wurde auch ſtill. Weil mir die Luft behagte,
ich geſund war, und ſie mich geſund machte. (Zweimal bin
ich ſchon geſtört worden: dann kann man nicht ſchreiben.)
Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage
[73] herkam, und die wieder in all ihren Punkten, und alſo auch
in den empfindlichſten, wovon es die andern mit wurden, be-
rührte. Ganz unleidlich! Und das Unleidlichſte der Lage
iſt, daß ich ſie nicht, und nie zu ändern vermag. Nun beden-
ken Sie mich, und meine Faſern, und was ich in mir trage
und weiß, und ſtellen Sie Ihre Berechnung an! Dies Schwere
all — wurde mir leicht, weil mein Blut richtig fließen, meine
Nerven richtig vibriren konnten; und ich ſo mit Elementen,
Farben, Licht, und Erde in einen augenblicklich richtigen Zu-
ſammenhang, und Wechſelwirkung kam. Ich genoß es lau-
ſchend, beinah verwundert; und dann machte ich dem Himmel
Vorſtellungen, mir dies wenige, Natürliche zu laſſen; und
klagte auch gegen ihn. So floß mein Tag, von Stadt und
Hausweſen geſtört, noch ziemlich geſund aus mir heraus, an
mir vorbei. — Die Nacht aber mußte ich ſchrecklich an Ner-
ven leiden; nun kommt das Ende dieſes Werks, womit ich
es begonnen, und was ich beweiſen wollte; weil mein Zimmer
ſchon den zweiten Abend, für die Nacht zu heiß war, welches
ich nicht vertragen kann, und wogegen ſich mein Blut mit
nach dem Kopf ſteigen, wehrt. Was dies iſt, wiſſen Sie. Es
artete in Nervendröhnen, und in dem ganzen Hofſtaat der
Nervenübel aus. Wir wollen uns alſo ſehr, ſehr! vor fal-
ſchen Zimmern hüten. Amen.


Sie wiſſen, daß ich ſo ſehr, als Sie, denke, daß die W.
das Beſte werth iſt, weil ſie’s verſteht. Ich frage Sie auch,
ob ich ſie hoch gehalten habe von je, und in Liebe geſchaut.
Ob ich eine Königin ehrerbietiger, zarter, und zärtlicher zu
behandlen nur vermöchte? Ich frage aber auch, in was ich
[74] mich, ohne Stupidität oder Heuchelei, unter ſie ſtellen ſoll?
Alſo, müßte mir dieſelbe Zartheit und Ehrenhaltung zuflie-
ßen. Solche Anforderung aber iſt ſtumm im tiefen Herzen
gekauert da, ſtumm wie dieſe dunkle Tiefe ſelbſt; und würde
nie von Worten herauf gezwungen werden, als Forderung;
weil ſie nur als Dank an das nichts ſchonende Licht mag;
wenn ich ſie nicht vertheidigen müßte dieſe Forderung! Ver-
theidigen muß ich ſie, weil ſie ſollizitiren ſoll, was ihr Weſen
ſelbſt bewirken ſollte. „Unſchuldig“ iſt hier nichts anders als
unwiſſend. Über gewiſſe Dinge, wiſſen Sie im tiefſten Her-
zen, darf man nicht unwiſſend ſein. Warum ſollte ich jeman-
den mich ſchätzen lehren, und mich dann von ihm ſchätzen laſ-
ſen? und daſſelbe, mit Liebe und zartem Zuvorkommen und
Errathen! Da habe ich’s bequemer, ich ſchätze mich ſelbſt,
und liebe Andere: wo ſie mir’s erlauben. Daß man ſich durch
Thätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nöthig
hat zum äußern Sein; dies kann man wohl gegen gleichgül-
tige Leute, in Äußerlichkeiten, äußerlich üben. Aber wo Liebe,
Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken ſollen,
kann und mag ich nicht in Menſchenherzen willkürlich operi-
ren. Sie verſtehen es genug, das Schönſte als Herzensfluthen
anzunehmen, und dies ſei mir und ihnen genug, wenn es noch
ſo kommen mag! Sie wiſſen es: ich brauche nicht zu ver-
ſichern; ich habe genug in Liebe geleiſtet: eine Heilige wär’
ich zu anderer Zeit! Wem gönnt mein Herz nicht alles, und
jede Eigenſchaft? wer ſieht, wer ſpürt ſie eher aus, und ver-
kündigt ſie? Wer iſt gerechter, unperſönlicher? Wer ewig be-
reit zum beſten Leben und Leiſten? Wer ſcheidender, und
[75] menſchlicher? Wer zärtlicher gegen alles was fühlt, und zu
fühlen ſcheint? Wer Gott erkennender in jedem Augenblick?
Wo ich einen Zug von dieſen Genannten ſehe, beugt ſich mein
Herz und meine Kniee: das wiſſen Sie: wo ich es reicher,
vereinigter fände, als bei mir, würd’ ich in jublende Anbe-
tung verfallen! Sie wiſſen es! Des Überſchätzens aber, bin
ich ganz müde, d. h. ganz unfähig geworden. Taſſo ſagt
(„Nur die Galeerenſklaven kennen ſich, die eng geſchmiede-
ten“) wie es mit dem Überſchätzen iſt: wenn man ſelbſt nur
Gerechtigkeit noch verlangt — ſo bin ich wenigſtens — dann
mag man dieſe auch nur leiſten. Nicht im Behandlen, und
in der Nachſicht, und im Leiſten; aber im Beurtheilen deſſen,
was geleiſtet wird.


Ich bin es ſehr zufrieden, daß Sie der W. meine Briefe
zeigen: und empfinde ganz die Ehre, die Sie mir in Ihrem
Herzen erzeigen, in meinem. Ich will ihr auch die Träume
zeigen. Von T.s Fête aber, kann ich nicht ſprechen. Das
können Sie thun. Wenn Sie wollen! und hiermit erzeige
ich Ihnen wieder die größte Ehre, die aus meinem Herzen kom-
men kann. Auch das wiſſen Sie, Marwitz: am ſchwerſten in
der Welt, wird mir, von einem Menſchen zu fordern, wovon
ich denke, daß er’s mir ungefordert hätte leiſten ſollen. Sa-
gen und Fordern ſind hier eins; und diesmal hab’ ich nur ge-
ſagt, was ich hätte fordern können: nämlich, was ich in Ihrer
Stelle würde gethan haben — vergeſſen hätte ich’s auch
nicht —; aber ich will gar nicht, daß Sie es thun: denn ſa-
gen Sie mir, was ſollte ich damit in der Ausübung beabſich-
tigen! Nun fragen Sie, ob ich Sie noch liebe, wie ſonſt!
[76]Wie ſonſt nicht: denn ich bin anders, und habe manchen
Schmiedeſchlag auch ſeit der Zeit erlitten. Ich liebe Sie, wie
es mein Weſen mit ſich bringt; und mein ganzes Herz iſt ge-
rührt und getroffen von Ihrem Zutraun: welches ich Ihnen
ganz erwiedere: ganz. Denn wie betrübt und erſchwert, und
verunreinigt iſt dies Herz, wenn ich Einmal denken muß: dies
faßt er nicht, noch nicht; dies mußt du noch zurückbehalten!
Oder wenn es gar denkt: hier wärſt du aufmerkſamer, lieben-
der! Verſtehen Sie dies: und Sie werden mich nicht mehr
fragen. Aber fragen Sie mich in alle Ewigkeit; ich will in
alle Ewigkeit antworten. Dies iſt der eigentlichſte Umgang;
ja, der mit ſich ſelbſt. Mehr als mir ſelbſt kann ich Ihnen
nicht bieten; und eben das biete ich Ihnen in allen Stücken.
Faſerkind! Mein Kind, mit Faſern.


Gerlach kann Ihnen von geſtern Abend erzählen. Hanne,
Varnhagen, und Kalckreuth, waren da; den mußt’ ich anneh-
men. Gerlach bringt Ihnen dieſen Brief: er gefällt mir noch.
Gott grüße und ſchütze Sie! Gedenken Sie meiner in Liebe.


R. R.


An Guſtav von Brinckmann, in Stockholm.



Morgens um 10. Uhr bei beſchneiten Straßen, in der
Behrenſtraße, ſchräg dem Kaſino gegenüber,
gleicher Erde, No. 48.


Laſſen Sie dieſes Blatt ein Morgenbillet werden, da es
unmöglich, ohne meine Seele auf das Papier zu bringen und
[77] meinen Körper zu vernichten, ein Brief werden kann. Zu viel
Zeit, mit allem was ſie bringen kann, iſt verfloſſen; zu viel
Neues, Verwirrtes, Großes iſt geſchehen, ſperrt den Rachen
über uns auf; als daß die größte innre Klarheit, das deut-
lichſte Bewußtſein was ich kann und will, in ewigen Krie-
gen
gegen mich ſelbſt, als Beute errungen, mir nur irgend
genieß- oder nutzbar wäre. Denken Sie ſich mich reifer, fort-
geſchrittener, erdrückter, aber eben wie ſonſt; und ließe man
mir Luft, vergnügt und kindiſch. Geſund, mäßig. In ange-
nehmen Verhältniſſen, gar nicht. Furcht, über die Maßen.
Vor jeder Zukunft. Dies von mir! Die Nachſchrift von mir
iſt das, daß ich heute vielleicht am wenigſten bereitet, und ge-
macht bin nur irgend zu ſchreiben, und am allerwenigſten Ih-
nen, der mir alles Alte zur höchſten Paralyſirung des ſpäter
Ereigneten, zurückruft; und dem ich es doch plötzlich und in
allen ſeinen Details gleich übergeben möchte. General Neip-
perg aber, den ich nur von Anſehn kenne, und der meine Exi-
ſtenz nicht weiß, wird für gute Worte dieſen Brief mitnehmen.
Schon längſt verwahrt’ ich Ihnen inliegendes Zeitungsblatt;
es gehört zur Sammlung Ihrer Todesanzeigen, und wird viel-
leicht an die Spitze derſelben kommen. Mich hat es unend-
lich unterhalten, und zum Lachen gebracht. Ich bin weder
böſe, noch erſtaunt, daß Sie nicht ſchreiben: man kann nur
viel und mit Annehmlichkeit ſchreiben, wenn man denſelben Vor-
mittag Antwort haben kann. Daß wir dieſelben ſind, brau-
chen wir uns nicht zu verſichern; oder es wäre gar nicht wahr.
Geſtern Abend trank ich Thee bei Schleiermachers, deſſen Frau
meine liebe Freundin iſt, mit Gräfin Voß und Hrn. von Mar-
[78] witz. Mein Intimer. Er iſt in Potsdam bei der Kammer,
und oft in Berlin. Gräfin Boß war ſehr liebenswürdig, ganz
einfach, und recht hübſch; ich liebe ſie noch immer ſehr. Die
ſagte eben, daß der General Neipperg noch hier ſei, nämlich
noch bis dieſen Abend bleibe, daß ſie Ihnen ein Wort ge-
ſchrieben hätte: und nun thue ich’s auch. Zeigen Sie auch
gütigſt Frau von Sparre die Zeitung, und ſagen ihr, ihre
Schweſter hätte mir alles beſtellt: ſie wäre mir ein Troſtge-
danke in Schweden, daß ſie dort iſt. Frau von Staël muß
Ihnen doch viel Vergnügen machen! — und viel Rennens!
Von Gentz habe ich vorige Woche, durch Gräfin Voß, ſeit
Jahren einen liebenswürdigen kindiſchen Brief erhalten. Ich
bin eingenommen von ihm wie ſonſt. Humboldt haßt mich
jetzt wieder: er war das letztemal in Berlin, ohne mich zu
ſehen. Die Herz lebt und ſieht aus wie ſonſt. Chriſtel war
dieſen Sommer hier, mit den alten Augen, der alten Miene,
der alten Indolenz, der alten Unſchuld und Verſchmitztheit.
Wir ſprachen viel von Ihnen: auch geſtern drei Viertel des
Abends. Ich wohne allein, meine Mutter iſt im Oktober drei
Jahr todt. Schlimm für mich! Meine Schweſter hat nur
das eine Kind; und ich ſah ſie auch in der Zeit nicht wieder.
Hannchen iſt eine große Demoiſelle, Fanny geht noch in die
Schule. Gute, brave Kinder. Meine Brüder ſind alle in
Berlin, der jüngſte verheirathet mit einer Demoiſelle aus Po-
len. Sie iſt artig, gut, und unſchuldig. Erzogen wie die
hieſigen Mädchen. Leben Sie wohl! Und arbeiten Sie dran,
wenn erſt der Regen dieſes Gewitters riechen wird, nach
Deutſchland zu kommen. Sollte ich von den Erſchlagenen
[79] ſein, ſo denken Sie, es kam ihr nicht unerwartet, ſie hatte
namenloſe Furcht; ohne Ausſicht auf Freuden. Gott ſchütze
uns! Sehen Sie meine Stimmung in dieſem Morgenbillet?
Adieu! R. R. Robert heiße ich jetzt. Noch eins! Die Beth-
mann iſt wohl, und wird älter; und hat noch ein großes
Publikum.


An Frau von Fouqué, in Nennhauſen.



— Einige Tage vor Ihrer Abreiſe hatte ich gehört, Sie
würden diesmal längere Zeit in der Stadt bleiben, der Kriegs-
umſtände wegen. Da wollt’ ich’s für mich abwarten; mit ei-
nemmale aber waren Sie weg! Meine Klagen Ihnen nach;
wovon Sie hier nur wenig hören; das werden Sie auch wohl
wiſſen, und an dieſen Worten, die hier ſtehen, und den be-
ſten, die Ihnen ſelbſt oft im Herzen bleiben müſſen, abmeſ-
ſen. Beſonderes ſteht mir in dieſem Augenblick nicht vor der
Seele, was ich Ihnen zu ſagen hätte; aber unendlich viel
könnten wir mit einander ſprechen, gingen wir nur miteinan-
der ſpaziren, träfen wir uns abends vor dem Sopha, und
lebten wir die verſchwendeten Wochen neben einander! Viel-
leicht wird Friede aus der Erſchöpfung des Krieges; und
ein Sommer für Menſchen daraus, nicht einer für Krie-
ger und Bekriegte; und vielleicht fällt alsdann ein Tröpfchen
klaren Segens auch auf mich, und ich kann Sie beſuchen!
Sie ſehen, liebe fromme Karoline, ich bin hier nicht ſo fromm
[80] als Sie! Wer kann Gott nachrechnen! Menſchen, und ihr
Glück ſind Beſtandtheile des großen Alls, warum ſollten ſie
zu einem glücklich-Organiſchen nach der größten Zerrüttung
und Trennung ſich nicht auch wieder zuſammen finden; zu
neuen weitern Beziehungen? Wie viel aber hier untergeht,
zeigen die Begebenheiten aller Zeiten: jedes Menſchen!
Gewiß ſein, daß ein vielfältigerer höherer Geiſt aus heilbrin-
genden guten Gründen Recht dazu hat, iſt meine einzige Re-
ligion. Es iſt mir auferlegt; muß ich denken; iſt es doch
viel, daß ich ſo viel weiß; und Klarheit und Verſtändniß in
einem höheren Weſen zu hoffen vermag. Anfang der Gnade!
Vergeht uns oft dieſer Strahl, ſo verzweiflen wir; aber ganz
können wir nicht verzweiflen, ſo wenig, als durch unſere ei-
gene Gedanken aufhören zu ſein. Müſſen wir doch unſer
ganzes Daſein als ein Wunder annehmen; ergeben wir uns
ohne Richten über den Lauf deſſelben; und richten wir immer
von neuem uns ſelbſt; unſer Beſtimmen. Aber alle Buße
ſei Reinigung, Stärkung, Feinerung, Beſſerung; Reue vor
der That; und fleißige Unſchuld nach jeder. Gräuelthaten
begehen nur kranke Tolle, arme unglückliche, bedaurungs-
würdige Menſchen. Mich beugt übrigens der Krieg ſehr.
Hab’ ich innen alle Zerſtörung erleben müſſen, und hat mir
mein Herr die Einſicht in allen Jammer, und auch die Kin-
derfähigkeit für alles Liebliche, Freudige und Lebenswerthe ge-
laſſen; ſo hatte ich nur noch äußere Zerſtörung zu befürchten:
ich erlebe ſie; und fühle es herb, ganz herb: nicht aber was
mich perſönlich betrifft, beugt mich ganz; aber der Beweis,
daß wir noch inmitten des Roheſten leben, daß verwundender
Krieg,
[81] Krieg, und tolles Nehmen und Wehren bis zu unſern Schwel-
len kommen kann, daß wir vor den Wilden nichts voraus
haben; Bücher, gebildete Reden, wohlthätiges Sein aparte
daliegt, und nicht in unſern großen Verfaſſungen mit inbe-
griffen ſteht, daß wir allem ausgeſetzt ſind, und nur prahlend
uns aufmuntern, wenn wir unſere Meinungen und Religionen
über alle andere ſetzen: — das macht mich ganz perplex und
beugt mich. Freilich war irgendwo Krieg, ſo lang’ ich lebe;
das Nahe dringt ſich einem aber am meiſten auf; und die
ganze Erde iſt ja jetzt in der Anſteckung. Vier kluge Gedan-
ken, kann eine ganze Nachkommenſchaft einmal über uns und
unſern Zuſtand hervorbringen, dieſe Nachkommenſchaft beſteht
denn aus drei oder vier Hiſtorikern und einer kleinen Zahl
ſie Faſſender! Dies iſt meines Bedünkens für die Menſchen-
geſammtheit daraus zu erbeuten.


Noch haben wir ruhige Abende! — in einem ſolchen las
ich geſtern Tiecks Phantaſus. Daraus habe ich ganz etwas
Neues erfahren, daß man die klügſten, ja feinſten Dinge ſa-
gen kann, und über jede Gebühr langweilig dabei ſein kann.
Dialogen ſind ſchon das Schwerſte, wie mich dünkt, und nur
Shakeſpeare, Goethe und Jean Paul in den Flegeljahren ſind
welche gelungen: dieſes fortfließende Leben, mit ſeinen unend-
lichen Vorausſetzungen, durch die kleinſten aber beſtimmendſten
Züge kenntlich gemacht: gelingt nur dem lebhafteſten, gründ-
lichſten, leichteſten Bemerker, wenn er die Gabe des Beurthei-
lens während der Vertheilung derſelben in ſeinen Werken
auf’s höchſte beſitzt. Nun kommt Tieck mit roh zuſammen-
geſtoppelten Reden und Gegenreden ohne alle Situation, als
II. 6
[82] die willkürlichſte, die mir weder Ort, noch Menſchen, noch
Lage zeigt; dieſe armen Phantasmagoren gehen in eben ſol-
chen Gegenden ſpaziren, und reden mich wahrlich todt. Der
einzige Troſt iſt, wenn man nach ihren allſeitigen langen Be-
hauptungen, von denen Tieck ſelbſt nicht weiß, ob ſie Scherz
oder Ernſt ſein ſollen, und wem er Recht giebt, Athem ſchöpft
und ſich gratulirt, nicht auch ſolche geſchwätzige Tage mit den
Herren und Damen verleben zu müſſen! Ich müßte toll wer-
den in den Sälen, Gärten, bei den Waſſerfällen und Brun-
nen; bei den lebloſen Scherzen! Hübſch iſt, was der Kranke
von ſeinen Lektüren erzählt! Jetzt ſind ſie auf dem Gute,
und wollen ſich einander vorleſen. Tieck muß phantaſiren in
ſeiner eigenen Perſon, und komiſch und ernſt ſein dürfen. Ein
Stück Leben darf er nicht in ein Buch faſſen wie Goethe, wo
das noch mit hinein geht, von welchem er nicht ſpricht! Adieu.
Schreiben Sie mir nicht mehr „Ihre ergebene,“ Karoline sans
phrase
iſt beſſer. Ihre R. R. Über Tieck könnte ich noch
lange ſprechen, aber die Feder iſt müde. Tauſend Grüße den
Kindern Mariens Knäuel liegt noch bei mir. Hrn. von Fou-
qué hab’ ich nur als Geiſt vorbeiſchweben ſehen. Vielleicht
kommt auch mit dem Frieden Muße für uns Beide!


An Varnhagen, in Hamburg.



Vor zwei Stunden, jetzt iſt 1 Uhr, trat der Hr. von Ca-
nitz bei mir herein, und überreichte mir deinen lieben Brief.
[83] Glück auf! daß die erſten Schritte auf deiner neuen Bahn
angenehm und erquickend ſind! Dafür will ich gern ſchon
einen großen Theil meiner Angſt und Sorge anrechnen. Das
Lügen geht nicht: ſonſt verſchwieg ich es; mein Herz iſt noch
nicht befeſtigt. Doch bin ich Gottlob hierin dumm, und will
darüber ſchweigen. Wittgenſteins Proklamationen und Auf-
rufe gefallen mir über alle Maßen; weil er ſeinen Feind
zu ehren weiß, die Nation ſchont, und nicht ſchimpft; wie
jene, die wir ſeit Jahren deßhalb tadlen. So redlich muß
man auftreten; fühlen, daß man nur ſo aufzutreten braucht;
und, will man der Deutſchen Karakter hervortreten laſſen, dieſe
geziemende edle Seite hervorkehren! Es iſt mit wahrer Kunſt
aus dem Herzen geholt, was man zu jedermans Verſtändniß
ſagen muß, daß es wieder in’s Herz gehe! Jede Ironie, jede
Prahlerei weit zurückgelaſſen! Sorge, was an dir iſt, mit da-
für, daß auch das, was von euren Heeren ausgeht, edel, ein-
fach, gefaßt und ernſt ſei. Und nimm mir dies nicht übel!
Ich bin ſo ganz durchdrungen und überzeugt davon, daß, wo
Prahlerei, hohles Reden und Ironie ſitzt, nichts anderes Gutes
ſitzen kann, daß ich mit Sichel und Harke den ganzen Tag
ausrauten gehn möchte: da wir alles Gute, ganz gutgemeinte
Wackere und Reine ſo ſehr nöthig haben! Dieſen Morgen iſt
Marwitz abgegangen: bis heute hielten ihn ein paar Kamme-
raden auf; ſonſt wäre er geſtern gegangen: doch weiß ich nicht,
ob er allein iſt, oder mit ihnen: länger wollt’ er nicht warten.
Seine Truppe iſt voraus. Geſtern war ich bis halb vier mit
ihm bei Bouché — wo wir zuletzt waren — die Tauben, die
zwei wiegenden Pappeln, die Sonne, die Blumen, alles war
6 *
[84] da, meine Gedanken an dich, mein Verlaſſen auf dich, alles,
aber anſtatt deiner, Entfernung, mit allen ihren Ungewißheiten.
Wiſſe aber, um dich perſönlich, und auch um niemand, äng-
ſtige ich mich nicht. Aber den Himmel beſtürme ich mit Ge-
bet und Thränen, nämlich es werden immer Thränen, für uns
Alle. Nicht, daß ich patriotiſcher als perſönlich wäre: du weißt,
ich verſtehe nur den Gedanken: Alle, durch den: jeden; aber
da jeder geht, und es jeden trifft, faſſe ich nichts Cinzelnes
mehr: und auch hauptſächlich! für Einen, für dich, für mich,
kann ich mir ein Glück, ein Entkommen denken; für ein Gan-
zes aber nur, weiſe Führung: oder, bibliſchen, unmittelbaren
Gottesſchutz. —


Frau von Fouqué iſt noch hier, hat mir aber nichts ſa-
gen laſſen: ich ihr wieder nichts. Marwitz iſt ganz entzückt,
daß ich ſtolz bin, wie er’s nennt: mir iſt es ganz egal!
So explizirt’ ich’s ihm; und ſo verſtand er’s auch. Heute
ſchickte mir ein General mit einer Botenfrau aus Köpenick
einen dicken durchſtochenen Brief: die Frau ſagte, es ſei ein
franzöſiſcher General, und ich war ſehr betreten. Der Brief
war von Barnekow aus Jaroslaw vom 14. Oktober, der Ge-
neral ein preußiſcher mit einem franzöſiſchen Namen, worauf
ſich die Frau nicht beſinnen konnte. Der Brief iſt ganz aus
ſeinem liebenswürdigen Herzen geſtrömt, und eben ſo ange-
nehm, und zum Lachen. Das Schreiben tödtet mich; ich will
ihm doch morgen ſchreiben. Hr. von Canitz, den ich nur einen
Augenblick geſehen habe, ſcheint ſehr artig zu ſein; ich konnt’
ihm gar nichts dergleichen erzeigen, weil er morgen früh ab-
reiſt und ſeine Zeit gewiß beſſer braucht. Beſtelle ihm dies
[85] und meinen Dank! Viele Glücksgrüße an Hrn. von Pfuel:
ich danke ihm noch, daß er mich in dem Trouble beſucht hat.
Empfehle mich auch dem Obriſten! Marwitz frug mich immer,
ob mich die ganze Stadt nicht um ſeinen Beſuch beneidet hat.
Ich ſagte ihm, er wiſſe, wie geſchieden ich von der Stadt lebte,
aber die ich ſprach, hatten alle zu mir kommen wollen. In
Hamburg muß ja presse bei ihm ſein. Wir leſen ſie immer,
die Zeitungsartikel, wo Tettenborn vorkommt. —


Alles Neue von hier erfährſt du durch Hrn. von Canitz.
Auch iſt nichts; als der Ausmarſch der Preußen. Das Wetter
iſt fortdauernd herrlich: Sonne und erfriſchende Luft. Nur
ſind mir alle Orte, außer Bouché, verbittert. Nach Spandau
hin richte ich weder Blick noch Schritt. Da verſtehe ich den
Thiergarten, und ſeine Spree drunter. O! theurer, ſchöner,
verkannter Friede! Doch Glück auf! Euch ermuntert, er-
muthigt, erfriſcht der Kampf. Ich hoffe! baue auf dich. Liebe
dich; und grüße dich mit treuem Herzen. —


An Varnhagen, in Hamburg.



Deine Briefe ſind jetzt meine einzige Freude! Dies iſt
wohl der beſte Dank, lieber Auguſt? Nicht wahr? Geſtern
brachte Einer, der nicht einen Augenblick wartete, mir einen
Brief von dir, mit dem Stück Amtsblatt und zwei Zeitungen.
Ich freue mich, daß unſere Meinungen über Wittgenſteins
Proklamationen ſich begegneten! — Du weißt, ich möchte
[86] gerne die Nation geſchont wiſſen. Weil es klug und heilſam
von uns wäre; und gerecht hauptſächlich: es gingen Andere
als ſie ſelbſt vorwärts, und ſie war nicht die einzig bezwun-
gene. Wir Deutſchen müſſen uns nur mit dem ächteſten
Schmuck ſchmücken; das iſt Gerechtigkeit, Mäßigung, Recht-
lichkeit und Geſetzmäßigkeit. Welches letztere ich, Gott ſei
ewig gelobt, auch allenthalben zu meines Herzens Stärkung
wahrnehme! Feure nah und ferne, wie du nur kannſt, zu die-
ſer ſtärkenden alleinheilbringenden Ordnungsmäßigkeit und
Rechtsanerkennung und Übung an! Ich bin ein Nichts: und
Kraft und Stimme ſpar’ ich dazu keinen Tag, bei keinem
Menſchen, bei keiner Gelegenheit; wenn ein jeder ſo thut und
wirkt, ſo werden Alle beſſer; und daß dies geſchehe, dazu ſei
unſer langes Elend, und unſer herbes Streiten uns gut! daß
wir nicht nur ein ſtarkes, derbes, ſondern auch ein gutes gott-
gefälliges Muſtervolk werden! Mich dünkt bei den Deutſchen
zu bemerken, daß ihnen das Irren und ſich Aufblaſen nicht
ganz natürlich und bequem iſt; ſie haben nur Grazie in der
ſtrengen Ausübung von dem, was ſie für wahr und recht er-
kennen; ſo hab’ ich bemerkt, daß man die heterogenſt Geſinn-
ten — wenn nicht nichtswürdige Abſichten ſie leiten, das
Gift, zur Menſchenſünde auf der ganzen Erde ausgeſtreut,
— mit wohlgemeinter, redlich ausgedachter Wahrheit bald
überzeugt. So konnt’ ich geſtern gleich zum erſtenmale den
Profeſſor Z., der gewiß ganz andere Gedankenſphären durch-
geht und gegangen iſt, als ich, zu dieſen meinen dir bekannten
Meinungen bald überführen; und auf eine ſehr naive, nicht
mich lobende Art gab er mir dies zu erkennen. Minna S.
[87] hatte ihm ein paar Zeilen, mich kennen zu lernen, mitgegeben.
Ich glaub’ es iſt ein braver, wahrhafter Menſch. Etwas
rustre: du weißt, ich liebe das nicht: mit ihm aber bin ich
doch zufrieden. Noch dazu, ich wußte, er iſt ein neumodiſch
Deutſcher: ſeine Geſinnung ſcheint mir aber ſehr redlich,
und naiv.


Ich habe gräßlichen Büchermangel: gar kein Buch: da
nahm ich geſtern ſpät die Bibel. Herr Jeſus Verrath und
Tod las ich; und weinte ſehr. Ich kann es mir ſo lebhaft
denken; und wie er wußte, daß ihn Petrus verrathen mußte;
ſo natürlich: gewiß wahr! und wie Petrus ſelbſt weinte, als
der Hahn zum zweitenmal krähte. Es gefiel mir ſehr! —
Das Evangelium Johannis las ich heute etwas: das find’ ich
wieder ſchön. Mir gefallen nur jetzt ganz großartige, groß-
gezeichnete bibliſche Karaktere; alles wird mir zu klein. Nur
Eingebungen, Patriarchen, wie ſie Goethe uns auffriſcht, und
deren einfach großes Zuſammenſein mit den Gegenſtänden der
Natur, und nicht dem frikaſſirt Römiſchen, Römiſchmodernen,
gefällt mir noch einigermaßen. Neulich konnt’ ich dies Mar-
witz ſehr gut und kurz ſagen. —


An Varnhagen, in Hamburg.



12 Uhr Mittags, bei ſchönſtem, hellſten Sonnen-
ſchein, erquickender Luft.


— Ich bin in allem deiner Meinung, und auch ganz
des Sinnes, das Leben eher zu verlieren, als ein ſolches
[88] zu erhalten, in welchem man nicht mit aller Ehre weiter-
leben kann. So waren auch meine Erinnerungsworte ge-
meint; und in dieſer Vorausſetzung werden es auch alle die
ſein, die ich noch je ſprechen kann. Dies, mein Freund, ver-
giß mir nie. Vorige Woche mußte Moritz ſein Loos zur
Landwehr ziehen — wann man nach dieſen Looſen gehen
muß, erfährt man noch nicht — heute, auf dem Schützenplatze,
immer dem Alter nach, zog Ludwig, und da wurde den Zie-
henden von éinem Polizeibeamten ein Sieg bei Lüneburg ver-
leſen gegen General Morand, wovon ihr nun auch wiſſen
müßt. Kein Wort von meiner Erſchütterung bei ſolchen
Dingen. Du kennſt meine Spannung, mein heftig-elaſtiſch
Herz. So kündigte man uns vorgeſtern eine falſche Nach-
richt — von einer Kaufmanns-Reſſource ausgehend — von
einem Siege bei Deſſau an; der dachte mir das Leben zu ko-
ſten; weil er zu groß war; ich ihn nicht glaubte, und ihn
glauben mußte, der Art des Erzählens nach; dieſe zweifäl-
tigen Bewegungen des Herzens ſetzten mich in die gefährlichſte
krampfhafteſte Spannung; und weil es bei Deſſau war,
wo wir Anno 6. die Brücke zu zerſtören, aus Noth, ver-
gaßen
, und da alles herüber kam!! — Hier ſchicke ich dir
Frau von * * ihren Aufruf. Gott im Himmel! ſie wußte
abſolut nichts, als daß ſie einen ſchreiben wollte; und das
Wenige, was ſie noch zuſammenfand, verging ihr in der
Schwatzhaftigkeit des Schreibens; das ganze Wollen ging
auf in ein litterariſch Aufgehetztſein; nicht anders iſt ein Ra-
dotiren — Herumirren — zu nennen in allen neueren Schrift-
ſtellermeinungen, und neumodiſchen — aber eben darum alt-
[89] modiſchen, weil es dergleichen gar nicht mehr giebt für irgend
vornehme Köpfe, und große einfache Seelen — Stimmungen,
die an und für ſich ſchon ganz unächt, aus keiner ſtarken
Quelle, ſeichte, dünne, vom erſten Luftzug vernichtete Pfühl-
chen und Rinnen ſind! Indem ſie die franzöſiſche Sprache
anfällt, war ſie nicht einmal beſonnen und geſchickt genug, ihre
von franzöſiſchen Worten rein zu halten: ſogar den platteſten
Beurtheilern giebt ſie ſich bloß. Es iſt mir höchſte Anſtren-
gung, das Ganze zu beurtheilen, da es wohl Theile, aber
eben zu keinem Ganzen ſich fügende ſind; daß wir Deutſche
heißen und ſind, iſt eine Zufälligkeit; und die Aufblaſerei,
dies ſo groß hervortreten laſſen zu wollen, wird mit einem
Zerplatzen dieſer Thorheit endigen. Jedes zu Verſtand ge-
kommene Volk ſoll brav ſein; und die Freiheit haben, es zu
ſein. Im erſten Gebote müſſen das natürlich Männer und
Weiber, beide Geſchlechter in ihrer Art, ſein; der zweite Fall
zerfällt in zwei andere; entweder man hat die Freiheit ſchon,
oder ſoll ſie erringen; das letzte thun nur Männer, und den
Weibern bleibt, zu erſetzen, ergänzen, heilen, wo jene zerſtö-
ren und verwunden müſſen. Dies muß jedes europäiſche,
chriſtliche, Gott in ſich ſelbſt erkennende Volk; und jedes ſol-
ches muß dies allen andern Völkern gönnen und wünſchen:
und nicht ſich prahleriſch allein dazu ernennen, ausſchreien
und brüſten. In ſolcher demüthigen, gerechten Stimmung
allein, die eine heilige iſt — wo jede Schüchternheit und
Scham wegfallen muß, und kann — darf ſich eine Frau,
weil es jede dürfte, erkühnen, laut — das heißt, gedruckt
oder im Tempel — zu ihren Schweſtern zu ſprechen! Wie ein
[90] Gebet und Gelübde muß ſo etwas aus der Seele ſtrömen;
dann wird man nicht alle Mythologien der Welt ſpuken laſ-
ſen, ſondern vom Nächſten, was vorgeht und geſchehen muß,
für alles Volk, welches wenig weiß, aber immer verſteht was
recht iſt, wenn man’s ihm ausſpricht, verſtändlich, eindring-
lich und nützlich ſein. Dies wollte doch Frau von ** gewiß:
und wie weit entlief ſie den Kraftmitteln zu dieſem Zwecke!
— Als im Anfang durch einige Herren der Stadt bei mir
zuerſt erſonnen war, daß Frauen hier ein Lazareth ſtiften ſoll-
ten, wozu wir dreißig Vorſteherinnen aus allen Ständen und
Religionen gewählt hatten, welche die Prinzeſſinnen um ihr
Präſidium bitten ſollten, faßte ich das ab, was dieſe dreißig
in die Zeitungen ſollten ſetzen laſſen. Zwar nur den Anfang
von vier Seiten, wie die hier ſind; Graf Eglöffſtein, Mar-
witz und Ludwig und ich arbeiteten es dann bei mir um:
dies war anders. Ich ſchicke dir dieſen Anfang nächſtens.
Heute iſt mein Kopf zu erhitzt, ihn abzuſchreiben. Ein Kon-
ſeil von Herren hat eine Änderung hineingebracht, die mir
nicht gefällt. Geld kommt aber viel zuſammen. —


An Varnhagen, in Hamburg.



Dienstag Morgen 11 Uhr, bei kühlem ſtürmiſchen Wetter,
welches, ich fürchte, den Blüthen ſchadet, die ſchon
heraus ſind; obgleich nicht die meiſten.


— Dieſen Morgen muß ich noch nach Hemden laufen,
die Markus giebt: ich muß es, weil ich mich keine Mühe.
[91] kein Klätern, keinen Weg, keine Anrede, und Rede mit ge-
meinen Leuten verdrießen laſſe: weil ich denke, je ſchneller die
Hülfe, deſto mehr iſt ſie Hülfe: weil ich weiß, was krank
ſchmachten iſt
; und keine Wäſche anziehen können, eben
ſo halte, als keine anzuziehen haben. Unſer großes Lazareth
war in einem ſchrecklichen Zuſtand!! Wegen unordentlicher
Einrichtung und Deprädation. Kaum erfuhr es aber die Stadt,
ſo war ein General-Aufſtand. Jeder ſchrie, lief, und gab.
Ich ſchrieb Markus, dieſer Böhm, Böhm dem Civilgouverneur,
die ſchnellſten Einſammlungen kamen in drei Tagen zuſammen;
vom neuen Lazareth wurde alles hingeſchickt; alle Ärzte ſam-
melten, fuhren mit großen Geldbeuteln: Wäſche aller Art,
Betten, wurden nach ihren Häuſern geſchickt, Eſſen, wo immer
hundert fünf und zwanzig Frauen kochen ließen; keine ſchlief,
ruhte mehr. — Mir hat’s einen großen Theil Geſundheit ge-
koſtet; aber ich bin geſund, und kann ſehr laufen. Geſtern
lief ich darum von der Dreifaltigkeitskirche bis in die Lands-
berger Straße, heute wieder dahin. Ich ſchreibe dies mit Thrä-
nen in den Augen, und mit Entzücken über unſere Stadt.


— Die Juden geben, was ſie nur beſitzen: an die wandt’
ich mein Geſchrei zuerſt. Die Herz iſt unendlich thätig: ich
ſporne ſie noch mehr. Nein, wie freut mich die Stadt! Kommt
ſie doch zu ſich ſelbſt; thut ſie endlich wohl, wie es Jeſus
meint; und wie es mich peinigt, daß es nicht geſchieht. —
Welche Wehmuthswunden hat mir dies Lazareth geſchlagen!
Reil nimmt ſich der Sache jetzt an; ich will heute noch mit
Böhm ſprechen: ich habe keine Ruhe! Der Deutſche Beobachter
findet hier den größten Beifall: und ich behalte ihn niemals!
[92] Alle Herren der Stadt leſen ihn. Was du darin geſchrieben
haſt, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerſte
Wollen, und unſer Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen
Vandalen, Irokeſen! Lieber guter Auguſt! in jetziger blutigen
Zeit iſt es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannſt
alles, und ſchreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen
unſerer letzten Kataſtrophe allein. Schon lange drückt
mir eine Reil’ſche Ausſage, und mehr was ich von Lieferanten
erfahren habe, das Herz! Reil ſagte nämlich, als die Frauen
hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn
ſie nicht ſelbſt wirthſchafteten, und der ganzen Ökonomie und
Pflege vorſtehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be-
kämen die Kranken, was ſie ſollten. Der muß es erfahren
haben. Sag’ es recht populär, recht eindringlich, welche gräß-
lichſte Sünde eine Betrügerei an Kranken ſei! daß jede
Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren
Mauern haben, an göttliche und menſchliche Gerechtigkeit
Anſpruch haben will, daß ſie ihr geſchähe, die beſten verehr-
teſten Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, ſolche
Werke zu unternehmen und ihnen vorzuſtehen; daß kein Lie-
ferant und kein Inſpektor reich werden kann. Nenne unſere
Stadt ja nicht: aber ſage, in den beſtgeſinnten und vornehm-
ſten gingen noch Gräuel darin vor; alſo muß ganz Deutſch-
land, ja die Welt ſich gefallen laſſen, Ermahnungen darüber
zu hören; und durch die That ſie beherzigen. — — Lieber
Auguſt, wie dehnt ſich alles! Wann kommt man zum Leben;
lauter Bereitung, du biſt ſchon mittendrin, und legſt nur zu-
recht: ich — aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres
[93] gewieſen, das iſt auch viel und groß, wenn auch nicht leicht
und angenehm. Du ſchreibſt mir hierüber ſehr richtig, theurer
Freund! — Ach wir wiſſen alles! Wir wollen aber fleißig
und ſtark bleiben. Das Leben iſt eine Arbeit, die man auf-
bekömmt; und eine davon beſteht darin, es verſtehen, ertragen
und ergreifen zu lernen; es nicht zu ſchätzen, weil es im All-
gemeinen und einzeln unſicher iſt; und es ſehr zu ſchätzen,
weil es eine Probe zu einer Exiſtenz iſt, und alles was wir
kennen, und womit wir das Mögliche errathen. — Gott
gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Beſcheidenheit.
Unſer armes Land leidet entſetzlich. Jeder Kerl geht mir in
die Seele! Bauerndörfer! Aber ſie benehmen ſich wirklich
noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art.
Auf der Gaſſe kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden,
das Papier iſt zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver-
zweifeln
, die nicht mit ſollen; übernehmen drei, vier Poſten
und Stellen für ihre Brüder, und ſagen, ſie überleben die
Schmach doch nicht! —


An Varnhagen, in Hamburg.



Heller, warmer Sonnenſchein, und doch Wolken und Wölkchen
am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen
alles jetzt. Blüthen ſtrotzen vor Friſche und Ju-
gend des Moments.


Endlich geht Egloffſtein und Moritz! Ich konnte vor
Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten
[94] auch nicht geſchlafen habe. Zwei Tage waren ſehr ſchöne,
muntere Koſacken in unſerem Viertel, die Oſtern hatten, und
nicht wenig tobten. Sie ſangen und ſchrieen, und pochten an
den Häuſern bis 2 Uhr nachts, und um 5 ſtellten ſie ſich ſchon
unter meinem Fenſter, wo ſie ihre Pferde anbanden. Meine
Scheiben glaubte ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis
9 Uhr zu, wo ſie abritten. Dieſe Nacht um halb 4 ein Ko-
boldslärm im Hauſe; um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu
krank nachzuſehn, klingele Dore, und laſſe nachſehn, weil ich
denke, es iſt ein Arzt, den man geholt hat. Es iſt der Mieths-
fuhrmann von drüben, und ſie fahren mit allen Vorräthen
nach Spandau, wo heute Berlin hin zieht: denn es iſt über.
Heute zogen ſie aus: ſiebentauſend Gewehre, viele hundert
Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Ge-
ſchütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme ſchon geſtern drau-
ßen war, hat meinen Brüdern verſichert, ſolch ein Zerſchießen
geſchähe nur ſelten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver,
Spandau, Stadt, Beſatzung, Menſchen, und vielleicht Bela-
gerer, wären in der Luft geweſen. Drum zogen ſie ab: und
darum wurde es bewilligt. Ein Kapitain Ludwig ſoll Wun-
der gethan haben, und einer der erſten Artilleriſten ſein. Nur
ſechszig haben wir Todte und Verwundete zuſammen. Reil
hat zwölf im Klinikum; Einer davon ſtirbt nur. Mit zer-
hacktem Blei ſchoſſen ſie heraus! das ſoll Unrecht ſein. Man
ſieht’s an den Wunden. Drei Tage wurde es doch nur be-
lagert. Meine Seligkeit kannſt du dir denken, daß der
Gräuel aus iſt. Wie habe ich Gott gedankt!! — Ich habe
die Mädchen beſchenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner
[95] beſten, für ſie ein unerreichbares, ein türkiſch Shawl. Könnt’
ich nur auch Gutes thun, da dieſes Gräßliche noch ſo glimpf-
lich ging. Unſere brave unterrichtete Artillerie von Span-
dau wird anderweitig gebraucht. Mir iſt Gott ſo gnädig
jetzt: und ach! nur ſelten fühlt’s mein Herz einen Moment.
Der erwägende Richter hat mein Nothgebet, mein Geſchrei-
meine windende Angſt wegen Spandau erhört! Ich habe
ſo viel Glück und Gnade. Ach! Ach! und bin ſo unruhig,
ſo unſelig! Aber ſei ruhig! Daß du vergnügt, muthig, ru-
hig, glücklich biſt, iſt mir alles; giebt mir Muth, den einzi-
gen Muthſtrahl durch’s Herz! — — Ich ſchrieb gleich an
Niebuhr, und ſchickte ihm deinen Artikel und Schlegels Schrift,
die er mir, wenn er ſie ſchon kenne, wiederſchicken ſoll, was
er noch nicht gethan hat. Heute Morgen bekam ich durch
den Poſtboten einen Brief von dir, mit der Nachricht von den
übergegangenen fünfzig Sachſen. Ich denke darüber wie du.
Wenn du erlaubſt, ſo ſchicke ich dem Zeitungsbureau, und
nicht Hrn. Niebuhr, dieſe Nachrichten. Der gefällt mir durch-
aus nicht. Geſtern Abend las ich zum erſtenmale ſein Blatt.
Wie hart. Wie verblindet. Wie hetzend! Nur Saragoſſa
und Moskau! Die Welt mag untergehn, wenn nur ein
wichtiger — unwichtiger — Geſchichtsparagraph daraus er-
ſteht. So hart und ungefügt und unverſtändlich iſt auch ſein
Stil. Wie ehre ich dagegen „Heeresgoräth“! Religion iſt
Vokal, und Geſchichte Konſonant: und wie klar, wie ver-
ſtändlich iſt das Stück Geſchichte darin vorgetragen! wie nir-
gend. Und die milde, ganz edle, nicht aufgepuſterte Bücher-
geſinnung! Jenem lieſt man an, daß er ſich die Welt weiß
[96] auf ſchwarz zuſammengeleſen hat. Pfui! Ich freue mich deiner
Freunde, und Freude darüber. Hrn. von Noſtitz die freund-
lichſten Grüße! Er ſoll an unſern Freund denken, der nicht
mehr iſt. — Ich bin zu müde. — Geſtern war ich dreimal bei
Woltmanns, weil das dumme Dienſtmädchen zweimal ſagte,
er ſei aus: dann ſchrieb ſie mir: und es verhielt ſich ſo, daß
er ſeit ſieben Wochen ganz zu Bett an Gicht in der Hüfte
liegt, und ſeit neun Monaten nicht aus war. Sie ſind ſehr
dankbar: ſie hat mir heute bei dieſem Briefe ſehr lieb geſchrie-
ben; thu das Mögliche: ſie hoffen wenig! Ich werde ſie
manchmal beſuchen: ſie wohnen, wo Johannes Müller wohnte,
im George’ſchen Garten. — Höre die ſchöne Anekdote! Eine
Geſellſchaft Frauen machte auch in Breslau eine Sammlung
für unſere Sache: alle gaben; ein Mädchen war dabei, die
gab nichts; ſie konnte auch nichts geben, alle wußten’s auch;
ſie hatte nichts. Sie geht aber weg, und kommt mit drei
harten Thalern wieder, die ſie giebt: alle wundern ſich. Weg
waren ihre Haare, die ihr ſonſt einmal ein Haarkräusler ab-
kaufen wollte, und dem ſie ſie nun gelaſſen hatte. Augen-
blicklich kaufte die Geſellſchaft die Haare zurück, die ſchönen,
langen, blonden; ließ Ringe davon machen, und die werden
wieder für unſere Sache verkauft. Der Geheimrath Crelinger
hat ein Dutzend mit hieher gebracht, die theuer verkauft wer-
den. Es iſt nicht viel, ſeine Haare zu geben: und doch iſt
die Geſchichte ſo hübſch. Der Emotion wegen, die das Mäd-
chen, die Frauen, gewiß hatten, und des lieben Willens und
unſerer Emotion wegen. Nicht wahr? laß ſie drucken. —
Goethe iſt, wie du in Niebuhrs Zeitung leſen wirſt, in Dres-
den:
[97] den: Gott ſei gelobt in Ewigkeit. Was mag der denken!
Manches denk’ ich mir. — Die Sonne duckt: heute gehe ich
zu Kommandanten-Bouché. Mlle. Schmalz reiſt morgen zu
der hohen Geſellſchaft nach Dresden, auf drei Wochen. So
ſchließt ſich das Lebensintereſſe ſelbſt an den Tod. — Man ſagt
ſo eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen. —


An Varnhagen, in Hamburg.



Hier ſitze ich, lieber Auguſt, in einem himmliſchen Ge-
birgskeſſel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den
idealiſcheſten Spazirgängen; nicht im Bade ſelbſt, ſondern auf
dem Markte wohnend. — Alle Berliner ſind in Breslau.
Ich zog es vor, hier im ſtillen Winkel an der Gränze wohl-
feil im Sommerleben zu ſitzen. — Gott, Auguſt! könnt’ ich
dieſe Gegend, dieſe Einſiedler-Ruhe, dieſe Schlünde, Ge-
birgsgewäſſer, dieſe Blüthen und dieſe Grasmatten, ohne
Angſt für alles was ich liebe, genießen. Mit dir. Wie
könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük-
kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da-
ſein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir
die Gedanken an Preußens, an Berlins Zuſtand, an den un-
natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewiſſen drückt ſie mir
wieder an’s Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben
und genießen will! So ſah ich hierherzu kein friedlich Dorf,
kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbeſtelltes Land: ohne
II. 7
[98] ſchwere Belaſtung des Herzens und ſchmerzliche Thränengebete.
Ich traute mich nicht, mich zu freuen! O! die ganze Natur
iſt ſtill: und der kleinlich wüthende Menſch, ohne direkten
Willen, ſtört ſie, und den Frieden! Eins iſt gewiß, Auguſt:
iſt nur Friede, bleibſt du nur leben, und wir haben auch noch
ſo wenig: in einem Thal wie hier, können wir reichlich und
glücklich mit einander leben. — —


An Erneſtine Robert, in Brünn.



Geſtern, liebe Erneſtine! erhielt ich erſt einen Brief aus
Reinerz, der neun Tage unterwegs war, von Markus, der
mir auch Ihren von Troppau mitbrachte. Ich bin ſeit vier-
zehn Tagen hier: ſehr gut aufgenommen — die Details habe
ich zu oft ſchreiben müſſen ſeit ich hier bin, ohne nur in der
Welt zu wiſſen ob auch die Briefe ankommen. Sie erlaſſen
ſie mir alſo heute —, aber in welcher Seelenverfaſſung, mö-
gen Sie beurtheilen! Vom Lande, von Geldquellen, von Nach-
richten, von Freunden abgeſchnitten: ohne Heimath (denn ein
Quartier habe ich überhaupt nicht), und ohne zu wiſſen, ob
ſie ſich wieder herſtellt. Spät erſt erfuhr ich durch Reiſende,
wo Markus war — zwei Poſten von Reinerz, wo er nun
wieder iſt — und durchaus konnte ich nicht ergründen wo Sie
geblieben waren; erſt vor acht Tagen erfuhr ich es. Stellen
Sie ſich alſo vor, wie mich Ihr Brief freut! ich hatte ihn
nicht eine Viertelſtunde, als mir Louis, mein Bruder, einen von
[99] Moritz zu Hauſe brachte mit der Einlage für Sie. Ein Rei-
ſender, der über Dresden in drei Tagen von Berlin hierherge-
kommen iſt, hat ihn mitgebracht. Dort iſt alles jetzt ruhig,
und ſehr anſehnliche Truppen von uns dort. Ich glaube Ih-
nen, daß es Sie nicht freut nach Wien zu gehen; mich erfreut
auch nichts, und ängſtigt der Aufenthalt im fremden Lande,
ſchon in pekuniairer Hinſicht genug! Wie finden Sie das
theure Kupfer und Papier? Alles in der Welt koſtet einen
Gulden. Ich bin aber ſehr getröſtet für Sie, daß Sie bei den
Ihrigen ſind: und daß beſonders Mama bei Ihnen iſt, und
nun gar noch Papa kommt, mit ſeinen Konnexionen. Es wird
Ihnen beſſer gehen, als Sie es erwarten konnten; ſehen Sie
doch alles! und Sie werden in Wien in gute Konnexionen
kommen. Erlaubte es das Geld, ſo machte ich Ihnen dort
meine Aufwartung. Aber bis nach Wien bringe ich es nie,
ich komme immer nur bis nach Prag. Aber Prag iſt wun-
derſ
chön! Solch ein Schloß! ſolch eine Stadt um das Schloß
her, giebt es wohl nur ſelten in der ganzen Welt. Das The-
ater iſt ſehr gut — welches ich frei habe und faſt täglich be-
ſuche. Man zieht ſich ſehr gut an hier, die Frauen nämlich;
viel und reicher Adel, Palläſte, und das auch in den engſten
Gaſſen, die von altem großen Reichthum zeigen: die ſchönſten
Spazirgänge. Dies die Stadt an ſich; und ſehr groß. Ich
wohne bei einer lieben Frau; ſehr gut. Gr. Bentheim thut
alles mögliche Gute an mir. Varnhagens geweſener Oberſt.
Ich weiß noch nicht, wann ich es ſicher genug zum Reiſen
halten werde. Übertölplen Sie ſich damit auch nicht. Die
andern Berliner ſind nach meinem Begriff zu voreilig nach
7 *
[100] Hauſe gegangen. In dieſer Zeit hat der Furchtſame Recht,
das haben Sie geſehen. Der Ausgang kann auch oft für die
Dreiſten ſprechen, man muß aber den Augenblick, wo der Ent-
ſchluß genommen werden mußte, nicht aus den Augen verlie-
ren! —


Tauſend Grüße an Alle die ſich für mich intereſſiren, die
Schweſtern und Mama beſonders. Hätte ich doch den lieben
Barnekow geſehen! iſt er denn nicht lahm an ſeinem Fuß?
ich habe ihm ſeit dem Februar nicht antworten können, oder
gar Oktober. Schreiben Sie mir von Wien. Adieu liebſtes
Kind, antworten Sie uns.

R.


An Varnhagen, in Lauenburg.



Lieber Auguſt, der vierte Brief von hier! Alles mit Ge-
legenheiten. In der Hoffnung, daß du ſie bekommſt. Aber
nun bei Gott! kann ich nicht mehr daſſelbe ſchreiben! Und
doch im kurzen! Mittwoch waren es zwei Wochen, daß ich
mit meinem zweiten Bruder hierher kam. Mad. Brede hat
mich aufgenommen; bei der wohne ich. Louis wohnt auch
im ſelben Hauſe. Quartier, nichts iſt hier zu bezahlen. Die
Stadt voll Landsleute. Ich ſchrieb deinen Freunden von der
letzten Poſt hierher. Ihnen verdank’ ich Aſyl und Leben hier.
Tieck iſt hier, und wir ſehen ihn täglich; ſehr lieb und freund-
lich. Auch er iſt ſehr zufrieden mit dem Theater, und hat
die Brede in Franziska vortrefflich gefunden, und es ihr heute
[101] geſagt. Goethe kommt her. Lämels haben ihm Quartier ge-
miethet. Liebichs ſehe ich oft: ſie ſind äußerſt gut.


Vorgeſtern erſt! Auguſt, erhielt ich über Reinerz (neun
Tage gingen die Briefe von dort hierher) deinen Brief aus
Hamburg vom 27. Mai! Gottlob! Aber ſeitdem! Alles Liebe
aus meiner Seele habe ich dir ſchon geſchrieben. Wo ich hin
muß, weiß ich noch nicht. Für’s Erſte bleib’ ich im Schutz
deiner Freunde. Alles dank’ ich dir mit freudigem Stolz.
Die Möglichkeit der Reiſe, die Aufnahme. Der Obriſt liebt
dich: er denkt immer, du kommſt her, wenn du mich hier weißt.


Schreibe mir nichts Öffentliches. Nur von uns. Einzi-
ger
Freund. Du bleibſt mir leben! Was ſollt’ ich noch viel
auf der Welt ohne dich! Du haſt mich nun ganz erobert;
et par droit de conquête et par droit de naissance; bei Gott,
ich wäre todt ohne dich! — So eben bat ich Auguſten, dir
ein wenig von Tieck, ſich, dem Theater, und ihrer Laufbahn
zu ſprechen. Tieck und unſere Geſpräche werden ihr ſehr wohl
thun. Denk dir, daß er ihr Wort für Wort ſagte, was ich
ihr geſagt hatte; z. B. nach Franziska, ſie ſollte Lady Mac-
beth
ſpielen!? Ha? und ſo alles Wunderbarſte. Siehe!
ich ſpreche von Fremden! und denke ſo viel an uns, bin ſo
erfüllt davon; ſo ganz noch im Gefühl von dem Krieg! Aber
ich kann nicht — aus Aufgeregtheit — drüber ſchreiben. Auch
habe ich dir zu viel geſchrieben. Lebe wohl. Gott ſchütze uns!
Ich danke dir für alle Liebe! und trage ſie und dich zärtlich
und immer erſchüttert in meinem Herzen dafür! Lieber Au-
guſt. Bleibe nur muthig; und ſo lange ich lebe meiner
gewiß!

R. R.


[102]

Grüße Marwitz millionenmal: ſeine Schwägerin iſt hier,
und hat mich nach ihm fragen laſſen. Ach! nun kommen
nicht mehr häufige Briefe von dir! Adieu! adieu! —


An Varnhagen, in Mecklenburg.



Vormittags 10 Uhr. Helle brennende Sonnenhitze;
mein Fenſter gegen Morgen.


— Als ich geſtern deine Briefe geleſen hatte, mußt’ ich
gleich nach dem Landhauſe, die Schildwache genannt, fahren,
ich nahm Papier mit, und wollte dir dort ſchreiben: die Hitze,
die Sonne, die Menſchen, mein körperlicher Zuſtand, alles
ſtörte mich. — Nach Tiſch kam eine Unzahl Menſchen. Das
Schwarzenbergiſche Hauptquartier ſteht in der Nähe, und
ſeine Suite ſitzt bei Liebich; recht lebſelige, artige, angenehme
Leute; und was noch viel mehr iſt, launige, luſtige Leute.
Ein Hr. von Böhm, der komplet artig und fein, und freundli-
chen Herzens iſt, und keine Grade der Artigkeit äußert, ſondern
den Orden nicht getheilt hat; artige Behandlung fließt aus
ihm aus, weil er artig iſt; vielleicht kennſt du ihn, er war
mit Fürſt Schwarzenberg in Paris; ſieht Barnekow etwas
ähnlich. Dann ein Graf Karl Cl. M. ein ſchöner junger
Mann; dem ich erſt Unrecht that, weil es nicht meine Schön-
heit iſt; der ungeheuer natürlich iſt, und keine Art von Prä-
tenſion hat; der für ſein Alter bewundernswürdig abgeſchliffen
iſt, ohne nur im Geringſten an Jugendlichkeit zu verlieren;
eine menſchliche Artigkeit in ſich trägt, die in Argloſigkeit.
[103] Wohlwollen und Aufmerkſamkeit auf alle menſchliche Äuße-
rungen beſteht. Er äußert ſich viel, und iſt doch leiſe; er er-
zählt ſogar ohne vortretend zu ſein, nicht einmal mit der
Stimme. Er ſcheint viel Sprachen zu ſprechen, und ſpricht
auch unſere ganz richtig, und eine Liebhaberei an ſolcher
Richtigkeit, und Erwägung ihrer aller zu haben. Ein ange-
nehmer, wohl zu leben und zu leidender Mann; der ſich ſo-
gar den Grafen ſehr abgerieben hat, und ſich weit edler und
werkthätiger dahinaus bewegt hat — aus dem Grafen. —
Dann noch drei junge Leute, die alle natürlich ſind, und nicht
gemein. Manche äußerten ſich noch nicht. — Nun mein
Favorit, ein Herr von — den Namen werde ich ſpäter ge-
nauer und richtiger ſchreiben können. Ein überaus luſtiger,
lebhafter Menſch, braun, glattes Haar; etwas wohlbeleibt,
voller Laune; kann er nichts thun und hervorbringen, ſo
macht er aus Ungeduld Grimaſſen; tappt und neckt alle Kam-
meraden; nimmt aber mit derſelben guten Laune wieder ein,
und läßt ſich ad absurdum führen. Graf Cl. iſt immer ganz
ernſthaft und demonſtrirend gegen ihn. Du fühlſt, bei mei-
ner
Lebhaftigkeit und Ungeduld mußt’ ich, trotz ich mir aus
richtiger Behutſamkeit das Gegentheil vorgenommen hatte,
mit dem Mann etwas verwandter werden: denn er zwang
mir plötzliches Lachen ab: das näherte wieder ihn unbewußt;
auch hat er die gute und faſt [immer] launigen Witzigen feh-
lende Eigenſchaft, auf Anderer Einfälle gleich zu horchen: ſo
iſt er zwar wie erſchrocken über Repliken oder Witz und
Scherz, der nicht von ihm kommt, und repetirt ihn in dem
Schreck ſehr poſſierlich, aber würdigt ihn mit der größten
[104] Gutmüthigkeit, und macht gleich einen friſchen, und, gelingt
ihm keiner, daraus etwas. — Als wir ſpäter im Bauer-
garten ſpaziren gingen, wo die Kühe weideten, und ich mich
fürchtete, fragte mich Graf Cl. ganz theilnehmend, ob und
warum ich mich denn ſo ſehr fürchtete? Und da antwortete
ich in meiner Angſt: „Warum ſoll ich mich denn vor dum-
men Leuten mit Hörnern nicht fürchten?“ Das konnten die
beiden gar nicht vergeſſen und verlachen. — Heute ſollt’ ich
wieder bei Liebichs diniren. Tieck iſt ſchon dieſen Morgen
hinaus — und darum wollte man mich gerne — mit Schle-
gels Überſetzung des Macbeth, der ſoll nächſtens gegeben wer-
den, und Tieck ſpricht nun darüber, wie er und Shakeſpeare
es meinen. Tieck wäre nie zu Liebichs und zur Brede ohne
mich gekommen; aber du weißt, was ich im Menſchenvolk zu
verbinden verſtehe; wie viel Bindendes die Menſchen in ſich
tragen, und was nur zuſammengewickelt daliegt; ich vermag
es zu entwicklen, zu entwirren: und Prag wird in ſeinem
Theater eine Veränderung erleiden. Dies auch nur ſchreib’
ich, weil es dich amüſirt! — Mich intereſſirt ganz etwas an-
deres! Unſer Zuſammenſein. Ruhe, Wohnung, Feld, Geſell-
ſchaft; Thätigkeit, Angemeſſenes für dich im Frieden. Meine
geliebten Freunde wieder zu haben! — —


[105]

An Gentz, in Prag.



Wer tief aufbrauſende Wellen eines ganzen Meeres, von
ſonnenleerem Firmament überdunkelt, beſchreiben könnte!


So ſehe ich mein Herz unter mir; keine Sonne, keine
Hellung des Geiſtes will hinableuchten, ſeit ich Sie ſah: ſeit
ich Sie hier weiß eigentlich. Jede Leidenſchaft; jeder noch ſo
fromm ergriffene Wahn, jeder einſeitige Naturhang des Her-
zens muß vergehen — ich kenne alle — durch Zeit; und zer-
ſtören ſie nicht das Herz, das Leben ſelbſt, ſo geht dies neu
hervor; wenn auch nach tauſend Jahren.


Was ſoll ich aber zu meinem Herzen, zu mir ſelbſt, zu
meinem Geiſte ſagen, in dem namen loſen Bewußtſein, daß
ich die elf Jahr hätte müſſen unter Ihren Augen leben; ja!
daß es ſo damit iſt, wie mit Seelenaugen, die ich wiederbe-
kommen habe; und mir nun vorrechne, daß ich im ſchwarzen
Dunkel die ganze Zeit mich allein gequält habe. — Glauben
Sie an keine Übertreibung! — Sie ſollten von meinem Leben
wiſſen, alles geſehen haben: wer giebt Freuden und Schmerz,
Gedanken und Ereigniſſe, friſch aus der Seele gebrochen, einer
ſo langen Zeit, zurück. Wie ein Irrender ging ich geſtern
unter den wohlbekannten, mir freundlichen Menſchen umher:
wie über meinem Haupte gingen ihre Worte an mir vorbei;
ich antwortete wie ſonſt, ſie waren zufrieden: ich meinte, es
antwortete ein Anderer für mich, aus göttlicher Zaubergnade.
Habe ich doch gar nicht gewußt, daß ſolche Schmerzen in
[106] meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch
möglich ſind! Es ſind auch nicht Schmerzen: ein Wogen,
das Wogen eines Weltmeers; worüber, man ſieht es, man
nie Herr wird. Ich ſeh’s, die Natur iſt unendlich! und immer
anders unendlich, als der gewitzigſte, beſcheidenſte Geiſt es ſich
zu denken vermag. Was ſoll mir die Zeit erſetzen; dieſe
Zeit? Und doch glaub’ ich das Umnögliche, das Unbegreif-
liche: Gott kann ſie mir erſetzen. Ich nehme ein Jenes-Leben
darum an; — mein tiefſter Ernſt, den ich auszuſprechen er-
bebe. Ich ſcherzte nicht geſtern, als ich in der Menſchen Ge-
genwart ſagte: Gott müſſe eine große Urſache zu unſerer Tren-
nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht ſo, ſind da-
von nicht ſo überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih-
nen erſcheine: Sie lieben mich nur, dieſen Brief, und alle
meine Briefe, wie Sie den entzückten Taſſo liebten, begegne-
ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. „Ich bin entzückt,“
ſagt er, mit ſeiner irren Krone: und ſieht rein. Ihnen ging
es äußerlich beſſer in der langen Zeit, und mit nennbareren
Maßen waren Sie beſchäftigt, hatten Sie zu thun. Aber
unſere Trennung war doch eben ſolch Unglück für Sie, als
für mich: ewig wird mir dieſe Überzeugung bleiben; und nur
mit dieſem Bewußtſein enden; Sie können ſie nur bekommen
mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zuſammen mit Ih-
nen erlebte. Können Sie ſich den Wahnſinn von Unmuth,
Schreck, und ſich für die Ewigkeit aufwindender — wie Schlan-
genthiere — Verzweiflung, über meinen Stand, über meine
Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben
Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu
[107] Genüſſen dienen ſoll? Ich bin ganz ſo weit darin, als Sie.
Erinnern Sie ſich an meinen Brief, den ich Ihnen über Prin-
zeß Louis ſchrieb; und an mein „Blaſirt“. Wenn es mög-
lich iſt, ſollen Sie doch wiſſen, wie es in ein paar Haupt-
punkten um meine arme Seele ſteht. Sie ſollen auch wiſſen,
daß Ihre Lieblinge gewiß die meinigen ſein werden: — ge-
wiſſer, als meine Ihre — und daß, wenn ich geſagt habe:
ich müſſe mit einem Menſchen alles ſprechen können, ich ge-
meint habe: wenn ihm auch nicht alles einfällt, er doch alles
gleich verſtehen und in die Familien ſeines Wiſſens aufneh-
men muß, was ich ihm nur irgend Neues oder Unerhörtes
ſagen kann. Und ſeine ganze Klugheit, ſein ganzer Geiſt
muß darin beſtehen, dahin gehen, alle Härten, alle Härte
zu verlieren, zu haſſen, zu vermeiden. Härte im Umgang:
und für das, was ſie frivol nennen, Gründe zu finden, und
zu haben; und Einſicht dafür. Denn es iſt nicht frivol. Es
giebt auch nichts Eiteles; als Herzensdürre; Kopfhärte, Ar-
muth, Naturarmuth. Gott! wie klein, wie unwürdig beſchäf-
tigt komme ich mir vor, daß ich mich erſt legitimiren muß!
Lebten wir zuſammen, ſo liebten Sie mich nur, und könn-
ten nicht ohne mich leben. Dann wollt’ ich Ihnen noch ſa-
gen, daß Sie mich allerdings benachrichtigen laſſen, wenn ich
Sie ſehen ſoll: daß Sie aber, wenn Sie einmal eine kleine
Zeit haben, unverhofft kommen: mein Mädchen weiß immer
wo ich bin; und Sie ſchicken mir, wo ich auch ſein mag,
gleich einen Wagen, (Iſt es denn nicht ſchrecklich genug!)
wenn Metternich wieder nach Brandeis fährt, wie geſtern.
Den ganzen Tag ſchrieb ich Ihnen geſtern, und anderes, als
[108] hier ſteht. Alſo! Sie ſind zufrieden mit mir. Ich bin ganz
beglückt, daß wir auch in den großen Umriſſen gleich denken:
ſo entfernt, und ſo gleich. Sie werden noch erſt ſehen! und
dächten Sie auch total anders; mit Ihnen wäre das doch
gleich: auch dies gleich. (Meine Feder kleckſt. Eine Ver-
zweiflung!) Fragen Sie doch wo möglich Humboldt aus,
was er wider mich hat: wenn man nur erſt das weiß. Grüß
Sie Gott! und lenke etwas für mich!

R. R.


An Erneſtine Robert, in Wien.



Den 10. o! lieber Waffenſtillſtand, du Surrogat des Frie-
dens! was wird nun werden?


Doch hören Sie meine Geſchichte! — ſo muß ein jeder
mit der ſeinigen kommen, und die größten Welthändel ſind
nichts anders, als Bündel ſolcher Geſchichten. Hören Sie!
Als ich Ihnen das letztemal ſchrieb, wo ich von Moritz aus
Breslau einen Brief erhalten hatte, worin er mir mit dem
nächſten Poſttage Geld von dort hierher verſprach, ſchrieb ich
Ihnen ſchnell, unter Bedingungen, das ab, was ich mir von
Ihnen beſchrieben hatte. Vorgeſtern Sonntag war der Tag,
an welchem meine Anweiſung von Breslau kommen ſollte,
und weder ſie, noch ein Brief von Moritz ſind mir von dort
gekommen. Ich aber ſtehe auf dem Sprung nach Brünn, denn
Truppen, Lazarethe, Gefechte ꝛc., warte ich mit meinem Willen
nirgend mehr ab. Alſo bitte ich Sie nun mir in jedem Falle
zu ſchicken, was ſie mir zugedacht haben, weil ich mich, wie
[109] Sie ſehen, jetzt nur auf Sie verlaſſen kann. Ich glaube in der
That, ſie ſind Alle verrückt geworden: denn denken Sie ſich,
Varnhagen, der ein Fels iſt wie ich ſelbſt, ſchreibt mir aus
Berlin (wo er zwei Tage mit Tettenborn war, der den Kron-
prinzen von Schweden komplimentirte) über dieſe Sachen ganz
verkehrt. — Um toll zu werden! und das alles in Zeiten, wo
die Länder alle Augenblick geſperrt werden können! Von hier
nach Wien bleibt es noch lange offen, alſo ſchicken Sie mir
nur auf jeden Fall, weil alle andern Fälle unſicher ſind.
Mein Herz iſt in Thränen über Ihren Brief. Nicht daß Sie
mir ſo willig ſchicken wollen; aber über die Art wie Sie es
mir ſagen. Sie haben ſich an mir eine Freundin für’s Leben
verſchafft, nicht weil Sie meine Schwägerin ſind, weil ich Ihre
liebe ehrliche Natur liebe: ſondern weil Sie meine einzuſehen
ſcheinen, weil Sie mir nicht nur gut ſind, wenn ſie Ihnen
wohlthut und gefällt, ſondern weil Sie ein feſtes rechtſchaffe-
nes Herz haben: und auch wollen, daß es mir gut gehe: und
mir darin zu helfen feſt geſonnen ſind. Wem ich aber in
meiner Seele dankbare Freundſchaft widmen und zugeſtehen
muß, der kann auf mein Blut rechnen! ſo furchtſam Sie
mich kennen. Sie haben alſo auch eine ewige Freundin in
der Familie: und keinen Hund! keine Unthätige, und noch
keine Verlaſſene, und das bloß wegen Ihrer Worte bei der
That. Ob ich wahr bin, wiſſen Sie!


Sehen Sie, daß X. das Schweinehündchen, ein Schweine-
hund iſt? glauben Sie, Erneſtine, wenn ich dezidirt ſage, einer iſt
gottverlaſſen, ſo muß ſich der Herr erſt wieder mit einer neuen
Seele ſeiner erbarmen, ehe er etwas taugt. Einen ganzen Men-
[110] ſchen zu verwerfen iſt eine große Sünde; wie ſelten hören Sie
d. g. von mir, im Gegentheil, zeitlebens ward ich angefeindet,
und blamirt — getadelt iſt nicht das Wort, — weil ich nie
unbedingt verwerfen will, und des Menſchen Natur bemüht
bin, in ihm aufzufinden, den Punkt, aus dem er handelt,
und nicht die zerſtückelten Handlungen zur Richtſchnur und
Maßſtab nehmen wollte. Aber innerlich ganz eitle, unwahre
Menſchen bis in den Kern, die ſich ſelbſt eine Lüge ſind, und
obstinat dieſe den Geſcheidteſten, mit allen kleinlichen Rän-
ken, und wirklicher Gewaltthätigkeit aufdringen wollen, ſind
wahrhaft verwerflich, und mir unbezwingbar verhaßt. Be-
wahren Sie dieſe Definition des Schweinhundes! Sie kön-
nen ſie auch Brentano leſen. Mit Schweinhündchen und
allem! Morgen reiſt Hr. von Humboldt nach Wien. Laſ-
ſen Sie ſich erkundigen, ob ſie meinen Brief hat. Ihre amü-
ſiren mich ungemein, ſo entſetzlich natürlich. Louis will Er-
neſtinen einen großen Brief ſchreiben. Viel Schönes an Mama
und die guten Schweſtern Margot und Louiſon. Eure Gegen-
füßlerin von Jeanne d’Arc die furchterfüllteſte R. R.


An M. Th. Robert, in Breslau.



Jetzt muß man ſich oft ſchreiben, ſonſt weiß man nicht,
wo man geblieben iſt. — Ich habe nun Geld für die Verwun-
deten und ein wahres preußiſches Bureau bei mir. Hemden,
Socken, Eſſen, Geld, wird hier ausgetheilt und verſchickt. Die
[111] Scenen könnt ihr euch denken. Ich habe ſchon das Glück
gehabt, drei anſtändigen Preußen ganz wieder zur Exiſtenz
zu helfen: und viele Gemeine gelindert. Geſtern bringt mir
Tieck einen Enkel des Staatsraths Albrecht aus Berlin, der
hier krank war, nichts hat: und fort will und muß; dem
ſchieße ich vor — aus meiner Kaſſe — und er giebt mir in-
liegende Anweiſung an dieſen Großvater, die ich dich zu be-
ſorgen und mir den Inhalt zu ſpediren bitte, weil ich’s auch
ferner für Andre brauche! Als ich eben geſtern um 4 mit Tieck
und dem jungen Jäger verhandle, rechne, zahle ꝛc., geht meine
Thüre auf, und Marwitz ſteht vor mir! den Arm in einer
Binde: etwas mager, übrigens wohl. Acht Wunden hat er.
Bei Koßwig unweit Deſſau wurde ihm das Pferd todtgeſchoſ-
ſen: es fiel ihm auf einen Schenkel, er konnte nicht hervor:
ſeine Truppe zog aus: Polen fielen über ihn, ſtachen ihn mit
der Lanze, ſchlugen ihn mit Kolben, daß ihm der Degen ent-
ſank; hieben ihm auf den Kopf eine große Wunde; drei in
den rechten Arm, und noch dergleichen; ein polniſcher Obriſt-
lieutenant rettete ihn — Skrzynecki, dem thue man Gutes,
wo er zu finden iſt — rettete ihn da hervor, bot ihm ſeine
Börſe an: gefangen war er aber; ſo führte man ihn nach
Wittenberg, wo er immer eingeſperrt mit achtzig auf’s abſcheu-
lichſte war, auch in Leipzig, und ſo herum; er hatte kein Eh-
renwort gegeben: und entkam nach langen Avantüren im
großen Regen damals in der Nacht. Deutſche halfen ihm:
ſo kam er durch ein Stück Baiern, das Weimariſche, und
Sachſen, geſtern hier an: ſteigt im Erzherzog Karl ab, und
kommt zu mir. Wohnt auch wieder bei Rahlchen, denn Frau
[112] von Reimann hat ihm ein Zimmer eingeräumt, wie für ihren
Bruder. Ich bin bei Engeln! Achtmal war ſie und ihre Bonne
gewiß oben, um immer zu fragen, ob alles recht iſt. Sie hat
ihn mit großer Mühe anſtatt eines Andern genommen; thut
alles. Bei welchen Leuten bin ich! Und wie ſchützt und
ſegnet mich Gott, daß ich Gutes thun kann in dieſer Noth.
Jetzt ſind drei Mädchen von Frau von Reimann, eins von
Auguſten, und Dore und die Jungfer von Frau von Lämel,
die es ihnen zuweiſt, nach St. Nikolas, wo ſolche Noth war,
daß ſie geſtern das Kloſter anſtecken wollten, um lieber zu
ſterben. Da ſchicke ich wohl für Hundert Eſſen; und für Zwan-
zig Hemden hin. Morgen wieder. Leinwand, Socken, muß
ich kaufen, Marwitz Briefe ſchreiben sous la dictée, an Tſcher-
nitſcheff u. ſ. w. habe an Frau von Humboldt nach Wien ge-
ſchrieben, an Varnhagen; war bei Lämels — das Komtoir
ſollteſt du ſehen: die heitere Ordnung, und Schnell- und Höf-
lichkeit, — habe hundert Menſchen, Soldaten, geſprochen, ab-
gewartet, und alſo nur die Zeit euch zu grüßen. Ich bin ge-
ſund: und lobe Gott. Was ſagt ihr zu Marwitz Glück! Das
Beſte habe ich vergeſſen. Ein Pole ſetzt ihm, wie er liegt,
das Gewehr vor die Stirn, drückt los, und es ſchießt doch
nicht: und nun iſt er vor wie nach bei Rahlchen wie zu Hauſe.
Adieu, adieu! Grüßt den Onkel, und ſagt ihm, ich wäre jetzt
eine preußiſche Chevere-Frau. — Marwitz ſtört mich aus Un-
geduld. Auguſte ſitzt auch da. Adieu Kinder!

R. R.


An
[113]

An Erneſtine Robert, in Wien.



Seit Sie mir die Anweiſung geſchickt haben, Liebe, habe
ich Ihnen ſchon zweimal geſchrieben: den letzten Sonntag hat
mir auch Moritz Geld aus Breslau geſchickt; worauf ich ihm
gleich den Montag ſchrieb. Nun habe ich vorgeſtern wieder
einen Brief von Ihnen erhalten, in welchem Sie mir ſagen,
daß Sie nach Baden fahren, und mich in Brünn zu ſehen
gedenken. Noch weiß ich nicht, ob ich dahin muß, ich warte
das Gefecht hier erſt ab. Markus ſchreibt mir vor ein paar
Tagen, als wäre Moritz noch in Breslau, und ginge vielleicht
nach Brünn? Ich kann Ihnen nicht eher ſchreiben, bis Sie mir
von einem feſten Ort und einer feſten Stelle ſchreiben; und
auch nicht was Clemens über Sie geſchrieben hat. Auguſte
grüßt Sie, Sie ſollen nicht nach Brünn, ſondern nach Prag
kommen. Geſtern habe ich tauſend bekannte Preußen geſehen,
geſprochen, viele unbekannte, unſern König in fremdem Freun-
des- Land geſehen, und große, große Erſchütterung erlebt!
mündlich von dieſem ſchönen, großen, wenn auch in Gottes
Beſchluß nur einzelnen Tag. Sonne, Wetter, Kanonen, Rauch,
Volk, Geſchrei, der Kaiſer mit Fritz in Einem Wagen; die
Nation für uns! Adieu, adieu, ich bin noch zu erſchüttert,
und ach! fürchte jenes Talent, und die einmalige Konſtella-
tion. Adieu, adieu, man ſchlägt ſich vielleicht ſchon an Spree
und Elbe. Napoleon ſoll nach Luckau, eilf Meilen von Ber-
lin, aus Dresden gehen. Adieu! Gott befohlen wir Alle!


R. R.


II. 8
[114]

An Joſeph von Pilat, in Prag.



Wenn Sie Gentz ſchreiben, liebſter Pilat, ſo ſagen Sie
ihm doch in aller Rechtſchaffenen Namen und mit allem or-
dentlichen Lobe den Dank, den er verdient. Das Manifeſt iſt
eine Staatsſchrift vom allererſten Rang: überhaupt iſt gewiß
ſelten etwas mit ſolcher Klarheit des Bewußtſeins und ſolcher
moraliſchen candeur geſchrieben worden. Es iſt eine Erſchei-
nung, die in der Geſchichte der diplomatiſchen Beredſamkeit
eben ſo ſehr Epoche macht, als das darin dargeſtellte Verfah-
ren in der Geſchichte der Diplomatie.


Wenn die Urheber noch einen Augenblick an der Wieder-
herſtellung der Freiheit von Europa zweiflen, ſo wiſſen ſie
nicht, was ſie gethan und geſchrieben haben. — So hoch ſteht
über alle Begeiſtrung, allen Enthuſiasmus, ſelbſt über alles
Genie und Talent, — die Geſinnung: und über alle Macht
und alle Fülle, — die Ordnung und das Maß. Dieſe Geſin-
nung und dieſes Maß iſt aus den Ruinen einer halben Welt
hervorgegangen, und noch immer nicht wohlfeil erkauft: das
iſt unſer Sieg.


Ich bin nicht zum Loben aufgelegt, aber dies iſt mir
zu ſtark. Und wie ſind beiher die Stein’s, die Arndt’s be-
ſeitigt! —


[115]

An Varnhagen, in Mecklenburg.



Wenn ich die Feder in die Hand nehme, ſo geht die wahre
Agitation erſt an; das kennſt du! du legſt mir die harten
flüchtigen Phraſen auch gewiß einzig auf der ganzen Welt
gut aus. Der Obriſt, und der Hauptmann Marais, leben!
denn warum ſollſt du nicht gleich erfahren, wonach du bangſt!
— Von unſern Schrecken, von den Nachrichten, ächten und
falſchen, Anblicken und Anſtalten, kein Wort. Kurz es iſt
Krieg zu ſehen. Gottes harte Strafe. Vandamme iſt geſtern
hier durch gebracht. Auch hierüber kein Wort, weil man jetzt
nicht weiß, in weſſen Hände ein Brief fällt. Ruſſen führten
ihn, man glaubt nach ihrem Lande. Und du? du? Seit
dem 31. Juli keine Nachricht von euch! Das iſt nichts Gut’s.
Wo ſeid ihr? Gott im Himmel! du findeſt ja ſonſt immer
Gelegenheit zu ſchreiben: aber denke nur nicht, daß ich mich
ſchon zu ſehr ängſtige: nein, ich hoffe viel auf verlorengegan-
gene Briefe; ich kenne Umſtände, und Kriegsumſtände; auch
kann ich keine Angſt in meiner Seele finden, die dem Zuſtande,
worin du ſein kannſt, angemeſſen wäre. Gnädiger Gott, ſeit
ich die unzähligen Verwundeten ſehe! doch behielt ich Kräfte
zu laufen, zu ſprechen, zu ſchreiben für ſie. Das Publikum
iſt noch nicht ſo gewitzigt, als bei uns: die unbequeme Stadt
pretirt nicht dazu. Die Frauen im Einzelnen fangen an, ſich
die Verwundeten auszubitten, ihnen einſtweilen Eſſen und
Hülfe auf die Gaſſen zu ſenden; ich habe eine göttliche Haus-
8 *
[116] wirthin, Frau von Reimann, die thut viel. — Ach! Auguſt,
könnt’ ich hoffen! Nach einer guten Schlacht fürcht’ ich dop-
pelt. Und Böhmen, und Prag, wie es liegt, wenn man’s
anſieht, iſt fürchterlich; und wo ſoll man hin? ohne vieles
Geld. Doch würd’ ich fliehen: im Annäherungsfall: möge der
mächtige Gott uns bewahren! der ſchon einen ſandte: und
welchen!


Frau von Humboldt hat mir einen lieben himmliſchen
Brief geantwortet: ich ſchickt’ ihn dir, wenn ich ihn riskiren
wollte. Es iſt viel and ich drin. Sie betet für dich; will dich
nicht mit Schreiben plagen: iſt ſehr mild; ja weiſe. Auch iſt
ſie in einer weiſen Lage: immer ſicher und geborgen, es
gehe wie es will. Sie hat einen Brief vom April von dir;
ich ſoll dich grüßen. Schreibe ihr. Er, Humboldt, iſt ſeit
geſtern von Wien zurück, und geht nach dem Hauptquartier.
Von Gentz möcht’ ich dir gerne ſchreiben, kann aber nicht; er
thut mir Artigkeiten, wie Graf Metternich ſie mir thäte, wenn
ich ihn fünfzehnmal geſehen hätte, wie ich ihn zweimal in
Geſellſchaft ſah; glaubt, er bringt mir ein Opfer, wenn er
von der Kleinſeite zu mir fährt, alle acht, vierzehn Tage.
Antwortet mir auf jedes Billet: hat ein Bedürfniß, — welches
er befriedigt, wenn er mich ſieht, — mir alles zu ſagen was
ihn intereſſirt. Fragt mich nach ichts. Kurz, hat kein.
Gedächtniß im Herzen. Kennt keine Welt mehr, als die aus
Koterien vornehmer Leute beſteht; kennt alſo das wahre Ge-
wicht nach Zeit und Gewicht auch davon nicht. Mit Einem
Wort, ich erlebe Wunder durch ihn; daß in dieſer Zeit,
bei dieſer Gefahr, bei dieſen Verwundeten mir noch etwas
[117] das Herz atterriren kann, il ne cesse pas de m’atterrer le
coeur.
Die Naturgaben, die Eigenſchaften, um derentwillen
ich ihn lieben muß, liebte, und liebe, die hat er noch; leben
aber könnt’ ich nur mit ihm, wenn ich eine Herzogin wäre:
oder mit ſeinen umging: ſonſt giebt er’s gar nicht zu. Ahn-
det
aber dies alles nicht; ſondern hält es für Geſchäfte.
Auch verſteht er durchaus nicht was ich ſage und ſchreibe.
Er nennt mich ſogar, räthſelhaft; pikant — pikant???!!!
weil ihm die eilf Jahre hindurch, die ich ihn im liebenden
Herzen hätſchelte und verwahrte, die Grundbewegungen, Äu-
ßerungen und Geſichtspunkte der Menſchheit abhänden gekom-
men ſind! Du kannſt dir meinen dumpfen, ſtumpfen namen-
loſen Schmerz darüber, zu dem ich nicht einmal Zeit habe,
gar nicht denken! Weil ich den wirklich zu lieb hatte! Und,
du ſtarre wieder, über mich: noch habe. Mündlich alles im
größten Detail. So viel nur noch! Man ſpricht oft in der
Welt: Stände härten den Menſchen ab, und nennt Ärzte,
Wucherer, Soldaten, Advokaten; dies konnte ich nie ganz
zugeben in mir, und fand es auch gar nicht; weder in dem
Erlebten; noch im Weſen dieſer Stände gegründet. Aber Di-
plomaten iſt das Gräßlichſte in der menſchlichen Geſellſchaft!
(Der Stand. Nicht jene Männer, die den ſchufen, durch
ihr Lebens- und Geſchichtstalent.) Diplomaten werden hart
durch Weichlichkeit; und dies geſchieht dem Henker nicht ein-
mal. Viſiten werden Pflichten; Anzüge, Kartenſpiel, das
müßigſte Klatſchen — Geſchäfte; wichtige. Keine Meinung
haben, und ſie nur dadurch nicht äußern, welches die ausge-
breitetſte, ſündhafteſte Krankheit des Pöbels (welcher gemeint
[118] iſt, weiß man) iſt, — wird Klugheit, Betragen genannt; und
wird eine wahre Verhärtung der Seelenorgane. So haben
ſie eine eigne Phraſeologie im Reden, wie in den Depeſchen; —
in Deutſchland ein Diplomaten-Franzöſiſch, welches ſich fort-
erbt, und ich vor ſechszehn, achtzehn Jahren ſchon hörte; aber
kein Franzoſe mehr ſpricht. Das hält ſo äußerlich, wie die
Equipagen und Manſchetten, zuſammen; und Ein Willen in
der Welt, oder aufgehäufte Noth, trümmert all den Lug
zuſammen; der Gräuel ſpricht ſich aus gräßlichen, wirklichen
Wunden hervor; Krieg überſchüttet Europa; aber wer iſt ge-
ſichert? — Dieſe Kerle mit Manſchetten! Und dies wiſſen ſie,
ſonſt nichts. Glaube es; es iſt nicht zu grell, was ich ſage;
der lebendige Satan ſollt’ es ihnen zeigen. Denn ſie verletzen
alles; die Geſellſchaft im Großen; und jedes Herz im Ein-
zelnen. Dies wird einmal von der Welt gewußt werden;
wie jetzt: daß Prozeſſe viel koſten, Advokaten davon reich
werden: im Krieg geplündert wird u. ſ. w. Glaub’ es: es
kommt zur Sprache. Ein genialer Regent kann es machen:
plötzlich. —


Lieber Auguſt, wo biſt du! Ach ſoll ich mich beklagen,
da es ſo in der Welt hergeht? Lebe wohl! Gott, nur Gott
kann uns ſchützen. Hoffſt du? denkſt du, daß wir uns im
Frieden ſehen? Nur keinen ſchrecklichen Tod, und alles wie
Gott will. Ich bin manchmal ruhig. —



Morgens im Bette! Lieber theurer Auguſt, geſtern brachte
mir Dore im Triumph deinen Brief vom 13. Auguſt aus Boi-
tzenburg nach der Färberinſel, wo ich um nichts von Wunden
[119] zu ſehen hingegangen war; und am tobenden Waſſer ſaß,
Gott weiß wie! Dein Brief iſt trübe, Auguſt! Recht! ſchreibe
mir wie dir iſt! diessoulagement mußt du haben. Freilich
haben wir keine Ausſichten. Meine habe ich alle als Ge-
lübde vor Gottes unergründliche Rathſchlüſſe niedergelegt.
Schütze er mein Aug vor Gräuel; und erlöſe die Welt vom
Krieg. Ich habe große Ambition; weil ich zu den Beſten ge-
höre, und dazu auch einen guten Platz brauche: aber ſie
bleibe gekränkt, nur Friede den Menſchen, den Bauern, den
Städten, Heilung den Wunden: und ich will nichts mehr.
Durſtend bleibe mein Herz, gekränkt ich. Nun haſt du mein
ſtillſtes tiefſtes Innere. Mehr zu opfern hab’ ich nicht Kraft:
zu Wunden bin ich zu ſchwach: dieſe Stärke habe ich nicht.
Ich fürchte, es iſt eine Sünde dies zu ſchreiben! Ja, ja! —


Gentz hat mir eben ein freundliches Billet mit einem Pa-
ket Extrablätter geſchickt, und einen Brief von Adam Müller,
den ich gleich zurückſchicken mußte. — Geſtern ſchon wollt’ ich
noch dran ſchreiben: Gentz iſt ſehr wahr; kindiſch bis zum
Küſſen! und ungeheuer aufrichtig mit mir. Aber doch iſt
alles, wie ich ſagte. — Ich habe noch gräßliche Furcht. Man
ſagt, bei Töplitz müſſe es zu einer Schlacht kommen. Denk
dir! Adieu.


An Varnhagen, in Mecklenburg.



— Heute leider kann ich dir nur flüchtig ſchreiben, mein
Auguſt: ein Schickſal: denn ich wollte dir beſſer, ſüßer ſchrei-
[120] ben! Aber mein Leben zu wiſſen, iſt dir genug: da iſt das,
was ich dir, du mir biſt, drin enthalten. Höre alſo, was zum
Theil ich dir in jenem Brief ſchon ſchrieb. Wir haben nach
der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den
drei, und der feindlichen Nation. Dieſe Jammerſöhne lagen
vorige Woche auf Wagen in den engen Gaſſen gedrängt,
und theils in den Straßen ſelbſt, unter Platzregen da! Dieſe
Zeit vergeſſe ich nie. Auf ſo viele war die Regierung nicht
gefaßt, man hätte glauben ſollen auf nichts! Die Einwohner
thaten wie in bibliſchen Zeiten alles! man verband, man
ſpeiſte ſie in den Gaſſen, in den Hausfluren. Judenmädchen
waren berühmt darin: eine Weiſemutter verband dreihundert
in einem Tage: kurz das Unmögliche geſchah. Der Jammer
war aber nicht zu ſteuern. Wir, Auguſte Brede, meine edele
Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was
wir konnten, ließen kochen, ſchickten Wäſche, Charpie: die
Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl,
und bat ſie, ihre Verwandten zu bitten; ſie verſprachs. Ich
ſchrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief,
und Lea Mendelsſohn, Bartholdy’s Schweſter, eben dahin.
Vorgeſtern ſchickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun
kaufe ich Hemden, Socken, laſſe kochen, ſchieße reichern Ver-
wundeten vor; kurz, bei mir iſt ein kleines Bureau: meine
intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge
Leute an der Hand: von jeder Klaſſe. Du kennſt meine Art
bekannt zu werden, zu ſein. (Göttlich ſchrieb mir Karoline;
— der ich auch ſchon geantwortet; ich habe gar keine Zeit —
ſie wird mir mehr ſchicken, dies war nur, was ſie und die
[121] Kinder bei der Hand hatten. Ja, ſie müſſen von dort: ſie
haben die Fahnen, die Adler, wir die Verwundeten!) Alſo
Gott hat mir gelächelt: ich helfe etwas. Als nun geſtern
Nachmittag Tieck mir eben einen jungen Landsmann gebracht
hatte, dem ich gegen Aſſignation vorſchieße, — geht die Thüre
auf, und Marwitz ſteht da. Weiter nichts! Den Arm in
einer Binde, ruppig: kurz, er lebt; iſt der Alte; iſt geſund;
hat acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn.
Polen fielen über ihn, gaben ihm Kolbenſtöße, wovon ihm
der Degen entſank: ein Anderer nahm ihn, und gab ihm drei
Hiebe in Hand und Arm, Einer einen Lanzenſtich, ein Andrer
ſetzte ihm das Gewehr vor den Kopf, ſchoß ab, aber es ging
nicht: der Oberſt der Polen kam und rettete ihm das Leben:
gefangen war er aber; und iſt nun durch tauſend Avantü-
ren entkommen: und kommt durch vielerlei Länder hier her.
(Mit einem Stück Kommißbrot in einem groben Schnupftuch
eingewickelt: einen zerriſſenen Bauerkittel hatte er an: jetzt
trägt er einen Rock von Robert und deſſen Wäſche; wir ſchaf-
fen ihm alles an.) Frau von Reimann hat ihm vor andern
Militairs ein Zimmer eingeräumt: und alſo wohnt er bei uns,
und ißt bei mir. — Er iſt einfach, gut, wahr, ſtill; mild wie
immer. Ohne alles Vorurtheil über irgend ein Vorgefalle-
nes. Beſonders erſchrocken habe ich mich nicht. (Eben tritt
Marwitz herein, und will mir Briefe diktiren an ſeinen Ge-
neral ꝛc. auch habe ich hier mittendrin an einen Wundarzt
geſchrieben: auch war ein Goldſchmidt dazwiſchen hier. Du
ſiehſt! — Leinwand muß ich kaufen. Eſſen kochen laſſen, ab-
theilen, hinbeſorgen, mich anziehen. Nach Breslau ſchreiben!)
[122] Lebe wohl! künftig beſſer und mehr! Ach Auguſt! Nun fürcht’
ich für dich: und hoffe auch wieder, wegen Marwitzens Glück
bei dem Unglück: bei Koßwig wurde er gefangen. Obriſtlieu-
tenant Skrzynecki — ausgeſprochen Skirſchinetzki; dies darum;
wenn er euch in Noth aufſtößt, daß ihr ihn ſehr gut behan-
delt, und dabei ſagt warum, — bot Marwitz gleich ſeine
Börſe an ꝛc. auch der Obriſt Szymanowski. Leb wohl, ich
habe nicht mehr Zeit. — Gott, was iſt von Furcht, Angſt
und Erſchütterung in dieſen Kriegestagen in meiner Seele
vorgegangen. Gott ſchütze uns! dich! unſere arme Länder,
alle Leidende. Nun iſt der Wundarzt da. Leb wohl! und
denkſt du an mich; ſo denke, ſie ſorgt, ſie betet, ſie hofft
ſogar für dich!

Deine R.


An Varnhagen, in Lüneburg.



Seit dem 29. Auguſt ſaß ich und hatte keinen Brief von
dir, treuer, lieber, theurer Freund: als geſtern Gott meinen
Gedanken ein Ende machte, und ich, als es ſchon finſter war
und wir noch kein Licht hatten, zwei erhielt, einer war von
deiner Hand. Damit hatte ich genug. Ich ſtürzte zu Augu-
ſten, und beinah hätte ich ihn gar nicht geleſen, ich beſah ihn
nur. Die regelmäßige kleine Schrift war geſund da! Ich
ging in mein Zimmer ihn zu leſen. O! mein Freund, wie ſoll
ich dir deine Liebe lohnen! Aber ich werde doch! wenn wir
zuſammen ſind. Ich kniete nieder, wollte Gott danken, und
[123] weinte nur: da ſtörte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie-
hen brachte — man gab — denn das geht ſeinen Gang —
die Veſtalin. Mir waren ſie ganz egal, ich hatte nun meinen
Brief. Etwas Troſt hatte ich ſchon vorher: denn vorgeſtern
erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem
ſie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho-
henzollern (gebornen Kurland) geſchrieben, du lebeſt. Das
war wohl Troſt, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere ſei-
nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der
Freundin machten mir neue Beſorgniß: da Wallmoden nur
geſchrieben hatte, du lebeſt, und weiter nichts: und daß er
grade von dir und nur dies geſchrieben hatte, ließ mich auch
auf ſchwere Verwundung denken. Nun iſt dein Brief wieder
über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken.
Aber ſei nur ruhig: ich ängſtige mich über Feld, wie du weißt,
nicht beſonders, ſondern momentweiſe nur ſehr ſelten: ich kann
meine Beſorgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin-
dert mich beinah ganz an der Angſt. So habe ich mich auch
nicht für Marwitz ängſtigen können, bevor er ankam. Ich
habe dir ſchon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge-
ſchrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt,
als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck
gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden:
ſein Pferd fiel todt auf ihn, und ſo hieben ihn polniſche In-
fanteriſten, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen
Lanzenſtich; kurz acht Wunden: ſie ſind bereits alle heil, er
ganz geſund, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird
nur mit der Zeit mit ihr ſchreiben können, wie der Arzt
[124] ſagt, und er nicht weiß noch ahndet: ich aber gleich ſah und
fürchtete. Ich habe dir ſchon in zwei Briefen ſeine Ankunft
und alles beſchrieben. Er wohnt bei unſerer Hauswirthin, die
ihn gleich aus Rahel- und Preußen-Liebe nahm, hat es en
prince,
und ißt bei uns. Ich und ein Stücker ſechs bis acht
weibliche Domeſtiken warten ihm auf. Und da dacht’ ich im-
mer, wo iſt Auguſt, wer pflegt den? Marwitz echappirte
nach vielen Avantüren und Fatiguen: mager kam er an und
etwas ſchwach. Die † † iſt noch hier, und bekümmert ſich
gar nicht um ihn: er meint, das müſſe ſo ſein, wie mein
Bekümmern.


Du weißt, denn ich ſchrieb es nach Lenzen, dies iſt der
dritte Brief dorthin; daß ich über tauſend Gulden für die Ver-
wundeten von Frau von Humboldt Eingeſammeltes erhalten
habe: ſo ſchrieb ich dorthin, als ſie zu Tauſenden in Platzre-
gen auf den Straßen lagen!!! Eilftauſend kamen in etwas
mehr als einer Woche. Von allen Nationen, die fechten.
Jetzt gehen die Anſtalten beſſer. Von Bartholdy erhielt ich
geſtern dreihundert Gulden; alſo habe ich viel zu thun: ich
gebe Hemden, Socken, Eſſen, Geld. Muß ſprechen, kaufen,
ſchreiben, Rechnung führen. Und dieſer Ort iſt der unbequemſte
der Welt. Alle Preußen wenden ſich an mich: ich ſoll Söhne,
Vettern, Nachbarn von allen Landsleuten finden, und helfen.
Oft kann ich es, oft finde ich ſie nicht. Seit voriger Woche
iſt auch der hier angekommen, nach deſſen Umgang du allein
dich ſehnteſt [Williſen]: er entſprang, und iſt glücklich durch
die feindlichen Armeen gekommen. Auch er liebt dich ſehr;
und kennt dich: ich liebe ihn, er iſt ſtill und brav, und weiß
[125] mehr als er zeigt; er iſt alle Tage mit uns, bringt ſeine Zeit
bei Marwitz und uns zu, equipirt ſich nur hier, und geht zur
preußiſchen Armee, wo er Dienſte hat im zweiten weſtpreußi-
ſchen Regiment. Vielleicht — wir arbeiten dran — kommt
er noch in deines Obriſten — geweſenen — deutſche Legion,
die der hier errichtet; wir erwarten ihn jeden Augenblick. Du
kannſt dir unſer Glück denken: da er ſchön im Feuer war,
und ſelbſt eine Standarte bei Kulm genommen hat. Er iſt
ſehr in Gnaden, und wohl ſchon in dieſem Augenblick Gene-
ral. Sieh ich ennuyire mich ſo, dies alles zu ſchreiben, weil
ich es in der erſten Efferveszenz ſchon ſo oft nach allen Rich-
tungen hin ſchrieb. Sei alſo zufrieden, mein guter geliebter
Auguſt! du mußt oft gefühlt haben, wer an dich denkt, dich
liebt, ſchmeichelt und tröſtet! Könnten wir wohl dieſen Krieg
gewinnen? und in Ruhe uns ſehen! Alle hoffen; ich fürchte
noch; und denke, Napoleon muß noch etwas Außerordent-
liches thun.


Freilich hatte ich auch hier große Angſt, und Qualen
aller Art: doch, kann ich bei Auguſten wohnen bleiben, und
der Feind erlaubt’s, ſo bleib’ ich den Winter hier. Wo ſoll
ich hin? Zu Hauſe mag ich nicht, da habe ich die Qualen
mit einem Quartier und Einquartierung, und keinen Genuß;
weil ich mir das Einzige, ein chez moi, erſt bilden und an-
quälen muß, ohne Mittel. In Breslau nur Unbehagen und
ſchlechte Familienverhältniſſe. Alſo bleibe ich, erlaubt’s Na-
poleon, — bis du mich holen kannſt!!! Moritz iſt mit Frau
und Kind in Poſen. Markus noch in Breslau; — er ſchreibt
mir geſtern, er ſei mit dem Onkel ſehr zufrieden: alſo be-
[126] kommt er gewiß von ihm! Ich einen Quark: auch nehme ich
gar keine Rückſichten mehr auf all das. Gott muß mich
frei machen: oder ich ſterbe als morgenländiſche Sklavin.
Wenn du nur Geld hätteſt, ich meine für jetzt, für dich! —


Ich bin hier ſehr wirkſam, und menſchenumgebener als
je, d. h. nicht geſellſchaftlich, ſondern geſchäftlich und wohl-
thätig. Ich ſpende alles ſelbſt, damit kein Unterſchleif ge-
ſchieht: ſonſt könnt’ ich mir ein Renommée machen und es
kommoder haben. Bartholdy’s Gulden ſind für die Preu-
ßen
: das andere theile ich ehrlich: und verwundete Feinde,
ſind es nicht mehr! und wie ſoll es unſern Gefangenen
dort gehen! Kann ich auf franzöſiſche Herzen rechnen, wenn
mein’s nichts taugt? Ich habe ſo einen Plan im Herzen,
alle europäiſche Frauen aufzufordern, daß ſie den Krieg nie-
mals mitmachen wollen; und gemeinſam allen Leidenden hel-
fen wollen: dann könnten wir doch ruhig ſein, von einer
Seite; wir Frauen mein’ ich. Sollte ſo etwas nicht gehen?
Doch zu viel that ich den Fremden nicht; und ſage ihnen
meiſt dabei, ich wüßte wohl, wie ſie als Sieger gehandelt
hätten: ſie ſollten wiſſen, wie wir ſind; nicht dumm, nur
mitleidig; ſo ſollten ſie auch ſein. Aber wie ſehen die Ar-
men aus: oft weine ich: ſie haben Mütter wie wir, die ſich
todt weinten, wenn ſie ſie ſähen. Auguſte und unſere Wir-
thin haben viel gethan, und thuen noch.


Ich habe hier lauter Avantüren. Vorige Woche begegnet
mir ganz im Schummrigen mit Marwitz ein Bettler im größ-
ten Koth und Gedränge; er hält mir immer ein Papier ent-
gegen. „Wer iſt das, frage ich Marwitz, was will der?“
[127] Kurz, es iſt Urquijo. Er iſt in des Staatskanzlers Gefolge:
hat den Monat 60 Thaler, die er nicht nehmen will, ſagt er.
Seine Nation will nichts von ihm wiſſen, ſagte mir Bartholdy
und Graf Bombelles. Militair will er nicht ſein: er ſoll hier
für uns die Verwundeten fortſchaffen helfen. Ein ſchöner
Schaffer! Er ſpricht keine Sprache. Er beſucht mich dann
und wann. Ich habe ihn erſt ſchlecht behandlen müſſen. Weil
er mir ſagte, er ſei drei Tage in Berlin geweſen, und habe
mich dort beſuchen wollen. „Parceque vous étiez dans le mal-
heur“,
ſagte ich ihm ſogar. Dann will er mich beſuchen.
Jetzt laß ich ihn mehr gehen. Gut bin ich ihm auch. Du
weißt alles. Das, das, Varnhagen, iſt meine Wonne und
meine Liebe zu dir. O! bleib mir! bleib leben! —


Eben war wieder ein Jäger bei mir, der wollte einen an-
dern Jäger Cantian, Bartholdy’s Wirthsſohn, ſuchen; ſo
geht’s den ganzen Tag. Wie bei einem Kommiſſair; auch
bin ich mit den preußiſchen in Verbindung. Ich bin ganz
freudig, den Soldaten dienen zu können: Gott muß ich
danken; und thue es gewiß: ich ſchäme mich oft des Glücks;
warum kann ich ihnen dienen, und ſie nicht mir? wer bin
ich? Ich kann ſie nicht mehr zählen und erkennen, denen ich
ſchon alles Gutes gethan habe! Alſo doch Ein mal eine Für-
ſtin
! Ach du ſollteſt unſere Preußen ſehen! Die Beſcheiden-
heit! die Wunden! das, denken ſie, muß nur ſo ſein! Ein
Hemde wollen ſie nie nehmen, und wiederkommen zur Wohl-
that nie! „Ach wie kann ich ſo viel annehmen!“ ſagt der
Gemeinſte, „wie thun Sie ſo viel an mir!“ Ich bedeute
ihnen dann, daß ich nur ein Kommiſſionair bin, und von
[128] wem es kommt. Alle Menſchen wollen auch hier nur Preu-
ßen haben. Ich weine; wir thun das Mögliche: und ſind
auch beliebt. Haſt du von Berlin gehört? Reiche Leute kön-
nen keine Verwundete bekommen! ſie ſind vergriffen: jeder
nimmt welche. Das Unmögliche geſchieht dort. Mad. Haller,
die ſagen ließ, ſie habe noch Raum für ſechs, ließ man zur
Antwort wiſſen: für Geld wäre keiner mehr zu haben! Ich
weine ſehr. O! Gott! lenke das eine Herz! laß das Gute
hervorgehen! keinen Krieg! Friede! Wohlthat! Adieu Auguſt!


Denk dir, an Graf Pachta, der böhmiſcher Gardiſt beim Kai-
ſer iſt, ſchreibe ich aus Dankbarkeit Berichte über die Auffüh-
rungen der neuerrichteten Oper; Frau von Humboldt Berichte
über uns, die Verwundeten, Neues u. ſ. w.; Gentz, oft, hier;
Markus, Neues, und oft und viel. Billete in der Stadt ohne
Zahl, Rechnungen und Aufnotiren den ganzen Tag, die Sol-
daten, Geſchäfte, Einkaufen. Menſchen zur Hülfe menagiren.
Marwitz dreimal verbinden, alles reichen, thun, helfen. Spre-
chen u. ſ. w. Alſo ſei zufrieden! — Dem General Tetten-
born tauſend Glück und Segen, und Pfuel viel Schönes.
Graf Clamm-Gallas grüßt den General, den Obriſtlieutenant
und dich ſchon lange auf’s ſchönſte. Tieck, der morgen reiſt,
legt dieſen Brief in Breslau auf die Poſt. Nein! ſo hat noch
nie ein Brief von Treu und Ehrlichkeit geathmet, als dein
letzter: nicht allein gegen mich, gegen alle Menſchen. — Wie
komiſch mußte mir deine Nachricht über Marwitz ſein: da er
bei uns iſt. Er hat keinen Orden. Tieck las ihm geſtern bei
Niebuhr den Hamlet vor, hingegen. Letztern, — nicht Ham-
let, Niebuhr — ſah ich hier auf der Brücke; er mißfiel mir
ſo,
[129] ſo, und Tieck wollte ihn für hübſch ausgeben, daß ich ihn,
und Alle mit mir, Venus nenne. Marwitz, der einmal em-
pört vor Allen zu mir ſagte: „Soll ich noch mehr Ihr
Sklave ſein?“ heißt ſchlechtweg Sklave. Weil es zu komiſch
war, als er es ſagte, ich fiel auch gleich in konvulſiviſchem
Lachen auf eine Sophalehne, gleich um. Nämlich er iſt ganz
despotiſch, und ſo, daß er nur komiſch iſt. Williſen durchaus
lieb und geſcheidt. Als deinen Freund lieb’ ich ihn noch be-
ſonders
; und thu ihm alles Liebes, was ich weiß. Wann
werd’ ich dich pflegen? Schreibe wenn du kannſt. Gott mache
dich glücklich!

Deine R.


An M. Th. Robert, in Breslau.



Donnerstag kam die ſchleſiſche Poſt nicht an — gewiß
des Moraſtes wegen, — denn dieſer Regen! — Ob ſie heute
kommt, weiß ich nicht; ich will geſchwind ſchreiben, eh mein
Fieberanfall kommt. — Denkt euch meinen Verdruß: Graf
Bernſtorff hat mich über eine Stunde mit dem Fiacker geſucht,
ohne mein Quartier finden zu können; und den folgenden Tag
eben ſo! Geſtern ließ er mir nach ſeiner Abreiſe ſeine regrets
darüber durch Gentz ſagen, der drei und eine halbe Stunde
geſtern Abend vor meinem Bette — ich mußte endlich liegen,
weil das eklige Fieber unregelmäßig wurde — beichtete über
alle Gegenſtände ſeiner Seele, und ſeines Wiſſens. Die Dä-
nen haben wir nicht. Mit Baiern ſoll es auch noch nicht rich-
II. 9
[130] tig ſein; im Fieber, und ſeines heftigen Sprechens wegen,
vergaß ich Gentz zu fragen. Geſtern, ſagt er, und die
Welt, müſſen entſcheidende Schläge vorgefallen ſein. Des Ge-
nerals Bentheim Adjutant kam geſtern ſpät von Marienberg;
wo unſre hieſige Armee hinaus war, ohne einen Feind zu fin-
den. Der Moraſt aber iſt über alle menſchliche Kräfte, nach
dieſem Regen hier, im Gebirge. Marienberg iſt ganz an der
ſächſiſchen Gränze. Aber wo iſt Napoleon? wo will er ſich
ſchlagen? Er hat dem öſterreichiſchen Kaiſer einen Brief ge-
ſchickt durch General Flahault, den Sohn der Mutter, die
Romane ſchreibt; in dem er den Frieden anbietet: nämlich
Unterhandlungen; dieſen Brief, den ich geleſen habe, finde
ſelbſt ich ſchwach. Man hat ihm edel, gehalten, und gut
geantwortet: daß man die Gefahren eines Krieges, der alles
zu Grunde richten kann, lieber zu laufen geſonnen ſei, als
einen Frieden einzugehen, der auf Grundlagen gebaut ſein
müßte, die neue Leiden über die Länder bringen müßten; und
auf arme Formen, Ausreden und Kleinigkeiten hat man gar
nicht geantwortet. Beides habe ich geleſen. (Die Jäger und
Soldaten beſtürmen mich ſchon jetzt, vor meinem Bette; ge-
ſtern war ein Bureau davor eingerichtet: es muß geſchehen.)
Geſtern habe ich durch Marwitz den Geheimen Staatsrath
Niebuhr an den König wegen der unſeligen Verpflegung ſchrei-
ben laſſen. Ein Geheimniß. Wie findet ihr dies? Wenn
heute Neues kommt, will ich’s noch hier dran ſetzen. Ich äng-
ſtige mich! Nichts tröſtet mich ein wenig, als der wirklich
ſehr ſchwache Brief; den ich endlich einmal ſchwächer finde,
als es Gentz und die Andern thun. Adieu indeß!


[131]

Noch hübſcher! Mit der Donnerstag’ſchen Poſt habe ich
keinen Brief: und die heutige iſt nicht gekommen. Neues von
der Armee weiß ich bis heute noch nicht. 5 Uhr. —


An Varnhagen, in Lüneburg.



Wo ich auch den Winter, wenn es der Feind erlaubt,
bleibe. Wo ſoll ich hin? Wo iſt Heimath? Warum ſoll
ich in moraſtigen Gebirgsgegenden reiſen? Hier behält man
mich willig und bequem; das habe ich hinlänglich unterſucht.
— Ich habe Einſicht in das Glück, Auguſtens Karakter ge-
funden zu haben, der nichts Unangenehmes hat, und tauſend
Angenehmes, und zum Nahleben geboren iſt; und das Glück,
den Verwundeten aller Nationen helfen zu können. Über dreizehn-
hundert Gulden habe ich dazu! Frau von Humboldt ſchickte mir
über tauſend, Bartholdy neulich dreihundert; ich habe von jener
durch den Geſandten Bernſtoff, der mich zwei Tage vergeblich
mit dem Fiacker nach Gentzens dummer Beſchreibung ſuchte, und
mich denn am Ende nur durch den konnte grüßen laſſen, noch
ſechs Dukaten, von Bartholdy’s Schweſter hundertundvierzehn
Gulden empfangen, und Hoffnung aus der Hauptſtadt dieſes Lan-
des noch mehr zu erhalten. Ich bin mit unſerm Kommiſſariat
und unſern Stabschirurgen in Verbindung; habe eine Unzahl
Charpie, Binden, Lappen, Socken, Hemden; laſſe kochen in
mehreren Vierteln der Stadt; ſehe zu dreißig, vierzig Jäger
9 *
[132] und Soldaten des Tages ſelbſt; beſpreche, belaufe alles: und
mache mit der mir vertrauten Summe das Mögliche! Da-
her traue ich es auch niemanden als mir ſelbſt an, und zu;
und verſchmähe, es öffentlichen Behörden einzuliefern, und
öffentlichen Dank, den ich für Bequemlichkeit und nicht pflicht-
gebotene göttliche Menſchendienſte bekäme. Zeit aber, Lieber,
behalte ich gar nicht. Die Korreſpondenz, die Rechnungfüh-
rung, die Addreſſen, Quittungen, Gänge, Beſprechungen: kurz
mein Beginnen verzweigt ſich zu einem großen Geſchäft. Und
ich melde dir’s, weil’s dich freut. Meine Landsleute ſuchen
Rath, Hülfe, Troſt: ja und Gott erlaubt mir, klein, und
Nichts, und gering geboren, und verarmt, wie ich bin, es
ihnen zu geben. An Konnexionen fehlt es mir nicht. — Dieſe
breite äußere und tiefe innere Beſchäftigung hält mich hin.
Ich ſchäme mich, daß mir Gott das Glück zuſchickt, helfen zu
können! und wenn ich mich ſchäme, daß ihr euch alle ſchlagt,
ſo tröſte ich mich wieder, über meine Bequemlichkeit indeß,
damit, daß ich auch thue im Helfen und Heilen. Ich tröſte
mit Worten, Jäger und Soldaten, ſo gut und eindringend,
und einfach, daß ſehr Leidende ſchon oft plötzliche Freude lächel-
ten von meinem bloßen Worte, und es fuhr, wie Sonnenblick
über düſteres Gewölk, über ihr Geſicht. Mich beſuchen die
Konvaleszenten. Und göttlich beträgt ſich unſer Volk: unſer
junges auch; welches ich vor dem Ausmarſch tapfer glaubte:
nun ſind ſie’s mit Wunden
: und wollen und gehen zum
Heere zurück: und wie einfach, wie bewußtlos, und beſcheiden!
Ich weine! Nicht Einen Rodomont fand ich. Du kennſt
meine Kritik! mein Mißtrauen auf uns. Seit ſechs Tagen
[133] hatte ich katarrhaliſches Fieber: ich kurirte mich ſelbſt: mußte
den dritten zu Bette bleiben; hatte mein Bureau vor dem
Bette etablirt: und alles trat davor hin; Ruhe hatte ich doch
nicht. Soll ich Jäger und Soldaten troſtlos abreiſen laſſen?
Gott bewahre. Ich hatte auch immer wieder Kräfte. Wie
kann man ſeine Pflicht nicht thun. Ich verſtehe es nicht.
Wenn ich eine ordentliche Beſorgung hätte! O! ich verſtehe
es, wie Friedrich der Zweite lebte. Ruhig, thätig, gewiſſen-
haft; und dann Königlich, in Kunſt und ſtillem Genuß. —


In meinem frühern Brief ſteht ſchon, daß Marwitz über-
morgen vor vier Wochen hier plötzlich ankam; er iſt wohl;
die Hand beſſert ſich: er ſitzt ſtill am Fenſter, und lieſt Plato.
Er wird wohl nun bald reiſen. Wunder und Zeichen hätte
ich dir von ihm zu berichten, traut’ ich ſie einem Briefe an. —



Geſtern Morgen gehe ich die Wohnſtube durch nach Au-
guſtens Schlafzimmer von dem meinen zum Kaffee, vor ihr
Bette — weil mein Ofen noch blakt; und ich in der Unpäß-
lichkeit weder dies, noch die offnen Fenſter ertragen konnte —.
Ich erzähle ihr gleich Folgendes. „Gut habe ich geſchlafen,
bin aber mit Kopfſchmerzen aufgewacht; die auch ſchon verge-
hen: die Köchin klappte wieder ſo draußen; es ärgert mich recht;
denn eben träumt mir, Frau von Humboldt — ich nannte ſie
wirklich — ſchickt mir ein länglich Paket, worauf Varnhagens
Hand iſt; es hat nur einen umgewickelten loſen Umſchlag;
und noch ein ordentlich Kouvert, auf etwas fließendem Pa-
[134] pier, wieder von ſeiner Hand meine Addreſſe; und dabei ge-
ſchrieben: Inliegend die gedruckte Inſtitution. Eben als ich’s
nun erbrechen will, tobt die dumme Köchin!“ Wir haben
noch lange unſere erſte Taſſe Kaffee nicht aus, ſo tritt Dore
herein mit einem länglichen Brief von Gentz, wo deiner mit
den gedruckten Zeitungen drin liegt; ein Billet von ihm, und
dein Brief an ihn! Sag’, was iſt das, daß ich ſo oft träume
was geſchieht; nur ein wenig konfuſe, als hätte mein innrer
Sinn nur noch nicht Kraft genug. Als ich es Auguſten er-
zählte, und auch vorher, war ich ganz überzeugt, dergleichen
zu erhalten. — Gentz ſchrieb mir bloß, wie ich mich befinde,
und nichts von dir. Ich antwortete nicht: weil ich, ohne daß
er’s weiß, geſpannt mit ihm bin. — Sonſt ſchmeichelte ich ihn
mit und in Antworten aus meinem Herzen: dies merkte er
nicht. Er ſoll das Gegentheil ſchon merken. Deinen Brief
an ihn finde ich vortrefflich! er hat mich ſehr gefreut.
Der wahre Ton! und um ſo mehr gefreut, da er mir deine
weltliche Haltung immer mehr beweiſt; darum ſie mir ſo be-
ſonders verbürgt, da du das, was ich über ihn geſchrieben
habe, ſchon erhalten hatteſt; doch noch ſo gerecht über das
warſt, was er hat drucken laſſen: es ihm in ſo ganz gemäßen,
anſtehenden Ausdrücken zu ſagen vermochteſt, worin ich die
wahre Würdigung von dem gerecht-exagerirten Anerkennen
wohl zu unterſcheiden wußte. —


— Wie verliebt ich in ſicheres Urtheil und haar-richtiges
Betragen ſein kann, weißt du; aber nicht, wem alles —!!! —
den größten Geſchäftsleuten Europa’s, hier hab’ ich’s erfah-
ren, weil ich alle Details weiß — dies abgeht! Ein wenig
[135] Glück! und es muß uns gut gehen. Glück liebt aber Lotter-
buben: und ſucht ſie ſich fleckweiſe aus, wenn es keine ganze
findet: wo Einer einen faulen Fleck hat, ſteht das Glück ihm
bei: und du ſiehſt’s, ich beleidige es immer: jetzt wieder. — So
richtig geſehen ſchriebſt du mir auch einmal über Pfuel; ich
vergeſſe es nicht. — So hat mich auch dein Sein nach der
Affaire gefreut! Ich kann es ſehr faſſen, wie du dachteſt, die
Andern bluteten für dich mit! Bedenke, daß du auch ſchon
für ſie bluteteſt. Gott ſtärke und ſegne deinen General Tet-
tenborn! für ſein liebes mildes Betragen gegen Feinde und
Verwundete! Sag’ ihm, ich grüße ihn jetzt mit Thränen in
den Augen, und hätte ſchon in Berlin gewußt, daß er ſich
nur bisweilen rauh ſtellt. So wollte er auch ſchon ſeinen
franzöſiſchen gefangenen Wundarzt von Hamburg nach Hauſe
laſſen u. m. dgl. Ich kenne ihn ſchon; an einem Wort, einem
Ton, einem Blick. Seelen entgehen mir nicht. Im Guten
wie im Schlechten. —


Dabei hat Gentz das größte, ungemeſſenſte Bedürfniß mir
alles zu ſagen was er weiß; und beſonders was ihn betrifft.
Wie dumm, wie ſtumpf aus Dummheit, und wie dumm
aus Stumpfheit, gar kein Intereſſe an mir zu nehmen! Nein,
Herz, das geht dir nicht durch! Sein Herz mein’ ich.


Was ſoll ich aber zu deinem lieben Brief an mich ſa-
gen!? Lieber! dies, daß meine ganze Seele ihn erkennt,
jedes Wort, jede Äußerung von dir. Dir nur traut. Dich
allein nur ächt gegen mich gefunden hat, und findet: und dir
nur traut; traut alles zu ſagen: in deiner Gegenwart alles
zu ſein. Wo uns auch Gaben, Natur trennt; verbindet uns
[136] Freundſchaft, Einſicht, Nachſicht, Gerechtigkeit, Treue, Ehrlich-
keit, wahre Bildung. Geh! die Andern all geben nicht treu
aus, wie ich: ſehen nicht klar überall: können alſo nicht
gerecht ſein.


Ich ſcheue mich auch nicht, dir unaufhörlich von meinen
Soldaten zu ſprechen. So viel Jäger und Soldaten wie
heute hier waren! und wie die ſich freuen! und wie wohl-
thätig unſer ganzes Haus iſt! Einen fieberkranken Preußen
nimmt bei jedem Acceß ein Kaffeeſchenk unten im Hauſe auf;
ich kleide ihn heute warm. Kurz, mein ganzer Tag iſt ein
Feſt des Gutes-thun. Mitten in dem Unglück ich ſolch ein
Glück! — Du weißt: ich liebe den Krieg nicht, als Beſchluß:
wer weiß, was er beſchließt in der allgemeinen Verderbniß!
— Frei von Feinden, weiß ich, muß das Land ſein; höheres,
anderes ſehe ich nicht in dieſem Kriege: und gleich, als Alle
rüſten halfen, dacht’ ich: Sieg oder Schmach; Verletzte, Ver-
wundete bringt er unfehlbar: denen hilf! Und ſo thue ich auch.
Und Gott hat Großes an mir gethan; die ſich Monate lang
zwölf Thaler abſparen mußte, wenn ſie ſie geben wollte: nun
ſpende ich im fremden Lande, wo unſre Jugend, und unſere
Soldaten verwundet dürftig ſind, Hunderte! Dies bezahlt mir
unſere Schmach von ſonſt — Tilſit — meine gränzenloſe
jetzige Angſt, die du geſehen, und vieles Übel und perſönliches
Leid, Ich bin von Gott nach Auguſtenburg geſandt, denk’
ich. Adieu für heute, es wird dunkel. Morgen noch ein
Wort. Ich umarme dich! In dieſem Augenblick geſchieht dir
gewiß nichts! —


[137]

In der Zeitung, die ihr ausgebt, gefiel mir das über
Moreau’s Tod; und das ſehr gut. Auch ich war’s ſchon zu-
frieden, — obgleich der Schreck mir wahrlich beinah die erſte
Ohnmacht zugezogen hatte, und einer von denen hier war,
die mir am meiſten ſchadeten, — daß er ſtarb: aber die bas-
sesse
mit der Amputation hätte er nicht erleben ſollen. In
ſolchen Dingen kann man ſeine Meinung, ſeinen Schmerz
und ſeine Verzweiflung nur zu Gottes Füßen legen! — Ich
bin noch außer mir darüber. — Wird auch das Volk, dem eure
Zeitung umſonſt vertheilt wird, die Sprache verſtehen? O!
ich möchte es darin in gemeinen Worten, zum Guten, zum
Wohlthun, zur Geduld, zur Milde, zum hoffnungsvollen Har-
ren, zur Verträglichkeit ermahnen: wie ich es wohl manchmal
kann. Möchte ihm anempfehlen, nur immer das Allernächſte
recht zu thun, gleich gut. Den Weibern beſonders, dem über-
wundenen Feind zu helfen; und ihm zu ſagen, ſie ſollen es
auch ſo machen; und zu Hauſe erzählen; und im Felde
nicht vergeſſen!


An M. Th. Robert, in Berlin.



Dieſen Brief wird dir Hr. Abr. Mendelsſohn mitnehmen,
mit dem ich hier ſehr liirt war, und deſſen freundſchaftliches
Benehmen ich wie das von Bartholdy nicht genug loben kann.
Vorgeſtern nach der Siegesnachricht ſchrieb ich euch. Ich bin
[138] noch betorkelt. Die Spannung, die Angſt für Berlin, und
meine Schwäche vorher, war zu groß. Der Sieg iſt, wie ihr
nun eben ſo früh erfahrt, noch kompleter. Gott ſchütze vor
ivresse, arrogance und Sünde; im Gefolge des Glücks! Denk
dir! ſicher bin ich noch nicht. Ergötzt euch daran; und
meßt meine Vergangenheit danach ab. Fanny hat wohl immer
gar nicht recht verſtanden, wovon die Rede iſt: und immer
noch verſtanden, wir ſind geſchlagen: ſolche Relation iſt
ſchwer, Fanny! mir macht ſie auch Mühe. Grüßt millionen-
mal Mad. Magnus. Was macht die Rampe? Iſt wieder
eine große Pute auf dem Hof? Prampirt Albert? Mad. Brede
ſpricht noch immer von ihm; und grüßt ſeine Mutter, die ſie
bitten läßt, ſie nicht zu vergeſſen, bis ſie nach Berlin kommt.
— Grüßt doch den tapfern Böhm vielemal; und ſagt ihm,
in Prag hätte ich erfahren, daß ich eigentlich zu keinem Arzt
Zutrauen hätte, als zu ihm; da ich zwei geſcheidte, Dr. Czer-
mack und Dr. Krombholz kenne, und mich auf ihn (und Gott)
von weitem verließ. Urquijo ſpricht alle Tage von ihm. Er
ſoll ſich Motion machen, und nicht ſo ſtolz ſein; ſonſt wird
er zu dick. Von dem Jubel, der Illumination in und außer
dem Theater, von Roberts Stück, welches den größten Bei-
fall hatte, und wirklich ſehr hübſch war, nichts! Man ſang,
man ſchrie! ꝛc. Es kommt ein Kourier im Stück vor, der über
eine Viertelſtunde die wirkliche Relation vorlas, die die Be-
hörden bis zum Theater zurückhielten! — alſo eine Volksver-
ſammlung im ächten Stil! Das Stück war äußerſt lebendig,
und paſſend. Ja! mein Bruder wird berühmt! Bei Blü-
chers
Siegen wurde am meiſten applaudirt: bei Poniatowski
[139] hielten ſie gleich inne — recht! Ein todter edler Krieger! —
ſollen die nicht frei ſein wollen? — ſie hatten in der Ge-
ſchwindigkeit angefangen. Unſer König mußte hochleben, die
Kaiſer, auch der Baier, alles. Alles mit der gehörigen Gra-
dation; wir Preußen konnten zufrieden ſein. Es freute ſehr
das Volk, daß Alexander ſo fleißig ſelbſt dabei war. Doch
iſt das Volk etwas feſte hier; noch nicht losgefahren. Gott
laſſe ſie dabei: der Feind nur macht allert. Ob nun die Für-
ſten wohl werden gelernt haben, was Eintracht iſt? Auf eine
Zeit, verſteht ſich: denn was iſt von Menſchen, und könnte
bleiben? Mein eigentliches Herz darf ich in keinem Brief aus-
ſchütten. Friede will ich: und jeden Sohn bei ſeiner Mutter;
Feinde und Freunde ihre. Tauenzien wird ſich doch nicht är-
gern, nicht dabei geweſen zu ſein? Friſche Truppen werden
gut thun. Ohme, gratulire ihm von mir. — Sage mir um
Gottes willen, Hans! warum antwortet mir Erneſtine nicht?
Sie ſchrieb mir von Wien: Montag reiſe ich; ich ſchrieb ihr
ſo, daß ſie den Brief noch Sonntag erhielt: und nun hör’
und ſehe ich nichts mehr von ihr. Wenn ſie auch den Brief
nicht erhalten hätte? doch muß man ihn ihr nachgeſchickt
haben! Sie war ganz zärtlich gegen mich, und muß mir
ſchreiben! Alle Menſchen ſind in der Veſtalin. Ich ſitze zu
Hauſe, und ſchreibe: bei Tage ſtört man mich. Ich habe Li-
ne’n und Dorens Eltern geſchrieben. — Iſt es wahr, daß der
franzoſenhaſſende, deutſchthümelnde Schauſpieler an Ketten
tanzt
? wenigſtens müßte es wahr ſein. Manche müſſen nun
immer dümmer, viele noch affektirter, noch deutſcher werden!
Weit davon iſt gut vor dem Schuß! Schuß heißt auch, einen
[140] Schuß von Narrheit haben. Kinder! wo iſt die Gräfin Schla-
brendorf? ſchickt mir ihre Addreſſe! Daß ihr Tieck noch ge-
ſprochen, und meinen dicken Brief habt, freut mich; ich weiß
es durch Schall. — Gott, wie werden ſich die Menſchen freuen!
Was ſagt Moritz? Ich bin auch perplex. Heute hieß es, Na-
poleon ſei gefangen: da beſoffen ſich die Menſchen proviſo-
riſch, aber es iſt noch nichts. — Lebet halt wohl, und gedenkt
mein! Grüße doch Einer auf der Börſe Hrn. Heilborn: nun
kann er ja frei und frank nach München reiſen. Von Louis
Robert werdet ihr Wunder und Zeichen hören! Ja, ja! Alle
kommen vorwärts. Ja, ja! — Von Varnhagen weiß ich ſeit
dem 25. September nichts! Ich bin in Gottes Hand; und
muß ſtill ſein. Marwitz iſt noch hier, und mein lieber Sohn,
was ſoll ich thun. Mariane Saaling hat mir vier Dutzend
Socken von Wien geſchickt. Ich halte noch immer einige hun-
dert Gulden bei Rath; doch nun geht’s aus: die Fluth war
zu groß. Adieu, adieu! R. R. Lapin lapinirt nun wohl
auf Deuwelhole? Nun geht alles. Es iſt ein Glück, wenn
Jope nicht Staatsrath wird. Erkundigt euch, wer Jope iſt.
Ihr denkt wohl, ich bin vergnügt? Erlöſt. Mündlich einmal
Perſönlichkeiten. Schreibt mir Neues, oder ihr ſollt mal ſehen!
Die größten Details muß ich haben. Faule Bälge! Mad.
Mendelsſohn ſchreibt alles. — Ganz Berlins Söhne waren
bei mir, als Jäger verkleidet. Das war wie Moritz. Was
macht die Böheim? —



Nun reiſt Mendelsſohn erſt morgen, nach der Poſt. Ich
bin ſchon wieder unpaß. Hatte die Nacht einen ſchlimmen
[141] Hals mit Zubehör, und heute Abend ſtarkes Kopfweh. Alles
geht ſeinen Gang dabei. Ich habe heute wieder zweihundert
Gulden bekommen für mein Geſchäft, welches immer größer
durch allſeitige Aufträge wird; und auch Socken u. dgl. aus
Wien. Von euch habe ich nur vom 8. Oktober aus Bres-
lau Brief.


An Varnhagen, in Bremen.



Den 1. dieſes Monats brachte mir Urquijo deinen Brief
aus Bremen, lieber Freund! den wahrlich lang erſehnten. —
Du lebſt, und haſt alle deine Glieder. Wenn ich nur das
immer erſt erfahre! Du Armer! als du mir ſchriebſt, wußteſt
du noch nichts von Leipzig. Gott erhörte unſer Gebet: und
verwirrte den Geiſt unſres großen Feindes. Wie wirſt du
dich gefreut haben! — O Auguſt! daß wir jetzt in dieſem be-
wegten Strom von Empfindungen und blitzenden Gedanken
getrennt leben müſſen. Bei mir verliert man unendlich viel,
weil bei mir alles ſo ſpontané iſt: ich ſchütte das nun alles
in Reden, Briefen — die ich einmal ſchreiben muß — und
Billets Andern hin; die es nun und nimmermehr ſo in ſich
aufnehmen, als du: es aber wohl für ihr Gut in der ganz
nächſten Stunde erklären; nicht als Diebe, aber als arme,
verwirrte Verſchwender: und es auch oft ganz überhören und
überſehen. — Und dir grade, da du ſo weit biſt, da ich dir
in wichtigen Momenten grade nicht ſchreibe, ſag’ ich am
[142] wenigſten. — Bei mir platzt alles heraus! Und laß mich
nur ſo, Lieber! Wir werden wieder zuſammen ſein, und
neues Leben entzündet ſich immer wieder: ſo lange ſie ſteht,
die Natur. Ich habe nun ſchon über dritthalbtauſend Gulden
für meine Soldaten, und viele Geſchäfte. Dies nimmt mir alle
Zeit und vielen Sinn. Mendelsſohn läßt in’s Unendliche hier
Jäger durch mich kleiden. —


Den 31. erhielt ich einen Brief von Frau von Humboldt,
die mir ſehr oft — auch durch General Bentheim, der vor
acht Tagen angekommen iſt, und den ſie ſehr ſchätzt und liebt
(ich habe ihr geantwortet, Gott hat ihn hübſch gemacht und
menſchlich, für Menſchen, die es ſehen können) — ſchreibt,
mit einem Billete von Frau von Wolzogen, die hier ange-
kommen war, und mich beſuchen wollte: Frau von Humboldt
meinte, ſie würde länger hier bleiben, und empfahl ſie mir
mit großer Liebe, für ſie und für mich. Ich ſah die Frau
bei ſich, weil ſie unpaß wurde. Eine durchlebte, gütige, ge-
faßte, erſchütterte Frau. Sie reiſte geſtern im Gefolge der
Prinzeſſin nach Weimar, um der Armee näher zu ſein, mit
ihrem angſtvoll gefaßten Herzen, ſie hat einen Sohn bei Blü-
cher. Sie hat mich mit einem großen Glücke überraſcht. Sie
ſagte mir mit einemmale: „Ich habe Briefe von Ihnen gele-
ſen, die ſehr ſchön ſind!“ Ich dachte, an Frau von Hum-
boldt: ſie ſetzte hinzu: „über Goethe; es hat ihn unendlich
gefreut; es iſt ihm ſo nöthig, er wird ſo häufig mißverſtan-
den, ſo vielfältig nicht gut berührt,“ — ſo ungefähr ſprach
ſie — „es hat ihm außerordentlich wohlgethan.“ — Ich ſagte
[143] ihr, daß ich ihn vergöttre, — und ich, die keine Silbe, zum
erſtenmale, von ihm hat, repetire mir ihn, den großen Ge-
ſchichtsmann, im Kopf, bei jedem Schmerz, bei jedem Ereigniß:
und lieb’ ihn Punkt vor Punkt mein ganzes Herz durch und
durch, von neuem! dieſen König der Deutſchen! der blinden,
unglücklichen, die ein Jahrhundert nach ſeinem Tod erwachen
werden. Ich vergöttre dieſen begabten Weiſen; agitirten äch-
ten Herzensmenſchen! — daß er mir im ganzen Leben beige-
ſtanden! — Sie ſagte mir: man hätte ihr vertraut, — das
kann in Weimar nur Goethe ſein — die Briefe ſeien von mir,
ſie wolle es auch verſchweigen; ich ſagte, es ſei nicht nöthig,
denn da Goethe es wiſſe, könne es die ganze Welt wiſſen.
Denk dir alſo mein inneres ſtilles Glück, daß ich meinen Herrn,
meinen größten Liebling gefreut habe! Ach! und das iſt es
nicht: bei Gott nicht! denn wüßt’ ich Einen, der ihn mehr
liebt, verehrt, bewundert, anbetet; von der Natur beſſer aus-
geworfen iſt, als ich, ihn in jedem Punkt mit ſeiner aufzufaſ-
ſen; aus jedem Punkt alle andern zu verſtehen; jedes Wort,
jede Silbe, jedes Ach zu deuten weiß: ſeinem Leben dadurch
wie zugeſehen hat, immer mit ihm einverſtanden und zufrie-
den war: ſo wollt’ ich ewig, ewig ignorirt bleiben; und ihm
den zuſchieben. O! gäbe es eine Fürſtin, eine Kaiſerin, die
ſo für ſeine Verehrung geboren wäre, faſt wollt’ ich ihr mein
Herz und meine Einſicht geben: leihen gewiß oft! Marwitz,
mit dem ich hier über alles die knetendſten, herrlichſten Ge-
ſpräche führe, ſagt auch: kein Menſch liebe ihn mehr als ich.
Weil ich ſagte, ich möchte gern einen Menſchen ſehen, der
[144] ihn mehr verſteht und liebt. Und doch iſt es möglich, wenn
ich’s auch nicht denken kann: drum möcht’ ich’s ſehen.


An Varnhagen, in Bremen.



Ich kann ja weiter gar nichts, lieber Auguſt, als dich
recht anſehen und dich umarmen für deine Briefe! Geſtern —
er war ſchon vorgeſtern hier — erhielt ich deinen vom 7. No-
vember. So waren wir denn Alle zugleich krank! Noch die
ganze Zeit paßte ich nicht ſo auf einen Brief: und keiner kam
mir unverhoffter, als der ſchnell gegangene, geſtern! — Nun
wollt’ ich dir den ganzen Tag heute ſchreiben, aber ſie litten’s
nicht: Vormittag beſuchte mich der ruſſiſche Kommandant Ba-
ron Rehbinder; nachmittags Graf Reichenbach, der preußiſche.
Frau von Pereira ſchrieb mir dringend, Mariane Saaling:
ich mußte antworten; mit dem preußiſchen Kommandanten
hatte ich zu verhandlen: denn nun, Auguſt, geht’s in’s Spaß-
hafte über: alles wendet ſich an mich. Behörden. Vielen
ſoll ich geben; die Oberſtburggräfin giebt mir; und ſo in’s
Unendliche! Schreiben; Zählen, Kombiniren, Menagiren, No-
tiren, und Enkriren in alles. Dabei bin ich noch ſehr kon-
valeszent. — —


Auguſt! wir thun nichts, als präpariren: ich bin wahrlich
(nach dem allem, was ich habe durchgehen müſſen: denn was
ſuchte ich wohl falſch, was präparirte ich, was konnte ich wohl
vermeiden mit aller Klugheit!) zu alt dazu; und ſo durchlit-
ten,
[145] ten, daß ich oft in Verzweiflung, oft ſtupid bin. In meiner
ganzen Lage hält ſich noch bis jetzt, und hier jeder an mich;
und durch mich! Nur du hilfſt mir. Verzeih! Wie ſollte
dieſer Brief anders werden; das glaubſt du gar nicht! Erſt
wollt’ ich dir ſagen, wie herrlich es iſt, wenn einem der Freund
ſchreibt, grade was man ihm ſchreiben wollte; ſchon ſeit meh-
reren Poſttagen wollte ich dir ſagen — trotz dem, was ich das
letztemal über Geld äußerte; und du wirſt ſchon ſehen, daß
das zuſammengeht, und, daß meine Lage nur immer, meine
Denkungsart auseinander zerrt —, wie Recht du haſt: man
muß das Pekuniaire zu verachten wiſſen; nur dann kann
man’s ergreifen: und jedem Punkt applaudire ich in deiner
Aufführung; und wir ſehen nun ganz mit den nämlichen
Augen. Dadurch, lieber Auguſt, daß du erkennſt, was du
etwa von mir haſt — und nicht wie alle Andern, im ver-
blindeten Gebrauch meiner Schätze, arm bleibſt, — ſtellſt
du dich ganz — zu meiner lebhafteſten Freude — über mich:
denn, was du beſitzeſt, vermag ich mir nie anzueignen. Daß
du Rückſicht in deinen geſchichtlichen Schriften auf mich nimmſt,
freut mich auch; das thut den Schriften gewiß ſehr gut. Ich
ſehe, ich liebe Wahrheit; bin einfach, ſtreng; aber weich; habe
keine Reſultate vorher im Aug und Geiſt; und bin immer be-
reit unſchuldig aufzufaſſen. Denkſt du alſo nur an einen ſol-
chen Menſchen; ſo müſſen bei deinen übrigen Talenten, und
Gewandtheiten, ſchon leſenswerthe Dinge, in dieſer von Lügen
zuſammengebackenen litterariſchen und großen Welt, heraus-
kommen. Gott! wie ganz ſtupid, und nichtig; durch Dünkel
zuſammengekittet wird Deutſchland! Ein irres wirres Nach-
II. 10
[146] ſprechen ſummt aus jedem Kopf um die andern umher, und
betäubt ſie, bis zum Betrunkenſein in Eitelkeit. Aber wie
freut mich das, daß du mir ſchreibſt, du nähmeſt auf die-
ſes Land
Rückſicht! du kommſt mir ja in allem zuvor, in
allem entgegen! Wie äußerſt angenehm war mir vorgeſtern
dein Zeitungsſtück: ich ſiegelte es auf der Stelle mit einigen
Worten ein, und ſchickte es Gentz. Hier ſeine Antwort. — —
Denk dir, ich habe nur den Namen Metternich geſehen, das
Blatt weiter nicht geleſen, und es ſogleich Gentz geſchickt; die
Schnelligkeit iſt in dergleichen alles. — Über Öſterreich und
Preußen denk’ ich wie du; freilich haben ſie beide verſchiedene,
und ausſchließende Eigenſchaften. — Marianen Saaling und
Frau von Pereira ſchrieb ich geſtern Abend zuſammen, ein
Meiſterſtück; aber ganz geſchwinde, wie dies. — Marwitz geht
mit dieſem Monat, ſagt er. Ich ſage ihm ſehr die Wahrheit;
es mag veranlaßt ſein wie es will; dieſe nimmt er immer an.
Er amüſirt mich gar nicht. Adieu! Ich bin zu müde! Viel-
leicht morgen noch ein Wort! —



Es iſt nichts vorgefallen, als daß ich Unglückliche viel
ſchreiben mußte: weil ein Herr mir Depeſchen mit nach Berlin
nehmen will, — mir iſt ein Jäger geſtorben, das muß ich re-
feriren!!! und Mendelsſohn tauſend Geldgeſchäfte und Rech-
nungen berichten: er kleidete durch mich noch beſonders Jäger
hier: und giebt, weil ich ſie ihm gebe, und mit Vergnügen
dieſer Familie ausrichte, viele Aufträge. Ich kann aber alles
von ihm haben. Und für Freunde auch. Gentz war geſtern
[147] Abend bei mir: recht gut; aber er müßte erſt wieder kurze Zeit
unter eben ſo Klugen leben, als er iſt: die Salons haben ihn
engourdirt. Er braucht ein weniges ſich zu entroſten. Wir
ſprachen viel. Das Stück in der Zeitung, worin Mett. vor-
kommt, iſt nicht in ſo ſchönem Ton geſchrieben, als „Ausſicht
der Gegenwart.“ Es thut mir leid. Glaube nur, dies Land
hier will glimpflich bei den größten Schlachten bleiben: und
Alle ſöhnen ſich aus: nur Partikuliers bleiben dann ſitzen, und
werden aufgeopfert. Dies alles unmaßgeblich, und nur zur
Erinnerung! Du biſt übrigens überzeugt, daß wenn ich die
Sache an ſich, ganz richtig, edel, und erſprießlich für Alle
hielte; mich keine Rückſicht ihr abſpenſtig machte. Das böſe
Prinzip aber, iſt anderweitig zu finden, und zu verfolgen:
und mit einem gelaſſenen, nicht ironiſchen Ton, wie du ihn
ſchon gefunden haſt. Nicht wahr? — Nun muß ich mich ge-
ſchwind anziehen; — es iſt gefroren, ich will auch endlich
ausgehen. Williſen hat an Marwitz geſchrieben aus einem
Orte des Reichs, den der nicht kennt: lauter kriegriſche Dinge.
Ich ſchicke ein Stück der Addreſſe mit, die vor mir liegt. Zur
Ergötzung. Viele Grüße, und die herzlichſte Umarmung! Dan-
zig
ſoll über ſein! Adieu!



So wie kein Dichter ſich ausdenken kann, was beſſer,
mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als was ſich wirklich
in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den beſten
Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was ge-
ſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele auseinander zu halten:
10 *
[148] eben ſo ſind unſere tief natürlichſten Wünſche roh; und gräuel-
haſt entwickelte ſich ihre Erfüllung für uns; nur das, was
Gott wirklich zuläßt, iſt in allen Beziehungen heilſam für
uns, weil wir uns ihm entgegen bilden können. Mir iſt dies
ſchmerzhaft geſchehen und, klar geworden. Wem dies glimpf-
lich begegnet, der hat Glück.


„Die Menſchen verſtehen einander nicht.“ Sie lieben
ſich zu ungleichen Stunden; möchte ich noch hinzuſetzen.


An Varnhagen, in Holſtein.



— Die Gemüthsbewegungen waren dieſen Sommer zu ſtark
für mich. Angſt, Sorge, Ärger, Mitleid. Und was ich hier
ſah!!! Nie ſah ich ſo den Krieg. Im September war ich
ſchon krank, und wollte doch die Soldaten nicht weggehen
laſſen, alſo ging ich immer auf den Flur zu ihnen mit Fie-
ber: zuletzt ließ ich ſie ſchaarenweiſe vor mein Bette kommen;
es war au fort ihrer Leiden. Ein Schuft wäre ich geweſen,
hätte ich nichts davon leiden wollen. Ich wußte es ſehr
gut, ich fühlte wie es mir ſchadete, aber es iſt mir noch eine
Wonne! Ich mache mir ſo bei jeder guten Suppe, bei jedem
guten Biſſen ein Gewiſſen. Nun ſind wir hier ruhig: aber in
ganz Deutſchland, in Holland, überall hiebt und ſchießt man in
Menſchen, in weiches, ſchmerzfähiges Fleiſch, Adern und Gebein.
Man nimmt, darbt, mißhandelt! Ach von meinen Jägern, die
[149] den ganzen Tag bei mir ſind, weiß ich jedes Detail. Da biſt du
drunter! gegen den böſen Davouſt. Und doch wollt’ ich nicht,
du wärſt zu Hauſe. Ich kenne einen ſehr braven Jäger L.
aus Lübeck. Sein Vater iſt dort Uhrmacher, und urſprüng-
lich ein Genfer. Kannſt du den Mann wiſſen laſſen, daß
ſein ehrlicher braver Sohn hier bei mir iſt, ſo thue es. Der
preußiſche Generalchirurgus hier hat ihn mir aus einem ſchwe-
ren Nervenfieber geriſſen. Marwitz lief immer zu dem Arzt.
Kurz, er iſt durch; und erblüht mir recht wieder unter den
Augen. Ich equipire ihn ganz. Und mache ihm während
ſeiner Geneſung jeden Tag eine kleine Freude. Auch iſt er
viel bei uns, und dieſe Diſtinktion und mütterliche Freund-
lichkeit ſtärkt und freut ihn am meiſten. Kann ich mir irgend
etwas unter einem muthigen, braven, gut gearteten deutſchen
Jüngling denken, ſo iſt er’s. Dabei iſt er in Berlin erzogen,
ein Erz-Preuße, und Berlin ſein Leben, Ich tadle ihn wacker,
und lehre ihn die Welt ſchonen, lieben und anſehen. — Wir
Preußen werden vergöttert: und in Tapferkeit, Betragen und
Sitte angeſtaunt. Wie ich zum Guten und zur Beſcheiden-
heit ermahne, kannſt du denken! Ich möchte ſagen, ſehr lieber
Freund, ich folge dir! ſo gleich denke ich über alles mit dir:
ſo freue ich mich über jedes Thun von dir, ſo billige ich in
tiefſter Seele jedes Wort, jeden deiner Ausdrücke! Beinah
habe ich dir nichts zu ſchreiben. — Man lobt mich in Wien,
Breslau und hier ſehr. Dies aber bloß, weil ich das Glück
hatte, für die Soldaten etwas zu erlangen; die Thätigkeit
hätte mir niemand ohne das Gelingen berechnet. — Es freut
mich, ausgeſtoßen wie ich war, ohne Vermögen, Stand, Ju-
[150] gend, Namen, Talente, zu ſehen, daß ich doch meinen Platz
in der Welt finden kann. Deinen Beſitz, deine Hülfe rechne
ich oben an: aber warum liebſt du mich? bloß weil ich recht-
ſchaffen bin, und das Andern gönne und thätig ſchaffe, was
ich ſelbſt gerne will. — A. Mendelsſohn beträgt ſich gegen
mich ganz ausgezeichnet freundſchaftlich, thätig und zuvor-
kommend, und hat ſich als wahrer Freund und eigentlicher
Bruder gegen mich bezeigt, indem er mir de but en blanc hier
einen Kredit machte; weil ihm einfiel, es könne mir angenehm
ſein! er hat das letzte Geſchäft mit einer Pünktlichkeit und
Ausrechnung zu meinem Vortheil beſorgt, als wäre ich eine
Königin, deren Gunſt er ſich ſchaffen wollte. Außerdem beträgt
er ſich in dieſem Krieg, und betrug ſich hier in Prag, wie der
größte Weltpatriot: man kann nicht edler. Auch hat er nun
eine Freundin an mir, und einen Freund an dir. —



— Lies doch, wenn du das Buch findeſt — welches ich
erſt ſechs Wochen in Verachtung bei mir liegen ließ — De-
lille’s Gedicht sur l’imagination. Ganz Frankreich in ſeiner
Geſellſchaftlichkeit überſieht man wieder darin, und einen Ab-
grund von Verwirrung, Grazie und Weisheit, die ihm über-
kommen iſt, und die in ihm gewachſen iſt. Darum empfehle
ich’s aber nicht, ſondern ſeiner ſehr ſchönen Anmerkungen
wegen, die ein Anderer dazu im neueſten geſchmackvollſten
Franzöſiſch geſchrieben hat; ſo geſchmackvoll, avec tant de
goût,
daß ſie beinahe fromm ſind. Nur über die Königin
Louis quatorze — der Fürſt von Ligne ſagte: Catherine le
[151] Grand;
daß Ludwig XVI. weiblich benannt werden dürfe,
ſiehe in den Mémoires de St. Simon — iſt der Mann platt
und grob wie ſein Volk; ſonſt iſt es der reinſte, liebens-
würdigſte Emigrant. So muß man alle nennen, die mit Ge-
walt Gedanken wegdrängen und verwerfen, weil ſie ihre Lieb-
lings-Feſtſetzungen durch ihre Reſultate zu Grunde richten
würden. In dieſen Anmerkungen iſt ein vortreffliches Stück
über la Norvège aus einer Reiſe; und noch eins aus Winckel-
mann: beides meiſterhaft überſetzt. — Noch leſe ich Troxlers
Verſuche in der organiſchen Phyſik. — Da iſt S. 206 und 7
etwas Göttliches über den Willen. Doch dazu haſt du keine
Zeit. Auch Delille nur, wenn du ihn findeſt. —



Die zwei karakteriſtiſchten Grundzüge in mir ſind die:
daß alle Kartenſpiele mich durchaus und von je her bis zur
größten Stupidität ennuyiren; und daß ich trotz der beſchädi-
gendſten, zerſtörendſten Liebe, nie im Einzeln eiferſüchtig ſein
konnte. Genau wußte ich, was ich dem Geliebten galt; und
was ich ihm, da ich mich und ihn kannte, gelten konnte. Was
kümmerten mich alſo die Details: die Art der möglichen Un-
treue u. ſ. w.


Bei jedem Menſchen wären ſolche Grundzüge, zum Ver-
ſtändniß ſeiner, aufzufinden. Dieſe beiden bei mir z. B. zei-
gen doch offenbar; erſtlich, von welcher Beſchaffenheit mein
Geiſt iſt: zweitens, daß ohnerachtet der größten Leidenſchaft,
dieſer Geiſt, ſo wie er nun einmal iſt, nicht getrübt, verwirrt
werden konnte: denn ſeinem einmaligen Ausſpruche lebte ich
[152] nach; und im größten Gemüthsaufruhr machte ich ihm doch
keine neue Frage, wo er mir ſchon Einmal geantwortet hatte.
Große Indizien zur Beurtheilung eines Menſchen.


An Frau von Humboldt, in Wien.



— Vorgeſtern früh iſt Gentz abgereiſt; zwei Tage vor
ſeiner Abreiſe nahm er Abſchied bei mir, und ſagte im Weg-
gehn: „Verzeihen Sie mir alles, was ich Ihnen hier gethan
habe!“ Ohne alle Veranlaſſung, wir ſprachen von nichts
Perſönlichem. Mein Lächeln war beinah ein Lachen: ich ſagte
Ja; er wiederholte die Bitte mit denſelben Worten, und küßte
mir die Hand, und ſagte noch: „Und bleiben Sie mir auch
etwas gut?“ ſo in dem Ton von „bitte bitte!“ Ich ſagte
ganz unbefangen, und frei und äußerſt wild — denn im
Augenblick kann ich immer alles: und habe die größte,
ja unwillkürliche Gewalt über mich: in dem Augenblick, dem
erſten, wie geſagt — ja liebevoll und freundlich: „Daraus
machen Sie ſich ja gar nichts?“ — „O ja! O ja!“ Er küßte
mir wieder die Hand, und ging. Haſt du davon eine Idee?
Zu wiſſen, daß man einen ſchlecht behandelt hat, und hof-
fen, er wird es vergeben? Doch ich werde nie eine Vorſtellung
einer Seele haben, die ihre Lebenserſcheinungen nicht in ihrem
Herzen niederlegt; in der alles wie Dekorationen nur vor der
Stirn hin und hergeſchoben wird. Wie ſie beſtehen, und nur
weiter leben, zuſammenhalten, iſt mir eben ſolch Räthſel.
[153] Kurz, worin das Herz dumm iſt, darin iſt man ſelbſt dumm.
Und glaube mir, Freundin, mein Herz iſt anders; und ſo ver-
ſtehe ich auch, immer von neuem, dieſe Sorte nicht; trotz des
Wiſſens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe,
hat er ſich geirrt. Das ſchrieb ich ihm auch, — und ließ es
ihm von ſeinem Kammerdiener im erſten Nachtlager abgeben, —
lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So iſt’s
auch; und bleibt’s Es war ein ſehr ſchöner Brief; den er
auch nicht verſtehen wird, wie ich ihn verſtehe; aber ich habe
ihn aus Bedürfniß geſchrieben, und aus Rechtfertigung. Ich
will damit gerechtfertigt wiſſen die Möglichkeit der Behand-
lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir iſt,
zu applaudiren und Liebe zu geſtehn, zu äußern, wenn ich
ſie fühle, wie dem im tiefſten Italien Gebornen Bedürfniß:
und eine Äußerung, die immer da iſt, ehe ich ſie bedenke,
zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein
Herz gegen ihn, ſo iſt’s mir’s unerträglich, und Laſt, wie die
größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum
allein auch bedarf ich nie der Rache, kann ich mich nicht
rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn
ich jemanden nicht mehr liebe wie ſonſt, ihm nichts zutraue,
ihm abdingen muß, ſo iſt die ganze Rache in Erfüllung: und
ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier haſt du
mein tiefſtes Herz: einen Theil davon, den ich noch nie aus-
ſprach. Ich ſchrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver-
liebt; aber wie atterrirt wäre ich, ſchriebe mir Einer ſo, dar-
auf vermuthete ich alles, was ſich nur ereignen will. — —
Dir wandelt Gentz, ſagſt du mir, nur wie ein Traum der
[154] Jugend. Wenn es wahr iſt, daß ich alt bin, ſo habe ich
meine Jugend mit herübergenommen: mir wandelt nichts wie
ein Traum von daher. Wachenden Herzens ergriff ich dort;
wo ſollte der Traum herkommen? Ja, eine jede Härte mei-
nes Vaters, jeder Mord eines Jugendmomentes, kränkt mich
noch, und tiefer und verſtändiger, und verzweiflungsvoller als
damals. Was iſt unſer Leben, wenn darum Daſeinsmomente
ihre Wichtigkeit und Wirklichkeit verlieren ſollen, weil ſie in
der Vergangenheit liegen? Wie könnten wir dann nur Ge-
genwart, Zukunft, Wünſche, Schätzenswerthes faſſen? Auch
in der Vergangenheit wird dir Gentz auch nur ein Traum
geweſen ſein: und dann iſt es richtig, und gut. — Ich bin
auf Gott, auf Ewigkeit geſtellt; wie du es für mich wünſcheſt.
Kenne aber Gott nur in und durch ſeine Welt; Frevel, Lüge
wäre es von mir, anders zu ſagen; und die Ewigkeit liegt
bei mir nicht nur in der Zukunft; jetzt iſt auch ein Moment
Gottes. Aber gottergeben bin ich: grade da, wo ich nichts
mehr faſſe und begreife. Dies, und Verwirrung, und Verſa-
gung fühlen, iſt der ganze Schmerz im Leben; dieſen, als
Schmerz, und doch willig annehmen, iſt alles was ich kann.
Die Natur des Daſeins aber, die mir Gott gab, kann nur
er, nicht ich, ändern. Klarer und klarer werden mir auch
meine Gegenſtände des Denkens. Kannſt du ruhiger ſcheinen,
ſo bedenke, daß dir mehr in der Welt gelungen iſt; und mir
außer dem Athmen, und Denken, und Beſſerwerden, das na-
türlichſte Daſein ſtets
verſagt iſt. Das halte der Teufel
mit Grazie aus! Verzeihe mir! auch dieſen Brief, dieſe Re-
pliken, und dieſes gros mot! — —


[155]

Habe die Güte Fräulein Saaling beifolgende Quittung
zukommen zu laſſen. Ich hatte noch Socken und Schuhe,
und ich fragte öſterreichiſche Offizierfrauen — meine Nachba-
rinnen —, wo ich dies und anderes am beſten hinzuſchicken
habe; ſie antworteten mir, ſie und ich wir wollten es ſelbſt
übernehmen, und einzelnen Bedürftigen vertheilen, das ſei am
beſten und ſicherſten. So thaten wir. Vor fünf Tagen hat
mich die Frau Oberſtburggräfin zu ſich zitiren laſſen: gewiß
wegen der Hemden. Ich darf aber nicht ausgehen. Nun
ſchrieb ich der Baronin Heer ein oſtenſibles Billet, damit die
Soldaten nicht auf meine Krankheit zu warten hätten. Die
Baronin ließ mir ſagen, ſie würde kommen, war aber noch
nicht da. Referire dies gütigſt den Arnſtein’ſchen Damen.
Und wie unfähig ich zu ſchreiben war. Bei Gott es war
wahr! Für Goethe küſſ’ ich dir die Hand. Dieſen Gott laſ-
ſen ſie nicht ungeſchoren! Ich will’s verſchweigen, wie Gentz
ſich darüber als Maulwurf, blinder, wühlender, anderthalb-
ſinniger äußerte. Lebe wohl, Theure! dich zu ſehen, iſt meine
ganze Hoffnung jetzt. —


An Erneſtine Robert.



Es wäre liebenswürdig, gerecht, und äußerſt erfreulich für
mich, liebes Erneſtinchen, wenn Sie mir ſchrieben; und nicht
warteten bis ich Wicht Ihnen ſchreibe! hören Sie, wem ich
alles ſchreiben muß. Nach Hauſe, damit Ihr alle von mir
[156] wiſſet, und um mein Herz auszuſchütten. Varnhagen große
Briefe, ſeiner Ruhe wegen; Ludwig Robert, Bartholdy, Men-
delsſohn, mit dem ich Dinge abzumachen habe; Frau von
Humboldt, Mariane Saaling, Frau von Percira, auch ge-
ſchäftlich und der Verbindung wegen; der Kouſine in Breslau:
eine Menge Briefe in der Stadt, und andere für kranke
Freunde. Von den andern Dingen, meiner Krankheit ꝛc. will
ich gar nicht ſprechen: noch davon, daß mir in allen Zeiten
das Mechaniſche des Schreibens Angſt und Blut koſtet! wie
z. B. ſitz’ ich jetzt in der mir zu heißen Krankenſtube Auguſtens,
die mit Fieber in ihrem Bette liegt, und welches mich ſehr an-
ſtrengt. Dabei, liebes Erneſtinchen, ſind die Briefe, die ich
nach Berlin ſchreibe, ja auch alle für Sie! wenn ich etwas
Apartes Ihnen zu melden habe, oder mitzutheilen, zu vertrauen,
werde ich es gewiß thun. Als Sie mir nicht ſchrieben, dachte
ich Sie ſeien böſe auf mich, das können Sie doch von mir
nicht denken! iſt es aber hübſch, daß Sie mir von Ihrer Reiſe,
Ihrer Ankunft, von Moritz Abweſenheit, über die ich mich doch
ängſtigen mußte, nicht ſchrieben; über Ferdinand muß ich
von allen Seiten hören nur von Ihnen nicht?! das muß man
der Schwägerin laſſen, ſie iſt entzückt von ihm! Überhaupt,
fühlte ſie von Anfang an für den Jungen ſo, wie ſie nie mehr
für eins von ihren Kindern fühlte. Solch neidloſer Kinderan-
theil iſt mir bei keiner Mutter noch für fremde Kinder vorge-
kommen: Wohlthaten an fremde Kinder ſind nicht ſo ſelten,
als Vorliebe und Bewunderung für ſie. Sie haben mir auch
nicht einmal von Ihren Landsleuten geſchrieben, die Sie ſehen,
die ſich bei uns befinden — oder nur äußerſt wenig und keine
[157] Details, — mir, von der Sie wiſſen, wie die Polen bei mir
ſtehen; wie ich die Einzelnen goutire, und die Nation in Geiſt
und Herz beſchütze, ihr Recht gebe. Schreiben Sie mir dies
alles! von Ihrem Quartier wußte ich ſeit Moritz in Breslau
war; aber Sie ſollten überraſcht werden: und ich half negativ
daran. Sehen Sie, ich habe nicht das Glück, daß wir nah
wohnen; ich mußte mich todt laufen und todt ärgern. Nun
bin ich weg, und die Einzige, die ihre Foyers hat verlaſſen
müſſen. Konnte ich ein Quartier und Quartierte behalten?
Wo werde ich wohl hinkommen? wenn ich nach Hauſe komme!
doch davon nichts. Ich bin dankbar, daß ich flüchten konnte,
daß ich hier ein Dach habe, daß ich geſund bin: d. h. kein
Nervenfieber; daß ich wieder helfen, und Troſt ſein konnte,
und bei Gott im Himmel! daß Sie in dieſe weite, breite,
ſchöne Straße hineingucken können, und allem Angenehmen
der Stadt endlich nah ſind! Schreiben Sie mir, ich bitte,
genau wie Sie die Zimmer bewohnen, denn ich kenne das
Quartier ſehr genau, und wie Sie leben, mit wem Sie Mit-
tags ſpaziren gehen. Alles! ob Sie Verdruß haben: was
Mama, die Schweſtern machen, was Ihnen Moritz mitge-
bracht; und wie Sie mit den Haaren gehen, alles. Ob Sie
mich wirklich vermiſſen! Ehrlich aber, und was Moritz zu
Napoleon bei Leipzig und hinter dem Rhein geſagt hat. Ich
bin noch nicht ſicher. Trieb man ihn, kann er uns treiben!
die letzten aufrühriſchen Reden des Senats ſind mit vieler
Kunſt aus Lüge und Wahrheit gemacht, und wunderſchön
überſetzt in hieſiger Zeitung. Meine Zettel an Markus, meine
Briefe, meine Gedichte, ſind alle auch an Sie. Ludwig Ro-
[158] berts Briefe werden Sie ſehr amüſiren, mich auch. Ich ſchreibe
ihm ſehr ſchöne Antworten. An Ihrem Brief werde ich ſehen
ob Sie mir gut ſind! bin ich Ihnen gut? Noch weit mehr!
denn das iſt von Natur: und Sie wiſſen’s lange. Aber ich
rechne auf Sie wie auf eine Freundin: das iſt übertrieben
viel, ſehr viel!! das thue ich beinahe nicht mehr. Ich bin
immer auf Ihrer Seite, bei allen Fällen des Lebens. Leben
Sie wohl, und machen Sie ſich Vergnügen, und grüßen Sie
alle Polen! Küſſen Sie Ferdinand und Moritz.

Ihre R. R.



— Hier hab’ ich herausgegrübelt: Schickſal und Glück
ſind mir nicht gut; Gott und Natur lieben mich aber. —


— Wenn mir Gott Menſchen ſchickt, bei mir iſt kein
Athemzug, kein Pulsſchlag, kein Blick verloren. Drum bin
ich ſo außer mir, wenn mir die Nächſten fehlen. Eltern, Ge-
ſchwiſter, Geliebte! Weil ich an Gottes reinem Altar jedes
niederlegen würde; im friſchen reinen Herzen hintragen! —


An A. Mendelsſohn-Bartholdy, in Berlin.



Sollten Sie es wohl denken, lieber M., daß ich nicht
ſchreiben kann, weil ich ein ſchlimmes Bein habe? Das Sitzen,
welches zum Schreiben nöthig iſt, kann ich ohne Schmerz nicht
exekutiren. Rheumatism hab’ ich im rechten Bein. Das iſt
[159] meine letzte Widrigkeit — Kalamität drückt mir ganz was
anders aus. Von Auguſtens Krankheit wird Ihnen mein Bru-
der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit
im Hauſe. — Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen-
tir de l’état de ma jambe;
ich muß immer ſo abgebrochene,
ungeborene Phraſen ſchreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech-
nen Sie das ja ab! Es gefällt mir raſend von Ihnen, daß
Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie
darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die ſich nicht
auf äußere Bedingungen bezieht, als: Verſprechen, Erlaubniß,
und dergleichen, iſt eine Zartheit, die ich ſehr liebe. Wiſſen
Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So iſt
Zartheit Gefühl mit Geiſt. Nicht anders! Punktum. Mir
machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber
keine Furcht, Lieber! Ich denke immer ſo, haben wir ihn ge-
trieben, warum ſoll er uns nicht treiben. Und dann können
noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt:
doch bin ich noch ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can-
tian habe ich einen ſehr hübſchen zweckmäßigen kurzen Brief
heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich
freue mich recht ſehr ſeines Avancements, weil er’s verdient:
er iſt die Ordnung, Beſcheidenheit, in Ausgaben und allem,
ſelbſt; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird ſich der Vater
gefreut haben. Sein Sie ſo gütig, ſie zu grüßen: ich weiß
nicht, wo ich hin ſchreiben ſoll, wenn ich ihm auch antworten
will. H.’s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein-
ſchaftlichen Freunden ſehr viel Gutes und Rühmliches von ihm
gehört; sauf le respect pour le ciel hätte wohl ein Anderer
[160] für ihn ſterben können. Doch was verſtehen die Menſchen?
die noch die einzigen ſind, die ſich auf der Erde etwas ein-
bilden! Jetzt einen jungen Sohn oder Bruder an einem Ner-
venfieber zu verlieren, iſt noch ärgerlich dabei; und H. be-
daure ich ſehr, da ſie ihn ſo liebte! Ihnen gratulire zu den
guten Rötheln der Kinder, wie Mad. M., die ſich doch ge-
nug geängſtigt haben wird! Alſo waren wir zu gleicher Zeit
vor Krankenbetten. Nun ſind Sie das wieder los. Was
wird nun kommen? Schöner Troſt! Es iſt mir ſo entfahren.
Von Bartholdy hatte vor einiger Zeit einen ſehr geſcheidten,
reifen, geiſtreichen Brief, den Tag vor ſeiner Abreiſe von Frank-
furt geſchrieben; aber er muß kein Vergnügen haben, denn
der Brief iſt nicht vergnügt. Er ſchreibt auch in ſo trocknen
abgebrochenen Sätzen, und hat kein wehes Bein wie ich. Hö-
ren Sie Muſik? Ich habe, ſeit Sie weg ſind, nur das große
Loos von Iſouard gehört; wofür ich bin; gute, unterhaltende
dramatiſche Muſik: ſo iſt das Stück auch an ſich gut. Nicht
ſolcher neumodiſcher, Mozart überbietender und daher nur
überſchreiender Lärm. Eine Mlle. Brandt aus Frankfurt ge-
fällt hier ſehr; ich ſah ſie in Aſchenprödel. Singt, nicht
ſchlecht unterrichtet, wie alle Süddeutſchen: aber das R durch
den Hals anſtatt mit der Zunge. Spielt nicht ſchlecht; in
Einem Moment außerordentlich, wo ſie die Roſe bekommt;
tiefſinnig möchte man ſagen; wenn dem nicht andere zu ſehr
widerſprächen, aus aller modiſchen nicht bedachten Tradition,
Momente widriger Naivetät und eben ſolcher Schweſterliebe
u. ſ. w. So aber muß ich denken, es ſei von dem angeflo-
genen Kunſtſommer, der wie der andere in der Luft umher
fliegt,
[161] fliegt, und ſich auf ſchuldige und unſchuldige Kunſtreibende
ſetzt; denn jeder Akteur ſpielt manchmal außerordentlich.
Den Fandango tanzte ſie außerordentlich gut und graziös für
eine Sängerin und Aktrice, ſie iſt beides. Sie gurli’te auch
dieſe Woche. Aber das thu ihr der T ‒ ‒! Medea gab Mad.
Schröder aus Hamburg hier. Die Stelle mit den Unterirdi-
ſchen groß! Das Ganze gut; mit zu wenig Einfällen für
ihre große Gaben, und ihre Übung. Eine Götterſtimme: in
der Tiefe gehalten, wie die Franzöſinnen. Sie ſpielte doch
im Ganzen ſo, daß ich erſtaunt war ſie außer dem Theater
zu ſehen, ſo viel kleiner war ſie da. Weiter habe ich nichts
gehört, nichts geſehen. Außer meine Leute im Hauſe. Nichts.
Marwitz iſt beim Generalſtab der Blücherſchen Armee, und
geht als erſter Generalſtabsoffizier zur erſten Brigade des
Yorck’ſchen Korps; ſo ſchreibt er mir vom 19. December in
einem unleſerlichen Brief angefangen in Wiesbaden — nein,
nein! er endigt auch da. Theilen Sie das gütigſt den Mei-
nigen mit! Wie alles Allgemeine. Nun hören Sie aber das,
lieber Engliſcher! Sie müſſen mir eine Aſſignation an Deſ-
ſauer ſchicken, weil ich wohl weiß, was ich für die vier Jäger
von Ihnen bekomme, was Hr. L. Ihnen für ſeinen Stiefſohn
gezahlt hat, aber nicht was ich in Florin für C. bekomme,
weil ich von deſſen Rechnung keine Abſchrift genommen habe.
Ein ſchlechter Geſchäftsmann? Ja! Ich finde es auch. Sie
haben die Rechnungen gewiß. Mad. H. hat Ihnen den Brief
geſchickt, worin ſie exakt mit unſern Händen lagen, mit C.’s
und meiner. Apropos! So eben habe ich in einem Kalender
für Damen wieder etwas von Jean Paul geleſen. Hübſch
II. 11
[162] und häßlich, wie alle ſeine jetzigen Ausleerungen. Etwas über
die Schönheit des Sterbens in der Jugend. Und einen Traum
von einem Schlachtfelde; der iſt etwas nicht geſtogen nicht
geflogen; und es wittert nicht ſein ſonſtiger, ſondern der
neumodiſche Heiligenſchein drin. Schöne Stellen hat auch
der; mehr noch ſchöngebrauchte Worte. Laſſen Sie dies H.
leſen, es wird ſie freuen. Ich dachte gleich an ſie, und an
alle Mütter und Schweſtern. Leben Sie wohl! Schreiben Sie
mir; und Neues, und was Sie denken, es macht mir Ver-
gnügen. Schicken Sie mir die Aſſignation, ich brauche Gul-
den; ich habe mein ander Geld verwahrt. Schönes an Mama:
und tauſend Freundliches an Lea. Ihre Rahel. Urquijo wird
Sie beſuchen und grüßen.


An Erneſtine Robert, in Berlin.



Dieſen Abend, als man ſchon Licht hatte, gab mir Dore
Ihren Brief. Sehen Sie, Erneſtinchen, daß Sie auch krank
waren? Ich dachte es gleich, an Nette ihren wenigen Wor-
ten: „Erneſtine iſt unpaß: Robert nicht in Berlin, ich ſo viel
bei ihr, als möglich;“ aber ich traute es mir nicht zu ſagen,
weil ſie ſonſt ſagen, ich bin ſo apprehenſiv. Nehmen Sie ſich
nur ja in Acht, ſchonen Sie ſich noch lange, und ſtellen Sie
ſich gegen ſich ſelbſt noch ſchwach, wenn Sie’s auch nicht ſind.
Ich ſchreibe heute nur, weil ich in dem Briefe, den Urquijo
mitnahm, ſo klagte, und nun in zwei Poſten nicht geſchrieben
[163] habe; und weil Sie mir geſchrieben haben. Erwarten Sie
ſich aber kein geſcheidtes Wort, und auch nur wenige. Liebe
Freundin, ich habe Schmerzen, bei denen ich ſchreien und
weinen muß. Ich kann nicht gut liegen, auch nich ſitzen,
das noch am wenigſten, und gehe mit Beſchwerden, ein ſolch
rheumatiſches Bein habe ich von der Hüfte an. Ich muß es
mit Seifenſpiritus einreiben, und baden, mitten im ſtrengſten
Winter, zwei Treppen hoch, wo ich keinen Keſſel habe, in ei-
nem fremden Hauſe! kurz, Gott will es; ſo wie ich keine
Schmerzen habe, bin ich vergnügt. Aber meine Nerven leiden
zu ſehr davon. Ich ſehe und höre natürlich nichts. Und
keinen Menſchen. Auguſte iſt noch ſehr ſchwach, freute ſich
wie ich über Ihren Brief, findet ihn deliziös und unterhaltend;
ſagt: wenn ich ſie nur alle erſt einmal geſehen hätte! und
will mit Gewalt morgen Don Juan, den der Kapellmeiſter
Karl Maria Weber zu ſeinem Benefiz hat, hören. Mlle.
Brandt ſpielt Zerline, und Mad. Schröder ihr Mann aus
Hamburg — von denen beiden ich Mendelsſ. ſchrieb — den
Don Juan. Ich Unſel’ge kann nicht hin. — Ihr Logis freut
mich ungemein, ſo möge meiner lieben Erneſtine alles gelin-
gen! als ich Ihren Brief ſah und las, wußt’ ich erſt wieder,
wie lieb ich Sie habe. Wahrlich wie eine Schweſter, für die
man gewöhnt iſt von Kindheit an zu ſorgen: und die man
von Natur gut leiden kann. Wie kommen die beiden Mäd-
chen zu S —? das wundert mich mehr, als daß ſie ſich der
präzipitirten Einladung fügten! Die Erde iſt ſo dunkel, nur
die Hälfte der Zeit erluſtigt und beſchienen, der Menſch ſo
vergnügungsluſtig eingerichtet, daß ich es ihnen nicht verdenke,
11 *
[164] nur müſſen ſie’s mit der gehörigen Verachtung gegen die ver-
achtenden Wirthe gethan haben. Und ihnen es bei einer an-
dern Gelegenheit durch einen unerwarteten refus zeigen, daß
ſie diesmal aus Laune gekommen ſind, ſonſt kommt man in
die Klaſſe der Leute, die man behandeln kann, wie man will.
Doch zu einem launenhaften Betragen gehört viel Karakter,
Feſtigkeit, und Erwägung der Welt, die man bis zum Ekel
kennen muß. Solche Dinge kann man weder erwarten noch
fordern, und ich ſpreche auch nur zu Ihrem und meinem Amü-
ſement davon. Man kann ſich betragen wie man will, summa
summarum
handelt man nach ſeinem Karakter, das iſt: nach
dem Reſultat der Summa, und Zuſammenſetzung ſeiner ein-
maligen Eigenſchaften; und verdient irgend etwas, oder Einer
wohl vor andern, daß die ſo abgewogen und abgezirkelt ſind,
daß bei jeder Äußerung derſelben ein Muſterbild für ächt
Menſchliches herauskommt? Die Menſchenmaſſe bewegt ſich
wie die Ingredienzen der Atmoſpähre nach ewigen Geſetzen,
d. h. wie ſie können; im Ganzen iſt es Wetter: und aus rei-
nem Eigennutz nennt man eines ſchlecht, das andere gut. Sie
Sie ſind alle unendlich! Amüſire ich Sie? Vous me faites
jaser, vous m’inspirez par votre prédilection, qui seule est in-
dulgente!
Nur durch Nachſicht kann einer den andern ver-
ſtehen, erſt muß man es wollen; ſonſt kann man alles, jede
Behauptung, jedes Phantaſiren nach einem Punkte hinſchieben,
von dem aus es Unſinn wird. Ferdinand macht mir gar viel
Vergnügen! Alſo er geht! und ſchmeichelt; er wird reüſſi-
ren, denn er gefällt ſchon. Das iſt die Hauptſache und das
himmliſche Pathengeſchenk der Natur. Singen Sie? ſpielen
[165] Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo.
Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und
daß ſie reinlich iſt. Als ich dieſen Brief anfing, und mich
dazu ſetzte, hatte ich Schmerz und ſchrie, jetzt iſt’s ein wenig
ſtill. Weber phantaſirt durch eine vermauerte Thüre himm-
liſch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor ſechs
Wochen durch jemand, dem er hier ſchrieb, grüßen laſſen, ſonſt
weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge-
ſagt: und muß — da ich ihm von Natur gut war, leider! —
ſehen, daß wenigſtens ich nicht mit ihm leben kann. Eine
gewiſſe ſittliche Sicherheit brauche ich, ſo vagabund mein Geiſt
ſich auch zu betragen, das heißt zu ſehen vermag; und geſel-
lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann,
Beurtheilen Sie, ob ich ſonſt Prätenſionen habe, die man nicht
dulden kann! ich habe die Serie ſeiner Briefe, und will ſie
Ihnen einmal zeigen, ob ſie ſo auf einander folgen konnten?!!
Er konſtituirt mich z. B. als ſeine erſte Freundin; und in
einem Briefe drauf, ſpricht er mir jede menſchliche Eigen-
ſchaft ab, und radotirt — ſo — daß ich vielleicht nur fünf-
mal in meinem Leben ſo gelacht habe, als über dieſen Brief.
Nichts deſto weniger war ich ſehr empört. Jetzt iſt er mir
ganz gleichgültig: der ganze Krieg, alle Bleſſirte ka-
men mir dazwiſchen: und ganz andere perfide Freunde.
Dieſer Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines
Herzens Maß vorbei. Es iſt voll: und ich bin heiterer, als
da es ſich füllte: nur die Börſe — ge — iſt zu leer! denn
ich bin dahinter, auf einem Schiff muß man Equipage ha-
ben, und ein Brechmittel von einem guten Koch einneh-
[166] men. Grüßen Sie alles! Moritz muß mir mehr ſchreiben!
jede Zeile amüſirt mich, dann ſchreibe ich wieder und auch
amüſant. Ihre R. R. Frau von Sparre tauſend Schönes!


An Frau von Grotthuß, in Dresden.



Arme liebe theure Freundin! Und in welchem Zuſtand
traf dein Brief mich! Auch heute werde ich dir nur in den
kürzeſt abgebrochnen Perioden das Nothwendigſte ſchreiben.
Wiſſe alſo kurz! Ich bin nach tauſend Noth, Angſt, Krän-
kungen
, Mühe und Sorgen, endlich den 9. Mai 1813.
aus Berlin dem Landſturm entflohn; ohne Schutz. Kam den
vierten Tag nach Breslau, wo ich vier Tage blieb, und von
dort nach Reinerz getrieben wurde, von dort wieder weg mußte,
und direkt hierher fuhr; die Gräfin Pachta war zwanzig
Meilen von hier auf einem Gute, und antwortete mir alſo
nach Reinerz, nur als ich ſchon weg war: als ich die letzte
Poſt von hier war, mit ganz Preußen, erfuhr ich, daß man
hier kein Unterkommen fände, und ſah es auch ſchon unter-
wegs. Ich ſchickte dem Grafen Bentheim einen Boten hier-
her, und ſprach ihn um ſeinen Schutz an, — meine Seele
hatte ſich ſchon längſt an dieſe Flucht denkend nur auf ihn
verlaſſen —, er verlieh ihn mir ganz, und ich ſtieg bei einer
Freundin von ihm ab. Dieſe beiden waren für mich wie
Geſchwiſter. Alle alte Freunde nichts. Auch hier erlebte
ich noch große Angſt, große Noth. Und die größten Evene-
[167] ments für mich. Tauſend und tauſend Menſchen konnte ich
helfen, beiſtehen, ſchützen, unterſtützen, tröſten. Unſer ganzes
Land ſah ich hier. Es ſchwoll mein Herz. Perſönlich ver-
lor
ich alte, ſechszehnjährige Freunde, die ich in eilf Jahren
nicht geſehen hatte, die Pachta drunter, die nicht kam, und
noch nicht hier iſt. So kam die Kulmer Schlacht; unſere
von Platzregen begoſſenen Straßen waren mit unbehauſten
Verwundeten bedeckt. Meine Landsleute! Ich ſtürzte auf
meine Knie und ſchrie zu Gott. Er gab mir einen Brief
nach Wien ein, und Geld, unzählige Kleidungsſtücke und
Wäſche erhielt ich. Frauen ſtanden mir hier bei: und ich
ließ kochen; und half. So lange bis ich unpaß wurde, dies
aber der Verwundeten, Darbenden wegen nicht achten
konnte; ich wurde kränker, mußte mich im Oktober legen:
arbeitete doch: ſtand wieder auf, ward immer kränker: die
Agitation dazu; alle Preußen kamen zu mir, jeder ſchnitt
mir in’s Herz. So ging’s, mit tauſend Ereigniſſen, die nur
zum Erzählen ſind, vermiſcht. So kam December; da wurde
meine freundliche Wirthin heftig und gefährlich krank: ich
wartete ſie, ſelbſt krank: ſechs Wochen quälte ich mich mit
Wirthſchaft und allem, wie du bei Grotthuß. Ich wurde
immer kränker: den letzten Montag vor ſechs Wochen ſtürzt
ich zu Bette, wo ich noch liege. — Auch nur mündlich! Wie
von meinen Gebeten, Gelübden, wie ſie Gott annahm und
erhörte. Dir darf ich mit Gottes Erlaubniß ſo etwas er-
zählen. Dies iſt meine ganze Liebe zu dir. — Offenbart ſich
uns des Allmächtigen Willen ſo hart? Amen! Er weiß
es: ich bin ganz ergeben: und denke mir wahrlich Gutes aus
[168] während unverſtändlichen Leiden und Schmerzen; damit auch
ſchon jetzt für mein Bewußtſein welches daraus entſtehe.
Anders weiß ich Gott nicht zu dienen; mich nicht aus der
Verzweiflung zu ziehen: von den ſchweren, ſchlechtern, wirk-
lich nur Nebenmomenten, wag’ ich dich nicht zu unterhalten:
die ſind keine Reſultate, keine Stufen meiner Ausbildung,
ſondern die harten Knorren darauf. Hier haſt du deine Freun-
din ganz in Skitze. — Den 4. Oktober kam Gr. Bentheim
von Kulm zurück, und errichtete hier als General die deutſche
Legion; bis vor kurzem. Der war mein Troſt. Er behan-
delte mich, wie einen Brüder behandeln ſollten. Bis den
Oktober war Ludwig Robert hier, den ich von Reinerz aus
mitgenommen hatte, und der jetzt mit dem Grafen Goloffkin
ganz brillant in Stuttgart lebt. Varnhagen iſt ruſſiſcher
Hauptmann, beim General Tettenborn; lebt nur in mir: und
ſagt’s der ganzen Welt. Wie er’s mir zeigt und ſagt, ſollſt
du aus ſeinen Briefen ſehen, von mir hören; und wie er ſich
geändert hat, und vervollkommnet, ſelbſt beurtheilen. Läßt
mir Gott dies Glück, einen ſolchen Freund zu behalten; ſo
darf ich nicht mehr klagen, wenn auch nur ein Viertel noch
von mir lebt. — Schreib mir, was du beginnſt. Und was
Goethe vornimmt. Denn dieſen Schutz der Erde auch nur noch
Einmal mit meinen Augen zu erreichen, heilt mich, ich weiß
es. Und etwas Troſt muß ich jetzt haben, ſonſt ſterbe ich
wahr und wahrhaftig. Zu viel kam, zu viel hinter einander.
Seit zwanzig Jahren crescendo, und ‒ ‒ dissime. Geſtern
ſchrieb mir Frau von Humboldt, ſie bliebe nur bis zum Mai
in Wien, und machte dann eine Reiſe, oder ginge nach einem
[169] Bade. Ich frage ſie, wohin. Vielleicht ließe ſich dies alles
mit deinem Aufenthalt kombiniren. — Du fragteſt mich, Liebe,
nach einer Stiftung bei uns, von der auch ich nichts weiß;
zu gleicher Zeit ſagteſt du mir auch, du wolleſt dir etwas ab-
ſparen, und es den Landsleuten reichen laſſen. Kannſt du
etwas geben, ſo gieb es Einer, die ich dir vorſchlagen werde,
und wenn du es nach meinen Worten eben ſo rechtmäßig
findeſt, als ich. Es iſt die *. Ihr Unglück geht in’s Große;
nur ihr Karakter, und meine Verehrung für ſie, mag es über-
ſteigen. — Sie leidet reell durch den raſenden Krieg, wie ein
Verwundeter, wie ein Geplünderter. — Ich füge dir nichts
mehr hinzu, als daß ihr ganzes Schickſal ein hiſtoriſches,
nicht ab zuwendendes, altteſtamentariſches, ja der Fluch iſt,
dem die Kinder ſeiner Anhänger vergeblich auf allen Erd-
punkten entfliehen! —


An M. Th. Robert, in Berlin.



So eben erhalte ich euren Brief vom 23. Januar in Ant-
wort auf meinen mit Urquijo. Ich bin noch krank mit ſpa-
niſchen Fliegen in meinem Bett: wie, mag ich und kann ich
nicht ſchildern; ohne den Gebrauch meines Beins. Und jetzt
ſehr alterirt von eurem Brief. Gott! gebe, daß T. bezahlt,
und ich das bezahlen kann, was ich ſeit Mama’s Tod brauchte.
So dacht’ ich mir’s nicht. Sie ſich auch nicht. Ich will jede
aufgeſetzte Quittung für das, was ich erhielr, ausſtellen, und
[170] zahlen, ſo wie ich nur kann. Gott iſt mein Zeuge, daß nicht
jetzt, ſondern immer dies mein heimlichſtes Gebet iſt. Ich
erliege dieſer Art zu nehmen. Daß macht für dieſen Januar
die Summe von … die ich bekomme. Wenn mir niemand
in der Fremde etwas voraus ſchicken will. Quittungen will ich
geben. Auch gab ich ſie jeden Monat bis zu meiner Flucht
hierher. Schütze Gott euch vor dem, was ich erfahre! Und
preßt mir hohes Leid und herbe, harte Krankheit jetzt den
Brief aus, der ſonſt mein Herz heimlich beizt, ſo verzeiht es
meinem großen Elend. Mir pufft das Herz nur ſo! Keiner
von euch hat mich zum Fall der Noth nur irgend hier em-
pfohlen. Hans ſchreibt mir ganz kalt, ich ſolle künftig nur
Moritz ſelbſt ſchreiben, er gäbe konfuſe Antworten. Das glaub’
ich wohl. Für einen Dritten kann man wohl beſſer ſprechen;
aber niemand will thätig ſein. Ich ſpräche gewiß für jeden
von euch. Ich weiß auch, daß ihr meint, ihr meint es gut;
und tadelt mich, wenn ich es nicht ſo finde. Auch iſt es viel,
für geben, was Moritz giebt: doch wurde untern andern Um-
ſtänden ſo abgeſchloſſen: und ich in der größten Proſperität
hätte mich ewig für verpflichtet gehalten. —


Die Torgauer Erklärung habe ich ſchon zweimal mit dei-
nem Namen in dem Wiener Beobachter geleſen. Auch mir
wird’s noch gut gehen; oder Gott läßt mich wirklich abho-
len. Ich war ſehr krank, und bin es noch. Glaube nicht,
daß Geld verlegenheit aus mir ſpricht. Nein! Abrah. Men-
delsſohn hat mir ungefordert einen Kredit gemacht. Aber
Wohlwollen und zarte Sorgfalt von den angebornen Freun-
den thut wohl; und Fahrläſſigkeit weh.


[171]

Lebt wohl. Mein Kopf erträgt in der unbequemen Lage
das Schreiben nicht: ich kann mich nicht rühren. Frau von
Sp. werde ich antworten, wenn ich wieder geſund bin. Ich
habe nichts aus ihrem erſten Brief ſchief genommen: ſie irrt
ſich. Meine Antwort war auch ſanft, ſie ſoll ſie nur ſo le-
ſen
. Warum antwortet mir Erneſtine nicht, der ich noch nach
Urquijo geſchrieben habe, oder mit ihm, eins von beiden? —
Adieu! Mein Arzt!

R. R.


Eben hat mir mein Arzt eine neue Einreibung angekün-
digt, nach der ein Ausſchlag kommen wird. Noch beſſer!
Ängſtigt euch nur nicht, das Härteſte hab’ ich wohl ausgehal-
ten. Ich bin ſchon wieder gefaßter. Habe aber Mörderzeiten.

Adieu. —



Obgleich tauſend Dinge mich umgeben, die alle mit Un-
geduld mich abrufen vom Schreiben, obgleich tauſend andere
ſich vordrängen, und gleich zuerſt geſchrieben ſein wollen, ob-
gleich ich ſeit Freitag von unſerer gewonnenen Schlacht in
Frankreich weiß, ſo daß ich ganz mich und alles Leid ver-
gaß: ſo laß uns doch zuerſt von unſerm verehrten Lehrer und
Freund ſprechen, dem ich Ehre und Leben in die Hand gege-
ben haben würde, ohne noch hinzuſehen; dem ich das tauſend-
mal in die Augen hineindachte, und nie ſagte, welches ich jetzt
grimmig bereue, weil einem Menſchen von andern edeln, den-
kenden, nichts Höheres werden kann, und wozu ich Elende
nie den Muth hatte! Laß uns von Fichte ſprechen! —
Deutſchland hat ſein eines Auge zugethan; wie ein Einäugi-
[172] ger zittere ich nun erſt für das andere! Ich nenne keinen;
wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens-
angſt es immer thut! Nun kann ja Unverſtand, Lüge, Irr-
thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher-
wuchern, und wie üppiges, ungeſteuertes Unkraut ihr alle
Kräfte nehmen und ſich aneignen; keiner rottet es mehr aus;
pflanzt, befördert, macht ihm Platz, ſäet ihn aus, den reinen
nährenden Waizen, der Geſchlecht zu Geſchlecht verbeſſernd zu
geleiten vermag! Fichte kann umfallen und faulen! Das iſt
nicht Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorgeſtern
unvermuthet in der hieſigen Zeitung „aus Berliner Blättern.“
Ich weiß nicht, ich war beſchämter, als erſchrocken; ſo gede-
müthigt! faſt beſchämt, daß ich leben geblieben, und dann
wieder eine wahre Furcht vor dem Tode empfindend. Wenn
Fichte ſterben muß, dann iſt niemand ſicher; mich dünkte
immer, Leben ſchützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der?
Todt iſt er aber nicht, gewiß nicht! — Fichte konnte alſo
nicht erleben, daß ſich die Länder vom Krieg erholten, Zäune
wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Geſetzen
nachgeholfen, daß die Schulen ſich wieder herſtellten und füll-
ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Fürſten Schutz
verſchafften! daß Geſetze erfunden und ausgetheilt würden, daß
die Denker frei, ohne den Augenblick zu ſchaden, ſie Volk
und Regenten zur Geiſtesprüfung vorlegen dürften; dies ſelbſt
ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und
alſo Deutſches, was allein ſo genannt werden dürſte, nur
einzig und allein beabſichtigte, mißverſtanden von den meiſten
Mitlebenden! Alſo auch er ſoll nicht aufgehn ſehn, was er
[173] aus den dunkeln Schluchten, im Schweiße ſeines Angeſichts,
in dem ganzen Aufwand ſeiner Seelenkraft hervortrieb? —
Leſſing! Leſſing liegt auch; von wenigen nur nicht vergeſſen;
und mußte kämpfen um das, was jetzt platt in jeder Zeitung
ſtehen darf, um das, was ſolcher Gemeinplatz geworden iſt,
daß ſie den Erfinder vergeſſen, und es in ſtupider Albernheit
nur ihm nachſprechen dürfen! Und was würde er jetzt wie-
der den Andern vorſprechen! Wie würde er ſie über ihren
Dünkel abkappen; ſie polemiſch, lebendig überführen, ihnen
zur rechten Minute Völker und Geſchichte vorrücken, in die
blinde Aufgeblaſenheit Löcher reißen, und ihnen die Ausſicht
für That und Sache öffnen und frei machen, mit Ernſt und
Spott. Dieſer Mann mußte ſich mit einem Goeze abringen,
und Schutt wegräumen, der damals feſt und gerade ſtand
wie unſere Gebäude. So auch Racine und Voltaire und
all die Andern, die ſie jetzt verachten wollen, weil ſie die Zeit
nicht faſſen, in der jene leben mußten. Racine mußte große
Kränkungen erleben, große Korreſpondenzen führen, weil ſein
Sohn Manſchetten angehabt hatte, und in einer gewiſſen
Schule darum nicht mehr geduldet werden ſollte, und mußte
dieſen jungen Menſchen deßhalb ſchelten, und ſich anklagen
und entſchuldigen! Eine vornehme Dame wurde krank, und
von ihrer Tochter verfolgt, weil dieſe rechtgläubig, und die
Mutter es nicht war! Mit Gewalt ſchickte man einem Dich-
ter, welcher krank wurde, die Sakramente! Und dieſe Leute
ſollten davon ſprechen und ſchreiben, was jetzt vorgeht? Die
Religion der Jetzigen iſt prahleriſcher, als der Abſcheu jener
vor den nur herrſchenden Ceremonien derſelben. Leſſing,
[174] Fichte! und ihr Ehrlichen alle, möget ihr unſere Fortſchritte
ſehen, und uns mit euren ſtarken Geiſtern ſegnen! So denke
ich mir Heilige, begabt von Gott, geliebt von ihm, ihm treu.
Selig ſei unſer ehrlicher Lehrer! —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Ich nehme den Zeitpunkt des Morgens wahr, um dir
heute gleich mit der ſchleſiſchen Poſt anzuzeigen, daß ich ge-
ſtern — als die ſächſiſche Poſt längſt weg war — deinen
Brief mit dem Kreditbrief erhalten habe; davon nachher. —
Natürlich habe ich Gicht: und das von der beſten Sorte.
Einſt erzähle ich wie es war; für jetzt nur dies als Zeichen.
Der alte Arzt, als er da war, ſagte in meiner Gegenwart zu
Auguſten ganz in Mitleid aufgelöſt: „Ich kenne den Schmerz;
ich ſpielte mal mit Kinsky — dem vor einem Jahre geſtürzten
Fürſten — und noch fünf Militairs (und nannte ſie alle),
bückte mich, und bekam den Schmerz — im Kreuz aber, alſo
nur
Kourbatüre, — konnte nicht wieder auf: und — man
macht ſolche Geſichter, glauben Sie’s, daß davon bloß in der
Angſt alle die ſechs Männer wegliefen, weil ſie beſtimmt glaub-
ten, ich verſcheide.“ — Die Beiden, die mich hielten, wein-
ten aus Nervenzuſtand in den Winklen, wenn ein Acceß
bei mir vorüber war. Drei Lager mit Betten waren in
meiner Stube gemacht; und ich kam doch häufig auf die
Erde. ꝛc. ꝛc.!!! und du glaubſt, es iſt Gicht? Alle Ärzte,
[175] die mich beſuchen, ſtellen dieſelben Fragen an: nämlich,
nach den Bewegungen, die ich machen kann: weil es zu häu-
fig iſt, daß man gelähmt bleibt: dennoch iſt es nur Rheuma-
tism: weil Gicht nicht einmal immer ſchmerzt, aber im gan-
zen Körper iſt, und lähmt. Wie bei Tieck. Die Einreibung
hat allerdings den Ausſchlag — eine Art Pocken, denkt euch
— bewirkt, aber als Soulagement nur, nicht als Radikalkur.
Alle Tage ſtehe ich zu Tiſche auf, und gehe bis an die Thüre,
dann dauert das Eſſen und das Sitzen wohl drei Viertelſtun-
den: dann gehe ich oder laß mich zu Bette tragen: und dann,
ſchwör’ ich euch, fühle ich ſolche Müdigkeit und Anſtrengung,
ſolche zerbrochene Glieder, und ſolche Wonne, als wenn ich
von einer zweitägigen Jagdparthie wiederkäme. Jedoch bin
ich froh und beſſere mich. Schreiben nur kann ich ſchwer, des
Schwitzens wegen, welches oft nachher fünf, ſechs, ja mehrere
Stunden anhält: und mich dann ſo ſehr erkältlich macht, weil
mir dabei oder nachher die Glieder verklammen. Mein Arzt
giebt mir die zweckmäßigſten glücklichſten Mittel; er ſieht klar
meine ganze Natur ein. Ein übermenſchliches Glück. Heute
iſt das hellſte, kälteſte, knurprichſte Winterwetter! Allerhand
Bälle, wo ich geladen bin, im Faſching. So in vier Wochen
worde ich wohl ausfahren, wenn’s Wetter ſchön iſt. Seit
September war ich dreimal aus! Schrecklich. So etwas
muß man erlebt haben. Nun nur noch ein Anekdötchen, und
dann nichts mehr vom Körper. Mit welchem Zittern und
Mühe ich in das Bad hinein und heraus komme, habe ich
euch geſchrieben. Mittwoch bin ich denn auch eben mit Mühe
hinein gehoben; natürlich nichts zum Herausſteigen gewärmt
[176] noch bereit; ich will mich eben niederſetzen, die Beine — das
kranke — ſind drin, Dore und das andere Mädchen ſchreien,
ſtürzen zurück, kurz — der Boden der Wanne ſtürzt ein: und
elf bis zwölf Eimer Waſſer in mein Zimmer: ich wurde nicht
ohnmächtig, und ſchrie: tragt mich nach dem Bett! Die Mäd-
chen aber waren es, und ließen mich ſtehen: endlich trug mich
doch die eine. Aber das Zimmer ſchwamm, und ſie ſchrieen
nur wie die weißen Geſpenſter: Herr Jeſus! Ich ließ mir die
grüne Decke umſchlagen, und durch ein kaltes Zimmer mich
in Auguſtens Bette tragen durch die herbei geſchrieene Haus-
meiſterin; in Auguſtens Zimmer war es ganz kalt, die Fen-
ſter
offen, mitten im Reinemachen: ſie in der Probe. Alle
Wärmſteine wurden gebracht: und ſo lag ich denn in Gott
gefaßt, ob ich wieder einen Rückfall haben ſollte. Beordern
mußte alles noch ich, Dore war ganz naß, und hatte den Zit-
terkrampf (noch um 7 Abends), das andere Mädchen zu Kräm-
pfen geneigt, ſtumm und ſteif! Als ich ſo lag, kam unver-
hofft mein Arzt. Unterſagte mir den Gebrauch der Arzenei
für den Tag, weil bei der Agitation an kein Mittel zu den-
ken
ſei! ſo etwas hatte er nie gehört! (Freilich, wenn ein
Anderer krank, und ich geſund geweſen wäre, ſo wäre es
unmöglich geweſen. —) Gott erhörte aber mein wirklich
in Verzweiflung ergebenes Gebet, es ſchadete mir gar
nichts. Aber die Gefahr!


Meine ganze Seele freut ſich, Markus, daß du mir die
Hoffnung giebſt, daß ich die Vorſchüſſe werde bezahlen kön-
nen. Denn meine ganze Seele war vom Gegentheil immer-
weg heimlich gedrückt. Ich habe auch ein gutes Gewiſſen,
das
[177] das iſt die innre Luft, in der die Seele athmen oder erſticken
muß. Zum Leben gehört aber mehr, als Athmen. Schulden
machen, ſich arm werden ſehen: ſich einſchränken müſſen —
nicht begränzen — ſondern ordentlich einſchränken müſſen: iſt
nicht plaiſant. Ich glaube dir, daß du Theil daran nimmſt
und dich auch für deine Rechnung freuſt, daß die ſtockende
Erbſchaft ſich löſt. Einzurichten weiß ich mich, das darf ich
dreiſt ſagen. Ich werde von dem Kredit nur alle Monat ſo
viel nehmen, als ungefähr ‒ ‒ machen. Was meine Krank-
heit koſtete, will ich von dem Gelde wechslen, was ich noch
du weißt von wem habe; und welches ich zur Flucht noch
immer aufbewahrte, und zur Reiſe. Nicht einen Pfennig
hab’ ich unnöthig ausgegeben: aber die Krankheit wird gewiß
nah an dreihundert Thaler koſten; das ſehe ich ſchon jetzt.
Ich ſchreibe wie immer jeden Pfennig auf. Meinen Breslauer
Hut habe ich noch; zum Winter ſchwarz gefärbt, aber noch
nicht
aufgehabt!!! Einen ſchwarzen Wattenrock habe ich zur
Krankheit im Hauſe haben müſſen, die allernöthigſten Schuh
und Handſchuh. Sonſt nichts. Aber oblique Ausgaben hat
man immer. Und auch hier behauptet jeder, ich ſei reich;
bei meiner Ruppigkeit.


Nicht hoffen können kommt nicht von Leidenſchaftlich-
keit; ſondern ob einem im Leben etwas gelungen iſt oder
nicht; und von Einſicht, ob einem auf gradem Wege ohne
Zuthun des reinen Glücks etwas gelingen kann. Unfähig-
keit der Natur hindert daran nicht, ſondern ander Poſitives.
Ein Glück iſt es; zu hoffen. Aber die Menſchen z. B., die
immer hoffen was ſie wünſchen, ſind mir bei ihrem Glück
II. 12
[178] zuwider: meine Niedergeſchlagenheit darin aber, iſt, von einer
andern Art, auch ſehr häßlich; noch dazu, als Geburt lan-
gen
Mißlingens. In Krankheiten z. B., worin ich immer
noch Glück hatte: bin ich nichts weniger als hoffnungslos.


Daß Moritz zufrieden iſt, freut mich, weil das nichts an-
ders heißt, als er verdient Geld. Er muß gewinnen, um
einige Ruhe zu haben: beſitzen reicht ihm nicht hin, und beſäße
er auch ſo viel, daß er ſich monatlich ſeinen Verdienſt davon
nehmen könnte. Erneſtine hat mir nicht geſchrieben, ſie iſt
doch wohl? Ludwig iſt geſund. — Dir, Hans, kann ich heute
nur flüchtig danken. Du denkſt nicht beſſer von dir, als ich:
ſo viel wiſſe. Künftig ſchreibe ich dir. Heute bin ich zu
echauffirt. Dein Brief freute mich, und ich weinte. Hanne,
dir dank’ ich deine Zeilen auch. Ja! ihr hättet mir auch
einen Theil der Schmerzen abgenommen. Ich euch, Gott iſt
Zeuge, auch. Laßt die Bauer wiſſen, daß ich jetzt nicht ſchrei-
ben kann. Und wo möglich alle Bekannte; den Onkel. Ich
glaube
, daß Fanny geſund iſt: aber ſchreibe, wenn auch nur
ein Wort! Ihr könnt mir nach ſolchen Leiden die Angſt
nicht verdenken: und alle Menſchen ſind hier heſtig krank;
einer nach dem andern. Und ſterben: wie Blüthen abfallen,
zahllos. Ich weiß längſt von Grapengießer: und Allen, die
geſtorben ſind. Hans, dir ſchreib’ ich nächſtens ganz genau.
Kinder, wenn wir nur in Frankreich keine Bataille verlieren!
Varnhagen iſt durch Bremen nach Bonn. Hab’ ich ſchon
geſchrieben, daß er den Schwertorden hat? ich glaube. Adieu,
adieu. Mein Kopf fängt an. Friede und Freude ſage ich
auch. — Grüßt Erneſtinen und Nette. Und küſſe einer Fer-
[179] dinand, du Hans, Kinderfreund! — Grüße Mendelsſohn. Laß
dir doch von Hitzig oder Prinzeß Radziwill das Stück der
Tettenborn’ſchen Feldlager-Zeitung geben, worin ſeine Erhe-
bung zum Bremer Bürger ſteht. —


Das iſt noch hübſcher! Ich endige, womit ich, bei Gott,
anfangen wollte. Dir für deinen Troſt, deine Exaktitüde, für
deine Verſprechungen und für deine Sendung zu danken! —



— Die brandenburgiſche Phyſionomie drückt keinesweges
Inhumanität aus. Sondern eine gewiſſe Klarheit — ich weiß
ſonſt das grade Gegentheil, ja beinah, die Unmöglichkeit der
Narrheit, nicht zu benennen —, die aber überhaupt zu we-
nig kräftig und poſitiv genährt iſt, als daß man ſie nicht
mit Nüchternheit verwechslen könnte; weil nicht alle unſere
Landsleute auch den Zuſatz in ſich, und ihren Geſichtsausdruck
tragen, der von der Liebhaberei an Spaß — nicht Scherz —
Ironie, und ein wenig zum Narren haben zeugt. Der Haupt-
ausdruck eines ächt brandenburgiſchen Geſichts iſt immer der,
daß man ihm nichts weiß machen kann. Und alle Caglioſtro’s
ſind auch in unſerm Lande geſcheitert, vom fernſten Weſten
und Süden konnten ſie bis nach Petersburg wirken, blenden,
gewinnen: in Berlin ließ man ſie nüchtern durch. Die große
Ebne; nie eine phantaſienährende Berg- oder See-Ausſicht,
oder Nachricht; die dazu paſſende proteſtantiſche Religion; die
kluge, ehrliche, in jedem Sinn ökonomiſche Fürſtenreihe; die
ſaftloſen Nahrungsmittel, die Mäßigkeit ſelbſt in dem Genuß
12 *
[180] derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die
bekannten Urſachen. —



Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: „Ich mag nicht von ihm
ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig-
keit widerfahren laſſen.“


„Warum ſollt’ ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts
Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“


An Varnhagen, in der Champagne.



Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als
gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie-
ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und
Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon
alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ-
lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom-
men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur
wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich
bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen,
daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich
hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er-
gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich
nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,
[181] und alles, was man mit ihnen vorhaben kann, klar gemacht
hätten. So war es wohl auch: denn obwohl ich in einem
durchdringenden Blick eine nicht irre zu machende Überzeu-
gung von den Menſchen habe, als zuſammenhängendſte Na-
turgabe aller meiner Eigenſchaften, ſo kann ich mich in gröb-
lichem Irrthum befinden, ohne mich über diejenigen, ſo zu
ſagen, die ich vor mir habe, zu irren. Weil ich mich zu der
raſenden Willkür, einen einzelnen, groben, gemeinen Fall an-
zunehmen, den Menſchen, welchen ich grade vor mir habe,
ihn ausführen zu laſſen, nicht entſchließe. Ich will nicht ſa-
gen, entſchließen kann: nicht entſchließen mag. Ich beſchimpfe,
verunreinige dadurch mich ſelbſt! Was einer fähig iſt, weiß
niemand beſſer als ich: niemand geſchwinder. Dieſe Pe-
netration alſo, und jene Entſchlußloſigkeit, machen nun, daß
ich auch eine doppelte Behandlung für die Menſchen habe:
eine voller Betragen und Vorausſetzung — procédé auf gut
Deutſch — äußerlich; und eine richtende, ſtrenge verachtende
oder vergötternde, innen. Leicht kann ein jeder mich inkon-
ſequent, feig, biegſam und furchtſam — wieder auf Deutſch:
lâche — finden, und glauben, die beſſere Überzeugung komme
bei mir nur vor- oder nachher, und der Augenblick könne mir
Leidenſchaftlichkeit über Sinn und Verſtand werfen. Mit
nichten; nie hab’ ich einen klareren, immer gleich ſo klaren,
Menſchen gefunden. Da aber bei mir ganz kleine Züge über
den ganzen innern menſchlichen Kernwerth für alle Ewigkeit,
d. h. ſo lang des Menſchen Komplexion dauert, entſcheiden,
ſo wird es ja unmöglich, daß ich ihm zeige, wofür ich ihn
halte, was ich von dieſem beſtimmten Umſtand, in welchem wir
[182] uns befinden, denke!! Sie müßten mich für raſend halten;
oder ich müßte ſie vergehen ſehn, als ſich ſelbſt verdammendes
Unding. Drum bleibt mir ſchweigen, ſchonen, ärgern, meiden,
betrachten, zerſtreuen, gebrauchen, ungeſchickt wüthig ſein, und
noch obenein mich mit großer Geläufigkeit tadeln zu laſſen,
von ordentlichen Thieren! Dir konnt’ ich die Wahrheit ſagen:
Einmal war es möglich; und daraus entſtand unſere Freund-
ſchaft. — Freundſchaft, welch ein Wort! —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Hier iſt ein Brief von Ludwig Robert, den ich dieſen Mit-
tag erhielt — wahrſcheinlich war er ſchon vorgeſtern hier —
ich will ihn nicht allein zu euch gehen laſſen, damit ihr nichts
denkt. Sonſt hätte ich wohl noch nicht geſchrieben; da ihr ſo
lange nicht antwortet, und vielleicht die heftige Korreſpondenz
nicht mögt. Jedoch konnt’ ich auch nicht: denn in dem Zu-
ſtand von Geneſung, in welchem ich nur wenige Stunden des
Tages aufzubleiben vermochte, befiel mich ein Schnupfen ſol-
cher Art, daß ich jeden Gebrauch der Mittel unterlaſſen mußte,
zehn Tage zu Bette bleiben, bei ganz verhängten Fenſtern,
und katarrhaliſchem Fieber und Schwitzmittlen, gräßlichen
Nervenattaken, und ſieben, ſieben! Migrainen, von welchen
man allein krank bleiben kann. Das linke Auge war davon
äußerlich roth und geſchwollen! Einen Tag mußt’ ich mir’s
mit der Hand von 5 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens hal-
[183] ten!!! Dies letzte hat mich mehr erblaßt, vermagert, geſchwächt,
als die andern acht Wochen Liegen. Von geſtern lieg’ ich
nun neun Wochen. Seit geſtern gehe ich angepanzert
umher. Schnaube wie ein Beſeſſener. Mein Bein iſt nur
ziemlich, und leidet bei der allgemeinen Schwäche; befehlen
werde ich ihm wohl nie wieder können, es wird wohl mein
Herr bleiben. Nun wißt ihr wieder Übles von mir! Es iſt
nicht meine Schuld, und bei Gott! ich gäbe es gerne weg.
C’est trop fort! Das Gute dabei iſt aber das: daß wenn ich
nur eine Stunde, eine halbe, eine Viertelſtunde, nerven- und
peinfrei bin, ich von der luſtigſten, bonmotiſirendſten, heiterſten
Gemüthsſtimmung bin. Voller Gedanken und innerer Bewe-
gung. Am liebſten bleib ich mit Doren allein; und fühl’ ich
mich nur eine Minute frei, ſo lachen wir aux éclats. Ich
weiß immer Stoff zu Scherz und Witz aus meinem Zuſtand
zu nehmen, beſonders dient mir die Luſt allein bleiben zu wol-
len dazu. Ein Beſuch iſt mir ein Gräuel — und die Andern
denken’s nicht! — weil ich keinen ertragen kann. Ich leſe nun
ſchon vierzehn Tage auch nicht; nur ſeit heute erſt wieder das
göttliche Extrablatt, welches mir ſo gleich es erſchienen meine
Wirthin ſchickte. „Das weite Rheims faßt kaum die Zahl
der Gäſte!“ Graf Luckner kam bald nachher vor mein Bett —
heut iſt mir nicht ſo wohl — mir berichten, Graf Reichen-
bach, unſer Kommandant, ließe mich grüßen, der habe hier bei
dem Kommandirenden einen Kourier ankommen ſehen, der die
gewonnene Schlacht bei Soiſſons von Blücher gegen Napoleon
meldete, welche Nachricht Fürſt Schwarzenberg dem Komman-
direnden — Gouverneur hier — auf die Addreſſe geſchrieben
[184] habe. Das hat mich ſehr erheitert. Roberts Brief mich auch
ungemein gefreut! Ich werde ihm ſehr zum Selbſtvertrauen
und zur Thätigkeit zureden.


Von Varnhagen weiß ich ſeit dem 17. Februar nichts,
da war er in Trier. Nur von euch erfahre ich nichts. Von
Moritz träumte ich dieſen Morgen ſehr ſchwer, bis ich aus
Angſt erwachte. — Lebt Nette? Sie, ihr, und Mendelsſohn
und Erneſtine antworten nicht. Ich ſchrieb euch den 9. Fe-
bruar, den 11. mit einem Robert’ſchen Brief, den 20. mit der
Breslauer Poſt, den 26. an Erneſtinen, den 27. wieder ein
Wort mit Roberts Brief. Was machen die Kinder, Hans?
Alle? Habt ihr. Mad. Staëls Buch? ich nicht. Schickt es
mir in Franzöſiſch mit Weber! Goethe giebt ein ganz neues
heraus. Iſt der dritte Theil ſeines Lebens da? Lebt wohl!


Eure R. R.



So wie man manchen Menſchen niedlich, hübſch oder
angenehm finden muß, wenn man auch keinen einzigen Zug
in ſeinem Geſichte, oder kein Glied an ſeinem Körper als
richtig angeben kann, ſo hat T. durchaus etwas unangenehm
Unanſehnliches, ohne daß man beſonders auffallende Diffor-
mitäten im Einzelnen gleich entdeckte. Sie weiß das ganz
genau; und der Eindruck, den ſie von jeher machte, hat auf
ihre Art ſich darzuſtellen, und auf ihre ſowohl alleroberfläch-
lichſte und leiſeſte, als auch heftigſte und tiefſte Äußerung den
beſtimmteſten Einfluß: dieſe Art der Darſtellung ihrer ſelbſt
[185] nimmt man aber (mit hinlänglichem Rechte zwar auch) für
ihren Karakter; der aber in des Herzens Mitte ſich recht
eigentlich geflüchtet hat, gegen die rohe, flache Vorausſetzung,
und von der ihr ſelbſt nur zu mißfälligen Erſcheinung ihrer
ſelbſt. Zum Beiſpiel iſt ihr mit das Gräßlichſte: Verlegen-
heit; für ſie oder für Andre beinah gleich; und in den aller-
peinlichſten, unerträglichſten Augenblicken einer ſolchen zeigt
ſie ſich immer dreiſt, thätig und mit Geiſtesgegenwart; und
kein Menſch erahndet auch nur bei ſolchen Gelegenheiten, wie
ihr ungefähr iſt. Sie loben ſie immer wegen ihrer Uner-
ſchütterlichkeit, oder wie ſie es ſonſt nennen: wenn ſie ſich
aus Schamhaftigkeit aufopfert, und ganze Hiebe im Herzen
bluten läßt, ohne nur ſich hinzuwenden, oder einen Wehlaut
daraus hervor zu laſſen. O! Maske, Maske! Du biſt keine
Maske; wer kann dich loswerden, wenn du eine Mitgift biſt!
Masken durchzuſehen, iſt eine wahre Wohlthat für das Men-
ſchengeſchlecht. Dieſe Wohlthat übt T. im höchſten Sinn und
viel in der Welt. —


Zwei unausſprechliche Fehler hab ich aber: und die kennt
niemand. O! könnt’ ich ſie darſtellen, wie ich ſie kenne! Jede
Eigenſchaft wird einer, die man nicht regieren kann. Es iſt
mir nie gelungen, und ich verzweifle nun auch ganz dran.
Drum beicht’ ich ſie gern. Ja, denk dir, es exiſtiren zwei
Abbildungen von mir, ein Basrelief von Tiecks frühſter
Arbeit, und das Bild, welches bei meinem Bruder hängt;
beide find’ ich ſehr ähnlich: und es ſind die widerwärtigſten
Geſichter für mich, die ich kenne. Bloß, weil ich jene Eigen-
ſchaften bis zum langgezogenen Fehler darin ſehe. Auch in
[186] noch zwei andern Menſchen ihren Geſichtern — die ſehr hübſch
ſind — kenne ich ſie, nur im leiſeſten Grad, und doch ſind
ſie ſchon Karikatur. Beide Perſonen haben auch dieſe Züge
im Karakter. — Die beiden Eigenſchaften aber ſind: eine zu
große Dankbarkeit, und zu viel Rückſicht für menſchlich An-
geſicht —. Eher kann ich nach dem eignen Herzen mit der
Hand faſſen, und es verletzen, als ein Angeſicht kränken, und
ein gekränktes ſehen. Und zu dankbar bin ich, weil es mir
zu ſchlecht ging, und ich gleich an lauter Leiſten und Vergel-
ten denke; auch weil nur ich immer leiſtete, dies letzte iſt ganz
leidenſchaftlich und mechaniſch zugleich geworden. Dies alles
kommt daher: weil die holde, freigebige, ſorgloſe Natur mir
eins der feinſten und ſtarkorganiſirteſten Herzen gegeben hat,
die auf der Erde ſind; weil ich keine perſönliche Liebenswür-
digkeit habe, und man es alſo nicht ſieht: weil auch mein
rauher, ſtrenger, heftiger, launenhafter, genialiſcher, faſt tol-
ler Vater es überſah und es brach, brach. Mir jedes Talent
zur That zerbrach, ohne ſolchen Karakter ſchwächen zu kön-
nen. Nun arbeitet dieſer ewig verkehrt, wie eine Pflanze, die
nach der Erde hinein treibt: die ſchönſten Eigenſchaften wer-
den die widrigſten. Du wirſt es ganz verſtehen! Ich wäre
ein ſehr, für Aller Augen, verkrüppeltes Geſchöpf geworden,
läge nicht großartige Betrachtung der Natur aller Dinge in
mir, und jenes Vergeſſen der Perſönlichkeit, ohne welches die
genialiſchſten Menſchen auf der Erde, und in jeder Wiſſen-
ſchaft, keine wären. Dies iſt der einzige Leichtſinn, den mir
der doch gütige Gott mitgegeben; und die einzige Grazie
in meiner ganzen Natur. Zugleich mein Glück, die Sphäre
[187] meines Gebets — jeder Erhebung — mein eigentlichſtes Da-
ſein, die expanſive Möglichkeit zu fernern Exiſtenzen, das
höchſte Leben, welches zu anderm Leben hinauf glimmt und
flammt. Und denk dir, Freund, dies war der Sinn, in dem
ich dir geſtern ſchrieb: „Die Geſellſchaft könne mich für ein
Müllerweib anſehen, nur um deinetwillen hätte ich noch für
mich Ambition;“ und nicht Zorn über dies oder jenes Ereig-
niß. Die Geſellſchaft war mir von je die Hälfte des Lebens.
Weil ich richtig fühlte, was ſie ſein ſollte: der ſich bewußte,
behagliche Verein im Genuß und Weiterbringen alles menſch-
lich ſchon Geleiſteten. Durch keinen Kampf aber muß man
in ſolchen Bildungskreis, wo Natur und Geiſtesausbeute ſich
durchdrungen haben, gelangen! Wie zu keinem Glück! Den
Kampf alſo bin ich ſatt; weil ich ihn nicht zu führen ver-
ſtehe; weil ich ihn verachte, mit dem Schickſal, welches mich
dazu verdammen konnte. — —


Keine Beſchreibung von dem, was man in der nun ſchon
zum hundertſtenmale zerſtückelten Geſellſchaftswelt finden kann,
die doch nur bis jetzt ein zerhacktes Gemeng der griechiſchen,
römiſchen und bibliſchen bleibt. Es iſt kein großartiger Ur-
ſprung darin, der ſich an eine Lokalnatur lehnte, die einem
richtig von den Religionen-Erfindern geſehen! — von
Gott überliefert wird
! Wir ſind Alle wie Frühlings-
gebirgswaſſer, welches erſt ablaufen muß. Kein Meer, kein
Strom, kein Quell. Leben genug iſt in einem ſolchen Waſſer
auch! das weiß ich. Wenn ich oder du nicht mitwirken kön-
nen, das heißt Gutes vom Tag für den Tag — eine Ein-
richtung dazu iſt beinah nicht vorhanden, — ſo ergötzt mich
[188] die große Welt gar nicht ſo! Noch dazu jetzt, in ihrer Ar-
muth und Zerſtörung. Was hab’ ich an getäfelten Zimmern
voll Menſchen, für welche die Natur, die Natur keines Din-
ges, keine innere Erhellung, kein Wunder der Nerven, noch
des Geiſtes noch des Herzens exiſtirt!! — — Und zu dem
Ennui, welches mir nur der Ehrgeiz — Mittel zu einem
Zwecke — erträglich machen kann, und ſein Spiel und ſeine
Spannungen, zu dem ſollt’ ich mich noch ohne Zweck hin-
arbeiten wollen? — Dies kann ich nicht mehr! ich ſehe ſie
ja noch immer, dann und wann, und kenne ſie Alle. Iſt
man darin, à la bonne heure! Es iſt Bewegung wie alle.
Nur nicht vorzugsweiſe. Dies wollt’ ich dir geſtern ſagen.
Und wie hab’ ich dir ganz etwas anders geſtern ausge-
drückt! — —



Noch Eins! Wo nicht von Natur verhandelt, wird, durch
Sehen und Hören, Auseinanderſetzen; Muſik, Bildnerei irgend
einer Art vorkommt, da halt’ ich’s gar nicht mehr aus. In
der Länge zur Frequenz nicht. —



Auch iſt es T. ganz und gar nicht ſchmeichelhaft, wenn
Einer nach und nach von ihr eingenommen wird; dies iſt ihr
ſo bekannt, ſo gewiß, wie den großen berühmten Schönheiten
mit Unrecht ihre Eroberungen und Anbeter. Schon ihrem
Freund Gualtieri, wenn ihr der ſagte: „Sie ſind ordentlich
hübſch, wenn man Sie lange anſieht,“ oder was er ſonſt der-
gleichen hervorbrachte, antwortete ſie: „Ja, ja, wie Azor,
[189] man gewöhnt ſich daran.“ Dann wollte der außer ſich ge-
rathen. Die Beiden waren komiſch zuſammen. —



Die Geſchichte der Madame de la Pommeraye in Dide-
rot’s Jaques le Fataliste iſt für mich viel tragiſcher, als die
von Romeo und Julia im Shakeſpeare. In jener iſt gar
kein zufälliges Unglück, welches ſich zu dem der Liebe noch
erſt geſellen müßte. Die Frau muß ihr größtes Leid erleben,
worein ſie nicht willigen will; ſie ſchafft ſich Rache, die ihr
gelingt, ſie drückt ſie feſt auf das ſchmerzende Herz. Vergeb-
lich! dem Feinde iſt Glück in der Liebe zugedacht, er findet
es in der Schande, die ſie ihm bereitete, weil ein Gott ihn
ſegnete, aber von ihr ſich wendet, und allein muß ſie bleiben,
mit dem Schaden für’s Leben. Das hat Diderot ſehr richtig
gefühlt, und auch er allein nur, meines Wiſſens dargeſtellt.
Das iſt nicht tragiſch, was andere Moraliſten zeigen; wie
man ſich ſelbſt ſchadet, was man vermeiden könnte, wie man
ſich Unglück zuzieht, wie man mit den Göttern wählen ſollte
und nicht ohne ſie, wie innerer Friede ſchätzenswerther als
ander Gewünſchtes ſei. Tragiſch iſt das, was wir durchaus
nicht verſtehen, worein wir uns ergeben müſſen; welches keine
Klugheit, keine Weisheit zerſtören noch vermeiden kann; wohin
unſere innerſte Natur uns treibt, reißt, lockt, unvermeidlich
führt und hält; wenn dies uns zerſtört, und wir mit der Frage
ſitzen bleiben: Warum? warum mir das, warum ich dazu ge-
macht? und aller Geiſt und alle Kraft nur dient, die Zerſtö-
rung zu faſſen, zu fühlen, oder ſich über ſie zu zerſtreuen. —


[190]

Sollte Goethe mit Bedacht im Wilhelm Meiſter alle die-
jenigen, denen die Liebe das ganze Leben in ſich aufnahm,
haben ſterben laſſen? Sperata, Mariane, Mignon, Aurelie,
der Harfenſpieler?


Und ſollte er die beiden Texte zu dem Buche in dem
Buche kennen? die des ganzen Werkes Keim ſind, aus dem
es nur Goethe’s Geiſt, wie Sonne, hervortrieb? — die Be-
merkung nämlich, „daß jeder Fluß, jeder Berg genommen ſei
auf der Erde,“ und dann das, was Meiſter Aurelien, vor
oder nach ſeiner Verwundung an der Hand, ſagt: „O wie
ſonderbar iſt es, daß dem Menſchen nicht allein das Unmög-
liche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“ Dieſes
Netz von Witz, in dem uns die Götter hier gefangen halten,
in welchem wir errathen, toben, arbeiten, beten müſſen, und
durchſchauen und durchgreifen können. Für möglich halten
wir manches; das was nicht iſt, iſt unmöglich; wenn wir das
immer wüßten und dächten, thäten wir nichts; und kein Buch
würde wohl geſchrieben mit ſeinen Vorausſetzungen, Bildern
Beweiſen und Erörterungen.


Darum finde ich auch in Goethe’s Taſſo das tragiſcheſte
Ereigniß. Ganz ſeiner innerſten Natur zuwider, muß er ſich
am Ende an den halten, der ihm das Abſcheulichſte iſt; im
Kampfe mit der Seligkeit ſeines Herzens überwunden, ſie
fahren laſſen; und endlich, um das Vernünftige zu ergreifen,
die Seele nach der unnatürlichſten Lage hinrenken; und ſo
das Herz in fremden, rauhen Gehegen ausſtrömen laſſen, wel-
ches geboren war, nach ſeinen ſelbſt erkornen Himmeln zu
[191] ſtrömen. Solcher Todtſchlag bleibt ein ewiger Schmerz: iſt
nicht zu bekämpfen, nicht zu ändern, und einzig tragiſch.



Shakeſpeare ſagt: „So ſoll ich denn mit fremden Augen
in die Glückſeligkeit ſchauen!“ Wie vor einer ausgehungerten
Stadt, können einem ſehr Unglücklichen alle möglichen Lebens-
mittel vor dem Herzen vorbeiziehen, und kein Korn, kein
Tropfen Nahrung hinein kommen; er ſieht den Reichthum,
und nimmt Theil an der erquickenden Fülle der Andern, und
feſte Thore verſchließen auf ewig ſein Herz. Einem ſolchen
beneidet und tadelt man oft noch Eitelkeit: ach! und er ver-
mag gar nicht eitel zu ſein, im Grunde!


Holde, reiche, milde, troſtvolle Natur, nimm ihn auf in
deinen unendlichen Schooß! verwehe ihm Menſchenſpur aus
dem geängſtigten, mißbrauchten, von ihm ſelbſt mißbrauchten
und mißverſtandenen Herzen: verleibe ihn ein in dein Geſund-
heitsathmen, vereinige ihn mit Element und Wetter! daß er,
ſelbſt geſund, durchſonnte Atmoſphäre athme, einſauge, em-
pfinde, und mit ihr einverſtanden ſei, durch frei bewegten
Organismus der Glieder, und ſeines Geiſtes; daß er kein
Verhältniß, nur ein Sein fühle, und eine frohe Welt
empfinde! —


[192]

An M. Th. Robert, in Berlin.



Morgen, liebe Freunde, werden es acht Tage, daß ich
euren mich erfreuenden Brief, mit Roſe ihrem darin, und einen
beſondern von Moritz und Erneſtinen erhielt. Die Poſt nach
euch war ſchon weg, und auch Sonnabend vermocht’ ich nicht
zu antworten. Denn denkt euch, Kinder; ich lag im heftigſten
Fieber, ja lebensgefährlich an einer Halsentzündung. Was
Erſticken auf der Bruſt heißt, weiß ich gewiß; im Halſe iſt
es wegen der Verbindung mit dem Kopfe noch ängſtlicher —
dem Gefühle nach — und mein Erbrechen! Ich wußte gar
nicht, daß hier ſolche Epidemie herrſche: den 24. und 25. März
war ich etwas ausgefahren. Stellte aber jedoch dieſe Fahrten
aus manchen Gründen, und beſonders weil ich die Fatigue
nicht ertragen konnte, da ich bis dahin nur ſtundenweiſe aus
dem Bette geweſen war, gleich wieder ein: brauchte zwei
Tage, mich von Gliederſchmerzen und der Verwirrung zu er-
holen. Den 28. drückt es mich etwas im Hals. Drei Nächte
bring’ ich ſehr übel zu: ich zitire meinen Arzt. Kurz! muß
Bäder ſchwitzen; genieße nichts; muß ſechs Tage am Halſe
warme Kräuterumſchläge nehmen!!! ſtehe ſchrecklich aus!
werde die letzten Tage ſo entkräftet, daß ich um einen Trop-
fen Wein oder Kaffee bitte: bringe ſie ohnmächtig zu!
Der Arzt verſagt es ſtreng; und ſagt: ſo müſſen Sie her-
unter kommen: das iſt ja die Art der Heilung. Kurz, genug!
Eine neue horreur! Die vorletzte Nacht ſchlief ich zum erſten-
mal
[193] mal ohne Umſchlag und Gurgelei: heute lag ich ſo; aber ſchlief
nicht: und fühle es ſehr! Alſo viermal habe ich hier ſchon
Fieber gehabt. Im Oktober das erſte: und ſeit dem 17. Ja-
nuar bin ich nur wenige Tage, ja nur Stunden aus dem
Bette. Denn bei meiner großen Attake hatte ich auch welches:
man verheimlichte es nur. Bei meinem Halsübel hatte ich
das noch obenein, daß Dore es auch, nur ſchwächer, hatte,
und ich in dieſer Noth die noch ſchonen ſollte: wo ewig
Einer einem erſticken helfen muß, und ein kühler Umſchlag den
Tod bringt: ꝛc. Nun iſt der Hals wieder gut; und ich wie-
der Einmal zum Ausfahren ſchreitend. Ich ſtehe viel aus.
Verſtehe aber mein Übel. Ich ſehe ein: daß wenn die heftigen
katarrhaliſchen Zufälle nicht ſo hintereinander gekommen wä-
ren, der bis zur Gicht faſt verhärtete Rheumatismus ſich nie
gelöſt hätte. Harte, ſchwere, entkräftende Heilart. Gott ſchickt
es mir. Ich hatte zu viel Verdruß, gar keine Freude: ſo
lange Jahre: ich ſagte es immer zu Varnhagen. Sterben
ſollte ich nicht; ob ich gleich zweimal, auch den Ausſagen
nach, gefährlich war: nur tüchtig leiden, und erſchwächt wer-
den: ich kann nicht dafür! Und wenn ihr mir gut ſeid, will
ich auch noch für uns und mich leben.


Nun, Ohmeken, will ich deinen Brief Punkt vor Punkt
beantworten: der mein Herz ſo heilte auf meinem Kranken-
Jammerlager im ſchrecklichſten Fieber, Krampf- und Stickmo-
ment. O! Äußert euch gut gegen mich! Ich bin einmal
leidenſchaftlich, und nicht nur, wie ich ſehe, in der Liebe, wie
man’s nennt: in allen Affektionen: ja ich beſtehe und (jetzt
eben
iſt die Eſtafette gekommen, daß der Kronprinz von
II. 13
[194] Würtemberg und Fürſt Schwarzenberg in Paris find. Das iſt
für Jena, und weil Napoleon aus unſern Schloßfenſtern ſah;
ich zittre und weine; ehr ruhte er nicht, bis man in Blut
hinwatete!) glaube, der Menſch beſteht nur aus Affekten: und
dreiſt kann ich euch Allen die Frage machen: kennt ihr mich
nur für mich bewegt, beſorgt und thätig? Wem von euch ſein
Intereſſe geht mir nicht durch und durch in’s Herz? Hans!
zittre und weine ich nicht ſo heftig, als für mich, wenn du
mir einen Unfall von dir mittheilſt? beweintet ihr heftiger
Paulinchen als ich? Knie und bet’ und ſchrei’ ich nicht zu
Gott, wenn ihr krank ſeid, als wenn ich’s ſelbſt bin? Pflegt’
ich euch nicht Alle, ſeit meinem neunten Jahr! Robert zu
Einem Jahr! Theil’ ich euch nicht alles mit? Ruhe ich
ehr, eh ihr Intellektuelles, Angenehmes, Geſelliges, alles habt,
was ich nur erreichen konnte, hab’ ich je ich, nicht immer
wir geſagt, und Gott weiß, wie ewig gedacht! Ich bin kein
ſtockiger Selbſtler: ein freudiger, empfindlicher Lebensverbrei-
ter! Und viele Fehler müßt ihr, könnt ihr ſolchem Freund
zu Gute halten! Alſo freute mich euer letzter Brief unge-
mein
! heilte gleich das Herz mir, für Vergangenheit, Ge-
genwart, und für noch ſo furchtbare Zukunft. Weil er freund-
lich und gütig war!


Es iſt ja prächtig, Hans, daß du dich doch dieſen Win-
ter beſſer befindeſt! Aber von einer Badereiſe ſcheint ihr ab-
gekommen zu ſein: darauf hoffte ich. Und euch irgendwo zu
treffen, obgleich ich noch nicht weiß, wo ich hin muß. Scheue
das Geld nicht, Ohme! Man hat es doch nachher nicht: und
leben und geſund leben, iſt das Meiſte. — Der Kinder ihr
[195] Wohlſein iſt meine Haupſache: lernen ſie auch noch Italiä-
niſch? Hanne’s Hals muß noch mehr geſchont werden; leicht
zieht ſich nach ſolchem Orte eine Schwäche. —


Schon ſehr oft, lieber Ohme, dachte ich daran, daß die
Litteratur bei euch ſchmachten würde; und beſorgte es; mir
geht’s ja eben ſo, wenn Marwitz, Varnhagen und ſolche nicht
da ſind: die ganze Litteratur iſt eine Mittheilung in’s Große
getrieben: und kann nur durch Mittheilung begünſtigt, ver-
breitet werden! Wir wollen ſchon wieder dafür ſorgen. Graf
Luckner wird dir eine Broſchüre von mir bringen — in acht
Tagen etwa — Considérations politiques sur l’Europe. Ro-
bert antwortet mir Einmal darauf in einem ſeiner Briefe.
Ein Emigrant (Maiſonfort), der ruſſiſcher Legationsſekretair
in London iſt, hat ſie verfaßt. Ich errieth natürlich den Emi-
granten. Aber wie modifizirt auch dieſe unmodifikabelſte Men-
ſchenart iſt, ſollſt du draus ſehen: und wie göttlich, geſchmack-
voll, judiziös, und harmoniſch, und wahlreich man dieſe Sprache
in neuſter Zeit zu ſchreiben vermag: und wie komplet ahn-
dungslos dafür A. W. Schlegel iſt: der ſeine politiſchen Nach-
ſchwätzungen auch glaubt in dieſer Sprache abfaſſen zu kön-
nen! Er iſt nun in ſeiner völligen Ausbildung ganz arm und
irr geworden.


Du ſagſt mir, Kunſt, Konzerte, Theater, alles würde von
dir vernachläſſigt. Was kann ich erſt ſagen: die ich nur
Flanell, Schweiß, Trank, Betten, Tropfen ꝛc. ſeit ſo viel Zeit
zu allem Umgang habe! Gott will es: und begabt mich
auch dabei, daß ich noch nicht vertrockne. Aber mein Körper
natürlich, deteriorirt ſich; und das krepirt mich ſehr. Die gril-
13 *
[196] lirte Loge freut mich ſehr. Du wirſt aber gewiß nicht glau-
ben, daß ich mich ſo innig über das Glück freue, daß du Iff-
lands Schuldenweſen arrangiren konnteſt! Nun kann doch
der Menſch in Ruhe krank ſein; und beſſer werden. Daran
nehme ich den größten Antheil — noch beſonders, weil er
wohlthätig iſt. — Wiſſe nur: ſo verhaßt mir der Krieg iſt;
wegen ſeiner Gräuel, wegen meiner perſönlichen Furcht; und
weil er meinem Herzen ſo weh thut; ſo iſt er es mir doch
gewiß zur Hälfte ganz darum, weil er die Erde in Un-
ordnung bringt, welche mir das Entſetzlichſte, ja nicht zu Faſ-
ſende iſt! daß er alles ſtört, jedes Hausweſen in’s Tiefſte; je-
des Geregelte, jeden Plan, jedes Geordnete. Dies thun Schul-
den auch: und ich verabſcheue ſie! Es muß dir große Freude
machen, dem kranken neuen Freund darin mit deinem Talent
haben helfen zu können. Nur begreife ich nicht, warum er
die joyaux nicht längſt opferte: und ob ihm das Haus —
wenn es das im Thiergarten iſt — nicht zugleich die Ruhe
und Behaglichkeit ſeiner Exiſtenz nimmt. Erkläre mir das.
Mit der Pedrillo haſt du auch ſehr Recht: wir ſind es ihrer
Mutter ewig ſchuldig, uns allen ihren Kindern als thätige
Freunde zu beweiſen — Feinden bleibt es, nur gerecht zu
ſein, und zu kritiſiren — es iſt ſchändlich, wenn man vergeſ-
ſen kann, daß, ſei es auch noch ſo lange, man einen Men-
ſchen Tag und Nacht, und grade zu Noth hat können zuver-
ſichtlich rufen laſſen. Solche Hülfe in der Familie, bei allen
Krankheiten, leiſtete uns die Eigenſatz, jahrelang; anſtatt
Mama, der dies Talent abging. Ich vergeſſe es ihr nie!
Auch in Mad. Bethmann wollen wir, wie du ſagſt, die Ver-
[197] gangenheit ehren, (was iſt der Menſch, ohne ſeine Geſchichte?
Produkt der Natur, und nichts Perſönliches) und ein Phäno-
men der Natur, in Unbeſonnenheit, die ſie edel, auch gegen
ſich ſelbſt, genug übt; bei vielen leichten, lieben Eigenſchaften.


— Wundere dich nicht etwa, Ohme, wenn ich ſage, meine
Krankheit koſtet dreihundert Thaler. Bedenke, Monate im
Bette. Vier Wochen gehoben; wozu ich Menſchen hal-
ten
mußte. — Bedenke die Bäder, die Apotheke, den Arzt.
Die tauſend weggeſchmiſſenen Mittel, Weine, Eßwaaren. Eine
ganze Garderobe von Flanell habe ich mir anſchaffen müſ-
ſen. Mein Bettzeug, was ich mithabe, reißt. Meine Wäſche:
ich konnte nie fünfzig oder vierzig Thaler nehmen, und mir
welche kaufen; Ausſteuer hatt’ ich nie; und wenn es dich
ſkandaliſirte, mich äußerlich ſchlecht einhergehen zu ſehen, ſo
weißt du doch nicht wie es ſeit vielen Jahren mit der inn-
ren Garderobe ausſah: hier nun ging meine Leibwäſche ganz
auseinander: und endlich hab’ ich welche kaufen müſſen.
Wem ſagt man dergleichen? Strümpfe mußt’ ich auch ha-
ben: jeden Gang muß ich bezahlen, und noch Gott danken,
daß ich gefällige Leute im Hauſe habe: man durfte mich
ja nicht allein laſſen: erſt ſeit geſtern bin ich allein: und
heute Nacht kommt Dore erſt aus meinem Zimmer, nebenan.
Denk dir die Strafe für mich, bis jetzt!!! Auf Federbetten
lag ich auch. — Und das Holz! Tag und Nacht mußte ge-
heizt werden, wegen der Dinge, die warm vorhanden ſein
mußten, und weil es die Ärzte befahlen und ewig erinner-
ten. Ich habe euch ja gar nichts erzählt! Das Zeug mußte
mir ja vom Leibe geſchnitten werden! Eine ſpaniſche Fliege
[198] lag drei Tage und drei Nächte, ohne daß man nachſehen
konnte, und war verrückt, und dicker Flanell auf die Wunde
gerutſcht; und doch mußt’ ich liegen bleiben! Dies nicht, mich
zu vertheidigen: denn ich weiß es, Lieber, du klagſt mich nicht
an, aber um es zu erklären. Ich habe alles aufgeſchrie-
ben: und ich darf es wohl ſagen, nur mir konnt’ es möglich
ſein, meine Rechnungen noch zu führen! Dicke Schnupftücher
habe ich mir auch kaufen müſſen, die paar battiſtenen konn-
ten in der Krankheit nicht dienen.


Ach lieber Ohme! du freuſt dich ſo mit Roſens Brief!
Freilich freut mich die Nachricht! Aber daß die Arme ſeit
zwölf Jahren immer dieſelben Briefe ſchreibt, am Klima lei-
det, und Geſellſchaft und die Geſchwiſter vermißt, — zerdrückt
mir das Herz. — Louis freut mich ſehr; daß er etwas lernt. —


Lieber treuer Hans, dir danke ich! Ich ſage immer zu
Auguſten, nur Einem Menſchen in der Welt traue ich über
Komödien und Muſik, die ich nicht höre, und das iſt meine
älteſte Schwägerin. Was mache ich mir aus einer Oper, die
man der Ballete wegen ſehen kann: doch daß ſie unterhielt,
iſt ſchon viel. Dir, den Kindern, Erneſtinen, Moritz, werde
ich Allen künftig ſchreiben: leſ’t unterdeſſen dieſen Brief. Ich
bin zu ſchwach. Erneſtine nenne ich nicht wieder ordentlich,
bis ſie mir das Zahnpulver-Rezept beilegt! Moritz, warum
vorenthältſt du mir das Vergnügen, Briefe von dir zu haben,
da niemand ſie ſo bewundert als ich! Hier iſt einer von Ro-
bert! Kinder! Ihr habt ihm die Blätter, die ihr ihm von
mir ſchicken ſollt, nicht geſchickt. — Nun muß ich noch Robert
[199] zu morgen ſchreiben. Künftig euch, liebe Kinder. Ich erliege.


Adieu! R. R.



Nun gratulire ich dir und Allen, die wahren herzlichen
Antheil an der Welt wahrem Wohl nehmen! Ich gönne un-
ſerm König für ſeine Kränkungen, daß auch er eingezogen
iſt, in das Herz des monſtruöſen Reichs, das alle andere in
ſeiner holden leichten Glaubhaftigkeit zu verſchlucken und tre-
ten
zu können meinen mußte. Es muß jeder franzöſiſche Sol-
dat, jeder Franzoſe wiſſen, daß man auch zu ihm kommen
kann, das wird ſie höflich im Herzen machen; und uns den
Kopf oben halten lehren für eine Zeit. Daß nur Einer ge-
opfert wird, und auf den aller Haß gegoſſen, aus den vergall-
ten Herzen der Menſchen, und daß man mit der lieben Nation
ſich wieder befreundet, und ſie lieben darf, freut mich. Dann
bitte ich zu Gott, und hoffe es auch, daß es gut ſei, was
geſchieht!! Luſt mußten wir haben, das iſt ſchon ausgemacht!
Das Größte ſchon jetzt, iſt mir das; daß Napoleon ſich zum
Kaiſer machte; und nicht ruhte bis er’s nicht mehr war. Al-
les er ſelbſt. Wer hätte ihn angetaſter! Man muß es
nicht vergeſſen
! Kaiſer- und Königstöchter hatte er. Eng-
land
hinter ſeinem Meere ſogar, unterſtützte noch vor weni-
gen Monaten der Bourbons Proklamationen nicht. Der
Mann hat ganz allein wie Macbeth fünf Akte geſpielt: ſeine
Zauberſchweſtern kennt man noch nicht.


Hier wurde mit Lärm und Geſchrei das Bulletin im Schau-
ſpiel abgeleſen. Der Oberſtburggraf ließ gleich Liebich holen,
[200] die ſchickten zu mir. Ich ſah und hörte natürlich nichts da-
von. Was wird bei uns für ein Lärm ſein; und der Sachſe
im Schloß! Heute fahre ich wieder mal aus. Adieu!


Von Varnhagen weiß ich ſeit dem 17. Februar nichts, da
ſchrieb er aus Trier. Wie findeſt du das. Auch herzſtärkend.


Sage auch Abr. Mendelsſohn, ich werde ihm antworten.
Doktor Veit ging mir in die Seele! mein erſter Freund.


Heil! Heil! Was ſagt Moritz! Ich bin zweideutig?


An M. Th. Robert, in Berlin.



Ich werde erſt ſehen, wie ich dieſen Brief geſchwinde nach
Berlin bekomme, da ich geſtern den von Robert, als die Poſt
ſchon weg war, erhielt. Er will eine Empfehlung für den
Staatsrath Küſter, wie du ſiehſt. Liebſter Markus! verſäume
es nicht. Vetter iſt ſehr gut mit Küſters. Kircheiſen. Alſo
muß es Geheimr. Schmidt machen. Auch Schack kann es durch
Gräfin Golz. — Beſorge es bald, lieber Freund! weil es zu
ein großer Verdruß für Robert wäre, wenn Küſter ſo ankäme!
Eigentlich müßt’ er ihn kennen von Golzens, und den Orten,
wo er invitirt war, und nicht hinging. Das kommt davon,
wenn man nichts kultivirt: ich habe ihn genug erinnert. Wie
baten ihn die Damen in meiner Gegenwart. Wie einen
Schiller!


Lieben Freunde! Welchen vergnügten Brief wollt’ ich
euch heute, nämlich das erſtemal — ſchreiben! Im Frieden,
[201] im Frühling, in meiner unglaublichen Beſſerung! Seit
Dienstag gehe, und fahre ich täglich aus. Ach und Hans!
dich
, wollt’ ich zum Muth ermahnen, den ich habe. Ich gehe
mit zwei Händen am Geländer gehalten wie ein Kind in der
Laufbank, doch allein die Treppe hinab. War bei Liebichs
auf der Schildwacht, die auf einem Berg liegt; ſie gingen
durch den Garten herab: ich einen Stufenberg ganz allein
ohne Furcht, das zweitemal als ich aus war!! habe Schmer-
zen, und Inkommoditäten, Schwächen, Schweiße; Fröſte, Un-
behaglichkeiten aller Art; und achte ſie nicht! Ermunterte,
und ergötzte alle Leute; bis geſtern. Da erfuhr ich, daß in
der Zeitung geſtanden habe, Tettenborn und ſein Adjutant
ſeien verwundet; der General leicht, jener ſchwer am Kopf.
Ich las in der Halsentzündung zwei Zeitungen nicht; in de-
nen ſtand es: damals wär’ ich geſtorben; ſie lagen neben
mir, ich vermochte ſie aus Fieber nicht zu leſen! Nun hat
die Welt den Frieden; ich nicht. Gott reicht es mir; ich bin
ſtill. Aber ſchreiben kann ich nicht. Seid nicht beſorgt! ich
erhalte, und tröſte mich, da es noch nicht gewiß iſt. Seit dem
17. Februar weiß ich nichts von ihm. Adieu. Gott richtet es
ein: ſonſt hätte ich ja jetzt in dieſem Falle ſterben können.
Ich gehe in der Unruhe heute in Fanchon.

Adieu, adieu.
Rahel.


Mit Graf Luckner kommen Zeitungen, Bulletins, Komö-
dienzettel, Reden, alles!


[202]

An den General von Tettenborn, in Paris.



Lieber General! ich bitte Sie um Gottes willen, im Na-
men alles desjenigen, was Sie intereſſirt, ſchreiben Sie mir
ein Wort hierher, oder laſſen Sie mir ein Wort hierher über
Varnhagen ſchreiben! Seit dem 17. Februar, wo ich den letz-
ten Brief von ihm aus Trier bekam, weiß ich nichts von ihm:
ſelbſt ſeit fünf Monaten krank zu Hauſe, war ich vorgeſtern
zum erſtenmal im Theater, wo mir Graf Chriſtel Clamm, als
ich nach Ihnen fragte, gradraus ſagte, Sie und Ihr Adjutant
ſeien verwundet: als er mein Erſtarren ſah; machte er einen
Scherz daraus, welchem letztern ich Glauben beimaß, denn ich
hatte alle Zeitungen geleſen, und der Graf erzählte es aus
einer Zeitung, worin er’s vor vierzehn Tagen geleſen habe.
Ich erzählte meinen Schreck einer unvorſichtigen Frau: die
mir ſagte, es habe allerdings in der Zeitung geſtanden: und
nun beſtätigen, nach meinen Erkundigungen, es Viele! Ich
lag zuletzt an einer Halsentzündung, und habe zwei Zei-
tungen
nicht leſen können; darin muß es geſtanden haben:
im Gegentheil, ich las, Gen. Tettenborn ſei in Chalons ein-
gerückt, wo ihm die Bürger die Thore geöffnet! Wie es auch
ſei; von Ihnen erwarte ich, daß Sie mich ſo ſchnell als mög-
lich
die ganze Wahrheit wiſſen laſſen. Ich bin auf alles ge-
faßt. Lebt mein Freund, und kann er hören, ſo laſſen Sie
ihn wiſſen, daß ich ruhig bin, und für mich ſorgen will: und
vor dem Ausmarſch wußte, was der Krieg iſt: und ihm nicht
[203] würde gerathen haben zu Hauſe zu bleiben. Wenn er nur
nicht gefangen, in keinem Lazareth iſt! Ich füge kein Wort
hinzu, lieber Baron, daß ich kein übriges geſchrieben habe:
ich habe an den Menſchen in Ihnen geſchrieben, den mich
Varnhagen ganz kennen und ſchätzen lehrte. Sie ſagt man
nur ſehr leicht verwundet. Ihre ergebene R. Robert.


Addreſſiren Sie an Liebich.


An M. Th. Robert, in Berlin.



Geſtern, meine liebe Geſchwiſter, ſchickt’ ich euch einen
Brief von Robert; den ich vorgeſtern ſpät bekam, als die
ſächſiſche Poſt ſchon weg war, mit der ſchleſiſchen: ich be-
fürchte aber er möchte lange unterwegs ſein, und ſchreibe lie-
ber heute wieder; weil Robert in dem Brief etwas verlangt:
und ich auch geſtern wieder ſpät euren vom 12. April er-
hielt, mit dem von der Schl. — Der Staatsrath Küſter kommt
nämlich als unſer Geſandter nach Stuttgart, und da will Ro-
bert, daß er ihn kenne, von ihm wiſſe. Nun könnte er den
Mann ſehr gut kennen, wenn er in die Geſellſchaften gegan-
gen wäre, die ihn haben wollten. Auch mußt’ er ihn von
Golzens her kennen. Vetter iſt ſehr gut mit Küſters. Kirch-
eiſen auch. Alſo muß Schmidt und Vetter ſprechen: und wo-
möglich machen, daß Küſter einen Brief an Robert mitnimmt.
Küſter iſt ein ſehr lebſeliger Mann. Schack kann es auch
machen: Gräfin Golz koſtet’s ein Wort; Frau von Crayen
[204] auch. Er ſoll nur vorher wiſſen, was Robert dort iſt, und
wen er vor ſich hat. Beſorge es ja! Ohme. — Auch hat Ro-
bert mir vor wenigen Tagen inliegenden Brief geſchickt, den
ich geſtern im Trouble einzulegen vergaß. In der Nürnberger
Zeitung ſtand vor zwölf Tagen, General Tettenborn ſei leicht,
und ſein Adjutant am Kopf verwundet. Seit vorgeſtern weiß
ich den Zeitungsartikel gewiß. Ich habe in ganz Prag, in
der ganzen Welt, an alle Grafen, Fürſten, Geſandten, und
Prinzeſſinen um Nachricht geſchrieben ſeit geſtern. Verlangt
alſo nichts von mir! Und ſeid ruhig über mich. Geſtern
Abend fing die Schl. ihren Brief ſo an: „Bin ich die Erſte,
die Ihnen die Schreckenspoſt ſagt?“ ich las nicht weiter;
wollte nichts hören! Auguſte ſchrie: es iſt nur Marwitz!!!
Nur
! denkt euch mein Unglück. Nur. Der iſt wieder bleſ-
ſirt, gefangen und vermißt. Seit dem 14. Februar; ſein
Schwager ſchrieb’s der Schweſter, und Leopold Gerlach ſchrieb’s
auch. Ich weiß ſeit dem 17. Februar nichts von Varnhagen.
Wenn ihr alſo Erbarmen habt, ſo ſchreibt Frau von Fouqué
— ich kann’s nicht mehr, nach Nennhauſen bei Rathenau,
ob Obriſt Pfuel nichts geſchrieben hat. Wiſſen muß ich doch,
wo er geblieben iſt: ob er lebt, ob er leidet. Das iſt kein
Geliebter, den man wiederbekommt, das iſt ein einziger
Freund in der Welt. Ich kann es beweiſen. Ein Gemahl.
Noch glaub’ ich es nicht.


Ich war geſtern in Fanchon; heute ausgefahren. Gehen
kann ich leider nicht. Mein einziger Troſt ſonſt in Unglück
und Angſt. Wie lief ich, als Mama todt war, die Ruſſen
in Berlin, vor den Thoren ꝛc. Wenn ich ein wenig, welches
[205] ich vorgeſtern und vorvorgeſtern that, viel gehe, wird mein
Bein arg. Ach wie beſſerte ich mich, wenn es Gott mir in
dem Frieden und Frühling erlaubte! Soll jeder deutſche
Krieg mir ſolche Freunde koſten? Keiner weiß es; ich wußte
es ſelbſt micht, erfahre es erſt jetzt, wie Louis mich liebte, und
mein Freund war; und geworden wäre mit dem Alter. O!
Kinder! Ich ſtöre euch den Frieden! den goldenen, gött-
lichen
, für welchen ich die Erde Gottes küßte! wie für mein
Ausgehen! Erkundigt euch erſt bei Hitzig, ob Frau von Pfuel
nicht in Berlin iſt; oder bei Fouqué’s: Hitzig weiß alles
von der Familie. Iſt es euch unangenehm, ſo ſchreibt auch
Hitzig. Nur ich vermag ihm nicht mehr zu ſchreiben. Nach
Wien, Paris, Stuttgart, allenthalben hab’ ich ſchon heute ge-
ſchrieben. Laßt Radziwill fragen, ob er nichts von Tettenborn
weiß: fragt alle Menſchen! Vielleicht wenn ihr dieſen
Brief bekommt, bin ich ſchon beruhigt, und habe einen. Äng-
ſtigt euch nicht. Auf der Erde vergeht alles. Und ich ertrage
Irdiſches. Ich bin gefaßt. Scherze oft. Dir, Hans, dank’
ich für deine ehrliche herzliche Freude über unſern Sieg, die
du mir mittheilteſt[!] Und daß du in’s Freie fuhrſt, Gott zu
danken. O! ich vergeſſe das Glück nicht. Daß die Völker
ſich erkennen lernen: wie es Robert ſchön ausdrückt. Unſer
König in Paris; ſieht er’s doch, und der Kronprinz; und lernt
Länder kennen, und erwägen. Und der Franzoſe wird nicht
nur ein Nehmer; welches der Fall geworden wäre: und lernt
die ſtrengern, eckigern Nachbarn ſchätzen und kennen. Und
wehren lernen ſich die Nationen: zuſammenhalten die Deut-
ſchen; hochhalten die Fürſten ihre Völker, thätig lieben dieſe
[206] ihre Fürſten. O! ich fühle alles in meiner Noth. Gott ſchickt
ſie mir. Ich küſſe das Kreuz. Er hat gewiß Recht. Lebt
wohl. Grüßt die Kinder und Alle! Jetzt kann ich niemanden
ſchreiben, das müſſen Alle einſehen. Ihr hört poſttäglich von
von mir. Ich gehe aus, lebe, ſchlafe. Adieu! Fanny, l’aea-
démicienne, je te félicite.
Daß Jette ſang, freute mich ſehr.
Verwahrt mir ja Roberts Briefe.

R. R.


An M. Th. Robert, in Berlin.



Liebe Geſchwiſter, bloß um euch über mich zu beruhigen:
ich habe wohl nun zwanzig Briefe in der Welt herum ge-
ſchrieben, viermal an General Tettenborn und an Obriſt Pfuel.
Ich bin ziemlich geſund, ſchlafe aus Angſt; gehe aus, in die
Luft; nehme Bäder. Die mir der Arzt, weil es nun gewittert
hat, wieder unterſagt hat. Ich kann nie recht zu den Bädern
kommen. Auch hat er mir heute Töplitz verordnet. Ach!
diesmal mein Gräuel!!! Mit Dore allein. Beſucht mich
ja! Kommt auch hin! Seit vorgeſtern hab’ ich einen Schim-
mer von Hoffnung. Graf Clamm-Gallas hat vom 7. einen
Brief von Paris mit allem Neuen; was ihr wißt; und der
Nachricht, daß Tettenborn dort unverwundet iſt: nun hoffe
ich auch für Varnhagen. Aber Marwitz. Das bleibt. Aber
das war nicht möglich! mit einem Arm hinzugehen, mit dem
man nicht fechten und kein Pferd regieren kann. — Morgen
früh geht die Poſt. Ich grüße euch. Grüßt ihr Mad. Men-
[207] delsſohn; nächſtens werd’ ich ihr ſchreiben; ich vermuthe, der
Mann iſt ſchon weg: er ſchrieb mir neulich, er würde reiſen.
Seid ruhig über mich. Ich bin es oft. Adieu! adieu! R. R.


Clamm ſtürzte nur, mir es zu ſagen!


Was ſagt Moritz! „C’est beaucoup pour un simple
soldat“,
gefällt mir ſehr. Der Senat auch noch. Die Ereig-
niſſe ſind durchaus größer als die Menſchen diesmal.


An M. Th. Robert, in Berlin.



Liebe Kinder! ich bin erlöſt! Varnhagen war den 12. bei
Pilat in Paris zu Beſuch: von welchem mir Gentz geſtern ein
Stück Brief mitſchickte, worauf es ſtand. Dieſes Stück Brief
iſt meine Friedensfahne. Nun fehlt noch Marwitz. Aber ich
hoffe. Der kommt wieder ganz durchlöchert an Körper und
Wäſche zu mir. Nun muß ich allenthalben den Allarm ein-
ſtellen und hinſchreiben. Beſonders an Frau von Humboldt,
die mir alle Tage ſchrieb, ſelbſt krank iſt, und keinen Brief
vom Sohn hat, der bei Montmartre war! Gentz iſt ganz
glücklich, mir die Nachricht geben zu können: und hat mir
einen der merkwürdigſten Briefe dieſer Zeit geſchrieben; den
man aber nicht herumſchicken kann! — Freut euch mit mir!
Geſtern war ich an Magenſtichen zu Bette: das feuchte
kühle Wetter nach dem Gewitter muß einen rheumatiſchen
Nervenkranken erſchüttern. Adieu! Wenn ich aus könnte im
[208] Regen, führ’ ich, die Erde küſſen! Nun hab’ ich auch Frie-
den. Gott ſchütz’ euch. Schreibt!

R. R.


An M. Th. Robert, in Berlin.



Geſtern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei
Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott-
huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. geſchrieben,
aus Villeneuve bei Sens — der letzte Ort iſt einige Poſten
von Paris; ich bin durch — alſo einundzwanzig Tage ging
er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten — Avant-
garde — abgeſchnitten unter aufrühriſchen Bauern: in der
Unmöglichkeit zu ſchreiben; zu den nächſten Korps einen Brief
zu ſchicken mußten ſie hundert, und auch mehr Reiter zur Be-
gleitung geben ꝛc. ꝛc. Kurz, es iſt Frieden; und unſere Pferde
kommen wieder. Der letzte Pöbel! und — der König kann
ſich ſo leidenſchaftlich damit nicht freuen. Jetzt noch wein’
ich. Denn nun kann ich’s ſagen. Dies war mir eins der
Dinge, die mich am meiſten kränkten: erſtlich, weil es immer
zu ſehen war; zweitens, weil es kein Kunſtwerk war, nicht
aus Eitelkeit von unſerm jetzigen König aufgeſtellt, und der
Mann es uns zum Poſſen, zur Kränkung that: weil wir mux-
ten in Berlin. Und dann! wie oft hab’ ich in der gelben
Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit
dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er ſoll dem Kö-
nig Magdeburg wieder geben! Unſere größte Elbſtadt,
unſer
[209] unſer kultivirteſter Fluß. Kurz, tauſend Gedanken verband ich
damit, die hier zu weitläufig ſind. Nun fehlt Marwitz noch;
aber ich hoffe. Ich werde noch an mehr Menſchen ſchrei-
ben. Und denke dir, Markus! (Hier hat mich Graf Luckner
eine ſtarke halbe Stunde geſtört, und mir alle Gedanken ge-
nommen) Varnhagen ſchreibt mir — damals wollt’ er erſt
nach Paris gehen — er ginge mit ſeinem General nach Mann-
heim; dorthin ſollt’ ich ihm ſchreiben. Vielleicht komme ich
auch noch in Roberts Nähe; Mannheim iſt gar nicht weit
von Stuttgart, und warme Bäder, in Baden, nah bei; die
Tettenborn gebrauchen will, und muß. Roberts Brief, den ich
vorgeſtern erhielt, hat ſehr ſchöne Stellen. Beſonders, daß
die Geſchichte ein Drama aufführt. Daß ich mich fürchte,
daß wir eine Nation werden, habe ich ihm ſchon lange ge-
ſchrieben; und daß die vollkommenſte, von dem größten Ge-
ſetzerfinder gemacht, wozu er Gott ſelbſt gebrauchte, ein be-
ſchränkter Gedanke war, alſo endlich in der Idee, und ein
Unglück wirken mußte: Moſes war aber ſo groß, daß er in
der Ausübung wieder unendlich war, und ſein Gebäude den
andern Nationen unmöglich zu zerſtören war; weil er auch
noch dabei göttliche, auf die ganze Menſchheit ſich bezie-
hende Eingebungen hatte. Und wer kann ſich zu dem Hel-
den vergleichen! Von Kraft! tiefen, reichen, umfaſſenden Ge-
danken! und einer Thatkraft! — die das Ideal von menſch-
licher bis jetzt macht; und welche Elemente fand der vor, und
welche Alle nach ihm! Man kann dreiſt ſagen, durch ihn.
Er mußte auf den beſchränkten Einfall kommen, der damals
kein beſchränkter war. Ich muß doch meinen Geſchwiſtern
II. 14
[210]auch meine Geſchichtsgedanken zur Schau ſtellen! Tralalala!
Jetzt ſind durchaus die Evenements größer, als die Menſchen.
Politik giebt’s nicht: Elemente davon ſind da; und mit denen
entwicklen ſich die Menſchen mit, wie mit dem wirklichen Wet-
ter in der Atmoſphäre, welches ſie auch nicht machen können,
und die ſich ſtufenweiſe ändert in Jahrhunderten, wie alles in
der Natur ſich ausbildet, und perfektibel iſt, und wird. Amen!
Ich kann euch nicht mehr ſchreiben. Ich muß Bentheim,
Auguſten, Robert, Varnhagen, Gentz, der Humboldt, Tetten-
born, der ganzen Welt ſchreiben. Manche wollen wiſſen,
was ich denke jetzt!!! — So geht’s Denkern! Ich weiß aber
doch nicht, was ich denken ſoll von vielen Dingen. Geſtern
hat Mattauſch Karl Moor geſpielt: ich ſah ihn nicht; die
Kälte war groß, und ich blieb zu Hauſe. In der Jungfrau
werde ich ihn ſehen. Bayer ſpielt den Baſtard viel beſſer.
Mattauſch wurde herausgerufen, und iſt hier ſehr beliebt.
Warum habt ihr mir nichts mit ihm geſchickt! Hans! ſchicke
mir Bettzeug, und Servietten. In einem großen Kaſten im
Souterrain ſteht die Wäſche, Line hat den Schlüſſel. —


— Tettenborn hat mich ſehr dringend und angenehm ein-
geladen. Ich warte noch auf mehr Briefe. — Sei verſichert,
Hans! kein Genuß in Kunſt, Luft, Wetter, und Wohlleben,
kann mir ein ungeſtörter ſein, woran ich dich, woran ich euch
nicht Theil nehmen ſehe. — Ich möchte auch Moritz ſprechen
hören. Napoleon möchte ich ſehen. Ich haſſe ihn noch nicht.
Aber ſie laſſen ihm zu viel Spielraum. — Wer von Marwitz
hört, ſchreibt dem andern. — —


[211]

An Auguſte Brede, in Frankfurt a. M.



Kaltes, trübes, feuchtes, windiges Regenwetter obenein.


Holder Karakter! Ich wäre raſend geworden, wenn ſie
mich nach einer andern Station gefahren hätten. Aber See-
len, wie Sie, geſchieht und entwickelt ſich alles leichter, weil
ſie alles leichter, auch loſer, nehmen; aber ſehen Sie auch Ein-
mal mein Geſicht, und Ihres! Wenn die Natur — und was
iſt die Natur? Alles; von Anbeginn an: Kleinigkeiten!
— ſolche Dekrete ausſpricht, dann wehre ſich mal Einer; oder
beſſere ſich! Was hätte ich nicht gleich beim erſten Deichſel-
bruch für verdeichſelte Brüche geſehen! und für Dukaten im
Geiſte ſchwinden! — Eins bitt’ ich mir aus, Traute! — Sie
ſollen mir nämlich im äußerſten Detail trauen! — über Ihre
Angelegenheiten haben Sie holt die Gnod! mich immer ſehr
au fait zu ſetzen; ſonſt ſitz’ ich und zerbreche mir immerweg
den Kopf mit den größten Sorgen. Die grünen Bohnen, den
Spargel, habe ich Ihnen — auch mit einigem Nachrechnen
— beneidet; hier weiß ich vom Frühling nichts, als daß Schnee
Koth geworden iſt: und die Wirthinnen ſchreien, es ſei nichts
zu haben in der Jahreszeit, und der Theurung. Einmal ko-
ſtet das ſchmutzige Papiergeld viel, einmal weniger: noch im-
mer ſo! Wunde auf; Wunde zu; „das iſt all eins!“ Wenn
ich Wunde ſage, mein’ ich als Moderner — ſo verſtümmelt
ſind gegen die Antiken — Janustempel. (Warum ſchreib’ ich
Ihnen heute ſo ſonderbar, außer meinem — gewöhnlichen —
14 *
[212] Stil; dies iſt auch meiner; halb in Robert ſeinem? Weil
ich Sie, und mich Arme, gerne ermuntern, und beſonders die
ſchwarzen Dünſte aus dem ſchwarzen Herzen nicht will an’s
Licht ſteigen laſſen; — und weil mir Karl Maria von Weber
dieſen Mittag einen ſehr ſchönen Brief vom Herzog von Go-
tha, in dieſem Stil geſchrieben, vorgeleſen hat. Der Stil
ſelbſt iſt eine Manier, ein Gewandel, welches ein Launiſt an-,
aus- und abziehen kann; aber weh einem Andern, der ſich
in dergleichen Garderobe verwickelt! Denken Sie ſich, mit
Laune, allerlei komiſche Auswickelungen aus ſolchem Kleider-
haufen; Zufälle und Geſchichten, mit und unter denen das ge-
ſchieht! Ich habe ſo eben dies Gewand anſtändig zwar noch,
aber voll Überdruß, weit weggelegt.


Es war ſehr ehrlich von Ihnen, liebe Guſte, mir von
Nürnberg zu ſchreiben: wie in Balſam eingetaucht, wirkte der
liebe unſchuldige Brief mit ſeiner Phyſionomie auf mich. Er
ſah aus wie Sie; und ſchien auch Ihnen Bedürfniß zu ſein.
Das freut mich. Vorgeſtern Abend nach den Verwandtſchaften
und dem neuen Ballet erhielt ich ihn. — Eliſa Valberg wurde
von der Schröder — nämlich die Fürſtin — ſehr ſchön ge-
ſpielt; ſehr ſchön: auch gut angezogen; außer daß ſie, als
ſie zum Gemahl kömmt, nicht einmal Handſchuh in der Hand
hatte; welches mich Schwächling die ſehr gut geſpielte Scene
hindurch ſtörte. Einen Zuſatz von ganz moderner Prinzenar-
tigkeit (mit -artigkeit mein’ ich -haftigkeit; nicht die Artigkeit)
und Zartheit hätte ich dem Spiel noch gewünſcht: denken Sie
aber ja nicht, daß das auffallend war, oder ganz fehlte!
Mattauſch hat einen gewiſſen Wackel beim Schreiten durch
[213] die zu große Körperſchwere erhalten, der das geübteſte Auge,
beſonders in der Rolle, erfordert, um zu ſehen, daß er ſie
ganz Prinz ſpielte: ſo modern und gut erzogen als möglich,
mit all der Behaglichkeit, in dem Zurückhalten, welche ſolche
Erziehung und ſolch ein Leben nur geben kann. Er war ſo
tauſchend in ſeinem Benehmen, daß er mich in die größte
Rührung und Emotion verſetzte, ſo ähnlich war es dem all
unſerer Prinzen; und wegen der Herzlichkeit der Rolle, und
den Verlegenheiten, die ſie in der Stellung des Fürſten gegen
den rechtlichen Gouverneur mit ſich führt, Prinz Louis Situa-
tion und Betragen ſo ähnlich, daß ich zu vergehen glaubte.
Er war ganz wie unſere Prinzen angezogen, und auch in der
Körperhaltung wie ſie!! — Er ſpielte tauſendmal beſſer als
ſonſt, und mit täuſchender Eingebung und Natur. Nur die
Jugendlichkeit mißte man: und das ich, in deren Phantaſie
ſie ſchwerer ſchwindet; und das nur, weil er an ſeinem Ver-
fall ſchuld iſt. Durch Tabackrauchen, und verbürgertes, ver-
nachläſſigtes, unelegantes Leben außer der Bühne. Nichts
macht alt, als das Einwilligen darin, Vernachläſſigung der
Jugend; und Mangel an ewiger Eleganz: man kann nicht
nur Abends um 6 ein Künſtler ſein — Volk! — man muß
es den ganzen Tag ſein; beſonders wenn wir die Kunſt in
unſerer eignen Perſon vortragen ſollen. Große Gage! große
Gage! wie in Frankreich, in England, und unter dem Kö-
nige
Friedrich dem Zweiten!! Liebich ſpielte ſehr gut: leider
aber wußte ich diesmal jedes Wort noch von Fleck; wie er’s
in der ganzen Liebenswürdigkeit ſeiner perſönlichen Blüthe
vortrug! „Refüſirt!“ ſchrie der Gott! wie ein Engel. Und
[214] erblaßte; in Blick und Mienen. Göttlich! Mad. Brunetti
war weiß mit roſenrothem Atlasband; und ſpielte weiß mit
roſenrothem Atlasband: wie immer. Mad. Liebich gut; doch
auch die Döbbelin ehmals beſſer, nüanziger; gekränkter. Das
Ganze war aber ſehr gut, und durchaus unterhaltend, für
mich iſt das viel; wiſſen Sie. Schröder, als Verlobter der
Roſenrothen, ſo gränzen los ſchlecht, daß er durchaus ein In-
termezzo war. Wie Einer von einer ſolchen Winkelgeſellſchaft,
die ſich in Klüften aufhält; wo auch Bäder ſind: und wo man
vorbei reiſt, wenn man nach Pyrmont, Aachen, oder derglei-
chen, fährt! und als wäre er einſt Springer geweſen: und
hätte da immer die Zwiſchenreden gehalten. Wie konnte die
Schröder daneben nur ſpielen! Geſtern ſpielte ſie im Vehm-
gericht die Verbrecherin. Wundergöttlich: die ſanften Stellen
aber nach-ti-gall-te ſie gedehnt, leiſe und rührig ab!
— welcher tiefer, finſterer, grober Irrthum! Ihr Talent und
ihre Eingebungen ſind aber ſo ſtark, daß ſie ſich mitten in
ſolchen langweiligen Momenten, mit den ſchönſten Ausbrüchen
von Spiel, Ton, und Einfällen, ſelbſt unterbrach. Pübliküm-
chen wußte von allem nicht; applaudirte, rief heraus; dafür
iſt’s nicht bezahlt, aber es bezahlt. Sie war erſt in grauem
Sammt, mit Schwarz und Weiß beſetzt; dann ein grautaft-
nes Nachtkleid, und Nachthaare — herunter; dann weiß: mit
einem Wittwen-Kopfputz mit drei Spitzen im Geſicht und
einem Muſſelinſchleier herab. Die Mad. Löwe erſt wie eine
rothe Kartendame angezogen: dann Battiſtmuſſelin, ganz weiß,
altdeutſch, gut gemacht. Doch demoiſellig: ſehr vermagert.
Geſpielt wie jede Rolle: und ungeheuer gegen die Schröder
[215] abgeprallt. Nämlich, auch für das dunkle Gefühl des Par-
terre’s etwas auf Puppe reduzirt; durch jene wirklich gewal-
tig Ausgeſtattete. Sie hatte bloß altdeutſche Lockenfülle, aus
einem altdeutſchen Scheitel um ſie her fallende, zum Kopfputz.
Bin ich ehrlich? Oh das macht müde! Wie ich dazu kam,
das Gräuelſtück von Stupidität zu ſehen? Bayer invitirte
mich bei Mad. Liebich; und da that ich’s aus Artigkeit. Meine
Schwäche! Es gereut mich wegen der Schröder nicht. Nun
geh’ ich in Grünbaums Benefiz, die Schweizerdirne! Adieu!
ich erliege! Soll ich ein Theaterblatt ſchreiben? Das fehlte
mir! — Es iſt Winterwetter. Heute Don Juan. Adieu! —


An Varnhagen, in Paris.



— Ich bin auch „froh,“ Auguſt — du ſchreibſt, ich ſoll
es nun auch ſein, daß alle meine Angſt und Sorge vergebens
war: und wie oft ſagte ich zu Gott, ich will mich ängſtigen,
nur ſoll es umſonſt ſein! — daß du lebſt, und daß dein Tod
nicht eins von den ſich rührenden Sandkörnchen war, denen
es von Anbeginn der Welt befohlen, zugedacht war, herab zu
kräuſeln bei den Bewegungen der Erdbälle, ihren unſichtbaren
Entwickelungen und Gedeihen! Hin hätte ich’s nehmen müſ-
ſen, wie Marwitzens Tod, und alles Unglück, und alles, was
einem verſagt wird. Aber ein abgenommenes Unglück iſt doch
nur, als wäre einem ein Todeskrampf von der Bruſt genom-
men; deren ich hinlänglich empfunden habe! — Man betet
[216] während dem, als hätte man um nichts zu bitten, als das:
und Gott weiß ſehr gut, daß es ſo ſein muß, und nachher
wieder anders. In weitere Kreiſe dringt das feine, in allem
unbegreifliche Leben, als da, wo es auszuſtrömen ſcheint, und
dem Gefühle, und allen Sinnen nach, die Bedingung ſeines
eigenen Daſeins ausmacht. (Die Phraſe iſt nicht wie von
mir; zu gut.) —


Gegen Morgen hatte mir geträumt, ich ſtünde mit Mar-
witz vor Krauſens Haus in Berlin, wo wegen Revüe viele
Offiziere wohnten, deren Pferde und Reitknechte vor der Thür
waren; ſie an den vielen Fenſtern: ich ſah nicht hin, ſondern
war nur über Marwitz verwundert, und noch mehr über alle
Todte, die ich liebte, und die da lebten. Mama, Veit, Gual-
tieri, Selle, Herz, und viele mehr. Ich frage immer Mar-
witz über die Andern, weil ich mich ſchäme über ihn zu fra-
gen: „die leben ja alle noch? alſo ſie waren nicht todt?“
und ſo vielemale: er ſagt immer nur in einem langen ver-
legenen, halb dummen, unartikulirten Ton: „Hm? Hm!“
Während des Fragens ſchlag’ ich die Augen in die Höhe;
und Prinz Louis ſteht hoch am offenen Fenſter, in Generals-
kleidern, und gepudert: ich grüße ihn, weil die Menſchen da
ſind, wie einen Prinzen; er grüßt, und nickt mir freundlich,
wie immer im Leben: und etwas ironiſch: und diesmal, als
wüßt’ er, daß ich mich wundere; und er wiſſe es beſſer; und
lächle über mich. Ich halte alle ihre Todesnachrichten für
einen Irrthum, und glaube an ihr Leben. Als ich in’s Haus
trete, bin ich in geräumigen, ziemlich dunkeln Wirthszimmern,
wo alle Verſtorbenen ſind: ich frage Mama, die mir nicht
[217] antwortet: ich ſehe Herz, und freue mich; er ſieht geſund und
blühend aus, und freut ſich auch; auch friſirt. Ich ſehe Selle!
Ach Herr Jeſus, ſag’ ich, das iſt ein Glück! Ich habe ſchreck-
lichen Rheumatism; was ſoll ich thun? — „Schwefelbäder!“
ſchreit er gleich heftig, und als habe er keine Zeit: Nein, ſage
ich, man hat mir Töplitz verordnet: „Ich weiß; ſagte er,
Schwefelbäder!“ — Ich habe nicht die Gicht, wie ſonſt, ganz
anders
! — „Ich weiß alles, ſagt er, ich weiß es. Schwe-
felbäder!“ — Nun iſt’s in mir feſter, dieſe zu nehmen, als
allen Ärzten zu folgen. — Ich habe jetzt keinen. — Ich glaube
vielleicht nur an drei in der Welt, die ich nicht kenne; und
an Einen über mich. Was da für Gaben zu gehören!! Gott
hat mir dieſen Traum geſchickt. Du kennſt meine Träume.
Im Schlaf bin ich wacher. Auch hat er mir ein Troſtge-
fühl
hinterlaſſen; als hätte ich die geſehen, als ſollte ich
meine Todten ſehen! Wahrlich zu viel Matadors ſind mir
für mein Alter entwandt. Wir wollen zuſammen ſterben.
Auch leben: genug! du kommſt und holſt mich, gewiß. —


Wenn ich nur wüßte, wie lange du noch im unſeligen
Paris bleibſt! Denk’! Endlich gefällt auch mir Frankreich nicht.
Seine Liebenswürdigkeit und Geſelligkeit iſt zu ſehr, zu lange,
für zu lange zerrüttet; welches ſonſt ſein ganzer namenloſer
Reiz war; unſeliges Vorvolk! (wie Vortrab!) Nur in ein-
zelnen Franzoſen findet man noch, was ihm ſonſt als De-
pot eines Theils der kollektiven Perſon Franzoſe mit ſich
herumzutragen gegeben war. — Frau von Staël radotirt in
ihrem Buche de l’Allemagne. Über die Eheſcheidung iſt ſie platt
und dumm, und ſich ſelbſt aus Angſt und Furcht ungetreu,
[218] bis zur Empörung. Solle! hab’ ich ihr neben an geſchrieben.
Wenn jemand, der Deutſchland nicht kennt, ihr Buch —
Buch! loſe, ſich ſelbſt aus der Regierung geſprungene Ge-
danken; Gedanken! Bemerkungen, Apperçu’s; Lektüre,
die nicht wieder als Blut zu Blut aufgenommen ward —
lieſt, ſo muß er’s für ein finſtres, kaltes Rauchloch halten,
wo traurige Fantasmagoren umhergehen, die Gott zur Ehr-
lichkeit verdammt hat; und wo dann und mann Einer ſitzt
und verzaubert meditirt: auch hat ſie noch im Großen ſolche
Zauberneſter als unſere Univerſitäten beſchrieben: ſo traurig
ſie ſelbſt iſt: die Frau ohne Sinne und ohne Muſik. Macht
ſie nicht, als ob Frankreich das luſtiglichſte Land für Augen,
Ohr und Fell wäre, und lauter griechiſche Tempel zu Woh-
nungen hätte! Man friert wie bei uns: und unſer Wetter iſt
eben ſo gut. Unſere Dörfer tauſendmal ſchöner — ich kenne
nichts troſtloſeres, als die ſteinernen, laub- und blumenloſen
Dörfer Frankreichs im Norden! Und wenn ſie ihre olle Fran-
çaiſen tanzen, ſehen ſie ja ſo erbärmlich aus, als ob ſie dazu
angehalten würden. — Der lieben Staël ihr Buch iſt für
mich nichts anders, als ein lyriſcher Seufzer, nicht die Kon-
verſation in Paris machen zu können; und die wichtigſten
Gegenſtände derſelben — wie ſie wohl umfaßten, berührten
— ſind ihr erſt durch dieſes Medium etwas. Für die Bau-
ern z. B. gut ſprechen, iſt noch ſchöner, als wirklich und gleich
gut wirken. Bedauert hab’ ich ſie auch ſehr; und gleich lieb
gehabt. — Weil ich ſie auch lieb habe; das heißt, beſinne ich
mich doch, bedaure; ſie hat zu wenig großartige Gaben: eine
gewiſſe Verſtandes-inquiétude, zu welcher ſie zum Glück,
[219] noch Verſtand und Wort-Imagination genug hat! — Wie
ſolche Menſchen reiſen: ſolche reiche Leute aus der Geſellſchaft;
ſolche Litteratorinnen; die Franzöſiſch wiſſen, und denen man’s
allenthalben entgegenſpricht! Die Arme! Nichts hat ſie ge-
ſehn, und gehört, und vernommen. —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Vorgeſtern las ich in dem Wiener Beobachter Tauenziens
ganzen Einzug in Magdeburg im größten Detail; — ich
weinte nicht, ich erſtickte faſt; ſchluchzte und ſchrie; und weine
wieder. Gott nur weiß, wie ich um Magdeburg bat: und ob
ich je eine niederbeugendere Kränkung für mich ſelbſt empfun-
den habe, als bei dem Verluſt dieſer Provinz, die uns als
Reichsfürſt mit dem gebildeten Strom Europa’s in Verbindung
ſetzte. Ich meine nicht den Rhein: ſondern den Strom von
Verſtändniß, Bildung, und ſittlichen Gedanken, der mitten
durch Europa ſtrömt; (und manches ausſpülen, wegreißen muß,
wird, kann: und gethan hat.) — —


Wenn dir die Reiſe nützlich war, muß ich mich noch mehr
freuen! Sage mir aber nun auch ein wenig deutlicher — du
wirſt einſehen, wie ſehr es mich intereſſiren muß —, ob du
von eingegangenen Intereſſen Moritz ſeine Auslagen für un-
ſere Maſſe, oder durch Kapitalien bezahlt haſt (zu welcher
Zahlung ich in jedem Fall gratulire); und ob du dir auch
in gleichem Maße abbezahlt haſt. Es kann mir nicht gleich-
[220] gültig ſein, ob unſer Kapital immer kleiner wird: beſonders
da ich noch habe Privatſchulden machen müſſen, die ich Mo-
ritz in jedem Fall entrichten muß und will. Es wird doch
Einmal zur Sprache kommen; wie viel Louis und mir bleibt;
und was wir dann verzehren können. Es kann euch Beide
nicht ſo intereſſiren: weil ihr euch ein anderweitiges Kapital
verdient habt, und mit dem nun wieder verdient. Mir aber
in meinem Zuſtand und Alter muß es wichtig ſein: beſonders
auch noch dadurch, daß dieſe garſtige Lage noch das mit ſich
führt, daß ſie mir für mein bloßes Lebenkönnen — welches
ich ſonſt geſichert halten konnte — Dankverbindlichkeiten auf-
legt; die nur bei der höchſten Zuſtimmung der Geſinnungen
ihr Unangenehmes ganz verlieren: und bei großer Sicherheit
des Karakters — die ich habe, und leiſte; weil ein Wort ein
Heiligthum bei mir iſt: und dies meine Denkungsart modelt;
und nicht dieſe etwa in ihren Veränderungen das Wort, —
und Liebe, die aus Billigung ſtammt. Du wirſt mir meine
Fragen alſo nicht verdenken, ſondern ſie mir beantworten;
wie ich dir für die erſt gegebene Nachricht danke! Sei auch
ſo gut, mir zu ſagen, wie viel Geld du für die tauſend Gul-
den gezahlt haſt, die ich hier entnommen habe. Damit ich
weiß, wie viel Geld ich gebraucht habe. Man bekömmt hier
durchaus — und in manchem weniger, nicht mehr — für
ſolchen Gulden einen Werth von acht Groſchen Kourant, in
allen Dingen. Ich muß mich einrichten. —


Noch muß ich hier wie ein Narre ſitzen, und den Sommer
verfließen laſſen. — Nach Töplitz gehe ich nicht allein: dort
ſind Vieh und Menſchen ſo ſchlecht begraben, daß Krankhei-
[221] ten ausbrechen müſſen. Dieſen kann ich mich in meinem Zu-
ſtand — auch ſchon der Beſorglichkeit nicht — durchaus nicht
allein mit Dore ausſetzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er-
liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre ſchon das größte
Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich
vor drei Jahren ſchon nicht mehr ohne die größten Beſchwer-
den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der
ſolideſte Mann, der Bentheims Adjutant hier war, ſagte mir
vor fünf Tagen die ſchöne Nachricht von Töplitz, und bezeich-
nete mir ganz unſchuldig die Örter, wo ich hin ſpaziren kann:
und die, wo nicht! Alſo muß ich hier ſitzen, und mich abbo-
ßen. Mit Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen,
wage ich es! dann werde ich ſehen wie es iſt: und ſchreib’
ich, ihr könnt kommen, ſo müßt ihr. Fanny und Hanne,
quält ſehr! Es geht. Fanny, überlege was du ſagſt! „Rei-
ſeluſt gebüßt“? ſagſt du? Ja! abgebüßt. Nennſt du dies rei-
ſen? ſolche Mörderflucht: unter ſolchen innren näheren, und
äußern ferneren Umſtänden? ſolchen angſtvollen, ſchreckli-
chen, Schmerzensaufenthalt, — nach Kulm: was ich da ſah,
und thun mußte! und gleich nachher ſolche gottverfluchte
Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das
iſt gereiſt? und das ſoll mir die Reiſeluſt heilen! Genug,
wenn dies ſie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich ſcheide
in der größten Leidenſchaft gut: dies iſt nicht gereiſt! Rei-
ſen iſt: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit
einer troſtreichen Börſe, von einem ſchönen Ort zum an-
dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und
wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram,
[222] Angſt und Schmach haben. Punktum. Mein einziger Troſt
war, den Ort, in dem ich dies litt, nicht Heimath nennen zu
dürfen: denn geſchieht einem dergleichen zu Hauſe, was ſoll
man dann denken und ſagen! — Hannken! du kannſt mir ſo
ſelten ſchreiben, als du willſt, ich bin zufrieden: ich werde
ſchon ſchreiben was ich weiß. Ich war recht ärgerlich, daß
ihr Alle ſo lange nicht geſchrieben hattet, und freute mich doch
ganz raſend über euren Brief vom 4. Juni, den ich geſtern
erhielt! Aber mir ſoll jedes verbittert werden: denn mit eu-
rem Brief zugleich bekam ich einen von Williſen aus Tirle-
mont; eine Poſt von Brüſſel, wo ich wegen Wagenbruch ei-
nen Tag lag: worin er mir Marwitz Tod für gewiß meldet.
Eine Flintenkugel traf ihn den 11. Februar bei Montmirail
grade vor der Stirn; er ſtarb ohne Schmerz, ſchreibt er, wei-
ter aber nichts. Nicht wo er begraben iſt; nicht ob er dabei
war. Recht ärgerlich! Er iſt außer ſich, und kann vor Weh
nicht. Ich ſchweige. Ich kann mich über nichts mehr aus-
drücken; z. B. wenn einer ſtirbt — wie Marwitz — ſo ſeh’ ich
nicht nur die Perſon, oder die Art ihres Todes, — ſondern
den Tod: und mich ſchwindelt überhaupt: und ich weiß nicht,
ob ich noch lebe: und Millionen ganz abſtrakter, nicht für
die Feder zu leiſtender Gedanken! Kurz, ich erſchrak geſtern
ſo von neuem, daß ich ganz zerſtört bin. Jeder Freund von
Marwitz fühlt ſeinen Tod nach Maß ſeines eigenen Werthes,
und der guten Eigenſchaften, die da machten, daß er ſeine be-
griff, und ſah. Keiner kannte ſeine Lücken beſſer als ich:
keiner war vielſeitiger und intimer ſein Freund. Genug, Gott
[223] hat den, und Louis, etwas früh der kothigen unverſtändlichen
Erde entrückt. „Der Reſt iſt Schweigen!“


— Das glaube ich, Ohme, daß du Magdeburg verändert
gefunden! und grade auf die Weiſe, wie du’s mir erzählſt.
Die Welt iſt mit dem Frieden nicht zufrieden! Alle Klaſſen
der deutſchen Welt! Das iſt hart. Der Brief in der Zeitung
— der im Wiener Beobachter ſtand — an die Freiwilligen,
iſt gekniffen, und dürre. Auch haben ſie’s ſchlecht! —


Den Einzug, — oder vielmehr in der Zeit deſſelben möcht’
ich wohl zu Hauſe ſein: damit ich doch auch eine Freude
habe. Vielleicht komme ich auf acht Tage nach Berlin. Viel-
leicht
! Weil ich noch gar nichts weiß. Lieber Ohme, Geld
ſchicke mir nicht ehr, bis ich etwas fordere. Meiner Rechnung
nach kann ich erſt zum Monat September wieder das für
jeden Monat beſtimmte erhalten. — Bendemanns waren drei
Tage hier, und bei mir. Kein angeſehener Landsmann geht
mir hier vorbei. Tralalala. Es ſind ſehr liebe Leute, die mir
wohl etwas hierher gebracht hätten. Eben wollte ich euch
ſchreiben, daß Mlle Bauer unter ſehr guten Bedingungen zur
alten Mad. Haller, bloß ihr die Wirthſchaft zu führen, und
vorzuleſen, hätte kommen können. Eine wahre Verſorgung
in der reichen, rechtlichen, ſplendiden Familie! Wenn’s bei
M. nicht außerordentlich iſt, laßt ſie wechslen, und arrangirt’s,
durch die Hofräthin Herz z. B., M. Friedländer, Hartung.
Grüßt ſie ſehr. Erneſtine iſt wohl böſe? Alle Briefe ſind an ſie
und Moritz mit. So viel kann ich nicht ſchreiben; ſie müſſen
mir ſchreiben. Auguſte iſt in Frankfurt a. M. Seht ihren lie-
benswürdigen Karakter aus dieſem Zettel, den ich mitſchicke. —


[224]

Gentz empfiehlt mir ſo eben, wie noch nie etwas; nennt
es Jeſaias, Dante, Shakeſpeare; den Rheiniſchen Merkur, von
Nro. 40. bis zum 10. Juni. Lies es alſo ja! Seine Geſin-
nungen nennt er’s; aber beſſer ausgedrückt. Kurz, das größte
Lob! Humboldt geht nach dem Wiener Kongreß als Geſandter
nach Paris. Sage es aber niemand.


Wenn ich nach Töplitz gehe, und ihr nicht dahin kommt,
werde ich es als den größten Bruch anſehen. Einmal kann
man ſich ſelbſt wohl etwas zu Gefallen thun. Gehe ich nach
dem Rhein, ſo geht ihr dahin! Und bringt mir meine Sachen
mit. Das fällt mir erſt jetzt ein!


Was ich von dem Mißvergnügen über den Frieden ſchreibe,
ſchreibt man mir aus allen Enden Deutſchlands; und ſagt hier
jeder, und alle Klaſſen. Nur die Berliner nicht. Auch Gentz
ſpricht ſo, und ſein empfohlenes Blatt. Antwortet hier her.
Roberts Beſchäftigtſein treibt ihn zur Beſchäftigung. Drum
trieb ich auf einen Stand in der Welt: ſolche Leute, wie wir,
können nicht Juden ſein! Wenn nur der Jakobſohn für ſein
vieles Geld keine Judenreform bei uns macht! Ich fürchte
es von dem eitlen ‒ ‒!


An Frau von Grotthuß, in Dresden.



Haſt du denn meinen Brief vom 25. Mai, den ich dir
durch Graf Luckners Kammerdiener ſchickte, nicht erhalten?
Wenn du bloß nicht geantwortet haſt, weil wenig darauf zu
antwor-
[225] antworten war, und weil ich in dieſem Brief noch nicht be-
ſtimmen konnte, wo ich hingehe, ſo bin ich zufrieden. Nur
halte dich nicht wieder verdrießliches Unheil ab! Ich bin noch
in derſelben Klemme: und ſehe nun die unveränderliche Kon-
ſtellation meines Geſchicks ein. Kaiſer auf, Kaiſer ab; Bür-
gererhöhung, Adelglanz; die Welt mag ſich geſtalten wie ſie
will; bei jedem Wälzen, bei jedem Sturz, bleib’ ich bei mei-
nen Sandkörnchen liegen, auch ein ſolches; und vergeblich iſt
mein Streben, und mein Verzweiflen! Nicht einmal ich än-
dere mich; meine Natur, bleibt auch dieſelbe: und ſo ſitze ich
noch hier und boße mich zur Konvaleszenz. Seit dem 29. Mai
habe ich aus Paris keinen Brief von Varnhagen; in dem ver-
heißt er mir zu kommen, und ihm nach Mannheim zu ſchrei-
ben poste restante: mein ſiebenter Brief liegt nun dort,
und er kommt nicht, und antwortet auch nicht. Sogar Mad.
Brede, die mir jeden Poſttag ſchrieb: und nun in Mannheim
iſt, ſchreibt mir ſeit dem 27. auch nicht mehr. Dieſe Bos-
heit rechne ich dem Schickſal an, wie einem Menſchen!! Ge-
nug von mir Widerwärtigen! man wird es vollkommen von
Widerwärtigkeiten, die ganz ohne répit auf einen regnen.
Auch hätte ich dir ganz gewiß nicht geſchrieben, ſanfte Sara!
— ſanft und freundlich nenn’ ich dich jetzt, weil ich mir un-
bewußt während dem Schreiben dein Geſicht vorgeſtellt hatte,
und dein bloßes Zuhören, mein mich an dich in Gedanken
Wenden, mich ſchon beſänftigte. Holde ſchöne Gabe Gottes!
Aber ich konnte ohne andere Veranlaſſung, als mich ſelbſt,
mich doch nicht entſchließen dir zu ſchreiben. — Vorgeſtern
eröffnete mir der ſtändiſche Schauſpieldirektor Liebich, als der
II. 15
[226] einzigen Vertrauten in der Sache, die nun kommt, Folgendes.
Er würde Goethen ſchreiben: und ihn bitten und ihm vortra-
gen, daß er für geſammte deutſche Bühnen ein Stück ſchriebe,
welches den 18. Oktober auf all unſern Bühnen zugleich auf-
geführt würde: und ſo alle Jahr den achtzehnten, und im
ganzen Jahr ſonſt keinen Tag. Mir ſchauderten gleich die
Backen, und Thränen ſtanden mir in den Augen. Aber wie
ſagte dies der Mann, mit welcher Einfachheit, Ehrlichkeit,
Anſpruchsloſigkeit, und wie durchdrungen: und was fügte er
hinzu! „Ich will keinen Ruhm davon, ſagte er, aber wem!
kann man’s zumuthen, als Goethen!“ und ſprach ſo, wie
man’s nicht wiederholen kann. Ich genieße der Ehre, daß,
wenn man Goethen huldigt, man es mir vertraut! Denk dir,
Grotta — mir zittert das Herz dieſen Augenblick in Thrä-
nen — wenn man in ganz Deutſchland, in derſelben Stunde
Goethens Worte, ſeine Meinungen, ſeine Gedanken ſpricht:
alle Beſſern unſerer ganzen Völkerſchaft verſammelt ſind, ihm
zuzuhören, von ihm zu lernen was ſie zu denken haben; und
er uns zur That ſchafft was Ereigniß war! Die Welt iſt
nicht mehr ſo roh, daß die Thaten ſie geſtalten und ſie den-
ken lehrten; dies müſſen unſere beſten Denker und Dichter
thun: die Edelſten der Nationen! Wie ſie es ſchon thaten
(Hermann und Dorothea nur zu nennen!!!). An unſere
Dichter, an unſere Weiſen knüpft ſich alles Zuſammenhängende
an, die Thaten ſelbſt, langſam: wie Trophäen großen friſchen
Bäumen angehangen werden: ſie müſſen ihre ganze Zierde
doch aus der Natur nehmen; und hier erſt iſt verſtändlicher
Akt, was vorher Ringen der Begebenheiten war. Liebe
[227] Grotta! Rede ihm zu, daß er’s thue, daß er’s nicht ab-
ſchlage. Wenn es ihm auch Mühe macht: und einen Ent-
ſchluß koſtet. Es iſt das erſtemal in meinem Leben, daß ich
denke: Goethe ſoll, mag eine Mühe haben. Denke dir, ge-
liebte Freundin, wenn ganz Deutſchland denkt: jetzt hört ganz
Deutſchland dieſes Stück, ſchaudert, bebt, horcht, und klatſcht,
und jubelt, und weint mit uns! Ich falle auf die Erde und
weine! Wir haben ja keine Forums, keine Märkte, keine
Rednerbühnen, nichts Öffentliches; nichts Unzerſtückeltes iſt
uns überkommen, wir ſchaffen ja nur ab, und nichts! — Aber
als Naturnothwendigkeit für alle in Völker verſammelte Men-
ſchen ſteigt den Regierungen ſelbſt unbewußt die Schauſpiel-
bühne als ein ſolcher Mittelpunkt unbemerkt und ungelockt
empor. Verkündigt man uns nicht Siege von ihr herab,
dankt man Helden nicht von ihr herab? ſammelt ſie nicht
ganz allein die Menge, darauf ſtill zu horchen, was ſie hö-
ren, erfahren, lernen und bedenken ſoll? Nein, es iſt Goe-
thens, unſers erhabenen Lehrers ganz würdig! Vertrete Lie-
bich bei ihm. Er war ſehr kleinmüthig; aber wie zu einer
Pflicht feſt entſchloſſen, ihn anzugehen, ſchon gefaßt in Trau-
rigkeit — wie man es iſt — auf eine abſchlägige Antwort.
Gedrückt ſagte er: „Ich habe dann das Meinige gethan.
Keinen Würdigern weiß ich nicht! Einem Andern kann man
dies doch nicht anfordern.“ Ich ermunterte ihn! Ich habe
eine Freundin, ſagte ich, der iſt Goethe ſehr hold und zuge-
than, und der vertraut er: der werde ich die Sache vortra-
gen; die ſoll ſie unterſtützen und ihn bitten!! Nun, glück-
ſelige Grotta, von der man dies ſagen kann, thu’ es auch!
15 *
[228] Sprich deine Sprache! Aber thue es gleich. Ich habe
Liebich bewogen, ſeinen Brief bis zum nächſten Dienstag zu-
rückzuhalten, dann iſt wieder ſächſiſcher Poſttag; damit dei-
ner, zum allerwenigſten, zugleich mit ſeinem kommt, oder gar
früher: und damit Goethe ihm nicht in der Geſchwindigkeit,
eh deiner kommt, ein Nein ſchreibt. Wie auf deine Ehrlich-
keit, verlaſſe ich mich darauf, daß du, wenn du nicht ſterbend
biſt, gleich und ſo ſchreibſt, wie du kannſt: eindringend,
daß, bis er’s thut! Wie wird’s ihm die Kaiſerin, ſeine Freun-
din, danken! Ganz Deutſchland beglückt er; es flammt von
neuem auf! Soll ich dir noch hinzufügen, daß Liebich der
einfachſte, braveſte, gütigſte, wohlthätigſte Menſch iſt?
und in manchen Fächern ſeiner Kunſt unübertrefflich: voller
guten Willen, und ohne Vorurtheil? Dir dieſen Mann dank-
bar zu machen, muß dich auch freuen! Wenn es Goethe an-
nimmt, und es iſt ſo weit, daß es Goethe erlaubt, will Lie-
bich ein gedrucktes Zirkular an alle Bühnen ergehen laſſen.
Grotta, du mußt! Adieu, Liebe! Schreibe; und antworte
mir. Empfiehl mich deinem Gemahl!

R. R.




Für den an mich ergangenen ſehr ehrenvollen Antrag hab’ ich alle
Urſache, meinen lebhafteſten Dank abzuſtatten, wobei mir ſehr angenehm
iſt, daß ich Ihren Wünſchen, wo nicht unmittelbar, doch mittelbar ent-
gegen zu kommen im Stande bin.


Es hat nämlich vor einigen Monaten die angeſehene Generaldirektion
des Berliner Theaters von mir ein Feſtſpiel verlangt, zur Feier der An-
kunft ihres Königs und ſeiner höchſten Gäſte. Ich habe dieſe Gelegenheit
benutzt, um alles zur Sprache und Darſtellung zu bringen, was in den
[229] Gemüthern ſeit ſo vielen Jahren vorging, und was ſich nun in dieſen
letzten Zeiten ſo glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu-
laſſen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer
ſolchen Vollſtändigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen ſollte,
mich nur wiederholen müßte.


Mein ſtiller Wunſch, dieſe Arbeit nicht nur für Berlin, ſondern für
das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, ſondern auch für die
Zukunft unternommen zu haben, ſcheint ſich durch Ihren Antrag der Er-
füllung zu nähern.


Jenes Drama iſt dergeſtalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation,
Rezitation mit melodramatiſcher Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie,
Duett, Terzett und Chor mit einander abwechſeln, ſo daß die vorzüglich-
ſten Schauſpieler ſowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln
können. Hr. Kapellmeiſter Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo-
ſition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Muſterſtücken, von gro-
ßer und ſchöner Wirkung ſein muß.


Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erſcheinen, und
Sie werden alsdann ſelbſt urtheilen, ob es werth ſei, ein Sekularſtück zu
werden, und ob es Ihren Wünſchen entſpreche. Haben Sie alsdann die
Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu ſagen, und erhalten mir
bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenſt


Goethe.


An Karoline von Woltmann, in Prag.



Ich wollte Ihnen einen langen — ich kann keinen kurzen
machen — detaillirten Brief ſchreiben; der ſollte ſo anfangen:
„Ich mag Varnhagens ſchönes Schreiben nicht verſchampfiren,
liebe Berliner, theure Ojeſer Freunde!“ und ſo würde er fortge-
floſſen ſein und Ihnen geſagt haben, wie ich hier nicht ſchreiben
kann; und dabei erzählt haben, wie es hier iſt: wie ich es finde,
wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe.
Alles war zu dieſem gewiß angenehmen, denn er wäre treu
[230] und wahr geworden, Brief zuſammen gelegt, als mich plötz-
lichſt
ein Halskrampf überfällt, den ich ſeit vier Wochen un-
gefähr kenne, aber nie in dem Grad gefühlt habe. Es ſpannt
ſich dabei die Hals- und Kopfhaut, und zwingt mich zu einem
ſtickenden Erbrechen. Der Anfall war ſo ſtark, daß mir noch
die Glieder und Beine zittern; und ich wie der größte Narre
weinen mußte, als man eben aus dicken Böllern von einem
Berge hinter meinem Haus den Frieden herab ſchoß, ſo ange-
griffen war ich Eſel in dem Augenblick. Nämlich, ſo wirkte
das Knallen. Hier iſt es göttlich, liebe Kinder! und wenn
Sie irgend können, Herr von Woltmann, ſo kommen Sie
her. Man ſteht hier nichts aus von der Geſellſchaft; man
kennt ſie nicht; und ſieht ſie kaum von weitem ſchwindlen:
hören Sie’s, liebe Karoline? Das Thal iſt ſchöner als je!
Vom Krieg, keine Spur! Außer, daß mancher Platz unge-
mein verſchönert iſt, ſo, daß ich dachte, Fürſt Clary habe es
machen laſſen; ſo ſchön haben die Truppen von ungefähr aus-
gehauen. Geſtern war ich bis am Fuße des Geiersberges, in
drei Dörfern, wo der Krieg recht eigentlich wüthete. Ja!
ſuch’ ihn mal Einer! Nicht zu finden! Nichts davon zu fin-
den. In Mariaſchein im Wirthshauſe geſtand’s die Wirthin
ſelbſt, deren Haus — ein geweſenes Kloſter — eingenommen
von den Alliirten — eigentlich Preußen — und befeſtigt war,
daß alles ſchon wieder gut ſei. Auch war ich in den ber-
gigen Waldgängen, wo das eigentliche Gemetzel war; les
fleurs s’en moquent.
Nüſſe, Hambutten, Kornblumen; blaue,
violette, weiße, alle Sorten; Eichen, Buchen, Kamillen, und
die tauſend Kräuter, wühlen wachſend und nichts eingedenk
[231] empor; ſchöner, reicher, üppiger, ſtiller, als ſonſt;i m goldig-
ſten Wetter; welches auf dies Götterthal, um ihm abwechſelnd
die nicht zu faſſenden Geſtalten und Scheine zu verleihen, her-
unter ſtrömt. In Prag hatte ich doch keinen Herrn und kei-
nen Bedienten? hier hab’ ich beides. Varnhagen (hier ruft
man mich mit Gewalt in’s Bad.) (Nun bin ich aus dem
Bade; und war ſchon wieder geſtört, als ich zu ſchreiben an-
geſetzt hatte), der zwei Tage nach mir hier ankam, hat einen
Bedienten mitgebracht, und da der Herr ſo gütig gegen mich
iſt, ſo iſt der Diener entweder davon verführt, oder er verſtellt
ſich aus Furcht und Reſpekt, und bedient mich. Es iſt ein
Pariſer, und ſeines Handwerks ein Schneider, ein Burſch von
zwanzig oder ſo viel Jahren. O! wie ſtellt der mir wieder
die gute Sitte des ganzen Volks dar! den Beſitz, den es von
ſeiner Sprache genommen hat, den Erſten des Landes gleich;
kurz, das Gute von Frankreich, ſo wie es geht und ſteht.
Eben ſo hab’ ich hier Geheimraths-Familien von uns geſehen
und andere Adliche unſeres Landes (welches ſo ſehr mit mei-
nem Herzen verwachſen iſt, daß der Anblick des Letzten deſſel-
ben mir Thränen in die Augen pumpt), die mich recht mit
Schreck erfüllten und ſtutzig machten; ſo ſehr, und ſo leicht
entwöhnt man ſich deren ſtupiden, trocknen, ſteifen, ſteinernen,
und doch ganz hohlen Stolz, auf die nichtigſte Einbildung:
bei der ſie ſelbſt ſich in keiner Art etwas Reelles denken, ge-
gründet. Einen neuen Krieg ſah ich vollkommen fertig aus
denen grade hervorbrechen. Ein Johanniter beſonders mit
zwei brummenden Damen, gingen ganz wüthig geſtern in dem
Hauptgang des Gartens umher, bloß weil ſie noch nicht wuß-
[232] ten, ob die Menſchen-Rudel, die ſie da ſahen, wohl Geſell-
ſchaft ſeien; d. h. Grafe, Barone. Nun ſieht man auch ſo-
genannte Gebildete: die ſind wieder ſo bieder — daß man’s
ſchon den Männern an den neuen ruſſiſch-kriegspreußiſchen
Mützen anſieht, und den Frauen an dem naiv-kinderhaften,
häuslich-bürgerlichen altdeutſch-puffenreichen Anzug; den ſie
keineswegs vermiſchen, wohl aber zugleich an ſich tragen; mit
einer Haltung, die dies gerne in Ordnung halten möchte, das
Strickzeug und die tugendhafte Treue beſorgt, und doch dem
Geiſt ſo viel Spielraum läßt, die Gegend und Neues über-
haupt in ſo weit in die Seele zu laſſen, als eine geiſtreiche
Erzählung für die Zuhausgebliebenen erfordert, und natürliche
gute Neugierde ſucht. Die machten mich ſehr herunter; und
meine Erwartung für Berlin auch. Ich kenne nicht Einen,
nicht Eine davon perſönlich; ich habe ſie nur ſo ſchwindlen
und ſitzen ſehen. Varnhagen hat aber ſchon mit ihnen geſpeiſt
und geſchnackt. Eine Breslauer Elegante iſt hier, die ich von
Berlin kenne, die mich ſehr liebt: und die ſehr ſchöne Eigen-
ſchaften hat. Auch eine Equipage: mit der leb’ ich im Freien.
Auch ſehe ich des Major Selby Frau und Schwägerin, der
hier in Garniſon iſt, und die ich von hier und Prag kenne;
er iſt ein Däne, gebildet. Sie ſind artige hübſche Blumen;
die Frau derb, voller Unſchuld: ſchön gegen Mann und Kind:
dann ſprech’ ich noch flüchtig mit Offizieren, ſonſt weiß ich von
keiner lebendigen Seele. Ich wohne ſehr gut. Zwei Zimmer
nach einem Platz; Varnh. zwei hintere nach dem Garten: der
voller Roſen, ganz aufgeräumt iſt, und nach einem Berge
führt, und nach den Schloß- und andern Gärten hinſieht.
[233] Den Bädern im Fürſtenhauſe bin ich gegenüber, welches auch
einen ſchönen Garten, der nach dem Felde geht, hat. Wo ich
gehe und ſtehe, bequeme angenehme Spazirorte! Dies alles
für Woltmann. Theurer als in Prag iſt hier außer dem Quar-
tier nichts, vieles wohlfeiler. Kolonial- und andere Waaren.
Mein Kreuz ſchon beinah ganz beſſer; das Bein, vom gehab-
ten Schmerz nur affizirt, noch nicht. Berge ſteige ich ſchon
wie ein Tyroler. Mir half ſogar ein hoher, den ich unver-
ſehens dieſe Woche erklimmen mußte und auch wieder herab,
äußerſt; nämlich das Kreuz befreien; alles für Sie, Herr von
Woltmann, damit Sie ſich die Effekte des Badens ausmahlen.
Nun muß ich zu Tiſche. Das Eſſen iſt recht gut und gar
nicht theuer, nur die Suppe laſſ’ ich, und muß man laſſen,
ſelbſt kochen. Adieu, à tantôt! (Nun nach Tiſche; nach Schlaf,
und einem Beſuch, von meiner Eleganten.) Kommen Sie denn
nicht hierher? Ich möchte Sie gar gerne bereden. Es iſt
zu herrlich hier, und die Quelle zu geſund. Nur das Quar-
tier und die Reiſekoſten brauchten Sie; bedenken, berechnen
Sie’s! Varnhagen hatte Ihnen vorige Woche, in demſelben
Sinne einen Brief geſchrieben, und ihn kaſſirt, weil er glaubte,
er ſei zu arrogant; ich redete es ihm aus; und mit einemmale
hatte er wieder dieſen Brief geſchrieben, der nun mit meinem,
oder meiner mit ſeinem, abgeht. Nehmen Sie unſere anhäng-
liche Geſinnung, auf der beſten Meinung erwachſen, und alſo
auch voller Zuverſicht, gut auf. Und gebe der Lenker der Um-
ſtände, daß unſere Wünſche für Sie in Erfüllung gehen. Es
geſchehe aber wie da wolle, ſo wollen wir nicht aufhören un-
unterbrochen bemüht zu ſein, das Beſte an und für die Beſten
[234] zu fördern. Sei auch das Chaos der Welt wirklich ſo groß,
als es mir ſcheint, oder ſchon eine gebildete Epoche; dieſe gu-
ten Bemühungen können und müſſen ſie nur weiter fördern,
und darin kann auch der Unbedeutendſte, die formloſeſte Per-
ſon helfen; drum will ich es mir nicht entgehen, und das Ge-
gentheil zu Schulden kommen laſſen. Bei Ihnen nun gar,
wo es nichts, als der Ausdruck, das Wirken, des leidenſchaft-
lichſten Wohlwollens iſt; im Einklang der beſten Meinung
von Ihnen; und eine wahre Bewunderung für Karolinens
unſchuldige Tugenden, die ſie gar nicht kennt! Leben Sie
recht wohl. Antworten Sie mir bald. Im goldenen Löwen.
Und laſſen Sie mich wiſſen, wie ſich Woltmann befindet, und
ob, und daß Sie kommen.

Rahel Robert.


An M. Th. Robert, in Berlin.



Lieber Markus, deinen dicken Brief hab’ ich erhalten, vo-
rige Woche, und bis jetzt wegen Zufälligkeiten, worunter eine
Alteration — von einem Kerl im Garten — mit ihrer Folge,
als Unpäßlichkeit — die wieder weg iſt — auch ihren Theil
hat. Ich muß dir ja recht ſehr, ſchon als Redakteur, und das
als berichtigendem danken; ſo viel Litteratur, Nachrichten, und
Berichtigungen ſchickteſt du mir! Ich danke dir beſonders für
die gute, und gütige Beſorgung des empfohlenen Buchs
[Deutſchlands Zukunft, von Kohlrauſch] an den Herrn Doktor
von Tauenzien! Mich freute es ungemein, wenn unſer König
[235] das Buch leſen ſollte: der Doktor und ſeine Freunde leſen es
doch in jedem Fall: berichte mir, was er drüber ſagt. Em-
pfehle es meinerſeits A. Mendelsſohn, mit wenigſtens acht
Schock Grüßen an ihn und Lea; er ſoll es ja Bartholdy’n
geben, oder empfehlen: und der dem Staatskanzler. Thue
es auch, Brüderchen!!! — Hab’ ich dir auch von Thibaut’s
Buch geſprochen? Profeſſor in Heidelberg? „Über die Noth-
wendigkeit ein allgemeines Recht in Deutſchland zu haben.“
Noch wichtiger: und etwas für dich. Ein reifes, alſo ein
ſehr kleines Buch: eine Eſſenz von Gelehrſamkeit, zum Schluk-
ken für Ungelehrte. Empfiehl es ja! dem Geh. Rath Schmidt
z. B. für Kircheiſen; nicht daß er dies grade beförderte: aber
als Nieswurz zum Hellſehen, Ermuntern, und Erholen. Kurz,
ſprich viel davon. —


Allerdings iſt Kohlrauſch ein Jünger Fichtens. In ſo fern
es die Ehrlichen, Graden, Denkenden alle ſind, die da nur
entwicklen können, was er für die Menſchheit wollte, was er
ihnen, als die Aufgabe und das Sein eines Gelehrten, vor-
legte. Sonſt weiß ich nichts von ſeinem Zuſammenhang mit
dem Hochſeligen!


Ich habe den größten Antheil genommen an deiner Äu-
ßerung über H’s Erwähnung des Baron W. Es iſt ein Ver-
druß, wenn uns Einer alles untereinander matſcht; und dies
nur eigentlich aus Faulheit geſchiehet, um ſich in ſich ſelbſt
die Dinge nicht mit deutlichen Gedanken auseinander zu hal-
ten, und, hat man davon zu reden, es nicht mit Worten zu
thun. Man wird ſo mit der Zeit immer unfähiger dazu, wenn
man auch von Natur eine präziſe Einſicht erhalten hat; und
[236] die Andern, Beſſern, erkennen einen nicht an, als Mitwirken-
den, haben nichts mit einem zu ſchaffen, weil ſie ſich, wie
Tanten und Väter aus Liebe und in Liebe thun, nicht die
Mühe geben, einen zu errathen: und mit einemmale ge-
hört man zu einer minder guten Klaſſe intellektueller Menſchen:
und das nicht, weil einen die Natur ſo ſtellte — bei welcher
Stellung einem immer wohl ſein kann — ſondern weil man
träge, und daher ungeſchickt geworden iſt; und ſich dann mit
ſeinen beſſern Anlagen auch unbehaglich fühlt. Wie oft hab’
ich H’s Verſtand und Gaben, und beſſeres Sein, grade bei
den Beſten vertheidigen müſſen! — —


Hier iſt auch ein Brief von Robert. Sehr gut! Wenn
wir ihn tadlen, thut es mir weh, und ich möcht’ ihn loben.
Loben wir ihn, muß ich’s bedingen. Genug heute; aber er
iſt ein Dichter: und ich keiner; weil ich nie ſeicht bin. Ein
Frevel
?! dem Klange nach; erklärt, nicht. Keine Zeit!
Mord-Echauffement! — Schöne Sachen ſchreibt R. Ich
könnte ihm gleich ſchmeichlen, ihn ſtreichlen; er hat lange Ant-
wort von mir, und Varnhagen. Sie ſchrieben ſich. Es rumo-
ren alle Deutſche. Was ich in R’s Briefe roth anſtreiche, ge-
fällt mir ſehr: wo ſchlängliche Striche ſind, approbire ich
ihn nicht. —


An Frau von Grotthuß, in Tharant.



— Vergiß es aber nicht! Alles kann ſich ändern: und
Wunder geſchehen wirklich noch immer. In Hülfe: in neu
[237] angeſponnenem Leben haben wir es ja Beide oft erfahren. Es
kommen gewiß Augenblicke, wo du dem Gebet und dem gött-
lichen unmittelbaren Wunderſchutz näher ſein wirſt: auf dieſe
hoffe mit Zuverſicht. Dies iſt das einzig Erhabene, Reelle,
und wie ein Licht laſſen ſie völlige Finſterniß in dem Schreck-
lichſten nicht zu. Troſt giebt es nicht: ſonſt gäbe es kein Un-
glück: aber mit dieſen Gedanken richt’ ich mich ſelbſt in ſchlim-
men Fällen auf, und drücke ſie feſt an mein Herz. —


Noch kann ich wegen Varnhagens Verhältniſſen nicht
beſtimmen, wann ich nach Dresden komme; aber in jedem
Fall ſehe ich dich. — Auch ich wüßte gern, wo ich bleibe:
obzwar ich weiß: daß, außer bei Eis und Bären, oder unter
der Linie bei Vampyren, es allenthalben gut und ſchlecht iſt,
und der Kampf nie aufhört: noch dazu jetzt, wo es keine
Hauptſtadt, keine Hauptnation, keine Haupt-Großewelt mehr
giebt, nur Gährungsſtoff, Fragen ohne Antworten, Frieden
ohne großen Gewinn in der Stelle von jenen. Aber alte hei-
miſche Gewöhnung hat mich heimiſch gemacht; und ſelbſt die
früſtrirte abgeſchnittene Neugier, allgemein Geſittetes in ſchö-
nen feſten Formen irgendwo finden zu können! Mein lieber
mich liebender, ehrlicher, fleißiger Freund muß mir Halt und
Erſatz ſein: und wir ſind es uns auch: auf Erden ſcheint mir
nichts gewiß, und ein großes Gut, wie durch Zauberglück,
ganz außer meinem Schickſal und Bewerben erhalten, am we-
nigſten! Mich dünkt, ich bin auf alles gefaßt. Wir ſind
ſehr fleißig; nämlich Varnhagen und Woltmanns, die mit
uns auf demſelben Flur wohnen; ſie ſchreiben viel, und leſen
viel, haben viel Bücher und Zeitungen, da leſe und hör’ und
[238] red’ ich dann ein wenig mit: ſo viel es die warme Quelle
geſtattet., Wir machen die ruhigſten, heiterſten Spazirgänge,
und ich bin ſtolz, wenn ſie ſich an der Gegend erfreuen: als
hätte ich ſie gemacht oder entdeckt, oder hielte ſie ſo zum Ge-
nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu-
terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta,
die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt-
liche und geiſtige; der Menſchen Naturen, die ich kenne und
kannte; tauſend und tauſend Dinge. Und die Liebe, die Ver-
ehrung, die Segenanwünſchung für Goethe umgeben dies,
durchdringen es, wie ſeine einmalige Atmoſphäre. Und im
Ganzen kann ich von mir ſagen, wie Hamlet von Polonius,
daß er ſonſt ein geſchwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt
ein geſetzter Kerl. Da ſo todt an der Treppe. Doch ärgere,
boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht ſo lange als
ſonſt: und erfahre nichts Neues dadurch. —


An Varnhagen, in Hamburg.



Alexander Lippe iſt nicht hier: ſein Bruder aber kam ſtatt
ſeiner, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr-
furcht; und möchte mir alle ſeine Zeit widmen. Dies ſpricht
ſehr für dieſe Familie: und ſtellt ſie auf eine andere Stufe,
als wo die unſeres gebliebenen Freundes ſteht. — Er ſprach
auch viel von dir, und mit höchſter Achtung, und grüßt dich.
Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un-
[239] ter ſeinen Broſchüren hatte; Kohlrauſch will er ſich ſchaffen.
Heute will ich nach Tharant, Abſchied von der Grotthuß zu
nehmen. —


Von den — ſchen Geſchichten kein Wort weiter! Die
Eiferſucht, die Konfuſion, die Lügen: eklen mich bis zum Er-
ſtarren: ich bin erſchrocken, daß es ſo etwas giebt, und
man in ſolcher Säuerei die Namen und Worte gebraucht, die
bei uns die Zeichen des reinſten Lebens ſind: ich ſchäme mich,
dergleichen zu hören, und fühle mich wie beſchmutzt: und kann
dem Allmächtigen gar nicht genug mit erhabenem und reinen
Herzen danken, — ich meine, mein Herz iſt hier gar nicht
erhaben und rein genug zum Dank, zu dieſem Dank —, für
das Glück deines Beſitzes, dich gefunden zu haben; nur
wiſſen kann ich es! O Auguſt, welch ein Glücksfall. Solch
einen Freund, dem man alles ſagen, alles zeigen kann. Dies
war mein Ideal. Du beſitzeſt es auch. Im hohen Grade bei
mir. Dies iſt meine ganze Schönheit, muß ſie vorſtellen. —


— Viel Menſchen allenthalben; Staat und Putz; und
das Ganze ruppig, wie alles nach dem Krieg. — Die Brühl’ſche
Terraſſe hat durch die Repnin’ſche Treppe ſehr gewonnen. —
Es macht Repnin Ehre, jetzt gleich zu verbeſſern und ver-
ſchönern. Komm’ es künftig wie es wolle! — Über den ge-
ſprengten Bogen der Brücke weinte ich. Ein organiſches,
mühevolles Werk der Kunſt, des Wohlſtandes, des Fleißes
und des Friedens zu ſchänden! bezeugt eine Gräuelzeit; und
iſt ſo roh, daß man ſich fürchtet, und geſpannt wird, ihr ſo
nah zu leben: und ſie noch auf den Hacken zu haben! Was
mich faßt, ſpannt mich, dann muß ich weinen. Auch habe
[240] ich vorgeſtern die Batterie geſehen, von welcher Moreau er-
ſchoſſen wurde, und auch den Ort, wo es geſchah, und alle
Schlachtfelder. Pfui! Chriſten! und ſie ſchmieren wieder ſo
etwas im Kongreß zuſammen. —


An Varnhagen, in Hamburg.



— Tieck kam geſtern Abend nach dem Theater: wir hat-
ten ſchon Thee getrunken; er trank noch einmal, erholte ſich
nach und nach von der Erſchöpfung des Ennui’s, er hatte
das Ballet Arlekins Geburt, wo — hier! — nichts vor, nichts
nachgegeben wird, ſeinen Kindern zu Gefallen ausgehalten.
Bald kamen wir in die natürlichſten, munterſten, prätenſions-
loſeſten Geſpräche, worin die Mädchen gar nicht hinderten;
ich lag hinter dem Lichtſchirm: weil ich ſehr vom Schreiben,
Gehen und Leben fatiguirt war. Er iſt ein köſtlich einfacher,
verſatiler Menſch. — Ich ſprach ihm viel von dir, und wie
du dich ärgern würdeſt ihn zu verſäumen; und mit welchem
Recht. Wir hatten ſehr ſchöne Geſpräche über das Lügen,
und die Lüge: er iſt ungemein wahr, und ſo naiv, als ob
er von Glas wäre, ſo läßt er ſeine innren Unterſuchungen
ſehen, — wenn er einmal auf dieſe Punkte gebracht werden
kann, — in den einfachſten Bürgerworten, die ſich, wie die
vornehmſten Leute, gut ſtellen, und ganz mild und einfach
einander behandeln, ganz einfach. — Er ſpricht oft ſchwer:
klagt oft darüber; und noch geſtern: daß er ſich ſo leicht ver-
nichtet
[241] nichtet fühlte; durch Ennui; welches ihm den Abend bei X.
geſchehen war — ich ſah es; weil ich ihn kenne, und lachte
ſo, daß ich mir das Tuch vorhalten mußte, weil es die an-
dern Damen nicht ahndeten, in ihrem breiten Daſein, ohne
Unterfutter! — Wir ſprachen von Schlegels. Er ſehr wahr,
tief, mild; weltlich, komiſch, beichtend. Wir aßen; er, Ba-
bette und ich; wir hatten die behaglichſten Geſpräche dabei;
das Mädchen amüſirte ſich mit; er erheiterte ſich ganz. —
Da haſt du den Abend, führ’ ihn aus. Er war ſehr gut:
nur gönnt’ ich ihn mir nicht: da du es nicht hörteſt. Tieck
ſaß zwiſchen Babette und mir. „Da! nun ſehen Sie den
berühmten Dichter Tieck an!“ ſagte ich dem Kinde. Er nahm
es ſehr gut: und es wurde kein Mißton; auch war das Mäd-
chen ganz lieb und beſcheiden. Adieu, adieu! —


An Karl von Redtel, in Potsdam.



Nur zwei Worte, um Ihnen zu danken, und Ihnen zu
ſagen, daß nicht allein die Gewährung meiner Bitte mir in
Ihrem Briefe ſo ungemein tröſtend und erfreuend war, welche
mir Ruhe gegeben hat (Sie empfinden ganz was das heißt),
ſondern, daß ich Sie den Alten finde! Daß Sie Ihr voriges
Leben nicht aufgeben, es nicht mit dem Schwamm auswiſchen:
und jeden Tag eine neue Geſchichte zu leben anfangen wol-
len; das wollen ja beinah die Meiſten; und ich bin gefaßt,
einen jeden der meinigen bei dieſem Siſyphus-Geſchäft zu
II. 16
[242] treffen; aber nur um ſo lebendiger iſt meine Freude, um ſo
befriedigter meine Seele, wenn ich einen Freund geſund und
jung wiederfinde (auf den ſich die neugefundenen Freunde wie
er ſelbſt, verlaſſen können; und wo ſie und er ſich nähren,
vom Alten, und daran erwachſen; anſtatt mit loſen Trenn-
fäden an Loſes geheftet zu ſein!). Nur wir ſelbſt machen
uns alt; dadurch, wenn wir alle Tage eine andere Jugend
leben wollen; anſtatt daß jeder Tag, als neuer ſchon von
ſelbſt eine friſche, für die nächſten Tage und das ganze Leben
wird. Alſo ſein Sie hochbegrüßt in meinem alten, antiken
Herzen, das nie altfränkſch wird, und werden ſoll, weil das
das Nächſte nicht anäfft und nachäfft. Sie kommen alſo,
Lieber! Sie ſind mir diesmal tauſendfältig willkommen! —
Vergeſſen Sie in der Zwiſchenzeit ja nicht meine Sache
zu betreiben!! Jeder Andere, der darin zu thun hat, ver-
gißt es gewiß, da es keinen als Sie intereſſirt! Und bringen
Sie mir mein Lebens-Urtheil in Ihren Händen mit.
Wie ſonſt, und für immer, Ihre alte

R. Robert.


Noch iſt Tieck hier: kommen Sie bald! Ein ſehr un-
ſchuldiger, lieber Engel.


Meine Addreſſe wiſſen Sie. Ich wohne Behrenſtraße
No. 45. gleicher Erde. Bei meinem Bruder Moritz. Alſo
wenn Sie ſchreiben, addreſſiren Sie an den. Sie kom-
men
aber!


[243]

An Varnhagen, in Wien.



Alle Truppen und Prinzeſſinnen und Menſchen auf dem
Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie-
ßenden Herzen geweint für mich allein, ſeit dem 16., wo es
ſich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die ſtockende Angſt
ein Ende hat, daß unſere Truppen in der Sonne fröhlich
und affektirt blinken; daß du in Sicherheit biſt! In Sicher-
heit! Weiß ich, ob du die Reiſe gut überſtanden haſt? Seit
geſtern erſt weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in
Frankfurt mit dem General wieder abgereiſt biſt. Gott! die
vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen
ſein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie
du mit Recht wünſchteſt, mit Tettenborn in Wien ankommen
konnteſt; und alſo auch das für mich. Ich reiſe nun über-
morgen, Donnerstag. Das Wetter iſt ſchön. Aſſing, der eben
hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reiſt, und dich
ſehr grüßt, verſichert mich es würde ſo bleiben, da keine Mond-
veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben
ſo war. — Was machſt du denn? Bedauere die elende Rahel,
der es immer chiffonnirt gehen muß, daß ſie ohne Nachricht
von dir mitten im Frieden ſein muß. Glaube, daß ich mein
Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich
auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu ſein; daß ich
weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf,
daß unſer Übereinſtimmen in allem der Grund all unſeres
16 *
[244] Glücks iſt, und daß es ſich darauf in jedem Fall gründen
wird, ich meine erbauen, denn gegründet iſt es. (Das Tromm-
len macht mich toll.) Aber Ungewißheit haſſe ich ſo! und die
wird mir ſeit undenklicher Zeit reichlich gereicht. Und wieder;
denn obgleich ich abreiſen muß, ſo weiß ich doch nicht wie
weit. Doch wie Gott will! Ich denke auch fleißig, und im-
mer innerlich, an die größeren Gedanken. Du kennſt ſie: ſie
fließen mir reichlich zu. Präparire mir, was du kannſt, in
Wien; aber im Ganzen nimm nicht zu viel Rückſicht auf
mich. Bereue deine Heirath nicht; (Scherz, wenn du denkſt,
daß es Ernſt iſt) wenn ich dich jetzt inkommodire. Die Fêten
in der Zeitung ſind mir ſehr eklich; ich bin froh ſie zu ver-
ſäumen. Herzogin Sagan giebt auch Soupers in den Zei-
tungen? — Von Dresden und Prag ſchreibe ich dir. Gott
wenn ich nur nicht in Prag ſitzen bleibe! das iſt mein Einzi-
ges! Morgen ſind drei Stücke, zwei von Kotzebue, ein Ballet
von Telle. Lauter Rückkehren: Kotzebue’s Gedanke beim er-
ſten iſt witzig; „die hundertjährige Eiche;“ da geht’s Anno
1914 vor. Da könnte man unendlich komiſche und tiefſinnige
Dinge herauslaſſen, wenn ſie einem einfielen, und man dürfte.
Lebe wohl! Gedenke mein! Gedenke, wie ich dich liebe und
dich kenne. Wäre ich nur erſt zum Ausruhen, zum Troſt, zur
Überlegung, zu meinem Troſt bei dir! — Heute iſt Ferdinands
Geburtstag: er hat die ganze Stube voll Spielzeug und Ko-
laken, wie er ſie nennt. Es herrſcht ein ungeheurer, aber
auch ſehr ſchöner Kuchen im Hauſe: ſolcher wie bei unſerer
Hochzeit — Hochzeit! — zum Thee war, da ward deiner ge-
dacht, und auch immer in allen guten Gelegenheiten. Gott
[245] erhalte dich! Lebe wohl. Deine R. V. werde ich jetzt dir
ſchreiben. —


An Erneſtine Robert, in Berlin.



Iſt das nicht das größte Meerwunder, in Wien zu ſein
und gar nichts zu ſchreiben zu haben?! Wenn ich nicht die
allgemeinen Gedanken-Schleuſen öffnen mag, welches ich nicht
will, der Überſchwemmung wegen; und der Unverdaulichkeiten,
die in Steinen und andern Materialien mit herausſtürzten!
hörten Sie, Erneſtinchen, was ich Abends auf meinem Kana-
pee doziren muß: muß, weil’s mir ſo herauskommt! Die
Franzöſin iſt ganz vernichtigt. Mit der Phyſionomie anzu-
fangen: ſpricht das gedanken- und beziehungsloſeſte Zeug, ja
jede Frage z. B. nach der Geſundheit der Nichte, wenn ſie ſie
ſieht, iſt zerſtreut, ganz herzlos, ganz ſinnlos, durch Blick,
Ton und Wendung des Körpers. Dies alles ohne das min-
deſte Ohr für alles was in der Welt geſchieht, ohne allen
Takt, mit krummer Haltung, die ihr zur Natürlichkeit helfen
ſoll, der ſie ewig anliegt; als wäre die Natürlichkeit ein Mann
im Amt, der ihr einen Titel verſchaffen ſoll. Die Andre zieht
ſich an wie ſonſt: ſieht ſo ſchlimm aus, daß, hätte ich es
gleich geſehen, ich ihr mehr geantwortet hätte. Es iſt mir
aber lieb, daß ich es nicht gleich ſah. Wien iſt wie alle gro-
ßen Städte gut: wenn man Geld hat: da ich mittelmäßiges
habe, und einen außerordentlichen Freund, die Welt ganz
[246] kenne; d. h. das was man von ihr zu erwarten hat. Ich
bin ganz zufrieden. Wie geht es Ihnen und Ferdinand?
bongue bongue? Ich küſſe den Bengel. Babette, ſein Sie
fleißig, die Jugend kommt nicht zweimal. Was ziehen Sie
heute an? Erneſtinchen, grüßen Sie alle Markus’ens, dies
auch für ſie. Moritz iſt ſehr vergnügt. Varnhagen hat den
Katarrh und grüßt ungeheuer: und hat eine ſehr liebe Frau,
die heißt Rahel, und iſt ihm treu. Ein komiſches Stück vor-
trefflich geſpielt haben wir unter gräßlichem Lachen geſehen.


Ihre R.


An Karoline von Woltmann, in Prag.



Ich habe Varnhagens Kupferſtich, ſeinen Brief nämlich,
verſchampfiren wollen, mit meinen Ruthen verderben wollen,
aber der Stich war zu ſchön. Gott grüß Sie ſchön, rufe ich
Ihnen zu! Aber ich möchte gerne wiſſen, ob nach „vor dem
Ojeſer-Thor“, oder nach dem dickhäuſrigen edlen großartigen
Prag. Nämlich, Wien iſt nicht hübſch, ſoll das heißen. Eine
engſtraßige Feſtungsſtadt, die ſo wenig zur Reſidenz oder Ka-
pitale geſchaffen iſt, wie ich wollte ich ſagen, wie Leipzig
brauche ich nur zu ſagen, denn mit Leipzig hat es die ſpre-
chendſte Ähnlichkeit bis auf die Naſen, welche die Erker ſind,
die Wien fehlen. Die vielen Laden — ausgeputzt wie die ſchön-
ſten Pariſer — fehlen nicht; warum aber die Fiaker dort ganz
und gar fehlen, weiß ich nun: ſie ſind alle hier: und das zum
[247] größten Unglück, weil ihnen abſolut der Platz fehlt, nun wol-
len ſie den erjagen; und ſpielen Platzabjagen, oder quatre-
coins,
wobei die armen Pferde, die von nichts wiſſen, jedesmal
ihre Hüftchen zu meinem größten Zittern und Schreck preis-
geben müſſen, die, und ein Graf Münſter, dem man zwei
Rippen, und ein armer Jäger, dem man beide Beine zerfah-
ren, müſſen alles büßen. Ein Kaiſerlicher Wagen wollte auch
mich den zweiten Tag als ich hier war umfahren; mein Fia-
ker (der Wagen nämlich) floh in die Höhe und that ſich nichts,
ſondern ſtieß mich nur, der Kutſcher ſchimpfte Halunke! hatte
aber eben ſo viel Ambition und Schuld gehabt, als der Kai-
ſerliche. Nichts Großartiges im Äußern hat mich hier noch
wie ſo vieles in Prag frappirt, Ihnen, werthe lauſchende Ka-
roline, würde es dagegen gar nicht gefallen. Im Kaſperle-
Theater ſind konſommirte Schauſpieler: bei den andern habe
ich noch nichts durchaus bewundert. In Geſellſchaft war ich
wenig, doch habe ich welche geſehen: und unzählige Menſchen.
Alle Geſellſchaften in Europa, die welche ſind, ſind ſich gleich,
und mir lieb, d. h. egal lieb. Öffentliches haben wir ja gar
nichts: und dies iſt ein frikaſſirter Erſatz davon, wie das meiſte
Jetzige in meinen Augen. Oder gab es vor alten Zeiten, trotz
der Berichte, Geſchichten, Gedichte und Bewunderung, auch
nichts? — ich habe ſtarke Ahndung — und nimmt ſich’s nur
„gut in Liedern aus, was die litten, die thaten?“ Schreiben
kann ich gar nicht: denn ich weiß nichts: es iſt mir hier in
der erſten Unruh vergangen. Bald komme ich in Ruh; und
ärnte ich da nur das Mindeſte, ſo ſollen Sie friſche Garben
haben. Mit dem Kongreß geht’s wie im Damſpiel, wenn
[248] einer bis zur Gabel gekommen iſt: ziehſt du ſo, ſo zieh’ ich
ſo! und ziehſt du ſo, ſo zieh ich ſo! Sachſen — Polen! So
ſteht das Spiel, ſo lang ich hier bin: und auch ich kann mir
einbilden ich bin klug daraus. Die Andern thun dies alle.
Adieu! Liebe Ojeſer. Wir ſehen uns wieder!

R.


An Varnhagen, in Wien.



„Eines harten Mannes Erb’, oder ſelbſt ein ſolcher Mann,
Oder beides auch zugleich, iſt, wer Reichthum ſammlen kann.“

Dies ſagt der mir ſehr liebe Logau; und wie paßt es,
wie iſt es der Text, der ganze Inhalt unſeres Geſprächs! Ich
habe dir meine Seele gezeigt; wie ſie nach meinem beſten Be-
ſinnen iſt: denn ſo iſt ſie doch eigentlich, und nicht in wogen-
dem partiellen Bewußtſein über die Erſcheinungen der Dinge,
ſondern ihrer ſelbſt, dem Bleibendſten in ihr. Ich habe dir
alſo nur einen Moment zeigen können von dem, was in mir,
wenn auch nicht immer, doch meiſt, und ſtets dunkel vorgeht
und arbeitet. Verzeihe es mir alſo, wenn ich dich bitte, mir
kein türkiſch Schal zu kaufen! „Ob ich ſolche Schabracke
habe, oder nicht!“ Im Gegentheil! Mein Stolz, meine
Eitelkeit beſteht darin, und ſchon längſt, keines zu haben.
Kann ich’s bezahlen, ſo brauche ich keins; und es iſt ſchön
keines zu haben: kann ich es nicht bezahlen, ſo iſt es recht
und richtig keines zu haben. Und endlich, die Summe Gel-
des iſt für uns und in jetzigen Momenten immer hübſcher, als
ein prahlender Lumpen auf den Schultern. Auch wenn ich
[249] prahle, möchte ich es größer! Es liegt mir gar nichts dran:
und es ſoll dir auch nichts dran liegen. Gute Nacht, Lieber!
Gehen wir beide hierin mit Herr Jeſus!

R.


An M. Th. Robert, in Berlin.



Varnhagen ſitzt neben mir, und muß noch zum Kourier
vieles fertig machen, läßt dich daher nur mit dieſem grüßen,
dir danken, dich verſichern, er würde es nachholen. — Noch
ſind wir im Stifte; übermorgen ziehen wir aus. Aus einer
von mir geliebten Straße nach einem ſtillen Platz, zwei Trep-
pen hoch — gute Treppen — hier gleicher Erde. Heute
Abend fahr’ ich zu Fanny Arnſtein, wo ich geſtern die Aſſem-
blee verſäumte; meine Geſundheit leidet zu ſehr von der nicht
zu athmenden Hitze der gedrängten Menge; und jedesmal
rekrutirt ſich mein Huſten auf ſechs Tage wenigſtens. —
Gentz ſchrieb mir wieder ab, weil die Damen, die er zu mir
gebeten hatte, Tableaux bei Hofe machen mußten: er ließ mir
die Wahl, ohne die Gräfinnen Bernſtorff und Fuchs mit ihm
zu ſpeiſen, oder den Montag mit ihnen. Ich wählte das
letztere: ſchon weil die Sache doch wenigſtens verſchoben iſt —
ich liebe faſt nichts mehr, was Anſtalt koſtet! — und weil
ich grade die beiden Damen als Matadore der Liebenswür-
digkeit ſehen will: Gentz errieth dies. Gräfin Fuchs iſt der
Gräfin Plettenberg Schweſter (die bei uns in Berlin war),
und alle meine Herren ſind in ſie verliebt. Gräfin Bernſtoff
[250] iſt Graf Chriſtian Bernſtorffs Frau, von der ich einen ſo rei-
zend unſchuldigen Brief geſehen habe, und ſo gründlich und
eigenmächtig geſcheidt, daß ſie mir ganz merkwürdig iſt.
(Nicht wahr, ihr liebt dieſe Geſchwätzigkeit?) Vorgeſtern ſah
ich die Zauberflöte, an der Wien. Fragt Moritz als Zeugen!
Ich ſchwöre es, ich hörte aus dem bloßen Vortrag her, Me-
lodien
in dieſem Werke, die ich, doch auch nicht unmuſika-
liſch, nie erahndet hätte auf den Stellen, wo ſie hervorbra-
chen; dergleichen vermuthend, weil ich gehört, was Righini
aus muſikaliſchen Phraſen und Figuren durch accelerirte oder
angehaltene Noten, für welches keine muſikaliſche Zeichen exi-
ſtiren, herauszog, war ich einzig hingegangen. Dekorationen,
Anordnung und Pracht ſtehen bei weitem unſerer Aufführung
dieſes Stückes nach. — Die Königin der Nacht kam aus ei-
nem großen Monde geſtiegen, der in eben als Wolken
herabgelaſſener Leinwand herunter rollen mußte; ſie kam aus
ihm wie aus einer großen Thüre gelaſſen und alt heraus,
mit einer Krone von Silberpapier, woran Monde und der-
gleichen von reinem Blech zitterten. Sie ſang die unſinnigen
Arien mit einer alten Stimme, die ſo dezidirt auftrat, daß
man hörte, daß ſie ſich in der Art Geſang ſonſt mit Recht
habe bewundern laſſen, und in dieſem Nachreſpekt ſchonten
ſie auch die Zuhörer. Mad. Roſenbaum heißt ſie; über
fünfzig; aber ſie iſt die erſte Perſon, die mich gelehrt hat,
was staccato iſt. Kein Unſinn: zu welchem es alle Sänger,
die es nicht erfunden, und dazu geboren ſind, machen. Denke
dir, daß dieſe Frau noch dieſen höchſten Ton trifft, und mit
einer gemäßigten, beſonnenen Gewalt anſchlägt, daß er durch-
[251] aus wie von einem breiten Inſtrumente klingt, und in
Angſt und Weh und Zorn künſtleriſch erzeugt ſcheint. So
etwas iſt ſehr ſchön, bewundernswürdig und lehrreich. So
lehrte mich der italiäniſche Klavierſpieler Lodi zuerſt, auf
einem zerbrochenen Klaviere in Töplitz (vor vielen Jahren),
was Mozart und alle neuere Komponiſten mit Oktavſpringen
auf dieſem Inſtrument ſagen wollen: er zeigte mir, daß das
ſchnelle Greifen mit Einer Hand von der Oktav zur andern
den anhaltenden Ton eines geſtrichenen Saiteninſtru-
ments hervorbringen ſollte; und brachte ihn jedesmal durch
Schnelle und ander Geſchick hervor. Wenige Menſchen ahn-
den nur in der Technik der Muſik ein Werkzeug zu derglei-
chen Abſichten; und laſſen ſich das mißlungene, und als nichts
Bedeutende lebenslang gedankenlos als etwas aufdringen.
Mir gehts anders: ich tadle es, bis ich’s verſtehe. — Alle
Orcheſter hier gehen ſanft, ſinnig und richtig, und ihre Stärke
beſteht nicht im Reißen, wie die der beiden Weber; des dün-
nen in Prag, und des dicken bei uns. Überhaupt auf fal-
ſchern Muſikwegen iſt keine Stadt in Deutſchland, als Ber-
lin; und, wie natürlich, in einem feſten Dünkel darüber be-
fangen: weil es Mühe und lärmende Anſtrengung nicht ſpart.
Weber, Zelter, Iffland, tragen große Schuld; und des ſeli-
gen Righini Überdruß und Nachgiebigkeit aus Applaudiſſe-
mentsſucht. —


[252]

An M. Th. Robert, in Berlin.



Geſtern erhielt ich euren Brief mit dem Kourier, und will
auch gleich heute antworten, weil morgen wieder zu euch einer
abgeht. — Ich haſſe, und immer mehr, alles was nicht die
Umſtände als natürlich erlauben; weil nie daraus etwas Gut-
gegliedertes, Mildes wird, und ſchon ein verrenktes Streben
voraus ſetzt, wozu einem die ganze Welt nicht günſtig iſt,
ſonſt hätte man’s nicht nöthig. Gott und die Welt mein’ ich.
Ich denke über die Verſorgung wie du, und ſorge natürlich
mit; aber da ich der Menſchen Verkehr und Zuſtände nun ein-
mal nach meiner Weiſe kenne und ſehe, ſo denk’ ich auch hin-
wiederum, obgleich ſich die Kinder aus den erſten Banden
ſehnen müſſen und mögen, neue Lagen und Verhältniſſe dun-
kel und wogenhaft ſich vorſtellen; ſo bleibt eben dieſe Mög-
lichkeits-Zeit, meiner ganzen Einſicht nach, ihre beſte; ihre
vornehmſte, adlichſte, und horizontvollſte; und eben deßwegen
reichſte, weil ſie ihnen noch gewährt hinauszuſchauen! — ich
bin alſo vergnügt, wenn ſie Gefährten, Handlungsraum fin-
den und gewinnen; und bin ſehr vergnügt, wenn ſie’s noch
lange in Schutz erwarten; verſtehen ſie ihre Lage auch nicht
ganz, ſo fühlen ſie ſie doch wie Jugend, und Geſundheit: und
denen brauch’ ich das Wort nicht zu reden, nur zu ſeufzen
mit allen Gebornen, daß ſie unwiederbringlich ſind, und nur
rückwärts geſchaut werden können.


Die Konferenzen dauren fort: einer ſpricht ſo, der andere
[253] ſo: aber definitiv iſt nichts ausgemacht, nämlich abgeſchloſſen.
Ganz Sachſen bekommen wir nicht. Mir iſt es lieb, wenn
es jetzt nicht geſchieht, da doch — und es iſt auch mechaniſch
genommen nicht gleich möglich zu machen — in Deutſchland
eine Menge Dinge im Gewirr bleiben werden, ſo würde man,
nähmen wir jetzt S., bei allen nur möglichen Widerwärtig-
keiten nach jeder Seite, uns nur die Schuld geben: iſt es
wahr, daß S. und Pr. in Deutſchland zuſammen gehören
müſſen, ſo wird ſich das beim erſten Ereigniß doch ergeben.
Krieg haſſe ich, und die Deutſchen unter ſich werden ihn auch
wohl nicht anfangen; weil das Gefühl zu ſehr dagegen iſt;
und ſie nicht gern thätlich ſind: d. h. ſchwer anfangen zu
ſtechen, morden, hauen. Aber es wird wohl bei andern Na-
tionen losbrechen, — nicht ſo bald: dann nehmen wir Theil,
und entzweien uns mittelbar. So weit iſt unſer Land mei-
nes Bedünkens in der Einheit und Einigkeit gekommen. Durch
dieſe werden wir unter Eine Regierung kommen, anſtatt daß
die andern zur Einigkeit durch die Einheit ihrer Regierung
gekommen ſind. So denk’ ich. So liegt die Sache: ma-
chen kann man wenig: die Natur der großen Dinge, als
Länder und Völker, iſt an ſich ſittlich, wenn man ihr nach-
giebt. Alſo jetzt bleibt Friede. Theile es nur Moritz mit;
und die klügſten Leute behaupten, Öſterreich und Preußen
müſſen gut bleiben. — (Ich bin jetzt entſetzlich durch den ruſ-
ſiſchen Obriſten Noſtitz geſtört.) Läßt denn Ludwig nicht ſeine
fertigen Geſänge drucken? — Gott! ich bin blau auf den
Backen vor Röthe und Echauffement, ſo haben mich Varnha-
gen und Noſtitz geſtört! Schrecklich! nicht eine Minute!!! —
[254] Lebe wohl, den Kindern ſchreibe ich ein Wort. Ich grüße
Nettchen und alle Hausfreunde.


An Moritz Robert, in Berlin.



Du haſt Recht, das iſt noch die beſte Verdrießlichkeit, von
der man genau den Grund weiß: der liegt wenigſtens oben
auf, iſt nicht ſehr verwickelt und kann vergehen. Laß dir von
Markus mittheilen, was ich darüber ſage, daß kein Krieg wird,
laß dir auch von den Kindern mittheilen, was ich ihnen ſchrieb,
und du wirſt ſehen daß ich heute wegen Störung nicht mehr
ſchreiben kann, trotz des beſten Vorſatzes, und einem ſchönen
Brief, der ſchon im Kopfe fertig war. Einer unſerer Bekann-
ten, den auch du kennſt, hat hier der Regierung einen Plan
zu einer Bank, wozu ſie nur die Erlaubniß geben ſoll, einge-
reicht und hat Konferenzen mit allen Banquiers auf miniſte-
riellen Befehl; es iſt ein Geheimniß, und er erzählt’s nur uns.
Bollmann wird die größten Geſchäfte nach Amerika mit
Queckſilber machen, welches hier aufgehäuft liegt. Nimmt
man ſein Projekt an, ſo kommt hier wieder Silbergeld. Man
kajolirt ihn ſehr. Hier ſchicke ich dir einen kleinen Zeitungs-
artikel, der dich ſehr erſchrecken wird. Erneſtine muß ſich in
Acht nehmen, ich grüße ſie. Frau von Mink fragte nach dir.
Frau von Stägemann hat dich beim Manne gelobt; kultivire
ſie, ſie haben ſo kluge Kinder. Er war mein Troſt Dienstag
bei Arnſteins, wo ſie Wachsfiguren in einer Hitze vorſtell-
[255] ten!! und ich nichts in der Welt dadurch ſah. Ich gehe we-
nig hin. „Mir nicht ſo! bei Gott!“ Den Weihnachten ver-
geſſe ich ihnen nicht. Grüße Oppenheims; ich werde ihnen
einmal ſchreiben, daß ihnen Hören und Sehen, und Wien ver-
gehen ſoll. Ich zerbreche mir immer den Kopf, wo ich in
Berlin wohnen werde. Einmal muß ich doch hin. Dein Brief
unterhielt mich, weil ich ihn einſah. Ernſt, Stimmung, Lage,
Handſchrift, alles. Manches mit dieſem eben ſo. Adieu adieu. R.
Laß nur Ferdinand noch nichts lernen, und ärgert ihn in
nichts. Er wird doch unglücklich, wenn er größer wird. Was
macht denn der Heuchler? Was macht Babette? ärgert ſie
ſich noch? Heute hat unſer König beim Kanzler geſpeiſt.
Varnhagen mit Stägemann. — Adieu.


An Moritz und Erneſtine Robert, in Berlin.



Bloß ein paar Worte! Hier iſt der Beobachter: ſo ſol-
len wir nun denken; Lampe-Gentz ſchreibt’s uns vor: von
ihm iſt die tiefſinnig-religiöſe Betrachtung über die vorgeſtern
ſtattgefundene Leichenfeier. Denkt euch darüber was ihr könnt:
ich ſehe Emigranten-Arme darin, die die Welt wie ein Rad
in ſeinem Lauf zurückhalten und auf die alte Stelle, wo es
ihnen gefiel, zurückführen möchten. „Der Reſt iſt Schweigen“,
denn tief in der Natur der Dinge, die Einmal für uns da
ſind, liegt dies Schwanken, Wogen, Meinen, Toben, Halten,
Schreiten. Das Feſt in der Kirche ſelbſt, in der Stephans-
[256] kirche, die ſchön iſt, und zum Sinnen und Beten ſtimmt,
koſtete 40,000 Franken; die Dekoration war aber mesquine,
dem Eindruck nach, den ſie machte, weil ſie unzuſammenhän-
gend und nicht für das Gebäude paſſend war. Wappen,
Stücke Tuch, die wie breite Schärpen herabhingen, und an
der großen ſilbrigen, nicht ſilbernen, Krone Frankreichs oben
befeſtigt. Manche Bänke beſchlagen, manche nicht; eine
trauernde Religion mit einem Kreuze im Arm, und einer Mi-
nerven-Büſte zur Seite (?)! Noch eine Statue, die das Te-
ſtament Ludwigs XVI vorſtellte, von Holz, worüber begypste
Gewänder geworfen waren. Recht gut! aber für ein Abend-
feſt in einem Garten!!! kurz beinahe ſo ſchlecht, als Türen-
ne’s Begräbniß, als er nach dem Pantheon gebracht wurde,
welches ich in Paris ſah. Es waren Billette ausgegeben. Ich
hatte eins zu einem guten Sitz, von Graf Flemming, aber ich
ging der Kälte, des Wartens und Gedränges wegen nicht hin:
ſondern nachher, um die Kirche zu ſehen. Die Muſik ſoll auch
gar nichts getaugt haben. Geſtern Mittag war dann endlich
die große Schlittenfahrt: mir glaubt, und keiner Zeitung.
Himmliſche, kommode, halbe Wagen, nicht nach der neuen
ſchlechten Mode, die — nicht deſtoweniger, ſondern, deſtomehr
— ſehr elegant ausſahen, auf ſehr guten Schlittengeſtellen;
übermäßig beharniſchte Pferde mit entſetzlich beglockten Decken;
verguldet und verſilbert nach Luſt! und Kaiſerlich; ungefähr
bei jedem ſechs reich galonirte Bedienten mit dreieckigen Hü-
ten, die Vorreiter ſein ſollten: nicht knallten. In jedem ein
Herr und eine Dame. Die Damen in allerlei kouleurten Pel-
zen und Hüten; aber alle von Einer faiseuse, alſo beinah
gleich.
[257] gleich. Nur die Nichte unſerer Königin, Thereſe Eſterhazy,
war anders und beſſer: ein Häubchen von Krepp mit Gold;
und einen ſolchen Hut, weiß befedert, und paſſend, niedlich
und aufgeklappt, drüber oder dran, und blau in Sammt.
Schön! Lady Caſtlereagh (nicht hübſch, nicht jung, aber ko-
loſſal) in Gelb mit einem raſenden Schal drüber. Julie Zichy,
kirſchbraun, ſehr ſchön, eine Brünette, unſerer Königin ähnlich.
Gräfin Fuchs, ponceau. Alle ſehr geſchmückt, dies war das
Schönſte. Dreimal ſah ich ſie bei Tage am nämlichen Fenſter
äußerſt bequem mit einem Perſpektiv. Die Vorreiter waren
auch in verſchiedenen Farben. Die Herren in Uniform. Der
König ſehr gut: und die hübſcheſte Dame. Das Volk ſchrie
ihn ſehr an: ich glaube von ungefähr. Es freute mich doch.
Den Vicekönig Eugen, mit einer roſa ſehr ſchönen Gräfin
Appony, ſchrie es auch an. Aus der Schlittenfahrt iſt der
noch nicht heraus. ‒ ‒ ‒ ‒ An Ludwigs XIV. Hof trauerten
ſie um Cromwell, ſchreibt Mlle. de Montpenſier, die Kouſine
Ludwigs ſelbſt. Es war alles ſchon da, es liegt bloß am
ſchlechten Gedächtniß. —


An Moritz Robert, in Berlin.



Vor einer Stunde erhielt ich durch einen Geheimrath S.
einen Brief von dir und Ohme, worin ihr mir von einem Brief
von mir den 15. datirt ſprecht. Liebe Kinder! habt ihr denn
ſeit vierzehn Tagen nicht mehr Briefe? Ich ſchreibe mit je-
II. 17
[258] dem Kourier, d. h. die Woche dreimal. Dein Brief hat mich
ſehr unterhalten: und vornehmlich die Aufzählung der Witzi-
gen; und daß die Generale ausgehauen werden ſollen, in
Marmor! Heute habe ich nichts zu ſchreiben: Neues giebt
es wieder nichts. — Geſtern war Sonntag, und ich bei Arn-
ſteins, wo alle Menſchen, außer Stägemann, Otterſtedt
und Varnhagen, der nicht mehr hin geht, waren. Viele Da-
men, und alle Herren; ich amüſorr mich, weil man nur ſo
viel ſprach, und zu ſprechen braucht, als man will, Leute ſieht
und hört, die nicht ſchreien und diskutiren, und ſich in der
Artigkeit halten, die wohlthut und mir durchaus nöthig iſt;
für Nervenleib, und Seelenüberdruß. Das Gegentheil macht
mich ganz erliegen. Neben der Ephraim und einer Baro-
nin Oertzen aus Mecklenburg ſaß ich, dann bei Frau von Arn-
ſtein, und der Portugieſin de Caſtro. Ich fuhr mit Hedemann,
der mich beſuchen wollte, hin: und mit Bollmann, der mit
mir zu Hauſe wollte, her. Auch habe ich, trotz allem Sträu-
ben, vorgeſtern freundſchaftlich bei Eskeles geſpeiſt: da war
es auch hübſch: wenig Menſchen; der Dr. Buchholz aus Lü-
beck mit ſeiner ſehr hübſchen Frau, Pilat, Carpani, ein Baron
Kollenbach, ein ſtummer Komikus wenn er ſpricht; Eskeles:
den ich ſehr liebe, weil ihm ſeine Klugheit bis aus den Poren
dringt, er ißt, er ſchweigt, er lacht klug: er ſagt lauter Selbſt-
gedachtes, Originales. Ja! er amüſirt mich in gewiſſem Sinn
hier beſſer, als alle andere Leute; weil er ganz altväteriſch
geblieben iſt, mit geiſtigen Gaben, und ein reiches Leben über
ihn weggegangen iſt, welches er ganz nach ſeiner Art bearbei-
tet hat, und lauter Originales davon ausgiebt, mit der aisance
[259] des gelebteſten Menſchen auf gut altteſtamentliche Weiſe. —
In die Komödie gehe ich nicht mehr. Heute kommt Auguſte
in Prag an, bleibt bis zum 10. Beſorge ja alles!!! Erne-
ſtinen habe ich ja geſchrieben, und grüße ſie. — Ich weiß
heute nichts Beſonderes. Obgleich de Ligne bei den Vätern
iſt, ſo kann der Kongreß nicht aus dem Walzen in’s Gehen
kommen. Major von Hedemann wollte geſtern wetten, in
ſechs Wochen ſeien ſie zu Hauſe: aber ich glaube keinem Men-
ſchen mehr: weil alle jetzt nichts wiſſen. — Zerboni ſah ich
geſtern; ein ausgearbeitetes Amtsgeſicht; im Ganzen ein alt-
berliniſch-koloniſtiſcher thatreger Mann; in Sprache und al-
lem: aber friedrichzweitiſch. — Noch Eins, Ohme! Schicke
mir um Gottes willen mehr Thee. Hier iſt keiner zu haben
für Millionen, und mit einemmale iſt der Kongreß doch aus!
Ich ſchreibe alles auf, was du auslegſt. Adieu! Erneſtine!
Sie haben Recht: keine Fête zu Hauſe! — ohne Haushof-
meiſter
; ſetz’ ich hinzu.



— Von den Theatern hier ſind nur die komiſchen gut.
Geſang viel weiter als bei uns; ſchon weil er auf einem
ganz andern Wege iſt, und erlernt und beurtheilt wird. Die
Adamberger ſo, eine rechte Aktrice (ſie ſpielte Minna,
Minna
, ſage Minna!), falſchen Ton, falſchen Scherz,
falſche vornehme Haltung, und nicht ein bischen friſch, wel-
ches ich wenigſtens dachte. Einen Grüner haben ſie hier
mit der ſchönſten Stimme, dem geſammeltſten Furienweſen,
17 *
[260] welches ihm auch aus brauchbaren Augen leuchtet, von Natur
großartige Bewegungen und konzentrirtes Daſtehen, Daſein;
kurz, der Sammlung und Aufmerkſamkeit auch in geringen
Stücken erweckt. Den möcht’ ich mitnehmen, oder mitſchicken.
— Ich habe nun den dritten unausſtehlichen Aſchenprödel
geſehen! Ich glaube, die ganze Geſchichte iſt nicht wahr! —
Nun weiß ich, was ein Kongreß iſt: eine große Geſellſchaft,
die vor lauter Amüſement nicht ſcheiden kann. Das iſt doch
gewiß Neues. Und ohne Spaß! Es muß recht ſchwer ſein,
einen Kongreß zu halten und zu enden! Eine Welt einzu-
richten! — dies machte ja Hamlet ſchon melancholiſch. Nun
wollen wir einmal ſehen, ob ein Held, ein Seevolks-Held ſie
nicht überwinden kann! Ob ſie Wellington widerſtehen wird!
— Fr. Schlegel ſchimpft auf Goethe. Dafür bleibt er wo er
iſt, und wird dumm.


An Moritz Robert, in Berlin.



— — Das geizige Ende deines Briefes hat mich geſtern
außerordentlich lachen gemacht, und noch jetzt, obgleich ich,
beim Himmel! nicht ſo ſehr lächerlich geſtimmt bin: ich will
es dir hierherſetzen, es wird dir gewiß auch komiſch vorkommen;
ich ſah die harpagoniſcheſte Scene dabei, von Molieren
par des Molières — ſelbſt geſpielt. Höre nur! „Hier geht
alles wie du es ſiehſt! Ich bin mit dem Gange der Sachen
(ohne mich zu berufen) (!!!) zufrieden. Das mag denn
[261] auch wohl an meinen wenigen Prätenſionen liegen, und
daran liegen, daß ich unzufrieden mit mir bin.“ Höre
nur dieſes Bedingen und Wenden des ſchon Bedingten! So
bin ich leider auch, und nur darum kein gemeinſter Harpagon,
weil mein Geiſt, mein Urtheil über mich ſelbſt die Oberhand,
oder das letzte Wort behält. Denn was iſt wohl anders Geiz,
Kargheit der Handlungsweiſe, als ein ungroßmüthiges ewiges
Erwägen des ſchon Erwägten; und dem Glücke mit ſeinen
Satrapen, den Umſtänden, gar keinen Kredit, am allerwenig-
ſten einen ſorgloſen geben wollen, den allein es verlangt, und
wofür allein es Intereſſen ſpendet. Aber das mag der „Fürſt
der Hölle“ — wie Friedrich Schlegel in ſeinen neueſten Vor-
leſungen höflich den Teufel nennt — können; moi je suis
payée pour être de la méfiance la plus outrée
gegen die Für-
ſtin der Erde! (will ich nun die antike Fortuna aus Rück-
wirkung nennen.) Du haſt Recht, Bruder Harpagon; ich
weiß es nun, wir bleiben Harpagone: und daß wir noch
etwas komiſch ſind, können ſie uns nicht genug danken,
und gar nicht nachmachen: weil dazu eine andere Natur
zum gemeinen Leben gehört, als man eine hat, und die beſ-
ſere
den Pagliaſſo, und den Tiefſinn, den Hochſinn und den
Unſinn übernimmt; Jean Paul, Shakeſpeare, Hamlet mit
Einem Wort!



— Der Beſen im Zauberlehrling. Der Meiſter muß kom-
men! Kennt ihr einen? Ich fürchte jeden. Was ſagt ihr
zu den Spaniern, wie die die Indianer behandlen! Das ſoll
[262] ich erleben! Eine Tochter Friedrichs. Die Welt kommt noch
ſo zurück, daß wenn man nicht bald ſtirbt, ſo lernt man noch
Richelieu den Erſten kennen, die Schlange; und Adam, und
die ganze erſte Societät. —



Ich habe ſeit einiger Zeit viel über das Lügen nachge-
dacht. Es wirkt doch viel nach außen, und von außen nach
innen. — Könnten ſehr geiſtreiche, geiſtvoll ergründende, wahr-
hafte Menſchen mit einem ſtarken Karakter das Lügen ſtudi-
ren, und dann wie andere erlernte Dinge mit Fertigkeit aus-
üben, es müßte zu koloſſalen Wirkungen führen: der Wahrheit
würde angſt und bang, ſie ſtünde ganz klein, als Seufzer,
als regret, als Angeführter in der Welt da, und flüchtete
ganz in die dunkle innere; ſo reell könnte das Lügen im
Großen, Planmäßigen aufſtehn. Große Zeit und fanatiſche
Anhänger könnten nur ſchwer dagegen ſiegen. Meine Meinung
hier iſt nur ſehr roh vorgetragen: die Klugen werden ſie ſchon
ergänzen. Die Lügner unſerer Zeit pfuſchen nur, wie groß
ſie auch ihr Spiel ausdehnen wollen, ſie haben keine Wahr-
heit in der Seele, und haben die Lüge nicht ſtudirt.



Ich muß Ihnen Einiges von unſerm geſtrigen Abend
erzählen!


T. ſagte vom Adel, er komme ihr vor, als ob jetzt je-
mand in den wohlgepflaſterten Straßen, in den belebten, han-
delsreichen Städten umhergehn wollte mit Tigerfell und Keule
[263] behauptend er ſei Herkules, er wolle uns ſchützen und retten,
und verlange dafür göttliche Ehre. „Herr,“ würde man ihm
ſagen, „es iſt nicht Ein wildes Thier hier, lauter Laden und
Speicher, und ſichere Häuſer; ziehen Sie ſich aus, nehmen
Sie auch ein Gewerbe, oder beluſtigen Sie uns durch Kunſt
und Gaſtmähler.“


An Moritz Robert, in Berlin.



Ich hatte mir heute ſchon alles, was man ſeit geſtern
über Napoleon weiß, im Kopfe zurecht gelegt um es dir zu
berichten, aber ich fand es in Ordnung und Kürze im heuti-
gen Beobachter, den ich morgen hier beilegen werde. Der Fürſt,
der ihm begegnete, iſt der Prinz von Monaco. Der iſt es
auch, der einen Kourier hieher aus Turin ſandte. Napoleon
war aber nicht niedergeſchlagen, ſondern ſo aufgeregt wie bei
ſeiner Schlittenfahrt von Moskau nach Frankreich. Er fragte
holprig und poltrig den Fürſten, ob er keine Bewegungen in
Frankreich und in Paris, woher der kam, geſehen: und wollte
es nicht glauben, daß dort alles ruhig ſei: vous ne savez donc
rien!
meinte er! und erzählte, der Kongreß hier, ſei in Unfrie-
den auseinander. Der Prinz von Monaco wurde nach Na-
poleons Bivack gebracht, wo der hauſte, weil ihm das kleine
Fort abgeſchlagen wurde. Dieſe Sache müſſen wir nun ab-
warten: Dienstag kommt eine Poſt hieher. Vielleicht habt ihr
über Paris und früher Nachrichten, weil man ſeit geſtern hier
[264] weiß, daß ſie dort vom Telegraphen [unterrichtet] ſind. Peſchier’s
Kompagnon, Fries und Andere ſchieben ihre Reiſe nach Frank-
reich wenigſtens poſttagweiſe auf. Monaco weiß aber wirk-
lich nichts: Napoleon hat Recht. Ich habe geſtern einen Brief
aus Paris, den ein reicher Geſchäftsmann, der große Verbin-
dung in Frankreich hat, ein Reichsländer, vom 28. datirt ge-
ſehen, wo man natürlich Napoleons Einbruch noch nicht er-
wähnte. Der klang aber nicht nach nichts! Sondern nach
den größten Bewegungen gegen die Jetzigen; mit großen De-
tails, Namen, Bewegung, Straßen, alles genannt. Ich glaube,
man wird ſich den Napoleon’ſchen Lärm zu Nutze machen,
wie man ſich jeden erſten zu Nutze gemacht hätte. Hier ſpricht
man von einer Proklamation, welche die Alliirten gegen Na-
poleon und alle die, welche ihn hegen oder ſchützen, werden
ergehen laſſen, und die ganz den Schutz der Bourbons ver-
künden ſoll. Eine ſolche könnte mich ſehr unſelig machen.
Dieſe Nation muß man allein laſſen, und nicht wieder zu ei-
nem Ganzen ſetzen, wie vor zwanzig Jahren; da meinen Brie-
fen nach, die Armee ohnehin brennt, irgendwo hin zu fal-
len; und ſtark nach Belgien trachtet. Sollten wir ſelbſt Poch-
kränze zu der unſeligen Entzündung liefern? die nun weit
und breit Kombuſtibles findet! ich bin mir alles von dem
Rath, der waltet, gewärtig: und halte es, ganz im Gegen-
theil der Andern, für ein Unglück, daß die Regenten noch hier
zuſammen ſind; jeder müßte feſt ſein Land behaupten, und möge
Deutſchland noch immerhin verſchiedene Namen tragen. Ich
fürchte, es wird zu ſchnell eine zweite Generation Ein Deutſch-
land erleben! und, wie es die Leute prophezeihen, Deutſchland
[265] Eins und Frankreich getheilt werden. Von dieſer traurigen,
für mich — alte Generation — höchſt trüben Betrachtung
muß ich natürlich auf Friſch kommen! Gott, wie hat mich
das betrübt, erſchüttert, erſchreckt, und nachdenklich gemacht!
Und es war doch ſo natürlich! Er ſo alt; er mußte ſterben.
Aber ſo ſtirbt man: ſo ſtirbt man ſelbſt! Alles was wir
intim und jugendlich kannten, geht ab, nimmt ab; ſtirbt.
Und wenn nun erſt Einer von uns Geſchwiſtern ſterben wird!
Ein Glück, daß ich erſt dran muß! So ſind die Eltern, meine
Wurzel, mein Stamm, an dem ich haftete, hin; ich dorre im
Wipfel, fallen aber Äſte neben mir, ſo iſt es aus! — Ich fühle
mich heute ſo ſchwer; fühle überhaupt das Alter; nämlich die
ewigen Zerrüttungen der Lagen und Verhältniſſe; die Tren-
nungen, die Kränklichkeit, die Entfernung der Jugendgenoſſen,
der habitués, den Tod der Kernfreunde, der muntern. Und
da ich Ruhe haben ſollte, und müßte, die Erſchütterung der
Staaten, und Stätten!!! Ich kann weinen. Humboldt, Gentz,
die Pachta, Wieſel, ſind hier! — Aber wie leben wir mit
einander? — Natürlich lache ich, ſpreche ich, ſehe ich Leute,
lerne welche kennen: erwäge und ſchätze mein Verhältniß mit
Varnhagen, und bin als hätte man mir den beſten Rath ge-
geben. So habe ich mich geſtern Abend in einer gewöhnlichen
Soirée bei Arnſteins recht gut amüſirt; mit Frau von Arnſtein,
mit einer guten Franzöſin, mit Frau von Ephr., mit manchem
Sehen und Hören, und bei Tiſche lachten wir! Heute Mor-
gen war ich mit der Arnſtein in einem brillanten Konzert, wo
ein junger Mann eine Oper von den Kennern unterſuchen ließ, die
er gemacht hatte (die Oper, nicht die Kenner, hatte er gemacht).
[266] Sie beſtand aus Reminiszenzen. Nachmittag ſah ich einen
Augenblick Bentheims Schweſter; geſtern war ich ſpaziren im
ſchönſten Wetter, wo ich Menſchen ſah und ſprach, morgen
bin ich bei Eskeles. Alſo beklage mich nicht! So iſt’s aber. —
Wien behagt mir mehr im Frühling, und muß ich bleiben,
mit Kruſemarck, gewiß noch beſſer. Doch gehe ich auch gern
weg. Kurz, wie es kommt: meine Familie, und die Kinder,
und die alten Bekannten, liebe ich, und brauche ich. —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Ich wollte ſo eben mich befleißigen, euch Wort vor Wort
die Nachrichten nachzuerzählen, die geſtern der Staatskanzler
ſich befliß, den Frauen, vier, die vor Tiſche auf und am Ka-
napee ſaßen, zur Unterhaltung mitzutheilen; ſie ſtehen aber
alle buchſtäblich, wie er ſie ſagte, im heutigen Beobachter.
Alſo lies nur. Sie ſchienen mir auch geſtern nichts zu bedeu-
ten (da ich ſie ohnehin ſchon vorher wußte), als eine große
aménité des Fürſten. Der Aufſatz über der acht Mächte De-
klaration, womit heute der Beobachter anfängt, gehört nicht
zu des Kanzlers Erzählungen, iſt von Gentz, und unendlich
ſchwach. Die Erfindung: die Ausführung nicht minder. (De
par tous les diables,
möchte man anheben!) Was hat er die
Mächte zu entſchuldigen, und zu kommentiren: und eine
klare Sache zu erklären; und wem zu erklären. Oder iſt ſie
nicht recht klar? die ganze Maßregel iſt ſo ſehr richtig, daß
[267] ſie beinah unnöthig war, und aus der Pariſer Konvention
ſchon hervorgeht. Was befallen ihn für Zweifel? an der
Sache oder am Publikum. Es giebt der ganzen Sache, mei-
nem Gefühle nach, ein unſicheres Anſehen; und ſollte ihr ein
ſicheres geben. Warum nennen ſie Napoleon Rebell? dies
kann nur ein Unterthan ſein. Er war auf Elba niemandem
unterthan. In ſolchen Proklamationen ſollte kein unrichtiges
Wort ſtehen. Die richtigen ſind ganz hinlänglich. Europa
will Ruhe; und wird ſie im Nothfall mit Krieg erkaufen;
voilà le fait, qui doit être fait etc. Von Paris hat unſer
Golz nur allein einen Kourier mit den Nachrichten geſchickt,
die nun hier umlaufen und im Beobachter ſtehen. Die An-
dern haben keine. Talleyrand mag ſie nicht mittheilen,
vielleicht.


Beim Kanzler ſpeiſten geſtern zweiunddreißig Perſonen,
vier Damen mit mir. — — Der Kanzler macht auf die rein
menſchlichſte Art die Honneurs, und ſo ſehr wie ein guter
Mann
, daß wenigſtens Gemüther wie ich, ihn lieben müſ-
ſen
; und gleich mit ihm bekannt werden. Er dauerte mich
ſchmerzhaft unter den Zweiunddreißig, wie der ſelige Onkel.
Aber er ſteht hoch in Betragen und Sein, und der gebildet-
ſten Lebensart. Ich kann mit Tauben nicht ſprechen: ſo viel
meine Unfähigkeit es zuließ, that ich’s doch: auf die unge-
zwungenſte Weiſe. Es iſt ein Mitleid! Weil er ſehr Kon-
verſation liebt, und weit hinhorchte, wo Humboldt neben Varn-
hagen ſchrie und lachte. Auf der andern Seite hatte Varnha-
gen Stägemann, Schöler, Grolman, Bartholdy. Graf Flem-
ming ganz unten. Kein Rang, kein Stand. Jahn, auf den
[268] ich ſo neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze,
und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn
ſich von Varnhagen vorſtellen. Radziwill, Alle waren ſehr
gut mit ihm. Er ſaß ganz unten. Miniſter Bülow, mein
andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus!
Ich ſprach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi-
ſchen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war
gegen den Dritten, der da meinte, es ſei nicht klar, daß die
Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war,
konnte ich nicht ſchweigen; und Bülow ſagte immer: „Ich
bin Ihrer Meinung.“ Nicht weil es der Miniſter ſagte, ſon-
dern weil ich mitſprach, erzähle ich dir’s. Bülow hat einem
Hamburger Advokaten ſein Gutachten abgefordert, dies ſprach
für meine Meinung. Bülow iſt ein hübſcher, guter, angeneh-
mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er
Finanzminiſter ſei, und er ſprach in einem Sinne, als: er,
ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewiſſe
Sache!!! Es war wohl hübſch und menſchlich, ich vermißte
aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben ſoll. —
Jahn iſt auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage:
zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon-
ſiſtorialrath Nolte, der habe ihm von mir geſagt. Er hat ein
Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die
Hagemeiſter ſchon vor ſechszehn, achtzehn Jahren hatte;
kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn ſieht.
Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde ſehen. Humboldt ver-
ſicherte mich, wie Don Juan, nach Tiſche ſeiner Liebe. Er
liebe mich immer: ſehen könne er mich nur nicht, weil ich
[269] immer alles thäte, was er nicht leiden könnte: er will mir ein
Diné geben (Diné! Ihr ſeht, ich bin todt; und nicht im
Himmel). Das wäre was für Erneſtinchen! Ich ſoll die Per-
ſonen nennen; alſo als Königin. Ich ſagte, er ſoll mich we-
niger lieben, und mich beſuchen: dann wolle ich die Perſonen
nennen. Ich mußte fort. So blieb’s.


Der Kanzler examinirte mich ſehr. Wie ein kluger Mann;
der das Theater liebt. Solche Leute ſehen ganz anders an:
vom Sehen lieben ſie das Theater. Nicht wahr, Hans?


Die ſchwarze Dame hatte in Geſtalt eines Malteſerkreu-
zes ein dunkelbraun emaillirtes mit Granaten beſetztes an der
linken Bruſt, ich denke es iſt ein Orden! — auch war es einer:
„Wir — ſie die Frauen — haben ihn errichtet zur Feier der
Einnahme von Paris;“ und keck tragen ſie ihn an ſchwarzen
Schleifen; er hat auch auf Blau in der Mitte eine goldbuch-
ſtabige Inſchrift, aber nur ein Wort, ich las es nicht: ich
wurde geſtört. Kurz, die Provinz hat ihre Freuden; und iſt
nicht blöde, wenn ſie ſich einmal fühlt.


(Varnhagen lieſt jetzt eure Briefe an meinem Tiſch, ein
göttlich Kind aus unſerm Hauſe ſteht daran; es iſt Mord-
lärm und Lachen bei uns!)


Daß die Bethmann ſich freundſchaftlich für Auguſten be-
nimmt, vergeſſe ich ihr zeitlebens nicht! Lebt wohl! und ſchreibt.
Du auch, Ohme. Robert iſt vogelfrei: die haben wohl Federn,
aber zum Fliegen, wie die Dichter. Nicht wahr? Robert!
Moritz, mein Treuer, dich grüße ich, und Erneſtine! Auguſte
lobt ſehr bongue bongue. Ich küſſe den Eſel. Neues giebt
es nicht. Adieu, adieu!

R.


[270]

An M. Th. Robert, in Berlin.



Hier ſind die Beobachter; doch rath’ ich euch, nicht buch-
ſtäblich daran zu halten. In dem heutigen fehlt eine dritte
Proklamation Napoleons, worin er Talleyrand, Marmont
und Augereau in die Acht erklärt, und worin er ſagt, er würde
den Franzoſen alles geben, was man ihnen verſprochen aber
nicht gehalten, Ruhe, Sieg, Sicherheit, Freiheit ꝛc. — Nun,
lieber Markus und Moritz, folgt mir, wenn ihr es bewerkſtel-
ligen könnt, folgt dem Poltron! — Ruhe kommt nicht; ſchmei-
chelt euch nicht: wenigſtens in den erſten Zeiten nicht, und es
iſt beſſer, an Intereſſen und Verdienſt zu verlieren, als ſein
Gut. — Alexander ſagte letzten Freitag Abend bei einem Sou-
per bei Graf Stackelberg nach den ſchlechtern Nachrichten fol-
gendes, welches wir von einer Gaſtin des Soupers wiſſen:
„La France n’est plus à sauver, il faut prévenir les suites; le
roi ira en Belgique, Mad. d’Angoulême est à Bordeaux; ce que
sont devenus les princes, on ne le sait pas.”
Die Sache iſt
die: Napoleon iſt in Lyon, und die Soldaten erklären ſich für
ihn. Der Kourier, der vorgeſtern Abend kam, ſagte, er
könne nun nicht mehr zurück, weil Metz ſich erklärt habe: mit
Straßburg iſt’s noch ungewiß. Lefebvre-Desnouettes iſt von
Metz aufgebrochen, für ihn. Im Elſaß und Lothringen hat
man die dreifarbige Kokarde genommen. Den heutigen Beob-
achter find’ ich beinah komiſch: der und die wollen Hamlets
Mutter zur Tugend zwingen, zeigen aber die Bilder verkehrt
[271] vor: „Das war euer Gemahl, und dies iſt euer Gemahl.“
Ich will euch und niemand vorurtheilen: nur bitte ich euch,
fürchtet euch ein wenig mit mir, und nehmt eure Maßreglen;
Ruhe wird nicht. „Fürchteſt du dich noch?“ — Ja, ſo
lange er lebt! antwortete ich. Ja! weil ich die Sachen kenne,
und ſehe!! — Über euch aber bin ich böſe. Alle Menſchen
haben Briefe und Nachrichten und Geſinnungen von Hauſe,
nur ich nicht. In ſolchen Augenblicken ſchreibt man doch
wohl ein Wort: wär’s auch nur von dem perſönlichen Ein-
druck, von der eignen Stimmung. Ich, bei Gott! ſchreibe auch
nicht leicht, und bequem hier, in großer Störung, und unpaß
genug, verſäume ich’s je, euch eine Nachricht zu geben? Denkt
ihr, mir liegt nicht an Zuhauſe? und Allen hier! Der König
freut ſich ſehr über die Bereitwilligkeit ſeiner Berliner. —
Nun wieder die alte Rahel. Es marſchirt, ſchießt, plündert,
tobt ſchon wieder. — Im Konzert ſprach ich Radziwill, alle
Menſchen aller Nationen, Geſandten, alles. Sie waren ſehr
konſternirt: aber Einer ſchob’s auf den Andern: und jeder, als
wenn er nie gerathen oder gewußt hätte! —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Welche Zeit! Wenn der hypochondriſchte Poltron Recht
behält! Heute ſind alle Menſchen, Männer und Frauen, Alle,
die ſonſt Muth haben, viel erſchrockener als ich? die Klugen
von den verſchiedenſten Partheien: nur die Schlaffen und Per-
[272] fiden ſind gutes Muthes und voller Thorheit — in Plaͤnen
und Anſicht des franzöſiſchen Landes; die Umſichtigen geſtehen
frei heraus, daß ſie gar nicht mehr ſehen, was daraus wer-
den kann. Hier, wo man ganz Deutſchland beieinander
ſieht, ſieht man recht, wie auseinander es iſt. Kein Bonmot!
Gott behüte und bewahre! — Kurz, die Menſchen ſind ſo,
als ob Wien belagert würde. Napoleon hat dem Kaiſer
Franz geſchrieben, er ſolle die andern Mächte dahin bewegen,
daß kein Blut vergoſſen wird, er würde ſich ſtreng an die
Verträge halten. Marie Louiſe iſt noch in Schönbrunn.
Baiern wollte keine öſterreichiſchen Truppen durch ſein Land
laſſen, bis man ihm noch zwei Städte bewilligte; geſtern ge-
ſchah es; aber vier Tage Marſch ſind verloren. So ungefähr
ſteht alles ungefähr. Seit dem 20. iſt er in Paris; sans coup
férir.
Der König iſt in Lille. Dieſe Nachricht iſt nach Straß-
burg mit dem Telegraphen gekommen, und dieſe Nacht mit
einem badenſchen Kourier hierher. Ich bin mit zwei Herren,
die ſehr ſchreien über „Ehrgefühl“ und von „idealiſcher Exi-
ſtenz“, und „Napoleon“, und „Infamie“ und „Vorurtheil“.
Adieu, ſie machen mich tell. —



Bis gegen 12 mußt’ ich noch immer von dem Evenement
und allen ſeinen möglichen Folgen hören. Das Reſultat, was
jeder Menſch leider faſſen kann, iſt eine weit um ſich grei-
fende und tief gewurzelte Verwirrung. Wir Verbündeten —
bis jetzt! — können gar den Krieg nicht plötzlich machen;
und ſoll ein tiefer, ernſthafter werden, ſo wird der Dinge ent-
wicklen,
[273] wicklen, die es nicht minder ſind. Machen gar Manche ihren
beſondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, ſo
iſt es auch, und gleich ſehr arg. Man fürchtet alles. Andere
führen wieder ſolche Emigrantengeſpräche, daß man vor Un-
geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abſcheulichen
Folgen raſend werden möchte. Alles untereinander muß man
hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge-
ſchichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und
Vorſtellungsweiſen, kluge und erzdumme Anekdoten. — Kin-
der, wie iſt euch? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben ſolltet.
Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor allem, daß ich
Varnhagen ſo ſehr erſchüttert ſehe mich zu verlaſſen; und daß
ihm die Trennung und die Ungewißheit mindeſtens ſo hart
angeht als mir. Hätte ich das nicht vor Augen, ſo würd’
ich wohl meine Beſorgniſſe und aufgethürmte Verdrüſſe aller
Art, die davon entſtehen müſſen, hervorkriegen aus der See-
len Grund. Mir imponirt aber immer ganz außerordent-
lich
, wenn mein Gemüth ein Geſchäft für Andere hat. Muß
nur etwas geſchehen: wird nur eine Thätigkeit in Anſpruch
genommen, ſo habe ich für eine Weile Kräfte. Dieſe Thätig-
keit beſteht nun darin, mich für Varnhagen zu beſchäftigen
mit der reinſten und höchſten Freundſchaft, und großer Liebe:
die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und
ein Betragen, welches ich zu beſchreiben mich faſt ſchämen
muß. Seid alſo auch gefaßt. Seit dem vorigen Krieg bin
ich’s mehr: wie man ſich’s denkt, kommt’s nie: und bei je-
dem
Sonnenumlauf, weiß man nicht wie, und nicht ob man
ſie wiederſieht. Es iſt eine Zerſtreuung, daß man an gewöhn-
II. 18
[274] lichen Tagen ſo ruhig iſt. Kann man doch alle Tage an
tödtlichen verrückten Schmerzen danieder liegen, wie ich ſchon
oft in der Hölle Rachen; und der tiefſte Friede, keine erfun-
dene Wiſſenſchaft, keine Freundesliebe kann helfen. Wenn ich
ſo dieſen ganzen Winter, und das Jahr über, unzufrieden ſein
wollte, und im Bette war: nun! dacht’ ich, es iſt doch Friede.
Vergiß es nicht. Im ganzen Lande wird nicht gemordet, ge-
plündert, geſchoſſen. Ich dachte wohl, Napoleon kommt wie-
der: aber wenn ſchon Trouble iſt; etwa in Frankreich oder
Italien. Auch dacht’ ich jetzt: er wird die Oberhand behal-
ten; aber fechten müſſen; etwas! — Er iſt ſchon wieder bei
der Hand, und ſchont nichts; und die Welt muß ſich beſinnen
und berückſichtigen: ſie, wir, haben viele Intereſſen, und er
eins. Und alle andere Kolliſion: all die alten Unordnun-
gen, Vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all ge-
ſtoßen und gerührt wird. Baſta! Es kommt alles anders.
Es ſtrömt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine
große Obwaltung iſt, die wir nie berechnen können. Ich ſollte
mit Arnſteins im ſchönſten Frühlingswetter ausfahren, aber ich
traue mich noch nicht, wegen der Einreibungen, die doch noch
Flanell, Wärme, Ruhe und dgl. verlangen. Vielleicht laſſ’
ich mich den Abend hintragen, im Seſſel. Frau von Ephraim
war alle Tage bei mir. Habt ihr das Logis im Thiergarten?
Ich denke ja. — Ich bleibe, wenn nicht außerordentliche Fälle
kommen, für’s erſte hier. Auch werden die Herren nicht ſo
bald aufbrechen. Nach Töplitz allein, habe ich vierundfünfzig
Meilen. Und etablirter, als hier, bin ich ja vor der Hand
nirgend. Auch geb’ ich’s gar nicht auf, daß wir uns im Laufe
[275] des Sommers noch ſehen. Daran könnt ihr am beſten mei-
nen Muth, das heißt, mein Hoffen ſehen. Adieu, adieu!


Rahel.


An M. Th. Robert, in Berlin.



(Schon ganz ermüdet von Warten, Beſuchen, Geſchrei, und
Varnhagens Balgen mit meinem Kinde hier aus dem Hauſe.
Seit 7 wenigſtens will ich ſchon ſchreiben, ohne dazu kommen
zu können. Graf Löwenhjelm war unter andern auch hier.
Nun fängt der Brief erſt an.) Geſtern endlich erhielt ich ei-
nen Brief von Roſe, vom 20. März. Einen lieben Brief:
der ſie mir ganz aus der Seelen Winkel hervorrief, und die
ganze Sehnſucht, die man nur nach jüngern Geſchwiſtern
fühlt, denen man zur Hälfte Mutter war, und die man in
der Jugend, alſo halb verloren hat, weckte! Wo erhielt ich
dieſen Brief! Nachmittags 4 Uhr, im ſchönſten Sonnenſchein,
in Schönbrunn, mitten im botaniſchen Garten, der merkwür-
dig iſt
! wo ich mit Varnh. und dem Kinde grade war, und
wohin uns Dore nachkam auf einem Bauerwagen — Zeiſel-
wagen hier genannt, char-à-bancs; — dieſe meine Schwe-
ſterliebe, und Sehnſucht, und Erinnrung blieb nun die Farbe
meines ganzen Gemüthszuſtands für den Nachmittag: ich
dachte mir Antworten für ſie aus, Pläne, Wünſche, und war
wirklich über das, was mich umgab, mehr zerſtreut. Sorge
um ſie und Wehmuth über „das Unwiederbringliche“ ſtrich
18 *
[276] auch durch mein Gemüth; und doch war mir nicht übel, ſo
innerlich und ſtark bewegt zu ſein, als ich noch etwa ein paar
Stunden ſo zu Hauſe war, die Nacht über (des Schlafes un-
erachtet) ſo blieb, aber dieſen Morgen einen plötzlichen Ge-
müthswechſel erleben mußte, durch deinen Brief. Deinen
vom 28. März. Es thut mir unausſprechlich leid, jetzt nicht
zu Hauſe zu ſein! Und das diesmal nicht meintwegen, ſon-
dern deintwegen. Nicht, daß ich nicht weiß, daß, indem ich
dein Schreiben leſe, du ſchon zwanzigmal gefaßt biſt, und der
Sache, und der Überraſchung face machſt. Aber es iſt beſſer,
ſeine Trabanten in ſolcher Zeit, wo noch neunundneunzig
ſolche Momente kommen werden, um ſich zu haben: hundert-
mal eine Sache wiederholen zu können, jeden Einfall mit-
theilen zu können, jeden dummen Plan, Hoffnung, Beſorgniß,
Ärger, Ein- und Anſicht: und gewiß zu wiſſen, die kennen
mich, finden nichts dumm, das Kluge klug; und ſagen mir
auch jede Regung, jeden Einfall. Und man überlegt und lebt,
und zerſtreut ſich wirklich beſſer. Ich wußte, man würde ſich
da, wo man noch hofft, ſehr erſchrecken; und dieſe Spannung,
dies zu erwarten, hab’ ich ganz für mich ausgeſtanden. Aber,
in dieſer Zeit! geb ich zweihundert Thaler Kourant weg,
wenn ich dich jetzt auf zwei Tage hier haben könnte. Erſtlich,
iſt es der Feder nicht anzutrauen: zweitens, müßte man in
Details gehen, die ſie nicht leiſten kann, um Belag für den
Ausdruck der ſchärfſten Überzeugung mitzugeben: „So geht
es nicht.“ Das diſſoluteſte, auseinandergeſprengteſte, falſch-
fleißige, und ohne Beiſpiel müſſige Leben; wo einem jeden der
Geſichtspunkt fehlt, ja, und der vergeht, den er hatte: dabei
[277] will ſich keiner in der Tagesordnung ſeiner Vergnügungen
und Liebſchaften ſtören laſſen: und Importuns, impertinente
Fremdlinge, können ſich zu Geſchäften aufdringen. Jeder
denkt von jeder Sache, der Andere wird oder könne es ja wohl
machen, und was auch mißlingt, ſchiebt es wirklich jeder auf
Alle, und Alle auf jeden. Das kann nicht dauren; und wenn
es nicht mehr ſo halten wird, wird man fragen warum?
Ich prävenire dich mit dem größten Bedacht, damit dir der
Schlag nicht wie aus den Wolken kommt; und du auch
nicht denkſt, dieſer oder jener, oder dies oder jenes, habe es
hervorgelockt. Nein, es machen es Alle, weil ſie nichts
machen, und die unangewandten Kräfte und Bedürfniſſe
ſich auf eine Seite hinneigen werden, hingepreßt werden, wo
ſie das Schiff werden umſchlagen machen. Kein Warnen,
kein Ermahnen, kein zu verſtehen geben, hilft. Jeder ſieht’s
allenfalls für den Andern ſo an: ſich mag er aber doch
nicht ſtören, — in der dikaſteriſchen Hoffnung, ſein Tagesle-
ben wird doch wenigſtens ſo fort gehen. Um dir nichts Är-
geres zu ſagen, was noch Manche bewegen mag! Ich ſagte
auch heute zu Varnhagen: es iſt als ob jemand mit dem
Körper bis an die Füße zum Fenſter hinaus hinge, noch iſt
er nicht unten, ich ſehe es aber, er muß ſtürzen, er geht nicht
zurück. Er gab mir Recht. Ja, jeder, der nur irgend menſch-
lichen Kopf hat, und hier unterrichtet iſt, ſagt ganz daſſelbe
und nichts anders. Dies, lieber Ohme, muß ich dir ſchreiben,
weil ich zu geärgert bin, zu erfüllt davon! Doch aber könnt’
ich in einem Brief davon ſchweigen; wenn ich’s nicht für perfide
hielt, meine innerſte Meinung dir nicht mitzutheilen, die mir
[278] immer zur Kehle hinaus will: und wenn ich nicht in der That
dich vorbereiten wollte. Nicht allein wegen der Geſchäfte, ſon-
dern bei Gott! um dein Gemüth und deine Geſundheit,
die unerwartet zu erſchüttert werden möchte! So wie ich es
ſage, und wie ich es mir ausdenken kann, wird es nicht kom-
men. Sondern, denkt man ſich es heftig und plötzlich, kömmt es
allmählig; denkt man es ſich allmählig und geſchmeidiger, kommt
es unverhofft, wie der von Elba, und ſtört die Welt unter-
einander; anſtatt zu kommen, wie ich es mir dachte, wenn
die erſte Störung begonnen wäre. Das Alte, alte Ruhe, und
das, was man ſich ausdachte, darauf nur gleich verzichtet!
Unendliche Lügen und falſche Nachrichten wird man hören,
die ſich dann anders verhalten, und wieder einrichten: unend-
lich unerwartete Dinge werden täglich hervorbrechen. Und ich bin
ſo perplex als irgend Einer, und ſuche mich auch nur mit all
dieſem in meiner Seele, und gewiß vergeblich! vorzubereiten! —


— Übrigens ſei guten Muths! Auch dies kann wunder-
bar und gelinde abgehen: für kluge, ſtille, brave Leute, Dies,
und mehr Wunder noch hoffe ſogar ich! Neues iſt nicht.
Ludwig XVIII. iſt in Brügge. In Lille rieth man ihm weg-
zugehen, weil man die dreifarbige Kokarde aufſteckte. Man
ſagt, der Vieekönig Eugen ſei in ruſſiſchen Dienſten. Im
Prater fuhr er heute mit Millionen Menſchen und allen an-
dern Souverains umher. Auch die ſah ich nicht, weil ich zu
einer frühern Stunde mit Frau von Arnſtein fuhr; die ſehr
meiner Geſellſchaft bedarf. Sie iſt mehr als außer ſich über
dies Ereigniß. Ganz früh war die Ephraim bei mir, mich nur
zu bitten mitzufahren. Bis jetzt erhält dies meinen Muth
[279] noch, daß der Krieg noch nicht iſt, und daß ich ſo ſehr den
Andern nöthig, und wirklich tröſtlich bin. Varnhagens Gegen-
wart, und immer gleiche Anſicht des Totalzuſtandes unter-
ſtützt mich ſehr, meine Konvaleszenz, und mein Leichtſinn, den
der Frühling mir unwiderſtehlich einflößt. Nämlich, ich bin
noch zerſtreut über das Herannahende! Und zu viele Men-
ſchen glauben nicht an Krieg: obgleich wir Preußen uns dazu
tummlen, ohne abzureiſen! — Übrigens beziehe ich mich auch,
wie du auf deinen erſten, ſo auf meinen erſten Brief nach Na-
poleons Erſcheinung. Ich denke noch ſo, man muß die Fran-
zoſen nicht national machen. Und bin ganz überzeugt, es
gehen große Krümmungen in Frankreich los.


Ich bin froh, daß ich geſund bin, nämlich von dieſem
Übel ſo geſchwind frei. Ich fühle noch, daß ich’s hatte. Wenn
einem nun ſo etwas zukommt! Überhaupt. Wie von Glatt-
eis iſt das Leben. Glatt, kalt, unten Waſſer, im Waſſer Tod. —


Iſt denn Louis böſe mit mir? Dich lieber Hans grüße
ich recht ſehr! Ich denke an die Geſundheit, und dann iſt
alles „iſt mir ein Spiel, ein Scherz!“ Ich genieße den Früh-
ling! Thue dies ja! dies iſt gewiß Profit. Muntert Einer
den Andern auf zu Genuß; Genuß! Und anders kommt
alles. Du ſollſt ſehen es geht in Frankreich los, und dann
bleiben wir draußen. Treuer Moritz, ſchreibe! Erneſtine,
gehen Sie in die Luft, laſſen Sie ſich nicht toll machen!


[280]

An M. Th. Robert, in Berlin.



— Auch werden ſich die Menſchen wieder aus der erſten
nothwendigen stupeur erholen: reell iſt doch noch nichts ver-
loren, und die Meinung. die den Kredit macht, muß ſich wie-
der ausgleichen. Unendlich weh thun mir grade all die Mit-
telleute: und unſäglich A! Aber ich bitte euch, fahrt nur fort
mir immer alles zu ſchreiben. Man iſt weit ruhiger, wenn
man auch Unangenehmes hört, wenigſtens zu glauben, man
weiß alles, als nicht trauen zu dürfen, und mit ſeinen Ge-
danken, wie an der Roulette, nur hin und her zu rollen, und
zu ſchlagen; ohne in’s Unendliche noch beruhigt ſtill ſein zu
können. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Gott bedanken
ſoll, daß ihr nicht verwickelt ſeid. So iſt doch die alte häß-
liche hemmende Familienvorſicht zu ſolchen Zeiten gut! Ver-
ſäumt nur den Frühling nicht! und ſtärkt — jetzt doppelt —
Seele und Körper in der Luft. Es wird alles anders!
Hier iſt eine große Stagnation und Stille; die ich mir nie
für Politik, oder Richelieu’ſche Verſchwiegenheit aufbinden
laſſe. (Hr. Whitbread antwortete auf „er müſſe das nicht
au pied de la lettre nehmen“, — „Ich kenne die Miniſter zu
gut, um je etwas, was ſie ſagen, au pied de la lettre zu neh-
men.“) Es iſt Verlegenheit, oder irgend eine Verwicklung
dahinter. Verlegenheit, da man die Bourbons nicht wieder
anbieten will, oder kann, wie laut geſagt wird: und nun noch
keinen Titel und keine Art hat, mit den Franzoſen zu ſpre-
[281] chen, was ſie denn wollen. — Was ſagſt du zur Proklama-
tion von Sack (-grob)? Goethe hat Recht, der Name wirkt
ein. — In Italien war gegen Murat ſchon ein Vorpoſten-
gefecht. Man ſagt, auch dieſer Krieg wird nur eine Demon-
ſtration im Großen bleiben und eine Art Ableiter ſein. Doch
niemand weiß etwas ſchon Geſtaltetes. General Vincent, der
von Paris kommt, ſagt, man ſoll ſich keine Illuſion machen,
Napoleon habe zweimalhundertundzehntauſend Mann: An-
dere behaupten, das ſei unmöglich. In Truppenzahl traue
ich aber Napoleon nicht. Dieſes „nicht“ kann man deuten
wie man will; ich meine, er hat Truppen; wenn er ſie nicht
innen braucht. —


Alle Menſchen ſind ſo geſpannt und herunter: und ſo
unſäglich dumm. So lange Varnhagen noch da iſt, ich keine
Soldaten ſehe, geht’s mit mir noch an. Lebt wohl und
ſchreibt. — Geſtern aß ich ſehr gut bei der Arnſtein. Aber
kein anderes Wort, als den geſchimpft, Armee, Murat, Fran-
zoſen u. ſ. w. Mir ein Gräuel! —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Leſet nur die drei letzten Beobachter, die ich hier beilege,
und ihr werdet die Stagnation ſehen, in welcher die Geſchäfte
gefangen ſind. Mir ſcheint es ſo, ich bleibe dabei, man weiß
keinen Titel zu finden, unter welchem man die franzöſiſche
Nation bekriegen will, weil die Bourbons fehlen. Baiern aber
[282] auch marſchirt tüchtig; ſchreibt Tettenborn, der in München
iſt. Und es ſtrömt genug nach dem Rhein; iſt recht viel dort,
ſo wird es wohl überlaufen und man wird losſchlagen. Siehſt
du, Ohme, daß ich nicht ſo ſchlecht ſehe, wo es auf ſehen an-
kommt; vor einigen Poſttagen ſchrieb ich: „Wenn nur unſere
Truppen nicht agiren, ohne den Befehl dazu abzuwarten!“
und dies thun gar nun Civiliſten. Sack hat die ſchärfſten,
bündigſten, beſtimmteſten, drohendſten Verweiſe wegen ſeinen
Proklamationen bekommen: und gleich nachher, macht er neue!
— So iſt’s mit einer Sache. Ich erzähle aber dergleichen
nicht mehr. Dies glaubt man nur, wenn man es ſiehet. —


Deine Nachrichten ſind erfreulicher! — Ich muß immer
Oppoſitions-Nachrichten geben! Freilich wird der Grüne einen
harten verlegnen Stand haben: aber auf ſeinem letzten Loch
pfeift er noch nicht; Geld geben ihm die Meerkatzen, Frau
Rückenau, und eine Menge Verwandte und Kriegsgeſellen noch:
vor der Hand: auch iſt die Armee nicht ſo von der Nation
zu trennen. Man muß bedenken, woraus alle Armeen beſte-
hen. Doch werden ihm von innen die Tatzen diesmal gehal-
ten. Bricht aber ein entſchiedener großer Krieg aus, ſo haben
ſie ihn als Capitaine nöthig, und er gewinnt militairiſche
Macht. So muß ich ſagen, ſo ſehe ich, ſo denke ich: und ich
müßte mich imbeciler ſtellen; als ich bin, wenn ich anders
ſprechen ſollte. Ich überſehe nicht, vieler deutſcher Völker
Muth, nicht unſern beſonders, der ganz allein uns einen
Standpunkt in der Welt giebt, und wo auch wirklich die an-
dern hinſchauen; nicht die ganz andere Lage der Dinge, als
die in der Zeit des vorigen Kriegs, wo noch kein Franzoſe
[283] nach Frankreich gejagt war, kein Ruſſe und Deutſcher in ihrem
Lande. Sie das nicht kannten, wir das nicht wußten. Aber
ſchlimm, abſcheulich, daß wir jetzt nicht ein Volk ſind; wie
ſie. Die Sprache, das Sprechen allein, macht es nicht: man
muß wiſſen, daß man unter einer Regierung, unter denſelben
Geſetzen ſteht, und aus einer Kaſſe lebt; und, daß nicht
nach
Sieg und Krieg, der Bettelſtreit und die Gränz Einrich-
tung, und Mein und Dein wieder losgeht. So denk’ ich, es
mag auch kommen wie es will. Deutſchland iſt nur das
Deutſchland, wovon man jetzt ſpricht, wenn es unter Einem
Hut lebt. Dies allein macht Frankreich zu etwas, gegen
uns über. Hätte die katholiſche Maria Thereſia nicht unſern
Friedrich heirathen können? — Blüthen wären das jetzt, was
nun in Kanonen, Pulver und Wunden, und Gräuel aufgeht!
Alle Straßen wären gebaut, alle Haiden urbar. Mit Gott
kann der Menſch nicht denken: in den muß er ſich ergeben;
als Menſchen wiſſen wir, weiß ich, wäre der Gräuel nicht
nöthig. Wenn man längſt die Religion — welches doch
kommen wird, und zeitenweiſe, im Krieg, wo Noth iſt, ſchon
geſchieht — als ein innerliches Gewiſſensreich anſehen wird,
welches einen Andern gar nichts angeht. —


Hier iſt ein Staub, wovon ihr trotz der Berlinerei keine
Vorſtellung habt: dabei regnet es abſolut nicht! Vorgeſtern
fuhr ich vom Augarten nach dem Theater an der Wien, Ro-
chus Pumpernickel zum erſtenmal geſehen — ungefähr ſo weit
wie vom Königsthor nach dem Unterbaum, da ſah man die
entgegenkommenden Wagen nicht: und geſtern blieb ich wegen
Augenweh zu Hauſe. — Dabei Diné’s. Sie thun’s hier
[284] nicht anders. Morgen bei Bentheims Schweſter; — heute
fürcht’ ich mich ſchon. —


Schreibe nur immer! Ich höre gar zu gerne von euch
zu Hauſe! und wie dir iſt. Es freut mich ungeheuer, daß ihr
in den Thiergarten zieht; für’s erſte, nur gelebt! —


An M. Th. Robert, in Berlin.



Wie wandelt ſich denn alles ſo von einem Tage zum
andern, fragſt du! Wärſt du nur einen Tag hier! ſprächeſt
nur zehn bedeutende Leute aller Länder, und du würdeſt ſehen,
daß ein gehöriges Maß von Einſicht dazu gehört, einen kol-
lektiven Begriff von dieſen Wellen zu faſſen, und Geiſt, um
ſie endlich Meer zu nennen. Ja! es wandelt alles, weil nur
die geſammte Schwerkraft der Dinge langſam etwas ſchafft,
rückt und geſtaltet, denn nur ſie dringt durch ein Geſetz nach
einem Ziel; kein anderes herrſcht. So weit iſt es mit der
alten großen ſtehenden Lüge gekommen, daß keiner ein Allge-
meines mit ſeinen Augen erſieht, und jeder glaubt, in dieſem
ſchwindelnden Erblinden für ſeine Perſon, d. h. auch nur den
nächſten Augenblick, handeln zu können, alſo zu müſſen. Die
Häupter merken dumpf, daß ſie nur mit einer leeren Form
hanthieren, können aber das Weſen nicht finden, warum es
handelt, und welches in ſeinem ewigen Leben naturmäßig fort-
agirt. So hält ſich jeder an das ihm allernächſte, kleine oder
große Ereigniß, knüpft da ſeine Plane und Handlungen an,
[285] die ſich aber alle geſammt nach einem andern Punkte hinnei-
gend bewegen, der ein unſichtbarer iſt, und in deſſen Bahn die
Schwankungen in allen Richtungen gerade noch Raum haben.
Dies iſt das Schwanken, nach dem du fragſt, keiner hat
ganz Schuld, es iſt die alte Geſchichte, die ſich als Lüge von
ihrem Boden wegſchob, leben zu können wähnte: Lokale.
mechaniſche Wahrheit, Früchte des Daſeienden, nahm ihre
Stelle ein, und wird ſie weit weg drängen, als Dünger. In
dieſer Lüge umſtrickt waren auch wir geboren, und auch wir
leiden nach Maß unſerer Geſchichte, die wir im Entſtehn
gleich mitbilden müſſen, und im Maß unſerer Theilnahme
an der Lüge, zu der wir nicht Klarheit und Streitkraft genug
hatten, ſie zu bekämpfen. Mit „Wir“ meine ich: ich und du,
und keiner ausgenommen. Vielleicht der Einſiedler in
Reinerz. Es wundert mich nicht, daß es Menſchen giebt,
die den alten Weltſchaden für unheilbar anſehn, lachen, wenn
ſie nicht weinen müſſen, und zum Gebrauch nehmen, was
ihnen nur irgend ein Narr laſſen will, ſie irgend kriegen
können. Unheilbar iſt er für uns zeitliche Weſen, da er ſo
lange dauert. Iſt die Harmonie (und der Drang dazu) der
Gedanken eines Menſchen rege und ſtark genug, alles, was
in Auge und Ohr dringt, zu übertönen, ſo lebt er mehr innen,
und hat die Ewigkeit, die beſteht in Unabhängigkeit, und
nicht in Zeitenreihe. Dieſe zwei Welten bewegen dieſe Welt.
Man hat, was man iſt; was man iſt, hat man bekommen.
Frömmer kann man nicht ſein. Leiden thut man alles, denn
man leidet ſich ſelbſt.


[286]

An Moritz Robert, in Berlin.



Möritzken! du biſt ’n ehrlicher Kerl! Geſtern erhielt ich
zwei Briefe von dir vom 6. und 8., heute iſt Freitag und der
14. April: aber ich bin zu echauffirt nach Theodors Brief,
den du auch leſen mußt, um dir auch zu ſchreiben. Ich danke
dir, daß du mir den Schreck über den engländiſchen S. erſpa-
ren wollteſt. Es iſt der dritte Menſch, der an einer ſich ſelbſt
eingetrichterten Meinung ſtirbt, von meinen Bekannten. Fin-
kenſtein aus Ärger über die Franzoſen, aus denen er ſich gar
nichts machte. Prinz Louis im Kriege, aus dem er ſich auch
nichts machte; wie ihm der Haß gegen Napoleon unnatürlich
war. Marwitz, der auch gar nicht acharnirt war, und mir es
ſagte. Das wird die Nachwelt nicht glauben, auch ſehe ich
Geſchichte nicht dahin in’s Geſichte, wo es die meiſten ſetzen,
da hat ſie’s nicht. Der Brief war mir ſehr wichtig und unter-
haltend. In dieſer Zeit, aus Antwerpen. Wenn dich nur
deine Laune nicht verläßt! ſchmeichle ihr ja! Erneſtinen und
Babetten danke ich! Ich liebe ſolche Details, Babettchen, wie
Sie mir geben! wie können Sie mich gelehrt nennen? haben
Sie denn den Fiſch und den Salat ſchon vergeſſen, den wir
mit Tieck in Eintracht verzehrten? bin ich nicht immer un-
ſchuldig und gut geweſen? führe ich mich nicht wie ein Kind
bei Joſty auf? iſt meine Chokolade nicht gut? warum ſchim-
pfen Sie mich? was habt ihr denn für Hüte? ich noch mei-
nen aus Berlin, außer einem von blauem Levantine, den
[287] Moritz kennt, mit zwei weißen Roſen und zwei Knoſpen.
Varnhagen ſchickt nach dem Briefe, und grüßt als treuer
Schwager. Bald könnt ihr ihn ausfragen. Wo bleiben Sie
den Sommer, Erneſtinchen? Erinnert bongue bongue an mich.
Künftig mehr.

R.


An Varnhagen, in Berlin.



So müde ich auch bin, ſo ſoll doch dieſer Tag nicht hin-
gehen, ohne daß ich etwas für dich aufſchreibe, herzgeliebter
Freund, an den ich ſo viel denke. Eben geht Wieſel weg:
der mir treu Geſellſchaft leiſten wollte; und mir unendlich viel
vordozirte; aber alles ſehr gut gemeint, alſo nahm ich’s wie-
der ſehr gut auf. Mit ihm, Dore und Katti war ich zu Wa-
gen im Augarten, dann zu Fuß in der Brigitten-Au bis im
Jägerhaus, wo wir keinen Kaffee bekamen; weil kein Schmet-
ten da war, und ſo gingen wir den weiten Weg, bis hierher;
weil wir auch keinen Fiaker trafen. Gott! welch ein Abend!
Mit Mondesſichel, Auroraluft, violetten Bergen, lachenden
Häuſern, Baumespracht; Venusſternen. An dich dacht’ ich:
an wen du denkſt wußt’ ich. Die Kühlung grüßt’ ich, ihr
dankt’ ich für dich! Und ſehnender, vernichteter ging ich ein-
her, als ich es nur irgend vorher ſah! Wie ein ausgenom-
menes Neſt iſt es mir im Herzen, und doch ſo feſt zwiſchen den
Rippen. Doch ſei getroſt. Deine Liebe zieht meine ſo aus
dem Herzen dir nach; und es iſt ein Glück, das ſollſt du
[288] fühlen, und ich fühle es auch! Theurer, geliebter, treuer
Freund! Du ſollſt es nicht bereuen. Liebe nur! — oder
liebe nicht; ich ſtehe dir immer zur Seite, (das heißt, ich werde
dir in allen Fällen zur Seite ſtehen). — Noch fährſt du! die
Nacht iſt gut; ſei ſie dir gnädig, mit Sicherheit; und Ruhe
in der Seele! — Als du weg warſt, wollt’ ich mich ſehr
ängſtigen: ich legte mich hin: ſchlief einen Augenblick ein, er-
wachte eifrig, und wie im Schreck: zog mich an, und da Jo-
hann immer nicht kam, wollte ich noch Einmal zu dir, als ich
aber eben fertig wurde, kam doch Johann. — Ich grüße
dich!!! Möge Gott dich ſegnen auf Schritt und Tritt: ich
weine dazu! Aber wir wollen uns nicht weich machen. Und
lieber froh ſein, daß wir uns haben!!! — Schlaf wohl! ein-
zig geliebter, treuer Freund, ich ſehe dir in die Augen, bitte
Gott für dich! Adieu, adieu! für heute; habe die beſte
Nacht! —



Wenn du mich jetzt ſehen ſollteſt! Du ſchalteſt mich
ſchon, daß ich ohne Intereſſe lebe. Nun weiß ich gar nicht,
was ich machen ſoll. Aber das wird ſich geben! Du fehlſt
mir nur ſo plötzlich; und es bezog ſich hier alles auf dich.
Schon geſtern war Wien wie ausgekehrt. Ich war dieſen
Vormittag, nachdem ich angezogen war, der Hitze wegen in
deinem Zimmer und las. Es iſt ganz aufgeräumt, das Bette
gemacht. O! wie wüſt! wirklich todt ſieht ſo etwas aus!
doch blieb ich drin, und war ruhig; und las ſehr Schönes
von Saint-Martin. Gott was kann der Menſch alles den-
ken, in ſeinem beengten Kreiſe! das iſt unendlich, die Kom-
bina-
[289] binationen, die ihm da erlaubt ſind; dieſe Enge grade der
Witz, wo er als Feder, die heraus will, thätig gemacht iſt.
Und wie hohl und nichts in ſich begreifend iſt dieſer Vergleich
wieder: wie fällt die todte Feder als kalter unbekannter zur
unverſtändlichen Ruhe gefallener Stahl hin! — nimmt man
ſie da hinaus. Was hat der Menſch für ſchöne reiche Ein-
fälle, die als Wunder in ſeine Seele fallen, und in andern
Seelen auch leben, weiter leben, und beleben. Was vermag
man alles zu denken: was fällt einem alles nicht ein! Da-
rum fürcht’ ich mich auch vor einem Uhrwerk, und ſeinem Zif-
ferblatt.


Es wurde mir doch ein bischen zu kühl, und da ging ich
wieder vor, um zu leſen, da lief mir gleich Katti nach, mit
allen ihren Mucken, Kareſſen, Prätenſionen und Geplaudere.
Sie ſagte unter andern: Nun iſt die [Frau]allein!! nun
kann ßie nit ſpüllen! Dann kam Dore, und rief ihr zu:
der Herr iſt hinten; ſie möchte hinter gehen. Sie glaubte es
nicht: und ſagte auch nein: aber ſie war doch ganz verwirrt
von freudigem Schreck; und ſchrie und lief zaudrend, und
ſagte trotzig, und hoffend, ſie wolle Joohann fragen, der würde
es ihr ſchon ſagen. Ich war hinten doch ganz ruhig! du
fährſt ja unter günſtigen Umſtänden; und ſeit ich gehört habe,
ihr habt Kirſchen, Orangen, Punſch, Wein, alles bei euch, in
dem ganzen Wagen, bin ich ganz ruhig. Auch geht eine fri-
ſche kühlende Luft, und gegen die Sonne biſt du geſchützt.
Die Nacht war etwas dunkel. Du biſt ja aber ſo viel ſchon
gereiſt, und haſt zwei Kriege überſtanden, und Gefahr iſt al-
lerwärts, und allemal, alſo ſind das nur Redensarten der Ge-
II. 19
[290] danken, Thätigkeiten der Liebe. Fürchte nur nicht, daß ich
mein Leben mit Schreiben zubringen werde: du wirſt wohl
noch oft über’s Gegentheil jammern: jetzt aber kann ich’s grade
gut; es erlaubens die Zeit und die Nerven: und wenigſtens
zu erſt, ſollſt du noch alles wiſſen; du denkſt ja auch beſtän-
dig an mich, weiß ich. Liebe Guſte, frage doch Nettchen, ob
ſie nicht, Gott behüte und bewahre! die zehn Paar Schuh, die
ſie mir bei Schmidt beſtellen ſollte, hierher geſchickt hat; denn
ich habe nichts erhalten! Und erkundige dich ja nach Line,
und wie es ihr geht, und was ſie zu verzehren hat; und
ſchenke ihr etwas. Sie war ſo lange, und ſo jung, und ſo
in meiner Noth bei mir, daß dies ein Glück für ſie ſein ſoll,
will Gott haben; und es muß ihr auch gut gehen, wenn es
mir gut geht. Auf meine Heirath hoffte ſie! Und ſie hat
doch viel mit mir ausgehalten; ſonſt war ich ungeſtüm, und
jung, und ohne die jetzige Schonung. Dies alles ſage ich,
weil ich’s von der Seele los ſein will: du bedarfſt nur ein
Wort. — Adieu, liebe Guſte! du ſollſt mal ſehen, wie ſchön
wir uns wiederſehen! Ich ſehe dich an, als wärſt du da!
Ach wie lange dauert’s, eh du dieſen Brief kriegſt! —



Nun war ich wieder mit Wieſel und Johann bei den
Sattlern umher, von 6 Uhr an. — Dann ging ich über die
Glaris mit W. nach der Baſtei, wo wir uns die Leute beſa-
hen, ruhig in Mond- und Laternenſchein ſaßen, zu Hauſe
gingen Kaffee trinken, und als das geſchehen war, und ich
etwas Gutes über Burgsdorf und über das Lügen geſagt hatte,
[291] beſchloß ich die séance mit einem: je ne dirai pas mieux de la
soirée,
und er ging. Ich ſagte nämlich, man könne ſo viel
lügen, als man wolle, nur ſich ſelbſt nichts vorlügen u. dgl.
Nun weißt du’s! —


Aus einem Tagebuch.



Wunderſchönes Wetter: nicht zu heiß, und nicht zu kühl,
ſehr erfriſchend. Ich nahm um 11 Uhr mein erſtes Bad: es
that mir ſehr wohl; ich befand mich den ganzen Tag beſſer,
und huſtete nur äußerſt wenig. Nach dem Eſſen und der
siesta fuhren wir nach dem Schloß der Frau von B. Eine
Götterfahrt! in einem weiten Thale, den Schneeberg mit ſei-
nen Brüdern immer zur Rechten, links ein weites Thal, mit
entfernten Bergen, das ganze Spiel der heitern, nicht bren-
nenden Sonne, kurz, ein ſo poſitiv ſchönes, wohlthuendes Wet-
ter, wie es nur vor einem Regentag iſt; wir ſahen die Frau
von B. nicht, aber ihre Kinder im herrlichen Garten, der
ringsum weit ſehen kann, mit ſeinem guten Schatten, ſchönen
Bäumen, vielen Roſen, Feigen, Blumen und ſeinem Schloſſe;
frei und ſicher daliegt; vorher ein rechter Edelhof mit Schafen
die Menge, Pächtersleuten, und Zugbrücke; zum vertraulich-
ſten Nachbar der Schneeberg, im breiten Thal in gehöriger
Entfernung: ſchöne Sitze, und heimathlicher Aufenthalt. Die
Fahrt zurück war auch gut; Baden groß genug, mit Gebäu-
den, Kaffeehäuſern, Fiakern u. dgl. gut verſehen. Die Spa-
19 *
[292] zirgänger fleißig. Der Abend wie gewünſcht; der Mond ſah
hinein, und tröſtete und erhellte auch noch! Den Abend tran-
ken wir Kaffee, und Mad. de Prie war da, rechte gute Unter-
haltung, wir ſpeiſten auch noch munter; und nach Tiſch ging
ich mit Frau von Münk im Park; ſolchen goldigen, Geſund-
heit ausſtrömenden Mondabend ſchenkt das Jahr nur ſelten!!
Himmel, Gänge, Häuſer, Laub, alles war ſo zufrieden, daß
es wieder wohlthat, und glänzende, helle Ruhe ſpendete; ohne
Geräuſch und Tageshitze. Ich regrettirte heftig die Lieben!
und ſeufzte nach Heimath; doch genoß ich’s ganz; den Au-
genblick, mit großem Bewußtſein. Der Himmel ließ wirklich
Geſundheit herab; ich dachte nicht daran, aber heute, den
Tag nachher, iſt richtig der Himmel bewölkt, nämlich ganz
grau. In unſern Gegenden iſt das ſo: in Berlin auch. Ich
ſchlief gut bis 8. Wenn mir doch alle Bäder ſo bekämen!
Ich war lange krank. — —



Gebadet; nachher etwas in den Park mit Frau von Ephr.
Nach Tiſche nach dem göttlichen, zu wenig berühmten Hele-
nenthal. Durch lauter bebaute, äußerſt angenehme Garten-
anlagen, Landbeſitzungen, Oſterien, und Dorfhäuſer, kein wü-
ſter Fleck bis hin: das ganze nahgelegen, dem kleinen Bach-
ſtrom entlang, Felſen zur Linken; gegen Abend zu. Wir
fuhren in zwei Wagen. Frau von Arnſtein nahm einen Mann
mit einem Dudelſack, der im Thale vor ihr auf dem Steinen-
Steg vorſchritt. Beſäet waren die ſchönen bequemen Gänge
aufwärts und im Ebenen mit artigen bunten Spazirgängern
[293] deren Wagen an einem Einbug des Waſſers und Felſens
hielten. Heerden gingen unter der Brücke durch den ſteinigen
Fluß, Ziegen klimmten oben auf den Höhen, die Sonne
flammte, dunkel und hell über Baumlaub, Sträuchern, Gras,
Felſen, Berge. Mädchen ſangen komiſche Lieder zu Harfen.
Frau von Ephr. war außer ſich, mich das alles ſehen zu laſ-
ſen. Ich ging etwas. Wir fuhren nach Hauſe; gingen noch
in den Park im ſchönen Mond. Ich erhielt einen Brief von
Auguſt. —



Sehr ſchwüles Wetter. Es kam ein ſtarkes Gewitter mit
beſonders heftigem Regen. Herzog Serra-Capriola von Nea-
pel angekommen. Er war natürlich, und unterhaltend von
ſeiner Reiſe. Als die Sonne unterging, wurde es ſehr win-
dig; zur Nacht kam noch heftigerer Wind. Dieſen Tag machte
ich die Bemerkung: daß, wenn man jemand heftig tadelt, alle
ſeine Fehler, und ſein ganzes Unrecht eingeſteht; und nach ei-
nem ſolchen noch ſo harten Geſtändniß ſagt: ich liebe ihn
doch! — ſo liebt man ihn wirklich: und er verdient’s, weil
er es zuwege bringt. Fängt man aber etwa ſo an: Ich bin
doch F. ſehr gut, oder: ich bete doch die M. an, aber das
muß ich von ihm ſagen, oder: dieſen Fehler hat ſie: ſo iſt es
ausgemacht, daß dieſe Perſon nicht zugiebt, daß man ſie liebt,
man mag es verhehlen oder beſchönigen wollen, wie man will;
und man hat wieder Recht, nur nicht im Abläugnen gegen
ſich ſelbſt. Frau von L. wohnt ſehr hübſch und []doch mit
einer ländlichen Ausſicht: ſie hat ihren alten Vater bei ſich.
Mama wohnte nie auf dem Lande: ich wünſchte ſie noch.


[294]

Kaltes windiges Wetter mit Regenſchauer. Gebadet, nicht
beſonders befunden. Von unſerm Vorpoſtengefecht gehört. Ich
faßte den Gedanken, daß wieder Krieg ſein ſoll, nicht, war
ſchrecklich ergriffen und verdutzt. — Wir gingen Simſon ſehen
in’s Theater. Man gab es nicht ſchlecht. Das Sujet drang
tiefer in meine Seele, machte mich reger, als irgend etwas
hier in den ganzen neun Tagen. Es war mir lieb. Baden
hat von den Bädern, die ich kenne, das beſte Theater: auch
der Saal iſt ſchön, das Publikum vornehm.



Gräßliches Wetter. Diner mit Kalenberg, Herzog Serra-
Capriola und dem Spanier Labrador, den ſie zu ſehr fètiren.
Er iſt wie viele Südländer, wenn ſie etwas geſcheidt ſind:
das kennen ſie nicht. Der Andre iſt beſſer und einfacher. Wir
fuhren nach St. Helena in einem wahren Sturmwind, ich
meinte, es würde ſchneen. Wir trafen ganz Wien in Helena,
im Thale war es beſſer. Wir fuhren nach; Gräfin Dietrich-
ſtein, Frau von Mink und ich gingen in Johann von Wie-
ſelburg, eine komiſche Oper, Jean de Paris traveſtirt. Gut
gegeben. Elegantes Publikum. Als wir nach Hauſe kamen,
war die Nachricht von Blüchers und Wellingtons Schlacht
da. Gottlob, daß es nicht das Gegentheil iſt! Aber wie ſchreck-
lich in unwillkürlichen halb gelogenen Zuſtänden, die mir jede
Faſer erſchütterten, fühlte ich den ganzen vorigen Krieg. Und
vermißte dich ſehr. Marquiſe Prie, Graf Keller, Alle blieben
zu Tiſch. Tauſend Beſuche kamen und gingen, die Freude
[295] zu bringen. Was wird ſie bringen? Ich ſchlief nicht; der
Abend war hübſch. Ich aber nicht.


An Varnhagen, in Berlin.



Geſtern, als wir aus dem Helenenthal nach Hauſe kamen,
fand ich deinen lieben, liebenden Brief aus Prag vom Don-
nerstag. Freitag bin ich hierher gezogen, Freitag warſt du in
Töplitz. Du dachteſt bei allem an mich. Ich geſtern, in dem
barocken und doch wohnigen Felsthal, mit allen ſeinen Augen-
ſpielen, an dich! O! eine ſolche Wohnung, wie es da ganz
ſtädtiſch und bequem giebt, in Ruhe und Beſchäftigung, muß
eine Seligkeit ſein. Doch bin ich ſehr zufrieden, dies alles
hier auf ſo eine heitere bequeme Art zu genießen. — Wir
gingen gleich nach dem Ankommen in den Götterſtegen umher,
wo viele Leute waren, Ziegen klimmten, Hornvieh durch Stein-
bäche ſchritt, Dudelſäcke ſpielten, Sängerinnen zu Harfen jo-
delten, Griechen umherzogen; dicht am Bach, der die Berge
zum Thale trennt, tranken wir in einem Wirthshauſe Kaffee,
Ich ſah nur die Gegenſtände. Die Geſellſchaft gut und un-
befangen, und ihre ganze Prätenſion nur an das Thal. Die
Damen außer ſich, mir die Schönheiten zu zeigen! Frau von
Arnſtein noch tauſendmal beſſer, als in der Stadt; auch nicht
der entfernteſte Gedanke von Prätenſion an ihre hausgenöſſi-
ſchen Gäſte, die die völligſte Freiheit und nur das Gute ge-
nießen, was das bequeme Haus mit ſich bringt mit ſeinen
[296] zahlreichen Dienern und Pferden. Sie wollen hier nichts,
als ſich und die Gäſte unterhalten ohne Ängſtlichkeit. Die
ſchöne Gebirgspromenade vor der Thür, wo wir auch noch
bis zum Souper — kommode gemacht — im Mond uns er-
friſchten. Jettchen, Mariane, Frau von Münk und ich. Frau
von Ephraim thut alles Mögliche mir zu Gefallen. Jettchen,
Mariane, ſind eben ſo viele Freundinnen. Ich habe Bücher
für Alle; es exiſtirt ein Papiertauſch, ein Bonmotstauſch; man
erzählt ſich die ernſtern Anliegen, mit Einem Wort, das beſte
angenehmſte Vernehmen. Arnſtein ſelbſt iſt munter, artig,
und ſehr gut zu leben. Meine zwei Bäder — unſchädlich
ſei das Rühmen!! — haben meinem Huſten ſehr wohlgethan.
— Ja, Guſte, ich habe große, viel Urſach zufrieden zu ſein.
Von ſeinem Gemahl ſolche Liebesbriefe zu bekommen, die
einen ſo bewegen, denen man ſo mit der beſten Sehnſucht aus
ungetrübtem Herzen danken und erwiedren kann, iſt wohl ein
Glück zum Knieen; Knieen, wie Taſſo, der ſie verdient, und
doch nur als Gnade ſich die ſeltene Krone aufſetzen läßt. Die
Krone, die eigentlich nur erforderliche Bekleidung, nöthige Be-
deckung, ja eigentliche Vollendung jedes richtigen geſunden
Hauptes ſein müßte, ſein können ſollte, und nicht iſt, ſo ſelten
iſt, und ſeltener, als die paar Königskronen! Ich nehme es
ganz in mir auf; die Himmelsſendung! So nahm ich auch
das Unglück hin; als reines Unglück; ganz geſchmeckt: nicht
geheimlicht noch entſtellt, oder verſtellt; oder mit ſchiefer Hel-
denkraft. Ich drückt’ es an mein Herz, in mein Herz; und
verzehrte es. Aus der unverſtändlichen Welt, hinaus ſollte
es: es brach an meiner Perſon, an meiner Bruſt, ich nahm
[297] es in das Blut meiner Seele auf: weg iſt es von der Erde,
aus der Welt; und mußte noch zum Guten dienen. Gott
ich dank dir! für dieſe Erhellung, für dieſe Meinung, nach
dem unleidlichen Schmerz, nach dem Verſchmachten beim Ver-
ſagen. — Ich war wieder unverhofft in dem göttlichen Hele-
nenthal. Vera’s reiſen morgen nach Rom — er läßt ſich dir
empfehlen —, die kamen hier Abſchied nehmen, und da ward
ihnen dies noch geſchwind gezeigt. Ein ſchöneres ſpazireinge-
richtetes Thal ſah ich nie. Es iſt göttlich, mehr als man
davon ſagt. Gott wie iſt es ſchön hier, und wie denk’ ich an
dich und die ältſte Schwägerin! Sag’ es ihr. —


An Varnhagen, in Berlin.



Vorvorgeſtern erhielten wir hier die Nachricht des erſten
Gefechtes, wo wir, Zieten, zurückgedrängt wurden: ich bin kein
Narr mehr, und weiß was das heißt. Wie Adam vom Tod
hörte, muß ihm ſo Muthe geweſen ſein, als mir. Ich wußte
nicht, daß es Krieg gab, denn ich glaubte, es bliebe Friede;
noch. Der ganze vorige Krieg ſtand auf den Beinen in mir
auf. Kurz, ich bin geſund, fahre aus, eſſe. Genug von mir
Magd, Nichts!!! … Vorgeſtern Abend erfuhren wir hier
von unſerm Sieg. Damit ihr wiſſet, wie man’s hier weiß,
ſchicke ich das Extrablatt: und ſo ſteht’s eben in dem geſtri-
gen Beobachter. Noch rühmlicher für die Preußen in der
Wiener Zeitung. Alle hier loben uns ſehr. Blücher ſelbſt
[298] ſchrieb gleich nach der Schlacht, es zittern ihm alle Glieder!
Freut ihr euch? — Bei dieſer Frage wein’ ich, Gott! dies
wieder
! Und die Erſchütterung: der Dank! Ach wie hart
waren wir dran. Was[gewinnen] wir? Wo iſt er: was
wird er nun beginnen, wen anfallen? Schreibe mir jeder,
der’s erfahren kann
, ob Williſen lebt. Er war Adjutant
bei Hünerbein. — Bis hieher ſchrieb ich, als ich zum Bade
mußte. Nun iſt alles möglich, nun kann alles kommen: hofft
auf alles: ich habe geſchwommen. Das Bad iſt nämlich
ein großer Saal voll Waſſer, wo mir das Waſſer über den
Kopf geht. Nach uns hatten die Prinzeſſinnen von Kurland
ihre Stunde, heute ließen ſie uns um unſere bitten, und es
kam ſo, daß wir mit der Herzogin Sagan zuſammen bade-
ten. Sie freute ſich ſehr mich wiederzuſehen — von vor acht-
zehn Jahren in Töplitz, oder ſechszehn, — ſie ſchwimmt excel-
lent, und ſo redete ſie mir ſo lange zu, bis ich mich von ihr
ſchwimmend herumtragen ließ; mit einer großen Blaſe, die einen
ſehr angenehm trägt. Es iſt ein großes Vergnügen. Nun wird
ſie immer früher kommen: und wir ſchwimmen. Sie iſt ſehr
ſchön, und ich amüſire mich ſehr. Auch erfährt man alle
Neuigkeiten. Sie wird uns gleich Blüchers Brief ſchicken.
Auguſt! wenn das Gentz wüßte! Dies war ſeine größte ter-
reur
in Prag. Der immer dachte, er müßte mich vor lauter
Verläugnen in die Erde ſtecken, vor dem Verſcheiden, bloß
wegen Herzogin Sagan. —



— Heute muß ich die Herzogin allein laſſen; ſie verſprach
mir geſtern, früh zu kommen. Es würde mir großes Vergnü-
[299] gen machen, mit ihr zu baden, weil ich ſie von Kindheit an
perſönlich ſehr liebe; und ſie mich ſchwimmen lehrt, welches
ein göttliches Vergnügen iſt. Nun kann ich die Bäder nicht
ertragen: — alſo kann ich das Vergnügen auch nicht haben.
(Aber welches andere hab’ ich!) Dies alles war Datum.
Nun kommt von meinem Glück, und Vergnügen! Geſtern
erhielt ich deinen erſten Brief aus Berlin. — Ich ſchäme mich
vor Gott, Auguſt, ſolche Briefe zu bekommen. Es freut ſich
unſer Herz, und unſere Seele, wenn wir erkannt, anerkannt,
und geliebt werden: aber ſo Großes verdien’ ich nicht. Wenn
du mich recht lieb haſt, ſo habe ich lange mein Theil; du
liebſt was du ſchätzeſt, Wahrheit, Natur; Unſchuld im Sehen,
Streben, und Meinen; und einige urſprüngliche Gaben; und
meine Geſchichte, denn das ſind wir ſelbſt. Aber ſo ſehr, herz
geliebter Freund, mußt du mich nicht beſchämen! dich liebt’
ich in dem Brief, und in dem Lob und Ruhm. Dich. Einen,
der ſo etwas in ſeine Seele ſchließen kann, in ſein Herz kann
übergehen laſſen, in ſein Daſein aufnehmen kann. Du weißt
warum, und wie ich dich liebe, du haſt es mir ſelbſt geſchrie-
ben: und beſſer will ich von ſolchen Briefen werden. Ich
bin nicht von ſchlechtem Teige; mich bringt ſolch Lob zu mir
ſelbſt; führt mich zur Unterſuchung, meines Werthes; und
dem, was ich leiſten kann, und macht mich wirklich beſſer,
weil es mich aufmerkſam, rege, und fleißig macht: allert in
vormaliger Sprache. Ganz über allen Ausdruck freut es mich,
daß ich dir nach unſerer Verheirathung güter ſein kann, als
vorher. Sonſt konnt’ ich doch noch vergnügt in dem Ge-
danken, mit einem Plane ſein, der mich von dir entfernt ge-
[300] halten hätte. Jetzt nicht mehr. Zu beſtimmt war unſer Zu-
ſammenſein, zu gut das Leben mit einander; zu groß dein
Verluſt; und alſo der meinige: zu allgemein und tief und
lange unſere Mittheilungen; zu groß die Erlaubniß dazu,
und die Sicherheit darin; und der Beſchluß der Seele. Du
verſtehſt mich. Ich bin wie verloren: ohne wahre Mitthei-
lung; es ſieht keiner die Dinge hier wie wir. Meine Weiber
ſind recht gut; aber bei weitem nicht bei mir. — Ich höre
alle Tage Graf Keller, General *, Fürſt * *, und die ganze
Welt ſprechen. Die gehen von Punkten aus, wo ich nie hin-
komme. — Ich kenne alles von zu Hauſe: und regrettire es
nicht: regrettire nur, daß dies zu Hauſe iſt. Ich kenne
alles aus jenem Kreiſe, von dem du mir ſchreibſt: nur, daß
ſie ſich ſo gar nichts aus mir machen, rückt ſich mir immer
aus den Seelenaugen. Weil ſie wahrhaft von mir genährt
ſind, und ich es ſo gut, als ſie, vergeſſe; und weil eben dann,
Äußerungen, aus dieſem Lande, Früchte dieſes Erdreichs, wie
von ſelbſt, eine Verſchwendung von Liebe vorausſetzen, wie
mit ſich bringen; und ſo täuſch’ ich mich, glücklich und be-
lohnt, meiſt ſelbſt: und wenn ich mich nicht täuſche, ſeh’ ich’s
ein; und da mag der Teufel nicht vergeben. So ſoll es ſein.
Was wir ſind, wiſſen wir nicht: wie wir ſind, iſt uns gege-
ben; wären wir nicht gut, zum Guten, ſo müßten wir uns
ſo machen; die Hölle iſt ganz überflüſſig. — Du ſprichſt ſehr
ſchön von Menſchen, und Naturſchickſal! bei mir iſt kein Wort
verloren. — Gehörig empört kann ich auch ſein; das weißt
du: beſonders wenn mir die Elendigkeit grade ſchadet, und
eine große Rolle ſpielt. — Katti habe ich ſeit Wien nicht ge-
[301] ſehen; das Haus iſt ſo voll, daß ich ſie nur werde kommen
laſſen, wenn Arnſteins wieder auf dem Garten wohnen. —



Eine Sündfluth von Regen; auch heute bade ich nicht.
Geſtern Abend von 8 bis bald 9 ging ich, als nur eine Art
Pauſe im Wetter war, mit Frau von Ephraim, und Johann,
ſpaziren, wo wir die Berge und weiten Ausſichten in den
großartigſten Himmel gehüllt ſahen: Wolken waren es gar
nicht mehr; es war wärmlich, und ſah aus, wie ein ferner
künftiger Winter, den einem der Sommer zeigt; dunkler, als
es die Jahres- und Tageszeit mit ſich bringt, vor lauter Waſ-
ſerfülle; denn, dieſe war’s, die geſtern noch in den tauſendfach-
grauen Wolken die heutigen Güſſe enthielt. Wir gingen auf
den Bergpfaden, die wir mit Bartholdy beſuchten: du weißt,
wie weit und ſchön man da ſieht. Wie wünſcht’, und ver-
mißt’ ich dich. Ich denke immer, ich gebe dir ab, was ich
kann; wenn ich recht an dich denke. Du gönnſt es mir. So
bald es der Krieg erlaubt, komme ich nach Frankfurt: ſpiolire
— Spioliren kommt von Spekuliren und Spioniren — nur
auf ein Quartiet. Miethe es aber nur nicht! verſchwenderi-
ſcher Liebhaber! Wenn wir doch erſt eine fernere Nachricht,
einen preußiſchen Bericht hätten, über unſern Verluſt! — Ich
ſpreche viel mit der S. nicht zu ihrem Schaden. Sie hat es
gern; und liebt Wahrheit: iſt aber auf einem Fuß mit ihr,
wie ich mit ſchönen großen Thieren. Ich tadle ſie nicht.
Sie hat Gutes und Schönes. Adieu. —


[302]

An Varnhagen, in Frankfurt a. M.



Die Sonne ſcheint bald, bald nicht, nach Sündfluthen.
Geſtern Abends kam ich mit Auguſten und Frau von M.,
einem Engländer und Franzoſen und anderer Geſellſchaft von
Rauneck, einem hohen Berge mit Ruinen, wo ein eckiger
Thurm ſteht, den ich noch obenein durch viele Treppen beſtieg.
Göttliches ſah man oben. Ringsum ins Unabſehbare, Hori-
zont hinter Horizont; das unglaublichſte Lichterſpiel, von
Dunkel und Hell, auf Kornfeldern, der Schwächat, die wie
ein Thier das Thal bekroch, und ſich wand, auf Dörfern und
Beſitzungen ohne Zahl, auf dunkeln, eigenſinnigen Bergen.
Schafe weideten, Holz wurde gefällt in den Bergwäldern,
und lag reinlich, todt und duftend da; auch einen Gewitter-
ſchlag hörten wir, aus einer zum Platzen verdrießlichen, dun-
keln, ſich ſenkenden Wolke. In manchem Thalfleck im Ge-
birge war’s ſo ſtill, daß man nichts, und nur Vögel hörte;
denn auch wir, all die Nationen, ſchwiegen auch. Es war
ein Sonnentag nach langem Regen. Nicht feucht; junges
Wetter, herrlich! Ohne dich. Ich empfand es, dacht’ es im-
merwährend. Auch an Marwitz dacht’ ich: und will immer,
wenn ich nur kann, wann ich das Freie ſehe, das er ſo ſehr
liebte, ſo ſehr verſtand, ſeinen Namen, zum Zeichen, daß wir
ihn miſſen, immer nicht vergeſſen, daß er nicht todt ſein
ſoll
, aufſchreiben (wieder ein Platzregen), wohin ich nur
kann. Ein Moment war unbeſchreiblich; als wir von unſerer
[303] Ruine ſo ziemlich ins Thal hinabgeſtiegen waren, wo es nicht
groß und nicht klein war, ſchien die Sonne nicht mehr; nur
auf einer uns gegenüberragenden andern Ruine, die durch
Optik ganz im Kreiſe unſers nicht beſchienenen Thales ein-
geringt war: es war der Abend ſelbſt. Unſchuldig, verhält-
nißlos, unperſönlich, ungekränkt, ohne Forderung, paradieſiſch,
ohne Unfall: ganz ſtill athmete er ſelbſt, Glück ein, Glück aus,
ohne Zukunft, er war da, befreit, in Glück. Da war’s, wo
wir Alle ganz ſchwiegen. Könnt’ ich Silbenmaß finden, wie
ich einſehe, fühle und Worte finde, ſo machte ich hieraus ein
bleibendes Gedicht. Als ich nach Hauſe kam, nur in die
Hausthür, gab man mir deinen Brief.


An Varnhagen, in Frankfurt a. M.



Es regnet nicht unangenehm. Geſtern war ein holdſeliges
Wetter: Mariane ging zum erſtenmal wieder mit uns zu Fuß
aus: nach dem Schlößchen, wo wir mit Bartholdy waren,
wo Gentz gewohnt hatte. Aber einen Götterweg, einen ande-
ren! Das Wetter, die Bäume, der Himmel, die Wolken,
alles winkte nur ſo! Ich grüßte es alles wieder. Schnitter
waren im Felde. Durch die herrliche Mühle, mit dem Hof
und dem Nußbaum gingen wir. Ich dachte an uns. Aber
ich war vergnügt, und erheiterte Alle. Der Franzos und Mar-
quis Marialva waren mit uns; die Münk, Jettchen, Mariane
und ich; morgen reiſt der Marquis, Metternich hat verboten
[304] Päſſe nach dem Hauptquartier zu geben, er reiſt alſo erſt nach
Stuttgart. Nach dieſem Gang und dem Kaffee im Schloßhof,
ging ich in den köſtlichſten, geſundheitſtrömendſten Abend, noch
einmal denſelben Weg, mit Frau von Münk, und dem Fran-
zoſen; beinah bis zur Mühle, wo man durchgeht. Ich dachte
an Goethe „eilende Bächlein.“ Er ſieht alles, wie ich. Und
was wir für einen großen Stern ſahen! Der Franzoſe
ſchnarrte immer, je n’en ai jamais vu de cette taille! Aber
richtig! — heute regnet’s! Die Atmoſphäre iſt nur regen-
ſchwanger gnädig in unſern Landen. Nachher kamen wir et-
was ſpät zu Hauſe, wo wir Weiber, außer Marianen, die zu
Bette war, mit dem alten Hausfreund, Baron Braun, ſoupir-
ten. Eine Art Mann wie Schmidt, der Geheimerath, der al-
les
von der ganzen öſterreichiſchen Monarchie ſeit vierzig Jahren
auswendig weiß. Der erzählte, mir ſehr intereſſant, von ei-
nem hypochondriſchen Millionär, der nichts mehr ausgeben
will, weil er den Untergang der Welt ſieht, und vor fünfund-
zwanzig Jahren — er hat drei Fabriken in den Provinzen,
wovon jede Einrichtung eine Million und mehr koſtet, und
wozu alles auf ſeinen Beſitzungen gemacht wird, bis auf das
Eiſen zu den Rädern, bei ihm präparirt und geſchmiedet; der
größte Entrepreneur des Landes, und der größte Techniker ꝛc.
ich erzähl’s dir! — allen Verkehr plötzlich mit Frankreich
aufgab, auch nicht einen Sous verlor; er hatte ein großes
Vanquierhaus, wie Fries, Geymüller und Arnſtein, welches er
ganz aufgab, und die monſtruöſen Fabriken ſchuf. Er lebte
größer, als irgend Einer in Wien; und bei ſeiner Einſchrän-
kung
, und Krankheit, hat er für ſich allein ſechs Pferde,
eine
[305] eine Etage in der Weintraube auf dem Hof, Haushofmeiſter,
Kammerdiener ꝛc. will aber der Koſten wegen nicht mehr nach
Baden. So behandelt er ſich, und deſolirt die Kinder; zwei-
undſiebzig Jahr iſt er alt. Und ſagte alles vorher, wie es
jetzt kam. Er ſoll außerordentliche Kenntniſſe haben. Iſt aber
ſo gemüthskrank, daß er ſterben muß. Sehr intereſſant. Die
Erzählung dauerte lange, gab mir aber Licht über das ganze
Land und die Hergänge der Hauptſtadt. Ich liebe es ſehr
mich durch bloßes Leben in einem Lande darüber unwiderleg-
lich zu unterrichten. Ich nahm Theil daran, daß ſie ſo be-
fliſſene Menſchen haben, daß es ſo Thätige giebt, daß ſich
das fortbringt, trotz jedem Vorurtheil, und eigentlich die
Welt ſchiebt. Der Mann iſt geadelt und dann baroniſirt
worden; lebte en seigneur, und reichte weit mit ſeinem Thun
und Wiſſen. Auch lernte ich, wie große Etabliſſements das
Land hat; dachte mir viel, wie es ſein könnte; wie weit prah-
leriſche, echauffirte Schlegel und Müller, und andere neumo-
diſche Wiegler, in der hohlen Partheilichkeit entfernt ſind, an
ſolchen Dingen den herzlichen Antheil zu nehmen, dem allein
edleres Wiſſen und derber Willen, zum Wohl der untern
Schichten des Volkes, und der Nation geweiht ſein ſollten,
damit es geſund von unten herauf, von der Wurzel her,
Blüthe und Überfluß, anſtatt des ruppigen Luxus, erhält, an-
ſtatt des lumphaften Prahlerlobs! Solches dacht’ ich; und
will es dir gerne mittheilen. Les peuples existent malgré les
gouvernements
(Mirabeau). Ja, malgré erblüht, was Ein-
zelne thun; wenn man ſie nur nicht ſtört durch Verbote!
Gott! wenn dereinſt befördert würde!! Für alle Völker
II. 20
[306] gäbe die ſchwere, dunkle, geduldige Erde Fülle her; ſie brauch-
ten nicht zu kriegen, nicht zu lügen, und die Proklamationen
zur Rechtfertigung! Und dann dacht’ ich des Mannes Schick-
ſal! der grade durch Wiſſen gemüthskrank iſt! Wie alles iſt.
Nicht für uns. —


An Varnhagen, in Frankfurt a. M.



— Als ich Dienstag von Hitzing zurück kam, fand ich
deinen Liebesbrief vom 26. Juni. Ich danke dir mit allem,
was ich bin: und wie ich es von dir erkenne, und aufnehme.
Ich glaube es dir auch, Auguſt. Dein Miſſen, und alles.
Sie ſind Alle nicht wahr. Ich ſehe es. Es muß viel Geiſt
dazu gehören. Ich glaub’ es. Und eine große, ſpontanée
Göttergabe. Ebenmaß, wahre Schönheit in den Seelenglie-
dern. Drum nennſt du mich ſchön. Ich bin nicht ſtolz: aber
vergnügt und demüthig: wenn mich nun Gott nicht ſo
gemacht hätte! Aber Fleiß, unverdroſſene Mühe, und Härte
gegen ſich ſelbſt, gehört auch dazu. Wie fade aber auch, wie
nicht zum Ertragen, ſich ſelbſt vorzulügen und zu ſpieglen,
und nicht zu wiſſen und zu wollen, was man begehrt!


Ich bin ſehr damit zufrieden, daß du nur gegen Chamiſſo
und Koreff ſprichſt, und wie ſo das geſchieht. Es iſt eine
Kunſt; eine Kunſt, ein könnendes Vermögen, zu wiſſen, wo
man ſprechen ſoll und muß, und kann: wo es hilft. Ich be-
ſitze dieſe Kunſt; und leide, wenn ich darin pfuſchen ſehe:
[307] grade wie es Künſte mit ſich bringen. Entferne dich aber nicht
etwa gefliſſen, oder bequem, von den Andern. Iſt kein guter
Einfluß da, ſo iſt gleich Platz für ſchlechten: und dann, iſt
Vergeſſen ſo bequem, ſo negativ; das thun ſie ſo leicht. Da
die wenigſten Menſchen das Gedächtniß im Gemüthe haben,
oder vielmehr die meiſten nur ein ganz auf ihre äußere Per-
ſönlichkeit gerichtetes Gemüthe. — Mariane O. amüſirt mich,
grüße ſie ſehr, und mache ihr ſehr die Kour: es iſt ein kluges
Mädchen, die nicht affektirt. Der Mutter tauſend Grüße.
Ich danke für Dorens und Johanns Grüße! Du biſt lieb!
Grüße ja Prediger Stegemann, Nolte, Hitzig, alle wieder: und
wenn du einen Moment haſt, gehe zur Predigerin Lebrun, der
Ehrenfrau! Meine Pathe. Die Köchin Hanne! ſie iſt Mama’s
Köchin; grüße ſie auch. Schuſter Schmidt iſt recht ſchlecht,
daß er die Schuhe zu ſpät ſchickte, denn ſein iſt doch wohl
die Schuld! — Der heftigſte Regen den ganzen Tag. Ich
komme eben von oben, wo ich eine Stunde in dem mittelſten
Eßſaal zur Motion mit offenem Balkon neben dem Salon,
wo die Andern waren, auf- und abgegangen bin. „Und
dachte mir viel!“ auf dem „Rücken“ der Stube, ohne Hexa-
meter und Pentameter. — Heute bei dem Regen ſind mir die
Nerven ganz abgewirbelt: wie Klavierſaiten, die untereinan-
derſchwirren. Was iſt denn das für Wetter? Soll [Korrinth]
untergehen?? Adieu, Liebſter Guter. Ich vermiſſe ſehr, heute
bei dem böſen Wetter und den eingenommenen Augen, nahr-
hafte Geſpräche. — Heute brachte ich ein artiges Müllertöch-
terchen von fünf Jahren mit nach Hauſe; die Katti ſo ähn-
20 *
[308] lich ſieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe ſie. Ein Göt-
terbalg! —


Ich leſe keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er-
fahr’ ich doch: die Geſinnungen kenn’ ich! Eine Mühle, die
klappert, iſt mir lieber.



— Ich bin aber nicht unwohl, und viel geſünder als in
Wien. Sehr luſtig; und die Unterhaltung des ganzen Hau-
ſes und all ſeiner Gäſte, in deren Gegenwart es nur möglich
iſt mit der Sprache zu präludiren! Mein ganzes Thun,
Daſein und Äußern amüſirt ununterbrochen, bis zum Lachen
und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und ſelbſt-
meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die
Einzige, die da meint. Auch hab’ ich vorgeſtern, bei nicht
leerem Gaſtzimmer, laut die franzöſiſche Nation vertheidigen
dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu-
frieden: und lächelten der Neuheit, die ſie ſich nicht ſelbſt aus-
zudenken brauchten; unſere flammende Wirthin ſagte, als
ich ſchwieg, beifallsvoll: „Reden Sie immerweg! wir wollen
Alle lieber zuhören und ſchweigen!“ Mir wieder ein Beweis,
mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön-
nen, wenn ſie rechtſchaffen genug ſind, und beſonders eine
Meinung haben: die am meiſten fehlt. Ich ſprach wider die
eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Perſönlichkeit noch
Eitelkeit bewogen: die Sache wie ſie iſt, war für mich; un-
widerlegbar; und ich opferte ſogar das Wohlgefallen an dem,
was ich vortragen und behaupten konnte, entſchloſſen denen
auf, für die ich ſprechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in
[309] bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne
den geringſten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei-
ſteswendung, die Franzoſen geſchimpft — nach gewonnener
Schlacht! —, die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil
ſie ſich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen,
daß die arme Landleute nur ſehr natürlich gehandelt hätten,
und daß, wenn es unſere wären, wir ſie brav nennten und
aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß dieſe Leute weder Antheil
an Napoleon noch an Ludwig XVIII. nähmen, noch nehmen
könnten, bloß für ihren Hof beſorgt wären, den vertheidigten,
und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen
noch die Demonſtration, warum dieſe Klaſſe nicht national
ſein könnte: wie ſie nur den Druck, die Laſt, die Arbeit für
das bischen Crême Menſchen hat, die in Ambition — nicht
Ehrgeiz — und Genuß wühlen und ſchwelgen, und für welche
allein nur noch die Landesgeſetze geſchaffen ſind und leben.
Aber ich erinnerte ſie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ-
ker Deutſchlands mit jenen fochten; alſo alle, aus dieſem Ge-
ſichtspunkt genommen, ſelbſt gefehlt hätten, alſo auch begreifen
müßten, wie es bei ihnen zuginge. Vorher waren Alle
anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszuſprechen,
ihre eigenen Widerſacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei-
gen! — — Aber um ſo etwas zu wagen, muß man den Au-
genblick ſehr kennen; den Rand mit dem Geiſte ſehen, an wel-
chem die gelangweilten Gemüther ſtehen; und keines perſönli-
chen Intereſſe’s, nicht einmal der Rechthaberei beſchuldigt
werden können. O! warum bin ich kein Menſch in Amt!
keine Fürſtin! (Du haſt Recht über mich; darin.) So wahr
[310] Gott lebt! ich wirkte gut: ich ſehe es. — Alſo ich bin wohl-
gelitten im ganzen Hauſe, — Nun deinen Brief. Es freut
mich unendlich, mein geliebter Freund, daß dir mein Thun
und Schaffen auch gefällig und wohlthätig iſt: daß ich dir
bequem bin, und im kleinen Leben helfe: daß ich dir bei den
Reiſeanſtalten der Unſrigen einfiel. Ja, ich weiß, was ich will;
die Gottesgabe hab’ ich; denk dir, was ich alſo litt, immer
nicht zu können bei dieſem hellen Willen: und bei dunklem,
trüben, ſchadenden, die Macht und Fülle zur Seite zu ſehen:
überdummt und überſchrieen und überhandelt zu werden! zum
ſichtlichen Schaden Aller. „Alle Schuld rächt ſich auf Erden,“
das war hier meine Hölle. — In den Angelegenheiten der
Weltregierung, und den Kämpfen der Menſchheit denk’ ich
wie du: und traue dir ſehr viel. Nach deinen Briefen ſoll
ſich mein Thun und Kommen richten. Auch Einen Wunſch
hab’ ich mit dir: bei dir zu ſein. Mich hungert noch bei al-
lem andern nach Mittheilung, Leſen und männlichen Geſprä-
chen, — Ich freue mich deiner Meinung über unſere Zukunft!
bin aber immer noch nicht in Berlin verliebt. Wegen der
armen Provinz und Gegend. Die Sonnenuntergänge ſind
bei uns ſchöner; und vieles, Ach! ich kenne alles Gute: das
Land iſt ja mein Bruder: und nur, wie ich mich haſſe, haſſe
ich es! — Was du mir von Beyme ſchreibſt, nährt recht mein
Herz! Daß es ſolchen Mann giebt, iſt ſchon eine Freude;
daß der unſer Landsmann, wieder; und daß er ſchon ein ſol-
ches Amt im Lande beſeſſen, daß man ihn doch auch ferner
gebrauchen wird! Und daß er gut von dir denkt, und dir
wohlwill. Hätteſt du ihm ſagen können, wie eingenommen
[311] ich von ihm bin. — Troxler iſt zu beſcheiden; das ſagten
wir längſt: drum macht er zu viel Weſen aus mir: meins,
wie es iſt, iſt nicht ſchlecht: aber er muß mich nicht beſchämen.
Nun! ich bin gewiß für ihn: ich fiſchte ihn ja gleich aus der
Rezenſion vor acht, neun Jahren, und er iſt ein lieber Menſch.
Bleibt er nicht in unſrem Land? Die Männer, die ihn ehren,
müſſen ihn gar nicht weglaſſen. Wir werden ſchon wieder
mit einander ſprechen. Ich bin ſehr ſtolz und vergnügt, daß
er mir gut iſt; und freue mich, wie es dich freut. Zum Glück
kann ich kein Narr werden, ſonſt würd’ ich’s von deiner Liebe.
Beſte Guſte! Die Anſicht ſeines Magnetismus kenne ich von
ihm; geiſtreich iſt er immer. —



— Man weiß nicht wo ruhen mit ſeinen Gedanken.
Wenigſtens ich möchte ſehr gern nach Arkadien! Es begegnet
einem auch nichts Beſtimmtes, Schönes, Deutliches, Thätiges,
Erhebendes, Reſtaurirendes irgend einer Art. Hörtet ihr nun
dabei all die hundert Arten von ſchein-agirenden Menſchen
ſprechen! Wie ſie Alle nicht mehr wiſſen und hervorbrin-
gen als ich; und es eine komplete Luftbläschen-Agitation iſt,
wie in einem Gefäße, wo Champagner brauſet; und man
ſieht, es wird überſtrömen, obgleich es Bläschen ſind. —


An Varnhagen, in Paris.



Bei ſchöner Hitze vor dem Bade, nach einer göttlichen
Mondſcheinnacht, die wir bis 12 Uhr im Park und auf dem
[312] Anfang der Berge genoſſen; welches mich ſehr ſtärkte, wie
beſonders jetzt wieder die Nachtluft. — — Obgleich dein Brief
lange ging, und nur aus Deutſchland iſt, beruhigt er mich
doch ſehr, weil ich nun glaube, ihr ſeid vorbereitet, und wer-
det behutſam ſein; und die Dinge ſich immer ändern und
wenden; und beſonders nicht ſo ſind, als man zu befürchten
nöthig hat. Ich denk’ in allem wie du. Und mache
meine alten Fragen an uns — Alliirte. — Wie freut es meine
Seele! — doch eigentlich (du weißt es) mit Goethe’n
gleich zu denken und zu fühlen, über unſere Geſchichten und
ihre Helden: nicht umſonſt, denn nicht ohne Grund empfand
ich Welt und Licht, die Natur — eigentliche Geſchichte — wie
er. Ich bin nicht vermeſſen; wenn ich mich auch vergleiche.
So wie ich es ſage, find’ ich es wahr; und dann kann ich’s
auch ſagen: und ſo ſehe ich auch die Menſchen an, auf die
man merkt. Ja, es geht ſo weit, daß, hätte man mir die
ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre
eben ſo gewiß in meiner Seele geweſen, daß er’s ſo nimmt,
wie man es jetzt ſo eilig, patriotiſch, kleingeſehen, feig und
ſelbſtiſch tadelt. Den Egmont ſchreibt man nicht von unge-
fähr
, und ändert ſich nachher. Wie die Andern, die nichts
geſchrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was ſie
wirklich wären! die immer einem Zeitalter nach, aber nie
vor ſprechen. Geſchichte ſieht man, konſtruirt ſie ſelbſt:
die geiſtige Entwickelung der Völker iſt ihre Geſchichte: und
die bringen Sterbliche, wie Goethe, hervor, indem ſie ſie
ſehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie-
drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und ſie ſind es, die
[313] ihr Volk umbilden. Aber aus eben dieſen Urſachen murrt
immer das Rohe im Volke gegen ihre Moſes, Sokrates,
Goethe’n! — Wie freut es mich, daß du auch ſchweigen
willſt, nicht mehr reden kannſt! Wahrſtes Zeichen der Reife.
Was man alsdann Einmal ſagt, wirkt und nährt; auch wie
reife, ſüßſaftige Früchte, die zwiſchen Blüthe und Reife auch
ſchweigen; in Säure und Härte. — Goethe hat den Leopolds-
orden bekommen. Wie freut das meine Seele! Daß Weis-
heit, innere große Gaben gekrönt werden, Meiſtergelingen der
Natur; daß man Wirken in unſerm Vaterlande erkennt, und
nicht auf eine That wartet. Er dankt ihn wohl der Kaiſerin;
ſeiner Helden-Eſte Enkel! Heil ihnen noch jetzt! den geiſt-
reichen, edlen Fürſten! Sie und Goethe machen es wahr,
was er im Taſſo ſagt, von der Schwelle, die ein Edler be-
tritt! So ſchließt ſich Gutes an Gutes, und ſo mag es zur
höchſten Glorie in Ewigkeit gedeihen! und ein jeder Lebendige,
wie jetzt Goethe, ſchon bei ſeinem Leben den Lohn genießen!
In ſolchen Dingen möge ſich Öſterreich und Preußen be-
neiden! dann ſtrahlen ſie beide hell neben einander. Dann!
ſind ſie von Natur Eins. — — — Wie ſollten wir auch
nicht ehrlich mit einander ſein! Wir können ja! Es iſt eine
Kunſt. Nach unſerer Definition. Gott! wie lügen die An-
dern! — ſo ſehr, daß ſie ein Klump Lügen ſind, den man
mit dem Fuß auseinander ſtoßen kann. (Jetzt ſehe ich’s wie-
der recht.) Aus ekelhaftem Stolz, aus ſtupider Dummheit:
weil ſie Beſſeres wären, wenn ſie ihrem wahren Begehren
lebten, dies und ihr eigentliches Vermögen gebrauchten und
zeigten. Strafwürdige, gar nicht zu beachtende Kanaillen, die
[314] Andre zu tadeln ſich in ſtupider Frechheit erkühnen. Mit
ſündhafter, karger Sittlichkeit, auswendig gelernter, der ſelbſt
ſie noch in jedem Augenblick untreu ſind. Echtes Krob! Mir
thut keiner nichts; glaube es nicht: aber ſie ſich, und einer
dem andern; und die verfaulte fleißige Ekellüge! Solche
zuſammen, tadeln Goethe, wollen Solches richten. Verſte-
hen nicht, was ſein letzter Pöbel, nur zum Beiſpiel, im
Egmont ſagt. Lumpen; deren „kahlen, ſchuldigen Scheitel“
die Sonne, die hohe, große, in andern Geſchäften — be-
ſcheint —! Mündlich gebe ich dir Belege für meine Empörung;
was ſie alles ſagen, thun, erzählen: in dem Wahn, ich ſoll
es bewundern!!! —



Immer daſſelbe, oder immer etwas anderes lieben, heißt
beſtändig lieben. Nichts lieben können, iſt unbeſtändig ſein.


An Varnhagen, in Paris.



Nein, Auguſt, welches Glück! Ich kann auch nicht zu
Bette gehen, ohne es dir zu melden: wie weinte und bangte
meine Seele ſchon, daß du es nicht mitgenoſſeſt. Geſtern, in
einem Brief, den ich dem Chevalier Capadoce-Pereira mitgab,
und den du ſpäteſtens Mittwoch erhältſt, referirte ich dir doch
[315] unſern ganzen Aufenthalt hier; heute Nacht ſind die Jetten
weg, ich in einem angenehmen und angenehm gelegenen Quar-
tier, in einem niedrigen Hauſe, meine Wohnſtube nach der
Allee, wo das Komödienhaus ſteht, mein Schlafzimmer nach
einer andern Straße, das Haus hat keinen Hof. Vallentins
im Schwan, grade gegen meinem Schlafzimmer über: bei ihnen
aß ich, ſehr gut, und bequem: ſchlief zu Hauſe, und fuhr um
5 in dem Götterort, in der Anmuthsgegend, mit ihnen aus;
als ich hinab kam, ſaß noch ein Herr im Wagen; ich glaube
Weiland ſtellten ſie ihn mir vor; ein Klavierſpieler, der alles
lieſt, weiß, gereiſt iſt; kurz, ein gebildeter, neumodiſcher Menſch,
der ſo viel weiß, daß es leicht an Narre gränzen kann; ſehr
dem Prinzen ähnlich mit den ausgeſtochenen Augen, deſſen
Namen wir nicht erfahren konnten. Ein Jude; dem man’s
nicht anmerkt. Er ſpricht ſehr gut. Wir fahren zu einem
herrlichen Thore hinaus, an einem herrlichen Kai am Main
vorbei, an kultivirten Gärten in der wohlhabenden Gegend,
durch Weingefilde, im köſtlichſten geſündeſten Wetter (wie
es in zwanzig Jahren nicht war), nach einem Forſthauſe,
wo man Kaffee nimmt; dort gehen wir im Walde ſpaziren;
wir treten endlich aus dem Wald, ſehen eine weite ſchöne
Wieſe, am Ende ein hellbeſchienen Dorf. Der Herr fragt, ob
wir das ſehen wollen. Ich ſage, die Sonne ſei zu ſtark, lie-
ber ſpäter; er ſagt, es iſt Niederrad, das Dorf, wovon Goethe
ſo viel ſchreibt, wo er immer mit ſeinen jungen Freunden hin-
ging. Dann wollen wir durch die Sonne, ſag’ ich: und
Schauder grieſelt mir über die Backen. Getroſt, fröhlich, ja
zerſtreut im Geſpräch, gehen wir hin; es hat Straßen, wie
[316] die öſterreichiſchen Dörfer; ich tadle das; wenig Menſchen
gehen hin und wieder: ein niedriger halber Wagen, mit einem
Bedienten, fährt den langſamſten Schritt; ein Herr fährt vom
Bock, drei Damen in Trauer ſitzen drin, ich ſehe in den Wa-
gen, und ſehe Goethen. Der Schreck, die Freude machen mich
zum Wilden: ich ſchrei mit der größten Kraft und Eile: „Da
iſt Goethe!“ Goethe lacht, die Damen lachen: ich aber
packe die Vallentin, und wir rennen dem Wagen voraus, und
kehren um, und ſehen ihn noch Einmal; er lächelte ſehr wohl-
gefällig, beſchaute uns ſehr, und hielt ſich Kräuter vor der
Naſe, mit denen er das Geſicht fächelte, das Lächeln und das
Wohlwollen uns, aber beſonders ſeiner Geſellſchaft, die eigent-
lich kikerte, zu verbergen. Der Wagen hält in ſeiner Lang-
ſamkeit endlich ganz, der Herr vom Bock wendet ſich, und
ſagt: Das iſt der Schwan! Nämlich, das Wirthshaus, von
welchem Goethe ſchreibt, dort immer eingekehrt zu ſein. Alſo
auch Goethe ging heute in ſeine Jugend wallfahrten, und ich,
deine
Rahel, trifft ihn, macht ihm eine Art Scene; greift ein
in ſein Leben! Dies iſt mir ja lieber, als alles Vorſtellen,
alles Kennenlernen. Als ich ihn das zweitemal ſehen wollte,
ſah ich ihn nicht, ich war ſo roth wie Scharlach, und auch
blaß, ich hatte den Muth nicht. Und als er vorbei war, am
Ende der Straße durch ein Fabrikgebäude und eine Pappel-
allee entlang aus dem Dorfe fuhr, zitterten mir Kniee und
Glieder mehr als eine halbe Stunde. Und laut, und wie ra-
ſend, dankte ich Gott in ſeine Abendſonne laut hinein. Auch
die Andern konnten ihr Glück nicht faſſen! ſie hätten es gar
nicht gewußt; Vallentin ſagte, er ſei der Büſte ungeheuer
[317] ähnlich; ſie iſt ganz beglückt. Und noch Einmal müſſen wir
Gott danken und hoffen: er hat ſich in den zwanzig Jah-
ren gar nicht verändert, ganz wie ich ihn ſah; und ſehr
vergnügt beobachtete er uns. — Ich ſchrie ſo ſehr, aus Eile,
die Andern ſollten ihn auch ſehen, und weil man’s gar
nicht
erwarten konnte! Ein Wagen, und das iſt er. Den
Mainherrn nennen wir ihn: er iſt Herr hier. Das erfand ich
gleich. Gott, Auguſt! ich bin ſo agitirt: wärſt du hier!
(Jetzt wein’ ich.) In dieſem Mond, heute! Wer gönnt es
mir wie du? Meine lieben Augen ſahen ihn: ich liebe ſie!
— Geheimerath Willemer’s Familie waren die, welche mit
Goethen fuhren. —



Leſet in Goethe’s Leben, erſter Band, von Seite 427 bis
herab Seite 437. Und wenn ihr ſie in’s Auge faſſet, wird
die goldene Weisheit euch verblenden, verſtarren in Bewun-
derung! Er ſchildert ganz die heutigen Erſcheinungen in
Wien, Paris und allerwärts, die neuere Begleitung und
Folge des Kriegführens; hebt durch den bloßen Blick, mit
Worten, ein ſolches Stück Geſchichte aus dem Zeitenfluſſe,
daß es ſich wiederholen muß, wie vor wahren Propheten!
Den Gährungsprozeß des Abgeſtorbenen, welches man in
guter und ſchlechter Meinung erhalten will, mit der ſich neu
erzeugenden Miſchung; wie das dumm, lächerlich und trau-
rig wirkt, weil, der Maſſe nach, zu wenig Bewußtſein, als
Sonne, es reinigt, bildet und geſtaltet. Auch ich dachte da-
durch, und in welcher Zeit, in welchem Ort ich das Buch
[318] leſe, viel nach. Und ſehe in allem, was Menſchen wirklich
mitzubereiten im Stande ſind, nur das Eine: daß Weniges
in der Natur gelingt, und ſich nach ihrer wahren Abſicht aus-
bildet; ſo auch in des Menſchen Natur; Alle ſollten ſelbſt-
ſtändig und ſelbſtdenkend, daher ſehend und erfindend, ſein,
das iſt ihr natürlicher Zuſtand. Aber der iſt ſo verweſet
und verwirrt, daß die, welche naturgemäß ſind, Ausnahmen
machen, und Genies ſein müſſen, oder genannt werden, und
alle Andern in trübem Daſein denen alles auf eine Weile
nachmachen; immer wenn es ſchon unzeitig iſt, alſo verkehrt.
Das geht auch wieder ganz deutlich aus Goethe’s Buch her-
vor; dies nennt man beſtändig fort die alte und die neue
Zeit: es wäre immer eine neue, wenn man nicht faul, dumm,
albern, dünkelhaft-ſtolz übertragen wollte: denn in der gan-
zen Weltgeſchichte wirkten und ſahen nur, die groß, die friſch
wirkten und ſahen, und belebt: und die belebten.


An Varnhagen, in Paris.



— Es war den Sonntag natürlich die Rede von Goethe,
und da erbot ſich dann Otterſtedt wieder, er wolle hin, und
ihn ſchaffen; welches ich verbat; er ſollte ihn nur wiſſen laſ-
ſen, wer es war, der ihm in Niederrad nachſchrie. Frau von
Schloſſer meinte, ich ſolle nur grade mit Otterſtedts zum Kom-
merzienrath — der ein preußiſcher iſt — Willemer hinfahren,
und dort die Damen beſuchen! Das fehlte mir! — Das alles
[319] mißfällt mir: Goethe muß ich anders, natürlich, ſehen: wie
alles. Du weißt, im Leben hab’ ich noch keine Bekanntſchaft
geſucht, als eine, der mehr an mir, als mir an ihr liegen
mußte. Man ſteht ſonſt zu dumm da; was ſollt’ ich Goethen
ſagen. Wenn er ſich’s erinnert, weiß er wie ich ihn liebe;
oder auch nicht: denn dies grade weiß er nicht. Povero vec-
chio!
rief Einmal über das andere neulich, in den einfältigen
Stücken, eine Italiänerin neben mir aus, die nicht ein Wort
deutſch verſtand, und der ihr Gemahl, ein ruſſiſcher General,
alles in’s Ohr überſetzte; povero vecchio! wie ein Wucherer
ein ſchönes junges Mädchen nicht bekam, und bekommen ſollte,
Er ſah ihr ſo mitleidig aus. Bedauerlich! wollte ich jetzt auf
Goethe ſagen: das heißtpoveretto. Dies fehlt ihm; den
Genuß ſchenkten ihm die Götter nicht; den refüſirte das
Schickſal. Ich habe Unendliches von ihm gehabt. Er nicht
mich. Und ſo laſſ’ ich es denn! Getroſt. Mich dünkt ſo-
gar, es muß Wichtiges im Leben zurückbleiben, Wichtigſtes,
worauf wir einen größten Werth ſetzen; mich dünkt es ſo,
wenn das Leben ſelbſt ſehr wichtig, oder vielmehr wir uns
ſo bleiben ſollen. So hab’ ich es kennen lernen, und erlernt;
dazu hab’ ich Kraft: im Gegentheil bin ich ganz ignorant,
und verſtehe es wahrlich nicht; die größten Menſchen ſind
gewiß die, welche im Vollgelingen des Glückes ergründen,
ſich ausbilden, und Kräfte bekommen: ſolcher bin ich nicht,
und ſolche Starke kenne ich auch nicht: auf ſolches warte ich
nicht, aber ſolche möchte ich noch kennen: ſonſt „acht’ ich
keinen Mann mehr!“ wie Schillers Eliſabeth, ziemlich dumm
und unverſtändlich, zu Poſa ſagt. Ihre Gaben, ihren Her-
[320] zenskern, liebe und ſchätze ich noch: aber einen ganzen Men-
ſchen bewundere ich nicht mehr. Im Ganzen ſind ſie nicht
beſſer, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich
ſtellte; mit Thränen hat er’s gebüßt; und ſteinern fand
mich dieſer Engel; der aber nicht mehr war, als ich! —
Verſtehſt du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen
aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der ſelige
Möllendorf zu ſagen pflegte. Auch über Gegend will ich dir
wahr ſprechen — (ſchöne Weintrauben! ſteckt’ ich ſie dir in
den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht)
— ſchon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand
ich, ein ſchönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch
ſeine beſtimmten Geſichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen
Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wüſte,
weite, ernſte Seite zum Ausweg des beſchränktern Daſeins da-
bei gelaſſen iſt; ſo fand ich’s in Baden, und hier. Und ſo
ängſtlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken
wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha-
bendem, Freundlichen kommt, ſo iſt doch die großartige Seite
befriedigt, und affadirt fühlt man ſich nie. Dies, was ich
hier nur ſkizzirt und ſchlecht ausdrücke, aber beſtimmt immer
gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner
gewirkt, und längſt ſchon behauptete ich, keine Provinz habe
weniger Narren. —


— Zu Schl.’s geh’ ich nicht mehr; die wiſſen auch, mei-
ner großen Beſcheidenheit wegen nicht, was ſie mir ſchuldig
ſind: ſie treffen O., der ſie nie beſucht hatte, und deſſen Frau
ihr Geſicht ſie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamire
ſie,
[321] ſie, wie immer: er ſpricht von ſie beſuchen; ſie laden O.’s
zum Diner, und nicht mich. Wie erwünſcht mir das Zuhauſe-
ſpeiſen, und das Auslaſſen, weißt du, die Grobheit iſt aber
dieſelbe. Nie auch wär’ ich hingegangen, hätten die Frau
von Schlegel und Pilat mich nicht ſo ſehr dazu ermuntert;
und hätte ich nicht gehört, daß dieſe Familie Goethens Schl.’s
ſind. Da ich nun ohnehin die Reiſe vorhabe, ſo ermuthigt
mich das nicht, zu Frau von Jordis Schweſter zu gehen, deren
Haus freilich aus ganz andern Leuten beſtehen mag. Ich
wiederhole es; man muß nur die ſuchen, die einen nöthig ha-
ben: und ſo that ich immer. Ich bin nicht eine Treiberin
meiner ſelbſt, obgleich ich viel getrieben habe.


— Es iſt mir unmöglich, dir jetzt anders zu ſchreiben, obgleich
ſeit geſtern die zärtlichſten, ergiebigſten, hingebendſten und
weichſten Töne in meiner Seele für dich geherrſcht, gelebt, und
auch gewirkt haben: aber dieſen Morgen grade kam ich in
den genannten Zuſtand, und jetzt hab’ ich ſehr geweint, ſeit
langer Zeit. Auch ich habe mit dem Schickſal gerechnet.
Wovon ich ſeit Kindheit an mit hoffnungsloſen Ohren hörte,
eine Rheinreiſe, wird mir nun ſo geboten. Frankreich, wel-
ches mein Augenmerk für meinen ganzen Geiſt, Eitelkeit und
Spannung aller Art war, hab’ ich ſchon Einmal in Ver-
zweiflung
beſucht, nach F.’s Verrath, und von meiner dum-
men Familie, wegen zwanzig Louisd’or weniger oder mehr —
die mir zukamen — gemartert, ſo, daß ich gerne, und früh
wieder wegeilte; und nur meine Kräfte und mein Weſen mich
Genuß finden ließen! Wien, mein Augenmerk und meine Luſt,
ſah ich nie, ſo lange meine muntern Freunde, die großen
II. 21
[322] Sänger und Mozart und die gute Muſik dort waren, und
Luxus und Diplomatie, die mir damals gefielen, und als
Gentz mich unaufhörlich lud. Gott behüte mich für Italien! —
Ich freue mich auf gar nichts, als wie ich mich mit dem Kopf
an deine Bruſt lehnen werde und dich anſehen werde, und die
Reiſe werde überſtanden haben; und vielleicht geht auch die
beſſer als ich denke; bis Aachen gewiß! — Ich traue deinen
Berichten; das ſiehſt du, denn ich komme: in beiden Kriegen
waren deine Nachrichten und Anſichten immer die richtig ein-
treffenden. Halte dir nur Remi zur Hand, daß ich ihn finde:
ein deutſcher Klumpen hilft mir dort wenig. Du ſiehſt, ich
ſchreibe mir das Herz leichter. Kannſt du mich auch leiden?
Spare dir nur nicht alles ab! Ich danke dir für deine Sorg-
falt. Das Meiſte wird der Wagen koſten; ich kenne Faubourg
St. Germain,
am Ende der Erde, von allem weit. Wird man
denn lange da ſitzen? Und mitten im Winter reiſen? In
den kurzen Tagen, Schnee, Glatteis, Kälte? Alles nun wie
Gott will! —



Nicht wahr, lieber Auguſt? es iſt unangenehm, einen Brief
ſo lange vor ſich zu haben, ehe er abgeht. Aber ein früheres
Abſchicken hätte nicht viel genützt, vielleicht hätteſt du da-
durch den Brief um einen Tag früher erhalten, aber nicht ſo
Spätgeſchriebenes. Darum geb’ ich ihn auch morgen nicht
der Mad. N. mit, die hier durchreiſt, und zu der ich geſtern
gleich ging, um zu hören, ob es ginge, mit ihr zuſammen zu
reiſen. Sie geht aber des Nachts, läßt hier den Wagen flik-
[323] ken, eilt, ſagt, man eile ſie, will im Wirthshauſe einen
Lohnbedienten zum Begleiten miethen; ſo wenig Begriff hat
ſie vom Reiſen; alſo konnt’ ich mit der, ſo erbötig ich’s wollte,
nicht reiſen. Die Miniſterin Bülow kommt aber heute hier
durch, und nun will ich Einmal ſehen, ob ich mit meinem
Wagen mich bei der anſchließen kann. — Als ich zur N. hin-
ein trat, fand ich O. dort, und einen Herrn, von dem ich
nicht wußte, ob ich ihn für einen Juden oder einen *** neh-
men ſollte. Ich blieb mit Bedacht, bis die Herrn weg wären,
weil ich wiſſen wollte, wer der Jude war. Denn als ich O.,
weil der Herr zu impertinent war, gefragt hatte: „Wer iſt
der Herr?“ und mir der mit viertellauter Emphaſe geantwor-
tet hatte: ein ſehr vornehmer Kaufmann, erfuhr ich doch
nicht, wer es iſt. Dieſer Kaufmann, mit einem hübſchen gel-
ben, konvulſiviſchen Geſichte, war ganz wie ***s, von allem
was vorging bis zu Nervenanfällen ennuyirt, daß es ihn
nicht betraf, und nichts Höllen- oder Himmelartiges war; und
ſo degoutirt von den Perſonen, und daß er ſich doch mit ihnen
abgeben mußte, daß er lieber ſo viel grob wurde, als es an-
ging; ſie ſo mißhandelte, daß er ſich wenigſtens in ſeinem Ge-
wiſſen ſagen konnte, wenn ſie nur Menſchenverſtand hätten,
müßten ſie beleidigt ſein; und doch ſolch Bedürfniß von menſch-
licher Mittheilung in ſich, Talent zum Scherz, und Eitelkeit,
— daß er das Ganze auf der Kippe von Scherz für ſich und
die Andern hielt. Dabei ein air-marquis et peigné, wie die
Geſchwiſter nicht: denn als ich der N. ſage, der Herr ſieht
aus wie ein ***, ſagte ſie: es iſt ein ***. Das Ganze drehte
ſich um der N. ihre Reiſeroute, und den zu nehmenden Be-
21 *
[324] dienten, wozu jener als empfohlener Rathgeber daſtand, es
aber gar nicht beſprechen mochte, und immer lachend ober-
flächlich verſichernd abſprach, es ſei kein Bedenken, es gäbe
kein Stehlen, man habe nichts Wichtiges mit ſich, es ſei nichts
zu beſorgen für einen Begleiter und von einem Begleiter: dies
alles in der beleidigendſten Verachtung, und nicht enthaltenem
Lachen, und höchſter Langenweile. —


Auch nun möchte ich ſchon fort! Aber allein, mit den
deutſchen Domeſtiken, die noch weniger vom Gelde u. a. ver-
ſtehen, als ich, mag ich nicht. Die mindeſte Unpäßlichkeit,
und es kann kein Menſch mehr ſprechen. Ich werde ſchon
kommen. —



Mit den freien Städten wird es nun auch immer deut-
licher; das Ganze iſt wie eine Familie, die häuslich und
glücklich lebt; das iſt gut für ſie, läßt aber keinen großen
Verkehr, oder vielmehr keinen großartigen, bezugreichen zu,
noch irgend eine ſolche exempelgebende Anſtalt, die um ſich
griffe, weit und allgemein wirkte. Dies kann nur ein großer
Staat, bis jetzt, mit allen ſeinen Mißbräuchen und Häßlich-
keiten. Soviel iſt bei mir ausgemacht, die freien Reichsſtädte
dauern auch nicht mehr lange, die Fürſten mögen auch noch
ſo human ſie ſich ſelbſt wiederſchenken! Sie waren, meines
Bedünkens, künſtliche und natürliche Inſeln des Freiheits-
Erdreichs, welche aus jenem wühlenden, wüthenden Meere
der erobernden Adelwelt empor ſahen, und ſtrebten, die aber
bald mit dem ganzen Erdreich zuſammengehören werden, je
[325] mehr und mehr jenes Meer verſiegt, und anderm Unbekann-
ten weichen muß, und längſt, längſt weicht; nur die Sonne,
die Nahrung und Geiſt iſt, ſteht noch oben, und behauptet
den alten Gang noch.


An Varnhagen, in Paris.



Dieſen Augenblick, mein Auguſt, erhalt’ ich deinen Brief
vom 30. mit Troxlers drin, den ich noch nicht geleſen habe:
mit Thränen in den Augen ſetz’ ich mich hin, dir für deine
Liebe zu antworten. Ich war ſchon auf meinen Knieen —
man ſollte ſo etwas nicht ſagen! — Gott zu bitten, obgleich
ich in allen ſeinen Willen ergebner bin, als in meinen, daß
er mich zu dir führe. — Du haſt es zu ſehr nöthig, ich leide
zu ſehr, wenn du entfernt biſt. — Ich bin über dein, alſo
unſer künftiges Schickſal ſehr ruhig; hat es ſich doch unter
ungünſtigern Umſtänden gefunden. Der Kanzler wogt zu ſehr;
er wogt auf der großen Stelle, die vielen Wellen machen ihn
ſchwanken, wie Alle, die ſich auf ſo reichem Meere befinden.
Ich glaube dir auch, daß er viel kämpfte: aber es iſt wahrlich
ein Kampf, und ein Einzelner kann ihn mit den größten Ein-
ſichten nur von ungefähr entſcheiden. Über den Tod denk’ ich
wie du; wir wollen zuſammenbleiben. So eben erhielt ich
wieder von der Arnſtein und der Ephraim die liebendſten
Briefe, ich werde ſie dir künftig ſchicken, weil ich ſie erſt Jul-
chen mittheilen muß. Mach dir kein Gewiſſen, treuſter, liebe-
[326] vollſter Freund, daß ich komme. Ich bin wahrlich allein; und
ohne Beziehung, wo du nicht biſt! Ich fühle es ununterbro-
chen. Ja, ja! man kann ſich einen Menſchen erobren; wenn’s
ein Menſch iſt: du haſt mich dir erobert in Liebe, und Ein-
ſehen meines Beſten in mir. — Schelte nicht! Ich weiß, wie
du, daß Goethe viel an mir hätte: eine Sorte, die er noch
nicht hatte: und dreiſt ging ich zu ihm, könnte ich es ihm in
einem Gefäß reichen, auf einem Korbe darbringen, lebte er in
einem Walde, wo er nicht gerne iſt; aber hier in einer Fami-
lie, wo er ſich ausruht, hat was er will, allein ſein will; wie
ſoll ich kommen, was ſoll ich ſagen. Und beſonders, da er
nun die aufmerkende langjährige Liebe von mir kennt. Nun
genire ich ihn. Denn dies, daß ich doch unſchuldig neben
ihm ſitzen würde, kann er auch nicht gleich wiſſen. Hätte ich
ihn von ungefähr getroffen, durch, mit Andern geſehen; alles
wäre gegangen. Viel eher fühl’ ich mir den Muth, ihm in
Weimar, bei ſich in ſeinem Orte, die Erlaubniß ihn zu ſehen,
zu fordern. Mit Goethe mag ich nichts wagen: dem will ich
wirklich nicht häßlich erſcheinen. Sonſt vertrag’ ich viel; du
weißt es. Aber ein Wort ſchreiben will ich, fragen will ich
ihn, ob er das Paket durch den Kaufmann R. erhalten hat.
Da es der Freund von einem Tage zum andern ſchiebt. Dies
Intereſſe verſteht er durchaus nicht: wie ein Hund ein Buch
nicht verſteht; und in dieſem Sinne verzeihe ich’s ihm. — Ich
weiß auch gar Goethen nicht in kurzen anſtändigen Worten
genug zu ſchreiben! Doch will ich’s. — Frau von Otterſtedt
iſt voller Karakter: ſie wird dir ſehr gefallen, äußerſt brav
und wahr; und ich bin gewiß, mir eine Freundin — dies
[327] Wort gebrauch’ ich weder als Kind, noch Narr — an ihr er-
worben zu haben, weil ſie auch weiß, daß ich rechtſchaffen
bin. — Troxlers Brief iſt ſehr ſchön, wenn ſich auch drüber
ſprechen läßt, grüß ihn herzlich. Hier iſt der, den ich Goethen
heute ſchrieb. Ich weiß, daß man ſich einem Miniſter anders
unterſchreibt; aber nicht wie; und wie es hier ſteht, fühl’ ich
es. Um halb 6 bringe ich ihn mit Julchen und Klärchen ſelbſt
ab. Lebe wohl! Ich muß eſſen. Mit der innigſten, ewigen
Liebe deine

R.


An Varnhagen, in Paris.



— — Früh 9 Uhr. Schönen guten Morgen! Hier reg-
net es, und eben kommt mit Sang und Klang ein ſchönes
Infanterieregiment Ruſſen herein, das macht mich immer ein
wenig nüchtern. Ich wollte dir noch ſagen, daß, wenn der
Hut nicht kommt, es nicht viel zu ſagen hat: aber auf die
Häubchen halt’ ich mehr. Ich habe Pradt geleſen; der iſt ja
eine Art Marmontel, der ſich bei ehrlich-geſcheidten Leuten
den größten Schaden thut. Ein Emigrant im Herzen, der
dem Kaiſer als Sklav huldigte, und gehorchte, mit heimlicher
rage im Herzen, ihm ſelbſt in der Zeit unbewußt; der die
Sprüche der Zeit in der größten Taubheit des Verſtandes in
ſchlechtem harten Franzöſiſch vor- und nachkäut. Ohne Den-
kungsart, der das ganze Buch nicht würde geſchrieben haben,
wenn er es Maret vergeſſen könnte, daß der ſeine Depeſche
[328] ſchlecht fand, und ihn antichambriren ließ. Unverſehens hat
er etwas Napoleon geſchildert; aber nicht das von ihm, was
er beabſichtigte. Wer daraus die polniſchen Affairen kennen
lernt, den will ich ſehen! Carnot aber, der bei weitem nicht
tief iſt, und dem etwas, man möchte ſagen wie Geiſt, wie
Spirituöſes in ſeinem Schreiben fehlt, hat den Muth, der bei
den Rechtſchaffenen vom Selbſteinſtehen, vom Soldatenleben
kommt; der macht mit dieſer Vertheidigung selon moi einen
neuen Abſchnitt in dem Schreibegeſchwätz. Er iſt der Erſte,
der blank und baar ſagt, worauf es angekommen iſt. Sein
Land zu retten und zu ſchützen; und dies durch welche Art
von Regierungshaupt es auch ſei u. ſ. w.; und nicht die ab-
gebrauchte Lügenſprache führt! Für die Alliirten iſt ſeine
Schrift der kritiſchte rapport Fouché’s, an den müſſen ſie ſich
halten; ſo ſteht’s mit dem Lande; ſo denken Franzoſen. —


— Habe Geduld, Auguſt! Lieber! ich muß auch welche
haben: und immerfort; in allen Dingen groß und klein. Heute
hab’ ich mich erſt ſo wieder bedacht; ich bin voller Geſchmack
in allen Dingen: in allem; in Betragen, in allem; und muß
mich immerweg ſo geſchmacklos betragen, und ſein, und Ge-
ſchmackloſes annehmen: und bin ſelbſt davon, trotz der rein-
ſten ſchärfſten Überzeugung, wider Willen, wie jäh bergab
geſtürzt, ſolche Erſcheinung geworden. Ohne alle meine zu
dieſer Betrachtung führende Gedanken ſcheint es ein Unſinn!
Aber wir reden darüber. Ich habe ein graziöſes Herz, und
betrage mich auch ungraziös; aber was mir zu und an mich
geſchickt worden iſt, war auch wahrhaftig lauter Verletz-Ge-
[329] wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte
mich nicht wehren: nur denken und in die Bruſt aufnehmen.
Lieber Freund! Ich büße es ſelbſt, daß ich dich hoffen
und wieder entſagen laſſen muß. Aber Einer von uns muß
handlen wie es ihm genehm iſt. Ich will es ſein. Sei dies
meine Delikateſſe. —


An Varnhagen, in Paris.



Dies iſt den Brief werth. Nun wirſt du ſelbſt dich freuen,
daß ich noch hier war. Guter theurer Auguſt. Goethe war
dieſen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies iſt mein
Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch ſo ſchlecht, als Einer,
dem ſein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiſer König
den Ritterſchlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm
mich ſehr ſchlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht ſprechen!
O! wie weiſſagte meine Seele geſtern, als ich dir ſchrieb, ich
hätte den größten Geſchmack, und müßte mich immer ſo ge-
ſchmacklos, ſo ungraziös betragen: immer ſelbſt ſo erſcheinen!
Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umſtände, Ereig-
niſſe, reichten ſich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich
durch Überwältigung hinein zu ſtürzen. Höre nur! Als vor-
geſtern und geſtern keine Antwort von Goethe kam, beſchäftigte
es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroniſche
Krankheit; (und noch Einmal ſei dir dieſe größte Liebeserklärung
gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-
[330] gen, mich und meine heimliche Leidenſchaft aufopfernd, ſchrieb
ich ihm) — und ich dachte, der Brief ſei ihm nicht abgege-
ben; oder, trotz der Unmöglichkeit! er käme lieber einen
Moment zu mir, als daß er mir auch nur eine Zeile antwor-
tete: oder, er habe ſchwer einen Boten: und ſo dacht’ ich mir
denn ſein Kommen, oder Schicken; und dabei, daß es gewiß
geſchähe zur Unzeit, und wenn ich’s gar nicht dächte; wie im-
mer. Das aber konnte ich mir nicht denken: ein Viertel
auf 10 iſt zu arg. Ich hatte geſtern ein erhitztes rothes Auge;
und ſolche Beſchwerden an den Augen, wie du ſie mir kennſt;
wozu mir denn die geſtrige Komödie nicht half. Als ich den
Morgen erwachte, ſo war das Auge nicht mehr roth, aber
beide thaten mir weh, als wäre Staub darin; und um nicht
zu leſen, und ſie zu ruhen, blieb ich im Bette — ſonſt ſteh’
ich jetzt ziemlich früh auf — frühſtücke im Bette, nehle ſehr,
und ſtehe endlich um 9 auf. Grade im Zähneputzen, im ro-
then Pulver, mit meinem Flanellen angethan, kommt mein
Wirth, und ſagt Doren, ein Herr wolle mich ſprechen. Ich
denke, ein Bote von Goethe. (Noch nie kam der Wirth,
und nie in ſolcher Art Angſt.) Ich laſſe fragen, wer es iſt,
und ſchicke Dore hinunter; dieſe bringt mir Goethens Karte;
mit dem Beſcheid, er wolle ein wenig warten. Ich laſſe ihn
eintreten und nur ſo lange warten, als man Zeit braucht,
einen Überrock über zu knöpfen; es war ein ſchwarzer Wat-
tenrock; und ſo trete ich vor ihn. Mich opfernd, um ihn
nicht einen Moment warten zu laſſen. Dies nur blieb mir
von Beſinnung. Auch entſchuldige ich mich nicht, ſondern
danke ihm! „Ich dank’ Ihnen!“ ſagte ich; und meinte, er
[331] müſſe wiſſen wofür! daß er kam. Entſchuldige mich nicht;
denn ich meine, er muß wiſſen, daß ich ganz ſchwinde, und
nur er berückſichtigt wird. Dies — leider!! — war die erſte
Bewegung meines Herzens. Nun denk’ ich in heftigſter, ja
komiſcher, quälender Reue anders! Er ſagte mir, mit einer
etwas ſächſiſchen, ſehr aiſéen Sprache, er bedaure nicht gewußt
zu haben, daß ich bei ihm war. „Wir wollten nur wiſſen,
ob Sie das Paket erhalten hätten. Wir hatten es einem
Wiener Kaufmann gegeben, der es mit bis nach Leipzig nahm.“
Ich danke Ihrem Herrn Gemahl, ſehr grüßen Sie ihn von
mir; ich habe auch gleich antworten wollen, und legte es deß-
halb zurück, aber mit den intereſſanteſten Sachen geht’s einem
am meiſten ſo, man kommt nicht dazu. Ich danke Ihnen
ſehr! „O! das glaub’ ich wohl, es geht mir ja ſogar ſo.
Ich wollte auch nur wiſſen, ob es in Ihren Händen ſei.“ Er
ließ dich wieder grüßen, wohl dreimal, fragte, wo du biſt. Ich
ſagte ihm meinen Fall mit dem Nachkommen; wie der Kon-
greß auf mich gewirkt habe: deſſen war er, ganz weiſe, und
abgethan und zweihundert Jahr alt, einverſtanden; und meinte
auch, es ſei nicht zum Nacherzählen, weil es keine Geſtalt
habe; ich ſagte ihm, ich hätte erfahren, daß der Krieg um-
bringe, aber nicht zerſtöre, und geſtand ihm zu, daß man
dies an Frankfurt ſähe, deſſen Umgebungen wir um die Wette
lobten, und er meinte, es würde ja dort bald aus ſein, und
wir auch noch etwas Gutes davon erfahren. So glimpf! ſo
hoffnungsreich auf die Natur; ſo gelaſſen, freundlich, und un-
ſicher, ſo vague, und feſt. Daß es mir eine Luſt war! Er
überredete mich zu Bieberich, Wiesbaden, und dieſer Reiſe;
[332] geſtand, wo er wohne, ſei die beſſere Seite von hier. Er lobte
Heidelberg, und daß man noch ſähe, daß es eine Reſidenz
war. Und als ich von Lokal und ſeinem unbeſiegbaren Ein-
fluß ſprach: bejahte er’s; „Darin müſſen wir ja einmal leben,
das thut ſehr viel.“ Er fragte mich, wo wir immer wohnen.
Im Ganzen war er wie der vornehmſte Fürſt: aber wie ein
äußerſt guter Mann; voller aisance; aber Perſönlichkeiten ab-
lehnend: auch vornehm. Auf dich, ziemlich geſpitzt; und
äußerſt verbindlich. Er ging ſehr bald. Ich konnte ihm nicht
von der Pereira, nicht von der Grotthuß, von nichts ſprechen!
Nur ganz zu Anfang ſagte ich ihm: „Ich war es, die Ihnen
in Niederrad nachſchrie; ich war mit Fremden dort, eben weil
Sie davon geſprochen hatten; ich war zu überraſcht.“ Er
ließ dies ganz durch. Es war mir Recht. Ich fühle, daß
ich mich im Ganzen ſo betragen habe, wie damals in
Karlsbad. Mit der haſtigen Thätigkeit: lange mein ſchönes
ſtilles, beſcheidenes Herz nicht gezeigt. Aber wenn man Einen
nur einen Moment, nach ſo langjähriger Liebe, und Leben,
und Beten, und Weben, und Beſchäftigung, zu ſehen bekommt,
dann iſt es ſo. Und mein Negligé, mein Gefühl von Ungra-
zie brachte mich ganz danieder; und ſein ſchnelles Weggehen.
Aber nun beſuche ich ihn: Otterſtedts wollen es ſo ſchon die
ganze Zeit: ich aber wollte nicht. Im Ganzen iſt es raſend
viel, daß er kam. Er ſieht keinen Menſchen. Wollte Prin-
zeſſin Solms, des Königs Schwägerin, mit dem neuen engli-
ſchen Gemahl durchaus nicht ſehen. Kurz, ich fühle mich
über die Maßen in meiner Erniedrigung geehrt. Nur ich weiß,
wie elend ich war. Goethe hat mir für ewig den Ritterſchlag
[333] gegeben. Beim Himmel! Er weiß es, der Himmel! Kein
Olympier könnte mich mehr ehren, mir von meiner Ehre
mehr bringen. Erſt wollte ich dir, meine Guſte, die Karte
ſchicken; aber ich traue ſie keiner Poſt an. Nun höre ganz,
wie lächerlich ich bin. Als er weg war, zog ich mich ſehr
ſchön an. Als wollt’ ich’s nachholen, redreſſiren! — Ein ſchö-
nes
weißes Kleid mit hohem ſchönen Kragen: eine Spitzen-
haube, einen Kantenſchleier, den Moskauer Schal: ſchrieb Frau
von B. ob ſie mich ſehen will, und wollte doch einem Andern
würdig erſcheinen!!! — Sie wollte mich: und ich fand eine
liebe Freundin der B. eine reizende Frau, die dir gewiß ge-
fallen wird, und worauf ich mich freue. — Nun will ich dir,
wie Prinz Louis mir, ſagen: „Nun bin ich Ihnen unter Brü-
dern
zehntauſend Thaler mehr werth; Goethe war bei mir!“
Liebe Guſte! Theurer; meinetwegen iſt es dir: ich weiß es!
deinetwegen ſchrieb’ ich; wiſſe es. Und nun, da er da
war, kommt mir mein Billet nicht mehr ſo öde, ſo unperio-
diſch, ſo geſtaltlos vor; ſondern gut. Geſtern ſah ich eine
hübſche Oper göttlich geſungen von Mad. Graf, geborne Bö-
heim. Les acteurs ambulants, aus dem Italiäniſchen. Jetzt
muß ich eſſen und ruhen. Ich war bei Otterſtedts und Her-
zens. Fahr’ um halb 6 aus. Soll in die Komödie, Mad.
Vohs ſpielen ſehen, die alte Weimarin. Bin müde; und weiß
noch nichts Näheres über meine Reiſe. Heute biſt du mir nicht
böſe! Als mir die Frau von B. ſagen ließ, ſie erwarte mich:
ſagte Dore: „Nun! heute gelingt alles.“ Gleich betete
ich laut: Gott ſoll dich kommen laſſen, und Preußen beſchüz-
zen. So iſt der Menſch. Man liebt ſein Land! Ich mußte
[334] ſelbſt drüber weinen. Adieu! Deine ſtolze, beſchämte, ärger-
liche, treue, kluge bei der Dummheit!

R.


An Varnhagen, in Paris.



Geſtern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do-
ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden
Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney’s
Vertheidigung. Liebes! „gelehriges Herz!“ du verheißeſt
mir in dieſem lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok-
tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben!
Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab’ ich mich
ſo vor dem Tode gefürchtet. Ich ſoll vergnügt ſein! Ein-
ziger theurer Freund, ich bin es, (ich will Geduld haben!)
da ich dich bald ſehen ſoll: wir werden hier, auf der Reiſe,
allenthalben ſehr vergnügt ſein; zu Hauſe allenthalben; und
die Welt geht ihren Gang, „wie Sonne und Mond und an-
dre Götter,“ wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in
der Mitte leben, und ihr zuſchauen. Du denkſt unaufhörlich
an mich? fragſt bei aller Gelegenheit um meine Billigung
und Einſicht bei deinem ganzen Thun und Laſſen; leider wohl
oft ohne ſie zu bekommen, fürchteſt du; aber darum doch nicht
ablaſſend in deinem Eifer? Und ich —! konnte, eh’ ich dich
hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft’ es,
erſah es, prätendirte es gar nicht anders, ſuchte es nicht mehr,
in Gelaſſenheit, und Vergnügtheit, wenn ſie mich in Ruhe
[335] ließen, und ein ungraziöſes Schickſal mich nicht aufzuſtören
befliſſen war, „fand mein karges Futter“ vergnügt und rei-
ſefertig „auf jedem Hof.“ Gott weiß es, du auch; und es
iſt wahr. Nur geneigt war ich nicht mehr, weil ich es nicht
mehr fähig war, mein Leben wieder für ein Vierteljahr Zu-
ſammengehen bei irgend einem Weſen vom Menſchengeſchlecht
einzuſetzen; die Proben meiner unbedungenen Hingebung hatte
ich mir, alſo allen andern Freunden und Freundinnen, zur
Genüge rein und völlig abgelegt; ein zum Narren haben
an mir ſelbſt aus- und aufgeführt, war bei einer unſchuldigen
Seele, bei einem unbefleckt, unerſchüttert redlichen Herzen un-
möglich; ſo war meine Seele und Herz. Du haſt es erfahren,
wie ich ein ernſtes Herz in meines aufnehme. Mit meinem
Leben erwiedre ich’s. Wiſſe, ermeſſe, wie ich es anſehe, daß
du mich wieder in’s Leben hinein geführt haſt. Ich will ja
nun leben, weil du es wünſcheſt, weil ich mit dir leben kann.
Von dir hab’ ich ja erfahren, daß auch ich geliebt und gehegt
werden kann, wie ich Andere hege und liebe; daß ich kein
verzaubertes monstre bin: worüber ich, du weißt es, ganz ge-
faßt und vergnügt war. Ich liebe dich deiner Liebe wegen:
und nicht, du glaubſt es, weil ich der Gegenſtand dieſer ſchö-
nen Herzensentwickelung bin: nein! weil ſie in dir möglich
iſt, weil ich dies ſchöne Spektakel ſehe; weil ich ſolchen ge-
haltenen, erglühten Ernſt nie ſah, und ſah ihn nie, weil er
nur ſelten, weil er ſo ſchön iſt; ein Gelungenes! Ein Äch-
tes; und vom Schickſal Bejahtes mit einem Gegenſtand. Ich
ſehe in dir eine Unſchuld, ein Gewährenlaſſen, ein ſich entwick-
lendes Herzensgedeihen: ſo denk’ ich mir hätte ich meinem
[336] Herzen zuſehen können, hätte man; in ächter, rother durch-
ſichtiger Gluth nahm ich ohne Rückhalt, ohne Vorbedacht al-
les unſchuldig auf; und wurde nicht Einmal natürlich begeg-
net. Angeſchrieen, überſchrieen, beſeitigt, unberückſichtigt, die
ganze lange Jugend durch; das Andere mag ich gar nicht
einmal nennen. Gott ſelbſt hörte mich nicht. Er wollte es
ſo: und ich habe mich auch ſchon längere Zeit unterworfen.
Sei auch nachſichtig, Auguſt, wenn du jene Friſche oft nicht
findeſt, die Einem Glück konſervirt, oder Untugend, und eitle
Gedankenloſigkeit, loſer Geiz, der an die wahre Herzenskammer
nie anfordert. Goethe ſagt ſo ſchön in ſeinem Leben, bei Gele-
genheit der Kataſtrophe mit Gretchen: die Knaben- und Jüng-
lingspflanze war ihm aus dem Herzen gebrochen, und es [bedurfte]
längerer Zeit, — ſo ungefähr — eh Neues ſich erzeugen konnte:
dies iſt der Sinn der letzten Worte, die ich nicht mehr weiß.
Mir brachen Eltern, Geſchwiſter, Freunde und Freundinnen,
und elende Geliebte ganze Vegetationen hinter einander aus.
Ich ſchwieg in meiner Jugend, in meinem Reichthum, und
dachte es müßte ſo ſein. Hielt ewig mich für ungraziös, und
das ſo intim, ſo gewiß, daß ich’s nicht einmal ſagte, da doch,
meiner Meinung nach, mir niemand auf ſolche Klage zu ant-
worten hätte, wie auf die wegen eines Buckels, oder andrer
Gebrechen. Ich bin aber nicht unglücklich, weder im Gefühl,
noch in der Überlegung. Ein ſchönes Schickſal hatte ich nicht;
aber gottgeſegnet war ich doch; es war immer Feiertag in
mir. Mit all dieſem wollte ich dir nur zu ermeſſen geben,
wie du mir mit deiner Art und Liebe gegen mich erſcheinen
und ſein mußt: und ob ich dir erwiedere, dich erkenne! Aber
auch
[337] auch die Andern. Denn wiſſe! — in Details will ich mich
hierüber nur mündlich vernehmen laſſen, und wie das nach
und nach in mir vorgeht — jetzt, da ich gar nichts mehr mit
ihnen zu ſchaffen habe, ich nicht mehr generös zu ſein brauche,
nicht mehr vor Gemüthsaufruhr, den der bedingte Augenblick
mit ſeiner Noth und zu nehmenden Entſchlüſſen erheiſcht, nicht
überlegen kann, werden ſie mir erſt ganz verächtlich, zum rei-
nen unbekannten Nichts, zum Ekelhaß aus Verwerfung, zu
meiner eigenen Befremdung, die auch ſchon vorüber iſt. Die
Lebens- und Denkreſultate aber klingen und ſchmecken bei wei-
tem anders. Dieſe ſind, eine für’s Mitleid doch zu kalte Be-
trachtung, der Menſchenſituation überhaupt. Wir ſind in
Verworfenheit Alle; in einem ſolchen Zuſtand; und wahrlich,
ſich ſelbſt opfrende Heldenarten gehören dazu, das ſittliche
Haupt, das Auge der Seele nur, aus all den Lügenbeding-
niſſen zu erheben; welches ſo natürlich ſein ſollte, und iſt,
ſobald der Fall wirklich eintritt. Man kann den ſchlechter
Gearteten nur als einem minderen Gewürm ausweichen, und
ihnen, wenn ſie doch leiden, helfen; und dies geſchieht auch
von jedem in ſeinen Kreiſen von Bewußtſein, bewußt und
unbewußt. Es giebt ganz was anderes, was wir nicht faſſen.
Das weiß ich. Und nun komme! Gott führe dich zu mir.
Ich hoffe: und komme, da D. nun ſo zögert, auf dieſe kurze
Zeit nicht. Wir ſehen ein andermal Frankreich beſſer mit ein-
ander. — Zum Spaß, aber laß dich davon nicht gegen ihn
aufbringen, ſchicke ich dir Th’s Brief; dieſen nichtigen, leeren,
dürren, ſich ſelbſt widerſprechenden Lügenbrief. Mit dem er
mir diesmal gar nichts Beſonderes weis machen wollte, in
II. 22
[338] dem er aber ſich ſelbſt, weil er doch einmal ſchreibt, als Lüge
in ſeiner verlogenen Dürre auſſtellt. Und das mir: die ihnen
immer aus der größten Fülle die größten Komplimente macht,
die aufrichtigſten Äußerungen ſchickt, und ſie mir gleichſtellt.
Aber nun nicht mehr: ich werde ſehr ſelten, und ſehr karg
ſchreiben, wozu die Verſchwendung von doch nie anerkann-
ten Kräften? Schreib du ihm aber manchmal, und theile die-
ſen meinen Zorn nicht. Mit dir giebt er ſich doch noch Mühe;
und iſt kokett. — Ney’s Vertheidigung iſt das Schlechteſte
was ich kenne: ich habe ſie noch nicht ausgeleſen. Aber vor-
geſtern ſagte ich ſchon, er käme durch, weil ihn Marſchälle
richten. — Der Hut gefällt mir ſehr, ich will ihn nachmachen
laſſen. Heute iſt bei Otterſtedt ein Thee, wo auch Schloſſers
ſind; den Erfolg nächſtens. Geſtern fuhren Otterſtedts und
ich zu Goethe, — er hatte einen Brief vom Herzog von Wei-
mar für ihn. Willemers waren ſpaziren: Goethe ſeit Freitag
in der Stadt, von wo er erſt den Dienstag zurückkommt.
Otterſtedt war dieſen Morgen bei ihm ohne ihn zu finden;
bringt ihm jetzt wieder den Brief, und will ihn zu dieſem
Abend bitten. Er kommt nicht. Otterſtedt ſchickt dem Kanz-
ler, Stein und dir einen Bericht über Würtemberg, welchen
er von dem heute Nacht hier durchgegangenen Grafen Wal-
deck erfuhr, der dort arretirt und vom Volke frei gemacht
wurde. Einen Artikel wird O. dem Kanzler privatim ſchrei-
ben; das iſt der: — —. Schicke, liebes Güſtchen, Taftpro-
ben und den Preis von modiſchen, aber beſonders faſſionirten,
quarrirten, die ich ſehr liebe, in Blau, Grün, Violet u. ſ. w.
Du kaufſt mir auch etwas Blumen! zuvörderſt Federnelken,
[339] eine Guirlande davon. Schöne Roſen. Nimm Jettchen zu
Rathe: und nicht bei den Theuerſten, ſage Jettchen: die
Andern hätten auch ſchöne. Und
, entweder du bringſt
mir modiſche Federn, oder, einen Hut mit Federn. Er muß
nicht ſchwer ausſehen, ſage Jettchen; und hübſches Band.
Ich bin recht zahm, ich werde dir ein Maß von meiner Kopf-
weite beilegen. Der iſt dick. Ich möchte auch ein paar Hau-
ben. Damit aber muß ſich Jettchen ſehr in Acht nehmen, denn
die können geſtickt und mit Spitzen ungeheuer theuer aus-
fallen, worüber ich einen wahren Gram hätte, und es in
jedem Fall merkte. Mir iſt es nur um die Façon zu thun.
Es giebt auch gar artige Umſchlagetücher, von Trikot oder
florenem Zeug, kurz nach der Mode, viereckige kaß dir auch
von Jettchen kaufen. Sie thut’s. Sie wollte ſo immer nicht
zu mir kommen, und noch weniger bleiben: ſie iſt mir das
noch ſchuldig. Auch wegen meiner Geſinnung. Denn, beim
Himmel, nur daß ich Sie nicht ſehen ſoll, nenn’ ich Paris.
Aber ein anderesmal! ein beſſeresmal. Nur um Gottes wil-
len laſſen Sie ſich nicht überreden nach Deutſchland zu kom-
men! Wenn Sie nicht den Muth haben, mit mir und
Varnhagen zu wohnen, kommen Sie unter keiner Bedingung.
Dieſer Vorſchlag iſt wenigſtens ſechszehn Jahr in meiner Seele.
Ich ſchwor mir, wenn ich je zu einer Situation komme, ſie
Jettchen anzubieten. Sie iſt die Feinſte und Zarteſte, die ich
kenne. Und nun ſteht der Vorſchlag hier zu Ihren Dienſten.


Schreibe mir oft, und wenig, und wie du willſt. — Ich
liebe dich unſäglich, und freue mich todt, dich bald zu ſehen.


Deine R.


22 *
[340]

Grüß die Herren von Pfuel, Tettenborn, Bentheim, Stä-
gemann, Jordan, Gr. Schlabrendorff. Wo iſt Ternite und
Timm? Alles, was du ſagſt, goutir’ ich, und bin deiner Mei-
nung, und ſehe es von hier. Deine Galanterie gegen die
Damen Stägemann und Jordis lieb’ ich!


An Varnhagen, in Paris.



Hier, lieber Auguſt! lies dieſen Aufruf des Prediger Brei-
denſtein! Ich gebe ſonſt nie zu öffentlichen Sammlungen, ſon-
dern von Hand zu Hand, wenn meine Augen Elend ſahen,
und ich es beurtheile; weil ich mir immer einbilde, die, welche
ich alsdann ſo recht elend ſehe, ſind ausgefallen aus den ge-
nerellen Anſtalten, und daher erſt recht beklagens- und hülfe-
werth. Aber dieſes Schreiben verdient jedes Herz und jeden
Beutel zu öffnen. Wahr! lieber Prediger, man vergißt ſeine
Gelübde, ſeine Noth, ſeine Angſt; und läßt ſich von tollem
Luxus betaumeln, und von den raſenden Menſchen, die ihn
treiben. Ich alſo, lieber Auguſt, habe mich gleich bei der Le-
ſung der Breidenſtein’ſchen Ermahnung entſchloſſen — wie
Hamlet der Mutter rathet — den ſchadhaften Theil meines
Herzens wegzuwerfen, und thränenlebendig wurde das, was
ich wohl Gutes ſchon gedacht hatte, in mir: ich gebe ſogleich
das Einzige, was ich beſitze, den Ring, den mir M. zu mei-
ner Hochzeit ſchenkte. Er wird wohl 100 Thaler werth ſein.
Nichts hab’ ich ſonſt von Werth. Wozu auch. Bei Gott!
[341] ſo lange noch die Kriegstrümmern umhergehen, iſt es keine
Zeit zu blinkenden Kämmen in den Haaren, oder dgl. Du
weißt, welch Gewiſſen ich immer habe, — die Schlegel ſogar
wollte mir dies in Wien immer ausreden, — Staat zu ma-
chen neben Armuth im Lande! — Aber es iſt nicht genug,
daß wir ſelbſt geben. Ich ſchicke dir zwei Exemplare geſtriger
Zeitungen. Eins ſchicke meinen Brüdern nach Berlin, mit
meinen Worten; und mit der Bitte, es allen meinen und
ihren Bekannten herumzureichen, damit ſie erſchüttert werden,
und geben; die Brüder ſollen ſich nicht ſchämen. Sie ſollen
Prediger Breidenſteins und meine Worte gebrauchen in unſren
Namen! Du aber, behalte ein Exemplar in Paris, und ſpreche
dort alle Deutſche an. Laſſ’ es ſie leſen, Einen dem Andern
geben. Jette’n Mendelsſohn, Frau von Jordis, den andern
Mendelsſohns; allen Weibern beſonders; die mögen es beſor-
gen. Es ſind viele Prenßinnen, Berlinerinnen dort. — Ich
ſchicke die Zeitungen für die Brüder dir, des Porto wegen: du
kannſt ſie mit einem Kourier ſchicken. Breidenſteins Ermah-
nung iſt ſo ſehr aus dem wahren Herzen, daß meines helfen
ſoll, daß ſie Erfolg hat. Er ſoll das Glück haben. Adieu
liebe Guſte.



Aus Goethens Leben. Zweiter Band. Sieben-
tes Buch
. S. 107. Sehr anſpruchslos der Deutſchen Zu-
ſtand geſchildert; der ganz jetzt aus der Acht gelaſſen, wo die
Deutſchen aus dem Stein ſpringen ſollen, ganz ohne Ver-
gangenheit; dies aber grade gehört mit dazu. „Eben ſo zog
[342] man den vornehmen Anſtand der fürſtengleichen römi-
ſchen Bürger
auf deutſche kleinſtädtiſche Gelehrten-Ver-
hältniſſe herüber, und war eben nirgends, am wenigſten bei
ſich zu Hauſe.“ — „Fürſtengleiche römiſche Bürger.“ Noch
lebt nur der Adel in der neueren Welt als Menſch; oder,
man räumt ihm wenigſtens den Anſpruch darauf ein. In
dem, was noch feſtſteht.


S. 121. „Betrachtet man genau, was der deutſchen
Poeſie fehlte, ſo war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler:
an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur
Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt
werden darf.“ Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen
Poeten machen, her. Sehr ſchön. — Auch mit Gewalt wol-
len ſie ſolchen Gehalt, „und zwar einen nationalen,“ her-
ſchaffen. Sehr ſchön ſpricht Goethe vom Dichter König, und
rechtfertigt ſein Gedicht über König Auguſts Luſtlager. Goethe
griff ein paar Stufen tiefer, und faßte ein Leben der Deut-
ſchen in Hermann und Dorothea. Was er im Meiſter und
den andern Schilderungen leiſten konnte, wird ihm nur darum
beſtritten und nicht aufgefaßt, weil es ſo vortrefflich iſt: er
ſchildert ein ſchwankendes Streben, von mancher andern Na-
tionalität gefärbt, zu dem ſich keiner bekennen mag, wie er
es nicht zu erkennen verſteht, und noch weniger die tiefe Seele
zu fühlen fähig iſt, die es aufgenommen hat, und mit Geiſt
und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und ſchein-
barer Ruhe wiedergiebt:


S. 145. Er ſpricht von der Bibel. Wie ſchön! Wenn
es auch nur naiv gemeint iſt: das heißt, wenn er auch nur,
[343] nachdem er’s geſchrieben hatte, ganz ermaß, wie folgereich,
Natur und Geſchichte umfaſſend, die wenigen glücklichen
Worte ſind. Er ſagt: „Allein dieſem Werke — (wie ſchön
das Wort hier!) — ſtand, wie den ſämmtlichen Profanſkri-
benten, noch ein eigenes Schickſal bevor, welches im Laufe
der Zeit nicht abzuwenden war.“ Nicht abzuwenden. Im
Laufe der Zeit. —


S. 147. Spricht er noch von der Bibel; und erzählt,
was in damaliger Zeit zu ihrer Vertheidigung geſchah. Mir
unausſprechlich merkwürdig ausgedrückt. In einer ſolchen
Art, wie ich mir denke, daß Geſchichte geſchrieben werden
kann. In keines Menſchen Sinn geſchrieben. Nicht geneh-
migt, nicht getadelt: als ob die Erde in der Zeit, wo es ge-
ſchah, ein Mittel gefunden hätte, das Geſchehene für kom-
mende Geſchlechter aufzubewahren. Mich macht dieſe Art
traurig. Das iſt aber recht. Denn es iſt traurig, und für
unſer Menſchendaſein, wenn auch drüberhinaushebend, nicht
ſchmeichelhaft, daß ſich die Begebenheiten an einander ent-
wickeln und der Menſchen Thun und Laſſen, ohne im gering-
ſten auf Einzelne, ihre beſchränkten Wünſche, oder ſich auf
dieſe beziehende Eitelkeit des Fühlens noch des Wollens, Rück-
ſicht zu nehmen; aber uns dies ganz klar zu machen ohne Aus-
einanderſetzung, iſt, glaub’ ich, das Weſen der Geſchichte: zu
zeigen, daß ſich ihr ganzer Gang, mit allem Um- und Durch-
wogen durch das menſchliche Gemüth, auf eine allgemeinere
Natur bezieht, als die, welche unſere Einrichtungen, Geſetze
und Einſichten beſtimmen helfen wollen. Fichte ſagte einmal
in einer Vorleſung: „Das, was wir nicht kennen, und nicht
[344] zu erklären vermögen, nennen wir Natur.“ Das gefiel mir
ausnehmend, es kam in einer ſchönen Folge.


S. 163. Prächtig zeigt er in wenigen Worten, wie ganz
er Leſſing kennt, wie er ihn liebt, und beinah negativ wie er
ihn hochhält; mich freut das in der Seele, die Überzeugung,
daß ein edler Menſch, ſobald er ſich nur äußert, und nirgend
geſchieht dies beſſer, als in Schriften, durchaus von einem
Andern, der geſcheidt iſt, erkannt werden muß. Dies ſind die
negativen Worte, aus der tiefſten Überzeugung und klarſten
Anerkennung: „Eines Werks aber, der wahrſten Ausgeburt
des ſiebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutſchen
Nationalgeiſt, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen“
u. ſ. w. — Wie voller Einſicht! Aber auch nur dann ur-
theilt man ſo liebevoll. Solche Leſer und Beurtheiler wünſche
ich Goethe’n! Aber bei ſeinem Leben. —


Er beurtheilt den damaligen Zuſtand der Welt, den
Effekt des Krieges, mit derſelben gelaſſenen Einſicht, womit
er dieſe Zeit und unſere Kriege betrachtet; das wollen ihm die
Widerſacher, die Entgegengeſetzten in Sehen und Vermögen,
nicht nachgeben; ſie wollen nicht nachdenken, ja nicht einmal
nachleſen, in Goethe ſelbſt nicht, wie die damalige beſchädigte
Welt von Friedrich dem Zweiten ſprach.


S. 197. Wie von Napoleon. Auch die Talente, und
die ausgeübten Thaten wollten ſie Friedrich dem Zweiten ganz
abſprechen; und thaten es. Wie alſo muß Goethe’n, nach ſo
langjährig in Erfahrung gebrachter Lebensthorheit und gedan-
kenloſer Übereilung, die jetzige zum Schweigen bringen! Und
wie ſonderbar! zwei Helden hat er erleben müſſen, faſt an
[345] den beiden Thoren ſeines Lebens. Einer ein König, der ſeines
Gleichen bekriegte, und die Untern mit und ohne Abſicht er-
hob. Der zweite ein Emporkömmling, Uſurpator genannt,
der die über ihm ſtanden erniedrigte, auch dadurch, daß er
neue ſchuf; der erſte, die Deutſchen nicht achtend, und durch
ſich ſelbſt hebend: die Franzoſen liebend, und ſie dadurch grade
uns am meiſten entbehrlich machen helfend; der andere, die
Deutſchen verachtend, und dadurch am Ende die Deutſchen
erhebend. Beide wie alle Eroberer gehaßt, weil immer ein
ſolcher einen neuen, heftigeren Krieg erfinden und üben muß.
Der König, als ſolcher geduldet; durch Geiſt, Geſetz- und
Kunſtliebe ſein Land, und dadurch ſich erhaltend: der Empor-
gekommene nicht geduldet, weil er nicht Geiſt genug hatte,
ſeine mitlebende Welt zu ahnden, und ſprungweiſe über ſie
hinausgriff; kurz nicht ganz für den Augenblick vom Schick-
ſal erwählt und paſſend gebraucht wurde; welches jedem Gro-
ßen nöthig iſt.


S. 248. Äußerſt ſcharfſinnig und ſehr ſchön, als er eben
über Leſſings Laokoon zu ſprechen anfängt. Der war auch
ein Fund für mich. Ich fand ihn in der Jugend in einem
Zimmer, und ich war ganz beglückt.


S. 252. Es iſt gar keine Schwäche, die Wirthshäuſer
ſo zu haſſen. Sie ſind mir ein Abſcheu! und ich freue mich,
daß Goethe ſie wenigſtens in der Jugend auch haßte. Die
in kleineren Städten ſind lange nicht ſo haſſenswerth und
ſchlecht, in aller Art.


S. 254. Goethe ſpricht von dem Verwandten ſeines Leip-
ziger Stubenkammeraden, einem Schuſter. Er liebte den Mann
[346] aus ſeinen Briefen, und ſagt: „Enthuſiaſtiſch wie ich war,
hatte ich dieſen Mann öfters verbindlich grüßen laſſen, ſeine
glückliche Naturgabe gerühmt, und den Wunſch ihn kennen zu
lernen geäußert.“ Enthuſiaſtiſch nennt er dies jetzt. Auguſt!
wer iſt noch ſo? O! wie freut mich das! Enthuſiaſtiſch
nennen ſo etwas immer die andern Leute! „Und dem gebund-
nen Geſpräch folget das traurige Spiel!“ So ſind die an-
dern Leute; ſo nennt, ſo tadelt er ſie noch oft. So waren
ſie ihm von je. Zu meinem Troſt.


S. 257. Göttlich iſt der Schuſter beſchrieben. Mit ſol-
chen eigenen Worten, in ſo ſchöner Erinnerung, in weiter,
ruhiger Vergangenheit, und in regeſter Lebendigkeit; herrlich;
und unverſehens iſt er mitbeſchrieben.


S. 282. Unendlich ſchön über ſeine Geſundheit.


S. 292. Wunderſchön, über Freundſchaft, und Religions-
bedürfniß und Religionszuſtand.


S. 458. Las ich wegen Friedrich Schlegel, der Goethe’n
boshaft über Herder nannte, mit der größten Aufmerkſamkeit.
Kein Gedanke! Sehr frappirt ſcheint ihn der Zuſtand zu ha-
ben, in welchen ihn Herder verſetzte; denn ehe er ihn in ſei-
nem Benehmen beſchreibt, ſagt er ſchon: „Und ſo hatte ich
von Glück zu ſagen, daß, durch eine unerwartete Bekannt-
ſchaft, alles was in mir von Selbſtgefälligkeit, Beſpiegelungs-
luſt, Eitelkeit, Stolz und Hochmuth ruhen oder wirken mochte,
einer ſehr harten Prüfung ausgeſetzt ward, die in ihrer
Art einzig, der Zeit keineswegs gemäß und nur
deſto eindringender und empfindlicher war
.“ Dieſe
von mir unterſtrichenen Worte ſind mir ſehr aufgefallen. Der
[347] Eindruck muß unbändig geweſen ſein, weil die Beſchreibung
und der Umgang Herdes dieſe Ausdrücke nicht ganz rechtfer-
tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei-
tet geweſen ſein, oder auf eine ſolche Art erfüllt und berührt,
daß es ihm grade ſehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her-
der ſeh’ ich nichts. Friedrich irrt ſich ganz und gar. —


An Varnhagen, in Paris.



Nimm dieſe Weſte, theurer Auguſt, ſie gefällt mir ſehr!
es iſt eine engliſche, laß ſie in Paris machen; die einzige Art,
wie dieſe beiden Völker uns dienen — und auch nur ſich —,
ſonſt haben ſie uns zum Narren. Du ſiehſt, ich werde heute
nicht Herr über dieſen Gedanken: er kommt wie ein Stachel
hervor. Richtig! hab’ ich deinen lieben Brief den 27. erhal-
ten; und auch dir den Tag geſchrieben. Nur der Gedanke,
daß du da biſt, und mir gut biſt, mich kennſt, von mir weißt,
und wiſſen willſt, daß ich mich mit dir wieder unterhalten
werde; kann das tobende Geſchwür in mir lindern. Wiſſe
nur, ich bin wie außer mir. Sonſt fürchtete ich mich nur,
ängſtigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau-
ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer rage nicht gleich Rache
nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man ſie noch
nachſichtig nennt, dumm ſind; nein! vorſätzliche, fraudulöſe
Verſchwender ſind’s, die ſich mit Gewalt ſchmeichlen, ſo lange
man es ihnen erlaubt, daß ihrentwegen, und ihrer Brut
[348] wegen, die Welt ſteht, die Natur ſich bewegt, Geſetz ſich aus
dem Hirn windet. Genug!!! du weißt alles aus und nach
dieſem Punkt. Was Mägde wußten, Fuhrleute ſich auf den
Wegen erzählen, wiſſen ſie nicht. Ohne Kraft im Handlen,
ohne Licht im Einſehen wollen ſie obenan ſein. Nicht jetzt:
jetzt könnte es keiner ohne Krieg, aber ſeit lange. — — Ich
bin außer mir vor Grimm. Abgemacht ſchien dem Emigran-
ten-Volk alles für alle Zukunft. Sie vergaßen, warum
ſie ſich hatten rüſten müſſen. — Du kennſt ſie; helfen kann
man nicht, theilen muß man nicht mit ihnen. Ich nicht: die
Theilung iſt zu ungleich. Ich mag die Höllenangſt nicht aus-
ſtehen. — Und vom Übrigen ekle ich mich zu ſprechen. Die
größeren, großen Geſichtspunkte für uns, unſere alten, bleiben
immer; von denen mag ich nicht reden. — Gott! was ſind
die Weiber elend. So wahr er mir in meiner letzten Noth
beiſtehen ſoll, ich faſſe ſie nicht. Nur eitel; gräßlich! —
Gott verzeiht es mir, du mußt auch: ich auch — ſo ſchlecht
ſind’ ich ſie in ihren ewigen, gediegenen, ſchleimigen, Lügen,
in dem unbewußten Lügen, in dem auf nichts ſich beziehen-
den Putzen des Leibes, und jeder innren Faſer, wegen dieſer
plumpen, gräßlichen, ja nicht glaubbaren Dummheit in dem
Lügen, dieſer völligen Kunſtloſigkeit, Mäßigungsloſigkeit. Ver-
zeih mir! Ich mußt’ es dir zeigen können. Verzeih mir,
daß ich mich nicht immer bös gegen ſie zeigen kann, und
werde. Ich ſelbſt will es mir vorwerfen, und kann es doch
nicht. Denn den Reſt Menſchen ehr’ ich in ihnen und Aller
anderer Schlechtigkeit; die wollten ſonſt jene freſſen, und
ſollten auch geſpeiſt werden. —


[349]

— Die Fr. erzählte mir viel. Heute iſt ſie nach Hauſe
gereiſt: ſie und K. ſind ſehr mit dir zufrieden. Alle gratuliren
mir; ſo ſchön führſt du dich auf! Ich umarme dich!


Du ſiehſt, meine ſchlechte Laune iſt ſchon gute geworden
durch’s Äußern. Überhaupt, wenn ich in Wuth bin, iſt’s nicht
ſo ſchlimm mit mir. Heute will ich die Leute ärgern, und
nicht mich: ich habe ſchon vorgeſtern etwas ausgeübt, welches
ich dir, weil es zu lang wäre, mündlich erzählen werde. Hl.’s
waren ſo grob, mich geſtern nicht mir zu bitten, als ſie Arn-
ſteins baten, ich aber dachte mir das vorgeſtern ſchon, weil’s
mir hier immer ſo geht, und ſagte Mlle. Hl. ihr fait wenig-
ſtens: über Muſik, womit ſie mich bis zu Nervenanfällen
ennuyirt hatte; ſie hatte nämlich eine Sonate ohne Sinn von
Clementi auf einem engliſchen, mir odioſen Inſtrument mit
angelernter und angedachter Salbung hören laſſen; und ich
bedut’ ihr, was Muſik iſt. So hab’ ich doch das Präve-
nire geſpielt. Adieu.


An Varnhagen, in Paris.



— Was du Otterſtedt von dem Kronprinzen von W.
ſchreibſt, darin gebe ich dir ganz Recht. Was ſoll ſolcher Be-
ſuch? Hochſtehende Fürſten müſſen einen gebrauchen, und mit
einem zu reden haben; man muß etwas Beſtimmtes bei ihnen
auszurichten haben; ſie müſſen genöthigt ſein, uns unſres Ran-
ges wegen zu bitten, Talente wegen iſt es ſchon unangenehm:
[350] oder ſie ſind von innen her unſre Freunde; ſonſt iſt’s albern
zu ihnen zu gehen; weil es ohne Grund und ohne Zweck iſt.
Wer iſt ſo müſſig, ohne dieſe beiden etwas zu thun?! Solche
Herren müſſen einen alſo, wenn ſie einen wollen, durch be-
ſondere Herablaſſung dazu nöthigen, müſſen Gedächtniß ha-
ben, und dürfen vermöge ihres Ranges gar nicht zerſtreut
ſein, und gar nicht, mitunter, ſo viel Werth auf ein Diner
legen, weil ſie ſchon zu großmüthig damit umgegangen. Punk-
tum! Es war ganz unnöthig dies, und dies dir zu ſagen;
manche Dinge ſage ich aber gerne, und beſonders mit der Fe-
der: dann, denk’ ich, können ſie doch zu eines jeden Geſicht
kommen, und brauchen nie wieder, wiederholt, noch beſtritten
zu werden, ſo platt wahr ſind ſie. —


Ich ſchicke dir ein gedrucktes Blatt an den hieſigen Ma-
giſtrat von den hieſigen Bürgern mit. Wo es accurat drin
klingt, als wenn Menſchen in einer wohl und richtig gezim-
merten Maſchine ein großes, verheerendes, ſorgenloſes Thier
eingefangen haben; wohlerdacht, es kann ſich nicht mehr re-
gen: eh ihm die auf den Leib rückte, von allen Seiten, dacht’
es an nichts. Sieben ſind unterſchrieben, ſprechen im Namen
ihrer Mitbürger, und der ihnen vom Kongreß zugeſtandenen
Rechte. Der große Advokat, der in Wien war, Jaſſoy, hat
mit unterſchrieben. Mir gefällt’s ſehr. Mündlich alle Urſachen.


[351]

An Varnhagen, in Paris.



Erſt dieſen Vormittag erhielt ich deinen Brief vom 5. Sie
leſen deine Briefe gewiß auf jeder Poſt, ſonſt iſt ihr langſamer
Gang nicht zu begreifen. Mögen ſie! Ich muß dich nur prä-
veniren, daß ich Blutſteigen nach dem Kopf habe, und daß
dann keine Herkules-Laune von Luſtigkeit vorhalten kann;
auch phyſiſche Herzensſchwäche, ſo fing’s nämlich heute an.
Geſtern erſchrak ich mich nach einem hölzernen Tag ſehr,
Abends um 11. über drei Ruſſen in völliger Armirung, die
betrunken auch an meine drei Thüren, die einzigen im Stock-
werk wo ich wohne, polterten und mit Gewalt herein wollten,
da ſie Kammeraden zum Ausmarſch, deſſen Ordre ſie eben
ſpät den Abend bekommen, abholen wollten. Das und ähn-
liche Augſt, und dürres Leben, mag mir wohl geſchadet ha-
ben: da, ich bemerke es, ich gar nichts mehr vertragen kann,
und mein bisheriges, beſonders letztjähriges Leben mir nun
anheim kommt. Doch iſt das nur momentan: und ich muß
es dir mittheilen können. Sonſt leb’ ich gar nicht. Alſo ich
prävenire dich, daß dieſer Brief, ohne meine Schuld, nicht
luſtig werden kann. Ich erſchrak auch, als ich heute Morgen
in deinem Brief las, „in vierzehn Tagen werden wir wohl
reiſen;“ weil ich nicht gleich berechnete, daß ſieben davon ſchon
hingeſtrichen ſind. Ach Auguſt, wie iſt’s mit unſerm Leben,
mit ſeiner Optik der Zeit! Ein Gedanke hämmert mir jetzt
bald den Kopf entzwei. Der nämlich, daß die Zukunft uns
[352] nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, ſondern von hin-
ten
uns über das Haupt ſtrömt. Da wehre ſich einmal ei-
ner! tauſendfältig bedenk’ und beſtätige ich mir dies, und kann
es mit und aus allem, in der Geſchichte, und Einzelner Le-
ben, beſtätigen. Geſtern, und das war eigentlich die erſte
Veranlaſſung zu der Herzensſchwäche, hab’ ich ſo über Goethe
geheult, geſchrieen, weil mir das Herz borſt. Ich nahm ein
Bändchen Lieder zur Hand, weil es mir an einem Buche ge-
brach, und las maches Lied, mit großem neuen Antheil, weil
mir ſein Leben, welches ich eben geſtern hier wieder ausſtu-
dirt hatte, ganz gegenwärtig war; und las bis ich an das
kam: „Mit einem gemahlten Bande.“ Ich freute mich, weil
er ſelbſt ſchreibt, er habe das Band gemahlt und der Tochter
in Seſenheim geſchickt; ich kannte das Gedicht ſehr gut; doch
war mir nicht alles, und nicht das Ende gegenwärtig. Und
ſo endet’s:


„Fühle, was dies Herz empfindet,

Reiche frei mir deine Hand,

Und das Band, das uns verbindet,

Sei kein ſchwaches Roſenband!“

Wie mit verſtarrendem Eis auf dem Herzen blieb ich ſitzen!
Einen kalten Todesſchreck in den Gliedern. Die Gedanken
gehemmt. Und als ſie wiederkamen, konnt’ ich ganz des Mäd-
chens Herz empfinden. Es, er mußte ſie vergiften. Dem
hätte ſie nicht glauben ſollen? Die Natur war dazu ein-
gerichtet. Und wie muß er geweſen ſein, er Goethe, hübſch
wie er war! Ich fühlte dieſer Worte ewiges Umklammern
um ihr Herz; ich fühlte, daß die, ſich lebendig nicht wie-
der losreißen; und wie des Mädchens Herz ſelbſt, klappte
meins
[353] mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da-
bei dacht’ ich an ſolchen Plan, an ſolch Opfer des Schick-
ſals; und laut ſchrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir ſonſt
todt geblieben. Und zum erſtenmal war Goethe feindlich für
mich da. Solche Worte muß man nicht ſchreiben; er nicht.
Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte ſelbſt ſchon ge-
blutet. Gewalt anthun iſt nicht ſo arg. Sieh, ſo geht es
mir. „Aus der Leidenſchaft kann ich nicht;“ im Gegentheil,
das Herz wird ſchwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz,
mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben
muß; nicht weil du grade mein Freund biſt; nein, weil du
ſolch ein Freund ſein kannſt. Deine Empörung über Gentz
iſt richtig, nur den Zorn iſt er nicht werth, der dir ſelbſt ſcha-
den kann. — In mir hat er ſich doch geirrt; weil kein Affe
ein menſchlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit
zum Verſtande. — Ich gehe wo du magſt und kannſt: und
hoffe mit dir noch auf deinen erſten Plan in Berlin: es freut
mich, daß der Fürſt in dieſem Sinne an dich dachte. —



— Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hauſe;
ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshausſaal mit un-
eleganten geſtiefelten Leuten, und Künſtler; Flötenſpieler, die
ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme
Hirteninſtrument, zu kleinen Geſängen erſchaffen: hetzen es zu
großen Konvenienz-Konzerten: dann ſang Mad. Graf gut;
aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä-
niſch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal ſchrie
II. 23
[354] u. ſ. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hieſigen Di-
plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle
auf einem Klumpen; Gott, du haſt’s geſehen! Hier in Frank-
furt habe ich mir überhaupt in der Einſamkeit und bei Goe-
thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philoſophie der
Geſchichte, ſehr viel ausgedacht. Herder iſt merkwürdig.
Ganz weit, unbezähmt in ſeinen Ideen, in ſeinen Einfällen,
Vorausſetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogiſt
für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er-
ſcheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens
Beſchreibung! —


Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be-
greift nicht, warum er dich nicht geſehen. So ſind die Men-
ſchen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber
alles nicht helfen! Wir müſſen Alle auf den Bettchen ſchla-
fen, die wir uns machen. Publiziſten, „Marquiſinnen, Prin-
zeſſinnen, Bauergretchen;“ Leporello in Don Juan. —


An Varnhagen, in Paris.



Nur wenige Zeit hab’ ich, weil die Poſt geht, und geſtern
nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und
beſonders meine Augen zu ſchwach. — Deinen Brief vom 18.
erhielt ich geſtern Mittag durch Otterſt. bei Barnekow’s, mit
denen ich ſpaziren geweſen war, und eben ſpeiſen wollte.
Fouché wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches ſie
[355] ihm abgelaſſen hatten. Den ſah ich mit ſeiner ganzen Fami-
lie lange und deutlich. — Die Relation von allem mündlich.
Zum Gegenſtück deines Ärgers wegen der Vernachläſſigung,
den ich ganz mitempfand, wie ich auch das Leid, der unge-
wiſſen Lage
, und ihrer Urſachen, ganz ausgekoſtet habe:
(aber nun iſt’s auch vorbei, und freuen wir uns nur, uns wie-
der zu ſehen; und zu denken wie wir denken, zufrieden mit
uns zu ſein, wir behalten immer Reſſourcen, wenn nur Friede
bleibt und das Unheil aufhört! Kurz wir wollen uns ärgern,
wenn wir müſſen, und uns freuen, ſo oft wir können). Das
Gegenſtück iſt nämlich, daß ich geſtern das Glück hatte, wenig-
ſtens nach meiner Überzeugung ſehr gut für unſer Land gewirkt
zu haben. (Jetzt muß ein Deutſcher ſein Land nennen; ich
meine Preußen.) Ich war ſo glücklich, Dummheiten für daſ-
ſelbe abzuwenden. Wie das geſchah, kann ich dir nur münd-
lich erzählen; und wenn du alle Partheilichkeit für mich aus
der Seele ſchaffſt, ſo wirſt du doch ſagen müſſen: ja, es iſt
dir gelungen. Mir war Reineke’s Beichte lebhaft vor dem
Geiſte; und ſo ging’s. Gott! was iſt es für ein Glück, für
eine Wonne, wenn einen das Schickſal auf den Ort ſtellt,
wo man die Gaben, die einem einmal die Natur ertheilte,
anwenden kann. Dann iſt das Glück fertig. Stünd’ ich hoch
in der Geſellſchaft, wo zu überſehen, zu wählen, und raſch zu
handlen iſt! Ich macht’ es richtig, ſtark, und zart. Ich weiß
es. Ich fühl’s, ich beweiſe es oft. Ambition habe ich gar
nicht. Das iſt ganz gewiß. Denn, ſo wie ich nur ahnden
kann, ein Anderer weiß etwas, macht etwas beſſer, ſo lieb’
ich’s den machen zu ſehen; und mit Wonne, mit Entzücken,
23 *
[356] wo und wie es nur iſt. Nicht den entfernteſten Neid habe
ich auf Gaben, die ich nicht habe. Aber meine verdorren zu
laſſen, iſt hart: und das, was ich vormöchte, ſchlecht ausüben
zu ſehen, Höllenſpeiſe. Lebe wohl! Sei bedankt für alle
ſchöne Geſchenke! Grüße Gen. Tettenborn. Ich werde ihm
ſchreiben, wie ich gar nicht wußte, daß die Generalin in Mün-
chen war, ſondern ſie bei Pyrmont auf den Gütern meinte,
und hier erfuhr, ſie ſei in Mannheim. Seine Art freut mich
ſehr. Barnekow iſt auch der Alte, will von keinem als mir
wiſſen. — Heute bin ich bei Otterſtedt’s zum Thee mit Gräfin
Pappenheim-Hardenberg. — Ich freue mich auf dich. Adieu!


Deine R.


An Lucie Gräfin von Pappenheim, in Frankfurt a. M.



Auch geſtern ging es mir wie mit Goethen; bei vielleicht
zu großer Redſeligkeit, bei gewiß anſcheinender Dreiſtigkeit,
war ich doch zu befangen gegen Sie, um grade das zu ſagen,
was mir eigentliches Bedürfniß war: nämlich, Ihnen, Frau
Gräfin, für Ihre holde Antwort auf mein erſtes Billet zu
danken, und Ihnen zu ſagen, wie ſehr ich ſie gefühlt, wie
hoch ich ſie in jedem Sinne aufgenommen habe. Möge Sie
dies Geſtändniß aber nicht bewegen, mir zu huldvoll jedesmal
ſchriftlich zu antworten, wenn ich ſchriftlich anrede. Heute
fühl’ ich mich dazu bewogen, um mich wegen angeſtrichener
Stellen im Fichtenſchen Buche zu entſchuldigen! Ich glaubte
[357] es nur Varnhagen bei ſeiner Ankunft, als ſchönſtes Geſchenk
zu ihrer Feier, zu überreichen, und der liebt es, beim Leſen
ſelbſt zu finden, was am meiſten in einem Buche auf mich
eindrang; und ich ſelbſt, wenn ich das Buch nur für uns
glaube, ſtreiche ſchon aus eigner Bewegung, und in einer Art
von Wuth des Applaus an. — Dieſe Fichtenſche Broſchüre
iſt ein Werk, welches ſeine beſten Schüler nach ſeinem Tod
herausgegeben haben; ich bin gezwungen, es als ein Meiſter-
werk anzuſehen, und wenn es nichts enthielte, als die Deduk-
tion des Napoleon’ſchen Karakters; den man freilich nicht ein-
zeln anzuſchauen vermag, ohne das Stück Geſchichte, in wel-
chem er zu wirken hatte, genau zu beleuchten; und ohne über-
haupt, ſich klar zu machen, was Geſchichte eigentlich iſt, und
bedeutet, dem Menſchen. Dies thut Fichte als größter Vir-
tuos; und ich bin freudig ſtolz, die Veranlaſſung zu ſein, daß
Sie den Genuß dieſes Buches vielleicht ein paar Tage früher
haben werden, als es wohl ſonſt in dem fremden Orte hier
geſchehen möchte. Die Umarbeitung Hamlets (durch Ducis)
wird noch bekräftigen, was Fichte in der Darſtellung der fran-
zöſiſchen Nation geleiſtet hat, und findet ſich hier nicht un-
paſſend beigefügt. —



— Mirabeau ſchreibt einem Freunde: „Mon opinion sur
ce monde est, qu’on y paie les moindres biens et les
plus grands au-dessus de leur valeur
; et avec cela
je mettrai ma vie à acquérir, autant que je pourrai, au phy-
sique comme au moral, sachant toujours bien, que le jeu ne
[358] vaut pas la chandelle, mais e’est que je suis tourmenté de
ma propre activité: et quand la chandelle brûlée par les deux
bouts sera finie ‒ ‒ eh bien! elle s’éteindra; mais elle aura
donné, par la petitesse de sa lanterne, une vive lumière. N’est
pas phare qui veut: il faut pour cela être placé sur une tour.
Dieu m’a fait naître dans une cave: mais il m’a donné de n’y
être pas étouffé.“
— Mirabeau iſt mein großer Held, wegen
der Gewalt der Wahrheit, die ihn regirt; davon iſt er erha-
ben und unſchuldig; und nur das iſt liebenswürdig.


Chamfort ſagte, er habe das befriedigendſte Behagen ge-
funden, einen Hund ganz begierig und unbefangen lange ei-
nen Knochen benagen zu ſehen: weil er endlich dadurch wie-
der ein aufrichtiges unbefangenes Beſtreben wahrgenommen.
Ich glaube Chamfort dies, als wahre Begebenheit; ſo verliebt
kann ich auch in das Roheſte werden, wenn es nur endlich
nicht mehr lügt. Sie müſſen heute viel Zitationen ausſtehen!
Wer kann dafür, daß es ſchöne Bücher giebt, wo ſolche Dinge
darin ſtehen, die wir auch ſagen?


An Troxler, in Aarau.



Ich bin ſo geizig, daß gewiß Buchleute bei uns ſeien,
und ſo neidiſch, wenn ſie wo anders ſind, als ob ich die Für-
ſtin unſers Landes wäre. Aber auch für Sie, wenn Sie ſich
nur mit unſerer Gegend hätten verſöhnen oder ſie vergeſſen
können, habe ich diesmal gewünſcht, daß wir Sie behalten.
[359] Wie es kommt, iſt es beinah immer beſſer, als wenn es kommt
wie wir es wünſchen; im erſten Fall halten wir uns, mit der
Zeit, an dem, was er noch Gutes mit ſich führt und entwik-
kelt; im andern müſſen wir das Üble, welches unvermeidlich
daran erwächſt, ſpäter verſchlucken, und mißkennen und miß-
deuten dann unſern natürlichen Wunſch ſelbſt. Wir Menſchen
haben das Nachſehen und das Nachdenken; die Welt geht
ihren Gang. Mit dieſem Gedanken kann ich ich Sie nicht
verſchonen, lieber Troxler; er verfolgt mich ſelbſt ſeit einiger
Zeit, als ein Rieſenreſultat, welches mir immer wieder vortritt,
ich mag den Weg geſucht haben, wie ich will. Im Winter
kauert man über ſich ſelbſt und denkt nach, weil man nichts
ſieht als die unnatürlichen hemmenden Wände; da wünſcht
man ſich gütige eifrige Diskutir-Freunde, luſtige einfallreiche
Geſellen: Varnhagen hat Recht, Ihnen zu ſagen, daß Sie
mir eine erwünſchte Geſellſchaft wären, nachſichtig ſind Sie
obenein, und widerſprechen doch hübſch, Ich hoffe der Som-
mer führt uns zuſammen! Was machen die kleinen Schwei-
zerchen? Sie wiſſen wohl nichts mehr von Varnhagens? Für
die Kinder iſt mir jetzt Ihre Heimath lieber. Mit den herz-
lichſten Grüßen empfehle ich mich Mad. Troxler; leben Sie
wohl!

Ihre Fr. V.


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Da übermorgen Heiligabend iſt, ſo hoffe ich ſoll dieſer
Brief grade eintreffen, und Sie ſchön von mir grüßen! Mir
[360] iſt bang und weh, nicht zu Hauſe zu ſein: nicht allein, weil
Heiligabend iſt, ſondern weil der mich ſo recht herb die alte
Heimath bedauren läßt! ſo kommt man immer mehr ab von
dem Zweck ſeiner Pläne, durch die Ausübung derſelben. „Schritt
vor Schritt, ſagt die Prinzeß im Taſſo, bis zum Grabe.“
Nun, dies Jahr ſind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr
waren wir noch zuſammen, und mancher troſtfreundlicher Lands-
mann; wir ſuchten doch noch das alte Feſt durch eine Art
von Anſtalt für’s Gemüth in Erinnrung herzuſtellen! Waren
Freundinnen zuſammen. Wir wollen es dies Jahr mit den
Gedanken erzwingen! wenn ſie auch Thränen pumpen ſollten,
wie jetzt bei mir! — Möchte Ihnen auch vom erſten Januar
ein heiteres erwünſchtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern
und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la-
chen, Herz- und Geiſtesnahrung, in guter Geſundheit finden!
Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich ſchon kränk-
lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte
zwei Jägern, Doren und der keinen Goldſchmidt ein kleines
Feſt! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens — Klara Herz iſt
Mariane Saalings Schweſter — zu einem ſplendiden Kinder-
beſcheeren, wo Miniſter Humboldt, Graf Flemming, Schlegel
und noch einige eingeladen ſind. Vorher, um 5 Uhr, bei
Otterſtedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen-
heim mit zwei erwachſenen Töchtern ſein wird. „Mit frem-
den Augen in die Glückſeligkeit ſchauen“, ſagt Shakeſpeare,
als er ſich einen beklagen läßt. Genug Worte! Sie wer-
den nun ſchon wiſſen, daß mein Herz Heimath überhaupt will:
und ich keine habe; und doch ſehr zufrieden ſein muß: reden
[361] aber gar nicht darf. Denn wozu! Laſſen Sie mich wiſſen,
wie Ihnen iſt. Wie es Ihnen geht! Immer dieſelbe Ad-
dreſſe. Wir warten hier auf den Geſandten, der nach Stutt-
gart kommt, um mit ihm nach Karlsruhe zu gehen. Schreiben
Sie bald, Liebe, und grüßen Sie und gratuliren Sie Mama
zu dem Neujahr, welches ſie mit Ihnen zubringt, von mir.
Ich lebe ſehr eingezogen hier. Die Stadt hat keine Reſſour-
ren: das Theater keine Plätze als für ſeine Abonnenten, und
ein elendes Parterre ohne geſperrte Sitze, die, wenn auch nicht
mich, doch andere Fremde tröſten könnten. Geſtern war ich
zu einem hundertundfünfzig-perſonigen Thee bei Hrn. von Ot-
terſtedt, wo Blücher war; Senſation machte: und naiv, und
klüger iſt, als man meint: (er iſt unpaß, Blaſenübel. Das
beugt mich: ein Schmerz, ein unerklärlicher, bei guten, großen,
glücklichen Thaten, im hohen Alter: alſo niemals Glück und
Ruh). Millionen Spieltiſche; für mich kompletes Ennui. Wie
eine Pute zum erſtenmal auf fremdem Hof trabt’ ich umher,
oder kauerte auf einem gefundenen Eckchen. Ich habe deren
hier ſchon mehrere erlebt. Humboldt, Schlegel, alle Fürſten,
die hier leben, Steins, alles war da. — Von zu Hauſe ſchrei-
ben ſie ſo ſelten und wortkarg als möglich! Ich kann nicht
einmal von ihnen erfahren, ob Moritz mit der Frau in Ver-
lin iſt. Die Macht der Verhältniſſe iſt mit Beifall gegeben
worden. Den Sommer kommen alle Markus’ens zu mir
nach Baden-Baden: und Sie auch!!! Was machen Lie-
bichs
? Will ich wiſſen. War denn Bayer in Berlin? Leben
Sie wohl! und ſchreiben Sie mir. Dore grüßt ſehr und
empfiehlt ſich. Johann iſt zu Haus gegangen: mein neuer
[362] heißt Stamm. Haben Sie eine gute Jungfer? Viel neue Klei-
der und hardes? ich ziemlich. Adieu! Adieu! Pfuel war einige
Tage hier. Sehr wohl und klug. Von Williſen weiß ich
nichts: ziehen Sie Erkundigungen ein! Dehn war auch hier.
Varnhagen läßt Ihnen tauſend Schönes und Liebes ſagen. —



Dieſe Nacht träumte mir, ich höre ein ſo ſchönes Prälu-
dium, aus der Höhe, oder wo es ſonſt herkam, genug ich
ſah nichts, welches eine ſo große Harmonie entwickelte, daß
ich auf die Kniee ſinken mußte, weinte, betete, und immer
ausrief: hab’ ich es nicht geſagt, die Muſik iſt Gott, die
wahre Muſik, damit meinte ich Harmonieen und keine Me-
lodieen, iſt Gott! Immer ſchöner wurde die Muſik; ich betete,
weinte, und rief immer mehr; wie durch einen Schein, und
ohne Gedankenformen, wurde mir alles, das ganze Sein in
meiner Bruſt, hell und deutlicher; das Herz ging mir von
glücklichem Weinen entzwei: und ich erwachte.


An Roſe, im Haag.



Meine geliebte Roſentochter! Theure Schweſter! Nur
das Unglück, nur die Bosheit darüber, daß wir getrennt leben
müſſen, macht es; daß ich ohnerachtet unſerer Freundſchaft,
[363] und unſerer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht ſchreibe;
langſam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt
das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen
fort. An Einem Stamm erwachſen, unter demſelben Dache
dieſelben Dinge geſehen, erlebt, gelitten, genoſſen; gutgeartet
wie wir ſind zur Freundſchaft geſtimmt; verlieren Schweſtern,
wenn ſie ſich trennen, was ſie auf der weiten Erde nicht wie-
derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte:
welches gut war; aber keine Schweſter! Und wie Unendliches
mag ſchlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben ſein in
Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdeſt, als ſüßes
Vertrauen, als heitere Geiſt-Auflöſung! Erſt dieſer Tage
ſagte ich zu Varnhagen: meine Schweſter iſt ſo gut wie todt
für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele iſt! Dieſen Som-
mer war ich feſt entſchloſſen, dich von hier aus zu beſuchen.
Es war auch dieſer der erſte im Leben, wo ich hundert Du-
katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben
konnte, und ſie wirklich hatte. Varnhagen war in Paris
mit dem Fürſten Hardenberg, und ſchrieb mir einen ganzen
Roman von herzbrechenden Briefen — die ich dir zu zeigen
feſt hoffe — einen Tag um den andern, ich ſolle kommen,
Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft feſt
entſchloſſen ſeines Jammerns wegen, fürchtete mich aber ſehr,
und konnte nie gute Reiſegeſellſchaft von hier aus finden,
welche nicht Tag und Nacht reiſen wollte, welches ich nicht
kann, und da nicht mochte. So kam der September heran;
da hieß es ſchon, die Fürſten mit ihren Kabinetten kämen zu-
rück; und da wartete ich wieder nicht angenehm von einem
[364] Tag zum andern, in der fremden ungeſelligen Stadt, mit Mäd-
chen und Bedienten allein; bis den 3. November; da kam
endlich Varnhagen, vier Wochen dem Kanzler voraus; nun
warten wir wieder hier. Dieſe unangenehme, alles Etabliren
und Häuslichkeit ſtörende Ungewißheit hielt mich bei den größ-
ten Gewiſſensſchmerzen von Tag zu Tag ab, dir zu ſchreiben;
weil ich dir doch auch gerne etwas Gewiſſes ſchreiben wollte.
Ja, nicht einmal Raum noch Muße, des Raumes wegen,
in der letzten Zeit hatte. Dieſen Sommer miethete ich, wie
ich glaubte für wenige Wochen, zwei Zimmer, wovon eins
eine Kammer iſt, für mich — den 19. Auguſt kam ich hier
an —, und nun bewohne ich dieſe zuſammengeſperrt mit Varn-
hagen, Mädchen und Bedienten. Ich! — die ewig gut
wohnte bei Mama; der Quartier, Lokal, alles iſt; die ein
ſchlechtes gradezu tödtet: und ein Beiſammenſein! Sieheſt
du! Ich habe kein Glück! denn ſeit meiner Verheirathung
wohne ich ſo. In Wien kam ich den 3. November mitten im
Kongreß hin: aber auch um dort angeſtellt zu bleiben beim
preußiſchen Geſandten, der nach dem, ſich immer verzögernden
Kongreß kommen ſollte; alſo mietheten wir, bis der eintreffen
ſollte, kein anderes Quartier. Dann kam Napoleon, der Krieg
ging los; Varnhagen wurde anders, nach Paris beſtimmt;
von dort ſollte er wieder zum Kanzler, nach Berlin; nun,
plötzlich, nach Karlsruhe; und ich in der Seele bin noch
nicht gewiß, ob wir da hin kommen. Alſo immer sur chemin
et voìe;
was mich der Poſition wegen in der Jugend entzückt
hätte! — — — jetzt aber, da die Welt ein Meer, und alle
Poſitionen ſchwindende, nicht erkannte Wellen ſind, mir ein
[365] Gräuel iſt, der mir Heimath, Aſyl, und Ruhe, und Muße
raubt; und mich bei mehrerem Einkommen ſchlechter leben und
mehr ausgeben läßt. Alles für die Zukunft, Roſeken! die
immer einen Schritt vorwärts geht. Aber lebte Mama nur
ein bischen, und ſähe Rahle verheirathet, und vergöttert
von dem Mann; der ſie ohne einen Sous genommen hat;
denn noch hab’ ich keinen Sous von meinem Vermögen zu ſe-
hen bekommen. Nicht einmal werden mir Intereſſen angebo-
ten, das heißt, geſchickt; wie ſich’s gebührte. (Wir ſind
aber ganz gut: ich und die Brüder:) aber, was ich trage,
meine Fluchtreiſe vor der Hochzeit, vor Brautwerden, alles,
hab’ ich von V. Von dem ſchreibe ich nichts: den mußt du
mit mir ſehen, dann wirſt, dann kannſt du’s glauben. Frank-
furt iſt näher zu Amſterdam als zu Berlin: bei Karlsruh iſt
ein berühmtes warmes Bad gegen Rheumatism; dorthin hat
mir Markus zugeſchworen kommt er mich dieſen Sommer
mit Frau und Kinder beſuchen; in der göttlichſten Gegend;
du wirſt doch nicht ſterben wollen, ohne je etwas für dich
zu thun? (Karl meint das auch nicht:) ohne uns zu ſehen
ſieh wie unſere Bekannte wegſterben zu Hauſe! Komme alſo,
dein Knabe iſt erwachſen, mit oder ohne ihn nach Karlsruhe!
Hundert Dukaten, die ich zur holländiſchen Reiſe hingelegt
hatte, will ich dir, geliebte Schweſter, auf der Stelle aſſigni-
ren. Dies iſt keine Schande! Wer ſie erſt bei der Hand
hat, der giebt ſie zu ſolch einer Freude. Was hat man denn
ſonſt! Was erlebt man denn? Ganze Reihen kleiner Le-
benswiderſprüche. Große Kriege, Flucht, Krankheit. Iſt
es nicht genug, daß du in einem dich untergrabenden Klima,
[366] von der Jugendſcholle abgeriſſen leben mußt? — und das in
einem Zuſtand, den du noch Glück nennen mußt, der es iſt!
Ich empfinde das jetzt ſehr hart. Ich bin, außer daß ich V.
habe, ganz iſolirt von allem, was ſonſt als Menſchen und
Dinge zu mir gehörte; und fühle es immer weg. Laß mich
keine Fehlbitte thun! Lieber Karl! bring ſie; und geht dies
nicht, ſchicke ſie! Um Gottes willen. Ich möchte gerne, daß
dich, Karl, V. ſieht. Biſt du denn noch recht klug? d. h.
immer klüger geworden? (Apropos! lies Pradt sur le congrès
de Vienne.
) Iſt es euch ſehr lieb, angenehmer im Haag
zu ſein? Geſellſchaftlicher? Wohnt ihr gut? So gratulire ich
von Herzen. Ich grüße auch Louis recht ſehr! er ſoll mit
kommen; ein wenig kann er immer Bücher verſäumen, und
ein Stückchen Welt lernen. Den 7. November ſchickte mir
Markus deinen Brief, in welchem du ihm die Stelle im Haag
ankündigteſt, er bekam ihn denſelben Tag mit einem von mir,
worin ich ihm unſere in Karlsruhe meldete. Dies freute ihn
ſehr. Ich dachte an Mama! wie bei jedem großen und klei-
nen Garten, Grasplatz oder Beſitzung, daß ſie es nicht hatte
und ſo ſehr liebte: und nichts hatte, und ſich nichts gönnte,
noch ſchaffte. So auch ich, mußte ſpät, nach ihrem Tod hei-
rathen. Doch kannte ſie Varnh., und ſeine Liebe zu mir ſah
ſie wohl: doch dachte ſie es ſei wie Andere. — Wenn du mir
antworteſt, ſchreibe: pour Mad. de Varnhagen, aber mache die
Addreſſe: dem Königlich Preußiſchen Geſchäftsträger Hrn. Ba-
ron von Otterſtedt in Frankfurt am Main. Der iſt hier mit
einer ſehr braven Frau, und vier Kindern. Er ſpricht mir
täglich von dir mit dem größten Enthuſiasmus; und will im-
[367] mer Varnh. erzählen wie du biſt: ſetzt dich weit über mich,
ohne ſich’s geſtehen zu wollen. Und ſchreit mich aus, für
ſeine erſte, beſte Freundinn! Er iſt wie er war: thätig und
fleißig. Klärchen Herz aus Hamburg, wohnt jetzt hier mit
ihrer Familie, Julchen und Mariane wohnen jetzt bei ihr.
Eine tüchtige, wahrhafte Kreatur, noch ſchön, mit ſechs
ſchönen und auch erwachſenen Kindern: im höchſten Wohl-
ſtand. Die ſehe ich oft, und Otterſtedts, und Gräfin Pappen-
heim (des Staatskanzlers Tochter) mit zwei Töchtern. Sonſt
hier niemanden — ſo ungeſellig ſind die Kaufleute hier. Die
Umgegend iſt völlig reizend. Weihnachtheiligabend war bei
Herzens ſehr aufgebaut; und eine Soirée, Fr. Schlegel,
Humboldt der Miniſter, ein paar Herren, die große Familie,
und wir. Morgen Sylveſter ſind wir wieder da; und da werde
ich um 12 Uhr dich hoch und gut — von Gott! — leben
laſſen. Da iſt dein lieber Geburtstag: und da denken wir
Alle an dich. In Berlin und hier! Deinen Brief von dieſem
Frühling, eine Antwort auf meinen vom Hochzeitstag, hab’
ich feſt in’s Herz geſchloſſen! Alles alles ſollſt du wiſſen, al-
les wollen wir ſprechen, alles ſollſt du ſagen! Unterdeſſen
ſchreibe mir wie und mit wem du im Haag lebſt, und wie
dir der übrigens hübſche Ort bekommt.


Noch Eins! Mein ganzer Troſt in meiner jetzigen Si-
tuation beſteht darin, daß Varnhagen ſie eben ſo abſcheulich
findet, als ich: und auch das Zuſammenſein ſo haßt. Freiheit,
Freiheit! beſonders in einem geſchloſſenen Zuſtand, wie die
Ehe. Ah — a! — die alte Rahel! Ah! — —


[368]

Es iſt ganz einerlei, wie man iſt, ſobald man nicht ſein
kann, wie man will.


Eigenſchaften ſind keine Talente; ſie müſſen aber alle
dazu gemacht werden können, ſonſt iſt man noch gar nicht
gebildet.


Mit den Exiſtenzen ſteigern ſich die Aufgaben und Prü-
fungen.



Nicht die Menſchen haſſen ihr Vaterland, oder die Orte
wo ſie gelebt haben, welche ſehr unglücklich waren, wohl aber
die, welche ſich allda ungebührlich aufgeführt und Tadel zu-
gezogen haben; und dieſe ſind es auch allein, die nach ihrem
Lande zurückzukehren meiden. Die Erſteren behalten immer
eine erinnerungsvolle Vorliebe dafür.


An Troxler, in Aarau.



Sonntag den 28. November 1813. ſchrieb ich mir in Prag
folgende Stelle auf; als etwas, was mir durch die Seele
wogte, und was ich nicht vergeſſen wollte. Ich bin nun ſehr
erfreut, daß ich einen ähnlichen Gedanken in Ihrem Schrei-
ben an mich finde: und ſogar einen und denſelben Ausdruck.
So
[369] So ſchrieb ich in Prag: „So wie kein Dichter ſich ausdenken
kann, was beſſer, mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als
was ſich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und
nur der den beſten Roman machen kann, welcher Kraft genug
hat, das was geſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele ausein-
ander zu halten; eben ſo ſind unſere tief-natürlichſten Wün-
ſche roh
; und gräuelhaft entwickelte ſich ihre Erfüllung für
uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, iſt in allen Bezie-
hungen heilſam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden
können. Mir iſt dies in Prag ſchmerzhaft geſchehen, und klar
geworden. Wem dies glimpflich begegnet, der hat Glück.“
Der Ausdruck „rohe Wünſche“ fiel mir ſehr auf, und ſo etwas
kann mich erſtaunlich freuen; ſo ſehr mir auch meine Aus-
drücke aus dem Kopf und aus der Feder fahren, ſo entſchie-
den diſtilliren ſie ſich doch durch alles was ich lebe vorlängſt
in meinem Kopf zurechte; durch Gut und Blut, und Arbeit,
ununterbrochener Art; darum gehe ich wohl verſchwendriſch
damit um, und achte es nicht wenn meine Ausdrücke nicht be-
achtet werden, wenn aber einer davon einmal grade ſo wir-
ken will, als ich ihn gemeint hatte; d. h. alle Gründe mit
beleuchtet und bewegt, die ihn geſchaffen haben, dann freut
es mich als etwas Gelungenes, dem Recht geſchieht, und wel-
ches nicht umſonſt da iſt; dies nun iſt mir in Fülle dadurch
diesmal gelungen, daß Sie ſich bei demſelben Gedanken deſ-
ſelben Ausdrucks bedienten: und daher mein freudiges Bravo,
und mein umſtändliches Beurkunden meines Anſpruchs darauf.
Sie ſehen alſo, wie bereit ich bin mir Gerechtigkeit widerfah-
ren zu laſſen, wenn auch zu meiner Ehre, durch mein eigenes
II. 24
[370] Lob! Aber ſchreiben kann ich doch nichts, lieber Dr. Troxler,
was Sie zum Druck gebrauchen könnten. Ich kann nur Briefe
ſchreiben; und manchmal einen Aphorism; aber abſolut über
keinen Gegenſtand, den man mir, oder ich mir ſelbſt vorlegen
möchte. Sonſt möchte ich Ihnen, was ich nur hätte oder
könnte, mit dem größten Vergnügen wie dies Schreiben hier
ſchicken. Mehr, Lieber! kann ich Ihnen heute, jetzt nicht ſchrei-
ben, da Menſchen bei uns ſind, denen Varnhagen manches
lieſt, und vorſpricht, und die antworten. Künftig mehr;
und beſonders über unſern Satz. Ich bin doch ein Rebell!
Aber auch ſehr ergeben: nur will ich auch das ſchlecht zu
fühlende ſchlecht nennen dürfen: aber doch dulden, weil es
wohl gut ſein wird. Viele Grüße an Mad. Troxler: ſie ſoll
ſich erholen in der geſunden Schweiz! Schönheit und Ge-
ſundheit pflegen. Ich umarme ſie; ſie ſoll die Kinder von
mir küſſen!

Friedrike.


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Ich dachte es gleich, daß Sie nicht wohl ſein müßten;
dies, und daß Sie nicht vergnügt ſein können, fehlte mir noch
in meiner Verdrießlichkeit! Aber es geht keinem Menſchen
gut! Das ſehen wir ja daran, daß es uns in allen verän-
derten Lagen nicht beſſer geht. Man ſieht in einer neuen ge-
wünſchten nur immer, daß man den alten Druck los wird,
und den beſſern neuen Raum; aber was führt der nun wie-
[371] der für Bedingungen mit ſich?! Wieder Druck, und Druck.
Und natürlich: denn kommt man wohl in irgend eine Lage
abſolut frei hinein? oder iſt eine einzige nur ganz nach unſerer
Wahl? Wir ſind nur ſo ſehr gepreßt, dem alten Druck zu
entkommen, und ſo ſagen wir uns in der Eil darüber nicht
von dem bevorſtehenden. Wir Alle ſind wie der Kranke, der
ſich in ſeinem Bette wälzt — qui s’agite dans son lit, iſt beſ-
ſer — um eine erträgliche Lage zu finden: aber er bleibt krank
und im Bette. Schöner Troſt! Nicht wahr? Wahrheit oder
vielmehr Wahrhaftigkeit, womit man die erhaſcht-vermeinte
ſeinen Freunden vorträgt, iſt doch der beſte Troſt! Und daß
wir im Sommer, im ſchönen Sommer mit einander leben wer-
den! Es iſt doch eine große Vergünſtigung! Sind wir im
Freien: können uns anſehen, und erzählten wir uns auch lau-
ter Leid, ſo iſt uns doch wohl! wir lachen auch: ſind leicht-
ſinnig, vergeſſen alles. — Und ich werde im guten Wetter,
mit leidlicher Geſundheit, in Ihrer Gegenwart gleich auch
poſſirlich. Das wiſſen Sie; und dann lachen Sie gewiß.
Freuen Sie ſich mit Eßlairs, und ſehen Sie großartig, wie
es Ihnen ſchon oft gelang, auf Ihre Lage. Bedenken Sie
das Bequeme, Gute, welches ſie mit ſich führt: und denken
Sie deutlich an die vorigen, wie auch die arg waren, und
wie Sie deren Arges los ſind! Ich ſchwöre Ihnen, geliebte
Guſte, daß ich es grad eben ſo machen muß: und alſo wie
mir ſelbſt nichts Beſſers zu rathen weiß; und doch gerne
möchte! Mündlich alles was mir hier fehlt; ein Glück hab’
ich nur, daß ich es doch Varnhagen, wenn auch oft verhehle,
am Ende doch nicht zu verbergen brauche, und mit dem wahr-
24 *
[372] haft ſein darf. Auch wir beide ſprechen über Menſchenſchick-
ſal, wie ich mit Ihnen! Erſt geſtern bei einem Spazirgang.
Noſt. zum Beiſpiel, iſt noch in Paris, in einer guten Lage:
der ſchickte mir dieſer Tage einen Brief: und auch der beklagt
ſich wie wir! — und hat doch einen andern Karakter: aber
die feine Seite in ihm leidet: iſt unbefriedigt: ſo lebt er
in hin und her wählen und überlegen, und ſehnen, nach dem
was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; ſtrengt ſich an,
agitirt ſich; und tadelt dies alles! Ich habe ihm auf drei
Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes
Zimmer unmöglich fällt. Wir müſſen hier noch warten. Varn-
hagen grüßt Sie ſehr! Er wird alles, was er für Eßlair
bereiten kann, thun, und ſeinen Freunden ſchreiben: ich will
auch mit Worten, geſchriebenen und geſprochenen, nicht karg
ſein. Für einen Mann wie Eßlair thät’ ich gerne alles Gute:
grüßen Sie ihn recht ſehr von mir! —


An Moritz Robert, in Berlin.



Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen.


Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich
herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten ſoll!
denn alles möchte ich mit Eins faſſen: ſo hat mich dein Brief
angeregt, ſo alles in mir auf. Ich habe ſeit ich von zu Hauſe
weg bin, nicht einen ſo großen perſönlichen Eindruck em-
pfunden. O! wollte doch nur das Wort perſönlich ſo gut
ſein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber
[373] nicht; und ich muß es thun: zu ſuchen thun. Schrecke, unan-
genehme, peinigende, ärgernde Nachricht, große Kriegesnach-
richten, und peinigende Berührung aller Art, hatte ich in der
Zeit wohl genug; aber nichts was mich in Rahels Vergan-
genheit ſo verſetzte, mir ihre geträumte Zukunft ſo hervor-
rief (die nun eine ganz andere, ihr unbekannte, faſt ohne
Zuſammenhang mit ihrem alten Sein iſt) kurz, ſie plötzlich
und ganz zur alten machte. Ob dies wehmüthig, großartig,
gedankenreich war, ſollſt du ſelbſt beurtheilen. Wiſſe nur! —
und dir wird es wohl eben ſo gehen, das höre ich ſchon; —
ich bin durch des Tages Treiben, und was meinen Nächſten lieb
und heilſam iſt, ſo abgekommen von den tiefern, unerläßlichen,
unveränderlichen Wünſchen und Forderungen meiner Natur;
daß nur ein unbeachtetes Unbehagen, nur ein unerſchütterli-
ches Rechtdenken, wenn es zum Nachdenken kommt, und ein
Brief wie deiner mich daran erinnern kann. Ein Bruderbrief,
wo die Naturen ſich ſchon ähnlich ſind, ein Kammeradenbrief,
die miteinander die Stöße zum Altwerden erlebt haben! (Wenn
ich auch älter bin.) Abzuſchreiben brauchte ich nur, was in
deinem Brief ſteht, um dich mit Eins wiſſen zu laſſen, wie
es mir geht. Dabei bin ich ganz glücklich, denn Varnhagens
Betragen hat ſich in nichts geändert, wie du es kennſt, und
durch einen Zauber, den ich nicht kenne, iſt er verliebt in mich;
und nur erfüllt von dem, was mir lieb ſein könnte. Auch iſt
alles gut; — und doch verſtehe ich es, weil es mit mir eben
ſo iſt, daß du ſo verdrießliche Briefe ſchreiben kannſt, worüber
Erneſtine ſich wundert — und doch ſo höchſt unzufrieden ſein
kannſt! — Es kommt alles, was uns beiden begegnet, von
[374] unſerm Karakter, dies bei allen Menſchen und bei uns beſon-
ders. Wir ſind beide im Innern und allen Neigungen, die ſich
alle auf phyſiſche Anlagen gründen, die bei uns prononcirt
und kräftig angelegt ſind, ſehr beſtimmt, haben aber nicht
Härte oder Kraft genug, nach dieſen Anlagen, eben weil ſie
reich, vielfältig und verſatil ſind, zu handeln: und berückſich-
tigen Andere, und manchen Augenblick zu ſehr, wobei wir
die ſtarke, innere Ueberzeugung nicht einen Augenblick verlie-
ren. Dies muß zur Folterbank führen; was ſoll ich’s noch
ausmahlen, und nach Modifikationen ſtellen. Unſer Verſtand,
Einſicht, Weltkenntniß, ſind Laternen, die uns unſere
Schmach beleuchten. Unſere Laune, unſer Finden in Men-
ſchen, und Ereigniſſe, Umgebungen: Profit und Unterhaltung-
und Bequemlichkeit für die Andern. Unſer endliches Auffah-
ren, wenn wir viel ertragen haben, wovon die Andern gar
nichts merkten, weil ſie eben dadurch genoſſen, wird uns dann
für Unſinn und Inkonſequenz ausgelegt. Auch enthalte ich
es mir immer mehr, und ſchreie mit Blick und Gedanken zu
Gott! Doch bin ich noch immer zu Aller Freude, Scherz und
Amüſement bereit, und da. Am meiſten kränkt es mich, nicht
mit den alten Freunden und Bekannten weiter leben zu kön-
nen, im neuen Lokal nichts Entſchädigendes zu finden, wel-
ches ohne große Glücksumkehrung und Geld nicht geht, und
auch dieſes Miſſen muß ich preiſen, da es Glückstitel trägt.
Varnhagen darf ich’s wie einem andern Freunde, nicht merken
laſſen, weil der mein Glück und meine Zufriedenheit, für eine
ſeiner Verpflichtungen, ja für ſeine größte, anſieht, und außer
Faſſung geräth, wenn er nur irgend etwas davon merkt.
[375] So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott
leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s
ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes
machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte
ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu.
Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies
es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen,
in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal
den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem
ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei-
lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann
kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt
mich, daß du mir ſagſt „ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in
die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt.
Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße
Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich
möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich
nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er-
klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun-
gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s
nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, dankbar
bin ich auch. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen
Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben.
Devrient möcht’ ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf
letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und
dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe
für mich haſt, ſchreibe mir oft: es iſt mein beſter Troſt, und
Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen
[376] habe, werd’ ich auch fröhlich und amüſant ſchreiben. „Schließ’
ihn in deine Seele!“ und in keines Andern Seele! Du kannſt
dir den namenloſen Genuß nicht vorſtellen, den mir dein Brief
gewährte. Alles was wir je erlebten war mir mit einemmale
hell in der Seele. Paulinens Hof, die Linden in der Nacht,
unſer Ärger. Unſer Lachen. Alles! Alles! Ich umarme dich!
ſchreibe mir von Allem, von Louis Robert. Ich haſſe alles
was jetzt vorgeht, am meiſten den Dünkel; bin wie ſonſt!


Dieſes Blatt iſt dankbarlichſt an meine liebe kleine dünn-
leibige Erneſtine. Ich umarme Sie nämlich jetzt, alſo denke
ich mir Sie gleich, und fühle Sie ganz ſchlank. Doch noch
ein Wort an Moritz. Du haſt Recht, man ärgert ſich ſchänd-
lich
, wenn ſie einem nichts von zu Hauſe ſchreiben, und nicht
antworten. Drum will ich, daß du meine letzten Briefe lieſt,
darin iſt vieles berührt, worüber ſie mir doch ſchrieben; als:
Juden, Akteurs, Roberts Stück und ſonſtiges Moden-Elend.
O! wie haſſ’ ich die forcirte Religion und Vaterlandsliebe.
— — Eure beiden Briefe haben ein wahres Glück in unſerm
kleinen Hauſe bereitet. Aber Ihr, liebe Kinder, machtet aus
meinem zu viel. Wir wollen uns aber fleißig ſchreiben. Heute
ſpeiſt Varnhagen bei dem Miniſter Barkhaus, wo ich expreß
um zu ſchreiben abſagen ließ. Ein Diner: um 2 Uhr. Ein
Gräuel! An Ihren Geſchenken nehme ich rechtſchaffenen An-
theil: auch ich habe vieles bekommen. Gern theilt’ ich mit,
Varnhagen iſt aber ſo verſeſſen, daß ich behalte, was er mir
giebt, daß ich mich’s nicht gleich unterſtand, obgleich beſtändig
daran dachte. Beſonders beſtimmte ich den Schleier, welcher
ein enorm viereckig Tuch — die größte Mode — iſt. Noch
[377] liegt er unverſehrt für Sie da! Machen Sie, theures Ernſt-
chen! daß ich ihn Ihnen den Sommer ſelbſt gebe. General
Tettenborn ſchickte mir eine Schachtel Bänder; und zum Com-
ble brachte mir Varnhagen einen Schal, welchen alle Men-
ſchen für türkiſch halten; welches ich nicht ambitionire. Als
ich von den Fêten in Poſen las, dacht’ ich gleich an euch.
Es freut mich, daß Sie dort waren. Ach Gott! ach Gott!
äßen Sie nur Eierkuchen und Beſinge zum Frühſtück bei mir.
O! wären wir nur zuſammen in Berlin! Erneſtine, ich halte
es nicht aus! Sie haben doch noch Eltern und alles! Alſo
Ferdinand als Koſake? Was ſagen Sie zu dieſem eſelhaften
Brief, nach Ihrem, der mir ſo viel Freude machte! Ich kann
heute nicht anders. Laſſen Sie ſich nur nicht abſchrecken. Adieu,
Theure, Liebe, ich bin heute von allem Schreiben zu finger-
lahm. Pappenheims und Herzens ſehe ich oft, auch Frau von
Cuſtine, des Generals Sohn’s Frau. Ihre R. Bald Antwort! —


An Wilhelm Neumann, in Koblenz.



Da Sie mir’s zutrauen, lieber Neumann, daß ich Ihre
Lage, Ihre Entſchlüſſe, Wünſche und Ihr Schreiben darüber
beurtheilen kann, ſo thue ich es um ſo zuverſichtlicher, weil
ich es doch gethan hätte, und mir ſelbſt zutraue, es zu können.
Bis jetzt traute ich Ihnen zu, wenn Sie nur wollten, die ſchön-
ſten Mährchen, die naivſten Geſchichten und Karaktere erfin-
den zu können, und Ihre Feder einen jeden beliebigen anneh-
[378] men zu laſſen; daß Sie aber ſelbſt, als Undine — Gurli —
Thekla — Klärchen — Iphigenia, Ihr ſchönes Herz zum Trumpf
einlegen, wenn das Spiel mit Karten, in dem, was man die
Geſellſchaft nennt, kann abgethan werden, hab’ ich erſt jetzt
durch Ihr Schreiben zu Ihrer jugendlichen Ehre, und meiner
grauen Schande, und großem Ergötzen, erfahren. Anmaßend,
wie alle Alten, entſchied ich mich auch gleich dafür, daß Ihre
ganze redliche Herzensergießung nicht an den Mann abgehen
müſſe; der allenfalls dergleichen gedruckt, von einem berühm-
ten Dichter erfunden, für ſchön halten würde; dieſe ſoll uns
verbleiben: beſonders mir; die ich ſogar die Handſchrift ſo
ſchön finde. Schwerer war es mir, V. zu überreden, daß er
ein Reſümé aus Ihrem Aufſatz, ſicherer, ſtärker geſetzt, mache;
er behauptete, man könne für keine andere Perſon etwas, das
für ſie gelten ſolle, machen: ich behauptete, mit manchem Doch,
das Gegentheil; V’s Talent, beſonders in dergleichen Inſinua-
tionen, kennend; er gab mir aus wahrer Güte nach, und hat
meines Bedünkens einen ſehr guten Aufſatz geliefert, eindring-
lich, kurz, beſtimmt; wo nichts weggeblieben iſt, was der
Mann wiſſen ſoll. Was aber ſoll er mit Ihren innren An-
ſichten, Zuſtänden und Beſtrebungen: die erſehe er alle aus
Ihren Forderungen; und bilde ſich, wenn er Luſt hat, etwas
drauf ein! Noch viel beſſer fand ich V’s eigenen Brief; für
welches Schreiben ich nicht Einmal geſinnt war, weil ich mir
nicht einbilden konnte, wie gut und abgepaßt es nun gelun-
gen iſt. So denk’ ich denn, ſchicken Sie getroſt beide Briefe
ab. Unterſuchen Sie ſich aber doch genau, und frei; und
handlen Sie unbeſtochen, nach Ihrem perſönlichen Gefühl. —


[379]

Ich bedaure Sie, lieber Neumann! Wie ſchon immer
ſonſt, die Leute, die viel zu mir kamen. „Beſſeres haben ſie
nicht?“ dacht’ ich oft; „Das iſt ihr Vergnügen?“ Der Aufent-
halt bei uns, Lieber, mußte Sie erfriſchen? O! heiße Jahre,
wo man ſo rechnet! wir wollen aber gar nicht rechnen; weil
man doch nichts heraus rechnet, als etwa wie alt man iſt;
was einem nicht gelungen iſt; u. ſ. w. Wir wollen nur ma-
teriell von uns ſprechen; uns erzählen, wenn uns etwas Auf-
fallendes, oder Scherzhaftes begegnet; oder wenn wir ein gro-
ßes helles Glück haben. Etwas böſe bin ich mit Ihnen; daß
Sie mir Nachſicht anrechnen, die ich wie eine Jugendfreundin
gehabt hätte: ich kenne Sie alſo nicht als Wilhelm von Ju-
gend auf? kennte Sie auch ohne dies nicht doch, durch und
durch, von unſerm Umgang; und als V’s Freund; und müßte
nicht etwa Sie ſo gut behandlen, als ich Sie kenne? —


Wir ſind dieſen Abend bei Mad. de Cuſtine; Donners-
tag auf einen großen Ball bei Otterſtedt; ich gehe vor das
Thor, wenn es das Wetter erlaubt. Das Übrige kennen Sie
von uns; mehr giebt es nicht. Schreiben Sie mir manchmal;
Phantaſieſtücke! Dann antworte ich.

R.


An Ludwig Robert, in Berlin.



— Schleiermacher iſt meines Bedünkens ſeit der „Weih-
nachtsfeier“ ſchon herabgeſtiegen. Dieſer war mir der erſte
Beleg, daß die hohe, ſcharfe Seele, die auch ſtill und einſam,
[380] alſo einfach, war, ſich von fremdem Wollen hatte berühren
laſſen. (Das iſt das Eine Haar, bei dem einen der Teufel,
nach Leſſing in Emilia Galotti, nicht mehr losläßt.) In die-
ſem Büchelchen wollte er etwas leiſten, was nicht urſprünglich
ſeines war; und noch dazu in einer Form, die ihm durch ſeine
Talente nicht zu Gebote ſtand, und in welcher er es nur ſei-
nen Liebhabern angenehm genießbar machen wollte. Auch der
Kunſtform nach iſt das Ding meines Bedünkens ganz mißlun-
gen. Gewiß wurde er zuerſt in Halle aus Geſelligkeitskreiſen
zuerſt ſanft berührt, angeregt, und etwas verſtanden. Er hat
ein feines Gemüth, von einem lichteindringenden Geiſte em-
pfindlicher gemacht; alſo fühlte er dies ſtark; doch entging
ihm nicht, daß die wohlthuenden Freunde ihn nur in einer
ihnen gemäßen Hülle, — die ihn ſelbſt als Neues reizte, wie
ihn die Geſchicklichkeit ſie zu gebrauchen unterhielt und freute,
— zu verſtehen vermochten, und auch nur manches von ihm.
Der Süßigkeit widerſtand er nicht; mit herabgeſtiegener Freude
machte er ihnen gern dies „Geſchenk.“ Das Talent aber, in
und für die geſellige Welt ſich zu bewegen, mangelt ihm am
meiſten, und auch im Buche gelang’s ihm nicht. Der große
Beifall blieb aber nicht aus: und ſo vermeinte er auch für
die geſellige Welt leben, wirken und daſein zu können auf
unmittelbare Weiſe; gab ſich dem edel und eitel hin, achtete
Unbehagen aus dem tiefſten großen Innern her nicht. Ward
von Verbindungen und deren Meinungen und Abſichten um-
ſchlungen; erwarb das vermeinte Talent nicht; ließ das hohe,
wahre, einſam in ſich, denn dies war ohne Freunde, er ſelbſt
war ihm nicht mehr der einſame Freund, verließ ſich aber dar-
[381] auf, dies würde ihm bleiben; aber es ging ein! äußerte ſich
ihm ſelbſt nicht laut und thätig genug, macht’ ihn wohl noch
ehrenwerth, aber mochte nicht wieder als Thätigkeit zum ſchön-
ſten Wirken, was es gekonnt hätte, erweckt werden. So war
er vor Halle gewiß einer der erſten, reinſten Geiſter; von
Halle kam er angebrochen zurück; und ſank und ſank bis zur
Schmalziſchen Schrift hinab. Von bloßem falſchen Lob, und
Loben, und vom Tumult, anſtatt der keuſchen, ehrwürdigen
Seeleneinſamkeit. Ich kannt’ ihn wohl, liebt’ ihn ſehr, habe
ihn immer gekannt, und ſinken ſehn. Er iſt aber groß! und
wäre er jung und geſund genug, ich könnte ihm das alles ſa-
gen; und wäre es wahr, mit Erfolg.


— Welche Wahlen für ſeinen Umgang traf er! Nicht,
daß weit weniger Begabte uns nicht weit mehr erregen, er-
füllen, befriedigen, erquicken, gefallen, wohlthun, beruhigen,
unterhalten könnten! Aber ich kenne ſeinen hölzernen, uner-
giebigen, nicht nach der Tiefe dringenden Umgang, wo es bei
ihm ſo ſchön iſt, und er ſo zu leben verſteht. Er iſt aber ge-
fallen; und dies durch einen Verſtandesmangel; Tieck aber
ſagt, man iſt nicht dumm — wenn man nicht imbécile iſt —;
da wo man dumm iſt, iſt auch Unſittlichkeit, böſer Wille; und
dies glaube ich mit Tieck. Alſo hat er ſehr gefehlt; und iſt
ſehr geſunken; aber wer ihn kennt, liebt ihn doch; und ärgert
ſich doppelt. Da ich ihn lange ſchon ſo ſehr angreife, und
neulich noch bei Ohme ſo fallen ließ, muß ich ihn wieder bei
euch ſchützen, wie er’s in meinem Herzen iſt: nur wer ihn ganz
kennt, darf ihn jetzt loben, und muß es auch. —


— — Danieder liegen die Menſchen aus allen Ecken
[382] Europa’s; aus allen Ecken habe ich ſie abgehört, und höre
ſie ſich beklagen, ſehe ſie ſich unbehaglich fühlen, rücken und
klimmen; Alle, die nur nicht ganz gemein, ganz roh, ganz
plump ſteigen und gewinnen, ohne Zweck, aus Prahlſucht
und Lüge, ganz nach außen. Meiner Natur Spinnen iſt nun,
das, was mich quält, bis zu ſeinem Urſprunge hin zu ver-
folgen; das heißt, bis an die Gränze ſeines Verſtändniſſes.
Ich verſtehe nun der Welt Gewirre und ihren jetzigen Zu-
ſtand ſo: Es fehlen zu den bedeutend vielen kleinern — De-
tail-Erfindungen möcht’ ich es nennen — Entdeckungen des
Menſchenwitzes, wodurch er nun ſeit den neuern Jahrhunder-
ten ſeine Sinnorgane glücklich genug ergänzt, ſich die Außen-
welt dienſtbarer, die ganze Erde bekannter und kleiner gemacht
hat, einige große Erfindungen und Annahmen, wie ſonſt es
einmal müſſen Ehe, Menſchengemeinden mit Geſetzerfindung,
die zehn Gebote u. dgl. geweſen ſein. Das Alte, Einfache,
damals groß Erfundene reicht durchaus nicht hin. Der Ein-
zelne iſt mächtiger in ſeinem Sinn und Geiſt, reicher vorge-
bildet, als das Geſammte, das ihn regieren ſoll, und es, ohne
Reſpekt, Bewunderung, Meditation einzuflößen, nie kann.
Hiermit meine ich bei weitem nicht die Regierenden; ſondern
das Regierende, welches höher, in Intelligenz, Erhabenheit
und Erfindung ſein muß, als die, welche regiert werden, wenn
ſoll regiert werden können. Ich bin gewiß, wo viele Men-
ſchen als Völker zuſammen waren, fanden ſie ſich ungefähr,
aber nur ſehr ungefähr, in ſolchem Zuſtande wie wir, kurz
vor einer der großen Erfindungen, die man auch Offenbarun-
gen nennt. Nichts aber, was wir aus den Büchern und Sa-
[383] gen kennen, kommt, dünkt mich, dem jetzigen Zuſtande der
Erde gleich! Alte gebildete Völker hatten Säulen zu Gränzen
der Welt, Höhlen zur Hölle, ſchöne Inſeln und Berge zum
Olymp; nannten andere Völker Barbaren, wollten dies, und
nahmen ſie zu Sklaven. Jetzt aber, wo die ganze Erde bereiſet,
gekannt, Kompaß, Teleſkop, Druckerei, Menſchenrechte, und
wer weiß alles was erfunden iſt, in vierzehn Tagen allenthalben
gewußt iſt, was allenthalben geſchehen iſt, und doch die Urbe-
dürfniſſe, Nahrung, Vermehrung, das höhere und höhere Wollen,
fortexiſtiren: wie ſollen die alten Sittenerfindungen noch vor-
halten (nicht das Bedürfniß nach Sitte, für welches erfunden
oder entdeckt werden muß)? Daran, glaube ich, krankt die
jetzige Welt; ſo mannigfaltig ausgebildet, groß und allgemein
war dieſe Krankheit noch in keinem uns bekannt gewordenen
Zeitpunkt, obgleich ſie nur nach und nach dieſe Ausbreitung
gewinnen konnte, wozu eine ewige Anlage da war. So
denk’ ich mir das ganze Daſein progreſſiv, in intenſivem An-
ſchauungsgewinn, zu deſſen ſenſiblem Wiſſen nach beiden Rich-
tungen, nach der uns lieben und nicht lieben: ſo ſteigert ſich
das Leben, das auf der Erde abzuleben iſt, und ein anderes,
das außerhalb ihres Reiches fällt. Je mehr Einſicht, je mehr
Ein- und Zuſtimmung wird das Leben uns abgewinnen, wenn
auch noch mehr Arbeit: jede vollbrachte gleicht unendlich
aus; jede neue ſteigt unendlich. Darum denk’ ich auch wahr
und wirklich, daß das Erdenleben nicht eine ſteife, todte Wie-
derholung iſt, ſondern ein ſchreitendes Ändern und Entwickeln
wie alles; für die Einſicht, und durch die Einſicht; und nenne
unſere Zeit wirklich neu, und bin auf Großes, Neues gefaßt,
[384] mit Einem Wort, auf Wunder der Erfindung, der Gemüths-
kraft, der Entdeckung, Offenbarung, Entwickelung. Mit Ge-
faßtſein meine ich nicht, daß ich es zu ſehen erwarte; aber
ich bin deſſen Kommen gewiß, und alle Verwirrung iſt Gäh-
rung da zu. „Erfriſchend“ iſt ſie wahrlich nicht, die man ſich
mit allem Geiſtesnachdenken erſt zu Gutem zu erklären ver-
mag! Wir ſind aber verwieſen auf der Erde; und welch Glück
hat der, der ſich’s noch gut erklärt, und wohlwollend an-
und hinnimmt, und es ausführt; und ſo ziemlich noch begün-
ſtigt iſt. Es giebt ja Martern; wiſſen wir auch. Herz-
ſtärkend iſt es aber, wenn man ſich menſchlich ſeine Ge-
danken, der ganz guten Aufnahme gewiß, mittheilt; gewiß,
ehrlich Recht zu bekommen, oder ehrlich beſtritten zu werden.
— Mir wirſt du ohne Schwur glauben, daß ich alles zu
Hauſe kenne, als ob ich dort wäre, kenne, wie Margaretha
von Parma Madrid auf ihren Tapeten in Brüſſel vor ſich
ſieht, in Goethens Egmont. Niederdrücken konnte mich unſer
Fall, unſer Leid: rühren unſer Erheben, durchbeben der glück-
liche Sieg. Gefreut aber habe ich mich nie mit jenen. Weil
ich ſie insgeſammt kannte, und ſie nicht um ein Jota ver-
ändert wußte. Mir entgingen ſie, der treuen, miterzogenen
Landsmännin, nie. Andern hielt ich ſie wohl lobend ent-
gegen
; mir nie getroſt an’s Herz! Weſſen Herz iſt Dünkel,
Lüge, Prahlerei mehr verhaßt, als meinem! Prahlerei in Ge-
bieten, wo ſie nicht hin kann! Muth, Frömmigkeit, Menſchen-
liebe. Da ſchlagen ſie in ſtattlichen Schwelgerzelten der Lüge
breites Verheerungslager auf. Ekel iſt es nur, was es erregt,
aber wenn man davon ſpricht, ſo muß es empören. So ſchei-
nen
[385] nen wir mehr zornig, als wir’s ſind, oder zu anderer Zeit, als
wir’s ſind; wegwenden thu’ ich mich meiſt davon, zum Unter-
ſuchen mag ich nicht einmal hinſehen, weil ich’s doch ſchon
kenne; aber dies Wegwenden, Vergeſſen, iſt der wahre Zorn.
Saint-Martin meint ſogar: „Das Böſe ſei in ſo niedrigen
Sphären, daß es nicht mehr zu Gott könne und komme.“
Dies wäre ein Zorn Gottes, denk’ ich. Nie wird man ſich
ganz abwenden können von den Landsleuten, den Erdnach-
barn — alle Menſchen, — alſo laß uns ſprechen, klagen,
ſchimpfen, klügeln, wenn wir es nöthig haben: dies iſt auch
ein menſchlich Thun und Fortkommen. —


An Friederike Liman, in Berlin.



Nicht: auch ſie! auch ſie! Das Einzige, welches ich gewiß
weiß, deſſen ich, in allem Leben, in aller Spekulation, gewiß
geblieben, gewiß geworden bin, iſt, daß mein Gemüth den
Freunden, den je ernſtgemeinten, den aus dem friſchen Jugend-
herzen geſchöpften Erinnerungen bleibt. Und dies, wenn du
mich mit deinem ſchweren, nicht gelenken Gemüthe kennſt,
ſollteſt du wiſſen. Keine abwendende Leidenſchaften, zu den
größten Verhältniſſen, zu zwanzig, Lebensjahre umwindende,
in Anſpruch genommene, konnten meinen innern Überzeugungs-
punkt, das Herz anders ſtellen. Ich bin, wir ſind, wie wir
waren, beim Rathhaus, bei der Poſt, bei der Seehandlung,
die ſelben Kinder. Nie, und von keiner Affektation ange-
II. 25
[386] freſſen, im vierzigſten Jahre! Verblendet oft konnten wir al-
len
fremden Augen erſcheinen: mußten es, und thaten es;
uns nur allein blieb auch darüber Bewußtſein. — Auch ich
möchte dir all mein Innres ſagen: da ich es nun niemand
mehr ſage. Aber nur dir allein, in der Welt. Darum
kann ich dir nicht darüber ſchreiben, und daß ich das nicht
kann, ſtört mich ſo ſehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus
einzelnen Äußerungen möchteſt du falſch errathen. Wiſſe ſo-
viel, ich hab’ mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht
von kürzerer Zeit her; und es iſt doch ſo, wie ich dir zu er-
zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenſchaft wogt mir im
Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo-
dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer-
den. Soviel wiſſe. Auf dich hoffe ich nicht allein, ſondern
rechne ich. — Ich wußte es vorher, daß die Gräfin ſich nicht
ändert. Daß Burgsdorf ſich ſo platt geäußert habe, glaub [...]
ich wieder nicht; er wird etwas geſagt haben, welches man
ſich ſo auslegen kann. — Wenn du ſtill, einſam in unſern
Straßen gehſt, denk’ an mich, und bete für mich, daß ich
hinkomme! hinkomme, wo ich ſo viel litt, und lebte, und
empfand. —


An Wilhelm Neumann, in Koblenz.



Lieber oller Neumann, ich bin ganz beſchämt, daß Sie ſo
unterwürfig gegen mich ſind; wenn Sie ſich ſo ſtellen, wo
[387] ſtehe ich? — und was weiter ein Beſchämungsgefühl kompo-
nirt! Wer ſolche Gewalt zu ſchreiben hat wie Sie, der muß
ſchreiben. Sie haben von Natur einen ganz gebildeten Stil;
das iſt die Krone der Schreibegabe; dies bewunderte ich erſt
in Ihrem letzten Brief, wo Sie nur Negatives, Ihre Unfähig-
keit zum Leben und Schreiben darlegen wollten, und dies ganz
poſitiv ſchön thaten. Sie genießen auch der beſten Einſicht;
über alle Lebens- und Denkgegenſtände eine großartige und
beſtmögliche reine Beurtheilung der Karaktere, und Lebensvor-
fälle, ſehr entfernt von allem was klein iſt, und gemein ſein
könnte: warum wollten Sie nicht leben? Mit ſchönen Kennt-
niſſen, die dem allen einen äußern, auch für Andere zu erfaſ-
ſenden Werth geben, und Ihnen die Ausübung jedes Vorha-
bens bequem ſein laſſen. Setzen Sie ſich mit Ihren Gedanken
nur wieder in den Lebensverkehr; denken Sie an Ihre Freunde,
an Mittheilung, an beſſere Verhältniſſe und Lagen, und An-
regungen, die dadurch, eine von den andern, entſtehen werden;
und alles um Sie her wird lebendig werden, und Sie wieder
leben, und lebendig und raſch wirken. Denken Sie an mich,
wenn Sie nichts Beſſeres haben; wie es mich freuen würde;
theilen Sie mir in Gedanken und in Briefen alles mit; das
andere kommt nach. Machen Sie etwas und ſchicken Sie’s
mir. Leſen Sie, und ſchreiben Sie mir davon! Sie ſchreiben
ganz vortrefflich. Kourage! Wenn auch das erſte alte
Herz weg iſt; es wächſt ein neues, eine Nachpflanze, eine Art
Surrogat-Herz; und der Geiſt iſt ewig! —


Ich gehe nach Mannheim, wo ich niemanden kenne, als
25 *
[388] den General Tettenborn; es kann dort hübſch werden; ich hoffe
es. Sie ſollen von dort hören.

Adieu! Adieu! R.


An — —



— Varnh. iſt wie Sie ihn kennen: die Liebe ſelbſt, und
ſchon mit mir allein zufrieden: und ſehr anders als ich. Das
wiſſen Sie. Den Himmel möchte er mir langen. Ich brauche
nur zu ſprechen, ich brauchte nur zu ſprechen. Je mehr das
aber ſo iſt, je mehr will ich auch ihm Gutes angedeihen laſſen;
und ſo iſt das Leben; es will nicht alles paſſen, drum müßte
alles frei ſein. Wie Vögel; Luft, und Futter; Einen Tod-
ſchuß, wenn es ſein muß; aber keinen Titel, keine Pflicht,
keinen Namen, kein Amt, keine Delikateſſe. Varnh. will, daß
ich reiſe, und mache was ich nur immer mag und will. Doch
hat es noch Zeit vor der Hand; viele aber doch nicht, da ſie
flieht und alles ſich zögert. Nach Heidelberg will ich aber
in jedem Fall ein wenig hin; dreimal war ich von Mann-
heim aus dort; den Ort kennen Sie, tiefſinnig, heiter, ſicher
belebt
, und einſam, was ich wünſche: aber welche Bilder
ſind dort jetzt zu ſehen!!! Sie wiſſen, ich plaudre nieman-
den
nach, alſo nicht, weil ſie jetzt berühmt ſind; wie wird
einem dabei zu Muthe, wenn man dieſe ſiehet! Wie in
ganz alten Zeiten, ehe es Städte, Laden, und Thee’s gab:
wie in der Bibel Zeiten; welcher allerliebſter Mann muß die-
ſer
Mahler geweſen ſein! Eins iſt da, wo die Israeliten
das Manna aufleſen. Nein! das muß man ſehen. Dieſen
duſtrigen Morgen; dieſe Anzüge; wie allein die ſtehen und
[389] liegen, und ſitzen, und an kein Publikum denken! Der Mah-
ler lebte hundert und zwanzig Jahr vor Albrecht Dürer, deſ-
ſen Bilder Sie kennen. Boiſſerée’s aus Köln leben in Hei-
delberg, und beſitzen ſie, aus zerſtörten Kirchen und Klöſtern,
die nicht wußten was ſie hatten, gekauft. Dort will ich ein
wenig leben; und will mir das Glück hold, ſo ſehe ich Sie
dort. —



Melancholiſch iſt noch das Beſte! Das iſt weich, da
fühlt man in einem großen Horizont. Nur nicht beklemmt!


Verfügungen.


(Vorgefunden und zuerſt geleſen nach dem 7. März 1833.)



— Ich fühlte mich in Mannheim ſo krank, daß ich mir
gleich vornahm aufzuſchreiben, wie es mit dem, was mir ge-
hört, und worüber ich freies Walten habe, geſchehen ſoll; ſo-
bald ich nur einen Tag es thun kann, ohne daß du es, lieber
Auguſt, ſieheſt. Unterdeß ſagte ich Dore manches Kleine, und
ward ſchon dabei ſehr vergnügt; und auch körperlich frei, für
den Augenblick, von einem harten Anfall. So wenig verſtehe
ich eigentlich, hypochondriſch zu ſein.


Die Hauptſache bei meinem Tod für mich hat mir Varn-
hagen auf Ehre verſprochen; nämlich mich ohne allen Putz in
einen ſchlechten Sarg legen zu laſſen, welcher keinen zugena-
[390] gelten, noch einen nur im mindeſten ſchwer zu öffnenden
Deckel hat: mein Sargdeckel ſoll von Glas ſein, und wären
es auch, welches ich ſogar will, die kleinſten grünen Glasſchei-
ben. Der Sarg ſelbſt wird nicht in die Erde gegraben, ſon-
dern in ein wenn auch noch ſo kleines Häuschen geſetzt —
etwa wie ein kleines ganz geringes Wachthäuschen bei Bau-
ten, oder dgl. — oder in Souterrain-Zimmer, oder ſonſt ei-
nen Ort ꝛc. Mein größter, wichtigſter Wunſch iſt der; ſollte
ich nach Varnhagen ſterben, ſo iſt der von meinen Geſchwi-
ſtern, der dafür nicht ſorgt, mein ewiger, bitterer Feind!!!


Mein Klavier bitte ich ſehr, Schweſter Roſe zu ſchicken!
— es geht zu Waſſer. — Weil die mich ſehr liebt, ſelbſt ſpielt,
und mich hunderttauſendmal daran hat ſitzen ſehen, im väterli-
chen und mütterlichen Hauſe; in Kinderthränen beim Lernen, in
Mädchenthränen, das Herz voller Wünſche, und vaguem we-
nigen Hoffen; kurz, in allen nur möglichen Abſtufungen vor
Leid, Freude, und Stimmungen, und Gedanken. An dieſem
Klavier dacht’ ich mir beinah alles aus. Stirbt auch Roſe,
kann es Varnhagen zum Anſehen bekommen.


Dann beſitze ich einen kleinen Ring von Smaragden und
Perlen; ſo lange mein Vater lebte, war dies das einzige
Geſchenk von meiner Mutter; als ich ſechszehn Jahr alt war,
ſah ich ihn in einem engliſchen Laden in Pyrmont; ich hatte
gar zu große Luſt dazu, Mama kaufte ihn mir für einen hal-
ben Louisd’or. Ich nannt’ ihn in jüngern Jahren Wielands
Pflaſter, — Straßen-, oder Garten-Pflaſter, wie es wohl in
ſeinen Mährchen vorkommt. Später dachte ich mir aus, ihn
wegzugeben, wenn ich in unbedingtem Glück — ich hielt es
[391] auch für mich nicht unmöglich damals — mich ſelbſt verlieren
würde. Noch ſpäter hatte ich immer Verzürnungen, wenn ich
ihn am Finger hatte; die Bemerkung drängte ſich mir auf;
ich verlor ganz den Muth, ihn zu tragen, welches ich trotz
der ſchlechtgewordenen Hände gethan haben würde; auch wollte
ich’s noch öfter verſuchen, dacht’ ich, wenn mir an meiner Um-
gebung eben nicht alles läge; aber ſie ſchien mir im Verlauf
doch nie gering genug zu dieſer Probe. Auguſt, Lieber, du
weißt von dieſem Ringe! und ſtellte er mich nicht als Mäd-
chen vor, und käme er nicht von Mama, ſo würde ich dich
nicht bitten, auch ihn Roſe’n zu geben: wünſcheſt du ihn aber
beſonders, ſo ſchenk’ ich ihn dir doch. Mein lieber Hans,
meine älteſte Schwägerin, weiß auch, wie ich ihn liebte. Dann
hab ich noch einen ganz kleinen Ring, von einem Rubin mit
zwei kleinen Juwelchen: den gab mir mein Vater, als ich vier
Jahr alt war, Markus eben ſolchen; ich erinnre mich des
Akts. Markus ließ ſeinen vor unſern Augen in der Kinder-
ſtube, gegen dem Rathhauſe über, fallen, und nie konnte er
wieder gefunden werden. Meinen haben Johanna und Fanny
als Kinder getragen, und Fritz Fromm. Den behalte du, mein
Auguſt; und Dank, Segen, Anerkennung, Liebe, und Troſt
ſtröme dir daraus entgegen! —


— Meine armſeligen, aber mir lieben Bijouterieen theilt
Auguſt. —


Wer mich liebt, ſorgt für Line — Line Brack aus
Wuſterhauſen, — die hat hundert und hundert Nächte bei mir
ſich gequält und gewacht; und allen meinen Jugendzorn und
ungewitzigtes Weſen zu ertragen gehabt! Ihre Geſundheit
[392] und Jugend an uns verloren. Papa gedient, wie ein Pudel,
in harten Winternächten, unverdroſſen; Mamaen; und dir,
Markus, in Krankheiten, Bäder getragen, alles. Ihre Fehler
ſeien ihr, wie Allen, verziehen! — Auguſt, und Markus,
ihr ſorgt ſo lange ſie lebt für ſie. — Ich werde noch weiter
unten von ihr und Dore ſprechen. — —


— Mein Vermögen iſt nie eine Fortüne, ſondern kann
nur eine angenehme, oder nöthige Hülfe ſein. Meinem Ge-
wiſſen nach, bin ich es dir, Auguſt, ſchuldig; du theilſt aber
die Zinſen gewiß gern mit Ludwig; und er nimmt es auch
gewiß willig. Er hat nur mäßig zu leben, kein Etabliſſe-
ment; Sinn für Freiheit, eine gemordete Jugend; und eine
gräßliche Krankheit in meiner Gegenwart erlitten, und Gei-
ſtesangſt gekannt. Lebe wohl, lieber Robert. Ich denke wie
du über Leben und Tod, und wurde beſſer und gütiger. Ge-
nieße die Muße, und die Natur; und ruf’ auf mich, in ſchö-
ner Gegend. Maxwitz, Louis, Mama, alle ſind weg!


Dir, mein Auguſt, vermag ich nichts zu ſagen! Zehre an
meinem Leben. Freue dich deines. Mache wie du es kannſt.
Je weniger du dich der Betrübniß hingiebſt, je mehr freuſt du
mich! Ich danke dir; und liebe dich; und ehre dich, und ſehe
dich ganz ein. Lieber! Scheue kein neues Leben! und widme
mir nur, was du mir nicht nehmen kannſt. Geliebter! einzi-
ger! ehrlicher Freund! Ich nehme Theil an allem. Wie ſon-
derbar! noch hör’ ich den Orgelmann im Hof, ſehe hinten das
Feld, die Sonne: und dieſe Blätter werden ſo angeſehen, wie
ich Mama ihre anſehe. Ich bin ganz ruhig; recht vergnügt.
[393] (Man ſtörte mich oft. Senator Smidt; André, von Tetten-
born’s; Dore; Stamm.)


Moritz Robert, der Spaß machen ſoll, und ſich nicht
erſchrecken noch grämen, und den ich ſehr liebe, und er weiß
wie ſehr kenne, und wie ſehr ihm gleiche, bekommt meine bei-
den Spiegel mit den goldenen Rahmen: die kannſt du zu-
ſammenſetzen laſſen, dann iſt es ein ſchöner. — —


— Wenn du mich liebſt und ehrſt, Auguſt, ſchickſt du mit
einem guten Billet meiner Freundin ihre Briefe an ſie zurück;
mit freundlichen Grüßen von mir. Ich bin ihr freund; und
nie böſe, wenn auch manchmal aufgebracht geweſen. Sie ſoll
ſich nicht grämen, und denken was ſie mir noch ſagen möchte:
ich nehme alles Gute ſchon jetzt auf und an. Menſchen irren
und übereilen, und verſtocken ſich; wir ſind Alle gedrängt.
Ja umarme ſie in zärtlichſter Freundſchaft. — —


— Dann hab’ ich noch ein Venetianer Kettchen, welches
ich mir ſelber machen ließ. Von dieſem ſoll man nur wiſſen,
was es war: ein wirkliches Zeichen der Treue: deren ich bis
zum Tod fähig blieb. —


— Gott ſegne euch Alle! Vorzüglich mit ruhigen Ge-
danken, und einem großen Naturgefühl. Keinen Abſchied!
Adieu, adieu! Es bleibt alles wahr.


Rahel Antonie Friederike ꝛc.


Die armen Verwandten bekommen Zulage von Ludwig
und Auguſt. Nicht wahr?


[394]

An Varnhagen.


(Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833.
eröffnet.)



Theuerſter armer Auguſt! Könnt’ ich dich tröſten, wenn
du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe,
und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige
Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im
Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich-
nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei-
nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im
großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im-
mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich
ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei-
nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich unend-
lich
. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes-, alle
Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le-
bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken
mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge-
wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be-
deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein
ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und
aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der
tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer
allein. Da dacht’ ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei
mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich
ihn gab: nur Bitteres ſollte gar nicht drunter ſein; du Engel,
[395] mein Erdenengel, ſchienſt es zu verſtehen, und gabſt ihn mir
willig wieder. Lob iſt die Geſchichte dieſes Ringes, kein Ta-
del oder Vorwurf. Überhaupt: ſo ſehr es möglich war, dei-
ner Natur möglich, eine wie meine zu verſtehen, verſtandſt du
ſie; durch großartigſtes, geiſtvollſtes Anerkennen: mit einer
Einſicht, die ich nicht begreife, da ſie nicht aus Ähnlichkei-
ten der Naturen kommt. Unperſönlicher, großartiger, mit mehr
Verſtand iſt es nicht möglich, daß ein Menſch den andern in
ſich aufnimmt und behandelt, als du mich. Mehr im ganzen
Herz des Wollens hat nie eine Einſicht in einem Menſchen
gewirkt, als deine über mich! Anerkannter kann das nicht
werden, als von mir; und mehr in Liebe gewandelt dies An-
erkennen auch nicht werden. Dieſe Worte ſind ſchwache Ab-
riſſe, und Schatten der Schatten unſers Lebens, welches wir
miteinander führen, mein treuer geliebter Auguſt! — Wozu
alſo? — und welches wir noch mit einander verleben werden!!!


Dieſe Zeilen ſchreib’ ich dir eigentlich nur, um dich feſt
und feſt zu beſtimmen, ja die Hälfte meines Vermögens zu
nehmen, welche andere Hälfte ich keinem Sterblichen ſchul-
dig bin, als auch dir; und nur Louis ſie aus Liebe, und
Kenntniß ſeiner, bei ſeinem Leben laſſe.


Wegen * ſchreib’ ich dir! Vergiß * * nicht, und denke
an * * *. Mache gleich ein Teſtament. Ein Menſch iſt im-
mer
ſterblich. Thue es mir zu Ehren ſehr bald. Gleich.
Lebe wohl, Geliebter! Gottes beſter Segen mit dir. Mein
reinſtes Gebet. Deine treue wohlwiſſende was du biſt


Rahel.


[396]

An Auguſte Brede, in Stuttgart.



„Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen?“ kann
ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht ſchreiben
kann, und Sie mich daſſelbe fragen könnten; auch bin ich
Ihnen meines Wiſſens keine Antwort ſchuldig; und doch ſchon
lange ſchuldig Ihnen zu ſchreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich
noch in Mannheim war, wo wir ſechs Wochen beim General
Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt
ſchicke. — — Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe-
ſtimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbeſtimmte
nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; ſo [än]gſtigend
und tödtend auch wieder ein feſtes Bleiben, wenn es die N[o]th-
wendigkeit vorſchreibt, ſein kann, und mir ſchon zu oft war,
Nun hoff’ ich nichts mehr! und veranſtalte gar nichts mehr.
In der Seele wär’ ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine
arme Perſon keinen Sitz mehr; und am allerwenigſten einen,
der mir behagen könnte. „Schweigen (mit Hamlet) iſt der
Reſt!“ Wie iſt Ihnen, Auguſte? können Sie reden; ſo
ſprechen ſie! können Sie nicht, ſo werd’ ich’s auch wiſſen.
Seit ein paar Tagen leb’ ich etwas erheitert durch die Schle-
gel: ſie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann
ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und ſehe einige Leute,
wechsle einige Worte. Geſtern lernte ich Rückert dort kennen,
und freute mich ſehr: und den Miniſter Wangenheim, der
mir ſehr gefiel: ein kluger, milder, lebſeliger, das Wohl wol-
[397] lender Mann, der einem gleich das nächſte Leben leicht zu
machen weiß; dieſe Eigenſchaften wurden ſehr bei mir in die
Höhe und in’s Licht geſetzt, durch den Gedanken: das iſt ein
Staatsmann, der ſteht auf der wirkenden Miniſterſtufe; es
geht ſo lange ſchon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig,
ſechszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit
Geneſungsſehnſucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be-
ſonders ſo ſehr unterſuchen muß, und von meinen perſönlichen
Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach-
tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen
Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht ſehe ich ihn noch
heute, dann will ich von Ihnen mit ihm ſprechen.


Den 7. Juli will mein älteſter Bruder von Berlin abrei-
ſen, und mich in dieſen Gegenden ſuchen: ſuchen, weil Staats-
diener jetzt Hauſirer ſind. Es war gewiß ſchon oft ſo in der
W[el]t: es kann auch mit manchen Umſtänden begleitet öfters
angenehm ſein; dieſe aber ſind nicht ſo gütig, ſich bei mir
einzufinden. Da ich aber ſo ſehr an den Augen litt — am
Sehen — ſich das beſſert, nach Mittlen, und Verhalten;
und ich vom Arzt in Mannheim die Verſichrung habe, daß
die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein ſchon in
Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, ſo bin ich bums-
ſtill! Quand il faut se prêcher pour être heureux, l’on est
à peine content.
Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich
immerweg erwarten; er will kommen, ſobald er ſeine Mos-
kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier gar nicht,
weil ich keinen Platz habe. In Mannheim ſah ich manches:
nichts was beſchrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel
[398] — Berliner — der grade in dem, was Iffland mit dem Vor-
rath, den er von der Natur hatte, nicht mehr leiſten konnte,
ſondern durch Künſtlichkeiten zu bewirken ſuchte, dieſem nach-
ſpielt; und mir, ich kann es ſagen, durchaus mehr Unterhal-
tung ſchaffte, als der Gefeierte ſelbſt. Dieſer führte meine
Betrachtung immer nur auf ſeine Rollen, Leiſtungen, und ſeine
Kunſt, in der er wirkte; ſein Kopiſte aber ſtellt mir auch jenes
Schwächen als Gebilde vor, und erinnert an die Perſon, die
doch nun einmal als ein Vergangenes, Unwiederbringliches
daſteht. Und er machte mich lachen, und bedauren. Manche
Scenen im Luſtſpiel wurden meiſterhaft gegeben, von Müller
und noch Einem, deſſen Namen mir fehlt, z. B. im Räuſch-
chen. Die Frauen ſind nicht zu erwähnen. Ihre Demmer
war ſchon in Karlsruhe, die ſah ich nicht. Dann iſt noch ein
großer ſchöner Mann da, den ich auch jetzt nicht nennen kann,
der iſt nicht ſchlecht; er ſpielt den Offizier in Kotzebue’s Stück,
welches in Spanien, in jetziger Zeit, in Civilkleidern ſpielt.
Dann hört’ ich in einem Konzert Mad. Gley aus Hamburg
ſingen; eine Meiſterin, wenn auch vielleicht sur le retour;
ganz italiäniſch. Das war auch das Beſte in Mannheim.
Sonſt iſt das Schönſte von Mannheim, — Heidelberg. Sie
lieben doch meine Bonmots! die alle aus Laune entſtehen.
Geſtern waren meine Lippen witzig. Als der Miniſter Wan-
genheim geſtern etwas abwärts mit Herren ſprach, und ich
ihn reden hörte, ſagte ich ganz freudig zur Schlegel: „Es iſt
doch jetzt ganz anders in der Welt! Wie ſolcher Mann ſpricht;
ſonſt dekretirte ein Miniſter nur, jetzt diskutirt er.“ Sie ent-
gegnete mir in einem zu mahlenden Gleichmuth, und hal-
[399] ber Zerſtreuung: So muß es eigentlich ſein! — „Ja, aber
ſo war’s doch nicht: wie ſonſt ſo’n Miniſter war!“ ſagte ich.
— Das hab’ ich ganz vergeſſen; ſagte ſie, halb fragend. —
„Ja! Sie haben auch ſo ein glückliches Gedächtniß, daß Sie
alles vergeſſen!“ ſchloß ich. Und mußte ſelbſt gleich lachen.
Nachher ſagte ich zu Hauſe zu Varnhagen: „Die Nichte da,
iſt doch accurat, als ob ſie nicht da wäre! und noch ärger,
denn ſie iſt da!“ Meine Lippen waren noch redſeliger. Sie
hätten’s gewiß goutirt. Ach Guſte! die Prager Laune, Ihr
Arlequin, bleibt aus! Drum ſcharr’ ich weniges zuſammen.
Adieu, Liebe, Beſte! Varnhagen grüßt ſehr, ich Ihre Mutter.
Ich ſage nicht ein Wort über die Einlage. Ich habe das al-
les genoſſen, fühl’ es mit Ihnen, liebe Seele, und kann Ihnen
nicht ein Jota davon abnehmen.

Adieu, adieu. R.


Denken Sie noch manchmal an unſern engliſchen Mar-
witz? Wo iſt der??????


So eben geht Miniſter Wangenheim und Rückert weg:
ich habe meine Freundin empfohlen.

Adieu, Liebe!


An Erneſtine G., in Berlin.



Sie haben Recht, liebe Golda, daß Sie mir ſchreiben,
wenn Frühling, „goldene Sonne“ und alles Schöne, woran
man Anſpruch hat, Sie ängſtigt! Auf immer Elenderes ver-
weiſe ich Sie zum Troſte; oder beſſer! zum Herausleſen des
Beſten, aus der Lage — oder Klemme — worin man iſt; es
[400] iſt noch ſchön, wenn noch Wünſche, Verlangen, Sehnſucht in
uns rege gemacht werden kann, und wir es nur ſo vor uns
zu haben meinen, was uns beglücken könnte. Es iſt ſchön,
wenn Frühling, Luft und Wetter, Horizonte, Lichter und
Scheine jene Gährung erregen, die uns zu peinigen vermeint,
aber auch, die ſchönſten Lebensbilder und alle Wünſche, alte
und neugeſchaffene, in uns hervorruft, die das Herz nähren,
die Seele ſpannen, und den Geiſt beſchäftigen (wenn auch
ohne die Ruhe des eigentlichen Genießens); und ein ſtrenges
Bedürfniß, ja Bedingung des ganzen perſönlichen Seins! Wie
iſt es aber dann, wenn jene Bilder ſich nicht mehr ſtellen wol-
len; weder in Erinnrung, noch in Phantaſie für die leere Zu-
kunft; wenn Wünſche keinen Weg mehr finden, wo ſie vor-
eilen können, und kein Lebensplan ſich in dem ganzen Welt-
gewirr geſtalten kann! einem das Herz wie unter einem gro-
ßen Grabſtein hinter der Bruſt gepreßt iſt; nicht lebendig
mehr; aber doch keiner andern Welt angehörig, und man
nichts mehr fühlt, als dieſes Preſſen und die Angſt, wie es
anders, und vergeblich war; und auch ſo nicht wieder werden
kann. Wenn man dem Schickſal Recht giebt, obgleich man
unendlich von ihm beleidigt iſt, und grad’ in Kleinigkeiten:
und ganz müde iſt, und meint, es iſt genug: ich gab ſie ja
auf, dieſe ganze Welt: ich kann ſie gar ja nicht mehr erfaſ-
ſen mit meinen Kräften, Wünſchen, Bemühungen: nur der
Qual genug! Ruhe. Wenn ſich eben dieſer Zuſtand im Kör-
per abbildet; und der ohne Schmerz, aber in Widerſpruch
oder Verwirrung iſt, die ſich wieder im Kopfe, als ein Sum-
mendes, Fremdes, Störendes, Plagendes, Schmerzloſes, äußert,
und
[401] und den ganzen Kreislauf des Leidens bewegt, wie ein erſtes
und geſchäftiges Rad, wie vom klügſten Meiſter dazu beſtellt;
und man nun endlich weiß; du biſt alt; das iſt alt; und
Plage war die ganze Jugend; nun iſt ſie aus: und auch ſo
kommt es mit dem Leben? ??? — — — Dann wird es doch
wieder anders; ein Wetter hat guten Einfluß, hebt den Kör-
per, erlaubt ihm Luft und Bewegung, miſcht ihn auf; ein klei-
nes Ereigniß erfreut, zerſtreut; und wir dienen uns und dem
Schickſal von neuem! Schon einige ſolche Schreckensfrühlinge
hab’ ich erlebt: die erſten ſchon vor mehreren Jahren; rein
durch Krankheit, deren Schwinden mir noch einen Wollenſtoff
— ſo fühlt’ ich es — zwiſchen meinen Sinnen, und der hol-
den heilenden Natur feſt vorbreitete, und mir die Nerven
ſtrammte, lähmte, und widrig reibend reizte. Da war ich
tief-unglücklich, weil ich wahre Verdammniß, eine andere,
ſchlechte Natur, mit der meinen fühlen mußte. Ich fühlte es,
jammerelend, nur: nennen kann ich es erſt jetzt. Das war
ſchrecklich: ganz übernatürlich entſetzlich! Mir war auch die-
ſen Frühling, als ich Ihnen neulich ſchrieb, furchtbar zu Mu-
the, und Klagen, wie geſagt, wollten dem Herzen nicht mehr
entſtrömen. Nun iſt mir wieder viel beſſer. Ich gehe, empfinde
das Wetter; gut und ſchlecht, aber doch natürlich; finde mich
mit Menſchen leichter und heiterer zuſammen; ja, munter.
Meine Schuld iſt es nicht: ich befinde mich nur leidlicher; es
ereignete ſich manches für die Geſelligkeit beſſer, das arge Wet-
ter ließ nach, welches mich in einem leichten Gebäude, ſowohl
Wind als Sonne ausgeſetzt, ſehr plagte. Aber auch ich war
thätig mit Einſehen, und habe wirklich gelernt, nicht auf dem
II. 26
[402] Lande wohnen, ein geſunder Wunſch dort zu ſein, ſei ſchon
gut; gehen können, vortrefflich; nah an ſchönen Spazirgän-
gen zu wohnen, herrlich; und nicht zu appuyiren auf das,
was einem fehlt, eine Art Schuldigkeit; und mit Geſundheit,
eine leichte Klugheit; und ſo zu ſchätzen was man hat, als
ob man’s verloren habe, ein ordentliches Glück!! Ganz
glücklich gehe ich ſpaziren; ganz glücklich ſeh’ ich einen wei-
ten beſternten Himmel Abends aus meinen Fenſtern; und fühle,
mich geſund fühlen fehlte mir am meiſten, und daß ich wirk-
lich nur Erreichbares und Leichtes bedarf!!!



Geſtern wurde ich bei obiger Zeile geſtört: und ſo nach
und nach den ganzen Tag am Weiterſchreiben verhindert.
Seitdem hat die Sterbliche ſchon unzählige Unannehmlichkei-
ten gefühlt, Kontrarietäten erlebt, ſchlechte Empfindungen
durchmachen müſſen; ja, heute ſchon geweint: und das auf
meinen Knieen: wie außer mir: und alles dies, nur Kleinig-
keiten — nennt man’s — die mir aber auf’s bitterſte, und
herbſte, und unleidlichſte, die Sentenz des Geiſtes vorhalten;
und wahr machen, die mein Schickſal beſtimmte. Nun nahm
ich Ihren Brief, und meinen angefangenen wieder vor mich:
und ſah, daß es, ſo lange ich in dieſem Gehäuſe leben muß,
mit mir anders nicht wird: ein paar kluge Sentenzen kommen
manchmal zum Vorſchein; auffallende, tragiſch-poſſirliche Kla-
gen; der mildeſte Troſt aus gutem Herzen gequollen; aber
ſonſt nichts! Anders wird’s mit mir nicht; anders werde ich
auch nicht; klüger oder beſſer, weniger noch als kaum’ Be-
[403] neiden Sie Demüthige! alſo Doren nicht, ihr Leben bei mir
zuzubringen, und ſtellen Sie mich nicht ſo hoch! Ich habe
einige große, oder vielmehr ſtarke Anlagen, und eine unſchul-
dige Seele, dies bildet ſcheinbare Geiſtestalente, die aber alle
keine glückliche Entwickelung fanden: ich ſelbſt ward ihrer
nicht Herr; ſie nur meiner; daher entſtand eine Gemüthsrege,
die man lieben muß, wenn man ſie findet; die aber den Mei-
ſten nur als Geiſt erſcheint, ihnen Forderungen einflößt, die
ich meiſt geſchickt genug zu leiſten bin; aber mit andren Mitt-
len, als die jene in Anſpruch nehmen; welches mich ſehr müde
macht: zum Theil entſprech’ ich den Anforderungen nicht; dann
bin ich bitterer Anklage und weit und breit wirkenden Miß-
verhältniſſen preisgegeben. Und ſo ſchwankt und fließt das
Leben über uns hin; wir manchmal ein wenig von ihm ge-
tragen; eigentlich aber in fremder Fluth: wie es mit dem An-
kommen iſt, darüber will ich endlich ſchweigen; wie für uns ge-
ſchwiegen iſt! So iſt’s ein wenig mehr, ein wenig weniger,
mit allen Menſchen; das leſe ich ſogar aus allem heraus.
Von den Teſtamenten anzufangen! aus dem alten und neuen:
aus aller Geſchichte: aus allen Behauptungen, Plänen, Vor-
ſchlägen, Erfindungen, Fiktionen der Bücher: aus allen Dich-
tern
, ihrem Scherz, und Ernſt. Es iſt ein Witz der Natur,
uns ſo gefangen zu haben; ſonſt blieben wir gewiß nicht:
aber unſer Wünſchen, unſer Sehnen iſt unſer Netz und unſere
Gränze. Das iſt keine Kunſt! Alſo klagen wir nur, Golda,
klagen wir, wenn wir nichts thun können und leiden, rein lei-
den; Genuß wird, oder muß uns erſt das Sein deutlich ma-
chen: hier kennen wir den Genuß und das Sein nicht: klagen
26 *
[404] Sie mir, ſagen Sie mir alles; ich verſtehe das Meiſte, und
vom Leiden und allem Menſchlichen ſehr viel, werde es, ſo
bald es dies wirklich iſt, nie überdrüſſig, nie zu gut dazu.
Ach! und einen Zeugen unſers Lebens, des Fadens der innen
geſponnen, ununterbrochen wenn auch nicht immer mit Be-
wußtſein beleuchtet, bedürfen wir ſo ſehr! Ich will Ihr Zeuge
ſein. Ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen auch das, was
Sie mir nicht ſagen können, und welches alles andere be-
ſtimmt. Ich will Sie verſtehen, wenn auch Ihre Natur von
meiner abweicht; dadurch verſtehen, daß ich mich erinnre, wie
man mich nicht verſteht, und es doch richtig iſt! Auch ich,
Liebe, liebe Töplitz unendlich: ſein heiteres ſchönes Thal, ſeine
holde Wohlthatsquelle, der ich ſchon jahrelange Geſundheit,
und beinah plötzliche Erleichterung danken mußte. All das
Gute, welches mir dort noch in unbefangnerer Jugendlichkeit
wirklich widerfuhr, als heiteres Spazirleben mit Freunden;
neue Freundſchaften; Bekanntſchaften ohne Zahl, die mich, ich
nicht ſie, ſuchten; kurz, lauter Gutes, außer die letzten beiden
male, wo es ſchon ganz geſtört war; — machte mir einen
langjährigen Wunſch draus, dort ein Haus zu beſitzen! Es
iſt einen Tag vom geliebten, liebenswerthen Dresden; einen
vom fremdartigen herrlichen Prag; im Gebirge, am Gebirge;
kurz, es vereinigt faſt alles was ich liebe. Es iſt auch Ge-
ſellſchaft dort, und alles zu haben. Und doch, werden wir
nicht hinkommen! Aber in Einem Orte werden wir gewiß
noch leben, das glauben Sie gewiß! —


— Die Leute, von denen in Ihrem Briefe die Rede iſt,
ſetzen ſich äußerlich hoch; und dazu gehört ihnen auch der
[405] Sitz, den ſie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen.
Laſſen Sie ſie! das iſt ihr Plaiſir. Das ſage ich, weil ich in
der That ſo gegen, und mit Menſchen geworden bin: wenn
nicht das, was ſie üben, mir eben den Tag oder die Stunde
verdirbt. Darüber aber ſteigert ſich meine Empfindlichkeit;
Störung iſt mir ärger, als alle ſonſtige Verletzung, die ich
mir erſt durch die Gedanken konſtituiren muß. —


Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts beſſeres zu ſagen,
als daß es natürlich iſt, wenn er mich lieb hat, und im
geringſten nicht „mehr als er ſollte.“ (Er hat mich lie-
ber, als er ſollte; ſagte er Ihnen.) Ich hab’ ihn auch lieb,
und ſo wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat,
welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer
fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigenſchaften,
ohne dieſe mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich
niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb
ſein könnte: iſt ihm ſonſt manches an mir nicht recht, ſo mag
er’s mir hingehen laſſen; ich habe bei ihm auch nur auf Be-
ſtes in ihm geſehen; wenn er das manchmal merkte, ſo hab’
ich Unrecht; und dies ſoll er mir verzeihen! Ich grüße ihn
ſehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht — ich glaube
Ende dieſes Winters — ein Buch erhalten hat? und weiß ihm
für jetzt nichts Gründlichers noch Beſſeres zu aller Nachſicht
und Kenntniß meiner Auffordrendes zu ſagen, als das was
ich Ihnen hier von mir und über mich ſchrieb. Hat er Geduld
genug, ſo laſſen Sie ihn dieſen Brief leſen! Adieu Koreff! —


Iſt denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr,
daß man an der Seite der Häuſer, unter den Linden, eine
[406] Reihe Bäume weghauen will??? damit die Leute beſſer aus
den Fenſtern ſehen können
? das leidet der König?
Es verdirbt mir ganz Berlin. Es ſtand im Morgenblatt.
So haben ſie auch, vor einigen Jahren, die Götterwand von
Hecke vor der Charlottenburger Orangerie weggehauen. „Die
Orangerie ſollte beſſre Luftlöcher haben.“ Wahnſinn. Die
Orangerie war ſiebzig Jahre gut genug für Brandenburg: und
ſolche Hecke hat ganz Italien nicht. O! Koreff, ſprechen
Sie davon! Adieu, adieu! Golda!

Ihre Rahel.


Lieber Koreff! Ich kann Ihnen ja gar nichts gethan
haben. Adieu, adieu!


An Troxler, in Beromünſter.



Viele ſchöne Grüße! Wenn Sie Ihr Leben, auch nur
ganz trocken, ſchreiben wollten, könnte meines Bedünkens kein
ſchönerer Anfang, keine ſchönere Einleitung dazu genommen
werden, als was Sie Varnhagen, über den Vorſchlag es zu
ſchreiben, geſchrieben haben! Ich fand es ſehr ſchön, und ſpie-
glend nach allen Seiten Ihres Lebens hin, und bis in’s In-
nerſte; bis auf die wahrſte Farbe wiedergebend. Von mir,
Lieber, können Sie ſagen was Sie wollen, nur meinen armen
Namen nicht! Er iſt mir ſo bequem wie ein dunkeles Kleid,
von dem man ſich einbildet, es hielte auch warm; würde er
hell, es fröre mich, ich könnte mich nicht mehr einwicklen, und
ſtünde mit meinem Wuchs ganz embarraſſirt. Viele ſelbſtge-
[407] bildete oder doch neugeſtellte Worte freuten mich in Ihrem
Aufſatz! die ich eben ſo gebraucht hatte: ich zeigte ſie V. gleich.
Adieu, lieber Freund, tauſend ſchöne Grüße an Mad. Troxler
in’s Grüne hinein!

R.



— So lebe ich immer proviſoriſch, und ſchlecht in allen
Einrichtungen, und in Hinſicht des Umgangs. Doch bin ich
ſeit einigen Tagen über alles dies in mir ſehr revolutionirt!
d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer ſitze ich auch: ohne
Angſt
. Iſt gutes Wetter, ſehe ich und geh’ ich in’s Grüne.
Was ich will, und brauche, hätte ich vor der Hand nirgends:
und was mich ſo ſehr peinigte, daß ich mein jetziges Leben
nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wün-
ſchen derſelben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr
führte, einrichten wollte, dahinter bin ich endlich, und plötzlich
gekommen, das muß ich aufgeben. Es geht nicht. Alſo
ſitz’ ich und ſehe meinem eigenen Leben zu; gewiſſermaßen.
Ich lebe es nicht: nur ganz innerlich. Ich weiß noch, wozu
ich fähig war; und dieſe Fähigkeit müſſen wir doch ſcheinbar,
für die eigentlichſte Beſtimmung halten. Aber es iſt nicht ſo!
Wie Blüthen, und wie die meiſten ſogar, fallen wir, vom gro-
ßen unbekannten Winde ab: obgleich wir hätten Frucht wer-
den können. Die Menſchenblüthe fühlt die verletzende Vernich-
tung ſtark; hingegen kann ſie auch über ſich ſelbſt reflektiren:
und das thue ich. Der Menſch beſteht nur aus ſeinem Ka-
rakter: das iſt er, und das iſt ſein Schickſal; Karakter iſt nur
Muth: Muth, der unſern einmaligen Gaben beigegeben iſt;
[408] Muth, der ihnen die ganze Bewegung und Richtung giebt.
Ich habe viele Gaben; aber keinen Muth: nicht den Muth,
der meine Gaben zu bewegen vermag, nicht den Muth, der
mich genießen lehrte, wenn es auch einen Andern etwas ko-
ſtete: ich ſetzte jenes Andern Perſönlichkeit höher, als meine;
ziehe Frieden dem Genuſſe vor: und habe nie etwas gehabt.
Solche Menſchen liebt nur ſelten das Glück. Und ſo bin ich
großbegabt ſitzen geblieben. Ganz fallen konnt’ ich nicht, weil
ich unendlich unſchuldig bin: und unperſönliche Genüſſe mei-
nen reichen Gaben nach in Fülle habe. Dies iſt le mot de
l’énigme.
Sie werden es verſtehen. Sie ſind auf entgegenge-
ſetztem Wege, mit dem größten Muthe, bankerott. Und ſo
winken wir uns, blicken uns tief in die Augen, und wollen
uns die Hand reichen. Liebe Freundin! das Herz wird ganz
ſteif vor Wunder, wenn man dies erkennt. —


An Erneſtine G., in Berlin.



Nur weil ich Ihre Geſinnung dabei kenne, Ihre Empfin-
dung mir dabei denken kann, hat auch mich das Geburtstag-
band, welches ich geſtern dick in einem Briefe von Ihnen er-
hielt, gefreut, Ich danke Ihnen! Ich ſah das Band ſchon
öfter vergnügt an, habe es ſchon mehreremale auseinander
gewickelt, mir dabei gedacht, was Sie ſich wohl dabei dach-
ten; und fand es recht hübſch! Auf meine Geburtstage halte
ich nicht viel; in unſerm Hauſe durſte von keinem die Rede
[409] ſein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von ſeiner
Geſinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh-
rern Mitgliedern in einer Familie, läſtig, leer und affektirt:
ſchickt ſich nur gut bei Fürſten, wo alles in’s Große und Feier-
liche getrieben werden kann, und ohnehin eine ſchöne Stufe
höher ſteht, als im wirklichen, ich möchte ſagen, gemeinen
Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein
Geburtstag iſt; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor
Pfingſten geboren war, und ſo nahm ich, ſeit nur wenigen
Jahren, dieſes grüne Feſt in meinen Gedanken dafür an. Aber
ich kann ſagen bloß aus und in Leidweſen: als mir die Zeit
anfing zu ſehr zu ſchwinden, und mir doch ohne Leben die
Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürſten,
dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich ſelbſt
vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu ſchlie-
ßen hatte, in der ſo genannten erworbenen Vernünftigkeit,
eigentlich aber Muthgebrochenheit. So ſteht’s mit dem Ge-
burtstag; ſo wird der von den andern Tagen angeſehen; und
dieſe mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da-
mit abgeben. —


An Wilhelm Neumann, in Koblenz.



Karlsruhe iſt ein ſchöner unbequemer Ort: die Unbequem-
lichkeit liegt in der Prätenſion eines großen, ohne deſſen Reſ-
ſourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beſchränkt-
[410] heit und dem Stagnirenden eines kleinen. Iſt man hier ge-
boren oder eingelebt, ſo mag’s einem auch hier gefallen: der
Eindruck iſt heiter, angenehm, berliniſch; ja, überraſchend ſchön.
Viel Wald, viel Sumpf, viel Mücken umher. Im Ort die
ſchönſte Bauart; ſchöne Gebäude, viel Grünes — verdure
und kein Logis: chambres garnies gar nicht. Wie konnte der
Ort auch das wiſſen! —


Neumann! In der von Menſchen arrangirten Welt,
nicht in den Mänglen, die die Natur aller Dinge ſchon feſt-
ſetzt, giebt es nur Eins, welches unleidlich iſt, abſcheulich,
empörend, in jedem Augenblicke hinderlich, um ſich her alles
wegfreſſend, wahrhaft unſittlich, und wieder empörend, weil
dies nur geehrt wird; zum ſchwindlich werden, weil wir ſelbſt
uns ihm doch fügen! Dieſes Eine nannten Sie: dieſes Eine
vergeſſe ich nie: und vergeſſe ich’s, ſo benimmt es mir und
allem, was ich nur lieben kann, wie Giftausdünſtung doch
das Leben: über dieſes Eine iſt tiefſinnig, ja auch gründlich
in unſern Schriften geredet; aber Sie haben Recht, lange
nicht in Worten, die außer der litterariſchen Welt Funken
faſſen. Schon Fichte ſagte ihnen deutlich, in ſeinen Vorle-
ſungen Anno 6: ein tiefſinniger Denker, begründete Reden in
der Art, würden ihnen nie ſchaden, führte ſich an, und bewies
ihnen, wie entfernt grade ſolcher von Thaten, vom Handlen
iſt. Noch ſchlimmer ſag’ ich: nicht allein ſolch ein Mann
handelt nicht, ſondern auch ſeine Verſteher nicht; die ſind, nur
auf eine paſſivere Weiſe, eben ſo geiſtig, und folglich nicht
anders beſchäftigt. Wir, die Deutſchen, haben noch keine
Sprache, ſo durch alle Geſelligkeitsröhren getrieben, wie es die
[411] franzöſiſche iſt; in der man ſich dem Geringſten im Faubourg
verſtändlich machen kann. Es liegt aber eine ſolche in unſe-
rer bereitet da; man braucht ſie nur fertig zu machen, nur
die Wortſtücke dazu auszuſuchen — auch ich kann dergleichen,
weil das Tagesleben, wie bei den Franzoſen, mein Kunſtſtoff
iſt. — Es gab aber in unſerm Lande keine Gelegenheit zum
Sprechen, als die Kanzel. Alle übrigen Gedanken müſſen
ohne Ton, Gebärde, unperſönlich, zu überirdiſch, aus dem Geiſt
an den Geiſt wirken. Alſo langſam, künſtlich, und dann plötz-
lich. Es werden Verhältniſſe uns auch eine Lebensgeſelligkeit
in Worten, ſchaffen. Ich weiß es. Oh! lebt’ ich nur lang
genug; da ich das andere zu lang erleben mußte! Ganz plan
und klar und deutlich muß geredet werden; Sie haben Recht!
die Beweiſe ſtumme, ſtarre, friſche und alte Exempel ſein.
Nein, man hält die tück’ſchen Narren, die albernen Verbrecher
nicht mehr aus. Sie; ich, kennen ſie längſt. Zu nichts
kommt neue Empörung; ſie ſtapelt ſich unnütz nur auf: längſt
ging es über alles ſittliche Maß, über alles geiſtige Auffaſſen.
Mir iſt nichts Neues begegnet: nur in kleineren Räumen, wo
ſie das Frevelſpiel auch mit dem wahnſinnigen Ernſt durch-
ſpielen, fällt es unſinniger und kleinlicher, und der Geißel
näher aus.


Für jetzt kann ich nicht nach Baden; weil ich noch kein
pied-à-terre hier habe: ich muß ihn aber bekommen, und
dann, ſtummer lieber edler Freund, bin ich doch noch der Mei-
nung, Sie kommen auch dahin! Denn in vielen erſten Mo-
naten werden wir dort ſo wenig etablirt als hier ſein. Aber
ein Zuhauſe ſollen Sie nicht allein mit uns, ſondern auch bei
[412] uns finden. Kurz, für’s Erſte antworten Sie ſehr redſelig:
und dann kommen Sie! Die letzten vier Beilagen der All-
gemeinen Zeitung aus der Allemannia müſſen Sie leſen. Der
ſpricht grad’ und ſcharf: aber vorerſt zu den Schwatzpatronen
der Druckereien. Und er hat auch den Muth die Franzoſen
zu vertheidigen.

Adieu. R.


An Troxler, in Beromünſter.



Nur ein Wort, lieber Dr. Troxler, um einen ſo lieben
gütigen Brief, als Ihrer iſt, nicht ohne Antwort zu laſſen!
Jener Bedienter in der Komödie ſagt, mit einer plume d’au-
berge
könne er nicht ſchreiben. So geht es mir hier noch mit
der ganzen Stadt. Noch leb’ ich une vie d’auberge. Näm-
lich umgekehrt; ganz einſam, ganz allein faſt: aber eben dieſe
Stille, die, ich möchte ſagen, die ich höre, verwirrt und ſtört
mich. Noch paßt mir nichts: und ich habe in meinem Leben
ſo wenig an Karlsruhe gedacht, daß ich mich ſelbſt im Ort
nicht hier glaube. Dazu kommt nun noch hauptſächlich, daß
ich ſeit vierzehn Tagen umhertrotte mir ein Quartier, und
alles was der Menſch braucht, anzuſchaffen. Endlich bin ich
ſeit geſtern in ſicherſter Ordnung; aber ich gehe wie eine Bauer-
braut darin umher ohne mich finden zu können, und die ſchöne
Ehre und die neuen Dinge für meine nehmen zu können. Ich
erfahre, daß mein Sinn ein entſetzlicher Pedant iſt; oder eine
rechte Perſon: die alles nach ihrer Weiſe haben, und gebrau-
[413] chen und verzehren muß. Sie, und wen ich nur berühre, muß
das mit erfahren! Mit meinem Geiſte iſt das wirklich ſehr
anders; der iſt ſehr flott: und begreift leicht, auch viel; und
geſchwind Anderer Perſönlichkeit; dieſe im weiteſten Sinn, wie
ich ſie auch hier meine. So auch wirkt das Wetter auf mei-
nen Sinn: nicht allein auf meine Nerven, wie auf wirk-
lichſte Saiten. Kommt mitten im Sommer kühles trübes Wet-
ter: ſo mein’ ich, er iſt vorbei: und kann das nachfolgende
ſchöne nicht faſſen, weil ich es unter keiner Jahreszeit alsdann
mehr zu faſſen vermag! — dies alles wirkt jetzt zuſammen
auf mich: und verwirrt mich ganz. Dabei ohne gewohnten
Umgang, Wirkung, Geſelligkeit, noch Gegenſtände, noch Ge-
ſpräch in Scherz oder Ernſt. Dies alles nur zu meiner Ent-
ſchuldigung! Über Ihren Aufſatz künftig; nur ſo viel heute.
Ich habe die vortrefflichen Treffer darin mit dem wahrſten
Enthuſiasmus gefunden. Mich wohl in Ihre Stimmung und
Anſicht verſetzen laſſen. Aber ich glaube, dieſer Aufſatz iſt
nur für die Hochſtehendſten im Verſtändniß eingänglich! Und
ich habe keine Geduld mehr! Überſetzen Sie ihn auch den
Andern in derben Wortprüglen: wie er im Muſeum als Don-
ner und Blitz, Strömen und Wetterleuchten ſich darthut.
Wenn doch erſt der Reſt meiner Briefauszüge auch daſtände!
— mir zum Troſt! das was jetzt daſteht, mißfiel mir zu ſehr:
außer das über das Lügen. Adieu, lieber Dr. Troxler, leben
Sie wohl! hier werde ich wohl ein wenig ſchreiben und leſen:
das Beſte, was mir einfallen will, ſollen Sie haben. Ich
umarme Mad. Troxler und die lieben kleinen Plauderer. Die
[414] haben auch kein gutes Wetter in Ihrer ſchönen ländlichen
Heimath! Adieu, adieu!

R.


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Frankfurt a. M.



Schreiben Sie mir mehr ſolche höchſt amüſante Briefe,
als der war, den ich geſtern aus Stuttgart und Heidelberg
von Ihnen erhielt! Ich kann und muß mich heute nur kurz
faſſen: Mad. Schloſſer will fort, Mad. Demidoff iſt fort,
von der ich komme; dieſen Brief will ich noch ſelbſt abbringen.
Hauptſächlich ſchreib’ ich Ihnen, um Ihnen zu ſagen, daß
Sie kein doppeltes Kouvert — Briefumſchlag — zu machen
nöthig haben. Für ſolche Unbequemlichkeiten hab’ ich den
größten Sinn; die können einen vom Briefſchreiben abhal-
ten. Sie aber ſollen mir viel ſchreiben. Dreimal hab’ ich
Ihren Scherz- und Ernſt-reichen Brief geleſen; mit wahrem
Ergötzen! Das zweitemal, weil mir das erſtemal zu ſchwer
wurde, das dritte, aus Vergnügen. Ich bitte Sie, lieber Cu-
ſtine! ſchreiben Sie ein wenig deutlicher! — und Sie können
keinen erkenntlichern Korreſpondenten finden, als mich: ich
goutire jedes Wort, weiß wie es in Ihrer Seele entſteht; für
wie viel Sie’s geben; wie Sie ihm künftig, und auch gleich,
widerſprechen können, ohne das Gegentheil zu ſagen, oder das
Erſtgeſagte zu vernichten: ich weiß, wie Sie ſelbſt nicht vorher
wiſſen was Sie ſagen wollen, und dies grade hat den größ-
ten Reiz für mich. Auch ich werde Ihnen ſolche Briefe ſchrei-
[415] ben; wo die Seele ſpazieren gehen ſoll, und nicht auf ausge-
fahrner ſtaubiger Heerſtraße eine zweck- und beſonders abſichts-
volle Reiſe zu betreiben hat. Auf friſchen, kleinen, abſtrakten
Wegen wollen wir gehen, die wir ſelbſt noch nicht kannten:
und auch auf dieſen noch dem Wolkenſpiele folgen, den Licht-
zauber genießen, und auch dem Dunkel, wenn es reizt, nach-
ziehen! Heute aber kann ich unmöglich auch nur flüchtig der
Fülle Ihres Briefes antworten! Sehen Sie! Nach Ihrer
eigenen Beſchreibung der Deutſchen, warum mir mitten in
Deutſchland die Franzoſen ſo reizend ſein müſſen? Mir, die
Sie ganz in Ihrem Gemählde dieſer Nation gekonterfeit ha-
ben? Ich finde mich außerordentlich getroffen! Adieu. Ant-
wort auf alles, künftig!


Wir bleiben noch ungefähr acht Tage hier, gehen einen
Augenblick den Münſter zu ſehen nach Straßburg. Dann be-
komme ich einen Brief von Ihnen und Ihrer Mutter; die
bleibt wohl noch in Frankfurt. Dann gehe ich auf ſehr we-
nige Tage nach Karlsruhe, und komme gleich nach Frankfurt.
Weil ich glaube, von unſerm hieſigen Aufenthalt wird doch
nichts. Leben Sie wohl! ich bin in Eil. Sagen Sie Ihrer
Frau Mutter alles von mir! Ich bin ihr ſehr ergeben, und
außerordentlich zugethan!


Rahel.


Un mot sur madame de Humboldt! comment vous la trou-
vez, vous! adieu, adieu! Mille compliments de la part de V.


[416]

An Erneſtine G., in Berlin.



Nur ein paar flüchtige Worte, liebe Golda, um Ihnen
zu ſagen, daß ich Ihren letzten Brief noch in Baden erhielt,
acht Tage zu meiner Einrichtung in Karlsruhe blieb, und nun
ſeit vier Wochen mit Doren hier bin, bloß um mich vom häus-
lichen Trouble und von der nicht beſonders gelungenen Bade-
kur bei meinen Freundinnen zu erholen, bei Frau von Schle-
gel, und bei einer Franzöſin, die Sie nicht kennen, Gräfin
Cuſtine, und um Frau von Humboldt zu ſehen, die ich ſeit
zwölf Jahren nicht ſah. Ich habe die kleine aber vortreffliche
Reiſe hierher, ſehr ſtill und angenehm gemacht, und in dem
behaglichen Troſtbewußtſein, daß ſie ein Feſt für Varnh. iſt,
der mir die Welt zu einem ſolchen machen möchte, und mir
auch den Antheil in jeder Zeile, die ich erhalte, auszudrücken
weiß. Ich könnte alſo ganz vergnügt hier ſein, das Wetter
auch iſt mir günſtig: ich habe auch noch unzählige Bekannte
aus den verſchiedenen Klaſſen, mit denen ich in munterer
freundlicher Berührung bin; und doch hab’ ich auch ſchon hier
Arges erfahren: hauptſächlich (und Sie ſollen gleich erfahren,
warum ich dies hauptſächlich nenne) bin ich nicht wohl: d. h.
ich gehe, fahre, bin angezogen, eſſe, ſchlafe auch ſogar. Aber
wie erwache ich; mit leiſen Agonieen; mit Einem Wort! ich
habe nie ein Geſundheitsgefühl; und ſehe und fühle alle meine
Übel ſich aggraviren. Dabei bin ich munter und luſtig für
die Leute; für ſie ſehe ich auch gut aus; ich ſehe mich auch
ganz
[417] ganz anders: und dann hab’ ich veränderte Freunde gefunden.
Dieſes Finden fand bei mir zwar keine Kränkung vor, denn
dieſe hab’ ich ſchon genoſſen, und mein Herz nimmt keine
mehr an. Dies erfuhr ich mit vergnügter, faſt ſtolzer Freude
hier — in mir, wo man eigentlich nur erfahren kann — und
dieſe Erfahrung allein wär’ mir die Reiſe werth, wenn ſie
mich nicht ſonſt auf tauſendfältige Weiſe ergötzte; ein Ort,
wo man gelebt hat, mit angenehmen Gegenden, iſt immer
reichhaltig. Weil ich mein Inneres endlich hier ſo vorfand,
und nur anſchlage, was wirklichſten Werth für mich haben
kann, ſo nannt’ ich meinen Geſundheitszuſtand als „das
Hauptſächliche.“ Verſtehen Sie nun? Ihnen, liebe Golda,
ſchreibe ich dies, damit Sie ſich faſſen mögen, in Ihrem Men-
ſchenverkehr ein Exempel vor ſich ſehen von Einer Perſon, die
Sie ſehr auszeichnen, mich; damit Sie nicht glauben, ich wolle
Sie nur immer tröſten, und tröſte nicht auch mich. Man
kann nicht viel von den Menſchen fordern; ſie ſind alle in
zu ſchlechter Lage; verkehrt in Verkehrtheit hineingeboren; ihre
phyſiſchen Naturen ſchon verzwickt, falſch gemiſcht, und ver-
ſtümmelt; in eine Natur hinein geboren — nicht des Defizits
der politiſch-geſelligen Welt in allem Sinn, zu gedenken —
hinein, wozu ſie nicht Gaben genug haben ſie zu verſtehen,
und alſo, zu gebrauchen: wenn die nicht lügen, und prah-
len, ſo iſt das alles was man von ihnen fordren kann; weil
dies zu leer, ennuyant und albern iſt: kränken müſſen ſie
ſich untereinander, wie mißverſtehen. Wir beide mit einge-
rechnet. Darüber aber, müſſen wir uns für unſere Rechnung,
nicht wegſetzen; ſondern, ſehr fleißig nachſehen. Welches ich
II. 27
[418] hiermit thue; mit dieſem Briefe. Ich will Sie nicht auf einen
von mir warten laſſen, und Ihnen ſagen, daß mir Ihr letz-
ter ſehr wohlgefiel, weil Sie darin meinen letzten ſo gut ge-
nommen hatten: ganz geſcheidt, mit eben ſo einem vollen Her-
zen als ſonſt, ſind. Worüber ich mich dankbar freue. — —


Sagen Sie Koreff, ſeit geſtern ſei ich vergnügt, weil mir
Gräfin Cuſtine die Hoffnung gemacht habe, daß er vor dem
völligen Winter wohl an den Rhein kommen könnte; da komm’
ich dann zu ihm; er hilft mir gewiß. Auch hat mir die
Gräfin geſagt, er habe in Liebe von mir geſprochen! Ich er-
wiedre es. —

Ihre R.


An Varnhagen, in Mannheim.



— Ich muß mich grämen, wenn du mich ſo ſehr vermiſ-
ſeſt, daß du dein ſchönes Daſein nicht genießen kannſt! Ge-
nieße alles, lieber Freund, und bedenke vielmehr meinen An-
theil daran: ſo mache ich es auch. Ich mache es aber auch
wie du, ich denke beſtändig an dich, und gönne mir nichts;
oder vielmehr, ich denke beſtändig daran, wie ich es dir mit-
theilen will! und auch ſehe und genieße ich wieder für dich
mit, und, daß du die Freude haſt, mir den Genuß zu ver-
ſchaffen. Dabei gebrauch’ ich ganz die Freiheit des Bewegens
der vereinzelten Perſönlichkeit. Mit Einem Wort, ich durch-
wühle meinen Zuſtand, und das für dich mit: und ſo machſt
du’s auch. Wie ſonderbar, daß man auch bei den geiſtigſten
[419] Herzensgegenſtänden einen Schritt zurück und aus ſich her-
austreten muß, um ſie deutlich zu ſehen; heißt hier empfin-
den: ſo ſehe ich von hier aus erſt von neuem und im Gan-
zen die Lage ein, in welche mein Verhältniß zu dir mich ſetzt.
Bei Allen iſt es wohl ſo; aber du kennſt mich: mein namen-
loſes Freiheitsſtreben! Jede Nähe — mit allen Gegenſtän-
den — ſcheint wenigſtens zu beengen; und ſo muß ich
meine Lage manchmal von ferne beſchauen, um ſie von
neuem mit dir an’s Herz zu drücken! Du kennſt mich: ich
bin dir kein Geheimniß; und die Bedingung, das Element
des Glücks in dem Verhältniß zu dir, iſt, daß ich dir keins
zu ſein brauche: daß ich mich eigentlich vor dir gar nicht
ſcheue, den freieſten Beurtheiler an dir habe. — Auch ich ſah
mir unterwegs die Augen blind nach Mannheim hin, welches
ich lange im Abendſchein ſah, von Heidelberg aus: und fuhr
auch dicht vor dem Weg vorbei, den wir miteinander von
Mannheim nach Heidelberg gekommen waren, dicht vor ſeinem
Thor. Kutſcher, Bedienter, Dore, Alle ſahen und zeigten
Stunden lang mit! Lieber Liebhaber, Gott ſegne die Kour,
daß es keine Ehe werde! dumme Geliebte ſprechen umgekehrt.
Dies ſoll Tettenborn leſen, weil er’s goutirt. Wie es da ſteht
mit ſeinen Augen. —


— Heute gehen Cuſtine’s bis Heidelberg, wo ſie morgen
die Bilder ſehen; ſie wollen über Karlsruhe und Straßburg
nach Paris. — Geſtern Mittag ſpeiſte ich zuletzt bei Hum-
boldts mit ihnen; wo Humboldt ſich eine ganz neue Haut
von wahrhafter Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Geſtern
erreichte es nur ſeine Höhe, denn eine ganze Weile finde ich
27 *
[420] ihn ſchon ſo geſchält. Er beherrſchte ganz allein, und nöthig,
und mild das Geſpräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes
aufkommen: iſt in gleichem Ton mit Hausleuten, Gäſten und
Kindern; ſagte unaufhörlich komiſch-Frappantes, aber nicht
wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in
deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; dieſe alte Überzeu-
gung der Dinge hat bei ihm eine wieder neue Wendung
genommen; er iſt von der tiefſten, ſorgenloſeſten Aufrichtig-
keit über alle Gegenſtände, und dieſ’ giebt ſeinem Benehmen
und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. — Mich dünkt,
er hat mehr Verſtand als je. Oder hab’ ich mehr. Wir
beide ſind auch ganz weich, ganz leiſe, ganz milde, ganz wahr,
und ganz weit, weit vorwärts in unſern Äußerungen mit
einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin
Cuſtine: eben ſo. —


An Varnhagen, in Mannheim.



— — Ich habe alle Beſuche endlich ſitzen laſſen, mich
angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo
alle Thüren zu, und keine Klingel waren!! — — Sie machte
mir einen unverſtändlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie
hatte mir aber die vortrefflichſten, in des hannöverſchen Ge-
ſandten Loge ſehr gute, verſchafft; vordere im erſten Rang.
Nachher ſollte ſie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber
ſie ließ mir abſagen: ſie läge ſchon mit Migraine. Dore ſah
[421] aber um 10 Uhr den Schaden mit Licht über den Hof leuch-
ten! — Die Großherzogin ſah mich ſo an — ich war zwei
Logen von ihr — daß ich ſie nicht anſehn konnte: Madame
de Walſh war mit ihr und der Großherzog. Es war nicht
gepfropft voll. Von der Catalani mündlich. Ich kann nur
mit äußerſt gerechten Menſchen und den außerordentlichſten
Kennern von ihr ſprechen. Sie hat nur Eine Sache gemacht,
die ich noch nie hörte — und die mir niemand zu bezeichnen
wußte: ich kann es mündlich. Die Schlegel ſprach mir da-
von, aber nicht zum Verſtehen. Dann hat ſie noch Eins
außerordentlich gemacht, welches ich aber ſchon kannte. Der
Milder ihre Stimme (ſage ich) iſt ſchöner. Sie iſt eine größte
Sängerin, hat aber weder komiſche noch tragiſche Einfälle:
und das hab’ ich ſchon erlebt. Die Stimme und die Keh-
lenfertigkeit iſt größer, als die Seele, beherrſcht dieſe, und
nicht dieſe jene; wie zur höchſten Kunſtharmonie nöthig. So
viel nur! Sie kommt heute auf den Muſeumball, wo ich ſie
ſehen will. Auch die Großherzogin kommt hin. Dieſer Brief
nur, weil ich ihn verſprochen habe. Er kommt einige Stun-
den früher, als ich. — —


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Was ſonſt mein Gräuel iſt, daß heute kein Theater iſt,
erfuhr ich dieſen Morgen mit Vergnügen, weil ich mir feſt
vorgenommen hatte, heute ſchreibſt du ihr! Als ich eben
[422] nun wußte, du kannſt den Morgen in die Luft gehen — ſie
war die beleidigendſte Novemberluft — und wirſt den Abend
einen Augenblick haben — da tritt Robert mitten in mein
Waſchen, mit Ihrem Brief herein, und lieſ’t mir, Sie würden
Ende des Monats mich beſuchen!! — nun brauche ich ja gar
nicht zu antworten, gar nichts zu erzählen. Liebe Guſtelette!
Nun hören Sie nur, wie ich es mir bis auf jede Kleinigkeit
ausgedacht habe! — — Die andere Woche werden wir, denk’
ich, nach Karlsruhe reiſen. Wie kommen Sie auf den Ge-
danken, daß ich mit Robert in Darmſtadt war, als Sie dort
waren? Ich war vor fünf Wochen, als ich von der Frank-
furter Meſſe allein zurückkam, einen Abend und eine Nacht
dort. Von keiner Brede war nichts zu ſehen und nichts zu
hören! — Den jungen Gern im Gegentheil ſah ich dort den
Richter in den Quälgeiſtern ſpielen. Gut, würd’ ich ſagen,
hätte ich nicht zu Anfang ſeiner Laufbahn in Berlin geſehen,
daß ein wahrhaft Talent zu einem rechten Künſtler in dem
Menſchen ſitzt — er ſpielte damals einen Bedienten in Shake-
ſpeare’s Julie und Romeo, wie ein Franzos, ein Italiäner,
kurz eine luftige Maske aus aller Zeit, mit Leichtigkeit,
Einfällen, Grazie, und was am meiſten zu bewundern war,
vollendeter Gewandtheit, ganz ſelbſt erfunden, ganz idealiſch
gehalten; und wahrhaft komiſch. Jetzt iſt ſein Talent rein
weg verſchwemmt, vom Zuſehen Anderer Elendigkeit, Künſte-
lei, und Nüchternheit, und Verlegenheit darüber, die ſich zur
Manier ausgebildet hat; er, ein treuer, fleißiger Nachmacher
von Iffland; ſo daß er mit all deſſen Fehlern vor einem
ſteht, und man beim Überlegen doch das etwa Beſte an ihm,
[423]nicht ganz gefunden hat. Dieſer wenig begabte Pedant hat
nicht allein der Berliner, ſondern den deutſchen Bühnen gro-
ßen Schaden zugefügt, bei mancher Ordnung der Scene, und
geſellſchaftlichem Vortheil ihrer Mitglieder; und mich verfolgt
er noch nach ſeinem Tod!!! Muß ich nicht raſend werden, —
Wien nicht ausgenommen, — auf allen Theatern Deutſchlands
Einen zu finden, der ganz wie er ſpielt, ſchnarrt, glupt,
ſpricht, die Hände dreht, fingerirt, pauſirt, einzelne Worte
mitten vor oder aus einer Phraſe wie verlorne Schildwachen
hinaus ſchickt, und als ſolchen ihnen keine Lebensmittel, d. h.
keinerlei Accent und Beziehungston mitgiebt, es dem Hörer
in ſeiner Verlegenheit überläßt, was ſie damit machen ſollen,
und dieſe Verlegenheit noch für künſtleriſche überlegte Abſicht
ausgeben will. Solche verfolgen mich noch, wo ich ihn ſchon
lange vergeſſen hätte, und hetzen den alten Ärger wieder in
mir gegen ihn auf. Woran liegt es, daß das Falſche viel
mehr um ſich greift, Nachahmer, Vertheidiger, und Lobredner
findet, als das Ächte? frag’ ich mich ewig: und fragte es
erſt dieſen Mittag, als ein kluger, ſiebzigjähriger Célibataire,
der weichmüthig und liebenswürdig iſt, den legitimen Kindern,
der Ehe, und all dergleichen auf’s willkürlich-unvernünftigſte
das alte Irrwort redete! Wie kommt’s? Da Ächtes Wahres
iſt, und Wahres viel einfacher, als Lügen und Irrwege des
reinen Denkens. So herrſchte Iffland; nicht durch ſein Beſ-
ſeres, durch ſein Schlechteſtes. So will man mich jetzt gelten
laſſen, da edler Unwille in ſeinem Muth ſich nicht mehr zeigt,
und mehr dergleichen in mir; und in meiner reinen, unſchul-
digen
Jugend war es gefährlich mit mir umzugehen! — Aber
[424] reizend, zum Glück! Nun ich auf mich gekommen bin; ge-
nug! Das Theater amüſirt mich hier genug! („Ziemlich“
gefällt mir nicht: und „ſehr“ auch nicht.) Müller iſt oft ſehr
gut, Heck ganz vortrefflich. Mayer manchmal gut, nie eine
Rolle durch; er hatte gewiß das Unglück, zuerſt in Koſtüm und
nicht in Konverſationsſtücken zu ſpielen; um dies zu verdauen,
gehört ein kräftiger Talent. Nämlich, reichere, gewandtere
Einbildungskraft, ein ſchwerer Herz. Seine Stimme hat Töne,
ſeine Geſtalt einen ſchön geſtellten Kopf: auch hat er einen
Blick. Sontag iſt in italiäniſchen Opern ſehr gut. Eine
Dlle. Pohlmann, recht ſehr viele Anlagen; ſie ſingt nie ſchlecht,
könnte vortrefflich ſingen, iſt hübſch, nicht ohne Sinn, nie ge-
mein, ſehr jugendlich. Dieſe alle zuſammen machen, daß ich
meiſt hinhören muß; die Stücke beurtheile, belache, beweine
ich auch. Das Haus gefällt mir ungemein, ich kenne kein
angenehmeres, den Eingang ſchon mitgerechnet, der großartig
iſt, unſere Loge iſt mir bequem; kurz, das Theater werde ich
in Karlsruhe vermiſſen. Mlle. Beck hat ſich ſehr gebeſſert.
Sie ſpielte eine Herzogin in Ubaldo, wo ich ſie mit zu dem
Größten rechne was ich ſah; ſie ſpielte auch Lady Milford
vortrefflich, und die Scene, wo ſie den Major erwartet,
beſſer als Sie und die Bethmann. Das iſt kein Spaß. Die
Schuld ſpielte ſie in der letzten heftigen Manier der Bethmann
nicht im geringſten knechtiſch nach: da würde mir auch die
theuer geliebte todte Herzensfreundinn nicht gefallen haben.
Dies ſag’ ich ſo gerührt, als ſagt’ ich’s ihr ſelbſt dahin wo
ſie iſt! — Im Schutzgeiſt ſang ſie im hohen und tiefern Lei-
terton die ganze ewige Rolle ſentenziſch donnernd her. Dies
[425]begriff ich nicht, nach ſolch einem Spiel, wie in Ubaldo??!!
Das frag’ ich ſie aber.


Rebenſtein iſt ein Exempel. Ein Exempel, wie die menſch-
liche Natur in einem Menſchen ausgerottet werden kann; wel-
ches man ſonſt nur bei mißhandelten Sklaven ſehen ſoll. —
Unſer geliebter Tieck behauptet, alle Menſchen haben mimi-
ſches Talent in ſich; ja, ſogar die Thiere: und er hat Recht.
Wo käme ſonſt alle National-Gebärde, Ton, und Benehmen
her? Wie ſo ſänge der Sachſe, ſchnarrten und ſchnaufelten
wir, drückte der Schleſier u. ſ. w. In Rebenſtein iſt der Quell
alles Nachahmungsvermögens rein verſchüttet, durch lauter
Lehren von dem, was nicht exiſtirt: er ſah die ganze lichte
Welt nicht mehr, und nur ſeinen Lehrer, und auch den in
völlig blindem Glauben bei ganz geſchloſſenen Sinnen: nun
iſt er auch vollkommen Marionnette, trotz Fleiſch und Blut;
wenige Gebärden, wenige Töne, ohne alles Leben. So et-
was iſt mir nie vorgekommen: dies konnte nur Iffland ge-
lingen; und dieſem nur bei Rebenſtein. Alles iſt Negation
bei ihm; zum Glück hat er die Knochen erhalten, daß die
wohlgemachten Mäntel haften. Ein Wunder iſt der! Ich
bin ganz entzückt, daß er ſich außer Berlin zeigt, der Lieb-
lingslehrling ſeines verſtockten Meiſters. Verſtockt war Iff-
land in ſeinem Direktions-Glück, unter dem Götzendienſt, ge-
worden. Und nun ruhe er ſelig! Ich bin ihm nur in Andrer
Seele böſe, wo ſie ihm ſo Unrecht thaten; und den armen
Rebenſtein bedaure ich wahrhaft. Der arme hübſche Menſch
war ein Opfer. Die Catalani hab’ ich gehört; davon mündlich!
Ihr Enthuſiasmus freute mich! — Adieu, Liebe! Ihre Rahel.


[426]

Thun Sie mir den einzigen Gefallen, Herzensguſte, wenn
Sie dieſen Brief geleſen haben, ihn gleich an Markus nach
Berlin zu ſchicken. Schreiben wird mir ſo ſchwer; man läßt
mich von des Morgens im Bette ſo wenig allein, daß ich
Gott danke, wenn ich einen Brief fertig habe. Markus amü-
ſirt das Theater, mein Leben, und alles was hier ſteht. Ich
grüße Alle. Robert iſt ſehr fleißig neben mir an (nicht eben
jetzt): wir Alle eigentlich vergnügt hier bei den beſten Wirthen,
die uns gar nicht weglaſſen wollen. Mit Koch, Pferden,
Loge. Gott ſegn’ es ferner. Adieu. Eure R. Der älteſten
Schwägrin ihr Leiden kränkt mich ſehr, da mein physique
mir ihr Leiden deutlich macht. Künftig mehr.


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.



Geſtern, lieber Aſtolf, in der größten Einſamkeit, Mor-
gens war Mad. Brede abgereiſt, es ſtürmte wie auf dem Meere,
kein Menſch öffnete meine Thür, von jeder Seite ſind zwei
Zimmer bis zu meinem leer, alle ſehen nur über Dächer weg;
meines geht nach unſerm Hof, wo ich über Seitengebäude
nach einem Wald, Faſanerie genannt, ſehe; aber vorher mit
meinen Augen erſt vor einem kleinen Nachbarsgarten vorbei
muß, der bis jetzt allem frühen Schnee, dem ungebührlichſten
tobendſten Sturm, und allen Sorten von wüthendem Regen,
Reif, und Froſt widerſtanden hat, und unbefangen ſeinen grü-
nen Boden zeigt, in der größten Sommerordnung, in gradge-
[427] zogenen Salatſtreifen, oder ſonſtigen Küchenkräutern, die ich
nicht ganz unterſcheiden kann. Dieſes Gärtchen, und vier bis
fünf Sonnenblicke, die ich, ſeit ich hier bin, theils auf den
Wald fallen ſah, und theils auf die Thürme, die ich aus mei-
nen Vorderfenſtern ſehe, kann ich ſchwören, iſt alle Sinneser-
friſchung, die ich hier genoß; dieſe Blicke knüpfen mich an
mein voriges Leben, und dieſes nur bringt mir noch eine ſinn-
liche
Ahndung von Zukunft hervor, und auch wie ein Hell-
und Dunkelſchein, ſchnell durch die Seele ziehend. Dieſer Um-
ſtand erinnert mich an die Geiſtesaufſchlüſſe, die Jakob Böhme
beim Anblick eines blanken zinnernen Tellers gehabt haben
ſoll; welches mich ſchon vor fünf oder ſechs Jahren, wo ich
es zuerſt hörte, nicht wunderte, weil ich von jeher Ähnliches
in mir erfahren hatte. In Beziehung auf meinen Zuſtand, und
meines Gärtchens hier, freute es mich zwiefach, in Ihrem
Briefe zu leſen, daß Sie in Ihrer Normandie, in Ihrer Ein-
ſamkeit, eines ähnlichen Anblicks genießen; der Ihnen auch
Ähnliches — wenigſtens — in der Seele aufregen muß.
Solches nun, und die Briefe, die ich hier erhalte, erregen mich
auch hier nur allein, Und nun kein Wort mehr, von meinem
Aufenthalt, von Schickſal, und all ſolchen Dingen! Ich habe
es mir bis zur Eoidenz durch mein langes Leben durch, erör-
tert, daß es ſtärker iſt, als wir, und alles; und unterwerfe
mich nun, wenigſtens ſtumm. So ſehr lange mein Recht ihm
zu beweiſen, ennuyirt mich auch bei dieſer hohen Perſon: und
ich habe ſchon längſt im Scherz geſagt, und im Ernſt ge-
meint: „Ich ſtelle mich den jüngſten Tag nur um mein Un-
recht zu vernehmen, zu büßen, gut zu machen; das was mir
[428] geſchehen iſt, iſt mir zu verjährt.“ Zu lange muß nichts
dauren, was nicht ſchön iſt; je suis trop blasée sur ce qui me
déplait.
Unſer Schickſal iſt eigentlich nichts, als unſer Karak-
ter; unſer Karakter, nichts, als das Reſultat in aktivem und
paſſivem Daſein, der Summe, und Miſchung all unſerer Eigen-
ſchaften, und Gaben. Das ſind wir — am tiefſten genom-
men — ſelbſt: und was iſt daran zu ändern? oder vielmehr,
wir ſelbſt können grad daran nichts ändern. Der Zeitpunkt,
in den wir nun mit unſerer Perſönlichkeit fallen, iſt wieder
ein feſt gegebener; eine ſolche Miſchung — wenn Sie wollen
— im Größern. Deren, und unſerer Perſon Aufeinanderwir-
ken nennen wir Schickſal; dem, können wir wirklich nur zu-
ſehen, und unſer Agitiren, iſt nur ein illuſoriſches. Das Git-
ter woran wir ewig mit dem Kopf ſtoßen, eben weil wir eine
Ausſicht hindurch haben; ein Witz der höheren Mächte, uns
zur Entwickelung eines ethiſchen Daſeins gegeben. So expli-
zir’ ich mir die Sache: und verſtehe leicht und willig, die Er-
klärungsart jedes Menſchen, wenn er’s nur ehrlich und gut
meint; weil ſie doch alle auf Eins, auf Unterwerfung in’s Un-
begreifliche, hinauslaufen; mit dem wir uns bei der verliehe-
nen Begriff-Fähigkeit nicht begnügen können, und ohne ſie,
nicht Einmal etwas vom Unbegreiflichen wüßten. Sie auch,
lieber Freund, ſchrieben mir in einer andern Tonart daſſelbe;
muß man nicht immer nach der Tiefe hin? Aber mit ihr al-
lein kann ich nicht leben; wäre meine Seele weniger umfan-
gen, getragen von einem Meer, einer Atmoſphäre von Ruhe
und Klarheit — die ich nicht bin und nicht mache: die ich
mir andern Orts erworben haben mag — ſo müßt’ ich ſterben
[429] wollen für dieſe Tiefe; ich bin aber in’s Leben geſtellt mit al-
len meinen Sinnen, und vermag durch ſie hindurch zu füh-
len nach unendlichem Genuß der Dinge und meiner, und des
Daſeins, mir bekannt, und freundlich, und intim, durch ſie,
und dieſe Welt, und beider Bewegung: die mir auch eine gott-
gegebene bleibt, ſo gut als dieſe Zeit eine Ewigkeit, und ſchon
eine Zukunft, ſo gut als die zukünftige Zukunft; ich laſſe dieſe
Welt nicht ohne Schmerz, und nichts in ihr. Bin ich zur
Buße hier, ſo iſt ſie das; aber meine Anweiſung, die Mög-
lichkeit, auch hier zu leben, verlaſſ’ ich nicht. Es kann
hier unendlich alles gelingen: und es giebt ſehr gelungene
Menſchenleben, im Leben — nicht im Laſſen des Lebens —
von denen wir nichts wiſſen und erfahren, oder es nicht be-
achten. Auch iſt die bloße Möglichkeit ganz genug. Schöne
harmoniſche Gaben gehören dazu — wir wie ich uns beſchrieb —
geſtellt in harmoniſche rein wiederklingende Lage. Klima, El-
tern, Land, alles mitgerechnet. Womit hab’ ich mir, zum
Beiſpiel, hier wohl das Glück verdient, von dem ich vorhin
ſprach, mich ohnerachtet aller Geiſteszweifel und Fragen, die
wir nicht befriedigen können, und ich nie mit ſtupider Will-
kür hemme, mich wie auf Meeren von tiefſter innrer Ruhe
getragen zu fühlen: als regiert’ ich mit. Ein ſolch Gefühl
zu haben, das bracht’ ich mit; das iſt alter Erwerb: und ſollte
man nicht hoch und reich begabt auch hierher kommen können?
Solchen Unterſchied denk’ ich mir auf keiner Stelle, des un-
endlichſten Geiſtes Schöpfung. Allenthalben iſt ein ewiges
Entwicklen und Sein; Leiden, Wiſſen, Werden, Genießen;
und Höllenpfuhle, wie Paradieſe, können allenthalben und zu
[430]allen Zeiten entſtehen. Tragen wir nicht alles in der ewigen,
verliehenen Seele? Unendliches können wir erfahren! und
kein Gehäge, kein Bollwerk, kein refuge, von uns erfunden,
wird halten. Sehen Sie, wenn ich anfange zu ſchreiben, hör’
ich gar nicht mehr auf; das nenne ich vom Schickſal nicht
mehr ſprechen. Drei Seiten!


Jedes Wort, welches ich nicht franzöſiſch ſchreibe, geht
mir durch die Seele, weil es dann nicht an Mama gerichtet
ſcheint: Sie überſetzen ihr aber alles! Dies mit meinen Brie-
fen vorgenommen, iſt das größte exercice, deutſchere, konfu-
ſere giebt es nicht; Bärſtecher hilft! —


Adieu, lieber Graf! Nun ſchreibe ich ehſtens Mad. Schle-
gel. Das Blut ſteigt mir ſo nach dem Kopf. Mir müſſen
Sie Schweigen nach entſetzlich Plaudern nicht übel nehmen!
Die Fervaquer haben meine treuſte Liebe und Freundſchaft
für’s Leben! R. Ihren Brief goutirte ich ſehr! Mehr
ſolche! Schreibt Wilhelm? Mahlt Mama? Iſt ſie wohl?
nach Karlsbad?


An Karoline von Woltmann, in Prag.



Alles Gras iſt raus: geſtern ſetzten die Leute ſchon ihre
Ertofflen in die Erde: in Markgraf Ludwigs Garten kommen
die Spargel ſchon aus der Erde: ich ging geſtern vor einer
Laube vorbei, die mir grünlich ſchien; ich trat näher, und es
war Jelängerjelieber, wo ich mir einen Zweig abriß, an dem
[431] die grünen Blätter aufgebrochen waren: wie das ganze obere
Dach der Laube. Dabei heizt man doch friſch ein, und hat
Winterabende; unerträgliches Wetter, und mir äußerſt ſchäd-
liches: weil man in nichts mehr als in Nebel lebt. Dies
das Datum.


Ich habe wohl Ihren Brief in Frankfurt erhalten, der
mir ſagte, daß Elischen Reymann todt ſei; das Kind war ein
Menſch: und mir geſtorben wie ein erwachſener. Eine feine
Seele voller Rückſichten. Nichts liebte es ſo ſehr, als Grünes;
das Freie, den Garten, Blumen. Und mit emotionirtem Er-
röthen erzählte es mir am liebſten von des Vaters Gut, und
Schloß, und Garten; und lud mich dahin: glaubte feſt, ich
müſſe dahin mit. Ich denke an dieſes verſtorbene Kind wie
an andere verſtorbene Freunde: es lebt noch mit mir. Ich
bedaure nicht, daß es nicht mehr lebt; obgleich mich ſein Tod
ſehr traf. Dieſen Grabſtein wollt’ ich ihm bei Ihnen ſetzen!
Schreiben, ſehr brave Freundin, kann ich auch heute, nach
einem Jahre, nicht. Es war ein geſtörtes: voller kleiner Rei-
ſen, kleiner Bekanntſchaften; kleinem Einrichtungsungemach;
mit großem von jeder Erdenart drunter. (Eben jetzt ärgert
ich mich ſchwer, und habe auch den Faden, wovon ich die-
ſen Brief weben wollte, in völliger Nervenzerrüttung — ich
nenn’ es immer les nerfs renversés — verloren.) So wie
wir uns ſehen! ſoll alles herauskommen! und gleich ſo, als
hätten wir uns ununterbrochen geſehen. Ging es ja, als wir
uns zum erſtenmal ſahen, und noch gar nicht geſehen hatten.
Schreiben nur kann ich nicht: ohne das Unendliche zu ſchrei-
ben; beſonders da ich noch eine gezwungene nach allen Seiten
[432] hin gerichtete Korreſpondenz habe: Nerven, die kein Federfüh-
ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge-
hört. Dies letzte iſt Leben tödtend! In der Art ärgerte
mich eben jetzt einer bis zu Krämpfen. Dieſe meine Nerven
nun, und dies Letztgenannte, iſt die Säge, die mir ſchmerzhaft
in jedem Augenblick das Leben todt ſägt; ohne daß ich den
rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab’ ich noch meine
lebenvolle Natur in mir; alſo vielerlei momentane, unnennbare
Genüſſe, die aber immer ſeltener werden; und dieſe Natur, die
Glück bringen könnte, und einzig fordert; iſt meine Folter.
Sie ſehen, wie ich in und nach dieſer Störung ſchreiben muß!
Sie ergänzen ſich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt-
mann dieſen Winter auch ſo? Wo waren Sie im Sommer?
Wohnen Sie noch auf dem Hradſchin? Setzen Sie Ihren
angefangenen ſehr ſchönen Roman fort? Waren Sie in Tö-
plitz? Die hieſigen, von den Hieſigen ſo ſehr gelobten Berge,
das überlobte Baden-Baden, ſind nichts gegen Böhmen,
Töplitz, Karlsbad, Prag! der Ort hier eine kleine Reſidenz;
keine Hauptſtadt, eines hauptlandes. Alſo nicht viel zu ho-
len: außer für Leute, die immer holen; und alſo doppelt ver-
miſſen, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell
Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich haſſe Ein-
ſamkeit; muß Ruhe haben, und will leben ſehen. Mein
Leben iſt mir weit weggekommen: es iſt und war nur ein Be-
ſchauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt ſich am längſten
über ſich. Doch iſt Bildung aller Art, und Luxus hier: wie
in jedem Winkel Deutſchlands: und in Pauſch und Bogen
lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet,
Be-
[433] Beſätze, Bälle, Orden, raſſelnde Wagen, Divans, „gebundenes
Geſpräch“, „trauriges Spiel“, Komödie, Redoute, Boutiken;
Jammer, Neid, Betrug, Lüge, Wohlthatsvereine, Mitleid,
Kirchen: ꝛc. Vier Meſſen war ich in Frankfurt: noch im Sep-
tember, wo ich Schlegels viel ſah. Ihn muß man dringend,
und mit Kopf anreden; dann kommt die Wahrheit klar her-
aus: oft dacht’ ich ſchon: er hat wahrhaftig Recht! Sie iſt
voller Aufrichtigkeit, heiterer Güte, und auf eine Art befan-
gen, die ehrlich iſt, und die man gerne reſpektirt: durchaus
liebenswürdig, und ganz klug dabei; ich liebe ſie ſehr! —


Haben Sie F. neuſte Blätter geleſen? Ich nenne es Blät-
ter, weil es abſolut kein Buch iſt: nur wie ein Kopf, aus dem
ſich dereinſt eins geſtalten ſollte: und, ſo genommen, ungemein
intereſſant. Ärgerlich aber, und nervenkrieblend im höchſten
Grad; da er den Geiſt ſabbern läßt: ein Menſch, der ſo
vielen hat: voller Einfälle iſt, ſich des weiter Denkens, des
tiefer Schauens gar nicht erwehren kann; den die heuchleri-
ſchen, faulen, nichtigen Modebehauptungen, und Sprache an-
ekelt
wie mich; und der ihr nicht zu entgehen weiß! Was
iſt das für ein ganz neues Wahnſinnrad in einem der beſten
Köpfe, voll Natur? Ich aber merkte ſeinen Sparren längſt:
in einem früheren Büchelchen: wo er über Geſchichte — was
ſie iſt — im höchſten Sinne ſprach; klarſinnig, und natur-
verwandt und kundig, und mit einemmale, am Ende des
Schriftchens, durch einen unwillkürlichen unvermutheten Sporn-
ſchlag, ſein Flugpferd herumreißt und mit Mann und Roß in
den Glauben ſetzt. Da war er! Keine Replike war mög-
lich: das Buch aus. Da hätte ihn einer packen ſollen; und
II. 28
[434] vor Gott in die freie Natur mit ſeinem innerſten Weſen ſtel-
len ſollen! Aber man irrt ſich; ein falſcher Ton muß wieder-
kehren; man ſtimmt Menſchenſeelen nicht um wie Harfen
und Orglen!


Varnhagen ſagt, er habe Ihnen zuletzt geſchrieben; ich
ſchrieb nicht mit. Nun hab’ ich zuletzt geſchrieben! Mlle.
Benda, die als Schauſpielerin nach Prag kommt, aus Kabale
hier weggekommen iſt, wünſche ich Ihnen zu empfehlen. Sie
iſt unſere Landsmännin. Seit ich auf der Flucht und fremd
war, empfehl’ und empfang’ ich gerne jeden Fremden. Sie
verdient es: ſie iſt wohlerzogen, brav. Sein Sie freundlich
gegen ſie: rathen Sie ihr in allem! — Kleinem: es wird ihr
unendlich wohlthun! Sie war hier eingelebt, und ſehr be-
liebt: ſieht nur jetzt etwas ſchlimm aus. Ihr Talent wird ſich
bald durch ihr Spiel darthun. Ich grüße herzlich Woltmann!
Varnhagen Sie beide! Ihre alte wie Sie mich kennen


Rahel.


Bald kommt Frühling und Veilchen! Ich pflücke Ih-
nen eins!


Mein Prager Bruder Ludwig iſt geſtern nach Stuttgart
gereiſt, kommt in einem Monat wieder zu mir. Ich habe
viele Leute kennen lernen. Wangenheim, Rückert. Franzo-
ſen. Alles!


[435]

An Troxler, in Beromünſter.



Frühlingswetter: in dieſem Augenblick nicht ganz unange-
nehm: im Ganzen nicht gut, und ungeſund: für
die Nerven.


Lieber Dr. Troxler! Sie ſchreiben ja nicht ein Wort von
Mad. Troxler und den Kindern? Sind ſie ganz blühend?
glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas davon
müſſen Sie immer melden. Ihre Geſichter, Mienen und Teints
ſtehen alle vor mir! Ich meine da die Mutter in allem mit.
Rahel lächelte ſchon, als man ihr von Ihnen las, ſie würde
wohl lächlen! Ich geſtehe doch aber zu, für den erſten Blick
haben auch meine Blätter nicht das Anſehen, von einer Frau
herzurühren: aber will man ſie, bei einem zweiten, einem
Manne zuſchreiben, ſo geht das noch weniger. Welch ein Dich-
ter müßte das ſein, eine Perſonnage in der Art lyriſch auf-
zuführen! Selbſt die ganze Polemik in ihr iſt ein Seufzer,
der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er ſie
als Nachbarn vorfand. Hier und da, that ſolches Goethe, und
Shakeſpeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver-
wandtſchaften, Fauſt, ſprechen manchmal ſo: d. h. ganz an-
ders, und doch ſo! dies fehlt den letzterfundenen Perſonnagen
Schillers ganz. Es iſt nicht unintereſſant, einen ſonderbar
geformten Menſchen, wenn er wahrhaft iſt, über ſich ſelbſt zu
vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht!


Wenn Sie vergnügter lebten! Und ich auch! Käme
Ihnen nur mehr Vergnügen, Aufmerkſamkeit Erregendes!
28 *
[436] — man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen — von außen; wobei
man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So
iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau-
ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel-
ſtündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich iſt, nennt
ſich Pflicht, und hat Götter und Menſchen für ſich, und
wider uns.


Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über-
flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt-
los, und ungeordnet alles darin. — Hätte er das Buch be-
titelt: „Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines
Buches“, und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver-
renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven
Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür-
lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen
Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte,
das iſt im Leben die Hauptſache, wenn es nicht die einzige
iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu.


Ihre R.


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.



Ziemlich heiteres Wetter.


Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava-
ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. — Dies Bü-
chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad Nü-
ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge-
[437] halten zu Kloten, Dienstags, den 18. Weinmonats 1791.
Text: aus dem Briefe des Heiligen Paulus an die Römer,
dem XII. Kapitel, Vers 12. „Seid fröhlich in der Hoffnung —
geduldig in der Trübſal — verharret im Gebete!“ Dieſe
Traupredigt iſt nun ſehr groß, und obzwar weitläufig, und
für ſchwerverſtehende Menſchen abgefaßt, wie mir’s ſcheint, [...]
voller ſchöner Gedanken, oft ſehr ſchön und urſprünglich aus-
gedrückt: ſo ſpricht er auch lang und breit, möchte ich ſagen,
und ſehr ſchön über’s Gebet; ich fand dieſe vortreffliche Stelle;
und dachte gleich dabei, daß ich ſie für Sie abſchreiben will,
vor ungefähr vierzehn Tagen, als ich ſie las, da ich Ihnen
das Buch nicht ſchicken, Sie es wahrſcheinlich nicht haben kön-
nen; mir hat’s ein Freund von Lavater geliehen: der Kirchen-
rath Ewald hier: dem Lavater noch auf den Titel mit eigener
Hand ſchrieb; die frappant der meines Vaters gleicht. Hier
iſt die ſchöne Stelle! — wo gleich hinterher noch vieles über’s
Gebet nachkommt, dem ich nicht beipflichten kann; welches
aber ſehr in Ihrem Sinn darüber iſt. Sie können denken
wie es mir auffiel in Ihrem letzten Brief, — den ich vor drei
oder vier Tagen richtig nach ſieben Tagen ſeiner Geburt er-
hielt —, da ich Ihnen in der Antwort, die ich Ihnen ſchon auf
einen ſchuldig war, die Stelle die hier folgt ſchicken wollte:


Verharret im Gebete! Soll ich dies Wort erklären?
Iſt es nicht überflüſſig, dem Weiſen zu ſagen, was Weisheit
ſei? den Liebenden zu belehren, was Liebe — und dem Beter
zu erklären, was Gebet ſei? — Dennoch hört der Weiſe gern
von Weisheit, der Liebende gern von der Liebe ſprechen, und
der Beter gern vom Gebete.“


[438]

„O Ihr wiſſet es, Ihr redlichen Beter, auch wenn Ihr
eben nicht gleich dieſelbe wörtliche Erklärung davon gäbet,
die ich allenfalls zu geben wage — Ihr wiſſet es — das Ge-
bet iſt ein Streben der Seele nach dem Urheber der Seele
— ein inniges merkbares Bedürfniß des Geiſtes nach dem
Vater der Geiſter, eine ſpürbare ausdruckſuchende Regung
des Glaubens, daß ein Gott ſei, und daß er denen,
die ihn ſuchen, ein Belohner ſei
— eine Darſtellung
ſeiner ſelbſt vor dem unſichtbaren Urheber alles Sichtbaren
und Unſichtbaren; eine eben ſo einfältige, als höchſt kühne
Eröffnung ſeines innern Sinnes gegen den Vater, der da
iſt über alles, durch alles und in uns Allen
— oder
gegen den, welchen die allerglaubwürdigſten Zeugniſſe für den
Stellvertreter deſſen, den kein Menſch geſehen hat,
noch ſehen mag
, erklären, für den einzigen Mittler zwiſchen
Gott und dem Menſchen — dem der Vater alles, alle Men-
ſchen und aller Menſchen Schickſale und Angelegenheiten,
übergeben — eine demüthig muthige Äußerung aller ſeiner
Gedanken, Wünſche, Hoffnungen, an den allwiſſend geglaub-
ten, allgenugſam geglaubten, väterlicher als väterlichgeſinnten
Gott, der gleichſam ein Bedürfniß hat, ſich allen gottesbedürf-
tigen Seelen zu offenbaren und mitzutheilen — eine Offen-
barung ſeines Willens und ſeiner Willensloſigkeit vor dem
Alleinweiſen und Alleinmächtigen — Gebet, du biſt die Geiſtes-
und Herzensſprache des Menſchen mit dem Vater und Könige
der Menſchheit — und die Summe aller deiner Regungen iſt,
entweder: — Vater! es iſt dir alles möglich! nimm
[439] dieſen Kelch von mir
! — oder: — Nicht mein, ſondern
dein Wille geſchehe
!“


Die Stellen, lieber Aſtolf! die ich unterſtreichen werde,
haben mir in dem abgeſchriebenen aus Lavater am beſten ge-
fallen, und um derentwillen ſchrieb ich ab, was hier ſteht, und
ſonſt ſeinen Zuſammenhang verloren hätte. Was er weiterhin
noch über daſſelbe ſagt und empfiehlt, iſt mir ſehr fremd, und
wird Ihnen ſehr gefallen. Ich kann nach Ihrem Briefe nun-
mehr Ihnen beiden antworten: daß ich’s nicht verſtehe, wie
man ſich mit Bedacht zu irgend einem Seelenzuſtand, mit
Gefliſſenheit oder Willkür, ſtimme! Nur zu einem Guten
in der Welt muß man ſich zwingen, und nur das Eine
bleibt, meines Bedünkens, auch erzwungen noch Gutes. Zum
Rechtthun nämlich. Alles andere läßt ſich bei mir wenig-
ſtens gar nicht erzwingen. Am allerwenigſten das Gebet;
das Gebet durch Gebet. Dieſes Ausſtrömen der Seele! Wo
ſie losgelaſſen ſein muß von allen Gedanken, und
Banden des hieſigen Daſeins
; welche ihr nur Angſt
oder Entzücken, Berührung Gottes durch allen Weltdrang
durch, abſtreifen können! Jeder Gedanke hemmt alles
Gebet; iſt ſelbſt ein Gebet auf andern Wegen unſerer Seele
entſtrömt; oder halten Sie die übernatürliche Gabe — Kraft
Macht, Fähigkeit — denken zu können, zu müſſen, nicht
eben für ein Band zwiſchen uns und dem Höchſten, was wir
zu faſſen vermögen? Unſere hieſige Gefangenſchaft, Lehrſchaft,
ſpaltet dieſe Gaben der Zeit nach, und ſcheinbar dadurch,
der Art nach; iſt nicht eine ſo wundervoll, prachtvoll und
furchtbar, und zum nicht zu faſſenden All hireichend, als die
[440]andern? Wenn wir denken, können wir nicht beten, und
unterhalten wir uns dann weniger mit dem höchſten, alles
verſtehenden Geiſt? Iſt Gott fragen, oder zu ihm beten,
nicht Eins? Wenn auch das Eine mehr ein Genießen, ein
Seligſein? Kann ich mir kindiſch den höchſten Geiſt denken,
wie ich ſelbſt nicht mehr bin? daß er gelobt, geprieſen, gehal-
lelujat ſein will? Verſtehen, begreifen muß ich ihn; immer
mehr von ihm, durch ihn wiſſen; empfinden muß ich ihn;
mit ihm ſein können; ſo viel als möglich; immer mehr!
Wenn meine Thätigkeitskräfte ſinken, die Verſtändnißgaben
nicht mehr hinreichen, nichts mehr das Innerſte von uns, das
Herz, erleuchten, ihm antworten, es beruhigen kann: wenn wir
erliegen in Entzücken oder Angſt, dann ſtrömt das Gebet!
Ein anderes, als das uns aufgegebene Daſein hebt an, wir
haben eine augenblickliche Kraft, eben weil die andern Kräfte
ſchweigen, aufzufahren, ohne hieſige Bedingung. Kurz, es iſt
dumm und frevelhaft, vom Gebet und ſeinen Erhörungen zu
ſprechen, weil wir eben durchaus zu einem andern Daſein, zu
einer andern Thätigkeit ausgeſtattet ſind. Ganz anders; ohne
Sinne, Glieder und Verſtand, wären wir; ſollten wir nur
beten: und beten, anſtatt ringen, denken; ja, ſogar thun.
Beten ſtärkt, erhellt die innere Richtſchnur. Ein Gedanke an
Gott iſt beten. Heilige, fromme, ernſte, rechtliche Vorſätze
ſind beten. Gründlich, recht, angeſtrengt, ohne Eitelkeit tief
nachdenken, ergründen, iſt beten. Wenn ſonſt hier nichts,
und nichts beſſeres zu thun wäre, als Beten, Lavaters Beten;
wie müßt’ ich mir den höchſten Geiſt denken? Ich ſoll beten
bis er mich erhellt, wieder zu ſich, oder überhaupt mich ihm
[441] näher bringt. Warum läßt er ſich ſo ſehr bitten? Oder,
iſt’s eine ſelbſtthätige Arbeit, ein Weiterſchreiten, das Beten,
ſo iſt’s das Denken auch: und dem lieben Gott gewiß lieb!
Es iſt überhaupt kindiſch — meinen beſten Menſchen kann
ich dieſen Gedanken nicht als ein Geheimniß hehlen! — vom
lieben Gott zu ſprechen, und den anders, als in der Perſon
der Vernunft und Güte in unſere Angelegenheiten einzuführen.
Wir ſind gezwungen, einen höheren, einen höchſten Ver-
nunftgeiſt, der ſich und alles verſteht, anzunehmen: das angſt-
und entzückenfähige, helle, für’s Licht der Erde blinde Herz
bedarf eines Vaters, an deſſen Hand es ſich ſchmiegt. Eben
weil wir ihn nicht begreifen und verſtehen, und er in allem,
was begriffen werden kann, nicht zu faſſen über uns ſteht:
und ewig legen wir ſeinem Urtheil, ſeinen Abſichten unſern
Maßſtab an; den höchſten, den er uns gab, das iſt Vernunft
und liebliche Güte; ein Mitgefühl für Andere, ein Stückchen
Perſönlichkeit, in ihrer Perſönlichkeit; durch Vernunft und
Mitgefühl wiſſen wir von einander, und verkehren wir mit
einander. Dies hat uns Gott verliehen. An den beiden En-
den, Entzücken und Verzweiflung: an beiden Enden einen ge-
dankenloſen élan; Gebet! Den können wir aber nicht ma-
chen: ſonſt iſt’s ein Bitten um dies und jenes; welches ich
kindiſch den ganzen Tag exekutire; aber ſchon weiß, was ich
davon halte. Innere Erleuchtungen, Wunder, alles iſt möglich;
mir ſind ſie nicht fremd, ich erwarte ſie immer: und glaube
ſie ehrlichen Menſchen. Sie müſſen wiſſen, wen Sie vor ſich
haben, lieber Aſtolf: es war mir Bedürfniß, Ihnen zu ſagen,
wie ich denke, nach dem, was Sie mir vom höchſten innren
[442] Überzeugen geſagt. Nur noch das! Was Einer ernſt meint,
was ihn erhebt, was ihn beruhigt, was ihn kräftigt, iſt
mir recht: nur muß ſein Inneres und ſein Leben aus Einem
Stück gehen; derſelbe Ernſt bei jedem; nämlich, die kleinſte
Meinung, die kleinſte Regung muß ſich bis auf ſeine ihm
wichtigſte, richtig, und ohne Abſchnitt, hinauf- oder zurück-
führen. Dann iſt es gut: und der Menſch ein treuer Gottes-
ſohn; und keine Grimaſſe.


Auf Ihren erſten Brief ſollte ich eigentlich auch antwor-
ten! der voller Talent iſt, und den wir mit ſo vielem Ergötzen
bewundert haben: denn ich konnte mich nicht enthalten, Varnh.
die Stellen, wo Sie das Schloß, den Abbé, Mama’s Weſen,
mit zwei Worten; Bärſtecher mit einem, ganz treffend, ganz
erſchöpfend bezeichnen, mitzutheilen. Ich möchte wiſſen ob
mehr Franzoſen, ohne alles Deutſch, ſo ſchreiben. Sie ver-
ſtehen mich recht. Sie wiſſen, daß ich nicht denke, Deutſch
giebt Geiſt, Augen, Sinne, Lebhaftigkeit, Wortfindigkeit, und
Wahl: aber ob gewiſſe Wendungen Ihnen auch gekommen
wären und Wortſtellungen. Ich bekomme auch jetzt von ei-
nem jungen Franzoſen, vom Sohn der Mad. Campan, Briefe
die vortrefflich ſind! Voller Wahrheit, unergründlicher Nai-
vetät; der weiß nicht, was „Ja“ iſt! Aber Ihre Art iſt es
nicht; doch auch bei weitem nicht die alte gute Bücherart:
aber das ſchönſte Franzöſiſch. Ich kenne Campan ſeit Anno 6.
von Berlin. Warum ſchreiben Sie denn nicht an M. Ma-
quinehan, daß er zum General Prinz Solms ſchickt, und ſich
das Paket ausbittet! Aber der Bote muß den General ſelbſt
ſprechen: ſonſt läugnet ein Kammerdiener vielleicht das Paket-
[443] chen ab. Den 11. ſind Humboldts nach ihren Gütern bei
Erfurt gereiſt: im Februar gehen ſie nach Berlin: er alsdann
über Frankfurt nach London — an welchem letzten Ort ich
ihn noch nicht ſehe — ſie mit den Töchtern nach Neapel,
wo die älteſte Seebäder nehmen ſoll; dies glaub’ ich. Varn-
hagen hat mir angeboten mitzureiſen: ich ſagte nein. Hinge-
gen hoffe ich ſtark, im Laufe des Sommers Cuſtine’s zu ſehen!
Die Schlegel hat mir neulich einen lieblichen freundſchaftli-
chen Brief geſchrieben: auf einen kleinen Weihnachten von
mir. Ich liebe ſie ſehr! Geſtern hörte ich hier in einer ko-
miſchen Oper „die Schweſtern von Prag“ einen Sänger —
Häſer, aus Stuttgart; Baſſiſt, welches er vortrefflich iſt —
eine Scene als ſehr wohlgekleidete Frau mit Diskantſtimme
in der höchſten Vollkommenheit ſingen: wie der berühmteſte
Sopran nur kann: und ich bin überzeugt, nur auf die Weiſe
ſollten Männer ſingen. Nicht ein bischen lächerlich: ſo
vollkommen war’s. Ich applaudirte wüthend: alles auch.
Recitativ, Vortrag, Koloratur, alles.


Nächſtens ſchreib ich Mama’n: küſſen Sie ihr den Arm
von mir! Sie müſſen einen Brief von mir haben. Bärſtecher
das Schönſte! Überſetzen Sie Mama’n was Sie nur können
von meinen Briefen. — Bien des complimens à Mlle. Jenny.
V. empfiehlt ſich! —


[444]

An Frau von V., in Paris.



Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.


— Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt;
mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit:
dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man-
gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann
denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt
hübſch! — Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein-
ſamkeit am beſten amüſiren. Sonſt — müßten wir ſie doch
noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch
große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht:
und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir.
Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut:
weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver-
mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo wirklich
einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn-
ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X.
wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts
zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr;
und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich
mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne
Wunder. Sie ſind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht
einzig in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und
immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen
nicht auf der Stelle ſchmeichelt: ich ſag’ ſie mir, und riſſe
ſie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie ſitzt in
[445]allem. Im Grünen, in der Freiheit, in den Augen, in den
Sinnen. Nicht wahr? In den Augen zum Sehen damit,
meine ich. —


Vierzehn Jahr! ja ſo kommt der Tod. Ach, könnten
wir zuſammen ſterben, und wo hinkommen. Nämlich, wenn
man Bewußtſein hätte! —



— Über Wilhelmine hab’ ich mich unendlich gefreut.
Weil die Verbindung edel von innen her iſt: und ſie ſich
freut. Das iſt gewiß Profit! Ich ſchrieb gleich in meiner
Freude. „Die nun einmal verheirathet ſind, mögen verhei-
rathet bleiben.“ Von mir aber bekommt nie ein Kind die
Einwilligung zum Heirathen. Das ſag’ ich in der glück-
lichen
Ehe. Nein, das iſt nichts, wenn nicht beide ſo
denken, wie ich. Aber dies verſteht niemand, außer ein
künftiger Geſetzgeber: bis der kommt, muß man Allen gra-
tuliren, die ſich ſelbſt gratuliren. —


An Wilhelm Neumann, in Trier.



Ganz von ungefähr muß man erfahren, daß Sie weiter
weg ſind! Das benimmt einem ja die Ruhe der Gedanken
an Sie! Nun muß man immer denken, Sie ſind wieder
weiter; man weiß es nur nicht. Das thun Sie nicht mehr.
Stummer! Mir machen Sie beſonders viel Verdruß. Denn
[446] kein Menſch in der Welt iſt ſo von Ihrem Talent zum Schrei-
ben eingenommen, als ich: und darauf habe ich den größten
Stolz; weil ich mir einbilde, ich verſtehe dies ganz beſonders.
Feder und Zunge aber bleiben bei Ihnen in der Scheide!
Ganz mörderhaft; das will ich Ihnen beweiſen. Ich, habe
das größtmögliche Talent zum Leben: das finden auch Sie
in dem wenigen, was Sie im ſchweizeriſchen Muſeum von
mir laſen; einen ſolchen Strom hemmen, iſt nur ihn höher
herabfallen und brauſen machen; gelebt, gefloſſen wird immer:
wenn auch unmuſikaliſch, krank, und ſchmerzhaft. Sie, haben
das größte Schreibetalent; Sie vermögen nämlich das Leben
unter allen Geſtalten nach Ihrer Wahl aus der Feder
aufſteigen zu laſſen; geſchieht das aber nicht; ſo geſchieht es
auch nicht unterbrochen. Das größte Talent verſteinert in ſei-
ner Schale; Tauſende kommen um den ſchönſten Genuß: ſich
bewundernd zu fernerem Leben und Leiſten anregen zu laſſen:
Sie um Ihr wirklichſtes Leben: und ich um einen Haupt-
triumph! (Ich eſſe Semmel mit vortrefflichſter Sardellenbut-
ter während ich Ihnen ſchreibe.) Kann ich gar nichts über
Sie vermögen? Wollen Sie gar nicht ſchreiben, nichts? Auch
keine Briefe? In denen ſich unvermuthet, ungeſucht — von
Ihrer Seite, mein’ ich — Schätze auffinden ließen? Ich würde
Ihnen Korreſpondenz anbieten: aber ich kann nicht. Das
Erſte und Letzte bei meinen nun in die Ewigkeit ſich ſpinnen-
den Unpäßlichkeiten iſt immer, nicht die Feder auf dem Papier
können kritzen laſſen. Dabei habe ich zwiſchen zwanzig und
dreißig Korreſpondenten, die immer alle etwas von mir wol-
len
. Ich war eigentlich dieſen Winter nicht beſonders anders
[447] leidend als immer; Auguſt ſah es nur mehr: auffriſchende
Bewegung fehlte nur mehr. Wäre das Wetter gut, ich wäre
ganz zufrieden. Beſtimmtes Wollen, oder das Wollen
beſtimmter Dinge, iſt mir ganz aus der Seele entſchwunden:
ich will nur Eins beſtimmt nicht mehr. Das iſt Plaiſir mit,
oder durch Unannehmlichkeiten und Mühe. Sonſt bin ich
Herrn Schickſal ganz unterwürfig: ich ſehe ein, es iſt ſelbſt
unterwürfig; und unterhaltend, ewig unterhaltend zu be-
ſchauen, ſobald man ſich weder für ſich noch für Geſichtspunkte
etwas Beſtimmtes zu erwarten in den Kopf ſetzt. „Ja ich
war ein rechter Held!“ Ja, die Natur hatte eine rechte per-
ſönliche Kreatur aus mir im Sinn; dieſe Perſönlichkeit war
ſchwer abzutragen! — à user —. Kleine Reſultate für große
Mühen, Schmerzen, und Bewegung. Umgekehrt muß es
im Himmel ſein! Adieu! der Platz mangelt. Sonſt hört’ ich
noch nicht auf! Ihre R. Kommen Sie vor allen Dingen!
ja zu uns!



„Die menſchliche Seele iſt von Natur aus eine Chriſtin.“


An Wilhelm von Williſen, in Breslau.



Nun! Es iſt doch noch ein Glück, daß ich eine Gemahlin
bin! Sonſt hätten Sie mich wohl gar nicht mehr grüßen
laſſen. Ah! — da bin ich doch glücklicher als Sie! Sie
[448] ſtehen lebendig vor mir: und haben ſogar die Freiheit bei
mir, wie die Möglichkeit, ſich zu verändern, ſich ſelbſt ab-
handen zu kommen; — welche Schickſalswogen können uns
nicht überſpühlen! — und blieben für mich doch Williſen; den
ich Einmal geſehen habe, in deſſen Augen und Seele ich blicken
konnte, der für mich da war. Und ſo iſt es auch eben ſo
gut, Lieber, als hätten Sie mir recht innig geſchrieben; ich
bin Ihnen doch eben ſo gut, und es iſt auch eben ſo gut.
Ich bin auch eben dieſelbe: ich ſei Ihnen gegenwärtig oder
nicht, Sie hätten je von mir gewußt oder nicht. Ich weiß
von Ihnen. Und es bleibt beim Alten, da die Möglichkeit,
daß Sie von einer, wie ich bin, wiſſen können, da iſt. Ihren
Brief aus Tirlemont — in welchem Ort ich ſelbſt einen Tag
meines Lebens zugebracht habe, und wo mich eine alte
Wirthsmutter in zerſtörte Kirchen führte, und von den mé-
chants
ſprach — erhielt ich in Prag, nachdem er weit über ſechs
Wochen alt war; und Sie ſchrieben darin, noch vier Wochen
blieben Sie dort. Seitdem, werden Sie nun von Varnhagen
wiſſen, durchwühlten wir die Welt, um zu erfahren, wo Sie
ſind — nur über Ihr Leben erhielt ich Gewißheit — kein
Pfuel, keine Schleiermacher, kein Militair, nichts half. Den
Tag, eh’ Ihr Brief aus Breslau ankam, ſchlug ich Varnh.
noch Einmal vor, Sie, wie Neumann vorigen Winter, in
den Zeitungen aufzurufen. Haben wir uns mit Ihrem Brief
gefreut? Lieber Williſen! Sind Sie froh in der Seele?
Ergötzt Sie das Leben dann und wann? „Lehrt Sie der
Abend hoffen: weckt Sie der Morgen zu neuen Freuden?“
(Egmont) oder iſt es, Gott bewahre! „des Aus- und An-
ziehens
[449] ziehens nicht werth!“ Es iſt doch die irdiſche Lebenspflanze
nicht etwa aus Ihrem Herzen gebrochen, ſo daß alles fernere
Grünen, alles Schickſals-Scheinen nicht ferner das Herze
nähren kann? Sie haben doch noch Lebensbilder, die Zu-
kunft zu bevölkern; das will ich hoffen! hierüber ſchreiben
Sie mir. Der Himmel, das Gewiſſen iſt die unabläßliche
Geſundheit der Seele; auf dieſe erſte Bedingung verlange
ich das Leben! Sie müſſen und ſollen wiſſen, daß ich viel
auf’s Leben gebe. Es kann ſehr gut (obgleich es nicht zu
unſern Ohren kömmt, und die da gut leben, ich glaub’ es ge-
wiß, ſchweigen, und nicht ſprechen können), ſchon hier auf
der Erde, ſein. Es iſt mir beinah nichts gelungen: ich weiß
dies aber doch; und dies ganz gewiß. Man ſetzt meines Be-
dünkens die Möglichkeit der Erde zu ſehr herab. Und
nun gar; nun man alles machen will. Eine Verfaſſung,
Geſinnung, Religioſität; auf tauſend Büchern geſtempelt;
und ſich die Nationen nur ſo wie Kompagnien zu ſtellen
haben, denen man das Brot und Montur austheilt! — Zum
Glück
! geht die Welt nebenher noch ihren Gang! Und grünt,
und blüht, und donnert, blitzt und wogt. Sie ſehen, was
ich haſſe. Das leere, neumodiſche, unlebendige, prahlerige,
Nach- und Überſprechen; wie „überbieten.“ Laſſen Sie ſich
nur nicht ſo zerſprechen! Vergeſſen Sie ja nicht zu leben.
Grade den Tag, wie er vor uns ſteht; er auch wird eine ehr-
würdige Vergangenheit; das iſt der Tage Sorge; nicht unſere.
Sie ſehen, ich habe viel in Wien, Prag, Frankfurt, und
allenthalben hören müſſen; viel geleſen, Gedruckt- und Ge-
ſchriebenes. Könnten Sie uns nur beſuchen! da wir jetzt
II. 29
[450] nicht fortkönnen. Sehen iſt, ſich ſehen, iſt das Weſentliche!
So lange man noch lebt, und ſich erreichen kann! Iſt es
alſo nicht möglich? Alle Tage meines Lebens denke ich an
den ewiggeliebten Marwitz! Bei Muſik, bei Wetter; ſeine
zwei tiefſten Studiumspunkte. Bei freien Gedanken! bei den
kleinſten Ereigniſſen! Millionen Dinge erinnern mich
an ihn: nach dem langen, ſteten Zuſammenſein. Eben als
Ihr Brief kam, hatte ich wieder Dore, mein Mädchen, an
ihn und Sie erinnert! Ich ſehe ſein Geſicht, ſeine Farbe,
ſeine Mienen, ſein Blaues in den Augen, ſeinen Haarwuchs,
ſeine Hände. Er lebt ganz bei mir, und doch wein’ ich
eben jetzt. Er war ſo lieb! ſo wahr. Alles, was wahr war,
konnte man ihm ſagen: er lächelte nur, wenn er’s fand; und
wenn es ihm auch, wie er bisher war, ganz widerſprach.
Ich hab’ es erlebt. Kunſt, alles Kunſtmäßige beflügelte ihn;
er verſtand’s gleich: weil er eine Seele für die ganze Na-
tur, für all ihr Wahrheitsſein hatte. Wo iſt er? kein Schrei
dringt zu ihm! Sagen Sie mir nichts! Auch ich weiß, er iſt
noch da. Und was hätte er noch hin- und herwanken ſollen.
Er hat gelebt. Adieu! Sie und er. Viel denk’ ich Sie beide
zuſammen. Sie liebten ihn: ich wußte es! drum konnt’ ich
gegen Sie mich über ihn empören. Wir liebten ihn in dem
eben ſo lächelnd. Das Reſümé, welches ich über ihn finde,
iſt mir immer ein Lächeln. So lieb’ ich ſeine Seele zuletzt
immer. Adieu! Schreiben Sie mir auch über ihn. Ich rede
noch mit ihm, zu ihm: täglich. — Ich habe Steffens Buch
geleſen. Wie kann ein ſolcher Mann, mit ſolchen Gedan-
ken; mit den Einfällen, auch willkürlich ſein! Es freut mich,
[451] daß er zu ſeinen ſtillen Naturſtudien zurückekehrt: längſt ſagte
er ja, Geſchichte ſei nur ein Stück Natur. Adieu.


Lieber Williſen, ich muß wenigſtens meine Einſicht bei
Ihnen retten! In der Welt haſſe ich nichts ſo, als unanſehn-
liche, unelegante Briefe. Aber ich leide ſehr an Rheumatism
auf den Nerven. Kann davon meiſt nicht, und immer ſchwer
die Feder führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün-
nem Papier ſchreiben, und thue es doch; habe nie eine Feder,
da ich mit V.s ſchönen nicht zu ſchreiben vermag, und mir
keine ſchneiden kann. Heute ſchnitt meine Jungfer immer ein
bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben:
ich kann ſie nicht gebrauchen. So entſtand der Klecks: und
endlich hab’ ich auch den Bogen falſch umgewandt, und dieſe
Seite leer gelaſſen; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls
übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der
Brief ſo ſehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar-
über bin. — Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es
mehr Bäume in ſeiner Nähe und in ſeinen Mauern hätte.
Wir ſind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. — Hören
Sie nichts von Tieck? Können Sie ihn von mir grüßen laſ-
ſen? Wie gerne ſchrieb’ ich ihm. Ich lieb’ ihn wie nur ſehr
wenige Menſchen. Der müßte geſund ſein: und doch alles
ſo wiſſen. Adieu.


29 *
[452]

An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer
kalter, ſchlechter, wenn auch heller Mondſchein.


Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden — ſeitdem war
ich von drei Viſiten im Anziehen geſtört — erhielt ich einen
Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am
Hoffeſte geſchehene Handverletzung meldet! In meinem Leben
hab’ ich mich nicht ſo wenig über ein blutiges Unglück erſchrok-
ken, als über dieſen Fall; ſo geſchickt und luſtig und bedacht
hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie ſcheinen
doch nicht ſchreiben zu können, liebe Putte! Laſſen Sie mir —
diktiren Sie — von Mad. B. zum Beiſpiel — was koſtet die
ein Brief! weniger als Marinelli’n eine Lüge! — ſchreiben,
wie es Ihnen geht: ob Sie Schmerzen leiden, ſchwach ge-
worden ſind, Narben bekommen; welche Hand es iſt, ob Sie
ſie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Alſo
„ein Onglück ſleppt nit immer nack ſik ſeine Broder!“ Die
Königlichen Herrſchaften ſind alſo gegen Sie ſo gnädig in
dieſem Unfall! Es freut mich dies ſehr! Und auch, daß die
Königlichen Herrſchaften vor lauter Konſtitution — wie jetzt
die ganze ennuyante Welt — nicht die ganze Kunſt vergeſ-
ſen; nämlich die, zu leben, zunächſt; (lauter Anſtalten für
Enkel zu treffen, iſt doch hart! und trocken vbenein!) und das
bischen wahre Leben beſteht doch in dem alten superflu très-
nécessaire:
in der Kunſt nämlich: die ich ganz neu, ſo definire!
Die Welt, die wir kennen, — oder wer dies lieber hat, die
[453] Natur — ſo darzuſtellen, ſie uns ſo vorzuſpielen — wie Kin-
der thun! — wie wir ſie gerne hätten, ohne ihr Garſtiges,
das Zufällige, nothwendig Wegzuräumende; wie wir ſie un-
ſerm Innern — Paradieſiſchen — gemäß, wünſchen müſſen —
gewöhnlich wird das Prätenſion genannt; dies unveräußer-
lich-angeſtammte Himmelsrecht! — Sie ſehen, ich will Sie
amüſiren in Ihrer Unpäßlichkeit: und da will ich denn
auch meinen amüſanteſten Bruder zitiren, Moritz; bezüglich
auf meine Definition von Kunſt; es wird wohl noch ſo her-
auskommen, daß er Recht hat, und zu ſechs Jahren ſchon
wußte, was ich erſt jetzt ſchlecht aus dem Block denke, für an-
dere Stiliſten und Rhetoren (ich weiß nicht einmal das H rich-
tig in dies Wort anzubringen!). Als Moritz ſechs Jahr alt
war, gebrauchte ich mit Mad. Liman — dies zur Anſchaulich-
keit — das Bad in Freienwalde; meine Mutter wallfahrte
nach ihrem Geburtsort Zehdenik, zwei Meilen von Freienwalde,
und beſuchte mich dort. Kam aber ganz empört über Moritz
an; den ſie mitgenommen hatte, und dem ſie entzückt die
Berge, die Wäſſer, die Gegenden zeigen wollte, und ſich an
dem neuen großen Eindruck, den dies auf das Kind machen
müſſe, erfreuen wollte: er ſchrie aber immer vom Boden der
Kutſche herauf, wo er bequem lag: er möge das nicht ſehen:
und auf Zureden antwortete er, er habe das alles in der Ko-
mödie geſehen: die ſchönſten Dekorationen! Mama war wü-
thend: und bereute es ſcharf, nicht ein anderes Kind mitge-
nommen zu haben. So viel über dieſen Gegenſtand!


Laſſen Sie mich wiſſen, ob ich Sie dieſen Sommer ſehe!
Gewiß. In Heidelberg wenigſtens. Schicken Sie gütigſt
[454] Robert dieſen Brief, dem ich nicht aparte ſchreiben kann —
es iſt 2 Uhr!!! — Dein Gedicht zu König’s Einziehen in die
Burg gefällt mir beſſer als die Veilchen und Roſen! — Die
Anekdote von Krausnas ſchließ ich in mein Herz. Draußen,
könnte ſie Schaden leiden!!! Klugheit empfehl’ ich. Klug
iſt der, ſagt Leſſing, der auf ſeinen Vortheil ſich verſteht; dann
iſt man nicht generös, aber bedacht, kalt, gefällig. Adieu. R.
Alles gedenkt deiner. Komme bald, mich findeſt du hier. Dein
Brief war amüſant!



„Nur Thörichtes gelingt!“ möchte man ausrufen, wenn
man das Wühlen der Ereigniſſe untereinander anſieht, der
Menſchen Unternehmungen nachſpürt: und das mit vollem
Rechte.


Ein thörichtes Streben kann leicht gelingen: es iſt ganz
einſeitig. Ein beſſeres aber fordert eine Zuſtimmung ſo vie-
ler verſchiedenartiger Dinge, iſt ein Anfordern ſo vieler Stre-
bungen in uns, daß wir die völlige Zuſtimmung in der Welt
aus Diſſonanz nicht erwarten ſollten. —


(Mündlich.)


Die Arme, ſagte jemand von einer Frau, hat bei allem
guten Schein auch wenig Vergnügen! — „Vergnügen! ſagte
Rahel in erhaben-traurigem Ausruf, wo iſt auch das? Ver-
gnügen ſitzt in Blumenkelchen, und kommt alle Jahr einmal
als Geruch heraus!“


[455]

„So verdirbt man die Bedienten!“ ſagte man zu Rahel,
als ſie etwas zugeſtand, was menſchlich gut, aber dem ſtren-
gen Reſpekt nicht ganz förderlich war. Sie entgegnete la-
chend: „Ich denke doch eigennützig: beſſer ich verderbe ihn,
als mich!“



An Erneſtine G., in Berlin.



Man nennt es Süddeutſchland: rauhes, kaltes — hier
kälter, als in Mannheim — windiges, trübes Wetter: oft
auch Hagel und Schnee; kalter blendender Sonnenſchein;
nichts grüner, als den 6. Februar, als das Grün mit Ge-
walt etwas heraus kam. Die Erde war im Winter, vom
Herbſt her, grüner. Dabei Hungersnoth vor der Thür: Theu-
rung, die jeden genirt; ſolche Noth, daß man gar nichts
anders hört, und es ein jeder hört; man es von einem jeden
hört; im Oberland, einige Meilen von hier, ißt man Brot
aus Baumrinde, und gräbt todte Pferde aus; das Vieh ſtirbt
den Bauern aus Mangel an Gras und Futter. Man ſieht
allen Gräueln entgegen. Kennen Sie meine Furchtſamkeit?!
— dabei möchte mir vor Mitleidsjammer das Herz ſpringen.
Wenn ich eſſe, krieg’ ich einen Schreck; daß ich es bin, die
ißt, die doch erſt vor ein paar Stunden aß!!! — Das iſt
Eins; das Allgemeine; welches aber in alle Lebensfalten
dringt: und einem wahrhaft auch Sorge aufbürdet. Nun
hören Sie meins! — — —.


[456]

Ich bin nicht bettlägerig geweſen, und habe keinen ge-
ſunden Tag; nicht viel ſolche Stunden. Gehe manche Woche
nicht aus (ein heilloſes Wetter im Ganzen); ſehe alle Tage
einige Leute Abends; und bekomme mehr Viſiten, als ich
nur beſtreiten mag und kann. Wohne ziemlich gut; recht be-
quem: hinlänglich eingerichtet: aber ſehr gering, ſehr einfach;
nur was wir bedürfen. Nichts was ſcheint; nicht einmal
an den Dingen Zierrath oder Eleganz. Schlechter als es bei
mir zu Hauſe war; zum Beiſpiel! Weil? — ich ohne Sor-
gen lebrn will; da ich ſehr gut ohne Prahlerei leben kann.
Wollte man, daß wir prahlten, ſo könnte man’s befehlen, und
bezahlen. V. iſt ſehr fleißig: und beſucht den Hof, und die
Orte, die er muß. Ich halte mich von allem ſoviel möglich
zurück. Wir haben aber beiderſeits unſere große Partiſans;
und auch ich; ich glaube, weil ich ſie nicht, und nichts ſuche.
Dies aber auch kommt ſehr natürlich; ich kann mich nicht
tummlen und placken, und in der weiten Welt ſuchen, was
ich ſchon kenne, und habe: war zu lange Padrona um Klien-
tin ſein zu können: und ſo bleib’ ich das erſte, bei mir; und
werde nach und nach, durch meinen bloßen Karakter, der mir
natürlich iſt, dafür anerkannt. Im Sommer kann ich eine
Reiſe machen, welche ich will; ich bin auch zu Zeiten in Mann-
heim; noch bis jetzt, die Meſſen in Frankfurt: wir haben auch
manchen Beſuch von dieſen und andern Orten hier bei uns.
Nach und nach gewöhne ich mich ein. Dies iſt eine Folge
meines großen Heimathsbedürfniſſes, welches mich auch große
herbe Schmerzen empfinden läßt. Ich kann, und konnte be-
ſonders, mein Zuhauſe, meinen Kreis von Bekannten, meine
[457] Freunde, Nichten, Geſchwiſter nicht verſchmerzen! und beſon-
ders, wenn ich Schönes ſah, und Mittheilungswerthes, mußte
ich weinen, oder zum wenigſten mein Herz! So iſt mein Le-
ben, welches benannt werden kann. —


— Die Geſellſchaft hier iſt nicht unfreundlich, nicht un-
zufrieden mit mir: aber man ſieht ſich hier durchaus nicht
häuslich, und wie in Norddeutſchland, oder auch andern Hö-
fen. Sondern gebeten, geputzt, mit Vielen. Dazu bin ich
nicht jung, nicht geſund, und nicht reich genug. Hier iſt ein
Kleiderluxus wie am größten Hof; und überhaupt, wie jetzt
allenthalben, bei der geſpannten Finanznoth. Nun ich älter
bin: nun ſoll ich die Dame vorſtellen: nun alle Eitelkeit aus
meinem Herzen gemerzt iſt. Dieſe Klage par parenthèse.
Zu ſparen weiß ich nur an mir ſelbſt. Ungeneröſe, und hart-
herzig jetzt, kann ich mich nicht machen. Nun kein Wort
mehr! Heute kommt Robert von Stuttgart, das freut mich;
in wenigen Tagen Tettenborns von Mannheim, das freut
mich auch. — (Hier war ich lange unterbrochen von Fräulein
Reden; dieſe Familie, Vater, Mutter, zwei Töchter, iſt mir
hier ein großer Troſt.) —



Phantaſus. Von Tieck. Bd. 3. S. 518. „Wir
haben alſo in Deutſchland, ſagte Manfred, treffliche Künſtler
gehabt, beſitzen noch einige, und hoffentlich werden neue ent-
ſtehn.“ Meinem theuern, vielgeliebten Tieck ſchreib’ ich hier
noch hinzu, daß wir jetzt noch in Mannheim zwei Meiſter
beſitzen, die, auf Flecks Weiſe, ſonſt unbedeutende Luſtſpiele
[458]verherrlichen! mit der größten Laune, Wahrheit, Eindring-
lichkeit und kunſtgewohnt ſpielen. Der alte vortreffliche Heck,
und der ganz eben ſo gute Müller. So wurde „das Räuſch-
chen“ ein Meiſterſtück; welches ſonſt ſchon ein Nichts war.
Heck ſpielte den Gärtner in Kotzebue’s „des Haſſes und der
Liebe Rache“ wohl ſo, daß man nichts bewunderungswürdi-
geres ſehen kann. Ganz der Mann, und deſſen Stand; un-
ſchuldig, indem er frevelbefliſſen iſt, kann man ſagen; er ſtellt
einem den Ort vor Augen, die Lage, in der er ſich befindet;
kraß wahr in den kleinſten Zügen; und doch wie durch ein
Kunſtglas zu ſehen.



— Ach! Liebe Freundin! Unſere Jugend. Die Linden
ſchienen uns die Welt: dort fühlten wir ihren ganzen Inhalt.
Das war’s. O könnte
man vorher wiſſen! Wiſſen
und jung zugleich ſein. Elend iſt der Menſch; ſehr elend;
und man tadelt das arme Weſen. Eins iſt wahr: etwas hat
ſich ganz verändert. Die Atmoſphäre; ſolche Sommer, Som-
merluft, wie in unſerer Jugend, giebt’s nicht mehr. Wir ſag-
ten ja oft: wenn’s mal ganz anders kommt mit Sonn’ und
Sternen! — dies iſt wirklich anders gekommen! das fühlt
man tief: und dies grade, wo auch Hoffnung, Jugend,
Freunde, Situationen, todt hinter uns liegen. Schrecklich!!!
Varnhagen beſteht immer drauf, wir ſollten von der Schweiz
zuſammen nach dem Como’er See! — der meint’s ſo gut! der
liebt mich. Er genießt ein großes Glück; ich ſeh’s: er ſagt’s,
er fühlt’s. Geh’ ich aber, ſo muß ich ihn allein laſſen. Er
[459] wünſcht’s für mich: iſt mir behülflich dazu. Leidet aber drun-
ter. Hat niemanden als mich. — —


An Roſe, im Haag.



Schlechtes, kühles, unbeſtändiges Regenwetter: gegen
Abrnd viel Nebel.


Liebe Roſentochter! Nun kann es nicht mehr aufgeſcho-
ben werden, nun muß ich dir endlich ſchreiben, ſonſt denkſt
du wirklich, mein Herz iſt ſo ſteif geworden, wie ich und meine
Laune. — Vor ungefähr vierzehn Tagen kam Ludwig Robert
mit Herrn J. aus Stuttgart hier zuſammen an; Robert
brachte mir ihn den zweiten Abend zum Thee, wo Herr J.
auch nicht ein Wort mehr ſprach, als das allernothwendigſte
Antworten auf meine Fragen; das Geſpräch ging mit den
andern Beſuchern ſeinen Gang, Herr J. um 10 ſtumm nach
Hauſe. Ich ließ ihn durch Robert, der mit ihm wohnte, zum
nächſten Mittag einladen; Robert kam um 3 Uhr mit dem
Bedeuten, Herr J. ſei für den Mittag ſchon verſagt. Den
andern Tag erhielt ich eine Karte von ihm mit ſeinem Na-
men; ich denke alſo, ich werde ihn noch ſprechen; weg war
er! Er ſpendirte mir nicht einmal auf ſeiner Karte das p. p. c.;
das iſt zu ſtumm! — Den Itzig, der im Krieg geblieben iſt,
hatte ich in Prag als preußiſchen Jäger aufzuſuchen und zu
verpflegen: das Erſte koſtete mich die unendlichſte Mühe, das
Zweite gelang mir nicht, weil er durchaus nicht ſprach, und
auch nicht wiederkam. Denk nur alſo nicht, lieb Röſelein!
[460] daß ich J. ſo unbekümmert zu dir reiſen ließ, ohne Frage,
Beſtellung, Liebes, und Lebenszeichen. Ich beneidete ihn ſehr!
Will dir alle Tage ſchreiben, beſchäftige mich in meiner Seele
immerweg mit dir; aber man iſt getrennt: und das iſt nicht
mehr als halber Tod. Den Troſt hat man nur, daß es mög-
lich bleibt, ſich zu ſehen und anzufriſchen; daß man weiß,
daß man noch in demſelben Kreis von Leid und Freud’ um-
fangen, mit den Füßen auf demſelben Erdenrund ſteht, noch
von derſelben Luft haben muß, um zu leben. Aber die Mit-
theilung ſtirbt nach und nach aus. Wie ſollte man auch ganze
Lebenswege zu Papier bringen, wann ſich die Kreiſe deſſelben
verändern, bereichern, verarmen, und man alles darin beſchrei-
ben müßte: dies allein koſtete eine Lebenszeit; und auch die
Korreſpondenz wächſt alle Tage, und ändert, wie man ſelbſt
den Wohnort und Bekannte ändern muß. Je n’y suffis plus!
Meine Nerven haben ſolche Wendung genommen, von gro-
ßen Krankheiten, deren Konvalescenz ich nie abwarten konnte,
undenklich reizbar zu ſein, die wenigſten Tage, in denen die
wenigſten Stunden, das Schreiben zu gewähren. Auf den
Augen hab’ ich häufig Krampf, den ich den eiſernen Öfen des
ſüdlichen Deutſchlands zuſchreibe. Auch hätte ich dir zu viel
zu ſagen, da ich dir gerne alles ſagen möchte, und davon, die
Feder in der Hand, gepeinigt bin!!! Die letzte Zeit hin-
derte mich noch dies, daß ich ſeit Monaten weiß, daß Mar-
kus mit Frau und Kindern den 1. Juni abreiſen, um ganz
nahe hier, nach Heidelberg zu kommen, wo ich zu ihnen will,
ſie in Bäder in der Gegend, und nun wollt’ ich ſehen, ob
ich ihn nicht bereden kann, mit mir zu dir zu reiſen! Du
[461] kommſt, ich ſehe es, in deinem Leben doch nicht (bei deinem
einzigen, erwachſenen Knaben, da Karl doch ſo oft in
Brüſſel ſein muß, verſtehe ich die Unmöglichkeit nicht:), ich
wollte dir aber keine Hoffnung ohne Gewißheit in den Kopf
ſetzen: und konnte dir wiederum nicht ſchreiben ohne es zu er-
wähnen, und da ich nun doch ſchreiben muß, ſo erwähne ich
es auch. So ſtehen die Dinge. Ich erwarte nun einen defi-
nitiveren Brief von Markus, der mir den Tag ihrer Ankunft
melden ſoll: da ich aber die Welt bis an den Hals kenne, ſo
bin ich mir ohnerachtet der beſtimmten Briefe von ihm doch
auch wieder eine abſagende Antwort gewärtig. Käme nur
die noch zu rechter Zeit, und verdürbe mir den Sommer nicht.
Vielleicht wär’ es mir alsdann noch möglich eine andere Ge-
ſellſchaft zu ſchaffen, oder den Sommer in dem vier Meilen
von hier gelegenen Badeort Baden zu genießen, wo es immer
von Gäſten, wie von Heerden in den Wieſen und Gebirgen
wimmelt, mir zum Zuſehen recht; und der Ort, mir nur ſeiner
bequemen Nähe wegen lieb. Varnhagen, der hier Chargé d’af-
faires iſt, muß bleiben, und kann mich nicht zu dir begleiten,
mein Rösken. So gerne er dich ſehen, ich ihn dir zeigen möchte:
und wie gut wir leben, wie er iſt, wie ich’s bei ihm habe! Dies
alles iſt gut für mich ausgefallen; aber daß ich reiſen und her-
umziehen muß, in einem Alter und Seelenzuſtand, wo ich blei-
ben und ruhen möchte und müßte! daß ich aus Land und
Bekanntſchaften, Wirkungskreis, Erinnerungen, ausgewur-
zelt wurde, wann in einem ſchmerzgetödteten Herzen und
Alter keine mehr wachſen, iſt ein raffinement meines Schick-
ſals, über das ich nicht hinaus kann. Davon alles mündlich.
[462] Denn wiſſe, theure Roſe, geliebte Freundin und Schweſter,
auf eine oder die andere Art muß ich dich bald ſehen! Da-
her mein Schweigen; — und ich bin ſo wahrhaft wie du
mich kannteſt, im Ergründen, Nachſpüren meiner ſelbſt; im
Erwägen von dem, was mir begegnet, und was ich wählen
muß. Alſo hab’ ich dir viel zu ſagen. Ein Lebens-Re-
ſumé
: und Millionen Kleinigkeiten, die noch immer bei
mir Wichtigkeiten ſind. Ich liebe noch immer Geſellſchaft —
aber freie; wie unſere war, — Muſik, Theater, Luft, Grü-
nes, Scherz, Witz, tiefes Denken, wahrhaftes Sein, Franzoſen,
franzöſiſche Lektüre; ennuyire mich leicht, amüſire mich leicht.
Muß das Meiſte in der elenden kleinen, verhedderten Hofre-
ſidenz hier vermiſſen; kann das tiefe feuchte Thal nicht ertra-
gen. Das iſt mein Unglück. Denn der Ort, wo man lebt,
iſt die Welt, in der man lebt. Alles, alſo. — Beinah ſeit
einem Jahr iſt Robert — der ein- für allemal Ludwig heißt
— in meiner Nähe, bald mit mir hier, bald in Mannheim
zuſammen, bald in Baden, alles nur vier, ſechs, acht Meilen
auseinander, Stuttgart mit eingerechnet, wo er öfters bei Graf
Goloffkin lebt; das freut mich nun ſehr: er iſt ganz glücklich,
ganz vergnügt, und weiß es: geliebt und ſehr geſchätzt in
all dieſen Städten; fühlt ſich ganz frei, iſt es, und goutirt
es. Der Glücklichſte von uns; ganz geſund. Unbeſchrieen!
Ich habe Vorurtheile. Mama iſt weg. Weg! Ich ſehe nie
einen Garten, wünſche nie ein Beſitzthum, wo ich nicht ſie an-
rufe, und tief tief fühle, daß ich es nie mit éclat genießen
könnte, weil ſie es nicht hatte. Ein Jahr nur möchte ich
ihr in einem bequemen Gartenquartier meine und Moritz Ehe
[463] zeigen: Gott hatte es ſo beſchloſſen, wie es iſt. Drum wollen
wir uns noch ſehen, ſo lang wir lebendig ſind. Sie, die Kou-
ſine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz,
ein Engel, Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok-
torin Lemos; Quaſt, Möllendorf, Schack, alles alles iſt weg,
fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck-
mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich ſo oft
dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm laſſen.
Ich mache ſchon lange keine Muſik mehr; mich ſchwindlen die
Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! — So iſt’s,
Roſe. Und dabei gönnen ſie einem nichts in der Jugend;
beſchränken, tadlen einen. Man iſt arm. Ich war Jüdin,
nicht hübſch, ignorant, ohne grâce, sans talents et sans instruc-
tion: ah ma soeur, c’est fini; c’est fini avant la fin réelle.

Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib
du mir unterdeß von deinem Leben. Du wohnſt doch gut
im Haag. Es iſt ein Spazir-Ort. Biſt du denn nie in
Brüſſel? Und warum nicht? Line iſt bei Moritz, ich geb’ ihr
aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be-
dienten, eſſe aus dem Wirthshaus, bin ſchlecht eingerichtet.
Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha:
vier Sopha’s hab’ ich. Gute Luft. Weiter nichts: und Bü-
cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind.
Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich
Schlegel iſt beim Bundestag angeſtellt, ich habe ſie viel in
Frankfurt geſehen, und noch im Herbſt: ſie iſt vortrefflich, wie
ſie war, und beſſer: ſie iſt fromme Katholikin. Ja! ſprech
du mit! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu.
[464] Robert iſt noch nicht da. Varnhagen grüßt dich ſehr. Ich
umarme dich herzlich.

Deine treue R.



Kühlſtes, unaufhörliches Regenwetter.


— So lange man noch auf derſelben Erdkugel lebt, und
ſich nach einander erkundigen kann, will ich es auch thun;
da ich ohnehin geſonnen bin, mich nur zum Verklagtwerden,
aber nicht zum Klagen, am jüngſten Tage zu ſtellen! — Miß-
verſtehen Sie mich auch nicht! dies geſchieht nicht aus Groß-
muth, aber aus Überdruß: Ekel; ich mag die alten Höllen-
geſchichten und Erinnrungsempfindungen, nicht noch Einmal
durchgehen, auch mache ich mir aus keinem Rechtkriegen mehr
etwas, was mir nicht mehr dienen kann, außer zum Recht;
ſo hatte ich’s hier auch ſchon; und alles, was zu alt iſt, zu
lange dauert, gefällt mir nicht mehr. Alſo will ich mich nur
ſtellen, wo ich’s vermeiden kann, — und den Himmel — oder
ein Künftiges — als Himmel anſehen, und annehmen. —


— Sehr gerne ging auch ich ſeit Jahren nach Karlsbad;
aber ich kann nichts. Gewiß meine Schuld: es läßt ſich
nicht vereinigen, Andern alles recht zu machen, und auch ſich
ſelbſt. Ich kann eher die Grimaſſen meines eignen Herzens
aushalten, als die der Perſonen, mit denen ich zu thun habe:
wenn ſie ſie auch für mich aushalten wollen!



— Gerne laſſe ich mich beurtheilen; ſchon als Kind
wünſcht’ ich mir oft den jüngſten Tag nah, damit alles Un-
recht
[465] recht und Recht, was meine Seele drückte, an ſein Licht käme!
an eines andren Tages Licht kommt leider nur allzu wenig
die eigentliche Bewandtniß, und Verwickelung menſchlichen
Handlens, und die Geſinnung als Triebfeder! Redlich iſt’s
und ſittenbetriebſam, wo möglich Tage herbeizurufen, die dem
großen verheißenen vorgehen; und ſtufenweiſe, nach unſerer
Kraft und beſten Einſicht, jenes allheilende Licht ſchon jetzt
uns näher zu bringen. Wie können wir jetztzeitig dies an-
ders, als durch gedrucktes Wort? vernimmt man uns anders?
Es mögen immerhin die redlichen Männer und Weiber die
Wahrheit ſprechen, wie ſie ſie wiſſen; und nach aller Ewigkeit
zu, ſich einander berichtigen, wo ſie nur können; und welcher
Ächtgeſinnte wünſchte nicht noch allgemeiner wirkſame Organe,
als ſelbſt den Druck, bis jetzt die angemeſſenſte Erfindung für
geiſtbegabte Weſen. Ich ſchreibe alſo, was ich über Dinge
beſſer zu wiſſen glaube, die vorgefallen ſind, und über welche
ich reden höre und leſe. Und warte, um zu widerrufen, was
ich ſchreibe, bis hinwiederum Einer kommen wird, der meine
Behauptungen mit Gründen zurückweiſt. Jeder Gegenſtand
iſt in einem Verhältniß mit allen übrigen; die richtige Be-
ſtimmung, wie er ſich zu ihnen verhält, iſt die Wahrheit, die
man über ihn auszuſprechen vermag: alſo kann über alles
geirrt und gelogen werden; dies auch bei dem unwichtigſten
Gegenſtande zu verhindern, iſt ein großer Genuß.


II. 30
[466]

An Varnhagen, in Karlsruhe.



Helltrübes Wetter nach unendlichen Regengüſſen.


Heute, mein Geliebter, erhielt ich einen Brief von dir,
anſtatt dich! Jedoch ſei ruhig, denn ich bin es auch. Und
vergnügt, wenn ich dich auch wünſche. — Unſer Quartier, im
Töpferhäuschen iſt das amüſanteſte! Ich mag gar nicht
ausgehen! Lauter Berge, und Königinnen! und Könige! und
alle Welt Menſchen. Heute eſſen wir zum erſtenmal zu Hauſe.
Die arme Tettenborn liegt zu Bette: auf wenige Tage nur,
ſagt Rehmann. Demidoff’s ſind ſehr gut mit mir. Sie war-
ten Alle auf dich. Auch Nariſchkin iſt geſtern angekommen;
wie ein Bruder ſich gefreut. Robert iſt ganz galant gegen
uns! — hat beim König von Würtemberg geſpeiſt, iſt mit
Goloffkin auf der Hub; und ſehr recherchirt. Roſtopſchin
merkt, daß ich ein Publikum bin. Die Königin von Würtem-
berg und die Großherzogin ſehen ſich viel und gern. Man
ſieht ſie Alle den ganzen Tag. Jeder, und die Demidoff
à la tête, außer ſich über die hohen Gäſte und das Kourma-
chen: bis zu Thränen. Und gehen beinah nicht hin!? Mit
Taſtet’s aus Straßburg ſind Franzoſen, die ein Götterkind
von zwei Jahren haben! Morgen leider reiſt es. —


Etwas von Roſtopſchin. Wie fein, witzig, graziös er in
ſeiner Ruhe und Würde iſt, weißt du. Nun hab’ ich aber
geſehen, wie er mit allem dieſen auch grob ſein kann. Der
Baron Gr., der ihm ſchon lange zu dreiſt dünken mochte,
ſprang in der Allee zu ihm heran, bewunderte die Dekoratio-
[467] nen am Knopfloch Roſtopſchins, die der nur heute trug —
lauter Sternchen, wie Andere bloß Kreuzchen haben, — be-
taſtete ſie, ſpielte damit, wobei ihn Roſtopſchin ſchon mit grim-
mig lächelnden Augen bemitleidend genug anſah; als aber
jener die auch im Tone verfehlte Bemerkung — denn er fiel
mehr leste als ſcherzend aus — vorbrachte: Ah que c’est joli!
c’est comme pour des marionnettes!
wurde Roſtopſchin’s Miene
plötzlich ganz ſanft und kalt: „Eh bien! je vous en prêterai
une, pour le rôle d’Arlequin!”
ſagte er, und ließ ihn ſtehen.
Er dauerte mich; obſchon ich fand, daß ihm Recht geſchah,
wegen ſeines Diplomaten-Dünkels überhaupt; war ihm doch
ſein Schimpfen auf die Juden ungerügt durchgegangen. Aber
ſolche ſanfte Kälte, das wurde mir nun auch deutlich, kann
Moskau verbrennen. —


An Karoline von Woltmann, in Wien.



Bei ſolchen Pulsſchlägen am Halſe und Kopf iſt es un-
möglich, auf einen Brief wie den Ihrigen, den man einen
Urbrief, einen Muſterbrief, von Reichthum, Nachrichten, Fleiß,
Güte, Befliſſenheit und Mühe-Trotz nennen kann, zu antwor-
ten! Vielleicht gelingt mir im Laufe des Jahrs ein ähnlicher;
oder vielleicht früher, Sie zu ſehen. Im lieben Öſterreich. In
Wien, Baden, Prag ꝛc. Laſſen Sie ſich aber Ihren Brief
nicht gereuen; alles, geehrte theure Freundin, habe ich bis zu
Schauder auf den Backen und Thränen mit empfunden. O!
30 *
[468] Gott, Sie ſind ein handlender Held gegen mich. Ich ein
elender Hamlet. Ich liebe was ich ehre und bewundere:
und kein Menſch folgt Ihrem Schickſal mit regerem Antheil.
Aber man quält und quält ſich! Keine Würdigkeit ſchützt;
im Gegentheil, Leſen Sie einmal des ſiebzigjährigen Peſta-
lozzi’s Erklärungen in den Beilagen zum Morgenblatt; wie
der erſt jetzt ſich entſchließen will, ſeinem Innren zu folgen.
— Die wahre Miſchung von Hartnäckigkeit und Weichheit
iſt nur ehrwürdig und einträglich. Sonſt ſitzt man als Narr
mit ſeiner klaren Einſicht. Nun bin ich gar durch einen Be-
ſuch, den General Tettenborn, der von Baden-Baden hier iſt,
geſtört! Nur ſo viel. Ich kenne keine kunſtvollere Stelle,
als die in Woltmanns Leben, wo er ſagt, daß er der Letzte
ſei, den der deutſche Kaiſer adelte. Wie das Duellgeſpräch
in Goethens Taſſo, kann ich ſie tauſendmal leſen und nie be-
greifen, wie man ſolches aufeinander bringen kann, da es doch
nur ſo aufeinander kommen kann. Das iſt die Kunſt: Wolt-
manns Stelle iſt noch obenein unergründlich, wie die Geſchichte,
wie die Natur ſelbſt: nur ſo zu verſtehen, wie man ſie zu
nehmen vermag. Ein wahres Witzſtück, Kunſtſtück. Schrei-
ben Sie nur ja den Roman aus! und die göttlichen Sagen
Segne Sie Gott mit Kraft und Genuß! Ich erwarte meine
Geſchwiſter aus Berlin: aber ſchon länger, welches Warten
mir den Sommer zerſtückelt. Peſtalozzi! Viel Geſundheit!
Adieu, adieu! Sehen Sie Arnſteins? die haſſen mich gewiß.
Ich kann aber nicht ſchreiben. Arnſteins lieb ich gewiß.


[469]

An Varnhagen, in Karlsruhe.



Nach großem Regen von geſtern, ſchönes regneriſches
Wetter.


Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo
nur unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich
einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern;
17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver-
ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der
geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb
12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und
mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. — Ich
ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war
von einem Sonnenuntergang — wie er vielleicht alle dreißig
Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie
waren ganz hin davon. Gold. Feengold — wie von der
rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion:
weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche
Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen.
Darauf kam dein liebſter Brief, und der Staël ihr Tod!
„Lourdement et profondément!” (Als man ſie zuletzt gefragt
hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein tiefe-
res
Schlafen; das iſt auch unſer Leben: (dies fühl’ ich
alles, wie das Daſein.) — ein Schlaf in einem größern Leben;
und man iſt nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in
den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann ſehr
gut anders ſein
. Das hab’ ich alles an meinen Schlaf-
[470] zuſtänden ſicher. Heute ſchlief ich zu erſt hier ſchlecht; erwachte
mit Kopfweh, und Zuſtand: hatte im Traum immer ein klei-
nes
Kind mit blauen Augen, ganz mager, ganz klug, verlor
es immer: liebt’ es unendlich; noch! fand es unter Ma-
tratzen öfters wieder; fuhr mit ihm zu Schlitten; es fror mir
an: ich hauchte es wieder auf, mußte es oft ſuchen und in’s
Leben zurück bringen; hatte immer ſeine Gewänder feſt ange-
packt, und das Kind verloren, entglitten: war außer mir,
nichts zu haben, als ich erwachte: und es iſt mir, als hätte
ich wirklich etwas verloren. So quälte ich mich die Nacht:
und Holzwürmer, Hitze, Agitation, ließen mich nicht ſchlafen.
Ich ſchlief aber bis 10. Alles, tiefe Gedanken, Aufrührung
der Einbildungskraft, Nerven, Blutumlauf: nichts! Alles,
wenn du willſt. Ich weiß ganz gewiß, es giebt andere Kon-
zeptionen
, als unſere. Kleine Naturbläschen ſind wir; ein
einfacher großer Geiſt in uns eingeſperrt. — Freut dich des
Freundes neue Thätigkeit? Sei nur nicht zu verſchwenderiſch
gegen ihn. Man muß wahrlich alle Leute etwas kurz hal-
ten: es ſind beinah keine Menſchen unter ihnen; und alle
Menſchen haben ihre Momente, wo ſie Leute ſind. Lebe wohl,
Theuerſter!


Geſtern ſah ich erſt wieder, daß wenn auch alte Grüfte
ſich in meinem Herzen erſchließen, und ihre verhaltenen, nicht
mehr gekannten Ströme loslaſſen, und eine Vergangenheit ſich
auf die Stelle der Gegenwart ſetzt, und dieſe nur als eine von
Sehnſucht berührte Zukunft von neuem dem faſt irren Geiſte
zeigt, du doch der gewünſchte, geprüfte, vermißte Vertraute
und Freund vom Herzen gefordert wirſt, dem es klagen, erzäh-
[471] len, erklären will. Lieber Freund, an dich lehn’ ich mich! wenn
die ganze Seele in ungewohnter Hellung von Herzensgluthen
flammt! Adieu! Lebe deiner Geſundheit! mir iſt wohl.


Deine R.


An Varnhagen, in Karlsruhe.



Schönes Wetter ohne Sonne nach unendlichen Sünd-
fluthen, von geſtern Abend und der Nacht.


Theurer Auguſt, ich erhielt dieſen Morgen deine Liebes-
zeilen von geſtern; und jetzt deinen lieben Brief durch Hrn.
Ewald. Ich war gegen 11 Uhr mit Andres, ſtill und ver-
gnügt, beinah bis Scheuern, und durch Mühlen gegangen,
um im Freien nach meiner Art zu ſein, und weil es der er-
warteten Geſchwiſter und ein grader Weg iſt. Den Gang
hatte ich nöthig, die Gewitter in der Luft hatten mich oppreſ-
ſirt. Als ich nach Hauſe kam, fand ich das Ewald’ſche Paket;
ihn ſah ich noch nicht. — Ich gedenke — wenn keine Hitze
iſt — in Raſtatt oder unterwegs zu eſſen, damit ich nicht zu
früh ausfahre, und im Nachmittag Montag anzukommen.
Noch hab’ ich leiſe Hoffnung, du könneſt noch vorher, hierher
kommen: überhaupt komme ich nie nach Hauſe, wo ich nicht
doch denke, du könneſt angekommen ſein! Mit mir zurück
wirſt du doch kommen? hierher. Tettenborn iſt auch ganz
ungeduldig, und begreift’s gar nicht. — Geſtern Abend waren
wir zu Hauſe geblieben, Roberts zu erwarten; und ſaßen bis
gegen 9 bei Platzregen in der Hausthür, wo uns alle Bekannte
[472] beſuchten, und mitſaßen. Als Tettenborn ging, wollte er uns
mit Gewalt mithaben, verſichernd in’s Unendliche, ſie kämen
nicht, was er gar nicht wiſſen konnte: um 10 ließ er uns end-
lich mit dem Jäger, der Laterne und der Ausrede, wir ſollten
tanzen kommen, holen, und wir gingen richtig noch hin. Vom
Tanzen war nicht mit einem Worte die Rede: wir ſollten
bloß nicht fehlen. Nur Demidoff’s ohne Roſtopſchin, und
Schönburg waren da. Muſik vor der Thür.


Es iſt mir ſehr angenehm, daß Hebel bei dir war: und
auch der Grund. Du weißt wie ich das Volk liebe: bloß weil
es die Meiſten ſind, und die Ärmſten; es muß ohn’ Unterlaß
für die Menge, für’s Ganze geſchehen. An mir iſt ein Geſetz-
geber, ein Peſtalozzi, ein Moſes untergegangen: ich bin ſehr
erfreut, daß man der Königin von Würtemberg dieſen Sinn
öffnen, oder offen finden kann: auch weil ſie eine Königin iſt,
und auf Viele wirken kann. Beſonders freut’s mich auch, daß
man dich für einen Menſchen hält, der in ſo etwas mitar-
beiten ſoll. Ich kann keine andere Ambition leiden, als die
ſich auf unſere tiefſte Meinung bezieht! — Deine Papierver-
ſchwendung hilft dir nichts! Ich ſchreibe auf deine leeren Pa-
pierhälften. Ich hatte kein dünnes mehr. Adieu, theuerſter
Herzensfreund. Ich ſchreibe dir morgen noch Einmal: und
will immer bei dir bleiben!

Deine. Ganz deine R.


[473]

An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.



Ja, lieber Cuſtine, hier bin ich! Drei Tagereiſen von
Paris: hier ſeit geſtern acht Tage, meine Schweſter Mad.
Aſſer zu beſuchen, die ich in vierzehn Jahren nicht geſehen
hatte, deren Mann ein Juſtizbeamter iſt, welcher mit der Re-
gierung ſeit vorigem Oktober hier reſidirt, und den 25. mit
ihr und meiner Schweſter wieder nach dem Haag ſoll. In
Todesangſt reiſte ich hierher ſie nicht mehr zu finden; vorher
konnte ich ihr nicht ſchreiben, daß ich käme, weil Varnhagen
andere Geſchäftsreiſen mit dieſer meiner kombiniren wollte,
und ich bis auf den letzten Augenblick nicht wußte, ob und
wann ich kommen könnte, und ich wollte meiner armen Schwe-
ſter keine Gemüthsbewegung und unnöthige Spannung ma-
chen. Ich konnte ihr alſo nur von Koblenz aus ſchreiben,
welchen Brief ſie einen Tag vor meiner Ankunft erhielt. Die
Freude, die Erſchütterung, war groß. Sie iſt zehn Jahr
jünger als ich, wurde zu achtzehn Jahren aus dem Hauſe,
aus dem Lande entwurzelt, mit ihrem Willen zwar, aber
ohne Unterſcheidungskunſt und Kenntniß von Holland und
Deutſchland, und der Welt überhaupt: ich war zu Paris,
als ſie heirathete: und beſuchte ſie gleich Anno 1. als ſie ge-
heirathet hatte, in Amſterdam, wo meine Mutter noch von
der Hochzeit war, mit der ich nach Hauſe reiſte: ich lernte
Holland, und die Familie, den Bräutigam, zugleich kennen.
Hier ſehe ich nur meine Schweſter, ſie nur mich. (Ich noch
[474] unſern Geſandten Fürſt Hatzfeldt und deſſen Familie.) Man
kann ſehr ſchön in Brüſſel ſpaziren gehen. Mad. Gavaudan
ſpielt hier; vortrefflich! heute er und ſie; ihn kannte ich
von Paris. Das Volk macht mir hier einen ſehr fremden
Eindruck; es ſind nicht Franzoſen, nicht Deutſche; auch nichts
anderes. Und ich kann mich im ſchönſten Stadtlokal, im üp-
pigſten Orte, und den eleganteſten Umſtänden nicht behaglich
fühlen, und bewegen, wenn mir die Wurzel all der opulenten
Zuſtände nicht bekannt, klar iſt, und gefällt; nämlich das
Volk, ſein Leben und ſein Zielen. Hier widerſpricht ſich jede
Faſer: ſo lange ſchon erlebt dies Volk Regierungs- und Ei-
genthumswechſel; Wechſel im Angehören ſeiner ſelbſt nämlich:
und ich, die von ſolchen Dingen wenig zu verſtehen gelernt
hat, fühle leicht, fein, und ſcharf ihre Wirkung. Ich bin faſt
hier nie allein, immer mit Mann, Schweſter, und Schwager,
daher kann ich Ihnen auch nur dieſe rohen Notizen geben,
dieſe dürren Zeilen ſchicken auf Ihren lieben, liebevollen Brief,
voller Gebete und Offenbarungen und Dankhymnen und Er-
leuchtungen und Freude über das Exiſtiren!!! Wiſſen Sie
wenigſtens, daß ich es eben ſo anſehe: und immer glücklich
wäre, wenn man nicht ſtörte: und darum auch ſo empört
über Störungen bin. Ihr Plan, auf eine Univerſität zu ge-
hen, Ihr Bedürfniß dazu, hat mein völligſtes Applaudiſſe-
ment. Thun Sie es ja: dies iſt was Ihnen fehlt! Auch vor
meiner Reiſe hierher war ich unendlich geſtört. Sechs Wo-
chen waren meine Berliner Geſchwiſter mit ihren beiden Töch-
tern in Baden und Karlsruhe bei mir (ich war ihnen auch
bis Heidelberg und Mannheim entgegen), Gräfin Schlabren-
[475] dorf beſuchte mich mit einer Tochter; ein Freund von Varn-
hagen; auch dies alles bewirthete ich unter hin und her reiſen
von Baden nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Baden.
Dabei mußte ich ausziehen, weil mein Wirth mir aufgeſagt
hatte; dies alles mit ſeinen unerſchwinglichen Koſten, Ärger,
Unruhe, Arbeit, Sorge, Bewegung, Beſorgen; Vorſtellen da-
bei Wirthin, Dame, Verwandte; und das Tettenborn’ſche Haus
mit all ſeinemtrain dabei, auch eine Reiſe mit dem und
zwölf Perſonen in den Schwarzwald und in’s Kinziger- und
Murgthal — haben mich ganz ſtupid gemacht. Auf unſerer
Reiſe hierher ging’s längs dem Rhein hinab, Varnh. Dore
und ich; ich mußte Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen,
Lüttich, Löwen, alles ſehen, Kirchen, Rathhäuſer, alles: reiſte
mehr als zehn Tage. So daß drei Wochen von Varnhagens
ſechswöchentlichen Urlaub weg ſind. In meiner Seele, den
ganzen Sommer über, dacht’ ich es mir, ſorgte es mir anders
aus! Ich dachte nicht an Rhein, nicht an Varnhagens Reiſe:
dachte ſechs Wochen zur Brüſſeler Reiſe zu haben: dachte Ih-
nen zu ſchreiben, mit Ihnen ein Rendezvous hier zu haben:
ja ſogar, wenn auch nur auf zwei Wochen, meine Schweſter,
die ich nun nicht mobil und in der Zeit beſchränkt finde,
nach Paris zu ſchleppen. So aber bin ich in eine wahre
Stupidität gefallen, daß ich Ihnen in acht vollen Tagen von
hier aus nicht ſchrieb!? — nicht ſchreiben konnte. Weil ich
auch hier gemartert wurde durch das Bedrohen einer Reiſe,
die Varnh. noch von hieraus machen wollte und will. Kurz,
im Leben kombinire ich nicht wieder zwei Dinge, die nicht zu-
ſammen gehören, wenn eins davon ein reines Vergnügen,
[476] ein reines Glück, als der Beſuch bei meiner Schweſter, ſein
ſoll. Bis zum 27. oder 28. bleib’ ich nun noch hier; und
muß vielleicht mit Dore allein nach Hauſe reiſen.


Sie ſind in Fervaques! Ich ſchreibe auch heute nur aus
Gewiſſen, damit Sie erfahren, wo ich bin, und warum ich
ſchweigen mußte. Expliquez tout cela à madame de Custine:
elle comprendra tout. La vie est réellement une pure inon-
dation de circonstances qui nous submergent, et nous ne fai-
sons que de misérables projets en nous débattant contre les
ondes. Jamais un plan ne se réalise; et si nous atteignons
un but, c’est que les ondes nous y portent, dix ans après que
nous l’avons eu en vue: et alors on dit que nous sommes in-
constans, que nous avons changé.
Grüßen Sie Ihre Mutter
mit den zärtlichſten Grüßen von mir. Antworten Sie gleich:
dann trifft mich Ihr Brief noch. Montagne de la cour. chez
M. Robert, tapissier. No. 1111.;
bin ich nicht mehr hier, ſo
ſchickt mir der Tapezier, mein ſehr ordentlicher Wirth, den
Brief nach Karlsruhe nach. Was Sie mir von der Lebens-
anſicht Ihrer Mutter ſagten, leuchtet auch mir ſehr ein: Sie
ſehen ſie richtig: und ich fühle mit ihr. Leben Sie wohl, lie-
ber Freund, und verzeihen Sie mir dieſen dürren Brief, und
wenn Sie können, glauben Sie mir, daß er ein großes
Freundſchaftsſtück iſt. Brüſſel est une ville superbe! la
plus belle pour s’y promener: ma passion, comme vous savez.
Varnh. est dans ce moment chez le roi: j’ai pris ce mo-
ment pour écrire: il se rappelle à votre
freundlichem Anden-
ken. Ich grüße herzlich Bärſtecher: et Mlle. Jenny. Dore
baise les mains à madame la comtesse! et croit ètre en France,
[477] parce qu’elle entend parler français, et ne la trouve pas si
redoutable parce qu’on lui parle une espèce d’allemand.
Adieu, cher ami; j’attends une réponse. Comme toujours vo-
tre R. Les Gavaudans jouent aujourd’hui le tyran corrigé.
J’ai une loge.


An Varnhagen, in Berlin.



Nicht ganz kühles, helles ſchönes Wetter.


Deine ganze liebevolle Art, dein Geſicht, der Ausdruck
womit du mich anſiehſt, ſteht vor meinen Augen! Tauſend
Liebe! und liebevolle Vorſätze gegen dich ſtrömen dir aus mei-
nem Herzen entgegen; und ich merke erſt recht, wenn du nicht
da biſt, daß mir gleich alle Beziehung fehlt, und das mir
Theuerſtgewordene, die Vorſorge mit ihren in kleine Thätig-
keiten zerfallenen Beſchäftigungen. Theurer, lieber Freund!
Laß es dich nicht wundern, wenn ich dir dergleichen immer
bei jeder kleinen Trennung wiederhole. Wir ſind ganz wie
unſere äußere Organiſation: manche Dinge, Dinge die wir nah,
und lange nah ſahen, müſſen ferner geſchoben werden, damit
wir ſie wieder recht ſehen; beſſer ſehen. Lieber Auguſt! bei
der kleinſten Trennung überlege ich mir dein Weſen, wie ge-
diegen es iſt, und ſich immer beſſert; und wie zu meinem
Glück ſich zu mir ſtimmt: und in aller Freiheit! Ohne Vor-
urtheil. Und nun umarm’ ich dich!


Heute iſt endlich der Tag, wo ich denken kann, du biſt
[478] angekommen. Wenn ich mich zu Bette legte, mußte ich immer
denken, du fährſt noch. Doch ängſtigte ich mich eigentlich
nicht. Was wird Fanny ſagen! Theodor, Alle. Grüße ſie
nur. Erneſtine, Moritz. Hannchen. Mad. Goldſtücker. Oppen-
heims. Gehe zu Mad. Ephraim; zu Herrn von Beguelin,
empfiehl mich ihm ganz beſonders, und danke ihm: vergiß die
Goldſtücker ja nicht! Und die Doktorin Wolff. Daß es nur
nicht in Vergeſſenheit geräth, daß Fanny dieſen Sommer mit
mir nach unſerm Deutſchland reiſt. Sonſt tobe ich! ſag’s
alle Tage. Grüß Theodor beſonders, und ſag’ ihm, daß
mich Roſe beſuchen wird, und er bei mir Rendezvous mit ihr
haben kann. — Erzähle alles von ihr, Karl, Brüſſel, und un-
ſern Umgang; und daß ſie mich alle zwei Jahr beſuchen ſoll:
auf Karls eigenes Anerbieten; und daß er dich ſo ſehr liebt.
Und ſie ſollen mir unterdeß von Berlin doch ſchreiben: von
hieraus iſt für ſie nichts zu berichten. Außer, daß Eßlair dieſe
Woche hier ſpielt: iſt ſeine Frau angekommen, heute ſchon
die Schuld. Als ich geſtern mit Ende der Tageshelle nach
Hauſe kam — von Frau von Schlegel — fand ich ein Paket
mit unendlichen Briefen. Ich habe eine Auswahl getroffen,
und ſchicke dir die, von denen ich denke, es iſt gut wenn du
ſie haſt. Ich ſchicke dir auch des armen Teſte Brief mit, viel-
leicht iſt doch etwas für ihn auszurichten. — Ich lebe na-
türlich hier ſtill; mit dem Wetter, Schlegels, u. ſ. w.; in die
Komödie kann ich auch gehen. Ich bin ruhig. Nur deine
Kalamität geht grade nun an: ſei auch gelaſſen: wie es
ausfällt, iſt es gut. Du wirſt mir ſchon berichten: ſei ſanft,
und klug. —


[479]

So eben geht Frau von Schlegel von mir weg, die einen
Augenblick da war; Sonntag Mittag aß ich bei ihnen, und
blieb den Abend dort. Du glaubſt es gewiß gar nicht, welche
Geſpräche Friedrich willentlich jetzt auf die heiterſte Weiſe mit
Gewalt anfängt. Über Theater, auf’s gründlichſte erörtert
die Bedürfniſſe darüber, der Spanier, Franzoſen, Engländer,
unſere, was es ſein, was es werden kann, über Shakeſpeare,
Schiller, Goethe, ganz gründlich und erörternd. Ungeheuer
gerecht über Franzoſen, Racine, und die Zeitalter; da in die-
ſem
Fach aber ich ein Ignorant bin, ſo ließ ich nichts nach,
was wider meine Überzeugung war; und man kann wohl
ſagen, daß wir ein Geſpräch hatten, während mehr, als lange
zwei Stunden. Es kamen auch die jetzigen Völkerzuſtände an
die Reihe; hin und her; und man mußte, und ich konnte,
mehr errathen, durch die Zwiſchenſätze von Verſchweigungen
ſeinerſeits, als durch die wirklich, durch Eindringen der gelaſ-
ſenen Einſicht geiſtreichen Äußerungen, was er eigentlich Tie-
feres und Neues meinte; welches ich ihm aber doch durch Hitze
und Lebhaftigkeit des Geſprächs loszueiſen wußte! Über alle
andere Satisfaktion hatte ich aber auch noch dieſe, mir in
meiner Geſchichtsignoranz erſtaunlich ſchmeichelhafte, daß er
mir zugab, daß das eigentlich unterſcheidende Weſen der Zeit,
in der wir leben, das iſt, daß nie ſolch allgemeines Wiſſen
auf der Erde, und ein ſo verbreitetes und ſchnelles der Völker
von einander, regiert habe und dageweſen ſei, als jetzt. Wie
weit her wir darauf kamen, wo das hinführte, und welches
Zugeben von ſeiner Seite mir dies eintragen mußte, wirſt du
ermeſſen können. Wir ſprachen auch weitläufigſt über den
[480] Stil im Schreiben. Über ſeinen, Auguſt Wilhelms, Schil-
lers ꝛc. und über Stil überhaupt. Auch über Religion in
Rückſicht der Staatsverfaſſungen. Das Ganze war ein wirk-
liches Geſpräch, eine wahrhafte Erörterung; z. B. eine ordent-
liche Definition von Stil: alles geſprächsweiſe. Mir entgeht
keiner der alten Freunde! Wenn ſie nicht toll werden, und
vorgeben, Offenbarungen zu haben, die ſich ihnen in Bildern,
und nicht in Vernunftgründen, in mitzutheilenden, darthun.
Dies ſchreib’ ich dir aus Stolz, was du für ein Kabinetsſtück
von Frau haſt! Auch Scholz geſellt ſich zu mir, und macht
mir, wie ſonſt, ſeine Konfidenzen. —


Mein Logis iſt ein bischen kühl — mit Holz zu dämpfen
— aber ſtill und ſonſt gut. Grüße recht beſonders Hrn. von
Stägemann. Leider weiß ich nichts zu ſeiner Unterhaltung anzu-
bringen; munteren Leuten erzähle ich gerne Munteres; bei denen
hat man außer ihrem freudereichen Genuß noch große Intereſ-
ſen. Eins könnte St. doch wohl amüſiren, ich müßte es aber
ſehr ſchön vortragen, oder er müßte es ſelbſt von dem oben-
genannten Freund hören: wie er glaubt, die griechiſch-katho-
liſche Religion würde das nördliche Deutſchland ergreifen; die
heilige Allianz ſei ein prämeditirter Anfang eines präme-
ditirten Plans davon! — und? — ſo könne eine neue Zeit
als neue Sonne eintreten! Wie, wiſſe er nicht: aber im bit-
terſten Ernſt. Und die Pläne dazu ſind ſicher; die ſieht er. —


Nun Millionen Grüße an Oelsner; da du ihn ſiehſt, laſſ'
ich zwei Briefe von ihm hier: die ſo nur ſeine Reiſe betrafen.
Sein protégé, der gerne einen Orden haben will, hat Bücher
für uns und die Frau Großherzogin geſchickt, die er princesse
de
[481]de Baden nennt. Ich werde auch eine Oberhofmeiſterin. Tra-
lalala! Nun umarme ich dich innig und mit voller Seele,
und ſeh dich an! Schreibe noch ein paar Beſorgungen, und
geh ſpaziren. Du gönnſt es mir. Ich denk’ an dich!


Deine R.


Beſſere Tinte hab’ ich nicht. Du grüßeſt Alle, Alle. Ich
grüße dich, Ohme, und alle Unſern zehntauſendmal! Heil zum
Achtzehnten!! —


An Varnhagen, in Berlin.



Dieſen Brief, mein geliebter Auguſt, ſchreib’ ich ganz auf
gerathewohl; da er fünf Tage gehen muß, und du dann viel-
leicht ſchon hierher reiſeſt. — Heute hab’ ich ein ganz beſon-
ders Bedürfniß nach dir. Heute ſtrömen unendliche Gedanken
und Empfindungen durch meine Seele, wie das geputzte feſt-
liche Volk der ganzen Stadt, und auch der Umgegend, vor
meinen Fenſtern das Gallenthor hinaus den Stadttruppen
vor, und nach! Es waren muſikaliſche Maſſen, kurz alles!
Wie wird es erſt bei uns ſein; das Herz aller Selbſtermuthi-
gung, aller Demüthigung, Verſtutztheit, Langmuth, und Lang-
Grimms; feſter, ſchneller, und erfolgreichen Ermannung; der
Triebpunkt ſchneller Auffaſſungen, und auch ſchnellen Wechſels
der Meinungen, Gedanken und Anſichten! Wo biſt du heute
in der von Feſten bewegten Berlinſtadt? Ich bin erſchüttert,
etwas ängſtlich; wie zuletzt bei allen großen Gemüthsbewe-
II. 31
[482] gungen. Große Freude ängſtigt mich, Feſtfreude; Stolz macht
mich nachdenklich, und vorſorglich; wem werden dieſe geputz-
ten, ſich bravſtimmenden Bürgertruppen zuerſt folgen? Wer
ſie zuerſt führen? dieſer Gedanke bewegte ſich bis zur unruhi-
gen Qual in mir hin und her! — (Da kommen die Truppen
trommelnd vom Felde zurück!) Ich habe ſie wieder geſehen
und ſehr geweint: über eine mit Eichlaub ſchöngeſtickte Fahne.
O! hätten wir Alle eine Fahne, alle nur Eichlaub; und edle
Könige, hohe Bildung; Wohlthun; Freiheit, nur ſo viel, daß
Alle ſie gleich haben! dann will ich auch ein Patriote ſein;
dann kann einem ja nur das Leben unter den Seinigen lieb
ſein, und Werth haben. Aber wie roh, und eingebildet ſehe
ich alles: die Geſichter ſogar. (Es ſtrömen noch immer Trup-
pen und Menſchen, alle Fenſter ſind voll.) Ich ſtürze alle
Augenblick an’s Fenſter: wie ſchwarz iſt alles von Menſchen,
im hellen Sonnenſchein! Ach, wenn Goethe ſeine veränderte
Stadt ſähe. Eine neue Kaiſerkrönung. Geſtern um 3 Uhr
Mittags ſind Golz’ens unverhofft gekommen: ſie ſind expreß
wegen uns über Karlsruhe, und haben einen Zettel zurückge-
laſſen, ließen ſie mir ſagen. Ich ging aus Beſcheidenheit, ſie
ruhen zu laſſen, noch nicht hin. Es freut mich, daß ſie hier
ſind, weil es einen guten populären Eindruck hier, in Deutſch-
land, und zu Hauſe macht. Man merkt ſehr auf dergleichen.
Vorgeſtern war ich zu einer Soirée bei Schloſſers: der Dok-
tor (Chriſtian) iſt auch hier: mit Schlegels, Mariane Saaling,
Mlle. Gontard, Hofrath Hugo aus Göttingen — (Alle Ge-
ſandte und Magiſtratsperſonen fahren vorbei, Trommlen neh-
men kein Ende, die foule iſt groß) — mit ſeiner Frau, und
[483] einem Bibliothekar von dort, Profeſſor Beneke. Beides ſchar-
mante Männer, die mir von Göttingen einen ſehr hohen Be-
griff machen. Wie die Schlegeln und Schloſſern anhörten,
das muß ich mimiſch erzählen. Schlegel behauptete näm-
lich, Baden hätte nicht das Recht, das letzte Hausgeſetz zu
machen: und Hugo, mit wenig Latein, und auch wenig Deutſch,
und großer verwunderter Geduld, bewies aus poſitiven Rech-
ten, Teſtamenten und Geſetzen ja: er ahndete Schlegels Gründe,
oder den Grund ſeiner Gründe nicht, der auch es halb als
eine doch auch vorzutragende Anſicht lachend, um es zu
mildern, vortrug. So ſtaunte, wirklich ſtaunte Beneke den
Dr. Schloſſer an, und ſtand ordentlich auf, als der ihm alte
und neue Reichszuſtände erörtern wollte, mit der fertigen Ge-
läufigkeit, die nie da geſprochen hat, wo ein gelehrter, ein-
facher Widerſpruch herkommen kann. Der Abend war aber
gut: und die Göttinger Leute gefielen mir ſehr, auch die zwölf-
jährige Dlle. Hugo: lebhaft, natürlich, eigenthätig, im Auf-
faſſen und Bemerken. — Mehr ſchreib’ ich nicht; ich bin vom
Feſte zu zerſtreut. Will in die Sonne gehen, und eſſe bei
der Schlegel, er bei Graf Buol. Sie ließ mich durch Auguſte
bitten. Adieu, adieu! Deine dich Erwartende! Eil dich in
nichts! ich warte auch gerne.

R.


31 *
[484]

An Roſe, im Haag.



Kühles kribliches Wetter, wo die Sonne durch-
brechen will.


Geſtern, lieb Röschen, als ich gegen 2 Uhr zu Frau von
Schlegel gehen wollte, brachte mir auf der Treppe ihr Bedien-
ter deinen Brief: der erſte, den ich erhielt: ich ängſtigte mich
aber doch nicht, ich dachte gleich, er müſſe in Karlsruhe lie-
gen: ich will auch nun gleich jetzt an den Hrn. Wagner ſchrei-
ben, daß er ihn mir ſchicke. Es thut mir in der Seele weh,
daß Karl gleich wieder krank ward! — eine Kalamität, der
nur mit anderm Ungemach abzuhelfen iſt, zu welchem ſogar
noch ein großer Entſchluß zu faſſen und Anſtalten — das
Schlechteſte auf der Erde — zu machen ſind. Du haſt aber
Recht, meine theure Schweſter, in dem Vorſatz, daß wir uns
alles ſagen und beſonders klagen wollen: dieſes soulagement
und dieſer Troſt ſoll uns nicht entgehen; darum betrügt der
Menſchenwitz mit ſeiner Schreibekunſt das Schickſal, welches
Freundestrennung erfand! Dein Ungemach mit dem Hauſe
geht mir auch ſehr zu Herzen (laß dir dies aber nicht leid
ſein!); dies verſtehe ich aus dem Grunde, was ſolch Umziehen
bedeutet, und in ſich faßt!!! Aber ich weiß auch, und du
wirſt ſehen, es ereignen ſich auch unvorherzuſehende Fügungen,
die dir wieder etwas in einer andern Art Beſſeres und Be-
quemeres ſchaffen. Ich hatte ja dieſen Sommer nur drei Mo-
nat vor mir, die ich immer auf den Landſtraßen zubringen
mußte, als mir urplötzlich, und wider jede Erwartung, auf-
[485] geſagt wurde; und habe jetzt doch ein bequemeres Quartier,
und vorher gar keine Ausſicht dazu. Ich habe jetzt keinen
beſondern Verdruß: ich erwarte ihn nur; denn warum ſollte
er nicht kommen! Ich habe nur die Unannehmlichkeit,
den letzten Sonntag — wo es möglich, aber nicht wahrſchein-
lich war — noch keinen Brief von Varnhagen erhalten zu
haben: er iſt wahrſcheinlich den Dienstag zuvor, um eine Vier-
telſtunde ſpäter als 7, nach Berlin gekommen, und konnte kei-
nen Brief mehr anbringen; indeß bin ich nun bis morgen ohne
Nachricht: und muß mein Schickſal wie in einer Lotterietrom-
mel anſehen: in welcher es zwar immer liegt, aber nicht uns
immer zwingt daran zu denken: aber auch das wirkt nicht
heftig, ja nur ganz leiſe auf mich. Sonſt konnte ich von der
Heimath und all ihren Erinnrungen, gewohnten Gängen, be-
quemen Daſein, Freunden, und Bekannten losgewurzelt wer-
den: es wär’ eine Einbildung eine Ortsveränderung jetzt noch
zu fürchten, da das Einzige, welches mir jeden verſüßen könnte,
nämlich zu bleiben, unmöglich geworden iſt; ſonſt verliere ich
an kleinern Mittelorten nur immer, was ich modifizirt wie-
derfinden muß. Nur ſcheue und fürchte ich noch ſehr, ſchlech-
tere Gegend, kälteres Klima, und neues Einrichten: doch dem
entgeh’ ich gewiß nicht: wie allem, was man fürchtet! Noch
Eins fürchte ich ſehr; Miniſterſchaft ohne erkleckliche Gehalts-
erhöhung, ohne welche ich Repräſentation mit Sorgen hätte;
d. h. Spannung und Lüge: ſcheinen müßte ohne Zweck, der
mir einer wäre; Mühe, keine Ruhe u. ſ. w. Doch das kommt
alles: wie alles kam. Ich bin in einer Gemüthsverfaſſung,
in welcher ich es genau weiß, und es mir dennoch nichts macht.
[486] Laß dir unterdeß erzählen, was ich heute Mittag um 3 Uhr,
wo ich bei unſerm Miniſter Graf Golz ſpeiſe, anziehe. Es
iſt ein klein Diner. Ich ziehe an: den ſtrohgelben Überrock
mit kornblauen Bändchen, ſolche Schuh von Hrn. Drouſart,
den kornblauen Hut, ſtrohgelbes Band drunter gebunden;
einen Stehkragen von Blonden-Tüll, einen weißen langen
engliſchen Schal, den ich mir geſtern doch endlich hier kaufte,
er hat keine Palmen; ich wollte ſie nicht: nur eine vier Fin-
ger breite Borte; ſieht ſehr diſtinguirt aus: koſtet 57 Gulden,
der Gulden 14 Groſchen. Ich mußte ihn haben: es kam alle
Augenblick vor, daß ich ihn brauchte, Der, den ich von dir
habe, hat geſtern den größten Effekt und Nachfrage in einem
Konzert gemacht, wo ich mit einer Tochter Klärchens, Adel-
heid, und ihrer Gouvernante war. Voll, viel Bekannte, Mu-
ſik ſchlecht: Mlle. Böheim, jetzt Mad. Graf, ſang ſehr gut,
ganz italiäniſch. Nachher war ich noch bei Schlegels zum
Theetrinken. Ich ſehe viel dieſe — viele Grüße, — Herz’ens,
öfters Golz’ens, dann und wann Scholz und ſeine ſehr nied-
liche lebhafte Frau — ſie wohnen mir ganz nah — eine Ju-
gendfreundin Dr. Veits; eine kluge Rathsfamilie Schloſſer
hier. Will die Damen Guaita und de Ron noch ſehen, und
eine Mad. Klee. Lauter Bekannte: Herren beſuchen mich: ich
gehe mit Dore ſpaziren, welches hier herrlich iſt; du ſiehſt,
ich habe kaum Zeit: und habe noch viel Bekannte hier, Mi-
niſterleute, allerhand. Nun grüße ich Karl tauſendmal! Sag’
ihm, welchen innigen Antheil ich an ſeinem Übelbefinden
nehme. Auch ich habe mich in Brüſſel beſſer befunden, als
hier: ich fühle ſchon allerlei Ungemach, von welchem ich dort
[487] nichts wußte: zum großen Beiſpiel, meine Augen waren dort
viel beſſer: das macht aber wohl das vertrackte Einheizen, in
den abſcheulichen Eiſenöfen, wovon dort die Rede nicht war.
Adieu, theure Roſe. Scholz grüßt dich ſehr. Andere ſprach
ich nach deinem Brief noch nicht; dieſen laſſ’ ich noch offen
bis morgen: um von Varnh. noch etwas zu ſchreiben. Karl
ſoll ja die Korreſpondenz mit ihm nicht einſchläfren laſſen,
wenn er zu Hauſe iſt. Teſte ſchrieb hier her: ich ſchickte den
Brief nach Berlin. Adieu! Mit Salmiakſpiritus macht man
die Flecken aus: man gießt ihn drauf und reibt.


An Varnhagen, in Berlin.



Rauhes, ſonnenloſes, garſtiges Wetter. Geſtern Abend
ein Nebel, wie in Holland; man konnte ſich ein
Stück davon mit nach Hauſe nehmen.


Liebſter Auguſt! Ich denke beſtändig daran, wie du heute
meinen Brief erhältſt, der da klagt, daß ich keinen von dir
habe: und erſt morgen den, worin ich dir ſage, daß ich einen
nach erhielt; ſeit der Zeit freue ich mich damit! Und Sonn-
tag erhielt ich wieder deinen großen lieben Brief! Wie ſoll
ich auf alles das antworten, ſo antworten, wie ich es im Le-
ſen und Wiederleſen aufnahm! Zum Glück hab’ ich aus Vor-
ſorge Erneſtinen, Fanny und Hannen geſtern ſchon geſchrieben.
— Ich machte geſtern noch große Kourſen; ging mit Golz’ens
in Otto von Wittelsbach, wo Eßlair vortrefflichſt ſpielte —
den Mord, den Zorn! — daß man’s einſah — war nachher
[488] noch bei ihnen; und das alles mit einem ächten Herbſthuſten,
der mich zu gewiſſen Stunden des Tages fieberartig alterirt;
der oft ein Schnupfen werden will, den ich mit Emſer trak-
tire, und nun bald in Ordnung ſetzen will. — Das Federfüh-
ren gab mir geſtern Fieberbewegungen, und komplete Dämlich-
keit; ſonſt hätte ich doch wohl ſchon geſtern deinen Liebesbrief
zu beantworten angefangen! Ich wollte es mehr als zwan-
zigmal in Gedanken. Noch nicht einen Augenblick, mein lie-
ber Auguſt, hab’ ich es bereut, nicht die kurze Reiſe, im dicken
Herbſt, nach Berlin mitgemacht zu haben: wenn ich auch öf-
ter ſchon gewünſcht habe, bei dir zu ſein; dir zur Seite zu
ſein: ſo war mir, ſelbſt daß dies nicht der Fall iſt, ſchon ſehr
lieb, und iſt es mir noch. In meiner Begleitung, hätte deine
Reiſe ſchon ein ganz anderes Anſehen bekommen; ſchon gar
nicht als eine eilige ausgeſehen, wie ſie es doch iſt. — Berlin
regrettire ich in dieſem Augenblick gar nicht: die Geſchwiſter
hab’ ich geſehen, Moritz’ens ſoll ich ſehen: und die Stadt lieb’
ich im Frühling und Frühſommer mehr, und wenn ſie ſich erſt
wieder wird geſetzt haben nach dem großen Aufſtand. Du
weißt, wie ich Aufgepuſtertes haſſe; Feſte vermeide etc.!


Den ehmaligen Freund kenne ich: d. h. von dem wundert
es mich weniger als von manchem Andern, wie allerlei aus
ihm werden konnte: aber ich ſehe doch nun erſt, daß das, was
ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur
Biegſamkeit aus Schwäche war: en pflegte meine Äußerungen
ſchon auf eine Art zu bewundern, die den höchſten Widerſpruch
in ihm offenbarte, und mich nur ſtutzig oder ungeduldig machte;
er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reſervirte
[489] ſich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerſpruch; ein
dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ ſich bei ihm ſpü-
ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenſtand zu finden;
weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was
da iſt, der Wahrheitsſinn, bei ihm nicht ſcharf genug iſt.
Der faule Punkt im Geſchlecht, woraus ſich alle Geiſtesepide-
mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei-
ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen.
Solche Leute können auch grauſam werden; wie man längſt
darthat, daß Grauſamkeit ſich aus Schwäche erzeugt. Dieſes
ganze Gelichter von epidemiſchen Geiſteskrankheiten wurde, in
der verſchrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä-
rern, heilſam und unſchädlich durch Lächerlichmachen gehemmt;
man ſieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer
im Volke. Ich wollte nur von dem Einen ſprechen, und ſpreche
von Allen; ſie empören mich zu ſehr; und mein neuſter Ge-
danke drängt ſich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr-
thum, nämlich der in ſeinen Folgen ſo groß werden kann,
werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in
Maſſen gehandelt wird und geſchieht, je ſchwerer wirken menſch-
liche
Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die ſich
aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie ſie
in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir ſie gar anders
nicht kennen. So ſieht mein Geiſt ein reelles Unheil voraus,
wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen
ihr läppiſches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon,
ſo werden Schwerter geſchwungen werden, Knüppel, Hacken:
und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun-
[490] den wird’s genug ſein, wie am Blitz, wenn er auch trifft: die
Luft wird für eine Zeit gereinigt. Gelehrte Männer, Geſetz-
geber, Männer der Regierung, können nur wie große Ärzte,
naturkundige Geburtshelfer, die Entbindungen des Menſchen-
geſchlechts ſanft begünſtigen; ihm ſeine großen Schmerzen er-
leichtern, vorſchreiben wie es ſich betragen darf; aber die Art
der Geiſtesgeburt können ſie ſo wenig vorſchreiben noch be-
ſtimmen, wie jene. Natur, Klima, alles wirkt dorr wie hier.
Und dieſe Leute und Konſorten wollen Religionen, Überzeu-
gung ꝛc. alles nur ſo herbei empfindlen! Der Handel z. B.,
der den ganzen Weltverkehr mit all ſeinen Entdeckungen und
Bedürfniſſen zum Grund und zur Folge hat, iſt ſchlechtweg
ſündhaft: und mehr dergleichen dictons: ich kenne ſie alle.
O! armer Novalis, armer Friedrich Schlegel, der gar noch
leben bleiben mußte; das dachtet ihr nicht von euren ſeichten
Jüngern. Großer, lieber, ganz blind geleſener Goethe, feu-
riger ehrlicher Leſſing, und all ihr Großen, Heiteren, das dach-
tet ihr nicht: konntet ihr nicht denken. Eine ſchöne Säue-
rei! Aber auch wir ſehen ſie zu befangen, weil ſie uns grad
ärgert: welche kleine Biegungen im ewigen Strom des Seins;
das heißt, des Werdens!


Was ich hier alles reden höre! Aber auch erſt mündlich.
Für mich genirt ſich keine Parthei: weil ich mich wie eine
Frage betrage, und in den meiſten Stücken eine bin; und wo
ich keine bin, eine befriedigende Antwort; keck, ſehr beſcheiden,
und ſehr für die Wahrheit; d. h. wahr haft, oder ſo lügen-
haft, wie ſie’s nicht merken können; von ihrem Gebiet nach
meinem hin! Alſo ich erwarte dich ruhig; da du ſo ruhig,
[491] ſo klug dich beträgſt! und mir ſo ſchmeichelſt, als wäre ich
ſchuld! — Mein geliebter Auguſt! Wenn du etwa des Nachts
nach Frankfurt kommſt, oder wenn es finſter iſt: laß dich nur
nach der Gallengaſſe fahren. Ich wohne auf derſelben Seite
von der Gräfin Cuſtine, eh man zu ihrem Hauſe kommt von
der Allee aus; es ſteht ein Brunnen vor meiner Hausthür.
Schneider heißt mein Wirth; iſt ein Weißbinder, d. h. bei uns
ein Stubenweißer. —


Grüß ja die Woltmann aus innigſtem Herzen! Sag’ ihr,
Ihr Brief war gelaſſen, ſtark, voll Herz, brav wie ſie: und
erregte meine ganze Liebe und Verehrung für ſie; ich hoffte,
wir ſähen uns doch. Geh ja, Geliebter, zur Grotthuß: ach!
ſie iſt nie ordentlich verwirrt, nur überreizt, und unter Men-
ſchen, die ſie nicht verſtehen: und krank. Sag’ ihr alles von
mir. Ihrentwegen wär’ ich wahrhaftig noch nach Berlin ge-
reiſt: das iſt man ſich ſchuldig: dies hätte ſie ſehr erhoben.
Ferdinand freut mich; ich denke über das Kind wie du: er
müßte mir ein Robert werden; wird es auch wohl doch,
und bald!


Alles grüßt dich. — Sag Theodor, ich hätte geſtern in
der Komödie Mad. Chevalier geſprochen, die heute nach Mainz
geht, den Winter dort zuzubringen, weil Frankfurt zu ennu-
yant iſt — ſagt ſie — und theuer iſt, und ſie künftigen Som-
mer nach Schwalbach ſoll: ſolche Veränderung hätte ich nur
bei Major Kaphengſt geſehen: ſie iſt eine Andere: und ſieht
der in Reinerz auch nicht ähnlich. Höflich und freundlich
übrigens.


Thu mir den Gefallen, und trag’ ihm auch dieſe meine
[492] mir ſehr am Herzen liegende litterariſche Angelegenheit vor!
Da die Neujuden es nun einmal — in die Wette mit den
Neuchriſten — durchgeſetzt haben, ihre Mädchen einzuſegnen
— die bisher, rein unter Gottes Obhut blühten — und in
beſondern Kapellen und Tempeln deutſch zu predigen und zu
beten, und modernen Ceremonien zu folgen, ſo ſoll er mir hel-
fen, daß auch das Gute davon entſtehe, daß des Moſes Men-
delsſohn Überſetzung der Bücher Moſes, in wirklich deutſchen
Lettern — aber nicht lateiniſchen, ſondern deutſchen wie Lu-
thers Bibel — gedruckt werde. Es ſchreibt bis jetzt niemand
beſſer Deutſch, als dieſer wahrhafte Künſtler in der Sache;
Hebräiſch wußte er gewiß ſehr gut: ich bin gewiß, die Über-
ſetzung iſt ein Meiſterſtück, ganz deutſch, und doch dem Ori-
ginale nah. Wer aber kann ſie mit den jüdiſchen Lettern
leſen? Mache, daß dies durch eine Subſkription bei den Ju-
den zu Stande kommt. Ich unterzeichne gleich. Ich halte
unendlich auf die Ausführung dieſes Gedankens, der ſo ein
alter von mir iſt: wär’ ich nicht nur ein toller, ſondern auch
ein reicher Engländer, ich hätte es längſt allein gethan, und
dieſelbe Überſetzung mit deutſchen Lettern drucken laſſen. Es
iſt gewiß vortrefflich und erſprießlich; wie alles ſehr Gute und
Schöne. Ich will mal ſehen, was du vermagſt. Lebe wohl,
Theuerſter! Morgen bekomme ich wieder einen Brief von dir!
Ich umarme dich in Liebe. Deine R. Sechs Botſchaften und
Billete ſtörten mich im Schreiben. Das Schreiben hat mir
nicht ſchlimm gethan. Adieu! —


[493]

An Sophie Schröder, in Berlin.



Als ich geſtern mit Ungeduld die Berliner Poſt erwartete,
die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber-
liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Erſatz geben,
und fand Sie, meine ſehr Geliebte, den Landsleuten als Gaſt
der Muſe angekündigt; dieſe Zeilen können Ihnen mein Be-
dauern, daß ich nicht zu Hauſe bin Sie zu empfangen, nicht
ausdrücken! Ich habe den wahnſinnig-eiteln Gedanken, daß
in der weiten gebildeten Stadt doch keiner ſich befindet, der
ſo durchdrungen ſein kann von dem, was Sie zu leiſten ver-
mögen, es auffaſſen kann wie ich, was Sie ſind; und der
auch das anſcheinend minder Gelungene ſo zu ſtellen und zu
deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen
jede materielle Sorge und Beſorgung abnehmen: ich Sie ap-
plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Fürſtin der
Stadt nur auf eine Weile ſein, wie ich es jedesmal mit Lei-
denſchaft wünſche, wenn ein Künſtler in ihren Mauern iſt;
Einer, der die Macht hat, das Großartige darzuſtellen, ohne
Übereinkunftsmanier; dem es gegeben iſt, die Leidenſchaft zu
kennen, und die Mittel, ſie in allen ihren Abſchattungen,
auch den wenigſt Aufmerkſamen, in einer Art muſikaliſchem
Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge ſchnell
jedesmal findet, und auch die Mittel, ſie auszudrücken. Sie
ſehn, ich tödte mich, das zu beſchreiben, was geſegnete Künſt-
ler ſind: ſagen kann ich’s nicht; aber ich weiß es. Auch mich
[494] hat Apollo berührt: ich verſtehe die Begabten. — Wär’ ich
nur in Berlin, in meinem Hauſe; Sie wohnten doch bei mir!
— Wie leid iſt es mir, daß Sie unſere Garderobe, unſere
Dekorationen nicht mehr ſehen: aber lieb iſt es mir, daß Sie
im Opernhauſe ſpielen; und es freut mich, daß Graf Brühl
bei Ihnen eine Ausnahme mit den Gaſtrollen zu machen weiß.
Warum ſpielen Sie nicht Johanna von Montfauron, anſtatt
in Rudolf — oder wie er heißt — von Finnland? — Jo-
hanna war eine von den Triumphrollen der Bethmann; in
dieſer aber zieh’ ich Sie vor. Ich habe auch eine Sorge;
Berlins Geſchmack in Anſehung der Weiberrollen iſt auf
ſchwaches Regime geſetzt. Das Größte, was ſie hatten, (und
ein Publikum ſchwingt ſeine Gedanken nie über das, was
es ſah, ſondern bildet und ſchränkt ſich darnach ein, oder
aus;) war die Bethmann; die außer dem Talent, das ſie
hatte, noch die Gabe beſaß, nur ſie ſein zu dürfen; und das
in einem ſolchen hohen und ſchönen Maße, daß man nicht
unterſcheiden mochte, ob ſie auch etwas anders ſein konnte;
ſie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantiſch, tief empfin-
dend, traurig-toll und toll-zerreißend ſein, immer lieblich,
ſelbſt im Fehlgriff; konnte komiſch, heiter, reizend, beweglich
ſein; den Adel der großen Welt vortragen. Furchtbar aber,
furien-ſtark, mit den Elementen verwandt, mythologiſchen
Wahnſinn, den konnte ſie nicht aus der lieblichen, leichtbe-
weglichen, leichtſinnigen, frommen Seele ſchöpfen, weil man
nie etwas daraus ſchöpft, was nicht darin liegt. Nun fürcht’
ich, iſt den Berlinern mancher Farbenton, der grade mein
Erhabenes ausmacht, von Ihnen zu ſtark; das fürcht’ ich ei-
[495] gentlich nicht; aber ich fürchte, daß Sie das nicht zu deuten
verſtehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht;
und daß Sie gar — Gott behüte und bewahre! — ſich dar-
nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich
hier ſo breit; in der Tiefe war wirklich der Aufſchluß dieſes
Schwächenzuſtandes nicht nachzuweiſen; ſondern in der län-
geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich ge-
macht
. Jetzt mag unſere Stadt nun wohl noch mehr davon
befallen ſein, als vor drei oder mehreren Jahren: ſie putzt
und ſchnäbelt gar zu viel an ihrem Kunſtgefühl, beleuchtet
gar zu ſehr das Bewußtſein darüber, mit Kerzen, aus allen
Fabriken, anſtatt dem Gehen und Kommen der Sonne ſich
ruhiger hinzugeben. Sie ſind dort bis zu den unbefangenſten
Tiefen der Menſchheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz-
werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt
grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma-
ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen
zu erſparen, nur darauf aufmerkſam machen. Solches alles
gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man ſie zuſammen ſich
vorſtellt; und man kann die eine freie, eine ſinnige nennen,
wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und
Verſtändniſſen vor ſind, große Künſtler faſſen, und große
Bücher, die ſie über die Beſchaffenheit des Augenblicks, in dem
ſie leben und ſchaffen müſſen, erheben. Eine ſolche Stadt,
ſein Sie gewiß, iſt Berlin, wenn auch die, welche ſie dazu
machen, grade nicht das Glück haben Sie perſönlich zu ken-
nen. Dies wollt’ ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, geſchäft-
und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten,
[496] wo alles vor ihnen vorüber fliegen muß. Ein Freundesbrief
ſoll Freundesſtelle vertreten!!


Mich ekeln ſchon jetzt die Zeitungskritiken! das iſt das
Schlechteſte, was wir haben; das Seichteſte in Deutſchland
überhaupt. Die Leipziger, von A. W., ſind noch die ein-
zigen, wo etwas Mark und Bein, Leben und Zeichnung
darin iſt.


Hier ſpielt Eßlair. So glücklich, Sie mit dem zuſam-
men zu ſehn, bin ich nicht! Wenn ich nur drei Bataillen ge-
wonnen hätte! ich wollte mir ein Theater anſchaffen! Er
ſpielte Thefens wirklich wie ein Gott; und kann das Muſter
ſein, die Fahne zum Weg, deutſch zu ſprechen. Otto von
Wittelsbach ſah ich: der Mord ein Meiſterwerk! Hinein
und herausgehn ein Stück; er ging, trotz der Wuth, mit
Abſcheu hinein; und kam, trotz des Abſcheus, noch mit Wuth
heraus. Göttlich. —


Als ich Ihnen dieſes geſtern ſchrieb, ward ich dazwiſchen
immer von Beſuchen geſtört. Ich erhielt dann noch geſtern
Abend einen Brief aus Berlin. Sie wollten an dem Tage
in Merope auftreten, von der Vorſtellung ſelbſt weiß ich alſo
noch nichts. Ich freue mich im voraus des Berichts, den man
mir treu und ausführlich davon zu geben verſpricht! — —


An
[497]

An Varnhagen, in Berlin.



Werde nur nicht ungeduldig, lieber Auguſt! Ich will
gerne Geduld haben, daß alles ſo langſam geht; wir kennen
ja dieſe Gänge, und wenn es auch gar nicht geht! — ſo iſt
es noch wie es war, und zu tauſenderlei gut, daß du in Ber-
lin warſt. Wundere dich nicht, geliebter Freund, wenn ich
dir heute ſchlecht, oder wohl gar nicht auf deinen lieben Brief
antworte. So ſehr ich auch jedes Liebeswort, jede Mühe mir
zu berichten, die du dir gabſt, in mein Herz einſenkte; als
Liebesſamen. Ich habe meinen Winterhuſten; und hatte drei
Tage bedeutende Nervenirritation davon und von noch et-
was, — die darin beſtand, daß ich, obgleich ich Hunger hatte
und gut ſchlief, beides in erhöhtem Maß, mich ſehr ſchlecht
nach Schreiben befand, und das mehrere Stunden. Ich kenne
dies bei mir. Nun mußt’ ich aber doch dieſe Tage viel ſchrei-
ben; auch heute noch muß ich Scholz ein oſtenſibel detaillirtes
Billet für die arme Jüdin ſchreiben, welches Rothſchildt leſen
muß; und darum werd’ ich mich bei dir, Geliebter, kurz faſ-
ſen. Der Gräfin Golz ſchrieb ich geſtern noch deine Neuigkeit
von des Kanzlers bevorſtehender Rheinreiſe, und deine Grüße
ab; die Gräfin nahm es ſo gut auf, daß ſie geſtern expreß
ſchickte, ſich entſchuldigen zu laſſen, daß ſie nicht ſchriftlich
antworten könne, und heute ſchon vor 10, was ich mache, und
daß ſie kommen will: ſie bitten mich Abends entweder zum
Theater, oder zu ſich. Seit Sonntag aber bin ich zu Hauſe
II. 32
[498] geblieben. So lange es ihre Füße erlaubten, beſuchte mich
Frau von Schlegel, ſie leidet aber zu ſehr. —


Lieber Auguſt, du mußt den Brief, den ich an die Schrö-
der ſchrieb, mitrechnen, als ſei er an dich. Mache ihn dann
mit einem Phantaſieſiegel von Erneſtinen zu. Ich freue mich
unendlich, ſag dies Erneſtinen, daß ihr beide ſo liirt mit ein-
ander ſeid! in die Komödie, ſpaziren geht; und ſtreitet! Sie
hat mir göttlich naiv geſchrieben. Ich umarme Sie herzlich,
Liebe! Es beglückt mich ganz, daß meine beſten und natür-
lichen Freunde, meine Familie, ſo liirt mit einander ſind!
Geht nur recht ſpaziren! in die Komödie! Lacht, ſtreitet, lebt,
eßt miteinander; und ſchwören Sie’s ihm zu, daß Sie im
Sommer kommen. Lieb Erneſtinchen! Ich gönne Ihnen al-
les Glück! jede Freude! Liebevolle Geſinnungen unter einan-
der, iſt wahre Lebensfülle, wahrer Reichthum. Nehmt ja
Fanny immer mit! Und wie befindet ſich die älteſte Schwä-
gerin? Sie ſoll mir von der Schröder ſchreiben; Fanny’n
diktiren.


Alſo du haſt für mich geweint in der Jägerſtraße! Ja.
Da iſt mein Mauſoleum. Da hab’ ich geliebt, gelebt, gelit-
ten, mich empört. Goethe’n kennen lernen. Bin mit ihm
aufgewachſen, hab’ ihn unendlich vergöttert! da wacht’ ich
und litt viele viele Nächte durch: ſah Himmel, Geſtirne, Welt,
mit einer Art von Hoffnung. Wenigſtens mit heftigen Wün-
ſchen: war unſchuldig; nicht unſchuldiger als jetzt, dachte aber
alle Leute ſeien vernünftig, können es ſein. Ich war jung.
(Eben war Mad. Schloſſer hier; und ſtörte mich bei dem
Worte jung. Nun ſoll’s auch dabei bewenden.) Du Lieber.
[499] Wir gehen noch Einmal zuſammen vor dem Dachfenſter
vorbei! „Ach! wer ruft nicht ſo gern Unwiederbringliches an!“
— „Reich’ ich ihr doch kaum bis an die Schultern.“ Sagt
auch Goethe Einmal von der Erfüllung der Wünſche. Reiche
ich doch kaum dem Glück, in einer Verbindung wie die unſrige
zu leben, an die Schultern, und faſſe ſie wirklich nicht immer,
genieße ſie nur. Adieu, mein theuerſter Auguſt! Morgen
kommt ein Brief von dir! Grüße alle Geſchwiſter, Nichten und
Freunde. Deine R. Es iſt heute ſchönes Wetter. Adieu, adieu!


An Varnhagen, in Berlin.



Bald halb 11. Noch herrſcht Nebel, gegen Mittag wird wohl
die Sonne ſiegen; wie all dieſe Tage her. Das Wetter iſt
wie in Berlin.


Wenn ich dich nur beruhigen könnte, mein geliebter Freund,
über mich beruhigen! Wenigſtens erhältſt du meine Briefe, die
dir nicht die mindeſte Ungeduld zeigen, und es auch ſchon gut
finden wie du, daß du nur in Berlin warſt, und überhaupt
alle deine Anſichten gewiſſermaßen im voraus haben. Ich
bitte dich noch Einmal hier! dich in nichts zu übereilen; auch
auf der Herreiſe nicht; dort, wie du es nennſt, nichts ver-
wundet
zurückzulaſſen; und — in deine Anmahnungsſchrei-
ben nicht zu viel Salz zu ſtreuen. Ich weiß, ich kann dir
das Fach der Schreibekunſt in größter Sicherheit wie das des
Verhandlens überlaſſen, aber mein zaghafter Karakter läßt
doch ein Wort mit einfließen; welches du manchmal in meiner
32 *
[500] Gegenwart ohne Schaden zu deinem Salze wirfſt. Wenn
dieſer Brief kommt, hat die Sache ſchon ganz deine Wendung,
und ich brauche mir keine Vorwürfe zu machen. — Geſtern
im Nachmittag früh, geliebter Freund, bekam ich deinen Brief!
Was er auch ſonſt enthält, wenn ich ſehe, daß ich dir liebens-
würdig bin, daß du mich ſo nöthig haſt, ſo fühl’ ich mich
glücklich, und beſtärke mich in dem Beſtreben, immer und beſ-
ſer den Fund, einen ſolchen Freund zu beſitzen, recht zu ver-
dienen; — kurz, ich erwäge dann mein Schickſal, und muſtre
an mir ſelbſt. — Über Koreff ſchrieb ich dir neulich in der
Eil und in den erhitzten Nerven nicht; du glaubſt nicht, wie
mich das freut. Unendlich die Sache ſelbſt. — Wunde Ver-
hältniſſe ſchmerzen mich immerweg bis ſie heil ſind; und er
ſoll nicht denken, wir könnten reell ihm weh thun, ſchaden
wollen, oder dem Beſten in uns, bei ihm abtrünnig werden
wollen. Alles dies iſt es aber noch gar nicht allein, was mir
dabei ſo lieb iſt; ſondern es freut mich ganz überaus, daß
in ſeiner Seele ſo ſchönes, ſanftes, gereinigtes Gemüthswetter
iſt, wo ſchlechte Dunſtwolken weichen, gar keinen Stand fin-
den, weit abziehen müſſen, und dort eine reine leichte Sphäre,
für älles beſſere Gedeihen iſt. Dies iſt wahrhaft weiter ge-
kommen ſein; wenn unter gewiſſen Menſchen gar kein Ent-
zweien haften kann, und ſie nur immer bei den höchſten und
geiſtigſten Punkten ſich gewiß wiederfinden, wo alles Zufällige
und Geſchehene, was geſchehen kann, zurückbleibt. — Die
Stägemann’ſchen Gedichte haben mich unendlich ergötzt: nämlich
ich habe ſalzige häufige Thränen geweint. Göttliche Stellen,
und Bilder! Aber meine Lieblingsſtelle iſt: Messieurs les ma-
[501] réchaux! Blücher se met à cheval!
„Marſchälle Frankreichs
insgeſammt, der Blücher ſteigt auf’s Pferd.“ Du weißt, ich
bin nicht für Hohn, und kein Franzoſenfreſſer; aber eine glück-
lichere Stelle, eine einfachere, tief aus der Sache ſelbſt ge-
ſchöpfte, und darum ſo ſchwer zu ſchöpfende, kenn’ ich nicht.
Und daß Blücher auch ein Marſchall iſt; und nur Einer, und
ſie Alle gerufen, gewarnt werden; wunderſchön! Und der
Fels, der ſich wie ein Knie dem Strom entgegenſtellt; und
Schleſiens Schneehaupt oben, die ſchäumende Katzbach unten;
und unſer Gold, Eiſen. Kurz, ſolche Thränen! ich weine
jetzt. Grüß Stägemann.


Geſtern ſollte ich mit Frau de Ron die Räuber von Eß-
lair ſpielen ſehen, aber in die Komödie traut’ ich mich noch
nicht, auch ennuyiren mich die Räuber von je. Ich bin darin
genaturt wie Goethe. Mit Reſpekt zu ſagen! sans comparai-
son!
Gräfin Golz ließ mich nach dem Theater mit dem Wa-
gen holen, wo wir recht vergnügt waren, und Hr. von Ga-
gern von Italien erzählte: nämlich von lauter bekannten
Menſchen. Vormittag war ich weit ſpaziren: ſah was Adel-
heid Herz macht, ſie iſt noch nicht ganz beſſer: heute bin ich
bei Frau de Ron zum Thee. Ich liebe die Frau.


Nun Auguſtel! kommen ſcharfe Kommiſſionen, wovon die
erſte, die da genannt wird, ausgeführt werden muß. Es giebt
in der Flittnerſchen Apotheke in der Jägerſtraße ein Räucher-
pulver zu kauf: welches Königsräucherpulver heißt, davon
wünſcht Graf Golz für einen Dukaten zu haben. Dies bringſt
du in einer Schachtel in Stroh im Sitzkaſten mit. He? Ja!
die Gräfin wünſcht für ihr Leben! einen Sack von den klein-
[502] ſten Teltower Rüben: kannſt du das, ſo verbindeſt du mich:
auch im Sitzkaſten. Wir ſterben vor Appetit nach Berliner
Bier. Erkundige dich, ob man Fredersdorfer ſchicken kann,
und wie. Köchin Hanne beſorgt dies alles. Mir bringe eine
Bouteille Weißbier mit! Ich ſcherze. Wir ſagen uns aber
bei Golzens lauter Berliner Gerichte vor bis zur Ohnmacht
für Appetit; geſtern Morgen frühſtückten wir dort, Hirſe in
der Milch! Wir Frauen nämlich. Da ich dich nun ge-
ärgert habe, will ich dich auch amüſiren. Es amüſirt dich
doch gewiß, wenn ich dir ſage, daß ich nicht allein geſtern an
Tettenborn, ſondern auch an die Perſon ſchrieb, die „wir kürz-
lich ſahen,“ und ſo amüſant, ſo gelungen, daß ich des beſten
Eindrucks gewiß bin. —


Moritzen müßte mein Geſchrei über die Schröder entge-
genſtehen: dann wär’s aber nicht mehr zum Lachen; ihr hiel-
tet den Lärm nicht aus. Ich grüße Moritz; er goutirt ſie
gewiß noch: der Beifall, den ſie ärntet, macht mich ganz üp-
pig. — Wie freue ich mich dich zu ſehen! Ich umarme Er-
neſtine! Nicht wahr? „die Bürgſchaft“ (von der Schröder
deklamirt). Ich freue mich, daß die Schröder gut ausſieht!
Tauſend Grüße. Und an dich! Adieu!



— Ich bin da für, alle Ereigniſſe ſo gut im Großen, als
im Einzelnen, ſtill abzuwarten: und nur einzugreifen, wenn
ſie grad für unſere Abſichten reif ſind: nur dann ſind ſie ſüß,
und leicht zu pflücken; wie die Früchte. — Als ich die vorige
Seite, aber nicht meinen Perioden fertig hatte, wurde ich von
[503] einem fremden Grafen, und dann von der armen Jüdin ihrem
Onkel, der ſich zu bedanken kam für eine Verwendung, die
ihr Hoffnung ſchafft, geſtört, vorher ſchon von ihrem Geſchäfts-
mann. So geht’s dem, der ſich in alles miſcht. Aber ich finde,
wir ſind Alle eigentlich Gottes Statthalterchens hier, und ſo
ſchaff’ ich und treib’ ich mit nach meiner Einſicht. — Ich bin
noch von geſtern angegriffen; drum werd’ ich auch nichts von
Büchern, die ich leſe, nichts von Diskuſſionen mit Schlegel —
endlich über Religion, — ſchreiben; ich attakire keinen,
wenn er ſich auch nur hinter eine Religion wie hinter einen
Schirm ſtellte; auch laſſ’ ich mich lange necken; mit Einmal
aber, und ſo iſt’s immer, kommt meine ganze Meinung mir
unverhofft, und den Andern zu größerm Schrecken, als von
ſonſt Störriſchen, zum Vorſchein. So war’s auch hier; und
ſoll nun noch ganz anders kommen. Wir ſind aber beſſer
als jemals zuſammen.


An Roſe, im Haag.



Donnerstag Vormittag, nebliges Wetter; welches jetzt ſowohl
in Berlin, als allenthalben hier Mode wird. Sage Karln,
ich glaubte es wäre auf Anſtiften Rußlands, das den
Britten nichts mehr voraus laſſen will, und gehöre zu
ſeinem Kontinentalſyſtem.


Du ſieheſt, Roſine, ich bin noch immer hier. Du denkſt,
ich ärgere mich? Gar nicht. Ich nehme nur Antheil an Varn-
hagens Unruhe und Ungeduld; ich wußte es ja vorher, daß
[504] es ſo kommen würde. Ich kenne das Terrein zu gut; jeden
Einzelnen zu genau, alle Beſtandtheile, die das Ganze bilden.
Ich habe nun wohl an ſechs Briefe von Auguſt, die aber alle
nichts enthalten, als ſeine Sehnſucht, Ungeduld und Liebe,
daher erwarte ich ſie und leſe ich ſie mit dem höchſten In-
tereſſe. — Die Herren, mit denen er’s zu thun hat, ſprechen ſehr
gut und ſchmeichelhaft zu ihm: nur zögert die Beſtimmung,
die er erwartet, wie alles in der Welt, In meiner Weiſe die
Sache zu ſehen, hat ſich nichts geändert, als daß ich die Reiſe
ſelbſt an und für ſich günſtiger anzuſehen habe, als ich ſie
mir vor ihrem Geſchehen denken konnte. Auguſt iſt von allen
Seiten dort ganz außerordentlich aufgenommen; und man
zeigt ihm, daß man die vortheilhafteſte Meinung von ſeinen
Fähigkeiten hat; alte Freundſchaften werden wieder aufge-
friſcht, und Verhältniſſe zu künftigem Gebrauch in Gang ge-
ſetzt. Auch haben ſich die Geſchwiſter und die ganze Familie
unendlich mit ihm gefreut. Ich für meine Perſon bin ſo gerne
hier, als in Karlsruhe; dort iſt mir manches nicht recht, hier
ander manches; hier ſagt mir einiges zu; anderes dort. Wer
nicht behaglich und nach ſeiner Wahl leben kann, iſt wie un
malade qui s’agite dans son lit: il tâche de se mettre du côté
opposé, parce qu’il est trop incommodé de l’endroit où il
était posé, mais bientôt il sentira les mêmes douleurs, et s’agi-
tera de nouveau.
So ungefähr ſind wir Alle in der Welt
gelegt; nur in der Jugend glaubt man, daß es Lagen gäbe,
die gar nicht drücken; und darum, nicht weil man lebhafter
iſt, giebt man ſich ſo viel Bewegung los zu werden was uns
quált, und zu finden und haſchen was wir lieben müſſen, und
[505] was uns reizet. Doch bin ich ſehr zufrieden! und danke ſehr
Gott! Ich ſehe meiſt ein, welchen Schatz ich an Varnhagens
Liebe und Freundſchaft, und an dem Glück ſeines Umgangs
habe, den er mir aus Liebe, und Gott aus Gnade, und die
Welt aus Vorurtheil als rechtmäßig zugeſteht. Unſer Umgang
und Verhältniß ſänftigt und mäßigt, und bildet ſich immer
beſſer aus. Wir können uns alles ſagen und bilden uns zu-
ſammen ferner. Es iſt eine Schande und eine Sünde, daß
ich dich ſo lange auf dieſen Brief habe warten laſſen! aber
ich erwartete immer etwas Beſtimmtes aus Berlin: und hatte
ſo unendlich viel an Auguſt, ſeine Korreſpondenten und an
die ganze Berliner Familie, und hier für eine arme Perſon,
die im Gefängniß ſitzt, zu ſchreiben; welches ich eigentlich
wegen Nerven nie gut kann; nun hatte ich auch obenein mei-
nen Winterhuſten, war acht Tage zu Hauſe, der und dies
Einſitzen griffen mich ſo an, daß ich gar nicht ſchreiben konnte,
und doch viel ſchreiben mußte. Ein nervöſer Fieberzuſtand
hatte mich befallen: jetzt geh’ ich längſt wieder allerwärts hin
— eſſe jetzt Schmalzſtulle von Gänſen, welches ich mir von
einer Jüdin, die mir verkauft, ſchaffte. „Ohme Marékus!“
hat uns den 14. Oktober einen zärtlichen Brief geſchrieben;
dir und mir, den ich erſt jetzt von Karlsruhe erhielt. Lebe
wohl! Grüße all die Deinigen, ich umarme dich und Karl.
Lies ihm nicht alles. Nichts von Berlin. Deine R. Ich weiß
nicht, welchen Tag die Poſt nach dem Haag geht!


Dore grüßt ſehr: wir ſprechen alle Tage von dir und daß
du den Sommer kommſt. Adieu, liebe Roſe!


Du kannſt den Brief immer leſen laſſen. Ich irrte mich
[506] nur. Cher Charles, ayez soin que les lettres d’Alba et de Phi-
lippe II soient publiées, ne l’oubliez-pas!!! J’attends tou-
jours Varnh.; ses lettres sont toujours les mêmes.


An Varnhagen, in Berlin.



Nebel, der ſchon von der Sonne durchdrungen wird; ko-
thig, nicht kaltes Wetter.


Obgleich man mir geſtern Abend ſagte, der Staatskanz-
ler reiſe nun ſelbſt den 15., alſo morgen, ſo glaub’ ich doch
nichts gewiß; weder an den zu ſeiner Reiſe beſtimmten Tag,
noch daß alsdann du unfehlbar auch kommen müßteſt, wenn
er reiſet; und ſchreibe noch Einmal. Ich fange damit an,
daß ich deinen Brief vom 4. erſt geſtern erhielt!! Auch muß
ich fragen, ob du den von mir bekommen haſt, wo einer für
die Schröder drin lag, und ein Billet für Fanny und Hann-
chen, und eins für Erneſtine; und ob Moritz meinen großen
Brief erhalten hat, den ich ihm gleich zur Antwort ſchickte;
und ob mir niemand antworten wollte; nicht Einmal anzei-
gen, ob meine Briefe angekommen ſind? Hätte ich mich doch
getraut mir die Nacht zu verderben, und hätte dir gleich ge-
ſtern Abend aus dem Herzen geantwortet, wie es von deinem
Brief bewegt war: lieber Auguſt! Wie arm aber iſt die
Welt, wie ſtumpf die Menſchen und faul im Aufregen ihrer
ſelbſt, wenn ich ſo viel gelten ſoll? Erſt neulich ſagt’ ich im
haſtigen Reden zu Scholz: „Ja, ich habe viel Verſtand; aber
[507] ich merke es nur an der Andern große Dummheit; es däucht
mir eigentlich nicht!“ Bei dem Wort Verſtand unterbrach
er mich mit den Worten: Sie dürfen auch das nur ſagen.
Du aber, mein eingenommener, ehrlicher, ehrlich weil du ein-
genommen ſein kannſt — Auguſt, glaub den Andern nicht,
wenn ſie mich loben: im Augenblick müſſen ſie ſich mich wohl
gefallen laſſen — Schlegel ſagt, ich verſtünde manches nicht:
nämlich Brüderſchaften, als Freimäurer, und dergleichen Ge-
treibe, weil ich ſo éminemment eine Perſon wäre — wenn du
mich grade, und all meine Perſönlichkeiten erwähnſt; aber ſie
lieben mich gar nicht: ich entgehe ihnen ganz: ich bin ihnen
durch Güte, und Überſicht ihrer, und nur ſo hinzunehmenden
deutlichen Vortrag, durch Freundlichkeit und Prätenſionsloſig-
keit zu bequem; und gar nicht wie da! Werden Sie mich
aber gewahr, ſo haſſen ſie mich ehr. Ein Wahrhaftiger, iſt
faſt ſo verhaßt, als Wahr heiten: ſo lange ich mit meinem
Generaliſiren ihnen Belege für ihre Wünſche, kleine Leiden-
ſchaften, und Geſchichten gebe, iſt es ihnen recht; und ſie mei-
nen, ſie hätten die Gründe der Rechtmäßigkeit dazu mit den
Begierden, ſo obenein gefunden; widerſprechen ihnen einmal
dieſe Gründe, ſo bin ich ihnen fatal, als unbequemer Rebell,
der ungebeten auch da iſt. Glaub mir; ich ſchmeichle mir
nicht; und darum ſeh’ ich ſie durch. Harſcher z. B. hält jetzt
Stücke auf mich. Weil ich ihm ganz als Abſtraktum durch
Briefſtellen, und dein Reden, dein Bezeugniß, dein glücklich
leben mit mir, gegenwärtig werde; und wie er mit mir lebte,
war er ſchlaff genug, mir Begueulen vorzuziehen. Geſchöpfe,
die ſich keine Rechenſchaft über ſich ſelbſt zu geben vermögen.
[508] kein promptes Gefühl haben, hartherziger ſind, als ich, die
eitel ſind: und aus dieſer Eitelkeit nach Lob und Beifall ſtre-
ben und handeln, die ihnen gezollt werden. Ganz gut. Nur
bleibe man dabei: und ſchwelge nicht an zwei Taflen. Al-
moſen kann man von meiner haben. Die Beſchreibung, die
ich hier von meinem Effekt mache, wiederholt ſich nun mein
ganzes Leben durch, durch alle Nüancen, die bei einem jeden
Verhältniß zu Menſchen aus dieſen hervorgerufen werden,
aber immer nach derſelben Regel. Die Regel hier, bin ich:
die ſich längſt einſieht, aber gar nicht ändern kann. Es mag
Andern auch ſo gehen; aber noch niemals fand ich jemand,
der mich ganz überſah, ganz meine Konſtitution und meine
Seele verſtand, jedes Einzelne, die widerſinnigſten Äußerun-
gen aus dem Ganzen; ſonſt müßte es ſich ändern, und ich
würde eine andere Regel. Du nimmſt mich mit Liebe auf im
Ganzen, und verſtehſt mich, und gleich iſt es anders. — Was
Herr von Zerboni mit dem treffenden Wort meinen kann, das
ich ſoll geſagt haben, und das einen ganzen Menſchen unwi-
derſprechlich bezeichnen ſoll, weiß ich wirklich nicht: beſonders
aber weil es ihm Herr von St. ſoll erzählt haben. Dem er-
innre ich mich nicht etwas geſagt zu haben; ſonſt ſage ich
dergleichen grade ſehr viel; „in dem Fach bin ich ein Igno-
rant“, und Gentz wollte darüber vor achtzehn Jahren ſchon
verzweiflen; wenn ich ihm mit Einem Wort Menſchen vor-
hielt, die er alle Tage in den großen Häuſern ſah, und nicht
kannte. —


— Sei du aber nur ganz ruhig; und boße dich nicht!
Denke auch nicht, anderswo ſei’s beſſer; noch ärger. Die
[509] Länder befinden ſich nicht wohl, es iſt ihnen übel, und ſie
nehmen immer noch mehr Süßigkeiten, und leben in der alten
Unordnung bis das Erbrechen eintreten wird; ein gräßlicher
Krampf, abſcheuliche Operation: Viele werden doch der letzten
Anregung dazu alle Schuld beimeſſen. Wie man zu einem
Kranken ſagt; warum dreht er ſich auch um, davon kam der
ganze Anfall wieder. Wenn ich die Konvulſion vermeiden
kann, will ich’s thun, da ich die ſchlechte Diät kenne. Sei
geduldig, liebe Guſte! Wir wollen’s zuſammen tragen.
Man kriegt nichts auf dieſer Welt: jeder ſein Schickſal und
damit gut. Frau von Wolzogen begegnete mir geſtern, ſie iſt
ſchon vierzehn Tage hier, ſagt ſie. Mein Huſten iſt längſt
beſſer, von Wein?! Du Häßlicher! warum machſt du Fanny
weinen? Gleich küſſ’ ihr die Hand! Ferdinands Locke freut
mich, ſie macht mir eine Idee vom ganzen Jungen. Ich danke
dir für alle deine Beſorgungen und Nachrichten! —


Was iſt das? Charlotte von England iſt todt? unan-
genehm. Ich erſchrak mich. Im Wochenbett ſterben iſt ſo
häßlich. Die arme Mutter. Adieu, adieu!



Eben ſolches Wetter, nur trüber. Geſtern das ſchönere
Wetter machte uns Allen und mir viel Kopfweh: doch war
ich den Abend noch aus, bei meinen ewigen Schlegel’s. Der
Prinzeſſin Charlotte Tod erregt hier alles! Schlegel z. B.
ſagte mir geſtern auf dem Spazirgang, wo er eigenſt bei mir
zurückblieb; erſt, was ich ſage? ich ſagte nichts beinah; und
dann, daß nun Hannover an England bleiben würde, welches
[510] doch gewiſſermaßen nicht gut wäre; und dann: „Immer
wenn jetzt ſo etwas Unerwartetes geſchieht, als ein Sterbe-
fall, oder dergleichen, ſo bin ich ganz geſpannt, dann denk’
ich immer, nun“ — er ſtockte, — ſo müſſe es losplatzen?
ſagte ich; ja! ſagte er lachend, erhitzt, und occupirt. Mein
Guter! du wirſt noch ſehen..! den kenne ich nun ganz. Es
war ein wahres Studiren für mich die Zeit her: wie in einer
Bibliothek war ich hier eingeſperrt; aber ich las. — Ich
dank’ dir ſehr für Schleiermachers amtlichen Synodenbericht.
Schade! daß er wie mit den verdrehten, noch nicht ganz aus
ihrer Knospe gebrochenen Phraſen der Wiſſenſchaft, und nicht
mehr klarer Leichtigkeit geſchrieben iſt! Der Ton, die Kürze
überhaupt darin, das virtuoſiſche Auftreten, als gelehrteſter
Kompetent zwiſchen dieſem nichtigen Gewebe von Streitpunk-
ten, findet großen Anhang und Applaus in meiner Seele!
So gelehrt, und karakter-tüchtig, müßten Regenten ſich vor
die Beſchlüſſe zu ſtellen wiſſen, die Einmal das Reſultat ihrer
Überlegungen ſind!! Wie leicht ſchließt ſich die große
Maſſe, die nicht Überlegenden aller Klaſſen, an ſo beſtimmte
Beſchlüſſe, Verordnungen, und Thaten. Sie wollen gar
nichts anderes, und bedürfen nichts anderes. Es frommt ihnen
nichts anderes. Du ahndeſt auch noch nicht, wen ich alles
der großen Maſſe beiſtelle!!! Ein Funken von einem Re-
genten, ſitzt auch in mir: und das iſt in meinem Geiſte: die
Überzeugung, die ich hier eben ausſprach. Bravo! Schleier-
macher! Wie abgemacht ſprach er von den Ceremonien, ohne
ſie zu nennen! Bravo! wie klar und kurz von der Polemik
der ältern Reformirten, die ſich in der Behandlungsweiſe des
[511] Abendmahls ausſprach. Wie erſchöpfend für Ungelehrte; wie
unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar-
über auswendig wüßten! Edle Philoſophie! Beurtheilerin,
Ordnerin aller menſchlichen und geiſtigen Angelegenheiten. Ein
richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, iſt ein Tag der
Sonne für ganze Welttheile. Dieſen Ausruf preſſen mir die
Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen ſtär-
ken muß: von Solger las ich philoſophiſche Geſpräche! —
Schlegel lobte ſie mir an. Mündlich davon. Von Frau von
Woltmann, lieber Auguſt, haſt du mir nicht hart, nur in
Kürze geſchrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte,
als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die
Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt
ihnen beſſer. Jetzt müßt’ ich mir dies Verfahren erſt anſtudi-
ren; und öfters nehm’ ich’s mir vor. Denn wirklich die, die
ſich vorſetzlich verſtocken, ſollten gar nicht glimpf behandelt
werden. Und Deutſchland hat jetzt eine ganze Klaſſe ſolcher,
wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden-
burg, nennen die alte Henne ſo. Jeder, der nur Einmal ſeine
Überzeugung in ſich zum Schweigen bringt: oder Einmal
einem Andern nur nachſpricht, und ſie gar nicht zu Worte
kommen läßt; iſt unrein, geiſtlos, zu allem Schlechten fähig;
denn die Möglichkeit und der Anfang iſt da! In mir ſind
ſolche von je ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber
hab’ ich die eine Seite, das Nachgeben, und die Nachſicht
geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb-
ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich ſie hervorſuchen. Will,
[512] will! — — Ich mußte zu viel dumm Religiöſes, Lügenhaftes,
zu viel boshafte Angriffe die Zeit her hören! —


Seit Montag iſt Wangenheim hier: in Mandelslohe’s
Stelle, welcher mit einer ziemlichen Penſion und einem ſchmeich-
lichen Judasbrief ſeinen völligen Abſchied hat: er geht auf
eine kleine Beſitzung im Hannöverſchen. Alle Miniſter ſind
empört wegen dem ſchnellen Wechſel, und ſpieglen ſich in dem
Schickſal. Andre ſagen, der Bund wäre das Ungnaden-Exil:
W. ſei man wegen der Stände hier nur los geworden. Cotta
iſt auch geadelt; und reiſt nach Sicilien. Das ſieht man eben
ſo an. Ein altrömiſches Exil. Lebe wohl, lieber theurer Au-
guſt! Wenn ich nur morgen wie die andern Leute Briefe
bekäme! Deine R. Nun geh’ ich zu Frau von Wolzogen. —


An Friedrich von Schlegel, in Frankfurt a. M.



Ich bitte Sie gar ſehr, lieber Schlegel, vergeſſen Sie
nicht nach dem Mädchen von Orleans zu ſchicken! Ich wünſche
ſehr, auch Ihnen dafür noch dankbar zu werden, wie ich
Ihnen für die hier zurückkommenden Zeitungen und Solger
danke. „Er iſt klar, ſagten Sie, aber nicht im Klaren.“
Nun, da ich ihn ganz geleſen habe, ſehe ich dies erſt recht
deutlich ein: es heißt doch eigentlich, er zeigt uns klar, daß
er nicht im Klaren iſt. (Ich bin gar nicht betreten, ihn ſo
keck zu beurtheilen; die Urſache ſpäter.) Eins aber verdank’
ich ihm, bei vielem andern Vergnügen, ganz beſonders; ich
hatte
[513] hatte nämlich ſchon längſt eine Ahndung, daß Nichts auch
wohl Etwas ſein könne; und in dieſer hat er mich ſehr
ſcharfſinnig beſtärkt. Warum der aber Fichte’n ſo abthuend
behandelt, iſt mir ein Räthſel; da er, nur mit andern Wor-
ten, ein ganz ordentlicher Fichtianer iſt? Von ſeinem Sprunge,
den er nach der Erklärung des Nichts oder der Welt thut,
nicht zu ſprechen, wo er auch dann Fichte ganz verläßt.
Meine Keckheit aber, über dieſe Dialogues — wie Sie mir
nachſprechen — hab’ ich mir aus ihnen ſelbſt entſchuldigt: er
wird doch nicht mehr Reſpekt verlangen, als er Fichte’n be-
zeigt! Sie ſehen nun, was mich in dieſem Buche verdroß,
und freute. Wenn Sie aber künftig noch ſo gnädig im Bü-
cherleihen für mich geſinnt ſein könnten, ſo verſprech’ ich Ih-
nen, nie wieder ein ſchriftlich oder mündlich Wort darüber
zu ſagen. —


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Morgens, naſſes Schneewetter.


Alles kann ſich unverhofft ändern, das Unvorhergeſehenſte
ereignen, aus recht Schlechtem grad Gutes entſtehen; ſo denk’
ich ſchon lange, wenn mich Unglück krümmt; weil es mir ſchon
oft ſo geſchehen iſt. Und was ich mir ſelbſt ſage, weiß ich auch
nur meinen Freunden zu ſagen. Es iſt unerhört, daß man
nie fertig wird, nie ſicher iſt. Alle Tage muß man kämpfen,
einen nach dem andren herunter kämpfen. Und das — für
kleine Viertelſtunden, wo man vorgiebt zu leben; denn ganz
II. 33
[514] wie man’s möchte iſt es doch auch nie. Ich ſagte mit Be-
dacht: vorgiebt zu leben; man würde doch eigentlich gering
leben, und für ſeine eigene Perſon zufrieden ſein; denn wenig
ſchluckt man eigentlich herunter, wenig gehört zu einem be-
quemen Lager, warmen Kleid, reiner Behauſung. Aber um
die Viertelſtunden Schein thut man alles; und der Fluch geht
ſo weit, daß er an des Einzelnen Eitelkeit gar nicht allein
liegt; es hülfe nichts, ſie in uns beſiegt zu haben: erließen
wir uns den Schein, ſo würden wir von allen Andern gleich
ganz, unter unſre Realität herabgeſetzt, und uns nicht mehr
zugeſtanden in dem Kreis zu leben, wo Bildung und alle
Eitelkeit zuſammen herrſchen, leben und weben. Dem allen
zu entſagen, heiſcht einen wahren Heldenmuth, und nicht nur
eine Abnegation von Eitelkeit, Scheinenwollen und Wett-
drängen! So macht man alle Laſter mit, ohne laſterhaft zu
ſein: wie arme Kranke in Peſtluft: ſie waren geſund; aber
Heilmittel ſind ſie nicht! Ich fände unſern Menſchenzuſtand
alle Tage elender, wenn ich nicht bis auf den tiefſten Grund
deſſelben längſt gekommen wäre, und auch ſchon oft vermeint
hätte alle Variationen darüber erſchöpft zu haben: die aber
gehen in’s Unendliche! Das iſt unſer Unendliches. So un-
verhofft es aber iſt, daß, anſtatt Sie nun zu einer beſtimmten
Zeit zu mir kommen ſollten, grad dieſe längſt vergrabene Krüm-
mung ausbricht; eben ſo kann eine Hülfe kommen; oder eine
Veränderung, die ihr Gutes hat. Das glaub’ ich feſt. —


— Dies alles ſind nur die Notizen, die mir am ſchnell-
ſten einfallen wollen. Hier wird man jetzt lebenslänglich en-
gagirt: und Weixelbaums ſind jetzt ein ſolches ſehr vortheil-
[515] haftes Engagement eingegangen. Wie iſt denn das mit der
Klauſel in dem Ihrigen, Advokate? — Von Erhabenheit und
Freundſchaft iſt hier nicht die Rede. Kann Ihnen die ver-
wittwete Königin nicht günſtig ſein? die ſo ſehr des ſeligen
Gemahls Wahl, Neigung, Geſchmack, und Verordnung, und
Willensmeinung reſpektirt? — Außerdem, was haben Sie
ſich viel daraus zu machen, mit Ihrem Talent! Sie können
ja plötzlich ein anderes Rollenfach nehmen, und mit dem
glänzendſten Succeß, ohne Ihr jetziges förmlich aufzugeben;
an dergleichen dacht’ ich längſt. Und Freunde haben Sie ja
auch weit und breit; und hier ganz nah. Um Ihnen das noch
recht zu bezeigen, ſchreib’ ich Ihnen gleich, theure Freundin!
und, Sie kennen meine geſchwinde, heftige Art, um auszu-
ſprechen, was ich im Herzen trage. Denken Sie an Prag!
an den Krieg! an die damalige Abreiſe und Trennung: wie
doch noch Wien und alles andere kam. Ganz frei wird man
nie. In jedem Fall bin ich Ihnen nah, und wir ſehen uns
bald. Varnhagen nimmt den größten Antheil; machte alle
Pläne gleich mit mir. — Schreiben Sie nur in wenigen Wor-
ten den weitern Verlauf. — Alle Freunde grüßen. —


An Moritz und Erneſtine Robert, in Berlin.



Sonnabend Vormittag 11 Uhr. Mollenguß mit Wind;
wie alle Tage her periodiſch, um dieſe Zeit, und Abends
gegen 10 bis in die Nacht hinein.


O! wie elend iſt ein Windhund, den immer friert! Nun
kenn’ ich ſeinen Zuſtand: ſeit es ſo mildes November- und
33 *
[516] December-Wetter iſt, hat meine Geſundheit die Wendung
genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der
Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der
unendlichen, willkürlichen Natur auch ein ſolches, welchem
immer zu warm iſt, mag auch ausſtehen! dieſen Schauder
mußt’ ich von der Seele ſprechen eh’ ich nur irgend deinen
oder Erneſtinens Brief, zum Beantworten nur wieder anſehen
kann, wenn ſie auch ſchon neben mir liegen; über meinen kör-
perlichen Zuſtand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder
Zuſtoßen der kleinen Tages-Ereigniſſe kann ich nicht weg, —
außer um zu dienen oder zu leiſten; und dann verſchließe ich
meine Verzweiflung nur um ſo tiefer: und man hat auch von
mir nichts, als den Dienſt etwa, — und mein ganzer Brief zeigt
in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt’
ich, um wo möglich mich zu entſchuldigen, lieber ſeinen Text
oder Kanevas oben aufſetzen. Was du von Roberts Stück
ſagſt, muß ich für grundwahr halten, weil ich es ſchon in der
Anlage ganz ſo fand, und ihm ſagte. Mit mindeſtem Erfolg.
Es hat ſchöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein-
greift, weil es aus einer Mitte genommen iſt. Daß es dir
gefällt, iſt mir lieber als Tauſend ihr Beifall. Weil wir
beide Publikum ſind, vermöge der entſetzlichen Ennui- und
Amüſir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. — Es iſt göttlich daß der
alte K. auf’s Land ging um der Hochzeit ſeiner Enkelin nicht
beizuwohnen: wie Fürſten, die doch gute Väter ſind, wenn
eine Meſalliance geſchieht: ſehen wollen ſie es nicht: und
möglich ſoll es nicht ſein, in ihrer Gegenwart wider ihren
[517] Reſpekt und Grundſätze zu handlen. So nehmen Leute, die
keine haben, ihre Religionsmeinungen. — Nun Sie, liebes
Erneſtinchen, und da weiß ich noch auswendig, fallen Schelte
für Moritz vor. — Moritz eignet ſich alſo das Vorleſen zu?
auch ſchon falſch! wenn ein Brief ausdrücklich an Sie iſt;
oder auch nur ein Blatt. Was Tinte und Feder betrifft,
wollen immer die Männer machen, als gehörte das ausſchließ-
lich ihnen: weil ihre Geſchäfte in dieſen Materialien vor-
gehen: und nur ihr Schreiben und Leſen iſt ein Geſchäft, drück-
ken ſie in Handlungen und Benehmen aus. Was geſchehen
ſoll und muß, iſt eins: was einem wichtig iſt. Sie haben
einen ſchönen Sinn! dem ich allerdings zutraue, daß ich Sie
in’s Geſicht hinein loben kann. Lob’ ich mich doch wohl frei
und frank ſelber laut; es thut mir doch nichts. „Sie bilden
ſich gewiß nichts darauf ein.“ Weil Sie ſich überhaupt nichts
einbilden: Wahrhaft, redlich und unſchuldig ſind: und da-
rum lieb’ ich Sie. Der Menſch braucht nichts als das zu
ſein, und er mag, ohne dies, alle guten Eigenſchaften haben,
ſo kann er ſie doch nicht gebrauchen. Gebrauchen, ein Menſch
zu ſein. Ich erlaſſe alle übrigen: dieſe nie: und bin völlig
überzeugt, ohne dieſe, mit allen Gaben, mit jeder: iſt man
kein Autor, kein Dichter, kein Künſtler, kein Philoſoph, kein
Freund, keine Mutter, keine Schweſter, kein angenehmer Ge-
ſellſchafter, kein wirklicher Geſchäftsmann, kein Regent. Mit
dieſen, immer liebewerth. Nun iſt’s drei Viertel. Adieu,
liebes Erneſtinchen, unterdeß, bis Morgen. — —


[518]

Alſo bis heute lag dieſes Ungeheuer von Brief ſtill —
ich hab’ ihn eben geleſen, und habe einen Abſcheu vor ihm:
aber abgehen ſoll er doch: denn in acht Tagen hätte ich ge-
wiß vor einem heute neugeſchriebenen denſelben Gräuel. Ein
anderer Menſch kann mir mit ſeinen Äußerungen nicht frem-
der ſein, als mir meine eigenen Stimmungen, wenn ſie ein-
mal vorbei ſind. Verſtehen thu’ ich aber den Andern und
mich ſehr gut. Ich ekle mich auch hauptſächlich nur vor mei-
nem rohen, und noch mehr ungewandten, ungeſchlachten Aus-
druck, ich — die ich ſo viel Geſchmack habe! aber gar kein
Geſchick; — und lebte weiter, ohne Pflege, als ob er das
ſchönſte Manuſkript wäre. — Machen Sie ja fleißig Muſik,
Liebſte, ſonſt verlieren Sie Ihr ſchönes Talent, den großen
Lebensſchmuck! — wie ich meines!!! Sie ſchreiben mir von
Muſik. Ich habe Ihren Brief vor mir. — Moritz, ärgere
Erneſtine nicht ſo! das ſag’ ich dir, es wird dir leid thun!
das hilft gar nicht, daß du ſie doch lieb haſt, und ihr ein
andermal ſchmeichelſt. Sie muß ganz ihre Freiheit haben.
Thun was ſie für gut findet. Du ſchreiſt ſie nicht an, wenn
Luiſe ſie einladet, du giebſt auf ſolche Einladungen nicht
Antwort, ſondern ſie ganz allein. Vergiß nicht, daß man
gar keine Sache und keinen Zuſtand findet, an welchem nichts
auszuſetzen wäre, daß man unaufhörlich alles und die An-
dern nur erträgt: und du auch nur ſo ertragen par com-
pensation
biſt. Wenn ſie allein zu Hauſe bleibt, iſt es dir
auch nicht recht: das kenn ich alles! genug wenn ſie dich
nicht geniren will, nicht Herr deiner Zeit ſein will. Mache
[519] ihr grade in Kleinigkeiten das Leben lieb: das ſind grade die
unbenannten Hauptſachen. Machen Sie ſich ſo viel Plaiſir,
als Sie können, Erneſtinchen, einer ſo ſittlich lieben Tochter
kann man ſchon ſo zureden. Ich bleibe einmal Ihr Stangen-
halter. — Adieu Kinder, ich ſehne mich ſehr, und ſehr oft,
bei allen Gelegenheiten, nach euch, bald nach Einem bald
nach dem Andern, nach ſeinen Gelegenheiten. Küſſen Sie den
blonden Ferdinand.


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



— Sehen Sie, daß es nicht ſo blieb? Nur kein kleines,
verknittertes Schickſal, welches ſo ſeinen Gang ohne Titel und
Namen geht; das wird man nie los: wenn es uns aber ſo
Einmal derb um eine Ecke herumſchleudert, und man nur den
Stoß fühlt, und gar nicht weiß wo man hinkommen kann:
ſo iſt jenſeits wieder Welt und Ereigniß; und liegen wir ja
da, ſo iſt’s ein namentlicher Unglücksfall; das Volk läuft zu-
ſammen und hilft.


— Ich bin trocken, und daher verdrießlich in der Seele;
mich melirt nichts auf, — wie der Herzog von Weimar ſagt. —
Es iſt viel drüber zu ſagen, drum muß ich ſchweigen. „Mit
mir iſt’s aus, mit mir hat’s ein End, Huſar muß ich werden
im Leibregiment!“ hört’ ich Einmal, in weſtphäliſchen Zeiten,
in rührender, luſtiger Melodie einen Rekruten in Magdeburg
ſingen. Die Sonne ſchien hell auf ihn, in einem gedrängten
[520] kleinen Gäßchen, wo auch ich mit dem Reiſewagen lang hal-
ten mußte. Ich war aus Verzweiflung aus Berlin gereiſt,
um das Ausziehen aus der Jägerſtraße, und von meiner Mutter,
nicht zu erleben. Der junge Rekrute mag längſt todt ſein;
Lavendel in Spanien auf ihm blühen. Von mir kann man
Sprüche pflücken, die nicht duften, nicht nähren. Sie ſehen
meine Stimmung! —



Im Herbſt 1817 ſaß ich Abends mit Frau von Schlegel
ſchon bei Lichte; wir hatten viel hin und her geſprochen, über
das Drückende von den Mänglen der menſchlichen Geſellſchaft
überhaupt, kamen zuletzt darauf, wie das nicht einzeln zu
ändern ſei, und wie nur eine große Veränderung ſchaffen
könnte was ſo ſehr nöthig, und abſchaffen was ſo ſehr un-
leidlich ſei: ſo berührten wir auch die verſchiedenen Zuſtände
der Menſchen ſchon von Natur aus, und den großen allge-
meinen Zuſtand, in welchem ſie ſich in dieſer Welt befänden:
gebrauchten aber in der Heftigkeit des Redens mehrmals das
Wort Stände, obgleich von ihnen nicht die Rede war: indem
wir dies thaten, trat Schlegel, nach einem Mittagsmahl, mun-
ter, und angeröthet, in das Zimmer: drehte, ſo zu ſagen, die
Ohren nach uns hin, wollte gern plötzlich wiſſen, worüber ſeine
Frau ſo angeregt und feurig ſprach; und als er von ungefähr
ein paarmal Stände, anſtatt Zuſtände, hörte; ſagte er halb
ennuyirt, halb komiſch, und luſtig wahrhaft, indem er ſich
tief in einen großen Armſeſſel plumpſte: „Ei was! Es giebt
gar keine Stände; außer zwei: Prieſter und Laien!“ — Höchſt
[521] wahr aus einem größten Geſichtspunkt; und eine Wahrheit
aus der Tiefe ſeiner Meinung.


An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Paris.



Freitag. Helles ungeſundes, halb rauhes Frühlingswetter.


Schon ſeit dem letzten Mittwoch, theure und ſehr geehrte
Freundin, will ich Ihnen nun beſtimmt ſchreiben; dieſen Tag
war es, wo ich den hier für Sie einliegenden Brief erhielt.
Ich war aber nur eben auf ein paar Stunden von einem
harten katarrhaliſch-nervöſen Anfall aus meinem Bette erſtan-
den, und grade zum Schreiben durchaus unfähig: doch mochte
ich dieſen Brief mit einer bloßen Aufſchrift an Sie nicht allein
reiſen laſſen. Heute nun wanke ich menſchlicher in meinem
Zimmer umher, und obgleich ich noch ſchwer und mit Nach-
theil ſchreibe, ſo will ich Ihnen Ihren Brief nicht länger vor-
enthalten, da es mir ſcheint es ſei ein Geſchäftsbrief. Die
einzig noch erträglichen, und einzig intereſſanten, wenn ſie
auch meiſt nur Unangenehmes enthalten. Denn, was ſoll man
noch viel ſalbadern, und hin und her fechten mit Worten,
Maximen. Meinen, Dafürhalten, und winzigen Reſultätchen,
Reglen, die ſich nur durch Ausnahmen winden, und ſich und
Andern bezeugen, daß es einem am Beſten, an Genuß fehlt:
an dem, was unſere Natur imperios kategoriſch nicht aufhört
zu fordern; die äußern Sinne und der innre fordert. Men-
ſchen von gründlichem Gemüthe — deren alle Vierteltages-
ſtunden im Zuſammenhange aus dieſem Gemüthe heraus blei-
[522] ben, und die ſich nicht begnügen können, wenn ſie, oder was
ſie betrifft, nur für Andere ſcheinen — machen alle
bankrutt
, wenn ſie nicht früh ihre Einſichten zu einer Ein-
ſicht zuſammenbilden können, und nach einem wohlgezimmer-
ten Plane zu einem vorgeſetzten wirklichen Ziele ſehr hinarbei-
ten: ſich nicht an einzelnen Vorfällen für Herz und Geiſt wie-
derholend und kindiſch ausſtören laſſen. Zu dieſer Einſicht
komme ich zu ſpät: und mein Karakter und meine Geſundheit
ſind dazu zu verweicht. Ein beſtimmtes Talent, irgend etwas
zu bilden, außer meiner Einſicht, hab’ ich auch nicht; alſo ge-
ziemt mir Schweigen. Nun bin ich noch ſehr amüſabel, aber
mir fehlen die Geſellen! z. E. hier; ich habe nicht Eine intime
noch familiäre Frau. Keinen aufkeimenden Menſchen, an dem
ich Freude und Beſchäftigung fände: keine geſellſchaftliche Rei-
bung, die meine Aufmerkſamkeit in Anſpruch nähme; keinen
großſtädtiſchen Lärm, dem man nur zuzuſehen braucht; nichts
fremdes Neues: kein Regen, kein Verkehr der Kunſt! durchaus
kein Verſtehen. Dabei leb’ ich in beinah ſteter Berührung der
hieſigen Geſellſchaft, wo es ungefähr und äußerlich ſo getrie-
ben wird, wie in allen europäiſchen Geſellſchaften. Thee,
Ball, bal masqué; Diné; Komödie; Aſſemblee, Ambitionen,
Florkleider, Kleinlichkeit ꝛc. völliger Mangel, an Witz, Sinn,
Scherz, und Tiefſinn und Tiefherz. Darunter ich — mit allen
meinen Erinnerungen. — Und — in Furcht, wegzukommen,
weil ich jeden Ort fürchte mit ſeinen neuen Unbequemlich-
keiten, und die lokale Landeslage unendlich liebe. Bis im
September — Endes — war ich bei meiner Schweſter in
Brüſſel, die ich beglückte und mich mit: ob ich da, und in
[523] Aachen, und in Tirlemont, und in all den Orten an Sie
denken mußte, dachte, von Ihnen ſprach, wiſſen Sie. Aachen
iſt ein heiterer ſchöner Ort geworden; Brüſſel eine engliſche
Kolonie. Auch Lüttich hat ſich in Anſehen und Reinlichkeit
ſehr verbeſſert. Den Oktober und November wartete ich in
Frankfurt auf Varnhagen, der in Berlin war. Vor drei Wo-
chen kam einen Morgen plötzlich im Durchflug auf eine Stunde
Ihr Neffe Archibald zu mir, wir freuten uns unendlich
beide. Er iſt derb, brav, tapfer, und ſo grund-natürlich, daß
er dies alles von ſich nicht weiß. Unausſprechlich kräftig und
natürlich fand ich ihn: wie jetzt ſo leicht keiner bleibt; der
Aufenthalt in Frankreich hat ihm dazu wohlgethan, vielem
Dünkel und Wortqualm iſt er dadurch entgangen. Er kam
aus Stenay, wo er unter General Zieten ſteht. Er wollte
quer durch nach Böhmen, nach Schleſien, zu ſeiner Schweſter,
zu ſeiner Frau nach Danzig, ob ſie mit nach Stenay will,
wo er den 27. d. wieder ſein muß. Er fragte mich raſch und
viel nach ſeiner Tante: ich ſollte ſie grüßen, und ihr ſagen,
er ſchleppe ſich mit einer Summe umher, die er ihr abzuge-
ben habe, ohne zu wiſſen wo ſie iſt. Nun weiß er’s. Auch
General Tettenborn freute ſich in dem kurzen Morgen ſehr
mit ihm. Von Archibald freute mich, daß ſein Herz Ge-
dächtniß hat! beſſeres, als das berühmte von
* *.
Er äußerte derbe Freude, mich und Robert zu ſehen, und ſuchte
mich ſchon dieſen Sommer hier im Durchreiſen bei Tettenborn.
Was macht der Onkel? was Angelika? Empfehlen Sie mich
ihnen. Schreiben Sie mir, theure Gräfin! und alles von Ih-
nen und Paris! Landſtände, Pairskammern, Preßfreiheit, en-
[524] nuyirt mich bis zur Krankheit. Manches ſollte längſt faulen;
anderes längſt geboren und erzogen ſein! Ihre treue Fr. V.
— Lernen Sie par hazard eine Prinzeſſin Vaudémont kennen?
Dort würden Sie eine Freundin von mir, Gräfin Cuſtine, geb.
Sabran ſehen, die ich ſehr liebe. Sie liebten ſie auch. Adieu. —


An Roſe, im Haag.



Ziemlich helles, ziemlich gutes Wetter.


Endlich antworte ich dir wieder einmal, mein theures Rös-
chen! Aber die Veranlaſſung zur heutigen Antwort, ſoll ehr
kommen, als ſie ſelbſt. Scholz, unſer alter Scholz, der jetzt
Miniſter-Reſident in Frankfurt am Main iſt, wird in ſehr
kurzer Zeit, in ſeinen Geſchäften, nach Amſterdam reiſen, und
von dort aus ſeinen alten Freund Falck im Haag beſuchen;
und euch ſehen. Ich hab’ ihm verſprochen, ihn dir und Karl
noch vorher zu empfehlen. — Die Hauptſache für mich aber
iſt die, daß du dich fertig machſt, mit ihm hierher zu reiſen.
Karl hat es mir verſprochen, und es muß geſchehen!! Dein
Sohn iſt groß, deine Wirthſchaft klein; die Gelegenheit gött-
lich. — Hier findeſt du alles, Bedienung, Bequemlichkeit, Liebe,
Mittel deinen Körper zu erholen. Karl kommt nachher, und
holt dich wieder ab! Leben muß man auch; nicht immer neue
Anſtalten zum Leben machen! Du biſt es mir ſchuldig!
Ich war wieder ſehr krank. Und wenn ich nun Einmal ſtürbe,
und bloß mit eurem Verſprechen, und nicht mit der Erfüllung
davon: ihr würdet euch quälende Vorwürfe machen. Ich ver-
[525] ſpreche dir, das künftige Jahr auf längere Zeit zu euch zu
kommen: wenn du diesmal kommſt; und du weißt, ob ich
Wort halte, und exekutire! Karl! du mußt dafür ſorgen, daß
ſie diesmal mitkommt!!! Ein kurzer Entſchluß iſt der beſte!
Die Einrichtungen ſind bald gemacht. Ein wenig trouble,
ein wenig hin und her laufen, verſchließen. — Keinen Hut —
nur einen auf den Kopf — alles findet ſie hier. Die Gele-
genheit einzig! Mit einem fünfundzwanzigjährig bewährten
Freund, einem Miniſter, zum Schutz: die Koſten ein Nichts:
die Jahrszeit göttlich. Mein Bedürfniß nach ihr nicht zu er-
tragen! Ich füge kein Wort mehr hinzu! Wenn dieſe Gründe
nicht helfen, weiß ich, was ich zu denken habe. Auch ich ent-
ſchloß mich ſo ſchnell, voriges Jahr: und Varnhagen fügte
ſich! — Dein Zimmer erwartet dich; Dore; alles iſt eingerich-
tet; noch Mama’s Betten; eine grüne Atlasdecke. — — Ge-
nug, du kommſt, und wirſt uns in vernünftiger aisance fin-
den; in erwünſchtem Anſehen; bequem etablirt, ohne Prahlerei.
So lebt’ ich den Winter; in ſociale Pflichten, Rückſichten, Un-
päßlichkeiten, und endlich, eine Krankheit, getheilt. Ich weiß
es nicht zu betitlen; ob gut, ob ſchlecht: es war eben Leben:
von beidem gemacht. Varnhagen wie du ihn kennſt, uner-
ſchütterlich gegen mich, d. h. in ſeiner Liebe, ſeinem Vertrauen,
ſeinem Benehmen. Robert bei uns; ganz vergnügt, ganz
geſund, ganzinsouciant; in allen Geſellſchaften; ſogar auf
Hofbällen, mit. Jetzt iſt er zum Plaiſir auf einige Wochen
nach Stuttgart, wo es ihm eben ſo geht. Zu Hauſe geht’s
auch wie immer. Nun weißt du alles. Komm nur! Daß und
wie ich dich liebe, weißt du auch. — —


[526]

Dore will abſolut grüßen: richtet ſchon alles ein; und iſt
ganz außer ſich: ich auch. Adieu!



Vormittag. Feiertag, ſtill, Sonnenſchein: warmes März-
wetter: alles ſchlägt aus, und will ausſchlagen: doch iſt es
windig, wenn auch lauer Wind. Ich, nach einer ſchlafloſen
Nacht, wegen Nervenirritation melancholiſcher als je. Eine
Luſt, eine Sehnſucht zu dir, die in peinliche Unruh übergeht.
Wem könnt’ ich alles ſagen, und vertrauen, als dir: und
heute möchte ich das ſo gern! — — Ich bitte euch, laßt mich
keine Fehlbitte thun: nämlich, daß du früh kommſt. Der An-
fang des Sommers, der Frühling ſoll uns vereinigen. Ich kann
nichts mehr ſchreiben; ich ward von einem albernen Beſuch
vom Lande geſtört: wo mir Einer ellenlange dumme Sa-
chen vorerzählte. Alſo! Günſtige Antwort! Du Roſe! Äng-
ſtige dich nicht dabei, wenn ſie ungünſtig ſein muß!


An Karoline von Woltmann, in Prag.



Widriges, unſtätes, unbrauchbares Frühlingswetter.


Sie, liebe Freundin, werden mein Federverſtummen nicht
an meinem Herzen für Sie abmeſſen wollen! Ich hatte Sie,
während er lebte, über Ihren Freund geſprochen, ich habe ſie
mit einander leben ſehn. Ein Todtſchlag, auch aller Gefühle
und Worte darüber, aller Äußerungen, war dieſer Sterbefall
für mich, weil ich Sie kannte; da iſt nichts zu ſagen, das
iſt wie unſer eigener Tod, wie alles Elend hier, nicht zu faſ-
[527] ſen! Nichts erregte mich aus dieſer tiefſinnigen Stumpfheit,
beleuchtete zuerſt die dunklen Wogen in des Buſens Tiefe,
als die wahrhaft ſchöne Weiſe, wie Sie den Verluſt auffaß-
ten und ausdrückten! Ein Künſtler im Unglücke, im Schmerz,
— meine höchſte Bewunderung, aber der gleich, die ich
für einen Virtuoſen empfinde, woraus gleich die leidenſchaft-
lichſte Liebe für ihn entſpringt, und die größte Dankbarkeit
gegen die Natur, die ſo ſchön machte und beſchenkte! — Daß
Woltmanns Ende hier durch Sie ſo wirken mußte, iſt Ihnen
gewiß eine genugthuende Betrachtung! Aber in’s Tiefſte ge-
kränkt war ich, und bin es noch, daß er ſo ſchmerzvoll leiden
mußte. Es bleibt entſetzlich, daß ein Menſch, ein Weſen
mit Gedanken, fähig iſt, gemartert zu werden. Wiſſen Sie,
die bloße Möglichkeit, die Vorſtellung davon, bringt mich in
meinem ruhigen Bette oft zur angſtvollſten Spannung; das
iſt meine größte Hypochondrie, erſt vorgeſtern Nacht bekam
ich von ſolchen Gedanken einen ſchwindelnden Blutzufluß nach
dem Kopfe, ein Dröhnen in den Händen, und einen Schreck
in der Bruſt. Nein, zu Ihnen kann ich mich gar nicht ver-
gleichen! Und wenn ich Stärke habe, ſo kommt ſie mir auf
eine ſo andre Weiſe als Ihnen zu, daß ich mich dabei nicht
liebenswürdig finde
; bei Ihnen wird es ein ſchönes Ge-
bild, Ihr Schmerz, Ihr Leid, weil ſie zur That, zur ruhigen
That, werden, eine Geſtaltung zum Weiterleben, zum Weiter-
bilden, eine Art Elyſium, wo, wenn auch nur Gedanken ge-
bildet werden, ſie doch für Sie und Andere ein abgeſchloſſenes
ſchönes Leben führen, unſerem Schönſten ähnlich, und an-
feuernd hier zum Weiterhandeln; kurz, bei Ihnen wird der
[528] Verluſt ſchön, der Schmerz ein Reſſort zum Leben! Bei mir
iſt es jedesmal eine Amputation, — und („Wer nicht ver-
zweifeln kann, der muß nicht leben“) kann es das Schickſal
wollen, Gott, — nun dann, ich muß es leiden; daß es
recht iſt, iſt jener Sache. Ich kann nichts Schönes darin fin-
den, nichts Schönes daraus machen. Ich trage es ſo, ſo wie
es iſt. Und meine Freude iſt, mir recht zu ſagen, was ich nicht
bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun ſollte man den-
ken, daraus käme eine Erbitterung, eine Schärfe gegen Men-
ſchen? Die reinſte Milde! Alles verzeihe ich ihnen; das
Meiſte von ihnen verſtehe ich, ihre Lage finde ich ſo erbar-
mungswürdig, ſo gedrängt, erkläre mir alles daraus! Nur
Eines empört mich noch zum augenblicklichen Zorne, wenn
ich Wahrheitsſinn, und die Liebe — eigenſten Geiſt — zu
ihr, vermiſſe, und wenn mich dünkt, die Menſchen wollen
nicht verſtehn, aus ſtupiden, niedern kleinen Abſichten. Vor
dem großen Werke des Daſeins überhaupt bin ich in der de-
müthigſten
Bewunderung! Und ganz guten Muths! das
überragt mich ganz. Alle nur erſinnlichen Vorſtellungsweiſen,
und ſogar die Unverſtändlichkeit davon, machen mich eigent-
lich in der Tiefe munter; dieſe große Betrachtung reißt mich
fort zur größten Hoffnung, wie hier, jetzt ſchon in’s Leben,
zum Leben, dieſe große zu erwartende Neuigkeit! Und dies
iſt auch eine Gemüthsart, woran die Miſchung des Blutes
Schuld iſt und der Leichtſinn, der bei Schwermüthigen mit
dem Alter kommt, da ſie früher müde werden müſſen, und
auch ſehen, daß bei allem Hetzen ſie doch mit dem Strome
ſchwimmen, wenn ſie auch noch ſo ſeitwärts getrieben haben,
und
[529] und daß die Ufer nur ſcheinbar da ſind. So ſteht’s um mich:
das kann wohl weich und hülfreich machen, ſtark und gewandt,
das eigene Leben zu ertragen; aber ſonſt Schönes, Kunſtwer-
ken zu Vergleichendes, auch nur Fabrikenartiges zum Lebens-
gebrauche, bringt es nicht hervor. Keine rechte Erdentochter
bin ich nicht, wenn auch ein rechtes Erdenkind; ich hänge ge-
waltig an dem, was die Erde mir bieten kann; aber es müſ-
ſen reine Geſchenke von ihr ſein: ihren Handel verſtehe ich
nicht, oder vielmehr in den kann ich mich nicht einlaſſen, und
thue ich’s einmal, ſo hat ſie mich angeführt, und dem Necken
kann ich mich auch bei keinem Gotte fügen, auch fällt es mir
gegen niemanden niemals ein. So bleib’ ich denn eine Art
Betrachter von ihr und keine Tochter, die ihre Art annähme
und Heirathsgut und Geſchenke aller Art erhielte! Ich bin
eine Art geſünderer, brünetter, vergnügterer Hamlet. Mit
großer Bewunderung für geiſtreiche Leute, die nicht ſo ſind
wie ich, das ſind Sie! — Es freut mich ungemein, daß Sie
dieſen Sommer die Lieblingsſchweſter und die Mutter haben
werden. Großes ſtilles Glück. Im lieben vollſaftigen Böh-
men! in einer Art von unerſchüttertem Urlande, wo das Volk
ſeiner Erde gemäß lebt, und noch nicht ſo wie die andern auf-
melirt iſt. Im dicken Prag mit ſeinen Kirchen, Paläſten,
Hradſchin, Brücke, ſchönen Obſt, und den tauſend fältigen
kleinen Spazirgängen, mit großen Ausſichten. Ich gratulire
Ihnen, daß Sie aus dem lichten klaren Sande ſind; obgleich
ich alles Gute vom Vaterland einſehe. So bin ich auch,
in dieſer Rückſicht, gerne in der wohlgepflaſterten, reinen, hei-
tern Stadt, wo jede Straße und jeder Platz nach entfernten
II. 34
[530] Bergen ſieht; zwiſchen Heidelberg, Mannheim, Straßburg-
Frankfurt, kurz, bei zwanzig angenehmen Orten, alle nur einen
Tag weit, und die meiſten mit Theater und einem gewiſſen
Wohlleben. Anderes fehlt ſehr. Dieſer Defizit geht mit uns
zur Leiche! — Ich liebe Böhmen zu ſehr. Und, begreifen Sie
mein ſchlechtes Herz! — ich ſehne mich mehr nach Orten, als
beſtimmt nach Menſchen. Bei den Orten ſtell’ ich mir auch
gleich die Menſchen vor. Wo wohnen Sie denn jetzt in
Prag? Mit einer Ausſicht? Ich will hoffen! —


An die Prinzeſſin Amalia von Baden.



Daß Ew. Hoheit unwohl ſind, iſt mir ein wahres Leid;
ich komme aber nun um ſo lieber, da ich Ihnen wirklich eini-
ger Troſt zu ſein hoffe. Ich kann über den Hergang des ge-
ſtrigen Ereigniſſes genau berichten: wenn ich auch mehr von
einer Sache weiß, als ich von ihr ſehe, ſo glaube ich doch
deßhalb nie, daß ich mehr von ihr ſehe, als ſie wirklich
zeigt. Und mein Sinn läßt ſich durch nichts befangen! Frau
von Schlegel ſagte mir einmal in Frankfurt: wenn ich nach
Karlsruhe käme, und Jung-Stilling ſähe, müſſe ich ihr etwas
über ihn ſchreiben, aber ganz naiv, ſo wie ich ihn fände.
„Ganz naiv, gewiß“, antwortete ich, „ich kann dies verſpre-
chen, und es wird doch naiv werden.“ Schon von fern, und
noch ſchüchtern, edle Freundin, hat Ihr reiner hoher Sinn
gleich klar in mein Innres geblickt; Sie werden ſo fortfahren,
[531] und immer mehr beſtätigt finden, was Sie vorausſetzten, und
auch immer weniger, was Andre mir andichten. —


Die Blätter für Ihro Majeſtät die Königin von Schwe-
den ſind abgeſchrieben: wir können ſie vorher noch mit einan-
der leſen; dabei werde ich Ihnen manches ſagen, was Sie
Ihrer Schweſter, wie ich unterthänig bitte, als Vorwort gnä-
digſt bemerken wollen.


Varnhagen legt ſich Ew. Hoheit zu Füßen; ich ſchlage
gar nicht vor, daß er mitkommen ſoll: er würde uns in der
Hauptſache immer etwas ſtören, und das Vorleſen findet beſ-
ſer einmal Abends bei mir Statt. — Ich komme ſehr gern
ſchon um 5. —


An Friedrich Ludwig Lindner, in Mühlhauſen.



Trübliches wärmliches Frühlingswetter.


Was helfen die vielen Worte: Sie ſparten Sie auch!
Genug, Sie kommen! — Veit iſt todt. Nicht Einmal einen
Gedankenſtrich mag ich zu dieſem eiſernen Zauber ſetzen. Wie
Viele von uns, mir ſehr Nahe, ſind weg! Eine ganze Liſte
voll. Wir Beide leben noch; und wie Sie ſagen, ſind
auch im Leben nicht todt. Wie unendlich Viele ſind mir auf
dieſe letzte Weiſe geſtorben. Unſere Freundſchaft, die Dauer
und der Grund derſelben, ſind Veits Kinder: gerathene Kin-
der. Das konnte er ſtiften; dies floß, als Schönſtes aus ihm
aus. Wie ſchön ſchrieb er! Wir laſen dieſen Winter manches
von ihm; Varnh. ſuchte es mir aus den Bänden der Nordi-
34 *
[532] ſchen Miszellen. Wie gebildet! Nicht was unerzogen- em-
pfindſam-Religiöſe jetzt ſo ſchimpfen, indem ſie es ſo nennen;
wie ſcharf gedacht, und bezeichnet, aufrichtig geſucht, und
glücklich gefunden; ſtreng und mild angeſehen, und behandelt;
fertig, geläufig, und geſtaltet vorgetragen! Er wurde mir
ganz gegenwärtig dadurch! Er hätte ſollen bei mir bleiben
können! Dies fehlte ihm; bis in die letzten Tage hinein. Er war
nicht reich, ſeine Natur nicht ergiebig genug, nicht ſaftig, nicht
üppig, nicht genug mit unwillkürlichen Eingebungen begabt;
ein Sichgehenlaſſen, konnte bei ihm kein Schönes werden;
es fiel eine Stufe herab; oder, es war keins mehr, und unter
die Bearbeitung eines dürren Verſtandes gefallen; er hatte
aber große Gaben; Gaben des Lernens, und des Sichtens,
und war ſehr gebildet; wußte was ihm abging; konnte es
oft fühlen; und darum war ich ihm ſo lieb und nothwendig.
— O hätten wir ihn noch! wüßt’ er von uns! Das hier,
was ich ſchreibe! — Ich ſchreibe Ihnen nichts von mir, weil
Sie mich nun bald ſehen werden. Selten: ſelten werden Sie
einen Menſchen gefunden haben, der bei altersmäßiger Reife
ganz ſo alle Springfedern der wahren Kindheit und Jugend
in Seele und Gemüth behalten hat, wie ich. Ich kann es
vorherſagen; und Sie werden es doch finden. Sie werden
ſehen, ich bin wie ich war. Sie haben ordentlich behalten,
was ich ſagte! Einzelnes! —


[533]

An Roſe, im Haag.



Kühles, in ſich nicht fertiges Frühlingswetter, mit
Blüthen, und Einheizen.


Liebes Roſenſchweſterchen! Du antworteſt mir nicht! Es
iſt doch Krankheit nicht Schuld? Nun iſt Scholz bei dir: und
du kannſt von mir, von Deutſchland und der Vergangenheit
hören und ſprechen. Alles was uns bleibt. Ich fühle mich
auch vertrocknet mit der Zeit! — Abweſenheit, Mangel an
Anregung, an Liebem und Gewohntem, viele Unpäßlichkeit,
haben das Ihrige gethan. Mir iſt nur heute ſo! Sonſt weiß
ich den Vorzug meiner Lage ſehr! Aber wir ſind beide aus
unſerm Majorat, und entfernt von einander: und, und! —
— — für dergleichen müßte brillanter Erſatz kommen.
Speiſe für Vernunft, ſättigt nur die: und macht kein friſches
Blut. Wenn du nicht krank biſt, ſchreib mir ein Wort. Was
ich den Sommer mache, weiß ich noch nicht: und das iſt auch
gut: es iſt eine Art Freiheit. Von deinem Kommen ſchreib’
ich nichts, weil ich dich nicht quälen mag. Wenn du kommſt,
biſt du da. Von der Freude und dem Reſt dabei chargir’ ich
mich. Grüße Karl recht ſehr! Wenn mich die Laune ergreift,
ſchreib’ ich ihm ſehr ausführlich. Ich umarme dich herzlich.
Varnhagen euch beide. Deine R. Mein liebes Röschen!
Ach! Ach! Ach! du dort; ich hier: und alles blüht. — —


[534]

An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg.



Warmes Vogelſing- und Blüthenwetter.


Kennen Sie eine beſondere Melancholie, ein Drängen nach
vorwärts, eine Prätenſion, ein Erwarten, daß es angehe; grad
in ſolchem Wetter? und ein Hineinſchauen in ſich ſelbſt, und
alles was einem begegnet iſt, nach allem Rang und Drang
— Ringen und Dringen, hieße es in der rechten, mir jetzt gar
nicht rechten Sprache, — den man verbrachte, wie in einem
alten kalten wüſten Gemäuer hin? Nun ſo iſt mir; und noch
tauſendfältig anders, Alſo hätte ich Ihnen grade heute gar
nicht ſchreiben ſollen; aber Ihr Brief, der vorgeſtern ankam,
läßt es nicht zu: auf den muß noch eine Antwort kommen,
ſie falle aus, wie ſie kann. Wie hat er mich gefreut dieſer
Brief; und nicht allein, weil er an mich iſt, weil er mir
ſchmeichelt; er machte mir dieſen auf mich gerichteten Genuß
erſt möglich, weil es ein lieber, ehrlicher, feiner Brief war.
Wir werden beide, alle, zu affektiren gar nicht nöthig haben.
Bald werden wir uns eingeſprochen haben, recht geſchwind,
und uns leicht über kleine Divergenzen zurechtgerückt haben;
und gründlich von einander verſtehen, warum wir in manchem
verſchieden ſein müſſen. So viel nur! Ihr Brief, ſein ganzer
Ton, jeder Ausdruck, ruft mir ganz Ihre Phyſionomie vor die
Augen; freudig, zutraulich, naiv, herzig, wie Sie gegen Freunde
ausſehen konnten. — Dann hat mich ſehr gefreut, Ihre Mei-
nung über die jetzige Politik meinen ähnlich zu finden; alſo
darüber werden wir nur ſehr wenig ſprechen; oder, wenn wir
[535] bis auf des Menſchen Natur hinkommen, ſehr viel. Ihr
alter Onkel gefiel mir auch! Es iſt ein Glück für’s Herz ei-
nen alten Verwandten zu haben, den man ehren kann, lie-
ben thut man ihn ſchon von ſelbſt; das heißt, lieben möchte
man ihn ohnedies ſchon gerne, kann es aber nur, wenn man
ihn ehren muß. Wär’ ich reich, ſo führ’ ich nach Straßburg,
und er ſollte noch die Freude haben, neue Bekannte in alten
Freunden von Ihnen zu finden: auf alter Leute Leben, die
noch ein Herz haben, möchte ich gerne noch viele reiche Ereig-
niſſe häufen; Genuß ſchaffen. Ich anticipire ihren Zuſtand
in meiner Seele. — Es thut mir leid, daß Sie nicht früher
kommen können, weil ich den 10. ſchon vielleicht in Heidelberg
bin; aber da kommen Sie mir dann gleich nach: das erfah-
ren Sie in meinem Hauſe, wo ich Ihnen ein Wort zurück-
laſſe. Genug! Sie finden Freunde: Menſchen, die nur Gutes
wollen, und meinen, und unabläſſig weiter an ſich arbeiten,
ohne die geringſte Pedanterie: und bleiben Sie auch nicht in
Einer Stadt mit uns, ſo haben Sie doch den Troſt, uns nah
zu haben: und ich den, Sie gefunden und auch nah zu ha-
ben. Auch ich grüße Veit! Wenigſtens ſoll er, ſo lange wir
leben, nicht todt ſein. Er verſchlechterte ſich meines Wiſſens
in Hamburg nicht: aber ich weiß, an meiner Seite hätte er
ſich ewig verbeſſert, ſeine beſſere Seite herausgekehrt, oder
vielmehr an das Bewußtſein hinan gebracht; ausgearbeitet,
und ſpielen laſſen! Er war ein komplet gebildeter Menſch,
weil er über ſeine Natur hinaus war, ſah, und ſie beurtheilen
konnte. Wir wollen uns recht über ihn ausſprechen: und ihn
leben laſſen! und uns der „lieberwärmten Stätte“ als Leben-
[536] dige freuen! Wir wollen die jugendliche Zeit des Vertrauens
ohne Rückhalt — wie Sie ſagen, in die Sie durch mein Finden
verſetzt ſind — genießen; wiſſend ſie beſitzen! Das Schreiben
hat mein Herz wieder in Thätigkeit geſetzt, und es iſt mir
beſſer: auch war eine Italiänerin bei mir, der etwas Ärgerli-
ches geſchehen iſt, welches ſie mir, ſich zum Troſte, erzählte;
ich ärgerte mich mit, gab der armen Fremden Rath, und zeigte
ihr eine Freundin in einer Ultramontana, und ich konnte ſie
geſtärkt entlaſſen. Das ſtärkte mich ſelbſt wieder. Adieu Lie-
ber! Kommen Sie bald: bleiben Sie lange mit uns. Goethe
kann man immer brauchen; den Göttlichen hat man immer
nöthig! So will ich Ihnen dann mit ſeinen Worten meine
Wünſche zeigen: „Je ehr du kommſt, je ſchöner wirſt du uns
willkommen ſein!“ (ich glaube: „biſt du uns willkommen.“)
Gott grüße und ſegne Goethe! Veit! Uns! und Alle, die es
gut meinen und wahrhaft ſind.

Adieu. Ihre R.


An — —



— Ich halte dieſe Namensveränderung für entſcheidend
wichtig. Sie werden dadurch gewiſſermaßen äußerlich eine
andere Perſon; und dies iſt beſonders nöthig. — Ich freue
mich ſehr, daß B. Ihr Pathe ſein will; ſäumen Sie nicht, ſo
bald als möglich alle Anſtalten zu treffen. Sie laſſen auch
die Kinder mittaufen. Die ſind ja ſchon chriſtlich erzogen;
und müſſen, wo möglich, von jenem Verrückthiſtoriſchen nichts
anders erfahren, als wie von Hiſtorie überhaupt! — Sie aber
haben gar keine Urſache, in dem Scheine des Geburtsglaubens
[537] bleiben zu wollen. Sie müſſen ſich auch äußerlich an die
Klaſſe halten, ſich zu der großen Klaſſe bekennen, mit deren
Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins ſind. Sie
werden dadurch in das einzige Schlechte, welches dieſes Be-
kenntniß nach ſich führen könnte, in den neuern Judenhaß,
nicht miteinſtimmen; und noch immer den unſeligen Überbleib-
ſeln (ich möchte ſagen Warnungszeichen für Staatengründer)
einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorgeſchrit-
tenen Nation, beiſtehen; menſchlich, d. h. chriſtlich: im
Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer
beſten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Maſſe ge-
häſſig (unter chriſtlichem Vorwand) behandlen will, anſtatt
ſie, weil ſie Einmal im Chriſtenſtaate da ſind, durch gütige,
großmüthige Mittel ganz für ihn zu gewinnen. Sie wer-
den ſich Ihrer jüdiſchen Geburt nicht ſchämen, und die Nation,
deren Unglück und Mängel Sie dadurch genauer kennen, du-
rum
preisgeben, damit man nicht ſage, Sie haben noch Jü-
diſches an ſich! Laſſen Sie ſich in dem Muth, ſolche Vorwürfe
nicht zu achten, durch die neubekannten religiöſen Vorſätze
ſtärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Geſin-
nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie
kenne; und freudiger, getroſter, und williger, die Bürgſchaft
übernehme; damit ſie einen lebendigen Sinn bekomme, und
Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie
klagen und beichten, der Sie tröſten und ermahnen darf. Man
kann das Leben beleben: und dafür bin ich ſehr; dies iſt des
Lebens größtes Glück; und mich dünkt, ſeine größte Aufgabe. —


[538]

An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg.



Kühles, ſehr helles, zugeſchloſſenes Nordoſtwind-Wetter.


Was ſoll ich Ihnen auf Ihre reichen vollen Briefe ant-
worten! Ich bin endlich zugeſchloſſen wie das Wetter ſelbſt;
kalt, vertrocknet, und fühle mein eigenes Wetter. Gerne ſchickte
ich Ihnen ein Labſal durch dieſen Brief, aber da ich gar nichts
machen kann auf dieſer ganzen Welt, nur ein Quellenſitzer
bin, der da ſitzet und wartet ob ſie rinnen; ſelbſt nur eine
Quelle bin, ſo quillt mir wiederum nur der Wille dazu, und
ſonſt nichts. Sein Sie zufrieden damit, wie ich es ſein muß,
d. h. ſtill, ſtumm. Ich ſehe ganz Ihre Lage ein, als ob es
meine wäre, ich fühle ſie auf allen ihren Punkten; und auch
dies bringt mich zum Schweigen. — Die Karaktere ſtellen ſich;
wie Fichten, Eichen, Linden, Tannen aus ihren Samen her-
vortreten. Nie hab’ ich es vermocht, wenn zwiſchen mir und
Andern eine Wahl war, dieſen zu treten und mich zu ſtellen;
und die paarmal, die ich es wohl im Leben that, haben mir
nur bewieſen, mich nur gelehrt, es nicht mehr zu thun: weil
ich mich noch viel unſeliger dann befand. Meine Unzufrie-
denheit iſt mir noch die erträglichſte, mit mir werde ich noch
am ſtillſten und daher am leichteſten fertig. Ich glaube es
kommt auch daher, weil man ſein eigen Geſichte nicht ſieht;
die unmittelbare Mittheilung des Geſammtzuſtandes der Seele.
Nicht zum Ertragen dem, der es zu deuten verſteht, zeigt es
Unglücklichſein an. So wird man denn am Ende bank-
rutt
. Inſolvabel, unfähig ſich zu zahlen; aber man klagt
[539] nicht gegen ſich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder
auf dieſem Punkt der Wahl; und ſo nöthig ſie iſt, ſo kann
ich nur ſagen: für unſer Leben wäre ſie nöthig die Härte,
aber ſie anwenden könnt’ ich auch nicht, wie ſie Ihnen alſo
rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo
man von den Gegenſtänden fern iſt, die ſie betrifft, iſt es mög-
lich mit Härte zu verfahren, ſonſt iſt es dem, der ihre Wir-
kung kennt, zu ſehen vermag, unmöglich ſie anzuwenden.
Nun wäre alles richtig, wenn man ſich mit ewiger Grazie
opfren könnte; aber nein! man empört ſich auch manchmal;
opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi-
ſchen zwei Empfindungen, von welchem Zuſtand Goethe mit
Überrecht im Clavigo den Carlos ſagen läßt, daß es der elen-
deſte der Welt ſei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel
applaudire; oder ob ich meiner entſchieden entgegengeſetzte
Naturen bewundere. O! wenn ſie meine Herzenseinſicht hät-
ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt-
terte ſie. — Alſo ich erwarte, was die Andern werden thun
können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt
auf’s Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man
ſolche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur
das Unmögliche für heilig hält, beſchützt, und die Dümmſten
beſtärkt. Da! ſind wir wieder auf die paar großen Inſtitu-
tionen: und unſere Briefe ſind doch nur Muſivſtücke einer
ſelben großen Fabel: Ihrer ſprach vom Geiſterzwange, ich kam
auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei koloſſale Formen,
von den Jahren zuſammengebildet; in denen man eine große
Diſſonanz gefangen halten wollte; die uns aus dieſem gan-
[540] zen hieſigen Leben mit ſollte heraushelfen, und weit drüber
hinweggeht, und die ſich wahrlich nicht wird einkerkern laſſen,
noch uns zur Ruhe belügen helfen wird! Grüßen Sie Ihren
alten armen Onkel noch auf’s brüderlichſte von mir! Wir
armen Menſchen! Gerne möchte ich ihm helfen. Das heißt,
könnten ſie eingetheilt werden, von ſeinen Schmerzen welche
abnehmen. Geben Sie ihm meine Achtung, wenn er irgend
noch dergleichen würdigen mag, mit in’s Grab: und meinen
innigen Herzensdank für ſein Geſchenk! — Leben Sie wohl!
Auf Wiederſehen! das iſt das Beſte. Ihre R. Ich ſchreibe
mir in lauter Klagen doch immer das Herz weicher und leichter.


Der Staël ihr Buch über die Revolution hat unendliche
Schönheiten. Ihr Tod thut mir ſehr weh; ſie hatte ein bra-
ves Herz! Leſen Sie gleich das Buch. Es kommt a punto:
und muß jetzt wirken.



Unſere Unſchuld beſteht darin, daß wir manches noch nicht
erfahren und wiſſen; aber darin beſteht auch die Eigenheit
unſres hieſigen Zuſtandes, daß wir vieles hier überhaupt nicht
erfahren und wiſſen können; vielleicht iſt das ganze Erden-
leben nur eine Art Unſchuld, auf die ein höherer Zuſtand mit
weiterem Aufſchluſſe des Daſeins folgt. Wenn dem ſo wäre,
ſo könnte nichts tröſtlicher und erheiternder ſein, als dieſer
Unſchuld mit Bewußtſein ſich zu überlaſſen, und ſie in dieſem
Gedanken freudig zu genießen. —


[541]

Oft entſchlag’ ich mich aller Sorge, und ſtelle dann alles
Gott anheim, als dem beſten Freund und Vater, mit dem ich
mich ganz unausſprechlich gut ſtehe. Ja, wir ſind auf einem
ganz vertrauten Fuß. „Er wird’s ſchon wiſſen und machen,“
denk’ ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und ſchlummre
ſo zu Füßen ein wenig, ſo unten an ſeinem Mantel!


An Scholz, in Frankfurt a. M.



— Dann herrſchte hier, nach bedeutender Kälte, ſeit mehr
als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen
weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann,
und mich darauf bis zum Nervenunſinn peinigt. Dies be-
ſteht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und
Blende, wobei ein Nordoſtwind nicht zu herrſchen nachläßt;
Abends wird es plötzlich bedeutend winterlich, durch eine Art
kalter, feuchter Maſſen, die in klarſter Luft und unter hellſten
Sternen ſich langſam herunterlaſſen, hin und her bewegen,
und ſich wie unſichtbare Thiere auf einen ſetzen. Dieſe Phä-
nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergeſtalt,
daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör
ausſtand. Seit ſechs, acht Tagen iſt dies beſſer: nach einem
Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere
noch Abends ihr Zauberweſen treiben. Wollen nur, es gelingt
ihnen nur viertelſtundenweiſe. Dabei iſt natürlich für mich
an keinen Gebrauch der Wäſſer zu denken, die mich ohnehin
[542]nur quälen, und nie helfen. Die hieſigen. — — Frau von
Staël über die franzöſiſche Revolution! Dieſes europäiſche
Buch, weil ganz Europa es lieſt, iſt nicht ſo gut, als ſeine
Wirkung ſein wird; ſie ſagt alles: wiederholt alles; und ſich
ſelbſt auf jeder Seite, dies oft in Antitheſen, alſo nicht allein
mit Löffeln eingegeben, ſondern mit Meſſern eingeſchärft, was
nun einmal noch nicht in Europa’s Blut gegangen iſt. Es
iſt keine Ruhe in der Frau, und ſie wäre nie reif geworden,
hätte ſie auch ſo lange gelebt, als ich es ihr wünſchte. Ver-
ſtand hat ſie genug, aber keine horchende Seele, nie iſt es ſtill
in ihr; nie als ob ſie allein nachdächte, immer als ob ſie’s
ſchon Vielen ſagte; ihr thaten die frühen Geſellſchaftsſäle Scha-
den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwiſchen Geiſtes-
thätigkeit und andrer. Gleich kam ſie wieder auf den Beifall
zurück: und da ſie nicht gemein war, ſo ſoll es die postérité
ausrichten, für die, für deren Beifall, will ſie und ſollen alle
Beſſern alles thun! Aber ſie rüttelt in ihrem Buche tüchtig
hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede
ſein ſoll. Haben Sie eine gutgeſchriebene, das Buch von einer
Seite gut betrachtende Kritik im Libéral geleſen? Sehr ſchlecht
ſchreibt die Staël; oft gar nicht wie eine Franzöſin; ich meine
nicht die Stellen, wo ſie neue Wendungen gebraucht oder neue
Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht,
ſie ſtellen ſich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftſtel-
lern, wie jedes gern dem Meiſter ſich fügt. Stunden lang
könnte ich noch über ſie ſprechen. Alles iſt à rebours bei ihr,
als ſtriche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt,
ich ſehe die Worte in Aufruhr um ſie her, wie fliegende Gei-
[543] ſter, wenn ſie vor reinen Bogen am Schreibtiſche ſitzt; nie wird
es Muſik; und auch kein Thema hält ihr ſtill, ſie ſchwingt
ſich hinauf und es geht mit ihr durch, auf andre los, ſie
ſpringt auf dieſe, und ſo geht es weiter; und auf Schönes
auch nur wie von ungefähr los! Halt! Es iſt genug von ihr!
Und hier nur noch ſo viel, weil dies letzte Buch mir im er-
ſten Bande Illuſion machen wollte. Aber ſie kann kein
Buch bezwingen: es geht immer mit ihr durch, und was ſie
ſchreit, iſt kein Geſang. Schade, eben wegen der vielen Ga-
ben! denen eine fehlt, die ſie harmoniſch machte. Eine ſtille
unſchuldige Seelenſphäre. — —


(Mündlich.)


Von Dr. Koreff: „Sein Herz hat die größte Geiſtesge-
genwart, er iſt immer gleich da.“


Von jemanden, der da meinte, er könnte ſich, manches
abgerechnet, wohl mit dem Verbannten von St. Helena ver-
gleichen: „Er meint im Grunde, er ſei ein eben ſo großer
Mann, und nur noch ein beſſerer Menſch.“




Der Strom hat keine Ruh. Der Strom muß fort: der
ſtille See hat ſeinen Kranz von Wieſen.


[544]

Daß keiner glaubt, daß er ſchlecht ſei: iſt der größte Be-
weis, daß es kein Menſch iſt. —


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Montag Vormittag, ſchönes Sommerwetter.


Willkommen, liebſte Auguſte! Wohl bekomme Ihnen das
Bad! ich denk’ es auch: der Sprudel iſt das beſte Fegefeuer,
die herrlichſte Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich
auch! Es iſt für ewig; den größten Zeugen ſeiner Zeit ge-
ſehen zu haben! (Rivarol — aus der Revolutionszeit, aus-
gewandert — ſagt in einem ſeiner Werke, der Menſch ſei der
Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit
hab’ ich das viel ſublimer, und beſonders herzlicher ausge-
drückt in Saint-Martin geleſen.) Von den andern Erſchei-
nungen ſchweig’ ich — bis wir uns ſprechen, und ich Sie ge-
hört habe, dann ſollen Sie auch wiſſen, was ich jetzt denke, ehe
ich Sie gehört habe. Hier iſt’s noch ſehr ſchön von Seiten der
Natur: aber ſehr leer. — Wir können den Tag unſerer Abreiſe
von hier noch nicht beſtimmen; weil der Großherzog nun auf
der Favorite iſt, von wo ihm verordnet iſt nach Montpellier
zu reiſen, und dieſe Abreiſe ſich doch verzögert, und V. nicht
vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reiſt immer hin
und her: er iſt jetzt wieder weg. — Ich war die letzte Zeit
hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft
gut ſpielen, und in Anzug und allem das Unmögliche lei-
ſten! Geſtern unſer Stück: Johann von Finnland! — aber
geſtern weint’ ich, anſtatt zu lachen; es war mit aber Unpäß-
lich-
[545] lichkeit: und nachher bekam ich eine halbe Stunde Krampf-
migraine, die hieß Otto Bellmann, ſagen die Berliner. Die
Generalin Tettenborn muß auch immer mit in die Komödie:
die weinte auch tüchtig: Varnh. wollte es nicht leiden. Ma-
chen Sie nur Ihre drei Anzüge vor der letzten Minute fertig!
Iſt Ihre Wohnung behaglich? Apropos! Gentz war in Frank-
furt, wo ihn Tettenborn ſah, und iſt nun in Aachen: er ſoll
ganz vergnügt ſein; Metternich aber nicht: auch war der
unpaß in Frankfurt. Laſſen Sie von ſich hören. Ihre R.


V. grüßt herzlich. Leben Sie ruhig? bequem?


An Oelsner, in Paris.



Die witzigen richtigen Aphorismen (die unter Dr. Schlott-
manns Namen gehen) hab’ ich dieſen Morgen in meinem
Bette, wo ich ſie zur Hand nahm, ausleſen müſſen: mit dem
größten Vergnügen, mit der größten Satisfaktion. Vermöge
aller meiner Geſinnung, und auch Einſicht, hätte ich glauben
können, ich habe ſie geſchrieben; und ſo war ich auch ganz
in Unruhe, daß ſie nicht jeder Fürſt, jeder Staatsmann gleich
lieſt, wollte ſie gerne allen gleich ſchicken! als mir gleich der
Muth wieder durch den Gedanken ſank, daß nur die ſie ver-
ſtehen, die eben ſo denken! Aber wir wollen doch nicht ver-
zweiflen; ihre Spitzen werden reizen, ihre Richtigkeit treffen.
Den kosmopolitiſchen Syrach (von dem die Allgemeine Zeitung
neulich einiges auffriſchte) protegire ich weit mehr, als Varn-
II. 35
[546] hagen dies thun will. Einen ſolchen Ariſtokratism kann man
anhören. Wie iſt er deutlich, bündig und umſchauend. Auch
er berührt einen alten Gedanken von mir; die Erde wird nicht
groß genug am Ende, man wird mit den Sternen zu ſchaffen
haben wollen. Verzeihung für den zerriſſenen Gruß! Ich
bin zu ſehr in Eil. Wie geht das Privatleben in Paris:
Ihres, Mad. Oelsner ihres? beſſer? bequemer?

Ihre R.


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.



Trübes, näßlich kaltes Wetter.


Heute ſind es vier Wochen, daß ich von Baden hier zu-
rück bin. Es war dort bis ein paar Tage vor meiner Abreiſe
wunderſchön, und in unzähligen Wetter- und Lichtabwechſlun-
gen immer von neuem unendlich reich für Sinn, und Traum,
möcht’ ich es nennen; wir waren die ganz letzten ſechs Wo-
chen beinah ohne alle Geſellſchaft dort; nur Frau von Tetten-
born lebte auf dem Schloſſe; und die letzten drei Monate nur
mit ſehr wenig Geſellſchaft; vier, vom 8. Juni an, war ich
dort. Tauſendfältig wünſcht’ ich meine Freunde hin! — bald
den einen, bald den andern; aber unſere Lebenstage ſind uns
vorgeſetzt, in einer Krippe, wie wir dem Thier ſein Futter rei-
chen; die Art, das Maß, nichts hängt von uns ab: höchſtens
können wir das Futter unangetaſtet laſſen; zu ändern iſt ſehr
wenig. Und bis ein großes Ereigniß kömmt, möcht’ ich gar
nicht nach mir hinſehen! Seit ein paar Tagen hat der Ge-
danke des Sterbens durch einen für mich neuen Einfall etwas
[547] Unterhaltendes für mich erhalten. Es iſt mir nämlich ganz
klar geworden, daß wir doch plötzlich aus dieſem Lebensver-
hältniß mit all ſeinen Klemmungen herauskommen und in
dieſer Hinſicht uns ganz nobel befinden werden. Das Klem-
men, Drängen, Rucken, Zurechtſchieben dauert meiner expediti-
ven Geiſtesart zu lang: iſt eigentlich ganz unwürdig, und
das eigentlich Unedle; der Quell alles Unedlen; es ſei nun
That oder Leiden. Unſere Einſicht darin müßte uns löſen!
Verſtehen Sie mich? Was ſoll ich Ihnen alſo von meinem
Leben ſagen? Ich ſitze und warte: und wenn mir ein gutes
Korn zufällt, verzehr’ ich es: noch geſtimmt, und appetitlich
genug! — und das iſt, wie ich mich und mein Leben, was
mir geboten wurde, kenne, ſehr genug! Laſſen Sie mich alſo
nach Ihrem fragen, von Ihrem ſprechen. Sie haben Komödie
geſpielt. Auf dem Lande, grade im Sommer, ein großes Ver-
gnügen: wenn die Perſonen nur ziemlich hübſch und angenehm
ſind. Spielte Ihre Mutter, Bärſtecher mit? Ihre Provinz,
Ihr Aufenthalt wird, muß Ihnen bekannter werden: und dies
ganz allein faßt das Lieberwerden in ſich. Die Stücke Leben,
die wir vor uns haben, ſind nichts Einfaches, ein Zuſammen-
geſetztes; gehen wir nun damit genauer um, ſo finden wir
Paſſendes und Verwerfliches, und da bei dem vorigen Stück
Leben, welches das Letzte war, mit dem wir uns balgten, auch
eine Menge Unannehmbares war, ſo müſſen wir finden, die
Stücke ſeien faſt vom ſelben Werth; bis wir wieder Einmal
zu einem kommen, welches uns Kunſt- Natur- oder den Ge-
nuß unſeres eigenen Herzens gewährt. Dieſer allein iſt Le-
ben: das andere lauter Anſtalt zum Leben. Dies nun bringt
35 *
[548] mich gleich auf Litteratur, da unſere Genüſſe leider faſt alle
in „Schwarz auf Weiß“ verwandelt ſind! Kennen Sie: Re-
cueil de lettres sur la peinture, la sculpture et l’architecture,
écrites par les plus grands maîtres du quinzième jusqu’au dix-
huitième siècle, traduit par L. J. Jay?
Die Briefe des Michel
Angelo, des Annibal Caracci, als der Leute damaliger Zeit,
verſüßen mir meine jetzigen Tage. Ihre Plackereien ſind in
die Ferne gerückt: ihr Beſtreben, ihre Thätigkeit, ihre Wünſche,
ihr Herz und Geiſt, ſtehen klarer da; für mich ganz beſon-
ders, die aus den Briefen der Menſchen ſo unendlich viel von
ihnen kennt. Von ſolcher Briefſammlung wird mir die Hiſto-
rie und eine ganze Zeit klarer, als durch berühmte Geſchicht-
ſchreiber. Ich bin dem Herrn Jay ſehr verbunden: und könnte
ſehr lang mich auslaſſen, über Geſchichtſchreibung, die ich meiſt
ſchlecht finde. Haben Sie Bignons kleine Schrift geleſen, über
Baierns Prätenſion an Baden? Weltbürgerliche Deutſche ſind
ihm ſehr verbunden; rühmen ihn weit und breit. Haben Sie
Bailleul über Frau von Staël’s letztes Werk geleſen? Ich
wollte, ſie lebte noch, und röche Einmal dieſen Weihrauch.
Man räumt dieſer Frau viel zu viel ein, was ſie nicht hatte.
Man borgt ihr einen Geiſt, eine Penetration, die man ohne
Gründlichkeit gar nicht haben kann: ſie hat einen, der nur
in Abweſenheit der Gründlichkeit ſo zu flimmern vermag. Es
ſind viel zu wichtige Thema’s an dieſen Geiſt heran geſchwom-
men, auf der Fahrt ihres Lebens, die er von ſelbſt ſich im gro-
ßen Ozean nicht erſehen hätte, aber nach Geiſtes Art ſich doch
aneignete zum Verarbeiten: denn ſelbſt Eitelkeit iſt ein ſehr
geiſtiges Erzeugniß. Es freut mich aber, daß Geiſtigkeit über-
[549] haupt einen ſo allgemeinen, großen, kompakten Reſpekt aus-
giebt (dies Jahr wird dies Feld viel Waizen ausgeben, ſagt
man im Deutſchen), daß ſelbſt entſchiedne litterariſche Gegner
noch in ſich ſelbſt ſo viel Umſtände gegen eine Perſon machen
müſſen, wenn ſie nur Einmal auf ihren Geiſt aufmerkſam
machen konnte. Das ſpricht für Frankreichs Feinheit; dem
ich, wo es nur möglich iſt, applaudire, und mir gern geſtehe,
was ich ſelbſt ihm verdanke. Sie wiſſen, ich liebte Mad.
Staël perſönlich mehr, als es die Menge thut; die, herz-
dumm und urtheil-faul, die ihrem Weſen widerſprechendſten
Dinge willig glaubte, und nacherzählte; in ihren Werken fand
ich aber immer Karakter-Disparates: keine Miſchung, die das
Geniale herausbrächte; nicht weich beim Feuer, nicht ſtill beim
Urtheil, und Denken; oft brennend, nicht warm; weit von
künſtleriſcher ſpontaneer Auffaſſung, in allem wo ſie vergleicht:
kurz, ein Mißverhältniß in den Gaben: und hauptſächlich,
nicht das Gefühl, und das heimliche Urtheil ihrer ſelbſt: letz-
ter Schlußſtein der Künſtlernatur. Da man jetzt eine Anſtalt
in Paris hat, alle mögliche deutſche Zeitſchriften (las ich neu-
lich im Morgenblatt): fragen Sie nach Dohms Denkwürdig-
keiten; nach den guten Weibren (Erzählung in Proſa), nach
den Aufgeregten (politiſches Drama), in Goethe’s neuer Aus-
gabe Band XIV. Fragen Sie nach Goethe’s Rhein und
Main; drei Hefte ſind da. Suchen Sie Oelsner auf, der
weiß alles, iſt grundgelehrt, und Ihnen gern behülflich.


Sie führen ja etwas Abſcheuliches in Ihrem letzten Brief
an, lieber Aſtolf! „Car malgré tout l’orgueil du raisonnement
c’est toujours ce qu’on fait qui finit par régler ce qu’on pense.”

[550] Dies als Wahrheit aufgeſtellt, öffnet jeder Schandthat die
Thore! Ce que nous faisons ne règle nullement ce que nous
pensons; cela nous fournit seulement la matière dans laquelle
nous devons travailler; c’est à nous à opter comment nous
voulons faire, et c’est là le point moral qui nous appartient
.
Nur der Menſch kann wählen und richten, ſagt Goethe; „alle
andern Thiere der Erde wandlen und weiden im dunklen Ge-
nuß.“ — Si vous commencez à comprendre le positif de la
vie,
ſo bin ich außer mir vor Freude! Le positif des Le-
bens beſteht aber darin, das abzuleben was grad vor uns
ſteht
: deßwegen iſt Poſitives immer da, (wenn wir frei ſind
unſere Thätigkeit zu üben); auf unſerm Landſitz, wie in Pa-
ris; in der Geſellſchaft wie in der Familie; unter Menſchen,
wie in dem Stall; ja ſelbſt unter Büchern und allein. Die
Gegenwart fühlen, mit ihr ſich abgeben können, iſt das Le-
benstalent; je mehr man davon in ſich trägt, je poſitiver iſt
man, und je mehr Poſitives wird uns vorkommen. Ein leben-
dig ethiſch guter Wille belebt uns allein die Gegenſtände zu
geiſtigen. Das bin ich ganz gewiß. Der Geiſt iſt wie Sonne;
ſie iſt immer da; beleben aber kann ſie nur was da iſt. —
Grüßen Sie Oelsner von mir; und zeigen Sie ihm, was ich
Ihnen eben über Mad. de Staël ſagte: er kennt mich in der-
gleichen. Kann ich, ſo ſchick’ ich Ihnen den Tauler durch Graf
M. im December. —


[551]

An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.



Trübes, feuchtwarmes Regenwetter.


Ihr Brief, den ich geſtern Abend erhielt, gab mir etwas
von der einzig ſchönen Ruhe, die Ihnen Ihr ſtilles Lokal ein-
flößte, und machte mir aus großem Antheil viel Vergnügen.
An mir iſt kein Detail verloren; vom gröbſten Daſein an,
von der allſeitigſten Vereinzelung an, hab’ ich mich nur her-
aufgerankt zu den allgemeinſten Erkenntniſſen. Die Art mei-
nes Geiſtes iſt unſchuldig; gradaus ſind ſeine Strahlen, ſie
wiſſen nicht was ſie beleuchten werden: und ſo und nicht an-
ders muß er immer nur von neuem verfahren; eine andere
Weiſe iſt ihm gänzlich verſagt. Er hat etwas Genialiſches,
das will ich ihm nicht abſtreiten: es beſteht aber nur, und in
nichts anderm, als in der mir ſelbſt, und einem jeden, unbe-
greiflichen Schnelligkeit, ſein der Geſchwindigkeit ganz wider-
ſprechendes Verfahren zu erſetzen. Von allgemeinen Begriffen
auf einzelne Fälle zu operiren, iſt doch die größte Geiſtesöko-
nomie; ich muß erſt umgekehrt, durch die kleinſten Abſtraktio-
nen mir jene Begriffe ſchaffen; und dann noch Einmal ope-
riren. Aber dies wie durch Feuer, und ſein Licht: ſo ſchnell
geht’s; durch ſo ſchnelle Kombinationen, daß ſie mir ſelbſt alle
wie Einfälle erſcheinen. Eine Art Behelf, daher die Unfähig-
keit zu lernen; nichts in mich Aufzunehmendes vermag ich be-
reiten zu laſſen; daher erſcheinen die gewöhnlichſten Dinge
und Äußerungen bei mir, originell. Es iſt meiſt Unfähigkeit,
in der Folge aufzunehmen, und wiederzugeben, wie man es
[552] mir anbietet. In der Art hab’ ich mir aber beinah alle Ta-
lente auch der andern Menſchen erklärt: meiſt iſt jedes Talent
nur eine Umgränzung einiger in einander greifenden Gaben,
die grade die Nachbargaben ausſchließen, oder deren Mangel
vorausſetzen, und von dem begründet werden; das hab’ ich
ſchon oft ergrübelt. Findet ſich irgend in einer Seele ein gan-
zes Konzert, ein vollſtändiger großer Kreis von Talenten, wo
keins das andere durch deſſen Ausſchließung bedingt; und be-
lebt ein reges, empfindliches, geſundes Herz dieſe Fertigkeiten;
wohnt eine lebendige Überzeugung in ſolchem Geiſte, dann iſt
das Genie fertig. Dann lieb’ ich es mit leidenſchaftlicher,
glücklicher Bewunderung! Wen ich als Autor ſo liebe, das
wiſſen Sie. Eh ich Ihren Brief geſtern erhielt, im Nachmit-
tag, ſprach ich erſt von dem großen, einzigen Einfluß, den
Lokale auf mich üben; das was mich umgiebt, beherrſcht mich
meiſt ganz, unwiderſtehlich: kein Unglück, nichts widerſteht
dem ganz, Kein Glück, keiner Art, wäre für mich genießbar,
könnte mir den Seelenzuſtand ganz bereiten, deſſen meine Seele
bedarf, um es ruhig in ſich wirken zu laſſen, wenn ich in
einem mir verhaßten, mir widerſprechenden Lokal, in ſolcher
Stadt, ſolcher Gegend bin. Kein Menſch iſt empfindlicher
für ſolche Dinge: hat ſie zeitlebens ſo ausgeſponnen, zur Deut-
lichkeit gebracht, ſo davon gelitten! Sie können alſo denken,
wie erwünſcht mir Ihr Brief kam; wie balſamiſch er auf mich
wirkte! Wie ein gourmand gerne von ſchönen Speiſen hört;
ſo bin ich in meiner leckeren Gierigkeit dahin gekommen, ſchon
zufrieden zu werden, wenn nur Andere recht ſchön wohnen:
beſonders wenn es nun Freunde ſind; und in einer Verfaſ-
[553] ſung, wo ihnen das viel ſein muß; Beruhigung, Genuß;
Raum zu angenehmem Fleiß! Ich kann Ihnen aber nicht
aus einer Art Villa ſchreiben; auch nicht aus einem Sommer-
Sonnen-Thal; auch nichts von Kunſt, oder deren Genüſſen:
drum fängt mein Brief grüblend an über mich ſelbſt; grau
in grau. Doch bin ich in guter; alter, ruhiger Seelenſphäre,
mit junger, reger Genußfähigkeit; und zufrieden, wenn kein
Unglück, keine Angſt kömmt; mit Einſicht für das, was ich
beſitze. Hier, und da, gut berührt: und nur durch großen
Zwang
beachtend, wenn ich ſchlecht berührt werde. Ich kann
nicht, wie Sie, ſagen: ich verachte die Welt: aber ich kenne
ſie ganz; und ihre eigene Klemme; was kann ich von ihr
wollen, als Frieden; auch dazu muß man ihr Gutes thun,
und ſchmeichlen. Faire des ingrats, iſt die friedlichſte Beſchäf-
tigung; wenn man ſchon agiren muß; hin und wieder. Halten
Sie das nicht für Prahlerei.


Mad. Lindner hat mir einen ſo allerliebſten Brief ge-
ſchrieben, den ich durchaus goutirt habe, und der mir großes
Vergnügen gemacht hat. — Es freut mich ſehr, daß ihr die
Bekanntſchaft der Mad. Brede konvenirt. Sie könnte keine
beſſere, ehrlichere, gütigere Frau kennen lernen. Grüßen Sie
ſie tauſendmal! Ich liebe ſie ſehr! und immer. — Ich leſe
die Minerve, Dohms Denkwürdigkeiten, und „Über das Ver-
hältniß des Chriſtenthums und der chriſtlichen Kirche zur Ver-
nunftreligion“ von Muth. Dies letzte gab mir Robert, der
von Mannheim zur Ankunft des Kaiſers Alexander hier iſt.
Heute Abend kommt der; man verſchont ihn nicht mit der Il-
lumination. Gentz hat mich von Aachen grüßen laſſen, und
[554] beſtellen, er würde mich im Durchreiſen hier ſehen. Heute
hatte ich Brief von den kleinen Taſtet; ſie und Frau von
Lagorce ſind wohl. Sie ſchickten mir einen Brief vom Gene-
ral Bachelu, einem franzöſiſchen Freund, der zu Herzogin
von Angoulême in Straßburg war. Hier wird ſehr ſchön
Donna Diana, aus dem Spaniſchen, gegeben. Wenn Opern,
oder ſo ſchöne Stücke ſind, gehe ich hinein: wenn das Wet-
ter nur irgend zu behandlen, im ſchönen Spazirort ſpaziren.
Fürſt Fürſtenberg iſt hier: dem ich ſehr gut bin, weil er voller
Leben, und Lebensluſt, und Streben iſt; und man ihm das
alles auch anſieht. Kennen Sie der Kaiſerin von Rußland
Arzt, Staatsrath von Stoffregen? Der iſt auch hier; ein
großer Freund von Robert, und ein ſehr lieber Mann. —


Adieu. Ihre R.


An M. Th. Robert, in Berlin.



— — Ich möchte dir doch gar zu gerne bei dieſer Ge-
legenheit ſagen, wie ich über Religion denke: weil ich ein
Drängen habe, bei dieſen tiefen und umfaſſenden Gegen-
ſtänden, den wenigen Menſchen, mit denen ich eigentlich
rede, kein Geheimniß zu ſein, und beſonders ihnen nicht gar
ein falſches Bild von meiner innern Gedankentafel zu laſſen.
Ich war geſtern beſonders gegen eine gewiſſe Art von Reli-
gioſität ſehr aufgebracht, weil ich eben geſtern viel in einem
ganz neu erſchienenen Buche von F. las. Dort ſpricht dieſer
[555] Gelehrte, als hätte er dem lieben Gott in die Karte geſehn,
und wäre zu allem geiſtigen Anfang durch bloße Frommheit
gekommen, und ſetzt dieſen in die Sünde. Iſt aber tief-
ſinnig, geiſtreich und ſcharfſinnig genug, um ſich häufig, auf
jeder Seite könnt’ ich ſagen, zu widerſprechen. Zum Beiſpiel,
behauptet ſein guter Verſtand, neben ſeinem willkürlich- eitel-
ſtolz- oberflächlich- demüthigen Setzen ſeiner Sünde, daß
Schuld aufhören könne, und man immer von neuem wieder
unſchuldig würde. So phantaſirt er, geiſtvoll, unwahr, tief-
ſinnig, fade, das ganze Buch hindurch; ſchlägt an alle Geiſtes-
gränzen an, braucht Wiſſenſchaft und Syſteme aller Art, und
— bringt mich in einen wahren Ärger! Solch kluger Mann!
Solche Gaben, ſolche Hervorbringungen des Denkens, ſo
ſeicht zu verſchleudern, mit aller Emphaſe der Wahrheit, und
dem Schein des Ergriffenſeins! — Was zwingt einen menſch-
lichen Geiſt, eine Sünde anzunehmen, durch die wir hier ſein
ſollen? Neben einem lieben Gott! das heißt neben einem
Geiſte, der alles begreift, ſich, uns, alle Nothwendigkeit, alles
Daſein, alle Verhältniſſe; und den durchaus wir nicht be-
greifen, weil wir nichts evidenter wiſſen als unſre Gränzen;
den wir nur durch eine uns eingegebene Gabe vorausſetzen
müſſen, nämlich durch unſres eignen Geiſtes Fähigkeit, uns
unendliche Geiſter zu denken, und weil es, der Natur unſres
Geiſtes gemäß, ſinniger iſt, einen alles begreifenden, vorſtehen-
den Geiſt uns zu denken, als bei Unſinn, wie vieles für un-
ſern
Geiſt iſt, ſtehen zu bleiben. Dieſe Vorausſetzung iſt uns
zugleich Troſt; wäre ſie aber nur Troſt, — ſo ſehr wir
ſeiner auch bedürfen, ſo könnte doch unſer Geiſt, aus Troſt-
[556] bedürfniß allein, ihn nicht annehmen. Was in der Welt —
die Bibel nicht! — kann mich zwingen, neben Gott, für
dieſes Daſein eine Sünde anzunehmen? Mir iſt folgendes
natürlicher und einleuchtender. Wie finden wir uns? frag’
ich. Mit einem perſönlichen Bewußtſein; erſtlich begränzt in
dieſer Perſönlichkeit ſelbſt, dann in den Bewegungen unſres
Geiſtes, ſo ſehr dieſer auch das Weitreichendſte in uns iſt;
die Perſönlichkeit iſt die ſchärfſte Bedingung und der für uns
zu erreichende Grund unſres Bewußtſeins. Durch ſie wird
allein Sittlichkeit möglich: unſer Höchſtes jetzt; einzig ſiche-
res, einzig mögliches Handeln, mögliches Schaffen. Nur in
Perſönlichkeit können wir Glückſeligkeit und Unglückſeligkeit
finden. Daß uns der größte, alſo auch gütigſte Geiſt dieſe Per-
ſönlichkeit nur unter ſo harten Bedingungen verleihen mochte
oder konnte — hier gleichviel! — iſt ſein Geheimniß; die
Ergebung in dieſes Geheimniß, meine Religion, meine De-
muth, meine Weisheit, meine Ruhe! Alle andere Voraus-
ſetzungen ſind mir kindiſch und willkürlich. Mein Geiſt kann
immer höher ſteigen, mächtiger, ſchauender werden; und iſt
Gott mit allem Eins, ſo iſt’s wie mit uns ſelbſt; auch zu
uns gehört unſer ganzer Leib und die Intelligenzen aller un-
ſerer Organe, und es iſt doch eine vornehmſte da: der Kopf
weiß vom Fuß; der nicht vom Kopf! Dieſe ganze Voraus-
ſetzung hier nur ganz beiläufig, nur zum Beweiſe, daß ſie
nicht paſſe. Denke dir nun, wie mir ein Gott, oder wie mir
Menſchen vorkommen, die Opfer fordern; das Unſittlichſte in
der Welt; wie das Sittlichſte, dieſe Forderung an ſich ſelber
zu machen, und die Opfer zu leiſten. Daß überhaupt
[557] Opfer gebracht werden müſſen, würde ich tadeln, wenn dies
nicht ganz auf Gott zurückfiele; der aber hat den größten
Witz darin angebracht, den wir hier kennen, nämlich hat es
zur tiefſten Aufgabe unſeres perſönlichen Daſeins gemacht, zur
Aufgabe der Sittlichkeit, die aber ein jeder nur an ſich ſelber
machen kann und beurtheilen kann. Rechne es mir hoch an,
daß ich dir dies alles ſchrieb, es iſt das Höchſte, was ich
weiß. Mir iſt unter allen philoſophiſchen Syſtemen — ich
kenne ja was ſie aufſtellen — keines haltbarer, natürlicher,
wahrhafter, einfacher in der Vorausſetzung. — —


Ich muß noch ein Wort hinzufügen. Das Buch von F.
iſt, ich wiederhol’ es, ein Werk voller Geiſt, handelt von den
wichtigſten Gegenſtänden, regt unendlich zum Denken auf.
Wenn der Verfaſſer mich in Ärger brachte, ſo liegt das in
ſeiner und meiner Art zu ſein, und in der, wie wir zu unſern
Gedanken kommen, und ſie zu Folgerungen gebrauchen. (Frau
von Staël z. B. ärgert mich auf dieſelbe Weiſe.) So ärgert
mich nicht ſowohl ſeine Religioſität, als vielmehr die Stellen,
wo er ſie anbringt, und die Wege, wie er zu ihr kommt;
dich aber wird ſie unendlich anſprechen, weil es ganz deine
iſt; und du wirſt ihn, wo du ihn ehrlich (hier nur konſe-
quent) findeſt, darum beſſer verſtehen, als ich. Ich empfehle
dies Buch, weil es dich ſehr beſchäftigen und dir in vielem
neu ſein wird. Lavater aber und Saint-Martin, die ich dir
auch zu leſen empfahl, und andre ſolche großartige Seelen,
kommen wie aus einem religiöſen Meere mit ihren Gedanken
hervor, ohne zu ihren Beweiſen ein Stück Religion vor ſich
zu nehmen, und daraus eine Moſaik von ſtrengen Folgerungen
[558] und Axiomen einer beſtimmten Religion zu machen, wo-
durch mir dann dieſe beſtimmte bewieſen ſein ſoll! Mein
Urtheil nimmt das nicht an, mein Geiſt ſträubt ſich, meine
Seele empört ſich gegen ſolche Zumuthungen; daher ſcheine
ich dann zornig. — —


An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.



Ich glaube, Lieber, Ihr Freund ennuyirt ſich! Was hat
er für eine politiſche Unruhe? Als ob uns das Meſſer an der
Kehle ſtünde, und wir auch nun keine Bewegung mehr ohne
Schnitt machen könnten. Ungefähr ſo wie jetzt leben wir und
unſere Vorältern ſchon lange; ungefähr ſo werden wir noch
lange exiſtiren müſſen. Es vorherrſcht ein großer Lügenwuſt;
der uns auf allen Punkten berührt, den wir in unſerer Luft
ſchon mit einathmen, und aus unſerer Bruſt wieder hinein
ſchicken. Alles moraliſche Übel ſetzte ich in die Lüge. Liegt
es an unſerm Verſtand, wenn wir von der Wahrheit ab, in
der Lüge ſind, ſo iſt’s Irrthum. Zugegeben, daß wir jetzt in
einem Moment leben; wo an einem paar hauptſchädlicher Lü-
gen ſtark gerüttelt wurde, und noch gerüttelt wird: ſie ſind
angebrochen, und das wahre Verhältniß iſt in manchem Bruch
am Lichte: es wird ſchon weiter losfallen müſſen. Habt nur
einige Geduld! Mir iſt alles lieber, als Feuer und Schwert,
wenn ich nicht grade über einen einzelnen Nichtswürdigen,
[559] über eine beſtimmte Unthat im brennenden Gerechtigkeitszorn
bin. Betrachten wir das Ganze, ſo kann uns nie entgehen,
daß dies nur langſam fortrücken kann: ſich entwicklen muß
durch Geiſtiges, wie Pflanzen an der Sonne, — und daß wir
Armen uns immer nur in einer beſtimmten Entwickelungspe-
riode befinden können, die ungefähr unſerer Organiſation gleich
wohl und wehe thut; und ſollte es uns merklich beſſer gehen,
wir, wie wir jetzt ſind, plötzlich in eine künftige Zeitperiode
verſetzt werden müßten: änderte ſich aber dieſe, in welcher wir
ſind, plötzlich, auf menſchliche Weiſe, ſo hätten wir ſehr zu
leiden. Es giebt aber einen Zuſtand, in dem man dies doch
wünſcht: den nenn’ ich aber Ennui. Es ſind die Mißſtände
auf der Erde nicht auszugleichen. Nicht einmal eingeſehen
werden ſie. Sogar den Sündenfall hat man erfunden, —
größter Beweis, daß, will man einen Grundunſinn ausglei-
chen, nur der Witz der Stupidität noch thätig bleiben kann,
für jede andere iſt der Unſinn ein Ende, — um nicht ergeben
und fleißig an Kleinigkeiten zu arbeiten; an dem, was grade
jedesmal vor uns iſt: dies iſt unſere irdiſche Natur; dies zu
erkennen, unſeres Geiſtes Aufgabe; dazu aufgelegt ſein, unſere
hieſige Geſundheit und ihr Merkmal. Und haben weiſe Men-
ſchen geſagt, wir ſollen wie Kinder ſein, ſo verſteh’ ich dies
darunter. Kinder ſind immer ehrliche Leute; und ehrliche Leute
wie Kinder; ihr ganzer Geiſt in einer Frage an alle Gegen-
ſtände begriffen.


Leſen Sie doch Steffens Karikaturen des Heiligſten! Ich
habe mich durch dies Buch durchärgern müſſen. Er und ſeine
Gegenſtände ſind immer intereſſant: aber ſolcher Geiſt bleibt
[560] mir immer ein Räthſel, nie läßt er ihn ſatt werden von im-
mer in der Tiefe gefundener Wahrheit, hinauf muß er wieder,
und koſten an jede Verwirrung, die ſie deckt. Wie Frau von
Staël arbeitet er mit den beſten Dingen und Worten, erhitzt
umher: und kunſtſtill, gebetſtill, unſchuldsſtill werden ſie nie.
Das erhitzt mich ſo bei ihnen. Steffens muß ich aber doch
ehrlich nennen. Aber ſeine Lektüren ſind ihm, was ihr, der
Frau von Staël, ihre Salons ſind.


Leſen Sie auch eine kleine Broſchüre sur la notion du
temps
von François Baader, und ſehen, was man, und in wel-
chem Franzöſiſch, dem ruſſiſchen Miniſter du culte zumuthet.
Das hat der arme Saint-Martin nicht gedacht! S. 21. iſt
eine herrliche Stelle von ihm angeführt.


Wäre es Sommer, wir in einem Blumenthal, eine italiä-
niſche Oper nicht weit, ſchöne großen Kirchen nah, hübſche
Menſchen um uns, wir ſprächen von andern Dingen! Adieu!
Grüßen Sie tauſendmal Mad. Lindner! Auch Mad. Brede.
Liebe, Blumen, Muſik; Luft, Wald, Feld, Sommer, Vögel-
ſang: und Intriguen, die ſich darauf beziehen, wenn es
denn welche ſein ſollen! Adieu, adieu.

Ihre R.


Von hier iſt nichts zu ſchreiben; alſo iſt mein Brief ſehr
viel: denn aus dem Ärmel ſchüttlen iſt eine ſchwere Kunſt.


An Friedrich Auguſt von Stägemann, in Berlin.



Ich hoffe die Ihrigen ſind längſt von ihren Üblen und
Unpäßlichkeiten geheilt, da es nun ſchon etwas lange her iſt,
und
[561] und der Eintritt des Winters finde Sie unbrauchbar für die
Übel, die er zu geben pflegt; eben ausgeſtandene Krankheiten
machen öfters für dergleichen empfänglich. Varnh. war bis
jetzt wohl, leiſtet aber jetzt eben ſeinen Zoll im Bette — wo-
vor ich ſchreibe — durch ein katarrhaliſches Übel; welches aber
ſo wohl bald geheilt ſein wird! Ich bin immer in einem kon-
valeszenten Zuſtand; für Andere geſund, für mich nicht. Doch
bin ich ſo mit der jetzigen Himmelsluft entzweit — geſpannt,
hätte ich ſagen ſollen — daß ich ſchon drei Wochen gar nicht
mehr ausgehe. Bis zu dieſer Zeit hatten wir wärmliches, oft
ſchönes Wetter; ſeit der Zeit aber iſt der Winter trocken, ohne
Schnee eingetreten, welches nicht gut wirkt. Um dieſelbe Zeit
ſtarb nach vielem Leiden der Großherzog; das hat mich ſehr
affizirt, da ich ihm perſönlich ſehr gut war: und das größte
Grauen — terreur — vor Bruſtbeklemmung aus Erfahrung
habe. Dieſes Ereigniß hat auch die Stadt ſehr ſtill gemacht;
das Theater — das Aug — geſchloſſen; die Geſellſchaften ge-
hemmt. Es wird alles allmählig wieder angehen. So iſt es
äußerlich hier. Eine Stadt ohne Theater iſt für mich wie ein
Menſch mit zugedrückten Augen: ein Ort ohne Luftzug, ohne
Kours. In unſern Zeiten und Städten iſt ja dies das ein-
zige Allgemeine, wo der Kreis der Freude, des Geiſtes, des
Antheils und Zuſammenkommens — auch nur — aller Klaſ-
ſen gezogen iſt. Nichts deſto weniger applaudir’ ich Sie doch,
daß Sie nicht in’s Theater gehen: d. h. es macht mir Ver-
gnügen. Laſſen Sie ſich geſtehen, daß kein Theater in der
Welt mir den Ärger abzwingen kann, wie das Berliner —
ſeit Iffland, — erſtlich, weil keines mich ſo intereſſirt hat;
II. 36
[562] dann, giebt es keines mehr (es hat aber ſchon angeſteckt!)
mit ſolchen ſteifen Prätenſionen an ſich ſelbſt. Es iſt eine
Zwangsanſtalt für Schauſpieler und Publikum in allen Rück-
ſichten, nach und nach geworden — das wird Schulz wiſ-
ſen! — Jetzt braucht man nur die Rezenſionen in den Berli-
ner Zeitungen zu leſen; um über die ganz inhaltleeren An-
ſprüche, und Beurtheilungen, den Gichter zu kriegen, — wie
ſie hier ſagen, oder: alle Zuſtände. (So eben iſt General
Tettenborn gekommen; er läßt Sie grüßen, und ſeine baldige
Abreiſe nach Wien vermelden.) Es freut mich alſo, daß Sie
Rache für mich nehmen, an dieſer Anſtalt! die ſo viel gute
Elemente ſo hartnäckig und langjährig zu erſticken bemüht
iſt. Um ſo mehr aber noch gefielen mir Ihre ſchönen Verſe
über Milders-Töne. Es hebt ſo richtig aus Ihren damaligen
Gedanken, Situation und Gefühl darüber an, dieſes Gedicht:
das iſt bei mir eine große Hauptſache; nämlich das Wirkliche
eines Gedichts. Iſt das proſaiſch? mich dünkt nicht; — ich
halte unendlich auf das Reelle bei allen Eingebungen; es
müſſen nämlich welche ſein; ſie gehn aber nur aus dem wah-
ren wahrgenommenen Seelenzuſtand hervor: und darum ge-
fallen mir oft die pausbackigſten, mit noch ſo dithyrambiſchen
Worten in die Silbenlänge gezogenen Gedichte nicht; und
aus eben dem Grunde Ihre oft ſo ſehr. Die Sappho möcht’
ich gerne ſehen; Auszüge haben mir davon gar ſehr gefallen:
auch ſagte uns Mad. Schröder dieſen Auguſt hier ganze Sce-
nen davon bewundrungswürdig. Mir iſt Mad. Wolff von
je her — ich kenne ſie aus Berliner Gaſtrollen — nicht genug
von innen kräftig geweſen. Doch mag ſie viel gelernt, und
[563] gewonnen haben; und eine Leidenſchaft, die uns in ſo an-
dern Zeiten und „Gelegenheiten“ — wie Logau ſagt —
entrückt, ihr mit angelerntem und angedachten Maß ſchon
gelingen.


Mir ſind jede Miniſter gleich: es können nur gute ge-
wählt werden; da es immer von denſelben Menſchen abhängt.
Graf B. aber iſt mir beſonders angenehm, da ich ihn kenne
und liebe, ſeit geraumer Zeit: als er feine Weltſtudien in Ber-
lin machte. Die ſchöne Gräfin kenne ich erſt ſeit Wien, wo
ich ihre Liebenswürdigkeit wahr fand, worauf Briefe von ihr,
und Menſchen mich ſchon vorbereitet hatten; ſie war dort von
allen Feſten, und ausgeſuchtern Geſellſchaften.


Leben Sie wohl! Lauſchen Sie auf ſich ſelbſt; und Sie
finden gewiß ſo ſchöne Gedichte im lieben guten Frieden, als
der herrlichſte Krieg — ein gewonnener: auch Friede — nur
immer eingeben kann. Bleiben Sie mir gewogen, und beſu-
chen Sie Einmal die Bäder dieſes Landes!

Ihre ergebene


Fr. Varnhagen.


An Roſe, im Haag.



Theuerſte Herzensroſe! Wie hat es mich gekränkt, daß
dein ſo erwünſchter Aufenthalt in Brüſſel ſo unglücklich und
quälend geſtört war! Der arme Karl! Das iſt ja die Krank-
heit, die ich hatte, als du mit Louis niederkommen mußteſt,
und wo ich dreizehn Wochen zu Bette und ein Jahr konva-
36 *
[564] leszent war. Gott behüte! Was ſoll man dazu ſagen!
Das ſind Schickſalsprügel; wovon die Flecke nicht vergehen.
Ich ſpreche auch von dir. Ich würde ſagen, ſchone dich, er-
heitre dich; wenn ich nicht wüßte, daß dies ganz unnütz iſt.
Man thut es doch nicht: im Gegentheil, man will ſparen nach
großen Ausgaben, und meint ſchon viel ſchuldig zu ſein, wenn
man nur jappt! So rinnt das Leben der Vernunfts- und
Schuldigkeits-Knechte hin! Ich aber eſſe doch jetzt jeden
Tag ein halbes Huhn: weil nichts ſo leicht Nahrung giebt,
und feinen lädirten Organiſationen dieſe ſo ſehr nöthig iſt.
Mache dir auch Zerſtreuung, bei deiner Eſelsmilch: d. h. geh
an Orte, wo neue Gegenſtände, Worte und Menſchen dich
berühren, dir Blut, Leben, Nerven und Gedanken auffriſchen.
Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indeſſen der Män-
ner Beſchäftigung wenigſtens in ihren eignen Augen auch Ge-
ſchäfte ſind, die ſie für wichtig halten müſſen, in deren Aus-
übung ihre Ambition ſich ſchmeichelt; worin ſie ein Weiter-
kommen ſehen, in welcher ſie durch Menſchenverkehr ſchon
bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die klei-
nen Ausgaben und Einrichtungen, die ſich ganz nach der Män-
ner Stand beziehen müſſen, Stückeleien vor uns haben. Es
iſt Menſchenunkunde, wenn ſich die Leute einbilden, unſer Geiſt
ſei anders und zu andern Bedürfniſſen konſtituirt, und wir
könnten z. E. ganz von des Mannes oder Sohns Exiſtenz
mitzehren. Dieſe Forderung entſteht nur aus der Voraus-
ſetzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts Höheres
kennte, als grade die Forderungen und Anſprüche ihres Man-
nes in der Welt: oder die Gaben und Wünſche ihrer Kinder:
[565] dann wäre jede Ehe, ſchon bloß als ſolche, der höchſte menſch-
liche Zuſtand: ſo aber iſt es nicht: und man liebt, hegt,
pflegt wohl die Wünſche der Seinigen; fügt ſich ihnen; macht
ſie ſich zur höchſten Sorge, und dringendſten Beſchäftigung:
aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit,
und Tragen, können die uns nicht; oder auf unſer ganzes
Leben hinaus ſtärken und kräftigen. Dies iſt der Grund des
vielen Frivolen, was man bei Weibren ſieht, und zu ſehen
glaubt: ſie haben der beklatſchten Regel nach gar keinen
Raum für ihre eigene Füße, müſſen ſie nur immer dahin
ſetzen, wo der Mann eben ſtand, und ſtehen will; und ſehen
mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer,
der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre,
jeder Verſuch, jeder Wunſch, den unnatürlichen Zuſtand zu
löſen, wird Frivolität genannt; oder noch für ſtrafwürdiges
Benehmen gehalten. Darum mußt du und ich ein wenig an-
gefriſcht werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief
geleſen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun-
den für künftigen Sommer, und ſchlug mir gleich vor, zu dir
zu gehen — nach Geſundheit und Jahreszeit. Ich ſtellte ihm
die Sache vor, wie ſie iſt: und er ſah es gleich ein. Mit dir
aber, theure liebe Roſe! mag ich jetzt noch von keiner Reiſe
reden: wozu dies im Januar, da es bis Juni Zeit hat. —


— Auch ich thue nichts Unſinniges und Verſchwendriſches:
bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave
der Vernunft, ſo nennt man mit Recht das, was man für’s
Erſprießlichſte erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus
nicht hohem Geſichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das
[566] iſt auch mein Fehler: und ich ſchade Geſundheit und beſſerm,
höhern Leben damit; weil die nur im höheren Leben gedeihet.
Seit Mitte Novembers war ich zweimal aus: ich mußte das
Wetter meiden: und bin doch nur paſſabel geſund: wie du’s
kennſt: jedoch hab’ ich große Anfälle vermieden. Varnhagen
iſt ſeit dem Tag vor Sylveſter an einer Grippe zu Bette ge-
weſen: recht krank. — Ich hatte es ſchlimm: ſein Zimmerchen
war warm und klein, und ich mußte immer durch Kälte da-
hin. Das that mir Schaden. Auch bin ich krank und imbé-
cile
von Ideen- und Zerſtreuungsloſigkeit. Das kann ich nicht:
konnte es nie!!! — Doch geht’s jetzt: par ci par là kommt
Einer. Ich kann wegen Blutſteigen und meiner Augen nicht
ſtets leſen. Doch leſe ich viel. Du ſiehſt meine Handſchrift,
nachgrade nun werde ich nervig. — Schreibe mir bald, Ge-
liebte! Daß du die Catalani hörteſt, iſt mein Troſt! Auch
freut mich ſehr dein Schiller und Goethe. Studire den letztern
ſehr! Iſt ſein Leben und alles von ihm dabei? —


Adieu. Liebes Kind! Schreibe mir bald! Von zu Hauſe
krieg’ ich auch nur ſo wenig Briefe, und ſo wenig drin als
möglich: auf dem Ort iſt mein Herz hart gebrannt. Adieu.


Deine R.


Dore grüßt ſchön! Auch Hrn. Aſſer. Ich auch noch Ein-
mal! er ſoll ſich noch lange pflegen und ſchonen, und Cham-
pagner trinken und Eiſentropfen gebrauchen. Das waren da-
mals meine guten Mittel.


[567]

An [Aſtolf] Grafen von Cuſtine, in Paris.



Iſt es möglich, lieber Freund, daß Sie mir ein Wort aus
Paris ſchreiben? wo Sie ſeit wenigſtens ſechs Wochen ſein
müſſen, und wo Ihnen doch ſo vieles begegnet ſein muß. Se-
hen Sie Ihre vorjährige Kotterie? iſt es Ihnen unbehaglich?
Haben Sie andre angenehme Gänge? Gehen Sie ſpaziren?
Schreiben Sie mir Erfriſchendes! Alles. Mein Winter war
ſo voller Unpäßlichkeit, daß ich ihn bis vor drei Wochen in
der ertödtendſten Einſamkeit, zu Hauſe zubringen mußte; weil
jeder Verſuch zum Ausgehen mir wenigſtens noch acht ſchlech-
tere Tage, und beſonders Nächte machte; er war ſo trocken
für mich in allem was mich beleben und nähren ſollte, daß
ich ſelbſt trocken und dürr davon geworden bin: mich nicht
durch mich allein zu erholen vermag; und hoffnungslos warte,
es möchte etwas kommen! In ſolchen grimmigen Stimmun-
gen mochte, und konnte ich Ihnen nie ſchreiben: was hilft
das Beichten an Freunde; das Beten zum Himmel: mich dünkt
oft, man ſetzt beide in keine gute Verfaſſung, wenn uns doch
nicht geholfen werden kann oder ſoll. Das Dekret von oben:
ich ſoll vernünftig ſein, das kenne ich. Und eben weil meine
innerſte Natur mich einzig zu Befolgung dieſes Gebots treibt,
fühl’ ich mich eigentlich elend, oder vielmehr dies iſt mein
ganzes Elend. Frei bleiben ewig die Wünſche und Bedürf-
niſſe unſers Herzens! dies iſt abſolut ausgemacht; und heißt:
wir ſelbſt können unſere Natur, und die Thätigkeit ihres We-
[568] ſens nicht ändern; wir ſind nur die fühlende Einſicht derſel-
ben: und wird ihr widerſprochen, und wir ſehen ein, daß auch
das richtig in einem andern Sinne iſt, und wir uns unter-
ordnen ſollen: ſo iſt, und bleibt uns weh; mit, und aus
Vernunft. Was kann man alſo thun, als ſeine Schmerzen
fühlen, und ſie ſich machen helfen! Dabei lieb’ ich meine
Natur, und ihre Anſprüche; und tödte doch, bleibe in Einem
Tödten! und wenn ich Freunden gegenüber bin, und dies
nur mit Tinte und Feder, und das wogende Leben uns
nicht trägt
, in deſſen tauſendfältigen Wellen ſich doch un-
endliche Lebensbilder abſpieglen müſſen, die uns zerſtreuen
müſſen: ſo fällt mir nur das Reſultat ein, der eigentliche Jam-
mer des Facits; und den trag’ ich Scheu immer vorzutragen.
Das die Beſtandtheile meines Schweigens! Auch Varnhagen
war an fünf Wochen krank: drei zu Bette; und ich ſeine
Wärterin: welches, da er in einem kleinen Zimmer mit eiſer-
nem Ofen zu liegen kam, und ich durch kalte Räume zu ihm
mußte, und es doch nie lange bei ihm aushalten konnte, alſo
immer hin und her lief, — und ich unpaß — mir ſehr ſcha-
dete. Mein Rheumatism im Kreuz will keine Art Anſtrengung
mehr erlauben: ich kann keine halbe Stunde ohne Schmerzen
mehr gehen; durch eine neue Erkältung von dieſem Sommer
aus Komplaiſance! — Mein Arzt iſt nicht ſchlecht, aber er
überſieht mich nicht: folglich auch meine Übel nicht. Koreff
weit weg! Karlsbald wäre mir gut, meine ich. Das iſt aber
ſo weit: und mit einer Jungfer allein hin, iſt auch übel; und
die Zeit der Kur hart: und ich auch dort ohne ärztliche Di-
rektion. Kurz, alles ſchwer Kommen Sie denn noch mit
[569] Mama? Noch denk’ ich’s. Und Köln wollen Sie ſehen!
das verrückte Neſt. Dieſen leider verſteinerten Koloß der alt-
fränkiſchen Tollheiten und Unbequemlichkeiten, den ſie jetzt ſo
berühmt machen wollen! Wo einem unſinnig drin zu Muthe
wird. Eine Stadt, die keinen Mittelpunkt, keinen Corſo, kein
Geſicht hat; keine Ausſicht: die ſelbſt dem Rhein das Hinterſte
zukehrt. Auch der Dom iſt nicht, wie der Wiener, der Straß-
burger, erhebend, Ruhe gebietend: nur für einen mit Kunſtſinn
und techniſchem Urtheil ausgeſtatteten Bauverſtändigen kann
er Intereſſe haben; wir haben keinen Eindruck davon; ſehen
Latten und Bretter. Unſere Regierung und ihre Legaten ar-
beiten ſich ab, dem Modegeſchrei Genüge zu thun und den
dekrepiten Koloß wieder aufzupäpplen: aber mache mal einer
einen ſterbenden unartigen Greis wieder zum friſchen, nah-
rungsgedeihenden, aufwachſenden Kinde! Zwar iſt es auch
ſchwer, ſolches Unthier untergehen zu laſſen; nur ſoll man die
alte Zeit nicht durch ihn herzuſtellen glauben; die iſt vorbei-
gefloſſen wie der Rhein. Köln iſt ein Wahrzeichen römiſcher
Herrſchaft außer römiſchen Landes; römiſchen Untergangs;
deutſchen Aufſtrebens; geſchickt, und ungeſchickt: und nie Rom
los werdend, bis heutiger Stunde; wir hieſigen Völker alle!
Wenn man’s abzeichnen, und dann abbrechen, und neu und
bequem konſtruiren könnte, ſo wär’s ein Glück! Da komm’
ich Doktor Schloſſer gut an! und vielen Neuern! Ich glaube,
Bärſtecher wird mir eher beitreten. Alſo wann reiſen Sie?
wann kommen Sie? Nicht ſo ſpät! Sie theilen Mama mei-
nen Brief mit: Sie können ihn gut überſetzen. Sie verſtehen
vortrefflich mein Deutſch, und mein Franzöſiſch! zwei fremde,
[570] neue Sprachen! Nicht aus Affektation. Ich kann nicht an-
ders. Mir hilft alles Leſen nichts. Manches hab’ ich dieſen
Winter geleſen. Vieles war gut und gefiel mir. Ich las
auch mehreres von Lavater. Den lieb’ ich von ganzer Seele!
Er iſt brav. Geiſtreich; voller Einfälle; gütig: ungeduldig;
nämlich, übt die höchſte Geduld mit Menſchen aller Art; von
allſeitiger, und tiefer gütiger Einſicht. Nach der Bibel re-
ligiös
: mit ſo vieler wahren erhabnen Religion, daß ich ihn
liebe, wenn er unzubehauptende Dinge behauptet. Ein eng-
liſcher Menſch! Leſen Sie, wenn Sie es nur irgend bekom-
men können, gleich — vielleicht auf der reichen Pariſer Bi-
bliothek; hat ſie auch Deutſches? fragen Sie Hrn. Oelsner,
vielleicht hat der Bekannte, die deutſche Bücher haben —
„Ausſichten in die Ewigkeit, von Lavater, in Briefen an Zim-
mermann.“ Wundergöttlich. Dies Buch allein hat mich die-
ſen Winter oben erhalten. Sonſt hätte ich mich für geſunken
halten müſſen. Noch ſcheint mir dies Buch wie warme lichte
Sonne in meine Zeit. Laſſen Sie ſich nicht abſchrecken von
mancher präkautionirenden Weitläufigkeit in dem Buche, der
arme Lavater mußte ſich der damaligen Geiſtesepoche beugen;
es war die der — vielleicht präſumtuoſen — Aufklärung, er
thut es mit Grazie, und Geduld, und Ungeduld: wir lernen
jene Zeit und ihre Schwierigkeiten daraus kennen, und unſere
tüchtiger auch ſchon als eine ehmalige beurtheilen, und ſehen
flache Stüfchen mit großer Anmaßung betreten: auch der arme
Racine — in ſeinen Briefen, vorzüglich an Boileau — mußte
ſich wieder einer andern, der bigotten Zeit, oder vielmehr dem
bigotten Hofe mit einem Beichtvater-Einfluß, fügen. So
[571] hemmen die Begränzten die ſeltenen ſchönen Schwingen unſe-
rer Vornehmſten! — Neulich las ich in zwei Abenden wie-
der Phedre, Eſther, Iphigenie und Athalie mit Leidenſchaft,
Ehrfurcht und Entzücken! Mit höchſter Liebe. Je mehr ich
verſtehe, je mehr bewundre ich den engliſchen, ſüßen, ſtarken
Racine. Adieu!

Ihre R.


Fürſt Hardenberg ſoll nach Italien gehen; ſagt man?
Ich habe Koreff gefragt, ob’s wahr iſt. Mit einem Kourier.


An Oelsner, in Paris.



Dies wird nur ein Freundesgruß, der Ihnen einen künf-
tigen Brief ankündigen ſoll. Schreiben Sie nur hübſch wei-
ter! Auch ich werde Ihnen melden, was ich weiß, d. h. was
ich denke über alles Altfränkiſche: mir kommen die Tages-
dummheiten durchaus als ſolches vor. Kopfungelenkigkeit;
Herzenskälte, Stagnation darin; und Dünkel, da man Ein-
mal nicht hinter dem Pfluge ſteht und hinter dem Spinnrad
ſitzt; das irrt Gemeine, und täuſcht ſie bei Schlepprock, und
Manſchette! Adieu! Viele Grüße für Sie und Mad. Oels-
ner! Wenn Sie ſchöne Pariſer Frühlingsbouquette ſehen, ge-
denken Sie meiner! An ſolche Sachen denk’ ich. Haben
Sie die Cuſtine’ſche Familie geſehen? Sind die ſchon oder
noch in Paris? Iſt Gräfin Schlabrendorf noch dort? Ant-
worten Sie gütigſt auf dieſe Fragen! Leben Sie wohl!


Ihre R.


[572]

— — Wenn es irgend paſſen will, und thunlich wird,
ſo komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten —
von Kindheit an — liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge-
dächte ihm dann auch durch die That zu beweiſen, durch
einen Ball, wie ſchön, heilſam, erfreuend und ergötzend das
Tanzen ſei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raiſon-
nement, die er mir erſt erſtürmen müßte. — Die ſchönſte
Kunſt! Die Kunſt, wo wir ſelbſt Kunſtſtoff werden, wo wir
uns ſelbſt, frei, glücklich, ſchön, geſund, vollſtändig vortragen;
dies faßt in ſich, gewandt, beſcheiden, naiv, unſchuldig, richtig
aus unſerer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf,
Beſchränkung und Schwäche! Dies ſollte nicht die ſchönſte
Kunſt ſein? Gewiß, ſie, und die andre, welche entſtünde,
wenn die Sittlichkeit bis zur ſichtlichen Darſtellung ge-
ſteigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die-
ſen Namen, weil ſie uns ſelbſt idealiſch und frei darſtellen,
alle andern aber nur Ideen und Zuſtände unſerer beſten Mo-
mente. So denk’ ich’s mir; ſo fühlte ich’s von Kindheit an;
und am reizendſten von allen Künſtlererſcheinungen ſchwebte
mir die der vollkommenſten idealiſchen Tänzerin vor! Was
iſt das bischen größere Dauer der andern Muſenkünſte?
Sind ſie nicht alle nur ein Auftauchen aus unſrem bedingten
Zuſtande? — Und iſt nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll-
ſtändigkeit der Geſtalt dieſes Zauberaufſchwungs ein beſſeres
Maß des Werthes der Künſte, als die, zwar nützliche, Dauer
derſelben? —


[573]

Rottecks Ideen über Landſtände. Vorerinnerung.
S. 4. „Die philoſophiſche Theorie läßt alles Vorhandene
auf ſeinem Werth oder Unwerth beruhen. Daſſelbe mag als
hiſtoriſch Begründetes, überhaupt, als Gegebenes,
ſeines beſondern Rechtes ſich erfreuen.“ Das Wort
„hiſtoriſch“ ſchlägt keinen reinen beſtimmten Ton im Ver-
ſtändniß an, und wird daher jetzt beſonders gemißbraucht.
Alles Ereignete, was ſich ereignete, iſt nicht hiſtoriſch. Was
ſich ereignet, dies gehört ganz gewiß mit zur allgemeinen,
großen Entwickelung in der uns bekannten Natur, des Men-
ſchen Geiſt und der Menſchen Zuſtand mit eingerechnet; aber
hiſtoriſch iſt nur das, was die weiſeſten Leute, Beobachter,
Hiſtoriker, wie auf einem Faden aufgereiht uns darzuſtellen
für würdig fanden, weil ſie es in ſeinen Beziehungen auf
Entwickelung nöthig hielten. Nöthig iſt auch alles, was ſich
nur ergeben mag, für Weſen, die das Univerſum in ſeinen
Bedürfniſſen und Zwecken überſchauen: für Menſchen aber
bleibt nur wenig hiſtoriſch: und alle ſchlechten Einrichtungen,
oder gute für ſchlechte Dinge, und Anſtalten müſſen abgetra-
gen werden, zerſtört, und ſind, weil ſie Schlechtes befördern
wollen und nicht die beſſern Anſprüche im Menſchen, nur
ſimple Ergebniſſe, Ereigniſſe; und müſſen nicht hiſtoriſch
Begründetes
genannt werden; damit man es auch gleich
an ſeinem Namen erkenne, und es Verwirrten keinen Anlaß
gebe, in der Verwirrung mit ehrwürdigen Worten eingeengt
zu bleiben.


[574]

An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Dienstag Mittag, Gewitterſchwüle.


Alſo ſolche Ehre muß ich von Ihnen erleben! Clairon
läßt Voltaire’s Wageſchale ſteigen; ſchon trägt die Schröder
Grillparzer mit auf ihrem Fittig, und Auguſte unſern Uhland
auf dem ihrigen zum Parnaſſus! Dies freut meine Seele aus
hundert Urſachen! Athmet doch unſer Land — wir müſſen
noch immer dabei ſagen: Deutſchland — auf allen Le-
benspunkten auf. Wird doch der Willen ſtark und flott!
Bekömmt doch Deutſchlands Praſſer, Wien, einen Dichter, und
hat eine begabte, eine erkannte Künſtlerin, die ſich einander
heben, halten und ſteigern, die ſich lieben, und für einander
wirken. Hat doch Stuttgart einen Berliner Ableger, der dort
mehr, als in ſeiner Heimath, wirken kann, aber als Stutt-
garter es nicht gekonnt hätte; ſind Sie doch in der ſich der
Stockung und Trauer überlaſſenden Mittel-Kapitale der Vor-
ſtand und Ermunterer der Bühne und des Dichters! Sehr
ſchön war, was Sie bei Eröffnung des Theaters nach der
Trauer um die Königin vollführten; vortrefflich ſollen Sie
das Gedicht geſprochen haben, mit ſchöner Stimme, und das
Ganze ausgeführt. So erzählte Lindner. Ein Glaubenbeizu-
meſſender. Schöne Sappho gegeben haben; hört’ ich auch
ſchon von Küſters! — ſo wetzen Sie das Intereſſe für’s Thea-
ter; darin iſt alle Kunſt, aller Sinn dafür mit einbegriffen;
ja auch das Nachdenken überhaupt geweckt; bei einem großen
Theil zuerſt, und auf die einzig mögliche Weiſe. — Geſtern
[575] kam ein Herr aus Stuttgart, ein Freund Uhlands, und er-
zählte von Ihrem letzten Ruhm. Ernſt von Schwaben, ſo
glaub’ ich heißt das Stück, ſollen Sie vortrefflich gegeben
haben: und auch Eßlair. Uhland erkennt es ganz an; und
hat Ihnen einen ſchönen Brief geſchrieben! und einen an Varn-
hagen, wo er Sie über alles lobt! Und ich mache, als
wenn ich’s ſo gut geſpielt hätte; und ich ihm ſein Stück
durchgebracht hätte! Beſonders krepirt’s mich, daß Ihre
Stimme ſich ſo gebeſſert hat! — warum ſollen wir ollen
Berliner das expreſſive Wort krepiren nicht auch im guten
Sinn, der Verſtändlichkeit wegen, gebrauchen? — Aber nun,
theure Auguſte! ſtrengen Sie ſie nicht etwa zu Ihrer eigenen
Satisfaktion doppelt an! ſondern ſein Sie dankbar gegen
dieſe Gute, und laſſen Sie ſie gewähren! Gehen Sie ja wie-
der nach Karlsbad! und thun Sie Ihrer Geſundheit alles
Gute an: und geben Sie auch der recht nach! Das einzige
Heilmittel für kroniſche Übel, Anlage-Krankheiten: ich weiß
dies durch’s Gegentheil. Es muß Ihnen doch rechte Freude
verſchaffen, daß Sie in Stuttgart nun ſo Fuß gefaßt haben,
und ſo gut wirken können; es iſt ſchwer am deutſchen Wagen
ziehen; ſeine Räder ſtehen noch nicht ſymmetriſch zu beiden
Seiten; und Viele nehmen dies ſogar zur Ausrede, wenn ſie
helfen ſollen: die, von denen zur Zeit noch Hülfe kommen
kann, müſſen noch ein wenig, wie die wildern Abkömmlinge,
ſich behelfen; ſelbſt Radmacher, Schmidt, Lenker, oder Vor-
ſpann abwechslend ſein können. — Aus Ehrfurcht nenn’ ich
keine Nation, bei der das noch der Fall iſt: bei großer Bil-
dung müßt’ er wieder kommen, dieſer Fall, dünkt mich —.
[576] Es mag in Stuttgart jetzt doppelt nöthig, und dreifach ſchwer
ſein. Man accentuirt jetzt in der Welt, und an den Höfen
zu ſtark auf Trauerfälle, und Ehe, und Moral, und Ökono-
mie, und allen Ernſt, und alle Noth, und ihr Gefolge. Man
merkt ſtark, daß Etwas ſehr traurig iſt; und meint es mit
Ernſt, Schwitzen, Faſten und Darben, thätigen Mienen,
und großem Anlauf ohne Ziel — wozu man einen Zweck
und Grund haben muß — abhelfen zu können! Dem freu-
digen geſunden Herzen, welchem in jedem Vorhaben und Ge-
genſtand nur die Wahrheit — heißt, ihr ungehemmter, natür-
licher Zuſammenhang — gefällt, dem laſſe man freien Lauf,
und man wird keine Trauer-Mienen und Anſtalten, keine auf
das innerſte Leben ſich beziehende Ökonomie mehr brauchen.
Wahrheit raus! Wahrheit aus den düſtern Löchern! Solch
Jagdgeſchrei möcht’ ich Einmal hören. Welch flottes Leben
ginge nach ſolcher Jagd Einmal an! Werden Sie aber
nicht müde! und helfen Sie wo Sie nur können: mit Wort,
und That! Sie haben ja noch größre Pflichten: weil Sie
größere Mittel haben; Sie ſind ſchön, und Sie haben ein
Talent, und eine Stelle. Immer nur die Wahrheit, und
immer wieder; und ſollte ſie auch nur als Samen ausgebracht
werden müſſen. Dies iſt die ganze Kraft des Geiſtes, da
wirkt er in die Natur ein, abſolut wie ſie; immer neu, un-
fehlbar
befruchtend. Und ich will die weiße Fahne ſein, wie
Klärchen im Egmont; und ſelbſt meine Lumpen gebrauchen:
ich will Sie und alle Freunde aufmuntern; und als Fahne,
Einen dem Andern zuweiſen, zeigen. Ich habe jetzt einen
neuen Freund, Doktor Börne in Frankfurt a. M. Ich hab’
ihn
[577] ihn nie geſehen. Den preiſe ich Ihnen dringend an! Er
ſchreibt ein Journal, die Wage; das muß Ihr Freund hal-
ten, oder noch viel beſſer! machen, daß es auf dem Caſino
gehalten wird. Mir empfahl es Gentz. Als das Geiſtreichſte,
Witzigſte, was jetzt geſchrieben würde; er empfahl es mit dem
enthuſiaſtiſchſten Lobe; ſeit Leſſing, ſagte er mir — nur ein
Artikel darin — ſeien ſolche Theaterkritiken nicht erſchienen!
Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk
ſein Lob: an Witz, ſchöner Schreibart. Er iſt ſcharf, tief,
gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodiſch, ganz neu, ge-
laſſen wie einer der guten Alten; empört, wie man ſoll. Und
ſo gewiß ich lebe, ein ſehr rechtſchaffener Mann. Keck, aber
beſonnen. Kurz, mein großer Favorit. Wenn Sie ſeine Thea-
terkritik leſen, und nie die Stücke geſehen haben, die ſie be-
trifft, ſo kennen Sie ſie, als hätten Sie ſie vor ſich. Den
Stücken zeigt er ihren Platz an: Mad. Weißenthurn den
ihrigen. Machen Sie ja, daß es angeſchafft wird, bei allen
Ihren Freunden. Sie lachen ſich geſund. Andres von ihm
kenne ich nicht. Gentz tadelte ſtark ſeine politiſchen Meinun-
gen, fand aber begreiflich, daß er ſie hätte. — Varnhagen iſt
enchantirt über den Succeß ſeines Uhland. — Rausgerufen!
„Hochzeitball!“ Aus den Erbſchleichern. — Man ſagte uns,
Hof und Adel ſei nicht viel bei der Vorſtellung geweſen.
Schade! Solche ſchöne Bewegung unter den Leuten ſollte nicht
ohne ſie Statt haben. Falſch! Hof! falſch! Erſter Rang!
Robert freute ſich auch ungemein, und grüßt Sie. Grüßen
Sie den ſtummen Uhland von mir. Selbſt der größte Dich-
ter muß ſprechen: er hindert mich ja, ſeine Werke zu leſen,
II. 37
[578] wenn er da iſt; und muß mir das erſetzen! — Adieu, Herzens-
tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Beſten, beim Alten!


Ihre R.


Ich grüße Lindner! und bin ſehr böſe über Mad. Huber,
daß ſie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den Morgen
in ihrem — Blatt verdirbt. Was ſoll das vorſtellen? Soll
ich ihr Börne ſchicken? Adieu!



Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, alſo
als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all ſeiner
Bedingungen, iſt auch ſchon wahr, und wie in Samen und
Knospe enthalten da. Und es iſt kein Unterſchied zwiſchen
Denken, Produziren des Geiſtes, oder Wirkungen des Mate-
riellen: wir können den Zuſammenhang nur nicht finden, wo-
durch es eines dieſer, beſtimmt wird. Nach allen Richtungen
hin kann man den ſuchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das
heißt, an den Geſetzen unſres Denkens entwicklen, oder durch
unſer Denken, an Gegenſtänden der Sinne. Auch dieſe, ſo
„kategoriſch ſie rufen“, ſo einfach ihre Wirkung ſcheint, ſind
unendlich komplizirt, und ein Reſultat, ein Zuſammenwirken
unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So iſt gewiß
ein Fortſchreiten! All unſere jetzigen verſchiedenen Fertigkeiten
werden eine bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al-
les dies, um uns perſönlich zu fühlen. Wir erkennen nichts
Abſolutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den-
ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine
haben müſſen, ſo verſtehen wir doch auch dieſen wieder nicht;
[579] und nur, wenn wir ihn uns gütig vorſtellen, bekommen wir
einen Grund für ſein Wollen unſerer. Dies iſt eigentlich das
höchſte, feinſte, ſicherſte, ſublimſte Reſultat, was wir wiſſen
und ſind. (Beim Leſen des Buchs vom alten Lindner.)


An Varnhagen, in Karlsruhe.



Abgekühltes Wolken-Sonnenwetter.


Bis jetzt war der König von Baiern mit drei Prinzeſſin-
nen in der Allee, und alle Menſchen, ich auch: mit Fräulein
Medikus, dann mit Löwenſteins und Zepelins. Mit Küſters
kann man nicht bleiben: ſie bleiben nicht. Fräulein Medikus
iſt eine genaue alte Bekannte aller baieriſchen Herrſchaften;
mit der Vicekönigin und der Kaiſerin von Öſterreich erzogen;
der König auf einem Spaß-Fuß mit ihr. Fürſtin Löwenſtein
giebt heute den Thee in den Anlagen, wo ſolcher Tiſch mit
Bänken auf der Höhe ſteht; nicht in der Holzhütte. Graf
Jenniſſon mit einem engliſchen Sohn, iſt hier; der ihm in
Heidelberg, Stuttgart und Darmſtadt ſo gelang. Er erinnerte
ſich meiner artig; kennt Zepelins ꝛc. und wird von unſerm
Thee ſein. Seldenecks ſind ſeit vorgeſtern mit Fräulein Fiſch-
bach hier, und reiſen gegen Abend nach Karlsruhe; die letztere
wird zu mir kommen auf ein Weilchen: ich hoffe, du kommſt
nun auch bald; Herr von Lotzbeck hat ſeiner Frau geſchrieben,
bis den 15. ſeien die Stände aus: dann ſei das Budget her-
aus, und darauf würden ſie vertagt. —


Du erinnerſt dich, Auguſt, wie früh ich die Bewegungen
37 *
[580] des vorigen Sommers einſah! Ich will wieder prophezeihen,
was ich in der Seele ſehe, mit dem Geiſt, wie mit den Augen.
Wie Hamlet, wollen ſie gern etwas Entſetzliches thun, wiſſen
aber nur noch nicht was. Dann kommen ſie immer zuſam-
men, und wie ſie ſich imponiren, erwarten ſie dieſe Wirkung
auch auf die Welt; auch erwarten die Größern etwa Einfälle,
Witz, Gelehrſamkeit von den Kleinern, und die Kleinern Ge-
wicht und Exekution von den Großen. Für’s Erſte giebt’s
Apparat, Aufſchub, Auszeichnungen u. ſ. w. Das vor vier
Jahren gegebene Verſprechen gewiſſer Einrichtungen iſt ihnen
wie ein Kind erwachſen; mit Anſprüchen, Talenten, Kräften
und Rechten, an welche die meiſten Eltern bei Taufe und ih-
ren Feſten, und wenn das Kind noch lockige Härchen und
Phantaſiekleider trägt, und ihrer Eitelkeit ſchmeichlen muß,
gar nicht denken. Nun wollen ſie ſich gegen ſolche Unbequem-
lichkeit noch nach ausdenken, was man für Geſammtmaßre-
geln zu nehmen hat. All dergleichen will Einer von den An-
dern erfahren. Sonſt, bin ich überzeugt, führt ſie nichts Be-
ſtimmtes
. Beſtärkung in der alten Geſinnung und neuen
Beſorgniß wird das Einzige ſein, was ausgerichtet wird. Das
ſieht mein Geiſt: laß dir das bischen Leſen ſeines Geſichts ge-
fallen! höchſtens hab’ ich Unrecht. —


Ich begreife ganz deine Gedankenrichtung, und Stim-
mung. Freilich bringt einen die Winzigkeit und Verwirrung
bis zu den höchſten Dimenſionen und Punkten! Du glaubſt
nicht, Auguſt, wie mir die Geſellſchaft ſcheint! — mit dem
Talent, was du mir für ſie zugiebſt —. Die man kennen lernt,
denken gar nicht: bekannte, ihnen zugekommene Phraſen ha-
[581] ben ſie, mit denen ſie würflen: „ja,“ ſag’ ich immer, „ſo!“
und höre die ganze Geſchichte, die ganze Behauptung nicht,
die ſie vortragen. So geſtern; wo Lotte, und Mutter, Gerns-
bach hin, Gernsbach her, in dieſer Art ſprach. Arnim war
mit uns, der in den Fuß geſchoſſene: es war ſehr ſchönes Wet-
ter: hin, unten gefahren; her, über die Berge; um ein Vier-
tel auf 9 hier; dann mit Allen im Saal. —


Du irrſt, mein geliebter Freund, wenn du denkſt, ich
könne allein beſſer mit den Leuten fertig werden: vielleicht mit
der Länge der Zeit: jetzt nicht. Und ich mag hin und her
denken wie ich will: es bleibt bei der Blume vom Stiel. So
fühl’ ich mich. — Sei du nur vergnügt; vergiß mich nicht;
d. h. komme, wenn du kannſt. Aber quäle dich auch deß-
halb nicht! —


An Varnhagen, in Karlsruhs.



Kalte Luft, helle heiße Sonne. Ein Götter-Sternenhimmel
geſtern Abend: nach allerlei Wetter.


Mit unendlichem Vergnügen hörte ich geſtern von Hrn.
von Ende, der einen Augenblick im blauen geſtickten Rock hier
war, die baieriſchen Herrſchaften, und Frau Markgräfin Frie-
drich zur Verlobung einzuladen, daß keine fremde Miniſter
dabei ſein würden, und war nun gewiß, daß du den Sonntag
kommſt: und doch ſchreibſt du mir in dem heut erhaltenen
Brief wieder nur, vielleicht. Aber genire dich nicht, wenn du
nicht kommſt, ſo komme ich. Die Hochzeitfeſte werden dich
[582] nun wohl auch dort halten; jedoch haben ſie noch während
dem Ständeweſen Statt, und geniren bloß. — Du ſchreibſt
mir doch noch, ob ich dich zu Sonntag ſehe! — Börne’s
Ankündigung iſt prächtig! Ach! wie lebendig noch: ſie rei-
ben’s einem ab! Der Milder will ich gleich nach dieſem
Brief antworten. Oelsners Brief iſt auch ſehr ſchön. Ach!
wär’ ich nur bei dir! Du taugſt dir nicht allein! Hätten
wir nur unſere Prinzen mit einander geſehen! Schreiben mag
ich nichts. Die Empfindungen eines Bruders hat er mir
gemacht. Nur Geſchwiſter können einen auf die Art freuen
und ärgern. —


Die Schriften, die du mir geſchickt haſt, gefielen mir ſehr.
Wann werden die Altfränkſchen gewahr werden, daß ſie
kein Menſch mehr für geputzt und ſchön angezogen hält?
Dieſes Wann meine ich ohne alle hergebrachte Ironie:
ich kann mir den Augenblick nicht denken, der es ihnen evi-
dent machen wird, daß dergleichen dumme Worte, wie ſie
gebrauchen, keinen Sinn haben, und von niemand für eine
Gegenrede oder Vorſchlag gehalten werden: welch Ereigniß
muß ſich dazu einſtellen, losbrechen, oder auseinanderlegen?
Ich frage dies? Ich glaube, viele vornehme deutſche Beamte
leſen alles dies nicht; und denken: „Dummes, gedrucktes Zeug!
wir werden das ſchon beſprechen!“ Sonſt müßte ihre Auf-
merkſamkeit mit Bürſten wach gerieben werden! Es iſt unbe-
greiflich, den Feuerlärm nicht zu hören, wenn man auch keine
Gluth ſieht, und fühlt. Es antwortet ihnen ja die ganze
Welt!
in allen Sprachen, auf jede dumme, oder Ausrede!
[583] Adieu! theuerſter und einziger und immer lieberer Freund!
In jedem Fall ſehe ich dich bald.

Deine R.


Wie dacht’ ich in dem üppigen, Licht und Schatten hegen-
den Lichtenthal an dich geſtern! —


An Varnhagen, in Karlsruhe.



Mord-Schlagregen, der nie wieder aufhören kann: grau, ſo
weit die Blicke reichen; und obgleich es ſeit geſtern halb 9 reg-
net, ſo iſt er noch immer heftig.


Das geſtrige Wetter beſchrieb ich dir; ſo wechſelte wahr-
haft kalter Wind mit drückender Sirocco-Luft ſchnell und oft
ab. Um ein Viertel auf 7, ich war eben mit Gräfin Mülli-
nen von einer Lichtenfahrt heimgekommen — die mir grade
gnügt, und recht iſt — als ein ſolcher Sturm entſtand, daß
ich einen Moment für’s Haus fürchtete; ſchnell war er vor-
über, und hatte die drückenden Wolken auseinander getrieben,
und etwas Luft gemacht. Ich ging zu Zepelins, und Robert
und Andere nach dem Saal; und war, da es doch wieder
regnigt wurde, unentſchieden über’s Konzert, Berge ſteigen,
zwei Florin zahlen, naß werden! — Aber in der Saalthüre
begegnete mir Zepelin, und fragte mich, ob ich mit in’s Kon-
zert wollte, redte mir zu, du kennſt meine Schwäche, meine
Sänger- — wie Schmetterlings- — Sammlung, ich ließ mich
gleich bereden; ging nur zu den Damen, und ſagte ihnen,
daß ich weggehe: und verſprach, nach dem Konzert zur Grä-
fin Zepelin zu kommen. Hinauf mit dem Mann! Paſſabel
[584] Menſchen. Ceſars. Die Königin von Baiern mit den ſechs
Töchtern; die alle, ich habe ſie nun lange genau geſehen,
ſchauende Geſichter haben, Phyſionomie, unaffektirtes aus den
Augen ſehen; nichts Verzogenes an ſich haben; ganz reine
Naturen; und die gehörige natürliche Aufmerkſamkeit auf al-
les was ihnen nur vorkommt; nichts Anerzogenes, Familien-
artiges; was ſo leicht bei ſechs vorkommen kann, und bei
beſtimmten Hofmeiſterinnen. Sie ſind nicht ein bischen ver-
ärgert, oder über irgend etwas empört geweſen, ſondern neh-
men die Welt klug und gutmüthig auf. Sie gefielen mir
ſehr; Gott gebe, daß ſie ſo bleiben! für alle Länder, wo ſie
hinkommen können: und für ſich ſelbſt. Ich verſichre dich,
jede aparte, hat eine andere, und hübſche Phyſionomie; ei-
nige auffallend bedeutend; alle angenehm und natürlich, du
ſiehſt ich ſtudirte ſie den ganzen Abend. Dazu gab die Kö-
nigin gute Gelegenheit, die die Pauſe unendlich verzögerte,
erſt mit dem franzöſiſchen Geſandten Grafen Lagarde ſpre-
chend, der im Überrock dicht hinter ihr ſaß, und mit dem ſie
auch oft während des Konzerts ſprach: und dann zur Signora
Spada hinſchreitend, vor den Muſikern vorbei, bis an den
Kanapé und Spiegel an der Wand, wozu Signora Spada
aus einem Nebenzimmer herein treten mußte; wo ſie andert-
halb Viertelſtunden ſich mit ihr unterhielt: ich begriff den
Gegenſtand des Geſprächs nicht, wenn auch den Grund. Die
Königin mochte mit einer Dame, die ſich dort befand, nicht
ſprechen; das war zu deutlich! Unterdeß ſprachen alle ſechs
Prinzeßchen, ſich hin und her bewegend, ſtehend, anlegend,
munter, und beſcheiden, mit Fürſtin Fürſtenberg, die auch in
[585] der erſten Reihe Stühle — die Abtheilung dazwiſchen — ge-
ſeſſen hatte; der Fürſt miſchte ſich, weil es gar zu lange dau-
erte, auch endlich ſcherzend in das Geſpräch. Endlich kam die
Königin nach ihrem Sitz zurück; ſie ſprach einige Worte mit
Fürſtin Fürſtenberg im Zurückkommen, und ſetzte ſich: das
Konzert ging wieder an. Ich war zwei Reihen Stühle von
der Königin entfernt: ſie ſcheint auch nicht weit ſehen zu kön-
nen; ſie lorgnirte mich mehreremale ſehr gütig; und das eine-
mal, wo ich es nicht ſah, attrappirte ſie mich in Lob gegen
Mad. Streckeiſen über ihre Töchter. Fürſt Fürſtenberg ſprach
mit Graf Zepelin angelegentlich: er wollte dies wenigſtens,
denn er kam ſo an ihn heran, der, weil wir miteinander wa-
ren, neben mir ſaß. Graf R. ſaß vor mir mit Mad. Ceſar.
Der lobte mir ſehr unſern Kronprinz; ich wußte, als er mit
mir ſprach, nicht wer er ſei; und hielt ihn für einen baieri-
ſchen Arzt. Mad. Spada ſingt rein, fertig, gut, italiäniſch;
ohne Paſſion, nur mit ſo viel Seele, als ihres Landes Schule
mit ſich bringt. Er, Spada, iſt ein buffo, ſie ſangen drei
ſolche Duo’s, und müſſen zur buffo-Oper gut ſein. Als wir
weggingen, regnete und gewitterte es ſehr: daraus, weißt du,
mache ich mir nichts: ich wollte Gräfin Zepelin zeigen, daß
ich nicht alles Wetter ſcheue, und ging mit dem Mann und
Mathilde zu ihr; fand Ludwig Robert, Generalin Walther
mit Tochter, M. Brack fils, und einen baieriſchen Militair. Es
fiel nichts vor. Aber der Regen, das Gewitter, nahm ſo
zu, daß wir beinah zwei Stunden blieben, es hörte aber gar
nicht auf, und ich ging par le plus gros temps ab. Mit le-
dernen Schuhen, Jakob, Schirm, und Robert. Dies hatte ich
[586] mir ſchon auf das Konverſationshaus mitgenommen. Wir
tranken noch Thee, zu Hauſe. Recht ruhig, an dich nur den-
kend! — Iſt es nicht einzig, daß ich dir ſo große Briefe von
hier ſchreiben kann? Und dabei noch nicht, wie ich dich liebe,
dich miſſe, dich wünſche! Lieber Auguſt! Sei geduldig, ich
bin’s auch; bald biſt du hier! Morgen iſt der 22ſte; willſt
du wohl dem Wirth ‒ ‒ Gulden ſchicken? Ich gebe ſie dir
wieder, theurer Sohn! Lieber! Potemkin hat auch ſchon
gegen Robert die Karlsruher Stände gelobt: und findet ſie
wunder mäßig und anſtändig in Vergleich der Pariſer, die
er kennt. Das iſt hübſch!


Es regnet noch, wird aber ein wenig heller. Adieu,
mein Liebſter!


An Varnhagen, in Karlsruhe.



Helle ſchwüle Sonne auf naſſem Boden.


Ich machte mir das graue Wetter zu Nutze, und ging zu
den Damen, die ich beſuchen mußte. Dann ging ich einen
Augenblick zur Mutter Müllinen, um zu ſehen, was die Arme
macht, die ganz beglückt iſt, wenn man nach ihr ſieht: ſie
kann ſich nicht regen, und leidet nun noch an den Augen, ſo
daß ſie nicht leſen kann. — Geſtern ſtrömte es den ganzen
Tag. Um 7 fuhr ich zur Gräfin Müllinon, bis gegen 9. Ich
las ihr etwas von Sappho und etwas zerſtreute Sachen von
Goethe. Dann ging ich noch zu Lady Caledon, die mich par
billet
eingeladen hatte, mich immerweg beſucht, und wo ich
[587] mich ſehr unterhielt: Sie, ſehr gut; die Mutter Engländerin
mit den beiden Töchterlein Fanny und Harriet, wie die Vö-
gelchen; der Geſandte Lagarde; ein intereſſanter Norwege
Knudzon, der allenthalben war, alle Sprachen ſpricht; Löwen-
ſteins, noch ein Engländer Baillie, noch ein paar Herren. Wir
Frauen, Lagarde und der Norweger, ſaßen am häuslichen Win-
tertiſch, beſahen Albrecht Dürer’ſche Kupfer und dergleichen
aus Italien: die Leute haben alles, haben alles geſehen;
man kann alſo ſchön mit ihnen ſprechen: ſind komplet ohne
Prätenſion, weil ſie ihnen alle als Engländern, und Vor-
nehmen, Reichen ihres Landes, erfüllt ſind. Mündlich No-
tizen! und auch welche über Lagarde’s Geſpräche mit mir.
Einen Domeſtiken möchte er nur: keinen Sekretair u. ſ. w.
Auch lachte man über mich, und ich amüſirte mich in dem ſo-
liden, fröhlichen, wohlhabenden Hauſe bis nach 10 ſehr gut.
Dann zu Hauſe eine Taſſe Thee mit Robert. Gut geſchlafen.
Die ganze Nacht Platzregens! bis 6 noch; dann trübe, dun-
ſtig, dunkel, warm, ſtickend: alle Menſchen klagen über Mat-
tigkeit und Hinfälligkeit. Jetzt Sonne; noch in manchmali-
gem Kampf mit Dünſten und Wolken. Ich freue mich, mein
theurer Freund, daß dir die Sonnenloſigkeit wohlthat. Hier
ſollſt du’s noch beſſer haben! Der Aufſatz gefiel mir ſehr.
Streng, derb, unperſönlich, hübſch auf die dummen Finger.
Der Großherzog von Weimar war mit dem König und der
Königin in der Allee; ich ſah ſie nicht, weil ich nicht dort
war: Mad. Bourbon erzählte es mir; und in wirklichem und
angeſtelltem Schreck, daß der König, in all der Herrſchaften
und Kinder Gegenwart, auf ihre Bodenkammer geſtiegen ſei.
[588] „Ein König!“ ſie könne nicht dafür, er habe gut thun! aber
über ſie ſchrie man dann! Er habe ſehr ihre Einrichtung ge-
rühmt ꝛc. und immer noch daſſelbe wiederholte ſie ein wenig
anders. — Kieſewetter thut mir auch ſehr leid: die armen
Freunde! — Lies Journal de Francfort du 20. da ſteht aus
einem Artikel aus Brüſſel eine Erfindung deines Vetters in
Rio Janeiro, wie Pulver noch beſſer ſprengen kann. — Lebe
wohl, Theurer! Ich denke immer an dich; du weißt es.
Deine R. Bald, bald ſind die Stände aus. Adieu! Alſo
der arme K.? Ambos oder Hammer. —



Nicht der Inhalt, lieber Auguſt, aber die Eſtafette hat
mich ſehr erſchreckt. — Mir iſt’s nicht unerwartet. Ich weiß,
was ſie vertragen können; was nicht; und ermahnte oft.
Doch muß kommen was da kann; und dazu muß unſer Ka-
rakter dienen, uns nicht zu deſoliren, wenn etwas kommt.
Auch wiſſen wir nicht, ob es gut oder ſchlecht iſt. Ich ge-
denke ſogar, dich hier abzuwarten: was ſollen wir in Karls-
ruhe? Für’s erſte kommſt du her. Mit einander, iſt alles
gut. Den Verſichrungen glaub’ ich nicht, wenn auch nichts
Poſitives geſchehen iſt. Aber du mußteſt allen denen miß-
fallen. Mündlich mehr und alles! Ich bin auch gutes Mu-
thes. Ich, Geliebter, erwarte dich hier.

Deine R.


Als die Eſtafette kam, war ich eben jappend mit Robert
nach dem Eſſen bei einem Gewitter, was noch währt, am
Fenſter. Adieu, lieber Auguſt, bald umarme ich dich!


[589]

An Varnhagen, in Karlsruhe.



Ein ſolch allgemeines langes Gewitter hat man faſt noch
nicht erlebt, mit ſolchen ununterbrochenen, und doch ſich ver-
ſtärkenden Regengüſſen, daß an kein Ausſchicken noch Weg-
fahren zu denken war; mitten im Donnern hat es in dieſem
Augenblick etwas zu regnen aufgehört; viele Leute ſtehen auf
der Brücke, den Waſſerſturz zu ſehen. Prestissime ſtürzt der
Bach, und neben ihm entſtandene, das Gewitter iſt nicht vor-
über, lange nicht aus. Ich komme nicht, geliebter Freund.
Weil die Fahrt doch zu lange dauert, da ich zu ſpät abfahren
müßte, des Wetters wegen: auch führeſt du ja bald wieder
mit mir her. Zu thun iſt nichts; nur bei dir möcht’ ich ſein,
zum hin und her ſprechen. Ich beſchwöre dich, bevor wir
uns geſprochen haben, auch grade nichts zu thun; dann iſt
noch alles möglich. Erſt wollen wir uns beſinnen. Wir wol-
len ſehen, was die nächſte Zeit, die nächſten Tage für Mienen
annehmen; und uns ein wenig nach Umſtänden richten. Ich
kann nicht glauben, daß wegen dieſer Angelegenheit allein der
Kourier ſollte gekommen ſein: wäre dies doch, ſo müßte noch
eine grave falſche Anklage Statt finden. Wir wollen uns in
nichts übereilen. Liebe Guſte, daß ich auch grade nicht bei
dir ſein mußte! Ach! darum ſchickteſt du mir wohl die Eſta-
fette. Die erſchrack mich ſehr; weil ich erſt dachte, es könne
nur etwas Gutes ſein — denn, warum ſonſt einen Eilboten,
dacht’ ich. Mein Schreck im Ganzen — nicht über den In-
[590] halt — war gränzenlos, unmittelbar nach Tiſch, bei einem
ausbrechenden ſchweren Gewitter; dies, und das Sündfluth-
wetter, hielten mich gleich zu kommen ab. Ich brauchte län-
gere Zeit, mich zu erholen. Nun aber iſt mir gut: ich bin zu
Löwenſteins geladen; bin ſchon von neuem dazu aufgewickelt,
und hoffe ſie werden über mich lachen. Verzeihe alſo, daß ich
nicht komme: müßteſt du länger bleiben, ſo komme ich na-
türlich, ſo wie ich das weiß. Sei getroſt, liebſte Guſte; wir
ſind ja geſund an unſern Gliedern, und leben; wer weiß, iſt
es noch gar gut. Denke, ich umarme dich, ſehe dir in die
Augen, und werde den Abend munter ſein: und, wären wir
zuſammen, ohne alle Sorge.

Deine R.


An Varnhagen, in Karlsruhe.



Nach dunſtigem, feuchten Regenwetter, nach wenig Ausruhen.


Theurer lieber Freund, Robert wird dir dieſen Brief brin-
gen: ſo bekommſt du ihn doch früher, als morgenfrüh. Du
haſt mir gewiß geſtern nicht einmal geſchrieben, (wieder ein
Platzregen!) weil du meinteſt, ich käme zu dir. Das Gewitter
war zu allgemein und heftig; noch außer den Gründen, die
ich dir anführte. Ich könnte nur wiederholen, was ich geſtern
ſchrieb. Gar nichts thun, und ein wenig warten, bis die
Andern reden, und wir etwas erfahren. Alſo habe ich dir
über unſere Kataſtrophe nichts zu ſagen, außer alles. (Der
größte Platzregen.) Kämeſt du unvermuthet nicht, ſo läſſeſt
du es mich wiſſen, und ich komme. So eben erzählt mir Re-
[591] bert, der aus der Allee kommt, er habe die Generale Freiſtedt
und Neuenſtein geſprochen: die Stände ſeien vertagt; und
Mehreres von Stimmung, und Reden, die dir Robert wieder-
holen wird. Ich dachte nur an deinen Abend, und deine
Nacht. Und auch mitunter, ſie könnten ganz ruhig ſein. Ich,
legte mich unter tauſend Regen, und Dunſt, und Gewitter,
die ſich wie Zugvögel folgten (ein Kind ertrank hier im Bach;
und Schweine mit ihren Ställen kamen von Lichtenthal an-
geſchwommen: vom Rhein erzählt man dégats) nach meinem
zweiten Brief an dich ruhig auf den Kanapé, um zu ruhen;
etwa eine Stunde, Robert kam, und ich ſchlug Kaffee vor:
mitten im Wetter fing die Sonne an zauberhaft unterzu-
gehen; wir liefen von einem Fenſter zum andern! Sieh da!
Mad. Streckeiſen ſtapelt im größten Regen und Näſſe von
der Allee her mit zwei Herren, einem ältlich dicklichen, zu
mir. Das iſt ehrlich! ſchrei ich ihr entgegen, denk’ einen Au-
genblick, es iſt Streckeiſen; doch ſchien er mir zu klein, und
da die Herren mit in’s Haus treten, wundre ich mich etwas:
ich geh hinaus, vor meiner Stubenthür erkenne ich erſt den
Großherzog von Weimar. Wir freuten uns ſehr. Er ſieht
ſehr wohl aus: ganz wie ſonſt in Töplitz: mit vielem Ver-
gnügen ſagt’ ich ihm das. Der Großherzog ſtellte ſich gleich
an’s Fenſter, und wollte jeden Menſchen von mir wiſſen,
die alte Neugier: über die Stunde des Kaffee’s konnt’ er
ſich nicht zufrieden geben; den Lotte, und ich getroſt, und ſie,
als délice, tranken. Ich behauptete, ich könne ihm ſchon Ap-
petit machen: „Nur mit Kaffee nicht,“ meinte er, eben hätte
er Schnaps genommen; ich rühmte mein Getränk als pousse-
[592] Schnaps, und wir erinnerten uns unſerer alten Näſchereien;
und es war ein ſehr vergnügter Beſuch; der mich auch freute.
Der andre Herr war ſein Adjutant, aber den Namen weiß
ich nicht, auch konnt’ ich des Herrn wegen nicht mit ihm
ſprechen: aber er ſcheint mir doch alert, und dem Geſpräch im
Hören gewachſen. Dann zog ich mich an, und ging zu Lö-
wenſteins, wo Caledons, Caulfields, les dames Walther, Ar-
nim, Zepelin mit der älteſten Tochter und Guttenbergs und
Graf Kniephauſen. Schwätzen und Spiele. Um 10 Uhr woll-
ten ſie Alle auf einen Ball im Spielſaal — die jungen Mäd-
chen! — und redeten mir ſo lange zu, bis ich mitging; näm-
lich Alle, außer Lady Caledon, die leider morgen reiſt. Der
Ball war nur von Bekannten komponirt, leer, kühl, ſehr
hübſch; ich blieb von halb 11 bis halb 12. Dann ſprach ich
noch zwei Stunden alte Sachen von Wien u. dgl. mit Ro-
bert; ſchlief müde und gut ein, und hätte vortrefflich geſchla-
fen, hätte man nicht mit Tages anbruch an dem Hauſe ge-
gen uns über eine Bude! aufgeſchlagen, die auch um 7 fertig
war. Doch bin ich gut. Biſt du zufrieden? Ich wünſche von
dir ein Gleiches! und hoffe es auch. — Der Großherzog von
Weimar bleibt heute noch. —



Beim Artikel Lulli, bei Gelegenheit von Rameau’s Nef-
fen. Kunſt und Wohlſtand kann nicht dekretirt werden: die
müſſen von unten hinauf wachſen. Luxus, ohne dieſen Grund,
wäre lächerlich, aber er iſt armſelig und verderblich. Daher
kann eine Nation nur weniges von den andern nehmen; und
wird
[593] wird zu der gehörig, von der ſie nimmt, in dem Maße ſie
nimmt: deßwegen entnationen ſich die Nationen; und es ſcheint
nur noch, daß ſie verſchieden ſind. Zeichen vom Gegentheil.
In Italien kam die Muſik zur Blüthe, weil das Volk zu-
erſt
ſang.



Den größten Schmerz hab’ ich genoſſen;

Das Glück iſt wie ein Leid dahin gefloſſen!

An Frau von R., in Rom.



Treue, theure Frau von R.! Verzeihen Sie meine Pol-
tronnerie, ich wünſche Ihnen dieſe Kälte in Rom! Vorgeſtern
las ich in der Zeitung, man fühle in Rom den böſen Einfluß
der Hitze, und es gehen dort jetzt Krankheiten herum. Seit-
dem möchte ich lauter Kouriere von Rom ankommen ſehen;
jeden kühlen Wind einfangen, und ihn Ihnen ſenden! Um
nur irgend eine Art von Ordnung in allem dem zu bekom-
men, was ich Ihnen berichten möchte, will ich nur lieber mit
dem gegenwärtigen, hieſigen Augenblick anfangen! — reellſte
Art, Ihnen meine Dankbarkeit für Ihren Präſent-Brief!
zu zeigen. — Das Wetter ſehen Sie vor ſich, den Ort kennen
Sie — allerſeits, mein’ ich. — Denken Sie ſich ihn gefälligſt
II. 38
[594] leer; in dieſer leeren halb ſonnigen Feuchtigkeit ſpazirt Reh-
mann — mit Demidoff heute von Paris und Ems angelangt
— mit Montlezun Arm in Arm weiß behutet umher; näm-
lich, über die kleine Brücke von der Stadt nach der Promenade
wo die Buden ſind; und bilden ſich ein, ſie ſuchen ein Logis,
für Demidoff und Rehmann, denen bei unſerm Nachbar eins
gemiethet war: da aber ſeit vier Tagen, unſichtbar mit ihrem
Gefolge — von welchem nachher — die ſchöne Mad. Nariſch-
kin dort ſchon wohnt, ſo war zu wenig Raum für die Spä-
tergekommenen. Nur im Krieg ſieht man in unſerm Europa
ſolche Gefolge von Wagen, Gepäcken, Pferden und Leuten, als
die beiden ſich ausweichenden Moskowiten-Parten hier, berg-
auf, bergab, tramplen ließen. Den Baron-Hauswirth ſelbſt
hält ein großes Geſchäft ſeit acht Tagen von hier entfernt.
Er floh nach Stuttgart! Gewiſſe Dinge muß man je mehr
und mehr im Flug ergreifen, weil nur ſehr wenige Ereigniſſe
ſie noch zuwege bringen: dahin gehört unſtreitbar, z. B. den
Stuttgarter Hofſtaat auf ſeidenen Beinen zu ſehen: vulgo, in
Gala; oder auf den Beinen. Die Hochzeitfeier des Palatinus
ſchien unſerm Vielbewegten eine einzige Gelegenheit, das
Würtemberger Streben und Gelingen endlich mit dem Badener
zu vergleichen: er hatte es nicht hehl; es iſt ſeine Pflicht. Sie
kennen ſein Gewiſſen, ſeine — was ſcheint Ihnen paſſender?
ſeine eiſerne, oder hölzerne? — Thätigkeit, ſeine Titel, ſein
Amt
, ſeine Emſigkeit! Seine Beſitzthümer hatte er alſo frem-
den Nationen überlaſſen: Franzoſen und Ruſſen: meint er,
dies eben ſei Politik? Einer würde den andern bewachen?
Noch iſt hier Miſtreß Caulfield, eine Engländerin mit zwei
[595] Töchtern — denen ich Unterricht im Deutſchen gebe — einem
Söhnchen von dreizehn, einem Bruder: Frau von W., einige
Herren: dies unſere Abendgeſellſchaft. Früher war unſer Kreis
ziemlich groß. Zepelins, — Hauptſtamm. — Müllinens. Lady
Caledon, Schweſter der Pariſer Lady Stuart. Eine ſehr liebe
Perſon, die von Italien kam, und alle guten Eigenſchaften
der Engländer und des Landes, des Reichthums und der gro-
ßen Welt beſaß. Nie ſah ich etwas Natürlicheres, Biedreres,
Heitreres. Dann noch viele Deutſche aller unſerer Länder.
Artige franzöſiſche Damen, mit Töchtern und Verwandten.
Und ein Norweger, Herr Knudzon, der Ihnen ein Zettelchen
von mir bringen und Ihnen Allen ſehr gefallen wird. Er
kommt von Italien und geht nach Italien, er reiſt ſchon zehn
Jahr mit ſeinem Freunde Baillie, einem Engländer. Knudzon
iſt natürlich, ehrlich unterrichtet, voller guter Erziehung; mit
unbefangenen Auffaſſungskräften. Er freut ſich unendlich zu
Ihrer Familie, da er ſie durch mich kennt, ſo ſpricht auch das
für ihn. Er und Baillie waren Freunde der Caulfield’ſchen
Familie, die auch aus Italien kam, wie Lady Caledon, welche
auch noch ſchön zeichnet und gut franzöſiſch ſpricht. So un-
gefähr ging mein Leben; V. in Karlsruhe wegen der Stände,
ich hier: bis zum 22. Juli, als ein Schreiben der Behörde ihm
ankündigte, der Poſten in Karlsruhe ſei aufgehoben: da kam
er gleich hierher. Soll ich Ihnen ſprechen vom Geſchwätz und
den Konjekturen der Zeitungen, von allen Lügengeſchwätzen?
Nichts davon war, konnte davon wahr ſein, als was ich
Ihnen hier ſage, und daß wir bis den 11. Oktober hier blei-
ben und dann in Karlsruhe die weitern Befehle abwarten,
38 *
[596] jedoch unſer Quartier nach gehörigem Aufſagen den 23. Okto-
ber verlaſſen müſſen. Was dies, Ziehen, Packen, Verkaufen,
Einrichten, Verlaſſen, Ankommen, Reiſen, Nichtwiſſen wohin
etc. etc. in ſich faßt, wiſſen Sie Alle, meine lieben Freundinnen!
Das Gift hab’ ich getrunken, ſchlucken müſſen: die Wirkung
wird folgen. Ganz unverhoffte Gnade ſchickt aber Gott.
Zum erſtenmal in meinem Leben fühlte ich mich plötzlich leicht-
ſinnig. Ich konnte ſechs Wochen lang hier Berg, Thal, Schein,
Luft, Grünes, Feld, mit dem größten Bewußtſein, mit dem
ruhigſten Herzen genießen. So war auch V. geſtimmt: und
wir genoſſen alles was der Ort bot. — —



So lange war ich von Ihrem Brief geſtört, liebſte Frau
von R.! Es wäre zu weitläufig und unnütz zu ſagen durch
welche Leute, und durch was. Von Welt war es; mit Einem
Worte. Ich will mir Mühe geben, erzählend fortzufahren.
Wenn ich von uns alſo etwas Beſtimmteres weiß, ſo ſollen
Sie’s erfahren. Hier waren die baierſchen Herrſchaften: bei
denen abwechſelnd zum Beſuch die Königin von Schweden
mit Kindern; die zwei baierſchen Prinzeſſinnen zum Hochzeits-
Hofball in Karlsruhe. Die Großherzogin mit Kindern ſeit dem
Juli ſtill auf dem Schloß hier: Prinzeſſin Luiſe beſſer: die
Kinder prächtig. Mad. de Graimberg badend ziemlich wohl.
Alles gedenkt Ihrer mit Liebe. — Jungs ſind wohl; Ge-
neralin P. reiſt heute nach Karlsruhe zurück. Montlezun den
12. Der Baron-Hauswirth ruſchelt herum, und war in Stutt-
gart nur präſentirt: gar nicht geladen; kein Fremder. Er
[597] ſchimpft nicht: er verſtummt. Sonſt iſt alles hier und in
Karlsruhe nach jedes Ausſage ſehr todt. Geſtern heißes ſte-
chendes Sonnenwetter: heute, trübes drückendes kühleres. Kurz,
Karlsruhe’s Geſellſchaft ſinkt ein! Und — Hamlet ſagt:
„Nichts mehr von dieſer Materie!“ Wenn Sie nur erſt aus
dem Wirthshaus wären! Wenn Sie nur der Frau von S.
recht nah wohnten; und mir! Ich hab’s geſchätzt und ein-
geſehen
in Karlsruhe: das kann ich mir nachſagen. Wenn
mir künftig Einer von Ihnen ſchreibt: ſo bitte ich um Leben-
details. Wie der Tag übereinander geht? Wie das Italiä-
niſche geht? u. ſ. w. — dergleichen Dinge möchte ich wiſſen:
wenn auch der Brief ſonſt nichts enthält. Wie klar wird ein
großer Theil der R’s alles von Italien wiſſen! jede Tochter
anderes; der Vater alles: und noch mehr. Das heißt, wie es
auch ſonſt war, und wieſo es jetzt ſo iſt! Freilich! theure
Frau von R., „können Sie auf mich rechnen.“ Frau von
Schlegel hat Recht. — Ich kann mich gar nicht ändern:
und ich muß aber dagegen zu meiner Ehre ſagen: daß ich
mich immer in ſo gute Eigenſchaften verliebe, daß ich ewig
treu bleiben muß. „Rechnen“ Sie alſo Alle, ſo lange Sie
nur meine Liebe, meine Anhänglichkeit, gebrauchen, genießen
wollen, und alles was die leiſten können, das ganze Leben
darauf. Handſchlag! Ich bin ganz vergnügt und perplex,
daß Sie das ſo hoch aufnehmen wollen! Nicht weil es in
dieſem Erdenthal wenig wäre, aber weil dies grade ſo gewiß
von meiner Seite war, und mir ſo natürlich iſt: und Ihnen
grade Allen, große Anerkennung geſpendet wird! Aber auf’s
[598] Anerkennen bin ich ſtolz — dieſen Ausdruck gebrauche ich oft
wenn ich ſagen will, daß ich mich mit etwas freue — ich
freue mich, jeden von Ihnen mit meinem Herzen recht ergrün-
det zu haben! und zwanzig Meilen in Ihrer Nähe — bieg’
ich nach R’s Wohnſitz ein! Sicher! Aber o! arme Erde!
wie unſicher geht es uns auf dir. Wir kommen ohne Ein-
willigung; gehen ohne zu wiſſen wann! und werden in der
Zwiſchenzeit hin und her geſchickt. Von Metternichs, Har-
denbergs, Wellingtons; Königen, Armuth, Irrthümern, fal-
ſchen Hoffnungen, und Plänen, und all den maskirten Stre-
bungen, die man Ungefähr nennt! Sie ſehen, ich bin heute
nicht obenauf: aber deſto mehr wende ich mich dann zu dem
Geiſt, der alles verſteht, der alles iſt, und übergeb’ ihm or-
dentlich mein Schickſal; und das kleinlich Herbeſte wird mir
alsbald nur als eine unreife Knoſpe mit Stachlen klar, die
bald Süßeres enthalten muß. Dachten wir doch dieſen Som-
mer recht innig und heiter zuſammenzuleben: und mußten
fort! jetzt wiſſen wir nicht, wo zuſammentreffen: und ſind
vielleicht künftigen beieinander! Im Alter lerne ich hoffen?!
Man erlebt ſo viel Unerwartetes! Ein Wort, ſei mir erlaubt
beſonders an Fräulein Henriette zu adreſſiren! Das kommt
von dem Prahlen mit Religioſität. Judenſturm, iſt der erſte
thätige Effekt davon! Sie werden ſich erinnren, wie uns
dieſe neumodiſche Maske empörte: vor ihrer Wirkung. Ich
erzähle nichts, was die Allgemeine Zeitung auch Ihnen Allen,
alle Tage ſagt. Es iſt alles und noch mehr wahr, was ſie
meldet. Nur in Berlin haben Prediger dagegen auf der Kan-
[599] zel geſprochen. Nichts mehr von Deutſchland! Sie werden
alles beſſer wiſſen. — Gott ſchütze Sie! Ihre treue


Fr. Varnhagen.


Millionen Grüße an Frau von Schlegel! Ihr kleiner
Hof am Hauſe charmirt mich. Mit günſtiger Stimmung ant-
worte ich ihr. Addio! —



Es wird eine Zeit kommen, wo Nationalſtolz *) eben ſo
angeſehen werden wird, wie Eigenliebe und andere Eitelkeit;
und Krieg wie Schlägerei. Der jetzige Zuſtand widerſpricht
unſerer Religion. Um dieſen Widerſpruch nicht einzugeſtehen,
werden die entſetzlichen, langweiligen Lügen geſagt, gedruckt
und dramatiſirt.


Geſchichte iſt in närriſchen Händen ſehr ſchädlich, und
ein Grundirrthum über ſie in Umlauf; man hört überall den
höchſten faſt bis zu den niedrigſten Ständen empfehlen, ſie
möchten die Geſchichte fragen und die ſtudiren. Wer iſt denn
vermögend, Geſchichte zu ſchreiben oder zu leſen? Doch nur
ſolche, die ſie als Gegenwart verſtehen! Nur dieſe vermögen
das Vergangene zu beleben, und es ſich gleichſam in Gegen-
wärtiges zu überſetzen. Daher iſt das Wort von Friedrich
Schlegel: „Der Hiſtoriker iſt ein rückwärtsgekehrter Prophet,“
ſo ſehr richtig; darum Goethe ewig und ſtets von neuem ſo
[600] groß, belebend und lebendig: alle Zeiten, Religionen, Anſich-
ten, Extaſen und Zuſtände begreifend und darſtellend und er-
klärend. Diejenigen aber, welche mehr Geſchichte leſen, als
ſelbſt leben, wollen nur immer eine geleſene aufführen oder
aufführen laſſen: daher der ſeichte Enthuſiasmus, die leeren
Projekte, und dabei das Gewaltſame; weil der große Lebens-
gang, einem Gewächſe gleich, nicht herabgehalten noch erd-
wärts gebogen werden kann, ſondern nach eignem Himmels-
ausſpruch emporwächſt, und aller Anſtrengung, es anders zu
gebrauchen, mit größter Kraft widerſteht. Römiſche Geſchichte
aufführen wollen, mit Intermezzo’s aus Ludwigs des Vier-
zehnten Leben, half Napoleon entthronen. Es wird gewiß
bald dahin kommen, daß Schriftſteller der Geſchichte, die bloß
durch Geſchichte in’s Leben blicken, von denen, welche die Ge-
ſchichte durch das gegenwärtige Leben auffaſſen und darſtel-
len, ſcharf und klaſſenweiſe werden unterſchieden ſein. Dann
werden die leider doch noch zu geiſtreichen Faſelbücher nicht
geleſen werden können, und bald nicht mehr geſchrieben.


Sollten Männer, wie * und **, nicht ſelbſt wiſſen, wo
der dunkle Punkt in ihren neuſten Schriften iſt, über welchen
ſie wegſetzen, und willkürlich vorauszuſetzen anfangen? Sie
machen einen ſelbſt ſchwanken zwiſchen dem Zweifel an der
Schärfe ihrer Einſicht, oder dem an ihrer Redlichkeit: man
weiß nicht, welche von beiden man beleidigen ſoll. —



Bonald ſagt in ſeinen pensées diverses: „Les uns sa-
vent ce qu’ils sont, les autres le sentent. Or on oublie ce
[601] qu’on sait et jamais ce qu’on sent etc.“
Daher die ſtolzeſten
Leute, in ihrer Gemeinheit, in die ſchnellſte und von ihnen
äußerſt verachtetſte Gemeinſchaft gerathen, weil ihr Stolz ſich
auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht. —


Das Abſolute iſt das in ſich Begründete, ſeinen eignen
Daſeinsgrund Verſtehende. —


Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre, und mit ihnen
lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehalten wer-
den. Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei
der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge-
meingeltenden Gründen widerſpreche: ein ſolcher Widerſpruch
wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und
Lob ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Die-
ſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde
bei hohen Perſonen ſehr auffallen.


Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir
nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus
Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die
ſtrengſte, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit iſt; und bin
gar nicht beſchämt.



Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtiſch,
ſagt bei Gelegenheit von Rouſſeau’s Heloiſe: „J’admire com-
bien on peut avoir de l’esprit, lorsqu’on veut seulement être
méchant, combien on peut étaler de grands principes lorsqu’on
[602] ne veut pas remonter à ceux des autres, combien on peut
avoir des conséquences dangereuses, lorsqu’on possède le rare
talent d’extraire le venin d’un ouvrage, combien tout ouvrage
de morale peut devenir venimeux, lorsqu’on change de place
cc qui a été écrit dans un ordre déterminé, lorsqu’on omet les
idées intermédiaires, et lorsqu’enfin on perd de vue le but,
dans lequel le tout a été composé.“
— Fichte verbittet ſich auch,
zu Anfang einer Schrift, ſolche Behandlung ſeiner Bücher,
und ſolches Verfahren mit Stellen daraus. Stupidität und
böſer Willen verfahren beide ſo. Zum Glück läßt ſich jedes-
mal ein ſolches Verfahren beweiſen, ſo lange das angegriffene
Buch noch exiſtirt: zum Unglück aber iſt das ſehr weitläufig,
und geſchieht ſelten.


Witz iſt Kombinations-Trieb und Talent. Der Karakter
eines jeden führt den Witz in verſchiedene Kreiſe; ſo können
ſich auch die Gegenſtände dieſes Triebes, dieſer Gabe, nach
Altersepochen bei denſelben Perſonen verändern: oder Einer
mehrere Witzarten beſitzen. Fichte definirt Witz „die Evidenz
der Verkehrtheit;“ das iſt eine beſtimmte Sorte von Witz,
meines Bedünkens.


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Bloß, meine Liebe, damit Sie nicht länger ohne Nach-
richt ſeien! Luſt zum Schreiben hab’ ich gar nicht: ich müßte
[603] ganz geſchwätzig ſein dürfen, um gerne zu ſprechen; müßte
alles erörtern, erklären, und herleiten dürfen, um nur von ir-
gend etwas ſprechen zu mögen. Dazu greift mich Schreiben
zu ſehr an, und die Neugier die Briefe zu ſehr! — Glauben
Sie mir indeß ſo viel, bis Sie Einmal ſelbſt vor einem ſol-
chen Ereigniß ſtehen: es iſt nicht erfreulich, nach längerer Ab-
weſenheit, wenn man nicht in halber Kindheit abgereiſt iſt,
und in Jugend ankommt, nach der Heimath zurückzukommen!
Erſtlich, hab’ ich keine eigentliche Heimath, keine materielle.
Weder Haus, noch Hof, noch Garten, noch irgend einen Be-
ſitzer ſolcher Dinge, zu dem ich wirklich gehörte; ich ſehe alſo
lauter veralterte Figuren; treffe verjährte Geſinnungen, abge-
tragene Meinungen, verparktes Wiſſen; und auf all dieſes,
verſtockten Stolz! Mir bleibt Schweigen: aber ich rede viel,
aber nur um das, was ich eigentlich ſagen möchte, herum:
d. h. ich lüge nicht, ſage aber das Wahre nur in Scherz
und Ernſt über ſolche Gegenſtände, die niemand und nichts
berühren, und woraus die Wahrheit hervorginge, wenn man
ſie hinausließe.


Vorgeſtern ſah ich Sappho von Mlle. Maas. Da war
die Herzogin Cumberland als eine Art von Großmama in der
Mittelloge, ihren Sohn und Schwiegertochter zur Seite —
ſonſt ſah ich ſie ſelbſt als junges Prinzeßchen dort. — Im
Orcheſter war Möſer Konzertmeiſter mit gräulichem Kopf, —
ſonſt ſah ich ihn eben ſo geſchickt unter Righini in den Wun-
deropern Poſſen treiben, und ſo jung er war, faſt allein den
Sinn des Meiſters und die Art der Sänger auffaſſen, aus-
üben, und ihm nachgeben, die andern leitend. — Die engen
[604] Sitze auf den Bänken in den Logen waren ſonſt bequeme
Stühle, die Entrée frei, Königliche Gardedükorps und die Li-
vreen empfingen einen; alles war feſtlich, und reſpektuos! und
große Virtuoſen an der Reihe; die niemand achtete. Aber
auch niemand ſabberte; keiner hämmerte an ſeiner Bildung,
und ſah alle Viertelſtunde im Spiegel, wie weit ſie gediehen
ſei; und bloße Leute ſchrieben nicht Kritiken, aller Art: und
Gemeine bedienten ſich auch nur gemeiner Worte, und wür-
ſelten nicht mit den beſten.


Iſt man ſelbſt unter ſeinen Landsleuten alt geworden,
ſo iſt man eingedrückt wo man es ſein ſoll; mußte man ſich
aber in der Fremde abtragen, und hat man dabei von je die
Anlage, von ſeinem Punkt, eignen Standpunkt, mehr zu ſe-
hen, als den ſelbſt, ſo paßt man nicht beſonders in die neue
Klemme. Iſt die Länderei — contrée — nun ſchön, findet
man einen angemeſſenen Wirkungskreis, gehört man von Ge-
burt zu den Erſten des Landes, iſt man hübſch, eitel; oder
wahnvoll, man könne wirken, ändern, erlangen, ſo mag das
angehen: ich, kann nur amüſiren, amüſirt ſein, vergnügt, aber
nicht glücklich ſein. Bleiben iſt mein liebſtes Reiſen; ich weiß
nicht einmal, ob ich hier bleibe: welches dennoch mein größ-
ter Schreck ſein würde; bin nur prekair eingerichtet, wie in
Karlsruhe; und ärger: das Ärgſte iſt, daß meine Gedanken
keinen Stützpunkt haben; und daß ich in Verzweiflung bin,
den Landespunkt, den ich ſo liebte, für den ich Gott alle
Tage Reden hielt, verlaſſen zu haben. Und nun genug!
Ohne den unendlichen Reſt zu berühren!! Gemeinheit. Ge-
meinheit bei Menſchen, die innen und außen hoch ſtehen; in-
[605] time Freunde waren! Aber die Einrichtung macht ſie ſo:
Helden ſind ſie nicht. Auch erlebe ich ſchon Rache: näm-
lich, ſie überraſchten mich nicht. Unzählige Freunde fanden
wir hier wieder: zahlloſe Bekannte. Die Geſelligkeit iſt, trotz
der Erzählung von Abnahme, hier noch im größten Flor;
und unter dem Schlamm ein guter Strom aus ſtarkem Quell.


Ein Wort vom Theater. Wolff, Rhamnes ſehr gut:
eine Mlle. Roger Melitta, und eine Mlle. Willmann das
andere Mädchen, ſehr ſchön, letztere ſogar viel Talent. Die
Maas hübſcher, ſtärker, beinah größer. Gut angezogen, vor-
trefflich
ſtummes Spiel, beſſere ſprechendere Mienen; außer-
ordentlich geſprochen, nie in’s Feine geſchnappt; und mehr
als ſechs Stellen wie eine Meiſterin. Ich bin alſo ſehr
zufrieden. Die Scene gut arrangirt. Rothes Licht, Morgen:
blaues, Mondſchein; viel Volk; ſchöner Pavillon mit breitem
Stufenvorplatz, ſeitwärts; Aphroditens Altar in der Mitte
hinten: von dem lief die Maas wie eine von einem Sterblichen
berührte Olympierin hervor. Das war mit das Schönſte, was
ich je ſah. Sie wiſſen, ſonſt war ich nie verliebt in ihr Spiel:
noch nicht: aber ich freue mich, lobend gerecht ſein zu dürfen.
Ich möchte Sappho von Ihnen ſehen, und mit Ihnen beſpre-
chen! Devrient ſah ich noch nicht. Ich habe immer den
Huſten: jetzt habe ich ein Zaubermittel von Koreff, ſo hilft’s.
Der Geh. Kämmerier T. läßt Sie ſehr grüßen; mit großem
Intereſſe! der Ehrliche beſuchte mich aus freien Stücken. Ein
ſehr braver einfacher Mann; den ich von Natur gut leiden
kann. Ich freue mich, daß ihn der König hat. Was Sie
ſehr freuen wird, unſer König ſieht vortrefflich aus: er war
[606] im Theater gegen mir über, im Proſcenium, wo es ſehr hell
iſt: auch ſah ich ihn Einmal im Thiergarten zu Pferde: keine
Spur von ſeinem Unfall! Haben Sie ſich auch ſo erſchrocken?
— Was macht Mama? — Mit M. und E. — denken Sie
ſich den Verdruß für mich, ſind wir brouillirt! Noch nie
war ich mit irgend jemand brouillirt. Ich kann nichts mehr
regieren. Ich bin nichts mehr. Mürbe und matt. — Doch
bin ich ruhiger dabei, als ich je hätte denken können. Da
ich immer muß, was ich nicht will, ſo lange weg, und ausge-
wurzelt war, kann ich faſt alles. Eins nur, Lokale lieb’ ich
über alles. Drum vermiſſ’ ich den Landespunkt. Sonſt nichts.


Schreiben Sie mir, ob Zepelins wohl ſind.



„Die erſte Walpurgisnacht“ mit der größten, zum hun-
dertſtenmale wiederholten Verehrung und Bewunderung ge-
leſen! Dies eine Lied macht Goethen zum Dichter; und
adelt ihn zum Geſchichtſchreiber: d. h. zum Geſchichtsſeher,
in Unpartheilichkeit.


An Guſtav von Brinckmann, in Stockholm.



Treuer, lieber, junger Freund! Dann ſind ſie ächt die
Freunde, wenn ſie immer jung bleiben; ja jünger werden, wie
Sie. Auch ich rühme mich, die Bekanntſchaft des Alters auf
eine andere Weiſe zu machen, als ich immer ſah, daß ſie ge-
[607] macht wurde; ich habe nämlich noch dieſelben Neigungen, zu
und ab; wie ſonſt, dieſelben Anſichten; dieſelbe Kraft, eben
die unheilbare Schwäche, Geſchicklichkeiten und Ungeſchicklich-
keiten, dieſelben Meinungen, nur für alles dies, für mich ſelbſt,
mehr Gründe und Beläge in meinem Magazin. Dieſes Ma-
gazin immer ordentlicher, reicher, voller, richtiger, zuſammen-
hängender zu machen, halte ich eigentlich für mein Lebensge-
ſchäft: ich halte es dafür, weil ich ſehe, mit Augen, und allem
was ich ſonſt noch beſitze, daß ich doch ſonſt nichts zuwege
bringe. Ich finde mich alſo mit mir, wie zu vierzehn, zu
ſechszehn Jahren. Nur ein paar mördriſche Schläge hat mir
das Alter vernichtend beigebracht. Und ſo wird’s wohl am
Ende mit allen Leuten ſein, die ſich beſinnen; und zu vier-
zehn, fünfzehn, zwanzig, dreißig Jahren lebten. Getödtet
iſt in mir die Möglichkeit, mir zu meinem Glück oder Ver-
gnügen die mindeſte Mühe geben zu können. Natürlich muß
ich mir doch meine Tage, ſo wie ſie einer nach dem andern
kommen, bereiten; und ſie zwingen mich wie jeden, zu thun
was ich nicht kann, und nicht mag! Aber wie thue ich es?
Mit Ingrimm, mit höchſter Verachtung und Nichtachtung un-
ſeres ganzen Zuſtandes, mit unendlichſter Zerſtreuung, mit den
ſtrafbarſten, dabei von mir im tiefſten Innerſten — und auch
eben jetzt! applaudirten Lücken! Ich verachte, wie noch nie
jemand
, in Anſtalten den Lebensfaden hinzugeuden! Ich
verachte die ewigen neuen Anmuthungen des Menſchenſchick-
ſals. Ich verachte gänzlich, was mir von Menſchen
Schlechtes
herrühren kann, bis zum nicht wiſſen, nicht be-
halten: und bringt es der Tag mit ſich, daß ich es wiſſen
[608] und behalten muß, ſo verachte ich wirklich mich: und nur
mein Bewußtſein über dies ſelbſt, erhält mir meine höchſtnö-
thige innere Würde, ohne welche der Zuſammenhang meiner
ſelbſt ſchwände. Verſtehen Sie?! Ja! Alſo getödtet in mir
iſt der Gedanke an ein Bild des Glücks, oder die Möglich-
keit es mir verſchaffen, oder ſuchen zu wollen — ich lächle
ordentlich, — getödtet iſt in mir, daß mich ein Menſch krän-
ken kann; — und ich verſtelle mich, es iſt mimiſch, wenn ich
mich über dieſe, mich eingerechnet, noch wundere; es iſt
alles richtig, was ſie thun müſſen, man verſteht es nur nicht
immer; und es betrifft ſo wenig, wenn es auch alles iſt, —
geſchieht die Handlung dazu, ſo fährt Ein Gedanke über meine
Seele (wie Wetter, und Licht, über Erde), „Wenn Gott es
zugiebt, was will ich mit Menſchen rechnen!“ und dann werd’
ich ſehr zerſtreut, und Andere beſchäftigen mich, wie die es
vorher thaten. Unterſcheiden thu’ ich ſie noch kritiſch genau,
wie alle Gegenſtände; meiner kritiſchen Natur gemäß. Getöd-
tet und ausgerottet iſt in mir, daß irgend ein Menſch mir
unentbehrlich wäre, und er mich daniederrichten und unfähig
machen könnte, wie ſonſt: ſo iſt dann die große Totalände-
rung die, für mein Wiſſen, daß ich Orten weit mehr attachirt
bin, als Menſchen. Deutlicher! daß Lokale mich mehr auf-
und daniederrichten können, als Menſchen. Sind die letztern
nur reinlich, keine vorpredigende Pedanten, keine Zwingherrn
in meinew eigenen Zimmer; ſind ſie ziemlich wie man nach
dem großen Kriege ſie allenthalben findet, und rauben ſie mir
nicht den Tag, ſo bin ich zufrieden: ob ich dies oder jenes
ablaſſe; mir gleich; da das Unbedingte aufhören mußte. So
ſtehe
[609] ſtehe ich nun, lieber Brinckmann, Ihnen und Ihren Briefen,
Ihrer jugendlichen Zärtlichkeit für alles Sonſtige, gegenüber,
und glaubte erſt, ich würde mich ſchämen, und ich mußte aus
Erkenntlichkeit und Zerknirſchung doch wenigſtens Ihnen ſa-
gen, wie es mit mir iſt. Aber ich ſchäme mich nicht. Ich
finde mich immer gut, wie ich bin: und bin dann ſchon ganz
zufrieden, wenn ich nach einem Nachmirſelbſtſehen finde, daß
ich richtig ſah, und mir über das Geſchehene Rechenſchaft ge-
ben kann. Ich habe nicht verſprochen, wie ich werden
will?! Und hätte ich’s verſprochen, ſo wäre es eine Narr-
heit
geweſen; von der ich, jeden frei ließe. Nach dieſem
Bericht über mich (von dem Sie genau wiſſen werden, wie
wahr, und wie nicht wahr er iſt; ich verſtelle mich nicht, aber
es iſt ſchwer, die Wahrheit zu ſagen:), wird es Ihnen nicht
auffallen, wenn ich Ihnen ſage, daß Berlin, nach ſechs Jah-
ren Abweſenheit, mich nicht enchantirt, (anſtatt dieſes Wortes
hätte ich können „bezaubert“, oder „entzückt“, oder „ſchmei-
chelt“, oder „wohlthut“ ſagen; ich ſagte aber „enchantirt“,
altmodiſcher Art). Der Tod hat unter unſern Freunden, die
Sie mir ſo emaillirt in der Erinnrung wie unſer ganzes Le-
ben darſtellen, gewüthet, vom Krieg unterſtützt: an jeder
Ecke in unſerm Viertel, wo ſonſt Unſrige wohnten, ſitzen
Fremde. Es ſind Grabſtätten. Die ganze Konſtella-
tion von Schönheit, Grazie, Koketterie, Neigung, Liebſchaft,
Witz, Eleganz, Kordialität, Drang die Ideen zu entwik-
keln, redlichem Ernſt, unbefangenem Aufſuchen und Zu-
ſammentreffen, launigem Scherz, iſt zerſtiebt. Alle Rez-
de-Chauſſée’s ſind Laden, alle Zuſammenkünfte Dinés oder
II. 39
[610] Aſſembléen, alle Diskuſſionen beinah — Sie ſehen am Aus-
ſtreichen meine Verlegenheit um ein Wort: ich meine un ren-
dez-vous
für eine ächtere künftige, und eine fade Begriffsver-
wirrung. Jeder iſt klug; er hat ſich alles dazu bei einem
Anführer einer Meinung gekauft. Es ſind noch unendlich viele
geſcheidte Leute hier: und ein Reſt von Geſelligkeit, die in
Deutſchland einzig iſt. Aber Meine ſind weg! Die da ſind,
ſind veraltet; die Kinder waren, Damen und Herren. Kurz,
es iſt nicht behaglich, nach langer Zeit zu Hauſe zu kommen:
man iſt dann, auch materiell, auch der Bequemlichkeit nach,
nicht zu Hauſe. Beſonders wenn man nicht weiß, wie lange
man zu bleiben hat. Glauben Sie nun nur nicht, daß ich
unzufrieden, oder unglücklich ſei! So wie ich nur geſund bin,
bin ich ſeht vergnügt. Munter immer: deßhalb unter den
Leuten gelitten. Ich bin unendlich ruhig; und zu allem Ver-
gnügen aufgelegt. Es muß aber kommen; ſuchen kann ich’s
nicht; ſo wie ich nicht tanzen kann wie Veſtris; es wäre
ſchön, aber ich kann nicht. Nun will ich Ihnen aber auch
durch den geſtrigen und den heutigen Abend, den ich Ihnen
berichten will, Geiſter heraufrufen. Geſtern Abend war zum
Thee bei mir — ich wohne eine kleine Treppe hoch chambre
garnie
Nr. 20. Franzöſiſche Straße; in einem Hauſe, welches
Ecke mit der Friedrichsſtraße macht: wenn man aus der Un-
zelmann Haus geht und ſich rechts ſchwenkt, ſchräg herüber
über den Damm: ich ſehe ihr Haus aus meinen Fenſtern
allen — Frau von Crayen mit Fräulein Victoire; Mlle.
Maas, die hier ſpielte und Mittwoch wegreiſt; der Geheime-
rath von Schütz, Barnime Finkenſteins Mann oder vielmehr
[611] Wittwer, der Schütz, der den Lacrimas, und jetzt einen Karl
den Kühnen geſchrieben hat, und Politiſches. Ein ſanfter ge-
bildeter Menſch, Friedrich Schlegels Freund, um deſſentwillen
er nach Wien gehen will, und dort war. Mündlich könnt’
ich anders von ihm ſprechen. Ferner Pitt Arnim, Achims
Bruder — der Sie geſehen hat —, Varnhagen, und ich: der
Abend war belebt, lachend, ſehr gut; aber mir doch zu lang,
ich halte nichts mehr ausgedehnt aus. Heute Abend ich, bei
der Hofräthin Herz — mit? Fräulein von Imhoff, — der
Schweſter von Lesbos —, und Mehrern. Sind das nicht
Geiſter? Noch ein Wunder! Dieſe Generalin Helvig kenne
ich noch nicht. Nämlich, vor vielen Jahren war ich einmal
mit ihr und ihren beiden Schweſtern bei Mad. Sander —
die ich noch ſehe —, wo ſie mich wollte kennen lernen; ich
hatte aber damals ſchon den Namen Robert, und ſo meinte
ſie, ich ſei’s nicht; ich, die dies nicht wußte, trat nicht vor,
und mußte den ganzen Abend nur! mit Heinrich Kleiſt und
Adam Müller ſprechen; weil Achim Arnim und Clemens Bren-
tano in ſchwarzen Theekleidern und Beſtrumpfung aus Re-
ſpekt vor der intereſſanten vornehmen Dame rempart ſpielten,
und niemand in der Hitze heran ließen. Kleiſt, mit ſtraßenbe-
ſchädigten Stieflen, und ich, lachten heimlich in einem Winkel
und amüſirten uns mit uns ſelbſt. Ich erfuhr erſt nachher
die bévue, und die verfehlte Bekanntſchaft: Frau von Helvig
konnte es gar nicht vergeſſen mit den Namen! Sie wußte
nur von hoch-, ich aber von falſchgeboren. Nun ſoll heute
die Einrenkung als Frau von Varnhagen geſchehen: ich erbot
mich zu der Operation. Weil ich Mad. de Ron, eine ſehr liebe
39 *
[612] Frau, ihre Schweſter, kenne: aus Heidelberg, Baden, Frank-
furt. Gehalten, edel, gut, ſtark und ſanft. Reinlich und or-
dentlich bis zum Bewundern! — Sind das nicht Geiſter? —
Grad dieſen Morgen war Mad. Liman bei mir; ich beſtellte
ihr Ihren Gruß: ſie hat Gewiſſensbiſſe, Ihnen nicht geant-
wortet zu haben. Ich konnte bis jetzt auch nicht dazu kom-
men: aber Ihr geſtriger, wiederholter Schmeichelbrief gab mir
ſolchen Biß, daß ich gleich zu Varnhagen ſagte, morgen
Vormittag wird kein Menſch angenommen, und Brinckmann
geſchrieben! Wiſſen Sie? daß Sie mir mit Ihren Briefen
die Liebe dieſes Mannes immer ganz aufregen? Mit erreg-
ter Farbe, gerührt in den Augen, küßt er mich ganz lange
ſtumm, wenn er Ihren Brief noch in der Hand hat. Der iſt
zur Freundſchaft geboren, wie Sie! Der Menſch brauchte
einen Gefährten, um ſich das Paradies zu beſtätigen; dies
Bedürfniß haben wir für die uns beſtimmten Güter geerbt; es
verdoppelt ſich, was Andere mit uns ſehen, und unſere Liebe
auch. Das iſt der beſte Gruß, den ich Ihnen von Varnhagen
ſagen kann! So kleide ich den Auftrag, Sie zu grüßen, ein!
Sie könnten hierher kommen, meint er; ſie ſollten! Oder im
Sommer nach dem ſüdlichen Deutſchland kommen? Sie ſollen
mein Bild haben. Aber im Ernſt! Geben Sie mir ein ren-
dez-vous!
Kaufen Sie eine Million weniger Bücher, ſo ha-
ben Sie Geld dazu. Erlaubniß giebt Ihnen Ihr König. Sa-
gen Sie, Sie wollen mich ſehen. Sie wiſſen doch, daß Frau
von Humboldt hier iſt? Vor ein paar Tagen war ich bei ihr:
noch ſah ich ſie wenig, da ſie und ich den Huſten hatten; ihn
ſah ich noch gar nicht. Apropos! Unter andern ſind manche
[613] von unſern Freunden Staatsminiſter geworden, vergaß ich Ih-
nen zu ſagen: und das iſt auch eine Art von Tod. Frau von
Humboldt wohnt Behren- und Charlottenſtraßen-Ecke, wo
Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt,
Ecke Charlotten- und Franzöſiſche Straße. Iffland und die
Baranius wohnten mal da. Geſtern war die bei mir; noch
ſchön. Alle Klaſſen ſehen mich und rauben mir die Zeit. So
eben hat Varnhagen Archibald Keyſerling geſehen, der [r]eiſt
durch, und wird mich beſuchen. Nun wünſche ich mir, ich
hätte Ihnen gedankt durch dieſen Brief für die Lebensbeſchrei-
bung, die Sie mir vorigen März ſchickten. Ein Meiſterſtück
von Mühe und Kunſt: nur Sie deſſen fähig! Aber um die
Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer,
theurer Freund, und ſein Sie meiner gewiß! Schade! daß
man ſich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher ſchreiben
kann. Was ſagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im
Constitutionnel, zu dem alten Voß, zu Perthes? Leſen Sie
das alles? Adieu! Ihre R.


Schreiben Sie mir durch Mendelsſohn; ich bezahle, iſt
der Brief dick. Die Frau, die Sie mir im März beſchrieben,
die Deutſch lernte hinter Ihrem Rücken, iſt Minerva ſelbſt.
— Ich goß auf ſechs Zeilen das Tintfaß anſtatt Sand. Varn-
hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines
Alters. Ich werde leichtſinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu!


[614]

An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Zyrus.



Trübes, noch trockenes Wetter.


Theure, verehrte Gräfin! Liebe treue Freundin! Zwei Mo-
nat bin ich ſchon hier, ohne in Erfahrung bringen zu können,
wo Sie leben. Was mir aber — auch — ſehr auffiel, war,
daß es Frau von Humboldt nicht wußte, wo ich es ganz ge-
wiß zu erfahren glaubte. Ganz ruhig, und ohne Anſtoß, ge-
ſtand ſie, es nicht zu wiſſen. Ich verſtummte; wie immer,
wenn man Unendliches, und unendlich viel zu ſagen hat, und
ſich im Vortheil glaubt. Endlich überraſchte uns dieſe Woche
Graf Keyſerling, der ein Erbſtück, eine Erbader von Treue in
ſich hat, und uns jedesmal aufſucht, wo wir nur ſein können.
Von dieſem erfuhr ich, daß Schleſien Sie verbirgt, und daß
er mein Merkur ſein will. Laſſen Sie mich mit dem Aller-
nächſten anfangen! Werde ich Sie dieſen Winter hier ſehen?
Oder ſoll ich ohne dieſe Genugthuung vielleicht weiter geſchickt
werden?! Wenn es Ihnen möglich iſt, kommen Sie. Was
hat man denn in unſerm Alter, mit der Schärfe der Überzeu-
gung, mit der wir hier auf der Erde ankommen mußten, noch
anderes, als dann und wann den Troſt, Gleichgeſinnte zu ſe-
hen, das Zeugniß von ihnen anzunehmen, daß man nicht ver-
rückt iſt, und die heilende Gewißheit, daß noch Rechtſchaffen-
heit wirklich mit Menſchengebein auf der Erde umhergeht;
daß nicht alles nichtige Kriecherei, alberne Eitelkeit, und ſtraf-
bares Ringen, und Angriff, um Macht und Gehalt der Staats-
poſten ſei; und endlich die Freude, miteinander zu lachen, Ge-
[615] danken aufzurüttlen, unbefangen zu werden, ſein zu dürfen;
patriarchaliſch, und kindiſch all den Schund, miteinander zu
vergeſſen! Ich kann im Winter nicht reiſen: Varnhagen darf
von hier ohne Grund und Urlaub nicht weg; und unklug wär’s
ihn hier allein zu laſſen, ſonſt dürften Sie nur befehlen, und
ich käme zu Ihnen. Ohne dieſe Berge von Gründen ſäßen
wir im Wagen, führen erſt zu Graf Kalkreuth nach Siegers-
dorf, und dann zu Ihnen. Graf Keyſerling ſchmeichelte uns
unendlich mit der Ausſage, daß ſein Onkel auf ſeiner letzten
Reiſe nach Frankreich ohne ein Hinderniß uns beſucht haben
würde; und nur eine ſolche Intention iſt des größten Dankes
werth, den wir gerne perſönlich abgeſtattet hätten; und ohne
alles Weitere
hätte ich ſchon zu Ihnen fahren mögen, um
Ihnen beſonders für Ihres Bruders Abſicht zu danken; Sie
nur können ſo vortheilhafte Geſinnungen in ihm erregt haben!
Es ſollte nicht; aber Treue gegen ſich ſelbſt, und in ſeinen
Meinungen, außer, daß ſie die liebenswürdigſte Eigenſchaft und
die Wurzel, der Grund, und Halter aller andern iſt, muß noch
wie gemeine Dinge ihrer Seltenheit wegen geſchätzt werden.
So ſteigen Sie im Werth, liebe Gräfin, da faſt Alle im Welt-
gewühl ſinken, und ihr Innres ſich abhanden kommen laſſen;
anſtatt dies, dem Juwel gleich, ewig rein zu erhalten, und
neue Facetten daran zu arbeiten, daß der Geiſt Lohn und
Nahrung finde im Erblicken immer mehreren Lichts der Urſonne.
Glauben Sie nicht, ſehr liebe Freundin, daß Einzelnheiten
oder mich betreffende Geſchichten mich zu dieſen Äußerungen
brachten: mit mir geht eigentlich nichts vor; und ich bin ſehr
ruhig. Weil mir — zwar nicht am Leibe!! — alles ſchon ge-
[616] ſchehen iſt; und ich nicht von der ſchlappen Sorte bin, daß
es mir zweimal geſchehen muß. Aber die Verwirrung, und der
Matſch werden zu breit. Und Eine iſt wirklich etwas muth-
drückend, daß die Edleren ſelbſt ſich nicht beſſer vor Modeaf-
fectation, mit Frömmigkeitsweſen und Sittentugend, zu ſchützen
wiſſen; noch ſich der roheſten, längſt in ihre Schlammhöhle
zurückgewieſenen Anmaßungen ſchämen! All dies dringt auch
bis in das feinſte, ſonſt holde Gezweige der Geſelligkeit. Ei-
gentlich das Menſchlichſte unter Menſchen! der Inbegriff, und
Ausgangspunkt alles Moraliſchen! Ohne Geſellen, ohne Mit-
genoſſen des irdiſchen Daſeins, wären wir ſelbſt keine Perſo-
nen, und ein ethiſches Handlen, Geſetz, oder Denken, unmög-
lich: unmöglich, ohne die Vorausſetzung, daß einem Andern, —
das Bild einer Perſon — ſo ſei wie uns, daß er iſt, was
wir ſind
. Wenn mir alſo die Geſelligkeit beſchädigt iſt, bin
ich es; wer mir die verdirbt, verdirbt mich: mein eigentlichſtes
Ich. Wohl denen! ſagt man gewöhnlich; ich ſage weh denen!
die ohne Zuſammenhang leben: denen ihr Morgen eine Ge-
ſchäftszeit iſt, die mit ihren Abendgeſellſchaften nicht zu ſchaf-
fen hat: deren Leſen ein Studium iſt, unverdautes Lügen pro-
duziren zu können; allenfalls in drei, vier Sprachen; deren
Betſtunde ein Abwaſchen der übrigen; deren Nachdenken ein
Planmachen, oder höchſtens ein zum Gebrauch Zurechtlegen
überlieferter Sprüche, einſt richtig erfunden, und deren von
Andern geglaubtes ewiges Verſtellen ihre höchſte Satisfaktion,
und Ausübung von Tugend iſt; welcher Verſtellung ſie end-
lich ſelbſt Glauben beilegen, und ſich ihr tugend-eitel opfern.
[617] Ich kann das alles nicht: konnte es nie; und freue mich
noch darüber!


Wie ich nun bin, und wie Sie mich kennen, ſo vermiſſ’
ich von dieſer Seite hier viel; (bin aber grade ſehr gewöhnt
an dieſe Art von Miſſen) und nur dies könnte mir hier Er-
ſatz geben, für eine aufgeſtörte Häuslichkeit; für einen ruhigen
Kreis von Bekannten, und erworbenen Freunden, die mir
grade ſo nah und ſo fern ſtanden, als es Varnhagens Amt
mit ſich brachte, und ich es vertragen mochte. Jede Güte
wurde mir als ſolche angerechnet, weil ſie von einer Fremden
keiner fordern konnte. Was mir im Lande nicht gefiel, ver-
letzte
mich, als ſolche, nicht. Das Land und ſeine Nachbar-
ſchaften gefielen mir außerordentlich; es iſt eines, wo mehrere
nicht große Länder zuſammengehören: und gehört man nicht
einem ſehr großen, ſehr ausgebildeten Lande, ſo iſt das ein
großer, ſehr belebender Erſatz. Dabei hatte der Ort die Be-
quemlichkeiten einer minder großen Stadt; in ihre Mängel
hatte ich mich ein- und ausgelebt. Ich hatte die große Sa-
tisfaktion, unſerm Lande im Auslande Ehre zu machen; was
ich that, that doch eine Preußin: und ich war beſcheiden, hülf-
reich, gut, ſanft; und beliebt, und das kam auf die Rechnung
aller Preußinnen; ich hatte die große Satisfaktion, nicht zu
Hauſe zu ſein — wo ich immer noch beweiſen ſoll, daß ich
das Recht habe edel zu ſein: und wo jeder Stein mich an
ſolches von ſonſt erinnert, und ich durchaus die alte vor-
ſtellen ſoll! — und die ganz unendliche, daß ich endlich Ein-
mal auf ſolchem Piedeſtal ſtand, wo man, was ich Gutes
[618] machte und war, auch mitzählte. Unendlich nenne ich dieſe
Satisfaktion, wegen ihres unendlichen Unterſchiedes, ob ſie ei-
nem gewährt wird, oder nicht. Im letzten Fall thun ſie alles
umſonſt, ohne Erfolg — außer für’s Gewiſſen — im andern
kräftigt der Standpunkt ihr Thun, und liefert die Möglich-
keiten dazu. Nun ſehe ich hier eine Unzahl veralteter Men-
ſchen, in veralteten Lagen, die alle noch alte Empfindſamkei-
ten und Erzählungen und Geſchichten mit mir anknüpfen wol-
len: ich — prêtire mich dazu, aus Güte und Rechtlichkeit:
verzweifle und beleidige doch zu Dutzenden; und, ich glaube,
genüge keinem. Kurz, es geht mir wie allen Menſchen, tadlend
verdiene ich Tadel. Dennoch iſt es hier auch hübſch und reg-
ſam; und geſelliger als allerorts in Deutſchland; aber ruppig
fand ich es im Anfang ꝛc. ꝛc. Mündlich Millionen Dinge!
Kommen Sie, liebe Gräfin? Antworten Sie wenigſtens!


Sie dachten wohl auch, Varnhagen iſt in Ketten und
Banden. Noch lange nicht! Er hat nichts gethan; Feinde
wünſchten ihn anklagen zu können. Feinde ſind von ihm,
Neider und ſolche, die zehn Meilen in der Runde keinen ſelbſt-
ſtändigen Menſchen ertragen und es riechen können, wer es
iſt. Man kann gar nichts thun, als warten; und das kann
man mit unbeflecktem Bewußtſein ruhig. Ich ſtürbe vor
Angſt: und auch vor Scham, wenn es anders wäre. Das
wird Ihnen gänzlich genug ſein.


Frau von Humboldt leidet an Heiſerkeit und Huſten: ich
hatte daſſelbe Übel, wir haben uns alſo, da ich wagenlos bin,
nur wenig geſehen. Ihn ſah ich noch nicht. Empfehlen Sie
[619] mich Angelika’n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru-
der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht geſund!


Ihre treue Friederike Varnhagen.



Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei
ſie voller tiefer Unterſuchungskraft iſt, oder vielmehr ſie iſt
überzeugt, ohne den mindeſten Zweifel anzuknüpfen, daß die
Seelen im Fegfeuer ſich reinigen müſſen; die Kirche aber und
fromme Leute könnten ihnen Gebete nachſchicken, die Gott zu
ihnen ließe, und welche ſie geſchwinder aus dieſem Feuer er-
löſten. Die ganze Sache ſieht ſie als eine Reinigung an:
was kann ſie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken,
— wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen
Zuſtand bildeten! — Könnten nicht die Seelen in dieſem Rei-
nigungsfeuer erfahren, daß ſehr gute, gereinigte, hochſtehende
Weſen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für ſie ſor-
gen, denken, bitten, und dies ſie beſſer machen, und ihnen
Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und ſie da-
durch beſſer machen? — Der einzige mögliche Weg, den ich
erfinden kann. —


Madame Guion iſt auch überzeugt, daß man Heilige
anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältniſſe ſte-
hen kann. Meint ſie, in einem Verſenken in die tieferen
Eigenſchaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen
wegſallen und weichen müſſen, und wir in einen dem Heili-
[620] gen gleichen Zuſtand gerathen können, wodurch Mittheilung
und Einwirkung wie in der Gegenwart möglich wird; und
wir ſogar den Heiligen in ſeinen vorigen Zuſtand, in ſeine
vorige Verfaſſung zurückrufen können, wie man es in nähe-
rer Vergangenheit mit den Lebenden kann?


Appendix A

Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn.


[][][]
Notes
*)
Dieſes iſt an einem bedeutenden Orte, im großbritanniſchen Parla-
mente, ſchon wahr geworden. Sitzung des Unterhauſes vom 23. Fe-
bruar 1830.
Notes
1
Anmerk. Goethe empfing die beiden Briefe. Er ſchrieb an Liebich
dieſe Antwort:

License
CC-BY-4.0
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Varnhagen, Rahel. Rahel. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq1g.0