DER
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN
C. F. WINTER'SCHE VERLAGSHANDLUNG.
1856.
[[II]][[III]]
Vorrede.
In dem Ziele des Arztes, den Gang des leiblichen Lebens nach
dem Belieben der menschlichen Vernunft zu lenken, geht auch das
Streben des vorliegenden Lehrbuches auf. Diesem praktischen Zwecke
gemäss würde es seinen Antheil an jener Aufgabe für gelöst an-
sehen, wenn es Regeln aufzustellen vermöchte, wie man eine jede
Lebensäusserung ableiten könnte aus einer gegebenen Zahl mecha-
nischer und chemischer Massenelemente, aus ihren Spannkräften, der
Geschwindigkeit und Richtung ihrer Bewegung und dem Orte, welchen
sie einnehmen. Da der thierische Körper ein Gemenge endlich aus-
gedehnter Massen ist, die unter sich an Atomgewicht, an Verwandt-
schaft, an Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung verschieden
sind, so muss eine Theorie von dem eben mitgetheilten Inhalte allen
Anforderungen Genüge leisten, welche der Arzt an die Physiologie
zu stellen berechtigt ist. Um diese Behauptung anschaulich zu
machen, genügt es, ein jedes beliebige Beispiel aus der ärztlichen
Ausdrucksweise in die unserige zu übersetzen. So würde doch offen-
bar Jedermann, der ein Geschwür erkennen und heilen will, befriedigt
sein, wenn man ihm sagen könnte, welche Anziehungen die Atome
der Zellen und Faserbündel in Bewegung gesetzt, so dass sie sich
aus ihren alten Verbindungen lösen und in das Blut begeben muss-
ten; und welche Anziehungen die Atome des Blutes, aus denen
[IV]Vorrede.
Zellen- und Faserbündel entstehen können, verhindern, sich in den
Geschwürsboden zu legen, um sich dort zu normalen Geweben auf-
zubauen.
Von einer vollendeten Durchführung einer solchen Theorie ist
nun allerdings die Wissenschaft und damit unsere Darstellung weit
entfernt, aber trotzdem sind wir nicht minder gehalten, in der Rich-
tung unseres Zieles fortzuschreiten. Denn grundsätzlich verschiedene
Wege können in der Wissenschaft nicht gleichmässig zum Rechten
führen. Der einzige Unterschied, der zwischen heute und einer besseren
Zukunft besteht, kann nur darin gelegen sein, dass wir, statt mit den
einfachsten, mit zusammengesetzten Begriffen zu Werke gehen, indem
wir die Erscheinungen ableiten aus den Eigenschaften complexer
Atome, Formen und Bewegungen, während dieses geschehen sollte
mit Hilfe der elementaren.
Wer nun unserem Ziele die Anerkennung nicht versagt, der wird
auch zugeben müssen, dass im Vortrage, wie in der wissenschaftli-
chen Verfolgung unseres Gegenstandes, keine Willkührlichkeit mehr
herrschen kann. Die häufig umhergetragenen Worte, es sei eine
morphologische im Gegensatze zur chemisch-physikalischen Phy-
siologie, oder auch das Umgekehrte möglich, beruht entweder auf
einem gänzlichen Missverständnisse, oder aber man begreift unter
Physiologie etwas ganz anderes als wir, die wir im Dienste der Arznei-
kunde stehen. Wenn unter den Bedingungen, aus denen die Lebens-
prozesse abzuleiten sind, der Ort eingeht, welchen die Massenelemente
einnehmen, so ist damit ausgesagt, dass der Physiologe ohne die
Kenntniss der Anatomie nicht weiter schreiten könne. Zu gleicher Zeit
weist dieser Ausdruck aber auch darauf hin, wie unvollkommen die
Anatomie ist, welche sich einzig damit befasst, die Anordnung der
Massenelemente an den Grenzen gewisser Atomcomplexe auszumit-
teln, die dem Auge (bewaffnet oder unbewaffnet) zugänglich sind,
dagegen gänzlich vernachlässigt die innere Anatomie jener Massen, die
uns der polarisirte Lichtstrahl, die Leitung der Wärme und Elektri-
zität, die chemische Analyse, die Elastizität, das spez. Gewicht u. s. w.
aufschliesst. Denn wenn z. B. die Lehre von den sichtbaren Grenz-
flächen bestimmter Atomcomplexe von wesentlicher Bedeutung ist für
alle die Bewegungen, welche ebensowohl von jenen Oberflächen ab-
[V]Vorrede.
gewiesen oder auch in sie aufgenommen werden, so ist begreiflich die
Lagerung der Atome innerhalb jener Grenzen von bestimmendem Ein-
fluss für die durchgehenden Bewegungen des Lichtes, des Schalles,
der diffundirenden Flüssigkeiten u. s. w. — Bedenkt man dazu, dass
die Anatomie im weiteren (physikalische Eigenschaften) und im en-
geren Sinne (Morphologie) gar keine Aussage macht über die che-
mische Natur der Atome und über die Kräfte, welche zwischen den
letzteren wirksam sind, so ist gleich einleuchtend, dass der Morpho-
loge die anderen Erklärungsarten der Lebensprozesse gar nicht ver-
nachlässigen könnte, wenn er auch wollte.
Die ärztliche Physiologie kann sich nun wohl unter gar keinen
Umständen der Anatomie entrathen, aber noch weniger ist es ihr mög-
lich oder erlaubt, von einer jeden anatomischen Beschreibung, selbst
wenn sie noch so gewissenhaft wäre, Gebrauch zu machen. Ein
Lehrbuch wenigstens kann nur die anatomische Beschreibung herbei-
ziehen, welche mit Rücksicht auf das physiologische Bedürfniss ent-
worfen ist, die das Merkmal trägt, dass man unmittelbar aus den ge-
schilderten Formen die Eigenschaften ableiten kann, welche eine be-
kannte Bewegung oder Spannung annimmt, die in oder auf die Gren-
zen jener Formen wirkte. Solche Beschreibungen können nun aber
aus naheliegenden Gründen erst dann entworfen werden, wenn die
Wissenschaft eine Anschauung der physiologischen Funktionen jener
Formen besitzt. An der Richtigkeit dieser Behauptung wird der
nicht zweifeln, welcher die Geschichte der bis zum physiologischen
Standpunkte gediehenen Beschreibungen, z. B. der Syndesmographie
und Osteographie kennt, die, obwohl sie seit Jahrhunderten kultivirt,
doch erst seit den Arbeiten der beiden Weber eine dem physiologischen
Lehrbuch brauchbare Gestalt gewonnen haben, und wenn man im Gegen-
satze hierzu sich klar macht, dass die Beschreibung der Muskeln und
Gefässe, wie sie jetzt noch in den meisten Lehrbüchern der Anatomie
gefunden wird, dem vollendetsten Mechaniker und Hydrauliker zu
nichts dienlich ist. Denn der erstere wird ebensowenig angeben können,
wie ein bekanntes Maass von Kraft, welches sich in den beschriebenen
Muskeln entwickelte, zur Bewegung und Pressung der Knochen ver-
wendet würde, als der Hydrauliker aus den bekannten Beschreibun-
gen der Gefässe ableiten könnte, wie sich ein Strom, dessen Eigen-
[VI]Vorrede.
schaften an der Aortenmündung vollkommen bekannt wären, bei dem
Durchgang durch das Gefässsystem verhalten würde.
Bei einer genaueren Vergleichung dessen, was die anatomische
Beschreibung bisher geleistet, mit dem, was die Physiologie von ihr
zu verlangen hat, wird man bald gewahren, dass nur der geringste
Theil des Inhaltes aller anatomischen Werke dem Physiologen wirk-
lich nützlich ist. Dieses gilt insbesondere auch von dem anatomi-
schen Material, welches mit dem Namen der Entwickelungsgeschichte
bezeichnet wird. Das physiologische Lehrbuch wird es, abgesehen
von allem übrigen, so lange der reinen Anatomie überlassen müssen,
bis mehr oder weniger klare Andeutungen darüber vorliegen, wie die
primitiven Formen des entstehenden Thieres oder Organes sich be-
theiligen an dem Hervorgehen der sekundären Gebilde.
Die Behauptung, dass ein grosser Theil der Resultate [anatomi-
scher] Forschung noch nicht zu einem Platze in einem physiologischen
Lehrbuche geeignet sei, kann begreiflich ihrem Urheber nicht den
Vorwurf zuziehen, dass er diese anatomische Thatsache überhaupt,
wie z. B. für die Operationslehre, gering anschlage, und noch weni-
ger, dass er das Talent oder gar den Charakter eines Anatomen nicht
zu würdigen wisse, der mit eingeborenem Blicke das Ungleichartige
im Aehnlichen und das Gleichartige im Verschiedenen wiederfindet,
dessen Ausdauer in einer ebenso schwierigen als monotonen Technik
nicht ermüdet. Diesen Anatomen muss die physiologische Wissenschaft
ehren als den ersten Vorboten der hereinbrechenden physiologischen
Cultur.
Es bedarf keiner Ausführung, dass das, was für den Anatomen
gilt, mit demselben Rechte angewendet werden kann auf die che-
mische und physikalische Untersuchung des Organischen, und dass
darum auch nach jener Seite hin die Grenze gezogen ist für das,
was sich für ein physiologisches Lehrbuch eignet.
Bei den reichlichen Klagen, welche die Pathologen über die un-
praktische Richtung der sog. physikalischen Physiologie äussern und
noch mehr bei dem gänzlichen Mangel des vorliegenden Buches an
pathologischen Ausführungen, wird es vermuthlich vielen auffällig
sein, dass der hier innegehaltene Gang der Forschung und des Unter-
richtes durch das ärztliche Bedürfniss geboten sei; diesen Zweiflern
[VII]Vorrede.
geben wir zu bedenken, dass die Physiologie der Pathologie doch
nur dann nützlich werden kann, wenn sie die primitiven Bedingun-
gen, aus denen das gesunde Leben fliesst, mit möglichster Schärfe
feststellt. Wenn dieses geschehen, so wird der Arzt die Grenze des
Kranken und Gesunden finden, er wird, wenn er einen kranken
Prozess ebenso zergliedert hat, wie der Physiologe den
gesunden, erkennen, welche Bedingungen zu ändern sind, damit
die normalen Resultirenden wieder zum Vorscheine kommen u. s. w.
u. s. w. Da Alles dieses so vollkommen klar und unwidersprechlich
wahr ist, so kann offenbar die genannte Klage der Pathologen nur
in einem Missverständnisse ruhen, ähnlich dem, das früher die prak-
tischen Bergleute, Hydrauliker, Chemiker u. s. w. veranlasste, die
Bemühungen der theoretischen Mechanik und Chemie für unprak-
tische Spielerei zu erklären. Wenn es erst den unablässigen Bemü-
hungen der Physiologen gelungen sein wird, die Theorie der Lebens-
erscheinungen im physikalischen Sinne weiter, als es heute gesche-
hen, zu fördern, und wenn erst die Pathologen ihre Methoden schär-
fen, wenn die Bemühungen von Traube, Frerichs, Virchow,
Oppolzer, J. Vogel, Skoda, Buhl u. a. Wenigen nicht mehr
vereinzelt stehen, so wird sich dieser Zwiespalt auf demselben Wege
wie in der Technik lösen. Soviel möge aber der ärztliche Prak-
tiker uns einstweilen auf das Wort hin glauben, die physikalische
Schule wird niemals die guten pathologischen und therapeutischen
Erfahrungen verdächtigen, wenn ihre Aussagen sich auch im schnei-
dendsten Gegensatze zu unserer Theorie finden sollten. Denn wir
sind selbst Männer der Erfahrung, und wissen darum, dass der That-
sache immer das letzte Wort gebührt.
Zum Schlusse noch einen Zuspruch an die Anfänger, welche
die physikalische Physiologie schwerer als die gemüthlichen Erörte-
rungen einiger Morphologen finden. Unläugbar ist diese Klage be-
gründet; aber sie enthält keinen Vorwurf für die Darstellung; denn
die Schwierigkeit ist darum vorhanden, weil die physikalische Phy-
siologie in der That in alle Verwickelungen des Lebens einzudringen
sucht. Wir erwiedern Euch darum: die geringe Anstrengung, die
Ihr dort gemacht habt, ist verloren, weil das Resultat nicht zur ge-
wünschten Einsicht führt, während die grössere, die Ihr hier leistet,
[VIII]Vorrede.
auch ganz gewonnen ist. Wer darum sich kräftig und für seinen hohen
Beruf begeistert fühlt, wird die Schwierigkeiten überwinden, und je
öfter dieser Prozess in verschiedenen Individuen vor sich geht, um
so rascher wird es sich ereignen, dass das vorliegende Buch für man-
gelhaft in den Thatsachen und unbeholfen in der Darstellung gilt
und durch ein besseres ersetzt wird.
Wien, im September 1855.
C. Ludwig.
[[IX]]
Inhalt des zweiten Bandes.
- Sechster Abschnitt.
- Seite
- Physiologie der Ernährung 1
- I. Blut.
- Blutzusammensetzung 1
- Blutbewegung 28
- II. Absonderungen 141
- Epithelien 165
- Nägel 170
- Haare 173
- Elastisches Gewebe 177
- Bindegewebe 178
- Seröse Häute 182
- Hornhaut 185
- Augenwasser 186
- Glaskörper 187
- Linse 187
- Knorpel 189
- Knochen 192
- Zähne 199
- Fettzellen 202
- Nervenröhren 205
- Hirn und Rückenmark 207
- Muskeln 209
- Blutgefässwandungen 211
- Milz 212
- Leber 217
- Speicheldrüsen 234
- Schleimdrüsen 240
- Thränendrüsen 240
- Bauchspeicheldrüsen 241
- Magendrüsen 245
- Seite
- Fettdrüsen 251
- Schweissdrüsen 253
- Nieren 254
- Männliche Geschlechtswerkzeuge 278
- Weibliche Geschlechtswerkzeuge 284
- Milchdrüsen 289
- Athmungsflächen 297
- Lungenathmung 306
- Hautathmung 352
- Umsetzung des Blutes in den Gefässen 361
- III. Blutbildung 362
- Aufsaugung aus den Geweben 363
- Aufsaugung von den Blutgefässen 364
- Aufsaugung durch die Lymphgefässe 367
- Zufuhr durch die Speisen (Verdauung) 374
- IV Vergleichung des Verlustes und Gewinnes an wägbaren Stoffen 430
- Siebenter Abschnitt.
- Thierische Wärme 459
Sechster Abschnitt.
Physiologie der Ernährung.
I. Blut.
Zusammensetzung des Blutes.
Die Gefässröhren, die vom Herzen aus und zu ihm zurückgehen,
sind im Leben mit einem verwickelten Gemenge fester und flüssiger
Stoffe, dem Blute, gefüllt, das nach Zusammensetzung und Eigenschaf-
ten, mit der Zeit und dem Orte seines Aufenthalts wechselt; um eine
Uebersicht zu gewinnen, werden wir zuerst die am besten gekannte Blut-
art möglichst genau beschreiben und dann die Abweichungen der übrigen
angeben.
Hautaderblut der Erwachsenen.
Die anatomische Zergliederung zerlegt das Blut des Lebenden in
Flüssigkeit, das Plasma, und in Festes, Aufgeschwemmtes, welches, je
nach seiner Gestalt, Blut- und Lymphkörperchen, Elementarkörnchen,
Faserstoffscholle u. s. w. genannt wird.
A. Blutflüssigkeit, Plasma.
Die bekannten Bestandtheile desselben sind: Faserstoff, Eiweiss,
Caseïn, Oxyproteïn, Lecithin, Cerebrin, Oleïn, Margarin, Cholestearin,
Zucker, Margarin-, Oel-, Butter-, Milch-, Hippur- und Harn-Säure, Kreatin,
Harnstoff, braune Farbstoffe, Kali, Natron, Kalk, Magnesia, Eisenoxyd,
Wasser, Salz-, Schwefel-, Phosphor-, Kiesel- und Kohlensäure, Sauer-
stoff- und Stickgas. —
1.Faserstoff. Aus 100 Theilen Blut gewinnt man ungefähr
0,19 bis 0,3 Theile desselben. — Der Faserstoff fällt ohne weiteres Zu-
thun aus dem Plasma des Blutes, welches die Adern verlassen hat, her-
aus, wobei er meist die Form zusammenhängender Häute oder Faser-
netze annimmt. — Obwohl wir seit den Versuchen von J. Müller*)
darüber nicht mehr im Zweifel sind, dass sich der Faserstoff aus der
Blutflüssigkeit und nicht aus den Körperchen abscheidet, so sind wir
doch im Unklaren, ob er schon vor der Gerinnung in aufgelöstem Zu-
stande anwesend war, oder ob er sich aus irgend welchem andern Blut
bestandtheil bei der Gerinnung erst bildete.
Ludwig, Physiolog. II. 1
[2]Faserstoff.
Zur Gewichtsbestimmung wird der Faserstoff auf zwei Weisen gewonnen. Ent-
weder man lässt das aus der Ader getretene Blut ungestört gerinnen; da in diesem
Falle das durch die ganze Masse des Bluts fest gewordene Fibrin die Blutflüssigkeit
und Blutkörperchen in sich schliesst, indem sich der sog. Blutkuchen bildet, so muss
man dasselbe nachträglich von diesen Beimengungen befreien. Zu diesem Behuf zer-
schneidet man den Blutkuchen in kleine Stücke, füllt diese in ein leinenes oder sei-
denes Tuch und spült sie so lange mit Wasser aus, als dieses noch eine Spur rother
Farbe zeigt; durch Aufhängen des Beutels in destillirtes Wasser sucht man endlich
auch die letzten Spuren löslicher Stoffe zu entfernen, ein Unternehmen, das jedoch
oft wegen der eintretenden Fäulniss des Faserstoffs nicht zum vollkommenen Ziele
geführt werden kann. — Oder man schlägt auch mit einem Glasstab das aus der Ader
gelassene Blut, wobei sich der Faserstoff in Flocken ausscheidet. Das geschlagene
Blut filtrirt man durch eine feine Leinwand und befreit den zurückbleibenden Faser-
stoff von den anhängenden übrigen Blutbestandtheilen wie oben. Den auf eine von
beiden Arten gewonnenen Faserstoff spült man vorsichtig von der Leinwand ab, trock-
net ihn bei 120° C. mit aller für hygroskopische [Stoffe] nöthigen Vorsicht. Darauf
pulvert man denselben, zieht eine gewogene Menge mit Aether aus und trocknet von
Neuem; der Gewichtsunterschied vor und nach dem Aetherauszug gibt den Fettge-
halt des Faserstoffs. Schliesslich verbrennt man den entfetteten Antheil, um seinen
Aschengehalt festzustellen. Diese Methode, selbst mit aller Sorgsamkeit ausgeführt,
gibt nur ungenaue Ergebnisse, weil durch das Leinwandfilter feine Flocken dringen,
und weil der Faserstoff, auf die eine oder andere Art gewonnen, immer Blut- und
Lymphkörperchen einschliesst, die durch das Waschen nicht entfernt werden können.
Dieser Einschluss bedingt es, dass man aus demselben Blute verschiedene Werthe des
Faserstoffgehaltes erhält, je nachdem man denselben durch Schlagen oder aus dem
Blutkuchen gewonnen (v. Gorup, Hinterbeger, Moleschott)*).
Die Versuche von J. Müller, auf die oben hingewiesen wurde, bestehen darin,
dass man zu dem Blute einen die Faserstoffgerinnung verlangsamenden chemischen
Körper fügt und dann durch Absetzen oder Filtriren die Körperchen von der Flüssig-
keit des Blutes scheidet. Man sieht dann die Gerinnung in der körperfreien Flüs-
sigkeit.
Die Behauptung, dass der Faserstoff als solcher im Blut aufgelöst sei, und bei
der Gerinnung einfach abgeschieden werde, macht für sich geltend den Umstand,
dass unter den verschiedensten Bedingungen aus demselben Blut auch dieselbe Faser-
stoffmenge abgeschieden werde; einmal bestreitet man dieses, indem u. A. Mole-
schott angibt, dass aus einem bei 55 bis 60° C. geronnenen Blute mehr Faserstoff
ausgeschieden werde, als in niederer Temperatur. Aber gesetzt, es würde auch, wie
Lehmann**) angibt, immer gleich viel Faserstoff gewonnen, so könnte dieses im
günstigsten Falle beweisen, dass die im Blut vorhandenen, sich in Fibrin umwan-
delnden Stoffe ebenfalls in bestimmter Menge vorhanden seien. Ein zweiter Beweis
für die obige Behauptung sollte darin liegen, dass die Gerinnung in einer so sehr
beschränkten Zeit vor sich gehe; dieses ist aber bekanntlich nicht einmal der Fall,
indem die Gerinnungszeit mit sehr mannigfachen Umständen wechselt; wir zählen
das in dieser Richtung Beobachtete hier auf, obwohl wir nicht einsehen, inwiefern
der Gegenstand besonderes Interesse gewährt. Die Beobachtungsmethoden, welche
die Gerinnungszeiten feststellen, lassen zudem manches zu wünschen übrig.
α. Sauerstoffreiches Blut gerinnt schneller als sauerstoffarmes, wie man daraus
schliesst, dass das Blut der Thiere die in einer Atmosphäre von reinem Sauerstoffgas
[3]Albumin.
athmeten, früher gerinnt (Beddocs, Schröder v. d. K.). — β. Ausgehreitete
Berührung des gelassenen Blutes mit Sauerstoffgas beschleunigt die Gerinnung; auch
innerhalb der Adern tritt leicht Gerinnung ein, wenn man Blasen atmosphärischer
Luft in dieselben bringt. Sie verzögert sich dagegen beim Abschluss des Sauerstoff-
gases; so namentlich wenn man das aus der Ader gelassene Blut unter Oel oder in
dem luftleeren Raum auffangt. Andern Gasen als Sauerstoff scheint keine die Gerin-
nung beschleunigende Wirkung zuzukommen. — γ. Kali- und Natronsalze, insbeson-
dere kohlensaure, Zucker, Gummi, grosse Quantitäten von Wasser, verzögern die
Gerinnung. — δ. Die Gegenwart von unebenen Flächen, insbesondere auch die des
geronnenen Faserstoffs beschleunigt innerhalb und ausserhalb der Ader die Gerinnung.
— ε. Hemmung der Bewegung des Blutes innerhalb der Adern führt zur Gerin-
nung. — η. In niederen Temperaturen geht die Gerinnung langsamer vor sich, als in
höhern; namentlich kann man Blut, ohne dass es gerinnt, gefrieren lassen; der Faser-
stoff fällt dann erst nach dem Aufthauen aus. H. Nasse*). — Demgemäss lässt
sich kein feststehender Zeitpunkt angeben, in welchem die Gerinnung im Blut ein-
tritt. Die allgemeine Bemerkung kann aber als giltig angesehen werden, dass das
aus der Ader gelassene Blut unter den die Gerinnung begünstigenden Bedingungen
seinen Faserstoff viel rascher ausfallen lässt, als das in der Ader befindliche. Diese
Behauptung gilt auch noch für die Leiche, indem in ihren Gefässen das Blut nur
sehr allmählig zur Gerinnung kommt.
Unter diesen Verhältnissen ist jedenfalls jede besondere Annahme über die Na-
tur der Verbindung, aus der der Faserstoff sich hervorbilde, voreilig. Solche An-
nahmen sind aufgestellt von Denis und C. Schmidt**); sie setzen voraus, dass
der Faserstoff mit Eiweiss identisch sei, eine Behauptung, welche bekanntlich selbst
noch der Controverse unterliegt.
2.Albumin. Das Eiweiss soll auf zweierlei Art in der Blutflüs-
sigkeit vorkommen, als freies und als neutrales Natroneiweiss. — Als
freies Eiweiss bezeichnet man dasjenige, welches durch Erhitzung der
Blutflüssigkeit ohne vorgängigen Säurezusatz zum Gerinnen gebracht wer-
den kann. Dieses Eiweiss enthält, nach den übereinstimmenden Angaben
von Rüling und Mulder, 1,3 pCt. Schwefel und ist somit um 0,3
bis 0,4 pCt. schwefelarmer als das Hühnereiweiss. Durch Erwärmen
mit Kali ist aus dem Bluteiweiss die Hälfte des Schwefels abscheidbar
aus dem Hühnereiweisse dagegen kaum ein Viertel, so dass das letztere
fast noch einmal so reich an festgebundenem Schwefel ist, als das erstere.
— Als Natronalbuminat (eiweisssaures Natron) sieht man die Eiweiss-
menge an, welche aus dem Blutserum erst durch Erhitzung abscheidbar
ist, nachdem man die alkalisch reagirende Blutflüssigkeit genau neutra-
lisirt hat.
Die Behauptung von C. Schmidt***), dass das freie Eiweiss in der Blutflüssig-
keit mit dem Chlornatrium in einer Verbindung ähnlich dem Kochsalz-Zucker vorhan-
den sei, stützt er darauf, dass der geronnene Faserstoff in einer wässerigen Lösung
von Kalisalpeter zu einer dem Bluteiweiss ähnlichen Substanz umgewandelt werde,
und dass das Blut nach der beträchtlichen Entleerung seiner salzartigen Bestandtheile,
welche es in der epidemischen Cholera erleidet, von seinem NaCl noch ungefähr so
1*
[4]Andere Eiweissstoffe der Blutflüssigkeit.
viel zurückhält, als nach gewissen wenig begründeten Annahmen nöthig ist, um mit
dem Eiweiss die bezeichnete hypothetische Verbindung zu bilden.
Der Gehalt der Blutflüssigkeit an Eiweiss freiem und an Natron ge-
bundenem schwankt zwischen 7,9 bis 9,8 pCt.
Das Eiweiss wird aus der Blutflüssigkeit entweder durch Gerinnung in der Hitze
oder mittelst des Polarisationsapparates quantitativ bestimmt. — Bedient man sich
der ersteren Methode, so muss das Blut, bevor es erhitzt wird, durch Essigsäure
genau neutralisirt werden (Scherer). Das Coagulum wird filtrirt, gewaschen und
bei 120° C. getrocknet; darauf wird ein Antheil gepulvert mit Aether ausgezogen,
um seinen Fettgehalt zu ermitteln, und endlich verbrannt, wodurch der Aschenrück-
stand gegeben wird. Die Anwendung dieser Vorsichtsmassregeln schützt aber doch
noch nicht vor Fehlern, weil das Eiweiss bei seiner Gerinnung, ausser Na Cl,
2 NaO PO5*) und Fetten, auch noch andere, von dem Gerinnsel nicht mehr zu sondernde
Stoffe einschliesst, wie z. B. die Hüllen der Lymphkörperchen, organische Salze,
Farbstoffe u. s. w. Die Gerinnungsmethode würde aber als ganz unsicher zu ver-
lassen sein, wenn sich die Angabe von Lieberkühn**) bestätigte, wonach nicht
allein Albumin, sondern auch Caseïn aus neutralen oder sauren Salzlösungen durch
Kochen gefällt wird. — A. Becquerel bedient sich zur Analyse des Eiweisses in
der Blutflüssigkeit des Biotschen Polarisationsapparates. Gegen diesen ausserordent-
lich einfachen Weg hat Lehmann***) den Einwand erhoben, dass er wegen des im
Blute vorhandenen Zuckers unanwendbar sei; es wäre sehr zu wünschen, dass die-
ser, in der That bestehende, aber technisch gewiss leicht zu hebende Uebelstand be-
seitigt, und dann genauer geprüft würde, wie sich die verschiedenen in der Blut-
flüssigkeit enthaltenen Eiweissstoffe gegen polarisirtes Licht verhalten, da diese Be-
stimmung die höchste Genauigkeit verspricht.
3.Anderweite Eiweissstoffe der Blutflüssigkeit†). In
der Flüssigkeit, aus der man noch so vorsichtig und vollkommen nach
den angegebenen Verfahren Faserstoff und Eiweiss herausgeschlagen, blei-
ben Stoffe zurück, die nach den Resultaten der Elementaranalyse und
ihren Reactionen zu der Gruppe der eiweissartigen gehören. Ueber die
besondere Natur derselben hat man sehr verschiedene Meinungen aufge-
stellt, bald hält man sie für Natronalbuminat, bald für Käsestoff, bald
für Proteïnbioxyd und endlich erklärt man sie auch für ein Gemenge
der genannten und noch anderer eiweissartiger Stoffe. Bei dem sich
stets klarer herausstellenden Mangel an unterscheidenden Kennzeichen
zwischen den einzelnen Gliedern der Eiweissgruppe und den wenigen
genauen Untersuchungen über die fraglichen Körper scheint eine Ent-
scheidung zwischen den Tagesmeinungen sehr gewagt. — Nach eigenen
Untersuchungen kann ich versichern, dass zu allen Zeiten ein Stoff in
der Blutflüssigkeit vorkommt, von der prozentischen Zusammensetzung
wie sie Bd. 1. p. 38. C. angegeben wurde. Der in diesem Stoffe enthal-
[5]Fette und Extracte.
tene Schwefel ist gleich demjenigen des Proteïns durch Erwärmen in
Kaliauflösung nicht abscheidbar. —
4.Fette*), wahrscheinlich fette Säuren, werden nur in sehr ge-
ringer Menge aus der Blutflüssigkeit gewonnen; sie sind, wie man ver-
muthet, entweder an die Alkalien des Bluts, mit denen sie Seifen dar-
stellen, gebunden gewesen, oder sie sind Zersetzungsprodukte der phos-
phorhaltigen Fette (Gobley). Man erhält sie, wenn man die Flüssig-
keit, welche nach Gerinnung des Eiweisses durch die Hitze zurückbleibt,
filtrirt, eindampft und mit Aether auszieht. — Ausserdem enthalten, wie
erwähnt, Faserstoff und Eiweiss, wenn sie niedergefallen sind, Fette, über
deren Ursprung wir im Unklaren sind; vielleicht waren sie in den Blut-
und Lymphkörperchen eingeschlossen, welche jene Stoffe beim Coaguliren
mit sich rissen. —
5.Fettähnliche Stoffe**). Das Cholestearin, welches in der
Blutflüssigkeit vorkommt (Marcet), soll in den Seifen derselben gelöst
sein. — Das Gemenge fettartiger, für sich in Wasser unlöslicher Kör-
per, welchem Boudet den Namen Serolin gab, ist später häufig wieder-
gefunden; über seine Zusammensetzung und die Art, wie es im Blut-
wasser gelöst ist, fehlt eine Angabe. Gobley zählt unter die Bestand-
theile des Serolin: Lecethin, Cerebrin, Oleïn, Margarin, eine Angabe, die
eine weitere Bestätigung erwartet. —
6—12.Kreatin, Kreatinin, Harnstoff, Zucker, Harn-,
Hippur- und Milchsäure enthält das Blutwasser in sehr geringer
Menge; nur der Zucker ist zuweilen reichlich vorhanden. Die hier auf-
gezählten Stoffe machen wesentlich das aus, was man als spirituose
Blutextracte bezeichnet, ein Namen, der darum aufzugeben ist; weil die
einzelnen Glieder des Gemenges, weder quantitativ, noch qualitativ sich
gleich bleiben. —
13. Die Mineralischen Bestandtheile der menschlichen Blut-
flüssigkeit hat man bis dahin meist aus der Asche ihres eingetrockneten
Rückstandes bestimmt, aus diesem Grunde müssen den Angaben Fehler
anhaften über den Gehalt an Chlor, Schwefel- und Phosphorsäure; und
da man bei der Aschendarstellung die Vorsichtsmassregeln nicht in Anwen-
dung brachte, welche nach den Versuchen von Erdmann, Strecker***),
H. Rose,†)Mitscherlich und Heintz††) nothwendig sind, so ist
auch der Gehalt an Kalium und Natrium fehlerhaft bekannt geworden.
Die Veränderungen, welche mit den Blutmineralen bei der Aschenbereitung vor
sich gehen, bestehen darin, dass die Menge der SO3 und unter Umständen die der
Ph2O5 vermehrt wird, in Folge einer Oxydation des Schwefels der eiweisshaltigen
[6]Minerale.
und des Phosphors der fettartigen Körper. Die überschüssige Schwefelsäure wird
aber Cl austreiben, was auch schon durch die überschüssige Kohlen- und die bei der
Verbrennung sich bildende Cyansäure geschehen kann. In höheren Temperaturen ver-
flüchtigen sich die Chloralkalien. Die vorhandenen phosphorsauren Salze, mit zwei
Atom fixer Basis, werden durch die neugebildete Schwefelsäure zum Theil in saure
verwandelt, aus denen die Phosphorsäure durch die Kohle zu Phosphor reduzirt
und dann verflüchtigt wird; oder es kann auch in höheren Temperaturen das er-
wähnte phosphorsaure Salz sich in ein solches mit 3 Atom fixer Basis umwandeln,
wenn nämlich gleichzeitig ein kohlensaures vorhanden ist.
Verfahrungsarten, die Salze ganz oder theilweise ohne Einäscherung zu bestim-
men, geben Millon*) und Heintz**) an.
Aus der grossen Anzahl bekannt gewordener Aschenanalysen von
Denis, Lecanu, Marcet, Marchand, Nasse, Weber, Verdeil
und Schmidt***) wählen wir die des letztern Beobachters aus; sie
kann, wie die übrigen, nur als eine Annäherung an die Wahrheit ange-
sehen werden; denn die ihr zu Grunde liegende Asche ist nach einem
Verfahren gewonnen, welches dem älteren Rose’schen†) sehr ähnlich
sieht. Immerhin scheint sie aber doch die zuverlässigste.
Nach Schmidt gewinnt man aus 100 Theilen Blutflüssigkeit 0,85
Theile Asche; diese bestehen aus: Cl = 0,533, SO3 = 0,013, PhO5 = 0,032,
CaO = 0,016, MgO = 0,010, Ka = 0,031, Na = 0,341, O = 0,045.
Diese Asche zählt nicht zu denjenigen, welche alle die mineralischen
Bestandtheile enthält, die schon von andern Chemikern in der Blutflüs-
sigkeit gefunden sind. Namentlich fehlen die häufig vorgefundenen CO2
und Eisenoxyd und die seltener vorhandenen Kieselsäure††), Mangan,
Kupfer, Blei, und endlich das von Marchand angegebene Ammoniak.
Diese Bestandtheile werden nun nach bekannten Prinzipien zu Sal-
zen zusammengeordnet; man gibt nämlich der stärksten Säure die
stärkste Base bei, und berechnet ausserdem die phosphorsauren Salze
als solche mit 3 Atomen fixer Basis. So erhält man
KO SO3 = 0,028; KCl = 0,036; Na Cl = 0,554; 3NaO PhO5 = 0,032;
3 CaO PhO5 = 0,030; 3 MgO PhO5 = 0,022; NaO = 0,093
Da diese Berechnung namentlich in Beziehung auf die Verbindun-
gen der Phosphorsäure mit Alkalien ganz willkührlich ist, so kann sie
nicht in der Absicht angestellt worden sein, um den wahren Ausdruck
des Salzgemenges in der Blutasche zu geben. Aber dennoch ist sie von
Wichtigkeit, denn sie zeigt 1) dass die fixen Säuren SO3, PhO5, ClH
nicht hinreichen, um alle Basen zu sättigen. Dieses Resultat ist nicht
in Uebereinstimmung mit den Angaben andrer Aschenanalytiker; denn
wenn man auch niemals saure Blutaschen beobachtete, so fand man aber
[7]Minerale.
doch öfter solche, in denen die Basen grade zur Neutralisirung der an-
gegebenen Säuren hinreichten. 2) die Natronsalze überwiegen ausser-
ordentlich, und unter diesen wieder das NaCl, in der Art, dass die
Summe aller übrigen sich zu dem Kochsalz wie 3 und 5 verhält. —
Auf dieses Verhalten hat, wie es scheint, Denis zuerst die Aufmerk-
samkeit gelenkt.
Hiernächst entsteht nun die viel wichtigere Frage, in welcher Ver-
bindung die in der Asche gefundenen Minerale in der Blutflüssigkeit
enthalten sind. Leider befinden wir uns nicht in der Lage, über die-
sen wesentlichsten Theil der Aufgabe Aufschluss zu geben; denn 1) wis-
sen wir überhaupt nicht, in welchen gegenseitigen Anziehungen sich die
Bestandtheile mehrerer Salze befinden, die neben einander gelöst sind,
mit andern Worten, ob z. B. ClKa und 2 NaO PhO5, und wenn sie in
ein und derselben Flüssigkeit gelöst werden, in dieser noch als solche
befindlich sind. — 2) Kennen wir die Verbindungen der organischen
Säuren des Blutes nicht, insbesondere ist uns die Stellung der eiweiss-
artigen Stoffe, welche nach Wurtz und Lieberkühn schwache Säu-
ren darstellen, zu den Basen unbekannt. — 3) Ist bis jetzt noch keine
Angabe geschehen, ob in der Blutflüssigkeit SO3 Salze vorkommen und in
welcher Menge. — 4) Wie mehrt sich mit der Verbrennung die Menge
der Phosphorsäure? Angesichts dieser Bedenken lässt sich nur Folgen-
des aussprechen.
Ein Theil des KO oder NaO ist mit den eiweissartigen Stoffen ver-
bunden, da wie schon erwähnt, diese zum Theil durch Zusetzen einer
Säure zum Serum und zwar entweder sogleich, oder nach vorgängigem
Kochen gefällt werden.
Die phosphorsaure Kalk- und Bittererde ist mit den Eiweisskörpern
verbunden, und zwar wahrscheinlich als dreibasisch phosphorsaure. Diese
Annahme gründet sich darauf, dass in einer alkalisch reagirenden Flüs-
sigkeit, wie sie das Blut darstellt, die erwähnten Salze nur dann löslich
sind, wenn sie mit Eiweissstoffen verbunden vorkommen; die mit dem
Eiweissstoffe des Blutserums verbundene phosphorsaure Kalkerde (und
Magnesia?) ist aber nach Heintz dreibasische.
Die Blutflüssigkeit enthält wahrscheinlich kohlensaure Alkalien. Denn
wenn man aus der Blutflüssigkeit durch Kochen und die Luftpumpe alle
mechanisch eingemengte CO2 entfernt hat, kann durch eine zugesetzte
Säure eine neue Quantität CO2 unter der Luftpumpe aus ihr erhalten
werden*).
Die Gründe, aus denen Liebig und Enderlin die Anwesenheit der kohlen-
sauren Salze läugneten, scheinen widerlegt zu sein. Jene Chemiker stützten sich
[8]Minerale.
darauf, dass die Blutasche des Menschen und der Fleischfresser (wohl aber die der
Grasfresser) mit Säuren übergossen, nicht brausst. Wir haben schon angegeben,
dass die kohlensäurehaltige oder kohlensäurenfreie Asche weder die Abwesenheit,
noch Anwesenheit von kohlensauren Salzen in der Blutflüssigkeit beweisen kann. —
Liebig macht ausserdem geltend, dass die gekochte und filtrirte Blutflüssigkeit bei
Einträufeln von fixen Säuren keine CO2 entwickle. Diese Thatsache ist aber eben-
falls nicht schlagend, weil die CO2 freie Flüssigkeit begierig die in ihr entwickelte
CO2 absorbirt, wie Marchand und Mulder darthaten, indem sie zeigten, dass,
selbst wenn ein Zusatz von NaO CO2 zum Blut gemacht war, starke Säuren keine
Kohlensäure aus ihr frei machten.
Von dem phosphorsauren Natron der Blutflüssigkeit behauptet man
bald, dass es zweibasisches (PhO5, 2NaO, HO), bald, dass es dreiba-
sisches (PhO5, 3 NaO) sei. Für die letzte Meinung spricht die Asche,
welche kein pyrophosphorsaures Natron enthält. Hiergegen lässt sich
einwenden, dass das zweibasisch phosphorsaure sich beim Glühen mit
kohlensaurem Salze in dreibasisches umwandelt, woraus sich zur Genüge
die Abwesenheit von pyrophosphorsaurem Natron in der Asche erklärt,
selbst wenn zweibasisches Salz in der Flüssigkeit vorkommt. Die Ver-
theidiger des zweibasisch phosphorsauren Natrons behaupten noch dazu,
dass im Blut, d. i. in einer mit Kohlensäure geschwängerten Flüssig-
keit, gar kein dreibasisch phosphorsaures Natron bestehen könne, indem
es augenblicklich in zweibasisches und kohlensaures Salz zerfalle. Da
auch diese letztere Behauptung nicht durch unwidersprechliche That-
sachen erwiesen ist, so muss die ganze Frage dahin gestellt bleiben.
Die Gegenwart von NaCl und KaCl ist wohl niemals geläugnet wor-
den. Die Kieselsäure muss, wenn sie vorhanden, in Verbindung mit Al-
kalien vorkommen.
Ueber die Art und Weise, wie die Metalle, namentlich die häufigen
Eisen und Mangan und die seltenen Blei und Kupfer, gebunden sind,
wissen wir nichts.
Den hier angezweifelten Beweis für die Zusammenordnung der einfachen Be-
standtheile zu complizirten glaubt C. Schmidt durch Vergleichung des beobachte-
ten und des hypothetischen spezifischen Gewichtes der Flüssigkeit gegeben zu haben.
Das hypothetische spezifische Gewicht der Blutflüssigkeit lässt sich aber nach seinen
Voraussetzungen ableiten, wenn man weiss, um wie viel die bekannten Volumina des
Wassers und eines löslichen festen Stoffs bei wirklich geschehener Lösung dieses
letzteren abnahmen, mit andern Worten: wenn man die Verdichtungscoefficienten
kennt. Nachdem er diese letzteren bestimmt hat für alle die Stoffe, welche seiner
Voraussetzung nach in dem Blutwasser gelöst sind, macht er die weitere Annahme,
die Verdichtung bleibe dieselbe selbst für den Fall, dass die einzelnen Stoffe, statt
in Wasser, in einem solchen Salz-Gemenge, wie es die Blutflüssigkeit darstellt, ge-
löst seien. — Diese Voraussetzung ist nun freilich willkührlich; man könnte sie je-
doch diessmal eine glückliche nennen in Anbetracht der von ihm gefundenen Ueber-
einstimmung zwischen dem hypothetischen und dem wirklich beobachteten spezifischen
Gewichte. Bei genauerer Ueberlegung ist aber gerade diese Uebereinstimmung ge-
eignet, Misstrauen zu erregen. Denn es sind die von ihm angenommenen Stoffe der
Blutflüssigkeit: KO SO3; KaCl; NaCl; 2 NaO PhO5; NaO; 3CaO PhO5; 2MgO PhO5;
[9]Kohlensäure und Sauerstoff.
Albumin, Fibrin. — Wie man sogleich sieht, sind diese Stoffe zum Theil offenbar
gar nicht im [Blute] vorhanden, wie z. B. KO SO3; NaO, und andere übersehen
wie das Albumin-Natron, die Fette u. s. w. Umstände, welche im günstigsten
Falle beweisen, dass für die Salzbestandtheile die vorgeschlagene Controle nichts
leistet.
14. Die Kohlensäure nimmt der Menge und ihres besonderen
Verhaltens wegen den ersten Platz unter den diffusibeln Gasarten der
Blutflüssigkeit ein. Auf die Menge schliessen wir in Ermangelung einer
gründlichen Analyse aus dem grossen Absorptionsvermögen der (faser-
stofffreien) Blutflüssigkeit *), welche unter dem Atmosphärendruck mit
CO2 gesperrt das anderthalbfache bis doppelte ihres Volumens von dem
Gas aufnimmt. Scherer**), Mulder***). Da H. Nasse diese Beob-
achtung dahin erweitert hat, dass ein Blut um so mehr CO2 absorbirt,
je reicher seine Asche an NaO CO2 ist; da nach der vollkommenen Sät-
tigung mit CO2 die Flüssigkeit noch alkalisch reagirt, und da die gesät-
tigte Blutflüssigkeit mit fixen Säuren versetzt, die Hälfte ihrer CO2 selbst
in einer kohlensäurehaltigen Atmosphäre verliert, so kann man nicht im
Zweifel darüber sein, dass durch eins der alkalisch reagirenden Blutsalze
NaO CO2 oder 2 NaO PhO5 die CO2 aufgenommen und verdichtet wird, so
dass sie sich nicht im Zustande einfacher Diffusion findet. Diese Ver-
dichtung durch die erwähnten Salze verhindert aber die CO2 nicht, zu
verdampfen, da, wie bekannt, eine Lösung von NaO 2 CO2 sich bei län-
gerem Stehen in einer kohlensäurefreien Luft in NaO CO2 verwandelt.
H. Rose, Becher.
15. Die Gegenwart des Stick- und Sauerstoffs vermuthen wir,
weil die Blutflüssigkeit als eine wässerige Lösung beide Luftarten in ge-
ringen Mengen aufnimmt. Wir haben keinen Grund, anzunehmen, dass
die Gasarten anders als diffundirt enthalten seien.
16. Der Wassergehalt der Blutflüssigkeit ist im Mittel auf 90
bis 93 pCt. gefunden worden.
Serum. Derjenige Antheil der Blutflüssigkeit, welcher zurück-
bleibt, nachdem der Faserstoff ausgeschieden ist, wird altem ärztlichem
Herkommen gemäss Serum sanguinis genannt. Dieses Serum ist von
praktischer Bedeutung für die Blutanalytiker, weil nur es nicht aber das
gesammte Plasma der Untersuchung so weit zugänglich ist, dass spez.
Gewicht, Farbe, Consistenz u. s. w. beobachtet werden können.
Da in der That die Menge des ausfallenden Faserstoffs sehr gering
ist, und die Eigenschaften desselben, so lange er in Lösung befindlich,
soweit wir wissen, sich nicht von denjenigen der übrigen Eiweissstoffe
unterscheiden, so würde eine Uebereinstimmung in den physikalischen
Verhältnissen von Plasma und Serum statuirt werden dürfen, wenn die-
[10]Serum.
ses letztere nur hinreichend rein erhalten werden könnte. Dies ist aber
nur selten der Fall.
Das Serum gewinnt man entweder so, dass man das aus der Ader gelassene
Blut sogleich gerinnen lässt. Der durch die ganze Masse des Blutes vertheilte Faser-
stoff schliesst bei seiner Gerinnung sämmtliche Blutkörperchen sammt der Blutflüssig-
keit ein, so dass unmittelbar nach derselben das Blut einen zusammenhängenden,
sehr lockeren Kuchen bildet. Nach einiger Zeit aber beginnt die Zusammenziehung
des Faserstoffs, so dass nun die uncompressibele Blutflüssigkeit aus dem Kuchen aus-
getrieben wird, während ein sehr grosser Theil der Körperchen des Blutes, welcher
auf dem Faserstoffbalken aufgelagert ist, den Bewegungen derselben folgt und in dem
Kuchen eingeschlossen bleibt. So unternimmt das Blut selbst eine Filtration, die wir
vergeblich künstlich nachzuahmen versuchen. — Begreiflich ist aber auch diese Fil-
tration keine vollkommene und namentlich tritt ein aufgeschwemmter Bestandtheil,
der dem Faserstoff weniger stark zu adhäriren scheint, die sog. Lymphkörperchen,
mit dem Serum aus dem Kuchen. Diese Körperchen sind nun entweder spez. leich-
ter als das Serum, sie treten nach oben (und können zum Theil wenigstens abgeho-
ben werden?) oder sie sind von gleicher Eigenschwere; diese verunreinigen also
das Serum. Da das Filter, welches dem Blutserum noch den Durchtritt gestattet,
sie nicht zurückhält, so werden sie nicht von der Blutflüssigkeit getrennt und bilden
immer vorkommende Verunreinigungen derselben. — Zuweilen zieht man es vor, das
Blut nach dem Austritt aus der Ader sogleich zu schlagen zur Abscheidung des Faser-
stoffs, und die zurückbleibende Flüssigkeit sich selbst zu überlassen; bei vollkomme-
ner Ruhe derselben senken sich dann die rothen Körperchen desselben allmählig zu
Boden. Das auf die eine oder andere Art geschiedene Serum hebt man dann vor-
sichtig mit der Pipette vom Bodensatz oder dem Blutkuchen ab.
Das spez. Gewicht des meist gelblich gefärbten Serums wird im
Mittel zu 1028, das des Wassers = 1000 gesetzt, angegeben.
B. Aufgeschwemmte Blutbestandtheile.
Zu ihnen gehören die Blutscheiben, die Lymphkörperchen, die Mo-
lekularkörnchen und Faserstoffschollen.
a. Die Blutscheiben sind im Blute ungemein zahlreich vertre-
ten, indem nach den Zählungen von Vierordt*) und H. Welker**)
in einem Cubikmillimeter Blut 4 bis 5,5 Millionen Stück enthalten sind.
Die Zählung der Blutkörperchen, welche in einem genau gemessenen Blutvolu-
men enthalten sind, ist zuerst von Vierordt ausgeführt; diese mühsame Arbeit ist
durch die Welker’schen Verbesserungen der Technik wesentlich vereinfacht wor-
den. Sie würde nach diesem letzteren Autor zu einer verhältnissmässig sehr leich-
ten werden, wenn sich die Annahme desselben bestätigte, dass die färbende Kraft
des Bluts in einer festen Beziehung zu der Zahl seiner Körperchen stände. Aus den
Beobachtungen Welkers kann aber nur so viel geschlossen werden, dass bei einem
gesunden Menschen die Färbekraft des Bluts mit der Zahl seiner Körperchen gleichen
Schritt hält, so dass man aus der Tiefe der Farbe, welche ein genau abgemessenes
Volumen Blut einem und demselben Volumen einer farblosen Flüssigkeit ertheilt,
schliesst, ob der Gehalt beider Blutproben an Körperchen ungleich sei. In den Fäl-
len, in welchen diese Voraussetzung erfüllt ist, kann durch die Färbekraft des Bluts
auch sogleich die Zahl seiner Körperchen bestimmt werden. Welker versuchte
[11]Blutscheiben.
dieses folgendermassen auszuführen: er bestimmt die Anzahl der Blutkörperchen in
einem C. Mm. und verdünnt dann ein bestimmtes Volumen dieses Bluts mit einem bestimm-
ten Volumen einer farblosen Flüssigkeit, z. B. verdünntem Alkohol; will er nun den
Blutkörperchengehalt einer andern Blutprobe ermitteln, so verdünnt er diese so lange
mit derselben Flüssigkeit, bis sie die Farbe der ersten angenommen. Die Blutkör-
perchenzahlen verhalten sich wie die Volumina der Zusatzflüssigkeiten.
1. Anatomisches Verhalten *). Die Blutscheiben sind kleine Zellen,
deren Inhalt roth oder grün (Brücke) gefärbt ist; obwohl ihre Form
keineswegs als eine beständige anzusehen ist, so stellt doch die weitaus
grösste Zahl derselben Rundscheiben dar, die auf der Fläche liegend,
sich wie eine oben hohle Linse ausnehmen, während sie auf dem Rande
stehend das Ansehen eines Biscuits darbieten. Auf eine Vertiefung der
obern Fläche schliessen wir aus der Vertheilung, die hier das Licht eines
Büschels erfährt, welches von der untern Fläche her mit parallelen Strah-
len in die Blutscheiben eingedrungen ist; bekanntlich erscheint beim
durchfallenden Licht die helle Mitte des Blutkörperchens von einer leich-
ten Verdunklung umgeben, auf die nach aussen ein heller Ring folgt;
analysirt man aber den Gang der parallelen Strahlen 1234 Fig. 1. durch
die planconcave Linse aa., so wird
man sogleich sehen, dass auf der obe-
ren Fläche die Mitte hell, der ausge-
bogene Theil lichtschwach, und der
Rand wieder lichtstark erscheinen muss.
— Die Biscuitform der auf der Kante
stehenden Blutscheiben beweist, dass
der Rand nicht überall gleich breit ist,
denn sonst müsste diese Ansicht ein
Rechteck darstellen. — Ausser dieser
häufigsten Gestalt kommen noch andre vor, zuweilen steht die Vertiefung
excentrisch, oder die Scheibe ist auf beiden Flächen erhaben, oder die
Ränder tragen Zacken.
Die Blutkörperchen der ersten Form kann man in ein kugeliges Gebilde verwan-
deln, wenn man die Blutflüssigkeit, in der sie schwimmen, mit Wasser verdünnt, wo-
durch wahrscheinlich in Folge einer Diffusionsströmung der Inhalt vermehrt wird. —
Die Zackenform erhalten die Körperchen, wenn sie in eine concentrirte Lösung von
Glaubersalz, Zucker u. s. w. gebracht werden. Ueber andere Formveränderungen
siehe bei Lindwurm**), Donders, Moleschott***), Staunius†), Leh-
mann††).
Der Inhalt der Blutscheiben ist bald mehr, bald weniger tief ge-
färbt, bald ist er klar, bald noch mit Körnchen und Krümeln gefüllt.
[12]Blutscheiben.
2. Chemische Beschaffenheit. Das Blutkörperchen ist noch niemals
rein dargestellt worden.
Versuche zur Darstellung der Blutkörperchen. Zur Reindarstellung der Blut-
körperchen hat man den direkten und indirekten Weg eingeschlagen.
1. Filtration. Versetzt man ein von Faserstoff befreites Blut mit seinem
mehrfachen Volum einer concentrirten Glaubersalzlösung, und leitet durch dasselbe,
nachdem es auf ein Papierfilter gebracht worden, Sauerstoffgas, so wird nicht allein
die Mehrzahl der Körperchen zurückgehalten, sondern es lässt sich auch durch Glauber-
salz der Rückstand so vollkommen auswaschen, dass die Waschflüssigkeit kein ClNa
und keine organischen Bestandtheile, namentlich kein Eiweiss mehr enthält. Berze-
lius, Dumas*), Lecanu**). Diesen ausgewaschenen Rückstand haben einzelne
Chemiker für reine Blutkörperchen angesehen, eine Meinung, welche sowohl die phy-
sikalische Ueberlegung wie auch das optische Verhalten als unrichtig erweist, indem
die Körperchen, wie wir schon erfuhren, unter dem Einfluss der Salzlösung ver-
schrumpfen und ihre Form ändern; diese Formänderung, namentlich das Schrumpfen
derselben, ist nothwendig, wenn man bedenkt, dass der Inhalt durch die für wässrige
Lösungen durchgängige Membran auf diffusivem Wege der Glaubersalzlösung einen
Theil seiner Bestandtheile abgeben und dafür andere empfangen muss. Einen weiteren
Beweis für diese Behauptung wird man zu liefern im Stande sein, wenn man eine
solche mit Glaubersalzlösung gewaschene Blutkörperchenmasse einige Zeit in dieser
Lösung aufbewahren und diese auf ihre Bestandtheile untersuchen würde. Diese
Einwendungen können natürlich dem Filtrationsverfahren seinen grossen Werth für
die qualitative Untersuchung des Blutkörperchens nicht rauben.
2. Man behauptete zu verschiedenen Zeiten (Dumas-Prevost, C. Schmidt***,
dass ein oder der andre Stoff nur der Blutflüssigkeit oder dem Serum, nicht aber
den Körperchen eigen sei; auf diese Annahme lässt sich nun ein einfaches Verfahren
gründen, um die Zusammensetzung der Blutkörperchen festzustellen. Offenbar nem-
lich ist in einem Gemenge aus unbekannten Quantitäten von Blutkörperchen und Se-
rum, die Quantität dieses letztern und aller seiner Bestandtheile sogleich bestimmt,
wenn man aus dem Gemenge das Gewicht eines dem Serum allein zugehörigen Stoffes
bestimmen könnte und zugleich das Verhältniss weiss, in dem alle andern Serumbe-
standtheile zu diesem besondern Stoff stehen. Mit der Kenntniss der Menge und der
Zusammensetzung des Serums in einem Gemenge von Blut und Blutkörperchen ist
aber natürlich auch die Zusammensetzung dieser letzteren gegeben, indem diese ge-
geben ist durch den Rest, welchen die Blutanalyse nach Abzug des Serums lässt.
So hielten [Dumas]-Prevost dafür, die Blutkörperchen seien mit Serum durch-
tränkte und gefüllte Säcke; indem somit das Eigenthümliche der Blutscheibe nur in
ihrer Haut bestehen sollte, sprachen sie ihr natürlich allen Wassergehalt ab. Diese
Annahme [ist] aber durch mancherlei Thatsachen, insbesondere durch die Untersuchung
der filtrirten Blutkörper widerlegt. — C. Schmidt***) nimmt an, dass das Chlor
der Blutscheiben mit Kalium, das des Serums mit Natrium verbunden sei, so dass
also dem einen Bestandtheil das Chlorkalium, dem andern das Kochsalz abgehe. Diese
Annahme ist aber vollkommen willkürlich, weil selbst nach seinen Beobachtungen
neben NaCl und KaCl noch die Anwesenheit von NaO in den Blutscheiben und von
KaO in dem Serum feststeht. — Endlich hat man auf den Faserstoff des Plasma’s
aufmerksam gemacht (Zimmermann†), der sich unzweifelhaft eignen würde zu
[13]Blutscheiben.
obigen Bestimmungen, wenn man nur ein blutkörperchenfreies Plasma mit unverän-
dertem Faserstoffgehalt zur Analyse bringen könnte.
3. Zimmermann und Vierordt haben vorgeschlagen, ein Gemenge von Serum
und Scheiben einem Stoff von beliebiger Zusammensetzung beizumischen, für welchen
die Blutscheibenhülle undurchdringlich sei und der, obwohl er sich im Wasser löse,
weder Wasser, noch irgend einen andern Bestandtheil des Blutscheibeninhaltes an sich
ziehe. Gäbe es einen solchen Körper, so würde die Aufgabe gelöst sein: den Gehalt einer
beliebigen Blutmenge an Serum und Scheiben, um daraus die Zusammensetzung der
letztern zu bestimmen. Denn man hätte zu einem bekannten Gewicht Blut eine gewo-
gene Menge des fraglichen Stoffs zu setzen, aus diesem Blut Serum zu gewinnen
und den prozentischen Gehalt desselben an dem zugesetzten Stoff zu bestimmen;
offenbar würde dann aus der eingetretenen Verdünnung die Masse des anwesenden
Serums gefolgert werden können. Dieser einfache Vorschlag scheitert aber daran,
dass es schwerlich einen Stoff von den verlangten Eigenschaften giebt; nach den bis
dahin vorliegenden Thatsachen über Diffusion, würde nur der Zusatz die verlangten
Eigenschaften besitzen, dessen Zusammensetzung mit der des Serums zusammenfielen,
mit andern Worten: ein solcher, der sich schon diffusiv mit dem Inhalt der Blut-
körperchen ausgeglichen. Dieser Zusatz würde uns aber nichts helfen, denn damit
würde die prozentische Zusammensetzung des Serums nicht umgeändert und auf die-
ser Umwandlung beruht die Brauchbarkeit des Verfahrens.
4. Man hat auch den Versuch gemacht, das Volum der Blutkörperchen oder des
Serums zu bestimmen, entweder, indem man die Blutkörperchen eines bekannten Vo-
lums Blut zählte und die Zahl mit dem Volum eines Blutkörperchens multiplizirte,
dessen Durchmesser man unter dem Mikroskop bestimmt hatte, oder indem man Schei-
ben aus dem Blutkuchen schnitt und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Blut-
körperchen zu messen suchte u. s. w. Man kann kaum der Meinung sein, dass es
mit diesem Vorhaben Ernst gewesen sei.
Als besondere den Blutscheiben zukommende Bestandtheile sind mit
Bestimmtheit ermittelt.
Der Hüllenstoff. Obwohl er bis dahin nicht rein dargestellt
ist, so scheint es erlaubt, ihn zu den Gliedern der Eiweissgruppe zu
zählen; keinenfalls aber ist es, wie man gethan, erlaubt, ihn als eine
Abart des geronnenen Faserstoffs anzusehen. Die wenigen sichern Nach
richten, welche man besitzt, sind von der mikrochemischen Reaction ge-
liefert. Donders und Moleschott*).
Haematin. Seit den im I. Bd. 36. gemachten Mittheilungen hat
Wittich**) den Farbstoff reiner, als es bis dahin geschehen, darzu-
stellen gelehrt, und Brücke***) weisst nach, dass derselbe in einer an
kohlensaurem Alkali reichen Lösung sich als ein doppelfarbiger erweise,
der bei auffallendem Licht (in sehr dicken Schichten) roth, bei durchfal-
lendem Licht (in sehr dünnen Schichten) aber grün erscheint. Der
Dichroismus ist darum im venösen Blut deutlich, während er dem arte-
riellen fremd ist.
Globulin; diesen Stoff hat Wittich ebenfalls reiner als bis da-
[14]Lymphkörperchen.
hin dargestellt, indem er ihn in Aether löste; er gehört unzweifelhaft
zu den eiweissartigen Stoffen.
Haematin und Globulin im Gemenge (Haemin und Haematocrystallin) sind neuer-
dings vielfach auf ihre Krystallisationserscheinungen [untersucht] worden von Leh-
mann*), Teichmann**), Meckel***). Die zahlreichen Untersuchungen, so in-
teressant sie nach andern Richtungen hin sein mögen, haben aber noch wenig zu
dem, was uns über die Natur der Stoffe aufzuklären vermögte, hinzugefügt. — We-
sentliche Fehler in den Resultaten der Lecanuschen †) Untersuchung über die
[Eigenschaften] desselben Gemenges weist Wittich nach; dem entsprechend verlie-
ren auch die Dumas’ schen Elementaranalysen der filtrirten und getrockneten Kör-
perchen ihren letzten Werth.
Ein phosphorhaltiges Fett; der ätherische fettartige Auszug
der mit Glaubersalz filtrirten Scheiben hinterlässt 22 pCt. einer sauren
phosphorsauren Kalkasche.
Die Asche der Blutkörperchen ist reicher an Eisenoxyd und phos-
phorsauren Alkalien und reicher an Kali (H. Nasse††, Schmidt†††),
Weber§) und die Summe der Kalien und Erden ist in gleichen Ge-
wichtstheilen Blutkörperchen geringer als in dem Serum.
Die Blutkörperchen enthalten endlich auch diffusibele Gase;
insbesondere ist dieses gewiss vom Sauerstoffgas, da die Volumeinheit
eines Gemenges von Körperchen und Serum mehr Sauerstoff zu absor-
biren vermag als die des Serums. J. Davy, H. Nasse§§). Da die
Volumeinheit des Gesammtbluts noch weniger CO2 aufnimmt als das Se-
rum, so beweist dieses, dass die Körperchen entweder wenig oder gar keine
CO2 aufsaugen. Wie sie sich zu dem Stickgas verhalten, ist unbekannt.
b—d. Lymphkörperchen, Molekularkörnchen, Faser-
stoffschollen finden sich neben den farbigen Körperchen im Blut
aufgeschwemmt; da weder über die chemische Zusammensetzung und
noch weniger über die physiologischen Beziehungen dieser Stoffe etwas
bekannt geworden, so unterlassen wir es hier ihre Form darzustellen;
welche ausführlich in den Lehrbüchern der mikroskopischen Anatomie
behandelt wird. —
Die Zahl der farblosen Körperchen ist viel geringer als die der far-
bigen; nach den Zählungen von Welker§§§) sind in 1 Cubikmillimeter
Blut zwischen 8000 bis 13000 enthalten, so dass nach zwei vergleichen-
den Zählungen auf 350 bis 500 rothe 1 farbloses kam. Ueber die wech-
selnden Mengenverhältnisse der Lymphkörperchen sind einige der folgen-
den Mittheilungen und über die Beziehung zwischen Blut und Lymph-
körperchen ist die Lymphe nachzusehen.
[15]Blutanalyse.
C. Gesammtblut.
1. Eine erschöpfende quantitative Analyse des Gesammtbluts kann
erst dann zur Ausführung kommen, wenn es gelungen ist, die Blutkör-
perchen von der Blutflüssigkeit scharf zu trennen und wenn uns nicht
allein alle Blutbestandtheile, sondern auch eine quantitative Bestimmungs-
methode jedes einzelnen bekannt ist. — In Ermangelung einer solchen
begnügt man sich nun mit der annährend richtigen Bestimmung einzel-
ner Bestandtheile des Bluts, und namentlich ermittelt man den Wasser-
gehalt, die Summe der im kochenden Wasser unlöslichen Bestandtheile
(Hüllen der Blutkörperchen, Eiweissstoffe der Körperchen und der Flüs-
sigkeit mit eingeschlossenen Salzen), der in Aether, in kochendem Alko-
hol und in Wasser löslichen und der unverbrennlichen Bestandtheile.
Aus diesen Beobachtungen kann niemals die ganze Bedeutung des Bluts
und seiner Veränderungen gefunden werden. Damit ist nicht ausge-
schlossen, dass die Beobachtungsresultate über diesen oder jenen Punkt
Aufschluss gewähren.
Unter den Methoden zu den erwähnten Gewichtsbestimmungen zeichnet sich, nach
übereinstimmenden Angaben, das Verfahren von Prevost und Dumas, welches
Scherer*) verbessert hat, aus. Er fängt zwei Portionen Blut, jede von ungefähr
60 Gr. gesondert auf. Aus einer derselben gewinnt er Serum und bestimmt in diesem das
Wasser, das Eiweiss, die Extrakte und die in Wasser löslichen Bestandtheile der Asche,
aus der andern das Wasser, den Faserstoff, das Gemenge der in kochendem Wasser
unlöslichen Bestandtheile der Blutkörperchen und des Serums, die Extracte, das Fett und
die in Wasser löslichen Bestandtheile der Asche im Gesammtblut. — Indem er dann der
Annahme von Prevost und Dumas folgt, dass die Blutkörperchen aus unlöslichen
Stoffen bestehen, welche von Serum durchdrungen in dem Blute schwimmen, berech-
net er aus dem bekannten Wassergehalt des gesammten Bluts und des Serums diese
sogenannten Blutkörperchen. Obwohl schon dargethan ist, dass diese letztere Berech-
nung nicht mehr zulässig ist, so wollen wir doch noch einmal in ganz populärer
Form unsern Gegenbeweis wiederholen. Wenn die Flüssigkeit, welche die Blut-
scheiben durchtränkt, eine andere Zusammensetzung als die des Serums besitzt, so
kann aus dem bekannten Wassergehalt des Serums und des Blutes derjenige der
Blutkörperchen nicht abgeleitet werden. Offenbar nemlich kann z. B. ein Blut, das
in 100 Theilen 20 Theile Rückstand und dessen Serum in 100 Theilen 10 Theile
Rückstand lässt, auf millionfache Weise zusammengesetzt gedacht werden und so
u. A. einmal in der Art, dass 100 Theile aus 25 Theilen Serum und 75 Theilen Blut-
körperchen mit 23,33 pCt. Rückstand oder aus 75 Theilen Serum und 25 Theilen
Blutkörperchen mit 54,0 pCt. Rückstand bestehe. In beiden Fällen würde aber das
Serum 10 pCt. und das Gesammtblut 20 pCt. Rückstand gegeben haben. — Dieser
Einwurf behauptet also, dass innerhalb eines Serums von gleicher Zusammensetzung
Blutkörperchen des allerverschiedenartigsten Wassergehaltes schwimmen können. —
Dieser Einwurf ist aber nicht im entferntesten unwahrscheinlich, einmal, weil ein
und dasselbe Blutkörperchen von seinem Auftreten in dem Blut bis zu seinem Ver-
schwinden wahrscheinlich mancherlei Umänderungen in seiner Zusammensetzung er-
[16]Blutanalyse.
fährt und dann, weil selbst unter der Voraussetzung, dass alle gleichzeitig vorhan-
denen Blutkörperchen mit einer wässrigen Flüssigkeit von derselben Zusammensetzung
durchtränkt wären, doch das Verhältniss dieser Flüssigkeit zu den Fetten und der
Hülle sehr veränderlich sein kann. Darum gilt auch die Ausflucht nicht, welche man
zur Festhaltung der Dumas-Prevost’schen Berechnung benutzt hat, die nemlich:
dass wenn das Serum gleich zusammengesetzt wäre, so müsste auch jedes Blutkör-
perchen gleiche Zusammensetzung tragen und demgemäss könnten, wenn die Rück-
standsprozente zweier Blutarten mit gleich zusammengesetztem Serum verschieden
ausfallen, die Unterschiede nur bedingt sein durch die ungleiche Zahl der Blutkör-
perchen. Dies vorausgesetzt, geben die Analysen allerdings keinen Aufschluss über
die absolute Quantität dieser letztern, wohl aber über das Verhältniss derselben
zwischen den beiden Blutarten, und somit sei die Berechnung auch von relativem
Werth. — Diese erst noch zu beweisende Annahme wird aber ganz willkührlich,
wenn wie gewöhnlich gar auch noch Blutarten verglichen werden, deren Serum von
ungleicher Zusammensetzung ist. In diesem Fall kann unbezweifelbar die Auslegung
auf verschiedene Weise geschehen, auf die nemlich, dass bei gleicher Zusammen-
setzung die Zahl, oder bei gleicher Zahl die Zusammensetzung, oder dass Zahl und
Zusammensetzung der Scheiben in den beiden Blutarten abweiche.
Dem Vorschlag von Vierordt*) folgen wir, da er unausführbar ist, nicht in
seinen vielfältigen Verwicklungen, sondern begnügen uns, die theoretische Grundlage
desselben an einem Beispiel klar zu machen; der Einfachheit wegen denken wir uns
statt des Serums reines Wasser und statt der Blutkörperchen eine mit Wasser ge-
füllte Seifenblase in ihm schwimmend, von so zarter Constitution, dass sie ohne zu
zerreissen nicht aus dem umgebenden Wasser genommen werden könnte[.] Um zu
bestimmen, wie viel Wasser ausser- und innerhalb der Seifenblase gelegen wäre,
hätte man nach Vierordt so verfahren, dass man einen beliebigen Stoff in dem
äussern Wasser auflöste, der die Eigenthümlichkeit besässe, weder durch die Seifen-
haut hindurch in das innere Wasser zu dringen, noch auch durch diese Wasser an
sich zu ziehen. Gäbe es einen solchen Stoff, so würde dies Verfahren einfach zum
Ziele führen; denn hätte man z. B. 1 Gr. des Stoffs in die äussere Flüssigkeit ge-
worfen und nähme man, nachdem dieses Gramm gelöst und gleichmässig vertheilt
wäre, einen gewissen Antheil, z. B. 20 Gr. aus der Flüssigkeit heraus und fände
bei der Untersuchung derselben 0,25 Gr. des Satzes darin, so müsste die ganze
Menge der Flüssigkeit 79 Gr. betragen haben. — Nun ist aber sogleich ersichtlich,
dass es aus bekannten Gründen der Diffusion einen solchen Stoff nicht geben kann,
vorausgesetzt, dass er nicht mit der umgebenden Flüssigkeit gleich zusammengesetzt
wäre. Ein solcher Stoff müsste nemlich die widersinnige Eigenschaft tragen, zu dem
Wasser der Blase keine, zu dem der flüssigen Umgebung aber Verwandtschaft zu
zeigen. Vierordt, der in der That auch keinen kennt, schlug zuerst vor, einen
Zusatz von gleicher Zusammensetzung zur äussern Flüssigkeit, in unserm Fall also
von Serum zu machen. Wie man aber daraus die Menge des ursprünglichen die
Blutscheiben umgebenden finden könne, bleibt vollkommen räthselhaft. —
Wem es anliegt eine vollkommene Einsicht in die Unzulänglichkeit der bis dahin
gebrauchten Methoden zu gewinnen, den verweisen wir auf die gediegene Diskussion
unseres Gegenstandes, welchen P. du Bois**) vom ganz allgemeinen Standpunkt
angestellt hat.
Wir fühlen uns ausserdem noch veranlasst zu bemerken, dass wir auf die Arbeiten
von Becquerel und Rodier keine Rücksicht genommen haben, den Grund dafür findet
man auf Seite 4 ihrer neuen Untersuchung, übersetzt von Eisenmann Erlangen 1847.
[17]Blutanalyse.
a) Zusammensetzung des Gesammtblutes. Indem wir die Resultate,
welche von Scherer und Otto erhalten sind, mittheilen, haben wir die
Grundzahlen der Analyse wieder hergestellt.
Scherer:
Otto:
Als Mittelzahlen der Wägungen von Scherer und Otto berech-
nen sich:
Diese Beobachtungen lassen erkennen, dass in 100 Theilen das Ge-
sammtblut sehr viel mehr feste Bestandtheile enthält, als das Serum, dass
diese Vermehrung aber nicht gleichmässig für alle Stoffe gilt, und dass
namentlich das Blut relativ weniger lösliche Salze und Extracte ent-
halte, als das Serum. —
Bei der geringen Ausbeute, die diese Thatsachen für die Physiolo-
gen liefern, übergehen wir die ähnlichen Arbeiten von Popp, Andral
u. s. w. u. s. w. — Eine Zusammenstellung findet sich in Henle’s
rationeller Pathologie II. Bd.
b. Die Asche des Gesammtblutes hat Verdeil*) nach einer nicht
Ludwig, Physiolog. II. 2
[18]Blutanalyse.
vollkommen tadelfreien Methode dargestellt und analysirt. 100 Theile
Asche bestehen nach ihm aus:
Die Asche I. war aus dem Blute eines Mannes, die II. aus dem
eines Mädchens bereitet.
Verdeil hat, um die Asche darzustellen, das Blut bei nicht zu hoher Tempe-
ratur an der Luft verkohlt, die Kohle in der Muffel geglüht und den Rest derselben
endlich durch Zufügen von salpetersaurem Ammoniak verbrannt.
c. Die Gasarten des Gesammtblutes sind noch zu erwähnen, weil
hierüber am Blute, wie es aus der Ader kommt, die wichtigsten Beobach-
tungen angestellt sind. *) — Das venöse Blut enthält Kohlensäure (J. Davy,
Enschut), Stickgas (Enschut), Sauerstoffgas (H. Davy, Magnus),
welche entweder durch Vermehrung ihres Ausdehnungsbestrebens, oder
durch Verminderung des auf ihnen lastenden Druckes (Enschut, Bi-
schoff) entfernt werden können.
Das Ausdehnungsbestreben der Gase wird bekanntlich durch Erwärmung dersel-
ben erhöht und somit können durch die Erwärmung des Blutes die erwähnten Luft-
arten ausgetrieben werden. Den Druck, unter dem die Gase stehen, mindert oder
vernichtet man entweder, wenn man das Blut in den luftleeren Raum bringt, oder
eine Gasart über dasselbe schichtet, welche nicht schon in ihm enthalten ist. S.
Bd. I. p. 52.
Von den Beziehungen des Blutes zu der Kohlensäure, dem Sauer-
stoffgas und Stickgas ist nun durch genaue Versuche von Magnus**)
bekannt,
α. dass 100 Vol. Blut, von allem aufgelösten Sauerstoff und Stick-
gas befreit, bei mittlerer Temperatur und unter dem Atmosphärendruck
ungefähr 150 Vol. Kohlensäure verschlucken und ferner, dass die gleiche
Menge Blut, wenn sie von aller CO2 befreit ist, 10 bis 12 Vol. Sauer-
stoffgas und 1,7 bis 3,3 Vol. Stickgas aufsaugt.
Zur Feststellung dieser Thatsache befreite Magnus das Blut von Rindern, Käl-
bern oder Pferden vollkommen entweder von CO2 und imprägnirte dasselbe dann bis
[19]Gasarten des Bluts.
zur Sättigung mit atmosphärischer Luft, oder er entzog ihm alles Stick- und Sauer-
stoffgas und erfüllte es vollkommen mit Kohlensäure. Wenn er z. B. die Fähigkeit
des Blutes, Kohlensäure zu verschlucken, erfahren wollte, so schüttelte er das frische,
die drei Gasarten enthaltende Blut mit reiner Kohlensäure; war in dieselbe eine
merkliche Menge von Sauerstoff- und Stickgas abgedunstet, so erneuerte er die Koh-
lensäure und zwar so oft, als das Blut noch merkliche Mengen der beiden andern
Gase abgab. Darauf schüttelte er bis zur vollkommenen Sättigung mit CO2.
Diese Versuche berechtigen nicht zu der Annahme, dass das lebende Blut in
100 Theilen 150 Vol. CO2, 10 bis 12 Vol. Ogas und 2 bis 3 Vol. Ngas enthalte.
Denn in der That füllt sich das lebende Blut, wie wir noch sehen werden, unter
ganz andern Bedingungen mit Luft.
β. Annähernd können wir angeben, in welchen Volumverhältnissen
die drei Gasarten in einer Volumeinheit des lebenden Blutes enthalten
sind. Nach Versuchen von Magnus besitzt ein aus dem venösen Blute
eines Pferdes ausgetriebener Luftantheil in 100 Volumtheilen die Zusam-
mensetzung 72,1 CO2; 18,8 O; 9,1 N; und der aus dem ve-
nösen Blute des Kalbes 76,7 CO2; 13,6 O und 9,7 N.
Magnus liess, um die Luft des lebenden Blutes zu gewinnen, dieses aus der
Ader unmittelbar in eine mit luftfreiem Quecksilber gefüllte Flasche steigen, in
der es bis zur Entfernung des Faserstoffs geschüttelt wurde. Auf diese Flasche
wurde eine andere luftleere aufgeschraubt, dann eine Kommunikation zwischen beiden
Flaschen hergestellt, so dass vom Blute Gas in den luftleeren Raum entweichen
konnte; dieses Gas, welches seiner Menge und Zusammensetzung nach untersucht werden
konnte, war unzweifelhaft nur ein geringer Theil desjenigen, welches überhaupt im
Blute enthalten war. Die obigen Zahlenverhältnisse haben darum nur unter der Vor-
aussetzung einen Werth, dass die Luft im Vacuum ungefähr dieselbe Zusammen-
setzung hat, wie im Blute. Diese Annahme, obwohl sie von ausgezeichneten Physi-
kern gebilligt wird, könnte aber noch angefochten werden, weil die Gase im Blute
nicht einfach diffundirt sind. Man dürfte es unter diesen Umständen wahrscheinlich
finden, dass das eine der beiden Gase inniger gebunden sei, als das andere.
γ. Die Kohlensäure und das Sauerstoffgas sind im Blute zum Theil
einfach diffundirt, zum Theil in irgend einer andern Weise festgebunden
Dieses schliessen [wir nach]Magnus daraus, dass die innerhalb des Blu-
tes enthaltenen Gasarten nicht mehr dem Mariotte’schen Gesetz ent-
sprechend, mit dem Wechsel des auf dem Blut lastenden Druckes sich
ausdehnen oder zusammenziehen.
Die CO2 ist, wie wir schon bei dem Serum wahrscheinlich fanden,
zum Theil wenigstens entweder mit dem NaO chemisch, oder mit dem
phosphorsauren Natron adhäsiv verbunden. Auf welche Art das Sauer-
stoffgas im Blute verdichtet wird, ist dagegen noch vollkommen unklar.
Als Magnus den Absorptionscoeffizienten des Bluts für ein Gas zu bestimmen
suchte, mit andern Worten, welches Volum eines beliebigen Gases die Volumeinheit
Blut aufzulösen vermöge, ergab sich, dass in diesem Sinne unserer Flüssigkeit kein
Absorptionscoeffizient zukomme. Denn es wechselte, dem Dalton’schen Diffusions-
2*
[20]Gasarten des Bluts.
gesetze entgegen, das Volum des aufgelösten Gases mit dem Druck, unter dem es
sich befand.
Die nächste Aufgabe einer die Blutgase betreffenden Untersuchung
dürfte demnach darin bestehen, zu ermitteln, von welchen Zustän-
den und von welcher Zusammensetzung des Bluts seine Absorptions-
fähigkeit abhängt.
Das spezifische Gewicht des Bluts giebt man im Mittel zu 1055
(das des Wassers = 1000) an. — Die Bestimmung dieser Eigenschaft
ist bei einem so complizirten Gemenge wie das Blut im Allgemeinen von
untergeordnetem Werth, da bei gleichem spez. Gewicht eine ungeheure
Variation in der chemischen Zusammensetzung eintreten kann, je nach-
dem sich spez. leichte und spez. schwere Bestandtheile mit einander
ausgleichen; und ebenso kann ein Ab- oder Zunehmen des Eigengewich-
tes zahlreiche Auslegungen erfahren.
Der Wärmegrad des Blutes in den Hautvenen schwankt um mehre
Grade der hunderttheiligen Scala; wir werden hierauf erst bei der
thierischen Wärme eingehen, wo wir überhaupt auch die Wärme der an-
dern Blutarten behandeln. — Die Wärmekapazität des Blutes ist von
J. Davy*) nach der Mischungs- und Abkühlungsmethode bestimmt wor-
den und nach der ersteren zu 0,83 und nach der zweiten zu 0,93 ge-
funden. Die Versuche scheinen aber kaum mit der nöthigen Vorsicht
ausgeführt zu sein.
Die chemischen Pathologen beschäftigen sich vielfach noch mit einigen Erschei-
nungen, z. B. wie fest und wie rasch der Blutkuchen geronnen sei, auf welches Vo-
lum er sich zusammenzieht, wie rasch die Blutkörperchen sinken u. s. w. Unzweifel-
haft deuten diese Erscheinungen auf besondere Zustände des Bluts; aber es gewäh-
ren uns die bis dahin gewonnenen Erfahrungen keine Einsicht in das Innere des Blu-
tes. Henle**) und Lehmann***) sind hierüber nachzusehen.
Vergleichung anderer Blutarten.
Um festzustellen, ob die Abweichungen, welche das Blut der aus
verschiedenen Gefässen, Altersstufen, Geschlechtern u. s. w. von dem so
eben geschilderten bietet, in Wahrheit abhängig sind von dem Fundort
und den andern so eben berührten Verhältnissen, mussten begreiflich
entweder alle übrigen Bedingungen, die auf die Blutzusammensetzung
Einfluss üben, gleich gemacht werden, oder es müsste das Mittel so
zahlreicher Analysen verglichen werden, dass man mit Wahrscheinlich-
keit die Annahme machen könnte, es sei die jeder Blutart unwesentliche
Eigenthümlichkeit, durch gegenseitige Compensation eliminirt worden.
Diese Forderungen sind nicht überall erfüllt und es bleibt schon aus
diesem Grunde in den folgenden Mittheilungen manches Schwankende.
[21]Arterienblut.
Arterienblut.
Das in den Arterien enthaltene Blut des Menschen kann nur selten
gewonnen werden; alle ausführlichen Untersuchungen sind darum am
Thiere unternommen worden.
Die Blutflüssigkeit der Arterien ist nach übereinstimmenden Anga-
ben *) in 100 Theilen reicher an Fibrin, an Extractivstoffen, Salzen und
Wasser, ärmer dagegen an Eiweiss und Fetten, als die Blutflüssigkeit
aus den Hautadern. Das venöse Fibrin ist durch seine Löslichkeit in
Salpeterwasser vor den arteriellen ausgezeichnet.
Diese Angaben stützen sich vorzugsweise auf die Untersuchungen von Nasse,
von Lehmann, (das Blut der Verzweigung der a. carotis und vena jugularis des
Pferdes) und von Wiss (das Blut der a. carotis und vena renalis vom Hunde). Ab-
weichende ältere Angaben finden sich bei Lecanu, Denis, Hering u. s. w. — Die
Unterschiede in den einzelnen Bestandtheilen sind wie folgend gefunden worden:
100 Theile des Blutes der Arterien vom Pferde enthalten 0,68 pCt., aus der Drosselvene
aber 0,54 pCt. Faserstoff (Lehmann); 100 Theile des Bluts vom Hunde, (Carotiden),
enthalten 0,20 bis 0,22 pCt. und die Nierenvene 0,16 Faserstoff (Wiss). Dasselbe
bestätigt Nasse aus Untersuchungen am Menschen. — 100 Theile Serum vom Pferde-
blut gaben aus der Arterie 11,43 pCt., aus der Vene 7,22 pCt. Eiweiss (Leh-
mann). — In 100 Theilen festen Rückstandes vom Serum des Pferdes erhielt Leh-
mann aus den Arterien 5,37 pCt., aus der Vene 3,62 pCt. Extractivstoffe. —
100 Theile festen Serumsrückstandes vom Pferde gaben aus der Arterie 1,46 bis
2,47 pCt., der aus der Vene 2,22 bis 2,98 pCt. Fette. — 100 Theile Serum des
Pferdebluts gaben aus der art. temporalis 89,33 pCt. und aus der Jugularvene
86,82 pCt. Wasser.
Die Behauptung, dass die arteriellen und venösen Blutkörperchen
sich rücksichtlich ihrer Zusammensetzung von einander unterscheiden,
ist nicht erwiesen, da noch niemals ein reines Blutkörperchen untersucht
werden konnte.
Lehmann giebt an, dass sie sich in ihrem Eisen-, Salz- und Fettgehalte von
einander unterscheiden sollen; der obige Einwurf gilt gegen diese Behauptungen eben-
sowohl, wenn sie sich auf die Untersuchung der nach der Dumasschen Methode
dargestellten oder der nach der Schmidtschen Angabe berechneten Blutkörperchen
beziehen.
Das Gesammtblut der Arterien enthält ungefähr 0,5 pCt. mehr Was-
ser, als aus den Venen. — In 100 Volumtheilen Luft, welche Magnus
aus dem arteriellen Blute des Pferdes austrieb, dessen wir schon Er-
wähnung gethan, waren enthalten CO255,1; Nagas 25,5; Ogas 19,3
und in 100 Volumtheilen Luft aus dem arteriellen
Blute des schon erwähnten Kalbes CO264,7; Ogas 24,1; Ngas 11,0
. Aus einem Vergleiche des venösen und arteriellen
[22]Milzaderblut.
Blutes geht somit hervor, dass das letztere im Verhältniss zu den übri-
gen Gasarten mehr O enthält, als das erstere, und das erstere mehr CO2
im Verhältniss zum Sauerstoff enthält, als das letztere.
Die von den Autoren angegebenen Differenzen zwischen dem Gehalt des venösen
und arteriellen Blutes an Blutkörperchen sind thatsächlich nicht festgestellt.
Die Farbe der venösen Blutkörperchen ist bei durchfallendem
Lichte grün, bei auffallendem dunkelroth, die der arteriellen dagegen
immer hellroth. Die Veranlassung dieser Farbenumänderung giebt un-
bezweifelt die grössere Menge Sauerstoff (Bruch) *) und die geringere
Menge von Kohlensäure (Brücke), welche das arterielle Blut im Ver-
gleich zu dem venösen enthält. Durch die Beobachtungen von Bruch
und durch die noch schlagenderen von Brücke, welche diese Farben-
veränderungen auch an wässerigen und weingeistigen Lösungen des Blut-
roths mittelst der erwähnten Gase hervorbringen konnten, ist die alte
Meinung, welche die Farbenveränderung von einer Verdichtung und Ver-
dünnung der Blutkörperchenhüllen abhängig machen wollte, beseitigt.
Welche innere Veränderung das Blutroth unter dem Einfluss der er-
wähnten Gasarten erfährt, ist zur Zeit noch unbekannt.
Die Beweissätze, auf welche sich die obigen Behauptungen gründen, sind einfach
die, dass das dunkle Blut hellroth wird, wenn es mit Sauerstoff in Berührung kommt
und von diesem einen Antheil aufnimmt. Dieser Vorgang geht nun auch in der That
bei der Umwandlung des venösen in arterielles Blut vor sich, indem es in der Lunge
der eingeathmeten Luft dargeboten wird. — Das helle Bluth oder die Blutrothlösung
wird aber dunkel oder dichroitisch, wenn ihm der Sauerstoff wieder entzogen wird,
oder wenn es mit CO2 in Berührung kommt. — Man hat öfter darüber gestritten, ob
die Verbindung des Blutroths mit dem Sauerstoff eine chemische oder physikalische
sei; dieser Streit hat keinen Sinn, so lange man nicht definirt, worin der Gegensatz
beider Verbindungsweisen ruht. Ausser den erwähnten wirken auch noch andere
Gase, und die Lösungen vieler Salze verändernd auf die Blutfarbe. Die weitere Unter-
suchung dieser Veränderung hat vorerst keinen physiologischen Belang.
Blut der Milzader**).
Beim Pferde ist nach Funcke das Blut der Milzvene reicher an
Faserstoff, als das der Milzarterie; in der erstern schwankte es zwischen
0,5 bis 0,4, in der letzteren zwischen 0,2 bis 0,17. Eine vergleichende
Untersuchung des Serums ergab:
Zucker, Harnstoff, Harnsäure, Gallenbestandtheile wurden in den
Extracten nicht gefunden. Die gefärbten Blutkörperchen der Vene waren
kleiner, als die gewöhnlichen des Pferdes, ihr Inhalt krystallisirt vor-
zugsweise leicht; farblose Zellen sind in sehr grosser Zahl vorhanden
und daneben Körnchenzellen und Faserstoffschollen. — Das Gesammtblut
beider Gefässe verglichen, ergab:
Die Beobachtungsobjekte waren von 2 Pferden genommen, die
5 Stunden nach der Fütterung getödtet waren.
Beclard verglich bei Hunden das Milzblut mit dem der v. jugularis
Blut der Pfort- und Leberader*).
Beim Pferde enthält nach Lehmann das Pfortaderblut 0,42 bis
0,59 pCt. Faserstoff, während das der Lebervene ganz frei davon sein
soll. — Das Serum beider Blutarten verglichen, ergab:
Die Extracte der Pfortader enthalten, wie Cl. Bernard entdeckte
und Lehmann bestätigt, nur sehr wenig oder keinen Zucker, während
die der Leberader sehr reich daran sind. So fand Lehmann in
100 Theilen trockenen Rückstandes vom Pfortaderblut höchstens 0,01 bis
0,05 pCt. Zucker, während gleiche Menge trockenen Rückstandes der
Leberader 0,63 bis 0,89 pCt. gaben. Dieser Punkt findet noch einmal
eine ausführlichere Berücksichtigung bei der Leber.
Die farbigen Zellen des Lebervenenblutes sind kleiner und mehr
kugelig, als die der Pfortader; sie werden vom Wasser weniger leicht
[24]Dünndarm- und Nierenaderblut.
ausgedehnt. Neben diesen veränderten farbigen kommen im Leberader-
blut sehr viele farblose Zellen vor.
Das Gesammtblut der Thiere, von dem die Serumanalyse mitgetheilt
wurde, enthielt:
Der Eisengehalt in 100 Theilen Rückstand des Gesammtbluts schwankte
in der Pfortader zwischen 0,213 bis 0,164 pCt., in der Leberader zwi-
schen 0,140 und 0,112. Der Fettgehalt desselben Rückstandes betrug im
Mittel aus der Pfortader 3,4 pCt., aus der Leberader 2,1 pCt.
Blut der Dünndarmader*).
Vergleichende Bestimmungen des Hundebluts aus der vena jugularis
und mesaraica gaben (Wiss)
Blut der Nierenader.
Der Wasser- und Faserstoffgehalt des Blutes der Nierenader (beim
Hunde), verglichen mit dem der Carotis und der Nierenarterie gaben
(Wiss)
Die Veränderung der Blutzusammensetzung mit der
Nahrung**).
Bei den Worten Vermehrung und Verminderung ist fortlaufend der
prozentische Werth zu suppliren.
[25]Veränderung der Blutzusammensetzung mit der Nahrung.
Der Faserstoffgehalt des Hundeblutes nimmt nach Fleischge-
nuss in den ersten sieben Stunden eher ab als zu (Andral, Nasse).
Nach anhaltender Fleischnahrung wird der Faserstoff beträchtlich ver-
mehrt (Lehmann, Nasse), rein vegetabilische vermindert ihn (Leh-
mann). Hungern soll nach Andral ihn vermehren, nach Nasse ver-
mindern; der letztere Autor leitet den Widerspruch zwischen diesen
Beobachtungen aus den häufigen (Faserstoffvermehrung bewirkenden)
Aderlässen her, welche Andral an seinen Thieren behufs der Unter-
suchung ausführte.
Der Serumrückstand (Eiweiss, Salze und Fett) nimmt einige Zeit
nach der Anfüllung des Magens mit verdaulichen Stoffen zu. Nach an-
haltender vegetabilischer Nahrung und besonders nach Zucker ist er
höher, als nach ausschliesslicher Fleischnahrung. Durch Hunger vermin-
dert. Nasse.
Nach Fleischnahrung enthält das Serum den aus dem verdünnten
Blut durch Essigsäure fällbaren Eiweissstoff in grösserer Menge (Nasse).
Der Fettgehalt des Serums steigert sich vorzugsweise nach dem
Genuss von Schweinefett, Knochenmark und Butter; weniger nach Oel,
Seife, Talg. — Schliesst man aus der Trübung des Serums durch
Fettpartikelchen (Serums-Rahm) auf vermehrten Fettgehalt, so beginnt
die Vermehrung des Fettes eine halbe Stunde nach der fettreichen Mahl-
zeit; nach 12 Stunden ist das Ansehen des Serums wieder zu seiner
normalen Beschaffenheit zurückgekehrt. Zusatz von Mineralsäuren und
kohlensaurem Natron verspätet, von phosphorsaurem Natron beschleunigt
den Eintritt der Serumstrübung nach fettreicher Nahrung. — Das klare
Serum kann aber auch fettreich sein; das Fett des trüben ist flüssiger
und verseifbarer, als das des klaren Serums.
Nach Genuss von Brod erscheint im Blute Traubenzucker; kurze
Zeit nach dem Essen ist Zucker deutlicher nachweisbar, als sonst.
(Thomson).
Die Zahl der Lymphkörperchen nimmt bei hungernden Frö-
schen im Verhältniss zu den rothen Blutkörperchen ab (Wagner, Don-
ders und Moleschott); ebenso bei Kaninchen; bei Menschen steigert
sich die Zahl nach der Mahlzeit und nimmt wenige Stunden nach der-
selben beträchtlich ab (Harting, Kolliker).
Der Wassergehalt des Gesammtbluts ist nach einer Fleischkost ge-
ringer, als nach Brod- und Kartoffelnahrung. Im Mittel betrug der
Wassergehalt nach Fleischdiät 78,4 pCt. und nach Pflanzenkost 79,2 pCt.
— Entziehung jeglicher (fester und flüssiger) Nahrung vermindert in den
ersten Tagen den Wassergehalt. Entziehung der festen Nahrung bei
Wassergenuss vermehrt in den ersten Tagen den Wassergehalt, später
aber vermindert er sich bei dieser Lebensweise ebenfalls (Simon,
H. Nasse). — Vermehrung des Wassergenusses bei gleichbleibender
[26]Blut verschiedener Geschlechter und Lebensalter; Blutmenge.
Menge fester Nahrungsstoffe ist ohne Einfluss auf den Wassergehalt des
Blutes. Durch Vermehrung der festen Nahrungsbestandtheile soll der
Wassergehalt des Bluts zu vermindern sein. — In den ersten acht bis
neun Stunden nach der Mahlzeit soll der Wassergehalt im Abnehmen
und dann wieder im Zunehmen begriffen sein (H. Nasse). Nach
Poggiale und Plouvier soll durch reichlichen Kochsalzgenuss der
Wassergehalt bei den Wiederkäuern und dem Menschen abnehmen, eine
Thatsache, welche Nasse für das Hundeblut ungültig fand.
Der Fettgehalt des Gesammtbluts verhielt sich der Nahrung ent-
sprechend folgendermassen beim Hunde: nach 4 tägigem Hungern 0,26;
nach Brodnahrung 0,31; nach Fleisch 0,38; nach Schmalz und Stärke-
mehl 0,41 (H. Nasse). Diese Angaben findet Boussingault bei Vö-
geln nicht bestätigt. — Nach Pflanzenkost ist das Blutfett fester und
weisser, als nach Fettnahrung (Nasse).
Das Kochsalz vermehrt sich nach Kochsalzgenuss; dieser Salzüber-
schuss verschwindet bald wieder (Poggiale, Nasse); die Phosphor-
säure ist reichlicher nach Fleischkost, als nach Pflanzennahrung (Verdeil,
Nasse); Magnesia und Kalk mehr nach Pflanzen-, als nach Fleischkost.
Durch Hunger werden der Kalk und die kohlensauren Alkalien nicht ge-
ändert. — Der Salzgehalt im Ganzen ist bei der Fleischnahrung grösser
als bei Pflanzennahrung. — Ueber relative Veränderungen des Salzge-
haltes in der Asche siehe Verdeil l. c.
Die Angaben von H. Nasse beziehen sich sämmtlich auf das Hundeblut; die
Vorsichtsmassregeln, die bei den Untersuchungen über die Variation der Blutzusam-
mensetzung mit der Nahrung zu nehmen sind, siehe bei diesem Schriftsteller.
Die Veränderungen des Bluts nach Entziehung desselben sind hier noch nament-
lich der Untersuchungsmethoden des Bluts wegen zu erwähnen. Es soll hierdurch der
Wasser- und Faserstoffgehalt des Bluts vermehrt werden; die Verdünnung des Bluts
soll namentlich so rasch vor sich gehen, dass schon die verschiedenen Portionen des-
selben Aderlass-Bluts eine abweichende Zusammensetzung darbieten. (Zimmer-
mann, Nasse, Popp). — Die Lymphkörperchen sollen sich im Verhältniss zu den
farbigen Körperchen sehr vermehren (Remak) und die Zahl der farbigen ab-
solut abnehmen. (Vierordt) *).
Blut verschiedener Geschlechter und Lebensalter.
Das Blut im kindlichen Alter soll am reichsten, das im höhern Alter
am ärmsten an festen Bestandtheilen sein.
Das Blut der Frauen fand man im Allgemeinen reicher an Wasser
und Fett und ärmer an löslichen Salzen, als das der Männer.
In der Schwangerschaft soll das Blut faserstoff- und wasserreicher,
dagegen eiweissarmer als gewöhnlich sein.
Blutmenge.
Die Menge des Bluts, welche ein Mensch enthält, muss voraussicht-
[27]Blutmenge.
lich eine Funktion zahlreicher Umstände, z. B. des Körpergewichts, der
Vollsaftigkeit u. s. w., sein. Wir sind nicht im Stande, auch nur für einen
Fall eine sichere Angabe über die Blutmenge zu machen, geschweige,
dass wir sie in ihrem Abhängigkeitsverhältniss zu den bezeichneten Um-
ständen darstellen könnten.
Bei direkten Beobachtungen an enthaupteten Menschen fand Ed.
Weber und Lehmann*) die Blutmenge zu 1/8, nach einer Versuchsreihe
an lebenden Hunden schätzt sie Valentin**) auf ¼ bis 1/5, Welker***)
dagegen nach einer Versuchsreihe an Kinder- und Säugethierleichen auf
1/12 bis 1/19 des Körpergewichts.
Die Bestimmungsmethode von Valentin beruht auf folgender Betrachtung. Ge-
setzt, es sei X die Menge des Rückstandes, welchen das gesammte eingetrocknete
Blut eines Thieres hinterlassen würde, und Y das Wasser dieses Bluts, so würde
Y + X die Blutmasse dieses Thieres darstellen. 100 Theile dieses Bluts würden ein-
getrocknet hinterlassen . Das R der Gleichung (1) kann aber auf
bekannte Weise empirisch bestimmt werden. Fügt man nun zu der Blutmasse X + Y
ein bekanntes Gewicht destillirten Wassers a, so wird die in den Blutgefässen vor-
handene Flüssigkeit jetzt = X + Y + a. u. R′ = .
In dieser [Gleichung] ist aber R′ abermals nach bekannten Regeln zu bestimmen
und wir hätten somit X = und Y = . Um die Grösse
R und R′ zu gewinnen, machte man dem zu untersuchenden Thiere einen kleinen
Aderlass, injizirt darauf in die geöffnete Vene eine bekannte Gewichtsmenge destil-
lirten Wassers und entzieht nach einiger Zeit abermals Blut. Dann bestimmt man
durch Eintrocknen den Gehalt beider Blutarten an festen Bestandtheilen. — Valen-
tin und Veit†) führten eine Reihe solcher Untersuchungen an Hunden, Katzen,
Schafen, Ziegen und Kaninchen aus. Da sich die Blutmengen der Hunde ziemlich
übereinstimmend zu ¼ bis 1/5 des Körpergewichts berechneten, und da die Lebens-
weise dieser Thiere unter allen untersuchbaren sich am meisten der des Menschen
anschliesst, so glaubte sich Valentin berechtigt, das Verhältniss ihres Blut- und
Körpergewichtes auf den Menschen übertragen zu dürfen, eine Annahme, die immer-
hin etwas Willkührliches hat. — Abgesehen hiervon hat man aber der Methode auch
noch 2 Einwürfe gemacht. Einmal glaubte man, dass das blutverdünnende Wasser
in den Gefässen nicht zurückgehalten werde, sondern durch die Nieren, Speicheldrüsen,
serösen Häute u. s. w. austrete. Dieser Vorwurf ist nicht so gegründet, wie er auf
den ersten Blick erscheint; mindestens geht in der ersten halben Stunde nach der Was-
sereinsprützung keine Steigerung jener Absonderungen und somit auch keine Steigerung
der Conzentration des Blutes vor sich, selbst wenn das Blut bedeutend verdünnt worden
war (Veit, Kierulf.) — Gewichtiger erscheint der zweite Einwand, dass nemlich
die Mischung von Blut und Wasser nicht eine überall innige sei, weil das Blut in
den verschiedenen Abtheilungen seiner Bahn von ungleicher Geschwindigkeit ist.
Wir haben in der That schon gesehen, dass in den verschiedenen Gefässen Blut
von ungleichen Rückstandsprozenten enthalten ist. Ueber die Einzelheiten der Aus-
führung dieser Versuche siehe Veit.
[28]Blutbewegung; physikal. Einleitung.
Ed. Weber liess die Verbrecher vor und nach der Enthauptung wägen. Der
Unterschied gab das nach der Enthauptung entleerte Blut und zu gleicher Zeit be-
stimmte er den prozentigen Werth des festen Rückstandes in dem ausgeflossenen
Blut. Ausserdem aber sprützte er so lange in die Arterien des Kopfs und Rumpfs
Wasser, als aus den Venen noch eine rothgefärbte Flüssigkeit drang. Diese Flüs-
sigkeit verdampfte er zur Trockne und wog ihren Rückstand. Aus dem Gewicht
dieses letztern und dem bekannten Gehalt des Bluts an festen Bestandtheilen konnte
berechnet werden, wie viel Blut durch das eingesprützte Wasser ausgespült war.
H. Welker benutzte zu seinen Bestimmungen die Färbekraft des Blutes; nach-
dem er sich eine Probe des normalen Bluts von dem zu untersuchenden Thiere zu-
rückgestellt, sprützt er in die Gefässe desselben so lange lauwarmes Wasser, bis aus
denselben die Flüssigkeit vollkommen farblos hervordringt und presst endlich die
Organe, in welche etwa Blut aus den Gefässen gedrungen ist, sodass es durch das
Wasser nicht ausgespült werden konnte, mit Wasser durch. Nachdem er diese roth-
gefärbten Flüssigkeiten vereinigt hat, misst er ihr Volum und verdünnt nun die zu-
rückgehaltene Blutprobe so lange mit Wasser, bis sie genau die Tinte der Auswasch-
flüssigkeit hat. In dieser letzteren wird nun dasselbe Verhältniss zwischen Wasser
und Blut bestehen, das sich in der verdünnten Blutprobe und zwar als ein bekann-
tes findet; es wird sich somit durch einen Proportionssatz die Blutmenge, welche aus-
gewaschen ist, finden lassen. Wir müssen erwarten, ob sich dieses Verfahren auch
auf grössere Säugethiere anwenden lässt; wenn möglich, so dürfte es ein schätzbares
Hilfsmittel abgeben.
Andere Methoden zur Ermittelung des Blutgehaltes sind entweder sichtlich un-
vollkommen, oder sie führen zu etwas ganz anderem, als beabsichtigt. — Dahin gehört
die Wägung einer erstarrenden Masse, welche in das Gefässsystem eingesprützt ist;
man erhält hieraus begreiflich nur eine Aussage über die Räumlichkeit der Gefässe
bei einer bestimmten Spannung der Wände.
Blutbewegung.
Physikalische Einleitung.
Mechanische Anordnung der Flüssigkeit. Die Flüssigkeit ist dem
Frühern nach bekannt, als eine Zusammensetzung kleinster Theilchen, die durch
massenfreie Zwischenräume von einander getrennt waren; diese kleinsten Theilchen
standen unter dem Einflusse anziehender und abstossender Kräfte, welche den Grad
der Näherung und Entfernung, mit andern Worten den Durchmesser des Zwischen-
raums bestimmten. Einem jeglichen bestimmten Verhältniss dieser anziehenden und
abstossenden Kräfte entspricht nun ein bestimmter Abstand, so dass mit der einsei-
tigen Steigerung der anziehenden oder der in diesem Sinne wirkenden die Flüs-
sigkeit dichter, und mit derjenigen der abstossenden weniger dicht wurde, wäh-
rend dieselbe Dichtigkeit der Masse, oder derselbe Abstand der Molekeln bestehen
kann, bei einem sehr verschiedenen absoluten Werth der Kräfte; denn es muss die
Flüssigkeit denselben Raum behaupten, wenn in dem Maasse ihre Temperatur und
damit das Ausdehnungsbestreben gesteigert wird, in dem ein sie zusammenpressen-
der Druck zunimmt.
Da nun die Abstände, in welchen sich die Molekeln von einander befinden, in
jedem Falle fest bestimmt sind durch die wirksamen Kräfte; da sie gleichsam aus-
*)
[29]Mechanische Anordnung der Flüssigkeit.
einander gehalten werden, so ist es erlaubt, als Grund ihrer Stellung eine Spannung
zu setzen, ohne weiter darauf einzugehen, woher diese Spannung rührt. Diese
Ausdrucksweise führt nun auf natürlichem Wege zu einigen andern Bezeichnungen,
nemlich zu der der natürlichen Spannung (des Ruhezustandes der Normalspannung)
und zu der der erhöhten oder erniedrigten Spannung (Pressung, Druck, Ausdehnung).
Diese Eintheilung der Spannungen bezieht man auf zweierlei Dinge: einmal darauf,
ob die Mittel, welche die Spannung bedingen, auch ohne unser Zuthun wirksam sind,
ob also z. B. die inneren Zustände einer Flüssigkeit nur durch ihr Gewicht, ihre
latente Wärme, die Lufttemperatur u. s. w. bestimmt werden, oder ob wir sie
noch durch andere Mittel zusammenpressen oder ausdehnen; dann aber versteht man
unter Normalspannung einen ganz bestimmten Werth der Spannung, wie z. B. den,
welchen das Wasser bei einer Temperatur von 0° oder 4°, bei einem ganz bestimm-
ten Barometerstand u. s. w. besitzt. In diesem Falle muss natürlich jedesmal ange-
geben werden, welche Bedingungen es sind, die die Normalspannung bestimmen.
Der absolute Werth der Wege, welchen die Molekeln der Flüssigkeit bei einer
Veränderung ihrer Spannungen vornehmen, sind nur, wie wir aus der Beobachtung
sehen, unter allen Umständen sehr gering, denn das Wasser ist z. B. selbst durch
bedeutenden Druck wenig compressibel und durch die steigende Wärme wenig aus-
dehnbar.
Die Kräfte, welche zwischen den Molekeln wirksam sind, weisen diesen inner-
halb der Masse wohl einen bestimmten Abstand, keineswegs aber einen bestimmten
Ort an; sie erlauben jedem einzelnen Theilchen noch beliebig viele Stellungen ge-
gen seine Nachbarn einzunehmen, vorausgesetzt nur, dass diese in der Entfernung
liegen, welche der jeweiligen Spannung der Flüssigkeit entspricht; mit andern Wor-
ten, die flüssigen Molekeln sind aneinander verschiebbar; in der innigsten Beziehung
zu dieser Eigenschaft steht die andere, dass die Ausdehnbarkeit und Compressibilität
der Flüssigkeit nach allen Richtungen hin gleich gross ist. Diese [Erscheinungen] be-
deuten nun offenbar nichts anderes, als dass das Molekel innerhalb der Flüssigkeit
nach allen Richtungen hin gleich stark angezogen und abgestossen wird, so dass es
aller Orten sich in der Gleichgewichtslage findet. — Diese allseitig gleiche Wirkung
der flüssigen Theilchen (und somit auch ihre Verschiebbarkeit) ist jedoch weder eine
vollkommene, noch eine unter allen Umständen gleiche. Denn in der That bestrebt
sich das Molekel, in vielen Fällen die einmal eingenommene Stellung zu behaupten,
ein Umstand, welcher sich durch die Zähigkeit oder Klebrigkeit der Flüssigkeiten
ausdrückt. Diese Klebrigkeit wechselt aber erfahrungsgemäss nicht allein mit der
Temperatur, sondern auch mit der Zusammensetzung der Flüssigkeit; namentlich aber
kann die Zähigkeit ein und desselben flüssigen Stoffes durch Zusatz löslicher fester
Körper sehr erhöht werden, wie insbesondere die des Wassers durch Auflösung von
Zucker, Eiweiss, Schleimstoff, Seifen u. s. w.
Diese Verschiebbarkeit, wäre sie auch noch so vollkommen, schliesst jedoch die
Cohäsion der flüssigen Molekeln nicht aus, sondern lässt sie sogar unserer Entwicke-
lung nach als nothwendig erscheinen. Ihr entsprechend konnte zwar das Molekel
beliebig viele Stellungen zu seinen Nachbarn annehmen, jedoch mit der Beschränkung,
dass es in direkter Linie ihnen weder näher, noch entfernter treten konnte, wo-
fern die spannenden Kräfte unverändert bleiben. Diese Cohäsion zeigt sich nun
auch deutlich genug an den Flüssigkeiten. Von allen Erscheinungen, durch welche
sie bewiesen wird, sind am geläufigsten die der Capillarität. Bei diesen erhebt sich
eine flüssige Säule über das Niveau der übrigen Flüssigkeit der Schwere entgegen;
es hängt also an der obersten Schicht der emporgehobenen Flüssigkeit, ein langer
Cylinder derselben, der durch seine Schwere von den an der Röhrenwand haftenden
Partikeln abgezogen wird; wäre also keine Cohäsion vorhanden, so müsste die Flüs-
[30]Wirkungen eines Stosses oder Zuges auf eine Flüssigkeit.
sigkeitssäule zerreissen. — Mit diesen Angaben steht es nur scheinbar im Wider-
spruch, dass ein in der Luft freischwebender Wasserfaden so leicht zerreisst und
sich in einzelne Tropfen auflöst, ohne dass irgend welche merkliche zerreissende
Kraft vorhanden gewesen. Es kann hier nur erwähnt werden, dass eine genauere
analytische Betrachtung diesen Widerspruch vollkommen hebt, indem sie die Er-
scheinung gerade als eine Folge der nach allen Seiten gleichen Anziehung darstellt.
Die Cohäsion der Flüssigkeit ist bekanntlich ebenfalls ihrem Werth nach va-
riabel und insbesondere wechselt sie mit der Temperatur. —
Wirkungen eines Stosses oder Zuges auf eine Flüssigkeit. Ein
Stoss (Zug), der auf eine Flüssigkeit trifft, kann ebensowohl ihre Spannung verän-
dern, als er sie auch zu bewegen vermag. Ein und derselbe Stoss bewirkt das
eine oder andere, je nachdem die Flüssigkeit in der Richtung des Stosses, der
mangelnden oder vorhandenen Widerstände wegen, frei ausweichen kann oder nicht.
Der Grund für diese Erfahrung ergiebt sich sogleich, wenn man z. B. die Erschei-
nungen zergliedert, die in einer beliebigen Molekelreihe 1 2 3
(Fig. 2) eintreten, nachdem man auf 1 in der Richtung des
Pfeils einen Stoss hat geschehen lassen. Die bewegende Kraft
des Stosses wird zunächst das Molekel 1 nach 2 hintreiben
und zwar so lange, bis die zwischen 1 und 2 vermöge der An-
näherung sich entwickelnden Spannungen gerade gross genug
sind, um den bewegenden Kräften, welche dem Molekel mitgetheilt wurden, das
Gleichgewicht zu halten. In diesem Augenblick werden die Spannkräfte zwischen 1
und 2 grösser als zwischen 2 und 3 sein, so dass, wenn nun 2 von 1 gestossen
wird, dieses sich nach 3 hin bewegen muss und zwar so lange, bis die Abstossung
zwischen 1 und 2 denselben Werth beträgt, wie zwischen 2 und 3; darauf wird sich
3 von 2 entfernen; gesetzt, es träte diesem Bestreben kein Hinderniss entgegen, so
würde nun 3 in dem Raume fortschreiten, wobei es wegen der Cohäsion mit 1 und 2
diese beiden Molekeln in derselben Geschwindigkeit mit sich ziehen würde, die es
selbst besitzt. Setzen wir nun voraus, dass 3 gar keinen Widerstand fände, so
würde es offenbar schon in Bewegung gekommen sein, als 2 auch nur im Begriff
war, sich ihm zu nähern, mit andern Worten, es wäre niemals zu einer erhöhten
Spannung zwischen 2 und 3 gekommen, und somit auch keine Spannung zwischen 1
und 2 eingetreten, da ja dann ebenfalls 2 in jedem Augenblicke, in welchem sich 1
ihm näherte, hätte ausweichen können. Diese Auseinandersetzung zeigt mithin, dass
die ganze bewegende Kraft des Stosses zur Bewegung der Flüssigkeit verwen-
det wird, wenn ihre Grenzflächen keinen Widerstand erfahren.
Geschieht dieses dagegen, und namentlich in einem solchen Grade, dass dadurch
jede Bewegung irgend einer Grenzschicht der Flüssigkeit unmöglich gemacht wird,
so wird die ganze Stosskraft dazu verbraucht werden, um die Spannung zwischen
den Molekeln zu mehren, wie dieses aus einer der vorigen ähnlichen Zergliederung
hervorgeht. —
Eine weitere Folgerung aus dem Satze, dass derselbe Stoss, ganz unabhängig
von den ihm zukommenden Eigenschaften, die ganzen Werthe seiner bewegenden
Kräfte bald zur Erzeugung einer Spannung, und bald zur Erzeugung von Geschwin-
digkeit verwendet, ist nun offenbar diejenige, dass er mit einem Theile seines Ge-
sammtwerthes eine Bewegung, mit einem andern Theile aber Spannung der Flüssig-
keit herbeiführen könne. Dieser Fall wird, wie man sogleich übersieht, eintreten,
wenn das Molekel 3, bevor es in Bewegung kommen kann, noch einen Widerstand
zu überwinden hat, der nicht stark genug ist, um der ganzen bewegenden Kraft des
Stosses das Gleichgewicht zu halten; es braucht kaum bemerkt zu werden, dass jedes-
mal, wenn dieses eintritt, die Summe der Kräfte, welche zur Bewegung und zur
[31]Gemeinsames Maass der Spannung und Geschwindigkeit
Spannung verwendet werden, gleich sei der bewegenden Kraft, welche der Stoss an
die Flüssigkeit abgegeben hatte. —
Deutlich ist es endlich, dass ein der Flüssigkeit mitgetheilter Spannungszustand
sich in eine Bewegung desselben umsetzen wird, wenn der Widerstand, der diese
letztere hemmt, sich entfernt, und ebenso ist es natürlich, dass sich die Span-
nung mehrt, wenn sich in eine bewegte Flüssigkeit plötzlich ein Widerstand ein-
schiebt, der die Bewegung hemmt. Es bedarf kaum der Bemerkung, dass auch
hier die Regel giltig sei, dass gerade so viel an bewegenden Kräften verloren geht,
als an Spannkräften gewonnen wird, und umgekehrt. Nennen wir also die dem Mo-
lekel zukommenden bewegenden Kräfte p, so würden diese immer gleich einer Summe
= s + g sein, [vorausgesetzt], dass wir mit s die zur Spannung, mit g aber die zur
Erzeugung von Geschwindigkeit verwendeten Kräfte bezeichnen. Daraus ergiebt sich,
wie schon gefolgert ist, dass, wenn p unveränderlich bleibt, mit dem wachsenden s
das g, oder umgekehrt, mit dem wachsenden g das s abnehmen muss.
Dieser Zusammenhang macht es nothwendig, ein Maass aufzustellen, an welchem
Spannung und Geschwindigkeit gemeinsam gemessen werden können. Die Hydrauli-
ker sind übereingekommen, hierzu die senkrechte Höhe einer Flüssigkeit von bekann-
tem spez. Gewicht, z. B. des Wassers, Quecksilbers u. s. w. zu wählen. Dieses
ist aber erlaubt, weil die einmal zu Stande gekommene Spannung oder Geschwindig-
keit sich nicht unterscheidet, je nach der Art, wie sie erzeugt wurde, und sie somit
ihrer Grösse nach immer verglichen werden kann mit derjenigen, welche durch die
Schwere einer drückenden Wassersäule hervorgebracht wird. Man setzt also in Ge-
danken jede andere Wirkung in die einer drückenden Flüssigkeitssäule, in eine sog.
Druckhöhe um. Die gesammte Höhe zerlegt man dann für eine strömende Flüs-
sigkeit, deren Molekeln sich in einer Spannung befinden, in eine Geschwindigkeits-
und in eine Spannungs- (oder Widerstands-) Höhe; dieses will also bedeuten, dass
von der gesammten Höhe H ein Theil (w) verbraucht wird um die Spannung und ein
anderer Theil (h) die bestehende Geschwindigkeit zu erzeugen. Es bleibt nach dieser
Uebereinkunft zu ermitteln, wie sich w und h zu H verhalten. Die Spannung einer
Flüssigkeitsschicht wächst nun geradezu mit der Summe der senkrecht über ihr lie-
genden Massentheilchen; sie wird also geradezu durch eine senkrechte Flüssigkeits-
säule ausgedrückt. Die Geschwindigkeit einer Flüssigkeitsschicht wächst wie die
Quadratwurzel der auf ihr in senkrechter Richtung aufgelagerten Massentheilchen,
und mit der beschleunigenden Kraft, welche die Schwere in der Zeiteinheit ausübt.
Nennen wir diese letztere für eine Sekunde g, so wird für die Höhe h die Ge-
schwindigkeit sein. Wäre also der Raum, welchen eine Flüssigkeits-
schicht in der Zeiteinheit durchläuft, oder, was dasselbe bedeutet, die Geschwindig-
keit v bekannt und zugleich auch die Beschleunigung der Schwere g, und wären
beide Werthe in einem Längenmasse ausgedrückt, so würde auch die zur Erzeugung
dieser Geschwindigkeit nöthige Flüssigkeitssäule h gefundensein; denn wenn
ist, so wird sein.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen wird nun zu untersuchen sein, wie sich
die ruhenden und die bewegten Flüssigkeiten im Besondern verhalten.
Fortpflanzung der Spannung in einer ruhenden Flüssigkeit nach
Richtung und Stärke. Zu den die Flüssigkeit bezeichnenden Eigenschaften ge-
hört es, nach allen Richtungen hin der Ausdehnung und Zusammenpressung gleichen
Widerstand entgegenzusetzen, und ferner, dass der Widerstand, den sie entgegen-
setzt, wächst mit der Verminderung ihres Volums. Daraus schliessen wir, dass sich
die Molekeln nach allen Richtungen hin mit gleicher Kraft abstossen, und dass sie
[32]Fortpflanzung der Spannung in einer ruhenden Flüssigkeit.
somit auch innerhalb der Flüssigkeiten an allen den Orten in gleichen Abständen
stehen, an welchen ihre Spannung dieselbe ist.
Hiernach ist nun zuerst zu erörtern, wie sich in einer ruhenden, sich selbst
überlassenen Flüssigkeit die Spannung verhalten mag. Da alle uns bekannte Flüssig-
keiten Molekeln enthalten, welche mit Schwere begabt sind, so folgt die von der Er-
fahrung bestätigte Thatsache, dass eine Flüssigkeitsschicht von endlicher Höhe, in
der mehre Molekelreihen übereinander liegen, eine von oben nach unten hin zu-
nehmende Spannung besitzen muss. Betrachten wir (Fig. 3) wieder die
übereinander geschichteten Molekeln 1 2 3, so wird sich 1, vermöge
seiner Schwere, abgesehen von der Anziehung, die zwischen 1 und 2
besteht, 2 nähern und einem Theil der zwischen 1 und 2 wirksamen Ab-
stossung das Gleichgewicht halten; 2, welches nun 1 trägt, wird also
jetzt mit einem Drucke, der der Summe der Schwere von 1 und 2
gleichkommt, auf 3 lasten, d. h. 2 wird einem doppelt so grossen An-
theil der abstossenden Kräfte, die zwischen 2 und 3 bestehen, das
Gleichgewicht halten, als 1 u. s. w. — Da nun die Flüssigkeiten, und namentlich das
für uns besonders wichtige Wasser, ausserordentlich wenig zusammendrückbar
sind, so darf man, wenn die Drücke nicht allzu beträchtlich sind, die in der Flüs-
sigkeit vor sich gehende Verdichtung vernachlässigen, mit andern Worten, man darf
unterstellen, dass in Wasserschichten von gleicher Höhe gleichviel Molekeln über-
einander liegen, welchem Drucke sie auch unterworfen sind. Eine Zusammenhaltung
dieser und der vorhergehenden Betrachtung liefert nun aber den Schluss, dass inner-
halb einer gleichartigen Flüssigkeitssäule die Spannung in dem Maasse zunimmt, wie
der senkrechte Abstand der in das Auge gefassten Flüssigkeitsschicht von dem obern
Spiegel wächst.
Wenn nun aber auf eine, rings von unnachgiebigen Wänden umschlossene Flüs-
sigkeit ausser der Schwere noch ein Druck wirkt, so pflanzt sich dieser nach allen
Richtungen innerhalb der Flüssigkeit mit gleicher Stärke fort, mit andern Worten,
die Spannung, welche derselbe zwischen zwei benachbarten Molekeln erzeugt, ist
innerhalb der Flüssigkeit überall dieselbe, gleichgültig wo und in welcher Richtung
gegen den Druck auch die Molekeln gelegen sein mögen. Um diesen Satz, den man
gewöhnlich als einen durch die Erfahrung gewonnenen Grundsatz hinstellt, in seiner
Nothwendigkeit einzusehen, kann man verschiedene Wege einschlagen; entweder
nemlich theilt man von vornherein den Molekeln in der Flüssigkeit eine bestimmte An-
ordnung zu, oder man sieht von einer solchen ab und nimmt auf die leichte Be-
weglichkeit derselben aneinander Rücksicht. Wir werden nur eine von beiden
Anschauungsweisen hier vorführen, da man es immerhin noch für sehr gewagt
halten muss, auf die denn doch in der That unbekannte Anordnung der Molekeln
die theoretische Darstellung des erwähnten Ertahrungssatzes
zu gründen. Somit scheint vorerst die andere Ableitung
die vorzüglichere, welche sich auf die erwiesenermaassen
bestehende Verschiebbarkeit der Molekeln stützt. Mögen nem-
lich die Molekeln in irgend welcher Weise angeordnet sein,
jedenfalls lassen sie sich durch gerade Linien verbinden,
von denen eine oder die andere in der Richtung des Druckes
liegen muss. Denken wir uns nun, Fig. 4. sei eine Flüs-
sigkeitsmasse, auf die bei 1 ein Druck in der Richtung des
Pfeils wirkt, so werden die Glieder der Reihe 1 2 3 in die-
ser Richtung zunächst eine grössere Spannung empfangen,
als in jeder andern 4,1,7; 5,2,8; 6,3,9. Da sie somit nach
den zuletzt bezeichneten Richtungen hin einen geringen
[33]Spannkraft und Summe der Spannkräfte; allgem. Maass derselben.
Widerhalt erfahren, so wird die geringste Erschütterung hinreichen, wie sie denn
doch schon mit jeden Druck verbunden sein muss, um die Molekeln 1, 2, 3, aus der
gepressten Lage nach der Seite hin herauszuschleudern, so dass sich dann die
Spannung in einer auf den Druck senkrechten Richtung fortpflanzt.
Nachdem wir gesehen, dass sich eine Spannung, die zwischen zwei benachbar-
ten Molekeln durch irgend welchen Druck eingeführt wurde, sich nicht allein in der
Richtung des Drucks, sondern auch nach allen möglichen andern fortpflanzt, kehren
wir noch einmal zurück zu derjenigen Spannung, welche in einer Flüssigkeit durch
die Schwere der sie zusammensetzenden Molekeln erzeugt wurde, um noch die Be-
merkung hinzuzufügen, dass alle in einer beliebigen Horizontalebene einer flüssigen
Masse liegenden Molekeln in der horizontalen Richtung dieselben Spannkräfte be-
sitzen, welche ihnen in der vertikalen zukommt. Da nun diese letztern nur abhän-
gig waren von dem senkrechten Abstand, in dem sie unter dem Wasserspiegel la-
gen, so folgt daraus, dass, wenn nur die Höhe einer Wassersäule unveränderlich
bleibt, die Ausdehnung und Gestalt ihrer Horizontalschnitte beliebig wechselvoll sein
kann, ohne dass sich damit die Spannung zwischen den Molekeln verändert.
Spannkraft und Summe der Spannkräfte; Allgemeines Maass
derselben. Dieser Umstand nöthigt uns den Begriff Spannung noch genauer
zu bezeichnen, indem wir Stärke oder Intensität der Spannung (die Spannkräfte
der Flächeneinheit) sondern von der Summe der Spannkräfte (Spannkräfte in der
Summe der Flächeneinheiten). Die erste dieser Beziehungen weist auf die Stärke
der Spannkraft hin, welche zwischen den Molekeln einer Flüssigkeit bestehet, abgese-
hen davon, wie gross die Anzahl der in dieser Spannung befindlichen Molekeln sei.
Als Maassstab für dieselbe, mag sie erzeugt sein durch immer welchen Druck, haben
wir nach früherer Uebereinkunft schon die Höhe einer Flüssigkeitssäule von bekann-
tem spezifischen Gewicht angesehen, welche nothwendig ist, um die gerade vorhan-
dene Spannung zu erzeugen, oder anders ausgedrückt, diejenige Flüssigkeitssäule,
welche den vorhandenen Spannkräften das Gleichgewicht zu halten im Stande ist.
Die Summe der Spannkräfte nimmt dagegen neben der zwischen den einzelnen Molekeln
bestehenden Spannung auch noch Rücksicht auf die Anzahl der gespannten Molekeln;
indem sie das Produkt aus beiden Werthen darstellt. Im Gegensatz zur Intensität
der Spannkräfte wechselt also, wenn auch die Druckhöhe unverändert bleibt, die
Gesammtspannung mit der Ausdehnung, welche die Fläche gleicher Spannung er-
fährt, oder sachlicher ausgedrückt, bei unveränderlicher Höhe einer Flüssigkeitssäule
mit dem Wechsel ihres horizontalen Querschnitts.
Aus den bis hieher gewonnenen Erfahrungen und
theoretischen Ableitungen lässt sich also erkennen,
dass man mit ein und derselben Flüssigkeitsmasse
ganz verschiedene Spannungssummen erzeugen kann,
je nach der Anordnung, die man jener giebt. Den-
ken wir uns u. A. zwei Molekelreihen, oder wenn
man lieber will, zwei ausserordentlich dünne Wasser-
schichten, einmal so angeordnet (Fig. 5.), dass jedes-
mal nur zwei Molekeln übereinander liegen, so wird
wenn h dem Gewicht eines Molekels entspricht, 2 h
multiplizirt mit der Ausdehnung der Grundfläche A,
die Gesammtspannung = 2 A h in dieser Grundfläche
geben; wenn man nun aber eine der beiden Mole-
kelreihen senkrecht aufrichtet (Fig. 6.), so wird die
Spannung in der untersten Schicht jetzt dem Ge-
wicht von 3 Molekeln = 3 h entsprechen; da aber
Ludwig, Physiologie. II. 3
[34]Verhalten einer strömenden Flüssigkeit.
die Grundfläche unverändert blieb, somit übertrifft jetzt das die Gesammtspannung
in ihr ausdrückende Produkt die frühere.
Verhalten einer strömenden Flüssigkeit.
1. Die Uebertragung der lebendigen Kräfte innerhalb einer strömenden Flüssig-
keit muss den allgemeinen Regeln der Mechanik unterworfen sein; die einmal empfan-
gene Geschwindigkeit verbleibt somit einem Flüssigkeitstheil unverändert, so lange er
sie nicht anderswohin überträgt. Geschieht dieses aber, so wird auch hierbei die
bewegende Kraft (das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) unverändert erhalten.
Von den unzähligen Ableitungen, welche hieraus möglich sind, heben wir zuerst
die hervor, dass ein Strom, der durch eine Röhre von wechselndem Durchmesser
fliesst (Fig. 7. und 8.),
in allen engern Ab-
schnitten rascher strö-
men muss, als in einem
weitern; und es muss,
genauer ausgedrückt,
die Geschwindigkeit,
welche an verschiedenen Orten der Röhre besteht,
sich umgekehrt verhalten, wie der in ihnen vorhan-
dene Querschnitt. Ueberträfe also der quadratische
Inhalt des Querschnitts von B den von A um das
4fache, so würde sich die Geschwindigkeit des durch
A und B gehenden Stroms wie 4 : 1 verhalten, und
insbesondere würde diese Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Querschnitt un-
abhängig sein von der Form dieses letztern und namentlich auch davon, ob das weitere
Stück getheilt, wie in Fig. 8, oder ungetheilt, wie in Fig. 7. verläuft. — Der Zu-
sammenhang, der zwischen dem allgemeinen Gesetz der Kraftübertragung und un-
serem Strömungshergang besteht, ist einleuchtend; damit aber auch das behauptete
Verhältniss der Geschwindigkeiten, wenn man die Vorstellung annimmt, dass in der
Röhre der Strom dadurch bestehe, dass sich in der Masse die bewegenden Kräfte
von Querschnitt zu Querschnitt fortpflanzten. — Nun liegt aber dieser Annahme die
unwahrscheinliche Fiction unter, dass die auf einem Querschnitt vorhandene Flüssig-
keit wie eine zusammenhängende Scheibe zu betrachten sei. Um unsern Beweis da-
für zu verallgemeineren, ist er auch unter der Voraussetzung zu führen, dass sich in-
nerhalb gewisser Grenzen in der strömenden Flüssigkeit jedes Molekel für sich be-
wege, wie dieses in einem Sandwurfe der Fall ist. Nehmen wir nun an, es sei das
in Fig. 7. dargestellte Rohr mit Wasser gefüllt, und es werde ein Strom bei A in der
Richtung nach B erregt, so dass die Strömung überall mit der Wand gleichläufig sei, so
würde der Strom unter der Annahme leicht aneinander beweglicher Flüssigkeitstheil-
chen innerhalb der Röhre B ungefähr so weiter laufen, wie in der Fig. 7. durch b b b b
angedeutet ist. Mit andern Worten, es würde der aus A und B eintretende Strom
hier die Gestalt behalten, welche er in A besass, so dass die Flüssigkeit eines jeden
Querschnitts von B sich in eine ruhende und in eine bewegte scheide. Da nun aber
die bewegte nach Geschwindigkeit und Masse dieselbe wie in A ist, so sind, wie
behauptet wurde, auch die bewegenden Kräfte gleich, welche zu derselben Zeit auf
einen beliebigen Querschnitt von A und B wirksam sind. —
Nächstdem machen wir darauf aufmerksam, dass in zwei communizirenden, auf-
rechtstehenden Röhrenschenkeln, welche Flüssigkeit enthalten, die Spiegel derselben
nicht wie in der ruhenden Flüssigkeit denselben senkrechten Abstand vom Boden ha-
ben müssen, vorausgesetzt, dass der Röhreninhalt in Bewegung gesetzt wird. —
Diese Erscheinung gewinnt unter folgenden Bedingungen etwas Ueberraschendes. Ge-
[35]Gekrümmte Strombahn.
setzt, wir hätten ein Gefäss von der Form des Beistehenden (Fig. 9.), in welchem
der Röhrenschenkel A den von B an Weite beträchtlich über-
trifft; an der Verbindungsstelle von A und B soll ein Hahn
mit einer weiten Oeffnung angebracht sein, durch den die
beiden Schenkel verbunden und abgeschlossen werden kön-
nen. Füllen wir nun bei geschlossenem Hahn die Röhre A
mit Wasser, während B leer bleibt, und öffnen wir dann
ganz plötzlich den Hahn, so wird die Flüssigkeit beim ersten
Aufsteigen im B beträchtlich über den Punkt hinausgehen,
den sie erreicht, wenn sich mit eingetretener Ruhe die bei-
den Säulen in das Gleichgewicht gesetzt haben; dieses ist
aber nicht der Fall, wenn der Hahn sehr allmählig geöffnet
wird. Füllt man dagegen B zuerst und allein mit Flüssig-
keit, so wird dieselbe nach raschem Oeffnen des Hahns in A nur um ein Geringes
den Gleichgewichtspunkt übersteigen, dagegen in B beträchtlich unter ihn sinken.
Da auf diesem Prinzip auch der oft erläuterte hydraulische Widder ruht, so ver-
weisen wir zur weitern Unterrichtung auf die physikalischen Lehrbücher *).
2. Ein Strom, der einmal in den Beharrungszustand gelangt ist und der im luft
leeren Raume, ohne also von irgend welcher Wandung begrenzt zu sein, verlaufen
würde, könnte allerdings durch Uebertragung an körperliche Massen keinen Verlust
an lebendiger Kraft erleiden, aber es würde je nach der Form, die den Stromlauf
annimmt, zu einer Umsetzung von Geschwindigkeit in Spannung, und durch innere
Reibung auch zu einem Verlust an Kräften überhaupt kommen. — Dieser eben an-
gedeutete Fall tritt u. A. ein, wenn der Strom, wie in Fig. 10., eine Kreisbahn be-
schreibt. In einem solchen Strom müssen, der Fliehkraft
wegen, alle Theilchen, welche auf den Abtheilungen des
Querschnitts laufen, die dem Mittelpunkt zugewendet sind,
eine grössere Geschwindigkeit haben, als diejenigen,
welche sich auf der entgegengesetzten Seite befinden **).
Denn da bekanntlich die Fliehkraft den Theilchen an allen
Orten ihrer Bahn eine Geschwindigkeit von dem Mittel-
punkt nach dem Umfang des Kreises mittheilt, so werden
sie alle gegen den Kreisumfang dräcken, und damit muss
ein in der Richtung von M nach u steigender Druck ent-
stehen, der die Strömung der Flüssigkeit um so mehr hem-
men wird, je mehr sie nach u hin gelegen ist. Hätten also
alle Theilchen des Stroms bei ihrem Eintritt in A auch gleiche Geschwindigkeit be-
sessen, so würde dieselbe doch bald ungleich geworden sein, woraus, wie gleich des
weitern zu erwähnen, auch ein Kraftverlust entstanden sein würde.
3. ***) Ein Strom, der von Wandungen umschlossen verläuft, erleidet unter allen
Umständen einen Verlust an Kräften und zugleich setzen sich lebendige in Spann-
kräfte um.
a. Der Verlust kann geschehen durch Stösse, die gegen die Wand erfolgen,
durch Reibung der Flüssigkeit an der Wand und der Flüssigkeit gegen sich selbst.
— Die Stösse, welche die Flüssigkeit gegen die Wand ausübt, werden, alles übrige
gleich, einen um so grösseren Verlust an Kräften erzeugen, je heftiger und je häu-
3*
[36]Strömung innerhalb einer festen Umgrenzung.
figer sie erfolgen (je zahlreicher die getroffenen Unebenheiten der Wand sind, um
so senkrechter sie der Stromrichtung entgegentreten, je grösser die Geschwindigkeit
des Stroms) und je leichter die Umgrenzung im Stande ist, die auf sie übertragenen
Erschütterungen weiter zu verpflanzen, d. h. um so unelastischer um so leichter
beweglich und um so ausgedehnter ihre Berührung ist mit andern beweglichen
Theilen. — Die Reibung raubt den wägbaren Stoffen bekanntlich dadurch leben-
dige Kräfte, dass sie die diesen zukommende Bewegung auf den Aether überträgt,
mit andern Worten, dadurch, dass sie Wärme erzeugt. Der Verlust an lebendigen
Kräften, den die Reibung herbeiführt, steigt darum nach den Versuchen von Joule in dem
Maasse, in dem die erzeugte Wärme zunimmt. Erfahrungsgemäss ist bei der Berührung
von Flüssigkeit und festen Körpern die Wärmeerzeugung aber abhängig von der Kraft
ihres Zusammenstosses von der chemischen Beschaffenheit der in Berührung gebrachten
Stoffe und von ihrer Temperatur. — Die Reibung einzelner Parthien der Flüssigkeit
aneinander ist natürlich nur dann möglich, wenn ihre Geschwindigkeiten verschieden
sind, so dass die rascheren an den langsameren vorbeistreichen und sich von ihnen los-
reissen müssen. Somit wird hier der Kraftverlust steigen mit den Unterschieden in
der Geschwindigkeit der nebeneinander strömenden Schichten, dann aber abhängen
von der chem. Zusammensetzung und der Temperatur, insofern nemlich dadurch die
Klebrigkeit der Flüssigkeit bedingt ist.
b. Die allgemeine Bedingung für die Umsetzung der lebendigen in Spann-
kräfte (der Geschwindigkeit in Spannung) findet sich ein, wenn von zwei hinter-
einander folgenden Flüssigkeitsschichten die hintere in Abwesenheit der vordern ra-
scher strömen würde, als es ihr bei der Gegenwart derselben möglich ist. Der
Antheil von der Gesammtkraft der strömenden Schichten, welcher sich nicht als
Geschwindigkeit erweisen kann, wird nun als Spannung auftreten. Daraus folgt all-
gemein, dass sich der ganze Kraftverlust, den die am meisten vorgeschrittenen Ab-
schnitte eines Stroms aus irgend welchem Grund erlitten haben, sich in den am we-
nigsten vorgeschrittenen als Spannung geltend macht, vorausgesetzt, dass der Werth
der lebendigen Kräfte, welche die strömenden Theilchen besassen, der gleiche war.
4. Vertheilung der Geschwindigkeiten. Auf den verschiedenen Orten eines je-
den beliebigen Schnitts, welcher senkrecht geführt wird gegen einen von Wän-
den begränzten Strom, ist die Geschwindigkeit verschieden. Der Grund hierfür liegt
in der ungleichen Hemmung, welche die flüssigen Schichten des Schnitts erfahren
und in der Leichtbeweglichkeit der Flüssigkeitsschicht aneinander, welche den we-
niger gehemmten erlaubt, sich loszureissen. — Bis dahin hat nun weder die Theorie,
noch der Versuch es vermocht, uns allgemeine Gesichtspunkte aufzustellen, aus denen
abzuleiten wäre, wie mit der Form der begrenzenden Wände, dem Durchmesser
und der Geschwindigkeit des Stroms, und mit den Eigenschaften der Flüssigkeit
dies Verhältniss der Geschwindigkeiten auf einen solchen Querschnitt veränder-
lich sei. Wir müssen uns darum damit begnügen, einen einfachen, für uns
aber wichtigen Fall zu zergliedern, den nemlich, wie die
Geschwindigkeit von der Peripherie zum Centrum in dem
kreisförmigen Querschnitt eines cylindrischen Stroms zu-
nehme. Da in diesem Falle eine allseitige Symmetrie
herrscht, so genügt es, das Verhältniss der Geschwindigkeit
auf einen einzigen Radius festzustellen. Gesetzt, es sei in
Fig. 11. der Querschnitt eines Stromes dargestellt, der in
einem cylindrischen Rohr nach der Längenachse desselben
fortschreitet, so wird offenbar die der Wand zunächst an-
liegende Schicht a die bedeutendste Hemmung erfahren, einmal, weil sie sich an den
kleinen Hervorragungen der Wand stösst und dann, weil sich flüssige und feste Kör-
[37]Partielle und mittlere Goschwindigkeit eines Stroms.
per beträchtlicher reiben als flüssige untereinander. Die zweite nach dem Centrum
hin folgende Schicht wird nächstdem den bedeutendsten Kraftverlust erleiden, indem
sie sich von der sehr langsam strömenden Wandschicht losreissen muss, und so fort,
bis endlich die im Centrum gelegene (d) die geringste Hemmung erfährt. Dächte
man sich (Fig. 12.) auf dem Radius a d als Abszissenachse die vorhandenen Geschwin-
digkeiten als Ordinaten (y) aufgetragen, so würde, wie
es nach Darcy*) scheint, ungefähr eine Curve von der
Form Fig. 12. zu Stande kommen. Unzweifelhaft wech-
selt die Gestalt dieser Curve mit der Länge des Radius, in-
dem z. B., wenn er nur die Länge a c besässe, das dem
Abschnitt c d entsprechende Stück wegfiele; ebenso ist
es gewiss, dass sie mit der Geschwindigkeit des Stroms
und der Klebrigkeit der Flüssigkeit u. s. w. sich ändert.
Wir sind aber ausser Stand, hiervon im Einzelnen Re-
chenschaft zu geben.
Bei dem Wechsel der Geschwindigkeit auf demselben
Querschnitt, und bei der Unmöglichkeit, die Geschwindigkeit auf jedem beliebigen Ort
zu bestimmen, ist man genöthigt, den Begriff einer mittlern Geschwindigkeit aufzu-
stellen; hierunter versteht man aber diejenige Geschwindigkeit, welche, wenn sie
auf den ganzen Querschnitt gleichmässig wirksam wäre, dieselbe Flüssigkeitsmenge
durch ihn fördern würde, als in der That bei den verschiedenartigen Geschwin-
digkeiten aus ihm hervorströmt. Diese mittlere Geschwindigkeit kann jedesmal
einfach bestimmt werden, wenn man das Volum der Flüssigkeit v kennt, welches
in der Zeiteinheit durch den bekannten Querschnitt des Rohres Q ging. Offenbar
ist, wie die physikalischen Lehrbücher des Weiteren erörtern, die mittlere Geschwindig-
keit G ausgedrückt durch , da GQ das Volum der ausgeströmten Flüssigkeit darstellt.
Mit der Länge des Rohrs ist die Geschwindigkeit ebenfalls veränderlich, wenn
die Grösse des Durchmessers wechselt. Wie die Veränderung der mittlern Ge-
schwindigkeit in einem solchen Rohr beurtheilt werden müsse, ist schon vorhin ent-
wickelt worden; sie verhält sich umgekehrt, wie der Rauminhalt des Querschnitts
verschiedener Orte. Die weitaus interessanteste und schwierige Fragen, wie sich die
Partialgeschwindigkeiten des Querschnitts mit einer Formveränderung desselben um-
gestalten, ist noch gar nicht in Angriff genommen.
5. Vertheilung der Spannungen. Die Theorie behauptet **), dass innerhalb eines
Stroms nur senkrecht auf die Stromrichtung Gleichheit der Spannung existire.
Die Beobachtung scheint dieses insofern zu bestätigen, als alles Uebrige gleich-
gesetzt die Spannung eines Stroms abnimmt, wenn der Durchmesser zunimmt.
Der Zusammenhang zwischen den Behauptungen der Theorie und dieser Erfahrung
ist aus der folgenden Betrachtung einleuchtend. Nehmen wir an, es unterschieden
sich die beiden Ströme (Fig. 13. u. 14.) von röhrenförmiger Begrenzung nur dadurch
[38]Ausgleichung der Spannungen.
voneinander, dass in der ersten 1 und in der andern aber 6 Reihen von Molekeln
auf einem Durchmesser Platz fänden, so sollte man erwarten, dass die Spannung
zwischen den Molekelreihen beider Röhren, welche unmittelbar an der Wand gele-
gen sind, dieselbe sei, da sie denselben Hemmungen ausgesetzt sind; wenn dieses
aber nicht der Fall ist, wie die direkte Messung nachweist, indem sie in dem Strom,
welchen Fig. 15. darstellt, geringer ist, als in dem der Fig. 14., so kann der Grund
hiefür nur darin liegen, dass die gegen die Mitte der Röhre (Fig. 15.) gelegenen
Molekeln, deren Geschwindigkeit grösser und deren Spannung darum geringer ist, ihre
Spannung mit dem Wandstrom ausgeglichen haben, mit andern Worten, den in diesen
Strom verlaufenden gespannten Theilchen erlauben, gegen die Mitte hin auszuweichen.
Nach der Länge des Rohrs können die Spannungen dagegen sehr verschieden aus-
fallen, so dass ganz unzweifelhaft keine Gleichheit derselben nach der Richtung des
Stroms stattfindet. Es ist hervorzuheben, dass, wenn die mittlere Geschwindigkeit in den
verschiedenen aufeinanderfolgenden Querschnitten eines Stroms wesentlich variirt, die
Spannung im Verlauf desselben ebenfalls zu- und abnehmen kann, während sie, wenn die
Geschwindigkeit gleichbleibt, jedesmal vom Anfang gegen das Ende des Rohrs abnimmt.
6. Ueber die Messung des Kraftverlustes und der Spannung. — Diese Bestim-
mung geschieht auf zweierlei Art, entweder durch Vergleichung der wahren und der
hypothetischen mittleren Geschwindigkeit, oder durch den Manometer. Da die erstere
Methode nur selten und in der Physiologie gar nicht zur Anwendung kommt, so wenden
wir uns sogleich zur letztern. Unter dem Manometer versteht man hier ein grades oder
heberförmig gebogenes Glasrohr, dessen eine Mündung senkrecht auf dem Strom steht.
In seiner einfachsten Form ist es in Fig. 15. dargestellt. Der Sinn seiner Anwen-
dung ist folgendermassen darzu-
zuthun: Wir denken uns in dem
Rohre A eine Reihe hintereinan-
derliegender Molekeln 1, 2, 3 bis
11, von denen ein jedes beim Ein-
tritt in den Anfang A der Röhre
gleiche Geschwindigkeit besass;
jedes derselben soll aber auf sei-
nem Wege einen beliebigen An-
theil seiner Geschwindigkeit ein-
büssen, ein Antheil, der genau
mit der Länge des Wegs wächst, den ein Flüssigkeitstheilchen zurückgelegt hat.
Demnach wird 11, welches weiter als 10 fortgeschritten, mehr als dieses von sei-
ner Geschwindigkeit eingebüsst haben, sodass es dem rascher fortschreitenden 10
eine Hemmung bietet; es wird also eine Spannung zwischen 10 und 11 eintreten;
gegen dieses verlangsamte 10 wird nun auch 9 anstossen, und da dieses noch ge-
schwinder ist als 10 zur Zeit, wo es gegen 11 anfuhr, so wird die zwischen 9 und
10 entstehende Spannung auch grösser sein, als die zwischen 10 und 11 und zwar
in dem Verhältniss grösser, in dem 9 das 10 an lebendigen Kräften übertrifft. Indem
man in diesen Betrachtungen fortfährt, erkennt man, dass die Geschwindigkeit durch
die ganze Molekelreihe gleich, die Spannung dagegen von dem Ende des Rohrs ge-
gen seinen Anfang hin in einer Zunahme begriffen sein wird. Die Spannung, welche
sich nun zwischen je zwei Molekeln findet, pflanzt sich dem früher entwickelten ge-
mäss senkrecht gegen die Stromrichtung fort und es wird demnach, wenn man an
den beliebigen Stellen O oder P das Rohr öffnet, aus dieser Oeffnung Flüssigkeit
austreten; setzte man aber in die Mündungen senkrechte Röhren, so würde in diesen
die Flüssigkeit aufsteigen so lange, bis der Druck, den die senkrechte Flüssigkeits-
säule gegen den in der Mündung von O liegenden Theil ausübt, an Werth gleich ist
[39]Ströme in cylindrischen Röhren.
der Spannung, die zwischen den strömenden Molekeln dieses Ortes in Folge der
Widerstände besteht.
Kennt man nun die Spannung und die Geschwindigkeit, welche an jedem Quer-
schnitt des Rohrs besteht, Grössen, deren Bestimmung nach dem vorhergehenden
keine prinzipielle Schwierigkeit entgegensteht, so hat man damit den ganzen Werth
der Kräfte auf diesem Querschnitt. Der Unterschied in den Kräften zweier mit-
einander verglichener Querschnitte ist nun geradezu der Verlust des Stroms an le-
bendigen Kräften auf dem Weg von dem einen zum andern Ort.
Erörterung der Ströme in cylindrischen Röhren von besonderer
Anordnung.
1. Gerade, gleichweite, horizontalliegende Stromröhren. In
diesen Röhren läuft der Strom nach Girard und Poiseuille*) sehr verschieden,
je nach dem Verhältniss, welches zwischen ihrer Länge und ihrem Querschnitt be-
steht. Wenn bei gegebenem Durchmesser die Länge der Röhren von Null an all-
mählig zunimmt, so erreicht sie einen Punkt, bei welchem für die in ihn vorkom-
menden Ströme, das von Euler entwickelte Gesetz gradliniger Flüssigkeitsbewe-
gungen giltig ist, d. h. es geht dann aller Orten der Strom der Wandung paralell,
während in Röhren unterhalb dieser Länge die Bewegungen sehr unregelmässig wer-
den. Die Länge, welche ein Rohr besitzen muss, damit der Strom den Charakter
der gradlinigen Bewegung annehme, nimmt nicht im geraden Verhältniss mit dem
Durchmesser, sondern rascher als dieser ab, so dass z. B. bei einem Durchmesser
von 0,029 MM. die gradlinige Bewegung schon bei der Länge von 2,1 MM. ein-
trat, während bei einem Durchmesser von 0,65 MM. die Länge 384 MM. betragen
musste u. s. w. Wir werden uns darauf beschränken müssen, die Gesetzmässigkeit
der gradlinigen Ströme zu verfolgen.
a. Rücksichtlich der Geschwindigkeit ist hervorzuheben, dass: 1) in solchen
Röhren die Geschwindigkeit steigt, wie die Druckhöhen, welche auf den Flüssig-
keiten lasten, so dass entgegen dem Ausfluss aus Mündungen durch dünne Platten
bei einem Aufsteigen der Druckhöhen von 1 zu 4 zu 9 zu 16 u. s. w. die Ge-
schwindigkeiten wie diese Zahlen und nicht wie 1, 2, 3, 4 u. s. w. anwachsen. —
2) Alles andere gleichgesetzt, nimmt die mittlere Geschwindigkeit ab, wie die Län-
gen der Röhren zunehmen, ein selbstverständliches Resultat, da genau in dem Ver-
hältniss wie die Länge auch die reibende Fläche wächst. — 3) Weniger einfach ist
die Beziehung der mittleren Geschwindigkeit zu dem Durchmesser; im Allgemeinen
ist durch mannigfache hydraulische Beobachtungen, insbesondere durch die von
Gerstner, Young, Girard, Poiseuille und Volkmann festgestellt, dass in
weiten Röhren die Geschwindigkeit geradezu abnimmt wie der Durchmesser, in
sehr engen aber wie das Quadrat des Durchmessers; in Röhren mittleren Kalibers
nimmt die Geschwindigkeit nach irgend einer andern Potenz des Durchmessers, die
in der Mitte zwischen den erwähnten liegt, ab. Die Grenzen der Durchmesser, für
welche die eine oder andere Angabe giltig ist, sind nicht ermittelt worden. —
4) Die Geschwindigkeit nimmt zu, wenn die Temperatur der Flüssigkeit wächst, und
zwar in engen Röhren beträchtlicher, als in weiten. Diese Beobachtung Gerst-
ners**) ist von Girard, insbesondere aber für sehr enge Röhren von Hagen und
Poiseuille erweitert worden, welche für Wasser, in Glas und Kupfer strömend,
den empirischen Coeffizienten des Wachsthums gefunden haben. Dieser letztere kann
jedoch nur auf die erwähnten Stoffe und nur für sehr enge Röhren angewendet wer-
den, da nach Girard mit der Flüssigkeit und bei weiten Röhren (dem Durchmesser)
sich auch der von der Temperatur abhängige Reibungscoeffizient ändert. — 5) Die
[40]Gleichweite, gerade cylindrische Röhren.
Geschwindigkeit ist ferner veränderlich mit der Zusammensetzung der Flüssigkeit;
Dubuat, Girard*), Poiseuille**). Wesentlich unterscheiden sich die Flüssigkei-
ten, je nachdem sie die Röhrenwand benetzen, oder dieses nicht thun. Wir berücksich-
tigen nur die letzteren. Für sie ist festgestellt: a) die Geschwindigkeit in jeder Flüs-
sigkeit (unter Voraussetzung gleicher Druckhöhen und Röhrenweiten) ist unabhängig
von dem Stoff, aus dem die Röhrenwand besteht; namentlich hat Poiseuille Glas,
Metall und die Membranen der Blutgefässe hierauf untersucht. — b) Die Reibung
einer Flüssigkeit ist unabhängig von dem spezifischen Gewicht, der Dünnflüssigkeit,
der Capillarattraction u. s. w. — c) Die Reibung des Wassers oder Blutserums
wird wesentlich geändert durch geringe Beimengung von Salzen, Basen oder Säuren.
— Von den besonderen Bestimmungen Poiseuille’s heben wir hervor: das Serum
des Ochsenbluts fliesst, alles übrige gleichgesetzt, nahebei noch einmal so lang-
sam, als reines Wasser, und faserstofffreies (Blutkörperchen haltendes) Ochsen-
blut fliesst dreimal langsamer, als Serum. — Im Allgemeinen erniedrigt ein Zusatz
von Neutralsalzen zum Wasser die Reibung, während sie durch Zusätze von Basen
und von Säuren (eine Ausnahme machen unter letztern nur Blausäure und Schwefel-
wasserstoff) erhöht wird; ein Zusatz von Ammoniak zum Serum erniedrigt dagegen
die Reibung desselben. — 6) Nach den Erfahrungen von Girard und Poiseuille
wächst der Verlust an lebendiger Kraft geradezu mit der Geschwindigkeit des
Stroms, wenn die Flüssigkeit die Röhrenwand benetzt; mit dem Quadrat der Ge-
schwindigkeit dagegen, wenn die Röhrenwand nicht benetzt wird. Wir machen
bei diesem Anlass den Anfänger besonders aufmerksam auf die Folgerung aus dem
letzten Satz, dass nur, wenn Geschwindigkeit besteht, Reibung vorkommen kann.
Ueberblicken wir nun noch einmal die bis dahin vorgeführten Erscheinungen,
so sehen wir, dass der Widerstand w, den ein Strom im Rohre zu überwinden hat,
wächst mit der Länge (l), dem Durchmesser (d), respective der Peripherie π d
oder mit einer Potenz desselben (dx), ferner mit der Geschwindigkeit (v) und endlich
mit gewissen Veränderungen der Temperatur und mit der chemischen Constitution
der Flüssigkeit; die beiden letztern Einflüsse bezeichnen wir mit a. Mit unsern Zei-
chen ausgedrückt ergiebt sich w = a l d v. Diese den Strom hemmenden Einflüsse
müssen nun aber, da innerhalb des Rohres der Strom mit gleichmässiger Geschwin-
digkeit verläuft, gerade so gross wie die beschleunigenden sein. Wären diese letz-
tere gegen die erstern überwiegend, so müsste der stetig von dem den Stromerre-
genden Einfluss (z. B. von der drückenden Wassersäule) ausgehende Stoss die Be-
wegung der Flüssigkeit in eine steigende Beschleunigung setzen und ebenso offen-
bar müsste sich das umgekehrte ereignen, wenn die hemmenden Umstände die
stromerzeugende Kraft überwögen. Die beschleunigenden Einflüsse würden aber,
vorausgesetzt, dass eine drückende Wassersäule den Strom veranlasst, dargestellt
durch die Höhe derselben (h) und die Intensität der Schwere (g) (denn hiervon ist
die Kraft des Stosses abhängig, welche das flüssige Molekel erhält), und endlich von
dem Querschnitt des Rohres, , denn dadurch wird die Zahl der gestossenen Mo-
lekeln bestimmt, somit ist also, wenn wir φ die beschleunigenden Kräfte nennen
φ = ; und da nun φ = w ist, so ist auch a l π d v = ; oder auch
a l v = , oder a v = . Dieses letzte Resultat ist durch Girard und
Poiseuille vollkommen bestätigt. Die Angaben der beiden Gelehrten unterscheiden
sich nur dadurch, dass der letztere bei seinen Versuchen d2 statt d erhalten hat,
[41]Geschwindigkeit und Spannung in denselben.
was, wie wir erwähuten, herrührt von dem viel geringeren Durchmesser der Röhren,
welche Poiseuille anwendete.
Für die Theorie und für unsere spätern Betrachtungen ist es von Interesse, zu
wissen, dass die Formel für den geradlinigen Strom in Röhren eine etwas andere
Gestalt annimmt, wenn die Flüssigkeit die Wandung nicht benetzt; es ist durch
Girard empirisch festgestellt, dass dann der Widerstand proportional dem Quadrat
der Geschwindigkeit geht, wobei der Coeffizient a zugleich seinen Werth ändert.
Nennen wir diesen Coeffizient b, so wird also jetzt die Formel b v2 = .
Diese Verschiedenheit des Ergebnisses erklärt man sich dermassen. Zufolge
einer Untersuchung von Coulomb*) glaubt man sich zu der Annahme berechtigt,
dass die verzögernde Kraft zu gleicher Zeit wachse wie die Geschwindigkeiten und
wie die Quadrate der Geschwindigkeiten. Denn einmal müssen sich die Molekeln,
welche in dem Flüssigkeitsfaden verschiedener Geschwindigkeit laufen, um so häufiger
voneinander losreissen, je geschwinder der Strom geht; somit muss also, wenn a der
Widerstand genannt wird, der sich dieser Trennung entgegensetzt, die Summe die-
ser Widerstände bei der Geschwindigkeit v = a v sein; zugleich aber wird sich die
Flüssigkeit an den Erhabenheiten der Röhre stossen und zwar um so stärker mit, je-
mehr Kraft, resp. Geschwindigkeit, sie strömt und auch um so häufiger, je grösser
die Geschwindigkeit ist. Bedeutet also b die Hemmung eines einzigen Stosses bei
der Geschwindigkeit, so wird sie bei v = b v2 sein. Der Gesammtwerth der Hem-
mungen w müsste also durch die Summe w = a v + b v2 ausgedrückt werden. In
einem geraden Rohre, das so lang ist, dass die Bewegung paralell mit den Wan-
dungen geht, muss das zweite Glied wegfallen, vorausgesetzt, dass an den Wandun-
gen des Rohrs die Flüssigkeit unbeweglich anhängt, so dass die bewegte Flüssigkeit
eigentlich nur in einem Mantel von unbewegter läuft; wenn dagegen die Flüssigkeit
den Wandungen nicht anhängt, so werden annähernd alle Molekeln, die auf einem
Querschnitt des Rohrs befindlich sind, gleiche Geschwindigkeit haben, und es wird
somit das erste Glied (a v) wegfallen, dagegen werden die Stösse der Flüssigkeit an
der Wandung vorhanden sein und somit das zweite Glied (b v2) bestehen bleiben.
b. Die Spannung der Flüssigkeit beim Strömen in den bis dahin betrachteten
Röhren muss, entsprechend unserer früheren allgemeinen Bemerkung, zunehmen vom
Ende zum Anfang der Röhre. Stellt man also auf ein Rohr, A B (Fig. 16), in wel-
chem ein Strom nach
der Richtung des Pfeils
geht, mehrere Mano-
meter 1, 2, 3 auf, so
wird sich das Niveau
der in den verschiede-
nen Druckmessern auf-
gestiegenen Flüssigkeit
durch eine gerade Li-
nie a b c verbinden las-
sen. — Die Steilheit
dieser Linie ist, wie
nach dem Frühern
selbstverständlich, be-
deutender in engen, als
in weiten Röhren, bei rascher Strömung bedeutender als bei langsamer; sie steht end-
lich in inniger Beziehung zum chemischen und thermischen Verhalten der Flüssig-
[42]Gleichweite gebogene Röhren.
keit. — Der thatsächliche Beweis hierfür ist durch die Versuche von Volkmann
geliefert worden.
2. Gleichweite, gebogene Röhren. Zu den bei geraden Röhren be-
trachteten Hemmungen der Geschwindigkeit kommen noch die Stösse, welche der
Strom gegen die Wandungen ausübt und die von der Centrifugalkraft herrührenden
Pressungen. Der Einfluss dieses letztern Momentes wächst bekanntlich wie das
Quadrat der Geschwindigkeit, und umgekehrt, wie der Durchmesser des durchlaufe-
nen Kreisbogens. Die Grösse der Hemmung aber, welche von dem Stoss gegen die
winklig gebogene Wandung abhängt, ist veränderlich a) mit der Gradzahl der Win-
kel, in der Art, dass, wenn er von 0° auf 180° steigt, der Widerstand von einem
Maximum auf ein Minimum abfällt. Mit welcher Funktion des Winkels dieses aber
geschieht, ist unbekannt *); b) zum zweiten wächst aber die Stromhemmung in der
Winkelbiegung mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, was nach dem Frühern keiner
Erörterung bedarf. — Die Hemmung ist eine beträchtlich geringere, wenn die Bie-
gung statt eine plötzliche zu sein, sehr allmählig geschieht. Der Grund für diese
Erscheinung liegt darin, dass bei plötzlichen Biegungen (2 3 in der Röhre A E Fig. 17.)
hinter der vorspringen-
den Kante eine wir-
belnde Stelle entsteht,
die an der Strömung
keinen Antheil nimmt;
es verengert sich dem-
nach das Stromrohr
gleichsam. —
Dieser verlangsamten
Bewegung entsprechend
wird sich das Steigen
der Flüssigkeit in den
auf die Röhre gesetzten
Manometern einfinden,
und zwar werden, wenn
man die Manometer
aufsetzen würde in 1,
2, 3, 4 die Steigungen nach dem Gesetz der unter der Röhre gezeichneten Curve
abnehmen. Beginnen wir vom Ende des Rohrs (E), so würde von 4 nach 3 dem Frü-
hern gemäss, je [nach] der Röhrenweite und Stromgeschwindigkeit, das Aufsteigen
mehr oder weniger allmählig auf der geraden Linie a b erfolgen, dann würde plötz-
lich in der Winkelbiegung von b nach c ein sehr rasches Aufsteigen geschehen,
in Folge der besondern Widerstände, die sich hier häufen, und hinter dieser Bie-
gung, wenn das Rohr wieder gerade fortläuft, wird sich auch das allmählige Auf-
steigen c d wieder einstellen. In dem Gang, der Linie, welche die Niveaus der
Flüssigkeit in den verschiedenen Manometern verbindet, findet sich also ein plötzli-
cher Knick, oder wie man auch sagt, ein ausgezeichneter Punkt. —
3. Ungleichweite Röhren. Wir beschränken uns auf die Betrachtung der
beiden Fälle, wo eine Erweitung in eine Verengung übergeht, und wo eine Er-
weiterung von zwei verengten Stellen eingeschlossen wird.
a. Die Erweitung mit darauffolgender Enge (Fig. 18.). Die mittlere Geschwin-
digkeit im Rohrstück B wird zu der in A in dem umgekehrten Verhältniss ihrer
[43]Ungleichweite Röhren.
Querschnitte stehen. Diese verhalten sich aber wie die Quadrate der Durchmesser.
Die grösste Geschwindigkeit kommt aber dem Querschnitte in dem Theil c d der
Röhre B zu, wo sich eine
Stromenge bildet, die da-
durch hervorgebracht wird,
dass aus der Erweitung
A die Flüssigkeitsstrahlen
allseitig zusammenschies-
sen; aus diesem Grunde
schliesst sich die Strömung
gegen Ende des weiten
Rohrs den Wandungen des-
selben nicht mehr an,
so dass sich in den Win-
keln f f stehende Flüssig-
keitswirbel bilden. — Die
Curve der Spannung auf-
getragen auf die Röhren-
achse wird in B von e
bis d gleichmässig auf-
steigen, von d bis b ungleichmässig, aber rascher als in d e, wegen des erwähnten
Zusammenstosses der Theilchen und von b bis a gradlinig, aber viel allmähliger, als
in e d. — Der absolute Werth, welchen die Spannung in dem Abschnitt d b ge-
winnt, ist abhängig von der Triebkraft der Flüssigkeit und von dem Verhältniss der
Querschnitte von A und B.
b. Erweitung zwischen zwei Verengerungen (Fig. 19.). Die mittlere Geschwin-
digkeit in den Röhren-
stücken A B C ist nach
bekannten Grundsätzen
zu beurtheilen. Druck-
messer, welche man in
a b c d e f aufsetzt, ge-
ben die angegebenen re-
lativen Höhen der auf-
steigenden Flüssigkeit.
Der Gang der Curve,
der hierdurch angeden-
tet wird, bietet von f
bis d nichts Ungewöhn-
liches; er fällt, wie
man sieht, zusammen
mit dem der vorigen Figur; ebenso zeigt sich das Stück von a bis c nach den ge-
wöhnlichen Regeln gebildet. Sehr eigenthümlich verläuft dagegen die Curve in dem
erweiterten Stücke B, indem der Druck statt am Ende (d) desselben höher, als am
Anfang (c) zu stehen, vom Ende gegen den Anfang abfällt. Der genauere Gang der
Curve, und namentlich, ob sie sich der Linie g oder h annähert, ist durch die Beob-
achtung noch zu ermitteln. — Der Grund für die niedere Spannung in der Gegend
von c muss offenbar gesucht werden in der raschen Ausbreitung, welchen der
aus der engen Mündung b dringende Strahl erfährt. — Bemerkenswerth ist hierbei
eine andere Erscheinung, die nemlich, dass der Strom, welcher die Richtung des
Pfeils verfolgt, von einem Orte niederer Spannung zu einer solchen höherer dringt.
[44]Erweiterung zwischen zwei Verengerungen.
Die Thatsache, dass die stärker gespannten und darum nach allen Seiten hin kräfti-
ger auseinanderfahrenden Theilchen des Querschnitts d vorwärts geschoben werden
von den weniger gespannten Theilchen in c, kann nur darin ihre Erklärung finden,
dass den letztern Theilchen bei c noch mehr bewegende Kraft zukommt, als den
bei d, so dass die erstern einen grössern Antheil ihrer Gesammtkraft zur Erzeu-
gung von Geschwindigkeit verwenden. Die erstere dieser Behauptungen rechtfertigt
sich dadurch, dass die im Querschnitt c enthaltene Masse in der That in Folge der
geringern Reibung weniger Kraft verloren, als die in d vorhandene. Die andere An-
nahme ist aber die folgerechte Ableitung aus der auf Seite 31. angestellten Betrach-
tung, wonach die gesammte bewegende Kraft eines Theilchens dargestellt werden
kann durch eine Summe, von der ein Theil als Geschwindigkeit und ein anderer als
Spannung auftritt. — Anschaulicher ist vielleicht noch der folgende Ausdruck: indem
die Theilchen von c zu den Punkten höherer Spannung übergehen, büssen sie plötz-
lich einen grossen Theil ihrer Geschwindigkeit ein; sie werfen sich also selbst in
Gegenden höherer Spannung.
Aus diesen Mittheilungen lassen sich mancherlei Folgerungen ziehen, von denen
wir zwei wegen ihrer praktischen Bedeutung hervorheben. Sie beziehen sich auf
die Veränderungen, welche ein Strom in einer Röhre erfährt, dessen Aus- oder Ein-
flussmündung verengert worden ist.
Setzen wir also, es sei in einem überall gleichweiten Rohr Spannung und
mittlere Geschwindigkeit bestimmt worden, und es werde nun plötzlich die Aus-
flussmündung letztere verengert, während die am Einfluss des Rohrs wirksa-
men Kräfte unverändert erhalten würden, so wird offenbar in dem Rohr die
Stromgeschwindigkeit abnehmen und dafür sich die Spannung erhöhen. In der
verengten Ausflussmündung muss dagegen die Geschwindigkeit steigen, jedoch nicht
in dem Verhältniss, in welchem der Querschnitt abgenommen hat, so dass der nun
raschere Strom aus der engen Oeffnung nicht soviel Flüssigkeit fördert, als die-
ses der langsamere aus der weiten vermochte. Die Nothwendigkeit dieses letztern
Ergebnisses sieht man gleich daraus ein, weil in dem Theil der Röhre, dessen
Durchmesser unverändert erhalten wurde, die Stromgeschwindigkeit abgenommen hat.
Der physikalische Grund hierfür ist aber darin zu suchen, dass die Flüssigkeit in
der engen Mündung durch Reibung mehr an ihrer lebendigen Kraft einbüsst, als die-
ses in der weiten geschah. — Verengert man aber, während in dem Rohr von den
bezeichneten Eigenschaften die Ausflussmündung unverändert erhalten würde, die Ein-
flussmündung, so wird in dem unveränderten Stück Spannung und Geschwindigkeit
abnehmen, und zwar darum, weil die lebendigen Kräfte jedes einzelnen eintretenden
Theilchens durch Reibung mehr, als früher abgeschwächt werden, und weil zugleich
die Masse der Flüssigkeit, welche an der Einflussmündung bewegt wird, abnimmt.
4. Verzweigte Röhren. Von den zahlreichen Formen, welche durch die
Verzweigung der Ströme hergestellt werden können, berücksichtigen wir nur dieje-
nigen, bei denen ein ursprünglich einfaches Rohr sich theilt und dann wieder in ein
einfaches zusammenläuft.
Vergleicht man die Erscheinungen eines Stroms im verzweigten Rohr mit denen
im unverzweigten, so kann man behaupten, dass ein und dieselbe Menge Flüssigkeit,
welche mit gleichen lebendigen Kräften begabt, an der Einflussmündung anlangte, auf
ihrem Lauf durch ein gleich langes Wegstück des verzweigten Rohrs mehr von ihren
lebendigen Kräften einbüsst, als in einem unverzweigten. Dieses ergiebt sich so-
gleich, wenn man bedenkt, dass im verzweigten Rohr im Verhältniss zum Iuhalt eine
grössere Wandfläche vorhanden ist, als im unverzweigten, und ferner, dass im ver-
zweigten Rohr nothwendig Winkelbiegungen vorhanden sein müssen, die dem unver-
zweigten fehlen können. Dieser einfachen Betrachtung entsprechend wird die Hem-
[45]Verzweigte Röhren.
mung in einem Röhrensystem von gleichem Querschnitt und gleicher Länge in einem
raschen Verhältniss steigen mit der Anzahl der Einzelröhren, auf welchen dieser
Querschnitt vertheilt ist.
Rücksichtlich des Verhältnisses der Geschwindigkeit gilt in einem verzweigten
Röhrensystem alles das, was für das unverzweigte behauptet wurde, d. h. es nimmt
in dem Strom die Geschwindigkeit ab, wenn der Querschnitt zunimmt und umgekehrt.
a. Ebenmässig verzweigte Röhren (Fig. 20.). Wir nehmen an, dass
die einzelnen Stromglieder A B C D von überall gleichem Querschnitt seien und
dass die Schenkel B und C gleiche Krümmung und gleiche Länge besitzen. — Da
der Strom in B C ein noch einmal so grosses Bett, als in A oder D hat, so wird
er in dem letzten Abschnitt doppelt so geschwind
wie in B und C laufen. — Verfolgen wir die Curve
der Spannung, indem wir hierbei vom Ende des
Stückes D ausgehen, so werden wir finden, dass
sie in D allmählig anwächst (von f bis e), dann
hinter der Mündungsstelle beider Röhren in dem
einfachen Rohr (bei d e) plötzlich ansteigt, weil
hier die Ströme zusammenstossen; durch C und
das gleichartige D wächst sie allmählig wegen
der geringen Geschwindigkeit (d bis c). Bei b c
kreuzen sich nun die Einflüsse; einmal nemlich
stösst sich der aus A kommende Strom an die entgegenstehende Wandung und
darum muss die Spannung hier steigen, dann aber erweitert sich auch der Strom
plötzlich und darum muss an diesem Orte die Spannung sinken; je nach dem Ueber-
gewicht des einen oder andern Momentes muss also hier eine Steigerung oder ein
Sinken der Spannung resultiren. In der gezeichneten Curve ist darum dieser Ab-
schnitt mit einer horizontalen Linie dargestellt. In dem Stücke A endlich muss die
Spannung wieder wie in D anwachsen.
b. Assymetrische Röhrenverzweigung (Fig. 21. und Fig. 22.). — In
dem ersten Fall geben wir allen Röhrenstücken gleiche Weite. Um Wiederholungen
zu vermeiden, betrachten wir nun das ver-
zweigte Stück von dem Punkt a bis zu b,
d. h. von den Stellen, wo sich die Ströme
trennen, bis zu den, wo sie aufeinander-
stossen. — An den beiden Enden der
Schlinge ist offenbar die Spannung der
aus beiden Röhren kommenden Flüssig-
keitsmassen ausgeglichen. Gesetzt, es sei
uns der Werth dieser Spannung bei a und
b gegeben, so würden wir uns zwei
Abszissenachsen von der Länge der Röhren
B und C = a b und a b′ legen, und auf
den Endpunkten a, b, b′ die gegebenen Span-
nungen auftragen. Eine Verbindungslinie
von ′b und b′ nach a würde eine unge-
fähre Vorstellung von dem Verlauf der Spannung auf dem langen und kurzen Rohr-
stück geben. Wir sagen eine angenäherte Vorstellung, weil in dieser Curve einige
besondere Punkte nicht berücksichtigt sind, welche sich durch Zusammenstoss und
Auseinanderweichen der Flüssigkeiten u. s. w. bilden. — Das Verhältniss der Ge-
schwindigkeit in den beiden Armen ist dadurch bestimmt, dass die Curve der Span-
nung in dem Rohrstück C steiler ausfällt, als in B; sie muss in C grösser sein, als
[46]Verzweigte Röhren.
in B, weil im Rohre von gleichem Querschnitt die Steilheit der Spannungs-Curve
wächst mit der Geschwindigkeit.
In dem andern Fall (Fig. 22.) ist den verzweigten Stücken gleiche Länge, aber
ein ungleicher Durchmesser gegeben worden.
Bei einer ähnlichen Anordnung, welche Volkmann beobachtete, fiel die Curve
der Seitendrücke von a nach d in B zuerst allmählig und gegen das Ende des Rohrs
sehr steil ab; in C fiel sie zuerst sehr steil, dann langsamer als in B und schliesslich
wieder sehr steil, aber abermals weniger rasch als in der entsprechenden Stelle von
B ab. Dieses Verhalten erklärt sich daraus, dass sich in d ein ausgezeichneter
Punkt findet, hervorgebracht durch das Ineinanderströmen aus den beiden Armen;
die hier erzeugte Hemmung wird am stärksten auf B fallen, da der Strom in C durch
Reibung weniger als der in B verloren hat, so dass der letztere von dem ersteren
an lebendiger Kraft übertroffen, auch am bedeutendsten aufgehalten wird. Darum
muss nach B hin die Spannung höher steigen. Von c an erhebt sich nun, der stär-
kern Reibung entsprechend, der Druck rascher in B als in C, so dass am Anfang
der Röhre bei b die Spannung in B viel höher ist als in C. — Nun ist aber die
Spannung in a, an der Theilungsstelle beider Ströme, unbezweifelt abhängig von der
Spannung in B und C; sie muss also niedriger werden, als sie sein würde, wenn
der Strom allein durch B ginge, und höher, als wenn die Flüssigkeit ihre Spannung
von C aus erhielt. Mit einem Wort, sie wird irgend welche mittlere zwischen
c b und B C sein. Von a nach b in C wird nun aber ein rascher Abfall der Spannung
zu Stande kommen, weil jenseits a die aus dem Rohr B stammende Spannung hier
nicht wirkt und die Flüssigkeit durch C leicht abfliessen kann. — Die mittlere Geschwin-
digkeit in C wird wegen der geringeren Reibung beträchtlicher, als in B sein müssen.
Die vorliegenden Betrachtungen genügen nun, abzuleiten, was eintritt, wenn
man in einem verzweigten Rohr plötzlich einen Ast verstopft, oder einen bis dahin
verstopften öffnet; vorausgesetzt, dass die Kräfte, welche an der Einflussstelle
wirksam sind, unverändert bleiben. Wir wollen zur beispielsweisen Betrachtung ein
symmetrisches Rohr (Fig. 24.) wählen Wenn dem Strome beide Röhren geöffnet
sind, so wird die Curve der Spannung bekanntlich (siehe Fig. 21.) wie das durch
a b c d dargestellte Gesetz, inne halten, wobei das Stück b c gleichmässig für die bei-
den Aeste B und C gilt. Verschliesst man darauf den Anfang von C bei z, so muss
der Strom nun durch B gehen und die Flüssigkeit in C zur Ruhe kommen; in die-
sem letztern Schenkel wird demnach die Spannung überall einen gleichen Werth an-
nehmen und zwar denjenigen, welchen der Strom A B D an der Stelle besitzt, wo
der todte Schenkel C in ihn mündet; er wird sich ganz wie ein Manometer verhalten.
[47]Elastische Röhren.
In dem Rohr A B D
wird nun der Strom,
da er in einem über-
all gleichweiten Bett
fliesst eine Spannung
annehmen, die annä-
hernd vom Anfang bis
zu Ende noch einer
geraden Linie etwa
wie a d abfällt; das
einzige unbestimmte,
welches nun noch bleibt,
liegt in der Steilheit,
mit welcher a d ab-
steigt. Die Erfahrung
hat nun dafür entschie-
den (Volkmann), dass, wenn im unverstopften Rohr die Spannungscurve wie a b c d,
sie im verstopften wie a d läuft, d. h. es ist nach der Verstopfung die Spannung in
allen den Röhrenstücken, die zwischen der Einflussmündung und dem verstopften
Orte liegen, erhöht, und es erstreckt sich diese Erhöhung auch noch ein Stück jen-
seits der letzten Stelle; von da ab fällt dann die Spannung unter diejenige, welche
der Strom im unverstopften Rohr besass. Die theoretische Rechtfertigung hierfür ist
dadurch gegeben, dass die Stromgeschwindigkeit in dem unverstopften Rohr wegen
der relativ geringeren Menge von Hemmungen grösser als in dem verstopften ist. Blei-
ben sich aber in beiden Fällen die an der Einflussmündung wirkenden Kräfte gleich,
so muss der Kraftantheil, der zuerst auf die Geschwindigkeit verwendet wurde, nun
als Spannung auftreten.
Bei einigem Nachdenken dürfte es nun gelingen, auch andere verwickelte Fälle
abzuleiten, wenn die Bedingungen derselben mit hinreichender Genauigkeit gege-
ben sind.
5. Ströme durch elastische, leicht dehnbare Röhren*). Bis dahin
sind nur Ströme durch Röhren in Betracht gezogen, deren Wandungen, wenn auch
elastisch, doch so wenig ausdehnbar angenommen werden konnten, dass die Verän-
derung des Durchmessers, welche sie durch die Spannung der strömenden Flüssig-
keit erfuhren, vernachlässigt werden konnte. Anders verhalten sich die Ströme,
welche im Rohr mit ausdehnharen Wandungen verlaufen. Indem wir zu diesen letz-
tern übergehen, werden wir aber nicht, wie bisher, unsere Untersuchung beschrän-
ken auf Ströme von einer während der Beobachtungsdauer gleichbleibenden Spannung
und Geschwindigkeit, sondern zugleich Ströme, in denen diese beiden Eigenschaften
veränderlich sind, in Betracht ziehen.
a. Gleichmässige Ströme in ausdehnbaren Röhren. Wenn wir vor-
aussetzen, dass das elastische Rohr vor Beginn des Stroms in Ruhe gewesen sei, mit
andern Worten, dass es den Durchmesser und die Länge angenommen habe, welche
ihm in Folge seiner elastischen Kräfte zukommt, so muss mit dem Beginn des Stro-
mes sich der Durchmesser und die Länge des Rohrs ändern, und zwar in Folge der
Spannung, welche sich jedesmal in einer Flüssigkeit entwickelt, die sich in einem
von Wandungen umgebenen Raum bewegt. Der Umfang dieser Ausdehnung wird
[48]Ungleichmässiger Strom in dehnbaren Röhren.
aber abhängen von der Grösse der Spannung, der Ausdehnung der Wandung und
dem Werth ihres Elastizitätscoeffizienten.
Die Grösse der Spannung in der Flüssigkeit ist, wie wir wissen, zu bemessen
nach den Triebkräften, welche die Flüssigkeit in Bewegung setzen, ihrer Reibung,
ihrem Anstoss gegen die Röhrenwand u. s. w. — Die Ausdehnung der Röhrenflächen
kommt aber in Betracht, weil hierdurch die Summe der Drücke, oder anders aus-
gedrückt, das Gewicht bestimmt wird, welches die Röhrenwand nach Länge und
Quere zieht; denn es ist dieses Gewicht gleich dem Produkt der Spannung in der
Flächenausdehnung, auf welche der Druck wirkt. — Dass schliesslich die Ausdehn-
barkeit in Betracht gezogen werden muss, versteht sich von selbst. Insbesondere ist
aber auch noch Rücksicht zu nehmen auf die Veränderlichkeit derselben mit der
wachsenden Spannung (siehe Bd. 1. p. 46.) und auf die Ungleichheit der Ausdehn-
barkeit nach verschiedenen Richtungen (der Länge und dem Umfang des Rohrs), wie
sie sich in ungleich angeordneten, festen Massen immer vorfindet. —
Von dem Augenblick an, in welchem der Strom in dem ausdehnbaren Rohr zu
seinem Beharrungszustand, d. h. zu der Spannung und Geschwindigkeit gelangt ist,
welche ihm während seiner Dauer gleichmässig eigen sein soll, wird er sich nun
verhalten wie in einem festen Rohr von gleichen Dimensionen und gleichem Reibungs-
coeffizienten. — Der Unterschied zwischen einem Strom und der ausdehnbaren und
nicht ausdehnbaren Röhre bezieht sich also wesentlich auf die den Strom sich an-
passende Ausdehnung des Rohrs. Dieses schliesst die Folge in sich, dass das Aus-
strömen aus dem Röhrenende nicht in dem Momente erfolgt, in dem das Einströmen
in den Röhrenanfang geschah, und ebenso, dass nicht in dem Augenblick das Aus-
strömen aus dem Röhrenende aufhört, in dem das Einströmen in den Röhrenanfang
unterbrochen wird. Man sieht den letzten für uns bemerkenswerthen Erfolg sogleich
ein, wenn man erwägt, dass der Strom aus der Röhre auch nach geschlossener Ein-
flussmündung erst dann aufhören kann, wenn sich dasselbe wieder umsoviel ver-
kürzt und verengert hat, als es durch den von der Einflussmündung her erregten
Strom erweitert und verlängert worden war.
b. Ungleichmässiger Strom in ausdehnbaren Röhren. Ein Strom
in leicht dehnbaren Röhren kann aus vielerlei Gründen und auf mannigfache Art un-
gleichförmig werden. Indem wir uns vom physiologischen Bedürfniss leiten lassen,
beschränken wir uns auf die Betrachtung der Fälle, in denen eine rhytmisch wieder-
kehrende Steigerung oder Minderung der an der Ein- oder Ausflussmündung des
Rohrs wirkenden Kräfte, die Geschwindigkeit, Spannung und den Querschnitt des
Stroms nach einer regelmässigen, wiederkehrenden Zeitfolge ändern. Unsere etwas
verwickelte Betrachtung zergliedern wir in der Art, dass wir die Erscheinungen,
welche an der Wandung beobachtet werden, gesondert schildern von denen, welche
der Flüssigkeit eigen sind. Hierbei behandeln wir jedesmal gesondert die Vorgänge,
welche in zeitlicher Reihenfolge in ein und demselben Wandumfang oder Stromquer-
schnitts auftreten und darauf diejenige, welche gleichzeitig an verschiedenen Orten
des Stromrohrs sich geltend machen.
α. Die Voraussetzungen, die wir zuerst als erfüllt annehmen, bestehen darin,
dass in die Einflussmündung eines am Ausflussende stets offenen Rohrs eine mit der
wachsenden Zeit veränderliche Flüssigkeitsmenge einströme. Insbesondere soll die
einströmende Menge mit der Zeit so veränderlich gedacht werden, dass während
der beliebigen Zeiteinheiten, in welche die ganze Stromdauer zerfällt werden kann,
die in das Rohr gelangende Flüssigkeitsmenge mit dem Beginn einer jeden Zeiteinheit
Null ist, von da bis zur Hälfte der Zeiteinheit zu einem Maximum anwächst, und
dann in der zweiten Hälfte der Zeiteinheit wieder bis zu Null abnimmt. Die Kraft,
welche während dieser Zeit jeder in das Rohr geworfenen Masseneinheit zukommt,
[49]Wellenbewegung im elastischen Rohr.
soll, wenn nicht das Gegentheil angegeben, als gleich gross angesehen werden. —
Die hier verlangten Bedingungen würden u. A. verwirklicht sein, wenn man einen
horizontalen Schlauch aus vulkanisirtem Kautschouk an eine steife Röhre gebunden
hätte, welche in einen grossen Wasserbehälter mündete. Das Verbindungsstück
zwischen dem Wasserbehälter und dem Kautschouk müsste noch mit einem Hahn ver-
sehen sein, der in regelmässiger Zeitfolge geöffnet und geschlossen würde, während
das Niveau der Flüssigkeit in dem Behälter unveränderlich bliebe.
Erfahrungsgemäss erweitern und verlängern sich die der Einflussmündung zu-
nächst gelegenen Röhrenabschnitte, während ein solches Einströmen geschieht
mit dem Ansteigen der eingeworfenen Flüssigkeitsmenge; sie verkürzen und verengern
sich dagegen wiederum bis zu ihrem ursprünglichen Umfang, wenn in der zweiten
Hälfte der Zeiteinheit das eingeworfene Wasserquantum wieder abnimmt. Auf die-
ser letztern Lage verharren sie ruhig, vorausgesetzt, dass sie nicht durch einen neuen
Stoss aus derselben getrieben werden. In Folge dieser Bewegung der Wandtheil-
chen von dem Ort, den sie bisher einnahmen, zu einem andern und ihrer Rückkehr
zu der alten Stelle, verändert sich zugleich die Spannung zwischen zwei zunächst
gelegenen Theilchen und zwar, wie selbstverständlich, entsprechend der Ausdehnung
und dem Ausdehnbarkeitsmaass der erweiterten Wandungen. — Die so eben geschil-
derte Bewegung in den Wandtheilchen, welche der Einflussmündung zunächst ge-
legen sind, pflanzt sich nun allmählig durch das ganze Rohr hindurch fort in der
Art, dass die von der Einflussmündung entfernten Theilchen immer etwas später
gerade die Wegrichtung einschlagen, in welcher kurz vorher die vor ihnen liegenden
gingen, so dass nach der Ausflnssmündung hin die Wand immer noch in Bewegung
begriffen ist, wenn sie an der Einflussmündung schon zur Ruhe kam. Bekanntlich
nennt man eine solche Bewegung eines jeden Punktes eine Wellenbewegung dessel-
ben, die Gesammtheit aller durch einen Stoss von bestimmter Dauer gleichzeitig in
Bewegung gesetzter Theilchen aber eine Welle. — Die Länge des Wegs (der Schwin-
gungsumfang), welchen jeder einzelne Wandtheil bei einer Wellenbewegung zurück-
legt, wächst mit der Nachgiebigkeit der Röhrenwand, mit der Geschwindigkeit und
dem Volum der eingestossenen Flüssigkeit (d. h. der Stärke des Stosses, den das Theil-
chen empfangen kann) und den Widerständen für die Fortbewegung der letzteren im
Rohre. — Obwohl sich nun, wie wir erfuhren, die Schwingung, welche ein einzel-
nes Theilchen ausführt, mit der Zeit verbreitet über alle übrigen, so erreicht sie
doch nicht überall denselben Umfang; insbesondere steht fest, dass die Röhrenstücke,
welche von der Flüssigkeit zuerst gestossen werden, eine grössere Ausdehnung er-
fahren, als diejenigen, welche gegen die Ausflussmündung liegen; oder anders aus-
gedrückt, es nimmt die Excursion der Welle von der Einfluss- zur Ausflussmündung
des Rohrs allmählig ab. Diese Abflachung der Welle bei ihrem Fortschreiten ist in
engen und gespannten Röhren merklicher, als in weiten (E. H. Weber). — Die
Zeit, welche vergeht zwischen dem Auftreten der Bewegung an einem gegebenen
Orte und einem andern von bekannter Entfernung (Fortpflanzungsgeschwindigkeit)
scheint nur innerhalb enger Grenzen abhängig zu sein von der Spannung der Wan-
dung. Man schliesst hierauf aus den Beobachtungen von E. H. Weber, wonach in
einem vulkanisirten Kautschoukrohr von 27,5 MM. Durchmesser der von der Wellen-
bewegung in der Sekunde durchlaufene Weg 11,470 Meter betrug, gleichgiltig, ob
das Rohr unter dem Druck einer 3,5 oder 0,008 Meter hohen Wassersäule gespannt
war. In einem Schaafdarm fand er dagegen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit so
gering, dass der Weitergang der Welle mit dem Auge beobachtet werden konnte;
ähnlich wie im letzteren Fall verhält sich auch die Sache in einer weiten, dünnwan-
digen Kautschoukröhre. — Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ist, wie besonders
hervorzuheben, an den dickwandigen Kautschoukröhren unabhängig von dem Volum
Ludwig, Physiologie. II. 4
[50]Bewegung der Wassertheilchen in den Schlauchwellen.
und der Geschwindigkeit der in das Rohr gestosseuen Flüssigkeit. — Die Länge der
Welle, oder der Abstand jener Wandtheilchen, welche genau in derselben Bewe-
gungsphase, z. B. auf dem Maximum ihrer Erhebung, begriffen sind, ist abhängig
von der Zeitdauer, während welcher der Stoss wirksam ist, und der Fortpflanzungs-
geschwindigkeit.
Die Richtung, nach welcher sich die Wassertheilchen in Folge des wellen-
erzeugenden Stosses in der Röhre bewegen, kann niemals der Längenachse dieser
letzteren parallel laufen, weil sich die Röhre erweitert und verengert, indem die
Flüssigkeit in sie und aus ihr dringt; die Abweichung der Bewegungsrichtung von
der gradlinigen wird aber nur in dem besondern Fall bedeutend sein, wenn die
Widerstände, welche die Flüssigkeit nach der Längenachse des Rohrs findet, auf-
fallend sind, während zugleich die Wand sehr nachgiebig ist. — Die Geschwindig-
keit, welche dem einzelnen Theilchen, während es in einer Welle schwingt, zu-
kommt, ist eine mit der Zeit veränderliche. In allen Fällen nimmt die Geschwin-
digkeit der Wassertheilchen an der Grenze zwischen dem elastischen und dem steifen
Zuflussrohr mit der steigenden Oeffnung des Hahns zu und mit der beginnenden
Schliessung wieder ab. Diese von Null zu einem Maximum aufsteigende und von da
wieder zu Null abfallende Geschwindigkeit verbreitet sich nun allmählig durch den
Inhalt des Rohrs und zwar den Gesetzen der Stossübertragung entsprechend, so dass
in dem Maasse, in welchem neue Massen nach der Seite der Ausflussmündung hin in
die Bewegung eintreten, andere bisher in ihr begriffene zur Ruhe kommen. Indem
sich nun die Bewegung vom Anfang zum Ende des Wellenrohrs fortpflanzt, ändern
sich aber die Unterschiede in der Geschwindigkeit, welche dem einzelnen Theilchen
zu verschiedenen Zeiten zukommen, und zwar beobachtungsgemäss in der Art, dass
mit dem Fortschreiten der Bewegung das Maximum der erreichten Geschwindigkeit
geringer wird, mit andern Worten, es nähert sich die ungleichförmige Bewegung
mehr und mehr der gleichförmigen an; diese Umwandlung der Bewegungsart ge-
schieht, soweit wir wissen, in engen Röhren vollkommener, als in weiten. — Die Grösse
des Wegs, welchen ein Theilchen nach der Längenachse des Rohrs zurücklegt, ist
abhängig von dem Verhältniss des eingeworfenen Flüssigkeitsvolums zu der Räum-
lichkeit des Röhrenquerschnitts. Da nun das über die Wellenlänge und der Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der Wandtheilchen Ausgesagte zusammenfällt mit demjeni-
gen des Röhreninhalts, indem die betreffenden Verhältnisse der letzteren die der
ersteren bedingen, so ist es klar, dass die einzelnen Flüssigkeitstheilchen in der Zeit-
einheit einen viel kürzeren Weg zurücklegen, als die Welle selbst. So wird zum
Beispiel, wenn wir annehmen, es sei in einer Sekunde soviel Flüssigkeit in das
Rohr, wie es Weber benutzte, geworfen, dass sein Inhalt um 0,1 M vorwärts ge-
schoben worden wäre, in dieser Zeit die Bewegung durch Mittheilung des Stosses
von einem zum andern Querschnitt um 11,7 M. fortgeschritten sein. — Mit der Bewe-
gung der Flüssigkeitstheilchen findet sich aber zugleich auch eine Spannung zwischen
ihnen ein, die aus bekannten Grundsätzen mit der steigenden Geschwindigkeit zu-
nimmt. Somit wandert auch durch die Flüssigkeit allmählig eine zu- und abnehmende
Spannung, wenn eine Wellenbewegung durch dasselbe läuft.
Nachdem wir uns das Wesentlichste des Thatsächlichen bemerkt haben, welches
in einem möglichst einfachen Wellenschlauch vorgeht, wenn er von einer sog. Berg-
welle durchlaufen wird, wollen wir den inneren Zusammenhang der Erscheinungen,
insofern es für die Welle des Schlauchs ein besonderer ist, klar zu machen suchen.
— Die erste Frage, welche wir uns vorlegen, besteht darin, warum und wie erwei-
tert sich durch die eingeworfene Flüssigkeit der Schlauch, und auf welchem Wege
kommt das Fortschreiten der Erweiterung zu Stande, während die zuerst bewegten
Stellen annähernd in ihre erste Lage zurückkehren, um dort in Ruhe zu verharren.
[51]Theorie der Schlauchwellen.
Nehmen wir an, es sei in
die schon angefüllte Röhre
a a, k k, (Fig. 24.) von Neuem
Flüssigkeit eingestossen, wel-
che im Beginn des Einflusses
über den ersten, in horizon-
taler Richtung nicht verschieb-
baren Querschnitt a a. hinaus
nach e e, gedrungen sei, so
muss sich aus bekannten Grün-
den eine von e nach a zunehmende Spannung entwickeln. Dem entsprechend wird sich
das Wandtheilchen a auf den Weg nach c hin begeben und nach Beendigung des
ersten Augenblicks etwa in b angelangt sein. Dringt nun im zweiten Augenblick
abermals ein Strom durch den Querschnitt b b, so muss sich zwischen b und e die
Flüssigkeit beträchtlich mehr spannen, als dieses im ersten Augenblick der Fall war.
Denn einmal besteben alle frühern Gründe für das Entstehen der Spannung und dann
aber ist auch jetzt die Wand schräg gegen die Stromrichtung gestellt. Indem also
b wiederum gegen c aufsteigt, wird es während derselben Zeit in dieser Richtung
einen grössern Weg zurücklegen, als vorher; wir wollen annehmen, es gelange auf
c c,. Die nothwendige Folge des andauernden Einströmens von a her ist aber die,
dass sich die Flüssigkeit über e e, etwa nach h h, hin verbreitet; auch in diesem Ab-
schnitt des Stroms wird sich eine Spannung einstellen, welcher im zweiten Augen-
blick des Stroms ungefähr der Werth zukommen wird, den b b, e e, im ersten besass. —
Gesetzt, wir hätten nun aber, als das Rohr in Fig. 25. die Gestalt c f h c f h
angenommen hatte, die Einflussmündung bei c c geschlossen, so ist es zunächst klar,
dass ein Strom in der Richtung des Pfeils
statt finden muss, da bei c c, eine beträcht-
liche, bei h h, aber gar keine Spannung statt
findet. Ueberlegt man sich aber genauer,
wie sich die Kräfte verhalten in den Quer-
schnitten, die man durch die Punkte c c,
f f, h h, des Rohrs legen kann, so sieht man
ein, dass die Unterschiede der Spannungen
zwischen f f, und c c, grösser, als zwischen
h h, und f f, sind. Da sich nun auch zugleich das Rohr von c nach h verengt, so ist
auch die Mündung, durch welche die Flüssigkeit von c nach f strömt, weiter als
die, durch welche sie von f nach i ausfliesst. Es sind also hinreichende Gründe
dafür vorhanden, dass mehr Wasser nach f hin-, als von f wegströmt.
Wenn sich somit die Flüssigkeit in f anhäuft, so muss auch der Punkt f nach g
hin steigen, während c gegen a hin zurückgeht. — Dieses Zurückgehen des Punktes
von c nach a und das Aufsteigen des Punktes f nach g hin muss aber so lange dauern,
bis in dem Querschnitt f f die in der Richtung von a e wirksamen Kräfte denen in
der Richtung e h thätigen das Gleichgewicht halten. Dieses ist aber offenbar noch
nicht eingetreten, wenn die elastische Spannung des Kreisumfangs, auf dem f f lie-
gen, gleich ist derjenigen, welcher c c angehören. Denn es haben dann noch die
Punkte c c eine Geschwindigkeit nach der Röhrenachse hin, während die Punkte f f
eine solche nach g g hin besitzen, so dass demnach wegen der Beharrung beide Stücke
noch eine Zeitlang in entgegengesetzter Richtung gehen. Dem entsprechend wird
sich die Röhre der Form a g i annähern. — Hat nun aber einmal das Rohr diese
Stellung (Fig. 26.) angenommen, so wird die Vertheilung der Kräfte in ihm etwa
folgende sein. Auf dem Querschnitt b b kommt der Flüssigkeit wegen des ursprünglich
4*
[52]Theorie der Schlauchwellen.
empfangenen Stosses eine Geschwindigkeit zu in der
Richtung des Pfeils, und ausserdem hat sie eine
Spannung, vermöge derer sie ebensowohl nach a a,
als nach c c getrieben wird. Die Strömung nach
a a wird gehemmt durch die in entgegengesetzter
Richtung wirkende Geschwindigkeit, die Strömung
nach c c wird dagegen durch dieselbe Geschwindig-
keit unterstützt und es wird somit ein beschleunig-
ter Strom nach c c gehen, während die Flüssigkeit
in a a zur Ruhe kommt. Die an diesem Ort beruhigte Flüssigkeit wird jedoch
einen merklichen Grad von Spannung mehr besitzen, als er ihr vor Einleitung des
Stroms eigen war, und darum wird auch das Rohr hier um etwas weiter bleiben,
wenn auch die Bewegung von da nach dem Röhrenende weiter fortgeschritten ist.
Eine zweite Erscheinung, auffallend für eine Beugungswelle des Wassers,
besteht darin, dass die Fortbildungsgeschwindigkeit unabhängig von dem Volum der
eingestossenen Flüssigkeit, von der Geschwindigkeit des einzelnen Flüssigkeitstheil-
chens, und in weiten Grenzen auch unabhängig von der Wandspannung ist. Wir
sind hiermit gezwungen, das Rohr und seinen Inhalt als ein zusammengehöriges
Stück aufzufassen, in dem die Welle nach Art der Schallwellen fortschreitet. Wie
man sich das Zustandekommen dieser Erscheinung aber zu denken habe, ist schon
früher Bd. I. p. 265. auseinandergelegt. Wenn aber das Rohr sehr nachgiebig
wird, sodass gleichsam das in ihm enthaltene Wasser mit einer freien Oberfläche
versehen ist, so müssen nun auch auf das Fortschreiten der Welle im Wasser die
Gesetze giltig sein, welche E. H. und W. Weber in ihrer Wellenlehre *) dafür
entwickelt haben.
Die Gründe, aus denen sich die Welle während ihres Fortgangs durch das überall
gleichgestaltete Rohr abflacht, können allgemein nur darin liegen, dass die Geschwin-
digkeit der Wassertheilchen, welche sich jeweilig an einer Welle betheiligen, in
einer Abnahme begriffen ist, denn nur hiervon kann eine Aenderung in der Span-
nung abhängig sein Diese Verminderung der Geschwindigkeit kann und wird, wie
es scheint, auf zweifache Weise zu Stande gebracht werden. Einmal verlangsamt
sich das schwingende Theilchen darum, weil sich die Welle beim Fortgang durch
das Rohr verlängert; eine Verlängerung der Wellen bedeutet aber natürlich nichts
anderes, als dass sich die Zahl der ihr angehörigen Theilchen vermehrt hat; da nun
aber die Welle nur über ein bestimmtes Kraftmaass disponirt, so muss nothwendig
die Geschwindigkeit des einzelnen Theilchens abnehmen, wenn die Zahl der beweg-
ten zunimmt. Neben diesem Grunde, der auf einer andern Vertheilung der lebendi-
gen Kräfte beruht, steht ein anderer, der sich von einem Verlust an Kräften her-
schreibt. Dass bei der Bewegung des Wassers in einem Wellenschlauch Verlust an
Kraft stattfinden muss, ergiebt sich daraus, weil auch hier eine Fortbewegung des
Wassers an den Wandungen, also Reibung, statt findet, weil sich die einzelnen Was-
sertheilchen im Innern des Rohrs mit ungleicher Geschwindigkeit bewegen, sie sich
also voneinander losreissen müssen und endlich, weil sich die Theilchen der Wan-
dung gegeneinander bewegen, wobei ebenfalls Kräfte durch innere Reibung verbraucht
werden. Bei der ungeheuren Complikation der Vorgänge, die hier stattfinden, wird
es der Rechnung noch für lange Zeit unmöglich sein, eine Theorie derselben zu lie-
fern. — In Ermangelung einer solchen hat Volkmann Versuche angestellt, um die
Beziehungen zu ermitteln, welche bestehen zwischen der mittleren Spannung und der
mittleren Geschwindigkeit. Zu diesen bediente er sich der in Fig. 27. dargestellten
[53]Mittlere Spannung und Geschwindigkeit der Schlauchwelle.
Einrichtung. K stetlt einen Wasserbehälter vor, in dessen einer Seitenwand nahe über
dem Boden ein mit einem Hahn verschliessbares Rohr H eingefügt ist; an dieses
Rohr ist ein Darmstück D eingebunden, in dessen Seitenwand eine senkrechte Glasröhre
deren Lumen sich in der Darmhöhle öffnet. An das Ende des Darms S ist ein messin-
genes Ausflussrohr eingefügt. Nachdem der Behälter bis zu einer beliebigen, aber genau
bekannten Höhe mit Wasser gefüllt ist, öffnet und schliesst man in regelmässiger
Wiederkehr den Hahn, sodass das Wasser in steigender und abnehmender Menge in
den Darm eindringt. Wenn der Spiegel des Wassers auf gleicher Höhe erhalten
wird und die Umdrehung des Hahus nach einer sich gleichbleibenden Regel geschieht,
so geht durch den Schlauch eine Reihe gleichgearteter Wellen, und in Folge dessen
wird die Spannung, welche in H abgelesen werden kann, und der Ausfluss aus der Mün-
dung S innerhalb bestimmten Grenze schwanken. Kennt man nun das Flüssigkeitsvolum,
welches in der Zeiteinheit aus dem Rohr strömt, so erhält man daraus auch sogleich
die mittlere Geschwindigkeit der Flüssigkeit in der Oeffnung. Indem man die Mitte
nimmt aus dem höchsten und niedersten Stand der Flüssigkeit in der spannungsanzei-
genden Glasröhre, erhält man auch zugleich die mittlere Spannung in dem Darm, an
der Stelle, in welcher die Glasröhre eingefügt war. Indem Volkmann diese bei-
den mittleren Werthe bei verschiedenen mittleren Geschwindigkeiten, oder was dasselbe
bedeutet, für ungleich hohe Wasserstände in dem Kasten verglich, kam er zu der
Regel, dass sich für jedes Darmrohr zwei Coeffizienten a und b finden lassen, welche
die Spannung in diesem angeben, wenn man den einen von ihnen mit der einfachen
Geschwindigkeit und den andern mit dem Quadrat derselben multiplizirt. Mit Zei-
chen ausgedrückt war also, wenn w die mittlere Spannung und v die mittlere Ge-
schwindigkeit bedeutet, w = a v + b v2. Es kann demnach, wie man sieht, der
Zusammenhang zwischen Spannung und Geschwindigkeit auf scheinbar denselben Aus-
druck gebracht werden, welcher ihn auch für steife Röhren und paralelle Ströme dar-
stellte (siehe p. 41). Diese Uebereinstimmung hat insofern nichts Auffallendes, als
hier wie dort die hemmenden Ursachen (Reibung und Stösse) zugleich in dem ein-
fachen und dem quadratischen Verhältniss der Geschwindigkeit steigen. Der Unter-
[54]Thalwellen.
schied zwischen beiden Vorgängen muss dagegen in dem Coeffizienten gelegen sein.
Mit Rücksicht hierauf wäre also zn versuchen, wie sich, alles übrige gleichgesetzt,
die Coeffizienten in einem Rohre verhalten, durch das man einmal einen gleichblei-
benden und das anderemal einen wellenförmigen Strom schickte, während die mitt-
lere Geschwindigkeit unverändert geblieben wäre.
β. Die zweite Bedingungsreihe, durch welche wir eine Flüssigkeitsbewegung in
einem dehnbaren Schlauche ungleichmässig zu machen gedachten, würde z. B. erfüllt
sein durch die Anwesenheit eines durch Flüssigkeit ausgedehnten elastischen Schlauchs,
der an beiden Enden verschlossen wäre, aber an einem von beiden auf beliebige
Weise, z. B. durch einen eingesetzten Hahn, vorübergehend geöffnet werden könnte.
Oder auch dadurch, dass man an der Ausflussmündung eines elastischen Rohres,
welches von einem constanten Strom durchflossen wird, wechselnd eine Erweite-
rung oder Verengerung von beträchtlichem Umfang anbringt. Der Einfachheit wegen
wenden wir uns zu dem Apparat mit ursprünglich ruhender, aber gespannter Flüs-
sigkeit. Gesetzt, es sei das bis dahin geschlossene Rohr A A, B B (Fig. 28.) bei
B B plötzlich geöffnet, und nachdem
eine kleine Flüssigkeitsmenge ausge-
flossen sei, wieder geschlossen wor-
den, so nimmt das Rohr erfahrungs-
gemäss während der kurzen Zeit des
Ausfliessens die Form A A C C an.
Nach dem Schluss der Mündung strömt nun aus dem nächst gelegenen Stück des
Rohrs, welches höher als das Ende gespannt ist, Flüssigkeit in dieses abgespannte
Ende, sodass, während sich dieses letztere wieder anfüllt, das erstere zusam-
menfällt. Es geht somit, wie es in Fig. 29. dargestellt ist, die Abspannung in der
Richtung des Pfeils A A durch die
Röhrenwand fort, während die Flüs-
sigkeit durch das Rohr in der ent-
gegengesetzten Richtung nach der des
Pfeils B weiter bewegt wird. Diese
Welle, welche im Gegensatz zu der
früher beschriebenen mit einer Ein-
biegung des Rohrs verbunden ist, nennt man die negative oder die Thalwelle. Die
Erscheinungen, welche diese Welle ausserdem noch bietet, und somit auch die Theorie
derselben, treffen ganz zusammen mit denen der Bergwelle, wie man nach einer
kurzen Ueberlegung einsehen wird.
Da auf die Wellen des Schlauches alle allgemeinen Grundsätze, nach welchen
die Wellenbewegung zu beurtheilen ist, anwendbar sind, so müssen nothwendig auch
die Reflexion, die Beugung und das Durcheinanderschreiten beobachtet werden. In
dem letztern Fall wird eine Steigerung oder Verminderung des Bergs oder des
Thals eintreten können, je nachdem durch das Rohr gleichartige oder ungleichartige
(Berg- und Thalwellen) laufen.
E. H. Webers Schema des Blutkreislaufs. —
Nach allem diesen wird es, bevor wir die Erscheinungen des Blutlaufs selbst schil-
dern, noch von Nutzen sein das lehrreiche Schema desselben, welches E. H. Weber
gegeben hat, zu erklären. Dieses (Fig. 30.) setzt sich aus zwei elastischen Röhren zu-
sammen, einer kürzeren a c und einer längeren b d e. Jede dieser beiden Röhren ist an
dem einen ihrer Enden mit einem Röhrenventil versehen, dessen Einrichtung durch
Fig. 31. dargestellt wird. Ein solches Ventil wird hergestellt, indem man zwei
steile Röhren a und b ineinander steckt; an die innerste derselben a a ist ein Darm-
[55]E. H. Webers Schema des Blutkreislaufs.
stück c augebunden, von dessen freiem Rand die Fäden ausgehen, die an der äussern
Röhre angeknüpft sind; verläuft
in den Röhren ein Wasserstrom,
so wird er je nach seiner Rich-
tung das Ventil c c schliessen oder
öffnen, und zwar wird das letz-
tere geschehen, wenn der Strom
nach der Richtung des Pfeiles f,
das erstere, wenn er in umgekehrter Richtung geht. Damit bei diesen verschiedenen
Strömen der Rand des Ventils nicht in b eingestülpt, oder genau an b b angepresst werde,
sind die Fäden an Ränder angeknüpft, welche dem Spielraum der Bewegung gewisse
Grenzen anweisen. Kehren wir nun zurück zu Fig. 30. Die beiden Darmstücke,
das kürzere und das längere, werden so ineinander gesteckt, dass die Ventile
einen fortlaufenden Strom durch den in sich zurücklaufenden Bogen a c d gestatten,
wie ihn in unserer Figur die kleinen Pfeile anzeigen. Darauf wird durch eine ver-
schliessbare Seitenöffnung, z. B. den Trichter bei a, der Darm bis zu einem be-
stimmten Grade mit Wasser gefüllt. Drückt man, nachdem dieses geschehen ist,
das freiliegende Stück v der kurzen Darmabtheilung zusammen, so wird sein Inhalt,
da er nach e hin nicht ausreichen kann, durch c in die grosse Röhre treten und in
dieser eine fortschreitende Bergwelle erzeugen, welche in der Richtung des Pfeils
nach a hin laufend succesiv die Flüssigkeit in dieser Richtung weiterführt. Lösst
man nun aber den Druck, welchen man auf v angebracht hatte, plötzlich, so
wird die Flüssigkeit in diesen Raum von der gesammten Umgebung eingedrängt;
dieses wird aber, wegen der Ventile, nur von a nach e gelingen, und dadurch wird
eine Beugungswelle erzeugt, die von a durch d nach c fortschreitet und demnach die
Flüssigkeit in der Richtung von c nach a fortführt; d. h. in derselben, in welcher
sie auch durch die Bergwelle, die von c nach a lief, getrieben wurde. So kann
also durch eine Wellenbewegung die Flüssigkeit in einer in sich geschlossenen
Röhre herumgeführt werden. Vorausgesetzt nun, dass das Lumen des Darmrohrs
überall von normaler Weite sei, so werden sich die in ihm erregten Wellen sehr
rasch durch das ganze Rohr hindurch verbreiten und sich somit auch die Ungleich-
heit in der Spannung, welche durch das Zusammenpressen von v eingetreten war,
ausgleichen. Bringt man dagegen irgendwo im Lichten eine Verengerung an, z. B.
dadurch, dass man bei d einen Badeschwamm einlegt, so wird die von c her-
kommende Flüssigkeit nur sehr allmählig über die verengerte Oeffnung hinausdrin-
gen; die Welle aber wird, wenn die Oeffnungen in dem Badeschwamm eng und
wenig zahlreich sind, sich gar nicht über d fortpflanzen. Wenn aber die Flüssig-
keitsmenge, welche in das Röhrenstück e d geworfen ist, sich nicht sogleich wieder
aus ihm entleeren kann, so muss sie sich in seinem Raum vertheilen und die Span-
nung seiner Wand erhöhen. Umgekehrt muss dagegen in dem Stück d e die Span-
nung abnehmen, weil dieses einen Theil seines Inhalts in das vorhin entleerte v
geworfen hat. Vermöge dieses Spannungsunterschiedes wird nun auch ein Strom
durch d hindurch, von c d nach d e gehen und zwar so lange, bis die Spannung
[56]E. H. Webers Schema des Blutkreislaufs.
beider gleich geworden ist, ein Strom, der somit auch noch fortdauert, wenn längst
die Welle verschwunden ist.
In dem Rohr besteht, bevor irgend eine Welle darin erregt worden ist, durch
die Anfüllung desselben eine Spannung, die in jedem Ort der Röhre und somit auch
überall in der Wandung gleich ist. Die Summe dieser Spannungen, welche auf der
Wand lastet, wird demnach zu finden sein, wenn der auf ihrer Flächeneinheit lastende
Druck (p) multiplizirt wird mit der Anzahl der Flächeneinheiten (q), die sie enthält.
Wird nun eine Welle erregt dadurch, dass die Wand an einer Stelle zusammengepresst
wird, so muss sich diese an andern erweitern; und weil eine Ausdehnung oder ein
Zusammendrücken der Wand gleichbedeutend ist mit einer Ent-, resp. einer Belastung,
so müssen nun die Spannungen, die auf verschiedenen Orten der Wandung liegen,
ungleich werden. Belegen wir nun die verschiedenen Spannungen mit p′, p″ u. s. w.
und die Wandflächen, auf denen die bezeichneten Spannungen vorkommen, mit q′, q″
u. s. w. — so wird die Summe der veränderten Spannungen gleich sein der Summe
q′ p′ + q″ p″ u. s. w. — Es ist nun die Frage, ob q′ p′ + q″ p″ p q sei,
oder mit Worten, ob die Summe der Spannungen in dem Rohre nach der eingeleite-
ten Wellenbewegung im Vergleich zur früher bestandenen sich unverändert erhalten,
vergrössert oder verkleinert habe. Diese Frage ist leicht zu entscheiden. Da die
wässerigen Flüssigkeiten sich nicht merklich zusammendrücken lassen, so wird das
Volum derselben vor und nach ihrer Lagenveränderung unverändert geblieben sein.
Setzen wir also voraus, dass R der mittlere Durchmesser des Rohrs vor der Um-
lagerung der Flüssigkeit gewesen sei, und dass L die Länge desselben sei, dass aber
R + r und l die gleichen Bedeutungen für das durch die Umlagerung erweiterte;
R — ϱ und l′ aber derjenige für das abgespannte Stück tragen, so muss (R—ϱ)2
πl′ + (R + r)2 πl = R2 π L sein. Nehmen wir nun der Einfachheit wegen an,
dass l = l′ *) und somit L = 2l sei, so ändert sich nach Weglassung von l und π,
welche allen Gliedern zukommen, die Gleichung in (R — ϱ2) + (R + r)2 = 2R2.
Setzt man in diesem Ausdruck ϱ = r, so führt derselbe zu der widersinnigen Be-
hauptung, dass o = 2r2 sei. Daraus geht also hervor, dass die Zunalime der Pe-
ripherie in der gespannteren Seite nicht so gross sein kann alsdie Abnahme in dem ab-
gespannten. Führt man nun die Betrachtung in ähnlicher Weise weiter, so kommt man
auf die Folgerung, dass wenn die Radien der beiden Stücke von Anfang an ungleich
gewesen sind, und dann aus dem engeren Rohr Flüssigkeit in das weitere geworfen
wird, in diesem letzteren eine absolut geringere Zunahme des Umfangs stattfindet, als die
Abnahme des engern Rohrs beträgt, während im umgekehrten Fall (bei grossen Unter-
schieden) natürlich das Umgekehrte Statt finden kann. Setzt man nun die Elastizitätscoef-
fizienten der Wandung des engern und weiteren Rohrs einander gleich, so würde daraus
folgen, dass beim Uebertritt der Flüssigkeit aus dem engen in das weite Rohr jedenfalls
weniger spannende Kräfte verbraucht wurden, als im umgekehrten Fall. Aus dieser
Betrachtung werden wir demnächst ableiten, dass beim Uebertritt des Bluts aus dem
weitern Venensystem in das engere arterielle ein beträchtlicher Antheil der Herz-
kraft zur Spannung des Bluts verbraucht werden muss.
In den zunächst folgenden Stücken werden im Gegensatz zu einer
natürlichen Anordnung des Stoffs, das Herz und die Gefässe vorab, los-
getrennt aus dem logischen Zusammenhang behandelt. Da dieses ohne
Eintrag für das Verständniss geschehen kann, so mögen Gründe der
Zweckmässigkeit die Inconsequenz entschuldigen.
[57]Inhalt der Herzkammern.
Das Herz und seine Bewegungen.
1.Inhalt der Herzkammern. Das Blut, welches die beiden
Herzkammern eines Erwachsenen im erschlafften Zustand fassen kann,
schätzt man nach den genauesten Messungen von Krause*) zu 150 C.C.
Volkmann**) bestimmt dagegen die Blutmenge, welche durch eine
Zusammenziehung von mittlerem Umfang aus einem Ventrikel in die Ge-
fässe entleert wird, bis zu 175 C.C. —
Den Inhalt der Kammern bestimmt man meistentheils durch Anfüllung derselben
mit Flüssigheit. Da das Herz einen elastischen Beutel darstellt, so wird sein Inhalt
veränderlich sein mit dem Druck, unter dem es gefüllt ist, der Ausdehnung, der
Dicke, dem Elastizitätscoeffizienten seiner Wandung und endlich mit dem Wider-
stand seiner Umgebung. Sollten also die Ausmessungen des Cubikinhaltes seiner
Höhle werthvoll sein, so müssten sie am todten Herzen als eine Funktion dieser Um-
stände bestimmt werden und darauf müsste man zu ermitteln versuchen, unter wel-
chem Druck u. s. w. das lebende Herz gefüllt wird, wenn man die Ergebnisse des
todten auf das lebende Herz übertragen wollte. Dieses ist bis dahin nicht gesche-
hen, somit geben die Beobachtungen nur entfernt augenäherte Werthe. — Volk-
mann**), der, wie wir erfahren werden, die mittlere Geschwindigkeit des Blutes
in der Aorta schätzen lehrte, benutzte diese Beobachtung zur Ermittelung der wich-
tigeren Frage, wieviel Blut mittelst eines jeden Herzschlags aus der linken Kammer
getrieben wird. Kennt man nun die Weite der Aorta, die Geschwindigkeit, mit wel-
cher sich das Blut in ihr bewegt, so weiss man natürlich, wie viel Blut das Herz in
einer gegebenen Zeit, z. B. in der Minute, entleert; daraus berechnet sich nun auch
gleich die Menge, welche jeder einzelne Herzschlag liefert, wenn man die Zahl der
Herzschläge in dieser Minute gezählt hat. Nachdem er eine grössere Zahl von sol-
chen Beobachtungen an Hunden, Schafen, Ziegen und Pferden ausgeführt hatte, ver-
glich er das Gewicht einer Ventrikelentleerung mit dem eigends ermittelten Gesammt-
gewicht der Beobachtungsthiere. Diese Vergleichung führte zu dem Ergebniss, dass mit
Ausnahme von zwei ganz abweichenden Fällen das aus dem linken Ventrikel entleerte
Blutgewicht den 0,003 bis 0,002ten im Mittel also den 0,0025ten Theil vom Gesammtge-
wicht des Thiers ausmachte. Erlaubt man sich nun diese Verhältnisszahl auf den mittlern
erwachsenen Menschen zu übertragen, dessen Gewicht zu 70 Kilogramm angenommen
werden kann, so gelangt man zu obiger Annahme. Diese Angabe ist aber begreiflich
auch nur eine angenäherte und keine allgemein giltige, selbst wenn man alle Data
der Volkmannschen Untersuchung für fehlerfrei erklärte. Denn einmal scheinen,
wie wir aus den Resultaten der Sektionen schliessen, das Herzvolum und das Kör-
pergewicht nicht proportional zu wachsen, und dann ist die Geschwindigkeit des Stroms
in der Aorta nicht allein von der Zahl der Herzschläge abhängig. Dieses letztere
schliesst aber nichts anderes, als die leicht vorauszusehende Behauptung ein, dass
die Herzschläge je nach der Geschwindigkeit ihrer Folge sehr verschiedene Blutmen-
gen ausgeben.
Ueber das Verhältniss des Rauminhaltes der beiden Kammern eines
und desselben Herzens lässt sich mit Wahrscheinlichkeit aussagen, dass
die rechte Kammer etwas mehr Blut zu fassen vermöge, als die linke.
Hierfür sprechen wenigstens die Ausmessungen des todten Herzens, denn
wenn die beiden Herzhälften selbst unter Wasser, also mit Vermeidung
[58]Anordnung und Wirkung der Muskelröhren des Herzens.
alles Druckes, gefüllt wurden, so ergab sich doch constant ein Ueber-
gewicht des rechten Inhaltes über den linken. — Dagegen muss der
Theil des Inhalts, welcher während des Lebens in das Gefässsystem
strömt, für beide Ventrikel derselben sein; denn es entleert sich ja mit
mancherlei Umwegen schliesslich der eine Ventrikel in den andern, und
somit würde eine Anhäufung des Bluts rechts oder links geschehen,
wenn nicht fortwährend aus beiden Höhlen gleichviel ausgestossen
würde. —
2.Anordnung und Wirkung der Muskelröhren*). Die
Vorhöfe werden bekanntlich von einer dünnen, nicht überall vollstän-
digen Lage von Muskelmasse umzogen, die an keinem Orte in die Mus-
keln der Kammern übergeht (Donders); an einzelnen Stellen läuft die
Faserung annähernd parallel, an andern senkrecht mit der Längenachse
des Herzens, nur an wenigen Orten kommen gleichzeitig Fasern von
beiden Richtungen vor. Die Fasern beider Vorhöfe gehen an der vor-
dern Fläche ineinander über. An den Venenmündungen finden sich Ring-
fasern. Nach allen diesen müssen bei der Muskelverkürzung die Vor-
höfe zusammengezogen werden; die Höhle eines jeden einzelnen Vor-
hofs kann nicht überall in zwei aufeinander senkrechten Ebenen veren-
gert werden; der Durchmesser der Venenmündungen wird verkleinert,
derjenige der arteriellen (ostia atrioventricularia) bleibt dagegen unverändert.
Die Kammern. a. Ihre Fasern gehen nur in Sehnen über, ent-
weder geradezu in dem fibrösen Kranze, welcher die an der Kammer-
basis gelegenen Oeffnungen umgiebt, oder in solche, welche in diesem
Kranze ein Ende nehmen. Zwischen diesem Anfang und Ende umspan-
nen sie jedesmal eine, öfter auch zwei Kam-
mern, sie bilden also Schleifen, die, wie
die freilich unvollkommene Herzpräparation
wahrscheinlich macht, häufig sogar in sich
zurücklaufen, indem Ursprung und Ende
einer Faser an demselben Ort zu liegen
scheinen. — b. Für sehr viele Fasern ist
es sehr wahrscheinlich, dass sie nicht bloss
mit einfacher, sondern mit doppelter Schlinge
den Herzkegel umschliessen, indem sie einen
8 förmigen Umgang machen (Siehe Fig. 32.
a b c d). Die von links nach rechts gehen-
den Richtungen dieser Fasern liegen im
Allgemeinen näher gegen die äussere Herz-
oberfläche, die umgekehrt laufenden aber
[59]Muskeln der Ventrikel.
näher gegen die Höhlenoberfläche. Zu dem scheint noch die Anordnung zu
gelten, dass die oberflächlichsten Fasern, welche rings an der Herzbasis
(gleichgiltig, ob von dem Rand des ostium venosum dextrum, oder sinistrum)
entspringen, durch den an der Spitze des linken Herzens gelegenen Wir-
bel hindurch auf die innere Oberfläche des linken Ventrikels dringen, und
an diesen emporlaufen. — c. Die zunächst den Herzoberflächen gelege-
nen Fasern laufen am meisten steil, und sie sind die einzigen, welche
die Herzspitze erreichen, die Fasern aber, welche mehr im Innern
der an der Basis dickern Herzwand liegen, verlaufen weniger steil.
d. Aus dem bisher angegebenen Verhalten folgt, dass an allen Orten
der Kammerwandung sich Fasern von der verschiedensten Richtung fin-
den, wie dieses an dem in Fig. 33. dargestellten Schema durch die Fa-
sern a b c d e f versinnlicht wird. Die Fasern von
der Richtung, welche a einhält, verlaufen zunächst
unter dem Pericardium, diejenigen, welche dem
Zuge f folgen, grenzen an das Endocardium an.
— e. Ein grosser Theil von den Fasern, welche
der Herzhöhle zunächst laufen, erreicht sein Ende
in Sehnen, welche erst durch die Klappen hin-
durch zu den sehnigen Rändern der venösen
Kammermündungen gelangen. Mehrere solcher
auf der innern Herzfläche frei hervorragende
Muskelenden (Papillarmuskeln), deren Zusammen-
hang mit den äussern Fasern Fig. 34. erläutert,
convergiren gegeneinander (a b). Sie können
somit als Stücke eines unvollkommen vorhan-
denen inneren Herzkegels angesehen werden,
der seine Spitze nach der Basis des äussern
kehrt. Die Sehnen dieser Muskeln, welche in
die Klappen dringen, fahren nach verschiede-
nen Richtungen hin auseinander und enden
niemals sämmtlich in einer, sondern jedesmal
in zwei benachbarten Klappen, wie dieses durch
Fig. 35. dargestellt ist. Jeder Hauptlappen einer
Klappe empfängt somit aus zwei Papillarmus-
keln seine Chorden, auf denen er im ausge-
spannten Zustand wie auf einem Kniegebälke
ruht. (Fig. 35.a a im Durchschnitt). — f. Der bei weitem grösste Theil
der Fasern, welche sich in der freien Wand des rechten Ventrikels vor-
finden, ist schon einmal Bestandtheil der freien Wand des linken Ven-
trikels gewesen, sodass die Muskelschleifen, welche sich um die rechte
Kammer begeben, auch die linke einschliessen. Dieses Verhalten wird
schon klar durch die Betrachtung der gegenseitigen Lagerung beider
[60]Zusammenziehung der Ventrikularmuskeln.
Herzhöhlen; auf einem zur Län-
genachse des Herzens senkrech-
ten Querschnitt erscheint nem-
lich die rechte um die linke
herum gekrümmt. Die auf der
der rechten Herzhöhle zugewen-
deten Scheidewandfläche verlau-
fenden Fasern verhalten sich
aber zum linken Herzen wie
diejenigen, welche auf der Herz-
oberfläche verlaufen.
Ein System so verwickelter Mus-
kelröhren, wie das beschriebene,
wird bei seiner Zusammenziehung
je nach der Vertheilung seiner Mas-
se, der relativen Verkürzung ein-
zelner Theile u. s. w., die man-
nigfachsten Erscheinungen bieten,
die sich bis in ihre Einzelheiten in keinem Falle werden voraussagen las-
sen, theils weil die Verflechtung der Fasern zu complizirt, theils auch noch
zu wenig bekannt ist, um sie mittelst der mechanischen Theorie zu be-
handeln. Wir sind darum auf die Beobachtung des lebenden Herzens
angewiesen, wenn wir erfahren wollen, wie es sich, während es im Kreis-
lauf thätig ist, bewegt. Die Beobachtung dieser Bewegung wird aber,
weil die Untersuchung rein im technischen Interesse unternommen wird,
nur dann werthvoll sein, wenn sie unter den mittleren Bedingungen des
normalen Lebens angestellt ist. Dahin zählen wir aber: einen unge-
störten Kreislauf des Bluts, eine ungeschwächte Muskelkraft und eine
der Norm möglichst angenäherte Lage.
Die Erscheinungen, die das bewegte Herz für sich, abgesehen von
der Veränderung seiner Gesammtlage, bietet, sind: a. die Herzkammer
übt bei ihrer Zusammenziehung auf ihren Inhalt überall, ausgenommen
von der arteriellen Mündung her, einen Druck aus. Die Möglichkeit,
dass das zusammengezogene Herz auch von seiner venösen Mündung
her gegen den Inhalt drückt, ist durch die Papillarmuskeln und deren
Anheftung an die venösen Klappen gegeben. Denn da der Papillarmus-
kel frei in die Herzhöhle ragt, so wird er bei seiner Verkürzung sich
gegen die Wand zurückziehen und somit einen Zug von innen und oben
nach aussen und unten gegen die Klappen üben. Da aber jede Klappe
zwei Papillarmuskeln besitzt, welche einander gegenüberstehen, so wird
der aus beiden Zügen resultirende Weg der Klappe gerade gegen die
Mitte der Herzhöhle fallen. Wenn z. B. in Fig. 36. A A einen freien Klap-
penrand der linken venösen Herzmündung darstellt, so werden sich die
[61]Formveränderung des zusammengezogenen Ventrikels.
beiden Papillarmuskeln mit zwei einander entspre-
chenden Sehnen nach dem Schema a b und c d an
ihn festsetzen. Ziehen sich die Papillarmuskeln zu-
sammen, in der Art, dass sie ihren Sehnen in der
Richtung von b nach a und d nach e einen Zug
ertheilen, so wird die Klappe in der Richtung des
Pfeils p gehen, wie dieses der Grundsatz vom Pa-
ralellogramm der Kräfte verlangt. Das, was hier für
die zugehörigen Sehnen zweier Papillarmuskeln bewie-
sen wurde, gilt bei dem symmetrischen Ansatz der-
selben aber auch für alle übrigen. Die Papillarmus-
keln werden aber durch ihre Sehnen den Klappen
nur dann einen Zug mittheilen können, wenn diese letzteren in einer an-
nähernd senkrechten Richtung zur Längenachse des Herzens stehen,
wenn also, um mit den Aerzten zu reden, die Klappen gestellt sind.
Denn nur in diesem Falle spannen sich die winklig abgehenden Sehnen
(zweiter und dritter Ordnung) zwischen Klappe und Papillarmuskel aus. —
b. Indem sich das Herz allseitig verkürzt und verschmälert, sucht es
dabei aber zugleich eine ganz bestimmte Form anzunehmen. Die Basis
des Herzens wird nemlich auf dem Querschnitt annähernd kreisförmig,
die Spitze sucht sich dagegen dem Mittelpunkt dieses Kreises in einem
ganz bestimmten Abstand gegenüber zu stellen, mit einem Worte, das
Herz zieht sich selbst überlassen zu einem regelmässigen Kegel zusam-
men. Hierbei wird das Herz zugleich sehr hart, so dass nur durch be-
trächtliche Drücke die Form des zusammengezogenen Herzens merklich
geändert werden kann. — Der Grund für die Erhärtung des zusammen-
gezogenen Herzens liegt in der besonderen Muskelanordnung, vermöge
derer die einzelnen Fasern sich nach einer Richtung hin unterstützen,
nach der andern aber hemmen, oder anders ausgedrückt, sich gegen-
seitig spannen. Diess ist ohne weitere Auseinandersetzung sogleich ein-
leuchtend, wenn man die Wirkungen zweier oder mehrer nebeneinan-
derliegender Fasern des Schemas (Fig. 33.) zergliedert. — Die Kegel-
gestalt des zusammengezogenen Herzens wird wahrscheinlich dadurch
veranlasst, dass vom ganzen Umfang der Herzbasis Fasern gegen die
Spitze zusammenlaufen, welche durch ihre Gegenwirkungen dieser letz-
teren eine bestimmte Stellung zu der ersteren anweisen müssen. Zu-
gleich darf im Allgemeinen vorausgesetzt werden, dass die mehr gegen
die Spitze liegenden Muskelmassen das Herz verkürzen, während die an
der Basis gelegenen seinen Umfang mindern, denn dort läuft die über-
wiegende Zahl annähernd parallel und hier annähernd senkrecht gegen
die Längenachse des Herzens. — Die Zusammenziehung beengt, soweit er-
sichtlich, die arteriellen Mündungen nicht; es ist noch nicht klar, wie
diess geschieht.
[62]Herzstoss.
Da die Bewegungen des Herzens sehr rasch erfolgen und der zusammengezogene
Zustand desselben nur sehr kurze Zeit anhält, so ist es unmöglich, die Form des
zusammengezogenen Säugethierherzens anders aufzufassen, als mittelst Einrichtun-
gen, welche alle oder einige Punkte desselben graphisch fixiren. Eine der vielen
möglichen solcher Einrichtungen ist von mir zur Feststellung der obigen That-
sachen benutzt worden. Ein ungefähres Bild des Hergangs kann man sich auch an
einem frisch herausgeschnittenen, noch schlagenden Säugethierherzen verschaffen.
Hebt man ein solches schwebend, indem man es mit der Pinzette an dem Vorhofe
oder den grossen Gefässen fasst, so sieht man, wie sich die Spitze der Basis nähert;
legt man es dagegen auf die Basis, so dass die Spitze der erschlafften Kammern
herabfällt, so entfernt sich jedesmal bei der Zusammenziehung die Spitze von der Basis,
sodass sie sich steif emporstellt. Legt man es aber auf eine ebene Unterlage, wobei in der
Erschlaffung die Wandungen an der Peripherie zusammenfallen, sodass sich der Durch-
messer der Basis nach der einen Richtung verlängert und nach der andern verschmä-
lert, während die Spitze schief gegen die Unterlage fällt, dann wölbt sich während
der Zusammenziehung die zusammengefallene Wand an der Basis, indem ihr Quer-
schnitt aus der elliptischen Form in die runde übergeht und zugleich hebt sich die
Spitze um etwas von der Unterlage ab. — Die Angaben, welche das blutleere, aus
der Brusthöhle geschnittene, oder auf besondere Weise in ihr befestigte Herz über
die Form macht, welche es in der Zusammenziehung annimmt, sind brauchbar auch
für das normal gelagerte und gefüllte Herz, weil sich bei der Zusammenziehung die
Herzfasern gegenseitig spannen und somit ihre Form selbst bestimmen. Die einzige
Voraussetzung, welche von den oben verlangten hier bestehen muss, ist also die,
dass die Erregbarkeit des Herzens auf einer normalen Stufe steht.
Bei seiner Zusammenziehung erfährt das Herz auch eine Verände-
rung seiner Lage zu den Nachbargebilden. Die einzige, welche uns
unter den gewöhnlichen Lagerungsverhältnissen sicher bekannt ist, äussert
sich durch einen mehr oder weniger stärkern Druck (Herzstoss), den das
schlagende Herz auf die Brustwand in der Regel zwischen der 5. und 6. Rippe
ausübt. Dieser Stoss wird an der Brustwand unter sonst gleichen Verhältnis-
sen stärker empfunden in der Exspirationsstellung des Brustkorbs, und bei
kräftigeren Zusammenziehungen des Herzens. Bei Säugethieren kann man
jederzeit mit Sicherheit entscheiden, welcher Theil des Herzens sich während
des Herzstosses so innig an die Brustwand andrängt, dass diese erschüttert,
oder gar emporgehoben wird; man hat hierzu nur nöthig, lange Nadeln
durch den am kräftigsten getroffenen Wandtheil in das Herz zu stossen
und dann die Thiere zu tödten (Kiwisch), oder aber man kann sich
bei einem Menschen vor dessen voraussichtlichem Tode die emporgeho-
bene Stelle anmerken und nach demselben Nadeln durch diese Stelle in
die Herzwand einbohren (Jos. Meyer)*). Aus diesen Versuchen geht
hervor, dass meist die Spitze, zuweilen aber auch die Basis der Ven-
trikel es ist, welche die Wölbung des Intercostalraums bedingt. — Diese
Beobachtungen lassen nun, je nachdem der eine oder andere Fall ein-
trat, zwei Erklärungen zu. — Zuvörderst ist zu bemerken, dass die
[63]Herzstoss.
schlaffen und weichen Wandungen den nicht zusammengezogenen Kammern
innerhalb weiter Grenzen gestatten, verändernden Einflüssen zu folgen,
und dass die letzteren insbesondere in dem menschlichen Brustraum ge-
formt werden durch den Druck des einströmenden Bluts, die eigene
Schwere und die drückenden und ziehenden Wirkungen der umgebenden
Brustwand. Nehmen unter diesen Einwirkungen die einzelnen Theile
eine andere Lage zu einander an, als sie ihnen durch die Zusammen-
ziehung des Herzens geboten wird, und stellen sich zugleich die Brust-
wandungen den Formveränderungen entgegen, welche das Herz in Folge sei-
ner Zusammenziehung anzunehmen strebt, so wird letzteres bei seiner Ver-
kürzerung, wenn es sonst nicht ausweichen kann, die Brustwand vor sich
hertreiben. Dieser Druck gegen den Zwischenrippenraum wird, alles
übrige gleichgesetzt, um so fühlbarer sein, je inniger sich das Herz an die
Brust anlegt; aus diesem Grund wird in der Inspiration (wobei die Lun-
gen die vordere Herzfläche zum grossen Theil von der Brustwand trennen),
der Stoss diese letzteren weniger heftig treffen, als in der Exspiration. —
Nach den von Kiwisch, Jos. Meyer u. A. gemachten Angaben und aus
der bekannten Form des zusammengezogenen Herzens muss man sich das
Zustandekommen des Herzstos-
ses nun auf folgende Art den-
ken. — a. Stoss durch die
Kammerbasis. Das schlaffe
Herz wird durch die Brustwan-
dung (Fig. 37.) B B so zusam-
mengedrückt, dass seine Peri-
pherie eine Ellipse H H dar-
stellt, deren kleiner Durchmes-
ser kürzer ist, als derjenige des
Kreises K, welchen der Kammer-
grund bei seiner Zusammen-
ziehung einzunehmen strebt; es muss dieser also die Brustwand auf-
wölben. Auf diese Art hat Fr. Arnold zuerst den Herzstoss erklärt. —
b. Spitzenstoss. Drückt dagegen (Fig. 38.) die Brustwandung die
Herzspitze während der Erschlaffung nach unten und hinten, so dass
sie nicht mehr senkrecht über dem Mittelpunkt der Kammerbasis steht,
so wird, indem bei der Zusammenziehung die Herzform aus H H S in
H H P überzugehen sucht, die Spitze sich gegen die Brustwand mit Ge-
walt andrängen (C. Ludwig).
Ausser dieser Erhebung der Längenachse des Herzens erwähnt man auch noch Dre-
hungen der Querachse, welche nach Eröffnung der Brusthöhlen oder abnormen Lage-
rungen des Herzens vor der Brustwand beobachtet wurden. Es ist zweifelhaft, ob
sie in der geschlossenen Brusthöhle und bei normal gelagerten Herzen sich ereignen.
Bei Thieren könnten Versuche mit Nadeln darüber Aufschluss geben. Siehe über die-
sen Punkt die Lehrbücher von J. Müller, Valentin, Donders.
[64]Reihenfolge der Herzbewegung.
3.Rhythmus der Herzbewegung*). Die Muskeln des leben-
den Herzens gerathen nach einer ganz bestimmten, örtlichen und zeit-
lichen Reihenfolge in Zusammenziehungen, welche von Zeiten der Er-
schlaffung unterbrochen werden.
a. Reihenfolge der Bewegungen. Der Schlag des Herzens von einem
vollkommen lebenskräftigen Thiere beginnt nach vorausgegangener Ruhe
aller seiner Theile mit der gleichzeitigen Zusammenziehung beider Vorhöfe;
nach der Beendigung oder kurz vor der Beendigung ihrer Bewegung tritt
dann jedesmal die Zusammenziehung beider Kammern ein. Diese ver-
lassen darauf ebenfalls nach kurzer Zeit den verkürzten Zustand, so dass
schliesslich wieder ein Zeitraum besteht, in welchem alle Theile des
Herzens, Vorhöfe und Kammern, sich in Ruhe befinden. Den Act der
Zusammenziehung belegt man gewöhnlich mit dem Namen der Systole
(Vorhof- und Kammersystole), den der Erschlaffung mit dem der Diastole
oder Pause. Diese ebengeschilderte Reihenfolge der Bewegungen ist jedoch
[65]Dauer der Verkürzung und Erschlaffung des Herzens.
eine nothwendige; denn es können sich erfahrungsgemäss, namentlich
wenn das Herz im Absterben begriffen ist, entweder mehrere Bewegungen
der Vorhöfe hintereinander folgen, ohne von einer Bewegung der Kammern
unterbrochen zu werden, so dass in gleichen Zeiten die Vorhöfe zwei-,
drei- und mehrmal so viel schlagen, als die Kammern; oder es kann
gar auch vorkommen, wie namentlich nach Einträufeln von Opiumtinktur
in die Höhlen, dass nach der Ruhe des ganzen Herzens zuerst die Herz-
kammern und dann erst die Vorhöfe in Zusammenziehung kommen, so
dass sich die Reihenfolge der Bewegungen umkehrt (Hoffa, C. Ludwig).
Die Gründe sind nicht anzugeben, aus welchen die Nothwendigkeit der
einen oder andern Reihenfolge der geschilderten Bewegungen hervorginge.
b. Dauer der Bewegungen. Da das Herz in der Minute eine be-
trächtliche Zahl von Schlägen ausführt, so wird die Dauer eines jeden
einzelnen Bewegungsaktes sehr kurz ausfallen, und offenbar im Allge-
meinen um so kürzer, je häufiger die Herzbewegung in der Zeit-
einheit wiederkehrt. Wegen der so sehr verschiedenen Zahl der
Herzschläge in der Zeiteinheit, ist es unmöglich, eine allgemein gil-
tige Angabe über die absolute Dauer der Zusammenziehung und der
Erschlaffung zu machen. Es bleibt darum nichts anders übrig, als die
relative Zeit der einzelnen Bewegungen zu messen. Volkmann, der in
dieser Richtung genaue Beobachtungen am Menschen angestellt hat, giebt
an, dass die Zeit, während welcher die Ventrikel im zusammengezogenen
Zustand verharren, genau so gross ist, als diejenige, welche die Zu-
sammenziehung der Vorhöfe und die Erschlaffung des ganzen Her-
zens umfasst. Diesem Beobachtungsresultat dürfte jedoch, wenn die
hier in Betracht kommenden Erscheinungen bei Menschen und den
Säugethieren annähernd sich gleich verhalten, keine allgemeine Giltigkeit
zugeschrieben werden dürfen, da sich bei letztern mit einem Wechsel in
der Beschleunigung des Herzschlags dieses Verhältniss ändert, indem bei
langsamem Herzschlag die Zeit der Herzpause beträchtlich überwiegt über die
der Ventrikularkontraktion, während umgekehrt, bei sehr beschleunigter
Herzbewegung auch die Zeit der Kammerzusammenziehung die der Herz-
pause übertreffen kann (C. Ludwig). Mit andern Worten, es schwankt,
wenn sich die Zahl der Herzschläge beträchtlich ändert, der Zeitraum der
Diastole viel bedeutender, als derjenige der Kammernsystole. — Die Dauer
der Vorhofssystole ist immer nur ein kleiner Bruchtheil von derjenigen
der Kammerzusammenziehung.
Volkmann benutzte zu seinen Messungen die Töne, welche das Herz bei sei-
nen Bewegungen hervorbringt; ein anwendbares Verfahren, da der erste beim Herz-
schlag hörbare Ton gerade so lange anhält, als die Kammersystole. Die Dauer des
ersten Tons maass er aber dadurch, dass er einen Pendel mit verschiebbarer Linse
so lange einstellte, bis seine Schwingungszeit gerade so lang war, als die des (mit
dem Stethoskop) gehörten Tons. — Eine andere Methode (Fühlhebel und rotirender
Ludwig, Physiologie II. 5
[66]Erregungsursachen der Herznerven.
Cylinder), welche am blossgelegten Herzen des Thieres angewendet wurde, siehe bei
Ludwig*). ‒
c. Bedingungen, welche die Erregung der Herznerven
erzeugen. — Das Herz enthält in sich alle die Gründe, von welchen
die beschriebenen Bewegungen abhängig sind, wie sich widerspruchslos
daraus ergiebt, dass das ausgeschnittene Herz, dessen Höhlen blutleer
sind, seine Schläge noch fortzusetzen im Stande ist, selbst wenn es unter
Umstände gebracht wird, in denen Muskeln und Nerven nicht erregt
werden. Innerhalb des Herzens muss also ein automatisch erregendes
Organ gelegen sein. Die Wirksamkeit desselben knüpft sich an die Ge-
genwart von sauerstoffhaltigem Blut in den Herzgefässen, an die Erhal-
tung einer bestimmten Temperatur und wahrscheinlich an die Anwesen-
heit der in die Herzsubstanz zerstreuten Ganglien.
Ein ausgeschnittenes Herz oder das in der Brusthöhle befindliche Herz eines
Säugethiers, dessen Hirn und Rückenmark abgestorben ist, schlägt, sich selbst über-
lassen nur noch kurze Zeit fort; die Zeitdauer seiner Bewegungen kann aber be-
trächtlich vergrössert werden, wenn man entweder in die Lungen des getödteten
Thieres Luft einblässt, oder aber wenn man durch die Kranzgefässe des ausgeschnit-
tenen Herzens einen arteriellen Blutstrom leitet (C. Ludwig)**). Ein ausgeschnit-
tenes Froschherz erhält dagegen seine Bewegungen stundenlang auch mit Zuthun des
Bluts oder der Ernährungsflüssigkeit, welche in seinem Gewebe enthalten ist. Bringt
man ein solches Herz in eine reine Sauerstoffatmosphäre, so schlägt es um viele
Stunden länger und kräftiger, als in der atmosphärischen Luft (Castell), führt man
es dagegen in den luftleeren Raum (Fontana, Tiedemann***), Pickford)†)
Wasserstoffgas (Schulz††), Castell)†††), Stickgas, Kohlensäure, Schwefelwas-
serstoff und luftleeres Wasser (Castell), so hört das Herz früher zu schlagen auf.
Während seines Aufenthaltes in den beruhigenden Mitteln haben die gewöhnli-
chen Erreger der Nerven ihre Wirkungskräfte verloren; bringt man aber dann
das Herz, dessen automatische Erregung und dessen Erregbarkeit ganz verloren,
wieder an die atmosphärische Luft, so beginnt die selbstständige Bewegung von
Neuem. Beiläufig ist hier noch zu bemerken, dass die erwähnten Umstände und
Gase nicht in gleichen Zeiten die Bewegung unterbrechen. Am längsten dauert
der Herzschlag in Stick- und Wasserstoffgas, sehr kurz aber nur in Kohlensäure und
Schwefelwasserstoff; diese Erscheinung deutet noch auf spezifische Einflüsse der
einzelnen Gasarten hin.
Die Gegenwart der Ganglien hält man für bedeutungsvoll, weil, wenn man ein
Froschherz durch einen Cirkularschnitt, welcher etwas unter der Basis des Ven-
trikels geführt wird, in zwei Stücke theilt, das obere (Vorhof und eine ringför-
mige Parzelle der Ventrikularbasis) noch lebhaft fortschlägt, während das un-
tere, meist ohne noch einmal in Bewegung zu kommen, abstirbt. Das obere ent-
hält aber vorzugsweise die Ganglien. Dieser Versuch ist jedoch nicht vollkommen
beweisend, denn einmal ist sein Erfolg nicht constant, da auch das untere Stück zu-
weilen lebhaft schlägt; dann aber enthält das untere Stück immer auch noch Gang-
[67]Beschleunigung des Herzbewegung. Vaguserregung.
lien, und endlich hat man ausser den Ganglien auch noch andere Theile verstümmelt.
Eine etwas elegantere Form des Versuchs siehe bei Heidenhain*).
d. Die Beschleunigung der Herzbewegung. — Die Schlag-
folge ist unter vielfachen Umständen veränderlich:
α. Die Zahl der Schläge des Herzens verändert sich mit irgend welchen
nicht näher bestimmbaren Zuständen seiner Nerven und Muskeln; wie man
sich ausdrückt, mit seiner Erregbarkeit. Diese Annahme rechtfertigt sich da-
durch, dass der Herzschlag langsamer wird, oder dass Mittel, die ihn zu be-
schleunigen im Stande sind, an ihrer Wirksamkeit einbüssen, wenn das Herz
den Einflüssen entzogen wird, durch welche sich Muskeln und Nerven in ihren
Lebenseigenschaften erhalten, wie namentlich, wenn es abkühlt und nicht
mehr von dem arteriellen Blut durchströmt ist. Wie hier das Herz den
auf dasselbe angewendeten Erregern zum Trotz langsam schlägt, so schlägt
es nun zuweilen rascher ohne Zuthun solcher. Im erstern Fall schliessen
wir auf erniedrigte, in dem letztern auf erhöhte Erregbarkeit. —
β. Die Zahl der Herzschläge mindert sich, wenn der n. vagus, be-
vor er in das Herz tritt, erregt wird (Ed. Weber).
Hier sind die Thatsachen zusammenzustellen, welche sich auf eine
Veränderung des Herzschlags durch Erregung des Vagus beziehen. —
1.) Die Bewegungen des Herzens werden um so anhaltender unterbro-
chen, je intensiver die Erregungen des n. vagus sind. Diese Behauptung
begründet sich dadurch, weil ein Erregungsmittel von sehr geringer Stärke,
das, auf den ungeschwächten n. vagus angewendet, noch eine Verlängerung
der Pause erzeugt, sich in dem ermüdeten nicht mehr als wirksam erweist;
weil innerhalb enger Grenzen je nach der Stärke des Erregers eine kürzere
oder länger dauernde Pause erzeugt wird, weil dasselbe Erregungsmittel
von immer gleicher Intensität, wie z. B. die elektrischen Schläge, zuerst
so lange das zwischen den Drahtenden liegende Nervenstück noch unver-
sehrt ist, die Pause des Herzens beträchtlich verlängert, während mit an-
dauernder Erregung, d. h. mit steigender Veränderung des durchströmten
Nervenstückes die Herzpause mehr und mehr an Dauer abnimmt u. s. w.
Demnach kann man bei einer passenden Anordnung der Erregungsmittel
die Herzpause bis zur Dauer vieler Sekunden verlängern, z. B. wenn
man an einem langhalsigen Hunde den nerv. vagus dermaassen in den
Kreis eines Induktionstroms bringt, dass man das vom Strom durchflossene
Stück ganz allmählig und stetig verlängert, so dass fortwährend neue von
der durchströmenden Elektrizität noch nicht umgewandelte Nervenelemente
in den Kreis aufgenommen werden. — 2.) Die gleichzeitige Erregung der
beiden n. vagi scheint, alles andere (Stärke des Erregers der Erregbar-
keit und der Länge des erregten Nervenstückes) gleichgesetzt, die Zu-
sammenziehung des Herzens anhaltender zu unterbrechen, als die eines
5*
[68]Vaguserregung.
einzigen. Zur Bestätigung dieses Satzes bedarf es jedoch noch genauerer
Versuche. 3. Hat man die n. vagis eines Säugethiers 6 bis 15 Minuten
mittelst des elektrischen Induktionsstromes erregt, so hört mit der Ent-
fernung der stromführenden Drahtenden nicht momentan die in Folge
der Erregung vorhandene Verlangsamung des Herzschlages auf, sondern
es verbleibt noch eine mehrere Minuten andauernde Nachwirkung, so dass
erst nach Verfluss derselben die Herzschläge wieder mit derselben Geschwin-
digkeit einander folgen, die sie vor aller Erregung besassen (Hoffa). —
4. Erregt man mittelst des Induktionsstroms den Vagus nach seinem
Eintritt in das Herz, so verlängert sich nicht die Pause aller Herztheile.
In unveränderter Geschwindigkeit schlagen nemlich die Theile, welche
ihre Nerven aus dem Stücke des n. vagus erhalten, das oberhalb des
erregten Ortes liegt, während die Pausen aller der Herzabtheilungen sich
verlängern, deren Nerven erst unterhalb des erregten Ortes aus dem
Stamme treten (Hoffa). — 5. Wenn man während einer durch die Er-
regung des n. vagus verlängerten Pause die Herzoberfläche drückt, elek-
trisch schlägt u. s. w., so erfolgt jedesmal eine Systole. Daraus folgt
auch, dass, wenn man durch die Oberfläche des Herzens elektrische
Schläge dringen lässt, die hierdurch hervorgerufenen Bewegungen durch
Vaguserregung nicht beruhigt werden können. — 6. Im gewöhnlichen
Verlauf des Lebens ist bei Hunden, Pferden u. s. w. innerhalb des Hirns
der n. vagus einer gelinden Erregung ausgesetzt. Wir schliessen hierauf,
weil bei den erwähnten Thieren nach Durchschneidung des n. vagus,
oder nach Durchleitung eines constanten elektrischen, also lähmenden
Stroms (Heidenhain) der Herzschlag plötzlich ausserordentlich viel
rascher wird, als vor derselben. — 7. Bindet man einen Faden um das
Froschherz an der Grenze zwischen Vorhof und Hohlvenensack, so schlägt
der Hohlvenensack weiter, während Kammern und Vorhöfe minutenlang
in der Pause verharren (Stannius, Volkmann, Heidenhain);
bringt man in dieser Zeit ein Erregungsmittel auf die äussere Wand des
Herzens, so erfolgt eine Reihe von Herzschlägen, welche durch Erre-
gung des Vagusstamms ausserhalb des Herzens nicht wieder beruhigt
werden kann. Legt man aber, nachdem man das Herz durch die er-
wähnte Unterbindung beruhigt hatte, einen zweiten Faden an die Grenze
zwischen Vorhof und Herzkammer, so geräth letzterer in Zusammenzie-
hungen, die längere Zeit hindurch anhalten können (Stannius). Die-
ser auf den ersten Blick sehr überraschende Versuch dürfte sich erläu-
tern, wenn man die an und für sich nicht unwahrscheinliche Voraus-
setzung macht, dass der umgelegte Faden als dauerndes Erregungsmittel
(zuerst des n. vagus und dann des automatische Bewegungsapparates des
Herzens) wirkt.
γ. Die Zahl der Herzschläge mehrt sich, wenn diejenigen Einflüsse,
welche früher als nervenerregende bezeichnet wurden, wenn auch be-
[69]Unmittelbare Erregung des Herzens.
schränkt auf das Herz wirken, also nach elektrischen, mechanischen, einer
bestimmten Zahl chemischer Angriffe, Temperaturerhöhungen u. s. w.
Der Beweis, dass die angegebenen Mittel das Herz zur Bewegung anregen, ist
entweder nur so zu geben, dass sie zu einer Zeit ihre Wirksamkeit für das Herz ent-
falten, in der das Herz ohne ihre Gegenwart still stehen würde (z. B. in der lan-
gen Pause während die Vaguserregung, oder kurz vor dem vollkommenen Absterben
des Herzens), oder dass sie die Zahl der Herzschläge für längere Zeit beträchtlich
zu vermehren im Stande sind. — Mit Rücksicht auf die Wirkung der genannten Er-
reger ist noch zu bemerken: 1. Der Werth ihrer erregenden Wirkung wechselt mit
dem Ort, auf den sie angewendet werden; so erzeugt, namentlich nach Bidder,
ein Nadelstich sicherer eine Herzbewegung, wenn er auf die äussere Fläche der
Ventrikel, als auf die der Vorhöfe angewendet wird; im Allgemeinen erweckt ein
Erregungsmittel, auf die inneren Flächen des Herzens gebracht, leichter Bewegung, als
von den äussern her. — 2. Eine einmalige, sehr vorübergehende Erregung des Her-
zens (auch wenn es ausgeschnitten und blutleer ist) ist nicht allein im Stande eine
einmalige Zusammenziehung desselben zu erregen, sondern auch längere Zeit hindurch
die Pause zu verkürzen, mit anderr Worten, die Zahl der Herzschläge in der Zeit-
einheit zu vermehren. Diese Erscheinung tritt in sehr auffallender Weise öfter an
dem Ventrikel des Froschherzens auf, der in der Querfurche von den Vorhöfen ge-
trenut ist. Ohne Zuthun eines Erregers liegt derselbe meist vollkommen ruhig; be-
streicht man ihn aber mit der Spitze einer Nadel, so geräth er in viele rasch auf-
einanderfolgende Zusammenziehungen. Wie hier ein rasch vorübergehender Erreger
eine Nachwirkung hinterliess, so kommt diese unter andern Umständen erst zum Vor-
schein, wenn der Erreger das Herz längere Zeit hindurch angegriffen. So muss ein
möglichst lebenskräftiges Herz anhaltend, mehrere Sekunden hindurch von den Schlä-
gen eines starken Induktionsstromes getroffen werden, wenn auch das Herz nach der
Entfernung desselben die ausserordentliche Zahl von Schlägen (bis zu 600 in der
Minute) zeigen soll, die der Strom bei seiner Anwesenheit erweckt. — 3. Eine an-
dauernde elektrische Erregung, die in allen andern Muskeln tetanische Krämpfe er-
zeugt, bringt das Herz im Ganzen nur zu schnelleren Bewegungen, aber nicht in eine
tetanische Zusammenziehung. Dagegen wird die Muskelsubstanz in einem beschränk-
ten Umfang an den Berührungsstellen des Herzens mit den Poldrähten zu einer teta-
nischen Zusammenziehung veranlasst, welche sich noch viele Minuten nach Entfer-
nung des Erregungsmittels erhält. — 4. Die Auflösung vieler chemischer Stoffe, na-
mentlich des Opiums, Strychnins, des Alkohols u. s. w., welche in die Herzhöhle ge-
bracht wurden, beschleunigt für kürzere Zeit den Herzschlag, verlangsamt ihn aber
dann, indem sie endlich das vollkommene Absterben des Herzens bedingt. — Ein
Froschherz, welches in eine reine Sauerstoffatmosphäre gebracht wird, schlägt ra-
scher (Castell). Ein Gemenge von CO2 und atmosphärischer Luft soll den Herz-
schlag kräftigen (Brown-Sequard).
δ. Eine auffallende Beschleunigung des Herzschlags soll erzeugt
werden durch Erregung der in das Herz tretenden Zweige des n. sym-
pathicus, oder seiner noch problematischen Ursprünge in dem Hirn
und Rückenmark. Diese Behauptung stützt sich auf Thatsachen sehr
zweifelhaften Werthes. Mit Sicherheit lässt sich behaupten, dass eine
Erregung des Grenzstrangs am Halse und in der obern Brustgegend beim
Kaninchen den Herzschlag nicht beschleunigt (Weinmann). Beim Men-
chen glaubt Henle*) dagegen Beschlennigung gefunden zu haben. Die ent-
[70]Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen.
gegengesetzte Ansicht, welche R. Wagner*) vertritt, die nemlich, dass
die Erregung des Sympathicus eine Verlangsamung erzeugen kann, ist
weder durch Weinmann, noch durch Heidenhain auf dem Wege
des Versuchs bestätigt worden.
Die älteren Versuche, welche in der Absicht angestellt wurden, um
den Beweis zu liefern, dass mit der Bewegung des Hirns, Rückenmarkes,
oder des sympathischen Grenzstranges die Herzbewegung beschleunigt,
oder mit Zerstörung der erwähnten Theile verlangsamt, resp. vernichtet
werde, leiden an so vielfachen Fehlern, dass es vollkommen unmöglich
ist, ihnen noch irgend welchen Einfluss auf die Bildung eines Urtheils
zu gestatten. Zunächst übersah man meist, dass das blosgelegte Herz
eines absterbenden, mangelhaft oder gar nicht mehr athmenden Thieres
aus Gründen, die zunächst in der veränderten Zusammensetzung des
einströmenden Bluts liegen, in sehr unregelmässiger Weise schlägt. Volk-
mann**) hat hierauf zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt. — Da nun auch
ausserdem den Vivisectoren bis auf Ed. Weber und Budge die besondere
Art des Einflusses, welche der n. vagus auf das Herz übt, entgangen war,
so befanden sie sich ausser Stande, zu entscheiden: ob die Veränderung,
welche nach Erregung oder Zerstörung einzelner Theile des Hirns,
Rückenmarkes oder des peripherischen Nervensystems eintritt, die Folge
einer direkten Beziehung zwischen jenen Theilen und dem Herzen waren,
oder ob sie es nur mit einer Veränderung zu thun hatten, welche an den
Ursprungsstellen des n. vagus auf irgend welchem Umweg erzeugt war.
Eine ausführlichere Besprechung der älteren Versuche von Hum-
boldt, Legallois, Brachet u. s. w. siehe bei Joh. Müller und
Longet***).
Ueber die Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen.
— Da die Orte des Hirns, aus welchen der n. vagus seinen Ursprung
nimmt, durch Seelenzustände, Reflexe oder Veränderungen in der Blut-
zusammensetzung in vielfach abgestufte Erregung kommen können, da
die wechselnde Zusammensetzung des Bluts, die Bewegung des Brust-
kastens, der verschiedene Widerstand des vom und zum Herzen strömen-
den Blutes u. s. w. mannigfache Grade der Erregung und Erregbarkeit
des Herzens selbst bedingen können, so lässt sich voraussehen, dass die
Zahl der Schläge, welche das Herz des lebenden Menschen in gegebener
Zeit vollführt, keine sich gleichbleibende sein wird. Eine sorgsamere
Beobachtung der Herzschläge des lebenden Menschen hat nun in der
That nicht allein die Schwankungen in den Zahlen der Pulsschläge er-
wiesen, sondern auch diese zu gewissen Lebensverhältnissen in Bezie-
[71]Tägliche Schwankung des Pulsschlages.
hungen zu bringen gewusst, so namentlich, dass die Beschleunigung des
Pulses veränderlich sei mit dem Genuss der Nahrungsmittel, der Muskel-
bewegungen, dem Alter, Geschlecht, der Körpergrösse, dem Blutgehalt
u. s. f. — Nach dem Mechanismus, durch den diese Umstände den
Herzschlag umändern, hat man bis dahin nicht weiter gesucht, und es
ist darum nicht zu entscheiden, durch welche der eben bezeichneten
Weisen sie wirksam sind und ob dieselben die einzigen sind, welche
den Herzschlag eines lebenden Menschen umändern können.
Da der Pulsschlag für den Arzt von grosser Bedeutung ist, so wird
die Angabe der Regeln, nach welchen die Pulsveränderung zu beurthei-
len ist, gerechtfertigt erscheinen. —
1. Die Zahl der Pulsschläge ändert sich mit dem Genuss der Nahrungsmittel.
Fröhlich und Lichtenfels*) geben an, dass nach dem Genuss eines Frühstücks
aus Kaffee der Puls rasch ansteige, dann allmählig bis zum Mittagsessen sinke, von
hier wieder, jedoch nicht so hoch wie früher, ansteige, bis zum Abendbrot falle, nach
diesem abermals steige u. s. f. Dieser Gang wird durch die Curve (Fig. 39.) genauer dar-
gestellt. In dieser Curve sind auf der Achse X die Zeiten nach Stunden aufgetragen,
in der Art, dass zugleich die Zeiten des Essen angegeben sind; auf die erste 0 fällt
das Frühstück, auf die zweite das Mittagsessen, auf die dritte der Abendkaffee und
auf die letzte das Nachtessen; unter diesen die Essenstunde bezeichnenden Zahlen
sind die fortlaufenden Tagesstunden aufgetragen von 7,5 Uhr Morgens bis 11,5 Uhr
Abends. Auf der Achse Y ist die Anzahl der Schläge aufgezeichnet, um welche sich
in der Minute der Puls zu der bezeichneten Zeit vermehrt oder vermindert hatte.
Um die ganze Zahl der Pulsschläge zu finden, muss man also jedesmal diejenigen zu
denen in der Curve verzeichneten zufügen, welche sich nach 10stündigem Enthalten
von aller Nahrung vorfand. In dem vorgerechneten Beispiel betrug dieselbe aber
69,3 Schläge. Aehnliche Beobachtungen giebt Vierordt**).
Mit einer Verlegung der Mahlzeiten muss diese Curve natürlich sehr verschiedene
Gestalten annehmen; unter diesen verdient die hervorgehoben zu werden, welche
beim Hungern sich vorfindet (Fig. 40.). Auf X sind die Zeiten in Stunden nach dem
[72]Einfluss der Nahrungsmittel, Muskelzustände u. s. w.
letzten Genuss von Nahrung und in Y die Zahl der Schläge aufgetragen, welche zu
den bezeichneten Zeiten abgezogen werden müssen von der Pulszahl 69,3, von der-
jenigen nemlich, welche frühmorgens, 10 Stun-
den nach dem letzten Essen, der beobachtete
Mensch in der Minute darbot. Da diese und die
vorhergehende Curve von demselben Individuum
genommen sind, so sind beide geradezu ver-
gleichbar. — Ein jedes Nahrungsmittel wirkt
aber nicht auf gleiche Weise. Bei Fleischnah-
rung soll der Puls rascher sein, als bei vege-
tabilischer (Guy). — Nach dem Genuss von
Alkohol (Bier, Wein, Schnaps) steigt in den er-
sten Minuten die Zahl der Pulsschläge weit unter
diejenige vor dem Genuss dieser Mittel, in den
darauf folgenden aber erhebt sie sich hoch über
die ursprüngliche Zahl, sinkt und steigt wieder,
und kehrt so allmählich mit Schwankungen zu
der alten Zahl zurück. — Kohlensäure (nach
Genuss von Brausepulver) bringt den Puls ge-
gen 20 Minuten lang zum Sinken, ebenso kaltes
Wasser, während warmes Getränk, namentlich Kaffee, umgekehrt ihn zunächst stei-
gen macht u. s. w. — Weitere Beobachtungen über Arzneistoffe siehe bei Lich-
tenfels und Fröhlich, Blacke*), Stannius**), Lenz***), Brunner†) und
Traube††). Indem wir die ausführliche Erwähnung dieser Beobachtungen den
Lehrbüchern der Heilkunde überlassen müssen, können wir uns nicht versagen, her-
vorzuheben, dass durch die genauen Versuche von Traube dem Digitalin eine eigen-
thümliche Stellung angewiesen ist. Dieses Gift erzeugt, wenn es in kleinen Dosen
in den Kreislauf eingebracht wird, eine Verlangsamung, wenn es aber in grossen
Dosen gegeben, so bedingt es eine Beschleunigung des Herzschlags; Traube erläu-
tert diese Erscheinung daraus, dass das Digitalin vermöge seiner besondern Ver-
wandtschaften auf die Hirnabtheilung wirkt, von welcher die Herzzweige des n. va-
gus erregt werden. In kleinen Mengen soll nun, nach Analogie vieler chemischer
Erregungsmittel, das Gift erregend, in grossen Gaben vernichtend wirken, so dass
das Herz im erstern Fall unter dem Einfluss des erregten, im letztern unter dem
Einfluss des Vagus schlüge, der seiner normalen Erregung entzogen wäre. — Diese
Erklärung wird bestätigt durch die Erfahrung, dass die den Puls verlangsamende
Wirkung des Digitalins meistentheils augenblicklich aufgehoben wird nach einer
Durchschneidung der n. vagi. Neben dieser Wirkung durch den n. vagus hindurch be-
sitzt das Gift noch eine zweite, direkt gegen das Herz gehende, wie uns dieses die
Versuche von Stannius und Traube bestätigen.
2. Die Zahl der Pulsschläge ändert sich mit den Zuständen aller übrigen
Muskelmassen des zugehörigen Individuums, resp. mit ihrer Ruhe, Zusammen-
ziehung, Ermüdung. — Fröhlich und Lichtenfels geben an, dass, wenn
die Muskelmasse des Armes durch das Anhängen eines Gewichtes von 10 Pfund
ausgedehnt worden, der Puls um ein weniges steigt; um mehr, wenn man den Arm
bis zur Ermüdung gestreckt hält; und noch beträchtlicher, wenn man ein schweres
Gewicht möglichst rasch hin- und herschwingt. Diese Steigerungen erhalten sich nur
[73]Kraft der Herzzusammenziehung.
kurze Zeit, minutenlang, während sie stundenlang andauern nach starken Ermüdun-
gen der Muskulatur des Gehapparates. Daraus ergiebt sich, dass der Puls im Stehen
ein anderer ist, als im Sitzen und hier ein anderer, als im Liegen. Bei vielen Men-
schen ist schon durch Kieferbewegung der Pulsschlag zu beschleunigen. — Nach
Guy*) soll mit passiven Bewegungen des Körpers die Zahl der Pulsschläge wach-
sen und durch Niederhängen des Kopfes abnehmen. Im Schlaf nimmt zum Theil aus
hier entwickelten Gründen die Zahl der Pulsschläge ab.
3. Nach Volkmann**) und Guy nimmt in den ersten Jahren die mittlere Puls-
zahl rasch ab, dann aber allmählig bis zur Zeit der Pubertät zu, von da an erhält sie
sich constant, bis in das höhere Greisenalter, wo sie sich wieder um etwas hebt.
Die Beobachtungen, welche diesen Behauptungen zu Grunde liegen, sind sämmtlich
im Sitzen vor dem Mittagsmahl genommen; wie lange nach dem Genuss von Nah-
rung oder nach Bewegungen, ist nicht angegeben.
4. Mit der Körperlänge nimmt der Puls ab, so dass namentlich das grössere
unter zwei gleich alten Individuen einen langsameren Puls hat, als das kleinere.
Versuche, Pulszahl und Körperlänge durch eine empirische Formel in Zusammenhang
zu bringen, siehe bei Volkmann***), Rameaux und Serrus†) etc.
5. Der Puls der Frauen ist im Allgemeinen schneller, als der der Männer bei
Gleichheit des Alters, der Lebensart und Körpergrösse. Im Kindesalter tritt die
Differenz weniger zu Tage, als im spätern.
6. Nach einem voluminösem Aderlasse steigt die Geschwindigkeit des Herz-
schlags (Volkmann)††).
4. Die Kraft, mit welcher sich der Herzmuskel zusammen-
zieht, kann zwar, wie aus früher entwickelten Gründen†††) hervorgeht,
nicht gemessen werden; aber es ist immerhin möglich, grobe Unter-
schiede zwischen der von ihm zu verschiedenen Zeiten entwickelten Kraft
aufzufassen. Denn einmal ändert sich mit den Umständen ebensowohl
der Umfang der Verkürzung, indem z. B. ein stark mit Blut erfülltes
Herz sich mehr oder weniger vollständig entleert, und anderweit ändert
sich auch bei gleichem Umfang der Zusammenziehung die Härte des
zusammengezogenen Herzens, oder anders ausgedrückt, die Spannung,
in welche die Herzmuskeln gerathen. Da diese verschiedene Leistungs-
fähigkeit abhängig sein kann von dem Erregungswerth, welchen der auto-
matische Apparat aussendet, von der gleichzeitigen Anwesenheit ander-
weiter Erreger und endlich von dem Erregbarkeitsgrad der Nerven und
Muskeln des Herzens, so würde man sich eine unlösbare Aufgabe stellen,
wenn man den Antheil der verschiedenen Bedingungen an der jeweiligen Er-
scheinung angeben wollte. Statt dessen müssen wir uns beschränken auf die
Angabe einiger Umstände, in denen die Kraft der Bewegungen veränderlich
wird. Hierher zählen wir: a. Der Umfang der Zusammenziehung wird
geringer, wenn das Herz abgekühlt, wenn der Blutstrom in ihm ge-
[74]Gleichzeitige Zusammenziehung der einzelnen Muskelröhren.
schwächt oder nur venöses Blut durch dasselbe getrieben wird. — b. Die
Kraft der einzelnen Zusammenziehung nimmt beträchtlich ab, wenn das Herz
durch einen Induktionstrom zu sehr raschen Bewegungen veranlasst wird.
— c. Die Kraft der einzelnen Bewegung ist sehr bedeutend, wenn die
n. vagi durchschnitten wurden. — d. Die einzelnen, durch lange Dia-
stolen getrennten Herzschläge, welche bei Säugethieren während der
Vaguserregung zu Stande kommen, sind sehr energisch, während sie
unter gleichen Umständen bei Fröschen sehr wenig umfangreich sind. —
e. Wenn sich der Entleerung des Bluts unter sonst für die Herzernäh-
rung günstigen Umständen Widerstände entgegensetzen, so nimmt die
Härte des zusammengezogenen Herzens beträchtlich zu.
Von dem Nutzeffect des Herzens für den Blutlauf wird bei einer
spätern Gelegenheit die Rede sein.
5.Ueber die Gleichzeitigkeit der Bewegung in den
Elementartheilen der einzelnen Abtheilungen des Her-
zens. — Da das Herz aus einer grossen Zahl getrennter nur in Berüh-
rung befindlicher nervöser und muskulöser Elementartheile besteht, so
kann die gleichzeitige Bewegung der beiden Vorhöfe und der beiden
Kammern sich nur erläutern aus einer gegenseitigen Mittheilung der in-
neren Zustände der Elementartheile, aus welchen sich die erwähnten
Abtheilungen zusammensetzen. Die Bedingungen, welche zum Zustande-
kommen dieser gegenseitigen Mittheilung gehören, bestehen: a. In der
unmittelbaren Berührung der einzelnen Theile. Schneidet man nemlich
ein schlagendes Froschherz in mehrere Theile, so pulsirt jeder dersel-
ben zwar fort, aber die einzelnen Stücke bewegen sich nicht mehr gleich-
zeitig (Volkmann*)). — b. Die einzelnen Abtheilungen müssen sich
in annähernd gleichem Erregungszustande finden; denn es verlieren auch
an dem unversehrten Herzen die einzelnen Muskelbündel der Kammern
die Gleichzeitigkeit ihrer Bewegung, wenn man schädliche Einflüsse in
beschränkter Ausdehnung auf sie wirken liess. Namentlich geschieht
dieses, wenn man anhaltend elektrische Schläge durch die Kammern sen-
det; hierdurch zieht sich bald dieser und bald jener Theil der letztern
zusammen, ohne Betheiligung der übrigen. — c. Die Orte, an denen
diese Uebertragung stattfindet, lassen sich nicht angeben; es ist nur zu
behaupten, dass sie sehr verbreitet im Herzen vorhanden sein müssen,
da jedes Stück eines zerschnittenen Herzens in Folge einer beschränk-
ten Berührung, z. B. eines Nadelstichs, noch in eine totale Zusammen-
ziehung gerathen kann.
6.Herztöne**). — Das mit Blut erfüllte, noch in normaler Verbin-
[75]Herztöne. Blutgefässe.
dung mit seinen Arterien befindliche Herz, erzeugt bei seiner Zusammen-
ziehung zwei Töne, welche ebensowohl bei unversehrter Brustwandung
gehört werden, wenn man das Ohr in der Nähe des Herzens auf die
Brustwand legt, als auch, wenn man nach eröffneter Brusthöhle das Ohr
mit dem freigelegten Herzen in Berührung bringt. —
Der erste dieser Töne, von dumpfem Klang, hält gerade so lange
an, als die Zusammenziehung der Kammern währt, der zweite aber ist
höher und kürzer und erscheint als ein heller Nachschlag zum ersten,
also gerade nach Schluss der Kammersystole. Die beiden Töne ändern
sich, wenn die venösen und arteriellen Klappen der Ventrikel irgend
welche Umwandlung ihrer Form oder ihrer Elastizität erfahren haben,
und namentlich soll der erste mit der Veränderung der venösen, der
zweite mit derjenigen der arteriösen (Semilunar-) Klappe in seinem Klang
und seiner Höhe wechseln. Daraus schliesst man, dass der erste Ton
entstehe durch Wellenbewegungen, welche das strömende Blnt in den
Klappen und Chorden einleitet, welche die venösen Mündungen decken,
der zweite aber durch das plötzliche Zusammenschlagen der arteriellen
Klappen, die, wie wir später erfahren werden, in der That am Ende der
Systole entfaltet werden. Diese Annahmen werden auf exclusivem Wege
bestätigt durch die Erfahrung, dass sich innerhalb eines Stroms tropfbarer
Flüssigkeit, der in steifen Wänden durch unebene Oeffnungen dahin geht,
nur sehr schwer Töne erzeugen; im Herzen liegt somit gar keine andere
Möglichkeit des Tönens vor. Zudem finden sich, wie es scheint, die
Sehnen und Klappen in einer zum Tönen hinreichenden Spannung.
Blutgefässe.
Vom hydraulischen Gesichtspunkte aus sind die Wandungen und die
Binnenräume der Gefässe bedeutungsvoll.
1.Wandungen. — Sie sind, wenn ihr Bau die grösste Compli-
kation zeigt, ein Gefüge aus elastischem, zelligen und muskulösem Ge-
webe, das auf der dem Lumen zugekehrten Fläche mit Epithelien ver-
sehen ist (Henle). — α Das elastische Gewebe ist insofern der
Grundtheil der Gefässwandungen, als es keiner Abtheilung desselben fehlt
und einzelne, wie z. B. die meisten Capillaren, nur aus demselben ge-
bildet sind. — Dieses Gewebe zeichnet sich durch seine Dichtheit, Dehn-
barkeit und seine Fähigkeit aus, sowohl in Faser- als in Plattenform er-
scheinen zu können. Unter Dichtheit (oder Porosität) verstehen wir den
Widerstand, den es den Durchtritt von Flüssigkeit entgegenstellt, welche
auf dem Wege der Filtration, also in Folge eines beliebigen Druckes,
durch das Gewebe getrieben werden sollen. Rücksichtlich dieser wichtigen
Eigenschaft ist es noch niemals einer genauen Untersuchung unterwor-
fen worden, die mit besondern Schwierigkeiten verknüpft ist, weil wir
bis jetzt noch keinen Fundort ermittelt haben, an dem man grössere
[76]Gefässhaut; elastisches und muskulöses Gewebe.
Stücke homogener, nicht von groben Löchern durchbrochener Platten
gewinnen konnte. Wir wissen nur, dass selbst sehr dünne Platten der
sog. innersten Arterienhaut einen nicht unbeträchtlichen Druck einer über-
stehenden Wassersäule vertragen, bevor Wasser mit einer merklichen Ge-
schwindigkeit durch sie dringt, und dass bei gleichen Drücken die Durch-
gangsfähigkeit der Membran mit der chemischen Zusammensetzung der
Flüssigkeit wechselt und dass namentlich Salz- und Eiweisslösungen
schwieriger filtriren, als reines Wasser. — Die elastischen Eigenschaften des
homogenen Gewebes haben ebenfalls aus Mangel desselben noch nicht unter-
sucht werden können. Aus Versuchen, die mit möglichst reinen Faser-
netzen angestellt worden sind, darf man schliessen, dass das durchfeuch-
tete elastische Gewebe Theil nimmt an den bemerkenswerthen Eigen-
thümlichkeiten vieler durchtränkter thierischer Substanzen, bei niedrigen
Spannungen ausdehnbarer zu sein, als bei höhern, so dass auch die
Curve der ihm angehörigen Elastizitätscoeffizienten bei wechselnder Span-
nung die Form annimmt, welche Fig. 4. p. 47. des I. Bdes. verzeichnet
ist. — Mit der Abnahme des Wassergehalts, oder der Gegenwart von
Salzlösung in seinen Poren ist der absolute Werth der Coeffizienten in
einer Zunahme begriffen. — Bei der Beurtheilung der elastischen Eigen-
schaften eines besondern Stückes unseres Gewebes kommt es natürlich
auch darauf an, ob dasselbe aus einer homogenen Platte, oder aus Fa-
sern besteht; in dem letzten, dem häufigst vorkommenden Falle, wird
namentlich zu berücksichtigen sein, nach welchen Richtungen die Fasern
verlaufen, und wie die Unterbrechungen angeordnet sind. — Da endlich
das elastische Gewebe ebensowohl als eine vollkommen gleichartige Platte
wie auch als ein Netz von Fasern der verschiedenartigsten Feinheit er-
scheinen kann, so ist dasselbe geeignet, einerseits vollkommen geschlos-
sene Röhren von beliebigem Durchmesser und andrerseits auch ein die
Wandungen derselben verstärkendes Netzwerk darzustellen.
β. Die Muskelschicht*) der Gefässe besteht überall aus der
muskulösen Faserzelle; da die Eigenschaften derselben schon abge-
handelt sind (I. Bd. p. 349.), so werden wir uns hier zu beschränken
haben auf die Folgen, welche aus der besondern Anordnung derselben an
den Gefässen hervorgehen. Zunächst ist hervorzuheben, dass die Mus-
keln nicht an allen Gefässen vorkommen; namentlich fehlen sie vielen
Venen und durchgreifend den allerfeinsten Röhren. Wo sie erscheinen,
kommen sie entweder nur als Ringlagen, wie in den Arterien (Henle),
oder nur als Längsschicht, wie in den Venen, oder zugleich in beiden
Lagerungen vor, wie in den meisten mitteldicken Venen (Kölliker). —
Die Stellung dieser Muskeln zu den Gefässnerven ist meistentheils un-
klar; nur die Muskeln in den Gefässen der Gesichtshaut und der Augen
[77]Gefässnerven. Anordnung der Wandelemente.
werden nachweislich von Rückenmarksnerven zur Verkürzung veranlasst,
die durch den Grenzstrang des Halses geführt werden; man kann, wie
Bernard, Budge und Weller lehren, die Gefässe erweitern, wenn
man den Halstheil des Sympathicus durchschneidet, und umgekehrt auch
wieder verengern, wenn man den peripheren Stumpf der durchschnitte-
nen Nerven, oder bei unverletzten Nerven die Grenze des Hals- und
Dorsalmarkes erregt.
Das Bindegewebe und die Epithelien der Gefässe geben zu keiner
weitern Betrachtung Veranlassung.
Auf die schwierige Frage, wie diese Baumittel in der Gefässwand
zusammengefügt sind, hat zuerst Henle*) Antwort gegeben.
Alle Gefässe, weite wie enge, Arterien und Venen, enthalten eine
Lage gleichartiger elastischer Substanz, welche an das Lumen der Röhre
entweder unmittelbar angrenzt, z. B. in den Arterien ersten Ranges oder
nur durch das Epithelium von ihm geschieden ist; sie stellt gleichsam
das Grundrohr dar, an welches sich die andern Stoffe anlehnen. Zu
diesen kommen in den Arterien noch weitere Lagen von elastischen
Netzen und Muskeln. Die elastischen Netze enthalten um so breitere
Fasern und demnach um so geringere Mengen von Oeffnungen, je weiter
nach dem Innern sie liegen; diese dichten Lagen sind im Ganzen als
innere Gefässhaut beschrieben und ihre einzelnen Blätter hat man als
Fensterhäute u. s. w. bezeichnet. Je grösser der Durchmesser der Gefässe,
um so stärker ist auch im Allgemeinen diese Haut. Weiter gegen den
Umfang hin finden sich weitmaschige Fasernetze, welche zuerst von Mus-
keln und dann weiter nach aussen von Bindegewebe durchzogen sind.
Bekanntlich nennt man die eine dieser Schichten die mittlere Arterien-
haut, oder auch t. musculo-elastica; die andere aber die Zellhaut oder
auch t. elastico-conjunctiva. Die Mächtigkeit dieser beiden letztern Ge-
webeabtheilungen zusammengenommen, wächst im Allgemeinen mit dem
Durchmesser der Arterienhöhle, eine Regel, die nur dann eine Ausnahme
erleidet, wenn das Gefäss, statt wie gewöhnlich in einer Umgebung von
lockerem Bindegewebe, durch steife, widerstandleistende Substanzen, z. B.
durch Knochen dahin läuft. Im Einzelnen soll dagegen die Dicke der
beiden Schichten im umgekehrten Verhältniss stehen, so dass, wenn die
mittlere Haut abnimmt, die äussere im Zunehmen begriffen ist (Kölliker).
— Schliesslich sind die Schwankungen in den relativen Mengen der Mus-
keln und elastischen Substanz zu erwähnen. Im Allgemeinen überwiegt
in den Arterien geringsten Durchmessers in der mittlern Haut die Mus-
kelsubstanz in einem solchen Grade, dass man, ohne merklichen Fehler,
sie geradezu als eine Muskelhaut bezeichnen kann, während in den stär-
keren Gefässen die elastische Schicht ebenfalls beträchtlich vertreten ist.
[78]Eigenschaften der gesammten Gefässhaut.
In den letztern Gefässen, den sog. Arterienstämmen und Zweigen erster
Ordnung finden sich jedoch mannigfache Verschiedenheiten; nach Don-
ders und Jansen überwiegt in den aa. aorta, anonyma, carotidae,
subclaviae, axillares und iliacae die elastische, in den aa. vertebrales,
radiales, ulnares, coeliaca, mesaraicae, renales, crurales, popliteae die
muskulöse Substanz.
Die feinsten Gefässe, oder Capillaren enthalten ausser der Grund-
haut nur noch eine Epithelienschicht.
In den Venen*) sind die elastischen und muskulösen Bestand-
theile in viel geringerer Menge enthalten, als in den Arterien von ent-
sprechendem Durchmesser; aber auch hier gilt die Regel, dass die Wan-
dungsdicke im Zunehmen begriffen ist, wenn der Durchmesser des Lu-
mens wächst. Zudem sind die Wandungen der Venen in der unteren
Körperhälfte im Allgemeinen denen in der obern überlegen. Die weiten Venen
enthalten auch verhältnissmässig weniger Muskeln, als die engern; nach
Wahlgren haben in allen grössern Venen die nach der Länge des Ge-
fässes laufenden Muskeln das Uebergewicht, in der Art, dass nur die
vena portarum, pulmonalis und die grösseren Extremitätenvenen merkliche
Lagen von Quermuskeln tragen. Alle Venen unter 1 MM. Durchmesser
sind dagegen von Längsmuskeln vollkommen entblösst.
Muskelfrei sind nach Kölliker die Venen und Sinus in der Retina und
der Schädelhöhle, der corpora cavernosa penis und der Milz. Der Bau der
Klappen, welche allen Venen zukommen, mit Ausnahme der in den Lun-
gen, dem Darm und dem Hirn vorhandenen, kann als bekannt voraus-
gesetzt werden.
Da die Ableitung der Eigenschaften des Gemenges aus denen der
einzelnen Bestandtheile nicht geschehen kann, so hat man zuweilen ver-
sucht, die der Gefässhaut insgesammt zu bestimmen und namentlich — den
Reibungscoeffizienten, der zwischen der innern Membran und
einer vorübergleitenden Flüssigkeit besteht. Man vermuthet, dass er bei
der Glätte und der vollkommenen Dehnbarkeit derselben nicht beträcht-
lich sei. — Die Cohäsion der Venen fand Werthheim viel be-
trächtlicher, als die der Arterien, doch hat er beim Menschen nur die
vena saphena und arteria femoralis verglichen; da er die Untersuchung
begann, als die Muskeln schon in Fäulniss begriffen waren, so möchten
seine Angaben gerade nicht sehr werthvoll sein. Seinen Beobachtungen
widerspricht auch Volkmann**). — Das Gesetz des Elastizitäts-
coeffizienten fand Werthheim mit dem durchweichter Thierstoffe
übereinstimmend. Die Ausdehnbarkeit der Arterienhaut und insbesondere
der Aorta fand Harless***) nach Länge und Breite gleich gross, wäh-
[79]Eigenschaften der gesammten Gefässhaut.
rend andere Beobachter und namentlich Volkmann die Arterienhaut
nach der Länge ausdehnbarer antrafen, als nach der Quere. Die abso-
luten Werthe der Dehnbarkeit müssen begreiflich mit der Zusammen-
ziehung der Muskeln in der Gefässhaut sehr wechselnd sein; darum
sind alle vorliegenden Angaben derselben werthlos. — Sichere Angaben
über die beiden letzten Verhältnisse würden übrigens noch nicht hin-
reichen, um einen Schluss auf die Widerstandsfähigkeit der Röhren
innerhalb des Körpers zu ermöglichen, da offenbar diese auch noch
durch die mehr oder weniger grosse Nachgiebigkeit der Umgebung des
Gefässes bedingt ist.
Aus allen diesen Thatsachen kann aber mindestens das abgeleitet
werden, dass die Arterien von grösserem Querschnitt, bevor sie zer-
reissen, einen stärkern Druck zu ertragen im Stande sind, als alle übri-
gen Gefässe, und zugleich werden sie den filtrirenden Flüssigkeiten den
bedeutendsten Widerstand entgegensetzen.
Eine von dem Druck des Inhaltes und der Umgebung unabhängige
Veränderung ihres Durchmessers werden nur die Gefässe erleiden kön-
nen, welche mit Muskeln versehen sind *). Dem anatomischen Befunde
entsprechend, verengern sich nun in der That unter dem Einfluss der
elektrischen Schläge eines Induktionsapparates die Capillaren gar nicht
(vorausgesetzt, dass sie nicht im muskelhaltigen Gewebe sich verbreiten),
wenig die Venen und grossen Arterienstämme, am meisten aber die en-
geren und engsten Arterienstämme, welche sich bis zum vollkommenen
Verschwinden ihres Lumens contrahiren können (E. H. und Ed. Weber).
Diese Zusammenziehungen der Gefässe treten, den Eigenschaften der Mus-
keln entsprechend, in Folge der erregenden Einwirkungen nur sehr all-
mählig ein und erhalten sich auch noch lange Zeit nach Entfernung des
Erregers. — Die Muskeln sind übrigens nicht allein von Bedeutung durch
ihre Fähigkeit, sich zu verkürzen, sondern auch durch ihre elastischen
Kräfte; dieses ergiebt sich daraus, weil die vorzugsweise muskelhaltigen
Gefässe durch denselben Blutdruck in ganz verschiedener Weise ausge-
dehnt werden, je nachdem ihre Muskeln in Folge einer heftigen und an-
haltenden Zusammenziehung ermüdet waren, oder je nachdem sie im
vollkommen erregbaren Zustand sich befanden. Entsprechend der Beob-
achtung, dass der Elastizitätscoeffizient der ermüdeten Muskeln niedriger
ist, als der erregbaren, dehnt sich in den erstern der bezeichneten Fälle
das Gefäss durch denselben Druck viel weiter aus, als in letzteren
(E. H. und Ed. Weber). — Indem aber die Muskeln zeitweise in den
Zustand der Zusammenziehung treten, werden sie zugleich die blei-
bende Verlängerung oder Reckung aufheben, welche in allen elastischen
[80]Gefässräumlichkeit; ihr Verhältniss in Arterien und Venen.
Stoffen vorkommt, die einem constanten Druck ausgesetzt sind; denn
während einer Zusammenziehung der Muskeln werden die elastischen
Gewebe gleichsam entlastet, und es wird ihnen somit Zeit gegeben, sich
wieder auf ihre wahre Länge zu verkürzen. Alle Gefässe, deren Mus-
keln, respektive Nerven, den natürlichen Erregern entzogen sind, wer-
den darum sich allmählig erweitern.
Gefässräumlichkeit; Umfang derselben. Die Frage nach
dem Gesammtraum, den die Gefässwandungen einschliessen, und in wel-
cher Weise mit dem steigenden Druck und zunehmender Muskelzusam-
menziehung das von ihm umfasste Volum veränderlich sei, ist noch nie-
mals Gegenstand einer Untersuchung gewesen; auf diese Frage und
namentlich auf den ersten Theil derselben, würde man auch bei den
zahllosen individuellen Abweichungen keine allgemein giltige Antwort er-
halten. — Wichtiger dürfte es sein, diese Fragen dahin zu richten: wie
verhält sich der Inhalt der einzelnen Gefässarten, der Arterien zu den
Capillaren, zu den Venen; oder wie stellt sich zueinander die Räumlich-
keit der einzelnen Abtheilungen des Gefässsystems, z. B. der Lungen- zu
den Körpergefässen, zu den Darm-, den Nieren-, Leber-, Hirn- u. s. w.
Gefässen; in welchem Verhältniss variirt die Räumlichkeit der einzelnen
Gefässarten und Abtheilungen mit dem veränderlichen Drucke der ein-
strömenden Flüssigkeit.
Die hier berührten Fragen sind wiederholt aufgeworfen, zum Theil ist sogar
ihre Lösung versucht, aber mit nicht hinreichenden Hilfsmitteln. Namentlich hat
man öfter die Gefässe mit erstarrenden Massen ausgesprützt und aus der Menge und
dem spezifischen Gewicht des hierzu verbrauchten Materials das erfüllte Volum be-
rechnet. Diese Versuche, die man meist zu andern Zwecken angestellt hat, würden
für den vorliegenden brauchbar sein, wenn man darauf bedacht gewesen wäre, ent-
weder das ganze, oder nur eine bestimmte Abtheilung des Gefässsystems vollkom-
men zu füllen und wenn man den Druck, unter dem die Füllung geschehen wäre,
gemessen hätte *). —
Dem Augenschein nach ist im Körperkreislauf ganz unzweifelhaft
das Gesammtlumen der venösen Gefässe ausserordentlich dem der Arte-
rien überlegen, da die Länge der beiden Abtheilungen zukommenden Ge-
fässe mindestens gleich, die Stämme und Aeste im Venenbereich aber zahl-
reicher vorhanden und zugleich von grösserem Durchmesser sind; da die
Venen, mit den Arterien verglichen, dünnwändiger sind, und da ein sehr
beträchtlicher Theil derselben in der Haut, d. h. in ein sehr nachgiebiges
Gewebe eingebettet ist, so werden hydrostatische Drücke von gleichem
Werth die Venen weiter ausdehnen, als die Arterien. — Im Lungenkreis-
lauf sind dem Augenschein nach die Unterschiede zwischen dem Venen-
und Arterieninhalt nicht so beträchtlich; nach den Messungen von Abegg
[81]Lumenveränderung mit der Gefässvertheilung.
soll hier sogar die venöse Abtheilung weniger räumlich, als die arte-
rielle sein.
Wie sich die Räumlichkeiten der Capillaren verhalten mögen, liegt
ganz im Unklaren. Jedenfalls muss die Veränderlichkeit derselben in der
innigsten Beziehung stehen zu der Nachgiebigkeit des Gewebes, in dem
sie verlaufen, da sie sich an das Lager eng anschliessen, in das sie ein-
gebettet sind.
Veränderung des Lumens mit der Vertheilung der Ge-
fässe. Eine dem Hydrauliker nützliche Beschreibung der Gefäss-
lumen fehlt noch gänzlich; es lassen sich nur wenige wichtigere Bemer-
kungen aus den bis dahin gelieferten Beschreibungen ziehen. α. Die
mittlere Länge eines Gefässes ist im Allgemeinen um so geringer, je
kleiner sein mittlerer Durchmesser ist. — Aus diesem Gesetz folgt, dass
die Capillaren nach beiden Seiten hin in kurze Stämmchen zusammen-
laufen, welche möglichst rasch zu immer weitern und längern sich verei-
nigen; die relative Länge der einzelnen Stücke ist noch nicht gemessen wor-
den. — β. Bei der Verästelung der Arterien gilt die Regel, dass jeder
Zweig, der aus einem Stamme hervortritt, einen geringeren Durchmesser
besitzt, als dieser. Zählt man dagegen die Querschnitte sämmtlicher
Aeste zusammen, welche von einem Stamme abgehen, so ist die hieraus
hervorgehende Summe grösser, als der Querschnitt des Stammes vor der
Verästelung. Von dieser ziemlich allgemein giltigen Regel kommen je-
doch Ausnahmen vor, wie die nachstehende kleine Tafel zeigt, die sich
auf die Messungen von Paget, Donders und Jansen*) gründet. Die
Zahlen drücken das Verhältniss der Querschnitte aus. —
- Bogen der Aorta zu den Aesten = 1 : 1,055
- Carotis communis „ „ „ = 1 : 1,013
- Subclavia „ „ „ = 1 : 1,055
- Iliaca commun. „ „ „ = 1 : 0,982
- Inominata „ „ „ = 1 : 1,147
- Carotis extern. „ „ „ = 1 : 1,190
- Aorta abdominalis
über den Iliacae „ „ „ = 1 : 0,893 - Iliaca extern. „ „ „ = 1 : 1,150
Das Lumen verengert sich also von der Aorta aus gegen die Iliaca.
Donders und Jansen geben an, dass diese Ausnahme in der Crura-
lis wieder zum Verschwinden kommt, indem hier der Querschnitt mit
der Verästelung wieder steigt. — Der Gesammtquerschnitt der Capilla-
ren übertrifft höchst wahrscheinlich den des Arteriensystems von Beginn um
ein sehr Beträchtliches. In den verschiedenen Körpertheilen stellt sich aber
offenbar das Verhältniss der Querschnitte zwischen den zuführenden Ar-
Ludwig, Physiologie. II. 6
[82]Methode, die Lumina zu messen.
terien und den der aus ihnen hervorgehenden Capillaren sehr verschie-
den. Innerhalb des Capillarensystems selbst, d. h. so lange jedes ein-
zelne Gefäss seinen mittleren Durchmesser nicht verändert, finden sich,
wie später im Einzelnen dargethan werden soll, offenbar ebenfalls Schwan-
kungen im Gesammtquerschnitt. — Bei der Sammlung der vielen Einzel-
querschnitte in die wenigen der grössern Venen sollen sich die Ver-
hältnisse gestalten wie in den Arterien, d. h. es sollen in der Richtung
nach den grössern Venenstämmen hin die Gesammtquerschnitte in einer
Abnahme begriffen sein.
Zur Ermittlung des mit den Verästelungen veränderlichen Querschnitts sind zwei
Methoden versucht worden. Die erstere besteht einfach darin, den Durchmesser des
geschlossenen oder die Peripherie des aufgeschnittenen Gefässes mit einem Maass-
stab zu ermitteln. Dieser Weg führt aber nur dann zu einem für die physiologische
Betrachtung brauchbaren Resultate, wenn man zufügt, welcher besondere Zustand
der elastischen und muskulösen Bestandtheile der Gefässhaut vorhanden war, als man
die Messung unternahm, oder noch besser, wenn man bestimmt, innerhalb welcher
Grenzen der Durchmesser schwankt, während der gemessene Umfang verschiedenen
in Gewichten ausdrückbaren Spannungen ausgesetzt und seine Muskeln von einem
Minimum bis zu einem Maximum erregt sind; mit einem Worte, wenn man auf die von
der elastischen Spannung und Muskelzusammenziehung herrührende Veränderlichkeit
des Durchmessers Rücksicht nimmt. Auf diesen Umstand hat man freilich bei fast
allen Gefässmessungen hingewiesen, ihn aber dennoch nicht berücksichtigt, indem man
meistens nur todte Gefässe, die entweder vollkommen entleert, oder die mit er-
starrenden Flüssigkeiten unter unbestimmtem Druck angefüllt worden waren, ge-
messen hat. Diese Beobachtungen sind also immerhin noch mangelhaft. — Die
zweite Methode zieht den Satz zu Hilfe *), dass sich innerhalb eines Röhrensystems
von veränderlicher Weite an den verschiedenen Abschnitten desselben die Geschwin-
digkeiten eines sie durchkreisenden Stromes umgekehrt verhalten müssen, wie die
Querschnitte. Würde also die mittlere Geschwindigkeit in der Aorta oder einem be-
liebigen Arterienstamm bekannt sein, und ferner der Durchmesser, der ihr während
der beobachteten Stromgeschwindigkeit zukommt, und zugleich die Geschwindigkeit
eines Stroms, welcher zu derselben Zeit in allen Aesten der Aorta oder des beliebi-
gen Stammes vorkäme, so könnte man daraus die Gesammtquerschnitte dieser Aeste
berechnen. Alle diese Vorkenntnisse, so weit sie vorhanden, sind aber mit so grossen
Fehlern behaftet, dass faktisch die Methode nicht anwendbar ist.
γ. Die kleinen Abtheilungen des thierischen Körpers (Organe und
Gliedstücke) erhalten aus verschiedenen Stämmen oder Aesten der Arte-
rien gleichzeitig Gefässe; diese Gefässe verbinden sich nun entweder
(wie im Hirn, der Hand, den Mesenterien), bevor sie zur Capillar-
vertheilung schreiten, so dass aus den grossen Anastomosenbogen erst
die Arterien der letztern Ordnungen ausgehen, oder es verästeln sich die
einzelnen Arterien isolirt bis zu den letzten Zweigen, die dann erst unmittel-
bar vor oder innerhalb des Capillarensystems sich verbinden. In der
ausgedehntesten Weise stehen dagegen die Capillaren und die Venen in
Verbindung miteinander. — δ. Da nur von einem Ort aus der Blutstrom
[83]Spannung des ruhenden Blutes.
ausgeht und wieder zu ihm zurückkehrt, da die Aeste auf ihrem Wege
noch anastomosiren, so müssen in dem Gefässsystem unzählige Bogen
und Winkel liegen, deren Werthe veränderlich werden mit den Körper-
stellungen und den Spannungen innerhalb des Gefässsystems. Man muss
sich darüber verständigen, dass diese Bogen und Winkel und deren Va-
riationen mit den bezeichneten Verhältnissen mit wenigen Ausnahmen
nicht messbar sind, dass aber die Bestimmung dieser wenigen zu keinen
für die physiologische Hydraulik wichtigen Aufschlüssen führen kann. —
Von dem Verhalten des Blutes in den Gefässen.
1.Spannung des ruhenden Blutes in den Gefässen. —
Wenn alle Bewegungsursachen des für gewöhnlich bestehenden Blut-
stroms ausser Wirksamkeit gesetzt sind, so muss nach Verfluss einer
gewissen Zeit unzweifelhaft im Gefässsystem ein Zustand der Ruhe ein-
treten, der sich dadurch markirt, dass die Spannung des Blutes, inso-
fern sie nicht von der Schwere abhängig ist, überall die gleiche ist.
Es fragt sich nun, ob nach dem Eintritt dieser Ruhe sich das Blut an
jedem beliebigen Ort in der Spannung befinde, welche ihm vermöge der
Schwere, resp. der auf ihm lastenden Blutsäule, zukommt, oder ob diese
Spannung eine höhere oder niedrigere sei. — Diese wichtige Frage,
welche E. H. Weber angeregt hat, kann einer bestimmten Erledigung
am lebenden Thier entgegen gehen, wenn man im Stande ist, die Span-
nung des Bluts zu messen, während man die Bewegung des Brustkastens,
des Herzens und der Gliedmaassen zum Stillstand gebracht hat. Annä-
hernd gelingt dieses, wenn man die unteren Enden der durchschnittenen
nervi vagi mittelst der elektrischen Schläge erregt, während die Thiere
durch Opium oder Chloroform in den Schlaf versetzt worden sind. —
Die Ausführung dieses Versuchs lässt nun unzweifelhaft erkennen,
dass das Blut auch in der Ruhe noch einer Spannung unterworfen ist,
welche aber nach den Ergebnissen der Beobachtung und der Ueber-
legung keineswegs für ein und dasselbe Thier von gleichem Werthe ist
(Brunner) *). — Der Grund dieser Spannung ist nemlich nur darin
zu suchen, dass der Cubikinhalt des inneren Gefässraumes, vorausge-
setzt, dass seine Wandungen ohne alle Spannung sind, kleiner ist als
das in Wirklichkeit in ihnen enthaltene Blutvolum, so dass dieses letz-
tere nur nach einer vorausgegangenen Ausdehnung der Gefässwand im
Gefässraum Platz finden kann. Unter dieser Voraussetzung ist die Grösse
der Spannung in den Gefässen abhängig a) von dem Verhältniss des Ge-
fässraums und des Blutvolumens, und insbesondere muss bei ein und
demselben Thier die Spannung mit seiner Blutmenge abnehmen. Die
Beobachtung ergab in der That, dass die Spannung des Bluts in der
6*
[84]Veränderlichkeit der ruhenden Spannung.
Carotis eines Hundes, dessen Vagi erregt worden, während er mit Opium
narkotisirt war.
Die Blutmenge, die wir nun aber beherbergen, muss in der Zeit
veränderlich sein, weil zu dem vorhandenen Blute mittelst der Ernährung
stets neue Massen zugeführt und aus ihm auf dem Wege der Absonderung
andere entfernt werden. Je nach dem Uebergewicht des einen oder an-
dern Hergangs wird also auch die Blutmenge variabel sein. — b. Die
Spannung in der Ruhe ist bei gleicher Anordnung der Gefässröhren von
der Ausdehnbarkeit der Röhrenwand abhängig, indem sich nach dieser
die für die verlangte Ausdehnung nöthigen Drücke bestimmen. Weil nun
die Gefässwandung im engern und weitern Wortsinn wegen ihres Gehal-
tes an Muskeln die verschiedenartigste Dehnbarkeit darbietet, je nachdem
diese letzteren zusammengezogen oder erschlafft sind, und je nachdem
wir den Gliedmaassen diese oder jene Stellung gegeben haben, so kann
die Spannung des Bluts bei unveränderter Menge sich nicht unverändert
erhalten. Die Aufgaben des Versuchs mit Rücksicht auf diese Fakten
stellt sich also dahin, die Spannung zu bestimmen, einmal während die
Gefässhöhle durch Muskelwirkung, soweit als dieses überhaupt möglich,
beengt und zugleich die Wandungen möglichst widerstandsfähig sind und
das anderemal während gerade das Gegentheil beider Umstände vorhan-
den ist, weil mit diesen Angaben die Grenzen der möglichen Spannung
gegeben wären. Die Bedingungen für diesen Versuch sind aber nicht mit
genügender Schärfe zu erhalten und zudem würde sein Ergebniss doch
nur individuelle Giltigkeit haben. — Aus diesen und ähnlichen Gründen
müssen wir es ableiten, wenn bei ein und demselben Thier, während
seine Blutmasse ungeändert bleibt, der Werth der Spannung wechselt,
je nachdem es nur mit Opium, welches die Nerven nicht lähmt, oder
mit Chloroform in den Schlaf gebracht, oder, durch letzteres Mittel ge-
tödtet, dem Versuch unterworfen würde.
Wir müssen wegen der Einzelheiten des Verfahrens auf die Brunner’sche
Arbeit verweisen. Hier soll nur der allgemeinen Wichtigkeit wegen die Bestimmung
[85]Bestimmung des Blutdrucks.
des Blutdrucks überhaupt angegeben werden. — Hales, welcher den Blutdruck zu-
erst bestimmte, bediente sich des Verfahrens, welches die Hydrauliker bei Wasser-
strömen gewöhnlich anwenden, eine einfache, gerade Glasröhre. Diese etwas gröbliche
Methode wurde von Poiseuille zuerst dahin verbessert, dass er die in das Gefäss
eingefügte Glasröhre (a b c Fig. 41.), deren Schenkel a b und b c gleichen Durchmes-
ser besassen, heberför-
mig bog. In die Schen-
kel füllte er, etwa so
weit der schwarz bezeich-
nete Inhalt des Rohres
geht, Quecksilber, und
auf dieses in dem kür-
zern, dessen Ende mit
einem Messinghahn ver-
sehen ist, kohlensaures
Natron. Darauf fügt er
die Dille d, während der
Hahn geschlossen ist, in
das Blutgefäss, in dem er
die Spannung messen will,
stellt das Rohr senkrecht
und öffnet nun den Hahn,
so dass das Lumen des
Gefässes und des gebo-
genen Rohres communizi-
ren. In diesem Moment
suchen sich auch die Span-
nungen der Flüssigkeiten
in beiden Röhrensystemen
in das Gleichgewicht zu
setzen, so dass, wenn die
Spannung des Blutes hö-
her als die des Röhren-
inhaltes ist, Blut aus dem
Gefäss in das gebogene
Messrohr eindringt, und
das Quecksilber aus dem
kurzen in den langen
Schenkel eintreibt. Man erhält dann, mit Hilfe einiger Correkturen, aus dem Niveau-
unterschied des Quecksilbers in beiden Schenkeln den Druck, den das Blut ausübt.
— Da nun aber der Blutdruck im Verlaufe der Zeit sehr beträchtliche Veränderun-
gen erfährt, dass das Auge der auf- und absteigenden Quecksilbersäule nicht zu fol-
gen vermag, so verband C. Ludwig mit den Messröhren eine Schreibvorrichtung,
vermöge derer die in der Zeit veränderlichen Quecksilberdrücke sich selbst aufzeich-
neten. Diese Einrichtung beruht auf einem Prinzip, welches der berühmte Mechani-
ker Watt zuerst in Anwendung gebracht haben soll. Man setzt nemlich auf den
Spiegel des im Schenkel b c vorhandenen Quecksilbers einen schwimmenden Stab e f
auf, dessen freies Ende an einem Querholz einen Pinsel g trägt, der sich sanft ge-
gen einen Cylinder h h anlegt; dieser wird mittelst des Uhrwerkes i i in gleichmässi-
ger und bekannter Geschwindigkeit herumgedreht. Da der mit Papier überzogene
Cylinder während des Umgangs fortlaufend andere Orte mit dem Pinsel in Berührung
[86]Richtung eines dauernden Blutstroms.
bringt, so schreibt dieser seine etwaigen auf- und absteigenden Bewegungen in Form
einer Curve auf. Das Genauere dieses Verfahrens, das in seinen Einzelheiten zahl-
reicher Modifikationen fähig ist, siehe bei Volkmann*), der einige wesentliche Ver-
besserungen in der ersten Angabe angebracht hat. —
Bei der besonderen Anwendung für die Spannung der Ruhe muss man annehmen, dass
das Gleichgewicht im Gefässsysteme hergestellt ist, wenn entweder der Pinsel längere
Zeit hindurch eine horizontale Linie auf das Papier des Cylinders anschreibt, oder,
was wegen der langsamen Ausgleichung niederer Drücke durch die Capillaren hin-
durch sicherer ist, wenn der Druck in einer Vene und Arterie, die beide dem Her-
zen möglichst nahe liegen (carotis und vena jugularis), derselbe geworden ist.
2.Von der Richtung, welche ein dauernder Strom im
Gefässsystem nehmen muss. Das Gleichgewicht der Spannung, von
dem soeben die Rede war, besteht im Blute des Lebenden niemals, da
fortlaufend Umstände auf dasselbe einwirken, welche seine Spannung an
verschiedenen Orten ungleich machen. Diese Ungleichheiten, wie und
wo sie auch entstanden sein mögen, können zur Ausgleichung gelangen
durch einen Strom von nur einer Richtung, eine Richtung, die demge-
mäss ein jeder in dem Gefässsystem erregter Strom einschlägt. Diese
Erscheinung ist begründet in der Anwesenheit von Klappen, welche sämmt-
lich so gestellt sind, dass sie durch den Stoss nach der einen Richtung
geöffnet und durch den entgegengesetzten zugeschlagen werden. Diese
Richtung geht nun, wenn wir von der linken Herzkammer a (Fig. 42.)
beginnen, durch die grosse Blutbahn, d. h.
die Capillaren und Venen des Körpers, zu dem
rechten Vorhof b und tritt dann in die kleine
Blutbahn über, indem sie in die rechte Kam-
mer c und von dort durch Arterien, Capil-
laren, Venen der Lungen zurück in den lin-
ken Vorhof d kommt. — Indem man das
beistehende Schema betrachtet, in welchem
der Einfachheit wegen die Venenklappen weg-
geblieben und nur die gleichgerichteten Ven-
tile der Herzmündung α β γ δ dargestellt sind,
sieht man, dass sich diese letztern sämmt-
lich nach der Richtung des Pfeils öffnen.
Würde also durch irgend welchen Umstand ein Strom in der entgegen-
gesetzten Richtung eingeleitet, so würde sich dieser nur bis zur näch-
sten Klappe erstrecken können, da durch diese Strömung jene geschlossen
würde. Der Strom würde dann von dieser Klappe reflektirt werden und
in umgekehrter Richtung, durch nichts gehindert, weiter schreiten, so
lange noch eine Strömungsursache vorläge.
Gewöhnliche Veranlassungen zur Störung des Gleich-
gewichts der Spannung. — Zu den wichtigeren zählt man die Be-
[87]Störungen des Gleichgewichts der Spannung.
wegungen des Herzens, der Brust und Bauchwandungen, zu den weniger
eingreifenden die Bewegungen der Gliedmaassen und Gefässwandungen,
die Schwere und den Lymphstrom aus dem ductus thoracicus.
3.Herzbewegung. Indem wir die Bedeutung des Herzens für
den Blutstrom erläutern, gehen wir von den Voraussetzungen des le-
benden Zustandes aus. Dieser verlangt aber, dass ein stetiger Strom
von Seiten der Venen gegen die Vorhöfe gehe und dass die Aorta stets
mit Blut gefüllt sei.
a. Vorkammern. Die Erscheinungen, welche sich während des Blut-
kreislaufs innerhalb der Vorhöfe ereignen, sind für beide nur bis zu
einem gewissen Punkte dieselben. — Nachdem sie während ihrer Dia-
stole durch den Venenstrom strotzend mit Blut gefüllt sind, ziehen sie
sich in der früher beschriebenen Weise zusammen und treiben damit
ihren Inhalt sowohl gegen die venösen wie gegen die ventrikulären Mün-
dungen. Dieser Stoss erzielt an beiden Orten verschiedene Effekte. —
In den venösen Mündungen trifft unser neuer Strom, der vom Vorhof
gegen die Venen dringt, auf den alten entgegengesetzt verlaufenden, und
es wird darum jedenfalls die Flüssigkeit am äussersten Ende der Venen
in eine gesteigerte Spannung gerathen. Zu gleicher Zeit wird auch
ihre Strömung verändert und zwar jedenfalls in der Geschwindigkeit, viel-
leicht auch in der Richtung. Denn es wird, selbst wenn der Vorhofs-
stoss unbedeutend ist, jedenfalls die Geschwindigkeit des alten Venen-
stroms vermindert; sind dagegen die Kräfte des Vorhofs bedeutend, so
wird das Blut in die Venen zurückgeschleudert und es kehrt sich also
die alte Stromrichtung um. Erfahrungsgemäss dürfte häufiger das letz-
tere als das erstere eintreten, und es würde sich für gewöhnlich der
Rückstrom des Bluts bedeutend geltend machen, wenn sein Quer-
schnitt nicht beschränkt würde. Dieses besorgen aber die muskulösen
Ringe der Venen, welche, indem sie sich mit den Vorhofsmuskeln gleich-
zeitig zusammenziehen, die Mündungen jener verengern. Die Wirkung
dieser Verengerung, also die Hemmung des Rückstroms, wird an dem rech-
ten Herzen durch die Klappen unterstützt, welche entweder, wie in der
vena cava superior, etwas entfernt vom Herzen in dem Venenlumen liegen,
oder, wie an der vena cava inferior und coronaria cordis, unmittelbar im
Herzen sitzen. Diese letzteren beiden Klappen sind namentlich darauf
berechnet, die Mündungen der erwähnten Venen zu schliessen, wenn die-
selben schon um einen gewissen Antheil ihrer Weite verengert sind, und
ausserdem sind sie mit kleinen Heftfäden versehen (gewöhnlich beschreibt
man sie als durchlöchert), welche es verhüten, dass der Vorhofstoss die
Falten in die Venenöffnung hereintreibt. — Wir gehen nun zur Betrach-
tung der Vorgänge über, welche die Vorhofszusammenziehung gegen die
Ventrikularmündungen veranlasst. Die Kammern sind, wenn die Zusam-
menziehung des Vorhofs beginnt, ebenfalls schon mit Blut angefüllt, und
[88]Zusammenziehung der Vorhöfe.
zwar muss das Blut aus naheliegenden Gründen in den Vorhöfen und
Herzkammern dieselbe oder wenigstens annähernd dieselbe Spannung be-
sitzen. Wenn nun plötzlich das Blut in den Vorhöfen eine höhere Pres-
sung erleidet, so wird ein Strom von diesem gegen die Herzkammer ge-
schehen, der eine merkliche Dauer haben wird, weil die Kammerwan-
dungen ausdehnbar sind. Er kann also so lange anhalten, bis die ela-
stische Spannung, in welche diese Wandungen durch die Ausdehnung
gebracht werden, gleich dem Druck ist, den die Muskeln des Vorhofs
dem Blute mittheilen. Da aber die Ausdehnbarkeit mit der Dicke der
Wandung abnimmt und umgekehrt mit dem Querschnitt des Muskels
die von seiner Zusammenziehung ausgehende mechanische Leistung wächst,
so ist es von Bedeutung, dass der linke Vorhof, der den dickwandigern
linken Ventrikel auszudehnen hat, auch stärkere Muskelmassen besitzt,
als der rechte Vorhof, der auf die dünnwandige rechte Kammer wirkt.
— Die Zusammenziehung der Vorhöfe wird nun, entsprechend allen uns
bekannten Muskelwirkungen, nicht während der ganzen Dauer ihres Be-
stehens mit einer gleichen Kraft geschehen; sie wird im Gegentheil all-
mählig gegen ein Maximum anwachsen und ebenso allmählig von die-
sem Maximum absinken; demgemäss wird sie ihrem Inhalt eine allmählig
steigende und dann auch wieder abnehmende Spannung mittheilen, und
somit wird zuerst das Blut in den Ventrikel einströmen, dann wird, wenn
die Vorhofskontraktion nachlässt, die elastische Spannung des Ventrikels
das Blut wieder gegen den Vorhof zurücktreiben, wobei sich aber die
Zipfelklappen der Ventrikelmündungen schliessen werden (A. Baumgar-
ten) *). Hierbei wird also ein geringer Theil des Blutes, der aus dem
Vorhofe in die Herzkammer getrieben wurde, wieder in sie zurückgehen.
Die Bedeutung, welche den Vorhöfen gegenüber den Herzkammern zu-
kommt, wird also eine zweifache sein. Sie machen nemlich einmal den
Füllungsgrad dieser letztern unabhängig von der bald grössern oder gerin-
gern Geschwindigkeit und Spannung, welche dem Strom zukommt, der
von den Venen in das Herz hinein geschieht, so dass von diesem Ge-
sichtspunkt aus mit E. H. Weber die Vorhöfe als Regulatoren der
Kammerfüllung angesehen werden dürfen. Zum andern aber besorgen
sie den Klappenschluss an der Venenseite der Ventrikel, so dass sogleich
mit dem Beginn der Ventrikularzusammenziehung sein Inhalt auch eine
Pressung von Seiten dieser Mündung erfahren kann.
Wenn nun die Zusammenziehung der Vorhöfe ganz nachlässt, so
wird sich mit der Entleerung eines Theils von ihrem Inhalt auch ihre
elastische Spannung erniedrigt haben, so dass dann die in den Venen
gespannte Flüssigkeit mit Leichtigkeit in den Vorhof einströmt. Diese
plötzliche Entleerung wird aber eine Beugungswelle in den Venen er-
[89]Zusammenziehung der Herzkammern.
zeugen, die sich von dem Herzen gegen die Peripherie fortpflanzt. Diese
Beugungswelle soll später behandelt werden.
b. Herzkammern. Bei der Betrachtung der Ventrikel gehen wir
von dem Zeitpunkt aus, in welchem sie durch die Vorhofskontraktion
in das Maximum ihrer Anfüllung gebracht waren und in welchem zu-
gleich die Klappen der venösen Mündung horizontal von derselben aus-
gespannt sind, so dass die winkelförmig gebogenen Sehnen, welche aus
den Papillarmuskeln in das Klappensegel treten, ausgespannt sind. In
diesem Augenblick sind während des Lebens auch die halbmondför-
migen Klappen geschlossen, da von der Arterienseite her noch ein
stärkerer Druck auf ihnen lastet, als von der Herzseite. So wie dieser
Zustand eingetreten ist, beginnt aber sogleich auch die Zusammenziehung
der Kammermuskeln, welche dem Inhalt von überall her, mit Aus-
nahme der arteriellen Mündung, einen erhöhten Druck mittheilt. Diese
Pressung öffnet bald die halbmondförmigen Klappen, worauf der Inhalt
in die Arterie geschleudert wird; ob sich hierbei der Ventrikel ganz ent-
leert, wird abhängig sein einerseits von dem Umfang oder der Kraft sei-
ner Zusammenziehung und andrerseits von dem Widerstand, den das
Blut in der Arterienmündung findet. Wenn dann die Zusammenziehung
nachlässt, so werden, weil in den Arterien nun die Spannung des Bluts
grösser, als in den Ventrikelhöhlen ist, die Semilunarklappen zum Schluss
kommen, so dass aus den Arterien kein Rückfluss in den Ventrikel ge-
schieht. Von Seiten der Vorhöfe wird dagegen mit dem Eintritt der
Erschlaffung des Ventrikels ein Strom in dieselben gelangen; denn ein-
mal haben sich die Zipfelklappen, nachdem das ausspannende, von den
Ventrikeln gegen die Vorhöfe drängende Blut entfernt ist, geöffnet, und
dann hat sich das Blut in den Vorhöfen während der Ventrikularkon-
traktion angesammelt, so dass jene nur im Maximum ihrer Füllung sich
befinden. Die ausgedehnten Vorhöfe treiben somit das Blut in den schlaf-
fen, widerstandslosen Ventrikel ein.
Die Annahme, dass sich die Höhle der Herzventrikel, bevor diese in die Todten-
starre übergegangen sind, beim Eintritt der Diastole auch ohne Beihilfe des einströ-
menden Bluts, etwa in Folge der Elastizität ihrer Wandungen, erweitern kann, ist
am bündigsten durch L. Fick*) widerlegt. Im wahren Wortsinn genommen, giebt
es also keine Aspiration der Vorhöfe. Die Erscheinung, welche zu ihrer Annahme
führt, und die neuerdings genauer von Weyrich und Bidder untersucht wurde,
wird noch Berücksichtigung finden. — Das tuberculum Loweri, ein Muskelhöcker, der
an der Scheidewandsfläche zwischen vena cava superior und inferior liegt, soll
durch Ablenkung des ursprünglich senkrechten Stroms beider Venen aufeinander be-
deutsam sein; er soll verhüten, dass wenn, wie wahrscheinlich, eine Ungleichheit in
der Geschwindigkeit und Spannung des Bluts in den beiden Strömen besteht, ihre
Resultane der Geschwindigkeit nicht in eine der beiden Venenlumina, sondern gegen
den Vorhof gerichtet ist. Diese Annahme steht auf zweifelhafter Basis. —
[90]Folgen der Herzbewegung in den Gefässen.
c. Folgen der Herzbewegung in den Gefässröhren. Die Blutmengen,
welche der Ventrikel in die grossen Arterien wirft, werden nun in dem
Gefässystem einen Strom erzeugen, der die in Fig. 42. gegebene Rich-
tung einhält. Da sich die beiden Herzkammern immer gleichzeitig zu-
sammenziehen, so erscheint die stromerzeugende Ursache innerhalb des
Gefässystems immer zugleich an zwei Orten, nemlich dem Anfang der
grossen und kleinen Blutbahn. Bei einer solchen Anordnung stellt sich,
abgesehen von allen übrigen Eigenschaften, die Forderung, dass aus
jeder Herzhälfte immer gleichviel Blut ausströmen müsse, weil der eine
Ventrikel dem andern die Flüssigkeit zusendet, so dass, wenn dieser
Forderung nicht Genüge geleistet würde, sehr bald die eine Abtheilung
ihren Gesammtinhalt in die andere entleert haben würde.
Der Strom, welcher vom Herzen aus erregt wird, pflanzt sich in
der entsprechenden Gefässabtheilung bis zurück zum Herzen auf zweier-
lei Art fort; nemlich durch Wellenbewegungen und Spannungs-
unterschiede. Obwohl diese beiden Vorgänge, namentlich in den
Arterien, durcheinander greifen, so müssen sie doch gesondert behandelt
werden. Zunächst wenden wir uns zu den Wellen.
Da an der Grenze des Herzens und der grossen Gefässe die Be-
dingungen für die Wellenbewegungen vorhanden sind, welche wir bei
der theoretischen Auseinandersetzung (p. 49.) für ihre Entstehung ver-
langten, so müssen sie auch entstehen. Und zwar bildet sich eine Berg-
welle in den Arterien gegen die Capillaren, hinter der im Arteriensystem
keine Thalwelle herschreitet; in den Venen dagegen bildet sich eine
Thalwelle, die wiederum, ohne dass eine Spannungswelle auf sie folgte,
gegen die Capillaren hinschreitet. Der Grund, aus dem die Thalwelle
nach der Arterienseite hin ausbleibt, liegt aber darin, dass die Semilu-
narklappe die Höhlung der Arterien und des Herzens abschliesst, sodass
keine Entleerung der Arterien gegen das Herz hin stattfinden kann; nach
der Venenseite kann aber vom Herzen aus keine Bergwelle erregt wer-
den, weil das in die Ventrikel eingestürzte Blut nicht wieder direkt in
die Vene zurückgeschleudert werden kann, wegen des Schlusses der
Zipfelklappen. Das Hervorstechende für die Bewegung der Flüssigkeit
in einer solchen Welle bestand darin, dass jedes in dem elastischen Rohr
enthaltene Theilchen in der Richtung der Längenachse des Rohrs eine
Geschwindigkeit erhielt, die von einem Minimum zu einem Maximum
anwuchs und dann wieder absank. Diese verschiedenen Stadien der
Geschwindigkeit erlangten nun aber die Theilchen nicht sämmtlich gleich-
zeitig, sondern successive, sodass, wenn z. B. die dem Herzen zunächst
gelegenen Flüssigkeitsabschnitte eine Beschleunigung empfangen haben,
diese den entfernteren noch nicht zukommt, und umgekehrt, dass, wenn
die vom Herzen entfernteren noch mit irgend welcher schwächeren oder
stärkeren Geschwindigkeit begabt sind, die dem Herzen näher liegenden
[91]Blutwellen, Spannungsunterschiede.
schon zur Ruhe gekommen waren. Durch eine solche Welle rücken nun
alle Theilchen um eine gewisse Wegstrecke in den Lumen der Gefässe
weiter, und zwar gelangen sie durch die Bergwelle in den Arterien von
dem Herzen gegen die Capillaren, durch die Thalwelle in den Venen
aber von den Capillaren gegen das Herz hin. Obwohl demnach beide
Wellen eine Bewegung der Flüssigkeit in gleichem Sinne erzeugen, reichen
sie doch erfahrungsgemäss nicht zur Erhaltung des Stromes in den Ge-
fässröhren hin, da sie auf ihrem Wege durch dieselben vernichtet wer-
den. Der Grund dieser Vernichtung kann aber nur in dem Kraftverlust
liegen, der durch den Stoss an den Winkeln und die Reibung an den
Wandungen bedingt wird. Da in unserem Röhrenwerke aber die
Theilungen und Wandflächen gegen die Capillaren hin in ausserordent-
licher Zunahme begriffen sind, so müssen auch die in der Welle vor-
handenen Bewegungen der Flüssigkeit in den unmittelbar an die Capilla-
ren grenzenden Arterienstücken auf gleich langen Stücken viel beträcht-
licher abnehmen, als in den grössern Gefässen. Und weil die Kräfte,
welche die Welle in der Arterie erzeugen, sehr viel bedeutender sind,
als die, welche das Zusammenfallen der Venenanfänge erzeugt, so wird
die arterielle Welle kräftiger sein, als die venöse, und diese somit auch
eher (d. h. entfernter von den Capillaren) schwinden, als die erstere. —
Wenn die Wellenbewegungen, welche den Theilchen des Inhalts in
den grossen Arterien eigen war, gegen die Capillaren hin erlöschen, so
müsste offenbar, wenn die Blutbewegung allein abhängig wäre von der
Wellenbewegung, der Herzinhalt nur bis zu den Capillaren, aber nicht
durch sie hindurchdringen; und aus demselben Grunde könnte die
Beugungswelle das Blut, welches sie schliesslich in das Herz wirft, nicht
aus den Capillaren beziehen. Beides trifft nun aber nicht ein, indem
thatsächlich in den Capillaren ein ruhiger und gleichmässiger (nur
unter ganz besondern Umständen ungleichförmig beschleunigter) Strom
von den Arterien zu den Venen dringt. Die Triebkräfte dieses Stroms
liegen aber in den Spannungsunterschieden, welche den Flüssigkeitstheil-
chen auf den verschiedenen Abschnitten der Bahn vom Herzen aus bis
zurück zu ihm zukommen. Dieselben entstehen aber folgendermassen:
Durch die Herzmündung dringt mit jeder Zusammenziehung der Kammer-
muskeln in einem kurzen Zeitraum, also mit grosser Geschwindigkeit,
der Herzinhalt ein; und da dieser auf seinem Wege bis zu den Capilla-
ren, wie wir schon sahen, seine Geschwindigkeit einbüsst, so muss er
sich in dem arteriellen System anhäufen. Dieses kann nun aber nur
durch eine Ausdehnung ihres Höhlenraums, oder durch eine Ausspannung
der Wandungen geschehen. Diese letztere muss aber relativ eine sehr
beträchtliche sein, da der Inhalt der Arterien im Verhältniss zu dem
der Ventrikel nicht gerade bedeutend ist; bedenkt man nun noch, dass
der bedeutendste Theil der arteriellen Gefässwandung wegen ihrer Dicke
[92]Spannungsunterschiede.
weniger ausdehnbar ist, so ist ersichtlich, dass Kräfte von einem nicht
unbedeutenden Werthe dazu gehören, wenn sie die arteriellen Röhren-
werke bis dahin erweitern sollen, um es zu befähigen, zu seinem nor-
malen Inhalt auch noch den des Herzens anfzunehmen. Mit andern
Worten, es werden die ausgedehnten Membranen, weil sie nach der Aus-
dehnung wieder ihren ursprünglichen Flächenraum einzunehmen streben,
einen Druck auf ihren Inhalt ausüben, der den Druck im ruhenden
Blut beträchtlich übersteigt. — Im umgekehrten Verhältnisse finden sich
nun gerade die Venen. Durch die Blutmenge, welche nach der Herzkon-
traktion aus ihnen strömt, wird ihre ursprüngliche Spannung vermindert,
eine Verminderung, die nach einer einmaligen Zusammenziehung aller-
dings nicht auffällig sein kann, da der Inhalt des Herzens im Vergleich
zu dem der Venen sehr unbeträchtlich ist.
Aus bekannten Gründen kann nun aber in einem zusammenhängenden
Röhrenwerk kein ungleicher Druck, ohne das Bestreben einer Ausgleichung
desselben, bestehen, d. h. ohne dass die gespanntere Flüssigkeit gegen
die minder gespannte hinströmte, und somit muss von den Arterien durch
die Capillaren hindurch eine Strömung eintreten, welche auch dann noch
fortdauert, wenn schon die Herzkontraktion beendet ist. In diesem Sinne
können wir nun die Spannungsunterschiede in den Wandungen (oder in
den Flüssigkeitsschichten) als die wesentlichen Bedingungen des Stroms
ansehen, und es wird demnach zunächst die Untersuchung schärfer auf
diesen Punkt hinzuführen sein, namentlich ist genauer darzustellen, wie
an jedem Orte des Gefässystems, in der Zeit während und nach dem
Herzschlag, mit der Häufigkeit und dem Umfang der Herzzusammen-
ziehung sich die Spannungen ändern.
d. Spannungsunterschiede im Blute. Die Spannung, die in einem
jeglichen Gefässabschnitt herrscht, ist unzweifelhaft abhängig von der
Ausdehnbarkeit seiner Wandung und der Ausdehnung, die seine Wandung
wirklich erfahren, mit andern Worten, bei gegebenem Elastizitätscoeffi-
zienten von dem Umfang des Flüssigkeitsvolums, den es mehr enthält,
als es im Ruhestand fassen kann. Die Ausdehnbarkeit wechselt an dem-
selben Gefässquerschnitt mit dem Zustand (der Erschlaffung oder Zu-
sammenziehung) der Wandmuskeln und noch mehr in dem Verlauf des
Systems von einem Ort zum andern. Das Volum des Flüssigkeitszu-
wachses ist abhängig von dem Verhältniss zwischen Zufluss und Abfluss.
— Der erstere ist bedingt durch die Zahl und den Umfang der Herz-
zusammenziehungen, der letztere durch die Widerstände in dem betref-
fenden Abschnitt und an den Grenzen desselben, das will sagen: durch
die Spannungsunterschiede, welche bestehen an der Einfluss- und Aus-
flussmündung des betrachteten Abschnitts.
Aus allem diesen, in Combination mit dem, was schon über den
Bau des Gefässsystems, die Herzschläge und deren Variation beigebracht
[93]Spannung in dem Anfang des Arterienwerkes.
ist, ergiebt sich, dass die Mannigfaltigkeit der Spannungen, welche in
dem Gefässsystem eines Menschen entweder gleichzeitig an verschiedenen
Orten, oder an demselben Orte zu verschiedenen Zeiten erzeugbar sind,
unendlich sein können; zugleich ist ersichtlich, dass eine theoretische
Voraussicht der einzelnen Fälle unmöglich ist.
Sehr zahlreiche Erfahrungen, die über die durch den Herzschlag
veränderten Spannungserscheinungen vorliegen, erlauben aber demnach
einige allgemeine Bemerkungen von praktischer Wichtigkeit; wir wer-
den bei ihrer Aufzählung den Weg einschlagen, dass wir an verschie-
denen Orten der Reihe nach die mit den Herzzuständen wechselnden
Spannungen in das Auge fassen. — Die Thatsachen werden in der an-
schaulichen Form, in der sie gewonnen sind, der Betrachtung zu Grunde
gelegt, nemlich als Curven, wie sie der in Fig. 42. dargestellte Span-
nungszeichner lieferte. Die Achse der X von dem Coordinatensystem, in
das sie eingetragen sind, giebt die Zeit, die der Y dagegen die Spannun-
gen an, gemessen durch die in Millimetern ausgedrückte Höhe einer
Quecksilbersäule.
A. Anfang des arteriellen Systems; insbesondere a. caro-
tis oder a. cruralis. Zuerst werden wir den Fall behandeln, in
welchem sehr kräftige Herzschläge in langen Pausen einander folgen,
wie man sie erhält, wenn man die nervi vagi in eine gelinde Erregung
versetzt; und zwar darum, weil die Folgen der Herzwirkung an ihnen
am deutlichsten hervortreten. Mässigt man, nachdem die n. vagi so an-
haltend und kräftig erregt sind, dass das Herz längere Zeit vollkom-
men stillstand und das Quecksilber des Manometers endlich auf einer
Höhe, die sich für längere Zeit constant erhielt, anlangte, die Schläge
des Induktionsapparates, so zeichnet der Schreibmanometer die Curven
von beistehender Form. Mit dem Eintritt des ersten Herzschlags erhebt
sich der Druck, von dem der Ruhe (Fig. 43.) y′, und zwar zuerst sehr
rasch, dann aber allmähliger, bis
er auf das Maximum seines Wer-
thes angelangt ist, von hier fällt
er dann, und zwar zuerst rasch,
dann aber immer langsamer, je
näher er der Höhe kommt, von
welcher der Druck bei Beginn des
Herzschlags ausging, wie dieses
an den Unterschieden der Ordi-
naten a b c d e f g in den gleichen
Zeitabständen 1 2 3 4 5 6 7 zu
sehen ist. Folgen nun die Herz-
schläge in nicht gar zu langen Pausen aufeinander, so werden, bevor
die Einwirkungen des ersten von ihnen verschwunden sind, die des zweiten
[94]Spannungswechsel bei verschiedener Schlagfolge des Herzens.
eintreten und das Ansteigen, das der zweite veranlasst, somit von einem
höhern Druck beginnen. Bleibt sich nun der Umfang und der zeitliche
Abstand dieser und der folgenden Zusammenziehungen gleich, so wird
dieses auch mit den im zeitlichen Verlauf erscheinenden Drücken der Fall
sein. Genauer ausgedrückt wird also die constante Gefässspannung von
y° bis y″ vorhanden sein, so dass sie unter diesen Werth zu keiner
Zeit herabsinkt; ausserdem aber wird in constanten Grenzen von y″ bis
y⁗ ein variabler Ueberdruck vorhanden sein, dessen Maximum und Mi-
nimum für jeden Pulsschlag dasselbe bleibt, und endlich wird die mitt-
lere Spannung *)y° y‴, die sich aus den Spannungsschwankungen von
einem zum andern Herzschlag berechnen lässt, für alle Herzschläge o t,
t t″ u. s. w. gleich sein.
Wenn sich nun die Herzschläge statt des bisher innegehaltenen
Rhythmus sehr beträchtlich beschleunigen (was jedesmal eintritt, wenn
man nach den vorigen Versuchen die Erregung des n. vagus beendet),
so erscheint die Curve, welche Fig. 44. wiedergiebt. Bei einer Ver-
gleichung derselben mit der vorhergehenden ist sogleich einleuchtend,
dass der constante Druck y° y″ ganz ausser-
ordentlich gewachsen ist im Vergleich zum va-
riablen; die Folge davon ist u. A. auch die, dass
die Werthe des Mitteldrucks und des constan-
ten Drucks sich sehr nahe kommen, indem die
Grenzen des schwankenden Ueberdrucks überhaupt
sehr nahe bei einander liegen. — Was die Form
der Curvenstücke, die während je eines Herzschlags
erzeugt werden, anlangt, so bemerkt man, dass sie
sich sehr derjenigen des Gipfels in Fig. 43. annä-
hert; denn der kurze aufsteigende Theil wird so-
gleich stark convex nach oben und der absteigende
besitzt nur den steil abfallenden Abschnitt.
Die zwischen diesen beiden Extremen liegenden
Pulszahlen erzeugen Curven, welche sich mehr und mehr von der letz-
tern zur erstern Form annähern, so dass man, wenn die Zahl der Puls-
schläge gegeben, ungefähr die Reihenfolge der in der Zeit wechselnden
Spannungen angeben kann.
Wir haben demnach die allgemeine Form der zeitlichen Spannungs-
curve abhängig gefunden von der Zahl der Herzzusammenziehungen;
anders verhält es sich mit den absoluten Werthen der Spannungen und
namentlich derjenigen, welche wir mit dem Namen der mittleren belegt
haben; sie wechselten an demselben Thier trotz einer gleichen Zahl von
[95]Absolute Werthe der mittleren Spannung.
Herzschlägen. Mit Sicherheit lässt sich nun angeben, dass der Werth
der mittlern Spannung, alles übrige gleichgesetzt, steige, wenn sich die
Anfüllung des Gefässsystems mit Flüssigkeit überhaupt mehrt; wenn die
Widerstände zwischen der beobachteten Stelle und den Capillaren zu-
nehmen; wenn der Umfang oder die Intensität der Herzzusammenziehun-
gen sich steigern. Den Nachweis für diese Behauptungen kann man sehr
leicht führen, weil man mittelst einer vorsichtig geleiteten Erregung der
n. vagi die Zahl der Schläge annähernd auf einer bestimmten Zahl
festhalten, zugleich aber durch Ablassen oder Einfüllen des Bluts aus
den Gefässen, durch Unterbindung einiger Arterienstämme u. s. w. die
Normalspannung und den Widerstand in einem Thier verändern kann.
Weil nun aber trotz gleichbleibendem Widerstande und unverändertem
Normaldruck und gleicher Zahl der Herzschläge die mittlere Spannung
steigt, so schliessen wir daraus, dass auch der Umfang der Zusammen-
ziehung des Herzens wechselvoll sein möge.
Wenn ein Mitteldruck von bestimmtem Werth, welcher während einer
gewissen Zeit hindurch unverändert bestand, übergeht in einen solchen von
anderm Werth, so muss nothwendig während dieser Uebergangszeit der
Mitteldruck von einem Herzschlag zum andern in einer Schwankung be-
griffen sein; dieser Uebergang, so mannigfaltig er auch sein kann, führt
aber doch jedesmal zu einem neuen Zustand dynamischen Gleichge-
wichts, bei dem nemlich der Mitteldruck für die Zeit eines einzelnen
Herzschlags gleich ist; demnach darf man behaupten, es bestehe für
eine jede Combination von Herzzusammenziehungen, Widerständen und
Gefässfüllungen ein Zustand, in dem die Menge der in der Zeiteinheit zu
den Arterien strömenden Masse das Gleichgewicht hält der ausströmenden, so
dass mit der Geschwindigkeit des Zuflusses auch die des Abflusses steigt.
B. Ende des arteriellen Systems. Wie sich in den feinen
Arterien während der einzelnen Phasen des Herzschlags die Spannungs-
curve gestaltet, hat noch nicht untersucht werden können. — Mit Sicher-
heit ist dagegen ermittelt, dass die der Systole und Diastole des Herzens
entsprechenden Maxima und Minima der Spannungswerthe sich einander
immer mehr nähern, je enger die Arterien sind, in welche der Strom
eindringt, bis endlich in den Capillarnetzen die Unterschiede ganz
schwinden, so dass an diesem Ort während der ganzen Herzschlagsdauer
die Spannung unverändert dieselbe bleibt. Um eine Vorstellung von
dieser Thatsache zu erhalten, hat Volkmann die nebenstehende Curve
(Fig. 45.) entworfen. Es ist dieselbe in ein Coordinatensystem eingetragen,
dessen Abszissenachse A x die Achse eines Gefässrohrs darstellt von seinem
Beginn am Herzen bis zu den Capillaren hin, so dass z. B. bei A der
Mittelpunkt des Durchmessers von einem beliebigen Stück Aorta, bei D
derjenige eines kleinsten Arterienastes gelegen wäre. — Die Ordinata Y
[96]Ende des Arterienwerkes. Umsetzung des variablen Stroms in einen constanten.
bedeuten die Spannungen nach der schon früher festgestellten Ueber-
einkunft. Wenn nun die Spannung in der Aorta in Folge einer Herz-
zusammenziehung auf A Y gestiegen wäre, so würde sie in einem Aste
ersterer Ordnung hierdurch etwa auf
B Y, in einem Aste dritter Ordnung
aber nur auf C Y und in einem Aste
letzter Ordnung endlich nur auf D Y
kommen. Während der darauf fol-
genden Herzpause würde in A die
Spannung bis auf A y herab gehen,
in den Aesten erster Ordnung schon
um weniger und in den [darauf] fol-
genden noch weniger, bis endlich
bei D die Spannungen der Systole und
Diastole zusammenfallen. — Mit die-
ser Abnahme der Spannungsdifferen-
zen nimmt aber zugleich die mittlere
Spannung ab. Die ungefähre Lage dieser Mittelspannung ist durch die
Ordinaten A M, B M, C M angedeutet. —
Mit Rücksicht auf diese Thatsachen wäre nun zuerst zu überlegen:
Woher rührt dieses Verschwinden der Spannungsunterschiede, oder anders
ausgedrückt, warum strömt in den Querschnitt bei D zu jeder Zeit so
viel ein, als aus, obwohl am Röhrenanfang ein unterbrochenes Einströmen
stattfindet. Wenn die Spannungsunterschiede daher rühren, einmal, dass
plötzlich alle Theilchen eines Querschnitts einen Stoss bekommen, der sie
gegen diejenigen eines nächstgelegenen hineinzudrängen suchte, und ausser-
dem daher, dass in einen Querschnitt plötzlich mehr Flüssigkeit einge-
schoben werden konnte, als aus ihm austreten konnte, so wird unsere
Erscheinung erklärt sein, wenn sich zeigen lässt, dass die Wellenbewe-
gung, d. h. die von Molekel auf Molekel fortgepflanzten Stösse, im Ver-
lauf des Röhrensystems verschwinden, und wenn ausserdem nachgewiesen
wird, wie sich das tumultuarische Einströmen der Flüssigkeit in den
Beginn des Arteriensystems in diesem allmählig in einen gleichförmigen
Strom umwandelt. — Beides ist aber in der allgemeinen Betrachtung der
Flüssigkeitsbewegung durch elastische Röhren geschehen (vgl. p. 50 u. f.).
Denn es ergab sich dort schon, dass die lebendige Kraft, welche die
Welle besass, von Beginn gegen das Ende des Rohrs hin abnehmen
musste, weil die Welle mit einer Bewegung der in ihr enthaltenen Theil-
chen verknüpft war, so dass eine Reibung und damit ein Verlust an
Kräften entstand. — Zugleich ist aber auch ersichtlich, dass eine jede
Geschwindigkeit, bevor sie in dem Rohr eine constante geworden ist,
sich bei Verlauf der Flüssigkeit durch die Röhrenlänge verlangsamen
muss; dieses würde also die nothwendige Folgerung in sich schliessen,
[97]Die Abnahme der mittleren Spannung.
dass wenn ein und dasselbe Flüssigkeitsquantum durch denselben Quer-
schnitt strömt, es am Ende des Rohrs hierzu längere Zeit nöthig hat,
als am Beginn desselben. Wendet man diese Betrachtung auf die arte-
riellen Röhren an, so würde die eben vorgelegte Thatsache nichts ande-
res sagen, als: es ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeit am Ende des
Arteriensystems so verlangsamt, dass vom Beginn eines Herzschlags zum
andern durch den viel grössern Gesammtquerschnitt gerade so viel
strömt, als während der Dauer einer Herzzusammenziehung durch die
Aortenmündung floss. Indem dieses geschieht, muss aber endlich eine
Geschwindigkeit der in einen beliebigen Querschnitt einströmenden Flüs-
sigkeit erreicht werden, welche gerade so gross ist, als die der ausströ-
menden. — Der Ort im Gefässsystem, an welchem sich der Strom mit
steigender und fallender Spannung umsetzt in einen solchen mit gleich-
förmiger, hat nun erfahrungsgemäss keine feste Lage; er rückt unter
Umständen nicht allein weiter hinaus, z. B. in das Capillarensystem
hinein, sondern es kommt zuweilen ein Ort gleichförmiger Spannung gar
nicht zu Stande. Die Theorie behauptet, es müsse das Hinausrücken
des Ortes von gleichmässiger Spannung geschehen, entweder wenn bei
gleichbleibenden Verhältnissen an der Herzmündung die Widerstände, die
sich dem Abfluss in die Capillaren und Venen entgegensetzen, vermehrt
werden, oder wenn bei gleich bleibenden Widerständen an letzterer Stelle
der Umfang und die Geschwindigkeit der Herzschläge in der Weise sich
ändern, dass in gleichen Zeiten mehr Flüssigkeit in die Aorta dringt.
In der That wird dieses von der Erfahrung bestätigt, insofern z. B. Ar-
terien plötzlich zu pulsiren beginnen, die es vorher nicht thaten, wenn
entweder ihre Abflussröhren verstopft sind (bei sog. Entzündungen), oder
wenn das Herz in grosser Aufregung sich bewegt. — Die Erscheinung,
dass irgendwo im Gefässrohr ein Ort gleichbleibender Spannung zum
Vorschein kommt, muss dagegen ganz ausbleiben, wenn die Herzschläge
so spärlich aufeinanderfolgen, dass es Zeiten giebt, in denen überhaupt
keine Bewegung im Gefässrohr mehr statt findet. Dieses tritt aber ge-
wöhnlich erst beim Absterben eines Thieres ein, weshalb auch dort noch
ein, wenn auch schwacher, Puls in den Capillaren beobachtet wird.
Die Curve (Fig. 45.) thut demnächst dar, dass die mittlere Span-
nung in den Arterien von der Aorta nach den Capillaren in Abnahme
begriffen sei. Diese Thatsache ist sogleich begreiflich, wenn man er-
wägt, dass die mittlere Spannung nichts anderes ist, als ein Ausdruck
für das Maass der spannenden Kräfte, welche in dem gerade betrachte-
ten Querschnitt von einer zur andern Zeit wirksam sind. Dass sie die-
ses aber bedeutet, geht aus der Definition der mittleren Kraft selbst
hervor. Denn sie wird gefunden, wenn man alle die verschiedenen Span-
nungen addirt, welche an einem Ort während einer bestimmten Summe
von Zeiteinheiten bestehen, und die hieraus gebildete Gesammtzahl dividirt
Ludwig, Physiologie. II. 7
[98]Spannung in den Capillaren und Venen.
durch die Summe der genannten Zeiteinheiten. Nun sind aber alle
Ordinaten unserer Curve aus gleichen Zeiten abgeleitet, d. h. es sind
alle die Spannungssummen dividirt worden durch dieselbe Zahl; das
Verhältniss zwischen den mittleren Spannungen verschiedener Orte ist
also gleich demjenigen der Spannungssummen. In einem jeden Strom
nehmen aber die lebendigen und damit auch die spannenden Kräfte von
dem Anfang zum Ende hin ab, wegen des Verlustes durch Reibung
u. s. w. Der Verlauf dieser mittleren Curve bedeutet also, dass der
Strom im Arteriensystem unter dieses allgemeine Gesetz fällt. Wir kom-
men hierauf bei einer andern Gelegenheit noch zurück.
Unsere Curve lässt endlich schliessen, dass es Zeiten geben müsse,
in welchen die Spannung in den vom Herzen entfernter liegenden Ge-
fässabschnitten eine höhere sei, als diejenige, welche gleichzeitig in den
dem Herzen näher liegenden Theilen vorkommen. Wir brauchen nur an-
zudeuten, dass diese Erscheinung mit der Wellenbewegung in Verbin-
dung steht, indem sie die Folge einer raschen, durch das System fort-
sehreitenden Stossbewegung ist.
C. In den Capillaren und den Venen, welche nicht allzunahe
am Herzen liegen, leitet die Herzbewegung einen gleichmässigen Strom
ein, der nach allgemeingiltigen Regeln in seinem Verlaufe mehr oder
weniger rasch an Spannung verliert, je nach den Widerständen, die
er in den einzelnen Abtheilungen findet. Der absolute Werth der Span-
nung in jedem Querschnitt wird natürlich bestimmt durch die lebendi-
gen Kräfte des Stroms am Beginn des Capillarsystems. — In den Ve-
nen dagegen, welche nahe am Herzen gelegen sind, wird jedesmal
während der beginnenden Herzerschlaffung eine Thalwelle erregt,
welche nach der Peripherie hin fortschreitet. Sie wird, offenbar
weil ihre lebendigen Kräfte gering sind, rasch zerstört, so dass sie selbst
mit feinen Mitteln nicht jenseits der grossen Kopf- und Armvenen sicht-
bar ist. Diese Thalwelle hat man gewöhnlich von einer sog. Aspi-
ration des Herzens ableiten wollen, indem man annahm, dass sich das
Organ nach seiner Zusammenziehung vermöge seiner elastischen Kräfte
erweitere. Diese Eigenschaft kommt aber in der That dem Herzen nicht
zu, und zudem liegt eine andere Erklärung auch nahe. Während der
Vorhofszusammenziehung sind die Venen, weil sie sich nicht entleeren
können, bedeutender gespannt worden. Löst sich nun die Zusammen-
ziehung des Vorhofs und rasch hinterher die der Kammern, so wird die
gespannte Flüssigkeit in den wenig Widerstand bietenden Raum plötz-
lich entleert werden, wodurch ein ganz ähnlicher Effekt erzielt wird, als
ob sich das Herz erweitert habe.
Ueber die Geschwindigkeiten, welche dem vom Herzen aus erregten
Strom eigen sind, besitzen wir keine gesonderten Erfahrungen.
[99]Einfluss der Brustbewegung auf den Blutstrom.
2.Bewegungen des Brustkastens und seiner Einge-
weide*). Da das Herz und die grossen Gefässe von den Lungen und
demnächst von den Brustwandungen umschlossen werden, so müssen
deren Spannungen und Bewegungen von einem wesentlichen Einfluss auf
den Blutlauf sein. —
a. Die Beziehung der elastischen Kräfte der Lungensubstanz auf den
Blutstrom erläuterten wir zunächst für den Zustand des Brustkastens, in
welchem er sich findet, nach der Ex- und vor der Inspiration, in welchem
er also die Stellung eingenommen hat, die ihm vermöge der elastischen
Kräfte seiner Bestandtheile zukommt. In dieser Zeit wird auf die Lungen-
oberfläche von Seiten der Brustwand kein Druck ausgeübt; denn es fehlt
jede selbstständige Bewegung des Brustkastens, und es ist ausserdem die
Wandung desselben steif genug, um nicht bewegt zu werden von einem
mässigen Unterschied des Luftdrucks, der auf der innern und äussern
Fläche der Brustwand etwa vorhanden wäre. Die Lungenoberfläche,
welche an der Brustwand anruht, ist darum nur zwei Kräften aus-
gesetzt: dem Luftdruck und den elastischen Spannungen der
Lungensubstanz. Diese beiden Kräfte wirken aber in entgegenge-
setzter Richtung. Die Luft nemlich, die nur durch die Trachea,
nicht aber von Seiten der innern Brustfläche drückt, entfernt die Ober-
fläche von der Wurzel der Lunge, indem er die Lunge entfaltet. Die
elastischen Kräfte der Lungensubstanz wirken dagegen von der Ober-
fläche der Lunge gegen die Wurzel hin; sie suchen die entfaltete Lunge
zusammenzudrücken. Der Beweis dafür, dass diese Kraft, und zwar in
der angegebenen Richtung, wirkt, liegt darin, dass eine möglichst gesunde
Lunge, welche man aus der Brusthöhle herausgenommen und zu dem
Volum ausgeblasen hat, das sie in der Brusthöhle einnimmt, augenblick-
lich zusammenfällt, sowie man die Trachea öffnet, d. h. den Luftdruck
aller Orten gleich macht. Die Lunge kann in ihrer natürlichen Lage also nur
darum ausgespannt erhalten werden, weil der Luftdruck das Uebergewicht
besitzt über die elastischen Kräfte der Lunge. Dieses Uebergewicht ist
nun auch noch durch Messungen nachgewiesen, indem Donders durch
ein besonderes Verfahren ermittelte, dass, im hydrostatischen Maasse aus-
gedrückt, die elastischen Kräfte der Lunge im Maximum 30 MM. Quecksilber
betragen, während der Luftdruck in den bewohnten Gegenden sich meist
über 500 MM. hält. — Aus allem diesen folgt nun, dass die Theile,
welche innerhalb des Brustkastens an der von der Pleura umkleideten
Lungenfläche anliegen, einen geringern Druck, als den der Luft zu er-
tragen haben, und zwar einen um das Maass der elastischen Lungenkräfte
verminderter Luftdruck. Diese Verminderung des Druckes wird sich an
7*
[100]Saugkraft der Lunge.
der Grenze zwischen Brustwand und Lunge nur als Spannung äus-
sern können, da jene, wie erwähnt, zu steif ist, um durch einen
Druckunterschied von wenigen MM. Hg bewegt zu werden. — An-
ders gestalten sich dagegen die Dinge an der Grenze zwischen den
Lungen und dem Herzen mit seinen Gefässausläufern. Der Inhalt die-
ser hohlen Organe steht nemlich unter dem Luftdruck, da er in un-
mittelbarer Berührung steht mit dem Blut, welches sich in den Gefässen
ausserhalb des Brustkastens findet, die diesem Drucke zugänglich sind,
und ausserdem ist er noch in einer Spannung, welche von der Ueber-
füllung der Gefässröhren mit Blut herrührt. Von diesen Kräften wirkt
nun der Luftdruck demjenigen entgegen, welcher von der Längenober-
fläche her auf das Herz trifft; sie würden sich also aufheben, voraus-
gesetzt, dass beide Drücke gleichen Werth besässen. Da nun aber der
von der Lunge her treibende Luftdruck vermindert ist um den Werth der
elastischen Kraft in der Lunge, so gewinnt der von dem Blutbehälter
her wirkende Druck das Uebergewicht. Er sucht somit diese letztern
auszudehnen. Da zu diesen ausdehnenden Kräften sich auch noch die
hinzuzählen, welche von der Spannung des Bluts in den Gefässen her-
rühren, so müssen unzweifelhaft die in den Lungen eingebetteten Blut-
behälter ein Ausdehnungsbestreben besitzen. Diesem Bestreben kann
aber in diesem Falle Folge geleistet werden, da die Wandungen der
Herz- und Gefässhöhlen in der That sehr nachgiebig sind. Der Bewe-
gung, welche durch diese Mittel eingeleitet wird, ist erst dann Grenze
gesetzt, wenn unsere Gefässe so weit durch Blut ausgedehnt sind, dass
die elastische Spannung, in die ihre Wandungen treten, den ausdehnen-
den Kräften das Gleichgewicht hält. Zu diesem Grade der Span-
nung scheinen aber die venösen Wandungen der Gefässe niemals zu
kommen, indem aus ihnen nach jeder Herzbewegung schon wieder
Blut entleert wird, bevor es sich in dem verlangten Maasse aufge-
häuft hat. Wir schliessen hierauf, weil im Leben immer Luft durch die
vena jugularis in das Herz eindringt, wenn man sie blosgelegt und ihre
Wand so durchschnitten hat, dass die Oeffnung klaffen kann; es muss
also die Spannung, welche ihrem Inhalt zukommt, niedriger sein, als die
der Luft. Um diese für den Kreislauf bedeutungsvolle Einrichtung zur
Anschauung zu bringen, ist die Fig. 46. gezeichnet worden, welche ohne
weitere Erklärung verständlich sein muss. Die Pfeile in der Herzhöhle
und auf der Lunge deuten die Richtung an, nach welcher die elastischen
Kräfte der Lunge wirksam sind, den Lungeninhalt pressen und den Herz-
inhalt auseinanderziehen.
Diese Saugkraft der Lunge muss aber den Blutstrom, welcher schon
in Folge der Herzthätigkeit besteht, modifiziren, und zwar dadurch, dass
sie alle Strömungen aus dem Brustkasten hemmt, indem sie die Zu-
sammenziehung der Aorta hindert, dagegen alle Strömung nach dem
[101]Einathmungsbewegung.
Brustkasten fördert, indem sie in die Venen desselben den Ort der
niedrigsten Spannung legt, wohin selbst dann noch Flüssigkeit läuft,
wenn auch die vom Stoss des Herzens und der Spannung der Gefäss-
wände herrührenden Kräfte verzehrt sind. — Nun ist aber nicht zu
verkennen, dass der letztere Effekt seinem Werth nach das Uebergewicht
über den ersteren hat; denn da die Venen eine grössere Flächenaus-
dehnung haben, als die Arterien, so muss ihr Inhalt durch dieselben
Zugkräfte, die an mehreren Orten wirken, offenbar vielmehr erweitert
werden, als die der Arterien; zudem sind die Arterienwandungen auch
viel steifer, als die der Venen. Man kann also sagen, es werde die
Blutströmung durch diese Einrichtung unterstützt.
b. Einathmungsbewegung. Bei dieser Bewegung verbreitert und
verlängert sich der Brustraum. Diese Bewegung wird auf verschiedene
Weise für die grossen Blutbehälter in der Brust wirksam.. 1) Da das
Herz und die Gefässe an der Brustwand selbst angewachsen sind, so
werden sie geradezu durch die Bewegungen ausgespannt. 2) Die Lungen-
oberfläche folgt der innern Brustfläche, und damit mindert sich noch
[102]Ausathmungsbewegung.
der Widerhalt, den die Lunge den grossen Gefässen bietet. Diese Ver-
minderung des Widerhalts rührt nun nicht etwa daher, dass während
der Einathmung eine merkliche Differenz der Dichtigkeit in der äussern
und innern Luft vorhanden wäre. Denn in der That ist die Verbindung
der äussern mit der Lungenluft ergiebig genug, um es dahin zu brin-
gen, dass in dem Moment, in welchem eine Luftverdünnung in den Lun-
gen eintritt, sie auch durch Nachströmen aus der Atmosphäre ausge-
glichen wird. — Es rührt die Verminderung des Widerstandes, welche
die äussere Gefässfläche erfährt, vielmehr von der grössern Ausdehnung
der Lunge her. Denn in Folge dieser Ausdehnung wird auch ihre zu-
sammenziehende Kraft vermehrt und darum vernichtet sie einen grössern
Antheil des Luftdruckes, der durch ihre Oberfläche hindurch auf die
äussern Gefässflächen wirkt. Diese beiden Gründe vereinigen sich somit
wiederum, den Strom des Bluts aus der Brust zu hemmen und den nach
der Brusthöhle hin zu fördern. — Donders hat darauf aufmerksam
gemacht, dass diese Folge ebenso giltig ist für den kleinen, als für
den grossen Kreislauf, da in beiden Fällen die Capillaren desselben in
Flächen laufen, die unmittelbar dem Luftdruck ausgesetzt sind. — Von
besonderer Wichtigkeit wird aber die Inspirationsbewegung für den Kreis-
lauf in den Unterleibshöhlen, weil mit der Erweiterung der Brusthöhle
der Inhalt der Unterleibshöhle zusammengepresst wird, so dass hier-
durch vorzugsweise die Entleerung der Bauchvenen begünstigt wird.
c. Ausathmungsbewegung. Da diese Bewegung im Gegensatz zur
Inspiration den Brustkasten zusammendrückt, so wird sie auch für die
grossen Blutbehälter der Brust im entgegengesetzten Sinne wirken, in-
dem sie nicht allein die Ausdehnungsfähigkeit derselben beschränkt, son-
dern auch geradezu dieselben auspresst. In Folge davon wird das Blut
aus dem Brustkasten durch die Arterien mit gesteigerter Kraft geworfen
und zugleich auch in die Venen zurückgeschleudert, resp. wegen den an-
wesenden Klappen gestaut werden. — Unter günstigen Umständen kann
durch diese Stauung eine so vollkommene Unterbrechung des Einströmens
von Blut in die Brusthöhle stattfinden, dass dadurch für längere Zeit eine
vollkommene Unterbrechung des Kreislaufs bedingt wird. Dieses tritt nach
Ed. Weber ein, wenn man tief inspirirt, die Stimmritze schliesst und
dann eine kräftige Ausathmungsbewegung ausführt. Die comprimirte
Luft kann die Venen vollkommen zuschliessen.
Man wird nach diesen Auseinandersetzungen erkennen, dass die Be-
wegungen des Brustkastens im Ganzen und Grossen ganz dasselbe lei-
sten, was auch die Herzbewegung vermag, denn auch sie pumpen das
Blut aus den grossen Stämmen gegen die Peripherie. Neben dem un-
wesentlichen Unterschied, dass für gewöhnlich die Brustbewegungen län-
ger anhalten und seltener wiederkehren, als die des Herzens, besteht
aber noch der eingreifendere, dass sie an den Arterien und Venen jedes-
[103]Bauchwände; Schwerkraft.
mal in gleichem Sinn die Spannung ändern; denn die Inspiration min-
derte, die Exspiration mehrte sie in beiden, während das Herz für beide
gerade im ungleichen Sinne wirksam war. — Die besondern Her-
gänge, welche die durch die Brustbewegung veränderten Spannungen in
den Blutstrom einleiten, sind nach den früher mitgetheilten Regeln zu
beurtheilen. Versuche, die den Einfluss der Respirationsbewegung auf
das Blut, gesondert von der des Herzens, bestimmen, sind nicht aus-
geführt.
3. Die Verkürzung oder Erschlaffung der Bauchmuskeln,
wodurch der Inhalt der Unterleibshöhle sehr verschiedene Spannungen
erfährt, muss natürlich auch unterstützend oder hemmend auf den Blut-
strom wirken, da durch die Unterleibshöhle grosse Gefässe eingeschlos-
sen sind. Die Beurtheilung der Verhältnisse bietet keine Schwierigkeit.
Auf einige kleine Besonderheiten werden wir noch später die Rede brin-
gen, z. B. bei der Leber.
4.Die Schwerkraft. Man sollte auf den ersten Blick denken, dass
durch eine Lagenveränderung einzelner Theile eines Röhrenwerks von den Ei-
genschaften des Blutgefässsystems gar keine Bewegung erzeugt werden könnte.
Betrachten wir in der That ein System (Fig. 47.), welches sich dadurch
hervorhebt, dass von
demselben Punkte, dem
Herzen H aus, Röhren
ausgehn und zu ihm zu-
rückkehren, so kann,
vorausgesetzt, dass die
Wandungen unnachgie-
big sind, keine Bewe-
gung dadurch einge-
leitet werden, dass die
einzelnen oder die Ge-
sammtzahl der Röhren
in eine andere Lage
übergehen. Setzen wir
z. B., dass der Röhren-
bogen A V aus der ge-
hobenen Lage I in die
gesenkte II übergeht,
so wird nun allerdings
die Flüssigkeit der
Spitzen bei II, die vor-
her keine Last von Seiten der Schwere zu ertragen hatte, gedrückt werden
durch eine Säule von der senkrechten Höhe o q. Aber dieser Druck
wird mit gleichem Werth ebensowohl durch den Zweig A als durch den
[104]Muskeln der Gefässwand.
von V hindurch auf die Spitze ausgeübt, und somit ist die Bewegung
unmöglich. Wenn aber, wie in unserm Röhrensystem, die Wandungen
ausdehnbar sind, so muss beim Uebergang aus der einen in die andere
Stellung unzweifelhaft eine Bewegung auftreten, denn in der ersten Stel-
lung lastete auf der Spitze des Röhrensystems kein Druck, wohl aber auf
dem Beginn desselben ein solcher von dem Werthe o p. Gerade um-
gekehrt verhält sich die Sache bei der Stellung von II, wo die Spitze
unter dem grössern und der Anfang der Schlinge unter dem geringeren
Druck steht; somit wird sich in dem erstern Fall der Anfang, in dem
letztern die Spitze erweitern, und dieses geschieht dadurch, dass beim
Uebergang aus I in II ein Strom von dem Anfang gegen das Ende der
Schlinge und bei Ueberragung aus II in I das umgekehrte eintritt. Die-
ser Strom kann jedoch nur so lange andauern, bis die betreffende Stelle
zu einer dem Druck entsprechenden Erweiterung oder Verengerung ge-
kommen ist. Ebensowenig kann, wenn die neue Vertheilung des Inhalts
einmal geschehen ist, durch den eben betrachteten Uebergang aus einer
in die andere Stellung einer andern Bewegungsursache, die an der Mün-
dung eines Rohrs wirkt, eine Hemmung oder Begünstigung zugefügt
werde, da die Schwere immer nur gerade so viel die andern treiben-
den Kräfte in dem absteigenden Röhrenstück steigert, als sie dieselben
in dem aufsteigenden mindert.
5.Verkürzerung der Muskeln in der Gefässwand und
in den Umgebungen der Gefässe. Die Wirkungen dieser Mus-
keln können trotz ihrer verschiedenen Lagerung doch gemeinsam behan-
delt werden, da sie in ihren Folgen zahlreiche Analogien bieten. — Die
Zusammenziehungen dieser Muskeln erzeugen zunächst in allen Fällen
eine Verengerung des Gefässlumens, und insofern müssen durch dieselbe,
vorausgesetzt, dass sie sich nicht über das ganze, sondern nur über
einen grössern oder kleinern Theil der Gefässe erstrecken, Blutbewegun-
gen eingeleitet werden, welche ganz den Charakter der durch die Herz-
bewegung eingeleiteten tragen. Denn es ist ersichtlich, dass durch eine
mehr oder weniger plötzliche Verengerung, die die Gefässe in beschränk-
ter Ausdehnung erleiden, eine Welle entstehen muss, dass ferner wegen
eintretender Spannungsungleichheit ein Strom entsteht, und endlich dass
wegen der Ventile, die in das Röhrenwerk gelegt sind, der Strom die
der Blutbewegung allgemein zukommende Richtung annehmen muss. —
Trotz alle dem muss aber doch dem Strom aus diesen Gründen eine
nur untergeordnete Bedeutung zugeschrieben werden. Denn einmal er-
folgen diese Bewegungen zu unregelmässig, und namentlich fehlen sie oft
lange Zeit, wie z. B. im Schlaf u. s. w. — Dann aber erfolgen die Be-
wegungen der Gefässe, da sie von glatten Muskeln ausgeführt werden,
sehr allmählig, und noch mehr die einmal eingetretene Verkürzung bleibt,
wie die nun schon sehr zahlreichen Erfahrungen an blosgelegten Gefässen
[105]Flüssigkeitsströme durch die Gefässwand.
erweisen, sehr lange stabil, so dass eine dauernde Veränderung des Lu-
mens besteht. Endlich aber, und dieses ist besonders zu betonen, hem-
men die verengerten Stellen den von dem Herzen ausgehenden Strom,
so dass die Zusammenziehungen eher als Beschränkungs-, denn als För-
derungsmittel des Blutstroms anzusehen sind. Damit ist aber nicht ge-
sagt, dass die physiologischen Folgen der muskulösen Gefässverengung
nicht von beträchtlicher Wichtigkeit seien.
6.Ein- und Austritt von Flüssigkeiten in den Gefässlumina.
Während des Lebens treten ununterbrochen in die Gefässröhren Flüssigkei-
ten; am hervorragendsten geschieht dieses durch einen bald stärkern, bald
schwächern Einfluss in die venae jugulares aus den Lymphgängen, und durch
Diffusion in die Darmvenen während der Verdauung. Nicht minder entlässt
auch, insbesondere durch Verdunstung auf Lungen und Haut und durch
flüssige Entleerung in den Nieren-, Speichel-, Schweissdrüsen u. s. f.,
das Gefässlumen einen merklichen Theil seines Inhalts. Durch den Ein-
tritt wird unzweifelhaft an dem einen Orte die Spannung erhöht und
durch den Austritt an dem andern erniedrigt, und somit müsste auch
ohne Zuthun anderer Hilfsmittel ein Strom von den ersteren zu den letz-
teren Stellen gehen. Diese Strömungen können aber neben den andern
intensiven Störungen des Gleichgewichts nur von untergeordneter Be-
deutung werden, um so mehr, als der Zu- und Abfluss, den sie veran-
lassen, nur sehr allmählig geschieht. Sie sind dagegen, wie schon oben
bemerkt wurde, von hervorragender Bedeutung für die Erhaltung der
Gesammtspannung der Stromröhren, resp. für die Anfüllung derselben
mit Flüssigkeit überhaupt.
Ausser diesen Hilfsmitteln, welche mit messbaren Kräften zur Erhaltung des
Kreislaufs beitragen, glauben viele Schriftsteller älterer und neuerer Zeit noch zu
der Annahme anderer gezwungen zu sein. Sie begründen diese Forderung entwe-
der mit einem physikalischen Missverständniss, oder durch meist sehr verwickelte,
zum Theil pathologische Vorgänge. Dem physikalische Missverständniss, auf welches
hier angespielt wird, liegt der Behauptung zu Grunde: dass die Kräfte des Herzens
und des Brustkastens nicht hinreichen, um die Reibungs- und sonstigen Widerstände
zu überwinden, welche sich dem Blutstrom in den kleinsten Gefässen entgegensetzen.
Indem man dieses aussprach, bedachte man nicht, dass alle Widerstände, welche
sich in einem beliebigen Röhrenlumen einem Strom entgegenstemmen, mit den le-
bendigen Kräfte dieses letztern steigen und fallen, so dass ein langsam und mit ge-
ringer Spannung fliessender Strom auch geringe Widerstände zu überwinden hat.
Darum kann behauptet werden, dass die Bewegungen der Herz- und Brustmuskeln,
auch wenn sie tausendmal weniger Kraft entwickelten, als sie in der That ausüben,
doch einen Strom vom Herzen bis zurück zu ihm erzeugen würden, vorausgesetzt nur,
dass diese Bewegungen hinreichten, um einen Spannungsunterschied der Flüssigkeit
im arteriellen und venösen System hervorzurufen. Der Strom würde dann freilich
mit einer viel geringeren Geschwindigkeit und Spannung dahin gehen. — Eine andere
Reihe von Autoren giebt jenen Grund preis, beruft sich aber auf den reichlicheren
Zufluss von Blut, welcher zu den Körpertheilen zu Stande kommt, in denen eine ver-
mehrte Absonderung von Flüssigkeit, eine gesteigerte Neubildung von Gewebsbe-
[106]Ueber andere Strömungsursachen.
standtheilen, oder eine Entzündung vorkommt. Man glaubt diese Steigerung der
Blutzufuhr erklären zu müssen aus einer Anziehung, welche sich entweder zwischen
dem thätigern Gewebe und dem Blute neu entwickelt hat, oder aus einer Steigerung
einer schon bis dahin nur im schwächeren Grade bestehenden Verwandschaft. Wenn
man nicht in ganz willkührliche Annahmen verfallen will, so kann man mit dieser
Verwandtschaft entweder nur eine partielle Stockung des Blutstroms erklären, oder
eine sehr unbedeutende Vermehrung des Stroms von den Arterien zu den Capillaren,
verbunden mit einer Schwächung desselben von den letztern Gefässen zu den Venen.
Das erstere würde eintreten, wenn die auf das Blut wirkende Anziehung ihren Sitz
an der innern Wandfläche des Gefässes besässe; sie würde die unmessbar dünne
Wandschicht des Stromes hemmen, die Mittelschicht desselben dagegen ungestört
strömen lassen, da alle chemischen Anziehungen nur in unmessbar kleinen Entfer-
nungen wirken. — Der andere Fall aber würde eintreten, wenn die anziehende Sub-
stanz an der äussern Wandfläche gelegen wäre; sie würde dann aus der Wand die
betreffenden, in sie eingedrungenen Blutbestandtheile anziehen, und ihre Wand
würde sich dann wieder aus dem Blute mit Flüssigkeit tränken und somit einen Zweig-
strom durch die Wand hindurch bedingen. Hierdurch würde die Spannung des strö-
menden Bluts an der Stelle des Rohrs erniedrigt, an welcher der Austritt von Flüs-
sigkeit stattgefunden, und somit auch der Widerstand, welcher sich dem vom Herzen
nachrückenden Blut entgegensetzt. Zugleich aber würden mit der Wegnahme beweg-
ter Flüssigkeit aus dem Rohr die lebendigen Kräfte der Flüssigkeit innerhalb der ab-
sondernden Röhren vermindert und damit die Triebkraft für den Strom von dieser
Stelle aus geschwächt. — Wollte man beides einen gesteigerten Zu- und Abfluss er-
klären, mit Hilfe solcher Kräfte, die an und in der Wand thätig sind, so wäre man
genöthigt, ins Blaue hinein anziehende und abstossende Wirkungen in kurz aufeinan-
derfolgenden Zeiten abwechselnd von demselben Orte ausgehen zu lassen. — Bevor
man nun die einfacheren Wege, welche zu einer Erklärung führen konnten, verlässt
und sich zu dunklern wendet, wäre, wie billig, der Hergang, der zu solchen Annah-
men führte, genauer zu untersuchen gewesen. Da man diese Bedingung bis dahin
nur sehr mangelhaft befriedigt hat, so lässt sich der einen nur die andere Hypothese
entgegenstellen. Indem man sich hierzu versteht, kann man wahrscheinlich machen,
dass die Anziehungen (ihr Bestehen vorausgesstzt) gar nicht im Stande sind, den
Blustrom in der auffallenden Weise zu verändern, in der dies meist in entzündeten,
hypertrophischen, stark absondernden Organen geschehen ist. — Zuerst übersehen
wir, indem wir die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Stromwandung und anziehen-
den Kräften überlegen, dass der Strom in den Arterien in dem Maasse an Geschwin-
digkeit zunehmen musste, in welchem durch die Anziehung Flüssigkeit aus dem Ge-
fässlumen herausgezogen wird. Wir sehen nun aber sogleich, dass in den meisten
Fällen, besonders in allen Entzündungen fester Theile, die aus der Gefässhöhle ge-
führte Flüssigkeitsmenge nur sehr gering sein kann und dass sie unter allen Um-
ständen verschwindét gegen das Flüssigkeitsvolum, was aus andern Gründen durch
das Stromrohr geführt wird. Also muss auch die geschwindigkeitsvermehrende Wir-
nung der Anziehung verschwinden. — Dann aber ist ersichtlich, dass die Spannung in der
zuführenden Arterie in den erwähnten Fällen immer niedriger als im Normalzustande sein
müsste, wenn in Folge der Anziehung Blutflüssigkeit aus den Capillaren entleert würde,
und dass sie nur um ein unmessbares erhöht sein dürfte, wenn durch die Anziehung die
stockende Wandschicht des Stroms an Durchmesser zunähme. Nun sehen wir aber, dass
auch Absonderungen, insofern sie von einer Aenderung des Blutstroms begleitet sind,
immer eine erhöhte Spannung in den zuführenden Arterien mit sich bringen. Diese Er-
scheinung macht also sogleich die Anziehungshypothese unwahrscheinlich, indem sie ihren
Folgerungen widerspricht. — Viel annehmbarer erscheint darum die Behauptung, dass
[107]Wesentliche und unwesentliche Triebkräfte.
die Veränderung des Stroms sich erst einfindet, wenn aus irgend welchen Gründen
eine Verengerung oder Erweiterung der leicht beweglichen Gefässröhren des entzün-
deten oder absondernden Organes eingetreten ist. Dass aber hieraus wesentliche
Veränderungen des gewöhnlichen Stromes entstehen können, werden wir, soweit die-
ses nicht schon geschehen ist, demnächst noch zu sehen Gelegenheit haben.
Wir haben einem alten Gebrauch zufolge *) wesentliche und un-
wesentliche Triebkräfte des Blutstroms unterschieden. Nach unseren
Mittheilungen kann sich diese Trennung nur beziehen auf den Antheil,
welchen die einzelnen Bewegungsursachen an der Gesammtkraft des
Stromes besitzen, so dass wir die Kräfte, denen der Strom den grössten
Theil seiner Spannung und Geschwindigkeit verdankt, die wesentlichen
nennen. Wir haben nun als wesentliche bezeichnet die Herz- und Brust-
bewegung, weil erfahrungsgemäss der Blutstrom den bei weitem gröss-
ten Theil seiner Spannung und Geschwindigkeit verliert, so wie diese
bewegenden Kräfte ausfallen. Die Versuche, auf welche sich dieser Aus-
spruch stützt, sind vollkommen beweisend, wenn sie auch nicht bis zu
dem Grade von Genauigkeit geführt werden können, um den Einfluss eines
jeden einzelnen Einflusses in scharfem Maasse anzugeben. — Denn wenn
man z. B. durch Vaguserregung das Herz zum Stillstande zwingt, so sinkt
alsbald die Spannung in den Arterien fast bis zur Spannung der Ruhe,
der Strom in den Capillaren wird so langsam, dass in ihnen keine Be-
wegung zu sehen, selbst wenn die etwa bestehende Geschwindigkeit durch
das Mikroskop um mehrhundertfach vergrössert wird, und die Spannung
in den Venen mehrt sich in der Ruhe, Spannungsunterschiede und
Geschwindigkeiten kehren aber wieder zurück, in dem Maasse, in wel-
chem die Herzschläge wiederkehren. Nichts ähnliches tritt ein, wenn
wir die Gliederbewegung aussetzen, die Diffusionen und Absonderungen
beschränken, während das Herz schlägt. — Nächst dem Herzen setzten
wir den Brustkorb, einmal darum, weil für gewöhnlich dieses Gebilde in
die Gefässbahn einen Ort von sehr niederer Spannung bringt, dann aber
auch, weil die Bewegungen des Brustkastens, wenn sie energisch sind,
dem Blut sehr kräftige Stösse zu geben im Stande sind, wie uns das die
Messungen noch zeigen werden. Wir sind leider nicht im Stande, die kräf-
tigen einander rasch folgenden Brustbewegungen herbeizuführen, wenn der
Herzschag steht. — Aehnliche, aber schon untergeordnetere, Wirkungen
zeigen die Bewegungen der Muskeln am Bauch, den Gliedmaassen und
den Gefässwänden. — Wenig einflussreich können der Natur der Sache
nach auch die Kräfte sein, welche durch die Gefässwandungen hindurch
Flüssigkeit aus dem Gefässsystem ausziehen oder in dasselbe treiben.
Wie gross diese Kräfte auch an und für sich sein mögen, sie sind für
den Blutstrom nur in so fern von Bedeutung, als sie im Stande sind,
den Inhalt der Gefässröhren zu mehren oder zu mindern, oder anders
[108]Absolute Werthe der Stromspannung.
ausgedrückt, durch die Geschwindigkeit und den Umfang des Stroms,
welchen sie durch die Gefässwandung führen, denn es kann von den
übrigen Gefässprovinzen in die absondernden nur so viel einfliessen, als
aus diesen letzteren durch die Absonderung entfernt wird. Nun treten in
der That aus den Nieren oder den Lungen täglich nur einige Tausend
Cubikcentimeter Flüssigkeit aus, der Blutstrom führt durch diese Organe,
wie uns eine überschlägliche Rechnung zeigt, aber täglich viele Millionen
Cubikcentimeter Blut; es verschwindet also der Sekretionsstrom gegen
den, welchen die andern Kräfte erzeugen.
Man hat zuweilen neben diesem hier hervorgehobenen Unterschied die erzeugen-
den Kräfte des Blutstroms auch danach geschieden, ob sie im Stande wären, den
Strom nur durch einzelne, z. B. die Arterien, Venen u. dgl., oder auch sämmtliche
Abschnitte des Gefässsystems zu führen. Dieser Unterscheidung ist aber kein Werth
beizulegen, da jede Kraft, welche zwei Orten, die durch eine Klappe getrennt, eine
ungleiche Spannung zu ertheilen vermag, auch einen Strom durch das ganze System
herbeiführen muss. Es würde hierzu also eben so wohl die Saugkraft der Brust als
die Stosskraft des Herzens hinreichen, weil im kommunizirenden Röhrensystem sich
die ungleichen Spannungen des Inhalts ausgleichen.
Die absoluten Werthe der Spannungen im Blutstrom.
Die Versuche, welche die Spannungen im Blutstrom und die Ver-
änderungen in der Zeit zu messen oder zu schätzen trachteten, sind meist
so angestellt worden, dass der Antheil, den die einzelnen stromerzeugen-
den Kräfte an ihnen nehmen, nicht gesondert dargestellt werden kann.
— Die Hilfsmittel, welche man beim Menschen zu Rathe ziehen kann,
um den Werth der bestehenden Spannung zu messen, sind so unvoll-
kommen, dass sie niemals mehr als ganz grobe Unterschiede zweier ver-
schiedenen Werthe erkennen lassen; über die absoluten Werthe der ver-
glichenen Spannungen erhalten wir aber durch sie gar keinen Aufschluss.
Genaue aber weitaus nicht überall genügende Messungen dieser Verhält-
nisse lassen sich durch das Manometer bei Thieren gewinnen. — Gewisse
Eigenthümlichkeiten der zeitlichen Veränderungen in den Drücken sind
dagegen beim Menschen und in noch ausgedehnterem Maasse bei Thieren
scharf zu bestimmen.
Die beim Menschen anwendbaren Mittel, um den Grad der Gefässspannung zu
erkennen, beschränken sich auf den mit dem Fingerdruck zu schätzenden Widerstand,
den ein Gefäss der Zusammenpressung entgegenstellt, oder auf die sichtbare Ausdeh-
nung und Farbenveränderung gewisser Gefässregionen. Diese Beobachtungsweise hat
man verschiedentlich zu vervollkommnen getrachtet. Einmal durch die Anwendung
eines Glasröhrchens, das an seinem obern Ende zu einer offenen Capillare ausgezo-
gen, an seinem untern aber mit einer nachgiebigen Blase geschlossen war. Man
soll dieses Gefäss mit Flüssigkeit füllen, die Blase auf die Haut setzen, welche über
eine Arterie wegläuft, andrücken, und das Spiel der Flüssigkeit, welches durch das
Klopfen der Arterie herbeigeführt wird, in dem engen Ausläufer vergrössert beobach-
ten. Oder man hat auch auf die Haut, welche ein sich ausdehnendes und dann wie-
der zusammenziehendes Gefäss bedeckt, den kurzen Arm eines Fühlhebels aufgesetzt,
[109]Ueber die Messung der Spannungen.
(Vierordt)*) und die Exkursion des längern beobachtet. Wollte man nun aus
diesen Beobachtungen Schlüsse auf die in dem Gefäss wirksamen Spannungen ziehen,
so dürfte man nicht vergessen: 1) dass die Ausdehnung eines Gefässes um denselben
Werth durchaus nicht einen gleichen Zuwachs von Spannung bedeutet, denn wenn
der Durchmesser eines und desselben Gefässes das einemal von 1 CM. zu 2 CM. und
das anderemal von 2 CM. zu 3 CM. zugenommen hat, so müssen die Spannungen,
welche in den beiden Fällen gleiche Durchmesservergrösserung erzeugten, ganz un-
gleichen Werth besessen haben, und zwar in dem letzteren Fall einen grösseren, als
in dem ersteren. Und dieses muss darum statt haben, weil die Arterienhäute die
allgemeine Eigenschaft durchfeuchteter Thiergewebe besitzen, mit steigender Spannung
ihre Elastizitätscoefficienten zu erhöhen. Da nun aber die obigen Verfahren in beiden
Fällen gleichen Ausschlag geben würden, so sind ihre Angaben keine vergleichbaren
Werthe. — Diese Eigenthümlichkeiten der Gefässhaut verlangen es nun auch, wenn
nicht alle ihre auf Spannungswerthe bezügliche Angaben illusorisch werden sollen,
dass man jedesmal die Werkzeuge unter demselben Druck auf die das Gefäss be-
deckende Haut aufsetzt. Denn wenn man das einemal sie mehr und das anderemal
weniger zusammendrückt, so muss dieselbe Spannungsveränderung einen ganz verschie-
denen Ausschlag geben. Diese Forderung ist aber nicht zu erfüllen, wo es sich um
so feine Veränderungen handelt, welche nun durch das Instrument (mit allen Fehlern
versehen) vergrössert angegeben werden. — 2) Die obigen Instrumente werden nicht
auf das Gefäss, sondern auf die dasselbe bedeckenden Gebilde (Bindegewebe, Schei-
den und Haut) aufgesetzt. Jede während des Versuchs veränderte Spannung dieser
Theile, sei diese durch die in ihr eingewebten Muskeln oder durch eine Anfüllung
ihrer Blutcapillaren erzeugt, muss einen Fehler geben, denn hierdurch wird die Nach-
giebigkeit dieser Theile und damit, unabhängig von der Spannung des Bluts, die Wir-
kung der Arterie auf das Instrument verändert. 3) Endlich dürfte es namentlich bei
Anwendung des Fühlhebels schwer zu vermeiden sein, dass derselbe bei der Erwei-
terung des Gefässes nicht so weit von der Haut abgeschleudert wird und bei dem Rück-
gange, je nach der Geschwindigkeit desselben, mehr oder weniger tief eingedrückt
werde, dass die wesentlichsten Ungenauigkeiten erzeugt werden mussten. — Wenn
sich somit diese Instrumente als Mittel zur Vergleichung der Spannungen unbrauch-
bar erweisen, so sind sie dagegen werthvoll zur Bestimmung gewisser zeitlicher Ver-
änderungen, z. B. des Abstandes zweier Pulsschläge von einander. Um diese Angaben zu
gewinnen, genügt es, die Auf- und Abgänge des langen Hebelarms auf einen mit bekannter
Geschwindigkeit rotirenden Cylinder aufschreiben zu lassen (Vierordt). — In einzelnen
Fällen ist es auch vortheilhaft gewesen, das Metronom zu gebrauchen, um ein un-
gefähres Maass für den zeitlichen Abstand zweier Pulsschläge zu erhalten. Don-
ders stellt das Instrument so ein, dass die Schläge desselben mit denen des Pulses
zusammenfallen. Wird nun durch irgend welchen Umstand die Schlagfolge des Her-
zens vorübergehend geändert, so ist aus der Vergleichung mit dem Metronom leicht
anzugeben, ob die Herzpausen verlängert oder verkürzt sind.
Zur Messung der Spannungen bei Thieren hedient man sich auch hier des Druck-
schreibers (Fig. 42.). Er hat vor allen übrigen denkbaren lustrumenten den Vorzug,
dass die Blutspannung durch eine Flüssigkeit gemessen wird; es muss bei der Gleich-
artigkeit des messenden und gemessenen Mediums die vollständigste Ausgleichung
stattfinden, und es sind die Angaben des Messinstruments sogleich brauchbar, ohne
irgend welchen Umsatz in ein anderes Maass erfahren zu müssen. — Aber trotz die-
ser Vorzüge ist das Instrument nicht vollkommen, weil es nicht im Stande ist, mo-
mentane Spannungsveränderungen des Bluts richtig anzugeben. Denn da das Princip
[110]Mängel des Druckzeichners.
der Messung eine Bewegung der Flüssigkeit in dem gebogenen Rohr verlangt, so
müssen bei sehr raschen Spannungsänderungen in den Gefässen, wie sie in der That
beobachtet werden, Fälle eintreten: 1) in welchen die spannungsanzeigenden Exkur-
sionen im Manometer grösser sind, als die Spannungen in den Gefässen selbst. Die-
ser Fall wird nur eintreten, wenn man die Spannungswechsel in den Arterien misst,
weil er ein rasches und sehr beträchtliches Auf- und Absteigen des Druckes verlangt.
In diesem Fall empfängt das Quecksilber des Manometers eine solche Beschleunigung,
dass es über das verlangte Ziel hinausschiesst. 2) Die Exkursionen des Instruments
werden aber auch kleiner sein können, als die des Gefässes; im Extreme muss sich
dieses ereignen, wenn die Spannungen sich in der Zeit rasch in verschiedenem Sinne
ändern, indem sie z. B. rasch aufsteigt, plötzlich aber wieder absteigt, wobei zugleich
das Auf- und Absteigen einen beträchtlichen Weg zurücklegt. Da die Spannung zwi-
schen Arterie und Manometer sich nur durch Einströmen von Blut ausgleichen kann
und dieses Einströmen Zeit erfordert, so muss unter den beschriebenen Umständen
die Zeit zur vollen Ausgleichung fehlen. Kehrt nun aber, weil im Gefässsystem die
Spannung wechselt, die Bewegung von oben nach unten um, so wird die Ausgleichung
nach der entgegengesetzten Seite hin fehlerhaft sein, so dass das Instrument durch
gegenseitige Aufhebung der Fehler das wahre Mittel der im Gefäss bestehenden Span-
nung angibt. Man kann indess durch mancherlei Hilfsmittel die Spannung eines Instru-
ments und das Gefäss einander sehr nahe bringen. 3) Ein unvermeidlicher, aber
an grösseren Thieren bis zum Unmerklichen herabzudrückender Fehler liegt in dem
manometrischen Verfahren darum, weil die gemessene Stelle während der Messung in
das Instrument Flüssigkeit giebt und aus ihm nimmt, sie spannt sich also, unabhängig
von dem hinter und vor ihr gelegenen Blut, auf und ab. Aus diesem Grunde muss man
die Dimension des Instruments richten nach denen des ab- und zuführenden Gefässes.
4) Die Zeit der Spannungsumänderung in dem Instrument und in dem Gefäss ist end-
lich nicht genau dieselbe, sondern es geht die Umkehr nach oben oder nach unten
im Manometer etwas hinter der im Gefäss her, des Beharrungsvermögens wegen;
ausserdem ist aber der Zeit nach die Bewegung im Instrument ein genauer Abdruck von
der in dem Gefässe. — Ueber die Verbindungen des Manometers mit dem Gefäss, je
nach der Messung des Seiten- oder Achsendrucks und je nach der Messung in Ar-
terien und Venen, siehe C. Ludwig und Volkmann*)
Beobachtete Spannungen in der grossen Blutbahn.
Arterien.
1. Puls. Jede Zusammenziehung des Herzens bedingt in den Arte-
rien eine rasch vorübergehende, durch das ganze System fortlaufende
Erweiterung, welche als Folge der Welle angesehen werden muss, die
vom Herzen erregt wird. — Die Ausdehnung der Arterie geschieht, wie
dieses namentlich an einem blos gelegten Gefässe sichtbar wird, eben
so wohl nach der Länge als nach dem Durchmesser. Die Anschwel-
lung nach der letztern Richtung ist jedoch weniger augenfällig, als die
Verlängerung, welche sich durch eine Bewegung der bisher gestreckten
Gefässe besonders einleuchtend äussert. Dieser Unterschied ist einmal
begründet in der meist geringen Dehnbarkeit nach der queren Richtung
und nächstdem dadurch, dass das blos gelegte Gefäss nach der Länge
hin mehr Maasseinheit sehen lässt, als sie der Peripherie der Arterie
[111]Beobachtete Spannungen in den Arterien.
zukommen; wenn also die Ausdehnung, welche die Arterienwand nach
beiden Richtungen hin erfährt, relativ gleich gross ist, so wird doch die
nach der Länge absolut bedeutender sein.
Poiseuille*) hat in einigen Fällen bei Thieren die Vermehrung der Räum-
lichkeit gemessen, welche ein aliquoter Abschnitt einer Arterie erfährt; leider fehlen
gleichzeitige Druckbestimmungen, so dass das Resultat auf kein allgemeines Interesse
Anspruch machen kann. — Ueber den Streit, ob die Ausdehnung nach der Länge
allein, oder nach beiden Richtungen erfolge, siehe E. H. Weber**).
Wenn die Erweiterung der Arterien beim Puls die Folge der fort-
schreitenden Wellenbewegung ist, so muss derselbe, wie dieses auch that-
sächlich der Fall, in jedem dem Herzen näher gelegenen Arterienabschnitt
früher erscheinen, als in den entfernteren. Kennt man nun die Zeit,
welche nothwendig, damit das Maximum der Erweiterung von einem Ort
zu einem andern von bekannter Entfernung fortschreitet, so ist damit
die Geschwindigkeit des Fortschreitens der Welle im Arteriensystem ge-
geben. E. H. Weber***) hat mit der Tertienuhr eine solche Bestim-
mung an sich ausgeführt und gefunden, dass die Welle in 1 Sekunde
um 11,250 Meter = 34,5 Fuss fortschreitet. Bemerkenswerther Weise
stimmt diese Fortleitungsgeschwindigkeit mit der von ihm am Kautschouk[-]
rohr beobachteten überein. — Macht man nun die Annahme, dass in einer
Arterie die Wellen von einem zum andern Herzschlag andauern, so muss
die Wellenlänge gefunden werden, wenn man diese Zeit mit der Fort-
leitungsgeschwindigkeit multiplizirt. Aus einer solchen Betrachtung geht
hervor, dass selbst bei einem sehr rasch auf einander folgenden Herz-
schlag die Arterienwelle den menschlichen Körper an Länge sehr über-
trifft.
2. An einer und derselben Gefässstelle erscheint die Widerstands-
fähigkeit der pulsirenden Arterie dem drückenden Finger veränderlich
mit der Blutfülle des ganzen Gefässsystems, mit der Zahl und Kraft der
Athem- und Herzbewegungen, mit dem Eintritt von Stromhemmnissen
im Allgemeinen, oder solchen, die diesseits und jenseits der untersuchten
Stelle gelegen sind.
Den genauen Ausdruck für diese [Thatsachen] liefert der Druckzeich-
ner; die folgenden Beobachtungen beziehen sich auf die art. carotis, wenn
nicht das Gegentheil bemerkt wird.
a. Veränderlichkeit des Mitteldrucks eines Blutstroms
mit der Blutfülle†). Nach einer Injection von erwärmtem und ge-
schlagenem Blut eines Thiers in die Adern eines gleichartigen andern pflegt,
wie Volkmann, Goll u. A. erwiesen haben, die mittlere Spannung des
Stroms in der Carotis zu steigen, während sie abnimmt nach grossen
[112]Veränderlichkeit der Stromspannung mit der Blutfülle.
Aderlässen. Dieser Erfolg muss jedoch nicht nothwendig eintreten, da
eine Vermehrung oder Verminderung in der Beschleunigung und in dem
Umfang der Herzschläge compensirend auftreten kann. Diese Compen-
sation muss jedoch innerhalb gewisser Grenzen eingeschlossen sein, die
sich aber vorerst nicht näher bezeichnen lassen. — Während eines Ader-
lasses muss nach den Versuchen, welche Volkmann an starren Röhren
anstellte, die Spannungsabnahme am grössten sein in den Gefässen,
welche der Oeffnung zunächst liegen, und namentlich in denjenigen,
welche zwischen diesen letztern und den Capillaren sich befinden.
b. Wie sich unter dem Einfluss der veränderten Herzbewe-
gung die Spannung ändert, ist schon früher mitgetheilt worden, siehe
pag. 93 f.
c. Veränderlichkeit der Spannung mit den Athembewe-
gungen*). Der Einfluss der Athembewegung auf die Spannung des
arteriellen Blutes fällt bei verschiedenen Thiergattungen und bei densel-
ben unter abweichenden Umständen sehr verschieden aus. Wir betrach-
ten hier als Prototype die Erscheinungen beim Hund und dem Pferd.
Hund. Hier ist zu unterscheiden: α. Jeder einzelne Akt einer
Athembewegung eine (In- und eine Exspiration), besitzt die Dauer meh-
rer Herzschläge; die Zahl dieser letztern in der Minute ist eine mittlere
(keine beschleunigte). — In diesem Fall gewinnt die Spannungscurve das
in Fig. 48. wiedergegebene Ansehen.
Mit der beginnenden Exspiration fol-
gen die Zusammenziehungen des
Herzens einander sehr rasch (1 bis 6).
In dieser Zeit (E bis R) steigt die
mittlere Spannung sehr beträchtlich,
so dass selbst während der zwi-
schen zwei Zusammenziehungen ge-
legenen Erschlaffung des Herzens
entweder gar kein oder ein nur sehr
unbedeutendes Sinken der Spannung
zu Stande kommt. Jeder neu ein-
treffende Herzschlag trifft also eine höhere Spannung an, als der vorher-
gehende. Mit Vollendung der Exspirationsbewegung (R), wenn der ver-
engte Thorax zu seiner normalen Weite zurückkehrt, tritt nun plötzlich
eine lange Herzpause ein, während welcher die Spannung sehr beträcht-
lich herabsinkt; auf diese folgen dann die Herzschläge seltener. In der
darauf eintretenden Inspiration (I) ereignet es sich nun, dass während
jeder Herzsystole die Spannung weniger steigt, als sie in der zugehörigen
Diastole sinkt, so dass jeder folgende Herzschlag die Spannung auf einem
[113]Einfluss der Athembewegung beim Hunde.
niederern Grade antrifft, als der vorhergehende. — Um eine Vorstellung
davon zu erhalten, wie sich der Mitteldruck von einem Herzschlage zum
andern in einer vollendeten Respirationsbewegung ändert, ist es noth-
wendig, die Curve M M aus der unmittelbar gewonnenen dadurch zu con-
struiren, dass man aus den während einer Herzzusammenziehung beste-
henden Spannungen das Mittel nimmt, diese mittleren Werthe auf die
halbe Zeit zwischen Anfang und Ende der Herzbewegung aufträgt und
darauf die Punkte durch eine Linie verbindet.
Diese Veränderung in dem Werthe der mittleren Spannungen ist nun
nachweisslich von zwei Umständen abhängig, einmal von den Herzkräften
und dann von dem Spannungszuwachse, welchen das Blut in der Brust-
höhle durch die Bewegungen der Brustwandungen erhält. Der Beweiss
für die Behauptung, dass den Bewegungen der Brustwandung ein Antheil
an den Veränderungen der mittleren Spannung zugeschrieben werden
müsse, liegt schon darin, dass eine Proportionalität besteht zwischen den
Spannungsveränderungen des Inhalts der Brust und der Arterien; denn
erfahrungsgemäss steigt die arterielle Spannungscurve gerade so lange
an, als die Exspirationsbewegung anhält, und dann erhebt sich oder sinkt
dieselbe um so beträchtlicher, je umfänglicher die Aus- oder Einathmung
geschieht. — Den Zuwachs, welchen die mittlere Spannung des Bluts
während der Dauer einer Ausathmung erfährt, kann man sich aber nicht
allein abhängig denken von dem Druck der zusammenfallenden Brust.
Dieses vorausgesetzt, müsste offenbar die Spannung, welche während der
Exspiration zwischen Brust und der äussern Fläche der Gefässwand be-
steht, gleich sein dem Zuwachs der Spannung in den Binnenräumen der
Gefässe. Dieses ist aber nicht der Fall; denn eine Messung dieser Span-
nung in dem verschlossenen Brustkasten ergab, dass diese immer geringer
als der Spannungszuwachs in den Arterien war (C. Ludwig). — Die
Veränderung in der Zahl der Herzschläge kann bedingt sein entweder von
einem erregenden Einfluss, welchen der zusammenfallende Brustraum auf
das ausgedehnte Herz übt, oder von reflektirten Erregungen des n. vagus.
Die Annahme, dass der zuletzt erwähnte Nerv hierbei im Spiel sei, wird
durch die Thatsachen des folgenden Satzes bestätigt.
β. Jeder einzelne Akt einer Athembewegung besitzt die Dauer meh-
rerer Herzschläge, die Zahl der letzteren ist eine beschleunigte. Diesen
Fall kann man künstlich erzeugen, wenn man
die n. vagi durchschneidet. Die Erscheinungen,
welche in Fig. 49. dargestellt sind, unterschei-
den sich von den vorhergehenden dadurch,
dass sich die Dauer und die Intensität der
einzelnen Herzschläge in der Ausathmung von
denen in der Einathmung nicht unterscheiden;
der Spannungszuwachs ist somit nur abhängig
Ludwig, Physiologie. II. 8
[114]Einfluss der Athembewegung beim Pferd.
von dem Druck der Brustwandung, was die direkten Messungen bestä-
tigen.
γ. Die Athem- und Herzbewegungen sind ungefähr gleich an Zahl;
bei dieser Combination sind an der arteriellen Spannungscurve die ein-
zelnen Phasen der Athembewegung nicht mehr zu unterscheiden, obwohl
ihr Einfluss offenbar noch vorhanden sein muss.
Pferd. Bei diesem Thiere gestalten sich die Erscheinungen darum
sehr viel einfacher, weil die regelmässige Wiederkehr des Herzschlags
durch die Bedingungen, welche die Athembewegungen einleiten, nicht
wesentlich beeinträchtigt wird. Es beziehen sich demnach die durch
die letzteren erzeugten Veränderungen in der arteriellen Spannungscurve
nur auf eine Steigerung oder Minderung der durch die Herzkräfte erzeug-
ten Drücke, so dass während der Herzpause die Spannung beträchtlich
abnimmt, wenn sie sich zu einer Inspirationsbewegung gesellt, während
keine oder nur eine geringe Abnahme bemerklich ist, wenn eine Herz-
pause und eine Exspirationsbewegung zusammentreffen. Das Umgekehrte
aber gilt von dem Steigen während der Herzzusammenziehung. — Diese
Alteration der arteriellen Spannungscurve ist nun aber bemerkenswerther
Weise nur dann wahrzunehmen, wenn die Herzzusammenziehungen wenig
umfangreich sind und rasch aufeinander folgen und zugleich die Athem-
bewegungen sehr intensiv werden. Im andern Falle ist ein Einfluss der
Bewegungen der Brustwandung nicht bemerklich.
Wendet man sich nun nach diesen Erfahrungen zu den Erschei-
nungen, welche der Puls beim Athmen des Menschen zeigt, so findet
man, dass durch die gewöhnlichen Athembewegungen und insbesondere bei
Männern die Pulsschläge weder in der zeitlichen Folge noch auch in der
Härte irgendwelche merkliche Veränderung erfahren. Die einzige schon
früher hervorgehobene Beziehung zwischen dem Kreislauf und der Athem-
bewegung, vorausgesetzt, dass der Umfang ihrer einzelnen Akte den mitt-
leren Werth nicht überschreitet, liegt darin, dass sich mit einer Beschleu-
nigung der Athemfolge auch der Herzschlag häufiger einstellt. — Bei
tieferen Athembewegungen macht sich aber noch ein anderer Einfluss
geltend, der sich ebensowohl durch eine Veränderung in der Folge als
auch der Kraft der Herzschläge äussert. Bei sehr tiefer Inspiration
wird der Puls langsamer und weniger fühlbar, indem häufig der Herz-
schlag so schwach wird, dass man mittelst des aufgelegten Ohrs seine
Töne nicht mehr zu hören vermag. Diese Erscheinungsreihe wird beob-
achtet, gleichgültig, oh Mund und Nase während der Erweiterung des
Brustkorbs geschlossen oder geöffnet war. — Geht nun eine Inspiration
in eine Exspiration über, so wird der Pulsschlag schneller und voller,
vorausgesetzt, dass aus dem verengerten Brustkorb die Luft entweichen
konnte. Schliesst man dagegen während einer solchen Exspiration, die
nach einer tiefen Inspiration gemacht wird, Mund und Nase, und presst
[115]Einfluss der Athembewegung beim Menschen.
man somit die Luft in der Brusthöhle zusammen, ohne dass sie ent-
weichen kann, so wird der Puls zwar ebenfalls schneller, aber die Herz-
schläge werden dabei so schwach, dass bei vielen Individuen Puls und
Herztöne gänzlich zum Verschwinden kommen. Der innere Zusammenhang,
der den zuletzt mitgetheilten Thatsachen gemäss zwischen Athem- und
Herzbewegungen besteht, ist noch nicht überall klar, so viel scheint jedoch
festzustehen, dass er zum grossen Theil bedingt wird durch die veränder-
ten Pressungen, unter welche die Blutbehälter des Brustkastens gesetzt
werden. — In der tiefen Inspiration werden die Saugkräfte der Lungen
vermehrt; indem sich nun das Herz zusammenzieht, muss der linke Ventrikel
nicht allein die Gewalt überwinden, mit welcher das in der Aorta gespannte
Blut die arterielle Mündung zupresst, sondern auch noch den Unter-
schied des Luftdrucks, welchem die äussern Herzflächen und der Aorten-
inhalt ausgesetzt sind. Es ist denkbar, dass die Summe dieser beiden
Drücke gross genug wird, um die Entleerung des Herzens unmöglich zu
machen. — In der Exspiration, und insbesondere wenn die Zusammen-
ziehung des Brustkastens energisch ist, während die Stimmritze geschlos-
sen und die Lungen mit Luft erfüllt sind, wird eine so starke Pressung
auf die grossen Körpervenen in dem Brust- und Bauchraum ausgeübt,
dass er denjenigen des Bluts in den grossen Kopf- und Extremitäten-
venen übertrifft; das Blut wird also aus ihnen nicht mehr nachströmen
können, und wenn dann das Herz den Vorrath an Blut, den es in der
Brusthöhle findet, erschöpft hat, so wird es bei weiteren Zusammen-
ziehungen kein Blut mehr aus der Brusthöhle entleeren können, so dass
dann der Pulsschlag verschwinden muss.
Die Beschleunigung, welche die Herzschläge erfahren, kann man sich
abhängig denken zum Theil von den Erregungen, welche das Herz durch
das Zusammendrücken des Brustkastens empfängt, zum Theil aber auch
durch Reflexe, welche der n. vagus in Folge der veränderten Erregungs-
verhältnisse seiner peripheren Enden auslösst. — Diese Aufklärungen
über die Einwirkung der respiratorischen Bewegungen auf den Kreislauf
des Menschen verdanken wir der Aufmerksamkeit und dem Scharfsinn
von Donders und Ed. Weber.
d. Die Veränderung des Mitteldruckes*)mit einer gleich-
zeitigen Veränderung der Arterienlumina muss an zwei verschie-
denen Orten untersucht werden; einmal in dem Gefäss, welches verengert
oder erweitert ist, und dann in den übrigen Röhren, welche keine Verände-
rung ihres Durchmessers erfahren haben. — Als Goll die Messung in dem
letztern Sinne führte, d. h. als er die Spannung in der Carotis bestimmte,
während eine grössere Zahl bedeutender Arterien unterbunden war, ergab
sich eine Steigerung der Spannung im arteriellen System. So erhob
8*
[116]Einfluss der veränderten Arterienlumina.
sich z. B. bei einem Hunde nach Unterbindung der a. cruralis, carotidae,
subclavia sinistra und transversa colli der Mitteldruck von 122 auf 157
MM. Hg; nach Lösung der Ligaturen ging derselbe wieder auf 129 MM.
zurück. Der Theorie entsprechend ist im Allgemeinen der Druck im
Wachsen begriffen mit der vermehrten Zahl und der Grösse des Kalibers
der unterbundenen Röhren. — Versuche über die Folgen des Gegen-
theils (der Erweiterung des Collateral-Kreislaufs) liegen nicht vor.
Setzt man dagegen den Druckmesser in eine Arterie, welche verengert
ist zwischen der gemessenen Stelle und den Capillaren, so muss der Theorie
entsprechend unter allen Umständen eine Steigerung der Spannung an dem
beobachteten Orte eintreten, weil bei unverändertem Zufluss der Abfluss ge-
hemmt wird. Erfahrungsgemäss ist nun aber diese Spannungsvermehrung viel
merklicher in kleineren als in grösseren Arterien. So fanden u. A. Speng-
ler und Volkmann die Spannungen nicht merklich verschieden, moch-
ten sie dieselben messen bei vollkommen durchgängiger oder bei voll-
kommen geschlossener Carotis. Kleine Arterien, welche im Normal-
zustande niemals pulsiren, schlagen dagegen sehr heftig, wenn ihr zu-
gehöriges Capillarensystem geschlossen oder verengt ist, die Spannung
ist also gesteigert. Der Grund für dieses abweichende Verhalten grösserer
und kleinerer Gefässe scheint in der zum Theil erfahrungsgemäss fest-
stehenden Bedingung gesucht werden zu müssen, dass die Differenz der
Spannungen, welche bei ungestörtem Kreislauf zwischen zwei in einander
übergehenden Arterien grössern Kalibers bestehen, geringer ist, als zwi-
schen zwei solchen kleineren Durchmessers. Setzen wir z. B. in dem
Stück Röhrenwerk, welches Fig. 50. wiedergiebt, die Spannung in A =
100 MM. Hg, in B = 99 MM. Hg, in C = 90
MM. Hg, in D = 60 MM. Hg, so wird offenbar,
wenn der Ausfluss aus B gehemmt wird, die Span-
nung in diesem Stück nur um (100—99) = 1
MM. Hg steigen können, während, wenn der Aus-
fluss aus D gehemmt wird, die Spannung um
30 MM. steigen muss. Diese Schlussfolgerung be-
gründet sich dadurch, dass bei der Verschliessung
eines Astes in diesem die ganze oder nahebei die
ganze Spannung des nächsthöher gelegenen ein-
treten muss, wie ohne weiteres ersichtlich, da das
folgende Gefäss ein blinder Anhang des vorher-
gehenden wird.
e. Veränderlichkeit des Mitteldrucks mit der Entfer-
nung des Arterienquerschnitts vom Herzen*). Die Versuche,
durch welche man festzustellen sucht, welche Spannungen gleichzeitig in
[117]Veränderung des Mitteldrucks mit der Entfernung vom Herzen.
verschiedenen Arterien bestehen, gehören zu den schwierigern; nach eige-
nen vielfachen Erfahrungen ist nur denjenigen Resultaten ein Werth bei-
zulegen, welche mittelst des Druckzeichners gewonnen sind, und, wie
sich von selbst versteht, nur denjenigen, bei welchen die untersuchten
Arterien in gleichem Niveau gelegen sind, so dass die von der Schwere
des Bluts herrührenden Spannungsungleichheiten als eliminirt anzusehen
sind. Die unter diesen Bedingungen gewonnenen Erfahrungen sind noch
sehr wenig zahlreich. — Aus ihnen scheint aber mit Sicherheit hervor-
zugehen, dass in den grossen Arterien mit der wachsenden Entfernung
vom Herzen die Spannung sehr wenig abnimmt, während in den Arterien
kleinen Kalibers dieselbe sehr merklich abnimmt im Vergleich zu der in
den grössern. Insbesondere ist festgestellt, dass die Spannung in der
art. cruralis trotz ihrer beträchtlichen Entfernung vom Herzen doch eben
so gross ist, als in der art. carotis. Die Erläuterung dieser Erscheinung
hat keine Schwierigkeit, wenn man erwägt, dass der Strom in den
Arterien weder sehr rasch ist, noch auch, dass die Stösse und die
Reibungen in der Aorta bis zur art. cruralis hin sehr beträchtlich
sind. In Anbetracht der Thatsache, dass das Blutgefässwerk ein
sehr komplizirtes Zweigsystem darstellt, lässt es sich sogar denken,
dass der Druck in der Cruralis noch höher als in der Carotis sei, wie
dieses in der That wiederholt beobachtet wurde. In den kleinen Arterien
findet sich dagegen nach Volkmann die Spannung constant sehr viel
niedriger als in den grössern; aber auch hier fällt sie keineswegs in
dem Maasse, in welchem der Abstand das Gefässes vom Herzen zu-
nimmt. Beispielsweise führen wir an, dass bei einem Kalb der Mittel-
druck in der a. carotis 165,5 MM. und gleichzeitig in der a. metatarsi
146 MM. Quecksilber betrug.
f. Ueber die Ergebnisse des Pulsfühlens. Ein geübter
Beobachter soll mit dem Finger ausser der Häufigkeit der Wiederkehr an
dem Puls unterscheiden: ob er rasch oder allmählig anschwillt (p. celer
und tardus); wie weit dabei die Arterie ausgedehnt sei (plenus und
vacuus) und in welchem Grade von mittlerer Spannung sich hierbei das
Gefäss befindet (p. mollis und durus). Wenn der Arzt das Zugeständ-
niss macht, dass selbst ein sehr feiner Finger nur grobe Unterschiede
feststellen kann, so wird derjenige, welcher den Strom mit scharfen Mit-
teln zu messen gewöhnt ist, in der That nichts einwenden gegen die
Glaubwürdigkeit der Behauptung; um so weniger, weil die obigen An-
gaben Bezeichnung wirklich vorkommender Zustände enthalten. — Denn
celer oder tardus kann der Puls werden, wie die Curven des Druck-
zeichners darthun; der ansteigende oder absteigende Curvenast braucht
zu einer gleichen Erhebung oder Senkung oft sehr verschiedene
Zeit. Der Puls muss aber darum celer oder tardus werden können,
weil z. B. das Herz erfahrungsgemäss einen gleichen Umfang der Ver-
[118]Pulsfühlen.
kürzung zu verschiedenen Zeiten in ungleich langen Zeiten durchläuft. —
Dass die pulsirende Arterie bald gefüllt und bald leer sein kann, ver-
steht sich nach einer ganzen Reihe von Mittheilungen über den Puls von
selbst. Dass aber die Arterien in gefülltem Zustande auch weich und im
leeren auch hart sein können, lässt sich nicht bestreiten, weil der Span-
nungsgrad, abgesehen von der Füllung, auch abhängig ist von dem Ela-
stizitätscoeffizienten der Wandung, so dass, wenn die Gefässwandung schon
an und für sich steif ist, auch die wenig gefüllte Arterie sich sehr hart
anfühlen kann.
g. Ueber die zeitliche Abhängigkeit der Herz- und Puls-
schläge; pulsus dicrotus. Alle Betrachtungen, die wir bis dahin
anstellten, führten darauf, dass in bestimmten Zeitabschnitten die grössern
Arterien mindestens so vielmal pulsiren müssen, als während derselben
das Herz geschlagen hat. Diese Behauptung wird so sehr durch die Er-
fahrung bestätigt, dass alles, was früher über die Schlagfolge des Her-
zens angemerkt ist, auch für die Pulsfolge der Arterien gilt. Diese Be-
hauptung schliesst aber die Möglichkeit nicht aus, dass auf einen Herz-
schlag mehrere Pulsschläge fallen, eine Möglichkeit, die erfahrungsgemäss
besteht, indem sehr häufig bei einzelnen Thieren (z. B. beim Pferd)
und zuweilen wenigstens beim Menschen auf je einen Herzschlag zwei
Pulsschläge beobachtet werden, von denen der eine gewöhnlich weni-
ger kräftig und kürzer dauernd ist, als der andere. Diese Erscheinung
ist unter dem Namen des pulsus dicrotus berühmt. — Diejenigen Eigen-
thümlichkeiten dieses Doppelschlags, welche bekannt sein müssten, wenn
der Mechanismus ihres Zustandekommens erklärt werden sollte, sind
leider noch nicht beobachtet. Es bleibt also nichts übrig, als einige Mög-
lichkeiten zu erörtern und daraus abzuleiten, auf welche Eigenthümlich-
keiten sich künftighin die Aufmerksamkeit zu richten hat.
Mit Hilfe des Apparats, der Seite 53 abgebildet wurde, lassen sich für eine Hahnöff-
nung auf verschiedene Weise Doppelschläge in dem pulsirenden Rohr hervorbrin-
gen. 1) Die zweite Erhebung des Doppelschlags ist die Folge der elastischen Nach-
wirkung des ersten. Diese Nachschwingung ereignet sich jedesmal in einer ausgepräg-
ten Weise, wenn man den Wasserbehälter bis zu der Höhe von ungefähr 1 Meter
mit Wasser gefüllt, das elastische Rohr und den Wass erbehälter mittelst eines Hahns
von weiter Oeffnung in Verbindung gebracht und diesen letzteren sehr rasch geöffnet
hat. Den auf den Seiten 34 u. 35 entwickelten Grundsätzen gemäss muss die Flüssigkeit
in der Schlauchwelle zu einer höhern Spannung als in dem Wasserbehälter gelangen.
In Folge hiervon wird sich die Schlauchwand mit einer grossen Geschwindigkeit aus-
dehnen und ebenso rasch wieder zusammenfallen; wenn nun die Schlauchwand nach
der einen Seite hin vermöge der Beharrung sich über den Grad von Ausdehnung
spannte, der ihr vermöge des Drucks aus dem Wasserbehälter her zukam, so fällt
sie auch bei dem Rückgang aus dieser Spannung beträchtlicher zusammen, als es ihr,
ohne die grosse Geschwindigkeit ihrer Bewegung, die Widerstände der umliegenden
Wandtheile möglich machen würden. Hat sich aber die Geschwindigkeit eben in
Folge dieser Widerstände erschöpft, so wird sie durch die Spannung der Umgebung
[119]Pulsus dicrotus.
nun wieder aufwärts getrieben; dann erst entleert sich das Röhrenstück, vorausge-
setzt, dass der Hahn geschlossen bleibt, allmählig. Der zweite Schlag ist also jedesmal
weniger energisch, als der erste. — Würde nach Analogie dieses Vorgangs der pul-
sus dicrotus auftreten, so müssten: die Herzschläge nicht allzurasch einander folgen, da-
mit sich die Arterie während der Herzpause bedeutend abspannen könnte, so dass die Be-
wegung der Arterienwand vom Beginn bis zum Ende des Herzschlags eine grosse Geschwin-
digkeit zu erlangen vermögte; die Herzzusammenziehung selbst müsste aber sehr um-
fänglich und dabei rasch vollendet sein; der zweite Schlag müsste den ersten an
Kraft nachstehen und in den vom Herzen entfernteren Arterienstücken schwächer als
in den ihm näheren gefühlt werden. — 2) In dem elastischen Rohr erfolgt ein Doppel-
schlag, wenn die Geschwindigkeit, mit welcher der Hahn geöffnet wird, eine un-
gleichförmige ist. Also z. B. wenn man die erste Hälfte der Hahnmündung geschwind
öffnet, dann sehr kurze Zeit langsamer weiter dreht und darauf zur frühern Um-
drehungsgeschwindigkeit zurück kehrt. In Folge dieser Art zu drehen, steigt die
Spannung in dem Röhrenumfang in kurzer Zeit zuerst sehr bedeutend, dann vermin-
dert sich die Plötzlichkeit derselben, um beim letzten Akt der Hahndrehung wieder
rasch zu steigen. Damit erhält der Schlauchpuls eine fühlbare Einbiegung, die unter
günstigen Umständen einen deutlichen Doppelschlag zum Vorschein bringt. — Wenn
sich im menschlichen Kreislauf dieses ereignen sollte, so müsste die Zusammenzie-
hung der Kammern mit einer während ihrer Dauer variablen Geschwindigkeit erfolgen;
die Erscheinung würde wahrscheinlich sehr deutlich hervortreten. Man würde auf die-
sen Mechanismus des pulsus dicrotus schliessen dürfen, wenn der erste Schlag desselben
die Arterien zu einer geringern Spannung führte, als der zweite, so dass er gleich-
sam als ein Vorschlag des ersten erschien. Eine Bestätigung für die Annahme, dass
der pulsus dicrotus auf diese Weise erzeugt sei, würde darin liegen, wenn der erste
Herzton, der durch die Zusammenziehung der Kammern entsteht, sehr anhaltend und
mit schwankender Intensität gehört würde. — 3) Endlich kann man durch Wellen-
reflexion einen Doppelschlag hervorbringen, vorausgesetzt nemlich, dass man in das
Rohr einen Widerstand, z. B. einem das Lumen desselben zum grossen Theil erfüllen-
den und zugleich feststehenden Körper einfügt, der die Bergwellen zurückzuwerfen
vermag. Auch in diesem Fall ist der zweite Schlag schwächer, als der erste, er
folgt aber diesem um so rascher, je näher das Röhrenstück an dem reflektirenden
Widerstand liegt. Durch diese letztere Eigenschaft, durch den Nachweis des reflekti-
renden Widerstandes, und schliesslich dadurch, dass der pulsus dicrotus nur einzel-
nen, nicht aber allen Arterien zukäme, würde sich im Leben diese Art von Entstehung
eines Doppelpulses erkennen lassen. — Volkmann*) hat die unter den Bedingungen
1) und 2) entstehenden Doppelschläge vermuthungsweise abgeleitet aus Interferenzen
zweier ungleich geschwinder Wellensysteme, deren Vorhandensein er im Schlauche
statuirte. Der eine von diesen Wellenzügen sollte in der Schlauchwand, der andere
in der Flüssigkeit fortschreiten. Abgesehen davon, dass überhaupt kein Grund zur
Annahme gesonderter Wellensysteme vorliegt, bleibt dieselbe immer noch die Erklä-
rung dafür schuldig, warum nur unter den geschilderten Bedingungen die Welle des
Schlauchs und der Flüssigkeit unabhängig von einander werden. — Die älteren Pa-
thologen, welche der Ansicht zuneigten, dass die Muskeln der Gefässwand sich eben-
so rythmisch contrahirten, wie die des Herzens, erklärten den pulsus dicrotus aus
einem eigenthümlichen Rythmus der Gefässbewegung. Diese Annahme bedarf keiner
Widerlegung mehr, seitdem die Bewegungen, welche in der arteriellen Gefässwand
vorkommen können, genauer untersucht worden sind. —
2.Ueber den absoluten Werth der mittleren Span-
[120]Verzeichnung der absoluten Spannungswerthe.
nung des Bluts in der art. carotis*). Aus zahlreichen Beobach-
tungen, welche sich meist auf eine minutenlange Beobachtungszeit be-
ziehen, geht hervor, dass der Mitteldruck schwankte beim Pferd zwischen
321 bis 110 MM. Hg, beim Schaaf zwischen 206 bis 98 MM., beim
Hund von 172 bis 88 MM. Hg, bei der Katze von 150 bis 71 MM. Hg,
beim Kaninchen von 90 bis 50 MM. Hg. **). — Diese Erfahrungen leh-
ren, dass zwar im Allgemeinen die Grösse des Thiers und der mittlere
Blutdruck in der a. carotis abnehmen, aber keineswegs so, dass das bei
einer kleinern Thierart beobachtete Maximum unter das bei dem grösse-
ren gefundenen Minimum herabsinkt. Die auf den ersten Blick auf-
fallende Erscheinung, dass Thiere von sehr verschiedener Grösse, wie
Katzen und Pferde, einen so annähernd gleichen Blutdruck darbieten,
beweist, dass in ihnen die den Blutdruck bestimmenden Umstände: Herz-
kraft, Blutmenge, Gesammtblut der Arterien, Wandungsdicke im Verhält-
niss zum Lumen, Widerstände u. s. w. in den Kreislaufsapparaten
der einzelnen Thiere jedesmal in der Weise gegeneinander geordnet sind,
dass aus ihnen ein annähernd gleicher Werth des mittleren Druckes
resultirt.
Es darf nun als wahrscheinlich angenommen werden, dass der absolute
Werth des Mitteldrucks in der a. carotis des Menschen ebenfalls in die für die
Säugethiere festgestellten Grenzen fällt; indem man dieses anerkennt, wird
man aber zugleich die Unmöglichkeit des schon öfter unternommenen
Beginnens einsehen, eine für den Menschen allgemein giltige Zahlenan-
gabe zu machen; denn offenbar wird beim Menschen gerade wie in den
einzelnen Thiergattungen der Spannungswerth innerhalb sehr weiter Gren-
zen schwanken können. — Ueber Spannungsminderungen nach dem Ein-
führen von Arzneistoffen (Neutralsalzen, Digitalin, Chloroform, Brech-
weinstein) geben die schon erwähnten Arbeiten von Blake, Brunner
und Lenz Aufschluss.
Haargefässe.
Ihre durch Gesicht und Gefühl bestimmbare Ausdehnung, oder was
dasselbe sagt, die Spannung ihres Inhalts in ein und derselben Provinz,
wechselt mit dem Blutdruck in den Arterien und Venen, mit dem Durch-
messer der Arterien und Venen und namentlich der zu- und abführen-
den, mit der Widerstandsfähigkeit und den Bewegungen der sie um-
schliessenden Gewebe. Dem entsprechend strömt wahrscheinlich für ge-
wöhnlich das Blut in den verschiedenen Abtheilungen des Capillaren-
systems unter verschiedenen Spannungen.
a. Wenn die Spannung in den Arterien steigt, so ist damit zu-
[121]Spannung in den Haargefässen.
gleich die Kraft gewachsen, welche den Einfluss in die Capillaren be-
stimmt, und damit die Spannung des Bluts in diesen selbst nach be-
kannten Grundsätzen. Bestätigungen hierfür finden wir an leicht aus-
dehnbaren Gefässregionen; so dehnen sie sich aus, d. h. die von ihnen
versorgten Hautstücke röthen sich, wenn das Herz rascher und inten-
siver schlägt, oder wenn in anderen als den zuführenden Arterien der
Strom unterbrochen ist; nach einem Aderlass dagegen werden die Ca-
pillarenprovinzen blass u. s. w. — Gestützt auf die Theorie, dürfen wir
vermuthen, dass die Spannung in den Capillaren nicht direkt propor-
tional mit derjenigen in den Arterien steige, sondern immer weit hinter
derselben zurückbleibe. Denn wenn in Folge eines Spannungszuwachses
in den Arterien das Einströmen in die Capillaren auch beschleunigt wird,
so kann dieses doch nicht in dem Maasse geschehen, in dem der Druck
gestiegen ist, da in den engen und gebogenen Zuleitungsröhren (den
feinsten Arterien) der Widerstand mit der steigenden Stromgeschwindig-
keit ungeheuer wächst.
b. Steigt dagegen die Spannung in den Venen, so muss in dem-
selben Verhältniss auch diejenige in den Capillaren wachsen, welche die
betreffenden Venen als Abflussröhren benutzen. Dieses ist sogleich ein-
leuchtend für den Fall, dass alle Venen, die den Abfluss aus einem Ca-
pillarenrevier besorgen, verstopft sind, denn dann werden offenbar die
Capillaren ein blindes Anhängsel an den zuführenden Arterien darstellen
und es muss darum hier die Spannung so hoch steigen, als sie in der
Arterie selbst steht. Da wir nun aus der Theorie schliessen dürfen,
dass im normalen Zustand in den Capillaren die Spannung eine viel
niedrigere sei, als selbst in den letzten Arterienästen, so muss unter den
bezeichneten Umständen die Spannung in den erstern sehr beträchtlich
anwachsen. In vollkommener Uebereinstimmung hiermit sehen wir denn
auch, dass, wenn einigermaassen beträchtliche Hemmungen in den ab-
führenden Venen eines Capillarensystems eintreten, die Spannung in die-
sem ungemein ansteigt; so schwellen z. B. die Finger nach Umlegung
einer Ligatur um dieselben sehr beträchtlich an.
c. Mit der Verengerung des Durchmessers der kleinen in das Capil-
larensystem führenden Arterien muss unzweifelhaft die Spannung in den
erstern niedriger werden, weil unter diesen Umständen die in dasselbe
strömende Blutmasse abnimmt; der Grund hierfür liegt in der bekann-
ten Thatsache, dass eine strömende Flüssigkeit beim Durchgang durch
enge Röhren an ihren lebendigen Kräften mehr einbüsst, als beim Flies-
sen durch weite. Diese theoretische Folgerung hat man gewöhnlich be-
stritten unter Anführung der ebenfalls feststehenden Beobachtung, dass,
wenn man innerhalb eines Röhrensystems statt eines vorher vorhandenen
weiten Stückes ein enges einfügt, während man die Kräfte, welche die
Flüssigkeit in den Anfang des Röhrensystems eintreiben, unverändert er-
[122]Abnahme der Spannung bei verengerten Zuflussröhren.
hält, in dem engen Stück die Flüssigkeit nun geschwinder fliesst. Die
obige Behauptung steht nun aber in gar keinem Widerspruch mit die-
ser letzten Thatsache; denn die aus dem engen Stück hervortretende
Flüssigkeitsmenge ist ein Produkt aus dem Querschnitt der Röhre in die
Geschwindigkeit des in ihnen vorgehenden Stroms, und sie behauptet
darum nur, dass die Geschwindigkeit nicht in dem Maasse steigt, wie
der Röhrenabschnitt abnahm, eine Annahme, welche durch die hydrau-
lischen Untersuchungen als vollkommen feststehend anzusehen ist. —
Hieraus müsste man nun folgern, dass, wenn eine Verengerung in den
kleinen Arterien einträte, die zu ihnen gehörigen Capillaren leerer und
die von ihnen durchsetzten Gewebe somit blasser werden müssten. Die-
ser Erfolg würde unmöglich ausbleiben können, wenn das Blut statt eines
Gemenges aus flüssigen und festen Stoffen von ungleicher Eigenschwere
eine homogene Flüssigkeit darstellte. Bei der berührten mechanischen
Zusammensetzung kann aber eine verminderte Spannung, selbst wenn
sich die Zuflussröhren verengert haben, nur kurze Zeit bestehen, und
zwar bis zu einem gewissen Grad um so kürzere Zeit, je beträchtlicher
die kleinen Arterien verengert sind. Denn in dem langsamen Strom, der
dann durch das Capillarsystem geht, müssen sich die schweren Blutkör-
perchen anhäufen und zusammendrängen. Da nun aber zwei oder mehre
aneinanderliegende Blutkörperchen leicht dauernd zusammenkleben, so
wird sich unter diesen Umständen ein Blutpfropf bilden, der die Capil-
laren selbst verstopft; so wie dieses geschehen, muss die Spannung wie-
der steigen. Diese für die Entzündungsvorgänge wichtige Folgerung ist
zuerst von Brücke*) gezogen worden, obwohl schon Poiseuille**)
den Hergang mit dem Mikroskop beobachtet hat, als er künstlich den
Zufluss in ein Capillarsystem minderte.
Mit der Erweiterung der kleinen Arterien muss dagegen die Spannung
des Bluts der Capillaren zunehmen, da hiermit sich die Menge der in
sie einströmenden Flüssigkeit mehrt. Doch wird diese Steigerung der
Spannung, analog derjenigen, welche von einem Spannungszuwachs in
den Arterien herrührt, niemals eine sehr beträchtliche werden können.
— Verbinden sich Arterienerweiterungen und ein kräftiger Herzschlag,
wie dieses bei Uebernährung des Herzens beobachtet wird, so ereignet
es sich zuweilen, dass sich der Pulsschlag noch bis in die Capillaren
fortsetzt, so dass jedesmal unmittelbar nach einer Herzzusammenziehung
eine vermehrte Röthung derjenigen Hautstellen eintritt, in welche sich
die Capillaren mit erweiterten Zuflussröhren begeben.
Die Erscheinungen werden sich nun, wie ohne weiteres klar sein
wird, gerade in umgekehrter Weise einfinden müssen, wenn sich die
kleinen Venen, in die die Capillaren übergehen, verengern oder erwei-
[123]Durchmesserveränderungen kleiner Arterien und Venen.
tern; denn offenbar wird in dem erstern Fall der Abfluss beschränkt,
in dem letztern begünstigt und somit die Spannung in dem einen stei-
gen, in dem andern aber sinken müssen.
Bei den wichtigen Folgen, die eine veränderte Spannung des Bluts
in den Capillaren für die Absonderungserscheinungen und den Wärme-
verlust mit sich führt, ist es von Bedeutung, dass gerade die den Capil-
laren zunächst gelegenen Arterien und Venen mit Muskelfasern begabt
sind, mit deren Zusammenziehung und Erschlaffung der Durchmesser
dieser Gefässe beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist; hierdurch
ist ein regulatorischer Apparat gegeben, der den Stromlauf in der einen
oder andern Capillarenabtheilung bis zu einem gewissen Grade unabhän-
gig von allen übrigen erhalten kann; und in Wirklichkeit deutet manche
Erscheinung darauf hin, dass er diese Aufgabe auch erfüllt. Die Unter-
suchung dieses Apparates in den verschiedenen Gefässprovinzen ist darum
eine der nächsten Aufgaben für den Bearbeiter des Kreislaufs, denn bis
jetzt wissen wir über denselben nur 1) dass er während des Lebens
wirksam wird, indem plötzlich eine ganz beschränkte Hautstelle erblasst
oder erröthet, ein Zustand, der ebenso rasch verschwindet, als er aufge-
treten war. Die Oertlichkeit der Erscheinung lehnt den Einwand ab, dass
die Veränderung der Gefässfülle Folge einer allgemeinen Kreislaufsverän-
derung sein möchte; und das plötzliche Entstehen und Verschwinden
beweist, dass die Erscheinung nicht von einer örtlichen Verstopfung der
Gefässlumina durch Faserstoff, Blutkörperchen u. s. w. herrühren kann.
2) In einzelnen Regionen, insbesondere in der Haut, stehen die Mus-
keln nachweislich unter dem Nerveneinfluss, hierauf deutet bei Menschen
das Erröthen und Erblassen der Haut des Kopfes und Halses in Folge
leidenschaftlicher Erregung; die verbreitete Gänsehaut, welche nach lo-
kaler, sensibler Affektion eintritt. Die Nerven, die zu diesen Gefässen
treten, sind nur erst an der Gesichtshaut bekannt; sie verlaufen nach
den Versuchen von Bernard und Budge aus dem untern Halsmark
durch den Grenzstrang an die Kopfgefässe. — Nach dieser Mittheilung
darf man nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass trotz mannigfacher
besonders darauf gerichteter Versuche keine andern, den Gefässdurch-
messer verändernden Nerven entdeckt worden sind. — 3) Neben der
Nervenerregung werden namentlich die Gefässmuskeln verkürzt durch eine
geringe Erniedrigung ihrer Temperatur und durch elektrische Schläge,
während sie durch eine geringe Steigerung derselben erschlaffen.
d. Die steigende oder abnehmende Widerstandsfähigkeit der Gewebe,
in welchen die Capillaren verlaufen, ändert nothwendig den Durchmesser
ihres Querschnitts und dem entsprechend nach bekannten Grundsätzen
ihren Strom. Beispiele für diese Verhalten liefert die Gänsehaut, Ver-
lust der Epidermis, Erschlaffungen der Haut, Wasserergüsse in das Binde-
gewebe u. s. w.
[124]Spannung in der vena jugularis.
Die Annahme, dass an den verschiedenen Orten desselben Capillaren-
systems, und noch mehr, dass in verschiedenen Capillarensystemen die Span-
nungen wechseln, gründet sich weniger auf messende oder schätzende Ver-
suche am Strom selbst, als auf die Vergleichung der Formen der Capil-
laren und auf die Anwendung hydraulischer Prinzipien für diese; bei
den einzelnen Organen werden wir des genauern hierauf eingehen.
Zu Messungen über den absoluten Werth der Spannung des Blutes
in den Haargefässen fehlt es bis dahin an einer Methode.
Venen.
Die Spannung in den Venen ist erfahrungsgemäss veränderlich mit
der Blutfülle, der mittleren Spannung im arteriellen System und ausser-
dem noch mit den Herzschlägen, den Respirationsbewegungen, den Be-
wegungen und Stellungen der Glieder; da aber diese Umstände nicht in
jeder Vene sich gleich geltend machen, so werden wir ihre Folgen zu-
nächst in einer derselben, der vena jugularis externa angeben und darauf
die Variation der Erscheinung, so weit sie an andern Venen beobachtet
ist, folgen lassen. Wir bemerken im Voraus, dass über die Folgen der
veränderlichen Blutfülle zu den wiederholt mitgetheilten Bemerkungen
nichts Weiteres zuzufügen ist.
Vena jugularis. a. Wenn die vena jugularis sich in mittlerer
Füllung befindet und die Herzschläge kräftig sind, so ist an ihr jede
Vorhofsbewegung sichtbar, indem mit der beginnenden Zusammenziehung
die Vene anschwillt, während sie mit der eintretenden Diastole zusam-
menfällt; in allen, selbst in den günstigsten Fällen, ist die sichtbare
Veränderung in dem Gefässdurchmesser nicht eben beträchtlich. Wey-
rich*) fand, dass die Spannungsabnahme, welche während der Diastole
des Herzens eintrat, höchstens einigen MM. Quecksilber entspricht. Ham-
mernik**) giebt an, dass die Erweiterung der Venen bei der Vorhofs-
zusammenziehung am Halse niemals merklich sei, vorausgesetzt, dass die
Klappen in den Gefässen hinreichend schliessen.
b. Die analogen Wirkungen der Brustbewegungen treten bedeutsamer
hervor, indem die Vene bei kräftiger Exspiration jedesmal deutlich
anschwillt, während sie in der vorhergehenden Inspiration ebenso
bedeutend zusammenfällt. Das Uebergewicht dieser Schwankungen
über die vorhergehenden prägt sich nun [auch] in dem mit dem Lu-
men der Venen communizirenden Manometer aus. Es schwankt nemlich
bei einer gewöhnlichen Einathmung der Druck um das doppelte und
bei einer tiefen Inspiration um mehr als das vierfache von dem, um
welche ihn die Herzbewegung veränderte. Schwerlich dürfte es jedoch
gelingen, den absoluten Werth der Druckschwankungen zu erhalten, da
[125]Einfluss der Brust- und Herzbewegung.
sie meist in zu rascher Folge wechseln, als dass eine vollständige Aus-
gleichung der Spannung im Manometer und in der Vene erreicht werden
könnte.
c. Die eben erwähnten Wirkungen des Herzschlags und der Athem-
bewegung geschehen offenbar unmittelbar durch die hohlen und unge-
nannten Venenstämme auf die Drosselvene. Von der anderen Seite her
durch die Capillaren und die Venenzweige niederer Ordnung müssen sich
dagegen beide Bewegungen geltend machen, insofern sie die Spannung in
den Arterien bestimmen. Auf diesem Wege erzeugen sie allerdings ebenfalls
Druckveränderungen in dem Blute der Jugularvene, jedoch keineswegs solche,
welche zeitlich oder der Grösse nach genau den in den Arterien beding-
ten entsprechen, so dass man noch die einzelnen Herzschläge und Re-
spirationsbewegungen unterscheiden könnte. Im Allgemeinen ändert sich
nur, wenn während längerer Zeit hindurch eine mittlere Spannung in
der Arterie constant bleibt, auch diejenige der Vene. Als eine im we-
sentlichen richtige Regel kann hier nach den Untersuchungen von Brun-
ner angegeben werden, dass, wenn längere Zeit hindurch die Spannung
in den Arterien absinkt, sie in der Jugularvene zunimmt und umge-
kehrt; der absolute Werth, um welchen die Spannung in den Venen hie-
bei geändert wird, ist immer sehr gering gegen den, um welchen sie in
den Arterien schwankt. So wurde z. B. der mittlere Druck in der art.
carotis eines Hundes, dessen n. vagi durchschnitten waren, auf 122,4 MM.
Quecksilber, der gleichzeitige in der Vene über dem Sternum zu 1 bis
1,9 MM. Quecksilber bestimmt. Als nun die mit den Herzen in Ver-
bindung stehenden Enden der n. vagi ungefähr 30 Sekunden hindurch
erregt wurden, so dass in dieser Zeit gar keine Herz- (und auch keine
Athem-) Bewegung zu Stande kam, fiel der Druck in der Arterie auf
13,3 MM., in der Vene stieg er aber auf 3,8 MM. Während er also in
der Carotis um 109,1 MM. gesunken, hatte er sich in der Vene nur um
2,8 bis 1,9 MM. erhoben. Diese Erscheinung ist daraus erklärlich,
dass die Anfüllung des arteriellen Hohlraums nur auf Kosten des
venösen geschehen kann und umgekehrt; es muss also, wenn der Druck
in dem einen System sinkt, nothwendig im andern ein Steigen eintre-
ten (Ed. Weber). Dieser Verlust der einen Seite kann aber den Ge-
winn auf der andern nicht gleich sein, weil das arterielle Gesammtlumen
im Vergleich zum venösen eng ist, so dass, was dort eine beträchtliche
Quote des Gesammtinhalts darstellt, hier nur als eine geringe betrachtet
werden muss, und weil eine Ausdehnung des arteriellen Lumens wegen
seinen starken elastischen Wandungen mehr Kraft erfordert, als die
dünne Venenwand verbraucht.
d. Die Bewegungen der Muskeln in den Fortsätzen des Rumpfs,
dem Hals, Arm u. s. w., bringen eine merkliche Steigerung der Span-
nung in der Jugularvene hervor; diese ist um so bedeutender, je gefüllter
[126]Spannungen anderer Körpervenen.
die Venen der bewegten Körpertheile sind, und je rascher und je mehr
ihre Lumina durch die Bewegungen zusammengedrückt werden.
Die Spannungserscheinungen in den übrigen Venen.
Die mittlere Spannung nimmt in den Venen von den Zweigen gegen die
Stämme hin nach Versuchen an Pferden, Kälbern, Ziegen und Hunden ab.
In der Hohlvene des Hundes selbst ist die mittlere Spannung gerin-
ger als der Luftdruck gefunden worden (Volkmann, C. Ludwig) *),
eine Thatsache, die in vollkommener Uebereinstimmung steht mit der
von Donders gegebenen Entwickelung über die Spannung in der Brust-
höhle ausserhalb der Lungen (p. 101.); beim Hunde schwankt nach zahl
reichen Versuchen der Mitteldruck in der vena jugularis von 2 bis
zu 15 MM. Hg, in den venae brachialis und cruralis von 10 bis MM. Hg
Mogk**), Volkmann***) fand ihn in der ven. facialis der Ziege zu
41 MM. Hg und gleichzeitig in der vena jugularis desselben Thiers aber
zu 18 MM. Hg.
Die Wellen, welche der Herzschlag von den Vorhöfen her erzeugt,
erstrecken sich beobachtungsgemäss niemals weit in die Zweige der obern
Hohlader hinein; sie sind z. B. nur in seltenen Fällen bis in die vena
axillaris zu verfolgen. — In grösserer Ausdehung sind aber die von den
Brustbewegungen abhängigen Spannungen nachweisslich, namentlich be-
obachtet man sie an andern Thieren noch in den Hirnvenen (Ecker†)),
Donders) ††) und in der vena cruralis, wobei wahrscheinlich die mit
dem Athmen zusammenhängenden Bewegungen der Baucheingeweide ver-
mittelnd wirken. Dass ihre Wirksamkeit sich beim Menschen nicht weni-
ger weit erstreckt, geht daraus hervor, dass die Kopf- und Halsvenen
bei tiefer Exspiration anschwellen und bei tiefer Inspiration zusammen-
fallen. Das Volum des Arms soll ebenfalls bei tiefer Inspiration geringer
werden. Hammernik†††). — Zusammenpressungen der Venen durch
die Muskeln der Glieder, in welchen sich dieselben verbreiten, müssen
selbstverständlich vorzugsweise in den Venen der Extremitäten und der
Rumpfwandungen vorkommen. Diese Pressungen werden nun offenbar
den Röhreninhalt zugleich nach dem Herzen und den Capillaren hin-
treiben; dieser letzte Weg wird dem Strom aber durch die Klappen ab-
geschnitten, die in den erwähnten Venen besonders zahlreich vorkommen.
Beobachtete Spannungen innerhalb der kleinen Blut-
bahn.
1. Die Spannungswerthe des Blutes in den Lungen können begreif-
lich entweder erst dann gemessen werden, wenn der Brustkasten eröffnet
[127]Spannungen in der kleinen Blutbahn.
ist und der zum Leben nothwendige Luftwechsel in den Lungen durch
einen in die Luftröhre eingesetzten Blasebalg (künstliche Athmung) er-
halten wird (Beutner) *), oder nur dann, wenn zufällig der Beobach-
tung ein Thier zu Gute kommt, dessen Herz in Folge eines Bildungs-
fehlers ausserhalb des Brustkastens, in der Luft, gelegen ist (Hering).
Da diese Umstände den Beobachter ausser Stand setzen, Aufschluss zu
erhalten über die Einwirkungen des Brustkastens auf den Blutstrom in
den Lungen, so gewinnen wir augenscheinlich durch jene Versuche nur
Kenntnisse über einen Strom, der allein durch das Herz erregt ist. Aus
diesem Grunde ist es räthlich, neben den wirklich gefundenen Zahlen
immer auch ihr Verhältniss zu den gleichzeitig gefundenen Spannungs-
werthen in der a. carotis anzugeben.
Als Beutner den Druckmesser gleichzeitig in den art. pulmonalis und
carotis einsetzte, fand er das Verhältniss des Mitteldrucks in der a. pulmo-
nalis zur a. carotis bei Kaninchen wie 1 : 4, bei Katzen wie 1 : 5, bei
Hunden wie 1 : 3. — In diesen Versuchen näherte sich die Spannung
in der a. carotis derjenigen sehr an, welche man auch bei uneröffneter
Brusthöhle erhält; darum darf angenommen werden, dass mindestens
die Herzkräfte keine Schwächung erlitten hatten; dagegen war durch Ein-
setzung der Canule in einen grossen Ast der Pulmonalarterie offenbar
die Spannung in dieser weit jenseits der normalen Grenzen gesteigert.
Demnach kann man wohl, ohne einen zu grossen Fehler zu begehen,
behaupten, dass er eine über das gewöhnliche Mittel gesteigerte Span-
nung in der Lungenarterie, so weit diese von der Herzkraft abhängig ist,
sich verglichen habe mit der annähernd normalen in der Carotis. —
Die absoluten Zahlen für den Mitteldruck betrugen an Kaninchen
22 MM., an Katzen 17 MM., an Hunden 29 MM. Quecksilber.
Beutner hat auch für einen Fall die Spannung in den Lungen-
venen der Katzen untersucht und sie zu 10 MM. Hg gefunden.
Hering, welcher seine Beobachtungen an einem Kalbe anstellte,
das die angegebene Bildungshemmung (ectopia cordis) zeigte, brachte
seine Messröhren unmittelbar in die linke und rechte Herzkammer. In
diesen Röhren, welche dicht von der Muskelsubstanz umschlossen wurden,
stieg die Flüssigkeit in einem Verhältniss von 1 : 1,7, die grössere Zahl
gehörte dem linken Ventrikel an.
Da nun der Einfluss der Brustbewegung auf den Lauf des Lungen-
blutes dem Versuch noch nicht zugängig gewesen ist, so können wir zur
Aufhellung dieser wichtigen Verhältnisse nur gelangen durch theoretische
Schlüsse über die Veränderungen, welche die Athembewegungen an dem
Verhalten der Gefässe erzeugen. Mit Rücksicht hierauf ist nun aber
zweierlei zu unterscheiden. Einmal nemlich ändert sich die Länge der
**)
[128]Geschwindigkeit des Blutstroms.
Gefässe und insbesondere der Capillaren dadurch, dass sich die Lungen-
bläschen bei der Inspiration ausdehnen, während sie bei der Exspiration
zusammenfallen; die wesentliche Frage, ob sich hierbei die Räumlichkeit
des Gefässinhalts steigert oder nicht, ist noch nicht festgestellt; sie kann
auch nicht einmal vermuthungsweise entschieden werden, da sich mög-
licher Weise der Durchmesser der Gefässe verengert, während ihre Länge
zunimmt. — Nächstdem ändert sich aber auch mit der Brustbewegung
die Spannung der grossen Lungengefässe, welche ausserhalb des Pleura-
sackes gelegen sind. Auf sie ist nemlich offenbar alles das anwendbar,
welches für die grossen Gefässe des Aortenwerkes innerhalb der Brust-
höhle galt, so dass in den Venen und Arterien der Lungen die Span-
nung mit der Exspiration steigt, mit der Inspiration aber abnimmt.
2. Verbindung zwischen Lungen und Körperkreislauf. Eine beson-
dere Hervorhebung verdient schliesslich noch die eigenthümliche Verbin-
dung, welche zwischen dem Aorten- und Lungenwerk besteht durch die
a. bronchialis; sie bezieht, wie bekannt, ihr Blut aus der Aorta und
liefert es theilweise wenigstens unmittelbar in die v. pulmonalis. Diese
Gefässe dürften vielleicht angesehen werden als Mittel, durch welche rela-
tive Ueberfüllungen der einen oder andern Abtheilung ausgeglichen werden
können.
Ueber die Geschwindigkeit des Blutstroms.
Die Geschwindigkeit, welche den einzelnen im Blutstrom kreisenden
Theilchen zukommt, wechselt mit der Zeit und dem Ort. — Zunächst
ist es offenbar, dass von den Theilchen, welche gleichzeitig in einen und
demselben Stromquerschnitte enthalten sind, diejenigen, welche an der
Röhrenwand laufen, sich langsamer bewegen, als die in der Mitte gele-
genen, weil ausnahmslos in allen Röhren die Wandschicht an Geschwin-
digkeit der Mittelschicht unterlegen ist. Zudem ist die Anwendbarkeit
dieses Grundsatzes auf den Blutlauf erfahrungsgemäss festgestellt. —
Ein und dasselbe Theilchen wird aber eine verschiedene Geschwindigkeit
empfangen, je nachdem es in den Stämmen oder Aesten der Arterien
und Venen, oder in den Capillaren sich bewegte, und dieses wird selbst
noch gelten, wenn auch das Theilchen immer in derselben relativen Stel-
lung zu den Wänden, z. B. in der Mittelschicht, bleibt. Denn da die
Querschnitte der gesammten Blutbahn auf ihrem Verlauf bald grösser
und bald kleiner werden, da trotzdem durch jeden Querschnitt der Ge-
sammtbahn immer gleich viel Blut strömen muss, so wird nothwendig
in den grössern Querschnitten die Geschwindigkeit sich vermindern müs-
sen. — Mit der Zeit verändert sich aber die Geschwindigkeit, weil die
treibenden Kräfte, oder anders ausgedrückt, die Spannungsunterschiede
zweier unmittelbar aufeinanderfolgender Querschnitte wechseln. Dieser
Wechsel ist nun aber für die einzelnen Gefässabtheilungen, wie wir
wissen, nicht gleich. Im normalen Blutstrom sind diese Unterschiede
[129]Geschwindigkeitsmessung nach E. H. Weber.
in merklichster Weise und zwar ununterbrochen vorhanden in den grossen
Arterien, insbesondere des Aortensystems, dann in den grossen Körper-
venen, am wenigsten ausgesprochen sind dagegen die erwähnten zeitlichen
Veränderungen in den Capillaren.
Wenn man also den Blutstrom messen will, so muss man sich vor
Allem darüber verständigen, ob man eine Partialgeschwindigkeit, d. h.
die an einem Ort und zu einer begrenzten Zeit bestehende, oder ein
Mittel aus den zeitlichen und örtlichen Variationen zu bestimmen gedenkt.
Dieses hervorzuheben ist um so weniger unnütz, als in der That die
Beobachter der Blutgeschwindigkeit nicht immer darauf aufmerksam ge-
macht haben, und als die verschiedenen bis dahin bekannt gewordenen
Methoden bald das eine und bald das andere Ziel verfolgen.
a. Methode von E. H. Weber*). Sie ist nur anwendbar für durchsichtige
Capillaren, indem sie unter dem zusammengesetzten Mikroskop, in dessen Okular ein
Glasmikrometer gelegen ist, geradezu die Zeit beobachtet, welche ein rothes Blut-
körperchen nöthig hat, um den Raum zwischen einer bestimmten Zahl von Theilstri-
chen zu durchlaufen. Aus dieser Bestimmung leitet sich die Geschwindigkeit des
Blutkörperchens sogleich ab, wenn man die beobachtete Geschwindigkeit dividirt durch
die Vergrösserungszahl des angewendeten Linsenwerkes, da offenbar genau in demselben
Maasse die wirkliche Geschwindigkeit erhöht ist, in dem der durchlaufene Raum vergrös-
sert wurde. — Weil nun erfahrungsgemäss die rothen Körperchen in der Mitte des Stroms
schwimmen (Poiseuille), so erhält man durch das Weber’sche Verfahren nur eine
Angabe über das Maximum der im Capillarrohr vorhandenen Geschwindigkeit. — Die
Versuche sind bis dahin zudem nur an Kaltblütern gelungen, inwiefern aber
die Geschwindigkeit des Blutstroms bei diesen Thieren vergleichbar mit dem der
Warmblüter sei, ist nicht anzugeben, da bei beiden der Durchmesser der Gefässe
und Blutscheiben, die Blutzusammensetzung, die Temperatur und die Spannungsunter-
schiede des Bluts abweichen — Am Menschen wäre eine Bestimmung vielleicht mög-
lich beim sog. Funkensehen, welches bekanntlich von den in den Capillaren der art.
centralis retinae strömenden Blutkörperchen abhängt; an Säugethieren ausserdem in
den feinsten Gefässen der Conjunctiva oder einer entzündeten Cornea u. s. w.
b. Volkmann**) wendete zur Bestimmung der Geschwindigkeit ein von ihm er-
fundenes Instrument, das Haemadromometer, an, welches in ein durchschnittenes Ge-
fäss eingeschoben wird; das Schema dieser Einrichtung ist in Fig. 51. dargestellt.
In ihr bezeichnen A A die Enden des durchschnittenen Gefässes, in welche das Haemo-
dromometer B C D B C eingebunden ist. Dieses letztere hat einen geraden Schenkel
B C C B aus Messing und einen gebogenen C D C aus Glas. An den Orten C C, wo
die Arme des gläsernen Rohrs in das gerade münden, sind zwei Hähne mit andert-
halbfacher Durchbohrung angebracht, die in der Zeichnung im Grundriss dargestellt
sind; die durchbohrten Gänge sind schwarz schraffirt. Man erkennt, dass, wenn die
durchbohrten Theile der Hähne die gezeichnete Stellung einnehmen, das Blut aus dem
Gefässe A unmittelbar durch den geraden Schenkel B C C B dringt, während der gebo-
gene abgeschlossen ist; werden nun dagegen die Hähne um 90° gedreht, so ist um-
gekehrt der gebogene Schenkel für den Blutstrom eröffnet und der gerade ihm ver-
schlossen. An diesen Hähnen ist endlich noch die hier nicht angegebene Einrichtung
Ludwig, Physiologie. II. 9
[130]Geschwindigkeitsmessung nach Volkmann.
angebracht, dass immer mit dem einen Hahne sich der andere zugleich umdrehen
muss, so dass in sehr kurzen Zeiten der Strom B C C B in den von B C D C B umgesetzt
werden kann. — Will man eine Messung ausführen, so füllt man das Haemadromo-
meter mit Wasser und bringt einen seiner Hähne in eine solche Stellung, dass das
einströmende Blut durch den geraden Schenkel B C C B dringen muss. Hierauf dreht
man zu einer genau bestimmten Zeit die Hähne plötzlich um, so dass nun das Blut
nur durch den gläsernen Schenkel einen Ausweg findet, Das in ihn eindringende Blut
treibt das Wasser vor sich her. Dieses geschieht jedoch nicht der Weise, dass un-
mittelbar die dunkle Farbe des Bluts sich absetzte gegen die helle des Wassers, son-
dern es mischen sich beide, so dass auf einer Wegstrecke hierdurch alle möglichen
Abstufungen des Blutroths vom Wasser bis zum reinen Blut hin vorkommen. Da die
Längenausdehnung dieser Mischung keineswegs verschwindet gegen die von dem Blut
während der Beobachtungszeit durchlaufene Bahn, so muss man sich darüber verstän-
digen, welche Tinte man als Marke wählen will, oder anders ausgedrückt, wie tief
die Farbe der am Ende des Rohrs ankommenden Mischung sein muss, wenn man die
Beobachtung für geschlossen erklären will; Volkmann wartete jedesmal so lange,
bis die tiefste Farbe, die des ungemischten Blutes, an dem Grenzstrich angelangt war.
Er versichert, dass unter Berücksichtigung dieses Umstandes und bei der von ihm
gewählten Art, die Zeit zu bestimmen, die Geschwindigkeit in der Röhre bis auf 0,9
ihres wahren Werthes genau gemessen werden kann, so dass von dieser Seite der
Fehler in die Grenzen ± eines Zehntheils vom ganzen Werth eingeschlossen sei.
Gesetzt nun aber, es sei die Geschwindigkeit, welche im Dromometer während
der Beobachtung bestand, mit hinreichender Schärfe gemessen worden, so bleibt noch
zu erforschen, in welchem Verhältniss die Geschwindigkeit des Blutstroms in der Glas-
röhre zu derjenigen steht, welche in dem Blutgefäss vorhanden gewesen wäre, ohne
dass die Einführung des Instruments stattgefunden hätte. Gleich kann die Geschwin-
digkeit in beiden Umständen nicht sein, da das Verhältniss zwischen Widerstand und
Triebkraft nicht dasselbe geblieben ist. — Die Triebkraft des Bluts ist nemlich für
[131]Geschwindigkeitsmessung nach Hering.
beide Fälle gleich, das will heissen, die lebendigen Kräfte, welche auf dem Quer-
schnitt der Arterie vorhanden sind, aus welcher das Blut jetzt in das Dromometer
und früher in den nun durchschnittenen Arterienraum ging, sind einander, wenn auch
nicht ganz aber doch sehr annähernd gleich. Wir schliessen dieses aus den Ver-
suchen von Spengler, wonach die Spannung in den grossen Arterien nicht messbar
geändert wird, selbst wenn sie auf ihrer Capillarenseite ganz verschlossen sind. —
Dagegen sind die Widerstände, die diese lebendigen Kräfte in dem Strome finden,
geändert; denn es hat sich mit der Einsetzung des Instruments die Blutbahn nach
den Capillaren hin verlängert und auch verengert, weil unter allen Umständen das
Lumen der eingebundenen Glasröhre dem der Arterien nicht gleich kommen kann.
Damit steigert sich der Widerstand, und es muss die Flüssigkeit langsamer strömen.
Zu dieser Betrachtung fügt nun aber Volkmann die Behauptung, dass die Ver-
langsamung des Stroms nicht sehr bedeutend sei, weil der Wiederstand in den Ca-
pillaren in beiden Fällen gemeinsam sei und gegen diesen der in der Glasröhre ver-
schwinde. Zur Kräftigung seiner Annahme *) hat er den Widerstand ermittelt, der
sich in einem Dromometer entwickelt, welcher in eine Arterie eingefügt ist; dieses
geschah auf die gebräuchliche Weise, indem er einen Druckmesser am Beginn und
am Ende des Dromometers einsetzt. In der That bestätigte sich seine Ansicht durch
den Versuch mindestens in so weit, dass der Widerstand im Dromometer gering ist
gegen den jenseits desselben. Zu gleicher Zeit gewinnt man aber auch bei diesen
Beobachtungen die Ueberzeugung, dass die Röhren des Dromometers nicht wohl länger
und enger hätten sein dürfen.
Aus den Erläuterungen zu Volkmann’s Verfahren ist es wohl schon deutlich
geworden, dass dieses das Mittel aus den verschiedenen zeitlichen und örtlichen Ge-
schwindigkeiten misst, und zwar ist das von dem Instrument erworbene Mittel um einen
kleinen Bruchtheil niedriger, als das wahre, was namentlich noch für den Fall gilt,
wenn man wie Volkmann als Grenze des vorschreitenden Blutes den dunkelsten
Theil der Grenzmischung ansieht.
c. Hering**) bedient sich zur Bestimmung der Blutgeschwindigkeit eines sehr
sinnreichen Mittels; wenn seine besondere Anwendung noch weitere Verbesserungen
erfährt, so dürfte ihm das Uebergewicht über alle anderen Methoden nicht abzuspre-
chen sein. Er fügt nemlich an einem Orte in den Blutstrom ein leicht erkennbares,
das Blut nicht wesentlich veränderndes Salz, z. B. Blutlaugensalz, ein und fängt an
einem andern Ort sehr vorsichtig in kleinen Zeitintervallen Blut auf, bis in letzterem
das Salz nachgewiesen werden kann. Kannte man nun den räumlichen Abstand der beiden
Versuchsorte, so ist damit die Geschwindigkeit des Stromes zwischen beiden sogleich
gegeben. Da dieses Verfahren nur Anwendung finden kann für zwei nicht unbeträcht-
lich von einander abstehende Orte, so giebt es das Mittel aus den verschiedenen Ge-
schwindigkeiten, die in den einzelnen Abschnitten des dem Versuch unterworfenen
Stromes bestehen. Dagegen dürfte es vielleicht gelingen, durch das Hering’sche
Verfahren auch die Mittel aus sämmtlichen Wand- und Achsenströmen gesondert zu
gewinnen; denn offenbar giebt, wenn der Querschnitt des Arterienstroms gleichmässig mit
Salz durchtränkt wird, der zuerst an dem andern Querschnitt anlangende salzhal-
tige Tropfen einen Werth für das Maximum der zwischen beiden Orten bestehen-
den Geschwindigkeit (d. h. der mittlern Achsengeschwindigkeit), während der zu-
letzt anlangende ein Maass für das Minimum der Geschwindigkeit (derjenigen des
Wandstroms) giebt. — Ueber die allerdings noch sehr zu verbessernde Anwendung
9*
[132]Mittlere Querschnitts- und Längengeschwindigkeit.
dieses unübertrefflichen Prinzips siehe die zuletzt erwähnte Abhandlung von
Hering.
d. Häufig macht man auch noch von einem Princip Anwendung, das an sich aller-
dings unverfänglich ist; leider ruht die Ausführung desselben auf zu unsichern Unter-
lagen. Hätte man nemlich ermittelt: die Zahl der Herzschläge z in der Zeiteinheit,
die Menge von Blut v, welche der Ventrikel bei jeder Zusammenziehung ausstösst,
und endlich einen beliebigen Querschnitt der gesammten zum rechten oder linken Ven-
trikel gehörigen Blutbahn q, so würde offenbar die mittlere Geschwindigkeit g gleich
sein der in der Zeiteinheit aus dem Ventrikel entleerten Blutmenge v z, dividirt durch
den Querschnitt der Bahn also g = . Von den verlangten Werthen sind aber v
und q entweder gar nicht oder nur sehr mangelhaft zu ermitteln.
1. Ueber die verschiedenen Einzelgeschwindigkeiten der Bluttheilchen,
welche gleichzeitig einen und denselben Stromquerschnitt erfüllen, wie
z. B. über das Verhältniss der Geschwindigkeit vom Wand- und Achsen-
strom, ist nichts bekannt. Wir sind darum auf die Betrachtung der mitt-
leren Querschnitts- und der mittleren Längengeschwindigkeit angewiesen.
Die eine derselben ist begreiflich das Mittel aus allen verschiedenen
gleichzeitig auf einem und demselben Querschnitt vorhandenen Geschwin-
digkeiten, und die zweite ist das Mittel aus den verschiedenen mittleren
Querschnittsgeschwindigkeiten, welche auf einer Reihe hintereinander-
folgender Querschnitte eines Rohres vorhanden sind.
Die mittlere Geschwindigkeit eines Stroms durch einen beliebigen
Röhrenabschnitt empfing, wie wir aus dem früheren kurz wiederholen,
ihre Bestimmung: 1) durch das Maass von Triebkräften, welchen die
Flüssigkeit an dem ersten Röhrenquerschnitte (am Beginn des Stro-
mes) besass. Hierbei war es gleichgiltig, ob diese Kräfte in der Form
von Spannung oder Geschwindigkeit vorhanden waren. Denn wenn sie
in einer Geschwindigkeit der einströmenden Masse bestehen, so wird der
zweite Querschnitt um so kräftiger gestossen werden, je geschwinder der
erste auf ihn eindringt; sind aber die Triebkräfte Spannungen, so wird
wegen der allgemeinen Eigenschaft der Flüssigkeiten, eine Verschieden-
artigkeit ihrer Spannungen auszugleichen, mit der Spannung die Ge-
schwindigkeit wachsen. Denn es wird die Flüssigkeit höherer Spannung
um so rascher gegen diejenige niederer dringen, je grösser die Kraft ist,
welche die Ausgleichung verlangt. — 2) Bei gleichen Triebkräften muss
aber die Geschwindigkeit der Flüssigkeit beim Vordringen von einem zum
Querschnitte um so mehr steigen, je geringer der Gegenhalt ist, den der
Inhalt des zweiten Querschnitts dem Stoss des ersten entgegensetzt. Dächte
man sich alle Triebkräfte des ersten Querschnitts unter der Form des
Druckes dargestellt, so würde unser Satz auch so ausgedrückt werden
können, die Geschwindigkeit zwischen zwei Querschnitt steigt, alles andere
gleichgesetzt, mit den Spannungsunterschieden ihrer Flüssigkeit; dieser
Ausdruck ist nemlich darum richtig, weil der Widerhalt der Flüssigkeit
im zweiten Querschnitt nur durch eine Spannung derselben möglich ist. —
[133]Die Geschwindigkeit des Blutstroms steigt mit dem Druckunterschied.
3) Die Geschwindigkeit des Stromes muss endlich, wenn der Wider-
halt des zweiten Querschnitts und die Triebkräfte im ersten gleichgesetzt
werden, um so mehr steigen, je geringer der Verlust an Triebkräften
ist, den die Flüssigkeit auf dem Wege von einem zum andern Quer-
schnitt erleidet. Dieser Verlust ist aber auf der einen Seite durch die
Eigenschaften des Röhrenlumens, der Röhrenwand und des flüssigen Stof-
fes bedingt und auf der andern Seite durch die Geschwindigkeit und die
Spannung der strömenden Flüssigkeit, indem der Verlust durch Reibung
und Stoss um so bedeutender wird, je kräftiger der Stoss ist und unter
je stärkerm Druck die Reibung vor sich geht.
Da nun der Blutstrom doch unbezweifelt ein Strom und zwar ein
solcher in Röhren ist, so müssen diese fundamentalen Sätze auch ihre
Anwendung auf ihn finden. Die ausserordentliche Verwickelung der Ver-
hältnisse und insbesondere der Umstand, dass alle die Geschwindigkeit
bestimmenden Umstände meist gleichzeitig variabel sind, hindern uns, im
Genauern die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen festzustellen.
So weit nähere Einsichten aber reichen, sind die Thatsachen mindestens
nirgends im Widerspruch mit den obigen Grundsätzen. Denn:
a. Die mittlere Querschnittsgeschwindigkeit steigt nicht mit der
Spannung auf einem Querschnitt, wohl aber mit Unterschied der Span-
nung zweier aufeinanderfolgender Querschnitte. — Für diese Behauptung
sind mancherlei Belege beizubringen. Wir haben gesehen, dass mit der
steigenden Blutfülle des gesammten Gefässwerks die Spannung des Bluts
stieg, denn ein Aderlass mindert den Druck des Bluts, gleichgiltig ob dieses
in der Ruhe oder in der Bewegung war, und eine Einsprützung von Blut
in das Gefässsystem mehrte ihn; unter diesen Umständen mehrt oder
mindert sich aber nach Volkmann und Hering die Geschwindigkeit
nicht. Eine kurze Ueberlegung zeigt sogar, dass die Geschwindigkeit
des Stroms Null werden müsse, wenn die Anfüllung der gesammten Ge-
fässhöhlen mit Blut zu einem gewissen Werthe angestiegen wäre. Dieser
Werth würde aber dann erreicht sein, wenn das Gefässsystem so weit
durch seinen Inhalt ausgedehnt wäre, dass die aus dieser Ausdehnung her-
vorgehende Spannung der Gefässwände hinreichend wäre, um allen den
Drücken das Gegengewicht zu halten, welche vom Herzen, dem Brust-
kasten u. s. w. ausgehend dieselben noch weiter auszudehnen oder zu-
sammenzupressen strebten. — Lenz hat eine grosse Zahl von Beobach-
tungen gesammelt, aus welchen der Druck und die Geschwindigkeit in
einem Dromometer bestimmt wurden; er bestätigte ebenfalls die oben
ausgesprochene Behauptung.
Das auffallendste Beispiel für die Unabhängigkeit der Geschwindig-
keit von dem absoluten Werthe der Spannungen eines oder des andern
Querschnitts eines Gefässes gewährt die Betrachtung des Lungen- oder
Körperkreislaufs. In den Anfängen beider, in der a. pulmonalis und der
[134]Spannungs- und Geschwindigkeitsunterschiede im Blutstrom.
a. aorta, muss die Geschwindigkeit gleich sein, weil der Durchmesser
beider Gefässe nicht wesentlich von einander abweicht und beide gleich
viel Blut aus dem Herzen befördern müssen. Und dennoch sind die
Spannungen in beiden Gefässen so ungemein verschieden.
Anders aber verhält sich die Geschwindigkeit, wenn man die Span-
nungsunterschiede in zwei aufeinander folgenden Gefässabschnitten zu ändern
versteht. So sinkt bekanntlich die Spannung in den Arterien nach einer
Erregung der nervi vagi sehr bedeutend, und sie nimmt in den grossen
Venen zu, während nach Durchschneidung der erwähnten Nerven das umge-
kehrte eintritt. Dem entsprechend fand Lenz die Geschwindigkeit in der Ca-
rotis verlangsamt im ersten und erhöht im zweiten Fall. — Augenscheinlich
beschleunigt jede Zusammenpressung einer oberflächlichen Vene den Strom
aus derselben und umgekehrt strömt mit grosser Geschwindigkeit das an-
liegende Blut in eine entleerte Vene. — Mit Rücksicht auf den Spannungs-
unterschied zweier aufeinanderfolgender Querschnitte verhalten sich nun,
wie bekannt, die Gefässe unseres Körpers sehr verschieden. In den
grossen Arterien und Venen ist dieser nemlich mit der Zeit ununterbro-
chen veränderlich, in den Röhren kleinern und kleinsten Lumens giebt
es dagegen wenigstens Zeiten, in denen die Spannungsunterschiede, die
im Verlauf derselben bestehen, unabhängig von der Zeit sind. Wir haben
dieses ausführlicher schon früher auseinandergesetzt. Unsere Behauptung
verlangt also, dass in den Gefässen grössern Durchmessers auch die Ge-
schwindigkeit einem stetigen Wechsel unterworfen ist, während sie in
den kleinsten Gefässen eine gleichförmige sein muss. So verhält sich
die Sache auch in der That, wie man sieht, wenn man die kleinsten
Gefässe mit dem Mikroskop betrachtet und in die grössern ein Dromo-
meter einfügt. In dieses Instrument stürzt das Blut mit ab- und zuneh-
mender Beschleunigung, welche der Zeit nach den Herz- und Athem-
bewegungen entspricht, während in den Capillaren der Strom gleichmäs-
sig dahinfliesst.
Diese Erfahrungen eröffnen, wie es scheint, die Aussicht, auch im
Blutstrom die gesetzmässige Beziehung zwischen der Geschwindigkeit und
dem Spannungsunterschiede zweier Querschnitte festzustellen; aber leider
trübt sich dieselbe sogleich, wenn man bedenkt, dass mit einer veränder-
ten Spannung auch alle andern Verhältnisse, die auf die Geschwindigkeit
einen Einfluss üben, sich umgestalten, und so insbesondere die Weite
und Länge der Röhren. So lange man nun weder die Grösse dieser
Umgestaltung noch den Einfluss derselben auf den Widerstand festzu-
stellen vermag, wird es unmöglich sein, die soeben hingestellte Aufgabe
zu lösen.
b. Die Geschwindigkeit in den verschiedenen Durchschnitten des ge-
sammten Stromlaufs verhält sich umgekehrt wie der Flächeninhalt der-
selben. Wenn also ein Querschnitt durch den Aortenbeginn einen gerin-
[135]Geschwindigkeitsänderung mit dem Querschnitt, der Reibung etc.
geren Flächeninhalt besitzt als ein solcher durch alle Aeste der Fort-
setzung des Stammes, so muss die mittlere Geschwindigkeit in diesem
letzteren um so viel geringer sein, als ihr Flächeninhalt den des erwähn-
ten Aortenquerschnitts übertrifft. Diese Behauptung findet ihre Bestäti-
gung in den Beobachtungen von Volkmann, welcher die Geschwindig-
keit bedeutender in der a. carotis als in der a. facialis, und in dieser
wieder grösser als in der a. metatarsea fand; in der vena jugularis, wo
sich das Strombett wieder verengt hat, war dagegen die Geschwindigkeit
wieder gestiegen. — Ein ähnliches Resultat, wie diese Versuche mit dem
Dromometer, giebt auch die Betrachtungen derjenigen Stromabtheilungen,
welche der mikroskopischen Untersuchung zugänglich sind, nemlich die
der kleinsten Arterien und Capillaren. Man erkennt sogleich auch ohne
genaue Messungen, dass der Achsenstrom, dem die rothen Blutkörperchen
folgen, sich in den kleinen Arterien viel rascher als in den Haargefässen
bewegt. — Alles dieses ist aber die nothwendige Folge der allgemeinen
Bewegungsgesetze, wonach bei demselben Vorrath an lebendiger Kraft die
Geschwindigkeit abnimmt, wenn die bewegte Masse zugenommen hat.
c. Mit einer Veränderung in den Bedingungen, welche die Reibung
bestimmen, verändert sich auch die Geschwindigkeit im Blutstrom. Zu
den Beweisen für diesen Satz wären zu zählen die Erfahrungen von
Poiseuille, wonach in erkalteten Gefässen die Geschwindigkeit viel
geringer ausfällt, als in denjenigen von normaler Temperatur. Diese Er-
scheinung muss nach den Beobachtungen von Poiseuille*) abgeleitet wer-
den aus der bekannten Erfahrung, dass die kalte Flüssigkeit sich bedeu-
tender reibt als die warme, und zwar ist dieses darum nothwendig, weil
während der durch die Abkühlung eines beschränkten Gefässreviers er-
zeugten Verlangsamung nicht auch gleichzeitig eine Veränderung im Durch-
messer der beobachteten Gefässe zu Stande kam. — Cl. Bernard verdan-
ken wir ebenfalls eine hierher einschlagende Bemerkung. Er fand, dass
das Venenblut, welches aus den Capillaren der Gesichtshaut zurückkommt,
deren zuführende Arterien erweitert sind in Folge der Durchschneidung
des sympathischen Grenzstranges, noch arterielle Eigenschaften besitzt;
es scheint demnach, als ob das Blut so rasch durch die erweiterten Ge-
fässe geflossen sei, dass ihm die Zeit zu seiner Umwandlung gefehlt habe.
d. In einem so vielfach verzweigten System, wie das der Blutge-
fässe, müssen unzweifelhaft Beziehungen bestehen zwischen den Geschwin-
digkeiten der einzelnen Abtheilungen in der Art, dass, wenn dieselbe in
einem oder einigen Aesten der Aorta sinkt, sie in andern zunimmt, und
umgekehrt. Andeutungen für das Bestehen solcher Verhältnisse besitzen
wir in der That; so blieb z. B. bei einem Kaninchen, an dem einseitig
der Grenzstrang des Halses durchschnitten war, der Druck in beiden Ca-
[136]Abhängigkeit der Geschwindigkeit vom Herzschlag.
rotielen derselbe, trotzdem nimmt die Anfüllung der Gefässe auf der Seite
des [durchschnittenen] Nerven zu und in der andern ab. Diese Erscheinung
ist nur daraus erklärbar, dass durch die Verbindungsäste beider Gesichts-
hälften der Strom von der Seite des unverletzten auf diejenige des ver-
letzten Nerven geht. Cl. Bernard. — In gleicher Weise kann man die
Gefässfülle aller übrigen Theile mindern, wenn man durch Anlegung einer
Saugpumpe um ein Glied, z. B. durch Anbringung des sog. Schröpf-
stiefels, den Luftdruck auf dieses Glied herabsetzt. Indem sich damit
die Gefässe des Gliedes erweitern, nimmt der Widerstand in den Strom-
bahnen desselben ab, und darum beschleunigt sich der Strom hier, wäh-
rend er anderswo sich verlangsamt. Er würde unbezweifelbar von grosser
Wichtigkeit sein, das Verhältniss der mittleren Geschwindigkeit in den
einzelnen grösseren Gefässabtheilungen, z. B. den Darm-, Nieren-, Hirn-,
Muskelarterien zu kennen, weil uns mit Berücksichtigung des Querschnitts
daraus mannigfache Aufschlüsse erwachsen würden über den Stoffwech-
sel in den von diesen Gefässen versorgten Organen. Leider sind wir
aber hierüber noch vollkommen im Unklaren.
2. Ueber die Abhängigkeit der mittleren Geschwindigkeit des Bluts
von der Schlagfolge des Herzens und den Athembewegungen. Man hört
häufig die Bemerkung, dass die Geschwindigkeit des Blutstroms durch
die Zahl der Herzschläge in der Zeiteinheit bestimmt werde. Dieser Be-
hauptung liegt begreiflich nur dann ein Sinn unter, wenn sie die Vor-
aussetzung einschliesst, dass in allen Fällen der Ventrikel gleich viel Blut
entleert und dass auf dieses Blut gleich viel lebendige Kraft übertragen
werde. Denn nur in diesem Falle werden die treibenden Kräfte propor-
tional den Herzschlägen sein. Diese Voraussetzungen treffen nun aber
höchst selten ein, und somit ist auch die obige Aussage nicht mehr gil-
tig, wie dieses im Besonderen Lenz und Hering durch dromometri-
sche Versuche bewiesen haben. Je nach dem Umfang und der Schnellig-
keit der einzelnen Herzzusammenziehungen können bei gleichen Puls-
zahlen sehr verschiedene und umgekehrt bei ungleichen Pulszahlen ganz
dieselben Geschwindigkeiten bestehen. — Aehnliches gilt für die Athem-
bewegungen. Hering.
3. Ueber die absoluten Werthe der Geschwindigkeit. Der Weg,
welchen das Blut mit mittlerer Querschnittsgeschwindigkeit in der Sekunde
zurücklegt, ist in folgender Tabelle verzeichnet:
Aus den Versuchen von Hering kann eine Angabe über die Ge-
schwindigkeit nicht abgeleitet werden, da er den Weg nicht gemessen
hat, den das von ihm in den Kreislauf gebrachte Blutlaugensalz zurück-
legte. Dennoch sind seine Angaben, die sich sämmtlich auf Pferde bezie-
hen, nicht ohne Interesse. Um aus den Schienbeinarterien bis in den
Anfang der vena saphena zu kommen, braucht das Blutlaugensalz 5 bis
10 Sekunden und zuweilen noch weniger; um aber aus einer Jugular-
vene durch das Herz in die Lungen, von da zum Herzen zurück durch
ein beliebiges ihr zugehöriges Capillarensystem in die andere vena jugularis
zu gelangen, waren nach 41 Versuchen 15 bis 45 Sekunden nöthig. In
wie weit diese Resultate mit denjenigen von Volkmann vergleichbar
sind, lässt sich nicht sagen, denn abgesehen davon, dass man die Weg-
strecke nicht kennt, ist auch darüber nichts anzugeben, in welchem der
vielen ungleich geschwinden Flüssigkeitsfäden eines jeden Querschnitts
die Geschwindigkeit gemessen ist.
Wir versäumen nicht, noch auf ein Resultat der Untersuchungen
von Volkmann und Lenz aufmerksam zu machen; darauf nemlich,
dass die Geschwindigkeit in der a. carotis bei den verschiedenen Säuge-
thieren, ähnlich wie dieses auch für die dortige Spannung galt, sich
in engen Grenzen bewegt.
[138]Verhältniss der Spannungs- und Geschwindigkeitshöhe.
Ueber die zum Stromlauf verwendeten lebendigen
Kräfte.
1. Eine Vergleichung der hydrostatischen Werthe, welche der Span-
nung und Geschwindigkeit entsprechen, oder wie sich die Hydrauliker
ausdrücken, der Widerstands- und Geschwindigkeitshöhe, giebt das vor-
aussichtliche Resultat, dass die hydrostatische Druckhöhe, welche die
Spannung ausdrückt, im Vergleich zu derjenigen, welche die im Strom
vorhandene Geschwindigkeit erzeugen kann, im Aortensystem vom Herz
bis wieder zu ihm beträchtlich abnimmt. — Wir brauchen, indem wir diese
Vergleichung für die a. carotis und vena jugularis des Hundes ausfüh-
ren, kaum daran zu erinnern, wie man aus der bekannten Geschwindig-
keit eines Stroms die sie erzeugende Druckhöhe finden kann. Siehe
hierüber p. 31. Zieht man aus allen bis dahin an der art. carotis unter-
nommenen Versuchen das Mittel, so erhält man für die Spannung in
derselben einen Werth von 110 MM. Quecksilber und für die Geschwin-
digkeit in der Sekunde einen Weg von 292 MM. Berechnet man für
diese letztere Zahl die Geschwindigkeitshöhe, und drückt man sie in Queck-
silber aus, so wird sie = 0,44 MM. Das Verhältniss von 0,44 : 110
ist aber gleich 1/250. — Die beobachtete Mittelspannung in der vena
jugularis ist dagegen = 8,5 MM. Quecksilber; die Geschwindigkeit =
225 MM. und die daraus berechnete und in Quecksilber ausgedrückte
Geschwindigkeitshöhe = 0,26; diese Zahl verhält sich nun zur Span-
nungshöhe = 1/32,5.
Diese Verhältnisszahlen haben nun, wie schon erwähnt, gar keinen
allgemein giltigen Werth, weil die Spannung auch noch von mancherlei
andern Dingen, als von der Geschwindigkeit, abhängt. Ihre Betrachtung
gewährt uns dagegen vollkommenen Aufschluss darüber, warum in dem
Spannungsmesser das Quecksilber immer gleich hoch stieg, mochten wir
einmal seine Mündung gegen das Herz und das anderemal gegen die
Capillaren kehren. Denn wenn auch in dem erstern Fall das Blut auf
das Quecksilber mit seiner Spannung und seiner Geschwindigkeit zu-
gleich drückte, während es in dem letztern das Quecksilber nur mit
seiner Spannung zu heben suchte, so war doch der Unterschied beider
Wirkungen so gering, dass er mit unseren Verfahrungsarten nicht mehr
herausgestellt werden konnte.
2. Ueber die Summen aus den lebendigen und spannenden Kräf-
ten des strömenden Blutes. — Um die gesammte Kraft kennen zu
lernen, die einem gegebenen Abschnitte des arteriellen Systems zuge-
führt werden musste, damit sich das Blut darin in dem wirklich vor-
handenen Zustande (Bewegung unter einer gewissen Spannung) befinde,
hat man zweierlei Kraftgrössen zu untersuchen. Erstens nemlich die vor-
handene lebendige Kraft der Strömung, welche bekanntlich ihren Aus-
[139]Die Summe der lebendigen und spannenden Kräfte.
druck findet in dem halben Produkte aus der strömenden Masse (m) und
dem Quadrate der Geschwindigkeit (c) = ½ mc2, wo die Masse m nach den
in der Mechanik üblichen Einheiten auch durch bezeichnet werden kann,
wenn p das Gewicht der betreffenden Masse und g die Beschleunigung
der Schwere während einer Sekunde (=9,8 Met.) bedeutet. Zweitens aber
ist die Kraftgrösse zu betrachten, welche nöthig wäre, um dem in dem
Arterienabschnitte befindlichen Blute die Spannung zu ertheilen, unter wel-
cher es gerade gefunden wird. Nach den Grundprinzipien der Mechanik, d. h.
nach dem Prinzip der Erhaltung der Kraft, muss diese Kraft auch als le-
bendige wieder hervorgehen, wenn man sich vorstellt, die in einem Ge-
fässring gespannt vorhandene Blutmasse wäre in Ruhe und käme nun unter
dem Einflusse der Spannung in Bewegung. Sie würde offenbar alsdann nur so
lange abfliessen, bis der Gefässring sein normales Lumen wieder erlangt hätte
und zwar würde die Geschwindigkeit des Abflusses im Verlaufe desselben ab-
nehmen, da ja die Spannung selbst offenbar mit der Entleerung abnimmt.
Theilt man nun die ganze Zeit dieses gedachten ungleichmässigen Abflusses
in sehr kleine Abschnitte, so dass während eines solchen die Ausflussge-
schwindigkeit für constant gelten darf, multiplizirt man dann die halbe
Masse, die während jedes einzelnen Abschnittes ausfliesst mit dem Qua-
drate der Geschwindigkeit, mit welcher sie ausfliesst, und summirt alle
diese Produkte, so hat man den Ausdruck der lebendigen Kraft, welche
die fragliche Spannung hervorzubringen vermag und die folgeweise auch
erfordert wurde, um sie zu erzeugen. Jede Spannung misst man
nun durch die Höhe einer Säule derselben Flüssigkeit, die durch ih-
ren hydrostatischen Druck derselben das Gleichgewicht hält, und ist diess
Maass auch namentlich geeignet, in der eben ausgeführten Betrachtung
sofort verwandt zu werden. Denn man weiss, dass ein Flüssigkeitstheil-
chen unter dem Drucke einer Säule von der Höhe h ohne Widerstand
sich selbst überlassen mit einer Geschwindigkeit entweicht, die gleich der
ist, welche es erlangt haben würde, wenn es von der Höhe h herabge-
fallen wäre. Sie ist aber nach den Fallgesetzen = , oder wenn
die Flüssigkeitsmasse, welche unter dem Drucke h, also mit dieser so-
eben berechneten Geschwindigkeit abfliesst = m ist, so hat sie beim Abflusse
die lebendige Kraft ½ m. 2g h, die folglich unmittelbar, wenn man für m wie-
der seinen Werth setzt, dargestellt werden kann durch p h. Jedenfalls
ist die Flüssigkeitsmenge, die wirklich unter dem Druck h ausfliesst, wel-
cher jetzt die anfänglich in dem Gefässring vorhandene Spannung bedeuten
mag, nur unendlich klein, also mag ihr Gewicht durch d p im Geiste der der
höheren Analysis eigenen Bezeichnungsweise vorgestellt werden. Dann wäre
h. d p die Kraft, welche beim Ausflusse während des ersten kleinen Zeit-
abschnittes wieder lebendig wird. Bei diesem Ausfluss ist aber der Ge-
[140]Summe der lebendigen und spannenden Krafte.
fässdurchmesser kleiner geworden, und folglich hat die Spannung, die
mittels der Elastizitätscoeffizienten der Wandungssubstanz von diesem
Durchmesser abhängt, um etwas abgenommen, mag sie h1 \< h gewor-
den sein, nun fliesst also eine zweite Quantität d p unter der neuen
Spannung h1 ab und es ergiebt sich die Kraft d p. h1. Indem dadurch
der Durchmesser von neuem vermindert wird, geht die Spannung über
in h2 \< h1 und im folgenden Zeitabschnittchen bekommen wir eine le-
bendige Kraft d p. h2 u. s. w., bis das Gefäss auf sein normales Lumen
gekommen und die Spannung = 0 geworden ist, daher nichts mehr
ausfliessen macht. Die Summe aller dieser Grössen, oder die der gan-
zen ausfliessenden Menge mitgetheilte lebendige Kraft wäre demnach
= d p [h + h1 + h2 ......... + hn], wo n die sehr grosse Anzahl der
Zeitabschnitte ist, in die wir die ganze Ausflusszeit getheilt haben, die
letzte Spannung jenes hn unterscheidet sich dann von 0 nur unendlich
wenig, d p ist bei dieser Annahme der nte Theil der ganzen ausfliessen-
den Menge, die leicht so berechnet werden kann: sei L die Länge *) und
R der Halbmesser der unter der Spannung h ausgedehnten Arterie, l und r
die Länge und Halbmesser der ungespannten Arterie und s das spez.
Gew. des Blutes, dann ist die ausfliessende Menge die Differenz zwischen
dem Inhalte der ausgedehnten und ungedehnten Arterie also π. R2 L s —
π r2 l s oder π s. (R2 L — r2 l) setzt man für d p jetzt seinen Werth, nem-
lich den nten Theil dieser Grösse, in die Formel für die Gesammtkraft,
so hat man π s (R2 L r2 l). , d. h. die leben-
dige Kraft, die der Spannung in der Arterie aequivalent ist, ist gleich
dem Inhaltsunterschied der gedehnten und ungedehnten Arterie, multi-
plizirt mit dem arithmetischen Mittel aus allen den Spannungen, welche
beim Ausfliessen der Reihe nach Platz greifen würden.
Da uns nun die Geschwindigkeiten des Stroms nur in sehr weni-
gen Gefässen bekannt ist, der Inhaltsunterschied der gedehnten und
ungedehnten Gefässe, das arithmetische Mittel aus allen Spannungen da-
gegen unbekannt ist und demnächst auch nicht werden wird, so ist
wenig Hoffnung zu einer allgemeinen Lösung der Aufgabe vorhanden, und
noch weniger haben wir die Aussicht, die lebendigen Kräfte allerwärts
auf ihre Quellen (das Herz, die Brustmuskeln u. s. w.) zurückzuführen.
Nur in einem einzigen, aber glücklicher Weise sehr bemerkenswer-
then Fall, ist eine angenäherte Auswerthung der lebendigen Kraft mög-
lich; es ist dieses die Kraft der Blutmenge, welche in der Zeit vom
Anfang einer bis zum Anfang einer zweiten Herzzusammenziehung durch
das ringförmige Stück eines beliebigen Querschnitts der aufsteigenden
Aorta strömt, um welches sich dieser Querschnitt erweitert hat in Folge
[141]Die Absonderungen.
der Entleerung des Herzens. Da wir uns nemlich für berechtigt halten
dürfen, die mittlere Spannung des Bluts von einem Herzschlag zum an-
dern in der Carotis und Aorta gleichzusetzen, und da wir annehmen
können, dass die von Volkmann abgeleitete Zahl für die mittlere Ge-
schwindigkeit des Bluts in der Aorta auch annähernd die Geschwindig-
keit in dem soeben bezeichneten Ring des Aortenquerschnitts darstelle,
so sind alle Bedingungen zur Berechnung vorhanden, weil der Inhalt des
Rings eben nichts anderes war, als das durch einen Herzschlag entleerte
Blut. J. R. Mayer*) und nach ihm Vierordt haben eine solche Auswer-
thung vorgenommen. — Indem wir die in diesem Werke aufgeführten
Mittelzahlen zu Grunde legen, wonach der in der Aorta entleerte Kammer-
inhalt = 0,175 Kilogr., die Geschwindigkeit des Bluts in der Aorta
= 0,4 Meter, die Mittelspannung in der a. carotis (u. Aorta) = 2,240 Me-
ter Blut betragen, so gelangen wir zu dem Ergebniss, dass die lebendige
Kraft des durch die Aorta tretenden Herzinhaltes = 0,406 Kilogrammeter
ausmache. — Diese Zahl hat natürlich nur die Bedeutung einer ange-
näherten Schätzung.
II. Von den Absonderungen.
Die Bewegungen der flüssigen Bestandtheile des Blutes beschrän-
ken sich nicht bloss auf die Bahnen, welche ihnen durch die Gefäss-
röhren vorgezeichnet sind, sondern sie durchbrechen auch die unverletzte
Gefässwand. Diesem Vorgang, den man als Absonderung (secretio) be-
zeichnet, steht ein anderer, die Außaugung (resorptio), entgegen, wel-
cher Flüssigkeiten, die die Gefässröhren umspülen, in diese selbst hinein-
führt. Diese beiden Bewegungen von entgegengesetzter Richtung erscheinen
häufig gleichzeitig an demselben Orte, häufig auch getrennt von einander.
Die Vermischung und Sonderung derselben ist wohl Veranlassung ge-
worden, dass man diese Prozesse zum Theil vereint, zum Theil getrennt,
gerade wie sie im Organismus erscheinen, abgehandelt hat. Wir werden
im Nachfolgenden, dem Gebrauch der physiologischen Lehrer folgend, zwar
vorzugsweise die Hergänge besprechen, welche mit einer Bewegung der flüs-
sigen Blutbestandtheile von der innern auf die äussere Gefässwand ver-
bunden sind; dabei beschränken wir uns aber nicht auf diese Betrach-
tung, sondern wir verfolgen auch die ausgetretenen Säfte in ihren wei-
teren Schicksalen und nehmen zugleich die Untersuchung einer um-
gekehrten Saftbewegung, einer Außaugung, mit auf, wenn sie innig mit
der Absonderung verbunden sein sollte.
[142]Die bei der Absonderung thätigen Bedingungen.
Allgemeiner Theil.
Die allgemeinsten Forderungen, welche nach gewonnener Einsicht in
die Eigenschaften des Gefässinhalts gestellt werden müssen, wenn wir die
Absonderungserscheinungen begreifen sollen, verlangen: dass wir zu er-
fahren trachten die Eigenschaften der Flüssigkeit (Säfte, Sekrete), welche
auf der äussern Gefässwand zum Vorschein kommen, die Beschaffenheit
der Wege, auf welchen die Säfte durch die Gefässwand dringen, und
endlich die Wirkungsweise der Kräfte, welche die Säfte aus den Gefäss-
röhren herausbefördern. Ueber die Eigenschaften der Säfte lässt sich,
wie es scheint, nichts allgemein giltiges sagen, vorausgesetzt, es wollte
die Aussage darüber hinausgehen, dass dieselben tropfbar oder gasför-
mig sein müssten. Anders verhält es sich dagegen mit den beiden andern
Punkten.
1. Die Häute, durch welche die Absonderung statt finden soll, müssen
unzweifelhaft von Oeffnungen durchbrochen sein, weil sonst der Durch-
gang einer Flüssigkeit geradezu unmöglich sein würde. Die Umstände,
durch welche die Häute auf die Absonderung von Einfluss werden, lassen
sich somit zurückführen auf die Eigenschaften der Poren. Weiter geführte
Ueberlegungen zeigen nun sogleich, dass in diesem Sinne zu berücksich-
tigen ist: Durchmesser und Längen der Kanäle, resp. die Umstände,
durch welche diese Dimensionen innerhalb einer und derselben Haut
veränderlich werden; ferner die Zahl der Poren in der Flächeneinheit
der Haut; und endlich die chemische Besonderheit der innern Porenwand,
resp. Einflüsse, durch welche jene veränderlich werden.
In früherer Zeit pflegte man die Streitfrage zu behandeln, ob die Häute und
insbesondere die der Gefässe mit feinen Oeffnungen, Poren, versehen oder nicht ver-
sehen seien. Dieser Streit muss aber als ein vollkommen unnützer angesehen wer-
den, so lange nicht jene zahlreichen in diesem Werke wiederholt vorgetragenen Gründe
widerlegt sind, welche die Annahme bedingen, dass alle wägbaren Körper aus einer
Zusammenhäufung von einzelnen sehr kleinen gewichtigen Theilchen bestehen, die
durch Zwischenräume von einander getrennt sind, und so lange, bis man es be-
greiflich machen kann, wie durch ein zusammenhängendes, den Raum gleichartig
erfüllendes Gefüge wägbarer Massen andere auf gleiche Weise gebildete Stoffe drin-
gen sollen.
a. Porenweite. Die Durchmesser der Poren sind nicht bekannt;
geradaus sind sie nicht zu messen, weil sie selbst dem Auge, das
mit sehr starken Vergrösserungen bewaffnet ist, unsichtbar bleiben, ein
indirekter Maassstab ist aber noch nicht gefunden. Immerhin aber
lässt sich behaupten 1) dass die eine Membran engere Poren besitzt,
als die andere; denn es gehen beim Filtriren durch die eine Mem-
bran feine, in der Flüssigkeit aufgeschwemmte Körperchen hindurch,
welche von einer andern zurück gehalten werden. Der Punkt, auf den
Oesterlen*) die Aufmerksamkeit gelenkt hat, ist durch H. Meyer
[143]Poren der Häute.
und Donders*) weiter verfolgt worden. Nach ihnen dringen feinstes
Kohlenpulver, Stärkekörnchen, Quecksilbertröpfchen aus dem Darm-
kanal in die Blutgefässe und werden von dort wieder ausgeschieden,
ohne dass Spuren von Gefässverletzung beobachtet werden konnten, die
zudem auch schwerlich durch die Stärkekörnchen hätten veranlasst werden
können. Die ärztliche Erfahrung behauptet (man weiss freilich nicht mit
welchem Recht), dass auch unter gewissen Umständen Blutkörperchen
durch die unverletzten Gefässwände hindurch gelangen könnten. Kann in
der That der Durchtritt aller dieser Stoffe ohne die Gegenwart einer
Wunde zu Stande kommen, so müssen natürlich die Poren der Häute
denen des gewöhnlichen Filtrirpapiers an Grösse gleichkommen. —
2) Ein und dieselbe Membran, welche durch eine Nebeneinanderlegung
verschiedener, gleichgiltig ob gleichartiger oder ungleichartiger, Gewebs-
elemente gebildet ist, wird Poren von ungleichem Durchmesser besitzen
müssen; bei einer solchen Zusammensetzung müssen nemlich ausser den
Poren zwischen den kleinsten Theilchen des homogenen Stoffes auch noch
solche an den Grenzen zweier Gewebselemente zu Stande kommen. Aus
diesem Grunde ist es sehr zu beachten, dass an so vielen, sonst gleich-
artigen Häuten und namentlich an den Wandungen der Capillargefässe
kleine Zellen, Kerne u. dgl. eingelagert sind. Eine solche Einrichtung
muss nemlich den Thatsachen, die im I. Bd. p. 60. über Quellung
aufgeführt sind, für den Durchtritt der Flüssigkeiten durch Membranen
von Bedeutung werden. — 3) Dieselben Poren einer Membran müssen
endlich mit der Spannung dieser letztern von veränderlichem Durchmes-
ser sein. Dieses folgt daraus, weil ein elastisches Gebilde bei seiner
Ausdehnung eine Volumvermehrung erfährt. Diese Erfahrung erläutert
sich am einfachsten aus der Annahme, dass bei der Ausdehnung die
wägbaren Atome in eine grössere gegenseitige Entfernung treten, weil es
nicht wohl denkbar ist, dass die festen Theile selbst, soweit sie den
Raum continuirlich erfüllten, sich ausdehnen könnten. Wir sind um so
mehr geneigt, unsere Annahme festzuhalten, weil wir sogleich bei den
Filtrationserscheinungen Bestätigungen derselben lernen werden. — b) Die
Länge der Poren dürfte, alles andere gleichgesetzt, proportional der
Dicke der Häute sein, welche sie durchbrechen; demnach müssen sehr
dünne Häute, wie z. B. diejenigen der Capillargefässe, die kürzesten Po-
ren besitzen. — c) Ueber die Porenzahl in der Flächeneinheit einer
Membran lässt sich vielleicht aussagen, dass sie mit der Abnahme des
spezifischen Gewichtes steigt. — d) Zu den Thatsachen, die wir über
die verwandtschaftlichen Eigenthümlichkeiten der Poren-
wand unter dem Artikel Quellung mitgetheilt haben, ist hier nichts Neues
hinzuzufügen; wir erinnern nur daran, dass diese Eigenschaften nicht
[144]Die absondernden Kräfte. Filtration.
allein von der chemischen Zusammensetzung der Wand, sondern auch
von der Natur der Flüssigkeiten abhängig waren, welche den Porenkanal
erfüllten.
2. Die Kräfte, welche die Flüssigkeiten und Gase des Bluts durch
die Poren treiben, bestehen nachweislich in Spannungsunterschieden der
Flüssigkeit auf den beiden Seiten der Gefässhaut (Filtration und Gas-
diffusion), in Anziehungen zwischen den Stoffen, die ausserhalb und inner-
halb der Gefässe liegen (Hydrodiffusion), und endlich in eigenthümlichen
Wirkungen der erregten Nerven auf den Gefässinhalt.
Daraus, dass uns keine weiteren Absonderungskräfte bekannt sind,
schliessen wir natürlich nicht, dass ihre Aufzählung mit diesen dreien
erschöpft sei.
a. Filtration. Da die Gefässwand von feinen Oeffnungen durch-
brochen ist, so muss auch sogleich Flüssigkeit durch dieselben sickern,
wenn die Spannung der Säfte, welche sie innen und aussen umspülen, eine
ungleiche ist. Denn es wird sich diese ungleiche Spannung durch die
Oeffnungen, mittelst der die beiden Flüssigkeiten in Verbindung stehen, aus-
zugleichen streben. Die Geschwindigkeit eines solchen Stromes muss
aber abhängig sein: α. von dem Spannungsunterschied der beiden durch
den Porus verbundenen Flüssigkeiten, oder anders ausgedrückt, von der
Kraft, mit der an dem einen Porenende die Flüssigkeit getrieben wird,
und dem Widerstand, den an dem andern Ende die dort liegende Flüs-
sigkeit entgegengesetzt. Die gesetzlichen Beziehungen zwischen den zur
Bewegung verwendbaren Drücke und der im Porus bestehenden Geschwin-
digkeit, werden sich auf dem Wege der Erfahrung schwerlich ermitteln
lassen, da sich nothwendig mit einer Steigerung des einseitigen Druckes
auch die Poreneigenschaften ändern. — In den normalen Verhältnissen
des Blutstroms überwiegt nun gewöhnlich der Druck auf der innern Ge-
fässfläche denjenigen auf der äusseren; somit ist also eine aus dem Ge-
fässlumen in die Gewebe wirkende Triebkraft vorhanden. Diese letztere
wird nun nicht allein gesteigert mit dem Wachsthum des Blutdruckes,
sondern auch bei gleichem Blutdruck mit einer Erniedrigung der Span-
nung in den Gewebssäften. Demgemäss sehen wir, wenn nicht be-
sondere Vorrichtungen vorhanden sind, dass der Strom aus den Blut-
gefässen den umgekehrt gerichteten überwiegt. Und nächstdem ist
die Absonderung im Steigen begriffen, wenn der Blutdruck zunimmt,
sei es, dass die Blutmenge sich gemehrt, oder einzelne Abtheilungen
des arteriellen Systems verengert oder gar zugeschnürt sind, oder den
secernirenden Gefässabtheilungen eine relativ niedrigere Lage zugetheilt
ist u. s. w. Zugleich steigert sich aber auch die Sekretion bei un-
geändertem Blutdruck, wenn Umstände in die secernirenden Organe
eingeführt werden, durch welche der dem Blut geleistete Gegendruck ge-
mindert wird, z. B. nach der Entleerung gespannter Flüssigkeiten (der
[145]Filtration, Porenweite, Natur der Flüssigkeit.
wässerigen Augenfeuchtigkeit, der Cerebrospinalflüssigkeit u. s. w.) der
Abhebung des Epitheliums, der Erniedrigung des Luftdrucks u. s. w. —
β. Die Geschwindigkeit in dem Porenkanal ändert sich, der Theorie
gemäss, mit der Länge und Weite desselben, weil hier, wie bei einer
jeden Strömung in Kanälen von den Dimensionen derselben die Wider-
stände für die Bewegung abhängig sind. Aus diesem Grundsatz ist es
abzuleiten, dass durch dünne Häute bei gleichem Filtrationsdrucke und
gleichem Flächeninhalt mehr Flüssigkeit dringt, als durch dicke, und fer-
ner, dass die durch ein und dieselbe Membran ausfliessende Menge
rascher wächst, als der Druck, indem durch den Druck wahrscheinlich
zugleich die Poren erweitert werden. Eine der vorliegenden ähnliche
Betrachtung hat auch zu der Behauptung geführt, dass durch eine ho-
mogene Substanz die Filtration unmöglich sei. Man nimmt, wie es
scheint, hierbei an, dass die intermolekularen Poren zu eng seien, um
einer Flüssigkeit den Durchgang zu gestatten, in Folge eines solchen
Druckes, wie ihn eine Haut, ohne zu zerreissen, ertragen kann. Dieser
wichtige Gegenstand ist durch neue Versuche aufzuhellen. — γ. Die
Geschwindigkeit*) ändert sich mit der chemischen Zusammensetzung der
durchgetriebenen Flüssigkeit. Wistingshausen stellt die Regel auf,
dass der Druck, welcher nothwendig sei, um in gleichen Zeiten eine
merkliche Menge von Flüssigkeit durch eine Haut zu treiben, in dem
Maasse abnehme, in welchem das Quellungsverhältniss zunehme. In der
That ist es eine bekannte Erfahrung, dass man den Druck der Reihe
nach steigern muss, wenn man durch Harnblasenwand oder Peritonnal-
haut in gleichen Zeiten annähernd gleich viel Wasser, Salzlösung, Oel,
Alkohol (Quecksilber?) hindurch treiben will. Wie aber Wasser zur
Filtration den niedrigsten, Alkohol den höchsten Druck verlangt, so quel-
len auch die erwähnten Membranen viel mehr in Wasser als in Alkohol
auf. — Diese Erscheinung erklärt sich mindestens theilweise dadurch,
dass die Porenöffnungen um so weiter werden müssen, je mehr die
Haut, in der sie enthalten sind, durch die eingedrungene Flüssigkeit aus-
gedehnt wird. — Hier ist auch zu erwähnen, dass durch die Anwe-
senheit einer Flüssigkeit in den Poren der Durchtritt einer andern er-
schwert oder erleichtert werden kann; so giebt z. B. die Anwesenheit von
Oel in einer Harnblasenwand eine Hemmung für den Durchgang von Was-
ser, und umgekehrt hindert das eingedrungene Wasser den Durchtritt des
Oels. Der Grund dieser Erscheinung wird zum Theil wenigstens ab-
hängig sein von der Spannung, in welche die einander zugekehrten
Oberflächen zweier sich berührenden, aber nicht mischenden Flüssigkei-
ten gerathen müssen, weil die auf der Berührungsfläche gelegenen Theil-
Ludwig, Physiologie. II. 10
[146]Filtration; Dauer derselben, chemische Scheidung.
chen von Seiten der gleichartigen einen stärkern Zug empfangen, als
von Seiten der ungleichartigen. Diese Spannung drängt die Theil-
chen der Oberfläche zusammen, so dass jede derselben gleichsam mit
einer Haut überzogen ist, welche ihr den Eintritt in den Porus ver-
wehrt. Die Festigkeit dieser Haut wird sich aber steigern mit dem
Unterschied der Züge nach der einen und der andern Richtung; indem
diese alle möglichen Werthe zwischen einem Maximum und einem Mini-
mum annehmen kann, je nachdem die beiden Flüssigkeiten entweder gar
keine oder eine merkliche Anziehung zu einander zeigen, wird auch die
Oberflächenspannung sehr verschiedenartig ausfallen. Es scheint nun,
als ob auf diesem Wege eine Veränderung in der Dichtigkeit der einan-
der berührenden Oberflächen zweier sich nicht mischender Flüssigkeiten,
z. B. des Oels und Wassers, dadurch erzeugt werden könnte, dass man
in dem Wasser gewisse Salze, z. B. gallensaures Natron, auflöst. Denn
es sollen Fette durch eine mit einer wässerigen Lösung dieses Salzes ge-
tränkte Haut hindurchtreten können (Ochlenowitz, Hoffmann). —
δ. Endlich erleidet auch, gleichen Druck vorausgesetzt, die Geschwindig-
keit des Filtrationsstroms eine Veränderung mit der Dauer desselben,
und zwar in der Art, dass die Geschwindigkeit entweder steigt, oder ab-
nimmt. Das erstere tritt gewöhnlich ein, wenn reine, leicht bewegliche
Flüssigkeiten, das letztere, wenn salzige, vorzüglich aber wenn klebrige
(z. B. eiweisshaltige) Flüssigkeiten durch die Poren hindurchgehen. Man
vermuthet, dass sich in dem Falle, in welchem sich der Widerstand mit
der Dauer der Filtration mehrt, sich die Poren allmählig verstopfen durch
einen Absatz aus der durchgehenden Flüssigkeit. Das andere Ergebniss
ist noch nicht hinreichend untersucht; es wäre namentlich interessant,
zu wissen, in welcher Weise die Geschwindigkeiten mit der Zeit zu-
nehmen.
Die Geschwindigkeit eines Filtrationsstromes durch eine thierische
Haut wird unter allen Umständen aber gering sein, weil in den ausser-
ordentlich engen Kanälen, selbst wenn sie sehr kurz sind, sich doch be-
trächtliche Widerstände finden müssen. Diese Behauptung wird be-
kanntlich durch die Erfahrung bestätigt.
Die Frage, ob mittelst der Filtration durch eine thierische Haut in
einer homogenen Flüssigkeit eine chemische Scheidung veranlasst werden
könne, ist durch die bisherigen Versuche verneinend entschieden wor-
den. Jedesmal zeigte die durch das Filter gedrungene Flüssigkeit die
Zusammensetzung der ursprünglich aufgegossenen. Diese Erscheinung
ist besonders dann auffallend, wenn man die Flüssigkeiten auf die Mem-
bran bringt, welche von dieser scheinbar gar nicht aufgenommen werden
können, wie z. B. conzentrirte Lösungen von Glauber- und Kochsalz.
Diese Thatsache scheint in Verbindung mit anderen einmal zu erweisen
(Bd. I. p. 62.), dass die in die Poren der aufquellenden Häute einge-
[147]Diffusion.
drungenen Flüssigkeiten dort auf eine verschiedene Weise angeordnet
sind, und dann, dass die Drücke, welche man zur Erzeugung des Fil-
trationsstromes angewendet hat, gerade nur hinreichen, um die Mittel-
schicht, nicht aber die Wandschicht der eingedrungenen Lösung zu be-
wegen. Sollte sich in der That ein allgemeiner Beweis für die Behaup-
tung erbringen lassen, dass die Drücke, welche thierische Häute, ohne
zu zerreissen, ertragen können, nicht genügten, um die Wandschicht in
Bewegung zu setzen, so würde damit dargethan sein, dass überhaupt
die Filtration durch eine thierische Haut keine chemische Scheidung
veranlassen könnte. Jedenfalls müssen wir aber, so lange ein empiri-
scher Gegenbeweis fehlt, an diesem Grundsatz festhalten. Mit dieser
Vorsicht ist man freilich nicht immer zu Werke gegangen, indem man
sich auf die Ergebnisse der Filtration durch Kohle, Ziegelsteine u. s. w.
berief, bei denen in der That die Zusammensetzung der durchgegange-
nen und der aufgegossenen Flüssigkeit verschieden sein können. Man
übersah aber hierbei, dass die Kohle nur durch ihre Verwandtschaft zu
den im Filtrat fehlenden Bestandtheilen jene Scheidung erzeugt. Denn
der Stoff, welcher der durchgelaufenen Flüssigkeit fehlt, ist, wie die che-
mische Untersuchung des Kohlenfilters erweist, in ihm zurückgehalten
worden. Aus diesem Grunde ist eine beliebige Menge von Kohle auch
nur so lange als Scheidungsmittel brauchbar, als sie sich nicht mit je-
nem Stoff gesättigt hat; so wie dieses geschehen, geht auch die aufge-
gossene Flüssigkeit unverändert durch dieselbe. Käme nun in der That
den thierischen Häuten eine ähnliche Eigenschaft, dem Blut oder andern
Flüssigkeiten gegenüber, zu, so würde dadurch doch keine chemische
Scheidung bewirkt werden können. Denn die thierischen Häute, welche
sich an der Sekretion betheiligen, sind sehr dünn, und die Filtrations-
ströme gehen in gleicher Weise sehr lange Zeit durch sie hindurch, so
dass der Stoff ihrer Porenwandungen sehr bald mit dem Stoffe, den sie
zurückhalten könnten, gesättigt sein würde. Dauernd würde sie nur
dann als chemisches Scheidungsmittel zu benutzen sein, wenn ihnen die
Eigenschaft zukäme, gewissen Bestandtheilen einer aufgegossenen Flüssig-
keit geradezu den Eintritt in ihre Poren zu verwehren.
b. Diffusion. Auf dem Wege der Diffusion müssen unzweifel-
haft Blutbestandtheile aus den Gefässröhren in die umgebenden Gewebe
geführt werden, weil diese letztern mit wässerigen Flüssigkeiten erfüllt
sind, deren Zusammensetzung von der Blutflüssigkeit abweicht. Ueber
diese Strömungen lässt sich allgemein angeben 1) Sie werden nach den
Prinzipien für die endosmotischen Strömungen zu beurtheilen sein, weil die
beiden Flüssigkeiten durch eine thierische Haut getrennt sind. — 2) Die
Ströme werden während der ganzen Lebensdauer ununterbrochen fortbe-
stehen, weil nemlich zahlreiche Einrichtungen angebracht sind, welche es
verhüten, dass die Flüssigkeiten zu den beiden Seiten der Membran eine
10*
[148]Nervenerregung.
gleiche Zusammensetzung erlangen. Diese ununterbrochene Dauer des
Stroms schliesst aber natürlich ein Steigen oder Fallen in seiner Ge-
schwindigkeit nicht aus, im Gegentheil, es verhält sich aus verschie-
denartigen Gründen die mittlere Geschwindigkeit der Diffusionsströme
sehr wechselvoll. — 3) Die Flüssigkeit, welche sich in dem Strom
bewegt, kann niemals die Zusammensetzung des Blutes haben; denn
es besitzen die einzelnen Blutbestandtheile eine ganz ausserordent-
lich ungleiche Diffusionsgeschwindigkeit, ein Unterschied, der namentlich
zu gross zu sein scheint, als dass er durch die ungleichen Prozentge-
halte wieder compensirt werden könnte. — 4) Die Ströme, welche an
verschiedenen Orten des thierischen Körpers vorkommen, werden Flüs-
sigkeiten von ganz abweichender Zusammensetzung führen. Dieses ge-
schieht nachweislich darum, weil die auf der äussern Gefässfläche dem
Blute entgegengesetzten Stoffe nicht überall dieselben sind. So ist z. B.
an dem einen Orte das Gefäss von Luft, an dem andern aber von wäs-
seriger Feuchtigkeit umgeben und demnach tritt dort eine Gas- und hier
eine Hydrodiffusion ein. Dabei bleibt aber der Unterschied nicht be-
stehen, sondern es finden sich auch bedeutende Abweichnungen in den
die Gefässhaut umgebenden wässerigen Lösungen. Je nachdem also der
eine oder andere Stoff in der Lösung vorkommt, wird auch bald dieser
oder jener Blutbestandtheil lebhafter angezogen werden oder auf seinem
Wege durch die Haut mehr oder weniger Widerstand finden. — Zu die-
sen nachweislichen Gründen für eine grosse Mannigfaltigkeit in der Zu-
sammensetzung der aus dem Blute tretenden Säfte fügt man vermuthungs-
weise noch einen andern, den nemlich, dass die verschiedenen thierischen
Häute wegen der ursprünglichen Abweichung in ihrer Zusammensetzung
oder in ihrer sonstigen molekularen Anordnung eine ungleiche Durch-
gangsfähigkeit für dieselben Flüssigkeiten besitzen sollen. Diese Vermu-
thung stützt man auf die im I. Bd. p. 67. 3. angeführten Versuche, welche
allerdings noch einer weitern Bestätigung bedürfen. — 5) Die auf Diffu-
sion beruhenden Absonderungen sind jedesmal mit einem Strom im um-
gekehrten Sinn, mit einer Resorption, verbunden.
c. Nervenerregung*). Eine beschränkte Zahl von Drüsen brin-
gen die Absonderung ihrer Säfte zu Stande unter Mitwirkung der in sie
eintretenden Nerven. Der Mechanismus, durch welchen der erregte
Nerv die Absonderung einleitet, ist unbekannt; keines Falls aber ist
der Nerv dadurch wirksam, dass er den Blutdruck innerhalb der Ge-
fässe, welche die Drüse durchsetzen, partiell steigert, indem er die
Durchmesser jener Gefässe verändert. Dieses wird darum zur Gewiss-
heit, weil der Druck, unter welchem der abgesonderte Saft in den Drü-
sengang einströmt, weit grösser ist, als der, unter welchem gleichzeitig
[149]Messung des Absonderungsdruckes.
der Inhalt der Blutgefässe gespannt ist; ja noch mehr, es kann der er-
regte Nerv auch noch zu einer Zeit die Absonderung hervorrufen, in
welcher das in der Drüse enthaltene Blut weder strömt, noch überhaupt
gespannt ist.
Der Absonderungsdruck wird dadurch gemessen, dass
man in den Ausführungsgang einer Drüse A (in der sche-
matischen Fig. 52.) ein Manometer B einbindet. Dringt
Flüssigkeit durch die Poren der Drüsenwand hh in das In-
nere des Drüsenbläschens, so wird sie allmählig auch in das
den Ausführungsgang verschliessende Manometer drin-
gen und das Quecksilber desselben so lange emporhe-
ben, bis der Druck, den die Quecksibersäule ausübt,
gross genug ist, um der Gewalt, mit welcher der Drü-
sensaft durch die Poren strömt, das Gleichgewicht zu
halten. Der Absonderungsdruck ist also nichts anderes,
als die in einer beliebigen Flüssigkeit ausgedrückte
Druckhöhe, unter welcher die abgesonderten Säfte in
die Drüse gepresst werden.
Den Eigenschaften der Nerven entsprechend
wird die von ihnen abhängige Absonderung keine stetige, sondern eine
durch längere oder kürzere Zeiten unterbrochene sein, sie wird nur ein-
treten, wenn der Nerv erregbar ist. In der That tritt sie aber, die Er-
regbarkeit der Nerven vorausgesetzt, nur dann ein, wenn der Drüsennerv
wirklich erregt wird; dieses geschieht aber, soweit wir wissen, ganz unter
denselben Umständen, unter denen auch der Muskelnerv zur Erregung
kommt. — Besteht nun einmal die Absonderung, so wächst, alles andere
gleichgesetzt, die Geschwindigkeit derselben mit der gerade vorhandenen
Intensität der Erregung.
Die Säfte, welche durch dieses Hilfsmittel dem Blute entzo-
gen werden, sind erfahrungsgemäss durchaus anders zusammengesetzt,
als die Blutflüssigkeit. Ob sie aber in allen dem Nerveneinfluss
unterworfenen Drüsen gleich oder ungleich sind, lässt sich nicht
angeben. Allerdings weicht die Zusammensetzung der einzelnen Ner-
vensekrete, wie zum Beispiel Thränen und Speichel, von einander ab,
aber es kann diese Thatsache nicht als ein Beweis dafür angesehen
werden, dass durch Vermittelung des Nerven in die beiden Drüsen ver-
schiedenartige Säfte geführt worden seien, und zwar darum nicht, weil
es sich nicht darthun lässt, ob nicht noch andere Sekretionsursachen,
z. B. eine Diffusion, sich an der Bildung von Thränen oder Speichel be-
theiligt haben.
3. Weitere Veränderungen der abgeschiedenen Säfte. — Die Flüssig-
keiten, welche durch irgend eine der bezeichneten Kräfte aus dem Blut-
strom auf die äussere Fläche der Gefässhaut befördert sind, gelangen
nun, je nach dem Organ, in welchem die Absonderung vor sich ging,
unter besondere Bedingungen, welche bei aller sonstigen Verschiedenheit
[150]Chemische Umsetzung der ausgeschiedenen Säfte.
doch darin übereinstimmen, dass sie eine Veränderung der ausgeschiede-
nen Säfte anbahnen und vollenden; diese Veränderungen betreffen eben-
sowohl die chemische Zusammensetzung, als auch den Aggregatzustand
derselben.
a. Chemische Umsetzungen der ausgeschiedenen Stoffe.
Die Thatsachen, auf welche eine theoretische Uebersicht derselben gebaut
werden könnte, sind gegenwärtig noch in keinem Falle mit genügender
Schärfe festzustellen. Hierzu gehörte vor Allem eine genaue Einsicht in
die Zusammensetzung ebensowohl der ursprünglich ausgeschiedenen als
auch der später veränderten Flüssigkeiten, und nicht minder eine Kennt-
niss aller der Umstände, durch welche der jedesmal in Betracht gezogene
Ort eine chemische Umwandlung einzuleiten vermöchte. Der organischen
Chemie kann es nicht zum Vorwurf gereichen, dass sie die Schwierig-
keiten, welche sich der Lösung einer solchen Aufgabe entgegenstellen,
bis dahin nicht zu heben vermochte.
Wir vermuthen mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit, dass
die chemischen Umsetzungen, welche in den ausgeschiedenen Blutbestand-
theilen vor sich gehen, sich erstens vorzugsweise beziehen auf die orga-
nischen Substanzen derselben und insbesondere auf die eiweiss- und fett-
artigen Stoffe. Diese Vermuthung entspringt aus der nicht unbeträcht-
lichen Zahl von Erfahrungen über die Zusammensetzung einzelner in den
thierischen Geweben vorkommender Stoffe; diese letztern bestehen nem-
lich fast sämmtlich aus Atomen, welche nur mittelst des Eiweisses oder
der Fette in die Gewebe gelangt sein können. Die einzigen Ausnahmen
von dieser Regel bilden, so weit wir wissen, die Salzsäure des Magens und
einige Verbindungen organischer Säuren mit Natron, welche durch die
Zersetzung des Chlornatriums und des kohlensauren Natrons entstanden
sein müssen.
Wir geben nun sogleich ein Verzeichniss derjenigen Stoffe, deren
Entstehung aus einer Umsetzung des Eiweisses und der Fette abgeleitet
werden muss. Aus dieser Aufzählung schliessen wir jedoch aus alle die-
jenigen Produkte, die uns, wie das Thymin, Lecithin, Cerebrin, Oleo-
phosphorsäure(?), einige Farbstoffe u. s. w., nur nach ihren Verwandt-
schafts- oder Crystallisationseigenschaften, nicht aber nach ihrer Zusam-
mensetzung bekannt sind.
Die in die Tabelle aufgenommenen Stoffe sind in zwei Spalten ge-
ordnet, von denen die eine alle diejenigen Atomgruppen enthält, welche
man mit Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit als Abkömmlinge des Ei-
weisses ansieht, während die andere die Abkömmlinge der Fette ent-
hält. — Die Reihenfolge der komplizirten Atomgruppen ist bestimmt wor-
den nach ihrem relativen Gehalt an Stickstoff, in der Art, dass dieje-
nigen, welche arm an diesem Elemente sind, vorangestellt wurden.
[151]Abkömmlinge der Fette und des Eiweisses.
Die Arbeiten der Chemiker haben uns nun die wichtige Aufklärung
verschafft, dass zwischen den verschiedenen Gliedern dieser grossen Reihe
eine eigenthümliche Beziehung besteht, die darin liegt, dass alle Abkömm-
linge des Eiweisses innerhalb des thierischen Leibes, so verschieden sie
auch ursprünglich gewesen sein mögen, sich doch schliesslich verwandeln
in Harnstoff, Ammoniak, Stickgas, Schwefelsäure, Kohlensäure und Wasser,
und diejenigen der Fette in Kohlensäure und Wasser. Diese zuletzt er-
wähnten Stoffe haben nun eine physiologische Eigenthümlichkeit gemein,
welche darin besteht, dass sie sämmtlich in die Organe (Lunge, Haut,
Niere) abgesondert werden, deren Inhalt im regelmässigen Verlaufe des
Lebens aus dem thierischen Körper wieder entleert wird. Darum ist
[152]Abkömmlinge erster und zweiter Ordnung.
man auch übereingekommen, sie mit dem Namen der Auswürflinge zu
bezeichnen.
Zwischen den Fetten und dem Eiweiss einerseits und den Auswürf-
lingen oder den letzten Produkten des thierischen Stoffwechsels ander-
seits liegt somit eine grosse Zahl von Atomgruppen in der Mitte, welche
man als die allmähligen Uebergänge der wesentlichen Bestandtheile des
Bluts in die des Harns, der Lungen und des Hautdunstes ansehen kann.
Diese Mittelprodukte verdienen hier noch einige Aufmerksamkeit.
Rücksichtlich ihrer Entstehung kann als gewiss angesehen werden,
dass die Bedingungen für diese Umsetzungen erster Ordnung, wie wir
sie nennen wollen, sich nicht gleichmässig durch den ganzen Körper
hindurch vertheilt finden, so dass in einem jeden Organe ein jedes dieser
Produkte zum Vorschein kommen könnte, im Gegentheil, es knüpfen sich
an bestimmte Organe auch ganz bestimmte Umsetzungsprozesse. In die-
sem Sinne kann also ein jedes Organ als ein spezifischer chemischer
Herd betrachtet werden. So wird u. A. gebildet: im Hirn Cerebrin,
Lecithin, Oleophosphorsäure, Cholestearin(?) (Fremy und Gobley);
in den Muskeln die niedern Glieder der Fettsäurenreihe von der Butter-
säure abwärts, Milchsäure, Inosinsäure, Kreatin, Kreatinin und Muskel-
zucker (Liebig und Scherer); in der Leber Biliphain und Biliverdin
(Heintz), Glyco- und Taurocholsäure (Strecker), Tyrosin und Leucin
(Frerichs und Staedeler), Traubenzucker (Bernard); in der Milz
und dem Pankres Leucin (Frerichs, Staedeler, Virchow), Hypo-
xanthin und Harnsäure (Scherer); in der Lunge neben andern cry-
stallinischen S und N haltigen Produkten Harnsäure (Cloetta); in den
Synovialsäcken, Schleim- und Speicheldrüsen Schleimstoff; in den Milch-
drüsen Casein und Milchzucker; in dem Bindegewebe und den Knochen
Collagen; in dem elastischen Gewebe elastischer Stoff; in den Knorpeln
Chondrin (J. Müller); in den Epithelialzellen und den Haaren eine sehr
schwefelreiche Atomgruppe (Mulder) u. s. w.
Der Mechanismus, durch welchen in den bezeichneten Orten die
Umsetzung eingeleitet wird, ist nun freilich noch in Finsterniss ge-
hüllt, welche, so tief sie auch sein mag, uns doch wenigstens er-
kennen lässt, dass die aufgezählten Produkte aus Fetten und Eiweiss
gebildet wurden, entweder mittelst einer blossen Umlegung ihrer Atome
ohne gleichzeitige Veränderung ihrer Zahl, oder durch eine einfache Spal-
tung, oder durch eine Spaltung mit nachfolgender Wiedervereinigung ein-
zelner Spaltungsprodukte, oder endlich durch eine Spaltung, welche von
einer theilweisen Oxydation begleitet wurde. Es wird erst die Aufgabe
der besondern Absonderungslehre sein können, im einzelnen Fall auf
die wahrscheinlichste Entstehungsweise hin zu deuten; im Allgemeinen
lässt sich aber hier gleich einsehen, dass das gleichzeitige Erscheinen
von stickstofffreien und stickstoffreichen oder schwefelfreien und schwefel-
[153]Oxydation der sekundären Abkömmlinge.
reichen Atomgruppen in einem und demselben Organe sich am einfachsten
erklärt durch eine Spaltung der Eiweissatome.
Die Zusammensetzung der Auswürflinge oder derjenigen Stoffe, welche
als Abkömmlinge aus diesen Umsetzungsprodukten ersten Ranges anzu-
sehen sind, deutet auf eine einfachere Entstehungsweise. Sie tragen
nemlich sämmtlich den Stempel des Oxydationsprozesses, indem sie ent-
weder, wie das HO, CO2, SO3 und Harnstoff, selbst sehr sauerstoffreiche
Atome darstellen, oder, wie NH3 und N gas, zu den Produkten gehören,
welche bei einer energischen Oxydation der eiweissartigen Stoffe immer
auftreten. Da nun die gesammten aus dem Blut ergossenen und dem
Umsatz anheimgegebenen Eiweiss- und Fettstoffe schliesslich in diese
Verbrennungsprodukte übergehen, so ist es erlaubt, den thierischen Stoff-
umsatz im Ganzen mit einem Verbrennungsprozess zu vergleichen; dieser
Oxydation muss aber immer erst eine anderweite Zerlegung der wesent-
lichen Blutbestandtheile vorausgegangen sein, welche ihr die Brennstoffe
liefert.
Dieser letzte Akt des thierischen Stoffumsatzes, die Verbrennung,
findet ihre Bedingungen demnach auch im thierischen Körper häufiger
vor als der, welcher die Bildung jedes einzelnen der Zersetzungsprodukte
erster Ordnung veranlasst; denn es muss überall, wo überhaupt eine
Zersetzung statt findet, auch die Verbrennung sich einfinden, vorausgesetzt
nur, dass dem mit Sauerstoff geschwängerten Blutstrom Zutritt zu dem
Herde der Umsetzung gestattet ist. Aber selbst die erstere der eben auf-
gestellten Bedingungen braucht nicht einmal erfüllt zu sein. Denn es
werden auch Zersetzungsprodukte nach den Orten, welche selbst keine
erzeugen konnten, hingeführt werden müssen; viele derselben sind nicht
allein löslich, sondern sie diffundiren auch leicht durch die Gefässhäute,
so dass sie mit dem Blute überall hindringen. Möglicher Weise finden
sich sogar in diesen Orten die Bedingungen für die weitere Umsetzung
günstiger entfaltet als in den Ursprungsstellen, so dass man sagen kann,
es führe das zweite Organ die Zersetzung weiter, welche das erste ein-
geleitet hatte.
Diese allgemeinen Betrachtungen können nun aber vielleicht zu zwei
irrthümlichen Schlussfolgerungen verleiten; man könnte erstens zu der
Annahme verführt werden, dass erst dann eine Zersetzung der wesent-
lichen Blutbestandtheile möglich sei, nachdem sie ausserhalb des Ge-
fässraums getreten wären. Dieses ist aber weder zu beweisen noch auch
wahrscheinlich, denn wenn man auch von allen andern Gründen absieht,
die erst später verständlich sind, so ist doch mindestens sogleich ein-
leuchtend, dass im Blute die leicht oxydablen Abkömmlinge der Fette
und des Eiweisses eben so gut der Verwesung anheimfallen müssen,
als in diesem oder jenen Organe. — Im Gegensatz hierzu könnten
die obigen Bemerkungen zu der Behauptung veranlassen, dass alles
[154]Veränderungen des Aggregatzustandes in den Säften.
Eiweiss und alle Fette, welche einmal die Blutgefässe verlassen hätten,
auch nothwendig eine Beute des Umsatzes würden, so dass die Atome,
welche dieses Eiweiss zusammensetzten, nicht eher wieder in das Blut
zurückkehren könnten, bis sie sich zu Zersetzungsprodukten erster oder
zweiter Ordnung umgestaltet hätten. Diese Annahme würde aber mit
der Erfahrung nicht übereinstimmen, dass aus allen Organen, und ins-
besondere aus deren Bindegewebsräumen, eigenthümliche Kanäle, die
Lymphgefässe, entspringen, welche neben andern Stoffen auch Eiweiss
und Fett aus den Geweben in das Blut zurückleiten.
b. Veränderungen im Aggregatzustande der ausge-
schiedenen Säfte. Die flüssigen Bestandtheile der Säfte nehmen je
nach ihrer Natur und den Umständen, in die sie gelangen, den gasför-
migen oder den festen Aggregatzustand an. Die erstere Umformung er-
folgt unter den einfachen Bedingungen, die wir jedesmal bei einer Ver-
dunstung auftreten sehen. Da diese aller Orten und namentlich auch
wiederholt schon in diesem Werke mitgetheilt sind und noch mitgetheilt
werden sollen, insofern sie sich eigenthümlich gestalten, so wird ihnen
hier keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Anders verhält es sich
aber mit dem Festwerden des Flüssigen.
Der feste Aggregatzustand, wo er auch entstehen mag, führt im thie-
rischen Körper jedesmal zur Bildung eigenthümlicher Formen. So weit
dieselben mit unseren Vergrösserungsgläsern zerlegt werden können, sind
dieselben so beschaffen, dass sie aus allgemein wiederkehrenden Massen-
anordnungen, die man gemeinhin als Korn, Faser und Haut bezeichnet,
aufgebaut sind. Körner, Fasern und Häute sind nemlich, entweder jedes
für sich oder in Verbindung mit einander und zugleich mit Flüssigkeit,
benutzt zur Herstellung eigenthümlich begrenzter Gebilde, der Zellen,
Röhren, Fasernetze u. s. w., welche immer noch von mikroskopischer
Grösse von den Anatomen als Elementarformen der Organe oder als Ge-
webselemente bezeichnet werden. Solche Elementarformen gruppiren sich
endlich in sehr verschiedenartiger Weise zu Organen.
Wir wenden unsere Blicke zuerst zu den Elementarformen; indem
wir dieses thun, gewahren wir zunächst, dass einer jeden derselben eine
besondere Lebensgeschichte zukommt, deren sichtbarster Inhalt zunächst
darin besteht, dass sich ein jedes Gewebselement aus der Flüssigkeit
allmählig hervorbildet und sich dann unter stetiger, wenn auch oft sehr
langsamer, Veränderung seiner Form wieder auflöst; zu dieser Erfah-
rung über das Auftreten der Gewebselemente fügt der Chemiker die Be-
obachtung, dass mit der Form sich auch gleichzeitig die Mischung ändert.
Indem die Anatomen bis vor Kurzem gänzlich absehen mussten von
den Einzelheiten des Mechanismus, der diese Bildungen und Umwand-
lungen einleitet, bedienten sie sich genereller Bezeichnungen für denselben,
und setzten ihn, was weniger vorsichtig war, entweder in die Flüssig-
[155]Fester Aggregatzustand, Formfolge.
keit, aus welcher das Gebilde hervorwuchs, oder in die Stoffe selbst, welche
die einmal dargestellte Form in sich schloss; mit einem Worte, sie spra-
chen von einem Bildungsvermögen der Flüssigkeit, die sie u. A. Keim-
flüssigkeit oder Blastema nannten, oder von einem Entwickelungsbestre-
ben der Elementargebilde. Noch weiter detaillirend bestimmten sie nun
mit einer gewissen Willkührlichkeit einige hervorleuchtende Stadien der
Formfolge, je nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens, der Daner ihres Be-
stehens oder der grössern und geringern Zahl ihrer wohl unterscheid-
baren Merkmale, als Keim, aufsteigende, vollendete, rückgängige Entwicke-
lungsstufen. Unzweifelhaft ist es eine schöne und schwierige Aufgabe
für den Anatomen, alle die Veränderungen festzustellen, welche eine Form
während ihres gesammten Bestehens anzunehmen vermag. Denn erst wenn
dieses geschehen, wird die weiterschreitende Untersuchung den Mechanis-
mus ihrer Erzeugung und Umbildung in Angriff nehmen können. Würde
diese endlich dahin führen, angeben zu können, welche Kräfte in jedem
Falle die Atome bestimmen, den festen mit dem flüssigen Aggregatzustand
zu vertauschen, und weiter, welcher Art die Anziehungen sind, die ihnen
jedesmal ihre Stellung zu allen benachbarten anweisen, so würde damit
eine Entwickelungsgeschichte der Elementarformen im wahren Sinne des
Worts gegeben sein.
Diesen Ausdruck hat man nun aber, wie bekannt, zur Bezeichnung
des Inhalts einer andern Beobachtungsreihe gewählt, für die nemlich,
welche die zeitliche Folge der einander abwechselnden Formen eines Ge-
bildes darstellt. Wenn man damit sagen wollte, dass die Lagerungsver-
hältnisse, welche die Atome annehmen, als sie in eine zuerst auftretende
Form gebannt waren, zugleich bestimmend wirken für ihre Anordnung
in einer darauf folgenden Phase, so ist gegen eine solche Bezeichnung
nur einzuwenden, dass der Ausdruck zu vielsagend ist. Man konnte
nemlich denselben auch so auffassen, als ob er bezeichnen wollte,
die erste Anordnung der Atome enthält sämmtliche Bedingungen, aus
denen die spätern hervorgehen müssen. Um allen Missverständnissen
vorzubeugen, werden wir in Zukunft statt des von den Anatomen gebrauch-
ten Ausdrucks einen andern, die Formfolge, einführen.
Der Physiologe, welcher es unternimmt, nach dem Grunde für die
Entstehung, Umformung und Auflösung der Elementargebilde zu forschen,
wird sich zu fragen haben: wie wird der feste Aggregatzustand in jedem
Falle möglich; warum nehmen die festgewordenene Massen die von den
Anatomen erkannten Formen an; und endlich, was bedingt die Verän-
derungen derselben.
α. Aus welchen Gründen entsteht in den Flüssigkeiten des thieri-
schen Leibes ein Niederschlag? Indem wir zur Aufzählung der Hülfs-
mittel schreiten, welche der Organismus besitzt, um den flüssigen Aggre-
gatzustand seiner Bestandtheile in den festen zu verkehren, darf die Be-
[156]Entstehung des festen Aggregatzustandes.
merkung nicht unterdrückt werden, dass sie uns, so weit wir sie kennen,
nicht etwa durch besondere auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen
aufgeschlossen wurden. Sie sind im Gegentheil nur ein beiläufiger Er-
werb anderer Beobachtungsreihen, die mit den chemischen Bestandtheilen
des Thierleibes inner- und ausserhalb dieses letzteren angestellt wurden.
Diese Mittheilung bürgt hinlänglich dafür, dass die folgenden Angaben
nur einen sehr kleinen Theil der wirklich vorhandenen Mittel umgreifen.
Die Salze mit alkalischer und ammoniakalischer Basis, ferner Ca Cl,
Mg Cl, Zucker, Milchsäure, Harnstoff, Kreatin, die niedern Glieder der
Fettsäurenreihe, sind immer flüssig im thierischen Organismus vorhanden;
dieses steht in Uebereinstimmung mit unseren Einsichten in die chemi-
schen Eigenschaften der aufgezählten Körper, da wir in der That keine
Veranlassung anzugeben wussten, warum das überall vorhandene Wasser
sein Vermögen, sie zu lösen, einbüssen sollte.
Da die freien kohlensauren und phosphorsauren Kalksalze nur in
Säuren löslich sind, so müssen sie aus ihren Lösungen ausfallen, so wie
die freie Säure neutralisirt oder gar übersättigt wird. — Die gewöhnliche
Verbindung mit eiweissartigen Stoffen, in der die phosphorsaure Kalk-
erde in den thierischen Säften gelöst vorkommt, ist nur flüssig mit Hülfe
eines alkalischen oder schwachsauren Zusatzes. Um sie zu fällen, genügt
also eine Neutralisation der einen oder andern Reaktion.
Die Fette und ihre Säuren werden entweder fest, indem aus einem
Gemenge derselben die leichtschmelzbaren Theile (die Oelfette) entfernt
werden, so dass nur noch die zurückbleiben, welche bei der Temperatur
des thierischen Körpers erstarren; oder es werden durch stärkere Säuren
die löslichen Kali- und Natronverbindungen der an und für sich unlöslichen
fetten Säuren zersetzt, so dass nun diese letztern ausgeschieden werden.
Die Eiweisskörper, welche vorzugsweise in Betracht kommen, da aus
ihnen und ihren Zersetzungsprodukten die meisten thierischen Formen
zum weitaus grössten Theil bestehen, können auf sehr vielfältige Art zur
Entstehung des festen Aggregatzustandes Veranlassung geben. Einmal
ereignet sich dieses, wenn sie in unlösliche Modificationen verwandelt
werden, in Folge der Umsetzungsprozesse, welche sie in dem Lebens-
hergang erfahren. Als Beispiele hierfür sind vorzuführen die Entstehung
des festem aus dem gelösten Faserstoff, die Umwandelung des Eiweisses
in das sog. Proteinbioxyd, in den leimartigen und in den elastischen
Stoff. Dann kann die Fällung geschehen durch eine Veränderung in den
Eigenschaften der lösenden Flüssigkeit. Hierher wäre zu rechnen die
Ausfällung des Eiweisses aus alkalisch oder schwach sauer reagirenden
Flüssigkeiten durch Neutralisation, durch Zusatz von conzentrirten Salz-
lösungen oder auch durch sehr reichliche Verdünnung mit Wasser. So
wird z. B. durch Zusatz einer beliebigen verdünnten Säure zu Lösungen
von Casein und Natronalbuminat, durch Zusatz von fetten Säuren zu
[157]Gefüge des festen Aggregatzustandes.
Hühnereiweiss und Blutserum (Wittich)*) ein Niederschlag gebildet;
fernerhin erzeugt ein reichlicher Zusatz von Kochsalz zu Blutserum und
noch mehr zu dem Inhalt seröser Säcke eine Fällung (Virchow)**),
und endlich trübt eine reichliche Beimengung reinen Wassers das Blut-
serum (Scherer) und den Inhalt der Furchungskugeln (Bischoff). —
Drittens ist es möglich, die eiweissartigen Stoffe unlöslich zu machen
durch Herbeiführung einer Verbindung derselben mit andern chemi-
schen Körpern. Fälle, welche unter dieser letzten Rubrik aufzuzählen
wären, sind uns in den Vorkommnissen des thierischen Lebens nicht
bekannt.
β. Wovon sind die Gestalten der primären Niederschläge abhän-
gig? Die geometrischen Eigenschaften der Flächen, welche einen Nieder-
schlag begrenzen, müssen entweder hervorgerufen sein von Kräften,
welche innerhalb seiner Masse thätig sind, also von innern, oder von
Umständen, welche mit Rücksicht auf die Masse, aus welcher der Nieder-
schlag besteht, äussere zu nennen sind. Da im erstern Fall der Nieder-
schlag, wie gross und klein er auch erscheinen mag, immer mit einer
bestimmten Form auftreten muss, weil diese ja von den Eigenschaften
seiner (wäg- und unwägbaren) Substanz abhängig ist, so nennt man alle
Massen, zwischen deren Molekeln formbestimmende Kräfte sich geltend
machen, geformte, alle andern dagegen, deren Gestalt sich nach den Um-
ständen richtet, die von aussen her auf ihre Grenzen wirken, formlose.
Die Erfahrung hat nun längst Kennzeichen aufgestellt, aus welchen ent-
schieden werden kann, ob eine Masse zu der einen oder andern Kate-
gorie zu stellen sei. Die Richtkräfte nemlich, welche die Molekeln der
geformten Masse anordnen, führen jedesmal zur Bildung von Krystallen,
d. h. zu Figuren, die von Ebenen, welche unter bestimmten Winkeln
zusammenstossen, begrenzt sind; zugleich sind die Molekeln innerhalb der
Krystalle mindestens in zwei aufeinander senkrechten Richtungen, welche
durch die sog. Krystallachsen bestimmt werden, in einer ungleichen An-
ordnung enthalten, vermöge deren die Widerstände, welche sich dem
Durchgang des Lichtes, der Wärme und Elektrizität entgegensetzen, und
ebenso die Cohäsion und Elastizität nach der einen der bezeichneten
Richtungen grösser sind, als nach den andern. — Gerade umgekehrt
verhalten sich die formlosen Stoffe; in ihnen findet Licht, Wärme und
Elektrizität den Weg nach allen Richtungen hin auf gleiche Weise ge-
bahnt, und ebensowenig ist die eine Dimension vor der andern durch
Elastizität und Cohäsion bevorzugt.
Die Zahl der festen am Menschen vorkommenden Stoffe, deren Ge-
füge sich unzweifelhaft bestimmen lässt, ist gering; sie besitzen sämmt-
lich ein krystallinisches Gefüge. Zu ihnen gehören krystallinische Fette
[158]Krystallinisches und amorphes Gefüge.
und Fettsäuren, die zuweilen in dem Inhalte der Fettzellen befindlich
sind, das Cholestearin in serösen Flüssigkeiten und in Gallensteinen,
einige Farbstoffkrystalle, die Harnsäure, phosphorsaures Ammoniak, Magne-
sia und der kohlensaure Kalk (Gehörssteine). Diese Aufzählung weist
schon hin auf die untergeordnete Bedeutung der unzweifelhaften Krystall-
bildung für die Physiologie.
Eine nach Zahl und Verbreitung weitaus grössere Menge von festen
Thierstoffen, insbesondere die niedergeschlagenen Eiweisskörper, die leim-
gebenden und elastischen Gewebe, die Gemenge von mehreren neutralen
Fetten, besitzen dagegen ein Gefüge, von dem es vorerst noch ungewiss
bleiben muss, ob es krystallinisch oder amorph sei. Für eine krystalli-
nische Struktur spricht nemlich nicht allein die Eigenschaft einzel-
ner aus den genannten Stoffen erzeugter Gebilde, das Licht doppelt zu
brechen (Boeck, Erlach)*), sondern auch die Befähigung einiger
Stoffe, z. B. des Fibrins, beim Festwerden in Fasern zu gerinnen, eine
Bildung, welche darauf hindeutet, dass die in der Masse wirksamen An-
ziehungskräfte nach der einen Richtung hin bevorzugt sind. Sie unter-
scheiden sich dagegen von dem geformten Gefüge dadurch, dass die Be-
grenzung der niedergeschlagenen Massen durch gebogene Flächen geschieht,
und dadurch, dass, so weit wir wenigstens wissen, ihre Elastizität und ihr
Leitungsvermögen für Wärme und Elektrizität nach allen Richtungen hin
dasselbe ist. Da nun offenbar ein Gefüge nicht krystallinisch und amorph
zugleich sein kann, so wird man bei der Gegenwart positiver Beweise
für die krystallinische Struktur geneigt sein, sie dieser beizuzählen, vor-
ausgesetzt, dass sich bei dieser Annahme ein Ausweg findet, die Abwei-
chungen von der Erscheinungsweise einer krystallinischen Struktur zu
erklären. Dieser würde aber nach Frankenheim**) einfach darin lie-
gen, dass die Stoffe aus einem sehr innigen Gemenge verschiedenartiger
und zugleich ausserordentlich kleiner Krystallindividuen von gleicher Eigen-
schwere beständen, welche eine grosse Adhäsion zu einander besässen.
Indem wir es bei den wenigen Untersuchungen, welche die genann-
ten Baustoffe unseres Leibes nach dieser Richtung erfahren haben, un-
entschieden lassen müssen, ob sie im Sinne der Physiker amorph oder
krystallinisch seien, halten wir fest, dass zwischen ihnen und den aus-
geprägten krystallinischen ein wesentlicher Unterschied bestehe, rück-
sichtlich der aus ihnen geformten Gestalten. — Die Form eines Krystalls
ist wesentlich abhängig nur von der chemischen (und thermischen) Con-
stitution seiner Masse, die Gestalt jener Thierstoffe, wie sie im Men-
schen vorkommen, ist dagegen von andern Umständen abhängig. Hier-
her zählt u. A. die Form, welche ein solcher Stoff besitzt, bevor er fest
wurde, die Menge desselben, welche in einer festwerdenden Lösung ent-
[159]Prägung der formlosen Massen.
halten wäre, die Gestalt der Umgrenzung, in welcher der Niederschlag
geschah u. s. w. — Zur Erläuterung des Gesagten heben wir hervor,
dass die Krystallformen des Margarins, Stearins, des kohlensauren Kal-
kes u. s. w. in keinem Fall sich ändern mit den Gestalten des Tropfens
oder der Dichtigkeit der Lösung, aus der sie herauskrystallisirten; alles
dieses hat aber Einfluss auf die Gestalt, welche das Eiweiss oder der
Faserstoff beim Gerinnen annehme, aus verdünnten Lösungen fallen
Flocken, aus conzentrirten compakte Massen heraus; sie gerinnen haut-
artig oder zu mannigfach geformten Gebilden, je nach der Zahl, der An-
ordnung und dem zeitlichen Wirken der Berührungspunkte des Eiweisses
mit einer andern Flüssigkeit, welche die Gerinnung erzeugt; Eiweiss
und Faserstoff nehmen beim Gerinnen die Gestalt der Gefässe an, in
der dasselbe vor sich ging u. s. w.
Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass auch die besondern Gestal-
ten, welche jene Stoffe beim Festwerden im Thierleib annehmen, die
Folgen einer gestaltgebenden Einrichtung, wir wollen kurz sagen, einer
Prägung, sein müssen.
Um diesen Satz, der von den Eigenschaften der Stoffe hergeleitet ist,
welche vorzugsweise zu dem Aufbau der thierischen Formen verwendet sind,
aus dem Bereich der Probabilität zu heben, müssten wir im Stande sein,
die besondern prägenden Einrichtungen, die bei der Gewebsbildung thä-
tig sind, nachzuweisen. Aus Mangel an genügenden Beobachtungen ist
dieses freilich bis dahin nicht möglich; darum mag es gestattet sein,
von allgemeinen Gesichtspunkten aus mindestens den Nachweis zu ver-
suchen, dass solche Einrichtungen dem thierischen Körper nicht fehlen.
Gehen wir aus von den einfachsten Bedingungen zur Bildung des
Körnchens, der Faser und der Platte, so ist sogleich einleuchtend, dass
der Niederschlag einer amorphen Substanz als Körnchen erscheinen
muss, wenn die Fällung desselben unter Umständen geschieht, welche
entweder das Zusammenkleben zweier in unmittelbarer Nachbarschaft
niederfallender Massen verhüten, oder wenn die Lösung, aus der die Fäl-
lung entsteht, in sehr kleinen Tröpfchen, die nicht unmittelbar auf einan-
der folgen, in das fällende Medium einströmt. — Die Faser muss dage-
gen zu Stande kommen, wenn sich ein feiner zusammenhängender Strahl
von der Flüssigkeit, welche die amorphe Substanz aufgelöst enthält, in
die fällende ergiesst, oder wenn die beiden Flüssigkeiten an einer feinen
Spalte in Berührung treten. — Die Platte endlich, wenn die Grenzen
der beiden aufeinanderwirkenden Flüssigkeiten eine grössere Ausdehnung
besitzen und der Niederschlag gleichzeitig an allen Orten der Berührung
erfolgt, sodass mit dem Erscheinen des Niederschlags die weitere Ver-
mischung der beiden Flüssigkeiten gehemmt ist. — Diese ganz einfachen
Bedingungen werden oft genug erfüllt sein in dem formenreichen Organis-
mus, der mit ruhenden und bewegten und zugleich verschiedenartig zu-
[160]Körner, Fasern, Platten.
sammengesetzten Flüssigkeiten durchtränkt ist. Nun lehrt aber zu dem
noch die anatomische Beobachtung, dass ausser diesen einfachsten Mög-
lichkeiten für die bezeichneten Massenanordnungen andere complizirtere
bestehen müssen. Denn es sollen plötzlich da Platten oder Fasern auf-
treten, wo kurz vorher noch Körnchen vorhanden waren; diese müssen
also, indem sie aneinander lagerten, Eigenschaften angenommen haben,
die ihr Zusammenkleben ermöglichten; oder umgekehrt, es sollen Platten
in Fasern und diese wieder in Körnchen zerfallen, ein Vorgang, der ein
Lösungsmittel irgend welcher Art verlangt, welches entweder partiell
wirkt, oder welches in der Platte oder Faser einen mit ihrem Ort wech-
selnden Widerstand findet, sodass die Auflösung der Faser oder Platte
nicht gleichmässig und gleichzeitig vor sich gehen kann.
Die thierischen Elementarformen sind nun aber, wie bekannt, meist
eigenthümlich angeordnete Platten, Fasern und Körnchen; denn die Platte
stellt den Mantel eines kugelartigen, röhrenförmigen u. dergl. Gebildes
vor, die Fasern sind zu Bündeln und Netzen zusammengebracht u. s. w.
Demnach müssen auch Veranstaltungen getroffen sein, um die Platte und
Faser in diese Formen zu prägen. Da es uns hier offenbar zu ermü-
denden, breiten und ausserdem auch noch wenig fruchtbringenden Erör-
terungen führen würde, wenn wir alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen
wollten, so ziehen wir es vor, nur einen Fall, der bis dahin die Anato-
men am meisten beschäftigt hat, zu erörtern. Wir meinen die Zellen-
bildung.
Die Gestalt und die chemische Zusammensetzung der Zellen dieses
verbreiteten Formelementes ist so verschieden, dass eine allgemein pas-
sende Bezeichnung derselben nur aussagen kann: die Zellen bestehen aus
einer dehnbaren, porösen Haut, welche einen kleinen, Flüssigkeit ent-
haltenden Binnenraum umgrenzt, dessen verschiedene Durchmesser nicht
gar zu beträchtlich voneinander abweichen*). — Die Anatomen geben
an, beobachtet zu haben, dass an den Orten, an welchen sich Zellen
entwickeln, eine grosse Reihe verschiedener Einrichtungen vorhanden sind,
welche in innigster Beziehung zu jenem Bildungsakte stehen. 1) In einer
Flüssigkeit schwimmen feine Tröpfchen einer andern; ein häutiger Nie-
derschlag an der Berührungsstelle beider Flüssigkeiten führe zur Zellen-
bildung. — 2) Eine grössere oder kleinere Menge von Körnchen ballt
sich zu einem Häufchen; es erfolge in die Unebenheiten der äussern
Begrenzung ein zusammenhängender Niederschlag, und damit würde eine
Zelle gebildet sein. — 3) Einige Körnchen lagern sich in der Art zu-
[161]Bildung der Zelle.
sammen, dass sie einen mit Flüssigkeit erfüllten Hohlraum umschliessen;
wenn sie verschmelzen, so ist eine Zelle fertig. — 4) Fertig gebildete
Zellen sind vorhanden, um welche auf der innern und äussern Oberfläche
Niederschläge aus der umgebenden Flüssigkeit geschehen, die an der
Wand der vorhandenen Zelle entweder gar nicht oder nur an wenigen
Punkten haften. — 5) Zwei gegenüberstehende Wandungen einer Zelle
nähern sich einander, bis sie auf dem Querschnitt die Form einer 8 an-
nehmen; trennt sich der eingeschnürte Theil, so sind aus einer zwei Zel-
len gebildet worden.
Diese anatomischen Erfahrungen decken uns nun in der That nichts
anderes auf, als Mechanismen, wie man sie sich nicht naheliegender hätte
denken können, wenn man eine Zelle innerhalb einer Flüssigkeit hätte
bilden wollen; sie sind in der That zum grössten Theile so einfach, um
nicht zu sagen gewöhnlich, dass man unter Berücksichtigung des Scharf-
sinns und der Feinheit in allen übrigen Werken der Natur geneigt sein
konnte, sie für Erfindungen menschlicher Einbildungskraft zu halten.
Gesetzt nun aber, diese Mechanismen bestehen wirklich, so müssen,
damit in ihnen die Veranlassung zur Zellenbildung gefunden werden kann,
noch eine Reihe chemischer Bedingungen hinzu treten, welche entweder die
Fällung einer elastischen Haut ermöglichen, oder die Substanz der zu-
sammengeballten Körnchen veränderen. Wir müssen eingestehen, dass uns
eine Aufklärung über dieselben in jedem einzelnen Fall noch vollkommen
fehlt. Dieses genügt aber nicht, um ihr Bestehen für unmöglich, ja nicht
einmal, um es für unwahrscheinlich zu halten. Denn jene Mechanismen
sind in Flüssigkeiten enthalten, deren aufgelöste Bestandtheile in stetigen
Umwandlungen begriffen sind, welche sich sehr häufig mit Veränderungen
des Aggregatzustandes paaren. Die hieraus fliessende Wahrscheinlichkeit
wird aber noch wesentlich erhöht durch den Umstand, dass die Zellen-
bildung gewöhnlich, wo nicht immer, an Orten vorgeht, an denen zwei
verschiedene Flüssigkeiten durch eine Haut getrennt sind, welche nur
sehr allmählig die Vermischung beider zulässt. Bei dieser Auffassung
der Dinge gewinnt auch die Erfahrung Bedeutung, dass in Flüssigkeiten,
in denen man ihrer chemischen Zusammensetzung nach eine Entstehung
von Zellen erwarten sollte, diese doch nur dann eintritt, wenn andere
noch in Veränderung begriffene Zellen in sie gelangen. Denn mit der
Einführung dieser letzteren ist eben die Möglichkeit einer eigenthümlichen
chemischen Umwandlung von beschränkten Herden aus gegeben.
Die anatomische Erfahrung lehrt nun weiter, dass die einmal ent-
standene Zelle nicht unter allen Umständen ihre erste Form bewahrt,
sondern dass sie dieselbe unter gewissen Bedingungen verändert, wie
dieses namentlich unter dem Einfluss bestimmt vorgezeichneter Tempera-
turgrade und einer ebenso bestimmten chemischen Zusammensetzung der
Ludwig, Physiologie. II. 11
[162]Veränderung der fertigen Zelle.
sie umspülenden Flüssigkeiten geschieht. Diese Veränderungen, worin sie
auch bestehen mögen, lassen sich, so weit sie die Zellenhaut angehen,
zurückführen auf einfaches Aufquellen, auf eine totale oder partielle Auf-
legung neuer Stoffe oder auf eine partielle oder totale Auflösung derselben.
Im Inhalt dagegen können neue Formbestandtheile entstehen, früher be-
standene untergehen, oder es kann der flüssig gebliebene Inhalt sich meh-
ren oder mindern.
So bemerkenswerth, um nicht zu sagen sonderbar, die Umwande-
lungen oft genug ausfallen, so stellt sich doch nirgends einer Erklä-
rung derselben aus den gewöhnlichen Molekularkräften eine prinzipielle
Schwierigkeit entgegen. Man weiss allgemein, dass die Wandungen nie-
mals aus einer einzigen stabilen chemischen Verbindung aufgebaut sind,
sondern dass sie jedesmal ein Gemenge aus festen und flüssigen Massen
zugleich darstellen; ihre festen Massen sind von Flüssigkeit durchtränkt.
Warum soll also eine Zelle sich nicht ausdehnen können, wenn in ihren
Flüssigkeiten Niederschläge erfolgen? In der That lag diese Hypothese
für die Erklärung der einfachen und allseitigen Vergrösserung der
Zellenhaut so nahe, dass Schwann, dem wir so viele anatomische
Entdeckungen über die thierischen Elementartheile verdanken, nicht
allein sogleich auf sie verfiel, sondern sie auch zugleich so wahrschein-
lich zu machen wusste, dass dieselbe allseitig Eingang gewann. — Für
die Erklärung der partiellen Lösungen oder Auflagerungen ist uns frei-
lich keine Hypothese von ähnlicher Tragweite und Einfachheit bekannt,
aber jedenfalls ist doch einzusehen, dass die chemische Natur der Haut,
wenn sie auch ursprünglich überall dieselbe war, doch mit der Zeit
von Ort zu Ort variabel werden [kann]. Denn die Haut hat doch immer-
hin eine endliche Ausdehnung, mag dieselbe auch sehr klein sein; dazu
ist sie in allen uns bekannten Fällen, in denen sie eine theilweise
Veränderung erfährt, so gelagert, dass die Einflüsse, welche die eine
oder andere Stelle erfahren müssen, nothwendig verschieden sind von
denjenigen auf alle übrigen. Denn sie sitzen, durch Adhäsion ver-
bunden, in anderen Geweben fest und kehren verschiedenen Flächen Ge-
webstheile von untereinander abweichender Zusammensetzung zu.
Diese Darlegung zeigt uns zur Genüge, wie nothwendig neue Unter-
suchungen über die Entstehung und Weiterbildung der Zelle sind. Sollen
diese aber mit Erfolg angestellt werden, so müssen Beobachtung und
Versuch sich die Hand reichen. Die Beobachtung der Anatomen muss
vor Allem darauf ausgehen, noch schärfer als bisher die Formfolge fest-
zustellen, indem sie einmal die Zahl der zeitlichen Beobachtungen, welche
ein und dasselbe Gebilde betreffen, vervielfältigt, so dass man in Wahr-
heit sicher sein kann, alle Uebergangsstufen gesehen zu haben, welche
bei der Umformung der einen in die andre Gestalt zum Vorschein kom-
men, dann aber muss sie aus der Lage oder irgendwelchen andern Umstän-
[163]Gedanken über die Art der Entstehung
den Kennzeichen für das relative Alter eines Zellenindividuums aufdecken.
Denn da man gewöhnlich an einem und demselben Orte Zellen findet,
welche von ähnlichen Ausgängen zu sehr verschiedenen Endpunkten ge-
langen, so bleibt der Willkühr oft genug die Verknüpfung der Formen
untereinander überlassen. Kein einsichtiger Anatom wird die Bedeutung
dieser Anforderungen unterschätzen. — Die chemische Beobachtung,
welche an diesem Punkte noch alles zu leisten hat, wird gleichzeitig mit
der Stofffolge in einem seiner Form nach veränderlichen Gebilde auch
alle die Umwandlungen zu studiren haben, welche die umspülenden Flüs-
sigkeiten während dieser Zeit erleiden. — Die Befriedigung solcher An-
forderungen, welche sich sehr bequem aussprechen aber sehr schwer er-
füllen lassen, würde aber nach unsern jetzigen Einsichten noch nicht
einmal genügen, um eine vollendete Entwickelungstheorie aufzustellen, vor-
ausgesetzt, dass sie, wie billig, uns Aufschluss geben sollte, in wie weit
und in welcher Art und Weise jede der vorhandenen chemischen und
mechanischen Bedingungen sich an einer jeden Form- oder Stoffverände-
rung betheiligte. Dieses könnte offenbar nur durch einen Versuch gelöst
werden, welcher willkührlich an den ursprünglich gegebenen Formen und
Stoffen ändert und daraus entspringende Entwickelungsabweichungen
feststellt. Die Nothwendigkeit des Versuchs wird um so mehr erkannt
werden, wenn man die Möglichkeit erwägt, dass unter den zahlreichen
Stoffen und Formen, welche gleichzeitig in den Orten vorhanden sind,
die wir Entwickelungsstätten nennen, mannigfache vorhanden sein können,
welche sich einer gerade eingeleiteten Zellenbildung gegenüber ganz gleich-
giltig verhalten.
Diese Beobachtungen und Versuche können selbst dem nicht voll-
kommen überflüssig erscheinen, welcher behauptet, dass die anziehenden
und abstossenden Kräfte der Masse bei der Zellenentwickelung beherrscht
werden durch ein regulatorisches Prinzip, durch eine Lebenskraft. Denn
diese selbst, mag sie wirken wie sie will, geht doch nur als eine be-
sondere Bedingung in einen Prozess ein, in dem neben ihr noch viele
andere thätig sind. Dieses kann um so weniger geläugnet werden, als
es eine allbekannte Erfahrung ist, dass schon sehr zarte Abweichungen
in der chemischen Zusammensetzung aller zur Zellenbildung verwendeten
Flüssigkeit, wie namentlich in ihrem Gehalt an CO., Salzen, Wasser
u. dergl., im Stande sind, die Zellenbildung ganz zu hemmen, oder min-
destens sehr zu modifiziren. Die Vertheidiger der Lebenskräfte, jener Kräfte,
welche die Form der Zelle abhängig machen von einem instinktiven, den
organischen Gebilden eingeborenen Willen, werden aber vielleicht die von
einer einfacheren und strengeren Gedankenfolge vorgeschlagenen Versuche für
zu mühselig halten im Vergleich zu dem aus ihnen bevorstehenden Erwerb.
Sie werden uns vorhalten, dass ein und dieselbe wie es scheint überall gleich-
artige Zelle oft genug nur an beschränkten Theilen ihres äussern oder innern
11*
[164]und Veränderung der Zelle.
Umfangs Veränderungen erleidet, obwohl sie an allen Orten von einer
gleich zusammengesetzten Flüssigkeit umspült werde. Steht eine solche
Thatsache fest, so wird man es immer erst noch zu gewärtigen haben,
ob nicht schon bei der ersten Bildung jene nachträglich besonders ver-
änderten Stellen durch eigene Anordnungen bevorzugt waren, welche viel-
leicht weder durch die chemische Zerlegung noch durch das Mikroskop
festgestellt werden können. Denn diese Hilfsmittel sind auch nicht be-
fähigt, die abweichende Lagerung der Molekeln in zwei aufeinander
senkrechten Krystallachsen ans Licht zu bringen, und doch ist diese vor-
handen und in zahlreichen Fällen von bedeutendem Einfluss auf physika-
lische Vorgänge. — Der Theoretiker aus der alten Schule wird uns ferner
entgegensetzen, dass gewisse Zellen sehr verschiedener Thiere in ihrer Ent-
wickelung sehr annähernd dieselbe Formfolge durchlaufen; und dass um-
gekehrt bei einem und demselben Thiere in einem und demselben Organe
zwei aneinander grenzende Gebilde, die ursprünglich einander sehr ähn-
lich, wenn nicht gleich, waren, doch ganz verschiedene Formfolgen wäh-
rend des Lebens erfahren. Er wird in diesen allerdings sehr gewöhnlichen
Vorkommnissen den Beweis finden, dass die Formbildung von den um-
spülenden Säften vollkommen unabhängig sei. Diese Thatsachen erlauben
aber noch andere viel näher liegende Deutungen; wer weiss nicht, dass
die verschiedensten Componenten zu ganz denselben Resultirenden füh-
ren können. Und wenn dieses der Fall, so muss es auch möglich
sein, dass Frosch und Menschen trotz aller Abweichung ihrer Ernäh-
rungssäfte Deck- und Drüsenzellen und Tochterformen derselben von an-
nähernd gleicher Form erzeugen. — Wenn aber umgekehrt die ursprüng-
lich ganz ähnlichen Gebilde eine verschiedene Formfolge erfahren, so
beweist dieses nur, dass dem Organismus eben so zahlreiche als feine
Hilfsmittel zu Gebote stehen, um auf beschränktem Raume zahlreiche
chemische Prozesse einzuleiten, ohne dass sie sich gegenseitig stören
oder gar aufheben. In dem Ei, einer chemischen Werkstätte von rela-
tiver Einfachheit, ist doch schon ein so häufiger Wechsel von Fetten und
in Wasser löslichen Bestandtheilen gegeben, in ihm geht wegen der ge-
ringen Diffussibilität seiner Bestandtheile eine so langsame Ausgleichung
chemischer Differenzen von Statten, dass es uns nicht auffallen kann,
wenn sich an dem einen Ende desselben durch das Eindringen von
Wärme oder Flüssigkeiten Produkte bilden, welche dem andern Ende
fehlen. Wie viel leichter muss dieses aber in einem Organe möglich
sein, das aus zahlreichen Zellen, Fasern und Röhren gebaut ist und dazu
noch in mikroskopischen Zwischenräumen von Blut- und Lymphgefässen
durchzogen wird. Welche Widerstände werden die vielen Häute der Verbrei-
tung eines eindringenden und neugebildeten Stoffes entgegensetzen, und
wenn diese endlich überwunden sind, so wird der diffuntirte Stoff von den
[165]Epithelien.
Blut- und Lymphgefässen aufgeleckt und aus den Organen ganz entfernt
werden. Bedenkt man, dass die in unmittelbarer Berührung mit den Ge-
fässen befindlichen Gewebstheile von dem Blute ganz anders angegriffen
werden müssen, als die entfernteren, zu welchen die Blutflüssigkeit erst
gelangen kann, nachdem sie andre auf ihre Zusammensetzung verändernd
wirkende Atomhaufen durchsetzt hat; bedenkt man ferner, wie langsam
die meisten chemischen Umwandlungen im Organismus geschehen und
wie häufig aus denselben unlösliche Produkte hervorgehen; erwägt man
endlich, dass wegen der schlechten Leitungsfähigkeit der thierischen Ge-
webe für Wärme und Elektrizität in nahe aneinander grenzenden Partien
höhere und niedere Temperaturen, schwächere und stärkere Ströme mit
einander wechseln können, so wird es unsere Verwunderung nicht mehr
erregen, dass solche Unterschiede in den Wirkungen scheinbar gleicher
Einflüsse zum Vorschein treten. — Der Anhänger der Lebenskraft wird
endlich darauf hinweisen, dass trotz alle dem doch immer noch tausender-
lei räthselhaft bleibt; warum beschränkt sich das Wachsthum der Ele-
mentarformen auf mikroskopische Grenzen? warum ordnen sich ganz
analoge Zellenformen in der ersten Entwickelung zu Gruppen von den
verschiedensten Formen und Grössen an und geben damit Veranlassung
zur Entstehung der Organe? und was dergl. Dinge mehr sind, die wir
heute nur anstaunen aber nicht deuten können.
In der That, jeder, der vor den ungeheuren Schwierigkeiten, welche
hier zu überwinden sind, nicht muthlos die Arme sinken lässt, kann
nicht zweifelhaft sein über den Weg, welchen er demnächst zu betreten
hat. Auf der einen Seite steht eine Hypothese, welche nichts erklären
kann und will, weil sie die Gewebsbildung von vorne herein der Wirkung
gewöhnlicher Naturkräfte entrückt, auf der andern die Aussicht, durch
mühevolle Arbeit einzudringen in die verschlungenen Wege der thieri-
schen Kräfte, mit der Gewissheit, dass mit dem erreichten Ziele uns
entweder die volle Herrschaft gegeben ist, die organischen Prozesse zu
leiten nach unserm Belieben, oder dass uns mindestens die Klarheit ge-
worden, wie die Natur jene Formen bildet und umbaut, welche uns
aufgedeckt wurden durch die vereinten Bemühungen eines reichen Kran-
zes von hervorragenden Anatomen, deren Reigen durch C. v. Bär, Pur-
kinje, J. Müller, E. H. Weber, Schwann, Henle, Bischoff und
Kölliker angeführt wird.
Spezieller Theil.
Oberhäute, Epithelien.
Die anatomischen Elemente der Oberhäute sind Zellen, deren Form
sich der kugeligen, cylindrischen oder plattenartigen annähert.
Geschichtete Pflasterhäute. Sie bedecken die Cutis und die
Fortsetzungen derselben in die Mund-, After-, Harn- und Geschlechtsöffnung.
[166]Anatomischer und chemischer Bau der Epithelien.
1. Anatomische Eigenschaften *). Um ihre Aufhellung hat sich
Henle besondere Verdienste erworben. Die geschichteten Pflasterhäute
enthalten cylindrische, kugelige und plattenförmige Zellen. Die zuerst
genannte Formation, welche meist mit länglichen Kernen versehen ist,
sitzt unmittelbar auf der Cutis auf (Kölliker). Ueber dieser finden sich
mehrere Lagen von kleinen Kugelzellen, die immer einen relativ grossen
Kern einschliessen, welcher nahebei den ganzen Binnenraum der Zellen
ausfüllt; in den noch weiter nach aussen gelegenen Schichten trifft
man dann grössere Zellen, deren Form die Mitte hält zwischen der Ku-
gel und Platte, und endlich sind die äussersten Lagen aus Plättchen ge-
bildet; der geringe Binnenraum in diesen platten Zellen ist durch einen
Kern ausgefüllt, welcher an Grösse den der kugeligen kaumü bertrifft. —
Zwischen den Zellen der tieferen Schichten findet sich noch etwas Flüs-
sigkeit ergossen, die zwischen den oberflächlicheren fehlt.
Die Gesammtzahl der Zellen, welche in einem senkrecht gegen die
Cutis geführten Schnitte übereinander liegen (oder die Dicke der Epider-
mis), und ebenso die Verhältnisszahl zwischen cylindrischen und kugeli-
gen einerseits und plattenförmigen andererseits ist veränderlich mit
den Hautstellen, deren Bedeckung sie bilden. Diese mit dem Standort
veränderlichen Verhältnisse prägen sich schon im fötalen Leben aus (Al-
bin, Krause), so dass sie als eine Folge der eingeborenen Bildungs-
mechanismen angesehen werden müssen. Die Messungen von Krause,
Kölliker und Wendt stellen heraus, dass die Dicke der gesammten
Oberhaut am mächtigsten in der Fusssohle und den Handtellern, am ge-
ringsten an dem Kinn, den Lippen, der Stirn, den Wangen, den Augen-
lidern und dem äussern Gehörgang ist. In einzelnen Fällen übertrifft
die Zahl der übereinander geschichteten Cylinder und Kugelzellen (rete
Malpighi) diejenige der plattenförmigen (Hornschicht); für gewöhnlich
gilt jedoch das umgekehrte.
Die Grösse der einzelnen Zellen ist unabhängig vom Lebensalter,
diejenigen des Neugeborenen sind eben so gross wie die des Erwachsenen.
Harting.
2. Chemische Zusammensetzung*). Die vorliegenden Untersuchun-
gen beziehen sich vorzugsweise auf die Hornschicht; die aus ihnen ge-
wonnenen Resultate genügen nicht, um eine Vorstellung über die quali-
tative, geschweige denn über die quantitative Zusammensetzung zu gewinnen.
a. Hornschicht. Kaltes Wasser zieht aus derselben eine salzhaltige, sauer rea-
girende Flüssigkeit aus, welche nach ältern Analysen aus Verbindungen von Ammo-
niak, Natron, Kali, Eisenoxyd mit Essigsäure, Milchsäure, Phosphorsäure und
Chlor bestehen sollen (Berzelius). Kochendes Wasser löst unter Schwefelwasser-
[167]Quellungserscheinungen der Epithelien.
stoffentwicklung einen leimartigen Körper auf (John); Alkohol und Aether entziehen
ihm Fett. — Die nach dieser Behandlung zurückbleibende Masse (der sog. Hornstoff)
gab bei der Verbrennungsanalyse von Scherer und Mulder in 100 Theilen: C 50,3;
H 6,7; N 17,2; O 27,0; S 0,7. — Dass diese Zahlen nicht die Zusammensetzung einer
geschlossenen Atomgruppe angeben, folgert sich daraus, weil durch Behandlung mit
Kali und ebenso durch Ammoniak und Salpetersäure die analysirte Zellenmasse in
drei verschieden reagirende Stoffe zerlegt werden kann Mit Salpetersäure gewinnt
man die sog. Xanthoproteinsäure (Bd. I. p. 40.) aus derselben; bei der Auflösung
der Epidermiszellen in Kali bildet sich SH und NH3 und ein durch Essigsäure fäll-
barer, dem Protein nach prozentischer Zusammensetzung und Reaktionen ähnlicher
Stoff. Beim Verbrennen entwickeln sie den Geruch eiweissartiger Stoffe. Aus allem
diesen ist der Schluss erlaubt, dass die Hornschuppen einen zur Eiweissgruppe gehöri-
gen Bestandtheil enthalten. — Die verbrannten Hornzellen hinterlassen eine Asche, welche
bis zu 2 pCt. der trockenen Substanz ausmacht und aus 3 CaO PO5 und Fe2O3 besteht.
b. Von den Zellen der Schleimschicht wissen wir, dass sich ihre Hüllenmem-
branen im Gegensatz zu denen der Hornschicht (mit Hinterlassung des Kerns) in
kalter Essigsäure nuflösen.
3. Quellungserscheinungen *). Reines Wasser dringt sehr schwierig
in die Epidermis ein; legt man dickere Stücke derselben in Wasser, so
findet man selbst nach tagelanger Einwirkung nur die obersten Lagen
der Hornschicht aufgeweicht. In einer auf diese Weise behandelten
Deckhaut ist der Zusammenhang zwischen den Zellen gelöst, der Umfang
dieser letzteren selbst aber nur um ein Unbedeutendes vergrössert. —
Bindet man einen mit Epidermis bedeckten Hautlappen über die eine
Mündung eines Glasrohrs und füllt dieses letztere bis zu beträchtlichen
Höhen mit Wasser an, so dringt dieses durch die Lederhaut und hebt
die Epidermis von derselben ab, so dass sich die letztere in Form einer
Blase auftreibt. — Als endosmotische Scheidewand aufgestellt, verwehrt
die Epidermis, so weit wir wissen, durchgreifend die Ausgleichung zwi-
schen Wasser und wässerigen Salzlösungen; sie erlaubt dieselbe dagegen
zwischen Wasser und verdünnten Säuren; wie zwischen Alkohol, alko-
holischen oder ätherischen Salzlösungen und Wasser; in beiden Fällen
geht der stärkere Strom vom Wasser zum Alkohol (Krause).
Die Epidermis ist im trocknen und feuchten Zustand für Gase jeder
Art durchgängig,
Krause reinigt die zur Filtrations- oder Diffusionsmembran angewendete Epider-
mis mit Wasser, Seife und Aether; es könnte auffallend erscheinen, dass die Schweiss-
kanälchen (die von ihm angewendeten Stücke waren aus dem Handteller genommen) sich
nicht eröffnet und einen raschen und beliebigen Diffusionsstrom erlaubt haben. Dieses ge-
schah wahrscheinlich darum nicht, weil Krause den Flüssigkeitsdruck auf der einen
Seite höher, als auf der andern machte, wodurch die schief laufenden Gänge zusam-
mengepresst werden.
Ueber den Durchgang der tropfbaren und gasartigen Flüssigkeiten
durch die unverletzte Epidermis des lebenden Menschen in die Flüssigkeiten
[168]Durchdringbarkeit der Epidermis am Lebenden.
resp. die Blutgefässe der Cutis, sind zahlreiche Versuche von Aerzten *)
angestellt. Der Unterschied zwischen diesen und den erwähnten Versuchen
von Krause leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass die endosmotische
Scheidewand zwischen den auf die Körperoberfläche gebrachten Stoffen
und den in der Lederhaut enthaltenen Flüssigkeiten offenbar nicht mehr
allein dargestellt wird durch die Epidermis, sondern dass auch durch
die mit Schweiss und andern Flüssigkeiten erfüllten Schweisskanälchen
die Ausgleichung erfolgen muss. — Die hierhergehörigen Versuche bie-
ten meist so grosse Schwierigkeiten, dass man sich für gewöhnlich mit
einer qualitativen Antwort befriedigen musste, welche wohl etwas über
das Zustandekommen, nichts aber über die Geschwindigkeit des Durch-
gangs der betreffenden Substanzen aussagte. — Aus den vorliegenden
Beobachtungen scheint sich zu ergeben, dass von aussen nach innen
eindringt: Wasser, und zwar laues besser als heisses, die in der Fleisch-
brühe und Milch gelösten Stoffe (?), verdünnte Schwefel-, Salz-, Salpeter-
säure, verdünnte Lösungen von Chlorbaryum, Brechweinstein, Quecksil-
berchlorid, Blutlaugensalz, Jodkalium, Crotonöl, aromatische Oele, Can-
tharidin, Jod und Quecksilber. Umgekehrt gehen aus der Haut in ein
Wasserbad über Kochsalz; nach Barral hatte ein Bad aus 174 Kilogr.
von 37° C. während einer Stunde 1 Gr. dieses letztern Salzes aus der
Haut ausgewaschen.
Dem Durchtritt der Gasarten stellt die mit der lebenden Haut in
Verbindung stehende Epidermis ebensowenig einen Widerstand entgegen,
als die von ihr losgelöste.
Der Uebergang eines Stoffes durch die Epidermis des lebenden Menschen lässt
sich jedesmal leicht feststellen, wenn er im Beginnen des Versuchs entweder im Or-
ganismus oder in dem die Oberhaut umgebenden Bade fehlte. Hierzu bietet die che-
mische Reaktion meist genügende Hilfsmittel, und wo diese nicht mehr anwendbar,
tritt oft eine physiologische an ihre Stelle; dieses gilt z. B. unter den oben ange-
führten Stoffen für Crotonöl, Cantharidin u. A., welche im Blute anwesend eigen-
thümliche Arzneiwirkungen bedingen. Schwieriger ist der Nachweis für den Ueber-
tritt solcher Stoffe, welche schon im Organismus vorkommen, oder gar die genaue
quantitative Bestimmung der übergetretenen Mengen. Um diese zu gewinnen, wie
z. B. die des übergehenden Wassers, muss man entweder Gewichtsverlust des
Bades oder die Gewichtszunahme des thierischen Körpers feststellen. Beide Wägun-
gen sind aber mit zahlreichen Fehlerquellen behaftet; denn einmal nimmt der mensch-
liche Körper während des Bades auch an Gewicht ab durch die Lungenausdünstung,
diese müsste also während des Bades bestimmt werden, was bis dahin noch nicht
geschehen ist, und nächstdem möchte man einem Menschen wohl schwerlich die Haut
gerade soweit wieder abzutrocknen im Stande sein, wie vor dem Bade. Die Wä-
gung des Bades führt Unsicherheit ein, wegen der Verdunstung der Flüssigkeit wäh-
rend des Abtrocknens, des Hängenbleibens derselben an der Haut u. s. w.
4. Auch ohne dass eine besondere Untersuchung vorliegt, können
[169]Ernährung der Epidermis.
wir behaupten, dass die Epidermis ein schlechter Wärmeleiter sei; Elek-
trizität leitet sie nur, insofern sie Wasser enthält; also leitet eine sog.
feuchte Haut besser als eine trockene und eine warme besser als eine
kalte (E d. Weber) *).
5. Von der Ernährung der Epidermis. — Den Muttersaft der Pflaster-
zellen liefern die oberflächlichsten Gefässe der Cutis. Aus ihm entstehen
zunächst die Zellen, welche in den tiefsten Schichten der Oberhaut ent-
halten sind. Der Beweis hierfür liegt in der bekannten Erfahrung, dass
eine Lücke, die man in die Epidermis geschnitten, sich nicht dadurch
ausfüllt, dass auf der freien Oberfläche der Lücke neue Zellenlagen ent-
stehen, sondern in der Weise, dass sich der Boden derselben allmählig
erhebt, durch einen von der Cutisoberfläche her erfolgenden Nachschub
von Zellen. — Die Ursachen der Absonderung jenes Bildungssaftes sind
uns unbekannt, und nicht minder die Zusammensetzung der primären
Flüssigkeit. — Zwischen der Absonderungsgeschwindigkeit des Mutter-
saftes und der Zellenbildung scheint das Abhängigkeitsverhältniss zu be-
stehen, dass sich nur bis zu einem gewissen Grade die Bildung neuer
Zellen mehrt mit der Menge der abgesonderten Flüssigkeit; steigert sich
die Absonderungsgeschwindigkeit noch weiter, so hört alle Bildung
von Epidermis auf. — Diesen Satz stützen wir damit, dass eine Erwei-
terung der Capillarengefässe in der Cutis, also eine vermehrte Spannung
des Bluts in ihnen, wie wir sie gewahren nach gelindem Druck, höhe-
ren Erwärmungen u. dgl., die Epidermisbildung mehrt (Schwielen der
Hand- und Feuerarbeiter); eine weiter getriebene Ausdehnung der Ge-
fässe, die in kurzer Zeit den Austritt grösserer Mengen von Flüssigkeit
zur Folge hat, hebt dagegen die Epidermis ab, und in der Blasenflüs-
sigkeit entstehen keine Epithelien; ihre Bildung beginnt erst wieder mit
dem Austrocknen der Blase. In der That scheint ein grosser Theil der
oberhautbildenden Mittel der Aerzte die Aufgabe zu haben, das Maass
der Absonderung zu regeln, indem sie entweder auf die Erhöhung des
Elastizitätscoeffizienten der Gefässhäute (Blei-, Silbersalpeter) oder auf
die Verringerung des Gefässdurchmessers (Einwickelungen) einwirken. —
Der chemische und mechanische Vorgang, der die Ueberführung der
Flüssigkeit in die Zelle bedingt, ist unbekannt. Man behauptete mit
Rücksicht auf den letztern früherhin, dass aus dem Muttersaft zuerst aus
irgend welchem Grunde Zellenkerne entständen, welche sich mit einer
Haut umhüllten; neuerlichst bestreitet man dieses und setzt an die Stelle
der alten Hypothese eine andere, wonach die tiefsten, cylindrisch geform-
ten Zellen sich an ihrem freien, von der Cutis abgewendeten Ende ab-
gewendeten Ende abschnüren und damit zur Entstehung der kleinen
Kugelzellen Veranlassung geben sollen. Die Gründe für die Feststellung
[170]Nagel.
der einen oder andern Formfolge sind aber noch wenig befriedigend.
Es wäre wünschenswerth, die Epithelialbildung auf vernarbenden Wunden
genauer zu studiren. — Die Zellen der Hornschicht gehen unzweifelhaft
aus denen der Kugelschicht hervor, was sich ohne Weiteres durch die
Lagerungsverhältnisse beweisen lässt. Man stellt sich das Zustandekom-
men der Abplattung in der Weise vor, dass die im Zellenraume enthal-
tenen löslichen Bestandtheile allmählig unlöslich würden, und das Wasser
durch Diffusion oder Verdunstung entfernt würde. Gesetzt, diese Mei-
nung wäre bewiesen, so müsste nun noch gezeigt werden, warum das
Zusammenfallen der Wand in der Richtung des Dickendurchmessers der
Oberhaut erfolgt. — Unerklärt ist es ferner, woher der Zusammenhang
der Zellen rührt; nachweislich schuppen sich (durch Verlust dieses Zu-
sammenhangs) unter gewissen, nicht näher bestimmten Umständen die
oberflächlichsten Lagen leichter ab. Aus dem Verhältniss zwischen Neu-
bildung und Abschuppung ist natürlich auch die Dicke der Epidermis
an den verschiedenen Körperregionen zu erklären. In diesem Sinne ist
es auch bemerkenswerth, dass aller Orten eine Grenze für die Dicke der
Epidermis besteht, und dass eine über das Normale gehende Dicke der-
selben, wie wir sie bei Schwielenbildung beobachten, wieder auf den
gewöhnlichen Werth herabsinkt, wenn die Ursachen verschwinden, welche
eine reichlichere Absonderung des Muttersaftes veranlassten. — Ob in
der ausgewachsenen Plattenzelle auch Stoffumsatz geschieht, wissen wir
nicht; es ist aber kaum wahrscheinlich, da die Plättchen so schwer und
nur unter ganz besondern Bedingungen der Fäulniss anheimfallen.
Nägel.
1. Anatomische Eigenschaften. Der Nagel ist ein Gebilde aus Zel-
len von derselben Form und Anordnung wie in den geschichteten Pflaster-
häuten. Vor diesen ist er ausgezeichnet einmal durch das Verhältniss
zwischen der Dicke der Horn- und Schleimschicht, indem an den Nägeln
die erstere die letztere ganz ausserordentlich übertrifft, und dann da-
durch, dass die Zellen in der Hornschicht des Nagels noch trockner,
fester und inniger mit einander vereinigt sind.
2. Chemische Eigenschaften. Am Nagel ist bis dahin nur die Horn-
schicht untersucht; ihre Eigenthümlichkeiten stimmen im Allgemeinen
mit denen der Pflasterhaut überein.
Der sog. Hornstoff des Nagels besteht nach Scherer und Mulder in 100 Thei-
len aus C 51,0; H 6,9; N 17,5; O 21,7; S 2,8. Sein Sgehalt ist also dem der Epi-
dermis überlegen; verbrannt hinterlässt er 1 pCt. Asche aus 3 CaO PO5.
3. Von der Ernährung. — Die Bildung des Nagels geht nur dann
vor sich, wenn ein besonders geformter Boden der Cutis, der Nagelfalz
und das Nagelbett, vorhanden ist. Diese Einrichtung, worin auch sonst
noch ihre Wirkungen bestehen mögen, hat jedenfalls die Folge, dass die
neugebildeten Zellen sich durch das Entgegenwachsen von zwei verschie-
[171]Einfachere Deckhäute.
denen Seiten her zusammenpressen. Durch die Aufschichtung von Zellen
im Falz wird die Längenzunahme und durch diejenige im Nagelbett zum
Theil mindestens das Wachsthum nach der Dicke bestimmt (E. H. We-
ber). — Nach Berthold*) wachsen die Nägel in der Jugend und im
Sommer rascher als im Winter, an der rechten Hand mehr als an der
linken; unter allen Fingern geht am mittleren das Wachsthum am ra-
schesten und in abnehmender Reihenfolge am Ring-, Zeige-, Ohrfinger
und Daumen vor sich. Schneiden der Nägel befördert die Zellenneubil-
dung; wenn man dieselben niemals verkürzt, so erreichen sie eine be-
stimmte, nicht weiter veränderliche Länge.
Beispielsweise sei erwähnt, dass sich nach Berthold der Nagel in 11 Tagen
um etwa 1 MM. verlängert.
An diese Pflasterepithelien vollkommenster Ausbildung schliessen
sich nun eine Reihe anderer Oberhäute an, welche entweder nur aus
einer oder aus mehreren der beschriebenen Zellenformen zusammenge-
setzt sind. Die einfachsten Oberhäute sind die einschichtigen; sie be-
stehen immer nur aus einer Lage und zwar entweder aus platten, wie
z. B. in den serösen Häuten, oder aus cylindrischen Zellen, wie im
Darmkanal u. s. w. — Die complizirteren enthalten dagegen entweder
kugelige und cylindrische (Bronchialschleimhaut) oder cylindrische, ku-
gelige und platte (Mundschleimhaut). Die letztern, welche der Epidermis
am nächsten stehen, unterscheiden sich jedoch meist wesentlich dadurch,
dass ihre platten Zellen nur stellenweise und zwar im Ueberzug der
pap. filiformes als dünne Hornschüppchen erscheinen.
Unsere chemische Kenntniss dieser Gebilde sagt aus, dass sie unter
dem Mikroskop annähernd dieselben Erscheinungen bieten, wie die Epi-
dermiszellen.
Nach Gorup**) enthält das Plattenepithelium der Mundschleimhaut der Wallfische
2,5 pCt. Schwefel, also so viel wie die Nägel des Menschen; ob dieses auch für die
Oberhaut unserer Mundschleimhaut gilt?
Die Durchdringbarkeit der weniger ausgebildeten Oberhäute für gas-
förmige und namentlich flüssige Stoffe ist viel beträchtlicher als die der
Epidermis; am leichtesten durchgängig sind diejenigen, welche nur aus
einer Zellenlage bestehen; zum Theil mag dieses daher rühren, dass in
den Zwischenräumen zwischen je zwei Zellen Poren gelegen sind, die
der Diffusion weniger Widerstand bieten, zum Theil aber sind die
Zellen selbst leicht durchgängig, wie die Cylinder des Darms, die
freilich auch besondere Einrichtungen zeigen (siehe hierüber Auf-
saugung im Darmkanal). Die Wachsthumserscheinungen der einfachen
Epithelien sind unbekannt. Bemerkenswerth ist es nur, dass sich
[172]Flimmerhaare.
auch Uebergangsstufen zwischen den kugeligen und den cylindrischen Zel-
len finden. Die kugeligen Zellen sollen sich durch Theilungen fortpflan-
zen können *).
Flimmerhaare.
Auf einzelnen Standorten tragen die Pflaster- und Cylinderzellen
gegen ihre freie, von Flüssigkeit oder Luft begrenzte Fläche feine weiche,
haarförmige Anhänge, die Wimper- oder Flimmerhaare.
Diese Haare sind unter gewissen Umständen, und namentlich wäh-
rend ihres Aufenthaltes im lebenden Körper in einer Bewegung, bei der ihre
Spitze ungefähr ein Viertel von der Peripherie eines Kreises zurücklegt,
welcher mit der ganzen Länge als Radius beschrieben wird. Genauer
betrachtet, verhält sich nun diese Bewegung so, dass ein Haar, welches
so eben senkrecht gegen den Boden, auf dem es eingepflanzt ist, stand,
plötzlich zusammenknickt und sich dabei mit seiner Spitze gegen den
Boden biegt, kaum hier angelangt, wieder aufsteht, um von Neuem die
ebenvollendete Bahn umgekehrt zu durchlaufen. Diese Bewegungen fol-
gen sehr rasch aufeinander, so dass namentlich an den Wendepunkten
keine Zeiten des Stillstandes zu beobachten sind, und nicht minder wer-
den die Bewegungen rasch vollendet, indem nach den Messungen von
Valentin und Krause ein Haar zu einem Auf- und Niedergang 0,2
bis 0,8 Sec. nöthig hat. — Die Kraft, mit welcher die Schwingung ge-
schieht, ist nicht nach beiden Richtungen gleich, sondern nach der einen
bedeutender als nach der andern. Dieses erkennt man aus der einsei-
tigen Strömung, welche das flimmernde Haar in einer sie bedeckenden
Flüssigkeit zu erzeugen vermag, eine Strömung, welche statt einer ein-
seitigen offenbar ebenfalls eine pendelnde sein müsste, wenn die Stösse,
welche ihr von dem Haar nach den verschiedenen Richtungen hin mit-
getheilt würden, an Kraft einander gleich kämen. — Die Richtung der
Schwingung ist zwar nicht auf den Zellen verschiedenen, wohl aber auf
denen desselben Standortes gleich, sodass alle Haare der Bronchial-, der
Tubenschleimhaut u. s. w. immer nach derselben Seite hin zusammen-
fallen und somit auch aufstehen.
Von den Haaren auf den Epithelien der Muschelkiemen behauptet Valentin je-
doch das Gegentheil, sie sollen unter Umständen plötzlich ihre Schwingungsrichtung
ändern.
Die Beschleunigung der Bewegung ist nach den Beobachtungen von
Purkinje, Valentin, Sharpey und Virchow**) abhängig 1) von
der chemischen und mechanischen Unversehrtheit des einzelnen Wimper-
haars; ist diese erhalten, so kann die Zelle von ihrem natürlichen Stand-
ort entfernt, oder gar bis zur Zerstörung der benachbarten Haare ver-
stümmelt sein, ohne dass die Bewegung erlischt. — Wird dagegen das
[173]Beschleunigung ihrer Bewegung.
Haar durch conzentrirte Säuren, Alkalien, Salze, durch Eintrocknen u. s. w.
zerstört, so ist die Befähigung zur Bewegung verloren; sie kehrt nament-
lich auch nicht wieder, wenn man das einmal eingetrocknete Haar wie-
der aufweicht. — 2) Die Schlagfähigkeit der Haare auf solchen Zellen,
welche aus ihrem natürlichen Standort entfernt sind, wird verlängert,
wenn sie in Lymphe, Blutserum oder in verdünntem Hühnereiweiss auf-
gehoben werden. — 3) Die verlangsamte oder auch kurze Zeit erlo-
schene Bewegung kann wieder belebt werden durch verdünnte Kalilauge.
(Virchow). — Die verlangsamte Bewegung soll wieder bechleunigt
werden können durch mechanische Erschütterungen (Valentin und
Purkinje). — 4) Die Bewegung erhält sich nur zwischen bestimmten
Temperaturgrenzen, welche nach Valentin durch + 6° und 81 +° C.
gegeben sind. — 5) Je nach dem Standorte erlischt die Bewegung mehr
oder weniger rasch nach dem Tode des Individuums oder in Folge der
veränderten Temperatur. Am empfindlichsten sind die Haare in den
Geschlechtstheilen. — 6) Als negative Charakteristik, den Muskel- und
Nervenmassen gegenüber, ist bemerkenswerth, dass durch verdünnte Lö-
sungen von Blausäure, Opium, Strychnin, Kreosot u. s. w. und ebenso-
wenig durch elektrische Ströme die Bewegungen beschleunigt oder ver-
langsamt werden.
Von den Ernährungserscheinungen der Flimmerhaare ist nichts
bekannt.
Haare.
1. Anatomische Eigenschaften *). Der Haarknopf, oder der Theil
des Haars, welcher unmittelbar an die Warze grenzt, besteht durchweg
aus kugeligen, kernhaltigen Zellen und freien Kernen (?), ähnlich denen,
welche in der Oberhaut auf den Cylinderenden ruhen. Im Haarschaft treten
dagegen drei wesentlich verschiedene Formen auf; die Oberfläche dessel-
ben wird rings umkleidet von einer einfachen Lage dachziegelförmig
übereinandergeschichteter kernloser Hornschüppchen; dieses Haarepithe-
lium schliesst nun eine mehrfache Schicht bandartiger Fasern ein, von
denen jede einzelne aus länglichen kernhaltigen Hornschuppen besteht,
welche an ihren schmalen Seiten mit einander verwachsen sind; die
auf einer Peripherie des Haars liegenden Fasern sind jedoch ebenfalls
untereinander verklebt; im Centrum der Faserschicht endlich liegt das
Haarmark. In dieses ragen, so weit das Haar noch in dem Balg ver-
steckt liegt, Fortsätze aus der Haarwarze, die auch häufig noch eine
Blutgefässschlinge in sich fassen, und ausserdem ist es aus kugeli-
gen Zellen gebildet, die jedoch an dem freistehenden Theile des Haars
vertrocknen und somit zur Bildung lufthaltiger Lücken Veranlassung geben.
Zur Einsicht in den Bau des Haars und seines gleich zu erwähnenden
[174]Chemische und physikalische Eigenschaften des Haars.
Säckchens haben uns vor Allem die Arbeiten von Heusinger, E. H.
Weber, Gurlt, Henle, Steinlin und Kölliker verholfen.
2. Chemische Zusammensetzung *). Die festen Theile des Haars
sind innerhalb des Balgs mit wässerigen und ausserhalb desselben mit
öligen Flüssigkeiten durchtränkt. Diese letztern sind ein Gemenge aus
Olein und Margarin, Olein- und Margarinsäure. — Die geformten Bestand-
theile des Markes, der Rinde und der Deckschicht sind von ungleicharti-
ger Zusammensetzung; und ebenso sind die Zellenindividuen einer jeden
Formation ein Gemenge mehrerer Substanzen; man schliesst dieses aus
dem Verhalten jener Formen gegen Kali, Schwefel- und Essigsäure. —
Eine Elementaranalyse des mit Wasser, Alkohol und Aether ausgekoch-
ten Haars gab nach v. Laer und Scherer in 100 Theilen: C 50,6;
H 6,4; N 17,1; O 20,8; S 5,0. Da die diesen Zerlegungen unterwor-
fenen Haare aus ganz verschiedenen Orten stammten, so deutet jene
Uebereinstimmung darauf hin, dass das Haar ein constantes Gemenge
aus den verschiedenen Stoffen darstelle. Die Zersetzungsprodukte des
Haars mit Schwefel-, Salpetersäure und Kali stellen fest, dass dasselbe
Substanzen enthalte, welche zur Gruppe der eiweissartigen Körper ge-
hören.
Durch Behandlung mit warmer verdünnter Kalilauge gewinnt man aus ihm sog.
Protein und Proteinbioxyd unter Abscheidung von S und NH3 (Mulder). Durch
SO3 kann man Tyrosin und Leucin aus dem Haar gewinnen (Leyer und Köller),
und NO5 verwandelt sie zum Theil in Xanthoproteinsäure (Mulder). Es bedarf
kaum des Hinweises auf den grossen Sgehalt, um den Unterschied zwischen Haar
und Epidermis deutlich zu machen.
Der Gehalt des Haares an Asche wechselt zwischen 0,5 bis 1,8 pCt.
Sie besteht aus Eisenoxyd, Kieselsäure, phosphorsaurem Kalk und Magne-
sia (v. Laer und Gorup).
3. Physikalische Eigenschaften. Im trocknen Zustand zieht es be-
gierig Wasserdampf an und condensirt ihn; in Wasser gelegt quillt es
ein wenig auf. Mit Fetten durchtränkt sich das trockene Haar ebenfalls
leicht. In welchem Verhältniss seine Adhäsionskräfte zum Fett und
Wasser stehen, ist unbekannt. — Das durch Fett und Wasser getränkte
Haar ist sehr dehnbar, und dehnbarer als im trocknen Zustand. Die
wenigen über Elastizität und Cohäsion des Haars vorliegenden Beobach-
tungen **) genügen nicht, um eine Vorstellung über die hierauf bezügli-
chen Kräfte desselben zu gewinnen. — Das Haar ist ein schlechter Lei-
ter der Wärme und ein Isolater der elektrischen Strömung.
4. Ernährung des Haares. — Die Anordnung der Zellen in der
Form des Haars kann niemals ohne Hilfe einer eigenthümlichen in die Cu-
tis eingelagerten Vorrichtung, die Haarwarze und den Haarbalg, gesche-
[175]Ernährung des Haars; Säckchen.
hen. Die Warze ist ein kugelförmiger Auswuchs auf dem Boden des
Haarsäckchens, in welchen eine Gefässschlinge einkehrt; aus ihrer Ober-
fläche dringt der Saft, in welchem die Zellen des Haarknopfs entstehen.
Die Höhle des Haarsäckchens stellt einen kolbenförmigen Raum dar, der
sich überall auf das innigste an das Haar anlegt, so dass es entsprechend
den Durchmessern dieses letztern untern am Knopf desselben weiter und
oben gegen den Schaft hin enger wird. Die Wand, welche den engern,
dem Kolbenhals entsprechenden Theil der Höhle umschliesst, ist aus
sechs Schichten gebaut; zählt man von aussen nach innen, so trifft man
zuerst auf einer Lage von dem anatomischen Bau der Cutis, nemlich
auf ein Gemenge von elastischem und Bindegewebe; dann folgt eine
einfache Lage von kerntragenden Fasern, welche die kreisförmige Peri-
pherie des Balgs umschlingen. Diese Fasern schliessen eine strukturlose
Haut ein, auf welcher zuweilen feinstreifige Netzformen aufsitzen; sie
wird wiederum bedeckt von einer Lage kugeliger Zellen, welche an der
Mündung des Säckchens in die Schleimschicht der Oberhaut übergehen
und darum als die tiefste Lage von Epithelium angesehen werden; auf
sie folgen mehrere Schichten innig mit einander verbundener Hornschüpp-
chen und schliesslich eine Lage von Platten, welche denen vollkommen
gleichen, welche als sog. Oberhaut des Haars die Faserschicht derselben
einschliessen. — Nahe an der Ausmündung des Haarbalgs öffnen sich in
denselben die Gänge kleiner Fettdrüsen, welche auf der äussern Seite
des Balgs gelegen sind. An den Grund des Sackes geht ein kleiner,
aus Faserzellen zusammengesetzter Muskelstreifen, der in den oberfläch-
lichen Schichten der zunächst gelegenen Cutis entspringt.
Der Hergang, durch den die Kugelzellen des Knopfs aus der Flüs-
sigkeit entstehen, welche sich aus den Gefässen der Warze ergiesst, ist
hier wie überall unbekannt; es ist sogar noch zweifelhaft, wie die Form
beschaffen sei, welche ursprünglich auftritt. Einige Autoren, namentlich
Henle, stellen die Behauptung auf, dass in die Warze unmittelbar be-
grenzenden Schichten des Haarknopfs nur Gebilde von der Form der
Kerne jener Kugelzellen enthalten seien; sie sind geneigt, aus dieser
Beobachtung abzuleiten, dass zuerst diese Kerne und mit Beihilfe der-
selben dann erst die fertigen Zellen entstehen. Andere Mikroskopiker,
namentlich Kölliker, läugnen aber die beständige Anwesenheit dieser
Kerne. — Unzweifelhaft gehen aber die ausgebildeten Zellen des Haar-
knopfs in die Hornschüppchen der Faserschicht und die vertrockneten
Markzellen über, während die Plättchen des Oberhäutchens aus der
oberflächlichsten Epithelienlage des Haarbalgs abstammen, die das empor-
wachsende Haar an sich klebt und mit sich emporschiebt. — Rinde und
Mark des Haares ist somit nichts anderes, als ein Epithelialübergang der
Warze, der insofern eigenthümlich ist, als nur die Rindenzellen verhor-
nen, während die Markzellen, ehe sie zu dieser Umwandlung gekommen
[176]Ernährung des Haars.
sind, vertrocknen, so dass sich in den Epithelialfortsatz die mumifi-
zirten Zellen der Schleimschicht hinein erstrecken. — Aus den Eigen-
schaften der Warze ist es begreiflich, dass das Haar, gleich ihr, an sei-
nem natürlichen Ende zugespitzt ist; aus dem für die Blutflüssigkeit un-
durchdringlichen Epithelialübergang des Haarbalgs, im Gegensatz zu der
für sie durchgängigen Warzenoberfläche, wird es erklärlich, dass das Haar
nur von der letzteren aus neue Zellen ansetzen kann, und endlich ist
einleuchtend, dass der Hals des Balges den am Knopfe breitern Quer-
schnitt des Haars beim Uebergang desselben in den Schaft zusammen-
presst, und soweit wenigstens mit dazu beiträgt, dass die Kugelzellen in
längliche Schüppchen umgewandelt werden. Die Stärke des Haarschaftes
muss darum bestimmt sein von dem Durchmesser des Hohlraums, wel-
chen der Balg umschliesst.
Die Geschwindigkeit des Haarwuchses ist, nach absolutem Maasse
bestimmt, immer gering; sie ist nach Berthold im Sommer, bei Tag
und in der Jugend grösser, als im Winter, bei Nacht und im Alter.
Der alltäglichen Erfahrung nach wachsen kurzgeschnittene Haare rascher
als längere. Lässt man sich die Haare, ohne sie zu schneiden, wachsen,
so erreichen sie schliesslich ein Maximum ihrer Länge. Alles dieses
bedeutet also, dass mit Haarlänge ein Widerstand für die Neubildung
von Zellen auf der Warze eingeführt wird. — Bemerkenswerther Weise
ist die Haarlänge, bei welcher dem weitern Wachsthum ein Ziel gesetzt
wird, verschieden mit den Haarbälgen; so erzeugen sich in den Bälgen
der Schädeldecken und den männlichen Lippen sehr lange Haare, wäh-
rend sie auf der Haut der Extremitäten nur eine unbedeutende Länge
erreichen. Dieses Längenmaximum ist namentlich auch unabhängig von
dem Querschnitt des Schaftes oder Knopfes, indem feine Haare oft
lang und stark, wie z. B. die Augenbrauen und Wimpern nur kurz wer-
den. Als Regel scheint es jedoch gelten zu können, dass sehr feine
Haare auch immer sehr kurz sind.
Der Stoffwechsel in dem fertigen Haar ist gering, aber nicht immer
gänzlich fehlend. Einmal nemlich wird das Haar durch die Säfte, welche
aus den Fettdrüsen der Haarbälge austreten, eingeölt; dieses Oel muss
natürlich in dem der Luft ausgesetzten Schafte verwesen, und der daraus
erfolgenden Abgang wird wenigstens in allen fetten Haaren durch neues
aus dem Balge nachdringendes ersetzt. — Auf eine Umwandlung der
Stoffe des fertigen Haares deutet das Ergrauen derselben; dieses kommt
durch eine Vermehrung seines Luftgehaltes zu Stande, indem sich der-
selbe nicht mehr auf das Mark beschränkt, sondern auch auf die Rinde
ausdehnt. Diese merkwürdige Lückenbildung in der Rinde tritt häufig
auch in den Theilen des Haares ein, welche den Balg schon verlassen
haben (Ergrauen der Spitzen).
[177]Elastisches Gewebe.
Ueber den periodischen Haarwechsel der Thiere und insbesondere über das ana-
tomische Verhalten der Warze und der aus ihren Flüssigkeiten herrührenden Zellen
hat Steinlin*) sehr genaue Beobachtungen mitgetheilt. Siehe hierüber auch Köl-
liker und Langer.
Die Bewegungen des Haars (das Haarsträuben) bestehen, wie es die
Anlegung des Balgmuskels erwarten lässt, in einem Aufrichten des schief-
gelegten Haares.
Elastisches Gewebe.
1. Seine elementare anatomische Anordnung **) ist mannigfaltig,
bald erscheint es als homogene oder auch als durchlöcherte Haut, bald
in schmalen oder breiten Fasern, die einfach geschlängelt und verästelt
oder mit nebenliegenden zu Netzen verbunden sind, und endlich soll es
auch in feinen, einfachen oder verästelten Röhren, die mit den anliegenden
zu einem feinen Gefässwerk verschmolzen sind, auftreten (Virchow,
Donders).
2. Chemische Beschaffenheit. Die Zusammensetzung der Flüssig-
keit, welche die festen Theile des elastischen Gewebes durchtränkt oder
zwischen den Lücken und Höhlen desselben enthalten ist, kennen wir
nicht. Die feste Masse selbst zeichnet sich aus durch ihre Unlöslichkeit
in kalten verdünnten Mineralsäuren und ihre Schwerlöslichkeit in Kali-
lauge. Mit Säuren, Kali, Aether, Alkohol und Wasser gereinigt, zeigt der
Stoff die im I. Bd. p. 49 angeführte prozentische Zusammensetzung.
Seitdem jene Mittheilungen über unsern Stoff gemacht sind, hat Zolli-
kofer***) beobachtet, dass durch anhaltende Einwirkung von kochender
verdünnter Schwefelsäure nur Leucin, nicht aber Tyrosin oder Glycin,
aus ihm gewonnen werden kann.
3. Physikalische Eigenschaften. a) Im durchfeuchteten Zustand ist
seine Elastizität sehr vollkommen und sein Elastizitätscoeffizient ein nie-
driger. Seine Cohäsion ist unter allen Umständen beträchtlich, sie scheint
dabei jedoch nach verschiedenen Richtungen hin nicht gleichmässig zu
sein. — b) Seine endosmotischen Eigenschaften sind sehr unvollkommen
bekannt. Es zieht begierig Wasser an, quillt in kaltem Wasser bedeu-
tender als in heissem auf; im Gegensatz zum Bindegewebe wird es durch
Essigsäure nicht aufgeschwellt. Als Scheidewand zwischen diffundirende
Flüssigkeit aufgestellt, verhält es sich unter Umständen eigenthümlich;
so verwehrt z. B. nach Brücke das aus elastischem Stoff bestehende
Schaalenhäutchen des Hühnereis dem flüssigen Eiweiss den Durchgang;
dasselbe leistet die innere Arterienhaut, wenn sie vorher in einer zwei-
prozentigen Kochsalzlösung gelegen (C. Ludwig). Eine genauere Unter-
suchung der hier einschlagenden Eigenschaften wäre insbesondere wün-
Ludwig, Physiologie. II. 12
[178]Elastisches Gewebe.
schenswerth, wenn sich die Vermuthung rechtfertigt, dass die Haut der
Blutgefässcapillaren und die der feinsten Drüsengänge aus elastischem
Gewebe gebildet ist.
4. Ernährung. a) Die Zusammensetzung des festen Stoffs beweist,
dass er aus eiweissartigen Atomen hervorgegangen sein muss; eine Hin-
deutung auf die hierbei vorkommende chemische Umsetzung gewährt die
eben mitgetheilte Erfahrung von Zollikofer, welche darthut, dass aus
dem Eiweiss, indem es in elastisches Gewebe übergegangen, die Atom-
gruppe entfernt wurde, aus der das Tyrosin hervorgeht bei der durch
Schwefelsäure eingeleiteten Eiweisszersetzung. — Die Formfolge, welche
bei der Hervorbildung des elastischen Stoffs aus der Flüssigkeit auftritt,
ist bis dahin noch Gegenstand des Streites; einige Anatomen, unter ihnen
Schwann, Kölliker, Virchow und Donders, behaupten, dass es
ein Umwandelungsprodukt vorgängig entstandener Zellen sei, während
Henle*) aus der Untersuchung des Nackenbrandes die Berechtigung für
eine solche Annahme bestreitet. Bei der bekannten Gründlichkeit beider
Parteien kann die Ursache der Abweichung nur in der noch mangelhaften
Methodik gefunden werden. Die elastischen Gewebsformen gehören zu
denjenigen, welche sich auch im ausgewachsenen Organismus neu bilden
können. — b) Von den Veränderungen des einmal aufgebauten Gewebes
ist wenig bekannt. Seine Armuth an Blutgefässen lässt schliessen, dass
sein Umsatz während des Lebens gering sei; hiermit in Uebereinstimmung
steht die Thatsache, dass es bei Abmagerung aller übrigen Körperbestand-
theile an Gewicht und Umfang nicht beträchtlich abnimmt. Von einer
jeglichen Veränderung während des Lebens ist es jedoch nicht ausge-
schlossen, denn es kann an einzelnen Orten unter günstigen Umständen
schwinden, wie dieses thatsächlich an den Wandungen solcher Gefässe, deren
Lumen verschlossen wurde, feststeht. — Einen besondern Weg würde die
sich in ihm verbreitende Flüssigkeit finden, wenn die Röhrennatur der sog.
Kernfasern festgestellt würde; in diesem kleinen geschlossenen Canal-
system würde sich die Flüssigkeit, nachdem sie in dasselbe auf endosmo-
tischem Wege eingedrungen wäre, leicht verbreiten können.
Bindegewebe.
1) Der anatomischen Untersuchung **) nach besteht das Bindegewebe
aus strukturlosen sehr dünnen Häutchen (Reichert), in welche feinste
Fasern eingewebt sind; diese verlaufen, zu Bündeln vereinigt, der homo-
genen Grundlage bald gleichgerichtet und bald gekreuzt. Wo das Binde-
gewebe in grössern Massen zusammengehäuft auftritt, sind die Faserbün-
del in mehr oder weniger regelmässigen Abständen inniger zusammen-
geballt, so dass auf dem Querschnitt relativ faserfreie mit faserhaltigen
[179]Bindegewebe.
Partien abwechseln. In diesen Zwischenräumen (oder Lücken) lie-
gen in der strukturlosen Grundlage Zellen und auch Kernfasern oder
Kernfasernetze, welche auch unter dem Namen Bindegewebskörperchen
und Saftzellen gehen. Dieser letzte Name deutet darauf hin, dass die
Arme jener Netze, wie dieses Donders und Virchow vermuthen,
hohl sind.
2. Chemische Beschaffenheit. Die Formbestandtheile des Bindegewe-
bes sind im Leben mit einer Feuchtigkeit durchtränkt, und ausserdem
liegt in den Lücken zwischen den Blättern und Faserbündeln Feuchtig-
keit eingeschlossen. Ihre Zusammensetzung ist unbekannt. — Die festen
organischen Bestandtheile bieten, mit Alkohol, Aether und Wasser gerei-
nigt, die prozentische Zusammensetzung des Leims dar (Scherer und
Winkler). Wenn man aus dieser Thatsache schliesst, dass sich das
Bindegewebe beim Kochen ohne Veränderung seiner Zusammensetzung
in Leim auflöse, so ist damit nur ausgesprochen, dass die Analyse dieses
Körpers in sehr weiter Fehlergrenze nur das Richtige trifft. Ohne dieses
müsste man nemlich gerade das entgegengesetzte behaupten, weil Binde-
gewebe selbst da, wo es am reinsten vorkommt, einen noch sehr bedeu-
tenden Antheil anders zusammengesetzter Gewebe enthält, welche sich
beim Kochen nachweisslich nicht auflösen. Zellinsky*) fand den unlös-
lichen Rückstand der 4 — 6 Tage lang gekochten Sehnen zu 4 — 5 pCt.
Man hat sich erlaubt, auf die chemische Beschaffenheit der Bindegewebsflüssig-
keit zu schliessen aus derjenigen, welche beim Zellgewebsödem das Binde-
gewebe erfüllt, oder gar aus dem Safte, welcher in Folge von Entzündungen aus
den Gefässen des Bindegewebes austritt **). Diese letzte Annahme verdient keine Be-
rücksichtigung. Die Oedem erzeugende Flüssigkeit, welche nach Schmidt stark
alkalisch reagirt, besteht in 100 Theilen aus 0,36 pCt. organischer Bestandtheile
(die vorzugsweise Eiweiss aber keinen Faserstoff enthalten), aus 0,77 Salzen und
98, [...]7 Wasser. — Die Annahme einer Uebereinstimmung zwischen dieser und der
normalen Zellgewebsfeuchtigkeit dürfte darum gewagt erscheinen, weil, so weit wir
wissen, ein Oedem nur eintritt, wenn eine wesentliche Veränderung in der Zusammen-
setzung des Bluts vor sich gegangen, oder wenn der Strom in den Blutgefässen des
Bindegewebs in Folge einer Hemmung desselben in den Venen unter einer erhöhten
Spannung fliesst. — Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Lymphgefässe, und nament-
lich ehe sie in die Drüse eintreten, den Saft der Zellgewebslücken enthalten, wel-
chem wir, gestützt auf die Quellungserscheinungen, nicht ohne Weiteres dieselbe
Zusammensetzung zuschreiben dürfen mit demjenigen, der die feste Masse selbst durch-
feuchtet.
3. Ernährungserscheinungen. Das leimgebende Bindegewebe entsteht
unzweifelhaft aus eiweissartigen Stoffen, denn es enthält das Blut (oder
die Eistoffe) keinen Leim, und die Analogie in der Zusammensetzung
und der chemischen Constitution bürgt dafür, dass der Leim ein um-
gewandeltes Eiweiss ist. Hiermit befindet sich die Thatsache wenigstens
12*
[180]Bindegewebe.
nicht im Widerspruch, dass die sog. Granulationsgebilde, welche im Be-
griff stehen, zu Bindegeweben zu werden, und ebensowenig das in der
Bildung begriffene Bindegewebe des Fötus beim Kochen keinen Leim lie-
fern (Güterbock, Schwann)*). Wie diese Umwandlung des Eiweisses
in Leim vor sich geht, kann so lange nicht einmal vermuthungsweise
ausgesprochen werden, als man die Atomzahl beider Stoffe nicht kennt;
der gewöhnliche Ausdruck, dass dieser Vorgang zu den Oxydationspro-
zessen zähle, ist zwar begründet, denn es enthält in 100 Thln. der Leim
mehr Sauerstoff, als das Eiweiss, aber er ist in dieser Unbestimmtheit
wenig befriedigend.
Das Bindegewebe**) gehört zu den festen Bestandtheilen des Thier-
körpers, welche sich während des Wachsthums und auch in erwachsenem
Zustande sehr leicht neu bilden. Die Formen, welche man an den Orten
findet, an welchen neues Bindegewebe entsteht, sind mannigfache, und
zwar: 1) eine gedrängte Masse von rundlichen Kernzellen; 2) dieselben
Zellen in einer gallertartigen oder zähen formlosen Substanz eingebettet;
3) eine homogene zähe Masse, in der einzelne Zellen liegen, deren Wan-
dungen mit jener Masse verschmolzen sind; 4) kernhaltige Zellen, von
deren Wand Ausläufer abgehen, die mit den entsprechenden Verlängerun-
gen der benachbarten Zellen verschmelzen und somit Zellennetze dar-
stellen; in dem Raum, den diese Netze umschliessen, ist eine formlose
Masse eingebettet; 5) eine gedrängte Masse von platten, oblongen oder
aber von spindelförmigen Körperchen, die einen sog. Zellenkern enthalten.
Die schmalen Enden dieses Gebildes sind öfter mit den entsprechenden
Rändern der anstossenden verwachsen.
Je nachdem man diese Thatsachen verknüpft, lassen sich daraus
verschiedene Vorstellungen bilden über die Formenfolge des entste-
henden Bindegewebes. Man hat u. A. nachstehende Zusammenstellun-
gen versucht: 1) Das Bindegewebe geht hervor aus den vergrösserten
und verschmolzenen Zellenhäuten. 2) Die freien Kerne, welche in der
formlosen Grundmasse liegen, bestimmen ihre nächste Umgebung dahin,
sich loszureissen von den Nachbarorten, so dass damit die Grundmasse
in einzelne Plättchen oder Fasern zerfällt. 3) Die verästelten Zellenhäute
verwandeln sich in Bindegewebe. 4) Die ursprünglich strukturlose gallert-
artige Masse wird zähe, faltet oder fasert sich aus, die eingesprengten
Kerne verschmelzen mit derselben. 5) Die strukturlose Masse verändert
sich, wie unter 4 angegeben wurde, und die verästelten Zellen stellen
die Virchow’schen Bindegewebskörper dar. 6) Aus den Zellen gehen
Formen hervor, welche mit dem Bindegewebe im engern Wortsinn nichts
[181]Gemenge aus elastischem und Bindegewebe.
gemein haben, wie z. B. Gefässe, elastische Fasern u. dergl. — Es
dürfte kaum anzugeben sein, welche Meinung das Uebergewicht über die
andere hat, oder ob gleichzeitig mehrere oder vielleicht keine von ihnen
berechtigt ist.
Rücksichtlich der übrigen Erfordernisse für die Neubildung von Binde-
gewebe steht fest, dass sich dasselbe nur in denjenigen flüssigen Abson-
derungen bildet, welche in geringer Menge zwischen den festen Theilen
des thierischen Körpers sich finden, dass sich aber niemals die festen
Massen, welche frei in einer Flüssigkeit schwimmen, zu Bindegewebe
umformen. So tritt z. B. an die Stelle eines Blutpfropfs, der sich in
einer unterbundenen Arterie findet, mit der Zeit eine Bindegewebsmasse,
während eine Flocke von Faserstoff, die in einer Flüssigkeit schwimmt,
welche in einem serösen Sacke ausgetreten ist, niemals zu Bindegewebe
wird, und ebenso bilden sich auf dem Boden einer eiternden Fläche
Bindegewebsmassen, aber die Eiterkörperchen selbst, welche im Eiterserum
suspendirt sind, wandeln sich nicht darin um. — Eine andere Frage,
die man öfter erhoben aber niemals mit Sicherheit beantwortet hat, be-
steht darin, ob die Flüssigkeit Faserstoff enthalten müsse, wenn sie zur
Entstehung neuen Bindegewebes Veranlassung geben solle.
Ueber den Umsatz des einmal fertigen Bindegewebes ist nichts be-
kannt. Die gewöhnliche Annahme geht dahin, dass es sich unverändert
erhalte oder mindestens sehr wenig verändere. Die Gründe dafür findet
man darin, dass dasselbe nach dem Tode durch Fäulniss langsamer als
die Muskeln und Nerven verändert werde; darin, dass bei einer ein-
tretenden Abmagerung die vorzugsweise aus Bindegewebe bestehenden
Theile, wie z. B. die Sehnen, wenig an ihrem Umfang verlieren; und
endlich darin, dass viele der Bindegewebsorgane (Sehnen, Unterhautzell-
gewebe, seröse Häute) mit nicht sehr zahlreichen Gefassen versehen
sind. — Der Bindegewebssaft dagegen scheint einer stetigen Erneuerung
unterworfen zu sein; dieses geht daraus hervor, weil durch die Lymph-
gefässe, welche vorzugsweise (wenn nicht einzig) aus dem Bindegewebe
ihren Inhalt beziehen, während des Lebens ein ununterbrochener Strom
geht. Es scheint aber, als ob die Menge des Saftes, welche in das Ge-
webe ergossen wird, nicht zu allen Zeiten ein gleicher sei, weil auch
die Lymphgefässe bald mehr bald weniger strotzend gefüllt sind, ohne
dass irgend welcher Grund für eine nachweisliche Stromhemmung in
ihnen vorhanden wäre.
Gemenge aus elastischem und Bindegewebe.
Aus einer Verbindung des elastischen und des Bindegewebes, bei
der bald das eine und bald das andere überwiegt, sind sehr zahlreiche
Platten, Stränge, Beutel, Falten u. s. w. aufgebaut. Wir erinnern hier
nur an die Cutis mit dem panniculus, die Schleimhäute mit der tunica
nervea, die Faszien, die weiten und engen Gefäss-, Muskel- und Sehnen-
[182]Seröse Häute.
scheiden, die Sehnen, die serösen Häute, die Sclerotica, Cornea u. s. w.
Woher die auffallenden Abweichungen, die sich beziehen auf das Ueber-
gewicht entweder des Binde- oder des elastischen Gewebes, die Anord-
nung und Gedrängtheit der Bindegewebswindeln u. s. w., rühren, ist
unbekannt. Je nach dem Gefässreichthum und ihrer Einordnung in an-
dere Gewebe und Flüssigkeiten werden ihre Lebenseigenschaften mannig-
fach verschieden sein, Verschiedenheiten, die wir an mancherlei Orten
hervorgehoben haben und noch hervorheben werden.
Die Rolle, welche die auf diese Art zusammengesetzten Gebilde spie-
len, ist, so weit wir wissen, meist bedingt durch ihre cohäsiven und ela-
stischen Eigenschaften. Unter diesem Gesichtspunkte haben wir Sehnen
und Faszien schon erwähnt; hier heben wir nur noch kurz die Cutis
hervor, welche einmal ein elastischer Ueberzug über alle andern tiefer
gelegenen Organe darstellt, und dann als Lager der Haarbälge, der Ge-
fässe für die Absonderung der Oberhaut, der Schweiss- und Fettdrüsen
und endlich als ein Hilfswerkzeug für den Tastsinn hervorragt.
In anderer Weise als die bisher aufgezählten Gebilde sind die serö-
sen Häute, die Sehnenscheiden und die Cornea wichtig. Wir führen sie
darum noch besonders vor.
Seröse Häute.
1. Anatomische Beschaffenheit. Die serösen Häute bestehen bekannt-
lich aus elastischem und Bindegewebe, auf ihrer freien Fläche sind sie
meistentheils mit einem Epithelium besetzt, das bald ein einschichtiges und
bald ein mehrschichtiges ist. Die Zellen selbst gleichen denen in der
mittleren Lage der Epidermis. Nach einzelnen Autoren (Todd und
Bawmann) sitzen diese nicht unmittelbar auf dem Bindegewebe, son-
dern auf einer sehr dünnen, glashellen, strukturlosen Membran, die sich
zwischen die Deckzellen und das Bindegewebe einschiebt.
2. Seröse Flüssigkeiten. In der Höhle der serösen Säcke ist eine
Flüssigkeit enthalten, die an den verschiedenen Orten nach Zusammen-
setzung und Menge Abweichungen bietet. Wir werden sie der Reihe
nach aufzählen.
a. Hirnwasser*). In den Lücken zwischen Arachnoidea und der
Hirn- und Rückenmarksfläche, wenn man will in den Maschen der ober-
flächlichsten Gefässhautschichten, liegt eine Flüssigkeit, welche aus Ei-
weiss, Extraktivstoffen und den Salzen des Bluts besteht. — Die quan-
titative Zusammensetzung derselben scheint bei verschiedenen Individuen
und selbst dann, wenn sie in krankhaft vermehrter Menge abgesondert
wird, wenig Verschiedenheit zu bieten.
[183]Hirn -, Herz -, Brust-, Bauchwasser.
Nach den Analysen von Tennant, Bostock, Marcet, Lassaigne,
L’heritier, Barruel, Haldat, Berzelius, Mulder, Landerer
und C. Schmidt liegt ihr Wassergehalt zwischen 98,0 und 99,1 pCt.
Unter den festen Bestandtheilen findet sich 1,3 bis 0,05 Eiweiss, 0,4
bis 0,2 Extrakte und 1,0 bis 0,5 Salze; in diesen letztern ist das Na Cl
das vorwiegende. Als Beispiel geben wir eine vollkommene Analyse von
C. Schmidt: Wasser = 98,67; 2 NaO PO5 = 0,06; KO SO3 = 0,01;
NaO = 0,18; Ka Cl = 0,22; Na Cl = 0,44; 3 CaO PO5 u. 3 MgO PO5
= 0,03. Nach den Beobachtungen von Schmidt soll ein wesentlicher
Unterschied zwischen den in der Hirnhöhle und den auf der Hirnober-
fläche enthaltenen Flüssigkeiten bestehen. Die erstere soll constant nur
Spuren von Eiweiss zeigen, während die letztere eiweisshaltiger ist. Die
Wahrscheinlichkeit, dass diese Zusammensetzung den Flüssigkeiten während
dem Leben angehöre und namentlich nicht in der Leiche wesentliche
Veränderungen erfahren habe, wird begründet durch die gleichlautende
Analyse des Hirnwassers, was man durch Punktion von lebenden Wasser-
köpfen (Landerer, Schmidt) oder aus lebenden Thieren gewonnen
hat (Lasseigne, Schmidt). Wenn die Flüssigkeit durch Punktion
entleert wird, so bildet sie sich rasch von Neuem, und es zeigt die neue
Flüssigkeit die Zusammensetzung der frühern (Schmidt).
b. Herzwasser*). Der flüssige Inhalt des Herzbeutels ist bei ge-
sunden Enthaupteten von Lehmann und Gorup untersucht. In 100
Theilen wechselte das Wasser zwischen 95,51 bis 99,2, das Eiweiss
zwischen 2,47 bis 0,88, die Extrakte zwischen 1,27 bis 0,1, die Salze
zwischen 0,73 bis 0,1. Ein faserstoffhaltiges Gerinnsel liess unter den
drei Beobachtungen nur eine Flüssigkeit fallen.
Krankhafte Ansammlungen sind häufiger mit sehr wechselnden Resultaten unter-
sucht worden; sie erwiesen sich ebenfalls bald faserstoffhaltig und bald faserstofffrei.
Unter den Salzen überwog immer das Kochsalz.
c. Brustwasser**) Der Inhalt der Pleura ist noch nicht aus
dem lebenden gesunden Menschen oder Thier untersucht worden. —
Wenn das Brustwasser krankhaft vermehrt ist und dann abgelassen wird,
so ersetzt es sich rasch wieder, vorausgesetzt, dass sich die Lunge nicht
mehr bis zur vollständigen Ausfüllung des Brustraums ausdehnen kann.
Wird dann die Flüssigkeit wiederholt abgelassen, so besitzt sie jedesmal
annähernd dieselbe Zusammensetzung (Vogel, Scherer, Schmidt).
d. Bauchwasser. Dasselbe ist nur dann untersucht, wenn es in
krankhafter Menge abgeschieden war. Man fand dann in ihm constant
Eiweiss, Extrakte und die Blutsalze; in einzelnen Fällen Faserstoff, Harn-
stoff (bei Nierenleidenden?), Zucker, Fette und Gallenpigment. — Wird
[184]Hodenwasser, Gelenkschmiere, Schleimbeutel.
die Flüssigkeit entleert, so entsteht sie meist rasch wieder und behält
die Zusammensetzung, die sie ursprünglich besass (Schmidt, J. Vogel).
Vergleichung der Eigenschaften von den Flüssigkeiten der Hirn-, Brust- und
Bauchhöhle. Aus einer grössern Zahl von Beobachtungen des Hirn-, Brust- und
Bauchwassers an verschiedenen Individuen und einer gleichzeitigen an den drei Flüs-
sigkeiten desselben Menschen zieht Schmidt einige allgemeine Schlüsse. — a. Der
Eiweissgehalt der wässrigen Ergüsse in den genannten Höhlen erreicht niemals den
des Blutserums. — b. Findet gleichzeitig in einem Individuum eine vermehrte Abson-
derung in den drei Höhlen statt, so ist in dem Hirnwasser am wenigsten und in dem
Brustwasser am meisten Eiweiss. — c. Der Gehalt der Flüssigkeiten an Salzen ist
derselbe. — d. Diese Positionen bedürfen noch weiterer Bestätigungen, namentlich
widersprechen der zweiten die Erfahrungen von Lehmann*).
e. Hodenwasser. Die Flüssigkeit der vagina testis propria, die
nur bei krankhafter Vermehrung derselben untersucht wurde, enthält
ausser den wiederholt aufgezählten Bestandtheilen der übrigen serösen
Säfte meist nach Cholestearin in reichlicher Menge. Die Verhältnisse, in
denen die genannten Stoffe gemischt sind, und namentlich die Menge
des Eiweisses und Cholestearins wechselt ohne bekannte Veranlassung so
ausserordentlich, dass die Zahlenwerthe ohne Bedeutung sind.
f. Gelenkschmiere. Ihre Bestandtheile sind diejenigen, welche
den serösen Flüssigkeiten überhaupt zukommen und ausserdem noch
Schleimstoff und unter allen Umständen abgestossene Epithelialzellen.
Die quantitative Zusammensetzung soll nach Frerichs**) mit dem Alter
und dem Bewegungszustande des Gelenkes wechseln; er stützt sich hier-
bei auf die Untersuchung je eines Falles.
Nach Frerichs enthält die Synovia:
Die Gelenke des jungen und des ruhenden Thiers enthielten mehr
Flüssigkeit als die des sich bewegenden. — Die abgestossenen Epithe-
lialschuppen sollen sich nach Frerichs mit Hinterlassung der Zellen-
kerne in der alkalisch reagirenden Gelenkschmiere auflösen und diese
Auflösung soll die Quelle des Schleims sein. Nach Luschka***) dage-
gen soll sich die Höhlung der Zellen mit Fett füllen, worauf diese selbst
allmählig zu Grunde gehen.
Sehnenscheiden und Schleimbeutel. Die Wand dieser
[185]Hornhaut.
Höhlungen schliesst sich den serösen Säcken insofern an, als sie
aus einer Grundlage von Bindegewebe und einer diesem aufsitzen-
den, nach der Höhlung gerichteten einfachen Pflasteroberhaut besteht;
die vollkommene Uebereinstimmung wird aber getrübt, einmal dadurch,
dass die Bindegewebshaut der meisten Schleimbeutel und alle Sehnen-
scheiden keinen vollkommenen Sack von den anliegenden Bindegewebs-
räumen abschliesst, und nächstdem auch durch die unvollkommene Ueber-
kleidung der vorhandenen Wände mittelst Oberhaut. — Die schlei-
mige, nach dem äussern Ansehen der Gelenkschmiere ähnliche Flüssig-
keit, welche in diesen Höhlen enthalten ist, hat noch keine Untersuchung
erfahren. In ihr setzen sich häufig durchscheinende, gelbliche Klümp-
chen eines stark mit Flüssigkeiten durchtränkten Stoffes ab. Nach Vir-
chow*) reagiren sie stark alkalisch, lösen sich nur theilweise in Was-
ser, hinterlassen verbrannt eine stark alkalische Asche und stellen sich
durch ihre Reaktion unter die eiweissartigen Stoffe. Mit Schleim sind
sie nicht identisch.
Hornhaut.
1. Der anatomische Bau der Hornhaut**) im engern Wortsinn ist
aus zwei Elementen aufgeführt; aus faserigen Platten und aus sternför-
mig verästelten Zellen (Virchow und Toynbee). Die ersteren, welche
unmittelbar in die Bindegewebsbüschel der Sclerotica übergehen, verlau-
fen in Ebenen, die der Hornhautfläche gleichläufig sind. In eben sol-
chen Ebenen hält sich auch die grösste Zahl der sternförmig verästelten
und mit ihren Armen anastomisirender Zellen, so dass Faser und Zellen-
lage abwechseln. Henle schätzt die Zahl dieser Schichten auf 300.
Die Scheidung zwischen je zweien derselben ist nun freilich keine voll-
kommene, weil die faserigen Bündel sehr häufig Verbindungsäste von
einer zur andern Platte schicken; immerhin erzeugt aber dieser Bau auf
dem dicken Durchmesser der Cornea ein annähernd regelmässiges Ab-
wechseln der Cohäsion. Innen und aussen liegen der Hornhaut bekannt-
lich elastische Plättchen und Deckzellen auf, welche als Binde- und Was-
serhaut bekannt sind.
2. Chemische Eigenschaften. Das Fasergewebe giebt beim Kochen
Chondrin (J. Müller). Die eingelagerten Körperchen zeigen die Reaktio-
nen des elastischen Gewebes. Die Flüssigkeit, welche die Hornhaut
durchtränkt, ist nach Funcke eiweiss- und caseinhaltig.
3. Die einzige physikalische Eigenschaft, welche genauer untersucht
wurde, der Brechungscoeffizient, ist im I. Bd. p. 204 erwähnt. Neuer-
lich ist er von W. Krause***) in einer ausgedehnten Arbeit einer gründ-
lichen Revision unterworfen worden und im Mittel aus 20 Bestimmun-
[186]Cornea, Augenwasser.
gen am Menschenauge (Wasser = 1,3358) zu 1,3516 gefunden worden.
Die Grenzen lagen zwischen 1,3447 und 1,3586. Die Durchsichtigkeit
der Cornea ist wesentlich mit bedingt durch die Anwesenheit der eigen-
thümlich zusammengesetzten in ihrem Gewebe enthaltene Flüssigkeit.
Dieses geht daraus hervor, dass sich die Cornea beim Trocknen und
beim Aufquellen im destillirten Wasser trübt.
4. Ernährungserscheinungen. Von der Entstehung der Hornhautstoffe
und Formen ist uns so gut wie nichts bekannt; die Erfahrung lehrt,
dass sich auch im ausgewachsenen Kaninchen ein aus der Cornea ge-
schnittenes Stück vollkommen wieder herstellen könne. Auf der ver-
letzten Oberfläche erscheinen zuerst kleine Fetttröpfchen, dann kugelige
Kernzellen, die sich nach wenigen Tagen schon in ein deutliches Epi-
thelium umgewandelt haben. Von der kugeligen Zellenschicht aus sieht man
dann die Entstehung neuer Hornhautschichten vor sich gehen, die genau
das optische Verhalten der älteren darbieten. Gefässbildung wurde hierbei
nicht beobachtet (Donders)*). Die Veränderungen der fertigen Hornhaut,
soweit dieselben überhaupt stattfinden mögen, geschehen unter dem Ein-
fluss der Flüssigkeiten, welche in den Blutgefässen des Cornealrandes,
in den kleinen rautenförmigen Lücken zwischen den Hornhautplatten
(Bowmann’s Hornhautröhren), in den Höhlen der sternförmigen Zellen
und in der vordern Augenkammer enthalten sind. Der Einfluss der wäs-
serigen Augenfeuchtigkeit, welcher vielfach bestritten worden ist, kann
nicht mehr geläugnet werden, seitdem Coccius gezeigt hat, dass in
der vordern Augenkammer eingesprützte Farbstofflösung durch die des-
zemetische Haut hindurch in das Hornhautgewebe eindringt. Worin aber
die Umsetzungen der lebenden Hornhaut bestehen, und wie sich die in
den einzelnen Behältern eingeschlossenen Flüssigkeiten an derselben be-
theiligen, ist noch nicht bekannt.
Augenwasser.
Diese Flüssigkeit enthält Eiweiss, Extrakte, Chlor-
natrium und geringe Mengen der andern Blutsalze in Auflösung. Nach
einer Analyse von Berzelius**) und zwölfen von Lohmeyer***)
schwanken in Kalbsaugen ihre festen Bestandtheile zwischen 1,07 und
1,50 pCt., der organische Antheil derselben bewegt sich zwischen 0,38
und 0,59 (= 28,1 bis 45,4 pCt. des Rückstandes). — Zieht man aus
allen Analysen Lohmeyer’s das Mittel, so erhält man: Wasser =
98,60; feste Bestandtheile = 1,31; davon organische = 0,467; unor-
ganische = 0,846; Natronalb. = 0,122; Extrakte = 0,421; Na Cl =
0,689; Ka Cl = 0,011; KO SO3 = 0,022; phosphorsaure Erden = 0,021;
Kalkerde = 0,026. Den Brechungscoeffizienten bestimmt W. Krause
im Mittel aus 20 Versuchen zu 1,3428 (Wasser = 1,3358). Wenn das
[187]Glaskörper. Linse.
Augenwasser durch Punktion der Hornhaut entleert wird, so sammelt es
sich rasch wieder an; die neu entstandene Flüssigkeit enthält häufig so
viel Faserstoff, dass sie nach der Entleerung durchweg gerinnt. — Die
Gefässe, aus denen sie ausgeschieden wird, sind wahrscheinlich diejeni-
gen der Iris- und der Ciliarfortsätze, weil mit einer Stockung des Blut-
laufs in denselben sich die Zusammensetzung der Flüssigkeit so weit
ändern kann, dass in ihr Eiterkörperchen entstehen.
Glaskörper.
Er besteht aus regelmässig geschichteten Häuten, die durch eine
wässerige Lösung von Eiweiss, Harnstoff (Millon, Wöhler, Mar-
chand), Extrakten und Salzen von einander getrennt sind. Nach
den Beobachtungen von Berzelius, Frerichs und Lohmeyer
schwankt der Wassergehalt des Glaskörpers zwischen 98,23 und 98,86 pCt.;
der feste Rückstand, welcher im Mittel 1,36 pCt. beträgt, enthielt von
0,39 bis 0,48 pCt. organische Bestandtheile. Aus seinen Analysen leitet
Lohmeyer die mittlere Zusammensetzung des Glaskörpers ab, zu Was-
ser = 98,64; Häute = 0,02; Natronalbuminat = 0,14; Fettspuren;
Extrakte = 0,32; Na Cl = 0,77; Ka Cl = 0,06; Ka SO3 = 0,01;
3 (MgO, CaO, Fe2O3) PO5 = 0,02; CaO = 0,01.
Die Schwankungen in der Zusammensetzung lassen die endosmoti-
schen Beziehungen zwischen der Blut- und der wasserigen Flüssigkeit
erkennen; ein Verhalten, was bestätigt wird durch die Erfahrung, dass in
dem mit Krapproth gefütterten Thier sich seine Flüssigkeit färbt. — Wird
der Glaskörper nach der Geburt zerstört, so bildet er sich nicht wieder.
Virchow giebt an, dass der Glaskörper Schleim enthalte; diese Thatsache er-
wartet noch ihre Bestätigung. — Nach Lohmeyer enthält derselbe nicht immer
Harnstoff.
Nach Krause ist der Brechungsindex im Mittel = 1,3506 (Wasser
= 1,3358), die Grenzen liegen bei 1,3586 und 1,3377.
Linse.
1. Anatomische Eigenschaften. Die strukturlose Linsenkapsel trägt
auf der Innenfläche ihrer Vorderwand eine Decke von kernhaltigen Pflaster-
zellen (Henle)*), an der sich nach Innen unmittelbar die Linsenröhren
mit ihren feinen Wandungen und sehr durchsichtigem Inhalt auschliessen.
An dem Rand zwischen hinterer und vorderer Fläche befinden sich nach
Kölliker**) Uebergänge zwischen den Epithelialzellen und Linsenröhren.
Der Kern enthält keine deutlichen Röhrenelemente mehr. Die Schichtung
der Linsenfaserung führt zu Blättern, welche der Kapselwand gleich laufen.
2. Chemische Zusammensetzung. Von der Kapselhaut weiss man
bis dahin nur, dass sie sich bei anhaltendem Kochen in zwei durch ihre
Reaktionen verschiedene in Wasser lösliche Stoffe umsetzt (Strahl). —
[188]Linse.
Der flüssige Röhreninhalt hält einen Stoff in Auflösung, der nach Mul-
der’s Analyse zu den eiweisshaltigen mit locker gebundenem Schwefel
gehört; seiner Reaktion nach stellt ihn Berzelius zum Globulin. Fällt
man denselben durch Erhitzen aus der Flüssigkeit, so soll, wie Ber-
zelius berichtet, eine saure Extraktflüssigkeit zurückbleiben, welche in
ihren Eigenschaften an die Fleischflüssigkeit erinnert. Nach Lohmeyer
kommt in der Linse ziemlich viel Cholestearin vor. — Sie enthält
0,35 pCt. Asche, also nur etwa halb so viel als im humor aqueus vor-
handen ist.
3. Physikalische Eigenthümlichkeiten. Die Kapselhaut ist sehr ela-
stisch, aber nicht sehr fest. — Das spez. Gewicht der Faserung soll an
dem Linsenumfang = 1,076 und im Linsenkern = 1,194 betragen
(Chevenix). Zu den brechenden und polarisirenden Eigenschaften der
Linse, die schon früher erwähnt (Bd. I. p. 204 u. 222) sind, fügt
W. Krause, dass der Brechungscoeffizient des äussern Linsenstratum =
1,4071, der mittlere = 1,4319 und des Kernes = 1,4564 (Wasser =
1,3358) sei. Die Füllung der Linsenröhren mit einer conzentrirten
Eiweisslösung kommt unzweifelhaft der Durchsichtigkeit zu Gute. Diese
Flüssigkeit wirkt hier ganz nach demselben Prinzip, nach welchem
Brücke mit einer ähnlichen die Darmhaut zu mikroskopischen Unter-
suchungen durchsichtig machte. Die Gegenwart des Eiweissstoffes hebt
nemlich den Unterschied des Brechungscoeffizienten zwischen Wasser
und den Häuten der Linsenröhren auf.
4. Die Linsenernährung. — Bei der Vergrösserung der Linse wäh-
rend des Wachsthums nimmt die Zahl, nicht aber der Umfang der Röh-
ren zu (Harting). Die Linsenröhren bilden sich nur unter Beihilfe
der Kapsel, wie von Valentin*) durch Versuche am Kaninchen, Söm-
mering und Textor durch Beobachtungen am Menschen erwiesen
ist. Die Formfolge, welche bei ihrer Entstehung vorkommt, beschreibt
H. Meyer**) in der Art, dass zunächst Epithelialzellen auftreten, welche
allmählig zu Röhren auswachsen und sich dabei über die vordere und
hintere Linsenfläche gleichzeitig hinüberschlagen. Die jüngsten Schich-
ten der Linse sind demnach auf der vorderen mit Epithelien bedeckten
Wand zu suchen, während die ältesten den Kern einschliessen. Die
Kapselwand ist also die Form, in welche die Linse gegossen. — Daraus
folgt, wie Valentin bestätigt, dass die Schichtung der Linse, welche sich
in einer entleerten Kapsel neu bildete, Unregelmässigkeiten zeigen muss, da
die Vorderwand der letztern durch den Einschnitt theilweise zerstört und
jedenfalls verbogen ist. Die chemischen Umsetzungen, welche diese Ent-
stehung begleiten, sind unbekannt; der zur Bildung führende Stoff wird
bei dem ersten Auftreten aus einem Blutgefässnetz geliefert, welches in
[189]Knorpel.
der Fötalperiode bis zu der Kapsel reicht. Bei der Regeneration der aus-
geschnittenen Linse muss er durch die wässerige Feuchtigkeit hindurch
wandern. — Verwundungen der Kapsel heilen beim Thier leicht, schwe-
rer beim Menschen (Dieterich). Die ausgebildete Linse soll während
der Lebensdauer in Umsetzungen begriffen sein. Für diese Behauptung
fehlt allerdings das beweisende Maass, aber sie ist sehr wahrscheinlich.
Denn einmal ist die Natur der flüssigen Linsensubstanz zur Umsetzung
geneigt, und die von Berzelius, wenn auch noch so unvollkommen
beobachteten Extrakte deuten auf das Bestehen einer solchen Umsetzung
hin Dabei braucht man aber nicht nothwendig an ein stetiges Auflösen
und Neubilden von Linsenröhren zu denken, obwohl dieser Vorgang vor-
kommen könnte. Man fühlt sich sogar veranlasst, an ihn zu denken,
weil nur die Vorderfläche der Linsenzellen und der Linsenränder Mittel-
stufen zwischen diesen und ausgebildeten Röhren tragen. Analog der
Epithelienlagen kommen also die jüngern Formen an der Seite vor, wo
die Linse mit einer Gefässschicht, in unserm Fall mit den hintern Iris-
gefässen und den Ciliarfortsätzen in Berührung ist. — Die eigenthüm-
liche Lagerung der Linse scheint auch eine Regeneration der Eiweissstoffe
zu verlangen; denn es sind diese in dem Wasser der vordern Augen-
kammer und in der Glasfeuchtigkeit löslich (Auflösung der Linse bei der
Zerstückelung), die Kapselhaut erlaubt ihren Durchgang, also müssen sie
in diese Flüssigkeiten diffundiren, und weil sie hier nicht vorkommen, so
müssen sie auch wieder von da entfernt werden, sodass die Diffusion zwi-
schen Linseninhalt und umgebenden Flüssigkeiten unverändert fortdauert.
Knorpel.
1. Anatomische Beschaffenheit*) Im Knorpel unterscheidet der
Anatom die eingeschachtelten oder Tochterzellen, die umschliessenden
oder Knorpelzellen und die Zwischen- oder Grundsubstanz. Diese drei
Bestandtheile sind so zusammengeordnet, dass in der Grundsubstanz
kleine, scharf begrenzte Höhlen eingelagert sind, deren selbstständige
Wandung mehr oder weniger innig mit der Grundsubstanz verwachsen ist.
Diese Höhlen (Knorpelzellen) schliessen einen flüssigen Inhalt ein, in wel-
chem constant kernhaltige Zellen (Tochterzellen) zuweilen neben Fetttröpf-
chen und dunklen Krümeln schweben. Während die umschliessenden
und eingeschachtelten Zellen an den verschiedenen Fundorten der Knor-
pel neben untergeordneten Abweichungen in der Grösse und der Gestalt
[190]Knorpel.
überall dieselben bleiben, ist die Struktur der Grundsubstanz tiefgreifen-
den Abänderungen unterworfen, die zum Theil mit bestimmten chemi-
schen Eigenschaften Hand in Hand gehen. An einigen Orten ist nem-
lich die Grundsubstanz homogen und durchscheinend, oder körnig und
mit unregelmässigen, weiche Masse enthaltenden, Lücken versehen; oder
sie ist faserig; diese Fasern können nun bald steif und geradlinig be-
grenzt, bald aus den fein gewellten Bindegewebsfibrillen, bald endlich
aus den netzförmigen, elastischen Fasern gebildet sein. An den Orten,
an welchen die Grundsubstanz durch elastisches Gewebe gebildet wird,
sollen von der Wand der umschliessenden Zellen feine Fasern aus-
laufen.
Remak beschreibt an den Wandungen der umschliessenden Zellen eine dop-
pelte Haut, die innere, die Höhle unmittelbar umgrenzende, und eine äussere, welche
von der innern durch eine mehr oder weniger dicke Lage durchsichtiger, chondrin-
haltiger Masse (der sog. Grundsubstanz) getrennt ist. — Die Anwesenheit von ein-
geschachtelten Zellen scheint neuerlichst ganz geläugnet zu werden (Bruch).
2. Chemische Zusammensetzung*). — Die durchscheinende, kör-
nige oder glattfaserige Zwischensubstanz enthält vorzugsweise die-
jenigen Bestandtheile, aus denen beim Kochen das Chondrin entsteht.
Denn es wird beim Kochen nur die Grundsubstanz aufgelöst, wäh-
rend die Zellen ungelöst zurückbleiben (Mulder, Donders). Die
Wand der Knorpelzellen soll annähernd die Reaktionen des elastischen
Gewebes darbieten; der Inhalt der Knorpelzellen besteht zum Theil
aus Fett. — Der hyaline Knorpel hinterlässt beim Verbrennen eine
Asche, die aus Cl, SO3, PO5, CO2, MgO, CaO, NaO besteht. — Von die-
sen Mineralbestandtheilen bildet sich sicherlich die SO3 aus dem Schwe-
fel der Chondrigens; die PO5, welche mit CaO verbunden ist, scheint
in dem Chondrigen enthalten zu sein; denn jede Chondrinlösung führt
phosphorsaure Kalkerde. Die prozentische Zusammensetzung des Knor-
pels ist sehr variabel, wie es schon die mikroskopischen Ansichten des-
selben erwarten lassen. Bibra fand in 100 Theilen festem Rückstand
30 bis 46, und in diesem Asche 2 bis 7 Theile. — Der Knorpel mit
einer Grundsubstanz aus Bindegewebe liefert beim Kochen Colla; ob
auch Chondrin, ist zweifelhaft. Man erhält dieses letztere dagegen aus
elastischem Knorpel; da sich hierbei die Knorpelzellen erhalten und
nur insofern sich verändern, als ihre Wand sich verdünnte (Mul-
der, Donders, Hoppe), so muss Chondrigen in den Verdickungs-
schichten enthalten sein. Das Zwischengewebe der zuletzt erwähnten
Knorpelart ist elastischer Stoff.
[191]Knorpel.
Zu den über Chondrin mitgetheilten Thatsachen ist nach neuern Beobachtungen
noch mitzutheilen: durch SO3 kann aus ihm Leucin, aber kein Glycocoll erhalten
werden. Beim Behandeln mit Kalilösung soll es dagegen unter Ammoniakentwick-
lung Glycocoll liefern. Im schmelzenden Kali soll es sich in Leucin, Oxalsäure und
eine neue Säure zersetzen, durch Chromsäure ist aus ihm Blausäure, aber keine
Ameisen- und Essigsäure zu gewinnen; bei der Fäulniss entsteht ausser einem an-
dern krystallinischen Körper Leucin. Salpetersäure giebt zur Entstehung von Xan-
thoproteinsäure Veranlassung (Hoppe). Da die erwähnten Stoffe nicht durch die
Elementaranalyse als solche festgestellt sind, so verdient die Untersuchung eine
Wiederholung. — Durch längeres Kochen wandelt sich das Chondrin in eine nicht
gerinnbare Modifikation um (Hoppe). Die Reaktionen der Chondrinlösung seien
nicht immer dieselben, behauptet Zellinsky; insbesondere soll dieses der
Fall sein mit verschiedenen Portionen löslicher Substanz, die man aus dem Knorpel
je nach der Dauer des Kochens gewinnt.
3. Wachsthum und Ernährung. In der Fötalperiode werden die
einfachen Bildungszellen an den Orten, die späterhin Knorpel enthalten,
allmählig grösser, und nehmen statt der kugeligen eine Eiform an, zu-
gleich verdickt sich die Wand. Die Veränderungen im wachsenden Knor-
pel sind nun nicht an allen Oertlichkeiten übereinstimmend. — Ver-
gleicht man die Rippenknorpel eines Neugeborenen und Erwachsenen,
so zeigt sich, dass die Gesammtsumme der Höhlen im erwachsenen
Knorpel abgenommen, die Höhlungen selbst grösser geworden und durch
eine stärkere Einlagerung von Grundgewebe auseinander gedrängt sind
(Harting)*). Macht man zu diesen Erfahrungen die allerdings noch
zu beweisende Voraussetzung, dass die einmal gebildete Knorpelzelle
während der ganzen Lebensdauer Bestand hat, so würde gefolgert werden
müssen, dass Zellenraum und Grundgewebe gleichzeitig an Ausdehnung
zunehmen; zugleich aber darf die Einlagerung auf der einen und die Auf-
lösung auf der andern Seite nicht gleichen Schritt halten; namentlich
muss die Auflösung öfter so weit sich erstrecken, dass zwei Knorpel-
höhlen miteinander verschmelzen, weil sonst die Zahl derselben im Er-
wachsenen nicht geringer als in der Jugend sein könnte. Neben den
geschilderten Wachsthumserscheinungen treten in den hyalinen Knorpeln
noch andere sichtbare Veränderungen auf. Insbesondere wird die Grund-
substanz körnig, faserig, zuweilen auch so erweicht, dass sich grössere
oder kleinere unregelmässige Höhlen bilden, die sich mit Fetttröpfchen,
Blutgefässen, Bindegewebe füllen (H. Meyer, Donders). Dazu kommt,
dass an einzelnen Orten die Knorpelhöhlen sich wiederum verkleinern,
wobei es das Ansehen gewinnt, als sei eine Scheidewand durch eine
grössere Höhlung gewachsen, welche einen Raum in zwei getheilt habe. —
In den Faserknorpeln dagegen, namentlich in der lig. intervertebralia und
den Synchondrosen sind ausnahmslos die Zellenhöhlen des spätern Le-
bens kleiner als die des frühern, da die ältere Wand aus conzentrischen
[192]Knochen.
Schichten besteht, so scheint es fast, als sei die Zellenhöhle durch pe-
riodisch auf die innere Wandfläche erfolgende Absätze verengert worden
(Donders).
Der Knorpel gehört zu den Formbestandtheilen, welche sich auch
im Erwachsenen neu bilden können. Um so auffallender ist es, dass
Knorpelwunden durch Bindegewebe heilen (Redfern)*).
Da der Knorpel nur äusserst selten mit Gefässen durchzogen ist,
so müssen die Flüssigkeiten durch Diffusion fortschreiten, welche die
Atome ein- und ausführen zum Vortheil des Stoffumsatzes, der nach den
anatomischen Beobachtungen unzweifelhaft vorhanden ist.
Das Wenige, was wir über physikalische Eigenschaften kennen, ist
schon früher erwähnt (Bd. I. p. 364).
Knochen.
1. Anatomische Beschaffenheit**). Die Knochenmasse setzt sich aus
dünnen miteinander verwachsenen Platten zusammen, welche in conzen-
trischen Lagen um die mikroskopischen Röhren geschichtet sind, die
als Leitungsröhren der Blutgefässcapillaren den Knochen netzförmig durch-
ziehen. Die Substanz der Knochenplättchen (also die knöcherner Wan-
dungen der Gefässröhren), welche öfter optisch homogen, zuweilen aber
auch gekörnt erscheint, ist abermals von einem besondern Höhlensystem,
den Knochen- oder Strahlenkörperchen und ihren Ausläufern, durch-
brochen. Ein jedes dieser Strahlenkörperchen ist nemlich nichts anderes
als eine eiförmige Lücke in der Knochensubstanz, von welcher eine grös-
sere oder geringere Zahl hohler Ausläufer ausstrahlt; die Ausläufer be-
nachbarter Knochenkörperchen anastomisiren mit einander, und diejenigen,
welche unmittelbar an die Gefässröhren und an die Knochenoberfläche
grenzen, münden frei in die ersteren und unter das Periost, so dass durch
jeden Knochen ausser dem Netz der Gefässröhren noch ein zweites ausser-
ordentlich viel feineres, aber dafür dichteres und verbreiteteres, herläuft.
Da die Knochenkörperchen in den Knochenschichten in ziemlich regel-
mässigen Abständen gelagert sind, so bilden die Verbindungslinien der-
jenigen von ihnen, welche in einer Horizontalebene liegen und zu
einem der conzentrisch gelagerten Knochenplättchen gehören, eine ähn-
liche Form wie die Contour der Knochenplättchen selbst, d. h. die Zellen-
höhlen liegen abermals in mehreren Lagen conzentrisch um die Gefäss-
röhren. Zu den beiden eben beschriebenen Lückensystemen kommt end-
lich noch ein drittes sehr unregelmässig gestaltetes, welches vorzugsweise
das Innere des Knochens durchzieht, wo es als Markhöhle, diploetisches
oder spongiöses Gewebe bekannt ist. — Jede der drei Höhlenarten schliesst
nun auch besondere Weichgebilde ein. Die strahlenförmigen Höhlen
[193]Knochen.
und ihre Strahlen sind nach Virchow*) ausgekleidet mit einem ihren
Wandungen eng anliegenden Häutchen; fasst man also die Haut der
eiförmigen Höhle als einen Zellenkörper und die der Ausläufer als Zel-
lenstrahlen auf, so kann man sich auch dahin ausdrücken, dass der Knochen
von einem Netz strahlig verästelter, anastomosirender Zellen durchzogen
sei. Jedes Körperchen schliesst ausserdem noch ein anderes kleines
Zellengebilde, einen sog. Kern, und Flüssigkeiten in sich. Die Gefäss-
kanäle umschliessen die Blutgefässe, Bindegewebe, Nerven, und in den
Marklücken ist ein Gemenge von Bindegewebe, Fetttropfen, Fett- und
Markzellen, Blutgefässen und wässerigen Feuchtigkeiten enthalten. Die
Knochenoberfläche ist schliesslich von einer Bindegewebshaut, dem Pe-
riost, überzogen, in welcher die Gefässe und Nerven laufen, bevor sie in
die Gefässkanälchen des Knochens eindringen.
2. Chemische Zusammensetzung **). Die feste Masse des Knochens
(das Grundgewebe) ist ein Gemenge aus leimgebenden Stoffen, dem sog.
Knochenknorpel und Erdsalzen (Knochenerde). Das Grundgewebe und
ebenso auch der Knorpel und die Erde desselben ist bis dahin noch
nicht rein dargestellt worden, weil sie nicht von den anhängenden
Zellenhäuten, dem Bindegewebe u. dergl. und deren Salzen befreit
werden können. Der Knochenknorpel, oder anders ausgedrückt,
der durch Salzsäure von seinen Erden und durch Aether und Alkohol
von seinen Fetten befreite Knochen, gab bei der Verbrennungsanalyse
die prozentische Zusammensetzung des Colla, nemlich C 50,1; H 7,1;
N 18,4; O und S 24,3 (v. Bibra). — Die Knochenerde, welche durch
Einäscherung eines Knochen dargestellt wird, der vorher vollkommen mit
Wasser erschöpft war, besteht aus Fluorcalcium, CaO CO2, 3CaO PO5,
3MgO PO5 (Heintz); ein frisch verbrannter Knochen liefert ausserdem
noch Na Cl, Fe2O3, NaO CO2 u. s. w. — Nach den Analysen von Heintz,
den genauesten, welche wir besitzen, bestehen 100 Theile Knochen-
erde aus CaO CO2 = 9,1; 3CaO PO5 = 85,7; 3MgO PO5 = 1,7;
Ca Fl = 3,0. Alle übrigen Analysen, welche Ausstellungen man auch
sonst an ihnen machen kann, bestätigen doch, dass immer die phosphor-
saure Kalkerde alle übrigen Bestandtheile weit überwiegt, und zeigen
deutlich, dass das Verhältniss zwischen den einzelnen Erdarten durch-
aus kein constantes sei. Nach Fremy soll es im Ganzen und Groben
erlaubt sein, die Annahme zu machen, dass auf 1 Aeq. Kohlensäure
3 Aeq. Phosphorsäure kommen. — Der Knorpel und die Erden sind in
den Knochen innig nebeneinandergelegt, aber nicht nach Aequivalenten
Ludwig, Physiologie. II. 13
[194]Knochen.
verbunden. Man kann bekanntlich aus dem Knochen die Erde durch
Säuren und den Knorpel durch Kalien ausziehen, ohne dass die anato-
mische Elementarstruktur verloren geht.
Das Verhältniss, in dem die organischen (Knorpel, Bindegewebe und
Gefässe) und unorganischen Stoffe im Knochen enthalten sind, ist nicht
constant. — a) Ordnet man die substantia dura der trockenen Knochen
der Erwachsenen nach ihrem Gehalt an Erde, so erhält man folgende
Reihe: os temporum, humerus, femur, ulna, radius, tibia, fibula, os
ilium, clavicula, vertebrae, costae, sternum, os metatarsi, scapula. Das
os tempor. enthielt 63,5, die scapula 54,5 pCt. Knochenerde (Rees) *). —
Bibra fand beim Weib eine etwas andere Reihenfolge: humerus, femur,
tibia, fibula, ulna, radius, metacarpus, os occipitis, clavicula, scapula,
costa, os ilium, vertebrae, sternum; in dem ersten Glied 69, und in
dem letzten 51 pCt. Knochenerde. Diese Unterschiede sind, wie wohl
zu merken, nur giltig für die Knochen des Geborenen, nicht aber für
die des Foetus (v. Bibra). — b) Die spongiöse Knochensubstanz ent-
hält einige Prozente feuerflüchtiger Bestandtheile mehr, als die com-
pakte (Rees, Fremy). Theilt man willkührlich einen Röhrenknochen
seiner Dicke nach (vom Periost zur Markhaut) in mehrere Schichten,
so hinterlässt die äussere zuweilen um 1 bis 2 Prozent weniger Asche,
als die innere, zuweilen ist der Knochen auch durchweg gleich zusammen-
gesetzt (Fremy). — c) An einer und derselben Knochenstelle nimmt
der Gehalt an Kalkerde mit dem Alter zu; so betrug er z. B. in dem
Femur männlicher Individuen beim Foetus = 59 pCt., beim dreiviertel-
jährigen Säugling = 56,4, beim fünfjährigen 67 pCt. und endlich beim
25jährigen 68 pCt. — Das Steigen des Kalkgehaltes geht nun aber kei-
neswegs in allen Knochen gleich rasch vor sich. So nähert sich u. A.
die Knochensubstanz in den obern Gliedmaassen früher ihrem höchsten
Werth an, als in den untern (v. Bibra). Im Gegensatz hierzu führt
Fremy’s Analyse überhaupt zu keinem Altersunterschied; den Femur
des Fötus, des Erwachsenen und Greises fand er annähernd gleich reich
an Erden, vorausgesetzt, dass aus dem Fötus die Knochenpunkte ausge-
schält würden. — d) Ein bemerkenswerther Unterschied zwischen dem
prozentischen Erdgehalt in den gleichnamigen Knochen des Mannes und
des Weibes hat sich nicht herausgestellt.
Das Knochenmark unterscheidet man seinem Ansehen nach in ein
fettes und ein gelatinöses. Das erstere besteht vorzugsweise aus einem
sehr oleinhaltigen Fett und daneben aus einer eiweiss- und salzhaltigen
Flüssigkeit, den Hüllensubstanzen der Mark- und Fettzellen, Gefässhäuten
und Bindegeweben. Das gelatinöse enthält dagegen überwiegend die salz-
und eiweisshaltige Lösung und sehr geringe Mengen von Fett; die bei-
[195]Knochen.
den Markarten scheinen also Gemenge derselben Stoffe in verschiedenen
Verhältnissen zu sein. — Das Periost enthält die Bestandtheile des Binde-
gewebes und der elastischen Faser. Die Flüssigkeit, welche neben den
Gefässen die Gefässröhren und die Zellenräume füllt, ist unbekannt.
Einige Angaben, die über den Gehalt des Gesammtknochens an Wasser
vorliegen, sind ohne Bedeutung, da dieser mit zahlreichen, zufälligen Um-
ständen, z. B. dem Markgehalt, der Menge der Zellen und Gefässröhren
u. s. w., wechseln muss.
3. Das Wenige, was von den physikalischen Eigenschaften des Kno-
chens bekannt ist, wurde schon Bd. I. p. 363 mitgetheilt.
4. Ernährung. Der ersten Entstehung des Knochengewebes *) im
Foetus, dem Primordialknochen, geht jedesmal die Bildung einer weichen,
knorpeligen Grundlage von der Form des spätern Knochens voraus. Be-
vor diese der Verkalkung anheimfällt, mehrt sich mit der gleichzeitigen Ver-
grösserung der Knorpelhöhlen die Grundsubstanz beträchtlich, und zwar
in der Art, dass die Höhlen in Reihen angeordnet werden, welche senk-
recht stehen gegen die Fläche, auf welcher die Verkalkung ihren Anfang
nimmt; anders ausgedrückt bedeutet dieses, dass zwischen den einzel-
nen Knorpelhöhlen ein und derselben Reihe weniger Grundgewebe gele-
gen ist, als in dem Zwischenraum, der je zwei Reihen trennt. Die Ver-
kalkung selbst beginnt nun jedesmal von einer beschränkten Stelle
(Knochenpunkt) aus, in welche gewöhnlich ein Blutgefäss aus der Um-
gebung hineinwächst. In der Umgebung verdunkelt sich nun das Kno-
chengewebe durch eine krümelige Einlagerung, die sich zuerst auf das
Grundgewebe, dann auf die Wand der einschliessenden Zellen, darauf auf
den Zwischenraum zwischen dem umschliessenden und eingeschachtelten
und endlich auf die Wand und zum Theil auch auf die Höhle der ein-
geschachtelten Zellen erstreckt. Die zurückbleibende Höhle kann auf den
Querschnitt eine stern- oder auch eine eiförmige Gestalt annehmen, wie
aber auch ihre Grenzen beschaffen sind, in jedem Fall ist sie mit einem
Kern und einer klaren Flüssigkeit erfüllt. Wenn die Kalkerde bis zu
den bezeichneten Punkt gedrungen, so ist damit zugleich bis auf die
Höhle Alles in eine homogene und nun auch wegen der gleichmässigen
Kalkeinlagerung wieder hellere Masse umgeformt, indem die sichtbaren
Unterschiede zwischen Grundgewebe und den beiden Zellenwänden ver-
wischt ist. Kaum aber ist der primordiale Knorpel in Knochen umge-
wandelt, so beginnt auch sogleich wieder eine Auflösung desselben, durch
welche in den Knochen unregelmässige Lücken, die spätern Markhöhlen,
eingefressen werden, welche sich dann auch alsbald mit Mark anfüllen. —
Daraus folgt nun, dass der Theil des Primordialskeletts, welcher im
13*
[196]Knochen.
Fötalleben verknöchert, auch sogleich wieder verschwindet. — Die Ver-
knöcherung in dem Theil des ursprünglichen Knorpelskeletts, welcher
auch noch nach der Geburt unverkalkt zurückblieb, in den sog. perma-
nenten Knorpeln, geht theilweise ähnlich vor sich, zum Theil aber be-
ginnt auch die Infiltration der Erde zuerst in den Wandungen der ein-
geschachtelten Zellen, welche dann als harte Kapseln vereinzelt in der
weichen Zwischenmasse gelegen sind. — Ueber die Entstehung der Strah-
lenkörperchen des Knochens ist man noch im Unklaren. Die grössere
Zahl der Anatomen neigt sich, ohne Uebergangsstufen gesehen zu haben,
der Ansicht zu, dass die Höhlenreste der eingeschachtelten Zellen dem
mittleren Theil des Strahlenkörpers entsprächen und dass die von ihnen
abgehenden Ausläufer durch eine den Knochen treffende Auflösung er-
zeugt würden; andere, und insbesondere Bruch, sind der Meinung, dass
im Primordialskelett niemals die Zellenhöhlen mit Ausläufern versehen
wurden.
Die Formfolge, welche beobachtet wurde in den Zusätzen, welche
das Primordialskelet beim Knochenwachsthum zum sog. ständigen Kno-
chengerüste empfängt, ist eine verschiedenartige. Wir betrachten zuerst
den Fall, in welchem innerhalb eines Knochens die Verknöcherung von
zwei entfernten Orten begonnen hat und gegen einander so weit vorge-
schritten ist, wie z. B. im Mittelstück und den Enden der Röhrenkno-
chen, dass die beiden Knochenstücke nur noch durch ein dünnes Knor-
pelblatt getrennt werden. Hier geht in dem Knorpel fortwährend eine
Neubildung von Knorpelzellen vor sich in der Art, dass die Knorpelhöh-
len (die einschliessenden Zellen) sich immer mehr nach der Richtung
der Längenachse des Knochens ausdehnen, während zugleich in dem ver-
grösserten Raume neue Zellen entstehen. Diese röhrenförmigen Mutter-
zellen würden demnach den reihenweise gestellten Knorpelhöhlen des
primordialen Skelets entsprechen. Indem sich aber die Zelle nach der
einen, von dem Verknöcherungsrand abgewendeten Seite verlängert, ver-
kalken ihre Wandungen nach der dem Knochenrand zugekehrten, und
kaum sind sie verknöchert, so beginnt auch schon wieder der Auf-
lösungsakt, durch welchen die Markhöhlen erzeugt werden. Der ganze
Vorgang schliesst sich also sehr innig an die Verknöcherung des primor-
dialen Skelets an. — Ganz eigenthümlich gestaltet sich aber die Sache
an den Orten, an welchen der Primordialknochen mit dem Periost zu-
sammentrifft, wie z. B. an der Peripherie eines Röhrenknochens. Alle
Beobachter stimmen darin überein, dass auf die innere Fläche des Pe-
riosts zuerst eine weiche, aus Zellen- und strukturloser Zwischenmasse
bestehende Ablagerung geschehe, die so bald verknöchere, dass beide Vor-
gänge nahezu gleichen Schritt halten; es ist also jederzeit nur wenig
von dem verknöcherungsfähigen, weichen Material vorhanden. Die Ver-
knöcherung beginnt auch hier um die Gefässe herum, welche vom Periost
[197]Knochen.
in das aufgelagerte Gewebe eindringen. Da die Gefässe nach vollendeter
Verkalkung noch bestehen bleiben, so ist mit diesen Angaben auch so-
gleich die Entstehung der Gefässröhren erklärt. Ueber den Antheil, den
die in der formlosen Masse liegenden Zellen an der Knochenbildung
nehmen, herrscht dagegen Controverse. Bruch theilt denselben eine
untergeordnete Bedeutung zu; er giebt an, dass in den Räumen zwi-
schen Periost und Knochenoberfläche erhabene Streifen entstehen, welche
sich netzförmig verbinden; die Lücken zwischen diesen Streifen sind
weiter und enger, der Durchmesser der ersteren entspricht dem der
spätern Gefässröhren, derjenige der kleineren aber dem Umfang der cen-
tralen Höhlen der Knochenkörperchen, von diesen Höhlen gehen nun
auch sogleich als feine Linien die hohlen Ausläufer hervor. Die Abla-
gerung von Knochenmasse soll dann in den Streifen, nicht aber in den
Lücken und Spalten geschehen; diejenigen Lücken, welche der centralen
Höhle der spätern Knochenkörperchen entsprechen, sind mit einer klei-
nen Zelle ausgefüllt. Im Gegensatz hierzu behauptet H. Meyer, dass
die unter das Periost gelagerten Zellen annähernd die Form der Knor-
pelzellen besitzen sollen und dass sie sich bei der beginnenden Verknö-
cherung auch ähnlich den im Innern des Knorpels vorkommenden ver-
halten. — Virchow endlich sah aus jeder Zelle hohle Aeste hervor-
treten, welche sich strahlenförmig nach allen Richtungen hin verbreiten
und mit denen der benachbarten sich zu einem communizirenden Röh-
rensystem verbinden; wenn die an ihren Wänden unmittelbar anliegende
Grundmasse mit Kalk inkrustirt ist, so seien damit die Knochenkörper-
chen hergestellt. Aus dem übereinstimmenden Theil der obigen Erfahrun-
gen, welche zuerst von H. Meyer ausgesprochen sind, ist es möglich,
ein Schema abzuleiten zur Erläuterung des Wachsthums der Röhren-
knochen. Wenn in (Fig. 53.) 1 2 2 1 den Primordialkno-
chen, in welchem 2 2 das Mittel- und 1 2 die Endstücke
und I II II I den erwachsenen Knochen darstellt, so muss
a c c a durch Wachsthum und Verknöcherung des Knorpels
entstanden sein, welcher Mittel- und Endstücke trennt, wäh-
rend nur a b b a aus der Verknöcherung der Periostauflage-
rung hervorgegangen ist. Damit wird auch die Behauptung von
E. H. Weber*) bestätigt, dass das Wachsthum alter Knochen
nach einer Richtung hin beendet sei mit der Verknöcherung
der zwischen ihnen eingelagerten Knorpelstücke, also das
Wachsthum der Schädel- und Wirbelhöhlen mit der Ver-
knöcherung in den Nähten zwischen den Schädelknochen
oder den Knorpelstücken zwischen Körper und Bogen, und
ebenso das Längenwachsthum der Röhrenknochen mit der
[198]Knochen.
Verkalkung des Knorpels zwischen Mittel- und Endstücken u. s. w.
Unklar bleibt es aber, warum nun auch zu dieser Zeit die Knochenbildung
nach andern Seiten stillsteht, warum sich also der nach der Länge
ausgewachsene Knochen nicht noch fortwährend verdickt u. s. w.
Der Knochen gehört zu denjenigen Geweben, welche sich im Er-
wachsenen leicht neu bilden. Am gewöhnlichsten geschieht dieses ent-
weder an oder innerhalb der vorhandenen Knochen (Knochenbrüche)
oder wenigstens innerhalb eines schon vorhandenen Periosts. Doch kann
er auch ohne diese Bedingungen entstehen, wie die Beobachtungen von
H. Meyer, R. Wagner, Wittich u. A. nachweisen, welche wahre
Knochenbildung in der Haut, der Linse, dem Glaskörper aufdeckten.
Die chemische Entwickelung des Knochens ist so gut wie unbekannt. Da sich bei
der Verknöcherung des Primordialknorpels die weiche Grundlage aus Collagen in
Chondrigen verwandelt, so könnte man zur Vermuthung kommen, dass zu den an den
grösseren Gestaltveränderungen sichtbaren Ein- und Umlagerung der Atome noch eine
zweite unsichtbare kommt. — Kölliker behauptet, dass der aus der Periostauf-
lagerung hervorgehende Knochen sogleich in collagenes Bindegewebe eingelagert
werde; nach den mikrochemischen Reaktionen von Bruch kann dieses noch zwei-
felhaft erscheinen.
Der ausgewachsene Knochen verändert *) sich während des Lebens,
und zwar unzweifelhaft mit Hülfe des Blutes und der Säfte, welche durch
die zahlreichen Blutgefässe und die zahllosen Spältchen und Lücken der
corp. radiata in ihm umhergeführt werden. Beweise hierfür liegen schon
in den angeführten chemischen Thatsachen, dass der Erdgehalt der Kno-
chen von der Geburt bis zur Reife, und dass er im Knochen der stark
angestrengt worden, zunimmt. Hier fügen wir noch hinzu, dass die Kno-
chen sich verdünnen, wenn ihre Muskeln gelähmt sind, oder wenn man
die Nahrungsmittel, oder auch nur den Kalkgehalt derselben mindert.
Diese letztere Erfahrung führt zu der Ableitung, dass während des Le-
bens stetig Knochenmasse aufgelöst und dafür neue eingesetzt wird, sie
beweist aber nicht, dass während des ganzen Lebens ununterbrochen
unter das Periost neue Knochenmassen eingelagert und in der Markhöhle
alte aufgelöst werden. Diese Anschauungsweise empfängt auch nicht
einmal eine Bestätigung durch die Ergebnisse zweier berühmter Ver-
suchsreihen. Schiebt man ein Stück eines edlen Metalls, ohne Verletzung
des Knochens zwischen Periost und Knochenoberfläche, so findet man
dieses nach längerer Zeit in der Markhöhle, während es vom Periost
durch eine Lage von Knochenstoff getrennt ist. Offenbar ist hier das
vom Periost getrennte Knochenstück der Auflösung anheim gefallen und
eine vom Periost ausgehende Neubildung an seine Stelle getreten, aber
damit ist nur die alte chirurgische Erfahrung bestätigt, dass ein Knochen
[199]Zähne.
abstirbt, dessen zuführende Gefässe, resp. dessen Periost, zerstört ist,
und dass ein Knochen sich innerhalb eines wohlerhaltenen Stückes Pe-
riost wieder bilden könne. — Mischt man längere Zeit hindurch Krapp-
roth zur Nahrung eines Thieres und füttert sie darauf ohne diesen Zu-
satz, so sollen die durchsägten Röhrenknochen um die Markhöhle roth
und unter dem Periost weiss sein. Leider hat sich aber bei vielfacher
Wiederholung nicht einmal diese Thatsache bestätigt.
Der Fettgehalt des Knochenmarkes schwankt sichtlich mit dem des
ganzen Körpers.
Zähne.
1. Die anatomische Beschreibung *) unterscheidet an ihnen die
Schmelzoberhaut, den Schmelz, das Zahnbein, den Kitt und das in seiner
Höhle liegende Mark. — Das Schmelzoberhäutchen ist ein dünner, sehr
harter und strukturloser Ueberzug des Schmelzes; dieser selbst setzt sich
aus kurzen und breiten auf dem Querschnitt sechseckigen Fasern zusam-
men, die dichtgedrängt ohne verbindenden Stoff an einander und nahezu
senkrecht auf der Oberfläche der Krone des Zahnbeins aufstehen. —
Das Zahnbein, welches den weitaus grössten Theil von Wurzel und Krone
einnimmt, ist aus einem homogenen Grundgewebe aufgeführt, welches
von zahlreichen feinen Röhren, den Zahnröhrchen, durchzogen wird.
Diese Röhrchen beginnen mit einer offenen Mündung in der Zahnhöhle
und laufen von ihr nach allen Seiten gegen die äussere Begrenzung des
Zahnbeins; auf diesem Wege theilen sie sich unter sehr spitzen Winkeln
in einige Hauptäste, und aus diesen Aesten gehen zahlreiche Zweige ab,
welche theils mit den Nachbarn, theils auch mit den Ausläufern der
Knochenhöhlen des Kitts anastomisiren. Neben den Zahnröhren finden
sich auch noch spärliche kugelige Hohlräume in dem Zahnbein. — Der
Kitt endlich ist ein feines Knochenlager, welches die Wurzel überzieht. —
Der Kern des Zahnmarkes, in dem sich Gefässe und Nerven verbreiten,
ist aus undeutlichen Fasern mit eingestreuten Kernen gewebt und an
seiner gegen die Höhlenwand gekehrten Oberfläche mit einer mehrfachen
Schicht cylindrischer, kernhaltiger Zellen überzogen, die von dem Zahn-
bein durch ein strukturloses Häutchen abgegrenzt werden, so dass die
Mündungen der Zahnröhren nicht direkt auf die Zellenoberfläche treffen. —
Zur Befestigung des Zahns in den knöchernen Zahnfächern dient das
Periost dieses letztern und das Zahnfleisch.
2. Chemische Zusammensetzung **). Schmelzoberhaut, Schmelz,
Zahnbein und Kitt besitzen eine weiche Grundlage, in welche Erden ein-
gelagert sind. Die von letzteren befreite Schmelzoberhaut nähert sich
ihrer Reaktion nach dem elastischen Gewebe, die der Schmelzprismen
[200]Zähne.
aber den Epithelialstoffen (Hoppe); das erweichte Zwischengewebe im
Zahnbein und Kitt ist Collagen, die nächste Umgebung der Röhren, Kugel-
räume und Knochenkörperchen aber eine besondere in kochendem Wasser
unlösliche Substanz (Hoppe). — Die in diesen Substanzen eingelager-
ten Salze enthalten nach Berzelius phosphorsauren Kalk und Talk,
kohlensauren Kalk, Fluorcalcium und Talk; die phosphorsaure Kalkerde
überwiegt hier in derselben Weise wie im Knochen. Die Verhältnisse,
in welchen die organischen und unorganischen Bestandtheile in den ein-
zelnen der erwähnten Gebilde enthalten sind, wechseln. In der Oberhaut
und Prismen des getrockneten Schmelzes fand v. Bibra zwischen 3,6
bis 6,0 pCt. organische und 94,0 bis 96,4 pCt. unorganische, in dem
Zahnbein 21,0 bis 29,4 pCt. organische und 79,0 bis 70,6 unorganische
Bestandtheile. Aus der Flüssigkeit, welche das Zahnmark durchtränkt,
kann durch Essigsäure ein schleimartiger Körper gefällt werden; das
Streifengewebe desselben reagirt dem Bindegewebe nicht in allen Stücken
ähnlich.
3. Ernährung. Der Entstehung des Zahns muss der Aufbau eines
besondern Werkzeugs vorausgehen, das aus einem Säckchen, den Zahn-
und Schmelzkeimen besteht. Das Säckchen ist eine Aushöhlung in den
Zahnrändern des Kiefers, die, von einer derben Haut umgeben, nach
der einen Seite von dem Knochen und nach der andern von dem knorpel-
harten Zahnfleisch begrenzt wird. An den entgegengesetzten Wandungen
des Säckchens treten die beiden Keime hervor und zwar der Zahnkeim
von der Seite des Knochens und der des Schmelzs von der Zahnfleisch-
seite. Damit ist zugleich ausgedrückt, dass der erste nur einen kleinen
Theil von der Wandung des Zahnsacks bedeckt, während der zweite dem
weitaus grössten Theil der innern Wandfläche anliegt. Umgekehrt wie
der Querschnitt verhält sich die Höhe beider Auswüchse, denn während
der Zahnkeim wie eine starke an dem freistehenden Theil verbreiterte
Warze in den Zahnsack hineinragt, bildet der Schmelzkeim nur eine
niedrige Lage. — Beide Keime füllen den Sack vollkommen aus, so dass
sie mit ihren freien in die Höhle schauenden Oberflächen unmittelbar
wider einander liegen. Der Schmelzkeim besteht nun, vom Zahnsäckchen
aus gerechnet, aus einer Schicht Bindegewebe mit Gefässen, dann einer
stärkern Lage schwammigen Gewebes, das von verästelten und commu-
nizirenden Zellen durchzogen und mit einer eiweisshaltigen Flüssigkeit
durchtränkt ist, auf diesem sitzt ein Cylinderepithelium, dessen Oberfläche
von einer strukturlosen Haut bedeckt wird, auf der endlich die Schmelz-
prismen stehen. — Der Zahnkeim ist an die Wand des Säckchens ge-
heftet durch eine faserigen bindegewebsartigen Masse, welche von Blut-
gefässen durchzogen ist; auf ihm sitzt ein Zellenlager, welches gegen den
Schmelz hin in lange Aeste auswächst, zwischen denen eine strukturlose
Ausfüllungsmasse liegt. Diese Ausläufer stossen unmittelbar an die
[201]Zähne.
Schmelzprismen. Zahnbein und Schmelz wachsen sich somit entgegen
und werden zusammengepresst durch den Druck, welchen die Blutgefässe
und die aus ihnen geschiedenen Stoffe in dem geschlossenen Säckchen
erzeugen. An der Grenze von Schmelzfasern und Zahnröhren beginnt
nun auch jedesmal die Verkalkung und zwar gleichzeitig in beiden Ge-
bilden; Wachsthum der Grundlagen und Verknöcherung derselben schreitet
dann in dem Schmelz und Zahnbein nach entgegengesetzten Richtungen
fort. Da das Säckchen einen starken Widerstand leistet, so muss die
in dasselbe abgesonderte Masse allmählig die eintretenden Gefässe zu-
sammendrücken; dieses wird aber zuerst denen des Schmelzkeims be-
gegnen, weil ihre zuführenden Arterien enger und darum auch der Strom
in ihnen schwächer ist; die Schmelzbildung ist dann natürlich geschlossen.
Wenn dieses geschehen ist, so verlängert sich das Säckchen gegen die
Alveolarhöhle aus unbekannten Gründen; das Zahnbein, welches in dieser
Verlängerung entsteht, kann aber natürlich nicht mehr mit Schmelz über-
zogen sein, es stellt die spätere Wurzel dar; da die ihn umkleidende
Wand des Säckchens zum Periost der Alveolarhöhle wird, so scheidet
dieses nun nach zwei Seiten Knochensubstanz aus, nemlich auf den
Zahn als Kitt und ausserdem in den Alveolarrand. So wie nun der
Wurzeltheil des Zahns gegen den Kieferknochen sich andrängt, muss bei
noch weiterm Wachsen das nachgiebigere Zahnfleisch ausgespannt und
seine Gefässe zusammengedrückt werden, und darum wird der Zahn das-
selbe durchbrechen, wobei die zuerst gebildete Krone durch die allmäh-
lich sich entwickelnde Wurzel vorgeschoben wird. — Ein grösserer Theil
der zuerst hervorbrechenden Zähne, die Milchzähne, fallen bekanntlich
in der Kindheit wieder aus, um durch neue ersetzt zu werden. Die
neuen Zähne entstehen aber genau wie die Milchzähne in Säckchen,
welche schon in der Fötalperiode gebaut wurden. Indem sie sich ent-
wickeln, schieben sie nicht einfach den alten Zahn vor sich her, sondern
sie leiten eine Auflösung der Wurzel ein.
Von den Milchzähnen brechen zuerst die innern und dann die
äussern Schneidezähne durch, hierauf die ersten Back-, dann die Eck-
und schliesslich die zweiten Backzähne. Der erste von diesen Zähnen
pflegt gegen den 7., der letzte gegen den 30. Monat nach der Geburt
hervorzukommen. Von den bleibenden Zähnen erscheint zuerst der dritte
Backzahn, darauf die innern Schneidezähne und die übrigen in einer ähn-
lichen Reihenfolge wie die Milchzähne. Das zweite Zahnen beginnt mit
dem 7. und endet mit dem 18. Jahre.
Die Veränderungen, welche die ausgewachsenen Zähne darbieten,
sind äusserst unbedeutend. Sie beschränken sich, abgesehen von Krank-
heiten, auf eine Abnutzung der Krone beim Kauen und die Einlagerung
von Kalksalzen in die Zahnhöhle, die im hohen Alter oft sehr verengt
angetroffen wird. — Die Zahnröhren führen, wie es danach scheint, keine
[202]Fettzellen.
Flüssigkeit, die umsetzend auf das Zahnbein wirkt; ihre Wirksamkeit
beschränkt sich wahrscheinlich darauf, das Zahnbein gleichmässig zu
durchfeuchten, wodurch die Sprödigkeit desselben vermindert wird.
Das Periost des Zahnfächers kann dagegen mancherlei Veränderungen
in der Zahnstellung herbeiführen. Namentlich kann es einen locker ge-
wordenen oder gar schon einmal ausgezogenen Zahn wieder befestigen
durch Anlagerung von neuem Kitt; mit seiner Hilfe sollen sich sogar
die Nerven und Blutgefässe des Zahns wieder herstellen. Das Periost
kann aber auch schwinden, so dass der Zahn in dem Fächer gelockert
wird, oder aber es kann von ihm die Knochenbildung in dem Fächer so
weit vorschreiten, dass der Zahn ausgedrängt wird.
Die Caries der Zähne wird durch den deutschen Namen Fäule gut bezeichnet,
da sie in einem der Fäulniss ähnlichen von Pilzbildung begleiteten chemischen Pro-
zess besteht.
Fettzellen.
Gemenge von neutralen und sauren Fetten sind im menschlichen
Körper sehr verbreitet; sie durchtränken die Hornstoffe, schwimmen als
Tröpfchen oder Kügelchen in wässerigen Flüssigkeiten, die entweder frei
(seröse Säfte, Galle, Speichel u. s. w.) vorkommen, oder füllen, mit
eiweissartigen Stoffen gemengt oder verbunden, Nerven und Muskelröhren.
Ausserdem aber sind sie abgelagert in zahlreichen Zellen, welche von
den Anatomen als Fettzellen bezeichnet in dem lockern Bindegewebe zu
grossen oder kleinen Haufen vereinigt vorkommen; diese sollen hier be-
sprochen werden,
1. Anatomische Beschaffenheit *). In die strukturlose Zellenhaut soll
immer ein wandständiger Kern eingelagert sein, der aber gewöhnlich nur
dann sichtbar wird, wenn die Zelle durch Entfernung ihres trüben Inhalts
durchsichtig gemacht wurde. Der Binnenraum ist entweder strotzend
mit Fett erfüllt, das bei der Normaltemperatur des Menschen (36° bis
37° C.) halb und auch ganz flüssig ist, oder er enthält neben einer
wässerigen Flüssigkeit Tropfen oder Krystalle eines Fettes, oder endlich
die zusammengefallene Zelle schliesst nur wässerige Flüssigkeit in sich.
Die Grösse der Zellen ist zwar sehr variabel, sowohl an gleich- als ver-
schiedenartigen Lagerungsstätten, aber an einzelnen Orten doch durch
dieselbe ausgezeichnet; so enthält z. B. das Bindegewebe in den Mark-
höhlen des Knochens constant eine kleine Art von Fettzellen (Markzellen)
(Kölliker, Robin). Die einzelnen Zellen eines Fettklümpchens sind
gewöhnlich durch eine strukturlose Haut zusammengekettet; in dieser ver-
laufen Blutgefässe.
2. Chemische Zusammensetzung **). Die Membran, welche die Zellen
[203]Fettzellen.
zu einem Träubchen vereinigt, zeigt die Eigenschaften des Bindegewebes. —
Die Haut der Zelle selbst nähert sich, so weit dieses aus ihrer chemischen
Reaktion geschlossen werden kann, dem elastischen Stoff (Mulder). —
Der fette Antheil des Inhalts besteht aus Stearin (nach Heintz aus Tri-
stearin), Margarin (?), Palmitin (Heintz), Olein und einem andern öl-
artigen Fette (Heintz). Das Verhältniss, in welchem die einzelnen Be-
standtheile dieses Gemenges zu einander stehen, bewegt sich in weiten
Grenzen. Lassaigne giebt nach einer allerdings ungenauen Methode
an, dass z. B. beim Rind das Netzfett das der Nierenkapsel und dieses das
der Kreuzbeingegend an Stearingehalt übertreffe. Aus der Erfahrung von
Berzelius, dass das Nierenfett des Menschen bei 25°, das Zellgewebs-
fett und das der Wade aber erst bei 15° C. erstarrt, würde man auf einen
grössern Oelgehalt des letztern schliessen dürfen, wenn Heintz nicht darge-
than hätte, dass die Fette ihre Schmelzbarkeit vollkommen ändern durch ihre
Mengung mit einander. Die Zusammensetzung der Flüssigkeit, welche
entweder nur die Zellenhaut durchtränkt, oder auch einen Theil des In-
halts ausmacht, ist noch nicht untersucht; in strotzend mit Fett gefüll-
ten Zellen ist sie nur in sehr geringer Menge vorhanden (Berzelius).
Von den wesentlichen physikalischen Eigenschaften dieser Fettgemenge
ist schon früher (Bd. I. p. 27) gehandelt.
3. Ernährung *). Die Fettzellen entwickeln sich aus Bildungszellen.
Beim Wachsthum des Kindes scheint der Umfang des Fettgewebes weni-
ger durch eine Neubildung von Zellen als vielmehr durch ein Wachs-
thum der vorhandenen zuzunehmen (Harting). Wahrscheinlich kann
jedoch im spätern Leben eine Neubildung derselben vor sich gehen.
Der Fettgehalt des Zellenraums, der sich bekanntlich während des
Lebens beträchtlich ändert, wechselt mit a) der Nahrung. Ein Futter,
welches viel Fette und Amylon zugleich enthält, mästet die Thiere. Die
Fettmenge, um welche die Thiere zunehmen, übersteigt den Fettgehalt
der Nahrungsmittel (Gundlach, Liebig, Boussingault). Dagegen
mästet sich ein Thier nicht, wenn bei einer vollkommenen Entziehung
des Fettes das Futter einen starken Amylonzusatz erfährt (Boussin-
gault), und ebensowenig ist bei vollkommenener Entziehung des Amy-
lons ein starker Zusatz von Fett hierzu genügend (Emanuel). Bei
der zuletzt erwähnten Fütterungsart soll jedoch, wenn auch alles übrige
Fett abnimmt, das Netzfett wachsen. — Bei gänzlicher Entziehung der
Nahrung schwindet, das Wasser ausgenommen, kein Bestandtheil unseres
Körpers so rasch, als das Fett (Chossat, Schuchardt). — b) Unter
[204]Fettzellen.
sonst günstigen Umständen häuft körperliche Ruhe das Fett, während es
durch Muskelanstrengung verzehrt wird. — c) Das Auftreten neuer oder
die Steigerung bestehender fetthaltender Absonderungen (Eiter, Milch
u. s. w.) bedingt ein Schwinden des fettigen Zelleninhalts. — d) Das
spätere Lebensalter, insbesondere bei Frauen die Zeit jenseits der Men-
strualperiode, sind der Fettablagerung günstig.
Um den Einfluss irgend einer Bedingung auf die Fetterzeugung zu bestimmen, wählt
man nach Chossat und Boussingault möglichst gleiche Exemplare eines und des-
selben Wurfs oder derselben Brut heraus, in denen man denselben Fettgehalt voraus-
setzen darf. Tödtet man ein Thier vor Beginn und das andere nach Vollendung der
Versuchsreihe, so ist der absolute Unterschied des Fettgehaltes beider Thiere wenig-
stens annähernd zu finden. Dieser Unterschied stellt nun aber wahrscheinlich nicht
die ganze Menge des Fetts dar, welches von Beginn bis zu Ende des Versuchs in
den Fettzellen deponirt war; denn der jeweilige Grad ihrer Füllung dürfte wiederum
nichts anderes sein, als der Unterschied der während der Versuchszeit in sie und
aus ihnen getretenen Mengen. Auf die Gegenwart eines solchen stetigen Verkehrs
deuten nemlich obige Thatsachen von selbst hin.
Die Anhäufung des Fetts in den Zellen geht gewissermaassen mit
einer Auswahl des Orts von Statten. Die meiste Anziehung zum Fett
haben die Zellen der Augenhöhle, die Wangenlücken, panniculus adiposus
der Fusssohle und der Fingerspitzen und die Markhöhlen, welche selbst
in der äussersten Abzehrung nie fettleer gefunden werden. Mehrt sich
das Fett, so tritt es zuerst im panniculus der Hinterbacken, dem Bauch,
den Waden, der Brust und gleichzeitig oder noch früher in der Umge-
bung des Kniegelenks und in den spongiösen Gelenkenden auf; erst wenn
hier die Füllung einen gewissen Grad erreicht hat, schwellen auch die
Zellen des Bauchfells und der Nierengegend.
Nach den Erfahrungen von Liebig und Gundlach, welche Bous-
singault bestätigt hat, kann kein Zweifel darüber sein, dass das Fett
des Zelleninhaltes nicht unter allen Umständen seinen Ursprung verdanken
kann dem mit der Nahrung eingeführten Fett; aus welchen Atomen
es nun aber seinen Ursprung zieht, ob aus Amylon oder eiweissartigen
Stoffen, lässt sich nicht angeben. — Noch weniger entschieden ist die
Frage, ob das Fett in die Zellen aus- und eingeführt werde, oder ob es
in ihnen entstehe und vergehe. — Nachdem nemlich einmal die Möglich-
keit der Entstehung des Fettes aus andern in Wasser löslichen Atom-
gruppen nicht mehr bestritten werden kann, gewinnt die Annahme, dass
dieselbe innerhalb der Fettzellen vor sich gehe, an Wahrscheinlichkeit,
wenn man die Schwierigkeiten erwägt, welche sich dem Uebergang des
Fettes aus den Nahrungsmitteln in die Fettzellen entgegenstellen; kaum
ist es nemlich aus dem Darmrohr auf einem wie es scheint bequemen
Weg in die Lymphgefässe eingegangen, so wird jedes kleinste Tröpfchen
mit einer von Wasser getränkten Haut umgeben; um aus dem Blut in
seine neue Lagerstätte zu gelangen, muss das Fett die Hülle der Lymph-
[205]Fettzellen.
körperchen, die Wandung der Capillargefässe und die Häute der Fett-
zellen durchbrechen. Dazu kommt noch, dass in der That bei einem
reichlichen Zusatz von Fett zu Nahrung nur die Zellen des Netzes, wo-
hin dasselbe unmittelbar aus den Lymphgefässen gedrungen sein konnte,
sich mit Fett füllen. Hiergegen lässt sich allerdings einwenden, dass es
Stoffe giebt, welche dem Fette auch den Durchgang durch Wasser erleich-
tern, wohin namentlich die Seifen und die Galle zählen. Ausserdem
könnte man für die Hypothese von der einfachen Ueberführung auch noch
die Thatsache anführen, dass die Steigerung der Butterausscheidung u.
dergl. die Fettablagerung in dem Bindegewebe hemme; bei genauerer
Ueberlegung zeigt sich aber sogleich, dass diese Beobachtung nur dafür
einsteht, dass das Fett der Butter und des Eiters einerseits und des
Bindegewebes anderseits ihr Bildungsmaterial aus einer Quelle ziehen. —
Zur Entscheidung können auch nicht die Versuche von R. Wagner*),
Burdach und Wittich**) dienen, aus denen hervorgeht, dass eine
Crystalllinse, Muskelstücke, Hollundermark u. dergl., welche in die Unter-
leibshöhle geschoben werden, nach einiger Zeit sich in Fette umgewan-
delt oder damit durchtränkt haben. Denn selbst das Fett, welches in
das Hollundermark abgesetzt war, kann seinen Ursprung aus Stoffen ge-
zogen haben, welche in wässerigen Lösungen in dasselbe eingedrungen
und dort erst verändert sind. Siehe hierüber noch Michaelis***).
Das Schwinden des Fettes in den Zellen lässt sich ebenfalls nach
Analogie bekannter Fettzersetzungen wohl erklären, aber es fehlt uns
ein Beweis für das Bestehen eines solchen Prozesses in der Fettzelle.
Man konnte nemlich voraussetzen, dass in dieser letztern nach Art der
oxydirenden Fettgährung die neutralen Fette erst in Glycerin und fette
Säuren und diese dann wieder durch allmählige Abspaltung in C2H2
und CO2, HO und eine fette Säure niederer Ordnung zerfiel. Um dieser
Hypothese Eingang zu verschaffen, fehlt selbst der Nachweiss von Ca-
pron-, Capryl-, Baldrian-, Buttersäure u. s. w. in dem Fettgewebe.
Nervenröhren.
1. Die anatomischen Eigenschaften derselben sind schon früher (Bd.
I. p. 71 auseinandergesetzt.
2. Chemische Zusammensetzung. Die mikrochemische Untersuchung,
deren Ergebnisse ebenfalls schon früher erwähnt sind, lässt die Scheide
des Rohrs aus elastischem Gewebe und den Inhalt desselben aus einem
Gemenge von Fetten, Eiweissstoffen, Salzen und Wasser bestehen.
v. Bibra†) hat die Fette und Salze der Nerven und ebenso einige
quantitative Verhältnisse derselben im Grossen untersucht; die Fette be-
[206]Nervenröhren.
stehen nach ihm aus Olein und Margarin, Cerebrinsäure, Cholestearin
und einigen andern nicht näher bestimmbaren festen und flüssigen Fett-
arten; die Asche enthielt Eisen, Kochsalz und Verbindungen der Phos-
phorsäure mit Kali, Natron, Kalk- und Talkerde.
Quantitativ sind v. Bibra bestimmt worden die in Aether löslichen und unlös-
lichen Bestandtheile, das Wasser und die Aschen am nerv. opticus, brachialis, cru-
ralis, ein oberer und unterer Abschnitt des ischiadicus bei Menschen von 3 bis 93 Jah-
ren, männlichen und weiblichen Geschlechts. Diese Beobachtungen lassen erkennen,
dass das analytische Objekt von sehr variabler Natur ist und in keiner Abhängigkeit
zum Alter des Menschen und der Lokalität des Nerven steht. So schwankt z. B.
der Fettgehalt in 100 Theilen im n. eruralis zwischen 13 und 44 pCt., im n. brach.
zwischen 4 und 36 pCt., im obern Stück des n. ischiadicus zwischen 18 und 44 pCt.
und im untern zwischen 11 und 43 pCt.. Aehnliche Unterschiede zeigt der Gehalt
des Wassers und der in Aether unlöslichen Bestandtheile. Zugleich zeigen die Zah-
len, das kein bestimmtes Verhältniss zwischen dem Wasser- und Fettgehalt besteht;
die Nerven geringsten Fettgehaltes erweisen sich allerdings am wasserreichsten, aber
sehr häufig ist der Wassergehalt zweier Nerven annähernd einander gleich, wäh-
rend ihr Fettgehalt weit von einander abweicht. — Der Gehalt an Asche steigt
dagegen mit demjenigen der in Aether unlöslichen Stoffe. Er wechselt zwischen 1,2
bis 0,6 des feuchten Nerven. Die Zusammensetzung der Fette ist ebenfalls qualitativ
und quantitativ wechselvoll; gewöhnlich überwiegt Margarin und Olein, das bis zu
94,9 pCt. des trockenen ätherischen Auszugs sich erhebt. Die Asche besteht wesent-
lich aus phosphorsauren Salzen, unter denen bald die phosphorsauren Alkalien und
bald die Erden überwiegen. In 100 Theilen Asche hält sich das Chlornatrium zwi-
schen 18 und 27 pCt. und das Eisen zwischen 1 und 2 pCt. — Die n. cruralis und
ischiadicus einer einseitig gelähmten 78jährigen Frau waren beiderseits sehr saftreich,
der n. brachialis, welcher nur auf der gelähmten Seite untersucht wurde, dagegen
keineswegs.
3. Ernährung. Die entstehenden Nervenröhren sollen aus verlänger-
ten und mit einander verwachsenen Bildungszellen hervorgehen. Eine
vollkommene Neubildung ist auch im erwachsenen Menschen möglich
(Virchow) *), obwohl sie selten vorzukommen scheint. Der Wieder-
ersatz eines ausgeschnittenen Stücks Nervenrohr mit der Wiederherstel-
lung seines Kanals ist dagegen sehr häufig beobachtet und tritt, obwohl
sehr langsam, im gesunden Individuum jedesmal ein, vorausgesetzt, dass
die beiden zugehörigen Enden des durchschnittenen Nerven durch einen
Zwischenraum von nicht mehr als höchstens 8—12 Linien getrennt und
mit ihren Schnittflächen einander zugekehrt sind. Diese Thatsachen in
Verbindung mit den Ergebnissen, welche die mikroskopischen Beobach-
tungen von Kölliker und Valentin**) lieferten, lassen darauf schlies-
sen, dass die beiden Enden wieder mit einander verwachsen. Im Gegen-
satz hierzu behauptet Walther***), dass das peripherische von seiner
Verbindung mit Hirn oder Rückenmark getrennte Stück ganz absterbe
und sich an der Stelle desselben ganz neue Nervenröhren entwickelten,
[207]Nervenröhren.
die mit denen im centralen Stumpf enthaltenen sich verbinden. — Die Zahl
der Röhren, welche von gleichnamigen Nervenstämmen eines Kindes und
eines Erwachsenen eingeschlossen werden, ist annähernd gleich, der mittlere
Querschnitt der kindlichen Nervenröhren ist dagegen viel geringer, als im
spätern Lebensalter (Harting). Daraus darf wohl gefolgert werden,
dass sich beim Wachsthum des Körpers nicht die Zahlen, sondern nur
die Dimensionen der Nervenröhren vergrössern.
Im ausgewachsenen Nerven setzt man einen lebhaften Stoffwechsel
voraus; dieses gründet man, in Ermangelung chemischer Beweise darauf,
dass ein Nerv seine Fähigkeit, lebendige Kräfte zu entwickeln, rasch ein-
büsst, wenn ihm die Blutzufuhr abgeschnitten wird, und sie ebenso rasch
nach dem Zutritt von Blut wieder gewinnt. — Die einzigen sicheren Er-
fahrungen über die inneren Umsetzungen des Nerven, hat die mikrosko-
pische Anschauung geliefert. Sie lehrt, dass ein Nerv, der längere Zeit
den Zustand der Erregung entbehrt hat, blass und zusammengefallen ist
und zuweilen mit kleinen Fetttröpfchen gefüllt ist (Kölliker, Vir-
chow). Diese Veränderung kann aber, so lange als die Verbindung des
Nerven mit dem Hirn und Rückenmark noch besteht, wieder aufgehoben
werden; denn ohne diese Annahme würde es unerklärlich sein, dass die
atrophischen Muskeln und Nerven eines Klumpfusses wieder in normale
Funktion treten, nachdem durch eine passende orthopädische Behandlung
die Beweglichkeit des Gliedes wiederhergestellt ist. — Die mikrosko-
pische Untersuchung thut ausserdem dar, dass ein von den nervösen
Centren getrennter Nerv rasch seine Struktur einbüsst, indem namentlich
das Mark gerinnt und die doppelten Contouren verloren gehen. Diese Be-
obachtungen zeigen, dass der Nerv, um seine chemische Zusammensetzung
zu behaupten, ebensowohl die Beihilfe des Blutes, als auch der Einwirkun-
gen bedarf, welche vom Hirn- und Rückenmark aus auf sie zu gesche-
hen pflegen. Ob diese in noch etwas andern, als in der von dort aus-
gehenden Erregung bestehen, ist nicht bekannt.
Von den Ernährungsverhältnissen der übrigen nervösen Elementar-
formen, z. B. der Ganglienkugel, der Stübchenschicht u. s. w., weiss die
Physiologie noch nichts dem betreffenden Inhalt der histologischen Lehr-
bücher zuzusetzen.
Hirn- und Rückenmark.
1. Chemische Zusammensetzung *). Die wässerige Flüssigkeit, welche
aus dem Hirn gewonnen werden kann, enthält mehrere Eiweissstoffe, Milch-
säure (v. Bibra), phosphorsaure neben Spuren von schwefel- und salz-
[208]Hirn- und Rückenmark.
sauren Alkalien in Lösung; ausserdem hat man in ihm gefunden die Häute
der Gefässe und Nervenröhren, unlösliche eiweisshaltige (?) Körper, Gly-
cerinphosphorsäure, Cerebrinsäure, Cholestearin, Olein, Margarin und ein
Gemenge anderer nicht näher untersuchter, fettartiger Stoffe, Eisen,
Kieselsäure, phosphorsaurer Kalk und Talk. — Das Verhältniss, in wel-
chem diese Stoffe in den verschiedenen Hirntheilen vorkommen, ist nicht
gleich. John und Lassaigne hatten schon gefunden, dass die weisse,
nur aus Nervenröhren zusammengesetzte Substanz viel reicher an Fett
und dagegen viel ärmer an Wasser sei, als die graue. Diese Beobach-
tung ist durch eine ausgedehnte Versuchsreihe von Hauff, Walther
und v. Bibra bestätigt worden, welche in der weissen Substanz 69,6
bis 70,6 pCt., in der grauen dagegen nur 84,8 bis 86,4 pCt. Wasser fan-
den, während die erstere 14,9 bis 17,0 pCt., die letztere dagegen 4,8
bis 5,1 pCt. Fett enthielt. Schlossberger fügt hierzu die Erfah-
rung, dass diese Unterschiede zwischen weisser und grauer Substanz in
dem Hirn von Neugeborenen noch nicht bestehen, indem beide zwischen
88,5 und 89,8 pCt. Wasser und 3,5 bis 3,8 Fett enthalten. Die Fette
der beiden Substanzen unterscheiden sich dadurch, dass in der weissen
die Cerebrinsäure, in der grauen dagegen die unbekannten Fettarten
überwiegen, Cholestarin scheint in beiden Fettarten ungefähr gleich viel
zu sein (v. Bibra), und ebenso ist auch die Asche beider Hirnmassen
nicht gleich zusammengesetzt, da diejenige der weissen Substanz stark
sauer, die der grauen aber alkalisch reagirt (Lassaigne, Schloss-
berger). Der Grund für die saure Beschaffenheit der Weisshirnasche
ist gelegen in dem starken Gehalt ihrer phosphor- und phosphorsäure-
haltigen Fette.
Beliebige Stücke der Hirnsubstanz, die man ohne Sonderung der
weissen und grauen Masse ausgeschnitten hatte, sind demnach begreif-
lich nicht überall gleich zusammengesetzt. Vauquelin beobachtete, dass
medulla spinalis und oblongata am fettreichsten sei, und Bibra, der
dieses bestätigt, setzt hinzu, dass dann mit abnehmendem Fettgehalt der
Reihe nach folgen die Grosshirnhemisphären, cerebellum und pons, crura
cerebri, corpora striata und thalami optici. Dieser Fettgehalt ist bei
Embryonen und jungen Kindern geringer, späterhin, namentlich jenseits
der Pubertät ist er unabhängig vom Alter; dasselbe gilt von dem Fett-
reichthum des übrigen Körpers, indem magere und fette Personen ganz
denselben Fettwerth bieten (v. Bibra). Um einen Begriff von der Zu-
sammensetzung der mineralischen Hirnbestandtheile zu geben, fügen wir
eine Analyse derselben von Breed bei. 100 Theile frischen Hirns hinter-
liessen 0,027 Asche, welche in 100 Theilen aus 55,24 pyrophosphor-
saurem Kali; 22,93 pyroph. Natron; 1,23 pyroph. Eisen; 1,62 pyroph.
Kalk; 3,4 pyroph. Magnesia; 4,74 Chlornatrium; 1,64 schwefelsaurem
[209]Muskeln.
Kali, 9,15 Phosphorsäure und 0,42 Kieselsäure bestanden. Analysen der
entfetteten Hirnmasse theilt v. Bibra*) mit.
Der Gefässreichthum der Nervencentren und insbesondere derjenige
der grauen Substanz erwecken die Vermuthung, dass dort eine lebhafte
chemische Thätigkeit stattfinden möge; diese Anschauung wird unterstützt
durch die bekannte Erfahrung, dass das Hirn rasch abstirbt, wenn der
Strom des arteriellen Blutes zum Hirn oder Rückenmark nur kurze
Zeit unterbrochen ist. Hiergegen spricht aber scheinbar die mehrfach
bestätigte Erfahrung Chossat’s, dass das Hirn verhungerter Thiere im
Gegensatz zu Fett, Muskeln u. s. w. einen nur unb[ede]utenden Gewichts-
verlust erlitten hat; eine kurze Ueberlegung führt uns aber sogleich noch
eine andere Erklärung dieser Erscheinung zu; denn es steht uns nichts
entgegen, anzunehmen, es sei das Hirn mit so energischer Verwandt-
schaft zu den Blutbestandtheilen begabt, dass es auch noch aus dem
Blut des hungernden Thiers, gleichsam auf Kosten der übrigen Organe,
den Verlust ersetze, welchen es während seines Bestehens fortdauernd
erleidet. — Da die chemische Zusammensetzung des Hirns nicht überall
dieselbe ist, so wird es daraus wenigstens ganz im Groben erklärlich,
warum Gifte, insbesondere Kohlensäure und Narkotika nicht alle Orte
desselben gleichmässig angreifen, so dass z. B. Digitalin die Ursprünge
des n. vagus, Opium die mit dem Bewusstsein in Verbindung stehenden
Stellen, Kohlensäure eher das grosse Gehirn als das verlängerte Mark
abtödtet.
Muskeln.
Der anatomische und chemische Bau der glatten und gestreiften
Muskelröhre ist schon abgehandelt **).
1. Ernährungserscheinungen. Die Muskelröhre entsteht ursprüng-
lich aus einer oder mehreren verlängerten und mit einander verwachse-
nen Primitivzellen; der Hohlraum dieser Röhre füllt sich dann von der
Peripherie gegen das Centrum hin mit kleinen Prismen oder Fasern. In
der Fötalperiode entsteht ein Muskelrohr nur dann, wenn die ihm zuge-
hörigen Nerven vorhanden sind (E. H. und Ed Weber) ***). Im erwach-
senen Individuum gehört ihre Neubildung ebenso wie die Verheilung
eines durchschnittenen Rohres mit Muskelsubstanz zu den höchsten Sel-
tenheiten; sie ist nur zweimal von Rokitansky und Virchow†) beob-
achtet worden; ob sich mit ihnen gleichzeitig Nerven entwickelten? —
Bei dem Wachsthum der Muskeln nimmt nicht die Zahl, sondern der
Umfang der in ihnen enthaltenen Röhren zu (Harting, Hepp) ††). Da-
mit in Uebereinstimmung fand Liebig, dass verdünnte Salzsäure,
Ludwig, Physiologie. II. 14
[210]Muskeln.
welche die Röhrenwände und Scheiden zurücklässt, das Röhrenmark aber
löst, aus den Muskeln alter Thiere einen grössern proportionalen Antheil
auflöst, als aus denen junger.
Die Muskelzelle entsteht durch Auswachsen der Bildungszellen;
im spätern Leben bildet sie sich sehr leicht nach ihrer Zerstörung wie-
der, ohne dass die gleichzeitige Entwickelung von Nerven beobach-
tet wird.
Der Inhalt des lebenden Muskelrohrs kommt niemals zu einem che-
mischen Gleichgewicht. Aus den frühern ausführlichen Mittheilungen
hierüber heben wir nur noch hervor, dass der Inhalt erstarrt, wenn der
zu ihnen führende Blutstrom unterbunden ist, dass sie aber, so lange
dieser zu ihnen tritt, auch Kohlensäure und zu den Zeiten der Erre-
gung Kreatin, Kreatinin, Michsäure u. s. w. liefern. Ueber die Geschwin-
digkeit des Stoffwechsels fehlen Angaben; etwas weniges ist uns nur be-
kannt über das Verhältniss der zu- und abgehenden Strömung. Die Zu-
fuhr überwiegt den Abfluss, wenn bei hinreichender und insbesondere
bei fleischhaltiger Nahrung die Muskeln häufig und angestrengt in Ver-
kürzung gerathen. In diesem Falle nehmen nemlich die Muskeln an
Umfang zu. — Umgekehrt verhalten sich die Dinge bei Entziehung der
Nahrung, namentlich verdünnen sich die Muskelröhren auch, wenn die
Thiere nur mit Eiweiss gefüttert werden, so dass sie aus Mangel an Fett
oder Amylon verhungern. Doch ist die Abnahme derselben dann gerin-
ger, als wenn sie umgekehrt durch Entziehung des Eiweisses verhun-
gern (Schuchardt) *). Die Muskeln nehmen auch an Gewicht ab,
wenn sie bei noch so guter Ernährung lange Zeit in dem verlänger-
ten Zustand verharren, hierbei ist es gleichgiltig, ob das Verharren
in diesem Zustand bedingt war durch Abwesenheit der Nervenerregung,
Zerstörung eines Gelenkes u. s. w. — Die Umsetzung der Stoffe im
Rohr wird damit auch qualitativ geändert, da die verkümmerten Mus-
keln sehr reich an Fett werden.
Die Muskeln sind öfter auch im Ganzen analysirt worden; bei einem Mangel an
genügenden Hilfsmitteln, um Bindegewebe, Gefässe, Fett, Muskelröhren, Blut und
Muskelsäfte zu scheiden, sind diese Beobachtungen natürlich unvollkommen; für die
Physiologie der Muskelernährung sind sie auch noch nicht von Bedeutung geworden;
dagegen nehmen sie ihren wahren Platz ein in den Verzeichnissen der Nahrungs-
mittel. — Das einzige, was vielleicht schon hier bemerkt werden musste, ist die
Beobachtung von Schottin, nach welcher das Blutserum eines Thiers 10 pCt.
Wasser mehr enthält, als die Muskeln, welche möglichst von Fett und Bindegewebe
befreit sind. Damit kommt nun allerdings die Erfahrung von Schlossberger und
Bibra**) nicht überein, wonach die Muskeln junger Thiere um 2 pCt. wasserhalti-
ger sind, als die der ältern.
[211]Blutgefässwände.
Blutgefässwandungen.
Die anatomischen Eigenschaften der ausgebildeten Gefässwandungen
sind auf Seite 75 u. f. dieses Bandes beschrieben.
2. Die chemische Zusammensetzung *) der Gefässhaut wechselt mit
ihrer anatomischen Struktur; je nach dieser bietet sie bald die Eigen-
thümlichkeiten des elastischen oder eines Gemenges aus elastischem
Muskel- und Bindegewebe dar. Die Flüssigkeit, welche die grossen Ar-
terien durchtränkt, reagirt alkalisch und enthält ausser den Bestandthei-
len der Fleischflüssigkeit einen eiweissartigen Körper, welcher seiner
Reaktionen wegen für Casein angesprochen wird (Schulze, Lehmann).
3. Ernährungserscheinungen. Die ersten Anlagen der Gefässe **) be-
stehen nach Kölliker und Remak aus trüben Strängen, welche sich
aus Zellen zusammensetzen, von denen jedesmal mindestens zwei auf
dem Querschnitt eines Stranges liegen. Die auf der Aussenfläche des
Stranges gelegenen Zellen verwachsen, die gegen das Centrum liegenden
werden aufgelöst. Die primitive Röhrenwand ist also immer nur aus
Zellen zusammengesetzt; ihren spätern Platten, Fasern, Zellen sollen
zellige Auflagerungen auf die äussere Fläche der primitiven Wand vor-
ausgehen. Beim Auftreten aller spätern Gefässe im Fötus und Gebornen
und namentlich auch derjenigen, welche sich bei der Vernarbung von
Wunden u. dgl. bilden, zeigt sich dagegen eine ganz andere Formfolge.
Die fertigen Gefässröhren werden nach Remak und J. Meyer da,
wo eine Neubildung im Werke ist, verbunden durch sehr feine und so-
lide Faden, welche von einem stumpfen Ende eines bestehenden Ge-
fässes ihren Anfang nehmen; der Faden wird breiter und zugleich er-
weicht sich sein Inhalt, so dass eine Höhle in ihm entsteht, welche sich
in die anfänglich noch viel weiteren Gefässröhren öffnet, und dann sich
bis dahin ausweitet, dass ihr Binnenraum Blutkörperchen aufnehmen
kann. Schwann und nach ihm Kölliker u. A. beschreiben im Ge-
gensatz zu diesen Erfahrungen an den Orten, wo neue Gefässe auftre-
ten, sternförmig verästelte Zellen; die benachbarten Aeste der Zellen er-
reichen sich zum Theil und verschmelzen vollkommen, so dass die Höhlun-
gen derselben sich einander öffnen; andere Ausläufer treffen dagegen
auf die Wandungen schon fertiger Capillargefässe, mit den sie verwach-
sen; an diesen Verwachsungsstellen verschwindet endlich auch die Scheide-
wand zwischen Zellen und Gefässhöhlen, so dass nun die Blutflüssigkeit
aus der letztern in die erstere eindringt und den Binnenraum derselben
erweitern kann. — Die fertigen Capillaren wandeln sich nun unter ge-
wissen Bedingungen in Gefässe höherer Ordnung um, indem sich ihre
14*
[212]Milz.
Höhle ausweitet und ihre Wand durch Auflagerung von elastischem und
muskulösem Gewebe verdickt. Dem Anschein nach spielt hierbei der
Blutdruck selbst eine Rolle, in der Art, dass wenn derselbe zunimmt,
auch die Höhle und Wandung umfänglicher werden. Diese Meinung
gründet sich auf die Erfahrung, dass sich die Aeste eines Stammes er-
weitern, wenn dieser letztere unterbunden würde, eine Erscheinung,
welche bei den Chirurgen unter dem Namen der Entwickelung des Colla-
teralkreislaufes bekannt ist.
Die weissartigen Bestandtheile der Gefässwand und wahrscheinlich
diejenigen der Muskelzellen, setzen sich während des Lebens in andere
Atome um, wie dieses aus der Untersuchung der sie durchtränkenden
Flüssigkeit hervorgeht. Unter welchen Bedingungen dieser Stoffwechsel
steigt und fällt, und wie umfangreich er überhaupt ist, wissen wir nicht.
Man konnte vermuthen, dass er nicht unbedeutend wäre, wenn man die
zahlreichen Capillaren, welche sich in der Wand der grössern Arterien
verbreiten, bedenkt. — Die Anwesenheit der vasa vasorum gewährt ausser-
dem noch Interesse, weil es zeigt, dass die tunica elastica derselben
selbst bei dem hohen Druck, unter welchem das Blut in ihnen strömt,
die Stoffe, welche zur Muskelernährung nothwendig sind, nicht in genü-
gender Menge durchlässt.
Die Neubildung von Gefässen in Geborenen ist von Bruch, Rokitansky,
Wedl*) u. A. abweichend von den gegebenen Mittheilungen dargestellt worden,
worüber die untenstehende Litteratur und die auf sehr genaue Untersuchungen ge-
stützten Gegenbemerkungen von J. Meyer und Henle nachzusehen sind.
Die Milz.
1. Anatomische Zusammensetzung **). In den Bau der Milz gehen
ein die Kapsel mit ihren Fortsätzen, den sog. Balken, Blut- und Lymph-
gefässe, Nerven, die Milzbläschen und das Mark. — Kapsel und Balken
sind aus den Elementen des Bindegewebes geformt. Die Kapsel, welche
die übrigen anatomischen Bestandtheile der Milz einschliesst, sendet von
ihrer innern Fläche zahlreiche Fortsätze aus, die sich vielfach verästeln
und sich untereinander verbinden, so dass im Hohlraum der Kapsel ein
Netzwerk mit weitern und engern Maschen entsteht. — Die Blutgefässe
stülpen an ihren Eintrittsstellen die Kapselwand in den Hohlraum, oder
mit andern Worten, sie überziehen sich mit einer Scheide, welche die
grossen Stämme der Venen und Arterien nebst Lymphgefässen und Ner-
ven umkleidet, und schliesslich, indem sie den feinen Arterienzweigen
folgt, mit eingeht in das Balkenwerk der Milz. Die Arterien zerfallen
nach ihrem Eintritt in den Milzraum sehr rasch, und vertheilen sich
[213]Milz.
schliesslich pinselförmig in Capillaren, welche auf dem Milzbalken verlaufen,
insofern sie nicht in das Innere der Milzbläschen eingehen. Der weitere
Verlauf der Lumina zunächst jenseits dieser Capillaren ist nicht vollkommen
klar, weil es nemlich nicht gelingt, eine Injektionsmasse durch die Ar-
terie in die Vene oder durch letztere in erstere zu treiben, ohne die Ge-
fässe zu zerreissen. Man vermuthet, dass die Capillaren sich in grössere,
von sehr dünnen Wandungen bekleidete Säcke ergiessen, und dass aus
diesen kleine Venen entspringen, welche sich rasch zu den grossen Stäm-
men sammeln. Daneben ist aber auch die Meinung ausgesprochen, dass
die Capillaren in die Räume zwischen den Balken aus- und diese wieder
in die Venen einmündeten, so dass der gesammte zwischen den Balken
freibleibende Hohlraum von den Venensäcken eingenommen würde. Die
Wandungen der Blutgefässe und namentlich die der feinen Venenäste
sind sehr dünn, auf ihrer innern Fläche mit einer Oberhaut aus Spindel-
zellen bekleidet und in ihrer Media mit Muskelzellen versehen. — Die
grössern Lymphgefässstämme folgen den Blutgefässen; über ihre An-
fänge steht nur so viel fest, dass ein Theil derselben aus dem Mark
und ein anderer von der Milzoberfläche sich sammelt. — Die Nerven,
welche von sehr vielen Remak’schen Fasern begleitet werden, folgen
den Arterien, an deren feinsten Zweigen sie noch aufzufinden sind, wie
und wo sie enden, ist noch aufzudecken. — Die Milzbläschen sind kleine
kugelartige Kapseln, welche vorzugsweise von Lymphkörperchen, feinen
Kernen und einer geringeren Menge von Flüssigkeit ausgefüllt sind, zwi-
schen denen sich ein Capillarnetz aus Blutgefässen ausbreitet; dieses
zieht seinen Ursprung aus einem besondern kleinen Arterienästchen, wel-
ches die Kapsel des Bläschens durchbohrt. Die Milzbläschen, welche
ihre Lagerungsstätte in den Scheiden an den Aesten der Arterienpinsel
haben, sollen ihren Hohlraum in den Lymphgefässen öffnen. Diese An-
nahme, welche aus ihrem, den Lymphdrüsen analogen Bau hervorgegan-
gen ist, würde, wie es scheint, bewiesen sein, wenn sich die Beobach-
tung von Gerlach bestätigt, welcher die in ihren Arterien injizirte
Leimmasse in die Lymphgefässe übergehen sah, wenn die ersteren in
Folge des Injektionsdruckes gerissen waren. — Das Mark, welches man
aus den durchschnittenen Hohlräumen der Milz auspressen kann, stellt
eine weiche röthliche Masse dar. In seiner sparsamen Flüssigkeit sind
zahlreiche, feste und geformte Gebilde vorhanden, welche weitaus zum
grössten Theil aus den im Blutgefässe und Milzbläschen enthaltenen Zel-
lenformen bestehen, nemlich: aus Kernen, Lymph- und Blutkörperchen
und Epithelialzellen der Gefässwand. Dazu gesellen sich aber sehr häufig
als besondere Gestalten grössere Zellen, welche Blutkörperchen oder Blut-
körperchen ähnliche Formen einschliessen, welche letztere sich, obwohl
sie verschrumpften Blutscheiben sehr ähnlich sehen, durch ihre chemi-
schen Reaktionen sehr weit von ihnen entfernen. Dann erscheinen Zellen
[214]Milz.
mit einzelnen Pigmentkörnchen, ferner Häutchen von zusammengeklebten
gelb oder bräunlich gefärbten Körnchen und endlich auch Häufchen un-
regelmässig gestalteter farbloser Körnchen.
2. Chemische Zusammensetzung. — a. Die Flüssigkeit des venösen
Bluts der Milz unterscheidet sich nach den vorliegenden Untersuchungen
von der des arteriellen Bluts nicht durch besondere nur in diesem Or-
gan vorkommenden Merkmale; der Inhalt der venösen Blutscheiben kry-
stallisirt dagegen vorzugsweise leicht; die Zahl der farblosen Blutkörper-
chen des Milzvenenblutes ist im Verhältniss zu den rothen grösser, als
im Arterienblut (Funcke). — In den Milzbläschen beobachteten Vir-
chow*) und Meckel einen Stoff, welcher nach Zusatz von Jod hell-
roth oder blassblau, nach Zusatz von Schwefelsäure und Jod schön blau,
ähnlich wie die Stärke, gefärbt wird. Dieser Stoff widersteht der Fäul-
niss viel längere Zeit als die eiweissartigen Körper und ist in Aether
unlöslich (Naegli). Virchow vermuthet darum, dass er aus einer
Art von Cellulose bestehe. Dieser sehr wahrscheinlichen Vermuthung
gegenüber hält Meckel denselben für Cholestearin, welches sich seinen
Beobachtungen gemäss durch Jod und Schwefelsäure ebenfalls bläuet. —
Die Milzlymphe unterscheidet sich, soweit bekannt, dadurch von anderer,
dass sie häufiger, und zwar ebensowohl während der Verdauungsperiode
(Tiedemann, Gmelin), als auch während des Hungers (H. Nasse)
Blutkörperchen enthält. — Aus der Milz lässt sich ein Extrakt gewin-
nen, der nach Scherer**) Milch-, Butter-, Essig-, Ameisensäure,
Hypoxanthin, Harnsäure, einen eisenreichen eiweissartigen Körper, koh-
lenstoffreiche Farbstoffe und nach Frerichs und Staedeler Leu-
cin ***) enthält.
3. Der Blutstrom in der Milz. Die unvollkommene Kenntniss der
Gefässlumina in der Milz erlaubt es uns nicht, zur Bildung einer Vor-
stellung zu kommen über die Verhältnisse der Spannung oder Geschwin-
digkeit in den aufeinanderfolgenden Querschnitten. Die Spannung in den
Venen und insbesondere in den Sinuositäten derselben muss aber nach
den vorliegenden Beobachtungen wechselnd sein †), weil die Milz an-
und abschwillt und zwar so rasch, dass diese Volumveränderungen nur
abgeleitet werden können von Störungen oder Erleichterungen im Ab-
oder Zufluss ihres Blutes. Da diese periodischen Schwellungen mit der
Verdauung zusammenfallen, also zu einer Zeit, in welcher sich auch
die Capillaren der Pankreas-, Magen- und Darmschleimhaut ausdehnen,
so liegt es nahe, anzunehmen, dass sie eine Folge des veränderten
Stromlaufs in den Collateralästen der Milzgefässe sind. Ob dieses der
[215]Milz.
Fall, und wie sich hierbei der Stromlauf gestalte, ist um so weniger
klar, als sich nicht angeben lässt, ob nicht etwa zu jener Zeit die Mus-
keln in den Milzarterien im Zustande der Abspannung sind.
4. Stoffbewegungen im Milzparenchym. a. Der Inhalt der Bläschen
ist unzweifelhaft in einer chemischen Bewegung von verschiedener In-
tensität begriffen; für das Bestehen eines Stoffwechsels bürgt das Auf-
treten der ihnen vor allen andern Orten der Milz eigenthümlichen Zellen-
arten, und für eine Veränderlichkeit desselben stehet das abweichende
Aussehen ihres Inhaltes ein. Bei Thieren findet man dieselbe nemlich
bald prall und bald nur wenig gefüllt. Dieser Unterschied stellt sich
nach Ecker auch dann noch heraus, wenn man die Gefässe, welche aus
dem Hilus der Milz austreten, nach dem Tode sogleich unterbunden hat.
Da sich der Inhalt der Bläschen immer rasch minderte, wenn diese Vor-
sichtsmaassregel unterlassen wurde, so sind die ältern Beobachtungen,
dass die Milzbläschen nach Wassertrinken oder überhaupt während der
Verdauung mehr gefüllt seien, als während des Hungerns, mit Misstrauen
zu betrachten, und zwar mit um so grössern, als Ecker bei seinen
Versuchen eine Anschwellung der Bläschen zu der angegebenen Zeit
nicht beobachtet; er fand im Gegentheil bei hungernden Katzen die Bläs-
chen auffallend deutlich. Noch deutlicher weist auf eine Verschiedenartig-
keit des chemischen Umsatzes die wechselnde Consistenz und Färbung
des Bläscheninhaltes hin; Ecker und Giesker fanden ihn zuweilen
zu einem Klümpchen geronnen, Spring und Ecker zuweilen röthlich
oder gelb, während er von den übrigen Beobachtern als farblos angegeben
wird. In menschlichen Leichen ist das Milzbläschen gewöhnlich nur
dann deutlich sichtbar, wenn der Tod plötzlich oder während der Ver-
dauung erfolgte (v. Hessling); ihre häufige Abwesenheit erklärt sich
entweder aus einer rasch eintretenden Fäulniss, oder aus der Abwesen-
heit eines festen oder flüssigen Inhalts.
b. Das Mark der Milz geht ebenfalls Umsetzungen ein, welche durch die
Gegenwart der von Scherer, Frerichs u. Staedeler entdeckten chemi-
schen Körper, der eigenthümlichen Zellen- und Klümpchenformationen, un-
zweifelhaft bestätigt wird. Ueber den Umfang derselben ist man ganz im Un-
klaren; über Beginn oder Ziel derselben besteht eine lebhafte Controverse,
indem man entweder das Entstehen oder das Vergehen der Blutkörperchen
innerhalb des Milzmarkes behauptet. Die erste Meinung stützen Gerlach,
Funcke u. A. auf die reichliche Gegenwart von farblosen Zellen in dem
Milzvenenblut; hier ist aber zu bedenken, dass nur eine Vermehrung
derselben im Verhältniss zu den farbigen Blutkörperchen, keineswegs
aber ihre absolute Zunahme erwiesen ist. Nächstem heben sie hervor
das ausserordentliche Uebergewicht der farblosen Blutzellen und das
Zurücktreten der farbigen, welches nach Virchow mit einer eigenthüm-
lichen Krankheit der Milz, dem Tumor derselben, Hand in Hand geht.
[216]Milz. Thymus, Schilddrüse, Nebenniere.
In der That ist nach den Beobachtungen unseres berühmten Pathologen
das Missverhältniss beider Blutzellenarten so gross, dass das Blut statt
der normalen rothen eine weisse Farbe annimmt. — Ecker und Köl-
liker halten diesen Gründen entgegen die häufigen Extravasate von Blut,
denen man in der Milz begegnet, und die Ergebnisse der Beclard’-
schen Blutanalyse, wonach das Milzvenenblut weniger rothe Körper-
chen enthalten soll, als das Arterienblut. Abgesehen davon, dass keine
Analyse des Bluts in Wahrheit eine gesonderte Bestimmung der Körper-
chen auszuführen vermag, würde selbst, die Richtigkeit der Beobach-
tung vorausgesetzt, aus der Beclard’schen Untersuchung nur dann
der abgeleitete Schluss annehmbar erscheinen, wenn sehr zahlreiche Ver-
suche dasselbe Resultate ergeben hätten. Denn es liegt sehr nahe, an-
zunehmen, dass in den Sinuositäten der Milzvenen sich öfter Blutkörper-
chen anhäufen, welche von einer folgenden Strömung wieder ausgespült
werden können; es würde also gar nicht auffallend sein, wenn das aus
der Milz hervortretende Blut einmal ärmer und das anderemal reicher
an Blutkörperchen wäre, als das einströmende. Beide Parteien führen
endlich zum Beweis für ihre Meinung die eigenthümlichen Formen und
insbesondere die Zellen an, welche Blutkörperchen und blutkörperähnliche
Formen und Pigmentkörperchen enthalten. Die Unsicherheit, welche in der
Formfolge entstehender und vergehender thierischer Elementargebilde
herrscht, erlaubt dem Einen, das für eine zum Blutkörperchen aufstei-
gende Formenreihe anzusehen, was der Andere für eine absteigende erklärt.
Die grössere Wahrscheinlichkeit haben allerdings Ecker und Kölliker
für sich, weil nemlich dieselben Formen an solchen Orten beobachtet
werden, an welchen unzweifelhaft eine Vernichtung von Blutkörperchen
vor sich geht, wie z. B. in den umgewandelten Blutergüssen, welche
nach einer Gefässverletzung in dem Bindegewebe mannigfacher Organe
geschehen sind. Wäre man aber bereit, der Annahme von Kölliker
und Ecker zu folgen, so würde immerhin daraus noch nicht gefolgert
werden können, dass die Zerstörung der Blutkörperchen in der Milz ein
normaler Hergang sei; denn man vermisst die Blutkörperchen führenden
Zellen und deren Derisate bei der mikroskopischen Untersuchung sehr
häufig. — Da nun offenbar die für beide Meinungen vorgebrachten That-
sachen sich gar nicht ausschliessen, so ist es auch erlaubt, anzunehmen,
dass unter Umständen eine Neubildung und unter andern eine Zerstö-
rung der Blutkörperchen in der Milz vorkommen können.
Die Bedeutung, welche die Umsetzungen in der Milz, gleichgiltig
worin sie bestehen, für das Leben gewinnen, ist nun aber keinenfalls
eine hervorragende, da die Milz nach den Beobachtungen von Barde-
leben ohne jeglichen Nachtheil, ja ohne alle merklichen Folgen für das
Bestehen des thierischen Organismus, ausgeschnitten werden könne.
Die Schilddrüse, Thymus und Nebenniere übergehen wir, weil
[217]Leber.
die physiologische Darstellung nichts zuzufügen weiss den Mittheilungen,
welche in den allgemein anatomischen Lehrbüchern zu finden sind.
Leber.
1. Anatomische Eigenschaften *). Die v. portarum vertheilt, indem
sie in die Leber eindringt, ihre Aeste in der Ordnung, dass schliesslich
zwei oder vier benachbarte Endzweige, die (Ringvenen, v. interlobulares)
in ein und derselben Ebene einander gegenübertreten, einen kleinen Raum
der Leber umgreifen und ihn von den benachbarten Stücken abgren-
zen. In diese Leberinseln (oder Leberläppchen) schicken alle zugehö-
rigen Ringvenen Capillaren, die zu einem sehr engmaschigen Netze zu-
sammenfliessen. In der Mitte eines solchen Raumes sammeln sich dann
wieder ziemlich plötzlich die feinen Lumina zu einem grössern, der Mittel-
vene (vena centralis), welche nach der vollbrachten Verbindung mit den
benachbarten als vena hepatica auf dem kürzesten Wege gegen den Ort
der vena cava zu dringen sucht, wo sie sich mit dem Zwergfell kreuzt. —
Die Lücken zwischen den Capillaren und Blutgefässen der Leberinseln sind
ausgefüllt durch grosse Kernzellen, deren Hohlraum von einer bräunlichen
Flüssigkeit strotzt. Diese Gebilde (Leberzellen) hängen nun unter ein-
ander zusammen und stellen in ihrer Gesammtheit somit ein Netz dar,
welches denen der Blutgefässe entspricht. Die sorgfältigste mikroskopische
Untersuchung dieses Netzes thut nun dar, dass die Stränge desselben
von keiner gemeinsamen Haut umschlossen werden, oder anders ausge-
drückt, dass die einzelnen Zellen frei zwischen den Blutgefässen liegen
(Henle). Dieser Anschauung konnte man früher entgegenhalten die
Erfahrungen, welche durch die Aussprützung der Gallengänge von
E. H. Weber gewonnen sind; nach ihnen verbreitet sich ein zusam-
menhängendes Netz von Kanälen zwischen den Blutgefässen, die die
Leberzellen einschliessen. Durch die Untersuchungen von Gerlach hat
dieser Einwurf aber beträchtlich an Gewicht verloren; denn er zeigte,
dass die eingesprützten Massen sich Wege zwischen den Leberzellen
bahnen. — Unzweifelhaft dringen aber gegen den Umfang der Zellennetze,
ganz analog den Milzvenen, feine Gallengänge an, deren Wand nach aussen
von einer strukturlosen Haut, nach innen von einer einfachen Lage Zellen,
die kleiner und durchsichtiger als die Leberzellen sind, gebildet ist
(Henle, Kölliker). Man ist darum jedenfalls geneigt, die Netze der
Leberzellen mindestens als virtuelle Fortsetzungen der Gallengänge anzu-
sehen. Die kleinen Gallengänge vereinigen sich, indem sie immer neben
den Pfortaderästen laufen, zu grössern; in die Wandung der letztern
lagert sich zu den vorhergehenden Bestandtheilen ein streifiges Binde-
gewebe, elastische Fasern, einzelne muskulöse Faserzellen, und endlich
[218]Leber; chemische Bestandtheile.
ist die innere Fläche statt des frühern mit einem deutlichen Cylinder-
epithelium überzogen. In gleicher Weise ist auch die Wand der Gallen-
blase gebaut, mit dem Unterschied jedoch, dass die Muskelmassen eine
vollkommene Haut um die Gallenblase bilden. In den Ausführungsgängen
des gallenerzeugenden Apparats, die Gallenblase mit eingerechnet, münden
auch zahlreiche traubige Schleimdrüschen, welche in den Wandungen der
Gallengänge liegen.
Die Häute der grossen Blutgefässe, der Gallengänge, die Bläschen
der Schleimdrüsen und der seröse Ueberzug der Leber empfangen ihr
Blut aus einem besondern Gefässstamm, der art. hepatica; die Capillar-
netze derselben senden ihren Inhalt in allen Fällen wieder in die vena
portarum, und zwar entweder mittelst kleiner Venen, die in die kleinen
Aeste der Pfortader gehen (Theile), oder es hängen unmittelbar die
Capillarensysteme beider Gefässe zusammen (E. H. Weber).
Aus der Leber, und zwar an der Oberfläche, als aus der Porta,
treten zahlreiche Lymphgefässe hervor.
In die Leber gelangen aus der plex. coeliac. Nervenzweige, deren
letzter Ursprung ebenso wie ihr Ende unbekannt ist.
2. Chemischer Bau der Leber. Das Gerüst der Leber, insbesondere
die Häute der Blut- und Gallengefässe, besteht aus den gewöhnlichen
Stoffen dieser Formelemente. Die Flüssigkeit, welche aus der zerquetzsch-
ten Leber erhalten wird, ist ein Gemenge des Inhaltes der Blutgefässe,
der Leberzellen, Lymphgefässe und Schleimdrüsen. Ausser den zu
erwartenden Blutbestandtheilen enthält nun diese Flüssigkeit als be-
sondere: a) Traubenzucker*). Der Gehalt der Leber an diesem
Stoff schwankt nach den vorliegenden Beobachtungen an den Leichen
Hingerichteter von 1,10 bis 2,14 pCt. des frischen Lebergewichts; er
steht in inniger Beziehung zu der Art und Zeit der Nahrung und zu
dem Erregungszustand des n. vagus. — Fleisch, Leim, Zucker oder Mehl
im Gemenge oder auch jedes einzeln genommen, mehren den Zucker der
Leber, Wasser oder Oel sind dieses nicht zu thun im Stande, Nahrungs-
entziehung mindert ihn. Das Maass, in welchem der Zuckergehalt steigt
mit Fleisch-, Leim- und Zuckergenuss, ist noch zu ermitteln; gewiss ist
nur, dass keineswegs der Zuckergehalt der Leber wie der der Nahrungs-
mittel wächst, und dass er bei ausschliesslicher Fleischnahrung minde-
stens eben so bedeutend ist, als bei ausschliesslichem Genuss von Zucker
und Mehl. — Die zeitliche Beziehung zwischen der Fütterung und der
Veränderung des Zuckergehaltes in der Leber stellt sich so, dass die
letztere 4—5 Stunden nach dem Genuss von Fleisch, Leim, Mehl
oder Zucker sich mehrt, dann einige Stunden über dem Werth vor der
Mahlzeit bleibt und sich endlich wieder auf diesen herabsenkt; nach voll-
[219]Leber; chemische Bestandtheile.
kommener Nahrungsentziehung, auch wenn man die Thiere bei Fett und
Wasser verhungern lässt, nimmt der Zuckergehalt allmählig ab, so dass
noch 10 bis 14 Tage nach Verfluss der letzten Mahlzeit die Leber zucker-
haltig gefunden wird. Gewöhnlich verschwindet derselbe erst einige Stun-
den vor dem Tod. — Daraus geht hervor, dass die Leber des gesunden
Menschen und sogar die des Fötus immer Zucker enthält. — Durch-
schneidet man bei einem Thier die n. vagi, so schwindet schon nach
24 Stunden aller Zucker aus der Leber; erregt man das Central- (mit
dem Hirn zusammenhängende) Ende des durchschnittenen Nerven, so
wird der Zucker in solcher Menge gebildet, dass er selbst in den Harn
übergeht. — Welchem Ort der Leber der Zucker angehört, ist nicht mit
Sicherheit anzugeben; da das Pfortaderblut zuckerfrei ist, so muss er in
der Leber und, wie man vermuthet, in den Leberzellen gebildet sein. —
Alles, was wir von diesen bemerkenswerthen Erscheinungen kennen, ver-
danken wir einem glücklichen Griff und den ausdauernden Bemühungen
von Cl. Bernard. — b) Gallensäuren*). Sie finden sich jeder Zeit
in der Leberflüssigkeit; da sie nun im Pfortader- und Lebervenenblut
der Säugethiere fehlen (Lehmann) und bei Fröschen dort selbst dann
nicht beobachtet werden, wenn sie noch 21 Tage nach Ausschneidung
ihrer Leber gelebt haben (Moleschott), so sind sie unzweifelhaft als
eine chemische Neubildung der Leber anzusehen. Die mikrochemische
Reaktion hat sie auch schon längst als einen Bestandtheil des Leber-
zelleninhalts nachgewiesen. — c) Die Fette und d) Gallenfarbstoffe
der Leberflüssigkeit leitet der Mikrochemiker aus den Leberzellen ab. —
e) Milchsäure soll nach Bibra ein Bestandtheil der Leberflüssigkeit
sein. — f) und g) Leucin und Tyrosin, die bekannten Umsetzungs-
produkte eiweissartiger Körper, kommen in der Leber und insbesondere
typhöser Individuen vor. Diese interessante Entdeckung verdanken wir Fre-
richs u. Städeler**). — h) Bernard fand nach reichlichem Genuss von
Zucker einen eigenthümlichen nicht näher bezeichneten Stoff in der Leber.
Quantitative Analysen der ganzen Leber siehe bei Bibra***).
3. Zusammensetzung des Leberbluts. Mit Hinweisung auf p. 23
dieses Bandes heben wir hier nur das Eigenthümliche unserer Blutarten
hervor. — Das Pfortaderblut ist bis dahin in seiner qualitativen Zusam-
mensetzung wenig abweichend von dem der andern Venen gefunden wor-
den. Dieses gilt selbst für das Blut, welches zur Zeit der Verdauung in
den ausgedehnten Wurzeln der Pfortader vom Darminhalt umspült worden
ist. Nur einmal fand Bernard bei einem Pferd, das reichlich mit Rohr-
zucker gefüttert war, diesen Stoff in dem Pfortaderblute. Wenn man diese
Erfahrungen nicht auf die Mangelhaftigkeit der analytischen Hilfsmittel
[220]Leber; Blut derselben.
schieben will, so bleibt nur die Annahme übrig, dass, ganz günstige Fälle
ausgenommen, die Menge von Flüssigkeit, welche durch den Diffusions-
strom in die Gefässröhren gefördert wird, verschwindet gegen die, welche
der Blutstrom selbst in sie führt. Mit dieser letzten Annahme stimmt
auch die quantitative Zusammensetzung des Serums, welches 5 und 10
Stunden nach der Fütterung analysirt, gleiche Zusammensetzung bot
(Lehmann). Auffallender Weise gab dagegen diesem letztern Beobach-
ter das gesammte Pfortaderblut der Pferde 10 Stunden nach der Fütte-
rung 0,4 pCt. Extrakte und die ungeheure Quantität von 8,6 pCt. Wasser
mehr als 5 Stunden nach derselben. Diese Abweichung, welche bei glei-
cher Zusammensetzung des Serums nur bedingt sein konnte durch eine
Veränderung in der Menge oder in der Zusammensetzung der Blutkörper-
chen, verdient bestätigt zu werden. — Im Blut der Lebervenen (Pferd)
fand Lehmann die gefärbten Körperchen kleiner, kugeliger und durch
Wasser weniger leicht zum Platzen zu bringen; im Verhältniss zu den
ungefärbten ist ihre Zahl geringer als in andern Blutarten, Milzblut
ausgenommen. Daraus schliesst man auf eine Neubildung von farblosen
Zellen in dem Leberblute, und, um dieses wahrscheinlich zu machen,
setzt man mit diesen Thatsachen in Verbindung die allerdings bemerkens-
werthen Beobachtungen von E. H. Weber*) und Kölliker an Embryo-
nen und aus dem Winterschlaf erwachten Fröschen, welche deutlicher auf
ein zu dieser Zeit stattfindendes Entstehen von Blutkörperchen in der
Leber hinweisen. Auch aus einer Versuchsreihe von Moleschott könnte
auf eine besondere Beziehung zwischen Leber und Blutkörperchen ge-
schlossen werden; er fand nemlich, dass Frösche, die noch längere Zeit
am Leben erhalten, nachdem sie ihrer Leber beraubt waren, im Verhält-
niss zu den farblosen viel weniger farbige Blutkörper besassen als ge-
sunde Thiere oder auch als solche, welche nach verhältnissmässig starken
Blutverlusten lange Zeit hungernd zugebracht hatten. Da uns aber nichts
bekannt ist über die absolute Zahl der Blutkörperchen vor und nach der
Leberausschneidung, so kann man aus der vorliegenden Beobachtung ent-
weder auf eine Zunahme der farblosen, oder auf eine Hinderung des
Uebergangs farbloser in farbige, oder auf eine Beschleunigung des Unter-
gangs der gefärbten Zellen schliessen. Ob aber einer dieser Hergänge
in direkter Beziehung zum Verlust der Leber steht, dürfte schwer an-
zugeben sein. — Dem Plasma des Lebervenenbluts fehlt beim Pferd der
Faserstoff (Lehmann), dem des Hundes kommt er dagegen zu (Cl.
Bernard). Unter allen Umständen führt das Lebervenenserum Trauben-
zucker, und zwar in demselben Maasse, in welchem er in dem Leber-
gewebe selbst beobachtet wird (Cl. Bernard). Eine von Lehmann
angestellte Vergleichung der prozentischen Zusammensetzung des zu ver-
[221]Leber; Blutstrom in derselben.
schiedenen Zeiten aufgefangenen Bluts ergab auch hier, dass 5 Stunden
nach der Fütterung sein Wassergehalt bedeutend geringer war, als 10
Stunden nach derselben.
Wurde das Gesammblut der Pfort- und Leberader desselben Thiers
verglichen, so ergab das erstere 7,3 bis 8,8 pCt. Wasser mehr, als das
letztere, das Serum beider Blutarten war aber nicht in demselben Grade
verschieden, indem das der Pfortader nur 1,9 bis 2,9 pCt. Wasser mehr
enthielt, als das der Leberader. Demnach haben sich die Körperchen
entweder vermehrt, oder sie haben relativ mehr Wasser verloren. Um
diese ganz ungeheuren Unterschiede zu erklären, muss man voraussetzen
entweder es sei durch die Leberarterie eine verhältnissmässig bedeutende
Menge eines dichten und namentlich an Körperchen reichen Bluts in die
Leber geführt worden, als durch die Pfortader; diese Vermuthung ist
nicht zu halten und auch nicht zu widerlegen, weil eine Zerlegung des
Arterienbluts der betreffenden Thiere nicht vorliegt. Oder man musste
annehmen, dass eine ausserordentliche Menge sehr wasserhaltiger Lymphe
abgesondert worden sei, die namentlich ihr Wasser aus den Blutkörper-
chen bezogen habe. Denn im Verhältniss zu der unzweifelhaft sehr grossen
Menge von Blut, welche den Tag über durch die vena portarum und die
art. hepatica in die Leber einströmt, ist die annähernd bekannte tägliche
Gallenabsonderung viel zu gering, um den Unterschied des Wassergehalts
im Blute dies- und jenseits der Lebercapillaren begreiflich zu machen.
Man kann eine Wiederholung der Versuche, bei denen namentlich alle
Sorgfalt auf das Auffangen des Bluts verwendet wird, nur dringend wünschen.
Das Blut der Pfortader ist reicher an Fetten, als das der Lebervene.
Ueber die Zusammensetzung des Bluts der Leberarterie und ins-
besondere über seine Veränderungen beim Durchgang durch die Leber
ist nichts bekannt. Wahrscheinlich dürfte es sein, dass es bei der inni-
gen Berührung, die es in den ersten Capillarnetzen mit der Galle und
dem Pfortaderblut erfährt, mit diesen seine Bestandtheile austauscht.
4. Von dem Strom des Leberblutes. Die Richtung des Stroms in
den Blutgefässen der Leber wird für gewöhnlich von der Porta zu der
Lebervene gehen; doch ist wegen der Abwesenheit aller Klappen in den
Leber- und Pfortadervenen und der leichten Ausdehnbarkeit der Darm-
gefässe auch das Umgekehrte möglich. — Die Geschwindigkeit des Stroms
in der Pfortader muss unter Voraussetzung gleicher Widerstände in und
jenseits der Leber veränderlich sein; denn einmal sind die Durchmesser
der Blutgefässcapillaren in den Wandungen der Unterleibsdrüsen veränder-
lich, wie die in diesen Organen vor sich gehende Saftbildung, die ins-
besondere zunimmt zur Zeit der Verdauung; da nun in den weiteren
Röhren die Reibung relativ zur durchgehenden Blutmasse geringer ist,
als in den engeren, so muss während der Verdauungsperiode das Blut
mit grösserer Kraft in die Pfortader einströmen, als in anderen Zeiten
[222]Leber; Blutstrom in derselben.
Dann wird aber auch bei jeder Inspiration die schlaffe Masse des Bauch-
inhaltes zusammengedrückt, entsprechend der Kraft, mit welcher das Zwerg-
fell sich zusammenzieht, und dieser Druck muss nothwendig das Blut
in der Pfortader beschleunigen, das durch die steife Leber seinen un-
gehemmten Ausweg findet. — Aber auch bei gleicher Triebkraft muss
die Geschwindigkheit veränderlich sein, weil die Widerstände namentlich
jenseits der Leber in der Brusthöhle gar nicht unbeträchtlich variabel
sind. Bei jeder Inspiration mindert und bei jeder Exspiration mehrt er
sich bekanntlich. So deuten also alle Umstände darauf hin, dass in der
Ausathmung das Fliessen langsamer und in der Einathmung rascher
ist. — Aehnliches gilt auch für den Strom in der Leberarterie. — Ueber
das Verhältniss der Geschwindigkeiten in den beiden Gefässen pflegt
man sich gewöhnlich dahin auszudrücken, dass die Strömung in der
Leberarterie viel rascher als in der Pfortader sei, weil die lebendige
Kraft des frisch aus dem Herzen dringenden Arterienbluts weit bedeuten-
der sei, als die des Pfortaderblutes, das aus den Darmcapillaren zurück-
kehrt, während die Hemmungen, welche beiden in der Leber bevorstehen,
vollkommen gleich seien. Man bedenkt dabei nicht, dass auch das Blut
der a. hepatica durch zwei Capillarennetze, die beide in der Leber lie-
gen, wandern muss; von denen das erstere so angeordnet ist, dass es den
Strom der Leberarterie wahrscheinlich mehr hemmt, als dasjenige, wel-
ches der Pfortader vorausgeht. Das Bett der Darmarterien erweitert sich
nemlich dem Anschein nach beim Uebergang in das Capillarensystem
der Darm- und Drüsenwände viel beträchtlicher, als das der Leberarterie
bei ihrer Vertheilung in vasa vasorum; unter dieser Voraussetzung würde
aber nach bekannten hydraulischen Grundsätzen unsere obige Behauptung
eintreffen. So viel ist jedoch klar, dass die Sache sich gegenwärtig
nicht entscheiden lässt.
Die absoluten Werthe der Geschwindigkeit sind nicht bekannt; man
vermuthet, dass der Strom in der vena porta sehr langsam sein möchte.
Dafür spricht aber nicht einmal die Theorie; denn gesetzt, es besässe
das Pfortaderblut nur schwache lebendige Kräfte, so würden sie doch
hinreichen, um bei geringen Widerständen in der Leber immer noch
Geschwindigkeit zu erzeugen, die, verglichen mit der des Kreislaufes
überhaupt, beträchtlich genannt werden könnte. Nun spricht die enorme
Zahl der Lebercapillaren und demnach der langsame Strom in ihnen
sehr dafür, dass das Blut in der Leber wenig Hindernisse erfährt, und
die Einfügung der Lebervene in die untere Hohlvene geschieht an einer
so günstigen Stelle, dass jenseits der Leber dem Strom die möglichst
geringe Hemmung entgegensteht. Mit dieser Anschauung stimmt die Er-
fahrung von Volkmann, welcher den Centralstrom in den Mesente-
rialcapillaren eines Hundes noch einmal so geschwind fand, als in den
feinsten Gefässen der Froschschwimmhaut.
[223]Leber; Galle.
In den Capillaren der Leberinseln wird der Strom jedenfalls lang-
sam sein, aus schon angeführten Gründen, aber trotzdem wird den-
noch durch die Gesammtsumme derselben sehr viel Blut gehen, da die
Räumlichkeit eines Durchschnittes durch ihr Gesammtlumen den grössten
Querschnitt der Leber um vieles übertreffen muss; denn von der Fläche
eines jeden Partialschnitts derselben gehört den Gefässöffnungen min-
destens ein Dritttheil zu; und wie oft kann sich bei dem geringen Durch-
messer und dem kurzen Längsverlauf der Capillaren dieser Antheil in der
dicken Leber wiederholen.
Die Spannung des Blutstroms muss dem Vorstehenden gemäss eben-
falls variiren; unter Umständen steigert sich dieselbe in den Lebercapilla-
ren so beträchtlich, dass eine sehr merkliche Ausdehnung der Leber er-
zeugt wird (Anschoppungen der Leber). Ueber ihren absoluten Werth
ist nichts bekannt.
5. Galle im engern Wortsinn. Die Flüssigkeit in den grössern
Lebergängen und der Gallenblase ist ein Gemisch des Absonderungspro-
duktes der Leberzellen und der Schleimdrüsen. Aus diesem Gemenge
lassen sich zum Theil nur vermuthungsweise die Bestandtheile ausschei-
den, welche aus dem Inhalt der Leberzellen ausgetreten sind. Wir zäh-
len zu ihnen: taurocholsaures (und glycocholsaures) Natron, Cholestea-
rin, Olein, Margarin, Biliphain und Biliverdin, Chlornatrium, kohlensaure
und phosphorsaure Kalk- und Talkerde, Eisenoxyd, zuweilen Kupferoxyd,
Wasser. — Dieses Lösungsgemenge reagirt, vorausgesetzt, dass ihm kein
Schleim beigemengt ist, neutral.
Nach Gorup*) fehlt der Menschengalle die Glycocholsäure; ihre Anwesenheit
erschliesst er aus dem Mangel von Glycin unter den Zersetzungsprodukten der Galle;
Strecker**) zeigte schon früher dasselbe Verhalten für die Hundegalle. — Galle,
welche unmittelbar aus den Lebergängen oder nach nur kurzer Anwesenheit in der
Blase aufgefangen wird, enthält nur Gallenbraun, aber kein Gallengrün. Der letztere
Farbstoff geht also erst während des Aufenthalts der Galle in der Blase aus dem
erstern hervor, eine Umwandlung, welche nach den Untersuchungen von Heintz***)
auf einer Oxydation beruht, indem 1 Atom Gallenbraun (C32H18N2O9) unter Aufnahme
von 1 Atom Sauerstoff in 2 Atome Gallengrün (C16H9NO5) zerfällt.
a. Die Zusammensetzung der Galle †) ist veränderlich: 1) mit der
Nahrung. Ein reichlicher Zusatz von Wasser zu einer hinreichenden
Brot- oder Fleischkost, und ebenso Entziehung der Nahrung mindert
den Prozentgehalt der festen Bestandtheile (Bidder, Schmidt,
H. Nasse). — 2) Die Galle verliert durch einen längern Aufenthalt in
der Blase Wasser und zwar in einem solchen Grade, dass die Blasen-
galle in 100 Theilen meist doppelt so viel festen Rückstandes enthält,
[224]Leber; Galle.
als die aus den Lebergängen gefangene. — In der Blase ändert sich
die braune Farbe der Galle in die grüne (Bidder, Schmidt). Auch
soll sich in ihr die Gallensäure in harzige Produkte umsetzen (Mul-
der). — 3) Der Wassergehalt der Galle, welche bei Nacht abgesondert
wird, ist etwas niedriger, als der am Tage gelieferte (H. Nasse). —
4) Die Schwankungen, welche die Prozente des festen Rückstandes be-
treffen, rühren vorzugsweise von einer Veränderlichkeit der organischen
Bestandtheile her, während der Prozentgehalt an Salzen sich annähernd
gleich bleibt (H. Nasse). — 5) Der Gehalt der Galle an festen Be-
standtheilen steht in keiner nothwendigen Beziehung zu der Geschwin-
digkeit der Absonderung, so dass z. B. der erstere in dem Grade ab-
nimmt, in welchem der letztere zunimmt.
Die Schwankungen des Prozentgehalts der Galle an festen Bestand-
theilen wechseln nach Bidder und Schmidt bei Säugethieren zwischen
1,2 bis 11,0 pCt.
Ueber die quantitative Zusammensetzung der schleimhaltigen Men-
schengallen besitzen wir Untersuchungen von Frerichs*) u. Gorup**).
Das Beobachtungsmaterial bezog Gorup aus den Leichen zweier Hin-
gerichteten.
Diese Zahlen deuten zwar auf kein festes Verhältniss zwischen den
einzelnen Stoffen der festen Bestandtheile hin, doch scheinen die Salze
ungefähr wie die Gallensäuren zuzunehmen. Die analytische Methode
der Galle, welche von Frerichs herrührt, siehe bei Heintz***).
b. Geschwindigkeit der Gallenabsonderung. Wir verstehen hierunter
den Quotienten aus dem Lebergewicht in die Gallenmenge, welche wäh-
rend einer beliebigen (aber jedesmal festgesetzten) Zeiteinheit aufgefangen
wurde; dieser Ausdruck ist also auch gleichbedeutend mit der Gallen-
bildung in der Einheit des Lebergewichts. Wenn man nach einem Mittel
[225]Leber; Galle.
sucht, um die an verschiedenen Thieren gewonnenen Beobachtungen ver-
gleichbar zu machen, so verdient der soeben aufgestellte allgemeine
Maassstab jedenfalls den Vorzug vor dem gebräuchlichen Quotienten der
Gallenmenge in das Körpergewicht. Denn es bildet sich nicht, wie es
z. B. mit der Kohlensäure der Fall, an allen Orten des Organismus Galle,
sondern nur in der Leber. Darum dürfte statt des Gewichts der Leber
nur dann das des Gesammtkörpers substituirt werden, wenn ein bestimm-
tes Verhältniss zwischen diesen beiden letzten Gewichten nachgewiesen
wäre; bekanntlich ist dieses, wie zu erwarten, nicht der Fall *). — Da
nun aber gerade in den gründlichsten und ausführlichsten Beobachtungen
der Gallenmenge, welche Bidder und Schmidt angestellt haben, das
Lebergewicht fehlt, und selbst da, wo es bestimmt wurde, nach ihrer
eigenen Aussage dieses nicht mit allen Cautelen geschah, so ist man für
die meisten Fälle beschränkt auf den Vergleich zwischen den verschie-
denen Absonderungsmengen eines und desselben Thieres.
Aus den Mittheilungen über die veränderliche Zusammensetzung der
Galle geht schon hervor, dass die Geschwindigkeit, mit welcher die ein-
zelnen Gallenbestandtheile abgesondert werden, mindestens innerhalb ge-
wisser Grenzen von einander unabhängig ist, so dass namentlich wäh-
rend ein und derselben Zeit die Absonderung der festen Stoffe vermehrt
sein kann, während die des Wassers vermindert ist. Wir müssen darum
beide gesondert vornehmen: 1) Das Gewicht an festen Gallenbestand-
theilen, welches in der Zeiteinheit aus der Gewichtseinheit der Leber
entleert wird, ist abhängig von der Zeit, dem Gewicht und der Art der
aufgenommenen Nahrung. — Mit Rücksicht auf das zeitliche Abhängig-
keitsverhältniss zwischen Nahrungsaufnahme und der Absonderung von
festen Gallenstoffen ist festgestellt, dass die letztere nach einer gänz-
lichen Entziehung von Nahrung bedeutend abnimmt, ohne dass sie jedoch
vollkommen zum Stillstand gebracht werden könnte, indem selbst bei
Katzen, welche 10 Tage gefastet hatten, noch merkliche Mengen von
Gallenstoffen ausgeschieden wurden (Schmidt). Diese bedingte Unab-
hängigkeit von der durch den Mund aufgenommenen Nahrung wird auch
bewiesen durch die Gallenabsonderung im normalen Leben. Der Einfluss
der genossenen Nahrung macht sich dagegen in der Weise geltend, dass
einige Zeit nach derselben die Absonderung der festen Gallenstoffe steigt
und nach Verfluss von einer (Arnold) **) bis zu 14 Stunden (Bidder
und Schmidt) ihr Maximum erreicht und von da zuerst rascher und
dann langsamer absinkt. Diese Unbestimmtheit für die Zeit des eintre-
tenden Maximums ist wahrscheinlicher Weise bedingt durch die Verdau-
lichkeit der Speisen und die Energie der Verdauungsorgane. — Der Werth
des beobachteten Maximums steigt mit der Menge der genossenen Nah-
Ludwig, Physiologie. II. 15
[226]Leber; Galle.
rungsmittel, woraus diese auch bestehen mögen, vorausgesetzt nur, dass
sie befähigt sind, das Leben zu unterhalten (H. Nasse). — Von einem
sehr eingreifenden Einfluss erweist sich endlich die Art der Nahrung.
Ganz unwirksam auf die Steigerung der Abscheidung ist der ausschliess-
liche Genuss von Fetten (Bidder und Schmidt), so dass sich hierbei
die Gallenabsonderung verhält, wie bei gänzlichem Nahrungsmangel; eine
rein vegetabilische Nahrung (Brod und Kartoffeln) steigert die Absonde-
rung weniger, als eine reine Fleischkost (Schmidt, Bidder, H. Nasse,
Arnold), mageres Fleisch weniger als fetthaltiges, und ein Zusatz von
Leber zur Nahrung scheint noch eingreifender als der von Fetten zu
wirken (Bidder und Schmidt). Zusatz von kohlensaurem Natron
(H. Nasse) oder Quecksilberchlorür (H. Nasse, Kölliker und H.
Müller) *) zur Nahrung mindern den günstigen Einfluss anderer
Speisen. — Beim Uebergang von einer zur andern Kost tritt die entspre-
chende Wirkung derselben nicht sogleich, sondern erst einen Tag nach
dem Nahrungswechsel hervor. — 2) Die Absonderungsgeschwindigkeit
des Wassers ist abhängig von dem Genuss desselben; der Zeitraum,
welcher verfliesst zwischen dem Eindringen des Wassers in den Magen
und dem Erscheinen in dem Lebergang ist sehr wechselnd befunden wor-
den. Ein Zusatz von anderthalbfach kohlensaurem Natron zum Wasser
vermindert die Ausscheidung dieses letztern durch die Galle (H. Nasse).
Hiermit ist die Aufzählung der Bedingungen für die Geschwindigkeit
des Absonderungsstroms der Leber zwar noch nicht beendet, aber sie
kann nur durch die unbefriedigenden Worte weiter fortgesetzt werden,
dass entweder die Individualität des Gesammtorganismus oder die der
Leber ihn bestimmen helfe. Dass das erste nothwendig, ergiebt sich
schon aus einer Ueberlegung der mitgetheilten Thatsachen; denn die
Nahrung wird, theilweise wenigstens, dadurch von Bedeutung für die
Gallenabsonderung werden, dass sie zunächst die Blutzusammensetzung
ändert. Diese ist aber nicht blos eine Funktion der Nahrung, sondern
sie ist auch abhängig von den Zusätzen und den Verlusten, die dem
Gefässinhalt in den verschiedenartigen Organen des Körpers zugefügt
werden. Insofern nun nicht in jedem Thier die Massen und Kräfte
der verschiedenen Organe in demselben Verhältniss zu einander stehen,
muss auch das Resultat aus ihren Wirkungen verschieden ausfallen; d. h.
trotz gleicher Nahrung wird die Zusammensetzung des Bluts und damit
auch die Gallenabsonderung in verschiedenen Thieren abweichen. Aus
einer ähnlichen Betrachtung könnte nun aber auch die Individualität des
Lebergewebes abgeleitet werden, und da unter dessen Einfluss die Gallen-
absonderung vor sich geht, so muss sich die Geschwindigkeit derselben
auch mit den Besonderheiten der Leber verändern.
[227]Leber; Galle.
Um die Gallenmenge zu erfahren, welche in der Zeiteinheit abgesondert
wird, legt man nach dem Vorgang von Schwann meist permanente Fisteln der
Gallenblase an, nachdem man den gemeinschaftlichen Gallengang unterbunden hat.
Die Beobachtung beginnt man erst dann, wenn die Wunde vollkommen vernarbt und
die in Folge des operativen Eingriffs eingetretene Bauchfellentzündung gehoben ist.
Bei Anwendung dieses allerdings unschätzbaren Verfahrens hat man zu berücksichti-
gen: 1) Der Abschluss der Galle von dem Darmrohr verändert die Verdauung inso-
fern, als sie die Aufnahme der genossenen Fette in das Blut hindert oder mindestens
erschwert; zugleich aber wird die Galle, welche unter normalen Verhältnissen in den
Darmkanal ergossen und von dort wieder in das Blut zurückgeführt worden wäre,
jetzt aus dem Kreislauf des Lebens entfernt. Aus beiden Gründen magern die Thiere,
vorausgesetzt, dass man ihnen das Maass der im gewöhnlichen Leben hinreichenden
Kost giebt, so beträchtlich ab, dass sie in Folge davon zu Grunde gehen. Man
muss also, um diesen Ausfall zu decken, das Gewicht ihrer Nahrung steigern; aber
eine einfache Deckung desselben scheint nach den Beobachtungen von Arnold nicht
zu genügen, sondern es muss ein sehr beträchtlicher Ueberschuss gegeben werden.
Wenn sich diese interessante Entdeckung bestätigt, so kann sie nur durch die An-
nahme erklärt werden, dass bei der Anwesenheit der Gallenbestandtheile im Blut der
Stoffumsatz im thierischen Körper langsamer als bei ihrer Abwesenheit vor sich geht.
Daraus resultirt aber, dass die quantitativen Verhältnisse der Gallenabsonderung nicht
die normalen sein können. Arnold ist geneigt anzunehmen, dass sie wegen der
reichlichen Fütterung gesteigert sein möchte. — 2) Die Zustände der Leber oder
des Körpers überhaupt scheinen sich während des Bestehens der Fistel allmählig da-
hin zu ändern, dass aus denselben eine Verminderung der Gallenabsonderung resul-
tirt; es ist also die Gallenabsonderung bei ein und demselben Thier zu Anfang und
zu Ende einer länger dauernden Beobachtungsreihe nicht vergleichbar (H. Nasse).
Diesen Uebelständen suchten Bidder und Schmidt dadurch aus dem Wege
zu gehen, dass sie temporäre Gallenfisteln benutzten, indem sie einige Stunden nach
der Anlegung derselben, und namentlich bevor entzündliche Erscheinungen im Unter-
leibe eingetreten, die Galle auffingen. So sehr es nach den vorliegenden Beobach-
tungen den Anschein hat, als ob dieses freilich nur für kurze Zeiträume verwendbare
Verfahren die obigen Bedenken ausschliesst, so wäre es doch wünschenswerth, an
einem und demselben Thiere beide Methoden zu benutzen, um sich von ihrem rela-
tiven Werthe zu überzeugen. — 3) Der Ableitung und dem Auffangen der Galle aus
der Fistelöffnung muss endlich die grösste Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wird
sie nicht sorgsam entleert, und verstopft sich namentlich die Fistelöffnung, so dass
der Inhalt der Gallengefässe unter eine erhöhte Spannung kommt, so tritt ein Theil
und unter Umständen die ganze Galle in das Blut zurück (Kölliker und Müller),
so dass aus der Fistel, selbst wenn sie nun eröffnet wird, gar keine Galle zum Vor-
schein kommt. Um diesen Ausfluss zu reguliren, sind verschiedene Canülen angege-
ben, unter denen die von Arnold empfehlenswerth zu sein scheint, indem ihre An-
wendung den Vortheil gewährt, dass die ausgetretene Galle in einen vor Verdunstung
geschützten Ort zu liegen kommt. — Ein ganz eigenthümlicher Fehler wird in die
Gallenbestimmung noch dadurch eingeführt, dass der unterbundene und durchschnittene
Gallengang sich häufig wieder herstellt, so dass sich dann die Galle ganz oder theil-
weise wieder in den Darmkanal ergiessen kann. Im zweifelhaften Fall kann am
lebenden Thier die Wiederherstellung des Gallengangs ermittelt werden durch eine
Injektion der Gallenblase mit Wasser, in dem gefärbte Partikelchen aufgeschwemmt
sind. Erscheinen diese im Koth wieder, so war der Gang natürlich wieder herge-
stellt; meistentheils leistet den Dienst des eben vorgeschlagenen Mittels schon der
Gallenfarbstoff.
15*
[228]Leber; Galle.
Das Lebergewicht wissen wir bis dahin noch auf keine sichere Weise zu
unserm Zweck zu bestimmen; es würde natürlich für die Bildung des vorhin erwähn-
ten Quotienten eigentlich nothwendig sein, entweder das Gewicht der Leberzellen für
sich zu kennen, oder die Leber jedesmal vor der Wägung in einen solchen Zustand
zu versetzen, dass das Gewicht derselben jenen Zellen proportional wäre. Da nun
aber aller Wahrscheinlichkeit nach die Gewichte der Gallengäng- und Blutgefässhäute
mit dem der Leberzellen proportional steigen, so wäre nur dafür zu sorgen, dass
der Inhalt der Gallengänge und Blutgefässe vor der Wägung bis auf ein Minimum
entfernt wird.
Um eine Anschauung von dem Umfang der Absonderungs-Schwankungen zu ver-
schaffen, welche oben erwähnt wurden, geben wir einige Zahlen; wir beschränken
uns bei der Auswahl unter den vorhandenen auf die Beobachtungsresultate an Hunden
und Katzen, weil nachweislich die Galle der Grasfresser anders zusammengesetzt
ist, als die des Menschen.
Die folgende Tabelle ist nach Bidder und Schmidt entworfen; die Beobach-
tungsthiere sind Katzen, die Fisteln temporäre, die Beobachtungszeit immer drei
Stunden.
Sehen wir von Versuch 9 ab, welcher stark aus der Reihe fällt, so führen die
Resultate dieser Beobachtungen auf die Behauptung, dass die Absonderungsgeschwin-
digkeit der festen Gallenbestandtheile von der 2. bis 17. Stunde nach der Essenszeit
im Wachsthum begriffen ist, dass sie von da aber absinkt und sich von der 24. bis
168. Stunde in annähernd gleichem Werthe erhält und von da bis zur 240. Stunde
sich sehr allmählig erniedrigt. — Die Absonderung des Wassers geschieht dagegen
nach einem sehr unregelmässigen Modus.
Die folgenden Beobachtungen sind (die vier ersten von H. Nasse, die letzten
von Arnold) an Hunden mit permanenten Fisteln gewonnen; die Beobachtungszeit
ist 24 Stunden.
[229]Leber; Galle.
Eine Vergleichung dieser Beobachtungen ergiebt ausser den im Text mitgetheil-
ten Resultaten, dass die Absonderungsgeschwindigkeit in dem Hunde, welchen Nasse
beobachtete, um das 3 bis 4fache diejenige in dem von Arnold beobachteten Hunde
übertraf. Der Grund ist theilweise wenigstens darin zu suchen, dass der erste Hund
in einem Zustand starb, der mit grosser Magerkeit und Blutleere verbunden war, in
Folge dessen wohl das Gewicht der Leber geringer ausgefallen ist; wahrscheinlich
war das Lebergewicht zur Beobachtungszeit, welche zu Beginn der ganzen Versuchs-
reihe fiel, beträchtlich höher gewesen *). — Vergleichen wir nun aber auch den Ar-
nold’schen Hund mit den von Katzen gelieferten Zahlen, so finden wir, dass die
mittlere tägliche Absonderungsgeschwindigkeit der festen Bestandtheile bei Hunden das
tägliche Maximum derselben bei den Katzen erreicht und übertrifft. Es muss dahin
gestellt bleiben, ob dieses eine Folge der Verschiedenheit der Thiere oder der grös-
sern relativen Futtermenge ist, welche bei Anwesenheit permanenter Fisteln verzehrt
wird. Die Geschwindigkeit der Wasserabsonderung ist bei Hunden sehr viel bedeu-
tender, als bei den Katzen.
Der Versuch, aus den vorliegenden Beobachtungen an Thieren die
Geschwindigkeit für die Gallenabsonderung des Menschen abzuleiten,
möchte freilich gewagt erscheinen; behält man aber im Auge, dass das
Tagesmittel derselben auch bei Menschen, je nach Individualität und
Lebensart, bedeutend schwanken mag, so kann man immerhin die bei
Hunden beobachteten Grenzfälle, welche für die Absonderungsgeschwin-
digkeit der festen Bestandtheile = 0,0225 und 0,0057 waren, auch
für solche annehmen, die einmal beim Menschen vorkommen können.
Um mit Hilfe derselben den absoluten Werth der täglichen Gallenmenge
des Menschen abzuleiten, hat man darauf nur nöthig, die obigen Zahlen
mit dem mittleren Lebergewicht des Menschen (nach Huschke, offen-
bar zu hoch, = 2500 Gr.) zu multipliziren. Das Ergebniss dieser Ope-
ration würde sein, dass aus der Menschenleber täglich zwischen 13 bis
45 Gr. fester Substanz austreten. Da nun die Menschengallen nach
Frerichs und Gorup (nach Abrechnung von 1 bis 2 pCt. Schleim)
zwischen 8 und 16 Procent fester Bestandtheile enthalten, so würde
[230]Leber; Galle.
die angenommene Menge des festen Rückstandes entsprechen einem Gal-
lengewicht, das zwischen 80 und 600 Gr. liegt. Da nun aber die
Galle, welche jene Analytiker zerlegten, Blasengalle war und diese
nach Nasse ungefähr noch einmal so conzentrirt ist, als die Galle
des Lebergangs, so würde man diese Gewichte verdoppeln können
u. s. w. — So schwankend unsere Grundlagen aber auch sind, sie füh-
ren jedenfalls zu der Ueberzeugung, dass die Masse von Flüssigkeit,
welche aus den Ausführungsgängen der Leber ausgeführt wird, keine
sehr beträchtliche ist.
6. Chemische Vorgänge in der Leberzelle. Sie bestehen zum Theil
in Diffusionen, welche Cholestearin, Fette, Natron, Kochsalz, phosphor-
saure Alkalien und Erden aus dem Blute in die Galle überführen, zum
Theil aber auch in eigenthümlichen Umsetzungsprozessen, aus denen,
so weit uns bekannt, Traubenzucker, Gallensäure und Bilifulvin hervor-
gehen. Dass diese Produkte in der Leber ihren Ursprung finden, kann
als eine feststehende Thatsache angesehen werden, seit es erwiesen ist,
dass sie, die durch bestimmte Reaktionen leicht kenntlich sind, in dem
Pfortaderblut nicht vorkommen, und noch mehr, dass sie in Fröschen,
die nach der Exstivpation der Leber noch einige Wochen lebten, über-
haupt gar nicht angetroffen werden (Moleschott).
Diese neuen von der Leber zusammengeordneten und in die Galle über-
gehenden Atomgruppen werden sämmtlich unter Mitwirkung des Eiweisses
oder aus Abkömmlingen desselben dargestellt. Dafür spricht sowohl der N-
gehalt des Farbstoffs, der Glyco- und Taurocholsäure als auch der Schwefel-
gehalt der letztern. Eine Vergleichung der prozentischen Zusammensetzung
dieser Gallenkörper mit der des Eiweisses lehrt aber sogleich, entweder
dass sie nicht die einzigen Produkte sein können, welche aus der Eiweiss-
zersetzung hervorgehen, oder dass noch ein anderer Körper sich an der
Entstehung derselben betheiligen muss. Denn im Eiweiss steht der C : N
im Verhältniss von 8 : 1, in dem Gallenfarbstoff dagegen wie 16 : 1 und
in der Glyco- und Taurocholsäure gar wie 52 : 1. Demnach muss also
entweder noch ein anderes Atom aus dem Eiweiss ausfallen, welches re-
lativ zum Kohlenstoff viel stickstoffreicher ist, als das Eiweiss selbst,
oder es muss noch ein stickstofffreies Atom, z. B. ein Fett, in die Zer-
setzung mit eingegangen sein. — Wir vermuthen aber auch, dass der
Zucker aus dem Eiweiss entstanden sei; denn einmal ist es aus früher
erwähnten chemischen Gründen nicht unwahrscheinlich, dass in dem
Eiweiss eine Atomgruppe enthalten sei, welche dem Zucker sehr nahe
steht, und dann geht auch die Zuckerbildung noch sehr lebhaft in der
Leber von Statten, wenn zu dem Blute (ausser den Mineralien) Fette und
Eiweiss, oder auch wenn nur Eiweiss, nicht aber, wenn nur Fette zu ihm
geführt werden. Zudem besteht ein inniger physiologischer Zusammen-
hang zwischen der Gallen- und der Zuckerbildung; denn eine Durch-
[231]Leber; Leberzellen.
musterung der Umstände, unter denen die Geschwindigkeit der Gallen-
absonderung steigt, lässt sogleich erkennen, dass sie identisch mit denen
sind, welche den Zucker im Lebervenenblut vermehren; zur Bestätigung
der Annahme, dass sie aus demselben Zersetzungsprozesse hervorgehen,
dient endlich noch die bemerkenswerthe Erfahrung von Frerichs und
Staedeler, dass in Lebern, welche krankhafter Weise statt der Galle
Tyrosin und Leucin darstellen, der Zucker fehlt.
Seit wir durch die bahnbrechenden Versuche von Strecker aufgeklärt worden
sind über die Zusammensetzung und Atomgliederung der Gallensäure, hat man auch
Versuche gemacht, die Atomgruppen genauer zu bezeichnen, welche sich an ihrer
Entstehung betheiligen. Man scheint mit Beziehung darauf allgemein der Ansicht zu
sein, dass jede der beiden Säuren aus zwei Gruppen, die vorher getrennt waren,
hervorgehen, einerseits aus der Cholsäure und anderseits aus Taurin oder Glycin. —
Die Cholsäure glaubt Lehmann*) aus der Oelsäure ableiten zu können, welche
einen andern Atomcomplex (C12H6O6) aufgenommen habe. In der That ist Oelsäure
(C36H33O3 + HO) + (C12H6O6) = Cholsäure (C48H39O9 + HO); diese Annahme begrün-
dete er durch die Beobachtung von Redtenbacher, welcher durch NO5 aus der
Cholsäure, gerade so wie aus der Oelsäure, alle Glieder der Reihe (C2H2)nO4 von
der Caprinsäure abwärts und daneben andere Produkte erhielt, die sich nicht aus
der Oelsäure ableiten lassen, und u. A. auch ein solches, in welchem C, H und O
in ähnlichem Verhältniss stehen, wie in dem oben supponirten Paarling; er macht
ausserdem geltend, dass ein Zusatz von Fett zu den Nahrungsmitteln die gallenbil-
dende Kraft derselben erhöht. — Frerichs und Städeler scheinen zu vermuthen,
dass das Glycin aus Tyrosin, dem bekannten Zersetzungsprodukte des Eiweisses, ent-
stehe. Tyrosin (C18H11NO6) = (C4H5NO4 + 2HO + C14H8O4); Tyrosin haben sie aber,
wie schon erwähnt, in solchen Lebern aufgefunden, deren Gallenbildung gehemmt
war; sie scheinen zu vermuthen, dass der Abfall des Tyrosins in das Blut übergehe;
denn es sind Verbindungen der Salicylgruppe im Harn mit Sicherheit nachgewie-
sen. — Ueber die Taurinbildung bestehen noch keine Vermuthungen; wir heben die
Entdeckung von Strecker**) hervor, welcher es durch Erhitzen eines Gemenges
von Aether und schwefelsaurem Ammoniak künstlich dargestellt hat.
Als Thatsachen, die mit dem chemischen Mechanismus in den Leber-
zellen in Verbindung stehen, sind noch zu erwähnen: 1) Das Milzvenen-
blut besitzt unzweifelhaft eine eigenthümliche Constitution, denn es kry-
stallisirt leicht und es kommt aus einem Organ, in dem wir ganz eigen-
thümliche Umsetzungen kennen; möchte, wie man aus der Anwesenheit
der Harnsäure vermuthen kann, nicht hier schon vielleicht die Zerfallung
des Eiweisses in stickstoffärmere und stickstoffreichere Atomgruppen
vor sich gehen? — 2) Die Leber schwillt im Beginn der Verdauung und
namentlich eine oder einige Stunden vor dem Eintritt der grössten Ab-
sonderungsgeschwindigkeit der Galle an (Bidder und Schmidt) ***).
Da diese Anschwellung auch noch als eine Gewichtsvermehrung des aus-
geschnittenen Organs zum Vorschein kommt, so besteht sie unzweifelhaft
in einer vermehrten Anfüllung der Leberzellen. Ihre Schwellung kann
[232]Leber; Ausfuhr der neu gebildeten Stoffe.
eine Folge sein der neuen Stoffe, welche die Verdauung in das Blut führt,
oder die Folge der höhern Spannung, unter der das Blut während der
Verdauung die Leber durchströmt. — Diese Thatsache weist aber jeden-
falls darauf hin, dass die Gallenbildung langsam vor sich gehe, und es
schliesst sich dieselbe somit an die früher erwähnte Erfahrung, dass der
Uebergang von einem Futter zum andern nicht momentan in der Gallen-
absonderung fühlbar sei.
7. Ausfuhr der neu gebildeten Stoffe aus der Leber. Der Inhalt der
Leberzellen entleert sich nach zwei Seiten hin, nach der einen, dem
Blut, geht der Zucker (und die stickstoffreichen Bestandtheile?), nach der
andern, den Lebergängen, die Galle. Die Strömung nach dem Blute
kann nur ein Diffusionsvorgang, die nach den Lebergängen zugleich eine
Filtration sein. Die auf den ersten Blick räthselhafte Scheidung dieser
beiden Lösungen ist zu erklären, entweder, wenn man annimmt, dass
die Diffusionsgeschwindigkeit der Gallenbestandtheile in das Blut hinein
geringer ist, als die des Zuckers; die Scheidung würde dann nach der
Seite des Bluts hin unvollständig sein, indem der Zucker mit einer Bei-
mengung von Galle dort erschiene. Oder man muss die Unterstellung
machen, dass der Zucker zu irgend einem Bestandtheile des Bluts An-
ziehungen besitzt, die der Galle fehlen.
Der Zucker tritt mit dem Lebervenenblut in das Herz und von dort
in die Lungen. Auf diesem Wege verschwindet er rasch, so dass schon
in dem linken Herzen keine Spur desselben mehr nachweisbar ist, wenn
nicht sehr grosse Mengen von Zucker aus der Leber traten (Cl. Bernard).
Die Galle kommt in die Lebergänge und wird in diesen weiter be-
fördert durch die Kräfte, welche sie in den Anfang derselben einpress-
ten. Wir sind zu dieser Vermuthung gedrängt durch die Abwesenheit
von Muskelfasern in den Wänden der Gänge, oder mit andern Worten
durch die Unmöglichkeit, den Strom durch die Gänge anders zu erklä-
ren. — Anders verhält es sich mit dem Blaseninhalt; er kann nicht
durch die von den Wurzeln der Lebergefässe herrührenden Drücke aus
ihr gepresst werden. Man ist darum geneigt, ihrer Muskelschicht die
Austreibung der Galle zuzuschreiben, und zwar um so mehr, als man zu-
weilen wenigstens Zusammenziehungen derselben gesehen hat (H. Meyer*),
E. Brücke) **). Jedenfalls geschieht aber diese Zusammenziehung in
grossen Intervallen, ähnlich den Darmmuskeln. Wie es scheint, fallen
die Zeiten lebhafter Gallenabsonderung zusammen mit denen der erhöh-
ten Erregbarkeit in den Blasenmuskeln; denn es fanden Bidder und
Schmidt***) die Blase bei hungernden Thieren immer gefüllt, bei ge-
fütterten dagegen leer.
[233]Leber; Schleim.
Die Galle gelangt nun weiter aus den Gängen in den Darmkanal.
Hier geht abermals eine Scheidung mit ihr vor; die gallensauren Salze,
die Fette, zum Theil der Farbstoff, die alkalischen Mineralsalze und das
Wasser gehen in das Blut über, der andere Theil des Farbstoffs, das
Cholestearin (?) und die mit dem Schleim (?) verbundenen Erdsalze wer-
den mit dem Faeces entleert. — Der in das Blut übergegangene Theil
unserer Flüssigkeit tritt zum Theil im Harn aus, insbesondere begegnet
dieses dem Farbstoff; die Gallensäuren werden innerhalb des Blutes um-
gesetzt und zwar so rasch, dass es bisher noch niemals gelungen ist,
sie dort nachzuweisen. — Wir werden der in den Darm ergossenen
Galle noch einmal bei der Verfolgung der Verdauung begegnen.
8. Der Leberschleim Der Saft, welchen die Schleimdrüsen in die
Lebergänge und Gallenblase ergiessen, mengt sich für gewöhnlich mit
der Galle, und somit ist es bis dahin unmöglich gewesen, seine Zusam-
mensetzung und seine Absonderungsverhältnisse zu ergründen. — Um
beides möglich zu machen, wäre es nur nöthig, den Blasengang zu unter-
binden und darauf eine Blasenfistel anzulegen; es dürfte sich dann leicht
herausstellen, dass mancherlei Veränderungen in der Absonderung, die man
jetzt auf die Vorgänge in den Leberzellen schiebt, in den Schleimdrüsen
begründet sind; namentlich deutet die stärkere Anschwellung der Blasen-
blutgefässe zur Zeit der Verdauung (Bidder und Schmidt) darauf hin,
dass auch dann diese Drüsen rascher absondern.
Das Wenige, was wir von dem Schleimsaft wissen, beschränkt sich
darauf, dass er, wie die ihm verwandten Säfte, einen Körper enthält, der
alkalisch reagirt (Bidder und Schmidt*) und die Eigenschaften und
die Zusammensetzung des Mucins (Gorup) **) trägt. Da er mit der
Galle in den Darm entleert wird, so theilt er dort die Schicksale des
übrigen Darmschleims.
Die Leberlymphe ist uns nur dem Namen nach bekannt.
9. Ernährung der Leber. Beim Fötus nimmt den Ort der späteren
Leber zuerst ein kleines mit dem Darmrohr communizirendes Hohlge-
bilde ein, dessen Wandungen aus verschiedenen Zellenlagen bestehen,
von denen die eine in die Epithelialschicht und die andere in die Zel-
lenfaserschicht der Darmwandung übergeht; an der einander zugekehrten
Grenze beider Lagen treten mit dem steigenden Alter des Fötus aus der
Epithelialschicht neue Zellen auf, welche, indem sie sich zu netzförmig
verbundenen Bälkchen anordnen, die ebenfalls an Zahl zunehmenden Zel-
len der Faserschicht vor sich hertreiben, sodass diese letztern immer die
äusseren Flächen der Epithelialschicht umkleiden. Aus den Bälkchen gehen
die Gallengänge und Leberzellen, aus den umkleidenden Zellen die Ner-
ven, Gefässe und das Bindegewebe der Leber hervor (Bischoff,
[234]Leber, Ernährung.
Remak). — Beim Wachsthum der Leber verhalten sich die Gefässe und
das Bindegewebe derselben, so weit bekannt, wie an allen andern Orten;
wie sich dagegen die Umfangszunahme der Leberzellenregionen gestaltet,
ist noch nicht hinreichend klar; am wahrscheinlichsten ist es nach den
Messungen von Harting allerdings, dass nicht die Zahl, sondern der
Umfang der Zellen zunimmt. Denn es verhalten sich nach ihm die
Durchmesser der Leberzellen des 4monatlichen Fötus zu denen des Er-
wachsenen wie 1 : 4.
Die Veränderungen, welche die festen Bestandtheile der ausgewach-
senen Leber und namentlich die Wandungen der Gefässe erleiden, schei-
nen, in Anbetracht des grossen Durchmessers der Leberarterie, nicht
unbeträchtlich zu sein. Dieser Schluss ist allerdings gewagt, da das arte-
rielle Blut der Leber auch in die Capillaren der Schleimdrüsen eingeht. —
Der Umfang der Leber wechselt bei einem und demselben Erwachsenen,
wie es scheint, nicht unbeträchtlich; namentlich nimmt sie beim Hungern
ab und bei der Mästung sehr zu. Der Zusammenhang zwischen der Um-
fangsänderung und der Gallenbildung ist schon erwähnt; hier ist nur noch
hervorzuheben, dass bei einer Anhäufung des Fettes im thierischen Kör-
per der Inhalt der Leberzellen sich ebenfalls beträchtlich mästet *), und
zwar so weit, dass die durch Fett weit ausgedehnten Zellen die Blutge-
fässe zudrücken. — Ebenso häufen sich in der Leber die Metalloxyde
und namentlich Kupferoxyd an, welche in das Blut übergingen; sie
verbinden sich wahrscheinlich mit den Gallensäuren. — Die öfter aus-
gesprochene Annahme, dass die Leberzellen, welche an die Gallengänge
grenzen, aufgelöst und an ihrer Stelle neu gebildet werden, entbehrt
vorerst noch der Begründung.
Speicheldrüsen.
1. Anatomischer Bau. Ein Abguss der Speicheldrüsenhöhlen
besitzt bekanntlich eine grosse Aehnlichkeit mit einer sehr dicht-
und feinbeerigen Weintraube (E. H. Weber, Joh. Müller). Die
Grösse derselben, oder was dasselbe bedeutet, die Zahl der Beeren
und die der Nebenstiele, welche in den Hauptstiel einmünden, ist
sehr veränderlich. — Die Röhrenwände bestehen in den Endbläs-
chen aus einer sehr feinen, durchsichtigen Grundhaut und einem Epi-
thelium. Die Zellen des letztern sitzen dicht gedrängt und sind
überall kugelig, kernhaltig. In der Parotis weicht ihr Inhalt von
dem in den übrigen Speicheldrüsen etwas ab, es fehlt ihm das kör-
nige, getrübte Ansehen und er wird durch Wasser und Essigsäure-
zusatz nicht gefällt (Donders) **). In den grössern Drüsengängen
ist die Grundmasse der Wand aus elastischem Bindegewebe gebildet, in
[235]Speicheldrüsen; Speichel der gl. submaxillaris.
das meist sehr sparsame und nur in den Unterkieferdrüsengängen häu-
figere Muskelzellen eingestreut sind (Kölliker). — Die Arterien der
Speicheldrüsen verästeln sich auf den Bläschen zur Bildung eines weit-
maschigen Netzes. Die kleinsten zuführenden Arterien sind mit sehr
kräftigen Muskelhaufen versehen. — Nervenfaden erhalten die Speichel-
drüsen aus den nn. trigeminus, facialis, sympathicus; in ihrem Verlauf
durch dieselben schlingen und verästeln sich die Primitivröhren wie in
den Muskeln (Donders).
Eine chemische Untersuchung der Speicheldrüsen fehlt.
2.Speichel. Die qualitative chemische Zusammensetzung des
Speichels aus den verschiedenen Speicheldrüsen stimmt allerdings zwar in
den meisten, aber nicht in allen Stücken überein.
a. Der Speichel der Unterkieferdrüse *) enthält unter allen Um-
ständen Wasser, Mucin, einen weissartigen Extraktivstoff, dessen Eigen-
schaften von der Darstellungsart (nach Berzelius, Gmelin oder
G. Mitscherlich) abhängig sind **), einen in Alkohol löslichen Extrak-
tivstoff, eine Kaliseife, Chlorkalium, Kochsalz, phosphorsaure Salze und
Wasser, zuweilen führt er auch Rhodankalium und schwefelsaures Kali. —
Die quantitative Mischung ***) dieser Stoffe ist veränderlich: 1) Mit der
Zeitdauer der Speichelabsonderung. Zum Verständniss dieses Ausdrucks
ist zu bemerken, dass nicht stetig, sondern durch längere oder kürzere
Zeiten unterbrochen aus den Speichelgängen der Saft abfliesst, so
dass die absondernde Thätigkeit der Drüse nur unter bestimmten, im
Organismus nicht immer vorhandenen Umständen besteht. Beginnt nun
nach einer längern Unterbrechung die Speichelabsonderung wieder und
hält dann einige Zeit hindurch an, so ist der im Beginn einer solchen
Speichelungsperiode austretende Saft reicher an festen Bestandtheilen, als
der später erscheinende; es nimmt also mit der Dauer der Speichelungs-
periode der prozentische Gehalt an festen Bestandtheilen ab. Diese Ver-
dünnung unseres Saftes ist vorzugsweise bedingt durch die Verminderung
der organischen Bestandtheile; denn diese werden in einer langen Spei-
chelungszeit bis zur Hälfte oder zum Viertel des ursprünglichen Gehal-
tes herabgedrückt, während der Salzgehalt sich entweder gar nicht,
oder jedenfalls um viel weniger als die Hälfte, verändert. — 2) Mit
einer bedeutenden Steigerung des Kochsalzgehaltes im Blut mehrt sich
der Salzgehalt des Speichels um ein Geringes; die organischen Bestand-
theile erhalten sich unverändert. — Auffallender Weise erleidet dagegen
die Zusammensetzung des Speichels keine merkliche Veränderung durch
eine beträchtliche Vermehrung der prozentischen Menge des Blutwassers,
[236]Speicheldrüsen; Ohr- und Munddrüsenspeichel.
welche man durch eine Einsprützung von Wasser in den Venen erzeugt
hat (E. Becher, C. Ludwig).
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass der Speichel, welchen
man zu verschiedenen Zeiten auffängt, nicht gleichartig zusammengesetzt
sein kann, wie dieses in der That Cl. Bernard und C. Schmidt be-
stätigt haben; aus ihren Erfahrungen lässt sich jedoch nicht sehen, ob
die Abweichungen durch die oben erwähnten Umstände bedingt waren.
Donders*) hat bei einem Hunde den Speichel der Mundhöhe vor und
nach dem Fressen aufgefangen und aus der Analyse desselben das uner-
wartete Resultat erhalten, dass der erstere weniger feste Bestandtheile
enthielt, als der letztere.
Nach den bis dahin bekannt gewordenen Bestimmungen schwanken
beim Hunde in 100 Theilen: der Rückstand von 1,98 zu 0,39, die
Salze von 0,79 bis 0,24, die organischen Bestandtheile von 1,26 zu
0,15. — Ein Speichel von annähernd mittlerer Zusammensetzung ent-
hielt nach C. Schmidt: Wasser = 91,14; organ. Stoffe = 0,29;
Ka und Na Cl = 0,45; Kalksalze = 0,12.
b. Der Speichel der Ohrdrüse unterscheidet sich von dem vorher-
gehenden nur dadurch, dass er noch kohlensauren Kalk enthält, wäh-
rend er das Mucin entbehrt (Gurlt); darum fehlt ihm die fadenziehende
Eigenschaft; seine quantitative Zusammensetzung zeigt ebenfalls grosse
Variationen, deren Abhängigkeitsverhältniss von andern physiologischen
Zuständen noch zu ermitteln ist. — Nach Mitscherlich bewegt sich
beim Menschen der Prozentgehalt der festen Stoffe von 1,6 zu 1,4, von
diesen letzteren waren 0,9 verbrennlich und 0,5 unverbrennlich; beim
Hunde schwankt nach Gmelin und Mitscherlich der Rückstand
zwischen 2,6 bis 0,5 pCt. — Ueber das ungefähre Verhältniss der Salze
zu einander giebt die nachstehende Analyse von C. Schmidt Rechen-
schaft: Wasser = 99,53; organ. Stoffe = 0,14; Ka und Na Cl = 0,21;
CaO CO20,12.
c. Mundspeichel. Der Speichel der Sublingual-, Lingual-, Lippen-
und Backendrüsen ist noch nicht gesondert untersucht worden. Trotz-
dem lässt sich aussagen, dass seine Zusammensetzung nicht wesentlich
abweiche von derjenigen der untersuchten Speichelsorten, weil nemlich
der Mundspeichel, oder das Gemenge aus den Säften aller Speicheldrüsen,
wie es aus der Mundhöhle gewonnen werden kann, annähernd gleich mit
jenen constituirt ist. Die einzigen wesentlichen Unterschiede, die sich
finden, bestehen nach Berzelius, Gmelin, Schmidt, Frerichs,
L’heritier und Lehmann darin, dass der Mundspeichel losgestossene
Epithelialzellen der Mundschleimhaut und phosphorsaures Natron enthält.
In 100 Theilen wechselt sein fester Rückstand zwischen 1,35 bis 0,35.
[237]Speicheldrüsen; Absonderungsgeschwindigkeit des Speichels.
Ungewöhnliche Speichelbestandtheile. Wenn man in das Blut Jodkalium bringt,
so zeigt sich dieses im Speichel wieder und zwar sehr bald, während Blutlaugensalz
unter gleichen Bedingungen nicht in ihm vorkommt (Cl. Bernard).
3. Absonderungsgeschwindigkeit des Speichels. — Die Absetzung
der organischen Speichelbestandtheile in die Drüsenräume scheint ziem-
lich ununterbrochen vor sich zu gehen, keinenfalls steigert sie sich in
gleicher Weise wie die des Wassers und der in ihm gelösten Salze.
Wäre dieses der Fall, so könnte der Gehalt an organischen Stoffen mit
der Dauer der Absonderung nicht sinken. Da dieses geschieht, so scheint
der Schluss erlaubt, dass das in die Drüse eindringende Wasser allmäh-
lig die vorher in der Drüse abgesetzten, löslichen oder stark aufquellbaren
Stoffe auswäscht. — Die Absonderungsgeschwindigkeit des Wassers und der
Salze ist ausser einer gewissen, nicht näher bekannten Constitution der
Drüsenelemente und des Bluts abhängig von der Erregung gewisser Ner-
ven (C. Ludwig) *), und insbesondere vom dritten Ast des n. trigeminus
(ram. lingualis und auriculo-temporalis (?)), n. facialis (chorda tympani
und ram. parotidei postici), und glossopharyngeus (C. Rahn) **). Von
diesen Nerven wirken die ersteren, so weit sie sich in die Drüsensub-
stanz einsenken, durch direkte Erregung derselben, die letztern und
wahrscheinlich auch die Zungenäste des ram. lingualis durch reflekto-
rische Uebertragung auf die Absonderung. — Aus diesem Abhängigkeits-
verhältniss ergiebt sich, dass bei vollkommenem Ruhezustand der Nerven
die Absonderung des Speichelwassers vollkommen still steht, während
sie bei irgend einer Erregungsart der genannten Nerven beginnt. Die
Bedingungen, unter denen diese letztere eintritt, sind beim Lebenden ein-
mal Kau- und Sprechbewegungen, wobei auf unwillkührliche Weise die
direkten Speichelnerven vom Hirn aus mit angeregt werden, und dann
die Anwesenheit Geschmack erzeugender Substanzen auf der Zunge,
welche auf reflektorischem Wege die direkten Speichelnerven erregen.
Aus diesem Grunde speicheln wir am stärksten während der Essenszei-
ten, wo sich Kaubewegungen und Geschmacksempfindungen gleichzeitig
einstellen. Die vorliegenden Beobachtungen berechtigen uns zu dem
Schluss, dass die Absonderungsgeschwindigkeit in irgend welchem Ver-
hältniss steigt mit der Stärke der Nervenerregung, und ferner, dass, alles
andere gleichgesetzt, die Erregung des vom Hirn getrennten n. facialis
die Absonderung mehr beschleunigt, als der nerv. trigeminus unter den-
selben Umständen.
Ein Zahlenausdruck für die Geschwindigkeit der Speichelabsonderung,
z. B. ein Quotient aus dem Gewicht der Speicheldrüse in das Gewicht
des in der Zeiteinheit abgesonderten Speichels, ist aus Mangel der nöthi-
gen Beobachtungen noch aufzustellen. — Die mittlere tägliche
[238]Speicheldrüsen; Speichelbereitung.
Speichelmenge (das Produkt aus der Absonderungsgeschwindigkeit
in das Drüsengewicht) kann demgemäss ebenfalls nicht angegeben werden.
Mitscherlich konnte aus einer Fistel des duct. stenonianus eines
kränklichen, sehr mässig lebenden Mannes täglich ungefähr 100 Gr. auf-
fangen. Bidder und Schmidt waren im Stande, in einer Stunde,
während welcher sie weder schmeckten, noch kauten, 100—120 Gr. aus
dem Munde zu entleeren. Wenn während der ganzen Zeit des Wachens
(17 Stunden) ihre Speichelabsonderung mit derselben Geschwindigkeit
vor sich geht, so würden sie täglich mindestens 1700 bis 2000 Gr. Spei-
chel abgesondert haben. Inwiefern die Bewegungen der Kiefer-, Zungen-
und Lippenmuskeln erhöhend auf die Absonderung wirkten, wie sich die
Absonderung während des Essens steigert, ist nicht zu ermitteln. Die
gegebenen Zahlen können darum auf keine allgemeine Giltigkeit für die
Speichelmenge der beobachteten Individuen Anspruch machen.
4. Speichelbereitung. Die organischen Bestandtheile und insbeson-
dere das Mucin des Speichels sind nicht im Blute vorgebildet, man muss
sie darum als eine Neubildung im Innern des Drüsenraums ansehen.
Da man nun das Mucin in den Epithelialzellen der Drüsenbläschen auf-
gefunden hat, so ist Donders*) geneigt, anzunehmen, dass sich das
Mucin durch Auflösung der Zellenwandung in dem alkalisch reagirenden
Speichel bilde; er stützt seine Meinung durch eine Beobachtung von
Frerichs, wonach verdünnte alkalische Lösungen im Stande sind, die
Epithelien zu einer schleimigen Flüssigkeit zu lösen; ferner, dass frischer
Speichel bei 37° C. in 24 Stunden die in ihn gebrachten Epithelialzellen
aus den Bläschen der Speicheldrüsen vollständig löse, während mit Essig-
säure neutralisirter Speichel sie unberührt lasse. Hiergegen wäre das
Bedenken zu erheben, dass die Parotis kein Mucin liefert, obwohl die
Wandung ihrer Epithelialzellen und die aus ihr hervortretende Salzlösung,
so weit wir wissen, nicht abweicht von der Mucin liefernden Submaxil-
laris. — Die alkalisch reagirende Salzlösung des Speichels wird offenbar
direkt aus dem Blute bezogen. Das Uebertreiben derselben aus den Blut-
gefässen in die Drüsenräume wird besorgt durch die Nerven, und zwar
durch eine solche Veränderung der Drüsensubstanz, welche einen Flüs-
sigkeitsstrom aus dem Blut in den Drüsenanfang zu bewerkstelligen ver-
mag. Diese Behauptung gründet sich darauf, dass bei anhaltender Ner-
venerregung aus den Ausführungsgängen in ununterbrochenem Strom ein
die Drüse weit übertreffendes Volum von Speichel ausfliesst (E. Becher,
C. Ludwig), also kann der etwa in der Drüse enthaltene Saft nicht
ausgedrückt worden sein. Und ferner ist auch der Druck, unter dem
die Flüssigkeit in die Drüse geliefert wird, oft sehr viel höher, als der-
jenige, welcher zur Zeit in der a. carotis besteht, und noch mehr, es kann
[239]Speicheldrüsen; Ausstossung des Speichels.
selbst, die Erregbarkeit der Nerven vorausgesetzt, Speichel abgesondert
werden, wenn der Blutstrom vollkommen still steht (C. Ludwig). Dar-
aus geht hervor, dass der Blutdruck nicht die Ursache der Flüssigkeitsströ-
mung in die Drüsenanfänge sein kann. Man könnte sich nämlich die Vor-
stellung bilden, dass der erregte Nerv entweder die Muskeln der Speichel-
arterien erschlaffte oder diejenigen der Venen verkürzte, wodurch dann der
Druck des Blutstroms auf seine Gefässwandung in der Drüse erhöht
würde. In keinem Fall würde aber diese Erhöhung über den in der
a. carotis vorhandenen steigen können, und somit würde auch der Druck,
mit welchen die Flüssigkeit in die Drüse einströmt, nicht bedeutender
als dort sein dürfen. — Eine genauere Darlegung der Beziehung der
Nerven zu den Speicheldrüsen lässt sich aber ohne weitergehende Unter-
suchungen nicht geben; bemerkenswerth ist es nur, dass sich das Gewebe
derselben gegen die Nerven analog der Muskelsubstanz verhält, wenn
man den Flüssigkeitsstrom statt der Zusammenziehung substituirt, indem
ausser andern schon erwähnten Aehnlichkeiten die bestehen, dass ein
elektrischer Strom von schwankender Dichtigkeit nothwendig ist, um den
Speichelnerv in die Absonderung erzeugende Erregung zu versetzen, und
dass mehrere Sekunden zwischen dem Beginn der Nervenerregung und
dem Eintritt der Absonderung verstreichen. — Da nun in den Muskeln
die Zusammenziehung abhängig ist von einer besonderen Anordnung
elektrischer Molekeln, so könnte man auch eine solche in der Drüsen-
substanz voraussetzen und den Flüssigkeitsstrom abhängig denken von
einer elektrischen Strömung, die aus dem Blut in die Drüsenröhren geht,
und zwar um so mehr, als bekanntlich die strömende Elektrizität die
Flüssigkeitstheilchen, welche sie durchwandert, in Bewegung setzt. Diese
Hypothese muss aber so lange für eine gewagte gelten, als man damit
nicht einmal erklären kann, warum dieser vorausgesetzte elektrische
Strom nur einzelne, nicht aber alle flüssigen Bestandtheile des Bluts in
die Drüse überführt.
5. Die Austreibung des Speichels aus den Bläschen und Gängen
wird unzweifelhaft besorgt durch die Kräfte, welche ihn in erstere ein-
treiben; denn einmal fehlt den Drüsenelementen jede selbstständige Be-
weglichkeit, und dann genügt der Absonderungsdruck der Aufgabe voll-
kommen, da er unter Umständen einer Säule von mehr als 200 MM.
Hg druck das Gleichgewicht hält.
Nachdem der Speichel in die Mundhöhle getreten, wird er durch
Schlingbewegungen in den Magen niedergebracht, wo er grösstentheils
in das Blut zurücktritt. Wir werden ihm bei der Verdauungslehre auf
diesem Wege wieder aufsuchen.
6. Die Ernährungserscheinungen des fertigen Drüsengewebes bieten die
Aehnlichkeit mit denen der Muskeln, dass dasselbe bei einer dauernden Hem-
mung der Absonderung, wie sie z. B. in Folge der Unterbindung der Ausfüh-
[240]Schleimdrüsen.
rungsgänge auftritt, allmählig zu Grunde geht; namentlich wird ihm
die Fähigkeit geraubt, Speichel zu liefern. Etwas weiteres ist nicht
bekannt.
Schleimdrüsen.
Zu ihnen zählt man die Schleimdrüsen der Mundhöhle, des Ra-
chens, der Speiseröhre, der Gallenblase, die Brunn’schen Drüsen; die
Drüsen der Schneider’schen Haut, des Kehlkopfes, der Bronchien,
der Harnblase, der Harnröhre (Cowper’sche und Littre’sche) und
der Scheide.
1. Diese Gebilde haben in der Anordnung ihrer Höhlen weder
etwas gemeinsames, noch etwas charakteristisches. — Eine grössere Zahl
derselben gehört nemlich zu den traubigen Drüsen, die dann auch in
allen Stücken den Speicheldrüsen gleichen; ein anderer Theil, wie die
der Harnblase, sind einfache Schlauchdrüsen, und die Littre’schen
endlich nähern sich in ihrer Form, durch die Weite und den gezoge-
nen Verlauf der Endbläschen den Samendrüsen an. — Die Struk-
tur der Wandungen ist dagegen bei allen diesen Drüsen diejenige,
welche den Speicheldrüsen zukommt. Diesen Mangel an anatomischer
Charakteristik ersetzte bis vor Kurzem scheinbar ein gemeinsames phy-
siologisches Merkmal, die Absonderung eines eigenthümlichen Stoffes, des
Schleims; dieses ist aber ebenfalls durch genauere Beobachtungen auf-
gehoben. Alle diese Drüsen sondern allerdings Schleimstoff ab, aber
diese Eigenschaft theilen sie mit noch andern, z. B. der gl. submaxilla-
ris, und sogar mit Flächen, welche gar keine Drüsen enthalten, wie die
Synovialhaut.
2.Schleimsaft*). In den Absonderungen der erwähnten Drü-
sen hat man constant gefunden Schleimstoff, Extrakte, sämmtliche Salze
des Bluts und Wasser, zuweilen auch Eiweiss. — Die quantitative Zu-
sammensetzung der einzelnen Säfte ist aber zu wenig untersucht, um
bestimmen zu können, wie sie sich zu verschiedenen Zeiten verhalten,
und ob oder wie die verschiedenen Drüsensäfte von einander abweichen.
Die Schwierigkeiten, die sich der Untersuchung entgegenstellen, sind ausser den
allgemeinen noch vorzugsweise darin zu suchen, dass es theils nicht gelingt, die Säfte
rein zu erhalten. Der Nasenschleim mischt sich z. B. mit den Thränen, der des
Mundes mit dem Speichel u. s. w.; theils aber wird der Schleim in zu geringer
Menge abgesondert, um für Analysen hinzureichen, so namentlich in der Scheide.
Wir verzichten darum auf weitere Angaben und verweisen auf die Analysen von
Berzelius, Nasse, Scherer und L’heritier.
Thränendrüsen.
1. Anatomischer Bau **). Zu dieser Drüsengattung zählt man die
[241]Thränendrüse.
über der äussern Seite des bulbus oculi gelegenen Drüsen, welche das
obere Augenlid durchboren und sich auf der Conjunctiva öffnen, und die
Krause’schen Drüsen, welche unter der Conjunctiva und zwar an ihrer
Umbiegungsstelle vom Bulbus auf die Lider liegen. Sie gleichen in
ihrem Bau den Speicheldrüsen vollkommen. Ihre Nerven empfangen sie
aus dem ersten Aste des Trigeminus.
2.Thränen*) Sie bestehen aus einem eiweissartigen Stoff,
Schleim, Spuren von Fett (welches aus den Epithelien der Drüsenröhre
stammt), Na Cl, phosphorsauren Erden, Alkalien und Wasser. Die Reak-
tion der Flüssigkeit ist alkalisch. Ueber eine Variation in der Zusam-
mensetzung ist nichts bekannt. Nach Frerichs enthalten Thränen,
welche in reichlicher Menge abgesondert wurden, zwischen 0,8 und 0,9
feste Bestandtheile in Lösung; die Aschenprozente variirten zwischen
0,42 und 0,54, welche vorzugsweise aus Na Cl und aus sehr geringen
Mengen phosphorsauren Alkalien bestehen (Vauquelin, Fourcroy,
Frerichs). Die Erdphosphate waren an den eiweissartigen Stoff ge-
bunden.
3. Die Absonderungsgeschwindigkeit der Thränen variirt mit leiden-
schaftlichen Erregungen der Seele und reflektorischer Erregungen, die
von der Oberfläche der Conjunctiva, der innern Nasenfläche und dem
Opticus (?) ausgehen.
Da die Drüse der Speicheldrüse analog gebaut ist, da die Thränen
wesentlich mit dem Parotisspeichel übereinstimmen und die gesteigerte
Absonderung unter denselben Bedingungen wie in der Speicheldrüse auf-
tritt, so kann man nicht anstehen, unsere Drüsen für eine Modifikation
der Speicheldrüsen zu halten.
4. Die aus den Ausführungsgängen getretenen Thränen verbreiten
sich über die Conjunctiva, gelangen in den sog. Thränensee und dringen
dort, eine mässige Absonderung vorausgesetzt, in die Thränenpunkte und
Thränenröhrchen ein, von wo sie durch den Thränenkanal in die Nase
gelangen. An dieser Stelle verdunstet ihr Wasser in dem Luftstrom, der
durch die Athembewegungen in die Lunge geführt wird. Die Bewegung
aus dem Thränensack in die Nase kann ausser der Schwere begünstigt
werden durch die Muskeln des ersten Behälters. Ein Eindringen von
Nasenschleim in den Thränenkanal wird verhütet durch eine Klappe, die
sich an seiner Mündung in der Nase vorfindet.
Bauchspeicheldrüse.
1. Der anatomische Bau des Pankreas gleicht im Wesentlichen dem
der Kopfspeicheldrüsen; unterschieden ist er dadurch, dass die beiden
Ausführungsgänge der Drüsen vor ihrer Ausmündung communiziren
Ludwig, Physiologie. II. 16
[242]Pankreas; Bauchspeichel.
(Verneuil). — Die Nerven erhält es aus der plex. coeliacus, hepa-
ticus, lienalis, mesenteric. superior. (Verneuil) *).
2.Bauchspeichel**). Seiner chemischen Zusammensetzung nach
besteht er aus einem besondern eiweissartigen Fermentkörper, einem
butterartigen Fett, Chlor, Schwefelsäure, Phosphorsäure, Kohlensäure,
Kali, Natron, Kalk, Magnesia, Eisenoxyd und Wasser. — Er stellt eine
klare, klebrige, alkalisch reagirende Flüssigkeit dar. — Die quantitative
Zusammensetzung des Bauchspeichels ist, so weit wir wissen, bis zu einem
gewissen Punkte veränderlich mit der Absonderungsgeschwindigkeit; die
Veränderungen betreffen vorzugsweise das Verhältniss zwischen dem Was-
ser und den organischen Stoffen. Der prozentische Gehalt an Wasser
steht nun in der eigenthümlichen Beziehung zu der Menge von Saft, welche
in der Zeiteinheit abgesondert wird, dass er innerhalb gewisser Grenzen mit
der Absonderungsgeschwindigkeit zunimmt, jenseits derselben sich aber
unverändert hält, wie auch die Saftmenge anwachsen mag. So fiel beim
Hunde der prozentische Wassergehalt von 98 auf 94, als die in der
Minute abgesonderte Saftmenge von 0,5 Gr. bis zu 0,05 Gr. abnahm;
und es hielt sich dagegen der Wassergehalt unverändert auf 98, als das
Gewicht des in der Minute abgesonderten Saftes von 0,5 auf 2,2 Gr.
wuchs (Weinmann). — Aehnlich den beim Kopfspeichel beobachteten
Verhältnissen kommt auch hier die Veränderlichkeit des Rückstandes
vorzugsweise auf Rechnung der organischen Bestandtheile. Denn in den
von Gmelin, Frerichs und Schmidt veröffentlichten Analysen des
Saftes vom Hund, Schaaf und Esel wechselte der Gehalt an organischen
Rückstandsprozenten von 9,0 bis zu 1,3 und derjenige der Salzmasse
nur zwischen 1,0 bis 0,7. — Die Zusammensetzung gestaltet sich in
den Grenzfällen nach Schmidt (beim Hunde I. und II.) und nach Fre-
richs (beim Esel III.) folgendermaassen:
3. Die Absonderungsgeschwindigkeit des Bauchspeichels ist a) von
der Nahrung abhängig, jedoch nicht in dem Grade, dass sie bei voll-
kommener Entziehung derselben Null würde. Weinmann beobachtete,
dass ein Hund in der ersten Stunde nach einer reichlichen Nahrung =
97,8 Gr. Pankreassaft, nach 45stündigen Hungern aber in derselben Zeit
nur 0,48 Gr. lieferte. Kroeger fand die Saftmenge des Hundes für
je eine Stunde in der ersten Stunde nach der Nahrung = 24,9 Gr.; in
der 2ten = 17,58; in der 3ten bis 6ten = 14,6; in der 7ten bis 9ten
= 11,43; in der 10ten bis 14ten = 10,7; in der 19ten bis 24ten =
6,66. — Die Beschleunigung der Absonderung macht sich so rasch gel-
tend, dass ¼ bis ½ Stunde nach dem Genuss von fester Nahrung und
einige Minuten nach dem Genuss von Wasser (Weinmann) schon
das Maximum der Geschwindigkeit erreicht ist; der absolute Werth
der erzeugten Geschwindigkeitserhöhung scheint der Menge der genosse-
nen Nahrung proportional zu gehen und ist nach dem Fressen bedeu-
tender, als nach dem Saufen. — b) Die Absonderungsgeschwindigkeit
wird weiterhin bestimmt durch gewisse, nicht näher gekannte Zustände
der die Bauchspeicheldrüse umgebenden Organe, wie sie insbesondere
erzeugt werden durch Eröffnung der Unterleibshöhle; nach einer solchen
Operation stockt die Absonderung fast vollständig. In Folge dieser Er-
fahrungen statuirten Bidder und Schmidt die Beziehungen zwischen
der Absonderung des alkalischen Bauchspeichels und des sauren Magen-
saftes, dass mit der steigenden Bildung des letzteren auch die des erste-
ren zunehme.
Zur Gewinnung des Saftes legt man entweder temporäre (Tiedemann, Leuret
und Lassaigne, Frerichs u. s. w.) oder dauernde (C. Ludwig) Fisteln des
Wirsung’schen Ganges an. Je nach der Anwendung des einen oder andern Verfah-
rens erhält man ganz verschiedene Resultate bezüglich der Absonderungsgeschwindig-
keit; im erstern Fall gewinnt man nur wenig Saft, im letztern dagegen, besonders
einige Tage nach der vollendeten Operation, sehr viel grössere Mengen. Diese Unter-
schiede ist man geneigt auf die Störungen zu schieben, welche durch die Operation
selbst in der Unterleibshöhle, resp. der Drüse, hervorgerufen werden; diese Annahme
findet eine Unterstützung in den neuen Beobachtungen von Schmidt, welche un-
zweifelhaft beweisen, dass der aus permanenten Fisteln fliessende Saft mindestens
seiner qualitativen Zusammensetzung nach als ein normaler Bauchspeichel angesehen
werden muss.
Ein absoluter Werth für die Geschwindigkeit der Absonderung (Quotient aus dem
Gewicht des Pankreas in das des in der Zeiteinheit abgesonderten Bauchspeichels) kann
nicht gegeben werden. Statt dessen substituirt man etwas willkührlich den Quotient
aus dem Gewicht des ganzen Thiers in das Gewicht des in der Zeiteinheit geliefer-
ten Saftes. Nimmt man nach Schmidt unter Anwendung dieser Berechnungsweise
das Mittel aus sämmtlichen zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Fütterungs-
arten angestellten Beobachtungen eines und desselben Thiers, so erhält man für die
drei Hunde, deren Saft er aus permanenten Fisteln auffing:
16*
[244]Pankreas; Bereitung des Bauchspeichels.
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass ein Thier von geringem Körper-
gewicht verhältnissmässig mehr Wasser durch das Pankreas ausgiebt, als ein solches
von grössern, und dass diese Beziehung zwischen den festen Bestandtheilen nicht
besteht. — Unter diesen Umständen möchte es gewagt sein, die Beobachtungen am
Thier auf den Menschen zu übertragen.
3. Die Bereitung des Bauchspeichels. Der fermentartige Körper
scheint in den Zellen des Drüsenepitheliums zu entstehen, da er nicht
im Blute, wohl aber durch mikrochemische Reaktion in diesem aufge-
funden werden kann; aus diesen geht er über in das Drüsenrohr, wohin
ihn der zeitweise stärkere Strom der alkalischen Salzlösung, welche aus
dem Blute in das Pankreas dringt, spült. Diese Annahme, dass die Bildung
des Fermentkörpers stetig in die Drüsen vor sich gehe, während die Salz-
lösung zeitweise verstärkt in dieselbe dringe, wird wahrscheinlich aus
den Erfahrungen, dass die Zusammensetzung der letztern immer annähernd
gleich ist, während der Gehalt an organ. Stoffen so ausserordentlich sich
verändert; die Thatsache, dass der Fermentgehalt des Pankreassaftes eben-
falls constant wird, wenn die Absonderung über einen grossen Grad von
Geschwindigkeit hinausgeht, würde sich daraus erklären lassen, dass die
Zeit, während welcher die in die Drüse eingetretene Salzlösung in ihr
verweilte, dann annähernd sich gleich blieb, d. h. sie würde dann aus
der Drüsenzelle gleich viel Ferment auswaschen. — Die Bedingungen,
welche den Eintritt der wässerigen Salzlösung in die Drüse bedingen,
sind nicht festgestellt; man könnte auch hier an eine Nervenwirkung
denken, in Anbetracht des raschen Wechsels der Absonderungsgeschwin-
digkeit, der Constanz ihrer Zusammensetzung, resp. ihrer Unabhängig-
keit von dem Inhalt der Drüsenzellen und endlich des Nervenreichthums
der Drüse. Bis dahin hat es aber noch nicht gelingen wollen, durch einen
Versuch, d. h. durch Erregung der betreffenden Nerven, die Absonderung
zu beschleunigen (Weinmann), ein Resultat, das aber an Werth ver-
liert, wenn man erwägt, dass nach Eröffnung der Bauchhöhle die Drüse
überhaupt in ihrer Saftbereitung gestört ist. — Nimmt man aber eine
Nervenwirkung an, so ist es zweifelhaft, ob diese auf die Drüsensubstanz
oder auf den Blutstrom geschieht. Die letztere Alternative darf darum
nicht aus den Augen verloren werden, weil die Speicheldrüse des Bauchs
im Gegensatz zu denen des Kopfs sich während der lebhaften Absonde-
rung mehr als gewöhnlich mit Blut füllt.
4. Ausstossung des Bauchspeichels. Den Gängen fehlen Muskeln,
[245]Magendrüsen; Labdrüsen.
also muss die Austreibung des Saftes durch die Kräfte geschehen, welche
ihn in die Drüsen führen, welche oft stark genug sind, um ihn in einem
Strahl austreten zu lassen. — In dem Duodenum mengt er sich mit
dem sauren Magensaft, wird neutralisirt und wirkt verändernd auf die
Speisen. Da dem Koth der Fermentkörper fehlt, so muss dieser in das
Blut zurückkehren, zugleich mit den reichlichen Wassermengen, welche
er mit führt. Die Bedeutung, welche er für die Verdauung gewinnt, ist
später zu behandeln.
5. Ueber die Ernährung der Drüsen ist ausser der Formfolge bei
der ersten Entwickelung wenig bekannt. Die unterbundenen und durch-
schnittenen Drüsengänge stellen sich leicht wieder her.
In einigen Krankheiten fand Virchow bemerkenswerther Weise viel Leucin
im Pankreasgewebe*).
Magendrüsen.
In die Magenwände sind zwei Drüsenarten eingebettet, die sich
durch ihre Form sehr wenig, durch ihre absondernden Kräfte aber be-
deutend unterscheiden (Wassmann).
A. Labdrüsen.
1. Anatomischer Bau**). Die Labdrüsen erstrecken sich von der
Cardia bis zum Pförtner. In dieser Ausdehnung ist die Schleimhaut des
Magens durchbohrt von so dichtgedrängten Drüsenschläuchen, dass von
der Substanz derselben nur äusserst wenig übrig bleibt. Die Höhlen
dieser Drüsen sind nahe an der innern Magenoberfläche cylindrisch, ge-
gen die Zellenhaut des Magens hin, wo die Höhle blind endigt, ist sie
seitlich mit rundlichen Ausbuchtungen versehen (Sprott Boyd, Henle).
Meist sind die Höhlen vom Grund bis zur Mündung hin einfach und nur
zuweilen, namentlich in der unmittelbaren Nähe der Cardia, münden meh-
rere solcher Drüsenschläuche durch eine Oeffnung in den Magen aus
(Bischoff, Kölliker). — Die Wand ist durchweg durch eine struktur-
lose Haut dargestellt, deren innere Fläche nahe an der Drüsenmündung
von einem Cylinderepithelium und von da ab bis zum blinden Ende mit
einer kugeligen Zellenformation, den Labzellen, bedeckt ist. Der Binnen-
raum dieser letztern ist ausgefüllt durch einen Kern und eine trübe Flüs-
sigkeit. In dem Grunde der Drüsen findet sich statt der Labzellen öfter
auch nur eine körnige Masse mit eingestreuten kleinen Zellen, welche
dem Ansehen nach den Kernen der Labzellen vollkommen gleichen
(Sprott Boyd, Frerichs). — Um die Drüsen ist in der Schleim-
und Zellhaut des Magens ein langer, glatter Muskel geschlagen; er besteht
aus einem Geflecht von Muskelzellen, welche theils nach der Längen-
[246]Labdrüsen; Labsaft.
und theils nach der Querrichtung der Drüsenschläuche verlaufen und,
unmittelbar an die strukturlose Haut derselben sich anschliessend, sie
bis in die Schleimhaut hinein verfolgen (E. Brücke). — Die Blutgefässe
beziehen ihr Blut aus den Arterien, welche in die Zellhaut des Magens
eindringen; aus dieser treten feine Aestchen empor mit der allgemeinen
Richtung gegen die Magenoberfläche, indem sie sich an die Drüsen an-
schmiegen, zerfallen sie in feine Capillaren, welche, netzförmig sich ver-
bindend, die Drüsenschläuche umspinnen. Diese Netze schicken darauf
stärkere Zweige gegen die Schleimhautoberfläche, wo sich dieselben von
neuem zu grössern Maschen anordnen, aus denen endlich die Venen her-
vorgehen (H. Frey).
2. Labsaft*). Obwohl die Gewinnung des reinen Labsaftes in grös-
serem Maassstab bis dahin nicht gelungen ist, so hat man doch vermocht,
einige chemische Eigenthümlichkeiten desselben nachzuweisen.
Den Labsaft fängt man auf zwei verschiedene Weisen auf. 1) Man schneidet
die Stellen der Magenschleimhaut, in welche die Labdrüsen eingebettet sind, aus,
spült sie mit Wasser ab und presst dann entweder die Flüssigkeit aus, oder man
zieht die Stücke mit Wasser aus. — 2) Man legte bei Thieren Magenfisteln an (Blond-
lot), oder benutzte die seltenen Fälle, in denen bei Menschen Magentisteln vorkommen
(Beaumont, Schmidt). Da nun aber in den Magen enthalten sind: Speisereste,
Speichel, Schleim aus den Drüsen des Oesophagus und des Magens selbst, so gewinnt
man auch auf diesem Wege den Labsaft nicht rein. Um ihm aber wenigstens das
Uebergewicht über die andern Gemengtheile zu verschaffen, hat man den Inhalt des
Magens bei hungernden Thieren aufgefangen, nachdem man vorgängig von der Fistel-
öffnung aus den Magen mit Wasser ausgespült hatte. Dadurch sicherte man sich vor
der Verunreinigung mit Speisen (Bidder und Schmidt, Heintz). — Um den
Speichel ganz oder theilweise zu eliminiren, legt Bardeleben neben der Magen-
fistel auch noch eine Speiseröhrenfistel an, durch welche der verschlungene Speichel
nach aussen abfloss, oder es wurden die Ausführungsgänge der wesentlichen Speichel-
drüsen unterbunden (Bidder und Schmidt). — Eine Befreiung des Labsaftes von
dem Schleim ist also noch nicht versucht worden. In keinem Fall genügt also die
gewonnene Saftart, um alle Eigenschaften der Labflüssigkeit festzustellen, aber sie
reicht hin, um diejenigen derselben aufzudecken, welche ihm vor dem Schleim und
Speichel zukommen, und zwar darum, weil uns die Zusammensetzung dieser letztern
bekannt ist.
Dem Labsaft kommen als eigenthümliche Stoffe zu: ein besonderer
Fermentkörper (Pepsin) (Eberle, Schwann), Salmiak, Chlorcalcium
und eine freie Säure. Diese letztere ist bald als Salz- (Gmelin, Prout,
Schmidt) und bald als Milch- oder Buttersäure (Lehmann, Schmidt,
Heintz) bestimmt worden. Will man sich nun nicht zu der Annahme
bequemen, dass in den Labdrüsen bald die eine und bald die andere
Säure abgesondert werde, so bleibt nur ein Ausweg übrig. Man muss
nemlich behaupten, dass die in den Labdrüsen frei gemachte Salzsäure
[247]Labdrüsen; Absonderungsgeschwindigkeit des Saftes.
butter- oder milchsaure Salze zerlegt habe, die in dem Mageninhalt ge-
löst gewesen sind. Diese Unterstellung wird gestützt durch die Erfah-
rung, dass die zuletzt erwähnten Salze wirklich Bestandtheile des Magen-
inhalts sind, wenn vorher eine gewöhnliche Fütterung statt fand, und
ferner dadurch, dass Schmidt in dem Magen der von ihm beobachte-
ten Frau freie Salzsäure fand, wenn der Saft aus dem nüchternen, da-
gegen Milch- oder Buttersäure, wenn er aus dem speisehaltigen Magen
entzogen wurde.
Das Pepsin ist geradezu in dem Inhalt der Labzellen aufgefunden worden (Fre-
richs. Ueber die häufige Anwesenheit der Salzsäure in dem Labsaft der Menschen
und Thiere kann nach den tadelfreien Versuchen von C. Schmidt kein Zweifel mehr
bestehen; er bestimmte nämlich aus der frischen Flüssigkeit die Menge des Chlors
und Ammoniaks und aus der Asche des eingetrockneten Saftes die Menge der Basen.
In dem ersten Falle reichte der Gehalt an Ammoniak und fixen Basen hin, um das
ganze Gewicht des Chlors zu sättigen; er zeigt zugleich, dass gewöhnlich keine an-
dere freie Säure vorhanden gewesen sein konnte, indem zur Neutralisation des fri-
schen sauren Saftes gerade so viel Basis nöthig war, als die freie Salzsäure zur Dar-
stellung eines neutralen Salzes bedurfte. — Lehmann dagegen fand Milchsäure im
Magen von Hunden, die er nach vorgängigem Hungern mit entfetteten Knochen ge-
füttert und 10 bis 15 Minuten danach getödtet hatte. Ueber die Natur der von ihm
gefundenen Säure kann kein Zweifel bestehen, weil sie durch die Elementaranalyse
festgestellt wurde. Ebenso traf Heintz in einer erbrochenen Flüssigkeit Milchsäure
an, und Schmidt selbst konnte in den mit Zucker, Eiweiss u. s. w. verunreinigten
Magensaft, welcher aus der von ihm beobachteten Magenfistel des Menschen genommen
war, keine freie Salzsäure, wohl aber Butter- und Milchsäure auffinden.
Ob und wie die Zusammensetzung des Labsaftes veränderlich ist,
muss dahingestellt bleiben; die Thatsache, dass der Mageninhalt bald
sauer und bald alkalisch reagirt, kann ihren Grund begreiflich eben so
gut finden in einer veränderlichen Zusammensetzung des Labsaftes, als
auch in einer ungleich reichlichen Absonderung der verschiedenen (alka-
lischen und sauren) Säfte, welche in den Magen entleert werden.
3. Die Absonderungsgeschwindigkeit scheint für die einzelnen Be-
standtheile des Labsaftes nicht dieselbe zu sein, da man zu allen Zei-
ten in dem Magen Pepsin und nur zeitweise eine freie Säure antrifft. —
Die Menge von saurer und pepsinhaltiger Flüssigkeit, welche in der Zeit-
einheit, und zwar sichtlich aus den zu Tage gelegten innern Wandflächen
des Magens ausgestossen wird, ist sehr veränderlich. Zur Zeit, in wel-
cher der Magen leer oder nur mit verschlucktem Speichel gefüllt ist,
wird gar kein Saft aus den Drüsenmündungen geliefert. Dieses geschieht
aber sogleich, wenn in den leeren Magen beliebige feste oder flüssige
nervenerregende Stoffe (Speisen, Steine, Pfeffer, Kochsalz u. s. w.) ein-
gebracht werden, ja nach Bidder und Schmidt*) selbst dann, wenn
man hungrigen Thieren (deren Speichelgänge unterbunden waren) Nah-
rungsmittel vorhält, ohne sie ihnen zum Fressen zu geben. Daraus
[248]Labdrüsen; Bereitung des Saftes.
schliessen wir nun, dass die Absonderungsgeschwindigkeit steige mit der
bestehenden Nervenerregung des Magens, ein Schluss, der noch dadurch
bestätigt wird, dass nach Durchschneidung der n. vagi am Halse die Ab-
sonderung, wenn auch nicht vollkommen aufgehoben, doch zum minde-
sten beschränkt wird (Bidder, Schmidt, Frerichs, Bernard).
Eine sinnreiche Methode haben Bidder und Schmidt in Vorschlag
gebracht, die tägliche Menge des vom Menschen abgesonderten Pepsins
und der freien Säure zu bestimmen. — Setzt man, wie es annähernd
mindestens geschehen darf, voraus, dass die festen Eiweissstoffe unserer
Nahrung mit Hilfe jener Körper (in dem Magen oder Dünndarm) auf-
gelöst werden, und hätte man aus künstlichen Verdauungsversuchen er-
mittelt, wie viel Pepsin und Säure nöthig sind, um die Gewichtseinheit
des Muskelfleisches, Käses u. s. w. zur Auflösung zu bringen, so kann
man, vollkommene Auflösung vorausgesetzt, aus dem bekannten Gewicht
der eiweisshaltigen Nahrung die vom Magen gelieferten Pepsin- und
Säurenmengen berechnen. Würde schliesslich das Verhältniss dieser beiden
Stoffe zum Wasser des Labsaftes bekannt sein, so würde man damit auch
das Volum des ganzen Saftes gefunden haben. — Eine genaue Ausfüh-
rung ist diesem Vorschlag noch nicht zu Theil geworden.
4. Bereitung des Labsaftes. Pepsin und freie Säure gehören nicht
zu den Blutbestandtheilen, sie müssen also beide in den Labdrüsen ent-
standen sein. Das erste, welches seiner Eigenschaften wegen zu den
eiweissartigen Körpern gestellt werden muss, wird wahrscheinlich aus
dem Bluteiweiss gebildet, welches in dem Innern der Labzellen abgeschie-
den wurde; diese letzten enthalten mindestens den bezeichneten Stoff
(Frerichs). — Die freie Säure, insofern sie Salzsäure ist, wird durch
die Zerlegung der Chloralkalien gewonnen werden müssen; wie und wo
dieses geschieht, ist bis dahin ein Räthsel. — Die schon vorhin mit-
getheilten Gründe deuten darauf hin, dass das zeitweise verstärkte Her-
vortreten von Flüssigkeit unter dem Einfluss einer plötzlich eintretenden
Nervenerregung geschieht. Wie die Flüssigkeit beschaffen ist, die in die
Labdrüsen übergeführt wird, wissen wir nicht. Wir vermuthen aber,
dass sie eine (saure?) Salzlösung sei, welche auf ihrem Wege durch die
Drüse das Pepsin aus den Labzellen auswäscht (Donders). — Der
Mechanismus, durch welchen die Nerven die Absonderung einleiten, ist
uns unbekannt; für die Annahme, dass dieses durch eine Veränderung
im Durchmesser der Blutgefässe geschähe, spricht die lebhaftere Röthung
des Magens zur Zeit der gesteigerten Absonderung. Die Bahnen, in
welchen die Absonderungsnerven laufen, sind ebenfalls noch problematisch,
in dem Halstheil des n. vagus scheint nach übereinstimmenden Beobach-
tungen mindestens ein Theil derselben gesucht werden zu müssen. In
dem n. splanchnicus oder in den sympathischen Zweigen, welche in der
[249]Schleimdrüsen des Magens. Magensaft.
Brusthöhle zum n. vagus sich gesellen, liegt vielleicht ein anderer
Theil.
5. Die Ausstossung des Saftes aus den Drüsen kann mindestens
unter dem Einfluss der Brücke’schen Muskelschicht geschehen. Fre-
richs hat die Meinung ausgesprochen, dass bei der Entleerung des Saf-
tes die Labzellen in den Magen gespült wurden; durch die Untersuchun-
gen von Kölliker und Donders ist dieselbe dahin beschränkt worden,
dass die Ausführung der ganzen Zellen nicht zu den nothwendigen Er-
eignissen gehöre, da nach geschlossener Verdauung, also zu einer Zeit,
in welcher die reichlichsten Ausleerungen aus den Drüsen stattgefunden
haben, die Drüsen noch durchweg mit Zellen gefüllt sind. — Der Saft,
welcher in den Magen gelangte, wird dort mit den andern Säften und
den durch ihn veränderten Speisen in den Zwölffingerdarm geführt.
B. Schleimdrüsen.
Der anatomische Bau dieser Drüsen nähert sich sehr dem vorher
beschriebenen an; der wesentlichste Unterschied zwischen Beiden besteht
einmal in dem Mangel seitlicher Ausbuchtungen der schlauchförmigen Höhle
und der Epithelialbildung auf der Grundhaut; in den Schleimdrüsen ist sie
nemlich mit einem Cylinderepithelium belegt, welches dem in der innern
Magenfläche vollkommen gleicht (Wassmann). Gegen den Pylorus ist der
einfache Schlauch öfter getheilt, d. h. es münden durch eine Oeffnung
mehrere Drüsenröhren in den Magen; diese Anordnung bildet den all-
mähligen Uebergang zu den Brunn’schen Drüsen des Duodenums
(Donders).
Der Saft, welchen sie absondern, enthält Mucin, das nach Schrant
und Donders aus den sich allmählig auflösenden Epithelialzellen her-
vorgeht; Pepsin sondern sie nicht ab (Wassmann, Goll) und wahr-
scheinlich auch keine freie Säure.
Der Magensaft, oder das Gemenge aus dem Speichel, dem
Schleim und dem Labsaft, welche sich in den Magen ergiessen, verdient
als ein wichtiges Verdauungsmittel noch der Erwähnung.
Die chemische Zusammensetzung desselben ist natürlich so mannig-
fach veränderlich, je nachdem der Erguss des einen oder andern Drüsen-
saftes überwiegt, dass sich allgemeine Regeln über dieselbe selbst dann
nicht aufstellen lassen, wenn auch eine Verunreinigung durch Speisen
fern gehalten worden ist. Das einzige, was man constant beobachtet hat,
besteht nach Schmidt, Bidder und Grunewaldt darin, dass nach
längerem Entbehren von Nahrung, beim Menschen also constant nach
dem Erwachen aus dem Schlafe, der Magen eine stark schleimhaltige,
alkalisch reagirende Flüssigkeit in sich fasst, während nach dem Genuss
von Speisen oder irgend welchen andern festen Körpern eine saure Flüs-
sigkeit in ihm vorkommt. Schmidt hat bei der schon erwähnten Frau
mit einer Magenfistel die Flüssigkeit aufgefangen und zerlegt, welche in
[250]Magensaft.
dem Magen enthalten war, nachdem die Frau morgens nüchtern einige
Erbsen verschlungen hatte. Im Mittel aus zwei wenig von einander ab-
weichenden Analysen ergab sich: Wasser = 99,44; Ferment mit Spuren
von Ammoniak = 0,32; Salzsäure = 0,02; Chlorcalcium = 0,01; Koch-
salz = 0,15; phosphorsaure Erden = 0,06. Die Menge von Flüssig-
keit, welche täglich aus dem Magen der Frau aufgefangen werden konnte,
war über alle Erwartung gross. Sie betrug bei einem Körpergewicht
von 53 Kilogr. im Mittel aus 62 Versuchen = 649 Gr. in der Stunde,
welches, auf den Tag berechnet, = 15,576 Kilogr. ergiebt. Nun waren
allerdings die aufgefangenen Flüssigkeiten immer mit Speisen verunrei-
nigt, aber immerhin ist die Menge derselben trotz des grossen Nahrungs-
bedürfnisses der Frau, noch gering anzuschlagen gegen eine solche
Masse von Mageninhalt, und zudem ist zu bedenken, dass durch den
Pförtner eine grosse Masse von Mageninhalt abgeflossen sein mag. So
merkwürdig und wichtig diese Beobachtung ist, so kann sie aber nicht
genügen, um daraus ein Mittel für die täglich abgesonderte Menge des
menschlichen Magensaftes zu ziehen. Siehe über ein solches Schmidt
und Grünewaldt an den bezeichneten Orten.
Analysen von möglichst speichelfreiem und stark speichelhaltigem Magensaft des
Hundes gaben Bidder und Schmidt.
1. Mittel aus 9 Analysen; die Hunde waren in 8 Fällen mit Fleisch gefüttert,
die wesentlichsten Speichelgänge unterbunden; der Saft wurde aus dem leeren Magen
nach vorgängiger Erregung des Magens durch mechanische Mittel aufgefangen.
2. Bei einem wie vorher behandeltem Hund, dessen n. vagi durchschnitten waren.
3. Mittel aus 3 Analysen bei Fleisch- und Pflanzendiät; Speichelgänge nicht
unterbunden.
4. Speichelgänge nicht unterbunden; 12 bis 24 Stunden vorher die n. vagi durch-
schnitten.
Die mittlere Menge des stündlich aus dem Hundemagen zu erhaltenden Saftes
schätzen Bidder und Schmidt zu 4,6 Gr. für ein Kilogr. Thier, indem sie, wie
es scheint, voraussetzen, dass Nahrungsbedürfniss und Drüsenoberfläche anwachsen
wie das Körpergewicht.
Schlauchförmige Darmdrüsen.
Ihrem Bau nach stimmen sie ganz überein mit der einfacheren Form
der Magenschleimdrüsen. — Von den Absonderungen kennt man mit
Sicherheit nur die eine, dass die Cylinderzellen ihres Epitheliums mit
Schleim gefüllt sind. — Frerichs untersuchte eine Flüssigkeit, die er
für ein normales Absonderungsprodukt jener Drüsen hält, aus dem Katzen-
darm. Um sie aufzufangen, hatte er ein Darmstück durch zwei Liga-
turen von den benachbarten Stellen abgeschnürt, nachdem dasselbe vor-
[251]Schlauchförmige Darmdrüsen; Fettdrüsen.
her von seinem Inhalt durch Streichen mit den Fingern möglichst befreit
worden. Die Flüssigkeit reagirte stark alkalisch und enthielt in 100 Thei-
len: Wasser = 97,6; unaufgelöste Stoffe 0,9; löslicher Schleim = 0,5;
Fett = 0,2; Salze = 0,8. Die Flüssigkeiten des Dünn- und Dickdarms
waren gleich zusammengesetzt. — Bidder und Schmidt, die auf
diesem Wege keinen Darmsaft erhalten konnten, suchten ihn zu ge-
winnen aus einer Darmfistel, nachdem sie vorher Gallen- und Pankreas-
gänge unterbunden hatten. Sie erhielten jedoch auch auf diesem Wege
eine so geringe Menge einer alkalisch reagirenden Flüssigkeit, dass sie
nicht hinreichte, um eine Analyse damit anstellen zu können. Aus dem
Dickdarm erhielten sie auch nicht einmal dieses geringe Quantum.
Nach Bidder und Scmidt soll sich unmittelbar nach dem Wasser-
trinken die Absonderung etwas vermehrt haben.
Fettdrüsen.
Zu dieser Drüsengattung rechnet man die Hautfollikel (Haarbalg-
drüsen) die Meibom’schen Bälge und die Ohrenschmalzdrüsen. Die
Berechtigung für die Zusammenstellung dieser in vielen Beziehungen
von einander abweichenden Werkzeuge findet man in dem grossen Fett-
gehalt des von ihnen abgesonderten Saftes. Obwohl dieser Grund mehr
als nichtssagend ist, wollen wir doch das Wenige, welches von diesen
Drüsen bekannt ist, hier zusammenstellen.
1.Haarbalgdrüsen*). Ihre Höhle besitzt entweder die Gestalt
eines einfachen birnförmigen oder die eines verästelten Schlauchs. Die
Wand besteht nach aussen aus Bindegewebe, auf dessen innerer Fläche
ein Epithelium aufsitzt, dessen einzelne Zellen einen grossen oder meh-
rere kleinere Fetttröpfchen umschliessen. Gegen das Centrum des Drü-
senbalges folgen dann Zellen, die reichlicher mit Fett gefüllt sind, ver-
mischt mit freien Oeltröpfchen, die endlich gegen die Mündung des Bal-
ges hin das Uebergewicht bekommen. — Die freie Oeffnung des Schlauchs
geschieht immer in einen Haarbalg hinein, und der einzige Unterschied,
der in dieser Beziehung zwischen den verschiedenen Talgdrüsen besteht,
liegt darin, dass bald der Haarbalg an Grösse die Fettdrüse und um-
gekehrt bald die letztere den erstern übertrifft. — Das Fett, welches aus
den Drüsen zum Vorschein kommt, ist ein Gemenge von Elain und Mar-
garin. Ausserdem kommt in ihrem Sekret vor ein eiweissartiger Stoff,
Cholestearin, Margarin- und Elainseifen, Kochsalz, Salmiak, etwas phos-
phorsaures Natron und Wasser. — Der fettige Antheil geht meist in die
Haare über.
2.Meibom’sche Drüsen**). Sie schliessen sich rücksichtlich
ihrer Form und des Baues von Wandung und Höhle an die Talgdrüsen
[252]Meibom’sche und Ohrenschmalzdrüsen.
an. Ihr Sekret ist noch nicht untersucht; sie liefern dasselbe auf die
Augenlidränder, welche, mit dem fettigen Saft bestrichen, den Thränen
den Uebertritt auf die Wangen erschweren.
3.Ohrenschmalzdrüsen. In dem äussern Gehörgang kommen
zwei Drüsenarten vor, die eine, welche in die Haarbälge mündet und somit
den Talgdrüsen vollkommen gleichartig gebaut ist, und eine andere, die
Ohrenschmalzdrüsen im engern Wortsinn, welche dem Bau ihrer Höh-
lung und Wandung nach den mit Muskeln versehenen Schweissdrüsen
sehr ähnlich ist. Der einzige Unterschied, welcher zwischen Schweiss-
und Ohrenschmalzdrüsen besteht, wird durch das Epithelium gegeben,
welches in den leztern durch seinen fetthaltigen Inhalt ausgezeichnet ist
(Kölliker)*).
Die Bestandtheile des Ohrenschmalzes**), das vorzugsweise der zu-
letzt erwähnten Drüse seinen Ursprung verdanken möchte, sind: Olein,
Margarin, eine eiweisshaltige Materie, ein in Wasser löslicher, gelbge-
färbter, bitterschmeckender Körper und die gewöhnlichen Blutsalze. —
Die quantitative Zusammensetzung des Ohrenschmalzes ist unzweifelhaft
sehr variabel, da es einmal dunkel und fest, das anderemal sehr hell
und mehr wasserhaltig abgesondert wird.
Schweissdrüsen.
1. Anatomischer Bau***). Das röhrenförmige Lumen der Schweiss-
drüsen mündet auf der Epidermisoberfläche, dringt spiralig durch die
Epidermis zur Cutis, verengert sich innerhalb derselben und geht dann
gestreckt bis in die tiefsten Schichten der Haut, wo es sich abermals
etwas erweitert, dann knaulförmig aufwindet, um schliesslich blind zu
enden. An den grössern Schweissdrüsen, z. B. denen der Achsel-
höhle theilt sich das Rohr in mehrere Aeste, von denen ein jeder sich
verhält wie eine einfache Drüse. Die Wand der Drüse besteht, wo sie
auch vorkommen mag, so lange sie durch die Cutis läuft, aus einer
strukturlosen Grundhaut (Virchow). Diese fehlt aber, wenn das Drüsen-
lumen die Epidermis erreicht hat, so dass sich der Canal zwischen den
Zellen derselben hinzieht. Auf der innern Fläche der Grundhaut sitzt
ein Epithelium, das in den Drüsen von mittlerer und geringerer Grösse
aus einer einfachen Lage rundlicher Zellen besteht, deren Binnenraum
ausser dem Kern meist auch Fetttröpfchen enthält. In den Schweiss-
drüsen der Achselhöhle, der Peniswurzel und den Schamlippen kommt
dazu eine trübe, fettige Masse, welche Körnchen, kleinere und grössere
Zellen in sich schliesst. Auf der aussern Fläche der Grundhaut tragen
die zuletzt erwähnten Drüsen eine Schicht längs verlaufender Muskel-
zellen, und an diese schliesst sich eine streifige Bindegewebshülle an,
[253]Schweissdrüsen; Schweiss.
welche in allen andern Drüsen, denen die Muskeln fehlen, sich unmittel-
bar an die Grundhaut anlegt. — Das dichte Netz von Blutgefässen, wel-
ches dem Drüsenknäuel umspinnt, entsteht aus den Arterien des Unter-
hautbindegewebes und geht durch Verbindungszweige, welche dem Aus-
führungsgang entlang laufen, in das Netzwerk der Cutisgefässe über. —
Nerven hat man in die Schweissdrüsen noch nicht verfolgen können.
2. Schweiss *). Der reine Saft der Schweissdrüsen ist noch kein-
mal Gegenstand einer gründlichen Untersuchung gewesen; meist ist ein
Gemenge des Schweisses mit verdichtetem Hautdunst, Hautschmiere und
Epidermisschuppenextrakt, oder auch ein solches aus den festen Rück-
ständen der erwähnten Flüssigkeit zur Analyse verwendet worden.
Man fängt den sog. Schweiss entweder in luftdichten Beuteln auf, in die man
den ganzen Körper oder einzelne Gliedmaassen während der Schweissbildung ein-
schloss, oder man umkleidet den vorher gewaschenen Körpertheil mit reiner Lein-
wand, die man dann auslaugt, oder endlich, man spült auch nur die Haut mit destil-
lirtem Wasser ab, um den Rückstand zu gewinnen, den der auf der Haut verdun-
stende Schweiss zurückgelassen hat. Qualitative Proben sind öfter mit den auf der
Haut stehenden Schweisstropfen vorgenommen.
Ein solches Gemenge, welches meist sauer reagirt, enthält Stearin,
Margarin, Cholestearin (Butter- und Propion-?), Essig- und Ameisensäure,
Ammoniak, Natron, Kali, Kalkerde, Salz-, Schwefel-, Phosphor- und
Kohlensäure (Anselmino, Schottin, Gillibert). Hierzu fügt Favre
Milchsäure (durch die Analyse des Zinksalzes nachgewiesen), Hydrot-
säure (C10H8NO13; HO) Harnstoff, er läugnet dagegen die Anwesenheit
von Ammoniak und flüchtigen Fettsäuren.
Andeutungen von Variationen in der Zusammensetzung geben sich
zu erkennen: der zuerst abgesonderte Schweiss ist schleimiger (?), fett-
haltig und sauer, der spätere neutral und fettfrei (Gillibert). In der
Asche des Fussschweisses fand Schottin nach Prozenten: 3 CaO PO5 =
4,1; 3 MgO und 3Fe2O3OP5 = 1,4; K = 11,1; Na = 28,2; Cl =
31,3; SO3 = 5,5; PO5 = 2,2. — In der Armschweissasche stand das
Ka zum Na im Verhältniss von 15,7 : 27,5.
In 100 Theilen eines sog. Armschweisses fand Schottin: Wasser = 97,7;
Epithelien = 0,4; lösliche organ. Bestandtheile = 1,1; Salze = 0,7. — In den
Schweiss gingen, innerlich genommen, Jod, Chinin, Salicin nicht über, dagegen Bern-
stein-, Weinstein-, Benzoesäure (Schottin).
3. Absonderungsgeschwindigkeit. Die Schweissbildung kann Tage und
Monate lang unterbrochen sein; sie tritt gewöhnlich nur dann ein, wenn
aus innern (gesteigerte Wärmebildung) oder äussern (verhinderte Abküh-
lung) Gründen die Temperatur der Haut steigt; da aber begreiflich die
Temperatursteigerung nicht die einzige Bedingung ist, von welcher die
[254]Schweissdrüsen; Schweissbildung.
Schweissbildung abhängt, so tritt sie nicht nothwendig mit der Tempe-
raturerhöhung ein (trockne Hitze), ja sie scheint nicht einmal eine noth-
wendige Bedingung (kalte Schweisse). — Die Absonderung wird gestei-
gert durch den Genuss von sehr viel Wasser und durch den Gebrauch
einzelner flüchtiger Stoffe (?). Beim hydrotherapeutischen Verfahren soll
die von einem Erwachsenen abgesonderte Schweissmenge bis zu 800 Gr.
in 1 bis 1½ Stunde steigen können. Die einmal eingeleitete Schweiss-
bildung unterbricht sich allmählig von selbst, wenn auch die günstigsten
Bedingungen zu ihrer Erhaltung bestehen (Gillibert). — Die Thätig-
keit der einzelnen Drüsen ist von einander unabhängig, wie aus der lo-
kalen Schweissbildung hervorgeht.
4. Schweissbereitung. Die fetten und die flüchtigen Säuren gehen
unzweifelhaft aus den Epithelien hervor, da namentlich die Drüsen, welche
einen starkriechenden Schweiss hervorbringen, reichlich mit Fett gefüllte
Zellen bergen. — Die Absonderung der Salzlösung würde man we-
gen ihres periodischen Auftretens, und auch darum, weil leidenschaft-
liche Erregungen öfter mit Schweissbildung gepaart sind, wohl bereit-
willig von einer Beihülfe der Nerven ableiten, wenn nur irgend eine Art
von Nerv zu den Drüsen verfolgt werden könnte. — Da die von Blut
strotzende Haut leicht und die zusammengezogene nicht schwitzt, so
wäre daran zu denken, dass eine Erschlaffung der Gefässmuskeln und
die daraus entspringende Erweiterung des Gefässlumens eine nothwendige
Bedingung zur Einleitung der Schweissbildung sei. Damit ist es aber
nicht zu vereinigen, dass die Absonderung, welche schon eingetreten war,
auch wieder zurücktritt, trotz der noch bestehenden Blutfülle. Sollte
etwa die Haut der Schweissdrüsen sich unabhängig von Nerven und
Muskeln verändern können?
5. Aus den Drüsen, welchen Muskeln fehlen, kann der Inhalt nur
durch die absondernden Kräfte selbst ausgetrieben werden; die Muskeln in
den grössern Drüsen sind vielleicht geeignet, den zähflüssigen Inhalt, der
auf ihrem Grund sitzt, zu entleeren. — Der auf die Hautoberfläche ergos-
sene Saft wird uns bei der thierischen Wärme noch einmal Veranlassung
zu Bemerkungen geben.
Harnwerkzeuge.
A. Nieren.
1. Anatomischer Bau. Ein jedes Haarkanälchen beginnt in der
Nierenrinde mit einem kugeligen Säckchen und geht dann in einen
engen Schlauch über, der gewunden durch die Rinde, gestreckt durch
das Nierenmark hinläuft. Auf diesem Wege verbindet sich vorerst ein
jedes unter einem spitzigen Winkel mit einem benachbarten Röhrchen;
und der aus beiden zusammengeflossene Schlauch läuft wieder mit einem
ähnlich entstandenen Nachbar zusammen. Diese Verbindungen wieder-
[255]Harnwerkzeuge; Niere.
holen sich nun öfter, so dass schliesslich eine grosse Anzahl von Röh-
ren in eine einzige zusammen mündet, um auf der Papille sich zu öffnen.
Das Gesammtlumen der Harnröhren nimmt auf dem Wege von der Rinde
zur Papille zuerst sehr rasch und dann allmähliger ab, da die aus den ersten
Zusammenflüssen entstandenen Röhren von demselben die durch die spätern
Vereinigungen entstandenen von nicht sehr bedeutend grösseren Durchmes-
ser sind, als jede der einzelnen vor der Vereinigung. — Die Wandung des
Harnkanälchens ist aus einer strukturlosen, sehr feinen, aber festen Haut
gebildet, auf deren Innenfläche eine einfache Lage von Kernzellen auf-
sitzt, die mit Flüssigkeit mässig gefüllt sind. — Die Papille, auf welche
das bis dahin beschriebene Harnkanälchen zugleich mit vielen andern
aus der Niere in den Kelch tritt, ist eine kegelförmige Warze, die mit
der Base an den Nieren festsitzt und mit der Spitze frei in den Kelch-
raum ragt. — Zwischen die Harnkanälchen zertheilt sich die art. renalis,
die alle diejenigen ihrer Zweige, welche für die Niere selbst bestimmt
sind, zuerst durch die Rinde sendet. Aus diesen Zweigen, welche meistens
auf dem kürzesten Wege von der Grenze des Markes und der Rinde gegen
die freie Oberfläche gelangen, treten in ziemlich regelmässigen Abständen
schon mikroskopische und kurze Zweige aus, welche die Wand des sack-
artigen Anfangs der Harnröhrchen durchbrechen (vas afferens), und dann
innerhalb ihres Lumens in ein Bündel von feinsten Gefässen zerfallen
(glomerulus), die sich wieder zu einem grössern (vas efferens) sammeln,
das die Wand des Haarsäckchens abermals durchbricht, so dass der
Blutstrom in dem Hohlraum des Harnkanälchens ein- und ausbiegt
(Bowmann). Man giebt an, dass der Theil des Glomerulus, welcher
gegen die Höhle (im Gegensatz zur Wand) des Harnkanälchens gerich-
tet sei, noch mit einer Epitheliallage bedeckt werde. — Wenn das aus-
führende Blutgefäss wieder zwischen die Harnkanälchen getreten ist, so
zerspaltet es sich noch einmal zu einem weitmaschigen Netze, das in
Verbindung mit den Verästelungen der umliegenden vasa efferentia die
Harnkanälchen auf ihren gewundenen und geraden Wegen umspinnt und
aus dem die Wurzeln der Nierenvenen ihren Ursprung nehmen. Dieser
Beschreibung entsprechend würde das für die Niere bestimmte Blut der
a. renalis durch ein doppeltes Capillarensystem laufen, von denen das
erste in das Lumen des Gefässkanälchens ragt und das zweite ausser-
halb auf der Wandung desselben liegt. In der That gilt dieses aber
nicht für alles Nierenblut. Ein Rest der kleinsten Arterienzweige nem-
lich, welche, von dem Mark zur Rinde aufsteigend, die vasa afferentia
abgegeben haben, gelangt schliesslich auf die Oberfläche der Niere, wo
sich keine kugeligen Anschwellungen der Harnkanälchen mehr vorfinden;
an diesem Orte zerfallen darum sogleich die arteriellen Endästchen in
ein Netz, dem ähnlich, das aus den ausführenden Gefässen des Glome-
rulus hervorgeht.
[256]Harnwerkzeuge; Niere.
Die Veränderung des Lumens, welche die Gefässröhren innerhalb
der Nieren und insbesondere von den zuführenden Gefässen des Glo-
merulus abwärts erfahren, verhält sich sehr wahrscheinlich in der
Art, dass der Querschnitt in dem zuführenden und abführenden Gefässe
sehr viel kleiner ist, als derjenige, welcher von der Summe der Gefässe
des Knäuels dargestellt wird; die Summe der Querschnitte sämmtlicher
Capillaren des zweiten Netzes dürfte grösser sein, als diejenige des aus-
führenden Gefässes, aber kleiner, als der Querschnitt der Nierenvene.
Das Schema dieser Anordnung des Lumens drückt Fig. 54. aus; a ent-
spricht dem vas afferens, g sind die vereinigten Querschnitte der einzel-
nen Gefässe im Glomerulus, e passt auf das vas efferens und v auf das
zweite Netz und die Venenwurzeln. — Von dem Bau der Häute wäre her-
vorzuheben, dass vas af- und efferens Muskelzellen tragen und dass die
äusserste Wandschicht des Nierenvenenstammes mit einer starken Muskel-
lage ausgestattet ist. — Aus der Niere tritt eine nicht sehr beträchtliche
Zahl von dünnen Lymphgefässen aus, die ebensowohl aus der Tiefe wie
von der Oberfläche ihren Zufluss beziehen. — In die Niere und zwar
längs der Arterie gehen Nerven ein, welche aus dem plex. coeliacus
stammen; sie sind auf ihrem Wege mit kleinen Ganglienhaufen belegt;
die Anordnung der anatomischen Elemente innerhalb derselben ist noch
nicht dargelegt. Der letzte Ursprung derselben ist theilweise wenigstens
unzweifelhaft in dem Hirn zu suchen, da die Verletzung derselben sehr
schmerzhaft empfunden wird. — Alle diese Gebilde sind in der Niere
selbst eingebettet in eine meist strukturlose Zwischensubstanz und um-
schlossen von einer festen Bindegewebskapsel.
2.Chemischer Bau der Nieren*). Die strukturlose Membran
der Harnkanälchen nähert sich nach ihren chemischen Reaktionen dem
elastischen Gewebe. Die Häute der in den Harnkanälchen liegenden Zel-
len tragen die Eigenschaften der jungen Deckzellen, den Inhalt giebt
man verschieden an, zum Theil als Eiweiss, als Harnbestandtheile (?),
als Fett; er mag wohl veränderlich sein. — Die Gefässe zeigen die be-
[257]Niere; Blut und Blutstrom.
kannten Eigenschaften. — Wie die Zwischensubstanz und der sie durch-
tränkende Saft beschaffen sei, ist unbekannt.
3. Da kein Grund vorliegt, dem Blut in der Nierenarterie die Zu-
sammensetzung des arteriellen überhaupt abzusprechen, so müssen wir
auch annehmen, dass es die wesentlichen Bestandtheile des Harns ent-
hält. Diese letztern mehren sich in dem Blute nach Ausrottung der
Nieren (Dumas und Prout), oder wenn die Ausscheidung des Harns
in den Nieren unterdrückt wird (Babington). — Ein anderer als der
allgemeine Unterschied in der Zusammensetzung des arteriellen und venö-
sen Blutes hat in den entsprechenden Blutarten aus den Nieren offenbar
aus Mangel an hinreichend feinen analytischen Mitteln noch (vid. p. 24)
nicht nachgewiesen werden können.
Das Blut oder überhaupt die Körpermasse eines Thieres, dem man die Nieren
genommen hat, enthält nach den Angaben von Bernard, Barreswill*) und
Stannius**) immer auffallend viel weniger Harnstoff, als in der Zeit, während
welcher die Niere fehlt, durch diese ausgesondert sein würde. Dieses scheint vor-
zugsweise dadurch bewirkt zu werden, dass der zurückgehaltene Harnstoff sich in
kohlensaures Ammoniak umsetzt.
4. Wenn die Spannung und Geschwindigkeit, unter und mit der das
Blut in der Nierenarterie fliesst, wie nicht zu zweifeln, denjenigen in den
a. carotis und cruralis sich annähert, so muss in kurzen Zeiten durch
das Nierengewebe relativ viel Blut dringen, bei dem grossen Querschnitt,
den die Nierenarterie darbietet. — Das ungefähre Gesetz für die Formen
der Spannungscurven innerhalb der beiden Capillarensysteme kann nach
den Angaben über die fortlaufende Veränderung des Lumens (Fig. 54)
gegeben werden. Sie muss, entsprechend den Grundsätzen, welche
S. 44 u. f. entwickelt sind, die in Fig. 55
angegebene annehmen. Ueber die absoluten
Werthe der Spannungen lässt sich einzig
die Angabe machen, dass die in den Venen
vorhandene annähernd derjenigen gleich sein
muss, welche in der vena jugularis beob-
achtet wurde.
Da die Zu- und Abflussröhren für die
Glomeruli sowohl als auch die Nierenvenen-
stämme in ihren Wandungen Muskeln enthal-
ten, so liegt die Möglichkeit vor, dass sich der Strom in den Nieren je nach
den Verkürzungen dieser Muskeln ändere, selbst wenn die Herzbewegun-
gen und die Blutfülle des ganzen Organismus ungeändert bleiben.
5. Harn. Die Flüssigkeit, welche aus den Harnkanälchen ausgeschie-
den wird, enthält sehr verschiedene Stoffe in Lösung, je nach der Lebens-
art, den Nahrungsmitteln und besonderen allgemeinen körperlichen Zu-
Ludwig, Physiologie. II. 17
[258]Niere; Harn.
ständen. Man hat sich darum bestimmt, denjenigen Harn als den nor-
malen anzusehen, welcher entleert wird bei gänzlichem Enthalten von
Nahrung, oder bei Aufnahme einer solchen, welche wesentlich aus eiweiss-
artigen Körpern, Fetten, Amylon, den gewöhnlichen Blutsalzen und Wasser
besteht. Unter dieser Voraussetzung erscheinen im Harn: Harnstoff,
Kreatinin, Harnsäure, Hippursäure, Farbstoffe, Zucker, Fette, Ammoniak,
NaO, KO, CaO, MgO, ClH, CO2, PO5, SO3 und dazu eine geringe Menge
organischer Stoffe von unbekannter Zusammensetzung (Extrakte).
Da die quantitative Zusammensetzung des Harns zu verschiedenen
Stunden des Tags ungemein veränderlich ist, während bei gleicher Lebens-
weise die des mittleren täglichen Harns sich von einem Tag zum andern
annähernd gleich bleibt, so haben es die meisten Experimentatoren vor-
gezogen, den in 24 Stunden gelassenen Harn zu vereinigen und ihn zu
analysiren.
Damit ist also zugleich eine Beziehung der Absonderungsmenge zur
Zeit gegeben, aus der sich ein Ausdruck für die Absonderungsgeschwin-
digkeit ermitteln lässt. Die physiologischen Chemiker sind nun überein
gekommen, als Absonderungsgeschwindigkeit den Quotienten zu betrach-
ten, welcher gewonnen wird durch Division der Kilogramme des gesammten
Körpergewichts in die Gramme der während der Zeiteinheit abgesonderten
Harnbestandtheile. Bei dieser Stellung des Begriffs geht man von der
Voraussetzung aus, dass die zuletzt genannten Stoffe in allen oder we-
nigstens in der dem Gewicht nach überwiegenden Mehrheit der Organe
des thierischen Körpers gebildet und nur durch die Nieren ausgeschie-
den werden. Diese Annahme ist, so weit wir wissen, unverfänglich für
eine grössere Zahl der Harnbestandtheile.
Harnstoff. Wahrscheinlich ist dieser Körper im Harn im freien
Zustand gelöst; man vermuthet jedoch auch die Anwesenheit einer Ver-
bindung von Harnstoff mit Kochsalz. Das Gewicht des in 24 Stunden
entleerten Harnstoffs ist veränderlich: 1) Mit der Menge und Art der
Lebensmittel *). Eine gänzliche Entziehung aller Nahrungsmittel verrin-
gert die tägliche Harnstoffausscheidung in den ersten Tagen des Hungerns
rascher, als in den spätern; so dass namentlich bis zum eintretenden
Hungertode noch Harnstoff ausgeschieden wird. (Lassaigne, Sche-
rer, Becher am Menschen), (Schmidt, Frerichs, Bischoff am
Thier). — Die Harnstoffmengen, welche ein und derselbe Hund während
des Hungerns lieferte, sind grösser, wenn derselbe vor Beginn der Hunger-
kur gemästet, geringer, wenn er nur so weit gefüttert war, dass sich sein
Körpergewicht unverändert erhielt (Bischoff). — b) Der Genuss von
[259]Niere; Harn, Harnstoff.
Fett und Amylon mindert die Harnstoffabscheidung; namentlich liefert
ein und dasselbe Thier weniger Harnstoff beim ausschliesslichen Genusse
von Wasser und Fett, oder selbst bei einem reichlichen Futter aus
Amylon und Fett mit einem schwachen Zusatz eiweissartiger Stoffe, als
bei vollständiger Nahrungsentziehung. Eine aus Mehl, Fett und Fleisch ge-
mischte Nahrung erzeugt weniger Harnstoff, als dieselbe Menge von Fleisch
für sich allein genommen hervorbringt. — c) Eine Nahrung von Eiern, Mus-
kelfleisch, leimgebendem Gewebe steigert die Harnstoffbildung (Bischoff),
und zwar nimmt das tägliche Harnstoffgewicht in dem Maasse zu, in dem
die Menge jener Nahrungsstoffe wächst. Der ausgeschiedene Harnstoff enthält
aber nie den ganzen Stickstoff, welcher mit der Nahrung eingeführt wurde
(Boussingault, Lehmann, Barral, Bischoff), selbst dann nicht,
wenn sich das Körpergewicht durch die Nahrung nicht mehrt, mit andern
Worten, wenn das Gewicht der täglichen Ausgaben und Einnahmen gleich
ist. Der Unterschied zwischen den Stickstoffmengen, welche mit der
Nahrung ein- und durch den Harnstoff ausgeführt werden, ist nach
Bischoff in weiten Grenzen unabhängig von der Quantität der Nahrung,
so dass er insbesondere bei einer kärglichen und übermässig reichlichen
Fleischfütterung sich gleich bleibt; nur wenn Fett, Kochsalz und Wasser
in den Nahrungsmitteln stark vertreten sind, vermindert sich die Menge
des auf anderen Wegen ausgeschiedenen Stickstoffs. — d) Ein reich-
licher Wasserzusatz zu der Nahrung bewirkt, dass mehr Harnstoff aus-
geschieden werde, als bei Genuss derselben Speisen ohne Wasser ge-
schehen wäre (Bischoff, Becher). Der letztere Beobachter fand, als
er in einem Tage 10,85 Ltr. Wasser trank, dass an diesem die Harn-
stoffmenge das gewöhnliche Maass weit überstieg und dann, als die fol-
genden Tage die gewöhnliche Lebensweise ohne Wasser geführt wurde,
erst nach dreimal 24 Stunden die normale Harnstoffquantität wieder er-
schien. — e) Aehnliches bewirkt das Kochsalz (Boussingault, Bar-
ral, Bischoff). — f) Ein Kaffeeaufguss, der Nahrung zugesetzt, min-
dert die Harnstoffausscheidung (Böcker, Jul. Lehmann).
Harnstoff, Harnsäure, Thein, Theobromin (Wöhler, Frerichs*), Leh-
mann) **), Cubeben und Cantharidentinktur (Sigmund) ***) mehren, Digitalis (?)
(Sigmund, Becher) mindert die Harnstoffausscheidung, wenn sie der Nahrung
zugesetzt werden.
Nach Lehmann soll 2) die tägliche Harnstoffmenge um etwas
wachsen mit der Anstrengung unserer Muskeln. — 3) In einigen Krank-
heiten, z. B. dem Typhus, ist die Harnstoffausscheidung vermehrt, in
anderen, z. B. der Bright’schen Nierenregeneration und der Zuckerruhr,
mindert sich die Menge des ausgeschiedenen Harns sehr merklich. In
17*
[260]Niere; Harn, Harnstoff.
dem ersten Fall häuft er sich im Blute an, der Grund der Verminderung
liegt darum nur in dem ausscheidenden Apparat; im zweiten Fall
(Zuckerharnruhr) wird aber gar kein Harnstoff gebildet, selbst wenn
man den Kranken reichlich mit Fleisch nährt (Gorup)*).
Eine Vergleichung der mittleren täglichen Absonderungsgeschwin-
digkeit des Harnstoffs in verschiedenen Lebensaltern und Geschlechtern
hat Thatsachen ergeben, welche, wie es scheint, in vollkommener
Uebereinstimmung mit den Ableitungen aus den bis dahin mitgetheil-
ten Thatsachen sind, insofern im Allgemeinen Männer und Kinder
mehr essen und sich bewegen, als Frauen und Greise. — 1) Bei Kin-
dern ist die Bildung des Harnstoffs lebhafter, als bei Erwachsenen,
sehr bedeutend gehemmt ist sie im Greisenalter (Lecanu**), Sche-
rer***), Bischoff). 2) Im männlichen Geschlecht soll im Allgemei-
nen die Harnstoffbildung beschleunig-
ter vor sich gehen, als im weib-
lichen (Becquerel†), Lecanu,
Bischoff). Ueber die Harnstoffab-
scheidung schwangerer Frauen siehe
Böcker††).
Die tägliche Variation der Abson-
derungsgeschwindigkeit ist bis dahin
noch wenig beachtet worden. Bi-
schoff giebt an, dass die stündliche
Menge des abgesonderten Harnstoffs
von 10h Abends bis Mittags 1h etwas
geringer ist, als von 1h bis 10h. Auf
1h fiel die Hauptmahlzeit. — Becher
bestimmte die Harnstoffmenge
für die einzelnen Stunden von
Morgens 8h bis Abends 11h und
die Menge des Harnstoffs in dem
Harn von Abends 11h bis Mor-
gens 8h. Das beobachtete Indi-
viduum nahm kein Frühstück,
Mittags 12h30 ein gewöhnliches
Mittagsessen und Abends 9h ein
Abendessen mit Bier. Hierbei
fand sich, dass die Harnstoff-
menge in der ersten Stunde nach
[261]Niere; Harn, Harnstoff.
dem Erwachen (7 — 8h) allmählig absank, dann bis um 1h zu steigen anfing,
bis sie zwischen 4 und 5h ihren höchsten Werth erreichte, von da bis
um 9h wieder absank, um bis zu 11h wieder anzusteigen und die Nacht
durch allmählig zu sinken (?). — An einem andern Tage, an welchem
dasselbe Individuum gar keine Nahrung zu sich nahm, stieg sie von Mor-
gens 7h und erreichte zwischen 5h und 11h Abends ein Maximum und
sank in der Nacht wieder ab; als am darauf folgenden Tage um 1h eine
reichliche Fleischmahlzeit eingenommen ward, erhob sich die Ausschei-
dung gegen 3h auf ein Maximum und sank von da an rasch zurück. —
Becher fand, indem er an dem ersten der erwähnten Beobachtungstage
die gesammte Harnmenge der einzelnen Stunden wog, keine direkte
Beziehung zwischen dem ausgeschiedenen Harn- und Harnstoffgewicht;
namentlich fiel das Maximum der Harnentleerung zwischen 2 und 3h
und 10 und 11h pm. Eine gewisse Beziehung ist jedoch aus den
graphischen Darstellungen beider Absonderungen (Fig. 56 der Harnstoff
in Grammen und Fig. 57 der Harn in Grammen, auf die Abszisse der
Zeit aufgetragen) erkennbar.
Einige Mittelzahlen aus Beobachtungen am Menschen sind zum Be-
leg der aufgestellten Regeln in der folgenden Tafel verzeichnet.
Zur quantitativen Bestimmung des Harnstoffs dürften von nun an nur noch die Metho-
den von Liebig, Bunsen oder Heintz angewendet werden, da die ältern Ver-
fahrungsarten zu Verlusten führen. Die Zahlen von Bischoff, Scherer und
Becher, welche nach Liebig’s Vorschrift analysirten, sind darum nicht vergleich-
bar mit den Lehmann’schen.
Kreatinin ist zwar ein constanter aber quantitativ noch nicht be-
stimmbarer Harnbestandtheil (Heintz, Pettenkofer, Liebig). Die
Anwesenheit des Kreatins behauptet Liebig gegen Heintz*).
Harnsäure. Sie soll durch phosphorsaures Natron des Harns gelöst
werden, indem bei ihrer Gegenwart aus 2NaO PO5, HO entstehe NaO2̅r
und NaO PO5, 2HO (Liebig) **). — In normalen Zuständen ist immer nur
wenig von dieser Säure im Harn vorhanden; ihr Vorkommen ist nament-
lich von der Nahrung unabhängig, da sie bei reiner Fleisch- und Zucker-
kost erscheint (Lehmann). Die Menge der in 24 Stunden gelieferten
Harnsäure wechselt in etwas mit den Nahrungsmitteln, indem sie bei
anhaltendem Gebrauche von Pflanzenkost in etwas geringerm Maasse vor-
handen zu sein scheint. — In den ersten Tagen nach der Geburt sind
die Harnkanälchen mit krystallinischer Harnsäure gefüllt (Virchow).
Nach Verminderung der Hautausdünstung und dadurch vermehrter Urin-
entleerung soll sich die Harnsäureausscheidung steigern (Marcet). Vor-
zugsweise steigert sich aber die Harnsäure in Krankheiten, Verdauungs-
störungen u. s. w. — Becquerel fand die mittlere tägliche Harnsäure-
menge = 0,5 Gr. (beim weiblichen und männlichen Geschlecht gleich
viel), B. Jones***) = 0,4 bis 0,6 Gr., Lehmann bei Fleischkost =
1,48 Gr., bei gemischter = 1,20 Gr., bei vegetabilischer = 1,02 Gr.,
bei Zuckernahrung = 0,74 Gr.
Nach Schweig wechselt die tägliche Harnsäuremenge mit den Mondphasen;
die Grenzen, innerhalb der nach seiner Angabe die Variationen fallen, sind enger, als
die der Fehler in seiner Methode. — Die Niederschläge der Harnsäure aus dem ge-
lassenen Urin finden ihren Grund in der Abkühlung desselben; saures harnsaures Na-
tron ist in der höheren Temperatur löslicher.
Hippursäure. Sie ist auf dieselbe Weise wie Harnsäure im Urin
gelöst (Liebig). Ihre mittlere tägliche Menge übertrifft die der Harn-
säure nicht. Am reichlichsten erscheint sie nach dem Genuss von Ben-
zoe- und Zimmtsäure (Ure, Wöhler), welche sich auf dem Wege durch
den Körper mit dem irgendwo vorhandenen Glycin paaren (vergl. I. Bd.
p. 32), und umgekehrt soll sie nach mehrtägiger reiner Fleischkost voll-
kommen verschwinden (Ranke) †); nach Pflanzenkost wird sie reich-
licher abgesondert (Pettenkofer, Lehmann). Sie scheint sich somit
im Gegensatz zur Harnsäure zu finden. Quantitativ ist sie noch nicht
genauer bestimmt.
[263]Niere; Harn, Ammoniak, Farbstoffe, Extrakte, Chlor.
Bei der zuckerigen Harnruhr bleibt sie auch nach tagelanger reiner Fleischnah-
rung im Harn (Lehmann).
Ammoniak. Der frische Harn entwickelt immer Ammoniak,
selbst bei Anwendung eines analytischen Verfahrens, welches die Harn-
stoffzersetzung vermeidet (Boussingault, Neubauer) *).
Farbstoffe**). In dem gewöhnlichen Harn scheinen mindestens
zwei gefärbte Körper gelöst zu sein, ein rother und ein brauner. Der
rothe, Urohaematin, trägt die Reaktionen des Blutroths, enthält wie
dieses Eisen (Harley) und ist stickstoffreich (Scherer); man wird ihn
darum für Blutroth ansprechen dürfen. — Der braune ist seinen Reak-
tionen nach Gallenfarbstoff. — In nicht gar zu seltenen Fällen bildet
sich beim Stehen oder beim Behandeln des Harns mit Salpetersäure noch
ein dritter blauer, krystallinischer Farbstoff (Prout, Martin, Vir-
chow), der nach Fr. Simon und Mitscherlich Indigo ist, was
Hassal und Sicherer bestätigen. Durch welche Bedingungen sich die
Farbstoffe während des gesunden Lebens ändern, ist noch nicht fest-
gestellt.
In Ermangelung einer Abscheidungsmethode bedient sich J. Vogel***) der fär-
benden Kraft des Urins, um die relativen Mengen von Farbstoff zu finden, welche in
zwei Harnen vorhanden sind. Da nach seinen Beobachtungen die dunkeln von den
hellen Harnen sich nicht durch eine besondere Art, sondern eine stärkere Conzen-
tration des Farbstoffs unterscheiden, so stellte er Normalfärbungen (Farbenskala) her
und zugleich die Verdünnung fest, welche die tieferen Farben erfahren müssen, um
in die helleren überzugehen.
Harze†) (Omychmyl) erinnern nach Scharling durch ihre pro-
zentige Zusammensetzung an die Körper der Salicylgruppe; wann und
wie ihre Menge im Harn steigt und fällt, ist noch unbekannt.
Extrakte. Farbstoff, Harnharze, die Spuren der flüchtigen Säuren
des Harns ††) (Staedeler) und wahrscheinlich noch einige andere Körper,
die man nicht von einander scheiden kann, bestimmt man gewöhnlich
zusammen und nennt dann dieses Gemenge Extrakte. Nach Lehmann
sollen die täglich entleerten Mengen zunehmen bei vegetabilischer Kost;
Scherer fand relativ zum Körpergewicht im Harn zweier Kinder (3 und
7 Jahre) weniger Extrakte, als bei Erwachsenen.
Chlor†††), an Kalium und Natrium gebunden. Die tägliche Menge
desselben wird bestimmt: a) Die Chlorentleerung besteht, so lange der
Organismus Clhaltig ist; da dieses aber immer der Fall, so wird auch
ein längeres Chlorfasten den Chlorgehalt des Harns wohl mindern, aber
[264]Niere; Harn, Sehwefelsäure.
nicht zum Verschwinden bringen. Nach Wundt nimmt bei gänzlicher
Enthaltung von Chlorkost in den ersten Tagen der Chlorgehalt des Harns
rasch ab, in den späteren bleibt er sich annähernd gleich. So fand er
bei Chlorhunger an sich selbst 1. Tag = 7,207 Gr.; 2. Tag = 3,623 Gr.;
3. Tag = 2,437; 4. Tag = 1,359; 5. Tag = 1,091. Vom Abend des 3. Tags
an wurde der Harn eiweisshaltig. Diesem Befunde am Menschen widerspre-
chen die Beobachtungen von Schmidt an Katzen. Beim anhaltenden Hun-
gern verschwand das Cl gänzlich. — b) Durch den Kochsalzgehalt der Nah-
rung; die Ausscheidung nimmt zu wie die aus der Nahrung in das Blut
übergegangene Menge = Kochsalzgehalt der Speisen weniger dessen des
Koths. Nach Bischoff tritt jedoch (beim Hund) nicht das ganze in das Blut
übergegangene Kochsalzgewicht durch den Harn wieder aus. Entweder geht
es also auch hier, wie beim Menschen, durch den Schweiss verloren, oder es
wird Kochsalz zu andern Verbindungen zersetzt und in diesen entfernt. —
c) Ein reichliches Trinken kochsalzfreien Wassers vermehrt das tägliche
Kochsalzgewicht des Urins. — d) Ist einige Zeit hindurch (Fasten und
Wassertrinken) mehr Kochsalz durch den Harn ausgeschieden, als durch
die Nahrung aufgenommen, so steigert eine Vermehrung des Kochsalz-
gehaltes in den Speisen den des Urins erst dann, wenn der Organismus
wieder vollständig mit Chlor gesättigt ist (Hegar). — Das Stunden-
mittel der Absonderungsgeschwindigkeit ist bei gewöhnlicher Kost zwi-
schen 10 bis 1 Uhr Nachmittags = 0,807 Gr., Nachts von 10 bis 7
Uhr = 0,280 Gr. und Morgens von 7 bis 1 Uhr = 0,783 Gr.
Der mittlere Werth des täglichen Kochsalzes im Urin schwankte
nach den bisherigen Beobachtungen beim erwachsenen Menschen und
gewöhnlicher Kost zwischen 7,0 bis 21,8 Gr.
Aus der Thatsache, dass nach dem Erwachen die Chlorausscheidung viel leb-
hafter ist, als während des Schlafs, war man geneigt zu schliessen, dass die Muskel-
bewegung seine Ausscheidung befördere (Hegar); Mesler scheint aus seinen Beob-
achtungen diese Folgerung zu bestreiten.
Schwefelsäure*) Sie ist im Harn an Alkalien gebunden. a) Die
Bildung der Schwefelsäure scheint Folge der zur Lebenserhaltung noth-
wendigsten Vorgänge zu sein; sie ist demnach, so lange das Thier lebt,
in ihm enthalten und wird somit auch bei gänzlicher Entziehung der
Nahrung bis zum Hungertode ausgeschieden (Schmidt). — b) Die täg-
liche Schwefelsäureausscheidung wächst mit dem Gehalte der Nahrung
an Schwefel, namentlich also bei Fleischnahrung, ferner mit einem Zu-
satz von Schwefel, Schwefelkalium, verdünnter Schwefelsäure und vor-
zugsweise von schwefelsaurem Natron (Wöhler, Lehmann, Gruner,
B. Jones). Das Ansteigen des Schwefelsäuregehaltes im Harn erfolgt
nach einem Zusatz von schwefelhaltigen Stoffen zur Nahrung, findet sich
[265]Niere; Harn, Phosphorsäure.
erst einige Stunden nach Aufnahme derselben ein und hält bis zu 20
Stunden nach derselben an (Gruner, B. Jones). — c) Ein reichlicher
Genuss von Wasser erhöht, alles andere gleichgesetzt, die tägliche Menge
der Schwefelsäure im Harn. — d) Eine lebhafte Körperbewegung (Gru-
ner) oder Krampfkrankheiten (B. Jones) steigern die tägliche Schwefel-
säureausscheidung. Auch in diesem Falle steigert sich erst nach einigen
Stunden der Schwefelsäuregehalt des Harns. — e) Wurde durch reich-
lichen Wassergenuss oder durch Fasten mehr Schwefelsäure aus dem
Blute als in dasselbe geführt, so erreicht erst in einigen Tagen nach
dem Uebergang zu der gewöhnlichen Kost die tägliche Schwefelsäure-
menge des Harns den Werth wieder, den sie vorher besessen (Gru-
ner). — f) Im höhern Alter wird weniger Schwefelsäure ausgeschie-
den, als im mittleren (Lecanu). — g) Bei gewöhnlicher Lebensweise
führt der Urin, welcher nach dem Mittagsmahl entleert wird, mehr
Schwefelsäure aus, als der in der Nacht gelassene; am wenigsten aber
der während des Morgens abgesonderte (Gruner). — h) Bei gleicher
Nahrung entleeren verschiedene Menschen ungleich viel Schwefelsäure,
wahrscheinlich weil nicht gleich viel dieses Stoffes aus der Nahrung in
das Blut aufgenommen wird (Gruner).
Das tägliche Mittel der Schwefelsäure schwankt zwischen 1,9 bis
3,7 Gr. (Lecanu, Gruner).
Phosphorsäure*). Sie ist an Alkalien, Kalkerde und Magnesia
gebunden; je nach dem Gehalt des Urins an Säuren bildet sie mit den
Basen Salze, die 1, 2, oder 3 Atome fixer Basis enthalten. — a) Sie
ist bei vollkommener Nahrungsentziehung bis zum Tode im Harn ent-
halten; die tägliche Menge scheint sich während des Hungers gleich zu
bleiben (Schmidt), aber nur den halben Werth von derjenigen zu er-
reichen, welche bei gewöhnlicher Kost entleert wird (Mosler). —
b) Nach dem Genuss von phosphorsäurehaltigen Nahrungsmitteln steigt
sie, also namentlich nach der Aufnahme von Brod und Fleisch (Leh-
mann, B. Jones). — c) Nach reichlicher Entleerung des Harns in
Folge des Trinkens von phosphorsäurefreien Flüssigkeiten, mehrt sich
die tägliche Menge (Breed, Winter); daraus folgt aber nicht, dass die
Menge der entleerten Phosphorsäure dem täglichen Gewicht des durch
die Niere ausgeschiedenen Wassers proportional steige, indem einzelne
Portionen eines reichlich gelassenen Harns vollkommen frei von Phos-
phorsäure sein können (Liebig). — d) Nach geistigen (Mosler) und
Muskelanstrengungen (Lehmann, B. Jones) mehrt sich die tägliche
Menge. — e) Lecanu fand keine feste Beziehung zwischen dem Alter
und dem Phosphorsäuregehalt des Harns. — Das stündliche Mittel ist
[266]Niere; Harn, Oxal-, Kohlensäure, Alkalien, Erden.
nach dem Mittagsessen am höchsten und sinkt von da bis wieder zum
Mittagsessen (Winter).
Die Grenzen, innerhalb der nach den bis dahin unternommenen Beob-
achtungen die tägliche Phosphorsäuremenge schwankt, liegen zwischen
3,0 und 6,4 Gr. (Breed, Winter) und nach Duncklenberg zwi-
schen 2,1 und 3,1 Gr., welcher nachweist, dass die Methode von Lie-
big, deren sich die soeben erwähnten Beobachter bedienten, zu hohe
Werthe giebt.
Die Salzverbindungen der Phosphorsäure im Harn sind veränderlich
mit der Nahrung und der gesteigerten Anstrengung. — Bence Jones
giebt an, dass je nach dem Gehalt der Speisen an phosphorsauren Al-
kalien oder Erden bald die eine und bald die andere Salzverbindung in
dem Harn überwiege; Mosler will nach gesteigerten Anstrengungen vor-
zugsweise den Gehalt des Harns an phosphorsauren Erden haben wach-
sen sehen. — Auch die Verhältnisse zwischen phosphorsaurer Magnesia
und phosphorsaurer Kalkerde, sind wechselvoll (Kletzinsky).
Oxalsäure. Während sie bei fleischfressenden Thieren gänzlich
fehlen soll*), ist sie ein häufiger Bestandtheil des Menschenharns, na-
mentlich nach einer solchen Pflanzennahrung, die Oxalsäure oder ihre
Verbindungen enthält; ihr Auftreten wird auch durch Genuss kohlen-
säurehaltiger Getränke begünstigt (Wilson, Donnè, Lehmann) **).
Kohlensäure. Aus frischem Harn kann durch die Luftpumpe
Kohlensäure entwickelt werden (Marchand) ***). Der Gehalt des Harns
an freier Kohlensäure wird vermehrt durch den Genuss kohlensäurehal-
tiger Getränke (Lehmann) †). Ausser dieser diffundirten CO2 enthält der
Harn noch solche, die an Alkalien gebunden ist; die dieser Form ver-
mehrt sich nach Genuss von pflanzensauren und kohlensauren Alkalien
(Wöhler).
Alkalien und Erden, insbesondere Kali, Natron, Kalk und Mag-
nesia des Harns sind einzeln für sich und von den Säuren nur noch
wenige male getrennt bestimmt worden, und in diesen wenigen Fällen ††)
hat man ihr Vorkommen nicht untersucht, mit Rücksicht auf andere Va-
riationen physiologischer Erscheinungen. — Dennoch scheinen auch die
Harnanalysen, in denen keine gesonderten Bestimmungen der Basen unter-
nommen sind, schliessen zu lassen, dass das Chlor und die Schwefel-
säure des Harns immer mit Kali oder Natron gesättigt sind, so dass also
in demselben Maasse, wie diese Säure, auch jene Basen zu- oder ab-
nehmen müssen. Rücksichtlich der Sättigung der übrigen Säuren lässt
sich jedoch keine solche Regel aufstellen, da die Harn-, Hippur-, Oxal-
[267]Niere; Harn, Verhältniss zwischen Säuren und Basen.
und Kohlensäure bald frei und bald gesättigt erscheinen und die Phos-
phorsäure bald mit Kali oder Erden, und zwar entweder mit einem oder
mehreren Atomen verbunden, auftreten. — Freie Basen sind dagegen im
Harn niemals beobachtet, indem immer genug Kohlensäure vorhanden zu
sein scheint, um diejenigen derselben zu binden, welche durch die übri-
gen Säuren nicht aufgenommen wurden.
Von diesem Gesichtspunkte aus gewinnt es nun aber noch Werth,
die Umstände, unter denen die Säuren ein Uebergewicht über die Basen
gewinnen, und diejenigen, die eine Veränderlichkeit des Säuregehaltes
der fixen Harnbestandtheile (der Harnasche) im Ganzen bedingen, zu
ermitteln.
Verhältniss der Säuren zu den Basen. Die Säuren oder
sauren Salze sind in vorwiegender Menge im Harn enthalten, so dass
dieser letztere eine stark saure Reaktion annimmt nach dem Genuss
von Schwefelsäure, Weinsäure, von kohlensaurem und weinsaurem Am-
moniak, Zucker, Brod, Gemüse (B. Jones) *) und nach längerer Ent-
ziehung der Nahrung. Die Säuren, welche in diesem Falle im Ueber-
schuss auftreten, sind verschieden; so bildet sich z. B. nach dem Ge-
nuss von Ammoniak Salpetersäure. — B. Jones hat zugleich bestimmt,
dass der steigende Gehalt der Säuren nicht vorzugsweise Hand in Hand
geht mit dem Auftreten der Harnsäure, denn er fand, dass oft ein an
dieser Säure sehr reicher Urin sehr viel weniger freies Alkali zur voll-
kommenen Neutralisation bedurfte, als ein daran ärmerer. Nach den
Beobachtungen von Winter scheint dagegen mit dem steigenden Gehalt
des Harns an Phosphorsäure im Allgemeinen auch derjenige an freier
Säure zu wachsen.
Die basischen Salze (kohlensaure Alkalien und phosphorsaure Alka-
lien mit 2 Atomen fixer Basis) treten dagegen in das Uebergewicht nach
Fleischkost und dem Genuss von Kalien, die mit Kohlensäure oder orga-
nischen Säuren (Weinsäure, Aepfelsäure, Essigsäure u. s. w.) gesättigt
sind; bemerkenswerther Weise wirken in diesem Sinne die organisch-
sauren Salze mächtiger, als die kohlensauren (B. Jones).
Bei sehr regelmässiger Diät aus Fleisch, Eier und Kartoffeln, oder
auch nur aus Fleisch und Kaffee, fand B. Jones, dass der Säuregehalt sein
Maximum erreicht vor dem Essen; einige Stunden nach der Mahlzeit reagirt
der Harn dagegen alkalisch; diese letztere Beschaffenheit hält dann mehrere
Stunden, je nach der Reichlichkeit der Mahlzeit, an und geht darauf
wieder in die saure über. — Winter beobachtete dagegen, dass die
freie Säure in der Nacht am grössten, vor dem Mittagsessen am gering-
sten und während der Verdauungszeit durch einen mittleren Werth ver-
treten war.
[268]Niere; Harn, Asche, Wasser.
Den Gehalt an freier Säure bestimmte B. Jones und Winter nach der Menge
von Kali, welche zur Neutralisation des Harns nothwendig war.
Die feuerbeständigen Harnbestandtheile insgesammt.
Bei der grossen Mannigfaltigkeit der Einflüsse, welche die Abscheidung
der einzelnen Salzbestandtheile in dem Urin beherrschen, ist es ein-
leuchtend, dass das Gesammtgewicht der in 24 Stunden durch den Harn
entleerten Salze nicht unbedeutend veränderlich sein müsse. Der Gang
dieser Variation wird sich aus der schon mitgetheilten Thatsache im All-
gemeinen wieder voraussagen lassen. Wir stellen hier noch einige An-
gaben darüber zusammen.
Nach Lecanu beträgt die tägliche Salzmenge:
Nach Chambert*) enthielt der Harn desselben Mannes in 1590 Gr., die den
Tag über entleert wurden, = 23,3 Gr. Salze und 685 Gr. Nachtharn = 7,0 Salze.
Zugleich fand sich, dass der Harn, der nach dem Essen gelassen wird, reicher
an Salzen ist, als der Morgenharn, und dass dieser letztere um so mehr feuerbestän-
dige Salze enthält, je mehr salzhaltige Nahrung den vorhergehenden Tag genossen
worden war.
Zu den Analysen von Lecanu ist zu bemerken, dass er die Asche nach einem
Zusatz von NO5 zum Harnrückstand darstellte, wodurch seine Angaben offenbar mit
Fehlern behaftet sind.
Die Erscheinung, dass die Abweichungen der Gewichte nicht noch grösser sind,
verliert einen grossen Theil ihres Auffallenden, wenn man erwägt, dass die Nieren
aus einem salzarmen und zu jeder Zeit annähernd gleich zusammengesetzten Material
(dem durch ihre Gefässe strömenden Blut) ihre Salze schöpfen, und dass die Auf-
nahme der letzteren aus der Nahrung in das Blut beschränkt ist durch besondere
Einrichtungen des Darmkanals.
Wasser**). Das Volum des täglichen Harnwassers wird bestimmt
a) durch das Gewicht der löslichen festen Bestandtheile, welche aus den
Nieren ausgeschieden werden. Daraus folgt, dass die Wasserausschei-
dung nahe zu Null wird, wenn, wie es in einzelnen Krankheiten ge-
schieht, der Harnstoff durch Harnsäure vertreten wird. Dagegen wird
selbst nach Entziehung aller Nahrung (oder auch nur alles Wassers in
der Nahrung [Falk, Scheffer]) immer noch Wasser aus den Nieren
gefördert, da die Ausstossung des Harnstoffs, der salz-, schwefel- und
phosphorsauren Salze und der Extrakte bis zum Tode fortdauert; im
Gegensatz zu diesen Fällen wird die Wasserausscheidung sehr reichlich,
wenn sich die in den Harn übergehenden löslichen Stoffe, Harnstoff,
Salze, Zucker, sehr mehren. Hierauf beruht bekanntlich die Wirkung
[269]Niere; Harn, Wasser.
vieler sog. Diuretica (Kramer). — Das Verhältniss zwischen dem Ge-
wicht des ausgeschiedenen Wassers und der löslichen Bestandtheile kann
nicht festgestellt werden, weil noch andere Umstände die Ausscheidung
des Wassers vermehren, und man bei der Beobachtung keine Garantie
dafür hat, dass diese vollkommen eliminirt gewesen sind. Die Erfahrung
hat uns aber bis dahin beim Menschen noch keinen Harn kennen ge-
lehrt, der mehr als 8,7 pCt. fester Bestandtheile in Lösung gehalten
habe. Bei Hunden sind dagegen schon Harne von 15 pCt. lösl. Rück-
standes gefunden worden. Zudem ist es nicht einmal wahrscheinlich,
dass alle löslichen Harnbestandtheile zu ihrer Ausscheidung ein gleiches
Minimum von Wasser verlangen. So scheint z. B. der Traubenzucker,
welcher durch den Harn hervortritt, vorzugsweise viel Wasser mit sich
zu ziehen (Harnruhr). — b) Die tägliche Wassermenge ist abhängig
von dem Wassergehalte des Bluts; dieses wird bewiesen durch die all-
tägliche Erfahrung, dass in demselben Maass, in welchem Wasser aus
unserem Getränk in das Blut übergeht, es auch im Harn erscheint; fer-
ner dadurch, dass bei einer Minderung oder Hebung anderer wässeriger
Ausscheidungen (aus Haut, Lunge oder Darm) die tägliche Wassermenge
des Harns steigt und fällt. Erfahrungsgemäss geht niemals aber selbst
bei der reichlichsten Harnentleerung die Wasserausscheidung unabhängig
von derjenigen der festen Bestandtheile vor sich, da noch kein Urin
beobachtet worden ist, der weniger als 0,2 pCt. Rückstand hinterlassen
hätte. — Ein bestimmtes Verhältniss zwischen der Absonderungsge-
schwindigkeit des Harnwassers und dem prozentischen Wassergehalt des
Blutes ist nicht festzustellen, weil offenbar immer noch andere Bedin-
gungen die Beobachtung compliziren. Sicher ist nur, dass nach einer
plötzlichen, sehr bedeutenden Verdünnung des Bluts die Wasserabson-
derung in den ersten Tagen gar nicht steigt, offenbar darum, weil die
Niere selbst dadurch sehr alterirt wird; denn es erzeugt diese Blutver-
änderung eine Absonderung eiweisshaltigen Harns (Kierulf); eine Ein-
sprützung grösserer Wassermengen in kleinen von Viertelstunde zu Viertel-
stunde auf einander folgenden Portionen mehrt zwar meist die Wasser-
ausscheidung, aber keineswegs immer, und niemals erfolgt früher als 1
bis 2 Stunden nach der Einfüllung des Wassers eine wesentliche Stei-
gerung der Harnmenge, und ist einmal die Steigerung eingetreten, so er-
hält sich dieselbe nicht jedesmal auf der erreichten Höhe, sondern
schwankt auf und ab, und zwar fällt sie zuweilen auf sehr niedrige
Werthe (Westphal). Dieselbe Erscheinung beobachtete Falk nach
Einführung von destillirtem Wasser in den Magen. — c) Bei Krampf-
krankheiten soll zuweilen die Wasserausscheidung durch die Nieren ver-
mehrt werden.
Bei gewöhnlicher Lebensweise ist die Wasserabsonderung des Harns
am niedrigsten während der Nacht, sie steigt des Morgens an und er-
[270]Niere; Harn, physikalische Eigenschaften.
reicht nach dem Mittagsessen ein Maximum. — Die Grenzen, innerhalb
der bei gesunden Erwachsenen das tägliche Harnwasser variirt, liegen
zwischen 500 und 25,000 Gr. — Nach Becquerel und Vogel liegt
bei jungen Männern das Tagesmittel zwischen 1200 bis 1600 Gr.
Gesammtharn*). Die mitgetheilten Thatsachen genügen, um
sich eine Vorstellung zu bilden von dem ungemeinen Wechsel der pro-
zentischen Zusammensetzung des Harns; indem man innerhalb der mit-
getheilten Grenzen einen beliebigen Werth des Wassers, der Salze, des
Harnstoffs, der Harnsäure u. s. w. nimmt, kann man sich alle möglichen
und wirklich vorkommenden Harne zusammensetzen.
Die Aerzte legen nun mit Recht noch einen Werth auf die Fest-
stellung der sog. physikalischen Eigenschaften des Harns und insbeson-
dere auf die Färbung, die Durchsichtigkeit und das spezifische Gewicht.
Die Färbung des Harns ist im normalen Zustand zwischen rothgelb
und hellgelb der Vogel’schen Farbenskala. Die dunkleren Nuancen
sind im Allgemeinen dem sparsam gelassenen Harn eigen; darum ist der
Morgenharn (während der Nacht bereitet) dunkler als der Getränk- und
Mittagsharn. — Kinderharn ist im Allgemeinen heller, als der der Er-
wachsenen.
Durchsichtigkeit. Schwachsaurer und schwachalkalischer Harn ist
meist klar; eine starke Reaktion nach der einen oder der andern Seite
ist meist von Niederschlägen begleitet. Diese bestehen im alkalischen
Harn meist aus phosphorsaurer Kalkerde und Magnesia; im sauren aus
harnsaurem Ammoniak oder Natron, zuweilen auch aus reiner Harnsäure.
Das spezifische Gewicht des mittleren täglichen Harns liegt bei 1020
(Vogel). Da es natürlich in einiger Beziehung zu den gelösten Stoffen steht,
so muss es natürlich sehr variiren, und namentlich wird bei reichlicher
Harnentleerung das spez. Gewicht niedriger als bei sparsamer Ausschei-
dung des Harns sein. — Man hat, um den Zusammenhang zwischen
spez. Gewicht und dem Gehalt an festen Stoffen festzustellen, empirische
Regeln aufgestellt (Becquerel, Millon, Trapp, Haeser). Wir
erwähnen hier nur die Trapp’sche, wobei wir die von ihm selbst ge-
gebene Bemerkung wiederholen, dass sie nur eine Annäherung an die
Wahrheit giebt. — Setzt man die Einheit des spezifischen Gewichts (die
des Wassers) = 1000, so soll man von dem gefundenen spez. Gewicht
des Harns diese Einheit abziehen; die hintere Zahl des Restes soll man
durch ein Komma abschneiden von der vordern und dann den Rest ver-
doppeln. Die hier ausgefundene Zahl drückt den Prozentgehalt des
Harns an festen Stoffen aus; wäre also z. B. das gefundene spezifische
[271]Niere; Harn, seltenere Bestandtheile.
Gewicht eines Harns = 1020, so würde sein prozentischer Rückstand
= 4,0 sein.
Seltenere Harnbestandtheile. — Ausser den erwähnten erscheinen nun
noch zahllose andere Stoffe im Harn; wir zählen mit Auswahl folgende auf:
1. Uebergang löslicher Blutbestandtheile in den Harn.
Eiweiss*). Man beobachtet, auch ohne dass Blutungen in der Niere statt fin-
den, bei Abwesenheit von Blutkörperchen, im Harn häufig Eiweiss; dieses ereignet
sich nachweislich nach Unterbindung der Nierenvene oder der Hohlader (H. Meyer),
nach ergiebigen Aderlässen und Ersetzung des gelassenen Blutes durch Wasser, so
dass die in den Gefässen kreisende Blutflüssigkeit sehr stark verdünnt wird
(Kierulf), nach Kochsalzhunger (Wundt). In einzelnen Fällen ausserdem nach
Unterdrückung der Milchsekretion, nach Exzessen im Essen, nach lebhaftem Herz-
schlag, nach Krankheiten des Herzens, die die Spannung des Bluts im Gefässsystem
anhaltend erhöhen (?), bei besondern Veränderungen der Nierenstruktur (Bright’sche
Krankheit) u. s. w.
Fette**). Menschen und Thiere (namentlich Katzen), welche anhaltend mit
fettreicher Nahrung gefüttert werden, entleeren fetthaltigen Harn (Lang).
Zucker***). Nach Injektion von Trauben-, Milch-, Rohrzucker in das Blut oder
bei übermässiger Bildung des Traubenzuckers im Körper (diabetes) erscheint dieser
immer im Harn (Bernard, Baumert, Uhle, Limpert, Lehmann). Diese
Zuckerabsonderung hält mehrere Stunden lang an; bei Einsprützung gleicher Mengen
von Trauben- und Rohrzucker soll der erstere früher aus dem Harn verschwinden
und bei Säuglingen gar nicht in den Harn übergehen (Limpert). In keinem Falle
wird die ganze Menge des in das Blut gesprützten Zuckers wieder durch den Harn
entleert (Limpert). — Eine oberflächliche Verletzung der medulla oblongata oberhalb
des grauen Keils und seitlich von der hintern Längsspalte erzeugt bei Kaninchen
einen zuckerhaltigen Harn (Bernard, Schrader). Wenn das Thier nach dieser
Operation längere Zeit am Leben bleibt, so verschwindet nach 24 Stunden der Zucker
wieder (Uhle). Aehnliches hat man behauptet von Hirnerschütterung, Vergiftung
mit Curara (Bernard). Nach Genuss von zuckerreicher Nahrung und nach der
Durchschneidung der n. vagi (Bernard), nach Aetherisation (Reynoso) soll Zucker
im Harn erscheinen, was Schrader und Uhle bestreiten. — Nach einer Injektion
von Chloroform, Aether und Ammoniak in der Pfortader wird der Harn zuckerhaltig
(Harley). — Bei alten Leuten soll sich häufig Zucker im Harn finden (Reynoso)
und bei Wöchnerinnen nach Unterdrückung der Milchsekretion.
Kieselsäure fanden Berzelius und Duncklenberg im Harn. Vielleicht
stellt sie einen gewöhnlichen Harnbestandtheil dar.
Eisensalze sind zuweilen nach vermehrtem Genuss derselben gefunden wor-
den; häufig aber fehlten sie auch dann (Wöhler, Aldrige) †).
Leucin, Tyrosin fanden Frerichs und Staedeler im Harn der Hunde
und Menschen, z. B. bei gelber Lebererweichung, in welcher jene Stoffe reichlich in
der Leber u. s. w. vorkommen.
Allantoin. Wenn einem erwachsenen Hunde so viel Oel in die Lunge einge-
[272]Niere; Harn, seltene Bestandtheile. Harnbereitung.
sprützt würde, dass eine beträchtliche Athemnoth entstand, oder auch nach anhalten-
dem Einathmen von Chlor, wurde Allantoin im Harn gefunden (Staedeler).
Xanthin kommt zuweilen im Harn als Harnstein vor.
Von Cystin, einem starken schwefelhaltigen Körper, gilt dasselbe.
2. Wenn Salicin, harnsaure Salze, Eichengerbsäure, Senfölammoniak, citronen-,
äpfel-, wein-, essigsaures Natron, Ammoniaksalze und Schwefelkalium genossen wer-
den, so erscheinen nicht diese Stoffe, sondern Umwandlungsprodukte derselben im
Harn wieder:
Salicin *) = C26H18O14 liefert spiroylige Säure = C14H6O4 (Millon und Le-
veran). Diese Säure ist, wie man glaubt, hervorgegangen aus einer Spaltung des
Salicins. Es würde demnach das Salicin, nach Aufnahme von 2 At. Wasser =
C26H20O16, in Zucker = C12H12O12 und Saligenin = C14H8O4 zerfällt, welches letztere
nach Austritt von 2H in spiroylige Säure ühergeht.
Gerbsäure **) = C18H8O12 erscheint im Harn als Gallussäure = C14H6O10
und Brenzgallussäure C12H6O6 (Wöhler und Frerichs). Diese Umwandlung ist
dieselbe, welche Gerbsäure u. A. in schwach alkalischen Lösungen erleidet; sie ge-
schieht, wie man sieht, unter Abscheidung nur von C4H2O2, oder gleichzeitig von 2CO2.
Harnsäure = C5H2N2O3 bewirkt das Erscheinen von Oxalsäure C2O3 und
Harnstoff C2H4N2O2 (Wöhler und Frerichs); um in diesen Stoff zerfallen zu kön-
nen, muss, abgesehen von der Bildung anderer Zwischenprodukte, die Harnsäure 2HO
aufgenommen haben.
Thiosinammin = N2C8H8S2 gab Rhodanammonium = N2C2H4S2; aus dem ersten
sind also C4H4 ausgeschieden worden.
Essigsäure (= C4H3O3), äpfelsaure (C4H2O4), weinsaure (C4H2O5), citronensaure
(C6H3O6) Kalien erscheinen im Harn als kohlensaure (Wöhler), vorausgesetzt, dass
sie in nicht grosser Menge gereicht werden, in welchem Fall sie unverändert in den
Harn übergehen (Millon). Organische Ammoniaksalze kommen im Harn als Salpeter-
säure wieder (B. Jones) ***). Schwefelkalium erscheint im Harn als schwefelsau-
res Kali.
3. Zimmt- und Benzoesäure, oder Stoffe, welche eine dieser Säuren enthalten
(Benzoeäther und Perubalsam), oder durch Oxydation leicht in sie übergehen (Bitter-
mandelöl), erscheinen im Harn als Hippursäure (Ure, Wöhler, Marchand, Fre-
richs). Nach der vorgängigen Umwandlung dieser Stoffe in Benzoesäure C14H6O4 tritt
zu dieser der Paarling = C4H3NO2 zur Bildung von Hippursäure = C18H9NO6. — In
gleicher Weise geht Nitrobenzoesäure in Nitrohippursäure über (Bertagini) †). —
Die der Benzoesäure homologe Amminsäure geht aber unverändert in den Harn über
(W. Hofmann).
Ferrocyanid kommt im Harn als Ferrocyanür wieder, in Folge einer von der
Harnsäure ausgeübten Desoxydation (Buchheim) ††).
Nach einem längern oder kürzern Gebrauch gehen Quecksilber, Wismuth, Blei,
Zinn, Blutlaugensalz, Bernsteinsäure, Jod, der Farbstoff des Rhabarbers, des Lakmus,
der Cochenille u. s. w., in den Urin über.
6. Harnbereitung. — a) Die wesentlichen Stoffe des Harns sind
keine Produkte einer chemischen Thätigkeit der Niere; sie sind schon
mit dem Blute in die Niere geführt und dort nur abgeschieden worden.
Dafür spricht einmal die chemische Analyse der Blutextraktivstoffe und
[273]Niere; Harnbereitung.
dann die Erfolge der Nierenausrottung, welche nach Prevost und
Dumas die Anhäufung einiger wesentlichen Harnbestandtheile und ins-
besondere die des Harnstoffs im Blute bedingt. Wenn nun auch nach
diesen bemerkenswerthen Versuchen, die später vielfach mit ähnlichem
Erfolg wiederholt worden, sich der Harnstoff nicht in dem Maasse im
Blut wiederfindet, wie man nach der vollkommenen Unterdrückung seiner
Ausscheidung erwarten sollte, so liegt der Grund dafür offenbar darin,
dass der zurückgehaltene Harnstoff sich noch weiter und namentlich in
kohlensaures Ammoniak umsetzt (Stannius, Sthamer, Bernard,
Bareswill) *), das durch den Darmkanal und die Lungen ausgestossen
wird. — b) Da aus einer gesunden Niere nicht alle, sondern nur eine
beschränkte Zahl von Blutbestandtheilen austreten, und noch mehr, da
die wirklich ausgetretenen Stoffe in einer ganz andern Relation zu ein-
ander stehen, so müssen besondere eine Scheidung des Bluts bedingende
Umstände vorhanden sein. Man hat verschiedene Erklärungen hierfür
zu geben gesucht, von denen jedoch keine genügend erscheint.
Eine erste Hypothese nimmt an, dass die in die Nieren tretenden Nerven ver-
ändernd einwirken auf die Wand der Gefässe oder Harnkanälchen, in der Art, dass
durch sie die Bestandtheile des Harns auf der einen Fläche angezogen und auf der
andern abgestossen wurden. Man sieht sogleich, dass diese gewagte Hypothese nichts
erklärt, indem es gerade darauf ankommt, anzugeben, worin diese Eigenthümlichkeit
der betreffenden Häute ruht. Zudem steht es noch dahin, ob die Nerven überhaupt
einen direkten Einfluss auf die Harnausscheidung üben; nach den Beobachtungen von
Brachet, Müller und Peipers**) wird allerdings die Harnabsonderung unter-
drückt, wenn man einen Faden um die Gefässe und Nerven der Niere legt, diesen
bis zur Zerquetzschung der Nerven schliesst und dann wieder öffnet, so dass die
Niere wieder vom Blut durchflossen wird. Diese Erscheinung tritt aber nicht
ein, wenn man, wie dieses an der Katze leicht gelingt, die Nierennerven isolirt
durchschneidet, ohne den Blutstrom einmal unterbrochen zu haben. Es scheint
also die zuerst erwähnte Operation eine Störung des Kreislaufs in den complizirten
Capillaren der Nieren herbeizuführen; diese Annahme wird um so wahrscheinlicher,
weil nach der momentanen Unterbindung meist Nierenbrand, die gewöhnliche Folge
einer Stockung des Blutlaufs, eintritt. — Eine zweite Voraussetzung behauptet, die
Epithelialzellen der Harnkanälchen zögen aus dem Blute die wesentlichen Harnstoffe
an, und ihr Inhalt werde ausgewaschen durch das Wasser, welches aus den Gefässen
der Glomeruli in die Harnkanälchen trete (Bowmann, Goodsir, Hessling***).
Es sind keine Thatsachen bekannt, welche diese Vermuthung zu unterstützen ver-
möchten. — Eine andere Hypothese zieht in Betracht die eigenthümliche Art des
Blutstroms durch die Nieren und die Erscheinung, dass die Wandung zahlreicher
Capillarsysteme des thierischen Körpers für eiweissartige Stoffe und Fette undurch-
dringlich ist. Von diesem Boden ausgehend, stellt sie nun die Vermuthung auf, es
möchte der Blutdruck, welcher auf der innern Fläche der Gefässe des Glomerulus
ruht, das gesammte Blutserum, weniger Eiweissstoffe, Fette und die mit denselben
verbundenen Salze, durch die Blutgefässwandungen in das Lumen der Harnkanälchen
Ludwig, Physiologie. II. 18
[274]Niere; Harnbereitung.
eintreiben. Die hier angelangte Flüssigkeit würde allmählig durch die Haarkanäl-
chen treten und auf diesem Wege in endosmotische Beziehung kommen zu dem con-
zentrirten Blut, welches in den Capillaren läuft, die jenseits der Glomeruli die Harn-
kanälchen umspinnen (C. Ludwig). Im Einklang zu dieser Hypothese ist zuerst die
Beobachtung, dass die Geschwindigkeit der Harnabsonderung in einer unbezweifelbaren
Beziehung zur Spannung des arteriellen Blutstroms steht (Goll) *), da die von demselben
Thier in der Zeiteinheit gelieferte Harnmenge steigt, wenn die Blutmasse des Thiers
(durch Einsprützung eines gleichartigen Bluts) vermehrt, oder die n. vagi durch-
schnitten, oder endlich mehrere grosse Arterienstämme (crurales, carotides, subclaviae)
gleichzeitig unterbunden werden, und weil sie umgekehrt fällt nach einem Aderlass
oder Erregung der n. vagi. — Diese Annahme empfiehlt sich ferner durch eine Reihe
von Thatsachen, welche das Eingreifen eines Diffusionsstroms in den Gang der Harn-
absonderung mehr oder weniger darthun So wird u. A. nach der Abscheidung von
so viel Harnsäure, dass sie in den Harnkanälchen schon krystallinisch niederfällt, ver-
bunden mit gleichzeitigem Mangel an Harnstoff, ein sehr wasserarmer Harn abgeson-
dert. Da die Harnsäure, um aus dem Blute in die Harnkanälchen überzugehen, sehr
viel Wasser braucht, so ist die Abwesenheit dieses Wassers in den spätern Harn-
wegen nur erklärlich, wenn man annimmt, dass dieses durch den rückgängigen Diffu-
sionsstrom wieder in das Blut eingekehrt ist, eine Vorraussetzung, der nichts im Wege
steht, weil nach der Ausfällung der Harnsäurekrystalle eine destillirtem Wasser sich
annähernde Flüssigkeit in den Harnkanälchen übrig bleibt. Nächstdem wird daraus
erklärlich, warum die Conzentration des Harns eine gewisse obere Grenze, die von
der des Bluts bestimmt wird, nicht übersteigen kann; ferner, dass bei einer raschen
Entleerung des Harns aus den Kanälchen dieser weniger feste Stoffe in Lösung hält,
als nach einem längern Aufenthalt in denselben; ferner, warum die prozentische
Menge der wesentlichen Harnbestandtheile in dem Urin zurücktritt, wenn andere ab-
norme in ihm reichlich auftreten (Zucker, Eiweiss); ferner endlich, warum die Stoffe
des Harns reichlicher in ihm enthalten sind, wenn sie in reichem Maasse im Blut vor-
kommen. — Die Hypothese verschliesst uns mindestens auch nicht die Erklärung der
Erscheinung, dass die in den Harn übergehenden Blutbestandtheile in diesem nicht in
demselben Verhältniss auftreten, in welchem sie in dem Blute vorkommen. Denn
einmal könnte schon die aus dem Glomerulus hervorkommende Flüssigkeit Na Cl,
KO SO3, 2NaO PO5, HO, Harnstoff u. s. w. in einer andern Relation enthalten, als
sie im Blutserum vorkommen, weil nemlich der eine oder andere Stoff grosse Ver-
wandtschaften zu den in dem Gefässlumen zurückbleibenden Eiweisskörpern besässe,
oder es wäre auch denkbar, dass durch den Diffusionsstrom, der in den gewundenen
Haarkanälchen auftritt, aus dem vorhin schon erwähnten Grunde mehr des einen als
des andern Stoffs in das Blut zurückkehrt. — Diesen empfehlenswerthen Eigenschaf-
ten der vorliegenden Hypothese stehen aber andere, nicht zu vernachlässigende ent-
gegen. Dahin wäre sogleich zu rechnen, dass nicht momentan mit einer prozentischen
Vermehrung des Blutwassers die Absonderungsgeschwindigkeit steigt, oder allgemein
ausgedrückt, dass trotz gleicher Spannung und gleicher Zusammensetzung des Bluts
in den Arterien die Menge des in der Zeiteinheit erscheinenden Harns so verschieden
ausfallen kann. Dieser Einwurf wäre allerdings noch zu beseitigen, wenn es gelänge,
nachzuweisen, dass sich die muskulösen Wandungen an den vasa afferentia oder effe-
rentia der Glomeruli zeitweise beträchtlich genug zusammenziehen könnten, um den
Blutstrom durch die letztern wesentlich zu verlangsamen. Schwieriger dagegen dürfte
es sein, Rechenschaft davon zu geben, wie mit Hilfe eines Filtrationsdruckes von
der Gefässhaut der Glomeruli eine chemische Scheidung erzielt werden kann (vid.
[275]Niere; Ernährung derselben.
p. 146). Diese Bedenken bleiben hier um so mehr in Kraft, weil aus den Nieren
eines eben getödteten Thieres eine farblose, eiweisshaltige, dem Blutserum ähnlich
zusammengesetzte Flüssigkeit hervortritt, wenn man das entfaserstoffte Blut desselben
Thieres durch die Nierengefässe leitet (Löbell) *), und noch mehr, weil nach einer
wesentlichen Hemmung des Blutstroms in den Nieren des lebenden Thiers, z. B. durch
Verengerung der Nierenvene (H. Meyer, Frerichs), der Urin eiweisshaltig wird.
Der Druck, unter welchem der Harn in die Harnkanälchen tritt, ist
von C. Löbell zu 7 bis 10 MM. Hg gefunden worden; wenn die Hg säule
des in den Ureter eingefügten Manometers bis zu der bezeichneten Höhe
gestiegen war, so hörte, wie es schien, die Harnabsonderung auf.
7. Die Ausstossung der Harns aus der Niere geschieht unzweifelhaft
durch den aus den Blutgefässen nachdringenden Harn; ist er einmal aus
der Papille, oder besser ausgedrückt, aus der leicht zusammendrückbaren
Verlängerung der Harnkanälchen über die Nierenoberfläche getreten, so
kann er in die Niere nicht wieder zurückkehren; denn die Papille wirkt
genau wie ein Röhrenventil (E. H. Weber).
8. Ernährung der Niere. In der fertigen Niere geht ein selbststän-
diger Stoffwechsel vor sich, denn einmal wird häufig ein sauer reagiren-
der Harn aus dem alkalischen Blute abgesondert, es muss also in der
Niere selbst eine Säure entstehen, und dann kommt immer das arterielle
Blut aus ihr venös zurück. — Nach reichlicher Fettnahrung füllen sich
namentlich bei der Katze die Zellen der Harnkanälchen mit Fett (Lang).
Krankhafter Weise schuppt sich häufig das Epithelium ab und es mehrt
sich der formlose Bindestoff zwischen Harn- und Blutgefässen. — Nach
Unterbindung der Nierenarterie schwinden unter vorgängiger Erweichung
(Brand) die Nieren häufig so rasch, dass 36 Stunden nach vollendeter
Operation keine Spur mehr von denselben aufzufinden ist (Schultz).
Die Erweichung beginnt in der Cortikalsubstanz und ergreift zuerst die
Gefässhaut der Glomeruli. — In der fertigen Niere bilden sich zerstörte
Harn- und Blutkanäle nicht wieder.
B. Ureteren und Blase**).
1. Das untere Ende des Ureters durchbohrt die Blasenwand schief, so
dass er auf einer kurzen Strecke zwischen Schleim- und Muskelhaut hingeht.
Die nothwendige Folge dieser so oft im Organismus wiederkehrenden Ver-
bindungsart von Kanal und Behälter besteht darin, dass bei einem jeden
Druck, der von der innern Blasenfläche her wirkt, der Ureter geschlossen
wird; mit einem Worte, es ist dadurch ein Ventil gegeben, welches den
Strom des Harns nur vom Ureter zur Blase möglich macht. — An dem
Uebergang der Blase in die Harnröhre A (Fig. 57) faltet sich die vordere
Blasenwand B zu einer Grube ein. Daraus folgt, dass bei gefüllter
Blase die Harnröhre ohne Zuthun eines Muskelapparats geschlossen wird
18*
[276]Ureter; Harnblase.
(Kohlrausch). Die Gegenwart
einer solchen Einrichtung beweist
die bekannte Thatsache, dass die
Blase der Todten meist gefüllt
gefunden wird.
2. Die Muskeln des Ureters
sind bekanntlich quer und längs
laufende; ihre Nerven treten aus
dem Lendengrenzstrang ein; der
Ursprung derselben soll nach Va-
lentin und Kilian bis in die
Sehhügel hinauf verfolgt werden
können. Die Bewegungen, welche
sie einleiten, sind immer peristaltische, nie antiperistaltische, d. h. es
laufen dieselben immer in der Richtung von der Niere zur Blase. Wenn
man, während eine Bewegung im Fortschreiten begriffen ist, ein be-
liebiges Stück Muskelsubstanz an der Zusammenziehung, z. B. durch
einen Druck auf dieselbe, hemmt, so steht die Bewegung an der gedrück-
ten Stelle still. Im normalen Verlaufe des Lebens kommen die Nerven
zeitweise in Erregung; die Pausen zwischen den Zeiten der Erregung
verkürzen sich, wenn aus der Niere viel Harn in die Ureteren ergossen
wird, aber selbst wenn gar kein Harn entleert wird, kommen doch dann
und wann fortlaufende Zusammenziehungen zu Stande. — Die Zusammen-
ziehungen erfolgen nicht nothwendiger Weise gleichzeitig in den beider-
seitigen Ureteren, so dass die Nerven eines jeden von besonderen Orten
aus erregt werden müssen. — Ein ausgeschnittener Ureter bewegt sich
nicht mehr, weder peri- noch antiperistaltisch (Donders) *).
Die Muskeln der Blase, welche als Detrusor und Sphincter bekannt
sind, stehen nach Kohlrausch in der Beziehung zu einander, dass
sich die Enden des ersteren in die Züge des letzteren einflechten; es
verhält sich also der die Blase verengernde Detrusor zugleich als ein
die Blasenmündung umgebender Radialmuskel, der bei seiner Zusammen-
ziehung die Harnröhrenöffnung erweitert. Die Nerven der Blasenmuskeln
treten aus dem Grenzstrang der Lenden und des Kreuzbeins, auch sie
sollen nach Kilian und Valentin durch das Rückenmark hindurch bis
in das Hirn hinein zu verfolgen sein. — Die Erregungen des m. detru-
sor treten unwillkührlich und wahrscheinlich auf reflektorischem Wege
ein, da sie immer bei Anfüllung der Blase mit Harn beobachtet werden.
Durch Berührung der Blasenschleimhaut in der Nähe der Ureterenmün-
dungen kann nach Ch. Bell**) am leichtesten die Zusammenziehung
des Detrusors ausgelöst werden; er vermuthet darum, dass der Druck,
[277]Umsetzung des Harns in der Blase.
welcher bei gleichzeitiger Anfüllung der Blase und der Ureteren auf jene
Schleimhautnerven ausgeübt werde, die gewöhnliche Veranlassung zur
reflektorischen Erregung abgebe. Eine Erregung der Nerven des De-
trusors hält einige Zeit an und verschwindet dann wieder, selbst wenn
die Blase nicht entleert wurde. — Die harnaustreibende Wirkung des
m. detrusor kann durch die Zusammenziehung der Bauchmuskeln unter-
stützt werden. — Der Sphincter der Blase ist willkührlich beweglich.
Reflektorisch erregbar ist er von der Schleimhaut in der Blasenmündung
und in dem Beginn der Harnröhre (Ch. Bell).
3. Die Schleimhaut der Ureteren und der Blase ist mit einem ge-
schichteten, aus cylindrischen und platten Zellen zusammengefügten Epi-
thelium bekleidet. In der Umgebung der Blasenmündung sind in die
Schleimhaut einfach traubige Drüsen eingebettet, welche einen schleim-
haltigen Saft absondern.
4. Umsetzung des Harns in der Blase; Harngährung. Während des
Aufenthaltes in der Blase verändert sich der Harn; die hervorstechendste
Eigenschaft, die aus dieser Umsetzung hervorgeht, besteht darin, dass er
entweder eine stark alkalische oder stark saure Reaktion annimmt.
Die alkalische Reaktion ist abhängig von einer Umwandlung des
Harnstoffs, welcher unter Aufnahme von Wasser in kohlensaures Ammo-
niak übergeht. In Folge dieser Ammoniakbildung wird der Harn durch
einen Niederschlag von phosphorsaurem Kalk getrübt. Sie erreignet sich
selten und scheint vorzugsweise bei Rückenmarkslähmungen, bei denen
sich auch eine reichliche Blasenschleimabsonderung einstellt, beobachtet
zu werden. In diesen Fällen geht die Umsetzung des Harnstoffs so rasch
vor sich, dass sie selbst eintritt, wenn der Harn nur kurze Zeit in der
Blase verweilte, nachdem diese vorher mit lauem Wasser wiederholt aus-
gespült worden war (Smith) *).
Die saure Gährung **) wird eingeleitet durch den Harnblasenschleim,
wie daraus hervorgeht, dass sie, die in dem gelassenen Harn noch fort-
geht, unterbrochen werden kann durch Filtration desselben, wobei der
Schleim auf dem Filtrum zurückgehalten wird. In den späteren Stadien
derselben entstehen aber auch Pilze (Virchow, Lehmann). Ihre
hervorragendsten Produkte sind Essig-, Benzoe-, Oxal- und Milchsäure.
An der Bildung der ersten betheiligt sich wahrscheinlich der Farbstoff
(Liebig), während die Benzoesäure aus der Zerfallung der Hippursäure
hervorgeht. Ist die saure Gährung ausgeprägt vorhanden, so trübt sich
der Harn durch Ausscheidung von Harnsäure oder saurem harnsauren
Natron. Scherer macht darauf aufmerksam, dass dieser Prozess Ver-
anlassung zur Entstehung von Harnsäureconcretion werden kann.
[278]Männliche Geschlechtswerkzeuge; Hoden.
Männliche Geschlechtswerkzeuge.
A. Hoden.
1. Anatomischer Bau. Das Charakteristische der Samenkanälchen
besteht darin, dass ein jedes sich ununterbrochen schlängelt und oft
anastomisirt, bevor es zuletzt in das vas deferens ausläuft, und dass jedes
einzelne der zahlreich vorhandenen von verhältnissmässig weitem Lumen
ist, während der Gang, in dem alle Röhrchen ausmünden, ein verhält-
nissmässig sehr schwaches Kaliber besitzt; es verengert sich also das
Gesammtlumen der Samenröhren, vom Anfang zum Ende des Hodens.
Diese Verengung scheint aber keineswegs eine stetig fortschreitende, son-
dern eher eine auf- und absteigende zu sein; so hat es offenbar den
Anschein, als ob das in den ductus efferentes so ungemein verschmä-
lerte Bett der (vereinigt gedachten) Samenröhrchen in den coni vasculosi
sich wieder erweitere und gegen das vas deferens wieder verengere. —
Die Wand der Kanälchen ist muskelfreies elastisches Bindegewebe, das
nach innen durch eine Lage von Epithelialzellen gedeckt ist; das vas
deferens ist dazu noch ausgestattet mit einer cirkularen und längs-
verlaufenden Schicht Faserzellen. — Die Capillargefässe des Hodens,
welche aus der langen und engen art. spermat. entspringen, sind nicht
zahlreich; sie sammeln sich in ein vielfach anastomisirendes Netz von
weiten Venen. — Aus den Hoden gehen sehr voluminöse Lymphgefässe
hervor. — Die Nerven des Hodens und insbesondere des vas deferens,
welche aus dem Lenden- und Sakraltheil des Grenzstrangs hervortreten,
sollen ebenfalls bis in das Hirn zu verfolgen sein. — Die feste Kapsel-
haut des Hodens (tunica albuginea) schliesst eine Lage von muskulösen
Faserzellen ein (Kölliker).
2. Samen *). Eine mechanische Scheidung zerlegt den von dem
Hoden abgesonderten Saft in einen flüssigen und aufgeschwemmten Theil.
Dieser letztere enthält bestimmt geformte Gebilde, und zwar entweder
Samenfaden und Samenzellen zugleich oder auch nur Samenzellen. Das
zuletzt erwähnte Vorkommen (Anwesenheit von Samenzellen bei Mangel
an Samenfäden) findet sich ganz allgemein vor den Pubertätsjahren (in
dem sog. unreifen Samen) und häufig, aber keineswegs immer, in sehr
hohem Alter und zuweilen in chronischen Krankheiten (Duplay). Bei
dem Mangel einer jeglichen Untersuchung des fadenfreien Samens be-
schränken wir uns auf den fadenhaltigen.
Die Samenzellen scheinen in einer Beziehung zu den Epithelialzel-
len der Samenkanälchen zu stehen, indem die letztern häufig fehlen,
wenn die Kanälchen mit reifen Samen erfüllt sind. Die Zellen des rei-
fen Samens sind rund, von verschiedener Grösse, einen bis zu zwanzig
[279]Hoden; Samen.
Kerne enthaltend. Die Kerne sind zum Theil nur mit einer klaren
Flüssigkeit erfüllt, zum Theil ist an der Wand derselben ein spiraliger
Faden, die erste Anlage des Samenfadens, aufgelagert. In andern Zellen
sind keine Kerne mehr vorhanden, sondern es liegt, umgeben von einer
durchsichtigen Flüssigkeit, ein Bündel feiner Fäden in denselben, welche
sämmtlich an einem Ende eine knopfförmige Anschwellung tragen, die
in allen Fäden desselben Bündels nach einer Richtung innig aneinander
geschlossen liegen. So lange sich der Samen in den Kanälchen findet,
umschliessen diese Zellen die Fäden constant, und erst dann, wenn er
in das vas deferens übergetreten ist, verschwindet die Zellenmembran
und die Fäden schwimmen frei in der Flüssigkeit.
Die freien Samenfäden zeigen in dem frischen, vor Kurzem aus dem
lebenden oder so eben getödteten Thiere genommenen Samen eigenthüm-
liche Bewegungen. Der von dem platten, nach vorn etwas zugespitzten
Knopfe ausgehende lange fadenförmige Schwanz krümmt sich ohne regel-
mässige Folge bald da, bald dort hin und her und streckt sich rasch
wieder; hierbei entwickeln sie hinreichende Stosskräfte, um eine Orts-
bewegung des ganzen Fadens zu veranlassen, welche denselben in einer
Sekunde um 0,27 MM. in gerader Linie weiterschieben kann (Henle).
Bei diesen Bewegungen weichen die Fäden Hindernissen aus, die ihnen
entgegentreten, so dass es den Anschein gewinnt, als ginge in den Bewe-
gungsakt eine sinnliche Wahrnehmung und eine Schätzung der bevorstehen-
den Hemmung ein. — Die Versuche, welche angestellt wurden, um die
den Bewegungen zu Grunde liegenden Bedingungen zu ergründen, be-
schränken sich auf Folgendes: die Samenfäden von Warmblütern verlie-
ren ihre Fähigkeit zur Bewegung durch Zumischen von destillirtem Was-
ser, verdünnten Lösungen von Metallsalzen und Säuren, Jod, ätherischen
Oelen, durch conzentrirte Lösungen von Narcotica, und endlich durch ein
Ansteigen der Temperatur über 46,5° C. und ein Sinken unter 12,5° C. —
Die Beweglichkeit erhält sich dagegen ungestört in verdünnten Lösungen
von Zucker, Neutralsalzen, Narcotica, ferner in Harn, Speichel, Blutse-
rum und unter dem Einfluss elektrischer Schläge. Siehe die betreffende
Litteratur von Valentin, Krämer, R. Wagner u. s. w., bei dem
erstern am erwähnten Ort. — Von der chemischen Zusammensetzung
der mit Wasser ausgewaschenen Samenzellen und Fäden des Hahns be-
richtet Frerichs, dass die ersteren einen eiweissartigen Körper ent-
halten, die letzteren aber einen in Kali löslichen Eiweissstoff, ein butter-
artiges Fett und phosphorsauren Kalk.
Die Samenflüssigkeit ist im Hoden meist nur in geringer Menge
enthalten, sie ist klebrig und enthält unter andern einen schleimigen
Stoff und Kochsalz (Frerichs).
3. Die Absonderungsgeschwindigkeit des Samens. Vor der Pubertät
geht die Bildung des unreifen Samens zuerst äusserst langsam vor sich;
[280]Hoden; Samen.
denn in dieser Zeit wird, so weit wir wissen, gar kein Saft aus dem
Hoden entleert. — Nachdem mit den Pubertätsjahren die Absonderung
eines vollkommenen Samens zu Stande gekommen, kann sie bis in das
hohe Alter bestehen; Duplay fand in den Hoden 80jähriger Greise noch
Samenfäden; übrigens sind nach demselben Beobachter bei Hochbejahr-
ten die Samenfäden meist spärlicher vorhanden, und fehlen auch nicht
selten gänzlich, oder sie sind mindestens missgestaltet. Man vermuthet,
dass eine öftere Entleerung des Samens die Neubildung desselben be-
schleunige. — Bei Individuen mittleren Alters fehlen zuweilen die Samen-
fäden; die Beziehungen, welche man zwischen gewissen krankhaften Stö-
rungen der allgemeinen Ernährungsprozesse und der ausbleibenden Bil-
dung von Samenfäden vermuthet, haben sich durch die Untersuchungen
von Duplay nicht bestätigt.
4. Samenbereitung. Die Formfolge bei der Entwicklung der Samen-
fäden glaubt Kölliker dahin feststellen zu können, dass zuerst die
Zellen, dann die Kerne und dann in jedem Kern ein Samenfaden auf-
trete; wenn die einzelnen Kerne geplatzt sind, so legen sich die Fäden
zu Bündeln zusammen. Die gekrümmten und langen Wege, die häufigen
Anastomosen und endlich die Enge des vas deferens bedingen eine hin-
reichend langsame Bewegung des Samens von den Anfängen zu den
Enden des Hodens, um die zur Formentwicklung nothwendige Zeit zu
gewinnen. — Die Bedingungen für die Entstehung des Samenfadens müs-
sen theils in der Blutzusammensetzung und theils in Zuständen des
Hodens selbst gesucht werden. Für den letzteren Satz spricht vor Allem
die Beobachtung von Duplay, dass bei demselben Individuum in dem
einen Hoden der Samen fadenhaltig und im andern fadenfrei sein kann.
Worin diese Bedingungen liegen, ist unbekannt; sicherlich nicht in dem
Säftereichthum desselben überhaupt, da Hoden, welche einen normalen
Samen erzeugen, im Mittel nicht schwerer sind, als diejenigen, welche
dieses nicht vermögen (Duplay).
5. Die Entleerung des Hodens kann möglicher Weise veranlasst
werden durch die in der tunica albuginea vorhandenen Muskeln; die An-
wesenheit eines serösen Sackes (tunica vaginalis propria) deutet minde-
stens auf eine Verschiebung der beiden Blätter desselben, also auf selbst-
ständige Hodenbewegungen, hin. — Der in der vas deferens entleerte
Samen wird durch die Muskelbewegungen dieses Schlauchs in die Samen-
bläschen ausgestossen, wo er mit andern Drüsensäften vermischt und
endlich in die Harnröhre entleert wird. Seinen weiteren Weg verfolgt
die Entwicklungsgeschichte.
B. Beiwerkzeuge des Hodens.
Das Wenige, was über die Absonderungserscheinungen der serösen
Hodenhaut bekannt ist, wurde schon Seite 184 erwähnt. — Der Muskel
[281]Accessorische Samendrüsen; Ruthe.
des Samenstrangs (Cremaster) ist ein unwillkührlich beweglicher. — Die
tunica dartos, welche aus einer Lage gekreuzter Muskelzellen besteht,
verkürzt sich meist nur dann, wenn sie abgekühlt oder mit Elektrizität
geschlagen wird. Zuweilen auch unter der Einwirkung eines Druckes
auf dieselbe. Ueber eine Art von rhytmischer Bewegung in derselben
siehe Betz*).
C. Accessorische Samendrüsen
(vas deferens, Samenblasen,
Prostata).
Ueber ihre Ernährung und die in ihr vorgehende Säftebildung ist
so gut wie nichts bekannt. Die beiden ersten Gebilde sondern eine den
Hodensaft verdünnende Flüssigkeit ab (E. H. Weber) **); denn es ist,
wie das Mikroskop lehrt, die Zahl der Samenfäden im gleichen Volum
des Inhalts der vasa deferentia viel bedeutender, als desjenigen der ve-
siculae seminales. Da man nun keinen Grund hat, anzunehmen, dass
Samenfäden sich in den Bläschen auflösen, so kann die Erscheinung nur
von einer Verdünnung des Hodensaftes durch Zusatz neuer Flüssigkeit
erklärt werden.
D. Das männliche Glied.
Nachdem schon an verschiedenen Stellen von den Schweiss- und
Schleimdrüsen des Penis gehandelt wurde, beschränken wir uns hier auf
die Erektion und die Betheiligung des Gliedes an Samen- und Harn-
entleerung.
1. Die Erektion ***) ist eine von den Veränderungen des Blutstroms
im Penis abhängige Erscheinung, die durch die Nerven desselben eingelei-
tet wird. Die Lumina der Gefässröhren sind nemlich in dem Penis so
angeordnet, dass sich sogleich sehr enge Arterien in relativ weite, von
Balken durchzogene Säcke (corpora cavernosa) münden, welche wieder in
enge Venen übergehen. In diesem Röhrenwerk strömt das Blut nun
entweder in der Art, dass sein Seitendruck nicht genügt, um die Cavernen
auszuspannen, oder dass er beträchtlich genug wird, um sie straff zu pres-
sen gegen die fibrösen Häute bis zur vollkommenen Steifigkeit des Glie-
des. Der Zusammenhang dieser Strömungsänderungen und der Penisnerven
ist durch die Folgen ihrer Zerschneidung bei Pferden erwiesen worden
(Günther); diese Operation beschränkt nemlich ebensowohl die voll-
kommene Steifung, als die vollkommene Erschlaffung des Gliedes. Der
Strom scheint also eine mittlere Spannung anzunehmen. — Der Mecha-
nismus, welcher diese Stromveränderung einleitet, kann, so weit unsere
[282]Männliches Glied; Erektion.
Einsicht reicht, möglicher Weise vielfach sein. — a) Die Stromhinder-
nisse in den zuführenden Arterien werden vermindert (Hausmann)
z. B. durch eine Erschlaffung ihrer Wandung; daraus würde natürlich
eine Erweiterung ihres Querschnitts entstehen. Gründe und Gegengründe
für diese oft ausgesprochene Behauptung giebt es keine. — b) Steige-
rung der Stromhemmnisse in den ausführenden Röhren. Die Vertheidi-
ger dieser Ansicht haben zwei Möglichkeiten aufgestellt. Entweder es
werden zusammengepresst die Venenstämme (dorsalis, bulbosae, plexus
venosus santorini) durch die musc. ischio- und bulbocavernosus und ad-
ductor prostatae *). Abgesehen davon, dass diese Muskeln die erwähnten
Venen zu comprimiren vermögen, führt diese Vermuthung für sich an: die
Anwesenheit tonischer oder klonischer Krämpfe in den Muskeln während
der Erektion und nächstdem die Beobachtung, dass bei einer Injektion
dünnflüssiger Massen in den todten Penis die Steifung desselben erst
dann zu Wege gebracht werden kann, wenn man die Venen desselben
ganz oder theilweise zuschnürt (Krause). So annehmbar von dieser
Seite diese Vorstellung ist, so darf andererseits nicht verkannt werden,
dass man willkührlich die erwähnten Muskeln zusammenziehen kann,
ohne damit eine Erektion zu Stande zu bringen. — Im Anschluss an
diese Annahme steht die andere, dass sich die Oeffnungen, welche die
Cavernen und die ausführenden Venen verbinden, selbst verengern und
bei einer weit gediehenen Anfüllung des Penis sogar ganz verschliessen
möchten. Diese Hypothese wird für die corpora cavernosa penis sehr
wahrscheinlich angesichts der leicht zu constatirenden Thatsache, dass
die Injektionsmasse oder Luft, die man durch eine künstliche Oeffnung
geradezu in die Hohlräume einsprützt, nicht in die ausführenden Venen
übergeht, selbst wenn man einen bedeutenden Druck anwendet. Unläug-
bar verlangt dieses Verhalten die Anwesenheit von Hemmnissen an der
Grenze von Cavernen und Venen, wenn sich die letztern ausgedehnt
haben, obwohl noch der anatomische Nachweis derselben fehlt (Kobelt,
Kohlrausch). Die Schwierigkeiten, welche diese Erklärungsart der Erek-
tion mit sich führt, liegen nun aber darin, dass sie einmal nicht fest-
stellt, wodurch die Cavernen zuerst zu dem Grade von Anfüllung kom-
men, der nöthig ist, damit die klappenähnlichen Apparate in Wirksamkeit
treten können; dann aber lässt sie unerörtert, wie der Penis wieder ab-
schwillt, da seine Klappen ununterbrochen wirken, wie man an der Leiche
sieht. — Auf keinem Fall können aber, wie schon erwähnt wurde, ähn-
liche Vorrichtungen wirksam sein bei der Anschwellung der corp. ca-
vernos. urethreae und der Eichel, da die in ihre Höhlen eingeblasene
Luft den Ausweg leicht durch die Venen findet. — c) Die dritte An-
nahme, welche Kölliker in weitester Ausdehnung vertritt, behauptet,
[283]Ausstossung von Harn und Samen.
dass die Mündungen der zu und von den Cavernen führenden Gefässe
wesentlich unverändert bleiben, dass aber die Cavernenwandungen nach-
giebiger würden, so dass sie nun von dem einströmenden Blute leichter
als früher zu erweitern wären. Die Ursache der Erschlaffung finden
Kölliker und Kohlrausch in der Erregung der Penisnerven, welche
zu ihren Muskeln in einem ähnlichen Verhältniss stehen sollen, wie die
nn. vagi zum Herzmuskel. Mit Gewissheit kann allerdings die Behauptung
ausgesprochen werden, dass eine kräftige Zusammenziehung der von Köl-
liker und Valentin in den corpora cavernosa entdeckten Muskeln die
Erektion gerade unmöglich machen, weil sie so angelegt sind, dass ihre
Verkürzung das Volum des Penis minderte; so sah es Kölliker, als
er den Penis eines Hingerichteten mit elektrischen Schlägen behandelte,
und so ist das abgekühlte Glied, dessen Muskeln zusammengezogen sind,
immer sehr klein und derb. Damit ist aber natürlich nicht die Behaup-
tung erwiesen, dass zu allen Zeiten die Muskeln des schlaffen Penis
contrahirt seien, und noch weniger, dass die Nerven und Muskeln des
Penis ein dem Vagus und Herzmuskel analoges Verhalten zeigen. Rück-
sichtlich des letztern Punktes ist um so grössere Vorsicht nöthig, als
es sehr wahrscheinlich ist, dass der Vagus nicht geradezu den Herz-
muskel erschlafft, sondern andere auf ihn wirkende Erregungsursachen
ausser Wirksamkeit setzt. — d) Arnold weist endlich auf die Möglich-
keit hin, dass das Strombett des Bluts in dem gesteiften Penis ein ganz
anderes sei, als in dem schlaffen; er glaubt sich nemlich überzeugt zu
haben, dass das Blut auf zwei Wegen aus den Arterien in die Venen
gelangen könne; einmal durch Capillaren, welche auf den Wänden der
Cavernen verlaufend in die Venen einmünden und dann durch Zweige,
welche direkt in die Cavernen übergehen. Diese Möglichkeit wird so
lange bestritten werden müssen, bis diese beiden Wege genauer darge-
stellt sind.
Ueber die vorübergehende Erektion der Eichel und die mannig-
fachen Erregungsmittel der Erektion handeln Kobelt und Valentin
ausführlich.
2. Ausstossung von Harn und Samen aus der Harnröhre. Da in
die Urethra die Ausführungsgänge der Samen- und Harnbehälter mün-
den, ohne dass die eine der beiden Flüssigkeiten in die Wege der an-
dern eindringt, so müssen Vorrichtungen bestehen, welche den beiden
Säften immer nur einen Weg anweisen. Als Schutzmittel der Samen-
wege, welches den Eintritt des Harns in dieselben verhindert, ist anzu-
sehen der schiefe Gang, welchen die samenausführenden Röhren durch
die Wand der Urethra nehmen. Als eine Hemmung für den Weg des
Samens in die Harnblase betrachtet Kobelt das caput gallinaginis, wel-
ches ebenfalls, mit Schwellkörpern versehen, zur Zeit der Erektion die
Blasenmündung verstopft. — Da nun aber auch bei abwesender Schwel-
[284]Weibliche Geschlechtswerkzeuge; Eierstock.
lung der Samen nicht in die Harnblase gelangt, so muss schon der sphinc-
ter vesicae zum Abschluss genügen. — Der Harn wird in die Urethra
mit hinreichender Kraft getrieben, um aus der Mündung derselben in
einem Strahl befördert zu werden. Anders verhält es sich mit dem Sa-
men, der durch die schwachen Muskeln der Samenbläschen nur bis in
die Harnröhre getrieben wird; aus dieser befördern ihn die Zusammen-
ziehungen des m. bulbocavernovus. — Bei der Steifung des Gliedes ist
das Eindringen des Samens in die Harnröhre noch besonders erleichtert,
da diese zu jener Zeit in Folge der Ausspannung ihrer Wände ein ge-
öffnetes Lumen besitzt. Der Harn findet aber zu dieser Zeit an dem ge-
schwollenen Schnepfenkopf ein Hinderniss.
Weibliche Geschlechtswerkzeuge.
A. Eierstock.
1. Anatomischer Bau. Zum grössten Theil besteht der Eierstock
aus Blutgefässen und einer eigenen Art von Bindegewebe. In diese Mas-
sen sind eingebettet unreife, reife und zerstörte Eikapseln und das ganze
ist umzogen von einer fibrösen Hülle. Der reife Eisack ist ein kugeliger
Sack, der mit Flüssigkeit (Eiwasser) gefüllt ist. Die Wand dieses Sackes
besteht nach aussen hin aus Bindegewebe, dann folgt eine strukturlose
Haut und auf diese eine mehrfache Lage von Zellen (Körnerhaut), und in
dieser liegt das Eichen. Die Elemente der Körnerhaut, zusammengedrückte,
getrübte, kernhaltige Zellen, liegen zum grössten Theil in einer nur mehr-
fachen Schicht auf der strukturlosen Haut des Sackes an, an einer Stelle
aber sammeln sie sich so zahlreich, dass sie einen kleinen Hügel bil-
den (Keimhügel) und in diesem ruht das Eichen eingebettet. Dieses
selbst besteht, von Centrum an gerechnet, aus einer hellen Zelle mit
dunklen Pünktchen (Keimbläschen und Keimfleck), diese liegt in einem
trüben Tröpfchen (Dotterkugel), welches endlich von einer breiten, durch-
sichtigen, zähen Schaale (Dotterhaut, Eiweissschicht) umgeben wird.
2. Chemische Beschaffenheit *). Die Grundmasse des Eierstocks
besitzt wahrscheinlich die Zusammensetzung des elastischen Bindegewe-
bes. Die Eigenschaften der strukturlosen Eikapsel, der membrana gra-
nulosa und des Eiwassers sind ganz unbekannt. Die Zusammensetzung
des menschlichen Eies können wir seiner Kleinheit wegen nicht durch di-
rekte Untersuchung ins Klare bringen. Auf die Bestandtheile des reifen
menschlichen Eies schliessen wir darum nur aus der Untersuchung des
thierischen. Unter Beschränkungen halten wir uns hierfür berechtigt,
weil die Untersuchungen von Gobley, Valenciennes und Fremy
[285]Eierstock; Eibildung.
gezeigt haben, dass wenigstens analoge Bestandtheile das Ei sehr ver-
schiedener Thiere zusammensetzen. Die quantitive Zusammensetzung ist
in den verschiedenen Eiern dagegen durchaus ungleich.
Nach Gobley, Valenciennes und Fremy findet sich in den Eiern aller
Wirbelthiere Albumin, Margarin, Olein, phosphorhaltige Fette und die gewöhnlichen
Blutsalze. Dazu kommt bei den Vögeln ein eigenthümlicher eiweissartiger Körper,
das Vitellin, welches bei den Knochenfischen durch Ichtidin und bei den Knorpel-
fischen durch Ichthin vertreten wird. — Um eine Vorstellung von der grossen Com-
plikation der Zusammensetzung des Hühnereies zu geben, zählen wir seine Bestand-
theile auf. — Albumin, Vitellin (C 52,8, H 7,2, N 15,1, O 26,16), Margarin,
Olein, Cholestearin, Lecithin, Cerebrin, Zucker, NaCl, KCl, NH4Cl, KO SO3, 3 CaO PO5,
3 Mg O P O5, NaO CO2, Si O3, ein rother eisenhaltiger und ein gelber Farbstoff,
Wasser.
3. Eibildung und Ausstossung des Eies *). Ueber die Formfolge
des entstehenden Eies ist uns Einiges bekannt. Zuerst tritt es auf als
eine grosse, durchsichtige, kernhaltige Zelle, welche im Centrum eines
Haufens kleiner, mit trüblichem Inhalt gefüllter Zellen liegt (Steinlin).
Diese letztern Zellen gleichen schon ganz denen der spätern membrana
granulosa. In einer zweiten Formstufe umgiebt eine strukturlose Haut
die Zellenmasse; auf die äussere Fläche dieser ersten Hüllenanlage setzt
sich später das Bindegewebe an, auf die innere die membrana granu-
losa, indem sich die in sie eingeschlossenen Zellen mehren.
Die Bedingungen zur Bildung von Eiern können während des ganzen
Lebens, vielleicht mit einziger Ausnahme einiger Krankheiten, z. B. der
Bleichsucht, und des höheren Alters, vorhanden sein, denn es finden
sich selbst in den Eierstöcken der Embryonen schon Anlagen von Ei-
kapseln. Ihre vollkommene Ausbildung erlangen aber die Eier nur wäh-
rend eines bestimmten Lebensabschnittes der Frauen, der in unsern Ge-
genden mit dem 14. bis 15. Jahre beginnt und nach dem 40. schliesst.
Einzig während dieser Periode werden auch die Eier aus dem Ovarium
ausgestossen; dieses geschieht dadurch, dass in den Binnenraum der
Kapsel mehr und mehr Flüssigkeit eindringt, so dass diese endlich, nach-
dem sie das umgebende Gewebe verdrängt und sich über der Oberfläche
des Eierstockes erhoben hat, platzt. Die aus der Kapsel hervorstür-
zende Flüssigkeit spült dabei das locker angeheftete Eichen auf die freie
Fläche des Eierstocks. Dieser Hergang erfolgt bei Thieren, wie Bischoff
nachgewiesen, nur zur Zeit der Brunst und beim Menschen nur zur Zeit
der Menstruation; er bleibt beim Menschen wahrscheinlich jedesmal nur
auf ein oder mehrere Eier beschränkt. Dieser Ausstossungsakt erfährt
während der Dauer der Schwangerschaft eine Unterbrechung. — Nachdem
das Säckchen das Ei ausgestossen, schrumpft es unter Faltenbildung zu-
[286]Eileiter.
sammen, ohne dass jedoch dadurch der ganze Hohlraum zum Verschwin-
den kommt. Dieser letztere füllt sich anfänglich mit Blut und allmählig
mit einer von der Haut ausgehenden Zell- und Bindegewebswucherung.
Diese Rückbildung geht langsamer zur Zeit der Schwangerschaft vor sich,
als ohne dieselbe. Darum findet man eine mit mehr oder weniger weit
zersetztem Blut gefüllte Kapsel (corpus luteum) deutlich bei den während
der Schwangerschaft gestorbenen Individuen (Meckel, Bischoff).
B. Eileiter.
Das Wenige, was über seine Lebenserscheinungen bekannt ist, bezieht
sich auf die an ihm vorkommenden Bewegungen; sie sind doppelter Art,
einmal geschehen sie in seinen Muskeln und dann in seiner Epithelialhaut.
Die Muskeln gehören zu den glatten; die Nerven, unter deren Ein-
fluss sie stehen, verlaufen in den unteren Partien des Grenzstrangs. Die
Bewegungen, welche der Eileiter darbietet, nehmen immer die Form von
fortschreitenden an; das Weiterschreiten kann ebensowohl in der Rich-
tung vom Eileiter zum Fruchthälter als in der umgekehrten Richtung
geschehen. Diese Bewegungen, welche durch galvanische und mecha-
nische Erregungsmittel hervorgerufen werden können, treten häufig auch
ohne nachweisliche Veranlassung auf, und zwar geschieht dieses letztere
ebensowohl, wenn der Eileiter noch in seinen normalen Verbindungen
sich vorfindet, als wenn er gemeinschaftlich mit dem Uterus ausgeschnit-
ten ist. — Die Muskeln des Eileiters verhalten sich also ähnlich denen
des Darms.
Die Flimmerzellen der Eierstöcke, deren Faden in der Art schwin-
gen, dass sie einen Strom von dem Ovarium nach dem Uterus hin ver-
anlassen, zeichnen sich vor allen übrigen durch ihre ausserordentliche
Empfindlichkeit gegen schädliche Einflüsse aus.
Die Fortbewegung der Eier durch die Tuben geschieht nach den
Beobachtungen von Bischoff und Hyrtl ausserordentlich langsam, in-
dem 5 bis 8 Tage (beim Menschen und Hund) nöthig sind, um sie durch
den Eileiter hindurchzufördern. Durch welche Einrichtungen die Bewe-
gung so verlangsamt wird, ist nicht bekannt; denn sie müsste rascher
vor sich gehen, wenn das Ei dem Strom der Flimmerhaare oder der
peristaltischen Bewegung der Muskeln folgte.
C. Fruchthälter.
Ausser den anatomischen Einrichtungen und einigen Veränderungen,
die dieselben in der Schwangerschaft erleiden, ist wenig über den Uterus
bekannt. — Einige Aufmerksamkeit hat nur die Menstruation, eine blu-
tige Ausscheidung auf der innern Fläche des Uterus, welche bei mann-
baren Weibern meist in monatlichen Zwischenräumen wiederkehrt, auf
sich gezogen.
[287]Fruchthälter. Menstruation.
1. Chemische Zusammensetzung der Menstrualflüssigkeit *). Sie
stellt ein Gemenge von flüssigen und festen Körpern dar. Die aufge-
schwemmten Massen bestehen aus Blut- und Lymphkörperchen, Epithe-
liumszellen; die flüssigen enthalten Wasser, Eiweiss, Faserstoff, Fette
und alkalisch reagirenden Salze.
Ueber den Faserstoffgehalt bestehen Controversen; Simon, Vogel und früher
auch Denis fanden das Blut, welches aus dem Uterus ausgetreten, weder gerinnbar,
noch enthielt es Faserstoffflocken. Nach E. H. Weber**), der in dem Uterus einer
Person, die während der Menstruation gestorben war, Faserstoffgerinnsel fand, ist
dieses nur darum der Fall, weil das Blut kurz nach seinem Austritt auf die Uterus-
fläche gerinnt und aus diesem Gerinnsel Blutkörperchen und Serum austreten, wäh-
rend der Faserstoff wenigstens zeitweilig zurückgehalten wird. — Mit dieser Annahme
stimmen neue Untersuchungen von Denis und Henle überein, welche im Menstrual-
blut Gerinnung beobachteten.
Ueber die quantitative Zusammensetzung des Menstrualblutes besitzen
wir Angaben von Simon, Denis und J. Vogel; die Mittheilungen des
letztern Autors dürften darum am zuverlässigsten sein, weil er die Flüs-
sigkeit unmittelbar aus der vorgefallenen Gebärmutter sammelte. Nach
ihm enthielten zwei Portionen Ausflusses, von denen die eine zu Beginn
und die andere zu Ende der Menstruation aufgefangen war, in 100 Thei-
len gleich viel Wasser, nemlich 83,9 pCt.; ein Serum, das aus diesem Aus-
fluss gewonnen war, enthielt in 100 Theilen 93,5 Wasser; unter 6,5 pCt.
festen Bestandtheilen fanden sich 0,65 pCt. feuerbeständiger Salze. Diese
wenigen Thatsachen scheinen doch hinzureichen zu dem Schluss, dass
die untersuchte Flüssigkeit kein reines Blut gewesen sei.
2. Das Erscheinen der Menstruation ***) ist von verschiedenen Um-
ständen abhängig. a) Die Menstruation kommt nur dann zu Stande, wenn
sich aus dem Ovarium ein Ei ablöst. Der Beweis für diese Behauptung
liegt darin, dass man jedesmal, so oft es möglich war, die Leiche einer
während der Menstruation verstorbenen Person zu untersuchen, in dem
Eierstock entweder eine reife oder so eben geplatzte Eikapsel fand, und
ferner darin, dass keine Frau menstruirt ist, der in Folge einer Opera-
tion oder der ursprünglichen Entwickelung die Eierstöcke fehlten. Die
Verknüpfung beider Vorgänge ist jedoch insofern keine nothwendige, als
es umgekehrt beobachtungsgemäss möglich ist, dass ein Eiaustritt erfol-
gen kann, ohne dass die Regeln in merklicher Weise eintreten. — b) Die
Regeln können nur erscheinen, wenn ein gewisses Lebensalter erreicht
und ein anderes nicht überschritten ist. Das Alter, nach dessen Voll-
endung die Menses auftreten, wechselt mit dem Klima und der Lebensweise.
Nach statistischen Beobachtungen fällt der mittlere Eintritt derselben im
nördlichen Deutschland in das 16., im südlichen Frankreich in das 13.
und in tropischen Ländern in das 11. bis 9. Jahr. Die Städterin soll
[288]Menstruation.
im Durchschnitt um ein Jahr früher menstruirt sein, als die Bewohnerin
des Landes. — Ueber das Alter, in dem die Menstruation verschwindet,
sind weniger allgemeine Regeln festgestellt; in unsern Gegenden hört die
Menstrualblutung gewöhnlich mit dem 40. bis 45. Jahre auf oder tritt
von da an nur sehr unregelmässig ein. — c) Wenn eine Menstrualblu-
tung stattgefunden hat, so muss ein gewisser Zeitraum verstreichen, be-
vor eine neue eintreten kann. Die Zeit, welche zwischen je zwei Reini-
gungen liegt, beträgt gewöhnlich 4 bis 4,5 Wochen. Abgesehen da-
von, dass sich hier individuelle Verschiedenheiten finden, soll sich auch
der Unterschied der Klimate geltend machen, und namentlich giebt
man an, dass in nördlichen Gegenden die Menstruationen seltener auf-
einander folgen, als in südlichen. — d) Endlich ist es eine Regel, die
nur seltene Ausnahmen erleidet, dass das Weib der monatlichen Reinigung
nur in der Zeit unterworfen ist, in der es sich im nichtschwangern
Zustande befindet.
3. Die Dauer und die Geschwindigkeit des Blutflusses sind sehr va-
riablen Werthes, indem namentlich die Dauer des Ausflusses bei den ver-
schiedenen Frauen zwischen einem bis zu acht Tagen schwankt. — Im
Allgemeinen soll bei magern, lebhaften und südländischen Frauen die
Geschwindigkeit des Ausflusses grösser sein, als bei fetten, trägen und
denen des Nordens.
Zahlenangaben, wie die, dass die norddeutschen Frauen und die Engländerin-
nen 90 bis 105 Gr., die Süddeutschen 240 Gr., die Italienerinnen und Spanierinnen
360 Gr. und die Frauen der Tropen 600 Gr. Flüssigkeit verlieren sollen, müssen
mit einem? aufgenommen werden.
4. Die Veränderungen, welche man in der Uteruswand während der
Dauer der Menstruation beobachtet hat, bestehen in einer Anschwellung
seiner Masse, in einer stärkern Entwickelung seiner Schleimhaut, in Folge
deren sich häufig, aber nicht immer (Bischoff), die Uterindrüsen ver-
grössern. Geschieht dieses, so schwitzt auf die gesammte innere Ober-
fläche des Uterus ein weiche weisse Haut aus, die Dezidua.
5. Die Ausstossung der in die Gebärmutterhöhle ausgetretenen Flüssig-
keit wird wahrscheinlich auf verschiedenen Wegen besorgt. Zum Theil
mag die Flüssigkeit einfach ausfliessen, zum Theil aber wird sie sicher
durch die Bewegungen des Uterus, die als wehenartige Schmerzen em-
pfunden werden, in die Scheide befördert; auf dem letztern Wege muss
offenbar auch die Entfernung der festen Masse (des Faserstoffgerinsels
und der etwa gebildeten Dezidua) geschehen. Bemerkenswerther Weise
bleiben diese letztern oft sehr lange in der Gebärmutter liegen, so dass
sie mehrere Wochen nach Beendigung der Regeln, in der sog. weissen
Menstruation, mit Schleim vermischt entleert werden.
Ueber die Erektion der Scheide siehe Kobelt in dessen Wollust-
organ; die Fett- und Schleimdrüsen der vagina sind schon früher erwähnt.
[289]Brustdrüsen; Milch.
Milchdrüsen.
1. Anatomische Beschaffenheit der weiblichen Brustdrüse *). Ihre
Höhlen sind im Allgemeinen angeordnet wie die einer traubigen Drüse mit
mehreren Ausführungsgängen, z. B. der Thränendrüse; der Milchdrüse
eigenthümlich sind die länglichen Erweiterungen in den grösseren Aus-
führungsgängen kurz vor deren Mündung. Die Wandung enthält durch-
weg eine strukturlose Grundlage, auf der innern Seite derselben liegt
in den Endbläschen ein vieleckiges und in den grössern Gängen ein cy-
lindrisches Epithelium. Auf der äussern Seite ist die strukturlose Wand-
schicht in den stärkeren Gängen mit einer Lage glatter Längsmuskeln
belegt, die jedoch nicht bis in die Brustwarze hineinreichen. — Die
Gefässe umspinnen mit den gewöhnlichen Maschen in traubigen Drüsen die
Bläschen; in der Milchperiode nimmt der Durchmesser derselben merk-
lich zu. — Die Nerven, welche in das Innere der Drüsen gehen, sind
wenig zahlreich; sie scheinen nur den Blutgefässen anzugehören. — Die
ganze. Drüse ist in einen muskulösen Hautbeutel eingefüllt; die Muskeln
desselben ziehen sich zwischen den Läppchen der Drüsen durch in das
Bindegewebe, welches die Läppchen scheidet.
Die männliche Brustdrüse gleicht der weiblichen, ausgenommen dass
ihre Endbläschen viel weiter und dafür sparsamer vorhanden sind, und
dass den Ausführungsgängen die Erweiterung kurz vor der Mündung
abgeht.
2.Milch**). Die Drüse liefert ihren Saft gewöhnlich nur bei
Neugebornen, schwangern und niedergekommenen Frauen, sehr sel-
ten auch bei Männern. Wir schildern zuerst die Eigenschaften der
Frauenmilch.
Die Frauenmilch, eine bläulich-weisse, trübe Flüssigkeit von 1018
bis 1045 spez. Gewicht, kann durch die mechanische Analyse zerlegt
werden in aufgeschwemmte Bestandtheile: Milchkügelchen, Colostrum-
körperchen, Epithelialzellen, und in Flüssigkeit: das Milchserum. — Die
Milch- (oder Butter-) kügelchen sind Fetttröpfchen, welche von einer Hülle
umzogen werden (Henle, Mitscherlich, v. Bueren) ***). Die Grösse
derselben ist sehr veränderlich, ihr Durchmesser erhebt sich von unmess-
barer Kleinheit bis zur Grösse einiger Hundertstel Linien. — Die Hülle be-
steht wahrscheinlich aus Casein, der fettige Inhalt (die Butter) kann aus der
Milch der Kuh und vermuthungsweise auch aus der des Menschen in Olein
und andere neutrale Fette zerlegt werden, aus denen durch Verseifung
Ludwig, Physiologie. II. 19
[290]Brustdrüse; Milch.
zu gewinnen ist: Butin- (C40H40O4) (?), Stearin- (C36H36O4), Palmitin-
(C32H32O4), Myristin- (C28H28O4), Caprin- (C20H20O4), Capryl- (C16H16O4),
Capron- (C12H12O4) und Buttersäure (C8H8O4) (Lerch, Heintz). Den
gegebenen Formeln nach gehören diese Säuren sämmtlich zur Gruppe der
Fettsäuren von dem Typus 2(CnHn)O4, von welchen aber in der Butter
nur die Glieder vertreten sind, deren Kohlen- und Wasserstoffatomzahl
durch 4 theilbar ist. Dem Gewicht nach besteht die Butter vorzugs-
weise aus Olein und Palmitin. — Die Colostrumkügelchen bestehen we-
sentlich aus einem zusammengeballten Häufchen sehr kleiner freier Fett-
tropfen; zusammengehalten werden die Tröpfchen entweder durch die
Haut einer Zelle, in deren Hohlraum das Häufchen eingelagert ist, oder
durch eine die Tröpfchen verklebende (caseinhaltige?) Zwischensubstanz,
so dass sie auch dann noch zusammenhalten, wenn die Zellhaut ver-
schwunden ist. — Das Milchserum endlich enthält in seinem Wasser auf-
gelöst Casein mit phosphorsaurem Kalk und Magnesia verbunden, Eiweiss (?),
Milchzucker, Milchsäure, Extrakte, Natron, Kali, Eisenoxyd, Phosphor-,
Salz-, Kohlensäure und Spuren von Kiesel- und Flusssäure.
Ueber das Eiweiss in der Milch führt man seit Jahren Controverse; Scherer
und Lieberkühn*) zeigten, dass die gewöhnliche Reaktion auf lösliches Eiweiss,
das Gerinnen beim Kochen, zur Nachweisung desselben in der Milch unbrauchbar
ist; so gerinnt u A. nach dem letzten Chemiker der gekochte Wasserauszug eines
Milchrückstandes, der aus der eingekochten Milch bereitet war. Der Grund dieses
eigenen Verhaltens liegt in der Anwesenheit der Salze. — Doyére, Poggiale,
Girardin etc. scheinen unter Eiweiss überhaupt nur einen eiweissartigen Körper
zu verstehen, der nach (nicht sorgsamer?) Ausfällung des Caseins in dem Milchserum,
oder besser in den Molken, gelöst bleibt.
Die Zusammensetzung der Gesammtmilch ist veränderlich. Man
untersuchte bis dahin die Abhängigkeit dieser Veränderungen mit: dem
Alter, der Nahrung, der Constitution, der Haarfarbe, den Gemüthszustän-
den der Mutter, ferner, ob die letztere während der Milchabsonderung
schwanger, oder seit wann sie niedergekommen, ob sie menstrualfähig,
menstruirt oder nicht menstruirt, ob sie eine Erst- oder Mehrgebärende,
wie entwickelt die Brustdrüse sei; endlich untersuchte man die Milch
je nach der verschieden langen Aufenthaltszeit in der Brustdrüse, und ob
die in verschiedenen Orten des Brustdrüsenraumes enthaltene anders zu-
sammengesetzt sei. Diese zum Theil sonderbaren Fragstellungen sind
begreiflich nicht von wissenschaftlichen Bedürfnissen, sondern eingegeben
durch das Vorurtheil der Pariser Familien gegen gewisse Arten von
Ammen. Ziehen wir zuerst die Milch in Betracht, welche nach der Ge-
burt gebildet wird, so erfahren wir aus den vorliegenden Untersuchungen
a) Die aufgeschwemmten Bestandtheile der Milch bestehen in den
ersten Tagen vorzugsweise aus Colostrum-, später aus Milchkügelchen
[291]Brustdrüse; Milch, Casein
(Donné, Doutrepont); die Colostrumkügelchen kehren mehr oder
weniger zahlreich wieder, wenn sich fieberhafte Zustände des ganzen
Körpers einstellen.
b) Der Käsegehalt der Milch schwankte zwischen 1,0 und 7,09 pCt.
Nach Vernois und Becquerel liegt er im Mittel bei 3,92 pCt. — Variabel
wurde er gefunden mit dem Alter der Säugenden, insofern bei 15- bis 20 jäh-
rigen die Milch durchschnittlich 5,5 pCt., also mehr als das Mittel, enthielt,
jenseits dieses Termins zeigt sich keine Beziehung zwischen dem Alter und
dem Caseingehalt (Becquerel und Vernois). — Ueber den Einfluss der
Nahrung widersprechen sich die Angaben von Dumas, Simon, Bec-
querel und Vernois. Die drei letzten Beobachter läugnen für den
Menschen ein Abhängigkeitsverhältniss; der erstere behauptet, es sei nach
Fleischkost eine Vermehrung (bei Hunden) eingetreten. — Constitution.
Nach Becquerel und Vernois sollen blonde oder rothhaarige Frauen
mit weisser Haut und schlaffer Muskulatur (schwache Constitution) eine
Milch mit 3,9 pCt. Casein und Frauen mit dunklem Haar, brauner Haut
und lebhaftem Temperament (starke Constitution) eine solche von 2,9
pCt. Casein liefern. — Frauen, die bei sonst gleich kräftigem Aussehen
blondhaarig sind, sollen Milch mit 1,61 pCt. liefern, dunkelhaarige da-
gegen 2,56 pCt. L’heritier, Becquerel und Vernois fanden die-
ses nicht bestätigt. — In den ersten 14 Tagen nach dem Gebärakt soll
die Milch etwas weniger Casein enthalten, als später (Simon). Hier-
gegen erheben sich die Beobachtungen von Griffith, Vernois und
Becquerel. — Wird die Frau während der Milchabsonderung geschwän-
gert, so nimmt der Käsegehalt um etwa 0,5 pCt. gegen den frühern ab
(Becquerel und Vernois). — Die Wiederkehr der Menstrualperiode
hat keinen oder einen gering steigernden Einfluss in den Zeiten, in wel-
chen sie nicht gerade eingetreten ist; während der bestehenden Men-
strualblutung ist dagegen der Caseingehalt immer verändert, aber bald
in auf- und bald in absteigender Linie. — Wird die Brustdrüse in rasch
aufeinanderfolgenden Zeitabschnitten entleert, so ist die Milch, die sie
liefert, reicher an Casein, als wenn sie lange Zeit in der Brustdrüse ver-
weilte (Peligot, L’heritier). Eine Frau, welche während mehrmali-
ger Entleerung des Tags über eine Milch mit 1,4 pCt. gegeben hatte,
lieferte, als 40 Stunden lang der Brustdrüseninhalt zurückgehalten war,
eine Flüssigkeit mit 0,2 pCt. — Sind mindestens 4 Stunden verflossen
seit der letzten Entleerung, und theilt man die darauf entleerte Milch in
mehrere Portionen, so enthält die zuerst aufgefangene etwas weniger Ca-
sein, als die letzte (Reiset, Peligot, Becquerel und Vernois).
Die letzteren Autoren fanden am Menschen den Unterschied zu etwa 0,2
pCt. — Stark entwickelte Brustdrüsen liefern im Durchschnitt eine Milch
mit 0,3 pCt. mehr Casein, als schwach ausgebildete. — Wenn die mitt-
19*
[292]Brustdrüse; Milch, Buttergehalt.
lere tägliche Absonderung reichlich und leicht von statten geht, so ist
die Milch um etwa 0,4 pCt. reicher an Casein, als wenn das Gegentheil
statt findet. — Die Milch, welche während der Nacht abgesondert wird,
soll mehr Casein halten, als die Tagesmilch (Plaifayr). Dieses be-
streitet Gorup.
c) Der Buttergehalt beläuft sich im Mittel auf 2,66 pCt.; sein Mini-
mum wurde zu 0,6, sein Maximum zu 8,9 gefunden. — Mütter zwischen
15 und 20 Jahren haben im Allgemeinen etwas butterreichere Milch, als
ältere (Becquerel und Vernois). — Reichliche Nahrung, gleichgiltig
ob sie aus Fleisch oder Brod besteht, mehrt die Butter und kärgliche
setzt sie herab; die Unterschiede betragen 2 bis 3 pCt. (Dumas,
Simon, Becquerel und Vernois). Die Folge der bessern Nahrung
macht sich schon am ersten Tage nach dem Genuss derselben geltend
(Simon). — Schwache und starke Constitutionen im oben genannten
Sinne zeigten sich einflusslos, blonde Frauen gaben nach L’heritier
eine Milch, die etwa 2 pCt. Butter mehr führen soll, als die Milch dunkel-
haariger Mütter. Vernois und Becquerel läugnen dieses. — In den
ersten 5 Tagen nach dem Gebärakt ist die Milch ärmer an Fett, als in
den folgenden 10 Tagen; der Unterschied liegt in der Nähe von 0,5 pCt.
In den spätern Monaten zeigt sich kein Abhängigkeitsverhältniss zwischen
dem Buttergehalt und der Zeit seit dem Beginn der Absonderung, im
Allgemeinen ist aber der Buttergehalt geringer, als in den ersten 5
Tagen. — Wird die Frau während der bestehenden Milchabsonderung
geschwängert, so wird der Buttergehalt gesteigert; in den untersuchten
Fällen betrug im 3. Schwangerschaftsmonat das Mehr gegen früher 3,0
pCt. — Nicht menstruirte Frauen liefern Milch mit demselben Butter-
gehalt in den Zeiten, die zwischen der Menstrualblutung liegen; während
des Bestehens derselben wird der Buttergehalt bald auf- und bald ab-
steigend alterirt, die positiven Veränderungen stiegen bis zu 4,5 pCt.
(Becquerel und Vernois). — Wird der gleichzeitig vorhandene In-
halt der Brustdrüsen in einzelnen Absätzen entleert, so soll die zuerst
abgezogene Milch ärmer an Fett sein, als die zuletzt gewonnene. Peligot
und Reiset fanden dieses für Säugethiere, Becquerel und Vernois
aber nicht am Menschen bestätigt. — Die am Abend entzogene Milch
ist reicher an Butter, als die Morgenmilch (Gorup). — Eine Frau,
welche durch den plötzlichen Tod ihres Kindes eine lebhafte Gemüths-
erregung erlitt, sonderte plötzlich eine viel butterreichere Milch ab.
d) Die Grenzwerthe des Zuckergehaltes fallen auf 1,2 und 6,0 pCt.;
das Mittel liegt bei 4,3. Im Allgemeinen zeigt der prozentische Gehalt
desselben geringe Veränderungen. Namentlich zeigt sich im Gegensatz
zum Casein und zur Butter kein Unterschied mit dem Alter und der
Nahrung der Frau; besonders hervorzuheben ist hierbei der Umstand,
dass auch bei einer reinen Fleischkost der Zuckergehalt unverändert
[293]Brustdrüse; Milch, Zucker-, Salz-, Wassergehalt.
fortbesteht (Dumas, Bensch). Der Zuckergehalt ist ferner unabhängig
von der wieder eintretenden Schwangerschaft und der Grösse der Brust-
drüsen. — In den ersten 14 Tagen nach dem Gebären ist die Milch
nach Simon zuckerreicher, eine Thatsache, welche Vernois und Bec-
querel nicht bestätigt fanden. — Die Frauen schwacher Constitution
geben im Durchschnitt Milch mit 4,3 pCt. Zucker, diejenigen starker
3,2 pCt. — Die Milch dunkelhaariger Frauen soll 1 pCt. Zucker mehr
führen, als die der blonden (L’heritier). Hiergegen sprechen die
Zahlen von Vernois und Becquerel. — Ob die Frau menstrualfähig
sei oder nicht, ist gleichgiltig; während der fliessenden Regeln ändert
sich der Zuckerwerth auf und ab um je ein Prozent. — Bei absatzwei-
ser Entleerung der Brustdrüsen findet sich in der ersten Portion der
ausgesogenen Flüssigkeit 0,2 pCt. Zucker weniger, als in der zweiten. —
Wenn das tägliche Mittel der ausgeschiedenen Milch grösser wird, so
nimmt der Zuckergehalt zu.
e) Salze. Nach einer von Wildenstein ausgeführten Analyse
der menschlichen Milchasche besteht dieselbe in 100 Theilen aus: Na
= 4,2; Ka = 31,6; CaO = 18,8; MgO = 0,9; Fe2O3 = 0,1; Cl =
19,1; PO5 = 19,1; SO3 = 2,6 und einer Spur von Kieselsäure. Eine
ähnliche Zusammensetzung trägt nach R. Weber*) und Haidlen auch
die Milchasche der Kuh, so dass namentlich der grosse Gehalt an Kalium
im Gegensatz zum Natrium eine constanter zu sein scheint. — Kohlen-
säure, welche in der obigen Analyse fehlt und wahrscheinlich durch die
während der Verbrennung entstandene SO3 ausgetrieben wurde, ist in
der frischen Milch vorhanden (Lehmann), und zwar kann sie, ähnlich
wie im Blut, theilweise durch Aenderung des Drucks und theils durch
stärkere Säuren abgeschieden werden. — Der mittlere Gehalt der Milch an
Asche variirt zwischen 0,05 und 0,3 pCt., so dass sie ungefähr 2 pCt. des
trockenen Milchrückstandes ausmacht. Die Abhängigkeit der Verände-
rungen von den früher aufgezählten Bedingungen ist noch nicht genügend
festgestellt, oder es verdienen wenigstens die mitgetheilten Zahlen noch
geringes Zutrauen.
f) Wassergehalt. Er schwankt zwischen 80,9 und 94,8 pCt. Das
Mittel fällt auf 88,9 pCt. — Die vorliegenden Mittheilungen lassen schon
erkennen, dass der Wassergehalt der Milch unter das Mittel fällt bei
Frauen zwischen 15 und 20 Jahren, bei schwacher Constitution, in den
ersten Tagen nach der Gebärakt, bei eingetretener Schwangerschaft, bei
braunhaarigen Frauen (?), bei sehr guter Nahrung, bei reichlicher Milch-
absonderung, und dass er umgekehrt unter das Mittel fällt bei starker
Constitution, bei Blondhaarigen (?), schlechter Nahrung, beschränkter
[294]Brustdrüse; Gesammtmilch.
Milchabsonderung, und dass er während der ausfliessenden Regeln bald
über und bald unter den Mittelwerth geht.
Feste Beziehungen im prozentischen Gehalt zwischen den einzelnen
Bestandtheilen der Milch sind noch nicht aufgefunden, was Vernois
und Becquerel dadurch ausdrücken, dass sie die von ihnen untersuch-
ten Ammen in Käs- und Butterammen eintheilen.
Die Zusammensetzung der mittlern Frauenmilch in 100 Theilen
würde sich nach Vernois und Becquerel folgendermaassen ausneh-
men: Wasser = 88,91; Zucker = 4,36; Käse und Extrakte = 3,92;
Butter = 2,67; Asche = 0,14. Nach Scherer und Clemm aber:
Wasser = 89,10; Zucker und Extrakte = 3,85; Käse 3,37; Butter =
3,71; Asche = 0,17.
Um zu bestimmen, ob die Milch, welche kranke Säuglinge genossen, an dem
Uebel dieser letzteren schuldig oder unschuldig sei, analysirten Becquerel und Ver-
nois die betreffende Milch und fanden eben so häufig Abweichungen von dem Mittel,
als ein Bestehen desselben. Daraus wird es allerdings wahrscheinlich, dass etwas
mehr oder weniger des einen oder andern Bestandtheils nicht die Ursache des Lei-
dens der Säuglinge war. Viel eher dürften die nicht untersuchten und bis dahin
auch nicht untersuchbaren qualitativen Unterschiede der einzelnen Bestandtheile an-
zuklagen sein.
Die Milch *), oder besser gesagt der Drüsensaft, welcher während
der Schwangerschaft, also vor der Geburt, abgesondert wird, muss den
Angaben von Lassaigne, Simon, Clemm und v. Bueren zufolge im
Ansehen und der Zusammensetzung in verschiedenen Fällen sich sehr ab-
weichend verhalten. Wir wiederholen hier zuerst den Inhalt der Beob-
achtungen von Scherer und Clemm und lassen die abweichenden
Angaben folgen. Nach diesen ist die aus der menschlichen Brustdrüse
gewonnene Flüssigkeit von seifenwasserartigem oder gelblichem Ansehen,
zuweilen mit Blutstreifen durchzogen, klebrig, reagirt fast neutral und
wird beim Stehen an freier Luft bald sauer. Das Mikroskop wies Colo-
strumkügelchen und Fetttropfen, zuweilen veränderte Epithelialzellen nach.
Casein fehlt, seine Stelle wurde durch Eiweiss vertreten. Die Zerlegung
ergab bei derselben Schwangern:
[295]Brustdrüse; Drüsensaft der Schwangern.
Am zweiten Tage nach der Geburt war erst das Eiweiss verschwun-
den und der Saft hatte die Eigenschaften der Milch angenommen. Eine
Vergleichung der einzelnen Tage lehrt, dass bis zur Geburt, den letzten
wegen der Nahrung nicht mehr vergleichbaren Tag ausgenommen, die
Butter im Abnehmen und das Eiweiss im Steigen begriffen war; Zucker,
Salze und Wasser variirten dagegen wenig, oder mindestens ohne Re-
gel. — Van Bueren fand den Drüsensaft stark alkalisch, gelblich,
eiweissfrei und dafür casein- und stark fetthaltig und neben den Colo-
strumkügelchen mit feinkörnigem Fett erfüllte Epithelialzellen. — Simon,
welcher den Drüsensaft der Eselinnen untersuchte, erhielt 14 und 8 Tage
vor der Geburt eine Flüssigkeit, welche Albumin, Casein, Butter und
nur Spuren von Zucker enthielt. — Die Säfte des Kuheuters schliessen
sich nach den Beobachtungen von Lassaigne, Moleschott und
Clemm an die der menschlichen Brustdrüsen, insofern sie nur Ei-
weiss und kein Casein führen, dagegen waren sie sehr rahmhaltig.
Alle Neugeborenen *), männliche und weibliche, sondern aus der Brustdrüse
einige Tage nach der Geburt einen Saft, die Hexenmilch, ab; sie enthält nach
Schlossberger und Guillot Milchkügelchen und nach Donnè auch Colostrumkör-
perchen. Schlossberger, der ein solches Produkt analysirte, fand in 100 Theilen
Wasser = 96,75; Fett = 0,82; Casein, Extrakte und Zucker = 2,38; Asche =
0,5. Sie verhält sich nach diesem Analytiker wie gewässerte Milch.
Bei erwachsenen Männern **) und männlichen Säugethieren stellt sich in sehr sel-
tenen Fällen ohne nachweisbare Ursachen Milchabsonderung ein. Schlossberger
zerlegte die Milch eines Bockes; diese war um einige Prozent reicher an Casein und
um mehr ärmer an Milchzucker und Butter, als es die Ziegenmilch nach den vorlie-
geuden Untersuchungen von Chevalier, Clemm und Henry ist.
3. Die Absonderungsgeschwindigkeit der einzelnen Milchstoffe ist
unabhängig von einander, wie sie sich aus der relativen Zusammen-
setzung der Milch ergiebt; über die Bedingungen ihrer Beschleuni-
gung ist uns aber noch gar nichts bekannt. Die Absonderungsgeschwin-
digkeit im Ganzen steht in nachweislicher Beziehung zur Häufigkeit der
Entleerung. Daraus leiten wir ab, dass die Milch verschwindet, wenn
sie gar nicht mehr entleert wird, dass die mittlere tägliche Menge zu-
nimmt mit dem steigenden Alter, resp. der wachsenden Saugkraft des Kindes.
Ob das Saugen aber allein durch die Entleerung der Drüsen wirkt, muss
dahin gestellt bleiben, wenn es richtig ist, dass man durch dasselbe eine
monatelang unterdrückte Absonderung wieder hergestellt hatte (Gub-
ler) ***). — Nach Bestimmungen mit einer Saugpumpe schätzt Lam-
perièrre†) die tägliche mittlere Milchmenge aus beiden Brüsten auf
1350 Gr.
[296]Brustdrüse; Milchbereitung.
4. Milchbereitung. Ueber die Formfolge *) bei der Entwickelung
der Milchkügelchen ist uns Einiges durch Henle, Nasse, Will,
H. Meyer, van Bueren und Reinhardt bekannt geworden. Macht
man die Voraussetzung, dass die Bildung aller geformten Massen nur
von der Drüsenwand ausgeht, so ist als feststehend anzusehen, dass die
Colostrumkörperchen aus dem umgewandelten Inhalt der Deckzel-
len des Drüsenbläschens hervorgehen. Denn an der strukturlosen Wand
derselben liegen zur Zeit der Colostrumabscheidung zunächst kleine Zel-
len an, welche nach der Terminologie der Cysoblastenhypothese als
Kerne bezeichnet werden; auf diesen ruhen grössere kernhaltige Zellen
auf, deren Binnenraum zum Theil mit durchsichtigen, zum Theil mit
Fetttröpfchen gefüllt ist; diese letzteren sind in eine körnige Zwischen-
substanz eingebettet und um den Kern herum gruppirt. Noch weiter
gegen das Centrum des Drüsenbläschens liegen Häufchen von Fetttröpf-
chen, welche, zusammengehalten durch eine körnige Zwischensubstanz
und von keiner gemeinsamen Zellenhaut mehr umgeben, ganz das An-
sehen der Colostrumkörperchen tragen. Zuweilen soll sich in der Mitte
eines solchen Häufchens noch ein Gebilde mit den optischen Eigenschaften
des Zellenkerns vorfinden; in den grösseren Gängen endlich, wohin die
Drüsenbläschen ihren Inhalt entleert haben, sind die Häufchen zerfallen,
und es liegen die einzelnen Fetttröpfchen oder Milchkügelchen frei in
der Flüssigkeit. Diese Reihenfolge von Formen findet sich aber nur zur
Zeit der Colostrumabsonderung und in den Brüsten der Neugeborenen,
keineswegs aber in der milchgebenden Frauenbrust (Reinhardt) **),
so dass es daraus wahrscheinlich wird, es möchten die Milchkügelchen
auch noch unter einer andern Formfolge entstehen.
Eine Vergleichung der Blut- und Milchstoffe zeigt sogleich, dass der
Milchzucker in der Drüse entstanden sein muss, weil er selbst dann
noch in der Milch und zwar reichlich beobachtet wird, wenn sich die
Säugenden jeder Art von Zucker und Mehlnahrung enthalten, und weil auch
in den an andern Orten des Thierleibes (Leber, Muskeln) bereiteten Zucker-
arten kein Milchzucker vorhanden ist. — Ob das Casein und die Fette aus
dem Blut abgesetzt oder in den Drüsen entstanden sind, muss einstwei-
len dahin gestellt bleiben. Geschähe das erstere, so würden in der
Drüse jedenfalls auch noch andere chemische Produkte bei der Um-
setzung der Blutbestandtheile in Fette u. s. w. abfallen, die dann in das
Blut zurückkehrten. — Für einen innigeren Zusammenhang zwischen der
Fettbildung im Gesammtkörper und der Butterausscheidung spricht die
den Landwirthen bekannte Thatsache, dass Kühe, welche eine butter-
[297]Brustdrüse; Ernährung derselben.
reiche Milch liefern, trotz guten Futters mager bleiben, und umgekehrt,
dass sie bei eintretender Mästung mager bleibt.
5. Die Ausstossung der Milch kann geschehen durch die Kräfte,
welche sie in die Gänge treiben, und sie kann beschleunigt werden durch
die Muskeln, welche in der Haut und dem Bindegewebe der Brustdrüse
liegen. Meist geschieht dieses aber nicht, so dass nur durch Aussaugen
die Entleerung zu Stande kommt.
6. Die Milchdrüse des Neugeborenen ist aus mehreren flaschenför-
migen Höhlen zusammengesetzt, die sich nach aussen auf die Brustwarze
öffnen; die einzelnen Flaschen entsprechen den späteren grösseren Aus-
führungsgängen. Bis zur eintretenden Pubertät gehen beim weiblichen
Geschlecht aus den blinden Enden allmählig die ersten Anlagen der
Drüsenbläschen hervor, die während der eingetretenen Pubertät, nament-
lich aber zur Zeit der ersten Schwangerschaft, ihre volle Ausbildung er-
langen. Nach dem Schluss der Menstruationsfähigkeit schwinden die
Drüsenbläschen wieder, so dass in dem höheren Alter an ihre Stelle
ein fetthaltiges Bindegewebe getreten ist (Langer). Die Ausbildung der
Drüse und der andern weiblichen Geschlechtswerkzeuge muss aber be-
kanntlich nicht nothwendig gleichläufig sein, da Mütter mit mangelhaft
entwickelten Brustdrüsen gerade nicht zu den Seltenheiten zählen.
Luftabsondernde Werkzeuge; Athmungsflächen.
Einleitung.
Zu diesen Werkzeugen sind zu zählen alle von Blut durchzogenen
Flächen unseres Körpers, welche von einer Luftschicht von veränder-
licher Zusammensetzung bedeckt ist. Wegen der allgemein giltigen Be-
ziehungen zwischen gashaltigen oder leicht verdampfenden Flüssigkeiten
und freien Gasarten, muss an allen Orten der bezeichneten Einrichtung
sich eine Luftströmung einstellen, so wie irgend welche Ungleichheit
zwischen dem Gas des Bluts und der deckenden Luft besteht. Die Strö-
mungen, welche hierbei zum Vorschein kommen, sind entweder einfache
Gasbewegungen in Folge des ungleichen Druckes, welcher zwischen ver-
schiedenen Schichten einer und derselben Luftart besteht, oder sie sind
von Veränderungen des Aggregatzustandes begleitet: Absorptionen und
Verdampfungen.
Die Gase, welche sich im normalen thierischen Leben an den bezeich-
neten Luftströmungen, die man im weitesten Wortsinn Athmungen nennt,
betheiligen, sind Sauerstoff, Kohlensäure, Stickstoff, Wasserdampf und in
sehr geringen Mengen Wasserstoff und Ammoniakdampf. Erinnert man sich
der Thatsache *), dass das Blut reich an CO2 und arm an O ist, und
dass die uns umgebende Atmosphäre sich gerade im umgekehrten Falle
befindet, so folgt daraus, dass ein Kohlensäurestrom vom Blut zur
[298]Athmungsflächen; Einleitung, Luftkreis.
Luft und ein Sauerstoffstrom in der umgekehrten Richtung geht, und
zieht man die gemeine Erfahrung in Betracht, dass die das Blut umge-
bende Luft nicht mit Wasserdampf gesättigt ist, so sieht man sogleich
den letztern aus dem Blute aufsteigen. Nächstdem ist es Thatsache der
genaueren Beobachtung, dass dem Stickgas eine Bewegung nicht gänzlich
fehle, aber dass sie, wenn sie vorhanden, ebensowohl nach der einen
als andern Richtung gehen kann.
Diese Luftströmungen von und zu dem Blut bestehen nun während
der ganzen Lebensdauer; daraus entspringt die Forderung einer stetigen
Ungleichheit zwischen den Gasarten des einen und andern Raumes; in
der That sind auch Mittel genug vorhanden, um eine volle Ausgleichung
während des Lebens unmöglich zu machen; dahin zählen: die ungeheure
Ausdehnung der irdischen Luft und die stetige Reinigung derselben von CO2
und Wasserdampf, die stets fortgehende Entstehung von CO2 in den thie-
rischen Geweben aus dem C der Nahrungsmittel und dem O der Luft,
der wiederkehrende Genuss von Wasser, der Unterschied der Temperatur
und der Wechsel von Luft und Blut in und auf den Athmungsflächen.
Da diese Bedingungen für die Beschleunigung der Luftströmung
allen verschiedenen Athmungs- oder Respirationswerkzeugen gleichmäs-
sig zu Gute kommen, so werden wir hier sogleich im Allgemeinen auf
sie eingehen.
Der Luftkreis.
Bis zu einer endlichen, wenn auch nicht gemessenen Höhe, wird
der Raum um unsere Erde, wie bekannt, ausgefüllt durch ein Gemenge
permanenter und compressibeler Gasarten, unter denen für unsern Zweck
N, O, CO2, HOgas zu nennen sind. Diese Gasarten äussern nun unter den
Bedingungen ihres Aufenthaltes in der Atmosphäre keine Verwandtschaft
zu einander, und somit üben sie auch keinen gegenseitigen Druck aus *);
man könnte sagen, jeder einzelnen Gasart sei die Gegenwart der andern
vollkommen gleichgiltig. Wir würden also in der Luft mehrere vollständig
von einander unabhängige Atmosphären zu betrachten haben. Des man-
nigfach Uebereinstimmenden wegen behandeln wir aber die Luftkreise
von Stick- und Sauerstoff gemeinsam, die von CO2 und Wasserdampf
dagegen gesondert.
1. Stickstoff- und Sauerstoffatmosphäre. Die aus diesen beiden Luft-
arten gebildeten Atmosphären können gemeinsam betrachtet werden, weil sie
sich in ihren gegenseitigen quantitativen Verhältnissen kaum ändern. Der
Sauerstoffgehalt der Luft ist allerdings nach Regnault**) und Bunsen
veränderlich; aber die Schwankungen seines prozentischen Werthes sind
für unsere Bedürfnisse nicht in Anschlag zu bringen; sie liegen zwischen 21,0
[299]Athmungsflächen; Luftkreis.
und 20,9. — Interessant ist dagegen eine qualitative Veränderung, die
der atmosphärische Sauerstoff erleidet; indem er sich in das von Schön-
bein*) entdeckte Ozon umwandelt. Die absolute Menge des Ozon, welche in
der Luft vorkommt, ist nun allerdings so gering, dass an eine quantitative
Bestimmung desselben nicht gedacht werden kann; immerhin aber kann
eine Schätzung des relativen Gehaltes in der Atmosphäre geschehen durch
ein mit Jodkalium getränktes Stärkepapierchen. Je tiefer sich dieses der
freien Luft ausgesetzte Probepapierchen in der Zeiteinheit färbt, um so
reicher ist die Luft an Ozon. Nach Beobachtungen, welche auf den Stern-
warten von Bern, Kremsmünster und Krakau durch Wolff, Relshuber
und Karlinski unternommen sind, ist man über den relativen Ozon-
gehalt der Luft zu folgenden Sätzen gelangt. — Bei östlichen Winden
ist er kleiner, als bei westlichen; im Winter ist er bei östlichen Winden
grösser, als im Sommer; umgekehrt verhält es sich mit westlichen Win-
den, die im Sommer mehr Ozon erzeugen, als im Winter. Bei hohem
Barometerstand ist der Ozongehalt kleiner, als bei niederm, bei hoher
Temperatur kleiner, als bei tiefer; an feuchten und trüben Tagen grösser,
als an trockenen und heitern; bei Regenwolken grösser, als bei Cirrus
und Cirrocumulus; in der Nacht höher, als bei Tag. Während Schnee-
falls erreicht er sein Maximum. Aus diesen Thatsachen schliesst Rels-
huber, dass mit der wachsenden (relativen) Dichtigkeit der atmosphä-
rischen Dunsttheilchen der Ozongehalt im Steigen begriffen sei.
Die Stick- und Sauerstoffantheile der Gesammtluft machen den
grössten Theil derselben aus und überwiegen namentlich die andern per-
manenten Gase des Luftraums in einem solchen Grade, dass man die
Stick-, Sauerstoff- und die trockene Atmosphäre für gleichbedeutend er-
klären kann. Unter dieser letztern versteht man aber den Theil der
Luft, welcher übrig bleibt, wenn man von der Gesammtluft den in ihr
enthaltenen Wasserdampf abgezogen hat.
Die trockene Atmosphäre erfährt in ihrer Temperatur- und Massen-
vertheilung mit Zeit und Ort mancherlei Veränderungen, die beide für
uns nicht ohne alle Bedeutung sind. Da wir aber die Temperaturver-
hältnisse der gemässigten Zone nach ihren wesentlichen Charakteren
als bekannt voraussetzen können, so gehen wir nur auf die Veränderun-
gen der trocknen Luft ein, welche das Barometer sichtbar macht.
Der Barometerdruck der gemässigten Zone ist veränderlich **): 1) mit den Tages-
zeiten (täglicher Sonnengang). Dove zeigte, dass sich der Druck der trockenen At-
mosphäre zwischen einem täglichen Maximum und Minimum bewegt, dessen Eintritt
vom Gang der Sonne abhängig ist. Das Minimum erscheint in Folge der Erwärmung
(Ausdehnung und seitlichen Abströmen), das Maximum in Folge der Abkühlung (Ver-
[300]Athmungsflächen; Luftkreis.
dichtung und seitlichen Zuströmen) der Luft. Der Werth des Unterschiedes ist mit
der Breite, den Jahreszeiten u. s. w. verschieden; da er in der gemässigten Zone
höchstens nur wenige Zehentheile einer Linie beträgt, so gehen wir nicht weiter
auf ihn ein. 2) Mit den Jahreszeiten (jährlicher Sonnengang); im Sommer ist der
mittlere Barometerstand etwas niederer als im Winter, entsprechend den Wärme-
unterschieden und den daraus folgenden Verdichtungen und Verdünnungen der Luft.
In unserem Klima fällt das Maximum auf den Januar, das Minimum auf den August.
Der Unterschied beträgt etwa 3 MM. — 3) Mit den Winden (Temperaturunterschiede
des Erdballs); diese Schwankungen sind bei uns weitaus die bedeutendsten, Südwest
bringt den niedrigsten, Nord den höchsten Barometerstand. Da die Temperatur- und
Windbewegungen im Winter viel unruhiger als im Sommer sind, so kommen dort
auch die grössten Schwankungen des Barometerstandes vor; in unseren Gegenden
geht der Unterschied höchsten und niedrigsten Standes im Winter bis zu 29 MM.,
im Sommer aber nur bis zu 13 MM. 4) Endlich ist der Druck variabel mit der senk-
rechten Höhe des Beobachtungsortes über dem Meeresspiegel; wir brauchen nur an
das bekannte Faktum zu erinnern, dass mit dem Aufsteigen der Druck in einer geo-
metrischen Proportion abnimmt.
2. Kohlensäure *). Der geringe Gehalt des Luftraums an Kohlen-
säure soll nach Saussure Schwankungen unterworfen sein; so soll ins-
besondere auf hohen Berggipfeln, in der Nacht, über gefrorenem Boden
mehr CO2 vorkommen, als in der Ebene, bei Tag und über feuchtem
Boden. Boussingault bestreitet den Unterschied in der Tag- und
Nachtluft. Eine Bestimmung der CO2 in den bevölkertsten Strassen
von Paris, in welchem täglich ungefähr 3 Millionen Cubikmeter CO2 ent-
wickelt werden, gab für 100 Theile Luft im Mittel = 0,032 pCt. und
gleichzeitige Beobachtungen auf dem Lande 0,030 pCt., also keinen Un-
terschied. Die Grenzen, in welche Saussure und Boussingault
den prozentischen Gehalt eingeschlossen fanden, liegen zwischen 0,03
und 0,05.
3. Wasserdampf. Der in der Atmosphäre zerstreute Wasserdampf
muss den Forderungen der Theorie gemäss mit Zeit und Ort sehr be-
trächtlich wechseln, theils wegen der ungleichen Vertheilung des Wassers
über der Erdoberfläche, aus welcher der Wasserdunst seinen Ursprung
nimmt, theils auch wegen der veränderlichen Temperatur, welche das
Fassungsvermögen des Luftraums für den Wasserdunst bestimmt. Das
erstere ist an und für sich klar, wir wenden uns also sogleich zur Ab-
hängigkeit der Dunstmenge von der Wärme.
Der Wasserdampf kann wie alle Gasarten durch einen Druck, welcher die Theil-
chen desselben zusammenpresst, zu einer Flüssigkeit verdichtet werden, und der Druck,
der hierzu nöthig ist, muss grösser und grösser werden, wenn die Temperatur des
Dampfs ansteigt. Dasselbe kann man auch etwas anders so aussprechen, dass die
Dichtigkeit des Wasserdunstes (die Zahl seiner Theilchen in der Raumeinheit) um
so grösser werden könne, je wärmer derselbe sei. Weil aber mit der Dichtigkeit
des Wasserdampfes auch die abstossenden Kräfte zunehmen, welche zwischen seinen
Theilchen wirksam sind, und damit die Drücke steigen, welche er auf seine feste
[301]Athmungsflächen; Luftkreis.
oder flüssige Umgebung auszuüben vermag, so drückt man die vorgeführte Erfahrung
gemeiniglich dahin aus, dass die Spannkräfte (Tensionen) des Wasserdampfs durch
die Wärme vermehrt werden. Zieht man nun den andern bekannten Satz zu
Hilfe, dass von mehreren in einem beliebigen Raume zerstreuten Gasarten nur
die gleichartigen Theilchen einen Druck auf einander ausüben, so kommt man
sogleich zu der Ableitung, dass mit der Temperatur (oder den Spannkräften), die in
der Raumeinheit enthaltene Dampfmenge (die Dichtigkeit des Dampfs) steigen müsse.
Denn in dem Luftraum sind ja keine andern zusammenpressenden Kräfte zur Um-
wandelung des Dampfs in Wasser vorhanden, als diejenigen, welche durch die an-
wesenden Wasserdünste eingeführt wurden.
Demnach würde man mit Hilfe der in den Lehrbüchern der Physik
gegebenen Spannungstabellen des Wasserdampfs *) für jede beliebige
Temperatur der Luft den Dampfgehalt der letztern anzugeben im Stande
sein, wenn in der That die Luft immer mit Wasser gesättigt wäre.
Dieses ist aber nicht der Fall, theils weil die Verdunstung des Wassers
langsam vor sich geht, und theils weil Winde häufig die feuchte Luft
wegführen (z. B. in die höhern Regionen) und durch trockene ersetzen.
Aus diesem Grunde müssen wir auch rücksichtlich des Dampfgehaltes der
Luft unterscheiden die absolute und die relative Dampfmenge. Unter
der letztern verstehen wir nemlich das Verhältniss zwischen dem wirklich
vorhandenen Dunst und demjenigen, welchen die Luft bei der gegebenen
Temperatur zu fassen vermöchte.
a) Die absolute Menge des atmosphärischen Wasserdampfs wechselt mit der
Meeresnähe, der Bodenerhebung, der Tages- und Jahreszeit und den Winden. 1) Am
Meeresufer steigt dieselbe von der kältesten Stunde des Tags allmählig bis zu der
wärmsten Stunde und senkt sich von da an wieder ab (Dove). — 2) Im ebenen
Binnenland steigt sie dagegen von Sonnenaufgang an bis gegen Mittag, dann nimmt
sie bis zum Abend hin ab, steigt abermals im Beginn der Nacht und sinkt dann bis
zu Sonnenaufgang. Der Grund der Verschiedenheit beider Lokalitäten ist darin zu
suchen, dass, wenn am Mittag die erwärmten untern Luftschichten aufsteigen, in
der Meeresnähe die weggehenden feuchten Luftmassen ersetzt werden durch andere
feuchte, welche vom Meere her eindringen, während in den Binnenländern statt ihrer
trockene Luft eingeschoben wird. Darum kann am Nachmittag der Wasserdampf erst
wieder zunehmen, wenn der aufsteigende Luftstrom an Mächtigkeit verloren hat. —
3) Auf hohen Bergen fehlt darum ebenfalls wieder das Sinken um Mittag, weil zu
dieser Zeit der aufsteigende Strom die Feuchtigkeit aus der Ebene emporführt
(Kämtz, Saussure). — 4) Im Juli ist die mittlere tägliche Dampfmenge während
des Jahres am höchsten, im Januar am niedrigsten. Dieser Unterschied ist in der
Nähe der Küsten hervortretender, als im Innern der Continente. — 5) Bei Ostwinden
im Winter ist die Dampfmenge am niedrigsten, bei Südwestwinden im Sommer am
höchsten. Die Unterschiede, die der Nord- und Südwestwind herbeiführen, sind im
Winter weniger bedeutend gefunden worden, als im Sommer (Daniell).
b) Die relative Menge des Dampfs. 1) Das stündliche Mittel der relativen
Menge des Wasserdampfs in der Ebene ist Mittags am geringsten, bei Sonnenaufgang
am grössten; diese Unterschiede treten weniger im Winter als im Sommer hervor. —
2) Die relative Dunstmenge ist auf hohen Bergen meist geringer als in der Ebene
(Kämtz). — 3) Im Juli und August ist die Luft relativ trockener, als im Ja-
[302]Athmungsflächen; Luftkreis.
nuar. — 4) Bei Nord- und bei allen Ostwinden (Süd- bis Nordost) ist die relative
Feuchtigkeit geringer, als bei Süd- und Westwinden.
Vergleicht man die absolute und relative Luftfeuchtigkeit, so findet man sogleich,
dass die Luft relativ um so trockner ist, je mehr Wassergas (nach absolutem Maass
gemessen) sie enthält. Diese Bemerkung wird uns mehrfach von Wichtigkeit sein. —
Beispielsweise geben wir noch einige Tabellen, welche dem Werke von Kämtz entuom-
men sind; in ihnen ist der prozentische Wassergehalt der Luft durch eine nach MM.
gemessene Quecksilbersäule, also durch die Spannung ausgedrückt, die der in ihr ent-
haltene Wasserdunst ausübt. Um aus dieser Angabe das Gewicht des Wasserdampfs
zu finden, welcher in der Raumeinheit Luft enthalten ist, dienen die an vielen Orten
mitgetheilten Feuchtigkeitstabellen *). Die relative ist in Prozenten derjenigen Dampf-
menge gegeben, welche in der Luft bei der bestehenden Temperatur hätte enthalten
sein können.
I. Tabelle.
II. Tabelle. Beobachtungsort Halle.
III. Tabelle. Beobachtungsort London.
4. Der Einfluss, den diese Veränderungen auf die Athmungen im
Allgemeinen üben, gestaltet sich folgendermaassen. — a) Den Druck-
schwankungen der trockenen Atmosphäre entsprechend, wird die Dich-
tigkeit des im Blut diffundirten Sauerstoff- und Stickstoffgases sich meh-
ren oder mindern, nach dem bekannten Grundsatz der Diffusionslehre,
dass sich die Dichtigkeit eines in einer Flüssigkeit aufgelösten Gases
ausgleicht mit derjenigen des gleichartigen Gases, welches über der Flüs-
sigkeit steht. Wir verfehlen nicht, hier noch einmal darauf aufmerksam
zu machen, dass jedoch keineswegs das in das Blut verbreitete Ogas
oder Ngas dichter wird, wenn der Barometerstand bei sonst gleichblei-
benden Verhältnissen nur steigt durch eine Vermehrung des atmosphä-
rischen Wassergehaltes. — b) Da in der freien Luft die CO2 nur un-
wesentliche Veränderungen erfährt, so wird die Dichtigkeit der im
Blut diffundirten CO2 sich in Folge der atmosphärischen nicht wesent-
lich ändern. Da nun aber unzweifelhaft ein grosser Theil der CO2,
welche aus dem Blute unter dem Einfluss physikalischer Hilfsmittel aus-
treten kann, nicht diffundirt, sondern in irgend welcher andern Form
vorhanden ist, so ist es wenigstens denkbar, dass der Barometerdruck
der Gesammtluft von Bedeutung ist für die Geschwindigkeit, mit der
diese CO2 verdunstet. Wäre sie z. B. in einer flüssigen Verbindung vor-
handen, so würden auf ihren Uebergang in den Gaszustand ganz dieselben
Grundsätze anzuwenden sein, welche für das Wasser gelten. — c) Der
Wasserdampfgehalt, die Temperatur und die Gesammtspannung (Baro-
meterstand) der Atmosphäre werden sich sämmtlich geltend machen für
die Verdunstung des Wassers. Was zunächst den Dampfgehalt der At-
mosphäre anlangt, so ist seine Bedeutung für den Wasserverlust bei der
Athmung verschieden, je nachdem die Luft, in welcher die Verdunstung
geschieht, bei der Athmung auf die Normaltemperatur des menschlichen
Körpers gebracht wird, oder ob sie diejenige der Atmosphäre behält.
Im ersten Fall, der sich z. B. mit der in die Lungen aufgenommenen Luft
ereignet, wird um so mehr verdunsten können, je geringer der absolute
Wassergehalt der eingenommenen Luft ist, also ceteris paribus am meisten
im Winter, bei Sonnenaufgang, auf hohen Bergen, bei Nordostwind. Die-
ses bedarf kaum einer Erläuterung; da die Luft in der Lunge auf etwa
36° C. erwärmt und nahezu für diese Temperatur mit Wasserdampf ge-
sättigt wird, so muss die trockene Luft mehr Wasser ausführen, als die
feuchte. — Gerade umgekehrt verhält sich dagegen der Wasserverlust
beim Hautathmen; dieser wird um so bedeutender sein, je grösser die
Capazität der umgebenden Luft für Wasserdampf ist und je entfernter
diese Luft von ihrem Sättigungspunkt steht (bei niedrigem relativen
Dampfgehalt). Da sich nun beide Zustände erfahrungsgemäss zur Mit-
tagszeit und im hohen Sommer ereignen, während im Winter die Luft
fast vollkommen mit Wasserdampf gesättigt ist, so finden sich die Ver-
[304]Athmungsflächen; Atmosphäre des Blutes.
dunstungsgeschwindigkeiten von Lunge und Haut in einem zeitlichen Gegen-
satz. — Der Barometerstand, selbst wenn er auch durch eine Veränderung
eines Druckes der trockenen Atmosphäre bei gleichbleibender Spannung
des Wasserdampfes gesteigert oder erniedrigt wird, übt immer einen
Einfluss auf die Verdunstung. Denn es drückt auf das Wasser als
solches jede Luftart, und dieser bestimmt, wie wir wissen, die Ge-
schwindigkeit der Verdunstung; erniedrigt sich also der Barometer-
stand, so wird die Damptbildung beschleunigt, und umgekehrt wird
sie bei steigendem Luftdruck verlangsamt. Indem man nun diese Re-
gel auf die wirklich vorkommenden Verhältnisse anzuwenden versucht,
darf man natürlich niemals vergessen, neben dem Barometerstand die
gleichzeitig vorhandene relative Dampfmenge der Luft mit in Rechnung
zu bringen. So ist z. B. auf hohen Bergen die Geschwindigkeit der
Dampfbildung vermehrt wegen des niederen Luftdruckes und gemindert
wegen der dort öfter vorhandenen, relativ grösseren Dampfmenge, so
dass das Resultat dieser zusammenwirkenden Umstände möglicher Weise
doch dem in der Ebene vorhandenen gleich sein kann, wo die relative
Dampfmenge gering und der Barometerdruck gross ist.
Entstehen und Vergehen der Luft im menschlichen Leib.
Wie in der irdischen Atmosphäre Vorrichtungen wirken, welche die
Variation ihrer Zusammensetzung beschränken, so müssen nun auch im
thierischen Organismus Mittel geboten sein, um die Atmosphären des
Bluts in annähernd gleichartiger Zusammensetzung zu erhalten. Denn
wenn der schon geschilderte Gasstrom ununterbrochen aus und in das
Blut geschehen soll, so muss der aufgenommene Sauerstoff fortwäh-
rend verzehrt werden, sonst würde die Spannung desselben in dem Luft-
kreis und dem Blut bald gleich und somit ein Strom unmöglich sein,
und ebenso muss CO2 und HO dem Blut zugefügt werden, sonst wür-
den diese Stoffe bald ganz aus dem Blute verdunstet sein. — Die Bil-
dung des O und die Befreiung der CO2 sind Vorgänge, die, wenn
auch nicht durchweg, so doch meistentheils Hand in Hand gehen, indem
der Sauerstoff untergeht in der CO2, welche durch die Oxydation des
Kohlenstoffs unserer Nahrungsmittel, resp. der aus denselben gebildeten
Gewebe, hervorgeht. Die Kohlensäurequelle, deren Strom in das Blut
mündet, kann nun aber unmöglicher Weise zu allen Zeiten gleich leb-
haft fliessen. Darauf führt uns zuerst der chemische Charakter der
kohlenstoffhaltigen, thierischen Atome, die dem Angriff des Sauerstoffs
einen sehr ungleichen Widerstand entgegenstellen. Wir dürfen somit
sagen, dass die Gewebe, welche viel Traubenzucker, Fettsäuren niederer
Ordnung, organisch saure Salze u. s. w. enthalten, mehr O verbrauchen
und CO2 liefern werden, als die Collagen-, Chondrigen-, elastischen Stoff
haltenden. — Nächstdem wissen wir auch, dass die CO2 bildung, welcher
schliesslich alle organischen Verbindungen der Gewebe anheimfallen,
[305]Berührung der Luft inner- und ausserhalb des Bluts.
nicht ohne Weiteres vor sich geht, so lange der Sauerstoff und die koh-
lenstoffhaltigen Atome vorhanden sind, sondern dass viele complexe
Atome erst vorbereitet werden müssen durch vorgängige Spaltungen,
welche abhängig sind von Bedingungen, die mit der Zeit variiren. So
müssen von dem Eiweissstoff Leucin, Tyrosin, Kreatin, Taurin, Hypo-
xanthin u. A., von den neutralen Fetten Glyzerin abgespalten werden,
bevor der Rest der Oxydation anheimfällt. Diese Spaltungen sind aber
abhängig von sehr inconstanten Ereignissen in den Muskeln, in einzelnen
Drüsen u. s. w. Endlich wissen wir, dass einzelne und namentlich das
verbreitete Gewebe der Muskeln bald sauer und bald alkalisch reagirt,
und daraus geht hervor, dass sie verschiedene Mengen von CO2 zur
Ueberführung in das Blut disponibel halten werden, selbst wenn die Er-
zeugung derselben in stets gleicher Lebhaftigkeit vor sich ginge. Wenn die
saure Reaktion durch das eintretende Uebergewicht einfach kohlensauren
oder basisch phosphorsauren Natrons in die basische umschlägt, so muss
ein Theil von der jeweilig gebildeten CO2 in den Muskeln zurückgehalten
werden, welcher, wenn die saure Reaktion wiederkehrt, ausgetrieben
wird. — Die Beobachtung bestätigt nun im Allgemeinen die Forderun-
gen der Theorie, indem sie darthut, dass mit den Nahrungsmitteln und
den Zuständen unserer Organe die Aushauchung der CO2 und die ihr
entsprechende Sauerstoffbindung sehr wesentlich veränderlich ist. Aber
hier hat die Beobachtung noch das Meiste zu leisten, da es ihr noch
bevorsteht, zu ermitteln, wie die Zusammensetzung und Spannung der
Luftarten in den Gewebsflüssigkeiten beschaffen sei. Ohne eine Kennt-
niss der Atmosphären in den Geweben, derjenigen, in welche das Blut
der Aortencapillaren eingebettet ist, wird uns niemals der ganze Ath-
mungsprozess klar werden, wären uns auch noch so bekannt die Beziehun-
gen zwischen der Luft in den Lungencapillaren und in der irdischen At-
mosphäre. Denn von diesen beiden Vorgängen, von denen der erste O
aus- und CO2 in das Blut, der andere umgekehrt CO2 aus- und O in
das Blut führt, ist es der erstere, welcher in den gewöhnlichen Ver-
hältnissen den zweiten vollkommen beherrscht und bestimmt.
Wir brauchen kaum zu erwähnen, dass das abdunstende Wasser
mit den Speisen geradewegs wieder eingeführt wird, dass es aber auch,
zum freilich geringsten Theil, durch Oxydation wasserstoffhaltiger Atom-
complexe entsteht.
Berührung zwischen den Luftarten der Erd- und Blut-
atmosphäre.
Geschwindigkeit und der Umfang des Austausches der Gasarten
hängt, alles andere gleichgesetzt, ab von der Fläche und von der Zeit,
in der die Berührung geschieht. Der Einfluss der ersten Bedingungen
bedarf gar keiner Erwägung; rücksichtlich des letzteren erwähnen wir
dagegen, dass es zur Unterhaltung der Athmung keineswegs genügt,
Ludwig, Physiologie. II. 20
[306]Absorptionsfähigkeit des Blutes.
Luft und Blut überhaupt in Berührung zu halten, sondern, dass für
einen gegebenen und constanten O- und CO2gehalt des Luftkreises und der
Gewebsflüssigkeiten das mögliche Maximum in der Austauschungsge-
schwindigkeit der Gase nur dann zu erreichen ist, wenn die in Berüh-
rung befindlichen Theile des Bluts und der Luft möglichst genau so viel
und so wenig O und CO2 besitzen, als die Flüssigkeit der Gewebe und
die nicht mit dem Körper in Berührung stehende, resp. die nicht in
den Höhlungen desselben eingefangene Luft. Diese Bedingung ist aber
nur dann befriedigt, wenn ein möglichst rascher Blut- und Gaswechsel
eingeleitet wird, wenn also das Blut aus den Athemflächen, mit Sauer-
stoff geschwängert, rasch in die CO2region eindringt, dort seinen Sauer-
stoff verliert und CO2 aufnimmt u. s. f. — Verweilen dieselben Bluttheil-
chen längere Zeit an demselben Ort in den Geweben, so wird der
Unterschied der Gasarten des Bluts und der Gewebe sich ausgleichen
und damit auch der Gasstrom zwischen beiden Lokalitäten immer lang-
samer werden. Dasselbe gilt natürlich auch für den Gasstrom zwischen
dem Blut und der Luft, wenn der Antheil dieser letztern, welcher die
Athmungsflächen berührt, nicht im Wechsel begriffen ist; daraus fol-
gern wir, dass mit der Geschwindigkeit des Blutstroms, der Athemzüge
und der die äussere Körperoberfläche berührenden Winde die Geschwin-
digkeit des Gasaustausches wächst.
Die Absorptionsfähigkeit des Blutes.
Diese greift endlich als eine allgemeine Bedingung in die Athmung
ein, weil das Blut die Uebertragung des Sauerstoffs aus der Luft in die
Gewebe und diejenige der Kohlensäure in der umgekehrten Richtung
vermittelt. Die Absorptionsfähigkeit des Blutes ist aber variabel mit der
Zusammensetzung, und insbesondere scheint, dem frühern gemäss, die-
selbe Alteration der Zusammensetzung verschiedenartig zu wirken für
die Absorption von Sauerstoff und CO2, so dass z. B. durch den Gehalt
des Bluts an phosphor- und kohlensaurem Natron seine Fähigkeit, CO2
zu absorbiren, durch seinen Gehalt an Blutkörperchen seine Capazität
für Sauerstoff bestimmt wurde.
Besondere Athemwerkzeuge.
Rücksichtlich des in den Vordergrund gestellten Blutwechsels unter-
scheiden sich die Athemorgane durch die Ausbreitung der Berührungs-
flächen zwischen Luft und Blut, durch die chemische Zusammensetzung
und die Mächtigkeit der flüssigen Schicht, welche Blut und Luft trennt,
und endlich durch die Geschwindigkeit des Blut- und Luftwechsels.
A. Lungenathmung.
Die an ihr betheiligten Werkzeuge zerfällen wir in lüftende und
luftverändernde; zu den ersteren gehören Brust- und Bauchwandungen,
Nase, Mundöffnung, Kehlkopf, Luftröhre bis in ihre feinsten Verzwei-
gungen. Zu den letzteren zählen wir die Epithelien und die Blutgefässe,
[307]Lungenathmung; Lüftungswerkzeuge.
welche auf und in den Häuten der Lungenbläschen liegen, und die Flüs-
sigkeit, welche diese Häute durchtränkt.
Lüftungswerkzeuge.
Da wir schon zu wiederholten Malen auf diese Organe die Aufmerk-
samkeit gelenkt haben, so heben wir hier nur noch die Beziehungen der-
selben zum Luftstrom in den Lungen hervor.
1. Ueber die Mittel, welche den Luftstrom erzeugen *). Der Luft-
wechsel innerhalb der Lungen wird dadurch bewerkstelligt, dass die
Wandungen des Brustkastens, indem sie sich ausdehnen und zusammen-
ziehen, das Volum der Brusthöhle mindern (Exspiration) oder mehren
(Inspiration). — Bei dem gesunden Menschen ist aber jede Veränderung
in dem Durchmesser der Brust- gleichbedeutend mit derjenigen der
Lungenhöhle, weil die äussern Oberflächen der leicht ausdehnbaren Lun-
gen innig angeschlossen sind an die innern Flächen der Brustwand und
den Bewegungen dieser Folge leisten müssen. Da dieser Anschluss aber
nur so lange besteht, als die Pleurahöhle vollkommen leer ist, so kann
er nur abhängig sein von dem Druck, welchen die Luft in dem Binnen-
raum der Lunge gegen die ausdehnbaren Lungenhäute ausübt, ein Druck,
der im normalen Zustand kein Gegengewicht in dem Pleurasack findet.
Demnach können wir bis auf Weiteres fingiren, die äussern Lungen- und
die innern Brustflächen seien mit einander verwachsen, welches zu dem
oft genug wirklich vorkommt. Unter dieser Voraussetzung leuchtet ein,
dass bei einer jeden Erweiterung der Brusthöhle ein Luftstrom in die
Lungen gehen muss, so lange ihr Hohlraum und die Atmosphäre in
offener Verbindung stehen. Denn mit der Erweiterung der Brusthöhle
wird auch die in ihr enthaltene Luft verdünnt, so dass sie nicht mehr
im Stande ist, dem Druck der atmosphärischen das Gleichgewicht zu
halten; der Strom wird also so lange andauern, bis die Spannung der
Luft inner- und ausserhalb der Lungen wieder gleich geworden ist. Um-
gekehrt muss aber ein Luftstrom aus den Lungen dringen, wenn der
Brustraum verengert wird. Es ist, wie man danach sieht, der Apparat
zur Einleitung des Luftwechsels ganz nach dem Grundsatze eines ge-
wöhnlichen Blasebalgs gebaut.
Zu den Umständen, welche den Brustkasten erweitern, also die Ein-
athmung einleiten, gehören die Zusammenziehungen des Zwerchfells, der
mm. scaleni, intercostales externi, levatores costarum, serrati postici su-
periores, sternocleidomastoidei, pectorales minores, serrati antici majo-
res (?), und endlich der Wirbelsäulestrecker. — a) Die Wirbelsäulstrecker
sind, wenn man sich so ausdrücken darf, weniger von direkter als in-
direkter Bedeutung; eine Streckung und Beugung der Wirbelsäule ändert
20*
[308]Einziehung der Luft.
zwar, aber keineswegs in einer hervorragenden Weise die Räumlichkeit
der Brusthöhle; sie übt dagegen einen bedeutenden Einfluss auf den Um-
fang, den die Bewegungen der Rippen gewinnen können. Nach Hut-
chinson ist bei gestreckter Wirbelsäule das Luftvolum, welches durch
ein Maximum der Brusterweiterung und Verengerung eingezogen und aus-
gestossen werden kann, am grössten, und in der That strecken wir uns
auch, wenn wir möglichst tief einathmen wollen. — b) Bei der Zusam-
menziehung des Zwerchfells flachen sich die gewöhnlich an den Rippen
unmittelbar anliegenden (Donders) rothen Seitentheile des Zwerchfellge-
wölbes ab und steigen in die Bauchhöhle hinunter, während die mit dem
Herzen in Verbindung stehenden Abschnitte des centr. tendineum ihre
Lagen behaupten (Hyrtl). Der Bogen, den ein von rechts nach links
durch das Zwerchfell geführter Schnitt während der Ruhe desselben dar-
stellt, flacht sich also ab und nähert sich einem Winkel, dessen abge-
stumpfte Spitze unter dem Herzen liegt. Der Brustraum wird demnach
dadurch erweitert, dass er sich an seinem breitesten Theil verlängert.
Zu gleicher Zeit wird er aber auch an seiner Basis noch nach den Sei-
ten hin ausgedehnt (Duchenne). Diese letztere auf den ersten Augen-
blick etwas auffallende Erscheinung liegt darin begründet, dass die von
dem herabsteigenden Zwerchfelle zusammengepressten Baucheingeweide
die in der Wand der reg. hypochondriaca eingelegten Rippen ausein-
ander treiben; denn was dem Bauch an Länge verloren ging, sucht er
nach der Quere gewinnen. — c) Von den Erweiterern der Intercostal-
räume (intercostales externi, levatores costarum, scaleni, serrati postici
und sterno-cleidomastoidei) erwähnen wir nur die erstere, weil ihre
wahre Leistung, trotzdem, dass sie schon Hamberger vor mehr als
hundert Jahren aufgedeckt hat, immer noch hin und wieder bestritten
wird. Da als bekannt vorauszusetzen ist, dass der Intercostalraum sich
vergrössert, wenn sich der concave Winkel vergrössert, welchen Rippe
und Längsachse der Wirbelsäule mit einander bilden, so genügt es, zu
beweisen, dass sich die Fasern der m. intercostales externi verkürzen
bei einer Vergrösserung dieses Winkels bis zum rechten. In Fig. 58 sei
a a parallel der Längenachse der Wirbelsäule, b c
und d e seien nach der Richtung zweier Rippen
in der Exspirationsstellung gezogen worden; b c
stellen die Fasern eines intercostalis externus in
dieser Lage vor. Man erhebe darauf die Rippe
b c in die Lage von b f und ebenso d e auf d g,
wobei sich die Winkel c b d und e d a auf einen
Rechten vergrössern. Darauf messe man auf d g
ein dem d e gleich langes Stück ab und ziehe
die Linie b g, so wird diese nun die Länge der
in Betracht gezogenen Muskelfaser für die neue
[309]Ausstossung der Luft.
Rippenstellung darstellen. Diese Linie b g soll aber der Behauptung nach
kürzer als b e sein. Um dieses zu beweisen, verbinde man die End-
punkte e und g derselben durch e g, so dass man das Dreieck b g e er-
hält; in diesem liegt aber b e einem grösserern Winkel (b g e) gegenüber als
b g, also ist b e auch grösser als b g. — d) Die Rumpfschulterblatt- und
Rumpfarmmuskeln können erst nach Feststellung des Schulterblattes und
Armes für die Auseinanderziehung des Thorax wirksam werden; wir
schliessen nun, dass sie diese Rolle wirklich übernehmen, daraus, weil
wir in der That bei tiefen und namentlich krampfhaften Inspirationen
Arm und Schulterblatt durch Anstemmen des Arms feststellen. Ihre
Wirkung bedarf weiterer Untersuchung, namentlich ist die oft behauptete
inspiratorische Wirkung des serratus ant. major sehr zweifelhaft.
Die Zusammenpressung der Brusthöhle wird bedingt durch die
elastischen Kräfte der Brust-, der Lungen- oder Bauchwand und des
Darminhalts und durch die Zusammenziehungen der mm. intercostales in-
terni, transversus und obliqui abdominis, serrati postici inferiores, ster-
nocostalis und der Beuger der Wirbelsäule, vor allem des rectus abdo-
minis. — a) Schon früher wurde erwähnt (p. 99), dass die Wandungen
der Lungen durch den auf ihre inneren Flächen wirkenden Luftdruck wäh-
rend der ganzen Lebensdauer ausgedehnt sind. Dieses wird einfach dadurch
bewiesen, dass die Lungen auf einen kleineren Umfang zusammenfallen, wenn
man während des Lebens oder kurz nach dem Tode den Luftdruck auf den
beiden Wandflächen gleich macht, z. B. dadurch, dass man, während die
Stimmritze offen steht, den Pleurasack dem Luftzutritt bloslegt. Die Span-
nung, welche die ausgedehnte Lungenwand der in ihr vorhandenen Luft mit-
theilen kann, wenn man die Trachea luftdicht geschlossen und die äussere
Lungenfläche dem Zutritt der Luft geöffnet, ist veränderlich mit dem
Elastizitätscoeffizienten der Wandung, den Zuständen der kleinen Lungen-
muskeln und der Ausdehnung der Lunge (Carson, Donders).
Donders*) maass die Spannung der Lungenluft (die Federkraft der Lungen-
wand) dadurch, dass er in die Luftröhren einer sonst unversehrten Leiche ein ge-
bogenes, mit Quecksilber gefülltes Manometer einsetzte, und dann die Pleurahöhle
durch Anschneiden eines Intercostalraums öffnete. In diesem Fall, wo sich die
Lunge im Zustande einer tiefsten Exspiration, also in der geringsten Ausdehnung
fand, die sie während des Lebens einnimmt, trieb sie das Hg in dem Manometer
um 6 MM. in die Höhe. Als die Lunge darauf annähernd bis zu dem Umfang auf-
geblasen wurde, der ihr während der Inspiration zukommt, hielt die durch die Wand
erzeugte Spannung der Lungenluft 30 MM. Hg das Gleichgewicht.
Aus dieser Thatsache geht hervor, dass die elastischen Gebilde des
Lungengewebes der Inspiration eine Hemmung entgegensetzen und die
Exspiration befördern. — b) Die Wände der Brust besitzen (I. Bd. 376.)
wegen der Steifigkeit und Befestigungsart der Rippen eine bestimmte
[310]Ausstossung der Luft.
Gleichgewichtslage, in die sie immer wieder zurückzukehren streben,
gleichgiltig nach welcher Richtung hin sie auch daraus entfernt wurden.
Durch diese elastischen Kräfte sind sie nun befähigt, die Ausathmung
zu hemmen und fördern. Das erstere, wenn der Brustkasten durch
eine energische Wirkung der Ausathmungsmuskeln auf ein geringeres
Volum zusammengepresst werden soll, als er vermöge seiner elastischen
Kräfte einnehmen würde; der Widerstand, den die Brustwandung der
Zusammenziehung der Muskeln entgegensetzt, wächst mit der steigenden
Verengung der Brusthöhle so rasch, dass er für jene bald unüberwind-
lich wird. Die Elastizität des Brustkastens hemmt dagegen die Einath-
mung und befördert also die Exspiration, jedesmal wenn dieselbe von
der Gleichgewichtslage an ausgedehnt werden soll. Dieser Widerstand
wächst ebenfalls rasch mit der steigenden Ausdehnung der Brusthöhle.
Die durch die Inspiration bedingte Spannung der Wandung führt also,
wenn die Zusammenziehung der Einathmungsmuskeln nachlässt, die Ex-
spirationsbewegung aus. — c) Die Baucheingeweide sind innerhalb ihrer
elastischen Decken (Haut, Muskeln, Faszien, Rippen) mit einer gewissen
Spannung eingeschlossen, welche variirt mit den Eigenschaften dieser
Decken, mit der Menge und Art des (festen, flüssigen, gasförmigen) Darm-
inhaltes. Da Brust- und Bauchhöhle nur durch eine leicht bewegliche,
sehr ausgedehnte Scheidewand (diaphragma) von einander getrennt sind,
so muss der jeweilige Spannungsgrad in der Bauchhöhle sich gegen
die Brusthöhle hin geltend machen, und es wird das Zwerchfell so weit
gegen die Brusthöhle emporsteigen, bis die rückwirkende Spannung,
welche sich in seiner Substanz entwickelt, gleich ist derjenigen, die den
Baucheingeweiden zukommt. Daraus folgt, dass die Anfüllung der Unter-
leibshöhle und die Zustände ihrer Wandung bestimmend wirken auf die
Ausdehnung des Brustraums während der Ruhe der äussern Brustwand
und des Zwerchfells; indem das letztere bei gefüllten Eingeweiden, in
der Schwangerschaft u. s. f. höher emporsteigt; und insofern als
die Inspiration, welche durch das Zwerchfell ausgeführt wird, an der
Spannung der Baucheingeweide eine Hemmung erleidet, während der
Rückgang des diaphragma nach der Exspirationsstellung hin hierdurch
unterstützt wird — d) Die Wirkungen der aufgezählten Muskeln setzen
wir als bekannt voraus. Wir erlauben uns nur an zweierlei zu erin-
nern. Zuerst daran, dass die mm. intercostales interni gerade umge-
kehrt wirken müssen, wie die externi. Um sich hiervon zu überzeugen,
hat man in Fig. 58. statt der Diagonale b g und b e nur zu ziehen die d f
und d c. Man wird dann finden, dass d c kürzer als d f ist. — Ausser-
dem ist einleuchtend, dass der m. transversus abdominis ein wahrer An-
tagonist des Zwerchfells ist, welcher ohne irgend eine andere Neben-
wirkung den Bauchinhalt zusammenpresst und damit das Zwerchfell
empordrängt.
[311]Leitungsröhren. Athembewegungen.
2. Leitungsröhren für den Luftstrom in die Lunge. — Die Luft dringt
aus der Atmosphäre nicht unmittelbar in die Lunge, sondern aus der
letztern zunächst in ein Rohr (Trachea), das mit zwei Mündungen (durch
Mund und Nase) in das Freie und mit sehr zahlreichen Aesten in die
Lungenenden übergeht. — Alle Abtheilungen dieses Rohres sind hin-
reichend gesteift, um nicht durch einen Unterschied des Luftdrucks auf
ihrer äussern oder innern Seite, wie ihn der Athemstrom erzeugen kann,
zusammengedrückt zu werden. An der weicheren Nase ist die Scheide-
wand aufgestellt, an die sich jederseits ein spiraliger Knorpel legt, und
hinter diesem folgt der Knochen. Wird die Mundhöhle als Athemöffnung
benutzt, so steifen sich durch die Contraktion des m. orbicularis die
Lippenränder, oder sie werden auch unter und über die Zahnränder ge-
führt. — Die knorpeligen Halbringe der Luftröhre greifen weit genug,
um den Theil der letztern, welcher nicht schon von der Wirbelsäule ge-
schützt ist, zu steifen, und die Knorpelplättchen in den Bronchien hin-
dern es, dass die Drücke der Brustwand die Röhre gar nicht oder min-
destens nicht auf die Dauer zusammendrücken können; denn wäre ihr
Lumen auch einmal geschlossen, so würde es beim Nachlass des Drucks
durch die elastischen Knorpelplättchen wieder geöffnet werden. — Die
Muskeln, welche in das Rohr eingelagert sind, glosso- und pharyngopa-
latini, levator und tensor palati, die grossen und kleinen Kehlkopfsmuskeln
u. s. w. sind ihrer Wirkung nach entweder schon besprochen (I. Bd. 418),
theils erfahren sie bei Schlingen noch weitere Aufmerksamkeit. Die lan-
gen Muskeln des Kehlkopfs, namentlich sternohyoidei und sternothyreoidei,
und die Muskeln zwischen den Ringen der Trachea, reguliren die Dimen-
sionen und die Lage der letztern, welche ohne dieses durch häufige
Zerrungen nach Länge und Quere bei jedem tiefen Athemzug alterirt
würden.
3. Verknüpfung der bewegenden Elemente zu Athembewegungen.
Bei der grossen Zahl willkürlich erregbarer Muskeln, die an dem Athem-
apparat angebracht sind, können begreiflich unzählige Arten von Combi-
nationen derselben sowohl unter einander, als auch mit den elastischen
Einrichtungen hervorgebracht werden. Die Athemwerkzeuge sind aber auch
unwillkührlich erfolgenden Erregungen unterthan, wie wir schon früher
sahen (I. Bd. 173). Da diesen automatische Apparat ein genau vorgezeich-
neter Mechanismus beherrscht, so sind die aus ihm hervorgehenden Com-
binationen beschränkt. a) Die unwillkührliche Erregung ordnet jedesmal
die den Brustkasten bewegenden Kräfte so an, dass auf eine Einziehung
der Luft unmittelbar ein Ausstossen derselben folgt, und dass dann längere
Zeit der Brustkasten in Ruhe verharrt, welche die eben vollendete Ex-
spiration von der folgenden Inspiration trennt. Die Einathmung dauert
gemeiniglich etwas länger, als die Ausathmung und die Pause nimmt mehr
[312]Athembewegungen.
Zeit ein, als beide Bewegungen zusammengenommen. — b) Die gleich-
zeitig zur Ein- und Ausathmung in Erregung gesetzten Muskeln sind ver-
änderlich. In Rücksicht auf dieselbe hat man mit einiger aber für prak-
tische Zwecke gerechtfertigten Willkühr einige Typen der Athembewegung
ausgeschieden, das leichte, das tiefe und das krampfhafte Ath-
men. — α) Beim ruhigen Athmen ziehen sich während der Inspiration
in den Leitungsröhren zusammen die Heber des Gaumens und die m.
cricoarytenodei laterales. An den Brustwandungen aber zieht sich ent-
weder nur das Zwergfell, oder die mm. scaleni und intercostales externi
zusammen; die Erweiterung des Brustkastens geschieht namentlich bei
Männern durch das Zwergfell, bei Frauen durch die mm. scaleni und
intercostales (Traube). An der ruhigen Exspiration betheiligt sich keine
Zusammenziehung eines Muskels; die Entleerung des Brustkastens geschieht
durch die elastischen Wirkungen der Lungen, der Brust- und Bauch-
wand, des Darms. Diese Art der Bewegung pflegt die gewöhnliche zu
sein, wenn das Blut und die Luft normale Zusammensetzung tragen,
wenn die Berührung zwischen beiden ungehindert vor sich geht, wenn
die übrigen Partien des Nervensystems, insbesondere des Herzens und
der den Leidenschaften untergebenen Hirntheile in einem mittleren Grad
von Erregung stehen. — β) Beim tiefen Athmen ziehen sich in der Einath-
mung die bei der leichten Inspiration erwähnten Muskeln kräftiger zusam-
men, so dass z. B., wenn im erstern Fall das Zwergfell gewöhnlich bis zur 6.
und 7. Rippe, es bei tiefer Inspiration bis zur 11. hinuntergeht, dass sich
das Gaumensegel hoch hebt und die Stimmritze weit öffnet u. s. w. Ausser-
dem treten noch hinzu in den Leitungsröhren die Zusammenziehungen der
levatores alae nasi und am Brustkasten die levatores costarum, serrati postici,
sternocleidomastoidei. Durch die Zusammenziehung der zahlreichen Muskeln,
welche den Brustkasten auseinander ziehen, wird unter den Hypochondrien
für die Baucheingeweide ein so bedeutender Raum gewonnen, dass trotz des
herunter steigenden Zwergfells der Bauch nicht vorgetrieben wird, son-
dern zusammenfällt (Hutchinson). Die Unterschiede, welche die leichte
Inspiration des Mannes und der Frau darbot, verschwinden bei der tie-
feren. — Leidenschaftliche oder plötzliche sensible Erregungen, Ueber-
maass von CO2 oder Mangel an O im Blut sind die gewöhnlichen Be-
dingungen, unter denen das tiefe Athmen sich einstellt. — γ) Bei der
krampfhaften Einathmung treten die bis dahin als Einathmungsmuskeln
bezeichneten in eine ganz intensive Zusammenziehung und zugleich die
hyo- und thyreosternalis, so dass die Luftröhre weit herunter gezogen
und dadurch möglichst weit wird. Am Brustkasten greifen noch an die
Strecker der Wirbelsäule und die Rumpfschulterblatt- und Rumpfarm-
muskeln, so dass u. A. der Arm unwillkührlich emporgeschleudert wird.
Die Ausathmung wird durch möglichst viele Muskeln besorgt. Krampf-
haft wird die Athmung bei der Erstickungsnoth.
[313]Geschwindigkeit der Athemfolge.
Der Mechanismus einiger besonderer Arten unwillkührlicher Athembewegungen:
das Niessen, Husten, Gähnen, Lachen, Seufzen, Schluchzen, kann bei einigem Nach-
denken leicht abgeleitet werden.
4. Geschwindigkeit der Athemfolge. Die Zahl der Athemzüge in der
Zeiteinheit (wir wollen die Minute setzen) ist veränderlich: a) Mit den
Seelenzuständen. So kann der Wille die Zugfolge beschleunigen und verlang-
samen, aber doch nur in wohlbestimmten Grenzen, denn er kann sie für die
Dauer die Athemmuskeln weder erschlafft noch zusammengezogen erhalten.
Die Zeit, während welcher der Wille den Luftwechsel unterbrechen kann, ist
veränderlich mit gewissen gleich zu erwähnenden Anregungen (dem sog.
Athembedürfniss), welche entweder geradezu von Seiten des Bluts oder
durch die Nerven der Lungenoberfläche auf die automatische Hirnstelle
ausgeübt werden. Beim steigenden Athembedürfniss sinkt die Macht des
Willens. — Leidenschaften sind im Stande, die Athemfolge unwillkührlich
zu beschleunigen und zu verlangsamen. — b) Reflektorische Erregun-
gen, insbesondere von der Haut und Lungenoberfläche (durch die n. vagi),
vermehren die Zahl der Athemzüge. Den Einfluss der nervi vagi hat
Traube durch scharfe Versuche dargelegt; die Durchschneidung eines
und noch mehr die der beiden Vagusstämme mindert die Zahl der Athem-
züge beträchtlich (Emmert), und eine Erregung des mit dem Hirn in
Verbindung stehenden Stumpfs beschleunigt entweder die Zugfolge oder
vermag sogar eine dauernde Zusammenziehung des Zwergfells zu ver-
anlassen (Traube). — c) Die chemische Zusammensetzung des Bluts
und namentlich der O- und CO2 gehalt desselben bestimmen die Zahlen
der Athemzüge. Alles, was die CO2 in dem Blute mehrt und den O
desselben mindert, beschleunigt auch die Athemzüge, so z. B. gehemmter
Luftwechsel, Vermehrung der CO2 bildenden Stoffe des Bluts: nach Muskel-
bewegungen, nach dem Genuss von Nahrung; jenseits gewisser Grenzen
sind aber beide Einflüsse ohnmächtig. Leitet man bei einem Kaninchen,
dessen Grosshirn ausgeschnitten, künstliche Respiration ein, so kann man
durch eine Beschleunigung des Luftwechsels die Zahl der Athemzüge sehr
mindern, aber nicht vollkommen aufheben, und umgekehrt, wenn die Ver-
mehrung der CO2 und die Minderung des O über gewisse, nur nicht
schärfer bekannte Punkte schreitet, so verlangsamt sich der Athem bis
zum Aufhören desselben.
Die Uebereinstimmung, welche zwischen den beschleunigenden Umstän-
den der Zug- und Schlagfolge der Brust und des Herzens besteht, ist in die
Augen fallend. Quetelet*) und Guy**) geben nun auch an, dass im
Allgemeinen die Zahl der Herzschläge 4mal so gross bleibe, als die der
Athemzüge. Von einer solchen Regel giebt es natürlich Ausnahmen, aber
sie dient doch, um darauf aufmerksam zu machen, dass auch die Athem-
[314]Luftsrömung in den Athemwegen.
zahlen, eben wie die des Pulses, mit den Tages-, Jahres- und Lebens-
zeiten auf- und abschwanken, beim Stehen und Gehen anders sind, als
beim Liegen u. s. w. Der Mechanismus zur Herstellung dieser Beziehung
scheint durch den Vagus vermittelt zu werden, denn wenn dieser durch-
schnitten wird, so mehrt sich die Pulszahl und es verlangsamt sich
die Athemfolge.
Die Zahl der unwillkührlichen Athemzüge variirt in der Minute bei
Neugeborenen von 23 zu 70 (Quetelet), bei Erwachsenen von 9 zu 40
(Hutchinson). Unter 1897 Personen fand der letzte Beobachter die
überwiegende Zahl mit 16 — 24 Athemzüge begabt.
5. Luftströmung in den Athemwegen. a) Die Triebkräfte des Luft-
stroms, nemlich der Dichtigkeitsunterschied der Luft in und ausser den
Lungen ist in jedem Moment der In- und Exspiration gering, so lange
die Zuleitungsröhren offen stehen. Nach manometrischen Beobachtungen
von C. Ludwig, Krahmer, Valentin*) beträgt er nur einige MM.
Quecksilber; dieses ist bei der Leichtbeweglichkeit der Luft nothwendig,
da sich ein Minimum eines bestehenden Spannungsunterschieds augenblick-
lich ausgleicht; darum ist auch der durch den Brustkasten eingeleitete
In- und Exspirationsstrom momentan mit der Brustbewegung beendet,
wenn die Nase und Stimmritze geöffnet sind.
Bei einer so beträchtlichen Verengerung, dass sie die Ausgleichung verhindert, oder
bei vollkommenem Verschluss der zu der Lunge führenden Röhren kann die Differenz
des äussern und innern Luftdrucks bedeutend gesteigert werden; der Werth dersel-
ben ist aber selbst bei demselben Menschen sehr veränderlich, was sich erklärt, wenn
man bedenkt, von wie vielen Umständen er abhängig ist. Nehmen wir z. B. an, es
sei das Athmungsrohr vollkommen geschlossen, so muss bei der Einathmung die Span-
nung der Luft in der Lunge um so mehr sinken, je vollkommener die Lunge entleert
war, als die Einathmung begann, ferner, je geringer die Widerstände sind, welche
die Wandungen und Eingeweide der Brust und des Bauchs der ausdehnenden Wir-
kung der Muskeln entgegensetzen, und endlich, je grösser die ausdehnenden Muskel-
kräfte selbst sind. — Unter denselben Bedingungen (Verschluss der Stimmritze etc.)
muss aber die Spannung in der Brusthöhle bei der Exspiration um so mehr wachsen,
je mehr die Brust bei der beginnenden Ausathmung mit Luft gefüllt war, je höher
der Elastizitätscoeffizient der Bauch- und Brusttheile ist und je kräftiger die Aus-
athmungsmuskeln wirken. Bei diesen Variationen kann einer absolute Bestimmung die-
ser Spannungsdifferenzen wenig Werth beigelegt werden.
b) Die Geschwindigkeit des Luftstroms ist natürlich variabel mit der
Längenachse und dem Durchmesser der Athemwege; da der Querschnitt der
letztern mit der Längenachse wesentlich sich ändert, und namentlich auch
zuweilen ganz plötzlich, wie am ausgeprägtesten am Uebergang der Bron-
chioli in die Infundibula, so kann von einem regelmässig angeordneten
Luftstrom keine Rede sein. Die mittlere Querschnittsgeschwindigkeit ist
[315]Volum des Brustraums.
natürlich gegen die Lungenbläschen hin, wegen des bedeutend grössern Durch-
messers der Athemwege an jener Stelle, viel geringer, als in der Luftröhre.
6. Volum des veränderlichen und unveränderlichen Brustraums.
a) Der Mensch entleert selbst durch die tiefste Ausathmung, welche ihm
möglich ist, nicht alle Luft aus seiner Brusthöhle; das Volum, welches
zurückbleibt (residual air von Hutchinson), giebt den unveränderlichen
Brustraum. Dieser ist natürlich mit der Beweglichkeit und dem Umfang
des Brustkastens (seiner Höhe und Tiefe) sehr veränderlich. Nach eini-
gen Untersuchungen an den Leichen Erwachsener von Goodwin wech-
selt derselbe zwischen 1500 und 2000 CC.
Eine Methode, um das Volum des unveränderlichen Brustraums bei lebenden Men-
schen zu bestimmen, giebt Harless*) an. Er lässt eine möglichst tiefe Inspiration
vollziehen, nach deren Vollendung Lungenraum und Atmosphäre durch die offen ge-
haltenen Lippen und Stimmritze in Verbindung bleiben müssen. Die unbekannte Räum-
lichkeit der Lungenhöhle (x) steht dann unter bekanntem Barometerdruck (b). Darauf
bringt er mit dem geöffneten Mund in luftdichte Berührung einen Kasten, dessen
Hohlraum mit einem bekannten Luftvolum (v) unter dem den atmosphärischen über-
treffenden Drucke b′ gefüllt ist. Dann wird durch eine bis dahin verschlossene Oeff-
nung des Kastens die Luft dieses letztern und der Lunge in Verbindung gebracht, so
dass sich die Drücke in beiden Höhlungen ausgleichen zu einem mittleren (b″), beiden
Räumen gemeinsamen; dieser kann an einem Manometer des Kastens abgelesen wer-
den. Bekanntlich ist aber das in einem Volum enthaltene Luftgewicht gleich diesem
Volum, multiplizirt mit dem Druck, unter welchem die Luft in ihm steht; demnach
war das Luftgewicht der Lunge und das in dem Kasten vor der Kommunikation
dieser beiden Räume = x b + v b′; dieses Luftgewicht muss aber auch =
(x + v) b″ sein, d. h. gleich der Luft, welche unter dem Druck b″ in x und v nach
ihrer Verbindung enthalten ist. Aus der Gleichung x b + v b′ = (x + v) b″ lässt
sich nun x finden. Vorausgesetzt, es sei die Temperatur im Kasten und der Lungen-
luft vollkommen ausgeglichen oder die Temperatur beider Orte genau bestimmt, wie
die Notiz von Harless in Aussicht stellt, so würde sich gegen diese sinnreiche
Bestimmungsart doch noch der Einwand erheben, dass das Volum des Lungenraumes
vor und nach der Verbindung mit dem Kasten nicht dasselbe geblieben wäre. Denn
der Brustkasten ist von beweglichen Wänden und von Blut umschlossen, und somit
muss das Volum seines Hohlraums sich ändern mit der Spannung der in ihm enthalte-
nen Luft. Ist dieses der Fall, so geht die obige Gleichung über in x b + v b′ =
(y + v) b″, d. h. in eine Gleichung mit zwei Unbekannten, und es ist weder x noch
y aus ihr zu finden. Wir müssen erwarten, ob Harless diesen Umstand berück-
sichtigt und den aus ihm hervorgehenden Fehler in enge oder bestimmbare Grenzen
eingeschlossen hat.
b) Das Volum des veränderlichen Brustraums kann zwar bei dem-
selben Menschen je nach der Tiefe der Athembewegung sehr beträcht-
lich und in unendlich vielen Abstufungen wechseln, aber es ist doch
in bestimmte Grenzen eingeschlossen, welche gegeben sind durch den
Unterschied des Brustraums zwischen möglichst tiefer Ex- und Inspi-
ration; das durch diesen Unterschied dargestellte Luftvolum (vital capa-
city von Hutchinson) wollen wir das Maximum des Raumwechsels
[316]Maximum des Raumwechsels.
nennen. — Ausserdem bedient sich aber der Mensch bei gewöhnlichem un-
willkührlichem Athmen wahrscheinlich immer nur einer annähernd glei-
chen Luftmenge, indem er jedesmal ungefähr gleich tief ein- und aus-
athmet; wir wollen dieses Volum als das des mittleren Athmens bezeichnen.
Die Bestimmung beider Werthe ist von Interesse.
Das Maximum des Raumwechsels*) muss in Beziehung stehen
zum Umfang, den die Brust überhaupt einnimmt, und zu der Beweglich-
keit der einzelnen die Lungenhöhle umgebenden Stücke, also zur Höhe
und Tiefe der Brust, der Beweglichkeit der Rippen, der Lungenwandung,
des Zwergfells, der Eingeweide und Decken des Bauchs. Alle diese
Grössen vermag die Messung nicht zu fixiren, und somit ist man, wie
dies Hutchinson zuerst in ausgedehntem Maassstab gethan, darauf an-
gewiesen, die Luft geradezu aufzufangen, welche von der Lunge ausge-
stossen wird, wenn sie, während die Wirbelsäule gestreckt ist, von der
tiefsten Einathmung zur tiefsten Ausathmung übergeht. Um die hierzu
nöthige Volumbestimmung bequem auszuführen, bedient man sich eines
mit Wasser gesperrten Gasometers, das seit Hutchinson den Namen
Spirometer führt. Dieses Instrument
(Fig. 59) besteht wesentlich aus zwei
in einander geschobenen Blechcylin-
dern A und B, von denen B unten
und A oben geschlossen ist. Der
kleinere dieser Hohlcylinder (A), das
eigentliche Gasometer, ist kalibrirt
und trägt eine Skala, an der man die
Grösse des Hohlraums von Null bis
zu einer beliebigen ins Auge gefass-
ten Zahl ablesen kann. In dem Boden
ist bei C ein luftdicht schliessender
conischer Stopfen und ausserdem
ein Thermometer eingesetzt. Oeffnet
man den erstern, so kann dann die
im Cylinder vorhandene Luft aus-
gelassen werden; durch das Thermo-
meter ist die Temperatur des Hohl-
raums messbar. Der ganze Behälter
ist aquilibrirt durch die Gewichte
G G, welche je an einem Faden über die Rollen R R laufen, so dass das
Gasometer in jeder beliebigen Stellung im Gleichgewicht steht und weder
zu sinken noch zu steigen trachtet. Die Abtheilung B, die Wasserwanne,
ist am Boden von einer gebogenen Röhre H I K L M durchbohrt. Dieses
[317]Spirometrie.
Rohr, durch welches die Luft aus der Lunge in das Gasometer überge-
führt werden soll, mündet mit der Oeffnung H unter demselben; bei K
ist ein Manometer in dasselbe eingefügt, von L an wandelt sich das
bis dahin steife in ein bewegliches Rohr um, und bei M endlich trägt
es an einem Mundstück einen Hahn, so dass es geschlossen werden kann.
Durch das Manometer ist der Druck der Luft in dem Gasometer bestimmbar.
Will man das Spirometer in Anwendung bringen, so füllt man B bis
nahe an den Rand mit Wasser, zieht dann den Conus C aus dem Boden
von A, drückt dieses letztere unter Wasser, bis das Null der Skala an
eine beliebige Marke oder an den Wasserspiegel zu stehen kommt; dar-
auf athmet man durch das Mundstück M aus; die Luft, welche in das
Gasometer steigt, hebt dieses über Wasser. Nach Beendigung des Athem-
zugs schliesst man den Hahn bei M und liest die Zahl der Skala ab,
welche nun über Wasser oder an der fixirten Marke steht. Aus dem
bekannten Cubikinhalt des aufgestiegenen Cylinderstückes kann mit Berück-
sichtigung der Angabe des Thermometers und Manometers die ausgeath-
mete Luftmenge berechnet werden. — Sehr zahlreiche Versuche, welche
Hutchinson, J. Vogel, Simon, Fabius, Haeser u. s. w. mit
diesem Instrument angestellt haben, ergaben, dass das Maximum des
Raumwechsels verschiedener Menschen steigt 1) wie das Produkt aus der
Länge der Wirbelsäule in den Umfang der Brust, über die Brustdrüse
gemessen (Fabius). Diese Erfahrung erklärt sich daraus, weil das Pro-
dukt proportional dem Umfang des Brustraums ist. Denn ein Mensch mit
langer Wirbelsäule wird auch im Allgemeinen eine lange Brustwirbelsäule
haben. Warum wurde aber diese nicht gemessen? — 2) Sie steigt mit
der Beweglichkeit der Brust, resp. mit dem Unterschiede ihres Umfangs
bei tiefster In- und Exspiration (Simon, Hutchinson). — 3) Vom
15. bis zum 35. Jahr steigt das Maximum des Raumwechsels und nimmt
von da an ab (Hutchinson). — 4) Mit der Muskelstärke des ganzen
Körpers ist das Maximum des Volums gestiegen (Albert). Fabius,
der den Satz im Allgemeinen bestätigt, fand, dass dagegen Ringer von
Profession, eifrige Turner u. s. w. ein geringes Maass des Maximums dar-
bieten. — 5) Starke Fettleibigkeit mindert dasselbe (Hutchinson). —
6) Phthisische Anlage ebenfalls. — 7) Während der Schwangerschaft ist
es grösser, als nach der Geburt; entweder müssen also die Rippen be-
weglicher sein, oder es treibt der ausgedehnte Uterus die Rippen ausein-
ander, so dass die Ausdehnung nach der Quere dem Zwergfell den Ver-
lust ersetzt, welchen es durch die Hemmung seines Absteigens erfahren
hatte (Küchenmeister, Fabius). — 8) Unmittelbar nach dem Mit-
tagsessen ist der Wechsel des Brustraums geringer, als nach Kothent-
leerung (Hutchinson, Albert, Fabius). — Je nach diesen Umstän-
den wechselte bei Erwachsenen das Volum der ausgeathmeten Luft von
1200 bis 4500 CC.
[318]Mittleres Athemvolum; Luftmischung.
Die Aerzte wünschen häufig zu wissen, ob das Volum des Raumwechsels, welches
eine beliebige kranke Brust darbietet, dasjenige ist, welches man nach der ganzen An-
lage des Menschen, seinem Wuchs, seiner Muskelkraft, seinem Alter nach u. s. w. er-
warten durfte. Man sieht, dass die Schwierigkeit, auf eine solche Frage Auskunft zu
geben, darin liegt, für den gerade untersuchten Kranken den Normalmenschen zu
finden. Unzweifelhaft ist das bisherige Verfahren, das Volum der ausgeathmeten Luft
zu vergleichen mit demjenigen, welches gleich alte und gleich grosse Menschen liefer-
ten, etwas willkührlich; die Resultate derselben gaben demnach auch nur geringe
praktische Befriedigung. — Fabius, welcher mit grösserer Einsicht den Gegenstand
behandelte, stellte darum mit Hilfe von Buys-Ballot eine Formel auf; das daraus
berechnete Maass des Luftwechsels kann aber ebenfalls nicht als Vergleichungspunkt
dienen, wie Donders richtig hervorhebt. Denn sie nimmt als einen Faktor mit
auf den Unterschied des Brustumfangs bei der In- und Exspiration, welcher aus
der Messung des Kranken selbst gefunden wurde. Da nun aber ganz offenbar die
Veränderlichkeit des Hohlraums und jene Grösse mit einander steigen und fallen, so
giebt die Formel keinen von der krankhaften Brustveränderung unabhängigen Ver-
gleichungspunkt.
Das Volum des mittleren Athems ist schwer zu bestimmen,
weil sich beim Messen desselben sogleich willkührliche Zusätze und Ab-
züge einfinden. Unzweifelhaft variirt es aber auch bei verschiedenen Men-
schen und steht wahrscheinlich in Beziehungen zur Häufigkeit des Ath-
mens, da es offenbar abnimmt, wenn diese über einen gewissen Werth zu-
nimmt. — Vierordt, der in Folge langer Uebung die Fähigkeit ge-
wonnen hatte, das Volum eines unwillkührlichen Athemzugs ungestört
zu messen, fand es bei sich zwischen 500 und 600 CC.
7. Mischung der zurückbleibenden und der wechselnden Luft*). Setzen
wir beispielsweise das Volum des unveränderlichen Brustraums = 2000 CC.
und das des mittleren Athems = 500, so sieht man sogleich, dass beim
Athmen nur ein kleiner Theil der ganzen Lungenluft im Wechsel begriffen
ist. Demnach wird die neu eintretende und die restirende Luft rasch ge-
mischt und zwar durch den Athemstrom selbst, wie daraus hervorgeht,
dass die Luft, welche unmittelbar nach dem Einathmen auch wieder
ausgeathmet wird, schon so wesentlich ihre Zusammensetzung geändert hat,
dass dieses den langsamer wirkenden Diffusionsströmen nicht zugeschrieben
werden kann. Die wesentlichsten Hilfsmittel zur Erzeugung dieser wir
wollen sagen mechanischen Mischung scheinen zu liegen zuerst in der
grossen Nachgiebigkeit der Lungenbläschen, neben der relativen Steifigkeit
der Bronchialröhren. Dieser Umstand bedingt es natürlich, dass jede Verän-
derung des Lungenraums zusammenfällt mit der der Bläschen, so dass
nur bei sehr bedeutenden Volumsveränderungen der Brust neben den
Lungenenden auch die Lungenwurzeln ausgedehnt werden. Bei jeder
Einathmung, sei sie auch noch so wenig tief, bewegt sie dagegen die
Lungenoberfläche, und zwar immer von dem unbeweglichen Ort des
Brustraums (Spitze und Rückenwand) gegen den beweglicheren (Basis
[319]Luftverändernde Werkzeuge.
und Brustbein) (Donders) *). Darum strömt bei jeder Inspiration
Luft aus den engen Bronchiolis in die weiten Trichter, und stösst dort
gegen die zahlreich vorhandenen Vorsprünge, welche die sogen. Lun-
genzellen begrenzen, so dass der feine eindringende Strom rasch ver-
theilt wird. Im ähnlichen Sinne muss die enge Stimmritze, müssen die
vielen Winkelbiegungen der Bronchi wirken, und endlich muss, um des
Kleinsten zu erwähnen, die Mischung auch durch die Flimmerbewegung
unterstützt werden.
Luftverändernde Werkzeuge.
Damit der bis dahin eingehaltene Gang nicht unterbrochen werde,
verfolgen wir die Schicksale der eingeathmeten Luft sogleich weiter.
Ueber die Feststellung ihrer Veränderungen**). Die Temperaturveränderungen,
welche die ausgeathmete Luft erlitten, misst man nach Valentin und Brunner
mit einer hinreichenden Genauigkeit, wenn man ein empfindliches Thermometer
mittelst eines Korkes in ein längeres Glasrohr befestigt. Eine der Oeffnungen des
Rohrs soll bis zur Capillarenweite verengert sein. Die weitere führt man vor den
Mund und athmet durch dieselbe mehrere Minuten hindurch aus, bis die Temperatur
des Thermometers constant geworden ist.
Mit einer Untersuchung der chemischen Veränderungen der Luft verbindet man
verschiedene Absichten. Entweder man will nur erkennen, wie sich ihre prozentische
Zusammensetzung zu einer beliebigen Zeit gestaltet habe, oder man will wissen, wie
gross die Gewichte der Gase sind, welche während eines bestimmten Zeitraums von
der Lunge verzehrt und produzirt wurden.
Wenn es sich nur um den prozentischen Gehalt der Ausathmungsluft an O, CO2,
N handelt, so genügt es, eine beliebige Menge der Ausathmungsluft aufzufangen und
nach bekannten eudiometrischen Methoden zu analysiren, welche seit Bunsen, Reg-
nault, Frankland einen so hohen Grad von Vollkommenheit und Einfachheit und
damit ein sicheres Uebergewicht über die mühseligen Absorptionsmethoden gewonnen
haben. — Man hat sich dieser vervollkommneten eudiometrischen Methoden leider
noch nicht in allen vorliegenden Untersuchungen bedient; namentlich hat man, wie
z. B. in der ausgedehnten Versuchsreihe von Vierordt, versäumt, die Gasvolumina
vor und nach der Bestimmung eines ihrer Bestandtheile auf gleichen oder auf be-
kannten Gehalt an Wassergas zu bringen, und auch oft nicht die nothwendige Sorg-
falt auf die Temperaturbestimmung gewendet, so dass die in dem Volum des analy-
sirten Gases beobachteten Veränderungen fälschlich alle auf Mehrung eines aus der
Luft entfernten Bestandtheils geschoben werden. Die hieraus erwachsenden Fehler
sind um so merklicher, wenn, wie es bei den Athemgasen gewöhnlich geschieht, aus den
Analysen kleiner Mengen auf die Veränderungen sehr grosser zurückgeschlossen wird,
weil sich dann der Fehler in demselben Verhältniss mehrt, in welchem die analysir-
ten zu den berechneten Voluminibus stehen. — Den Prozentgehalt der Ausathmungs-
luft an Wasserdampf suchte man bis dahin dadurch zu ermitteln, dass man durch
ein Rohr die Luft ausathmete, welches mit Schwefelsäure feuchtem Asbest gefüllt
[320]Luftveränderung; Analytische Methoden.
war. Das dem Mundende entgegengesetzte Ende dieses Rohres stand in Verbindung
mit einem Ballon, der vor Beginn des Versuchs mit Salzwasser oder Oel gefüllt
war. Die ins Rohr geblasene Ausathmungsluft gab an die SO3 ihren Wassergehalt
ab und stieg dann über die Sperrflüssigkeit. Die Gewichtszunahme des Asbestrohrs
giebt den Wassergehalt des Luft olums, welches in den Ballon eingetreten ist (Va-
lentin, Moleschott). Bei solchen Versuchen muss die Vorsicht gebraucht werden,
zwischen den Mund und die Schwefelsäure kein kühles, durch Erniedrigung der Tem-
peratur wasserausfällendes Mittelstück einzuschalten. Dieses etwas umständliche
und durch die nothwendigen Volumbestimmungen der Luft und die Reduktion des
beobachteten Volums auf die höher erwärmte der Lunge immer unsichere Verfahren
könnte vielleicht mit Vortheil ersetzt werden durch das Thermo und Psychrometer,
mit deren Hilfe die Temperatur und der Sättigungsgrad der Luft zu finden sind.
Viel komplizirtere Versuche sind nothwendig, wenn man den ganzen Ge-
winn oder Verlust eines oder aller am Gasaustausch betheiligten Stoffe während
einer bestimmten Zeit feststellen will. In einem solchen Fall muss natürlich das
Gewicht sämmtlicher Luft, welche in die Lunge ein- und ausgeht, bekannt sein, und
da dieses zum grössten Theil wenigstens nur mit Hilfe eines Raummaasses gewonnen
werden kann, so sieht man sogleich die Schwierigkeiten ein, welche sich einer län-
gern Fortsetzung des Versuchs entgegenstellen, wegen der Isolation der grossen
Luftmengen, welche aufgefangen werden müssen.
Am relativ einfachsten gestaltet sich der Versuch, wenn man nur das Gewicht
der CO2 festzustellen beabsichtigt, welches die Ausathmung wegführt, indem dabei
die Feststellung des Volums der eingeathmeten Luft wegen ihres geringen CO2gehal-
tes derselbe unterbleiben darf. Diese Aufgabe hat man sich darum auch am häufig-
sten gestellt. Die in Anwendung gebrachten Methoden, die ganze Menge der CO2 zu
fangen, sind folgende gewesen: 1) Man brachte Mund- und Nasenöffnung des zu
beobachtenden Menschen in einen geschlossenen Raum, z. B. in eine mit einem
Fenster versehene Kautschoukmaske, leitete durch diesen einen Luftstrom, dessen
einseitige Richtung durch Ventile gesichert war; die Luft, welche in die Maske ein-
drang, kam dorthin aus der Atmosphäre und die, welche ausdrang, wurde entweder
durch eine Reihe von Röhren geführt, deren Inhalt CO2 und Wasserdampf absor-
birte (Scharling) oder in einem luftverdünnten Raum (Andral und Gavarret).
Die Gewichtszunahme der Röhren, welche die CO2 absorbirt hatten, gab im ersten
Fall die während der Versuchszeit ausgestossene CO2; im zweiten Fall wurde nach
Beendigung des Versuchs Druck, Temperatur und Volum der durchgetretenen Luft
gemessen und eine Probe derselben oder die ganze Masse analysirt. Der Luftstrom,
welcher durch die Maske hindurchgeführt, wurde bei Andral und Gavarret unter-
halten durch die Unterschiede des Luftdruckes, indem nach der einen Seite hin aus
der Maske eine Röhre in die Atmosphäre und nach der andern in einen oder mehrere
grosse, bei Beginn des Versuchs luftleere Ballons ging. Scharling zog die Luft
mittelst eines Aspirators durch, d. h. er legte hinter die Absorptionsröhren ein
grosses, mit Wasser gefülltes Fass, welches während des Versuchs seine Flüssigkeit
entleerte und sich dafür mit Luft füllte, welche es aus der Maske bezog. Das We-
sentliche dieser Einrichtung giebt Fig. 68. wieder. — 2) Die Personen athmeten un-
gehindert durch die Nase Luft ein und stiessen dieselbe, nachdem sie in der Lunge
verweilt hatte, aus durch ein Rohr, das bei geschlossener Nase in einen geschlosse-
nen, ursprünglich luftfreien Raum mündete. Man bestimmte zu Ende des Versuchs
Volum, Temperatur und Druck des mit Athemgasen gefüllten Raumes, und analysirte
eine Probe der wohlgemengten Luft. Indem man also den prozentischen CO2gehalt
der ausgeathmeten Luft und das Gesammtgewicht dieser letztern kannte, konnte man
auch das Gesammtgewicht der ausgehauchten CO2 berechnen. Die Methoden, die Luft
[321]Lungenathmung; Beobachtungsmethoden.
aufzufangen, waren aber verschiedenartige. Prout bläst die Luft in eine ursprünglich
zusammengepresste luftdichte Blase; Vierordt in einen Ballon, der ursprünglich mit
Salzwasser gefüllt war; Allen, Pepys und Becher in ein mit Quecksilber ge-
sperrtes Gasometer. Um die Versuche mit einer verhältnissmässig geringen Menge
des thenren und schwer zu handhabenden Quecksilbers möglich zu machen, be-
dienten sich Allen und Pepys zweier kleinen Gasometer, deren jeder nur wenige
Athemzüge fassen konnte. Diese wurden abwechselnd benutzt. War einer derselben
mit Luft gefüllt, so wurde aus ihm, nachdem der Inhalt durchgeschüttelt und auf sein
Volum bestimmt war, eine Probe Luft in ein kleines Röhrchen zur späteren Analyse
zurück gestellt, und dann wieder mit Quecksilber gefüllt. Unterdess war in das andere
Gasometer geathmet und dieses dadurch mit Luft gefüllt worden; man kehrte alsdann zu
dem ersten zurück und während dess wurde aus dem zweiten eine Luftprobe entnom-
men u. s. f. — Becher gebrauchte dagegen das Gasometer von Despretz oder
Döbereiner, dessen Einrichtung durch Fig. 60 erläutert wird. Auf das Brett
(E F) ist ein Hohlcylinder aus Eisenblech (A B C D) und ein wohlgefirnisster solider
Holzcylinder (L) aufgeschraubt, so dass der
Hohlraum des Blechcylinders bis auf eine
schmale Rinne und einen über den Holzcy-
linder stehenden Rand ausgefüllt ist. In
diese Rinne passt möglichst genau eine cylin-
drische tubulirte Glasglocke G I K H; wenn
also die Glocke über den Holzpflock möglichst
tief eingeschoben ist, so ist der Hohlraum
des Blechcylinders fast vollkommen ausge-
füllt; in den übrig bleibenden Rest desselben
wird Quecksilber gegossen, das bei möglichst
tiefem Eintauchen der Glocke bis in den Tu-
bulus derselben (M) hineinreichen muss;
bläst man darauf Luft in den mit einem
Hahn versehenen Schlauch (M N), so erhebt
sich die Glocke, das Quecksilber sinkt in
die Rinne zwischen L und A B C D, und
die Luft wird immer gesperrt sein, wenn
auch nur so viel Quecksilber vorhanden ist,
um die Rinne so weit zu füllen, dass das ab-
gerundete obere Ende des Holzpflockes be-
deckt bleibt. Bei O ist in den Blechcylinder ein ebenes Glas eingesetzt, um den
Stand des Quecksilbers und die Erhebung der graduirten Glasglocke abzulesen. —
Die Resultate der Versuche, welche sich des Quecksilbers als Sperrmittel bedienten,
verdienen ceteris paribus natürlich den Vorzug vor denen, in welchen man zu glei-
chem Zwecke Kochsalzlösung anwendete. Denn diese letztere absorbirt merkliche
Mengen von CO2, und es wird diese Absorption um so weniger zu vernachlässigen
sein, als die Ausathmungsluft in einzelnen Blasen durch das Sperrwasser hindurch
dringt und dann über dem letztern stehend es in einer beträchtlichen Ausdehnung
berührt. Der daraus erwachsende Fehler ist auch kein constanter, weil die vom Sperr-
wasser aufgenommene CO2menge variirt mit der Berührungsdauer und dem CO2gehalt
der Ausathmungsluft. So lange nicht durch direkte Versuche die Grenzen dieses Feh-
lers dargethan sind, muss man, dem Ausspruch der bessern Gasanalytiker gemäss, be-
haupten, dass die auf diesem Wege angestellten Versuche nur brauchbar sind, be-
deutende Unterschiede im Kohlensäuregehalt der Ausathmungsluft aufzudecken. —
Alle Versuche aber, welche bis dahin nach der unter Nummer 2 aufgeführten
Ludwig, Physiologie. II. 21
[322]Temperatur und Wassergehalt der Ausathmungsluft.
Methode angestellt wurden, leiden an dem gemeinsamen Uebelstande, dass sie sich
über einen nur kurzen Zeitraum erstrecken. Sie erlauben also bei der ungemei-
nen Veränderlichkeit in der Absonderungsgeschwindigkeit der CO2 keinen Schluss auf
andere, nicht untersuchte Zeitabschnitte.
Geht man endlich darauf aus, geradewegs zu bestimmen, wie viel Ogas in den
Lungen verschluckt, wie viel HOgas dort abgedunstet und wie viel Ngas eingenom-
men oder ausgegeben sei, so muss man Menge und Zusammensetzung der in der
Versuchszeit ein- und ausgeathmeten Luft kennen. Denn diese Gase sind in beiden
Luftarten enthalten und sie können somit nur aus dem Unterschied ihrer Gewichte in
den Ein- und Ausathmungsprodukten aufgefunden werden. Bis dahin sind am Men-
schen solche Versuche nicht angestellt worden. Bei Thieren ist dagegen die Schwie-
rigkeit derselben überwunden, wie wir mittheilen werden, wenn wir auf die staunens-
werthe Versuchsreihe eingehen, welche der grosse Physiker Regnault in Verbin-
dung mit Reiset ausgeführt hat. Dort werden wir auch einige indirekte Methoden
erwähnen, welche sich das oben bezeichnete Ziel gesteckt haben.
1.Temperatur der Ausathmungsluft. Die in die Lungen
aufgenommene Luft muss ihre Temperatur ausgleichen mit derjenigen
der Lungenwand, resp. des in ihr strömenden Blutes. Die Zeit, die zu
dieser Ausgleichung nothwendig, wächst mit dem Temperaturunterschied
zwischen Blut und Luft und dem aufgenommenen Volum der letzteren.
So fand z. B. Valentin (gleiche Zahl und Tiefe der Athembewegung
vorausgesetzt), dass bei einer Lufttemperatur von — 6,3° C. die ausge-
athmete Luft auf + 29,8° C., bei einer Lufttemperatur von + 19,5° C. die
ausgeathmete Luft auf + 37,25° C., bei einer Lufttemperatur von 41,9° C.,
die Ausathmungsluft auf + 38,1° C. erwärmt oder abgekühlt war. Die
zur Ausgleichung der Temperatur nöthige Zeitdauer kann keinenfalls gross
sein bei den zahlreichen Berührungen zwischen Luft und Lungenwand.
2.Vermehrung des Wassergehaltes. Die Luft, welche in
die Athemwege geführt wird, ist meist niederer temperirt, und somit
jedenfalls trockener, als die Ausathmungsluft, welche in den Lungen er-
wärmt und in vielfache Berührung mit feuchten Flächen gebracht wurde. —
Die Luft, welche in die Lungen aufgenommen, wird sich darum rasch
mit Wasser sättigen; der Zeitraum, welcher hierzu nothwendig, wechselt
mit dem Volum, der Trockenheit und der Wärme der Einathmungsluft.
Ueber den absoluten Zeitwerth, der zur Sättigung nöthig, bestehen be-
deutende Widersprüche; Valentin behauptet, dass selbst bei rascher
Athemfolge die Sättigung für die bestehende Temperatur beendet sei;
Moleschott traf sie dann kaum zur Hälfte satt. — Das Gewicht des
Lungendampfes, welches wir in der Zeiteinheit ausstossen, variirt nach-
weislich mit der Zahl der Athemzüge. Hierüber giebt Valentin*) fol-
gende Tabelle, aus welcher hervorgeht, dass das Gewicht des Wasser-
dunstes sich mindert, wenn die Zahl der Athemzüge in der Minute über
sechs steigt.
[323]Kohlensäuregehalt der Ausathmungsluft.
Wünschenswerth würde es sein, zu wissen, wie die Aufenthaltszeit
und das Volum der aufgenommenen Luft mit der Athemfolge gewechselt
habe. Auch mit der Temperatur der Atmosphäre findet Valentin das
Gewicht des ausgestossenen Dampfes veränderlich. In der Kälte sollen
gleich viel Athemzüge weniger Dunst zu Tage fördern, als in der Wärme.
Als tägliches Mittel des von ihm ausgehauchten Wassers giebt Valen-
tin (54 Kgr. schwer) 375 Gr. an. Nach einer geringeren Zahl von
Beobachtungen fand er es bei 8 Studenten zu 540 Gr. täglich. Diese
Menge repräsentirt natürlich nicht den Wasserverlust, den das Blut durch
die Athmung erleidet; um ihn zu finden, würde man von den gegebenen
Zahlen die unbekannte Mengen des Wasserdunstes abzuziehen haben,
welche in der Einathmungsluft enthalten war.
Ueber indirekte Schätzungsmethoden siehe thierische Wärme und Vergleichung
der Ausgabe und Einnahme des Blutes.
3.Veränderung der Kohlensäure. Das Gewicht der ent-
leerten Kohlensäure ändert sich mit dem Unterschied der Kohlensäure-
mengen in der Lungenluft und im Blut, mit der Zeitdauer, während
der dieser Unterschied besteht, mit der Ausdehnung der Berührungsfläche
zwischen Luft und Blut, der Temperatur und dem Druck beider.
Theoretische Einleitung. Um die Bedeutung der Bedingungen richtig zu
fassen, welche die Absonderungsgeschwindigkeit der CO2 beherrschen, dienen folgende
Sätze: 1) Die Kräfte (Spannungen), mit welchen sich die Theilchen eines Gases ab-
stossen, nehmen ab mit der gegenseitigen Entfernung derselben, also mit der abneh-
menden Dichtigkeit des Gases (Mariotte’sches Gesetz); diese abstossenden Kräfte
können ganz in derselben Weise, wie es p. 29 für das Wasser entwickelt wurde,
dazu dienen, Geschwindigkeit oder Spannungen des Gases zu erzeugen, und hier wie
dort, ist die Geschwindigkeit, welche der Gewichtseinheit Gas mitgetheilt werden
kann, proportional dem Unterschied der Spannungen, welcher auf den entgegengesetzt
gerichteten Grenzflächen derselben herrscht.
2) Nur die gleichartigen (aus denselben chemischen Atomen und Atomzahlen be
stehenden) Gastheilchen üben eine Abstossung gegen einander.
3) Die Geschwindigkeit, mit welcher ein ohne Hinderniss bewegliches Gastheil-
chen ein anderes fixirtes flieht, wächst mit der Zeit, so dass es in der ersten Zeit-
einheit einen kleineren Weg zurücklegt, als in der zweiten, in dieser einen klei-
nern als in der dritten u. s. f. — Die Unterschiede der Geschwindigkeiten in den
Zeiteinheiten (die beschleunigenden Kräfte) nehmen dagegen ab mit der stei-
genden Zeit. Dieses folgt aus dem Beharrungsvermögen und aus dem ersten
Satz, dass die Intensität der abstossenden Kraft abnimmt mit der Entfernung.
21*
[324]Kohlensäureausscheidung; theoretische Einleitung.
Denn das Gastheilchen wird die im ersten Augenblick empfangene Geschwindigkeit
auch noch in allen folgenden behaupten; dieselbe wird aber in jedem folgenden
Augenblick vermehrt durch einen neuen Druck der sich abstossenden Gasmolekeln.
Die Anzahl der Stösse, welche das in Bewegung gesetzte Gastheilchen empfangen
hat, wächst also mit der Zeit und darum in derselben Weise die Geschwindigkeit.
Die Kraft der Stösse nimmt aber von einem zum andern Zeittheilchen ab, weil die
Entfernung der beiden Molekeln mit der Dauer der Bewegung steigt, und darum ver-
ringert sich mit der steigenden Zeit die beschleunigende Kraft, welche von jenen
Stössen abhängt.
4) Die Gesetze, welche für die Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten durch Röhren
gelten, finden auch ihre Anwendung auf Gase, welche sich im Diffusionsstrom durch Röh-
ren bewegen. Tauchte z. B. die eine Mündung eines Rohrs in einen Behälter voll Sauer-
stoffgas und die andere Röhrenöffnung in eine Atmosphäre von Kohlensäure, so würden
unabhängig von einander zwei Gasströme in entgegengesetzten Richtungen durch das
Röhrenlumen laufen, und zwar darum ohne gegenseitige Störung, weil die Sauerstoff-
theilchen nicht von der CO2 und diese nicht von jener gedrückt würden. Die Bewe-
gung eines jeden dieser Ströme würde einzig und allein begründet sein in der Ab-
stossung der gleichartigen Gastheilchen, oder, was dasselbe bedeutet, von dem Dichtig-
keits- (Spannungs-) unterschied, welcher zwischen den gleichartigen Gastheilchen an
den beiden Enden der Röhre besteht. Vorausgesetzt, man bewerkstelligte es nun durch
irgend welche Vorrichtung, dass der Spannungsunterschied am Ende und am Anfang
des Rohrs während der ganzen Versuchsdauer unverändert bleibe, so würde sich auch
die Geschwindigkeit eines jeden Stroms in dieser Zeit constant erhalten, und es
müsste, weil eine Bewegung materieller Theilchen vor sich geht, die Geschwindig-
keit abhängig sein einerseits von dem Spannungsunterschied, und andererseits von
den Reibungen und dem Widerstande, welche die Anordnung der Röhre mit sich
bringt. Da es den Anschein hat, als ob diese Behauptungen der Theorie an sich
klar wären, so betonen wir der physiologischen Wichtigkeit wegen nur, dass die Di-
mensionen des Rohrs von Einfluss sind auf die Geschwindigkeit des Diffusionsstroms
nach der Röhrenlänge. Nehmen wir an, es sei uns ein trichterförmiges Rohr A B
Fig. 61 gegeben, in welcher ein Sauerstoff-
strom von B nach A und ein Kohlensäure-
strom von A nach B gehe. Gesetzt nun,
es sei der Unterschied der grössern Kohlen-
säuredichtigkeit bei A und der geringere bei B
gleich demjenigen für den Sauerstoff bei B
(der grössern) und A (der geringern), so wür-
den die Triebkräfte, welche den CO2 strom
bewegen, doch grösser sein, als diejeni-
gen, welche die Sauerstoffbewegung einlei-
ten und darum auch die Geschwindigkeit
des ersteren über die des letztern überwie-
gen. Dieses ist ohne weiteren Beweis einleuchtend, weil bei gleicher Spannung in
den Gasflächen die Zahl der CO2theilchen, welche von A nach B hin drückt, grösser
ist, als die der Sauerstofftheilchen, welche von B nach A hin drängen. Wir machen
im Voraus darauf aufmerksam, dass der CO2strom beginnt von der Lungenoberfläche,
welche eine Ausbreitung von vielen Quadratfussen besitzt, und mündet in der engen
Luftröhre, während umgekehrt der Sauerstoffstrom von den Wurzeln gegen die En-
den der Lunge streichen muss.
5. Setzen wir voraus, es wäre uns ein geschlossener Raum gegeben, welcher mit
einer beliebigen Gasart, z. B. mit atmosphärischer Luft, gefüllt sei, und es werde
[325]Kohlensäureausscheidung; theoretische Einleitung.
eine beliebige Grenze dieses Raums in Verbindung gebracht mit einer andern Gasart,
z. B. CO2, deren Dichtigkeit unveränderlich gedacht wird, Bedingungen, wie sie an-
nähernd in der Lunge verwirklicht sind, so werden wir behaupten dürfen: a) Die
Geschwindigkeit des Diffusionsstroms aus der CO2 in die Luft nimmt ab, wenn die
Zeit des bestehenden Diffusionsstroms zunimmt, und insbesondere wird sich die Ge-
schwindigkeitsabnahme so gestalten, dass sie im Beginn des Diffusionsstroms rasch
und mit der wachsenden Dauer desselben langsamer und langsamer absinkt. Ab-
nehmen muss die Geschwindigkeit überhaupt, weil die treibenden Kräfte, oder
der Dichtigkeitsunterschied der CO2, zwischen der angenommenen Grenzfläche und
dem geschlossenen Raum mit dem Eindringen von CO2 in den letztern geringer
werden muss. Im Beginn der Zeit, wo der geschlossene Raum vollkommen CO2 frei
war, wird der Strom unter der ganzen Spannung der angrenzenden CO2 eintreten;
im nächsten Augenblick wird der Strom schon gehemmt durch die zuerst eingetretene
CO2 u. s. f. und die Geschwindigkeit muss also immer langsamer werden. Daraus
geht auch hervor, dass die Geschwindigkeitsabnahme nicht im geraden Verhältniss
zum Wachsthum der Zeit erfolgen kann. Die Geschwindigkeit wird auf Null herab-
sinken, wenn die CO2spannung im geschlossenen Raum und an der angenommenen
Grenzfläche gleich geworden ist. — b) Der Zeitraum, welcher verfliesst, bis die Dichtig-
keit der CO2 in dem geschlossenen Raum und der Grenzfläche gleichwerthig ist, wächst
(bei gleicher Berührungsfläche und gleicher ursprünglichen Spannung der CO2) mit
dem Cubikinhalt des Raumes; er nimmt dagegen ab (bei gleicher Spannung und gleichem
Cubikinhalt des Raums) mit der Berührungsfläche, und (bei gleicher Berührungsfläche
und gleichem Cubikinbalt) mit abnehmender Anfangsspannung. Genauere Angaben über
die Zu- und Abnahme der Zeit unter den gegebenen Umständen sind noch nicht gelie-
fert. — c) Das Maximum des Dichtigkeitsunterschiedes, welches die CO2 während der
Stromdauer in den verschiedenen Querschnitten des geschlossenen Raum darbietet, nimmt
mit der Zeit ab; mit der nähern Bestimmung, dass die Abnahme während gleicher Zeiten
um so geringer wird, je entfernter die Zeit vom Beginn des Stromes liegt. Zur Verdeut-
lichung dieses Satzes ziehen wir die Fig. 62 herbei.
Stellen wir uns ihr entsprechend den geschlosse-
nen Luftraum als einen Hohlcylinder vor, der mit
einer seiner Grundflächen AB in ein Kohlensäure-
meer von constanter Dichtigkeit taucht, so wird
der Ort der höchsten Spannung immer auf der
Fläche A B und der der niedrigsten auf der ent-
gegengesetzten Grundfläche C D zu finden sein.
Denn es ist das Fortschreiten des Diffusionsstromes eine Folge der fortlaufend ver-
änderten Dichtigkeit (nicht aber etwa einer Wellenbewegung) und es muss dem-
nach, wenn die Bewegung von einem an A B nähern zu einem von A B entferntern
Ort gehen soll, die Spannung an dem erstern höher als an dem letztern sein. Das
Maximum des Dichtigkeitsunterschiedes wird also immer gefunden, wenn man die auf
der Fläche C D bestehende Spannung abzieht von der constanten in AB. Wir wollen
uns nun der Einfachheit wegen die Dichtigkeit der CO2 an beiden Orten gemessen
denken durch die gleichen Längeneinheiten der Linien C D und A B. Die vorhin aus-
gesprochene Behauptung würde nun, auf den Fall in Fig. 62 übertragen, so lauten,
dass die Dichtigkeit der CO2 auf der Fläche C D in kürzerer Zeit von Null auf halb
D C (von D auf E) ansteigt, als von halb D C auf ganz D C. Dieses rechtfertigt sich
aber dadurch, dass die absoluten Mengen von CO2, welche zur Herbeiführung eines
gleichen Zuwachses von Dichtigkeit auf C D nothwendig sind, gleich sein müssen.
Die Menge der CO2 aber, welche ein Strom unter Voraussetzung gleichen Quer-
schnitts in der Zeiteinheit mit sich führt, ist natürlich proportional dem Spannungsunter-
[326]Kohlensäureausscheidung; theoretische Einleitung.
schiede der CO2 am Beginn und Ende der Strombahn (= der Geschwindigkeit desselben).
Nun bewegt sich aber, wenn die Dichtigkeit in C D von Null (D) auf ½ D C (E) an-
wächst, der Spannungsunterschied zwischen ganz und halb D C (sein arithmetisches
Mittel in diesen Grenzen ist = ¾ D C), während er sich bei dem Ansteigen der Span-
nung von ½ C D (E) auf ganz D C (C) zwischen ein halb D C und Null bewegt (sein
arithmetisches Mittel ist = ¼ D C). Die Stromgeschwindigkeit wird also zwischen
E und D auch viel grösser sein, als zwischen E und C. — Die soeben gewonnene
Erfahrung führt uns weiter zu der Behauptung: d) Die Curve der Dichtigkeit, be-
schrieben über die Achse des geschlossenen Raums, nimmt mit der wachsenden Strom-
dauer an Steilheit ab. Zum Verständniss dieses Satzes ist zunächst die Erläuterung
einiger Ausdrücke nothwendig. Achse des geschlossenen Raumes nennen wir die ge-
rade Linie, welche einen Punkt höchster mit dem zunächst gelegenen niedrigster Span-
nung verbindet. In dem Beispiel, welches Fig. 62 darstellt, würden also alle Li-
nien, welche der Cylinderachse parallel laufen, als Achsen des geschlossenen Raumes
zu bezeichnen sein. Dächten wir uns nun auf eine dieser Achsen der Reihe nach die
verschiedenen Dichtigkeiten der CO2 und zwar als Ord naten aufgetragen, die in den Orten
enthalten sind, welche die Achse durchschneidet, so würden wir die Curve der Dich-
tigkeit erhalten. Die Curve der Dichtigkeit giebt also nichts anderes als einen Aus-
druck für die Vertheilung der CO2 nach einer bestimmten Richtung des geschlossenen
Raumes, und darum will die obige Behauptung nichts anderes sagen, als dass die
Spannungsunterschiede, welche die Längeneinheit des Stroms an einer beliebigen,
aber bestimmten Stelle desselben darbietet, mit der Stromdauer abnimmt, und ferner,
dass die Zeit, welche zur gleichwerthigen Verminderung dieser Unterschiede noth-
wendig ist, mit der Dauer des Diffusionsstroms wächst. Die Nothwendigkeit dieses
Satzes leuchtet gleich ein, wenn man, wie dieses in Fig. 62 geschehen, annimmt, dass
die Dichtigkeit auf der Achse (B D) abnehme proportional der Entfernung ihrer Punkte
von dem Anfangsorte höchster Spannung B. Unter dieser Voraussetzung geht bekannt-
lich die Steilheit der Spannungscurve A E und A D an jedem beliebigen Abschnitte
der Achse proportional dem Maximum des Spannungsunterschiedes, welches in dem
Raume enthalten ist. Dieser letzte Zusatz gilt nun allerdings nicht mehr, wenn die
Curve der Spannung einen gekrümmten Verlauf angenommen hat, indem dann nicht
überall die Spannungsunterschiede proportional dem Maximum desselben abgenommen
haben werden, aber immerhin muss sich auch hier die Abnahme des grössten Unter-
schiedes vertheilen auf den Verlauf der Curve und diese somit im Allgemeinen an
Steilheit abnehmen. — Bei der praktischen Bedeutung, welche der Curve der Dichtig-
keit zukommt, wäre es wünschenswerth, ihre allgemeinste Form zu entwickeln in
einem geschlossenen Raum von der Gestalt der Lungenhöhle. Bei der Complikation
dieser letztern ist dieses aber unmöglich; wir müssen uns also mit dem gegebenen
ungefähren Ausdruck befriedigen.
6. Die Temperaturunterschiede der Orte, von und zu denen die Strömung geht, sind
bedeutungsvoll, weil sie bei gleicher Dichtigkeit des Gases einen Spannungsunterschied
desselben erzeugen; denn mit der steigenden Temperatur mehrt sich die abstossende
Kraft der Gastheilchen. Eine gleichmässige Erhöhung oder Erniedrigung der Tem-
peratur an allen Orten des Diffusionsstroms könnte auf diesen nur einflussreich sein
durch Veränderung einer etwa bestehenden Reibung.
7. Bis dahin verfolgten wir Geschwindigkeit und Spannung der CO2 innerhalb des
Diffusionsstroms ohne Rücksicht darauf, wie die CO2, welche in dem Beginn des
Stroms eintrat, entwickelt wurde; dieser letztere Faktor konnte uns für den weitern
Gang der CO2, wenn sie überhaupt einmal in gasförmigen Zustand getreten war,
vollkommen gleichgiltig sein. Dieses wird aber nicht mehr der Fall sein dürfen,
wenn wir uns nach den Umständen erkundigen, von welchen die Dichtigkeit der CO2
[327]Kohlensäureausscheidung, abhängig von der Athembewegung.
in der Grenzfläche des mit Luft gefüllten und gesperrten Raumes, oder in unserm
Fall in den Wandungen der Lunge, abhängt. Indem wir uns erinnern, dass die
CO2, welche in die Lungenhöhle austritt, aus dem Blut ihren Ursprung nimmt, wird
uns auch sogleich einleuchtend, dass auf die CO2, welche jenseits der innern Lungen-
fläche gelegen ist, nicht mehr die Regeln anwendbar sind, nach welchen wir die
Ausbreitung der gasförmigen CO2 beurtheilen. Denn die CO2 ist dort in einer alka-
lischen Lösung vorhanden, welche die Eigenschaft besitzt, die Spannungen zu mindern
oder ganz aufzuheben, die sich zwischen den Theilchen der freien CO2 finden. Wir
müssen uns also von Neuem an die Erfahrung wenden. Diese ist aber für die Ver-
dunstungserscheinungen der CO2 aus dem Blute noch so gut wie gar nicht um Rath
gefragt worden. Wir wissen nur, dass die CO2 aus dem Blut verdunstet, wenn dieses
mit CO2 freien Räumen bedeckt wird. Dürften wir uns der allerdings wahrschein-
lichen Annahme hingeben, dass die Entwickelung der CO2 aus dem Blute nach den-
selben Grundsätzen zu beurtheilen sei, nach welchen sie aus einer Lösung von dop-
pelt kohlensaurem Natron erfolgt, so würden wir in Folge einer Untersuchung von
E. Becherschon etwas weiter im Klaren sein. Nach den Angaben dieser Arbeit, die
mir im Manuscript vorliegt, verhält sich eine Lösung von doppelt kohlensaurem Natron
folgendermaassen: Eine jede Lösung dieses Salzes dunstet in einem geschlossenen,
ursprünglich CO2freien Raum so lange CO2 ab, bis diese letztere eine gewisse Dich-
tigkeit erreicht hat; so wie dieses geschehen, hört die Abdunstung auf. Der mess-
bare Werth der CO2 spannung in dem geschlossenen Raum kann demnach als ein
Maass für die Spannkräfte der CO2 in der Salzlösung angesehen werden. Der Werth
dieser Spannkraft steigt a) mit dem Gehalt der Lösung an doppelt kohlensaurem Na-
tron. Sie war z. B. in einer Lösung mit 6,1 pCt. NaO 2CO2 = einer 92,9 MM.
hohen Quecksilbersäule und bei derselben Temperatur in einer Lösung mit 3,1 pCt.
= einer 44,0 MM. hohen Quecksilbersäule. — b) Die Spannung steigt mit der Tempera-
tur; so betrug sie in der ersten Lösung bei 15,2° C. = 92,9 MM. Hg und bei 17,2° =
103,5; bei noch weiterem Wachsthum der Temperatur scheint sie rascher zuzuneh-
men. — c) Die Geschwindigkeit des CO2stroms, welcher aus der Lösung hervorgeht,
ist direkt proportional dem Unterschied der CO2 spannung in der Lösung und in dem
überstehenden Luftraum. — d) Die Geschwindigkeit des Stroms wird wahrscheinlich
gesteigert, wenn sich der Druck der wenn auch CO2freien Luft mindert, welche auf dem
Spiegel der Flüssigkeit lastet; demnach würden sich die Verdunstungserscheinungen
der CO2 aus doppelt kohlensaurem Natron verhalten wie die des Wassers. — f) Der
absolute Werth der Geschwindigkeit, mit welcher das Gas aus der Lösung von doppelt
kohlensaurem Natron verdunstet, ist gering. Diese Versuche müssen wiederholt, ver-
vielfältigt und auf das Blut ausgedehnt werden.
Die folgende Darstellung der Schwankungen in der CO2ausscheidung
untersucht der Reihe nach den Einfluss der Athem - und Blutbewegung,
der Luft und Blutzusammensetzung und endlich der verschiedenen Zu-
stände der Lungenwand.
Athembewegung. Im Ruhezustand des Brustkastens ist der
Lungenraum mit Luft gefüllt, welche, in feine Bläschen vertheilt, durch
Wandungen von einer enormen Ausdehnung begrenzt wird; diese letzteren
sind durchzogen, man könnte sagen gebildet, von einem dichten Blut-
gefässnetze, dessen Inhalt verdunstbare CO2 führt. Insofern also die Luft
in dem Lungenraum jemals CO2frei war, wird sie sogleich einen Antheil
dieses Gases empfangen, und dieser Antheil wird, alles andere gleich ge-
setzt, mit der Zeit ihres Verweilens in der Lunge so lange wachsen, bis
[328]Kohlensäureausscheidung abhängig von der Athembewegung.
sie die Spannung der CO2 im Blute angenommen hat. Bevor jedoch diese
Ausgleichung eintritt, geschieht eine Einathmung, durch welche CO2 freie
Luft theils mit der bis dahin vorhandenen vermengt und theils über die
bis dahin vorhandene geschichtet wird. Das erstere geschieht, wenn die
Einathmung zu voluminös ist, um nach Verdrängung der Luft aus den
Bronchien in diesen Platz zu finden, so dass ein Theil der eingeathmeten
noch in die Bläschen gelangt; der in den Bronchien zurückbleibende
Theil der neu eingetretenen Luft ist die aufgeschichtete. Nach längerem
oder kürzerem Verweilen wird sämmtliche mit der Einathmung aufgenom-
mene Luft wieder ausgestossen, nachdem sie natürlich durch Diffusion
und Mischung CO2 empfangen, und es bleibt nach dieser Exspiration ein
Gasgemenge zurück, welches weniger CO2 enthält, als unmittelbar vor der
Inspiration. Der CO2gehalt desselben steigt von Neuem, und es wieder-
holt sich dann der frühere Vorgang u. s. f. Bei einer solchen Einrich-
tung unseres Apparates dürfen wir alles übrige gleichgesetzt erwarten:
a) Nach vollendeter Einathmung wird die Dichtigkeit der CO2 in der
Lungen (oder der Prozentgehalt ihrer Luft an CO2) abnehmen von den
Lungenwänden hin gegen das Centrum der einzelnen Höhlenabtheilungen
und von den engeren Röhren (den Infundibulis) gegen die weiteren (die
Bronchien). Der Unterschied der Dichtigkeit an diesen verschiedenen
Orten wird abnehmen mit der Aufenthaltszeit der Luft in der Lunge.
Allen, Pepys und Vierordt, welche bei ihren Versuchen auf diesen
Umstand Rücksicht nahmen, fanden in der That, dass die Luft, welche
in dem Beginn der Ausathmung ausgestossen wird, ärmer an CO2 ist,
als diejenige, welche am Ende der Ausathmung erscheint. Der grössere
Theil ersteren Luftquantums kommt aber unzweifelhaft aus den Bronchien,
der letztere ursprünglich aus den Lungenbläschen. — Dieser Unterschied
des CO2gehaltes verschwindet jedoch nach Vierordt*), wenn die ein-
geathmete Luft 40 Sec. lang in der Lunge verweilte, bevor sie wieder
ausgestossen wurde. Da zu dieser Zeit, wie wir sehen werden, der
CO2strom von dem Blut zu der Luft noch nicht geschlossen ist, so muss
man annehmen, dass auch dann noch Unterschiede bestehen, die aber
durch den Versuch nicht nachweisbar waren (siehe die theoretischen
Betrachtungen 5. c und d).
b) Die mittlere Dichtigkeit (der Prozentgehalt) der CO2 in der aus-
geathmeten Luft wird um so mehr zugenommen haben, je länger die ein-
geathmete Luft in der Lunge verweilte und je kleiner das eingeathmete
Luftvolum gewesen war (Vierordt). Um den ersteren Theil dieses
Satzes festzustellen, genügt es, in kurz aufeinander folgenden Zeiten Ein-
und Ausathmungen von immer gleichem Volum auszuführen und die auf-
genommene Luft der Reihe nach kürzere und längere Zeit zurückzuhalten,
[329]Kohlensäureausscheidung abhängig von der Athembewegung.
bevor sie wieder ausgestossen wurde. Als Beispiel für den Gang der
Sättigung führen wir eine mit genauen Hilfsmitteln angestellte Versuchs-
reihe von E. Becher an. In dieser wurden im Mittel 4560 CC. Luft
ein- und ausgeathmet; die Dauer der Einathmung betrug 2 bis 3 Sek.,
die Zeit des Zurückhaltens der Reihe nach 0, 20, 40, 60, 80, 100 Sek.
Der mittlere Prozentgehalt der Ausathmungsluft an CO2 betrug nach 0 Sek.
= 3,6 pCt.; nach 20 Sek. = 5,6 pCt.; 40 Sek. = 6,3 pCt.; nach
60 Sek. = 7,2 pCt.; nach 80 Sek. = 7,3 pCt.; nach 100 Sek. =
7,5 pCt. Werden diese Zahlen in ein Coordinatensystem eingetragen,
(Fig. 63), dessen Abszisse
die Zeit, dessen Ordinate
die CO2prozente misst, so
geben dieselben die ein-
liegende Curve, welche
uns zeigt, dass die Zu-
wüchse, welche die Dich-
tigkeit der CO2 in glei-
chen Zeiten empfängt,
rasch abnehmen, wenn
die Zeitdauer des Zurück-
haltens der Luft wächst.
In Zahlen ausgedrückt,
wuchs nemlich von 0 bis
20 Sek. der Gehalt um 2,0; zwischen 20 und 40 Sek. um 0,7; zwischen
40 und 60 um 0,9; zwischen 60 und 80 um 0,3 und zwischen 80 und
100 um 0,2 pCt. Die einzige Zahl dieser Reihe, welche freilich inner-
halb der Fehlergrenzen von dem durch die Theorie verlangten Gange ab-
weicht, ist wahrscheinlich die dritte zwischen 40 und 60 Sek. gelegene. —
Vierordt giebt eine Beobachtungsreihe, aus der hervorgeht, dass ein
kleines Volum eingeathmeter Luft kürzere Zeit in der Lunge zu verweilen
braucht, um den CO2gehalt zu gewinnen, welchen ein bedeutenderes in
längere Zeit erreicht. Als er nemlich 500 bis 600 CC. Luft mit je einer
Einathmung einzog und 1800 CC. ausstiess und in einer andern Reihe
möglichst tief inspirirte und jedesmal etwa 3600 CC. ausathmete, so gab
er in der ersten Reihe nach 20 Sek. Zurückhaltens eine Luft mit 6,5
pCt. CO2; nach 40 Sek. = 7,2 pCt. und nach 60 Sek. = 7,4 pCt.
In der zweiten Reihe hielt dagegen die Luft nach 20 Sek. = 4,8 pCt.,
nach 40 Sek. = 5,2 und nach 60 Sek. = 6,0 pCt. CO2. — Allerdings
sind beide Reihen nicht ganz vergleichbar; in dieser Beobachtung beson-
ders nicht, weil in der ersten Reihe die ausgeathmete Luft in überwie-
gender Menge aus solcher bestehen musste, welche länger als die be-
zeichneten Zeiten in der Lunge zurückgeblieben war. — Hätte man aber
auch diese Ungleichheit beseitigt, so würden sich dennoch die beiden
[330]Kohlensäureausscheidung, abhängig v. der Athembewegung.
Versuchsreihen durch mehr als durch blose Volumunterschiede der auf
genommenen Luft unterscheiden. Das grössere Volum dringt tiefer in die
Bläschen und mischt sich dort inniger, und um es aufzunehmen müssen
sich die Lungenwände, mit ihren Gefässen, d. h. die Berührungsflächen
zwischen der Luft und den CO2 abdunstenden Häuten weiter ausdehnen.
Aus diesem Grunde wird die Verlängerung der Sättigungszeit, welche durch
die Volumvermehrung herbeigeführt wurde, wieder abgekürzt werden.
c) Die mittlere Geschwindigkeit der CO2strömung in den Lungenraum
hinein steigt mit dem Volum der in der Zeiteinheit (Minute) eingeathme-
ten Luft und mit der Geschwindigkeit des Luftwechsels (Vierordt).
Dieses geschieht darum, weil durch die Ventilation die Dichtigkeit der
CO2 in der Lungenluft vermindert und der Spannungsunterschied zwi-
schen der CO2 im Blut und in der Luft erhöht wird. Man könnte also
auch sagen, die Geschwindigkeit der CO2strömung und damit die absolute
Menge von CO2, welche in der Zeiteinheit durch die Lunge entleert wird,
steigt, wenn der prozentische CO2gehalt in der ausgestossenen Luft ab-
nimmt. Der scheinbare Widerspruch, dass die absolute Menge der CO2
in der Ausathmungsluft wächst mit der abnehmenden Dichtigkeit dersel-
ben, löst sich, wie begreiflich, leicht; denn wenn der prozentische CO2-
gehalt der Luft abgenommeen, so hat sich in ungemein reichlicherer Weise
die Menge der in der Zeiteinheit ausgestossenen Luft gemehrt. — Die
Athembewegungen sind nun im Stunde, dasselbe Luftvolum auf zwei ver-
schiedene Arten in die Lunge zu führen, entweder durch zahlreichere
und flachere oder durch seltenere und tiefere Züge. Bei gleichem Volum
der wechselnden Luft wird der letztere Respirationsmodus die Menge der
ausgeführten CO2 mehr steigern, als der erstere, denn es begünstigt der-
selbe die mechanische Mischung der zurückbleibenden und der eingeathme-
ten Luft, und er vergrössert auch die Berührungsfläche zwischen der letz-
tern und dem Blute. Die Versuche von Vierordt geben folgende Zahlen:
Vergleicht man die Zahlen je einer dieser Reihen, so sieht man so-
gleich, dass, wenn die absolute Menge der ausgehauchten Luft wächst,
der Prozentgehalt der CO2 ab- und die absolute Menge derselben zu-
nimmt. — Vergleicht man aber die Zahlen beider Tabellen, und nament-
[331]Kohlensäureausscheidung abhängig v. der Athembewegung.
lich die absoluten Mengen und die Prozente der CO2 bei gleichem Volum der
Exspirationsluft, so sieht man, dass die CO2prozente bei langsamer Athem-
folge (ausgenommen sind nur die Beobachtungen mit 6 Zügen in der
ersten und mit 12 in der zweiten Reihe), höher sind, als bei rascher. Dar-
aus würde man den Beobachtungen zuwider folgern können, dass die mitt-
lere Geschwindigkeit des CO2stroms in die Lungenluft bei langsamer Athem-
folge und voluminöseren Luftzügen geringer sein möchte, als bei dem ent-
gegengesetzten Modus zu athmen; wenn trotzdem mehr CO2 geliefert wird,
so kann dieses seinen Grund nur in der grössern Strombreite (wegen
vermehrter Berührungsfläche) oder in der Ausgiebigkeit der mechanischen
Mischung haben. — Natürlich sind diese Erklärungsgründe nur giltig,
wenn, was aus dem Versuche nicht hervorgeht, die Zeit, während welcher
die eingeathmete Luft in der Lunge verblieb, für gleiche Luftvolumina
dieselbe war, und wenn zur Zeit der beiden Reihen gleiche Spannungen
der CO2 des Blutes bestanden.
d) Die mittlere Geschwindigkeit, mit welcher die CO2 in die Lungen-
luft strömt während einer ganzen Respirationsphase (Ein-, Ausathmung,
Pause), wird, alles übrige gleichgesetzt, wachsen mit der Zeit, während
welcher der Brustkorb in der Einathmungsstellung verweilt. Bei grösserm
Umfang des Brustkastens wird die Dichtigkeit der CO2 in dem Lungen-
raum langsamer ansteigen, als bei geringem; demnach wird im ersten
Fall längere Zeit ein grosser Spannungsunterschied bestehen. Versuche,
welche diese Angabe der Theorie bestätigen, fehlen.
Eine Untersuchung, welche die oben aufgestellten theoretischen Voraus-
setzungen auf ihre Richtigkeit prüfen wollte, müsste, ausser den schon ange-
gebenen, mindestens noch folgende Bedingungen erfüllen: 1) Sie hätte her-
zustellen die Gleichheit: in der Zusammensetzung von eingeathmeter Luft in
der Menge und Zusammensetzung der in der Lunge restirenden Luft, in der
Zusammensetzung und Stromgeschwindigkeit des Bluts. Dieses Alles ist an-
nähernd zuerreichen, theils dadurch dass man die zu vergleichenden Ver-
suche unmittelbar hinter einander anstellt, theils dass man den Brust-
kasten auf einem bestimmten Umfang hält. — 2) Sie hätte zu verändern
die Zeit, während welcher das eingesogene Luftvolum in dem Brustkasten
zurückgehalten wird, und gleich zu halten: das gesammte Volum des Luft-
wechsels in der Zeiteinheit, die Berührungsflächen zwischen Blut und
Luft und den Umfang der mechanischen Mischung neuer und restirender
Luft in der Lunge. Dieses wäre zu erreichen, wenn man gleich viel
Luft, immer gleich rasch eingezogen, mehr oder weniger rasch wieder
entfernte, so dass die Athempause kürzer oder länger würde. — 3) Sie
hätte zu verändern das in der Zeiteinheit gewechselte Luftvolum und dabei
gleich zu erhalten die mechanische Mischung, den Querschnitt des Diffu-
sionsstroms, die Anwesenheitsdauer der inspirirten Luft; um dieses zu
erfüllen, würde man eine ungleiche Zahl gleich tiefer Athemzüge machen,
[332]Kohlensäureausscheidung abhängig vom Blutstrom
von denen jeder einzelne um so länger gehalten werden müsste, je sel-
tener die Athemzüge erfolgten. — 4) Sie hätte zu verändern die mecha-
nische Vermischung der neuen und restirenden Luft und die Berührungs-
flächen zwischen Luft und Blut und dabei gleich zu machen: das in der
Zeiteinheit gewechselte Luftvolum, die Zeitdauer der Einathmungsstellung.
Dieses würde geschehen, wie wir schon oben unter c erwähnten, oder
auch durch Bewegungen des Brustkorbs nach geschehener Einathmung
und bei geschlossener Stimmritze.
Blutstrom. Bei der Frage, wie eine Veränderung des Blutstroms
in der Lunge die Ausscheidung der Kohlensäure vermehren oder ver-
mindern könne, ist wesentlich auseinander zu halten, der Einfluss variabler
Spannung und variabler Geschwindigkeit des Stroms.
Eine vermehrte Spannung des Blutstroms muss nun, alles andere
gleichgesetzt, unzweifelhaft die Ausscheidung der CO2 mehren, und zwar
auf zweierlei Art. Zunächst wird durch sie die Berührungsfläche zwi-
schen Blut und Luft vergrössert; da sich die Gefässe, in denen das Blut
unter einem höheren Druck strömt, ausdehnen. Mit dem Druck des
Gesammtblutes mehrt sich aber auch der Druck seiner CO2; und dieser
stellt demnach eine zu den gewöhnlichen neu hinzukommende Bewe-
wegungsursache dar, vorausgesetzt, dass die gashaltige Flüssigkeit mit
einem Raum von niederer Spannung in Berührung kommt, wie dieses in
der That zwischen Blut und Lungenluft geschieht. — Ob diese Umstände
von praktischer Bedeutung sind, ist noch niemals untersucht worden.
Der veränderten Geschwindigkeit des Blutstroms würde nur ein Ein-
fluss auf die CO2abscheidung zuzuschreiben sein, wenn es feststünde,
dass der Unterschied der CO2 spannung in dem arteriellem und venösem
Lungenblut merklich stiege, wenn die Geschwindigkeit des Stroms in den
Grenzen des normalen Lebens abnimmt. Man könnte in der That geneigt
sein, dieses in Abrede zu stellen, weil jedenfalls die Zeit, während wel-
cher ein Bluttheilchen in den Lungencapillaren verweilt, nicht merklich
grösser ausfällt, je nachdem es das einemal langsamer als das anderemal
die ungemein kurze Wegstrecke durch die Lungenbläschen zurücklegt. Die
Möglichkeit kann freilich nicht bestritten werden. Setzten wir also fest, das
langsam strömende Blut führe beim Austritt aus der Bläschenwand CO2
von niederer Spannung (weil es bei längern Aufenthalt in der Lunge
mehr abgegeben), als das rasch fliessende, und geben wir in beiden
Fällen dem arteriellen Blut gleiche Spannung, so würde die mittlere
CO2dichtigkeit des Bluts während des Aufenthaltes in der Lunge beim
langsamen Strom geringer, als beim raschen sein. Der rasche Strom
beschleunigt also die Abscheidung. Beobachtungen über die hier bespro-
chenen Probabilitäten, sind nicht angestellt.
Luftveränderungen. a) Die Zusammensetzung der ein-
geathmeten Luft, insofern sie von der gewöhnlichen atmosphärischen
[333]und von der Zusammensetzung der Einathmungsluft.
abweicht, kann, aus allgemeinen physiologischen Gesichtspunkten betrachtet,
auf zweierlei Weise verändernd in die Abscheidung der CO2 eingreifen. Ein-
mal, indem sie ein Material in die Lungen und von da in das Blut führt, wel-
ches die Bildung von CO2 innerhalb aller oder einzelner Organe fördert oder
hemmt; mit einem Wort dadurch, dass sie die Zusammensetzung des
Bluts ändert; wir werden die Betrachtung dieser Einflüsse einstweilen ver-
schieben. — Dann aber greift möglicher Weise die in ihrer normalen Zu-
sammensetzung veränderte Luft auch dadurch auf die Abscheidung der
Kohlensäure ein, dass sie die Entleerung der einmal in dem Blute vor-
handenen beschleunigt oder verlangsamt. Diese letztere Weise der Ein-
wirkung, die wir hier abhandeln, hebt sich vor der ersteren sogleich da-
durch ab, dass sie sich nicht erst nach dem Verlauf von mehreren,
vielleicht von vielen Einathmungen, geltend macht, sondern schon mit
dem ersten Athemzug aus der verändert zusammengesetzten Luft.
Der Physiolog muss nun mit Rücksicht auf die Veränderung in der
Zusammensetzung der Einathmungsluft den Unterschied als wesentlich
festhalten, ob der CO2 freie oder der CO2 haltige Theil der Atmosphäre
alterirt worden ist.
1) Bei der Athmung in kohlensäurefreien Gasen muss der
Theorie entsprechend die CO2 ausscheidung überall dieselbe bleiben, wenn
auch die Zusammensetzung der eingenommenen Luft sonst noch so sehr
wechselt. Diese Behauptung ist die nothwendige Folge aus dem fest-
stehenden Grundsatz, dass nur die Molekeln der gleichartigen Gasarten
im Stande sind, sich gegenseitig in ihrer Ausdehnung, oder wie man
sich gewöhnlich ausdrückt, in ihrer Diffusion zu hemmen. Versuche, die
zur Bestätigung dieses Satzes dienen könnten, lassen sich nur mit weni-
gen Gasarten ausführen. Denn einmal sind viele Gasarten, deren Auf-
zählung in der Toxikologie gesucht werden muss, geradezu Gifte, und
dann sind von den nichtgiftigen nur solche zu gebrauchen, welche Sauer-
stoff in freier oder locker gebundener Form erhalten, da die Gegenwart
dieses Gases im Blute, wie wir schon früher ausführten, durchaus noth-
wendig ist, um die Lebenseigenschaften der Muskel- und Nervensubstanz
zu erhalten. Es bleibt somit nur übrig reines Ogas, Knallluft (Sauer-
stoff und Wasserstoff), Gemenge von Stickstoff mit Sauerstoff in einem
Verhältniss, das von dem atmosphärischen abweicht, und endlich Stick-
oxydul (Lustgas). — Mit diesen Gasarten sind nun auch schon Versuche
angestellt, jedoch meist in einer Weise, die keinen Vergleich zulässt mit
der CO2abscheidung in gewöhnlicher Luft. Ein solcher Vergleich würde
nemlich nur dann zulässig sein, wenn man Rücksicht genommen hätte
auf die Geschwindigkeit des Luftwechsels, oder wenn man die Versuche
früher beendet hätte, bevor die Folgen der verändert zusammengesetzten
Luft auf die Blutmischung eingetreten waren.
[334]Kohlensäureausscheidung abhängig von der Luftwärme.
In einem Widerspruch mit den theoretischen Ableitungen scheinen sich die Er-
gebnisse der Untersuchung von Allen und Pepys zu befinden. Denn als der von
ihnen beobachtete Mann in 5,3 Athemzügen, die er während der Minute ausführte,
5332 CC. atmosphärische Luft aufgenommen, entleerte er eine Luft, welche 8 *) pCt.
CO2 enthielt; als derselbe Mensch auf dieselbe Weise 5800 CC. eines Gasgemisches
aus 98 pCt. Sauerstoff und 2 pCt. CO2 einathmete und den Versuch 9,5 Minu-
ten fortsetzte, athmete er eine Luft mit 11 pCt. Kohlensäure aus. In der zweiten
Beobachtungszeit war im Gegensatz zur ersten der Zustand des Menschen aber nicht
derselbe geblieben; die Zahl der Pulsschläge war von 72 auf 88 in der Minute em-
porgegangen, und es hatte sich ein Gefühl von Wärme und zugleich eine gelinde
Hautausdünstung eingestellt; die Vermuthung liegt damit nahe, dass sich schon in den
ersten Minuten nach der Sauerstoffathmung die Zusammensetzung des Bluts änderte;
diese Annahme gewinnt eine Bestätigung durch den 17. Versuch der erwähnten Auto-
ren, in welchem von demselben Manne 56099 CC. eines Gemenges von 98 pCt. 0
und 2 pCt. N während 7,55 Minuten (7480 CC. in der Minute) eingeathmet wurden.
Die während dieser Zeit ausgeathmeten Luftmassen wurden von halber zu halber
Minute gesondert aufgefangen und untersucht. Hierbei ergab sich, dass die in den
ersten 30 Sekunden gelieferte Luft 9 pCt. CO2, die in den darauf folgenden 60 Se-
kunden entleerte 10,5 pCt. CO2, die in den letzten 30 Sekunden ausgeathmete end-
lich 12,5 pCt. CO2 enthielt. Auch bei diesem Versuch war schliesslich die Zahl der
Pulsschläge von 86 auf 102 gestiegen und gegen Ende desselben eine Schweissbil-
dung eingetreten. Auf eine ähnliche Versuchsreihe an Thieren, die von Reiset
und Regnault ausgeführt ist, werden wir bei dem Gesammtgaswechsel zurückkommen.
Ein Zusatz von CO2 zur Athmungsluft wird jedesmal die Aus-
scheidung dieses Gases aus dem Blute hemmen; der Werth, den die
Hemmung erreicht, wird steigen mit dem CO2gehalte der Luft und zwar
so, dass schliesslich eine Stromumkehr statt findet. So wie nemlich
dieses Gas in der Luft höher gespannt ist, als im Blut, so muss es
nun aus dem erstern in das letztere dringen. Dieses hat in der That
Legallois**) beobachtet, als er Katzen und Kaninchen in eine Atmos-
phäre brachte, welche mehr als 21 pCt. CO2 enthielt. Die prozentige
CO2menge, welche die Luft enthalten muss, um dieses Gas an das Blut
abzugeben, statt es von ihm zu empfangen, wird aber begreiflich va-
riabel sein, da dieses auch mit der Spannung der CO2 im Blute der
Fall ist.
Wenn der Wasserdunst in der atmosphärischen Luft zunimmt, soll auch das
Gewicht der ausgeathmeten CO2 steigen (Lehmann)***).
b. Physikalische Luftveränderung. Mit der Erniedrigung
der Temperatur steigt die ausgeschiedene Kohlensäure (Lavoisier,
Letellier, Vierordt); dieser Einfluss der erniedrigten Lufttemperatur
macht sich ebenso rasch als dauernd geltend. So giebt z. B. der letztere
Beobachter aus einer grossen Versuchsreihe an sich selbst folgende Mittel-
zahlen.
[335]Kohlensäureabscheidung, abhängig von dem Luftdruck.
Letellier*) stellte dagegen fest, dass kleine Säugethiere bei einem
½stündigen Aufenthalt in einer Temperatur von — 5° bis + 3° C. um
das Doppelte mehr CO2 aushauchten, als bei einem gleich langen Ver-
weilen in einer Wärme von + 28° bis + 43° C. — Das Ansteigen
der CO2 ausscheidung bei abnehmender Lufttemperatur muss wesentlich
bedingt sein von der beschleunigten Oxydation der kohlenstoffhaltigen
Verbindungen. Zum kleinern Theil könnte sie aber auch darin be-
gründet sein, dass der CO2 gehalt des Organismus im Winter herabge-
drückt wird, in Folge der zu jener Zeit beschleunigten Ausfuhr. Dieses
letztere könnte eingeleitet sein durch eine lebhaftere Athemfolge, welche
reflektorisch von der abgekühlten Haut und Lunge erweckt würde, oder
auch durch die gesteigerte Diffusionsgeschwindigkeit aus dem immer gleich
warmen Blut in die kältere Lungenluft, da nach Valentin’s Beob-
achtungen (p. 322.) bei niedrigerer Temperatur der Atmosphäre die aus-
geathmete Luft noch um einige Grade kälter ist, als bei warmer Um-
gebung. Die ungemeine Abnahme der CO2, welche Letellier in ver-
hältnissmässig so hohen Wärmegraden beobachtete, hängt wahrscheinlich
zusammen mit der Herabstimmung der Erregbarkeit aller Nerven und
Muskeln und insbesondere derjenigen des Brustkorbs.
Die Erklärung, welche Lavoisier**) und Seguin davon geben, dass in kal-
ter Luft mehr CO2 ausgeathmet werde, kann trotzdem, dass sie in verschiedenen
Modifikationen häufig wiederholt wurde, mit Stillschweigen übergangen werden.
Mit der Steigerung des Luftdruckes soll sich auch die CO2abschei-
dung mehren (St. Sage und Hervier), eine Thatsache, welche Vier-
ordt in freilich sehr engen Grenzen des wechselnden Barometerstandes
nicht bestätigt fand. Aber auch er bemerkte, dass bei hohen Barometer-
ständen der Luftwechsel rascher und demnach der prozentische CO2gehalt
der Lungenluft geringer wird. Die Theorie würde also auch in seinen
Beobachtungen Vermehrung der absoluten Menge ausgeschiedene CO2 ver-
langen. Da sich aber im Allgemeinen niedere Temperaturen und hohe
Barometerstände combiniren, so ist es schwer zu entscheiden, was dem
einen oder andern nach gleicher Richtung hin wirkenden Einfluss zuzu-
schreiben ist.
[336]Kohlensäureabscheidung abhängig von der Blutmischung.
Die bei dieser Veranlassung öfter citirten Versuche von Legallois sind mit
den übrigen nicht vergleichbar, weil seine Beobachtungsthiere eine stark kohlensäure-
haltige Luft einathmeten.
Blutmischung. Die Theorie verlangt, dass, alles andere gleich-
gesetzt, die Ausscheidung der CO2 in die Lungenluft beschleunigt werden
muss, wenn sich dieses Gas im Blute anhäuft in Folge einer gesteiger-
ten Kohlensäurebildung in den Geweben. Die Erfahrung ist bis dahin
nicht befähigt, auf geradem Wege diese freilich an sich gerechtfertigte
Annahme zu bestätigen, weil ihr jedes Mittel fehlt, um den CO2gehalt
des Bluts auch mit nur annähernder Schärfe festzustellen; sie ist darum
genöthigt, mit indirekten Beweisen vorzuschreiten, die um so werthvoller
sind, weil die dabei zur Sprache kommenden Thatsachen uns Aufschluss
geben über einige die Oxydation der thierischen Kohlenstoffverbindungen
beschleunigende Bedingungen.
Die Beweise, dass die beschleunigte Ausscheidung von CO2 begründet sei in einer
vermehrten Bildung oder einer vermehrten Anhäufung derselben im Blute sind auf
zwei verschiedenen Wegen erbracht worden. E. Becher, welcher sich die Auf-
gabe stellte, ein Zeichen für die Anhäufung der CO2 im Blute zu gewinnen,
benutzt dazu den prozentischen CO2 gehalt, welchen ein gleich grosses Luftvolum
annehmen kann das zu verschiedenen Zeiten von demselben Individuum eingeath-
met und gleich lange in der Lunge zurückgehalten wurde, nachdem der Brustkorb
jedesmal vor der Einathmung durch eine tiefe Exspiration auf das möglichst gleiche
und geringste Maass seines Inhaltes zurück gebracht wurde. Durch diese Maass-
regeln werden für jede der zu vergleichenden Einathmungen, die Einflüsse der mecha-
nischen Mischung, der Berührungszeit, der Berührungsfläche und des ursprünglich
CO2freien Luftvolums gleich gemacht; ändert sich also in der ausgeathmeten Luft die
prozentige Menge der CO2, so kann dieses nur daher rühren, weil die Kraft, mit
welcher dieses Gas aus dem Blute gestossen wird, veränderlich war. Im Allgemei-
nen wird nun die Behauptung richtig sein, dass die Spannkräfte der CO2 des Blutes
wachsen mit ihrer Anhäufung daselbst; also wird auch zu schliessen sein, dass eine
Vermehrung der CO2prozente in der Ausathmungsluft unter den gegebenen Umständen
auf einen gesteigerten CO2gehalt des Blutes hinweist. — Andere Experimentatoren
suchen dagegen die Beschleunigung der CO2bildung zu messen, ohne Rücksicht zu
nehmen, wie sich dabei die Anhäufung dieser Gasart im Blute gestaltet. Das in An-
griff genommene Problem löst Vierordt dadurch, dass er die in gleichen Zeiten
ausgehauchten CO2gewichte (die absoluten Mengen) bestimmte. Stellt sich nun her-
aus, dass während eines gewissen Zeitraums das in der Zeiteinheit gegebene CO2ge-
wicht vermehrt oder vermindert, der CO2gehalt des Individuums aber zu Beginn und
Ende des erwähnten Zeitraums gleich geblieben ist, so ist selbst verständlich die
Oxydation des Kohlenstoffs zeitweise verändert gewesen. Die letztere Bedingung,
d. h. ein gleicher CO2gehalt des Individuums an den Grenzen des Zeitraums ist aber
als erfüllt anzusehen, wenn die Lunge in je zwei Zeiteinheiten, von denen die eine
zu Beginn und die andere zu Ende des Zeitraums liegt, gleiche CO2menge ausgiebt,
während die Folge und der Umfang der Athembewegungen dieselben sind. Würde
nemlich unter diesen Umständen der Gehalt des Blutes, resp. des Individuums an CO2
variabel geworden sei, so müsste dieses, den feststehenden allgemeinen Grundsätzen
zufolge, auch zu einer Abweichung in den Gewichtsmengen der CO2 führen. —
Verzichtet man auf kurz vorübergehende Schwankungen der CO2absonderung, wünscht
man z. B. nur das Tagesmittel der CO2abscheidung zu vergleichen, so erhält man
[337]Kohlensäureabscheidung abhängig von der Blutmischung.
mit Regnault, Scharling, C. Schmidt Aufschluss durch Vergleichung langer
Zeiträume, während welchen so grosse Kohlensäuregewichte ausgeschieden wurden,
dass dagegen verschwinden die Unterschiede der gesammten zu verschiedenen
Zeiten auf einmal im Thierkörper enthaltenen CO2mengen. — Ueber indirekte Me-
thoden siehe später.
a) Die Abhängigkeit der Bildung und Anhäufung der CO2 von dem
Kohlenstoffgehalt der Nahrung. — Da die CO2 ein Produkt der lebens-
nothwendigen chemischen Prozesse ist, so geht ihre Bildung mindestens
bis zum Tod (und meist auch über ihn hinaus); sie wird darum durch
die Lungen auch dann noch ausgeschieden, wenn selbst keine kohlenstoff-
haltige Nahrung genossen wird, wobei sich natürlich das Gewicht der
kohlenstoffhaltigen Körperbestandtheile mindert. Vom Beginn des Hungerns
bis zum Tode nimmt zuerst die tägliche Menge der ausgeschiedenen Kohle
sehr wenig, in den letzten Tagen des Lebens sehr rasch ab (Schmidt)*). —
Bei einer Nahrungsaufnahme in solchen Grenzen, dass dabei das mittlere
tägliche Körpergewicht unverändert erhalten wird, stellt sich ein dynami-
sches Gleichgewicht her, indem sich die Menge der ausgehauchten CO2
genau nach dem mit der Nahrung aufgenommen Kohlenstoff richtet, so
dass durch die Lunge jedesmal annähernd die ganze Menge von Kohlen-
stoff wieder entleert wird, welche aus dem Darmkanal in das Blut über-
gegangen war. Das tägliche Mittel steht also bei dem Genuss von vegetabili-
scher Nahrung mit viel Kohlenhydraten höher, als dem von Fleisch mit viel
Fett. — Die Steigerung, welche der Genuss verdaulicher Nahrungsmittel
mit sich führt, beginnt kurze Zeit nach der Aufnahme derselben und
scheint mit ihrem vollendeten Uebertritt in das Blut (2—3 Stunden nach
den Essen) das Maximum zu erreichen und sinkt dann wieder ab. —
Vierordt stellt für die einzelnen Tagesstunden die Minutenmittel der
von ihm ausgehauchten CO2 in der folgenden Tabelle zusammen, zu
welcher zu bemerken ist, dass vor 9h ein Frühstück und um 1h30′ ein
Mittagsessen genossen wird.
Diese Zahlen sind dazu benutzt, um zwei Curven (Fig. 64) zu
construiren; auf die Abszisse sind die Zeiten, auf die Ordinate aber
Werthe aufgetragen, die proportional**) sind den zu den betreffenden
Zeiten ausgehauchten CO2- (a) und Luftvolumina (b). Wir machen
Ludwig, Physiologie. II. 22
[338]Kohlensäureabscheidung abhängig von der Blutmischung.
einstweilen darauf aufmerksam, dass die Volumina der Ausathmungsluft
und der CO2 einander sehr nahezu gleich stehen. Daraus könnte man
folgern, dass die Tiefe und Häufigkeit der Athemzüge wächst, wie die
aus der Lunge hervortretenden CO2volumina. — Im Gegensatz zu unse-
ren gewöhnlichen und unentbehrlichen organischen Nahrungsmitteln be-
finden sich nach Vierordt die Spirituosa (und der Thee? Prout).
Nach ihrem Genuss wird das Maas der CO2abscheidung, welches man
ohne denselben hätte erwarten sollen, herabgedrückt. So bewirkte z. B.
der Zusatz von 250 Gr. Wein zum Mittagsessen, dass statt des gewöhn-
lichen Unterschieds von 50 CC. CO2 zwischen 12h und 2h nur ein sol-
cher von 20 CC. eintrat. Es bleibt dabei ungewiss, ob die Spirituosa
überhaupt die Oxydation des Kohlenstoffs herunterdrücken, so dass sie
das Nahrungsbedürfniss beschränken, oder ob sie nur die Maxima auf eine
andere Zeit verlegen, indem sie den Gang der Umsetzung ändern.
b) Abhängigkeit von den Eigenschaften der Einathmungsluft. Wenn
sich der Sauerstoffgehalt der Lungenluft beträchtlich mehrt, z. B. durch
einen Zusatz dieses Gases zu derselben, so steigert sich kurze Zeit da-
nach die ausgehauchte CO2 (Allen, Pepys). Wird aber die Einathmung
der sehr sauerstoffreichen Luft einen Tag lang fortgesetzt, so steigt das
CO2mittel desselben nicht über den Werth eines Tages, an dem gewöhn-
liche Atmosphärenluft eingenommen wurde (Regnault, Reiset). —
Eine Erniedrigung der Temperatur (und eine Erhöhung des Druckes) der
Luft steigern, wie schon erwähnt, die Absonderungsgeschwindigkeit; zwei-
felhaft ist es, ob auch die Anwesenheit einer CO2armen und darum sauer-
stoffreicheren Luft in den Lungen, wie sie sich nach lebhaften Athem-
bewegungen einfinden muss, in gleicher Weise wirkt.
Einige der eben beigebrachten Erfahrungen hat man öfter benutzt, um die Hy-
pothese zu stützen, dass eine Vermehrung des freien Blutsauerstoffs die Oxydation
der Kohlenstoffatome dauernd beschleunige; diese Annahme, welche von der Voraus-
setzung ausging, dass alle organischen Verbindungen des Thierkörpers in dem Maasse
oxydirt würden, in welchem Sauerstoff vorhanden sei, widerlegt sich durch die Be-
obachtungen von Regnault und Reiset. Um die Widersprüche zwischen den Re-
sultaten dieser letztern Chemiker und denen von Allen, Pepys auszugleichen,
könnte man versucht sein, den Gedanken auszusprechen, dass in Folge des gewöhn-
lichen Lebensganges (Nahrung, Muskelbewegung u. s. w.) ein beschränktes Gewicht
[339]Kohlensäureabscheidung abhängig von der Blutmischung.
von leicht oxydabeln Zersetzungsprodukten des Eiweisses, der Fette u. s. w. gebildet
wurde. Während der normal beschleunigten Einathmung gewöhnlicher Luft wurde
das Blut nicht mit so viel Sauerstoff imprägnirt, um die in jedem Augenblick ent-
standenen oxydabeln Produkte auch sogleich zu exydiren, so dass also in diesem Fall
der thierische Körper mit einer gewissen Summe derselben getränkt wäre. Würde
nun aber plötzlich aus irgend welchem Grunde der Sauerstoffgehalt des Bluts gestei-
gert, so würden dem gemäss auch jene oxydabeln Produkte der Verbrennung anheim
fallen und damit sich für einige Zeit die CO2ausscheidung beschleunigen und dann in
ihren normalen Gang einkehren.
Ein Zusatz von Stickoxydulgas zur Einathmungsluft steigert die
CO2ausscheidung (Zimmermann).
c) Abhängigkeit von der Muskelzusammenziehung. Nach einer kräf-
tigen Bewegung der Gliedmaassen steigt sehr bald das Minutenmittel der
CO2 über den Normalwerth (Scharling) und erhält sich über demsel-
ben stundenlang, wenn die Bewegung anhaltend war (Vierordt). Diese
Vermehrung der Ausscheidung ist begleitet von einem beschleunigten Luft-
wechsel und zugleich von einer Steigerung der CO2prozente in der Aus-
athmungsluft, woraus man auf eine gesteigerte Spannung der CO2 im
Blute schliessen darf.
Bevor wir die Variation der ausgehauchten CO2 weiter verfolgen,
richten wir zuerst unsere Aufmerksamkeit auf den Gehalt des Blu-
tes an diesem Gase, so weit er von Becher festgestellt wurde.
Nach ihm steigt der CO2gehalt des Blutes auf und ab, selbst an solchen
Tagen, an welchen keine Nahrung aufgenommen und die Gliedmaassen
wenig bewegt wurden. Unmittelbar nach dem Erwachen steht die CO2
hoch, sinkt bis gegen 11h ab, steigt dann bis um 3h auf ihr Maximum
und sinkt dann wieder gegen den Abend hin. Diese in den Gegenwirkun-
gen der menschlichen Organe selbst begründeten Veränderungen reihen
sich ähnlichen an, welche uns über den täglichen Gang der thierischen
Wärme und des Pulses bekannt sind. — Der CO2gehalt des Blutes ist
abhängig von der Nahrung. Dieses zeigt sich einmal darin, dass das
tägliche Mittel des CO2gehalts an einem Hungertag niedriger als an einem
Speisetag ist; dieser Unterschied tritt stärker hervor, je länger das Hun-
gern andauert, also das tägliche Mittel des ersten Hungertags ist noch
höher, als das des zweiten u. s. f. — Der Einfluss der Nahrung drückt
sich aber auch dadurch aus, dass der Gang der täglichen Schwankung
abgeändert wird, indem einige Zeit, 2 bis 3 Stunden nach der Mahlzeit
der CO2gehalt des Blutes ziemlich bedeutend ansteigt und erst nach eini-
ger Zeit und allmählig wieder absinkt. Dieses Ansteigen prägte sich ganz
auffallend aus, als nach mehrtägigem Hungern Nahrung aufgenommen
wurde. Die Lungenluft, welche 46 Stunden nach der letzten Mahlzeit
unter den bezeichneten Cautelen ausgeathmet wurde, enthielt 5,9 pCt.
CO2, zwei Stunden nach dem darauf erfolgten gewöhnlichen Mittagsessen
enthielt sie 8,2 pCt. Die über die Zeit beschriebenen Curven (Fig. 65)
22*
[340]Kohlensäureabscheidung abhängig von dem Lungenbau.
geben eine Anschauung
der täglichen Schwan-
kung des CO2gehalts.
Ihre Ordinaten sind
die zu den bezeich-
neten Zeiten beobach-
teten CO2prozente der
Lungenluft. Von den beiden Curven stellt a b den Gang vor, wenn gar
keine Nahrung genommen, a c ist dagegen giltig, wenn um 1h ein ge-
wöhnliches Mittagsmahl genossen wurde. Darf man, wie es nicht un-
wahrscheinlich ist, annehmen, dass das Maximum des CO2gehalts im Blute
zusammenfällt mit demjenigen der Bildung dieses Gases, so gehen aus
dem von der Speise gelieferten Material die CO2- und Harnstoffbildung
nicht gleichzeitig vor sich, denn das Maximum des CO2gehalts fällt einige
Stunden früher, als das Maximum der Harnstoffausscheidung. Siehe Fig. 58.
Man könnte versucht sein, den Widerspruch in der Beobachtung von Vierordt
und Becher zu discutiren, indem der Erstere das Maximum der CO2ausscheidung
um eine Stunde früher nach dem Mittagsmahl fand, als der Letztere sein Maximum
der Blut- CO2. Die Vorsicht gebietet, so lange von einem Erklärungsversuch dieser
Abweichung abzustehen, bis an einem und demselben Beobachter beide Curven ge-
messen und dargethan ist, dass die zwischen Vierordt und Becher bestehenden
Unterschiede keine individuellen sind.
Abhängigkeit der Kohlensäureausscheidung von der
Lungenwand. Hierbei kommt in Betracht das Verhältniss der Wand-
ausdehnung zum Luftvolum, welches die Lunge fasst, die Dicke und
die chemische Constitution der Trennungsschicht zwischen Blut und Luft.
Da uns alle Versuche über die auf diesen Elementen beruhenden in-
dividuellen Verschiedenheiten fehlen, so müssen wir uns damit begnügen,
aus theoretischen Gründen zu behaupten, dass bei gleicher Räumlichkeit
eine grossblasige (emphysematische) Lunge weniger CO2 liefern wird, als
eine kleinblasige, vorausgesetzt, dass die Spannung der Blut- CO2
und der Luftwechsel gleich angenommen werden. Denn im letztern Fall
ist die Fläche, welche CO2 ausscheidet, grösser, als im erstern. — Mit
der Dicke der Lungenwand, dem Wassergehalt derselben u. s. w. hängt
der Widerstand ab, den die CO2 auf ihrem Wege vom Blut in die Lun-
genluft findet; also muss auch hiermit die CO2ausscheidung veränder-
lich werden.
Veränderlichkeit der CO2ausscheidung aus gemisch-
ten Gründen. Aus einer Combination der bis dahin vorgeführten Ele-
mente, denen sich vielleicht noch andere anschliessen, lässt sich ableiten,
dass mit den Hirnzuständen, welche einen Einfluss auf die Erregbarkeit der
reflektorischen und automatischen Herde oder auf die willkührliche Muskel-
erregung gewinnen, mit der Gewohnheit, dem Lebensalter, dem Geschlecht,
den Tages- und Jahreszeiten, den Klimaten u. s. w. die in der Zeitein-
[341]Kohlensäureabscheidung aus gemischten Gründen.
heit ausgeschiedenen mittleren CO2menge sehr veränderlich sein müsse.
Es kann natürlich vom Standpunkt der Theorie aus kein Interesse ge-
währen, auf die weiteren Verwickelungen einzugehen. Wichtiger ist es,
die Versuchswege so weit auszubilden, dass es gelingt, bei jedem belie-
bigen Individuum den Werth zu bestimmen, mit welchem sich jedes ein-
zelne Element betheiligt an der gesammten CO2ausscheidung. Insbeson-
dere würde es dem Arzt von Wichtigkeit sein, messbar festzustellen, ob
und wie weit sich die Individualitäten von einander absetzen durch ihre
Fähigkeit, kohlenstoffhaltige Körperbestandtheile rascher und in grösserer
Ausdehnung zu oxydiren. Diese Fähigkeit kommt unzweifelhaft Personen
mit lebhafter Nervenerregbarkeit, mit relativ grosser Muskelmasse, mit
beträchtlicher Verdauungsfähigkeit u. s. w. im höhern Grade zu, als den
entgegengesetzt constituirten. Möglich wäre es aber immerhin, dass neben
diesen Gründen, welche u. A. dem Kind, dem Mann, dem thätigen Indi-
viduum eine relativ reichlichere CO2ausscheidung sichern, auch noch
andere constitutionelle Verhältnisse sich geltend machen, und die Zuver-
sicht auf ein Bestehen derselben wird sehr gesteigert, wenn man sich
einzelne krankhafte Zustände in das Gedächtniss ruft.
Angabe der mittleren Gewichte ausgeschiedener Koh-
lensäure. Bei den ungemeinen Schwankungen, welchen die CO2-
ausscheidung unterworfen ist, müsste man über sehr zahlreiche Be-
obachtungen gebieten können, wenn man daraus ein Stunden-, Tages-,
Jahresmittel für Personen verschiedenen Alters, Geschlechts u. s. w. mit
Sicherheit ableiten wollte. Wir besitzen aber in der That nur wenige Be-
obachtungen, welche billigen Anforderungen entsprechen. Ihre Mittheilung
darf jedoch nicht unterbleiben, um so weniger, weil sie eine bemerkens-
werthe Uebereinstimmung bieten. Die Zahlen von Scharling, welche
die folgende Tabelle mittheilt, sind aus stundenlangen, die von Andral
und Gavarret aber nur aus 8 — 13 Minuten dauernden Beobachtungen
abgeleitet. Die Zahl, welche Vierordt mittheilt, zeichnet sich vortheil-
haft aus durch die grosse Reihe der zu Grunde gelegten Versuche. Alle
Beobachtungen beziehen sich auf ruhige, unwillkührliche Athembewegungen.
Die Absonderungsgeschwindigkeit ist ausgedrückt durch den Quotienten
des Körpergewichts in das Kohlenstoffgewicht, welches die ausgeschiedene
CO2 enthielt. Da sich durch den ganzen Körper hindurch die CO2 bildet,
und da die Bildung und Ausscheidung mit annähernd gleicher Geschwin-
digkeit vor sich gehen, so wird diese Ausdrucksweise erlaubt sein. Statt
der ausgehauchten CO2 setzen wir den Kohlenstoff aus später einleuch-
tenden Gründen. Um diesen auf das entsprechende CO2gewicht zu redu-
ziren, ist es nur nöthig, die Zahl des erstern mit 11/3 zu multipliziren.
Wollte man das hieraus erhaltene Gewicht der CO2 auf Volumina bringen,
so würde es mit 1000/1,9814 zu multipliziren sein.
[342]Mittlere Kohlensäureausscheidung; absolut und prozentisch.
Das Verhältniss des niedrigsten zum höchsten Werth (aus welchem
das Mittel gezogen) ist nach Vierordt = 1:2,55 und nach Schar-
ling = 1:1,62.
Angabe des mittleren Volumprozents der ausgeath-
meten Luft an CO2. Die Beobachtung hat bei sehr verschiedenen
Individuen unter ganz verschiedenen Umständen keine sehr auffallenden
Schwankungen im Prozentgehalt der CO2 aufgedeckt, vorausgesetzt, dass
die Athembewegung unwillkührlich vor sich ging. In sehr zahlreichen
Beobachtungen von Brunner und Valentin bewegte er sich von 3,3
zu 5,5 pCt. und in 600 Bestimmungen von Vierordt zwischen 6,2 und
3,4 pCt. Die gewöhnliche Zahl hielt sich nahe um 4,0 pCt. Diese Be-
ständigkeit des mittleren CO2gehalts ist dem innigen Anpassen der Athem-
bewegungen nach Zahl und Tiefe an den CO2gehalt des Blutes zu ver-
danken, in Folge dessen sich immer ein dynamisches Gleichgewicht her-
stellt zwischen der Bildung und Ausfuhr von CO2. In der That sehen
wir, wenn die CO2bildung langsam vor sich geht (in körperlicher Ruhe,
Entziehung der Speisen u. s. w.) die Athemfolge sich verlangsamen und
im umgekehrten Fall sich beschleunigen; ist der Lungenraum oder seine
Veränderlichkeit auf irgend welche Weise beschränkt (Zwergfelllähmung,
krankhafte Ergüsse in die Lunge, Anfüllung der Unterleibshöhle) so wird
der kurze Athem rasch u. s. w. — Das Verhältniss zwischen Zahl und Tiefe
der Athembewegungen einerseits und dem CO2gehalt der Lungenluft an-
[343]Veränderlichkeit der Sauerstoffaufnahme.
dererseits ist aber weder für alle Zustände desselben, noch für die ähnlichen
verschiedener Menschen gleich. Eine Aufmerksamkeit auf diese Verschie-
denheiten dürfte vielleicht von Bedeutung sein, weil offenbar der mittlere
CO2gehalt der Lungenluft eine Schätzung für die CO2sättigung des ganzen
Körpers gewährt, indem die CO2prozente der Lungen die Grenze bezeich-
nen, unter welche die des Bluts nicht herabsinken können; es würde so-
mit aus ihnen eine Charakteristik für die Individualität (Constitution, Tem-
perament) zu gewinnen sein.
Die meisten ältern Beobachtungen stimmen mit dem oben Erwähnten überein;
andere sind dagegen sehr abweichend, was aus den ganz mangelhaften Methoden, die
CO2 zu bestimmen, abgeleitet werden kann.
4.Veränderung der Sauerstoffaufnahme. Die atmosphärische
Luft verliert bei ihrer Anwesenheit in der Lunge einen Theil ihres Sauer-
stoffs. Da aber bekanntlich das Volum der trockenen Aus- und Einath-
mungslust, wenn sie auf gleichen Barometerstand gebracht worden, an-
nähernd wenigstens gleich ist, und beide auch ungefähr denselben Ge-
halt an Stickstoff führen, so muss im Ganzen und Groben auch die Be-
hauptung richtig sein, dass ungefähr so viel Sauerstoff aus der Luft ver-
schwindet, als Kohlensäure in sie gehaucht wird.
Der Grundstein dieser Beziehung ist dadurch gegeben, dass die aus-
gehauchte Kohlensäure den Sauerstoff wieder mit sich führt, welcher aus
der Luft in das Blut getreten war, indem der thierische Kohlenstoff von
dem atmosphärischen Sauerstoff verbrannt wurde, schliesslich also nicht
mehr CO2 ausgehaucht werden, als aus dem aufgenommenen Sauerstoff
entstehen konnte, oder umgekehrt, es konnte nicht mehr Sauerstoff ver-
schluckt werden, als die oxydabeln Atome des Thierkörpers verbrauchen
konnten. Indem man aber den letzten Ausdruck formt, sieht man auch
gleich ein, dass die Beziehung eine nicht überall nothwendige ist, da die
Kohlensäure keineswegs das einzige Oxydationsprodukt des thierischen
Körpers ist, sondern ausserdem noch HO und manche andere flüssige
sauerstoffreiche Körper (Harnstoff, Harnsäure u. s. w.) aus dem Blut-
strom hervortreten. Daraus geht also hervor, dass für gewöhnlich mehr
Sauerstoff verschluckt wird, als in der ausgehauchten Kohlensäure ent-
halten ist, und dass namentlich dieses Missverhältniss steigen muss,
wenn wir eine grössere Menge wasserstoff- und stickstoffreiche Nahrung
geniessen (Fette, Fleisch). Die ausgehauchte CO2 wird dagegen nahezu
die ganze Menge des ausgeathmeten Sauerstoffs wieder wegführen, wenn
die Nahrung vorzugsweise aus Zucker und Amylon besteht, da der in
diesen complexen Atomen enthaltene Sauerstoff hinreicht, um den Was-
serstoff derselben zu Wasser zu oxydiren, so dass bei einer Verbrennung
derselben nur so viel Sauerstoff hinzuzutreten braucht, als nöthig, um
den C in CO2 umzuformen. — Aber auch in diesem Fall ist nur ein
schliesslicher, aber keineswegs ein in jedem Augenblick paralleler Gang
[344]Veränderlichkeit im Stickgas.
des Verbrauchs an O und des Gewinns an CO2 nothwendig. Denn zwi-
schen dem ersten und letzten Produkt der Oxydation liegen meist manche
Zwischenstufen, so dass anfänglich viel Sauerstoff verbraucht wird, bevor
sich CO2 bildet; endlich geht dann freilich alles in CO2 über. — Es
darf nicht übersehen werden, dass auch noch von einer andern Seite
her eine Störung des Zusammengehens der CO2 und des O’s in die
Lunge eintreten kann, da die Lunge nicht der einzige Ort ist, an dem
Gas aus- und in das Blut tritt. Je nach den Eigenschaften der Wände
jener andern Athemwerkzeuge muss das Verhältniss von CO2 und O in dem
Blute alterirt werden und damit auch dasjenige des Ein- und Ausganges
beider Gase in der Lunge. Diese Gründe machen es nothwendig, dass
das Verhalten des Sauerstoffs beim Athmen noch gründlicher, als bisher
geschehen, untersucht werde.
Der Mechanismus, durch welchen die annähernd gleiche Ein- und
Ausfuhr von Sauerstoff und CO2 erhalten wird, ist leicht zu übersehen,
wenn man bedenkt, dass im Blute zwei verschiedene Absorptionsmittel
vorhanden sind, das eine für Sauerstoff (die Blutkörperchen) und das
andere für Kohlensäure (das Serum). In dem Maasse, in welchem der
Träger des Sauerstoffs entlastet wird, belastet sich der der CO2 und
dieser letztere entledigt sich seines Gases an einem Orte, an welchem
Sauerstoff zur Sättigung des andern vorhanden ist. Eine kurze Ueber-
legung wird nun darthun, dass die Athembewegung und der Blutstrom
in demselben Maasse die Spannungsdifferenz der CO2 und des Sauer-
stoffs diesseits und jenseits der Lungenwand begünstigen, so dass also
beide in Strömen von umgekehrter Richtung gleich stark gehen. Da uns
die bestätigenden oder widerlegenden Versuche fehlen, so verzichten wir
auf ein weiteres Eingehen in Aehnlichkeit und Unähnlichkeit der Be-
dingungen und Erscheinungen beider Gasströme in der Lunge. Versuche
wären aber sehr wünschenswerth und insbesondere über die Abhängig-
keit der Absorptionsgeschwindigkeit, von den Spannungsdifferenzen des
O im Blute und der Luft, um auch die praktisch wichtige Frage
zur Entscheidung zu bringen, auf welchen Werth die Sauerstoffspannung
in der eingeathmeten Luft sinken dürfe, bevor sie zum Athmen untauglich
sei. Nach alten, wahrscheinlich mit analytischen Fehlern behafteten Ver-
suchen von Allen und Pepys*) soll ein Mensch in einer Luft mit
4 pCt. O das Bewusstsein verlieren.
Wir brauchen kaum hervorzuheben, dass das, was für den gegenseitigen
Strom gilt, keineswegs für den Gehalt des Bluts an CO2 und O zu bestehen
braucht, da dieser von den relativen Mengen der Absorptionsmittel abhängt.
5.Veränderung des Stickgases. Das Verhalten des Stick-
stoffs in der Ausathmungsluft hat bis dahin kaum Berücksichtigung ge-
[345]Veränderung des gesammten Luftvolums.
funden, was um so mehr zu bedauern, als es der Theorie aus mehreren
Gründen unmöglich ist, die Lücke auszufüllen. — Wir benutzen zur
Ergänzung des Fehlenden die Resultate, welche aus einer Untersuchung
des gesammten thierischen Gasaustausches hervorgegangen sind; die Be-
rechtigung hierfür liegt darin, dass die Lunge die hervorragendste unter
allen Athemflächen ist. Aus jenen Beobachtungen ergiebt sich, dass eine
diffusive Bewegung des Stickgases fehlen und vorhanden sein kann; die
Richtung des Diffusionsstroms kann abermals verschieden sein, indem er
das Stickgas zu der einen Zeit aus dem Blute in die Luft und zu einer
andern gerade in umgekehrter Richtung führt. — a) Die Ausathmung
des Stickgases tritt ein: nach vorgängigem Genuss von Fleischspeisen
und Brod (Regnault, Reiset, Barral); ferner während eines Auf-
enthaltes in einer Ngasfreien Luft (Allen, Pepys, Legallois,
Marchand) und zwar in so überwiegender Menge, dass dieselbe nicht
abgeleitet werden kann aus dem Rückstand von atmosphärischer Luft,
der in den Lungen noch zurückblieb, als das Athmen in dem N-
freien Gas begonnen wurde. Da das Blut Ngas aufgelöst enthält, so ist
die Aushauchung desselben unter den zuletzt erwähnten Umständen auch
eine Nothwendigkeit. — b) Die Aufnahme von Ngas in das Blut ge-
schieht bei anhaltendem Hungern und c) vollkommen indifferent bleibt
es bei einer Nahrung, die aus reinen Vegetabilien besteht.
Die Gasvolumina, welche sich in dem Stickstoffstrom bewegen,
sind zwar sehr gering gegen den der CO2 und des O, aber sie sind
unter Umständen nicht unbedeutend im Vergleich zu den Stickstoffgehalt
der täglichen Nahrungsmenge. Nach Barral*) soll sich das Gewicht
des gasförmig ausgeschiedenen Stickstoffs auf das Dritttheil oder gar die
Hälfte des Genossenen belaufen.
6.Veränderung des Gesammtvolums der eingeathme-
ten Luft. a) Das in die Lunge aufgenommene Gasvolum verändert sich
unabhängig von dem dort erfolgenden Austausch permanenter Gase, weil
es durchfeuchtet und in seiner Wärme verändert wird. Da wir für ge-
wöhnlich kältere und trocknere Luft aus- als einathmen, so kann man
sagen, es wird das eingeathmete Luftvolum durch den Wasserdampf und
die Wärme vergrössert. Die jedesmalige Zunahme des Volums ist nach
bekannten Regeln leicht zu berechnen, wenn die Unterschiede der Tem-
peratur und der Dampfspannung in der Aus- und Einathmungsluft ge-
geben sind.
b) Eine zweite verwickeltere Betrachtung erstreckt sich nun auf die
Veränderung des ein- und ausgeathmeten Luftvolums in Folge des Gas-
austausches. Die Untersuchung über diesen Punkt führen wir unter den
Voraussetzungen: dass der Thorax bei der Exspiration genau wieder auf
[346]Veränderung des gesammten Luftvolums.
den Punkt zusammenfällt, von dem er bei der beginnenden Inspiration
ausgegangen war, und dass die ausgeathmete Luft bei der Vergleichung
der betreffenden Volumina genau wieder auf den Barometerstand, Tem-
peratur und Feuchtigkeitsgrad gebracht werde, den die eingeathmete
besass. Bei diesen Annahmen wird der Werth der Veränderung abhän-
gig sein: von der Menge des ausgehauchten oder eingesogenen Stickstoffs;
von dem Kohlensäure- oder Sauerstoffvolum, welches die andern neben
der Lunge bestehenden athmenden Flächen des Thierleibes aufnehmen
und abgeben; von der Menge flüssiger Oxydationsprodukte, welche neben
der entstehenden CO2 mit Hilfe des verschluckten Sauerstoffgases gebil-
det werden. — Da der erste dieser drei Punkte an und für sich klar
ist, so wenden wir uns sogleich zur Besprechung der beiden letzteren.
Nehmen wir nun zuerst an, es werde der ganze aus der Atmosphäre
aufgenommene Sauerstoff innerhalb des Organismus zur Bildung von
CO2 verwendet, die wiederum gasförmig aus dem Blute sich entfernte,
so folgte daraus, dass das Gesammtvolum der aus dem Körper ausge-
schiedenen Gase gerade so gross sein würde, als das des aufgenomme-
nen Sauerstoffs, weil bekanntlich die aus der Vereinigung von C und O2
entstehende gasförmige CO2 genau den Raum einnimmt, den vor der
Vereinigung die beiden Atome Sauerstoff besassen. Die Ausscheidung und
Aufnahme der Gasvolumina könnte sich nun aber trotz ihrer im Ganzen
bestehenden Gleichheit doch auf die verschiedenen mit der Luft in Be-
rührung befindlichen Flächen vertheilen, u. A. so, dass an einem Orte
überwiegend mehr CO2 ausgeschieden und an dem andern mehr O aufge-
nommen würde; gesetzt also, es bestände die Eigenthümlichkeit, dass
die äussere Haut mehr CO2 ausschied, als sie Sauerstoff aufnähme, so
würde in der Lunge dafür ein grösseres Volum von dem letzteren Gas
aufgesogen und ein geringeres von dem erstern abgegeben werden müs-
sen. — Um nun die Bedeutung der dritten Bedingung, die wir oben
anführten, einzusehen, machen wir die Voraussetzung, es werde auf
jeder Athemfläche die Gewichtsmenge von Sauerstoff wieder ausgegeben,
die sie aufgenommen; dagegen aber soll das in das Blut aufgenommene
Sauerstoffgas nicht allein zur Bildung von CO2, sondern auch zur Er-
zeugung anderer Oxydationsprodukte verwendet werden. Bei dieser Vor-
aussetzung ergiebt sich, dass das Verhältniss zwischen dem von und zu
der Lunge gehenden Luftvolum abhängig ist von der Verwendung, die
das Sauerstoffgas innerhalb des Körpers erfährt, so dass, wenn z. B. die
Hälfte desselben zur Erzeugung von CO2 und die andere zur Verbren-
nung des Wasserstoffs in Wasser benutzt wird, auch nur die Hälfte des
durch die Lungenwand eingedrungenen Luftvolums von ihr wieder aus-
geschieden würde.
Eine Vergleichung der gegebenen Betrachtungen mit den bis dahin
gewonnenen Erfahrungen ergiebt: 1) Das Volum der ausgeathmeten Luft
[347]Blutveränderung durch das Athmen.
ist geringer, als das der eingeathmeten. Diese Thatsache, welche La-
voisier entdeckt hat, haben alle genaueren Beobachter nach ihm be-
stätigt. — 2) Nach dem Genuss von Pflanzenstoffen (Körner, Gras) er-
reicht der Unterschied zwischen dem eingenommenen Sauerstoffvolum
und ausgeathmeten CO2volum seinen geringsten Werth, seinen grössten
aber nach der Ernährung mit Fleischkost (Dulong)*); Regnault und
Reiset geben, wenn das Volum der eingesogenen O2 = 1 gesetzt wird,
als Grenzwerthe der Verhältnisszahlen für den ersten = 1,04 und für
den letzten Fall = 0,62 an. — Hungernde Thiere verhalten sich wie
Fleischfressende. Hinge die Volumverminderung allein von dem Unter-
schied zwischen der verschluckten O und der ausgeathmeten CO2 ab,
so müsste sie bei der Fleischnahrung am bedeutendsten werden. Da nun
aber auch bei Fleischnahrung Stickstoff ausgehaucht, beim Hungern aber
aufgesogen wird, so wird sie in der That in den letzten Bedingungen am
merklichsten sein.
7.Blutveränderung in der Lunge während der Ath-
mung. Zu Erfahrungen über die Umwandlungen, welche das in den
Lungencapillaren strömende Blut innerhalb derselben erfährt, kann man
gelangen theils durch Folgerungen aus der bekannten Veränderung der
Einathmungsluft, theils aus einer Vergleichung des in die Lunge ein-
und ausströmenden Blutes. Der letztere Weg steht uns noch nicht
offen, weil uns Untersuchungen des Bluts aus der arteria und vena pul-
monalis, oder des linken und rechten Herzens fehlen; denn wollte man
vergleichen, wie es zuweilen geschieht, das Blut einer beliebigen Haut-,
Muskel- oder Eingeweidevene mit dem arteriellen, so ist es einleuchtend,
dass der zwischen beiden Objekten bestehende Unterschied nicht allein
aus der Einwirkung der Lungen abgeleitet werden darf, da sich dem
analysirten Venenblut, bevor es in die Lunge eindringt, noch der anders
zusammengesetzte Inhalt der grossen Lymphstämme und vieler andern
Venen beimengt. Welche chemischen Folgen aber aus dieser Mischung
der verschiedenartigen Flüssigkeiten eintreten, lässt sich gegenwärtig
nicht angeben, und somit fehlt uns das Mittel, die Veränderungen, welche
die Lunge allein ausgeführt hat, auszuscheiden. Wenn wir also zu er-
mitteln gedenken, wie weit der Unterschied des arteriellen und des uns
bekannten venösen Bluts von der Athmung abhänge, so bleibt uns nur
übrig, nachzusehen, welche Veränderungen des Bluts aus der bekannten
Umwandlung der Einathmungsluft abgeleitet werden können.
a) Wir gehen bei dieser Betrachtung aus von dem durch mecha-
nische Mittel abscheidbaren Gasgehalte beider Blutarten. Bis dahin
musste sich die Bestimmung jener Gase beschränken auf die verhältniss-
mässige Menge, in der sie in den beiden Blutarten enthalten waren, und
[348]Veränderung des Bluts durch das Athmen.
diese ergab, dass sich die CO2 : N : O verhielten: im venösen Blut wie
2,8 : 1,3 : 1,0 und im arteriellen wie 2,7 : 0,5 : 1; d. h. es haben Kohlen-
säure und Stickgas im Verhältniss zum Sauerstoff vom arteriellen zum
venösen Blute abgenommen. Diese Erscheinung dürfen wir ungescheut,
zum Theil wenigstens, dem Einfluss der Athmung zuschreiben, da die
Luftanalysen dargethan haben, dass CO2 und Ngas aus dem Blute ent-
weicht und O in dasselbe aufgenommen wird, während es in den Lun-
gen kreist. Jenseits dieser allgemeinen Folgerung dürfte sich aber aus
den verschiedenen Zahlen nichts weiter schliessen lassen, da dieselben,
wie früher erwähnt, sich nicht einmal auf das Blut desselben Thiers
beziehen.
b. Die arterielle zeichnete sich vor der venösen Blutflüssigkeit da-
durch aus, dass sie in 100 Theilen mehr Faserstoff, Extrakte und Was-
ser, dagegen weniger Eiweiss, Fette und Zucker enthielt. — Da der
Faserstoff und das Eiweiss ihrer Zusammensetzung nach in sehr inniger
Beziehung zu einander stehen, indem sie sich wesentlich nur dadurch
von einander unterscheiden, dass der erstere in 100 Theilen etwas mehr
O enthält, als der letztere, so findet die Annahme Vertreter, dass in den
Lungen ein Antheil des Bluteiweisses in Faserstoff verwandelt sei. Ebenso
erklärt man das Uebergewicht des venösen Blutes an Fetten und Zucker
daraus, dass ein Theil dieser Verbindungen in der Lunge oxydirt werde. —
Diesen Behauptungen würde man eher beizutreten geneigt sein, wenn
begreiflich gemacht wäre, warum diese Oxydationen, wie namentlich die
des Eiweisses, nicht schon im venösen Blute, sondern erst in der Lunge
vor sich gehen, obwohl das erstere doch nur um ein geringes weniger
freien Sauerstoff enthält, als das Lungenblut. Demnächst müsste dann
auch, was namentlich für den Zucker und Fette gilt, dargethan werden,
dass ihr Verschwinden, resp. ihre relative Verminderung, nicht bedingt
sei durch die Zufügung zucker- oder fettarmer Flüssigkeiten zu dem
Blute der vena jugularis und hepatica, — und endlich ob sie nicht durch
andere beigemengte Verbindungen verändert worden seien. — Aber trotz
dieser Mängel des direkten chemischen Beweises würde die Behauptung,
dass der Sauerstoff sogleich nach seinem Eintritt in das Lungenblut
theilweise zur Bildung von Oxydationsprodukten verwendet werde, Glau-
ben geschenkt werden müssen, wenn es sich den Untersuchungen von
G. Liebig gegenüber bestätigte, dass das Blut der Lungenvene wärmer
als das der Lungenarterie ist. Denn es sind in Folge der Verdunstung,
der Absorption und der Bewegung der Gase die Verhältnisse der Wärme
so angeordnet, dass im günstigsten Fall das arterielle Blut um ein un-
merkliches, wahrscheinlich aber in der That um ein merkliches kälter
sein müsste, als das venöse. Gesetzt, man wollte die Wärmemenge,
welche bei der CO2 verdunstung latent wird, derjenigen gleich setzen,
welche die O absorption in Freiheit setzt, so würde jedenfalls das
[349]Ernährung der Lunge.
Blut der Lunge einen namhaften Wärmeverlust dadurch erleiden, dass
eine stetige Wasserverdunstung auf der Oberfläche dieses Organs vor
sich geht, und dass es sich so oft mit kalter Luft füllt, die erwärmt
wieder ausgestossen wird. Dieser Verlust würde aber möglicher Weise
keinen für gewöhnliche thermometrische Instrumente messbaren Unter-
schied zwischen den Temperaturen beider Blutarten herbeiführen, vor-
ausgesetzt, dass das Blut in den Lungencapillaren jedesmal nur äusserst
kurze Zeit verweilte. — Wenn also trotzdem (Davy)*), dem, wie er-
wähnt, G. Liebig entgegentritt, das Blut, welches aus der Lunge
kommt, merklich wärmer ist, als das, welches in dieselbe strömt, so
muss sich innerhalb derselben eine neue Wärmequelle finden, welche
nach unsern gegenwärtigen Einsichten nur in dem Oxydationshergang,
nicht aber in dem Unterschiede der Wärmekapazität der beiden Blutarten
gefunden werden kann. Denn es hängt dieselbe in unserm Fall nur
von dem spezifischen Gewichte der beiden Flüssigkeiten ab (J. Davy)**)
und zwar in der Art, dass das weniger dichte auch eine geringere
Menge Wärme fasst, als das dichtere. Zwischen den spez. Gewichten des
Venen- und Arterienblutes dürfte aber schwerlich ein genügender Unter-
schied gefunden werden.
Der grössere Wassergehalt des arteriellen Blutes kann nur abgeleitet
werden aus der Beimischung der wässerigen Lymphe, da innerhalb der
Lungen nicht nur kein Wasser zu dem Blute gefügt, sondern sogar aus
ihm durch Verdunstung entfernt wird. Dieser Ansicht wird man heute
kaum noch die oft widerlegte Meinung entgegenhalten, dass durch
Verbrennung wasserstoffhaltiger Blutbestandtheile mittelst des eingenom-
menen Sauerstoffs so viel Wasser gebildet worden sei, um den Wasser-
verlust in der Lunge zu bestreiten und zugleich den Wassergehalt des
arteriellen Blutes zu erhöhen.
c. Die hellere Röthung der arteriellen Blutkörperchen ist von dem
gesteigerten Gehalte des Bluts an Sauerstoff und dem gleichzeitig vermin-
derten an CO2 abzuleiten.
8.Ernährung der Lunge. Die Formfolge bei der ersten Ent-
wickelung derselben ist analog derjenigen andern gelappten Drüsen; der
einzige Unterschied besteht darin, dass die Zellenhäufchen, welche die
spätern Aeste und Aestchen darstellen, gleich von vorn herein im Centrum
Flüssigkeit führen, nicht aber wie gewöhnlich compakt sind. — Nach
der Geburt vergrössert sich die Lunge nur durch die Ausdehnung der vor-
handenen Bläschen und Röhren; eine Neubildung derselben kommt nicht
mehr vor. — Länger dauernde Ausdehnungen und Verengerungen erleiden
aber die Lungenbläschen sehr leicht, weil ihre Wandung zart, ihre Um-
gebung beweglich und ihr Inhalt stets dem Luftdruck ausgesetzt ist. So
[350]Ernährung der Lunge.
wie sich also der Druck der Umgebung mindert oder mehrt, müssen sich
auch die Lungenbläschen mehr oder weniger ausdehnen, und so sehen
die pathologischen Anatomen sehr häufig dauernde Erweiterungen (Em-
physema) nach Adhäsion der Lunge, welche die Ausdehnung gewisser
Partieen während der Einathmung unmöglich machen, und Obliteration
oder Verengerung der Bläschen, wenn sich in anliegenden Organen oder
zwischen den Lappen der Lunge selbst Ausschwitzungen eingestellt haben,
z. B. nach Herzbeutel-, Brustwassersucht u. A. — Eine andere Gefahr
droht den Lungenbläschen durch den Blutstrom, der mit dünnen Wan-
dungen umzogen durch ihre Häute dringt, die namentlich von der Seite
her, welche gegen die offenstehenden lufthaltigen Höhlen gekehrt sind,
eine geringe Widerstandskraft besitzen. Es genügt darum eine unbedeu-
tende Erhöhung des gewöhnlichen niedrigen Blutdruckes, um eine Filtra-
tion in die Lungenhöhle zu veranlassen. Hierzu geben häufig Veranlas-
sung feste Körperchen, z. B. Kohlenpartikelchen, Fetttröpfchen, kleine
Faserstoffgerinnsel, welche (aus den Lymphgefässen eingeführt?), wenn
sie selbst die Blutkörperchen nur um ein Geringes an Grösse übertreffen,
in den engen Capillarröhren der Lunge hängen bleiben, einzelne Aest-
chen verstopfen und somit im Kleinen alle die Folgen herbeiführen,
welche Virchow*) im grossen Maassstab an künstlich erzeugten Stockun-
gen beschrieben hat. — Oefter ist auch die Meinung ausgesprochen
worden, dass die Blutgefässe unter dem Einfluss der Nerven überhaupt
und insbesondere der Lungenäste des n. vagus ihren Durchmesser zu
ändern vermöchten. Diese an und für sich nicht unwahrscheinliche Hy-
pothese entbehrt jedoch der weitern Begründung, da die Thatsachen,
auf welche sie sich stützt, auch noch andere Auslegungen erfahren können.
Die Grundlage, von welcher aus die zuletzt erwähnte Controverse**) geführt
wird, ist genommen aus den Erscheinungen nach Durchschneidung der Vagi. 1) Nach
Durchschneidung des Halsstammes der beiden Vagi über dem Kehlkopf erfolgt bei
einigen Thieren (Katzen, Pferden u. s. w.) sogleich Erstickung, weil sich bei der
Einathmung die Stimmritze ventilartig schliesst. Andere dagegen (z. B. Kaninchen)
bleiben bis zu 24 Stunden am Leben; nach dem Tode zeigt die Sektion die Gegen-
wart von Speichel, Epithelialzellen der Mundhöhle und Speisereste in den Lungen-
hläschen; zugleich ist ein Theil derselben geröthet und mit blutigen Exudaten gefüllt,
wie sie sich in der sog. Entzündung finden. Endlich bei noch andern Thieren (z. B.
erwachsenen Hunden), welche gewöhnlich die Durchschneidung der Vagi mehrere Tage
überleben, findet sich häufig gar keine merkliche Veränderung der Lungensubstanz. —
2) Nach Durchschneidung der rami recurrentes allein tritt die Lungenentzündung
immer später ein, in vielen Fällen bleibt sie auch ganz aus. — 3) Nach Durchschnei-
dung der Lungenäste allein, so dass die des Kehlkopfs unverletzt bleiben, soll auch
die Entzündung entstehen; es ist aber sehr zweifelhaft, ob die angedeutete Operation
ausgeführt werden kann. — 4) Nach Durchschneidung nur eines n. vagus zeigen sich
gewöhnlich keine Veränderungen in der Lungensubstanz.
[351]Folgen der Durchschneidung beider n. vagi.
Daraus folgert man nun: a) Die Entzündung entspringt aus einer Lähmung der
Gefässnerven, die im n. vagus enthalten sind; es soll dieses aus Combination der
Versuche 1 und 3 hervorgehen. Den Erfolg des 4. Versuchs rechtfertigt man da-
durch, dass der n. vagus jeder Seite zugleich in beide Lungenhälften gehe. Bevor
es der Mühe werth ist, aufmerksam zu machen auf die vielen Widersprüche, die
sich aus den vorliegenden Durchschneidungsversuchen gegen diese Unterstellung er-
heben, könnten wir erst abwarten, ob es gelingt, noch durch irgend welches andere
Mittel die behauptete Beziehung zwischen den Muskeln der Lungengefässe und den Va-
guszweigen zu erweisen. — b) Da nach Durchschneidung der n. vagi die Stimmritze
nicht mehr schliesst, so dringen bei Schlingbewegungen Speichel und Speisereste in
die Lunge, welche in den Lungencapillaren durch chemische Einwirkung auf die Wan-
dungen oder den Inhalt der Gefässe Stockung des Blutstroms erzeugen (Traube).
Eine Bestätigung dieser Annahme findet man darin, dass der in die Lunge gesprützte
Speichel dort Entzündung veranlasst, dass nach Durchschneidung der Vagi die Ent-
zündung ausbleibt, wenn man die Luftröhre unterhalb des Kehlkopfs durchschnitten
und ihre Mündung durch ein passendes Mittel offen erhalten hat; wenn nach dieser
Modifikation der Operation noch eine Entzündung zu Stande kommt, so ist dieses
davon abhängig, dass sich in den Kanälen, welche in den untern Luftröhrenabschnitt
eingebunden sind, Schleim angesammelt hat (Billroth); dass nach Durchschneidung
der rami recurrentes die Lungenentzündung bei allen den Thieren ausbleibt oder we-
nigstens seltener eintritt, deren Stimmritze beim Schlingen noch durch den m. thyreo-
pharyngei wenigstens annähernd geschlossen wird, dass sie aber nach Durchschnei-
dung des u. recurrentes unfehlbar erscheint, wenn man die Speiseröhre unterbindet
und damit die Entleerung des Mundspeichels hemmt. Alle diese Thatsachen scheinen
nach den Untersuchungen von Billroth und Fowelin vorzugsweise ihre Anwen-
dung bei Kaninchen, weniger aber bei Hunden zu finden. — b) Nach der Durch-
schneidung der Vagi werden die Athemzüge seltener und tiefer, und weil zugleich
die Stimmritze beengt ist, so entstehen beträchtliche Verdünnungen der Luft in dem
Brustraum, und in Folge dessen platzen die Lungengefässe (Bernard). Es fehlt
bis dahin noch der genauere Nachweis der behaupteten Druckdifferenzen.
Mit dem Vorstehenden hat man nun meist die andere Frage in Verbindung ge-
bracht, durch welchen Mechanismus die Durchschneidung der u. vagi den Tod ver-
anlasse. Offenbar kann er nicht Folge der Lungenentzündung sein, da die Hunde
auch ohne alle Anzeichen derselben sterben. Nach den Beobachtungen von Blain-
ville und Fowelin ist die Lunge überhaupt so wenig beeinträchtigt, dass Vögel und
Hunde nach Durschneidung der nn. vagi mehr CO2 ausathmen, als vor derselben. —
Man hat darum der Reihe nach alle Störungen, welche die Verletzung der n. vagi
hervorruft, als Todesursachen betrachtet, und namentlich aber die aufgehobene oder
wenigstens beeinträchtigte Verdauung und die beschleunigte Schlagfolge des Herzens.
Die Beweise für diese Annahmen sind aber sehr spärlich; die Thiere sterben doch
sonst nicht, wenn sie 3—4 Tage hungern oder heftig fiebern. Wollte man die Proba-
bilitäten mehren, so könnte man auch auf eine Veränderung der Blutzusammensetzung
hinweisen, welche aus den Störungen einiger Absonderungen resultirt. Ueber die
betreffenden Streitfragen siehe die Litteratur bei Fowelin und J. Müller*).
Die chemischen Vorgänge in den Lungensäften dachte man sich
früher sehr lebhaft, indem man annahm, dass dort reichliche Massen
kohlen- und wasserstoffhaltiger Atome angehäuft seien (Lavoisier, La-
place) aus deren Oxydation die CO2 und das HO der Ausathmungsluft
[352]Umsetzungsprodukte der Lungensäfte.
hervorgehen sollte. Die chemische Untersuchung der Lungen und des
Bluts hat diese Hypothese nicht bestätigt; sie hat im Gegentheil andere
Quellen des Brennmaterials aufgedeckt. — Verdeil*) glaubte neulich in
dem Lungensaft eine besondere Säure nachgewiesen zu haben, welche
die kohlensauren Verbindungen des Lungenbluts zerlegen und auf diese
Weise die Entwickelung von CO2 bedingen sollte. Durch eine genauere
Untersuchung von Cloetta**) ist diese Angabe wiederlegt worden.
Er machte die Beobachtung, dass aus dem aus der Lunge gepressten
Saft drei krystallinische Körper erhalten werden können, von denen
einer unzweifelhaft Harnsäure ist; von den beiden andern enthält der
eine, welcher neutral ist, Stickstoff und der andere eine so schwache
Säure, dass sie CO2 nicht austreibt (die Verdeil’sche Säure?), Schwe-
fel und Stickstoff. Diese Erfahrungen, welche Cloetta im Augenblick
noch weiter verfolgt, geben auf eine merkwürdige chemische Umsetzung
in den Lungensäften Hinweisung.
B. Hautathmung.
1. Die Epidermis und das oberflächlichste Gefässnetz sind die ana-
tomischen Theile der Cutis, welche beim Hautathmen vorzüglich in Be-
tracht kommen. — Die luft- und blutscheidende Epidermis ist für alle
bis dahin geprüften Gasarten durchgängig gefunden worden; diese Er-
fahrung ist wichtig, aber ungenügend; man wünscht noch zu wissen,
wie mit der Dicke, der relativen Mächtigkeit von Zellen- und Hornschicht,
der chemischen Zusammensetzung ihrer Quellungsflüssigkeiten, der Tem-
peratur die Absorptions- und Reibungscoeffizienten der Gase wechseln.
Das Blut, welches in das oberflächliche Netz der Cutis eingeht,
strömt dorthin aus den Gefässen, welche die Schweissdrüsen umschlingen,
und geht dann in die Hautvenen über. Der Durchmesser seines Bettes
in der Cutis ist sehr variabel, wie ohne Messung jeder weiss, der die
Farbe und Schwellung der Haut im Gedächtniss hat. Diese Veränder-
lichkeit ist abhängig von den Muskeln, welche in die Cutis (Haarbälge
u. s. w.) und in die Wandungen der Gefässe selbst eingelegt sind. —
Diese Muskeln ziehen sich zusammen nach einer vorgängigen Erregung
der Hautnerven (z. B. nach leidenschaftlichen Aufregungen u. s. w.) und
nach einer Abkühlung der Haut. Sie scheinen dagegen ihre Wider-
standsfähigkeit einzubüssen mit der steigenden Wärme. — Die Zusam-
menziehung der Gefässmuskeln scheint, wenn man aus ihrer Anordnung
schliessen darf, immer eine Verengerung der Gefässe (Blasswerden der
Haut) nach sich zu ziehen. — Die der andern Hautmuskeln aber keines-
wegs; denn wenn man sich durch schmerzhafte elektrische Schläge eine
Gänsehaut (die das sichere Zeichen der Hautmuskelerregung ist) bereitet
[353]Hautathmen.
(Kölliker), so wird die Haut in der Nähe roth und bei der Frost-
gänsehaut ist die Umgebung blass. — Die bewegenden Nerven müssen
in den Bahnen der Hautnerven gehen; die der Gefässe sind aber nur
für eine geringere Zahl von Hautstellen genügend bekannt.
2. Die Mittel zur Analyse der Veränderungen, welche die mit der
Haut in Berührung befindliche Luft erfahren hat, sind einfach die früher
schon angegebenen. Schwierigkeiten stellen sich der Untersuchung hier
nur beim Auffangen der veränderten Luft entgegen.
Zum Auffangen der durch die Hautathmung veränderten Luft hat man sich bis
dahin folgender Einrichtungen bedient: a) Lavoisier und Seguin*) zogen über
den nackten menschlichen Körper, den Kopf ausgenommen, einen mit flüssigem Kaut-
schouck dicht gemachten Taftbeutel. Diese Methode hat wesentliche Fehler, nament-
lich erhöht sie die Temperatur der Haut und den Feuchtigkeitsgrad der Oberhaut;
sie stellt die natürlichen Diffusionsbedingungen nicht her für den Wasserdunst, denn der
Inhalt des Beutels wird nahebei mit Wasser gesättigt sein, und ebenso nicht für den
O und die CO2, denn der Gehalt der eingeschlossenen Luft an dem ersteren Gas wird
bald geringer und der an dem letzteren Gas bald grösser sein, als in der Atmosphäre.
Endlich wird höchst wahrscheinlich die Schweissbildung eingeleitet; die Verdunstungs-
produkte des Schweisses mengen sich somit der Hautausdünstung bei. — b) Ger-
lach**) überdeckte nur ein mehrere Quadratzoll grosses Hautstück mit einer gefir-
nissten Harnblase, die er luftdicht an der Haut befestigt hatte. Dieses Verfahren
trifft die vorigen Einwürfe; es hat jedoch den Vorzug, eine weniger bedeutende Stö-
rung in die Gesammtausdünstung und Schweissabsonderung einzuführen. Die von
ihm zur Analyse des gefangenen Gases angewendeten Verfahrungsarten gehören nicht
gerade zu den fehlerfreiesten. — c) Regnault und Reiset***) schlossen die ganzen
Thiere, den Kopf ausgenommen, in einen luftdichten Sack ein, und leiteten durch
denselben einen Luftstrom; diese Methode vermeidet zwar die oben gerügten Fehler,
setzt dagegen einen neuen an die Stelle, indem sie das Thier zu einer fast vollkom-
menen Ruhe seiner Gliedmaassen zwingt. — d) Scharling†) bediente sich eines
luftdicht schliessenden Kastens, durch den ein Luftstrom geführt werden konnte; der
Deckel desselben war von einem Kautschouckrohr durchbohrt, das innerhalb des Kastens
in einer Maske auslief. Die Maske wurde luftdicht vor das Gesicht der Person ge-
bracht, welche sich behufs der Untersuchung in dem Binnenraum des Kastens auf-
hielt. Das zu beobachtende Individuum wurde nackt oder bekleidet eingeschlossen.
Die Luft, welche das Lungenathmen unterhielt, wurde also durch das Kautschouck-
rohr in die Lunge geführt und auf demselben Wege, ohne sich mit der Luft des
Kastenraumes zu mischen, wieder ausgestossen. Dieses sonst tadelfreie Verfahren
erlaubt, nur die CO2 und annähernd den Wasserdunst zu bestimmen; von diesen
beiden hat Scharling nur die erstere in Betracht gezogen.
3. Die Veränderungen, welche die mit der Haut in Berührung kom-
mende atmosphärische Luft erfährt, bestehen darin, dass ihr Wärme,
Wasserdunst, Kohlensäure und Stickgas (?) zugefügt und ihr Sauerstoff-
gas (?) entzogen wird.
Die Wärmemenge, welche die Oberhaut in der Zeiteinheit durch
Leitung und Strahlung verliert, muss nach bekannten Grundsätzen sich
Ludwig, Physiologie. II. 23
[354]Hautathmen.
mehren a) wenn die Temperatur der Cutis steigt; dieses geschieht bei
Annahme einer constanten Temperatur des Blutes mit der Ausdehnung
der Gefässe und der Geschwindigkeit des Blutstromes. — b) Mit der ab-
nehmenden Dicke der Epidermis, welche, als ein schlechter Wärmeleiter,
dem Durchgange der Blutwärme einen um so grössern Widerstand ent-
gegensetzt, je stärker die Schicht ist, die über den Gefässen liegt. —
c) Mit dem Temperaturunterschied zwischen der Epidermis und der um-
gebenden Luft, und darum mit dem Luftwechsel. Denn die Luft, als
ein schlechter Wärmeleiter, würde, wenn sie ruhig auf der Oberhaut
läge, ähnlich der Epidermis wirken.
Die Menge des Wasserdunstes, welche in der Zeiteinheit aus der
Oberhaut tritt, wird sich mehren a) mit der relativen Sättigung der At-
mosphäre durch Wasserdampf; im Allgemeinen verlieren wir aus diesem
Grunde durch die Haut mehr Wasser im Sommer, als im Winter. —
b) Mit dem Luftwechsel, indem dieser die schon dem Sättigungspunkte
näher stehende Luft durch andere weniger gesättigte ersetzt. — c) Mit
dem abnehmenden Barometerstand, indem ein niedriger Luftdruck die
Dampfbildung beschleunigt. — d) Mit der Ausbreitung des Blutstromes
in der Cutis, indem hiervon die Feuchtigkeit und der Temperaturgrad
der Oberhaut abhängt. — e) Mit der abnehmenden Dicke der Oberhaut,
weil dieselbe dem Durchgange der Feuchtigkeit, welche auf ihrer Ober-
fläche die Dunstform annehmen soll, einen Widerstand entgegensetzt.
Eine experimentelle Prüfung der theoretischen Forderungen ist noch
nicht unternommen worden, da alle die zahlreichen Versuche, die bis
dahin über Wasserverdunstung durch die Haut angestellt wurden, auch
zugleich die Schweissbildung berücksichtigt haben. Jedenfalls ist der
Wasserverlust, den der menschliche Körper auf diesem Wege erleidet,
beträchtlich.
Die in der Zeiteinheit, z. B. in der Stunde, von der Haut der unter-
suchten Thiere gelieferte CO2menge fanden Regnault und Reiset, im
Vergleich zu der während derselben Zeit aus der Lunge ausgehauchten,
gering und zugleich bei demselben Thiere, das sich scheinbar unter den-
selben Verhältnissen befand, wechselnd; sie sind darum geneigt, die
Annahme zu machen, dass in den Fällen, in welchen der CO2gehalt der
Luft in den oben beschriebenen Säcken reichlicher als gewöhnlich aus-
fiel, zugleich durch den After eine Entleerung dieses Gases statt ge-
funden habe. — Scharling’s Untersuchungen am Menschen stimmen
annähernd mit den vorhin genannten, was das Verhältniss zwischen dem
Verlust der CO2 durch Lungen und Haut anlangt. Wird der CO2verlust
aus der Lunge zu 1 gesetzt, so schwankt der aus der Haut zwischen 0,016
und 0,031. Die höheren Zahlen beobachtete er bei Erwachsenen, die
niederen bei Kindern. Wir geben hier die absoluten Werthe, welche er für 1
Stunde gefunden hat; sie beziehen sich auf dieselben Menschen, die in der
[355]Hauthathmen.
Tabelle p. 337 erwähnt sind; sie sind auch in dieselbe Reihenfolge ge-
stellt: Knabe (9¾ J.) = 0,181 Gr.; Jüngling (16 J.) = 0,181 Gr.;
Mann (28 J.) = 0,373 Gr.; Mädchen (10 J.) = 0,124; Frau (19 J.)
= 0,272. — Gerlach beobachtete dagegen, wie es scheint, an Men-
schen eine reichlichere CO2ausscheidung; diese soll sich mehren mit der
Muskelanstrengung und der steigenden Temperatur der Atmosphäre; die
letztere Annahme wird theoretischerseits darum wahrscheinlich, weil zu
der bezeichneten Zeit die Gefässe der Cutis angefüllter sind, als in
der Kälte.
Ueber das Verhalten des Ngases befinden wir uns noch vollkommen im Unklaren.
Collard de Martigny*) giebt an, dass nach Fleischkost Ngas ausgehaucht
werde (?).
Die Aufnahme von Sauerstoffgas durch die Haut ist zwar theoretisch
wahrscheinlich, aber durch den Versuch noch nicht vollkommen erwie-
sen. Die Beobachtungen von Regnault und Reiset lassen einen
Zweifel übrig, weil sie nicht die absolute Menge des Sauerstoffs, der
durch den Sack gegangen war, bestimmten, sondern nur sein Verhältniss
zur CO2 und dem Ngas. Sie fanden nun die Luft so beschaffen, dass,
wenn man annahm, es sei ihr Stickstoffgehalt durch das Hautathmen
nicht verändert worden, gerade so viel Sauerstoff verschwunden war, als
sich hiervon in der ausgehauchten CO2 wiederfand. Diese Annahme ist
aber durch Nichts bewiesen. Entscheidender würden die Versuche von
Gerlach für die Sauerstoffabsorption sprechen, wenn uns die Fehler-
grenzen seiner Beobachtungsmethode besser bekannt wären. Er fand
nemlich den Sauerstoff im Verhältniss zum Stickstoff so beträchtlich ver-
mindert, dass eine ganz ausserordentliche Stickstoffaushauchung hätte
stattfinden müssen, wenn kein Sauerstoff aus der mit der Haut in Be-
rührung gewesenen Luft verschwunden wäre. In allen seinen Versuchen
war das Volum des aufgenommenen Sauerstoffs, gerade entgegengesetzt
dem Verhalten in der Lungenluft, viel geringer, als das der ausgeschiedenen
CO2. Die verschwundene Menge wuchs auch hier mit der Temperatur
der Luft und der Muskelanstrengung des Thieres.
4. Der absolute**) Werth des Gewichtsverlustes, den wir den Tag
über durch die Hautausdünstung erleiden, ist noch niemals für sich ge-
messen worden, sondern immer gemeinsam mit dem durch eine etwa da-
zwischen eintretende Schweissbildung veranlassten. Da nun diese letztere
noch viel variabler ist als die erstere, so lässt sich durchaus nichts all-
gemein Giltiges sagen. — Ziehen wir aber die vorliegenden Untersuchun-
gen in Betracht, so ergiebt sich, dass bei mittlerer Lebensart und Tem-
peratur das Gesammtgewicht des täglichen Verlustes durch die Haut um
den Werth von 500 bis 800 Gr. schwankt. Offenbar ist dieser Verlust vor-
23*
[356]Gesammtgaswechsel.
zugsweise durch die Wasserverdünstung bedingt, wie die vorstehenden
Bemerkungen über CO2ausscheidung deutlich zeigen.
C. Gesammtgaswechsel des thierischen Körpers.
Die Bindung und Ausscheidung von Luft auf Haut, Lunge und
Darmkanal stehen in mannigfachen Beziehungen zu einander, so dass
sie sich theilweise gleichzeitig steigern, theils aber auch ergänzen, indem
mit dem Sinken der Athmung auf einer der bezeichneten Flächen die-
jenige auf einer anderen im Wachsthum begriffen ist. Da eine theore-
tische Feststellung dieses Zusammenhanges vorerst noch unmöglich ist,
so sind die Versuche, welche sich über den Gesammtaustausch der Gase
erstrecken, einzig und allein unser Haltpunkt.
Die Methoden, mit denen die Ausscheidung und Bindung der Gase untersucht
wurde, sind im Prinzip zwei wesentlich verschiedene; die eine von ihnen bestimmt
alle oder einzelne der aufgenommenen Gasarten geradezu, während die andere sie
aus dem Gewichtsunterschiede der festen und flüssigen Bestandtheile der Nahrungs-
und Ausscheidungsstoffe ableitet. — 1) Die direkten Wege sind nun aber selbst
wieder verschiedene.
a. Berthollet*) führt die zu beobachtenden Thiere in ein genau gemessenes
Luftvolum von bekanntem Druck, bekannter Temperatur und Zusammensetzung
ein und lässt sie in demselben so lange verweilen, bis sich die Zeichen der begin-
nenden Erstickung einstellen; er bestimmt dann von Neuem Temperatur, Druck und
Zusammensetzung der Luft, in welcher die Thiere enthalten waren. Auf diese Weise
erhält er die absolute Menge der ausgeschiedenen und eingenommenen permanenten
Gasarten. Das Schema des Apparates, den er hierzu anwendet, ist in Fig. 66. ge-
geben. A ist der luftdichte Kasten von bekann-
tem Rauminhalt, a a ein Quecksilbermanometer,
das den Unterschied des Druckes in der Atmo-
sphäre und dem Inhalt des Kastens angiebt, b ein
Thermometer, welches die Temperatur der Luft
im geschlossenen Raume misst. Ist nun der Raum-
inhalt des Behälters bekannt, so kann man jeder-
zeit die Menge von Luft berechnen, welche er
enthält, vorausgesetzt, dass man den barome-
trischen Druck, unter dem sich diese Luft befin-
det, und den Temperaturgrad derselben kennt.
Ist somit das Gesammtgewicht der Luft festge-
stellt, so genügt es, einen kleinen Antheil des
Inhaltes zu analysiren, um das absolute Gewicht
jeder einzelnen Gasart in dem Gemenge zu fin-
den, indem aus der gefundenen prozentischen Zu-
sammensetzung die des ganzen Gemenges be-
rechnet werden kann. Dieser sinnreiche Appa-
rat erlaubt aber nur beschränkte Anwendung, da
die eingeschlossenen Thiere sehr bald statt in reiner Luft, in einem Gasgemische
athmen, das reich an CO2 und arm an Sauerstoff ist, wodurch die natürlichen Be-
dingungen der Athmung wesentlich umgestaltet werden. — Dieser Einrichtung hat
sich ausser Berthollet auch noch Legallois**) bedient.
[357]Gesammtgaswechsel.
b. Regnault und Reiset*) haben den eben beschriebenen Apparat wesentlich da-
durch verbessert, dass sie mit dem Kasten eine Einrichtung in Verbindung bringen, welche
es möglich macht, dass die in jedem Augenblicke gebildete CO2 absorbirt und durch
das entsprechende Volum von Sauerstoffgas ersetzt wird, so dass der Druck und die
Zusammensetzung der Luft innerhalb und ausserhalb des Behälters sich nahezu unver-
ändert erhält. Ihr Apparat (Fig. 67) ist aus folgenden Theilen zusammengesetzt: A
stellt ein Wassergefäss vor, das durch die Röhre a a a in den Ballon B mündet, wel-
cher bei Beginn des Versuchs mit Sauerstoffgas gefüllt ist; dieser steht durch die
Röhre b b in Verbindung mit dem Behälter C, der das athmende Thier aufnimmt. In
diesen Raum öffnen sich das Manometer c c und die zwei Schläuche d d und e e, welche
in zwei Ballons D und E eintreten, die Aetzkalilösung enthalten. Die zuletzt er-
wähnten Kaligefässe können mittelst eines Treibwerkes in eine Bewegung gebracht
werden, bei der das eine von beiden jedesmal aufsteigt, wenn das andere niedergeht.
Da beide durch die Röhre f f commuiziren, so entleert sich der flüssige Inhalt des auf-
steigenden in das absteigende Gefäss, und dafür entleert das letztere seine Luft in
den Behälter C, während das erstere sich aus diesem mit Luft füllt. Diese Weg-
nahme resp. Einfüllung von Luft aus den Kaligefässen geschieht nun aber wegen der
Aufstellung der Röhren e e und d d abwechselnd aus den oberen und den unteren Schich-
ten des Athmungsbehälters. — Diese Weise zu beobachten lässt nichts zu wünschen
übrig, da ihre Erfinder zugleich zur Bestimmung der Gasarten vollendete analytische
Hilfsmittel in Anwendung brachten, so besitzen unzweifelhaft ihre Beobachtungen das
Uebergewicht über alle anderen. Ein ähnliches Prinzip hat Marchand**) bei einem
Theil seiner Versuche benutzt; es ist aber in seiner Ausführung nicht zu der erreich-
baren Vollkommenheit gediehen.
c. Das Verfahren von Scharling***) endlich beabsichtigt nicht alle, sondern nur
einzelne Veränderungen, welche die Luft durch das Athmen erfährt, und insbesondere
die gebildete CO2 zu bestimmen. Er führt seine Beobachtungsobjekte in den luftdicht
schliessenden Kasten A (Fig. 68.) und leitet durch diesen einen kohlensäurefreien Luft-
strom, der bei a ein- und bei b aus dem Kasten dringt. Die aus der Atmosphäre
eindringende Luft geht, bevor sie in den Kasten gelangt, durch einen mit Kali ge-
füllten Kugelapparat von Liebigk. Aus der andern bei b befindlichen Oeffnung
führt ein Rohr durch mancherlei Zwischenstücke in ein grosses mit Wasser gefülltes
[358]Gesammtgaswechsel.
Fass (B), dessen Inhalt aus der mit einem Hahne versehenen Oeffnung c in beliebig
raschem Strome gelassen werden kann. Der Luftstrom, der durch das Rohr b d von
dem ausfliessenden Wasser angesaugt hindurchging, musste zuerst einen gebogenen
Abschnitt e, der mit SO3 und Bimsteinstücke, dann einen Liebig’schen Kugelapparat
f und darauf abermals ein Schwefelsäurerohr g durchlaufen. Die Gewichtszunahme,
welche die Stücke f und g während des Versuches erfahren, rührt von der beim
Athmen gebildeten CO2 her. Diese Methode ist mit geringen Abweichungen von Le-
tellier*), Lehmann**), Erlach***), Philippi†) u. A. in Anwendung gebracht.
2. Die indirekte Methode zur Ermittelung der Gesammtmenge der Athmungs-
produkte hat Boussingault††) und nach ihm Barral†††), Scharling§) u. A.
in Anwendung gebracht. Sie besteht darin, dass man einmal ermittelt, wie viel N,
C, H während eines Tages in der Nahrung aufgenommen und ebenso bestimmt, wie
viel derselben in der nemlichen Zeit durch den Harn und Koth entleert wurde. Unter
der Voraussetzung, dass zu Beginn und Ende der Beobachtungszeit der thierische
Körper dieselbe quantitative und qualitative Zusammensetzung besitzt, und dass kein
Verlust an Speichel, Hautabschuppung, Härung u. dergl. vor sich gegangen, giebt der
Unterschied zwischen den aufgenommenen und entleerten Gewichten an N, C, H
geradezu die gasförmigen ausgeschiedenen Gewichte der bezeichneten Stoffe. Es sind
die hierbei angenommenen Voraussetzungen nicht in allen bisher angestellten Versuchen
erwiesen. Wenn sie somit Vertrauen erwecken sollen, so müsste wenigstens die
empirische Anwendbarkeit vorgängig dadurch festgestellt werden, dass man einige Zeit
hindurch gleichzeitig feste, flüssige und luftförmige Ausleerungen der beobachteten
Individuen bestimmte, um zu sehen, ob ihre Summe und atomistische Qualität gleich
ist derjenigen der Nahrung.
Aus den Versuchen über Gesammtausscheidung der Gase ergab sich:
1. Aus dem thierischen Körper wird Kohlensäure, Wasserstoff, für
gewöhnlich auch Stickstoff und gasförmiger Kohlenwasserstoff ausgestossen;
die Ausscheidung des Kohlenwasserstoffs geschieht wahrscheinlich aus
dem Darmkanal; sie ist zugleich meist so unbedeutend, dass sie ver-
nachlässigt werden kann.
[359]Gesammtgaswechsel.
Schwefelwasserstoff, obwohl wahrscheinlich vorhanden, ist bis jetzt noch nicht
aufgefunden. Die Ausscheidung von Ammoniak ist behauptet (Marchand) und be-
stritten (Regnault, Reuling).
2. Die Qualität und Quantität der ausgehauchten und aufgenomme-
nen Gase steht in innigster Beziehung zur Nahrung. Stickstoff wird in
beträchtlichster Menge ausgestossen nach reiner Fleischdiät, in geringer
Menge nach dem Genusse von Brod; dieses Gas wird dagegen aus der
Atmosphäre während des Hungerns aufgenommen. — Von der gesammten
Menge des aufgenommenen Sauerstoffs ist nach Brodnahrung bis zu 0,9,
[nach] Fleischnahrung und Hungern bis zu 0,7 und nach sehr fetthaltiger
Nahrung 0,6 in der ausgeschiedenen CO2 wieder enthalten. Diese That-
sachen erlauben die Ableitung, dass ein grosser Theil der aufgenomme-
nen Nahrung alsbald dem Oxydationsprozesse verfalle, dessen Endprodukte
auch wieder ausgeschieden werden. Der Theil des aufgenommenen Sauer-
stoffs, welcher sich unter den Auswürflingen nicht wieder mit Kohlen-
säure vereinigt findet, ist natürlich verwendet worden zur Herstellung
anderer Verbindungen. Unter der obigen Voraussetzung muss aber dieser
letztere Antheil des verzehrten Sauerstoffs nach fettreichen Mahlzeiten
grösser als nach brodreichen sein. Denn das Brod besteht vorzugsweise
aus Kohlenhydraten, d. h. aus Verbindungen, welche neben Kohlenstoff
Wasser und Sauerstoff und zwar in einem solchen Verhältniss enthalten,
wie sie zur Wasserbildung nothwendig sind, während der in den Fetten
enthaltene Sauerstoff nicht hinreicht, um ihren Wasserstoff zu Wasser
zu verbrennen. Erfolgt also eine totale Verbrennung der Kohlenhydrate
und Fette zu CO2 und HO, so kann in dem einen Fall aller vorhandene
freie Sauerstoff nur zur Oxydation des C, in dem andern aber muss er
gleichzeitig zur CO2- und HObildung verwendet werden. Dieser Schluss,
dass die aufgenommenen Nahrungsmittel kurze Zeit nach ihrer Aufnahme
der Oxydation anheim fallen, wird bestätigt durch das Verhalten des
Stickstoffs bei der Athmung, indem nach dem Genusse der relativ stick-
stoffreichen Fleischnahrung die Aushauchung desselben ihr Maximum
erreicht, während bei Brod- und Fettnahrung entweder sehr wenig oder
gar nichts von demselben gasförmig ausgestossen wird.
Diese Erfahrung, dass sich nemlich die Bildung der Athmungsgase
qualitativ anschliesst an die Zusammensetzung der Nahrungsmittel, hat wie
es scheint auch ohne weitere direkte Versuche die allerdings wahrscheinliche
Annahme erzeugt, dass mit der Vermehrung der Nahrungsmittel die absolute
Menge der ausgeathmeten Gase und des eingeathmeten Sauerstoffs steige.
3. Rücksichtlich der Beziehung zwischen Athmung und Körpergewicht
ist thatsächlich festgestellt, dass bei zureichender Nahrung und sonst
gleichen Umständen die Menge des eingeathmeten Sauerstoffs (Regnault,
Reiset) und der ausgeathmeten CO2 dem Körpergewicht nicht genau
proportional steigt. Namentlich bilden Säugethiere von geringem Gewichte
[360]Gesammtgaswechsel.
viel mehr CO2, als solche von grösserem (Erlach). Diese Thatsache
erlaubt zwei Erklärungen: entweder enthalten kleine Thiere verhältniss-
mässig mehr Gewebe, die der raschen Oxydation anheim fallen; oder es
sind bei ihnen Einrichtungen vorhanden, vermöge deren die Verbrennung
rascher vor sich geht. Fraglich ist es noch, ob diese Erfahrung auf
Menschen von verschiedener Grösse anwendbar ist.
4. Anstrengungen der Muskeln steigern sehr rasch die gelieferte
Menge der CO2, und zwar so bedeutend, dass sie mehr als das dreifache
des gewöhnlichen Mittelwerthes betragen kann (Scharling).
5. Die Unterdrückung der Hautausdünstung, wie sie dadurch erzeugt
wird, dass man die Thiere mit Leim oder einem Leinölfirniss überzieht,
bringt nach Regnault und Reiset keine merkliche Störung in das
Resultat des Gesammtgasaustausches. Namentlich mindert sich hierdurch
weder die Menge des ausgeschiedenen Stickstoffs, noch die des aufgenom-
menen Sauerstoffs, und eben so wenig ändert sich das Verhältniss dieses
letzteren zu der ausgestossenen CO2.
Dieses Ergebniss deutet darauf hin, dass der Tod, den man nach Anwendung
eines luftdichten Verschlusses der Haut eintreten sah, ganz anderen Gründen als der
Störung des Wechsels der permanenten Gase zuschreiben muss. Siehe Gerlach*).
6. Wenn man Fröschen grosse Blutverluste beibringt oder ihnen die
Leber ausschneidet, so geben sie weniger CO2 in der Zeiteinheit aus,
als vorher. Nach der letzteren Operation soll der Ausfall zu gross sein,
als dass er allein aus dem Blutverluste abgeleitet werden könnte (Mole-
schott) **).
7. Bei normalem Gehalte der Luft an Stickstoff und Sauerstoff soll
die Menge der gelieferten CO2 wechseln mit ihrem Temperatur- und Feuch-
tigkeitsgrade und dem Barometerstande.
a. Nach Letellier liefern dieselben Thiere bei 0° noch einmal so
viel CO2, als bei 30° C, sie dunsten dagegen in höheren Temperaturen
mehr Wasser aus. Dieser Wasserverlust nimmt bei längerem Aufenthalte
in der höheren Temperatur rasch ab und erreicht endlich nach mehreren
Stunden einen constanten Werth.
b. Nach Lehmann mehrt sich die Menge der ausgeschiedenen CO2
mit der steigenden Feuchtigkeit der Luft.
c. Mit dem steigenden Barometerstande soll sich nach Lehmann
die Menge der ausgestossenen CO2 mehren; ihm steht die Versuchsreihe
von Legallois entgegen, wonach bei abnehmendem Luftdruck eher auf
eine Zunahme als auf eine Abnahme der Kohlensäureausscheidung zu
schliessen wäre.
8. Bei einem längeren, nahezu 24stündigen Aufenthalt der Säuge-
thiere in einer Luft, deren Zusammensetzung von der atmosphäri-
[361]Umsetzung des Blutes innerhalb der Gefässe.
schen abweicht, ergeben sich aus den Regnault-Reiset’schen
Versuchen:
a. In einer Luft von der prozentischen Zusammensetzung CO2 =
3,01, O = 17,42, N = 79,57 nahm in der Zeiteinheit ein Hund mehr
O auf und hauchte mehr CO2 aus, als in einer gleich temperirten Luft
von der Zusammensetzung CO2 = 0,77, O = 17,70, N = 81,53. —
Die Beobachtung, dass dasselbe auf gleiche Weise gefütterte Thier in
einer Luft von demselben O- und grösseren CO2gehalt mehr O aufnimmt
und mehr CO2 abgiebt, lässt sich mit anderen Erfahrungen über das
Athmen nur daraus erläutern, dass das Thier in der CO2reichen Atmo-
sphäre mehr Athemzüge unternommen habe.
b. In einer Atmosphäre, deren prozentische Zusammensetzung vom
Beginn bis zu Ende des Versuchs zwischen CO2 = 1,66, O = 59,75,
N = 38,59 und CO2 = 1,89, O = 57,62, N = 40,19 wechselte,
hauchte das zu den vorigen Versuchen benutzte und in gleicher Weise
gefütterte Thier nicht mehr N aus und nahm nicht mehr O auf, als in
einer Luft von nahebei normaler Zusammensetzung. — Dieses wiederholt
bestätigte Ergebniss steht in scheinbarem Widerspruche zu den Beohach-
tungen von Allen und Pepys, dessen Lösung wir schon früher ver-
sucht haben.
Bemerkenswerthe Versuche einer Atmosphäre, deren Stickstoff zum grössten Theil
durch Wasserstoff ersetzt war, siehe bei Regnault und Reiset, l. c. p. 500.
Die Angaben, welche aus der Anwendung der indirekten Methode
fliessen, sind nachzusehen in dem Abschnitte, der von der Vergleichung
der Ausgaben und Einnahmen des thierischen Körpers handelt.
Umsetzung des Blutes innerhalb der Gefässe.
Am Schlusse eines Abschnittes, der vorzugsweise von den Umsetzun-
gen der Atome des Blutes handelt, nachdem diese die Gefässhöhlen ver-
lassen haben, erscheint es nicht unpassend, darauf einzugehen, ob das
Blut auch innerhalb der Gefässröhren eine Umsetzung erfahre. Für eine
solche spricht zuerst die Zusammensetzung des Blutes aus Verbindungen,
die bei der Temperatur des thierischen Körpers durch den Sauerstoff so
leicht umgesetzt werden, und dann die zahlreiche Berührung mit ver-
schieden geeigenschafteten Flüssigkeiten, aus denen das Blut Stoffe auf-
nimmt, die theils zu einander und theils zu den ursprünglichen Blut-
bestandtheilen lebhafte Verwandtschaft zeigen, theils gährungerzeugend *)
und theils gährend sind. Dazu kommt, dass in der Blutflüssigkeit ein
eigenthümliches Gewebe, die Blutkörperchen, schwimmt, welches von spe-
zifischer Zusammensetzung auch eine von der des Blutplasmas abweichende
Umsetzung darbieten muss. Nach dieser Einleitung ist man erstaunt,
zu erfahren, dass sich die Beweise für das thatsächliche Bestehen der
[362]Blutbildung.
Umsetzung des Blutes nur sparsam auffinden lassen, und dass die Art
des chemischen Vorganges in ein vollkommenes Dunkel gehüllt ist.
Mit Gewissheit darf man behaupten, dass ausser den schon erwähn-
ten Stoffveränderungen, welche bei der Athmung in der Lunge vor sich
gehen, die Lymphkörperchen unter Einbusse ihres fettigen Inhaltes in
Blutkörperchen umgesetzt und diese wieder innerhalb des Blutstromes
zerstört werden. Ohne diese Annahme würde es unverständlich sein,
warum sich die beiden Formbestandtheile nicht in’s Unendliche im Blute
anhäufen, da sie fortwährend in das letztere durch den Lymphstrom
geführt werden und doch nicht als solche aus dem Blutstrome austreten
können, ohne vorher eine totale Auflösung erfahren zu haben, so lange
die Gefässwandungen unverletzt sind. Ebenso deutlich weist auf eine
chemische Umsetzung des Zuckers der Umstand, dass er in dem Blute
des rechten Herzens auftritt, während er im linken Herzen gar nicht
oder nur sehr sparsam wiedergefunden wird. Worin aber alle diese Um-
setzungen bestehen, zu welchen Produkten sie führen, ist vollkommen un-
bekannt; so viel lässt sich nur wahrscheinlich machen, dass die Bildung
von CO2 entweder gar nicht oder nur sehr langsam zu Stande kommt,
da arterielles Blut, welches bei Durchgang durch die Capillaren, durch
die Berührung mit den Geweben also, sehr rasch in venöses übergeht,
seine hellrothe Farbe sehr lange bewahrt, wenn es für sich, z. B. in
eine Arterie des lebenden Thieres eingeschlossen, aufbewahrt wird. Die-
ses wäre aber unmöglich, wenn sich mit Hilfe seines Sauerstoffs eine
merkliche Menge von CO2 gebildet hätte. — Diese geringe Summe von
Erfahrungen macht es unmöglich, die alte Streitfrage zu entscheiden, ob
die aus der Nahrung in das Blut übergegangenen Speisen sich sogleich im
Blute oder erst in den Geweben umsetzen.
III. Blutbildung.
Das Blut ergoss in den Binnenraum des Körpers, in dessen Höh-
len und Gewebe, fortwährend Atome, aus denen der chemische Umsatz
in den letzteren bestritten wurde, und nicht minder treten aus ihm in
die auswerfenden Drüsen Stoffe, welche aus den chemischen Prozessen
innerhalb der Organe hervorgegangen waren. Diese Erscheinungsreihe
setzt nothwendig voraus, dass die Atome, welche in die Gewebe und
die geschlossenen Höhlen ausgesendet waren, wieder zum Blut zurück-
kehren, damit ihre Ausscheidung auf Haut, Lunge, Niere möglich sei,
und ferner, dass von aussen her wägbare Stoffe in den Körper eingeführt
werden, welche den Verlust decken, den das Blut als Gewebsernährer
erleidet. Naturgemäss zerfällt also die Lehre von der Blutbildung in die
[363]Aufsaugung aus den Geweben.
Darstellung des Rückstromes aus den Geweben (Resorptio) und in die
Aufnahme und Verdauung der Speisen (Nutritio).
Aufsaugung aus den Geweben.
Einleitung. Der Strom, welcher aus den Geweben in das Blut zu-
rückgeht, muss, wenn auch sein Umfang und seine mittlere Geschwindig-
keit nur unvollkommen bekannt sind, jedenfalls als ein mächtiger ange-
sprochen werden, der im Körper des erwachsenen Menschen täglich nach
Kilogrammen zu schätzen ist. Diese gewaltige Masse, welche weitaus
übertrifft die Ausscheidungen in den auswerfenden Werkzeugen, macht
es von vorne herein begreiflich, dass der Rückstrom nicht allein führen
kann die Umsetzungsprodukte der Gewebe und der zwischen dieselben ein-
gelagerten Flüssigkeiten. Die chemische Untersuchung, so weit sie vor-
genommen, bestätigt nun in der That diese Voraussicht, indem sie nicht
allein erkennen lässt, dass in dem aus den Geweben wieder aufgesogenen
Lösungsgemenge die wesentlichen Blutbestandtheile in unveränderter
Eigenschaft enthalten sind, sondern noch mehr, dass die Menge dieser
letzteren unvergleichlich viel bedeutender ist, als diejenige der wirklichen
Umsetzungsprodukte erster oder zweiter Ordnung. Aus diesen überraschen-
den Erfahrungen erwächst uns also die Ueberzeugung, dass aus dem
Blute viel mehr austritt, als nothwendig wäre zum einfachen Ersatz
der Zerstörungen, welche durch das Leben in den festen und flüssigen
Organbestandtheilen angebracht sind, und dass demnach der grösste Theil
der ausgeschiedenen Stoffe auch wieder unverändert in das Blut zurückkehrt.
So besteht also ein innerer Kreislauf der ernährenden Flüssigkeiten,
welchen Bidder und Schmidt im Gegensatz zu Stoffbewegungen aus
den Speisen in das Blut und aus diesem in die sogenannten letzten Wege
(Lunge, Niere, Haut) als intermediären Kreislauf bezeichnet
haben.
Die erste Bedingung zur Einleitung dieses inneren Kreislaufes ist
also die reichliche Absonderung aus dem Blute in die Gewebe und die
Körperhöhlen. Diese letztere würde ein unbegreifliches Faktum sein,
wenn die Blutflüssigkeit in den Geweben nur befördert würde durch die
Anziehung dieser letzteren; da wir aber in dem vorstehenden Abschnitte
kaum Spuren einer solchen Beziehung aufgefunden, da wir im Gegen-
theil bemerkt haben, dass andere allgemeiner wirkende Ursachen die
Säftebewegung aus dem Blute unterhalten, so kann uns in der That, so
lange sich die Betrachtung nur an die groben Umrisse hält, die Erschei-
nung nichts Befremdendes bieten. Das Blut, welches in den Gefässen
enthalten ist, strebt, wie wir wissen, durch die porösen Wandungen hin-
durch seinen Druck und seine chemische Zusammensetzung auszugleichen
mit den ausserhalb der Gefässe liegenden Flüssigkeiten. Mehrt sich also
z. B. nach der Verdauung der Gefässinhalt, so wird die mittlere Spannung
[364]Aufsaugung von den Blutgefässen.
in denselben wachsen, und sogleich wird ein Theil desselben in die Ge-
webe, durch Filtrationsdruck getrieben, austreten. Derselbe Erfolg wird
zum Vorschein kommen, wenn sich mit der Verdauung, mit der ver-
mehrten Ausscheidung durch Niere, Lunge und Haut, die Zusammen-
setzung des Blutes ändert, oder auch, wenn die chemische Anordnung
der Gewebsflüssigkeiten nach gesteigertem Umsatz derselben eine Aen-
derung erfährt. Denn dann werden die Diffusionsströme lebhafter von
statten gehen. Dazu kommen nun aber noch Absonderungen in Folge
gesteigerter Nervenerregung, welche u. A. nachweislich in Drüsen be-
stehen, die ihre Säfte in zeitweise geschlossene Höhlen ergiessen.
Diese Einrichtungen müssen nun bei den fortlaufenden Veränderungen
in den Zuständen ebensowohl der Flüssigkeiten diesseits und jenseits der
Gefässwand, als auch in denen dieser letzteren selbst, einen reichli-
chen Flüssigkeitserguss veranlassen.
Unsere nächste Aufgabe stellt sich nun dahin, nachzusehen, auf
welchen Wegen und durch welche Mittel die ergossenen Massen wieder
in das Blut zurückkehren. Die Erfahrung lehrt, dass dieses auf zweier-
lei Weise geschehe, einmal durch Diffusion (und Filtration?) in die Blut-
gefässe selbst und dann durch Aufnahme in die Lymphgefässe.
Aufsaugung von den Blutgefässen.
1. Zu der Zeit, in welcher die in der Diffusionslehre vorgetragenen
Thatsachen entweder gar nicht bekannt waren oder wenigstens nicht im
vollen Maasse gewürdigt wurden, war man geneigt, den unmittelbaren
Uebertritt gewisser Stoffe aus den Gewebssäften in das Blut gänzlich zu
leugnen, oder man musste mindestens, um das Bestehen eines solchen
Stromes zu beweisen, zu direkten Versuchen am lebenden Thiere schreiten.
Diese Versuche, welche lange Zeit das Interesse der Physiologen in An-
spruch nahmen *), haben nun wirklich die Aufsaugung durch die Blut-
gefässe in dem Umfange dargethan, in welchem es von der Diffusions-
theorie gefordert wird. Beim gegenwärtigen Stande der letzteren Theorie
und bei unseren Kenntnissen von den Eigenschaften des Blutes, der Ge-
webssäfte und der Gefässhäute dürfte es schwieriger sein, die Aufsaugung
durch die Blutgefässe zu bestreiten, als zu behaupten. Denn einmal
sind beide Flüssigkeiten, das Blut und der Gewebssaft, wässerige Lösungen
von verschiedener qualitativer und quantitativer Zusammensetzung; ferner
wird eine vollkommene chemische oder diffusive Ausgleichung beider
Flüssigkeiten verhindert, indem sich einerseits das Blut fortlaufend in den
Aussonderungswerkzeugen reinigt und zeitweise Eiweissstoffe oder Salze
des Wassers aus den Speisen aufnimmt, während anderseits durch die
chemische Umsetzung in Gewebsflüssigkeiten Stoffe entstehen, welche in
dem Blute entweder gar nicht oder nur in geringem Maasse vorhanden
[365]Aufsaugung von den Blutgefässen.
sind; dazu kommt, dass das Blut in ausgebreitetem und verhältnissmässig
raschem Strome die Gewebe durchkreist, so dass eine und dieselbe Blut-
menge in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes nur ganz untergeordnete
Veränderungen erfahren kann; endlich aber sind die Gefässhäute durch-
gängig für Wasser und für die in dem Blute und den Gewebesäften auf-
gelösten festen und gasförmigen Bestandtheile.
Theorie und Beobachtung haben nun allerdings die Existenz der
Gefässaufsaugung festgestellt, aber viel weiter haben sie bis dahin die
Sache nicht fördern können. Die Theorie nicht, weil die Zusammen-
setzung der Gewebsflüssigkeiten sehr unvollkommen, die Diffusionsge-
schwindigkeit ihrer einzelnen Bestandtheile, die Conzentrationsunterschiede
zwischen Blut und Gewebsflüssigkeiten und die Durchgangsfähigkeit der
Gefässhäute für die in Betracht kommenden Stoffe unter den gegebenen
Verhältnissen gar nicht bekannt sind. Der Versuch konnte aber nicht
vordringen, weil es unmöglich ist, die Veränderungen, welche an der
Gewebsflüssigkeit oder an dem Blute vorgehen, zu beschränken auf die-
jenigen, welche die Gefässaufsaugung in ihnen hervorbringt. In der That
wirkt auf die in den Gewebsräumen enthaltene Flüssigkeit die fortlaufende
Umsetzung und Sekretion, die gleichzeitige Aufsaugung durch die Lymph-
gefässe verändernd ein; das Blut aber, welches mit den Gewebssäften in
Berührung war, wird durch den Strom vollständig abgeführt und mit
anderen Blutarten gemischt.
Die bis dahin in Anwendung gebrachten Methoden beschränken sich meist auf
den Nachweis, dass ein für gewöhnlich im thierischen Organismus nicht vorkommen-
der Stoff von den Gefässen aufgenommen wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, be-
diente man sich als Kennzeichen für den erfolgten Uebertritt in das Blut entweder
der chemischen Prüfung dieses letzteren, was bei leicht nachweisbaren Substanzen,
z. B. Blutlaugensalz und Farbstoffen, geschah, oder man untersuchte den nach der
Anwendung des betreffenden Stoffes entleerten Harn, oder endlich man benutzte die
physiologische Reaktion (Vergiftungserscheinungen). Die Gewissheit, dass die Auf-
nahme nur durch die Gefässe hindurch geschehen sei, verschaffte man sich auf ver-
schiedene Art. Entweder man legte ein längeres Stück eines grösseren Gefässes
vollkommen frei, setzte in das obere und untere durchschnittene Ende desselben ein
Rohr, so dass das isolirte Gefässtück mit dem übrigen Gefässsysteme nur in Ver-
bindung stand durch diese Röhren, und brachte nun unter dasselbe eine isolirende
Metall- oder Papierrinne, in welche man die aufzusaugende Lösung einfüllte (Ma-
gendie). Diese Art zu experimentiren lasst keinen Zweifel darüber, ob der be-
treffende Stoff durch die Gefässwand gegangen sei, aber sie entfernt den Diffusionsakt
sehr von den natürlichen Verhältnissen. — Eine andere Methode stellte zuerst fest,
ob von einer bestimmten Körperstelle aus, z. B. von der Darmoberfläche, der Haut
u. s. w., Aufsaugung eines bestimmten Stoffes geschah. Darauf wiederholte man den
Versuch nach Unterbindung aller zuführenden Blutgefässe (Segalus) oder aller ab-
führenden Lymphgefässe (Magendie), oder der Unterbindung des ductus thoraci-
eus, oder der Durchschneidung aller Verbindungen eines Gliedes mit dem Körper, die
grossen Arterien und Venen ausgenommen (Magendie, Kürschner). — Drittens
untersuchte man, einige Zeit nach Anwendung der aufzusaugenden Substanz, den In-
halt der Blut- und Lymphgefässe; wurde er in den erstern aufgefunden und in den
[366]Aufsaugung von den Blutgefässen.
letztern vermisst, so durfte man den unmittelbaren Uebergang in das Blut annehmen
(Flandrin, Tiedemann und Gmelin). Viertens endlich bestimmte man die Zeit,
welche verfloss, damit ein aufgelegtes Gift tödtlich wirkte, oder ein beliebiger Stoff
im Harn erschien. War der Zeitraum sehr kurz, so schloss man auf direkte Ueber-
führung in das Blut, da der Lymphstrom sich nur sehr langsam weiter bewegt.
2. Von den in den Geweben zerstreuten flüssigen Atomen kehren gerade-
wegs durch die Gefässhäute in das Blut wieder ein: Wasser, CO2, Salze der
Alkalien mit unorganischen und organischen Säuren, Zucker und Farbstoffe,
wahrscheinlich auch Leucin, Tyrosin, Harnstoff, Kreatin und Kreatinin
und andere lösliche Umsetzungsprodukte der Gewebe. Die Gewissheit,
dass die zuerst genannten Substanzen geradezu vom Blut aufgesogen
werden, schöpfen wir aus der Beobachtung, dass sie, die offenbar aus
den Geweben herstammen, im Blute, nicht aber in den Lymphgefässen
angetroffen werden, oder dass sie, wenn letzteres der Fall, wenigstens
in einer solchen Weise und an solchen Orten des Gefässsystems gefun-
den werden, die es verbietet, ihre Anwesenheit auf Rechnung der Ver-
bindungen zwischen Blut- und Lymphgefässen zu schieben. Den Ueber-
tritt der zuletzt aufgezählten Verbindungen erschliessen wir, weil die-
selben im Blute angetroffen werden und die Theorie der Diffusion es
zu fordern scheint, und zwar darum, weil sie sich im Wasser zerstreuen,
und sie in den Geweben offenbar in reichlicherem Maasse als im Blute
angetroffen werden. Ob einzelne Modifikationen der Eiweissstoffe, die
im Blute sparsamer als in besonderen Drüsen- und Gewebssäften vor-
kommen, direkt in die Gefässe treten, ist ungewiss, während es im
höchsten Grade wahrscheinlich ist, dass die reichlich im Blute vertrete-
nen Eiweisskörper nicht in dasselbe diffundiren (Kürschner).
3. Dem Vorstehenden entsprechend ist es unmöglich, anzugeben,
mit welcher Geschwindigkeit jeder einzelne der wirklich aufgesogenen
Stoffe eintrete, je nach dem Conzentrationsunterschiede innerhalb der
Gewebssäfte und dem Blute, der anderweiten Zusammensetzung der
Flüssigkeiten, in denen er gelöst ist, der Gefässabtheilung, durch deren
Wand er tritt, und dem Spannungsunterschied, der zwischen dem Blute
und dem Gewebssafte besteht. Die noch sehr unvollkommenen Ver-
suche lassen jedoch schliessen, dass der Vorgang nach den bekannten
Diffusionsgesetzen geregelt werde. Denn es ist der Strom aus dem Ge-
webe in das Blut um so lebhafter, je conzentrirter die äussere Lösung
ist, je zarter die Gefässwand, durch die er sich bewegt, also durch die
Capillarenwand rascher, als durch die der Venen, und durch diese end-
lich geschwinder, als durch die Arterien (Magendie). Schliesslich
nimmt auch die Geschwindigkeit ab, wenn die Spannung im Gefässrohr
steigt im Verhältniss zu der ausserhalb vorhandenen. So gelang es Ma-
gendie, die aufsaugende Bewegung zu beschleunigen durch einen Ader-
lass, sie aber zu verlangsamen durch Einsprützung von Blut oder Wasser
[367]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
in die Gefässlumina; der letztere Effekt kann auch erreicht werden,
wenn man nach Entfernung der Epidermis auf die Haut einen aufsaug-
baren Stoff legt und über diesen einen luftverdünnten Raum (Schröpf-
kopf) schichtet (Barry); unter dieser Bedingung wird, wegen der Ent-
fernung des äusseren Luftdruckes, die innere Spannung relativ erhöht.
Einige Thatsachen, die auf diesen Akt Bezug haben, werden in der Verdauungs-
lehre erwähnt. Eine Aufzählung der zahlreichen Gifte oder dem thierischen Körper
in der Norm fremder Stoffe, welche durch Gefässaufsaugung aufgenommen werden,
berichtet die Arzneimittellehre bei Gelegenheit der endermatischen Methode.
Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
1. Anatomischer Bau des aufsaugenden Apparates *). Die Lymph-
gefässstämme, welche in die Schlüsselbeinadern münden, verlieren sich
schliesslich in Gefässen, die, nachdem sie mehrmals durch Drüsen ge-
gangen sind, auf eine oder die andere Art blind in den Geweben
enden. — a. Wandungen. Die ersten Anfänge der Lymphgefässe, na-
mentlich die des Darmkanales, entbehren einer besonderen Wandung;
an die Höhle des Lymphgefässes grenzt hier unmittelbar das Gewebe
der Zotten und jenseits dieser im Unterschleimhautzellgewebe die dicht-
gedrängten Bindegewebsbündel (Brücke). Von da ab gewinnen aber
die Gefässe eine besondere strukturlose elastische Wandung, welche sich
an die oben genannten Bündel des Bindegewebes unmittelbar anschliesst.
Wenn sich das Gefäss so weit vergrössert hat, dass es entweder nahezu
oder wirklich schon mit blossem Auge sichtbar ist, so legt sich auf die
innere Fläche der strukturlosen Haut eine Schicht von Deckzellen, auf
die äussere Fläche aber eine Lage von Faserzellen, die sich zu Quer-
fasern zusammenordnen, und an diese schliesst sich streifiges Bindege-
webe an. Die Faserzellen müssen unzweifelhaft zum Muskelgewebe ge-
rechnet werden, da es gelingt, durch elektrische Schläge den Durchmes-
ser der mit ihnen behafteten Lymphgefässe zu verkleinern. Die Dicke
der Wand ist im Verhältniss zur Weite des Lumens zwar immer gering;
sie nimmt jedoch mit dem steigenden Durchmesser dieses letzteren zu.
Die in die Gefässhöhlen ragenden Klappen sind aus elastischem Binde-
gewebe gebaut, dessen freie Oberfläche mit Deckzellen belegt ist. —
Die Kapsel der Lymphdrüsen ist eine elastische Bindegewebshaut, in
welche Faserzellen (Heyfelder) eingestreut sind. Von ihrer inneren
Fläche aus erstrecken sich gleich gebaute Fortsätze, welche die kleinen
Hohlräume umgrenzen, und von diesen zweigen sich noch feinere, aus
Faserzellen bestehende Fäden ab, welche die kleinen Hohlräume selbst
[368]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
durchsetzen (Kölliker). — Ob diese Faserzellen zu den Muskeln ge-
hören, ist zweifelhaft; Heyfelder brachte sie zur Zusammenziehung,
Donders misslang es. — b. Anordnung der Gefässhöhlen. Ueberall,
wo die unregelmässigen Lücken zwischen den Gewebselementen die Ge-
fässhöhlen darstellen, lässt sich über Form und Zusammenziehung der
letzteren nichts allgemein Giltiges aussagen. Die ersten scharf begrenz-
ten cylindrischen Gefässhöhlen, die man gewahrt, haben einen mikrosko-
pischen Durchmesser; sie bilden mit den Nachbarn weitmaschige Netze,
welche aber bald zu feinen Stämmchen zusammenfliessen, die auf längeren
Strecken ihren Durchmesser unverändert erhalten, selbst wenn sie gleich
starke Gefässe aufnehmen oder abgeben. Diese Stämmchen treten end-
lich zu weniger zahlreichen, aber immerhin engen Kanälen zusammen,
so dass nach allen diesen wohl der Gesammtquerschnitt des Gefäss-
systems von den Wurzeln nach den Stämmen in einer Abnahme begrif-
fen sein dürfte. — Die Höhlung der ausgeprägten Gefässe erweitert sich
auf ihrem Verlaufe gewöhnlich mehrmals zu einer kugeligen Auftreibung.
Dieses letztere geschieht nun entweder sogleich, nachdem der diffuse Lymph-
raum in eine eigene Haut eingefangen ist, wie in den Peyer’schen Drüsen,
Tonsillen u. s. w. (E. Brücke), oder erst im Verlaufe eines grossen
Lymphstammes, welcher sich dann aber erst in mehrere Zweige zerklüftet,
von denen jeder einzelne eine Erweiterung erfährt; in diesem Falle wer-
den alle Einzelauftreibungen von einer gemeinsamen Hülle umschlossen,
so dass die Gesammtheit derselben eine aus einem Haufen von elementären
Lymphdrüsen zusammengesetzte darstellt (Noll, C. Ludwig). Dabei hat
man sich jedoch nicht zu denken, dass in der gemeinsamen Hülle einer
zusammengesetzten Lymphdrüse eine kleinere oder grössere Zahl ringsgeson-
derter kugeliger Säckchen eingeschlossen sei, und dass von und zu jedem
ein besonderes Lymphgefässchen gehe, sondern vielmehr so, dass der von
der gemeinschaftlichen Kapsel abgegrenzte Raum in mehrere unvollkom-
mene von einander geschiedene Abtheilungen zerfalle, welche hergestellt
werden durch die von der Kapsel ausgehenden, schon vorhin erwähnten
Fortsätze. Somit könnte man auch mit Kölliker sagen, die Kapsel
der Lymphdrüse umschliesse ein dem corpus cavernosum penis analo-
ges Fächergewebe. Der Hohlraum dieses Gewebes ist nun mit Blut-
gefässen, zu Netzen angeordneten Spindelzellen, Lymphe und Lymph-
körperchen erfüllt. Die aus ihnen hervorkommenden Lymphgefässe ver-
einigen sich, nachdem sie ganz nahe an der Drüse einen Plexus gebil-
det haben, wieder zu einem Stämmchen.
Aus verschiedenen Organen und Geweben gehen sehr ungleiche
Mengen von Lymphgefässen hervor. Vorzugsweise reichlich gehen sie
aus Bindegewebsräumen oder saftreichen Drüsen hervor (Leber, Milz,
Leder- und Schleimhaut), sparsam aus dem Gehirn und den Muskeln.
[369]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
2.Lymphe*). Da sich in den ductus thoracicus auch der aus
der Auflösung der Speisen resultirende Saft ergiesst, so bleibt einstweilen
die Betrachtung seines Inhaltes ausgeschlossen; die folgenden Bemer-
kungen beziehen sich also nur auf die Flüssigkeit, welche in den Ge-
fässen des Kopfes, Halses und der Extremitäten eingeschlossen ist.
Die Lymphe ist ein Gemenge aufgeschwemmter und flüssiger Stoffe;
je nach dem Verhältniss dieser Bestandtheile ist sie milchigt, trüb oder
wasserhell.
Die aufgeschwemmten Theilchen sind Molekularkörnchen, Kerne, grös-
sere und kleinere kernhaltige Zellen (weisse Blut- und Lymphkörperchen)
und gefärbte Blutkörperchen, welche nach Gubler und Quevenne
in der menschlichen Lymphe kleiner als die des Blutes sind; beim Hunde
fehlen in der Halslymphe zuweilen die gefärbten Scheiben ganz (Krause).
Die Haut, die diesen Gebilden und namentlich den zuerst erwähnten zukommt,
besteht aus einer in Essigsäure löslichen Eiweissart; ihr Inhalt ist, theilweise
wenigstens, namentlich in den Molekularkörnchen, ein fetthaltiger. —
Die Flüssigkeit hat behufs der chemischen Analyse noch nicht von den
aufgeschwemmten Theilen geschieden werden können. Ihre Zusammen-
setzung kann darum nur erschlossen werden aus der Untersuchung der
Gesammtlymphe. Diese enthält aber: a. Faserstoff in aufgelöster Form;
nach der Entleerung der Lymphe gerinnt derselbe und giebt, indem er
die aufgeschwemmten Bestandtheile einschliesst, Veranlassung zur Ent-
stehung eines sehr lockeren, wenig zusammenhängenden Kuchens. Der
Faserstoff der Lymphe und der des venösen Blutes stimmen in ihren
Eigenschaften überein (Lehmann). — b. Albumin und Albuminnatron;
die Anwesenheit des Letzteren nimmt man nach Geiger darum an, weil
ein grosser Theil des Eiweisses erst nach vorgängiger Neutralisation mit
Essigsäure durch Erhitzung ausgefällt werden kann. — c. Fette, und
zwar ölige, feste, krystallisirbare und verseifte. — d. Zucker; von
Gubler und Quevenne in der menschlichen Lymphe nachgewiesen.
In der aus dem Halsstamm des Hundes ergossenen Flüssigkeit ist er ein
nie fehlender Bestandtheil, selbst wenn er im Blute nicht nachgewiesen
werden kann (Krause). — e. Extrakte von unbekannter Zusammen-
setzung; die in den früheren Untersuchungen aufgeführten dürften nach
Geiger wesentlich als Albuminnatron anzusehen sein. — f. Unorganische
Bestandtheile, und zwar Ammoniaksalze, Chlornatrium und Chlorkalium,
phosphorsaure, schwefelsaure, kohlensaure Alkalien, Eisenoxyd und Wasser.
Die Variationen der Zusammensetzung nach Zeit und Ort sind noch
wenig bekannt. Die Molekularkörnchen sollen vorzugsweise in den Lymph-
gefässen vor ihrem Eintritt in die Drüsen bei fetten Individuen oder auch
Ludwig, Physiologie. II. 24
[370]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
einige Zeit nach einer reichlichen Mahlzeit vorkommen; die Lymphkör-
perchen erscheinen erst in den Gefässen jenseits der Drüsen (Brücke).
Blutkörperchen, die immer sparsam vorhanden sind, trifft man in der
Milz- und Halslymphe an (Nasse, Herbst), und zwar vorzugsweise,
wenn ein Theil der Drüsen, aus denen der Halsstamm hervorgeht, durch-
weg roth gefärbt ist. In diesen Fällen liegt der Verdacht einer Extra-
vasation aus den Blutgefässen nahe (Krause). — Der Gehalt der Lymphe
hungernder Thiere soll reicher an Eiweiss und dafür ärmer an Wasser
sein, als die gefütterter (?) (Chevreul, L’heritier und Gmelin).
Die Beobachtungen zur Begründung der letzteren Behauptung sind aller-
dings insofern nicht vollkommen vergleichbar, da die beiden ersteren
Chemiker ihr Objekt aus dem ductus thoracicus eines hungernden Hundes
und Menschen, der letztere sie aus dem Lendengeflecht des hungernden
Pferdes nahm. — Krause bestätigt am Hunde, dass ein und dasselbe
Thier unmittelbar und in den ersten Stunden nach der Mahlzeit eine
um mehrere Prozente verdünntere Lymphe ausgiebt, als nach 24 stündi-
gem Hungern.
Quantitative Zerlegungen der menschlichen Lymphe aus den unteren
Extremitäten gaben Marchand und Colberg, deren Objekt jedoch
leider in beginnender Fäulniss stand, und Quevenne. Nach dem letz-
teren enthielten 100 Theile:
Nach W. Krause schwankt bei einem und demselben und bei ver-
schiedenen Hunden der prozentische Gehalt der Lymphe an festen Be-
standtheilen überhaupt zwischen 2,8 bis 5,0 und der unorganischen zwi-
schen 0,86 und 0,44. Die an festem Rückstand reichste Lymphe führt
keineswegs immer am meisten Salze.
Ausser *) diesen gewöhnlichen Bestandtheilen kommen auch zahlreiche andere in
der Lymphe vor; es scheint, als ob alle in der Flüssigkeit des Bindegewebes [auf-
löslichen] Stoffe in ihr erscheinen könnten; namentlich ist es festgestellt, dass nar-
kotische Gifte, was man längere Zeit unter dem Einflusse von Emmert läugnete,
in die Lymphe übergehen (Bischoff).
3. Lymphbildung. — a. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Er-
zeugung der Lymphe vor sich geht, ist nach Krause abhängig von der
[371]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
Nervenerregung, unabhängig dagegen von dem Blutdruck und innerhalb
beschränkter Grenzen unabhängig von dem Termine der Fütterung. Aus
dem Halsstamm eines und desselben Hundes erhielt er nämlich gleich
viel Lymphe, mochten die beiden Carotiden unterbunden oder durch-
gängig sein, und ebenso floss aus dem geöffneten Halsstamm nicht weniger
Lymphe nach 24stündigem Hungern, als unmittelbar oder einige Stunden
nach der reichlichsten Mahlzeit. Der Ausfluss wurde dagegen sogleich
beschleunigt, als der ram. lingual. trigemini (und n. hypoglossus?) ent-
weder an seiner peripherischen Verzweigung oder in seinem Verlaufe am
Unterkiefer durch elektrische Schläge erregt wurde; diese Steigerung des
Ausflusses hielt so lange an, als die Erregung des Nerven andauerte.
Der absolute Werth der Geschwindigkeit, mit welcher die Lympherzeu-
gung vor sich geht, ist nicht bestimmbar, weil, abgesehen von allem
Uebrigen, die Ausbreitung der Flächen unbekannt ist, aus denen der
Strom gespeist wird, welcher der Messung unterworfen wurde. Keinen-
falls ist aber der Werth ein geringer. So fingen Gubler und Que-
venne aus einer Oeffnung, die sich in einer Anschwellung eines Schen-
kellymphgefässes einer Frau fand, in der Stunde 120 Gr. auf. Da der
Strom aus der Oeffnung mit gleichförmiger Geschwindigkeit (zwei Tage
hindurch) vor sich ging, so betrug der 24stündige Verlust, den das Indi-
viduum an Lymphe erlitt, 2900 Gr., eine Zahl, die sehr gross erscheint,
wenn man bedenkt, dass ausser dem angestochenen noch viele andere
Lymphgefässe aus dem Schenkel aufsteigen. In Uebereinstimmung mit
dieser Beobachtung sind andere von Assalini und J. Müller. Aus
dem Halsgefäss des Hundes erhielt Krause in Abwesenheit der künst-
lichen Nervenerregung:
b. Entstehungsart. Die Lymphe eines jeglichen Körpertheiles bezieht
ihr Material aus zwei Orten, von denen der eine an den Wurzeln der
Lymphgefässe und der andere in den Drüsen gelegen ist; der erstere
liefert, wie wir vermuthen, alle oder mindestens den grössten Theil der
Flüssigkeit, der zweite die Körperchen. — Die Hervorbildung der Lymphe
aus dem Blute und das Eindringen derselben in die Gefässwurzeln ist
mit dem tiefsten Dunkel umhüllt; nur negative Bestimmungen scheinen
sich rechtfertigen zu lassen, namentlich, dass die Spannung des Blutes
in seinen Gefässen nicht die wesentliche Ursache ihrer Absonderung ist,
24*
[372]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
denn sonst würde die Unterbindung der Carotiden, welche die Spannung
des Blutes im Kopfe wesentlich mindern muss, nicht ohne Einfluss auf
die Absonderungsgeschwindigkeit der Lymphe geblieben sein. Dagegen
scheint die Vermuthung von Donders*), dass sich an der Lymph-
bildung ein elektrischer Diffusionsstrom betheilige, durch die Versuche
von Krause eine Bestätigung erfahren zu wollen. Ebenso scheint es
festzustehen, dass man die alte Ansicht, die Lymphe sei ein verdünntes
Blutplasma, verwerfen muss, denn obwohl beide Stoffe mancherlei Aehn-
lichkeiten bieten, so sind doch die aus den Gefässen getretenen Blut-
bestandtheile nur zum Theil unverändert geblieben, wie dies namentlich
aus der Anwesenheit des Zuckers und der caseinartigen Substanz hervor-
geht. Endlich gewinnt es auch den Anschein, als ob die Flüssigkeit
bei ihrem Durchtritt durch die Lymphdrüsen nicht die Veränderun-
gen erführe, welche man dort vorauszusetzen pflegt. Die Flüssigkeit,
welche aus den Gefässwurzeln anlangt, kommt allerdings hier von Neuem
in Berührung mit den Blutgefässen, welche in die Drüsenräume hinein-
ragen, aber sie bleibt in einer nur sehr kurz dauernden Berührung mit
ihnen, da der Drüsenraum von geringer Längenausdehnung ist und die
Menge von Lymphe, welche täglich durch ihn strömt, sehr bedeutend
ist. — Die Bildungsstätte der Körperchen sind die Drüsen, denn die in
sie eindringende Lymphe führt wenig oder gar keine und die ausdringende
sehr viel Körperchen. Die Feststellung dieser Thatsache hat sehr zahl-
reiche anatomische Angaben über die Formfolge bei der Entstehung der
Lymphkörperchen beseitigt, die sämmtlich von der Voraussetzung aus-
gingen, dass die Lymphkörperchen frei schwimmend in der Flüssigkeit
sich entwickelten. Noch mehr, es wird sogar zweifelhaft, ob die Lymph-
körperchen die Vorstufen der Blutkörperchen sind, und namentlich, ob
die in der Lymphe gefundenen Blutscheiben dort entstanden sind oder
nicht vielmehr durch Extravasation aus den Blutgefässen in die Drüsen
eingedrungen und der Lymphe beigemengt sind. Im Widerspruche zu
dieser Vermuthung steht allerdings die Angabe von Gubler, dass die
gefärbten Lymphzellen weniger umfangreich als die rothen Blutkörperchen
seien, ohne dabei verschrumpft zu sein.
4. Lymphstrom. Die spannenden und bewegenden Kräfte, welche
der strömenden Lymphe zukommen, sind jedenfalls unbedeutend. Für
die Spannung der Lymphe hat dieses Noll erwiesen durch das Mano-
meter, welches er bei Hunden und Katzen in den Halsstamm einsetzte.
In diesen Versuchen schwankte die Spannung zwischen 10 bis 30 MM.
Wasserdruck. Die Giltigkeit dieses Verhaltens kann auch für den Lymph-
strom des Menschen behauptet werden, weil die Wandungen der Gefässe
bei gleichem Durchmesser ihres Lichten von einer ähnlichen Dicke sind,
[373]Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
wie die des Hundes. — Die Geschwindigkeit des Lymphstromes kann aber
ebenfalls nur unbedeutend sein, weil schon die langen und engen Gefässe,
noch mehr aber die Lymphdrüsen, einen so grossen Widerstand einführen.
Zudem strömt aus einem geöffneten Lymphgefäss die Flüssigkeit nur tropfen-
weise aus. — Die Richtung des Stromes muss unter allen Umständen
von den Wurzeln nach den Venen gehen; dieses ergiebt sich schon ganz
einfach aus der besonderen Anordnung der Klappen, welche, bekanntlich
in sehr kurzen Zwischenräumen aufeinander folgend, so gestellt sind, dass
sie den Strom nur in der bezeichneten Richtung möglich machen. —
Zu den Gewalten, welche die Spannung und Bewegung der Lymphe
unterhalten, zählen, wie Noll nachgewiesen, jedenfalls die Respirations-
bewegungen und die Pressungen, welche die umliegenden Muskeln geradezu
oder auf Umwegen auf die Gefässe ausüben. — Beide Einflüsse wirken
hier ganz in derselben Weise, die schon ausführlich beim Blutstrom be-
sprochen wurde (pag. 99 u. f.). Ausserdem kann nicht wohl bestritten
werden, dass auch zeitweise die Muskeln in der Wand des Lymphgefässes
dem Inhalte eine Bewegung mittheilen werden. Daneben aber steht auch
fest, dass diese drei Umstände gewiss nicht die einzigen Triebfedern des
Lymphstromes darstellen. Denn es besteht auch noch die Lymphbewe-
gung an Orten, wo keine Muskeln, weder innerhalb noch jenseits der
Muskelwand, wirksam sein können, wie z. B. in den Lymphgefässen der
Knochen und in den Anfängen der Lymphgefässe mit muskelfreien Wan-
dungen; zudem ergiebt die Beobachtung der blosgelegten Lymphgefässe
oder des in sie eingefügten Manometers, dass der Strom oft unter der-
selben Spannung lange Zeit hindurch anhält, ohne irgend welche sicht-
bare Veränderung in dem Durchmesser des Gefässes oder ohne dass irgend
welche Zusammenziehung in den umgebenden Muskeln bemerklich ist.
Endlich erfolgt aber, wie aus den Beobachtungen von Stannius*) her-
vorgeht, auch noch die Lymphbewegung in todtenstarren Gliedern. Die
Respirationsbewegung kann aber nicht Ursache des dauernden Stromes
sein, da sie selbst in der Nähe der Einmündung des Gefässes in die Vene
nur sehr unbedeutende Spannungsveränderungen erzeugt und keinenfalls
jenseits der Drüse hinwirkt; die mögliche Unabhängigkeit unseres Stromes
von diesen Bewegungen wird aber am besten durch den bekannten Ver-
such erwiesen, dass ein Gefäss, wenn es auch zugeschnürt ist, sich
zwischen den Wurzeln und dem Unterbindungsfaden strotzend anfüllt,
obwohl sich durch die unterbundene Stelle hindurch die Folgen der Re-
spirationsbewegung gar nicht geltend machen können. — Nach alle diesem
liegt es nahe, zu vermuthen, dass die Gewalt, welche die Flüssigkeit in
die Gefässe treibt, auch die Fortführung durch dieselben zu vermitteln
möge. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es nun bemerkenswerth, dass
[374]Zufuhr neuer Blutbestandtheile durch die Speisen.
auch am todten Thiere, bevor der Inhalt der Gefässe geronnen, der
Lymphstrom unterhalten werden kann, wenn man durch Einsprützung
von Wasser in die Blutgefässe eine wassersüchtige Anschwellung der
Gewebe bewirkt, und dass die Spannung, unter der die Lymphe strömt,
sich steigert mit der zunehmenden Anfüllung des Unterhautzellgewebes
(Noll).
Zufuhr neuer Blutbestandtheile durch die Speisen.
Der Verlust, den der thierische Körper an wägbaren Atomen erlei-
det durch Ausscheidung von Harn, Koth, Dunst, Epithelialzellen, Samen,
Milch u. s. w., erfährt seine Ausgleichung durch eine Aufnahme von
festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen. Da wir bei der Athmung schon
das Eindringen des Sauerstoffs besprochen haben, so bleibt es uns hier
noch übrig, den Gewinn an festen und flüssigen Massen zu behandeln,
welche durch den Darmkanal hindurch in das Blut eindringen.
A. Nahrungsbedürfniss*).
Eine Reihe von eigenthümlichen Empfindungen, die wir Hunger und
Durst nennen, bestimmt den Menschen Nahrung aufzunehmen.
Der Hunger drückt sich durch eine eigenthümliche, nicht näher
zu beschreibende Empfindung in der Magengegend aus; er ist meist mit
einem brennenden oder drückenden Gefühle in der Herzgrube verbun-
den, und es gesellt sich, wenn sie einige Zeit bestanden, zu ihr eine
unbehagliche, leidenschaftliche Stimmung und der bestimmt ausgespro-
chene Wunsch nach fester Nahrung.
1. Hunger erzeugende Nerven. Man ist im Unklaren darüber, wel-
cher Nerv die angegebene Empfindung vermittelt, da die einzige Aus-
kunft, welche man zu geben im Stande ist, nur aussagt, dass wahr-
scheinlich einer der empfindlichen Magennerven die Veranlassung zum
Hungergefühl gebe. Der einzige stichhaltige Grund für diese Annahme
ist durch die Erfahrung gegeben, dass örtliche Einwirkungen auf den
Magen den Hunger zu tilgen im Stande sind. So ist es namentlich
Beobachtungsergebniss, dass unmittelbar nach der Anfüllung des Magens
mit Speise und insbesondere bevor die eingeführte Nahrung verdaut oder
in merklicher Menge in das Blut aufgenommen ist, der Hunger gestillt wird;
und ferner, dass der Hunger, selbst wenn ausserdem noch so gute
Gründe für den Eintritt desselben vorhanden sind, sich nicht einstellt,
wenn die Absonderung aus der Magenschleimhaut verändert oder die An-
füllung ihrer Blutgefässe jenseits eines gewissen Grades gesteigert ist.
Die scheinbare Ortsempfindung, die dem Hunger zukommt, nemlich das eigen-
thümliche Gefühl in der Magengegend, würde sich dem oben gegebenen Wahr-
[375]Hunger.
scheinlichkeitsgrunde unterstützend anschliessen, oder vielmehr die Hypothese,
welche einen der Magennerven als Hunger erzeugenden ansieht, zur Thatsache er-
heben, wenn es feststände, dass ein jeder Gefühlsnerv nur die Orte seiner End-
verbreitung zur Empfindung bringen könnte. Da diese Annahme aber nicht bewiesen
ist, so liegt noch die andere offen, dass die Seele Empfindungen, die von anderen
Nerven erzeugt werden, auf den Magen bezieht. — Der Versuch, mittelst Nerven-
durchschneidungen ins Klare zu kommen, scheint bis dahin erfolglos geblieben zu
sein. Namentlich hat man neuerlichst übereinstimmend festgestellt, dass Thiere,
deren nn. vagi am Halse durchnitten waren, unter Umständen noch begierig die vor-
gesetzte Speise verzehrten (Reid, Longet, Bidder u. A.), und dass ebenso
Katzen nach Durchschneidung der nn. splanchnici noch frassen (Haffter, C. Lud-
wig). Diese Beobachtungen widerlegen aber keinenfalls die Annahme, dass sich an
diese Nerven die Hungerempfindung knüpfe, da noch mannigfaltige andere und na-
mentlich psychische Gründe Veranlassung zur Aufnahme der Speisen geben können.
Diesen letzteren müsste man es allerdings Schuld geben, wenn den Thieren, wie es
Longet ausführte, neben den nn. vagi auch noch die Geschmacksnerven durchschnit-
ten sind. — Möglicher Weise ist aber der Hunger auch eine Empfindung, die sich
gleichzeitig zusammensetzt aus der Erregung der Magen- und noch vielfacher an-
derer Nerven, wie dieses Volkmann und Longet behaupten.
Die Veränderungen, welche die Säfte oder Organe, in welche die
Hungernerven eingebettet sind, erleiden müssen, um die Erregung dieser
letztern zu veranlassen, kennen wir nicht; statt dessen sind uns nur einige
ganz allgemeine Bedingungen bekannt, unter denen sie entsteht. Nament-
lich stellt sich der Hunger ein nach längeren Enthaltungen der Nahrung;
die Zeit, welche nach einer Mahlzeit verstreichen muss, bevor sich das
Bedürfniss nach einer neuen einfindet, variirt mit der Menge zuletzt auf-
genommener Nahrung und mit dem Blutverbrauch während der Enthal-
tung von derselben; so beschleunigen Muskelanstrengungen, Entleerun-
gen blutähnlicher Flüssigkeiten (Samen-, Milch-, Eiterverlust), Ablage-
rungen von Blutbestandtheilen in die Gewebe (Wachsthum, Erholungs-
stadium nach Krankheiten) den Eintritt desselben. — Ferner ist sein
Kommen abhängig von [seelischen] Erregungen, indem er sich einstellt zu
gewissen Tageszeiten, an denen wir gewöhnt sind zu essen; man ver-
muthet in diesem Falle die Abwesenheit von Bedingungen, die den vor-
her erwähnten ähnlich sind, weil ein solcher Hunger auch leicht wieder
verschwindet, ohne dass das Nahrungsbedürfniss durch Aufnahme von
Speise befriedigt wurde.
Man giebt auch an, dass der Genuss einiger stark schmeckender Stoffe, wie
z. B. des Pfeffers, essbarer Seethiere (Austern, Häringe) u. s. w., Hunger er-
regt (?). — Auch soll es einen pathologischen Hunger, den sog. Bulimus, geben, wor-
über Moleschott am bezeichneten Orte S. 87 um Rath zu fragen ist.
Die Stillung des Hungers kann entweder geschehen durch die Ab-
stumpfung der Erregbarkeit oder durch Entfernung der erregenden Ur-
sache. — Auf den ersteren Fall wird man schliessen, wenn das Gefühl
nach längerem Bestehen verschwindet, auch ohne dass Nahrungsmittel
aufgenommen sind, oder wenn Arzneistoffe, die die Erregbarkeit ab-
[376]Durst.
stumpfen, wie z. B. Tabak, Opium, Alkohol u. s. w., genossen wur-
den. — Die Entfernung der erregenden Ursache ist gegeben, wenn der
Magen mit verdauungsfähigen Speisen erfüllt wurde; ob das Hungerge-
fühl fortdauert, wenn in den Magen unverdauliche Stoffe eingeführt wer-
den, ist unbekannt.
Nach einer Anfüllung des Magens tritt auch noch ein anderes Gefühl,
das der Sättigung hervor, welches als das bestimmte Zeichen für das
Genug der Nahrung angesehen werden muss. Dieses hängt wahrschein-
lich von verschiedenen Umständen ab, namentlich aber scheint es be-
gründet zu sein in dem Drucke, welchen die Umgebung des Magens, ins-
besondere die Bauchdecken, durch die Anfüllung desselben erfahren.
Nicht zu vernachlässigen, aber noch weiter zu constatiren, ist die
Angabe, dass der Hunger auch zum Verschwinden gebracht werden soll,
wenn die Nahrungsmittel statt in den Magen in einer solchen Form und
Mischung in den Mastdarm eingeführt werden, dass sie in das Blut ein-
gehen können.
2. Durst. Das Gefühl, als dessen nächstes seelisches Resultat das
Begehren nach Wasser auftritt, äussert sich als eine Empfindung der
Rauhigkeit und des Brennens in der hintern Schlundwand, dem weichen
Gaumen und der Zungenwurzel. — Die Nerven, deren Erregung sich als
Durst ausdrückt, liegen wahrscheinlich auch an den eben genannten Or-
ten, da eine isolirte Durchtränkung derselben den Durst mindert oder
aufhebt. Wir haben so die noch unentschiedene Wahl zwischen Vagus,
Glossopharyngeus, Trigeminus. — Die Durstempfindung stellt sich ein,
wenn der prozentische Wassergehalt der Gaumen- und Rachenhaut unter
einen gewissen Werth sinkt, wie dieses z. B. geschieht nach reichlichem
Wasserverlust des Blutes, ohne den entsprechenden an festen Bestandtheilen
(Wasserabscheidung durch Haut und Lungen), oder nach örtlicher Ein-
trocknung des Mundes durch eingezogene Luft, oder nach dem Genuss
salziger, wasseranziehender und wasserabführender Stoffe. Die obige
Definition schliesst die Folgerung in sich, dass ein gleicher Verlust an
Wasser und den wesentlichen festen Theilen selbst bei vollkommener
Entbehrung des Wassers nicht zum Durst führen kann. Diese Behaup-
tung hat Chossat durch den Versuch bestätigt, welcher zeigte, dass
die Thiere, denen die festen Speisen bis zum Verhungern entzogen wa-
ren, auch das Wasser entweder ganz verschmähten oder nur sparsam
benutzten, welches ihnen in der Hungerzeit gereicht wurde. — Die Stil-
lung des Durstes ist möglich sowohl durch örtliche Befeuchtung des
Rachens, als auch durch Einführung von Wasser in das Blut, gleich-
giltig, ob es dorthin durch den Magen, durch den Dickdarm oder durch
direkte Einsprützung in die Venen gelangte.
3. Das Nahrungsbegehren beschränkt sich aber bekanntlich nicht
bloss darauf, Stoffe festen und flüssigen Aggregatzustandes zu verlangen,
[377]Wahl der Nahrung.
es dringt auf Stoffe ganz bestimmter Zusammensetzung, die sog. Spei-
sen, und unter diesen wählt es je nach dem Bedürfniss des Organismus
auch noch die eine oder andere vorzugsweise aus. Die Gründe, welche
bei dieser Wahl das höhere Thier vorzugsweise bestimmen, liegen offen-
bar in den Geruchs- und Geschmackswerkzeugen, in dem Temperatur-
grad des Körpers und der Speisen, in dem Widerstand, den die letzte-
ren beim Kauen den Zähnen entgegensetzen, in Erinnerungsbildern
u. s. w. Keinenfalls kann aber eine spezifische und prädestinirte Be-
ziehung zwischen dem Nahrungsbegehren und der Nahrfähigkeit der
geforderten Substanz angenommen werden; denn es verschmäht bekannt-
lich ein Hund das Fleisch, wenn es vollkommen mit Wasser ausgezogen,
von allen schmeckenden Substanzen befreit ist, trotz seiner ausgezeichneten
Fähigkeit, die Ernährung zu unterstützen; die unverdaulichen Sägespähne
aber, welche mit Bratenbrühe besprützt sind, frisst er begierig.
4. Dem Nahrungsbegehren steht der Ekel entgegen; veranlasst
wird dieser seelische Zustand durch unbestimmte Empfindungen in der
Rachenhöhle, ähnlich denen, welche einem Brechanfall vorausgehen; es
scheint demnach, als ob ihn nn. vagus oder glossopharyngeus einleiteten.
Da zu den ihn erregenden Umständen Kitzeln der Rachenhöhle, Schleim-
anhäufungen daselbst, gewisse Gerüche und Geschmäcke und Erinnerun-
gen an diese letzteren gehören, so ist es begreiflich, dass sich der Ekel
ebensowohl gegen die Nahrung überhaupt als auch gegen einzelne Spei-
sen richten kann.
B. Nahrung.
1. Der unwiederbringliche Verlust des Blutes liess sich schliesslich
zurückführen auf den seines Wassers, seiner Mineralsalze, seiner Fette
und Eiweissstoffe; also muss die Nahrung diese Verbindungen entweder
geradezu einbringen, oder wenigstens solche Stoffe, aus denen jene Atom-
combinationen innerhalb des thierischen Körpers hervorgehen können.
Diese neu einzuführenden Atome müssen jedoch, wenn sie den Fett- und
Eiweissverlust ersetzen wollen, in Verbindungen anlagen, welche ärmer
an Sauerstoff sind, als die, in welchen sie den Organismus verlassen,
da sie in diesem dann doch endlich jedesmal oxydirt werden; ausserdem
müssen auch die Verbindungen der Nahrungsmittel mehr Spannkräfte
führen als die Auswürflinge, da der thierische Körper theils bei der
Wärmebildung und theils bei der Muskelzusammenziehung Spannkräfte
in lebendige umsetzt. — Diese Bestimmungen sind nun, wie man leicht
einsieht, noch lange nicht genügend, um die besondere Combination der
nährenden Atome festzustellen, da sich in der That die geforderten
Bedingungen auf unzählige Weisen erfüllen lassen, wenn dem Darm-
kanale oder seinen Hilfswerkzeugen die Befähigung zukommt, beliebige
sauerstoffarme C-, H-, N verbindungen zu Eiweiss und Fett zusammenzu-
[378]Nahrungsmittel.
ordnen. Diese Unbestimmtheit, welche die theoretische Feststellung der
Nahrungsmittel übrig lässt, hat die Erfahrung kurzweg beseitigt. Sie
zeigte nemlich, dass den Verdauungswerkzeugen die oben vorausgesetzte
combinatorische Befähigung abgehe, und zwar geschah dieses durch den
schlagenden Versuch, dass die Thiere unrettbar dem Hungertode entge-
gengehen, wenn ihnen die im Eiweiss und Fett enthaltenen Atome in an-
derer Verbindung als gerade in dieser gereicht werden. Demgemäss müssen
in der Nahrung mindestens enthalten sein: Eiweissartige Stoffe (Fibrin,
Casein, Albumin etc.), Fette (Olein, Stearin, Margarin, Palmitin), Natron,
Kali, Eisenoxyd, Magnesia, Kalk, Chlor, Fluor, Phosphorsäure, Wasser.
Die obigen Ableitungen lassen es aber begreiflich zu, dass in den Nah-
rungsmitteln neben den aufgezählten noch andere Verbindungen enthal-
ten sein können, da sie nicht behaupten, dass nur mit Fetten und Ei-
weiss u. s. w. die Zwecke des thierischen Körpers erreicht werden
könnten. Im Gegentheil, es ist sogleich einleuchtend, dass dieses nach
der einen oder anderen Seite hin auch mittelst der ersten Abkömm-
linge der Eiweissstoffe und Fette, oder mit Hilfe von Atomgruppen ge-
schehen könne, die jenen Abkömmlingen nach Zusammensetzung und Eigen-
schaften nahe stehen. In der That enthalten nun die wirklich aufgenom-
menen Nahrungsmittel auch noch solche Gruppen, von denen hervorzuhe-
ben sind: Kohlenhydrate (Amylon, Dextrin, Zucker); von diesen werden die
beiden ersteren mindestens bis zum Zucker umgewandelt. Obwohl Zucker
aus anderen Stoffen im Thierleibe selbst gebildet wird (Leber, Muskeln),
so führt ihn doch selbst die natürliche Nahrung des Säuglings (Milch-
zucker); der Erwachsene sucht die Kohlenhydrate so begierig, dass es
sogar fraglich wird, ob sie nicht zu den absolut nothwendigen Nahrungs-
mitteln zählen. Die Nahrung enthält ferner leimgebende Stoffe (Bindege-
webe und Knorpel); diese sind häufig aber keineswegs nothwendig. End-
lich enthält die Nahrung häufig organische Säuren (Essig-, Milch-, Aepfel-,
Citronensäure) und deren Salze.
2. Die Nahrung, welche das Leben erhalten soll, muss also ein
Gemenge mindestens von Eiweiss, Fetten und den bezeichneten Minera-
lien sein, zu denen meist noch die Kohlenhydrate kommen. Die [Ge-
wichtsverhältnisse] der einzelnen Nahrungsmittel in diesem Gemenge
sind keine constanten, wie die oberflächlichste Betrachtung der mensch-
lichen Nahrung ergiebt. Diese Erscheinung ist erklärlich, wenn man
die Umsetzungen und Ausscheidungen in und aus dem thierischen Kör-
per betrachtet. Denn es stellt sich dieser letztere als eine Zusammen-
setzung sehr mannigfaltiger bis zu einem gewissen Grade von einander
unabhängiger Zersetzungsherde heraus. Je nachdem nun in dem einen
oder andern die Umsetzung sich mindert oder mehrt, muss sich also bei
gleichbleibenden Umsatz der einen Stoffgruppe derjenige einer ande-
ren veränderlich gestalten. Statt aller erinnern wir nur an die eine
[379]Nahrungsmittel.
hierher gehörige Erscheinung, dass die Ausscheidung des Ngases, Harn-
stoffes, Wassers, Kochsalzes u. s. f. durch Lunge, Niere und Haut einen
veränderlichen Betrag gewann mit dem Gehalte des Eiweisses, Amylons,
Wassers u. s. w. in der Nahrung selbst. — So umfangreich nun aber
auch der prozentige Gehalt der einzelnen Bestandtheile in der Gesammt-
nahrung wechseln kann, so ist er doch nur innerhalb gewisser Grenzen
eingeschlossen; namentlich darf als feststehend gelten: a) Innerhalb der
Nahrung nimmt das Wasser das grösste und die feuerfesten Mineralbe-
standtheile das geringste Gewicht ein; in der Mitte zwischen beiden lie-
gen die organischen Stoffe. — b) Der Nahrung, welche für die Dauer
das Leben erhalten soll, darf niemals fehlen Wasser, die aufgezählten
Salze und die Eiweissstoffe; fraglich ist dagegen, ob der Nahrung des
Menschen das Fett entbehrlich ist, wenn es durch Kohlenhydrate ersetzt
wird. — c) Bei einer Steigerung der Fette und Kohlenhydrate dürfen,
unbeschadet der Lebenserhaltung, die prozentigen Werthe der Eiweissstoffe
abnehmen und umgekehrt. — Weitere Zusätze zu diesen Bemerkungen
giebt noch der Abschnitt über Vergleichung von Einnahme und Ausgabe.
3. Damit dieses Gemenge aber nährfähig sei, muss noch Folgendes
erfüllt sein: a) die einzelnen Nahrungsbestandtheile müssen in ihm in
der Art vorkommen, dass es den verdauenden Säften gelingen kann, sie
so weit umzuwandeln, dass sie in das Blut überzugehen im Stande sind.
Namentlich müssen also die Nahrungsstoffe nicht in einer innerhalb des
Darmkanals unlöslichen und unzersetzbaren Verbindung gereicht werden,
oder sie dürfen nicht von unlöslichen und undurchdringlichen Hüllen
umgeben sein. — b) Da die Nahrungsmittel, mit Ausnahme der Salze
und des nicht nothwendigen Zuckers, sich gleichgiltig gegen die Nerven
verhalten, so müssen sie nervenerregende, schmeckende, beissende, bren-
nende u. dgl. Zusätze erfahren. Denn nur damit wird es möglich, die Spei-
chel- und Magendrüsen, die unter dem Einflusse der Nerven absondern,
zur Bildung einer genügenden Menge verdauender Säfte zu veranlassen.
Diese Beigabe, das Gewürz, besteht je nach der Bildung und Empfind-
lichkeit des Geschmacksinnes aus sehr verschiedenen Stoffen.
Wir verweisen bezüglich der Gewürze auf Moleschott und Rochleder*).
Man findet dort auch Mittheilungen über mancherlei andere Stoffe, die der Mensch
nur des Geschmackes, oder auch der Hirnerregung, der Verlangsamung oder Be-
schleunigung des Stoffwechsels u. s. w. wegen aufnimmt.
4. Speisen. Die Mischungen einfacher Nahrungsmittel oder der
Speisen, wie sie die Natur oder Kunst bietet, sind, vorausgesetzt, dass
man Rücksicht auf die Nahrung aller Erdbewohner nimmt, von unsäg-
licher Verschiedenheit, je nach den Eigenthümlichkeiten des Wohnortes,
der Culturstufe und der Race der sie geniessenden Menschen. Unter-
sucht man aber genauer die Werke der Kochkunst, welche von weitaus
[380]Speisen.
den meisten Individuen unter den gebildeten Nationen verzehrt werden,
so gewahrt man bald, dass diese sich im Ganzen doch nur weniger, von
der Natur gebotener Gemische, als Elemente ihrer complizirten Gerichte
und Mahlzeiten bedienen. Zu diesen natürlichen Speisen, auf denen das
leibliche Wohl des besten Theiles der Menschheit ruht, gehört: das
Fleisch einiger Säugethiere (der Wiederkäuer, weniger Nager und Dick-
häuter), einiger Vögel und vieler Fische, die Milch der Wiederkäuer, die
Eier grosser Vögel, das Mehl von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais,
Reis, Bohnen, Erbsen und Kartoffeln, einige Baumfrüchte, einige wenige
Gemüse (Rüben, Kraut u. s. w.) und endlich Quellwasser. Zu diesen
gemischten Nahrungsmitteln kommen schliesslich noch einige einfache
Zucker, Fette, Oele und Kochsalz.
Da der grösste Theil derselben erst dann gegessen wird, nachdem
er in der Küche mancherlei Umwandlungen seines natürlichen Zustan-
des erfahren hat, so wird eine physiologische Betrachtung jener Spei-
sen auf diese Umwandelungen Rücksicht zu nehmen haben. Ganz allge-
mein betrachtet, stellt sich nun die Kochkunst drei ganz verschiedene
Aufgaben. Zuerst mischt sie die natürlichen Speisen noch weiter, na-
mentlich setzt sie ihnen mancherlei Gewürze bei; zweitens befreit sie
die Nahrungsmittel von unverdaulichen Beimengungen, und endlich ver-
ändert sie die Auflöslichkeit derselben in den Verdauungssäften in der
Art, dass sie die Zeit, welche zu ihrer Verdauung nothwendig ist, ent-
weder verlängert oder abkürzt. Von diesen drei Einwirkungen der Koch-
kunst sind die beiden ersten entweder so vielfacher Willkühr unterwor-
fen, oder so einfacher Art, dass sie aus der folgenden Betrachtung aus-
fallen müssen oder können.
Die Lehre von den Speisen hat zunächst zu ermitteln, welche einfachen
Nahrungsstoffe in den Speisen enthalten sind und in welchen Verbindungen
und Aggregatzuständen sie daselbst vorkommen. Dieses aufzudecken ist die
Aufgabe der chemischen Analyse, die sich dabei natürlich nicht darauf be-
schränken darf, den Gehalt der Speisen an C, H, N, O, S u. s. w. anzugeben.
Mit der noch so vollkommenen Einsicht in das chemische Verhal-
ten ist aber noch nicht das physiologisch Wissenswürdige erschöpft,
da die Nahrfähigkeit der Speisen auch noch abhängt von der Arbeit,
welche der Darmkanal nöthig hat, um die Masseneinheit der Nahrung zu
verdauen, oder von dem Antheile der genossenen Speisen, welcher während
des Durchgangs durch den Darmkanal überhaupt aufgenommen wird. All-
gemein lässt sich jedoch hierüber nichts sagen, da der Darmkanal bei ver-
schiedenen Menschen und zu verschiedenen Zeiten seine besonderen
Eigenthümlichkeiten bietet, vermöge deren er im Stande ist, in gegebe-
ner Zeit mehr oder weniger kräftiger verdauende Wirkungen auszuüben,
resp. die in der Speise enthaltenen Nahrungsstoffe mehr oder weniger
vollständig auszuziehen. Im einzelnen Falle würde man über die Fähig-
[381]Speisen.
keit des Darmkanales, eine Speise auszunützen, abgesehen von dem
Grade der Anstrengung, die hierzu nöthig ist, Aufschluss erhalten, wenn
man jedesmal eine Probe der Speise und den nach ihrem Genuss aus
dem After gestossenen Koth analysiren würde.
a. Das Fleisch, welches zur Nahrung verwendet wird, enthält: eiweisshaltige,
leimgebende, elastische Stoffe, Fette, sämmtliche Salze des Menschenblutes, Wasser
und ausserdem die nur als Gewürze zu veranschlagenden krystallisirenden organi-
schen Bestandtheile der Extraktivstoffe. — Die Verhältnisse dieser Gemengtheile zu
einander sind, die gleichen Thierarten vorausgesetzt, abhängig 1) von dem Körper-
theile, dem der Muskel entnommen wurde, indem damit der Durchmesser der Pri-
mitivschläuche und die Verbreitung der Bindegewebe in Verbindung steht; 2) von
dem Grade der Mästung, welcher das Fett bestimmt; 3) von der Anfüllung der Mus-
kelgefässe mit Blut; 4) von dem Alter; Schlossberger*), dessen Angaben
v. Bibra bestätigte, fand
Das Kalbfleisch ist somit etwas reicher an Wasser und coagulirbarem Eiweiss als
das des Ochsen und nach v. Bibra**) auch leimhaltiger. 5) Ueber die Zusammen-
setzung des gleichnamigen Muskels verschiedener Thiere, der mittelst des Scalpells
möglichst von Fett und Bindegeweben befreit war, giebt folgende Tabelle Aufschluss***).
Das Fett ist im Fleisch auf zweierlei Art vorhanden, mechanisch eingelagert als Fett-
gewebe in den Bindestoffen zwischen den Muskelröhren und nächstdem in chemischer Ver-
bindung mit dem Muskelgewebe. Der Gehalt dieses letzteren scheint bei verschiedenen
Thieren von wechselnder Grösse zu sein, denn v. Bibra fand nach möglichst vollkommner
Abscheidung des beigemengten Fettes im trockenen Brustmuskel des Oschsen 21,8 pCt.,
des Kalbes 10,5 pCt., des Hammels 9,3 pCt., des Rehes 7,9 pCt., des Hasen 5,3
pCt.†). — Das beigemengte Fett ist bekanntlich nicht allein im Gesammtgewicht sehr wech-
selnd, sondern es ändert auch seine Zusammensetzung mit dem Thiere, indem das
Fett des Schweines flüssiger (elainreicher), das der Wiederkäuer fester (stearin-
und margarinreicher) ist.
Die Salze des Fleisches sind mannigfach, aber mit sehr ungleichwerthigen Metho-
den untersucht; Stölzel††), der nach Strecker’s Anweisungen arbeitete, fand in
100 Theilen der Asche des Ochsenfleisches:
[382]Fleisch.
- CO2 8,92
- SiO3 2,67
- SO3 3,37
- PO5 34,36
- Fe O3 0,98
- CaO 1,73
- MgO 3,31
- KaCl 10,22
- NaO 35,94
Der Gehalt des trockenen Fleisches an Asche scheint bei verschiedenen Warmblü-
tern annähernd gleich zu sein, indem er nach v. Bibra beim Ochsen, Reh, Hasen,
Huhn und der Ente zwischen 4,0 bis 5,5 pCt. schwankte.
Wir geniessen das Fleisch roh (niedere Thiere), getrocknet, geräuchert, gesal-
zen, mit Essig ausgezogen, gekocht und gebraten. Rücksichtlich der Veränderun-
gen, die bei diesen verschiedenen Bereitungsweisen mit dem Fleische vorgehen, be-
finden wir uns meist im Unklaren. Beim Erhitzen des Fleisches ohne Wasserzusatz
(Braten und Dämpfen) wird das Eiweiss geronnen, einige eiweisshaltige Körper
werden sauerstoffreicher, das Bindegewebe zum Theil in Leim verwandelt, und die
Extraktivstoffe zersetzt, wobei sich die Inosinsäure in ein wohlriechendes Brenzpro-
dukt umwandelt, und endlich wird Wasser verdunstet. — Beim Kochen in Wasser
werden dem Fleische Eiweiss, Extrakte, Salze und insbesondere Chloralkalien und
Wasser entzogen; dieses letztere geschieht darum, weil die Quellungsfähigkeit des
Fleisches beim Kochen abnimmt. — Der wässerige Auszug, die Fleischbrühe, muss
nach den Fleischsorten sehr veränderlich sein. Eine ungefähre Vorstellung von der
Zusammensetzung der Fleischbrühe giebt ein Versuch von Chevreul, welcher 1 Pfd.
Fleisch, das von anhängendem Fett und Knochen befreit war, in 3 Pfund Wasser
5 Stunden lang unter Ersatz der verdunsteten Flüssigkeit sieden liess. Ausser dem
beigemengten Fette enthielt diese Suppe in 100 Theilen: Wasser = 98,4, Leim, Ei-
weiss und Extraktivstoffe = 1,3, Salze = 0,3. — Die Salze der Fleischbrühe, wie
man sie durch vollkommenes Erschöpfen des Fleisches mit Wasser erhält, sind von
Keller*) bestimmt; in das Wasser waren 82 pCt. des gesammten Salzgehaltes vom
Fleische übergegangen, welche in 100 Theilen bestanden aus:
- PO5 21,59
- Ka Cl 14,81
- KaO SO3 6,42
- KaO 31,85
- 2 CaO PO5 2,51
- 2 MgO PO5 3,73
- 2 Fe2O3 PO5 0,46
Das rückständige Fleisch enthielt noch Verbindungen der PO5 mit Alkalien und Erden
aber keine Chlorsalze mehr. — Die Grenze, bis zu welcher überhaupt das Fleisch
durch Wasser und insbesondere durch kaltes ausgelaugt werden kann, hat Lie-
big**) zu bestimmen versucht; er giebt an, dass man dem gehackten Ochsenfleische
durch kaltes Wasser 6 pCt. feste Bestandtheile entziehen könne, von denen 3 pCt.
gerinnbares Eiweiss sei, das bekanntlich aus der Suppe als Schaum entfernt wird.
Die Folgen des Einsalzens und Räucherns sind wenig bekannt. Eine Aschenanalyse
des gesalzenen Ochsenfleisches und des rohen Schinkens giebt Thiel***). Siehe
auch Liebig am angeführten Orte.
b. Der Inhalt des Hühnereies, das wir zumeist geniessen, besteht nach
Prout†) im Mittel aus 67,6 pCt. Eiweiss und 32,4 pCt. Dotter, nach Prevost
und Morin dagegen aus 62 pCt. Eiweiss und 38 pCt. Dotter. Das Eiweiss enthält
ungefähr: Wasser = 85 pCt., Eiweiss = 12,5 pCt., feuerfeste Salze = 1,5 pCt.
und Extrakte = 2,0 pCt. Die letzteren enthalten u. A. constant Milchzucker
(Winkler und Budge)††). In der Asche sind nach R. Weber†††), der das ver-
besserte Verfahren von H. Rose befolgte, enthalten:
[383]Eier, Milch, Körner.
- NaCl 39,30
- KaO 27,66
- NaO 12,09
- CaO 2,90
- MgO 2,70
- Fe2O3 0,54
- PO5 3,16
- SO3 1,70
- CO2 9,67
- SiO3 0,28
Das Eigelb besteht nach Gobley*) aus:
- Wasser 51,48
- Vitellin **) 15,76
- Margarin u. Olein 21,31
- Cholestearin 0,44
- Oel- u. Margarinsäure 7,22
- Phosphoglycerinsäure 1,20
- Cerebrin(säure?) 0,30
- Am Cl 0,30
- NaCl, KaCl, KaO SO3 0,27
- 3MgO PO5, 3CaO PO5 1,02
- Extrakte 0,40
- Farbstoff,
- Eisen,
- Milchsäure
Eine vollständige Aschenanalyse theilt R. Weber mit:
- NaCl 9,12
- KaO 10,90
- NaO 13,62
- CaO 13,62
- MgO 2,20
- Fe2O3 2,30
- PO5 60,16
- SiO3 0,62
Die Eier geniessen wir meist gekocht; hierbei gerinnt das Eiweiss und Vitellin
unter Abscheidung von etwas SH. In hartgesottenen Eiern fand H. Rose***) das
Verhältniss des Eiweisses zum Dotter etwas anders, als es Prout, Prevost und
Morin im frischen Ei angegeben haben, nemlich von 60,6 bis 58,3 : 39,4 bis 41,6.
c. Milch. Die Zusammensetzung derselben ist schon früher erwähnt. — Der
aus ihr bereitete Käse (gesalzene und entwässerte Milch) dient, kleine Landstriche
ausgenommen, nur als Gewürz. Ueber die Zusammensetzung desselben siehe Knapp
und Moleschott†).
d. Weizen. Das Mehl, welches aus ihm gewonnen wird, enthält eiweissstoffige
Substanzen. Diese sind theilweise in Alkohol und Wasser unlöslich (Pflanzenfibrin),
theils sind sie in Wasser unlöslich, dagegen in kochendem Alkohol löslich (Pflanzenleim),
und endlich löst sich ein Theil derselben in kaltem Wasser, nicht aber in kochendem
(Pflanzeneiweiss). Das Mehl enthält ferner Amylon, Gummi, Holzfaser, fettartige Kör-
per (?) und Salze. Die quantitative Zusammensetzung des Weizenmehles ist wegen man-
gelnder Methoden noch nicht ausreichend bestimmbar. Die relativ zuverlässigsten Be-
stimmungen (v. Horsford, Krocker und Boussingault) sind dadurch ausge-
führt, dass man den Ngehalt des Mehles durch die Elementaranalyse ermittelte und
daraus den Antheil an eiweishaltigen Stoffen berechnete Das Amylon bestimmte man
aus der CO2 menge, welche bei der in dem Mehle eingeleiteten Gährung erhalten
wurde.
Die vorliegenden Angaben lassen erkennen, dass in den Weizenkörnern das Ver-
hältniss der Bestandtheile zu einander sich sehr abweichend stellte. Die Gewichts-
antheile der Eiweissstoffe und insbesondere des unter dem Namen Kleber be-
kannten Gemenges aus Pflanzenfibrin und Pflanzenleim sind verschieden 1) in den
verschiedenen Schichten desselben Kornes, indem die der Schaale unmittelaar anlie-
gende Inhaltsportion reicher an N haltigen Bestandtheilen ist (Fürstenberg, Payen,
Millon) ††); 2) der N gehalt verschiedener Weizenarten ist ungleich, auch wenn er
auf demselben Boden gebaut wurde (Boussingault) †††); 3) die verschiedenen Kör-
ner derselben Ernte sind an Klebergehalt nicht gleich (Millon) §); 4) der Kleber-
gehalt derselben Weizensorte soll steigen mit dem Reichthum des Bodendüngers an
Stickstoff (Hermbstädt, Boussingault) §§). Dieser letzteren Angabe widerspricht
[384]Weizen, Roggen, Gerste u. s. w.
Schlossberger. Die Gesammtmenge der eiweissartigen Substanzen schwankt in
den trockenen Körnern zwischen 14 und 24 pCt. — Das Amylon variirt in den
trockenen Körnern zwischen 53 bis 63 pCt. (Horsford und Krocker, Boussin-
gault). — Die Fettstoffe sind am reichlichsten in der Schaale; ihr prozentiger
Gehalt ist zwischen 1 bis 3 pCt. veränderlich. — Holzfaser, Zucker und
Gummi sollen insgesammt von 20 bis 30 pCt. steigen (Horsford u. Krocker).
In diesem Gemenge nimmt die Holzfaser unzweifelhaft den niedrigsten Werth ein,
da sie nach Boussingault 7 pCt. und nach Millon sogar nur 1 pCt. betragen
soll. — Die mineralischen Bestandtheile (KaO, NaO, CaO, MgO, Fe2O2, PO5,
SiO3, aber kein Cl) belaufen sich auf 1,7 bis 2,8 pCt. (Horsford, Krocker,
Ogstone und Way) *). — Das gegenseitige Verhältniss ihrer Bestandtheile ist zwar
ein sehr veränderliches, aber immerhin machen PO5 und KaO weitaus den grössten
Theil derselben aus. — Die Veränderlichkeit der quantitativen Zusammensetzung ist
nachweislich nicht im Zusammenhange mit der Bodenart, auf welcher die Frucht ge-
wachsen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthet man dagegen eine Beziehung
zwischen den organischen und unorganischen Bestandtheilen, da nach Millon die
Schaale sehr reich an Salzen ist und nach Way und Ogstone**) die Eiweiss-
stoffe eine constante Aschenmenge enthalten. Diese Asche, welche von Kekulé zer-
legt ist, verdient darum noch weitere Aufmerksamkeit. — Das Wasser des Kornes
ist zwischen 14 und 18 pCt. gefunden worden.
Von dem Inhalte des Weizenkornes geniesst man bekanntlich nur die mittleren
Schichten, während man die Schaale und die ihr anhaftenden Bestandtheile in der
Kleie entfernt. Diese Bereitungsmethode würde, wenn sich Kekulé’s u. Milllon’s
Angaben bestätigen, eine sehr unvortheilhafte sein, da die gewöhnliche Kleie nach
diesem letzten Chemiker in 100 Theilen enthält: Amylon, Zucker, Dextrin = 51;
Eiweissstoffe = 14; Fett = 3,6; Holzfaser = 9,7; Wasser = 13,9. Siehe über
Kleien auch Anderson***).
e. Roggen†). Der Unterschied zwischen dem Mehle, das diese Fruchtart
liefert, und der vorhergehenden, liegt vorzugsweise darin, dass unter den eiweiss-
haltigen Bestandtheilen weniger Pflanzenfibrin und statt dessen mehr Pflanzenleim und
Eiweiss, und ein besonderer gewürzhaft schmeckender Stoff vorkommt. Soweit die
vorliegenden Untersuchungen reichen, scheint aber ausserdem dasselbe Verhältniss
der Eiweissstoffe, des Amylons u. s. w. zu bestehen; namentlich zeigt auch die
Asche eine analoge Zusammensetzung.
f. Gerste, Hafer und Buchweizen liefern ebenfalls ein Mehl, das in
dem Gehalte seiner wesentlichen Bestandtheile nicht merklich abweicht von dem des
Weizens; Korn und Gerste enthalten mehr Holzbestandtheile als die übrigen Frucht-
arten (Fehling und Faist).
g. Das Maismehl ist dagegen meist reicher an fettartigen Stoffen, die in ihm
als ein gelbes dickflüssiges Oel erscheinen.
h. Der Reis endlich soll um die Hälfte ärmer an Eiweissstoffen und Asche,
als der Weizen, aber dafür reicher an Amylon sein.
Das Mehl aller dieser Früchte geniessen wir, nachdem es der Einwirkung einer
höheren Temperatur, die zwischen 250° bis 100° C. liegt, ausgesetzt war. Durch
dieselben gerinnen die in Wasser löslichen Eiweissstoffe und das Amylon quillt zu
sogen. Kleister auf. — Die verbreitetste Anwendung findet das Mehl, und ins-
besondere das des Roggens und Weizens im Brod; dieses wird bekanntlich so dar-
[385]Hülsenfrüchte, Kartoffeln.
gestellt, dass man das Mehl mit etwas salzhaltigem Wasser zu einem steifen Teige
knetet, der mit Hilfe von kohlensaurem Gas aufgebläht wird, das sich in kleine-
ren und grösseren Blasen durch denselben vertheilt. Die Einführung von CO2 ge-
schieht am häufigsten und besten durch Zumengen eines Zuckerfermentes (Hefe
oder Sauerteig), welches den im Mehle enthaltenen Zucker in Alkohol und CO2 um-
setzt, oder auch durch Zufügen von organischen Säuren und kohlensaurem Natron.
Aus diesem Teige formt man dann beliebige Stücke, die man in einem Backofen einer
Temperatur aussetzt, welche die oberflächlichen Theile (Kruste) auf 200 bis 250° C.,
die inneren (Krume) auf 100° C. erhitzt. Hierbei tritt ausser den oben angegebenen
Veränderungen auch noch die ein, dass in der Rinde das Amylon in Stärkegummi
(Dextrin) und brenzliche Produkte übergeht, während in der Krume Amylon und
Eiweissstoffe in eine allotrope Modifikation übergeführt werden, die aber nur so lange
besteht, als das Brod den Charakter besitzt, den man als frischbacken bezeichnet.
Liegt dasselbe einige Tage, wobei es sich auf die Lufttemperatur abkühlt, so ver-
schwindet diese Modifikation seines Zustandes wieder; man kann ihn durch aber-
maliges Erhitzen jedoch von Neuem herbeiführen (Boussingault) *). Analysen
des Brodes siehe bei Oppel**).
i. Hülsenfrüchte. Die reifen Erbsen und Bohnen enthalten dieselben Atom-
gruppen, wie die Körnerfrüchte. — Unter den Eiweissstoffen erscheint neben den
früheren noch ein eigenthümlicher, das Legumin oder Pflanzencasein. In der quan-
titativen Zusammensetzung unterscheiden sie sich von den Körnerfrüchten dadurch,
dass die Eiweissstoffe im Verhältniss zum Amylon beträchtlich gesteigert erscheinen.
Eine Vorstellung hiervon soll die folgende Analyse von trockenen Erbsen geben
(Horsford): Eiweissstoffe = 28,0, Stärke und Gummi = 57,3, Asche = 3,8,
Hülsen = 7,6. — Die Asche der Bohnen und insbesondere der Erbsen ist sehr häufig
untersucht worden im Auftrage deutscher und englischer Ackerbaugesellschaften; das
übereinstimmende Resultat derselben ist, dass sie vorzugsweise aus Kali und Phos-
phorsäure, dann aus Kalk, Magnesia und Kochsalz und endlich aus geringen Mengen
von Eisenoxyd und Kieselerde besteht ***).
Bei der Zubereitung in der Küche dürfte vor Allem Gewicht darauf zu legen
sein, dass die festen Gefüge der Früchte zertrümmert werden, und dass beim Kochen
in Wasser keine schwer löslichen Eiweissverbindungen entstehen, wie dieses u. A.
geschieht, wenn das Wasser kalkhaltig ist.
k. Kartoffeln. Der von der Schaale umschlossene Raum ist gefüllt mit Ei-
weiss, Stärkemehl, einer besonderen Art von Cellulose, welche in kochendem Wasser
zu einer Gallerte aufquillt und sich in verdünnter Schwefelsäure zu Gummi und Zucker
umsetzt, mit verseifbarem Fette (Solaninstearinsäure C30H30O4 und ein flüssiges Oel
von unbekannter Zusammensetzung), mit einem wachsähnlichen, nicht verseifbaren,
bei 270° noch festem Stoffe (Eichhorn) †), Asparagin, Aepfelsäure, mit den Salzen
der Körnerfrüchte und Wasser. Diese chemischen Bestandtheile vertheilen sich auf
die anatomischen Gebilde in der Art, dass die Stärke (und ihre nächsten Verwandten)
in den Zellen, deren Wände aus der eigenthümlichen Holzsubstanz bestehen, ein-
geschlossen sind; in der Flüssigkeit, welche diese festen Stoffe durchtränkt, ist Ei-
weiss, das Fett, das Asparagin, die Salze der Aepfelsäure und zum grossen Theile
die der Phosphor- und Salzsäure aufgelöst.
Die quantitative Zusammensetzung des Kartoffelmarkes ist sehr variabel gefunden
worden; sein Wasser schwankt zwischen 82 und 72 pCt., das Stärkemehl zwischen 11 und
Ludwig, Physiologie. II. 25
[386]Baumfrüchte, Trinkwasser.
und 24 pCt., Eiweiss und Asparagin um 2 pCt., Fette um 0,05 pCt., Holzstoffe gegen
3 bis 4 pCt. und die Asche um 1 bis 2 pCt. Diese letztere ist vorzugsweise reich
an Kali, auf dieses folgt die CO2, dann erst Phosphorsäure, Natron, Magnesia, Kalk,
Kieselsäure und Eisenoxyd (Way und Ogstone, Walz). Das Verhältniss
der Salze zu einander ist mit der Sorte verschieden. Beim Kochen gerinnt das Ei-
weiss, die Zellenhüllen werden lockerer, jedoch nicht aufgelöst, und innerhalb der-
selben quillt das Stärkemehl auf. — Während der Aufbewahrung soll sich der Stärke-
gehalt ändern, so dass er nach der Ernte bis gegen den März zu- und von da an
wieder abnimmt(?).
1. Die Baumfrüchte (Birnen, Aepfel, Pflaumen etc.) und die Gemüse (Rüben,
Kohlrabi etc.), Nahrungsmittel von untergeordnetem Werthe, enthalten neben den
Nahrungsstoffen, die in den bisher behandelten Speisen vorkamen, noch Pektin (Pflan-
zenschleim) = C12H10O10 (Frémy), das sich durch seine physikalischen Eigenschaf-
ten vor den übrigen Kohlenhydraten wesentlich auszeichnet; es kann jedoch in Dextrin
und Zucker umgewandelt werden. Nächstdem ist der Reichthum der jungen Gemüsse-
blätter an leichtlöslichem Kalisalze zu erwähnen. Ueber das Weitere der genossenen
Arten und ihre Zusammensetzung sind die angezogenen Werke von Moleschott,
Boussingault und die Giessener Jahresberichte um Rath zu fragen.
m. Trinkwasser. Das reine Wasser der Quellen oder das gereinigte der
Flüsse enthält Luftarten (Kohlensäure, Sauerstoff, Stickgas) und je nach den Gebirgs-
lagern, die es durchströmt, Kohlensäure, Schwefelsäure, Salzsäure mit Kalk, Magnesia
und Natron verbunden aufgelöst. — Der Gehalt an Salzen bestimmt den Charakter
des Wassers, das man gemeinhin weich nennt, wenn es wenig Kalksalze enthält,
während das mit diesen letzteren beladene hart genannt wird. Der Gesammtgehalt
des Wassers an Salzen darf, wenn uns dasselbe noch zum gewöhnlichen Gebrauche
dienen soll, den Werth von einigen Hunderttheilen eines Prozentes nicht übersteigen.
Organische Beimengungen zum Wasser werden immer für Verunreinigungen erklärt.
Das gekochte Wasser nimmt einen faden Geschmack an, theils weil dadurch aus
ihm die Gase, theils weil Salze, insbesondere kohlensaure Kalksalze, entfernt werden.
5.Nahrungsaequivalente*). Diesem Begriffe hat man zwei
Bedeutungen beigelegt. a. Gewöhnlich versteht man darunter das Ge-
wichtsverhältniss, in welchem zwei bestimmte Speisen verabreicht werden
müssen, wenn durch jede derselben die gleiche Menge eines und dessel-
ben einfachen Stoffes eingeführt werden soll. Die Frage ist an einem
Beispiele erläutert also die: Wie viel Brod muss genossen werden, damit
durch dasselbe gerade so viel Eiweiss in den Magen kommt, als in der
Gewichtseinheit Fleisch verzehrt wird? Diese Frage beantwortet eine
gewöhnliche Proportionsrechnung, wenn die quantitative Zusammensetzung
der betreffenden Nahrungsmittel bekannt ist. Der grösseren Bequemlich-
keit halber haben Liebig und Boussingault zu diesem Ende Tafeln
berechnet für die Speisen mit bekannter Zusammensetzung.
b. Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn man vom physiologi-
schen Gesichtspunkte ausgehend die Frage erhebt: In welchem Verhält-
nisse müssen zwei verschiedene Speisen genossen werden, wenn durch
sie dieselben Leistungen innerhalb des thierischen Körpers erreicht werden
[387]Nahrungsaequivalente.
sollen? Da die allgemeinsten Aufgaben der Nahrungsmittel darin bestehen,
dass sie entweder Wärme erzeugen oder mechanische (Muskel-) Kraft
hervorbringen oder endlich den Wiederersatz oder die Neubildung von
Geweben und Säften (Wachsthum, Mästung) bedingen sollen, so würde
zuerst die Vorfrage zu erledigen sein, ob in der That ein und dasselbe
Nahrungsmittel befähigt wäre, diesen verschiedenen Anforderungen zu ge-
nügen. Wäre nemlich, wie man zuweilen ausgesprochen, ein jedes ein-
fache Nahrungsmittel nur zu einem dieser Zwecke dienlich, so würde es
natürlich in dem oben bezeichneten Sinne keine Aequivalente geben, son-
dern es müsste entsprechend dem Verbrauche an Wärme, an Muskel-
anstrengung und an Gewebsmassen jedesmal nur ein ganz bestimmtes
Nahrungsmittel genossen werden. Mit einem Worte, die Nahrungsmittel
würden zu zerfällen sein in Wärme erzeugende oder respiratorische, in
kraftentwickelnde und in gewebsbildende oder plastische.
Da die unorganischen Nahrungsmittel ohne Ausnahme schon oxydirt
genossen werden, so können sie keinen Beitrag zur Wärmebildung liefern;
im Gegensatze hierzu verlassen alle organischen Atome der Nahrung den
thierischen Körper in höher oxydirtem Zustande, als sie in ihn einge-
treten sind; die letzteren müssen also sämmtlich zur Wärmeerzeugung
zu verwenden sein. In diesem Sinne müssten sich also die verschie-
denen Nahrungsstoffe vertreten können. Dieser Behauptung wäre jedoch
die andere entgegenzustellen, dass sich die verschiedenen Nahrungsstoffe
unterscheiden durch ihre Spaltbarkeit, indem ein Theil der Nahrungsstoffe
nur dann in oxydirbare Atomkomplexe zu zerlegen wäre, wenn er ein
Bestandtheil der kraftentwickelnden Apparate (der Muskeln und Nerven)
oder der festen Gewebe gewesen wäre, während ein anderer Theil geradezu
dem mittelbaren oder unmittelbaren Verwesungsprozesse anheimfallen
könnte. Diesen Unterschied hat man in der That behauptet und aus
dem Grunde die Amylaceen und Fette als die eigentlichen, die Eiweiss-
stoffe dagegen als die accessorischen Respirationsmittel angesprochen.
Ueberlegt man sich aber die Beweismittel dieses Satzes genauer, so schei-
nen sie eher gegen als für denselben zu sprechen. Zuerst lässt sich
geradezu zeigen, dass die Eiweissstoffe nicht vorgängig den krafterzeu-
genden Apparaten gedient haben, bevor sie dem Wärmebildungsprozesse
anheimfallen; denn es ist durch die später noch genauer zu erörternden
Beobachtungen von Frerichs, Schmidt und Bischoff erwiesen,
dass die Gewichtseinheit desselben Thieres je nach der Nahrung, die es
empfangen, bald viel und bald wenig Eiweissstoffe in der Zeiteinheit um-
setzt und oxydirt, selbst wenn es in dieser Zeit annähernd gleich viel
Muskelbewegungen ausführt; mit einem Worte, die Umsetzung des Ei-
weisses erweist sich in diesen Fällen, in welchen die Beobachtungsthiere
in Kästen eingesperrt waren, unabhängig von der Entwickelung mechani-
scher Kräfte durch die Muskeln. Der andere Theil der oben aufgestellten
25*
[388]Nahrungsaequivalente.
Behauptung, dass die Eiweissstoffe nur dann in oxydirbare Atome ver-
wandelt werden könnten, wenn sie einmal die Wandungen von Zellen,
Röhren, Platten oder Fasern dargestellt hätten, ist mindestens nicht be-
weisbar, ja sogar unwahrscheinlich in Anbetracht der bekannten chemi-
schen Eigenschaften jener festgewordenen Stoffe, da sich gerade die
chondrin- und leimgebenden, die elastischen und die hornstoffigen Gebilde
durch ihren Widerstand gegen oxydirende Einflüsse auszeichnen. Erwägt
man dazu, dass der thierische Organismus nachweislich befähigt ist, Ei-
weissstoffe zu zerlegen, welche sich im flüssigen Aggregatzustande befinden,
so dürfte man eher geneigt sein, anzunehmen, dass der Uebergang der
Eiweissstoffe in den festen Aggregatzustand die Umsetzung derselben er-
schwere, statt sie zu erleichtern. Diese Betrachtung würde somit dazu
führen, dass sich behufs der Wärmebildung die Amylaceen, Fette und
Eiweissstoffe vertreten könnten; obwohl die Erfahrung dafür spricht, dass
dieses in weiten Grenzen möglich sei, so zeigt sie uns auch anderseits,
dass dieses nicht durchweg und ohne alle Einschränkung möglich. Für
diese Thatsachen liegt als ein nicht unwahrscheinlicher Grund der vor,
dass die Eiweisskörper und Fette von dem menschlichen Körper nicht
in einer zur Wärmebildung genügenden Menge verdaut und zersetzt
werden können, so dass die Amylaceen helfend mit einstehen müssen,
und dass anderseits die Vorgänge, welche die letzteren Nahrungsstoffe
oxydiren, zugleich zu einer Zerstörung der Eiweisskörper führen. Unter
dieser Einschränkung würden also behufs der Wärmebildung Aequivalente
der organischen Nahrungsstoffe aufzustellen sein, vorausgesetzt, dass man
die relative Zersetzbarkeit derselben und ihre latente Wärme kennte, was
bis dahin noch nicht der Fall ist.
Zur Erzeugung der Nerven und Muskelkräfte sind unzweifelhaft die
Eiweisskörper dienlich und wahrscheinlich auch unumgänglich nothwendig,
denn einmal sind diese Organe unter allen Umständen sehr reich an
diesen Stoffen, dann findet man in den Säften dieser Organe, namentlich
in den Muskeln, um so mehr Zersetzungsprodukte der Eiweisskörper, je
angestrengter sie gearbeitet haben, und endlich soll, gleiche Ausbildung
der Muskelmasse vorausgesetzt, ein und derselbe Mensch um so arbeits-
fähiger sein, je beträchtlicher der Fleischantheil seiner Nahrung ist. Diese
Thatsachen schliessen es aber natürlich nicht aus, dass sich nicht auch
die Fette und Kohlenhydrate an der Erzeugung von Muskelkräften bethei-
ligen könnten, hierfür spricht im Gegentheil die reichliche Anwesenheit
von Fett und seinen Umsetzungsprodukten in den Nerven und ebenso-
wohl die bedeutenden Muskelanstrengungen, welche Menschen leisten, die
sich vorzugsweise von den eiweissarmen Kartoffeln und Brod nähren.
Bei diesem Stande der Sache ist es jedenfalls besser, unentschieden zu
lassen, ob die Nahrungsstoffe sich behufs der Entwickelung von mecha-
nischen Kräften vertreten können.
[389]Verdauung der Speisen.
Ein jedes Gewebe bedarf, da es eine bestimmte chemische Zusammen-
setzung besitzt, auch bestimmter Stoffe zu seinem Aufbau. Die verschiedenen
zu einem Gewebe nöthigen Bestandtheile müssen also beschafft werden;
wenn demnach die Nahrung zum Ersatz zerstörter oder zur neuen Her-
stellung von Geweben benutzt werden soll, so können sich die einzelnen
Nahrungsstoffe nicht vertreten. Dieses würde nur dann möglich sein,
entweder wenn in einem Gewebe verschiedene unter sich sehr ähnliche
Stoffe zu demselben Zwecke verwendbar wären, wie z. B. in den Knochen
phosphorsaure und kohlensaure Magnesia statt derselben Verbindungen
der Kalkerde, oder wenn ein Stoff bei seinen Zersetzungen im Thierkörper
zu einem Atomcomplexe führte, welcher identisch wäre mit einem anderen
in der Nahrung geradezu aufgenommenen. Insofern könnte also Amylon,
das sich, theilweise wenigstens, in Fett verwandeln soll, bei der Ernährung
des Hirns, des Fettgewebes u. s. w., oder es könnte Leim statt des Ei-
weisses zur Ernährung des Bindegewebes und der Knochen verwendet
werden. Diese Vertretung, wenn sie überhaupt besteht, würde aber jeden-
falls eine sehr beschränkte sein. Unter allen Umständen ist es aber ver-
werflich, geradezu ein einfaches Nahrungsmittel, z. B. Eiweiss, das pla-
stische oder auch nur das vorzugsweise plastische zu nennen, da eben
so gut, wie dieses, auch andere Atomgruppen zum Entstehen und zum
Bestand der meisten Gewebe durchaus nothwendig sind.
C. Verdauung der Speisen.
Die Speisen müssen, um mit Vortheil in das Blut geführt werden
zu können, chemische und physikalische Umwandelungen erfahren. Diese
geschehen in mehreren räumlich und funktionell von einander geschie-
denen Behältern, nemlich in der Mund- und Rachenhöhle, dem Magen,
dem Dünn- und dem Dickdarme. Ein jeder derselben liefert einen Bei-
trag zur Verdauung durch hemmende oder beschleunigende Bewegungs-
werkzeuge, durch Drüsen, durch die Eigenschaft der Häute, welche
Darm- und Gefässhöhlen trennen, und endlich durch die allen gemein-
same Wärme.
Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge.
1. Mund und Schlund.
Lippen, Wangen und Kiefer sind, so weit sie nicht schon bespro-
chen, in ihren Leistungen Jedermann bekannt.
Die Zunge. Ihre Wurzel ist auf bekannte Weise durch Muskeln
und Bänder an den Stylfortsatz, den Kiefer und das Zungenbein gehef-
tet, sie folgt darum auch den Bewegungen der beiden letzteren und ins-
besondere denen des Zungenbeins. — Das Zungenbein kann vermöge
seiner Befestigung an dem Kehlkopfe eine allgemeine Ortsveränderung
erfahren, oder es kann sich auch nach Spannung der Bänder um diese
drehen; so können sich namentlich die Hörner um den durch das lig.
[390]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Mund und Schlund.
hyothyreoideum medium festgestellten Körper, oder dieser letztere um die
durch die ligamenta later alia fixirten Hörner erheben oder senken. Gehoben
wird das Zungenbein durch die Verkürzung der mm. stylohyoidei (und
hyopharyngei?), gesenkt durch sterno-, thyreo- und omohyoidei. Die Unter-
schiede dieser drei Muskelwirkungen liegen darin, dass m. omohyoideus
nach unten und hinten, sternohyoideus nach unten und vorn Kehlkopf
und Zungenbein zugleich ziehen, während m. thyreohyoideus den Ab-
stand beider bestimmt. Mm. mylo- und geniohyoideus und digastricus
anterior ziehen das Zungenbein nach vorn, wobei der erstere noch die
Zunge gegen den harten Gaumen hin hebt, indem er den nach unten
bauchig herabhängenden Kehlraum abflacht. — Alle Bewegungen, welche
von den Muskeln der Wurzel oder des Beines der Zunge ausgeführt
werden, übertragen sich auf Zunge und Zungenbein zugleich; eine Aus-
nahme hiervon dürfte nur dem Hyoglossus zustehen.
Das freie Blatt der Zunge *), das seine Gestalt unabhängig verän-
dern kann, ist von Muskeln durchzogen, welche entweder parallel der
Längsachse, (mm. hyoglossi, longitudinalis inferior und superior, stylo-
glossi), oder von der unteren zur obern Fläche (mm. genioglossi) und
von einem zum andern Rand (m. transversus linguae) laufen. Die ver-
schieden gerichteten Züge verflechten sich in der Zunge innig, und so
können sie nicht alle in die letztere verschmälern (und dabei strecken
und verdicken), abplatten (und dabei verlängern und verbreitern), son-
dern auch krümmen.
Die Nerven aller dieser Muskeln sind bemerkenswerther Weise in sehr
verschiedenen Stämmen enthalten. N. trigeminus versorgte den m. mylo-
hyoideus und digastricus anterior, n. facialis den stylohyoideus und die
übrigen n. hypoglossus und cervicalis II. Die Folgen dieser Anordnung
für die Verknüpfung der Bewegungen sind unbekannt. — Die willkühr-
liche Erregung gebietet unbeschränkt über die Nerven des stylo-, genio-
und hyoglossus, omo- (?), sterno-, stylo- und geniohyoidei, longitudina-
les et transversi linguae, indem ebensowohl ein- als zweiseitig die Zunge
nach vorn, nach hinten, oben und unten bewegt werden kann. Be-
schränkt ist aber die Willkühr, dem m. mylohyoideus gegenüber, inso-
fern, als er jedesmal nur beiderseitig zusammenziehbar ist; der hyothy-
reoideus endlich ist ihr insofern ganz entzogen, als er nur gleichzeitig
mit den Spannmuskeln der Stimmbänder und den Gaumen- und Schlund-
schnürern in Verkürzung zu bringen ist.
Ueber die Zungenmuskeln, im engeren Wortsinn, ist eine derbe
Bindegewebshülle gezogen, in welche an vielen Orten die Muskeln ein-
gehen, und die mit einem hornigen Ueberzuge bekleidet ist, der sich
auf dem Rücken in zahlreichen feinen Fortsätzen (papillae filiformes)
[391]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Mund und Schlund.
erhebt; er macht die Zunge rauh und wo er dick ist auch die darunter
liegenden weichen Gewebe weniger angreifbar. — Da aber die Horn-
schicht auf den pap. fungiformes nur dünn ist und zugleich die Zun-
genschleimhaut reichliche Vertheilungen des n. lingualis besitzt, so geht
aus allem diesen hervor, dass die Zunge als Schaufel und Tastwerkzeug
sehr brauchbar ist.
Der Kehldeckel ist ein elastisches Knorpelplättchen, das sich an
das Zungenbein und die Spannknorpel des Kehlkopfes (c. thyreoidea) mit-
telst elastischer Bänder anheftet, welche ihm, wenn er sich selbst
überlassen bleibt, eine solche Stellung zu der Zungenwurzel sichern,
dass ihn ein Flüssigkeitsstrom in der Richtung vom Schlund zur Speise-
röhre gegen den Kehlkopf umklappt. In dieser niedergedrückten Lage
deckt er die Stimmritze aber nur dann, wenn der Kehlkopf dem Zun-
genbeine durch die Verkürzung des m. thyreohyoideus genähert ist.
Der weiche Gaumen*). Seine bogenförmigen freien Ränder,
von denen einer zum Rande der Zungenwurzel und ein anderer zu den
Seitentheilen des Schlundkopfes läuft, schliessen bekanntlich die mm. pa-
latoglossus und palatopharyngeus ein. Die Zusammenziehung des erste-
ren flacht den vorderen Bogen um ein Weniges ab, wobei der Gaumen-
vorhang, soweit es seine Nachgiebigkeit erlaubt, heruntertritt; auf eine
andere Weise kann dem Verkürzungsbestreben kein Genüge geleistet wer-
den, da die in die Zungenränder eingehenden unteren Enden sich einan-
der weder nähern, noch auch die Zunge heben können. Bei der Zu-
sammenziehung des an und für sich schon engeren m. palatopharyngeus
treten dagegen die freien Ränder des hinteren Gaumenbogens zur Bil-
dung einer Spalte (Dzondi) von dreiseitiger Form zusammen, deren
Basis nach der Schlundwand hin gelegen ist (Tourtual). Diese Ge-
staltung muss der zusammengezogene Muskel annehmen, da der an sei-
ner hinteren Seite weniger nachgiebige Gaumenvorhang und der an der
Wirbelsäule befestigte Schlundkopf sich nicht in der Richtung von hinten
nach vorn gegenseitig nähern können. Am Schlund wird aber die bei der
Zusammenziehung entstehende Spalte weiter klaffen, als am Gaumensegel,
da die Muskeln weiter auseinander stehen. — In dem Theile des Segels, der
von der Spitze des Bogens bis zum harten Gaumen sich erstreckt, mün-
den die levatores palati posteriores (circumflexus palati) und anteriores,
die tensores palati und die levatores uvulae (azygos). Die vier Gau-
menheber suchen, wenn sie kurz werden, das Segel, und insbesondere
den an die Knochen grenzenden Theil in eine Flucht mit dem harten
Gaumen zu heben. M. azygos zieht bei seiner Verkürzung die gesenk-
ten Bogenspitzen sammt dem Zäpfchen empor, und im gleichen Falle
zerrt der tensor die genäherten Bogenränder auseinander (?).
[392]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Mund und Schlund.
Diese Annahmen gründen sich theils auf Ableitungen aus dem Muskelverlauf,
theils auf direkte Beobachtung des lebenden Menschen, die entweder wie gewöhn-
lich von der Mundhöhle aus geschieht, oder, die in seltenen Fällen möglich war, von
der Nasenhöhle aus (Dzondi, Bidder) *) nach Zerstörung des Oberkiefers oder
von den unteren Stücken der Rachenhöhle nach Verlètzungen im Seitentheile des
Schlundes über dem Zungenbeine (Kobelt).
Die Nerven dieser Muskeln stammen aus sehr verschiedenen Quel-
len; m. palatoglossus erhält sie aus dem n. vagus; m. levator palati po-
sterior mollis wird zugleich versorgt durch Fäden, die in den nn. facia-
lis, glossopharyngeus, vagus und accessorius aus dem Hirne treten;
m. tensor palati empfängt seine Nerven aus den nn. trigeminus, glosso-
pharyngeus, vagus und accessorius; m. azygos aus den nn. vagus, ac-
cessorius und glossopharyngeus. — Die Nerven des arc. glossopalatinus
sind nicht ermittelt, da der Muskel den meisten Säugethieren fehlt; auf
den m. levator anterior hat man noch keine Rücksicht genommen.
Die aufgezählten Muskeln sind, wenn überhaupt, der Willkühr nur
in beschränkter Weise unterthan, indem niemals die Bewegung des Gau-
mens nur auf einer Seite ausgeführt werden kann. Unter die in die-
sem Sinne willkührlich beweglichen Muskeln gehören unzweifelhaft mm.
levatores palati und uvulae. Reflektorisch erregbar sind die Gaumen-
schnürer, und zwar von den empfindenden Nerven aus, die sich auf
der Zungenwurzel, der hinteren Fläche des Gaumensegels und in der
Schleimhaut über den mittleren Schlundschnürern verbreiten.
Schlundkopf. Die Faserung der Schnürer geht zum Theil spi-
ralig vom Kehlkopf und Zungenbein zur entgegengesetzten Kopfhälfte;
die Züge der beiden Seiten verflechten sich in der hinteren Mittellinie
des Schlundes; zum Theil (im pterygo-, bucco- und keratopharyngeus)
läuft sie quer von einer Seite zur anderen. Diese Streifungen müssen
die unteren Partien heben und seitlich zusammenpressen; an den Orten,
wo die hintere Schlundwand locker an die Wirbelsäule geheftet ist, kön-
nen sie die Schnürer auch gegen die Mundhöhle hin bewegen. — Der
m. stylopharyngeus wird seinem Verlaufe gemäss die seitlichen Partien
der Schlundwand heben und auseinander ziehen, d. h. Falten, die sich
auf der hinteren Wand gebildet haben, glätten.
Die Nerven des stylopharyngeus laufen im n. glossopharyngeus, die
Schnürer werden vom n. vagus, accessorius (und glossopharyngeus?)
versorgt.
Ob einer dieser Muskeln ein- oder zweiseitig durch den Willen er-
regt werden kann, steht noch dahin. In Verbindung und unmittelbar
nach der Erregung der Gaumenmuskeln scheint dieses nicht unmög-
lich. — Reflexbewegungen werden in ihnen ausgelöst auf Erregung aller
[393]Kauen und Schlingen; Dünndarm.
empfindenden Flächen hinter dem Gaumenbogen bis zum Beginn der
Speiseröhre.
Speiseröhre. Ihre Muskeln sind beim Menschen, abweichend
von dem Verhalten der Haussäugethiere, aus Quer- und Längsfaden zu-
sammengesetzt. Die Nerven derselben kommen aus dem Vagusstamme;
sie sind dem Willenseinflusse durchaus entzogen und können nur in
besonderen Zuständen der Erregbarkeiten von der sie deckenden Schleim-
haut zu Zusammenziehungen veranlasst werden.
Die bis dahin erwähnten Werkzeuge vollführen das Kauen und Schlingen.
Das Kauen oder Verkleinern der eingeführten und unter Umstän-
den mit den Schneidezähnen abgebissenen Speisebrocken geschieht
durch den mahlenden Druck der Backzähne; diesem Akte kommt die
Kraft der Kieferschliesser, die Beweglichkeit des Unterkieferkopfes nach
verschiedenen Richtungen und die Härte und Unebenheit der Backzähne
zu Gute. — Die Speisebrocken würden bei diesen Bewegungen von der
erhaben gestellten Kaufläche herunterfallen, wenn sie nicht durch die
Wangen, Lippen und die Zunge auf ihr gehalten würden. Wenn diese
Einrichtungen das Abgleiten nicht vollkommen verhüten, so hebt die
Zunge das Niedergefallene wieder empor; diese letztere wendet zugleich
die Speise von einer Wangenseite auf die andere, ein Vorgang, der na-
mentlich beim Kauen trockener Bisse öfter in Anwendung kommt. —
Den Härtegrad der eingeführten Stoffe prüfen die Zähne, welche bekannt-
lich sondenartige Tastwerkzeuge darstellen, und sie, in Verbindung mit
der Zunge, welche zu dem Behufe die Speisen gegen den harten Gau-
men drückt, geben auch Nachricht, ob die Bissen den zum Schlingen
hinreichenden Grad von Vertheilung erlangt haben.
Das Schlingen. Dieser Muskelakt, vermittelst dessen der ver-
kleinerte Bissen aus dem Munde in den Magen befördert werden soll,
wird dadurch verwickelt, dass die Speisen, nachdem sie einmal in die
Rachenhöhle geschoben sind, nun in den Oesophagus eindringen, also
die Mündungen der Luftwege in den Rachen vermeiden sollen und zu-
gleich nicht in die Mundhöhle zurückweichen dürfen. Das Einschieben
des Bissens hinter den vorderen Gaumenbogen besorgt die Zunge; zu dem
Ende wird sie, nachdem sie die Speisen [auf] ihren etwas hohl gestell-
ten Rücken genommen hat, zuerst vorn gehoben durch die Muskeln
des freien Zungenblattes, dann aber in der Mitte durch die Zusammen-
ziehung des m. mylohyoideus, indem er den Boden der Mundhöhle ab-
flacht, und endlich an der Wurzel durch m. styloglossus. Nachdem der
Bissen somit durch die Zunge an den harten Gaumen gepresst und hinter
den arcus glossopalatinus geschoben wurde, legt sich dieser letztere um
die Zunge an und schliesst damit Schlund- und Mundhöhle von einander
ab. — In diesem Augenblicke werden auch die Nasenöffnungen und die
Stimmritze gedeckt. Die ersteren dadurch, dass das Gaumensegel in
[394]Schlingen.
Verbindung mit der hinteren Schlundwand eine zeitweilige Scheidewand
zwischen dem oberen und unteren Theile des Schlundkopfes, etwas unter-
halb der Choanen, herstellt; hierbei greifen die einzelnen Theile so in-
einander, dass die levatores palati antici und postici in der Nähe des
harten Gaumens und die schräg vom Kopf nach dem Larynx verlau-
fenden Schnürmuskeln des Schlundes die hintere Fläche des Gaumen-
segels zu einer schief nach hinten abfallenden Fläche erheben; diese
Wirkung der bezeichneten Muskeln wird unterstützt durch den Bissen,
welcher von der Zunge aus das velum pendulum hebend vor sich her-
schiebt. Der Spalt, der zwischen dem hinteren Gaumenbogen dann noch
übrig bleibt, wird geschlossen: vorn durch die Verkürzung des m. pa-
latoglossus und des als Ventil dazwischen gedrängten Zäpfchens; hinten
durch eine Falte, welche sich von der Schlundwand hervorhebt in Folge
der seitlichen Zusammenpressung, welche der Pharynx durch die ab-
steigend und horizontal verlaufenden Muskelfasern erfährt. — Der Zu-
gang zu der Stimmritze wird unmöglich gemacht durch eine Zusam-
menziehung ihrer Schliesser und das gleichzeitige Niederdrücken des
Kehldeckels vermittelst des von der Zunge herdringenden Bissen. Die
Deckung, welche der Kehlkopf von Seite der Epiglottis erfährt, wird da-
durch vollkommen, dass sich die letztere der Zunge möglichst nähert,
in Folge der gleichzeitig eintretenden Zusammenziehung der aufsteigen-
den Schlundschnürer und des m. thyreohyoideus; die Berührung
der sehr empfindlichen Eingangsflächen in den Kehlkopf vermeidet die
Epiglottis bei dieser Bewegung, weil sie sich auf die emporragenden
cartilag. arytenoideae stützt. — Somit bleibt dem allseitig gedrückten
Bissen nur der Weg in den unteren Theil des Schlundkopfes, der
um so leichter genommen wird, als sich derselbe mit der Hebung des
Kehlkopfes der Zungenwurzel entgegenschiebt. Dort angelangt, wird er
durch eine Zusammenziehung der Schlundschnürer dem Oesophagus
überliefert, welcher sich jedesmal in den Stücken verengert, die unmittel-
bar oberhalb und um den Bissen gelegen sind; diese Zusammenziehung
schreitet mit dem Inhalte allmählig von oben nach unten fort, wobei
sie aber immer nur einen beschränkten Abschnitt der Muskulatur zu-
gleich ergreift, indem die Fasern der Orte, welche der Bissen verlassen
hat, auch allmählig zu ihrer normalen Länge zurückkehren.
Die Nerven, welche der Reihe nach beim Schlingen in Erregung
treten, sind nicht durchweg bekannt. Aeste der nn. trigeminus, hypo-
glossus und des Vagusstammes sind unzweifelhaft betheiligt; ob auch die
Schlund- und Gaumenzweige der nn. trigeminus, facialis und glosso-
pharyngeus dazu gehören, ist zweifelhaft. Jedenfalls aber steht hier
wie bei der Augenbewegung fest, dass Nervenröhren mit sehr verschie-
denen Hirnursprüngen in diese combinirte Bewegung als Erreger ein-
gehen.
[395]Schlingen.
Die Zusammenziehung der einzelnen Muskelstücke*) des Schling-
apparates ist in die eigenthümliche Beziehung gebracht, dass beim Be-
stehen einer normalen Erregbarkeit auf die Verkürzung eines höher ge-
legenen Stückes jedesmal die der tiefer gelegenen bis zum Magen hin
nachfolgt, während niemals auf die eines tieferen die Zusammenziehung
eines höheren folgt. Man drückt dieses gewöhnlich so aus, dass dem
Schlingapparate eine peristaltische, aber keine antiperistaltische Bewe-
gung zukomme. — Das Fortlaufen der peristaltischen Bewegung ge-
schieht allmählig und ist namentlich abhängig von der Zeitdauer, welche
jedes einzelne Stück zur Vollendung seiner Zusammenziehung verbraucht,
da die nächst tiefer gelegenen Partieen nicht eher in den Zug der Be-
wegung eintreten, bevor nicht die höheren wieder zu der Erschlaffung
gekommen sind. — Die Einleitung der Bewegung ist, wie es scheint,
nur bedingt vom Willen abhängig; dagegen kann sie ohne äussere Ur-
sache unwillkürlich (v. I. Bd. p. 173 u. 174) und auf reflektorischem Wege
zu Stande kommen. Die sensiblen Orte, deren Erregung das Schlingen
einleitet, scheinen für gewöhnlich auf die hintere Fläche des Gaumens
und den Schlundkopf beschränkt zu sein; nur zuweilen gelingt es, die
fortlaufende Bewegung durch einen Anspruch der Speiseröhrenschleim-
haut aufzulösen. Einmal eingeleitet schreitet die Bewegung unaufhalt-
sam bis zum Magen fort, so lange Nerv und Muskel erregbar und un-
versehrt sind, und so lange sich der fortschreitenden Bewegung kein
Hinderniss entgegenstellt. Durchschneidet man aber die Muskeln oder
Nerven des Oesophagus, oder presst man ein beschränktes Stück des
letzteren durch einen umgelegten Faden zusammen, so überschreitet die
von oben herkommende Zusammenziehung den verletzten oder gedrück-
ten Ort nicht (Wild).
Der Wille vermag die Schlingbewegung nur dadurch einzuleiten, dass er den festen
oder flüssigen Inhalt der Mundhöhle in den Rachen schiebt, welcher dann die dort vorhan-
denen sensiblen Nerven erregt; dieses geht am deutlichsten daraus hervor, dass man auf
Geheiss des Willens nur bis zum Verschwinden allen Speichels (drei-, vier- bis fünfmal
unmittelbar hintereinander) schlingen kann, dass sich aber die Fähigkeit dazu sogleich
wieder einstellt, so wie sich wieder Speichel in der Mundhöhle ansammelt oder ein Bissen
in sie eingebracht wird. — Die Angabe, dass die einmal eingeleitete Schlingbewegung
zu ihrer Fortführung der reflektorischen Erregungen nicht bedarf, und namentlich
nicht in Abhängigkeit steht von den Erregungen, die der weiter geführte Bissen in
der Schleimhaut hervorbringt, stützt sich darauf, dass sich die Bewegung selbst
dann fortsetzt, wenn der Fortgang des Bisses, z. B. durch einen angezogenen und
festgehaltenen Faden, aufgehalten wird. Siehe das Genauere bei Wild.
2. Magen.
Dieser geräumige Behälter ist im leeren Zustande so aufgehängt,
dass er seine grosse Curvatur nach unten wendet; im gefüllten dreht er
sich dagegen nach vorn, und somit stellt er seine kleine Krümmung
[396]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Magen.
nach hinten, welche sich dann über die Wirbelsäule und die auf ihr
laufenden Gefässe hinspannt, ohne diese letzteren zu drücken. Diese
Drehung muss um eine Linie geschehen, welche durch die beiden am
festesten angehefteten Punkte, die Cardia und den Pylorus bestimmt ist.
Die Drehung wird möglich, weil die Krümmungen nur durch die schlaf-
fen Netze angeheftet sind, und die vordere und hintere Magenfläche
mit ihren glatten Bauchfellüberzügen frei in der Peritonialhöhle liegen.
Der Mechanismus, welcher diese Drehung leitet, ist noch nicht ermit-
telt. Jedenfalls ist er von irgend welcher Muskelzusammenziehung un-
abhängig, da sich auch der Magen in der Leiche bei seiner Anfüllung
dreht. — In dieser Lage nimmt nun die Cardialöffnung die höchste
Stelle ein, so dass gegen sie die spezifisch leichtesten Bestandtheile des
Mageninhaltes zu liegen kommen. Enthält also neben festen und flüssi-
gen Stoffen der gefüllte Magen auch Luft, so wird sie sich an der be-
zeichneten Stelle finden und durch den Magenmund austreten, wenn er
geöffnet ist. — Die Muskulatur des Magens macht vermöge der Anord-
nung ihrer Fasern eine Verschliessung seiner Mündungen, insbesondere
der nach dem Dünndarme gekehrten, möglich, und ausserdem kann sie
eine im Einzelnen mannigfach abgeänderte Verengerung der Magenhöhle
herbeiführen. — Die Anregung zu ihrer Bewegung empfängt sie, theil-
weise wenigstens, von Aesten aus dem Vagusstamme (Bischoff); diese
beherrschen jedoch nicht alle Muskeln, da man auch nach Durchschnei-
dung jener Nerven noch Zusammenziehungen eintreten sieht. — Die
Bewegungen des Magens, die man im lebenden Thiere beobachtete, be-
stehen 1) in Zusammenziehungen des Cardial- und Pyloruspförtners.
Die Contraktionen dieses letzteren werden vermehrt durch Berührungen
der ihn überziehenden Schleimhaut; es wirken dieselben begreiflich um
so kräftiger anregend, je weniger ihre Nerven in Folge vorhergehender
Angriffe ermüdet sind. Dieser Einrichtung gemäss erlaubt der Pfört-
ner den flüssigen Theilen des Mageninhaltes, die gegen seine Oeffnung
getrieben werden, leicht den Durchgang, während er sich dicht schliesst,
wenn feste Massen an seinen Schleimhautüberzug stossen. Wiederholt
sich aber dieser Anstoss öfter, so wird er nicht mehr durch eine Ver-
engerung des Muskelringes beantwortet, und es ist sodann auch festen
Stoffen der Eintritt in den Dünndarm gestattet. — 2) Der mit Speisen
erfüllte Magen lässt Bewegungen gewahren, deren Endeffekt eine Veren-
gerung seiner Höhle anstrebt; sie sollen nach Beobachtungen, die
Beaumont bei einem Menschen, der eine Magenfistel besass, anstellte,
peristaltisch vom Fundus gegen den Pylorus hin fortschreiten. Diese
Bewegungen kehren, wenn sie einmal eingetreten sind, wie die Unter-
suchungen an Hunden lehren, nach mehr oder weniger kurzen Zeitab-
schnitten wieder. Ausser diesen Bewegungen von peristaltischem Modus
will man auch solche von antiperistaltischem beobachtet haben. — So
[397]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Dünndarm.
unzweifelhaft es ist, dass der Magen Bewegungen zeigt, eben so schwie-
rig ist es aber auch anzugeben, wann dieselben eintreten. Denn es ist
Thatsache, dass der Magen nach Eröffnung der Unterleibshöhle bei le-
benden und eben getödteten Thieren meist nicht nur vollkommen ruhig
angetroffen wird, sondern auch, dass die gewöhnlichen Erregungsmittel
muskulöser Apparate ihn nur zu Zusammenziehungen veranlassen kön-
nen, welche sich auf den Ort ihrer Anwendung beschränken. Diese Zei-
ten der relativen Unthätigkeit der Muskeln des Magens scheinen nur nach
der Anfüllung desselben mit Speisen eine Unterbrechung zu erfahren. —
Die den peristaltischen Modus erweckenden und unterhaltenden Nerven
sind unbekannt.
3. Dünndarm.
Als ein Rohr von beträchtlicher Länge, dessen Wandungen bis zum
Verschwinden der Höhle von den gespannten Bauchdecken zusammen-
gepresst werden, bietet er ein ganz anderes Verhältniss zwischen Bin-
nenraum und Wandungsfläche, als der Magen. — Die Anheftung durch
das Peritonäum zwingt das Ileum und Jejunum in Schlingen zu hängen,
die wechselnd auf- und absteigen können; das festgeheftete Duodenum
wechselt seinen Ort niemals zu Gunsten der Gallen- und Pankreasgänge,
welche seine Wand schräg durchbohren. — Die Falten der Schleimhaut
des Jejunum sind so gelegt, dass sie das Gleiten des Inhaltes in der
Richtung von oben nach unten erlauben, während sie durch einen Stoss
im umgekehrten Sinne aufgestellt werden.
Die Längs- und Quermuskeln, welche den Darm verkürzen und ver-
engern können, zeigen sehr eigenthümliche Bewegungserscheinungen. Am
lebenden oder eben getödteten Thiere, dessen Unterleibshöhle man er-
öffnet hat, gewahrt man drei besondere Arten derselben. — 1) Die Dünn-
därme liegen im Ganzen vollkommen ruhig, nur hin und wieder zeigt
sich eine Einschnürung mit gleichzeitiger Verkürzung eines Darmstückes,
welches längere Zeit unverändert in seiner veränderten Gestalt verharrt. —
2) Ein beschränktes Darmstück verengert und verkürzt sich; diese Zu-
sammenziehung der Quer- oder Längsmuskeln löst sich und beginnt
nach kürzerer Zeit von Neuem, so dass ein wogendes und pendelndes
Hin und Wieder der Bewegung zu Stande kommt. — 3) In dem Darme
schreitet eine Bewegung peristaltisch (von oben nach unten) oder anti-
peristaltisch (von unten nach oben) weiter, so dass von zwei unmittel-
bar aneinander grenzenden Abschnitten des Darmes das eine in Zusam-
menziehung geräth, während das andere im Begriff ist, in Erschlaffung
überzugehen. — Es lassen sich weder Kennzeichen, noch Gründe ange-
ben, wann und warum der eine oder der andere Modus der Bewegung
eintritt. Allerdings hat es aber den Anschein, als ob zur peristaltischen
und pendelnden Bewegung ein höherer Grad von Erregbarkeit gehöre,
da kurze Zeit vor dem Absterben der Beweglichkeit überhaupt nur noch
[398]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Dünndarm.
die lokale Contraktur erzielt werden kann. Dazu ist es nun auch noch
zweifelhaft, ob der Darm innerhalb des unverletzten, in den gewöhn-
lichen Lebensbedingungen stehenden Thieres die gleichen Vorkomm-
nisse darbietet, da die Mittel zur Beobachtung in diesem Falle sehr
beschränkt sind. Das Wenige, was wir wissen, ist entweder gefunden
bei Menschen, die so dünnwandige Bauchdecken besassen (Betz)*),
dass das Spiel der Darmbewegung durch sie hindurch sichtbar war, oder
sie sind gewonnen an Thieren, denen man Darmfisteln anlegte, durch
die in die Darmhöhle ein Bleidraht eingeführt wurde, an dem eine
Wachskugel aufgesteckt war (Schwarzenberg)**). Aus der Fortbe-
wegung dieser letzteren konnte man mit Sicherheit schliessen, dass pe-
ristaltische Bewegung auch dem lebenden Thiere eigenthümlich sei.
Diese sind aber keineswegs zu allen Zeiten des Tages, wie etwa die
Herzbewegungen, sondern nur zu gewissen Epochen vorhanden. Ist
aber einmal eine solche Periode eingetreten, so folgen sich kurz hinter-
einander eine grosse Zahl von solchen peristaltischen Gängen. Zu die-
ser Zeit lassen sich auch durch Einsprützungen von Wasser in den
Darm, oder durch mechanisches Bestreichen der inneren Darmfläche die
Pausen, welche zwischen zwei peristaltischen Bewegungen liegen, be-
trächtlich verkürzen und die Intensität der einzelnen Bewegungen stei-
gern. Die Bedingungen für den Eintritt einer solchen Bewegungsreihe
sind uns ebenfalls unbekannt. Mehrere Stunden nach eingenommener
Mahlzeit fehlen sie selten, doch sind sie auch nach längerer Nahrungs-
entziehung beobachtet, ja es scheint sogar, als ob sie bei einem hun-
gernden Thiere öfter als bei wohlgenährten wiederkehrten. — Bemer-
kenswerther Weise gewahrte man niemals den antiperistaltischen Modus;
daraus darf man aber nicht schliessen, dass er dem unverletzten Thiere
fehlte; im Gegentheil, es deutet die Erfahrung, dass zuweilen Koth, wie
er sich nur im Dickdarme gebildet haben kann, im Magen angetroffen
und auch wohl erbrochen wird, darauf hin, dass auch rücklaufende Wel-
len zu Stande kommen. — Ueber die Stellung dieser Muskeln und ihre
combinirten Bewegungen zum Nervensysteme lässt sich nichts Befriedi-
gendes sagen; zuweilen gelingt es durch Erregung des Grenzstranges in
der Brusthöhle, oder des ggl. coeliacum, oder der von ihm ausgehenden
Nervenfäden, den Dünndarm zu bewegen, ein andermal nicht. — Die
einfache oder combinirte Bewegung kann von den Nervenstücken, die
jenseits der Grenzen des Darmes liegen, unabhängig eintreten; gerade
wie das ausgeschnittene Herz, so bewegt sich auch oft ein ausgeschnit-
tenes Darmstück von beliebiger Länge. — Der nerv. splanchnicus scheint
sich zum Darme nicht zu verhalten wie der n. vagus zum Herzen, denn
wenn man ihn am lebenden Thiere durchschneidet, so steigert sich die
[399]Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Dickdarm.
Darmbewegung nicht (Haffter)*). Auf welchem Wege die leidenschaft-
liche Erregung des Gehirns Einfluss auf die Darmbewegung gewinnt, ist
unklar.
Ueber die erregenden Wirkungen des Blutlaufes auf die Darmmuskeln siehe
Schiff und Betz.
4. Dickdarm.
Das Verhältniss zwischen Wandausdehnung und Binnenraum stellt
ihn in die Mitte zwischen Magen und Dünndarm. Die auf- und abstei-
gende Richtung seiner Höhle, welche durch die Bauchfellanheftung un-
verrückt erhalten wird, bedingt nothwendig die Scheidung des flüssigen
und festen vom gasförmigen Inhalte, indem der letztere ebensowohl
vom Coecum als vom Rectum gegen den Quergrimmdarm emporsteigen
wird. Die Massen, welche einmal aus dem dünnen in den dicken Darm
getreten sind, werden durch das häutige Ventil zwischen beiden, die Val-
vula Bauhini, verhindert, nach dem Ileum zurückzukehren, da dasselbe
die weitere Mündung seines trichterförmigen Hohlraumes gegen diesen
letzteren Darm kehrt. Die Last des Kothes ruht im Beginn des Dick-
darmes nicht auf dieser Klappe, sondern auf dem Coecum, weil sie be-
kanntlich wie die Mündung des Dünndarmes selbst an der Seitenwand
des Colon angebracht ist. Der im Colon ascendens aufsteigende Koth
findet in den seitlichen Buchten (den haustra) Ruhepunkte, wenn die ihn
emportreibende Bewegung nachlässt. Aus diesen muss er wegen ihrer
spiraligen Anordnung bei wieder beginnender Bewegung nach oben
gehen. Der Inhalt des absteigenden Grimmdarmes wird aus demselben
Grunde nicht unmittelbar nach unten sinken. Ist er aber einmal im
Mastdarme angelangt, so drückt er nicht unmittelbar gegen die Oeffnung
desselben, sondern er lastet, so lange er oberhalb der Blase steht, auf
dieser, und ist er hinter sie gelangt, auf der plica transversalis recti und
der Ausbiegung des Kreutzbeines, so dass er selbst durch den geöffneten
After (nach Durchschneidung oder Lähmung der Sphinktern) vermittelst
der Schwere nicht ausgedrückt wird (Kohlrausch)**).
Auf die Bewegungen des Dickdarmes findet das beim Dünndarme
Gesagte seine volle Anwendung. Der verbreiteten Annahme, dass der sphinc-
ter ani durch seinen stetigen Schluss den Austritt des Kothes hemme,
steht die schon angeführte Wahrnehmung des gleichen Verhaltens bei
gelähmtem Afterschliesser entgegen; aber auch in vollkommen beweg-
lichem Zustande ist der Anus nicht immer gesperrt, wie man bei Tou-
chiren desselben leicht wahrnimmt. Von der Haut des Aftereinganges
kann dagegen sehr leicht eine reflektorische Bewegung eingeleitet werden.
Auffallend bleibt der lange Zeitraum, welchen der Koth zu seinem Durch-
gange durch das Colon bedarf.
[400]Bauchpresse.
5. Bauchpresse.
Der Darminhalt steht endlich noch unter dem Einflusse der ihn
drückenden Bauchmuskeln und der Widerhalt leistenden Bauchknochen.
Zwei Bauchmuskeln, das Zwerchfell und der quere Bauchmuskel, sind so
aufgespannt, dass sie bei ihrer Verkürzung die Baucheingeweide unter
einen allseitigen Druck versetzen, ohne dass sie eine besondere Richtung
desselben bevorzugten.
Dieses wird ohne Weite-
res aus Fig. 69 verständ-
lich, welche in einem sche-
matischen Körper-Durch-
schnitte die Faserrichtung
des Zwerchfelles (z z) und
des m. transversus (t t)
wiedergiebt. — Neben die-
sen beiden Muskeln tragen
aber wesentlich zur Bil-
dung der Bauchwand die
Obliqui bei. Der äussere
oder absteigende (d d) in
Fig. 70 giebt, seinem Faser-
verlaufe entsprechend, den
Eingeweiden neben einem
Drucke gegen die Wirbel-
säule auch noch einen sol-
chen gegen das Zwerchfell;
der innere oder aufstei-
gende (a a) muss dagegen
bei seiner Verkürzung den
Bauchinhalt nach unten
ziehen.
In Folge der aufgezählten Pressungen kann nun 1) der Inhalt der
Gedärme weiter bewegt werden; dieses geschieht namentlich bei dem
Auf- und Abgange des Zwerchfelles, wie die Versuche an Thieren, denen
Darmfisteln angelegt wurden, lehren, indem sich ein Draht, der in das-
selbe gesteckt wird, bei jeder Einathmung nach aussen und während jeder
Ausathmung nach innen bewegt. Da diese Bewegungen während der ver-
schiedenen Akte in umgekehrter Richtung gehen, so heben sie sich im
Enderfolg mehr oder weniger auf. Sie sind dagegen insofern bedeutungs-
voll, als sie den flüssigen Inhalt von den verschiedensten Seiten her gegen
die Darmwand und deren Falten anstossen. — 2) Pressungen werden
sehr hilfreich und vielleicht entscheidend sein für die Entleerung der Stoffe
[401]Erbrechen und Kothen.
aus den beiden natürlichen Mündungen des Darmkanales, der Mundhöhle
und dem After, dem Erbrechen und Kothen.
a. Erbrechen. Das Auswerfen des festen oder flüssigen Magen-
inhaltes durch die Cardia und den Schlund in die Mundhöhle kann un-
zweifelhaft besorgt werden durch jeden heftigen und insbesondere durch
jeden allseitigen Druck auf die Bauchhöhle, vorausgesetzt, dass der Magen-
mund und der Schlund offen stehen. Dafür bürgt nicht allein der gerad-
linige Verlauf des Schlundes, sondern es ist der empirische Beweis da-
durch gegeben, dass man den gefüllten Magen einer Leiche durch einen
heftigen Druck auf die Bauchhöhle sogleich entleeren kann. Darum wird
also, wenn der Cardialsphincter erschlafft ist, während das Diaphragma,
mm. transversus und oblique descendens sich zusammenziehen, Erbrechen
statt finden können. So wenig über diesen Punkt gestritten werden kann,
so schwierig ist es, zu entscheiden, ob auch während des Lebens das
Erbrechen nur unter den bezeichneten Umständen sich ereignet, oder
ob nicht noch gleichzeitig eine Zusammenziehung des Magens hinzutritt.
Die Schwierigkeit liegt einmal darin, dass ein Thier sich noch erbrechen
kann, wenn auch die Bauchhöhle desselben eröffnet wurde, ja wenn der
Magen desselben aus der Bauchwunde hervorgezogen wurde; zweitens
aber wird die Entscheidung dadurch erschwert, dass sich während des
Erbrechens die Bauchmuskeln jedesmal kräftig zusammenziehen. Eine
Besprechung der Literatur und der in Betracht kommenden Fragen findet
man bei Rühle*). Die Muskeln der Speiseröhre bleiben während
des Erbrechens erschlafft, insbesondere aber zeigt sich keine antiperi-
staltische Bewegung (Wild), die man früher allgemein annahm.
Ueber die Betheiligung der Nerven an der Brechbewegung ist nur
bekannt, dass sie reflektorisch eingeleitet werden kann durch Erregung
einiger noch nicht genauer bestimmten Abtheilungen des Schlundes, durch
Bestreichen der Cardialschleimhaut und einen starken Druck auf die Peri-
tonalfläche des Magens. — Starke Gemüthsbewegungen, Ekelvorstellungen
u. s. w. leiten ebenfalls das Erbrechen ein.
b. Das Kothen. Durch die Bauchpresse kann der Koth nur dann
aus dem Mastdarme entleert werden, wenn er die Darmhöhle vom S roma-
num an bis zum Mastdarme hin füllt. Enthielte nur das erstere Darmstück
Koth, so würde der Druck ihn nicht weiter fördern, weil derselbe die
Schlingen jenes vom Mastdarm absperren würde, und zwar entweder da-
durch, dass ihre Wände gegen einander oder gegen die Bauchwand gepresst
würden. Ist aber nur im Mastdarm Koth enthalten, so wirkt der Druck
nicht mehr auf ihn, denn das Rectum liegt ja grösstentheils ausserhalb
der Bauchhöhle. Von der Richtigkeit der letzteren Behauptung kann man
sich jeden Augenblick überzeugen, wenn man einen beliebigen Gegenstand
Ludwig, Physiologie. II. 26
[402]Chemische Arbeit der Verdauungswerkzeuge.
in das untere Ende des Mastdarmes einführt, so dass er noch aus der
Aftermündung theilweise hervorsteht; er wird durch noch so heftiges
Drängen nicht aus dem After befördert. — Darum ist auch in der That
das Kothen der Bauchpresse nicht allein überlassen; insbesondere ist
eine thätige Mitwirkung der peristaltischen Bewegung des ganzen abstei-
genden Dickdarmes und dem levator ani (dem Afteröffner) zugestanden.
Wahrscheinlich betheiligen sich auch m. coccygeus und transversus perinaei
prof. an dem Akte, welche hinten und vorne dem andrängenden Kothe
einen Widerhalt entgegenstellen. Siehe Kohlrausch am angezogenen Orte.
Chemische Arbeit der Verdauungssäfte.
Eine chemische Untersuchung der Umwandelungen, welche die Speisen
während ihres Aufenthaltes im Darmkanale erfahren, muss zu ermitteln
suchen: a) Den Unterschied, welcher zwischen der Zahl und Anordnung
der Atome in den veränderten und unveränderten Nahrungsstoffen besteht.
Die Zahl der Atome hat die Elementaranalyse festzustellen; die Anordnung
ist darum zu berücksichtigen, weil die Verdauungssäfte meist weniger
die Zusammensetzung als die Löslichkeit, die Verwandtschaften und die
Spaltbarkeit der einfachen Nahrungsstoffe ändern. — b) Es ist der Ein-
fluss festzustellen, den jeder einzelne Drüsensaft auf jeden einzelnen
Nahrungsstoff ausübt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jeder Drüsen-
saft von veränderlicher Zusammensetzung ist, es müssen also die ver-
schiedenen Modifikationen eines und desselben Saftes zur Prüfung
kommen; da ferner jeder Saft ein Gemenge verschiedener chemischer
Stoffe ist, so muss der Versuch gemacht werden, zu ermitteln, wie sich
jeder einzelne Bestandtheil desselben an einer durch den Gesammtsaft
eingeleiteten Veränderung betheiligt; ferner erzeugt zuweilen ein Saft an
einem und demselben Nahrungsstoff mehrere Umwandlungen, es ist also
festzustellen die Reihenfolge, in der die betreffenden Umformungen ge-
schehen, und in wie fern dieselben bedingt sind von dem Aggregatzu-
stande und den isomeren Modifikationen, in denen das Nahrungsmittel der
Einwirkung des Saftes ausgesetzt wird. Alle diese Beziehungen müssen natür-
lich nach ihrem Umfange und nach ihrer Geschwindigkeit bestimmt werden,
mit anderen Worten in welcher Zeit und in welcher Menge der Nahrungs-
stoff durch die Gewichtseinheit des Saftes von bekannter Zusammensetzung
umgeändert wird. — c) Darauf würde zu erledigen sein, welche Ver-
änderungen ein Nahrungsmittel erfährt, wenn es der Reihe nach mit den
verschiedenen in Betracht kommenden Säften behandelt wird, oder aber
wenn die natürlich vorkommenden Combinationen der Verdauungsflüssig-
keiten gleichzeitig auf dasselbe wirken. — d) Endlich müssten mit verschie-
denen quantitativ genau bestimmten Mengen einfacher Nahrungsmittel (den
Speisen) dieselben Versuche vorgenommen werden, welche für jeden einzel-
nen Nahrungsstoff vorgeschrieben wurden. In allen Fällen würde angegeben
[403]Chemische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Speichel.
werden müssen, ob und welche Verwandelungen die Bestandtheile der
Verdauungssäfte selbst erfahren bei dem Einflusse, den sie auf die Nah-
rungsmittel üben.
Nach Beendigung dieser Vorversuche würde man dazu übergehen
können, die Veränderungen zu studiren, welche die Nahrungsstoffe in den
einzelnen Abtheilungen des Darmkanales selbst erfahren, und die Gründe
für die Abweichungen und Uebereinstimmungen zwischen natürlicher und
künstlicher Verdauung aufzusuchen.
Dieses casuistische Verfahren findet, wie begreiflich, seine volle Recht-
fertigung darin, dass uns eine chemische Theorie im wahren Wortsinne
abgeht; die Reihe von Versuchen, welche der angegebene Gang vorschreibt,
ist allerdings ungemein gross und jeder einzelne meist mühsam, aber
dennoch ist, wie die Geschichte der Wissenschaft lehrt, der vorgezeich-
nete Weg der kürzeste. Wir gehen nun dazu über, die bis dahin bekannt
gewordenen Beobachtungen aufzuzählen.
1. Speichel*).
Der Speichel der gl. parotis, gl. submaxillaris,
gl. sublingualis und der Mundwanddrüsen kommt darin überein, dass
jeder derselben sich als ein dem Wasser analoges Lösungsmittel verhält,
dass ein jeder derselben im frischen Zustande angewendet sich indifferent
verhält gegen unlösliche Eiweissstoffe und gegen Fette, und endlich dass
ein jeder im Verlaufe von einer bis zu mehreren Stunden geringe Mengen
gekochter Stärke in Traubenzucker umzuwandeln vermag (Leuchs,
Frerichs).
Um jede einzelne Speichelart gesondert von den übrigen zu gewinnen, fing man
den Saft aus den durchschnittenen Gängen auf; den Speichel aus den Drüsen in der
Mundwandung gewinnt man gesondert, nachdem man die Ausführungsgänge der Paroti-
den und Submaxillaren unterbunden hatte. Statt dieses Verfahrens bedient man sich
auch eines wässerigen Auszuges der einzelnen Drüsen oder der drüsenhaltigen Mund-
schleimhaut. — Die Vermischung des Speichels mit Amylon geschah ausserhalb der
Mundhöhle entweder bei der gewöhnlichen Zimmer- oder bei der normalen Körper-
wärme. — Zur Prüfung auf die Umwandelung des Amylons bediente man sich ent-
weder der Trommer’schen Zuckerprobe oder der bekannten Reaktion des Jods auf
Amylon; diese letztere giebt namentlich Aufschluss, ob alle Stärke in Dextrin oder
Zucker verwandelt ist, indem in diesem Falle die blaue Färbung vollkommen ausbleibt.
Die Gemenge der verschiedenen Speichelarten verhalten sich den
Fetten und Eiweissstoffen gegenüber wie jeder einzelne für sich; anders
aber stellen sie sich zu dem Amylon. — Ein Gemenge von Ohr- und
Unterkieferspeichel (Cl. Bernard) wandelt den Kleister sehr allmählig
um; eine Mischung aus Ohr- und Mundwandungsspeichel verändert
denselben zuweilen rasch (Jacubowitsch), zuweilen aber auch nur sehr
langsam (Bidder, Schmidt), während endlich ein Gemenge von Mund-
26*
[404]Verdauung durch den Speichel.
wandungs- und Unterkieferspeichel schon nach wenigen Minuten eine
Umwandelung des Kleisters in Dextrin und von da aus in Traubenzucker
herbeiführt; bei einer dauernden Berührung beider Stoffe geht die Zucker-
gährung in die Milch- und Buttersäuregährung über.
Zur genaueren Bestimmung der Wirkung des gemischten Speichels
auf Amylon dienen noch folgende Angaben: a) Er greift nur das gekochte
nicht aber das rohe Stärkemehl an (Frerichs, Schröder), die dem
Amylon verwandten Stoffe, Rohrzucker, Gummi, Pektin, Cellulose, lässt er
unverändert (Frerichs). — b) Die Umwandelung des Kleisters geht noch
von statten, wenn der alkalische Speichel neutralisirt wurde; ebensowenig
wird sie gehemmt durch einen Zusatz von SO3, CIH, NO5, Essigsäure,
saurem Magensaft bis zur stark sauren Reaktion (Frerichs). Ein sehr
bedeutender Säureüberschuss stört dagegen die Umsetzung; aus diesem
Grunde ist die Umwandelung beendet, wenn in Folge der weiter gehen-
den Zersetzung bedeutendere Mengen des Zuckers zu Milchsäure um-
geformt sind; in diesem Falle beginnt aber die Zuckerbildung von Neuem,
wenn die Säure mit Natron gesättigt wird (Cl. Bernard). — c) Die
Stärkegährung wird nicht beeinträchtigt durch ein einmaliges Aufkochen
der Mischung, durch einen Alkoholzusatz, durch Beimengung von arseniger
Säure (Frerichs). — d) Das sog. Ptyalin (v. Lehmann) ist für sich
angewendet nicht im Stande, die Zuckerbildung hervorzurufen.
Da den Erfahrungen von Bidder und Schmidt zu Folge der ge-
mischte Speichel sehr rasch, schon nach wenigen Minuten, einen Kleister-
brei theilweise in Zucker umsetzt, da ferner im Munde immer gemeng-
ter Speichel vorhanden ist, so folgt daraus, dass der Aufenthalt in der
Mundhöhle, wie er z. B. zum Zerkauen des Brodes nothwendig ist, hin-
reicht, um die Zuckerbildung einzuleiten. Diese Folgerung ist von Leh-
mann und Schröder*) bestätigt worden, welche zwei Minuten nach
Einführung des Kleisters in den Mund Zucker auffanden. Rohes Stärke-
mehl wurde nicht umgewandelt.
2. Flüssigkeiten des Magens.
Diese bestehen, wie früher erwähnt, meist aus einem Gemenge von
Säften aus den Lab- und Schleimdrüsen des Magens und dem Speichel.
Obwohl die ersteren weder getrennt für sich noch gesondert vom Speichel
in einer zur chemischen Untersuchung hinreichenden Menge erhalten
werden können, so gelingt dieses doch behufs der Verdauungsversuche
mittelst eines Verfahrens, das wir Eberle verdanken.
Nach Eberle präparirt man zur Darstellung künstlichen Lab- und Schleimsaftes
ein Stück Magenschleimhaut, welches Lab- oder Schleimdrüsen enthält, heraus, wäscht
dasselbe sorgfältig mit Wasser ab und legt es dann in eine wässerige Lösung von
höchstens 1 pCt. Salzsäure. Die hiervon filtrirte Flüssigkeit ist der sog. künstliche
[405]Verdauung durch den Labsaft.
Magensaft. Die Darstellung desselben ist von Wassmann und Lehmann dahin
verändert worden, dass man entweder nur die ausgewaschene Magenschleimhaut ab-
schabte und die aus den Drüsenröhren gedrückten Säfte mit Säuren (Salz- oder Milch-
säure) versetzte, oder dass man den eiweissartigen Körper des künstlichen Magen-
saftes mit Bleisalzen fällte, durch HS das Blei abschied und dann erst mit verdünnter
Salzsäure mischte.
In der folgenden Besprechung kommt zuerst die künstliche und dann
die natürliche Magenverdauung an die Reihe.
Labdrüsensaft. Diese aus einer wässerigen Lösung von Pepsin,
Salz- oder Milchsäure und den gewöhnlichen Blutsalzen bestehende Flüs-
sigkeit lässt vollkommen unberührt die Fette und unlöslichen Kohlen-
hydrate, die hornigen und elastischen Substanzen. — In eine einfache
Lösung versetzt er die löslichen Kohlenhydrate, die Verbindungen alkali-
scher Basen mit fixen starken Säuren und die phosphorsauren Erdsalze. —
Unter Austreibung der Säuren zersetzt er Salze mit schwächern oder
flüchtigen Säuren. — Wesentlich endlich verändert er die löslichen und
unlöslichen Eiweiss- und Leimstoffe unserer Nahrung.
a. Die in Wasser unlöslichen Eiweiss- und Leimarten (geronnener
Käse und Faserstoff, gekochtes Eiweiss, Kleber, Pflanzenleim, Binde-
und Knorpelgewebe, Colla und Chondrin) löst er allmählig. Bei dieser
Auflösung bewahren die genannten Stoffe zwar ihre quantitative Zusammen-
setzung (J. Vogel, Mulder, Lehmann)*), verändern aber ihre ato-
mistische Anordnung und gehen eine Verbindung mit den Säuren ein.
Sie reagiren nemlich sauer, werden durch Neutralisation mit Alkalien
nicht gefällt, verlieren ihre Eigenschaft, zu gerinnen und zu gelatiniren,
und verhalten sich in ihren Verwandtschaftseigenschaften gegen Säuren
und Metallsalze wesentlich anders wie die Lösungen der genannten Stoffe
in verdünnten Säuren, Alkalien und Salpeter (Mialhe, Lehmann)**). —
Die Lösung resp. Umsetzung der genannten Stoffe kann vom Labsaft nur
zuwege gebracht werden: 1) So lange er freie Säure und namentlich
Salzsäure und Milchsäure in sehr bedeutender Verdünnung enthält. Von
anderen Säuren zeigen sich, so weit bekannt, nur Essig-, Schwefel- und
Phosphorsäure in starken Verdünnungen wirksam, während schwefelige
und arsenige Säure, in allen Verhältnissen zugesetzt, die Lösung nicht
herbeiführen. Indem die Lösung vor sich geht, werden die Säureantheile
des Saftes allmählig verbraucht, indem sie sich in einer noch nicht näher
bestimmten Weise verbinden mit den zur Auflösung gekommenen Stoffen.
Dieses geht daraus hervor, dass der Labsaft, nachdem er eine gewisse
Menge der bezeichneten Nahrungsstoffe aufgelöst hat, seine verdauende
Kraft einbüsst; sogleich empfängt er aber dieselbe wieder, wenn man
von Neuem einige Tropfen Säure zu ihm setzt. 2) Der Labsaft kann
[406]Verdauung durch den Labsaft.
ferner nur so lange die Eiweiss- und Leimstoffe auflösen, als er Pepsin
von den Eigenschaften enthält, die es im frischen Zustande darbietet. Diese
Bedingung wird aber aufgehoben durch die Anwesenheit von conzentrir-
ten Säuren, verdünnter Gerb-, schwefeliger, arseniger Säure, Metallsalzen,
Alaun, Kreosot, conzentrirten Lösungen der Metallsalze, conzentrirten Al-
kohol, durch einmaliges Kochen des Labsaftes und endlich, was physio-
logisch besonders bedeutungsvoll ist, dadurch, dass er zur Auflösung
relativ grosser Gewichtsmassen der bezeichneten Nahrungsstoffe mitgewirkt
hat. Rücksichtlich dieses letzteren Punktes steht zunächst fest, dass der
Labsaft im Verlaufe der Auflösung allmählig seine verdauenden Wirkungen
verliert, selbst wenn der Verlust an Säure fortlaufend wieder ersetzt wird.
Daraus schliesst man wohl mit Recht, dass das Pepsin, indem es die
fraglichen Nahrungsstoffe umwandelt, allmählig selbst umgesetzt wird.
Die Gewichtsmenge von Pepsin, welche hierbei verbraucht wird, ist aller-
dings gering; denn es war, wie Frerichs beobachtete, ein Labsaft mit
0,25 Gr. festem Rückstand, der ausser Pepsin auch noch sicherlich aus
Salzen bestand, vermögend, 20 Gr. trockenen Eiweisses in Lösung zu
versetzen. — 3) Der Labsaft wirkt weiterhin nur in bestimmten Tem-
peraturgrenzen kräftig verdauend; am kräftigsten bei der Normaltempera-
tur des menschlichen Körpers, also zwischen + 35° und 40° C. Ober-
halb der bezeichneten Grade büsst er sehr rasch seine umsetzenden Kräfte
ein. — 4) Die Salze des Labsaftes und die häufig vorkommenden Ver-
unreinigungen desselben durch Fette und lösliche Kohlenhydrate haben,
so weit bekannt, im verdünnten Zustande keinen Einfluss auf den Lösungs-
prozess (Lehmann).
Aus allen diesem zieht man den Schluss, dass der Auflösungs- und
Umsetzungsprozess der Eiweiss- und Leimstoffe eine Gährung eigenthüm-
licher Art sei, die als spezifisch charakteristirt ist durch die Gegenwart
des fermentirenden Pepsins, das seine Wirksamkeit in einer säuerlichen
Lösung entfaltet.
b. Das im Blutserum und den Hühnereiern gelöst enthaltene Eiweiss
wird bei Vermischung mit säuerlichem Labsafte getrübt; aus der Mischung
kann es einige Zeit nachher nicht mehr durch Siedehitze gefällt werden,
es soll zugleich leichter thierische Häute auf dem Wege der Diffusion
durchdringen (Mialhe)*).
c. Das gelöste Casein der Milch wird durch den Inhalt der Labdrüsen
gefällt; bei einer Temperatur, die 30 bis 40° nicht übersteigt, muss, damit
diese Reaktion eintritt, der Labsaft sauer sein; ein wohl ausgewaschenes
neutrales Stück Magenschleimhaut bringt darum die Milch in dieser Tempe-
ratur nicht eher zum Gerinnen, als bis durch die eingeleitete Gährung Milch-
säure erzeugt ist. In einer Temperatur zwischen 50 und 60° C. gerinnt
[407]Verdauung durch den Magenschleim und Magensaft.
durch die Magenschleimhaut auch die alkalisch reagirende Milch (Heintz,
Selmi) *).
Magenschleim. Neutral und angesäuert verhält er sich indiffe-
rent gegen Eiweiss und Leimstoffe (Wassmann, Goll). Wie er sich
gegen die übrigen Nahrungsmittel stellt, ist unbekannt.
Natürlicher Magensaft. Das Saftgemenge, wie es aus Magen-
fisteln beim Menschen und Thiere gewonnen werden kann, verändert
unter gar keinen Umständen: Fette, Gummi, Pektin, Cellulose, elasti-
sches und horniges Gewebe. Gegen andere einfache Nahrungsstoffe ver-
hält er sich je nach seinen Eigenschaften verschieden. — 1) Alkalisch
reagirender Magensaft, wie wir vermuthen, ein Gemenge aus viel Spei-
chel und wenig Labsaft, verhält sich dem Amylon und Zucker gegen-
über wie gemischter Speichel; die ungekochte Stärke greift er nicht an,
die gekochte verwandelt er in Zucker und diesen (Rohr-, Trauben-,
Milchzucker) in Milchsäure. — Ueber seinen Einfluss auf die festen
Eiweissstoffe widersprechen sich die Erfahrungen. Nach Bidder und
Schmidt**) verhält sich der neutrale oder alkalische Magensaft des
Hundes, vorausgesetzt, dass er als solcher aus dem Magen genommen
wurde, gleichgiltig gegen dieselben; nach Versuchen von Schröder***)
mit menschlichem Magensafte ist dagegen die alkalische Reaktion durch-
aus nicht hinderlich der Umsetzung des gekochten Hühnereiweisses und
Fleisches. Das Resultat an Hunden ist, wie man sieht, in Ueberein-
stimmung, das am Menschen im Widerspruch mit den Beobachtungen
über den künstlichen Labsaft. — 2) Der sauer reagirende Magensaft, ein
Gemenge, in welchem der Labsaft überwiegt, ist um so weniger geeignet,
gekochtes Amylon und Zucker umzuwandeln, je relativ weniger Speichel
er enthält; in saurem Magensaft geht also die bezeichnete Umwandlung
langsam und in recht saurem so gut wie gar nicht mehr vor sich.
Stumpft man die Säure ab, so gewinnt er dagegen wieder die Fähig-
keit, Zucker in Milchsäure überzuführen (Frerichs). Gerade umge-
kehrt verhält er sich nun gegen Eiweissstoffe. Die Versuche von Bid-
der und Schmidt an Hunden und von Schröder am Menschen ge-
ben übereinstimmend an, dass im Allgemeinen ein saurer Magensaft um
so reichlicher gekochtes Eiweiss und Fleisch auflöst, je mehr er Kali
zu seiner Sättigung bedarf, mit anderen Worten, um so saurer er ist.
Wird die Säure abgestumpft, so büsst er sein Vermögen, auflösend auf
Eiweissstoffe zu wirken, ein.
Hundert Theile natürlichen Magensaftes vom Hunde waren im Stande,
höchstens 4,0 Theile (Schmidt und Bidder), 100 Theile des sauren
[408]Natürliche Magenverdauung.
menschlichen Magensaftes höchstens 0,4 Theile (Schröder) trockenen
Eiweisses zu lösen.
Bidder und Schmidt stellten ihre quantitativen Verdauungsversuche in der
Weise an, dass sie durchfeuchtete Eiweiss- und Fleischstücke von bekanntem Ge-
halte an festem Rückstand bei einer Temperatur von 40°C. so lange mit verschiede-
nen Proben bekannter Gewichtsmengen von Magensaft in Berührung liessen, als die-
ser noch irgend etwas aus ihnen zu lösen vermochte. Darauf wurde der ungelöst
gebliebene Antheil filtrirt und getrocknet. Man erhielt damit das Gewicht des Auf-
gelösten. Den Säuregehalt bestimmten sie aus der Menge von Kali, welche nothwen-
dig war, um den Saft vollkommen zu neutralisiren. Wenn die freie Säure, wie beim
Hunde, nur aus Chlorwasserstoff besteht, so ergiebt sich allerdings die Menge dieser
letzteren, wenn aber, wie beim Menschen, die freien Säuren aus verschiedenen ge-
mengt sind, so genügt natürlich dieses Verfahren nicht (Schröder). Zu den oben
zusammengestellten Thatsachen muss wiederholt bemerkt werden, dass selbst der
Magensaft des Hundes sich nicht in direktem Verhältnisse eiweissauflösend erweist,
in welchem er Kali zu seiner Neutralisation bedarf.
Natürliche Magenverdauung. Die Verdauungsresultate der
Nahrungsmittel im lebenden Magen (des Hundes oder Menschen) bestä-
tigen meistens die der künstlichen Verdauung. So ist es z. B. erklär-
lich, dass der Magen nach dem Genusse gekochten Amylons bald Zucker
enthält (Frerichs, Lehmann, Bouchardat, Sandras u. A.), bald
auch, dass er ihm fehlt (Blondlot, Schmidt u. A.), weil je nach
dem Ueberwiegen des Labsaftes oder Speichels die Umwandlung der
Stärke geschehen oder unterbleiben muss. Aehnlich verhält es sich mit
der Umwandlung des Trauben- und Rohrzuckers in Milchsäure, welche
zuweilen beobachtet (Frerichs, Lehmann, Bouchardat), zuweilen
vermisst ist (Frerichs, Schmidt); allerdings scheint das letztere
häufiger zu sein, wie erklärlich, weil schon eine geringe Beimengung von
Labsaft dem Speichel das umwandelnde Vermögen zu entziehen ver-
mag. — Sehr merkwürdig, aus den vorliegenden künstlichen Verdauungs-
versuchen vollkommen unverständlich, sind die Beobachtungen von Fre-
richs*) und Schmidt, wonach zuweilen Buttersäure-, zuweilen auch
schleimige und Alkoholgährung im Magen vorkommen kann; das Auf-
treten der beiden letzteren war aber auch immer mit Krankheitszustän-
den verknüpft. — Eiweissstoffe und insbesondere gekochtes Hühnereiweiss
werden im Magen rascher aufgelöst, als ausserhalb; dieses lässt sich ab-
leiten aus mancherlei Gründen, z. B. aus der stetigen Erneuerung des
Magensaftes, aus der Entfernung der mit dem umgewandelten Eiweiss
geschwängerten Lösung durch den Pylorus, dem Umrühren des Magen-
inhaltes in Folge einer Bewegung der Wandung u. s. w. Die Beobach-
tungen hierüber, welche von Bidder und Schmidt am Hunde, von
Schröder am Menschen angestellt sind, lehren auch, dass Eiweiss-
stücke, die in einen Magen gelegt werden, der vor 12 bis 20 Stunden
[409]Natürliche Magenverdauung.
die letzte Mahlzeit aufgenommen hatte, in den ersten 2 Stunden ihres
Aufenthaltes weit mehr an Gewicht verlieren, als in den 2 darauf fol-
genden Stunden, und in diesen wieder mehr als in 2 auf diese kommen-
den. Daraus folgt, dass in einem Magen, der einige Zeit geruht hat,
die zur Verdauung des Eiweisses nöthigen Bedingungen am mächtigsten
wirken. Die Frage, ob das flüssige Eiweiss im Magen eine Umwandlung
analog derjenigen erfahre, welche die künstliche Verdauung an ihm her-
vorbringt, oder ob es, bevor dieses geschehen, aus demselben entfernt
werde, würde sich entscheiden lassen, wenn eine quantitative Analyse
des Magen- und Darminhaltes möglich wäre. Als feststehend ist anzu-
sehen, dass mindestens ein Theil desselben den Magen unverändert durch-
wandert, indem im Duodenum gerinnbares Eiweiss nach dem Genusse
desselben angetroffen wird.
Ueber die Veränderungen, welche die gemischten Nahrungsstoffe
(Speisen) im lebenden Magen erfahren, besitzen wir zuverlässige Beob-
achtungen nur von Frerichs und Schröder. Das Thatsächliche ih-
rer Untersuchungen ist kurz folgendes: Aus der in den Magen gebrach-
ten Milch gerinnt rasch der Käsestoff, darauf verlässt das Milchserum,
ob durch die Wandung oder den Pylorus ist ungewiss, die Magenhöhle,
so dass ein aus Käsestoff und Fett bestehender Klumpen zurückbleibt,
der allmählig von der den Magenwänden zugekehrten Fläche gegen sein
Centrum hin verändert wird. Eine genauere Untersuchung der verän-
derten Massen lässt erkennen, dass die Wände der Milchkügelchen auf-
gelöst werden, während das Fett des Inhaltes zu grösseren Tropfen zu-
sammenfliesst, ohne dass es eine chemische Veränderung erfährt. Die
Kalksalze der Milch lösen sich auf. — Das Muskelfleisch zerfällt
nach Auflösung des Bindegewebes in die einzelnen Muskelröhren; die-
selben zerbröckeln sich dann in kurze Stückchen, deren Länge unge-
fähr dem Abstande zweier benachbarter Querstreifen entspricht, so dass
die Bruchflächen durch die Querstreifung bestimmt zu sein scheinen.
Diese Stückchen werden allmählig aufgelöst, jedoch niemals vollkommen,
selbst wenn man sie durch eine Hülle, durch welche sie eingeschlossen
werden, zwingt, möglichst lange in dem Magen zu verweilen. Die aus dem
Muskel hervorgehende Lösung zeigt zuweilen die Eigenschaft, durch die
Hitze zu gerinnen, zuweilen aber fehlt auch dieselbe. Kalbfleisch löst
sich rascher, als Ochsenfleisch (Schröder). Gekochtes oder gebratenes
Fleisch erfährt die bezeichnete Umwandlung rascher, als rohes; nach
Frerichs darum, weil der Magensaft leichter in die Zwischenräume
eindringen kann. Diesem entgegen beobachtete Schröder, dass im
menschlichen Magensafte ausserhalb des Magens das rohe Fleisch rascher
aufgelöst werde. — Die Kalksalze lösen sich auf und werden zum Theil
aus ihrer Verbindung mit den Eiweisskörpern getrennt, wie sich daraus
ergiebt, dass sie durch Neutralisation der sauren Lösung gefällt wer-
[410]Verdaulichkeit der Speisen im Magen.
den. — Aus den Knochen wird die leimgebende Substanz aufgelöst,
während der grösste Theil der Kalksalze als eine krümelige Masse un-
gelöst bleibt; ihr Verhalten im Magensafte gleicht also durchaus nicht
dem in einer verdünnten Säure. — Das Amylon des Brodes wird in
Dextrin und Zucker umgesetzt, wenn aber, wie häufig, das Brod nicht
ausgebacken ist, so dass es noch rohe, von der Hitze nicht alterirte
Amylonkörner enthält, so werden diese von dem Magen nicht angegrif-
fen; die Eiweissstoffe des Brodes lösen sich. — Hülsenfrüchte und
Kartoffeln erfahren dieselbe Umwandelung, aber langsamer und meist
auch unvollkommener, weil die holzige Zellenmembran, welche das Amy-
lon und die Eiweissstoffe umschliesst, dem Eindringen der auflösenden
Säfte einen Widerstand entgegensetzt. Die das Amylon der Kartoffeln
umschliessende Zellhaut findet sich häufig, trotzdem dass ihr Inhalt ver-
schwunden ist, noch unverletzt. Da die Kartoffeln vorzugsweise häufig
Stärke enthalten, welche nicht in den aufgequollenen Zustand versetzt
ist, so findet sich oft Tage nach dem letzten Genusse dieser Speise
noch unveränderte Stärke im Magen des Menschen.
Von der Verdaulichkeit der Speisen im Magen. Berück-
sichtigt man bei der Frage nicht die Zeit, sondern nur überhaupt,
ob eine oder die andere Speise im Magen gelöst werden könne, so be-
antwortet sie sich aus dem Vorstehenden von selbst. Wollte man aber
feststellen, welche Gewichtsmengen dieser oder jener Speise in der
Zeiteinheit aufgelöst werden, so würde man offenbar angeben müssen:
die chemische Zusammensetzung, den Aggregatzustand, die Vertheilung
und Mengung der Speisen mit anderen unverdaulichen Stoffen; ferner
den jeweiligen Gehalt des Magensaftes an Speichel, Pepsin, Säure, Was-
ser u. s. w., die Geschwindigkeit der Absonderung, den Wechsel der
Zusammensetzung der Säfte mit der Absonderungszeit und vielleicht noch
manches Andere. Demnach lässt sich über die gestellte Frage nicht
allein für jetzt gar nichts aussagen, sondern es fällt dieselbe demnächst
auch gar nicht in den Bereich des vernünftigen Experimentes, da man
die geforderte Bedingung zur Erzielung der Vergleichbarkeit weder con-
stant, noch messbar variabel machen kann.
Missbräuchlich hat man aber auch unter Verdaulichkeit die Aufent-
haltszeit der Speisen im Magen verstanden, welche in gar keiner Beziehung
zur Auflöslichkeit zu stehen braucht, da ja auch vollkommen unverdauliche
den Magen verlassen. In diesem Sinne nimmt die Verdaulichkeit nur
Rücksicht auf den Druck, unter dem die Speisen in dem Magen liegen,
und den Widerstand des Pförtners. Die Mittheilungen, die über die Ver-
daulichkeit in diesem Sinne gemacht worden, sind bei Frerichs*) nach-
zusehen, welcher sie zuerst auf ihren wahren Werth zurückgeführt hat.
[411]Chymus des Magens.
Der Chymus oder der Speisebrei, welcher durch den Pfört-
ner den Magen verlässt, verdient schliesslich noch einige Aufmerk-
samkeit. Unter Voraussetzung einer Nahrung aus gekochten Mehl-,
Eiweiss- und Leimarten, Fetten, Blutsalzen und Wasser, gemengt mit
Holzfaser, Horn- und elastischen Stoffen, Kieselsäure u. s. w., wird
der Chymus einen Brei darstellen, der bald mehr, bald weniger Flüs-
sigkeit enthält; die Menge dieser letzteren wird sich ändern mit dem
Gehalte der Speise an Wasser, dem Ergusse von Verdauungssäften in
den Magen und der Löslichkeit der Nahrungsstoffe in den Magensäften.
Hier muss jedoch schon angemerkt werden, dass nicht die ganze Menge
von Flüssigkeit, welche in den Magen geliefert wurde, diesen letzteren auch
wieder durch den Pförtner verlässt, indem in die Venen- und Lymph-
gefässe desselben sogleich ein Theil jener Flüssigkeit eintritt. Die un-
aufgelösten Bestandtheile des Breies werden ihrer Grösse nach variiren
mit der Zerkleinerung, welche die festen Nahrungsmittel durch die Zähne
erfahren haben, mit dem Vermögen der Magensäfte die Speisen anzu-
fressen, und dem Widerstande, den der Pförtner bei gegebenen Bewe-
gungen der Magenmuskeln zu leisten vermag. — Die Zusammensetzung
der Chymusflüssigkeit wird sich immer charakterisiren durch ihren Ge-
halt an Säuren und je nach den genossenen Nahrungsmitteln an Zucker,
Dextrin, Eiweissstoffen, Leim und Fetten; die ungelösten Stoffe werden
dagegen bestehen zum Theil aus ganz unlöslichen Bestandtheilen, Holzfa-
sern, Epithelialschuppen, elastischen Geweben, Kieselsäure, Kalkerde
u. s. w., zum Theil auch aus löslichen, aber noch nicht gelösten Speise-
resten, insbesondere aus Fleisch und Eiweiss, Bindegewebsstückchen und
aus Amylon und Krümeln von Kalksalzen. Daraus geht hervor, welche
mannigfaltige Gestaltung dem Chymus zukommen kann.
3. Flüssigkeiten des Dünndarmes.
Künstliche Dünndarmverdauung. a. Die reine Galle
ist kaum schon einmal auf ihr Verhalten gegen die Speisen geprüft wor-
den. Lehmann merkt an, dass sich der in ihr gelöste Zucker nicht
verändere.
b. Die Blasengalle (Galle und Schleim) setzt den Zucker unter
den Erscheinungen der Fäulniss sehr allmählig in Milchsäure um (Meckel,
Schiel); Fettsäuren löst sie in geringer Menge, während sie die neu-
tralen Fette unverändert lässt. Eine Einwirkung auf die anderen Speisen
ist nicht beobachtet.
c. Ein reichlicher Zusatz von Galle zu dem Magensafte raubt
diesem die Befähigung, geronnene Eiweisskörper aufzulösen; geschieht
die Beimischung nach vollendeter Auflösung, z. B. zu der durch Fil-
tration von dem Chymus geschiedenen Flüssigkeit, so wird die Fäul-
niss, welche sonst leicht in der Flüssigkeit eintritt, gehemmt (H. Hoff-
[412]Verdauung durch die Dünndarmsäfte.
mann). Die Galle soll in diesem Falle nach den Angaben von Sche-
rer und Frerichs auch dem aufgelösten Eiweisse seine Fähigkeit,
durch Hitze zu gerinnen, wiedergeben, eine Thatsache, die von Leh-
mann und Schmidt bestritten wird.
d. Der reine Bauchspeichel verwandelt das gekochte Amylon
sehr rasch in Zucker; diesen selbst kann er aber nicht in Milchsäure
umsetzen (Lassaigne); er zerlegt bei Gegenwart freier Alkalien die
neutralen Fette auf dem Wege der Gährung in Oelsüss und Fettsäuren
(Bernard); mit den Fetten geschüttelt emulsirt er sie permanent, d. h.
es bleiben die durch Schütteln entstandenen Fetttröpfchen getrennt (Ber-
nard). — Auf Eiweissstoffe reagirt es nicht.
e. Der reine Darmsaft, wie ihn Frerichs, Bidder und
Schmidt gewannen, setzt das Amylon in Zucker und Milchsäure um; —
Bidder und Schmidt fanden ihn ausserdem noch befähigt, die ge-
ronnenen Etweissstoffe zu lösen.
Natürliche Dünndarmverdauung. Da die Drüsen, welche
ihren Inhalt in den Dünndarm schicken, nicht an demselben Orte ein-
münden, so bietet sich hierdurch die Gelegenheit, die Leistungen der-
selben, sowohl einzeln als in mancherlei Combinationen untereinander,
aufzuhellen. Insbesondere gelingt es innerhalb des Thieres zu isoliren
die Wirkung des Darmsaftes und zu verbinden die des Darm- und Ma-
gensaftes (nach Unterbindung des Gallen- und Pankreasganges), des Darm-
und Magensaftes mit der Galle oder dem Bauchspeichel, des Darmsaf-
tes mit der Galle oder dem Bauchspeichel, oder mit beiden (nach Unter-
bindung der horizontalen Abtheilung des Zwölffingerdarmes). Demnach
lässt sich über alle denkbaren Combinationen verfügen, mit Ausnahme
derjenigen, welche eine Elimination des Darmsaftes verlangen.
a. Um die verdauenden Kräfte des Darmsaftes an seiner natürlichen
Lagerstätte für sich zu ermitteln, zog man bis dahin aus der geöffneten
Unterleibshöhle eine Darmschlinge hervor, reinigte dieselbe von ihrem
Inhalte, band sie oben und unten ab, um ihren Hohlraum von den
übrigen Darmstücken zu sondern, und füllte dann die frische Speise in
dieselbe. Nachdem auch die hierzu nöthige Oeffnung zugebunden war,
wurde die Schlinge in die Unterleibshöhle zurückgeführt (Frerichs,
Bidder und Schmidt).
In einer solchen Schlinge verwandelt sich Kleister rasch in Zucker
und Milchsäure und die unlöslichen Modifikationen der Eiweiss- und
Leimstoffe in lösliche.
Durch diesen Versuch würde man das Verhalten des Darmsaftes gegen die fri-
schen Speisen für aufgeklärt ansehen dürfen, wenn nicht die Befürchtung nahe läge,
dass die der Operation folgenden Störungen des Blutlaufes in der Unterleibshöhle die
normale Darmabsonderung vollkommen änderten. Die Beobachter geben zwar an,
dass mindestens noch einige Stunden unmittelbar nach Eröffnung der Bauchhöhle
ein unveränderter Darmsaft abgesondert werde, sie bringen dafür jedoch keinen an-
[413]Natürliche Dünndarmverdauung.
deren Beweis als den vor, dass 4 bis 6 Stunden nach dem Bauchschnitte die Entzün-
dung und ihre Folgen erst im Maximum sichtbar seien. — Die gestellte Aufgabe
würde wahrscheinlich sicherer gelöst, wenn man eine permanente Darmfistel anlegte,
die den Inhalt des Darmrohres, welches über der Fistel gelegen wäre, durch diese
letztere entleerte, so dass das unter ihr gelegene nur befeuchtet würde von den
aus der Darmwand ergossenen Säften.
b. Wenn man nach Unterbindung des Gallen- und Bauchspei-
chelganges aus einer am Dünndarme angelegten Fistel den Speise-
brei schöpft, so findet man, dass das Fleisch und die Amylaceen ungefähr
ebenso verändert sind, als sie es gewesen sein würden ohne Abschluss
der beiden Drüsensäfte (Bidder und Schmidt) *). War es nicht zur
Bildung von Milchsäure gekommen, so fanden sie sogar den Speisebrei
alkalisch reagirend, was man nach Ausschluss des stark alkalischen Pan-
kreassaftes kaum erwartet hätte.
c. Die vereinigte Wirkung der Galle, des Bauchspeichels
und Darmsaftes auf die frischen Speisen suchte man zu ermitteln,
indem man das Duodenum noch über der Leber- und Pankreasmündung
abband, im Uebrigen aber gerade wie bei a. verfuhr (Bidder und
Schmidt**). Die Ergebnisse beider Versuchsreihen (a. und c.) waren
einander sehr ähnlich, nur insofern zeigte sich ein Unterschied, als in
der letzteren die Fälle relativ häufiger sind, in welchen die Auflösung
der Eiweissstoffe sehr weit, z. B. bis zu 90 pCt. der ursprünglich an-
gewendeten Masse, vorgeschritten war. Da diese aber auch in der ersten
nicht fehlen, so ist die Abweichung wohl irgend einem zufälligen Um-
stande zuzuschreiben. Ob das chemische Verhalten der Auflösung in
beiden Fällen gleich war, ist nicht untersucht.
Bei der bekannten Eigenthümlichkeit des Pankreas, seine Absonderung für einige
Zeit nach Eröffnung der Bauchhöhle einzustellen, ist es fraglich, ob die angegebene
Operation den gewünschten Erfolg bedingte.
d. Die combinirte Einwirkung der Galle, Magen- und Darm-
säfte auf die Speisen wird erzielt, wenn man entweder das Pankreas
ausschneidet, oder seine Ausführungsgänge unterbindet. — Die überwie-
gende Mehrzahl der Beobachter (Bidder und Schmidt, Wein-
mann, Herbst u. A.) fand das Zusammenwirken jener Säfte gerade
so erfolgreich, als ihre Verbindung mit dem Bauchspeichel; insbesondere
zeigte sich der aus dem After gestossene Koth nicht reichlicher und
nicht anders beschaffen, als wenn die Operation unterblieben war.
e. Bauchspeichel, Magen- und Darmsäfte, welche nach
Ableitung der Galle aus einer Blasenfistel auf den Darminhalt wirken,
erzeugen ebenfalls eine vollkommene Verdauung; es scheint aber, als ob
bei Abwesenheit der Galle die Umsetzung der einmal aufgelösten Stoffe
nach der Richtung der Fäulniss hin rascher, als bei ihrer Gegenwart im
[314[414]]Natürliche Dünndarmverdauung.
Darmkanale vor sich gehe; man erschliesst dieses aus der grossen
Menge der Darmgase, welche mit einem sehr unangenehm riechenden
Kothe entleert werden.
f. Die verwickeltste Zusammenstellung der verdauenden Flüssigkeiten
endlich, die nemlich, bei welcher in zeitlicher Reihenfolge auf die Speisen
wirken zuerst sämmtliche Säfte, welche in den Magen, und
dann die, welche in den Dünndarm ergossen werden, erzielt rück-
sichtlich der Auflösung der Speisen kein anderes Resultat, als alle vor-
erwähnten einfacheren Combinationen; auch hier werden die Leimarten,
die Albuminate und das Amylon zur Auflösung in Wasser geschickt ge-
macht. Dünndarm- und Magenverdauung unterscheiden sich unter diesem
Gesichtspunkte nur darin von einander, dass der erstere gleichzeitig jene
Stoffe aufzulösen vermag, während der Magen entweder durchaus oder
mindestens vorzugsweise nur die einen oder nur die anderen im Wasser
verflüssigt. — Nun widerstrebt es aber ebensowohl den chemischen Er-
fahrungen als dem physiologischen Takte, anzunehmen, dass es gleich-
giltig sei, ob die Auflösung jener Stoffe durch die Magen- oder die Dünn-
darmsäfte zu Stande gekommen, oder mit anderen Worten, dass in ganz
unnützer Weise eine Zahl ganz verschiedenartiger Mittel gehäuft sei, um
zu demselben Ziele zu gelangen. Man ist darum zu jeder Zeit geneigt
gewesen, noch nach bestimmten Unterschieden in den Eigenschaften der
Lösung, oder anders ausgedrückt, nach Gründen für die Gegenwart der
verschiedenartigen Lösungsmittel zu suchen, oder einzelnen Säften eine
Betheiligung an der Verdauung im engeren Wortlaute überhaupt abzu-
sprechen. Im ersteren Sinne hat man z. B. aufgestellt, dass der alkali-
sche Bauchspeichel oder die neutrale Galle mit ihren schwachen Säuren
die Aufgabe habe, Säuren des Magensaftes von den im Magen gelösten
Eiweissstoffen abzuscheiden; oder zu verhindern, dass die von Auflösungs-
mitteln des Magens beiläufig eingeführte faulige Umsetzung weiter schreite;
oder dass die von dem sauren Magensafte gehemmte Amylonauflösung
in dem alkalisch reagirenden Dünndarminhalte wieder beginne und Aehn-
liches, was leicht aus den bekannten Eigenschaften der in Betracht kom-
menden Säfte abzuleiten wäre. Befriedigender als diese Gemeinplätze
würden, was bis dahin noch vermisst wird, gründliche chemische Unter-
suchungen über die Eigenschaften der Lösungen sein. — Diejenigen Phy-
siologen, welche, getragen von den Erfahrungen, dass eine Entfernung
des Pankreassaftes und der Galle aus dem Dünndarm die Verdauung nicht
wesentlich beeinträchtigt, der Meinung sind, dass jene Flüssigkeiten, auch
wenn sie anwesend wären, zur Lösung resp. Umwandelung organischer
Nahrungsstoffe keinen Beitrag liefern, theilen ihnen die Aufgabe zu, die
Aufsaugung des Flüssigen zu unterstützen; auf diesen Punkt werden wir
alsbald zurückkommen.
Neben der Verdauung gehen nun im Dünndarme noch andere Um-
[415]Chymus des Dünndarmes.
setzungen her, welche ebensowohl die Bestandtheile der Speisen als die
der Verdauungssäfte betreffen. Zu der ersteren zählt man eine wahrschein-
lich nur in geringem Umfange stattfindende Umsetzung der neutralen
Fette in Glycerin und fette Säuren, welche durch den Pankreassaft ein-
geleitet wird (Bernard). Die aus dieser Zerlegung hervorgehenden
Säuren geben bei Anwesenheit von Kalk und Magnesia Veranlassung zur
Bildung erdiger Seifen. — Ferner gehört hierhin die wahrscheinlich statt-
findende Umsetzung der Milchsäure in Buttersäure, welche, wie bekannt,
unter gleichzeitiger Entwickelung von Wasserstoffgas geschieht. In der
That kommt nemlich neben der Michsäure ein Gemisch von flüchtigen
Fettsäuren und Hgas im Dünndarme vor; zweifelhaft ist es aber immer
noch, ob diese Körper in dem bezeichneten Zusammenhange stehen. —
Die Galle, welche in den Darm ergossen wird, soll nach den Beobach-
tungen von Bidder und Schmidt*), zum Theil wenigstens, sich um-
setzen in Taurin und cholsaures Natron. Was dagegen aus den Ferment-
körpern des Schleim-, Lab- und Pankreassaftes wird, ist noch zu er-
mitteln, ebenso fehlt uns eine Nachricht darüber, ob und wie sich das
Leucin, welches nach Frerichs und Städeler mit dem Bauchspeichel
in die Darmhöhle kommt, verändert.
Der Chymus des Dünndarmes besteht wie der des Magens
aus festen Partikeln, flüssigen Fetten und Gasbläschen, welche in einer
wässerigen Lösung aufgeschwemmt sind. Die sichtbaren Unterschiede
beider Breiarten bestehen vorzugsweise darin, dass die festen Theilchen
des Dünndarmes kleiner sind, dass die Fette nicht mehr in grossen,
sondern in sehr kleinen Tröpfchen vertheilt sind, und endlich darin, dass
der Chymus des Dünndarmes von der beigemengten Galle gelb gefärbt er-
scheint. Das Verhältniss der festen zu den flüssigen Theilen variirt aus
denselben Gründen, die schon beim Speisebrei des Magens erörtert sind,
sehr beträchtlich; im Allgemeinen nimmt aber die Flüssigkeit gegen das
Ende des Dünndarmes ab.
Die chemischen Bestandtheile der aufgeschwemmten Massen sind zum
Theil den beim Magen erwähnten gleich; neu hinzu kommen noch Kalk-
seifen, harzige Umsetzungsprodukte der Galle, Schleim und losgestossene
Epithelien der Darmoberhaut. Das Verhältniss zwischen den einzelnen
Gemengtheilen stellt sich für die verschiedenen Abtheilungen des Darm-
rohres so, dass mit der steigenden Entfernung vom Pylorus die Holz-,
Horn- und Kalkmassen u. s. w., welche vollkommen unlöslich sind, all-
mählig bedeutend das Uebergewicht gewinnen über das Amylon und die
Albuminate. — Die Flüssigkeit enthält in Lösung Zucker, Milchsäure und
deren Salze, Eiweiss und die ursprünglichen und umgesetzten Bestand-
theile der Drüsensäfte (Gallensäure, Taurin, Leucin, Ammoniaksalze,
[416]Verdauung durch den Dickdarm; Koth.
Cholestearin u. s. w.). Alle diese Stoffe können begreiflich in so mannig-
fachen Verhältnissen zu einander vorkommen, dass sich kaum etwas All-
gemeines darüber wird aussagen lassen. Gewöhnlich überwiegen jedoch
schon in der Mitte des Dünndarmes die alkalisch reagirenden Stoffe, so
dass von da an die Flüssigkeit ihre saure in eine alkalische Reaktion
umwandelt. Aber auch dieses Vorkommen erleidet eine Ausnahme bei
lebhafter Milchsäurebildung, wie sie nach reichlichem Genusse von Amy-
laceen beobachtet wird.
4. Die Flüssigkeiten
des Dickdarmes sind ausserhalb des thie-
rischen Körpers noch nicht geprüft worden; als Steinhäuser die Ge-
legenheit benutzte, die ihm eine Fistel des Coecums am Menschen dar-
bot, frische Speisen in den Dickdarm zu bringen, fand er dieselben im
Kothe unverändert wieder. Dieses lässt begreiflich keinen Schluss zu
auf die Veränderung der Speisen in dem Zustande, in welchen sie ge-
wöhnlich aus dem Dünndarme in den Dickdarm übergehen. In der That
scheint auch während des Lebens der Inhalt des Dickdarmes sich noch
fortwährend zu verändern; denn es entwickeln sich in demselben Säu-
ren (Milchsäure, Buttersäure u. s. w.) und Gase, H und CH (Chevreul),
Bildungen, die sich allerdings auch erläutern aus einer in dem Speise-
brei eingeleiteten und ohne Zuthun des Dickdarmsaftes fortschreitenden
Gährung.
Der Koth oder der Antheil des Speisebreies, welcher aus dem Mast-
darme hervortritt, ist nach dem Grade seiner Consistenz in seiner Zu-
sammensetzung verschieden. — Die Flüssigkeit gewinnt über das Auf-
geschwemmte um so mehr das Uebergewicht, je rascher die Speisen durch
den Darmkanal getreten, je mehr der aufsaugende Apparat in seinen Lei-
stungen beschränkt ist, und endlich, wenn in den Kothflüssigkeiten Stoffe
aufgelöst sind, welche mit kräftiger Verwandtschaft zum Wasser begabt
sind und mit geringer Geschwindigkeit durch die Darmwand in die Blut-
und Lymphgefässe treten.
Seiner chemischen Zusammensetzung *) nach besteht der aufge-
schwemmte Theil bei einer gemischten Kost aus Hornschüppchen, ge-
ringen Mengen elastischer Häute, einigen zerbröckelten Muskelfasern,
Fetten, Holzfaser, Pflanzenwachs, Chlorophyll, etwas Amylon, Schleim,
Darmepithelium, Gallenharzen, Cholestearin, Kieselsäure, phosphorsauren,
schwefelsauren und kohlensauren Erden. — Die Flüssigkeit enthält Ei-
weiss, Gummi, äusserst wenig Gallensäure, schwefelsaure nebst ein we-
nig salzsauren Alkalien.
Die proportionale Menge des Kothes, oder das Gewicht dieses letz-
teren dividirt durch dasjenige der genossenen Nahrung, ist abhängig von
der Menge absolut unverdaulicher Einschlüsse in die letztere; aus diesem
**)
[417]Aufsaugung in den Verdauungswegen.
Grunde giebt Gemüsenahrung viel mehr Koth, als Fleisch; von der Ge-
schwindigkeit, mit welcher die Speisen durch den Darmkanal gehen, endlich
von der Kraft der auflösenden und aufsaugenden Verdauungswerkzeuge.
Nachdem mit dankenswerther Vollständigkeit die auf die Lösung der Speisen sich
beziehenden Fragen erörtert sind, würde die nächste Aufgabe der chemischen Unter-
suchungen des Darminhaltes darin bestehen, die Natur der verschiedenartigen Um-
setzungsprodukte und der sie veranlassenden Bedingungen aufzusuchen. Wir haben
schon der zahlreichen Andeutungen Erwähnung gethan, welche sich in den bisherigen
Beobachtungen vorfinden, z. B. der Umsetzung der Fette in Glycerin und fette Säuren,
der Bildung von Buttersäure aus Milchsäure, der Umsetzung des taurocholsauren Na-
trons in Taurin und cholsaures Natron; hierzu kommen noch die von Liebig gemach-
ten Erfahrungen, dass der Koth sich nicht im Zustande der fauligen Gährung befindet,
in die er erst gelangt, nachdem er dem Zutritte der Luft blosgelegt war; ferner die
von demselben Chemiker entdeckte Thatsache, dass durch Behandlung der Eiweissstoffe
mit Kali eine aus flüchtigen Fettsäuren bestehende Flüssigkeit von ausgeprägtem Koth-
geruche erhalten werden kann *). Ebenso bemerkenswerth in dieser Richtung ist das
Vorkommen von Gährungspilzen in dem Darmkanale (Mitscherlich, Remak,
Böhm) und endlich die von Chevreul**) mit freilich noch unvollkommenen Methoden
beobachteten Gasarten des menschlichen Darmkanals. In der Leiche eines Hin-
gerichteten bemerkte er im Magen eine geringe Menge von Gas, welche in 100 Theilen
bestand aus: 0 = 11,00; CO2 = 14,00; N = 71,45; H = 3,55. — Im Dünn-
und Dickdarme dreier anderen Hingerichteten beobachtete er:
Aufsaugung in den Verdauungswegen.
Von dem, was als Speisen und Drüsensaft in den Darm eingeführt
ward, tritt nur ein kleiner Theil durch den After hervor; also muss der
Rest, da er nicht in der Höhle zurückbleibt, durch die Wand den Darm
verlassen. Dass die grosse Menge von Flüssigkeit, welche diesen Weg
betritt, ihn in so kurzer Zeit vollenden kann, begründet sich einmal durch
die grosse Ausdehnung der Darmwand, wie sie ermöglicht ist durch die
Röhrenform des Darmes, und durch die Falten, Zotten und Krypten der
einzelnen Schleimhautpartien. Wenn dieses ausgebreitete Filtrum die Auf-
saugung an vielen Orten gleichzeitig möglich macht, so wird durch die
Bedeckung der Wand mit nur einer Schicht Cylinderzellen jede einzelne
Ludwig, Physiologie. II. 27
[418]Aufsaugung durch Chylusgefässe.
Stelle sehr leicht durchdringlich. Der Durchgangswiderstand des Epitheliums
würde aber noch mehr verringert sein, wenn, wie es Brücke sehr wahr-
scheinlich zu machen weiss, jedem einzelnen Epithelialcylinder die beklei-
dende Wand fehlt an der nach der Darmhöhle gerichteten Basis und an
der in die Wand eingefügten Spitze, und sein Binnenraum nur ausgefüllt
ist durch einen leichten Schleimpfropf. Jenseits der Oberhaut stösst
die eingedrungene Flüssigkeit sogleich auf ein lockeres Gewebe, dessen
Lücken sich in Lymphgefässe öffnen, und das ausserdem reichlich von
Blutgefässen durchzogen ist; von da aus wird also das Absorbirte den
einen oder anderen Weg nehmen.
A. Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
1. Anatomisches Verhalten der Anfänge *). Das Stroma der Schleim-
haut ist überall mit zahlreichen unter einander communizirenden Lücken
versehen, in welche der Chylus zunächst eintritt, so dass er das ganze Ge-
webe in dessen Zwischenräumen erfüllt, sowohl innerhalb der Zotten als
zwischen den Lieberkühn’schen Krypten. In jeder Zotte verläuft ausserdem
der Länge nach ein grösserer Hohlraum, der sog. Centralkanal, in dem der
Chylus fortgeleitet wird und der unter der Zotte durch angehäuften Chylus
oft flaschenförmig ausgedehnt ist (Lieberkühn’s Ampulla). Aus diesem Sy-
stem von Hohlräumen entspringen unter den Zotten und ganz in der Tiefe
der Schleimhaut die wahren Chylusgefässe mit offenen Ursprüngen. In schie-
fer Richtung durchsetzen sie die Muskellager der Schleimhaut, bekommen dar-
auf Klappen und vereinigen sich im Unterschleimhautgewebe zu grossen
Stämmen, mit denen sie die Muskelhaut durchbohren, um unter dem Peri-
tonaealüberzuge und im Mesenterium in allbekannter Weise weiter fortzu-
schreiten. In den lockeren oberflächlichen Schleimhautpartieen ist überall
ein engmaschiges Netz von Blutgefässen eingebettet, das mit freien Wan-
dungen an die Lücken, welche den Anfang der Chylusgefässe darstellen,
hineinragt. Daraus folgt zweierlei; einmal nemlich wird die Möglichkeit
eines Austausches zwischen den Flüssigkeiten gegeben sein, die in den
Lücken und den Blutgefässen eingeschlossen sind; zugleich werden aber
auch die Blutgefässe vermöge ihres durch den Blutstrom gespannten
Inhaltes die Schleimhautoberfläche und namentlich den Zottenmantel aus-
spannen, resp. die den Lymphgefässanfang darstellenden Hohlräume offen
erhalten, selbst wenn ein gelinder von der Darmhöhle her wirkender Druck sie
zusammenzupressen sucht (Brücke, Donders). Ausser diesen Gebilden
enthält die Schleimhaut bekanntlich noch Muskelzellen. Diese sind in den
Zotten zu Fasern angeordnet, welche der grössten Länge der ersteren entspre-
chend verlaufen; sie liegen nach innen von den Blutgefässcapillaren und
nach aussen vom Centralkanal der Zotte. Ziehen sich die Muskeln zusammen,
wie dieses am geöffneten Darme des lebenden oder eben getödteten Thieres
[419]Zotten.
beobachtet werden kann, und zwar mit einer Kraft, welche die durch den
Blutstrom gesteiften Blutgefässe zusammendrückt, so muss dadurch der
vorhandene Inhalt des Centalkanales nach den Lymphgefässen in dem
Unterschleimhautgewebe entleert werden, während die einzelnen Epithe-
liumszellen durch die Verkürzung der Zotte comprimirt werden. Falls sie an
ihren Enden offen sind, muss hierdurch ein Theil ihres Inhaltes in die
Darmhöhle zurücktreten. Man kann nicht sagen, ob dasselbe auch für den
Inhalt der äusseren Gewebsräume des Stroma’s eintreten müsse, da man nicht
weiss, ob die Epitheliumszellen so eingepflanzt sind, dass der Chylus ebenso
leicht aus dem Stroma in die Zellen, als aus den Zellen in das Stroma tritt.
Diese Darstellung, welche der klassischen Arbeit von Brücke entlehnt ist,
lässt uns erkennen, wie zierlich und zweckmässig zugleich die Zotte zum
Behufe der Filtration und der Weiterbewegung ihres Inhaltes gebaut ist.
2. Stoffaufnahme in die Chylusgefässe. Die Kräfte, welche unter
normalen Verhältnissen die Schleimhautlücken und die damit in Verbin-
dung stehenden Ampullen füllen, können, so weit unsere Einsicht reicht,
nur bestehen in Capillaranziehung, Diffusion und Druckunterschieden.
Die Lücken sind eng und ihre Wände mit wässerigen Lösungen be-
netzbar, also muss die erste der drei aufgezählten Füllungsursachen in
Betracht kommen. — Wäre aber aus einem oder dem anderen Grunde der
Anfang der Chylusgefässe mit auch noch so wenig Flüssigkeit gefüllt, so
muss sich ein Diffusionsstrom entwickeln zwischen Darm- und Blutgefäss-
inhalt oder mindestens gegen einen von beiden, da beide Flüssigkeiten in
einander diffusibel und zugleich von verschiedener Zusammensetzung sind. —
Läge aber der Darm- und Blutgefässinhalt unter einem höheren Drucke,
als derjenige der Chylusgefässanfänge, so müssten die letzteren allmählig
sich auf dem Wege der Filtration anfüllen. Das Vorkommen eines solchen
Spannungsunterschiedes der Flüssigkeiten kann aber nicht bestritten wer-
den, da sich die Ampullen und Lücken entleeren durch die periodisch
wiederkehrenden Zusammenziehungen der Schleimhautmuskeln und dann,
wenn die letzteren erschlafft sind, wieder ausgespannt werden durch die
vom Blutstrome gestreckten Blutgefässe. Ihr Inhalt wird also oft genug
unter einer sehr geringen Spannung verweilen, während der Darminhalt
unter einer, wenn auch geringen, Pressung liegt, die sich namentlich
ereignen muss, wenn eine abwärts hängende Darmschlinge mehr oder
weniger angefüllt ist. Anderseits wird zu einem Filtrationsstrome von Sei-
ten der Blutgefässe her Veranlassung gegeben durch die normale Spannung
des Stromes. Die Stoffe, welche durch Diffusion und Capillarattraktion von
beliebiger Seite her oder durch Filtration aus den Blutgefässen in die
Anfänge der Chylusröhren gelangen sollen, müssen, wie ohne Weiteres
klar ist, flüssig und mit Wasser mischbar sein. Aus der Darmhöhle
können aber erfahrungsgemäss, und zwar, wie man allgemein annimmt,
unter Vermittelung des Druckes, auch noch sehr kleine Fetttröpfchen
27*
[420]Eintritt in die Anfänge der Chylusgefässe.
und mikroskopische feste Körperchen in das Innere der Schleimhaut und
von da in die Chylusgefässe eintreten.
Wir behandeln zuerst die Aufnahme des Fettes. Früher wurde mit-
getheilt, dass die Fette im Magen verflüssigt und zu grösseren Tropfen
vereinigt werden, und dass keine Anzeichen bestehen, welche auf ein
Eingehen des Fettes in die Magenwand hinweisen. Im Dünndarme
dagegen wurden die flüssigen Fette in ungemein feine Tröpfchen ver-
theilt, und zugleich hat, wie hier zuerst hervorgehoben wird, die mi-
kroskopische Untersuchung gezeigt, dass diese Tröpfchen mit chemisch
unveränderten Eigenschaften in die Epithelialzellen und von dort in das
Gewebe der Zotten gelangen, und zwar unter Umständen so reichlich,
dass Epithelialhöhlen und Zottenräume von dicht gedrängten Fettkügel-
chen gefüllt sind. Da man niemals die Aufnahme des Fettes beobachtet
hat ohne die vorgängige Zertheilung desselben in Tröpfchen, so betrach-
tet man die Emulgirung des Fettes als die erste Bedingung der Fett-
aufsaugung. Die Bedingungen, welche diese Fettzertheilung zu Stande
bringen und erhalten, sind zu suchen in den feinen Unebenheiten, mit
denen die Darmoberfläche versehen ist, indem dieselben, wie höchst
wahrscheinlich, dazu dienen, um die grösseren Tropfen in kleinere zu
spalten, wenn jene durch die peristaltischen Bewegungen auf der Darm-
oberfläche hergepresst werden. Die Wiedervereinigung der kleineren zu
grösseren Tröpfchen wird aber unmöglich gemacht durch die reichliche
Anwesenheit schleimiger Flüssigkeiten, welche die Darmoberfläche be-
netzen. Ueber den Antheil, welchen die verschiedenen, in den Darm
ergossenen Säfte an dieser emulgirenden Wirkung besitzen, ist einige Zeit
hindurch Controverse gewesen, indem Cl. Bernard*) die Behauptung auf-
stellte, dass vorzugsweise nur dem pankreatischen Safte die bezeichnete
Eigenschaft zukomme. Die Erfahrungen von Frerichs, Bidder,
Schmidt, Weinmann, Herbst**) u. A. haben jedoch unzweifelhaft
dargethan, dass nach Unterbindung der Pankreasgänge, nach Ausrottung
der Drüsen oder Ableitung des Saftes durch eine Fistel die Aufsaugung
des Fettes ungestört ihren Fortgang nimmt. Demnach müssen auch andere
Verdauungssäfte und insbesondere die schleimhaltige Galle und der Darmsaft
emulgirend wirken, eine Behauptung, deren Richtigkeit leicht bestätigt wer-
den kann durch Schütteln eines Gemenges der bezeichneten Drüsensäfte mit
flüssigen Fetten. — Viel dunkeler als die feine Vertheilung des Fettes ist
jedoch die zweite Seite unseres Herganges, die nemlich, wie die Tröpf-
chen durch die Epithelialzellen hindurch in das Zottengewebe eingehen.
Scheiden wir das, was thatsächlich zur Aufklärung dieses Prozesses ge-
than, von dem, was man vermuthungsweise darüber ausgesprochen, so
[421]Eintritt des Fettes und fester Körper.
scheint nur so viel festzustehen, einmal, dass die Anwesenheit der Galle
im Darmkanale zwar den Uebertritt der Fette erleichtert (Brodie, Gme-
lin und Tiedemann), dass aber keineswegs bei Ausschluss aller Galle
auch jegliche Fettresorption aufgehoben sei (Bidder und Schmidt).
Demnächst aber wird die Aufnahme des Fettes ermöglicht durch die
geringe Cohärenz der Stoffe, aus denen diejenigen Wandtheile der Epi-
thelialcylinder gebaut sind, welche einestheils frei in die Darmhöhle ra-
gen und anderseits in die Schleimhaut eingebettet sind (Brücke).
Die bezeichnete Eigenschaft der betreffenden Zellenflächen ergiebt sich
aber nicht allein daraus, dass die Fette als Tröpfchen in die Zellen-
höhlen ein- und austreten, sondern noch mehr aus der anderen sogleich
zu besprechenden Erfahrung, dass feste, in der Darmflüssigkeit aufge-
schwemmte Körperchen durch die Epithelialzellen hindurch gehen, was
ohne die Anwesenheit der entsprechenden Oeffnungen vollkommen unmög-
lich sein würde.
Diesen Thatsachen gemäss würde man sich den Mechanismus
der Fettresorption folgendermaassen vorstellen können: Die bis zur äus-
sersten Feinheit, zum Theil bis zur Grösse des Molekularkörnchens ver-
theilten Fetttröpfchen werden gegen die freie Fläche der Epithelialcylin-
der gedrängt, sei es durch die Schwere oder durch die peristaltische
Bewegung, die allerfeinsten Körnchen dringen zu allen Zeiten in das
Innere der Zellen, die etwas gröberen nur dann, wenn der Darm von
Galle durchtränkt wird. Diese Flüssigkeit mindert nemlich den Wider-
stand, welchen die mit Wasser befeuchteten Membranen dem Durchtritte
der Fette entgegensetzen, und zwar wahrscheinlich dadurch, dass bei
ihrer Gegenwart die freie Oberfläche des Fetttröpfchens, welche
einer Haut zu vergleichen ist, an Spannung verliert, so dass sich die
Form des Tropfens leichter accomodirt den Gestalten des Porus. Der
Druck, welcher den Tropfen in die Zellenhöhle brachte, fördert ihn
von dort aus auch durch das angewachsene Ende der Epithelialzellen
und von da in das Zottengewebe.
Eine andere Hypothese, als die hier vertheidigte, behauptet, das Fett werde erst
vor der Aufsaugung verseift und nach derselben wieder frei gemacht (und die Säure
mit Glycerin verbunden?). Diese Annahme haben, des mangelnden Beweises wegen,
die Urheber selbst verlassen.
Aus dem Darmkanale in das Blut gehen bei Kaninchen, Hunden und
Fröschen beobachtungsgemäss folgende feste Stoffe über *): Blut- und
Pigmentkörperchen (Moleschott), Stärkekörperchen (Herbst, Oester-
len, Donders), Quecksilberkügelchen (Oesterlen), Kohlenflittern und
Schwefelblumen (Oesterlen, Donders, H. Meyer, Eberhard).
Moleschott, der den Mechanismus des Uebertrittes am genauesten
[422]Zusammensetzung des Chylus.
verfolgt hat, zeigt, dass die Körperchen des Säugethierblutes bei Fröschen
und ebenso die Pigmentmoleküle bei Säugethieren ganz denselben Weg ein-
schlagen, welchen die Fette gehen. Diese Erscheinung verlangt unab-
weislich die Annahme von bleibenden Oeffnungen in den Epithelialcylin-
dern oder mindestens einen weichen, leicht durchbrechbaren Verschluss.
3. Zusammensetzung des Chylus. Die Flüssigkeit, welche aus dem
Darme in die Chylusanfänge eindringt, muss in ihrer chemischen An-
ordnung verschieden ausfallen mit der Zusammensetzung des flüssigen
Darminhaltes und des Blutes und mit dem relativen Uebergewichte der
Kräfte, welche die Anfänge der Chylusgefässe füllen. Die einmal in die
Gefässe eingegangene Flüssigkeit muss veränderlich sein mit der Zahl
der Drüsen, die sie durchströmt hat; der Inhalt des ductus thoracicus
endlich wird variiren mit der Zusammensetzung der einzelnen Chylus-
und Lympharten, aus deren Vermischung er entsteht, und der relativen
Menge, mit der sich jeder einzelne an der Bildung des Gesammtinhaltes
betheiligt.
Die Beziehung zwischen dem Darminhalte und dem primitiven Chy-
lus ist einmal dadurch gegeben, dass alle im ersteren aufgelösten Stoffe
zugleich mit den Fetten, entsprechend dem Bau der Wände, welche die
Anfänge der Chylusröhren umkleiden, in die letzteren eintreten. Dem-
nächst greift der Darminhalt dadurch bestimmend in die Zusammen-
setzung des primitiven Chylus ein, dass durch die Gegenwart einzelner
seiner Bestandtheile (Säure, Galle u. s. w.) das Eindringen anderer
(Fette, Eiweiss) möglich gemacht wird. — Die Zusammensetzung des
Blutes kommt für die des primitiven Chylus in Betracht, einmal, weil
der letztere schon innerhalb der Schleimhaut in diffusive Beziehung zum
ersteren tritt, und ausserdem, weil mit dem Blute nothwendiger Weise
auch der Darminhalt selbst veränderlich sein muss, insofern die chemische
Anordnung und die Menge der Drüsensäfte davon abhängen, und insofern
hierdurch der Grad der Umwandlung bestimmt wird, welche der Darm-
inhalt vor seinem Eintritte in die Chylusgefässe erleidet in Folge der
zwischen ihm und dem Blute bestehenden Diffusion. — Mit dem rela-
tiven Werthe der Kräfte, der Diffusion und Filtration, welche die Chy-
lusanfänge füllen, wechselt die Zusammensetzung ihres Inhaltes, weil die
eine von ihnen (Filtration) gleichmässig alle in den Flüssigkeiten des
Darmes aufgelösten Stoffe überfüllt, während die Diffusion den einen Be-
standtheil langsamer als den anderen und das Fett gar nicht in Bewe-
gung setzt. Nun kann es aber gar keiner Frage unterworfen sein, dass
die beiden Prozesse nicht überall und nicht zu allen Zeiten in demsel-
ben Verhältnisse ihrer Intensität stehen, da mit der Contraktion der
Darmmuskeln und der Spannung der Blutgefässcapillaren die Filtration
und mit der Zusammensetzung des Darminhaltes, insbesondere mit sei-
nem Gehalte an Labsaft, Galle, Bauchspeichel, die Diffusion veränderli-
[423]Zusammensetzung des Chylus.
chen Werthes wird. — Der Chylus, welcher aus der Darmschleimhaut
in die Chylusgefässe eingeht, erleidet auf seinem Wege bis zum ductus
thoracicus Veränderungen in den Drüsen, theils durch die Berührung mit
dem Blute und theils durch die in den Drüsen selbst vorgehenden Um-
setzungen; also wird mit der Geschwindigkeit seines Stromes mit der
Zahl und dem Umfange der eingelegten Drüsen die Grösse der Um-
wandelung Hand in Hand gehen. — In den ductus thoracicus münden
ausser den Chylusgefässen die Lymphgefässe der unteren Extremitäten,
der Bauch- und Brustwandungen, des Beckens, der Brust, der Milz, der
Leber, des Pankreas u. s. w. Abgesehen davon, dass es schon unwahr-
scheinlich ist, eine Gleichartigkeit in der Zusammensetzung der verschie-
denen Lympharten anzunehmen, besteht aber sicher ein Unterschied
zwischen Lymphe und Chylus; mit dem Uebergewicht der einen oder
anderen Flüssigkeit muss also jedenfalls der Inhalt des ductus thor.
seiner Zusammensetzung nach veränderlich sein.
Aus diesen Angaben erhellt die unendliche Variation, welche sich
zu verschiedenen Zeiten an demselben Orte und zu derselben Zeit an
verschieden gelegenen Chylusgefässen ereignen kann; die Theorie ver-
hält sich den Einzelheiten gegenüber noch stumm, und die Erfahrung ist
sehr beschränkt, da ihr, abgesehen von allen anderen Mängeln, nicht
einmal die Kenntniss des primitiven Chylus aus der Schleimhaut zu Ge-
bote steht. — Das Wenige, was die Beobachtung erworben, ist folgendes:
Der Chylus kann, wie Blut und Lymphe, in einen flüssigen und
aufgeschwemmten Theil geschieden werden; der letztere besteht seiner
Gestalt nach bald aus aufgeschwemmten Fettpartikelchen, bald aus die-
sen und Zellen sehr verschiedener Art, die zum grossen Theile den Cha-
rakter der Körnchenzellen an sich tragen, und endlich aus Blutkörper-
chen. — Die chemischen Bestandtheile des Chylus, welche bis dahin
aufgefunden werden konnten, sind Faserstoff, gerinnbares Eiweiss, ein
durch starke Essigsäure fällbarer Eiweissstoff, Fette, zuweilen Zucker,
Verbindungen von Kali, Natron und Kalk mit Milch-, Salz- und Phos-
phorsäure. Demnach fehlen dem Chylus von den im gelösten Darmin-
halte nachweisbaren Stoffen: Leimarten, meist der Zucker, gallensaure
und schwefelsaure Salze, während ihm Faserstoff und gerinnbares Ei-
weiss zukommen, die dem Chymus fehlen.
a. Einfluss der Nahrung *). Die blossgelegten Chylusgefässe hun-
gernder Thiere sieht man von einer durchsichtigen Flüssigkeit erfüllt;
die Durchsichtigkeit des Inhaltes bezeugt den Mangel an aufgeschwemm-
ten Fetten; eine Analyse dieser Flüssigkeit liegt noch nicht vor. — Wie-
derholt ist dagegen der Inhalt des ductus thoracicus bei Menschen
(L’heritier), Hunden (Chevreul), Pferden (Gmelin), die vor dem
[424]Einfluss der Nahrung.
Tode gehungert hatten, untersucht worden. Eine Vergleichung dieser
Resultate mit der Lymphe, die aus den unteren Extremitäten gewonnen
und analysirt wurde, würde, auch ohne dass man den Gewichtsantheil
kennte, den jede der beiden Flüssigkeiten an dem Inhalte des ductus
thoracicus nimmt, zu mancherlei werthvollen Betrachtungen führen, wenn
es nur feststände, dass die Lymphe des Beckens und der Unterleibsdrüsen
übereinstimmend mit der der unteren Extremitäten zusammengesetzt wäre,
und wenn die Lymphe und der Inhalt des duct. thoracicus gleichzeitig
von demselben Individuum gewonnen worden wäre. Da dieses nicht der
Fall, so gewinnen die aus den nachstehenden Zahlen abzuleitenden
Schlüsse eine zweifelhafte Giltigkeit.
Der Verlust in der Lymphenanalyse des Pferdes betrug 0,2 pCt. —
Soweit die unvollkommene Untersuchung zu schliessen erlaubt, enthiel-
ten die Lymphe und der Inhalt des ductus thoracicus, also auch der
aus dem Darme kommende Antheil desselben, gleiche Bestandtheile.
Diese Folgerung scheint um so gerechtfertigter, als die in den Chy-
lusgefässen der hungernden Thiere strömende Flüssigkeit ebenfalls ent-
weder direkt oder indirekt (vermittelst der Darmsäfte) aus dem Blute
stammt. In quantitativer Beziehung zeichnet sich der Inhalt des duct. thorac.
vor der Lymphe durch einen grösseren Gehalt an festen und flüssigen Eiweiss-
stoffen (Käsestoff, Eiweiss, Faserstoff, Körperchen) aus. Dieser Unterschied
würde jedoch für den Menschen sehr viel kleiner als beim Pferde aus-
fallen, wenn, wie wahrseheinlich, die Extrakte der Lymphe vorzugsweise
aus eiweissartigen Körpern bestanden hätten.
Die Nachrichten, die uns von dem Chylus gefütterter Thiere zu
Theil geworden, sind ebenfalls meist gewonnen durch die Untersuchung
des ductus thoracicus. Diese Thatsachen haben Werth, indem sie die
Natur der Säfte feststellen, welche während der Verdauung in das Blut
kommen; eine selbst beschränkt deutliche Vorstellung über das Verhält-
niss von der Zusammensetzung des Chylus und der Speisen geben sie
nicht, weil den betreffenden Analysen nur unvollkommene Angaben über
die Zusammensetzung der letzteren selbst beigegeben sind. Bei Anstel-
lung ähnlicher Beobachtungen dürfte es am vortheilhaftesten sein, die
[425]Einfluss der Blutmischung, der Darmgegend, der Drüsen.
Zusammensetzung des Speisebreies, aus welchem der Chylus seinen Ur-
sprung nahm, zu ermitteln.
Der Inhalt des ductus thoracicus enthält nach den vorliegenden
Beobachtungen jedesmal Eiweiss, Faserstoff, Extrakte, salzsaure und phos-
phorsaure Alkalien und phosphorsaure Erden; nach starker mehl- und
zuckerhaltiger Nahrung kommt dazu in einzelnen Fällen auch Zucker
und nach fetthaltigen Speisen (Fleisch, Milch u. s. w.) reichlich (bis zu
3 pCt.) aufgeschwemmtes Fett. Rücksichtlich aller übrigen Eigenschaf-
ten bietet sich keine feste Beziehung zu der Nahrung, indem man bald
nach Fleisch- und bald nach Pflanzenkost das Blutroth, den Faserstoff,
das Eiweiss vermehrt oder vermindert fand.
b. Die Beziehungen zwischen der Zusammensetzung von Blut und
Chylus sind durch den Versuch in beschränkter Weise aufgehellt; Fen-
wick*) giebt an, dass Blutlaugensalz, in die Venen eingesprützt, im In-
halte des ductus thoracicus wiedergefunden wird. — c. Der Chylus, wel-
cher aus den Gefässen des Dickdarmes gefangen werden kann, enthält
kein aufgeschwemmtes Fett, selbst wenn der aus den Dünndarmgefässen
genommene reich daran ist (Gmelin). Im Dünndarme selbst tritt aber
das Fett immer nur durch die Spitzen der Zotten, niemals durch die
Epithelialcylinder der Lieberkühn’schen Crypten. — d. Der Chylus
erfährt auf seinem Wege vom Darme bis zu dem ductus thoracicus einige
Veränderungen, welche man vorzugsweise dem Einflusse der Drüsen zu-
schreibt. Vor dem Eintritte in dieselben enthält der Chylus, insofern er
aus einem fetthaltigen Chymus stammt, viel in feinen Tröpfchen aufge-
schwemmtes Fett, welches, wenn ersterer einigemal durch Drüsen gewan-
dert ist, verschwindet. Dafür treten, in dem Maasse, als das Fett abnimmt,
Lymphkörperchen in ihm auf. Da nun schon innerhalb der Schleimhaut
des Darmes Lymphdrüsen gelegen sind, die Peyer’schen und solitä-
ren Drüsen, welche das Fett aufspeichern und Körperchen ausgeben
(Brücke) **), so werden auch die auf der Aussenfläche der Schleim-
haut verlaufenden Gefässe schon Körperchen in ihren Inhalt führen, welche
sich aber von Drüse zu Drüse bedeutend vermehren (Kölliker) ***). —
Mit dieser Veränderung in ihren Formen gestaltet sich auch die chemi-
sche Zusammensetzung der Lymphe um, wie die nachstehenden Analysen
des Pferdechylus von Gmelin lehren.
Daraus würde hervorgehen, dass der Chylus in den Drüsen Was-
ser und Extrakte verliert, aber Faserstoff und Körperchen gewinnt.
4. Das Volum der Flüssigkeit, welches durch die Chylusgefässe
strömt, resp. der Antheil desselben, welcher aus dem Chymus seinen
Ursprung nimmt, wird mit der reichlichen Anwesenheit von Fetten und
gelösten Eiweissstoffen im Darmkanale und mit der Mächtigkeit der ein-
saugenden Kräfte sich offenbar mehren; in welchem Maasse dieses ge-
schieht, ist unbekannt.
Wiederholt ist der Versuch gemacht worden, die mittlere Menge vom Chylus zu
bestimmen, welche bei erwachsenen Menschen binnen 24 Stunden durch die Gänge
strömt. Vierordt*) ging hierbei von der Voraussetzung aus, dass alles verdaute
und aufgesogene Eiweiss durch die Chylusgefässe aufgenommen würde, und dass der
ganze Eiweissgehalt des Chylus nur aus dieser Quelle stamme. Die Richtigkeit die-
ser Annahme vorausgesetzt, würde man, wenn der Chylus des Pferdes und des Men-
schen ungefähr gleiche Zusammensetzung besässe, aus dem bekannten Gehalte der
Nahrung an Eiweiss mindestens die Grenzen ermitteln können, in denen sich die täg-
liche Chylusmenge bewegen würde. Die der Rechnung zu Grunde gelegten Annah-
men sind aber wenigstens insofern unhaltbar, als nicht alle Eiweisskörper des Chy-
lus aus der bezeichneten Quelle stammen, da auch während der Zeiten, in denen
der Darmkanal leer ist, der Inhalt der Chylusgefässe Eiweissstoffe führt. — Eine
ähnliche Betrachtung stellte Lehmann an, bei der er das aus der Nahrung aufge-
nommene Fett zu Grunde legte. Da sie ihr Urheber selbst zurückgezogen, so ent-
hält man sich, wie billig, der weiteren Besprechung derselben.
5. Die Kräfte, welche den Strom des Chylus einleiten und unter-
halten, werden zu suchen sein in den Zusammenziehungen der Schleim-
hautmuskeln, den peristaltischen Bewegungen der groben Darmmuskula-
tur und der Elastizität der Gefässwandung.
B. Aufsaugung durch die Blutgefässe.
1. Der Diffusionsstrom, welcher zwischen dem flüssigen Antheile
des Speisebreies und dem Blute in den Darmwandungen besteht, führt
den allgemein feststehenden Regeln entsprechend, nicht alle, sondern nur
gewisse Bestandtheile der aneinander grenzenden Flüssigkeiten ineinan-
der über. Soviel wir wissen, betheiligen sich nun in der That an dem
Austausche: Zucker, pflanzen-, gallen-, fett-, schwefel-, phosphor-, salz-
und kohlensaure Alkalien, Farbstoffe, Eiweiss, Faserstoff (?), Wasser.
Ausgeschlossen sind dagegen die Fette. — In der Richtung vom Darme
zum Blute gehen Zucker, Farbstoffe, die Salze mit organischen Säuren,
Wasser und wahrscheinlich auch die schwefelsauren Alkalien. Diese Be-
hauptung stützt sich auf verschiedene Gründe. Zuerst ist der Ueber-
gang des Zuckers und des einen Theils der erwähnten Salze in das Blut
dadurch erwiesen, dass man sie, während sie allmählig aus dem Darm-
kanale verschwanden, geradezu im Blute wieder aufgefunden hat. Die
Farbstoffe hat man in den aus dem Blute kommenden Säften, z. B. dem
Harne aufgefunden, ohne dass es immer gelungen wäre, ihnen in dem Chy-
[427]Aufgenommene Stoffe.
lus zu begegnen, oder man hat sie noch im Harne angetroffen, nachdem
man die Chylusgefässe zerstörte, welche aus einem abgegrenzten, mit den be-
zeichneten Stoffen gefüllten Darmstücke hervorgehen. Endlich verlangt die
Theorie das Zugeständniss, dass ein Theil der schwefelsauren Salze des
Darminhaltes in das Blut einströmt, weil jene für gewöhnlich dem Blute
fehlen oder, wenn sie vorhanden, sogleich durch den Harn wieder aus-
geschieden werden. — Eine ähnliche Bewandniss muss es aber mit dem
Wasser haben, da das Blut meist mehr feste Bestandtheile aufgelöst ent-
hält, als der flüssige Speisebrei. — Vom Blute zum Darme muss gerinnba-
res Eiweiss gehen, weil der Chymus weniger davon aufgelöst enthält, als
das Blut; diese Voraussage wird bestätigt durch die Erfahrung, dass Eiweiss
in das Wasser austritt, welches in eine abgeschnürte und in die Unterleibs-
höhle zurückgebrachte Dünndarmschlinge eingesprützt wurde (Knapp).
Insofern das Blut und der Chymus ihre Bestandtheile nur durch Diffusion aus-
tauschen können, muss man es für unmöglich halten, dass die Fette aus dem Darm-
kanale in das Blutgefässwerk eindringen können. Nichts destoweniger sind Bruch*)
und Lehmann**) dieser Meinung. Der letztere gründet dieselbe auf den grösseren
Fettgehalt des Pfortaderblutes, der ihm anderen Venen gegenüber zukommt. Die Unan-
tastbarkeit der Thatsache vorausgesetzt, beweist sie noch nicht, dass das Fett noth-
wendig aus dem Darmkanale stammen müsse. — Bruch beruft sich auf ein beson-
deres Ansehen der Capillargefässe in der Dünndarmschleimhaut, welches auch Virchow,
Brücke***), Zenker, Funke u. A. angetroffen haben; sie sind nemlich zuweilen
mit einer weisslichen, dem Fette sehr änlich aussehenden Materie ganz oder theil-
weise angefüllt. Brücke hat aber durch chemische Reaktionen gezeigt, dass der
weissliche Inhalt keinenfalls zu den Fetten gestellt werden kann, und Virchow†)
darauf hingewiesen, dass er zum Theil wenigstens aus Leucin bestehe.
Auf die Diffusionen im Darmkanale sind die schon früher (p. 364.)
hervorgehobenen Bemerkungen anwendbar. Dagegen würde es ein grosses
Missverständniss verrathen, wenn man auf die Strömung im Darme ohne
Weiteres die Zahlen der Diffusionsgeschwindigkeit und des endosmoti-
schen Aequivalentes in Anwendung bringen wollte, welche unter ganz
anderen Bedingungen von Graham, Jolly, C. Ludwig, A. Fick,
Cloëtta u. s. w. aufgefunden wurden.
C. Ueber die Aufnahme der einzelnen Chymusbestandtheile durch
Blut- und Chylusgefässe zugleich.
Das praktische Bedürfniss verlangt endlich noch Aufschluss, wie
sich die Aufsaugung der einzelnen Nahrungsstoffe gestaltet, gleichgiltig,
ob sie durch das Blut- oder Chylussystem geschehen ist. Diese Frage
kann, mehrfach variirt, von der Erfahrung gelöst werden, wie es in der
That für einzelne Stoffe annähernd geschehen oder wenigstens versucht ist.
1. Die relative Menge der einfachen Nahrungsstoffe, welche der ge-
sammte Darmkanal in einer gegebenen Zeit aufnimmt, ist theils durch
[428]Aufsaugung durch Blut- und Chylusgefässe.
die Thatsachen der täglichen Erfahrung und theils durch besonders dar-
auf gerichtete Versuche von Boussingault, Letellier, Frerichs,
Lehmann, Knapp, Becker, Bidder und Schmidt so bestimmt
worden, dass in absteigender Reihe aus einem Gemenge derselben auf-
gesogen werden Wasser, Zucker, Eiweissstoffe, Leim, Kochsalz, Fette,
phosphorsaure Kalksalze, Natron, schwefelsaure Salze, Gummi. Die Gründe
für die Stellung der einzelnen Bestandtheile in der Reihe lassen sich im
Ganzen wohl einsehen. — Wasser durchdringt die thierischen Häute im
Allgemeinen sehr rasch und leicht, und zwar um so leichter, je weniger
seiner Verwandtschaft zum Blute das Gegengewicht gehalten wird durch
die im Chymus selbst aufgelösten Stoffe; darum werden verdünnte Lö-
sungen, wie sie das gewöhnliche Trinkwasser darstellt, in ganz überra-
schender Menge und in verhältnissmässig kurzer Zeit aufgesaugt, und
eben darum verschwindet so rasch das viele Wasser wieder aus dem
Darmkanale, das mit dem Labsaft, der Galle, dem Bauchspeichel in ihn
abgesondert wurde. Conzentrirte Lösungen dagegen, besonders solcher
Salze, welche wie die schwefelsauren nur schwierig die thierischen Häute
durchwandern, verlassen langsamer die Darmhöhle, da das Wasser durch
seine Verwandtschaft zum Salze zurückgehalten wird und es nur in dem
Maasse in die Blut- oder (Chylus?) gefässe übergehen kann, in welchem
die Lösung durch Uebertreten von Salz an Conzentration verliert
(Buchheim) *). — Dass der Zucker in reichlichem Maasse aufgenom-
men werden kann, ist einleuchtend, weil er in die Chylus- und Blutge-
fässe zugleich eingeht und demnach in allen Abtheilungen des Darmka-
nals vom Magen bis zum After aufgenommen werden kann. In ganz
denselben Verhältnissen findet sich das Kochsalz. Die beiden zuletzt
erwähnten Stoffe kann das Blut um so wirksamer anziehen, weil es sich
derselben fortwährend in dem Maasse durch den Harn oder durch Um-
setzung entledigt, in welchem es sie aufgenommen. — Im Gegensatze
hierzu stehen dagegen Eiweiss und Fette, welche beide nach unseren
gegenwärtigen Voraussetzungen nur durch die Chylusgefässe einen Aus-
weg finden. Das erstere muss aber ein Uebergewicht über das letztere
gewinnen, weil es vom Magen bis zum After seinen Durchgang findet,
während das Fett nur in die Zottenspitzen des Dünndarmes eingeht und
namentlich in reichlichem Maasse nur so weit, als dieselben von Galle durch-
tränkt sind. — Die phosphorsauren Erden können im Magen, wo sie von
der Säure gelöst sind, in das Blut und den Chylus eindringen, insofern
sie nicht an den Grenzen jener alkalisch reagirenden Flüssigkeiten nie-
dergeschlagen werden; an allen übrigen Orten sind sie nur zugleich mit
den eiweissartigen Stoffen, denen sie sich verbunden haben, aufsaugbar. —
Für die schwefelsauren Salze scheinen die Wandungen des Darmkanals nur
[429]Aufsaugung durch Blut- und Chylusgefässe.
sehr schwer durchgängig zu sein (Buchheim) und in noch viel höherem
Grade scheint dieses für das Gummi zu gelten (Boussingault) *).
2. Die absoluten Mengen einfacher Nahrungsstoffe, welche von der
Flächeneinheit des Magens, Dünn- und Dickdarmes in der Zeiteinheit
aufgesogen werden können, sind bis dahin nur für Eiweiss und Zucker
in dem Dünndarme des Kaninchens auf Veranlassung Lehmann’s durch
Knapp und Becker untersucht worden. Wie vorauszusehen, sind diese
Werthe sehr veränderlich gefunden worden. In vier Stunden nahm der
Quadratcentimeter aus einer 9 pCt. Eiweisslösung 0,001 bis 0,002 Gr.
Eiweiss auf, während aus einer 4,5 pCt. haltenden Lösung nur höch-
stens 0,0005 Gr. übergingen. Diese Versuche lassen schliessen, dass
die aufgesaugte Menge mit der Conzentration anwächst. Die Beobach-
tungen, welche Becker mit Zucker anstellte, geben durchaus andere
Resultate. In 4 Stunden wurden von der oben genannten Flächenein-
heit aufgesaugt aus einer 1,2 prozentigen Lösung 0,003 Gr., aus einer
9 prozentigen 0,005 bis 0,007 Gr., aus einer 5,8 und 3 prozentigen
0,003 Gr. Als er den Versuch so abänderte, dass er eine 10 prozentige
Lösung 1, 2, 3, 4 Stunden in dem Darme verweilen liess, gingen in der
ersten Stunde, wo die mittlere Conzentration am höchsten war, 0,003 Gr.
über, in der zweiten und dritten Stunde 0,007 und in der vierten Stunde
0,008. Daraus erfolgt deutlich, dass in diesen Beobachtungen die Dich-
tigkeit der Lösung und die Uebergangsgeschwindigkeit in keiner einfachen
Beziehung zu einander stehen; in der That kann diese Beziehung durch
die ungemeine Complikation der Bedingungen verdeckt gewesen sein.
In den vorstehenden Versuchen wurde eine Darmschlinge des Kaninchens her-
aus gezogen und abgebunden, mit einer gewogenen Menge Zucker- oder Eiweisslösung
von bekannter Zusammensetzung gefüllt, dann in die Unterleibshöhle zurückgebracht,
nach Verfluss der bestimmten Zeit von seinem Inhalte befreit und in diesem die Menge
des Eiweisses oder Zuckers gemessen. Jedenfalls wäre es wünschenswerth, die Lö-
sungsdichtigkeit auch zu Ende des Versuches zu kennen. — Boussingault be-
nutzte zu seinen früher erwähnten Versuchen unverletzte Thiere, deren Speisen und
Koth er analysirte; den Versuchstagen ging eine Untersuchung des Kothes während
der Enthaltung von aller Nahrung vorher. In die von Becker gelieferte Beurtheilung
seiner Versuchsresultate haben sich einige leicht zu verbessernde Versehen eingeschli-
chen, die das von ihm in Worten ausgedrückte Endergebniss der Versuchsreihen nicht
annehmbar erscheinen lassen.
3. Zu den Bedingungen, welche den Umfang der Aufsaugung der
Speisen bestimmen, gehört die Aufenthaltsdauer des Chymus im Darm-
kanale; diese ist aber gegeben einmal durch die Bewegung des Darm-
kanales, und dann durch den Widerstand, welchen die Klebrigkeit des
Breies der Fortschaffung entgegensetzt. Somit würde also die Zeit sehr
bedeutend abgekürzt, wenn der Speisebrei recht flüssig und beweglich
wäre. Dieses würde aber eintreten, wenn der Darmkanal gleichzeitig
[430]Vergleichung der Einnahmen und Ausgaben.
viel lösliche Stoffe enthielte, die eine mächtige Anziehung zum Wasser
zeigten. In dem normalen Verlaufe der Dinge musste darum dieser
Uebelstand vermieden werden, was in der That dadurch geschehen ist,
dass wir den Zucker nicht als solchen, sondern als Amylon, das Eiweiss
nicht flüssig, sondern geronnen geniessen, und noch mehr dadurch, dass
die erwähnten Speisen so ganz allmählig in die lösliche Modifikation über-
geführt werden, und dass eine jede gelöste Menge durch die Ver-
dauungssäfte aus dem noch ungelösten Antheile in entfernte Darmpar-
thien weggespült wird.
IV. Vergleichung des Verlustes und Gewinnes an wägbaren
Stoffen.
Ein Rückblick auf die Ernährungserscheinungen des Thierleibes legt
es uns nahe, die einzelnen Organe und also auch die Summen derselben
zu vergleichen mit einem Wassersammler, der gleichzeitig einen Zu- und
einen Abfluss erfährt. In der That dringt durch die Lunge und den
Darmkanal ein Strom von Atomen in den Organismus und durch Lunge,
Haut, Nieren und After wieder aus, so dass je nach dem Verhältnisse,
in welchem der Umfang und die Geschwindigkeit beider Strömungen zu
einander stehen, das mittlere tägliche Gewicht der Thierleibes entweder
sich annähernd unverändert erhält oder in einer Ab- oder auch in einer
Zunahme begriffen sein kann. Bei einer etwas tiefer eingehenden Be-
trachtung der Ernährungserscheinungen zeigen sich aber sogleich mannig-
fache Abweichungen von den Ergebnissen eines gewöhnlichen Stromes,
von denen eine schon dadurch zur Andeutung kam, dass der Begriff des
mittleren täglichen Körpergewichtes aufgestellt werden musste. Dieser
Ausdruck weist darauf hin, dass die Summe wägbarer Atome, welche
der Thierleib im Laufe eines Tages umschliesst, auf und abschwankt;
dieses muss aber geschehen, weil ein Theil der Einnahmen wie der Aus-
gaben nicht ununterbrochen, sondern periodisch geschieht, während ein
anderer Theil zwar ununterbrochen, aber mit auf und nieder schwan-
kender Geschwindigkeit ein- und ausgeht.
Der wichtigere Unterschied zwischen dem oben gewählten Bilde und
dem Strome von Atomen durch den thierischen Körper liegt aber darin,
dass die in den Thierleib geführten Massen nicht durch ihr Auftreten
die in ihm vorhandenen verdrängen und hinausschieben, sondern dass
sich die austretenden Atome in vielfachen Punkten unabhängig von der
Zufuhr aus ihren bisherigen Verbindungen loslösen. Dieses wird sogleich
einleuchtend, wenn man die Thatsachenreihe in das Auge fasst, welche
als Verhungern bezeichnet wird, gleichgiltig ob dieses geschieht in Folge
einer allgemeinen oder einer partiellen Entziehung von Nahrungsmitteln.
[431]Verhungern; Gesammthunger.
Uebersicht der Verluste beim Verhungern.
Gesammthunger. Wird einem Thiere, das bis dahin zur Genüge
gefüttert wurde, nur noch die Sauerstoffnahrung gewährt, während ihm
jegliche feste und flüssige Nahrung entzogen wird, so nimmt sein Ge-
wicht mehr oder weniger rasch ab, bis dasselbe endlich auf einen Werth
gediehen ist, bei dem das Leben nicht mehr bestehen kann. Um die
Gewichtsabnahme vergleichbar zu machen, welche während der einzelnen
oder der Gesammtzahl der Hungertage bei verschiedenen Thieren oder bei
demselben Thiere zu verschiedenen Zeiten stattfindet, zieht man in Be-
tracht die verhältnissmässigen Verluste derselben, indem man den täglichen
oder gesammten Gewichtsabgang mit dem Gesammtgewichte des Thieres,
welches am Beobachtungstage vorhanden war, dividirt. Dieser Quotient,
welcher den Verlust der Gewichtseinheit des Thieres ausdrückt, führt den
Namen proportionaler Tages- und Gesammtverlust.
1. Der Werth des proportionalen Tagesverlustes ist veränderlich mit
dem hungernden Individuum und der Dauer der Hungerzeit. Diese Be-
hauptung begründet sich leicht, wenn man erwägt, dass der beobachtete
proportionale Tagesverlust des Gesammtkörpers das Mittel ist aus den
Gewichtsabnahmen der einzelnen ihn aufbauenden Gewebselemente. Diese
aber sind von sehr ungleicher Zersetzbarkeit, indem sich der Inhalt der
Muskel- und Nervenröhren, der Leberzellen u. s. w. sehr viel rascher
umsetzt, als die Knochen, die elastische Substanz, das Sehnengewebe.
Je nachdem also ein dem Versuch unterworfenes Thier relativ mehr
Knochen und Bindegewebe oder mehr Muskel und Fett enthält, wird auch
der proportionale Tagesverlust grösser oder geringer sein. Was für ver-
schiedene Thiere in gleichen Terminen der Hungerperiode gilt, ist nun
auch anwendbar auf ein und dasselbe Thier in verschiedenen Abschnitten
der Hungerzeit, da mit derselben seine Zusammensetzung wesentlich um-
gestaltet wird; denn setzt man als wahrscheinlich voraus, dass der che-
mische Prozess im Thierkörper während der Hungerzeit qualitativ un-
verändert bleibe, so muss der proportionale Tagesverlust abnehmen, indem
die rascher zersetzbaren Gewebe im Anfange des Hungerns in relativ
grösserer Menge vorhanden sein müssen, als gegen das Ende desselben.
Die Zersetzungsfähigkeit einzelner Gewebe ist nun bekanntlich auch
keine constante, selbst dann nicht, wenn gleiche Zusammensetzung be-
steht, da sie, wie z. B. die Muskeln, durch zeitweise eintretende physi-
kalische Einwirkungen gesteigert oder geschwächt wird. Je häufiger sich
also z. B. die Veranlassung zu Muskelerregungen einfindet, um so leb-
hafter wird die Umsetzung vor sich gehen; unmöglich kann man aber
erwarten, dass die verschiedenen willkührlichen und automatischen Organe
des Thierleibes während der ganzen Hungerzeit eine gleich lebhafte Er-
regung behaupten.
[432]Proportionaler Verlust beim Gesammthunger.
Aus den Versuchen*) von Chossat und Schuchardt an Tauben geht rück-
sichtlich des täglichen Verlustes hervor, 1) dass er, alles Andere gleichgesetzt, steigt
mit dem Körpergewichte. — 2) Er variirt gewöhnlich in der Art, dass er in den
ersten Tagen nach der Nahrungsentziehung sehr beträchtlich ist, dann gegen die Mitte
der Hungerzeit abnimmt, in den letzten Tagen vor dem Tode wieder ansteigt und
einige Stunden vor letzterem aber rasch absinkt. — 3) Der grösste Theil des täg-
lichen Verlustes fällt auf Haut- und Lungenausdünstung. Zur Bestätigung dieser Be-
hauptung lassen wir die Beobachtungsreihen von Schuchardt folgen:
Aus einer weiter in das Einzelne gehenden und mühevollen Versuchsreihe an Katzen schliesst
Schmidt: 4) Die täglich ausgeathmete Kohlenmenge ist absolut genommen in den er-
sten 8 Tagen der Hungerzeit am grössten, in den letzten 2 Tagen vor dem Tode am ge-
ringsten; relativ zum Körpergewichte hält sie sich dagegen in den ersten 9 Tagen nahezu
gleich, in den darauf folgenden 7 Tagen wächst sie an und nimmt in den letzten 2
Tagen sehr bedeutend ab. — 5) Die ausgeschiedene Harnstoffmenge sinkt wahrend
der beiden ersten Hungertage beträchtlich, hält sich dann bis zu den beiden letzten
Tagen vor dem Tode nahezu gleich; in den beiden letzten Tagen sinkt sie sehr be-
deutend ab. — 6) Der Gehalt des Harnes an SO3 und PO5 steigt mit der Hungerzeit,
der Cl gehalt verschwindet dagegen vollkommen. Das Verhältniss der SO3 zur PO5
bleibt sich bis zum Tode gleich. Denn:
Ein Kilogramm Katze gab in 24 Stunden in Grammen
Zu dieser Tafel ist zu bemerken: das dem Versuche unterworfene Thier (eine
trächtige Katze) erhielt während der Dauer der Beobachtung zu 7 verschiedenen Ta-
gen etwas Wasser, im Ganzen 131,5 Gr. — Der Harnstoff wurde nach der Methode
von Heintz-Ragsky und die CO2 in einem Respirationskasten mit Luftdurchzug
bestimmt. Die für die CO2 verzeichneten Werthe sind abgeleitet aus 44 Beobach-
tungsstunden, so dass das Thier im Mittel 2,5 Stunden täglich im Athembehälter ver-
weilte. Diese Beobachtungsstunden sind so ausgewählt, dass wo möglich die eine in
das Maximum und die andere in das Minimum der täglichen CO2 ausscheidung fällt.
Eine Bestimmung des durch die Lunge ausgeschiedenen Ngases, welche nach Reg-
nault und Reiset bei hungernden Thieren statt hat, ist nicht versucht worden.
Schmidt leitet aus den Zahlen der Tabelle auch noch her, wie viel bindegewebs-
haltiges Fleisch und Fett sich während der Hungerzeit umgesetzt habe. Da mehrere
seiner Vorausssetzungen nicht festgestellt sind, wie z. B. dass aller N durch Harn
und After ausgeschieden sei, dass das fettfreie, bindegewebshaltige Katzenfleisch zu
allen Zeiten der Hungerperiode gleich zusammengesetzt sei u. s. w., so verweisen
wir auf die Abhandlungen selbst. Wir kehren zurück zu der Aufzählung weiterer
Beobachtungen.
Da auch täglich mehrmals das Körpergewicht der oben geschilderten Katze be-
stimmt wurde, so konnte noch festgestellt werden: 7) dass der Verlust, der durch
Haut und Lunge geschieht, in der Nacht geringer als bei Tage ist; die Unterschiede
treten in den ersten Tagen beträchtlicher hervor; in den letzten, nachdem das
Thier erblindet war, verschwanden sie dagegen nahezu. Nach einer Mittelberech-
nung von Schmidt*) liegt der grösste Werth zwischen 12—6 Uhr Mittags, der
niedrigste zwischen 2—6 Uhr Nachts. Diese Beobachtung bestätigt die Angaben
Boussingault’s**), welcher bei einer Turteltaube fand, dass sie bei normaler Er-
nährung im Mittel in einer Tagesstunde 0,258 Gr., in einer Nachtstunde 0,162 Gr. C
ausgab; während einer 168 stündigen Hungerperiode lieferte sie im Mittel in einer
Tagesstunde 0,117 Gr., in einer Nachtstunde 0,075 Gr. C. — 8) Die täglich ab-
gesonderte Gallenmenge nimmt bei hungernden Katzen sehr rasch ab in den ersten
beiden Tagen (p. 225.), von da sehr allmählig bis zu dem 10. Tage. Vorausgesetzt,
dass bei der vorliegenden Katze in demselben Verhältniss zum Körpergewichte Gal-
lenabscheidungen stattgefunden haben, wie in der früher aufgeführten Beobachtung,
lässt sich nach Schmidt behaupten, dass im Beginn der Beobachtung nur ein klei-
ner Theil, vom 10. Tage an aber die ganze Menge der ausgeschiedenen Galle durch
die Faeces entleert worden sei.
Zur Charakteristik der Lebensvorgänge beim Verhungern trägt noch wesentlich
bei die Feststellung des Verhaltens der thierischen Wärme und der Athembewegun-
gen an den einzelnen Hungertagen, wie sie Chossat***) in ausgedehnter Weise
für Tauben geliefert hat. Um die einzelnen Beobachtungen zur Gewinnung von Mit-
telzahlen vergleichbar zu machen, theilte er die Lebensdauer jedes einzelnen Thieres
vom Beginn des Hungerns bis zum Todestage (diesen exclusive) in drei gleiche Theile
und zog nun aus allen gleichnamigen Abschnitten die folgenden Mittel. Aus den sie
enthaltenden Tafeln geht hervor, dass er die Temperaturen (des Mastdarmes) und die
Athemzüge um Mittag und Mitternacht beobachtete. Die Beobachtungen während
des genügenden Futters sind an denselben Thieren gewonnen. Die Temperaturmes-
sungen ergaben:
Ludwig, Physiologie. II. 28
[434]Proportionaler Gesammtverlust.
Am letzten Tage sank die Temperatur sehr rasch; war sie auf 26° angelangt, so
gingen die Thiere zu Grunde.
Die Zählung der Athembewegungen stellte fest:
Vereinigt man alle Zählungen der Athembewegung bis zum Tage vor dem Hun-
gertode, so erhält man um Mittag 22 und um Mitternacht 24 Athemzüge in der Minute;
während der hinreichenden Ernährung athmeten die Tauben am Mittag 36 mal und
um Mitternacht 32 mal in der Minute. Das auffallende Ergebniss, dass bei der ver-
hungernden Taube in der Nacht die Athemfolge rascher wurde, ist nach Chossat
wahrscheinlich in einem Beobachtungsfehler begründet, der eingeführt wurde durch
das Aufschrecken der Thiere aus dem leisen Schlafe, den sie während der Hunger-
zeit geniessen. Am letzten Lebenstage sank das Minutenmittel der Athemzüge auf
19 herab.
2. Der proportionale Gesammtverlust, oder der Quotient aus der
Gewichtsabnahme des Thieres während der ganzen Hungerzeit in das
Körpergewicht vor Beginn der letzteren, ist ebenfalls sehr veränderlich
gefunden worden, und insbesondere haben die Beobachtungen von Chos-
sat aufgedeckt, dass junge magere Turteltauben (mittleres Anfangsge-
wicht = 110 Gr.) im Mittel schon bei einem proportionalen Gesammt-
verlust von 0,25 starben, während er bei älteren fetten (mittleres An-
fangsgewicht = 189 Gr.) den Werth von 0,46 erreichen musste, bevor
sie zu Grunde gingen. Diese Erscheinung findet ihre Erklärung darin,
dass eine gleichwerthige Abzehrung verschiedener Organe des Thierkör-
pers von ganz ungleichen Folgen für das Bestehen des Lebens sein
muss, wie z. B. offenbar die Abmagerung der Herzmuskeln und des
Hirns viel eingreifender wirkt, als die des Fettes, des Bindegewebes, des
Skeletts und seiner Muskeln. Da aber die Thiere, welche einen gerin-
geren proportionalen Gesammtverlust ertrugen, auch nach viel kürzerer
Zeit (nach 3 Tagen) hinstarben, als die alten und fetten (nach 13 Ta-
gen), so folgt auch aus den gemachten Mittheilungen, dass ein Reich-
thum an Skelettmuskeln und Fett die wichtigeren Organe vor wesentli-
chem Verlust zu schützen vermag, sei es, dass die umsetzenden Einflüsse
nicht eher die letzteren Gebilde angreifen, bevor die ersteren bis zu einem
gewissen Grade aufgezehrt sind, oder sei es, wie wahrscheinlicher, dass
[435]Proportionaler Gesammtverlust der Organe.
die wichtigeren Organe und insbesondere das Hirn tägliche Verluste auf
Kosten des Fettes und der Skelettmuskeln wieder ersetzen, so lange diese
vorhanden. Zur Unterstützung der letzteren Alternative dient nament-
lich die Beobachtung, dass das Hirn unter allen Organen durch den
Hunger den geringsten proportionalen Verlust erlitten hat, obwohl dieses
Organ, so lange es lebt, nothwendig auch umgesetzt werden muss, denn
ohne dies würde weder sein arterielles Blut in kohlensäurehaltiges ve-
nöses umgewandelt werden können, noch könnte das Organ fortwährend
lebendige Kräfte entwickeln.
Von einem nicht untergeordneten Interesse sind die Beobachtungen über den
proportionalen Gesammtverlust, den die einzelnen Organe durch das Hungern erlei-
den. Da begreiflich ihre Wägung nicht an einem und demselben Thiere vor Beginn
des Hungerns und nach dem Hungertode geschehen kann, so hat man ihren Verlust
auf einem Umwege ermitteln müssen. Zu diesem Ende hat Chossat die Organge-
wichte des verhungerten Thieres mit denen eines entsprechenden normal ernährten
verglichen, das von möglichst gleichem Alter und Gesammtgewicht war, wie das ver-
hungerte Thier vor Beginn des Versuches. Die Zergliederung derselben wurde un-
mittelbar nach dem Tode vorgenommen und die ausgeschnittenen Organe sogleich
gewogen. Hierbei konnte jedoch ein Verlust durch Wasserverdunstung nicht ver-
mieden werden, welcher sich bis zu 8 pCt. steigerte. Um diesen Uebelstand zu
beseitigen, wurden auch die getrockneten Organe mit einander verglichen. Das Mit-
tel aus allen Wägungen lieferte nun die folgende Tafel, in welcher die Zahlen den
Verlust bedeuten, welchen 100 Theile des betreffenden frischen oder wasserfreien
Organes während der ganzen Hungerzeit erleiden.
Auf demselben Wege hat Schuehardt für die feuchten Organe ganz ähnliche
Zahlen erhalten.
Schmidt stellte sich auf eine eigenthümliche, von der eben angegebenen ver-
schiedene Weise dadurch ein Normalthier her, dass er an einer wohl ernährten
Katze alle Organe frisch und getrocknet wog und dann das Verhältniss aller zum
Knochen berechnete. Dieselbe Operation nahm er mit der verhungerten Katze vor,
wobei er voraussetzte, dass der trockene Knochen während des Hungers nicht an
Gewicht verloren habe; indem er die Verhältnisszahlen der gefütterten Katze zu
Grunde legte, berechnete er dann, wie schwer jedes einzelne Organ der verhunger-
ten Katze zur Zeit der hinreichenden Fütterung hätte sein müssen, und bestimmte
mit Hilfe dieser hypothetischen Zahlen den Verlustantheil jedes einzelnen während
des Verhungerns. Da wir die täglichen proportionalen Verluste der lebenden Ge-
sammtkatze angegeben haben, für welche Schmidt die Organverluste berechnet hat,
so lassen wir hier auch die von ihm gegebenen Zahlen der letzteren folgen, wobei
wir uns jedoch auf die beschränken, welche mit den Beobachtungen von Chossat
28*
[436]Verhungern bei Theilhunger.
vergleichbar sind. Sie beziehen sich sämmtlich auf die getrockneten Organe und ha-
ben die Bedeutung derjenigen in der vorhergehenden Tafel.
- Mesenterium und Fettgewebe 91,3
- Blut ............. 90,4
- Milz ............. 70,2
- Pankreas ........... 84,5
- Leber ............. 64,7
- Darmkanal .......... 27,8
- Muskeln und Sehnen .. 65,0
- Haut .......... 5,7
- Lungen ......... 10,5
- Gehirn und Rückenmark 32,9
- Knochen ......... 0,0
Berücksichtigt man nun, dass unter den thierischen Gewebstheilen, welche vor-
zugsweise zum Verluste kommen, Blut, Muskeln und Fettgewebe dem Gewichte nach
überwiegen über alle anderen, so folgt daraus, dass das hungernde Thier auf Kosten
seines Blutes, seines Fettes und Muskelgewebes lebt, wobei sich u. A. die auffal-
lende Erscheinung einfindet, dass bei der Taube die zum Aufrechthalten des Rumpfes
benutzten Muskeln, welche während der Hungerzeit öfter in Bewegung sind, weni-
ger verlieren, als die ruhig gehaltenen Flugmuskeln; es haben sich also auch die
Muskeln gegenseitig unterhalten. — Der grosse Verlust des Hirns und Rückenmar-
kes beim Säugethiere, gegenüber dem verschwindenden beim Vogel, bedarf weiterer
Bestätigung.
Fütterung mit einer zu geringen Menge qualitativ ge-
nügender Nahrung. Die Versuche von Chossat liessen sich, wie
folgt, zusammenstellen.
Aus dieser Tafel geht hervor, dass die Ausgaben mit den Einnah-
men abnehmen, jedoch keineswegs in der Art, dass die Abnahme beider
proportional ginge, da bei ungenügender Nahrung die Ausgaben das
Gewicht der ersteren überwiegen. Daraus folgt, dass die Thiere auch in
diesem Falle dem langsamen Hungertode entgegengehen, der sich ein-
findet, so wie die Abmagerung der wichtigen Organe auf einen dem früher
erwähnten ähnlichen Grad gediehen ist.
Entziehung aller festen Nahrung. Reicht man den Thieren,
während man ihnen alle feste Nahrung vorenthält, nach Belieben Was-
ser, so verschmähen sie auch schon nach den ersten Tagen diese Speise.
Wünscht man also die Erscheinungen des alleinigen Hungers an festen
Stoffen zu erfahren, so ist es nothwendig, das Wasser in den Magen zu
[437]Entziehung der festen Nahrung.
sprützen. Stellt man die Beobachtungen, welche Schmidt an zwei
Katzen, von denen die eine wenig, die andere viel Wasser erhielt, zu-
sammen, so ergiebt sich, dass 1 Kilogr. Katze im Mittel in 24 Stunden
verliert:
Diese Beobachtungsreihe lässt erkennen, dass mit der vermehrten
Aufnahme des Wassers auch die Ausscheidung desselben, aber nicht im
Verhältnisse der Aufnahme, zunimmt. Dieser Schluss dürfte keine An-
fechtung dadurch erleiden, dass die durch Verdunstung verlorenen Was-
sermengen nicht angegeben sind, indem mindestens die Annahme ge-
rechtfertigt ist, dass die erstere Katze, welche weniger CO2 ausathmete
als die letztere, durch die Lungenverdunstung nicht mehr Wasser ver-
loren habe als die erstere; der Wasserverlust durch die Haut dürfte aber
bei behaarten Thieren überhaupt nicht hoch anzuschlagen sein. Genügt
nun, wie in unserem ersten Falle, die eingeführte Wassermenge, um den
grössten Theil des Wasserverlustes zu decken, so muss nothwendiger
Weise bei fortschreitender Abnahme der festen Bestandtheile der pro-
zentische Wassergehalt der Organe in einem Steigen begriffen sein,
woraus mancherlei Störungen derselben erwachsen werden. In der
That stellen sich diese in der oben zusammengestellten und in einer
gleichartigen Beobachtungsreihe, welche Chossat an Tauben ausführte,
ein. — Die mitgetheilte Zusammenstellung lässt ausserdem schliessen,
dass der tägliche Verlust an festen Bestandtheilen geringer werde bei
einer reichlichen Tränkung mit Wasser. Dieser Satz scheint aber nur
von Geltung für die Säugethiere zu sein, da Chossat ihn wohl bei
Kaninchen, nicht aber bei Tauben, die unter gleichen Verhältnissen ver-
hungerten, bestätigt fand.
Entziehung des Wassers. Zu denen des Durstes gesellen sich
sehr bald die Folgen des Hungers, indem die Thiere die trockene Nah-
rung immer mehr und mehr und endlich ganz verschmähen. Eine
Anschauung des allgemeinsten Vorganges giebt folgender Versuch von
Schuchardt, welcher aus einer grossen Reihe ausgewählt wurde. Die
verdurstete Taube wog im Beginn des ersten Versuchstages 301,0 Gr.
Ihre Nahrung bestand aus lufttrockener Gerste. Die proportionalen Ver-
luste sind auf das Anfangsgewicht eines jeden Tages bezogen.
[438]Entziehung des Wassers.
Die wässerigen Abscheidungen, insbesondere die des Harns, nehmen
beträchtlich ab; sie betrugen an einem verdurstenden Hunde nach Falk
und Scheffer in den ersten drei Hungertagen im Mittel täglich
= 46,0 Gr., in den folgenden drei = 25,5 Gr., in den darauf folgen-
den = 18,1 Gr. und in den letzten drei endlich = 6,6 Gr. — Die
Angaben über die Verluste der einzelnen Organe schliessen sich an die
bei Gesammthunger mitgetheilten an, mit Ausnahme des Fettes, welches
beim Genuss trockener Nahrung nicht sehr beträchtlich schwindet. Die
Gewichtsabnahme der Organe geschieht allerdings auch durch den Aus-
tritt fester Bestandtheile; vorzugsweise entfernt sich aber das Wasser,
so dass die Organe relativ trockener werden; vergleicht man die Rück-
standsprozente derselben Organe zweier möglichst gleicher Thiere, von
denen das eine nach normaler Ernährung, das andere durch Entziehung
des Wassers getödtet war, so findet man, dass Haut, Sehnen, Muskeln,
Darmkanal und Blut 4 bis 11 pCt. fester Bestandtheile mehr enthalten,
während sich die Zusammensetzung des Hirns und der meisten Drüsen
nicht verändert hat (Scheffer).
Entziehung der Eiweissnahrung. Wir besitzen hierüber
Angaben von Schuchardt, welcher die dem Versuche unterworfenen
Tauben mit einem Gemenge von Amylon, Gummi, Zucker, Oel und den
gewöhnlichen Blutsalzen in einem Verhältnisse fütterte, in dem sie von
Norton*) im englischen Hafer beobachtet wurden. Die Uebersicht
über den täglichen Gewinn und Verlust giebt die folgende Tafel, welche
nur eines der drei untersuchten und in ihren Erscheinungen wohl über-
einstimmenden Thiere berücksichtigt. Die ganze Beobachtungszeit ist in
vier gleiche Theile von je 5 Tagen gespalten und aus jedem derselben
[439]Entziehung der Eiweissnahrung.
das Tagesmittel genommen. Bei Beginn des Versuches betrug das Kör-
pergewicht 344 Gr.
Frerichs*), welcher bei einem ähnlich gefütterten Hunde die Harn-
stoffausscheidung mass, fand sie (im Verhältniss zum Körpergewicht)
beträchtlich geringer als bei anderen normal ernährten, aber nicht we-
sentlich niedriger als bei hungernden Hunden.
Der proportionale Gesammtverlust, den die von Schuchardt beob-
achteten Tauben bis zum Tode erlitten, war viel geringer, als bei allen
denen, welche unter den aufgezählten Umständen verhungert waren; die-
ses findet seinen Grund in dem Umstande, dass der proportionale Ge-
sammtverlust der einzelnen Organe sich ebenfalls verschieden heraus-
stellte.
- Blut ..... 0,514
- Brustmuskeln 0,453
- Fett ..... 0,393
- Herz
- Haut
- Leber
- Darmkanal 0,287
- Knochen . 0,204
- Hirn ... 0,138
- Lungen .. 0,010
- Augen .. 0,009
Es wird nicht entgehen, wie sehr das Fett und die Drüsen ge-
schont sind, im Vergleiche zu anderen verhungerten Thieren. Die Ver-
luste an Muskelsubstanz sind dagegen nicht niedriger geworden.
Nahrung aus Fett und Wasser. Bischoff**) verglich an
demselben Hunde die Ausgabe, während er das eine mal nur mit Was-
ser, das andere mal mit Fett und Wasser gefüttert wurde.
Für 1 Kilogr. Hund in 24 Stunden:
Zu dieser Beobachtung gehört die Bemerkung, dass derselbe Hund, welchem bei
verschiedenem Körpergewichte die festen Speisen entzogen und nur Wasser gegeben
wurde, nicht immer dieselbe proportionale Harnstoffmenge aussonderte; bei einem
mittleren Körpergewichte von 24 Kilo lieferte ein Kilogr. 0,56 Gr. Harnstoff, und
bei 33 Kilo mittlerem Körpergewichte gab 1 Kilogr. 0,62 Gr. Harnstoff aus. Als er
[440]Nahrung aus Fett und Wasser; aus Wasser und Zucker.
aber nach der oben erwähnten Nahrung mit Fett und Wasser noch vier Tage hin-
durch nur mit Wasser gespeist wurde, sonderte 1 Kilogr. des Thieres nur noch
0,28 Gr., also weniger aus, wie zu den Zeiten der Fettnahrung. Bischoff sieht
diese Erscheinung als eine Nachwirkung der Fettfütterung an und findet seine Mei-
nung bestätigt durch den sichtbaren Fettgehalt des Kothes, welcher während der letz-
teren Zeit entleert wurde. Zudem war in allen Beobachtungsreihen die Harnstoff-
ausscheidung von Tag zu Tag sehr veränderlich, was zum Theil wenigstens begrün-
det war in der unregelmässigen Entleerung der Blase. An einzelnen Tagen, ja ein-
mal sogar während 48 Stunden, liess das Thier gar keinen Harn.
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass bei der Fettfütterung
das reichlicher aufgenommene Wasser und Fett den täglichen Gesammt-
verlust quantitativ nahezu deckten, so dass nur eine geringe Abnahme
im Gesammtgewicht des Thieres eintrat. Sie verminderte zugleich den
Umsatz der stickstoffhaltigen Körperbestandtheile beträchtlich. In ge-
wisser Weise ergänzend schliesst sich an diese eine Beobachtungsreihe
von Letellier bei Turteltauben an, welche mit Butter und Wasser
bis zum Tode gefüttert wurden. In Mittelzahlen aus allen Versuchen
stellen sich seine Resultate folgendermaassen zusammen:
Aus dieser Zahlenreihe ist ersichtlich, dass die Kohlensäureausschei-
dung zwar beträchtlich herabgedrückt ist, aber doch nicht bis zu dem
Maasse, das ihr bei vollem Hungern zukommt. Die unvollkommene Nah-
rung vermochte auffallend lange Zeit das Leben zu erhalten; diese Er-
scheinung scheint in Beziehung zu stehen mit dem langsamen Umsatze
der eiweisshaltigen (harnstoffliefernden) Atome bei Fettnahrung. Reg-
nault und Reiset beobachteten, dass eine mit Fett und Wasser ge-
fütterte Ente N aus der Atmosphäre absorbirte.
Wasser und Zucker. Eine sehr reichliche und ausschliessliche
Fütterung mit Zucker wirkt wegen des eintretenden Durchfalls rasch tödt-
lich (Chossat, Letellier). Bei einer mässigen Gabe des Zuckers
gestalten sich die Erscheinungen nach Letellier an Tauben folgender-
maassen:
In mehreren der 5 Beobachtungen, aus welchen diese Mittelzahlen
gezogen sind, war der Verlust durch die Faeces noch sehr bedeutend. —
Die Ausscheidung der CO2 bleibt hier immer noch sehr beträchtlich. Bei
[441]Nahrung aus Eiweiss oder Leim, und aus Eiweiss, Zucker, Wasser.
dieser Fütterungsart wird, wie bei der vorhergehenden, die Umsetzung
des Eiweisses gehemmt, wie die Beobachtungsreihe lehrt, die Leh-
mann an sich selbst anstellte; er fand, wie schon früher angegeben,
die täglich ausgeschiedene Harnstoffmenge sehr vermindert. Die Fütterung
mit Zucker schützt ebenso wie die mit Fetten das im Thierleibe ent-
haltene Fettgewebe vor der Umsetzung, indem die Menge der letzteren
in den Thieren, welche bei Fett und Zucker verhungert waren, beträcht-
lich höher geblieben ist, als bei Thieren, die am Gesammthunger
starben.
Letellier bestimmte den Fettgehalt in der Haut und im Netze durch Aus-
kochen, in dem gekochten Rückstande und in dem übrigen Thiere aber dadurch, dass
er dasselbe trocknete, pulverte und mit Aether auszog.
Eiweissartige Körper oder Leim und Wasser. Die aus-
schliessliche Fütterung mit eiweissähnlichen Stoffen hat bis dahin nur
Boussingault bei Enten in Anwendung gebracht; von seinen Bestim-
mungen an diesen Thieren haben für uns nur Werth die der ausgeschie-
denen Harnsäure. Eine hungernde Ente lieferte stündlich 0,01 Gr. Harn-
säure in die Faeces; eine mit reinem Leim und reinem Käse oder gewa-
sehenem und gepresstem Ochsenfleische gefütterte 0,44 bis 0,50 Gr. Der
grössere Gehalt der Faeces an Harnsäure war schon wenige Stunden
nach der Fütterung mit den erwähnten Stoffen eingetreten.
Eiweiss, Zucker, Wasser. Letellier führte eine Versuchs-
reihe an Turteltauben aus, sie ergiebt in ihren Mittelzahlen:
Die Faeces waren sehr reich an Harnsäure.
Eiweiss, Blutsalze, Wasser. An die eben gegebenen schlies-
sen sich eng an Versuche mit Tauben, welche Schuchardt mit Hüh-
nereiweiss und einem Salzzusatz fütterte in dem Verhältnisse, in welchem
Salz und Eiweissstoffe im Hafer vorhanden sind. Die Lebenszeit, welche
eine dieser Tauben, die wir als Beispiel auswählen, bei der unvollkom-
menen Fütterung erreichte, ist in drei gleiche Theile getheilt; die Mittel-
zahlen der Einnahmen und Ausgaben aus jeder derselben sind in der fol-
genden Tafel eingetragen. Das Anfangsgewicht des Thieres betrug 367,0 Gr.
Nach der Sektion stellte sich der proportionale Verlust der wichtig-
sten Eingeweide folgendermaassen heraus:
- Fett = 0,821
- Blut = 0,787
- Brustmuskeln = 0,507
- Haut = 0,418
- Herz = 0,424
- Leber = 0,413
- Lungen = 0,042
- Knochen = 0,038
- Hirn = + 0,074
Das Hirn hatte also mindestens keinen Gewichtsverlust erlitten. Ver-
suche mit vollkommenem Ausschluss der salzigen Nahrungsmittel sind
bis dahin noch nicht angestellt worden.
Genügende Nahrung.
Die Zusammenstellung des Ein- und Ausganges der Stoffe zum thie-
rischen Organismus geschah früher nur nach dem Gewichte derselben, eine
erste Näherung des zu lösenden Problems, die heute kein Interesse mehr ge-
währt. Man muss, will man einmal die Aufgabe in Angriff nehmen, gegen-
überstellen die Gewichte aller oder einzelner ein- und ausgetretener Ele-
mente. Aus den bekannten Beobachtungen haben wir folgende ausgewählt.
Mensch. Die nachstehende Beobachtung ist von Barral (47,5
Kilo schwer) an sich selbst angestellt.
I. Beobachtungszeit 5 Tage. Mittlere Temperatur — 0,54°C. Barometer 756,11 MM.
Der C und H, der durch Verdunstung entleert wird, giebt oxydirt
für 47,5 K. CO2 = 1230,9 Gr. und HO = 1287 Gr.; für 1 K. CO2
= 25,91 Gr., HO = 27,08 Gr.
II. Beobachtungszeit 5 Tage. Mittlere Temperatur + 20,18°C. Barometer 754,40 MM.
Der C und H, der durch Verdunstung entleert wird, giebt oxydirt
[443]Genügende Nahrung.
für 47,5 K. CO2 = 888,4 Gr. und HO = 1158,0 Gr.; für 1 Kilo CO2
= 18,70 Gr. und HO = 24,37 Gr.
Um diese Tabelle entwerfen zu können, hat Barral geradezu bestimmt die Menge
und Zusammensetzung seiner Nahrung (Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, Brod, Zuckerwerk,
Butter, Senf; Wasser, Fleischbrühe, Milch, Kaffee, Wein), seines Harnes und Kothes.
Da bei der eingehaltenen Lebensweise das mittlere tägliche Gewicht des Gesammt-
körpers sich unverändert erhielt, so ist annäherungsweise die Annahme erlaubt, dass
die täglich ein- und ausgehenden Atome wie an Zahl so auch an Art einander gleich
waren, so dass sich die Zusammensetzung des Organismus unverändert erhielt. Unter
dieser Voraussetzung kann man aus den direkt erhaltenen Bestimmungen mittelst ein-
facher Subtraktion der sensibeln Ausleerungen von den Speisen ableiten, welche
Menge der mit der Nahrung eingeführten H, C, N, O ihren Weg durch Haut und
Lunge nehmen musste. Wir wollen den erhaltenen Unterschied den Verdunstungs-
rest nennen. Da nun ferner erlaubt ist, anzunehmen, dass der C, H und O aus der
Haut und Lunge nur als Wasser und Kohlensäure austreten, so lässt sich auch be-
rechnen, wie viel O noch zu dem Verdunstungsrest geführt werden muss, um seinen
H und C zu oxydiren. Dieser Sauerstoff muss aber in freiem Zustande zum grössten
Theile durch die Lungen aufgenommen sein. Obwohl man unmöglich verkennen kann,
wie viel Gewagtes diese Annahmen enthalten, so ist doch einzusehen, dass sich das
Resultat nicht allzuweit entfernen kann von der Wahrheit, vorausgesetzt, dass Speise
und Ausleerungen genau analysirt und die Beobachtungen über mehre Tage fortge-
setzt werden.
Katze.
Die folgenden Versuche sind von Bidder und Schmidt angestellt.
I. Mittleres Gewicht des Thieres 3,228 K. Beobachtungszeit 9 Tage.
Der C und H des Verdunstungsrestes oxydirt giebt für 3,228 K. CO2
= 65,60 Gr. und HO = 49,59 Gr.; für 1 K. aber CO2 = 20,322 Gr.
und HO = 15,368 Gr.
[444]Genügende Nahrung.
II. Dieselbe Katze unmittelbar nachher dem Versuch unterworfen. Mittleres
Gewicht 3,228 K. Beobachtungszeit 51 Stunden.
Dem Gewichte nach vertheilen sich die Ueberschüsse der Einnahme
über die ganze Nieren-, Darm- und die beobachteten Antheile der Lungen-
ausscheidung in der Art, dass 17,15 Gr. auf die Verdunstung und 31,39
Gr. auf die Zunahme des Körpergewichts fallen.
III. Eine andere Katze von 2,177 Kilogr. gab (Beobachtungszeit 8 Tage):
Dem Gewichte nach vertheilt sich der Einnahmeüberschuss über
die Ausgaben durch Niere, Darm und den beobachteten Antheil der
Lungenausscheidung so, dass auf die Verdunstung 9,36 Gr., auf die Zu-
nahme des Körpergewichts 18,35 Gr. fielen.
Hund.
Aus den Beobachtungen, welche Bischoff an zwei Hunden
vorzugsweise mit Rücksicht auf die Harnstoffausscheidung anstellte, heben
wir folgende hervor. Der N der Ausgabe bezieht sich immer auf den,
welcher im entleerten Harnstoffe enthalten ist. Steht das Körpergewicht
unter der Einnahme, so bedeutet dieses eine Verminderung, steht es
unter der Ausgabe, so bedeutet dieses eine Vermehrung desselben.
[445]Genügende Mahrung.
I. Hund mit einem mittleren Gewicht von 31,297 Kilo. Beobachtungszeit 8 Tage.
An demselben Hunde, als er im Mittel 30,107 Kilo wog, gab die
Vergleichung des mit den Kartoffeln ein- und dem Harnstoff ausgeschie-
denen Stickstoffquantums Folgendes:
II. Beobachtungszeit 7 Tage.
III. Derselbe Hund mit einem mittleren Gewichte von 35,16 Kilo. Beobachtungs-
zeit 15 Tage.
Die folgenden Tafeln beziehen sich auf einen zweiten Hund.
IV. Körpergewicht 12,5 Kilo. Beobachtungszeit 14 Tage.
V. Körpergewicht im Mittel 16,44 Kilo. Beobachtungszeit 6 Tage.
VI. Körpergewicht 17,82 Kilo. Beobachtungszeit 8 Tage.
VII. Mittleres Körpergewicht 17,75 Kilo. Beobachtungszeit 15 Tage.
VIII. Mittleres Körpergewicht 13,5 Kilo. Beobachtungszeit 14 Tage.
Vom 6. bis 9. Tag erhielt das Thier, weil es durch das reichlich ge-
nossene Fett zum Erbrechen gebracht wurde, nur Fleisch.
Turteltaube.
Folgende Zusammenstellung giebt Boussingault:
I. Mittleres Körpergewicht 186,08 Gr. Beobachtungszeit 7 Tage.
Der H des Verdunstungsrestes entspricht 35,64 Gr. HO; addirt man
dieses zur Einnahme und zieht von der Summe das Wasser des Harnes
und Kothes ab, so gewinnt man die Zahl, welche in die Reihe Ver-
dunstung eingetragen ist. — Der ausgeathmete C ist an derselben Taube
auch noch auf direktem Wege geprüft und ganz nahe übereinstimmend
mit dem auf indirektem Wege erhaltenen gefunden worden.
II. Eine Turteltaube von 175,6 Gr. Körpergewicht gab durch die
Verdunstung 20,32 Gr. C auf die mittlere Tagesstunde; dieses Thier liess
Boussingault216 Stunden hungern, wobei sein Gewicht auf 112,5
Gr. sank. Als darauf wieder die gewöhnliche Portion Hirse gereicht
wurde, nahm das Körpergewicht und der ausgehauchte C folgendermaassen
zu. — Die Zeit ist von der ersten Stunde des Fressens an gerechnet.
Die bis dahin zusammengestellten Thatsachen führen zu einigen all-
gemeinen Sätzen, welche sich beziehen auf die Gesammtausgabe, den
Verlust an bestimmten Atomen und deren Verbindungen, auf das Verhält-
niss der Ausgaben durch die einzelnen Ausscheidungswerkzeuge, auf die
Beziehungen zwischen der Aufnahme von Sauerstoff und festen Speisen
und endlich auf den Verbrauch und Ansatz von Organbestandtheilen.
Der Gesammtverlust. 1. Mit dem Gewichte der qualitativ
gleichen Nahrung steigt auch dasjenige der Endausgaben, diese Regel gilt
durchgreifend; beim Hungern wird immer weniger ausgegeben als bei
beschränkter Fütterung und bei dieser weniger als bei reichlicher Speise-
zufuhr. Dieses ist aber nicht so zu verstehen, dass sich unter allen
Umständen sogleich ein Gleichgewicht herstellt zwischen den Einnah-
men und Ausgaben. Steigert sich jenseits gewisser Grenzen das Gewicht
der täglichen Nahrung, so mehren sich zwar die Ausgaben, zugleich aber
wächst auch das Gewicht des Körpers; diese Zunahme des Körpergewichts
schreitet aber nur bis zu einem gewissen Grade fort, und mit diesem wächst
zugleich die Summe der Ausgaben, so dass alsbald wieder ein Punkt
erreicht wird, in welchem die Masse des Körpers constant bleibt, mit
anderen Worten, in welchem Ausgaben und Einnahmen gleich gross ge-
worden sind. Sinkt umgekehrt die Menge der Nahrung ab, so vermin-
dert sich die Ausgabe und das Körpergewicht, so jedoch, dass ursprünglich
die ersteren noch über die Einnahmen überwiegen, bis schliesslich
abermals das Körpergewicht stabil und Einnahme und Ausgabe gleich
gross wird. Einer bestimmten Menge von Speisen entspricht also ein
bestimmtes Körpergewicht. Weil aber die Gewichte der Ausgaben rascher
steigen als die des Gesammtkörpers, oder anders ausgedrückt, weil die
Gewichtseinheit des reichlicher gefütterten Thieres mehr Gesammtausga-
ben macht, als die des spärlich ernährten (siehe Katze I. und II. und
Hund IV. und VI.), so folgt daraus, dass die gesteigerte Umsetzung nicht
allein abzuleiten ist von der Ausbreitung der zersetzenden Herde, son-
dern von einer grösseren Lebhaftigkeit der Umsetzung in jedem der letz-
teren. Dieses ist selbstverständlich, wenn die Gewichtseinheit des gemä-
steten Thieres eine andere chemische Zusammensetzung besitzt, als die
des abgemagerten.
2. Gleiche Gewichte ungleich beschaffener Nahrung erzeugen un-
gleiche Ausgaben. Nach reiner Fleischkost erfolgen die Ausscheidungen
reichlicher, als nach Fleisch und Fett, oder Fleisch und Amylon. Darum
leitet ein geringeres Gewicht gemischter Nahrung die Mästung eher ein,
als ein grösseres reiner Fleischkost.
3. Die Art und Individualität des Thieres übt einen wesentlichen Ein-
fluss auf die Lebhaftigkeit der Ausscheidungen. So bedarf die Gewichts-
einheit Taube, um sich auf constantem Körpergewichte zu erhalten, viel
mehr Futter, als die Gewichtseinheit Hund, Katze, Mensch. Wie sich die
[448]Regeln für das Verhältniss von Einnahme und Ausgabe.
Verhältnisse bei den drei letzteren Warmblütern verhalten, geht aus den
vorliegenden Thatsachen nicht mit Sicherheit hervor, da die Fütterungsart
sehr abweichend war. Die Vergleichung der Erfolge annähernd gleicher
Fütterung bei den Katzen I. und III. ergiebt, dass sich die vom geringen
Körpergewicht trotz etwas reichlicherer Nahrung doch weniger mästet,
als die schwerere. Diese Beobachtung erhält um so mehr Werth, als
sie in Uebereinstimmung ist mit den von Erlach bei Respirationsver-
suchen gewonnenen Erfahrungen (p. 359).
Betheiligung der einzelnen Atome oder Atomgruppen
an dem gesammten Verluste. 1. Im Allgemeinen kann es als gil-
tig angenommen werden, dass eine Atomgruppe, oder die aus ihrer Zer-
setzung hervorgehenden Verbindungen, in dem Maasse aus dem Leibe
wieder ausgeschieden werden, in welchem sie in der Nahrung enthalten
waren. Daraus folgt, dass die qualitative Zusammensetzung des Orga-
nismus unabhängig von derjenigen der Nahrung bestehen bleibt; jedoch
unter der Beschränkung, dass einem bestimmten Verhältnisse, in wel-
chem ein jedes Atom in der Nahrung erscheint, auch ein bestimmter
Sättigungsgrad des thierischen Körpers mit diesem Atome entspricht.
Wenn sich demnach in der Nahrung die Menge einer Verbindung für
einige Zeit bleibend ändert, so werden nicht unmittelbar darauf, dieser
Aenderung genau entsprechend, die Umsetzungsprodukte jenes Nahrungs-
mittels in den Ausscheidungen vermehrt oder vermindert werden, son-
dern es lagert sich, wenn die Aufnahme steigt, zuerst in den Körper
ein Theil der Verbindung ab, und umgekehrt, es schwindet ein Theil
des abgelagerten Stoffes, wenn sich die Gewichtsmenge desselben in der
Nahrung minderte.
Die Erläuterung dieser eben so wichtigen als eigenthümlichen Erscheinung bietet
vorzugsweise nur dann Schwierigkeiten, wenn das im Ueberschuss aufgenommene
Atom nicht wieder einfach abgeschieden werden kann in der Verbindung, in welcher
es sich gerade findet, wie z. B. Salze und Wasser, sondern vorher zerlegt und oxy-
dirt werden muss. Das erste Problem, was sich unter Voraussetzung der Nothwen-
digkeit einer vorgängigen Spaltung entgegenstellt, läuft darauf hinaus, zu entschei-
den, ob die Spaltung innerhalb des Gefässsystems oder ausserhalb desselben, in den
Organen, resp. deren Flüssigkeiten, geschehe. Die Erfahrung entscheidet, wenn nicht
durchaus, doch wenigstens theilweise für die letztere Alternative, da in der Leber,
den Muskeln u. s. w. die Zerlegung des Eiweisses, der Fette u. s. w. vor sich
ging; nachweislich wurde auch bei einer Vermehrung des Fleisch- oder Zuckerge-
haltes der Nahrung ein wesentliches intermediär zersetzendes Organ, die Leber, zu
reichlicherer Zuckerbildung veranlasst. Nach der Feststellung dieses verlangt man zu-
nächst zu wissen, warum ein lebhafterer Strom dieses oder jenes Stoffes in das Blut
auch eine Beschleunigung seines Austrittes aus demselben herbeiführt. Es liegt nahe,
anzunehmen, dass dieses in Folge mehrerer, schon öfter erwähnter Einrichtungen ge-
schehe, die wir im Ganzen als das Streben zum Gleichgewichte der Diffusion und me-
chanischen Spannung zwischen Blut und Gewebsflüssigkeiten bezeichnet haben. Ge-
setzt, es sei damit die beschleunigte Absonderung in die Zersetzungsherde klar ge-
worden, so würde angegeben sein, warum mit der vermehrten Dichtigkeitder Lösungen
[449]Ungleich rasche Umsetzung der Nahrungsstoffe.
zersetzungsfähiger Stoffe, die Zersetzung in den Organen auch wirklich mächtiger
werde. Hierauf dürfte schwerlich eine allgemein giltige und, was schlimmer, in den
meisten Fällen gar keine Antwort erfolgen. Man könnte daran denken, dass in den
Muskeln und Nerven die elektrischen Ströme und damit die Elektrolyse mächtiger
würden, wenn diese Organe mit Eiweissstoffen, Fetten, Zuckerarten gespeist wür-
den, und dass die Atome der Zerlegung am meisten anheimfielen, welche am reich-
lichsten vorhanden waren; oder aber die gesteigerte Wärme des Blutes begünstige
die zersetzenden Kräfte der Milz, des Pankreas u. s. w. im Allgemeinen, so dass
nun je nach dem Gehalte des Körpers an einem oder dem anderen Stoffe bald die vor-
zugsweise eiweisszersetzenden Werkstätten (Milz, Pankreas, Thyreoidea?) oder bald
die vorzugsweise fettzersetzenden (Fettzellen, Blutkörperchen?) in gesteigerte Thätig-
keit kämen. Die Umwandelung der primären Spaltungsprodukte in den Sauerstoffver-
bindungen der Auswürflinge endlich lässt sich leicht begreifen. Denn nach den in der
Respirationslehre entwickelten Grundsätzen mehrt sich, entsprechend dem Sauerstoff-
verbrauche des Blutes, auch die Menge des durch die Lungen aufgenommenen Sauer-
stoffes. Wenn also die in das Blut und die Gewebe aufgenommenen Nahrungsmittel
in leicht oxydable Stoffe umgewandelt werden, so muss sich demnach auch der durch die
Lunge eingeführte Sauerstoff anpassen dem genossenen Gewichte von organischer Nahrung.
2. Wenn die Nahrung gleichzeitig aus verschiedenen Atomgruppen
besteht, so kommt innerhalb des Organismus die eine früher als die
andere zur Zersetzung. Aus den Beobachtungen an Katzen mit über-
reichlicher Fütterung eines fetthaltigen Fleisches (II. III.) scheint zu
folgen, dass erst das Fleisch und dann das Fett zerlegt werde, eine An-
gabe, die durch die entsprechenden Versuche an Hunden (VI. und VII.)
eher unterstützt als widerlegt wird. Die aus dem Amylon und Zucker
hervorgehenden Atome scheinen dagegen eher zerlegt zu werden, als die
eiweissartigen, so dass diese letzteren so lange vor einer Zerfällung be-
wahrt werden, als die ersteren noch in reichlichen Mengen vorhanden sind.
Um dieses zu erläutern, könnte man unterstellen, dass im thierischen Körper
immer nur eine beschränkte Gewichtsmenge spaltender Stoffe vorhanden wäre,
welche mit ungleichen Verwandtschaften zu den organischen Atomgruppen begabt und
die nur auf die Atomkomplexe, mit denen sie in Verbindung wäre, ihre Wirk-
samkeit entfalten könnte. Um an einem Beispiele diese Hypothese klar zu machen,
erinnern wir daran, dass unter der Mithilfe des NaO die Zersetzung des Eiweisses
und der organischen Säuren vor sich geht, und dass die Menge, welche von dieser
Basis im thierischen Körper enthalten ist, eine beschränkte genannt werden kann.
Wäre also dieselbe gebunden an die Umsetzungsprodukte des Zuckers (Milchsäure
oder Buttersäure), so würde sie begreiflich nicht zugleich das Eiweiss zu spalten im
Stande sein. Unzweifelhaft ist es nicht schwer, die Zahl solcher hypothetischer Er-
klärungsgründe zu mehren.
3. Hier ist auch zu erwähnen die wiederholt behandelte Streitfrage,
ob die bei gesteigerter Nahrungsaufnahme reichlicher erscheinenden Ab-
sonderungsprodukte, und ob insbesondere der nach reichlichem Fleisch-
genusse massenhaft erscheinende Harnstoff aus der umgesetzten Nah-
rung oder aus den zerklüfteten Organen herrühre. — Die Frage ist in
verschiedenem Sinne aufgefasst worden. Joh. Müller wünschte ent-
schieden zu sehen, ob der Harnstoff ein Abfall der Speisen oder ein
Umwandelungsprodukt der eiweisshaltigen Bestandtheile des Thierleibes
Ludwig, Physiologie. II. 29
[450]Woher der Harnstoff?
sei. Dieses ist längst so geschehen, wie es der berühmte Fragsteller
voraus sah; der Harnstoff ist ein Umsetzungsprodukt der thierischen
Eiweissatome, gebildet unter dem Einflusse der chemischen Spaltungs-
mittel des thierischen Organismus. — Ganz anders fassen Liebig,
Frerichs, Bischoff u. A. den Knotenpunkt; sie wünschen zur Ent-
scheidung zu bringen, ob die aus den Speisen aufgenommenen Atome
unmittelbar nach ihrem Eintritte in das Blut (oder in das Getriebe
des Stoffwechsels überhaupt) auch wieder zerlegt werden; oder ob es
vor ihrer Zersetzung nothwendig ist, dass sie erst aus dem Blute in
die Organe eingetreten sind und als Theile derselben im Interesse des
thierischen Körpers funktionirt haben. Die Bedeutung dieser Contro-
verse scheint zum Theil darin zu liegen, dass man dem Blute die Fähig-
keit abspricht, die Umsetzung des Eiweisses in Harnstoff herbeizufüh-
ren, zum Theil aber auch darin, dass man es ungereimt findet, wenn
die neu ankommenden Atome sogleich wieder zerfällt werden sollen, wäh-
rend die alten, längst vorhandenen, sich unverändert erhielten. — Die
chemische Betrachtung kann zunächst nichts zur Beurtheilung jener Al-
ternative beitragen, da uns nur bekannt ist, dass in dem Blute sowohl
wie in den Geweben die Zersetzung der Eiweisskörper vor sich geht,
nicht aber wie weit und in welchem Gange sie geschehe, und nament-
lich nicht, ob sie bis zur Harnstoffbildung führe. — Ebensowenig rei-
chen die physiologischen Gründe aus. Allerdings ist es auffallend, dass
schon wenige Stunden nach dem Genusse der Nahrung die Abscheidung
der CO2 und des Harnstoffes, und zwar in einem dem Gewichte der
Nahrung entsprechenden Maasse, steigt, und es weckt diese Erscheinung
sogleich die Vermuthung, dass die eingezogenen Speisen auch sogleich
wieder ausgetrieben würden, aber bindend ist diese Anschauung durch-
aus nicht, denn der Eintritt des neuen Baumaterials kann auch das
Signal gegeben haben zur Zerstörung des alten. Anderseits kann es
beim gegenwärtigen Stande der Dinge dem physiologischen Takte einzig
und allein darauf ankommen, dass, wie es jedenfalls geschieht, die aus
der Umsetzung hervorgehende Wärme, Nerven- und Muskelerregbarkeit
u. s. w. dem thierischen Körper zu Gute kommt, gleichgiltig ob zur Zer-
setzung alte oder neue Säfte benutzt sind, oder ob die Zersetzung in der
Gewebsflüssigkeit allein oder zugleich in dieser letzteren und in dem
Blute (Blutkörperchen) vor sich gehe.
Vertheilung der Ausgaben auf die verschiedenen Aus-
sonderungswerkzeuge. 1. Zuerst würde hier überhaupt anzuge-
ben sein, warum sich die Umsetzung und Ausscheidung in ähnlicher
Weise zu einander verhalten, wie Einnahme und Umsetzung. Dieses
gegenseitige Anpassen bedarf einer besonderen Erläuterung, da die
Organe, welche vorzugsweise die Umsetzung der Thierstoffe bedingen,
von durchaus anderen Bedingungen regiert werden, als Haut, Lunge,
[451]Vertheilung der Ausgaben auf die Ausscheidungswege.
Nieren und Darmkanal. — Der Mechanismus, welcher diesen Zusammen-
hang vermittelt, ist für Lungen, Haut und Darm genügend klar. Eine
vermehrte Umsetzung, welche zu einer reichlichen Bildung von CO2
führt, erhöht die Temperatur und die Nervenerregbarkeit; eine Anhäufung
von CO2 erregt aber die brustbewegenden Nervenmassen; damit beschleu-
nigt sich die Athmung und die Aushauchung der CO2, und nicht minder
vermehrt die erhöhte Wärme die Bildung des Wasserdunstes. Aus dem
Mastdarme müssen desgleichen ceteris paribus mit den Speisen auch die Aus-
scheidungen wachsen. — Unklar ist dagegen die Beziehung zwischen der ab-
sondernden Thätigkeit der Niere und der Anhäufung von Salzen, Harnstoff,
Wasser u. s. w. im Blute, da, wie wir früher sahen, diese Stoffe im Blute
reichlich vorhanden sein können, ohne dass sich ihre Ausscheidung mehrt.
2. Wenn man übersehen will, welchen Gewichtstheil des Gesammt-
verlustes jedes einzelne Ausscheidungswerkzeug ausführt, so wird es am
gerathensten sein, sich die Aufgabe dahin zu stellen, dass man die An-
theile des Gesammtverlustes an Wasser, C, N, H, O und Salzen angiebt,
die durch Lunge und Haut, Niere und Darmkanal ausgeschieden werden.
a. Wasser. Der Verlust, welchen der thierische Körper in der
Form von Wasser erleidet, überwiegt den durch alle übrigen Excrete
zusammengenommen. Seine Vertheilung auf Haut und Lunge, Niere und
Darm kann sich sehr mannigfaltig gestalten. Annähernd am constante-
sten ist, wie schon früher gesagt wurde, die Wasserausgabe der Lunge
und gewöhnlich am niedrigsten die durch den Darmkanal, so dass
sie nur in den seltensten Fällen überhaupt von erheblicher Bedeutung
wird. Ungemein variabel ist dagegen die Wasserausscheidung durch
Niere und Haut, in der Art, dass diese beiden Organe vorzugsweise als
die Regulatoren des thierischen Wassergehaltes angesehen werden kön-
nen. In der That, nimmt der Wassergehalt des thierischen Körpers be-
deutend zu, so geben Schweissdrüsen und Nieren gleichzeitig reichlich
Wasser aus (Wasserkuren), während, wenn der Körper relativ trocken
wird, beide Organe in ihrer Thätigkeit zurücktreten; mehrt sich bei
mittlerem Wassergehalte des Organismus der Wasserverlust durch die
Haut, weil die Atmosphäre trocken und die Haut warm ist, so ver-
mindern die Nieren ihre abscheidenden Leistungen und umgekehrt,
wird die Verdunstung auf der Haut beeinträchtigt, so steigt der Verlust
aus den Nieren. Nimmt endlich der Wasserverlust aus den Nieren zu,
weil grössere Mengen wasserbindender Atome (Salze und Harnstoff) durch
diese fortgehen, so stellen die Schweissdrüsen ihre Absonderung ein und
die Capillaren der Cutis verlieren an Ausdehnung.
Beispiels halber stellen wir den Wasserverlust zusammen, den nach Barral
1 K. Mann in 24 Stunden erleidet (Mensch I. und II.). Hierbei ist das aus der
Lunge entleerte Wasserquantum folgendermaassen berechnet worden: Man nahm an,
es sei in der Ausathmungsluft 4 pCt. CO2 enthalten gewesen, hierdurch gewinnt man
das Volum der ersteren unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie auf 37° C.
29*
[452]Vertheilung der Verluste auf die Atome, HO; C; H.
erwärmt gewesen sei; dann nimmt man ferner an, dass die ausgeathmete Luft voll-
kommen mit Wasser gesättigt gewesen sei, die Einathmungsluft aber, deren Tempe-
ratur auf 16° C. gesetzt wurde, nur 60 pCt. des bei dieser Temperatur fassbaren
Wasserdunstes enthalten habe.
Wir erinnern daran, dass die Beobachtung I. in den Winter, II. in den Sommer
fällt. Es braucht kaum noch einmal hervorgehoben zu werden, dass diese Berech-
nung auf einem zum Theil sehr angreifbaren Boden ruht; es ist ihr nur darum ein
Platz gestattet worden, weil sie im Allgemeinen, den theoretischen Forderungen sich
fügend, ein Bild von der Vertheilung des Wasserverlustes im Winter und Sommer giebt.
b. Das Gewicht des täglich durch den Körper wandernden Koh-
lenstoffes ist immerhin noch bedeutend, wenn auch viel geringer, als
die der entsprechenden Wassermengen. Der von einem und demselben
Menschen täglich verzehrte Kohlenstoff ist aber zugleich auch viel weniger
veränderlich, als das Wasser. Nach von Playfair*) wechselt je nach
der Muskelanstrengung und dem Alter der erwachsenen Individuen die
täglich eingenommene Kohlenstoffmenge zwischen 220,3 Gr. (alte unthä-
tige Arme) bis zu 387,3 Gr. (Gefangene in Bombay mit schwerer Ar-
beit). Der Unterschied der Klimate macht sich nach Playfair’s Zu-
sammenstellungen weniger geltend, als man gemeinhin behauptet, da der
ostindische und der englische Tagelöhner oder Soldat unter gleichen Be-
dingungen sehr annähernd gleich viel C einnehmen. Auffallend, und in
einer solchen Weise, dass man zweifelsüchtig werden könnte, sind die
Angaben von Esquimaux, Jakuten, Buschmännern und Hottentotten. Ein
Erwachsener der ersteren von diesen wilden Völkerschaften soll täglich
4996,6 Gr. C (etwa 10 Pfd.) und von der letzteren 2682,6 Gr. C (etwa
5,25 Pfd.) täglich verzehren. — Von dem täglich in den Körper ein-
gekehrten Kohlenstoffe tritt bei weitem der grösste Theil durch die Lun-
gen aus, durch die Nieren geht nach den übereinstimmenden Beobach-
tungen von Barral (am Menschen) und Schmidt (an Katzen) etwa
der 10. Theil des aus den Lungen hervortretenden fort. In einem
ähnlichen Verhältnisse steht die Kohlenstoffausscheidung des Darmkana-
les zu derjenigen der Lunge.
c. Die Gewichtsmengen nicht schon oxydirten Wasserstoffes,
welche täglich genossen werden, sind immer sehr gering. So weit die
vorliegenden Untersuchungen reichen, wird er zum grössten Theil in
Wasser umgewandelt, und es lässt sich dann nicht mehr entscheiden,
auf welchem Wege er den Organismus verlässt. Der im Stoffwechsel
nicht oxydirte Wasserstoff geht allein durch den Darm und die Nieren
davon, vorausgesetzt, dass man die Spuren dieses Elementes vernach-
lässigt, welche in den flüchtigen Säuren durch die Verdunstung austreten.
[453]Vertheilung der Verluste auf die Atome, N; O; Minerale.
d. Mit der Nahrung geniessen wir unter allen Umständen nur wenig
Stickstoff, aber relativ ist die Menge desselben sehr wechselnd. Inner-
halb des Körpers werden die stickstoffhaltigen Produkte entweder so
zerlegt, dass der N gänzlich frei wird, oder so, dass er noch in Ver-
bindung mit einigen oder allen organischen bleibt. Der freie Stickstoff
wird durch Lunge und Haut, der noch verbundene zum grössten Theil
durch den Harn und zum kleinsten durch den Darm entleert. In wel-
chem Verhältnisse freier und gebundener N zu einander stehen, ist
noch zu ermitteln, und insbesondere scheint es gewagt, die an einer
Thierart gewonnenen Resultate auf den Menschen zu übertragen. Wäh-
rend es den Anschein hat, dass bei den Katzen nur ein sehr kleiner
Theil gasförmig entweicht, geht bei Tauben unzweifelhaft ein Dritttheil
der gesammten im Organismus kreisenden Menge aus Haut und Lunge
aus, und zwar unter Umständen, unter welchen nach Regnault Säuge-
thiere gar keinen gasförmigen Stickstoff aushauchen würden. Bestätigen
sich die Beobachtungen von Barral, so kann bei Menschen die Hälfte
des Stickstoffs der Nahrung durch die Lungen ausgeschieden werden.
Wir verweisen rücksichtlich dieses Punktes noch auf die Harnstoffent-
leerung (p. 261).
e. Sauerstoff. Die Menge von Sauerstoff, die wir consumiren,
übertrifft diejenige aller anderen Elemente. Der Antheil desselben, wel-
cher durch die Lungen und Haut eingeht, ist, je nachdem die Nahrung
aus Brod oder Fleisch besteht, mehr oder weniger überwiegend über den
in den trockenen Speisen selbst enthaltenen; in den vorliegenden Beob-
achtungen mit genügender Nahrung wechselt das Verhältniss des Sauer-
stoffs in den Speisen zu dem in der Einathmungsluft, der erstere gleich
1 gesetzt, zwischen 0,33 bis zu 0,11. Noch mehr wird aber durch die
Lungen wieder ausgegeben; in der That ist der Antheil des bezeichneten
Sauerstoffs, welcher mit der CO2 und dem HO ausgeathmet wird, so
gross, dass dagegen geradezu derjenige als verschwindend betrachtet wer-
den kann, welcher durch den Harnstoff, die Gallenreste, den Harnextrak-
tivstoff u. s. w. entleert wird.
f. Die mineralischen Bestandtheile der Nahrung, deren Menge
immer sehr zurücktritt, suchen den Ausweg aus dem Körper durch
Schweiss, Harn, Koth; der erstere giebt vorzugsweise NaCl aus, der
zweite sämmtliche Schwefelsäure, Phosphorsäure, Kalkerde, Eisenoxyd
und den grössten Theil des Kalis, Natrons und Chlors, welche aus den
Speisen in das Blut übergetreten waren. Durch den Koth gehen dage-
gen die unverdaut gebliebenen Salze, meist schwefelsaure, kieselsaure,
phosphorsaure Kalien und Erden ab.
Gewichtszunahme des thierischen Körpers.
Das theilweise Verbleiben der mit den Nahrungsmitteln aufgenom-
menen Atome im thierischen Körper und die daraus resultirende Ge-
[454]Wachsthum.
wichtszunahme fällt vorzugsweise in die Augen beim Wachsthume, der
Reconvaleszenz und bei übermässiger Fütterung.
1. Wachsthum*). Mit diesem Worte bezeichnet man bekanntlich
die Zunahme des thierischen Körpers, welche dieser von der Geburt an
bis zu der vollkommen erreichten Pubertät erfährt. Die Lebenszeit,
welche auf diesen Prozess verwendet wird, ist für verschiedene Men-
schen zwar nicht die gleiche, aber es scheint doch die Regel zu sein,
dass mit dem zwanzigsten Jahre die volle Länge des Körpers erreicht
ist; nur in seltenen Fällen ist es constatirt, dass sich das Wachsthum
auch noch um ein bis zwei Jahre jenseits dieses Termins erstreckt
(Mallet), und zweifelhaft ist es, ob die Behauptung Quetelet’s richtig,
dass es bis auf das 25. Jahr und über dasselbe hinaus sich verlängere.
Den allgemeinen Gang, der aus diesem Prozesse resultirenden Längen- und
Gewichtsvermehrung giebt die folgende Tafel, welche nach den Beobach-
tungen von Quetelet entworfen ist. Die zweite Colonne giebt an die
Längenzunahme, die das Individuum in dem in der ersten Colonne an-
gezeichneten Jahre gewinnt; die dritte Colonne aber giebt die auf
das Kilogramm reduzirte Vermehrung des Gewichtes in dem gleichen
Zeitraume. Die zweite und dritte Spalte sind je in zwei Unterabthei-
lungen gebracht, von denen die eine sich auf das männliche, die andere
auf das weibliche Geschlecht bezieht. Die mittlere Länge des männli-
chen Neugeborenen wurde = 0,5 M., des weiblichen = 0,49 M. und
die Gewichte zu 3,2, resp. zu 2,9 gefunden.
Die Grundzahlen für die obige Tabelle wurden nicht dadurch erhalten, dass die-
selben Individuen zu verschiedenen Lebensaltern, sondern dadurch, dass verschiedene
in verschiedenen Lebensaltern stehende Menschen gewogen und gemessen wurden.
Obwohl die Zahl der Individuen, aus welchen das Mittel abgeleitet wurde, nicht un-
beträchtlich ist, so ist doch noch immer gerechte Besorgniss zu hegen, dass diese
Mittelzahlen im günstigsten Falle die Wachsthumserscheinungen eines einzigen Landes
oder Landstriches darstellen.
Demnach ist der absolute Werth der Längenzunahme beim männ-
lichen Geschlechte in den ersten Jahren am grössten, nimmt von da an
ab bis zum vierten und bleibt dann annähernd constant bis zum 16.,
von wo eine rasche Abnahme erfolgt; beim Weibe erfolgt die Längen-
zunahme bis zum 14. Jahre analog der des Mannes, wenn ihr absolu-
ter Werth auch um ein kleines geringer ist; vom 14. Jahre an sinkt
aber das Wachsthum rasch ab. — Die proportionale Gewichtszunahme
ist in den ersten Jahren des Lebens sehr bedeutend, dann nimmt sie
ab, steigt beim Manne und beim Weibe um die Pubertätsentwickelung
wieder an und dauert, wenn auch im sinkenden Maasse, noch fort, wenn
das Wachsthum beendet ist, so dass Männer meist im 40. und Frauen
erst im 50. Lebensjahre das Maximum ihres Gewichtes erreichen. Daraus
lässt sich erkennen, dass die Ausdehnung des menschlichen Körpers nach
Länge und Breite wesentlich von einander unabhängig sind.
Quetellet, Villermé und Cowell haben die für das Längen-
wachsthum der einzelnen Individuen gewonnenen Zahlen auch noch zu
anderen Zusammenstellungen benutzt, aus denen sich zu ergeben scheint:
die Individuen der ärmeren Klasse sind bei gleichem Alter kleiner, als
die der wohlhabenden. Dieses gilt nicht allein für Bewohner eines Land-
striches (Brüssel und seine Umgegend), sondern auch für die verschie-
denen Viertel einer Stadt (Paris); Stadt- und Landleben oder auch ver-
schiedene Beschäftigungsarten scheinen dagegen keinen Einfluss zu üben.
Die Zeit, welche auf die Vollendung des Wachsthums verwendet wird,
ist in südlichen Gegenden (in Städten und Niederungen?) am geringsten.
Mehr als alles dieses mag die Menschenrace resp. die ursprüngliche An-
lage des Menschen auf die räumlichen und zeitweisen Verhältnisse des
Wachsthumes von Einfluss sein.
An der Umfangszunahme, welche der menschliche Körper während
des Wachsthums erfährt, betheiligen sich nicht alle Theile gleichmässig.
Vorzugsweise scheint sie dem Skelett, den Muskeln und der Haut zu Gute
zu kommen, so dass mit dem steigenden Alter einzelne Organe trotz
absoluter Vergrösserung relativ zum Gesammtgewichte des Körpers doch
abnehmen. Wir entlehnen um diese zu veranschaulichen den Wägungen
von Huschke und Reid folgende Zahlen; die Zahlen unter den be-
treffenden Organen drücken das Gewicht derselben aus, vorausgesetzt,
dass das des Gesammtkörpers = 1 angenommen wird.
[456]Reconvaleszenz.
Noch deutlicher tritt diese ungleichmässige Zunahme hervor, wenn
man die Gewichte der einzelnen Organe mit einander vergleicht, aus
denen sich u. A. ergiebt, dass bei Neugeborenen der Dünndarm im Ver-
hältniss zum Dickdarm gewichtiger ist, als bei Erwachsenen; dasselbe
gilt für das Pankreas verglichen mit der Milz, dem rechten und linken
Leberlappen. Bekannt ist auch, dass die Geschlechtswerkzeuge, die Brüste
und der Kehlkopf ihr lebhaftestes Wachsthum erst beginnen, wenn das
Skelett seiner vollkommenen Ausbildung nahe ist.
2. Gewichtszunahme nach einer Periode ungenügenden Ersatzes
der täglichen Verluste. Das Körpergewicht kommt in ein eigenthümliches
Steigen, wenn der genügende Stoffgewinn wiederkehrt, nachdem vorgängig
aus irgend welchem Grunde (ungenügende Nahrungsmenge, Leiden der
blutbildenden Organe u. s. w.) das Körpergewicht stetig abgenommen
hatte. Für diesen dem Arzte wichtigen Vorgang besitzen wir bis dahin
nur zwei genauer untersuchte, sich gleichartig verhaltende Beispiele, von
denen das eine pag. 446 (Taube II.) mitgetheilt wurde. Aus diesen geht
hervor, dass die Umsetzung resp. die Ausscheidung der thierischen Koh-
lenstoffatome in den ersten Tagen nach wieder begonnener normalen
Fütterung so rasch anstieg, dass sie schon nach 84 Stunden den im
gesunden Zustande vorhandenen Werth erreichte. Ganz anders das Kör-
pergewicht; in den ersten 48 Stunden steigerte es sich um 31,5 Gr.,
von da an aber wuchs es ungemein langsam, so dass es in den darauf
folgenden 432 Stunden nur um 13,6 Gr. zunahm. Diese unerklärliche
Thatsache verdient weiter verfolgt und wegen ihrer praktischen Bedeutung
auch am Menschen geprüft zu werden.
Aehnliche Versuche an Tauben mit Bestimmung des Körpergewichtes und der
Wärme siehe bei Chossat*). Sie sind nicht vollkommen mit den Beobachtungen
von Boussingault vergleichbar, da die Thiere erst im Augenblicke des bevor-
stehenden Todes wieder gefüttert wurden. Da sie so weit geschwächt waren, dass sie
im Anfange weder gehörig verdauen konnten, noch auch so viel umsetzten, um in der
gewöhnlichen Lufttemperatur ihren normalen Wärmegrad zu erhalten, so müssen die
ersten Tage der wieder beginnenden Fütterung noch als im kranken Zustande ver-
bracht angesehen werden.
3.Mästung. a. Bei sonst gleichen Lebensbedingungen muss der
Nahrung eine besondere quantitative Zusammensetzung zukommen, wenn
[457]Mästung.
der Genuss derselben das Ansteigen des Körpergewichtes begünstigen soll.
Dieser Satz scheint aus den Beobachtungen von Boussingault*) ge-
gefolgert werden zu dürfen, welche darthun, dass Gänse und Enten, die
leicht durch eine reichliche Nahrung von Mais oder von Reis mit einem
Butterzusatz zu mästen sind, nicht durch Reis allein eine wesentliche
Vermehrung ihres Gesammtgewichtes erfahren. Ebenso nahmen Schweine
rasch und bedeutend an Gewicht zu bei einem Futter, das Fett, Eiweiss,
Kohlenhydrate und Salze in einem Verhältniss von 1 : 5,18 : 20,65 : 1,82
enthielt, während sie bei Futter, das die oben genannten Bestandtheile
in derselben Reihe gezählt im Verhältniss enthielt, von 1 : 5,30 : 37,38 :
2,65 nur langsam zunahmen und namentlich nicht damit gemästet werden
konnten, selbst wenn auf gleiche Gewichtsmenge Thier von dem letzteren
Futter sehr viel mehr gereicht wurde, als von dem ersteren. — b. Der
Gewinn, welcher den einzelnen Bestandtheilen und Organen des thieri-
schen Körpers bei der Gewichtszunahme erwächst, verhält sich nach den
direkten Wägungen der zerlegten Thiere eigenthümlich; wir stellen zu-
erst die Resultate gemästeter Vögel zusammen; die Zahlen bedeuten den
proportionalen Gewinn (+) oder Verlust (—), d. h. den Quotienten aus
der Gewichtszu- oder Abnahme der einzelnen Organbestandtheile in das
ursprünglich vor der Mästung vorhandene Gewicht.
1. Gänse mit Mais gemästet. Mittel aus 6 Versuchen.
2. Ente mit Reis gestopft.
3. Ente mit Reis und Butter.
Wie beim Verhungern das Hirngewicht nicht herunter geht, so steigt
es beim Mästen nicht; ganz auffallender Weise magern Knochen und
Schlund während des Mästens ab. Dieses Resultat hat Boussingault
auch durch Vergleich ungemästeter und gemästeter Schweine desselben
Wurfes bestätigt. — Die zu der Haut, den Muskeln und deren Hilfs-
werkzeugen gehörenden Eiweiss- und Leimstoffe haben bei Mästung der
Vögel zugenommen, doch in einem ganz anderen Verhältnisse, als das Fett,
so dass 100 Theile gemästeter Vogel eine ganz andere Zusammensetzung
darbieten, als 100 Theile ungemästeter. Ganz anders stellt es sich beim
Schwein heraus. Hier enthielten 100 Theile Thier:
[458]Mästung.
Diese Thatsachen zeigen, warum die quantitativen Verhältnisse der
einzelnen Speisebestandtheile im Futter von Einfluss sind auf den Gang
der Mästung, und warnen uns zugleich, wie es in physiologischen Be-
trachtungen häufig geschieht, eine Zunahme des Körpergewichtes nur als
aus Fett oder nur als aus Fleisch bestehend anzusehen.
[[459]]
Siebenter Abschnitt.
Thierische Wärme.
Die blutführenden Organe des lebenden Menschen bewahren an-
nähernd denselben Wärmegrad, wenn auch die Temperatur der Umgebung
nicht unbedeutend auf- und absteigt; diese Thatsache setzt voraus, dass
der Organismus über erwärmende und abkühlende Mittel gebietet, die
sich bis zu einem gewissen Grade in der Stärke ihrer Aeusserung und
in ihrem Zusammenwirken den Umständen anpassen. Wir werden, indem
wir auf die Zergliederung der thierischen Wärmeerscheinungen eingehen,
zuerst die normalen Temperaturschwankungen des Organismus und dann
die Mittel angeben, durch welche ein entstandener Verlust der Wärme
wieder erzeugt oder ein Ueberschuss derselben abgeführt wird.
Normaltemperaturen.
Insofern die Wärme eine Bedingung zur Einleitung und Erhaltung
von mancherlei insbesondere aber von chemischen Lebensprozessen ist,
gewinnt die Temperaturbestimmung einen grossen Werth; in Verbindung
mit anderen Beobachtungen kann sie auch dienen, um eine Einsicht in
den Gang der Erzeugung und des Verbrauches an Wärme zu gewinnen.
Um zu zeigen, inwiefern dieses letztere möglich, wählen wir ein einfaches
Beispiel. Wir nehmen an, es seien drei unmittelbar aneinander grenzende, wärme-
leitende Flächen gegeben, von denen die beiden äusseren unter allen Umständen auf
verschiedene Grade erwärmt sein sollen; in diesem Falle wird die innere der drei
Flächen eine Temperatur annehmen, die in der Mitte liegt zwischen derjenigen der
beiden äusseren, da sie von der einen Seite her erwärmt und von der anderen ab-
gekühlt wird. Um auch hier wieder den einfachsten Ausdruck zu wählen, wollen
wir annehmen, die Temperatur der inneren Fläche sei das arithmetische Mittel
zwischen den beiden äusseren. Unter dieser Voraussetzung wird man einsehen,
dass in Folge einer Temperaturbestimmung der inneren Fläche niemals etwas aus-
gesagt werden kann über die Unterschiede der Temperatur auf den äusseren Flä-
chen, da aus unendlich vielen Unterschieden ein und dasselbe Mittel hervorgehen
[460]Bedeutung und Bestimmung der Temperatur.
kann. Kommt aber zu der Kenntniss der Mittelwärme noch die einer der beiden
Grenztemperaturen hinzu, so ist begreiflich auch die andere Grenztemperatur be-
stimmt Zugleich ist ersichtlich, dass, wenn in der Zeit die Temperatur der mitt-
leren Fläche sich ändert, auch diejenigen der erwärmenden und abkühlenden Flä-
chen Veränderungen erlitten haben müssen; über die Natur dieser letzteren lässt
sich aber wiederum nur dann etwas angeben, wenn das Verhalten von einer der
Grenzflächen während der Beobachtungszeit bekannt ist, da z. B. ein Ansteigen
der Temperatur in der mittleren Fläche erzeugt sein kann ebensowohl durch eine
Minderung des Verlustes als eine Vermehrung des Gewinnes an Wärme oder, auf
die Grenzflächen angewendet, durch Erhöhung der Temperatur entweder in beiden
oder auch nur in einer von beiden Flächen beim Gleichbleiben der Wärme in der
anderen. — Die Resultate dieser Betrachtung bleiben nun, wie ein kurzes Nach-
denken lehrt, unverändert, wenn man statt der abkühlenden und erwärmenden Platte
in die mittlere Fläche selbst eine Quelle und einen Verbrauch an Wärme eingelegt
denkt. — Sollen demnach die (in neuerer Zeit so zahlreich angestellten) Tempera-
turmessungen von Bedeutung für die Beurtheilung des Wärmehaushaltes werden, so
muss auf einem oder dem anderen Wege noch Aufschluss gegeben werden über die
Veränderungen des Verbrauches oder der Erzeugung von Wärme an der beobach-
teten Stelle.
Zur Messung der Temperatur bedient man sich des Thermometers und des gra-
duirten Thermomultiplikators. — Das erstere dieser beiden Instrumente ist ein sehr
zuverlässiger Apparat, und besonders wenn die Abtheilungen der Skala in grossen
Abständen stehen; aber es giebt nur dann sichere Werthe, wenn seine Kugel von
der zu messenden Temperatur ganz umschlossen wird, und wenn es lange Zeit hin-
durch mit der letzteren in Verbindung bleibt, weil die Temperaturausgleichung durch
das Glas hindurch nur sehr allmählig erfolgt. Hieraus ergiebt sich für seine physio-
logische Anwendung zweierlei. Einmal ist es unbrauchbar zur Ermittelung der Tem-
peratur von beschränkten in einer Ebene ausgebreiteten Flächen, wie z. B. der Epi-
dermisoberfläche. Denn auf dieser kann es nur Anwendung finden, wenn die Epi-
dermisoberfläche (Handteller, Achselgrube, Schenkelbug u. s. w.) so gekrümmt wird,
dass sie die Kugel möglichst allseitig umschliesst, oder wenn die in beschränkter
Berührung aufgesetzte Kugel mit einem schlechten Wärmeleiter, der auch noch die
anliegende Epidermis bedeckt, umkleidet wird. Beide Anwendungsweisen verhindern
aber die normal bestehende Abkühlung jener Hautstelle, deren Temperatur man messen
wollte; man erhält darum, wenn man das Thermometer so lange liegen lässt, bis
sein Quecksilberniveau einen unveränderlichen Stand eingenommen, die Temperatur
der unterliegenden Cutis resp. des sie durchdringenden Blutes. — Wegen seiner Träg-
heit ist aber das Thermometer auch nicht im Stande, rasch aufeinander folgende
Temperaturschwankungen anzugeben. — Aus dem schon früher mitgetheilten Prinzip
des graduirten Thermomultiplikators (Bd. I. p. 339) geht hervor, dass er ein Diffe-
rentialinstrument ist, welches Temperaturunterschiede zweier Orte mit höchster Schärfe
anzeigt, welche Ausdehnung und Form dieselben auch haben mögen, und das zugleich
die zeitlichen Schwankungen der Temperatur mit grosser Schärfe auffasst. Seine
Anwendung ist dagegen umständlich und die Reduktion seiner Angaben auf thermo-
metrische Grade nur bei äusserst sorgfältiger Arbeit zuverlässig. Bringt man, wie
es Becquerel*) u. A. gethan, die Löthstellen auf einer Nadel an, so kann man
im lebenden Menschen auch die sonst unzugänglichen Orte, z. B. Muskeln, Einge-
weide u. s. w., auf ihre Temperatur bestimmen.
[461]Ortswärme.
1. Zu einer und derselben Zeit sind die verschiedenen Orte des
thierischen Körpers, selbst wenn sie annähernd dieselben festen und
flüssigen Bestandtheile enthalten, nicht auf gleichen Grad erwärmt.
a. Blut *). Nach den Beobachtungen von Bischoff, G. Liebig,
Bernard und Walferdin ist das Blut in den Hautvenen des Kopfes
und der Extremitäten kälter, als das in den zuführenden Arterien, und
ebenso verhält sich das Blut in den grossen aus dem Hals und den
Extremitäten rückkehrenden Venenstämmen (ein Gemenge aus den tieferen
und oberflächlichen Capillarnetzen) zu dem der art. carotides, crurales,
subclaviae. — Das Blut, welches dagegen aus der Niere und Leber zu-
rückkehrt, ist wärmer, als das eindringende; von allen Blutarten am
wärmsten ist das in der vena hepatica enthaltene. Das Blut der vena
cava inferior vor dem Eintritte in das Herz ist wärmer, als das in der
vena cava superior an der entsprechenden Stelle. Das Blut des rechten
Herzens ist wärmer, als das des linken. Beispielsweise geben wir einige
Zahlen, die G. Liebig beobachtete. An einem Hunde stand das Thermo-
meter in der vena cava superior auf +35,98° C., im atrium dextrum auf
36,37° C., bei einem zweiten Hunde in der vena cruralis +37,20° C.
und in der vena cava inferior +38,11° C. — Der Inhalt des rechten
Herzens war 0,05° bis 0,19° C. wärmer, als der des linken.
Diesen Beobachtungen der oben genannten Autoren ist darum der Vorzug gegeben
worden vor den entgegengesetzt berichtenden anderer Physiologen (Davy, Krimer,
Hering, Brechet u. A.), weil die zu den vergleichenden Untersuchungen ver-
wendeten Thermometer an und für sich möglichst empfindlich und genau auf einander
reduzirt waren, weil beim Ablesen der Zahlen der aus der Paralaxe fliessende Fehler
vermieden war, ferner weil die Thermometerkugel in das Gefässlumen des lebenden
Thieres und zwar so eingefügt war, dass sie, ohne den Blutstrom zu hemmen, nur
mit dem Blute, nicht aber mit den Gefässwandungen in Berührung war. Den Resul-
taten, die aus solchen Messungen hervorgegangen sind, lassen sich natürlich die nicht
ebenbürtig gegenüber stellen, bei welchen man die Thermometerkugel in den Aderlass-
strahl hielt, oder in Gefässe steckte, die dem Luftzutritte blossgelegt waren, und
zwar zum Theil erst dann, nachdem einige Zeit vorher der Tod erfolgt und die Ath-
mung und somit auch der Unterschied zwischen venösem und arteriellem Blute auf-
gehoben war.
Die Unterzungengegend ist um 0,5 bis 0,25° C., die Blase, der
Mastdarm und die Scheide um 0,8 bis 1,1° C. wärmer, als die Achsel-
grube (Hallmann**), Bärensprung***), L. Fick†), Berger,
Davy). Das Bindegewebe unter der Haut ist um 2,1° C. bis 0,9° C.
niedriger temperirt als das der Skelettmuskeln (Becquerel und Bre-
chet). Die Baucheingeweide sind nach den thermoelektrischen Be-
[462]Tagesschwankung.
stimmungen derselben Gelehrten etwas wärmer, als die Lungen und
das Hirn.
2. Die Schwankung, welche die Temperatur mit der Zeit darbietet,
ist abhängig von den Tageszeiten und Lebensaltern, oder anders ausge-
drückt, von irgend welchen körperlichen Vorgängen, die sich an die Ju-
gend und das Alter, den Tag und die Nacht knüpfen. Diese, wenn man
will, typische Schwankung wird nun aber verdeckt oder gesteigert durch
dazwischentretende Umstände, insbesondere durch die Aufnahme der
Nahrungsmittel, Muskelbewegung, geistige Anstrengung, Temperatur- und
Feuchtigkeitsgrad der Atmosphäre und der Bekleidung.
a. Typische Tagesschwankung. Das Bestehen einer typischen, von
Nahrungsaufnahme, Schlaf und Muskelbewegung unabhängigen Tages-
schwankung ist von Bärensprung durch Beobachtungen an Menschen
und durch Chossat und Schmidt an hungernden eingesperrten Thie-
ren dargethan worden; als Beispiel für dieselben wählen wir aber die
Angaben von Lichtenfels*) und Fröhlich, weil sie die genauesten
unter den vorhandenen zu sein scheinen. Bei vollkommener Enthaltung
aller Nahrung, möglichster Ruhe der Muskeln und einem Aufenthalt in einer
Luft von 12°,4 bis 13°,6 C. fiel die Temperatur von der letzten Mahl-
zeit an (des Abends) bis 10 Stunden nach derselben, erhob sich in der
11. Stunde nach derselben um ein Geringes, sank dann stärker bis zur
15. Stunde und erhob sich bis zur 19. wieder auf den Stand, wel-
chen sie zur Zeit der 10. eingenommen, und begann von da an wieder
zu sinken. Der grösste Unterschied betrug bei Lichtenfels (11. und
15. Stunde) 0,80° C., bei Fröhlich0,56° C.
Die typische Schwankung für das Lebensalter ist weit schwieriger darzustellen;
zu diesem Behufe müssten eliminirt sein die zahlreichen, allgemeinen und individuel-
len Gründe, aus denen bei den verschiedenen, der Vergleichung unterworfenen Men-
schen die Temperatur schwanken kann. Diese Forderung ist bis dahin nicht be-
friedigt. Das geringe Zutrauen aber, was schon darum die Angaben über die mitt-
leren Temperaturen der verschiedenen Lebensalter verdienen, wird noch geschwächt
durch den Umstand, dass die Temperaturunterschiede der verschiedenen Individuen
desselben Alters grösser ausfallen, als die Unterschiede in den Mittelzahlen der ver-
schiedenen Alter. Die folgende Tafel, die nach Bärensprung entworfen, giebt
darüber Aufschluss.
[463]Temperatur abhängig vom Lebensalter und der Nahrung.
Die Steigerung, welche die Wärme im hohen Alter gegenüber der in mittleren
Jahren erfährt, hat auch J. Davy in einer grösseren Zahl von Fällen beobachtet. —
Welchen Werth man nun auch den in der mitgetheilten Reihe vorkommenden Varia-
tionen beizulegen gesonnen ist, jedenfalls muss anerkannt werden, dass die Wärme
der verschiedenen Lebensalter sich sehr nahe kommt.
Der Einfluss der Nahrung auf die menschliche Temperirung ist im
Allgemeinen ein erhöhender; dieses zeigt sich am schlagendsten sogleich
darin, dass die Wärme nach Entziehung aller Nahrung sinkt. So fanden
z. B. Lichtenfels und Fröhlich die mittlere Temperatur der Hun-
gertage zu 36,60° C., während der wie gewöhnlich verlebten Tage aber
zu 37,17° C. Dieser Wärmeunterschied wächst nun aber nicht geradezu
mit der Dauer der Hungerperiode, sondern es hält sich, wie man schon
aus den von Chossat und Schmidt an verhungernden Thieren ange-
stellten Beobachtungen gesehen hat, die Temperatur vom zweiten Hunger-
tage an constant bis gegen die dem Tode unmittelbar vorangehende, wo
sie von Tag zu Tag rasch sinkt. In einer Versuchsreihe an einer Katze
(Schmidt) zeigte bis zum 15. Hungertage das Thermometer im Mittel
38,6° C., am 16. Tage 38,3°, am 17. Tage 37,64°, am 18. Tage 35,8°
und endlich am 19. (dem Sterbe-) Tage 33,0. — Mit diesen Angaben
sind wenigstens die von Chossat*), der seine Beobachtungen an den
höher temperirten und rascher verhungernden Tauben anstellte, nicht im
Widerspruche. Den Erscheinungen der Hungerkur entsprechend, schei-
nen sich die Dinge auch bei der Einnahme der Nahrung zu stellen; un-
zweifelhaft nimmt nemlich die Temperatur nicht mit dem Gewichte der
aufgenommenen Speise zu; träfe dieses ein, so dürfte die Temperatur
der Erwachsenen sich nicht in so engen Grenzen halten, da sie doch
so ausserordentlich verschiedene Mengen von Nahrungsmitteln geniessen.
Zu weiteren Angaben fehlen jedoch noch die genaueren Untersuchungen.
[464]Temperatur abhängig von der Nahrung.
Die Nahrungsaufnahme macht sich aber auch dadurch bemerklich,
dass sie die typische Tagesschwankung der Temperatur in ihrem Gange
ändert.
Nach den Messungen von Lichtenfels-Fröhlich, Gierse,
Hallmann und Bärensprung, welche ungefähr zu denselben Stun-
den auf gleiche Weise assen, steigt die Wärme nach dem Frühstück an
und erreicht 4—6 Stunden nach demselben ihr erstes Maximum, dann
sinkt sie bis zur Hauptmahlzeit und steigt nach derselben, bis sie 1½
bis 2½ Stunden nach ihr ihr zweites Maximum erlangt, die Abendmahl-
zeit erzeugt aber kein neues Steigen, mit anderen Worten sie vermag
das Sinken in Folge der typischen Schwankung nicht aufzuhalten. —
Bei J. Davy erreichte die Wärme 2 Stunden nach dem Frühstück ihr
Maximum und sank von da ab; dieser absteigende Gang konnte durch
die um 6h Abends eingenommene Hauptmahlzeit nicht in einen aufstei-
genden verwandelt werden. Uebereinstimmend gaben Davy, Gierse,
Hallmann und Lichtenfels den grössten Unterschied in der Tages-
wärme zu 0,73 bis 0,69° C. an, Bärensprung fand ihn an sich selbst
zu 1,12° und Fröhlich zu 0,56°.
Als Beispiele führen wir die Beobachtungsreihen von Bärensprung und
Davy an:
Diese Schwankungen finden sich in allen Lebensaltern (Bärensprung). — Aus
der mitgetheilten Tabelle dieses Letzteren geht hervor, dass die mittlere Tagestem-
peratur, wie sie aus den mittleren Zahlen abgeleitet werden kann, bei ihm in der
That vorhanden ist um 8h Morgens, 12h Mittags und 10h Abends. — Bei Fröhlich
und Lichtenfels findet sich die mittlere Temperatur in der 3. Stunde nach dem
Frühstück. Diese Bemerkung dient dazu, um die Beobachtung der Auffindung der
mittleren Tagestemperatur zu erleichtern.
Wir erwähnten p. 71 auch eine tägliche Schwankung der Pulszahl; eine Ver-
gleichung dieser mit der Wärmeveränderung scheint auf den ersten Blick in der That
eine Gleichläufigkeit beider zu ergeben. Eine genauere Betrachtung hebt aber diesen
Schein auf; denn einmal ist die Wärme der verschiedenen Menschen trotz der ausser-
ordentlichsten Abweichung ihrer Pulszahlen, sehr wenig von einander unterschieden.
Dann aber ist auch bei einem und demselben Menschen die Temperatur keine Funktion
des Pulses, wie man sich sogleich ausnahmslos überzeugt, wenn man auf die Abszisse
der Pulszahlen die Ordinaten der Temperaturgrade aufträgt.
[465]Erregung der Muskeln; Verbrauch von O; Zustand der Haut.
Es scheinen dagegen dieselben Umstände oder auch verschiedene, welche zu den-
selben Tageszeiten bestehen, auf die Wärme und den Puls in gleicher Richtung zu
wirken; denn in der That steigt und fällt der Puls den Tag über ungefähr zu den-
selben Zeiten, wie die Wärme. Dieses Steigen ist nach den vorliegenden Beobach-
tungen entweder vollkommen gleichzeitig, so dass das Temperatur- und Pulsmaximum
auf dieselbe Stunde fallen (v. Bärensprung), oder es tritt das erstere nach den
Mahlzeiten früher ein, als das letztere, so dass der höchste Stand der thierischen
Wärme dem des Pulses nachfolgt.
d. Die Temperatur steht ferner in einer innigen Beziehung zu dem
Zustande der Muskeln und Nervenmassen; nach ausgedehnten Messungen
von J. Davy steigt bei ihm selbst nach dauernden Muskelanstrengungen
die Wärme um 0,3° bis 0,70° und nach dauernder geistiger Beschäftigung
um 0,27°. — Der Zeitraum, welcher zwischen der Wärmesteigerung
und der Muskelanstrengung verfliesst, soll bei Neugeborenen und Hun-
gernden verhältnissmässig sehr kurz sein, so dass z. B. das in den Mast-
darm eingeführte Thermometer alsbald zu steigen beginnt, wenn das Kind
zu schreien anfängt (Bärensprung).
e. Die Temperatur ist veränderlich mit der Ausscheidungsgeschwin-
digkeit von CO2 und HO durch die Lunge oder mit der Geschwindigkeit,
in welcher Sauerstoff von derselben aufgenommen wird. Beispiele hier-
für liefern die Mitteltemperaturen der Individuen verschiedener Thier-
klassen. So verzehren unter den Wirbelthieren die Warmblüter ausser-
ordentlich viel mehr Sauerstoff, als die Fische und die Amphibien. Aber
auch an demselben Individuum prägt sich der Parallelismus beider Funktio-
nen scharf aus; das hungernde und stillsitzende oder, wie man sich auch
anders ausdrücken kann, das Thier, welches wenig CO2 aushaucht, ist
weniger erwärmt, als das gesättigte und bewegte; dem täglichen Gange
der CO2 ausscheidung folgt demnach derjenige der Temperatur. Die
entsprechenden Beobachtungsreihen siehe bei Bidder, Schmidt*)
und Chossat. — Mit der Lebhaftigkeit des Gasstromes durch die
Lungenwand wächst aber bekanntlich auch die Geschwindigkeit der Athem-
folge, und somit muss das erwärmte Thier auch rascher athmen. Belege
hierfür geben Chossat durch die Vergleichung hungernder und gefütter-
ter Tauben und die Versuche von Tillet, Blagden, Berger u. s. w.
mit künstlich erwärmten Thieren.
f. Der Beweis für die theoretische Forderung, dass sich mit der
Blutfülle und Durchfeuchtung der Haut die Wärme ändert, ist bis da-
hin noch nicht geliefert. Die Voraussetzung, dass unter sonst gleichen
Bedingungen die Wärme steigen müsse, wenn die Blutfülle der Haut ab-
nimmt, findet, wenn man will, darin eine Bestätigung, dass im Wech-
selfieberfrost, also bei möglichst blutleerer Cutis, die Temperatur in der
Mundhühle sich gesteigert hat (Gierse, Bärensprung).
Ludwig, Physiologie. II. 30
[466]Lufttemperatur.
g. Die thierische Wärme ändert sich mit der Lufttemperatur in einer
sehr verschiedenen Weise. — Unter Voraussetzung einer genügenden Er-
nährung und entsprechenden Kleidung (resp. Behaarung und Befiederung)
behauptet der thierische Körper niederen Temperaturen gegenüber seine
Normalwärme. Als Beispiele hierfür dienen die Beobachtungen, welche
am Menschen und an Säugethieren im arktischen Winter gesammelt sind.
Nach den Messungen von Parry*) und Back**) kann der Wärme-
unterschied der Atmosphäre und der Thiere auf 73° C. steigen, d. h. die
Säugethiere jener kalten Gegenden behaupteten eine Temperatur von über
+40°, als das Thermometer in der Luft —30 bis 35° angab. Daraus
folgt nicht, dass unter den gegebenen Bedingungen die thierische Wärme
überhaupt nicht absinke, sondern nur dass dieses in engen Grenzen ge-
schehe. Nach den Beobachtungen von J. Davy geschieht dieses letztere
aber in der That; er gewann hierüber folgende Erfahrungen:
Wenn aber dem Thiere das nöthige Futter oder die Bewegung man-
gelt, so kühlt es in einer niedrig temperirten Umgebung sehr rasch ab,
so dass bei einer Lufttemperatur von +12 bis +18° bald die Körper-
wärme auf +25° d. h. auf den Grad sinkt, bei welchem der Tod durch
Abkühlung erfolgt (Chossat). Wärmegrade, die oberhalb der thierischen
Normaltemperatur liegen, erträgt der Organismus, ohne seine Wärme
wesentlich zu erhöhen, vorausgesetzt, dass eine lebhafte Schweissbildung
unterhalten werden kann (Franklin) und dass die Atmosphäre trocken
genug ist, um eine rasche Verdunstung des Wassers von der Haut und
der Lunge aus zu erlauben. In einer mit Feuchtigkeit vollkommen ge-
sättigten Luft, oder gar in einem warmen Bade, steigt dagegen die Tem-
peratur des Organismus rasch. So fanden u. A. Berger und de la
Roche, dass bei einem Aufenthalte von 8 bis 16 Minuten in einem auf
+80° bis 87° erwärmten Raume die Temperatur unter der Zunge um
4° bis 5° stieg. Die englischen Beobachter Blagden, Dobson, For-
dyce u. A. fanden dagegen in der gleichen Zeit unter ähnlichen Um-
ständen nur eine Temperatursteigerung von etwa 1° C. — Crawford
machte bei Thieren, welche den Einflüssen so hoher Temperaturen aus-
gesetzt waren, die Beobachtung, dass das in ihren Venen enthaltene Blut
nicht dunkel- sondern hellroth gefärbt war.
[467]Theorie von Helmholtz über den Ursprung der thierischen Wärme.
Ursprung der thierischen Wärme.
1. Die Wärme ist bekanntlich eine besondere Art von Bewegung,
die an einer unwägbaren Masse, dem sog. Lichtäther, vor sich geht.
Denn es lässt sich zum Beweis für den ersten Theil dieses Satzes unter Um-
ständen eine jede Bewegung der wägbaren Masse in Wärme und umgekehrt
die Wärme in eine Bewegung derselben umwandeln, so dass, wenn Wärme
verschwindet, dafür Geschwindigkeit einer wägbaren Masse gewonnen werden
kann, und umgekehrt, dass die Vernichtung einer Bewegung Wärme zu
erzeugen vermag. Also kann die Wärme kein Stoff, sondern sie muss
eine Bewegung sein, weil es aller Erfahrung widersprechend wäre, anzu-
nehmen, dass durch den Verlust eines Stoffes Bewegung und durch den-
jenigen einer Bewegung ein Stoff entstehen könnte. Die andere Behaup-
tung, dass die Wärme eine Bewegung der unwägbaren Masse sei, recht-
fertigt sich aber dadurch, dass sie sich durch den Raum verbreitet, der
frei von allen wägbaren Stoffen ist, und ebensosehr dadurch, dass, wenn
die Wärme durch die Bewegung der wägbaren Stoffe entsteht, diese letz-
teren nicht etwa in eine andere Art von Bewegung übergehen, sondern
dass sie in dem Maasse zur Ruhe kommen, in welchem die Menge der
gebildeten Wärme steigt.
Wenn nun die Wärme eine Bewegung ist, so kann sie, entsprechend
dem von Helmholtz entwickelten Gesetze von der Erhaltung der Kraft,
nur dann entstehen, wenn ein wägbarer oder unwägbarer Körper seine
Geschwindigkeit einbüsst, indem er sie auf den Lichtäther überträgt, oder
wenn Spannkräfte als solche zum Verschwinden kommen. Das erstere
Glied der Alternative ist an und für sich klar, das zweite wird es sein,
so wie man erfährt, dass der Physiker unter der Spannkraft die Bedin-
gungen versteht, welche, obwohl sie selbst keine Bewegung sind, dennoch
eine ruhende Masse in Bewegung versetzen können. Solche Bedingungen
sind aber dadurch charakterisirt, dass sie nur herbeigeführt werden
können durch einen vorgängigen Verlust von gerade so viel Geschwindigkeit,
als sie selbst wieder erzeugen können. Unter diese Spannkräfte zählten
wir u. A. schon früher den Druck, welchen die unteren Schichten einer
Wassersäule zu ertragen haben; unter sie gehören auch gewisse che-
mische Anordnungen, wie sie z. B. den verbrennlichen Atomen zukommen.
Wie bekannt, sind die letztern beim Uebergange in den verbrannten Zustand
befähigt, entweder ihre eigenen und auch fremde wägbare Massen zu be-
wegen (wie dieses bei der Ausdehnung der Körper, in der Dampfmaschine,
den Wurfröhren u. s. w. geschieht), oder sie vermögen sich und ihre
Umgebung zu erwärmen, zwei Leistungen, welche bekanntlich insofern
im Gegensatz stehen, dass in dem Maasse die erwärmende Kraft des
Verbrennungsprozesses abnimmt, in welchem Geschwindigkeit erzeugende
Kraft desselben in Anspruch genommen wird. Da nun die Atome des
verbrannten Körpers in den verbrennlichen Zustand nur dann zurück-
30*
[468]Die Verbrennung der Speise ist die Quelle der freien Wärme.
geführt werden können, wenn dieselbe Menge von Wärme oder Geschwin-
digkeit aufgewendet wird, die sie bei der Verbrennung ausgaben, so kann
man sagen, es sei der verbrennliche Körper mit einer zur Ruhe gekom-
menen Kraft begabt, welche sich als Spannung zwischen seinen Atomen
geltend mache. Keinenfalls wird durch die Verbrennung neue bewegende
Kraft gewonnen, sondern alte, längst vorhandene von einem auf den
anderen Körper übertragen.
Diese Thatsachen erzwingen den Ausspruch, dass die einzige Quelle
für die Wärme des menschlichen Körpers in der langsamen Verbrennung
liegt, welcher seine organischen Bestandtheile unterworfen sind. Dieser
Satz bestätigt sich vorerst dadurch, dass kein anderer Grund für die
thierische Wärme aufgefunden werden kann. So genügen offenbar zur
Entwickelung derselben die Stösse nicht, welche der menschliche Körper
von den ihn umgebenden Medien, z. B. der bewegten Luft, empfängt,
da sie einestheils zu unregelmässig erfolgen und anderntheils in den
meisten Fällen weitaus nicht den Kraftwerth der Stösse erreichen, welchen
der menschliche Körper selbst beim Gehen, bei Armbewegungen u. s. w.
seiner Umgebung mittheilt. — Ferner können die von den Muskel- und
Nervenkräften ausgehenden Bewegungen keine neuen Ursachen der Wärme
abgeben, da die Entwickelung dieser Kräfte selbst von dem thierischen Stoff-
umsatze abhängt. Die in den Muskeln und Nerven vorkommenden Be-
wegungen sind also erst wieder abgeleitet aus den latenten Kräften der
Nahrungsmittel. Jene Apparate schöpfen ihre Befähigung zur Erzeugung
von lebendiger Kraft aus derselben Quelle mit der freien Wärme, und
somit muss in dem Maasse, in welchem jene Apparate lebendige Kräfte
zum Vorschein bringen, die Befähigung des thierischen Stoffes zur Bildung
freier Wärme abnehmen.
Daraus ergiebt sich schliesslich, dass auch die Reibungen, welche
in Folge der Muskelbewegung erscheinen, wie z. B. die der Gelenkflä-
chen, der Sehnen in den Sehnenscheiden, des Blutes und der Gefäss-
wandungen aneinander u. s. w., ursprünglich immer wieder demselben
Material ihr wärmebildendes Vermögen verdanken. Denn die Muskelbewe-
gungen, welche durch die eingeleitete Reibung Wärme erzeugten, konn-
ten nur entstehen durch eine Aufwendung derjenigen Kräfte, welche latent
zwischen den sich umsetzenden Atomen enthalten waren; also ist auch
die Reibungswärme nur durch einen Umweg aus der latenten Wärme
des Eiweisses, Fettes, des Sauerstoffs u. s. w. hervorgegangen, indem
die letztere sich zuerst in eine Bewegung des Muskels und diese wieder
in eine solche der Knochen, des Blutes u. s. w. umsetzte, welche durch
die wärmeerzeugende Reibung zur Ruhe kam.
Diese auf streng theoretischem Wege gewonnene Ueberzeugung vom
Ursprunge der thierischen Wärme hat man durch den Versuch noch zu
befestigen versucht, oder wahrheitsgemässer gesagt, Lavoisier und nach
[469]Bestätigung durch den Versuch.
ihm Dulong und Despretz haben die zu ihrer Zeit theoretisch nicht
beweisbare Annahme, dass die thierische Wärme auf der Oxydation der
organischen Thierstoffe beruhe, durch den direkten Versuch erweisen
wollen. Dieses Unternehmen ist jedoch bis zum heutigen Tage noch
nicht mit voller Schärfe zu Ende geführt.
Im Prinzipe muss dasselbe darauf hinauslaufen, die Menge von
Wärme, welche hervorgehen kann aus der Oxydation des Eiweisses, der
Fette, des Zuckers zu CO2, HO, Harnstoff u. s. w. zu vergleichen mit
der Wärmemenge, welche das Thier liefert, während es eine bestimmte
Menge von CO2, HO, Harnstoff bildet.
2. Um die erste dieser Forderungen möglich zu machen, muss man
die latente Wärme der bezeichneten Atome ermitteln; dieses geschieht,
indem man die Wärmequantität misst, welche frei wird, wenn das Eiweiss,
die Fette u. s. w. zu CO2, HO, Harnstoff u. s. w. verbrennen. Die Ein-
heit, in welcher die erhaltene Wärme ausgedrückt wird, ist bekanntlich
das Fassungsvermögen der Gewichtseinheit des Wassers für Wärme, oder
diejenige Menge der letzteren, welche zu 1 Gr. Wasser geführt werden
muss, damit die Temperatur desselben um 1° C. erhöht werde.
Die bei der Verbrennung entwickelte Wärme fängt man dadurch auf, dass man
den zu verbrennenden Körper in einen rings von Wasser oder Quecksilber umgebe-
nen Metallkasten einbringt, und dort die Verbrennung so geschehen lässt, dass alle
freigewordene Wärme auf die Flüssigkeit übertragen wird. Aus dem bekannten Ge-
wichte des verbrannten Körpers und dem des umgebenden Wassers und endlich aus
der Temperaturzunahme dieses letzteren lässt sich ableiten, wie viel Wärmeein-
heiten bei der Verbrennung der Gewichtseinheit eines beliebigen Stoffes frei wer-
den. Ueber die zahlreichen Fehler, die diesem Verfahren anhaften können, und ihre
Vermeidung, siehe die Abhandlungen von Favre und Silbermann.
Aus den Erfahrungen, welche die Versuche über Verbrennungswärme
ergeben haben, hebt sich folgendes für den physiolog. Zweck als wichtig hervor.
a. Die Zahl der Wärmeeinheiten, welche die Gewichtseinheit eines
einzelnen oder einer Gruppe von Atomen beim Uebergange aus einer
niederen in eine höhere Oxydationsstufe entwickelt, ist unabhängig von
der Art und Zahl der Mittelstufen, welche zwischen den beiden End-
gliedern gelegen sind. So giebt z. B. ein Gramm Stearinsäure, wenn
sie mit Hilfe des gasförmigen Sauerstoffs zu CO2 und HO verbrannt wird,
immer dieselbe Warmemenge, gleichgiltig ob die Verbrennung in einem
Akte oder in der Art geschieht, dass sich noch mancherlei Zwischen-
produkte (niedere Glieder der Fettsäurenreihe, CO u. s. w.) einschieben,
bevor es zu einer vollständigen Ueberführung in CO2 und HO gekom-
men ist. Dieser empirisch aufgefundene Satz ist eine nothwendige Fol-
gerung aus der mechanischen Wärmetheorie. Denn nach ihr war die
messbare Wärme nichts anderes als die lebendige Kraft, welche frei
werden konnte durch den Unterschied an Spannkräften im unverbrann-
ten und verbrannten Atome. Dieser Unterschied ist aber natürlich nur
[470]Wovon hängt die Menge der Wärme ab,
abhängig von der Natur des in die Verbrennung eingehenden und des aus
ihr hervortretenden Atoms, unabhängig dagegen von den Mittelgliedern,
welche zwischen der Anfangs- und Endstufe gelegen sein können. Es
verhält sich hierbei Alles gerade so, wie mit der Arbeit, welche durch
den freien Fall eines Körpers geliefert werden kann. Dieselbe wird be-
kanntlich nur bestimmt durch die Fallhöhe, nicht aber dadurch, ob der
Körper auf einmal oder in Absätzen aus der gegebenen Höhe herunter-
fällt. — b. Die Verbrennungswärme, welche einfache Atome oder Atom-
gruppen von einer und derselben chemischen Zusammensetzung liefern,
ist abhängig von dem Zustande, in dem sie sich finden. So giebt u. A.
ein Gramm Kohle in ihren verschiedenen allotropischen Modifikatio-
nen (Diamant, Graphit, Holzkohle) eine ungleiche Menge von Wärme-
einheiten; desgleichen geben gleiche Gewichte zweier Atomgruppen,
welche in verschiedener Anordnung gleich viel Atome derselben Art ent-
halten (isomere und polymere Verbindungen) ganz ungleiche Wärme-
mengen. — c. Damit in einigem Zusammenhange steht die Erfahrung,
dass die Verbrennungswärme eines Atoms im freien unverbundenen Zu-
stande eine andere als im verbundenen Zustande ist; mit anderen Worten,
die Summe der Wärmeeinheiten, welche bei der Verbrennung eines com-
plizirten Atomes frei werden, können nicht abgeleitet werden aus der be-
kannten Wärmemenge, welche die in dem complizirten Atome enthaltenen
Atome geben, wenn sie im freien Zustande verbrannt werden. Im Allgemeinen
gilt jedoch die Regel, dass die mit anderen schon verbundenen Atome weniger
Wärme ausgeben, als die freien. Dieser Satz bestätigt sich nicht allein, wenn
in das complizirte Atom Sauerstoff eingetreten, sondern auch wenn die Ver-
bindung frei von demselben, z. B. ein Kohlenwasserstoff, ist. Es haben sich
also der Kohlen- und Wasserstoff bei ihrer Vereinigung schon verbrannt,
indem sie bei derselben Wärme entwickelten. In einigen sehr seltenen
Fällen (z. B. beim Schwefelkohlenstoff) ist jedoch auch die Verbrennungs-
wärme des complizirten Atoms grösser, als das aus ihren constituiren-
den Elementen berechnete Resultat. — d. Bei der Oxydation durch
gasförmigen Sauerstoff ist die Zahl der entwickelten Wärmeeinheiten
geringer, als bei der Verbrennung durch Stickoxydul. — e. Die Zahl
der Wärmeeinheiten, welche die Gewichtsemheiten der in den Speisen
enthaltenen oder zum Aufbau des menschlichen Körpers verwendeten or-
ganischen Atome ergeben, ist nur für die geringste Zahl derselben er-
mittelt. Durch Favre und Silbermann ist bekannt, dass 1 Gr. der
folgenden Stoffe die verzeichneten Wärmeeinheiten giebt.
- Stearinsäure (C36H36O4) = 9700 W. E.
- Margarinsäure (C34H34O4) = 9560 „
- Palmitinsäure (C32H32O4) = 9420 „
- Caprylsäure (C16H16O4) = 7780 „
- Capronsäure (C12H12O4) = 7000 „
[471]welche bei der Verbrennung frei wird.
- Buttersäure (C8H8O4) = 5623 W. E.
- Propionsäure (C6H6O4) = 4670 „
- Essigsäure (C4H4O4) = 3505 „
- Ameisensäure (C2H2O4) = 1915 „
- Alkohol (C4H6O2) = 8958 „
- Kohlenstoff (aus Holzkohle) = 8086 „
- Wasserstoff = 34462 „
Diese Mittheilungen lassen erkennen, wie ungemein lückenhaft die
Erfahrungen über die latente Wärme der im thierischen Körper ver-
brannten Stoffe sind. Man sieht sich darum genöthigt, zu einer Hypo-
these seine Zuflucht zu nehmen, wenn man eine Angabe über die Wärme-
quantität machen will, deren Verwendung dem thierischen Körper zu
Gebote steht. Zu diesem Behufe nimmt man an, dass die in den orga-
nischen Verbindungen der Nahrung enthaltenen C- und H atome gerade so
viel Wärmeeinheiten auszugeben vermöchten, als wären sie im freien Zustande
verbrannt, und fügt zu dieser Unterstellung den weiteren Zusatz, dass der
O, welchen die genannten Verbindungen mitbringen, so angesehen werden
solle, als ob er schon einen ihm entsprechenden H antheil der Verbindung
zu Wasser verbrannt habe; mit anderen Worten, man zieht eine dem
Sauerstoffgehalte entsprechende Wasserstoffmenge ab, wenn man nach
der obigen Voraussetzung die latente Wärme der Verbindung berechnet.
Nach dieser Hypothese würde nun z. B. 1 Gr. Stearinsäure 9905 Wärme-
einheiten geben, während er beobachtungsgemäss nur 9700 liefert, das be-
rechnete Resultat übersteigt das beobachtetete. Anders gestaltet es sich
mit den Kohlenhydraten. Wir wählen als Beispiel den Traubenzucker
(C12H12O12). Da dieser eine genügende Menge von O enthält, um allen
H desselben zu HO zu verbrennen, so kommt bei unserer Berechnung
nur der C in Betracht. Nun enthält 1 Gr. Zucker nach obiger Formel
0,4 Gr. C., diesem entsprechen aber 3234 W. E.; 1,0 Gr. Zucker giebt
aber auch 0,51 Gr. Alkohol, welche nach empirischer Feststellung 4568
W. E. liefern. Diese müssen also jedenfalls schon in dem Gr. Zucker,
welcher zur Alkoholbildung verwendet wurde, enthalten gewesen sein.
Bedenkt man aber noch, dass auch Wärme aus dem Zucker entwickelt
wurde, als er bei der Gährung unter CO2 abscheidung in Alkohol
überging, so folgt aus allem diesen, dass das berechnete Resultat weit
unter dem beobachteten bleibt. Aus diesen beiden Beispielen, die einzi-
gen, welche dem kritischen Experiment unterworfen wurden, geht hervor,
dass jene Hypothese eine bald zu geringe und bald zu hohe Verbrennungs-
wärme giebt. Wollte man also von obiger Annahme Anwendung machen
auf ein Thier, das viel Fett und wenig oder kein Amylon frisst, so hätte
man seine latente Wärme überschätzt, während man bei einem anderen Thiere
das Amylon und Fette im umgekehrten Verhältnisse verzehrt, die latente
Wärme zu gering gefunden haben würde.
[472]Beobachtung der von einem Thiere
3. Die zweite Forderung zur praktischen Lösung der Frage, ob die
aus dem thierischen Verbrennungsprozesse disponibel werdende Wärme
übereinstimmt mit der vom Thiere wirklich gebildeten verlangt A gabe
über die während der Versuchszeit entwickelte Wärme und die in der-
selben umgesetzten Stoffgewichte, mit genauer Bezeichnung der in und
aus den oxydirenden Prozessen tretenden Atomgruppen. Von diesen Be-
dingungen ist zu erfüllen die erstere ganz und die letztere mindestens
theilweise.
Die Wärme, welche die Thiere während der Versuchszeit entwickeln,
kann durch ganz dasselbe Verfahren gemessen werden, welches zur Be-
stimmung der Verbrennungswärme eines beliebigen Atoms dient. Man
sperrt das zu untersuchende Thier, dessen Temperatur zu Anfang und
Ende des Versuches übereinstimmen muss, in einen rings von Wasser
umgebenen Metallkasten und bestimmte die Temperaturzunahme, welche
das bekannte Gewicht des umgebenden Wassers während der Anwesen-
heit des Thieres im Kasten erfahren hat.
Den qualitativen und quantitativen Gang der Stoffbewegung des dem
Versuche unterworfenen Thieres erschliessen Dulong und Despretz
aus der Menge des aufgenommenen Sauerstoffs und der ausgegebenen CO2;
nach den in der Respirationslehre entwickelten Grundsätzen genügen be-
kanntlich diese Angaben, um daraus auch die Menge des verbrannten Kohlen-
und Wasserstoffs zu finden. Vorausgesetzt, es sei die möglichst günstige
Annahme zugetroffen, dass während der Versuchszeit die ganze Menge von
O, welche in derselben aufgenommen wurde, auch zur Bildung von
CO2 und HO verwendet, und es sei auch die ganze Menge der gebilde-
ten CO2 wieder ausgeathmet worden, so würden die gelieferten Bedin-
gungen immer noch nicht genügen, um daraus die Menge der Wärme
zu bestimmen, welche während der Oxydation frei wurde. Dieses folgt
unmittelbar aus den vorhin mitgetheilten Erfahrungen, dass die Wärme-
menge, welche ein Atom H oder C bei seiner Umwandelung in CO2 und
HO liefert, sich richtet nach der Verbindung, aus welcher jene Elemente
verbrannt wurden. Demgemäss müssten zu jenen Angaben des erwähnten
Versuches auch noch die der complizirten Stoffe kommen, aus welchen
die CO2 und das HO herausgebrannt wurden.
4. Aus dieser Besprechung der Methoden und der Voraussetzung
der Rechnungen für die Versuche von Despretz und Dulong dürfte
der Schluss gezogen werden, dass die aus ihnen gewonnenen Resultate
keinesfalls der Ausdruck der vollen Wahrheit sein können, namentlich
lässt sich voraussagen, dass die Rechnung für die Thiere, welche über-
wiegend Fette umgesetzt haben, zu hoch, und für die, welche vorzugs-
weise Amylaceen verzehrten (z. B. Kaninchen, Meerschweinchen) zu nie-
drig ausfalle. Als Werthe, welche sich jedoch entfernt der Wahrheit
annähern, sind sie nicht ohne Interesse; wir geben darum die Tafel von
[473]bei bekannten Stoffumsatz entwickelten Wärme.
Dulong. Die unter der Rubrik Wärmeverhältniss aufgeführten Zahlen
sind ein Quotient aus der vom Thiere wirklich ausgegebenen Wärme-
einheit in die aus der CO2 ausscheidung und Overbrauch berechneten.
Aus der Thatsache, dass in keinem Falle die nach der Berechnung
gebildete Wärme den wirklichen Verlust erreicht, schliessen wir, indem
wir das Gesetz von der Erhaltung der Kraft als ein unumstössliches an-
sehen, dass auch die Eiweisskörper wie die Amylaceen bei ihrer Ver-
brennung mehr Wärme ausgeben, als sich aus ihr nach den aufgestell-
ten Prinzipien berechnet.
In der obigen Tafel von Dulong sind statt der von ihm selbst angewendeten
Lavoisier’schen Zahlen für die Verbrennungswärme des C und H die von Favre und
Silbermann gefundenen (8086 und 34462) benutzt. Die Beobachtungen von Despretz
lieferten ein ungünstigeres Verhältniss zwischen dem hypothetischen Wärmegewinne
und dem wirklichen Verluste; dieses verwandelt sich allerdings ebenfalls in ein sehr
günstiges, wenn man statt der von ihm benutzten Zahlen für die Verbrennungswärme
des C und H die Silbermann Favre’schen substituirt. Dieses dürfte aber wohl
nicht erlaubt sein, weil Despretz die Verbrennungswärme der Thiere und der genann-
ten Elemente nach derselben Methode bestimmt hat, so dass also der bei seinem Ver-
fahren eingetretene Verlust in der einen und der anderen Bestimmung sich geltend
macht. Die Beobachtungen von Despretz sind aber darum nicht fehlerfrei, weil die
Luft, in welcher seine Thiere athmeten, zu Ende des Versuchs mehr CO2 und weniger
Sauerstoff enthielt, als zu Beginn desselben. Also mussten auch die Thiere nach
den in der Athemlehre entwickelten Grundsätzen zu Ende der Beobachtung reicher
an CO2 sein, als zu Anfang derselben; dieser Umstand bedingt aber einen Verlust
an der beobachteten CO2 und damit auch an der berechneten Wärme.
5. Einen Beweis für die Entstehung der thierischen Wärme aus
dem oxydirenden Stoffumsatz, hat man auch öfter zu liefern gesucht
durch die Ergebnisse der Temperaturmessungen. Die steigende oder
sinkende Temperatur des thierischen Körpers würde jedoch nur dann
zu einer Schlussfolgerung auf das Mehr oder Minder der Wärmeerzeugung
berechtigen, wenn zugleich der Gang des Wärmeverlustes ermittelt wor-
den wäre. Dieses ist aber entweder gar nicht oder sehr unvollkommen
geschehen. Immerhin ist es jedoch bemerkenswerth, dass in den Tages-
und Lebenszeiten, in welchen die relative Oxydationsgeschwindigkeit der
Körperbestandtheile abnimmt, auch die Temperatur sinkt und umge-
kehrt. Die Beispiele hierfür sind schon p. 465. angeführt.
Wärmeverluste.
Die Wärmeverluste entstehen 1) dadurch, dass die flüssigen und
festen Einnahmen (Speisen) des thierischen Körpers kälter sind, als seine
flüssigen und festen Ausgaben (Harn und Koth); die Wärme, die auf
[474]Wärmeverluste.
die Gewichtseinheit dieser den Organismus durchlaufenden Massen über
tragen wird, ist abhängig von ihrer Wärmekapazität und dem Unter-
schiede ihrer Temperaturen bei Ein- und Austritten in den thierischen
Körper. Unter allen Umständen ist dieser Wärmeverlust nur ein gerin-
ger Antheil der Gesammteinbusse. — 2) Durch Leitung und Strahlung
von den freien Oberflächen des Körpers, insbesondere von Lunge und
Haut, gegen die umgebenden Medien. Wie viel Wärme hierdurch in der
Zeiteinheit auf der Einheit der Oberfläche verloren geht, ist bekanntlich
abhängig von dem mittleren Temperaturunterschiede zwischen dem umgeben-
den Medium und dem Organismus, von der Wärmekapazität und Leitungs-
fähigkeit der Umgebung, oder wenn diese letztere Eigenschaft, wie bei
der Luft, ganz fehlen sollte, von der Bewegung derselben. — Für die
Lunge lassen sich die nöthigen Angaben leicht gewinnen, weil sie eine
constante Temperatur besitzt und mit ihr nur Luft in Berührung kommt,
die immer auf einen nahebei gleichen um 36 bis 37° C. schwankenden
Temperaturgrad erwärmt die Lunge verlässt. Beispielsweise werden wir
sogleich eine Rechnung ausführen. — Für die Haut sind dagegen die
nöthigen Angaben nicht zu erbringen; dieses ist ersichtlich, weil die
Temperatur der Hautoberfläche nach Zeit und Ort fortwährend veränder-
lich ist, eine Veränderung, welche eine complizirte Folge ihrer Blutfülle
der Geschwindigkeit des Blutstroms, der Bluttemperatur, der Wärmezu-
leitung von den inneren Organen durch den panniculus adiposus hin-
durch, der Wärmeleitungsfähigkeit und der Dicke der Epidermis und des
Wärmeverlustes auf der Oberfläche ist; denn die Haut kommt nicht
blos mit Luft, sondern auch mit Kleidern, Wasser u. s. w. in Berüh-
rung, und der Temperaturgrad, den die berührende Luft annimmt, än-
dert sich mit ihrer Bewegung, welche selbst wieder aus vielen Gründen,
die in der Luft und in der Art der Kleidung begründet sind, variirt. —
3) Der thierische Körper verliert ferner Wärme, weil er fortwährend
Wasser verdunstet; der Verlust an Wärme, die in den Wasserdampf
latent übergeht, muss für die Zeit- und Flächeneinheit abhängig sein
von der Temperatur der Körperoberfläche, ihrer Befeuchtung und der Sätti-
gung der Luft mit Feuchtigkeit, kurz, von allen den Umständen, welche
wir bei der Verdunstung schon ausführlicher angegeben. Die in Frage
kommenden Faktoren sind nun bekanntlich wiederum in der Lunge constan-
ter als in der Haut, so dass es immerhin gelingt, den Wärmeverlust, den
wir durch Verdunstung durch die Lunge erfahren, sicherer zu bestimmen,
als den durch die Haut. — 4) Die Lehre von der Erhaltung der Kräfte
drängt uns endlich noch zu der Annahme, dass auch Wärme, gleichgiltig ob
sie latent oder frei war, verloren gehe durch die Erzeugung derjenigen
Muskelkräfte, welche zu einer mechanischen Arbeit jenseits der Leibes-
grenze verwendet werden. Für gewöhnlich mag dieser Verlust allerdings
nicht sehr hoch anzuschlagen sein, da das mechanische Aequivalent der
[475]Vergleichung der Einnahme und Ausgabe von Wärme.
Wärme eine sehr beträchtliche Grösse besitzt, oder besser gesagt, da
mit einem geringen Aufwande an Wärme sehr viel mechanische Arbeit
zu leisten ist.
Da die Wärme eine Bewegung ist, so muss sich auch angeben lassen, wie viel
von irgend welcher anderen bewegenden Kraft, z. B. der Schwere, angewendet wer-
den muss, um eine bestimmte Menge von Wärme zu erzeugen und umgekehrt. Nach
den Messungen von Joule, Jacobi und Leguin ist übereinstimmend festgestellt,
dass 430 Metergramme, d. h. eine Kraft, welche 430 Gramme auf 1 Meter zu er-
heben vermag, aequivalent sind einer Wärmeeinheit, d. h. der Wärme, welche nö-
thig ist, um 1 Gr. Wasser von 0° auf 1° zu erwärmen.
Vergleichung der täglichen Gesammteinnahme und
Ausgabe an Wärme.
Wir stellen dieselbe nach Barral*) an, welcher sich auf eine, wie
es scheint, umsichtig geführte Versuchsreihe stützt; seine Rechnungen
dürften darum, trotzdem dass sie zum Theil auf unrichtigen Annahmen
ruhen, doch zu einer angenähert richtigen Vorstellung führen. Zudem
herrscht eine gewisse Uebereinstimmung zwischen seinen und den Re-
sultaten einer Rechnung, welche Helmholtz**), von durchaus anderen
Voraussetzungen ausgehend, anstellte.
Barral unternahm an 4 Individuen, einem Manne von 59 und von
29 Jahren, einer Frau von 32 und einem Kinde von 6 Jahren, 5 Versuche,
von denen je einer einen Zeitraum von 5 Tagen umspannte. In dieser
Zeit bestimmte er Gewicht und Zusammensetzung der Speisen, des Harnes
und Kothes; da das Körpergewicht unverändert blieb oder wenigstens
als solches angenommen werden darf, denn er liess die Leute bei
ihrer gewöhnlichen Lebensweise und Nahrung, so gab der Gewichts-
unterschied zwischen der Nahrung und dem aus After und Blase entleer-
ten Massen den Verlust durch Haut und Lungen. Da auch die Zusam-
mensetzung der Nahrung, des Harnes und Kothes bekannt war, so liess
sich auch die des Haut- und Lungendunstes finden. Berücksichtigt man
das 24stündige Mittel in Einnahme und Ausgabe für Wasser und orga-
nische Bestandtheile, so hat man:
[476]Wärmeabrechnung nach Barral.
Tabelle I.
Zieht man die C-, H-, N-, O- und HO gewichte des Kothes und Harnes von dem der Nahrung ab, so erhält man die
Nahrungsantheile, welche mit der Lungen- und Hautausdunstung weggingen.
Tabelle II.
Aus den Augaben der Tabelle II. berechnet sich nun: 1) Der wär-
mende Wasserstoff; darunter versteht man aber nach der früheren Verab-
redung den Theil des aus den Speisen verbrannten H, welcher zu seiner Ver-
brennung den eingeathmeten O benutzt, nicht aber denjenigen, welcher schon
im festen Zustande in den Speisen enthalten war. Er wird aus den Zah-
len der Tabelle II. abgeleitet, indem man berechnet, wie viel H nöthig ist,
um den in der letzten Colonne aufgeführten O in HO umzuwandeln; zieht
man diesen berechneten Werth ab von dem in der Tabelle aufgeführten
H, so bildet der Rest den wärmenden, d. h. denjenigen, welcher bei der
Wärmeberechnung in Anschlag gebracht wird. — 2) Das neu gebildete
Wasser, und zwar dadurch, dass man den H der vorliegenden Tabelle
auf Wasser berechnet. — 3) Addirt man dieses Wasser zu dem der
zweiten Colonne, so erhält man das Gesammtgewicht des verdunsteten
Wassers. — Das Gewicht der verdunsteten CO2 wird nach bekannten
Regeln ebenfalls aus dem Vorstehenden abgeleitet. — 5) Macht man end-
lich die Voraussetzung, dass die Ausathmungslnft im Mittel 4 pCt. CO2
enthalten habe, so findet sich aus unseren Daten auch noch das Ge-
wicht der Ausathmungsluft. Alle diese berechneten Werthe sind in Tab. III.
zusammengestellt. Die Zahlen bedeuten Gramme.
Tabelle III.
Damit ist nun die weitere Möglichkeit eröffnet, um zu berechnen:
1) Die Zahl der den Tag über gebildeten Wärmeeinheiten unter der Voraus-
setzung, dass der wärmende H und der C bei ihrer Verbrennung eben-
soviel W. E. entwickelt haben, wie bei ihrer Verbrennung im freien Zu-
stande. Wir legen hierbei die Zahlen von Favre und Silbermann
nemlich für 1 Gr. C = 8086 W. E. und für 1 Gr. H = 34462 W. E.
zu Grunde. Dieser Voraussetzung dürfte weniger Wärme entsprechen,
als in der That ausgegeben wurde, da die feste Nahrung in den beob-
achteten Fällen vorzugsweise aus Brod, Zucker und Gemüse, also aus Koh-
lenhydraten, bestand, welche, wie früher erwähnt, in der That eine hö-
here Wärme entwickeln, als nach unserer jetzigen Berechnungsgrundlage
aus ihnen gefunden wird. — 2) Der Wärmeverlust durch Verdunstung
des Wassers; indem man die Wärme des den Körper verlassenden
Wasserdunstes auf 37° setzt und ihn im Maximum der Tension befind-
lich annimmt. — 3) Den Wärmeverlust durch die Erwärmung der Ath-
mungsluft; die spezifische Wärme der Ausathmungsluft ist gleich der der
[478]Wärmeberechnung nach Barral.
atmosphärischen mit de la Roche und Berard auf 0,267 gesetzt. —
4) Die Wärme, welche an die eingenommenen Nahrungsmittel abgegeben
wurde, deren mittlere Temperatur vor der Aufnahme auf 15° angenommen
wird. — 5) Die Wärme, welche mit der flüssigen und festen Ausleerung
entfernt wurde; die spezifische Wärme beider ist dem Wasser gleich
gesetzt. — 6) Endlich die Wärme, welche durch Strahlung, Leitung und
Umsetzung in Arbeit verloren ging.
Eine einfache Uebersicht über das Verhältniss der Wärmegewinne
giebt folgende Zusammenstellung, in welcher die Zahl der in 24 Stunden
gewonnenen Wärmeeinheiten auf die Einheit des Körpergewichtes (auf 1 Gr.)
reduzirt ist.
Diese Zusammenstellung ergiebt, dass der Mann in mittleren Jahren
im Sommer weniger Wärme erzeugt, als im Winter; das Kind relativ
mehr, die erwachsene Frau weniger, als alle übrigen Individuen.
Um die Betheiligung der einzelnen Prozesse an dem gesammten
Wärmeverbrauch zu übersehen, ist letzterer in der nächsten Tabelle in
Prozenten der Gesammtwärme berechnet.
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass weitaus die grösste Einbusse
durch Strahlung und Leitung und durch Erzeugung mechanischer Arbeit
[479]Wärmebildung in den einzelnen Organen.
zu Stande kommt; eine einfache Ueberlegung weist dann aber darauf
hin, dass von den in der letzten Reihe zusammengefassten Funk-
tionen die mechanische Leistung die geringste Menge von W. E. ver-
zehrt. — Denn nehmen wir z. B. an, der Mann I., welcher im Mittel
täglich 3191948 gewinnt, habe einen Berg von 2000 Metres Höhe er-
stiegen, d. h. er habe sein Körpergewicht von 47500 Gr. auf diese Höhe
gehoben, so würde er (d. mechan. Aequivalent zu 430 Metresgramme
genommen) dazu nur 220930 Wärmeeinheiten, d. h. etwa 7 pCt. seiner
gesammten Wärmemenge, verbraucht haben.
Bildung und Verbrauch von Wärme in den einzelnen
Organen.
Zunächst liegt es nun ob anzugeben, in welchem Maasse sich die
einzelnen Organe und Gewebe an dem Gewinne und Verluste der Wärme
betheiligen, da es aus dem uns bekannten chemischen Leben derselben
offenbar ist, dass sie dieses nicht alle in gleicher Weise thun.
Um den Werth feststellen zu können, mit dem ein jeder Bestand-
theil unseres Leibes in jenen verbreiteten Prozess eingreift, wird nichts
mehr und weniger genügen, als die Kenntniss von der Art und dem
Umfange des Stoffumsatzes und des Wärmeverlustes durch Leitung und
Strahlung an allen Orten, oder aber, vorausgesetzt, es hielte sich die
Temperatur in den betreffenden Organen constant, der Wärmekapazität
und der Temperaturunterschiede der zu- und abfliessenden tropfbaren
Flüssigkeiten und der Verluste durch Strahlung, oder aber es wäre die
Temperatur variabel, auch noch die Kenntniss nöthig der Wärmekapazität
des Organes und des Umfanges der Temperaturschwankung.
In der That wissen wir aber im Einzelnen nur Folgendes. Zu den
vorzugsweise wärmesammelnden Gebilden zählen wir:
a. Die Muskeln im ruhenden und im verkürzten Zustande. Denn
diese Organe verlieren durch Strahlung keine Wärme, während sie (mit
Hilfe von aufgeschwemmtem O) CO2 entwickeln, und dieses letztere in
gesteigertem Maassstabe, wenn sie sich in verkürztem Zustande befinden.
Hiermit im Einklange finden Becquerel und Brechet durch die thermo-
elektrische Messung, dass der zusammengezogene Muskel um 0,5° bis
1,0° wärmer als der verlängerte ist.
b. Die Baucheingeweide. In ihnen ereignen sich weitverbreitete
wärmeerzeugende Vorgänge, so u. A. die häufigen Zusammenziehungen
der Darmmuskeln, die Gährungen im Darmrohre, die Bildung von Harn-
säure in der Milz u. s. w., gegen deren erwärmende Macht die Abküh-
lung durch die Speisen, die einzige, welche sie erleiden, nicht in Be-
tracht zu kommen scheint. Die Richtigkeit dieser Folgerung bestätigt
die Temperatur des Blutes in der vena cava ascendens, welche immer
noch höher ist, als die des Arterienblutes, trotzdem dass sich in jener Vene
[480]Wärmeverlust in den einzelnen Organen.
neben dem aus den Baucheingeweiden stammenden auch noch das aus
den kälteren unteren Extremitäten zurückkehrende Venenblut sammelt.
c. Die Organe, welche vorzugsweise aus Bindegewebe, Fett,
Knorpel und Knochen bestehen, sind rücksichtlich ihrer Fähigkeit, Wärme
zu erzeugen, noch wenig untersucht; so viel scheint nur gewiss, dass
ihnen dieselbe nicht abgesprochen werden kann, da das in sie dringende
arterielle Blut venös aus ihnen zurückkommt, zum Zeichen, dass dasselbe
dort Kohlensäure empfangen hat, und da in einzelnen derselben, wie z. B.
in der Lungensubstanz, Harnsäure gefunden worden ist. — Ungewiss ist
es endlich, ob das Blut, welches gegen eine vielfache Berührung mit
den Organen geschützt ist, Umsetzungen erfährt, die Wärmeentwickelung
zur Folge haben. Von den Thatsachen, welche man bis dahin für das
Bestehen einer Wärmebildung in ihm anführte, bestand eine darin, dass
das aus den Lungen zurückkommende Blut durch die Abkühlung, welche
es dort erfahren musste, höher temperirt sein sollte, als das eindringende.
Diese Thatsache ist aber durch die oben erwähnten Beobachtungen von
Bischoff, G. Liebig, Bernard u. A. widerlegt worden. Somit bleibt
nur noch eine andere, wonach das mit O geschüttelte Blut sich erwär-
men soll (Davy).
Zu den kühlenden Apparaten zählen vor allen Haut und Lunge.
a. Haut. Die Wärmemenge, welche dieses Organ ausstrahlt und ableitet,
ist unter der Annahme, dass dasselbe in unbekleidetem Zustande in Betracht
gezogen und alles übrige gleichgesetzt wird, aus einleuchtenden Gründen
abhängig: 1) Von der Dicke der schlecht leitenden Epidermis und des Haarbe-
leges; der Wärmeverlust ist darum, alles andere gleichgesetzt, an den Fuss-
sohlen, den Handtellern, der Kopfschwarte geringer, als von den Lippen,
Ohren, Augenliedern u.s.w. — 2) Von der Fülle des Gefässsystems, wel-
ches bekanntlich wechselt mit dem Blutdruck und der Widerstandsfähigkeit
der Wandung, und, insofern diese bedingt wird durch die kleinen Mus-
keln des Hautgewebes und der Gefässwandung, auch von dem Grade der
Zusammenziehung, in dem diese begriffen sind. — 3) Von der Gestalt
der Unterlage, über welche die Haut gespannt ist. Auf der Flächeneinheit
dünner, spitzer Körpertheile, wie z. B. der Ohrmuschel, der Nase, den
Fingern und überhaupt den Extremitäten wird der Verlust grösser sein, als
auf der eines Rumpfstückes, und zwar darum, weil die Strahlung aus
Spitzen überhaupt lebhafter vor sich geht, als aus ebenen Flächen. —
4) Die Vorgänge der Verdunstung entziehen aber, wenn alles übrige gleich,
der Haut um so mehr Wärme, je feuchter ihre Oberfläche ist. Aus
diesem Grunde wird namentlich eine Haut, deren Schweissdrüsen in Thä-
tigkeit sind, und die sich in Folge dessen mit Flüssigkeit bedeckt, in
das Maximum des Wärmeverlustes durch Verdunstung eintreten. — Der
[481]Abkühlung durch Haut und Lunge.
thatsächliche Ausdruck dieser Voraussichten liegt nun darin, dass das
Blut der Hautvenen die niedrigste Temperatur unter allen Blutarten zeigt,
dass die thermoelektrische Untersuchung das Unterhautbindegewebe kälter
findet, als dasjenige tiefer liegender Organe, und endlich darin, dass unter
den verschiedenen Ausgaben, welche sich in die Wärmeeinnahme des
Körpers theilen, die durch die Haut immer die grösste ist. — Bei dem
grossen Werthe, welchen der Wärmeverlust hier erreicht, ist es nun un-
möglich zu sagen, ob und wie viel Wärme in der Haut selbst erzeugt wird.
b. Die Abkühlung durch die Lunge nimmt mit der Zahl und dem
Umfange der Athemzüge und mit der Geschwindigkeit des Blutstromes
zu. Da man ungefähr die Luftmengen kennt, welche den Tag über in
den Lungen wechseln, und zugleich ihren Feuchtigkeitsgehalt und Tem-
peraturgrad beim Ein- und Austritte aus den Lungen, so ist eine an-
genäherte Berechnung des täglichen Wärmeverlustes möglich.
Wir legen, indem wir sie anstellen, die Barral’schen Beobachtungen und fol-
gende Unterstellungen zu Grunde: Aus den Angaben des absoluten Gewichtes der Aus-
athmungsluft lässt sich berechnen, wie viel Wasser sie enthalten habe, vorausgesetzt,
dass sie auf 37° C. erwärmt und mit Wasserdampf gesättigt gewesen sei. Zieht
man von diesem das Gewicht des Wassers ab, welches man erhält, wenn man an-
nimmt, dass die eingeathmete Luft auf 15° erwärmt gewesen und etwa die Hälfte
(z. B. 60 pCt.) des Wasserdampfes enthalten habe, den sie bei dieser Temperatur
fassen konnte, so erhält man das in der Lunge wirklich verdunstete Wasser. Diese
Mengen betragen für die Beobachtungen I. und II., die einzigen, welche wir betrach-
ten werden:
Diese Beobachtungen können nun dazu benutzt werden, um zu ermitteln, um wie
viel das Blut abgekühlt werden musste, welches durch die Lunge strömt. — Neh-
men wir nemlich mit Volkmann*) an, ein jeder Herzschlag entleere 0,0025 des
Körpergewichtes Blut, und geben wir Barral die mittlere Pulszahl in der Minute,
70 Schläge, so würden in 24 Stunden 11 970000 Gr. Blut durch die Lunge strö-
men. — Vertheilte man den Wärmeverlust auf diese Blutmenge, so würde in Be-
obachtung I. das arterielle Blut um 0,07° C. und in Beobachtung II. um 0,04° C.
kälter sein, als das venöse. — Wir folgern begreiflich aus dieser Uebereinstimmung
mit den von Bischoff und G. Liebig für die Temperatur des venösen und arte-
riellen Herzblutes gefundenen Zahlen weder, dass die Unterlagen unserer Rechnung
tadelfrei sind, und noch weniger, dass in den Lungen durchaus keine Wärme gebil-
det werde. Jedenfalls ist sie aber geeignet, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Denn wenn sich die Beobachtungen noch mehr, als es bisher geschehen, zuschärfen
sollten, so würde es möglich sein, die alte Controverse zum Abschluss zu bringen,
ob in der Lunge eine wesentliche Wärmequelle zu suchen sei. Sie lehrt aber jetzt
schon, dass die Angaben von J. Davy, Becquerel-Brechet u. A. über die
Temperaturzunahme des Blutes bei seinem Wege durch die Lunge auf fehlerhaften
Beobachtungen beruhen müssen.
Ludwig, Physiologie. II. 31
[482]Ausgleichung der Wärme verschiedener Leibestheile.
Ausgleichung der Temperatur zwischen verschiede-
nen Organen.
Da die abkühlenden und erwärmenden Ursachen mit einer so un-
gleichen Kraft in den verschiedenen Körpertheilen wirksam sind, und
ihre Temperatur trotz der schlechten Wärmeleitungsfähigkeit der Thier-
stoffe dennoch so geringe Unterschiede bietet, so müssen offenbar Ein-
richtungen gegeben sein, welche diese Unterschiede fortwährend ausglei-
chen. Diese liegen nun in der That klar genug vor in der Bewegung
und Mischung der thierischen Säfte und insbesondere des Blutes.
Als Gründe, die hierfür sprechen, sind anzuführen 1) die Mischung des
erwärmten und abgekühlten Blutes im Herzen und somit die gleichmässige
Vertheilung des Blutes von mittlerer Temperatur in die verschiedenen
Organe. — 2) Die Beobachtungen, dass in allen der Abkühlung unter-
worfenen Theilen, und namentlich der Haut, die Temperatur sich um so
mehr der des Herzblutes nähert, je rascher und je breiter der Blutstrom
ist, der durch diesen Theil kreist, während er sich um so weiter von
derselben entfernt, je geringer der Querschnitt oder die Schnelligkeit
des Stromes ausfällt. — Diese letzte Thatsache, die unzählige Male in Glied-
maassen beobachtet wird, in denen eine veränderte Blutströmung stattfindet,
sei es eine Stockung in Folge von Arterien- oder Venenunterbindung,
sei es eine Beschleunigung nach einer Erweiterung der zuführenden Ge-
fässe, ist durch eine ausgezeichnete Reihe von Beobachtungen, welche
Cl. Bernard*) ausgeführt hat, in das hellste Licht gesetzt. Wir haben
schon wiederholt erwähnt, dass, wenn er am Halse den Sympathicus
durchschnitt, sich alle Gefässe der entsprechenden Kopfhälfte erweiterten,
und das sie, wenn er das peripherische Schnittende mit einem [galvanischen]
Induktionsapparat erregte, sich wieder verengerten. Nach der einfachen
Durchschneidung steigerte sich nun auch die Temperatur in der Gesichts-
haut dieser Seite, während die der entgegengesetzten um einen grösseren
oder kleineren Werth abnahm, und umgekehrt erniedrigte die Tempera-
tur sich auf der verletzten Seite, wenn er die erregenden Poldrähte an
den peripherischen Stumpf des durchschnittenen Nerven anlegte. — Die
Wärmeerhöhung, welche nach der Durchschneidung des Sympathicus auf-
tritt, wird man aber um so eher aus dem oben berührten Gesichtspunkte
und nicht aus einer Neubildung von Wärme erklären, weil die Tempera-
tur niemals diejenige übersteigt, welche gleichzeitig im Herzen gefunden
wird, und auch noch darum, weil, wie Bernard beobachtete, das aus
den Venen zurückkehrende Blut dem arteriellen, namentlich in Beziehung
auf Färbung, sehr ähnlich ist, sich also wegen des raschen Durchganges
nicht mit den gewöhnlichen Oxydationsprodukten der Bindegewebssub-
stanz überladen hat.
[483]Mittel zur Erhaltung der Normaltemperatur.
Bernard weicht allzu vorsichtig noch einer Erklärung der von ihm gefundenen
Thatsachen aus; gegen die eben mitgetheilte äussert er sich sogar ungünstig, weil
er gefunden, dass in der Ohrmuschel auf der verletzten Seite immer noch eine, wenn
auch nicht mehr sehr bedeutende, Wärmesteigerung eintrat, nachdem er mehrere
der aus ihr zurückkehrenden Venen, oder die zuführenden Arterien unterbunden,
d. h. die Geschwindigkeit und die Ausbreitung des Blutstromes in dem Ohre gemin-
dert hatte. — Die Ueberzeugung von der Richtigkeit unserer Erklärung dürfte aber
erst dann erschüttert werden, wenn durch direkte Beobachtung erwiesen würde, dass
die Blutströmung im Ohre nach den Gefässunterbindungen und der Nervendurchschnei-
dung nicht rascher als vor diesen Operationen war. So lange dieses nicht geschehen,
muss es bei der ausserordentlichen Uebereinstimmung aller übrigen Umstände mit
unserer Annahme als erlaubt angesehen werden, den Einfluss der genannten Unter-
bindungen auf den Blutstrom in dem Ohre nicht zu hoch anzuschlagen.
Mittel zur Erhaltung des normalen Wärmegrades.
Das Verhältniss zwischen Aus- und Einfuhr von Wärme, wie es aus-
gedrückt wird durch den Temperaturgrad des thierischen Körpers, bleibt,
wie wir sahen, in verhältnissmässig engen Grenzen eingeschlossen; es
muss also auch der Gewinn der Wärme mit dem Verluste derselben
steigen und fallen. Die organischen Bedingungen, welche diese Bezie-
hungen herstellen, sind zum Theil wenigstens bekannt, der Mechanismus
dieses Zusammenhanges ist dagegen noch nicht aufgedeckt. — Eine der
wesentlichsten Beziehungen, welche wir gesondert betrachten, ist gegeben
durch die Temperaturempfindung, welche je nach den Einwirkungen der
Kälte oder Hitze einen Wärmehunger und Wärmeekel erzeugt; in der
natürlichen Folge davon begeben wir uns, wo irgend möglich, in Ver-
hältnisse, welche die unangenehmen Empfindungen beseitigen; wir wäh-
len hierzu gewöhnlich solche, welche ohne Zuthun irgend welcher inne-
ren Veränderungen die gewünschte Körpertemperatur herbeiführen, in-
dem wir die Wärmeleitungsfähigkeit der Kleidung reguliren, warme oder
kalte Speisen geniessen u. s. f. — Neben diesen willkührlichen Mitteln
zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Ein- und Ausgaben von
Wärme, giebt es noch eine Zahl von solchen, die durch unsere Seelen-
zustände nicht so unmittelbar bestimmt werden. Sie wirken in allen
Individuen, aber in den verschiedenen unzweifelhaft mit einer auffallend
verschiedenen Mächtigkeit; ausser besonderen, durch die Geburt gegebe-
nen Anlagen, wirkt auf diesen letzteren Umstand namentlich der Gebrauch
der willkührlichen Ausgleichungsmittel ein, ein Einfluss, der gemeinhin
als Abhärtung oder Verwöhnung bezeichnet wird.
1. Wenn die Wärme vermehrt oder vermindert wird in Folge der
gesteigerten oder verringerten chemischen Umsetzung im Thierleibe, so
muss die Thätigkeit, den wärmeausgebenden Organen entsprechend,
sich ändern. — Vermehrt sich die Wärmeeinnahme und nähert sich
damit die Körpertemperatur ihrem Maximum, so geschieht es, dass
a) die Capillaren in der Oberfläche der Cutis sich erweitern; der ra-
schere und ausgedehntere Blutstrom, der durch sie kreist, bringt die
31*
[484]Mittel zur Erhaltung der Normalwärme.
Haut auf eine höhere Temperatur, und damit wird der Verlust durch
Leitung und Strahlung, welcher dem Temperaturunterschied zwischen
dem thierischen Körper und dem umgebenden Medium proportional
geht, erhöht. — Meist tritt zugleich eine Schweissbildung ein, und damit
wird eine gesteigerte Verdunstung eingeleitet, welche beträchtlich abküh-
lend wirkt. Diese Schweissbildung tritt aber wegen besonderer, noch
unbekannter Einrichtung nicht an jeder Drüse mit gleicher Lebhaftigkeit
hervor, und zugleich ist auch die Summe des ergossenen Wassers nicht
auf allen Hautflächen gleich gross, da die Zahl der Schweissdrüsen in
ihnen variirt. — Wenn wir nun auch gar keine Vorstellung davon haben,
warum mit der gesteigerten Eigenwärme sich die Gefässe erweitern und
die Schweissdrüsen absondern, so ist doch der Vortheil, den beide Ap-
parate in ihrer Vereinigung zu leisten vermögen, einleuchtend genug.
Denn offenbar würde die Ausbreitung und Beschleunigung des Blutstro-
mes in der Haut wenig abkühlen, wenn, wie im Sommer und den Tropen,
die Temperatur der Atmosphäre sich derjenigen des thierischen Körpers
annähert oder sie gar übertrifft. — c) Es mehrt sich endlich mit dem
gesteigerten Stoffumsatze auch die Zahl und die Tiefe der Athembewegun-
gen, und damit auch die Abkühlung durch Leitung und Verdunstung von
der Lungenoberfläche aus. Wir dürfen als Ursache hiervon wohl die
Anhäufung der CO2 im Blute oder in den Lungenbläschen bezeichnen,
welche durch reflektorische oder direkte Erregung vom verlängerten
Marke aus die Bewegungen auslöst.
2. Der verminderten Wärmeeinnahme folgt jedesmal eine Zusammen-
ziehung der kleinen Muskeln in dem Gewebe und den Blutgefässen der
Haut, wodurch sich das Bett des Blutstromes in dieser verengert; die Haut
wird also trockener, und zugleich sinkt ihre Temperatur und damit auch
der Verlust durch Verdunstung und Strahlung. Unterstützend für die
Zurückhaltung der Wärme tritt, wenn einmal die Gefässfülle der Haut
auf ein Minimum gesunken ist, auch der panniculus adiposus ein, wel-
cher die Ableitung der Wärme von den Muskeln und tieferen Gefässen
zu der Haut hemmt (Bergmann). Für die Athmung gilt bis zu einem
gewissen Grade das umgekehrte von dem, was für den Fall vermehrter
Wärmebildung ausgesprochen wurde.
Um zu zeigen, in welchem Maasse die Luft durch Aufnahme von
Wärme und Wasserdampf abkühlend wirken kann, hat Helmholtz das
Täfelchen der nächsten Seite berechnet. In diesem finden sich die Wärme-
einheiten verzeichnet, welche ein Volum Luft, das einen Gramm wiegt,
nöthig hat, um von einem gegebenen Temperatur- und einem gegebenen
Feuchtigkeitsgrad auf 37° C. erwärmt und mit Wasserdampf vollkommen
gesättigt zu werden.
In der Colonne A ist die Temperatur angegeben, welche die Luft
besass, ehe sie dem erwärmenden Einflusse ausgesetzt wurde; die
[485]Mittel zur Erhaltung der Normalwärme.
Colonne B zerfällt in 4 Unterabtheilungen, welche die Ueberschriften 50,
70, 90, 100 pCt. tragen. Diese Ueberschriften beziehen sich auf die Pro-
zente der ganzen Dunstmenge, welche die Luft fassen kann, wenn sie
die in A angemerkte Temperatur besitzt. Die unter den einzelnen Unter-
abtheilungen stehenden Zahlen geben an, wie viel Wärmeeinheiten ver-
braucht werden, um die Luft bei einer Temperatur von 37° C. vollständig
mit Wasserdampf zu sättigen, nachdem sie schon bis zu den bezeichneten
Grenzen für die unter A gegebene Temperatur mit Wasserdampf erfüllt war.
Unter C endlich ist die Zahl der Wärmeeinheiten notirt, welche die Luft
verbraucht, um ihre Temperatur von den unter A gegebenen Graden an
auf 37° C. zu bringen.
Diese Tafel lässt erkennen, dass in den sommerlichen Temperatur- und Feuch-
tigkeitsgraden die Abkühlung, welche die Luft zu erzeugen vermag, fast nur der Ver-
dunstung zuzuschreiben ist.
3. Einige Körpertheile sind zugleich mit starken Horngebilden
und zahlreichen und grossen Schweissdrüsen begabt, z. B. das Haupt,
das einerseits das Kopfhaar und andererseits die schweissdrüsenreiche
Stirnhaut trägt; die dicke Epidermissohle der Füsse, das Haar und die
Schweissdrüsen der Achselhöhle sind ebenfalls hierher zu ziehen. —
Anderen Hautstellen ist durch ein sehr leicht und bedeutend zu erwei-
terndes und verengerndes Gefässsystem die Möglichkeit gegeben, ihren
Wärmeverlust dem wechselnden Gewinne anzupassen; so die Ohrmuscheln,
die Nasenhöhle u. s. w.
4. Wird dagegen die Temperatur verändert in Folge der steigenden
oder mangelnden Abkühlung, so richtet sich bis zu einem gewissen Grade
das Nahrungsbedürfniss darnach ein. So ist es gar keinem Zweifel unter-
worfen, dass bei den Warmblütern die proportionale Menge von Nahrung
wächst mit dem steigenden Quotienten aus der Oberfläche in das Gewicht
des Körpers, womit, wie Bergmann*) in der anziehendsten Weise
dargelegt hat, die Abkühlung der Thiere steigen muss; kleine Menschen
und Thiere, welche relativ zu ihrem Körpergewichte mehr abkühlen,
essen demnach auch relativ mehr als grosse. — Mit der Muskelanstren-
gung nimmt ebenfalls das Nahrungsbedürfniss zu, und zugleich steigt
auch mit ihr der Wärmeverlust, da ein Theil der latenten Wärme sich
[486]Mittel zur Erhaltung der Normalwärme.
in mechanische Arbeit umsetzt und mit der Muskelzusammenziehung
zugleich der wärmebildende Stoffumsatz und die Mitteltemperatur und
somit auch der Wärmeverlust durch Abkühlung gesteigert wird. — Man
behauptet endlich auch, dass mit den klimatischen Verhältnissen der
Stoffumsatz resp. die Wärmebildung veränderlich sei. Alle scharfen Be-
obachtungen, welche bis dahin vorliegen, lassen aber diese Annahme sehr
zweifelhaft erscheinen. Doch muss man eingestehen, dass die Unter-
suchungen auch noch mangelhaft genug sind. Denn da die Wärme,
welche die Gewichtseinheit des Nahrungsmittels leisten kann, sehr be-
trächtlich mit der Zusammensetzung wechselt (Fette liefern bekanntlich
am meisten), so ist es nicht genügend zu bestimmen, ob das Gewicht
der Nahrungsmittel in Island oder Westindien gleich gross gewesen sei,
sondern es ist nöthig auch zu wissen, ob sie in Island reicher oder
ärmer an Kohlenhydraten waren.
Appendix A Sachregister.
Appendix B
Gedruckt bei E. Polz in Leipzig.
[][][]
logie des Stoffwechsels. Erlangen 1851. p. 232 u. 236. — Lehmann, physiolog. Chemie I. 366.
Physiologie des Stoffwechsels. Erlangen 1851. p. 240. — Panum, Archiv für patholog. Anatom.
v. Virchow. III. Bd. 251.
unter die Bestandtheile des Menschenhaars Kieselsäure gehört (v. Laer), so muss sie auch im
Menschenblut vorkommen.
alten Literatur von Gmelin, Tiedemann, v. Ensehut u. s. w. — Liebig, Annalen. 57. Bd. 126. —
Lehmann, Jour. für pr. Chemie. 40. Bd. 133. — Mulder, Scheik, Onderzoek, V. Deel 435.
zu den Analysen des gesunden Bluts. Würzburg 1848. — Gorup-Besanerz. Vergleichende
Untersuchungen etc. Erlangen 1850.
II. Bd. 228. — Wiss, Virchow, Archiv. I. Bd. 256. — Funke, Henles und Pfeuffers Zeit-
schrift, Neue Folge. I. Bd. 172. — Clement compt. rend. XXI. 289.
3. ser. XXI. 506.
XXV. 110. Verdeil, Liebigs Annalen. 69. Bd. p. 89. — Thomson, London medical,
Gazette. 1845.
(1851). — Dove, Repertorium. I. Bd. 85. 98. 112 u. f., ibid. VII. Bd. — Berliner Berichte.
II. Jahrg. p. 14 u. f. — Poisson, equations génerales de l’équilibre et du mouvement etc. Jour-
nal de l’ecole polylechnique. 20, Heft, — P, du Bois, Untersuchungen über die Flüssigkeiten,
Berlin 1854.
Zürich 1848.
Annal. de chim. et physiq. 3. Ser. VIII. 50. — Volkmann, Haemodynamik. p. 50. — Ausser-
dem siehe d. Lehrbücher d. Hydranlik v. Gerstner, Eytelwin, d’Aubuisson, Weiss
bach u. s. w.
ten von Hagen und Poiseuille ist dargelegt in Doves Repertorium. 7. Bd. p. 135.
buch der Mechanik und Hydraulik. 3. Aufl. 1843. 172. — Volkmann, Haemodynamik. p. 51.
— Weissbach, Lehrbuch der Ingenieur- und Maschinenmechanik. I. Bd. 1850. 548.
Theorie der Wellenbewegung. Müllers Archiv. 1845. — Volkmann, Haemodynamik.
p. 80. — E. H. Weber, Ueber Anwendung der Wellenlehre. Leipziger Berichte. Mathemat.
physische Classe. 1851. 164.
für das Schema des [menschlichen] Kreislaufs gemacht werden darf.
Handleiding tot de Natuurkunde von den gezonden Mensch. Deel II. Utrecht 1853. p. 14. u. f. —
Kölliker, mikroskopische Anatomie. II. Bd. 483.
schrift, IX. Bd. 102. — Stannius, Müllers Archiv. 1852. p. 85. — Bidder, ibidem. 1852.
p. 163. — Wagner, Handwörterbuch d. Physiologie. III. Bd. 1. Abthl. 407. — Heidenhain,
Disquisitiones de nervis etc. centralib. cordis. Berlin 1854.
system. nerveux. II. 597.
Donders und Bauduin. II. Bd. 102.
zur Kenntniss u. s. w. Breslau 1852.
siolog. Heilkunde. VI. Bd. 361.
allmanna anatomie. Beide in Henles Jahresbericht für 1851. p. 31. u. 38.
Müllers Archiv. 1847. 232. — Kölliker u. Virchow in den Würzburger Verhandlungen.
V. Bd. 20.
lentins Jahresbericht über Physiologie für 1848. p. 120.
in den einzelnen Zeittheilchen bestehende Spannung addirte und durch die Summe der Zeit-
theilchen dividirte. —
lung. ibid. IV. Bd. 241. — Handleiding. II. Bd. a. 396. — C. Ludwig, Müllers Archiv.
1847. p. 242. — Ed. Weber, Leipziger Berichte; mathemat. physik. Classe. 1850. p. 29.
p. 78. — Brunner, l. c.
leicht lebhafter werden, wenn er sich den Quecksilber- in den Wasserdruck übersetzt, was in
jedem Fall geschieht, wenn er die obige Zahl mit 13,5 MM. multiplizirt.
von Bidder verbessert worden. Siehe Lenz, experimenta de ratione inter pulsus frequentum
etc. Dorpat 1853. p. 11.
mann und Treviranus. III. Bd. — ibidem. V. Bd. — Archiv für phisiolog. Heilkunde. XII.
Band. p. 112.
wegen auch diese grösser und kleiner werden, je nach der Spannung.
sen, experimenta quaed. endosmotica. Dorp. 1851. — C. Hoffmann, über die Aufnahme des
Quecksilbers und der Fette. Würzburg 1854.
lichst angefangen, noch das Bläschen und die Zelle zu trennen. Man setzt den Unterschied
dieser beiden in die Eigenschaft, dass das Bläschen ein in der Zeit unveränderliches, die Zelle
ein veränderliches, entwicklungsfähiges Gebilde sei. Mit diesem Kennzeichen ist aber nichts ge-
than, wenn nicht zugleich bewiesen wird, dass der Grund für dieses verschiedene Verhalten in
der Zelle selbst gelegen sei. Denn dann könnte man auch zwei Stücke reinen Eisens für verschie-
den erklären wollen, wenn man die Absicht hegte, das eine in luftfreies Wasser und das andere
in Salpetersäure zu werfen.
triques. Utrecht 1845. p. 47. — Kölliker, Mikroskop. Anatomie. II. Bd. 1. Abth. p. 45. —
Henle, Jahresbericht über allgem. Anatomie für 1850. p. 20.
Krause l. c. Ausserdem Oesterlen in Henle’s und Pfeufer’s Zeitschrift. V. Bd. 434.
Göttingen 1850.
len. 83. Bd. p. 332. — Gorup, ibid. 66. Bd. p. 321.
II. Bd. p. 150. — Henle, im Jahresbericht über allgem. Anatomie für 1851 p. 28 u. 1852 p. 20.
zur vergl. Naturforschung. 1845. p. 106. — Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. 2. Auflage.
p. 71. — Henle’s Jahresbericht über allgem. Anatomie für 1852. p. 20. — Remak, Müller’s
Archiv. 1852. p. 63. — Thierfelder, De regene ratione tendinum. Misenae 1852. — J. Meyer,
Annalen der Charité. IV. Bd.
Landerer, Buchner’s Repertorium. 25. Bd. — Tennant, Journal de chimie medic. 1838. —
Schmidt, Charakteristik der epidemischen Cholera. p. 116 u. f. — Valentin, Lehrbuch,
I. Bd. p. 626.
Jahresbericht von Scherer für 1851. p. 97.
suchungen zur Pathologie, 1843. 106 u. f. — Schmidt, l. c. p. 122.
anatomy. III. Heft p. 18. — Henle, Jahresbericht für 1852. p. 27. u. 1853. p. 26.
H. Meyer, Der Knorpel und seine Verknöcherung. Müller’s Archiv. 1849. — Donders,
Mikroskopische und mikrochemische Untersuchungen thier. Gewebe. Holländische Beiträge.
260. — Derselbe, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. III. Bd. 348. — Virchow, Ver-
handlungen der physikal. mediz. Gesellschaft in Würzburg. II. Bd. p. 152. — Remak, Ueber
extracellulare Entstehung thierischer Zellen. Müller’s Archiv. 1852. 53 u. 55; Entstehung
des Bindegewebes und Knorpels. ibid. 58. — Rheiner, Beiträge zur Histologie des Kehlkopfs.
Würzburg 1852. — Bergmann, Disquisitiones microsp. de cartilaginibus. Dorp. 1850. —
Bruch, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Knochensystems. Basel 1851. p. 29. u. f. —
Brandt, Disquisitiones de ossificationis processu. Dorpat 1852.
Chem. Untersuchungen über Knochen und Zähne des Menschen. Schweinfurt 1844. — Hoppe,
Virchow’s Archiv. V. Bd. — Derselbe, Journal für prakt. Chemie. 56. Bd. 129. — Zel-
linsky in Henle’s Jahresbericht für 1853. p. 57. — Scherer, Liebig’s Annalen. 40. Bd.
p. 49.
mikroskopische Anatomie. II. Bd. 1. Abthl.
chow, ibid. p. 446.
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Commentatio de bilis quotitie a cane secreta etc. Marb. 1851.
schiedensten Tageszeiten einen Hund 8 Wochen hindurch. Aus dem Versuch leiten sie ab, dass
der Hund im Mittel täglich 8,45 Rückstand und 155,30 Wasser entleert habe. Die Leber des 5390
Gr. schweren Thiers wog 276 Gr. Dieses würde einer Absonderungsgeschwindigkeit von gar
0,0306 für die festen Stoffe und von 0,5625 für das Wasser entsprechen.
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CO2bestimmungen sicher mit einem Fehler behaftet sind. Dieser Fehler ist aber in allen Beob-
achtungen derselbe geblieben und somit geben die Zahlen immer noch ein vergleichbares Maass ab.
geringsten CO2- und Luftvolums in die andern grössern der Reihe nach erhalten wurden.
sondern nur aus denen, die auf die Zeit zwischen 1 und 2 Uhr fallen, zu welcher Zeit auch
Andral und Gavarret ihre Beobachtungen anstellten. Diese hier gegebenen Werthe sind
höher, als das Gesammtmittel. Vergl. Journal für prakt. Chemie. 36. Bd. p. 455.
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und Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. IV. Bd. 230.
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1854. 30. Dezember.
lus. II. Bd. Lymphe.
dam de effectu quem privatis sing. part. nutrimentum constituentium etc. Marburg 1847. —
Schmidt und Bidder, Verdauungssäfte etc. p. 308 u. f.
Eingeweide. Leipzig 1844. — Valentin, Lehrbuch d. Physiologie. II. Bd. 3. Abthl. 164.
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Nr. 1. 2. 3.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq1c.0