[][][][][][][]
Entwurf
zu der aͤlteſten
Erd-

und
Menſchengeſchichte,
nebſt
einem Verſuch,
den Urſprung der Sprache
zu finden.

[figure]


Frankfurt und Leipzig,.
1773.

[][]

An
Herrn
Moſes Mendelsſohn.


[][]

Mein Herr!


Der gegruͤndete und allgemeine
Ruhm, welchen Sie ſich bey dem
ganzen denkenden Publikum erworben
haben, hat den Verfaſſer der Erd-
und Menſchengeſchichte bewogen, die-
ſelbe Ihrer tiefern Beurtheilung zu
)( 2uͤber-
[] uͤbergeben, und ihr Ihren Nahmen
vorzuſetzen. Er wuͤnſcht die Wahr-
heit getroffen zu haben, hingegen wird
er mit eben der Liebe zur Wahrheit,
die Zweifel, ſo dargegen gemacht wer-
den koͤnnen, merken, und ſich gern
eines beſſern belehren laſſen.

Verſuch
[[1]]

Verſuch
den Urſprung der Sprache

zu finden.



§. 1.


Wenn man das Alter und den Urſprung
der Sprache, die nur vor die Menſchen
gehoͤret, erforſchen will, muß man entweder in
der Sprache ſelbſt die Kennzeichen von ihrem An-
fange und Alter finden koͤnnen, oder man muß
den Urſprung und das Alter der Menſchen vor-
aus feſtzuſetzen wiſſen. Der erſte Fall ſcheinet
unmoͤglich zu ſeyn, denn man muͤſte alle Arten
der Sprachen, todte und lebendige, auf der gan-
zen Erde vollſtaͤndig kennen, und der letzte Fall,
nemlich den Urſprung der Menſchen und ihr Alter
Avorher
[2] vorher feſtzuſetzen, erforderte, daß man entweder
von ihnen ſelbſt die Kennzeichen ihres Urſprungs
hernehme, welches aber eben ſo unmoͤglich zu ſeyn
ſcheint, oder daß man ihre Geſchlechte ruͤckwaͤrts
bis auf ihren Urſprung verfolgte. Da nun aber
das letztere, wegen Mangel gewiſſer und deutli-
cher Urkunden, die bis dahin reichten, ebenfalls
nicht angeht; ſo kan man dieſes Huͤlfsmittel hier
auch nicht zuerſt brauchen.


§. 2.


Laſſen ſich aber die Menſchen nicht ohne ihren
Wohnſitz, nemlich die Erde, denken, und denkt
man ſich wieder dieſe, niemals ohne ihre Bewoh-
ner, die Menſchen; ſo kaͤme es darauf an, ob
man nicht umgekehrt den Urſprung der Erde, oder
doch ihr Alter finden koͤnte. Nun laͤßt ſich zwar
dieſes, wie leicht zu erachten, eben ſo wenig mit
Gewißheit erforſchen, und alſo auch das wahre
Alter der Erde nicht wohl beſtimmen; wenn es
ſich aber gleichwohl mit einer unbeſtimmten Zahl
weit hinaus angeben ließe; ſo koͤnte man doch der
Menſchen
[3] Menſchen und ihrer Sprache Alter zuerſt eben ſo
weit hinaus, und folglich ſchon beſtimmter, anſe-
tzen. Denn der Menſchen Alter doͤrfte wohl mit
dem Alter der Sprache immer gleich fort laufen,
und nichts voraus haben, wenn ich mich in der
Menſchen-Kunde und Sprachforſchung, wie ſie
unten folgen wird, nicht betrogen habe.


§. 3.


Will man aber von der Sprache Alter und Ur-
ſprung ſo viel, als ſich wahrſcheinlicher Weiſe ſa-
gen laͤßt, und mit zuſammenhangenden Beweiſen
niederſchreiben, ſo iſt hiezu kein beſſerer Rath,
als daß man von dem Erdball die Unterſuchung
anfange, denn von dieſem Wohnſitze auf die
Menſchen, und endlich auf ihre Sprache fort-
ſchloͤſſe. Wird man mir aber die noͤthige Auf-
klaͤrung dieſer oder jener Unterſuchung weitere
Betrachtungen abfordern, ſo wird ſich der Leſer
auch dieſe mit zu leſen und zu pruͤfen, gefallen
laſſen.


A 2§. 4.
[4]

§. 4.
Das Alter des Erdballs.


Wenn wir das Alter der Erde erkennen und
ungefehr ſchaͤtzen wollen, werden wir ſie ganz an-
ders, als die Menſchen, von denen man immer
junge und alte Geſtalten mit einander zu verglei-
chen findet, betrachten muͤſſen. Wir werden zwar
auch nur ihre Oberflaͤche oder aͤuſſere Geſtalt vor
uns nehmen, und ſie noch dazu mit keiner andern
Erdkugel, geſchweige denn mit einer jungen, ver-
gleichen koͤnnen; allein wenn nun eben dieſe
Oberflaͤche blos aus Ueberbleibſeln ihrer jungen
und maͤnnlichen Geſtalt beſteht, ſollten da nicht
aus dieſer Vergleichung Folgen zu ziehen ſeyn,
die man ſtatt unbeſtimmter Zahlen, oder Hoͤhen
jedes Alters brauchen, und gleichſam als Jahr-
ſtufen, ſtatt Jahrzahlen angeben doͤrfte, wie man
Kind, Knabe, Juͤngling, Mann und Greiß, oh-
ne Jahrzahlen braucht.


§. 5.


Unſere Reiſebeſchreibungen um die Erde haben
uns freylich von dieſer Seite noch nicht ſo viel
Vor-
[5] Vorarbeit geliefert, als man zu wuͤnſchen haͤtte;
doch haben ſie uns ſo viel geſagt, daß man Folgen
genug zu dieſem Endzweck daraus ziehen kan.
Daher habe ich nur noͤthig, den Kern der Erd-
beſchreibung vorzulegen, und die jetzige Geſtalt
der Erdkugel uͤberhaupt vorzuzeichnen, um mich
dadurch zu berechtigen, das uͤbrige aus unſerer
Gegend bis ins Beſondere auszufuͤhren.


§. 6.
Das Meer.


Die zwey Haupttheile unſerer Erdkugel ſind
Meer und Land. Das Meer, welches uͤberall,
zumahl an den Geſtaden, von Seethieren wim-
melt, und von Seegewaͤchſen nirgend ganz blos
iſt, fuͤhrt von beiden Geſchlechten und Arten in
jeder Hauptgegend, eigene Arten, bald dieſes,
bald jenes Geſchlechts, die man an andern Ge-
ſtaden nicht findet.


§. 7.


Sein Grund iſt am Geſtade wie das naͤchſte
Land, und weiter gegen ſeine Hoͤhe, iſt es von ſo
A 3verſchie-
[6] verſchiedener Tiefe, daß man ihm auch Berg und
Thal, wie dem feſten Lande zugeſtehen muß; ja
mitten in der offenbaren See, wo keine Inſeln
ſind, kan man ihm meiſtens eine unergruͤndliche
breite Tiefe, oder die tiefſten vom Seegebirge ab-
gelegenen Ebenen, beymeſſen.


§. 8.


Das Meerwaſſer ſelbſt iſt an ſich in doppelter
Bewegung, davon eine durch Ebbe und Fluth
gegen die Kuͤſten, da und dort ſtaͤrker oder ſchwaͤ-
cher; die andere durch die Meerſtroͤme nach ver-
ſchiedener Richtung, erreget wird; auſſer dem
wird ſeine Oberflaͤche beſtaͤndig durch die Winde,
und ſein Grund nicht ſelten durch Erdbeben, die
vermoͤge der Erfahrung allezeit vom Meere an-
fangen, in Bewegung geſetzet.


§. 9.


Seinen Unterhalt bekommt das Meer uͤber-
haupt durch das Weltlicht und die Luft, beſon-
ders aber durch den Regen und die Fluͤſſe des
Landes
[7] Landes, da inzwiſchen ſeine groͤßte bekannte Ab-
nahme wieder durch die Duͤnſte geſchiehet.


§. 10.


Betrachtet man aber das Weltmeer, welches
rund um die Erdkugel ein Ganzes macht, nach
ſeinen einzelnen Gegenden uͤber der Erdflaͤche hin,
ſo findet man es, als viele kleinere Meere, mit
beſondern Nahmen belegt, deren volle Seiten,
als Hauptgeſtade gegen die kuͤrzeren Kuͤſten gel-
ten koͤnnen.


§. 11.
Das Land.


Das Land, (es beſtehe aus Inſeln, oder feſtem
Lande,) iſt die vom Geſtade des Meeres an die-
ſer Seite hervorgehende Erde, welche ſich bald
durch Ebnen, bald durch Berge und Thaͤler, die
nach verſchiedenen Gegenden fortſtreichen, zu dem
Geſtade des Meeres an jener Seite, als unbe-
deckter Erdboden fortlaͤuft, und dort wieder hin-
unter geht, aber rund um die Erdkugel kein Gan-
A 4zes
[8] zes ausmacht, ſondern hie und da, bald mehr,
bald weniger getrennt iſt.


§. 12.


Eine eigene Bewegung hat das Land oder der
Erdboden nicht; doch iſt der beſtaͤndige Zug der
Luft, nebſt den Winden ſo gut, als die ſeinige.
Die Bewegung, ſo er von dem Erdbeben, wie-
wohl nur ſelten auszuſtehen hat, wird ihm nur
vom Meergrunde mitgetheilt.


§. 13.


Des Landes Unterhalt kommt uͤberhaupt aus
dem Weltlichte und dem Luftkreiſe, beſonders
aber durch den Regen, oder die Quellen, welche
ſtets von den Anhoͤhen gegen die tieferen Gegen-
den zuſammen laufen, und denn als Fluͤſſe, mit
beſondern Waſſerthieren und Waſſerpflanzen,
nach der, jeder Hauptgegend eigenen Art, ſich in
das Meer ergießen.


§. 14.


Alle feſte Laͤnder und Inſeln wimmeln zu ihrer
Zeit von Landthieren, oder wenigſtens von Gezie-
fern
[9] fern und Ungeziefern; ſie ſind auch ſo leicht nir-
gend von Landgewaͤchſen blos, ſollte es gleich nur
Moos ſeyn; doch iſt hier eben die Ordnung anzu-
treffen, daß jede Hauptgegend hier dieſe, dort
jene beſondere Thiere und Pflanzen fuͤhret, die
man in andern Gegenden nicht findet.


§. 15.


Man trift ferner alle feſte Laͤnder und Inſeln,
die von den Europaͤern beſucht werden, ſeit
Woodwarts Nachfragen, aus Schichten erbauet
an, wovon noch viele gegen die Ebnen ſowohl,
als auch an den hoͤchſten Gebirgen, erſtlich groͤß-
tentheils als Meergeburten, zweitens aber doch
nur zum kleinſten Theil, als Landgeburten dazwi-
ſchen anzuſehen ſind. Denn alles Schichtwerk,
aus Kalch, Sand, Mergel und Thon, welches
entweder ſelbſt, oder doch in ſeinen Zwiſchenſchich-
ten umſteinte Seeſtuͤcke, oder deren verſteinerte
Abdruͤcke, nach derjenigen Ordnung, die blos das
Meer halten kan, in ſich fuͤhret, kan fuͤr nichts
anders, als eine Meergeburt angenommen werden.


A 5§. 16.
[10]

§. 16.


Hingegen alles Schichtwerk, welches unordent-
lich umſteinte, oder gar verſteinerte Landſtuͤcke, als
von Holz, Kraͤutern, Landfiſchen und Landthie-
ren, theils im Abdruck, wie die Kraͤuter und Fi-
ſche, theils noch als Mulm von Pflanzenwerk,
oder ausgezehrte Thierknochen, in Achat, Stein-
kohlen, Agtſtein, Schiefer, Alaun oder Eiſen-
ſtein verſteinert, enthaͤlt; kan urſpruͤnglich fuͤr
nichts anders, als eine ins Meer geſchlemmte
Landgeburt erkennt werden. Endlich finden ſich
noch drittens an einigen wenigen Oertern, zwi-
ſchen den hoͤchſten Anhoͤhen, als unter den oben
daruͤber angelegten Schichten, beſondere Stein-
ſchichten, deren Stelle, und Stellung ſowohl, als
ihre Beſtandtheile, zweifeln laſſen, ob man ſie zu
den obigen Meergeburten rechnen doͤrfe.


§. 17.
Folgerungen.


Wenn ſich nun die jetzigen feſten Laͤnder fuͤr
nichts anders, als einen Meergrund anſehen laſ-
ſen,
[11] ſen, auf dem das ehemalige Meer dieſes Schicht-
werk, theils vermittelſt dem Abſatze aus ſeinem
Salzwaſſer, als Meerſchlamm, oder Salzarten,
theils mittelſt ſeinen haͤufig eingeniſteten und ver-
deckten Bewohnern, theils auch durch zuge-
ſchlemmte Landſtuͤcke aufgebauet hat; ſo kan man
auch umgekehrt, das damalige Land nirgends an-
ders, als unter dem jetzigen Meere ſuchen, und
alſo waͤre der jetzige tiefe Meergrund das alte
feſte Land.


§. 18.


Daraus erhellet zugleich, daß die ehemahligen
Bewohner des alten Meeres, die Beſitzer des
alten feſten Landes; und die Bewohner des al-
ten feſten Landes jetzt die Beſitzer des alten Meer-
grundes ſeyn.


§. 19.


Wie kan aber dieſe Umkehrung anders, als
durch den tiefſten Einſturz des ehemaligen feſten
Landes, und den dadurch verurſachten Nachfluß
des vorigen Meeres, bis auf den oͤden Grund
erfolget ſeyn?


§. 20.
[12]

§. 20.


Da man nun gleichwohl die Beſitzer ſowohl
des jetzigen Meeres, als des jetzigen feſten Lan-
des ſo vertheilt antrift, daß jede Hauptgegend
des Meeres und Landes ihre eigene Arten von
Pflanzen und Thieren fuͤhret; ſo laͤßt ſich weder
der Einſturz des einen, noch der Nachfluß des an-
dern, uͤberall auf einmal denken; wie haͤtte ſonſt
jede Gegend ihr eigenes erhalten koͤnnen? ſon-
dern jeder muß ruckweiſe erfolgt ſeyn; dadurch
konten die Bewohner des nachfallenden Meeres
an jedem Orte in die neue Meerestiefe zuſammen
und unzerſtreut hinunter gehen, und hierauf auch
die Nachbarn des oͤden Meergrundes wieder in
der Art, wie ſie auf ihrem alten Lande gewohnet
hatten, des neuen Landes Beſitzer werden: folg-
lich blieb jeder Gegend ihr eigenes.


§. 21.


Dieſes wird dadurch noch deutlicher, daß ſich
bis jetzt die Arten der Seegewaͤchſe und Seethie-
re, die jedes Hauptgeſtade eigen hat, ungeachtet
ihrer
[13] ihrer beſtaͤndigen Vermehrung dennoch nicht in
fernere Gegenden fortpflanzen, und alſo fuͤr ſich
nicht, wenige ausgenommen, zu der Art der wan-
dernden, gehoͤren. Deswegen kan man ſie auch
nicht, weder in Anſehung der vorigen Zeit, noch
der kuͤnftigen, es muͤßte ſie denn die Veraͤnderung
der Meeresſtroͤme, oder der Fortgang des Mee-
res, deſſen gehorſame Unterthanen ſie ohne Zwei-
fel ſind, dazu zwingen, als fortwandernde anſe-
hen; doch kan noch der Mangel an Nahrung,
durch eine Verwandlung des Meerwaſſers, oder
Grundes an ſolchem Geſtade ein drittes Zwang-
mittel werden.


§. 22.


Eben dieſes iſt auch von den eigenen Arten der
Landgewaͤchſe und Landthiere bekannt. Denn ſeit
Menſchen Gedenken hat keins ſeine Hauptgegend
von ſelbſt verlaſſen; ob uns gleich die Thierhaͤu-
ſer und Luſtgaͤrten Beweiſe geben, daß ſie hier zu
Lande gleichfalls leben koͤnten. Folglich muͤſſen
ſie ebenfalls nur vom alten feſten Lande zum nach-
barlichen
[14] barlichen neuen Lande gewichen ſeyn, oder ſich
fortgepflanzt haben, ohne daß ſie ein gaͤnzlicher
Einſturz ihres alten Landes alle zuſammen uͤber-
raſcht hat. Auf die Zugvoͤgel und andere wenige
wandernde Thiere ſehe ich nicht, weil ihre gerin-
ge Anzahl es nicht verdienet. Denn faſt alle
uͤbrige fuͤhlen, wie die meiſten Voͤlker, das
Heimweh.


§. 23.


Wie aber die Oberflaͤche der alten feſten Laͤnder
beſchaffen geweſen ſeyn mag, doͤrften wir, wenn
ſich ja noch irgendwo ein paar ſchriftliche Urkun-
den davon erhalten haͤtten, wohl jetzt nicht ein-
mahl recht verſtehen, bis uns erſt dieſe aͤlteſte
Erd- und Menſchengeſchichte gelaͤufiger gewor-
den; hingegen laͤßt ſich der alte Meergrund von
uns um deſto genauer durchforſchen. Weil mir
aber jetzt an der Menſchengeſchichte mehr, als an
der bloſſen Erdgeſchichte gelegen iſt, ſo will ich
wenigſtens das, was man hieraus vom alten fe-
ſten Lande und der alten Erdkugel, der Menſchen
alten Wohnſitze, ſchlieſſen muß, hier zuſammen
nehmen,
[15] nehmen, und des leichtern Ausdrucks wegen mag
unſer Europa mit ſeiner Nachbarſchaft das Bei-
ſpiel ſeyn.


§. 24.
Von Europa.


Das alte Meer, welches unſer jetziges Europa
bedeckte, mag ſo hoch geſtanden haben, als man
will, (wir wollen ohngefehr die hoͤchſten Gebirge
zum Maas dazu annehmen,) ſo mußte doch das
umliegende alte feſte Land damals noch hoͤher ſte-
hen. Wenn nun die Oberflaͤche des alten feſten
Landes, mit der Oberflaͤche des alten Meeres, um
die ganze Erde, damals einen beinahe runden
Koͤrper vorſtellte; ſo war auch zu der Zeit die
Erdkugel im Durchſchnitt durch die alten feſten
Laͤnder genommen, wenigſtens um ſo viel groͤſſer,
als die Spitzen der jetzigen hoͤchſten Gebirge an-
geben. Denn dieſe waren ja damals vom Meere
bedeckt, und folglich der darum liegende Erdbo-
den noch hoͤher.


§. 25.
[16]

§. 25.


Stuͤrzten nun die alten feſten Laͤnder um das
alte Meer, ſo Europa bedeckte, ſo tief ein, daß
alles Alpenhohe Meerwaſſer da hinein fallen, und
das neue Land Europa blos ſtellen konte; ſo muͤß-
te es ja wohl unter dieſen einſtuͤrzenden Laͤndern
hohl ſeyn. Da ferner die Erde vor dem Einſtuͤr-
zen der feſten Laͤnder nach ihrem Durchſchnitt um
ſo viel groͤſſer und zugleich hohl war, ſo mußte
ſie auch damals um ſo viel leichter ſeyn, als jetzt,
und jetzt um ſo viel ſchwerer.


§. 26.


Kan alſo unſere Erde, als ein Koͤrper, der von
den Lichtſtrahlen des Himmels gehalten und ge-
ſchwungen wird, vor dem Einſtuͤrzen der alten
Hohlungen, die jetzige Bahn gegangen ſeyn?
Kan ſie gegen Sonne und Mond ihre Bahn wie
jetzt gehalten, und koͤnnen ihre Bewohner dieſe
Himmelskoͤrper ſo und fuͤr das, wofuͤr wir ſie jetzt
anſehen muͤſſen, erkennt haben?


§. 27.
[17]

§. 27.


Konnte nachher dieſe hohle Kugel, auſſer ihre
alte Bahn zu veraͤndern, wohl noch die vorige
Lage behalten, nachdem ſich durch den Einſturz
der Hoͤhlen ihr Waageſtand aͤnderte? mußte ſich
nicht dadurch die Axe mit ihren Polen aͤndern?
und dabey manches Land aus einer guten Him-
melsgegend in eine ſchlechtere gerathen? wurde
nicht dabey unſern Erdbewohnern der Lauf des
Himmels ganz anders ſichtbar? ja im Fall, daß
ſich die Erde uͤberſchlagen mußte, gieng nun nicht
die Sonne da auf, wo ſie ſonſt untergieng?


§. 28.


Wenn konte nun dieſe hohle Kugel, die blos
vom Weltlicht gehalten, geſchwungen, und nicht
mehr, als vorher zuſammen gedruͤckt wurde, ih-
ren erſten Einſturz leiden? ohne Zweifel zu der
Zeit, da ſie den erſten Druck eines andern Him-
melskoͤrpers litte. Iſt aber nicht ein ſolcher Koͤr-
per unſer Mond; wie noch taͤglich Ebbe und
Fluth bezeugen? Alſo mußten mit dem Antritt
Bgegen
[18] gegen einen Planeten unſerer Sonne die Anſtal-
ten zum erſten Einſturz ſich anfangen.


§. 29.


Wenn nun von zweyen oder mehrern Koͤrpern,
die zugleich von einer Kraft geſchwungen werden,
der leichteſte in der Mitte und der ſchwerere am
Umfange des Schwunges geht; ſo wird wohl auch
die Erde, wenn ſie leichter als ihr druͤckender
Mond war, in der Mitte des Schwunges wal-
zend, und der Mond um ſie ſchmieggaͤngig gewor-
den ſeyn. Wird aber Ebbe und Fluth nicht erſt
ſeit des Mondes Nachbarſchaft, und dadurch
auch erſt der Einſturz eines feſten Landes nach
dem andern erfolgt, ein neues Land nach dem an-
dern entſtanden, und von den Nachbarn bevoͤlkert
worden ſeyn?


§. 30.


Werden nicht alſo auf dem erſten neuen Lande
jener Zeit, als auf dem aͤlteſten feſten Lande jetzi-
ger Zeit, die ſeit dem hier angeſeſſenen Voͤlker,
welche nur aus der Nachbarſchaft hinuͤber gien-
gen, ſich als die aͤlteſten Voͤlker des Erdballs an-
ſehen
[19] ſehen koͤnnen? Darf man ſich aber hierbey die
Einrichtung oder Unterhaltung der alten Erde
und ihrer alten feſten Laͤnder, vom Weltlicht, Luft-
kreiſe, Regen, von den Quellen und Fluͤſſen, ſo
vorſtellen und denken, wie die jetzigen?


§. 31.


Darf man alſo die Beſchreibungen der dama-
ligen und nachfolgenden Voͤlker, von der alten
Erde und ihren Verwandlungen, blos aus der
jetzigen Geſtalt, dem gegenwaͤrtigen Umlauf, und
dem jetzt gangbaren Unterhalt des Meeres und
Landes erklaͤren, oder verſtehen wollen? Wird
man nicht alſo die aͤlteſte Erdgeſchichte voraus
ſetzen muͤſſen, ehe man von der aͤlteſten Menſchen-
geſchichte reden will?


§. 32.


Und was kan man endlich von dem Schoͤpfer
aller Himmelskoͤrper, und der Erde, ohne dieſe,
wohl richtig ſagen, wenn man von ſeiner Abſicht
und Liebe gegen die Menſchen, ohne Religions-
oder Geſchlechtsſtolz, reden will?


B 2§. 33.
[20]

§. 33.
Beſonders von Thuͤringen.


Ob man nun gleich dadurch weit in das Alter-
thum der Erde hinaus ſieht, ſo fehlt doch noch
ein Maasſtab dazu. Wenn aber eine Gegend,
die zuverlaͤßig als alter Meergrund anzuſehen iſt,
in ihrem Schichtbau volle Beweiſe fuͤhrte, daß
wenigſtens acht Hauptveraͤnderungen, mit dieſem
alten Meere, und wo nicht mehrere, doch eben ſo
viele mit den alten feſten Laͤndern vorgegangen
waͤren, ehe dieſes Meer ſeinen alten Grund ver-
ließ; haͤtte man da nicht an dieſer Gegend vorerſt
einen einzelnen Beweis und Maasſtab im Klei-
nen? der zwar nicht nach Sonnenjahren, aber
doch nach natuͤrlichen Zeitlaͤuften zu beſtimmen
waͤre, und der ſich auch wohl kuͤnftig noch mehr
vergroͤſſern und verbeſſern lieſſe?


§. 34.


Eine ſolche Gegend iſt fuͤr mich unſer Thuͤrin-
gen. Man betrachte es von der Mitte uͤber den
Harz, und von dieſem bis zum Thuring herum;
oder
[21] oder man gehe aus der Mitte uͤber den Thuring.
Es ſey von Gotha bis Saalfeld, wo es wolle;
ja eben ſo gut, von der Mitte gerade gegen das
Vogtland, bis an die Sudeten um Boͤhmen,
oder von der Saale durch das Altenburgiſche ins
Saͤchſiſche Gebirge. Doch jede Gegend in Eu-
ropa, die man von einem hohen Gebirge, uͤber
die tieferen Berge hin, zum gegen uͤber ſtehenden
hohen Gebirge desfalls unterſucht, und welche
ein Schos des alten Meergrundes (der viele ſol-
cher Schoͤſe hat,) jetzt heißen mag; oder die man
von einem Meere bis zum naͤchſten hohen Gebir-
ge durchforſcht, muß dergleichen Maasſtab abge-
ben koͤnnen, wie mich die Beſchreibungen verſchie-
dener Naturforſcher, von verſchiedenen Gegen-
den vermuthen laſſen.


§. 35.


Der zu fruͤhzeitig verſtorbene Naturforſcher,
Lehmann, hat ſchon in ſeiner Abhandlung von
den Floͤtzgebirgen, das meiſte vom Thuͤringiſchen
Schichtbau gegen Norden angegeben, doch hat
B 3er
[22] er nicht von der Mitte hinaus gemeſſen, und alſo
zwey Hauptgebirge mit ihren Unterlagen uͤber-
gangen, und noch dazu den ganzen Schichtbau,
durch eine unnatuͤrliche Auslegung fuͤr die Natur-
kunde unbrauchbar gemacht.


§. 36.


Nach ihm hat ein Thuͤringer, in einer Ge-
ſchichte des Landes und Meeres, die in dem 2ten
Bande der Akten der Maynziſchen Akademie ſte-
het, das, was in Anſehung des mittleren und ſuͤd-
weſtlichen Thuͤringen, uͤbergangen worden, ziem-
lich nachgeholt; ſo viel ich mich aber erinnere,
hat ſeit 1761 nicht mehr, als einer, oder ein paar
Naturforſcher dieſe Geſchichte durchgeleſen und
durchgedacht, doch ohne eine Vergleichung der
Gebirge ihrer Gegend anzuſtellen. Weil nun
der Verfaſſer ſich dieſer Geſchichte nicht weiter
angenommen hat, und auch wohl vielleicht nicht
annehmen duͤrfte; ſo werde ich das, was ich nach-
her noch als Beytraͤge gefunden habe, hier zu
nutzen und geſchichtmaͤſig nachzutragen ſuchen,
um
[23] um dadurch die Geſchichte des Landes und Mee-
res zu erweitern.


§. 37.


Wenn der Auf bau von Schichten erſtlich dieſe
Richtigkeit vor ſich hat, daß die unterſten die er-
ſten oder aͤlteſten, die oberſten hingegen die letz-
ten und juͤngſten ſind; daß ferner bey einer ſchief-
abfallenden Lage dieſer Schichten, eben die aͤlte-
ſten am hoͤchſten Theile vorragen, und die juͤng-
ſten, oder letzten gegen die Ebne ablaufen, und
daß eben die erſten oder aͤlteſten Schichten, wenn
man ſie gegen das Alter der Erde haͤlt, die Ju-
gend unſeres alten Meeres oder der Erde, umge-
kehrt aber die letzten Schichten das hohe Alter
unſers alten Meeres anzeigen; daß endlich dieſe
juͤngſten Schichten, weil ſie am meiſten blos ſte-
hen, am leichteſten zu unterſuchen ſind; ſo wird
man dieſe Unterſuchung allezeit am leichteſten von
der Ebne ſolcher Gegend, oder von dem hohen
Alter unſerer Erde anfangen, und von da gegen
die Hoͤhe, als ihre Jugend, zuruͤck gehen koͤnnen.
Daher ich auch aus dem mittleren Thuͤringen,
B 4gegen
[24] gegen deſſen hohes Gebirge, wo der alte Meer-
grund zu ſeiner alleraͤlteſten Zeit, als in ſeiner
erſten Jugend, ſelbige Anhoͤhen zu dieſem Meer-
ſchoſe ſchon gehabt haben muß, hinaufſteigen
werde. Dieſe Anmerkung moͤgen meine Leſer
wohl behalten.


§. 38.


So wie man aber von der Ebne nichts als die
Oberflaͤche angeben, hingegen von den Bergen,
wenn ihr Schichtbau zu Tage auslauft, die Art,
Zahl, Gehalt und Anbau der Schichten, nebſt
dem Wechſel ihrer Arten genauer beſtimmen kan;
ſo iſt es auch natuͤrlich, daß ich nur von dem Ort,
wo die Ebne zu einem Berge anſteigt, die Art
und Folge der Schichten beſtimme. Wer aber
Thuͤringen, oder eine andere aͤhnliche bergichte
Gegend kennt, wird gleich vermuthen, daß ich
unter dem Worte Berg, keine ſo kleine Anhoͤhen,
wie etwa der Kickerlings- oder Sandberg, bey
Leipzig iſt, und die ein Thuͤringer einen Rand,
oder hoͤchſtens einen Huͤgel nennen wuͤrde, hier
verſtan-
[25] verſtanden haben will; doch kan das Wort
Gebirge bisweilen darauf paſſen.


§. 39.


Hierbey muß ich noch vorher erinnern, daß
das bergmaͤnniſche phyſikaliſche Gebirge, von
dem geographiſchen oder geometriſchen, welches
nur einen Zuſammenhang oder Fortſetzung meh-
rerer Berge bedeutet, hier zu unterſcheiden ſey.
Denn Berge, ſo weit ſie, nach dem Hauptbe-
ſtande und dem Gehalt ihrer Schichten, nach
ihrem Lager und Anbau ſich gleichen, z. B. ſo
weit ſie aus Sand, oder Kalch mit Muſcheln be-
ſtehn, heiſſen nach dieſem Haupttheil ſchon Ge-
birge, und nach dem Beſtande ſelbſt Gebirges Art.
Wenn aber ſolches Gebirges unterer Theil, nach
dem Beſtande abweicht, jedoch nach dem Lager
und Anbau mit ihm fortlaͤuft, wenn es auch gleich
vorſpringt, ſo heißt dieſer untere Theil, das Un-
terlager, oder Wechſel ſolches Gebirges.


§. 40.


Daher kan ein Berg, den der Feldmeſſer vom
Fuß an bis zur Spitze, nur als einen einzigen
B 5Berg
[26] Berg anſieht, ſowohl nach der unterſchiedenen
Gebirgesart, als ſelbſt nach deren Unterlager, in
mehrere Gebirge einzutheilen ſeyn. Denn ſo fin-
det man einen einzigen Berg, aus dem blauen,
rothen, weiſſen, und Floͤtzgebirge zuſammengeſetzt.
Hingegen heiſſen auch die Berge, nach dem Be-
ſtande, oder der Gebirgesart ihrer Haupttheile,
ſie moͤgen ſo weit als moͤglich von einander ent-
fernet ſeyn, und am Harze, oder am Thuring,
oder im Vogtlande liegen, doch allezeit nur ein
einziges Gebirge, und folglich zeigt hier das berg-
maͤnniſche oder phyſikaliſche Wort, Gebirge, eine
ganze Menge Schichten, die ſich nach ihrem Be-
ſtande und Lager gleichen, an.


§. 41.


Deswegen kan man ohne Furcht zu irren, ſa-
gen, daß in Thuͤringen, Sachſen, Lauſitz, u. ſ. w.
nur ein einziges Sandgebirge ſey, obgleich die
Sandberge zwiſchen dem Umfange und in der
Mitte umher zerſtreut liegen. Es bleibt ihnen
auch daher der Name des Gebirges, wenn gleich
die
[27] die Schichten zuſammen unter der Erdflaͤche lie-
gen, eben ſowohl eigen, als wenn ſie hervor ſtuͤn-
den; denn ihr Beſtand und Lager zwiſchen dem
vorausgehenden und nachfolgenden, nicht aber
ihre Lage oder ihr Stand auf der Anhoͤhe, giebt
den Schichten dieſen Namen, welches man eben-
falls merken muß.


§. 42.
Das Muſchelkalkgebirge.


Nun komme ich zur Sache ſelbſt: Das juͤng-
ſte Gebirge von Thuͤringen, beſteht aus Muſchel-
kalk, welcher nach verſchiedenen Abſtaͤnden, oder
beſondern Ketten von ſolchen Bergen, meiſtens
von Abend gegen Morgen laͤuft. Wer die ganze
Hoͤhe, Zahl und verſchiedene Staͤrke ſeiner Schich-
ten, den Gehalt der Muſcheln nach ihrem Alter
und ordentlich vertheilten Geſchlechtsarten, nebſt
dem Beſtande der Kalcherde, oder ehemaligen
Meerſchlamme, nur ungefehr zu ſchaͤtzen ſucht,
wird den Zeitraum, innerhalh dem dieſes alte
Meer eine ſo groſe Menge Schlamm abſetzte, ſo
viel
[28] viel Seethiere groß zog, und dabey erſt jeder
Schicht vom Schlamme die Haͤrte, wodurch ſie
ſich von der andern abſondern laͤßt, geben konte,
unmoͤglich durch ein paar hundert Sonnenjahre
beſtimmen wollen. Zumal wenn er des Meeres
ruhige Beſchaffenheit, welche ſo lange unveraͤn-
dert dergleichen Kalchſchlamm gab, damit verbin-
den will. Unſere Nachkommen, denen das
Wachsthum und Alter dieſer Seethiere zu erfor-
ſchen vielleicht aufgehoben ſeyn wird, moͤgen kuͤnf-
tig die Jahre, genauer beſtimmen, fuͤr jetzt iſt es
genug, den Zeitlauf des Muſchelkalks uͤberhaupt
Der Zeit-
lauf K.
als eine lange Zeit anſetzen, und ihn
mit meinem Vorgaͤnger K ſchreiben zu
duͤrfen.


§. 43.
Deſſen Unterlager.


Da das Unterlager dieſes Gebirges, ſowohl
vermoͤge der ſtarken rothen und andern mit Gips
abwechſelnden Mergelſchichten, als nach dem
Gehalt von Landthieren, Steinkohlen, und fetten
Alaunſchiefern beweiſt, daß hier und vor dem ru-
higen
[29] higen Zeitlauf K, vielmehr Erdbeben, als welche
das Meerwaſſer gelb oder rothſchlammicht ma-
chen, und Ueberſchwemmungen von einem alten
feſten Lande, welche Elephanten und andere frem-
de Thiere hergefuͤhret, dieſes alte Meer beunru-
higet haben, doch ſo, daß die Seethiere hier noch
ihre Ordnung beybehalten konten; ſo iſt zwar die-
ſer Zeitlauf nicht ſo hoch, als obiger zu ſchaͤtzen,
doch kan er auch wegen ſeinem hohen Vorſprunge,
der ſich hier und da zu beſondern Bergen aufge-
bauet findet, als der rothe Berg vor Erfurt, nebſt
Der Zeit-
lauf k.
andern im mittlern Thuͤringen, gar
nicht mit wenig Jahren verglichen wer-
den, und ich will ihn k nennen.


§. 44.
Das Sandgebirge.


Vor dieſem beunruhigten Zuſtande des thuͤrin-
giſchen alten Meerſchoſes, war es hingegen auf
die beſondere Art beſchaffen, daß das ſehr hohe
Sandgebirge ſchichtweiſe erbauet, und unzaͤhlige
Seethiere uͤberall entweder nur umſteint, oder
durch-
[30] durchgehends wie hier zu Lande verſteinert wer-
den konten. Nun ſetze man die Beſchaffenheit
des Meerwaſſers, welche Sand oder die haͤrteſte
Sandart geben kan, erſtlich voraus, laſſe dabey
ſolche ſtets mit der Beſchaffenheit, vermoͤge wel-
cher das Meer blos mergelartigen Thon giebt, nach
dem Maaſe kleiner Schichten mit unter abwech-
ſeln, und verbinde die ungeheure Zahl der Sand-
ſchichten, von denen auch jede vor ſich ihre Zeit
der Verhaͤrtung noͤthig hatte, nur nach einem
kleinen Zeitmaaſe damit, wie viel Jahrhunderte
wird das Meer ſowohl fuͤr den Sand, als deſſen
verſteinerte Bewohner, worunter in verſchiede-
ner Entfernung der Hoͤhe ſich Muſchelkerne zu
anderthalb Schuh groß finden laſſen, erfordert ha-
ben? ohne die Zahl der Jahre nach unſerm Zeit-
Der Zeit-
lauf J.
maaſe angeben zu wollen, mag der
Zeitlauf dieſes Sandgebirges J heiſſen.


§. 45.
Das Unterlager.


Doch iſt dieſe ſandigte Beſchaffenheit des alten
Meeres auch durch einen von Erdbeben und des
feſten
[31] feſten Landes Ueberſchwemmung geſtoͤrten Zu-
ſtand des Gewaͤſſers, der nicht allzugeſchwind
Der Zeit-
lauf i.
erfolget ſeyn kan, veranſtaltet wor-
den; dieſen kleinen Zeitlauf will ich
i nennen.


§. 46.
Das Mehlbatzige Kalchgebirge.


Ehe aber dieſe Veraͤnderung des Meeres, wel-
che ſein Salzwaſſer zum obigen Abſatz des San-
des vorbereitete, hier erfolgen konte; war vorher
ein ſo ruhiger Zuſtand des Meeres, daß ſich der
reine Kalchſchlamm des Meerwaſſers, an dem
Umfange des hoͤhern Meerſchoſes hier, als ein
weißliches Mehl, oder wie gelbliche Kreide abſe-
tzen, und dieſe Maſſe (Mehlbatzen) durch Eintritt
einer ſchwaͤrzenden Feuchtigkeit in guten Kalch
verwandeln konte. Es hat dieſer Kalch wenig
Muſchelarten, auſſer an den Scheidungen der
Schichten, und blos verſteinert erhalten; doch
finden ſich die Griphiten mehr umſteint, als ver-
ſteinert in ein paar Schichten. Es muß aber
eine
[32] eine Verwuͤſtung des feſten Landes vorher gegan-
gen ſeyn, und dieſer Gegend viel Holzſtaͤmme
zugefuͤhrt haben; weil ſich hier und da ſolches
Holzwerk in dieſem Kalche verſteinert antreffen
laͤßt. Die Hoͤhe dieſes Kalchgebirges kommt
zwar obigem Muſchelkalch nicht bey; doch laͤßt
ſich auch hier, wegen des mehlichten Bodenſatzes
eines Kalchſchlammes weniger Geſchwindigkeit
Der Zeit-
lauf H.
vorſtellen, zumal da faſt alles Mu-
ſchelwerk verzehrt iſt. Dieſen Zeitlauf
nenne ich H.


§. 47.
Das Unterlager.


Von dieſer kalchigten Beſchaffenheit des Meer-
waſſers finden ſich zuverlaͤßige Merkmahle einer
groſſen Verwuͤſtung des alten feſten Landes durch
Erdbeben, ſowohl an dem ſchwarzen ſchieferarti-
gen Mergel, als auch an den Steinkohlen einer
Gegend, und die Alabaſterarten der andern Stri-
che. Nach dem Anſchein mancher Gegend, kan
man dieſe Verwuͤſtung nicht ſo geſchwinde, als
es
[33] es andere Stellen vermuthen lieſſen, fuͤr abge-
than anſehn, und man hat dabey die ungleichen
Der Zeit-
lauf h.
Fluͤttungen genauer zu erwaͤgen; die-
ſen Zeitlauf nenne ich h.


§. 48.
Das Floͤtzgebirge.


Faſt in gleichem Zuge des untern Umfanges
oder Vorgebirges der aͤlteſten Anhoͤhe, folgt nun
das dem Bergmann ſo bekannte Floͤtzgebirge, deſ-
ſen reinlicher, im entfernten Abſtande liegender
Schichtbau, aus mehlichtem Kalchſtein beſtehet,
aber naͤher am Umfange, wegen der gelben oder
braunen Fluterde und ſpatigen Salzart, ein un-
gleiches Schichtwerk vorſtellt. Daß aber in der
erſten Zeit dieſes Aufbaues eine ſchnelle Ueber-
ſchwemmung eines feſten Landes gegen unſere thuͤ-
ringiſche Tiefe weſtnoͤrdlich ihren Zug gehabt ha-
be, beweiſen die Fiſchſchwuͤlen, in dem ſchwarz-
ſchiefrigen Kupferfloͤtze, welches noch bey Ilme-
nau, oder weſtlich, ſo gut, als am Harze, oder
noͤrdlich bauwuͤrdig war, dagegen es in dem ſuͤd-
Clichen
[34] lichen Theil gegen Saalfeld und das Vogtland
bis jetzt kaum recht zu finden geweſen iſt. Dieſer
Zeitlauf, der dem vorigen H an Dauer ziemlich
Der Zeit-
lauf G.
gleich geweſen ſeyn doͤrfte, mag alſo
G heiſſen.


§. 49.
Das Unterlager.


Seine Vorbereitung aber, oder deſſen Unter-
lager hat wohl unter allen am wenigſten Zeit
weggenommen, indem es nur aus etlichen Schich-
ten beſteht; es muͤßte denn der Sand, welcher
eine bald ſchwache, bald ſtarke Schicht ausmacht,
zu ſeiner Erzeugung aus dem Meerwaſſer, eine
Der Zeit-
lauf g.
laͤngere Zeit, als Mergel, Thon oder
Leimen, erfordern. Dieſer Zeitlauf
ſey g, nach ihm giengen erſt die vorge-
dachten ruhigern Zeiten dieſes alten Meeres an;
denn die nun weiter vor ihm hergehn, ſind mei-
ſtens voll Beweiſe der heftigſten Erdbeben in hie-
ſiger und entfernter Gegend, nebſt groſſen Landes-
verwuͤſtungen. Mein oben genannter Vorgaͤn-
ger
[35] ger hat dieſen Zeitlauf e geſchrieben, weil die un-
terſte Schicht hier der Beſchluß ſeines Gebir-
ges E iſt, welches jedoch der Zeit nach F heiſſen
ſollte, er hat aber mehr auf ſein Lager, als die
Zeit, geſehen.


§. 50.
Das weiſſe Schal- oder Schiefergebirge.


Zwar hat das weiſſe Schalgebirge, welches der
Zeitordnung nach, und vermoͤge der unterſten
Schicht des naͤchſten Unterlagers hier, gleich vor-
her erbauet wurde, an ſich noch anfaͤnglich Ruhe
genug genoſſen; aber der hieſige Zuſtand des al-
ten Meeres ſelbſt, muß gleich mit deſſen Anfange,
die beſondere Veraͤnderung, welche ein Gebirge
wieder hoch gegen den Umfang hinauf, anbauen
konte, erlitten, und auch lange ſo gedauret ha-
ben; weil ſich unter ihm dieſes gneiſige und thon-
hafte Gebirge, ſo hoch an dem Umfange hinauf,
und ſo ſtark an Schichtwerk, aufgebauet hat.
Es liefert den grauen Schiefer, welcher freylich
nicht der beſte iſt. Ob man aber darinnen, wie
C 2in
[36] in allen thonhaften Schichten, wenig Seeſtuͤcke
findet, ſo iſt es doch nicht ganz von allen Spuren
entbloͤſſet. Endlich muͤſſen mit deſſen Vollen-
dung, die Erdbeben, welche in unſerm Umfang
faſt uͤberall das Unterſte zum Oberſten umge-
ſtuͤrzt, und gelben oder braunen Leimen haͤufig
ins Meerwaſſer gemiſcht haben, ihre ſtaͤrkſte
Wuth auszulaſſen, aufgehoͤrt haben, denn die
vorgedachten und nachher erbauten Gebirge findet
man viel gelinder gemißhandelt. Ich muß dieſes
Gebirge der Zeitordnung wegen F nennen, da es
Der Zeit-
lauf F.
mein Vorgaͤnger des hoͤheren Lagers
wegen F nennt.


§. 51.
Das rothe Schalgebirge oder Unterlager.


Hingegen wird nun das rothe Schalgebirge,
welches ſich vorher ſowohl, hoch am Umfange
hin, als auch weiter gegen die Tiefe des Umfan-
ges mit herunter angebauet hat, und von ſtark
zuſammenhangenden Erdbeben, die das Meer
noch jetzt mit rothen Thonſchlicken faͤrben, durch
eine lange Zeit, zeuget, auch durch die verſchiede-
ne
[37] ne Art der Schichten, bald die Staͤrke dieſer Erd-
beben, bald deren Nachlaß, merken laͤßt; wieder
meines Vorgaͤngers Benennung, doch ohne ſei-
Der Zeit-
lauf E.
ner Zeichnung von deſſen Lager zu wi-
derſprechen, ſtatt F, vielmehr E, heiſ-
ſen muͤſſen; wie es denn ganz wohl
als das Unterlager von F, angeſehen werden kan,
da ja obgedachte Unterlager nach dieſer Zeit auch
ſtets mehr, oder weniger vorgeſprungen ſind.
Der rothe Marmor dieſes Gebirges beſteht groͤß-
tentheils aus graukalchigten Muſchelkernen, im
rothen Kalch, und dieſe Seethiere ſcheinen darum
nicht unfruchtbarer geweſen zu ſeyn, obgleich die-
ſer ſtuͤrmiſche Zeitlauf das Meer ſelbſt viel ſtaͤr-
ker, als das feſte Land, eben ſeiner Roͤthe wegen,
betroffen haben kan. Doch laͤßt das verſteinte
Holz, ſo man oft in dieſem Gebirge findet, das
feſte Land auch nicht ganz frey ſprechen.


§. 52.
Das blaue Schal- oder Schiefergebirge.


Deſto zuverlaͤßiger aber muß eines der groͤßten
alten feſten Laͤndern ſeinen voͤlligen Untergang zu
C 3der
[38] der Zeit, da unſer altes Meer das blaue Schie-
fergebirge erbaute, neben dem alten Meer von
Europa erlitten haben, und zwar mehr ein ſum-
pfigtes als trocknes Land. Denn man findet noch
Schichten, wie ſchwarze Kreide, die voͤllig der
Moorerde gleichen; doch haben darum die See-
thiere ſolche Gegend nicht oͤde gelaſſen. Denn
der ſchwarzgraue Marmor fuͤhrt oft mehr Mu-
ſchelkerne, als man gerne ſiehet: ja an vielen
Oertern, iſt er daher nicht zum Dachſchiefer, zu
gebrauchen, weil er der Verwitterung mehr un-
terworfen iſt. Dieſer Zeitlauf kan auch nach dem
hohen Anbau dieſes Gebirges, nicht anders, als
ſehr lange gedauret haben, und die Fluth von dem
verſunkenen feſten Lande, herwaͤrts gegen unſern
Meerſchos, muß ſich erſt mit dem Erdbeben des
nachfolgenden und kurz zuvor beſchriebenen ro-
Der Zeit-
lauf D.
then Gebirges, anders wohin gewen-
det haben. Der Ordnung nach nenne
ich dieſen Zeitlauf D.


§. 53.
[39]

§. 53.
Das Alaunhaltige Unterlager.


Zu mehrerem Beweiſe deſſen, was ich geſaget,
dienet das Alaunhaltige Unterlager, welches ich
meinem Vorgaͤnger zu Folge, viel eher nach ſei-
ner Zeit, als nach ſeinem Lager und Vorſprunge
davon, unterſcheiden darf. Wer weiß nicht, daß
der Alaun ſeinen Urſprung der Vermiſchung des
Thons und Schwefels, vermittelſt dem Pflanzen-
reich, bey allen Alaunfloͤtzen zu danken habe?
Ob aber die Fluth des feſten Landes, den obern
faulen Schlamm gemaͤchlich, oder geſchwinde,
nach unſerer Gegend zugefuͤhret habe, iſt freylich
nicht anzugeben, und alſo auch nicht das Maas
Der Zeit-
lauf C.
des Zeitlaufs; wir wollen ihm alſo
nur den Namen C geben.


§. 54.
Die Steinkohlenfloͤtze.


Es beweiſen ferner die hierunter liegenden
Steinkohlenſchichten, nebſt den andern Kraͤuter-
ſchiefern, welche blos auslaͤndiſche Wald- und
C 4Sumpf-
[40] Sumpfkraͤuter enthalten, daß der Fluth des al-
ten Meeres nach hieſiger Gegend, zuerſt die leich-
teren Kraͤuter, von der Oberflaͤche des feſten Lan-
des gefolgt ſind, und ſich nach der Zeit erſt, waͤh-
rend C und D, der tiefere Meerſchlamm loß ge-
fluͤttet, und hier wieder niedergeſetzt habe; end-
lich aber auch bey den heftigen Erdbeben, die
ſchwereren Holzſtaͤmme nachgefolget ſind. Viel-
leicht doͤrfte Jemand, der die Zahl, Staͤrke und
Abwechſelung der Schichtarten innerhalb jeder
ſolcher Zeit, nicht genug erwaͤget, vielmehr auf
eine beſondere Geſchwindigkeit, als lange Dauer
dieſer Zeitlaͤufe ſchlieſſen wollen; allein wenn er
bedenkt, daß ſelbſt in unſern jetzigen von Ebbe
und Fluth, nebſt andern Stuͤrmen ſehr beunru-
higten Meere an den Kuͤſten der Nordſee, Spu-
ren von Gegenden, die vor vielen Jahrhunder-
ten verſunken ſeyn, oder uͤberſchwemmt wurden,
noch ſichtbar ſeyn ſollen; ſo wird er hier ſchwer-
lich eine groſſe Geſchwindigkeit behaupten moͤgen.
Doch dem ſey, wie ihm wolle, genug, daß ſich in
dieſem Zeitlauf, die Fluth von dieſem verſunke-
nen
[41]Der Zeit-
lauf B.
nen groſſen feſten Lande angefangen
hat, und ſich mit B anzeigen laͤßt.


§. 55.
Das rothe todte Lager.


Daß aber die Verwandlung der alten feſten
Laͤnder, und des alten Meergrundes Schichtbau,
nebſt den Erdbeben, hier nicht zu erſt angefangen
haben, bezeugt das noch vorher aufgebaute rothe
todte Lager, welches nach mancher Gegend auf
dem hohen Thuringe, und uͤber dem Vogtlande
hin, durch ſeinen hohen und abwechſelnden Schicht-
bau, ingleichen die noch merkbare Verſteinerun-
gen, einen ſchon ſehr wandelbaren und beunru-
higten Zuſtand des alten Meeres, und alſo auch
der naͤchſten feſten Laͤnder, erweiſet. Wenn ich
meinem Vorgaͤnger nicht ſo gerne folgen wollte,
wuͤrde ich dieſen Zeitlauf, nach der veraͤnderten
Beſchaffenheit des Meerwaſſers, wie der veraͤn-
derte Beſtand der Schichten beweiſet, noch beſon-
ders abtheilen koͤnnen. Von den Verſteinerungen
aber will ich der Druſenkugeln gedenken; wovon
[C][5]die
[42] die Gegenmuſter in dem Alaunſchiefer C, und
dem viel juͤngeren Sandgebirge I, in der Groͤſſe
der Nuͤſſe, und auch der vierpfuͤndigen Kanon-
kugeln, doch mit einem braunmuͤlmichten Ueber-
zuge gefunden werden, und ſich auſſer dem noch
Der Zeit-
lauf A.
nicht haben finden laſſen. Es mag
dieſer lange vielfache Zeitlauf A heiſſen.


§. 56.
Das Grundlager.


Endlich kommt nun das ſo genannte Grundge-
birge, welches doch ſelbſt auch nach ſeinem ſicht-
baren Theil von einem alten Meer auf ſeinem
Grunde erbauet worden, wie das ſalzartig gekoͤrn-
te und ſchuppigte Geſtein zwiſchen einer milderen
Art erweiſet; nur ſind die Schichten nicht ſo ab-
geſetzt, oder vor ſich beſonders, wie nach der
Zeit in den andern Gebirgen verhaͤrtet. Hieraus
laͤßt ſich alſo nur ein anderer Zuſtand dieſes aͤlte-
ſten Meeres, nach ſeiner erſten Zeit, oder Ju-
gend erweiſen, von dem aber weder Anfang noch
Der Zeit-
lauf X.
Dauer angegeben werden kann. Wir
wollen ihn X nennen.


§. 57.
[43]

§. 57.


Hier iſt nun der Ort, wo man nach thuͤringi-
ſchet Gegend wieder umwenden muß, weil man
in der Erdforſchung von dieſer Art, nicht weiter
kann. Denn jenſeits des Thurings Bergabwaͤrts,
nach dem alten Meerſchoſe von Franken und Heſ-
ſen, wie auch nach dem Boͤhmiſchen und Nieder-
ſaͤchſiſchen Meerſchoſe, folgt alles wieder eben ſo,
wie hier; doch nur nach dem Hauptbeſtande jedes
Gebirges, aber nicht nach den beſondern Schich-
ten und Verſteinerungen. Dieſe werden ſchon in
unſerm thuͤringiſchen Meerſchoſe, erſtlich nach dem
eigenen Abſtande jedes Gebirges, hier und da an-
ders befunden, wie die vielen Nautiliten und Am-
moniten des Muſchelkalches K, im mitleren Thuͤ-
ringen beweiſen, welche an der Saale hin, darin-
nen deſto ſeltener vorkommen; zweytens nach je-
der andern Gebirges Art, dennoch ſelbſt in derſel-
ben Gegend von ungleichem Geſchlecht, oder von
anderer Gattung ſind, als die Kugeln in I, C, A;
oder die Griphiten in H. Dieſes trift noch mehr
zu, wenn man das naͤmliche Gebirge in einem an-
dern
[44] dern Meerſchoſe hiermit vergleicht. Denn es
hatte damahls ſchon jeder Schoos ſein eigenes;
doch werden die Terebratuliten, wohl an jedem
Ort, im Muſchelkalche K, ſich finden laſſen.


§. 58.


Wenn wir uns nun hier auf dem Grundgebir-
ge X, herumdrehen, und wieder ruͤckwaͤrts da hin-
unter ſehen, wo wir herkamen; ſo koͤnnen wir ver-
mittelſt dem hohen und breiten Blick der Vor-
ſtellung, auf einmahl den ganzen Anbau unſeres
ehemahligen Meeres uͤberſehen, und zugleich deut-
lich erkennen, daß dieſes alte Meer, nachdem es
die Erde auf ſeinem Grunde mit ſo vielen Gebir-
gen beſchweret hatte, endlich ſo weit, als das kalch-
gebirge K, das Letzte geblieben, und keins weiter
daruͤber gebauet iſt, auf einmahl ſeinen Grund
verlaſſen, und ſich in neues Land, oder den Boden
von Europa, verwandelt haben muͤßte; wo hin-
gegen uͤber K, ein neuer Anbau ſteht, das muß
ſpaͤter urbar geworden ſeyn.


§. 59.
[45]

§. 59.


Wie lange iſt es nun wohl, daß unſer Europa
neues Land wurde? und wie lange iſt es, daß
Aſien, Afrika, und Amerika dergleichen wurden?
daß ſie es zugleich wurden, widerlegt die allge-
meine und hieſige Erdkunde. So wie man aus
den thuͤringiſchen Elephanten Knochen ſchluͤſſen
kann, daß kurz vor dem Zeitlauf K, waͤhrend k
das ehemahlige Vaterland dieſer Thiere zu Grun-
de gegangen; ſo muͤßte man auch von den Sibe-
riſchen, aus der Folge der Gebirge, oder Zeitlaͤufe
ſchluͤſſen koͤnnen, ob ſie mit unſern zu gleicher Zeit,
oder nicht, in den daſigen Meerſchos gefuͤhret
worden waͤren. Denn koͤnnte man vermuthen,
daß wenn dieſer Elephanten Vaterland, auf der
einen Seite zu Grunde gegangen, ein neues Land auf
der andern Seite vor ihre erhaltene Bruͤder, entwe-
der in Aſien, oder in Afrika, entſtanden ſeyn muͤſſe.


§. 60.
Die Europaͤiſche Hochfluth.


Es iſt aber noch eins von Europa, nach unſern
thuͤringiſchen Zeugniſſen nach zu holen: naͤmlich
eine
[46] eine ſehr hohe Fluth, welche ſuͤdweſtlich, oder durch
Franken, uͤber den Thuring herein gebrochen iſt,
und nach dieſem Zuge, uͤber viele der hoͤchſten
Berge, die Griesgeſchuͤbe, die man an der Saale,
Ilm, und Gera bey Erfurt, vor deren Flußgries
anſieht, gefuͤhret, und uͤber das an den hiezu be-
quemen Ruheplaͤtzen, die Leimengruben, und end-
lich am Fuſe, des hiedurch erreichten Kalchgebir-
ges K, die Tuffſtein Lager angeleget hat. Daß
unſer Thuͤringen vor dieſer hohen Fluth ſchon be-
pflanzt und bewohnt geweſen ſey, beweiſen die
Verſteinerungen des Tuffſteins; worunter die
Kohlen und Brender vorzuͤglich die Bewohnung
von Menſchen bekraͤftigen. Daß aber dieſe hohe
Fluth keine Meeresfluth geweſen ſey, beweiſen die
Griesgeſchuͤbe, Leimengruben, und Tuffſtein Lager
zuſammen; in ſo ferne ſie kein einziges Seeſtuͤck,
ſondern lauter Landſtuͤcke enthalten. Ob aber die-
ſe hohe Fluth mit der Aſiatiſchen Suͤndfluth einer-
ley geweſen ſey, kann ich nicht ſagen; ſo wenig ſich
angeben laͤßt, wie lange vorher Europa bewohnt
geweſen ſey; doch darf ich wohl den Zeitlauf un-
ſeres
[47]Vor der ho-
hen Fluth der
Zeitlauf L,
nach ihr der
Zeitlauf M.
ſeres neuen Landes, bis zu dieſer
hohen Fluth L, und den nach ihr
bis auf unſere Zeit M, nennen.


§. 61.
Anwendung des Maasſtabes von Thuͤringen.


Nunmehr haͤtten wir den Maasſtab, den uns
der alte Meerſchos von Thuͤringen, fuͤr Europa,
wenigſtens einſeitig angiebt, er waͤre auch deutlich
genug abgetheilet und benennt. Hoffentlich ſol-
len dieſe unverfaͤlſchte Urkunden der Natur, die
kein Schriftſteller, Abſchreiber oder Drucker ver-
ſtuͤmmeln, jeder Kenner aber innerhalb 8 Tagen
einſeitig durchlauffen kann, nicht allein die wahre
Geſchichte der Erde, durch einen ſehr langen Zeit-
raum voͤllig aufklaͤren, und ihr Alter noch weiter
hinaus zu beſtimmen dienen; ſondern auch die
Geſchichte der Menſchen und ihr Alter genauer
beſtimmen zu koͤnnen, ebenfals einen weit hinaus
reichenden Schluß an die Hand geben.


§. 62.


Es wuͤrde alſo das Alter der Erde, wiewohl
nur einſeitig nach der Geſchichte von Europa be-
rechnet,
[48] rechnet, ſo weit ruͤckwaͤrts zu beſtimmen ſeyn, daß
man von hier zur Hochfluth den Zeitlauf M, von
dieſer zur Erſcheinung des neuen Landes Europa
den Zeitlauf L, denn die 14 kleinen und groſſen
Zeitlaͤufe, der Verwandlungsanſtalten K k J i
H h G g F E D C B A
, ſtellte, und nun X entweder
allein bis an die Erzeugung der Erde hinan lau-
fen, oder wohl beſſer, nach der Art aller wachſen-
den und ſich verwandelnden Koͤrper, noch vor
dieſer Erzeugung fuͤr ihre Kindheit einen Zeitlauf
Der Zeit-
lauf Yu. Z.
Y gelten ließ; endlich aber erſt Z fuͤr
ſeine Erzeugungsanſtalten und deren
Zeitlauf ſetzte.


§. 63.


So wenig nun auch die Berechnung dieſer 18
oder 19 Zeitlaͤufe, nach unſern Jahrzahlen Men-
ſchen moͤglich ſeyn mag; ſo iſt es doch nicht ſo-
wohl die Groͤſſe dieſer Zahl, welche den Beweiß
hier ausmacht; als vielmehr die Verwandlung
der Erde, die Reihe ihrer Schickſale, waͤhrend
dieſer Zeit, und ihre hieraus erfolgte gegenwaͤr-
tige
[49] tige Beſchaffenheit, nebſt dem heutigen Zuſtande
aller ihrer Beſitzer, an Pflanzen, Thieren und
Menſchen, in ſo ferne dieſe, dem Naturforſcher
daraus zu ſchlieſſen erlauben, was die Naturkun-
de rechtfertigen, oder doch entſchuldigen kann.


§. 64.


Denn welcher Naturforſcher wird einen Him-
melskoͤrper, der einmal verwandelt werden ſoll,
mit der Verwandlung ſeiner noch jungen Geſtalt,
machen laſſen? Wer wird die jungen feſten Laͤn-
der ſogleich einſtuͤrzen, und das noch junge Meer
ſchon ſo bald dahin verlaufen laſſen? Wer wird
die kaum warm gewordenen Beſitzer eines Landes
und Meeres gleich wieder auf andere Stelle ver-
treiben? Wird ſich nicht jeder, nach den Natur-
geſetzen aller wachſenden Koͤrper einen ſolchen
Himmelskoͤrper, lieber erſtlich eine gute Zeit in
ſeiner gleichartigen Verbeſſerung vorſtellen? und
ihm dieſes, der Natur gemaͤß, als ſeine Jugend
anrechnen, als gleich zur widerwaͤrtigen Umkeh-
rung im Weltlichte hinſchwingen laſſen?


D§. 65.
[50]

§. 65.


Woferne wir nun die Verwandlung der Erde
nicht laͤugnen koͤnnen, ſo koͤnnen wir ja auch wohl
ihre Erzeugung von ihres gleichen, nach dem Ge-
ſchlecht, ob gleich nicht nach der einzelnen Art,
nemlich von andern Himmelskoͤrpern, zugeben,
und alſo auch ihre Kindheit und fernere Jugend;
wenn man anders hier nach Beiſpielen vom Klei-
nen aufs Groſſe ſchlieſſen darf. Erforderte nun
ihre Verwandlung die 15 Zeitlaͤufe A B C D E
F g G h H i J k K L,
denn die Hochfluth
nach L kann ich wohl getroſt, als einen der letzten
Verwandlungszufaͤlle anſehen; wollen wir der
heranwachſenden unwandelbaren Jugend unſerer
Erde, nur den Zeitraum X, und wohl gar ſeinem
Maas nicht mehr, als hoͤchſtens den groͤßten der
obigen beylegen; ſo daͤchte ich, wir lieſſen lieber
ihre Jugend nicht ſo geſchwinde verfliegen, ſon-
dern vielmehr ſanft und vergnuͤgt anſteigen.


§. 66.


Doch wir wollen weder den Zeitlauf X, noch
ſeine Vorzeiten weiter ausforſchen. Genug fuͤr
uns,
[51] uns, daß gleich bey dem Zeitlauf A, das alte
Meer, in Anſehung ſeiner Bewohner unſerm
jetzigen aͤhnlich war, und daß gleich im Zeit-
lauf B das verſunkene feſte Land, ſich wie unſere
heutigen bepflanzt, zeigte: folglich darf man auch
die Erde ſchon im Zeitlauf X, und ſo weiter ruͤck-
waͤrts, in Anſehung der Beſitzer ihrer feſten Laͤn-
der, unſerm jetzigen Erdboden gleich ſchaͤtzen.


§. 67.


Wer kann nun nach dieſem Zeitlaufe B, die fol-
genden Zerſtoͤrungen der alten feſten Laͤnder, davon
nicht allein unſer Thuͤringen, ſondern auch jeder
alte Meergrund, durch Kraͤuter und Thierſchiefer,
Holzachat, Steinkohlen, Erdpech, Naphta, Agt-
ſtein u. ſ. w. genugſame Beweiſe geben, vor rich-
tig erkennen? auch die egyptiſchen Kraͤuter und
Thiere jetziger Zeit, die arabiſchen, oſtindiſchen,
chinaͤſiſchen, afrikaniſchen, amerikaniſchen und eu-
ropaͤiſchen Pflanzen und Thiere, nebſt denen an
beiden Polen, deren, an jedem Ort befindliche ei-
gene Arten, erhalten worden, betrachten, und doch
D 2zugleich
[52] zugleich die eigene Arten, der an jedem Ort vor-
handenen Menſchen davon ausſchlieſſen?


§. 68.


Sollte man alſo nicht, wenn man den freyen
Verſtand zu Rathe zieht, davor halten, daß dieſe
eigene Arten des Menſchengeſchlechts, die ſich bis
auf dieſe Zeit erhalten haben, eben ſo wie die an-
dern beſondern Arten der Thiere und Pflanzen,
erhalten worden, und daß ſie ſchon von je her ihre
eigene Art gehabt haben muͤſſen? ohne dieſe viele
verſchiedene Menſchengeſtalten, von einem einzel-
nen Stammvater, aus einem einzigen Plaͤtzchen
der Erde insgeſamt herleiten zu wollen? wird man
nicht geneigt ſeyn, jedem alten Lande gleich an-
faͤnglich ein volles Volk, und keinen bloſen Stamm-
vater zu geben? ſo wenig man jedem Lande nur
eine einzige Pflanze von jeder Art, und ein einzi-
ges Paͤrchen von jeder Thierart wird geben moͤgen.
Kann man wohl ſo ein Volk, und nach den vielen
alten feſten Laͤndern, die vielen Voͤlker, ohne
Sprache denken, und auf ihre Erfindung nachſin-
nen
[53] nen wollen? wird man nachdem nicht weiter zu
folgern veranlaßt werden, daß alſo auch jedes alte
und eigenartige Volk, welches mitten durch die
gaͤnzliche Verwandlung der Erde dennoch mit Bei-
behaltung ſeiner eigenen Art, ſeine benachbarte
Gegend, nebſt ſeinen Pflanzen und Thieren be-
hauptet hat, bey der Crzeugung der Erde, die ge-
wiß nichts ſo grauſames, als die Verwandlung
haben konnte, von deſſen Erzeugern den aͤltern
Himmelskoͤrpern, zum neuen Himmelskoͤrper oder
der jungen Erde, ſchon als ein ſo eigenes Volk
uͤbergegangen ſey? wird es endlich nicht verſtaͤnd-
lich werden, warum die aͤlteſten unzerſtreuteren
Voͤlker den Einfall gehabt haben, von der Schoͤ-
pfung der Erde reden zu wollen? welches auſſer
dem ganz wider den geſunden Verſtand ſolcher
Voͤlker haͤtte lauffen muͤſſen, und ihnen ohne ſol-
che Veranlaſſung, durch Erzaͤhlung gar niemahls
haͤtte in den Sinn kommen koͤnnen.


D 3§. 69.
[54]

§. 69.
Die Menſchenkunde vor ſich.


Ob ich nun gleich das Unleugbare oder Wahr-
ſcheinlichſte der Menſchengeſchichte, neben der Erd-
geſchichte, bisher immer mit angefuͤhret, und da-
bey ſelbſt auf den Urſprung der Sprache mit geſe-
hen habe; ſo wird doch alles dieſes vielen noch
immer zu wenig ſeyn, wofern nicht eine vollſtaͤn-
digere Betrachtung der Menſchen an und vor ſich,
ihnen eben dieſes ſagen ſollte.


§. 70.


Weil aber die aͤlteſte Urkunden von dem Ur-
ſprunge eines und des andern Volks, wegen ihrer
jetzigen unnatuͤrlichen Auslegung, ſo lange ſtreitig
bleiben, bis man aus der Naturkunde ſo viel Ge-
wißheit von den Menſchen voraus geſetzt hat, daß
ſich hiernach dieſe Urkunden wieder der Natur ge-
maͤß auslegen laſſen; ſo muͤſſen freilich die Men-
ſchen erſt blos nach der unbezweifelten Beſchrei-
bung der Voͤlker, ſo wohl jetziger, als voriger Zeit,
und zwar ſo weit man die Geſchichtbuͤcher blos als
natuͤr-
[55] natuͤrlich geſchriebene anſieht, betrachtet, und dar-
nach als Gegenmuſter mit der ſtreitigen Auslegung
der aͤlteſten Urkunden, verglichen werden.


§. 71.


Daher waͤre es wohl am beſten, wenn ich mei-
ne Betrachtung gleich bey der jetzigen Zeit an-
fienge, und von da immer weiter zuruͤck gienge.
Wenn ſich nun in der natuͤrlichen Menſchenkennt-
niß der bekannten vorigen Zeit, keine Abweichun-
gen finden, wird man auch gegen dieſe Menſchen-
kunde ſo billig ſeyn, und ihr nicht etwa aus der
ſtreitigen aͤlteſten Zeit, unnatuͤrliche Wunder ent-
gegen ſtellen wollen, ſondern ſie vielmehr fuͤr im-
mer gleich richtig fort gelten laſſen.


§. 72.


Doch eben hier merke ich, daß diejenigen, wel-
che ſo wohl von den Pflanzen, als Thieren Lehrge-
baͤude aufgefuͤhret, und alles nach ihren Geſchlech-
ten, Arten und Gattungen geordnet, auch ihre
Merkmale deutlich unterſchieden haben, bey den
D 4Menſchen
[56] Menſchen ermuͤdet, oder auch vielleicht vorſaͤtzlich
aufgehoͤret haben: folglich iſt hier kein anderer
Rath, als daß ich mich bequeme ſelbſt einen klei-
nen Entwurf zu machen, wie ich die Menſchen
unſerer Erde, die ich Weltmenſchen oder Welt-
kinder nennen will, durchgaͤngig befinde.


§. 73.


Betrachte ich nun die Menſchen erſt uͤberhaupt,
ſo iſt durchaus richtig, daß ſie entweder maͤnnli-
chen oder weiblichen Geſchlechts ſind, und daß
ohne Erdichtungen anzunehmen, ſeit aller Men-
ſchen Denken, niemahls ein wahrer Zwitter, mit
doppelt wuͤrkſamen Zeugungsgliedern, noch weni-
ger ein Zweimenſch, oder Platoniſche Androguͤne
jemahls gelebt habe.


§. 74.


Ferner iſt auch uͤberhaupt richtig, daß die Er-
zeugung eines vollſtaͤndig wahren oder bloſen
Weltkindes, allezeit die Begattung eines Mannes
mit einem Weibe erfordere, und kein Weib auſſer
dieſer
[57] dieſer Begattung ein wahres Menſchenkind zur
Welt gebracht habe, auch bis jetzt kein natuͤrlicher
Weltmenſch gefunden worden ſey, der nicht Vater
und Mutter menſchlichen Geſchlechts gehabt haͤtte.


§. 75.


Daher iſt eben ſo richtig, daß keine Berechnung
des Menſchengeſchlechts von hier, durch die vorige
Zeit, ruͤckwaͤrts, jemahls bis auf einen einzelnen
Menſchen, es ſey Mann oder Weib hinaus lauf-
fen koͤnne. Denn wenn ein Menſch allezeit zwey
Eltern, 4 Großeltern, 8 Voreltern, 16 Ureltern
u. ſ. w. gehabt hat; wie kann man bey ſo gemeſ-
ſenen Stiegen, die ins Unzaͤhliche hinaus lauffen,
jemahls auf die 1 kommen.


§. 76.


Wie will man nun natuͤrlicher Weiſe jemahls
einen einzelnen erſten Stammvater und Stamm-
mutter, die noch dazu weder Vater noch Mutter
gehabt haͤtten, aus alten Urkunden behaupten.
Es iſt vielmehr hiebey ein ſicherer Argwohn, daß
D 5ſolche
[58] ſolche erſte Ausleger, entweder dieſe Urkunden an-
dern alten Voͤlkern abgeborgt haben, ohne ſolche
zu verſtehen, oder daß ſie durch Vernachlaͤßigung
der Naturkunde, die Einſicht und Erklaͤrung ihrer
eigenen alten Nachrichten verlohren, und alſo in
neueren Zeiten ihre Meinungen davor unterge-
ſchoben haben.


§. 77.


Dazu kommt noch, daß in Anſehung der Zeu-
gung, weder der Mann noch das Weib, fuͤr ein
einzelnes volles Ganzes, ſondern nur fuͤr ein hal-
bes zu halten iſt. Wie kann nun unſere Rech-
nungsart, und wenn es auch die Bruchrechnung
waͤre, bey einer ſolchen Zeugungszahl, wie das
Menſchengeſchlecht iſt, wo naͤmlich zu jeder eins,
noch allezeit ein halbes fehlt, richtig ſeyn? iſt die-
ſes nicht vielmehr ein gewiſſes Merkmal von der
Unendlichkeit ſolcher Zahl? gilt dieſes nicht zu-
gleich fuͤr einen Beweis der unendlichen Beduͤrf-
niß unſeres Geſchlechts, erſtlich ſo wohl zur Fort-
zeugung, als ferner zur Erziehung, und weiter fort
auch
[59] auch ſelbſt zur Sprache? wird alſo nicht dadurch
jeder, der nur nachdenken kann, und zugleich die
Unendlichkeit des Schoͤpfers, und die Unermeß-
lichkeit der Natur mit erwaͤget, gewarnet, daß er
weder den einzelnen Urſprung des Menſchen, noch
den einzelnen Anfang ſeiner Sprache ſuchen ſoll.


§. 78.


Eben ſo gewiß iſt es auch, daß die Menſchen
allezeit nur als Kinder aus den Muͤttern, und nie-
mahls als ſchon erwachſene Perſonen, aus dem
Erdboden, zur Welt gekommen ſind, daher wohl
die Autochthonen und Gnegenes der Griechen,
nebſt den Indigenen und Aborigenen der Roͤmer,
vielmehr im Lande gebohren, zum Unterſcheide der
Ankoͤmmlinge, als ſolche, die wie Pilſen aus der
Erde gewachſen waͤren, heiſſen ſollen. Doch ich
will den Dichtern und platoniſirenden Philoſophen
bey dergleichen Ausdruck ſolchen Sinn nicht gaͤnz-
lich abſprechen.


§. 79.


Nun betrachte man die Geſchicklichkeit aller
kleinen Menſchenkinder zur Sprache, ſo findet
man
[60] man zwar, daß ihnen Heulen und Schreien natuͤr-
lich ſey, daß aber eins von ſich ſelbſt nur ein ein-
ziges wahres Wort, von der Sprache der Eltern
vorgebracht habe, findet man nicht; ſondern viel-
mehr, daß alle, doch eins mit mehr, oder weniger
Muͤhe, als das andere, Wort vor Wort haben
lernen muͤſſen, und daß ſie, wenn ſie verſaͤumet
worden ſind, bey ſchon [ei]niger [Kenntuiß] der Woͤr-
ter, dennoch nicht einmahl fuͤr taͤgliche Dinge will-
kuͤhrliche Woͤrter zu erfinden gewagt, oder ver-
mocht haben.


§. 80.


Hiezu kommt noch der merkwuͤrdige Umſtand,
daß die erſte Sprache aller Kinder, eine ganz an-
dere iſt, als ihrer Eltern, doch auch wieder mehr
oder weniger fuͤr die Ohren anderer. Wenn man
ihnen daher nach den erſten Anfaͤngen nicht weiter
nach huͤlffe, ſo wuͤrde oft jedes Kind von denſelben
Eltern, nach der beſondern Geſchicklichkeit ſeines
Ohres und der Sprachtheile, vielmehr eine ganz
andere, als der Eltern ihre, ohne alle Erfindung,
mitten zwiſchen der alten Sprache fuͤhren.


§. 81.
[61]

§. 81.


Wenn alſo die Kinder vor ſich gar keine Spra-
che bekommen, und ohne genugſamen Unterricht,
entweder eine ſehr mangelhafte, oder ganz fremde
fuͤhren, ſo zeigt ja dieſes deutlich, daß weder die
Sprache an ſich was erbliches, noch der Eltern
ihre den Kindern natuͤrlicher, oder leichter ſey, und
daß alſo die Kinder nur eine Faͤhigkeit, aber kein
Vermoͤgen zu ſprechen, mit auf die Welt bringen,
und die Sprache nur lernen, aber nicht erfinden
koͤnnen.


§. 82.


Bemerkt man aber etwa bey einem erwachſenen
Menſchen, der nichts von Sprache weiß, unter
den entwickelten Kraͤften der Mannbarkeit eine
neue beſondere Kraft zu Erfindung der Sprache
mehr, als bey einem Kinde? und worinne waͤre
denn dieſe gegruͤndet, oder wodurch aͤuſſerte ſie
ſich? ich weiß davon nicht die mindeſte Spuhr
anzugeben: folglich hat in meinen Augen, ein
groſer, doch ſprachleerer Menſch, eben nicht mehr
Vermoͤgen zur Erfindung der Sprache, ja der
Erfah-
[62] Erfahrung nach noch weniger, als ein Kind. Iſt
alſo nicht der angebliche erſte Spracherfinder ein
Wundermenſch, von deſſen Wunderkraͤften ſeine
Nachkommen nicht eine einzige ererbt haben? ſo
einen Menſchen kennt die ganze Naturkunde nicht,
und man darf ihn alſo nicht fuͤr natuͤrlich, noch fuͤr
ein Werk des Schoͤpfers, ſondern fuͤr ein Kunſt-
ſtuͤck der Ausleger erkennen; deswegen koͤnnen
dieſes auch die aͤlteſten Urkunden, wenn ſie natuͤr-
lich erklaͤhret werden, nicht ſagen.


§. 83.


Um den Menſchen auch noch ins beſondere zu
betrachten, werde ich ihn auf eben die Art, wie
man andere Thiere, nach ihren Geſchlechten, Ar-
ten, und Gattungen vorſtellet, auch hier auf der
Erde herum, doch nur uͤberhaupt, angeben. Die
allgemeine Geſtalt der Menſchen iſt bekannt; die
beſondere hingegen iſt groͤßtentheils durch ihre
Kleidung verſteckt; nur das Geſicht hat man bey
allen bekannten Voͤlkern kennen gelernt. Hier-
von will ich alſo die Unterſcheidungszeichen der
Arten
[63] Arten uͤberhaupt hernehmen, und was ſich als-
denn daraus erweiſen laͤßt, wird man doch wohl
nicht eben darum, weil ich die Arten nicht auch
namentlich hererzaͤhlet haͤtte, ſchlechterdings leug-
nen wollen.


§. 84.


Das erſte Unterſcheidungszeichen ſey die Farben-
haut der Menſchen, und zwar ſo, wie wir ſie nicht
etwa an dem bloſſen Geſichte, ſondern wo moͤglich
auch an einigen bedeckten Theilen des Leibes, und
nicht allein an den haͤrteren Maͤnnern, ſondern
auch an den weicheren Weibern, finden. Hier
haben wir nun ſchwarze, weiſſe, rothe, gelbe, brau-
ne, gruͤnliche Voͤlker, nach ſtarken, oder ſchwachen
Schattirungen jeder Farbe und ihrer mehreren
oder wenigeren Verſetzung; wobey wir noch das
Beſondere bemerken, daß ohne Vermiſchung, und
im geſunden Zuſtande keine dieſer Arten jemahls
einen andern Nachkommen, mit aller Staͤrke der
weiblichen Einbildungskraft zuwege gebracht; hin-
gegen ſich die fremde Vermiſchung gewiß durch
Spuhren verrathen hat.


§. 85.
[64]

§. 85.


Hierauf kommt der Haarwuchs des Kopfs, von
der kuͤrzeſten Wolle, bis zu dem laͤngſten Haar,
und zwar nach verſchiedenen Farben, als ſchwarz,
braun, braungelb, gelbroth, und weißgelb. Da
nun die Maͤnner von allen Arten, von den Wei-
bern, durch den Bartwuchs abweichen; ſo kann
man auch den einzelnen und kurzen Stoppelbart,
bis zum dichteſten und laͤngſten, der an der Kinn-
lade herunter ſchweift, mit zu den beſondern Kenn-
zeichen der Arten, rechnen. Hierbey findet ſich
nun auch wieder die eigene Beſchaffenheit, daß
keine der Arten vor ſich, oder ohne Vermiſchung
und im geſunden Zuſtande, einen Nachkommen
von andern Haar- und Bartwuchſe zeuget, ſondern
daß dieſes nur durch die Vermiſchung mit einer
andern Art bewuͤrkt wird. Selbſt unter uns ſchon
laͤngſt vermiſchten Deutſchen, die Tacitus nicht
mehr vor die gleichfoͤrmigen, eingebornen Weis-
koͤpfe Germaniens erkennen doͤrfte, wird ſelten ein
Paar, davon eins ſchwarzes Haar, das andere gel-
bes hat, ohne einen Rothkopf, oder einen Zeugen
vom
[65] vom gelben und ſchwarzen Verſatze, bey ſeinen
Kindern anzutreffen ſeyn.


§. 86.


Neben dieſen Hauptzeichen nehme man nach
einander, die verſchiedenen Arten der Augenbrau-
nen und Wimpern, die Groͤſſe und den Vortritt
der Augaͤpfel, die Farben von ihren Seheſcheiben,
den Aufſchluß und Bogenſchnitt der Augenlieder,
mit ihren Gewinden und Winkeln, die verſchiede-
nen Anhoͤhen und Geſtalten der Naſen, nach den
Naſenloͤchern, und Schmiegen neben den Backen,
ſamt der Furche unter der Naſe, die Spaltung des
Mundes, mit der Erhebung und dem Ablauf der
Lippen, nach ihren Angeln, die Groͤſſe und Span-
nung der Ohren; ferner die Verhaͤltniß des Kinns,
der Backen und Schlaͤfe, nebſt der Stirn, einzeln
und zuſammen gegen einander. Denn vergleiche
man es, nach dem, was jedes beſondere Volk,
eigen hat, mit andern, ſo viel wir wiſſen, noch un-
vermiſchten, oder ſchon ſehr lange vermiſchten
Arten.


E§. 87.
[66]

§. 87.


Getraut ſich nun Jemand nach dieſen Unter-
ſcheidungszeichen, jetzt nur erſt ins Große genom-
men, uns vollbaͤrtige Europaͤer, mit den unbaͤrti-
gen Amerikanern zu vergleichen? kann man die
Japaner und Chineſer hiernach mit den andern
Aſiaten zuſammen fuͤr eine gemeinſchaftliche Ge-
ſchlechtsfolge anſehen? Laſſen ſich die Hottentot-
ten mit den Negern von Afrika, und dieſe wieder
mit allen uͤbrigen Voͤlkern zu einer natuͤrlichen
Verbruͤderung bringen? u. ſ. w. von mehreren.


§. 88.


Dabey wiederhole man die obige Erfahrung,
daß keine weder der groſen, noch der kleinen Ar-
ten, ſich mit der andern, noch auch ſelbſt mit uns
ſchon lange vermiſchten Deutſchen, begatten darf,
wo man nicht die Spuhren der zweierley Arten,
noch bis dieſe Stunde, bemerken ſollte, und ohne
hiebey jemahls eine ſolche Einfoͤrmigkeit, wie die
unvermiſchten Voͤlker unter ſich bis jetzt erhalten
haben, anzutreffen. Damit verbinde man die Be-
merkung,
[67] merkung, daß die Kennzeichen der Vermiſchung,
wenn dieſe nicht wieder erneuert wird, ſich bey den
Enkeln und Urenkeln immer mehr wieder verlieh-
ren, und wieder in die großelterliche Geſtalt zu-
ruͤck gehn.


§. 89.
Anwendung.


Kann man nun wohl bey dieſen, ſo unveraͤn-
derlichen Naturgeſetzen, eine eben ſo unveraͤnder-
liche eigene Beſchaffenheit jeder Art, die ſich nie-
mals von ſelbſt veraͤndert, abſprechen. Die Vaͤ-
ter oder die Maͤnner ſind zwar nicht derjenige
Theil, welcher daruͤber einen ſo zuverlaͤßigen Aus-
ſpruch, wie die Muͤtter, thun koͤnnte; daher wuͤr-
de freilich eine Akademie von fruchtbaren Wei-
bern der verſchiedenen Voͤlker, welchen die unbe-
maͤntelte Warheit lieber, als ihr Geſchlechtsſtolz,
waͤre, daruͤber den gruͤndlichſten Ausſpruch thun
koͤnnen; allein wo und wenn iſt dieſe zu hoffen?


§. 90.


Hiezu giebt die Geſchichte der vorigen Zeit, ſo weit
man ſie unbeſtritten gelten laͤßt, den groͤßten Bei-
E 2trag,
[68] Beitrag, wenn ſie die Unterſcheidungszeichen der
aͤlteſten Voͤlker, die wir noch jetzt auf ihrem alten
Wohnſitze zu finden, glauben, wie die Zeichen der je-
tzigen Voͤlker, beſchreibt. Denn die alten Negern
und Aethiopier, die Serer, oder Chineſer, die
Brachmanen und Indier, die Araber, Scythen,
Sarmaten,
die Kaudemden, Trogloditen, oder
Hottentotten, nebſt andern, haben deswegen ſeit
mehr, als 2000 Jahren keine Veraͤnderung erlit-
ten; indem die Reiſenden, ihre damaligen Kenn-
zeichen, noch jetzt an ihnen finden.


§. 91.


Wenn alſo dieſe und andere unvermiſchte Ar-
ten etliche 1000 Jahre unveraͤndert geblieben ſind,
und umgekehrt die vermiſchten Arten eben durch
die unveraͤnderlichen Kennzeichen ihrer Vermi-
ſchung dieſes alles noch mehr beſtaͤrken, als ſchwaͤ-
chen; wie mag man mit gutem natuͤrlichen Grun-
de die Meinung hegen wollen, daß eine einzelne
Haushaltung eines einzigen Stammvaters, alle
dieſe an ſich unveraͤnderliche Voͤlkerarten, in kur-
zer
[69] zer Zeit aus ihrem Schoſe erzeugt habe, ohne daß
ſolche vorgegebene Abartungen, nach der Zeit,
nur das mindeſte von ihrer eigenen Art, vor ſich
abgewichen waͤren?


§. 92.


Iſt es nicht natuͤrlicher, alle dieſe ſeit etlichen
1000 Jahren unveraͤnderte Voͤlker, ſo ferne ſie
unvermiſcht von andern Arten blieben, bis ins
undenkliche hinaus, eben ſowohl, ſich immer
gleich zu ſchaͤtzen, und ferner, wo mehrere Arten
zuſammen leben, eben aus den Unterſcheidungs-
zeichen dieſer Arten auf die Beſtaͤndigkeit ihrer
eigenen Art, ſelbſt noch mitten in der Vermi-
ſchung zu ſchlieſſen, und fuͤr ſie, ruͤckwaͤrts be-
trachtet, gleich vom Anfang einen voͤllig unter-
ſchiedenen Urſprung zu folgen.


§. 93.


Es widerſpricht auch die Betrachtung anderer
Thiergeſchlechter mit ihren Arten, dieſen Bemer:
kungen von den Menſchenarten nicht, ſondern be-
E 3ſtaͤtigen
[70] ſtaͤtigen ſolche vielmehr. Man nehme von den
Thieren ein Geſchlecht, das mehrere Arten hat,
welches man wolle, und laſſe es, ſo lange, als
man denken kan, in einer Gegend allein geweſen
ſeyn, oder ſich auch nur eine und dieſelbe Art un-
ter einander allein begatten; ſo wird man an die-
ſer Art vor ſich keine Veraͤnderung bemerken, die
doch vermittelſt der Begattung mit einer andern
Art, von eben dem Geſchlecht, ſogleich bey der
erſten Frucht hievon merklich wird. Sehr nahe
und bekannte Beiſpiele hievon geben die Hunde,
Pferde, Schafe u. d. gl. Von den Baſtarten
ungleicher Geſchlechter rede ich hier nicht, obgleich
auch dieſe Erfahrung meinen Satz beſtaͤtiget.


§. 94.


Alles dieſes ſcheinet mir deutlich zu beweiſen,
daß jede Art ihre eigene Grundlage habe, die von
keiner andern abſtammt, und ſich auch niemals
ſelbſt verruͤckt; aber wohl durch die Einmiſchung
einer andern Art verruͤckt werden, und eine ande-
re Geſtalt bekommen kan.


§. 95.
[71]

§. 95.


Eben ſo deutlich wird auch ferner, daß weder
einige noch alle ſolche Arten, von einem einzigen
gleichen Stammpaar, mit ſo eigener beſtaͤndiger
Grundlage, jemals haben abſtammen koͤnnen;
ſondern daß jede Art ſchon von Anfang dieſelbe,
welche ſie noch jetzt beſtaͤndig vorſtellt, geweſen
ſeyn muͤſſe, und auch kuͤnftig eben dieſelbe vor ſich
allein bleiben werde; und wie jede ruͤckwaͤrts ins
Unzaͤhlbare laͤuft, ſo auch jede vorwaͤrts, ins Un-
denkliche hinaus reichen werde.


§. 96.


Wenn nun noch uͤber das, jede ſolcher Men-
ſchenarten, auſſer den andern Unterſcheidungs-
zeichen, auch ihre eigene ganz unterſchiedene
Sprache fuͤhrt, ſo iſt es noch ſchwerer zu behau-
pten, daß ein einziger Stammvater von allen ſo
verſchiedenen Arten, zugleich Erfinder ihrer ver-
ſchiedenen Sprachen geweſen ſey. Oder ſoll jede
Geſchlechtsart und Sprachart zuſammen, wieder
ihren eigenen Spracherfinder gehabt haben? bei-
E 4des
[72] des iſt der Natur nach unerklaͤrlich. Daher bleibt
mir nichts weiter zu denken uͤbrig, als daß die
Geſchlechtsarten von je her, ſowohl ihre eigene
Leibesgeſtalt, als auch Sprache, und weder einen
einzelnen Stammvater, noch Spracherfinder noͤ-
thig gehabt haben. Denn ſo paſſet alles der ewi-
ge Schoͤpfer, ſein Werk, die unendlich wuͤrkſame
Natur, und mit ihr zugleich die unendlichen Ge-
ſchlechter, und Arten der Geſchoͤpfe, nach ihrer
eigenen Beſchaffenheit, Fortzeugungen, Beduͤrf-
niſſen und Erhaltung, vollkommen einſtimmig zu-
ſammen.


§. 97.


Zu alle dieſem nehme noch jeder Erdforſcher,
aus obiger Erdgeſchichte, kuͤrzlich alles, was die
Menſchen angehen und betreffen kan, als, daß
die junge Erde um gar viel groͤſſer war, und die
alten feſten Laͤnder, deswegen von breiterem Um-
fange ſeyn konten, und folglich die Menſchen nicht
eben ſo nahe, wie jetzt, an einander wohnen duͤrf-
ten; daß alſo ſehr wahrſcheinlich damals jede Art
von Menſchen, mehr, als jetzt, von der andern
abge-
[73] abgeſondert wohnte, und manche wohl weiter kei-
ne andere Art, als ſich ſelbſt kannte; daß ferner
bey dem Einſturz der erſten feſten Laͤnder, deren
Beſitzer, woferne nicht etwa, aus andern jetzt
nicht anzugebenden Gruͤnden, ſchon ein neues
Land in der Naͤhe entſprungen war, genoͤthiget
wurden, ihren Sitz in dem naͤchſten bewohnten
Lande, alſo ſchon naͤher bey einer andern Art,
oder gar unter ihr, bald bittweiſe, bald mit Ge-
walt, zu nehmen; daß vollends beym Beſchluß
der Erdverwandlung, wo die Erde ſchon an ſich
viel kleiner war, und nur der alte Meergrund
bewohnbare Laͤnder abgab, wohl viel Voͤlker zu-
gleich auf ein neues Land zuſammen gedraͤngt
wurden, wie man in Amerika noch deutlich mer-
ken kan; daß hierdurch manches Volk in mehr,
als eine Gegend vertheilet werden konnte, und
die Geſchlechtsarten ſowohl, als die Sprachen,
auf einem ſolchen neuen Lande verſchiedentlich
vermengt werden mußte; daß hiebey diejeni-
gen, ſo einerley Sprache fuͤhrten, und ſich unter
einander verſtunden, ſich als Freunde, und
E 5die
[74] die andern als Feinde anſehen, daß die vorige Le-
bensart dieſer letztern bey allzuſchneller und meiſt
gaͤnzlicher Zerſtreuung, nunmehr in eine wilde
verwandelt wurde, und daß endlich ſolche wilde
Menſchen nach einigen Menſchenaltern, auſſer
den taͤglich gebraͤuchlichen Arbeiten und Woͤr-
tern, alle vorige Sitten, Kuͤnſte und Wiſſen-
ſchaften, und deren Redensarten, ja ſogar die
Kraͤfte darauf zu denken verlohren, und denn ſol-
che verwilderte Voͤlker nicht wieder vor ſich ſelbſt
zur Ordnung kommen konnten; auſſer durch frem-
de Klugheit, wie der Yecka Maecko, mit ſeiner
Schweſter Mama Oello, in Peru anbrachte;
oder durch fremde Gewalt, wie die Spanier und
andere nach ihnen daſelbſt anwendeten.


§. 98.


Wenn alſo Jemand die Zerſtreuung einiger
Geſchlechts- und Spracharten, dem, was ich von
den beſondern Anſitzen, der Arten behaupte, ent-
gegen ſtellen wollte; ſo kann er hier den natuͤrli-
chen Grund ſolcher Ausnahme einſehen und uͤbri-
gens
[75] gens mein Angeben uͤberhaupt, dadurch noch mehr
beſtaͤrkt finden. Ueber das koͤnnen ja auch wohl,
vor undenklicher Zeit der jungen Erde, als die
ſchon bemerkten Verwandlungsanſtalten, einigen
klugen Maͤnnern nun zur Warnung dienten, von
dieſen verſchiedene Pflanzzuͤge, nach den geſicher-
ten neuen Laͤndern gewandert oder geſchiffet ſeyn:
wie der Bramah, ſo mit ſeiner Kuh zu den In-
diern kam, und der Fiſchmenſch Oannes, der aus
dem rothen Meere, nach Babilon zugieng, vermu-
then laſſen. Die aͤlteſten Pflanzzuͤge, als der
Egipter nach Kolchis; der Phoͤnizier, bis zu den
Kaßiteriſchen Inſeln; der Cimmerier durch Aſien;
der Griechen, Zelten oder Galater; und noch
weiter der Belgen, Angeln, Normannen, Go-
then, Hunnen, Tartarn,
oder in neuerer Zeit
der meiſten Seelaͤnder, reden jenen Zeiten, bey,
und bald nach der Erdverwandlung, um ſo mehr
das Wort.


§. 99.


Ob nun ein Naturforſcher, durch das, was ich
bisher vorgetragen habe, die Erd- und Menſchen-
kunde,
[76] kunde, nach ſeiner eigenen, und freien Denkungs-
art zu uͤberlegen, und ſeiner alten Lehre und Aus-
legung, die oft ſelbſt dem Buchſtaben, oder den
Woͤrtern Gewalt anthut, die natuͤrliche Warheit
vorzuziehen, veranlaſſet werden koͤnne, will ich den
Leſern zu beurtheilen, uͤberlaſſen.


§. 100.
Die Sprachkunde an und vor ſich.


Doch iſt auch noch die Sprache ſelbſt zu be-
trachten uͤbrig, und wenn man hier deutliche Spu-
ren faͤnde, daß ſie ein einzelner Menſch erfunden
haben muͤßte; ſo gienge dadurch der vorhergehen-
den Erd- und Menſchenkunde, von dieſer Seite,
wieder viel von ihrer Warſcheinlichkeit ab. Wir
wollen ſie daher auch ſowohl uͤberhaupt, als auch
ins beſondere, doch mehr nach der Natur, als phi-
loſophiſch betrachten.


§. 101.


Wir muͤſſen aber dabey gleich voraus ſetzen,
daß unſer Erfinder der Sprache, ein voͤllig ſprach-
leerer
[77] leerer Menſch, der nicht das Mindeſte von der
Sprache kennt, ſeyn muͤſſe. Denn der Zuſatz zur
bekannten Erfindung waͤre ſonſt was leichtes.
Nachdem iſt faſt uͤber haupt feſt zu ſetzen, daß je-
der Sprecher zugleich einen Anhoͤrer erfordere,
und ein einzelner, der von keinem andern was
wuͤßte, haͤtte gar keinen Grund zum Sprechen.


§. 102.


Es iſt auch uͤberhaupt gewiß, daß jeder Spre-
cher, bey ſeiner Erlernung der Sprache, ein gut
Gehoͤr gehabt haben muͤſſe. Denn taubgebohr-
ne Menſchen, ſind zugleich ſtumm. Jeder Spre-
cher muß auch noch wenigſtens ſein inneres Gehoͤr
durch die ſo genannte euſtechiſche Roͤhre behalten,
wenn ſeine Sprache deutlich bleiben ſoll. Man
kann hieraus, wenn man es nicht vor uͤberfluͤßig
haͤlt, den richtigen Schluß machen, daß ein Taub-
gebohrner niemahls eine Sprache erfinden kann,
indem er nicht einmahl die ſchon erfundene, auſſer
durch die mechaniſche Sprachkunſt, lernen kann.


§. 103.
[78]

§. 103.


Es laͤßt ſich aber die Sprache der Menſchen
ganz natuͤrlich, erſt nach ihrem Laut, denn nach
ihrem Sinn, und endlich beſonders, nach ihrer
Geſtalt, betrachten.


§. 104.


Ihren Laut erhaͤlt ſie, durch die verſchiedene
Anwendung der Sprachtheile, nach Anleitung
des Gehoͤrs; den Sinn durch eine wechſelſeitige
Uebereinkunft derer, die mit einander ſprechen, in
Anſehung derer Dinge, die mit dem Laut verknuͤpft
werden, und ihre Geſtalt bildet ſich durch die em-
pfindbare Verhaͤltniß, ſo die noͤthige Abaͤnderung
des Lauts zur Abaͤnderung des Sinnes fuͤr den
andern, haben muß.


§. 105.
Der Sprachlaut.


Wenn man nun den Laut der Sprache nach
ſeinen Arten zergliedert, ſo zeigt uns unſere eigene,
und die allgemeine Unwiſſenheit, wie man ſich ſo-
wohl zur Ausſprache der Selbſtlauter, als Mit-
lauter anzuſtellen habe, ſchon voraus; daß ſelbſt
dieſe
[79] dieſe noch einfache Ausſprache, an ſich keine innere
Erfindung, ſondern mehr eine aͤuſſere, naͤmlich
eine Bemerkung ſeyn koͤnne. Hier pruͤfe ſich je-
der Leſer, ob er aus bloſſem Nachdenken, die Art,
wie er a, e, i, o, u, ausſprechen, und hernach den,
oder jenen Mitlauter damit verbinden koͤnne, ſich
ſelbſt anzugeben wiſſe? Da Niemand nach dem
ordentlichen Lauf der Natur, weder ſeine Sprach-
theile vor ſich, noch ihre Kraͤfte und Verhaͤltniſſe
gegen einander, und folglich noch weniger ihre
Wirkung kennt.


§. 106.


Wenn nun Niemand durch Erfindung, ſondern
blos durch Bemerkung, die einfacheſten Laute, ge-
ſchweige ganze Silben oder Woͤrter, ausſprechen
kann; ſo muß man entweder dieſe Bemerkung
an ſich ſelbſt, oder an andern machen, und von
der Beobachtungskraft wenigſtens ſchon den er-
ſten Grad wirklich beſitzen. Die Beobachtung
ſeiner ſelbſt, bleibt auch den geuͤbteſten Geiſtern,
die letzte und ſchwerſte Bemuͤhung; die Beob-
achtung anderer hingegen, und die hieraus fol-
gende
[80] gende blinde Nachaͤffung, oder Nachahmung
iſt und bleibt wegen der Anlage unſerer Sinnen
hiezu, die erſte und leichteſte. Folglich waͤre die
Erfindung der Sprache, aus Beobachtung ſeiner
ſelbſt, auch noch allezeit die ſchwerſte; aus Beob-
achtung anderer hingegen, die leichteſte und zwar
fuͤr alle Menſchen.


§. 107.


Das giebt nun fuͤr den, der ſich fuͤr den erſten
Erfinder der Sprache ausgeben will, eben keinen
guͤnſtigen Anblick. Denn es beweiſet vielmehr,
daß er die Sprache lernen, oder andern ablernen
mußte. Wem aber ſollte er ſie abgelernet haben?
Etwa den Thieren? oder den rauſchenden Quel-
len und Baͤumen? ſollten dieſe ſeine Sprachmei-
ſter geweſen ſeyn koͤnnen? wohl ſchwerlich? denn
ſelbſt uns bleibt dieſe Nachahmung noch immer
eine groſe Schwierigkeit, und iſt nicht ſo leicht,
als es die Erfindung der Sprache erfordert.


§. 108.
[81]

§. 108.


Man darf ſich nur ſelbſt pruͤfen, und nicht ver-
geſſen, daß man die jetzt ſo leicht ſcheinende
Sprache erſt ſelbſt mit vieler Muͤhe gelernt hat,
auch wohl uͤberlegen, daß man es ſich bewußt,
und noch dazu geſonnen ſeyn muß, was fuͤr einen
Laut man ausſprechen wolle, ſonſt waͤre jeder un-
beſonnene Mucks, Achzer und Schrey, ein er-
fundener Sprachlaut, welches doch nicht iſt.


§. 109.


Dabey erwaͤge man, daß kein einziger Schrey
an ſich ein Sprachlaut ſey, ſondern daß er erſt
aus der Oberſtimme in die Mittelſtimme der Re-
de, oder den Redeton herunter geſetzt ſeyn muͤſſe;
denn aber, wenn er ſchon durch die Redeſtimme
zum Sprachlaut geworden, und dafuͤr angenom-
men iſt, bleibt er es ferner, es mag einer ſchreyen
und ſingen, doch muß der Vorſatz mit dabey ſeyn.
Ja dieſer Fall trift ſo weit zu, daß, wenn man ei-
nen Sprachlaut, oder der ſchon in der Redeſtim-
me giltig iſt, z. B. das Wort Kuckuck wieder
Fblos
[82] blos ſchreyet, er kein Sprachlaut mehr iſt, ſon-
dern wieder ein bloſes Nachgeſchrey wird, und
den Werth eines Wortes gleich verliehret.


§. 110.


Wenn nun der Sprachlaut kein unbeſonnener
Laut ſeyn darf, die Selbſterkenntniß aber dem
ſprachleeren Menſchen, durch alles Beſinnen und
Nachdenken, keinen Laut aus ſich ſelbſt erfinden
laͤßt, auch kein beſonnener bloſer Schrey, ein
Sprachlaut heiſſen kann, ſondern jeder Sprach-
laut ein uͤberdachter im Redeton ausgeſprochener
Laut ſeyn muß; wie iſt alles dieſes bey unſerer
Sprache, auſſer durch Erlernung von andern
Menſchen, die ſchon reden koͤnnen, fuͤr moͤglich
anzuſeben. Denn in dieſem Fall iſt die Haͤlfte
von beſinnen und nachahmen hinlaͤnglich, da auſ-
ſer dem der hoͤchſte Grad von beyden dazu nicht
hinreicht.


§. 111.


Doch will ich dieſes nicht ſo ſtrenge genommen
wiſſen, als wenn bis jetzt kein einziger unuͤber-
dachter
[83] dachter Laut, zu einem uͤblichen Sprachlaut wer-
den koͤnnte, das Gegentheil kommt vielmehr gar
oft vor, und weil ſolches aus der Natur des Men-
ſchen folgt; und alſo als ein Einfluß der Menſch-
lichkeit in die Sprache gilt; ſo wollen wir dieſen
Fall, den man die Mundart nennt, gegen die Er-
findung ſtellen. Nun uͤberdenke man die unzaͤh-
lig verſchiedene Mundarten, nur von unſerer
deutſchen Sprache, nach der unterſchiedenen
Schwebung, Veraͤnderung und Verbindung ih-
rer Selbſt- und Mitlauter, nebſt der Verlaͤnge-
rung und Verkuͤrzung der Sylben, und forſche
alsdenn nach, ob die mindeſte Erfindung an alle
dieſem Antheil habe? Es wird jeder deutlich ein-
ſehen, daß des einen Ungeſchicklichkeit, oder Nach-
laͤßigkeit, Stolz, oder auch Muthwillen in ſeiner
Ausſprache allen noch jungen Leuten, die ihn oͤf-
ters hoͤrten, und wohl verſtunden, ein verfuͤhren-
der Anlaß, eben ſo zu reden, ohne Abſicht hier-
auf, geweſen ſey. Da nun Wiſſen und Willen
dieſer Nachaͤffer nicht den mindeſten Antheil dar-
an hatte; ſondern blos der Einfluß des Gehoͤrs
F 2Mund-
[84] in die Sprechtheile, ſo erfolgt die veraͤnderte
Mundart, ohne Erfindung. Eben dadurch ge-
woͤhnt ſich mancher das an, was er an andern oft
verſpottet, und veraͤndert alſo ſeine Mundart wi-
der Wiſſen und Willen.


§. 112.


Wenn nun ſelbſt von der Unachtſamkeit des
Gehoͤrs blos durch ſeine Mit- und Einwirkung
in die Sprechtheile alle Mundarten entſpringen;
alle Mundarten aber zuſammen genommen eine
und dieſelbe Sprache ausmachen, muß dieſe nicht
alſo, doch mit noch ſchmeidigerem Gehoͤr und
mehrerer Aufmerkſamkeit des Lehrlings, immer
fortgepflanzt, und eigentlich niemals erfunden
worden ſeyn.


§. 113.


Auf eben die Art betrachte man aller andern
Voͤlker Sprachen und Mundarten, nach ihren
Selbſt- und Mitlautern, von denen der erwach-
ſene Deutſche, oder auch jeder Europaͤer, nach
langer
[85] langer Zeit, viele unmoͤglich, ja manche gar nie-
mals ausſprechen kann, wie einiger Amerikaner
und der Hottentotten ihre. Koͤnnen wir Euro-
paͤer aber dergleichen Sylben und Woͤrter nicht
ausſprechen; ſo wuͤrden wir ſie auch, wenn gleich
jeder einen Spracherfinder vorſtellen wollte, nie-
mals erfinden koͤnnen. Ob ſie nun ſchon die Kin-
der dieſer Voͤlker, weil ſie von der zarten Jugend
an dazu gewoͤhnt werden, leicht ausſprechen ler-
nen; ſo wuͤrden ſie doch wohl eben dieſe Kinder,
wenn ſie gleich von der Kindheit an bis zur Mann-
barkeit unter uns Europaͤern erzogen worden waͤ-
ren, fuͤr ſich aber ſo unſprechbar, als wir fuͤr uns
erklaͤren. Ich nehme aber aus, was ihnen we-
gen erblicher Fehler oder Vorzuͤge der Sprach-
theile bey jeder Menſchenart, die ſich ſowohl, als
die eigene Beſchaffenheit der Geſichtstheile fort-
pflanzen werden, in dieſem Stuͤck leichter fallen
duͤrfte. Auf die Art, ſchlaͤgt dieſe Betrachtung
fuͤr den einzelnen Erfinder der Sprache eben ſo
ſchlecht, als die uͤbrigen aus.


F 3§. 114.
[86]

§. 114.


Es laͤßt ſich alſo alles eigene der Sprachen, da-
von jede das ihrige hat, niemals auf die Erfin-
dung, ſondern nur auf eine fortgeſetzte Erlernung
zuruͤck bringen. Denn wollte man die Sache
durch viele Erfinder erklaͤren, daß nemlich jede
Sprache anfaͤnglich ihren eigenen gehabt haͤtte;
ſo ſieht man doch bey keinem einzigen Volke, daß
die Kinder ein ſolches Erfindungsvermoͤgen haͤt-
ten, ſondern nur hoͤchſtens mehr oder weniger
Faͤhigkeit, eine Sprachart zu lernen. Wo haͤtte
nun jeder Stammvater dieſes eigene Vermoͤgen,
und zwar im hoͤchſten Grade her bekommen, und
nur fuͤr ſich zu beleben gewußt? Es haben ja
alle Sprachen ſo viel unerfindliches, das man erſt
in langer Zeit und mit ſaurer Muͤhe lernet, daß
man eben darum keine erfindlich noch erblich nen-
nen darf; am allerwenigſten laͤßt ſich alles dieſes
mit einem einzigen Erfinder zuſammen raͤumen.
Denn man kann unmoͤglich alle Sprachen fuͤr
bloſſe Mundarten einer einzigen erſten anſehen,
wenn man auch nur den Laut betrachtet.


§. 115.
[87]

§. 115.


Je weniger man alſo auch nur den Sprachlaut
von einer urſpruͤnglichen Erfindung, ſondern viel-
mehr von einer beſtaͤndigen Fortpflanzung durch
Lernen, herleiten kann; je mehr Grund hat man
anzunehmen, daß jede wirklich unterſchiedene
Hauptſprache, mit ihren Volk, ſchon ſeit undenk-
licher Zeit ſo verbunden geweſen ſey, wie man es
jetzt noch findet. Nemlich die juͤngeren lernten
der aͤltern ihre vorgeſprochene Laute nachſprechen,
und keiner erfand ſie. Daß aber ein Nachſpre-
chen verſchiedene Abweichungen, oder Mund-
arten, bey zerſtreuten Haushaltungen, erfolgen
mußten, iſt ſehr natuͤrlich.


§. 116.
Der Sprachſinn.


Der Sprachlaut unterſcheidet ſich von jedem
andern Lall und Hall der Menſchenſtimme uͤber-
haupt dadurch, daß er ein eigenes Zeichen von
etwas, das eben nichts mit dem Laute gemein ha-
ben darf, fuͤr den Zuhoͤrer ſeyn, und dieſem alſo
F 4den
[88] den Sinn, den der Redner damit verbindet, an-
geben ſoll. Die Finger- und Augenſprache kann
hier zum Beyſpiel dienen, deren Bewegung nicht
eher Sprache heißt, bis ſie dem andern ein Zei-
chen von einer Sache, die auch nichts mit Finger
und Auge gemein hat, giebt.


§. 117.


Was einen Sprachlaut uͤberhaupt bezeichnet,
heißt deſſen Bedeutung, beſonders aber gegen
den Zuhoͤrer genommen, der Sinn deſſelben, wo-
durch eben ſolcher Laut zu einem Worte wird,
und hier einzeln ſeinen Wortſinn giebt, wie alle
zuſammen den hier gemeynten Sprachſinn geben.


§. 118.


So haͤtten wir alſo die Grenze zwiſchen allen
ſprachleeren Klaͤngen und ſprachhaften Woͤrtern
gefunden, und auch das, was ein Erfinder der
Sprache, nach dem Laut und Sinn, einzeln oder
zuſammen betrachtet, zu leiſten gehabt haͤtte, ge-
wieſen.


§. 119.
[89]

§. 119.


Wer vermag aber, ohne Kenntniß und geuͤbte
Unterſcheidungskraft, ſolche Zeichen bey einem
Dinge zu denken, ſie von dieſem, als Urdinge ab-
zuſondern, mit dem meiſtens ganz abweichenden
Laute zu bekleiden, und zwar ſo beſtaͤndig, daß
Lautzeichen, und deſſen Urding in der Vorſtellung
eins, und drey zu gleicher Zeit machen, wie doch
geſchehen muß, wenn der Laut ein Zeichen, mit
dem beſtimmten Sinn von etwas, oder ein rich-
tiges Wort heiſſen ſoll.


§. 120.


Daher muß man erſt bemerken, wie der Menſch
ſeine Kenntniß und Unterſcheidungskraft erlangt.
Den erſten Grund zu unſerer Erkenntniß legen
wir durch unſere Sinne, und das Vermoͤgen zu
unterſcheiden kommt durch die verſchiedenen Ein-
druͤcke der Empfindungen, und die daraus folgen-
de verſchiedene bewußte Gegenbewegungen in
uns, zur Fertigkeit; deswegen ſollten die Sinne,
ſo ihre Staͤrke ſchon vor dem Gehoͤr erlangen,
F 5als
[90] als Geruch, Geſchmack und Gefuͤhl, den erſten
Grund zur Sprache legen, zumahl da eben die
Sprachtheile auch Werkzeuge zum Geſchmack
und Geruch ſind. Aber weit gefehlt! um ſo viel
weniger koͤnnen die Augen, die weder Verhaͤltniß
noch Empfindung zum Laut haben, Anleitung da-
zu geben, und alſo bleibt nur dem Gehoͤr, da-
durch man ſich Kenntniß und Unterſcheidungs-
kraft erwerben kann, vorbehalten, die Sprache
zu gruͤnden. Denn ohne Gehoͤr bleibt der
Menſch ſtumm. Schon dieſes allein wird bey
vielen Naturforſchern hinreichen, die Sprache
fuͤr keine Erfindung, ſondern als eine Sache, die
erlernt werden muß, anzuſehen.


§. 121.


Ja wenn man zugleich die allgemeine Pflicht
der Sinne, daß ſie zu allen Erfindungen erſt
Vorrath ſamlen muͤſſen, wieder auf das Gehoͤr
ſelbſt anwendet und uͤberleget, was das Gehoͤr
zur Erfindung der Sprache fuͤr Vorrath haben
muͤſſe, und wie, und wenn es ſolche ſamlen
koͤnne;
[91] koͤnne; wird man noch leichter einſehen, daß die
Sprache nur durch Lernen erlangt werden koͤnne.
Wie und wenn kann aber ein ſprachleerer Menſch
durchs Gehoͤr den Laut unterſcheiden? ſolchen als
Zeichen empfinden? ſeinen Eindruck weiter in die
Sprachtheile fortpflanzen? dieſe dadurch erſt
zum Laut uͤberhaupt anregen? und ſie darauf zum
gewiſſen Laut regieren? Denn alles dieſes muß
zu Erfindung der Sprache vorraͤthig ſeyn. Wenn
vermag endlich der Menſch die Laute, als eigene
Zeichen, jeder Sinnlichkeit mit ihrer Bedeutung,
ſie paſſen zum Laut wenig, oder gar nicht, fuͤr den
andern anzuwenden? und den Laut in ein Wort
mit gewiſſem Sinne zu verwandeln? in der Kind-
heit gewiß nicht! und bey reifem Alter am aller-
wenigſten! weil im letzten Fall das Gehoͤr zur
Aufmerkſamkeit und Deutlichkeit nicht gewoͤhnt
worden, und die Geſchmeidigkeit der Sprach-
theile verlohren gegangen; vornemlich aber we-
gen der erlangten Fertigkeit, nichts mehr als ſinn-
liche Empfindungen zu denken, und daher weder
Zeichen noch Sinn zu erfinden.


§. 122.
[92]

§. 122.


Sollte aber dieſes auch noch geſchehen koͤnnen,
ſo waͤre doch ſo viel ausgemacht, daß das Gehoͤr
zuerſt keine andere Zeichen von den Dingen um-
her faſſen, und durch die Mitwirkung des innern
Gehoͤrs, welches die Sprachtheile in aͤhnliche
Bewegung ſetzen, und zum gleichen Ausdruck
anregen muͤßte, erwaͤhlen koͤnne, als die in das
Gehoͤr fallen. Was wuͤrde nun hier mehr her-
aus kommen, als daß etwa die Kuh und der Och-
ſe Mu, das Schaf Maͤ, und der Rabe Krab ge-
nennet wuͤrde? Wer aber auf die Kinder, wenn
ſie gleich ſchon etwas reden koͤnnen, Acht giebt,
wird finden, daß ſie auch nicht einmal dieſes ohne
Vorſprecher, ſondern nach den Woͤrtern, oder
anderer Kinder Beyſpiel verſuchen, und vor ſich
allein kein ſolches Geſchrey, in die Redeſtimme
herunter zu ſetzen wiſſen.


§. 123.


Wer hat uͤber dem ſolche Laute der Kinder
Sprache nennen moͤgen? Das einzige Wort
Bier
[93] Bier eines Kindes heißt gewiß bey allen Deut-
ſchen eher Sprache, als 100 ſolche Nachrufe.
Denn ob ſie gleich alle ihre Bedeutung haͤtten,
ſo waͤren ſie doch gar nicht zu dem Sinn, den alle
wahre Woͤrter verſchaffen ſollen, weder urſpruͤng-
lich gebildet, noch als wahre Woͤrter brauchbar;
weil ſie allezeit mehr ein bloſes Gegengeſchrey
blieben, und keinen wahren Sinn, weder von die-
ſem Schrey, noch von dem, das ſo ſchrie, geben
koͤnnten. Denn ſolche Schreye werden nicht blos
durch die Stimme, ſondern zugleich durch ihre
beſtimmende Bedeutung zu Lauten und Woͤrtern,
aber eben die beſtimmenden Wendungen fehlen.


§. 124.


Wenn man nun noch dazu die Sprache im
Ganzen nach der Zahl der Woͤrter, welche fuͤr
Nachahmungen gehoͤrter Laute, und fuͤr Ge-
ſchoͤpfe des Gehoͤrs gelten moͤchten, eintheilet und
abmiſſet; ſo faͤllt die Vermuthung, daß der erſte
Menſch, vermoͤge ſeines Gehoͤrs, den Sinn der
Laute, oder die erſten Woͤrter erfunden habe, gar
weg.
[94] weg. Denn der groͤßte und brauchbarſte Theil
jeder Sprache beſteht aus Woͤrtern, die entwe-
der die andern Sinne betreffen, oder uͤber die
Sinnlichkeit hin, in das unbegrenzte Reich der
abgeſonderten Begriffe, oder Urdinge gehoͤren.


§. 125.


Laͤßt ſich endlich jenen wenigen vom Gehoͤr
nachgeahmten Lauten der Woͤrter, nichts will-
kuͤhrliches, noch eigentliche Erfindung beymeſſen;
ſo wird dieſen hingegen gewiß Jedermann die
freye Willkuͤhr zuſprechen. Wenn alſo bey jenen
der Laut voraus gienge, und der Wortſinn nach-
folgte; ſo wird bey dieſen umgekehrt, der Sinn
eher, als der hierzu erfundene Laut gedacht wer-
den muͤſſen. Folglich muͤßte beym groͤßten Theil
der Woͤrter oder Sprache, das, was der Bemer-
kungsſinn der Sachen heiſſen moͤchte, vor den
Lauten oder Woͤrtern ſelbſt vorausgegangen ſeyn.
Ob und wie nun der ſprachleere erſte Menſch dieſe
Erfindung angeſtellt haben moͤchte; muͤßte die
Betrachtung der Sprache im Ganzen, mit des
Menſchen
[95] Menſchen Kraͤften verglichen, noch jetzt wohl er-
rathen laſſen.


§. 126.


In dieſer Abſicht wollen wir die Sprache, ſo
wie ſie iſt, und zwar nach ihrem Wortſinn, be-
trachten, und deſſen Haupteigenſchaften und
Haupteintheilungen vor uns nehmen. Hier zei-
gen ſich auf den erſten Blick uͤberhaupt zwey
Hauptgeſchlechter der Woͤrter, von denen eins
die Dinge ſelbſt, das andere ihr Thun, Verhal-
ten, Befinden und Leiden nennet. Alle uͤbrige
Woͤrter ſind Beyſtaͤnde und Vertreter des einen,
oder andern Geſchlechts, oder auch beyder Ge-
ſchlechter. Daher heiſſen jene Nennwoͤrter, und
dieſe will ich Sagewoͤrter nennen, weil ſie dem
Weſen nach keine Zeitwoͤrter vorſtellen, ſondern
nur durch ihre Abaͤnderungen, des hiermit be-
zeichneten ſeine Art der Zeit angeben. Der Un-
terſchied zwiſchen nennen und ſagen wird jedem,
wie ich hoffe, merklich ſeyn.


§. 127.
[96]

§. 127.


Wir wollen alſo die Woͤrter, welche durch das
Gehoͤr zuerſt ihren Laut, und damit zugleich ihren
Sinn erlangt haͤtten, bey Seite ſetzen, und die-
jenigen nehmen, ſo durch die uͤbrigen Sinne ihren
Urſprung erhalten haben muͤßten. Nun iſt zwar
das Auge der maͤchtigſte Sinn; allein nach dem
menſchlichen Zuſtande iſt das Gefuͤhl der erſte,
und dieſem Geruch und Geſchmack die naͤchſten.


§. 128.


Man laſſe daher alle Sinnlichkeiten, welche
die vier Sinne des ſprachleeren Menſchen ruͤhren
koͤnnen, ihren Eindruck darauf machen; man laſ-
ſe dadurch in ihm eine ihm bewußte Gegenbewe-
gung, des geruͤhrten Sinnes erfolgen, und ihn
alſo darauf merken. Man laſſe auch hierauf die-
ſen Eindruck mit ſeinen Gegenbewegungen vom
Ganzen der Sinnlichkeit, in ihr Einzelnes gehen,
und folglich den Eindruck deutlich werden. Her-
nach laſſe man ihn dieſen Eindruck mit ſeinen Ge-
genbewegungen unterſcheiden, oder die Unter-
ſcheidungs-
[97] ſcheidungskraft wirken, ſo daß er alle dieſe Sinn-
lichkeiten einzeln vollkommen kenne, und von an-
dern zu unterſcheiden wiſſe, und was den Bemer-
kungsſinn von einem Dinge ausmacht, voͤllig in-
ne habe. Ja man laſſe ihn alle gleiche Dinge zu-
ſammen, als ein einziges Urding auf einmal ſich
vorſtellen, und in einem zuſammengeſetzten Be-
griff fuͤr eins ſich denken, weil der Bemerkungs-
ſinn von allen doch nur einer iſt. Kann nun aber
alles dieſes an und vor ſich, ſo ferne der ſprach-
leere Menſch blos vor ſich iſt, nur den mindeſten
Antrieb in ihm erwecken, daß er dieſes durch ein
Zeichen ausdruͤcken, oder nennen wollte? wozu
und fuͤr wen ſollte er es ausdruͤcken, oder nennen
wollen. Folglich verdient es noch immer nicht
Wortſinn zu heiſen, denn nur durch ein Zeichen
alles deſſen wird es dergleichen Sinn. Deswe-
gen bliebe es in ihm eine bloſe deutliche Vorſtel-
lung fuͤr ihn, und was iſt ihm weiter noͤthig?


§. 129.


Wollen wir nun auch ſetzen, daß dieſer ſprach-
leere Menſch mit der nemlichen deutlichen Vor-
Gſtellung
[98] ſtellung der Sinnlichkeiten, zu andern Menſchen
kaͤme, und ihnen ſolche angeben, oder nennen
moͤchte, wuͤrde es ihm, wenn er auch gleich das
Gehoͤrte mit nachgeahmten Lauten anzuzeigen
ſchon gewohnt waͤre, das, was er ſaͤhe, roͤche,
ſchmeckte oder fuͤhlte, durch Laute, die nicht die
geringſte Verwandtſchaft und Aehnlichkeit, mit
ſeinem Bemerkungsſinn der Dinge, und ihrer
Kennzeichen haben, dennoch anzugeben, einfal-
len? wuͤrde er nicht vielmehr alle Geberden zu
Huͤlfe nehmen, um das, was er meynt, zu erklaͤ-
ren, als daß er ſolches durch einen Laut anzeigen
wollte? Denn, um ein Beyſpiel zu geben, wel-
cher unter unſern Geigern und Blaͤſern, die doch
auſſer der Sprache, vermittelſt ihrer Toͤne, an-
dern ſchon viel geſagt und fuͤhlbar gemacht zu haben
glauben, hat bey alle dem noch keiner den Einfall
gewagt, Kaͤlte und Waͤrme; Waſſer und Feuer;
ſauer und ſuͤß; oder Kaͤſe und Butter; ein jun-
ges Maͤdchen und altes Weib, u. ſ. w. durch
Toͤne anzugeben und zu nennen.


§. 130.
[99]

§. 130.


Wenn nun dem ſprachleeren Menſchen nicht
einmal die Nennwoͤrter, die dieſe vier Sinne er-
finden muͤßten, zu erfinden moͤglich iſt, wie ſoll
er die viel ſchwerern Sagewoͤrter, und noch ſchwe-
reren Beyſtaͤnde oder Vortreter zu erfinden, im
Stande geweſen ſeyn! und wie will man die
Sprachen, deren Stammwoͤrter noch dazu mei-
ſtens Sagewoͤrter ſind, fuͤr ſo erfunden angeben.


§. 131.


Betrachtet man alſo das Verhaͤltniß unſerer
Sinne gegen die Natur noch einmahl und erwaͤ-
get, wie ſelten das Gehoͤr, und wie ſehr oft die
andern Sinne eines ſprachleeren Menſchen ange-
regt, und zu Zeichen ihrer Vorſtellungen oder
zum Sinn eines Worts, aufgefordert werden,
ſo faͤllt das, was man von Seiten des Gehoͤrs
zum Theil zugab, ohnedem wieder von ſelbſt weg.


§. 132.


Wenn alſo die ſinnlichen Vorſtellungen, nicht
durch bloſſe Erfindung zum Sinne eines Worts
gediehen ſeyn koͤnnen, und alſo der groͤßte Theil
G 2der
[100] der Menſchenſprache als unerfindlich anzuſehen
iſt; ſo bleibt ja auch desfalls keine andere Aus-
kunft uͤbrig, als daß man dem Menſchen umge-
kehrt Sinnlichkeit und Laut zuſammen, und das
Zeichen mit ſeiner Sache verbinden lernen muß.
Denn dadurch zeigt ſich der Bemerkungsſinn
des Dinges, und der Wortſinn des Lauts im
Menſchen zugleich, daß alſo das Wort zum Zei-
chen wird; und dieſes um ſo viel leichter, wenn
er ganz jung, ſo wie die Sinne nach und nach
deutlich empfinden und begreifen, zu dieſer Ver-
bindung von beyden angefuͤhret wird; deſto ſchwe-
rer aber, wenn die Sinne ſchon allzuſtark an eine
flatterhafte Kenntniß, ohne Laute, oder Woͤrter
gewohnt ſind, und die Fertigkeit ſolche Zeichen
zu unterſcheiden, und anzuwenden verlohren, hin-
gegen zu viel Haͤrte zur Bildung der Begriffe
bekommen haben.


§. 133.


Daher lauft auch dieſe Betrachtung uͤber den
Wort- oder Sprachſinn eben wieder dahinaus,
daß
[101] daß immer die aͤlteren den juͤngeren die Sprache
gelernt haben muͤſſen, ohne daß man einen unter
den Menſchen vor ihren urſpruͤnglichen Erfinder,
bis ins Undenkliche hinaus angeben koͤnnte. Mit
eben ſo viel Grund kan man auch ſowol die Men-
ſchen uͤberhaupt, als auch ihre nach den Haupt-
ſprachen unterſchiedene Arten, nicht anders, als
von je her, wie die ganze uͤbrige Schoͤpfung des
ewigen Schoͤpfers herleiten, und erklaͤren.


§. 134.
Die Geſtalt der Sprache.


Endlich muͤſſen wir noch ſehen, ob die Geſtalt
der Sprache dem vorigen widerſpricht. Daß die
Geſtalt eines Dinges uͤberhaupt, von der Stel-
lung als der Thaͤtigkeit die Theile ſeines Ganzen
nach einer gewiſſen Verhaͤltniß und Ordnung, die
man eben Geſtalt nennt, zu ſetzen, wie Erfolg
und Wirkung unterſchieden ſey, und daß man
den Grund von jeder Geſtalt, in der vorherge-
gangenen Stellung ihrer Theile ſuchen, und ſie
auch hier betrachten muͤſſe, wird wohl niemand
leugnen.


G 3§. 135.
[102]

§. 135.


Wendet man dieſes beſonders auf die Sprache
an; ſo wird man auch nicht nur dem einzelnen
Wortlaut, ſondern auch dem einzelnen Wortſinn
eine gewiſſe Geſtalt zugeſtehen. Ja, wenn man
weiter in die Sprachlehre hinein geht, ſo zeigt
ſich, daß auch jede Redensart, und jeder Rede-
ſatz, ſowohl in Anſehung des Lauts, als Sinnes,
und alſo auch der Sprachſinn im Ganzen ſeine
Geſtalt habe, und daß man dieſe eben ſowol nach
ihrer Stellung betrachten koͤnne, wenn man gan-
ze Sprachen mit einander vergleicht.


§. 136.
Geſtalt des Wort- und Sprachſinnes.


Die Stellung des Wortſinnes mag alſo voraus
gehen. Denn wenn die Sinnlichkeiten fuͤr alle
Menſchen die erſten Dinge ſind, welche durch ih-
ren Eindruck, vermittelſt derer uns bewußten
Gegenbewegungen, die wieder mit jeder Sinn-
lichkeit uͤberein kommen, das, was ich in der Ver-
bindung mit dem Wortlaut, den Wortſinn, an
ſich
[103] ſich aber den Bemerkungsſinn nenne, in uns her-
vorbringen, beleben, und zur gleichartigen Ge-
ſtalt bringen; ſo darf ja nicht die geringſte Ver
haͤltniß der Sinnlichkeit an ſich, oder gegen an
dere veraͤndert werden, daß nicht auch zugleich die
Geſtalt des Bemerkungsſinnes hievon, und ſo
bald wir dieſen anzeigen wollen, auch die Geſtalt
des Wortſinnes abgeaͤndert werde, welches alſo
die Stellung des Sinnes waͤre, der aus der Wahl
der Woͤrter an ſich, und ihrer bloſſen verſchiede-
nen Ordnung erfolgte.


§. 137.


Daß aber dieſe veraͤnderliche Stellung des Be-
merkungs- und Wortſinnes gar nichts willkuͤhr-
liches vor uns ſey, wird man daraus deutlich er-
kennen, und zugleich verſichert ſeyn, daß wir uns
von dieſer Seite die Sprache nicht als unſere Er-
findung zuſchreiben koͤnnen. Denn es iſt mehr
unſer Gefuͤhl, als die Folge der Woͤrter und ih-
res Wortſinnes, der Folge des Bemerkungsſin-
nes entſpreche.


G 4§. 138.
[104]

§. 138.


Es muß vielmehr die Einwirkung der Sinn-
lichkeiten, weil die Sinne und Empfindungen al-
ler Menſchenarten uͤberhaupt gleich ſind, und ſie
eben wie wir fuͤhlen, riechen, ſchmecken, ſehen
und hoͤren, in allen, von gleichen Dingen, einen
gleichen Bemerkungsſinn verſchaffen, und alſo
auch alle Sprachen, von dieſer Seite, ſie moͤgen
erlernet oder erfunden ſeyn, etwas in der Geſtalt
aͤhnliches mit einander gemein haben; ob ſie
gleich neben dem gaͤnzlich von einander abweichen
koͤnnen, ja faſt abweichen muͤſſen.


§. 139.


Denn da die Sinne, durch die Uebung der Un-
terſcheidungskraft eine gewiſſe Schaͤrfe und Auf-
merkſamkeit erlangen, auſſer dem aber ſtumpf
und unachtſam bleiben, auch gar viel zufaͤlliges
der Empfindungen, vermoͤge der Gewohnheit fuͤr
uns zu einem beſondern Unterſchiede der Sinnen
werden, endlich da ſelbſt die Sinnlichkeiten nicht
uͤberall weder an ſich noch in ihren Umſtaͤnden
dieſel-
[105] dieſelben ſind, ſo kann nicht allein, ſondern es
muß ſich ſogar dieſes Allgemeine des Bemerkungs-
ſinnes, bey jeder Menſchenart, ja bey jedem ein-
zelnen Menſchen, durch etwas beſonderes unter-
ſcheiden. Waͤre daher die Erfindung der Spra-
che ein ſo leichtes Werk der Menſchen, als man
meynen moͤchte; ſo wuͤrde jeder Menſch ſchon
vermittelſt ſeiner beſondern Stellung des Bemer-
kungsſinnes, ſich ſeine eigene geſtaltete Sprech-
art bilden, da er ſich ſo nur durch die Wendung
der gelernten Ausdruͤcke beſonders zeiget.


§. 140.


Das gedachte allgemeine der Sprachſtellung
aber iſt, nach der Erfahrung, die Haupteinthei-
lung des Sprachſinnes, in Nenn- und Sage-
woͤrter, und zwar in ſo ferne dieſe Stellung von
den Sinnen der Menſchen nicht willkuͤhrlich ab-
haͤngt, und ſie alſo einſtimmig den Bemerkungs-
ſinn, vom Thier, Baum, Berge, Quelle, und
deren Lauffen, Stehen, Vorragen, und Rieſeln in
ſich bilden; denn jeden Bemerkungsſinn durch
G 5ein
[106] ein Nennwort, dieſen aber durch ein Sagewort
ausdruͤcken; wenn ſie auch gleich die Wortlaute
dazu nur halb, wie die Kinder gelernt haben.
Hingegen koͤnnte ſich der bloſſe Bemerkungsſinn,
ohne vorausgehenden Wortlaut, weder jemahls
verſchieden beſtimmt, gegen andere aͤuſſern, noch
verhaͤltnißmaͤſige Geſtalten von ſich abbilden;
folglich blieb alle unſere Kenntniß fuͤr andere ein
Unding, oder doch ein Ungeheuer.


§. 141.


Sowohl der nennbare, als ſagbare Bemer-
kungsſinn koͤnnte ſich nach vielerley Umſtaͤnden,
wohl tauſendmahl veraͤndern und immer eine an-
dere Geſtalt annehmen, ohne daß dem ſprachlee-
ren einfallen doͤrfte, ſolches nur uͤberhaupt, ge-
ſchweige jeden Unterſchied beſonders angeben zu
wollen; indem er erſtlich nicht wuͤßte, daß er auf
ſolche Art ſeinen Bemerkungsſinn anzeigen koͤnn-
te, und in dieſem auch kein nothwendiger Grund
liegt, daß er ihn mit Lauten angeben muͤßte. Es
wuͤrden alſo bloſe Geberden des Bemerkungsſin-
nes
[107] nes ſtummer Ausdruck ſeyn, und fuͤr andere, wenn
man etwa das Zeigen mit den Fingern ausnimmt,
wie Raͤthſel von vielfacher Bedeutung, nicht aber
eines beſtimmenden Sinnes ſeyn.


§. 142.


Eben hier liegen nun noch unzaͤhlige Beduͤrf-
niſſe, die jedem Volk, in der Maaſe, wie ſich ſein
Scharfſinn, ſeine Vorſtellung, Erfindung, oder
ſein Zuſtand vergroͤſſert, fuͤhlbar werden, und das
mangelhafte auch der Wendungs- und Wortreich-
ſten-Sprache dennoch empfinden laſſen. Denn
obgleich die vielen Beiſtaͤnde fuͤr die Nenner und
Sager, nebſt ihren Verbindungsmitteln, ſowohl
an ſich, als nach ihrer mannichfaltigen Ordnung
und Verſetzung, die mehreſten Veraͤnderungen
des Bemerkungsſinnes, durch aͤhnliche Veraͤnde-
rung, des Wort- oder Sprachſinnes, nachahmen,
oder ausdruͤcken koͤnnen; ſo empfindet man den-
noch, bey eigenem Nachdenken, wo man Umſtaͤn-
de deutlich beſtimmen will, nur allzu oft, wie un-
zulaͤnglich und ſchwer es ſey, alles genau zu tref-
fen.
[108] fen. Wenn aber dieſes dem Sprachkundigen
begegnet, was ſoll man in dieſem Stuͤck, vom
ſprechleeren Erfinder denken.


§. 143.


Ich koͤnnte hier beſondere Beweiſe von der
vielfaͤlligen Stellung des Sprachſinnes, ſowohl
aus den todten, als lebendigen Sprachen anfuͤh-
ren; weil ich aber nicht ſowohl den Beweis, als
die Betrachtung dieſer Geſtalt, zur Abſicht habe,
ſo uͤberlaſſe ich dieſe Ausſchweifung andern
Sprachkundigen, und will lieber aus der Stel-
lung jeder beſonderen Hauptſprache, wenn ſolche
darinne von einander abweichen, den Schluß ma-
chen: daß ſolche Sprachen nicht einerley, ſondern
verſchiedenen Urſprung haben, und man auch die
Herkunft der Voͤlcker, die dieſe Sprachen fuͤhren,
eben ſo verſchieden annehmen muͤſſe.


§. 144.


Hieraus ſowohl, als auch aus dem vorigen
kann man zur Gnuͤge ſehen, daß wenn dem Men-
ſchen,
[109] ſchen, nicht der Sprachlaut, zum Zeichen ſeines
Bemerkungsſinnes, von ſeinen Vorfahren gege-
ben worden waͤre, er auch nicht einmahl daran
haͤtte denken koͤnnen, daß ſich die andere Geſtalt
ſeines veraͤnderten Bemerkungsſinnes anzeigen
laſſe. Wenn er aber einmahl den Sprachlaut als
ein Zeichen ſeines Bemerkungsſinnes gelernet
hat; ſo fuͤhlet er die Verhaͤltniß beider gegen
einander zu lebhaft, als daß er mit unveraͤnderter
Ordnung der Woͤrter, den veraͤnderten Bemer-
kungsſinn anzeigen moͤchte; daher wechſelt er
nach den Umſtaͤnden, mit der Geſtalt des Sprach-
ſinnes ab.


§. 145.


Doch nicht die bloſe Stellung, oder Verbin-
dung der Woͤrter, und der daraus erfolgende
veraͤnderte Sinn, reicht zu, alle Geſtalten des Be-
merkungsſinnes anzuzeigen; ſondern es muß ſich
auch vornaͤmlich ſelbſt der Laut der Woͤrter ver-
aͤndern, um dem einzelnen Wortſinn eine andere
Geſtalt zu geben. Soll alſo der Laut das richtige
Zeichen, jedes Bemerkungsſinnes, von einem
Dinge
[110] Dinge ſeyn; ſo muß auch die Geſtalt des Lauts,
jedesmahl eine aͤhnliche Veraͤnderung erhalten,
und dieſe waͤre nun die obgedachte Stellung des
Wortlauts, welche mehr fuͤr das Ohr, wie jene
mehr fuͤr den Verſtand gilt.


§. 146.


Iſt es ferner ausgemacht, daß anfaͤnglich, der
groͤßte Theil der Wortlaute, etwas willkuͤhrliches
haͤtte ſeyn muͤſſen, wie es auch noch jezt bey einer
ſolchen Erfindung waͤre; ſo koͤnnten die Veraͤn-
derungen urſpruͤnglich auch nicht anders als will-
kuͤhrlich ſeyn. Doch ſo bald einmahl eine gewiſſe
Veraͤnderung des Wortlauts, bey einer gewiſſen
Veraͤnderung des Bemerkungsſinnes beliebet
waͤre, muͤßte ſie auch beſtaͤndig dieſelbe bleiben,
wenn ſie eben die Veraͤnderung des Bemerkungs-
ſinnes wieder bezeichnen ſollte; und nun hieſſe ſie
nicht mehr willkuͤhrlich. Denn der Wortſinn
gaͤbe ihr was beſtaͤndiges, durch ſeine damit ver-
bundene beſondere Geſtalt.


§. 147.
[111]

§. 147.


Haͤtte alſo ein einziger Erfinder, auch die erſte
Geſtalt gegeben, ſo wuͤrde dieſe nicht ſo verſchie-
den ſeyn, wie man doch in allen Hauptſprachen
findet. Daher muͤßten wenigſtens mehrere Er-
finder auf dem Erdboden, an dieſer Geſtalt der
Sprachen gearbeitet haben. Denn anders ſieht
der Nenner und Sager bey dem Egipter oder
neueren Kopten; anders bey dem benachbarten
Araber, anders bey den Griechen; anders bey
den Deutſchen, u. ſ. w. aus, und ſo auch die
Beiſtaͤnde fuͤr beide, wie die Sprachbuͤcher dieſer
und anderer alten Voͤlker beweiſen. Man findet
auch dieſes ſelbſt bey den neuen vermengten
Voͤlkern.


§. 148.


Wenn ſich nun noch dazu auch die Erfindung
des Sprachlauts an ſich, wie gedacht, weder ei-
nem einzelnen ſprachleeren Menſchen, noch vielen
ſolchen urſpruͤnglich zuſchreiben laͤßt; denn was
einem einzelnen unmoͤglich iſt, das iſt es auch vie-
len ſolchen einzelnen; wie vielweniger wird man
die
[112] die urſpruͤngliche Stellung des Wortlauts ſo er-
klaͤhren daͤrfen, da ſolche eine ſtarke Uebung der
Unterſcheidungskraft, gegen die kleinern Laute
voraus ſetzt; wovon man doch kaum etwas beym
ſprachleeren Menſchen denken kann.


§. 149.


Daß aber nachdem jeder, der auch nur den
kleinſten Theil einer Sprache begriffen hat, eben
durch ſeine ſchon etwas geuͤbte Unterſcheidungs-
kraft, vermoͤge der Aehnlichkeit und Nachahmung,
bisweilen ſelbſt aͤhnliche Woͤrter, oder aͤhnliche
Geſtalten fuͤr alte Woͤrter zu wege bringen koͤnne,
iſt wohl nicht zu leugnen. Wer thut es aber au-
ſer den Schriftſtellern, als lallende Kinder, ſo
die Woͤrter nur halb wiſſen, und noch halb ſuchen.


§. 150.


Wenn alſo die juͤngeren gleich bey ihren erſten
veraͤnderlichen Bildungen des Bemerkungsſin-
nes, durch den jedesmahl zugleich damit verbun-
denen veraͤnderlichen Wortlaut, die Stellung
jeder
[113] jeder Sprache, ſeit undenklicher Zeit her, von den
aͤltern lernten; auch jeder ſo angefuͤhrter Red-
ner keine Stellung aus einer ihm unbekannten
Sprache in ſeine bringen konnte, noch bey der
Kenntniß mehrerer Sprachen, darein mengen
durfte, und ſich alſo im letzteren Fall nicht einmal
das Recht zur Erfindung neuer Geſtalten anmaſ-
ſen konnte; ſo macht ja dieſes, wenn man es auf
den ſprachleeren Menſchen anwendet, zugleich
wahrſcheinlich, daß ſich der, ſo weder den Laut,
noch deſſen Sinn kannte, auch niemals weder des
einen, noch des andern Stellung zu erfinden, ein-
fallen laſſen konnte.


§. 151.


Weil nun die Geſtalt der Sprache, ſowohl in
Anſehung des Lauts, als Sinnes, ebenfalls be-
ſtaͤndig erlernet, und nicht urſpruͤnglich erfunden
worden iſt, ſo kann man daraus eben auch auf
das undenkliche Alter der Sprache ſelbſt hinaus
ſchlieſſen; und die Hauptarten der Sprachſtellun-
gen beweiſen, daß ſeit undenklicher Zeit her, im-
Hmer
[114] mer verſchiedene Sprachen und Spracharten,
oder verſchiedene Menſchenarten, die ſich doch
nach ihren Mundarten allmaͤhlig veraͤndern, nach
den Sprachen ſelbſt aber willkuͤhrlich, wie uͤbri-
gens, vermiſchen, und nach einiger Zeit, in einer
dritten Geſtalt zeigen koͤnnen, ſowohl auf der
jetzigen Erde, als auch auf den aͤlteren Himmels-
koͤrpern, als ihren vorigen Erzeugern, gangbar
geweſen ſeyn muͤſſen, und ſo auch ohne Aufhoͤren
gangbar, doch auch niemals eben dieſelben blei-
ben, ſondern durch unzaͤhlige Verwandlungen des
Willkuͤhrlichen, ganz andere Arten zu ſeyn ſchei-
nen, im Weſen aber ſich gleich erhalten werden.


§. 152.
Erſte Nachhuͤlfe, aus der Betrachtung der Natur, nebſt
der Welt und des allmaͤchtigen Schopfers
von beyden.


Je weniger dieſer Nachtrag denen, ſo das vor-
hergehende, mit hinlaͤnglicher Kenntniß der Na-
tur durchgeleſen, und durchgedacht haben, zu mei-
nem Beweiſe von dem Menſchen- und Sprach-
alter noͤthig zu ſeyn ſcheinen moͤchte; deſto noͤ-
thiger
[115] thiger doͤrfte er wohl andern ſeyn, ſo entweder die
vorigen Unterſuchungen, theils ohne, theils mit
zu ſchwacher Naturkenntniß durchgeleſen haben;
ſie mit einem fluͤchtigen, oder gar ſchiefen Anblick
beurtheilen, und daher ſowohl meine Abſicht, als
meine Gruͤnde, entweder nicht verſtehen, oder
gar uͤbel auslegen moͤchten. Deswegen wird es
am beſten ſeyn, hier erſt kuͤrzlich den Begriff von
dem Wort Natur zu entwickeln und zu beſtim-
men, und denn meine freye Betrachtung der
Welt nachfolgen zu laſſen; damit man ſehe, daß
ich die Natur nicht nach meinem Sinn, ſondern
meinen Sinn nach der Natur gebogen habe.
Dabey muß ich aber um Vergebung bitten, daß
viel von dem vorigen hier wiederholt wird. Denn
dieſer Zuſammenhang erfordert wieder die mei-
ſten obigen Saͤtze.


§. 153.


Die Kenntniß der Woͤrter faͤngt bey den Sinn-
lichkeiten an, wie oben ſchon bey der Sprache er-
innert worden; deswegen werden wir auch hier
H 2das,
[116] das, was uns bey den Koͤrpern in die Sinne faͤllt,
zum Grunde nehmen muͤſſen, um zu merken, wo
das Wort Natur Statt findet, oder nicht.
Wenn wir diejenigen Dinge, ſo am naͤchſten um
uns ſind, und meiſtens durch die Bemuͤhung und
Kunſt der Menſchen zu Stande gekommen, als:
Geraͤthe, Werkzeug, und andere Kunſtwerke, be-
trachten, finden wir nicht, daß wir ihnen in dieſer
Abſicht eine Natur beilegen koͤnnen, ob es gleich
bisweilen im uneigentlichen Verſtande geſchiehet.


§. 154.


Denn, wenn man auf die Stellung der aͤuſſern
Theile eines Dinges ſiehet, ſchreibt man ihm eine
Geſtalt zu; wegen der Zuſammenſetzung der
Theile, eine gewiſſe Einrichtung; finden wir, daß
ſeine Theile mit einer gewiſſen Aehnlichkeit bey
einander ſind, ſo nennen wir dieſes Ordnung; die
verſchiedenen Veraͤnderungen, mit dem, was es
beſtaͤndig hat, machen ſeinen Zuſtand aus; ver-
gleicht man den jetzigen Zuſtand mit dem vorigen,
oder folgenden, ſo gehoͤrt dieſes zu ſeiner Beſchaf-
fenheit;
[117] fenheit; ſo wie das, was wir beſtaͤndig an ihm
finden, und wodurch es ſich allezeit auf einerley
Art, gegen andere Dinge verhaͤlt, ſeine Eigen-
ſchaft giebt: und endlich das Unzertrennliche, oh-
ne welches es nicht mehr daſſelbe Ding bleibt;
ſein Weſen ausmacht.


§. 155.


Betrachten wir auf eben die Art den Men-
ſchen, ſo ſchreiben wir ihm auch ebenfalls zwar
eine Geſtalt, Einrichtung, Ordnung, Zuſtand,
Beſchaffenheit, Eigenſchaften und Weſen, aber
noch keine Natur, zu.


§. 156.


Nur in Anſehung derer Umſtaͤnde und Ver-
aͤnderungen, von denen wir davor halten, daß ihr
Grund ſelbſt in dem Menſchen zu finden ſey, als:
Wachsthum, Verwandlung, Erhaltung, ſowohl
fuͤr ſeine Perſon, als zur Fortſetzung ſeines Ge-
ſchlechts; ſeine Fortdauer, und endlich der Auf-
loͤſung des Weſens, legen wir ihm eine Natur
H 3bey;
[118] bey; und ſo weit dieſes bey verſchiedenen Men-
ſchen verſchieden iſt, geben wir ihnen auch ver-
ſchiedene Naturen.


§. 157.


Aus eben dem Grunde raͤumen wir nicht allein
Thieren und Pflanzen, ſondern auch allen Erd-
koͤrpern, ſie moͤgen feſt oder fluͤßig ſeyn, eine Na-
tur ein.


§. 158.


Weil ſich aber dieſes auf unſer Geraͤthe, Werk-
zeuge und Kunſtwerke nicht anwenden laͤßt, in-
dem ſie, als ſolche betrachtet, keine Veraͤnderun-
gen vor ſich hervor bringen koͤnnen; ſo ſprechen
wir ihnen auch in dieſer Abſicht die Natur ab.


§. 159.


Wenn uns alſo diejenigen Veraͤnderungen, die
ihren Grund in den Dingen ſelbſt haben, und in
verſchiedenen Dingen verſchieden ſind, veranlaſ-
ſen, den Dingen eine Natur beyzulegen, und kei-
ne Veraͤnderung ohne eine veraͤndernde Kraft
hervorgebracht werden kann: ſo muß wohl die
Natur
[119] Natur der Dinge, in einer urſpruͤnglichen und
endlichen ſelbſt beſtehenden Ordnung der Kraͤfte
und des Weſens beſtehen.


§. 160.


Von dieſer Ordnung der Kraͤfte bekommen die
Dinge ihr Wachsthum, ihre Verwandlung, Er-
haltung, Aufloͤſung, u. ſ. w.


§. 161.


Wenn ferner das Moͤgliche und Wirkliche, ſo-
wohl deſſen, was in einem Dinge beſtaͤndig, als
auch veraͤnderlich iſt, zuſammen genommen, ſeine
vollſtaͤndige Beſtimmung, das iſt, daß es ſo ſey,
wie wir es beſtaͤndig antreffen, ausmacht: ſo wer-
den die Dinge durch die Natur vollſtaͤndig be-
ſtimmt.


§. 162.


Alle Dinge nun, die eine Natur haben, und
ſie fortfuͤhren, ſie moͤgen beſonders gebaut, als
Thiere und Pflanzen, oder nur gemiſcht ſeyn, wie
alle blos feſte und fluͤßige Koͤrper, heiſſen natuͤr-
liche Koͤrper.


H 4§. 163.
[120]

§. 163.


Man ſiehet aber auch zugleich, daß die Natu-
ren, weder an ſich, noch in der Folge der Zeit
und des Weſens, durchgehends gleich ſind.
Denn an ſich ſind ſie entweder als blos anhan-
gende, wie alle fluͤßige Koͤrper, oder als blos an-
geſetzte, wie alle ungeſtaltete blos feſte Koͤrper,
oder als gewachſene, wie die Koͤrper, ſo auf einer-
ley Stelle immer bey und in eben der Geſtalt be-
ſtehen, oder als belebte, wie die, ſo auf eben der
Stelle durch ihr Wachsthum ihre Geſtalt beſtaͤn-
dig veraͤndern, oder als beſeelte, wie die, ſo bey
der Freyheit ihre Stelle zu aͤndern, theils ihre
Geſtalt nur vergroͤſſern, theils auch verwandeln,
oder auch noch auf mehrerley Art anzuſehen.
Ueber das unterſcheiden ſie ſich in Anſehung der
Folge der Zeit und des Weſens, als entſpringen-
de, wachſende, verwandelnde, beſtehende, oder
aufloͤſende.


§. 164.


Weil man nun die Naturen meiſtens, mehr
nach ihrer Dauer als nach andern Eigenſchaften
betrach-
[121] betrachtet; ſo vergleicht und vertheilt man ſie
auch meiſtentheils wieder hiernach, und in ſolchem
Fall waͤre das Allgemeine der beſtehenden Natu-
ren, daß ſich ihre ſelbſt beſtehenden Ordnungen
allezeit als dieſelben erhielten. Hernach unter-
ſchiede ſich alſo jede einzelne Natur, wenigſtens
durch ihre Abſonderung von allen andern. Denn
keine dergleichen waͤre deswegen doch dieſelbe,
auch nicht eine von der andern angeordnet.


§. 165.


Doch iſt dieſe Abſonderung der einzelnen Na-
turen, nur in der Ordnung der Kraͤfte fuͤr ſich
ſelbſt, aber nicht in der Anwendung anderer aͤuſ-
ſerer Kraͤfte zu ſuchen, als wenn jede Natur ein
verſchloſſener Kreiß von Kraͤften waͤre, der we-
der Ausgang noch Eingang verſtattete. Denn
wer die einzelne Verhaͤltniß aller natuͤrlichen
Dinge, gegen andere, erwaͤget, findet, daß wir
erſtlich keine Natur in ihrem Kleinſten aus ſich
ſelbſt oder aus nichts, ſondern aus andern, ent-
ſpringt, ſo auch keine blos aus ſich ſelbſt waͤchſt,
H 5noch
[122] noch durch ſich allein beſteht, ſondern mit andern,
wie urſpruͤnglich, ſo auch im fortwachſen, und
wieder aufloͤſen, ihren Zuſammenhang und An-
wendung fuͤr ſich ſtets zu gewinnen ſucht, und
zwar aus der eigenen Ordnung ihrer Kraͤfte.


§. 166.


Wenn alſo keine Natur ſich gaͤnzlich aus ſich
ſelbſt hervorbringen, noch aufheben kan; ſondern
vielmehr allezeit eine, entweder in die andere ein-
greift, und ſich etwas davon durch ihre ſelbſt be-
ſtehende Ordnung ihrer Kraft aneignet, oder doch
der andern Angriff abhaͤlt, und auch ſogar damit,
theils ſich ſelbſt, theils die andern ſelbſt beſtehen-
den zu eigenen Wirkungen veranlaßt; ſo ſiehet
man daraus, daß jede einzelne Natur, vor ſich,
als ein Glied betrachtet, mit vielen andern Glie-
dern oder Naturen nothwendig verbunden ſey,
und alſo unter ihnen ein gemeinſchaftlicher Zu-
ſammenhang ſtatt finde; wobey dennoch jede Na-
tur vor ſich ſelbſt beſteht und vergeht, ob ſie ſchon
allezeit mit vielen zugleich verbunden iſt.


§. 167.
[123]

§. 167.


Deswegen iſt dennoch der Urſprung einer Na-
tur nicht unmittelbar der Untergang oder Ver-
nichtung der andern erzeugenden. Denn keine
Natur iſt nach ihrem Urſprunge blos mit einer
einzigen, ſondern mit vielen verknuͤpft. Daher
kann in beyden Faͤllen nur eine mittelbare Veran-
laſſung zur Veraͤnderung des Weſens und Na-
tur erfolgen, nach der Beſchaffenheit der gegen-
waͤrtigen beſtimmten Kraͤfte, indem eine ſolche
Veranlaſſung jedesmahl anders, in Anſehung
des Urſprunges, Wachsthums, der Dauer und
angehenden Aufloͤſung von jeder ſelbſt beſtehen-
den Ordnung angeeignet wird.


§. 168.


So ferne nun dieſe mittelbare Veranlaſſung
von einer Natur ſelbſt angeeignet, und alſo fuͤr
die Natur ſelbſt angewendet wird, ſie mag zum
Entſtehen oder Aufloͤſen gereichen, ſo heißt ſie mit
Recht eine natuͤrliche Veranlaſſung. Unnatuͤr-
lich hieße die Veranlaſſung, wenn ſie ſich die Na-
tur
[124] tur nicht ſelbſt aneignete, und ſie wie aufgedrun-
gen anzuſehen waͤre. Man erkennet dadurch,
daß die natuͤrliche Veranlaſſung das eigentliche
Mittel ſey, wodurch ſich die Naturen mit einan-
der verknuͤpfen, auch wieder dieſe Verknuͤpfung
fahren laſſen, nachdem die Veranlaſſung ver-
ſchwindet, und zwar beydes, wie es die ſelbſt be-
ſtehende Ordnung erfordert, ſollte es auch ſelbſt
die Aufloͤſung betreffen. Auf die Art geht die
Verknuͤpfung der Naturen durch einen inneren
Wechſel beſtaͤndig in einem fort, wie es die ver-
ſchiedene Lage der Beſtimmung allezeit bedarf,
daher er auch der Naturverknuͤpfung mit weſent-
lich iſt.


§. 169.


Wir ſehen hieraus vermuthlich deutlich genug,
daß ſich zwar jede Natur, nach der eigenen An-
ordnung ihrer Kraͤfte vom Urſprunge an, ſelbſt
genug ſey, und keiner andern Natur zur Anord-
nung brauche; daß ſie aber die Anwendung der
Kraͤfte, der Nutzung derſelben fuͤr ſich, ohne die
aͤuſſere Veranlaſſung nicht blos aus ſich ſelbſt
nehmen
[125] nehmen koͤnne, ſondern das Noͤthige hiezu aus
andern Naturen holen muͤſſe; und daß alſo keine
Natur, ſowohl nach dem anderweitigen Urſprun-
ge, denn dieſes iſt die erſte Veranlaſſung die Kraͤf-
te fuͤr ſich anzuwenden, als auch anderen Abſich-
ten, ſich allein ſelbſt genug ſey, noch auch vor
ſich immer beſtehen koͤnne, ſondern endlich ein-
mahl zur Aufloͤſung, doch eben auch durch die
Veranlaſſung uͤbergehen, und ſich nachdem wie-
der zu Grundlagen anderer Naturen, oder Be-
duͤrfniſſen anwenden laſſen muͤſſe, um die Abwech-
ſelung der Naturverknuͤpfung zu unterhalten, und
die Unzulaͤnglichkeit aller koͤrperlichen ſelbſt beſte-
henden Ordnungen zu beweiſen.


§. 170.


Denn obgleich die meiſten beſtehenden Koͤrper,
zumahl die feſten, angeſetzten und gewachſenen
Erdkoͤrper, in ihrer Dauer keine Veranlaſſung,
weder noͤthig zu haben, noch ſich zu Nutz zu ma-
chen, noch auch andern zu geben ſcheinen; ſo
zeigt doch umgekehrt ihre allgemeine Aufloͤsbar-
keit,
[126] keit, die zwar bisher meiſtens nur gewaltſam von
der Kunſt erhalten wird, daß alle bisherige ſchein-
bare Veranlaſſungen nur von der Art geweſen
ſind, daß ſie ſich dieſe nicht aneignen, ſondern
vielmehr von ſich abhalten, oder gleichſam zu ih-
rer Fortdauer brauchen koͤnnen, bis ſie einmahl
ſolche, die ſie ſich aneignen koͤnnen, treffen wer-
den. Da denn dieſe ſo lange beſtandenen Koͤr-
per ganz natuͤrlich, auch ihre gegenwaͤrtige Ge-
ſtalt werden aufloͤſen, und hernach als neue Ver-
anlaſſungen, zu Grundlagen anderer Naturen,
oder Beduͤrfniſſen wieder anwenden laſſen, um
ferner andere Abwechſelungen der Naturverknuͤ-
pfungen zu durchlaufen.


§. 171.


Hingegen wechſeln die fluͤßigen Koͤrper deſto
oͤfterer, und erhalten wieder umgekehrt, durch
ihre beſtaͤndige Ein- und Auswickelung ihre
Dauer. Denn eben die ſelbſt beſtehende Ord-
nung derer hier gemeynten Hauptfluͤßigkeiten, be-
ſteht im leichten Anhange und leichten Trennung,
ſowohl
[127] ſowohl in ſich ſelbſt, nach ihren eigenen Theilchen,
als gegen die Theilchen anderer Koͤrper, wegen
ihrer allgemeinen Ausbreitung aber, beruhet auch
die allgemeine Veranlaſſung, oder die Verknuͤ-
pfung mit allen Naturen, auf ihnen. Daher alle
uͤbrige Koͤrper vornaͤmlich urſpruͤnglich, und als
wachſende, ihre meiſten Beduͤrfniſſe von ihnen
nehmen, oder in dieſe Hauptfluͤßigkeiten, und
dieſe wieder in jene eingreifen, und ſo die Ver-
knuͤpfung der Natur dadurch ins Groſſe fuͤhren;
wie ſich dieſe ſelbſt uͤberhaupt wieder beſtaͤndig
in einander einflechten, oder immer eine zu der
ſelbſt beſtehenden Ordnung der andern eine Ver-
anlaſſung abgiebt.


§. 172.


Kann man aber die Naturen dieſer Hauptfluͤſ-
ſigkeiten, gegen die andern unter ihnen ſtehenden,
nicht anders, als die groſſen Naturen anſchen;
ſo kann auch der durch ſie geknuͤpfte groſſe Zuſam-
menhang der natuͤrlichen Dinge, und ihrer Na-
turen, in Anſehung des Urſprunges, der Dauer,
und
[128] und Aufloͤſung nicht anders, als eine allgemeine
Natur, und ein natuͤrliches Ganz, oder als un-
ſere volle Naturverknuͤpfung, welche alle einzelne
Naturen in ſich faßt, angeſehen, und Hauptna-
tur werden.


§. 173.


In dieſer Betrachtung ſtellte unſere Erde, mit
ihrem Waſſer, ihrem Luft- und Lichtkreiſe, die
Hauptnatur aller ihrer natuͤrlichen Dinge vor;
folglich muͤßte ihr auch im Groſſen und Vollen,
als einer Hauptnatur alles zugeſprochen werden,
was allen den einzelnen Naturen insgemein zukaͤ-
me, naͤmlich die urſpruͤngliche und endliche ſelbſt
beſtehende Ordnung der Kraͤfte, nebſt deren Un-
zulaͤnglichkeit, und noͤthigen Einflechtung in an-
dere Naturen. Daß aber ſolche Hauptnatur,
weder zur anhaͤngenden fluͤßigen, noch zur ange-
ſetzten feſten, noch zur gewachſenen, oder beleb-
ten und beſeelten, oder zu einer ſechſten und ſie-
benden Art ihrer einzelnen Naturen gehoͤre; ſon-
dern vielmehr einer andern hoͤheren Art ſey, und
ſtatt
[129] ſtatt aus dem Kleinſten, wie ihre einzelnen, den
Urſprung zu haben, ihn aus dem moͤglich Groͤß-
ten herhaben muͤßte, iſt ſchon daraus, daß ſie alle
hier genennte Naturen in ſich faßt, zu begreifen.


§. 174.


Daß aber dennoch dieſe Hauptnatur der Erde,
nach ihrem anderweitigen Urſprunge im Groͤßten,
eben auch durch Einflechtung anderer Hauptnatu-
ren, ihr eigenes Wachsthum, vom moͤglich Groͤß-
ten, zum moͤglich Kleinſten, denn ihre einzelnen
wachſen vom moͤglich Kleinſten zum moͤglich
Groͤßten, ſich ſelbſt gegeben, ſich dadurch ver-
wandelt, und dennoch ſelbſt ihre vollſtaͤndige Be-
ſtimmung allezeit erhalten, und ſich folglich ſo-
wohl urſpruͤnglich, als auch ferner wie eine
Hauptnatur, die naͤmlich alle ihre einzelnen mit
ſich zugleich erhaͤlt, dadurch bewieſen habe, auch
in der Aufloͤſung ſich ſo erweiſen werde, wird be-
greiflich, ſo bald man die Erde mit andern auf
ſie ſich beziehenden Himmelskoͤrpern vergleicht.


J§. 175.
[130]

§. 175.


Denn da unſere Erde nicht der einzige Him-
melskoͤrper iſt, ſondern ſchon den Mond am naͤch-
ſten um ſich, die andern Planeten und Monde
neben ſich, uͤber ſich die Kometen, und vor ſich
die Sonne hat; ſo wird ſie wohl unſtreitig, mit ih-
ren aͤhnlichen Himmelskoͤrpern, zugleich wieder
von einer noch groͤſſern Hauptnatur, naͤmlich un-
ſerm Sonnenſyſtem, mit den andern verbunden.
Muß ſie nun da nicht, nach ihrer ganzen Natur,
von dieſen andern Hauptnaturen, zumal der Son-
ne, als dem Hauptgliede dieſer groſſen Verbin-
dung, desgleichen von ihrem Gefaͤhrden, dem
Monde, mehrere Veranlaſſungen bekommen ha-
ben, und noch bekommen, vornaͤmlich nach ihrer
Ordnung, und der Folge der Zeit und des We-
ſens, entweder in Anſehung des Wachsthums,
der Erhaltung, oder endlich einmahl der Auf-
loͤſung.


§. 176.


Um ſo viel weniger laͤßt ſich daran zweifeln,
wenn ferner unſer Sonnenſyſtem die vollſtaͤndige
Beſtim-
[131] Beſtimmung ſeines Ganzen allezeit ſelbſt ordnet.
Denn in dieſem Fall hat auch dieſes Hauptglied
des Himmels wieder ſeine Hauptnatur. Wird
ſich nun dieſes Sonnenſyſtem wieder mit aͤhnli-
chen Sonnenſyſtemen, oder groͤſſeren und andern
Himmelreichen verknuͤpft befinden, wie die Ord-
nung des ſo groſſen Himmelsheeres vermuthen
laͤßt; ſo wird auch weiter hinaus eine noch hoͤhe-
re Hauptnatur dieſe zuſammen in ſich faſſen, und
dieſes immer weiter fort, wie bey unzaͤhligen Mil-
lionen, wo zwar jede Million ein Hauptglied
macht, welches ſeine beſtimmte zuſammengenom-
mene Tauſende, Hunderte, Zehner und Einer,
als eine groſſe Eins enthaͤlt, die Millionen aber
dennoch unzaͤhlig bleiben.


§. 177.


Auf die Art gienge die Naturverknuͤpfung uͤber-
haupt immer ins Groͤſſere, bis ins unermeßlich
Allgemeine, deſſen Anfang und Ende wir nicht
zu denken im Stande ſind; ſo ferne unſere Erde
nur einer von den kleineren Punkten in derſelben
J 2iſt,
[132] iſt, der blos durch ſein Sonnenſyſtem, aber nicht
viel weiter, den Himmelsmeſſern gewiſſe Maaſen
geſtattet.


§. 178.


Wiſſen wir nun gleich ſolches Allgemeine von
dieſer Seite nicht zu ſchaͤtzen, noch von da aus zu
ſagen, ob dieſes nicht zu uͤberſehende Ganze eine
allergroͤſte Hauptnatur, oder die alles in ſich be-
greifende Eins ſey: ſo wird man doch ſo viel ein-
raͤumen, daß dieſe Sonnenſyſteme und noch groͤſ-
ſere Himmelreiche wieder fuͤr einzelne gelten muͤſ-
fen, die als Hauptnaturen, nach Urſprung und
Aufloͤſung eben ſowohl wieder gegen einander,
als die einzelnen unſerer Erde abwechſeln, doch
jede nach ihrer Art des Beſtandes, der freylich
bey ihnen ebenfalls von verſchiedener Dauer
ſeyn muß.


§. 179.


Denn ſollen dieſe groſſe Hauptnaturen wirklich
natuͤrliche ſelbſt beſtehende Ordnungen ſeyn, ſo
muͤſſen ſie ſowohl urſpruͤnglich, als auch endlich,
und keine dabey ſich ſelbſt genug ſeyn; folglich
ihren
[133] ihren Urſprung aus ſchon vorhergehenden Haupt-
naturen im moͤglich Groͤßten erhalten, ſich ver-
moͤge der Verknuͤpfung ihr eigenes Wachsthum
und Erhaltung genommen, und dabey wieder
Grundlagen zu andern nachfolgenden Hauptna-
turen groſſer und kleiner Arten in ſich entworfen
haben. Es muͤſſen auch ſchon viele durch die
Aufloͤſung wieder in andere uͤbergegangen, und
nach dieſer Art der Vernichtung verloſchen ſeyn.


§. 180.


Es kann auch dieſes allgemeine, weder jemahls,
noch irgendwo, durchaus das naͤmliche, wie es
ſonſt war, geweſen ſeyn, noch kuͤnftig wieder wer-
den, ſondern es muß vielmehr, vermoͤge der all-
gemeinen Abwechſelung ſeiner groͤßten Naturver-
knuͤpfung, ins unzaͤhlig Veraͤnderliche fortgehen,
wie es ſchon undenklich lange fortgegangen iſt.


§. 181.


Man wird dieſes deſto deutlicher einſehen, je
mehr man erwaͤget, daß die Kraͤfte aller ſelbſt
J 3beſte-
[134] beſtehenden Ordnungen, von der kleinſten bis zur
groͤßten, Wuͤrkungen hervorbringen, die wieder
neue Kraͤfte zu andern Wirkungen in ſich enthal-
ten; und alſo jede ſelbſt beſtehende Ordnung,
durch die in einander geflochtene Wirkungen, die
vollſtaͤndige Beſtimmung des wirklich natuͤrlichen
Koͤrpers darſtellt, und auch erhaͤlt, aber auch
eben dadurch zu ihrer Zeit, durch allmaͤhlige oder
geſchwinde Aufloͤſung, Vorraͤthe fuͤr andere ſelbſt
beſtehende Ordnungen zubereitet, und vor ſich
ſelbſt verliſcht.


§. 182.


Wenn alſo immer eine Wirklichkeit auf der an-
dern beruht, und deren letztere Folge nach einan-
der eine gewiſſe Ordnung giebt, die zwar ebenfalls
auf der vorhergehenden Ordnung beruhete, und
durch ſie fortgepflanzet wurde, vor dieſem Zeit-
punkte aber nur noch moͤglich war; ſo ſieht man
zugleich, daß jede ſelbſt beſtehende Ordnung eine
durch ſolche Wirkungen fortgepflanzte moͤgliche
Ordnung vor die Zukunft, nicht allein fuͤr jetzt,
ſondern auch allezeit geweſen ſey.


§. 183.
[135]

§. 183.


Denn obgleich jede ſelbſt beſtehende Ordnung
gleich mit ihrem Daſeyn alles ſelbſt beſtimmt, ſo
hatte doch ihr Urſprung vorher nur ſeine Anlage
in dem Ausſchluß der vorhergehenden, von der
ſie kam, und war alſo in dieſem Zeitpunkt nur
noch eine bloſſe Moͤglichkeit, zur nachfolgenden
Wirklichkeit dieſer neuen ſelbſt beſtehenden Ord-
nung. Man kann auch nicht zweifeln, daß alle
Dinge nur in ſo ferne wirklich werden koͤnnen, ſo
weit ſie vorher ſchon moͤglich waren, oder in den
vorhergehenden wirklichen Dingen, als bloſſe
Anlagen vor die Zukunft gegruͤndet waren, ohne
das zu ſcheinen, was ſie wirklich werden ſollten.


§. 184.


Hier waͤre nun noch jede Natur, weil ſie nur
von der Zeit ihres Urſprunges vor ſich, durch ei-
gene Kraͤfte etwas wirklich machen kann, von ſich
ſelbſt verlaſſen, und kann weder entſpringen, noch
durch ihre erſt zukuͤnftige ſelbſt beſtehende Ord-
nung vor ſich etwas hervorbringen; wo nicht der
J 4Meiſter
[136] Meiſte der allgemeinen Natur die Moͤglichkeiten,
und vermittelſt dieſen die ganze Natur regierte.


§. 185.


Dieſem Regenten allein ſtehn alle Moͤglichkei-
ten zu. Blos er iſt es, der, da die ſelbſt beſte-
hende Ordnung der vollſtaͤndigen Beſtimmung
ihre Kraͤfte vor das Gegenwaͤrtige, oder vor ſich
ſelbſt anwendet, zugleich die Grundlage der naͤch-
ſten Zukunft, und vermoͤge der Folgen ſolcher
Moͤglichkeiten, alle folgende zukuͤnftige Dinge
mit entwirft, auch die vergangenen, von je her
ſchon ſo entworfen haben muß.


§. 186.


Es laͤßt ſich alſo weder eine einzelne, noch zu-
ſammengeſetzte Hauptnatur, vor der Zeit ihres
Urſprunges, als eine ſelbſt beſtehende Ordnung
denken, ſondern nur als moͤglich betrachten, die
in dem ſchon gegenwaͤrtigen wirklichen verborgen
liegt, ob man gleich dieſe verborgene Moͤglichkeit
nicht ohne Erfahrungsmaͤßige Kenntniß bemer-
ken
[137] ken kan. Wir lernen alſo das Moͤgliche, wel-
ches der unſichtbare Meiſter in den Naturen an-
legt, erſt aus dem folgenden Wirklichen erken-
nen; und wo weder unſer Leben, noch die Ein-
richtung eines Volks lange genug, eine ſolche
Wirklichkeit zu beobachten oder abzuwarten, ge-
dauret hat wie bey den Hauptnaturen, muß man
nur Folgerungen aus der Aehnlichkeit, ſtatt der
Erfahrung zu Huͤlfe nehmen, wenn man ſich eine
Vorſtellung davon machen will.


§. 187.


Was wir daher von den einzelnen unſerer gan-
zen Erde, und ihren vermittelſt der wirklichen
Dinge erwieſenen Moͤglichkeiten erfahren haben,
nehmen wir uͤberhaupt auch von der Erde und
anderer Hauptnaturen, doch nach ihrer hoͤheren
Art, nach der Aehnlichkeit an. Daß ſie naͤmlich
auch erſt bloß moͤglich in andern voraus gehen-
den Naturen waren, ehe ſie die jetzigen wirklichen
Naturen wurden, und nun wieder neue moͤgliche
nachfolgende Hauptnaturen in ſich begreifen.
J 5Wir
[138] Wir koͤnnen aber freylich das zukuͤnftig Moͤgliche
unſerer Erde nicht abmerken, und duͤrfen es nur
aus der Aehnlichkeit anderer Himmelskoͤrper mehr
vermuthen, als ſicher ſchlieſſen.


§. 188.


Wenn nun der Regierer der allgemeinen Na-
tur, in der Zeit, da ſie durch die ſelbſt beſtehende
Ordnung ihrer Kraͤfte, beſtaͤndig wirkliche Din-
ge bearbeitet, in ihr bis in den kleinſten, nur
Gott ſichtbaren Punkten, Moͤglichkeiten, und
zwar die kleinſten wie die groͤßten anleget; und
alſo die Macht des Regierers, ſo fern ſie in die
Natur wirkt, blos ihre Moͤglichkeiten bewirkt;
folglich alle Moͤglichkeiten ihren Grund in dem
Regierer der Natur haben, und ſich dieſer Regie-
rer nicht ohne ſolche Macht zu Moͤglichkeiten von
uns denken laͤßt: ſo wird man ihn auch nicht oh-
ne die Natur, in der Er dieſe Moͤglichkeiten anle-
get, jemahls denken moͤgen.


§. 189.


So weit aber die ganze allgemeine Natur, nebſt
dem, was durch ſie wirklich wird, koͤrperlich iſt,
ihre
[139] ihre Kraͤfte hingegen nur als Eigenſchaften des
Koͤrperlichen oder Wirklichen, anzuſehen ſind,
und die Moͤglichkeiten, als noch nicht wirkliche
Dinge, auch fuͤr unkoͤrperlich, und als bloſſe Be-
ſchaffenheiten fuͤr die Zukunft, oder fuͤr das nach-
folgende wirkliche gelten; ſo weit kann der Mei-
ſter der Natur, weder als ein koͤrperliches We-
ſen, noch als eine Kraft der Natur, noch ſelbſt
als die Moͤglichkeit derſelben, folglich weder ſicht-
bar, noch ſonſt ſinnlich, ſondern vielmehr als eine
unſichtbare, uͤber alle unſere ſinnliche Begriffe,
und ſelbſt uͤber die Natur hinaus geſetzte, aber
ſie durchaus in ſich faſſende, den Menſchen unbe-
greifliche und unbeſchreibliche Allmacht angeſehen
werden, die man nur mit demuͤthigen Augen und
Sinnen, dankbar, mit gefuͤhlvollem Herzen freu-
dig verehren muß.


§. 190.


Wir ſind von der Seite der Natur zur Er-
kenntniß ihres Regenten hinan geſtiegen, ohne
daß wir im Stande ſind, uns von ihr uͤberhaupt
einen
[140] einen Anfang vorzuſtellen, weil wir immer eine
aus der andern entſpringen ſehen, oder doch den
Urſprung der einen aus der andern folgern doͤr-
fen; noch weniger koͤnnen wir von ihrem Regen-
ten einen Anfang denken. Denn die Wirklichkeit
der jetzigen Natur beruht in ihrer vorigen Moͤg-
lichkeit, und dieſes in dem unendlichen Verſtande
und Allmacht ihres Meiſters. Wie kann man
da einen Anfang denken? nichts, als Ewigkeit,
und folglich auch eine ewige Allmacht.


§. 191.


Vermag endlich die ewige Allmacht, auch die
Moͤglichkeiten, ſowohl der Zeit, als dem Raume
nach, uͤberall ewig hinaus fortzudenken, und liegen
alle Moͤglichkeiten in den gegenwaͤrtigen wirkli-
chen Dingen, oder in der Natur, wegen der Ver-
knuͤpfung, verborgen; ſo kann auch die Natur
nach Zeit und Raume, ſo weit als alle Moͤglich-
keiten, welche die ewige Allmacht denkt, hinaus
gehen.


§. 192.
[141]

§. 192.


So weit die Natur geht, ſo weit erſtrecken ſich
auch die wirklichen Dinge, und in dieſen liegt das
naͤchſte moͤgliche, bey allen aber iſt die Allmacht
gegenwaͤrtig; alſo iſt ſie der ganzen allgemeinen
Natur allgegenwaͤrtig, von den groͤßten Haupt-
naturen an, bis zu dem Kleinſten natuͤrlichen
Staͤubchen.


§. 193.


Wenn aber in der Moͤglichkeit allezeit Anlagen
zur naͤchſten und entfernten Zukunft vorhanden
ſind, und alſo alle Moͤglichkeiten jeder vorhan-
denen Zeit zuſammen genommen, die allgemeine
Anlage zur ganzen Zukunft enthalten; wenn fer-
ner der Allmacht alle Moͤglichkeiten gegenwaͤrtig
heiſſen, weil ſie ihnen gegenwaͤrtig iſt; ſo werden
ſie ihr auch alle bewußt, und ſie folglich von der
ganzen Zukunft, und noch mehr von der Gegen-
wart der Natur allwiſſend ſeyn.


§. 194.


Wer nun das Vergangene ebenfals allezeit, als
zukuͤnftig moͤglich, und denn gegenwaͤrtig, wie es
das
[142] das jetzige und zukuͤnftige auch iſt, und laͤßt ſich
das ganze allgemeine gegenwaͤrtige ſich auch wie-
der nicht ohne das ganze allgemeine vergangene
denken, welches aber nach Zeit und Raum ins
undenkliche hinaus geht; ſo muß die Allmacht
nach Zeit und Raum von uns betrachtet, ſowohl
in der vorhergehenden, als auch nachfolgenden
Zeit, als ewig-allgegenwaͤrtig, allwiſſend, und
die Natur durchaus in ſich faſſend oder regierend,
von der ganzen fuͤhlenden Natur, mit Dank ge-
prieſen werden.


§. 195.


So kann man ſich auch dieſen ewigen allgegen-
waͤrtigen Meiſter aller Moͤglichkeiten nicht leb-
haft vorſtellen, ohne ihn als den Vollkommenſten
zu verehren. Wer kann ihn als den Regierer
aller Naturen, durch welche dieſe Moͤglichkeiten,
vermoͤge eines natuͤrlichen Urſprunges, wirklich
werden, erkennen, ohne einzuſehen, daß alle ihm
denkliche Welten, oder Himmelskoͤrper, und ihre
Geſchoͤpfe auch einmahl wirklich geweſen ſind,
oder
[143] oder noch werden muͤſſen? und wer will den An-
fang und das Ende der ewigen Moͤglichkeiten,
und ihrer Wirklichkeiten, oder Naturen ſowohl
nach Zeit und Raum, als auch nach der Zahl,
durch die kuͤnftige und vergangene Zeit denken.


§. 196.


Hiebey unterſcheide man genau das, was Gott
denklich und moͤglich iſt von dem, was Menſchen
denklich und moͤglich iſt, als unendlich von einan-
der abſtehende Dinge. Denn wir denken, ver-
moͤge unſerer beſeelten Natur; Gott hingegen
denkt vermoͤge ſeiner ewigen Selbſtſtaͤndigkeit,
und von Ihm ſelbſt herruͤhrenden Erkenntniß.
Wir nennen, das moͤglich, wozu unſere Natur-
kenntniß, die ſelbſtbeſtehenden Ordnungen der
Kraͤfte vermoͤgend erachtet; das Moͤgliche in An-
ſehung Gottes iſt jede Folge der Verhaͤltniß ſei-
ner Macht, gegen die Wirklichkeit der Naturen.


§. 197.


Das Gott Denkliche wird alſo fuͤr uns immer
an ſich unergruͤndlich und blos eine Vermuthung
aus
[144] aus dem ganzen Zuſammenhange ſeiner Werke
bleiben. Hingegen das Gott Moͤgliche, werden
wir aus der Wirklichkeit der Naturen ruͤckwaͤrts
ſchon etwas beſſer folgern und uns vorſtellen
koͤnnen.


§. 198.


Wenn nun auch gleich keiner von meinen Leſern,
dem hier, nach allen mir moͤglichen Wendungen,
durchdachten Begriffe von der Natur, Beifall
goͤnnen wollte; ſo wird es doch jeder vor billig
halten alle vorige Betrachtungen, ſo weit ſie mit
dieſem Begrif uͤbereinſtimmen, ſo lange, als die-
ſer vor wahr gehalten wird, auf ihrem Werthe
beruhen zu laſſen, und zu vergeben, wenn Je-
mand weder von dem Menſchen, noch von ſeiner
Sprache, glaubte, was etwa ein anderer davon
glaubt.


§. 199.
Die Welt.


Sollte es aber bey einigen das Anſehen haben,
als wenn dieſer Begrif von der Natur, nach einer
bloſſen
[145] bloßen und freyen Einbildung gemacht waͤre; ſo
will ich lieber die Welt ſelbſt, in der wir die
Natur, wie ſie iſt, finden, dagegen ſtellen. Viel-
leicht ſagt dieſe dem Leſer mehr, als man in einen
kurzen Begriff bringen konte, und entſchuldigt
ihn dadurch eher, als daß ſie ihn beſchuldigen
ſollte.


§. 200.


Nur muß ich dem Leſer gleich voraus ſagen,
daß man dabey ſo viel auf die vorige, als gegen-
waͤrtige Zeit ſehen muß, weil alle Betrachtungen
vornaͤmlich auf die vorige Zeit, wo ſowohl der
Urſprung der Menſchen, als ihrer Sprache liegt,
zuruͤck zielen.


§. 201.


So wenig nun dieſer Begriff von der Natur,
nach denen blos gewoͤhnlichen Saͤtzen, die man
zum Vortheil dieſer oder jener Lehre, unter dem
Nahmen der Weltweisheit feſtgeſtellt hat, entwi-
ckelt, und wieder zuſammengeſetzt worden iſt,
(denn wir haben uns an die Natur, wie ſie ſich
uns vorſtellt, ohne allen Zwang gehalten;) eben
Kſo
[146] ſo wenig werden wir die Welt ſelbſt darnach be-
trachten; ſondern vielmehr das, was unſere und
anderer Beobachtungen anweiſen, als die Welt-
kenntniß zuſammen ſetzen.


§. 202.


Will man dieſe der Natur gemaͤſſe Art zu
ſchlieſſen, mit der obigen Weltweisheit verglei-
chen, und ſie ſtatt dieſer lieber Weltweisheit nen-
nen, bin ich damit um ſo vielmehr zufrieden, und
das Weſen dieſer Weltweisheit beſtuͤnde denn in
der richtigen Anwendung wahrer Beobachtungen
von der Welt, ohne Abſicht auf andere Lehren.
Wenn alſo in der Beobachtung oder Anwendung
ein Fehler vorkommt, darf er nur dem fehlenden
Weltweiſen, und nicht der Weltweisheit ſelbſt
ſchaden. Denn der naͤchſte genauere Beobachter
haͤtte die Freyheit den Fehler zu verbeſſern; und
alſo waͤre eine aͤchte Freyheit die Wahrheit zu
befoͤrdern, dieſer Weltweisheit zugleich weſent-
lich; folglich niemand zum ſtillen Beyfall verbun-
den, als der meine Saͤtze fuͤr wahr erkennt.
Alle
[147] Alle andere Leſer doͤrfen durch ihre Beobachtun-
gen laut, nur nicht mit Bitterkeit, welches denn
auch keinem Beobachter wohl anſtehet, wieder-
ſprechen.


§. 203.


Wir wuͤrden aber zu weit von unſerm Zwecke
abweichen, wenn wir zuerſt die ganze Welt uͤber-
haupt, und nicht vielmehr unſere einzelne, naͤm-
lich die Erde, betrachten wollten. In dieſer Ab-
ſicht iſt nun billig das erſte, den ganzen Gehalt
der Erde, nach ihren Haupttheilen zu unterſchei-
den, und denn ſowohl ihre Verhaͤltniß gegen ein-
ander, als auch ihren Beytrag zum Ganzen, oder
doch ihre Verbindung mit dieſen anzuzeigen.


§. 204.


Dazu werden wir aber wohl am beſten gelan-
gen koͤnnen, wenn wir an jedem erſt betrachten,
wie und was es iſt, hierauf nachforſchen, was,
und wie es war, und endlich, wenn es ſchon
mehrmahl, oder vermittelſt der Fortzeugung ih-
rer Nachfolge beſtaͤndig da geweſen iſt, daraus
bemerken, was, und wie es jedesmahl werde.


K 2§. 205.
[148]

§. 205.


Was und wie jedes iſt, ſagt uns das Gegen-
waͤrtige; was und wie es war, zeigen uns entwe-
der die Ueberbleibſel des Vergangenen, oder die
bekannte vorige Zeit, welche doch 4000 Jahre
hinaus reicht, ehe ſie an die erdichtungsvolle, oder
vielmehr nur von uns neuen Auslegern mißver-
ſtandene Schreibart des Alterthums, anſtoͤßt;
was endlich und wie eine Sache jedesmahl wer-
de, kann auch die vorige Zeit in vielen Faͤllen leh-
ren; auſſerdem muß man aͤhnliche Faͤlle anderer
aͤhnlicher Dinge mit einander vergleichen, und
mit zu Huͤlfe nehmen.


§. 206.


Was ſich alſo weder durch das gegenwaͤrtige
einer Sache, noch durch ihre Ueberbleibſel, noch
aus der bekannten vorigen Zeit, von ihr erweiſen
laͤßt, darf man ihr auch nicht eigenmaͤchtig weder
fuͤr das Gegenwaͤrtige, noch Vergangene, noch
auch Zukuͤnftige andichten; was aber aus den ge-
dachten drey Gruͤnden natuͤrlich folgt, kan man
von einer Sache getroſt behaupten.


§. 207.
[149]

§. 207.


Betrachtet man nun den Umfang und Inhalt
der ganzen Erde nach ihren einzelnen Hauptthei-
len, ſo weit einige etwas gleiches haben, welches
andern fehlt; ſo findet man ihre Ordnung entwe-
der ohne Gattungen, oder mit Geſchlechtern und
Gattungen.


§. 208.


Jene giebt wieder die Haupttheilung in die
Oberordnung der feſten und fluͤßigen Dinge, von
denen dieſe die Hauptordnungen, von Waſſer,
Luft und Licht derſelben; jene aber theils die un-
foͤrmlich angeſetzten Koͤrper, als Erden oder Stei-
ne, theils die ſchon foͤrmlich gewachſenen Koͤrper
und Salze, oder Salzſteine vom Sande, bis zum
Demant, und andern geſtalteten Arten unter ſich
begreifen. Bey dieſen letztern iſt zu beobachten,
daß ſich bey ihnen die unterſte Stufe der Begat-
tung, oder der foͤrmlichen Bildung, aus einem
annehmenden und angenommenen Koͤrper finden
laͤßt, wie die bekannte Erzeugung der Salzkriſtal-
K 3len,
[150] len, durch die Vermiſchung eines laugenartigen
und ſauren Koͤrpers, beweiſet. Die andere
Haupttheilung trennet ſich wieder in die Oberge-
ſchlechter der Thiere und Pflanzen, wovon man
dieſes das blos belebte, und jenes das beſeelte
nennen kan.


§. 209.


Man darf aber nicht glauben, daß man dieſe
Abtheilungen auf unſerer Erde ſo ſcharf abge-
ſchnitten, als hier in der Erdkunde, der Lehrart
wegen, angegeben wird, antreffe. Denn ſie ver-
lieren ſich durch unmerkliche Stufen und Verknuͤ-
pfungen in einander; als Schlamm, Schleim,
Schlick, Gallerte, Kaan, Schimmel, Salz-
ſoole, Tropfwaſſer, Schwaden, Nebel, Duft,
Reif, Anflug, Auswitterung, Sinter, Tropf-
ſtein, Schwaͤmme, Mooſe, Korallen, Polipen

u. ſ. w. bald unfoͤrmlich, bald foͤrmlich, bald un-
belebt, bald belebt, bald beſeelt, daß man oft
nicht zu beſtimmen weiß, ob dieſer natuͤrliche
Koͤrper zu der oder jener Haupttheilung ſich mehr
hinneige.


§. 210.
[151]

§. 210.


Nimmt man nun die Oberordnung der feſten
Koͤrper, nach ihren Haupt- und Unterordnungen,
nach ihren Haupt- und Unterarten, nach den Gat-
tuugen, Sorten und Stuͤcken, im Ganzen zuſam-
men vor ſich; ſo hat man den Erdboden, wo ſich
immer ein Koͤrper an den andern ſchließt.


§. 211.


Die Oberordnung der fluͤßigen Koͤrper hinge-
gen hat die Hauptordnung des Waſſers, und
dieſe das Meer, mit allen Fluͤſſen und Quellen,
es moͤgen Tagewaſſer, oder Grundwaſſer ſeyn;
wie auch alle Saͤfte in andern Koͤrpern, vermoͤge
der Verknuͤpfung, unter ſich. Unter der Haupt-
ordnung der Luft ſtehen alle Luͤftchen, Winde,
Stuͤrme, und wegen der Verknuͤpfung Duͤnfte,
Nebel, Wolken, Regen und Schnee. Das Licht
aber erweckt durch ſeine abwechſelnde Verbin-
dung oder ſeinen Einfluß, Tag und Nacht, Waͤr-
me und Kaͤlte; alle Farben und Lichterſcheinun-
gen, Blitze, Strahlen, Wetterſtrahl, Regenbo-
gen, Mond- und Sonnenhoͤfe, nebſt dem Mond-
K 4ſchein
[152] ſchein, bis zu den Feuerkugeln, fliegenden Dra-
chen und Irrwiſchen; ja auch den groͤßten Theil
der Anſtalten zu dem Erdbeben.


§. 212.


Da ſich nun die zwey ungattigen Oberordnun-
gen immer naͤher zuſammen halten; ſo wollen
wir ſie auch nach ihrer Verbindung, bald beſon-
ders, bald mit einander betrachten, und deswe-
gen die Erde, wie ſie jetzt iſt, erſt im Ganzen
durchgehen. Auf dieſer findet man nun groſſen-
theils feſtes Land, weniger an Inſeln, groͤßten-
theils aber umher und dazwiſchen Meer, rund
um Luft und Licht, nach den Strichen und Anhoͤ-
hen der verſchiedenen Gegenden. Dieſes ſagen
zwar alle Seefahrer, allein was, und wie jedes
ſonſt war, bekuͤmmert weder dieſe noch auch die
meiſten Bewohner der Laͤnder.


§. 213.


Doch merken alle Reiſebeſchreibungen an, daß
auf dem Erdboden, Ebnen und Gebirge, uͤberall
abwechſeln; von denen dieſe, nach ihren zu Tage
ausge-
[153] ausgehenden, groͤßtentheils aus Schichtwerk be-
ſtehen; wie denn auch die Ebnen von den Brun-
nengraͤbern eben ſo befunden werden.


§. 214.


Was und wie nun jedes Ebne und Gebirge
ſonſt war, muͤſſen des Vergangenen Ueberbleib-
ſel ſagen. Denn die vorige Zeit ſagt wenig, oder
gar nichts gewiſſes. Alles, was die Steinfor-
ſcher, vor und nach Woodwarden, rund umher
von dieſen Ueberbleibſeln bemerkt haben, bewei-
ſet, kurz von der Sache zu reden, daß ſie erſt
Meerſchlamm, und zwar nach dem Unterſchiede
der Zeit, von mancherley Art geweſen ſey. Der
Grundſtof aber hiezu war vorher ſcheinbarlich
Meerwaſſer, ſelbſt nach dem Beytrage der in
und von ihm erwachſenen Seekoͤrper: folglich
ſind dieſe Gebirge nach ihrem anderweitigen Ur-
ſprunge, naͤmlich vom alten Meerwaſſer, aus dem
Kleinſten, zum Groͤßten erwachſen.


§. 215.


Da nun dieſes deutlich zeigt, daß die jetzige
Obcrflaͤche der Laͤnder ehemahls Meergrund, oder
K 5nach
[154] nach der damahligen Oberflaͤche ſolcher Gegenden
betrachtet, ehedem Meeresflaͤche war; ſo iſt ja
zugleich eben ſo gewiß, daß umgekehrt die Ober-
flaͤche der vorigen Laͤnder, da war, wo jetzt unſer
Meer ſtehet, und daß dieſe ehemals ſo tief ver-
ſunken ſeyn muͤſſen.


§. 216.


Nebſt dem erfahren wir ohne viele Muͤhe, wie
das Meer ſonſt beſchaffen war; es konnte hier
naͤmlich haͤufigen Schlamm, der zu verſchiedenen
Zeiten, von verſchiedener Art war, bis zur Hoͤhe
unſerer Schichtgebirge abſetzen. In den 4000
Jahren, der uns bekannten vorigen Zeit, hat das
Meer in dieſem Stuͤck nur wenig gethan, es muß
alſo entweder ſonſt ſchlammreicher, als jetzt gewe-
ſen ſeyn, oder man muß dem alten Meer viel 1000
Jahre mehr, als unſerm jetzigen anrechnen.


§. 217.


Wir merken ferner, daß alle Erd- und Stein-
arten der Schichtgebirge, Kalch, Feuerſtein, Mer-
gel,
[155] gel, Gips, Thon, Sand, Schiefer, Marmor,
Hornſtein, Jaſpis, Achat, Wacke; und die Me-
talle der Floͤtze, Eiſen, Kupfer, Bley, Silber,
Zinck, Glimmer; auch die Gaͤnge darinnen, denn
in Thuͤringen, und andern Gegenden, ſind dieſe
Schichtgebirge oft gangartig, mit ihrem Quarz,
Fluß- und Kalchſpat, mit ihren Druſen, nebſt dem
Kieſe, Zinnober, Spießglaſe, Kobold, Braunſtein,
und allen ihren Markaſiten; ja ſelbſt auch die
meiſten Edelſteine, Meerſchlamm, oder ehemaliges
Meerwaſſer geweſen ſey.


§. 218.


Daher ſind alle dieſe Koͤrper, ſie moͤgen unfoͤrm-
lich angeſetzt, oder foͤrmlich gewachſen ſeyn, aus
dem ehemaligen Meerwaſſer, als Schlamm, oder
Salztheilchen entſprungen, und auch daraus er-
wachſen, welches zugleich zeiget, was die haͤrteſten
Koͤrper unſerer Laͤnder ſonſt waren, und auch wie
ſonſt das Meer noch weiter beſchaffen war.


§. 219.


Betrachtet man nun noch in dieſen Schichtge-
birgen alle bekannte und unbekannte Verſteine-
rungen
[156] rungen der Seeſtuͤcke, nach den einzelnen Gegen-
den, und der von ganzen, noch unvollkommenen
ſteinkundigen Landkarte; ſo erkennt man dadurch,
wie das Meer ſonſt, in Anſehung ſeines wohnba-
ren Bodens, und der Bewohner war; auch was
ein groſſer Theil derſelben damals wurde; er trug
naͤmlich zur Vergroͤſſerung der Schichten, und zur
Vermiſchung der Erdarten, ſowol nach den Mu-
ſchelkernen, als auch ihrer eigenen Zerſtoͤrung das
ſeinige bey.


§. 220.


Doch enthalten dieſe Schichtgebirge auſſer den
umſteinten und verſteinerten alten Seeſtuͤcken,
auch noch umſteinte und verſteinerte Landſtuͤcke;
nicht allein von Thieren, als von Elephanten und
Nashoͤrnern, bis zu den Kleinſten unkenntlichen;
ſondern auch Pflanzenwerk, von den groͤßten Holz-
ſtaͤmmen bis zum kleinſten hartſtaͤnglichten Wald-
kraͤutchen. Da nun dieſe Landſtuͤcke, in jedem
Landſtrich, ihr gewiſſes Schichtlager haben, und
nicht wie die Seeſtuͤcke, durch die meiſten Schich-
ten, oder durch alle Schichtgebirge fortgehn; ſo
muͤſſen
[157] muͤſſen ſie jedesmahl und an jeden Ort, zu der
Zeit, als der Schichtbau deſſelben Gebirges, bis
zu der Hoͤhe, wo ſie liegen, aufgefuͤhret war, aus
einer entfernten Gegend, von einem feſten Lande
herein gefluͤthet, und nachher mit dem Seeſchlamm
wieder bedeckt worden ſeyn.


§. 221.


Daraus kann man ferner ſchlieſſen, wie zur Zeit
des ehemaligen Meeres, die alten feſten Laͤnder
bepflanzt und bewohnt geweſen ſind, naͤmlich wie
einige der jetzigen. Es laͤßt ſich auch an vielen
Orten, die aus der beſondern Art dieſer Schichten,
ſo fern die naͤchſt vorher gehenden, und die nach-
folgenden wieder ihrem uͤbrigen Schichtgebirge
gleichen, deutlich abnehmen, von welcher Art die
Dammerde ſolches feſten Landes vornaͤmlich ge-
weſen ſey; naͤmlich einige ſchwarz, wie manche
Wald- und Sumpferde; einige gelb, u. ſ. w.
Vielleicht moͤgen ſich kuͤnftig aus ſolchen Schicht-
werken noch andere Saͤtze ziehen laſſen.


§. 222.
[158]

§. 222.


Wenn nun dadurch erwieſen iſt, wo und wie
das ehemalige Meer war, und auch die Damm-
erde des ehemaligen feſten Landes, nebſt deſſen
Pflanzen und Thieren zwiſchen den Schichtgebuͤr-
gen erklaͤret, wo und wie dieſes ungefehr war;
nemlich neben den jetzigen feſten Laͤndern, als dem
ehemaligen Meergrunde; ſoll nicht auch diejenige
Verhaͤltniß zwiſchen Meer und Lande, welche noch
jezt ſtatt findet, eben ſo wohl beym alten Meere
und feſten Lande ſtatt gefunden haben?


§. 223.


So viel aber iſt wohl ausgemacht, daß das
Meer einen tiefen Schoos zwiſchen den feſten Laͤn-
dern, ſie moͤgen deſſen Daͤmme ſeyn, oder nicht,
einnehmen muß, und daß alſo kein feſtes Land,
einen tieferen Erdſchoos, als des Meeres naͤchſte
Oberflaͤche iſt, jemals vorſtellen koͤnne; auch da-
her viel erhabner, als der Meergrund fortgehen
muͤſſe; wie noch jezt die Oberflaͤche aller feſten
Laͤnder, mit ihren Fluͤſſen, ſo ferne ſie alle ins Meer
lauffen, offenbar beweiſet.


§. 224.
[159]

§. 224.


Deswegen muß ſich des alten Erdbodens Ober-
flaͤche, ebenfals hoͤher, als ſeines damaligen Mee-
res Oberflaͤche erhoben haben, und fortgegangen
ſeyn. Wenn nun das alte Meer an jedem Ort,
wenigſtens ſo hoch, als das hoͤchſte von ihm da-
ſelbſt erbaute Schichtgebirge geſtanden hat; ſo
muß auch daſelbſt der alte Erdboden hoͤher, als
dieſes hoͤchſte Schichtgebirge an ſelbigem Meere
hingelauffen ſeyn.


§. 225.


Nun ziehe man ſowol uͤber die hoͤchſten Schicht-
gebirge, als auch naͤchſten tiefen Ebnen einige
Umkreiſe, uͤber den Erdball herum; ſo werden
dieſe Kreiſe, da und dort ungefehr die Ausſchnitte,
des alten hoͤchſten und tiefſten Meergrundes oder
die Meerſchoͤſe, vorſtellen. Wenn man nach dem
fuͤr die alte Erdflaͤche der Laͤnder, noch einen drit-
ten ſelbſt beliebigen Umkreis, darum her fuͤhret;
ſo kann dieſer hoͤchſte Umkreis zugleich die Groͤſe
der vorigen groͤſeren Erde ungefehr vorſtellen.


§. 226.
[160]

§. 226.


Um aber dieſe Linien mit einigem Grunde zu
ziehen, ſo nehme man aus den Schriftſtellern,
welche von den Alpen, Pirenaͤen, und Sudeten
in Europa; von den hohen Gebirgen in Aſia und
Afrika; von den Kordillieren in Amerika, die hoͤch-
ſte Hoͤhe ihrer gefundenen Seeſtuͤcke, oder doch
eines richtigen Schichtbaues angegeben haben;
ungefehr dieſe Anhoͤhen, nebſt den Tiefen gegen
jedes naͤchſte Meer; ſo hat man die beiden Kreis-
punkte, wodurch man ſolche Umkreiſe ziehen, und
die alten Meerſchoͤſe ungefehr nach ihrer erſten,
oder aͤlteſten Zeit, ehe ſich ihr Meer nach und
nach ſchmaͤlerte, angeben kann. Den dritten
ſelbſt beliebigen Umkreis fuͤr die alte Erdflaͤche,
wird man erſt kuͤnftig genauer beſtimmen koͤnnen,
wenn man den Schichtbau der hoͤchſten Gebirge
mehr, als ihre Verſteinerungen unterſucht haben
wird.


§. 227.


Hier kann ich nun die Oberordnung der feſten
Koͤrper, auf eine Weile verlaſſen, denn wir wiſſen
nun
[161] nun was ſie iſt, und was ſie war;) hingegen
von der Oberordnung der fluͤßigen Koͤrper, und
zwar zuerſt von der Hauptordnung des Waſ-
ſers etwas ſagen, von der ich aber nur die Unter-
ordnung des Meeres hier vor mich nehmen will,
ohne es als die Wohnung aller Seethiere und
Seepflanzen zu betrachten. Ich ſtelle inzwiſchen
dem Leſer gleich frey, ob er der Erde ein fuͤr alle-
mahl eine gewiſſe Menge Waſſer zugeſtehen wolle,
oder nicht? jenes vermuthe ich von den meiſten
Leſern, und weil ich auch der Meinung bin, denn
ich muͤßte das Gegentheil zu behaupten wiſſen, ſo
gebe ich der Erde mit ihrem erſten Urſprunge, ihr
gewiſſes Maas Waſſer.


§. 228.


Wenn nun aber alle unſere Schichtgebirge, bey
der ehemahligen groͤſſeren Erde, noch im Waſſer
enthalten waren; mußte nicht da dieſelbe Menge
Waſſer ſonſt einen viel groͤſſeren Raum einneh-
men? nicht eben nach dem Maas der ab- und an-
geſetzten Schichtgebirge, denn ein Niederſchlag
Lnimmt
[162] nimmt allezeit einen groͤſſeren Raum ein, als er
vorher, da er noch aufgeloͤſet war, einnahm, aber
doch uͤberhaupt.


§. 229.


Ueber das mußte auch wohl das damalige Waſ-
ſer, indem es den Grundſtof ſo vieler Gebirge,
die Nahrung aller Verſteinerungen mit gerechnet,
in ſich hielt, viel ſchwerer ſeyn, als jetzt; wiewohl
nicht in der Verhaͤltniß, wie die Schwere der je-
tzigen Gebirge iſt. Denn aufgeloͤßte Koͤrper ſind
nicht ſo ſchwer. Wie alſo die Ordnung der feſten
Koͤrper der Erde, durch den Niederſchlag aus dem
Waſſer, ſchwerer wurde, ſo muͤßte die Fluͤßigkeit,
aus der ſich dieſe feſten Koͤrper niederſetzten, im-
mer leichter werden.


§. 230.


Nun nehme man die alte Erde, wie wir ſie nun
wieder kennen, naͤmlich viel groͤſſer, und das alte
Meer, wo jetzt feſte Laͤnder ſind, die vorigen feſten
Laͤnder aber umher, ſo wird man ſie in dieſer vori-
gen Groͤſſe, in ihrem Wachsthum finden. Denn
in ihrer aͤlteſten Zeit, war noch keines ihrer Ge-
birge
[163] birge erbaut, da ſie in ihrer uns naͤheren Zeit alle
erbaut ſind. Folglich war ſie vor dieſem Zuwuchs
der Gebirge im Durchſchnitt groͤſſer, als ſie nach-
her wurde, oder jetzt iſt. Sie war aber da ihrem
Urſprunge naͤher. Daher iſt ihre urſpruͤngliche
Geſtalt, die Moͤglichgroͤßte, und nicht die Klein-
ſte, doch mit der ſparſamſten und leichteſten Anla-
ge, der Ordnung der feſten Koͤrper, und dem reich-
lichſten und ſchwereſten Vorrath der fluͤßigen Koͤr-
per. Daher ihr zeitiges Wachsthum nach ihrem
Alter mehr im Zunehmen der Feſtigkeit und
Schwere, nach der Ordnung der feſten Koͤrper,
und Abnehmen der Schwere, nach der Ordnung
der fluͤßigen Koͤrper, beſteht; wie wir kurz zuvor
vom vorigen Waſſer, geſehen haben.


§. 231.


Wenn mir nun auch ein gewiſſes urſpruͤngliches
Maas von Luft, wie vom Waſſer, um die Erde zu-
geſtanden wird; ſo muß die vorige Luft ſchon an
ſich, um ſo viel, als ſonſt die Erde groͤſſer war,
mehr, als jetzt ausgedehnt geweſen ſeyn, weswe-
gen auch ihre Zwiſchenraͤumchen groͤſſer ſeyn mu:
L 2ſten
[164] ſten und mehr von jedem Koͤrper, den die Luft an-
nehmen kann, halten konnten. Da ſie nun Licht
und Waſſerdunſt anzunehmen im Stande iſt; ſo
konnte ſie von beiden viel mehr, als jetzt bey ſich
fuͤhren. Daß aber die Federkraft der Luft damals
auch ſchwaͤcher, als jetzt ſeyn mußte, iſt leicht zu
erachten.


§. 232.


Was aber haͤufiger Waſſerdunſt, mit vielem
Licht, der vorigen Luft, bey ihrer ſchwaͤcheren Fe-
derkraft, fuͤr eine andere Art, gegen die jetzige,
gegeben haben muͤſſe, kann man aus einem aͤhn-
lichen Fall unſerer Zeit wahrſcheinlich ſchluͤſſen;
wenn man naͤmlich unſere ſogenannten grauen Ta-
ge, wo ſich duͤnne und hohe Nebel, die das Tage-
licht und den Nachtſchein noch durchdringen laſ-
ſen, am ganzen Himmel gleich ausbreiten, mit der
vorigen Luft vergleicht. Eine Haupteigenſchaft
waͤre, daß die untere Luft weder groſe Hitze, noch
groſe Kaͤlte, betreffen konnte; die andere, daß we-
der Sonne, Mond, noch Sterne dadurch geſehen
werden konnten, und die dritte, daß es an ſolchen
Wol-
[165] Wolcken, wie wir jetzt haben, und alſo auch an
Blitz und Donner fehlen mußte; ſelbſt an der je-
tzigen Art von Regen, der anders, als die Nebel
und Landregen, oder blos aus dem Zuge voller
Wolken entſtehet, laͤßt ſich zweifeln, und an an-
dern Vorfaͤllen mehr.


§. 233.


Daß auch das Licht, in dem unſere Erde gleich-
ſam ſchwamm, und das ſie ganz umgab erſt auſſen
auf dieſem Luftkreiſe gegen die naͤchſten Himmels-
koͤrper, beſondere Erſcheinungen, wie vielleicht im
Jupiter und Saturn, veranlaßt haben moͤge, wird
dadurch zugleich wahrſcheinlich; wie auch daß es
vermoͤge dem ſtaͤrkeren Durchgange gegen den
Erdboden, den Einwohnern deſſelben, dieſen ihren
damahligen Himmel (denn blos ihr oberer Luft-
kreis, war damahls ihr Himmel) auf eine ſo be-
ſondere Art vorgeſtellt haben moͤge, daß wir deſſen
Beſchreibung jetzt nur fuͤr Maͤhrchen des Alter-
thums anſehen wuͤrden: endlich daß alle Frucht-
barkeit und alles Wachsthum, durch die Wir-
kung, eines ſo lichtreichen Waſſerdunſtes, der als
L 3Thau
[166] Thau oder Nebelregen, ſeine gewiſſe Gegenden
befeuchten konnte, bis ins ſonderbare, gegen die
jetzige Zeit gegangen ſeyn moͤge. Aber freylich
haben auch oͤftern Erdbeben, vornaͤmlich in dem
Niederſchlage, oder den Gebirgen des alten Mee-
res, die vielen merklichen Veraͤnderungen veran-
laßt.


§. 234.


So viel nun der jetzige Luftkreis an Duͤnſten
weniger enthaͤlt, als der vorige, ſo viel leichter iſt
er jetzt; und eben ſo viel leichter iſt zugleich unſer
Licht, welches die Duͤnſte hebt und traͤgt, und un-
ſer Luftkreis durchſichtiger. Die Schale der Erde
aber um ſo viel ſchwerer. Folglich machte da-
mahls die Ordnung der feſten Koͤrper, das wenig-
ſte, und die Ordnung der fluͤßigen Koͤrper das
meiſte der ganzen Maſſe der Erde aus.


§. 235.


Wenn man nun zugiebt, daß die Erde ſonſt
groͤſer; ihre aͤuſſere Schale leichter; Waſſer und
Luft aber ſchwerer, und der Schwung der Erde
des-
[167] deswegen groͤſſer war; denn je ſchwerer ein Koͤr-
per iſt, deſto ſtaͤrker und weiter ſchwingt er ſich;
ſo wird man auch gerne einraͤumen, daß ſie auch
in der erſten Zeit, wo noch kein Schichtgebirge
erbaut, und noch jedes alte feſte Land, von ſeinen
Erdbuͤrgern bewohnt war, im ganzen als ein
Himmelskoͤrper, der nach ſeiner Groͤſe, und be-
ſonderen Schwere ſeine Laufbahn haͤlt, in einer
ganz andern Bahn, und zwar mit einem andern
Gange als jetzt, weil jetzt ſeine Schwere mehr im
Mittelpunkte und nicht mehr im Umkreiſe ruht,
gelauffen ſeyn muͤſſe.


§. 236.


Ferner, daß die Erde in dieſer alten Himmels-
bahn, an ihrem Gewaͤſſer, davon das alte Meer
den Hauptbeweis geben kann, nach verſchiedenen
groſen Zeitlaͤuffen, und oͤfteren feurigen Ausbruͤ-
chen im Meere, durch Erdbeben, ſo beſondere
Veraͤnderungen erlitten habe, wodurch die ver-
ſchiedenen groſen Schichtgebirge, mit ihren ver-
ſchiedenen Unterlagern aus dem Niederſatz dieſes
Gewaͤſſers, und ſeiner darinne begrabenen Meer-
L 4buͤrger
[168] buͤrger haben aufgebaut werden koͤnnen, ohne
daß die alten feſten Laͤnder, bey dieſen Veraͤnde-
rungen des Gewaͤſſers verſchont geblieben waͤren;
indem ſie nach gewiſſen Zeitlaͤuften, auch viel
Dammerde, Pflanzen und Thiere, durch Ueber-
ſchwemmungen in das alte Meer abgegeben, und
den vorigen Wageſtand der Erde dadurch mit ab-
geaͤndert haben.


§. 237.


Endlich folgt noch daraus, daß nach Vollen-
dung des letzten Schichtgebirges, der Bau der
alten feſten Laͤnder vollends eingeſtuͤrzt, und das
vorige Meer, mit einemmahl nachgeſtuͤrzt ſeyn
muͤſſe; und dieſer Einſturz die Tiefe, die wir jetzt
im Meer antreffen, wo nicht auf einmahl, doch
nach und nach gegeben habe; der vorige letzte
Meergrund hingegen, der ſich nur etwas uͤber
das letzte Schichtgebirge erſtrecken mochte, nun
voͤllig zu neuem feſten Lande geworden ſey. Denn
die aͤlteren Schichtgebirge muͤſſen wohl ſo weit,
als ſie uͤber die juͤngeren ſeitwaͤrts zu Tage her-
vor ſtehn, nach jeder ſolcher Meeresveraͤnderung,
durch
[169] durch deſſen Abfall ruckweiſe entbloͤſet, und ſchon
vorher neues Land geworden ſeyn. Weil nach
dem Maas, wie ſich der Niederſchlag aus dem
alten Meer abſonderte, die hiervon ausgedehnte
Maſſe des Waſſers zuſammen fallen mußte; doch
nach dem hier eigenen Maasſtabe.


§. 238.


Wer aber das jetzige feſte Land vor alten
Meergrund erkennen, und daher das vorige feſte
Land, durch Schluͤſſe in dem jetzigen tiefen Meer-
grunde finden will, wird auch wohl zugleich die
vorige Erde, unter allen alten feſten Laͤndern da-
mahls als hohl anſehen, und der damahligen
groͤſſeren Erde einen ſchwereren Dunſtkreiß als
jetzt geben muͤſſen.


§. 239.


Soll man aber dieſen Einſturz der alten Hoh-
lung, der das alte feſte Land betraf, von freyen
Stuͤcken, oder durch bloſſe Erdbeben erfolgen
laſſen? oder vielmehr durch eine fremde Gewalt,
die dieſes hohle feſte Land zu der Zeit mit zuſam-
L 5men
[170] men druͤckte? dieſe haͤtten wir, ſo wie damahls,
alſo auch noch jetzt, an dem Monde ganz nahe.


§. 240.


Dem zufolge haͤtten wir erſt, ſeit dem daß un-
ſere neue feſten Laͤnder aus dem vorigen Meer-
grunde hervor getreten ſind, unſern Mond zum
Nachbar, und waͤren durch ihn, ſeit dem an die
jetzige Himmelsbahn um die Sonne gebunden.


§. 241.


Denn wenn man aus der Aehnlichkeit des
Schwunges unſerer Erdkoͤrper, auf die Himmels-
koͤrper ſchlieſſen kan; ſo nimmt der leichtere vom
ſchwereren im Vorbeygehen die Schwungkraft
nach ſeiner Maaſe an, der ſchwerere aber geht denn
vom Schwungpunkte ab, und demnach waͤre der
Mond vorher im Schwunge um die Sonne ge-
weſen, und haͤtte, als ſchwerer, unſere leichtere
Erde an ſeine Stelle gezogen; hingegen beglei-
tete er nun nach verwechſeltem Planetenſtande die
Erde, bis etwa ein dritter leichterer Himmels-
koͤrper
[171] koͤrper, von Mond und Erde angehalten, vermoͤ-
ge des leichteren Schwunges, in ihre Mitte tritt,
und ſie denn nach ihrer groͤſſeren Schwere und
ſtaͤrkeren Schwunge, deſſen Monde wuͤrden.


§. 242.


Ueberdem laͤßt ſich auch noch aus dem zuſam-
mengebrochenen Abgrunde der feſten Laͤnder, und
dem hierauf erfolgten Nachfluß des vorigen Mee-
res, begreifen, daß der ganze vorige Luftkreis,
auch einen groſſen Theil ſeines vorigen Dunſtes,
oder hohen Nebels mit dahin geworfen, und ſich
dadurch viel mehr, als ſonſt, aufgeklaͤret habe,
oder fuͤr uns durchſichtiger geworden ſey. Muͤſ-
ſen aber nicht die Erdkoͤrper dieſer Zeit, denen
nnr ihr hoher Luftkreis bisher ihr Himmel gewe-
ſen war, die vor der Zeit entweder gaͤnzlich un-
ſichtbare, oder nur undeutlich, aber von dieſer
Zeit an ganz ſichtbare Himmelskoͤrper, oder Son-
ne, Mond und Sterne, ſich gleichſam als eine
neue Schoͤpfung vorgeſtellt, auch nur erſt von da
an Winter und Sommer kennen gelernet haben?


§. 243.
[172]

§. 243.


Geſetzt aber, daß weder der ganze Abgrund,
oder alle feſte Laͤnder, um die ganze Erde auf ein-
mahl eingeſtuͤrzt waͤren, noch auch der vorige
Himmel, oder hohe Luftkreiß, wie doch beydes zu
vermuthen iſt, ſich nicht auf einmahl, ſondern nach
und nach aufgeheitert haͤtte; ſo wuͤrden doch viele
Erſcheinungen dieſes Zeitlaufs, die uns jetzt taͤg-
lich, oder jaͤhrlich und ganz natuͤrlich vorkommen,
damahls als hoͤchſt wunderbare Dinge angeſehen
worden ſeyn, die, wenn ſie damahls beſchrieben
worden waͤren, jetzt niemand ſo verſtehen wuͤrde.
Auf die Art muͤſſen jenen Erdbuͤrgern, die Win-
de, Wolken, der Regen, Schnee, Blitz und
Donner, Stuͤrme, Guͤſſe, Abend- und Morgen-
roͤthe, Regenbogen, neue Sterne, u. d. g. m. da
und dort, nach und nach vorgekommen ſeyn; ſo,
daß ſie darnach ihre neue Zeitrechnung erſterer
Zeit mit einrichten, oder doch ſolche nach ihrer
Folge auf einander, als Planetengeſchichte ange-
ben konten.


§. 244.
[173]

§. 244.


Alles, was bisher geſagt worden, iſt blos eine
Reihe von Schluͤſſen, oder Vermuthungen, aus
den Schichtgebirgen unſerer feſten Laͤnder, ſo fer-
ne ſie das vorige Meer erbaut, und zugleich zwi-
ſchen ihnen, Beweiſe von den vorigen feſten Laͤn-
dern, mit angefluͤthet hat, die nun aber entbloͤßt
und die feſten Laͤnder in den Abgrund geſtuͤrzt ſind.
Zieht man aber die Stellung des aͤlteſten Grund-
gebirges, an welches die vorigen Schichtgebirge
angebaut ſind, nach der ſenkrechten Stellung ſei-
ner beſondern Schichten, gegen den Mittelpunkt
der Erde, noch mit in Erwegung, ſo laͤßt ſich fer-
ner ſchlieſſen, daß jeder vorige Meerſchoos, den
man aus dem einzeln um ihn hervorſtehende aͤlte-
ſte Grundgebirge noch jetzt beurtheilen kan, eben-
falls wieder durch einen noch viel aͤltern Einſturz
unſerer Erde erfolget ſey, und daß unſere aͤlteſte
Erde, wenn man die ſenkrechten Schichten, des
Grundgebirges, ſo bergmaͤnniſch zu reden, in
ewige Teuffe gehn, in Gedanken zur runden Ge-
ſtalt wieder zuruͤckbringt, damahls durchaus hohl,
und
[174] und alſo noch viel groͤſſer, als die vorhin beſchrie-
bene letztere Erdkugel geweſen ſey.


§. 245.


Wenn nun auch ſelbſt die Schichten dieſes
Grundgebirges, wie ihre Miſchung und Zuſam-
menſetzung zeiget, eben ſowohl, wie die Schicht-
gebirge, aus dem Waſſer entſtanden waͤren; ſollte
man ſie da nicht fuͤr einen aͤlteſten Meergrund,
und eine Anlage des erſten Einſturzes anſehen?
und alſo die aͤlteſten feſten Laͤnder umher oder da-
zwiſchen noch hoͤher, als dieſes annehmen? doch
darf man aus ſo kleinen und einzelnen Gegenden,
nicht auf die voͤllige Einrichtung und Ordnung
des Ganzen, als nur Bedingungsweiſe ſchließen.


§. 246.


Was vor eine Art von Himmelskoͤrper mag
nun wohl unſere Erde in ihrer dem Urſprunge naͤ-
heſten und moͤglichſten Groͤſſe vorgeſtellt haben,
da ſie noch durchaus hol, und gegen ihre jetzige
Geſtalt gerechnet, gleichſam eine bloße leichte
Schale
[175] Schale war? nicht allein nach dem aͤuſſeren An-
blick ihres Luftkreiſes fuͤr die Bewohner anderer
Himmelskoͤrper, und dem Anſehen dieſes Luft-
kreiſes fuͤr die Einheimiſchen; ſondern auch nach
der Eintheilung ihrer ſo groſſen Oberflaͤche in
Land und Meer, und endlich auch nach der Aus-
fuͤllung ihres ungeheuren inneren Abgrundes,
in dem kein ſchweres Waſſer, ſondern eine ſehr
leichte, dem Licht aͤhnliche, Materie, ſeyn konnte.


§. 247.


So weit kann man nun, vermoͤge der Erdkunde,
in die vorige Zeit zuruͤck, und es mag genug ſeyn,
bey dem Urſprunge unſerer Erde, ihre Groͤße und
leichtere Beſchaffenheit; ihre wiederholte Ver-
wandlung, und die Art ihres Wachsthums, be-
trachtet zu haben. Denn die Oberordnung der
feſten und fluͤßigen Dinge hat ſich auf unſerem
Planeten, nicht weit von ſeinem Urſprunge, der-
geſtalt geaͤndert, daß er vom groͤßten und leichte-
ren Zuſtande, zum kleineren und ſchwereren, ruck-
weiſe hinuͤber gegangen, und er ſcheint bey anhal-
tenden
[176] tenden Erdbeben noch darinne fortzugeben, um
ſich allmaͤhlig zu einer folgenden Verwandlung
anzuſchicken.


§. 248.


Es ließen uns alſo die Ueberbleibſel des Ver-
gangenen, die wir an dem gegenwaͤrtigen Be-
ſtande betrachten koͤnnen, ziemlich deutlich erra-
then, wie unſere Erde ſonſt war; wie aber und
was ſie zukuͤnftig, nicht ſowohl bey einer planeti-
ſchen Verwandlung, als vielmehr bey der Aufloͤ-
ſung ihres Grundweſens, oder ihrer Natur, wer-
den duͤrfte, ſagen zu wollen, moͤchte bey den mei-
ſten zu viel gewagt heißen; doch waͤre es viel-
leicht einigermaßen moͤglich, wenn es erlaubt iſt,
die Geſchichte der feſten und fluͤßigen Oberord-
nung, denn dieſe machen ja die Feſte und den
Umkreiß der Erde aus, ſich umgekehrt wieder
vorzuſtellen.


§. 249.


Wenn daher nicht ſowohl unſerer jetzigen am
Tage ſtehenden Schichtgebirge, als vielmehr des
in die Tiefe des Abgrundes zuſammen geſtuͤrzten
Grund-
[177] Grundgebirges und aͤlteſten Erdbodens, gegen-
waͤrtiger feſter Beſtand, (der doch ehemals als
ein Niederſatz aus dem aͤlteſten Waſſer, von
Waſſer, Luft und Licht aufgeloͤſet, oder ſelbſt mit
fluͤßig war,) dennoch wieder aufloͤsbar waͤre, ſo
bald er in ſolche Umſtaͤnde, wie vor ſeinem Nie-
derſchlag kommen ſollte, und alſo wieder zu Waſ-
ſer und Dunſt der vorigen oder gar urſpruͤngli-
chen Art wuͤrde; kaͤme es da nicht blos auf die
Bedingung an, daß alles Waſſer unſerer Erde,
nebſt ihrem Luft- und Lichtkreiſe nicht den ganzen
Beſtand der Erde aufloͤſen koͤnnte, wenn die
Oberflaͤche an Land und Meer unaufloͤsbar blei-
ben ſollte? Es wird aber dieſe Bedingung nie-
manden, der die Saͤtigung der Aufloͤſungsmittel
kennt, unmoͤglich ſcheinen, beſonders wenn man
annehmen darf, daß unſere Erde aus Waſſer,
Luft und Licht, die ſo viel aufgeloͤſet hatten, als
ſie aufloͤſen konnten, d. i. geſaͤttigt waren, und
aus einer ungeheuren Oberflaͤche, die gleichſam
eine unaufloͤsbare Schale vorſtellte, beſtand, wor-
auf die geſaͤttigten fluͤßigen Materien ihre aufge-
Mloͤſeten
[178] loͤſeten Materien wieder abſetzten, ſo bald ſich
beyde den Aufloͤſungsanſtalten entzogen fanden.


§. 250.


Wem die Eigenſchaft der Aufloͤſungsmittel be-
kannt iſt, weiß auch, daß jedes derſelben ſchwe-
rer wird, als vorher, wenn es ſchwerere Mate-
rien bis zur Saͤttigung aufgeloͤſet hat, und alle
leichtere Koͤrper auf ihm ſchwimmen, weil dieſe
von ihm in die Hoͤhe gedruͤckt werden, daher ſieht
er auch ein, daß der unaufloͤsbare Ueberreſt auf
einer Feuchtigkeit, gegen die er in gleicher Maaſe
leichter iſt, ſchwimmen muß. So bald ihm nun
noch der Bau unſeres Planeten zeigt, daß die
Aufloͤſungsanſtalten mehr in der Mitte deſſelben,
als gegen die Oberflaͤche wirken duͤrften; wird er
nicht allein die Oberflaͤche fuͤr unaufloͤsbar, und
auf der geſaͤttigten Feuchtigkeit zu ſchwimmen ge-
ſchickt halten, ſondern auch noch andere leichte un-
aufloͤsbare Theile hervortreten, und mit denen
noch uͤbrigen Stuͤcken der Oberflaͤche ein Ganzes
zuſammen machen laſſen.


§. 251.
[179]

§. 251.


Wem dabey um das belebte und beſeelte Ober-
geſchlecht bange wird, der bedenke, daß beyde na-
he am Urſprunge unſerer Erde, bey ſo geſaͤttig-
tem Waſſer, Luft und Licht, ihre ſo gelobte guͤlde-
ne Zeit und die vergnuͤgten Jahre der Kindheit
oder Wiedergeburt der Erde genoſſen.


§. 252.


Bey der Muthmaſſung einer moͤglichen Aufloͤ-
ſung der Natur unſerer Erde und ihrer Ver-
wandlung, ward nur unſer Planet blos an und
vor ſich betrachtet; ſollten nun dabey noch meh-
rere Himmelskoͤrper einander, wie in einem gan-
zen Sonnenſyſtem, oder auch nur einem Plane-
ten, mit mehreren Monden, behuͤlflich und nahe
genug ſeyn, ſo koͤnnten nicht allein mehrere zu-
gleich aufgeloͤſet, ſondern gar mit einander ver-
einiget, und nach Verwechslung ihrer Theile, un-
ter einer andern Geſtalt auch wieder von einan-
der getrennet werden.


M 2§. 253.
[180]

§. 253.


Nun waͤre dadurch ein dichter kleiner ſchwerer
Himmelskoͤrper wieder in einen groſſen, mit einer
ſchwachen Erdſchale verwandelt, und alſo der Ur-
ſprung eines neuen aͤhnlichen, oder verſchiedenen
gegruͤndet; ſo wie jeder kleine feſte Koͤrper, wenn
er weſentlich aufgeloͤſt iſt, durch jeden fremdarti-
gen Beytritt, wieder einen mehr oder weniger
abgeaͤnderten neuen Koͤrper geben muß; dabey
kaͤme es nun nur darauf an, was fuͤr Huͤlfsmit-
tel hernach dem neuen Himmelskoͤrper zu ſtatten
kaͤmen, um dieſe oder jene Art anzunehmen.
Denn ſelbſt das verſchiedene bey der Aufloͤſung,
nachdem eine oder die andere, oder drey fluͤßige
Hauptordnungen mehr oder weniger beygetreten
waͤren, machte ſchon einen beſondern Unterſchied
in der erſten urſpruͤnglichen Groͤſſe eines Him-
melskoͤrpers, ſowohl gegen ſeine vorige Beſchaf-
feuheit, als gegen andere Baͤlle.


§. 254.


Auſſer dem wuͤrde die Gegend ſeiner Bahn
und ſeine Nachbarn, vermoͤge ihrer beſondern
Einwir-
[181] Einwirkung, vieles ſo, oder anders veranſtalten;
beſonders aber duͤrfte ſelbſt der eigene Gang eines
ſolchen aufgeloͤſten Koͤrpers viel Unterſchied ma-
chen; indem die wirbelnde Bewegung wie bey
der Sonne in die gewirbelten Theile anders wirkt,
als der walzende Gang bey den Planeten; und
der Schmieggang bey dem Monde anders, als
der ſchießende der Kometen. Denn die aufloͤ-
ſenden und aufgeloͤſten Theilchen wuͤrden ſich in
ihren Verbindungen, Scheidungen, Stellungen
und Anhange gegen die unaufgeloͤſten Oberflaͤ-
chen ſolcher Koͤrper, nach dieſen verſchiedenen Be-
wegungen richten; weil das ſchwerere bey der ei-
nen Bewegung in der Mitte bleiben koͤnnte, bey
der andern aber ſich gegen die aͤuſſerſte Oberflaͤche
ſchwingen muͤßte. Dahingegen das leichtere bey
der Ruhe die Oberflaͤche, und beym Schwunge
die Mitte der Kugel behaupten wuͤrde.


§. 255.


Wenn dieſe blos aus natuͤrlichen Gruͤnden her-
geleitete Moͤglichkeit, von der Aufloͤſung eines
M 3alten,
[182] alten, und vom Urſprunge eines neuen Himmels-
koͤrpers, nicht wahrſcheinlich genug ſeyn ſollte;
ſo koͤnnte die Natur und Himmelskunde noch an-
dere Gruͤnde an die Hand geben, die aber hier
anzufuͤhren zu weitlaͤuftig waͤre.


§. 256.


Wir wollen lieber von unſerer Erde, ehe wir
in die groſſe Welt ſehen, unſer Sonnenſyſtem be-
trachten. So wenig nun auch unſer Auge, ſelbſt
mit den beſten Fernroͤhren, am Himmel deutlich
erkennen kann, ſo iſt es dennoch ein Gluͤck fuͤr un-
ſere Zeiten, daß wir nun wenigſtens die Monde
des Jupiters und Saturns zuverlaͤßig kennen,
und mitten im blendenden Sonnenſchimmer, die
wandelbaren Sonnenflecken ſehen, auch unſeres
eigenen Mondes Oberflaͤche mit der Oberflaͤche
unſerer Erde, ziemlich vergleichen koͤnnen, und
endlich unſere Kometen, obgleich noch nicht ganz
beſtimmt, anzugeben wiſſen.


§. 257.


Nun ſtelle man ſich die aus den Ueberbleibſeln
erwieſenen Schickſale der Erde, wodurch ſie das
iſt,
[183] iſt, was ſie iſt, kuͤrzlich wieder vor, und vergleiche
damit unſern Mond. Soll dieſer wohl, ohne
alle vorhergegangene Verwandlung gleich von
Anfang, die ſo aͤhnliche Geſtalt erhalten haben?
Man kann billig daran zweifeln, und vermoͤge der
Erwartung aͤhnlicher Faͤlle lieber annehmen, daß
er ebenfals ſeine Verwandlungen, nach langer Zeit
gelitten habe, da er naͤmlich anfaͤnglich von ſeiner
groͤſten Geſtalt, zur mitleren mit einem undurch-
ſichtigen Duftkreiſe, und ſo weiter ruckweiſe bis
zu ſeinem jetzigen kleineren und ſchwereren Zu-
ſtand fortgegangen iſt.


§. 258.


Bey dem Jupiter und Saturn mit ſeinem Rin-
ge und den Monden, die jeden dieſer Koͤrper be-
gleiten, kann man wieder auf aͤhnliche Art ſchluͤſ-
ſen, daß ein aͤhnlicher Vorfall, der die hohlen
feſten Laͤnder unſerer Erde, nach dem erbauten letz-
ten Schichtgebirge, durch ihre Annaͤherung gegen
den Mond, zuſammen druͤckte, und das Meer uͤber
die hinunter geſtuͤrzte Schale nach floß, dadurch
M 4aber
[184] aber die Erde, mit ihrem Monde fuͤr beſtaͤndig
verband, eben auch den Jupiter und Saturn,
durch die Annaͤherung gegen ihre Monden, in un-
ſerm Sonnenſyſtem angehalten habe.


§. 259.


Stellet man ſich endlich unſere Erde in ihrer
aͤlteſten, hoͤchſten und voͤllig hohlen Groͤſe, ehe das
Grundgebirge ſenkrecht zuſammenſtuͤrzte, als eine
der leichteren groͤſten hohlen Kugeln, im damali-
gen Himmelsraume, vor, die entweder geſchwun-
gen wurde, oder andere ſchwung, und alſo im
Mittel, oder im Umkreiſe, oder in freyer Bahn
gieng; ſo doͤrfte man kaum geneigt ſeyn, von ihr
zu denken, daß ſie damals in dieſer Geſtalt, be-
ſtaͤndig um die Sonne, neben dem Monde, oder
in ihrer jetzigen Bahn, gelauffen ſey; ſondern ſie
vielleicht fuͤr einen damaligen Kometen, oder der-
gleichen freyen Himmelskoͤrper, wo nicht gar fuͤr
eine Art von Sonne, anſehen, indem man an den
Unterlagern der Schichtgebirge bemerket, daß ſie
ihren Urſprung groͤſtentheils dem Feuer zu dan-
ken haben.


§. 260.
[185]

§. 260.


Waͤre nun unſere Erdkunde, von dieſer Seite,
noch weiter aufgeklaͤrt, wie vermuthlich kuͤnftig
geſchehen wird; ſo wuͤrden wir uͤberhaupt noch
mehrere Schluͤſſe von aͤhnlichen Faͤllen, machen
koͤnnen; und gienge unſere Himmelskunde, die
noch dem unzaͤhligen Himmelsheer, zu viel Gleich-
heit unter ſich, und einerley Natur geben muß,
und alſo von ſeinen Geſchlechtern und Arten noch
zu wenig ſagen kann, kuͤnftig etwas weiter, (wie
man ſich ebenfals verſprechen kann) damit man
das Veraͤnderliche am Himmel, naͤmlich, daß er
im einzelnen jetzt nicht mehr durchgehends iſt, was
er ehemals war, noch was er kuͤnftig ſeyn wird,
und daß er ſich nur im ganzen aͤhnlich bleibt, deut-
licher augeben koͤnnten; ſo doͤrften wir auch ge-
wiſſere Aehnlichkeiten und beſtimmtere Abwei-
chungen finden, und folglich dadurch die groſe
Natur beſſer kennen lernen.


§. 261.


Es mag alſo genug ſeyn, daß wir den Ur-
ſprung der Erde geſchichtmaͤſig betrachtet, und
M 5ſie
[186] ſie bis zu ihrer moͤglich groͤſten Geſtalt verfolget
haben.


§. 262.


Wir haͤtten auch damit von der Gattungloſen
Haupttheilung unſerer Erde, wohl genug, wo nicht
gar zu viel geſagt, und koͤnnen alſo mit deſto groͤ-
ſerem Recht, die andere Haupttheilung, bey der
wir Gattungen antreffen, neben ſie ſtellen, um zu
ſehen, ob dieſe, das, was von jener geſagt worden,
mehr erlaͤutert, oder ihm widerſpricht.


§. 263.


Wir wollen daher bey dieſer Haupttheilung
erſt ſehen, wie und was ſie iſt; daraus wird ſich
ergeben, wie und was ſie war; aus beiden aber
vermuthen laſſen, wie und was ſie werden moͤchte.
Daß wir aber jedes der zwey Obergeſchlechter,
der Pflanzen und Thiere, hier genau, nach ihren
Haupt- und Untergeſchlechtern, nach den Haupt-
und Unterarten, nach Gattungen, Sorten und
Stuͤcken, oder Perſonen, auseinander ſetzen ſoll-
ten,
[187] ten, doͤrfte uns wohl niemand zumuthen. Des-
wegen will ich mich in dieſem Stuͤck der Kuͤrze
bedienen, und den Raum fuͤr andere Betrach-
tungen zu benutzen ſuchen.


§. 264.


Das Obergeſchlecht der Pflanzen haftet meiſtens
an der Flaͤche der Oberordnung der feſten Koͤrper,
und weil es dieſe Verbindung hat, wollen wir es
zuerſt vor nehmen. Hier haben nun die neuen
Naturkuͤndiger, in ſo ferne es Gattungen hat, und
ſich dadurch fortpflanzt, oder ſich auf der Erde,
wie es iſt, immer erhalten hat, noch erhaͤlt, und
ferner erhalten wird, von dem Herrn Linne an,
mehr als bey dem Obergeſchlecht der Thiere vor-
gearbeitet, doch wollen wir lieber die Vergleichung
dieſes Obergeſchlechts mit den gattungloſen Ord-
nungen voraus ſetzen, und uns hernach zu jenen
wenden.


§. 265.


Es iſt aber uͤberhaupt bekannt, daß keine Pflan-
zenart, ſelbſt die Waſſerpflanzen nicht, urſpruͤng-
lich
[188] lich aus einer fluͤßigen Ordnung, wie die gattung-
loſen feſten Koͤrper, ausgeſchieden werde; am
allerwenigſten wird eine Pflanzenart, aus den gat-
tungloſen Ordnungen der feſten Koͤrper erzeuget,
und abgeſondert, obgleich die meiſten darauf haf-
ten. Ja, obgleich die foͤrmlich gewachſene Ord-
nung, wovon wir nur die bekannteſte Hauptart
der Saltze anfuͤhren wollen, mit den unterſten
Arten der Pflanzen viel gemein hat; (denn alle
anſchieſſende Saltze erhalten ihren foͤrmlichen Ur-
ſprung, als die erſte Stuffe des foͤrmlichen Wachs-
thums, auch ſchon aus der doppelten Grundlage
eines annehmenden und angenommenen Koͤrpers)
ſo bleiben ſie doch noch immer weſentlich unter-
ſchieden. Denn die Saltze werden hauptſaͤchlich
vermittelſt dem Waſſer ſchon mehr zufaͤllig, aber
mit Huͤlfe der Luft durch den aͤuſſern Anſchuß glei-
cher Kriſtallchen, dadurch ſie auf einmal ihre Ge-
ſtalt erhalten, erzeugt, vergroͤſſert, und in den
Ruheſtand ihres foͤrmlichen ſchichtmaͤſigen Wuch-
ſes geſetzt; ohne zubereitete innere Nahrung,
Saftroͤrchen, und richtigen Jahrwuchs, auch ohne
weitere
[189] weitere Fortzeugung aus ſich ſelbſt, und endlich
ohne gemeine Geburtsſtaͤte. Hingegen hat das
ganze Obergeſchlecht der Pflanzen noch auſer dem
Waſſer, beſtaͤndig mehr oder weniger freye Luft,
nebſt freyem Licht noͤthig, und waͤchſt als Saame
und Pflanze nicht von auſſen, ſondern von innen
heraus, durch die Nahrung, die ihm durch Saft-
und Luftroͤrchen zugefuͤhret wird, bis zu einer be-
ſtimmten Groͤſe, zeugt auch wieder ſeines gleichen,
aus ſich ſelbſt.


§. 266.


Folglich geht das Obergeſchlecht der Pflanzen
ſchon weit genug von den Saltzen ab; indem es
erſtlich Luft und Licht, auf der Oberflaͤche der Erde,
als ſeiner Geburtsſtaͤte, bey ſeiner zweifachen Ge-
ſtalt, als Saame und Pflanze zur freyen Ausbrei-
tung haben muß, wobey es ſich nur mit den Wur-
zeln, in der Dammerde, oder in den Steineiſſen
befeſtiget; und denn mit Huͤlfe ſeiner Roͤhren,
Waſſer, Luft und Licht, zu ſeiner Ausdehnung von
innen, oder zu ſeinem Wachsthum, wie auch zur
Anlage
[190] Anlage ſeiner Fortpflanzung aus ſich ſelbſt, nach
der verſchiedenen Einwirkung des Sommers und
Winters, mit einer ſo freyen Bewegung, die ſein
Leben zu heiſſen verdienet, in ſich zieht. Denn ſo
bald dieſes zuſammen unterbleibt, heißt eine ſolche
fuͤr ſich unthaͤtige Pflanze, todt.


§. 267.


Ob aber dieſes Leben der Pflanzen vorzuͤglich
auf der erwaͤrmenden Bewegung unſeres Lichtes,
und der Federkraft unſerer Luft, die beſtaͤndig
wirkt, beruhe, und ſeine Saͤfte dadurch zubereite,
oder ob nicht vielmehr ſchon im Kleinſten der
foͤrmlichen Anlage in jeder Pflanze ein Trieb dazu
verborgen liege, iſt noch unentſchieden. Waͤren
die Saamenthierchen welche Buͤffon nebſt andern,
in den Aufguͤſſen von Pflanzen, beobachtet haben
will, genauer erwieſen; ſo wuͤrde man das Leben
der Pflanzen, nicht allein bey den Waſſer- ſondern
auch Landpflanzen, zugleich erklaͤren koͤnnen.
Denn die freye Lebensbewegung, welche die Pflan-
zen alle, ob ſie gleich meiſtens auf ihrer Stelle
bleiben,
[191] bleiben, doch jede nach ihrer Art, zeigen, wuͤrde
bey ſo freyer Bewegung dieſer Saamenthierchen,
woferne ſie nur den erſten kleinſten Grad des Ge-
fuͤhls haͤtten, ſchon aus der Verhaͤltniß des Bau-
es im Kleinſten, und einem oder einigen ſolchen
damit in Verhaͤltniß ſtehenden Anregern zu erklaͤ-
ren ſeyn. Doch es ſey dieſes wahr oder falſch,
wenn es nur den Ausdruck des Pflanzenlebens
erlaͤutert.


§. 268.


Unterſcheidet man nun lebend, von lebendig
(lebwendig) dadurch, daß lebend nur eine freye
wachſende Bewegung vor ſich, ohne freywillige
Wendung, oder Veraͤnderung des Orts erfordert,
die nicht vom Eindruck einer fremden Bewegung,
ſondern vom eigenen inneren Triebe abhaͤngt; le-
bendig hingegen eine freye Wendung in der Be-
wegung vor ſich, oder Veraͤnderung des Orts, die
zwar gleichfalls aus eigenem inneren Triebe, doch
willkuͤhrlich erfolgt, voraus ſetzt; ſo kann man
dieſes Obergeſchlecht nicht lebendig, ſondern nur
lebend nennen. Es fuͤhrt aber ſein Leben theils
blos
[192] blos fuͤr ſich ſelbſt, zu ſeinem Wuchſe, Knoſpen-
triebe, und Fortpflanzung durch Reiſer; theils
auch bey ſeiner Vermehrung durch ſeinen Samen,
den es umher ſtreuet, fuͤr das angraͤnzende Land,
oder eigentlich fuͤr das Ganze ſeiner Art oder Ge-
ſchlechts.


§. 269.


Vermoͤge dieſes Lebens fuͤr ſich ſucht nun die
Pflanze in ihrem kleinſten Samen zuerſt die Be-
feſtigung an ihrer Stelle, durch ihren Wurzel-
keim, vermittelſt dem ſie auch kuͤnftig den groͤßten
Theil ihrer Nahrung herbey fuͤhret; auf der
Wurzel, als auf einer Grundlage, erhebt ſie nun
die wachſenden und meiſtens gruͤnenden Theile,
die freye Luft und Licht genieſſen ſollen, und die
wir eigentlich Pflanze nennen; und dieſes entwe-
der bis zu einer einzigen Beſamung, oder bey
wiederholten Beſamungen, bis zu der Groͤße,
wo ſie als beſtehend anzuſehen iſt. Von da an
laͤßt der friſche Trieb des Pflanzenlebens allmaͤh-
lig nach, ſo daß er gleichſam ruͤckwaͤrts wirkt;
und
[193] und nun bemaͤchtigen ſich die Eingliederungen
derjenigen Theilchen, welche nicht mehr unterſtuͤ-
tzet werden. So wird die Pflanze aufgeloͤſet.
Vergleicht man dieſes mit dem Begriff der Na-
tur, ſo kan man das Leben der Pflanzen und ihre
Natur fuͤr eins halten, wie die Natur der Salze
und ihren Anſchuß.


§. 270.


Daß aber keine Pflanze ihr Leben von ſich
ſelbſt, ſondern allezeit anders woher habe, laͤßt
ſich aus der Betrachtung dieſes Obergeſchlechts
leicht erkennen. Wir wollen aber, ohne die vie-
len Arten der Pflanzen, und ihre Ausnahmen,
oder ihr ganzes Weſen und volle Geſchichte aus
einander zu ſetzen, von ihnen nur das, was die
meiſten gemein haben, naͤmlich ihr Blatt, vor uns
nehmen. Dieſes iſt als Keim- Knospen- und
Bluͤthenblatt, wie ein beſtaͤndiger Vorlaͤufer
oder Vorbereiter des Nachwuchſes ſeiner Pflanze
anzuſehen, und zeigt die Stellen, wo die Anlage
eines neuen Pflanzenlebens, und dergleichen
Njunge
[194] junge Natur gegruͤndet liege, oder erſt gegruͤndet
werde; ob wir gleich die Ein- und Vorwirkung
dieſes dreyfachen Blattes, weder da noch dort,
voͤllig zu erklaͤren wiſſen.


§. 271.


Das Keimblatt, wodurch die Pflanze kaum
zwiſchen dem Mutterkuchen ihres Samens her-
vorſproſſet, ſucht fuͤr ſeine Nachfolgerin die erſte
Gemeinſchaft mit Luft und Licht; nachdem es ſich
ſelbſt vornaͤmlich mit Huͤlfe des Waſſers dazu ent-
wickelt hatte. Das Knospenblatt erweiſt der mit
ihm verbundenen Knospe, ſo ferne jede ſchon ei-
ne kleine Nachfolgerin der Pflanze, doch ohne
Mutterkuchen heißen kann, einen gleichen Dienſt,
nur aber mehr fuͤr die Nachkunft. Das Bluͤ-
thenblatt hingegen ſoll vermuthlich nicht ſowohl
fuͤr eine ſchon vollkommene Nachfolgerin, als fuͤr
die Grundtheile einer kleineren oder groͤſſeren
Nachkommenſchaft, die hier durch viele beſondere
Beſchuͤtzer und deren Verbindung, als einzelne
Ganze vereinigt wird, auf eine viel zaͤrtlichere
Art Luft und Licht maͤßigen.


§. 272.
[195]

§. 272.


So fern nun die kleine Nachfolgerinnen dieſer
drey Blaͤtter, als Theile ihres Groſſen, oder
Hauptganzen, dennoch ſchon wieder ein aͤhnliches
Ganze der Geſtalt nach vorſtellen; ſo treffen wir
hierbey noch einige Aehnlichkeit mit den Salzen,
von denen ſich auch das kleinſte Theilchen, ſchon
die foͤrmliche Geſtalt ſeines groſſen Ganzen ge-
ben kann, an. Doch wird hier in allen drey Faͤl-
len, zum Wohlſtande dieſer kleinen Nachkommen,
mehr freye Luft und Licht, als bey den Salzen er-
fordert, wie jedem Landmann ſo gut, als dem
Kunſtgaͤrtner, aus der Wartung der Pflanzen
bekannt iſt.


§. 273.


Daher kann man den Schluß machen, daß ſich
der Urſprung dieſes Obergeſchlechts, man ſetze,
welchen man wolle, auf unſerer Erde, nicht eher
noch anders behaupten laſſe, als nachdem ſchon
Luft und Licht ihre Oberflaͤche uͤberſtroͤmte; es ſey
nun Licht, wie jetzt, oder anders beſchaffen gewe-
ſen. Ohne dieſe beyde laͤßt ſich weder der Ur-
N 2ſprung
[196] ſprung der Pflanzen, und ihr Leben, noch ihr
Wohlſtand natuͤrlicher Weiſe annehmen.


§. 274.


Nunmehr bin ich wohl im Stande, bey der
ausgewachſenen Pflanze den Fortwuchs und
Fortpflanzung dieſes Obergeſchlechts, von deſſen
Fortzeugung genauer zu unterſcheiden, wenn ich
ihre Bluͤthenzeit, mit dem Samen, gegen die
weit voraus gehenden Knospen halte. Ob ſich
nun gleich der Anfang der ſo fruͤhzeitigen Knos-
pen, im Kleinſten nicht gewiß angeben laͤßt, weil
er im Verborgenen, theils unter der Rinde, theils
im inneren Kernjahr des jungen Reiſes bereitet
wird; ſo iſt es doch genug anzumerken, daß ſol-
che als kleinere Ganze, wie einzelne Theile einer
Geſellſchaft ſind, mit den vorigen aͤltern, und
nachfolgenden juͤngern, ein Hauptganzes zu ma-
chen beſtimmt ſind, und alſo immer in den aͤltern
eingewurzelt ſitzen, oder ſich von ihnen naͤhren,
aber auch ihren Fort- und Zuwuchs beſorgen.
Solches zeigen die alten verfaulten Fichten ſehr
deutlich,
[197] deutlich, wo ſich die harzige Wurzel jedes Aſtes
vom Mulm des alten Stammes merklich unter-
ſcheidet. Doch laſſen ſich auch die jungen der
Knospen, von ihren aͤltern, durch die Kunſt ab-
ſondern, und in andere Staͤmme verſetzen, auch
gar in die bloße Erde zum Einwurzeln einpflan-
zen, wie die Gaͤrtnerey und des Agricola Uni-
verſalvermehrung beweiſen.


§. 275.


Wenn nun eine Art von Pflanzen ſo beſchaffen
iſt, daß ſie keine juͤngern Wurzelreiſer aus den
aͤltern Wurzeln, die gleichſam ihre unterirdiſche
Aeſte vorſtellen, zur Umſtockung austreibt; ſo
kann man ſolchen Pflanzen keine weitere Fort-
pflanzung, ſondern blos eine Ausbreitung nach
den Zweigen, oder einen Fortwuchs beymeſſen.
Hingegen die Wurzelreiſer anderer, wie den aͤuſ-
ſeren Zuwuchs ihrer geſchloſſenen Haushaltung
anſehen. Dieſem zu folge vermag ſich keine
Pflanzengattung weiter, als an ihrer Stelle aus-
zubreiten, und alſo auch nicht andere Gegenden
N 3zu
[198] zu bepflanzen; welches zu beweiſen ſcheinet, daß
man den Unterſchied zwiſchen den Anſtalten einer
Pflanze fuͤr ſich, und denen fuͤr das Land umher
feſt ſetzen doͤrfe. Denn keine Knospe iſt an ſich
fuͤr das Land umher, ſondern fuͤr die Pflanze
ſelbſt veranſtaltet.


§. 276.


Da man aber gleichwohl alle Gattungen uͤber
den alten Meergrund, durch viele getrennte neue
Laͤnder, mehr oder weniger ausgebreitet findet,
und dieſes doch nicht von der Natur der Knospe,
auſſer durch Kunſt, wie die mehreſten unſerer ge-
pfropften Obſtarten beweiſen, hergeleitet werden
kann; ſo muß blos der Same, den jede Pflanze
gleichſam von ihrer geſchloſſenen Haushaltung
ausſchließt, um durch Wind und Waſſer einen
natuͤrlichen Anſitz zu finden, ehemahls den neuen
Laͤndern dieſe verbreitete Fortpflanzung des Pflan-
zengeſchlechts verſchaft haben, und als die An-
ſtalt der Pflanzen fuͤr das Land angeſehen werden.


§. 277.
[199]

§. 277.


Deswegen doͤrfen wir nur noch die Bluͤthe
mit ihrem Nachfolger, dem Samen, genauer be-
trachten, um die wahre Ausbreitung der Pflan-
zen uͤber die Laͤnder zu beſtimmen, oder vom
Wuchs, Knospentriebe, und Umſtockung zu un-
terſcheiden. Denn die Bluͤthe iſt eben der Be-
gattungsſtand der Pflanze, wo ſich das allgemei-
ne Kenn- und Unterſcheidungszeichen dieſes Ober-
geſchlechts offenbaret, und in Ruͤckſicht auf ſeine
Pflanze, der die Begattung mehr ſchadet, als
nuͤtzet, ſeine Beſtimmung blos fuͤr das Land um-
her, das iſt zur Fortzeugung, beweiſet.


§. 278.


Zu dieſer Betrachtung veranlaſſen uns ſelbſt
einige Pflanzen, die naͤmlich in Anſehung der
Bluͤthentheile, entweder durch zwey beſondere
Baͤume, oder Stauden, zwey abgeſonderte Gat-
ten vorſtellen, oder wo ſich auf einem einzigen
Baum oder Staude dennoch zwey abgeſonderte
Bluͤthentheile, als zweyerley Gatten in einer
Haushaltung zeigen.


N 4§. 279.
[200]

§. 279.


Wenn man nun findet, daß der eine Baum
ſolcher Art, das Behaͤltniß des Samens, oder
die Fruchtbluͤthe giebt; der andere aber, ſo nie-
mahls Samen traͤgt, blos die Stanbbluͤthe fuͤhrt,
oder einen fliegenden Staub, als die Befeuch-
tung fuͤr jenen hergiebt, weil der erſte ohne die-
ſen Staub keinen wahren, ſondern hoͤchſtens tau-
ben Samen traͤgt, ſo kann man dieſen, der die
Staubbluͤthe traͤgt, billig das Maͤnnchen, und
jenen das Weibchen, beyde aber ledige Staͤmme,
ihre Bluͤthen ledige Bluͤthen, und das Geſchlecht
zweyſtaͤmmig, oder auch ledig nennen. Diejeni-
gen Baͤume oder Stauden aber, worauf die
Fruchtbluͤthe und Staubbluͤthe zugleich, doch je-
de beſonders ſtehet, koͤnnen eheliche Staͤmme und
Bluͤthen, und das Geſchlecht eheſtaͤmmig heiſſen.


§. 280.


Viele andere Pflanzen, wo gemeinſchaftliche
Bluͤthenblaͤtter, maͤnnliche und weibliche Bluͤ-
thentheile zuſammen einſchließt, wird man Zwit-
ter-
[201] terſtaͤmme, Zwitterpflanzen, mit Zwitterbluͤthen
nennen koͤnnen, und zwar, ſo weit jeder ſolcher
Zwitter ſich ſelbſt genug iſt, wird ſolche Pflanze
gepaart, das Geſchlecht aber zwitterſtaͤmmig heiſ-
ſen doͤrfen. Die uͤbrigen unbeſtimmten Begat-
tungs- und Pflanzenarten laſſe ich jetzt an ihrem
ſtreitigen Orte ſtehen.


§. 281.


Bemerkt man weiter, wie ſich die ledigen
Staͤmme fuͤr ſich verhalten, und zwar, daß das
Maͤnnchen allezeit Knospen und Reiſer von ſei-
ner Art, niemahls aber von weiblicher Art treibt,
und das Weibchen ſich wieder eben ſo verhaͤlt,
ſo wird der obige Satz, daß naͤmlich der Knos-
pentrieb nur die eigene Haushaltung jeder Pflan-
ze, und nicht ihre Ausbreitung uͤber die Laͤnder,
zur Abſicht habe, zugleich erwieſen. Ja die ehe-
lichen Staͤmme ſelbſt, in ſo ferne naͤmlich ihre
zweyfache Bluͤthen, aus den Knoſpen aller Jahr-
triebe, durch einen gemeinſchaftlichen Umſchluß,
niemahls zur Zwitterbluͤthe werden, beſtaͤtigen
N 5eben-
[202] ebenfalls, daß ſolches blos zum eigenen Wohl-
ſtande der Pflanze, abziele.


§. 282.


Da hingegen die ledigen Bluͤthen maͤnnlicher
und weiblicher Art, niemahls zum Vortheil ihrer
Staͤmme hervorbrechen, ſondern vielmehr oft zu
ihrer Entkraͤftung gereichen; wie denn eben das
auch von den ehelichen und Zwitterbluͤthen gilt;
ſo hat man Urſache, die Folge davon nach einer
andern Abſicht zu beurtheilen.


§. 283.


Der Endzweck der Bluͤthen aber iſt der Same,
daher muͤſſen wir ihn genauer betrachten, und
dieſes Hauptzeichen naͤher kennen lernen. Ob
nun gleich jeder ledige Stamm vor ſich ein voll-
ſtaͤndiges Ganzes ausmacht, ſo iſt er doch, wenn
wir auf den Samen ſehen, nur die Haͤlfte vom
Ganzen, deſſen Gatte er heißt, und die andere
Haͤlfte, das iſt den andern Gatten, zum vollkom-
menen Ganzen des Samens fordert. Man koͤnn-
te
[203] te alſo die aͤhnlichen Haͤlften oder Gatten von ei-
nerley Geſchlecht, eine Gattenſchaft, oder das
eine Untergeſchlecht nennen. Solches findet auch
bey den zweyfachen aͤhnlichen Bluͤthen, und bey
den verſchiedenen Bluͤthentheilen der Zwitter ſtatt.


§. 284.


Weil nun das Weibchen, wenn ihm ſein
Maͤnnchen fehlt, hoͤchſtens nur taube Huͤlſen und
leere Mutterkuchen, oder Fruͤchte, ſtatt eines
vollkommenen Samens hervorbringt, und dieſe
Huͤlſen dem ungeachtet doch ſchon die aͤuſſere Ge-
ſtalt des guten Samens haben; der maͤnnliche
Bluͤthenſtaub hingegen ein umher fliegender, und
mit der weiblichen Huͤlfe verglichen, unfoͤrmlicher
zarter Koͤrper iſt, der nach ſeinem noch fluͤchtige-
ren Duft vielmehr den inneren Raum der Huͤlſe,
oder ihr Geaͤder auszufuͤllen, und den Entwurf
der Huͤlſe auszuzeichnen, hernach aber den Trieb
der Saftroͤhren anzuregen, vermag: ſo folgt hier-
aus, daß die aͤuſſere und innere, doch leere und
unbewegte Geſtalt des Samens, oder das Be-
haͤltniß,
[204] haͤltniß, vom Weibchen erzeugt werde; hingegen
deſſen verhaͤltnißmaͤßige Ausfuͤllung und Anre-
gung oder Belebung, nur allein vom Maͤnnchen,
und ſeinem duftreichen Bluͤthenſtaub herſtamme.
Beydes alſo zuſammen, und nicht einzeln, ge-
nommen, kann die Begattung heißen, oder voll-
ſtaͤndigen Samen geben.


§. 285.


Im uͤbrigen iſt es bekannt genug, daß dieſe Be-
gattung im Kleinſten geſchehe, und nach der Be-
gattung des Maͤnnchens Staubbluͤthen, die nun
weiter nichts nuͤtzen, verſchwinden; die weiblichen
kleinen Samenkoͤrnerchen hingegen ſich an ihrer
Mutter bis zu ihrer Reife naͤhren; denn aber
der Same, indem beyderſeitige Nahrungsroͤhr-
chen werden, gleichſam aus der weiblichen Haus-
haltung hinausgeſtoſſen, und Wind und Wetter,
oder den Thieren zum Futter, folglich dem Zufall
oder einem mehr oder weniger zutraͤglichen Plaͤtz-
chen auf dem Lande, zum auskeimen uͤberlaſſen
werde. Eben ſo geht es auch mit dem ehelich
und zwittermaͤßig erzeugten Samen zu.


§. 286.
[205]

§. 286.


Es bringt aber der Same von jeder Pflanze,
die Art, von der er abſtammt, beſtaͤndig wieder
hervor: folglich der Same von ledigen wieder
beyderley ledige, von ehelichen wieder eheliche,
und von Zwittern wieder Zwitter. Von den
Baſtarten des Herrn Koͤlreuters reden wir hier
nicht, denn wir muͤßten ſonſt die Unterſuchung
der maͤnnlichen und weiblichen Bluͤthen weiter
treiben, als es zur gegenwaͤrtigen Abſicht noͤthig
iſt. Genug, daß jedes vollſtaͤndige und reife
Samkoͤrnchen die kleinſte Bildung ſeiner Eltern,
einſeitig, oder zweyſeitig zwiſchen dem Mutter-
kuchen enthaͤlt, und dadurch die groͤßte Pflanze,
wofern nur dieſes Koͤrnchen nicht durch widrige
Zufaͤlle geſtoͤhret wird, zur Wirklichkeit kom-
men kann.


§. 287.


Iſt es nun ausgemacht, daß keiner von den le-
digen Staͤmmen, er mag maͤnnlichen oder weib-
lichen Geſchlechts ſeyn, einſeitig, ohne Zuthun
des andern Geſchlechts, vollſtaͤndigen Samen
hervor-
[206] hervorbringen kann; ſo koͤnnen wir auch wohl
ſicher ſchlieſſen, daß auch ſchon ehemahls, auf
den alten feſten Laͤndern dieſe Gatten nicht weit
von einander haben ſtehen muͤſſen, wenn der be-
nachbarte Meergrund, bey ſeiner Entbloͤſſung,
damit hat bepflanzt werden ſollen.


§. 288.


Da ferner aus der Traͤgheit dieſer und aller
uͤbrigen Samen, die keine Fluͤgel haben, daß ſie
der Wind ſehr weit fortfuͤhren koͤnnte, folgt: daß
ſolche nicht weiter, als auf dem naͤchſten Strich
dieſes entbloͤßten Meergrundes, wohin ſie durch
Regenbaͤche, oder als Thierfutter gelangen konn-
ten, ſich haben anpflanzen, und nur durch auſſer-
ordentliche Vorfaͤlle, uͤber die entfernten Erd-
theile ausbreiten koͤnnen.


§. 289.


So iſt auch nicht zu leugnen, daß wenn ſonſt
ein Erdſtrich ſeine eigene Pflanzenarten hatte, ſol-
che das angraͤnzende neue Land des Meergrundes
eben
[207] eben ſo erhalten, und nachher bis jetzt ſo fortge-
fuͤhret haben werde; und daß man dadurch den
Zuſtand der vorigen benachbarten feſten Laͤnder,
ruͤckwaͤrts, aus dem jetzigen, obgleich nicht mit
beſtimmter Gewisheit, doch ungefehr uͤberhaupt
anzeigen koͤnne. Von den Meerpflanzen, deren
Same das Meer zugleich mit ſich, nach ſeinen je-
tzigen Meerſchoͤſen hinfuͤhren konnte, werden wir
eben dieſes behaupten koͤnnen.


§. 290.


Wenn wir nun bey dem, was wir von der
gleichartigen Bepflanzung der neuen Laͤnder, und
des neuen Meeres, geſchloſſen haben, wieder zu-
ruͤck denken, und uns erinnern, daß dieſe neue
Laͤnder, nach zuſammen geſtuͤrzten Grundgebirge,
friſch aufgebaute Schichtgebirge ſind; ſo wird
man ſich nicht enthalten koͤnnen, wenn man die
feſten und fluͤßigen Ordnungen, wie ſie jetzt ſind,
mit den vorigen, bis in der erſten Jugend der Er-
de, vergleicht, ſie mit einander dem Gehalt und
der Geſtalt nach, immer anders geartet, anzuge-
ben;
[208] ben; da hingegen das gattige Obergeſchlecht an
ſich, allezeit daſſelbe, nicht allein nach dem, was
es ſonſt uͤberhaupt, ſondern auch was es an ver-
ſchiedenen Orten ins beſondere war, geblieben iſt.
Folglich waͤre die gattungloſe Haupttheilung die-
jenige, ſo die Verwandlung nicht allein hier, ſon-
dern auch vielleicht in allen Himmelskoͤrpern, uͤber
ſich nehmen muͤßte; die gattige Haupttheilung
hingegen waͤre bey den Verwandlungen der Erde,
ſo wie auch wohl anderer Himmelskoͤrper, im
Hauptweſen unveraͤnderlich geblieben, und duͤrfte
alſo auch wohl vermuthlich bey kuͤnftigen Ver-
wandlungen ſo bleiben.


§. 291.


Ja wenn man die bisherige Betrachtung dieſes
Obergeſchlechts an ſich ganz allein, bis in die aͤl-
teſte Zeit, oder erſte Jugend der Erde zuruͤck, ver-
folgt, ſo laͤßt ſich auch ſchwerlich anders davon
denken. Denn ſollte wohl dieſes Obergeſchlecht,
deſſen aͤhnliche kleinſte Nachkommen, als Same,
allezeit durch die Begattung zweyer Gatten, ſonſt,
ſo
[209] ſo wie jetzt, hervorgebracht wurden, dort nicht
eben auch ſeinen Urſprung auf dieſe Art, und wie-
der anderweit her erhalten haben? und wenn die-
ſes iſt, wie und woher bekam die Erde, die erſte
Vorfahren dieſes Geſchlechts? vermuthlich auch
theils auf einem feſten Lande, und theils am Mee-
re, mit Waſſer, Luft und Licht frey uͤberſtroͤmt?
und mußten nicht ſolche Laͤnder und Meere wenn
ihrer mehrere waren, ſchon eben ſo, wie jetzt, nach
den Arten dieſes Geſchlechts unterſchieden ſeyn?
folglich waͤre auch nach dieſen Gruͤnden, dieſes
Geſchlecht uͤberhaupt immer daſſelbe geweſen,
und eine Natur haͤtte wieder neue gleiche Natu-
ren hervorgebracht.


§. 292.


Bis hieher ſtimmte nun dieſes Obergeſchlecht,
in Anſehung deſſen, was wir in unſern nahgele-
genen Laͤndern, oder unſern alten Meerſchoͤſen
umher finden, mit den obigen Bemerkungen von
der Erde, uͤberein. Es zeiget aber auch die Erd-
beſchreibung und Kraͤuterkunde der entlegentſten
Laͤnder der Erde, daß es uͤberall dieſelben Eigen-
Oſchaften
[210] ſchaften habe. Denn jedes Land und jede Meer-
kuͤſte, die man uͤberall als vorigen Meergrund
anzuſehen hat, fuͤhren von den aͤlteſten Zeiten her
ihre beſondere Pflanzenarten fort. Selbſt ver-
ſchiedene Striche jedes feſten Landes, ja manche
Inſeln, erhalten Pflanzen, die ihnen beſonders
eigen ſind, ohne hier auf den Unterſchied zwiſchen
den Kraͤutern der Gebirge, und auf ebenem Lan-
de zu ſehen. Daraus laͤßt ſich vermuthen, daß
jeder alte Meerſchoos, der jetzt einen Erdſchos,
oder eine abgetiefte Ebene des feſten Landes, mit
Schichtgebirgen umher vorſtellt, in ſo ferne er
gegen einen andern Schoos ſolches feſten Landes
beſondere Pflanzenarten fuͤhrt, nicht allein all-
maͤhlig zu feſtern Lande geworden, ſondern auch
von einer andern Seite her, oder von einem an-
dern alten feſten Lande, welches vor Entbloͤſung
der uͤbrigen Meerſchoͤſe zuſammen ſtuͤrzte, be-
pflanzet worden ſey.


§. 293.


Man findet dieſes ſehr erlaͤutert durch den An-
bau der Schichtgebirge, die abhaͤngend liegen;
wobey
[211] wobey die aͤlteſten und aͤuſſerſten ſchon wieder
entbloͤßt waren, wie die juͤngeren oder inneren
jedes alten Meerſchoſes erſt angelegt wurden;
und auch durch die eingefluͤtheten Dinge, die von
vorigen Laͤndern zeugen. Denn dieſe wechſeln in
ihren Arten ſo gut, als die Schichtgebirge, und
beweiſen dadurch, daß bald da, bald dort, ein
Stuͤck vom vorigen feſten Lande, das andere
Pflanzen naͤhrte, entweder nur uͤberſchwemmt
worden, oder gar zuſammen geſtuͤrzt ſey. Ge-
nug, wenn man daraus ſieht, daß ſchon damahls
jede Gegend, ſo wie jetzt, ihre beſondere Pflan-
zen hegte.


§. 294.


Waͤre nun die Erdkunde in dieſem Stuͤck ſchon
ſo weit, daß wir die Erdſchoͤſe unſerer feſten Laͤn-
der und groſſen Inſeln, als vorige Meerſchoͤſe,
ſowohl nach ihren bloſſen Schichtgebirgen, als
auch nach den eingefluͤtheten Merkmahlen der vo-
rigen feſten Laͤnder, mit einander vergleichen koͤnn-
ten; ſo wuͤrden wir auch weiter gehen, und zu-
gleich die Kraͤuterkunde der alten Erde, ja viel-
O 2leicht
[212] leicht des aͤlteſten, oder ganz jungen Erdkreiſes,
noch in mehreres Licht ſetzen koͤnnen.


§. 295.


Wir denken inzwiſchen wenigſtens unſern Erd-
und Himmelsforſchern die Bahne zu weiteren
Bemerkungen und Folgerungen zu brechen, ſo
bald ſie in ihren Gegenden mit uns einſehen wer-
den, wie das Pflanzengeſchlecht des alten feſten
Landes, das neue Land des vorigen Meergrundes,
nach jeder Gegend eingenommen, und ſeine ge-
wiſſe Eintheilung behalten habe, ohne daß die
gaͤnzliche, ſchon laͤngſt geſchehene Verwandlung
der Erde, die wir jetzt vor uns finden, darinne
eine Verwirrung gemacht haͤtte. Denn wie ſie
ſich in den Verſteinerungslagern, oder aus den
aͤlteſten Zeiten, nach ihren Arten in ſolchen Ge-
genden zuſammen gefluͤthet, zeigen, ſo finden ſie
ſich noch jetzt beyſammen, und ſollte es in Ame-
rika, oder ſonſt wo ſeyn.


§. 296.


Wenn aber dieſe gaͤnzliche Erdverwandlung
dennoch nichts an der Ordnung dieſes Oberge-
ſchlechts
[213] ſchlechts verruͤckt hat; ſollte nicht der angebliche
Urſprung eines Himmelskoͤrpers, aus andern aͤl-
tern, der der Natur gemaͤß ſeyn kann, die Ord-
nung dieſes Obergeſchlechts, noch beſſer moͤgen
erhalten, und aus den aͤltern Himmelskoͤrpern,
jeden Erdtheil mit ſeinen Pflanzen, ſo wie er iſt,
in ſeinen Urſprung uͤbernehmen koͤnnen, oder ehe-
mahls eben ſo gut uͤbernommen haben? doch da
ſich dieſes nicht hinlaͤnglich beweiſen laͤßt, ſo wol-
len wir auch nicht weiter davon reden.


§. 297.


Sondern vielmehr das andere gattige Oberge-
ſchlecht der Thiere vor uns nehmen, und es zu-
erſt mit den Pflanzen vergleichen, wie wir dieſe
mit den Salzen verglichen haben. Es wird aber
hier nur uͤberhaupt geſchehen koͤnnen, weil uns
eine beſondere Betrachtung, von unſerm Zweck
zu weit ableiten wuͤrde; wie wir denn auch dieſes
Obergeſchlecht nach ſeinen Hauptgeſchlechten,
Haupt- und Unterarten, ſowohl bey den See-
als auch Landthieren, nicht genau, auſſer nach ge-
wiſſen Beziehungen betrachten werden.


O 3§. 298.
[214]

§. 298.


Wie alſo das Leben der Pflanzen ſchon eine
freyere Bewegung, als der Anſchuß der foͤrmli-
chen Ordnung noͤthig hatte; ſo erfordert die See-
le der Thiere eine noch freyere Bewegung, naͤm-
lich die Faͤhigkeit den Ort zu veraͤndern, ſowohl
in Anſehung der Glieder, als des ganzen Koͤr-
pers. Zu dieſer freyeren Bewegung diente ein
ſtaͤrkerer Gebrauch des Waſſers, und einer freyen,
mit ihrer Federkraft und erwaͤrmenden Licht ver-
ſehenen Luft, dazu der Athemzug verhilft, ſowohl
im Meere, als auf dem Lande. Den Athemzug
nebſt der freyen Bewegung zu unterſtuͤtzen, iſt
ein ſtaͤrkerer Umtrieb der Saͤfte, und groͤſſere
Macht der Roͤhren noͤthig, davor der Schlag des
Herzens und der Schlagadern ſorget; allein um
die freye Bewegungen zu beſtimmen, war das
lebhaftere Gefuͤhl, und alſo das Gehirn und die
Nerven unentbehrlich, und zur Erhaltung und
Dauer aller dieſer Theile, eine den Thieren an-
paſſende und ſchon naͤhere Nahrung, als die
Pflanzennahrung, ja gar voͤllig thieriſche, und
ihre
[215] ihre Zubereitung, folglich auch die Verdauungs-
Eingeweyde noͤthig. Endlich muſten auch noch,
um gleiche Naturen wieder hervorzubringen, oder
die thieriſche Fortzeugung auszufuͤhren, beſonde-
re Zeugungstheile, die man faſt durchgehends in
maͤnnliche und weibliche unterſcheiden kann, vor-
handen ſeyn.


§. 299.


Das Obergeſchlecht der Thiere iſt alſo dem
Pflanzengeſchlechte in Anſehung der Fortzeugung
am aͤhnlichſten, denn alles uͤbrige weicht bey den
Thieren, nach den Stufen ihrer Arten, immer
merklicher ab; doch iſt die Eintheilung der Thie-
re, nach ihren Zeugungsarten auch wieder ſehr
verſchieden. Nun hat zwar Herr Linne ſeine
Geſchlechtszeichen, die er bey den Pflanzen ſo gut
zu nutzen gewußt, bey den Thieren nicht fortge-
ſetzt; allein nach unſerer Abſicht die Natur zu
betrachten, muͤſſen wir hier ſolche Zeichen, wie-
wohl nur uͤberhaupt, fortfuͤhren.


O 4§. 300.
[216]

§. 300.


Wenn man nun bey den Pflanzen mehr ledige
und eheliche, als Zwitter antrift; ſo kehrt es ſich
bey den Thieren um, ſo, daß viel weniger Zwit-
ter, als ledige ſind. Fand man ferner die mei-
ſten ledigen und ehelichen Staͤmme unter den
groͤſſeren Arten, die Zwitter aber unter allen von
den groſſen bis zu den kleinſten Pflaͤnzchen; ſo
findet man bey den Thieren umgekehrt die Zwit-
ter faſt allein unter den kleinern, und darunter
wohl wenige, wie die Zwitterbluͤthen gepaarter
Art, oder die ſich ſelbſt, ohne den Beytritt eines
andern vor ſich lebenden, begatteten.


§. 301.


Es laſſen ſich zwar die Begattungen der Thie-
re noch nicht ſo gewiß, wie bey den Pflanzen be-
ſtimmen, ob wir gleich von vielen ſagen koͤnnen,
daß bey ihnen jede zeitige Begattung eine Frucht
erwecke; doch wird man vielleicht kuͤnftig zuver-
laͤßiger entſcheiden koͤnnen, ob das, was wir bey
einigen Thieren Geilheit nennen, nicht vielmehr
zur
[217] zur nothwendigen vielfachen Begattung gehoͤre,
ohne welche die Fortzeugung, wie bey vielen Bluͤ-
then, den Abſichten der Natur nicht ganz gemaͤß
erfolgen wuͤrde.


§. 302.


Selbſt die gewoͤhnlichſte Zahl der Jungen bey
jeder Thierart, die der Menge des Samens von
einer einzelnen Fruchtbluͤthe gleicht, wuͤrde nach
den meiſten Faͤllen angemerkt, von allen zuſam-
men geordnet, und mit einander verglichen wer-
den muͤſſen, wenn man dieſes Obergeſchlecht, von
dieſer Seite, wie die Pflanzen, kennen wollte.


§. 303.


Pflanzen und Thiere aber ſind bey der Fort-
zeugung ſich darinne uͤberhaupt aͤhnlich, daß man
annehmende Theile bey dem Weibchen, und die
hiezu erforderlichen angenommenen Theile bey
dem Maͤnnchen antrifft. Zum Anſchuß der Sal-
tze, oder zur foͤrmlichen Bildung ihrer Kriſtallen,
ſind ebenfals annehmende, und angenommene
Theile noͤthig, wie wir oben bemerkt haben: da-
O 5her
[218] her findet man den Grund der foͤrmlichen Bil-
dung, von der unterſten bis zur hoͤchſten Stuffe,
allezeit zweyſeitig und niemals einſeitig, oder kein
Koͤrper hat die Anlage ſeiner Geſtalt und ausbil-
dende Bewegung, blos aus ſich ſelbſt.


§. 304.


Ohne zu beſtimmen, wo ſich die Graͤnze der
Pflanzen und Thiere ſcheide, oder wo die Thier-
pflanze und Pflanzenthier, ſchon mehr Thier, als
Pflanze ſey, wollen wir lieber die thieriſche Ge-
ſtalt und Geburt betrachten, und gegen das Pflanz-
artige halten. Wenn wir nun finden, daß die
Eyer des thieriſchen Weibchens, in denen Thieren,
wo man ſie deutlich erkennen kann, ohne den
maͤnnlichen Samen, zur Fortzeugung niemahls
taugen, ſondern allezeit unfruchtbar bleiben, ob
ſie gleich wie die Samen der Fruchtbluͤthen, ſchon
die voͤllige aͤuſſere Geſtalt des Eyes haben; ſo iſt
die Aehnlichkeit dieſer Anlage zwiſchen ſolchen
Thieren und den Pflanzen von dieſer Seite deut-
lich. Kann man ferner dem fluͤßigen maͤnnlichen
Samen
[219] Samen der Thiere, eben ſo wenig, wie dem flie-
genden Staub maͤnnlicher Bluͤthen, eine foͤrmliche
Geſtalt zuſchreiben, ſo iſt auch in dieſem Fall die
Aehnlichkeit unleugbar: folglich ſind auch die Ey-
er aller ſolchen Weibchen, fuͤr bloſſe leere Anlagen
der kuͤnftig auszufuͤllenden und zu bewegenden
Bildung, oder als Behaͤltniſſe des ausfuͤllenden
und bewegenden Samens anzuſehen. Daher be-
ruhete die erſte Anlage der thieriſchen Geſtalt, auf
der Empfaͤngniß des Samens in die Eyerchen,
und alſo geſchaͤhe ſie eben ſowohl zweyſeitig, als
auch im Kleinſten.


§. 305.


Die oben bey den Pflanzen uͤbergangenen Baſt-
arten des Herrn Koͤlreuters, die ebenfals bey die-
ſer erſten Geſtalt ihren Urſprung nehmen, laſſen
ſich hier bey den thieriſchen Baſtarten zugleich
mit vorſtellen, wenn man nur noch vorher einen
Blick auf die unterſte Stuffe dieſer erſten Geſtalt,
naͤmlich auf die Saltze, zuruͤck thut. Denn ſo-
wohl durch die Verwechſelung des laugenſaltzigen
Behaͤltniſſes, als auch des ſauren, ſo davon auf-
genom-
[220] genommen wird, verwechſelt, oder veraͤndert die
Geſtalt der daraus entſpringenden Saltze; und
wenn man nun gleich die Behaͤltniſſe der Pflan-
zen und Thiere weder fuͤr laugenſalzartig, noch
die Theile, die ſie beyderſeits zu ihrer Befruchtung
aufnehmen, fuͤr ſauer, mit Gewisheit angeben
darf; ſo bleibt doch uͤberhaupt genommen, ſo viel
wahr, daß des einen, wie des andern Verwechſe-
lung, die erſte Anlage der Geſtalt, und damit zu-
gleich alles, was davon abhaͤngt, eben auch ver-
aͤndern muͤſſe; wofern nur die noͤthige Faͤhigkeit
zur Empfaͤngniß ſtatt findet. Dieſes erſtreckt ſich,
bis auf die Begattung der verſchiedenen Unter-
arten, und beweißt bey jeder eine beſondere Bau-
und Miſchungsart, in dem Beytrage zur Zeugung.
Denn es kann dieſes blos in der Verhaͤltniß der
Linien vom Bilde, und der Grundtheilchen von
der Miſchung gegruͤndet ſeyn.


§. 306.


In dieſer Faͤhigkeit zu empfangen liegt es, daß
die ledigen Staͤmme oft weit von einander, ohne
Nach-
[221] Nachtheil fuͤr die Begattung, abſtehen koͤnnen,
wenn nur der Wind den Samenſtaub, zur Frucht-
bluͤthe fuͤhren kan. Dieſe Faͤhigkeit in der Ferne
zu empfangen, war bey dieſem Obergeſchlechte,
das ſeinen Ort nicht veraͤndern kan, noͤthig. Bey
dem Thiergeſchlechte hingegen nicht. Denn es
kan ſich eines zum andern bewegen; wie denn
verſchiedene, blos um die Zeit ihrer Begattung,
fluͤgen, und nach ihren Empfindungen ihres glei-
chen, ausſpuͤhren.


§. 307.


Der Bau und die Geſtalt der thieriſchen Zeu-
gungstheile bey den Maͤnnchen und Weibchen,
haben eine ſolche Verhaͤltniß gegen einander, daß
das Weibchen, das Zeugungsglied des Maͤnn-
chens meiſtens in ſich nehmen kan, und bey der
Begattung in ſich nehmen muß. Bey den Pflan-
zen iſt dieſes nicht ſo zu bemerken, denn ſie em-
pfangen meiſtens aͤuſſerlich; die Thiere hingegen
innerlich; Fiſche und wenige andere ausgenom-
men.


§. 308.
[222]

§. 308.


Ob nun gleich der Bau der Zeugungstheile bey
vielen ledigen Thieren, zu ihrer beyder beſonderen
Begattung und Empfaͤngniß eingerichtet iſt; ſo
hat er doch auch bey vielen eine gemeine Einrich-
tung, daß naͤmlich das Weibchen die Zeugungs-
theile vieler fremdartiger Maͤnnchen, einnehmen,
oder daß ſich das Maͤnnchen, vielen andern Weib-
chen mittheilen kan. Stimmte nun dabey, das
Geſchicke ſich zu begatten, mit der Faͤhigkeit zu
empfangen, uͤberein; ſo koͤnnten nach ſolchem An-
ſchein zwiſchen dieſen leicht Baſtarten erfolgen:
Allein die Thierkunde beweiſet, daß dieſes Geſchi-
cke keine Baſtarten veranlaſſe; ſondern daß viel-
mehr die verſchiedene Sinnlichkeit der Thiere, und
der hieraus folgende Wiederwille, Thiere von
verſchiedener Art, von einander zuruͤck haͤlt, und
daß ſich Thiere von fremder Art nicht eher mit
einander vermiſchen, als bis ſie entweder Kunſt
und Gewalt, wie z. B. wenn ſich Eſel und Pferd
mit einander vermiſchen ſollen, oder die hoͤchſte
Noth, wenn naͤmlich ein Thier, bey ſeinem unwie-
der-
[223] derſtehlichen Triebe ſich zu begatten, keines von
ſeiner Art finden kann, oder endlich auch Muth-
willen, dazu treiben.


§. 309.


Ueber das ſtehen die Zeugungstheile bey den
meiſten Thieren an einer gemeinen Stelle, und
aus dieſem Grunde waͤren alle dieſe geſchickt ſich
unter einander zu begatten; wenn nun noch die
Faͤhigkeit zu empfangen dazu kaͤme; ſo koͤnnte
man wieder vermuthen, daß unter dieſen Thieren
viele Baſtarten entſtehen koͤnnten. Allein die
Thierkunde wiederſpricht dieſen ebenfalls, indem
wir vielmehr ſehen, daß gleiche Thiere, bey ihres
gleichen bleiben, und ſie ſehr oft weit aufſuchen.
Wenn denn dieſer Zeugungstrieb, nebſt dem Hun-
ger, der einzige Grund iſt, daß ein Thier ſeinen
Wohnplatz aͤndert, und andere Gegenden beſucht,
da ſonſt jedes bleibt, wo es gebohren, und erwach-
ſen iſt.


§. 310.


Inzwiſchen muͤſſen wir auch nicht vergeſſen,
daß bey einigen Thieren der Ort der Zeugungs-
theile,
[224] theile, nebſt der Art, ſich zu begatten, ganz ab-
weicht. Unter den ledigen Thieren darf man in
dieſer Abſicht nur die ſogenannte Kreutzſpinne be-
lauſchen. Hier haͤlt das Weibchen ſeinen zu be-
feuchtenden Tropfen, vermittelſt der Fuͤhlhoͤrner,
aus denen er herausquillt, ſelbſt an des Maͤnn-
chens Glied, und deſſen kleinſtes Troͤpfchen, zur
Gerinnung ſeines groͤſſeren, vielmahl, bald links,
bald rechts, an. Will man unter den ungepaar-
ten Zwittern die Speiſeſchnecken beobachten, ſo
wird man ſehen, wie ſie beyderſeits nach abge-
ſchoſſenen Liebespfeilen an den Koͤpfen die Zeu-
gungstheile wechſeln. Von einigen Thieren, wo
die zweyfachen Zeugungstheile eines einzelnen
Thieres ſich ſelbſt begatteten, habe ich noch keine
ſichere Bemerkung erſchlichen. Die gepaarten
ledigen Thiere, ſo nur einige Zeit zu ihrer Fort-
pflanzung Paarweiſe beyſammen leben, wollen
wir nur, weil ſie ſehr bekannt ſind, um des Wor-
tes willen anfuͤhren.


§. 311.


Wenn nicht ein Trembly die Polypen faſt bis
zur
[225] zur vollſtaͤndigen Kenntniß unterſucht haͤtte;
wuͤrde man noch immer zweifeln, ob ſich unter
den Thieren ſolche geſchloſſene Haushaltungen,
wie die Pflanzen, mit ihren Knospen und Aeſten
fuͤhren, antreffen lieſſen. Doch wir duͤrfen uns
hier in ſolche Betrachtungen nicht zu weit einlaſ-
ſen, weil wir noch einiges von der Fortzeugung
nachzuholen haben.


§. 312.


Der Kuͤrze wegen wollen wir aus ſo vielen Ar-
ten der Thiere nur die nehmen, ſo kenntliche Eyer,
wie die Pflanzen ihren Samen, geben. Wenn
alſo der Same der Pflanzen, und die Eyer der
Thiere, vor ſich leere Behaͤltniſſe ſind, die weder
auskeimen, noch ſich ausbruͤten laſſen, und alſo
keine erweckbare Geſtalt in ſich enthalten, durch
den Beytritt des Maͤnnchens aber gleich frucht-
bar werden, und die richtige Geſtalt, eines den
Vorfahren aͤhnlichen jungen Nachkommen, durch
Auskeimung und Ausbruͤtung, geben, doch ſo,
daß ſich bey dieſer Anſtalt die Theile dieſer rich-
Ptigen
[226] tigen Geſtalt, nur nach und nach immer weiter
zeigen; ſo ſcheinet dieſes zu beweiſen, daß der
maͤnnliche Beytrag bey dieſem Geſchaͤfte die Er-
fuͤllung gebe, und der erſte Anreger zur Belebung
ſey. Dabey zeigt ſich zugleich, daß die Nachkom-
men, in ihrem Kleinſten vorher gleichſam einen
zuſammen gerollten, oder in die aͤuſſerſte Enge
gebrachten Vorriß ihres Pflaͤnzchens oder Thier-
chens ausmachen: folglich ſich nur durch dieſe
Anſtalten zur Auskeimung oder Ausbruͤtung aus
einander legen, und durch die erſte Nahrung,
weil ſie vorher meiſtentheils dem bloſſen Auge
unſichtbar ſind, im Entwickeln vergroͤſſern. Al-
les dieſes folgt blos auf die Begattung. Daher
kann man ſich die Bildungskraft von dieſer Seite
gar nicht einfach denken. Denn dieſe Fortzeu-
gung gewaͤhret die Ausbildungen, ſolchen beyder-
ley Kraͤften, die zugleich die Kraͤfte des Wachs-
thums ſind, voͤllig gemaͤß.


§. 313.


Aber freylich bekommt die aus einander gewi-
ckelte thieriſche Geſtalt ihre Ausbildung nicht al-
lezeit
[227] lezeit gleich vollkommen, wie der Same der Ge-
waͤchſe. Denn es erhalten zwar viele Thierchen
mit der Ausbruͤtung des Eyes, ſolche gleich voll-
kommen, durch die Ausgeburt; hingegen viele
bekommen ſie nur zum erſten Theil im Ey, und
ihrer Geburt, zum andern Theil aber muͤſſen ſie
die letzte Ausbildung, wo ihre Fortzeugung erſt
ſtatt findet, ſich ſelbſt durch ihre Verwandlung
und den Puppenſtand, wie z. B. die Raupen,
u. a. m. verſchaffen.


§. 314.


Bey allem dieſem aber muß man die erſte thie-
riſche Nahrung allezeit mit vor Augen haben,
und ſie mit der kuͤnftigen vergleichen. Denn die
erſte darf, als ſamenartig nur zur Entwickelung
und Geburt behuͤlflich ſeyn; die andere nach der
Geburt muß ſchon ſtaͤrker, doch noch leicht zu ver-
dauen, und zum erſten Wachsthum dienlich ſeyn;
die dritte und fernere muß noch ſtaͤrkerer Art ſeyn.
Doch wir brauchen nur, ohne viel von der erſten
thieriſchen Nahrung, und dem jungen Wachs-
P 2thum
[228] thum zu ſagen, an den Unterſchied der erſten be-
ſondern Nahrung einiger jungen Thiere zu den-
ken, in ſo ferne dieſe vor der Geburt, als Blut-
artig, und nach der Geburt als Milch, von ihrer
uͤbrigen Nahrung, die ſie lebenslang genieſſen,
mehr oder weniger abweicht; da hingegen die
Pflanze vom Wurzelkeime an, beſtaͤndig einerley
genießet.


§. 315.


Nun glaube ich von der Fortzeugung dieſes
Obergeſchlechts uͤberhaupt, das Noͤthige geſagt,
und hinlaͤnglich erwieſen zu haben, daß kein Thier
weder aus ſich ſelbſt, noch durch einen einfachen
Zeugungstrieb, und am allerwenigſten gleich in
ſeiner vollſtaͤndigen Groͤſſe entſpringe; ſondern
daß es im Kleinſten entweder durch zwey beſon-
dere Vorfahren, oder durch den doppelten Zeu-
gungstrieb eines einzelnen Vorfahren, die Anla-
ge zu ſeiner Geſtalt bekomme; daß ferner keine
Art von freyen Stuͤcken ſich mit einer andern,
ſondern allezeit mit ſeines gleichen begatte, auſſer
dem aber Baſtarten erzeuge; daß endlich keine
Art,
[229] Art, ausgenommen die Zug-arten, ohne Noth,
ihren angebohrnen Wohnplatz verlaſſe, ſondern
allezeit an demſelben bleibe. Ich koͤnnte nun alſo
wohl naͤher zum Zweck ſchreiten, und den Men-
ſchen beſonders betrachten, wenn ich ihn vorher
mit den Hauptgeſchlechten unter den Landthieren
verglichen habe.


§. 316.


Unter den Hauptgeſchlechten auf dem Lande,
iſt wohl dem Menſchen keins naͤher, als das
Haarthier, man mag entweder auf den Leibes-
bau, oder die Art der Nahrung, Begattung oder
Fortzeugung ſehen; nur ſeine ganz bloſſe Fleiſch-
haut zeichnet ihn eben dadurch gleich vor allen
Haarthieren aus, wo ihnen nicht der großbaͤrtige
Aſier und Europaͤer oft ſehr nahe kommt, beſon-
ders wenn ſie ohne Kleidung und Reinlichkeit
wild aufgewachſen ſind.


§. 317.


Auſſer dem unterſcheidet ſich noch der Menſch
durch ſeine Haͤnde und Fuͤſſe, vornaͤmlich am Ell-
bogen und Knie, von andern Thieren mehr, als
P 3durch
[230] durch ſeinen Kopf und Geſicht, und obgleich in
dem Bau der Fuͤſſe, die Einrichtung zum aufrech-
ten Gange, die ein Kind vor andern Thieren vor-
aus hat, zu liegen ſcheinet; ſo wird man doch
ſchwerlich ein Beyſpiel aufweiſen koͤnnen, da ein
ſich allein uͤberlaſſenes Kind, ohne andere Anlei-
tung, aufrecht zu ſtehen, und beſtaͤndig ſo zu ge-
hen, vollkommen gelernt haͤtte.


§. 318.


Hingegen hat man auch wieder noch nirgend
ein Volk angetroffen, das auf Haͤnden und Fuͤſ-
ſen, oder wie die Thiere auf vier Fuͤſſen, gegan-
gen waͤre, woraus ſich ſehr wahrſcheinlich vermu-
then laͤßt, daß kein Volk von einem Paar jungen
Eheleuten, die ſich als Kinder, ehe ſie gehen
konnten, uͤberlaſſen geweſen waͤren, erzeuget wor-
den; ſondern daß vielmehr jedes Volk ſchon wie-
der von einem andern, oder doch von einem Paar,
das ſchon den aufrechten Gang gelernt hatte, ent-
ſprungen, und die Anfuͤhrung zum aufrechten
Gange genoſſen habe.


§. 319.
[231]

§. 319.


Das Hauptgeſchlecht der Menſchen iſt aber
nicht allein von den Haarthieren, ſondern auch
wieder ſelbſt unter ſich, nach Haupt- und Unter-
arten auf dem Erdboden unterſchieden. Dieſer
Unterſchied ſcheint ſo beſtaͤndig zu ſeyn, daß keine
Hauptart, ja nicht einmahl eine Unterart, wenn
ſie ſich nur allezeit mit ihres gleichen begattet, je-
mahls ein Kind von anderer Art, oder eine haupt-
ſaͤchliche Abweichung im geſunden Zuſtande, her-
vorbringt. Niemahls hat noch ein weißes Eu-
ropaͤiſches Paar ein ſchwarzes afrikaniſches Kind,
noch beyde Arten jederſeits vor ſich ein Amerika-
niſches, und ſo wieder umgekehrt, zur Welt ge-
bracht. Ja es wuͤrde viel Muͤhe koſten, zu zei-
gen, daß zwey Weißkoͤpfe vor ſich, jemahls ei-
nen Schwarzkopf, oder zwey Schwarzkoͤpfe einen
Weißkopf erzeugt haͤtten. Wir reden hier nicht
von dem, was der kranke Zuſtand der Eltern oder
des Kindes, oder auch die ſchwere Geburt, in
dieſem Stuͤck an dem Kinde und deſſen Farbe der
Haut, oder an der Geſtalt aͤndert, und nicht be-
P 4ſtaͤndig
[232] ſtaͤndig iſt, weil es ſich entweder noch an dem
Kinde, mit der Entwickelung des Koͤrpers, oder
wenigſtens an ſeinen Nachkommen wieder verliert.


§. 320.


Wenn ſich nun gedachte Umſtaͤnde ſo verhal-
ten, ſollte man da nicht zu denken bewogen wer-
den, daß der Grund von der beſtaͤndigen aͤhnli-
chen Fortzeugung, in dieſen Arten ſelbſt liegen
muͤſſe, und darinne zu ſuchen waͤre, daß ſie von
je her nach der Beſchaffenheit der maͤnnlichen und
weiblichen Zeugungstheile, ſowohl in Anſehung
des Baues, als auch der Miſchung, allezeit eben
die Verhaͤltniß, Art fuͤr Art gefuͤhrt, und deswe-
gen keinen Grund zur Veraͤnderung in ſich ge-
habt haͤtten.


§. 321.


Es wird auch ſehr wahrſcheinlich, daß ſolche
beſtaͤndig unterſchiedene Menſchenarten, von ih-
rem Urſprunge an, ſchon immer ſo verſchieden,
ſowohl was ihren Bau, als auch ihre Miſchung
anlangt, in ihren eigenen Gegenden, oder zwi-
ſchen
[233] ſchen andern Voͤlkern, mit einem Begattungs-
ausſchluß derſelben, beſtanden haben muͤſſen.


§. 322.


Wenn man nun die Arten, ſo ſich noch deutlich
unterſcheiden laſſen, gegen einander haͤlt, findet
man an ihnen nicht allein verſchiedenen Haar-
wuchs, ſondern auch verſchiedene Fleiſchfarbe,
und wenn wir weiter ihre Bildung betrachten,
verſchiedene Verhaͤltniſſe der Leibestheile an ſich
und gegen einander, doch nicht ſowohl gleich nach
der Geburts- als vielmehr in der Ausbildungs-
zeit, wovon ich der Weitlaͤuftigkeit wegen hier
nicht reden kann. Daher duͤrfte mancher, dem
die Bildungsforſchung ein Ernſt waͤre, die man-
cherley Arten der vermengten und vermiſchten
Voͤlker, von dieſer Seite mehr, als nach der
Sittlichkeit aus einander ſetzen koͤnnen.


§. 323.


Die Vermengung, wo mehrere Voͤlker neben
und zwiſchen einander wohnen, braucht keiner Er-
P 5laͤute-
[234] laͤuterung, die Vermiſchung aber, ſo blos durch
die Begattung zweyer verſchiedener Arten er-
folgt, verdient weiter aufgeklaͤrt zu werden, und
in dieſer Abſicht darf ich hier nur das, was ich
ſchon angefuͤhrt habe, wiederholen. Ich ſetze al-
ſo gleich anfaͤnglich die weiblichen und maͤnnlichen
Zeugungstheile, als ſchon an ſich verſchiedene,
voraus; ferner daß nicht allein jene ihre eigene
baumaͤßige und miſchungsartige Verhaͤltniß, nach
ihrer Art; ſondern auch dieſe ihre eigene thaͤtige
gegen das folgſame baumaͤſige, und ihr miſchungs-
artiges Verhaͤltniß nach ihrer Art fuͤhren; end-
lich daß jedes ein halbes ſeiner Art ſey, welches
das andere zur Ausfuͤllung noͤthig hat, und erſt
beyde zuſammen ein vollſtaͤndiges Ganze wirken,
welches ſich nach den beyderſeitigen Verhaͤltniſſen,
die in ihm vereinigt ſind, von dieſer erſten Geſtalt,
bis wieder zu ſeiner Aufloͤſung, als eine eigene
Natur zeiget.


§. 324.


Dieſem wiederſpricht die richtige Erfahrung
nicht. Denn wo ſich ein Mann und Weib von
zweyer-
[235] zweyerley Hauptarten, ja auch nur von zweyerley
Unterarten, mit gehoͤriger Wirkung begattet ha-
ben, erkennt man an dem jungen Menſchen, die
zweyerley Verhaͤltniſſe von Vater und Mutter,
oder den Unterſchied der vermiſchten zwey unglei-
chen Haͤlften. Daher hat man fuͤr ſolchen neuen
Menſchen, oder neue Miſchung dieſes Menſchen,
den Namen Meſtis oder Mulatte, u. ſ. w. ange-
nommen. Selbſt unter uns wird man die Be-
gattung eines Schwarz- und Weißkopfs, ſelten
ohne einen jungen Rothkopf bemerken.


§. 325.


Nimmt man hier noch zu Huͤlfe, daß mancher
Mangel oder Ueberfluß des einen Gatten, ſowohl
in Anſehung des Baues, als der Miſchung, bey
dem Kinde, ja wohl noch beym Kindeskinde wie-
der merklich war, und daß alſo ein Erbuͤbel, wel-
ches doch eine fremde und nur dem weiblichen
oder maͤnnlichen Theil anklebende Eigenſchaft iſt,
ſchon von den beyden ganzen Helften, oder auch
nur von einer, mit in das vollſtaͤndige ganze der
Frucht
[236] Frucht uͤbergehen konnte. Wie vielmehr wird
eine ſich fortpflanzende Ordnung des Baues und
der Miſchung, ſie ſey entweder bey einer Haupt-
oder Unterart, ſeit 4000 Jahren geblieben, fuͤr
eigenthuͤmlich, oder die Art, bey der ſie ſo lange
geblieben, fuͤr eine eigene Art zu halten ſeyn.


§. 326.


Wenn man nun ſolcher eigenen Arten mehrere,
bey mehreren Voͤlkern antrift; ſollte man dieſe
nicht, wie wir oben ſchon erinnert, von ihrem Ur-
ſprunge an, ſchon vor eigene Arten halten? wuͤr-
de ſich das eigene wenn dieſes etwas unbeſtaͤndi-
ges oder zufaͤlliges waͤre, wohl ſo lange haben er-
halten koͤnnen?


§. 327.


Wenn hier die Natur eine ſelbſtbeſtehende
Ordnung der menſchlichen Kraͤfte, und zwar dop-
pelt, als maͤnnlich und weiblich, mit der innigſten
Verbindung, des von beyden Theilen gegenſeiti-
gen Beduͤrfniſſes vorſtellt; ſo wird ja dieſe neue
ſelbſtbeſtehende Ordnung der Menſchenfrucht
gleich-
[237] gleichfort doppelthaͤtig, aber nicht fuͤr ſich unthaͤ-
tiger werden; es muͤßte denn eine Kraft die an-
dere aufheben, und denn muͤßte doch von jeder
Seite das abweichende Eigene, mehr oder weniger
davon merklich bleiben.


§. 328.


Dabey iſt aber noch unentſchieden, ob bey der
Vermiſchung ſolcher zwey eigenen Arten, die
Wirkung einer ſolchen ſelbſtbeſtehenden Ordnung,
ſtaͤrker, oder ſchwaͤcher, als vorher, wenn wir
naͤmlich Art gegen Art ſetzen, anzuſehen ſey?
Naͤmlich ob ein Mulatte oder Meſtis dauerhafter,
als jedes ſeiner Eltern werde, oder nicht? das
aber ſcheinet deutlicher zu ſeyn, daß ein Paar,
nach ſeiner ſelbſtbeſtehenden Ordnung, keine be-
ſtaͤndig unterſchiedene eigene Arten oder Voͤlker
hervor bringen koͤnne.


§. 329.


Betrachtet man dieſes wieder umgekehrt, ſo
kommt es einem natuͤrlicher weiſe ſehr wahrſchein-
lich vor, daß alle beſtaͤndige Haupt- und Unter-
arten
[238] arten der Menſchen, nicht nur ſeit 4000 Jahren,
wo ſie das geweſen, was ſie jetzt ſind; ſondern
ſchon laͤnger, und in den erſten Zeiten der Erde
ſo unterſchiedene eigene Arten vorgeſtellt haben.


§. 330.


Auch wenn man alle noch jetzt deutlich unter-
ſchiedene Voͤlker, der verſchiedenen Welttheile,
um die ganze Erde gegen einander haͤlt, und nicht
uͤberſieht, daß ſich erſtlich wenig menſchenleere
Wuͤſten finden, und daß zweitens das Hauptge-
ſchlecht der Menſchen, gegen die Thiere gerechnet,
von allgemeinerer Ausbreitung ſey, da viele Thier-
geſchlechter nur gewiſſe Gegenden inne haben; es
ſind zwar die Menſchen nach dem Unterſchiede ih-
rer Arten, noch nicht ſo deutlich, wie die Thiere
auseinander geſetzt: wird dennoch die Zahl der
Menſchenarten, auch nur ungefehr gegen die Un-
terarten der uͤbrigen Thiergeſchlechter geſtellt, die
Vermuthung, daß gleich anfaͤnglich mehr Men-
ſchenarten uͤber die Erde vertheilt ſeyn mußten,
ſchon ſehr rechtfertigen.


§. 331.
[239]

§. 331.


Wenn die Eroberungen und Wanderungen
nicht ſo viele Veraͤnderungen in den Anſitzen der
Voͤlker gemacht haͤtten; wuͤrden wir, ungeachtet
der Erdverwandlungen, noch viel mehr Voͤlker
unvermengt und unvermiſcht autreffen, und viel-
leicht auch die blauaugigten Weiskoͤpfe der ein-
gebornen Germanier, wie ſie Tazitus angiebt, und
andere Voͤlker mehr, noch unvermiſcht beyſammen
finden. Mithin muͤſſen wir den Erdboden mit
ſeinen Voͤlkern nehmen, wie ihn uns die Erdbe-
ſchreiber angeben. Hier wollen wir kein Ver-
zeichnis aller noch deutlich unterſchiedener Voͤlker
her ſetzen, ſondern es lieber jedem Leſer uͤberlaſſen,
ſie, aus den Erd- und Reiſebeſchreibungen ſelbſt
kennen zu lernen, und zu beurtheilen.


§. 332.


Doch nehme man ſtatt der ſo vermengten Eu-
ropaͤer, deren aͤlteſte Geſchichte uns noch dazu
entgangen iſt, und ſtatt der Amerikaner von deren
aͤlteſten Geſchichte wir noch weniger wiſſen; von
den
[240] den Aſiern diejenigen, deren Geſchichte ſich noch
am beſten erhalten hat; naͤmlich die Egypter, In-
dier, Chinaͤſer, Tartarn, vornaͤmlich aber, die noch
am wenigſten vermengten Araber, und die Be-
wohner der Aſiatiſchen Eilaͤnder; hernach von den
Afrikanern, die Aethiopier, Negern und Hotten-
totten, in ſo ferne die aͤlteſte Menſchenkunde ſol-
cher ſchon Meldung thut.


§. 333.


Man vergleiche die aͤlteſten Merkmahle ihrer
Geſchlechtsart, mit den jetzigen, um zu ſehen, ob
ſie ſich ſo hauptſaͤchlich veraͤndert haben, daß ſie
fuͤr ein ander Volk gehalten werden koͤnten. Bey
den unvermengten wird man die aͤlteſten, mitleren
und jetzigen Merkmahle, nach Fleiſchfarbe, Har-
wuchs und Verhaͤltniß der Bildung ſich noch im-
mer gleich finden; und bey den vermiſchten dau-
ren die Kennzeichen der aͤltern Vermiſchung, ohne
daß ſie verloͤſchen, zum Beweiſe ihrer Beſtaͤndig-
keit, noch immer fort.


§. 334.
[241]

§. 334.


Dieſe Betrachtung ſcheint auch unmittelbar
den Beweis zu enthalten, daß dieſe Voͤlker in den
aͤlteſten Zeiten vielmehr einzeln, als beyſammen
gewohnt haben; zumahl da die bekannten Erobe-
rungen und Wanderungen, im umgekehrten Fall
eben daſſelbe beweiſen. Daher kann man alle
dieſe Voͤlker, ſchon vor der uns bekannten 4000-
jaͤhrigen Zeit, als noch weiter von einander abge-
ſonderte anſehen, jemehr man ſie umgekehrt, naͤ-
her gegen die jetzige Zeit, immer vermiſchter be-
findet, und ſie alſo zukuͤnftig noch vermengter
vermuthen darf. Es laͤßt ſich auch hieraus vor
jede beſondere Gegend des vorigen Erdbodens,
ſehr wahrſcheinlich ein beſonder Volk annehmen,
und alſo auch eine beſondere Ordnung zwiſchen
allen vorigen Voͤlkern vermuthen, die man aber
freylich ſeit der Verwandlung der Erde, und noch
mehr ſeit den Wanderungen, vielmehr errathen
muß, als ſchluͤſſen kann.


§. 335.


Inzwiſchen wird man dennoch, ungeachtet aller
oben beſchriebenen Erdveraͤnderungen, und wenn
man gleich das Menſchengeſchlecht, ſo vermiſcht
nimmt, wie es jetzt iſt, in mehr als einer Gegend,
und an mehr, als einem Volk merken koͤnnen, daß
es ſich daſelbſt ohne fremde Einmiſchung und
ohne weite Wanderung, ſeit der uns bekannten
vorigen Zeit, ſo erhalten habe, wie es auch ſchon
in der Naͤhe der jetzigen Gegend anzuſehen war;
hingegen zeigen mehrere Gegenden und Voͤlker,
durch ihre verſchiedene Vermiſchungen, und ab-
Qwechſeln-
[242] wechſelnde Miſchungszeichen, nebſt der Geſchichte
von manchen Voͤlkern, daß ſolche entweder gleich
mit ihrer Erdveraͤnderung zuſammen geſchlagen
worden ſind, oder ſich nachher durch verſchiedene
Wanderungen und Eroberungen mit einander
vermiſcht haben.


§. 336.


Es moͤgen aber der unvermiſchten, und nicht
ausgewanderten Voͤlker, ſo wenig ſeyn, als man
nur will, ſo beweiſet doch jedes, mit ſeinem neuen
Lande, oder alten Meergrunde, auf dem es ſeit
undenklicher Zeit, gewohnt haben will, daß es zum
Beſitze ſeines jetzigen Landes, ohne groſe Abaͤnde-
rung, in Anſehung ſeines ganzen, uͤbergegangen
ſey; und es macht ſo ein Volk zugleich wahr-
ſcheinlich, daß die meiſten Erdveraͤnderungen,
welche damals neue Laͤnder hervor brachten, mehr
ruckweiſe, wie die Schichtgebuͤrge gleichfalls ver-
muthen laſſen, an jedem Ort, erfolget ſeyn; ob
es gleich nachher mit dem Untergange der alten
feſten Laͤnder meiſtens deſto geſchwinder herge-
gangen ſeyn, und ſich ihre vorige Voͤlker ſchwer-
lich ganz vor dem Verderben gerettet haben
moͤchten.


§. 337.


Wenn wir uns endlich die Eigenſchaft der un-
gattigen und gattigen Haupttheilung unſerer Er-
de vorſtellen, und finden, daß jene, ſeit der uns
bekannten Zeit, und vermoͤge der aͤlteſten Ueber-
bleibſel, ſchon in der aͤlteſten Zeit, das veraͤnder-
liche Hauptſtuͤck unſerer Erde geweſen iſt; die
gattige hingegen, ſowohl nach der uns bekaunten
vergan-
[243] vergangenen Zeit, als auch nach den Ueberbleib-
ſeln der aͤlteren, uͤberhaupt allezeit dieſelbe geblie-
ben iſt; ſo laͤßt ſich wahrſcheinlich ſchlieſſen, daß
die ungattige Haupttheilung auch kuͤnftig das
hauptſaͤchlichſte Geſchicke zur Veraͤnderung der
Erde haben werde; die gattige aber bey der Ver-
aͤnderung dieſer, dennoch ferner unveraͤnderlich
und eben ſo bleiben werde.


§. 338.


Nun hoffen wir, daß man das, was wir Natur
und natuͤrlich nennen verſtehen werde, und alſo
auch was man auf dieſer Seite, ſowohl von dem
Menſchen an ſich und von ſeiner Abſtammung,
als auch von ſeiner Sprache, und ſeinen uͤbrigen
Aeuſſerungen, aus blos natuͤrlichen Gruͤnden be-
haupten koͤnne. Wir wollen indeſſen hier noch
einen kurzen Auszug derer in dem vorigen ange-
wendeten Saͤtze, beyfuͤgen, um die Leſer in den
Stand zu ſetzen, von ihrer Beſchaffenheit, in wie
weit ſie naͤmlich, wahr oder wahrſcheinlich ſind,
oder nicht, deſto beſſer urtheilen zu koͤnnen.


§. 339.


Alle unſere erſte Kenntniß entſpringt aus dem
Gegenwaͤrtigen, und dieſes iſt zu unſerm Zweck,
die Erde und das ganze Himmelsheer.


§. 340.


Das Gegenwaͤrtige erfolgte aus dem Vergan-
genen, wie das Zukuͤnftige aus dem Gegenwaͤrti-
gen erfolgen muß. Deswegen muß uns das
Gegenwaͤrtige, nebſt der Ruͤckſicht in das Ver-
gangene, die erſten Gruͤnde zur Ausſicht in das
Zukuͤnftige geben.


Q 2§. 341.
[244]

§. 341.


Wozu alſo weder das Gegenwaͤrtige, noch das
gewiſſe Vergangene einen Grund angiebt, das
wird man nicht behaupten koͤnnen; wozu aber
beyde richtigen Grund angeben, wird man auch
gelten laſſen koͤnnen.


§. 342.


Wie wir die Erde vor uns finden, ſo muͤſſen
wir ſie zuerſt annehmen; und wie wir die Him-
melskoͤrper erkennen, ſo muͤſſen wir ſie betrachten.


§. 343.


Wie wir die Erde gegen ihr Sonnenſyſtem,
und dieſes gegen die uͤbrigen Himmelskoͤrper, in
Anſehung der Stellung und Bewegung finden;
ſo werden wir die Erde ſamt uns gegen die uͤbri-
gen Himmelskoͤrper ſchaͤtzen muͤſſen.


§. 344.


Es iſt aber die Erde weder ein Mittelpunkt,
noch ſonſt ein Hauptpunkt am Himmel; ſondern
ein Nebenpunkt, wie andere mehr, alſo auch
wohl nicht die einzige ihrer Art.


§. 345.


Wie wir alſo die Erde nach ihren Hauptthei-
lungen, Ordnungen und Geſchlechten finden; ſo
koͤnnen mehr Himmelskoͤrper beſchaffen ſeyn.
Sie ſelbſt aber muͤſſen wir nach ihren Hauptthei-
lungen, ſo wie ſie ſind, betrachten.


§. 346.
[245]

§. 346.


Deswegen muͤſſen wir das, was wir jetzt und
vorher immer veraͤndert finden, das Veraͤnderli-
che der Erde, und was wir darauf ſich immer
gleich finden, ihr Beſtaͤndiges nennen.


§. 347.


Das, von dem wir wiſſen, daß es jetzt und
vorher allezeit aus einem andern, im Kleinſten
entſprungen iſt, werden wir in der unbekannten
vergangenen Zeit, weder in ſeinem Groͤßten, noch
umgekehrt gar aus ſich ſelbſt entſpringen laſſen
duͤrfen; ſondern wie wir ſeinen Urſprung allezeit
finden, ſo werden wir ihn auch wohl allezeit, doch
nur uͤberhaupt, beybehalten muͤſſen.


§. 348.


Wir duͤrfen keinem Dinge weder mehr noch
weniger Veraͤnderungen, oder Verwandlungen
beymeſſen, als wir theils aus der gegenwaͤrtigen,
theils aus der vergangenen Zeit und ihren Ueber-
bleibſeln erkennen; umgekehrt aber, was man
aus den Ueberbleibſeln der vorigen Zeit hievon
ſieht, muß man ihm fuͤr ſeine Beſchaffenheit in
der aͤltern Zeit zuſchreiben.


§. 349.


Was jetzt und vorher keinen einfachen Ur-
ſprung gehabt hat, dem wird man auch fuͤr die
unbekannte Zeit keinen dergleichen Urſprung an-
dichten duͤrfen.


Q 3§. 350.
[246]

§. 350.


Wenn ein Ober- und Hauptgeſchlecht von jetzt
an, durch die bekannte verfloſſene Zeit, aus zwey
beſondern Gatten beſtanden, und durch ihren
zweyfachen Beytrag zur Fortzeugung, ſich alle-
zeit erhalten hat; ſo wird man es in der unbe-
kannten Zeit, weder vor einfach noch zwitterartig
annehmen koͤnnen.


§. 351.


Ein Hauptgeſchlecht, das allezeit aus mehreren
beſtaͤndigen Haupt- und Unterarten beſtanden
hat, wird fuͤr die unbekannte Zeit nicht als ein-
artig anzugeben ſeyn.


§. 352.


Wenn ſich die Haupt- oder Unterart eines Ge-
ſchlechts, weder jetzt noch in der vergangenen Zeit
von ſelbſt, ſondern nur durch Einmiſchung ande-
rer verwandelt hat; ſo hat man keinen Grund,
ſolchen Arten eines Geſchlechts, in der unbekann-
ten Zeit, eine Selbſtverwandlung zuzuſchreiben.


§. 353.


Was ein Geſchlecht zu keiner bekannten Zeit
von ſich ſelbſt erfand, ſondern ihm nur allezeit
von ſeinen Vorfahren wieder uͤbergeben wurde;
wird man es auch in der unbekannten Zeit nicht
von ſelbſt erfinden, ſondern nur allezeit mitthei-
len laſſen wollen.


§. 354.


Wenn wir nun die Himmelskoͤrper nur ſo, wie
die kaum halb bekannte Erde kennten, doͤrften
wir
[247] wir von ihnen auch ſolche Saͤtze angeben. So
aber muͤſſen wir ſie ſo anſehen, wie wir ſie von
jetzt an, durch die vorige Zeit kennen; naͤmlich in
Anſehung unſer unzaͤhlig, und nach der Ordnung
der einzelnen veraͤnderlich, im Ganzen aber be-
ſtaͤndig gleich, oder unveraͤndert, doch noch uͤber-
all vor uns undeutlich, auſſer nach den ſichtbare-
ſten Nachbarn unſeres Sonnenſyſtems.


§. 355.


Weil alſo die aͤuſſerliche Bauart der Erde zei-
get, daß ſie bey ihrem Urſprunge groͤſſer oder
leichter geweſen, und kleiner geworden, auch durch
die Erdbeben noch immer kleiner oder ſchwerer
werden duͤrfte; ſo koͤnnen wenigſtens die aͤhnli-
chen Himmelskoͤrper, von gleichem Urſprunge,
Bauart, Verwandlung und Schickſalen ange-
nommen werden.


§. 356.


Wenn endlich die gattige Haupttheilung unſe-
rer Erde allezeit von ſeinem gleichen Geſchlechte,
zweyſeitig im Kleinſten fortgezeugt, alſo eiuzeln
ſtets veraͤndert, im Ganzen ader dadurch unver-
aͤndert erhalten wird, und im letzten Fall den
Himmelskoͤrpern aͤhnlich iſt; ſoll man nicht von
den Himmelskoͤrpern, die einzeln veraͤnderlich, im
Ganzen unveraͤnderlich ſind, uͤberhaupt ein glei-
ches vermuthen duͤrfen?


§. 357.


Sollten einige Leſer die Erinnerung machen,
daß andern Schriftſtellern viele, ja wohl die mei-
ſten von dieſen Saͤtzen ſchon bekannt, und von
Q 4ihnen
[248] ihnen gebraucht worden waͤren; ſo kann man die-
ſes leicht einraͤumen, wenn ſie nur als natuͤrliche
Gruͤnde anzuſehen ſind, aus denen man das, was
bisher von der Erde und den Menſchen geſagt
worden, als bloſſe Naturforſcher herleiten kann.
Weil wir aber auch noch Urkunden einiger Voͤl-
ker haben, ſo die aͤlteſte Geſchichte der Erde und
Menſchen beſchreiben; ſo wollen wir auch etwas
davon aufuͤhren, um es mit dem, was wir vor-
her durch eigenes Nachdenken aus den gemachten
Bemerkungen geſchloſſen, zu vergleichen.


§. 358.
Zweyte Nachhuͤlfe aus verſchiedenen Nachrichten von
der aͤlteſten Erd- und Menſchengeſchichte.


Wir wollen mit den chaldaͤiſchen und aͤgypti-
ſchen Nachrichten anfangen. Das wenige, was
wir von der langen Geſchichte der Aegypter ge-
rettet finden, haben wir den Griechen, und zwar
vornaͤmlich dem Herodotus und Plutarch zu dan-
ken; jenen aber (*) koͤnnen wir wegen ſeiner
Deutlichkeit vorziehen. Er haͤlt erſtlich Aegypten
fuͤr einen alten Meergrund, wegen der Muſcheln
auf den Bergen, des vielen Salzes in deſſen
Oberflaͤche, und eines Sandberges, Memphis
gegen uͤber. Alsdenn unterſcheidet er als Grie-
che, ihre aͤlteſten Koͤnige, die nach ihren Goͤttern
regiert
[249] regiert haben, voͤllig von dieſen; indem weder
innerhalb einer 10340jaͤhrigen koͤniglichen und
prieſterlichen Regierung vom erſten Menos an,
ein Gott von den Koͤnigen, noch von den Prie-
ſtern dieſer Zeit entſprungen waͤre. Ferner ſagt
er, daß die Goͤtter vorher, als Fuͤrſten des Lan-
des, deren einer allezeit die Regierung hatte, viele
tauſend Jahre, ohne Koͤnige regieret haben, wie-
wohl mit dieſer Abaͤnderung, daß ihrer erſt nur
8, dann 12, und zuletzt noch mehr waren. Denn
von ihrem Herkules, der doch nicht ſo alt, wie
ihr Pan geſchaͤtzt wurde, zaͤhlten ſie ſchon bis an
den Koͤnig Amaſis 1700 Jahre, und doch mußte
das Volk, waͤhrend der Goͤtterzeit, keinen Goͤt-
terdienſt gehalten haben, weil ihn Menes erſt
lehrte. Was nun noch vornaͤmlich hieher ge-
hoͤrt, iſt, daß waͤhrend der gedachten 10340jaͤh-
rigen Regierung der Koͤnige, die Sonne vier-
mahl ihren Aufgang veraͤndert habe, und zwey-
mahl in Abend aufgegangen, zweymahl alſo in
Morgen untergegangen ſey, ohne alle Veraͤnde-
rung fuͤr Aegypten. Nun hat zwar Jablonski
durch ſein aͤgyptiſches Pantheon dieſe Goͤtterleh-
re ſehr gelehrt, obgleich nicht wie ein Erforſcher
der alten Erdkunde aus einander geſetzt; dem un-
geachtet verdienet dieſe Bemuͤhung den groͤßten
Dank. Denn nun hat jeder Nacharbeiter ein
Regiſter faſt aller noch zu findenden Stellen und
Auslegungen, die Aegypten betreffen; man muͤß-
te denn kuͤnftig bey den Arabern und andern al-
ten Aſiern noch gewiſſere Nachrichten finden
koͤnnen.


Q 5§. 359.
[250]

§. 359.


Von den Chaldaͤern und Babyloniern hat man
noch wenigere Ueberbleibſel, und wenn ſich nicht
die Nachricht des Kallisthenes, der mit dem Ale-
xander zu Babylon war, von ihren 1903 Jahr
alten Himmelsbeobachtungen, die alſo 2234
Jahr vor unſerer Jahrzahl geſchahen, durch an-
dere fuͤr uns erhalten haͤtte, ſo wuͤrden wir ihnen
auſſer dem gemeinen Ruf, kaum einige gewiſſe
Himmelskunde beymeſſen duͤrfen; wie denn ihre
Saͤrus, oder Jahrrechnungen noch immer be-
zweifelt werden. Von ihrer Erdkunde findet
man aber noch weniger. Doch iſt des Beroſus
Nachricht, daß in der aͤlteſten Zeit ein Oannes
als ein Fiſchmenſch, vielleicht als ein Schiffer,
aus dem rothen Meere zu ihnen gekommen ſey,
und ihnen die erſten Buchſtaben, ſamt ihren
Wiſſeuſchaften mitgetheilet habe, ein Umſtand,
der bey den alten Erdverwandlungen, oder dem
Einſtuͤrzen alter Laͤnder, an mehreren Orten vor-
kommen konnte; wenn einige der alten Erdbuͤrger
auf neuen Laͤndern, die ſchon wieder bewohnt wa-
ren, ſichere Anſitze ſuchten. Was des Zoroaſters
Arjemann oder boͤſen Mann, und Oromoſes, oder
guten Mann betrift, gehoͤrt mehr in ihre Sitten-
lehre, als in ihre wahre Erdkunde. Hingegen
ſagt Diodorus(*) deutlich, daß ſie die Welt fuͤr
ewig und Gott unterwuͤrfig gehalten, und ihr we-
der einen gewiſſen Urſprung noch Untergang bey-
gemeſſen, auch alle Vorgaͤnge als Folgen aus ih-
rer Ordnung erklaͤhrt haben, und die Ankunft
der Kometen ſo gut als die Finſterniſſen angege-
ben,
[251] ben, und das um ſo leichter, weil ſie ſeit 47200
Jahren den Himmelslauf bemerket haͤtten.


§. 360.


In den Nachrichten der Griechen, die theils
ihre eigene, theils durch ſie auf behalten worden
ſind, findet man, daß vor Alters die Sterne nicht
alle zugleich ſichtbar geworden ſeyn ſollen (*),
und daß uͤberhaupt des Himmels Zuſtand, nach
damahligem Ausdruck, noch vor dem Saturn,
von andern Beherrſchern abgehangen habe (**),
oder anders beſchaffen geweſen ſey, auch daß eini-
ge der aͤlteſten Erdbuͤrger, als die Arkadier (***)
und
[252] und Athenienſer (*) ſchon vor des Mondes oder
mit der Sonnen Ankunft ihre Landſchaft beſeſſen,
und daher ſogar eine Zeitrechnung zum rechtli-
chen Beweiſe ihrer alten Anſitze (**) entweder
vor dem Geſtirne, oder vor der Suͤndfluth, fuͤr
giltig erklaͤret haben. Ja man hat in dieſen al-
ten Zeiten ſogar behauptet, daß die aͤgyptiſchen
Prieſter, noch vor vieler Geſtirne Auftritte, die
Welt mit ihrem Beherrſcher durchreiſet, oder
umſchifft, und ſchon einige Pflanzſtaͤdte (***),
als der Kolchier, angelegt haͤtten (****).


§. 361.
[253]

§. 361.


Doch wie weit auch dieſe Nachrichten der Grie-
chen und Aegypter hinaus gehen moͤgen, ſo uͤber-
treffen ſie doch weder des Orpheus(*) noch des
Heſio-
(****)
(****)
[254]Heſiodos Theogonie; welche letzte ihre Herkunft
mehr von den Atlantern aus Libien, theils auch
ſelbſt von den Pelasgern, fuͤhren mag (*) zu-
mahl da ſie nach des Dichters eigenen Worten
im 105 bis 113 Verſe, ingleichen im 963 und
naͤchſten Verſe blos von den Erdveraͤnderungen
und gar nicht von bloſen Menſchen zu verſtehen
iſt. Der Anfang dieſer aͤlteſten Naturkunde iſt
die groſe Kluft, oder ſein Chaos, welches nach
dem
(*)
[255] dem 700ten Vers hier wohl kein unfoͤrmliches
Mengſel, ſondern vielmehr eine beſtehende Kluft,
heiſſen muß, weil es beym Kriege mit den Tita-
nen, ſo ſpaͤt erſt vom Brande eingenommen war,
und zweytens nach dem 814ten Vers die Titanen
uͤber dieſes Chaos hinuͤber verbannt wurden.
Drittens bekam ja die Gai oder der Erdboden
hierdurch die Breite oder Geſtalt einer Bruſt,
nach dem 117ten Vers, und hierauf erſchien erſt
der ſchoͤne beſanftigende Eros, oder Liebreitz.
Hierauf kam aus der Kluft ſelbſt wieder die Fin-
ſterniß und die Nacht; ferner aber aus der Nacht,
das Licht und der Tag. Nach allen dieſen ſchafte
ſich erſt der Erdboden den geſtirnten Himmel, und
zugleich die Berge, die eigentlichen Abkoͤmmlinge
des alten Meeres, nach jetziger Naturkenntniß;
dabey brachte nun das alte Meer, die See zu-
wege. Denn erſt durch die Vereinigung des da-
mahligen Himmels, mit der Erde entſtund Okea-
nos,
oder das groſe Weltmeer, und wieder erſt
nach dieſem nebſt andern Huͤperion, welcher wie-
der ſpaͤter die Sonne und den Mond hervor
brachte.


§. 362.


Nimmt man nun dieſe Theogonie, fuͤr der
Griechen aͤlteſte Naturkunde an, ſo ſieht es ſo
aus, als wenn Heſiodos bis an den Urſprung
des Kometen zuruͤckgienge, und ſolchen urſpruͤng-
lich als einen Himmelskoͤrper beſchriebe, der ver-
moͤge einer Kluft, fuͤr hoh anzuſehen war, und
mit ſeinem eigenen Schimmer, (ſo kann man den
Eros
[256] Eros (*) verſtehen) erleuchtet wurde; auch durch
langſame Wechſel ſo fort gieng, bis er durch die
Vereinigung des Uranos, oder Himmelswaſſers,
mit dem Lande ein Planete wurde. Doch genug
hiervon. Noch andere Spuren der aͤlteſten Erd-
veraͤnderungen, die verſchiedene Menſchenge-
ſchlechter oder alte feſte Laͤnder betroffen haben
ſollen, findet man in des Heſiodos Tagewerken,
vom 108ten Vers an.


§. 363.
[257]

§. 363.


Ehe wir aber die Griechen verlaſſen, koͤnnen
wir noch den Plato, den die chriſtlichen Altvaͤter
als den Vorlaͤufer der chriſtlichen Weltweisheit
angeſehen haben, anfuͤhren. Dieſer behauptet
nicht allein in ſeinem Politikos an der 174. S.
wo er ſeinen groſſen Umlauf der Welt erklaͤrt,
daß zu des Atreus und Thyeſt’s Zeiten der Him-
mels- und Sonnenlauf erſt noch linksum gegan-
gen ſey, welches die Aegypter beym Herodotus
oben auch ſagten, und ſich viel wahrſcheinlicher
durch die Umſchwaͤnkung der Pole verſtehen laͤßt.
Ja in ſeinem Timaͤos an der 523. S. laͤßt er ei-
nen aͤgyptiſchen Prieſter beweiſen, daß die Erde
vom Phaeton, welches der Planete Jupiter
iſt (*), ſchon einmahl durch Feuer verwandelt
worden ſey. Endlich im 6ten B. der Geſetze,
625. S. hat er dem Athenienſer, ohne die Be-
weiſe ſeiner Schule zu wiederholen, die Menſchen
ſo anſetzen laſſen, als wenn ſie keinen denklichen
Urſprung gehabt haͤtten. Endlich findet man
auch bey ihm, den, nach obiger 523. S. vom
Kritias ausfuͤhrlich erzaͤhlten Einſturz des letzten
alten feſten Landes Atlantis, zwiſchen Europa
und dem jetzigen Amerika, wodurch dieſes nun
vollſtaͤndig zum neuen Lande wurde, als das ein-
zige
(*)
R
[258] zige bemerkte Beyſpiel von der Verwandlung
der vorigen Erde.


§. 364.


Die Bramanen der Indianer wurden ſchon
von den Griechen geruͤhmt, es waͤre alſo
der Ordnung gemaͤß, auch noch von dieſen in An-
ſehung der angeblichen Welt- oder Erdgeſchichte,
und zwar nach des Engellaͤnders, Hrn. Holwells,
Auszuge aus dem Shaſtah, den er den Vedam
vorzieht, etwas anzufuͤhren. So ſehr, als ihn
ſelbſt ſein Verluſt dieſer ſehr alten Grundſchrift
geſchmerzet hat, ſo unangenehm wird er mehrern
ſeyn; auſſerdem werden manche mit ihm unzu-
frieden ſeyn, daß er das gerettete Ueberbleibſel
dieſes Sanſkrits, im Fall er ihn neben die Ue-
berſetzung von Wort zu Wort, nach der engel-
laͤndiſchen Mundart uͤberſchrieben haͤtte, ſtellen
koͤnnen, uns Europaͤern nach dem ungefehren
Klange davon vorenthalten hat. Denn aus den
wenigen engellaͤndiſchen uͤberſchriebenen Woͤrtern
faͤllt uns eine Aehnlichkeit mit unſern aͤlteſten nor-
diſchen Sprachen in die Augen, die vermuthen
laͤßt, daß Bramah mit ſeiner Milchkuh, aus ei-
ner Gegend, welche mit der Europaͤer aͤlteſten
Vaͤtern, eine gemeine Sprache hatte, nach In-
dien gekommen ſey; und daß der Sanſkrit durch
ſeine woͤrtliche Ueberſchreibung mit der woͤrtlichen
Ueberſetzung darneben einen Kenner der alten
europaͤiſchen Sprachen, noch vielmehr aͤhnliches
zeigen, und zu gewiſſen Folgen fuͤr die Europaͤer
berechtigen ſollte.


§. 365.

(*)


[259]

§. 365.


Da man aber zur jetzigen Abſicht nur die Zeit-
rechnungen des Bramah, welcher nun vor 4870
Jahren nach Indien kam, noͤthig hat, ſo darf
man nur des Hrn. Holwells 6 K. 138 S. u. ſ. w.
nachleſen, und man kann dadurch denen, welchen
hier kein vollkommener Zuſammenhang davon ge-
geben werden kann, das Aergerniß uͤber ſeine un-
geheure Jahrzahlen der Erde und des Sonnen-
ſyſtems erſparen. Es ſcheinet inzwiſchen, als
wenn die Lehrſaͤtze des Bramah, wenn man ſie
natuͤrlich betrachtet, denen obigen Folgerungen
ſehr nahe kaͤmen. Denn nach einigen Zeitlaͤufen,
welche die gefallenen Engel betrafen, wurde Bra-
mah zum Anfange des jetzigen Zeitlaufs von In-
dien, naͤmlich vor 4870 Jahren, vom Allmaͤchti-
gen dahin geſchickt, ſeine Gebothe daſelbſt zu leh-
ren, und den Schaſtah zu ſchreiben; dem es aber
wie andern Buͤchern mehr gieng, daß er naͤmlich
von den Indianern nach etwa 1000 Jahren, und
je laͤnger, je mehr, doch am meiſten durch den
Vedam verdrehet, oder falſch ausgeleget wurde.
Von der Erde ſelbſt aber ſagt Bramah ſchon vor
4870 Jahren, daß ſie 3 wichtige Verwandlun-
gen erlitten habe, und vor ihrem Untergange noch
3 erleiden muͤſſe, ohne doch weder dieſe, noch je-
ne zu erklaͤren. Daß aber nach dem wieder eine
neue Schoͤpfung vorgehen werde.


§. 366.


Noch viel aͤlter muß die Lehre der Hyperboraͤer,
deren Verwandter Bramah ſcheint, der Zeitrech-
nung nach angeſehen werden. Denn weil ſie den
R 2erſten
[260] erſten Deliſchen (*) Gottesdienſt des Apolls (**)
mit der Lehre von der Unſterblichkeit, eingefuͤhrt
haben ſollen, und doch zuletzt gezweifelt wurde,
ob ſie wirklich in der Welt geweſen waͤren (***),
ſo kann die Erdverwandlung ihrer Gegend, in
ſo ferne ſie zu ſehr zerſtreuet wurden; ihr Ge-
daͤchtniß gar ausgeloͤſcht haben.


§. 367.


Faſt vor eben ſo alt hat man die Pelasger zu
ſchaͤtzen, welche nach Art der Celtiſchen Drui-
den neuerer Zeit, die Eiche zu Dodona heilig-
ten (†), und als Voͤlker, welche die Erdverwand-
lung ihrer Gegend vertrieb, den ſichereren neuen
Laͤndern nachzogen. Dergleichen Erdveraͤnde-
rung ſoll die Cimbrer noch vor 2000 Jahren nach
Italien getrieben haben (††), und wenn die Cim-
merier, die noch vor Kroͤſus Zeiten in Seythien,
und durch der Seythen Widerſtand und Verfol-
gung bis durch Aſien drangen, wie man glau-
bet (†††), daſſelbe Volk waren; ſo waͤre dieſe
Vermuthung noch glaublicher.


§. 368.
[261]

§. 368.


Vermoͤge ſolchen Betrachtungen, wenn ſie mehr
beſtaͤtiget wuͤrden, als man hier thun kann, wuͤr-
de man die allmaͤhlige Verwandlung der Erde,
und die Vermiſchung der vorher beſondern Men-
ſchenarten, gewiſſer beweiſen koͤnnen, und viel-
leicht werden andere, denen Zeit und Gelegenheit
zu ſolchen Unterſuchungen guͤnſtiger ſeyn duͤrften,
aus den Ueberbleibſeln der aͤlteſten Geſchichte,
noch viel nachholen koͤnnen, was jetzt uneroͤrtert
bleiben muß.


§. 369.


Es waͤre auch noch zu wuͤnſchen, daß man aus
den Geſchichtmaͤßigen Liedern der Teutſchen, ihre
aͤlteſte Geſchichte, und das, was ihnen aus der
Erdverwandlung begegnet iſt, anfuͤhren koͤnnte;
allein die Wuth gegen dieſe Saͤnger hat uns in
unſerer eigenen Geſchichte ſo arm gemacht, daß
uns davon faſt weiter nichts, als einige halb oder
uͤbel verſtandene Nachrichten, die uns Heiden, in
ihren griechiſchen [und] lateiniſchen Schriften, wie
Strabo und Tacitus (*) erhalten haben, uͤbrig
geblieben iſt. Denn die Islaͤndiſche Edda (**)
ſcheint nach der 9ten Strophe der angehaͤngten
Runa ganz von der Germanier Geſchichte oder
Dichtkunſt abzuweichen; weil ſich deren Saͤnger
ruͤhmt, daß er die Lieder, welche Thiodens Frau,
und des Mannskis Sohn ſaͤngen, auch verſtuͤnde.


R 3§. 370.
[262]

§. 370.


Auſſer den angefuͤhrten Indianern aber, wird
man wohl kein Volk mehr, welches ſeine eigene
Geſchichte, von der Zeit her, da es ſein jetziges
Land, als neues Land von ihm beſetzt wurde, un-
zerruͤtteter aufweiſet, als die Chineſer anfuͤhren
koͤnnen. Doch macht man dieſem Volk, welches
mit andern keine Gemeinſchaft haben wollen, den
Vorwurf, daß es ſich aus Prahlerey ein laͤnge-
res Alter, als es ſich ſelbſt bewußt iſt, anmaſ-
ſen will.


§. 371.


Nun, da man in Frankreich die Kings der
Chineſer, oder ihre heilige Buͤcher, aus dem da-
ſigen Buͤcherſchatze zu uͤberſetzen anfaͤngt (*),
wird viel darauf ankommen, daß man auch bey
dieſen Buͤchern die aͤlteſte Erdkunde nicht aus
den Augen ſetze, um ſolche der Natur gemaͤß zu
erklaͤren, damit das, was bald ſelbſt einigen Chi-
neſern ohne dieſe Erdkunde zweifelhaft werden
will, dadurch in ſeinem wahren Werth erhalten
werden moͤge. Denn ſonſt duͤrfte naͤchſtens des
Fohi, Chin-nang und Goangedi aͤlteſte Geſchich-
te, voͤllig zum Traume werden, da ſie ſonſt mei-
ſtens der Indianer ihrem Alterthum, oder dem
5000ſten Jahr nahe, noch naͤher aber der abge-
ſtorbenen Chaldaͤer und Egypter ihrem kommt.


§. 372.


Daß uns aber ihre ganz aͤlteſte Erdgeſchichte
mehr einer Geiſterlehre aͤhnlich zu ſeyn ſcheint
(**), iſt nicht zu bewundern, da ſich nur die
Haupt-
[263] Hauptwoͤrter mit einigen Beywoͤrtern, nicht aber
die wahren Vorſtellungen, von den erſten Vor-
gaͤngen, auf dem ſich verwandelnden Erdboden
bey ihnen, wie bey andern erhalten koͤnnen, weil
dergleichen nach dem nicht wieder vorgekommen
ſind. Ihr Pouan-Kou oder erſte Menſch, der re-
gieren wollte, reicht weit uͤber unſere Zeitrech-
nung hinaus (*), und wenn von ihm geſagt
wird (**), daß ſich zu ſeiner Zeit der Himmel
von der Erde, oder vielmehr umgekehrt, die Er-
de vom Himmel geſchieden habe, ſo ſoll dieſes
wohl, wo nicht den erſten Urſprung der Erde von
andern Himmelskoͤrpern, doch den Zeitpunkt ih-
rer Verwandlung in den jetzigen Planeten, an-
zeigen.


§. 373.


Von den Africanern, und vornaͤmlich von den
alten Aethiopiern, muͤſſen wir auch noch etwas
anfuͤhren. Dieſe wollen nicht allein eingebohrne,
ſondern auch die erſten ihres Striches geweſen
ſeyn, und ſowohl den erſten Gottesdienſt, als
auch die zweyfache Schrift, nebſt den uͤbrigen
Wiſſenſchaften erfunden haben. Denn damahls
ſey Aegypten noch Meer geweſen, und da es lan-
ge hernach Land geworden waͤre, habe es ein
Pflanzzug aus ihnen beſezt. Dieſes haben die
aͤthiopiſchen Geſandten, mit welchen Diodo-
rus (***) in Aegyten ſprach, ſelbſt betheuret, und
mit natuͤrlichen Gruͤnden bewieſen. Es muͤſſen
aber die jetzigen Gabißinier entweder ein ganz an-
R 4der
[264] der Volk ſeyn (*), oder ihre aͤlteſten Wiſſen-
ſchaften verlohren haben. Denn dieſe wiſſen
nichts mehr.


§. 374.


Endlich waͤre noch zu wuͤnſchen, daß man auch
aus America eine ihrer aͤlteſten Nachrichten, die
ſie vor der Europaͤer Ankunft unter ſich fuͤr guͤltig
erklaͤrten, nach ihrer eigenen Auslegung wuͤßte.
Wir muͤſſen uns inzwiſchen an dem begnuͤgen,
was der Ynka Garcilaſſo noch aus Peru gerettet
hat (**). Allein aus der alten Angabe aller ſei-
ner Landsleute kann man nur ſo viel deutlich ma-
chen, daß die Erdkunde der meiſten Amerikaner
mit Gewißheit nicht weiter, als an ihre hohe Ue-
berſchwemmung reiche, ohne daß man wiſſen
koͤnnte, wie alt dieſe Fluth ſey. Wenn nicht die
kriegeriſchen Auftritte, ſo die Enropaͤer ebenfalls
um ihre alte Wiſſenſchaften gebracht haben, auch
hier alle Kenntniß ausgerottet haͤtten, waͤren viel-
leicht durch Nachforſchungen ihre alte Nachrich-
ten, mit der Zeit zu vermehren und zu vergleichen
geweſen. Denn die Kenntniß des hoͤchſten Schoͤ-
pfers Pachakamack, welche ehemals daſelbſt weit
verbreitet war, hatte vermuthlich noch Ueber-
bleibſel anderer Kenntniſſe neben ſich erhalten,
die aber freylich bey den Verfolgungen des Krie-
ges verloͤſchen muͤſſen.


§. 375.


Endlich wollen wir auch noch derer Urkunden,
die in einigen hebraͤiſchen Buͤchern beſtehen, und
von
[265] von einem Volk herkommen, das ſeine Auslegun-
gen dieſer Buͤcher vor eben ſo goͤttlich, als die
Buͤcher ſelbſt, angeſehen wiſſen will, gedenken.


§. 376.


Vermoͤge dieſer Auslegung behauptet man aus
dem erſten Buch dieſer goͤttlich geoffenbarten Ur-
kunden, die Schoͤpfungsgeſchichte ſelbſt; allein
bey genauer Betrachtung, den Worten nach,
ſcheint dieſer Sinn darinne nicht ſo zu liegen.


§. 377.


Man muß aber eine Erinnerung in Anſehung
der Ueberſetzung des Hebraͤiſchen ins Teutſche,
(weil man hier teutſch ſchreibt,) und zwar zuerſt
der Sagewoͤrter, vorausſetzen; naͤmlich daß un-
ſere teutſche Sprache in der Erzaͤhlung zwey Zeit-
weiſer gebraucht. Einen vor die juͤngſt vergan-
gene, und den andern vor die laͤngſt vergangene
Zeit; dagegen das Hebraͤiſche der kuͤnftigen und
vollen Zeit ihren gebraucht; ferner daß die he-
braͤiſchen Sagewoͤrter viele Verwandlungen,
durch ihr Piel, Hiphil und Hithpael, machen,
die wir mit ganzen Redensarten, oder beſondern
Huͤlfswoͤrtern, ausdruͤcken muͤſſen, und die man
billig im Teutſchen, wo ſie ſich im Grundtexte
gleich ſind, ſich auch ſo viel moͤglich, gleich uͤber-
ſetzen muͤßten. Es iſt auch zu merken, daß die
Hebraͤer im Erzaͤhlen faſt kein ander Verbin-
dungsſylbchen, als ihr Vau anbringen, ſtatt
deſſen wir in der teutſchen Erzaͤhlung viele ande-
re, nach der beſonderen Art jedes Zuſammenhan-
ges, brauchen muͤſſen; ſie brauchen auch oft die
Nennwoͤrter vermittelſt der Vorſylbchen, wie der
Sagewoͤrter, Zuwoͤrter. Anderer eigenen Arten
R 5nicht
[266] nicht zu gedenken, die kuͤnftig teutſche Sprach-
lehrer im Abſchnitt von den Ueberſetzungen, bey
dem Vergleichen der teutſchen Sprache mit der
hebraͤiſchen, vollſtaͤndiger aus einander ſetzen
moͤgen.


§. 378.


Der erſte Vers dieſer Urkunde mag uns hiezu
gleich zum Beyſpiel dienen, deſſen Ausſprache
ungefehr dieſe waͤre (*): Breſchit bara Elohim
eth haſchamajim veeth haarez.
Da nun das
Sagewort Bara in der vollen Zeit ſteht, ſo kann
das teutſche ſchaffen nicht anders, als in der laͤngſt
vergangenen Zeit geſetzt werden; und an ſtatt
er ſchuf, muͤßte es alsdenn beiſſen, er hatte ge-
ſchaffen.
Hierdurch wird man zugleich merken,
daß das Nennwort Breſchith mit ſeinem Vor-
ſylbchen b’ nun in das Zuwort anfangs oder
anfaͤnglich fuͤr das Sagewort Bara uͤbergehe,
und die ganze Redensart auf teutſch heiſſen muͤſſe:
Anfangs hatte Elohim den Himmel und das
Land geſchaffen.
Ueberſetzt man nun im nach-
folgenden Verſe vehaarez hajethah thohu vabo-
hu
ꝛc. (**) des vehaarez ſein ve ſtatt und, erzaͤh-
lungsmaͤſig durch aber als; denn wieder die volle
Zeit von hajethah, durch den laͤngſt vergangenen
Zeitweiſer, und alſo die ganze Redensart, als
aber das Land ein Thohu und Bohu geworden
oder geweſen war ꝛc. ſo wird jeder Teutſche auch
einſehen, daß das Woͤrtchen nur den vorigen
teutſchen Ausdruck erſt vollſtaͤndig machen, und
der Satz ſo heiſſen muͤſſe: Anfaͤnglich hatte Elo-
him nur den Himmel und das Land
oder die Er-
de geſchaffen, als aber das Land, oder
auch die
Erde,
[267]Erde, ein Thohu und Bohu geworden, oder ge-
weſen war, und, ſo ꝛc.
Sollte dieſer kleine
Verſuch ſolcher erzaͤhlungsmaͤſigen Ueberſetzung
nicht zeigen, daß hier vielmehr von einem Vor-
gange, der dem daſigen Lande, oder dem Erdball,
damahls wiederfuhr, worauf erſt nach einem Paar
Tagen die uͤbrigen Himmelskoͤrper ſichtbar wur-
den, als von einer Schoͤpfung, geredet werde?


§. 379.


Wenn dieſes iſt, ſo laͤge in dieſen 2 Verſen die
Nachricht, wie unſer Erdball beſchaffen geweſen
ſey, ehe auf ihm Sonne, Mond und Sterne
ſichtbar wurden. Naͤmlich ſeine Kreaturen kann-
ten vorher nichts, als den Himmel und ihren
Erdball, aber vermittelſt dem Thohu und Bohu
mit einer Waſſerfluth (*) kam der Erdball in den
neuen Stand eines Planeten, auf dem man Son-
ne, Mond und Sterne kennen lernte, indem ſie
nun ſichtbar wurden. Man koͤnnte hier anneh-
men, daß der Erdball vor dem Thohu und Bohu
dieſer Zeit ein ſich ſelbſt erleuchtender Komet ge-
weſen, deſſen Bewohner von ihrem eigenen Him-
melsſchimmer, wie wir vom Sonnenlicht in An-
ſehung der Ausſicht geblendet, weder Sonne,
Mond noch Sterne ſahen, und nichts weiter als
ihren Wohnplatz, oder die naͤchſten Himmelskoͤr-
per nur ganz undeutlich kannten.


§. 380.


Daß aber damahls ſchon Menſchen auf dieſem
Lande geweſen ſeyn muͤſſen, laͤßt ſich ſowohl aus
natuͤrlichen Gruͤnden, als auch aus dieſen Urkun-
den ſchlieſſen. Denn wer ſollte es anders gewe-
ſen
[268] ſen ſeyn, gegen die Elohim vor jedem Tage ſprach,
indem kein ander Geſchoͤpfe des Erdballs die
Sprache verſtund. Es muͤſſen auch wohl Men-
ſchen geweſen ſeyn, denen Elohim, vermoͤge des
Sageworts Vajar(*), das ganz natuͤrlich nach
der Verwendung von Hiphil ſteht, an jedem Ta-
ge ſehen ließ, was dieſesmahl erfolgt war.


§. 381.


Es konnten auch Pflanzen und Baͤume auf
dem Erdball noch vor dem Sonnenſchein wach-
ſen und Samen tragen, weil ſie als voͤllig er-
wachſen angegeben werden, ehe noch Sonnen-
und Mondſchein war (**), wie denn auch der
Sonne noch keine ſolche Kraft, wie jetzt, vom
Elohim zugeſchrieben wird (***).


§. 382.


Der angefuͤhrten Meynung aber, ſcheinet das,
was Elohim am 6 Tage (****) mit dem Adam
vornahm, am ſtaͤrkſten zu wiederſprechen. Wenn
aber hier vom Adam, als dem, vom Elohim er-
waͤhlten erſten und aͤlteſten Stammvater der He-
braͤer geredet wuͤrde, ſo lieſſe ſich hier auch kein
wahrer Widerſpruch finden.


§. 383.


Das 2te Kapitel dieſes Buchs faͤngt ſich mit
dem Ruhetage, der unbillig vom erſten Kapitel
getrennt
[269] getrennt iſt, mit den Worten an (*)Eleh tho-
ledoth haſchamajim vehaͤaͤrez: Dieſe Nachkuͤnfte
des Himmels und des Landes.
Nun nehme man
alle folgende Urkunden, die mit eleh tholedoth an-
fangen, nach ihrem hierauf folgenden Inhalt vor
ſich, ſo wird man uͤberall finden, daß niemahls
darinne ein vergangener Vorgang, oder Ge-
ſchlechtsſtamm dieſer Ueberſchrift, ſondern bloß
der nachfolgende auseinander geſetzt ſey. Kann
man alſo hier wohl etwas anders, als Vorfaͤlle
ſuchen, die entweder nach der vorigen Zeit, und
folglich als unſer Erdball ſchon einen Zeitlauf,
oder mehrere hindurch als Planet geweſen war,
den Himmel und das Land hier betroffen haben?
oder die in ſolcher planetiſchen Nachkunft zugleich
zwiſchen den Arten der Menſchen dieſes Landes,
oder deſſen Fuͤrſten und Prieſterthuͤmern erfolget
ſey? dadurch wird ein Naturforſcher finden, daß
man nach der vorigen Erdverwandlung hier wie-
der eine neue oder planetiſche Erdveraͤnderung
aufzuſuchen habe. Vielleicht findet man ſie, wenn
man uͤberdenkt, daß unſere Quellen jetzt nicht ſo
groß ſind, noch ſeyn koͤnnen, daß ſie ſich wie die
Quelle von Eden in vier Stroͤme zu vertheilen
vermeynen, ſondern daß jetzt umgekehrt, viel
zuſammen flieſſende Quellen erſt einen Strom ge-
ben, und denn waͤre dieſes die zweyte gewiſſe Erd-
veraͤnderung.


§. 384.


Wenn man nun alſo in dieſer Geſchichte, den
erſten Urſprung dieſes Volks mit angegeben faͤn-
de, und alſo ſein Alter, der Natur gemaͤß, noch
uͤber
[270] uͤber dieſe Zeit hinaus zu ſetzen waͤre, koͤnnte man
da wohl zweifeln, daß bey ſolchen Umſtaͤnden, der
Urſprung dieſes Volks unbekannt, und nebſt dem
Urſprunge ſeiner Sprache weiter ruͤckwaͤrts zu
ſuchen, und alſo vielleicht niemahls zu finden ſey.


§. 385.


Die dritte dieſem Volk begegnete Erdveraͤnde-
rung iſt die in ihren Urkunden umſtaͤndlich be-
ſchriebene Suͤndfluth ihrer Gegend (*) welche
durch den Einſturz des Abgrundes, nebſt dem nie-
derfallenden letzten Himmelswaſſer entſtund, vor-
naͤmlich aber nach damahliger Auslegung der
menſchlichen Schickſale, durch die boͤsartigen
Prieſterſoͤhne, und durch ihre mit den weltlichen
Toͤchtern der damahligen gegen die goͤttlichen
Prieſter weltlich geſchaͤtzten Fuͤrſten, erzeugte
fremdartige Kinder, dem Lande zugezogen wurde.
Dabey erlitte wieder der Himmel und das Land
eine groſe Verwandlung. Denn der alte Himmel
wurde nun vermittelſt dem Bogen (**) welchem
Elohim an die Wolken, wie an einen Pfeil geſetzt
hatte, gaͤnzlich umgebildet, ſo daß nun das Ge-
woͤlke, wie ein Pfeil am Himmel hinflog, oder
nun wie unſere Wolken fortlief, folglich vorher,
von ſtillſtehender Art geweſen war. Dadurch
wurde alſo die Verſicherung wider einen kuͤnftigen
Niederfall der Himmelswaſſer, ganz natuͤrlich fuͤr
[fest] geſetzt angeſehen.


§. 386.


Vergleicht man ferner die Lebensjahre dieſes
Volks, erſtlich vor der Suͤndfluth, und den ſchnel-
len Abſchnitt hierinne nach ihr, denn nach der
Erd-
[271] Erdtheilung bey Pelegs Geburt (*) und den
eben ſo merklichen Abſchnitt in den Lebensjahren
hernach (**); ſo kann man die Erdtheilung zu
Pelegs Zeit, fuͤr die vierte Erdveraͤnderung, nach
der Landſchaft dieſer Menſchen anſehen. Doch
wird dabey noch allezeit zu merken ſeyn, daß die
Erdgeſchichte anderer entlegener Laͤnder, wenn ſie
ſich auf dieſes Volk nicht bezog, oder ihm wohl
gar unbekannt blieb, in dieſen Urkunden nicht zu
ſuchen ſey.


§. 387.


Noch ein beſonderer Verſtoß, wider die oben-
gedachte Verhaͤltniß beyder Sprachen und der
Naturkunde ſcheinet es zu ſeyn, wenn man die
Verwirrung zu Babel, durch die Zerſtreuung al-
ler Menſchenarten uͤber die ganze Erde in allerley
Spracharten erklaͤret. Denn wenn in der Urkun-
de von dieſer Erzaͤhlung (***)Lilſchono, Lilſcho-
notham
ganz gewiß ſeine und ihre Sprache heiſt;
kann man da wohl ſapha ehad udebarim acha-
dimm
(****) richtiger, als durch eine Stimme und
einerley Reden oder eines Vorſchlages, und einer-
ley Meynungen
uͤberſetzen? der Zuſammenhang
giebt es auch deutlich an, daß dieſe Stimmen und
Meynungen, einmuͤthig die Auswanderung und
den Anbau betrafen. Daher wurden ja nur die-
ſerwe-
[272] ſerwegen ihre Stimmen und Meynungen, nebſt
ihren Ausfuͤhrungen verwirret; daß alſo die Zer-
ſtreuung dieſes ausgewanderten Volks erſt nur in
derſelben Landſchaft und nicht in der Welt herum,
auch nur fuͤr dieſen Theil des Noachiſchen Volks
ein Anlaß zu mehreren Staͤdten war, hingegen
fuͤr den Noach ſelbſt und fuͤr ſeine uͤbrige Nach-
kommenſchaft, die nicht mit daher gewandert war,
nicht, und noch weniger fuͤr andere Menſchen.


§. 388.


Inzwiſchen wird jeder, der dieſe hebraͤiſche Ur-
kunden betrachtet, leicht einſehen, daß in denſel-
ben die Erdveraͤnderungen nur zufaͤlliger Weiſe
mit angegeben worden, und die Geſchichte dieſes
Volks den Hauptzweck darinne ausmachen, doch
wuͤrde deren vollſtaͤndigere Vergleichung mit der
Erd- und Sternkunde noch manchen Schwierig-
keiten abhelffen.


§. 389.


Nun uͤberlaͤßt man, ohne alle die Nachrichten
aus den ſchriftlichen Urkunden, weiter verfolgen,
oder auf einen gemeinen Satz bringen zu wollen,
dem Leſer, wie er ſeine Menſchengeſchichte, die er
ſich vorſtellt, und die Geſchichte der bekannten
Sprachen damit verbinden, alsdenn darnach die
Erfindung einer erſten und einzigen Sprache be-
ſtimmen, zuletzt aber ſein Urtheil uͤber die obige
Erd- und Menſchenkunde abfaſſen will. Ver-
muthlich, ſoll man aber doch uͤberzeugt werden,
daß man zuerſt die Geſchichte und Ordnung des
Himmels weiter aufklaͤren; darauf den Bau des
Erdballs viel ſchaͤrfer in allen Welttheilen unter-
ſuchen; und endlich die Menſchenkunde nach den
Kenn-
[273] Kennzeichen der Arten auf ſelbigen viel genauer
beobachten und unterſcheiden muͤſſe, ehe man zu-
verlaͤßige Ausſpruͤche thun kann; und bloß als
einen ſolchen Verſuch, den man nicht eher vor ge-
gruͤndet, annehmen kann, als bis durch hinlaͤng-
liche Unterſuchungen ausgemacht worden, daß er
weder goͤttlichen, noch natuͤrlichen Wahrheiten
wiederſpreche, nicht aber, als einen entſcheidenden
Beweiß, darf man dieſen Aufſatz anſehen.

Appendix A Druckfehler.


  • §. 64. 2te Zeile muß nach dem Worte ſoll, den
    Anfang ſtehen.
  • §. 92. muß das letzte Wort folgen, folgem
    heiſſen.
  • §. 102. leſe man vor euſtechiſche, euſtachiſche.
  • §. 115. ſtatt ein Nachſprechen, im Nachſprechen.
  • §. 137. Zeile 7. ſtatt als, l. ob.
  • §. 193. Z. 1. nach Eingliederung muß ein Com-
    ma ſtehen.
  • §. 279. Z. 5. ſtatt Befeuchtung l. Befruchtung.
  • §. 285. nach Nahrungsroͤhrchen muß verſchloſ-
    ſen
    ſtehen.
  • §. 286. am Ende l. ſtatt kemmen, kommen.
  • §. 309. Z. 11. ſtatt wenn, l. wie.
  • §. 362. Z. 6. ſtatt hoh, l. hohl.

[][][][][][][][][][]
Notes
(*)
Des Herodotus Euterpe oder 2 B. handelt faſt
gaͤnzlich von Aegypten, nur daß er, als ein Ein-
geweihter, die meiſten Geheimniſſe verſchweigt.
Ich habe nur des Caſtallions Ueberſetzung mich
bedienen koͤnnen; wiewohl ich die andern Schrift-
ſteller alle auch anderswo habe aufſuchen muͤſſen.
(*)
Diodorus Siculus von des 2ten B. 116 S. an.
(*)
S. des Apollonios von Rhodos, der vorher des
aͤgyptiſchen Bibliothekaͤrs, Kallimachs, Schuͤler
war, Argonautika im 4ten B. an der Ziffer zum
22 Scholion: Noch nicht alle Sterne wur-
den am Himmel herum gewaͤlzet.
(**)
Eben deſſelben 1 B. nach dem 20ſten Scholion,
wo Orpheus ſang: wie vorerſt Ophion und
die Oleanim Euruͤnomen des ſchneeichten
Olimpos Reich beſeſſen, auch wie er dem
Kronos, ſie aber der Rhea den Rang
wegen Macht und Staͤrke abtrat, und bey-
de hierauf in die Fluthen ſtuͤrzten,
welches
wahrſcheinlich einen alten Vorgang am aͤlteſten
Himmel, und aͤlteſten Meere oder Lande anzeigt.
(***)
Ariſtophanes Scholiaſte bey der Wolken 1 Handl.
4te Aufl. zum Worte βεκκεσελη [...]ȣ; auch Apollo-
nios und ſein Scholiaſte durch des 4ten B. 22
Schol. zu den Worten: Die Arkadier Apida-
nees, welche daher beruͤhmt ſind, daß ſie
noch vor dem Monde gelebt, und Eicheln
gegeſſen haben.
(*)
Die Stelle hat Meurſius in ſeiner Fortuna
Athenarum
1 K. 2 S. aus dem Menander Rhe-
tor angefuͤhrt. Wir nehmen hier die Zeit
nach den drey aͤlteſten Zeitpunkten, wenn
wir ſagen: entweder vor den Geſtirnen,
oder vor der Suͤndfluth, oder nach der
Suͤndfluth war die Stadt oder Gegend
bewohnt; als wie die Athenienſer ſagen,
ſie waͤren mit der Sonne da geweſen, und
die Arkadier vor dem Monde.
(**)
Die Stelle hat Meurſius in ſeiner Fortuna
Athenarum
1 K. 2 S. aus dem Menander Rhe-
tor angefuͤhrt. Wir nehmen hier die Zeit
nach den drey aͤlteſten Zeitpunkten, wenn
wir ſagen: entweder vor den Geſtirnen,
oder vor der Suͤndfluth, oder nach der
Suͤndfluth war die Stadt oder Gegend
bewohnt; als wie die Athenienſer ſagen,
ſie waͤren mit der Sonne da geweſen, und
die Arkadier vor dem Monde.
(***)
Wieder Apollonios an letztgemeldter Stelle;
vorher aber bekuͤmmern ſich die Argonauten auf
ihrer Flucht mit der Medea, um einen andern
Weg nach Hauſe zu. Darauf ſagt denn ihr
Steuermann Argos: Es iſt noch eine andere
Fahrt, welche die unſterblichen Prieſter,
die zu Theben am Fluſſe Triton gebohren
waren, angegeben haben. Noch nicht alle
Sterne wurden am Himmel herum gewaͤl-
zet; auch war vor dem heiligen Geſchlech-
te der Danaer, fuͤr die Erdkundige nichts
zu vernehmen; nur die einzigen Arkadier

Apida-
(****)
(*)
Da ſich vom Orpheus, welcher nach Diodors
4ten B. 232 S. die ganze Goͤtterlehre vor ſeiner
Reiſe nach Aegypten gelernet hatte, auſſer ſeinen
Lobgeſaͤngen, und dem Geſange von den Steinen
nichts gewiſſes erhalten hat; denn ſeine Argo-
nauticka ſchreibt man dem Onomackritos zu; ſo
mag man den Auszug ſeines Geſanges, womit
er den Streit der Argonauten unter ſich, beſon-
ders aber mit dem Goͤtterlaͤſterer Idas beſaͤnf-
tigte, beym Apollonios im 1ſten B. zwiſchen dem
20ſten und 21ſten Scholion, fuͤr ein kleines Bey-
ſpiel ſeiner Goͤtterlehre, oder Erd- und Himmels-
geſchichte anſehen. Sie ſcheint zwar uͤberhaupt
des
(****)
Apidanees waren da, welche daher be-
ruͤhmt ſind, daß ſie noch vor dem Monde
gelebt. Von dort ſagen ſie, iſt einer um
ganz Europa und Aſien, von der Macht
und Staͤrke ſeiner Voͤlker, ſamt ihrer
Kuͤhnheit verſichert, herumgereiſet; dabey
hat er unzaͤhlige Staͤdte angegriffen und
eingenommen, wovon wohl da und dort
noch einige bewohnt ſeyn, andere auch
wohl nicht.
Nach dieſer Erzaͤhlung waͤre der
Erdboden noch ehe die Geſtirne ſichtbar geweſen,
ſowohl als jetzt bewohnt, auch eben ſo mit Spra-
chen und Kuͤnſten beſetzt geweſen.
(****)
Eben des Herodotos Euterpe, 143 S. da er
zumahl beyde Voͤlker beſucht, und mit einander
verglichen hat.
(*)
Wenn man des Siziliſchen Diodors 3tes Buch
von der 189ſten Seite an, mit dem Heſiodos und
andern Griechen vergleicht, und die Mythologie
dieſer Atlanter und der Griechen wieder gegen
die Mythologie der Aegypter haͤlt, ſo wird man
fiuden, daß die Griechen in dieſem Stuͤck nicht
ſo viel, als man ihnen beyzumeſſen pfleget, von
den Aegyptern geborget haben; zumahl weil ihre
Mythologie zu Pſammetichs Zeiten, wo ſie frey
in Aegypten durften, ſchon meiſtens vollkommen
ſeyn mußte. Am glaublichſten iſt, daß ſie, als
ein zweyfaches Volk aus den anſitzenden Helle-
niern, und den herum ziehenden Pelasgern, auch
zweyerley Nachrichten, von der aͤlteſten Zeit,
durch ihre aͤlteſten Prieſter und Dichter in eins
gebracht, und naͤchſt dem von den Libiern, auch
von den Huͤperboreern und ſpaͤter von allen et-
was angenommen haben; wie Herodotos im
1ſten und 2ten B. vermuthen laͤßt.
(*)
des Heſiodos ſeiner nahe zu kommen, weicht aber
dennoch durch den ſchon erwaͤhnten Ophion mit
ſeiner Euruͤnomea ab; doch kann ſie auch wohl
dieſes letzte vom Apollonios eingeſchaltet fuͤhren,
in ſo weit dieſer in der Alexandriniſchen Biblio-
thek, anderer aſiatiſchen Voͤlker Schriften brau-
chen konnte.
(*)
Wenn nun gleich Onomakritos, des Orpheus
Argonauticka geſchrieben haͤtte, ſo muß er ſolche
doch dem alten Orpheus ziemlich gemaͤß erdich-
tet haben. Daher kann man die aͤlteſte Bedeu-
tung des Eros noch daraus erklaͤren: So heißt
er, nach dem 14ten und 16ten V. Der dop-
pelt umher ſichtbare angenehme Eros der
ewigen Nacht beruͤhmter Vater, den die
neueren Phanas
(oder Schein) nennen, weil
er zuerſt erſchien.
Denn nach dem 422ſten
und 423ſten V. Der aͤlteſte und vollkom-
menſte Rathgeber Eros, wie vielerley er
alles genaturet, und eins vom andern ab-
geſondert habe.
Dabey ſteht er mit dem Kro-
nos im Gegenſatz, weil dieſer nach dem 13ten
Vers, durch ungemeſſene Strecken, den
Aether erzeugt haͤtte,
und alſo des Eros
Schimmer unter dem Kronos, nur viel weiter
ausgedehnt wurde. Daß aber dieſer Schein und
Schimmer des Phanes, oder Eros, gleich zwey-
fach geweſen ſey, zeigt auſſer obiger Stelle, der
5te Lobgeſang auf den Protogonos, wo er wie-
der doppelt im Aether herum ſchweifend,
ein Ey ſchaffend, und mit goldenen Fluͤ-
geln geziert,
beſungen wird. Sollte dieſes
nicht
(*)
Nach des Ficinus Ausgabe zu Genf 1590. der
Geſetze 13 B. oder Epinomis an der 703. S.
(*)
nicht darauf gehen, daß die Erde anfaͤnglich hohl,
und ſowohl von innen als auſſen, oder doppelt
mit Schimmer verſehen, ohne Kenntniß des
Sternenhimmels, dahin geſchwommen, oder ge-
flogen ſey.
(*)
Evènèmens hiſtoriques intereſſans rèlatifs aux Pro-
vinces de Bengale et à l’empire de l’Indoſtan
par Holwell. Amſterd.
1768.
(*)
Callimach. Hymn. in Delum v. 281. wo die
Maͤdchen mit Namen genennt, und die Beglei-
ter nebſt dem Saͤnger angezeigt werden.
(**)
Des Apolls Mutter Latona ſoll dergleichen
Landsmaͤnnin geweſen ſeyn, wie Diodor im 2ten
B. 130 S. erzaͤhlt.
(***)
Herodots Melpomene 268 S.
(†)
Strabo per Caſaubon. Pariſ. 1620. 7 B. 327
S. auch 12 B. 572 S.
(††)
Eben deſſen 2 B. 102 S.
(†††)
Diodor. 5 B. 319 S.
(*)
de moribus Germanorum per Altham.
(**)
Edda Islandorum per Snorronem ſtudio Re-
ſenii, Haffniae
1665. Doch ſcheint es mir
nicht, als wenn Reſen dieſem Alterthum ein
Gnuͤge gethan haͤtte.
(*)
Le Chou-King etc. traduit par le P. Gaubit
et Mr. Dèguignes. Paris
1770.
(**)
Des Schuh-Kings prèface XXXIII S.
(*)
Deſſen Diſcours prèlim. LIII und LV S.
(**)
Deſſen Diſc. prèlim. LXII S.
(***)
Diodor. 3 B. 142 S.
(*)
Iobi Ludolfi Hiſt. aethiop. nebſt dem Com-
mentar.
(**)
L’hiſtoire des Yncas roys de Peru etc. p. l’Ynca
Garcilaſſo de la Vega. Paris
1633.
(*)
1 B. Moſ. 1, v. 1. 2.
(**)
1 B. Moſ. 1, v. 1. 2.
(*)
Dieſen 2ten Vers vollſtaͤndig aus einander zu
ſetzen, waͤre hier der Raum zu enge.
(*)
4. 10. 12. 18. 21. 25. 31ſte V. daſelbſt.
(**)
vom 11ten bis zum 14ten V.
(***)
vom 14ten bis zum 18ten V.
(****)
26 Vers: Naaͤſeh Adam Bezalmenu pid-
muthenu: Laßt uns einen Adam von un-
ſerm Bilde, nach unſerer Gleichung ver-
anſtalten,
oder einſetzen und erwaͤhlen.
(*)
Von des 2ten Kapitel 4ten Vers an, bis zum
Ende des 3ten Kapitols.
(*)
Vom 6ten bis 8ten Kapitel.
(**)
10ten Kapitel 25ſten Vers.
(*)
Gegen 11ten Kapitels 10 bis 19ten Vers, und
von da zum 32ſten Vers.
(**)
Des 9ten Kapitel 13 bis 17ter Vers durch Ke-
ſcheth,
oder τοξον der 70er, einen Schuͤtzenbogen:
nicht αψις, einen Zirkel- oder Woͤlbbogen, noch
ιρις, den Regenbogen.
(***)
10 Kap. 5. 20. 31 V.
(****)
11 K. 1 V.

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TextGrid Repository (2025). Füchsel, Georg Christian. Entwurf zu der ältesten Erd- und Menschengeschichte, nebst einem Versuch, den Ursprung der Sprache zu finden. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq1d.0