Von
Der Teutſchen Spra-
che und Poeſie/ deren Uhr-
ſprung/ Fortgang und
Lehrſaͤtzen.
Wobey auch von der reimenden Poe-
terey der Außlaͤnder mit mehren ge-
handelt wird.
Gedruckt und verlegt durch Joachim Reumann/
Acad. Buchdr. im Jahr 1682.
Zu finden bey Johann Sebaſtian Riecheln.
[]
Dem
Wolgebohrnen Herrn/
Hn. Jaſpar
von
Buchwald/
Auff Muggesfelde ꝛc. Erbherren/
Dero zu Schleßwig Holſtein
Regierenden HochFuͤrſtl. Durchl.
hochbetrauten Land-Raht und Ampt-
mann zu Gottorp.
Meinem hochgeneigten Herꝛn
und Patron.
[]
groſſer Goͤnner/ an
Mein Goͤnner/ dem ich bin von lan-
ger Zeit verpflichtet.
Nim hin diß Werck/ das Dir die ſchwache
Feder richtet/
Und dieſe Fauſt/ die nichts als diß erbauen
kan.
den Mann/
So bleibt der Wille doch/ den keine Zeit
vernichtet/
Und meine Tichtkunſt ſelbſt hat nichts
hierin getichtet.
Die Sprachkunſt ſpricht vor ihn. So
bleibt dir dieſer dann.
ſchwachen Wercke.
Durch Muht und deine Gunſt bekomt es
dople Staͤrcke/
Und ſeine Finſterniß durch deine Strah-
len Schein.
So
[]
ners Haͤnden.
Iſt nichts zu loben dann an ſeinen Reim-
gebaͤnden/
So ſoll ein teutſches Hertz beyteut-
ſcher Zungen ſein.
E. Exc.
gehorſamſter Diener
D. G. Morhoff.
[]
An den geneigten Leſer.
WAs ich allhie von der Teutſchen Sprache
und Poeſie geſchrieben/ iſt mir ſo unter
den Haͤnden gewachſen/ daß/ da ich erſt-
lich nur etliche Bogen hievon meinen Gedichten
anzuhaͤngen vermeinet/ dieſes groͤſſer als die
Getichte ſelbſt geworden. Daher dan kom-
men/ daß wie dieſelbe von der Feder ſo fort un-
ter die Preſſe gebracht/ an einem Ohrte was
außgelaſſen/ das am andern Ohrt/ da es ſeine
rechte Stelle nicht eben findet/ beylaͤuffig ein-
geſchoben; damit es gleichwoll nicht vergeſſen
wuͤrde. Deſſen iſt ein Exempel in dem ſech-
ſten Capittel des andern Theils/ woſelbſt von
dem Wort Barritus gedacht wird/ ob es Teutſch
ſey/ welches der Hr. Rudbeck leugnet; nachge-
hends habe ich aber bey einem alten Meiſter-
ſaͤnger Hans Sachſen ſolches gefunden/ und
daſſelbe im folgenden ſiebenden Capittel ange-
fuͤhret. Ich habe auch in dem andern Capit-
tel des erſten Theils am 30. Blade/ meines ge-
ehrten Freundes Herrn Caſpar Vogten/ vor-
nehmen Buͤrgermeiſtern der Stadt Wißmarn
gedacht/ und eine groſſe Hoffnung von ſeiner
Italiâ gemacht. Es hat aber derſelbe unter die-
ſer Arbeit unvermuthlich die Welt geſegnen
)( 3muͤſ-
[]An den geneigten Leſer.
muͤſſen/ da er nicht mehr als acht Capita von
ſeinem Wercke außgearbeitet/ welchen Ver-
luſt ich ſehr bedaure. Dann es iſt mir zum
Theil derſelben Einhalt bekant/ und hat er
viele Unterredungen mit mir deßhalben ge-
pflogen/ welchen ich zu erſt auff dieſe Gedan-
cken gebracht. Ich habe von erſter Jugend
an auff die Teutſche und andere Nordiſche
Sprachen ein abſonderlich Auge geworffen/
und ein hoͤhers und ehrwuͤrdigers Alterthum
in ihnen vermerckt/ als man ſonſt ins gemein
davor haͤlt. Ich habe in Griechiſcher und
Lateiniſcher Sprache ſo viele Fußſtapffen der-
ſelben erſehen/ daß ich mir auch einmahl
ein gantzes weitlaͤufftiges Buch Originum
Germanicarum zu ſchreiben vorgenommen.
Dazu ich zwar ſchon viele Dinge in Bereit-
ſchafft habe. Aber zu Außarbeitung eines ſo
vollſtaͤndigen Werckes/ da ein Tag den an-
dern lehret/ deſſen man ſich auch in der Ge-
ſchwindigkeit nicht abhelffen kan/ wuͤrde bey
andern noͤthigern Dingen meine Lebens Zeit
vielleicht zu kurtz fallen. Was ich in dem er-
ſten Theil hier erwehne/ iſt nur ein Schat-
tenwerck deßjenigen was noch uͤbrig iſt. Ich
zweiffle nicht/ es werden viele daſſelbe als ein
Paradoxon halten: Ich bitte aber dieſelben/
ein
[]An den geneigten Leſer.
ein uͤbermuͤthiges Vorurtheil ſo lange bey ſei-
te zu ſetzen/ und zu keinem Endurthel zu ſchrei-
ten/ ehe ſie alles geleſen und wol betrachtet
haben. Ferner muß ich auch noch einige von
mir gefuͤhrte Umſchweiffe entſchuͤldigen/ die
wie ich vermuthe/ dem Leſer nicht unan-
genehm ſein werden. Die Schreibart/ deren
ich mich allhie gebraucht/ iſt alſo beſchaffen/
daß ich mich lieber einen Lehrer als Redner er-
weiſen wollen/ zu welchem Ende ich auch die
uͤblichen Kunſtwoͤrter behalten. Dann ob
es zwar mir nicht an Faͤhigkeit gefehlet/ ein
Teutſches Wort nach anleitung des Griechi-
ſchen und Lateiniſchen zu erdencken/ ſo dauchte
es mir eine ungereimte Sache zu ſein/ alſo
zu ſchreiben/ daß man uͤber ſeine eigene
Woͤrter Anmerckungen zu machen von noͤ-
then habe. Ich habe mich auch einiger Fran-
tzoſiſchen und Lateiniſchen Woͤrter/ da es der
Nachdruck erfodert/ nicht enthaltē/ der erleuch-
teten Criticorum Urtheil nicht ſcheuend/ die
das Laſter der beleidigten Majeſtaͤt/ und den
Gebrauch eines Außlaͤndiſchen Wortes gleiche
ſtraffbar halten. Die Ohrter aus den fremb-
den Autoribus habe ich offtmahlen gantz her-
geſetzet/ weil ſie in ihren Sprachen beſſer lau-
ten/ als wann ſie uͤberſetzet ſein/ und ich auch
die
[]An den geneigten Leſer.
die Uberſetzung fuͤr eine unnoͤthige weitlaͤuff-
tigkeit gehalten. Dann ich glaͤube es ſey die
Meinung der Woͤrter/ einem der nur der Latei-
niſchen Sprache maͤchtig iſt/ unſchwer zu faſ-
ſen. In dem letzten Theile habe ich bißweilen
abbrechen muͤſſen/ theils weil der Verleger
bey einfallender Meſſen damit zum Ende ge-
eilet/ thels weil ich in einem Lateiniſchen Bu-
che ſolches vollſtaͤndiger/ ob GOtt will
vortragen werde. Gehabe
dich woll.
Da-
Daniel Georg Morhofen
Unterricht
Von
Der Teutſchen Poeſie/
I. Theil.
Von der Teutſchen Sprache/
Das I. Cap.
Von der Vortrefflichkeit und
dem Alterthum der Teutſchen
Sprache.
Einhalt.
UHrſachen/ warum wir von der Teutſchen Sprach
ins gemein handeln. Wird von eignen Landsleu-
ten geringſchaͤtzig gehalten. Die Griechiſche
und Lateiniſche neue und durch Kunſt außgeuͤbte
Sprachen. Ob die Hebraͤiſche die aͤlteſte/ und all-
gemeine Sprache? iſt zweiffelhafftig und ſchwer zu
erweiſen. Becanus zieht die Cimbriſche und Georg.
aStiern-
[2]Das I. Cap. von Vortreflichkeit
Stiernhelm die Schwediſche der Hebraͤiſchen vor.
Gleichheit der Teutſchen/ Daͤniſchen un̄ Britaniſchē/
mit der Hebraͤiſchen. Ob die Teutſche Sprache
naͤhern Grund in der Natur habe. Meinung daß die
Figur der Hebraͤiſchen Buchſtaben den Menſchen
angebohren; und am Himmel zu leſen. Der
Analogiſmus der Woͤrter und Dinge iſt nicht einer-
ley. Borrichii Lob. Goropii Becani ſeltzame Einfaͤlle.
Seine faſt enthuſiaſtiſche Critica uͤber das Hebraͤi-
ſche und Lateim̃ſche Alphabet. Caramuels gleiche
Gedancken uͤber das Lateiniſche. Jacobi Hugonis
laͤcherliche Meinung/ von der Lateiniſchen Sprache.
Beſnier will alle Sprachen unter die Lateiniſche zie-
hen. Georgii Stiernhelm Meinung von der Sey-
thiſchen oder Schwediſchen Sprache. Deſſen
Synopſis Capitum Runæ Sueticæ wird angefuͤhret.
Hat das Werck nicht vollfuͤhren koͤnnen. Seine ande-
re verheiſſene Schrifften. Olaus Rudbeck hat ei-
nige Capita dieſer Synopſis mit groſſen Fleiß auß-
gefuͤhrt. Johan Webbe ein Engellaͤnder haͤlt die
Chineſiſche Sprache vor die aͤlteſte.
I.
WEiln wir den Uhrſprung und
Fortgang der Teutſchen Poe-
terey vorzuſtellen entſchloſ-
ſen; ſo wird vielleicht nicht
uͤbel
[3]der Teutſchen Sprache.
uͤbel gethan ſeyn/ wenn wir erſtlich von der
Teutſchen Sprache ins gemein handeln/
und deren Vortreflichkeit erweiſen. Wel-
ches auch deßhalben noͤthig iſt/ weilen ſich
auch unter gelehrten Leuten/ und die von
Teutſcher Herkunfft ſeyn/ einige finden/
die ihre Mutter-Sprache laͤſtern/ und de-
ren Grobheit und Ungeſchicklichkeit zu gu-
ten Erfindungē und zierlicher Außbildung
der Gedancken vorzugeben ſich nicht ſcheu-
en. Damit nun hievon ordentlich ge-
redet werde/ ſo wollen wir erſtlich von
derſelben Alterthum/ als worinnen
nicht der geringſte Theil ihrer Vor-
treflichkeit beſtehet/ handeln/ unddann
folgends von derſelben Geſchicklichkeit
zur Poeterey mit mehren erwehnen.
Es ſiind faſt die meiſten ſo geartet/
daß ſie vor einheimiſchen Dingen einen
Eckel haben/ ſich uͤber alle frembde
Sachen verwundern/ und dieſelbe hoch-
halten/ welches die Teutſche Sprache
auch erfahren/ die von ihren eigenen
Landsleuten geringſchaͤtzig gehalten/ und
a 2der
[4]Das I. Cap. von Vortreflichkeit
der Hebrœiſchen/ Griechiſchen und La-
teiniſchen unterwuͤrffig gemachet: Da
ſie doch/ wenn ich ja die Hebrœiſche
außnehme/ der Griechiſchen und La-
teiniſchen am Alter nicht allein nichts
nachgiebt/ ſondern weit bevor thut; hin-
gegen aber jene in Anſehung der Teutſchen
neue/ und etwas ehe durch Kunſt außge-
uͤbet ſeyn/ als dieſe/ die hingegen viel
gruͤndlicher/ und jenen zum Theil den
Uhrſprung gegeben; Welches ob es
jemand gleich frembd und ungereimet
ſcheinen ſolte/ dennoch der Wahrheit
gemaͤß/ und ſo gruͤndlich erwieſen werden
kan/ daß niemand daran zu zweiffeln fug
hat/ er habe ihm dann vorgenommen
unbeſonnener Weiſe auff ſeinem Wahn zu
verharren/ und keiner Vernunfft zu fol-
gen. Wovon vielleicht von mir mit
mehren in einer Diſſertatione de Novi-
tate Græcæ \& Latinæ linguæ kuͤnfftig ge-
handelt werden kan.
Ich will zwar itzo den Vorzug
der Hebrœiſchen Sprache nicht in Zweif-
fel
[5]der Teutſchen Sprache.
fel ziehen/ wie Goropius Becanus gethan/
welcher nach aller verſtaͤndigen Leute
Meinung/ mehr Sinnlichkeit als Urtheils
gehabt: Und Georgius Stiernhelm ein
gelahrter Schwediſcher Edelmann/
welcher die Scythiſche Sprache der
Hebrœiſchen vorgeſetzet. Es iſt a-
ber dennoch nicht außgemacht/ ob ſie e-
ben die erſte und allgemeine Sprache ge-
weſen/ davon die andern herſtammen:
Dan̄ der Grund von den Nahmen der al-
ten Vaͤter/ die in der ſelben vorkommen/ iſt
nicht ſo unwidertreiblich/ daß des Grotij
und Cluverii Gegeneinwendungē demſelbē
nichts an haben ſolten/ ob zwar Heidegger
in ſeiner Exercit. XVI. de Linguâ \& Literis Pa-
triarcharum ſich dieſelbe zu beantworten
ſehr bemuͤhet. Es iſt am glaͤublichſten/ daß
keine von den itzo bekandten Sprachen/
als die das meiſte von der Kunſt entleh-
net/ die erſten geweſen/ ſondern eine von
dieſen unterſchiedene; von welchen alle
Sprachen in ihren Woͤrtern/ eine aber
a 3mehr
[6]Das I. Cap. Von Vortreflichkeit
mehr als die ander/ etwas mit einge-
miſcht haben. Auß dieſem Grunde ſcheue
ich mich nicht die Teutſche Sprache mehr
fuͤr eine Schweſter der andern/ als fuͤr ih-
re Tochter anzugeben/ und zwar alſo/
daß die Hebrœiſche und uhralte Scythi-
ſche oder Celtiſche Sprache/ als aͤltere
vor den andern den Vorzug haben.
Wie dann nicht allein Rodornus Schri-
ckius an vielen Oehrtern ſeiner weitlaͤuff-
tigen Schrifften/ und inſonderheit lib. 3.
Originum Celticarum behaupten wil/ daß
die Hebrœiſche und Teutſche Sprache nur
als dialecti unterſchiedē ſein. Siehe hievon
auch Harßtoͤrfferin Specimme Philolog.
German Diſquiſit. VII Mit der Daͤniſchen
und Brittaniſchen/ welche ebenfals dialecti
der alten Teutſchen Sprache ſein/ wollen
Lyſcander und Davieſius die Gleichheit er-
weiſen.
Wann wir die Natur hieruͤber
fragen; denn es ſein etzliche/ die auff den
analogiſmum nominum \& rerum das Alter-
thum un̄ den Vorzug der Sprachen gruͤn-
den
[7]der Teutſchen Sprache.
den: ſo haben ſich zwar einige tiefſehende
Leute gefundē/ welche die Hebrœiſche Spra-
che gar der Natur gemāß halten; daß ſie
auch meinen/ es werden die Buchſtaben
derſelben/ wann man ſie außſpricht/ mit
eben ſolcher Figur von der Zungen im
Halſe gebildet/ davon ſie ſchon einen ana-
tomiſchen Abriß gegeben. Der juͤngere
Helmontius hat hievon ein eigen Buch ge-
ſchrieben/ deſſen Titul: Delineatio Alpha-
beti verè naturalis Hebraici, wor in man die-
ſe mehr als Cabaliſtiſche Heimlichkeitē wei-
ter nachſehen kan Die Rabbinen haben ih-
nen eingebildet/ ſie koͤnten am Himmel
die Hebrœiſche Buchſtaben in den Ster-
nen abgebildet leſen/ davon mit mehren
Claude Duret in ſeiner Hiſtoire des Langues,
und inſonderheit Gaffarel in ſeinen curieuſi-
tez inouyies, handelt. Wir mißgoͤnnen nie-
mand ſeine Einfaͤlle: So aber auf die-
ſen Grund etwas zu trauen/ ſo iſt unter
allen Sprachen keine eintzige/ die der
Teutſchen hierin vorgehet/ welches der
Herr Schottel in ſeinē Lobreden von der
a 4Teut-
[8]Das I. Cap. von Vortreflichkeit
Teutſchen Sprache zur gnuͤge erwieſen/
dem ein weit mehrers hinzugethan wer-
den koͤnte/ wann es an dieſem Orte nicht
zu weitlaͤufftig were. Es iſt aber diß
auch hiebey zu bedencken/ daß dieſer ana-
logiſmus nicht einerley iſt/ und nach ver-
ſchiedener Betrachtung der Dinge/ viel-
faͤltig in den Worten kan außgebildet wer-
den/ wie ſolches Herr Olaus Borrichius in
ſeiner gelehrten Diſſertatione de cauſis di-
viſitatis linguarum mit mehren erwieſen.
Es kan die Griechiſche/ Lateiniſche und
Teutſche Sprache ein einiges Ding mit
verſchiedenen Worten abbilden/ da doch
ein jedes derſelben ſich auff einen analogis-
mum naturæ gruͤndet/ und wuͤrde dann die
Frage ſein/ welches unter dieſen allen am
naͤheſten zum Ziel treffe.
Ich will mich hie nicht auffhalten
mit weitlaͤufftiger Erzehlung der Mei-
nungen/ welche gelahrte Leute von dem
Vorzug der Sprachen fuͤhren/ und mit
der Unterſuchung ihrer Gruͤnde. Die-
ſes iſt doch zu mercken/ daß ein groſſer Un-
ter-
[9]der Teutſchen Sprache.
terſcheid unter ihnen ſey; weßhalben ei-
nige den andern vorzuziehen. Goropius
Becanus wird von vielen verlachet/ und
zwar nicht ohn Uhrſach/ weil er ſich in
gar ſeltzame abſtractive ſpeculationes
und analogiſmos vertieffet/ die doch we-
nig zur Sachen thun und im Grunde nich-
tes beweiſen. Eine ſonderliche Probe
hierinnen iſt in ſeinen Hieroglyphicis, wo-
ſelbſt er auß dem Hebrœiſchen Alphabet,
welches er auß Cimbriſchen Woͤrtern zu-
ſammenſetzet/ ein Gebet eines Schulmei-
ſters/ vor ſeine Lehrjuͤnger/ ſeltzamer
laͤcherlicher Weiſe zuſammen brin-
get/ wovon er ſo viel Wercks machet/ als
wan̄ er ein Koͤnigreich gewon̄en. Eben der-
gleichen Einfaͤlle hat er von dem Lateini-
ſchen I. 9. Hermathenæ, davon man wol
ſagen moͤchte/ was Propertius von den Lieb-
habern: Maxima de nihilo naſcitur hiſtoria.
Caramuel, daß er auch alhie ſeine Weiß-
heit ſehen lieſſe/ hat in ſeinem Apparatu
Philoſophic. lib. 2. c. 176. wieder den Be-
canum beweiſen wollen/ daß man nicht
a 5noͤthig
[10]Das I. Cap. Von Vortreflichkeit
noͤthig haͤtte zu der Cimbriſchen Spra-
chen zu gehen/ ſondern auß der Lateini-
ſchen ein gleiches Gebet machen koͤnne/
welches alſo lautet: Abæ cede; efigia (ha:
i) Elem. en ope quære te vix. Die Außle-
gung mag jemand daſelbſt leſen/ dann es
der Muͤhe nicht wehrt/ daß man mit ſol-
cher Grillen faͤngerey ſich auffhalte. Nur
iſt diß gleichwol von dem Becano nicht zu
leugnen/ daß er zum erſten und vor an-
dern etwas hierin geſehen/ ob ers gleich
nicht tuͤchtig außfuͤhret: und gefaͤlt mir
in verſchiedenen Dingen ſein Urtheil beſ-
ſer als des Rodorni Schrieckii, welcher in-
dem er die Gleichheit der Hebrœiſchen
und Niederteutſchen Sprache darthun
will/ in den Nominibus propriis ſeltzame
weitgeſuchte alliterationes heꝛbei holet/ und
die primitiva und compoſita nach ſeinem
eigenen gefallen machet und zuſammen
ſetzet/ das man mit allen Sprachen
ohne groſſe Muͤhe alſo anſtellen koͤnte.
Jacobus Hugo hat ein rechtes Gauckel-
werck mit der Lateiniſchen Sprache ange-
fangen
[11]der Teutſchen Sprache.
fangen/ in dem er faſt ein Lexicon von ei-
genen nach ſeinem gefallen erdichteten
Japhetiſchen Woͤrtern machet/ die doch ei-
nerley bedeuten ſollen/ davon er die Woͤr-
ter der Lateiniſchen Sprache herfuͤhret;
zugeſchweigen vieler anderer Thorheiten
und Deuteleyen/ die in ſeinem Buch ge-
nant/ Origo Italiæ \& Romæ ante hanc di-
em ignota, zu finden. Beſnier in ſeinem
Buͤchlein/ la Reunion des langues, dar in er
von einem Mittel handelt/ wie man alle
Sprachen unter einer lernen koͤnne/ haͤlt
die Lateiniſche als eine Mitlerin unter al-
len/ worunter auf eine ſonderliche Art alle
Sprachen koͤnten gelernet werden. Geor-
gius Stiernhelm/ deſſen Boxhornius in ſei-
ner Hiſtoriâ Univerſali ruͤhmlich gedenckt/
hat von dem Alterthum der Scythiſchen
Sprache zwar etwas zu ſchreiben vor-
gehabt/ aber er hat es nicht vollfuͤhrt/
ſondern es iſt nur eine Synopſis Capitum
des gantzen Wercks/ deſſen Titul: RUNA
SVETICA ſein ſollen/ zu meinen Haͤnden
gekommen. Worinnen er die Hebrœiſche
und
[12]Das I. Cap. von Vortreflichkeit
und faſt alle andere Sprachen zu
dialectos der Scythiſchen gemacht/ und
endlich ein Syſtema verheiſſet/ von
einer gewiſſer Anzahl Radicum Univerſa-
lium, darauß ſo viel andere Woͤrter
in allen Sprachen folgen. Ichwill/
dieſen Synopſin, weilen er ſonſten
nicht leicht zu finden/ allhie gantz her-
ſetzen; die Capita des erſten Syſtematis ſein
dieſe.
- 1. VIderi omnes Linguas, que in Orbe
cognito extiterunt, \& hodiè extant,
ortas ex una, \& ad unam poſſe reduci. - 2. Naturæ conveniens, imò omninò neceſ-
ſarium fuiſſe, ex una Lingua multas oriri. - 3. Ex confuſione Babylonica nullam novam
Linguam exortam: \& ſi qua exorta eſt,
momentaneam, \& ad breve tempus ex-
titiſſe. - 4. Hebræam, Phœniciam, Chaldæam, Sy-
ram, Arabicam, Ægyptiam, Æthiopi-
cam, Phrygiam, Perſicam, Dialectorum,
non linguarum eſſe vocamina. - 5. Temporum \& Locorum intervallis, Dia-
lectos
[13]der Teutſchen Sprache.
lectos abire in Linguas. - 6. Ex Scythica ortas Linguas Primas, non
minùs Orientales, quàm Septentriona-
les, \& Occidentales. - 7. Thraces \& Getas, fuiſſeScythas.
- 8. Ex his profectos primos Populos, Pri-
mamque Linguam Græciæ, quam aliàs di-
ctam Barbaram cultu novo politam, mi-
nimè vero extirpatam, poſterioribus tem-
poribus demùm Hellenicam, \& Græcam
nuncupaverunt. - 9. Græcos cultum, elegantias, poēſin, Mu-
ſas, ſacra, Deoſque ex Thracia habuiſſe. - 10. Scytharum propaginem prætereà eſſe
Europæos; Germanos, Gallos, Iberos,
Britannos, Aborigines, ſive Umbros, pri-
mos Italiæ Incolas. Hiſce omnibus u-
nam Linguam fuiſſe Scythicam, in varias
Dialectos poſtmodum ſciſſam. - 11. Germaniæ Caput \& Principium, olim fu-
iſſe Scythiam Europæam Minorem, Pe-
ninſulam nimirùm Scandiam; quam \&
Scanziam \& Scandinaviam, antiquiſſimi
verò Scriptores Balthiam, Baſiliam, Aba-
lum,
[14]Das I. Cap. von Vortreflichkeit
lum, Bannomannam, \&c. Hyperboreo-
rum Inſulam indigitarunt. - 12. Ex hac Inſula (reverà Peninſula) deriva-
tos in Germaniam, \& diverſas Orbis Ter-
rarum Regiones, non ſolum multos Po-
pulos; ſed etiam Sacra, Ritus, \& Deos. - 13. Peninſulæ ejusdem, \& Hyperboreorum
Gentem Principem fuiſſe Sueonas, ſive
Suezios, quos hodie Suethos, Suecos, \&
Suedos vocitant. - 14. Græcis cum Hyperboreis ab antiquiſſi-
mis uſque temporibus communionem
fuiſſe Sacrorum, Amicitiæ, \& mutuæ
Neceſſitudinis; \& quod magis eſt, Græ-
cos Deos, coluiſſe inter Maximos, apud
Hyperboreos natos. - 15. Suethis cum Thracibus \& Byzantinis com-
munes fuiſſe Deos; adeoque ipſos De-
os Phrygios ad Hyperboreos migraſſe. - 16. Linguam Latinam ex tribus ortam po-
ti ſſimùm; Aboriginum, ſive Thuſca,
Græca, \& Phrygia. - 17. Ciceronem \& Varronem, qui propter
peculiarem linguæ Latinæ peritiam, ha-
bitas
[15]der Teutſchen Sprache.
bitus fuit Romanorum omnium ſapien-
tiſſimus; linguam Latinam non intelle-
xiſſe; nec Demoſthenem, ipſumque Pla-
tonem linguæ Græcæ fundamentalem ſci-
entiam habuiſſe. - 18. Linguam Hebræam, non minùs quàm
Chaldæam, Chananæam, \& Arabicam,
Dialectum eſſe linguæ Primæ; minimè
verò ipſam linguam Primam. - 19. Indolem, \& Proprietates vocum linguæ
Hebrææ veras impoſſibile eſſe, dari poſ-
ſe, niſi ex radicibus linguæ Scythicæ. - 20. Voces Adamæas, cujus generis ſunt A-
dam, Eva, Cæin, Seth, Noah, \&c. quas pro
antiquitate linguæ Hebrææ, vulgò, ejus
Aſſertores adducunt; non minùs Scythi-
cas, imò Svethicas eſſemagis, quàm He-
bræas. - 21. Ex vocabulis priſcæ linguæ, Gallicæ, \&
Ibericæ, reliquiis; eas probari Scythicas
fuiſſe. - 22. Antiquas voces Thuſcas, quæ ſuperſunt
ex linguâ Aboriginum Scythicas eſſe. - 23. Linguam Cambricam, que vetus eſt Cim-
brica
[16]Das I. Cap. Von Vortreflichkeit
brica, Dialectum eſſe linguæ Scythicæ. - 24. Voces quæ ſuperſunt linguæ veteris Phry-
giæ, Scythicas eſſe. - 25. Linguam Perſicam hodiernam, ut \& Ar-
menam, maximam partem conſtare ex
lingua Scythica. - 26. Deorum Nomina, pleraque omnium
Gentium, origine eſſe Scythica, \& in illis
Sanctum Dei Nomen Tetragammaton
[...] Origine eſſe Scythicum; nec ul-
lum hactenus Hebræum aut Cabaliſtam,
veras nominis iſtius proprietates, multo
minus myſteria aperire potuiſſe. Quæ
Deo dante, reddet author. - 27. Ultimo, Sermonem, Primo homini con-
creatum, aut cum ipſa Ratione, cujus cha-
racter eſt, \& index in ſenſum incurrens,
infuſum.
Hier auff ſolte das Syſtema ſecundum
folgen/ deſſen Inhalt alſo lautet.
- Exhibet 1. Connubium \& Nuptias Panos \&
Echus, hoc eſt, Harmoniam \& Annalo-
giam Rerum, \& Verborum.
2. Tra-
[17]der Teutſchen Sprachen.
- 2. Tradit Obſervationes \& Axiomata, quæ
propriè ſpectant ad Scientiam hanc no-
vam Etymologicam. - 3. Eruitur \& aperitur certus numerus Ra-
dicum Univerſalium. - 4. Ponuntur ſigillatim ſingulæ Radices, ex
quibus, certo ordine \& methodo, in i-
pſa rerum geneſi fundata, Rivi \& Flumi-
na vocum, in præcipuas \& ex his ortas
linguas educuntur. \& hoc eſt, LE XICON,
ſeu CLAVIS LINGUARUM PRIMA-
RUM UNIV ERSALIS.
Es ſein in dieſem Synopſi viel Dinge/
die in dem Grunde der Warheit ſich ſo ver-
halten/ worvon inſonderheit zu han-
deln nicht dieſes Orths iſt: das andere laß
ich andere verantworten. Iſt nur zu be-
klagēdaß er uͤber dieſem ſeinem Wercke ge-
ſtorben/ und auch ſeine andere nicht her-
auß gegeben/ deren Titul hinter einem von
ihm in Schwediſcher Sprach geſchriebenē
Buͤchlein Archimedes reformatus genant/
in einem des Loccenii angefuͤgten Carmine
erwehnet werden: als Antiquarius: Magog
bAra-
[18]Das I. Cap. von Vortreflichkeit.
Aramæo-Gothicus: Virgula Divina: Cla-
vis Linguarum Generalis: Anti Clûverius, ſeu
Origines Sueo Gothicæ. Nach ſeinem To-
de hat man viele verworffene Schedas ge-
funden/ wie der Herr Scheffer/ welcher
ein gutes Urtheil von ihm faͤllet/ in ſei-
nem Schreiben an mich berichtet/ die man
nicht hat in Ordnung bringen koͤnnen.
Nun gar neulich hat der gelahrte Olaus
Rudbeckius in ſeiner Atlantica, unterſchied-
liche Capita das Alterthum der Schwedi-
ſchen Nation betreffend/ ſo in dieſer Syno-
pſi enthalten/ mit groͤſſerm Fleiß/ als er
vielleicht ſelbſt wuͤrde gethan haben/ auß-
gefuͤhret/ und wird noch ferner in deſſen
Auctario hievon handeln. Von der Chi-
neſiſchen Sprache hat ein Engellaͤnder
Johannes Webbe behaupten wollen/ daß ſie
die erſte ſey: weil die Chineſer ein uhral-
tes Volck/ und ihr Land ſo fort nach der
Suͤndfluht vor Erbauung des Babilo-
niſchen Thurms/ bey welchem ſie vermuth-
lich nicht geweſē/ bewohnet: weil ſie mit kei-
nē fremden Voͤlckern vermiſchet: die Spra-
che
[19]der Teutſchen Sprache.
che mehrentheils in einſylbigen Woͤr-
tern beſtehe. Und muß ich geſtehen/ daß
es mit derſelben eine ſonderliche Bewand-
nis habe/ weil ſie mit keiner andern was
gemein hat/ und nach einem Muſicaliſchen
Ton die Bedeutung der Woͤrter aͤndert:
daß es faſt ſcheinet/ ſie ſey mehr mit Fleiß
außgedacht und erfunden/ als von einigen
andern algemaͤhlich abgeleitet. Wie denn
Andreas Mullerus dieſer Sprache Be-
ſchaffenheit und zuſam̃enſetzung in ſeinen
Obſervationibus Sinicis uñ Propoſitione ſu-
per Clave Sinica darzuthun ſich erbietet. Es
kan aber auch bey einigen Voͤlckern die na-
tuͤrliche Neigung zu einem gewiſſen Laut
eine abgefuͤhrte Sprache ſo veraͤndern/ daß
ſie gantz frembd ſcheine/ wie wir deſſen
ſatſame Exempel in den Dialectis der Teut-
ſchen Sprache haben.
b 2Das
[20]Das II. Cap. Vom Alterthum
Das II. Cap.
Daß die Teutſche Sprache
aͤlter als die Griechiſche und Lateiniſche.
Einhalt.
WIe die Philoſophie/ ſo iſt auch die Spra-
che von den Barbaris auff die Grichen kom-
men. Zeugniß der Griechen ſelbſt. Pelaſgi
haben eine Barbariſche Sprache geredet. Τέκμαρ,
ein Wort auß der alten Griechiſchen Sprache/ da-
von Ariſtoteles erwehnet/ iſt Celtiſcher oder Sey-
thiſcher abkunfft. Platonis Zeugnuß. Die aͤlteſtē Ein-
wohner Griechenlandes/ die Pelasgi, und andere ſein
ſelbſt Barbari geweſen. Die Buchſtaben der Grie-
chen von den Barbaris. Olai Rudbeckii Meinung.
Ein Ertzbiſchoff von Toledo haͤlt die Gothiſchen
Buchſtaben vor die aͤlteſten. Zeugnuß der Grie-
chen und Lateiner/ von Abkunfft der Buchſtaben.
Olai Rudbeck eintheilung der Europaͤiſchen Voͤl-
cker und Sprachen. Menge der Teutſchen Woͤrter
in der Griechiſchen und Lateiniſchen Sprache. Wer-
den durch die frembde terminationes und andere
veraͤnderungen unkentlich. Exempel der Teut-
ſchen und Frantzoͤſiſchen Sprache. Lateiniſche
Sprache iſt auß der Griechiſchen und Barbariſchen
gemiſchet. Zeugniß Dionyſii Halicarnaſſæi. Mel-
chior Inchofer widerleget. Buchſtaben der Latei-
ner
[21]der Teutſchen Sprache.
ner von den Celtis. Die Nahmen der Voͤlcker und
Staͤdte Celtiſcher und Teutſcher Abkunfft. Herrn
Caſpari Vogten hieruͤber verfaßte Arbeit. Peireſcii
Meinung/ daß in der alten Galliſchen Sprache die
Stammwoͤrter vieler Lateiniſchen ſein. Galliſche und
Teutſche Sprache wenig unterſchieden. Skinnerns
hat hievon andere Meinung. Seine Gruͤnde werden
widerleget. Ein Ohrt auß dem Cæſare wird von jhm
uͤbel angefuͤhret. Dialecti einer Sprache ſein bißwei-
len ſo muͤhſam zu lernen/ als neue Sprachen ſelbſt.
Cluverus wird von jhm unbillig angegriffē. Die Nah-
men der Voͤlcker/ Leute/ Staͤdte und Fluͤſſe/ geben
gute Nachricht von den Sprachen. Lutherus und
Cambdenus haben etwas hievon geſchrieben. Skin-
nerus fehlt ſehr in den Etymologiis der Galliſchen
alten Nahmen. In der alten Britañiſchen ſein einige
Stammwoͤrter der Lateiniſchen Sprache: Die auch
Teutſche. Deren Exempla. Teutſche Sprache hat
ſich biß in Aſia erſtrecket. Exempel von den Voͤl-
ckern die in Taurica Cherſonelo wohnen beym Bus-
bequio. Skinnerus verachtet dieſen Beweißthumb
ohn Urſach. Die Perſiſche Sprache beſtehet von vie-
len Teutſchen Woͤrtern. Exempel von den alten
Perſiſchen Woͤrtern auß den Hiſtoricis. Salmaſii
Zeugniß. Elichmannus hat hievon ein gantzes Buch
ſchreiben wollen. Piccarti Oratio: daß die Teut-
ſchen der Perſer Bruͤder ſeyn. Welchem Rupertus
zwar widerſprechen will. Wird aber von Georgio
Richtern zuruͤck gehalten. Bochartus muß es faſt
b 3wider
[22]Das II. Cap. Vom Alterthum
wider ſeinen willen bekennen. Grafii Zeugnis. Ein
Buchmit Gothiſcher Schrifft/ hat ſich in China ge-
funden. Einige Teutſche Woͤrter in andern Orien-
taliſchen Sprachen/ auch in der Americaniſchen.
WIr laſſen den Streit von der er-
ſten Sprache an ſeinen Ohrt ge-
ſtellet ſein/ und bleiben bey der
Teutſchen/ welche dennoch zum wenig-
ſten der Griechiſchen nnd Lateiniſchen in
ihrem Alterthum vorzuziehen. Denn
gleich wie der Uhrſprung der Philoſophie
von denen den Griechen ſo genan-
ten Barbaris genommen/ ſo ſind auch die
Sprachen als vehicula ſcientiarum, wie ſie
Verulamius nennet/ von ihnen fortgepflan-
tzet. Was die Wiſſenſchafften anlanget/ ſo
bekennet Ariſtoteles außdruͤcklich/ daß die
Philoſophia von den Semnotheis der Celten
ihren Uhrſprung habe/ und daß Gallia die
Lehrmeiſter in des Griechenlandes ſey. Von
welchē ſehr weitlaͤuftig Piccard in ſeiner Cel-
topædia handelt. Von der Sprachen ſagē e-
benfals die Griechē/ uñ unter jhnē der aͤlteſte
Hiſtoricus Herodotus lib. 1. cap. 57. alſo: ἦσαν ὁι
πελασγοὶ βάρβαρον γλ [...]αν ἱέντες, und bekraͤf-
tigt
[23]der Teutſchen Sprache
tigt es Plato in ſeinem Cratylo mit unter-
ſchiedlichen Exempeln/ welche wann ſie
recht unterſuchet werden/ alte Scythi-
ſche/ daß iſt/ Teutſche Woͤrter ſein: Es
gedencket Ariſtoteles Rhetor. l. 1. c. 2. von
dem Worte τέκμαρ, davon hernach das
Wort τεκμήριον gekommen/ daß es in der
alten Griechiſchen Sprache ſo viel als fi-
nem oder limitem bedeutet/ welches ja
nichts anders als das Wort tecken
marck/ zuſammen teeckmarck/ das in
der neuen Teutſchen Sprach Merckzei-
chen genant wird/ ſein kan; Deñ man die
Grentzen mit dergleichen Zeichen zu un-
terſcheiden pflag/ und es iſt ja bekant/ daß
das Wort Mar oder Marck in der al-
ten Teutſchen Sprach/ ſo viel als eine
Grentze bedeute. Das Griechiſche Wort
ΔΕΙΚνυμι ich zeige/ iſt dem vorigen auch
verwandt. Plato ſaget ja ſelbſt in ſeinem
Cratylo unter dem Nahmen des Socratis:
ἐννοῶ γὰρ ὅτι πολλὰ οἱ Ἕλληνες ὀνόματα ἂλλως π
καὶ οἱ [...]πὸ τοῖς βα [...]άραις οἰκοῦν [...]ες, παρὰ τῶν βαρ-
βὰρων εἰλήφασι; das iſt: Ich halte davor
b 4daß
[24]Das II. Cap. Vom Alterthum
daß die Griechen viel Woͤrter von
denBarbaris,inſonderheit die jenigen
die unter ihnen wohnen/ empfan-
gen haben. Wie dieſer von den Grie-
chen/ ſo ſchreibt Varro von den Lateinern/
daß ihrer Woͤrter Urſprung von den Bar-
baren kommen und durch die langwierige
Zeit faſt gantz verdunckelt ſey. Wie ſolte
auch die Griechiſche Sprache nicht von den
linguis barbaris ihren Uhrſprung haben:
weil ja die Voͤlcker ſelbſt von den benacht-
barten Phrygibus und Scythis in Griechen-
Land zuſammen gekommen/ und bezeugt
diß Strabo in ſeinem ſiebenden Buch auß-
drucklich und mit vielen Umſtãnden. Daß
die Pelaſgi die aͤlteſten in Griechenland/ ein
herumſchweiffendes Volck/ wie die Scythæ
geweſen/ von rauher harter Art/ iſt im
Herodot: l. 1. c. 56. und Halicarnaſsèo lib. 1.
zuſehen/ und hat Palmerius à Grentemeſ-
nil in ſeiner Græciâ Antiquâ lib. 1. c. 9.
und von allen Griechen in gemein es Guli-
elmus Burtonus in Hiſtoriâ Linguæ Græc.
pag. 13. weitlãufftiger außgefuͤhret. Nun
ſind
[25]der Teutſchen Sprache
ſind die von den Pelaſgis entſtandene ande-
re Voͤlcker nicht nach Sprachen/ ſondern
nur nach dialectis unterſchieden gewe-
ſen. Ja es hat der gelahrte Olaus Rud-
beck in ſeinem Buch Atlantica genant
c. 38. neulich mit guten Gruͤnden behaup-
ten wollen/ daß die Griechen auch die
Buchſtaben von den Hyperboreis und
alten Scythis erſtlich empfangen ha-
ben. Und iſt mercklich was Claude Duret,
Hiſtoire de l’ origine des langues p. m. 860.
ſaget von einem Ertzbiſchoff zu Toledo,
welcher davor gehalten que l’ Alphabet des
lettres Gothes a eſté le premier Alphabet des
premiers \& plus anciennes letrres, les quel-
les furent données de Dieu à commence-
ment du monde a noſtre premiere Pere Adã.
Ja es bekennen die Griechen ſelbſt beym
Varrone lib. 7. de linguâ latinâ, daß ſie ihr
Alphabet von den Barbaris empfangen ha-
ben/ und Cæſar lib. 1. de bello Gallico.
meldet: Man habe bey den Helvetiis ei-
nige Regiſter gefunden mit Griechiſchen
Buchſtaben geſchrieben. Die Gleichheit
b 5der
[26]Das II. Cap. Vom Alterthum
der alten Cimbriſchen und Runiſchen
Buchſtaben/ mit der Griechiſchen ſtellet
Olaus Wormius in ſeiner Literaturâ Runi-
ca c.21. 22. vor. Der Herr Rudbeckius, deſ-
ſen wir zuvor gedacht/ theilet zwar die
Europœiſche Voͤlcker in Scythen, Celten,
und Griechen/ und haͤlt auch davor daß
ſie von Sprachen unterſchieden. Ich glau-
be aber wann dieſer vortrefliche Mann
die Teutſche und deren vielerley Dia-
lectos gruͤndlich begriffen/ er ſo gar
groſſen Unterſcheid unter dieſen Spra-
chen nicht finden/ und in vielen Din-
gen eine andere Meinung fuͤhren wuͤr-
de. Es kommen dieſelben in ihrem
Grunde uͤberein/ wie dann Bibliander in
ſeinem Buch de ratione communi omni-
um linguarum angemerckt/ daß von
2000 Teutſchen Stammwoͤrtern mehr
als 800 der Griechiſchen und Lateini-
ſchen Sprache gemein ſein: welcher aber
eine weit groͤſſere Zahl haͤtte außrechnen
koͤnnen. Denn ich mich verpflichten wil/ in
einer jeden von den beiden Sprachen uͤber
die
[27]der Teutſchen Sprache
die helffte Teutſcher und Gothiſcher Woͤr-
ter zu zeigen. Sie klingen aber ſo frembd
in unſern Ohren/ weil die kuͤnſtliche Auß-
arbeitung derſelben durch ſo viele permu-
tationes literarum des wollauts halber/
terminationes, flexiones, compoſitiones,
translationes und fremde deutungen ſie faſt
in eine andere form gegoſſen; ſie hiedurch
als durch eine außlaͤndiſche Tracht/ die ge-
ſtalt der eingebohrnen verlohren/ und einē
außheimlſchen Schein gewoñen. Wie jetzo
die Frantzoͤſiſche einē ſo groſſen Unterſcheid
von der Lateiniſchen und Teutſchen hat/ da-
von ſie doch entſproſſen: das nicht leichtlich
einer glauben wuͤrde/ der nicht beyder
Sprachen genaue wiſſenſchafft hat: auch
die Frantzoſen ſelber nicht/ welche viel
Woͤrter von der Griechiſchen und Lateini-
ſchen herziehen/ die doch warhafftig
Teutſch ſein. Solches iſt von Wolff-
gango Hungero wider Bovillum zur gnuͤ-
ge erwieſen/ und koͤnte wider des Menagii
Origines Gallicas und Italicas klaͤrlich von
uns dargethan werden.
Was
[28]Das II. Cap Vom Alterthum
Was die Lateiniſche Sprache anlan-
get/ ſo haben wir ein ſchoͤnes Zeugnis bey
dem Dionyſio Halicarnaſſ: am Ende des
erſten Buchs/ welcher klaͤrlich ſchreibt:
daß Rom von den Griechen zwar er-
bauet/ es ſey aber Wunder daß ihre
Sprache durch die Vermiſchung der O-
picorum, Marſorum, Sabinorum, Etruſco-
rum, Brutiorum, Umbrorum, Ligurum,
Hiſpanorum, und Gallorum, (welche eben
aus den Celtis und Scythis hergekommen)
nicht gantz in eine Barbariſche Sprache
verkehret: Er ſchlieſſet endlich darauff/
daß die Roͤmer eine Sprache angenom-
men/ die nicht gantz Griechiſch oder gantz
Barbariſch/ ſondern auß beyden gemiſcht
geweſen. Iſt alſo gantz falſch/ was Mel-
chior Inchoferin Hiſtoria ſacræ latinita-
tis lib. 1. c. 6. behauptē wollē/ daß niemah[l]s
einige ãltere Sprache in Italien gewe-
ſen als die Lateiniſche: Denn es iſt glaub-
lich/ daß lange vorher/ ehe Rom auffge-
bauet uñ einige Hiſtoria hat koͤñen geſchrie-
ben werden/ auß Norden viel frembde
Voͤl-
[29]der Teutſchen Sprache
Voͤlcker nach Italien ſich gewandt. Gu-
lielmus Poſtellus will in ſeinen Originibus
Etruriæ erweiſen/ daß ſie ihre Buchſta-
ben von den Celtis haben. Scrieckius brin-
get auch in ſeinen libris originum Celti-
carum viel monumenta bey/ worauß er
die Abkunfft der Lateiniſchen von der Cel-
tiſchen Sprache ſchlieſſet. Aber er ge-
braucht hier in eine gar zu groſſe Freyheit.
Wann nun die Griechiſche ihren Uhr-
ſprung meiſtentheils von der Scythiſchen
und Barbariſchen Sprache genom̃en: wie
viel mehr wird denn die Lateiniſche davon
empfangen haben/ die auß der Griechiſchen
und Barbariſchen zuſammen geſetzet? Die
Nahmen der Voͤlcker/ Laͤnder/ Staͤdte/
in Welſchland fuͤhrē noch die Keñzeichen ih-
rer Herkunfft bey ſich/ wie ſolches mit Ver-
wunderung kan angemerckt werden/ weñ
man die alten Nahmen der Cimbriſchen/
Galliſchen/ Teutſchen/ Gothiſchen Voͤlcker
und Lãnder dagegē haͤlt. Welches alles mit
groſſen Fleiß unterſuchet hat/ mein ſehr
groſſer Goͤnner und Freund/ Herr Caſ-
par
[30]Das II. Cap. Vom Alterthum
par Voigt/ hochverdienter Buͤrgermei-
ſter der Stad Wißmar/ von welchem die ge-
lehrte Welt dermahleins/ ſo ihm Gott/ wie
ich von Hertzē wuͤnſche/ das Leben friſtet/ ei-
ne außfuͤhrliche Arbeit hieruͤber zu ſehen ha-
ben wird. Dar auß deñ abzunehmen/ wie ſo
weit ſich von den erſten Zeiten her die Voͤl-
cker dieſer Lãnder/ und ihre Sprache auß-
gebreitet. Hier zukan auch zum Zeugnis
dienen/ was Gaſſendus von dem unver-
gleichlichem Mañe dem Peireſcio in der Be-
ſchreibung ſeines Lebens p. 195. auffge-
zeichnet: Ad Anaſtaſium Nannetenſem
Capuccinum plurima perſcripſit de lingua
Aremorica, in quâ conſenſit plurimas anti-
quarum vocum latinarum eſſe radices. Nun
iſt die alte Galliſche Sprache mit der Teut-
ſchen einerley/ und wo ja ein Unterſcheid
darin iſt/ ſo iſt er nicht hauptſachlich/ als et-
wa unter dialectos, wovon Lambecius l. 2.
Comm. bibloth. Vindobonenſis p. 427. mit
mehrem handelt. Skinnerus haͤlt zwar das
Gegentheil in der præfatione ſeines Etymo-
logici Lexici, und vermeint wider Cluverum
und
[31]der Teutſchen Sprache
und faſt alle dieſer Sachen erfahrne/ es ſey
die Sprache der Gallier und Teutſchē gantz
unter ſchieden geweſen: aber ſeine Gruͤn-
de dar auff er bauet ſein uͤber auß ſchlecht.
Denn was Cæſarem, der in Franckreich
dreyerley Sprachen ſetzt; Tacitum/ der die
Teutſchen von den Frantzoſen der Spra-
che halber unterſchieden/ anlanget: ſo kan
man auß beyder Zuſammenhaltung leicht
ſehen/ daß ſie nicht Sprachen/ ſondern
Dialectos verſtanden/ deren aber etzliche
vielleicht ziemlich weit entfernet/ wie et-
wa heute Schwediſch und Teutſch/ Hollaͤn-
diſch und Schwaͤbiſch. Welche ein Auß-
lãnder leichtlich vor gantz unterſchiedene
Sprachen halten koͤnnen. Die Galli ſein
vor Alters in dreyerley Voͤlcker getheilet/
Belgas, Celtas, und Aquitanos: die beiden er-
ſten ſein unſtreitig Teutſcher Abkunft und
werden die Celtæ, wie Cæſar ſelbſt bezeugt/
κατ᾽ ἐξοχὴν Galli genant. Wer den Unter-
ſcheid dieſer Voͤlcker und ihrer Sprachen
genauer zu wiſſen verlanget/ ſehe nur
Merulam an/ welcher Coſmogr. part. 2. lib.
1. cap.
[32]Das II. Cap. Vom Alterthum
1. cap. 15. es alſo außgefuͤhret/ daß ich nicht
ſehe/ was dawider ſonderliches koͤnne ge-
ſagt werden. Er bringet ferner zum
Beweißthum an: Cæſar ſage in ſeinem 1.
Buch de Bello Gallico, daß Arioviſtus der
Teutſche Koͤnig/ durch lange Gewohnheit
von 14. Jahren er ſtlich die Galliſche Spra-
che erlernet/ welche er ja wann der Unter-
ſcheid ſo gering geweſen in etlichen Mona-
then lernen koͤnnen. Wann man aber den
Cæſarẽ recht anſiehet/ ſo ſtehet nicht alda/
daß Arioviſtus ſich 14. Jahr in Galllien
auffgehalten um die Sprache zu erlernen/
ſondern Cæſar haͤtte C. Valerium Procil-
lum an Arioviſtum geſandt/ propter fidem
\& propter linguæ Gallicæ ſcientiam, quâ
multâ jam Arioviſtus longinqua conſue-
tudine utebatur. Die Meinung dieſer
Worte/ wie ein jeglicher ſieht/ iſt dieſe:
Weil Arioviſtus nun eine geraume Zeit einē
Theil von Galliam beſeſſen/ und der Galli-
ſche Sprache auß langē gebrauch gewoh-
net/ hãtte man dieſen dahin geſandt/ der
in dieſer Sprache ſich mit ihm unterre-
den
[33]der Teutſchen Sprache.
den koͤnte. Es were ja auch endlich nicht
zu verwundern geweſen/ wenn Arioviſtus
um die Fertigkeit dieſer Sprache zu ha-
ben/ einer langen Zeit beduͤrfftig geweſen:
deñ auch in Dialectis ſo groſſer Unterſcheid
ſein kan/ daß man vieler Zeit Muͤhe von
noͤthen hat/ dieſelbe recht fertig zu erler-
nen/ inſonderheit wenn keine Grammati-
ſche Lehr-Satze verhanden; Ja in Franck-
reich und Teutſchland ſein heutiges Tages
die einerley Sprache reden/ und ſich doch
nicht verſtehen. Wuͤrde man einen Schwa-
ben in Niederland bringen/ es wuͤrde groſ-
ſe Muͤhe koſten/ daß er des Landes Sprach
ohne Anſtoß in langer Zeit reden lernete.
Er greifft endlich auch den Cluverum an/
welcher auß den Endigungen in den Nah-
men der Koͤnige/ Voͤlcker/ Lãnder/ Fluͤſ-
ſe etc. dero Teutſchen Uhrſprung behaup-
ten will. Welches ob es gleich ihm geringe
daucht/ dennoch ein Grund von groſſer
Wichtigkeit iſt. Es were der Muͤhe wol
wehrt die barbara nomina, die man bey den
alten Autoribus findet mit Fleiß zu unter-
cſuchen
[34]Das II. Cap. vom Alterthum
ſuchen. Lutherus hat zwar ein Buͤchlein
von den Nominibus propriis der alten
Teutſchen/ und Gotfried Wegener
Anmerckungen daruͤber geſchrieben. Auch
findet man bey dem Cambdeno in ſeinen
Remaines concerning Britain, etwas von
dergleichen Woͤrtern; Es iſt aber alles Un-
vollkommen. Skinnerus meint er habe ein
groſſes gewonnen/ wann er am Ende
ſeines Buchs erweiſen will/ daß die im
Cæſare und andern Autoribus vorkom̃ende
Galliſche Nahmen/ von andern Woͤrtern
der alten Brittaniſchen Sprache herſtam-
men. Aber er hat vielmehr ſeine Unwiſ-
ſenheit in der Teutſchen zu Tage geleget.
Welches weitlãutfig koͤnte dargethan wer-
den: wann man ſich damit auffhalten
wolte. Was ſonſt Peireſcius von den
Stamwoͤrtern der Lateiniſchen Spra-
che/ die in der alten Galliſchen noch uͤbrig/
erwehnet/ ſolches kan auch auß dem alten
Britanniſchen (welche Cæſar vor dieſelbe
haͤlt) erwieſen werden: denn es hat Ro-
bertus Sheringham in ſeinē Buch de Origine
Gen-
[35]der Teutſchen Sprache.
Gentis Anglorum cap. 6. p. 109. (da er auch der
Armoricaniſchē Woͤrter gleichheit mit den
Lateiniſchen behauptet/ und anweiſet/ daß
die Sprache ſelbſt von den Britan-
niern da hinein gebracht) verſchiedene al-
te Woͤrter angemerckt/ die mit den Latei-
niſchen uͤberein kommen: Wiewol er davor
haͤlt das jene von dieſen entſprungen ſeyn.
Daß ſolche aber mit den Teutſchen uͤber-
einkommen und ſelbſt Teutſche ſein/ will ich
beweiſen. Latini veteres, (ſagt er p. III.) inve-
nuſtas \& difformes perſonas vocabant Miri-
ones; Cambro-Brittanni feminas in face-
tas \& ruſticas Mairiones. (Es iſt ein altes
Runiſches Wort Mær ſive Môr Virgo.
Worm in Lexic. Runico. und iſt hernach
ein Mutter-Pferd ſo genandt/ und wird
noch heutiges Tages per translationem ge-
ſagt: Es iſt eine loſe Maͤhr) Vete-
ribus falla deceptio eſt: Cambro-Britannis
faell (diß iſt ein teutſches Wort fehl/ fall/
fault/ uñ faſt in allen andern Nebē-Spra-
chen. Bey den Griechen hat man auch
σφάλλομαι) Veteribus Guloſus gluton \& glu-
c 2via
[36]Das II. Cap. Vom Alterthum
via dictus, Cambro-Britannis glvvth (Es
iſt ein altes Wort Gul/ welches in Dã-
niſcher Sprache ſo viel heiſſet/ als ein-
ſchlucken/ davon noch bey den Hollaͤn-
dern das Wort Guͤlſich komt/ und iſt
per μετάϑεσιν literarum entſtanden) Vete-
ribus Ruma mamma eſt, Cambro-Britan-
nis Rhumen. (Es heißt aber bey ihnen auch
abdomen. Vid. Boxhorn, Lexic. Britann.
Latin. wie es bey den Lateinern auch das
cavum colli bedeutet/ worin bey dem Vie-
he die Speiſe geſamlet wird/ daher noch
ruminare: iſt es alſo das teutſche Wort
Rum oder Raum/ das iſt der Orth/ da
etwas geſamiet wird.) Veteribus ſummus
Oſcorum Magiſtratus Meddix vocabatur. Ca-
mbro-Britannis Meddu ſignificat potentem
eſſe. (Boxhorn. hat nicht dieſes Meddu, ſon-
dern Mechdeyra. Iſt das Teutſche Macht/
Mogen/Angl. Sax Mighty.) Veteribus
Dalivus ſtultus. Cambro-Britannis Delff
Barbarus. (Diß Wort kennen auch di[e]
Bauren in Mecklenburg/ wann ſie einen
dum̃men Menſchen Delff nennen.) His
mul-
[37]der Teutſchen Sprache.
multa (ſagt er weiter) adjici poſſent nomina
propria veterum Romanorum, quæ omnino
nullum cum latina lingua, magnam cum
Britannicâ cognitionem habent. (Ja ſolte
er die Friſiſche/ Dãniſche/ Schwediſche
Sprache durchſehn/ ſo wird er noch viel
mehr derſelben Nahmen finden: denn
die jenigen/ die er anfuͤhret/ hat er mei-
nes erachtens nicht recht unterſuchet. Von
den Frieſen ſchreibt ſehr mercklich Boxhorn:
in einem Briefe an Pibonem a Boma.
p. 217. Lingua, mores, inſtituta antiqua Fri-
ſiorum ea eſſe hactenus deprehendo, quibus
ſua \& Græci \& Romani ferre debeant acce-
pta. Nihil jacto. ſed de veteribus \& Rep.
\& moribus \& legibus, etiam origine Fri-
ſiorum multa, eaque ampliſſima obſer vavi,
aliis hactenus omnibus indicta.) Sheringham
fuͤhrt frner in den Roͤmiſchen Nahmen/
einige Britañiſche Woͤrter an/ als/ ſylla vi-
dere: Da iſt bey den Teutſchen das Wort
Zillen/ davon Beſoldus de Nat. Po-
pul. und das alte Lateiniſche cilleo, wie auch
das Frantzoͤſiſche Wort Ciller, welches ſo
c 3viel
[38]Das II. Cap. vom Alterthum
viel iſt als nictare. Er ſetzt das Wort
celu bey den Lateinern celare: diß iſt bey den
Teutſchen Helen/ Gehelen und mit auß-
geſtoſſenem (e) G’helen: oder das (c) wird
in (h) verwandelt/ wie in den Woͤrtern ca-
lamushalm ΚΑΡΔία hart/ und wie in dem
folgenden Britañiſchen Worte cornel an-
gulus,eene hoͤrn in der gemeinen Spra-
che: ſo iſt in Gothreks Hiſtoria von dem Ve-
relio herauß gegeben das Gothiſche Wort
Pallshorn ſcamni angulus. Das Latei-
niſche Cornu und das Teutſche Horn wer-
den auch auff ſolche Ahrt verwechſelt. Das
Wort occulere aber bey dē Lateinern/ wird
zwar bey Vosſio von colere hergefuͤhret/
da iſt aber das Nieder teutſche Wort Kuͤl/
welches ſo viel iſt als ein Loch darin man
was vergraͤbet. Silyn ſoboles bey den Cam-
brobritannis, iſt bey den Teutſchen auch zu-
finden: Zielen/ teelen heiſt/ wann man
eine junge Zucht zulegt. Cynne ſive cyn-
nevv incendere \& incendium: iſt aber das
Teutſche Wort Zünden/ anzünden.
Dieſes ſein die wenige Wort/ die er anfuͤhrt/
deren
[39]der Teutſchen Sprache.
deren noch eine groſſe Menge uͤber iſt/
davon viel koͤnte geſagt werden/ wenn es
dieſer Ohrt erleiden wolte.
Ferner iſt die Teutſche Sprache in Europa
nicht beſtehen blieben/ ſondern hat ſich auch
in Aſia ſelbſt verbreitet/ iſt vielleicht auch
von dañen erſt heraus gekom̃en/ welches
noch von wenigen recht nach geforſchet iſt.
Es iſt bekant was Busbequius nur obenhin
aufgezeichnet hat von der Sprache einiger
in Tauricâ Cherſoneſo wohnendē Voͤlcker/
welche er entwedeꝛ vor Saxë haͤlt/ die zu Ca-
roli M. Zeiten da hinein getrieben/ oder auch
vor Gothen/ dievon langer zeit hero da ge-
wohnet/ welches letzte viel glaubwuͤrdiger
iſt. Skinnerus, der die Etymologias recht im
grunde anzugreiffē nicht gnug Erfahrung
hat/ uñ viel falſche hypotheſes ſetzet/ eine nuͤtz-
liche Arbeit aber hierin gethan/ daß er den
parallelismũ Occidentaliũ \& Septentrionaliũ
linguarum zuſammen getragen/ haͤlt dieſes
fuͤr eine geringe Sache/ und vermeinet
auch es ſey ein Teutſches Volck/ welches
von den alten Scythis in dieſen Winckel
c 4hinein
[40]Das II. Cap. Vom Alterthum
hinein getrieben/ wie die alten Britanni
von den Saxen innerhalb Walliam und
Cornubiam beſchloſſen. Er hat aber nicht
in acht genommen/ daß die Gleichheit mit
der Teutſchen Sprache nicht allein bey die-
ſem Ohrte bleibt/ ſondern durch groſſe Laͤn-
der in Aſia ſich erſtrecket: Denn es ſind
nicht ungefehr ſo ſehr viel Teutſche Woͤrter
in die Perſiſche Sprache kommen; da deñ
inſonderheit zu mercken/ daß die alten
Perſiſchen Woͤrter/ die von Curtio und
andern Hiſtoricis beylaͤuffig eingefuͤhret
und von Burtono unter dem Titul: Veteris
Linguæ Perſicæ λείψανα zuſammen ge-
ſamlet/ faſt alle Teutſche ſein/ welches
zwar Burtonus nicht in Acht genommen/
ſondern zum Theil Boxhornius in einem
Brieff an Blancardum, und Blancardus
ſelbſt in den Anmerckungen uͤber den Cur-
tium angezeiget. Es bezeugt Sal-
maſius in ſeinem Buch de Lingua Hel-
leniſtica mit dieſen außdruͤcklichen Wor-
ten:Perſica ſeu Parthica, quæ \& ipſa au-
tores originis habet Scythas infinitas præ-
fert
[41]der Teutſchen Sprache.
fert voces, quæ eædem reperiuntur in Græ-
ciâ pariter \& Teutonicâ dialecto. Der ſel-
be hat in der Vorrede uͤber Tabulæ Cebe-
lis verſionem Arabicam von dem Elich-
manno, der ſie in Lateiniſch uͤberſetzet/ und
die Perſiſche Sprache gruͤndlich verſtan-
den/ dieſes berichtet: Quod ad hoc ævi la-
tuit plerosque eruditorum, ex eâdem origine
compererat fluxiſſe Germanicam \& Perſi-
cam linguam, ad hanc illum conjectur am du-
cente infinitâ vocum copiâ utrique lingua
communium: ſed \& verbis ſimiliter termi-
natis, eodem modo compoſitis, aliisque
argumentis. Wie koͤnte ein glaubwuͤrdiger
Zeugnuß hievon abgeſtattet werden? Es
hatte ſchon zuvor der gelahrte Mann Mi-
chael Piccartus eine Oration geſchrieben:
Daß die Teutſchen der Perſer Bruͤ-
der ſeyn/ welche Meinung Rupertus hat
widerlegen wollen/ aber es ſchreibt Ge-
orgiusRichter in ſeinen Brieffen p. 416.
an jhn/ daß dieſe Meinung nicht ſo gar zu
verwerffen/ des Scaligeri urthel jhm vor-
haltend/ welcher ſagte: cum ratione illos
c 5in-
[42]Das II. Cap. vom Alterthum
inſanire qui ita ſentiunt, wie deſſen Worte
hievon lauten: und hat Rupertus nach-
gehends meines wiſſens nichts dawi-
der geredet. Bochartus der ſonſt der Teut-
ſchen Sprache nicht ſonderlich gewogen/
uñ alles auff ſeine Carthaginenſer ziehet/
muß dennoch dieſes bekennen in ſeinem
Phaleg l. 1. c. 25. Perſicam linguam quod
quidam Viri docti ſcribunt accedere ad
Germanicam, in tantâ locorum intercape-
dine nemo facile ſibi perſuadere ſinat: Ta-
men rei probandæ tot exempla congerunt,
ut ab invitis pene fidem extorqueant. Uber
dieſe von uns angefuͤhrte Zeugniße gelehr-
ter Leute und Exempel der Woͤrter/ an-
gemerckt beim Lipſio Cent. 3. ad Belgas Epiſt.
44. und Abrahamo Mylio de antiq. ling.
Belg. cap. 11. koͤnnen wir auch beybringē den
Joannem Gravium, der ſelbſt in den Mor-
genlaͤndern ſich lange auffgehalten/ und E-
lementa linguæ Perſicæ herauß gegebē. Die-
ſer da er von der Syntaxi der Perſi-
ſchen Sprache handelt/ erkennet er/ daß ſie
mit der Engliſchen/ (als welche gleichfals
Teut-
[43]der Teutſchen Sprache.
Teutſcher Eigenſchafft iſt) hierin uͤberein
komme. Deñ ſo ſpricht er pag. 89. In reli-
quis partibus Orationis nulla Syntaxeos dif-
ficultas eſt, neque ullam puto eſſe linguam
inter Orientales, quæ paucioribus indigeat
regulis, aut cum Europæis magis conſen-
tiat. Plurima vocabula reperio exacte cum
Anglicis eodem ſenſu \& numero fere litera-
rum congruentia. E pleniori meſſe ſpicile-
gium cape. Setzet hier auff einige Engli-
ſche den Perſiſchen gleiche Woͤrter/ die
ebenfals Teutſch ſein. Uber dieſen brin-
get er etzliche herbey/ welche von den La-
teiniſchen ihren Uhrſprung haben ſollen. A-
ber es ſind die meiſten davon Teutſche/ wie
imgleichen auch die jenige/ welche der Herꝛ
Olearius in ſeiner Perſianiſchen Reiſe lib. 5.
c. 26. anfuͤhret/ der wegen der Gleichheit mit
den Teutſchen auch einerley Meinung hat.
Man hat auch wie Martinus Martinius in
ſeinē Atlanto Sinico meldet/ ein Buch mit
Gothiſche Buchſtaben geſchrieben in China
gefundē/ dem etwas von der H. Schrifft in
Lateiniſcher Sprache beygefuͤgt geweſen:
Vidi
[44]Das II. Cap. vom Alterthum
Vidi, ſagt er/ unà cum Sociis hîc apud li-
teratum quendam volumem vetus, Gothi-
cis characteribus diligentiſſimè fexaratum.
Adhibita fuit papyriloco tenuiſſima mem-
brana. Maxima Scripturæ Sacræ pars Lati-
nè erat conſcripta. Tentavi librum ut con-
ſequerer: at ejus Dominus tametſi gentilis,
nec prece nec precio ullo adduci potuit, ut
traderet, in ſua familia per multas jam ne-
potum progenies tanquam rariſſimum quod-
dam antiquitatis cimelium ad ſervatum illud
adſerens, Es ſcheinet aber daß dieſes Buch
nichts andeꝛs geweſen/ als die Evangelia Go-
thica, die auß dē Codice argenteo von Fran-
ciſco Junio mit ſeinen Anmerckungen/ und
vor etlichē Jahren in Schweden heraußge-
geben. Dieſe ſein vielleicht vor Alteꝛs von je-
mand in China gebracht/ und von einē Lieb-
haber biß auff dieſe Zeit verwahret wordē:
der ſelber dieſes Buchs Einhalt nicht ver-
ſtandē. Man hat auch noch in andern Ori-
entaliſchen Sprachen/ in der Ægyptiſchen/
Arabiſchē einige Woͤrter die Celtiſcher Her-
kunfft zu ſeyn ſcheinen. Das Wort Bara
bey
[45]der Teutſchen Sprache.
bey den Ægyptern, iſt/ was bey uns ei-
ne Bahr/ Siehe Kircherum in Obeliſc.
Pamphil. lib. 5. p. 472. deſſen Prodromus
Copt: viel ſolche gleichlautende Woͤrter
hat. Geſnerus hat in ſeinem Mithridate
auch dieſes Worts Bar gedacht. Man kan
auch bey dem Diodoro Sicul. lib. 2. \& Hero-
doto lib. 2. Petro Victorio variar. lect. lib. 10.
c. 9. von einer cymba funerali dieſes Nah-
mens etwas leſen. Bey den Arabern iſt
das Wort Hamel, welches arietem bedeu-
tet/ und das ſelbſt Teutſch iſt. Daher mei-
net Kircherus in Oedip. Ægypt: Synt. 3. c.
6. komme des Jovis Ammonis Beynahme.
Ja ſo gar in America finden ſich viel den
Celtiſchen gleichlautende und bedeutende
Woͤrter/ wovon mit groſſem Fleiß gehan-
delt hat Myliusde antiquitate Linguæ Belgicæ
cap. 25. und in Additionibus ejus capitis;
Welcher gaͤntzlich der Meinung iſt/ daß
vor Alters einige Colonien von den Cim-
bris oder Scythis hineingekommen/ weiſet
auch an/ auf was Weiſe ſolches habe geſche-
hen koͤnnen.
Das
[46]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
Das III. Cap.
Daß viel Griechiſche und La-
teiniſche Woͤrter von den alten Teut-
ſchen oder Scythiſchen herkom̃en
Einhalt.
DIe Scythiſche eine Stam̃ſprache der Euro-
paͤiſchen. Wird von Salmaſio und Box-
hornio davor gehalten. Welche aber den
rechten Grund wegen Unkunde der Teutſchen Spra-
che nicht entdecken koͤnnen. Boxhornii Origines Gal-
licæ. Abraham Mylius hat von dem Alterthum der
Hollaͤndiſchen Sprache geſchrieben. Die Gloſſaria
der Barbariſchen Woͤrter und andere Schrifften in
den Nordiſchen Sprachen koͤnnen hiezu nuͤtzen.
Kircheri falſcher Wahn von der Teutſchen Spra-
che. In dem Mecklenburgiſchen/ Pom̃erſchen/ Weſt-
phaͤliſchen ſein viel Stammwoͤrter verborgen. In
der Tentſchen Sprache ſein keine frembde Woͤrter/
als die mit Fortpflantzung der Religion und
auß dem oͤffentlichen Gebrauch in Politiſchen Sa-
chen hinein kommen ſeyn. Je aͤlter die Lateiniſchen
Worter/ je mehr ſein ſie den Teutſchen aͤhnlich.
Bacrio, Becher/ Spectile, Speck/ Stega, Steg/
Stritare, Striden/ Plancæ, Plancken/ Throcum
Trog/
[46[47]]von dem Teutſchen
Trog/ Caulis, Kohl/ Matta, Matte/ Rumpus,
Rump/ ꝛc. Woͤrter die allerhand Geraͤhtſchafft bedeu-
ten ſein aus der Celtiſchen in die Lateiniſche Sprach
gekommen. Auß dieſen kan inſonderheit der Uhr-
ſprung der Sprachen dargethan werden. Honos
Hohn/ Duo Zwo/ Æs Eiſen/ Equs, Eik. (vox
Gothica) Kaf, (Gothica vox) profundum: Cavare
Cavea, Scapha. \&c. ςείρα ſteur/ τέυχω Zeuch/
Tuͤch. Varro, Feſtus und alle andere Etymologi
fehlen ſehr in ihren Etymologiis. Auch die Fran-
tzoſen in ihrer Sprache. Die ihre uhrſpruͤng-
lich Teutſche Woͤrter/ von den Griechiſchen oder
Lateiniſchen herbringen wollen. Mericus Caſau-
bonus wil die Engliſchen Woͤrter von dem Grie-
chiſchen leiten. Worinn faſt alle fehlen: Skinnerus;
Franc. Junius, Rigaltus, Meurſius, Vosſius, \&c.
Die Urſachen dieſes Fehlers/ Aquilonius hat eini-
ge Griechiſche und Lateiniſche Woͤrter von den
Daͤniſchen hergefuͤhret. Meinet daß die Daͤni-
ſche Sprache der Lateiniſchen mehr Woͤrter ge-
geben als die Deutſche. Worinn er irret. Seine
angefuͤhrte Exempel werden widerlegt. Grunni-
re, Gruntzen/ Hinnus, Hind/ Rapere, raffen/
Tolerare, dulden/ Torrere, duͤrren/ Irritare,
anreitzen/ komt nicht von ira, irrire oder ritus
wie Vosſius meinet/ ſondern von dem alten teut-
ſchen Wort Ratu, Riote, Rit, irritatio, Er-
na, ein altes teutſches Wort/ davon das Lateini-
ſche
[48]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
ſche ira, bedeutet eben daſſelbe. Olai Wormii
Buch de literatura Runicâ. Edda Islandorum Re-
ſenii. eine aͤltere Edda in Schweden vorhanden.
Die alten Gothiſchen Schrifften/ die in Schweden
herauß gegeben worden. Collegium Antiquitatum
und Profesſio linguarum Septentrionalium auff
der Upſaliſchen Academia angeſtellt/ gereicht der
Schwediſchen Nation zu groſſem Ruhm. Codex
argenteus der Gothiſchen Evangelien.
DUrch dieſe ſo augēſcheinliche Gruͤn-
de ſind die Vortreflichen Leute/ Sal-
maſius uñ Boxhornius endlich auf die
Gedancken gekom̃en/ daß ſie die alte Scythi-
ſche vor eine Stammſprache der Europæi-
ſchen gehalten. Es hat ihnen aber hieran
gefehlet daß ſie keine vollkommene Wiſſen-
ſchafft der alten Teutſchen/ und deren Dia-
lectorum, der Gothiſchen/ Schwediſchen/
Daͤniſchen und anderer gehabt; ohn wel-
chem nichts fruchtbarlichs hierin kan ver-
richtet werden. Boxhornius hat zwar ei-
nen guten Verſuch gethan in ſeinen Origi-
nibus linguæ Gallicæ: woſelbſt in der Vor-
rede einige nuͤtzliche und ungemeine Dinge
deß
[49]von dem Teutſchen.
deßhalben verhandelt werden: und vor-
hin in einem Hollāndiſchen Buͤchlein von
der Abgoͤttin Nehalennia. Aber es iſt zu be-
klagen/ daß er uͤber dieſem Werck geſtor-
ben/ und es nicht vollfuͤhren koͤnnen. Es
hat auch ſchon vor Boxhornio, Abrahamus
Mylius in ſeinem Buch de Linguæ Belgicæ
Antiquitate eine gute Arbeit ſeiner Mut-
ter Sprache zum beſten verrichtet. Es be-
ſtehet nur das meiſte in Vergleichung der
Teutſchen und frembden Woͤrter/ womit
Boxhornitis ſich gleichfals bemuͤhet/ und
iſt noch zur Zeit niemand/ der was haupt-
ſachlichs darin gethan.
Wer nun ſolches thun wolte/ muͤſte
theils die alte Griechiſche und Lateiniſche
Woͤrter/ die man in den Fragmentis noch uͤ-
brig hat/ auß den Gloſſariis hervor ſuchen/
und darnebenſt gar genau die Uhralten
Teutſchen Woͤrter/ auß den alten Schrif-
ten zuſammen leſen/ die alte Gothiſche/
Runiſche/ Angelſaͤchſche/ Cimbriſche/
Frantzoͤſiſche/ Spaniſche/ die heutige Teut-
dſche
[50]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
ſche/ und alle deren Dialectos, woran am
meiſten gelegen; Hollaͤndiſche/ Dāniſche/
Schwediſche/ Norwegiſche/ etc. zum we-
nigſten/ ſo weit verſtehen/ daß ihm die
Woͤrter derſelben nicht unbekant. Kirche-
rus in ſeinem Buch de Turri Babel. lib. 3. ſect.
3. c. 4. macht die Hollaͤndiſche/ Engliſche
und Weſtpfaͤliſche zu Toͤchter der Teut-
ſchen/ und meint daß die Teutſche Sprache
deſto mehr verdorben ſey/ je weiter ſie gen
Norden ſich erſtrecket/ worin er ſehr ir-
ret. Denn es iſt das Gegenſpiel wahr/
und ſeind die Stam̄woͤrter reiner und un-
vermiſchter da zu finden. Es würde einer
mit Verwunderung ſehen/ wie eine Spra-
che/ ein Dialectus dem andern zu huͤlffe
koͤmt/ und wie viel Stammwoͤrter in dem
alten Saͤchſiſchen/ Cimbriſchen/ Pom-
merſchen/ Weſtphaͤliſchen/ Mecklenbur-
giſchen etc. und inſonderheit in der alten
Gothiſchen ſtecken; davon nicht allein
viel Woͤrter in der Hochteutſchen unſtrei-
tig hergeleitet/ welches die Hochteutſchen
ſelbſt nicht wiſſen; ſondern eine ſo groſſe
Men-
[51]von dem Teutſchen.
Menge in der Griechiſchen und Latei-
niſchen herſtammet. Denn daß die
unſrige ſolche von den Griechen und Roͤ-
mern geholet/ kan nicht mit dem gering-
ſten Schein der Warheit geſaget werden;
und laufft wider des Dionyſii Halicarnaßæi,
oben angefuͤhrtes Zeugnis. Es weren
denn ſolche Woͤrter mit Einfuͤhrung der
Chriſtlichen Religion, oder auß den ver-
dorbenen Lateinſchen terminis, deren ſich
die erſten teutſchen Keiſer in ihren oͤffent-
lichen Schrifften gebrauchet/ auff
uns geleitet/ davon ſo gar viel nicht
zu finden ſeyn werden. Zu dem kan man
ſolches an den Lateiniſchen Woͤrtern/ die
in Oſca, Volſca, Tuſca Lingua zu finden ge-
weſen/ ſelber ſehen: welche je aͤlter ſie ſeyn/
je naͤher ſie dem Teutſchen kommen. Das
Wort bacrio oder bacar, welches Feſtus nen-
net genus vaſis longioris manubrii, quod
alii trullam vocant (Trua oder Trulla iſt eben ſo
wol das Teutſche Truhe) iſt unſer Teutſches
Wort Becher/ Bacher/ oder Beker:
und gleichwolleitet Voſſius das Lateiniſche
d 2von
[52]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
von Bacho, aber οὑ πρὸς διώνυσυν, und das Hol-
laͤndiſche beker von dieſem bacrio. Was iſt
das Wort ſpectile bey dem Plauto, wel-
ches Feſtus ſuillum obſonium nennet/ an-
ders als unſer Teutſches Speck? nur daß
ſie eine ſonderliche termination hinan ge-
haͤnget/ und dennoch wollen einige erleuch-
tete Critici lieber von dem Lateiniſchen
Wort ſpecio und ſpecto: quaſi ſcilicet ſpe-
ctabile aliquid iit in illo obſonio, es her-
fuͤhren/ als von dem Teutſchen Speck:
da doch ſpecio und ſpecto eben ſo wol von
alter Teutſcher und Scythiſcher herkunfft
ſein/ davon aber jetzo nicht zu ſagen. Das
Wort Stega bey dem Plauto iſt tabula-
tum navis, in quo nautæ ambulant; Iſt
nicht dis daß rechte Teutſche Wort Steg?
Stritare wird bey den alten Lateinern von
denſelben geſaget/ qui æquali paſſu ire non
poſſunt, ſed vel pede ſummo vel talo
terram ſtringebant. Was iſt dis anders/
als unſer Niederteutſches Wort Strie-
den? Welches doch Laurenberg in ſeinem
Antiquario von ſtringere, und Voſſius
von
[53]von dem Teutſchen.
von tero und deſſen ſupino tritum abzie-
het. Sind nicht Plancæ, quæ Feſto vocan-
tur tabulæ planæ, was wir noch heutiges
Tages Plancken heiſſen? Von welchen
Chimentellus in ſeinem Buch de Honore
Beſellii cap. 21. das Italiāniſche Panche oder
Banche, eine Banck/ abziehen wil/ das doch
eben ſo wol ein Teutſch Wort iſt. Was
iſt das Wort Caulis ſo bey den Scriptori-
bus rei ruſticæ gebraucht wird/ anders
als unſer Teutſches Wort Kohl? denn
die Roͤmer haben das au als ein o auß-
geredet. Es iſt auch das Griechi-
ſche καυλὸς, welches eine gemeine Bedeu-
tung hat/ und pro virgâ cujuscunque plan-
tæ genommen wird. Mit dem Worte
Throcum deſſen Feſtus gedencket/ quaͤlet
ſich Chimentellus im vorerwehnten Bu-
che cap. 27. ſehr. Es iſt aber eine Art
von Stuͤhlen geweſen/ die man getragen/
und haben wir in Teutſcher Sprach dieſem
ein gleich lautend Wort Trog. Welches
mit dieſem wol kan verglichen werden.
Das Wort Matta, Storea oder teges,
d 3welches
[54]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
welches Ovid. l. 6. Faſtor. gebraucht/ wird
beym Martino vergeblich vom Hebrāiſchen
abgefuͤhret/ weil es ein rechtes Teutſches
Wort/ und in eben demſelben Verſtande
genommen wird. Bey den ſequioribus
Scriptoribus iſt es viel haͤuffiger zufinden/
welche Savaro in Sid. Apol. lib. 1. Epiſt. 24. an-
fuͤhret: nicht bey andern als nur bey Ovi-
dio einmahl: dar auß man ſehen kan/ daß
ſolche Woͤrter ehe geweſen/ aber als ge-
meine und Plebeia nicht gebrauchet
worden. Es ſeyn aber ſolche den andern
im Alterthumb vorzuziehen. Das
Wort Sicilices iſt unſer Teutſches Si-
chel/ davon das Griechiſche ζάγκλη:
auch nicht gar ſehr entfernet. Man fin-
det unter den Woͤrtern die allerley Ge-
raͤthe bedeuten/ uͤberauß viele/ die Celti-
ſcher Abkunfft ſein. Worauß man einen
feſten Schluß machen kan/ daß die Latei-
niſche von dieſen hergekommen. Denn
ſolche Woͤrter ſein ins gemein die aͤlteſten/
und bleiben am laͤngſten unveraͤndert/
weil keine Uhrſach iſt eine Neuerung dabey
vor-
[55]von dem Teutſchen.
vorzunehmen: wie bey denen/ die in oͤf-
fentlichen Reden gebrauchet werden. A-
ber hievon kan allhie nicht geredet wer-
den. Wenn ich auch die uͤblichen Woͤrter
in der Lateiniſche Sprache anſehe/ wie
viel ſeyn derer die ohne Veraͤnderung
Teutſch ſeyn? Iſt nicht honos und hohn
gleich? Denn das Wort iſt bey den La-
teinern mediæ ſignificationis, wie das Wort
dolus. Honos malus iſt ſo viel als inju-
ria. Siehe Gell lib. 12. c. 9. und Lauren-
berg. in Antiquario. Duo und bey den Teut-
ſchen two oder zwo/ iſt ein Wort/ und
wie Gifanius in ſeinem Indice Lucretiano
p. 333. bezeuget/ hat mans vor dieſem im
Lateiniſchen einſilbig außgeſprochen. Von
den andern Zahlen kan dergleichen be-
wieſen werden: In der alten Runiſchen
Sprache iſt das Wort Eik; in der Lateini-
ſchen Equus: welches daſſelbe bedeutet. In
der Gothiſchen hat man ein Wort Kæf, be-
deutet profundum. Wovon in dē Lateiniſchē
viel Woͤrter abſpringen/ Cavare, Cavea,
das Teutſche Kafen/ und das Griechi-
d 4ſche
[56]Das III. Cap Griechiſch und Lateiniſch
ſche σκάπτω excavo, das Lateiniſche Scapha.
Das Teutſche Scap hat hiemit auch
einige Gleichheit. Was iſt das Lateiniſche
æs, vor dieſem æſis anders als das Teut-
ſche Eiſen? Das Griechiſche τεύχω, Fa-
bricor hat im Teutſchen das Wort Tuͤch/
oder Zeug/ σμύχω, incendo das Wort
Schmock/ ſchmoͤcken/ ſchmaͤuchen.
Στιίρα carina navis, wird von ςέῤῥος ſolidus
hergefuͤhret/ und wir haben im Teutſchen
das Wort Steur/ welches viel eigentlicher
den Urſprung fuͤrbildet Rumpus, ein abge-
riſſeneꝛ Zweig/ Rump ein geſtuͤm̄elteꝛ Coͤr-
per komt uͤbereins. Ichkoͤnte hie ein gantz
Lexicon ſolcher Woͤrter ſchreiben/ wenn es
dieſes Ohrts were. Die jenigen die von dem
Varrone und Feſto der ſelben Uhrſprung
erlernen wollen/ betriegen ſich ſehr/ denn
es hat niemand die Origines der Lateini-
ſchen Sprache weniger verſtanden als eben
ſie: wie ſolches faſt in allen Sprachen ſo zu-
gehet/ in welchen die Eingeborne die groͤbe-
ſte Fehler begehen: dann es folget nie-
mand hierin der Natur und der Ver-
nunfft
[57]von dem Teutſchen.
nunfft nach/ ſondern ſeinem eigenen
Wahn. Die die Hebreiſche oder Griechi-
ſche Sprache vor andern lieben/ wollen
hievon alles herholen/ wie Bochartus alles
von der Puniſchen. Die der frembden keine
ſonderliche Kundſchafft haben/ erdencken
einige ſonderliche alluſiones und allite-
rationes, und da iſt denn alles gut. So
muß Venus von veniendo herkommen/
Veſta wird deßhalben ſo genant quod
vi ſuâ ſtet: welche derivationes eben ſo
gut ſein/ als wenn das Wort Biſchoff
davon gemacht ſein ſoll/ weil er bey den
Schaffen iſt: Denn es iſt der Nahme
und die Verehrung dieſer Goͤttin von
den Barbaris zu den Roͤmern kommen/ da-
von allhie weiter nicht kan geredet werden;
Iſt derohalben eine Thorheit das ἔτυμον
der Woͤrter bey den Roͤmern zu ſuchen.
Die Frantzoſen und Italiaͤner die heuti-
ges Tages Etymologias ſchreiben/ ſind
mit dergleichen Irrthuͤmern angefuͤllet.
Bovillus hat in ſeinem Buch de differentiæ
vulgarium linguarum gar kindiſche Ein-
d 5faͤl-
[58]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
faͤlle von den Frantzoͤſiſchen Woͤrtern/
den aber Wolffgangus Hungerus gruͤndlich
widerlegt hat. Menagius, ſonſt ein vorneh-
mer Philologus und Criticus, welchem Skin-
nerus gemeinlich folgt/ ein Blinder dem an-
dern/ holt ins gemein auß Griechenland
oder auß Rom die Stammwoͤrter her/ die
er in Teutſchland ſuchen ſolte. Beza, Peri-
onius, welche von der Gleichheit der Grie-
chiſchen und Frantzoͤſiſchen Sprachen ge-
ſchrieben/ fehlen auch ſehr hierin. Joh.
Henricus Ottius in ſeiner Franco-Gallia hat
viel beſſere Nachricht geben. So hat auch
Monoſinus in ſeinem Buch genant Flos
Linguæ Italicæ, viel Italiaͤniſche Woͤrter
von den Griechiſchen abgeleitet/ die doch
Teutſchland vor jhre Mutter erkennen.
Mericus Caſaubonus in ſeiner Commenta-
tione de Græcâ Linguâ, worin er die Gleich-
heit der Engliſchen und Griechiſchen
Sprache zeiget/ iſt dennoch auch der Mei-
nung/ als wann dieſe Woͤrter von dem
Griechiſchen herſtammen; und kan end-
lich wolſeyn/ wie vor dieſem die Griechen
ihre
[59]von dem Teutſchen.
ihre Colonias und Schiffe hin und wie-
der geſchickt/ (denn Jacobus Eyndius
in ſeinem Chronico Zelandiæ cap. 9. auch
erweiſen wil/ daß die Griechen die See-
laͤndiſche Kuſten beſegelt) daß einige
von ihren Woͤrtern bekleben geblieben:
Aber es iſt eine groͤſſere und viel gruͤnd-
lichere uͤbereinſtimmung dieſer Spra-
chen/ als daß von ungefehr ſolches ſolte
geſchehen ſeyn. Es iſt diß præjudicium ſo
ſehr bey gelahrten Leuten eingewurtzelt/
daß ſie faſt pro paradoxo halten/ wann
man der Teutſchen und der verwandten
Sprachen Alterthumb uͤber die Griechi-
ſche und Lateiniſche erhebet/ und dieſe
von jener ableitet. Skinnerus der ein
Etymologicum der alten Engliſchen Woͤr-
ter geſchrieben/ und eine Vergleichung
mit den andern verwandten Sprachen
angeſtellet/ hat zwar eine nuͤtzliche Ar-
beit verrichtet/ wie imgleichen Franciſcus
Junius in ſeinem Gloſſario Gothico, wel-
ches er den Gothiſchen Evangeliis zugefuͤ-
get/ und jetzo vermehrter in ſeinem ho-
hen
[60]Das III. Cap. Griechiſch und Lateinſch
hen Alter herauß geben wil. Aber ſie lie-
gen gleichfals an dieſer Seuche kranck/ da ſie
doch deſſen ſo klarſcheinende Zeugnuͤße vor
Augen liegenhaben. Sehen wir den Nico-
laum Rigaltium Johannem Meurſium in ſei-
nen Vocibus Mixo Barbaris, den Voſſium de
Vitiis ſermonis Latini, Ludovicum de la Cer-
da in ſeinen adverſariis, Lindenbrogium,
Gothofredum Wendelinum, Henricum
Spelmannum, und endlich du Freſne in ih-
ren Gloſſariis an: Man koͤnte viel hun-
dert/ ja tauſend ſolche Fehler mercken/ und
ein groſſes Buch davon zuſam̃en tragen/
welches aus keiner andern Uhrſachen
kom̄t/ als daß ſie dieſer Sprachen
Grund nicht recht begreiffen. Und iſt
zu verwundern/ daß da der Augenſchein
ſelbſt ſie vor Barbariſche Woͤrter angibt/
ſie dennoch lieber den Uhrſprung in der
Ferne bey den Griechen/ als bey den Teut-
ſchen ſuchen. Bey ſo groſſer Menge der
irrenden hat dennoch einer in Denne-
marck der ſich Aquilonium nennet/ in ei-
nigen kleinen Buͤchlein die er de miſtione
Græ-
[61]von dem Teutſchen.
Græcæ \& Latinæ cum Danicâ Linguâ geſchrie-
ben/ das Gegentheil darthun wollen/
und die Woͤrter hervor geſuchet/ die auß
der Dāniſchen Sprache in die Lateini-
ſche und Griechiſche gekommen ſeyn. Da-
von er ſeine Gedancken daſelbſt eroͤffnet.
Er haͤtte aber/ wann er die andere Spra-
chen zu Huͤlffe gezogen/ ſeine Meinung viel
gruͤndlicher und beſſer außfuͤhren koͤn-
nen: ob er zwar meinet/ daß die Dā-
niſche Sprache einen ſonderlichen Vor-
zug vor der Teutſchen habe/ was die
Gleichheit mit der Lateiniſchen betrifft.
Die Woͤrter die er p. 46. einfuͤhret/ zeugen
vielmehr/ daß er ſelber der Teutſchen Spra-
che nicht recht kuͤndig geweſen/ denn ich
beweiſen wil/ daß die meiſten Teutſche an-
gemerckte Woͤrter/ eine beſſere Gleichheit
mit der Lateiniſchen haben/ als die Daͤni-
ſchen; Und muß hierinnen nicht die Hoch-
teutſche/ ſondern vielmehr die Nieder-
teutſche Sprache zur Richtſchnur geſe-
tzet werden. Jedoch haben wir in der
Hochteutſchen Sprache ſo wol das
Wort
[62]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
Wort Gruntzen (Gruunire) als die Daͤ-
nen das Wort grynte/ davor er den
Teutſchen das Wort Rucheln/ (Roͤ-
cheln wolt er ſagen) zuſchreibet. Das
Wort Hind (Hinnus) iſt gleichfals bey
uns/ wie bey ihnen/ nicht Rechhochs/
ſolte vielleicht Rehbock ſeyn. Wir haben
ſo wol das Wort raffen (rapere) als ſie
ihr Rape: Denn hinnehmen iſt ein an-
ders. Tole (Tolero) koͤnnen wir ſo wol
durch dulden/ als ertragen geben/ wie
imgleichen Toͤrre (Torreo) durch dür-
ren: den Drogen/ daß er davor ſetzet/ iſt
nicht Hochteutſch/ ſondern truckenen
auch wol trengen. Das Lateiniſche
Wort irrito ziehet er von dem Daͤniſchen
Wort Irre/ davor die Teutſchen an-
reitzen. Aber es trifft diß Teutſche viel beſ-
ſer zum Ziel/ weil es das Stamm-Wort
in ſich hat/ davon das Lateiniſche herkom-
met. Denn ob wol Voſſius ſich ſehr mit
dieſem Worte quālt/ in dem ers bald von
Ira, bald von irrire, quod de Canibus di-
citur, bald von dem Griechiſchen ἐρέϑω, das
doch
[63]von dem Teutſchen
doch gleichfals von dem Teutſchen entſproſ-
ſen/ und nicht von dem Griechiſchen [...]ρις,
wie er wil: bald von rite und ritus herfuͤh-
ret: ſo fehlt er dochſehr weit. Daß das Wort
ritare gebrāuchlich geweſen/ erſcheinet auß
dem Worte poritare welches er aus proiri-
tare meinet zuſam̄en gezogen zu ſeyn/ darin
er doch irret: Denn man lieſet in den alten
MStis-inritare, welches eine Anzeigung iſt/
daß das Wort von in und rito zuſam̄en ge-
ſetzet: wiedann auch Daumius in ſeinem
Buch de Cauſis amiſſarum radicum linguæ
latinæ. c. 2. p. 14. unter die ungebraͤuchli-
chen ſimplicia es ſetzet. Iſt es alſo das rechte
Teutſche Wort anreitzen/ wie wir es
nach dem hochteutſchen Dialecto auß-
ſprechen. Das ſimplex hievon findet ſich
in den alten Teutſchen Wortern/ welche
Lipſius Cent. 3. ad Belgas epiſt. 44. zuſam-
men geleſen hat. Ratodon. Irritaverunt:
\& Ratuot, Irritat \& Garatot, concita-
tus eſt \& Ratunusſi. Irritatione Wobey.
Somnerus in den von Merico Caſau-
bono heraus gegebenen Anmerckungen
ſetzet
[64]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
ſetzet. Huic affine eſt noſtrum Wrath iram
iracundiam ſignans: Nuſſi autem eſt ter-
minatio nominum ſubſtantivorum. Iſt
nun alſo das rechte Stammwort Ra-
tu, Irritatio: mit dieſem koͤmpt uͤberein das
alte Fraͤnckiſche Wort Riote, Rit welches in
einer alten Verſione Franco-Gallicâ der Bi-
bel geleſen wird/ wie Skinnerus bezeu-
get. Es heißt aber diß Wort ſo viel als
jurgium altercatio, Rioter, Riottare, Jur-
gari, altercari; und iſt laͤcherlich daß Skin-
nerus ſolches von dem Lateiniſchen
Arietare herziehen wil. Sonſt haben
wir auch das Teutſche Wort terren/
tarren/ targen/ welches der Bedeut-
ung nach einerley iſt. Wil hie nicht ſa-
gen von dem alten Wort erre, welches in
den Niederlaͤndiſchen Geſetzen gefunden
wird: in erre moede wat doen, animo ira-
to aliquid facere; Wovon das Lateiniſche
Ira herzu kommen ſcheinet. Wir haben
jetzo in dergleichen Dingen viel Huͤlffmit-
tel/ von den alten abgeſtorbenen Spra-
che die jetzo wieder hervor geſuchet wer-
den.
[65]von dem Teutſchen
den. Wormius hat die alte Runiſche
Sprache in ſeiner literatura Runica, Faſtis
und Monumentis Danicis wieder auß dem
Grabe erwecket. Die Edda Islandorum,
darinnen der alten Nordiſchen Voͤlcker
ihre Theologia und Mythologia beſtanden/
iſt von Petro Reſenio herauß gegeben.
Es ſol aber eine vollſtaͤndiger Edda noch
in Schweden vorhanden ſeyn/ welche zu
ſeiner Zeit auch ans Licht wird gebracht
werden: in welcher groſſe Nachricht iſt
von der Aſiatiſchen Voͤlcker Ankunfft
in die Nordiſche Laͤnder/ wovon auch Schef-
ferus in Upſalia antiqua c. 7. kan nachgeſe-
hen werden. Es kan auch trefflich zuſtat-
ten kommen/ daß man die alte Gothiſche
Sprache und antiquitaͤten mit ſolchem
groſſen Fleiß jetzo in Schweden her-
vorſuchet: Zu welchem Ende dann
zu groſſem Ruhm dieſer Nation ein ab-
ſonderliches Collegium Antiquitatum und
Profesſio Linguarum Septentrionalium auff
der Upſaltſchen Academiâ angeſtellet/ und
bereits eine zimbliche Anzahl ſolcher al-
eter
[66]Das III. Cap. Griechiſch und Lateiniſch
ter Schrifften mit gelahrten Anmerckun-
gen/ von Olao Verelio, wie auch andere
hiezu dienende Buͤcher von Loccenio, Schef-
fero, Rudbeckio hervor gegeben. Wor-
unter vor allen andern zu ſetzen iſt der ſo
genandte Codex argenteus Evangeliorum
Gothicorum, welcher nach dem er einmahl
auß der Koͤniglichen Schwediſchen Biblio-
thec verlohren geweſen/ vor eine groſſe
Summa Geldes/ von dem Herrn Reichs
Cantzler de la Garde wieder herbey ge-
ſchaffet/ und erſtlich von Franciſco Junio,
hernach in Schweden außgegeben wor-
den iſt. Darinnen man bißweilen un-
terſchiedliche Wurtzeln merckt/ davon
Griechiſche und Lateiniſche Woͤrter her-
ſtammen: welches auch von denen Auto-
ribus ſelbſten/ die ſie herauß gegeben/
nicht beobachtet worden.
Das
[67]von dem Teutſchen
Das IV. Cap.
Von den Gruͤnden der Ab-
leitung in Woͤrtern/ und zwar von dem
erſten: daß eine einfaͤltige grobe Spra-
che der kuͤnſtlichen den Anfang gegeben.
Einhalt.
GRiechiſche und Lateiniſche Stammwoͤrter
auß dem alten Scythiſchen. Es koͤnnen in der
Etymologia richtige principia gegeben wer-
den. Je einfaͤltiger die Sprache/ je lauterer und aͤl-
ter iſt ſie. Die alte Lingua Pelasga, hat der neuen
Griechiſchen/ und die alte Oſca, Tuſca, \&c. der
neuen Lateiniſchen den Urſprung gegeben. Thuſci
dem Nahmen und der Außrede nach Teutſcher Art
und Abkunfft. Joſephi Scaligeri Urtheil hievon. In
Toſcanien ſein die aͤlteſten Staͤdte. Die plebeia
Lingua Latina iſt von der zierlichen allezeit unter-
ſchieden geweſen: wie in allen Sprachen der
Unterſcheid iſt. Exempel auß dem Inſtrumen-
to plenariæ ſecuritatis, ſo zu Juſtiniani Zeiten ge-
ſchrieben. Fragmentum Petronianum. Skinnerus
verwirfft die Meinung/ daß Griechiſche Woͤrter von
Teutſchen und Scythiſchen herkommen. Hat einen
falſchen Grund. Die Griechen ſeyn ſelbſt wider jhn/
e 2welche
[68]Das IV. Cap. Von den Gruͤnden
welche geſtehen/ daß jhre Sprache von den Barbaris
herruͤhre. Treffliche Zeugniſſe auß den Jamblicho,
Clemente Alexandrino, daß die Griechen durch jhre
Leichtſinnigkeit und Kuͤnſteley mehr verdorben als
verbeſſert. Anacharſis ein Scythiſcher Philoſophus
wirfft den Griechen ſelbſt jhren Scythiſmum
vor. Skinnerus hat keinen Unterſcheid gemacht un-
ter die wachſende und vollkommene Sprache. Seine
angefuͤhrte Gleichnuſſen koͤnnen wider jhn ſelbſt ge-
braucht werden.
SO iſt dann nun dieſes meine gaͤntz-
liche Meinung/ die nicht ohne guten
gruͤnden von den trefflichen Leuten
Salmaſio und Boxhornio aufgebracht/ wie-
wol ſie dieſelbe nicht außgefuͤhrt/ daß die
alte Scythiſche die rechte Hauptquelle der
Europeiſchē Sprachen ſey/ auß welcher die
alte Teutſche und Gothiſche zu erſt ent-
ſprungen: wo ſie nicht faſt eben dieſel-
be geweſen/ und der Griechiſchen und La-
teiniſchen zum Theil ihre Stammwoͤrter
gegeben/ welches zu beweiſen keine ſo
groſſe Muͤhe erfordern wuͤrde. Wundert
mich nur das gelehrte Leute nicht ehe auf
dieſe Gedancken gerahten/ und ſo viel ſel-
tzam
[69]in Ableitung der Woͤrter
tzame thoͤrichte alluſiones an ſtatt gruͤndli-
cher Etymologien angenommen/ deren
nichtigkeit ſich ſelbſt zu Tage leget/ und
Anlaß gegeben/ daß viel gelehrte Leute
alle Etymologias, als ein ungewiſſes Ding/
und die auff keinen Vernunfftſchluͤſſen ge-
gruͤndet zu verwerffen. Da doch ſo rich-
tige principia darin koͤnnen geſetzet wer-
den/ auß welchen die Ableitung der
Woͤrter folget: wie etwa è corporibus
ſimplicibus \& elementis die miſta entſte-
hen/ und findet faſt eine demonſtratio auch
allhie ſtaat/ jedoch ſo viel die Natur und
Beſchaffenheit der Dinge zugiebt. Erſt-
lich iſt dieſes fuͤr einen feſten Grund zu-
ſetzen/ daß je einfaͤltiger und groͤber
eine Sprache/ deſto aͤlter und unge-
miſchter ſie ſey/ und denen andern
vorgehe. Will man nun die Stamm-
woͤrter einer jetzo außgearbeiteten Spra-
che ſuchen/ ſo muß man nicht zu einer
gehen/ die in gleicher Vollkommen-
heit iſt/ ſondern man muß auf dem
Lander unter den Bauren/ an Oertern/ da
e 3nie-
[70]Das IV. Cap. Von den Gruͤnden
niemahls Frembde hingekommen/ dieſel-
be ſuchen. Denn es iſt mit den Sprachen
wie mit den Voͤlckern bewandt/ welche
erſt roh und wilde/ hernach mit der Zeit
gebaͤndigt und außgeuͤbet werden. Wolte
man nun die Stammwoͤrter der Griechi-
ſchen Sprache haben/ ſo muſte man was
von der alten Linguâ Pelaſgâ noch uͤbrig
hervorziehen. Die Lateiniſchen werden
am beſten erforſchet in den alten fragmen-
tis linguæ Oſcæ, Thuſcæ, inſonderheit
dieſer/ denn dieſe Voͤlcker auch faſt dem
Nahmen nach ihren Uhrſprung aus Teut-
ſchland zu haben ſcheinen: Wie dañ auch
faſt der accent, den ſie in der Außrede fuͤh-
ren/ ſolches außweiſet/ I. C. Scaliger
auch in ſeiner Oratione de verboineptus
angemerckt/ wenn er ſpricht: Leniſſime
pronunciat magna Italiæ pars, craſſiſſimè
pene Univerſa Germania. At Thuſci qui Ar-
num circumcolunt pene Germanicos illos
ſpiritus ſuperant. Zu dem ſein daſelbſt Staͤd-
te die aͤlter als Rom ſein/ wie Ioſeph.
Scaliger in den Excerpt. die die Fratres Pu-
teani
[71]in Ableitung der Woͤrter.
teani herauß gegeben/ bezeuget: In Italiâ
ſunt multæ urbes antiquiores Româ: in To-
ſcaniâ antiquiſſimæ. Es bilde ihm auch nie-
mand ein/ daß man in Italien auch zu Cice-
ronis zeiten durchgehends auff dem Lande
und bey Bauren/ ſolche Sprache/ wie er in
Rom/ gefuͤhret. Es eroͤrtert dieſe Frage:
an vulgus \& literati eodem modo \& idio-
mate Romæ locuti ſint Leonardus Aretinus
libr. 6. Epiſt. p. m. 273. wieder den Flavium
Forolivienſen, der anderer Meinung war/
und beweiſet mit etlichen Exempeln: quod
Latina lingua à vulgari differat terminatione,
inflexione, ſignificatione, conſtructione,
\& accentu. Von des gemeinen Poͤbels art
zu reden uhrtheilet er alſo. Non ad pi-
ſtores tantum \& laniſtas, ſed multò magis
ad eos, qui in Reip. gubernatione verſaban-
tur, \& quorum intererat, quid populus
decerneret, Orator loquebatur. Præſtan-
tes igitur homines Oratorem latinè lite-
ratèque concionantem, præclarè intellige-
bant, piſtores verò \& laniſtæ \& hujus-
modi turba ſic intelligebant Oratoris verba,
e 4ut
[72]Das IV. Cap. Von den Gruͤnden
ut nunc intelligunt mißarum ſolennia. Und
wie ſolte die Lateiniſche Sprache hierin ei-
nen Vorzug vor andernhaben? Denn faſt
keine Sprache iſt/ die nicht ſolchen unter-
ſcheid hātte. In der Italiāniſchen/ Fran-
tzoͤſiſchen hat man eben ſo wol die ſo ge-
nandte Ruſticam, und Romanam/ da-
von der Name der Romances herkom̃t/ vor-
mahls gehabt: und iſt ja bekant/ wie heuti-
ges Tages faſt in allen Oehrtern und
Laͤndern eine doppele Sprache/ eine wil-
de und rohe/ und eine zierliche und hoͤf-
liche geredet werde. Es zeigt zum Theil
das Inſtrumentum plenariæ ſecuritatis wel-
ches zu Juſtiniani Zeiten geſchrieben/ und
Anno 1641. von Gabriele Naudeo auß der Bi-
bliothec des Cardinalis â Balneo (der die
Abſchrifft aus der Koͤniglichen Bibliothec
in Franckreich bekommen) herauß ge-
geben. Worinnen ſo viel frembde und
ſeltzame arten zu reden/ confuſiones caſuum
wider die Regeln der Grammatic, ſo viel
Teutſche Woͤrter von allerhand Hauß-
geraht als Butta, Butticella, Sarica, ran-
cilio
[73]in Ableitung der Woͤrter.
cilio, ſcotella, zu finden; daß man
gnug darauß ſehen kan/ wie bey dem ge-
meinen Mann damahls eine gantz ande-
re Art zu reden geweſen: weßwegen ich
auch das vielen ſo verdaͤchtige Fragmen-
tum Petronianum nicht gāntzlich verwerf-
fen will. Je mehr man nun die ālteſte
monumenta, und die von der Kunſt nicht
außgearbeitet ſein/ durchſuchet; je mehr
wird man die Gleichheit der Teutſchen und
Lateiniſchen Sprache finden. Hiebey kan
ich mich nicht gnug verwundern/ wie Skin-
nerus in der mehrmahls erwehnten Vor-
rede ſeines Lexici Etymologici, ſo gar wie-
der alle Vernunfft dieſe Meinung tadele/
daß von dem Teutſchen einige Griechi-
ſche Woͤrter herſtam̃en/ und ſie ſo gar hoͤ-
niſch und mit ſchāndlichen Schmaͤhwor-
ten auff die Teutſche Nation, durchziehe.
Quid enim, ſagt er/ à communi humani
generis uſu \& ratione ipsâ luculentius ab-
horret, quam gentem omnium cultiſſi-
mam eoque nomine ſuperbientem, popu-
lorum cœterorum etiam mitiorum \& hu-
e 5manio-
[74]Das IV. Cap. Von den Gruͤnden.
maniorum, Perſarum ſc. Syrorum \& Æ-
gyptiorum contemptorem, è gentibus
totius terrarum orbis immaniſſimis ſordi-
diſſimis \& plus quam barbaris (ein ſchoͤ-
ner Lobſpruch vor die Teutſchen!) voca-
bula \& idiotismos avidè haurire, \& tan-
quam gemmas è ſterquilinio ſuo ſermoni
inſuere. Wol getroffen! ein trefli-
cher Schluß! Eben diß iſt die Uhrſach
warum die alten Teutſchen nicht von den
Griechen/ ſondern dieſe vielmehr von
jenen ihrer Woͤrter Uhrſprung haben:
Weiln eine außgeputzte Sprache juͤnger
iſt/ als eine rauhe und unbeſchnittene.
Will dann Skinnerus mehr wiſſen als die
Griechen ſelbſt? welche auffrichtig beken-
nen/ daß die ālteſten Einwohner ihres
Landes eine barbariſche Sprache gere-
det/ die Buchſtaben von den Barbaris
bekommen/ wie im vorigen erwehnet.
Haben ſie nicht ihre Weißheit von den
Barbaris erſt geholet? Es leſe einer nur
den Joſephum contra Appionem, da wird
er weitlaͤufftig ſehen/ daß die Griechen
nichts
[75]in Ableitung der Woͤrter.
nichts von ihnen ſelber haben/ und daß
alles ihrige/ Stādte/ Kuͤnſte und Schrif-
ten/ nur von geſtern her/ und ſie alle-
zeit Kinder und Juͤnglinge geweſen. Was
ſie von Scythis, Thracibus uñ andern erler-
net/ haben ſie vor ihre eigene Erfindung
außgegeben. Die was ſonderliches haben
lernen wollen/ ſind bey den Barbaris in die
Schul gegangen/ wie beim Diodoro lib.
3. c. 6. zu leſen. Clemens Alexandrinus lib.
1. Stromatum ſaget/ daß die ālteſten
Philoſophi in Griechenland entweder ſelbſt
Barbari geweſen/ oder von den Barbaris
unterwieſen. Pythagoras ſelbſt iſt bey den
Gallis, oder Celtis in die Schule gegan-
gen. Von dieſen Barbaris haben die Grie-
chen das ihrige erlernet/ und nur uͤber-
hin gefaſſet. Denn ſo redet von ihnen
Jamblichus, der ſie von auſſen und innen
beſchreibet: Græci naturâ rerum novarum
ſtudioſi ſunt \& præcipites uſquequaque fe-
runtur, inſtar navis ſaburrâ carentis
nullam habentis ſtabilitatem. Neque
conſervant, quod ab aliis acceperunt, \& hoc
cito
[76]Das IV. Cap. Von den Gruͤnden
cito dimittunt, \& omnia propter inſtabi-
litatem, novæque inventionis elocutionem
transformare ſolent. Er ſagt ferner/ wie
die Barbari ernſthafftig und beſtāndig in
ihrem Weſen und Reden ſeyn/ und wie
die Barbariſche Woͤrter ſehr kuͤrtz ſeyn/ und
einen groſſen Nachdruck haben/ und de-
rohalben bequem zu Goͤttlichen Dingen
zu gebrauchen: Die Griechen haͤtten ſie
aber verdorben/ die ſie mit ihrer Spra-
che gemiſchet/ oder mit frembden Woͤr-
tern außdruͤcken wollen. Man kan
auch hiebey nachleſen des Cœl. Rhodigin.
Lect. Antiquar: lib. 16. c. 14. Der von uns
oben angefuͤhrte Clemens Alexandrinus
zeiget viel andere Griechiſche Autores, als
Scamonem Mitylenæum, Theophraſtum
Ereſium, Cydippum Mantinæum, Anti-
phanem, Ariſtodemum, Ariſtotelem, Phi-
loſtephanum, \& Stratonem, die hier in-
nen mit ihm uͤbereinſtimmen/ und die
Barbaros zu Lehrmeiſter der Griechen ma-
chen/ ſetzt auch folgende Worte darauff:
Παρεϑήμην δἐ α᾿υτῶν ὀλίγα ε᾿ις σύςασιν τὴς παρὰ
βαρ-
[77]in Ableitung der Woͤrter.
βαρ [...]άροις ἑυρετικῆς καὰ βιωφελοῦς φύσεως, παῤ
ὧν ἕλληνες τὰ ἐπιτηδεύματα ὠφέληνται. Ex his
pauca adjeci ad confirmandam inventricem
\& vitæ utilem naturam, quæ fuit apud Bar-
baros, à quibus in ſtudiis \& rebus exercen-
dis Græci acceperunt magnam utilitatem.
Nach dieſem redet er ſehr merckwuͤrdig
von der Sprache: Ει δέ τις την [...] φωνὴν
Δ [...]αβάλλει τὴν βαρβάρον, ἐμοὶ δέ, φησιν ὁ Ανά-
καρσις, ΠΑΝΤΕΣ [...]ΑΛΗΝΕΣ ΣΚΥΘ [...]ΖΟΥ-
ΣΙΝ. Si quis autem vocem reprehendit Bar-
baram: Mihi, autem, inquit, Anachar-
ſis: OMNES GRÆCI SCYTHÆ SUNT.
Was koͤnte herꝛlichers und ruͤhmlichers
geſagt werden zu dem Lobe der ſo genand-
ten Barbariſchen Sprache und Philoſophie,
und zur Behauptung des Alterthumbs
derſelben. Und dieſe ſeyn die
Voͤlcker/ welche uns Skinnerus ſo heß-
lich abgemahlet. Es wird ferner weder
vom Mylio (mit welchen er zu thun hat)
noch von jemand anders geſaget/ daß
die Griechen dazumahl/ wie ſie durch
Wiſſenſchafft oder Tapfferkeit ſich und
ihre
[78]Das VI. Cap. Von den Gruͤnden
ihre Sprache ſo vollkommen gemacht/
ihre Woͤrter und idiotiſmos, erſtlich von
den Teutſchen genommen. Der Zeug
ihrer Sprache iſt vor vielen Jahren erſt-
lich von den ihnen ſo genandten Barbaris,
die doch Witzes und Verſtandes gnug ge-
gehabt/ entſtanden/ welchem ſie von Jah-
zu Jahren ihre eigene Form und Außbil-
dung gegeben/ und da ſie die Sprache zu
der groſten Stuffe ihrer Vollkommen-
heit gebracht/ nicht mehr noͤthig gehabt
von andern was zu entlehnen. Die
Gleichnuͤſſen die Skinnerus hiebey fuͤget/
ſeyn gleichfals laͤcherlich und ungereimt.
Perinde hoc eſt, ſagt er/ ac ſi Galli Braſi-
liæ, aut noſtrates Virginiæ coloni agreſtium
ſubditorum dialectum tanquam ſuavem \&
fœcundum affectantes, vocabula inde in
ſermonis ornatum cooptarent. Imò quid
abſurdius quam Aulicum, egregiè expoli-
tum Ruſticum ineptum loquendi magiſtrum
adſciſcere? Es iſt ein groſſer Unterſcheid
wenn eine wol cultivirte Nation eine Bar-
bariſche uͤbermeiſtert/ die ſie darnach an
ſtatt
[79]in Ableitung der Woͤrter
ſtatt der Knechte gebrauchet/ von denen
ſie ihr nichts vorſchreiben laͤſt; Und wañ
ein rauhes Kriegesvolck ein anders gleich
oder minder Barbariſches uͤberwindet;
oder mit ihm viel zu handeln hat. Der
Baur iſt ehe geweſen/ ehe der wolbered-
te Hoffmann/ und wuͤrde dieſer keine Be-
redſamkeit haben/ wenn nicht die Bau-
ren vor ihm geredet hātten/ und die Spra-
che machen helffen. Aber wir muͤſſen
endlich von dieſem Umbſchweiff wieder
auff den rechten Weg kommen/ und zu
unſerm Wercke ſchreiten.
Das V. Cap.
Von dem andern Grunde der
Ableitung: daß vielſylbige Woͤrter
von Einſylbigen muͤſſen gezo-
gen werden.
Einhalt.
VIelſylbige Woͤrter von Einſylbigen; deſſen
Grund in der Natur/ und in Methodo diſci-
pli-
[80]Das V. Cap. Einſylbige
plinarum. Die Teutſche Sprache beſtehet von vie-
len Monoſyllabis. Deren anzahl. Viel alte Lateini-
ſche einſylbige Woͤrter. Dieſe ſind durch die termi-
nationes mehr außgedehnet. Worauff die Zuſam̃enſe-
tzung der Lateiniſchen Sprache/ jhre pronuntiatio,
und modulatio in Poëſi beruhet. Viel Teutſche
Woͤrter in der Griechiſchen und Lateiniſchen/ die
Mylius angemercket. Deren eine weit groͤſſere An-
zahl. Puteanus wird widerlegt. Der Etymolo-
gorum ſeltzame Einfaͤlle: kommen auß dieſer Unwiſ-
ſenheit. Varro hat etwas dennochgeſchen/ Caroli
du Freſne Zeugnuß. Ein groſſes iſt an den termi-
nationibus gelegen. Worin die idea der gantzen
Sprache verborgen. Man kan unter ihnen als Locis
Communibus eine gantze Sprache ordnen. Meinung
von dem Dictionaire General eines Frantzoͤſiſchen
Autoris, und Hr. Bechers Compendio Lexico in La-
teiniſcher Sprache. Franciſci Guieti ſonderlicher
Anſchlag von der Ableitung der Griechiſchen Woͤr-
ter è monoſyllabis.
DEr ander Grund in Ableitung der
Woͤrter kan hierin geſetzt wer-
den/ daß man die Einſilbi-
ge und von Conſonantibus gleichſahm zu-
ſammen gepreßte Woͤrter aͤlter halte als
andere/ von welchen die vielſylbigen und
Woll-
[81]von Vielſylbigen.
wollklingende herkommen/ ob zwar in ge-
wiſſen Fāllen dieſe Regul einige Exception
leidet. Es iſt der Natur gemāß/ daß
von den leichtern und einfāltigen Din-
gen/ man zu den ſchwerern und unbe-
kanten ſchreite/ wie auch in den Wiſſen-
ſchafften ſelbſt der Ariſtot. 5. Metaph. c. 1.
dieſen Weg vorſchreibet. Nun iſt wol
keine Sprache zufinden die mehr einſyl-
bige Woͤrter hat als eben die Teutſche/
ſo gar daß auch die Buchſtaben ſelbſt
nichts als ihren einfāltigen natuͤrlichen
Laut haben/ welche derohalben Scrieckius
von den Celten oder Teutſchen auff die Roͤ-
mer meint gekommen zu ſein. Simon
Stevinus rechnet 2170. Monoſyllaba in der
Teutſchen Sprache/ und hat hievon gar
ſinnreich und vernunfftig Goropius Beca-
bus l. 2. Hermathenæ philoſophiret/ der
billig hieruͤber nach zu leſen iſt. Bernardus à
Malincrot in ſeiner Diſſertatione Philolo-
gicâ de naturâ \& uſu literarum c. 27 er-
ſtrecket die Zahl uͤber dreytauſend. Man
findet auch daß die Oſci viel monoſyllaba
fgebraucht
[82]Das V. Cap. Einſylbige
gebraucht/ als Gau pro gaudio cœl pro cœ-
lo; do pro domo: dann die terminatio-
nes ſind/ wie die Sprachen beſſer außge-
arbeitet/ hinzu gekommen/ und haben die
Lateiner und Griechen mit zwiſchen ſchie-
bung einiger Vocalium und hinwegneh-
mung einiger Conſonantium den har ten
Klang der Woͤrter etwas gemiltert/ da-
mit in der Außſprach und hernach in dem
metro ſle gleichſam einen Abfall beke-
men/ und die lange und kurtze Sylben eine
richtige Maſſe gegen einander hātten.
Daher ſieht man/ daß in den flexionibus,
declinationibus und conjugationibus, die
Arten der Endigungen ſo vielfaͤltig meh-
rentheils zwey- und wol gar dreyſylbig/
und mit mehr kurtzen als langen vocali-
bus außgemeſſen ſein. Welches der gan-
tzen Sprache einen ſonderlichen rythmum
und numerum in der pronunciation und
in dem Metro Poëtico veruhrſachet: Wor-
nach zum theil die alte jetzo verlohrne
Muſic und modulation der Oden ſich ge-
richtet/ da hingegen in der Teutſchen
und
[83]von Vielſylbigen.
und faſt den meiſten Sprachen wegen der
kurtzen ein- und zweiſylbigen Woͤrter/
eine durchgehende gleichfoͤrmige Maaß/
die aber mehr der Natur gemāß/ in Acht
genom̃en wird. Ich kōnte hie einige hun-
dert Teutſcher und Niederteuttſcher Woͤr-
ter herſetzen; welche eben dieſelbige ſein/
die im Lateiniſchen und Griechiſchen ſich
ſinden/ nur daß ihre terminationes hin-
angehānget. Abraham Mylius in ſeinem
Buch de Antiquitate Linguæ Belgicæ hat
allein 200. Hollaͤndiſche Woͤrter gezehlet
die in der Lateiniſchen/ und noch ſo viel
die in der Griechiſchen ſich finden: er hat a-
ber nur die jenigen genommen die ihm
im erſten Anblick vorgekommen/ und ge-
ſtehet daß er noch eine viel groͤſſere An-
zahl derſelben liefern koͤnne. Common-
ſtrare tantum viam volui, ſagt er/ eamque
aliquatenus præire ad hanc jucundam ob-
ſervationem, tantum quæ ſponte ocur-
runt, non quæ quæſita ſunt, recenſui. Si
vis ipſe te oblectare his floribus, tranſi le-
xica, inprimis Græca, ab Alpha uſq; Omega
f 2pro-
[84]Das V. Cap. Einſylbige
promitto plenos calathos rerum bellarum.
Auch hat Kilianus in ſeinem Etymologico
Belgico beylāuffig einige Vergleichunge
der Woͤrter angeſtellet/ wie imgleichen
Sigismundus Gelenius in ſeinem Lexico
Symphoniaco, Andreas Helvvigius in ei-
nem ſonderlichen Buch/ Hadrianus Junius
Animad: l. 5. c. 6. ſolches von Teutſcher
und Hochteutſcher Sprache dargethan.
Es ſeyn aber beym Mylio nur die ken̄lichen
und nur auß der Hollaͤndiſchen Spra-
che allein angemerckt. Was koͤnte man
nicht eine Menge von alten Teutſchen/
Sāchſiſchen/ Gothiſchen/ Dāniſchen Woͤr-
tern hinzuthun/ darauff noch keiner je-
mahls gedacht hat? Diß erforderte aber
ein gantz vollſtāndiges Buch. Puteanus in
ſeiner Oratione 6. die er de facilitate Græ-
cæ linguæ geſchrieben/ hat weitlāufftig von
den Griechiſchſcheinenden Woͤrtern in der
Teutſchen und andern Sprachen gehan-
delt/ wodurch er der Griechiſchen Spra-
che weiten Begriff und Außſtreckung dar-
thun wil. Er iſt aber gāntzlich auff Irr-
wegen
[85]von Vielſylbigen.
wegen/ weñ er meinet durch dieſen Grund
zu erweiſen/ daß jemahls Griechen die
Oerter bewohnet/ oder ſie vor dieſem
Griechiſch geredet hātten. In Germania,
ſagt er/ non vocabula tantum, ſed loca
quamplurima nomenclaturam Græcam
reddunt. Nos verò Belgæ qui vicini \& affi-
nes, utita dicam, Germanis ſumus, annon
habuimus olim hanc linguam \& reliquias
hodiè retinemus? Dieſes ſagt Puteanus
und zwar als ein Orator, welcher bißwei-
len zu Behauptung ſeines Satzes/ alles
hervorſucht/ was die Sache warſchein-
lich machen kan. Es beweiſet aber die-
ſes im Gegentheil vielmehr/ daß die Grie-
chen von unſerer Sprache den Grund
ihrer Woͤrter empfangen/ weil ja auch
nicht durch einen Schein kan wahr ge-
macht werden/ daß wir von ihnen unſe-
re Sprache haben/ auch jemahls die ihrige
geredet. Was die vorangeregte bekante
Woͤrter anlanget/ ſo muß man ſich ver-
wundeꝛn/ wann man die Etymologias Gram-
maticorum hierüber anſiehet/ daß ſie bißhe-
f 3ro
[86]Das V. Cap. Einſylbige
ro ſo blind geweſen/ und ſo viel thoͤrichte al-
luſiones auff die Bahn gebracht/ da ſie
dem Wege gefolget/ darauff ſie Varro, Feſtus
und Iſidorus, die doch ſelbſt blind gewe-
ſen/ geleitet. Varro hat zwar etwas hier-
in geſehen/ aber nicht außfuͤhren koͤnnen/
welches ſeine Worte anzeigen l. 4. de L. L.
Non omnis impoſitio verborum extat, quod
vetuſtas quædam delevit, nec quæ extat
ſine mendo omnis impoſita, nec quæ re-
ctè eſt impoſita, certamanet. Multa enim
verba literis commutatis ſunt interpolata.
OMNIS ORIGO EST NOSTRÆ LIN-
GUÆ E VERNACULIS VERBIS, \& mul-
ta verba aliud nunc oſtendunt, aliud autem
ſignificabant. Ich erfreue mich auch/ daß
ich eben ſolche Gedancken bey dem Caro-
lo du Freſne in der Vorrede ſeines Gloſ-
ſarii gefunden/ da er von den Lateiniſchen
Etymologis dieſes Urtheil faͤllet:Qui apud
Græcos \& Latinos, ετυμολογικὴν tractarunt,
ab ipſamet Græcâ vel Latinâ linguâ origina-
tiones ſuas fere ſemper formarunt: tamet-
ſi non
[87]von Vielſylbigen.
ſi non inficias ierim eas interdum ab ex-
teris repetendas. Auch hat derſelbige Autor
gerahten wider alle andere/ daß man
die Origines ihrer Woͤrter in der Teut-
ſchen und Hollāndiſchen Sprache ſuchen
ſolte. Aber er thut es ſelbſten nicht wegen
der Unkunde in dieſer Sprache. Wann die
Endungen hinweg genommen werden/
ſo ſtehen die nackten Teutſchen Woͤrter da/
zum oͤfftern ohne die geringſte Ende-
rung/ bißweilen/ daß ein Vocalis in den
andern verwechſelt/ welches auch wol
in derſelben Sprache geſchicht. Solche
terminationes muͤſſen wol in acht genom-
men werden/ denn es hālt eine jegliche
Sprache hierin ihre Richtſchnur/ daß
nach gewiſſen Bedeutungen/ und nach dem
modo conceptuum de rebus ſie eingerichtet
werden: Wie ich dann davor halte/ daß der
Frantzoͤſiſche Autor von der Grammaire
General \& Raiſonnée, welcher ein Dictio-
naire General außzugeben verheiſſen/ und
Herr Joachim Becher/ welcher in ſei-
nem Methodo Didactica ſich ruͤhmet/ daß
f 4er
[88]Das V. Cap. Einſylbige
er alle Woͤrter der Lateiniſchen Sprache
auff einen Bogen Papier gebracht/ nach
der Eintheilung dieſer Endigungen/ die
Gedancken gerichtet. Denn ſie ſeyn gleich-
ſam die Characteres, dadurch die Beſchaf-
fenheit der Woͤrter außgedruͤcket wird.
In Lateiniſcher Sprache hat ſonſten ei-
ner JacobusEngelbrecht/ nach Anlei-
tung dieſer terminationum ein kleines Lexi-
con geſchrieben. Daß nun auf dieſe richtige
natuͤrliche Art die Woͤrter abzuleiten nie-
mand bißhero gekommen/ da ſo viel ver-
ſtāndige Leute hievon geſchrieben/ iſt bil-
lig verwunderns wehrt. Es ſcheinet aber
daß Franciſcus Guyetus ein vornehmer ge-
lahrter Frantzoſe und Criticus, deſſen An-
merckungen ūber des Terentii Comœdien
der Herr Bœclerus heraußgegeben/ in
dieſer Sache auff dem rechten Wege gewe-
ſen: Denn ſo ſchreibet Antonius Periander
in Vitâ Fr. Guyeti: Origines potisſimum
ſcrutabatur, ac Latinam novo \& ignoto an-
teà conſilio à Græcâ derivabat: in quâ etiam
primitiva omnia, unde cœtera deduceren-
tur
[99[89]]von Vielſylbigen
tur vocabula, eſſe monoſyllaba contendebat.
Hoc profundum ſtudii genus, cujus ante
ipſum nemini in mentem venerat totam vi-
tæ ejus ætatem occupavit. Sed cum in con-
ſortium hujus inventi neminem alium ad-
mitteret \& illius gloriam ſibi retinere, quam
pluribus communem facere mallet, nulli
copiam ejus fecit. Unde accidit ut poſt ex-
ceſſum ipſius nihil aliud ex tanto labore,
quam collectio vocabularum græcorum in-
digeſta planè ac informis reperta fuerit:
quæ viginti quinque cartaceis voluminibus
comprehenſa, quamvis eleganti charactere
ſcripta ſint, nullo tamen ordine diſpoſita, vix
in unum colligi potuerunt: cum præſertim
Autor nihil ſit præfatus, unde de inſtituti
ſui ratione, uſu \& arcanis, quæ tantopere
premebat, conſtare poſſet. Es iſt zu be-
klagen/ daß dieſes Mannes Arbeit verloh-
ren gegangen/ welche aber dennoch ohne
Beyhuͤlffe der Teutſchen Sprache unvoll-
kommen geweſen were. Es iſt aber diß an
ihm zu loben/ daß er den falſchen Weg ge-
ſehen/ und einen richtigern erwehlen wol-
f 5len.
[90]Das V. Einſylbige
len. Von der Griechiſchen Sprache hat
dieſes gleichfals angemercket Iſacus Vosſius
in ſeinem gelahrten Buche de Poëmatum
cantu \& viribus rythm. pag. 44. daß ſie
anfangs lauter monoſyllaba gehabt: Aſpe-
ram (ſagt er) ſcabram \& omnis dignitatis
\& elegantiæ expertem fuiſſe vel inde ſatis in-
telligas, quod vix alia quam monoſyllaba
priſcis temporibus habuit vocabula, ceu il-
la nomina eſſent, ceu verba. Neſciebant
inſuper ea in modos, tempora, perſonas,
\& caſus inflectere, denique quod in bar-
baris poſtmodum riſere, idem hoc in ſuis
agnovere majoribus. In nachfolgenden
ſagt er ferner. Hinc factum, ut verba quæ
prius erant monoſyllaba, fierent polyſyl-
laba, eademque vox ab una ad ſex vel ſe-
ptem nonnunquam excreſceret ſyllabas,
manente quidem priori ſignificatione, ſed
quaſi longi ſyrmatis appoſitione aliquam
ſibiacquirens majeſtatem. Und dieſes iſt e-
ben geweſen/ was Franciſcus Guyetus geſe-
hen/ und iſt ſolches das warhafftige Kenn-
zeichen/ daß ſie eine neue/ und von der alten
Bar-
[91]von vielſylbigen.
Barbariſchen oder Celtiſchen abgeleitete
Sprache ſey.
Das VI. Cap.
Von dem dritten Grunde der
Ableitung/ der Veraͤnderung
der Buchſtaben.
Einhalt.
VEraͤnderung der Buchſtabẽ. Gleichheit der Be-
deutung. Einige Exempel. Gleichheit der Woͤr-
ter iſt keine gewiſſe Anzeige der Ableitung. Die
ſind in einer Sprache offtmal vo verſchiedener Bedeu-
tungen. Exempel an dem Teutſchen Worte Mat.
Bedeutet (1) Speiſe. mats, matſa, matibalg, mæt,
mets, Matte/ Wieſe/ macta, matta, Matte/
Matten/ Mettwurſt/ mattia, mattiarii, Maͤtzcher/
mactare, mattar, maitan, ματτύα, μάζα, μάδδα,
mactea, mattici, mactra. Mathmas/ maithms,
παξαμάδιον, Backmatt/ Maiz, matha, maddik
Mat bedeutet (2.) einen der muͤd und ſchwach iſt.
Mattare, mattus, madidus, via matta, mattus,
triſtis, matt/ natt/ Schachmatt. Critici handhaben
die loca Autorumuͤbel. Schach, Rex, latro bey den
Teu[t]-
[92]Das VI. Cap. Von Veraͤndrung
Teutſchen. Skinnerus tadelt hieruͤber unbillig den
Spelmannum. Scacchum rapina, Sca hero,
Schaͤcher. Mat bedeutet (3.) Socium, Collegam.
Maca, gamaca, Maker/ metan, Moͤten: Mat/
bedeutet (4.) menſuram ein Maſſe/ Meten/ meti-
ri, meet, mes, meſa, menſa. Die Gleichheit
und Veraͤnderung der Woͤrter nach den Buchſta-
ben. Skinnerus wird gelobet. Lexica Harmonica
verſchiedener Autorum. Die Veraͤnderung iſt in
Teutſcher/ Italiaͤniſcher/ Frantzoͤſiſcher Sprach klaͤr-
lich zu ſehen. Exempel Frantzoͤſiſcher und Teutſcher
Woͤrter. Petri Caſanovæ Origines Gallicæ. Die Hoff-
ſprach in Franckreich iſt am meiſtẽ verdorben. Vocales
werden am meiſten geaͤndert/ nach der Gleichheit
und nach der natuͤrlichen Neigung des Landes. Die
Thiere ſelbſt haben einen angebohrnen Vocalem. Die
Conſonantes werden auch auff die Art veraͤndert.
Dieſe Veraͤnderung muß in eine Richtigket gebracht
werden. Exempel auß der Frantzoͤſiſchen/ Italiaͤ-
niſchen/ Spaniſchen Sprache. In dieſer letzten hat
Bernardus Aldrete ſeinen Fleiß erwieſen. Gemeine
Haupſaͤtze der Veraͤnderung in Buchſtaben. Deſ-
ſen Exempel werden angefuͤhret.
WIr ſchreiten zum dritten Haupt-
grunde/ und iſt derſelbe daß man
gar genau die Verānderung der
Vocalium und Conſonantium in acht neh-
me/
[93]der Buchſtaben.
me/ woran ein groſſes in den Derivationi-
bus der Woͤrter gelegen. Die allzu groſ-
ſe Gleichheit iſt viel verdāchtiger/ als wenn
einiger Unterſcheid in den Woͤrtern iſt:
Es were denn/ daß eine Gleichheit der Be-
deutung da ſey/ welches die erſte und
beſte Art der Etymologie iſt. So kan
ein jeglicher ſehen/ daß Puteus von Puͤt/
vermisvon Worm/vallumvon Wall/
discusvon Diſch/murusvon Muͤr/
habeovon habe/ Θϒ´Ρα von Thuͤr (da-
her das Lateiniſche obturare) ΜΕΤὰ von
Met oder Mit/ſcævusvon Scheff/
Α᾽ΙΣΧρὸς von Aiſch/Locusvon Lock/
hochteutſch Loch. (Denn das Griechi-
ſche ΛόΧος, davon Vosſius es herleitet/ iſt
daſſelbe/ und bedeutet einen Orth/ von
dem man jemand auff dem Wege auffpaſ-
ſet/ welches in der Teutſchen Sprache ein
Loch/ eine Hoͤle genandt wird: was
Loci muliebres heiſſen iſt auch bekant.) ΠϒΡ-
ϒος von Burg/ porcus von Borg/ im-
buovon Buͤe/ (Lixivium Procella) axis
von Art/Senſusvon Sinn/ (welches
letzte
[94]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
letzte Skinnerus meint von den Lateinern
auff die Teutſche gekommen zu ſeyn/ als
wañ dieſelbe nicht ehe ihre Sinne zu nen-
nen gewuſt/ oder dieſelbe gar gehabt hāt-
ten/ ehe die Roͤmer ſie es gelehret) und
viel andere von dergleichen Woͤrtern
herkommen. Die Gleichheit aber der
Woͤrter/ die im bloſſen Laut beſtehet/
machet keine Verwandſchafft unter
ſie/ wodurch ſich doch bißweilen gelehrte
Leute verfuͤhren laſſen. So finden ſich in
einer eintzigen Sprache Woͤrter/ die glei-
ches Lautes/ aber verſchieden von Be-
deutung und Uhrſprung ſeyn. In der
Teutſchen haben wir liegen/jacere, und
mentiri,arm/pauper \& brachium,wa-
gen/currus \& audere,küſſen/pulvinar
\& oſculari,Thor/ſtultus \& portaWand/
paries \& pannus, welche keine Gemein-
ſchafft zuſammen haben. Man kan deſſen
ein klārliches Exempel vor Augen ſtellen
in dem Teutſchen oder vielmehr Nieder-
teutſchen Worte Mat/ welches ſo
viel [Bedeutungen] hat/ die doch unter-
nicht
[95]der Buchſtaben.
einander keine Gemeinſchafft haben/ und
nicht von einander herkommen. Erſtlich
heiſſet Mat eine Speiſe/ davon noch in
dem Niederteutſchen viel Woͤrter zuſam-
men geſetzet werden: Mattfatt/
Mattkorff: in dem Dāniſchen iſt auch
dis Wort/ daher noch Gammelmad.
In dem alten Gothiſchen iſt Mats, davon
Matza veſci, und das Compoſitum Mati-
balg, Pera, ein Speiſeſack/ das bey den
Daͤnen Madpoſe/ welches vorkomt in
den Gothiſchen Evangelien Marc. 6, 8
Luc. 9, 3. wie auch Nathamat, Abendmahl-
zeit/ Undauknimat, Mittagsmahl: In
dem Engelſaͤchſiſchen iſt das Wort Mæt.
In dem Engelſchen Meat, in dem Cambro-
Britanniſchen Maeth, Nutrimentum. Indem
alten Fraͤnckiſchen iſt Mets Ferculin. Hie-
von iſt auch/ daß das Graß Matt genen-
net wird von den Bauren/ weil es dem
Vieh zur Speiſe dienet/ und nennet man
auch in dem Hochteutſchen/ die Wieſen
Matten/ wovon endlich der Nahme
der Decken kan entſtanden ſeyn/ die
man
[96]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
man in Latein uñ Teutſcher Sprache alſo
neñet/ weil ſie von Schilff und dergleichen
dingẽ/ die auf den Wieſen wachſen/ gemacht.
Cato hat auch herbam adultam mactam ge-
nennet. In Niederlaͤndiſcher und Fran-
tzoͤſiſcher Sprache wird auch matte ge-
nauvu was in der Milch kāſich iſt/ weil
es zur Speiſe gebraucht wird. Hievon
komt auch das Wort Mettwurſt/ in
unſer Sprache. Es ſeyn auch die Inteſtina
Matia genandt worden/ davon Papias die-
ſes: Mætia dicuntur inteſtina, quæ ſordes
emittunt, unde Matiarii dicuntur, qui ea
tractant ac vendunt. Sein unſere heutige
Maͤtſcher die hievon den Nahmen koͤn-
nen bekommen haben. Matia aber wer-
den die Inteſtina genant/ von der Speiſe die
darinnen verdeuet iſt. Das Wort
Maͤtſcher/ kan auch von dem Wort
Mat herkommen/ als ab objecto, weil
es eine Speiſe iſt: davon es hernach
auch bey den Opffern/ und von allem hin-
richten gebrauchet. Und komt mir ſehr
glāublich vor/ daß das Wort Mactare, und
bey
[97]der Buchſtaben.
bey den Italiaͤnern und Spaniern mattare,
pro occidere hievon entſproſſen. Ob ich
ſonſt wol weiß/ daß die alten Grammatici
andere Gedancken hievon haben/ davon
bey anderer Gelegenheit weitlaͤufftiger
kan geredet werden: es were dann/ daß
man daſſelbe von dem Gothiſchen Worte
maitan, conſcindere, præſecare herfuͤhren
wolle. Bey den Griechen hat man auch
dieſe Woͤrter ματτύα und μάζα, auch bey
den Hebreern ſelbſt mazon und matſah,
davon Athenæus Deipnoſ: lib. 4. \& 15.
Caſaubonus Animadverſ. in Athen. lib. 4. c.
13. zu ſehen iſt. Suidas bezeuget auch/ daß
die Megarenſer μάδδα vor μάζα geſagt. Bey
den Lateinern iſt das Wort mattea, ma-
ctea eben ſo wol gebrāuchlich. Sueton. in Ca-
ligula c. 38. Multis venenatas Macteas miſit.
Martialis gebraucht es auch libr. 10. Epigr. 59.
und in dem 92. Epigr. libr. 13. leſen etliche In-
ter quadrupedes mattya prima lepus. Beſie-
he Turneb: adverſ. 22. c. 6. Mattici wer-
den auch genandt die Vielfrāßige.
Beym Ariſtophane heiſt μάττειν ſo viel als
gfreſ-
[98]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
freſſen. Das Wort mactra, ein Gefaͤß/ darin
das Meel geknetet wird/ iſt auchhievon buͤr-
tig. Man hat auch das Græco-barbarum
παξαμάδιον, bedeutet ſo viel als panem re-
coctum, buccellatum, δίπυρον ἄρτον, Zwie-
back/ und daß es recht nach dem
Wort gegeben werde Backmat/ geba-
cken Brodt. Denn daß Suidas es von ei-
nem Paxamo, der von dieſem Brodt ge-
ſchrieben/ abfuͤhret/ komt mir faſt eben ſo
vor/ als weñ die jenigen/ die eines Volckes
Uhrſprung erforſchen/ einen Koͤnig
deſſelben Nahmens ertichten: oder wenn
die Naturkuͤndiger um eine natuͤrliche
Beſchaffenheit zu erweiſen/ ad qualitatem
occultam ihre Zuflucht nehmen. Es iſt
diß Wort ſo gemein faſt in allen Spra-
chen/ wie das Wort Mann/ daß ich da-
vor halte/ es ſey eines von den Stam-
woͤrtern der erſten Grundſprache: Und
ſcheinet das Indiſche Maiz auch hievon ge-
holet zu ſeyn. Ein altes Teutſches Wort
mathmas/ bedeutet die Geſchencke/ die
man Gāſtē und Freunden pflag zu ſchenken.
Xenia
[99]der Buchſtaben
Xenia nanten ſie die Lateiner/ ohn Zweiffel
darum/ weil es aller hand Speiſen anfangs
geweſen. Die Gothi nenneten es Maithms
davon Junius in Gloſſario Gothico p. 242. kan
geſehen werden. Das Gothiſche Wort
Matha, das Teutſche Maddick/ Made iſt
auchhievon/ bedeutet einen Wurm der vom
freſſen den Nahmen hat/ oder in der Speiſe
gezeuget wird. Dieſes ſey von der erſten
Bedeutung geſaget. Die ander iſt dieſe/
wenn das Wort Matt ſo viel iſt. als muͤ-
de/ ſchwach/ weich/ muͤrbe. Daß ſolches in
dieſer Bedeutung ein altes Lateiniſches
Wort ſey/ bezeuget Salmaſius in Flavii
Vop. vitâ Proculi Tyranni davon auch das
Wort mattare, welches ſo viel iſt/ als do-
mare, ſubigere \& macerare; auff Teutſch
abmatten/ daher matto hernach bey den
Italiaͤnern per Metaphoram einen Melan-
coliſchen oder Narꝛen bedeutet. Iſidorus in
Gloſſis: mattum eſt, humectum eſt, emol-
litum, infectum. Es fuͤhret Salmaſius ei-
nen Ort auß dem Cicerone ad Atticum
lib. 16. epiſt. 12. an/ woſelbſt in allen MStis
g 2be-
[100]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
beſtaͤndig geleſen wird/ longulum ſanè iter,
\& via matta i. e. lutoſa andere leſen hie in-
epta: auß welchem Exempel/ und dem obi-
gen des Martialis von dem Worte Mat-
tya zu ſehen/ wie bißweilen von den Criticis
die loca autorum gehandhabet/ und die
guten alten den Teutſchen gleichlautende
Woͤrter/ als verdāchtige außgemuſtert
werden/ denen man Glauben geben wuͤrde;
wann nicht die alten Gloſſaria dieſe Woͤrter
erhalten hātten Es heiſt auch mattus ſo viel
als triſtis bey den Lateinern/ welches Turne-
bus in ſeinen adverſariis auß einigen alten
Gloſſis beweiſet/ und wil Salmaſius von dem
Griechiſchen μάττω pinſo, ſubigo, μακτὸς ſuba-
ctus, emollitus herfuͤhren; Da es denn auff
die erſte Bedeutung wieder verfallen wuͤr-
de. Ichduͤrffte ſchier ſagen daß das Lateini-
ſche madere und madidus hievon ſey/ denn
Mattus und madidus iſt wenig unterſchie-
den: Es koͤnte auch einer das Teutſche
Wort natt und dieſes matt vor eines
halten/ wie Salmaſius in Flavii Vopiſci
Vitâ Divi Aureliani das Lateiniſche matta,
wel-
[101]der Buchſtaben.
welches eine Decke bedeutet/ und das
Frantzoͤſiſche Natte vor eines haͤlt. Das
Wort Schachmatt in dem Schach-
ſpiel/ koͤmt von eben dieſem Urſprung/
wiewol es Menagius in ſeinen Originibus
Gallicis von dem Perſiſchen Wort Scach,
Rex und Mata, mortuus eſt herfuͤhret. Es
iſt aber das Perſiſche Mata eben auch un-
ſer Teutſches/ und das alte Frantzoͤſi-
ſche Matter, Emmattir, das alte Engliſche
Amate, wovon Skinnerus zu ſehen/ wie
imgleichen das Wort Schach; welches her-
nach bey den Teutſchen latronem bedeu-
tet/ weiln vor Alters die Rāuberey eine
Handthierung groſſer Herrn geweſen/ als
wie das Wort Tyrannus in uͤblen Beruff
gekommen. Ich muß hier beylāuffig er-
wehnen/ daß Skinnerus in voce Check-ma-
te den Spelmannum uͤber dieſe Worte un-
billig tadele: Vocem Schach (ſagt er) in
hoc ſenſu (Latrocinii ſc.) nec audiſſe nec
legiſſe memini, nec hucuſque in ullo Di-
ctionario occurrit: Worauß man ſehen
kan/ was von ſeinen Etymologiis zu hof-
g 3ſen/
[102]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
fen/ da er in ſo bekanten Dingen fehlet:
Er haͤtte nur die leges Longobardorum
lib. 2. tit. 55. l. 37. anſehen ſollen woſelbſt
de furto \& ſcacho gehandelt wird/ welches
letztere rapinam, latrocinium bedeutet. Bey
den Otfridolib. 2. Evangel. cap. 11. wird die
Moͤrder-Grube genant icahero luage,
und lib. 4. c. 27. 31. die mit Chriſto gecreu-
tzigte Moͤrder Scahero. Lutherus nennet
ſie gleichfals Schaͤcher. Hievon koͤmt
auch noch das Niederlāndiſche Wort Ont-
ſchaecken, entfuͤhren; von welchen Wor-
ten kan geleſen werden Antonius Matthæi de
Criminibusad lib. 48. Dig. Tit. 4. cap. 4. §. 7.
Zum drittē bedeutet das Wortes Mat in
Niederteutſcher und Engliſcher Sprache ſo
viel als ſocium, Collegam, es wird aber der
Vocalis (a) etwas länger außgeſprochen.
Franc. Junius fuͤhret es her von dem Grie-
chiſchen με [...]: aber dieſes iſt das Teutſche
met oder mit. In der Engelſaͤchſiſchen iſt
das Wort Maca, Gemaca Æqualis, Socius
auch in dem Niederlaͤndiſchen das Wort
Maecker/ welches aber vor ein
beſonders Wort halte/, und von die-
ſem
[103]der Buchſtaben.
ſem Matunterſchieden. Skinnerus fuͤh-
ret es von dem Engelſaͤchſiſchen Worte
Metan, occurrere, convenire. Wovon
noch das Niederlāndiſche gemoet: te
gemoet komen/ und in dem Nieder-
ſaͤchſiſchen moͤten/ bemoͤten/ das iſt
begegnen: welches ich dahin geſtellet ſeyn
laſſe. Zum vierdten bedeutet das Wort
Mat/menſuram. Von Meten/ komt
metior, und viel andere in der Lateini-
ſchen Sprache/ welches kuͤrtze halben je-
tzo vorbey gehe. Es iſt auch das Wort
Meet, aptus, idoneus, decorus (gleich als
abgemeſſen) bey den Engellāndern die-
ſem verwandt/ auch das Gothiſche Wort
Mes/ das Engelſāchſiſche Meſa, patina,
diſcus. Wovon das Lateiniſche Wort
Meſa, und hernach Menſa gemacht/ dañ
es bezeugt Varro, daß das (N) zwi-
ſchen geſchoben. Die Urſache dieſer Ab-
leitung iſt leicht zu ſehen/ weil nemlich
eine gewiſſe Maaß/ ſo wol an den Gefaͤſ-
ſen/ als an dem Tiſche in acht genommen.
Aus dieſem eintzigen Wort iſt nun zu er-
g 4ſehen
[104]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
ehen/ wie nicht die Gleichheit der Woͤrter
allein muͤſſe angeſehen werden. Denn
allhie viererley Hauptbedeutungen dieſes
eintzigen Wortes ſeyn: Welche
mit einander keine Gemeinſchafft haben.
Und ob zwar durch einige Umbſchweif-
fe dieſelben kōnten vereiniget werden/ ſo
iſt doch glaublicher/ daß dieſe gleichlau-
tende/ doch verſchiedene Stammwoͤrter
ſeyn Es kan auch kommen daß in fremb-
den Sprachen bißweilen Woͤrter vorkom-
men gleiches Lautes und Bedeutung bloß
von ungefehr/ darauß ſo fort nicht zu
ſchlieſſen/ es komme dieſes Volck oder dieſe
Sprache von dem andern her. Wie dann
dieſes ein ſehr ſchwacher Grund iſt/ dar-
auff Hornius zum Theil den Urſprung der
Americaner bauet/ in dem er von Phœni-
cieꝛn/ Scythen/ Tuͤrcken/ Tartern und an-
dern Voͤlckern einige Woͤrter bey den A-
mer icanern angemerckt/ und darauß die
Ankunfft von ihnen ſchlieſſen will. Iſt al-
ſo auff Gleichheit nicht ſo ſehr zu ſehen/
als auff die Verānderung die in den Woͤr-
tern
[105]der Buchſtaben.
tern vorfāllt. Hier kan nun gar wol ei-
ne gewiſſe Richtigkeit getroffen nnd feſte
Regulen auß inſtaͤndiger Obſervation ge-
zogen werden. Wie denn in der Lateini-
ſchē Sprache die alten Grammatici, und am
vollkom̃enſten Voſſius in ſeinem Tractat de
permutatione literarum gethan/ unddavon
etwas zu ſchreiben verheiſſen hat Scheffe-
rus in Upſalia antiqua c. 1. welches aber nicht
ans Tages Licht gekommen. In den
andern Sprachen hat eine nuͤtzliche Ar-
beit in dieſem Stuͤcke verrichtet Skinnerus
in Prolegominis Lexici ſui Etymologici:
Worin er auß dem Parallelismo ſo vie-
ler Dialectorum gar eigentlich und genau
die Verānderungen auffgezeichnet. Die-
ſe Gleichheit und Verānderung in den
Woͤrtern recht zu erforſchen giebt Tho-
mas Hayme in ſeinem Buch de cognatiane
linguarum poſit. 9. den raht/ daß man Lexi-
ca Harmonica auß allen Sprachen machen
ſolle/ und haben auch ſolches Cruciger,
Gelenius, Nirmutanus gethan. Aber es
g 5klagen
[106]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
klagen die Autores ſelber uͤber deren Un-
vollkommenheit/ und ihrem Unvermoͤ-
gen. Welches nicht zu verwundern/ weil
ſie keinen gewiſſen Reguln und Grūnden
folgen/ und mit vielen falſchen præjudici-
is beladen. Es hat auch ein Engelānder
Gulielmus Lamplugh eine ſolche Arbeit
verfertiget/ welche noch geſchrieben in
Bibliothecâ Oxonienſi verwahret wird/
und Thomas Hayne in vorerwehn-
tem Buche p. 46. ſehr ruͤhmet. Wir
haben in der eintzigen Teutſchen Spra-
che dieſelbe von Zeiten zu Zeiten und in
den Dialectis vor Augen/ wie ſolte denn die-
ſes nicht geſchehen/ wañ von einem Volck
auff das andere die Woͤrter verſetzet wer-
den? Der vortrefliche Peireſcius (wie
Gaſſendus in ſeinem Vitâ p. 196. erzeh-
let.) hat uͤber die ſo ſehr verānderte
Nahmen der Fluͤſſe ſeine Gedancken/
die doch ohnſtreitig von einander her-
kommen/ und wuͤnſchet daß Schrieckius
und Becanus ihren Fleiß hierin ange-
wandt hātten. Man ſehe nur die Nah-
men/
[107]der Buchſtaben.
men Petrus, Joanns, Jacobus, \&c. an/
wie ſie in allen Sprachen umbgekehret
und verwandelt werden. In der jetzigen
Frantzoͤſiſchen Sprache haben wir ſo wol
an denen Einheimiſchen/ als von den Teut-
ſchen entlehneten Woͤrtern vielfaͤltige Ex-
empel. Daß ich von dieſen letzten etwas
ſage/ wer ſolte meinen/ daß Eſcreviße
(lorica)Krebs/Esquif,Schiff/Alesne
Ale(ſubula) Boulevert,Bollwerck/
(creiche,Krippe/Eſchevin,Schoͤpffe/
(Genus Magiſtratus,) Feu,Feur/Gaule,
Gabel/Lagette,Lade/Eſprevier,
Sperber/Esſieu,Ax/ an dem Wagen/
Eltrieu,Stegreiff/Guiſe,Wiſe/ Wei-
ſe/Houſeaux,Hoſen/Querquois,Koͤ-
cher/Quille,Kegel/Reſne,Rieme/
Roſeau,Rohr/Sergeant,Scherge/
chagrigner,grimmen/ einerley Woͤrter
weren? welches ein Teutſcher zwar ſehen
kan/ aber keine Frantzoſen/ die viel thoͤ-
richte Einfaͤlle von dem Uhrſprung der-
ſelben haben/ die deßhalben mit rech-
te von Barth. Adverſarior,lib. 13. cap. 4.
ge-
[108]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
getadelt werden/ welcher mehr derſelben
an dem Ohrte anfuͤhret. Es iſt auch
faſt nicht muͤglich daß ein Frantzoſe/ der
anderer Sprachen unkuͤndig iſt/ hierin et-
was gruͤndliches verrichten koͤnne/ wie-
wol Bernardus Medonius in Vita Petri Ca-
ſanovæ, ſo er an den Nicolaum Heinſium
geſchrieben/ uns verſichern wil/ daß dieſer
gelehrte Mann ein vollſtāndiges Werck
Originum Linguæ Gallicæ unterhanden
gehabt/ darin dieſelbe gruͤndlich außge-
fuͤhret: auch Menagius in der Vorrede
ſeiner Orginum es bezeuget/ daß ihm ſol-
ches nicht bekant geweſen/ wolte ſonſten
von ſeiner Arbeit abgeſtanden ſeyn/ und
dieſem den Vorzug gelaſſen haben. Ich
glaͤube aber daß er/ ob wol ſonſt ein ver-
ſtaͤndiger Mann; auch hierinnen nicht
gluͤcklicher als Menagius wuͤrde geweſen
ſeyn. Es bezeuget Beſnier in dem vor-
hin erwehntem Buche/ von der Frantzoͤ-
ſiſchen Sprache/ daß das alte Frantzoͤ-
ſiſche/ welches noch geredet wird in der
Provence, Languedoc und Picardie viel-
weniger
[109]der Buchſtaben.
weniger veꝛdoꝛben/ uñ von dem Urſprung
entfernet/ dann die Hoffſprache/ weiche je
mehr ſie außgeputzet/ deſto mehr ſie von ih-
rem Anfang abweichet/ und durch die Ver-
aͤnderung der Vocaliũ, harten conſonanten,
pronunciation, uñ durch ſo viele Ableitunge
der Bedeutunge ihr ſelber gantz unehnlich
wird. Dieſes iſt nicht allein von dieſer
Sprache/ ſondeꝛn von allen wahr. Von der
Lateiniſchen ſagt Quintilianus l. 9. Inſt. Orat.
Si antiquum noſtro ſermonem compare-
mus, pene quicquid jam loquimur figura eſt.
Es folget aber dieſes hierauß/ daß in den
derivationibus man dieſen Weg wieder
zu ruͤcke gehen muͤſſe/ und die Veraͤn-
derung von Zeiten zu Zeiten mercken.
Welche nicht auff einmahl ſondern
Stupffenweiſe geſchehen. In den Woͤr-
tern iſt nichts veraͤnderlicher/ als die Vo-
cales, welche ob ſie zwar die Seele der-
ſelben ſeyn/ und ohne ſie nicht koͤnnen
außgeſprochen werden/ ſo bleiben ſie
doch bey den Orientalibus als ein prin-
cipium ideale, und worauff die Ver-
nunfft
[110]Das IV. Cap. Von Veraͤnderung
nunfft ihre meiſte Wirckung hat/ ſchier
in den Gedancken beſchloſſen/ und wer-
den unter den Conſonantibus verſtan-
den/ weßhalben bey ihnen auch ohne
ſonderliche Muͤhe/ von Jugend auff die
Woͤrter auff ſolche ahrt faſt fertiger
geleſen werden/ als wann bey uns die
Vocales dazwiſchen geſetzet ſeyn. Nach
dem nun ein Vocalis dem andern an dem
laut nāher komt/ oder einem jeglichen
Volck nach ſeiner Landes arth/ ein na-
tuͤrlicher Ton/ der aus der conforma-
tione organorum, oder auß einem gehei-
men principio impreſſionum mentalium
herflieſſet/ eingepflantzet iſt: So wer-
den die Woͤrter nothwendig nicht allein
in frembden Sprachen/ ſondern auch
in den Dialectis von einer Sprachen
verāndert. Zumahlen/ da die Vocales
unter ſich keinen groͤſſern Unterſcheid ha-
ben/ als nachdem einer den Mund en-
ger oder weiter auffthut. Ja es ſchei-
net faſt/ daß auch die Natur etwas deß-
gleichen in die Unvernuͤnfftige Thiere
gele-
[111]der Buchſtaben.
geleget/ und auff einen gewiſſen Voca-
lem oder Diphthongum ihre Stimme
gleichſam gegruͤndet ſey/ welcher zum
theil auch in den Woͤrtern zu finden/
womit man ihre Stimme zu bezeichnen
pflegt/ auch in einem jeglichem Thiere
dieſelbige auff einen Vocalem ſich gruͤn-
dende Stim̃e nach gewiſſer außdruͤckung
ihres Verlangẽs in verwandte Vocales ge-
āndert werde. Ein Schwabe und Spani-
er veraͤndern alles in ein a oder o, ein Hol-
lander und Frantzoſe lieben die gelinde Vo-
cales. Die Conſonantes werden auch in ein-
ander verwandelt/ nachdem ſie ihnen un-
tereinander verwandt/ oder von einem or-
gano gebildet werden/ und den Voͤlckern
ſie angebohren ſeyn/ wie denn eine
jegliche Sprache ihre eigene Conſonan-
tes hat/ welche ſie vor allen andern be-
liebet. Bey etlichen Voͤlckern/ die auff
den Wollaut viel geben/ oder præcipi-
tant in reden ſeyn/ wird man eine groſſe
irregularitaͤt in den Veraͤnderungen
finden. Wie bey den Frantzoſen/ wel-
che
[112]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
che gantze Conſonantes wegwerffen/ ver-
ſetzen/ von einander trennen/ neue
hinein ſchieben. Dieſe Verānderun-
gen muͤſſen ſo viel moͤglich in eine Rich-
tigkeit gebracht werden/ welches end-
lich wol geſchehen kan. Die Stuffen
dieſer Verānderung koͤnnen nicht beſ-
ſer in acht genommen werden/ als in
der heutigen Italiāniſchen/ Spaniſchen
und Frantzoͤſiſchen Sprache. Denn
weil dieſelbe/ zum theil aus dem Latei-
niſchen entſproſſen/ ſo ſiehet man wie
die Vocales und Conſonantes ſich ver-
wechſelt haben. In der Frantzoͤſi-
ſchen und Italiāniſchen hat diß Mena-
gius gewieſen. In Spaniſcher hat es mit
ſonderlichem Fleiß außgefuͤhret Bernardus
Aldrete Canonicus Cordubenſis, ein
gelahrter Mann/ von welchem Nicolaus
Antonius in ſeiner Bibliotheca Hiſpanica
diß ſonderliche angemercket/ daß er
ſeinem Bruder Joſepho ſo āhnlich gewe-
ſen/ daß ſie nicht als durch den Geruch
haben koͤnnen von einander geſchieden
wer-
[113]der Buchſtaben.
den. Dieſer hat in ſeinem Buch dell ori-
gen della Lengua Caſtellana lib. 2. faſt durch
die 12. Capita weitlāufftig und mit Exem-
peln die Verānderung in allen Buchſta-
ben vorgeſtellet: Und dabey auch einige
Regiſter von heutigen und alten Woͤrtern
gegeben/ welche auß dem Griechiſchen/ La-
teiniſchen und Arabiſchen ꝛc. in die Spa-
niſche Sprache gekommen. Dabey aber
viel zu erinnern/ weil er die Celtiſchen Woͤr-
ter von den rechten frembden/ als der
Teutſchen Sprach unerfahren nicht zu
unterſcheiden gewuſt Es hat auch Chri-
ſtianus Nirmutanus in ſeinem Dictionario
Harmonico viel Reguln gegeben von Ver-
ānderung der Woͤrter auß dem Griechi-
ſchen in der Lateiniſchen/ und auß dieſer in
der Frantzoͤſiſchen und Italiāniſchen
Sprache/ und mehrentheils auß ihm Tho-
mas Hayme in ſeinem Buch de cognation[e]
Linguarum poſit 8. Es beſtehet dieſe Ver-
ānderung der Buchſtaben in vier Stuͤcken:
im Zuſatz/ Abzug/ Verſetzung/ und Ver-
wechſelung derſelben. Der Zuſatz iſt ent-
hwerde
[114]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
weder im Anfang des Worts/ wird von
den Grammaticis genant Proſtheſis, in der
Mitten deſſelben/ iſt Epentheſis, am Ende/
iſt Paragoge. Der Abzug im Anfang des
Worts iſt Aphæreſis, in der Mitten iſt Ec-
thlipſis, am Ende iſt Apocope. Es kommen
auch in etlichen Woͤrtern viele derſelben
zuſammen. Von jeglichen koͤnten viel
Exempel beygebracht werden/ wen es die-
ſes Orths were. Nur etliche wenige
anzufuͤhren/ ſo ſeyn Exempla proſtheſeos
dieſe. Than in der Gothiſchen Sprache
cum, bey den Griechen ὅΤΑΝ. Got/ gut/
ἀΓΑΘὸς: koſt/ ἀΚΟΣΤὴ. Sterr bey den Nie-
derlāndern (Stella) ἀΣΤΗ`Ρ. Roͤthe/
[...]ΡΕϒΘος Nahm/ ὄΝΟΜα Riven/ reiben
τΡΙΒΕΙΝ. Kant (ein Niederlāndiſch
Wort) bedeutet eine Spitze/ ἄΚΑΝΘος
ſpina.Raicken/ reichen/reichan, (Goth.)
ὀΡΕΓΕΙΝ die Hand außrecken: wie/(Belg.)
qVI. \&c. Exempla Epentheſeos ſein: Art/
ΑΡεΤὴ. Gems/ ΚΕΜἀΣ oder wie es He-
ſychius außſpricht ΚΕΜΜὰΣ (welches etli-
che gar laͤcherlich von κειμάω herſuͤhren/
da
[115]der Buchſtaben.
da es daſſelbe Teutſche Wort iſt) Hembd/
ΙΜάΤιον. Kron/CoRONa.Kouten(Bel-
gica vox) ΚΩΤΤίλλΕιΝ. Salben ΑΛειφΕΙΝ.
Zur Paragoge gehoͤren faſt alle Griechiſche
und Lateiniſche Woͤrter/ ſo von den Cel-
tiſchen gebildet/ deren faſt kein eintziges iſt/
dem ſie nicht eine ſonderliche termination
angehenget. Zum Exempel ſind dieſe.
das alte Scythiſche Wort A/ Aa/ wel-
ches auch unter den von Lipſio angefuͤhr-
tẽ Teutſchen iſt/ bedeutet Waſſer/ auch noch
heutiges Tages bey den Schweden. Da-
von iſt das Teutſche Wort Au/ das
Frantzoͤſiſche Eau, das Lateiniſche Acua,
und hernach Aqua gemacht. Von dieſen
kommen viel andere Woͤrter ſo wol im
Teutſchen als Lateiniſchen her/ Sal, al, Al-
bis, Æl, Sau, (Fluvius Pannoniæ) Salm
ahl, \&c. wovon weitlaͤufftig Schefferus kan
nachgeſehen werden/ libr. de Upſaliâ antiq.
cap. 1. So iſt das Scythiſche und Runi-
ſche Wort Ay, Æf, davon ἀιὼν, Ævum,ewig.
Da iſt bey den Teutſchen das Wort Beyl/
bey den Griechen ΠΕΛεκὸς: AarARiſta[,]
h 2UN
[116]Das VI. Cap Von Veraͤnderung
Unn (Goth. Aqua) UNda bey den Latei-
nern/ auch bey den Teutſchen iſt Unde ge-
braͤuchlich. Welches im Lobwaſſer. Pſ.
51. noch gefunden wird/ Loͤſch die auß
mit deiner Gnaden Unden.Aphæreſis
iſt in dieſen Woͤrtern Schwelle ΒΗΛὸς
Saltz ἍΛΣ. Gans (Ganza beym Plinio)
ANSer.Stiur/(Gothis Vitulus)Stier/
Germanis, Tiur, Danis, TAURus.Gruß/
RUdUS,Schnur/NURus,Schliem/
Leem/LIMus,Schwerẽ/Gothicè, Svva-
ran,Schwur/JURare.Haat/ ἌΤη,
Grau/RAVus color. (vide Laurenberg in
Antiquario) Saman (Goth.)tſamen/ ἍΜΑ
\&c. Von der Ecthlipſi und Apocope ſein we-
nig Exempel[:] weil den Celtiſchen Woͤrtern/
die ohn dem kurtz und mebrentheils ein-
ſylbig nicht viel kan abgenommen werden.
Von der Verſetzung ſein mehr/ uñ von der
Verwechſelung die meiſten zu finden. Das
Griechiſche Wort ἄνταρ, weches Heſychi-
us hat/ und einen Adler bedeutet/ iſt das
verſetzte Wort Arendt. Das Wort Terra,
iſt das verſetzte Teutſche Wort Erd. Es
ſein
[117]der Buchſtaben.
ſein lauter thoͤrichte Einfālle/ daß etliche
das Wort von Terendo herfuͤhren: und
iſt die Verſetzung keiner andern Urſach/ als
des Wollauts halber geſchehen: denn vor
dem iſt das rechte Teutſche Wort erda bey
den Lateinern im Gebrauch geweſen/ wel-
ches Scaliger noch in denen ſo genan-
ten Primis Scaligeranis, die der Tanaquil
Faber herauß gegeben p. 80. angezeichnet.
Es hat aber ſo viel als Stercus bedeutet/ da-
von homerda, bucerda, mucerda, hominis,
bovis, muris ſtercus genant werden. Die-
ſes Wort iſtfaſt in allen Sprachen: earth,
hertha, airta, aerde, Græcis ἔρα, He-
bræis arez. In der alten Runiſchen
Sprache iſt das Wort Ar, bedeutet an-
nuum terræ proventum, daher das Lateini-
ſche/ arare, aratrum. Die Lateiner nen-
nen einen Jagt-Hund Vertagum, welches
Wort auß dem Niederlāndiſchen Veltrag-
ge gemacht, per abjectionem τοῦ (l) \& με-
τάϑεσιν τοῦ (r) wie ſolches Vlitius in ſeinem
Commentario ad Gratiani Cyneget: verſ.
203. weitlaͤufftig und mit vielen angefuͤhr-
h 3ten
[118]Das VI. Cap. Von Veraͤnderung
ten Zeugniſſen beweiſet. Denn Ragge,
bedeutet einen Hund/ und iſt das Wort
Veltraus noch in Legibus Burgundionum zu
findē So iſt auch das Wort sTER Cus das
Teutſche Dreckper μέταϑεσιν. ΦΙΛὸς, Lief/
DORMireDromen uñ andere mehr. Die
Verwechſelung der Buchſtaben iſt man-
nigfaltig/ in vocalibus, diphthongis, und
conſonantibus, wovon einige abſonder-
liche Reguln muͤſſen in Acht genommen
werden/ von welchen zu handeln hie viel
zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde. Zum Exem-
pelſein dieſe: HORTus,Gart/ Jord/HE-
STERNus,Geſtern/HOSTis,Gaſt/
HOEDus,Geit/ Hoͤcken/ denn die ad-
ſpirationes werden leicht alſo verwandelt/
wie Aagardus in ſeinem Buch de diagam-
ma vielfaͤltig erwieſen. GRANum,Korn/
Karn/ Kern/FLOS,bloͤſſen/FLAre,
blaſen/CURRus,Karn.mitzdo (Gothi-
cè) μισϑὸς, merces. APER,Eber/PORCus,
Borg/ ϓΣ, Sus,Su/ Sau/MA-
CER,mager/ ΚίΧΛΗ, (Turdus)Kuͤch-
lein.PISCis,Fiſch/ Fiſk (thoͤricht iſt
wann
[119]der Buchſtaben.
wann die Grammatici das Wort von pa-
ſcere, oder πἰειν herführen) NATRix,Na-
dr/ Natter/ Adder.MEL, Melith
(Gothic.) ΒΡΑΣΚω, Braſſe/ ΒΡΩΤὸν,
Brot/ ΣΑΤΤω, ſaͤtrige/ ΒΟΡὰ Foder
Voer/JUS,Jüch/PIRus,Birn/
Belgis pir, (Voſſius wil es von dem Grichi-
ſchen πῦρ herfuͤhren) RAPa,Kuͤbe/Belg,
rape.POMusBoom/ (dann wie das
Wort Pomum allerley Fruͤchte bedeutet/
ſo kan auch Pomus allerley Baͤume be-
deutet haben/ wie bey den Griechen ΔΡϒΣ
eine Eiche/ bey den Gothis Trui, bey den
Engellaͤndern Tree einen jeglichen Baum
bedeutet.) NUX,Nutt Nuß (von
welchem Woꝛt Varro ſeltzame Traͤume hat)
GRAmen,Graß/ Groͤen to grew/(An-
glis) iſt eines mit dem Lateiniſchen creſcere.
ΛΕΓω λεγομαι, (cubare facio, cubo.)ick leg-
ge/ ligge. Wovon viel andere Woͤrter
λαγρὸς, λαγρὸν, lager/ λέκτρον, lectus, λο-
γεῖον, Logies, Loggi. λήγειν, (ceſſare)ſich
legen. λέγαι γυναῖκες Archilocho, mulieres
libidinoſæ, (een leeg Wyf) ΛΕΓω (dico)
h 4ick
[120]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
ick leege/ λόγοι, luͤgen loͤgens(Belg.)
SCUTum,een Skuͤtt/ beſkuͤtten/
ORIri, ORigo,Ur/ Urſprunck/Lux,lys
(Suec,)Licht/Cambro-Britanni, Llug. An-
gli Luk videre, FRIgus,Frieſt/(Dan.)
frieren/ ΝΤΞ, ΝΤΧΘη. Nox,Nacht/
neight/(Angl.) und viel andere in groſſer
Menge/ davon alhie weitlaͤufftiger nicht
kan geredet werden. Esſeyn viel abſonder-
liche Reguln/ wegen dieſer Veraͤnderung:
aber wir wollen die vollſtaͤndige und
gruͤndliche Außfuͤhrung dieſer Sachen
auff eine bequemere Gelegenheit verſparẽ.
Das VII. Cap.
Gleichheit der Griechiſchen uñ
Lateiniſchen Woͤrter mit den Teutſchen/
wird mit dem Exempel der Benennungen
erwieſen/ die von dem Menſchen und deſſen Thei-
len genommen.
Einhalt.
DIe Gleichheit der Griechiſchen und Lateini-
ſchen mit den Teutſchen Woͤrtern wird als
zum
[121]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
zum Exempel an dem Menſchen und den Be[n]ennun-
gen ſeiner Glieder gezeigt. Homo iſt nicht von ὁμοῦ,
humus, oder [...] ſondern von dem teutſchen Man.
Mon. Hemon, Hemoni s Lucumon, lugemon, præfe-
ctus. Mani bey dẽ Einwohnern des Reichs Congi. Go-
ropii Becani ſonderliche cabala des Worts Man.
Mannus ein Koͤnig der Teutſchen. Rudbeckii mei-
nung hievon. I. C. Scaligeri ſonderliche Betrach-
tung uͤber daß teutſche Wort Man. Das Griechi-
ſche Μάνης, mannus, μάννος, monile. Man Mon
eine Jungfer/ Wyfman, Wimman, Wom[a]n, fe-
mina. Menſch. Mas. Vir, Wer, Ver, Wayr, Fir-
than, Wirth. Weerd/ Vaer, Var, Ber, Baro, Baur,
Bur, Por, Puer, Πορ. γυνὴ, cwen, quena, quind,
Kun/ Kone. Cynne (Genus) Cennan, Acennan
generare Kind. geno, gigno, γείνομα [...] γεννά [...].
Wino, Win, Wen, Venus, Wina, Winia, Volcwin,
Amicus populi, nicht victor populi, wie Voſ-
fius wil/ lebwin. Venus iſt eine fremde Goͤttin bey
den Roͤmern geweſen/ wie auch der Nahme. Var-
ronis und Macrobii Zeugnuͤß. Venus iſt bey den Nor-
diſchen Voͤlckern als eine Goͤttin geachtet. Von ih-
nen iſt viel des Goͤtzenweſens nach Orient gekommen.
Vinulus βήνα, βάνα, βινέω bini. Μαγα Maja
Moye/ Maid, Magd/ Senex, Sineigs (Gothic.)
Volgus Volck/ ϑ [...]λυ thoͤle. Κεφάλη, Kop/ Kopf/
Haupt/ hapt/ head, Oculus, Og/ Specera, Spi
h 5aus
[122]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
ausſpaͤhen/ ſpock/ ſpecies, auris Ohr. [...]ῖν, rinn
naſus, νῆσος bedeutet in translato ſenſu bey den Grie-
chen promontorium, Kimmernaͤß. Promontorium
wird bey den Griechen γλῶσσα genant. ſkiaͤren χ [...]-
ρὸς (littus) Σχέρα Inſul bey den Griechen. Scheer
χεῖρ. Hand/ hendo, hande/ prehendo. Hentan.
Maugon Maxilla, Mandibula, Mando, Mentum,
Mund Mant, Munch. ἒϑειρα, het hair (Belgicè)
capillus. ὄυλα Wulle. Ὀυλοκέφαλος, Wull-
kopf. Es werden viel dergleichen Woͤrter mehr er-
zehlet. Lacryma, dacruma. δάκρυον. Cambro-
brittannis Daigr, Gothis Tagr, Anglo-Saxonibus
Tear, Zaher/ Zaͤhr. Traen/ Thraͤn/ ϑρῆνος.
Mens, von Meenen, ein alt lateiniſch Wort Meno,
Mind. \&c. Schluß des erſten Theils.
NAchdem wir der Teutſchen Spra-
che Alterthum hierauß erwieſen/
baß die Griechiſche und Lateiniſche
zum theil ihren Uhrſprung von ihr genom-
men/ ſo ſolte uns nun obliegen/ ſolches mit
mehren Exempeln darzuthun und zube-
kraͤfftigen. Weiln aber dieſe Arbeit viel
weitlaͤufftiger/ als ſie hier kan außgefuͤh-
ret werden/ ſo wollen wir ſie vorbehal-
ten/ und in dieſem Capittel nur die Woͤr-
ter
[123]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
ter/ die von dem Menſchen und deſſen Thei-
len und Gliedern genommen ſein/ vor die
Hand nehmen/ und deren Gleich-
heit mit den Griechiſchen und Lateiniſchen
zeigen. Dann dieſe ſein die erſte
die uns die Natur zu benennen unter-
richtet/ welchen hernach folgen die Dinge
und Kuͤnſte/ damit man taͤglich umgeht/
Speiſe/ Viehzucht/ Acker bau/ Bauwerck/
Kleidung/ und dergleichen. Welcher
dinge Nahmen bey einem Volcke ſo nicht
von andern verpflantzet/ gebohren ſein
muͤſſen/ und nicht von andern erſtlich her-
geholet. Wir wollen aber nur vor diß-
mahl bey den erſten verbleiben. Hie find
ich erſtlich bey den Lateinern das Wort
HOMO. Was hat man nicht vor wun-
derliche einfaͤlle hievon? Da iſt Varro der
es von dem lateiniſchen humus ableitet.
Scaliger fuͤhret es von dem Griechiſchen
Wort ὁμοῦ her/ weil der Menſch ein ζῶον
πολιτικὸν und geſellig iſt: Voſſius von
dem Ebreiſchen [...] welches die Syrer
außgeſprochen ODOM, davon per con-
tra-
[124]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
tractionem oom, hoom und endlich das La-
teiniſche HOMO. Wer ſtehet aber nicht/
daß dieſes nur ungegruͤndete Kuͤnſtelein
und alluſiones ſein/ deren keine wahrſchein-
liche Urſach zu geben. Es iſt das teutſche
Wort Man in den meiſten Sprachen ge-
braͤuchlich/ und ohnzweiffel eins von den
erſten Grundwoͤrtern/ welches auch Clu-
verus lib. 1. Germ. Antiq. c. 9. p. 83. ſchon ge-
ſehen. Von dieſem halt ich komme das
Wort Homo her. Dieſes wird einer fuͤr
einen mehr als Becaniſchen einfall halten:
aber es wird die Wahrſcheinlichkeit bald
hervor blicken/ wenn man diß Wort
ein wenig genauer beleuchtet. Diß Wort
Man iſt bey den Angel-Saxen Mon
außgeſprochen/ wie bey dem Skinnero und
Junio in ihren Lexicis zuſehen. Nun war
bey den Lateinern das alte Wort nicht Ho-
mo, Hominis, ſondern Hemon, Hemonis,
wie in des Ennii und andrer alter Poëten
Verſen zu leſen. Iſt alſo das Wort Mon
ſo wol in recto als obliquis caſibus zu fin-
den. Die Syllabe He, ſcheinet als aus dem
Ar-
[125]und Latniniſchen mit den Teutſchen.
Articul geblieben und ein bloſſer Vorſatz
zu ſein: Welche auch bey den Teutſchen
und Sachſen pronomen demonſtrativum
maſculini ſexus iſt. Ich duͤrffte ſchier auff
die Gedancken kommen/ als wenn das al-
Wort Lucumon bey den Thuſcis von dem
Wort Mon oder Hemon und dem alten
teutſchen Wort LuͤgenVidere obſervar[e]
zuſammen geſetzt/ daß es ſo viel ſey als
ἐπίσκοπος Lugemon. Denn ob zwar ei-
nigen Gramaticis und andern Autoribus diß
Wort einen Unſinnigen bedeutet/ ſo iſt doch
zu wiſſen/ daß das Wort inſanus, in kei-
ner andern Bedeutung hie gebraucht wer-
de/ als wenn Horatius den Labeonem in-
ſanum nennet/ iſt ſo viel als wunderlich/
ſtreng/ eigenſinnig/ mit dem man nicht um-
gehen kan. Eigentlich ſein die præfect[i]
Thuſciæ Lucumones genennet worden/ wie
Servius bezeuget comm: in VIII. Æneid: Tuſ-
cia duodecim Lucumones habuit id eſt reges,
quibus unus præerat. Sein etwa ſolche ge-
weſen/ als bey uns Amptmaͤnner/ Ge-
walthaber. Dieſen der uͤber die Zwoͤlffe
zu
[126]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
zu gebieten hatte/ nenten ſie Lartem/ wel-
ches gleichfals ein Wort iſt/ das noch
heute bey den Engellaͤndern gebraͤuchlich/
woſelbſt die vornehmen Herrn des Lands
Lords genant werden/ welches Godelevæ-
us in notis ſuper Livium und nach ihm andre
ſchon angemerckt/ und in den Nordiſchen
Sprachen als ein Vornahme der Māñer
gebraucht wird. So einem nicht gefallen
wuͤrde von dem Worte LuͤgenVidere,
(davon doch gantze Voͤlcker und Stātte
benahmet) das Wort Lucumon heꝛzufuͤhrẽ/
ſo iſt das alte Wort Log, welches noch heute
einẽ Ohrt oder diſtrict eines Landes bey den
Scotten und Irrlaͤndernbedeutet/ und das
Lateiniſche Locus, davon Lucumon ſeinen
nahmen haben koͤñe/ alsder eines gewiſſen
Landes uñ Ohrtes beherſcher iſt. Daß aber
das Wort Man ſo viel als Ducem, præfe-
ctum bedeute koͤnte mit gar vielen Exempeln
durch alle Sprachen erwieſen werden/ ſo
gar daß auch bey den Einwohnern des Koͤ-
nigreichs Congi ſolches zu findẽ/ davon Bar-
læus in ſeinẽ Buch derebꝰ geſtis ſub Mauritio
in
[127]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
in Braſilia p. 245. woſelbſt er das Koͤnigreich
Congi beſchreibet: Bamba littora lis (pro-
vincia regni) regitur à variis præfectis, quos
Mani vocant, ut Mani Bamba, Mani Loanda
Mani Coanza. Rex ipſe vocatur Mania
Congo, \& Regia Conjux Mannimom [...] banda.
Bey den Ægyptiern iſt das Wort Meine auch
ein Nahm der Koͤnige geweſen. Goropius
Becanus in lib. 1. Gallicorum. und andern
Orthen mehr hat uͤber dieſes Wort Man
ſeine ſonderliche ſchier cabaliſtiſche einfaͤlle/
welche ich an ſeinen Ohrt geſtellet ſein laſſe.
Denn weil das Wort Man umgekehrt
Nam macht/ ſo meinet er/ es ſey hie-
durch als durch eine Prophetiſche Figur/
die andere Perſon der Dreyeinigkeit abge-
bildet/ welche wahrer Menſch und zugleich
auch das Wort des Vaters iſt. Es iſt
nicht unangenehin zu leſen/ was er fuͤr viel-
faͤltige Betrachtungen hat/ wegen der
verkehrung der Woͤrter in der Teutſchen
Sprachen/ welche ſo ſonderlich iſt/ als im-
mermehr die cabala der Juden und Ara-
ber ſein kan. Cluverus in dem vorher
an-
[128]Ders VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
angefuͤ[h]rtem Ohrte/ meinet daß der bey
den Teutſchen geprieſene Mannus niemand
anders als Adam ſey/ womit Voſſius in ſei-
nem B[u]ch de Idololatria und Bocler. Exerc.
in Joſe[p]h. lib. 1. c. 2. Antiq. Judaic uͤber ein-
ſtimmen. Welchen aber Rudbeck in ſeiner
Atlanti[c]a zu einem uhralten Koͤnige der
Schweden macht/ nach welchen Schweden
ſelbſt Manheim/ und noch gantze Lān-
der dar innen genennet werden. I. C. Sca-
ligerhat uͤber dieſem Wort Man eine ſon-
derliche Betrachtung/ in der treflichen
Rede/ die er zum Ruhm der ienigen gehal-
ten/ die in dem Tuͤrcken Kriege vor Wien ge-
blieben/ welche nebſt ſeinen Briefen her-
auß[g]egeben. Wie er nun die Teutſche
Nation vor allen andern erhebt/ und beſſer
Urtheil von ihr faͤllet/ als ſein Sohn Joſe-
phus gethan: So hat er auß dem Nahmen
MAN, der durch alle Voͤlcker gegangen/
die vortreflichkeit des Teutſchen Volcks
erwieſen. Der Ohrt iſt wuͤrdig allhie
herge ſetzet zu werden: Hoc numen Terræ
ſilium, ſicuti Etruſci Tagem, ita hunc
pu-
[129]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
putarent Majores noſtri: cujus proles fuerit
MAN. Unde etiam nuncapud nos, quem-
admodum apud Hebræos, primi Parentis no-
men hominem ſignificat. Erigite nunc animos
veſtros Germani Viri! Romanis ipsis vos
hac in parte vel loquendi leges vel sal-
tem principia atque elementa tradidi-
stis. Nam cum illi novos homines atque
avorum obſcuritate ignotos Terræ filios
appellarent, eosdem quoque MANIOS
dixerunt. Hæc veſtra vox eſt veſtrique
conditoris: quæ ſi per univerſam Aſiam per-
vagata eſt, ſi ex Parthia atque Scythia in for-
tiſſimas nationes dimanavit, nullam vi-
deo cauſam, quin Principis illius veſtri au-
ſpiciis in eas omnes regiones colonias veſtras
miſiſſe aut deduxiſſe videamini. Exſtant
adhuc vocabula veſtimentorum, officiorum,
Principum, Nationum. Eſt enim veſtis Aſiati-
ca Doloman, quaſi Stolam Viri dixeris. Sto-
la profecto eſt. Audimus functiones atque
operas Turcimanorum \& Dragomanorum,
qui ſunt interpretes \& Talaſimanorum, qui
dicuntur obnunciatores. Habemus Varto-
ima-
[130]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
manos, Othomannos, \& Solimannos, Re-
gum atque Imperatorum appellationes. Er
fuͤhret dieſes ferner auß/ und weiſet wie die-
ſer Nahme durch alle Voͤlcker gewandert.
Das Wort Μάνης ein Knechts Nahme/ iſt
eben dieſes teutſche Man/ wie auch das
Lateiniſche Mannus, welches einen jungen
Hengſt bedeutet. Das Griechiſche μάν-
νος, das Lateiniſche mannus, eine Kette/
leitet Schefferus in ſeinem Syntagmate
de Antiquorum torquibus §. 1. von dem
Worte Man. quia manis h. e. viris qui
ſe fortiter geſſiſſent in bello, proprium ge-
ſtamen fuit. Das Wort Monile iſt ihm
von gleicher herkunfft. Das Wort Man
Mon/ Moen/ hat auch bey den Teut-
ſchen ſo viel als eine Jungſer geheiſſen/ wo-
von Schefferus in Upſalia antiqu. p. 113. Iſt alſo
diß Wort beyderley Geſchlechts. Die alten
Anglo Saxones haben eine Frau Wyfman,
Wimman und hernach Woman geneñt/
iſt ſo viel als ein Menſch Weibliches Ge-
ſchlechts. Mit welchen das Lateiniſche
Wort femina uͤberein komt. Das teut-
ſche
[113[131]]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
ſche Wort Menſch iſt auch von dieſem
Wort/ nicht von den Lateiniſchen Mens o-
der von dem Hebraͤiſchen [...] wie Voſſius
meinet/ davon Junius in ſeinem Gloſſario
Gothico und weitlaͤufftig Vorſtius in ſeinem
Specimine Obſervationum in Linguam Ver-
naculam cap. 2. Das Lateiniſche Mas iſt
auch von derſelben abkunfft. Aber von die-
ſen allen wil ich mit mehren handeln in ei-
ner abſonderlichen Diſſer[t]atione de Mannis
Germanorum. Auß dieſem wenigen aber
was ich angefuͤhret/ kan man leichtlich
ſchlieſſen/ daß das Wort Homo auß kei-
nen andern als aus dem alten Wort
Man entſtanden. Ferner iſt das Latei-
niſche Wort Vir, welches gleichfals von
frembder herkunfft iſt. In den Gothiſchen
Evangeliis hat man das Wort VVair Luc. 8,
27. VVairos twai, Viri duo. Zween Maͤn-
ner. Luc. 9, 30. In der Angelſaͤchſiſchen
Sprache iſt das Wort Wer, welches einen
Man bedeutet. So findet man in der
Angelſaͤchſiſchen uͤberſetzung des erſten
Pſalms: Eath Ver Beatus Vir. In der Runi-
i 2ſchen
[132]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
ſchen Sprache/ nennt man ihn Firthar,
ein Armee Firth. Siehe Worm. in Epice-
dium Regneri Lodbrog. Mit dieſen komt
das teutſche Wirth/ Werd uͤberein/ wel-
ches ſo viel iſt als das Wort Man. Das
Niederlaͤndiſche Vaer, und das teutſche
Bar, wovon das Wort Baro gemacht/ iſt
daſſelbe. In dem teutſchen Helden Buch
wird das Wort Bar offtmahls pro Viro
gebraucht. Die Gloſſæ veteres Gallico-La-
tinæ. Ber, Baro, \& Vir. Melchior Goldaſt.
in den Anmerckungen uͤber Winsbekiæ pa-
ræneſin. p. 417. haͤlt das Wort Ber vor
teutſch/ Ver vor das Lateiniſche. Ber ajo
priſcos dixiſſe, qui latinis Vir, aliis βαρβαρί-
ζουσι. Ver. Er fuͤhret eine alte Inſcriptionem
Curienſem an/ VECTOR, VER, INLU-
STER, PRESES. das iſt: Victor, Vir \&c.
Aber es iſt nichts anders als das rechte
teutſche Wort/ und iſt in der Engelſaͤch-
ſchen Sprache das Wort Ver auch ge-
braͤuchlich geweſen/ wie wir ietzo geſehen.
Da von iſt hernach Baur, Bur, und das
bey Teutſchen Griechen und Lateinern ge-
braͤuch-
[133]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
braͤuchliche Por Πορ, Puer ein Knecht Bey
den Lateinern hat man den Nahmen Mar-
cipor, Lucipor, Quinctipor. Virgilius
braucht das Lateiniſche Furdavor. Bey den
Teutſchen hat man das Wort Schild-
por welches ſonſt Schildknap. Wo-
von Gryphiander de Weichbildis c. 67. n. 11.
Die Griechen und inſonderheit die Dorcs
haben das Wort Πὸρ fuͤr Παῖς gebraucht.
Das Griechiſche Wort Γυνὴ iſt bey uns
auch zu finden. Die Engelſaxen ſagen
Cvven. Die alten Teutſchen Quena. Im
Runiſchen iſt Quind, die Dani und Cimbri
haben Kun/ Die Ungarn Kone/ wel-
che Woͤrter eine Frau bedeuten. Bey den
Engellāndeꝛn wiꝛd dieſeꝛ Nahme κατ̓ ἐξοχὴν
der Koͤningin gegeben. So nanten auch
die Angelſachſen eine Kuhe mit dieſem Nah-
men/ welcher noch heute in Holſtein ge-
bråuchlich iſt. Die Niederlånder nennen
ein loſes oder gemeines Weib alſo. Sonſt
iſt auch bey den Angelſaxen Cynne, weiches
ein Geſchlecht Genus, Generationem bedeu-
tet/ Connan, Acennan parere, generare.
i 3In
[134]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
In Teutſcher Sprache Kind/ welches mit
den Griechiſchen und Lateiniſchen geno,
gigno, γείνομαι, γεννάω uͤbereinkomt. Das
Gothiſche Wino Wen und Angelſaͤchſche
Win, uxor iſt das Lateiniſche Venus, ſo von
dieſen herkomt. Die alten Teutſchen
Woͤrter Wine und Winia bedeuten ſo
viel als dilectus und dilecta. Willeramus
in Paraphraſi Cantici Canticorum min Wino
dilectus meus. Daher ſein ſo viel compo-
ſita bey den Teutſchen truotwin fidelitatis
amicus Sigewin Victoriæ amicus Winirad a-
micorum conſilium und viel andere mehr/
welche Junius anfuͤhret commentario in Pa-
raphraſin Willerami p. 20. 21. Hieher gehoͤret
das teutſche Wort Volckwin, Amicus popu-
li, welches Voſſius in ſeinem Lexico Etymo-
logio ſub voce Vinco, von dem Wort Win-
nen herleitet/ davor haltend es ſey ſo viel
als das Griechiſche Wort Nicolaus, wor-
innen er doch fehlet. Es iſt das Wort
Lebvin bey den Teutſchen geweſen/ welches
ſo viel als ein lieber Freund. Hucbaldus
Monachus Elromenſis in vitâ S. Lebvini Pres-
by-
[135]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
byteri cap. 1. Lebvinum carum ſibi amicum
juxta idioma nominis ſui optime congruen-
tis. Fertur enim â ſuæ peritis linguæ, quod
Liefuuyn patrioticè ſit vocatus, quod Roma-
nis ſonat carus amicus, ſed ecce quam digni-
coſum illius vocabuli præſagiũ, dum quod fu-
turus erat opere, jam eius præſignatum eſt no-
mine. Melchior Goldaſtus der dieſes an
fuͤhret in ſeiner Anmerckung uͤber den Pa-
rænet. vet. p. 454. hat dieſe Zuſammen-
ſetzung nicht recht begriffen/ und von
dem Worte Win nichts gedacht. Daß
nun Venus, hievon oder von dem Gothi-
ſchen Wen, amicus herkomt iſt darauß zu
ſehen/ daß kein Wort weder in der Grie-
chiſchen und Lateiniſchen Sprache ſey/
davon es koͤnne hergeleitet werden. Denn
daß Cicero und Ovidius es von Venio her-
fuͤhren/ geſchicht nur per alluſionem, wel-
ches ob es zwar Voſſius billiget/ und daher
ſchlieſſet/ eſſe vocem origine Latinam non à
Græcis, non ab Oriente, ſo irret er doch
ſehr/ denn es widerſpricht ihm Varro ſelbſt/
welcher außdruͤcklich ſaget/ nomen Ve-
i 4ne-
[136]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
neris ne ſub Regibus quidem apud Romanos
vel Latinum vel Græcum fuiſſe, welches
auß ihm anfuͤhret Marcob. lib. 1. Saturn.
cap. 12. zu beweiſen/ daß der Monaht
Aprilis nicht habe koͤnnen von der Venere
oder Α᾽φορδίτη genennet werden/ die da-
mahls nicht bekandt geweſen. Scaliger
ad Feſtum in voce aperta ſaget/ man koͤn-
ne auch auß dem Nahmen ſehen/ daß ſie
keine einheimiſche Goͤttin ſey/ denn ſie
wuͤrde deßhalben à veniendo ſo genandt/
quod ſit προσήλυτ ος ϑεὸς. Welches mehr
ſinreich als der Warheit gemaͤß: Denn
da bekant Venus ſey einer frembden An-
kunfft/ worum wollen wir ſie nicht auß der
Sprache herleiten/ da ſie mit eben denſelben
Buchſtaben das jenige außdeutet/ worum
ſie ſo genandt wird. Da noch dieſes hinzu
koͤmt/ daß bey den Nordiſchen Voͤlckern/
dieſelbe von alters unter dem Nahmen
Frigga von frigan, amare auch Wenna-des
Dea Amoris genant/ verehret worden. Und
wird ſich niemand verwundern daß auß
dem Norden dieſer Goͤtzendienſt auff die
Roͤ-
[137]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
Roͤmer verpflantzet/ wenn er beym Dio-
doro Siculo lib. 2. c. 47. leſen wird/ wie die
alten Heidniſchen bey den Griechen ge-
woͤhnliche Goͤtzendienſte bey den Hyperbo-
reis uhrſpruͤnglich geweſen/ und von dan-
nen dahin gekommen. Von demſelbigen
Wort Wen oder Win, iſt das Lateiniſche
Vinulus, lieblich/ nicht von Vinum. Und
hievon meine ich ſey das Griechiſche Wort
βήνα, auff Doriſch βάνα Mulier, Filia, wie
auch des Wort βινέω, welches den actum a-
moris bedeutet/ und das bey dem Cicerone
lib. 9. ad Fam. Epiſt. 22. verdaͤchtige Wort
bini. Aber wir muͤſſen wieder zu unſer
Hauptſache kommen/ und zu den uͤbri-
gen Woͤrtern. Bey den Griechen iſt Μ [...]ῖ [...]
Obſtetrix, Maja bey den Lateinern. Bey
den Cimbris iſt noch heute Moye. In
der Gothiſchen Sprache Mayi puella.
Maid, bey den Engellaͤndern/ Magd
bey den Teutſchen. Das Wort Senex iſt
ein alt Gothiſch Wort/ wird faſt mit der-
gleichen Buchſtaben in den Gothiſchen
Evangeliis gefunden Sineigs Senex Luc. 1, 18.
i 5Si-
[138]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
Siniſtans Seniores Marc. 11, 27. Die Ety-
mologi haben viel ſeltzamer einfaͤlle hie-
bey. Das Wort Volgus iſt nichts an-
ders als das teutſche Volck/ das Grie-
chiſche ϑῆλυ, femininum, und das teutſche
thoͤle bedeutend canem ſexus feminini
komt auch uͤbeꝛein Gehet man nun die Glie-
der des Menſchlichen Leibes durch/ ſo wird
man die Gleichheit uͤberallfindẽ. Das Wort
κεφάλη, caput, Kop Kopff Haupt hapt
Angl. head. iſt was die Stambuchſtaben be-
trifft einerley. Den c und h werden un-
ter ſich verwandelt/ als cornu, horn/
καρδία hart/ cutis, hut/ calamus, halm/
κύων hund. Oculus iſt als ein diminuti-
vum von Og/quaſi Ogulus,Auge/ und
das Griechiſche ἀυγὴ ſplendor, komt uͤber-
ein. Das alte Wort Specere ſehen/ komt
von den alten Scythiſchen Spi, ſehe/ daher
noch Arimaſpi genant werden/ die mit ei-
nem Auge ſehen/ und die Woͤrter auß-
ſpaͤhen/ verſpaͤhen/ ſpok/ die La-
teiniſchen Speculum, Species, wovon
Boxhornius in Præfatione Originum Galli-
ca-
[139]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
carum weitlaͤufftiger handelt: Das Latei-
niſche Wort Auris und das teutſche Ohr
iſt eines: denn es iſt bekand daß das au bey
den Lateinern als ein o außgeſprochen/
und bezeugt es Laurenbergius in ſeinem An-
tiquar. daß die Bauren oris an ſtat auris
gebraucht. Das Griechiſche ῥῖν naſus iſt
das teutſche rinn/ denn die Naſe nicht
anders als canalis cerebri iſt/ und das La-
teiniſche naſus iſt eben das teutſche. Das
Griechiſche νῆσος welches in dem eigentli-
chen verſtande nicht mehr/ ſondern in ſen-
ſu translato gebraucht wird/ und inſulam
bedeutet/ iſt ohn zweiffel von dem Teut-
ſchen naͤſe oder naſa/ und komt nicht
von dem Worte νεῖν natare, wie man will.
Es iſt bekant daß das Wort νῆσος auch
offt eine halbe Inſul bedeutet/ da denn an-
geregtes ἔτυμον kein ſtaat finden kan. Das
Wort naͤß heiſt aber in der Gothiſchen
Sprach metaphoricè ein promontorium,
welches faſt einer peninſulæ kan verglichen
werden/ als Kimmernaͤßpromontori-
um Cimmeriæ, welcher nahm noch heuti-
ges
[140]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
ges Tages in Schweden uͤbrig iſt/ wie Rud-
bekius bezeugt/ und andre mehr. Es
wird aber das promontorium einer Naſen
der Figur halben verglichen/ und alſo ge-
nannt/ wie ein Promontorium bey der
Inſul Saſena γλῶσσα lingua genant wird.
Anna Comnena Alexiados lib. 3. p. 98. Καὶ
δὴ τὴν κορυφὼ διελϑὼν, καὶ πρὸς τὸ Δυῤῥάχιον
ἀποκλίνας, καὶ τὸ ἀκροτήριον Γλῶσσαν καλού-
μενον μεγίςῳ κλωδώνι ἄιφνης περιπεπτώκ [...].
Et quidem prætergreſſa claſſe Corcyræo-
rum in ipſo verſus Dyrrhachium flexu, cir-
ca promontorium quod Lingua dicitur, ma-
xima in eam ſubito procella ingruit. Und
eben dieſes Promontorium iſt/ was noch
heutiges Tages Lenguette, Lenguetta das
iſt eine kleine Zunge genant wiꝛd/ weil es hie-
mit kan verglichen werden. In dem zwoͤlf-
ten Buch Alexiados wird der Eingang des
Meers alſo genant/ und bezeugt Poſſinus
in Gloſſario Annæo gar gebraͤuchlich bey
den Frantzoſen zu ſein/ daß die promon-
toria langues de terre genant werden. Zu
dem ſind dergleichen vielmehr translata
no-
[141]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
nomina, als Umbilici, capita, cornua, daß
es nicht ungereimt/ es ſey das Wort νῆσος
von eben ſolchen Worte genommen/ in-
ſonderheit da es in demſelben verſtande
noch verhanden/ und darff ſich niemand
verwundern/ daß aus Norden ſolches
dahin verpflantzet/ dann viel mehr der
ſelben in der Griechiſchen Sprache ge-
funden werden/ als unter andern/ das
Wort ſkiaͤren wodurch die litora Sveciæ
verſtanden werden/ von den außſchnitten
alſo genand/ da hat man in der Griechi-
ſchen Sprache/ wie Heſychius bezeuget/
das Wort χερὸς, littus und iſt die Inſul
Corcyra Σχέρια vor alters genannt/ wel-
ches Wort Jac. Palmerius à Grentemesnil
in ſeiner Græciâ antiqua lib. 2. c. 10. von dem
Griechiſchen χερὸς lieber herfuͤhren will/
als von der Fabul des Euſtathii. Wie ich
es auch fuͤr war halte/ auß dieſem grun-
de. Denn es iſt dieſe Inſul auch Δρεπά [...]η
genant welches eine Sichel bedeutet/ um
dieſer Urſachen willen/ weil die eine Seite
der Inſul ſo krum außgeſchnitten/ daß ſie
eine
[142]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
eine Sichel abbildet. Nun werden die
ſkiaͤren in Schweden von ſkiaͤra das iſt
außſchneiden ſo genant/ und in der Teut-
ſchen Sprache iſt das Wort Scheer ein
Werckzeug damit man Außſchnitte macht/
welches da es von einander gethan
wird ſelbſt einen Außſchnitt und gleichſam
eine Sichel vorſtellet. Dem Boxhornio
traun iſt in ſeiner Symphonia Linguarum.
p. 8. nicht ungereimt vorgekommen/ das
Griechiſche Wort Χε̃ῖρ eine Hand/ und
das teutſch Scheer vor eines zu halten.
Nullus ambigo, ſpricht er/ quin idem hoc
vocabulum ſit cum iſto, quo arte factam
manum, hoc eſt, forcipes Belgæ ſignificant.
Scheer χείρ Poëtice χερὸς item χίῤῥος \&
χηρὸς appellatur. Welches ich an ſeinen
Ohrt geſtellet ſein laſſe. Zu ferner Bekrāff-
tigung kont auch dieſes angefuͤhret werdē/
weil die Finger der Scheren gleich an ge-
ſtalt ſein. Das teutſche Wort Hand
iſt nicht mehr zu finden als in dem Wort
præhendo, und haben die Dānen noch heu-
tiges tages ein Wort henda, heiſt ſo viel als
ma-
[143]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
manu capere welches das Lateiniſche pre-
hendo, auch bedeutet/ dieſes hat Aquilius
in ſeinem Dictionario Danico-Latino an-
gemerckt p. 19. Es iſt auch ein Angelſāch-
ſiſches Wort Hentan perquirere, perſequi.
Die Wangen werden in den alten teut-
ſchen Woͤrtern/ die der Lipſius herauß gege-
ben Mangon genant/ wir haben in
der Lateiniſchen Sprache Mandibula, Ma-
xilla, und ſolt ich ſchier davor halten/ daß
das Lateiniſche Mandere, Mentum von un-
ſern Wort Mund herkomme. Unter
den alten Britanniſchen Woͤrtern/ deren
Lexicon Boxhornius herauß gegeben/ und in
welcher viel Lateiniſche Origines ſtecken/
wie der Hr.Peireſcius angemerckt/ iſt das
Wort Mant, Maxilla. In der Engelſchen
Munch, maſticare, manger, mangeare. Iſido-
rus ſelbſt leitet das Lateiniſche mentum von
mandibula welches Voſſio unglaublich iſt/
aber er ſchieſt nāher zum Ziel als er
ſelber/ der es bald von μηνύω indico, bald
von movimentum, bald von meno, me-
mini abziehet. Das Haar wird bey den
Grie-
[144]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
Griechen ἔϑειρα genant/ iſt das rechte Nie-
derlaͤndiſche Wort mit dem Articulo het
bayr. Die Athenienſer nennen die krauſe
Haare Ὄυλας und einen krauſekopf Ὀυλο-
κόμον, Ὀυλοκέφαλαν. Pollux hat dieſes an-
gemerckt in ſeinem Onomaſtico lib. 2. c. 3.
Dieſes iſt das teutſche Wull/lana, den
die krauſen Haare der Wolle gleich: daß
aber eine ſolche krāuſe wie die Wolle hat/
damit gemeint werde/ kan man aus dem
loco Herodoti, den Pollux anfuͤhret/ erſe-
hen/ den er ſaget von den Colchern μελαγ-
χροές εισι καὶ [...]ὐλότριχες, nigri coloris ſunt \&
criſporum capillorum. Denn es pflegen
die Schwartzen ſolche Wollkrauſigte
Haar zu haben. Die Griechen koͤnnen
aber das W, welches als ein Digamma Æo-
licum iſt/ nicht außſprechen/ wie ſie keinen
Buchſtaben dazu haben. (vid. Agardus de
Digamma cap. 3. ſect. 3.) deßhalben laſſen ſie
es auß/ denn die literæ ſubſidiariæ β, ου, φ,
hatten hie auch keine ſtaat. Man hat der-
gleichen mehr Woͤrter als ἔργον Werck/
[...]ινος Wein, Win/ ἄειν Waeyen. Flare
bla-
[145]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
ἒσεσϑαι eſſe Weſen/ ἒικειν Wiecken/ cede-
re. \&c. Folgende ſein ſo gleich unter ein-
ander/ als jemahls welche ſein koͤnnen:
Bucca eine Backe/ armus ein Arm (da-
her armillæ Armbānde) χωλὴ Galle:
οδοὺς, Dens, Tant, Zahn: Pes, Ποῦς, Fuß/
Voet/ pedden/ calcare: Genu, γόνυ, Knie:
Saliva, Salve/ Sabbel/ Sagul Danice:
Barba Bart: Α᾽ρχὸς, Arßh (ſ. h.) podex:
Lumbus Lend: κανϑὶς (oculi angulus) Kan-
te: Κήλη, (tumor oris quicunque) kehl/ col-
lium: calvus kahl: Τὰ κύλα cavitates ocu-
lorum, Kuhl: vellus, pellis, villus φέλ-
λος, Fell/ fillen: Pantex Panße/ Wanſt:
δερμὸς (cutis) Darm/ Gedārme:(nihil
enim inteſtina niſimenbrana \& cutis) Mar-
cus (mollis) Marck/ medulla: Strundus,
excrementum Laurenb. in Antiq. Strund
ὅνϑος: Mucus Mug Danicè: Κάκκη (bey
dem Heſychio,) merda: Lingo λείχω, licken/
unde lingua: Edo, eten/ eſſe eſſen: guſtare
koſten: Spuo πτύω, σπεῖσαι, ſpeien: dor-
mire, dromen/ dormen: ἀγοςὸς (cavitas
manus) goſpe: mingo, migo, ὀμίγειν, migen/
kMeio
[146]Cas VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
Meio, Meia, Danicum, wie Aquil: in ſei-
nem Dictionario Danico-Latino p. 24. er-
wehnet: Titte, Τιθτη: Sof (Gothicum) dor-
mire, Sopor, Sopire, Dani Soffn: ἀυτμὴ
ἄτμος, ἀνεμος Athem/ Othem/ aem Belgicè,
animus anima. Labium. Danice Lceve.
Gloſi. Lipſ. Lepira Belgæ Leppe/ Germanicè
Lippe. Νεφρὸς Ner/ ren per metatheſin.
Von dieſen Woͤrtern allen koͤnte viel
merckwuͤrdiges angefuͤhret werden/ aber
es liegt ihre gleichheit ſo zu tage/ daß es
unnoͤthig ein Wort mehr druͤber zu
verliehren/ und muß es zu anderer
Gelegenheit verſparet werden. Das
Lateiniſche Wort Lacryma, davor die
Alten dacryma gebraucht/ wie Feſtus
bezeugt/ und zwar nach dem Griechiſchen
δάκρυμα iſt weder bey den Griechen noch
bey den Roͤmern gebohren. Bey den al-
ten Gothen war Tagr Lacryma, Marc. 10, 24.
afropgands mith tagran. Exclamans cum
Lacrymis. Bey den Cambrobritannis Daigr,
diß iſt das rechte Griechiſche und Lateini-
ſche Wort: den (υον) oder (υμα) iſt nur
die
[147]und Lateiniſchen mit dem Teutſchen.
die endigung. Die Anglo-Saxones ſtoſſē das
(g) berauß und ſprechen tear die Dānen
taar welches einen Waſſerstropff bedeutet:
die Alamanni haben Zaher darauß ge-
macht/ davon noch das heutige Zaͤhr/
ſo eines Uhrſprungs mit δακρυον und
Lacryma iſt/ welches niemand glāuben
ſolte/ wenn er nicht die Ableitung vor
Augen ſehe Das Niederlāndiſche Traen/
das teutſche Thraͤn ſcheint auch hievon
durch verſetzung zu ſein: mit welchen denn
das Griechiſche Wort ϑρῆνος uͤberein
kompt. Das Lateiniſche Wort Mens hat
gleichfals ſeinen Uhrſprung nicht bey den
Lateinern oder Griechen. Iſidorus fuͤh-
ret es her von memini oder eminere/ wel-
ches letztere Perotto beſſer gefāllt/ als daß
es von μέμνημαι hergefuͤhret werde. Et-
liche von metiendo. Scaliger von dem
Griechiſchen μηνύω, indico, Voſſius will es
von den alten Wort Meno, deſſen præteri-
tum memini iſt/ oder auch von dem Grie-
chiſchen Wort μένος, impetus animi her-
leiten. Welcher am nechſten trifft. Aber
k 2ſo
[148]Das VII. Cap. Gleichheit des Griechiſchen
ſo woll die Lateiniſchen als die Griechiſchen
Woͤrter ſein außheimiſcher Abkunfft. Da
iſt das teutſche Wort Meenen/ das An-
gelſāchſiſche Mænen, welches ſo viel iſt/
als gedencken/ cogitare, opinari, daher
das alte Lateiniſche Wort menere, in
quo conſiſtit ipſa animi eſſentia: Wie
denn in der Engliſchen Sprache das
von dieſen entſpringenden Wort Mind
Mentem bedeutet. In der Gothiſchen
Sprache iſt Gamunen Meminiſſe.
Aber wir ſchreiten in dieſem Wercke zu
weit/ und koͤnnen uns begnuͤgen/ daß
wir dargethan/ wie die Woͤrter/ welche von
dem Menſchen und ſeinen Theilen und
Gliedern allein genommen/ als die ja die
erſten in allen Sprachen ſein muͤſſen/ die
Gleichheit des Griechiſchen und Lateini-
ſchen mit der Teutſchen vor Augen ſtellen:
Daran aber noch mehr fehlē/ als wir ange-
fuͤhret haben/ welche um weitlaͤufftigkeit zu
veꝛmeidē/ hie muͤſſen vorbey gegangen wer-
den Solten wir nun die andēre Claſſes re-
rum durchgehen/ als/ die Thiere/ Baume
und
[149]und Lateiniſchen mit den Teutſchen.
und Krāuter/ Speiſen/ Kleidungen/ Acker-
bau/ Bauwerck/ Schiffart/ Fiſchfang/
allerley Haußgeraht/ Maaß/ Gewicht
und Zahl/ die Nahmen der Oehrter/
Staͤdter/ Lānder/ Berge und Fluͤſſe/ die
Nahmen der Weiber und Maͤnner/ die
Nahmen der Aempte/ Verwandſchaff-
ten/ die Pronomina, Conjunctiones, In-
terjectiones und andere Particulas, Acti-
ones Facultatis vegetativæ, locomotivæ
Intellectus, Voluntatis und viele andere din-
ge mehr: es konte ein groſſes Buch da-
von zuſammen getragen werden/ und
werde ich ob GOtt will hievon abſonder-
lich und außfuͤhrlich handeln. Aventinus
ſchreibt Annal. Bojorum lib. 1. p. 10. von
Joanne Camerario à Dalburgio, daß er etli-
che tauſend Griechiſche Worter zuſam-
men geleſen/ die in der Teutſchen Sprache
eben daſſelbe bedeuten. Was wir hie er-
wehnen/ iſt nur oben hin beruͤhret/ und
aus einem groſſen Vorraht gleichſam zum
Vorſchmack vorgetragen worden. Wer
nun auß ſo vielen Exempeln gleichwol nicht
k 3ſchlieſ-
[150]Das VII. C. Gleichh. des Gr. und Lat. ꝛc.
ſchlieſſen wolte/ daß die Griechiſche und
Lateiniſche von dem Teutſchen und den
verwandten Sprachen zum theil ihren
Uhrſprung genomen/ und vermeinte
daß dieſe Gleichheit ſo von ungefehr kom-
me/ der hat gar keine Fāhichkeit von die-
ſen Dingen zu urtheilen. Wir laſſen nun
dieſes biß zu einer vollſtāndigen Eroͤrte-
rung außgeſetzt ſein/ und kom̄en zum
andern Theil.
An-
[151]
II. Theil.
Von der Teutſchen Poeterey
Uhrſprung und Fortgang.
Das I. Cap.
Von dem auffnehmen der rei-
menden Poeterey bey frembden Voͤl-
ckern/ und zwar erſtlich von der Poete-
rey der Frantzoſen.
Einhalt.
WOrum wir von der Außlaͤndiſchen Poeſey zu
erſt handeln. Die Frantzoſen haben jederzeit
das Lob der Beredſamkeit gehabt. Die Poe-
terey iſt mit ſonderlichem Fleiß von ihnen außgeuͤbet.
Die Provincial Poeten bey ihnen. Claude Fauchet,
Jean Noſtredame handeln von ihnen. Aquitanien
und die Stadt Toloſa iſt ihr vornehmſter Sitz ge-
weſen. Sie ſind Romains und die Sprache die Roͤm-
ſche Sprache genant worden. Franckreich in Frantzen
und Provinciales getheilet. Die groſſen Herren haben
die Poetiſchen Spiele angeſtellet. Wodurch die Po-
eterey in groſſen Ruff gekommen/ und die Provincial
Sprach bey alleu Außlaͤndern wehrt gehalten. Die
k 4Itali
[152]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
Itali haben den Provincialibus viel Erfindungen abge-
ſehen. Die Frantzen haben es den Provincialibus
nachgemacht: Cour d’ amour, arreſt d’ amour
Die alten Spiele zu Toloſa Jeux-fleureaux genandt.
Beſchreibung derſelben. Geſetze der Spiele. Lob
des Hn. de Caſeneuve. Troubadours, Trouver-
res, Chanterres, Jongleurs. Preißwuͤrdigkeit der
Frantzoͤſiſchen Nation. Ihre ſonderlich. Zunei-
gung zu der Poeterey Clement Marott, ein guter
Epigrammatiſt. Sanmarthani Zeugniß von ihm.
Ronſard iſt zu ſeiner Zeit in groſſen Beruff geweſen.
was an ihm zu loben und zu tadeln. Malherbe hat
zum erſten die beſte Richtigkeit in die Poeſey gebracht.
Godeau legt ihm ein groſſes Lob bey. Balzacs Urtheil
von ihm. Die Vergleichung mit ihm und Ronſard.
Theophile ahmt ihm nach; aber er folgt doch ſeinen ei-
genen Phantaſeyen. Voiture iſt in feſtivo genere
beſſer als in ſerio. Moliere ein beruͤhmter Comedi-
enſchreiber Corneille. Regnier. Rablais Re-
nati Rapini Uhrtheil von der Frantzoſen/ ſeiner Lan-
desleute/ Poeterey. Chapellaine. Menage.
Colletet von dem Leben der Frantzoͤſiſchen Poeten.
Sorelli Bibliotheque Francoiſe. Academie Fran-
coiſe zu außuͤbung der Frantzoͤſiſchen Sprache auffge-
richtet. Dieſelbe wird von dem Sorbier der Lateini-
ſchen vorgezogen: aber ohne Grund. Iſaacii Voſſii
Meinung hievon.
Wir
[153]Poeterey.
WIr haben in dem vorigen Theile
von der Teutſchen Sprache Alter-
thum geredet: nun kommen wir
auff die Poeterey ſelber/ davon ich nicht
alſo handeln will/ wie man ins gemein zu
thun pfleget. Es haben einige groſſe Buͤ-
cher angefuͤllet/ von den Regeln der Teut-
ſchen Ticht- und Sprach-Kunſt/ welcher
Leute Schrifften ich allhie unberuͤhret laſ-
ſe: als der ich nicht geſonnen bin/ frembde/
und gantz uͤberfluͤſſig außgefuͤhrte Arbeit/
von neuen vorzuſtellen. Wir haben an
dieſen Buͤchern gar keinen Mangel/ und
were eine thoͤrichte Sache von einem
Papier auffs andere zu ſchreiben. Allhie
wollen wir von dem Uhrſprung und Fort-
gang der Teutſchen Poeterey handeln:
damit aber ſolches deſto gruͤndlicher geſche-
hen koͤnne/ wollen wir vorher/ der Auß-
laͤndiſchen Voͤlcker/ als der Frantzoſen/
Italiaͤner/ Hiſpanier/ und deñ auch der
Engellaͤnder und Niederlaͤnder reimen-
de Poeterey anfuͤhren/ um zu ſehen/ ob
ettwa bey denen dieſelbe ehe als bey den
k 5Teut-
[154]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
Teutſchen entſprungen: Zumahlen/ da
faſt unter allen denſelben/ einige ſich fin-
den/ welche den Vorzug ihnen anmaſſen.
Wir fangen von den Frantzoſen an/
welche Nation an Sinnlichkeit/ und nei-
gung zu der Poeterey den andern billig
vorzuziehen iſt. Es iſt bekant/ wie bereits
die alten Gallier ſich in der Beredſamkeit
hervor gethan. Tacitus gibt ihnen das
Lob der Tapfferkeit und Beredſamkeit.
Marcus Cato thut deßgleichen/ welcher an
ihnen ruͤhmet/ argutè loqui. Es war zu
Ciceronis zeiten ſchon der Stylus Gallicus
im Beruff/ und ward Cicero ſelber von
dem Rufo vor einen Allobroger geſchol-
ten/ wie beym Juvenali zu ſehen. Sido-
nius Apollinaris lib. 3. Epiſt. 3. von dem
Arvernis redend bezeuget: quod în Arver-
niam undique gentium confluxerint ſtudia li-
terarum, ubi ſermonis Celtici ſquamam de-
poſitura nobilitas, nunc oratorio ſtylo, nunc
etiam camœnalibus modis imbuebatur.
Hieronymus lobet auch an einem Ohrte
ubertatem nitoremq; Gallici ſermonis, von
wel-
[155]Poeterey.
welchen ferner nachzuleſen Savaro ad Si-
donii Apollinaris loc: citatum, und Creſol-
lius Vacat. autumnal. lib. 1. cap. 4. wie auch
Piccartus in einem abſonderlichen Buch
genant Celtopædia. Damit wir aber
auff die naͤhere Zeiten kommen/ und auff
die Landſprache an ſich ſelbſten: So iſt zu
wiſſen/ daß vor den Italiaͤnern und Spa-
niern/ ja auch zum Theil den Teutſchen/ ſo
die gemeine reimende Poeſey außgeuͤbet/
nicht leicht eine Nation geweſen/ dar-
innen mehr Poeten ſich befunden/ auch
mehr wercks von der Poeterey gemacht/
als eben bey den Frantzoſen. Claude Fau-
chet ein beruͤhmter Frantzoſe/ hat in einem
Buch deſſen titul: Recueil de l’ origine de la
Langue \& Poëſie Francoiſe, Ryme \& Ro-
mans weitlāufftig von dem erſten Uhr-
ſprung der Frantzoͤſiſchen Poeterey ge-
handelt/ und ein Regiſter der Autorum und
der von 127. Tichtern vor dem 1300 den
Jahr geſchriebenen Poetiſchen Wer-
cke/ geſetzet/ welches alles der Verdier
in ſeine Bibliotheque uͤberſetzet. Der
erſte
[156]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
erſte den er herbey bringet iſt Mr. Euſtace
welcher zu Friderici Barbaroſſæ Zeiten
im Jahr 1155. gelebet. Sie ſein aber
faſt alle Provinciales, welche vor allē andeꝛn
in Franckreich jeder zeit den groͤſten Ruhm
gehabt/ welcher Leben in einem abſonder-
lichen Buch Johannes Noſtredamus be-
ſchrieben. Dieſe Poëtæ Provinciales wur-
den die jenigen genant/ welche in Aquitanien
wohnten/ und zu Toloſa ihre Verſamlung
hatten. Denn ſeit dem Aquitanien den
titul eines Koͤnigreichs gehabt/ iſt Toloſa
die Hauptſtadt geweſen/ und hat man
daſelbſt alle Zierlichkeit des gantzen Landes
gehabt. Sie war gleichſam eine Quel-
le/ worauß das gantze Land geſchoͤpfet.
Es iſt bekant/ was ſchon Auſonius ihr vor
Lobſpruͤche geſchriebē. Strabo lib. 4. ſchreibt
von den Aquitaniern/ dz ſie vor keine barba-
ren zu halten/ ſondeꝛn faſt alle die Roͤmiſche
geſchicklichkeit/ Sprache und Lebens art an
ſich haͤttē. Der Sulpicius Severꝰ in vitâ S. Mar-
tini macht gar einen Unterſcheid unter einē
Gallier und Aquitanier, und eignet dieſem
die
[157]Poeterey.
die Hoffſprache/ jenen aber die Baurſpra-
che zu. Dieſe Zierlichkeit iſt durch alle
Zeiten geblieben/ wiewoll ſie von Jahren
zu Jahren ſich in etwas geaͤndert. Und
diß war ebē die Urſache/ warum ſie Romani,
Romains und ihre Sprache Roman iſt ge-
nant worden/ und daß die Koͤnige ſich an-
fangs Roys des François \& des Romains
geſchrieben. Nachgehends wie die Go-
then und andre Nordiſche Voͤlcker alles
uͤberſtroͤmten/ haben ſie die Sprache in
ſo weit geaͤndert/ daß man dennoch die
Fußſtapffen der alten Lateiniſchen
ſehn koͤnnen/ die aber mit der Fremb-
den ſehr gemiſcht war/ da ſie lingua Ro-
mana Ruſtica genant worden. Welche
Sprache hernach geblieben; darin noch
das formular des Eides zwiſchē Carolo Cal-
vo, und Ludovico Germanico verfaſſet/ das
Nitardus lib. 3. erwehnet und Marqurdus
Freherus mit Anmerckungen herauß ge-
geben. Dieſe Roͤmiſche Sprach iſt die
Provençal Sprache auch genennet wor-
den/ und die Voͤlcker/ die ſich deren ge-
braucht
[158]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
braucht nante man Provinciales. Es
waren aber die Voͤlcker Franckreichs da-
mahls durchgehends in Francken/ und
Provinciales getheilet; unter den Provinci-
alibus begriff man die von Languedoc, die
Burgunder/ die Allemannos und Gaſcones
welche die Gothiſchen Provinciales genañt
wurden. Bey dieſen iſt das Poëtiſiren
ſehr gemein geweſen/ davon auch der
Nahme der Romainen und Romancen ge-
kommen; weiln ſie ſich der gleichē Fabeln zu
erfinden ſehr angelegen ſein lieſſen. Es mei-
nen auch etzliche daß die gantze Art zu rei-
men von ihnen hergekommen/ welches ich
nicht fuͤr glaͤublich halte/ davon aber in
folgenden mit mehren ſoll gehandelt wer-
den. Es hat ſo viel ſinnreiche Geiſter die
æmulation der unterſchiedlichen Herrn
auffgeweckt. Dann da ein jeglicher ſei-
nen eigenen Hoff angeſtellet/ um dieſelben
beruͤhmt zu machen/ hat man alle luſtige
und Kunſtreiche Koͤpffe an ſich gezogen;
welche ſich dann in groſſer Zahl eingefun-
den/ da ſie gemerckt daß die Herren ihr
Lob
[159]Poeterey.
Lob gern außgebreitet geſehen/ und ſie
ſelbſt Ehre uñ belohnung davon zu gewar-
ten. Dadurch iſt die Poeterey in ſo groſſen
Ruff und Auffnehmen gekommen/ daß
auch der Adel/ ja ſelbſt Koͤnige/ Fuͤrſten
und Grafen/ dieſes Lob begierlich ſuchten/
auch die vornehmſten Frauen und Jung-
frauen/ theil daran zu haben verlangten.
Die Provincial Sprache ward ſo hoch ge-
halten/ daß auch die Außlaͤnder/ als Spa-
nier und Italiāner hierinnen zu ſchreiben
anfingen: hernach wie die Italiaͤner ihre ei-
gene Sprache auch etwas außzuuͤben an-
gefangen/ ſo haben ſie doch die meiſten Zier-
lichkeiten von der Provincial Poeten Erfin-
dungen genommen/ wie diß Bembus lib. 1.
Proſ. bezeuget/ worauß die Oehrter Bo-
rellus in der Vorrede ſeines Buchs Tre-
ſor de Recherches \& Antiquités Gauloiſes
angefuͤhret. Es iſt unter den Provin-
cial Poeten Arnaud Daniel geweſen im
Jahr 1189; welchem Petrarcha viel gute Er-
findungen abgeſehen: wie beym Verdiero
angemerckt iſt/ und gedenckt Petrarcha ſei-
ner
[160]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
ner ſelbſt in Triumph. Amoris. c. 4. Her-
nach haben auch die Frantzoſen nach dem
unter ihnen die Hoffſtatt auffgerichtet es
den Provincialibus nachmachen wollen/
aber es iſt gegen der Provincialium Poeſey
die ihre nichts zu ſchaͤtzen/ welche mehren-
theils das beſte auß den Provincialibus her-
außgenommen. Man hat eigene zuſam-
menkuͤnffte/ Comitia Poëtica angeſtellet/
worinnen man die Verſe hergeſagt/ und
um den Sieg geſtritten. Der Ohrt iſt
genannt worden Cour d’ amour, und der
Außſpruch arreſt d’ amour, weil die Verſe
von Liebesſachen gemeiniglich gehandelt.
Es ſein aber keine leichtfertige grobe Zoten
vorgebracht worden/ ſondern ehrliche
Schertze. Woruͤber die geehrteſte Ma-
tronen den Außſpruch gegeben: denn die-
ſe hatten in ſolchen ergetzungen ihren Zeit-
vertreib/ wenn die Maͤnner des Krieges
warteten. Welche aber zu Hauſe ihren
Turnierſpielen uñ deꝛgleichen Ubungen ob-
lagen/ und ihre in Verſen beſchriebene Zū-
ge und Siege ihrem Uhrtel uͤbergaben.
Dieſe
[161]Poeterey.
Dieſer Cour d’ Amour wird hin und wie-
der bey den Poeten ſelbſt/ auch bey einigen
Hiſtoricis gedacht. Vor dieſem hat man
zu Toloſa dergleichen Verſamlungen auch
gehabt/ welche genannt worden College
de la ſcience de Rhetorique oder dela gaye
ſcience. Die Spiele an ſich ſelbſten ſein
Jeux fleur eaux, oder Floralia genant/ wur-
den alle Jahr den 1 und 30 Maji gehalten.
Auß ſolchen Zuſammenkuͤnfften wurden
reimweiß geſchriebene Briefe durch die
gantze province außgefertiget/ uñ alle vor-
trefliche ingenia eingeladen/ ihre Carmina
oͤffentlich herzuſagen. Es wurden ſieben
Maͤnner hierzu erwehlet/ welche Main-
tenedors del gay ſaber genannt worden.
Am erſten Meytage/ wurden die Carmina
vorgeleſen/ des tages hernach/ hielte
man der Belohnung halber Rath/ und
am letzten des Maji, wurden die Pre iſe zu
erkant/ als ein Violette d’ or und der titu-
lus le Docteur en gaye ſcience. Hernach
hat man zu den vorigen Preiſen noch
zwey andere ſilberne Blumen gethan.
IDie
[162]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
Die Geſetze in dieſen Spielē waren folgen-
de: Kein Ketzer ward dieſer Blume fāhig
erkant/ auch keine Frauensperſon/ wo
ſie nicht von ſonderlicher Gelartheit/ auch
ſchweren koͤnte/ daß ſie ihre Verſe ſelber
verfertiget. Welche eine Blume erhalten/
koͤnten nicht eher als nach drey Jahren
um die andre anhalten. Es konte keiner
ein Baccalaureus werden/ er haͤtte denn ei-
ne Bluhme uͤberkommen: Keiner ein
Doctor, es hetten ihn deñ erſt die Mainte-
nedores und der Cantzler examiniret in
allen den ſtuͤcken der gayæ ſcientiæ, wie ſie
es nennten. Nachdem muſte er in gebun-
dener Rede anhalten um den Stul/ oder
Catheder, um das Buch/ und den Hut:
Worauff dann in Verſen geantwortet
wurde/ und ihm alles zuerkant. Denen
die die vornehmſte Blume la Violette ge-
nañt uͤberkamen/ wurd der titul de fin
aymant, eines treuen Liebhabers gege-
ben. Dieſes alles hat ſehr weitlaͤufftig
und mit allen umſtaͤnden/ auß den alten
Schrifften hervor geſucht der gelahrte
Mr.
[163]Poeterey.
Mr. de Caſeneune in ſeinem Buch/ deſſen
titul: l’ Origine des Jeux-fleureaux de Tou-
louſe welches zu Toulouſa ſelbſt im Jahr
1639 heꝛauß gegeben. Von deſſen gelahrten
Hand wir noch viel ſchoͤnere Schrifften
von Franckreichs antiquitaͤten zu erwar-
ten gehabt/ wenn ihn nicht der Tod zu
fruͤhezeitig hinweggerafft. Es ſcheinet
daß her nach erſtlich hervorgekommen die-
jenige die ſie Troubadours, Trouverres,
Chanterres, Jougleurs, Conteours genañt.
Die Troubadours oder Trouverres waren
die Erfinder der Reime und der Lieder/
die andern ſpielten ſie auff allerhand In-
ſtrumenten, oder ſangen ſie auch. Harſtoͤrf-
fer in ſeinem Specimin. Philolog. Germ.
disquiſ. 9. §. 6. wirfft dieſe Troubadours und
Poëtes Provencales untereinander/ und
ſtellet ein Bildniß vor ſo er auß den
Chaſtueil genommen. Von dieſen
kan Claude Fauchet in vorerwehntem
Buch chap. 8. nachgeſehen werden. Wir
erſehen hierauß die Preißwuͤrdigkeit die-
ſer vortreflichen Nation, welche zu jeder-
l 2zeit
[164]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
zeit den Verſtand außzuuͤben/ und die
Sinnreichen Kuͤnſte zur Vollkommenheit
zu bringen ſich bemuͤhet. Wir ſehen/ wie
ſie auch ſchon zu der Zeit den alten nichts
bevor geben wollen/ welche ihre Ludos
und Agones Poëticos zu erweckung mun-
terer Gemuͤther angeſtellet. Man kan
noch auß den fragmentis, welche bey Clau-
de Fauchet, Noſtredame, Verdiere, und
in abſonderlichen Wercken vorhanden/
ſehen/ was fuͤr ein Geiſt aus den Schriff-
ten hervor leuchte deren ſich auch die Ita-
liāner und der ſiñreiche Petrarcha ſelbſt an
verſchiedenen Ohrten bedienet/ und welche
noch itzo unſre ſo zarte Ohren wol ver-
gnuͤgen koͤnten/ wenn nur die Erfindung
in ein zierlicher Kleid verhuͤllet. Wie die
Spiele endlich in Abgang geriethen/ ſo
iſt dennoch die Luſt zu dieſen Wiſſenſchaff-
ten beygeblieben/ und hat ſich von Jah-
ren zu Jahren vermehret/ auch die Wiſ-
ſenſchafft ſelbſt ſich gebeſſert. Es iſt nicht
dieſes Ohrts alle und jede Frantzoͤſiſche
Poeten ſo nach und nach entſtanden auff
den
[165]Poeterey.
den Fingern herzuzehlen. Wenn man des
Verdiere Bibliothec nur durchlaͤufft/ ſo wird
die Zahl der Poeten die groͤſte ſein/ da-
von er bißweilen einige ſehr annehmliche
Proben herbey bringet. Und iſt nicht zu
leugnen/ daß ſie an der Zahl andren Na-
tionen weit uͤberlegen ſein/ inſonderheit
weñ wir die alten/ die Verd[it]re auffgezeich-
net/ den neuen hinzu thun/ die theils von
dem Sorel, erwehnet/ theils noch taͤglich
neu gebohren werden. Es iſt auch der Fleiß
zu loben/ daß ſie nicht leicht etwas arti-
ges und zierliches/ es ſey eine Satyra, ein
Epigramma, oder ſonſten was/ uͤberge-
hen/ ſondern in gewiſſe Buͤcher Oeuures
meslées, Pieces nouvelles, Mercures ga-
lantes und dergleichen verfaſſen. Sorell in
ſeiner Bibl. Françoiſ. c. 10. zehlet bey ſechs
oder ſieben Buͤcher von ſolchen außerle-
ſenen Poëmatibus, und ruͤhmet ſie ſehr
hoch. Ja er ſagt/ daß einige von Frauen
darin gemacht/ die alle der Maͤnner Wercke
uͤbertreffen. Nur etzlicher der Vornehm-
ſten zu gedencken/ ſo iſt wol einer mit
l 3von
[166]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
von den erſten/ die nach der alten Pro-
vincialiſchen Poeſie/ die heutige auff die
Bahn gebracht/ Clement Marott, welcher/
da er kein Gelahrter/ dennoch ein Frantzoͤ-
ſiſches Carmen von ſonderlicher artlichkeit
geſchrieben. Inſonderheit ſein ſeine Epi-
grammata ſo woll gemacht/ daß ſie vor
andern allen den Preiß haben/ und wiſ-
ſen/ die nach [ihm] dergleichen geſchrieben/
ihnen ſeine Erfindungen wol zu nutze zu
machen. Scævola Sanmarthanus, ſo ſelbſt
ein guter Lateiniſcher und Frantzoͤſiſcher
Poet geweſen/ gibt ihm in ſeinen Elogiis
dieſes Zeugniß. Si literæ ipſi adfuiſſent,
vix ullus erat futurus Poëta melior. Hoc
certè Galliæ præſtitit, quod, cum illius tem-
poris ſcriptores ſermone uterentur tam im-
puro, ut non intelligi poſſent, primus in
meliorem aptè \& dilucidè loquendi viam
ingreſſus ſit. Nechſt dieſem kan ich den
Ronſard darſtellen/ welcher zu ſeiner Zeit
das groͤſte Lob der Frantzoͤſiſchen Poeſey
erhalten. Sanmarthanus nennt ihn Poë-
tarum ab omnibus ſeculis ſecundum Maro-
nem
[167]Poeterey.
nem facile principem, und hat ihn mit ei-
nem herlichen lateiniſchen Epitaphio ver-
ehret. Der Koͤnig Carolus IX. hat ihn
gewuͤrdiget mit unterſchiedlichen Frantzoͤ-
ſiſchen Carminibus, welche Ronſard beant-
wortet. Er iſt von den vornehmſten Ge-
lahrten Leuten einem Foͤnix gleich gehal-
ten worden. Muretus hat nebſt andern
ſeine Verſe mit commentariis außgezieret.
Neben ihm ſein verſchiedene andere gewe-
ſen/ als Jean Antoine de Baif, Joachim du
Bellay, Pontus de Tyard, Eſtienne Jodelle,
Remus Belleau, Eſtienne Paſquier, Olivier
de Maigny, I. de la Peruſe, Robert Garnier,
Jean Paſſerat, Perron \&c. Aber ſein
Stern hat alle verdunckelt/ und haben
ſie ihm alle gern den Vorzug gelaſſen.
Es iſt traun eine ſonderliche artlichkeit in
ſeinen Sonneten und Oden/ in welchen
er/ nach Scaligers Urtheil etwas ſonder-
liches hat. Er iſt von hohen Einfaͤllen/
die er aber ſelbſt bißweilen verſtellet/ in
dem er gar zu viel Gelehrtheit eꝛweiſen wil.
In ſeiner Franciade aber fāllt dieſer Geiſt
l 4zim-
[168]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
zimlich weg/ deñ ein Heroicum Carmen mu-
ſte mit einem groͤſſern nachdencken und Ur-
theil geſchrieben werden. Du Bartas der
das Werck der Schoͤpffung in Frantzoͤſi-
ſchem Carmine beſchrieben/ iſt mehr einem
Hiſtorico als Poeten aͤhnlich/ ſelbſt nach
Sc. Sanmarthani Urtheil. Er affectiret
ſehr die zuſammenſetzung der Woͤrter/
nach art der Griechiſchen beym Homero
und Pindaro. Welches aber in der Frantzoͤ-
ſiſchen Sprach gar eine unfoͤrmliche und
frembde Redensart machet. Malherbe
der die groͤſte Lieblichkeit und Kunſt zu-
ſammen verbunden/ ward bey ſeinem Le-
ben von wenigen hochgehalten. Denn
er hatte viel Neider/ und die an ihm was
zu loben funden/ wolten ihn vor keinen
Poeten/ ſondern vor einen außbuͤndigen
Verßmacher halten/ weiln er ſich mehr
mit Uberſetzungen als mit eigenen Erfin-
dungen hervor gethan. Es meldet da-
von Balzac an einem Ohrt ſeiner Schriff-
ten: daß/ wie eines ſeiner Sonneten in ei-
ner vornehmen Geſellſchafft vorgeleſen
wur-
[169]Poeterey.
wurde/ habe man alles daran verwun-
dert/ ehe man ſeinen Nahmen gehoͤret:
So bald aber dieſer kund worden/ habe
man alles getadelt/ und waͤre nichts gu-
tes daran geweſen. So ſeltzam faͤllt
bißweilen das Uhrtheil der Leute! Nach
ſeinem Tode aber hat man mehr Wercks
vom ihm gemacht/ und auch die gering-
ſten Zeilen von ihm in dem groͤſten Wehrt
gehalten. Der gelahrte Biſchoff Godeau,
welcher ſelbſt die Pſalmen Davids in die
ſauberſte und zierlichſte Frantzoͤſiſche Ver-
ſe gebracht/ hat zu ſeinem Lobe eine eige-
ne Schrifft auffgeſetzet/ worin er ihn nen-
net l’ honeur de ſon ſiecle, les delices des
Rois, l’ amour des Muſes, \& l’un de leurs
plus accomplis chef-d’ oeuvres. Der be-
ruͤhmte Menage, welcher ſelbſt die zierlich-
ſten Frantzoͤſiſchen Verſe geſchrieben/
hat des Malherbe Verſe mit einem anſehn-
lichen Commentario beehret/ welcher in der
Vorrede eines Mr. Chevreau gedencket/
der gleichfals uͤber dieſe Poemata Anmer-
ckungen geſchrieben. Der Herr Menage
l 5ſcheuet
[170]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
ſcheuet ſich nicht ihn allen ſeinen Lands-
leuten vor zuziehen. Balzac in ſeiner
Lateiniſchen Briefe einem an den Sil-
hon p. m. 196. gibt ihm den groͤſten Lob-
ſpruch: Primus Franciſcus Malherba,
inprimis viam vidit, qua iretur ad carmen
atq; hanc inter erroris \& inſcitiæ caliginem
ad veram lucem reſpexit primus, ſuperbiſ-
ſimoque aurium judicio ſatisfecit. Non
tulit noſtros homines inventis fugibus am-
plius βαλανηφαγ [...]ν. Docuit quid eſſet pu-
rè \& cum religione ſcribere. Docuit in vo-
cibus \& ſententiis delectum eloquentiæ eſſe
originem atque adeo rerum verborumque
collocationem aptam ipſis rebus \& verbis
plerumque potiorem eſſe. Ferner ſagt
er: Perſpicaci maximè \& caſtigato judicio
plurima in ſe, in aliis nimium pene multa
inquirens, finxit \& emendavit civium ſuorũ
ingenia, tam felici ſucceſſu, ut elegantiorum
autorum turbam, qua nunc Gallia cele-
bratur, una ipſius diſciplina Galliæ dede-
rit. Man kan ein mehres daſelbſt leſen.
So urtheilte dieſer trefliche Mann von
Mal-
[171]Poeterey.
Malherbe, unter welchen und Ronſard er
eine Vergleichung angeſtellet Entretien
XXXI, darin er die jenigen anſticht/ die
denn Ronſard jenem vorziehen wollen. In-
ſonderheit hat Richelet ein Commenta-
tor des Ronſards einige Verſe wieder Mal-
herbe gemacht. Es iſt aber nicht zu leug-
nen daß Malherbe an unterſchiedlichen
Ohrten ſich des Ronſards gebraucht. Von
dieſen und andern dingen kan nachgeſe-
hen werden Mr. de Racan in ſeinen Memoi-
res pour la vie de Malherbe. Dieſem
Malherbe folgte Theophile, welcher in dem
er die weiche und leichte arth zu ſchreiben
nachahmen will/ auff eine niedrige Kin-
diſche verfaͤllt. Er folgt mehr ſeiner
Phantaſey als dem guten Urtheil/ und
iſt bey ſeiner Verwegenheit offtmahlen
gluͤcklich. Voiture hat luſtige Einfālle in
ſeinen Oden: aber da er die Rede erhe-
ben ſoll/ faͤllt er zu niedrig/ und iſt nicht
bequem durch hohe Außbildungen/ die
dem Lyrico Characteri zu ſtehen/ eine groſ-
ſe Sache vorzuſtellen. Sonſt hat er in
Scher-
[172]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
Schertzen/ Auffzugen und andern feſti-
vis den Preiß vor andern. In den Co-
mœdien haben die Frantzoſen ſich ſehr
hervor gethan/ und hat es niemand hoͤ-
her gebracht als Moliere, wiewol er die
Regeln der Kunſt/ ſo der Ariſtoteles vor-
geſchrieben/ uñ derer andre ſich gebraucht/
weit ūberſchritten. Er iſt aber dennoch
gluͤcklich geweſen/ und hat ſeine verwe-
gene Sinnigkeit ſich allen beliebt gemacht/
ob er gleich wieder der Comoedie geſe-
tze/ die vornehmſten Leute des Hofes
und des Landes auff den Schauplatz ge-
bracht/ und mit ihnen ſeinen Schertz ge-
trieben. Sein Miſantrope iſt wol eins
der beſten Spiele/ die er je gemacht. In
Tragœdien hat man den Corneille und an-
dere gehabt/ welche ihr Werck woll ge-
than: aber es iſt nicht die Krafft der
Woͤrter und der Außbildungen/ welche
bey den Griechen iſt. Corneille iſt durch
die Cid erſtlich empor kommen/ welche
mit unglaͤublichem Vergnuͤgen des Hofes
und des Volcks ſo offt iſt auff den Schau-
platz
[173]Poeterey.
platz gekommen/ daß man ſich nicht daran
erſāttigen koͤnnen. Es wurdē auff des Car-
dinal Richelieu angeben einige Zuſammen-
kuͤnffte gehalten/ daꝛin von allē dieſes Werck
gar genau geurtheilet ward/ welche Ur-
theile hervor gegeben/ und iſt das jenige
was ſie getadelt/ wieder von Corneille ver-
thediget worden. Der Herr de Scudery
hiedurch auffgemuntert hat eine Tragœ-
die erfunden/ deſſen titul l’ Amour Tyran-
nique, welche dem Cardinal gleichfals ein
groſſes Vergnuͤgen gegeben. Es hat
der Corneille einen Bruder gehabt/ der ihm
hierin nichts nachgegeben: Er aber hat
endlich dieſe weltliche Sachen fahren laſ-
ſen und ſich auff den Kempis de Imitatione
Chriſti in Frantzoͤſiſche Verſe zu uͤberſe-
tzen begeben. Von andern Comœdien
und Tragœdienſchreibern/ wie auch von
den Schauſpielen ſelbſt kan Sorell geleſen
werden in ſeiner Bibliotheque Françoiſe
chap. 10. p. 208. Regnier in ſeinen Satyren
iſt zwar ſinnreich/ aber etwas grob. Dem
Rablais fehlet die Zierlichkeit dieſer Zeit.
Uber-
[174]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
Uberhaupt von der Frantzoſen Poeterey
zu urtheilen/ ſo findet man ins gemein
Lebhafftigkeit/ und Sinnlichkeit in Wor-
ten und Gedancken/ ſie ſein geſchwinde
und weitſchweiffend/ ungedultig zu lan-
gem nachſinnen/ uͤberfluͤſſig in der Rede/
welche natuͤrliche Eygenſchafft ſie zu ho-
hen tieffſinnigen Werckē ungeſchickt macht.
Ich wuͤrde mich ſcheuen ſolches zu ſchrei-
ben/ wenn nicht ihr eigener Landsmann
Renatus Rapinus, der Lateiniſche Verſe
geſchrieben/ die des Virgilii ſeinen ſo ehn-
lich ſein als ein Ey dem andern/ in ſeinen
in Frantzoͤſiſcher Sprach geſchriebenen
Reflexionibus uͤber des Ariſtotelis Poētic.
part. 1. refl. 25. dieſes bekraͤfftigte/ welches
wir auß der Engliſchen Uberſetzung auff
Teutſch hieher ſetzen, Wir moͤgen
uns ſelbſt mit unſerm Verſtand und
mit demGeniounſerNationſchmei-
cheln; aber unſer Geiſt iſt nicht
gnug erhoͤhet/ um groſſe Außbil-
dungen (ideas) zu machen. Wir
bemuͤhen uns mir kleinen Dingen/
ſein
[175]Poeterey.
ſein in groſſen Dingen kalt/ und
erſcheint in unſerm Werck kaum
ein Schatten der hohenPoeſie,deren
Form uns die altenPoetenalsVirgi-
liusundHomerushinterlaſſen. Am an-
dern Orthe Reflex 30. ſagt er: daß
in der Frantzoſen Tichterey dieLo-
gicaoder Vernunfftkunſt nicht ge-
braucht werde/ ſondern es ſey ins
gemein lauterPedantereioderNon-
ſenſe. (Denn dieſer Worte gebraucht er
ſich.) deſſen er unzehlige Exempel
aus demdu BartasundRonſardbey-
bringen wolle. Ob nun zwar dieſer
vortrefliche Mann auffrichtig in ſeinem
Urtheil iſt/ ſo ſcheinet es doch/ wo ers
von den heutigen verſtanden haben will/
etwas zu ſtreng zu ſein: Es iſt kein Haupt-
werck geſchrieben/ ſeiner Meinung nach/
das dem Virgilio nachahme: So wun-
dert mich doch daß er des Chapellaine
nicht gedacht/ der ein Heroicum Po-
ëma von der Puella Aurelianenſi geſchrie-
ben/ welches dennoch in einigem
Werth
[176]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
werth gehalten wird: Auch mag des
Herrn de Scudery ſein Alaric woll
geprieſen werden. Sorell gedencket
noch des Pere le Moine le Saint Louys, le
S. Paul de M. Godeau, le Moyſe ſauvé de M.
de S. Aymant, le Clouis de M. Deſmareſts,
le David de M. de Lesfargue. So hat auch
der Herr Sorbier eines von dem Carolo M.
oder ſein reſtabliſſement de l’ empire Ro-
main verſprochen/ wovon er den anfang
in ſeinem Buch von der Frantzoͤſiſchen
Sprache ſehen laſſen. Aber hie von als
unbekanten Dingen iſt nicht zu urtheilen.
Rapinus ſchreibet von den Eclogis, daß ih-
rer Landsleute keiner einige tuͤchtige ge-
ſchrieben/ da doch Menage unter ſeinen
Frantzoͤſiſchen Poematibus etliche hat/ an
welchen der ſcharffſichtigſte nichts zu ta-
deln finden ſolte. Die heute ſchreiben/
befleiſſigen ſich ſolcher Rennlichkeit und
Zierlichkeit/ als immer erdacht werden
kan; Da es faſt unmuͤglich iſt die Scharff-
ſinnigkeit ſo vieler gelahrten Leute zu ver-
gnuͤgen/ wann man nicht ein vollkomme-
nes
[177]Poeterey.
nes Meiſterſtuͤck hervor zu bringen ihm
getrauet. Es wird nicht alles zu uns
herauß gebracht/ wuͤrde alſo ſehr gut
ſeyn/ wenn das Werck von Mr. Colletet
ans Tages Licht kommen ſolte/ welcher
von dem Leben der Frantzoͤſiſchen Poëten
ein Werck geſchrieben/ das Menage in ſei-
nen Obſervat. uͤber Malherbe p. 429. ſehr
ruͤhmet. Es iſt noch einige kleine Nach-
richt zu finden in des Sorelle Bibliotheque
Françoiſe chap. 67. Welcher aber mehr ein
Panegyriſtes und Nomenclator als Cenſor
iſt. Man iſt auch bemuͤhet die Sprache
ſelbſt in die richtigſte Verfaſſung zu brin-
gen/ wie denn von dem Cardinal Richelieu
ein eigenes Collegium dazu angeſtellet/
und von vielen vornehmen Leuten darin
gearbeitet iſt. Es ward genant Acade-
mie Françoiſe, davon eine Hiſtoriſche Re-
lation an den Tag gegeben iſt/ worin
von dieſes Collegii auffrichtung/
Ordnungen/ Orth und Tage der
Verſamlungen/ und andern denckwuͤrdt-
gen Dingen/ die darin vorgegangen/ von
m mde-
[178]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
denen Academicis und Gliedern deſſelben
gehandelt wird. Es iſt hierauß zu ſehen/
wie weit man in dieſem Wercke gekom-
men/ und geben es die heutigen Schriff-
ten zum theil zu erkennen. Ob gleich
der vornehmſte Zweg nemlich die Verfer-
tigung eines Dictionarii ſeinen Fortgang
nicht gehabt. Sorell hat in ſeiner Bibl.
Françoiſ. p. 12. du progrez de la langue
Francoiſ. eine vollenkommene Erzehlung/
wie die Sprache durch jede ſecula geſtie-
gen/ und in ſeinem erſten capit: de la pure-
tè de la langue Françoiſe handelt er von den
Autoribus, die hier in bemuͤht geweſen. Wie
hoch nun gleich die beſſerung der Spra-
che ſich erhoben/ ſo kan ich doch nicht des
Herꝛn Sorbier Meinung billigen/ der unter
dem Nahmen Laboureur ein Buch herauß
gegeben mit dieſer Uberſchrifft: Avantages
de la langue Francoiſe ſur la langue latine.
Worinnen er erweiſen will/ daß die Fran-
tzoͤſiſche Sprache vollenkommener ſey/ als
die Lateiniſche/ ob gleich Renatus Franci-
ſcus Sluſius in einigen Lateiniſchen Brie-
fen
[179]Poeterey.
fen das Gegentheil wieder ihn behauptet.
Sein vornehmſter Grund iſt/ weil die
Frantzoͤſiſche Sprache die Gedancken viel
richtiger und ordentlicher außdruͤcke/ als
die Lateiniſche/ die die Woͤrter und Mei-
nungen verwerffe/ und nicht ſecundum
concipiendi modum alles außſpreche.
Nun iſt zwar dieſes nicht nur der Fran-
tzoͤſiſchen ſondern vielmehr der Teutſchen
eigen: und beruhet hierin die natuͤrli-
che Ubereinſtimmung. Die Griechiſche
und Lateiniſche Sprache aber ſind auff
eine kunſtreiche Maaß der Sylben gerich-
tet/ wornach die gantze Zuſammenfuͤ-
gung des Periodi ſich ſchicken muß. Er
Sorbier hat zu behauptung ſeiner Mei-
nung die 30. Ode des 4. Buchs auß dem
Horatio in Frantzoͤſiſch uͤberſetzet/ mit
eben ſo viel Strophen und Verſen/ zu er-
weiſen/ daß die Frantzoͤſiſche Sprache mit
eben ſo viel Worten eine gleiche Rede auß-
bilden koͤnne. Aber es hat Iſaacus Voſſius
in ſeinem Buch de Poëmatum Cantu p. 39.
dieſe ſeine Meinung mit ſehr guten Gruͤn-
m 2den
[180]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
den widerleget: und wird in folgenden
noch ein mehres hievon geredet werden.
Der Herr Godeau in ſeiner Vorrede uͤ-
ber deß Malherbe Poëmata iſt faſt einer
gleichen Meinung: daß er der Frantzo-
ſen ahrt zu ſchreiben der Lateiniſchen vor-
ziehet.
Das II. Cap.
Von der Italiaͤner Poeterey.
Einhalt.
DIe Italiaͤniſche Sprache eine Mißgebuhrt
der Lateiniſchen. Wird von den Landsleuten
hoͤher als die Italiaͤniſche geſchaͤtzet/ und in
oͤffentlichen Schrifften ihr vorgezogen. Andere
hingegen tadeln ſolches. Die Italiaͤniſche Spra-
che unterſchiedlicher ahrt. Toſcaniſche iſt die beſte/ und
doch mit vielen Provencaliſchen Woͤrtern angefuͤllet.
Dantes, Petrarcha und Boccacius die erſten Poëten
welche die Sprache außgeuͤbt. Urtheil von Dantes
Schrifften. Franciſcus Petrarcha, der groͤſte Poët
ſeiner Zeit. Ihm wird groſſe Ehre erwieſen. Hat
durchauß zu der Rechts-Gelahrtheit ſich nicht be-
quemen wollen. Alexander Taſſonus hat ſeine
Poë-
[181]Poeterey.
Poëmata angegriffen. Wird von andern verthaͤdi-
get. Nicolaus Villanus verachtete ihn gleichfals.
Welche dennoch Beide gute Poeten geweſen.
Cl. Verdier zieht den Ronſardum dem Petrarchæ
unbillig vor. Commentatores uͤber Petrarcham.
Seine ungereimte Carmina. Unterſchiedlicher ge-
lehrten Leute Urtheil von Boccacio. Lexicon auß
dieſer dreyen Schrifften. Die alten Toſcaniſchen
Woͤrter werden von etlichen ſonderlich außgeſucht.
Die doch beym Petrarcha mit groſſen Bedacht geſetzt.
Nach dieſem iſt P. Bembus und I. Caſa gekommen.
Bembus hat die barbariem auß dem Lateiniſchen und
Italiaͤniſchen erſtlich verwieſen. Lob des Caſæ.
Seine Commentatores. Victoria Columna
und Margareta Sarrochia vortrefliche Poetinnen.
Arioſtus hat Bojardo was abgeſehen. Torquatus
Taſſus der beſte Heroiſche Poet bey den Italiaͤnern.
Sein groſſes Lob. Hat den Trißinum zum Vor-
gaͤnger gehabt. Sein Vater ein vortreflicher Poet.
Hat bißweilen geraſet/ und alsdann die beſten Ver-
ſe geſchrieben. Sein Gjeruſalemme liberata
iſt von Didrich von dem Werder ins teutſche uͤber-
ſetzt. Herrn Buchners Urthel davon. Seine andere
Carmina. Die Academia della Cruſca hat ſein
erloͤſtes Jeruſalem in vielen getadelt. Paulus Benius
hat ihn verthaͤdiget und dem Homero und Virgilio
vorgezogen. Belmontes Cagnolus, Paulus Gui-
dottus Burgheſius haben durchdergleichen Poëmata
m 3ſei-
[182]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
ſeinen Ruhm verkleinern wollen. Mambrunus,
Sangeneſius urtheilen auch nicht zum beſten von
ihm. Welche aber nicht in allen zu billigen ſein.
Guarini Hirtenſpiel Paſtor Fido. Chriſtian Hoff-
mans teutſche Uberſetzung. Iſt auch von Unter-
ſchiedlichen beſtritten und verthaͤdiget worden.
Marini groſſes Lob auß dem Lor. Craſſo. Sein
Adonis von etzlichen gelobet/ von andern getadelt. Iſt
all zu frey und ungebunden in ſeiner Poëſi. Gaudentii
Verthaͤdigung komt ihm hierin wenig zu ſtaat. Ur-
theil von den Oden des Chiabrera: von Girolamo
Preti und Fulvio Teſti. Auguſtini Maſcardi Urtheil
von den Italiaͤniſchen Poeten. Italiaͤner ſein nach-
laͤßig in auffzeichnung ihrer Poeten. Gregorio Leti.
Die Italiaͤniſche Sprache iſt woll außgeuͤbet. Vo-
cabularium della Cruſca wird geruͤhmt.
WIr kommen von den Frantzoſen
zu den Italiaͤnern/ als welche
von jenen das Muſter ihrer Ticht-
Kunſt genommen/ wie ſie ſelbſt geſtehen
muͤſſen/ und wir ſchon in vorigen Cap.
angefuͤhret. Es iſt die Italiaͤniſche Spra-
che eine unechte Gebuhrt der Lateini-
ſchen/ durch Vermiſchung mit der Gothi-
ſchen gezeuget. Welche wie ungeſtallt
ſie
[183]Poeterey.
ſie gleich iſt/ und ihrer Mutter an Zier-
lichkeit nicht zu vergleichen/ ſo haben doch
die Italiaͤner/ dieſe ihre neue baſtard-
Rede/ durch einen wunderlichen Trieb der
Natur immer hoͤher gehalten/ als die
auffrichtige alte Lateiniſche Sprache/ die
ſie doch in die Welt gebracht/ und dieſel-
be andre Voͤlcker gelehret. Denn da ſie
dieſelbe billig zu ihrem alten Stande zu
bringen ſich hātten bemuͤhen ſollen/ ſo
haben ſie noch mehr frembde Redensar-
ten von andern Voͤlckern dazu gebettelt/
und durch dieſe Vermiſchung zierlicher
zu machen gemeinet. Franciſc. Floridus
Sabinus lib. 1. ſucciſiu: klaget ſehr uͤber dieſe
Thorheit ſeiner Landsleute/ und fuͤhret
deſſen Urſach an/ wie auch Melchior In-
chofer in Hiſtoria Sacræ Latinitatis lib. 3.
cap. 10. welche hieruͤber koͤnnen nachgele-
ſen werden. Es ſein auch etliche auff die-
ſe Gedancken kommen/ daß ſie die gemeine
Italiaͤniſche Sprache in oͤffentlichen
Schrifften erhoben und der Lateiniſchen
vorgezogen/ als Joannes Baptiſta Evan-
m 4ge-
[184]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
geliſta Picenus in einer abſonderlichen O-
ration, und Alexander Taſſon Penſieri di-
verſi lib. 9. qu. 15. Wieder welche billig zu
leſen iſt des Johannis Nicolai Saulii Carregæ,
eines gelahrten Italiaͤners/ Brieff an Jo-
hannem Franciicum Gropallum, welcher
unter ſeinen andern Briefen lib. 2. p. 129.
zu finden. Worinnen er weitlaͤufftig
den Unfug derſelben darthut/ und wie
ſchādlich ſolche Meinung ſey erweiſet.
Was nun die Sprache anlanget/ ſo iſt ſie
nicht einerley Gattung von Anfang ge-
weſen. Dann gleich wie in Griechenland
viel Dialecti waren/ wegen der vielen Voͤl-
cker Herrſchafften und Nachbarſchafften/
alſo iſt es auch in Italien geweſen. An
welcher Seiten es Griechenland nahet
haben die Calabrier die Griechiſche Spra-
che mit der ihrigen vermiſchet: Wo es
an Franckreich ſtoſt/ da haben die Ciſalpi-
ni viel von der Frantzoͤſiſchen Sprache
angenommen. Die Roͤmer und Toſca-
nier, welche mitten in Italien wohnten/
waren am wenigſten dieſen Verānderun-
gen
[185]Poeterey.
gen unterworffen. Die Toſcaner haben
doch mehr Zierlichkeit als die Roͤmer be-
halten/ welche jederzeit von frembden
Gaͤſten ſind verunruhiget worden. Aber
der Toſcaner Sprache iſt gleichwoll mit
den Frantzoͤſiſchen Woͤrtern der Provincia-
lium erfuͤllet geweſen/ wie Al. Taſſon an
vorehrwehntem Ohrte ſaget: Firenze
in particulare era piena allora di Franceſi
e di Provenzali, da’ quali la lingua noſtra
preſe una infinità di vocaboli. Ihr erſtes
auffkommen/ und gleichſam ihre Jugend
iſt geweſen um das Jahr Chriſti 1300/
da Dantes, Petrarcha und Boccacius gelebt
haben/ als die erſten Triumvîri, unter
den Italiāniſchen Poeten. Dieſe drey
haben nach Melchioris Inchoveri Meinung
angefangen die gemeine Sprache außzu-
uͤben/ ſo woll in loſer als gebundener
Rede/ weil ſie ſich nicht getrauet in der
Lateiniſchen Sprache etwas tuͤchtiges
außzurichten/ da alles damahls in voller
barbarie war: Wiewoll Petrarcha noch
am meiſten darin gethan und als ein un-
m 5ver-
[186]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
vermutheter Stern durch die tunckle
Nacht hervor geleuchtet. Dantes iſt voll
von alten Woͤrtern/ unter welchen doch
ein tieffſinniges Weſen ſtecket. Seine
Poëmata haben viel Widerſacher und ver-
thaͤdiger gehabt. Caſtravilla hatte zwey
Buͤcher wieder den Dantem geſchrieben/
welche Jacobus Mazonius widerleget/ er-
weiſend daß des Dantes (divini hominis,
wie er ſagt) Comœdia unbillig getadelt
werde. Dieſen Streit haben nachge-
hends Beliſarius Bulgarinus, und Hierony-
mus Zobbius wieder erneuret/ deſſen Auß-
gang Ianus Nicius Erythræus Pinacoth. I.
imag. 38. Pinacoth. II. imag. 21. außfuͤhrlich
beſchrieben. Jacobus Gaddius libro de
ſcriptoribus tom. 1. p. 206. urtheilt von dem
Dante, daß wo ſein Werck eine Comœdie
ſey/ ſo uͤbertreffe ſie viel der Griechen
und Lateiner/ wo es aber ein Heroicum
Poëma zu nennen/ wāre es allein dem La-
teiniſchen des Virgilii nicht zu vergleichen/
des Homeri ſeinen Schrifften aber vor-
zuziehen. Franciſcus Petrarcha die Zierde
ſei-
[187]Poeterey.
ſeiner Nation, iſt vor ein Wunder ſeiner
Zeit gehalten worden/ und hat von den
vornehmſten Koͤnigen und Fuͤrſten Eu-
ropæ die groͤſte Ehr bey ſeinem Leben ge-
noſſen. Von welchen allen weitlāufftig
handelt Thomaſinus in ſeinem Patrarcha
redivivo: worinnen er die Hiſtoria ſeines
Lebens außfuͤhrlich und mit allen um-
ſtaͤnden beſchreibet/ ſo gar/ daß er auch
ſeiner ſo geprieſenen Katzen nicht vergeſ-
ſen/ und ihr Bildniß vorgeſtellet. Der
vornehme Rechtsgelahrter Cinus, wel-
cher ſelbſt gute Italiaͤniſche Carmina ge-
ſchrieben/ wie Gaddius in ſeinem Buch
de Scriptoribus bezeuget/ hat ihn zu der
Rechtsgelahrtheit noͤthigen wollen/ aber
er hat ſich gantz nicht hiezu bequemen
wollen/ dann er ſchreibet an ihn: Stu-
dium ad quod me hortaris, ſervile officium
reputo, \& mancipium omnibus ſe præſtant
qui illo utuntur. Quis eſt qui non dicat
hæc jura venalia eſſe \& ad bene rectéq; vi-
vendum longè aliis ſtudiis eſſe inferiora?
Quid ad faciendum virum bonum iſta con-
ve-
[188]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
veniunt? ſed quis non videt ad virtutem
conſequendam nihil pertinere? ſed cupi-
dum magis mendacem iracundumque ho-
minem reddunt. Hat er ſich derohalben
gantz auff die Philoſophie und Poeterey
geleget/ und dadurch eine unvergleichliche
Ehrerlanget. Dieſen Ruhm des Petrarchæ
hat nachgehends beſtritten Alexander
Taſſon in ſeinem Buch Conſiderationi
ſopra le rime del Petrarca, col confronto
de luoghi de’ Poëti antichi di varie lingue.
Wieder denſelben hat ihn verthaͤdiget
Joſephus de Aromatariis, dem der Taſſo-
nus wieder unter dem Nahmen Creſcen-
tis Pepe è Suſa geantwortet. Dieſer Jo-
ſephus hat wieder zum andern mahl un-
ter den Nahmen Falcidii Melampodii in
vier Dialogis, den Taſſonum angegriffen/
und hat endlich Taſſonus dem nicht leicht
was ab zu gewinnen war/ mit einem an-
dern Buch/ deſſen titul Tenta roſſa, ihm
wieder begegnet. Es iſt aber auff des
Taſſoni ſein Vrtheil ſo groß nicht zu ach-
ten. Er war zwar ein gelahrter luſtiger/
aber
[189]Poeterey.
aber verwegener und zanckſuͤchtiger
Geiſt/ und ward dieſes ſeines verfahrens
halber von allen angefeindet. Und
was iſt es von Petrarcha zu verwundern/
da er des Homeri ſelbſt nicht ſchonet/ wie
I. N. Erythræ. Pinac. 1. im. 110. erwehnet/
welcher ihn an dem Ohrt nach ſeinen Far-
ben ahmahlet. Von ſeinen Animadver-
ſionibus in Petrarcham ſpricht er: Etruſca
Fr. Petrarchæ Poëmataad reprehendendum
arripuit, quem unum non modo lyricorum
noſtrorum, ſed Græcorum etiam Latinorum-
que omnium principem ponimus; in quem
quasdam edidit animadverſiones, in qui-
bus nihil fere ab eo dictum reliquit, quod
non vel tanquam vitioſum reprehēderit, vel
ut abſurdum neglexerit, vel ut ineptum
irriſerit, nullam ejus laudem prætermiſe-
rit, quam non ſit conatus convellere, labe-
factare, evertere. Eben dergleichen Ge-
muͤths art hat der Nicolaus Villanus an
ſich gehabt/ welcher Petrarcham, Ario-
ſtum, Taſſum; die vortreflichſten Leute/
vor ſich verachtet/ war aber dennoch
ſelbſt
[190]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
ſelbſt ein vortreflicher Poet/ inſonderheit
in ludicro genere: Dann wie Erythræus
bezeugt/ edidit eruditiſſimos de Poëſi jo-
coſa \& ridiculâ ſermones unâ cum facetis-
ſimis ſuis rhythmis. In Heroico genere
hat er Florentiam liberatam geſchrieben/
daß nach ſeinen Tod hervorgekommen/
worinnen nach Erythræi Urthel digni
Homero verſus. Alexander Taſſonus
hat gleichfalls ein artig Poëma jocoſum
geſchrieben/ la Secchia rapita, welches Ery-
thræus ſehr lobet/ darinnen er einen Krieg
zwiſchen den Bononienſern und Mutinen-
ſern, der um eines Eimers willen entſtan-
den ſein ſoll/ beſchreibet. Theodotus Oſius
Nov. Opin-Sylvâ. c. 20. macht viel Wercks
von dieſem Poëmate, und nennt ihn Poë-
tam ſuper omnes tum noſtrorum tum an-
tiquorum ſeculorum celebrandum. Es
bringet auch Jacobus Gaddius in ſeinem
Buch de Scriptoribus tom. 2. p. 245. 246.
unterſchiedliche Dinge vor/ worin er den
Petrarcham tadelt; Aber es iſt von keiner
Erheblichkeit/ und iſt dieſes Mannes
Ur-
[191]Poeterey.
Urtheil nicht hoch zu ſchaͤtzen; wie im-
gleichen des Claudii Verdieri, welcher in
ſeiner ungehoͤbelten Cenſione Autorum
veterum \& recentium, den Ronſardum
dem Petrarchæ vorziehet/ worin er dem
Mureto wiederſprochen/ welcher das Ge-
gentheil behaupten wollen. Selbiger
hat auch Petrarcham beſchuldigen wollen/
als haͤtte er die erfindung ſeiner Trium-
phorũ auß einem alten Poëten genom̃en/
deſſen Lactantius lib. 1. Inſtit. divin gedencket.
Uber den Petrarcham ſind viel Anmerckun-
gen von vielen geſchrieben. Menage in
der Vorrede ſeiner Anmerckungen uͤber
des Malherbe Poëmata haͤlt davor/ daß
die Zahl der Commentatorum nicht gerin-
ger ſey/ als derer die uͤber den Virgilium
geſchrieben. Er hat in der Sprache
ſich groſſer Freyheiten gebraucht/ hat
viel gewaltſamer Reyme/ und alte Idio-
tiſmos. Nicolo Franco hat nachgehends
in ſeinem Buch Il Petrarchiſta genannt/
unterſchiedliche Carmina des Petrarchæ
hervor gegeben/ die bey ſeinen Lebzeiten
nicht
[192]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
nicht hervor gekommen/ worin er der
Reime ſich nicht gebraucht. Labbæus in
ſeiner Bibliotheca MStorum p. 67. geden-
cket noch unterſchiedlicher Carminum des
Petrarchæ, die noch nicht hervor gegeben.
Boccacius iſt den vorigen nicht zu verglei-
chen/ die ihn weit an Erfindung und
tieffſinnigen Gedancken uͤbertreffen: aber
er hat dennoch eine groͤſſere renlichkeit
in der Sprache beliebet/ und dieſelbe zu
mehrer Zierlichkeit gebracht. Taſſonus
ſchreibt ihm zu daß er der erſte ſey/ der
die Italiaͤnſche Sprache außgezieret.
Hieron. Boſſius hat ein Buch geſchrie-
ben des Inhalts: Che la volgar lingua
habbia havuto del Petrarcae del Boccacio
il compimento ſuo. Melch. Inchofer Hiſt.
S. Latinit. lib. 3. c. 9. urtheilet alſo:Bocca-
cius naturâ quodamodo factus ad el oquen-
tiam, cum probè noſſet ſe cum antiquis la-
tinis facile certare poſſe: maluit tamen in-
genium à medio curſu convertere, ut cum
ſummus inter latinos eſſe diffideret Tulli-
um in vulgari eloquentia affectaret.
Ne-
[193]Poeterey.
Neque tamen poſtea hanc laudem illi con-
ceſſerunt, frigidum appellantes in nugis, qui
in ſeriis, ſi latinus eſſe voluiſſet, magno
calore effervebat. Ita qui primus eſſe ma-
luit inter vulgares, quam ſecundus inter
nobiliores, vix gradum inter utrosque ob-
tinuit. Franciſcus Alumnus Ferrarienſis
hat auß Dante, Petrarcha und Boccacio
ein Lexicon jhrer Woͤrter zuſammen ge-
ſchrieben/ unter dem Titul, Fabrica del
Mondo; und ein anders/ Richezze della
lingua vulgare. Wodurch denen Anlaß
gegeben/ die jhre Zierlichkeit ſuchten in
alten verlegenen Florentiniſchen Woͤr-
tern/ welcher viel bey dieſen Autoribus zu
finden. Deñ ſolcher ahrt Poeten wurden
damahls gefunden/ die nichts anders ge-
brauchen wolten/ als die alten Florentini-
ſchen Woͤrter/ welche Jacobus Michalori-
us in einer artigen Satyrâ durchgezogen/
deſſen Erythæus erwehnung thut Pina-
coth. I. im. 157. Von den Triumviris, Dan-
te, Petrarcha, und Boccacio hat offter-
wehnter Erythræus Pinacoth. III. p. 220.
nein
[194]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
ein ſonderlich Lob/ und weiß wegen der
alten Woͤrter nichts an jhnen zu tadeln.
Inferunt ſe quidem, ſagt er/ in ipſorum ſer-
monem verba aliqua paulò antiquiora: ſed
ea miram habent venuſtatem, \& quia loco
ſunt poſita adeò omnium in telligentiæ ſunt
obvia atque aperta, ut nulla ferè interpre-
tis cujusquam ope auxilioque indigeant.
Campanella lobt in ſeinem Buch de ratio-
ne ſtudendi artic. 2. den Dantem vor allen/
ob ideationem Exemplorum, mirificenti-
am narrationis, imitationem rationis. Die
Zeit von 1400 biß 1500 hat nicht viel ſon-
derliches hervorgebracht/ weiln Krieg/
Peſt und allerhand Unruhe die guten Gei-
ſter ſchier erſticket. Da iſt endlich Petrus
Bembus heran gewachſen/ welcher der
erſte/ der ſo wol in der Lateiniſchen als I-
taliaͤniſchen Sprache die alte Zierlichkeit
wieder hervor geſuchet. Johannes Caſa
in ſeinem des Bembi Leben gibt deſſen
ein ſattſames Zeugnuß: Par erat atque i-
dem eorum error, (Er hatte vorhin von
der Lateiniſchen Sprache geredet) qui Ita-
licè ſcribebant: qui cum duos haberent ſcri-
pto-
[195]Poeterey.
ptores meâ quidem ſententiâ vel cum Lati-
nis vel cum Græcis conferendos (Dantem \&
Petrarcham) nam alterius verſus \& ſua vita-
tis plurimum habent \& dignitatis, \& variis
ingenii aut etiam artis luminibus referti
ſunt, \& animum ſæpè permovent, atque im-
pellunt, ut de amore ne Græcus quidem
quiſquam melius; alterius oratio dulcis,
copioſa, polita, ornata, mollis, faceta, rem
ante oculos ponens, ut geri ea quæ legas,
non narrari videantur. Hos cum haberent
autores duos, utrumque in ſuo genere ma-
ximè excellentem, ſcribebant ipſi ineptè,
abjectiſſimis verbis, nullus erat ornatus,
nullo homine erudito dignæ ſententiæ,
nulla compoſitionis aut numerorum ratio.
Licet in manus ſumere, quæ tunc multi ſcri-
ptitarunt, præter unum Politianum, illum-
que ipſum minus dulcem, minus omnino
elegantem, quam ut legiſſe Petrarchæ le-
ctiſſimos verſus videatur, cæteros ad unum
indignos dico, qui in ſcriptorum numero
habeantur. Unum ſcurrile vigebat dicendi
genus; in eo ſanè ridiculi nonnulli; ſed
n 2ipſi
[196]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
ipſi quoq; multis in locis inertes \& languidi.
Des Bembi ſeine Italiaͤniſche Carmina ſein
ſehr gut/ und nach des Petrarchæ ahrt ein-
gerichtet: welchem er inſonderheit gefol-
get. Gaddius vergleicht jhn dem Bocca-
cio, ich halt jhn hoͤher/ ziehe jhm aber
den Caſam vor/ welcher wie er das zier-
lichſte Latein zu ſeiner Zeit geſchrieben/
weßwegen er billig von ſeinen Landsleu-
ten hochgehalten wird; ſo hat er auch im
Italiaͤniſchen ſeine annehmligkeit gehabt/
wiewol er in beyden nur wenig geſchrie-
ben. Gaddius hālt ſeine Italiaͤniſche hō-
her als die Lateiniſche/ nnd zwar nicht
unbillig: denn die Lateiniſchen ſind etwas
trucken und mager/ und haben nicht ſol-
chen Geiſt und Trieb wie jene. Die Flo-
rentiner ſchaͤtzen dieſen jhren Calam uͤber
alles/ als den zierlichſten Autorem, und der
am ſauberſten ſchreibet/ wie Erythræus be-
zeuget Pinacoth. III. p. 220. Menagius hat
einen Commentarium uͤber ſeine Italiāni-
ſche Poëmata geſchrieben/ deſſen er ge-
denckt in ſeinen Obſervationibus uͤber den
Mal-
[197]Poeterey.
Malherbe p. 503. Ja der trefliche Poet
Taſſus hat ſie ſelbſt mit ſeinen Anmerckun-
gen gewuͤrdiget/ worauß Herr Menage
etwas anfuͤhret an gedachtem Ohrt/ pag.
536, wie auch Querengus. Giraldus hālt die
Victoriam Columnam vor eine unvor-
gleichliche Poetin/ und ſein einige/ die ſie
dem Petrarchæ gleich ſchaͤtzen. Derglei-
chen eine nemlich die Margaretam Sarrochi-
am lobt Erythræus Pinacoth. I. imag. 145.
welche des Scanderbegs Leben und
Thaten/ Etruſco Carmine weitlaͤufftig
und zierlich beſchrieben. Sannazarius der ſo
trefliche Lateiniſche Verſe gemacht/ hat
auch ſeinen Ruhm in der Mutterſprache
einlegen wollen mit ſeiner Arcadia. End-
lich folgen Arioſtus und Taſſus, die in aller
Welt bekandte Heroiſche Poeten/ von
deren Trefligkeit und Vorzug gantze Buͤ-
cher geſchrieben. Es iſt nicht zu leugnen
daß Arioſtus an der Heroiſchen ahrt die
vorgehende uͤbergehe. Er iſt groß und
hoch von Geiſt/ ſeine außbildung iſt ver-
wunderlich/ ſeine Beſchreibungen ſein
n 3Mei-
[198]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
Meiſterſtuͤcke/ aber das Syſtema des
Wercks an ihm ſelbſten hat nicht die Voll-
kommenheit/ die es haben ſoll. Vor
ihm hat Matthæus Boyardus, Comes Scan-
dianus ein Poëma von dem Lobe des Orlan-
do geſchrieben/ aus welchem/ wie Jacobus
Gaddius. de Scriptoribus tom. 1. p. 70. will/
er viel ſoll außgeſchrieben haben/ und
hat er unterſchiedliche Proben deſſen zum
Vorſchein gebracht: auch hat Thomaſius
in ſeinem Buch de plagio §. 362. etliche Oer-
ter auß dem la Cerda und Baronio ange-
merckt/ woruͤber er eines plagii beſchuldi-
get wird. Aber dieſes auß Boyardo iſt
von groͤſſer Erheblichkeit/ weil ſie einer-
ley materie unter haͤnden gehabt. Tor-
quatus Taſſus uͤbertrifft den Arioſto weit/
in ſeinem erloͤſten Jeruſalem/ einem rech-
ten Meiſterſtuͤck/ womit die Italiaͤner
allen andern Nationen Trotz bieten koͤn-
nen/ welches ſo viel gelehrte Leute als
Scipio Gentilis, Julius Gaſtavinus, Lau-
rentius Pignorius \&c. mit ihren Anmer-
ckungen beehret. Es ſein dennoch etzliche
wel-
[199]Poeterey.
welche behaupten wollen/ er habe von
Georgio Trisſino, der vor ihm ein Poëma
von dem von den Gothen befreiten Ita-
lien geſchrieben/ die Form ſeines Wercks
genommen/ wie der des Homeri Ilias ihm
zur Nachfolge vorgeſetzet. Es iſt traun
eine weit beſſere Einrichtung des Wercks/
und richtiger in allen ſtuͤcken eines Poë-
matis wie der andern Italiāner. Der
ſcharffe Cenſor Rapinus weiß nichts an ihm
zu tadeln/ als daß er bißweilen mehr Zier-
lichkeit gebraucht als die Ernſthafftigkeit
der Sachen erfodert. Er hat zum Vater
gehabt Bernhardum Taſſum, von welchem
Erythræus Pinac. II. p. 50. ſaget/ quod omnes
concinnitates ſententiarum, omnes lepores
omnes véneres Græcorum Latinorumque
poetarũ Etruſcam in poêſin transferre cona-
tus fuerit. Seiner gedencket auch Lilius
Giraldus in ſeinem Dialogo II. de Poëtis no-
ſtri temporis; woſelbſt viele andere ſon-
ſten unbekante erwehnet werden/ die in
Italiànſcher Sprach etwas geſchrieben/
und deren viel nicht ans Licht gekom-
m 4men.
[200]Das I. Cap. Von der Frantzoſen
men. Iſt alſo kein Wunder/ daß un-
ter ſolches Vaters Auffziehung/ ein ſo
vollkommenes Muſter gebildet iſt. Joh.
Baptiſta Manſo Marchio Villenſis, welchem
Torquatus Taſſus ſein Geſpraͤch von der
Freundſchafft zugeſchrieben/ den Johan-
nes Miltonus in ſeinen Poêmatibus Juve-
nilibus p. 74. mit einem feinen Lateiniſchen
Carmine beehret/ hat des Torquati Taſſi
Leben weitlāufftig beſchrieben/ worinnen
viel ſonderliche dinge ſein: Unter andern
iſt nicht vorbey zu gehen/ welches auch
Thuanus in dem 113 Buch ſeiner Hiſtoria
erzehlet/ daß in ſeiner Jugend ihn eine
Raſerey befallen/ welche hernach zu ge-
wiſſen Zeiten wiederkommen; dadurch
ihm nicht das Gemuͤth verruͤcket/ ſon-
dern vielmehr ſo geſaubert worden/
daß er nach ſolchen Uberfall die herr-
lichſten/ tieffſinnigſten unvergleich-
lichſten Carmina geſchrieben. Gleich
als wann er durch eine Goͤttliche Regung
were geruͤhret worden. Von derglei-
chen Exempeln werde ich einmahl mit
meh-
[201]Poeterey.
mehren in meiner Diſſer tatione de Enthu-
ſiaſmo Poëtico handeln. Sein Gluͤck iſt
ſeinem Geiſte nicht gleich geweſen/ dann
er ein hoͤhers verdient. Aber diß iſt ins
gemein groſſen Maͤnnern eigen/ daß ſie
bey ihrem Leben nicht nach ihren Ver-
dienſte gehandelt werden. Erythræus Pina-
coth II, p. 74. will nichts von ſeinem Lobe
ſagen/ weil er nicht gnug ſagen kan. Sein
herrlicher Verſtand leuchtet hierauß her-
vor/ daß er in dem ſiebenzehenden
Jahr ſeines Alters Theologiæ, Jurispru-
dentiæ und Philoſophiæ Doctor geworden/
welche Dinge er aber alle hernach ver-
laſſen hat/ und ſich auff die Poeterey allein
begeben. Es iſt keine Sprache/ darin
nicht ſein Werck uͤberſetzet. Didrich von
dem Werder hat es Teutſch gemacht/ aber
es iſt alles gezwungen und hat keine ſon-
derliche art. Es hat dennoch dem Hn.
Buchnero ſeine Arbeit einige Vergnuͤ-
gung gegeben/ wie auß ſeinem andern
Briefe/ den er an den Opitz geſchrieben/ er-
hellet: De Poëſi ſpricht er/ ita ego ſentio
illu-
[202]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
illuſtrem prorſus atq; eximiam eſſe \& paria
poſſe facere cum Epica Græcorum Latino-
rumque, quorum vineta inſigniter cædit.
Translationem vero multô \& operoſiorem
Huberianâ Bartaſii \& meliorẽ judico, quan-
quam Italica nondum licuit cum noſtris con-
ferre. Er ſetzet aber nachgehends auch fer-
ner/ was er an ihm tadelt. Des Taſſi Gjeru-
ſalemme Conquiſtata, ein ander Werck/
hat nicht die Vollkommenheit des erſten.
Deſſen Amynta iſt von Menagio mit ei-
nem Commentario außgeſchmuͤckt. Sei-
ne Oden ſein voller Leben und Feuer.
Dieſer ſo trefliche Mann hat dennoch bey
ſeinem Leben ſeine Neider gehabt. Die
Academia della Cruſca hat in ſeinen Poë-
matibꝰ viel zu tadeln gefundē; Aber Paulus
Benius hat es mit den Academicis auffge-
nommen/ und in einem abſonderlichen
Buch den Taßum verthaͤdiget. Ja er iſt ſo
weit gegangen/ daß er des Taßi Poëma
des Homeri und Virgilii ihren vorgezo-
gen/ und viel Oehrter auß ihm angefuͤh-
ret/ dadurch er ſolches behaupten wol-
len.
[203]Poeterey.
len. Worin er nach ſeiner Weiſe ver-
fahren/ dann er ohn dem den alten Auto-
ribus auffſetziger als billig iſt/ und ſein Ur-
theil begreifft. Wie er dann des Livii
Hiſtorien ſehr veraͤchtlich gehandelt/ und
ihn/ der doch der vornehmſte nach aller
gelahrter Leute Urtheil iſt/ auß der Zahl
der guten Hiſtorienſchreiber außſchlieſſen
wollen. Belmontes Cagnolus hat durch
ſein Poëma, das verſtoͤrteAquileia,
des Taßi ſeinen Ruhm verkleinern wol-
len/ ſeinen aber dadurch vernichtet/ ob
zwar das Poëma an ſich nicht zu verach-
ten. Paulus Guidottus Burgheſius hat des
Torquati Tußi erloͤſtem Jeruſalem ein an-
ders/ nemlich das verſtoͤrte Jeruſalem/
entgegen geſetzet/ in eben ſo viel Geſaͤngen
und Verſen. Von welchen beyden Ery-
thræus in ſeiner erſten Pinacotheca zu le-
ſen. Es hat auch Cardanus von den La-
teiniſchen und Italiaͤniſchen Poëten ſein
Urtheil gefāllet/ welches in tom. X. Para-
lipom. lib. 17. c. 4. zu finden. Mambrunus in
ſeiner Diſſertatione Peripateticade Epico car-
mi-
[204]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
mine hat an dem Taſſo und Arioſto zu ta-
deln/ daß ſie die Unitatem Actionis, welche
in ſolchem Poëmate inſonderheit erfodert
wird/ nicht in acht nehmen. Beym Tor-
quato ſein zu viel Epiſodia, worinnen er
ſich zu weitlaͤufftig auffhalte. Die auß-
theilung und einrichtung des erloͤſeten
Jeruſalems/ wie ſie an ſich ſelbſt iſt und
ſein ſoll/ wird ohne Nahmen und Epiſodiis
nebſt Homeri und Virgilii ihren vorgeſtellet
in ſeinen Buch part. 2. quæſt. 1. Aber es
iſt in allen Dingen leichter zu richten/
als ſelbſt etwas ins Werck zu ſetzen. Sol-
che kleine Fehler/ welche die Academie
della Cruſca auch groß gemacht/ werden
leicht durch die andre Vortreflichkeiten
uͤberwogen: und faͤllt mir allhie des Ho-
ratii Spruch bey: Ubi plura nitent in
carmine, non ego paucis Offendor maculis.
Beim Arioſto aber ſein vielmehr Maͤngel
zu finden; welcher ſich allzuſehr in ſeinen
Epiſodiis vertiefft/ und mit weitſchweif-
fenden Romain-Einfaͤllen alles erfuͤllet.
Iſt alſo Sangeneſius ein unbilliger Richter
wann
[205]Poeterey.
wann er in ſeinen Satyren de Parnaſſo lib.
2. cap. 2. ſchreibet/ daß ietzo auff den Ita-
liaͤniſchen Parnaſſo der Torquatus Taſſus
regire numero magis, quam virtute ſe-
quentium ſuperior. Guarinus hat in den
Hirtenſpielen ein vollkommenes Muſter
hervor gebracht. Darin meinen die
Italiaͤner/ daß ſie allen Griechen und
Lateinern zuvor thun. Deſſen Paſtor
Fido iſt ſo beruͤhmt/ und in ſo viel Spra-
chen uͤberſetzt/ daß er niemand unbekant
ſein kan. Auch neulicher Zeit iſt er von
dem vortreflichen Chriſtian Hoffmann/
in teutſche Verſe uͤberſetzt/ faſt mit groͤſſer
Zierlichkeit als er geſchrieben: dann er
die Reime hinzu gethan/ und alſo viel
mehr Wercks in der Uberſetzung gefun-
den/ als der Autor in der Erfindung/
der ſich an keine Reime gebunden. Die-
ſes Hirtenſpiel/ oder wie es der Autor
ſelbſt nennet Tragi-Comœdia, iſt von un-
terſchiedlichen angegriffen worden/ und
ſein deßhalben Buͤcher auff beyden
ſeiten geſchrieben worden/ wovon die
Nach-
[206]Das II Cap. Von der Italiaͤner
Nachricht zu finden in des Herrn Vin-
centii Placii Buch de Anonymis detectis
cap. 15. §. 528. Sonſten ſcheinet woll/ daß
ſeine Hirten die er einfuͤhret/ mehr Zier-
lichkeit haben/ als ihnen Standes halber
zu kommen kan/ und der Anſtand erfo-
dert. Seine Sonneten und andere Car-
mina verdienen gleichfalls ihren Lob/ ob
gleich einige ſie gering halten. I. B. Ma-
rinus ein Neapolitaner, der viel ſeiner Lan-
desleute die in der Poèſie beruͤhmt ge-
weſen/ gehabt/ wird in dieſer ſanff-
ten Poeterey gleichfalls hochgehalten.
Lor. Craſſ. Elog. d’ huomini litterati part.
1. p. 212. legt ihm dieſen Lobſpruch bey:
Il Neapolitano Ovidio, digno ſolamente
dell’ aurea penna dell’ immortal fenice.
Non fu ingegno nelle fecondità de’ verſi
più di lui dotato della Natura, dolce nel-
lo ſtile, chiaro nell’ eſpreſſiva, acuto ne’
penſieri, e mirabile nella varieta de’ com-
ponimenti \&c. Er vergleicht ihn mit
Martiali, Petronio, und der Griechen
Anacreonte, inſonderheit aber dem Ovidio,
deſ-
[207]Poeterey.
deſſen Seele gleichſam durch eine Pytha-
goriſche Verhauſung in ihn gefahren.
Sein Vater hat ihn in ſeiner Jugend
den Rechten gewidmet/ dazu er ſich/ eben
wie der Ovidius, durchauß nicht bequemen
wollen. Ob er gleich viel in Lyrico genere
geſchrieben/ ſo hat er doch ſein meiſtes
Lob durch ſeine Adonis verdienet. Weil
er aber bißweilen etwas unſauber und
geil in ſeinen Reden/ ſo iſt es zu leſen
verboten worden. Diß Buch haben F.
Thomaſo Stigliani und Angelicus Aproſius
du Ventiniglia angegriffen. Nicolaus Vil-
lanus und Hieronymus Aleander ein ge-
lehrter treflicher Mann/ haben es verthaͤ-
diget. Beſiehe Erythræum Pinac. I. p. 46.
und p. 189. Leonem Allatium in Apibus ur-
banis, und Vincentium Placcium in Pſeu-
donymis. p. 193. Caſpar Murtula, wie er
am Savoiſchen Hofe/ da er vorhin ſei-
ner Poeſie halber angenehm geweſen/
durch den Marinum herunter geſetzt/ hat
denſelben erſchieſſen wollen wie Erythr. Pi-
nac. I. p. 33. bezeugt. Es iſt ſonſt dieſer Mari-
nus
[208]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
nus von denen/ welche ihrem Geiſte und
Erfindungen die Zuͤgel gar zu frey ſchieſ-
ſen laſſen/ und in einem Dinge zu zieren
unauffhoͤrlich und unendlich ſein/ worin
doch gewiſſe maaß muß gehalten werden/
wenn den Lehrſaͤtzen dieſer Kunſt ein
gnuͤgen geſchehen ſoll. Es vermeinet
zwar Paganinus Gaudentius in ſeiner Ora-
tione Apologetica pro Marinianä Poëſi,
welche in ſeinem Inſtar. Academic. p. 95.
zu finden: man hātte nicht von noͤthen ſo
gar ſich an des Ariſtoteles Lehrſaͤtze zu
halten/ und koͤnne keiner etwas ſonder-
liches uͤnd ruͤhmliches ſchreiben/ wann
er ſich ſo knechtiſch hieran binden wolle.
Aber es iſt ſein Urthel nicht groß zu ach-
ten/ als welcher in ſeiner Schreibahrt
wenig Kunſt und Fleiß erweiſet/ und von
ſeinen Landesleuten deßhalben verach-
tet wird. Iſt derowegen dem Marino
mit ſeiner Verthaͤdigung nicht ſonderlich
gedienet. Gabriel Chiabrera, hat in Ita-
liaͤniſcher Sprach Oden geſchrieben/
welcher die Pindariſche hohe ahrt nach
zu
[209]Poeterey.
zu machen jhm vorgenommen/ und ſein
etliche welche meinen/ er habe ſeinen Zweg
voͤllig erhalten; andere hingegen ſeyn in
dieſer Meinung/ es ſtehe dieſe Schreib-
ahrt der Italiāniſchen Sprache gar nicht
an/ als welche ſolche ſchwuͤlſtige
Compoſita nicht wol vertragen koͤnne.
Girolamo Preti, Fulvio Teſti und viel an-
dere/ die nicht allhie zu nennen/ verdie-
nen ein gutes Lob/ welche kurtze/ ſinnrei-
che Sonnetten/ Oden und Carmina ge-
ſchrieben/ aber ſie ſchmincken ſich allzuſehr
und verlieren offt den guten Anſtand/ in
dem ſie ſcharffſinnig und zierlich ſchrei-
ben wollen. Auguſtinus Maſcardus ſelbſt
ein treflicher Poet/ iſt mit den meiſten I-
taliaͤniſchen Poeten nicht zu frieden/ und
iſtſein Urtheil von dieſen zu leſen in ſeinen
Proſe Vulgari Diſcorſ. 9. worinn er uͤber
ein Poëma vom Cometen urtheilet: Sono
alicuni poëti Toſcani (ſagt er) ſi temerari,
che ſu l’ ali de lor capriccio, tanto intrepi-
damente traſcorrono l’ aria d’ una proſon-
tuoſa licenza, che tutto il rimanente del
omon-
[210]Das II. Cap. Von der Italiaͤner
mondo diſpreggiano, e non curano punto
il maturo giudicio de’ ſavi; e poi ſi leggo-
no ne’ cartocci infelici di que’ barbari ci-
urmatori, figure \& hiperboli ſi gelate,
che apunto hiperboree posſon nomarſi, e
nate ſotto il fiero clima dell’ orſe. Es we-
re eine gute Arbeit/ wenn jemand aller
Italiāniſchen Poeten Leben und Wercke
außfuͤhrlich beſchreiben wolte/ denn es
ſeyn jhrer ſehr viel/ und uͤbertreffen ſie
an Geiſt die Frantzoſen/ als welche jhnen
gern in jhren Laſtern nachfolgen: ſolche
kommen uns ſelten zum vorſchein/ und
ſein die Italiāner nicht ſo fleiſſig die Sa-
chen jhrer Landsleute auffzuzeichnen/ wie
die Frantzoſen. Von denen jetzo lebenden
Italiāniſchen Poeten/ giebt uns die naͤ-
heſte Nachricht der Gregorio Leti in ſeiner
Italia regnante part. 3. \& 4. worin viel
merckwuͤrdiges von denſelben enthalten.
Ihre Sprache haben ſie dennoch beſſer
außgeuͤbt als die Frantzoſen/ und viel
Fleiß an deren Grammatiſche Richtigkeit
gewandt. Das Vocabularium della Cruſca
kan
[211]Poeterey.
kan deſſen Zeuge ſeyn/ welches Chimen-
tellus in ſeinē Buch de Honore Biſellii cap.
29. ingentem Etruſcarum literarum theſau-
rum nicht unbillig nennet/ dergleichen
Franckreich nicht vorzuweiſen hat: zu-
geſchweigen anderer Buͤcher die der Toſca-
niſchen Sprache Sprichwoͤrter und der-
gleichen ſchoͤne Anmerckungen vorſtel-
len.
Das III. Cap.
Von der Spanier Poeterey.
Einhalt.
WAru[mb] die Spanier nicht ſo gluͤcklich in der
Poeterey ſeyn/ als andere Nationen. Sie
haben eine gute Faͤhigkeit hierzu. Sie wollen
die Romanen erfunden haben. Die ſie doch von den
Frantzoſen erlernet. Barthius meinet die Frantzo-
ſen haben alle jhre zierlichſte Sachen von den Spa-
niern. Thomas Spraat ein Engelaͤnder wirfft ſol-
ches auch den Frantzoſen vor. Man thut jhnen a-
ber unrecht. Die Spaniſchen Poëmata ſeyn mit
Romainiſchen Schwermereyen angefūllet. Diego
Ximenes, Quevedo, Gongora. Dieſen letzten
o 2lobt
[212]Das III. Cap. Von der Spanier
lobt Nicolaus Antonius ſehr. Camœns ein Por-
tugiſiſcher Poët. Michaël de Silveira ein Portu-
gieſe hat ein Heroicum Poëma El Macabeo ge-
ſchrieben. Von welchem Torquatus Taſſus ein Mu-
ſter nehmen wollen. Cervantes Satyriſche Romain
Don Quixot. Barthol. Leonard. Argenſolæ Oden.
Lope de Vega hat 1800. Comoͤdien geſchrieben. Sei-
ne ſonderliche Fertigkeit. Was an jhm zu tadeln.
Juan Velaſquez de Azevedo hat von den Tragœ-
dien geſchrieben. Garſias Laſo de la Vega. Al-
phonſus de Ledesma hat in geiſtlichen Sachen viel
geſchrieben. Iſt mit dem Beynahmen Divinus
geehret. Nicolai Antonii und Campanellæ auff-
richtige Bekaͤntnnß von der Spanier Poeterey.
Der Spaniſchen Sprache Uhrſprung von Bernar-
do Aldrete beſchrieben. Barthii Meinung/ daß die
Spaniſche Sprache der Lateiniſchen die gleichſte
ſey. Wird widerlegt.
ICh wende mich zu den Spaniern/
einem Volcke/ deſſen Ernſthafftig-
keit kaum der Poetiſchen Zierlig-
keit faͤhig zu ſeyn ſcheinen ſolte. Aber
wir finden doch gleichwol bey jhnen einen
Trieb/ der ſie hoch genug fuͤhren kan/ ſo
ſie nur folgen wollen: dadurch ſie auch
an-
[213]Poeterey.
andere uͤberſteigen koͤnnen/ wenn ſie ſol-
ches mit Ernſt jhnen vorſetzen. Weiln die
allgemeine Landsahrt von der Natur
nicht dahin gefuͤhret wird/ als wird nicht
gar viel fleiß darauff gewandt/ und die
bey den ingeniis ſich findende Zuneigung
in dem erſten Beginnen gehemmet/ als
welche durch die vielheit der Exempeln/
und hochachtung ſolcher Wiſſenſchafft
nicht gereitzet und geleitet wird/ wie bey
andern Voͤlckern. Nur wann ſich die Na-
tur von ſelbſten hervor thut/ ſo hat man
die herrlichſten Poeten auch bey jhnen
geſehen. Man kan dieſen Trieb in den
alten Lateiniſchen auß Spanien buͤrtigen
Poeten/ als dem Seneca Tragico, Lucano
und Martiali ſehen. Dann ob man ſie
gleich beſchuldiget/ daß ſie ein frembdes
Weſen in die Lateiniſche Sprache ge-
bracht: So iſt doch ein groſſer Tichteri-
ſcher Geiſt in jhren Schrifften verborgen/
der den Roͤmern ſelbſt zuvor thut/ als
des Seneca in Tragœdien/ welchekein Roͤ-
mer ſo hochgebracht/ des Martialis in Epi-
o 3gram-
[214]Das III. Cap. Von der Spanier
grammatibus, deren Scharffſinnigkeit un-
vergleichlich/ und welche alle andere in die-
ſem Stuͤcke nachgeben muͤſſen. Sie ſein et-
was ſpāt zu der heutigē Poeterey gekom-
men. Nur haben ſie ſich vorhin mit ihren
Romainen und einigen gemeinen Moren-
Liedern ſich vergnuͤget. Denn die Ro-
mainen wollē ſie gar erfunden haben/ wel-
ches Nicolaus Antonius in der Vorrede ſei-
ner Bibliothecæ Hiſpanicæ behaupten will/
dabey erwenend/ daß dem Ferdinando
Haulo einem Marggrafen von Piſſarien,
durch das leſen dieſer Buͤcher ein ſolcher
Muth gewachſen/ daß er dadurch in den
Schlachten unglāubliche Thaten verrich-
tet. Aber es iſt auſſer ſtreit/ daß dieſe
art zu Romanciren von dē Provencal Poë-
ten in Franckreich nach Spanien und
Italien gekommen ſey/ welche ſie vor an-
dern Voͤlckern nachgemacht. Petr. Da-
niel Huet in ſeiner gelehrten diſſertation de
l’ origine des Romans ſagt. l’ Eſpagne \& l’
Italie receurent de nous un art, qui eſtoit
le fruit de noſtre ignorance, \& qui avoit
eſté
[215]Poeterey.
eſté le fruit des Perſes, des Joniens, \& des
Grecs. Woſelbſt viel ſchoͤnere Dinge hievõ
koͤnnen nachgeleſen werden. Da nun die
Spanier ſpatt und noch unter zweyhun-
dert Jahren die Poeterey und deren
Zierlichkeit angenommen/ und ſie den
Frantzoſen und Italiānern abgeler-
net/ ſowundert mich ſehr/ daß Barthius
in der Vorrede ſeiner Lateiniſchen Uber-
ſetzung der Celeſtina ſagen mag: Si quæ
in cæteris Gallica præcipuè delectantia ſimul
\& utilia talia ſcripta prodeant pleraque vel
inventionibus Hiſpanorum vel illuſtratio-
nibus deberi. Es hat auch ein Engellaͤn-
der Thomas Spraat, welcher Anmerckun-
gen uͤber des Sorbiers Engliſche Reiſe ge-
ſchrieben p. 212. den Frantzoſen beyge-
meſſen/ daß ihre beſte Comœdien und
Tragœdien ſie auß den Spaniſchen ge-
nommen. Welches doch dieſer ſinn-
reichen Nation nicht mit Fug kan nach-
geredet werden/ als die deſſen Proben
gnug zu Tage geleget hat. Aber man
muß dem Thomas Spraat etwas zu gute
n 4hal-
[216]Das II. Cap. Von der Spanier
halten/ deſſen Nation von dem Sorbier
in ſeiner Engliſchen Reiſebeſchreibung
etwas zu nahe getreten war/ und deren
Ehre er allhie verfechten wollen. Zu
den Spaniern wider zu kommen/ ſo iſt
gewiß/ daß ihre Gemuͤthsregung alles
was ſie vornehmen zur hoͤchſten vollkom-
menheit bringen laͤſt/ auß Uhrſachen wel-
che Erythræus Pinacoth. III. p. 163. gar wol
und weitlaͤufftig angefuͤhret. Es iſt a-
ber ihr Trieb zu der Tichterey mit vielen
außſpuͤrigen Romain ſchen Gedancken/ als
wie mit einer Kranckheit eingenommen/
welche ſie in allen ihren Vornehmen be-
gleitet. Ihre Ritter die ſie einfuͤhren/
muͤſſen nothwendig Liebhaber ſein. Ih-
re Heroiſche Poëmata, ihre Tragœdien
ſein mehrentheils mit ſolchen Thorhei-
ten verdorben. Sie ergieſſen ſich in weit-
laͤufftige Digreſſiones wie Diego Xime-
nes in der [eroberung] von Valencia. Sie
ergoͤtzen ſich in ihren Einfaͤllen und han-
gen ihnen nach/ wollen dinge mit weit
geholten Zierrathen mehr und mehr auß-
putzen.
[217]Poeterey.
putzen. Wie ſolches Quevedo in ſeinem
Werck von den neun Muſen/ und Gon-
gora in ſeinen Romancen gethan. Die-
ſen hālt Nicolaus Antonius ſehr hoch/
deſſen Werck er nennet poſteris admiran-
dum potius quam imitandum. Er ſagt
ferner: Illum ſi genius accinxiſſet ad epi-
cum fabricandum poêma, hodie nec Helladi
Homerum, nec Romæ Virgilium, nec Italiæ
Torquatum invideremus. Camoens ein
Heroiſcher Poet auß Portugal/ ge-
braucht ſich einer ſchwuͤlſtigen auffgebla-
ſenen ahrt zu ſchreiben in ſeinen Poemate
von Indiens eroberung. Nicolaus An-
tonius gedencket eines Portugieſen Mi-
chaëlis de Silveira, welcher in ſeinem zwey
und zwantzigſten Jahr ein Poëma He-
roicum El Macabæo geſchrieben/ von
auffbauung des Juͤdiſchen Tempels
welches er ſaget dem Torquato Taſſo
ſo gefallen habe/ daß er ſolches zur
materia eines Poematis erwehlen wol-
len; hat aber hernach die Hiſtoriam vom
Gothofredo demſelbigen vorgezogen.
d 5Die-
[218]Das II. Cap. Von der Spanier
Von dieſem/ weil es wenigen bekant iſt/
kan man nicht urtheilen. In ihren Hirten-
liedern iſt nicht ſonderliches zartes zu fin-
den. Die artigſte Satyre die jemahls ge-
macht werden kan/ iſt des Cervantes ei-
nes Secretarii bey dem Duc d’ Alba, welche
Don Quixot genannt wird. Die Uhrſa-
che die ihn ſolche zu ſchreiben veranlaſſet
erzehlet Rapin. Reflexion. poët. 28. part. 2.
Er war bey dem Duc de Lerma erſten
Staatsbedienten des Philippi III. welcher
keine gelehrte Leute geachtet/ in Ungna-
den gekommen. Als hat er um ſich zu
raͤchen/ dieſe Satyriſche Romain verferti-
get/ wodurch er den Romainſchen Geiſt
der Spaniſchen Landahrt/ ſo durchge-
zogen/ daß nichts zierlichers kan erdacht
werden. In Odis gibt Nic. Antonius den
Preiß einein Bartolomæo Leonardo Ar-
genſolæ, den er den Spaniſchen Horati-
um nennet/ welchen die Koͤnigin Chriſti-
na inſonderheit hochgehalten. In dem
laͤcherlichen zu unterſcheiden haben die
Spanier eine ſonderliche ahrt/ und ſein
ihre
[219]Poeterey.
ihre Comœdien voll von ſonderlicher
Erfindung. Hier in hat bey ihnē den Preiß
gehabt Lope de Vega von welchem Rapi-
nus ſagt/ daß er 300 Comœdien geſchrie-
ben. Aber er irret weit/ denn es hat
Nicolaus Antonius angemerckt/ daß er
tauſend achthundert geſchrieben. Es
ſein XXV. Tomi davon gedruͤckt: aber es
iſt eine groͤſſere Anzahl geſchrieben/ wel-
che Nicolaus Antonius mit groſſem Fleiß
erzehlet hat. Es iſt aber kein wunder
daß er ſo viel geſchrieben. Dann weil
er keiner Reime ſich gebraucht/ ſo hat er
viel ehe damit fertig werden koͤnnen. Zu
dem iſt ſein Trieb von Jugend auff un-
glaͤublich geweſen. Er hat in ſeiner Kind-
heit andern Knaben Verſe in die Feder
geſagt/ da er die Buchſtaben noch nicht
recht bilden koͤnnen. Er ſchreibt ſelbſt
von ſich/ daß er die gantze Zeit ſeines Le-
bens durch/ jeden Tag fuͤnff Bogen Pa-
pier voll geſchrieben: welches wann es
zuſammen gerechnet wird/ viel mehr
außtrāgt. Bey ſo vielfāltiger Ar-
beit
[220]Das III. Cap. Von der Spanier
beit war es nicht muͤglich alles nach der
Richtſchnur zu ſtellen. Denn es ja nicht
anders ſein kan nach dem gemeinē Sprich-
wort: Canis ſeſtinans cœcos parit catulos.
Er hat ſich an keine Reguln der Kunſt
gebunden/ ſondern ſeine Feder lauffen
laſſen/ wohin ſie die Gedancken gefuͤhret.
Bey ihm machte die Unitas Acti-
onis, probalitas und andere Dinge
keine groſſe Sorge. Diß fand ſich von
ſelbſten/ und die Gabe ſeiner ſinnreichen
Einfālle machte alles angenehm. Es
iſt aber billig zu verwundern/ daß den-
noch bey ſolcher Mānge und tāglicher be-
muͤhung ſie nicht ermattet/ und ihren
Preiß behalten/ welchen bloß des Autoris
Nahm ihr geben konte. Gleichwol
ſein bey den Spaniern einige geweſen/
die die Kunſt der Dramatiſchen Poëſie
und der Tragœdie auß dem Ariſtotele vor-
geſtellet. In Spaniſcher Sprache hat
ſolches gethan Johannes Valeſque de Aze-
vedo in ſeiner Idea de la Tragœdie. Es
wird von dem Nicolao Antonio auch Gar-
ſias
[221]Poeterey.
ſias Laſo de la Vega des Koͤnigs Ferdi-
nandi Raht und Legatus an den Pabſt
gelobet/ welcher auß den Lateiniſchen
und Italiāniſchen Carminibus, die er fleiſ-
ſig geleſen/ die beſte ahrt zu poetiſiren
angenommen/ auch einige Form der I-
taliaͤniſchen Reimgebaͤnde der Spani-
ſchen Sprache einverleibet. Deſſen
Wercke ſein mit des vornehmen Philologi
Franciſci Sancti Anmerckungen zu Sal-
mantica im 1574ten Jahr heraußgegeben/
welcher nachgewieſen/ wo der Autor die al-
ten Poeten in ſeinem Wercke gefolget/
und ihnen die Zierlichkeiten abgeliehen. In
Geiſtlichen Sachen lobt er den Alphonſum
de Ledeſma welcher in kurtzen Spaniſchen
Verſen und Epigrammatibus dieſelbe
vorgeſtellet/ und den Zunahmen des Di-
vini bey ihnen erworben. Metaphoricis
inventionibus ſagt er/ genio quodam ſin-
gularique felicitate mancipavit animum,
docilis ubique \& accinctus quodcunq; argu-
mentum per verba non unius ſignificatio-
nis, quo genere Hiſpanus ſermo plurimum
viget
[222]Das III. Cap. Von der Spanier
viget (Homonyma Græca dicunt) acutè ac
ſuaviter deſcribere. Seine Schrifften
ſein: Conceptos Eſpirituales, Epigramas y
Geroglyficos al Vida de Chriſto \&c. Es
ſein viel andere uns zum theil unbe-
kante/ die ſchwerlich auſſerhalb Landes
kommen. Der offt gemeldete Nicolaus
Antonius hat in ſeiner mit unvergleichli-
chem Fleiſſe geſchriebenen Bibliothecâ
Hiſpanicâ viele geſetzet und gelobet/ bey
welchem ſie koͤnnen nachgeſehen werden.
Dieſer geſtehet gerne/ daß es ſeinen Lan-
desleuten an die rechte Kunſtrichtigkeit
gefehlet. Dann ſo ſagt er in der Vor-
rede: Poëtica facultas ſingularis eſt noſtræ
genti, \& ſi junxiſſent vulgò noſtri artem
eruditionemque (ut exteri conſuevere) lo-
cupletiſſimæ inventionum naturæ, indu-
ſtriamque non in pangendo adhibuiſſent
ac dedolando tantum carmine, ſed in eo
ad veterum imitationem tam Græci quam
latini ſermonis vatum confirmando, do-
ctrinaque multiplici, ut doctum non
minus ſit quam elegans, imbuendo, poſſi-
dere
[223]Poeterey.
deremus planè antè alias omnes gentes Mu-
ſarum principatum. Dieſes auffrichtige
Bekāntniß iſt zu loben: Dann es pfle-
gen ins gemein ſolche Autores an der
Πατριδομανία kranck ſein. Aber dieſer hat
nicht zuviel geſagt/ und wurde dieſe Na-
tion gewiß andere uͤbertreſſen/ wenn ſie
mit Fleiß das Werck triebe/ und groͤſſe-
re anreitzung fuͤnde. Dergleichen Urtheil
faͤllet auch Campanella lib. de recta ratio-
ne ſtudior. artic. 2. Da er ſeiner Lands-
leute Fehler nicht verhelet: Hiſpani Poë-
tæ, quales Erzilla, \& qui Columbeidem
ſcripſit ad hiſtoriam magis accedunt, ſed
minus benè fictiones inſerunt, quas etiam
plerumque ab Italis mutuantur: Sane Gar-
cilaſſus Petrarchæ lyram feliciter æmula-
tur. Lopes verò Comœdias fingit in ma-
teriâ non Comica, ſed moribus Hiſpanicis
ſatis convenientes. Die Spaniſche
Sprache iſt meines wiſſens mit ſolcher
Sorgfaͤltigkeit nicht außgeuͤbt/ wie die an-
dern. Ihre Origines hat Aldrete in einem
gelahrten Buch del Origen y principio de
la
[224]Das III. Cap. Von der Spanier
la lengua Caſtellana beſchrieben/ welches
Ferdinandus de Cordua in Didaſcalia mul-
tiplici cap. 44. nicht ohn urſach lobet. Was
ſonſt Barthius ſchreibet Adverſar. lib. 47.
cap. 13. nullum idiotiſmum Romano pro-
piorem eſſe, und daß ſie deßhalben nicht
unbillig ihre Sprache die Roͤmiſche nen-
nen/ daß er auch lib. 41. cap. 17. die gleich-
heit erweiſen wil/ iſt nur bloß von ſei-
ner ſonderlichen Zuneigung zu dieſer
Nation hergefloſſen/ welche er anderen
weit vorziehet: Dann die Urſach/ daß bey
der noch ſtehenden Lateiniſchen Sprache/
Spanien von frembden Voͤlckern einge-
nommen/ bey/ deren abgang in Welſch-
land und Franckreich erſt die frembden
Voͤlcker gekommen/ ſoll ehe das gegen-
theil darthun. Dann je eher eine Spra-
che durch frembder Voͤlcker vermiſchung
verfaͤlſchet wird/ je laͤnger iſt ſie ja der
Veraͤnderung unterworffen. Man hat ja
in der Spaniſchen Sprache ſo viel Moh-
riſche/ Arabiſche/ Gothiſche/ Vandaliſche
Woͤrter/ dadurch das Lateiniſche gar ver-
dun-
[225]Poeterey.
Zu dem zeugen die Exempel/ die Barthius
lib. 41. c. 17. anfuͤhret/ gar das Widerſpiel.
Die Spanier ſagen Hermoſo, hazer, ha-
blar, havo \&c. Die Lateiner formoſus,
facere, fabulari, favus. Die Italiāner
haben ja dieſelben Woͤrter behalten; So
iſt ja jhre Sprache auch auß dieſen Exem-
peln/ und durchgehends der Lateiniſchen
viel nāher.
Das IV. Cap.
Von der Engelländer
Poeterey.
Einhalt.
ENgellaͤnder kommen den Teutſchen naͤher.
Alte Britanniſche Poeten. Angelſachſche
eine Teutſche Sprache. Jetzige Engliſche
Sprache wird von jhren Landsleuten hochgehalten.
Der Grund iſt Teutſch. Im uͤbrigen iſt ſie ſehr
dermiſcht. Groſſe Freyheit der Engellaͤnder in er-
findung der Woͤrter. Der Uberſetzer des Rapini,
verachtet alle Sprachen/ und alle jhre Poeten vor
pdie
[226]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
die Engliſche. Sein ungeſchliffenes Urtheil von der
Teutſchen. Camdeni Remains, darin von der Eng-
liſchen Sprache. Ihre Poeterey iſt zimlich dun-
ckel und verkrochen/ voll von weitgeholten Meta-
phoris. Der Koͤnig Ælfredus und Aldhelmus die er-
ſten Angelſachſiſche Poeten. Aldhelmus bringt
die Britten durch ſeine Lieder zur Gottesfurcht und
Tugend. Ælfredi uͤbergebliebene fragmenta. Ro-
main von der Roſe iſt eine Frantzoͤſiſche und keine
Engliſche Erfindung. Guillaume de Lorris hat ſie
erſt angefangen: Jean Clopinel de Meun vollfuͤh-
ret. Alte Chymiſche Poeten bey den Engellaͤndern/
die Elias Ashmol verſamlet. Unter dieſen iſt auch
Geoffry Chaucer, welcher der erſte unter jetzigen
Poeten iſt. Spencer wird dem Arioſto gleich ge-
ſchaͤtzt. William d’ Avenant. Abraham Covv-
ley hat ſchoͤne Lateiniſche und Engliſche Car-
mina geſchrieben. Wird von ſeinen Landsleuten
dem Virgilio und Horatio gleich geſchaͤtzt/ andern
vorgezogen. Deren Meinung wird widerlegt. Sei-
ne in Engliſcher Sprache geſchriebene Davideis
wird des T. Taſſi Wercke vorgezogen. Seine Pin-
dariſche Oden. Fehler in den Metaphoris. John
Donne ein trefflicher Poet. Jacob Catz, Barlæus
haben jhm einige Erfindung abgeſehen. Conſtantin
Huigens hat einige Carmina in Niederlaͤudiſch uͤ-
bergeſetzt. Cleveland. Waller. Georg Herbert
geiſtliche Oden. Baconis Verulamii in Verſe uͤber-
ſetzte
[227]Poeterey.
ſetzte Pſalmen Davids. Engellaͤnder wollen in
Dramatica Poeſi allein den Preißhaben. John Dry-
den of the Dramatick Poeſie. Teutſche und Nie-
derlaͤnder werden von den Engellaͤndern verachtet.
Der Autor verheißt eine Diſſertation de meritis
Germanorum in Literas. Des Rapini Beſchei-
denheit in ſeiner Critiq. Shekeſpeare, Fletcher,
Beaumont, Ben: Johnſon. Deſſen Lob. Johannis
Miltoni Poemata. Sein Poema Heroicnm: The
Paradis loſt. Allgemeines Urtheil von den Engel-
laͤndern.
VOn den Spaniern komme ich auff
die Engellaͤnder/ welche allge-
mach den Teutſchen etwas nāher
kommen. Dann welche heutiges Tages
von alten Verſen noch uͤbrig ſeyn/
kommen von den Anglo-Saxonibus her
die Teutſches Urſprungs ſein/ und in
Engelland ſo woll die alten Britanni-
ſchen/ als die Lateiniſchen gaͤntzlich unter-
druͤcket. Von den alten Brittanniſchen
hat Boxhornius in ſeinen Originibus Gal-
licis gehandelt/ in welcher die alten Druides
und hernach die Bardi ohn zweiffel einige
Carmina oder Lieder gemacht/ aber ſie
p 2ſein
[228]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
ſein untergangen. Chaucer ein alter Eng-
liſcher Poetbezeugt diß in dieſen Verſen:
The old gentle Brittons in her dayesof divers aventurs maden layesRymed Firſt in her Mother tongueWhych layes, vvith her Inſtruments theyſonge.
Die Angelſaͤchſche iſt mehr der Teutſchen
Sprache gleich/ als die heutige/ welche ſehr
vermiſcht iſt. Was nun die tetzige Engli-
ſche Sprache anlāget/ ſo ſein einige Lands-
leute fleiſſig gnug das Lob ihrer Sprache
hervor zu ſtreichen/ welche ſie allen mitt
einander vorziehen. Worin man ihrer
Liebe zu dem Vaterlande was zu gut hal-
ten muß. Sonſten iſt nicht zu leugnen/
weil ſie den Wōrtern und der Conſtructi-
on nach Teutſch/ ſie billig an dem Lob
dieſer Sprache mit einen Theil habe/
jedennoch daß ſie ſich nicht unternehme
der Mutter vorzugreiffen. Denn es iſt
beyweiten die rennlichkeit nicht in der
Engelſchen Sprach die in der Teutſchen/
die auß ſich ſelbſt beſtehet. Dann die
En-
[229]Poeterey.
Engellaͤnder nehmen ungeſcheut aus an-
dern Sprachen was ſie wollen und ihnē
dienet/ und iſt nach ihrem belieben alles
gut Engliſch. Wodurch ſie bißweilen
dieſen Vorthel haben/ daß ſie etwas
kuͤrtzer und nachdencklicher geben koͤnnen/
inſonderheit in Carmine: Aber dieſes iſt
eine ſelbſt angemaſte Freyheit/ oder viel-
mehr Verwegenheit/ welche nicht zu bil-
ligen/ und von ihren eignen Landsleuten/
welche etwas verſtāndiger ſeyn/ nicht ge-
lobet wird. Derjenige der des Rapini
reflexions in die Engliſche Sprache uͤber-
ſetzet/ verachtet die Spaniſche Sprache/
als die bloß nur zu Rodomontades ſich
ſchicke/ und wie eine Paucke in der Muſic
ſey. Die Italiāniſche iſt ihm nur bequem
zu Burlesque und laͤcherliche Dinge/
und iſt wegen der endungen Kindiſch:
Die Frantzoͤſiſche iſt ihm eine Ruhmſpra-
che: Die Teutſche grob und ungeſchickt/
und noch nicht gnug außgeuͤbt und zur
vollkommenheit der Engliſchen gebracht.
Die Engliſche habe dieſe Gluͤckſeeligkeit
p 3vor
[230]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
vor allen daß ſie zur heroiſchen Poëſie be-
quem ſey. Iſt gar ein Kindiſch und naͤr-
riſch Urtheil. Dann nicht allein die Spa-
niſche Italiaͤniſche und Frantzoͤſiſche
Sprache nicht ſo veraͤchtlich zu haltẽ ſeyn/
ſondern was den laut anlanget/ beſſere
Eygenſchafft haben/ als die Engliſche.
Daß er von der Teutſchen/ darin ſo viel
herrliche Poēmata geſchrieben ſo liederlich
urtheilet/ iſt eine unverſchaͤmte Ver-
wegenheit: Deñ ich ſchier verſichert bin/
daß er weder die Sprache verſtehe/ noch
einige unſer Poëten geleſen. Alles was
an der Teutſchen Sprache iſt/ iſt einem
Heroico Poëmati bequemer/ als irgend
eine andere/ geſchweige noch die Engelſche/
die eine baſtard-teutſche iſt/ und durch die
vermiſchung/ und die Weibiſche pro-
nuntiation gar verdorben/ daß ſie ſchier
nichts maͤnnliches an ſich hat/ was a-
ber gutes an ihr iſt/ eintzig und allein der
Teutſchen/ die ihre Mutter iſt/ zuſchrei-
ben muß. Guilielmus Cambdenus, wel-
cher das herrliche Buch Antiquitatum An-
gli-
[231]Poeterey.
glicarum, heraußgegeben/ hat in Eng-
liſcher Sprach nachgehends einige Re-
mains geſchrieben/ worin er handelt von
denen Dingen die er in vorigem Buche
außgelaſſen. Dieſer hat ſo fort im An-
fang dieſes Buchs eine Betrachtung von
der Votreflichkeit der Engliſchen Spra-
che/ die aber ein ander geſchrieben/ und
er ſeinem Wercke einverleibet/ worin
er alle Theile derſelben durchgehet und
behaupten will/ daß ſie beſſer ſey als die
ander. Ja die Vermiſchung ſelber legt
er zu ihrem Vortheil aus/ und ſchlieſſet
endlich: daß in der Engliſchen Sprache
die Seltenheiten und Zierlichkeiten aller
Sprachen als ein Schatz verborgen/
und in die diviſos orbe Britannos gleich-
ſam vertheilet ſein. Welchen Rhetori-
ſchen oder Poëtiſchen Strich wir ihm bil-
lig zu gut halten/ der ſonſt alle alte
Philoſophos und Poeten in derſelben zu
finden meinet. Er ſpricht: Will you
haue Platoes vein? read Sir Tho. Smith.
the Jonick? Sir Thomas Moore. Ciceroes?
p 4Aſchan.
[232]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
Aſcham. Varro? Chaucer. Demoſthenes? Sir
John Cheek (vvho in his treatiſe to the Re-
bells hath compoſed all te figures of Rhe-
torik) Will you read Virgill? Tak the Earl
of Surrey. Catullus? Shakeſpeare and Bar-
rows fragment. Ovid? Daniel. Lucan? Spen-
cer. Martial? Sir John Davies aud others.
Will you have all in all for proſe and ver-
ſe? take the miracle of our age Sir Philipp
Sidney. Daß wir nun zu ihrer Poeterey
kommen/ ſo haben ſie dieſes eigen/ daß ih-
rer viel zimlich verkrochen und tunckel/
ſo woll in der zuſammenſetzung der Woͤr-
ter/ als in dem Verſtande ſelbſt ſein.
Denn/ gleichwie/ als John Milton in ſeiner
Diſſertation of Education angemerckt/ ſie
mehr mit verſchloſſenen Munde ſprechen
als andere Voͤlcker/ ſo iſt ihre Rede auch
geartet. Sie belieben die Tieffſinnigkeit/
und in jhren Verſen haben ſie faſt allezeit
Metaphyſiſche und weit umbſchweiffende
Conceptus, worauff keine andere Nation
leicht dencken ſolte/ und welche der Sa-
che ſelbſt allzu weit entlegen: da man doch
ſich
[233]Poeterey.
ſich mehr nach dem durchgehenden Ver-
ſtande/ als nach der Schule richten muß/
die ſolchen dingen eine ungeſtalte Farbe
anſtreichet. Hierin uͤbergehen ſie die
Italiāner ſelbſt/ welche doch in dieſen
ſchlipffrigen Wegen offt ſtraucheln und
fallen. Daß alſo billig ſolche jhre Redens
Ahrt nicht unter die ὑψηλὰ, ſondern viel-
mehr unter die μετέωρα zu ſetzen. Wovon
im dritten Theile ein mehres ſoll gehan-
delt werden. Die ālteſten Carmina, da-
von wir Nachricht finden bey den Engel-
lāndern/ ſein wol dieſelbe geweſen/ welche
der Koͤnig Ælfredus; der Engelland von dē
Daͤnen erloͤſet/ und in einen neuen woll-
eingerichteten Stand geſetzet/ ſelbſt ſei-
nem Volcke zum beſten gemacht/ und es
dadurch zur Gottesfurcht und Tugend
auffgemuntert. Joann. Speelmannus in vi-
tâ Ælfredi Magni lib. 2. n. 38. \& ſeqq. hat
viel von des Kōnigs Poeſey: Maximus il-
le fuit, ſagt er/ poſt aſſertum à Danis re-
gnum, ejus inſtaurator \& velut novus fun-
dator: nam legibus omnia circumſcripſit,
p 5Scho-
[234]Das IV. Cap. Vpn der Eugellaͤnder
Scholas, Academias inſtituit, artes \& diſci-
plinas reduxit: ipſe multa carmina rhythmos
ſcripſit, apologos, fabulas, ænigmata ad eru-
diendum populum, quibus barbarus po-
pulus deliniebatur, inter maximos poëtas
ſui temporis numerandus. Derſelbe
Spelmannus erwehnet/ in den notis ad §. 43.
daß der Ælfredus in dieſen Geſaͤngen zu
machen dem heiligen Aldhelmo der faſt in
die 200 Jahr vor ihm gelebet/ nachgefolgt.
von welchen Malmesburienſis lib. 5. de ge-
ſtis Pontificum diejes erzehlet: Nativæ
linguæ Aldhelmus non negligebat carmina,
adeò ut teſte libro Ælfredi nulla unquam
ætate ei par fuerit quisquam, poeſin An-
glicam poſſe facere, cantum componere
eadem appoſitè vel canere vel dicere. De-
nique commemorat Ælfredus carmen
triviale, quod adhuc vulgo cantillatur, Ald-
helmum feciſſe; adjiciens cauſam, quâ
probat rationabiliter tantum virum his
quæ videntur frivola inſtitiſſe. Populum
co tempore ſemibarbarum parum divinis
ſermonibus intentum cantatis misſis do-
mos
[235]Poeterey.
mos curſitare ſolitum. Ideo ſanctum vi-
rum ſuper pontem, qui urbem \& rura
continet abeuntibus ſe oppoſuiſſe obicem
quaſi artem contandi profeſſum. Eò plus
quam ſemel facto plebis favorem \& con-
curſum emeritum, ſenſimque inter lu-
dicra verbis ſcripturarum inſertis cives
ad ſanctitatem reduxiſſe, qui ſi ſevere \&
cum excommunicatione agendum pu-
taſſet, profectò profeciſſet nihil. Die-
ſe ſein trefliche Exempel/ wie durch
huͤlffe der Poeſi die Leute zur GOttes-
furcht und Tugend zu bringen. Dieſer
Koͤnig Ælfredus iſt ein rechter Vater ſei-
ner Unterthanen geweſen/ von deſſen
Sorgfalt vor die Oxfordiſche Academia,
die er zum Stande gebracht/ Antonius
Wood in ſeiner Hiſtoria \& Antiquitatibus
Oxonienſibus kan nachgeleſen werden.
Der Spelmanus fuͤhret an ſelbigem Ohrte
auß einem MSt Bibliothecæ Cottonianæ ei-
nige Lehren an/ die Ælfredus zuſammen
geleſen/ berichtet auch daß in der Ox-
fordiſchen Bibliotheca ein Buch verhan-
den/
[236]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
den mit dem Titul Parabola Ælfredi Regis.
Er haͤlt ſie aber nicht vor auffrichtig/ in-
ſonderheit der Uhrſachen halber/ weiln
zu der Zeit man nicht ſo gute Reimen
gehabt oder gar keine/ worinnen er doch
irret. Dann es ſein ſchon damahls die
Reime gebråuchlich geweſen/ wovon in
folgenden ein mehres. Der Uberſetzer
der Poetiſchen Reflexionē des Rapini haͤlt
die Romain von der Roſe vor das erſte
Engliſche Gedichte/ und ruͤcket den
Frantzoſen auff/ daß ſie ſich damit groß
gemacht. Er nennet deffelben Autorem
Richard Baker, bringet aber nichts bey
dadurch er ſolches behaupte. Denn
es ja ſonſt auß der Frantzoſen Anmer-
ckungen bekant/ und auch auß der Ro-
maine ſelbſt/ daß einer Nahmens Guil-
laume de Lorris dieſe Romaine angefangē/
Jean Cloppinell de Meun genant hernach
vollfuͤhret. Dieſer Lorris hat gelebet zu
Zeiten Ludovici uud iſt geſtorben im
Jahr 1263. Der Jean de Meun hat vier-
zig Jahr hernach diß Buch vollfũhret.
Er
[237]Poeterey.
Er iſt genant worden premier inventeur
de Rhetorique Franzoiſe. Von jhm iſt
weitlāufftige Nachricht bey dem Claude
Fauchet in vormahls erwehntem Buche/
und bey dem Antoine Verdier in ſei-
ner Bibliotheque. Kommt mir derhal-
ben gar nicht warſcheinlich vor/ daß es
eine Engliſche Erfindung ſey. Der Autor
der dieſe Romaine geſchrieben/ iſt ein
Chymicus, und hat zu dem Ende/ daß er
die Heimligkeiten der Kunſt verbuͤrge/
diß Werck geſchrieben. Denn es ſind viel
merckwuͤrdige Dinge von dieſer Wiſſen-
ſchafft darin enthalten. Es iſt nicht zu
leugnen/ daß gar alte Poetiſche Schriff-
ten von dieſer Kunſt in Engeland vorhan-
den ſeyn. Denn es hat in dieſer Nation
ſchon vor alters Leute gehabt/ die in die-
ſen Geheimnuſſen groſſe Meiſterſtuͤck er-
wieſen/ davon ich an einem andern Ohrt
mit mehren erwehnung gethan. Ein
Engliſcher Edelman Elias Aſhmol hat ei-
nige derſelben in einem Buche/ ſo er Thea-
trum Britannicum nennet/ verſamlet. A-
ber
[238]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnger
ber er gedencket des Richards Bakers mit
keinem eintzigem Worte. Welches er doch
billig hātte thun ſollen. Denn er hat die
aͤlteſten Poëtas Chymicos darinn/ welche
mit recht ποιηταὶ genennet werden/ dann
Salmaſius Exercit. in Solin: erwieſen/ daß
die Chimici mit dieſem Nahmen genennet.
Der Aelteſte Engliſche Poet wird von dem
Uberſetzer des Rapini geſetzet Geoffry Chau-
cer, der im Jahr 1400 gelebet. Selbiger
iſt mit unter den Chymiſchen Poeten/ und
findet ſich in deß Aſhmols ſeinen Tractat
ein Getichte/ deſſen Uberſchrifft The Tale
of the Chanons Yeoman; woriñen er von
dieſer Kunſt handelt. Sein Bildnuß und
ſein Epitaphium welches in der Kirchen zu
Weſtmuͤnſter zu finden/ hat er dabey ab-
mahlen laſſen. Dieſer gebraucht ſich vie-
ler alten Woͤrter und Redensarten/ die
nicht mehr gebraͤuchlich ſeyn. Spencer
wird von jhm vor den erſten Heroiſchen
Poeten/ und dem Italiaͤner Arioſto-
gleich gehalten. Er wil jhn faſt allen vor-
ziehen/ die nach dem Vitgilio geſchrieben.
Er
[239]Poeterey.
Er muß aber geſtehen/ daß er ſehr hin-
faͤlt und von weitlaͤufftigen unfoͤrmlichen
Einfaͤllen iſt. Welches dieſem ſeinē Urtheil
entgegen ſteht. Der Torquatus Taſſus
muß bey jhm auch verkleinert werden/
damit dieſer deſto groͤſſer werde: Nechſt
dieſem ſetzet er den William d’ Avenant
welcher ein Poëma Gondibert genant/ ge-
ſchrieben/ den er zwar lobet/ aber er
erzehlet gleichfals ſeine Fehler. End-
lich ſetzet er den Abraham Covvley, wel-
chen er den andern in der Heroiſchen
Poeterey vorziehet. Dieſer hat traun
den groͤſten Preiß unter den Engliſchen
Poeten verdienet/ weiln er in der Grie-
chiſchen und Lateiniſchen Sprache keine
gemeine Gelahrtheit gehabt/ und nach de-
ren Anleitung die gemeine Poeterey ver-
beſſert. Er hat auch Lateiniſche Carmi-
na geſchrieben welche voll von Scharff-
ſinnigkeit ſein/ ſo wol in Heroico als Ly-
rico genere. Daher einige ſeiner Lan-
desleute ihn dem Virgilio und Horatio
gleich machen: Darin ſie doch viel zu weit
gehen
[240]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
gehen. Denn ob gleich er ſinnreich gnug
iſt/ ſo iſt doch bey jhm die rechte ſauber-
keit/ uñ die ungeſchminckte Zierlichkeit der
Roͤmiſchen Sprache nicht zu finden/ und
haben alle andere Voͤlcker/ ja auch die
Schotten/ die ſie ihm weit vorziehen koͤn-
nen. Aber unter ſeinen Landsleuten
iſt keiner der ihm gleich gehalten werden
kan. Thomas Spraat der ſein Leben La-
teiniſch bey den Lateiniſchen/ und weit-
lāufftiger in Engliſcher Sprache/ bey den
Engellaͤndiſchen Gedichten beſchrieben/
ſetzet dieſe Worte: In verbis nec curioſus
admodum nec nimium negligens. Com-
munibus \& uſitatis contentus pauciſſima
aut immutavit aut innovavit. Rem præ-
cipuè ſpectabat in eaque immorabatur.
Nun betrachte ein Verſtaͤndiger/ wie ſo
gar nicht dieſes mit dem Urthel uͤberein
komme; wann er in folgenden ſpricht. In
duobus poſtremis pede Heroico uſus eſt,
\& abſit verboinvidia, ſi non Virgilium, cæ-
teros certe omnes ſuperavit: als wenn es
von dem Virgilio noch in zweiffel zu ziehen
were.
[241]Poeterey.
were. Da doch alle andere/ ſo wol der
materia, und einrichtung/ als der Rede
halber jhm weit vorzuziehen. Wo irgend
in einem dinge/ ſo iſt in der Tichterey de-
lectus verborum, qui origo eſt eloquentiæ,
noͤthig/ daß alſo gar wider alle Vernunfft
iſt/ wenn man jhn/ als nach jhrem Ur-
theil den beſten Poeten/ davon ruͤhmet;
quod in verbis non curioſus admodum fue-
rit. Der uͤberſetzer des Rapini geht etwas
beſcheidener/ und da er lobt die groſſen
Gaben dieſes Mannes/ die in warheit zu
loben ſind/ ſo beklagt er doch/ daß er ſeine
Davideis vor ſeinem Ende nicht wieder uͤ-
berſehen habe/ welches er in ſeiner Ju-
gend gemacht/ uud worin wider die Ge-
ſetze eines Heroiſchen Poematis offtmahls
gefehlet wiꝛd. Aber des Taſſi ſeinem Weꝛcke
ziehet er daſſelbe weit vor/ Jn the Davideis
(ſpꝛicht er) there ſhines ſomething of a mo-
re fine, more free, more nevv, and more no-
ble air than appeares in the Hieruſalem
of Taſſo, vvhich for alle his care is ſcar-
ce perfectly purged from Pedantry. Die
qWel-
[242]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
Welſchen moͤgen dieſen Hohn verfechten/
daß man jhren ſo hochgeprieſenen Poeten
noch der Pedanterey beſchuͤldiget. Ich
wuͤrde traun noch vor Taſſo ſprechen. In
den Lyriſchen und Pindariſchen Getich-
ten/ weiß ſo wol Thomas Spraat als der uͤ-
berſetzer des Rapini keinen unter allen I-
taliaͤnern zu finden der jhm gleich ſey/ da
doch dieſe den Ruhm hierin ſuchen und
vieleicht gefunden haben. Mich daucht es
ſey vor Covvley Ehre gnug jhnen gleich
geſchaͤtzt zu werden. Welches Lob er bil-
lig verdienet. Die Pindariſche ahrt zu
ſchreiben hat er zum erſten unter ſeinen
Landsleuten angefangen/ wiewol er in
den Metaphoris zimlich weit außgehet.
Als wann er unter den Pindariſchen O-
den in der uͤberſetzung der 2 Oden des 4.
Buchs Horatii von Pindaro ſchreibet:
The Phœnix Pindar is a vaſt Species alone.
Da ſtreicht das Wort Species als ein
Schulwort den Verſen eine pedanterey-
farbe an/ welche ſich nicht wol bey der
hohen Redens-Art ſchicket. Aber es iſt
ſchier
[243]Poeterey.
ſchier kein eintziger Engliſcher Poet der
ſich nicht hierin verſtoͤſſet/ wovon wir in
unſerm dritten Theil weiter handlen wol-
len. Ferner ſagt er in der erſten Stroph.
Pindars unnavigable ſongLike a ſvvoln Flood from ſome ſteep Mountainpours along.
Da iſt zwar gut daß er des Pindars Carmi-
na mit einem lauffenden Fluß vergleichet/
daß Horatius auch gethan/ aber
deſſen epitheton unnavigable, findet bey
dem Worte Song Geſang/ gantz keinen
Platz. Dergleichen wuͤrde man viel fin-
den/ wenn man alles genau unter ſuchen
wolte. Der Uberſetzer Rapini bringet
unterſchiedliche Beſchreibungen auß La-
teiniſchen/ Italiaͤniſchen/ Frantzoͤſiſchen
Poeten hervor/ welche er mit Eng-
liſchen Poeten vergleichet/ davor hal-
tend/ daß jene weit von dieſen uͤberwun-
den worden; Aber es lāſt ſich allhie fer-
ner nicht davon reden. Es wundert
mich/ daß er andere ſeiner Nation außge-
laſſen/ als den John Donne, welcher im
q 2acht-
[244]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
achtzehnden Jahr ſeines Alters tieffſinni-
ge Verſe geſchrieben/ welchem unter den
Niederlaͤndern Jacob Catz die Erfindung
von der Floͤhe/ die zweyer Liebhaber
Bluth geſogen/ abgeſehen/ und hernach
Barlæus in einer abſonderlichen Elegia:
Pulex duorum amantium ſanguine paſtus,
beſſer außgezieret. Der Vortrefliche
Conſtantin Huigens Herr von Zuli-
chem und des Fuͤrſten von Orange vor-
nehmſter Raht hat einige von ſeinen
Getichten in Niederlaͤndiſch uͤbergeſe-
tzet/ ob zwar der Koͤnig von Engelland
Carolus I. ſolches vor unmoͤglich gehal-
ten. Er hat aber dennoch unter dieſen
ſchwierigkeiten ſolches Werckſtellig ge-
macht/ ob er gleich mit ſo vielen frembden
Woͤrtern als Ecſtaſis, Atomi, Influentiæ
\&c. ſich hat plagen muͤſſen/ und ſolche in
gut Niederlaͤndiſch verſetzen/ welches die
Engellaͤnder nicht achten; Denn wie
Herr Huigens ſagt: haer taele is alle taelen,
en als’t haer belieft, Grieeſch en Latyn ſyn
plat Engelſch: deñoch hat er voꝛ keine gerin-
ge
[245]Poeterey.
ge Sache gehalten/ dieſe in Niederlaͤn-
diſch uͤberſetzt zu haben. Tis my veel eers
(ſpricht er) ſoo grooten Man nageſtamert
te hebben, ende vel genoegens ſal’t my
geven, ſoo mijn ſtout vordoen betere pen-
nen aengemoedigt moge hebben om ons
Land vvijder deelachtigh te maecken van
ſo veel overzeeſche Koſtelikheden, als ick
met ſchrick ende eerbiedigkeit ongeroert
gelaten hebbe. Sehet hier ein trefliches
Zeugniß/ von einem ſo groſſen Mann/
der dieſes John Donne ſeine Poetiſche
Wercke/ die er in ſeiner Jugend geſchrie-
ben/ (denn in ſeinem Maͤnnlichen Alter
hat er als Decanus der S. Paulus Kirchen
viel geiſtreicher Predigten hervorgege-
ben) ſo hoch gehalten/ daß er ſie des U-
berſetzens wuͤrdig geachtet/ der in ſeiner
Sprache nicht allein/ ſondern auch in der
Lateiniſchen ſo viel herrlicher ſinnreicher
Verſe geſchrieben/ die dieſe ſelbſt uͤber-
gehen. Wir findenaber auch allhie den
Mangel allzu groſſer Kunſt und Wiſſen-
ſchafft/ der nicht an bequemen Ohrt an-
ge-
[246]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
gebracht wird. Man hat ferner des
Clevelands, Edmond Wallers, John Den-
hams Engliſche Poëmata, welchen nichts
an gutem Geiſt und Einfaͤllen gebricht/
und andre mehr/ daran unſer Cenſor nicht
gedacht. George Herbert hat ſehr gute
Geiſtliche Oden geſchrieben/ auff welchen
Abrah. Covvley eine trefliche Lobſchrifft
gemacht/ und dem der Cantzler Baco Ve-
rulamius ſeine in Verſe uͤberſetzte Pſal-
men Davids zu geſchrieben hat/ welche
ſelber von keinen gemeinen Geiſte ſeyn;
und in den Engliſchen Schrifften die
nach ſeinem Tode hervor gekommen zu
finden. Was ihre Tragœdien anlanget/
ſo urtheilet Rapinus, daß ſie vor allen an-
dern Voͤlckern hiezu eine ſonderliche nei-
gung haben/ weil daß Gemuͤth dieſer
Nation an Grauſamkeit eine ſonderliche
Ergoͤtzung habe. Wodurch ſie zugleich
gelobet und geſcholten worden. Der U-
berſetzer leugnet dieſes nicht/ aber die
Uhrſache will ihm nicht anſtehen/ uͤber-
laͤſt ſolches den Tragœdienſchreibern zu
un-
[247]Poeterey.
unterſuchen/ ob der gemeine Trieb der
Nation, oder ihre Eigenſinnigkeit veran-
laſſen/ daß ein ſolch Urtheil von der beſt-
geſinnten Nation unter der Sonnen (es
beliebt ſie ſolchen Lobſpruch ihnen ſelbſt
bey zu legen) von Frembden gefaͤllet wer-
de. In der Dramatiſchen Poëſie, ſagt er/
hat die Welt nichts/ daß mit den Engel-
lāndern zu vergleichen. John Dryden ein
gelehrter Edelmann/ der ein Eßay of
Dramatick Poëſie geſchrieben/ hat ihm
vorgenommen/ von den Engliſchen
Comœdien und Tragœdienſchreibern
ſein Bedencken zu geben. Es laͤſt ſich
aber ſo bald im Añfang mercken/ daß die-
jenigen die ietzo in Engelland ſchreiben/
alle Italiaͤniſche/ Frantzoͤſiſche/ und
Spaniſche Comœdienſchreibers uͤber-
treffen. The Drama is vvholly ours ſpricht
er: Wir eignen uns die Dramaticam Poëſin
allein zu.
Hi ſapiunt ſoli: reliqui volitant velut umbræ.
Der Teutſchen wird nicht gedacht/ als
q 4wann
[248]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
wann die kein Theil hieran haͤtten/ oder
ſolches Wercks unfaͤhig weren. Denn
wie der ungeſchliffne Uberſetzer des Rapi-
ni urtheilt The German ſtill continues
rude and unpolisht, not yet filed and civilized
by the commerce and intermixture vvith
ſtrangers, to that ſmoothneß and huma-
nity, vvhich the Engels may boaſt of. Ge-
rade als wann alle Welt die Engellānder
vor Lehrmeiſter erkennen muͤſſe/ deren
erleuchteter Verſtand allhie den unwiſſen-
den unverſtaͤndigen groben Teutſchen
als eine Idea vorgeſtellet wird/ nach wel-
cher ſie ſich zu richten. Ich hoffe ob Gott
will noch einmahl die Gelegenheit zu ha-
ben/ nicht allein ihnen ſondeꝛn auch andeꝛn
Nationen, die dergleichen Schnarcherey-
en ūber die Teutſche machen/ in einem ab-
ſonderlichem Werck zu zeigen: daß die
Verdienſte derſelben in allen Wiſſen-
ſchafften groͤſſer ſein/ als daß ſie von ih-
nen koͤnnen erkant und vergolten wer-
den: ja daß wir in vielen Kuͤnſten ihre
Lehrmeiſter geweſen. Der Niederlaͤn-
der
[249]Poeterey.
der wird gleichfalls mit keinem eintzigen
Worte gedacht/ da doch bekant/ was
bey ihnen nicht allein von gemeinen Ge-
tichten/ ſondern auch von Comœdien,
Tragœdien, von Joſt van Vondeln, und
andern verfertiget hervor gekommen/
welche weder Frantzoſen und Italiaͤnern/
geſchweige Engellaͤndern was nach zuge-
ben haben. Thomas Spraat, deſſen wir dro-
ben gedacht/ von Sorbiere in ſeiner Rei-
ſebeſchreibung von Engelland gereitzet/
hat in den Anmerckungen uͤber dieſelbe
gleichfalls behauptet/ daß die Engliſchen
Comœdien und Tragœdienſchreiber beſ-
ſer als die Frantzoſen. Es hat mir vor
andern die groſſe Beſcheidenheit des Ra-
pini gefallen/ daß/ da er ſich als einen
Cenſorem und Criticum angibt/ welches
Amt er in dieſer Kunſt mit guten Fug
verwalten kan/ (denn er ohne Streit
einer von den groͤſten Poeten in Franck-
reich iſt) ſo hat er doch mehr an ſeinen
eigenen Landsleuten zu tadeln/ als an al-
len andern/ worauß ſeine Auffrichtigkeit
q 5zu
[250]Das IV. Cap. Vpn der Engellaͤnder
zu ſpuͤren/ und daß er niemand zu ſchmei-
cheln gemeinet. Von welchem ſolcher
entfernet ſein muß/ der ſich einer ſo groſſen
Sache unternimt. Die Unpartheiligkeit
muß bey einem Richter ſein/ ſonſt ver-
liehrt er den Nahmen. Es waͤre beſſer
daß dieſe/ die von den Engellaͤndern ge-
ſchrieben/ ſich nicht vor ihre Cenſores,
ſondern Panegyriſtas außgegeben
haͤtten/ wie ſie in Warheit ſolche
ſein/ und diß Ampt mit aller erſinnlicher
artlichkeit und Kunſt verrichten. Der
John Dryden hat gar woll und gelahrt
von der Dramaticâ Poeſi geſchrieben. Die
Engellānder die er hierin anfuͤhrt ſein
Shakeſpeare, Fletcher, Beaumont von
welchen ich nichts geſehen habe. Ben.
Johnſon hat gar viel geſchrieben/ welcher
meines erachtens kein geringes Lob ver-
dienet. Er iſt in Griechiſchen und La-
teiniſchen Autoribus woll beſchlagen ge-
weſen. Die Außbildungen ſein kraͤfftig
und lebhafft. John Dryden urtheilet/
daß in ihm die Engliſche Sprache zur
hoͤch-
[251]Poeterey.
hoͤchſten Vollkommenheit gebracht/ und
was nach ihm darin gethan iſt mehr uͤber-
fluͤßig als nothwendig geweſen ſey: welcheꝛ
ihn nach allen umſtaͤnden beſſer beſchꝛeibt/
auch einige ſeiner Comœdien genauer un-
terſuchet. I. Seldenus hat ihm in einē Latei-
niſchen Carmine, ſo ſeinen Wercken vorge-
ſetzt/ ein ſonderlich Lob gegeben. Er hat
alles woll unterſucht/ ehe ers hervor ge-
bracht/ und bezeugt Dryden, daß er dem
Beaumont alles unter die Haͤnde geſtel-
let und ſeine Cenſur daruͤber gehen laſ-
ſen. Antonius Wood in ſeinen Antiqui-
tatibus Oxonienſibus lib. 2. p. 145 meldet
daß er dem Johanni Hoskyns einem vor-
treflichen Mann/ der von ſeinen Lands-
leuten uͤberauß hochgehalten/ und von
dem Ovveno mit vielen Epigrammatibus
beehret/ was er gemacht erſtlich vorge-
wieſen. Ille Johnſoni ſtylum (ſpricht er)
expolivit terſumque reddidit. Er hat a-
ber ohne Reime mehrentheils geſchrie-
ben/ welches Dryden an ihm lobet/ der
darauß anlaß nimt wieder der Rei-
me
[252]Das IV. Cap. Von der Engellaͤnder
me Gebrauch viel zu reden. Dieſer
Dryden hat auch einẽ andern Theil verheiſ-
ſen/ darin er von den Tugenden und
Fehlern aller Engliſchen Poeten han-
deln will/ worunter jene den groͤſten
Platz vielleicht beſtreitten werden. Von
einigen/ die wir bereits angefuͤhret/ ur-
theilet er alſo: Nothing ſo curtly as Sir
John Suckling; nothing ſo even ſvveet and
flovving, as Mr. Waller; nothing ſo maje-
ſtique, ſo correct as Sir John Denham;
nothing ſo elevated, ſo copious, and full
of Spirit as Mr. Cowley. Es ſein noch viele
andere/ deren weder der Uberſetzer/ noch
dieſer Dryden erwehnet/ die woll ver-
dienet haben/ daß ihrer gedacht werde.
Worunter wir billig des John Miltons
Poemata begreiffen. Dieſe ob ſie zwar
in der erſten Jugend gemacht/ ſo blickt
doch der gute Geiſt hervor/ und ſein ſie
den beſten gleich geſchaͤtzt: Von ſeinem
Poëmate Heroico The Paradis loſt, davon
ſie gleichfalls Beyde ſchweigen/ wollen
wir im nachfolgenden handeln. Wir
ehren
[253]Poeterey.
ehren dieſe ſinnreiche Nation und halten
ſie hoch und wehrt: Wuͤnſchen aber daß
allen ihren Vollkommenheiten noch dieſe
hinzu komme: Die Beſcheidenheit von
ihnen ſelbſt und von andern Voͤlckern zu
urtheilen.
Das V. Cap.
Von der Niederlaͤnder
Poeterey.
Einhalt.
NIederlaͤndiſch iſt Teutſch. Hochteutſch ein
neuer Dialectus. Becanus und Antonius
Riccardi halten dïe Niederlaͤndiſche Sprache
aͤlter als die Hebreiſche. Abraham Mylius hat
von dem Alter der Sprache geſchrieben. Sie hat
ſich von vielen ſeculis her wenig geaͤndert. Wel-
ches Mylius mit Exempeln wieder Lipſium bewei-
ſet. Hochteutſche Sprache wird von Merwede
als eine Baͤuriſche verachtet. Seine Grobheit
wird mit des Herrn Conſtantini Huigens Beſchei-
denheit wiederlegt. Deſſen Lobſpruch von den
Hochteuteutſchen. Alte Niederlaͤndiſche Lieder.
Vondels Urthel davon. Reden-riikers. Ein
alt
[254]Das III. Cap. Von der Niederlaͤnder
alt in Reimen geſchriebenes Niederlaͤndiſch Chro-
nicon. Douſa und Heinſius haben die erſte Zier-
lichkeit in die Niederlaͤndiſche Poeterey gebracht.
Heinſii Niederlaͤndiſche Gedichte von P. Scriverio
heraußgegeben. Sein Lobſpruch hieruͤber. Jacob
Catz hat eine liebliche Art/ ſo woll im Niederlaͤndi-
ſchen als im Lateiniſchen. Conſtantin Huigens
Korenblomen. Seine Scharffſinnigkeit. Schau-
ſpiele von Amſterdam. Joſt van Vondels Lob.
Jan de Voß ein Glaͤſer/ hat das trefliche Traur-
ſpiel von Aran und Titus geſchrieben. Conſtantin
Huigens und Caſpar Barlæus erheben ihn ſehr.
Einige haben diß Trauerſpiel Barlæo ſelbſt zu ſchrei-
ben wollen. Iſt aber nicht glaͤublich. Barlæus
hat die Niederlaͤndiſche Poeterey verachtet: Selbſt
aber die ſchoͤneſte Verſe geſchrieben. P. C. Hoofts
Gedichte ſeyn hochtrabend. Einige ſchwuͤlſtige
Art zu ſchreiben bey den Niederlaͤndern. Vondels
Urtheil davon. Weſterbaan wird gelobet. Wie
auch Henrichs Brunoos Mengelmoes. Johan van
Dans Liebesgedichte. Matth. van Merwede. Jan
van der Veen Adams Appel. Decker. Bodecher
Banning. Daniel Jonctys. Anna Schurmans.
Anna Teſſelſcha. Unterſchiedlicher Autorum zu-
ſammen geſuchte Carmina. Zeeuſche Nachtegael
Klioos Kraam. Apollos Harp. Einige Auctores
werden erzehlt. Die Teutſchen ſolten dergleichen
Arbeit ihnen angelegen ſein laſſen. Der Außlaͤn-
der
[255]Poeterey.
der Parteiſche Urtheil von ihren und andern Poeten.
Verdiers Urtheil von Ronſard. Des Cardinals
Perrons gleiches Urthel. Alexander Taſſon haͤlt
die Italiaͤniſche neue Poeten hoͤher als die alten.
Deßgleichen thun auch andere.
DIe Poeterey der Niederlānder/
von welcher wir itzo reden wollen/
iſt von der Teutſchen nicht unter-
ſchieden/ ja ſie iſt ſelbſt Teutſch/ und
die Woͤrter dieſer Sprache/ haben mehr
von demalten Teutſchen/ als irgend eine
andere. Die Hochteutſche iſt gegen ſie
ein gar neuer Dialectus. Das Uhralte
Teutſche hat mit dem Niederlāndiſchen
in vielen Stuͤcken eine zimliche Gleich-
heit. Wir haben ſchon vorhin erweh-
net/ daß der Goropius Becanus und nach
ihm Schrieckius ſie zur aͤlteſten Sprache
machen/ und andern allen vorziehen
wollen. So meldet auch Ghilini in ſei-
nen Theatro d’ huomini litterati von ei-
nem Antonio Riccardi, der in Welſcher
Sprache ein Buch geſchrieben/ della pre-
cedenza delle lingue, worinnen er be-
haup-
[256]Das IV. Cap. Von der Niederlaͤnder
behauptet/ daß die Cimbriſche Sprache
(wodurch Becanus die Niederlāndiſche
verſtehet) ihres Alters und Vortreflich-
keit halber der Hebreiſchen weit vor zu-
ziehen. Dieſes Buch habe ich nie geſe-
hen/ nimt mich aber wunder/ daß ein
Italiāner eine ihm frembde Sprache als
die Niederlāndiſche ſo genau durchſuchet
haben ſolte/ daß er ſolchen weit außſe-
henden Satz zu behaupten ſich unterſtan-
den haͤtte. Es wāre denn daß er von
dem Becano ſeine meiſte Gruͤnde entliehen/
welches ich ſchier glauben ſolte. Dieſes
iſt ſonſt gewiß/ daß ſie und andere Dia-
lecti der Teutſchen/ der Griechiſchen
und Lateiniſchen billig vorzuziehen/ und
aͤlter als dieſelben ſeyn. Abrahamus My-
lius hat in ſeinem Buch de Antiquitate
linguæ Belgicæ inſonderheit cap. 28. dieſes
klar genug dargethan: erweiſend/ daß
die Cimbri und Celtæ ſchon zu ihren mān-
lichen Jahren gekommen/ wie Griechen-
land noch in der Wiegen gelegen: und
daß/ da die anderen Sprachen ſo groſſe
Ver-
[257]Poeterey.
Veraͤnderungen erlitten/ die ihrige faſt
ungeāndert geblieben. Er ſaget: Eſt mi-
hi libellus Orationum in membranis ma-
nuſcriptus, qui ex charactere \& aliis indi-
ciis apparet, eſſe antiquiſſimæ notæ. Sed
ſermo in illis tam ſimilis hodierno noſtro
Belgico, quam aqua, qua tunc Scaldis
fluxit, ei, qua nunc fluit. Er fuͤhret auch
etwas daraus an/ imgleichen auch aus
etzlichen Uhralten Diplomatibus die er in
den Archivis gefunden. Er behauptet
wieder den Lipſium daß das alte Nieder-
lāndiſche/ ſo derſelbe aus einem alten
Pſalterio von Caroli M. Zeiten her in ei-
nem Briefe an den Schottum herbey ge-
bracht hat/ daſſelbe ſey was heutiges
Tages geredet wird. Er ſetzet auch den
19. Pſalm nebenſt der Lateiniſchen und
neuen Niederlāndiſchen Uberſetzung da-
hin/ damit ein jeder die Gleichheit ſehen
koͤnne. Nur iſt in einigen Endungen ein
Unterſcheid/ und ſind die alten Woͤrter
gaͤntzlich nach der Conſtruction der Latei-
niſchen verſion geſetzt. Iſt die Nieder-
laͤndiſche Sprache nun zu Caroli M. Zei-
rten
[258]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
ten ſo beſchaffen geweſen/ ſo kan ſie etzli-
che hundert Jahr vorher ſo geweſen ſeyn:
weil ſie ja nicht zu der Zeit gebohren. Itzo
iſt ſie zu der groͤſten Zierlichkeit gebracht/
und je mehr und mehr in der Kunſt maͤſ-
ſigen Richtigkeit außgeuͤbet/ wie imglei-
chen auch die Hochteutſche. Welche her-
riſcher und anſehnlicher iſt/ da jene lieb-
licher und weicher. Iſt alſo eine ſchānd-
liche Schmachrede/ wann Matth. van
der Meervvede, Heer van Clotvvik in der
Vorrede ſeines ſo genandten Uyt-heem-
ſen Oorlogs-ofte Roomſen Min-triomfen
in dieſe liederliche Worte heraußbricht:
De Franskens ſullen noch veel er d’ Hoogh-
als de Nederduytſe Tael leeren, meenen-
de dat in haer plompigheyd eenige aen-
ſienlykheyd is gelegen. Hoevvel dat tuſ-
ſchen ons Duyts ende het ander by na ſo
grooten onderſcheyd is, als tuſſchen ’t Frans
dat te Parys vverd geſproken, en dat de
Boeren in Bretagne ſpreken. Diß Bāu-
riſche Urthel von einem Edelmann gruͤn-
det ſich nur bloß auff die Unwiſſenheit.
Denn
[258[259]]Poeterey.
Denn wenn er die Eygenſchafft der
Hochteutſchen Sprache recht verſtan-
den/ wuͤrde ihm vielleicht dergleichen un-
bedachtſame Rede nicht entfallen ſeyn/
der ſonſt im uͤbrigen einen guten Trieb
zur Niederlaͤndiſchen Poeterey hat. Er
ſolte ihm lieber vorſtellen/ was der tref-
liche Herr von Zulichem Conſtantin Hui-
gens zu lobe der Hochteutſchen Nation an
ſeine Niederlaͤnder geſchrieben/ in der
Vorrede der aus dem Hochteutſchen
ins Niederlaͤndiſche von ihm uͤberſetzten
Epigrammatum:
Heeftu des Hemels gunſt verheven tot den topVan des Hooghmogentheit; vveſt niet hooghmoedigh opEen hoog dat daelen kan: daer is land hoogh geboren’t Welck hooge Titulen van ouds heer toebehoorenEn dar de reden vvil dat ghy voer vviecken moet,Gelyckhet laege dal voor hooge Bergen doet.
Auff ihre Poeterey zu kommen/ ſo iſt wol
auſſer Zweiffel/ daß ſie viel alter Lieder
gehabt/ wie die Teutſchen. Jooſt van
Vondeln in ſeiner Aenleidinge ter Neder-
duitſche Dichtkunſte erwehnet noch der-
ſelben. In oude Hollantſche liedern hoort
r 2men
[260]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
men noch een natuurlyke vrypoſtigheyt,
vloeientheit, en bevallycken zvvier; maer
het gebrak den eenvoudigen Hollander aen
opmercking en oefening, om zyn geeſtig-
heit, uit een natuurlyke ader vloeiende,
krachtigh op te zetten, en te voltojen.
Sie haben auch ihre Reymers und Re-
denryckers gehabt/ welche allerhand
Schauſpiel dem Volck vorgeſtellet/ wie
noch heutiges Tages unter den Bauren
auff ihren Kirchmeſſen oͤffentlich gehal-
ten werden. Der erſte den ich zu nen-
nen weiß iſt der Anonymus, welcher vor
etwa vierthalb hundert Jahren ein Nie-
deꝛlāndiſch Chronicon in Reymen geſchrie-
ben/ wor aus Jacobus Eyndius in ſeinem
Chronico Zeelandico unterweilen etwas
anfuͤhret. Jan van der Does, oder wie
er ſich ſonſten nennet Johannes Doula,
hat dieſe Hollandiſche Rymkronyke her-
außgegeben/ im Jahr 1670 mit ſeiner
Poetiſchen Vorrede in Alexandriniſchen
Verſen verſaſſet. Welche art zu Poe-
tiſieren er am erſten in Niederland ſich
ge[-]
[261]Poeterey.
gebraucht. Aber ſie waren damahls
noch etwas unvollkommen. Der An-
fang des Hollāndiſchen Chronici lautet
alſo:
Ouden Boeken hoor ie gevvagen,Dat alt’ land beneden NyemagenWilen Nederſaſſen hiet,Alſo als die ſtroom verſchietVan der Maſen en van den Rine.Die Shelt vvas dat Weſt ende SineAlſo als ſi valt in de ZeeOeſt ſtrekende min no mee.
Es iſt wenig Kunſt hier in zu finden: die
Sprache aber iſt von der [j]etzigen nicht
gar viel unterſchieden. Die rechte zier-
liche Tichterey hat ſich in dieſem Seculo
erſt angefangen/ und haben die Nieder-
lānder den Italiaͤnern und Frantzoſen
hierin gefolget. Douſa wird von H. Gro-
tio in einem Carmine auff den Opitium,
als von den erſten einer geſetzet: Aber
ihn uͤbertrifft ſehr weit Daniel Heinſius,
deſſen von P. Scriverio herauß gegebene
Niederlaͤndiſche Getichte ſo lieblich/ ſuͤß
und flieſſend ſein/ daß [ihnen nichts][] kan
r 3[ve]r-
[262]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
verglichen werden: Welche ich den hoch-
trabenden Wercken der folgenden weit
vorziehe. Er verdienet billig den groſ-
ſen Ruhm/ den ihm P. Scriverius in ei-
ner abſonderlichen Lobrede beylegt/ da
er ihn als den erſten Urheber der kuͤnſt-
lichen Niederlāndiſchen Poeterey auß-
rufft. Er ſpricht von demſelben alſo:
Dees heeft hy uyt het ſlyck gebeurt en opgenomenZyn vverck daer van gemaeckt niet ſlachtende delomen,Daer Nederland van vvaecht, en die nu (maer t’ on-recht)DeReden-ryckers bend en Rymers ſyn geſecht,Een Volck dat veeltydt is entbloot van alle reden,Onmatich, onbeſuyſt, vvanſchapen, onbeſneden:In rreur ſpels bly van ſin, en vveer onbillich gram.
Er vergleicht ferner daſelbſt ihre Spra-
che mit der Frantzoͤſiſchen/ jedoch daß
er die ſeinige derſelben weit vorziehet/
ſtraffet auch ſeine Landsleute/ daß ſie
nicht ehe darauff bedacht geweſen/ wie
ſie die Vollkommenheit der Poeterey in
der ihrigen ſuchten/ die andere Voͤlcker
ſo zeitig in den ihrigen gefunden.
Nechſt dem Heins iſt woll Jacob Catz zu-
ſetzen/
[263]Poeterey.
ſetzen/ der groſſe weitlaͤufftige Poetiſche
Wercke geſchrieben/ und in der Sitten-
leere/ durch allerhand Sinnenbilder/
(die aber nicht die vollenkommenſten ſein)
vorzuſtellen ſich bemuͤhet: Seine Tich-
terey iſt zwar von der niedrigen Art/
und mit Worten mehr als von noͤthen
angefuͤllet. Sie iſt aber dennoch ſuͤß/
lieblich und ſauber/ ohne die geringſte
Haͤrtigkeit/ darunter bißweilen ein ſinn-
reicher Einfall hervor leuchtet. Sein
Zweg iſt der gemine Nutz in unterrich-
tung des Volcks/ dadurch er ſich alſo be-
liebt gemacht/ daß er von allen durchge-
hend geleſen/ und auch bey den Außlaͤn-
dern ſehr beliebt geworden. Wenn er
ſich in der all zu groſſen weitlaͤufftigkeit
etwas gemāßiget/ wuͤrde man daß mei-
ſte an ihm zu loben haben. Seine Lateini-
ſche die er hin und wieder mit untermen-
get ſein den Niederlāndiſchen vorzuzie-
hen/ von uͤberaus groſſer Lieblichkeit/
ungezwungen/ ſauber/ und faſt nach
des Lotichii art/ daruͤber ich mich offt-
r 4mahln
[264]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
mahln ſehr ergetzet. Conſtantin Huigens
der Herr von Zulichem, deſſen wir ſchon
droben gedacht/ hat hingegen in ſeinen
Poetiſchen Wercken/ welche unter dem
Titul der Korenblomen neulich wieder
hervor gegeben/ faſt in allen Zeilen ſeine
ſinnreiche Einfaͤlle. Man kan nicht ohne
verwunderung die ſo reiche Fruchtbarkeit
dieſes ſo hohen Verſtandes betrachten.
Seine Zede-printen wie er ſie nennet/
Characteres, ſein lauter Geiſt/ und hat faſt
ein jeglicher Verß etwas/ daruͤber man
nachzuſinnen hat. Seine Snelldicht oder
Epigrammata ſein ſonderlich ſpitz/ und hat
er unter allen Landsleuten niemand/ der
jhm in der ſcharffſinnigen Redensart es
nachgethan. Diß iſt aber zu verwun-
dern/ daß er dergleichen Verſe unter der
Laſt der Staats-Geſchāffte/ damit er uͤ-
berhāufft geweſen/ hat hervor bringen
koͤnnen. Und iſt noch jetzund nicht bey ſo
hohem Alter faſt von 90. Jahren/ ſeine
Feder ſtumpff geworden. Die Schau-
ſpiele ſind bey jhnen zur Vollkommenheit
ge-
[265]Poeterey.
gebracht. Inſonderheit hat die Stadt
Amſterdam ein groſſes daran gewandt.
Da haben ſich in groſſer Menge ge-
funden/ welche umb den Preiß hierin
geſtritten. Vor andern hat Joſt van
Vondel ſich hierin hervor gethan/ von
deſſen Comœdien und Tragœdien gantze
groſſe Tomi her auß gekommen/ welcher
auch des Virgilii Buͤcher in Veꝛſe uͤbeꝛſetzet.
Es iſt unter andern ein Glaͤſer geweſen
Nahmens Jan de Voſs, der das beruͤhmte
Trauerſpiel von Aran und Titus gemacht.
Gantz Holland hat ſich hieruͤber ver-
wundert/ denn es iſt eine ungemeine Er-
findung und Außzierung die man von
einem Handwercks-Mann nicht vermu-
then geweſen. Conſtantin Huigens und
Caſpar Barlæus haben es mit ihren Lobſpꝛuͤ-
chen beehr et und ſchreibet dieſer ſehr aꝛtig.
Ik ſtae gelik bedvvelmt en overſtolpt van geeſt.De Schoubourgh vvort verzet, en ſchoeyt op hooge[t]
leeſt.Ryſt Sophocles vveer op? ſtampt Æſchylus vveer hier?Of maakt Euripides dit ongevvoon getier?Neen; t’ is een Ambachts man, een ongelettert gaſt;De nu de gantſche rey van Helicon verraſt.
r 5De
[266]Das V. Cap. Von der NiederlaͤnderDe noyt gezeten heeft aen Grieks of Roomſche Diſch.Wyſt nu de vveerelt aen, vvat dat een Treurſpel is.Athenen las het Spel, en ſprack: ik ſchryf niet meer,Die ons door glas verlicht, verduyſtert al ons eer.
Was koͤnte herrlichers zu dieſes Man-
nes Lob geſaget werden? Es haben eini-
ge gemuthmaſſet ob were Barlæus ſelber
der Autor dieſer Tragœdien geweſen/ und
dieſem Jan de Voſs die Freyheit gege-
ben/ ſie als die ſeinige vorzuſtellen/
damit er denen eins anmachte welche zu
ſeiner Zeit die Niederlaͤndiſche Tichterey
ſchier hoͤher hielten als die Lateiniſche/
und ſie dadurch veranlaſſet wuͤrden/ die
Niederlaͤndiſche zu verachten/ welche
auch ſo gemein wuͤrde/ daß nunmehr die
Handwercker ihnen ihr Lob ſtreitig mach-
ten. Ich kan hierin nicht woll urtheilen.
Es iſt dieſe Tragœdie ſehr woll nach allen
ihren Stuͤcken geſchrieben/ und ſcheinet
ein hoͤher Geiſt hierin zu ſeyn als in den
andern Verſen dieſes Mannes/ wie
denn auch ohn dem die Eigenſchafft
der Tragœdien etwas ſonderliches erfo-
dert. Wenn ich aber ſeine andere Verſe
be-
[267]Poeterey.
betrachte und neben dieſe halte/ ſo ſind ſie
doch auch nach ihrer arth ſehr wol ge-
ſchrieben/ daß ich nicht ſehe wie man die-
ſes ihm auffbuͤrden koͤnne/ es were denn
daß Barlæus ſie alleſampt gemacht hātte/
welches nicht glāublich. Sonſten hat
er die Niederlāndiſche Poeterey verach-
tet/ wiewoll er ſelbſt zierlicher darin ge-
ſchrieben/ als faſt alle andere. Man
findet im andern Buch ſeiner Elegien eine
an Jacob van der Burch und Johann Bro-
ſterhuyſen, worin er ſie von der Nieder-
laͤndiſchen Poeterey abmahnet und zur
Lateiniſchen anfriſchet: Dieſe iſt ſehr woll
geſchrieben/ worin unter andern dieſe
Verſe zu finden:
Non decet indoctam vatum ſapientia turbam,Et nimium veſtro vulgus ab ore ſapit.Cernitis ut viles ſcandant Helicona Puellæ,Fœmineumque riget Caſtalis unda chorum?Scribite fœmineis ali quid ſublimius auſis:Pangite quod virgo non queat ulla, melos.
P. C. Hooft, Ritter von S. Michaelis, Droſt
von Muyden und Baljovv von Goeiland
hat nicht allein Trauer ſpiele/ ſondern auch
an-
[268]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
andere Getichte geſchrieben/ welche eine
hochtrabende arth haben/ viele ſonderli-
che geſuchte und zuſammen geſetzte Woͤr-
ter. Wie denn in ſeinen Hollandiſchen
Geſchichten/ die er deſchrieben/ derglei-
chen ungewoͤhnliche und faſt nach Taciti
art eingerichtete Rede ſich findet. Weß-
halben ſeine eigene Landsleute etwas an
ihm zu tadeln finden. Und hat er einige
Nachfolger gehabt/ welche/ da ſie an
Urtheil und Verſtande ihm nicht gleich
thaten/ viel unzulāßige Neuerun-
gen in der Rede angefangen. Auff die-
ſe/ wie es ſcheinet/ hat Vondel gezieh-
let/ wann er in ſeiner Aenleidinge ſpricht:
d’ Alleroutſte en beſte Poëten zyn de na-
tuurlyckſte en eenvoudighſte. De nako-
melingen, om hem voorby te rennen,
vielen uit eerzucht of aen het ſnorcken en
poffen of verniſſen en blanketten. Dat
behaeghde in het eerſt, gelyck vvat nieuvvs,
den min verſtandingen, en klonk den ni-
eusgierigen, gelyck een donderſlagh, in
d[']ooren; doch het vervvonderen duurde
een
[269]Poeterey.
een korte vvyl, en de vvackerſte oogen
zagen hier door; en d’ outſten tegens de
jonger vvercken in de Schale van een be-
zadight oordel opgevvogen, vielen de
leeſten te licht, en d’ outſten behielden
den verdienden prys. Es muß des
Herrn Henric. Weſterbaens Herrn von
Brandevvyck eines gelehrten Edelmanns
nicht vergeſſen werden; deſſen Hollan-
diſche Getichte ſonderlich zu loben/ we-
gen ihrer rennlichkeit und nicht gemei-
nen Erfindung.: inſonderheit ſein
Ockenburg und ſeine Nootzakelik mall,
welche voller artigen Einfālle ſeyn/ und
von ſeinen vornehmſten Landsleuten
hochgeprieſen werden/ auch ſeine Lateini-
ſche/ die er untermiſcht/ ſein woll geſchrie-
ben. Henric Brunoos ſo genanntes Men-
gelmoeſs iſt voller luſtigen Einfaͤlle/ ſo
woll in Niederlaͤndiſcher als Lateiniſcher
Poeſey: denn er hat beydes zuſammen
gemiſchet. Ich habe niemand geſehen/
der in feſtivo genere es ihm gleich gethan.
Johan Adolph Dans hat Liebesgedichte
ge
[270]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
geſchrieben von unglāublicher Suͤßlg-
keit. Der Herr von Meervvede, deſſen wir
droben gedacht/ gehet hierin etwas zu
weit; und ob er zwar durch die Italiaͤ-
niſche Uberſchrifften ſeine allzufreye Ein-
faͤlle vertunckeln will/ ſo ſtehn ſie doch
gnug zu Tage. Was er hierin verſehen/
hat er nachgehends mit ſeinen Geeſtely-
ken Minne-vlammen verbeſſern wollen.
Jann van der Veen in ſeinem ſo genand-
ten Adams Appel iſt voll von Schertzen
und Luſtigkeiten/ die nicht unangenehm
ſeyn/ ob ſie gleich etwas gemeines bey
ſich fuͤhren. Denn es iſt alles unge-
zwungen aus ſeiner Feder gefloſſen.
Decker der von dem Lobe der Geldſucht
und andere Gedichte geſchrieben/ ver-
dienet auch billig ſein Lob. Bodicher
Banning in jeinen Leydiſchen Oorloffsda-
gen hat allerhand Gedichte welche die
Mittelbahn halten. Daniel Jonctys hat
nur wenig geſchrieben/ mehrentheils Lie-
besgedichte; Sie ſeyn aber angenehm
und von zarten weſen. Seine Roſelins
Oogi-
[229[271]]Poeterey.
Oogies ſeyn mit allen erdencklichen Far-
ben angeſtrichen. Seine hedensdaeghſe
Venus en Minerva, ein Geſprāch zwiſchen
denſelben/ ſtellet die Luſtigkeiten und
Verdrießlichkeiten der liebenden und ſtu-
dirende vor/ und iſt woll außgezieret.
Man hat auch bey ihnen einige Jung-
frauen gehabt/ die ein ſchoͤnes ſo woll
Lateiniſches als Niederlaͤndiſches Gedicht
geſchrieben: als die Anna Schurmans,
auff welche noch der Herr Huigens ein
Lateiniſches trefliches Carmen geſchrie-
ben; darin er ſie ermahnet von dem La-
badie abzuſtehen: und die Anna Teſſel-
ſcha, deren verlohrnes Auge mit einem
weitlāufftigen Niederlaͤndiſchen Gedichte
Oogentrooſt genandt/ derſelbe Herr
Huigens beehret/ welcher auch Barlæus
viel zu ehren geſchrieben. Es ſeind auch
bey ihnen viel außerleſene Carmina von
den beſten Auctoribus und deren inſon-
derheit/ die ſonſt wenig geſchrieben/ in
abſonderlichen Buͤchern verſamlet/ wor-
unter meinem Beduͤncken nach das beſte
iſt
[272]Das V. Cap. Von der Niederlaͤnder
iſt/ de zeeuſche Nachtegael., worin der
Seelaͤndiſchen Poeten Carmina enthal-
ten. Es ſeyn hier Geiſtliche/ Weltliche/
Ernſthafftige/ Luſtige untereinander
vermiſchet/ auch viele Bauren-kurtzweil/
als die Eyerklacht eines Bauren Klag
uͤber einen zerbrochenen Eyer-Korb
und andere mehr/ welche alle mit Luſt
zu leſen. Ferner iſt Klioos Kraam in zwey-
en Theilen herauß gegeben/ Apollos
Haarp, und andre mehr. Die darin
enthaltene Gedichte ſeyn theils von Ano-
nymis und unbekandten/ theils von den
bekandten und die gantze Wercke her auß-
gegeben/ gemacht. Man findet darinnen
Gedichte von Anslo, van der Burgh, Brandt,
Bremer, Camphuyſen, P. de Groot, Paſ-
ſchier de Foine, I. Rivius, M. van de Heu-
vel, F. Martinius, J. Schryver, F. Schnel-
linx, Traudenius, R. Tel, Wittenoom,
Abbes Gabbema, Aſſellyn, Caſpar von
Baerle, Boogard, Brunsveld, Dullaart,
Galama, Geeſtdorp, van Griethuyſen, Hu-
go de Groot, Jacobs, Jonctys, Klinge,
Ni-
[273]Poeterey.
Nicolaus Oudan, Reael, Rintius, Sanderꝰ, Six,
Victorin, Wibinga, J. de Brune, Alida Bruno,
J. van Daale, P. Dubbels, J. van Duisberg,
Maria van Haeſtrecht, W. van Heemskerck,
Sibylla van Jongſtal., J. Leschaille, J. Opper-
veld, Paffenrode, (der eine ungemeine Ey-
genſchafft hat/ die Liebes-Schertze mit dop-
peldeutigẽ Worten zufaſſen/) Carl Prince,
Catharina Zveſtiers, D. Zveſtiers, W. Schel-
lincks, Vollenhofe, Waterloes, Jan Zoet,
H. Zvveerds. Dieſe Veꝛſamlungen ſeind zu
loben/ denn es werden die beſten Carmina
außgeſucht uñ inſonderheit die wenige/ die
kein vollſtaͤndig Werck an ſich ſelbſt ma-
chen koͤnnen/ oder ſonſten verlohren gin-
gen. Dieſes moͤchte man mit den Teutſchen
auch alſo machen: denn es werden offt-
mahls von feinen Ingeniis dergleichen ge-
ſchrieben/ die woll werth daß ſie bey be-
halten wuͤrden. Ich wolte deren allein
aus meiner wenigen Bibliothec ein groſ-
ſes volſtaͤndiges Buch liefern.
Wir haben bißhero von den Außlaͤndi-
ſchen Poeten geredet/ die nicht allein
Sun-
[274]Das V. Cap. Vonder Niederlaͤnder
unter ſich/ ſondern auch mit andern Voͤl-
ckern des Vorzugs halber ſtreiten. Die
meiſten ſprechen ihren Landsleuten zu ge-
fallen/ und urtheilen nach ihrer Zunei-
gung. Unter den Frantzoſen wird Ron-
ſardus von dem Verdiero in ſeiner Cenſio-
ne Autorum allen andern vorgezogen;
denn er ſagt: Ronſardus eorum, qui qua-
vis ætate aut linguâ ſcripſerunt, omnium
laudes unus promeruit. Er zuͤrnet mit dem
Muteto, daß er in den Anmerckungen
uͤber ihn einige Oerther angezeichnet/ die
er aus den Italiaͤniſchen Poeten genom-
men haben ſoll/ da ſie doch beyde aus den
Griechiſchen und Lateiniſchen als gemei-
nen Brunquellen geſchoͤpffet. Es wāre
des Verdiers Urthel nicht groß zu achten;
aber der gelehrte Cardinal Perronius iſt
ſelbſt in der Meinung/ denn in den Ex-
cerptis, die die fratres Puteani von ihm auff-
gezeichnet/ ſeyn dieſe Worte außdruͤcklich
zu finden p. 284. Ronſard eſtoit l’ homme,
qui avoit le plus beau genie, que Poete
ait iamais eu, ie dis de Virgile \& d’ Ho-
me-
[275]Poeterey.
mere. Er zeucht ihn allen andern Poe-
ten vor/ und hālt ihn vor ein Wunder-
werck ſeiner Zeiten/ wie weiters daſelbſt
kan nachgeleſen werden. Was die Ita-
liaͤner aulanget/ ſo ſtellet Alexander Taſ-
ſon in ſeinen Penſieri diverſi lib. X. c. 14.
eine Vergleichung zwiſchen den Griechi-
ſchen/ Lateiniſchen und den neuen Po-
eten an/ und ſcheuet ſich nicht dieſe jenen
vorzuziehen. Arioſtus und Taſſus
ſein ihm due ſourani lumi della lingua
e dell’ età noſtra, illuſtri e glorioſi ſopra
tutti gli antichi. In den Hirten-Getich-
ten/ poëſi Lyrica, haͤlt er ſeine Landsleute
vor unvergleichlich/ denen alle andere
weichen muͤſſen. Unter den Spaniern/
Engellaͤndern und Niederlaͤndern fin-
den ſich gleichfalls/ die die Ihrige den an-
dern vorziehen/ davon wir droben mit
mehren gehandelt. Es gehet hierin
nach dem gemeinen Sprichwort/ daß
man ſeinen eignen Rauch hoͤher halte/
als ein frembdes Feur. Und muß man
ſich verwundern/ wie offtmahls nicht
S 2nur
[276]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
nur verſchiedener ſondern derſelben Leute
Urtheil wieder einander lauffen.
Das VI. Cap.
Von der Teutſchen Poete-
rey/ und zwar von der erſten Zeit.
Einhalt.
DRey Zeiten der Tentſchen Poeterey. Carolus
Ortlob ſetzet fuͤnff. Die Uhralte Zeit beſte-
het in den Carminibus, deren Tacitus ge-
dacht. Dieſe alten Carmina machet Olaus Rudbeck
den Teutſchen ſtreitig/ und ſchreibet ſie den Schwe-
den zu. Aber ohne Grund. Beantwortung ſei-
ner angefuͤhrten Uhrſachen. Die Poëſis iſt die aͤl-
teſte bey allen Voͤlckern/ und dienet an ſtaat der
Hiſtorien. Caſtelvetro und Taſsi Meinung hie-
von. Wird mit Exempeln erwieſen. Iſt alſo
auch bey den Teutſchen geweſen. Weil dieſe Carmina
nicht koͤnnen vorgezeigt werden/ folget nicht daß ſie
nicht geweſen. Die vielfaͤltigen Kriege und der
Teutſchen Nachlaͤßigkeit iſt Uhrſach an den Unter-
gang der alten Lieder. Man hat uͤber des Taciti
Zeugniß noch einige alte Nachrichte davon. Jo-
annis Aventini und Chriſtian Hoffmans Zeugniſſen.
Hunibaldus. Albertus Krantzius haben ſich ſol-
cher
[277]Poeterey erſte Zeit.
cher Verſe bedienet. Einige art Schranckverſe/ ſo
vor alters bey den Schweden gebraͤuchlich geweſen/
welche Olaus Rudbeck vor die alte dem Tacito er-
wehnte Carmina haͤlt. Dieſes wird in zweiffel ge-
zogen. Dann es ſcheinen dieſe Carmina nicht ſo
gar alt zu ſein. Verſetzung der Woͤrter eine anzeige
der Kunſt und Neuerung vielmehr/ als des Alter-
thums. Auß dem Wort Barditu welches Tacitus
von der Teutſchen Kriegesliedern gebraucht/ und
Herr Rudbeck aus dem Schwediſchen ableitet/ will
er behaupten/ daß es Schwediſche Lieder geweſen.
Iſt kein richtiger Schluß. Kiempe Wyſar bey den
Dānen. Bardi bey den Teutſchen. Barritus Baren
gebaeren. Die Heldenlieder der Teutſchen ſcheinen
vor Taciti Zeiten geſchrieben zu ſein. Melchioris
Goldaſti Meinung davon. Meiſtergeſaͤnge und
Meiſterſaͤnger ob ſie hievon den Urſprung haben. Al-
te Carmina eine gute Nachricht in den Hiſtorien.
I. Palmerius de Grentemesnil hat die alten Frantzoͤ-
ſiſchen und andrer Nationen Lieder hoch gehalten.
YUn kommen wir endlich zu den
Teutſchen/ von deren Poeterey
wir ietzo handeln wollen. Es
muͤſſen aber hierin die Zeiten unterſchie-
den werden/ nemblich die Uhralte/ deren
Tacitus gedencket/ die Mittele/ die von
S 3Ca-
[278]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
Carolo den Groſſem her zufuͤhꝛen/ und die
neueſte/ die in dieſem ſeculo erſtlich ange-
gangen. Carolus Ortlob/ welcher de variis
Germanicæ Poëſeos ætatibus eine Diſſer-
tation geſchrieben/ ſetzet fuͤnff Zeiten.
Die erſte nennet er die Kindheit/ dahin
er die alten Carmina bringet/ deren Ta-
citus gedencket. Die andere die Jugend/
welche er von Caroli M. Zeit herfuͤhret.
Die dritte/ als das mānnliche Alter ſetzet
er unter des Barbaroſſæ und Henrici VI.
Regierung. Die vierdte das Alter der-
ſelben/ wird nach des Friderici II. Zeit
von ihm geſetzet. Die fuͤnffte als die
Wiedergebuhrt derſelben nennet er die/
welche in dieſem ſeculo von Herrn Opi-
tio angefangen. Wir wollen aber in
den dreyen Zeiten alles faſſen.
Was nun die Uhralte Zeit anlan-
get/ ſo haben wir deren keine Nachricht
als welche wir beym Tacito finden. Deſ-
ſelben Worte lauten alſo: Celebrant
carminibus antiquis (quod unum apud
illos memoriæ \& annalium genus eſt (Tui-
ſto-
[279]Poeterey erſten Zeit.
ſtonem Deum terrâ editum, \& filium Man-
num, originem gentis conditoresque. Die-
ſes hat niemand in zweiffel gezogen/ und
ſtehet es ja ſo klar alhie/ daß man deß-
halben nicht noͤthig hat die geringſte
Grubeley zu machen. Aber es hat den-
noch neulich den Teutſchen der Herr
Olaus Rudbeckius diß ſtreitig gemacht in
ſeiner Atlantica cap. 24. l. 4. und darthun
wollen/ daß ſolches von keiner andern
als der Schwediſchen Nation verſtanden
werden koͤnne. Ich ehre dieſes vorneh-
men Mannes hohen Verſtand: Aber
hierin kan ich ihm keinen Beyfall geben.
Dann bey ſeite geſetzet/ was er von
der Teutſchen herſtammung aus Schwe-
den weitlaͤufftig darthun wollen/ (da-
von auff eine andere Zeit kan geredet
werden) ſo iſt dieſes doch handgreiflich
wieder des Taciti und aller/ die den Ta-
citum leſen und verſtehen konnen/ Mei-
nung: daß es alſo von keinen andeꝛn Teut-
ſchen als mit welchen die Roͤmer damahls
zu thun hatten kan verſtanden werden.
S 4Denn
[280]Das VI. Cap. Von der Tentſchen
Denn daß er dieſelbe verſtehe/ erhellet ja
auß ſeinem andern Buch der Annalium,
da er von dem Arminio ſaget: Canitur
adhuc apud barbaras gentes Græcorum
annalibus ignotus, qui ſua tantùm miran-
tur. Nun iſt ja bekandt daß die Cheruſci
und die benachbahrte warhafftig Teutſche
Voͤlcker ſeyn/ davon Tacitus dieſes ſaget.
Denn wer ſolte ſolche Lieder anders ge-
macht haben als dieſe uͤber die der Armi-
nius geherrſchet/ und denen ſeine Tugend
bekant. Haben ſie nun dieſe von Armi-
nio gemacht/ warumb ſolten ihre Vor-
fahren nicht dergleichen gethan haben?
Seine Gruͤnde ſein dieſe/ daß bey den
Schweden dergleichen viele Carmi-
na zu finden/ da doch in Teutſchland man
nichts zum Vorſchein bringen koͤnne.
Hierauff zu antworten/ ſo iſt zu wiſſen/
daß nicht nur bey den Schweden/ ſon-
dern bey allen andern Voͤlckern/ die
noch ſo weit nicht gekommen/ daß ſie ih-
res Landes Hiſtorien beſchreiben/ dieſer
Gebrauch ſey/ den ſie faſt die Natur
leh-
[281]Poeterey erſte Zeit.
lehret/ daß ſie ihrer alten Helden Lob
mit Liedern preiſen und ihr Andencken
dadurch erhalten. Man hat ſolches bey
den wilden Americanern ſelbſt gefunden/
wie ſolches in den Reiſebeſchreibungen
angezeichnet iſt/ und einer aus ihrer Na-
tion Ynca Garçillaſſo de la Vega in ſeiner
Peruvianiſchen Hiſtorien ſelbſt bezeuget.
Der gelehrte Caſtelvetro erwehnet in ſei-
nen Anmerckungen uͤber des Ariſtotelis
Poëtica dieſe Frage: Ob die Poeterey
den Hiſtorien vorgehe/ und ſpricht vor
die Hiſtoria das Wort. Torquatus Taſ-
ſus hingegen am ende des erſten Buchs
de poëmate Heroico ſchlichtet dieſen Streit
alſo: daß zwar die Hiſtoria der Poete-
rey der natuͤrlichen Ordnung nach vor-
gehe: dieſe aber ālter ſey als jene: wel-
chem auch Auguſtinus Maſcardus in ſeinem
Buch dell’ arte Hiſtorica trattat. 5. cap. 4.
particell. 1. und aller Voͤlcker Exempel
beypflichten. So hat man bey den Grie-
chen von alters her keine andere Hiſtori-
enſchreiber als ihre Poeten und Saͤnger
S 5ge-
[282]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
gehabt. Bey den Roͤmern iſt vor des
Appii Cæei ſeiner Zeit nichts in ungebun-
dener Rede geſchrieben. Von den Chi-
nenſen ſchreibt es auch Trigautius und
Martinus Martinii: denn wann noch keine
Schrifft iſt/ dadurch man dem Gedaͤcht-
niß zu huͤlffe komt/ ſo erheiſcht die Noht-
wendigkeit/ daß man ſolches in Verſen
verfaſſe. Wie mans auch mit den Ge-
ſetzen alſo gehalten/ von welchen noch
der Nahme Νόμο [...] in der Poëſie geblie-
ben. Wie ſolten dann nun die Teutſchen
nicht faͤhig geweſen ſeyn ſolche Lieder zu
machen? Daß er ferner vorgibt es koͤn-
nen die Teutſchen ſolche nicht vorzei-
gen/ ſo beweiſet dieſes nichts; und iſt das
Gegentheil war. Es beweiſet dieſes nichts:
denn da ſo viel tauſend andere Buͤcher
zu grunde gegangen/ da Teutſchland
durch ſo viele Kriege verheeret worden/
da die Nachlaͤßigkeit letzter Zeiten dieſe
alte Lieder geringſchaͤtzig gehalten/ da ſie
anfānglich nicht auffgeſchrieben. Wie
ſolte es nicht moͤglich ſein/ daß ſie verge-
hen
[283]Poeterey erſten Zeit.
hen koͤnten? Daß ſie da geweſen/ bezeuget
Tacitus ein glaubwuͤꝛdiger Hiſtoꝛienſchꝛei-
ber. Das Gegentheil erhellet hier auß:
dann es ſchreibet Eginhartus in vitâ Ca-
roli Magni von ihm: Barbara \& antiquiſ-
ſima carmina, quibus veterum Regum a-
ctus \& bella cantantur ſcripſit memoriæ-
que mandavit. Dieſes ſein ohn zweiffel
derjenigen etliche geweſen/ deren Tacitus
gedencket. Wo ſein dieſe aber nun zu
finden? Joannes Aventinus der ſonſt al-
le Bibliothecas, und Archiva durch ge-
krochen/ hat in dem erſten Buch ſei-
ner Germaniæ illuſtratæ die er verheiſſen/
und deren Einhalt Geſnerus erzehlet/
handeln wollen de carminibus antiquis
quibus Cornelius Tacitus uſus eſt, \& quæ
Carolus M. auxit, recentiores corrupere.
Aber es iſt von ihm nicht anders als ſeine
annales Bojorum hervor gekommen/ und
verſichert Geſnerus daß nichts mehr von
ihm verhanden. In dem Lateiniſchen
findet ſich von ihnen nichts hauptſaͤch-
lichs/ nur daß er von dem Tuiſcone die-
ſes
[284]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
ſes erwehnet/ daß er die Buchſtaben er-
funden/ quod jura dederit, leges tulerit,
carminibusque complexus fuerit, quæ pu-
blice \& privatim cantarent. Er meldet a-
ber nicht/ woher er dieſe Nachricht ha-
be/ er zeuget auch/ daß von den alten
Carminibus noch einige in den Bibliothe-
cis verhanden. Denn ſo ſpricht er lib. 1.
p. 15. n. 40. Ingeramum \& Adalogerionem
more majorum antiquis proavi celebra-
runt Carminibus, quæ in Bibliothecis ex-
ſtant. In der Teutſchen Hiſtorie/ die
nach der Lateiniſchen herauß gegeben/
und inſonderheit deſſen erſtem Buch wel-
ches er ſelbſt ſehr vermehret/ meldet er/
daß er zu Regensburg inS.Hay-
merans Kloſter/ gute alte Lateini-
ſche Verſe gefunden/ darinnen et-
licher alter Koͤnige und Helden
Thaten beſchrieben worden/ die
aus Befehl RayſerCaroldes Groſ-
ſen von den alten Teutſchen Tich-
tern ins Latein gebracht. Aus den-
ſelben fuͤhret er einige merckwuͤrdige dinge
an/
[285]Poeterey erſt[e] Zeit.
an/ und iſt vermuthlich/ daß ſolche aus
den alten Teutſchen Liedern zuſammen
getragen worden. In derſelben teut-
ſchen Hiſtorie meldet er auch/ daß
wie der KoͤnigTuiſcozu anreitzung
der Nachkommen die Gutthaten
der Frommen mit Liedern zu eh-
ren befohlen/ haͤtte KoͤnigLaberge-
boten/ daß man auch von denen die
Ubels thaͤten/ damit ſie ſich ſchaͤme-
ten und beſſerten/ Lieder machete/
dieſelbige bey Nachte offentlich
auff den Gaſſen für den Haͤuſern
ſuͤnge/ wenn man das Licht ange-
zuͤndet hatte/ darum man auch ſol-
che Geſanglichter genennet. Sein
alſo dieſe gleichſahm Satyren und zu ver-
beſſerung der Sitten angeſehen geweſen.
Iſt ſchier eine ſolche Gewohnheit/ wie
bey den alten Aegyptern/ bey welchen
jemand tāglich des Koͤnigs Tugenden
heraußſtreichen/ und ſeyn Verſehen ent-
ſchuͤldigen muͤſſen. Damit er zu den Tu-
genden angefriſcht/ und von Laſtern ab-
ge-
[286]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
gehalten wuͤrde. In der Teutſchen Hi-
ſtoria des Aventini ſein noch verſchiede-
ne Oerter/ woſelbſt er der alten Teut-
ſchen Lieder gedencket/ die in der Latei-
niſchen nicht zu finden. Als da er von
dem Hercules handelt lib. 1. p. 27. a. ſpricht
er: Solches iſt viel in unſern al-
ten Teutſchen Reymen/ ſo der al-
ten Teutſchen Chronica ſein/ ange-
zeiget. und p. 33. b. ſpricht er von dem
alten Danheuſer. Von dem alten
Danheuſer und ſeiner Reiſe/ ſingen
und ſagen noch viel unſere Teut-
ſchen/ man heiſt noch die alten
Meiſtergeſaͤng von ihm Sprich-
wortsweiß/ der alte Danhaͤuſer.
Er gedencket ferner daſelbſt einige/ die
aus dieſen Hiſtorien Romainen gemacht/
und Liebesſachen mit darunter ge-
menget/ dadurch die Hiſtorien ver-
faͤlſchet worden. Ferner p. 64. a. be-
rufft er ſich auff die alte Teutſche Lieder
von den Landhelden gemacht. P. 67. a.
imgleichen P. 69. a. gedencketer einigeꝛ altẽ
Reime
[287]Poeterey erſten Zeit.
Reime die von dem alten Teutſchen War-
ſager Meiſter Alber lang vor Chriſti
gebuhrt gemacht/ von welchen noch thoͤ-
richte Leute albern genant werden. P. 93.
a. findet ſich dieſes: zu Regensburg in
des Thumſtiffts Buchkammer/ iſt
gar ein alt Buch auff Pergamen in
Lateiniſcher Sprache woll be-
ſchrieben/ von dem alten loͤblichen
herkommen der Bayern/ das ſagt
daß die Bayern alleinAlexanderun-
ter allen im Niedergang der Son-
nenNationenabgeſagt haben. Man
hat ſolches bey den Alten geſagt
und geſungen. Sehen wir alſo hier-
auß daß auch dieſes alte Buch ſich auff
die alte Carmina beruffe. P. 110. b. da er
von dem Teutſchen und Bayriſchen Koͤ-
nig Dieth handelt/ berufft er ſich auff die
alten Teutſchen Bayriſche Reymen und
Chronicken. Es moͤgen noch wol einige
andere Oehrter mehr daſelbſt verhanden
ſein/ die ich nicht angemerckt. In dem
4. Buche ſeiner Teutſchen Hiſtoria
p. 289.
[288]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
p. 289. b. redet er von den Carminibus die
Carolus M. zuſammen tragen laſſen; aber
er bedauret daß der meiſte Theil davon
verlohren und hernach durch etliche ge-
fālſchet worden: Denn es iſt den Alten
nicht anders ergangen/ als den Neuen/
die von frembder Feder ſehr verdorben
und unzeitlich verneuert ſein. Es geſte-
het auch Albertus Crantizus, daß er zu
behuff ſeiner Hiſtoria die alten Carmina
gebraucht habe. Hunibaldus der von den
Francken eine Hiſtoria geſchrieben/ hat
aus den alten Carminibus auch das meiſte
zuſammen getragen wie Trithemius von
ihm bezeuget/ der gar viel auff ihn hālt/
und aus einigen ſeinen Buͤchern einen
Außzug gemacht. Er ſpricht: Ex Car-
minibus \& ſcriptis Flaminum ſuæ gentis con-
tinuavit Waſthali hiſtoriam Ich weiß
wol daß Voſſius und viele andere
dieſen Autorem verwerffen/ aber es kan
doch wol wahr ſein/ daß er aus den
Carminibus, worinnen viel ertichtes we-
ſens mit unterlaͤufft/ ſeine Hiſtorien zu-
ſam-
[289]Poeterey erſten Zeit.
ſammen getragen. Dazu iſt man noch
nicht ſo gar aus den Roͤmern und an-
dern Hiſtoricis, was uns Teutſche ange-
het/ der Warheit verſichert. Es kan
dennoch unter dieſem Fabelhafftem We-
ſen woll etwas wahres mit unterſpielen/
das nun ſo leicht nicht von einander ge-
ſchieden werden kan. Chriſtian Hoff-
mann von Hoffmanns-Waldau/ da er
in der Vorrede ſeiner Gedichte von die-
ſen alten Geſāngen redet/ ſchreibet er
hievon mercklich alſo: ſolche Geſaͤn-
ge ſein nachmahls je mehr und
mehr im Lauft kommen/ und ha-
ben viele bey der damahls zimlich
harten und rauhen Sprache nicht
uͤble Gedancken gefuͤhret/ wie noch
in vielen KloͤſterBibliotheken/ als
zuS.Gall/ zu Eichſtatt/ zuS. Eme-
ranin Regensburg/ und vielen an-
deren Orten mehr dergleichen
auff Pergament zu finden
iſt. Es iſt traun unverantwortlich/
daß man dergleichen Alterthuͤme ſo gar
tim
[290]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
im finſtern ſtecken laͤſt/ und ſie nicht zur
Ehre der Teutſchen Nation hervor gege-
ben werden/ dahero es denn kommt/ daß
die Außlaͤnder unſere Nachlāßigkeit zu
ihrem Vortheil gebrauchen/ und auch
die allerdeutlichſten Beweißthuͤmer
ſtreitig machen wollen. Waͤre bey
uns ein ſolcher Fleiß/ ſolche dinge
hervor zu ſuchen/ der itzo bey den Schwe-
den iſt/ welches an ihnen zu loben/ die
faſt alle Winckel ihres Landes durchſu-
chen/ um etwas von ihren antiquitaͤten
zu finden/ wir wuͤrden auch das unſri-
ge zeigen koͤnnen. Man findet hergegen
bey den unſrigen wol ſo unartige Leute/
die die alten Schrifften lieber die Mot-
ten und Maͤuſe verzehren laſſen/ als
daß ſie jemand ihre Archiven und
Bibliotheken durchſehe[n] laſſen/ wie
denn Aventinus ſehr daruͤber kla-
get. Hingegen in Schweden iſt ein ei-
gen Collegium antiquitatum von den ge-
lehrteſten Leuten angeſtellet/ die hier in-
[n]en allen muͤglichſten Fleiß anwenden.
Es
[291]Poeterey erſten Zeit.
Es ſetzet der Herr Rudbeck aus des Taub-
manni Vorrede in Culicem Virgilianum,
was er daſelbſt von etlichen Gedichten/
die zu Friderici Barbaroſſæ Zeiten geſchrie-
ben/ herbey bringet/ ad levandam Germa-
norum (wie er ſaget) ſummam in his rebus
inopiam, die er doch als neue verwirfft/
und welche mit den Schwediſchen nicht
zu vergleichen. Setzet ſo fort darauff:
Verum enim vero noſtra ipſorum ſponte
largiemur eis poëma multo antiquius ſecu-
lorum nempe octo ex Ottfridi Evangeliis.
Als wenn den Teutſchen dieſes ſo unbe-
kandt/ und niemand ſolches vorhin ge-
ſehen/ nun aber erſtlich von einem Auß-
laͤnder deſthalben Bericht empfangen
muͤſten. Auß dieſem angefuͤhrten er-
ſcheinet/ daß dennoch ſo gar nicht das
Gedaͤchtniß der alten Teutſchen Geſaͤn-
ge verloſchen/ wie Herr Rudbeck ſol-
ches behaupten will/ als wann ihm al-
le und jede heimlichkeiten der Teutſchen
Archiven klar vor Augen legen Denn er
ſpricht: Germanis Carmina, Tacito me
t 2mo-
[292]Das VI. Cap. Von der Teutſcheu
morata, prorſus deſunt, quorum aliquot
centurias ex monumentis noſtris, ſi ita uſus
exiget, eruemus; talium vero carminum,
qualia in lucem protulerunt Ottofredus,
\& Taubmannus, daturi erimus myriadas.
Wir laſſen dahin geſtellet ſein/ was von
dergleichen antiquitaͤten in Schweden
verhanden/ wir meinen aber/ es ſolte
gleichfalls keine geringer anzahl bey uns
hervorkommen/ wenn man alles auffs
genauſte ſuchen wolte. Zu dem wuͤrde
es wegen des eigentlichen alters noch viel
zu eroͤrtern geben. Er ziehet an offt er-
wehntem Orthe aus des Herrn Verelii
Anmerckung in Hervara Saga ein Carmen
an/ welches er ſehr alt haͤlt aus dieſer
Uhrſachen/ weilen die Woͤrter ſo ſehr
verworffen/ und der Verſtand verſtecket/
und dergleichen ſaget er ſein die Carmina
geweſen/ deꝛen Tacitus gedencket/ in quibus
inter vetuſtatis ſigna, wie er ſpricht/ non
poſtremum locum obtinuit ænigmatica illa
vocum trajectio, qua vetuſtiſſimorum poë-
tarum Græcorum \& Latinorum ſcripta
lon-
[293]Poeterey erſten Zeit.
longiſſime ſuperant. Nun moͤchte ich woll
deſſen den geringſten Beweiß ſehen/
worum die Verſetzung ein Kenn-
zeichen des Alters ſein ſolte. Die Grie-
chiſche und Lateiniſche Sprache kan hier
nicht zum Exempel gebrauchet werden:
denn die gantze Zuſammenſetzung der
Sprache iſt anders/ wie die Teutſche und
Schwediſche/ die der Natur folgen.
In Griechiſcher und Lateiniſcher Spra-
che hat die Kunſt eine andere Maſſe ge-
ſetzet/ und einen numerum gegeben/ wor-
nach ſie ſich richten muͤſſen. Dieſe auß-
meſſung der Griechiſchen und Lateini-
ſchen Verſe/ und die Verſetzung der Woͤr-
ter halte ich vor eine neuere Erfindung/
als die Trochaiſche und Jambiſche metra,
derer ſich die Teutſchen und andere Voͤl-
cker gebrauchen/ denn dieſe ſind in jener
Sprache auch eher geweſen als die an-
dere metra, und werden ſie mit derglei-
chen kurtzſylbigen Sprachen gebohren.
Aber hievon in folgenden ein mehres.
Es laͤſt ſich dieſes eben ſo leicht ver-
werf-
[294]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
werffen/ als bejahen. Das Exempelwol-
len wir hieher ſetzen
| 6 | 2 | 3 | 4 | 5 |
| Latur | ſa | er | hakon | heitir |
| 14 | 15 | 16 | 7 | |
| Han | rakir | lid | bannat | |
| 13 | 11 | 12 | 20 | |
| Jord | kan | frelſa | findum | |
| 8 | 1 | 9 | ||
| Frid-roſz | kongar | oſza | ||
| 22 | 18 | 23 | 17 | 25 |
| Sialfur | raͤdr | alt | och | Elfar |
| 19 | 21 | 24 | ||
| Eira | ſtillir | a-milli | ||
| 29 | 30 | 26 | 31 | |
| Gramur | ofgifft | ad | fremri | |
| 27 | 10 | 28 | ||
| Gandwitz | Jofur | landi |
In Lateiniſcher Sprache hat ers auch ſo
außgeleget und die rechte Conſtruction
durch die Zahlen angedeutet:
| 6 | 2 | 3 | 4 | 5 |
| Facit | ille | qui | Haquinus | vocatur |
| 14 | 15 | 16 | 7 | |
| ille | populum | regit, | prohibere | |
| 13 | 11 | 12 | 20 | |
| patriam | poteſt | defendere | provincias | |
| 8 | 1 | 9 | ||
| pacis-rupturæ | Rex | inſolentiam | ||
| 22 | 18 | 23 | 17 | 25 |
| ipſemet | adminiſtrat | omnia | \& | Goth-Albim |
| 19 | 21 | 24 | ||
| Solus | repit | inter | ||
| 29 | 30 | 26 | 31 | |
| Rex | valde-virtuoſus | \& | præaliis | |
| 27 | 10 | 28 | ||
| Gandwicum | Terræ Dominus | provinciam |
Es finden ſich dergleichen mehr in den An-
merckungen des Herrn Verelii uͤber Got-
recks und Rolfs Hiſtoriam p. 56. 57. 72. 73.
woſelbſt er berichtet/ daß dieſe art des
Carminis Refrun genannt worden. Daß
einige derſelben ſo gar alt nicht ſein/ iſt
daraus abzunehmen/ weil ſie geſchrieben/
da der Chriſtliche Glaube in Schweden
ſchon auffgekommen. Es ſcheinet viel-
inehr/ daß da die Nordiſche Poeten gar
viel metra erfunden/ ſie ein ſolches metrum
außgedacht/ daß in ſolchen verſchren-
ckungen der Woͤrter beſtehet/ das auch
deßhalben Refrun iſt genannt worden.
Wie man auch die Runen in den Uber-
t 4ſchriff-
[296]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
ſchrifften der Graͤber verworffen/
und darinnen ſonderliche Maaß geſetzet/
ſolche wurden Villurunen genant/ und
ſaget Verelius in Runog. c. 12. davon, quod
antiquis ignoratum fuerit hoc artificium.
Olaus Wornius hat in ſeiner appendice li-
teraturæ Runicæ unterſchiedliche arten ſol-
cher logogriphorum vorgeſtellet/ und
auff was weiſe ſolche gemacht werden an-
gewieſen. Iſt alſo meines erachtens dieſes
kein gruͤndlicher Beweiß ihres Alter-
thums/ und wolte ich es vor eine neue
Erfindung halten/ die zu der Zeit auff-
gekommen/ wie man in der Lateiniſchen
Sprache mit den verſibus quadratis, cu-
bicis, palindromis beſchāfftig geweſen.
Doch ſtelle ich ſolches zu weiterer unter-
ſuchung/ und will ich das Alterthum
der Schwediſchen Poeſie nicht ſtreiten.
Aber man muß hierauß nicht fort den
Schluß machen: Bey den Schweden hat
man ſolche Lieder gemachet/ darum ſein
ſie bey den Teutſchen nicht geweſen. Denn
es kan beides wahr ſein/ und ſein die
Schwe-
[297]Poeterey erſten Zeit.
Schweden den Teutſchen hier in nicht ent-
gegen zu ſetzen/ die einerley Urſprung/
und in dem Grund einerley Sprache ha-
ben. Von den alten Gothen bezeuget
Jornandes eben daſſelbe/ was Tacitus von
den Teutſchen/ daß ſie ſolche Lieder zum
Lobe ihrer Helden geſungen. Es iſt gar
ein ſchlechter Grund/ wenn Herr Rud-
beck aus dem Wort Barditus, welches er
von dem Schwediſchen Barda, vulnerare
herfuͤhret/ beweiſen will: es muͤſſe bloß
von den Schweden verſtanden werden/
was Tacitus ſaget. Sunt illis hæc quo-
que carmina, quorum relatu, quem Bar-
ditum vocant, accendunt animos, futuræ-
que pugnæ fortunam ipſo cantu auguran-
tur. Denn warum ſolte eben von dem
Worte Barda vulnerare ſolches herkom-
men/ dann von Wunden und Todtſchla-
gen pflegt man nicht leicht ſolche Lieder
zu nennen/ ſondern von Fechten oder
Streiten. Die Daͤnen nennen ſie viel
eigentlicher Kiempe-Wyſar/ bey wel-
chen ſolche Krieges Lieder auch gebraͤuch-
t 4lich
[296[298]]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
lich/ derer auch noch einige verhanden/
und in einem Buch verſamlet [hervorge-
geben] ſein/ worauß noch Thom. Bar-
tholinus der Juͤngere/ in ſeinem Buch de
Holgero Dano. p. 61. eines anfuͤhret. Ich
will hier nicht anfuͤhren/ was einige von
den alten Bardis die ſich zu ſolchen Liedern
zu machen gebrauchen laſſen/ nicht ſo gar
unwahrſcheinlich anfuͤhren/ als Elias
Schedius de Diis Germanis Syngram 2. cap.
41. und Cyriacus Spangenberg in einem
abſonderlichen Buch von denſelben/
welche davor halten/ daß der Orth Bar-
dewick von ihnen ſo benahmet ſey/ wo-
ſelbſt ſie ihren Sitz gehabt haben: Der
Barden Creich. Es hat Henri-
cus Meibomius in ſeiner Hiſtoriâ Bardovici
hiervon eine andere Meinung/ und laſ-
ſen wirs an ſeinen Orth geſtellet ſeyn:
Denn es iſt die lectio des Wortes Bar-
ditus noch zweiffelhafftig. Einige MSta
haben nicht Barditus, ſondern Barritus und
finden wir daſſelbe Wort bey dem Ve-
getio und Ammiano Marcellino etliche
mahl
[299]Poeterey erſten Zeit.
mahl auff die art geſchrieben. Und hat
dieſer inſonderheit den Barritum ſo be-
ſchrieben/ daß man eigentlich ſehen kan/
daß es mehr auff den Schall als auff die
Lieder gehet. Er ſaget/ es ſey clamor
ipſo fervore certaminis identidem exori-
ens, qui paulatim adoleſcens ritu extolli-
tur fluctuum cautibus illiſorum. Wel-
ches ſo eigentlich beſchrieben iſt/ daß
man auch den Urſprung des Wortes
hieraus abnehmen kan. Kilianus in ſei-
nem Dictionario erklaͤret das alte Teut-
ſche Wort alſo: Baren/ Beren/ ge-
baeren.Barritum edere, ſublatè \& fero-
citer clamare more urſorum. Lipſius
ſchlieſſet daher/ daß die Wellen den Nah-
men Baren bey den Niederlaͤndern ha-
ben/ und iſt mercklich daß der Ammia-
nus Marcellinus den Schall mit den Wel-
len vergleichet. Es bezeuget auch die
Endigung des Wortes/ die Lateiniſch
iſt/ das es muß von dem Schall verſtan-
den werden: welches aus den Worten
hinnitus tinnitus. \&c. zu ſehen. Es fuͤhren
auch
[300]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
auch einige aus den Aventino an/ daß
ſolcher Thon der lermenden und ſtuͤr-
menden Barrit geheiſſen/ davon noch
ein Spiel das Baarlauffen verhan-
den. Es ſey dem nun wie es wolle/ ſo
iſt endlich unſere Meinung ſo gewiß/ wo
nicht gewiſſer/ als der jenigen/ die es vom
Schwediſchen Barda herfuͤhren. Inſon-
derheit da Vegetius und Ammianus
Marcellinus mercklich unſer Meinung
zu huͤlffe kommen. Uber dem koͤnte jemand
noch zweiffeln/ ob es nothwendig ſey aus
des Taciti Worten dieſe Meinung zu faſ-
ſen/ daß die Teutſchen es Barritum ge-
nennet/ denn die Worte quem Barritum
vocant, koͤnnen wol auff die Roͤmer ge-
deutet werden/ daß die Roͤmer den
Schall alſo genennet von den Barris oder
Elephanten/ qui barrire dicuntur. Aber
es ſein die außdruckliche Worte bey dem
Ammiano Marcellino, daß die Barbari den
Schall barritum nennen. Daß ich auff
die alten Heldengeſānge wieder komme:
ſo iſt kein Zweiffel/ daß ſie viele ſchoͤ-
ne
[301]Poeterey erſten Zeit.
ne Lehren in ſich gehabt haben; und iſt
auch darauß zu ſchlieſſen/ daß die Teut-
ſchen nicht ſolche Barbari geweſen/ als die
Hoffārtigen Griechen und Roͤmer ſie
außgeſchrieen. Es iſt nicht glāublich/
daß die Teutſchen gar von keinen ſchrei-
ben gewuſt zu Zeiten Taciti, denn es ſchei-
net/ er habeſich ſo gar viel nicht dar-
umb bekuͤmmert: er fuͤhret doch
ſelbſten an/ daß man in Teutſchland
Griechiſche Buchſtaben gefunden/ wel-
ches auch Cæſar bezeuget. Es koͤnnen
auch wol des Taciti Worte literarum ſe-
creta pariter Viri fæminæque ignorant, de
literaturâ ſecretiore verſtanden werden/
wie ſie Heigius quæſt. illuſtr. 7. lib. 1. n. 60.
verſtehet/ nicht aber von den Buchſtaben.
Viel weniger iſts zu glaͤuben/ daß von
Carolo M. erſtlich die Teutſche Schrifft
ſolle erfunden ſein/ wie einige wollen/ die
Melchior Goldaſtus in der Vorrede ſeiner
Anmerckungen auff die Paræneles deß-
wegen außlachet. Dieſer ſchreibet von
den alten Carminibus alſo: imperiti imo
ridi-
[302]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
ridiculi, quicunque exiſtimant, brevicu-
las fuiſſe cantandi formas ad inſtar nunc
vulgi cantilenarum; hercle non magis
quam vel Homeri poemata ac Virgilii. Cu-
jusmodi ſunt quæ ex media antiquitate cir-
cum feruntur carmina de Ottnite Longobar-
do, de Wolftheodoricho Græco, de Gibicho
Vangione, de Laurino, de Theodorico Vero-
nenſi, de Hiltibrando Gottho, de Sigfrido A-
grippinenſi cognomento corneo, de Eckio, de
Eekardo Alſato, de Erneſto Auſtrio, an Ba-
varo, alia quæ nec dum in manus noſtras
pervenere. Diß ſchreibet er zwar/ aber
es ſein doch nichts als muthmaſſungen
denn weil ſie geſungen worden/ iſts
nicht glaͤublich/ daß ſie ſo gar weitlāuff-
tig geweſen. Von dieſen vermeinet
Bernegger quæſt. 6. in Taciti Germaniam
ſein die ſo genante Meiſtergeſaͤnge
und Meiſterſaͤnger hergekommen/
welche Geiſtliche und Weltliche Hiſtorien
in Reimen gebracht/ und dieſelbe in Zu-
ſammenkuͤnfften offentlich geſungen/ den
Trithenium[vor] ſich anfuͤhrend/ der in
ſei-
[303]Poeterey erſten Zeit.
ſeiner Hiſtoria Francorum ſolcher Mei-
nung zu ſein ſcheinet. Mos erat (ſaget
er) majoribus noſtris Francis \& Germa-
nis, ut Heroum facta, vel dicta memoratu
digna per Sacerdotes templorum patriis
commendarentur carminibus, in quibus
diſcendis memorandis \& decantandis juve-
num excitarentur ingenia quæ conſuetudo
multis duravit annis, nec hodie defecit.
Ich ſolte aber meinen daß zu der Mei-
ſterſaͤnger Zeiten der meiſte Theil der
alten Carminum ſchon verlohren und dieſe
vielmehr ihrem eigenem Trieb/ als dem
Exempel gefolget: denn dieſe nicht uͤber
500 Jahr alt ſein. Es nennet zwar der
Aventinus in ſeiner Teutſchen Hiſtorien
1. Buch p. 21. b. die alten Lieder Meiſter-
Geſaͤnge aber nach der Gewohnheit ſei-
ner und der nachgehenden Zeit.
Denn er ſpricht: Von anfang lange„
Zeit hernach haben die Alten/was ſie„
geſchrieben haben wollen/ und außgehen„
laſſen nur in Reime und Verſe verfaſſet/„
ſind gut zu ſingen/ zu mercken und auß-„
wen-
[304]Das VI. Cap. Von der Teutſchen
wendig zu lernen/ begreiffen mit kurtzen„
Woꝛten viel: heiſſen wir Meiſter geſaͤnge/„
welche aus Befehl unſerer alten Koͤnige/„
und Keyſer von den Helden Teutſches„
Landes beſchriebē worden auff Poetiſche„
art. Man moͤchte woll Muͤhe nehmen
alles das jenige was hiervon iſt/ wie ge-
ringe es auch ſein mag/ auffzuſuchen/
und bey zu behalten/ den ſolches bißwei-
len einen unvermuthlichen Nutzen in der
Hiſtorie geben kan. Von den Palmerio
de Grentemeſnil einem gelehrten Frantzoͤ-
ſiſchen Edelmann/ der vor kurtzer Zeit
gelebt/ und in Schrifften ſich beruͤhmt ge-
macht wird in Beſchreibung ſeines Le-
bens/ die ſeiner Græciæ antiquæ vorgeſe-
tzet/ dieſes ſonderlich geprieſen. Non ſprevit
proprias cujusque provinciæ linguas, rudes
licet \& inamænas, quin plurimarum pro-
verbia, \& ſelectiores cantiunculas diſcere
non eſt dedignatus. Von demſelbigen wird
auch daſelbſt geſaget/ Germanorum \&
Anglorum linguas familiares habuit, ut
multa ex iis arcana erueret. Dieſes haben
in
[305]Poeterey erſten Zeit.
in allen Voͤlckern die beſte bewaͤhrtſie
Leute gethan/ und bey den Teutſchen
iſt dieſes ſo gar hindan geſetzet/ daß wenn
wir nicht den eintzigen Goldaſtum
gehabt/ wir nichts haͤtten vorzeigen
koͤnnen.
Das VII. Cap.
Von der andern Zeit der
Teutſchen Poeterey.
Einhalt.
Andere Zeit wird von dem Carolo M. angerechnet.
Carolus M. hat ſelbſt Lateiniſche und Teutſche
Carmina geſchrieben. Seine Teutſche Gram-
matica. Ob er die Teutſchen Buchſtaben zu erſt
erfunden. Vor Chilperici Zeiten haben die Fran-
cken ſchon Buchſtaben gehabt. Strikers teutſche[s]
Buch von den Thaten des Caroli M. Die Hei-
lige Schrifft in Teutſche Reymen uͤberſetzt auff
Ludovici I. Befehl. Das Neue Teſtament auff
Caroli M. Geheiß in Teutſch uͤberſetzet. Etzliche
alte Teutſche Monumenta, Das Gebeht des HErꝛn/
uSym-
[306]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Symbolum Apoſtolorum, der Pſalter Davids.
Eine neue Teutſche Paraphraſis rhythmica des
Neuen Teſtaments; eine andere des Alten Teſta-
ments auß dem Theodoro Biblandro. Melchior
Goldaſtus gedencket auch einer/ davon es zweiffel-
hafft/ ob es dieſelbe. Hottingerus erwehnet noch
eine andere. Ottfridi Evangelia in teutſchen
Verſen. Zu welcher Zeit er gelebet. Sein von Mat-
thia Flacio heraußgegeben. Lambecius tadelt dieſe
Edition. Die Vorrede dieſes Buchs. Verſe
ſein zwar rauh/ aber doch voller Geiſt. Seine
andere Schrifften. Willerami Teutſche und La-
teiniſche Paraphraſis uͤber das Hohelied Salomonis.
Von Paul. Merula heraußgeben. Kompt mit dem
Wieniſchen MSto nicht uͤberein. Fr. Junii An-
merckungen daruͤber. Die teutſche Poeterey un-
ter dem Friderico Barbaroſſa in das hoͤchſte Anſe-
hen gebracht. Poetiſche Spiele/ von Kayſern
und Koͤnigen angeſtellt. Ob die Teutſchen die
Frantzoſen darin zu Vorgaͤnger gehabt. Solches
wird geleugnet/ und das Gegenſpiel wieder den Herꝛn
Caſaneuve behauptet. In Teutſchland ſind ehe
Carmina geſchrieben/ ehe die Proveneal Poëten
auffgekommen. Die in der Provence und Languedoc
haben Lieder auff ihre tapffre Helden gemacht.
Welches ſie ohn Zweiffel den Teutſchen nachge-
macht. Ihre Calender wurden auff Staͤbe ge-
ſchnitten. Welches bey den Gothen auch gebraͤuch-
lich geweſen. Des Winßbecken Carmina werden
ge-
[307]Poeterey andern Zeit.
gelobet/ und den Griechiſchen und Lateiniſchen
gleich geſchaͤtzet. Waͤre zu wuͤnſchen/ daß noch alle
dieſelben Carmina verhanden waͤren. Es werden
ihrer viele aus dem Melchiore Goldaſto erzehlet/
Koͤnige/ Fuͤrſten/ Grafen/ Freyherrn/ Edele. Hel-
denbuch. Die gelehrte Poëtria Hroſwita. Des
Heiligen Annonis Reime mit des Opitzen Anmer-
ckungen heraußgegeben. Catonis Diſticha uͤber-
ſetzet. Wunſch des Autoris, daß von den gꝛoſſen Herꝛn
dieſe Teutſche Antiquitaͤten beſſer hervor geſucht
moͤgen werden. J. F. Gn. des Herrn Biſchoffs
von Muͤnſter Monumenta Paderbornenſia, ein
trefliches Exempel vor andere Fuͤrſten und Herrn/
um die Alterthuͤme ihrer Laͤnder zum Vorſchein zu
bringen. Die Poeterey iſt durch einfallende Krie-
ge/ auß den Haͤnden der Groſſen/ Fuͤrſten/ und Edelen
unter den Poͤbel gekommen. Meiſter-Saͤnger. Ihre
Privilegien/ Freyheiten/ Ceremonien/ Meiſter-
Saͤnger Krantz. Pritſchen Meiſter. Benedickt
Edlbeck Siber Pritſchmeiſter. Ein altes Lied
von dem Anthyrio. Verſchiedene fragmenta alter
Verſe auff Pergament geſchrieben. Eine alte
Saͤchſche Reim-Chronicke. Hugo von Trimberg
hat ein Buch geſchrieben der Renner genandt.
Iſt ſehr verſchieden von dem MSto des Herrn
Marq. Gudii. Deſſen wird eine Probe gegeben.
Agricola in der Vorrede ſeiner Sprichwoͤrter er-
wehnet einige alte Teutſche Schrifften. Eck von
Repkovv Poetiſche Vorrede des Sachſenſpiegels.
u 2ge-
[308]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Gemengete Teutſche Reime mit den Lateiniſchen-
Exempel ſolcher Carminum. Petri Dreſdenſis Ge-
ſaͤnge. David Freidanck. Sebaſtian Brand. Fe-
lix Hemmerlin. Melchior Pfintzingen Ritter
Theurdanck. Reincke Voß. Deſſen Autor.
Wird ſehr geruͤhmet. Iſt keine Frantzoͤſiſche ſon-
dern Teutſche Erfindung. Eſelkoͤnig. Rollen-
hagens Froſchmaͤuſeler. Hans Sachſen Poe
terey. Bar ein Lied. Johan Domans Lied von
der alten Teutſchen Hanſe.
DIe Andere und Mittlere Zeit muß
von Carolo dem Groſſen angerech-
net werden/ ſo gar daß von ihm ſel-
ber der Anfang gemacht werde. Er hat die
alte unbeſchriebene Geſetze ſeiner Voͤlcker
zuſam̄en ſchreiben laſſen. Er hat eine Teut-
ſche Grammaticam zu ſchreibē angefangen/
um zu er weiſen/ daß er zugleich ein Koͤ-
nig und Lehrmeiſter ſeines Volcks were.
Er hat die alte Teutſche Gedichte/ wie
droben gedacht auffzeichnen laſſen. Er
hat alle Wiſſenſchafften außgeuͤbt/ hohe
und niedrige Schulen vor dieſelben ge-
ſtifftet Er hat auch ſelbſt die Feder ange-
ſetzt
[309]Poeterey andern Zeit.
ſetzt und ſo woll in Lateiniſcher als Teut-
ſcher Sprache Carmina geſchrieben/ wel-
ches daß Chronicon Mindenſe von ihm be-
zeuget p. 101. Es wird demſelbē/ ein Epitaphi-
um zugeſchꝛiebē welches er auf den Ruland
gemacht haben ſoll. Aber dem fabel-
hafften Turpino kan man nicht ſicher glaͤu-
ben. Borell in der Vorrede ſeiner
Recherches d’Antiquites Gauloiſes \& Fran-
coiſes berichtet/ daß Carolus M. Hiſto-
riſche Verſe von Franckreich gemacht/
und zwar in Teutſcher Sprache/ aber
er bringet deſſen kein gewiſſes Zeugniß/
ſondern er beruffet ſich nur auff ein gemei-
nes Geruͤchte. Es iſt aber durchaus nicht
glaͤublich/ daß Carolus M. zum erſten die
Teutſchen Buchſtaben ſolte erfunden ha-
ben/ wie einige wollen. Denn Grego-
us Turonenſis ſchreibet von dem Chilperi-
co einem Koͤnige der Francken l. 5. c. 45.
Addidit \& literas literis noſtris, id eſt [ω],
ſicut græci habent, ae, the, vuui, quarum
characteres ſubſcripſimus, hi ſunt o. ψ. z. 11.
Et miſit epiſtolas in univerſas civitates regni
u 3ſui,
[310]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
ſui ut ſic pueri docerentur, ac libri antiqui-
tus ſcripti, planati pumice reſcriber entur.
Weil nun dieſes von der Teutſchen Spra-
che muß verſtanden werden/ und allhie
der Buͤcher die von alten Zeiten her ge-
ſchrieben gedacht wird/ ſo muß Teutſch-
land lang zuvor ſeine Buchſtaben gehabt
haben: welches allerdings auch der
Warheit gemaͤß zu ſein ſcheinet. Sonſt
hat man ins gemein die Lateiniſche Buch-
ſtaben gebrauchet. Es iſt noch ein altes
Teutſches Werck verhanden deſſen Gol-
daſtus offt gedencket/ und Lambecius Er-
wehnung thut in lib. 2. comment. de Bib-
lioth. Vindobonenſi von den Thaten des
Caroli M. und des Rulands/ deſſen Ver-
fertiger ſich Striker nennet/ und iſt diß
druͤber geſchrieben:diz Puech iſt von Chu-
nich Karl und von Ruland gemacht, vvie
ſie diu heidenſchafft uberchomen. Es iſt
aber diß Buch nicht uͤber ſechſthalb
hundert Jahr alt/ wie aus Goldaſti An-
merckung uͤber die paræneſes p. 361. zu ſe-
hen. Caroli des Groſſen Sohn Ludovicus,
hat
[311]Poeterey andern Zeit.
hat ſich zum erſten bemuͤhet die gantze
Heilige Schrifft in teutſche Verſe zu brin-
gen/ damit auch das gemeine Volck den
Verſtand haben/ und ſie zugleich dem
Gedaͤchtniß einverleiben koͤnte. Diß er-
wehnet Andr. du Cheſne tom. 2. p. 326.
welcher aus der Vorrede eines alten
in Saͤchſiſcher Sprache geſchriebenen
Buchs dieſes zum Zeugniß anfuͤhret:
Cum divinorum librorum ſolummodo
literati atque eruditi prius notitiam habe-
rent ejus ſtudio atque imperii tempore,
ſed Dei omnipotentia at que inchoantia mi-
rabiliter actum eſt nuper, ut cunctus po-
pulus ſuæ ditioni ſubditus Theudiſca loquens
lingua, ejusdem divinæ lectionis nihilomi-
nus notitiam acceperit. Præcepit namque
cuidam uni de gente Saxonum, qui apud
ſuos non ignobilis vates habebatur, ut ve-
tus ac Novum Teſtamentum in germani-
cam linguam poëticè transferre ſtuderet:
quatenus non ſolum literatis verum etiam
illiteratis ſacra divinorum præceptorum
lectio panderetur. Es wird diß Werck
u 4fer-
[312]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
ferner gelobet und dieſes hinzu geſetzet.
Juxta morem vero illius poëmatis omne
opus per vitteas diſtinxit, quas lectiones
nos vel ſententias poſſumus appellare. Die-
ſe iſt ohn zweiffel die ālteſte Uberſetzung
die in den Hiſtorien zu finden; nur daß
von Carolo M. einige melden/ ob haͤtte er
das Neue Teſtament in Teutſch uͤberſe-
tzen laſſen/ und Geſnerus in ſeinem Mi-
thridate p. 46. gedencket/ es weren die Pſal-
men Davids zu der Zeit verteutſcht noch
in dem Kloſter S. Galli verhanden. Rhe-
nanus ſchreibet dem Valdoni Epiſcopo Fri-
ſingenſi die Uberſetzungen der Evangelien
zu/ ſo im Jahr 800 geſchehen. Man
hat auch noch daß Gebeht des HErrn/
das Symbolum Apoſtolicum zu der Zeit
oder noch vor derſelben geſchrieben/ ſo
aus der Bibliotheca Vaticana hervor ge-
kommen/ welche Marquardus Freherus mit
Anmerckungen her außgegeben/ und wel-
che auch bey dem Winckelmann in ſeiner
Notitia Weſtphaliæ l. 3. c. 7. zu finden.
Man hat auch noch einige Anglo-Saxoni-
ſche
[313]Poeterey andern Zeit.
ſche Pſalmen/ welche Johannes Seldenus
mit ſeinen gelahrten Anmerckungen ge-
zieret. Auch iſt eine Saxoniſche und
Hochteutſche formul deß Symboli vom
Boxhornio heraußgegeben. Lambecius
hat in lib. 2. comm. de Bibl. Vindobonenſi
c. 5. p. 38, noch eine Teutſche Beicht for-
mul, die Carolus M. gebraucht haben ſoll/
und p. 388. die Erzehlung deß was zwiſchē
Chriſto und dem Samaritaniſchen Wei-
be vorgegangen in alter teutſcher Spra-
che. Es wundert mich daß Hottinge-
rus, da er Bibl. Theolog. l. 1. c. 3. ſo fleiſ-
ſig iſt in den vielfaͤltigen Uberſetzungen
der Biebel hervor zu ſuchen/ dieſer/ die
von dem Ludovico I. angeſtellet/ nichts
gedencket. Es iſt aberivermuthlich daß
ſie verlohren gegangen. Ich habe zwar ei-
nige Saͤchſche Uberſetzung des Neuen Te-
ſtaments/ oder vielmehr eine paraphraſin
rhythmicam geſehen/ die aber viel neuer
geweſen/ und mit vielen andern Erzeh-
lungen vom Leben Chriſti/ die in der
Bibel nicht enthalten/ vermiſcht. The-
odo-
[314]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
odorus Bibliander in ſeinem Buch de rati-
one communi omnium linguarum p. 49.
hat auch einer Poetiſchen Uberſetzung
des Alten Teſtaments gedacht. Legi
vetus inſtrumentum verſibus germanicis
redditum â Rodolfo quodam oriundo ex
familia quæ nomen habet ab eminente arce
in Rhætia, quam vulgus nominat hohen
Ems, idque rogatu \& juſſu Regis Chon-
radi, fil: Friderichi ſecundi Cæſaris Augu-
ſti: qui verſus orthographiâ, verbis, in-
flexione, ſtructura modoque carminis di-
ſcrepant â præſente conſuetudine. Id quod
uno exemplo perſtringam: nam de fide Ga-
beonitis â loſua \& cæteris Iſraëlitis data
ſic canit
pro illo quod ſermo nunc uſitatus diceret
Dieſe iſt aber/ wie er ſchreibt/ viel juͤn-
ger und in Hochteutſch geſchrieben. Mel-
chior Goldaſtus Tom. 1. Rer. Alemanicar,
p. 198.
[315]Poeterey andern Zeit.
p. 198. thut auch hievon einige Erweh-
nung/ und berichtet/ daß ſie in der
Schobingerſchen Bibliothec verhanden. In
ſeinen Anmerckungen uͤber die Teut-
ſche Paræneſes fuͤhret er viel aus einer
Paraphraſi veteris Teſtamenti an: aber
er nennet den Autorem Anonymum an-
tiquiſſimum, denn er ſelbſt doch in ſeinen
Alemannicis Rudolphum ab Ems genant/
daß ich alſo im Zweiffel ſtehen muß/ ob
es dieſelbe oder ein ander paraphraſis ſey.
Doch ſcheinet jenes glaubwuͤrdiger/ und
kan es vielleicht nur ein Gedāchtnißfeh-
ler ſein: wiewol dieſes bedāchtlich/ daß
er ihn antiquiſſimum nennet/ da doch die
andern beinebenſt angefuͤhrten Zeugniſ-
ſen gleiches Alters ſein. Hottingerus er-
wehnet am vorigem Ohrte einer andern
die er vor ſehr alt hālt/ auß welcher ihm
einige fragmenta zu handen kommen/
deren eins wir hieher ſetzen wollen aus
der Hiſtoria von Joſeph.
Daz
[316]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Zu des Lotharii I. Zeiten hat gelebet Ott-
friedus ein Munch des Kloſters Weiſſen-
burg/ hat aber unter Ludovici II. Zeit
erſtlich die Evangelia in alten Teutſchen
Verſen heraußgegeben/ und dem Luith-
berto Meintziſchen Ertzbiſchoff zu ge-
ſchrieben. Er war des Rabani Mauri
Lehrjuͤnger. Iſt alſo vielleicht ein Feh-
ler der fluͤchtigen Feder/ daß der Herr
Hoffmann in der Vorrede ſeiner Ge-
tichte ihn unter die Zeit des Lotharii und
Friedrichs ſetzt/ wodurch niemand an-
ders als Lotharius II. und Fridericus Bar-
baroſſa koͤnte verſtanden werden. Aber
er hat vielleicht an ſtat Fridrichs den
Nahmen Ludewig ſchꝛeiben wollen. Beatus
Rhenanus hat zu erſt diß Buch gefunden.
wie
[317]Poeterey andern Zeit.
wie er ſelbſt in ſeinen rebus Germanicis
erzehlet. Hernach hat es Matthias Fla-
cius Illyricus zu Baſel heraußgegeben
unter dieſer Uberſchrifft Ottfridi Evange-
lium, liber veterum Germanorum Gram-
maticæ, poëſeos, theologiæ præclarum mo-
numentum. Mit dieſer Edition iſt der
Herr Lambecius lib. 2. comm. de Bibl. Vin-
dobonenſi c. 5. nicht zu frieden/ weil er ſie
vor gantz unvollkommen haͤlt/ und ſehr
viel Fehler darin angemercket. Er hat eine
dreyfache Vorrede: die eine lautet an
Salomon einen Biſchoff zu Coſtnitz: die
andere an Koͤnig Ludewig beide in Teut-
ſchen Verſen/ deren erſte Buchſtaben
wenn ſie zuſammen geleſen werden einen
abſonderlichen Verſtand machen: welche
Carmina bey den Gꝛiechen Ακρόςιχα genant
worden: die dritte an den Ertzbiſchoff zu
Meintz Luitbert in Lateiniſcher Sprache.
Worinnen er zu verſtehen gibt/ daß er
auff Bitte ſeiner Bruͤder und der Kay-
ſerin Judithæ, der vor andern Weltli-
chen und unflātigen Gedichten geeckelt
die
[318]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
die Muͤhe auff ſich genommen/ und ein
Theil der Evangelien in Teutſche Verſe
uͤberſetzet. Woraus denn erhaͤlt/ daß
doch vorhin einige Lieder und Getichte
in Liebesſachen muͤſſen geweſen ſein.
Die Verſe ſind des Maaſſes und der
rauhen Sprache wegen ſehr unlieblich/
uͤber welche er ſehr klaget in der Vorre-
de ſeiner Evangelien. Die wenigen
Verſe die der Herr Hoffmann in ſeiner
Vorrede aus ihm anfuͤhret und in Verſe
uͤberſetzet zeigen daß dennoch unter die-
ſem ſo grobem Kittel der Sprache ein gu-
ter Geiſt verborgen geweſen. Er hat
noch andere dinge in Teutſcher Sprache
geſchrieben/ als Predigten uͤber die E-
vangelia/ Paraphraſes in Canticum Eſaiæ,
Ezechiæ, Hannæ, Moiſis, Zachariæ, Ma-
riæ uͤber das Vater Unſer/ uͤber des
Athanaſii Symbolum, uͤber die Pſalmen
Davids/ und noch drey groſſe Bucher
uͤber dieſelbe. Lambecius hat l. 2. c. 5. p.
46. als zur Probe den erſten Pſalm an-
gefuͤhret/ hālt es vor ein ſonderliches ſel-
tenes
[319]Poeterey andern Zeit.
tenes Gedenckmahl der alten Sprache/
wuͤnſchend deß es dermahleins ans Licht
gebracht wuͤrde: Trithemius in ſeinem
Buch de Scriptoribꝰ Eccleſiaſticis neñet die-
ſen Ottfridum, Virum in divinis ſcripturis
eruditiſſimum, \& in ſecularibus Virum
egregiè doctum, Philoſophum, Rhetorem,
Poêtam inſignum ingenio excellenti \&
diſertum eloquio. Zu Henrici des III. und
IV. Zeiten lebte Willeramus, ein gelehr-
ter Abt zu Merßburg/ welcher uͤber das
Hohelied Salomonis eine Lateiniſche Pa-
raphraſin metro-rythmicam geſchrieben/
und auch eine Teutſche in ungebundener
Rede. Selber gehoͤret woll nicht unter die
Teutſche Poeten/ aber er iſt werth/ daß
wir ihn hier beruͤhren. Es iſt ein ſchoͤ-
nes Denckmahl der alten Sprache/ und
kan man einen ſonderlichen Verſtand
darin mercken. Die Lateiniſche Verſe
ſind auch nicht ſo gar zu verachten/ nur
daß ſie mit der damahls uͤblichen Rei-
merey auch angefuͤllet ſein. Der Paulus
Merula hat dieſen Autorem zu erſt her-
auß-
[320]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
außgegeben mit ſeinen Anmerckungen.
Aber Lambecius urtheilet davon alſo:
Tanta \& tam multiplex Batavam illam edi-
tionem impreſſam inter \& vetuſtiſſimum
Codicem MS. (welchen er in der Keyſer-
lichen Bibliothec gefunden) eſt differentia,
ut ad eam demonſtrandam integrâ novâ e-
ditione ſit opus. Es hat der Franciſcus
Junius hernach ſeine Anmerckungen ab-
ſonderlich daruͤber außgegeben/ worin-
nen viel ſonderliche Dinge enthalten.
Unter Friderico Barbaroſſa iſt die damah-
lige Poeterey zum hoͤchſten Anſehen er-
hoben/ und nicht allein eine Ritterliche
ſondern Koͤnigliche und Fuͤrſtliche Ubung
worden. Man ſtritte damahls an dieſes
Keyſers Hofe umb den Preiß dieſer
Kunſt/ und wurden eigne Spiele ange-
ſtellet/ in welchen von den vornehmſten
Matronen die Krāntze den Singern auß-
getheilet wurden. Wie dieſes Ampt die
Winßbeckin gefuͤhret/ deren trefliche
Vermahnung an ihre Tochter in Teut-
ſchen Verſen geſchrieben von dem Gol-
daſto
[321]Poeterey andern Zeit.
daſto nebſt des Herrn Winßbecken ſei-
nen an den Sohn und andern Verſen
heraußgegeben. Der Herr de Caſaneu-
ve in ſeinem Buch de l’ Origine des Jeux-
fleureaux meinet/ die Teutſchen haͤtten
den Frantzoſen hierin nachgeahmet/ und
ihre Reime und die Poetiſche Spiele von
ihnen gelernet/ worin ich ihm doch nicht
allerdings Beyfall geben kan. Das
eintzige Exempel des Ottfridi, welches er
anfuͤhret/ widerlegt ihn/ welcher Rei-
me geſchrieben/ ehe noch von einigen
Frantzoſen etwas vorgewieſen worden.
Es iſt bekandt/ daß die Provinciales Po-
tæ etwa vor fuͤnffhundert Jahren erſtlich
angefangen. Man kan keine Aeltere
bringen/ und hat der erſte den Claude
Fauchet ſetzet/ im Jahr 1155 geſchrieben/
welches eben in die Regierung des Fri-
derici Barbaroſſæ fāllt/ da die Teutſche
Poeſey in vollem ſchwange war/ und nach
ihrer Art/ ja ſo gut und beſſer als der
Provençalen ihre außgeuͤbt. Ottfridus aber
hat lange zuvor ſeine Verſe geſchrieben/
xund
[322]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
und iſt er nicht der erſte geweſen/ der Rey-
men geſchrieben/ wie de Caſaneuve meint:
denn Ottfridus gedenckt ſelbſt in ſeiner
Vorrede der Liebeslieder/ die damahls
im ſchwange geweſen/ ob gleich die Spra-
che grob und ungeſchickt/ dar-
uͤber Ottfridus klagt. Denn es folget
nicht: Ottfridus klagt uͤber die Muͤhe/ die
er der rauen Sprache halber gehabt/ dar-
um iſt er der erſte geweſen/ der die Rei-
me gemacht. Carolus M. hat die Gram-
matic zu ſeiner Zeit erſtlich zu ſchreiben
angefangen/ und waren doch vor ihm
von Taciti Zeiten her und druͤber Lieder
geweſen/ die er in ein Buch verſamlen
laſſen. Wir haben droben erwieſen/
daß auff Ludovici I. Befehl eine Paraphra-
ſis des Alten und Neuen Teſtaments
in alten Sāchſchen Verſen verfertiget/
die noch aͤlter als des Ottfridi ſeine. Iſt
alſo falſch/ daß dieſe des Ottfridi die er-
ſten Reime geweſen. Wir haben ein
klares Zeugniß aus dem Papirio Maſſonio
der außdruͤcklich ſchreibt lib. 3. Annal. daß
un-
[323]Poeterey andern Zeit.
unter dem Ludovico VIII. Koͤnige in
Franckreich (war etwa im Jahr 1216. zu
Keyſers Friderici II. Zeiten) die Provin-
çal Poëſie erſtlich in auffnehmen gekom-
men/ welche Meinung auch Grabriel
Naudæus in ſeiner Addition a l’ Hiſtorie
de Louys XI. pag. 349. beypflichtet/ da doch
zu Friderici I. Zeiten in Teutſchland die
Poeterey in vollen Flor geweſen. Wor-
auß ich ſchier ſchließen durffte/ daß die
Frantzoſen ſolche von den Teutſchen ge-
lernet. Was ſonſt der Herr de Caſa-
neuve in erwehntem Buch/ p. 22. 23. davon
anfuͤhret/ bekraͤfftiget abermahl unſere
Meinung. Daß die Frantzoſen von
den Teutſchen ihre Poeterey erler-
net/ kan auch hieraus dargethan wer-
den/ daß ſie eben auff die art/ wie Taci-
tus von den Teutſchen ſchreibet/ das Ge-
daͤchtniß der verſtorbenen Helden mit
Liedern beehret. Wie denn von denen in
der Provence und Languedoc Borellus
in der Vorrede ſeiner Frantzoͤfiſchen
antiquitaͤten außdruͤcklich bezeuget:
x 2On
[324]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
On avoit anciennement accouſtumé d’
inſtituer des ieux à l’ honneur des Hommes
illuſtres, \& de reciter des Vers à leur loü-
ange à certain jour de chaque anneé,
afin de perpetuer leur memoire: on prati-
que encore cela en quelques ville de Lan-
guedoc. Ces Couſtumes ſont fort ancien-
nes. Es erzehlet der Herr Borell weiter
als ein ſonderliches Zeichen ihres Alter-
thums/ daß ſie ihre Calender und All-
manach von Holtz machen. Les paiſans
(ſagt er) ſe ſervent encore d’ une eſpece
des hieroglyphiques en ſorte, qu’ ils font
ces Almanachs ſur un morceau de bois qui
n’ eſt pas ſi grand qu’ une carte à jouer, où
ſont marquez tous les mois \& jours de l’
anneé auec les Feſtes \& autres choſes no-
tables par un artifice ſingulier. Ce qui
marque que ce pais a eu des connoiſances,
des ſciences, \& autres belles choſes de puis
un temps immemorial, retenant cela des
Egyptiens ou autres qu’ ils avoient imitez.
Und eben dieſes iſt eine Erfindung/ die
von der erſten Zeit bey den alten Gothen
und
[325]Poeterey andern Zeit.
und Schweden gebraͤuchlich geweſen:
darauß zu ſehen/ daß wie ſie in einem
alſo alſo auch in dem andern von ihnen
ihre Sitten gefaſſet: dann die poëſie iſt
bey den Nordiſchen Voͤlckern/ worun-
ter auch die Teutſche gehoͤren/ eine uhr-
alte Kunſt geweſen. Wie wir nun uns
billig den Vorzug in der Poëſie, die zu
Frid. Barbaroſſæ Zeit im Schwange ge-
gangen/ zumaſſen; ſo koͤnnen wir keine
geringere Anzahl von Tichtern zum
Vorſchein bꝛingen/ und zwar nicht von ge-
ringen und gemeinen Leuten/ ſondern
Koͤnigen/ Fuͤrſten und Grafen/ die in
dieſer Zeit ihre Verſe geſchrieben/ davon
noch einige fragmenta vorhanden/ deren
Goldaſtus einen Theil in ſeinen Paræneticis
hervor gegeben. Worunter des Winß-
becken und der Winßbeckin ihre ſo herr-
lich ſeyn/ daß auch die ietzige Zeit nichts
daran zu verbeſſern findet. Ich rede
aber nicht von der reinen Sprache und
deren Reim-gebānden/ wiewoll ſolches
zierlicher und beſſer iſt/ als der proven-
x 3cal
[326]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
çal Poëten die damahls geſchrieben. Gol-
daſtus ſagt in der Vorrede ſeiner An-
merckungen nicht unbillig von ihnen:
Dicite ſodes, ſi latino carmine ceciniſſet,
putatisne pauciores interpretes, quàm
Guntherum, Petrum Bleſenſem, aliosque
ejusdem ævi reperturum fuiſſe. Ich muß
geſtehen/ daß es mir eine groſſe Erge-
tzung ſey/ dieſe alte Schrifften und in-
ſonderheit des Winßbecks/ zu leſen/
darinnen warlich eine groſſe Weißheit
ſteckt/ und faſt kein Wort vergebens ge-
ſetzet iſt. Ich gedencke hiebey allezeit an
das Urtheil des Joſephi Scaligeri, ſo er
von des Ennii Schrifften gefāllet/ wann
er dieſelbe mit den neuen Poeten ver-
gleichet. In den Primis Scaligerianis,
ſo der Tanaquil Faber heraußgegeben/
ſagt er alſo von ihm: Utinam hunc ha-
beremus integrum, \& amiſiſſemus Luca-
num, Statium, Silium Italicum, \& tous
ces garçons-la. Dieſes moͤchte man
auch woll zum Theil von dieſen alten
Poeten ſagen. Es waͤre zu wuͤnſchen/
daß
[327]Poeterey andern Zeit.
daß wir ſie alle gantz haͤtten/ und an de-
ren ſtatt einige von unſern Neulingen
verlohren/ die der gelehrten Welt mit
ihren ungeſchickten Getichten ſehr be-
ſchwerlich fallen. Es iſt ihrer keine ge-
ringe Anzahl. Wir wollen nur die all-
hie ſetzen/ deren der Goldaſtus eine bey-
laͤuͤffige Erwehnung thut. Des
Koͤnigs Tyrol aus Schottland/ und des
Winßbecks Getichte ſein von dem Gol-
daſto gantz geſetzt. Wer dieſer Koͤnig
Tyrol geweſen ſey/ kan er nicht ſagen;
denn man findet ſeinen Nahmen nicht in
Schottiſchen Hiſtorien. Er hat aber
gantze Buͤcher von Koͤniglicher Auffer-
ziehung geſchrieben/ worauß dieſes nur
ein Außzug iſt. Es bezeuget Boppo, der
zu der Zeit gelebet/ daß er 2. Buͤcher
geſchrieben an ſeinen Sohn Fridebrand:
eines/ dar in er handelt von der Unter-
weiſung in Goͤttlichen dingen; das an-
dere/ von einem guten Leben und Wandel.
wovon Goldaſtus mit mehren handelt in
der Vorrede der Anmerckungen uͤber
di
[328]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
die Paræneſes.Winßbeck iſt bey dem
Friderico Barbaroſſa und ſeinem Sohn in
groſſen Anſehen geweſen/ hat auch dem
Zug in Syrien mit beygewohnet. In
den Anmerckungen fuͤhret er nur bey
Gelegenheit einige Stuͤcke aus den andeꝛn
an: darunter ſeyn Wolffram Eſchel-
bach/ (der eben zu der Zeit gelebet/ und
im andern Theil des Helden Buchs ei-
nige Carmina gemacht. Welches Helden-
Buch nichts anders iſt/ als eine Collectio
vieler Getichte von den Helden der vo-
rigen Zeit/ deſſen erſter Collector den-
noch unbekant iſt.) Marggraff Hen-
rich von Meiſſen/ Graff Con-
rad von Kilchberg/ Koͤnig Wen-
tzel von Boͤhmen/ Graff Friedrich
von Liningen/ Marckgraff Otto
von Brandenburg/ Graff Krafft
von Toggenburg/ Graff Rudolff
von Neuenburg/ Burggraff von
Luͤntze/ Graff Albrecht von Hei-
gerlou/ Hertzog Hinrich von Preß-
la/ Hertzog Johann von Bra-
band/
[329]Poeterey andern Zeit.
band/ Hertzog von Anhalt/ Graff
Otto von Bobenlube/ Herr Gott-
fried von Niffen/ Herr Hinrich
von Morunge/ Herr Dithmer
von Aſt/ Herr Walter von Klin-
gen/ Herr Ulrich von Gutenburg/
Herr Jacob von Wart/ Herr
Werner von Tuͤfen/ (der Keyſer Frie-
drichs Zug wieder den Saraceniſchen Koͤ-
nig Saladin in Syrien in Verſen beſchrie-
ben haben ſoll/ auch ſelbſt demſelben mit
beygewohnet.) Herr Hinrich und
Herr Eberhard von Sax/ Herr
Rudolff von Rotenburg/ Herr
N. von Glirs/ Herr Hinrich von
Veldig/ Noſter von Wengen/
Walter von der Vogelweide/ (wel-
cher an den Kayſer Philippum umb das
1200. Jahr ein Buch geſchrieben hat)
Noſter von Singenberge/ Truch-
ſes zuSt.Gallen/ Noſter von Gra-
fenberge/ M. Wigulais/ Ulrich
von Lichtenſtein/ Henrich von Off-
terthinge/ Hans von Ringenberg/
x 4Otto
[330]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Otto vom Turne/ Ulrich Schenck
von Winterſtaͤten/ Reimer von
Zweter/ Konrad Schenck von
Landegge/ Tanhuͤſer/ Marner/ Tu-
ning von Ringoltingen/ Friderich
von Huſen/ Bruder Werner/ Bie-
teroltz/ der die Hiſtorie des Dieterichs
von Bern beſchrieben/ Albert ab Ei-
be/ Meiſter Singebar/ Hinrich
von Frauenberg/ Friederich von
Suͤnnenburg/ Hartmann von
Owe/ Meiſter Kunrad von Wüꝛtz-
burg/ Friederich der Knecht/
Kunrad von Helmſtorff/ welcher
eine Vergleichung des Alten [und] Neueu
Teſtaments in Verſen gemacht/ Hin-
rich von Frauenlob/ welch er den
Nahmen davon bekommen/ daß er den
Frauen viel Getichte zu Ehren gemacht/
welche ihn in ſeinem Tode wieder damit
geehret/ daß ſie ſeine Leiche biß an ſeine
Grabſtatt getragen/ uñ dieſelbe mit Wein
begoſſen/ davon Wolff. Tom. 1. Rer. Mem.
Cent. 14. p. 604. zu leſen. Hinꝛ. von Effer-
lin-
[331]Poeterey andern Zeit.
lingen/ der dem Heꝛtzogē Leopold von Oe-
ſterreich viel Liebes-Getichte zu Ehren
geſchrieben/ Reinhard von Zwechin/
Hermann von Sachſen/ ein Ritter/
der ein Romain von der Moͤhrin ge-
ſchrieben. Man findet auch von einem
Kantzler des Keyſers/ der ſich
nicht nennet/ einige Verſe; einen andern/
der ſich den Tugendhafften Schrei-
nennet. Dieſes ſeyn nur etliche wenige/
deren Getichte uns uͤber blieben/ und von
ihnen nur etliche wenige Stuͤckwercke/
die hie und da in den Bibliotheken ſte-
cken/ auch mehrentheiis von den unwiſ-
ſenden Leuten zerriſſen und verdorben
ſeyn. Die Nahmen ſein uns nur bloß
bekant auß den Anmerckungen des Gol-
daſti, der ſie in der Schobingerſchen Bib-
liothec geſehen und geleſen. Wer weiß
wo ſie itzo ſtecken? und ob nicht ſchon der
meiſte Theil von ihnen umkommen.
Taubmannus in der Vorrede ſeines Com-
mentarii in Culicem Virgilii, hālt ſie ſo
wehrt/ daß er gantze Oerter darauß ge-
zogen
[332]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
zogen und hingeſetzet. Sein Urtheil davon
iſt dieſes: Hæc profectò talia ſunt, præ
quibus genuinus aliquis Germanus Græcos
Latinosque Poëtas faſtidiat. Verweiſet
hernach ſeinen Landsleuten/ daß ſie nicht
bey ſolcher art zu poetiſiren geblieben/
ſondern ſich je mehr und mehr verſchlim-
mert Es ſind einige derſelben und an-
dere Lieder in dem ſo genanten Helden-
Buch zuſammen geſamlet/ welches un-
terſchiedliche mahl in Teutſchland her-
außkommen. Die letzte Edition iſt/ mei-
nes wiſſens/ zu Franckfurt Anno 1560.
gedrucket: es iſt in vier Buͤcher getheilet.
Es wird darin gehandelt von den alten
Helden und Rieſen/ von Keyſer Ottnit
und dem kleinen Elberich/ von Hug
Diederich und Wolff Diedrichen/ von
dem beruͤhmten Garten zu Wormbs/ von
dem Koͤnig Laur in uñ ſeinem Roſen-Gar-
ten ꝛc. Iſt allenthalben mit Fabeln gemi-
ſchet. Es iſt aber von der Lieder eygenem
Alterthum alles ungewiß und deßhalben
keine Nachricht. Die Sprache gibt es/ daß
ſie
[333]Poeterey andern Zeit.
ſie ſo ſo gar alt nicht ſein; glāube aber/
ſie ſeyn von etlichen Kluͤgelingen in eine
andere Form gegoſſen/ wie andern
Wercken auch geſchehen iſt. Es geden-
cket der Taubmann ferner einiger ande-
rer Carminum: Habui ego in Bibliotheca
illuſtris puçllæ Germanæ, cui nomen
HROSVITA, comœdias ſex in æmulario-
nem (uti præſcripſit) Tereotii factas. Item
Panegyricum Hexametro \& Elegiaco car-
mine Ottoni Magno dictum, annis abhinc
ſeptingentis \& amplius. Dieſen hat H.
Meibomius heraußgegeben. Ihrer ge-
dencket auch Malincrotius de Archicancel-
lariis Imp. p. 29. Hie muſſen auch noch
hergebracht werden eines unbekanten
Teutſchen Poeten Reime/ der des Cato-
nis Diſticha uͤberſetzet/ deſſen Goldaſtus
offt gedencket/ auch des St. Annonis, eines
Coͤlniſchen Ertz Biſchoffen/ Teutſche Ver-
ſe/ vor etwa 600. Jahren geſchrieben/
die Herr Opitz noch kurtz vor ſeinem To-
de mit Anmerckungen heraußgegeben.
Es ſollen in der Wieniſchen Bibliothec
noch
[334]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
noch einige der alten Teutſchen Schriff-
ten verborgen ſeyn/ wie Lambecius eini-
ge neñet/ worunter aber wenig poetiſche
ſeyn. Dieſe hat er verſprochen in einem
abſonderlichē Syntagmate rerum Germani-
carum heraußzugeben/ welche Hoffnung
nun mit ihm verloſchen. Wir ermahnen
aber alle und jede/ die ſolcher alten Schaͤtze
Beſitzer ſeyn/ daß ſie ſolche nicht vergra-
ben/ ſondern dem Vaterland zu Ehre
und Liebe ans Tages-Licht bringen:
wuͤnſchen auch danebſt/ daß Ihrer Key-
ſerl. Mayt./ den Fuͤrſten des Reichs und
allen Großmaͤchtigen Beforderern der
Gelehrtheit und Wiſſenſchafft/ dieſe loͤb-
liche Begierde auffſteigen moͤge/ unſers
wehrten Vaterlandes Alterthuͤme durch
Gelehrte und darzu bequeme Leute un-
terſuchen zulaſſen/ damit ſie endlich aus
der Finſterniß ans Licht gezogen/ und
den Außlaͤndern/ der gantzen Welt/ und
den Nachkommen vor Augen geſtellet
werden moͤgen. Wir haben deſſen ein
unvergleichliches Exempel an dem Hoch-
wuͤr-
[335]Poeterey andern Zeit.
wuͤrdigſten Fuͤrſten und Herrn/ Herrn
Ferdinand/ Biſchoffen zu Muͤnſter/
deſſen Hochfuͤrſtl. Gnade ſelbſt die Feder
zur Hand genommen und die unſterbli-
che Arbeit Monumentorum Paderbor-
nenſium zu aller Gelehrten verwunde-
rung der Welt als einen koſtbahꝛen Schatz
geſchencket. Worunter die ſchoͤnſten
Lateiniſchen Epigrammata, die aller Roͤ-
miſchen Kunſt und Zierlichkeit Trotz bie-
ten koͤnnen/ wie die herrlichſten Edel-
geſteine in dem feinſten Golde hervor
leuchten.
Nach dieſer ſo gluͤcklichen Zeit/ da
Koͤnige/ Fuͤrſten/ Grafen und Edele die
Poeterey fuͤr ihre Zierd und Ergetzung
hielten/ fiel dieſelbe auff einmahl/ und ge-
riht unter die Hānde des gemeinen Poͤ-
bels. Dann wie in Teutſchland die
Kriege und Zerruͤttunge des Reichs an-
giengen/ und bey 23. Jahren kein Haupt
war/ ſondern bald dieſer/ bald jener das
Reich mit Gewalt zu ſich zu reiſſen ge-
dachte/ da iſt unter ſo viel Kriegen und
Drang-
[336]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Drangſahlen/ wie die Ritter und Edele
immer in den Waffen lagen/ dieſe Edle
Kunſt gar verlaſſen und viel ungeſchick-
tes Dinges von nichtswuͤrdigen Leuten
geſchrieben worden. Wie nun deren
Verſtand ſich nicht weit erſtrecket/ al-
ſo iſt ihre Kunſt demſelben gleich geweſen.
Zu dieſer Zeit wurden die ſo genante
Meiſterſaͤnger hochgehalten/ deren
Lieder Reineccius Orat. de Hiſtoriæ digni-
tate nach den alten Heldenliedern ſtellet:
Welche aber immer an Guͤte abgenom-
men. Es haben dennoch einige auff die-
ſelbe etwas gehalten: und haben die Keyſer
ſelbſt ihnen Privilegia ſampt einem ſon-
derlichen Meiſterſaͤnger-Krantz erthei-
let. Harſtoͤffer gedencket in ſeiner Vor-
rede uͤber ſein Specimen Philologiæ Teu-
tonicæ, daß Keyſer Otto der andere
ihnen ſonderliche Freyheiten ertheilet ha-
be/ Maximilianus I. hat eine ſonderliche
Conſtitution de honore \& Privilegiis Poë-
tarum gegeben welche beym Goldaſto zu
finden: Worunter einige dieſe Meiſter-
ſaͤnger
[337]Poeterey andern Zeit.
ſaͤnger begreiffen. Von Carolo V. und
Rudolpho II. werden ſie in den Po-
licey Ordnungen de Anno 1548. zu Aug-
ſpurg und de Ao. 1577. zu Franckfuhrt/
von andern gemeinen Saͤngern und
Reimern abgeſondert/ als die nicht ſol-
len geduldet werden. Ihnen iſt allein
vergoͤnnet geweſen/ im Roͤmiſchen Rei-
che allerhand Getichte nnd Reimen zu
ſchreiben. Bey den Turnier und Rit-
terſpielen/ haben ſie ihre Lobſpruͤche auff
die Wollverdienten verfertiget/ und nebſt
den Herolden das ihrige verrichtet. Wie
auch alle Ritterſchafft des Roͤmſchen
Reichs in vier Ordnungen nrch den vier
Landen als Rhein/ Francken/ Bayern
und Schwaben eingetheilet/ ſo ſind auch
ſolche Meiſter-Saͤngeꝛeiē in den vornehm-
ſten Staͤdten der vier Landen/ als Nuͤrn-
berg/ Straßburg/ Augſpurg/ Ulm/
Regenſprug/ Heilbrun/ Wimpffen ꝛc.
auffgekommen. Sie haben ihre gewiſ-
ſe Collegia und Zuſammenkuͤnffte ge-
habt/ worinen ſie ihre Reime oͤffentlich
yin
[338]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
in Gegenwahrt Ritterlicher und anderer
vornehmen Perſonen hergeſagt/ und
iſt daſelbſt von ihnen der Meiſter-Saͤn-
ger-Krantz denſelben auffgeſetzet worden/
welchen ſie in ihre Geſellſchafft auffzuneh-
men gewuͤrdiget/ den ſie mit gewiſſen
Ceremonien mit Gang Klang und Ge-
ſang/ zu einen Meiſterſaͤnger gemacht:
wodurch er dann Freyheit erhalten/ daß
er ſich offentlich hat moͤgen hoͤren laſſen/
auch dabey mit den Degen ſich ſchmuͤcken/
Wie von dieſen und andern Ceremonien
weitlaͤufftiger handelt Chriſtian von Ge-
he in ſeiner Beſchreibung des Herolds
Memb. 3, de Laurea decantatoria.. Es
wundert mich aber daß in dem Turnier-
Buch dieſer Meiſterſaͤnger ſo gar mit
keinem eitzigen Worte gedacht wird.
Harſtoͤrffer der uns die beſte Nachricht
geben kan/ weil er an ſolchem Ohrte
gelebet/ da ſie ihre meiſte Exercitia ge-
habt/ beſchreibt im iv. Theile der Ge-
ſpraͤch Spiele im 151. Sp. §. 8. der Meiſter-
ſaͤnger ihr Weſen etwas außfuͤhrlicher als
ſonſt
[339]Poeterey andren Zeit.
ſonſt iemand ayders/ aus welchem wir
die Worte anher ſetzen wollen. Sie be-
obachten allein die Anzahl der Sylben„
und der Reimen; daß aber eine Sylbe„
lang/ die ander kurtzlautend ſey/ daß„
gilt ihnen gleichviel. Ob nun ihre Ge-„
dichte ſchlecht ſind/ und das Geſang der„
Choral oder der Ebreer Muſick nicht„
ungleich zu hoͤren/ ſo haben ſie doch fei-„
ne Regul/ und ihre Wiſſenſchafft in ſol-„
cher Verfaſſung/ daß ſie ungezweiffelt„
ſagen koͤnnen/ was gut oder boͤß iſt.„
Sie halten fuͤr einen Fehler/ wann„
zween oder mehr Reime/ ſie ſein gleich„
ſiumpff (einſylbig) oder klingend (zwey-„
ſylbig in einem Geſetze erfunden werden/„
die mit einerley Buchſtaben geſchrieben„
ſind/ als leben und erleben/ in han-„
den und verhanden u. d. g. und wer-„
den von ihnen ruͤhrende Reimen ge-„
nannt. Oder wenn abgeleitete Worter„
nicht ferne von den Stammwoͤrtern„
geſetzet werden/ als Herr und herr-„
lich/ Ehr und ehrlich: Oder wenn„
y 2zwey
[340]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
zwey gleiche Woͤrter oder Sylben ein-„
ander folgen/ als daß/ das/ ewig-„
lich/ ich. u. d. g. Oder eine blinde Mei-„
nung oder Wort fuͤhren daß keinen rich-„
tigen Verſtand hat: oder ein halbes„
Wort und die Stimmen zuſammen zie-„
hen/ als wie ſoll wir fuͤr ſollen wir„
gborn fuͤr geboren u. d. g. werden„
ſchnurrende Reimen genannt. Ferners„
achten ſie fuͤr einen Fehler/ wann Reim„
woͤrter mit ungleichen Stimmen gebun-„
den werden/ als Gluͤck nnd Strick„
gehoͤrt und gelehrt/ oder wann die„
Schreibung gleich/ aber die Außꝛede in ei-„
nem Lied weich/ in dem andern hart iſt/„
als eine neue Maͤhre/ und eine feine„
Lehre. Die Gebānde ziehen ſie nach„
belieben und haben derſelben uͤber 500.„
unterſchiedliche Arten. Iſt alſo darauß„
zu ſchlieſſen daß die Urheber dieſer Kunſt„
das Reimweſen woll verſtanden/ und„
die Teutſche Sprache bereit vor ſechs-„
hundert und mehr Jahren darin geuͤbet„
worden: nemlich zu Kayſer Otto des„
Groſ-
[341]Poeterey andern Zeit.
Groſſen und des Pabſts Leonis des VII.„
Zeiten/ welche die vier gekroͤnte Toͤne/ wie„
es die Meiſter noch anheut zu Tageſingē/„
ſelbſt angehoͤrt/ uñ mit gewiſſen Freyhei-„
ten begabt haben/ weil es zu ſelbiger Zeit„
etzliche fuͤr eine Ketzerey außgeſchrieen„
hatten. Iſt alſo vermuthlich/ daß die„
Uhralten Heidniſchen Helden Geſaͤnge„
mit Einfuͤhrung des Chriſtenthums„
von Keyſer Carl den Groſſen ab/ und„
hingegen dieſe in den Kirchen eingefuͤhrt„
Es fuͤhret der Herr Zeiler in ſeinem 321.
Briefe auß einer Limpurgiſchen Chronic
an/ wie die Teutſchen um das Jahr 1350.
nicht allein ihre Kleidungen/ ſondern
auch ihre Geſaͤng und ihre Muſic veraͤn-
dert haben/ wie er dann ein Lied/ wel-
ches man damahls durch gantz Teutſch-
land/ wie er ſagt/ ſange/ hiebey fuͤgt:
Ach reines Weib von guter ArtGedenck an alle StetigkeitDaß man auch nie von dir ſaitDas reinen Weiben uͤbel ſteitDaran ſoltu nu gedenckenUnd ſolt von mir nit wenckenDieweil daß ich das Leben han.
y 3Noch
[342]Das VII. Cap. Von der TeutſchenNoch iſt mir eine clage nohtVon der liebſten Frauen mein/Das ihr zartes Muͤndlein rohtWill mir ungenedig ſeinSie will mich zu grund verderben/Untroſt will ſie an mich erben/Dazu en weiß ich keinen Rath.
Es findet ſich in dieſer Chronic auch ein
Geſang einer die man wieder ihren Willē
zur Nonnen gemacht. Daſſelbe meldet/
daß ums Jahr 1370. auff dem Mayn ein
Außſaͤtziger Barfuͤſſer Moͤnch die beſten
Lieder und Reihen in der Welt von Ge-
dicht und Melodeyen gemacht/ daß ihm
niemand auff Reinesſtroom/ oder in ſel-
bigen Landen woll gleichen moͤchte: und
was er ſang das ſungen die Leut alle gern/
und alle Meiſter pfiffen/ und andere
Spielleute fuͤhrten den Geſang und diß
Gedicht. Er ſang diß Lied
Ich bin außgezehltMan weiſet mich armen vor die ThuͤrUntreu ich ſpuͤrNun zu allen Zeiten.
Ich will hie zu ergoͤtzung des Leſers ein
Schlacht-Lied/ ſo ein ſolcher Meiſterge-
ſaͤnger
[343]Poeterey andern Zeit.
ſaͤnger/ der die Hiſtoria des Henrici Au-
cupis beſchrieben und wie eine Comœdia
in gewiſſe Actus eingetheilet/ derſelben
mit einverleibt: Dann er fuͤhret einen
Poeten ein/ der fuͤr Anfang der Schlacht
ein Lied/ nach dem alten Gebrauch der
Teutſchen abſinget/ iſt nicht gar alt/
und auß einem geſtuͤmleten Buche von
meinem hochgeehrten Collega Herr D.
Reihern mir mitgetheilet.
Welt/
Mancher Vrſach erhaben:
Denſelben hat Gott zugeſellt/
Die Muſic als ſein Gaben:
Ihr erſtr Erflnder war Jubal/
Des Lamechs Sohn mit Namen:
Erfand Drommetn und Pfeiffen
Schall/
Kondt ſie ſtimmen zuſammen.
Die Muſic gut/
Erweckt den Muth/
Friſch unverzagt/
Die Feind verjagt/
Rufft ſtarck/ dran/ dran/
An Feind hinan/
Brecht gwaltig durch/
Schlacht Gaſſn und Furch/
Schieſt/ ſtecht/ und haui alls nider
Das keiner auͤffſteht wider.
Da Iſrael Durſt lidte:
Sprach er: Mir bald ein Spiel-
man holt/
Der ſpielt nach Davids Sitte:
Bald kam auff ihn des HErren
Hand/
Troͤſtlich thet er weiſſagen:
Ohn Regē floß groß Waſſr durch[s]
Land
Der Feind wurd auch geſchlagen/
Drom Drart/ Drom/
Pom/ Pom/ Pom/ Pom/
Dromml und Pfeiffn gut/
Macht Heldenmuth/
Erweckt Prophetn/
Reitzt die Poetn/
In Frted und Streit/
Hoͤrt mans allzeit/
Muſicam ſoll man ehren/
Man kan ihr nicht entbehren/
y 4Als
[344]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
fortgehn/
Indith/ die Heldin thut ſingen:
Niemand kan ſolchem widerſtehn/
Alles muß ihm gelingen:
Welchem Gott gibt ein ſtreitbarn
Muth/
Gwaltig kan er durchbrechen/
Sicht man an ſtarcken Helden gut
Thut ſich an Feinden raͤchen.
Pidi/ Pom/ Pom/ Pom/
Steh feſt mein Comp/
Laß Pfeil/ Saͤbl/ ſauſſn/
Vnd umb uns prauſſn/
Solchs gar nicht acht/
Sondern betracht/
Was flichen brecht fuͤr Ehre/
Drumb dich nur Hertzhafft were.
Wie offtmahls iſt geſchehen:
Jedoch ein Loͤwenmuth ich hab/
Thut Keyſer Heinrich ſehen:
Der Kern ſpringt vor/ die Spreu
bleibt hindn/
Laſt uns Hertzhafft drein ſchlagen/
Sie werden ſich wol widrumb
wendn/
Ihr Bruͤdr thut nicht verz[a]gn.
Kyrieleiſon/
Pidi/ Pom/ Pom/ Pom/
Lerm/ Lerm/ Lerm/ Lerm/
Sich keiner herm/
Wirſt gleich gepfetzt/
Vom Feind verletzt/
Solchs thu jetzt gar nicht achten/
Hilff nur die Feind abſchlachten.
Die uns woll wider heilen:
Mit Gottes Huͤlff/ drumb faſt ein
Muth/
Die Vngrer ſich zurtheilen:
Sich nit auff die erſchlagne Feind/
Laß ja dein Muth nicht fincken/
Der unſern wenig drunter ſeynd/
Wollns jhm mit Rach eintrenckē[.]
Drom/ Drari/ Drom/
Kyrieleiſon/
Schlagt/ ſtecht/ ſchieſt dr[e]in
Vnſer muß ſeyn/
Der Sieg und Preiß/
Keiner außreiß/
Bruder weich nicht/
Dich nach mir richt/
GOtt helffs mit Gnaden walten/
Daß wir nurs Feld behalten.
Die
[345]Poeterey andern Zeit.
Vnd ſtreitbahrn Helden gute/
Den Sieg habn wir erhalten heut/
Habt nun ein guten Muhte/
Raubt/ uñ beutet was jeder find/
Doch theilts fein friedlich auſſe/
Damit ihr Eltern/ Freund/ Weib
und Kind/
Was ſchickt odr bringt zu Hauſe/
Pidi/ Pom/ Pom/ Pom/
Feldtſcherer kom/
Vnd mich verbind/
Bin halber Blind/
Hie ſteckt ein Pfeil/
Ziecht aus in Eil/
Verbind mich vor/
Sonſt koſts mein Ohr/
Verbind mich auch/
Bech/ Feur/ und Rauch/
Laß mich vorgehn/
Kan nicht laͤngr ſtehn/
Lieber gebt her zu trincken/
Mein Hertz wil mir verſincken.
y 411. Kein
[346]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Als wer fuͤrm Feind erſchlagen:
Auff gruͤner Heid/ im freyeu Feld/
Darff nicht hoͤrn groß Wehkla-
gen:
Im engen Bett/ da einr allein/
Muß an den Todesreyhen/
Hie aber find er Gſellſchafft fein/
Falln mit/ wie Kraͤutr im Meyen/
Ich ſag ohn Spot/
Kein ſeeligr Tod/
Iſt in der Welt/
Als ſo man fellt/
Auff gruͤner Heid/
Ohu Klag und Leid/
Mit Trommeln Klang/
Vnd Pfeiffen Gſang/
Wird man begrabn/
Davon man thut haben/
Vnſterblichen Ruhm/
Mancher Held fromm/
Hat zugeſetzt Leib und Blute/
Dem Vaterland zu gute.
Es iſt nichts laͤcherliches in dieſem gan-
tzen ungeſchmackten Liede/ als wann er
das Kyrieleiſon unter Pom bidi
Pom miſchet/ lautet faſt eben ſo/ als
wann man Schertz oder Sprichworts-
weiſe ſagt: Fein luſtig/ daß GOtt
erbarm. Es ſcheinet aber/ daß dieſes
ein Gebrauch bey den Schlachten gewe-
ſen/ daß ſie das Wort Kyrieeleiſon
geruffen: Daß die alten Norweger
ſolches gethan/ bezeuget Janß Dolmer
in ſeiner Anmerckung uͤber die Norſke
Hirdſkraa/ (iſt ein Buch von der Hoff-
haltung) welches in uhralter Daͤni-
ſcher Sprache beſchrieben/ er heraußge-
geben und erklāret. Denn er fuͤhret in
der
[347]Poeterey andern Zeit.
der Anmerckung uͤber das 5. Cap. auß
einer Norwegiſchen alten Chronic. p. 483.
an. Gamle Norbagger hafve icke
alleniſte brugt deſſe Ord/ deres
Kongers Kroning/ men end ocſaa
udi Striid. Erling Skak befa-
lede ſit Folck/ udi Strüden mod
Grafve Signrd/ at de ſkulle paa-
kalde Gnd/ ſiunge Kyrie eleiſon/
oc ſlaa paa deres Skiolde. Es
haben auch die alten Gothen wenn ſie
mit den Roͤmern geſtritten die Wort
Herre dig forbarme iſt ſo viel als
Kyrie eleiſon gebraucht/ und haben
die Roͤmer ſolches von ihnen gelernet/
wie ein Ohrt bey dem Auguſtino Epiſtolâ
178. ſolches anzeigt. Si enim licet dicere
non ſolum barbaris lingua ſua ſed etiam
Romanis Si hora armen, quod interpreta-
tur: Domine miſerere, cur non liceret in
conciliis patrum in ipſa terrâ Græcorum,
lingua propria homouſion confiteri. Es
iſt aber diß Si hora armen auß dem vori-
gen Herre dig forbarme verfaͤlſchet.
Es
[348]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Es iſt noch eine andere dieſer gleiche art
Reimenmacher die man die Pritſchmei-
ſter nennet/ welche bey offentlichen Auff-
zugen/ Vogelſchieſſen und dergleichen/
ihre naͤrriſche und ungereimte Reime
hervor gebracht. Man findet derglei-
chen noch etliche/ und iſt mir einer Bene-
dickt Edlbeck Siber bekant/ der in
einem weitlaͤufftigen Buch das Ritterli-
che Schieſſen zu Zwickau Anno 1574. in
Reimen gefaſſet/ welche voll laͤcherlicher
Einfaͤlle ſein. Er nennet ſich des Ertz-
hertzogen Ferdinanden zu Oſtereich
Britſchmeiſtern. Aber es iſt der Muͤhe
nicht wehrt mit dieſen ſich ferner auff-
zuhalten. Nur iſt gleichwol diß zu mer-
cken/ daß zuweilen von etlichen feinen
Leuten einige artige dinge zu der Zeit ge-
ſchrieben/ welche wo nicht des Reimge-
baͤnds wegen/ dennoch der Erfindung
halber zu loben ſein. Ich habe offtmahln
alte Tentſche auff Pergamen geſchrie-
bene Verſe geſehen/ darinnen von Hi-
ſiorien gehandelt worden/ oder auch etli-
che
[349]Poeterey andern Zeit.
che Oerter auß der Biebel uͤberſetzet/
worinnen andere Buͤcher eingebunden
geweſen: und iſt zu beklagen/ daß der-
gleichen dinge als unnuͤtze Wercke ver-
brauchet werden. Der ſo genante un-
verdroſſene Carl Guſtav von Hille hat
in ſeinem Teutſchen Palmbaum/ darin
er von der Fruchtbringendẽ Geſellſchafft
Anfang und Auffnehmen geſchrieben/
ein Teutſches Lied angefuͤhret/ welches
in dem Meckelburgiſchen Kloſter Dobran
von etlichen Kayſerlichen Soldaten in
einem gemauerten Schrancke gefunden
worden/ von 28. dem Reimgebānde nach
woll geſetztē Steophen beſtehend/ zu Lobe
des Wendiſchen Koͤnigs Anthyrii gemacht:
Davon ich 2. Strophen herſetzen will:
1.Duͤ Tugend hat ken Raſt/ ſy ſchlaͤffet nicht in Betten/
Beſonder ſy trinckt Blut/Das kan man wager ſeen/ wy ſy vor Taten teten.Der Recken Rieſen hoher Muht.Set ſuͤ gekommen in duͤ SchlachtenUnd manchen wilden BidermanMit ihrem Sturm gewand umbrachten/Wy man noch hete ſeen kan.
2. Ein
[350]Das VII. Cap. Von der Teutſchen2.Ein Edler Konig ricke in dieſem Lande ware/Das Wendenland genant/Duͤ mer behalten iſt/ ſo lange viele JahreGar manchen Drud bekantSein Nahme heiſet ſonſt AnthyreEr war gar ein getreuer Mann/Er fuͤhrt mit Ruhm ſein Ritter ZiereAls ihm ſolt wol anſtahn.
Die Worte geben es daß es ſo gar alt
nicht ſey/ aber es iſt der Zeit nach nicht
uͤbel gemacht. Beim Henrico Meibomio
wird in ſeinen Schrifften offtmahls et-
was auß einem alten Chronico Rhythmico
Saxonico welches vor 400. Jahren ge-
ſchrieben/ angefuͤhret/ dem er groſſen
Glauben beyleget. Dieſes gedencket
unter andern von dem Henrico Leo-
ne, daß er nach dem Exempel des Ca-
roli M. die alten Chronicken habe zu-
ſammen tragen laſſen. Denn diß ſein die
Worte:
Alleim dho groz KranckheitZoghinge her was doch gemeytGemuter natuͤrlicher Tugent/Darnach her an der jugent/Vnz an alder kunde ringhenHer leyz zo ſamene bringhen
De
[351]Poeterey andern Zeit.De alten Kronicken und ſcriben/Deß began her ſo verne treiben/Vnd war dha vff verdachtMengen Tach und Nacht.
Ich muß hie auch eines nicht gar viel be-
kanten Hugo von Trimberg geden-
cken/ welcher vor etwa 380. Jahren ge-
lebet/ und ein weitlāufftig Buch in Rei-
men geſchrieben/ ſo er den Renner neñet:
worin die Mißbrāuche die damahls
in allen Stānden geweſen vorgeſtellet/
viel Maͤngel der Geiſtlichen endeckt/ und
alle zur Tugend und Wollſtand angewie-
ſen werden. Solch Buch iſt von Cyria-
aco Jacob zum Bock/ Buchdrucker Anno
1549. unter den Titul der Renner her-
außgegeben. Es ſind viel artiger Ein-
faͤlle/ viel ſchoͤner wollgeſetzte Lehren
darin: und iſt nicht ohne Luſt zu leſen.
Es iſt aber gar ſehr durch unzeitige Zu-
ſātze/ und Verānderung der Woͤrter
verdorben. Denn weil der Stylus we-
gen alters bißweilen etwas unverſtānd-
lich hat der Editor die alten Woͤrter in
neue verkehret/ wodurch der Verſtand
wie-
[352]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
wieder des Autoris intention verfālſchet.
Er hat bißweilen gantze Verſe nach der
Reihe/ auß groſſer Nachlaͤßigkeit/ auß-
gelaſſen. Deſſen wir eine Probe dar-
ſtellen wollen. Ich habe ein MStum E-
xemplar von dieſen Buche/ bey meinem
Hochgeneigten Goͤnner/ dem Herrn
Hoff R. Marquardo Gudio, geſehen/ wel-
cher auch dieſes in ſeine ſo herrliche
Schatzkammer/ der außerleſenen MSto-
rum auffzunehmen gewuͤrdiget hat. Wir
wollen ein Stuͤck des Capittels von den
Meyden vornehmen/ und das gedruckte
Exemplar mit dem geſchriebenen zuſam-
men halten/ da man den groſſen Unter-
ſcheid mercken wird.
Das Gedruckte.
Das Geſchriebene.
Das
[353]Poeterey andern Zeit.
[z]Die-
[354]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Mit
[355]Poeterey andern Zeit.
Aus dieſem Exempel iſt zu erſehen/ wie
man mit den alten Verſen gehandelt/
nach belieben außgelaſſen/ und hinein ge-
ſetzt was man gewolt/ und iſt es mit den
aͤltern auch alſo ergangen. Wer dieſer
Autor geweſen und wann er geſchrieben/
kan man auß dem Beſchluß des Buches
abnehmen: denn er ſpricht:
Der diß Buͤch gedichtet hatDer pflag der ſchulen zuͤ Thuͤrſtat/Viertzig Jahr vor Babenberg/Und hieß Huͤgo von Trymberg.Es wardt follenbracht das iſt war/Da tauſend und dreyhundert jarRach Chriſtus geburt vergangen waren.
Ferner ſetzet er die Uhrſach/ warum diß
Buch der Renner genannt werde/ denn
er vor dieſen eines geſchrieben welches
er denn Samler genennet/ worauß er
viel genommen und in dieſes verſetzt:
Ich hatte vor vier und dreiſſig jaren/Meinen geſellen/ die da bey mir warenGemacht ein kleynes Buͤchelein/Daß ſie da bey gedaͤchten mein.
z 2Das
[356]Das VII. Cap. Von der TeutſchenDas war der Sameler genant/Ehe das kam von memer handt/Da wart ſem eyne Quintern verlorn/Die ſelbe Verluſt/ die thaͤt mir zorn/Das ichs da nit follenbrachte/Mit dem ſume/ als ich gedachte.Wie viel ſein aber iſt geſchrieben/Das iſt hin und her bekliebenViel daß/ dann ich mich verſach/Yens leuffet vor/ dis rennet nach/Wer yenes lieſet der mercke dabey/Das diß von yeme genommen ſey/Das jr beyder ſiñ ſei gleich/Wiewol jhr liebe doch ſey ungleich.
Seine Reime entſchuͤldiget er in vorher-
gehenden/ weil er deren ungewohnet:
Vnd wiſſet/ daß ich wol dreiſſig jar/Meinen ſinn hatte auff Latein ſo garGeleit/ das mir die Teutſchen Reimen/Schnuͤr/ hafften/ pynſel und leym/So gar waren unbekant/Als ob ich fuͤhre in frembde landtUnd woͤlte eyne ſprache lernen da/Die ich doch vor vielleicht anderſwoGehoͤrt hette/ und ſie nit foͤrderlichFollbrengen kuͤndte/ und endelich.Drumb ſolt jr mir vergeben/Wann etliche Reimen nit ſtehn gar eben.Wer dichten kan/ der ſchmide ſie baß/Mit meinem Dienſte/ ohn allen haß.
Agri-
[357]Poekerey andern Zeit.
Agricola der teutſche Sprichwoͤrter
geſchrieben/ gedencket dieſes Renners/
und fuͤhret bißweilen auß ihm etwas an.
In der Vorrede derſelben erwehnet er
etliche alte teutſche Schrifften von Creck
Ivan/ Triſtrand/ Koͤnig Ruͤcker/ Par-
tzival/ und Wiglois/ von dem alten
Hildebrand/ Ditrich von Bern/ Herrn
Ecken/ Koͤnig Faſolt/ Riſen Signot/
dem edlen Moringer/ Ritter Pontus/
von der Taffelrunde/ von dem Ritter
vom Thurn/ Siebenmeiſtern. ꝛc. Es
werden etliche von dieſen beym Goldaſto
gedacht/ und ſein einige davon nur in
Prolâ geſchrieben/ die ſich unter den alten
Teutſchen Romainen befinden/ welche in
dem ſo genanten Buch der Liebe/ zu
Franckfurth Anno 1585. gedruckt/ zuſam-
men getragen. Noch vor des Trim-
bergs ſeiner Zeit etwa um das Jahr 1200.
hat Ecko von Repkovv, der das Saͤchſiſche
Recht unter dem Titul des Sachſenſpie-
gels in Ordnung gebracht/ eine
Vorrede in Reimen davor gemacht. Es
z 3ſchei-
[358]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
ſcheinet aber/ daß die alten Teutſchen
Worte nach der damahls uͤblichen Rede
etwas geaͤndert/ wie ſolches auch der Un-
terſcheid der MStorum weiſet/ die in der
Oldenburgiſchen Bibliotheca noch ver-
handen/ und deren Gryphiander in ſei-
nem Buch de Weichbildis Saxonicis cap. 53.
gedencket. Der Schluß von der Vor-
rede lautet alſo:
Nun dancket all gem einDem von FalckenſteinDer daiſt Graf Hoyer genant/Das an Deudſch iſt gewant/Dis Buch durch ſein bete.Eck von Repkow es thete/Ungern er es ankam/Da er aber vernam/So groß des herrn gere/Da hat er kelme wehre/Des herrn liebe in gar uͤberwan/Das er des Buches began/Das im war viel unbedacht/Da er es in Latein hatte bracht/On huͤlff und onlere.Da daucht ihm das zu ſchwereDas er es in Deudſch wante/Zu letzt er es doch geandteDie arbeit/ und theteGraff Hoyers Bete.
Es
[359]Poeterey andern Zeit.
Es iſt kein richtiges Reimgebānde und
maaß der Sylben/ nur daß die Reime
in acht genommen werden; mit welcher
Reimſucht damahls alle behafftet waren/
daß man auch in den Lateiniſchen die-
ſelben gebrauchte/ ja wolgar Lateiniſche
unter die Teutſche miſchte/ deſſen wir
unterſchiedliche Exempla in alten Grab-
ſchrifften haben/ dergleichen eins in dem
Dobberaniſchen Kloſter in Mecklenburg
auff einen Peter Wiſen zu leſen; deſſen
anfang alſo lautet:
Hier Peter Wieſe tumba requieſcit in iſtâ,God geef em Spiſe cæleſtem, quiq; legis ſta. \&c.
Es iſt aber dieſe art zu reimen ſo gar
alt nicht. Denn es iſt Anno 1380. in Fri-
dericum Strenuum Landgrafen von Thuͤ-
ringen/ dergleichen Gꝛabſchrifft gemacht/
welches Fridericus Hortleder in einigen La-
teiniſchen auff einen Saͤchſiſchen Hertzog
gemachten Grabſchrifften mit anfuͤhret/
Selbiges lautet alſo:
Hye lyt ein Fuͤrſte loͤbelichQuem vulgus flebile plangit,
z 4Von
[360]Das VII. Cap. Von der TeutſchenVon Miſne Marcgrav FriderichCujus inſignia pangitClerus, clauſtralis, laicus.Den Fuͤrſten leidlichen klagenDives, inops, altus, infimus.Fuͤrſtliche Weꝛck von ihm ſagenWarhafft/ Wiſe/ Tugentlich/Affabilis atque benignusIn Gottes Fuͤrchte ſtaͤtiglichFuit hic laudarier dignusDa veniam ChriſteLaß uns Gnaden erfinden.Annue quod iſteLoß werd von ſinen Suͤnden.
Es wird auch noch heute unter den Kir-
chengeſaͤngen/ das Lied In dulci jubilo
gebraucht/ ſo auff dieſe art von dem Pe-
tro Dreſdenſi etwa Anno 1410. oder noch
wol ehe gemacht. Es meinen etzliche/
daß er vor gehabt die Teutſche Geſānge
in der Kirchen auffzubringen/ und were
es vom Pabſte alſo vermittelt/ daß ihm
dieſe Vermiſchung mit dem Lateiniſchen
vergoͤnnet/ oder er haͤtte es deßhalben
gethan/ daß allgemach der Weg zu den
Teutſchen Liedern gebahnet wuͤrde: Wel-
ches
[361]Poeterey andern Zeit.
ches ich nicht fuͤr glaubwuͤrdig halte.
Sondern er hat ſich vielmehr nach dem
Trieb ſeiner Zeit gerichtet/ da man ſol-
che art zu Poetiſiren vor eine ſonderli-
che Zierlichkeit gehalten. Von dieſem
Petro Dreſdenſi und ſeinen Liedern kan
ein mehres bey dem Herrn Thomaſio in
einer abſonderlichen Diſſertation de Petro
Dreſdenſi geleſen werden. Matthias Fla-
cius gedencket in ſeinem Catalogo Teſt.
Veritatis lib. 19. auch dieſer art Verſe/
als welche zu der Zeit gemein geweſen/
davon er ſpricht: Sunt etiam rhythmi qui-
dam ſemigermanicè \& ſemilatinè jam olim
editi. Es ſind dergleichen Carmina
ietziger Zeit von einigen luſtigen ingeniis
nach gemacht/ und findet man etliche
beym Henrico Brunone in ſeinem Mengel-
moeſs. p. 177. und 202. wie Baudius und an-
dere ſolche auß Griechiſch und Lateiniſch
gemiſchte Verſe gemacht/ darauß dieſes
zur Probe:
Erant \& duæ bellulæBly-geeſtig, ſoet van aert
z 5Et
[362]Das VII. Cap. Von der TeutſchenEt non minus tenellulæ,En t’ ſoenen beyde waert.Libens tulißem haſia.Maer ick en ſagh gheen kans.Want elck was daer amaſiaVan een veel groter Hans.
Ich habe ſelbſt wol einige dieſer art in
meiner Jugend gemacht. Zu derſelben
Zeit des Hugo von Trimbergs lebte
Freydanck/ der von jenem offt angefuͤh-
ret wird/ hat ein Buch in teutſchen Rei-
men geſchrieben/ ſo er die Laien Bibel
nennet/ darinnen er die fuͤrnehmſte Hi-
ſtorien altes und neues Teſtaments in
teutſche Verſe verfaßt/ und allerhand
feine Lehren mit untermiſcht. Er hat
auch einen Außzug der ſiebenden Zahl
aus der Bibel und den Chronicken her-
vorgegeben/ deſſen doch Leonhard
Wurffbain in ſeinem Buch de Septenario
keine Erwehnung gethan. Sie ſein zu
Franckfurth Anno 1569. gedruckt. Es
hat Anno 1494. Sebaſtian Brand ein vor-
nehmer Rechtsgelahrter und Keyſerli-
cher
[363]Poeterey andern Zeit.
cher Raht ein recht artiges Buch ge-
ſchrieben/ ſo er neñet: Das Niv Schiff
von Narragonia/ worinnen er die
Laſter und Eitelkeiten durchziehet/ und
die damit behafftet ſind als Narren in
einem Narren-Schiffe in 104. Capitteln
und Gemaͤhlden vorbildet. Diß Buch
hat Nicolaus Honiger mit Anmerckungen
gezieret/ und hat ein Straßburger The-
ologus Johan Geiler Këiſersberg Predig-
ten daruͤber gehalten wie Moſcheroſch in
der Vorrede des Buchs/ das Gumpel-
zhaimer de Exercitiis Academicorum ge-
ſchrieben; bezeuget. Iſt auch in Lateini-
ſche Verſe uͤberſetzet. Es iſt ein gelehr-
ter ſinnreicher Mann geweſen/ und hat
noch ein zimlich Lateiniſches Carmen ge-
ſchrieben/ wie er dann vor des Felicis
Hemmerlin oder Malleoli opuſculis/ die
er heraußgegeben/ ein Elegiam gemacht.
Selbiger Hemmerlin hat noch vor ihm
gelebet/ war ein Rechtsgelahrter und
Canonicus, und hat unter andern ſeinen
Sachen ein ſehr aꝛtiges ſcriptum gemacht/
deſ-
[364]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
deſſen titul: Doctoratus in Stultitia, wor-
innen er/ nach der damahlen gebraͤuchli-
chen Schreibart/ viel ſonderliche Einfāl-
le hat/ und ein recht vollkommenes Di-
ploma Doctoratus in ſtultitia hinangehaͤn-
get. Es iſt auch im Jahr 1497. von ei-
nem Ritter das Hoffleben Reimenweiß
beſchrieben/ und Anno 1535. von Johann
Morßheim her außgegeben/ welches auch
wol wuͤrdig daß es hier erwehnet werde.
Es iſt die Poetiſche Hiſtoria von dem
Ritter Theurdanck in teutſche Verſe be-
ſchrieben: worinnen das Leben des
Keyſers Maximiliani enthalten iſt. Es
werden Fuͤrwitz/ Neid/ und Verwe-
genheit/ unter gewiſſen Perſohnen/ als
Fuͤrwittig/ Neydelhart/ Unfalo/
vorgeſtellt/ welche den Ritter Theurdanck
zu allen boͤſen dingen gerathen/ die
aber endlich ihren Lohn davor bekom-
men. Die Erfindung iſt nicht unge-
ſchickt/ wiewol an den Verſen nichts kuͤnſt-
liches. Es haben einige dem Maximilia-
no ſelbſt diß Buch zugeſchrieben/ welches
auch
[365]Poeterey andern Zeit.
auch Voſſius lib. 3. c. 10, de Hiſtoricis Lati-
nis gethan; der es ſelber nicht geſehen/
ſetzet es unter die Lateiniſche Hiſtoricos,
woruͤber er von Sandio in ſeinen Animad-
verſionibus und von andeꝛn getadelt wird.
Der ware Autor aber iſt Melchior Pfin-
tzing/ der ſolches dem Carolo V. zuge-
ſchrieben im Jahr 1517. Er nennet ſich
J. Majeſtaͤt Capellanen zu St. Alban bey
Meintz und St. Seebald zu Nuͤrnberg
Probſten. Das Buch iſt in anſehnlicher
Form gedruͤcket/ mit einer art Buch-
ſtaben/ welche noch heutiges Tages den
Nahmen Theuerdanck davon behaltẽ Hꝛ.
von Bircken hat in ſeinem Spiegel der
Ehren des Hauſes Oeſterreichs lib. 6. c.
20. dieſes Buchs gedacht/ und des
Maximiliani Tugenden ſo hoch erhaben/
daß ſie viel groͤſſere Ehre verdienen als
dieſe. Nachgehends hat einer Burcar-
dus Waldis daßelbe zu Franckfurt
nachdrucken laſſen/ und gar viel Verſe
darin geaͤndert/ und wie er ſelbſt be-
kennet etzliche tauſend paar dazu geſetzet;
der
[366]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
der aber dieſe Aꝛbeit wol haͤtte moͤgen blei-
ben laſſen. In Niederſaͤchſiſchẽ Verſen hat
man den ſo genanten und jederman wol
bekanten Reincken Voß/ ein uͤber-
auß ſinnreiches Buch/ worinnen unter
einer Fabul/ der Lauff der Welt/ und alle
Hoͤfiſche Sitten und Streiche ſo artig
abgebildet werden/ daß von keinem alten
Poeten ſolches beſſer haͤtte vorgeſtellet
werden koͤnnen. Es moͤgen billig alle
Niederſachſen diß Buch als eine Frucht
eines wollgeſchliffenen Verſtandes
werth und in Ehren halten. Denn ob
zwar in der Vorrede deſſelben gedacht
wird/ ob ſey es auß der Frantzoͤſiſchen
Sprache uͤberſetzet/ ſo iſt ſolches von
dem Autore vorgegeben/ damit er deſto
ſicherer unter dieſem Vorwand ſich ver-
ſtecken koͤnne. Wer die Niederſaͤchſche
Sprache verſtehet/ und davon urthei-
len kan/ ſiehet wol auß der Fuͤgung der
gantzen Rede/ daß es einheimiſcher und
nicht frembder Abkunfft ſey. Die es in
Lateiniſche und Hochteutſche Sprache
uͤber-
[367]Poeterey andern Zeit.
uͤberſetzt/ haben es vielmehr verdorben/
Janus Guilielmus Laurenbergius der die
ſinnreichen Schertzgedichte in Nieder-
ſaͤchſcher Sprache geſchrieben/ hālt da-
vor es ſey kein beſſer Buch nechſt
der Bibel als dieſes. Der Autor
ſoll ſein Nicolaus Bauman, beym urſprung
des Waͤſerſtroms buͤrtig: andere haben
mich verſichern wollen/ er ſey aus Wiß-
mar/ meiner Gebuhrtſtadt/ entſproſſen/
woſelbſt des Nahmens von alters her
unterſchiedliche geweſen/ wie ich mich
auch ſelbſt wol erinnere. Dieſer iſt/
nach dem er am Juͤliſchen Hofe durch
Verlaͤumbdung auß des Hertzogs Gna-
de geſetzet worden bey Hertzog Magnus
in Mecklenburg Secretarius geworden.
Da er dann das Buch aus eigener Er-
fahrung geſchrieben/ und es alſo im Jahr
1522. als wans zuvor ein altes Frantzoͤ-
ſiſch Werck were geweſen/ in den Druck
gegeben. Welche Nachricht in der Vor-
rede des Froſchmaͤuſelers zu finden/
nebſt dem Epitaphio auff den Autorem.
Gry-
[368]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Gryphiander l. 1. Oecom. Legal. c. 1. n. 51.
nennet den Autorem Ludovicum Roma-
num, davon mir gar nicht wiſſend/ dann
ich nie einige edition unter dieſem Nah-
men geſehen. Iſt ſie aber/ ſo iſt der Nah-
me ohn zweiffel ertichtet/ oder einem an-
dern des Nahmes beygemeſſen. Man
findet zwar bey dem Geſnero und Iſraele
Spachio den Nahmen Ludovici Romani,
der Navigationes in Æthiopiam, Ægyptum,
Arabiam uñ von verſchiedenen daſelbſt be-
findlichen Sachen Buͤcher geſchrieben.
Aber von dieſem Buch wird nichts ge-
dacht. Schopperus der den Reincken
Fuchs in Lateiniſch uͤberſetzet/ ſaget in
der Vorrede/ daß er den Autorem des
Buchs nicht kenne/ welchen er ja kennen
muſte/ weil er ſich um denſelben zu wiſſen
ohn zweiffel bemuͤhet hat. Es iſt auch
diß Buch in Schwediſch und Dāniſch
uͤberſetzet/ wie zu ſehen aus des Herrn
Schefferi Buch de Scriptis \& Scriptoribus
Gentis Svecicæ p. 117. Aber er irret ſehr/
wann er meinet/ daß es zu erſt in Lateini-
ſcher
[369]Poeterey andern Zeit.
ſcher Sprache hervorgegeben/ dann ja
Schopperus in der Vorrede außdruͤcklich
der Uberſetzung auß den Teutſchen ge-
dencket. Man findet zwar in der Bibli-
otheque des Verdiers ein Buch: Reynier,
le Renard, davon Verdier ſaget: Hiſtoire
treſioyeuſe \& recreativ contenant 70.
chapitres. impr. en deux languages, Franco-
is \& bas Aleman en Anvers 8. par Chriſto-
ple Plantin 1566. Dieſes ſcheinet daſſel-
be zu ſein/ und hat es un Niederſaͤchſchen
75. Capittel: in dem Frantzoͤſiſchen 70.
Da dann etwas außgelaſſen ſein kan/
vielleicht was von den Paͤbſtiſchen Kir-
chenſachen bißweilen eingemiſchet. Muß
es alſo eine Uberſetzung ſeyn weil
es ſo lange hernach gedrucket worden/
und haͤtte Verdier es nicht geſchwiegen/
wann er von dem Autore was gewuſt
haͤtte/ oder eine aͤltere edition ihm bekant
geweſen Zu dem ſetzet er/ daß es im Fran-
tzoͤſiſchen und Niederſaͤchſiſchen zugleich
gedꝛuckt: Worauß abzumehmen daß es ei-
ne Ubeꝛſetzung ſein muß. Die Vorrede des
a aFroſch-
[370]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Froſchmaͤuſelers meldet außdruͤcklich/ daß
es ins Frantzoͤſiſche uͤberſetzet ſey. Auch
wuͤrde es Huetus nicht verheelt ha-
ben in ſeiner Diſſertation de l’ origine des
Romains, der p. 61. des Eulenſpiegels ge-
dencket/ ſo ins Fꝛantzoͤfiſche uñ von Ægidio
Periandro in Lateiniſche Verſe uͤberſe-
tzet/ dieſes Buchs aber mit keinen eintzi-
gen Worte erwehnet: Im uͤbrigen noch
zweiffelnd ob die Hiſtoria von dem Eulen-
ſpiegel eine Frantzoͤfiſche oder Teutſche
Erfind[u]ng ſey/ da doch bekant/ daß ſo
wol der ſo genandte Til Eulenſpiegel/
als daß Buch von ihm in Niederſachſen
gebohren. In den Anmerckungen des
Reincken Fuchſen werden aus unter-
ſchiedlichen Teutſchen Poeten viel ſchoͤ-
ner Lehren angefuͤhret/ die mir noch
nicht zu handen kommen/ als: auß Jo-
hann Morßheim Rittern/ der von Frau
Untreu geſchrieben/ auß Hans von
Schwartzenberg Rittern Memorial der
Tugend und Kummertroſt/ auß dem
Schweitzer/ auß dem Henſelin. Es iſt auch
im
[371]Poeterey andern Zeit.
im Hebraͤiſchen ein Buch [...]
Miſchle Schualim, Fabulæ Vulpium, wel-
ches ein Rabbi Berachias Ben- Natronai
gemacht/ daß dem Titul nach/ dem Rein-
cken Fuchs gleich zu ſein ſcheinet. Aber
es ſind in dieſem Buche nicht allein Fa-
beln von den Fuͤchſen/ ſondern auch von
andern Thieren/ und nach art der Fa-
beln Æſopi geſchrieben. Es iſt zu Man-
tua Anno 1557. gedruckt/ und wird von
Plantavicio in ſeiner Bibliotheca Rabbini-
câ num. 425. ſehr hoch gehalten/ denn wie
er ſaget: eloquentiam \& puritatem linguæ
ubique oſtendit, multiplici dicendi ratione
abundans \& flumen quoddam inſigne in
prosâ, rhythmicâ \& carmine profundens.
Buxtorffius nennet es in ſeiner Bibliothecâ
Librum rariſſimum ad virtutem \& pruden-
tiam comparandam directum. Der Fa-
buln ſind 107. an der Zahl/ welcher Uber-
ſchrifften Plantavicius ſamt einigen Pro-
ben derſelben auffgezeichnet. Melchior
Hânel ein Jeſuit hat daſſelbe nebſt der La-
teiniſchen Uberſetzung zu Prag Ao. 1661.
a a 2in
[372]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
in 8 vo. heraußgegeben. Man hat auch
ein altes Teutſches Buch von den lo-
ſen Fuͤchſen dieſer Welt/ welches zu
Dreßden Anno 1585. gedruckt/ worinnem
die Laſter aller Stānde unter Fabeln/
Bildern und Geſichtern von Fuͤchſen vor-
geſtellet woꝛdẽ: ſolches iſt aͤlter als der Rei-
nicke Fuchs/ wozu dieſes Autoris Buch
vielleichtanlaß kan gegeben haben. Dann
wie im Titul deſſelben ſtehet/ und der Edi-
tor in der Vorrede gedencket/ iſt es in
Brabandiſcher Sprache Anno 1495. auß-
gegangen. Worauß dann zu ſehen/ daß
es dem Herrn D. Luthero nicht kan zu ge-
ſchrieben werden/ wie einige wollen. Se-
baſtian Brand hat eine Lateiniſche Ele-
giam davor gemacht/ worauß man ſchier
ſchlieſſen ſolt/ als wann er deſſen Autor
were: Denn er ſpricht
Hæc ſibi quid pictura velit, velinane poëmaQui legis hæc, aures arrige quæſo piasPlus tibi nam pictura feret, quam Carmina noſtraRauca, improviſus me lupus ecce videt.
Man konte es auch ſchier darauß abmer-
cken/
[373]Poeterey andern Zeit.
cken/ weil in der gantzen Elegia deß Au-
toris mit keinem eintzigen Worte gedacht
wird. Diß laſſen wir aber dahin ge-
ſtellet ſein. Es hat der Editor, viele alte
Woͤrter veraͤndert/ und andere hinein-
geſchoben/ wie faſt mit allen ſolchen
Schrifften verfahren iſt. Welches an
ihm nicht zu loben. In Hochteutſcher
Sprache iſt ein Getichte von einem ſinn-
reichen Mann Rollenhagen/ einem Re-
ctore der Schulen zu Magdeburg unter
dem Nahmen des Froſchmaͤuſelers
geſchrieben: worin er handelt von der
Froſchen und Maͤuſe wunderlichen Hoff-
haltung. Alle Weltliche Haͤndel ſein hier-
unter vorgeſtellet/ und ſtecket es voll
Klugheit und allerhand Lehren/ davon
nicht noͤthig mehr zu erwehnen/ weil es
jederman ſamt ſeinen andern Buch von
den warhafftigen Luͤgen und [wunderli-
chen] Reiſen bekant iſt. Faſt dergleichen
Buch iſt in Proſa geſchrieben unter dem
titul des Eſelkoͤnigs/ deß inhalts; wie
nemblich der Leue des Regiments unter
a a 3den
[374]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
den Thieren entſetzet/ und die Krone auff
einen Eſel gerathen/ welcher geſtallt der-
ſelbe regiret/ und wieder um das Koͤnig-
reich kommen. Der Autor nennet ſich
Adolph Roſen von Creutzheun/ welches
ohnzweiffel ein ertichteter Nahme iſt. Er
meldet in der Vorrede/ wie er durch das
Getichte von Reinicken Fuchs/ und ein
Buͤchlein der Gānſe Koͤnig genant/ faſt
gleichen einhalts/ ſo Anno 1607. gedruckt
hiezu angereitzet. Deſſen Autor in der Voꝛ-
rede des Gānſe-Koͤnigs eines Poetiſchen
Wercks vom Eſelkoͤnig andeutung ge-
than/ und die anßfuͤhrliche entwerffung
des Wercks Anno 1608. hinterlaſſen/
worauß er dann dieſe Beſchreibung oh-
ne Abbruch oder Zuſatz verfertiget. Es
iſt ſehr artig luſtig und nuͤtzlich zu leſen/
und verdienet unter andern Teutſchen
Erfindungen kein geringes Lob. Um
dieſe Zeit lebte Hans Sachſe der erſtlich
ein Schuſter ſeines Handwercks und
hernach ein Buͤrger und Schulmeiſter
zu Nuͤrnberg geweſen. Er hat von
Anno
[375]Poeterey andern Zeit.
Anno 1514. biß 1567. in die ſechstauſend
acht und viertzig Stuͤcke geſchrieben/ wie
er ſelbſt die Rechnung machet/ in dem
letzten Theil ſeiner Gedichte. Die ſein
unterſchiedliche mahl heraußgegeben/ in
etzlichen Theilen in quarto und in folio,
nnd muß man ſich verwundern/ daß ein
Handwercksmann der Lateiniſchen und
Griechiſchen Sprach unkuͤndig/ ſo man-
cherley Sachen hat ſchreiben koͤnnen/ die
nicht ohne Geiſt ſein/ von welchem Hoff-
mann urtheilet/ daß wann er beſſere
Wiſſenſchafft von gelehrten Sachen/
und genauere Anweiſung gehabt haͤtte/
es vielen die nach ſeiner Zeit geſchrieben/
und manche ungereimte Dinge uns ſehen
und hoͤren laſſen/ weit vorgethan haben
wuͤrde. Er ſelbſt geſtehet ſolches in den
Schluß ſeines Wercks wann er ſpricht.
GOtt ſey Lob/ der nur ſant herabSo mildiglich die GOttes gabAls einem ungelehrten Mann/Der weder Latein noch Griechiſch kan/Daß mein Gedicht gruͤn/ bluͤh und wachsUnd viel Frucht bring/ das wuͤnſcht Hans Sachs.
a a 4Schop-
[376]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Shopperus machet in ſeiner Teutſchlands
Beſchreibung ſo viel Wercks von ihm
daß er ihn den Teutſchen Virgilium nen-
net/ welchen titul er zu ſeiner Zeit nicht
unbillig fuͤhren konte: dann es ging ſeine
Poeterey auch ultra crepidam, und unter
den Blinden kan auch ein Einaͤugiger
Koͤnig ſein/ im Finſtern anch ein faules
Holtz glaͤntzen. Er iſt einer von den
Meiſter ſaͤngern geweſen/ wie er ſelbſt in
ſeinem Lebenslanff ſchreibet/ worinnen
ich das Wort Bar in dem Verſtande ge-
braucht finde/ daß es der Meiſter ſānger
Lieder bedeutet/ worauß dann zu ſchlieſ-
ſen/ daß diß Wort muß von alten Zeiten
davor gebraucht ſein/ und daß bey dem
Tacito verhandene Wort Barritus da-
von den Uhrſprung haben: Dann ſo
ſpricht er:
Ich hatt von Lienhard NunnenbeckenErſtlich der Kunſt einen Anfang/Wo ich im Land hoͤrt MeiſtergſangDa lernet ich in ſchneller EilDer BAR unnd Thoͤn ein groſſen TheilUnd als ich meines Alters war
Faſt
[377]Poeterey andern Zeit.Faſt eben im zwantzigſten JahrThat ich mich erſtlich unterſtahnMit GOttes Huͤlff zu dichten anMein erſt BAR im langen MarnerGloria Patri Lob und Ehr.
Was er durch das Bar im langen Mar-
ner verſtehe/ kan ich nicht ſagen. So
viel kan man darauß ſchlieſſen/ daß es ei-
ne gewiſſe art von Toͤne geweſen/ die
etwa einer Marner genant vor dieſen
erfunden. Dieſes Marners haben wir
droben gedacht/ und gedencket auch ſei-
ner Harſtoͤrffer in des erſten Theils
der Geſprāchſpiel Anhang p. 45. wo-
ſelbſt er die Nahmen der Sānger erzeh-
let/ die die Lieder geſungen und abgeleſen
die zu Friderici Barbaroſſæ und der fol-
genden Keyſer Zeiten von Fuͤrſten und
Herren gemacht. Er ſpricht: Es ha-„
ben damahls auch hohe Standsperſo-„
nen ihre Gedichte zwar ſelbſt zu Papier
gebracht/ im Beyweſen des Frauen-„
zimmers aber andere ſingen oder auch„
leſen laſſen/ die Urtheil von allem An-„
ſehen ihrer Wuͤrde zu befreyen. Sol-„
a a 5che
[378]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
che Singer und zugleich auch Dichter„
ſein geweſen Wilde/ Bieterolff/„
Boppo/ Saffer/ Ehinheim/ Fol-„
cuin ein Abt/ Gaſt Herdegger/ Ga-„
mart/ Ticlinger/ Kero/ MAR-„
NER/ Nithart/ Notker/ Ott-„
fried/ Rabken/ Sigeher/ Scher-„
vogel/ Stricker/ Tanhuͤſer/ Wa-„
lefried/ Werner/ Willeram/ der„
Tugendſame Schreiber/ und viel„
andre unbenante. Er gebraucht fer-
ner diß Wort Bar/ da er von ſeinen
Buͤchern redet:
Darin viel ſchrifflicher BAR warn.
Und da er ſeine Geſānge ruͤhmet/ wie ſie
von der Sittenlehre handeln/ und allen
angenehm geweſen/
In einer ſumma dieſer BAR
Der Meiſtergeſang aller war.
Iſt alſo auß dem ſo offt wiederholten
Gebrauch dieſes Wortes faſt zu ſchlieſ-
ſen/ daß daſſelbige vor alteꝛs ſchon von ſol-
chen Liedern gebraͤuchlich geweſen/ und
ſey davon derſelbe Ton bey dem Tacito
Bar-
[379]Poeterey andern Zeit.
Barritus genennet worden. Daß ſie ſon-
derliche art von Toͤnen gehabt/ ſo wol
alte/ als neue die die Nachfolger erfun-
den/ iſt aus dieſen Worten des Sachſen
an angeregtem Orthe zu ſehen/ da er
ſpricht:
Nach Hans Sachſen weiß ich niemand
zu nennen/ der einige des Andenckens
wuͤrdige Verſe geſchrieben: es were dann/
daß man der Kurtzweil und Ergetzung
halber ihr Gedāchtniß beybehielte/ wie
die Epithaphia ſein/ welche Taubmannus in
præfatione Culicis Virgiliani anfuͤhret.
Die Meiſterſaͤnger haben dennoch ihre
Singe- und Reime-Werck jederzeit ge-
trieben/ und haben einige ſolche Fertig-
keit darin gehabt/ daß ſie auff jeden vor-
gegebenen Satz auß dem Stegereiff oder
wie
[380]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
wie Horatius ſagt ſtantes pede in uno etz-
liche Dutzent Reime daher ſchneiden koͤn-
nen. Dann ihre Erfindungen beruhe-
ten bloß auff den Reimen/ und nach dem
ein Reim dem andern den Weg gebah-
net/ ſo muſten die Wort mit dem Ver-
ſtande nachfolgen. Eine lācherliche Hi-
ſtoria iſt mir erzehlet/ daß da eineꝛ aus die-
ſer Zunfft von dreyen unbekandten Bu-
ben uͤberfallen/ und in den Koth geſtoſ-
ſen/ er auß dem Koth ſich erhebend alſo
fort ſeine Reimen daher gemacht: deren
Anfang dieſer geweſen:
O GOtt du gerechter Richter/Der du kennſt die Menſchlichen Geſichter/Ich bitte dich/ thue mir diß zu Lieb/Und entdecke dieſe drey Dieb ꝛc.
Aber wir laſſen diß Gauckelweꝛck fahrẽ/ uñ
muͤſſen ehe wir ferner ſchreiten/ noch eines
artlichen Carminis gedencken/ daß ein be-
ruͤhmter Mañ Johannes Doman, der Hanſe
Stādte Syndicus, der ſein Vaterland Weſt-
phalen/ wider des Lipſii Schimpff-Briefe
in einem abſonderlichen Buͤchlein verthā-
diget/ und dannenhero bey gelahrten Leu-
ten
[381]Poeterey andern Zeit.
ten wol bekant/ von der alten Teutſchen
Hanſe gemacht. Ich weiß mich nicht zu
erinnern/ daß ich daſſelbe bey jemand
angefuͤhrt geſehen/ will es deßhalben als
etwas ungemeines/ daß mir von einem
guten Freunde als eine raritaͤt geſchen-
cket/ und voll von klugen reden iſt/
(wiewoll er etwas zu frey geſchrieben)
zum Beſchluß dieſes Capittels hieherſetzẽ/
Es iſt Anno 1618. eben da die Morgenroͤth
der Teutſchen Poeterey unter Hr. Opi-
tzen hervor brach heraußgegeben/ unter
dem Titul eines Liedes/ im Thon des
Rolands/ oder wie es einen jeden beſſer
gefāllt zu ſingen/ und lautet a[lſ]o:
Obs ſo wolt baß gelingen/ dañ ſo mans ſagt und ſpricht/
Was ſchads einmahl geſungen/ wann ſagen nicht viel gilt/
Es iſt wol eh gelungen/ was man im ſchertz geſpielt.
Das ſie/ wer Warheit geiget/ die Geigen ſchlegt an Kopff/
Noch dennoch ſoll man wiſſen/ was Warheit und gut iſt/
Drumb ſeyd hieher gefliſſen/ und merckt was euch gebriſt.
Dann
[382]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Dann euch iſt es alleine/ zun Ehren zubereit/
Drumb thut es nicht verachten/ halt an der Warheit feſt/
Darnach thu ich auch trachten/ ſuch nichts dann euer beſt.
Jetzt ſagt man ſeyt ihr Gaͤnſe/ von ſchlechter That und Rath/
Ein Ganß fleugt uͤber Meere/ nach jrem Kopff und Sinn/
Endert ſich doch nicht ſehre// iſt Gagag her und hin.
Daß ihr euch ſolt den Gaͤnſen verglichen haben gar/
[Vnd] wann jr kompt zuſammen/ und ſcheint es ſey was werth/
So habs doch nur den Namen/ bleibt ſonſten heur wie ferth.
Doͤrfft nit des Nahmens Gaͤnſe/ habt noch wol was jhr ſolt/
Weißheit/ Verſtand und Sinne/ Reichthum/ Vermoͤgenheit/
Vnd daß euch nichts entrinne/ die ſchoͤn Gelegenheit.
So ihrs zu mercken eylet/ habt jhrs ſchon in der Hand/
Ein Gluͤck euch ſelbſt zuſchmieden/ daß ohne Fluͤgel ſey/
Dabey ihr koͤnt im Frieden/ vorm Garauß bleiben frey.
Daß es thu Gott gefallen/ daß niemand ſey allein/
Ja das er euch gezeiget/ durch die Gelegenheit/
Wie daß er ſey geneiget/ zu euer Einigkeit.
Das jhr die Zweyuug mitten/ mit gleichem Sinn und Muth/
Vnd hieltet euch bey ſammen/ und ſtuͤndet all vor ein/
Hilff Gott was Nutz nnd Nahmen ſolt bald erworben ſein.
Nu
[383]Poeterey andern Zeit.
Doch ſtehts als auff der Kugel/ drum traut zu aller friſt/
Ob Gott einſt wolt beſcheren/ die liebe Einigkeit/
Vnd euch dadurch gewehren/ der alten Herrlichkeit.
Darumb ſeyd nnverdroſſeu/ rufft an den Nahmen ſein/
Auff das ihr einſt geneſen von der Zweyhelligkeit/
Vnd kriegt ein friedſam Weſen/ in Lieb und Einigkeit.
Wann die Karr ſteckt im Pfuͤtzen/ die Hand muß ſeyn dabey/
Arbeit die hat den Segen/ macht was hart helt doch loß.
Drumb ſolt jr Arbeit pflegen/ legn nit die Haͤnd in Schoß.
Da ſich bey bunten Sachen/ ſo Welt verſchrauffte Leut/
An allen oͤrten finden/ die vorne lecken ſuͤß/
Vnd kratzen doch von hinden/ nach dem alt Katzen kuß.
Wans nur hat wol geklungen/ ſo iſt das Mundwerck ſchon/
Vnd wann mans hoͤren muͤſſen/ ein Stund zwo oder drey/
So kan man doch nicht wiſſen/ obs Fuchs oder Haſe ſey.
Doch wil ich euch erzehlen/ der Alten gute Lehr/
Wie man ſich ſolle ſchicken/ recht und geſcheidentlich/
Damit ſolch falſche Tuͤcken/ gehn moͤgen hinderſich.
Die auffrecht einher traben/ uͤnd mein ens hertzlich gut/
Vnd
[384]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Vnd gehn mit threm Wandel/ andern zur folg voran/
Daß ſie ſich auch zum handel/ gleich ſchicken auff die bahn.
Vnd was man jhn verweiſet/ gleich ihn verbleiben lahn/
Falſch muß doch endlich ſchwinden/ wie man zuſagen pfiegt/
Wer recht thut ſols auch finden/ Untreu ſein Herrn ſchlågt.
Die doch gantz gerne hetten/ vielmehr bey ſich ohn Liſt/
Die ſollen ferner wiſſen/ was hiezu dienlich ſey/
Vnd ſeyn darauff befliſſen/ wie ſies auch bringen bey.
Allein man ſoll betrachten/ ob Treu auch ſey dabey/
Iſt er auffrecht und treue/ er thut auch ſeinen Strauß/
Das hat wol eh der Leue/ erfahren an der Mauß.
Solchs zeigen alle Dinge/ klein Gloͤcklein klingen auch/
Vom Donner und Platzregen waͤchſt nicht alleine Graß/
Dann auch durch GOttes Segen/ klein Reglin machen naß.
So man wolt gleiche Buͤrde auff laden jederman/
Muß man Geleichheit halten/ ſehn das Vermoͤgen an/
Sonſt muß ſich doch abſpalten/ wer nicht mehr tragen kan.
Niemand ſey euch zu kleine/ beſchwert niemand zu hart/
So wird auch Lieb und Treue/ hergegen finden ſich/
Vnd ohne Leid und Reue/ bleiben beſtaͤndiglich.
Wann
[385]Poeterey andern Zeit.
Wie man dann ſindet ſelten/ ein Holtz gerad ohn Aſt/
Vnd ſelten Companeyen/ darin nicht Meiſter ſeyn/
So lernt euch ferner freyen/ von ſolchen Hemmerlein.
Jetzt iſt es nur ein Klobe/ damit man Leut bethoͤrt/
Wer trauet dem Geſange/ das alls ſoll Amen ſeyn/
Der iſt gar bald geſangen/ weils Hertz ſpricht lauter Nein.
Damit man moͤge reichen/ durch die viel Zwibeln Haͤut/
Zur lincken Zitzengrunde/ ſo kan man pruͤfen gantz/
Ob zwiſchen Hertz und Munde/ auch ſey ein Concordautz/
Darob ihr koͤnt erkennen/ welch Leut ſein dicht und feſt/
Drumb laſſet euch nicht aͤffen/ die Wort ſein heur wolfeil/
Wanns aber kompt zum treffen/ ſo find ſichs erſt weit fehl.
Vnd immer dilatiren, biß beſſer Zeit anbricht/
Erbieten ſich doch milde/ ſie wollens Morgen thun/
Fuͤhren nichts guts im Schilde/ wers thun wil/ thu es nun.
Wer ſich dann davon trennet/ muß leiden andern Rath/
Daß man die Thuͤr ihm weiſe/ und ſchließ ihn gentzlich auß/
Dann all zu ſanfft und leiſe/ endlich auffhoͤren muß.
Wann nicht thut fallen eben/ was man woll haben wil/
b bSo
[386]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
So muß man was gefallen/ gedultig nehmen an/
T [...]oi cinq́; vor quater allen/ oder ſes duis anſchlan.
Man muß der zeit doch weichen/ biß auff ein ander friſt/
Wie man kan muß mans treiben/ halten alls vor Gewum/
Drumb was nicht treu wil bleiben/ laß immer fahreu hin.
Wann einer von ench rennet/ habt dannoch gute Sach/
Seyd auff ihr nicht gebauet/ auff einig zahl und Schar.
Darumb mir auch nicht grauet/ ob ihr ſchon lieff ein par.
So mercket auff den Orden/ er ſey klein oder groß/
Vnd haltet ihn in Ehren/ ihr wißt es warlich nicht/
Was ihr koͤndt ſein fuͤr Herren/ ſtuͤnd ihr euch nicht im Licht.
Das koͤnt ihr dann genieſſen/ daß ihr mehr haben kuͤndt/
An GOtt iſt es gelegen/ ſolt ihr recht werden froh/
Dann ohne ſeinen Segen/ all Haͤnde dreſchen Stroh.
Bleib mit einander emig/ wie jener lehrt ſein Kind/
Da er viel Beſemreiſer/ verfaſſet in ein Bund/
Das doch kein ſtarck noch weiſer mit macht zerbrechen kund.
Da wars nicht mehr geſeihlet/ man brach ſie alle gar/
Alſo vermehrt und ſtercket/ all Ding die Einigkeit/
Wie man nichts guts vermercket/ auß der Zweyhelligkeit.
Wann
[387]Poeterey andern Zeit.
So muͤſt ihr ſein verblendet/ ſolt ihr nicht mercken ſehr/
Wie daß die nechſten Jahren/ da mans vermuthet nicht/
Durch ſo gar wenig Scharen/ groß Dinge ſind verricht.
So ſeyd ihr leicht ſo maͤchtig/ auch bey den treuen Reſt/
Daß ihr wol koͤnt abtreiben/ die ohne fug und recht/
An euch ſich wollen reiben/ doͤrfft nicht ſein andrer Knecht/
Die euch ohn ſug nachjagen/ denn wem ihr ſeyd verpflicht
Zu Zollen/ Schoß und Ehren/ und was des dings mehr iſt/
Dem thut es auch gewehren/ treulich ohn Gfahr und liſt.
Daß man in GOttes Nahmen/ treu bleib der Oberkeit/
Geb andern auch die Ehre/ behalt ſein Freyheit doch/
Sich nehre/ ſchuͤtz und wehre/ zieh nicht an frembden Joch.
Allein muß ich beklagen/ den gar geringen Fleiß/
Den Leute thun ankehren/ damit ſie wuͤſten recht/
Was ſie vermoͤgens weren/ das iſt doch gar zu ſchlecht/
Dahm mau ſolche fellen/ zuſetzen pfleget fort/
Vnd wil das numehr treiben/ das Lieb und Einigkeit/
Nicht koͤnnen wol bekleiben/ wor Geitz im wege leidt.
Daſelbſt bleibt weit dahinden/ was gmeinen Nutz fovirt/
b b 2Das
[388]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Das leugnet niemand ſehre/ darff auch gar keiner Lehr/
Wie man ihm aber wehre/ das iſt zumahlen ſchwer.
Anmuhtig iſt und ſchone/ geweſen allezeit/
Iſt auch der Menſchen Hertzen/ gleichſamb naturet ein/
Daß ſie mit Muͤh und Schmertzen/ darauff befliſſen ſeyn/
Sonſt muß man warlich feyren/ bey gſunden Zaͤhnen auch/
Wers aber recht bedencket/ dem gibt hiebey ein ſtutz
Wanns gmeine beſte krencket/ der heilloß Eigennutz.
Was man mit GOit und Ehren/ nicht hat gebracht herbey/
Vnd daß bey Arm und Reichen/ Privat geſuch und Geld/
Dem gmeinen Nutz muß weichen/ wanns ſoll ſein recht beſtellt
Was man alſo unbaͤndig/ an ſich erzwackt allein/
Wann man dem gantzen Leibe/ ſein Speiß und Narung leßt
So ſicht man daß auch bleibe/ ein jedes Gliedmaß feſt.
So ſicht man das herwieder/ dem Neidhard ſelbſt entbricht/
Leufft doch wiedr durch die Finger/ der Finger faule ſach/
Davon ſing ich was ringer/ ihr denckt ihm doch wol nach.
So wuͤrd man hie auff Erden/ nicht ſein ſo hoch veracht/
Vnd wuͤrd doch nicht alleine/ ins gmeine beſſer ſtahn/
Sondern beyd groß und kleine/ jeder ſein Fuͤlle han.
W-
[389]Poeterey andern Zeit.
Darnach man ſolle ſtreben/ muß man hie wiſſen bey/
Vnd iſt doch aus dermaſſen/ eim Menſchen viel zu ſchwer/
Daß ers ſolt koͤnnen faſſen in gwiſſe kurtze Lehr.
Damit man moͤge machen/ darauff gewiſſen Schluß/
All Ding hat ſein Vmſtaͤnde/ die man erwegen ſoll/
So kan man dann behende/ zum Ziel gelangen wol.
Was in geſamten Nahmen/ will zu verrichten ſeyn/
Die alten Deutſchen Helde/ dens gbrach an gmeinem Rath/
Erſchlagen ſind im Felde/ wie mans auffſchrieben hat.
Der kans auch gluͤcklich wagen/ Sorg felt nicht leichtlich um/
Was aber iſt gewaget/ auffs gluͤck und wolgeraht/
Schaden zum Spott eintraget/ nach reu folgt ſolcher that.
Drumb muß man darnach ſtreben/ mit ſonderlichem fleiß/
Daß man mag leute haben/ die fromm ſeyn und gelehrt/
Vnd redlich einher traben/ und darob ſeyn bewehrt.
Daß er niemand boſiret/ bekent die Warheit frey/
Vnd weiß was nah und ferne/ nuͤtzen und gehen kan/
Vnd thut es dann auch gerne/ das iſt der rechte Mann.
Sols uns nicht gar betruͤben/ weil man noch Menſchenkind/
b b 3Auch
[390]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Auch ſindet unter Leyen/ die nicht ſind ſo gelahrt/
Doch auch ſo krum nicht dreyen/ wie nunmehr iſt die art.
Vnd ſich wil laſſen lehren/ wuͤnſcht das es recht zugeh/
Thut auch kein Fleiß nit ſpahrẽ/ denckt ihm ſelbſt treulich nach/
Solch ſtuͤck hab ich erfahren/ verrichten alle Sach.
Vnd ſich mit nichte ſchemen/ ſo man nicht inder eyl/
Kan alle Sachen ſchlichten/ Morgen kompt auch ein Tag/
Da man kan weiter richten/ was Heut nicht langen mag.
Vnd pflegt dem langſam glingen/ daß er Feyrabend hat/
Wann nach dem fall die Straſſe/ die Eil noch hinckend tritt/
Drumb ſoll man halten maſſe lauffen und fallen nicht.
Gleich man auß Eyern gbraten/ wolt Huͤnlein bruͤten auß/
Wie die Procraſtinirer, nunmehr im Brauche han/
Welch nur ſind Worte ſchmierer/ greiffen das Werck nit an.
Vnd wem zu fruͤh ſtets duͤncket/ der kompt gewiß zu ſpat/
Hab acht/ heiſts/ auff die ſchantze/ eh man vor dich zugreifft/
Vnd wiltu mit zum Tantze/ ſo zieh auff weil man pfleifft/
Darumb man auch ſol laſſen/ an Fleiß ermangeln nicht/
Das tapffer werd erwogen/ was man vorhanden hat/
Sonſt ſind man ſich betrogen/ wann iſt verricht die That.
Wie
[391]Poeterey andern Zeit.
So kan man uͤberguͤten/ gleichfals ein ding hiebey/
Drumb muß man rechnung machen/ verruͤcken nicht das ziel/
Das man nicht thu den Sachen/ zu luͤtzel noch zu viel.
Vnd leicht den Fried zerſtoͤret/ leſt von der Geißwoll nicht/
Vnd fuͤhrt in ſeiner Kreiden/ kurtz Wuͤrſt und lang Serinon/
Der ſteht nicht wol zu leiden/ daß iſt gewiß nicht ohn.
Thut man offt gar verlieren/ die Warheit in der eil/
Vnd iſt ohn daß nicht artig/ wie ihr vorhin wol wißt/
Dann allzu ſcharff macht ſchartig/ ſchlecht bald geſchliffen iſt.
Vnd fuͤhrt nicht groß beweiſe/ uͤber eim ſchlechten Siuͤck/
Thut nicht im Katzbalg liegen/ ſchleifft nicht viel glatte wort/
Vnd was nicht ſchad geſchwiegen/ ſpart an ein andern Ort.
Wer heimlich frißt die Feigen/ und legts doch von ſich weit/
Dem muß man [ſouſt] abtreiben/ damit es komm herfuͤr/
Vnd da nicht moͤge bleiben/ die Schuld fuͤrs Nachbars Thuͤr.
Wo nicht zun Jubeljahren/ doch gwiß ans hohe Feſt/
Vnd ſchlāgt derweil den Ballen/ wann man recht ſtim̃en ſol/
Damit man moͤg gefallen/ ſein lieben Nachbar wol.
Vnd bleibt leyder beſtehen/ am alten boͤſen Ort/
bb 4Dañ
[392]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Dañ was man nicht darff ſagen/ das thut man nimmermehr/
Derhalb man auch erjagen/ kan nimmer Ruhm nnd Ehr.
Dann ſolches gar nicht bauet/ ſondern viel mehr zerbricht/
All Regiment auff Erden/ den hohen theuren Schatz/
Vnd ſolls einſt beſſer werden/ muß han die Warheit platz.
Weil man dich brauchet wenig/ drum wirſtu nicht verzehrt/
Doch hab ich dich erkohren/ vor Silber und roth Goldt/
Dir hab ich einſt geſchworen/ dir bleib ich ewig hold.
Machs wie es ihm gelegen/ waͤchſt mir kein Bart davon/
Es hilfft doch nicht ſaur ſehen/ die Milch ſaurt davon nicht/
Muß endlich doch recht gehen/ wanns ſoll ſein außgericht.
Vnd thut der Warheit weichen/ wanns euch auch widerſteht/
Ein Schiff thut alſo lauffen/ ein Gurren nennt ein Gaul/
Das ihut ſo uͤbern hauffen/ und nehmt kein Blat vors Maul.
Doch uͤbertrifft ihr Eſſig/ der Dreyer tummes Schmaltz/
Viel beſſer Freunde Wunden/ wie hart ſie kommen an/
Dann aller falſcher Hunden/ ſuͤß Wort und Paſelman.
Wie nach der Lehr der Alten/ man thun ſoll vor der That/
So iſt auch hoch von noͤhten/ das man koͤnn ſchweigen wol/
Vnd doͤrff nicht erſchamroͤthen/ wann mans verlegen ſoll.
Viel
[393]Poeterey andren Zeit.
Thun ſich darob ergetzen/ gleich iſt des Storchen Sitt/
Der bald die Fluͤgel ſchwinget/ wenn ihm der Schnabel geht/
Meynt daß er lieblich ſinget/ weil er ſo hohe ſteht.
So gibt ſich ihr zu eigen/ niemand der ſie ſtudirt/
Noch iſt wol ſchweigen koͤnnen/ ein treflich edel Kunſt/
Dargegen nichts zu nennen/ das brecht ſo groſſe Gunſt/
Der Menſch hat/ daß er hoͤren/ ſol mehr zu aller ſtund/
Als reden und auch ſchweigen/ iſt ein natuͤrlich Bild/
Darob ſoll niemand ſetzen/ ſonſt iſt er gar zu wild.
Sonſt mag er nicht gelingen/ wer er auch noch ſo fein/
Wann man leſt andre wiſſen/ was unſer Anſchlaͤg ſein/
So ſind uns bald geriſſen/ der Boſſen zwey vor ein/
Doch thut man hievon hoͤren/ noch hin und wider Klag/
Das bald der Nachbar frage/ was fuͤr geweſen iſt/
Vnd daß mans ihm auch ſage/ ob ers zubeſſern wißt.
Leſt ſich noch nicht dran gnuͤgen/ ſchickt uͤber See und Sand/
Vnd wann man dann zu ſchaffen/ wil einmahl heben an/
So weiß davon zu klaffen/ niemand dann jedermann/
So ſolt man Schweigersbilde/ zum Rathhauß hengen auß/
b b 5Dar-
[394]Das VII. Cap. Von der Teutſchen
Darmit des Fingers ſchloſſe/ ſein Maul verriegelt feſt/
Vnd ſeines Bauches groͤſſe/ noch nicht zertrennen leſt.
Vnd daß von vielem ſchweigen/ der Bauch nicht reiß entzwey/
Darumb ſtets ſolt gedencken/ der Schwetzer an das Bild/
Sonſt ſeh man beſſer hencken/ den Schwetzer ſelbſt zum ſchild.
Vnd komme ſchier zum Ende/ ſo ſchließ ich nu dahin/
Daß mans auch muͤſſe wagen/ wann mans erwogen hat/
Vnd ohne ſchreck und zagen/ greiffen zum Werck und That.
Vnd weils ſteht auff der Kugel/ wancken ſein Fuͤſſe ſehr/
Darumb es in der mitten/ wil angegriffen ſein/
Gemeiſtert und geritten/ und nicht gefoͤrchtet ſein.
Damit pflegts mans zu anden/ helts ander in der Scheid/
So muß man eim begegnen/ allzeit in breitſchafft ſtehn/
Meynt jener er koͤnn regnen/ kan der auff Steltzen gehn.
Zwar auß keim Finger gſogen/ und ſags euch noch zu hauß/
Daß jhr ſeyd leicht ſo maͤchtig/ zu treiben euer Sach/
Wañ jhr nun bleibt eintråchtig/ dem denckt doch weiter nach.
Daß jemand moͤcht verdrieſſen/ was ich geſungen frey/
Moͤchts moͤglich beſſer wollen/ und laͤngſthin han gewißt/
Darumb ich nur hett ſollen/ ſchweigen zu dieſer friſt.
Dem
[395]Poeterey andern Zeit.
Daß ers im Kopff umbtragen/ hab mannich zeit und Jahr/
Hab auch davon parliret, mit beyden Backen voll/
Hett er nur mit ſtudiret/ daß mans auch thuen ſoll.
Nuͤtzt auch nicht viel gebiſſen mit Worten/ wie mans treibt/
Die Tugend ſteht im Wercke/ die That muß ſeyn damit/
Da wird erkand ihr ſtercke/ Wort ſchlan die Leute nicht.
Das mans ins Werck eins ſetze/ wenn man weiß alſo fein:
Am Werck iſt alls gelegen/ Werck bringt viel Nutz und Ehr/
Damit euch GOtt geſegen. Dißmahl ſing ich nicht mehr.
Das VIII. Cap.
Von der Nordiſchen
Poetererey.
Einhalt.
DJe Nordiſche Poeterey iſt alt. Iſt aber
ungewiß ob ſie an Alterthum der Teutſchen
vorzuziehen. Die Schweden koͤnnen ſo gar
alte Lieder nicht beybringen. Der Hr. Schefferus
meldet von dieſen nichts in ſeiner Sveciâ literata.
Es iſt alles davon ungewiß. Die art die Hiſtorien
in
[396]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
in Lieder zu faſſen iſt bey den Teutſchen noch vor
kurtzer Zeit gebraͤuchlich geweſen. Die Heldenlie-
der bey den Schweden auff Gaͤſtereyen geſungen.
Die alten Daͤniſchen Heldengeſaͤnge. Das aͤlteſte
Daͤniſche Lied bey dem Olao Wormio. Schran-
nen der Teutſchen Schulen. Die Chineſiſche
Poeterey. Zweyerley Eddæ der Ißlaͤnder. Noch
eine andere in Schweden. Scalda. Die Proſodia
der Nordſchen Sprache. Scaldri die Poeten/ ſein
in groſſen Ehren geweſen. Die vielerley Metra
Verelii Meinung von der Poeterey der Scaldrorum.
Sie iſt ohne Reimen. Skalviingl. Unterſchied-
liche Schwediſche Reim-Chronicken und andere
Carmina. Daͤniſche Poeterey. Der Finnen al-
te und neue art zu Poetiſiren. Exempel eines
Baͤrenlieds/ ſo ſie bey der Baͤren-Jagt gebraucht.
Die Lappen haben auch dergleichen Lieder. Der-
ſelben Liebeslieder. Eines von denen wird in Teut-
ſcher Sprache angefuͤhret. Iſt ſonderlich ſinnreich
geſchrieben. Die Poeterey der Peruvianer. De-
ren wird ein Exempel angefuͤhret.
EHe wir zu der Dritten Zeit der
Teutſchen Poeterey kommen/ und
von der andern abgehen/ muͤſſen
wir noch von der Nordſchen Poeterey
reden/ die an Alterthum der Teutſchen
nicht
[397]Poeterey.
nicht nachgibt/ und wie etliche wollen
viel aͤlter iſt. Welches ich an ſeinen Ort
geſtellet ſein laſſe. Denn es ſein die Be-
weißthuͤmer die deßhalben gefuͤhret wer-
den nicht ſo richtig/ daß man hierauff
ſo feſte Schluͤſſe machen koͤnne. Noch
zur Zeit habe ich nichts geſehen/ daß zum
beſtaͤndigen Grunde angenommen wer-
den koͤnne. Ob zwar Olaus Wormius
in ſeiner Literaturâ Runicâ, und Olaus
Rudbeck in ſeiner Atlantic. dieſes Alter-
thum warſcheinlich zu machen ſuchen.
Wormius behauptet daß ſie vor Chriſti
Gebuhrt ſchon in vollem Schwange ge-
weſen/ und fuͤhret zum Beweißthum an/
daß kurtz nach Chriſti Gebuhrt der Hi-
arnus dadurch das Koͤnigreich an ſich ge-
bracht. Die Teutſchen haben des Taciti
klares Zeugniß/ der zu ſeiner Zeit ihre
Lieder Carmina antiqua nennt/ muͤſſen
ſie alſo lange vor Chriſti Gebuhrt gewe-
ſen ſein/ da dañ niemand wird Schieds-
mann ſein koͤnnen/ welchen der Vorzug
zu geben. Bevorab da dieſer Gebrauch
die
[398]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
die Helden mit Liedern zu ehren bey allen
Voͤlckern/ ja auch bey den wilden Ame-
ricanern ſelbſt gebraͤuchlich/ wie ſolches
Jnannes Lerius von den Menſchenfreſſen
bezeugt/ und ihren Geſang vorſtellet
part. 3. p. 221. Der Herr Rudbeck will
zwar des Taciti Zeugniß auff die Schwe-
den ziehen. Aber daß dieſes ohne Grund
geſaget werde/ haben wir im VI. Cap.
klaͤrlich dargethan. Er gibt zwar vor
daß er bundert derer Carminum vorzei-
gen wolle/ deren Tacitus gedenckt/ da
die Teutſchen ſolches nicht thun koͤnten.
Wie weit dieſer Schluß zureiche/ iſt dro-
ben angefuͤhret/ wann gleich ia das ei-
gentliche Alter der Schwediſchen Car-
minum ſolte dargethan werden koͤnnen/
woran ich noch einen groſſen Zweiffel ha-
be. Der Herr Scheffer/ der die Alter-
thūme der Schweden ſorgfaͤltig gnug
durchgeſuchet/ und alles was ihm muͤg-
lich geweſen herbeygebracht/ hat in ſei-
ner Svecia literata, da er de Scriptoribus
Svecis handelt/ und inſonderheit ſo merck-
wuͤr-
[399]Poeterey.
wuͤrdige dinge hātte beybringen ſollen/
nur von Anno Chriſti MCL. den An-
fang gemacht. Er gedencket einiger
Scaldrorum oder Poëten, als des Halbi-
orn Hale und Torſtein die Anno 1168.
des Sumerlide, und Torgelr Danaſkald,
die Anno 1192. des Grane Hialbianarſon,
und Jonas Sverkers die Anno 1202. des
Olai Tordeſon, der Anno 1223. gelebt/
aus dem Regiſter der Schwediſchen Scal-
drorum, ſo bey dem Wormio zu finden.
Aber dieſe Carmina ſein alle verlohren/
da doch bey den Teutſchen noch einige die
vor der Zeit geſchrieben/ verhanden ſein.
Er ſaget außdruͤcklich in der Vorrede:
licet haud ſit dubium quin \& diu ante illa
tempora gens Svetica habuerit, qui vale-
rent ingenio ejusque rei ad poſteritatem-
darent documenta, ut vel ex Scaldris priſcis
certum fit, clariſſimèque docet exemplum
Starkoteri, quem ex Svecis ortum \& pro
Svecis militantem res ſuorum temporum
bellaque carmine complexum Saxo auctor
eſt: tamen cum \& ætas plerorumque ſit
in-
[400]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
incerta, opera etiam atque tituli eorun-
dem non ſat noti, ratio eſt manifeſta, cur
à ſupra memorato demum tempore inci-
piendum. Wann nun dieſem ſo iſt/ mit
was vor Gruͤnden will man beweiſen/
daß einige Lieder vor Taciti Zeiten ge-
ſchrieben? Es wird zwar in ſeinem Bu-
che unter dem Nahmen des Johannis
Meſſenii gedacht/ daß er verheiſſen habe
herauß zu geben: Antiquiſſimas ac po-
tiſſimas heroum cantilenas, ex quibus Hi-
ſtoria Sveticæ gentis primum coſignari cœ-
pta eſt: Ich ſolte aber kaum glaͤuben/
daß darauß das eigentliche Alter werde
abzunehmen ſein. Es wird vermuthlich
mit den Schwẽdiſchen Liedern nicht an-
ders/ als mit dem Teutſchen ergangen
ſein/ daß die Nachkommen ihrer Vor-
fahren Heldenlieder verfālſchet/ oder
endlich gar vergeſſen/ wann die neuen/
deren man allezeit begieriger iſt/ an de-
ren Stelle kommen. Dañ dieſe art die
Geſchichten in Lieder zu verfaſſen hat
zimlich lang gewehret/ ſo woll bey den
Nor-
[401]Poeterey.
Nordiſchen Voͤlckern/ als bey den Teut-
ſchen. Von dieſen ſagt Schmid in ſei-
nen Zwickauiſchen Annalibus im Jahr
1450. außdruͤcklich: Apel Vitzthum hat„
einen boͤſen Nahmen hinter ihm gelaſ-„
ſen/ daß man in allen Bier und Wein-„
hāuſern von ihm geſungen: Dann es„
damahls noch ſehr im Gebrauch gewe-„
ſen/ daß man was ſich begeben nicht„
in Chronicken und Geſchichtbuͤcher em̃-„
geſchrieben/ ſondern in ſolche Lieder„
darinnen ſie ihre Haͤndel und Thaten„
kuͤrtzlich verfaſſet/ gebracht/ und auff„
die Nachkommen fortgepflantzet. Da„
nun eine ſo groſſe Menge ſolcher Lieder
geweſen/ wie kont es muͤglich ſein/ daß
derſelben Gedaͤchniß ſo unveraͤndert bey-
behalten worden. Johannes Magnus ge-
dencket in der Vorrede ſeiner Hiſtoria
daß die alten Gothen die Thaten ihrer
Helden in Verſen verfaßt auff ihren Gaͤ-
ſtereyen bey den Angedencks Bechern/
die ſie ihren Helden zu Ehren getruncken
zugleich geſungen, damit die Jugend da-
c cdurch
[402]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
durch auffgemuntert wuͤrde. Schefferus
in ſeiner Upſaliâ antiqua. c. 10. p. 46. mei-
net es ſey ſolches Lied Bragerbott genant
worden/ davon Sephanius in ſeinen An-
merckungen uͤber den Saxonem Erweh-
nung thut/ iſt ſo viel als im Lateiniſchen
Nuncius Virorum fortium, wie der Be-
cher damit ſie ihrer Helden Angedencken
beehret Bragebægere genant. Bey den
Dānen hat Andreas Welleius auch heꝛauß-
gegeben Centuriam Cantilenarum Dani-
carum de priſcis Danorum Regibus \& rebus
geſtis, wie Albertus Bartholinus in ſeinem
Buch de Scriptis Danorum bezeuget. Ich
kan aber hievon nicht urtheilen/ weil ich
ſie nicht geſehen habe. Olaus Wormius
der de literaturâ Runicâ geſchrieben/ und
in deſſen Anhang von der alten Tichte-
rey der Dānen gar außfuͤhrlich gehan-
delt hat/ bringet kein ālters vor/ als das
der Regner Lodbrog, vor ſeinem Tode
geſungen/ welcher Anno 857. zu Ludovici
II. Zeiten gelebet. Daß wir in Teutſch-
land āltere gehabt haben/ iſt droben er-
wie-
[403]Poeterey.
wieſen/ und ſchrieb um Ludovici II. Zeit
der Ottfridus ſeine Evangelia. Von dem
Tuiſcone meldet Aventinus, von welchen
Boxhornius urtheilet/ daß er die glaub-
wuͤrdigſten Nachrichten gehabt/ daß
ſchon zu ſeiner Zeit Lob und Schelt-
lieder gemacht ſein/ wie wir droben er-
wehnet/ auch die Schulen oder wie ſie
es damahls auff recht Teutſch genannt
haben/ die Schrannen von ihm ange-
ſtellet/ worinnen dergleichen dinge gelehrt
worden. Dergleichen art der Poeterey
iſt bey den Sinenſern vor dieſen auch ge-
brāuchlich geweſen: Denn es bezeuget
Martinus Martinii in ſeiner Hiſtoriâ Sinenſi.
Ars Poëtica apud Sinos antiquiſſima eſt \&
varia vario metro carmina complectitur.
Inter quinque Carminum libros è quibus
doctrinam eorum qui dignitates ambiunt
in Republ. periclitantur, unus in explican-
dis antiquorum Principum rectè ſecusque
factis ita verſatur, ut malis terrorem addat,
bonis calcar ad virtutem, In dieſem ſein
aber die Nordiſchen Voͤlcker etwas gluͤck-
c c 2licher
[404]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
licher/ daß ſie mehr von ihren monumen-
tis beybehalten haben/ als die Teutſchen/
deſſen Uhrſachen wir droben angefuͤh-
ret. Bey den Ißlaͤndern hat man ein
ſonderlich Buch die Edda gehabt/ wel-
ches war die Mythologia Poetica der al-
ten Nordiſchen Voͤlcker/ oder vielmehr
ihre Theologia, Phyſica und Ethica. Es
ſind zweyerley Eddæ geweſen/ die eine als
die aͤlteſte/ iſt in alte unverſtaͤndliche Ver-
ſe verfaſſet von Saͤmund Sigfuſon/
der mit dem Zunahmen Froda/ daß
iſt/ der Weiſe genant worden/ und An.
1077. zu Odde in Ißland Prediger ge-
weſen. Die neue Edda hat gemacht
Snorrre Sturlaͤſon/ ein Vorneh-
mer kluger Mann/ und Ober-Richter
uͤber Ißland im Jahr 1222. und auß der
āltern des Saͤmunden zuſammen ge-
zogen/ welche Petrus Reſenius mit ſehr
nuͤtzlichen Anmerckungen/ und einer weit-
laͤufftigen Vorrede her außgegeben/ dar-
innen er mit mehren von dieſen beyden
ddis handelt. In der Koͤniglich en Schwe-
di-
[405]Poeterey.
diſchen Bibliothec ſoll noch eine andere
und beſſer verhanden ſein/ wie Herr
Rudbeck meldet. Dieſer Snorre
Sturleſon hat die alte Eddam etwas
verāndert/ und auff ihre Poeterey ge-
richtet. Wie nun die Edda ihre Mytho-
logia, ſo iſt die Scalda ihre Metrica und
Proſodia geweſen. Arngrimus ſagt von
dieſer alſo: Scalda eſt liber de arte Poë-
ticâ Iſlandorum, qui eſt quaſi praxis Eddæ
ut Edda inventionem, Scalda uſum vel ar-
tem adiuvet, Von welchem Wort Scalda
die Poeten hernach Scaldrer genant/
welche bey den Koͤnigen in ſolchen Anſe-
hen geweſen/ wie heutiges Tages Cantz-
ler und Raͤhte. Ja es haben die Koͤni-
ge ſelbſt es fuͤr ihre groͤſte Ehre geſchaͤ-
tzet/ wann ſie mit in ihren Orden haben
kōnnen auffgenommen werden/ und mit
vielen Liedern ihre Faͤhigkeit dazu vor-
geſtellet. Der Autor dieſer Scaldæ ſoll
wie Arngrimus Crymog. lib. 1. bezeugt/
Anno Chr. 1216. gelebet haben/ und wird
von den Wormio in ſeiner Literaturâ Ru-
nicâ
[406]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
nicâ auß dieſem Buche offt was ange-
fuͤhret. Es iſt auch ſehr glaͤublich daß
die Alten gewiſſe Reguln dieſer Kunſt ge-
habt; dann wie Olaus Wormius ſaget
in Appendice Literat. Runic. Rhythmorum
veterum inſinita ſunt genera, vulgo tamen
uſitatorum centum triginta ſex eſſe putan-
tur. Er ſetzet daſelbſt unterſchiedliche
arten und die Nahmen derſelbe/ als
Sextanmælli Vyſa. Worinnen ein gewiſ-
ſer Schall der Woͤrter ſechzehnmahl
wiederholt wird/ die ſie auch Drottquætt
nennen. Imgleichen gedenckt er vieler
Logogryphorum, welche ohne gewiſſe
Kunſtreguln nicht wol haben verfertiget
werden koͤnnen. Auch haben ſie bißwei-
len gewiſſe Verſus intercalares gebraucht/
wie Thomas Bartholinus der Juͤngere in
ſeiner Diſſertation de Holgero Dano cap.
15. erweiſet. Aber Verelius behauptet in
ſeiner Runographia cap. 6. das Gegen-
theil/ daß nemblich die alten Scaldri kei-
ne gewiſſe Reguln gehabt. Er ſagt:
Scaldrorum poëſis naturâ magis quam arte/
con-
[497[407]]Poeterey.
conſtabat. Et licet in eorum poëmatibus
omnia ſchemata Grammatica \& Rhetorica
inveniantur, recte tamen dixeris ipſos
Grammaticæ \& Rhetoricæ artis rudes ſola
ingenii felicitate \& abundantiâ ea peperiſſe,
quæ \& ipſorum ævo \& nobis admirationi
fuere \& hodiè admiramur. Ex illis ſua con-
geſſit Snorro \& in formam artis redegit
ipſe Scaldrus ingenioſus. Wañ dieſem
alſo were/ ſo wuͤrde auch des Hn. Rud-
becks Grund von keiner Erheblichkeit
ſein/ da er die art der Carminum, die ſie
Reſrun nennen/ vor die aͤlteſten haͤlt/ und
von denen/ deren Tacitus gedencket/ dañ
die hierunter gebrauchte Kunſt an den
Tag geben wurde/ daß ſie ſo gar alt
nicht ſein. Worinnen die Kunſt der
Verſe beſtanden/ ſolches wird weitlāuff-
tig von Wormio außgefuͤhret/ und iſt
merckwuͤrdig/ daß ſie keine bey uns uͤbli-
che Reime gehabt haben/ ſondern die
Verſe ſind beſtanden in gewiſſer Zahl
der Sylben/ und gleichſtimmung derſel-
ben/ aber nicht am Ende. Sie haben
c c 4die-
[408]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
dieſer Poeſey groſſe geheime faſt zaͤubri-
ſche Krafft zugeſchrieben wie ſie dann
auch ihre Runas magicas gehabt. Eini-
ge haben einen gewiſſen Trieb der Na-
tur dazu gehabt/ den ſie Scallviingl, daß iſt
einen Poetiſchen Schwindel nennen/ wel-
cher ſich gemeinlich mit dem neuen Mohn
eingefunden/ da dieſe auff ſolche art Lu-
natici oder Monſuͤchtige Poeten ihre
Verſe mit unglāublicher Fertigkeit auß-
geſchuͤttet. In Schwediſcher Sprache
wird bey dem Herrn Scheffer in ſeiner
Sveciâ literatâ zum erſten angefuͤhret ein
Chronicon rhythmicum majus von einem
Anonymo Anno 1319. geſchrieben/ und
Anno 1674. von Johanne Hadotph her-
außgegeben Dieſem iſt hernach das
Chronicon Rhythmicum minus hinzu ge-
kommen/ ſo Anno 1448 gleichfals von
einem Anonymo geſchrieben/ nebſt eini-
gen in verſchiedenen Zeiten verfertigten
continuationibus. Man hat auch Ale-
xandri M. Hiſtoriam eines Anonymi An-
no 1363, ein Chronicon Epiſcoporum Sca-
ren-
[409]Poeterey.
renſium Anno 1397. von Brynolpho in
Schwediſche Reimen verfaſſet. Der
Koͤnig Carolus IX. hat Anno 1600 ſeine
eigene Geſchichte in Schwediſchen Verſen
beſchrieben. Es ſein viel andere Chro-
nica auch auff dieſe art verfertiget/ und
eine zimliche Menge theils geiſtlicher
theils weltlicher Getichte/ die bey dem
Herrn Scheffer koͤnnen nachgeleſen wer-
den. Worunter inſonderheit des Hn.
Stiernhelins ſeine Balletten/ Sonneten
und andere Carmina zu loben. Es hat
auch einer Zacharias Brokenius eine An-
leitung zur Schwediſchen Poeterey ge-
ſchrieben Es fehlet auch in der Daͤni-
ſchen Sprache nicht an guten Poeten/
und wird ietziger Zeit eine Frauensper-
ſon Dorothea Engelberts Datter
ſehr geruͤhmet/ welche geiſtliche Carmina
von ungemeiner Zierlichkeit geſchrieben.
Eraſmus Bartholinus hat in einer abſon-
derlichen Diſſertation de ſtudio Linguæ
Danicæ ſeine Landsleute zur Außuͤbung
ihrer Sprache angefriſchet. Es hat ei-
c c 5ner
[410]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
ner Aquilonius, deſſen wir ſchon vormah-
len gedacht in Lateiniſcher Sprache eine
Manuductionem ad Poeſin Danicam her-
außgegeben: worin er die Griechiſche
und Lateiniſche metra, in Daͤniſcher Spꝛa-
che einzufuͤhren gedencket/ wovon in fol-
genden ein mehres ſoll geredet werden.
Man ſpuͤhret auch bey den Finnen eine
neigung zur Poeterey. Aber wie Mich.
O. Wexionius in Epitome Deſcriptionis
Sveciæ lib. 3. c. 14. ſchreibet/ Fenni præter
Rhythmum \& Lamdaciſmum, ubi cædem
literæ initiales continuantur ut.
Poiat parat/ panhakamNeitzet nuoret ilotcamWanhut wahwaß weiſatkam
neque ullum carmen agnoſcunt. In quibus
omnibus una antiquitus melodia fuit. Di-
cebantur \& olim Runoi ad imitationem
Runarum Sveco-Gothicarum. Ich ſolte
aber meinen daß dieſes von den gemei-
nen Verſen zu verſtehen ſey; Dann die
geiſtliche Lieder und Pſalmen/ die bey
ihnen in Verſe geſetzt/ und das Finni-
ſche
[411]Poeterey.
ſche Chronicon in Finniſchen R[eim]en/ ſo
zu Abo 1658. heraußgegangen/ ſein wie
ich vermeine/ uach art der Schwediſchen
eingerichtet. Petrus Baͤng Profeſſor The-
ologiæ auff der Finlaͤndiſchen Academia
zu Abo hat in ſeiner Hiſtoriâ Eccleſiaſticâ
Sveo-Gothorum lib. 6. cap. 6. auß des A-
gricolæ, eines Wiburgiſchen Biſchoffs
Poetiſchen Vorrede uͤber die Pſalmen
Davids/ einige Finniſche Verſe angefuͤh-
ret/ worinnen die Nahmen der alten
Finniſchen Goͤtter erzehlet werden/ dieſe
ſein aber nach art der Teutſchen gemacht.
Ferner hat er ein ſo genantes Baͤren-
lied in Finniſcher Sprache cap. 7. ejusd.
libri hingeſetzt/ welches die Finnen bey
ihrer Baͤrenjagt haben pflegen zu ſingen/
dieſes iſt nach der erſten art geſchrieben
und lautet alſo:
Medzaͤn dyris woitettuTuo meil taͤyttaͤ terweyttaͤ/A[i]tta waſtan ſaalihita.Tuo tuhatta tulleſaßaSaata ſata ſaalihixi.Julli tulin Jumaliſta
Canſa
[412]Das VIII. Cap. Von der NordiſchenCanſa ſaalin iloiſeſta/Jokailmam ihmet/ waiwatAnnon andoi/ rahan radei.Coſca tulen kotihijnColme yoͤtaͤilon pidaͤn.Ilos tulin/ ilos laͤhdinLaͤpi laxo/ wuoret/ waarat/Aja paha edellaͤnſaͤ.Pertos tuli Paͤiwaͤn tulo.Paiwaͤ tule wielaͤ pertosCunnioitan ſua jaͤliſtaͤnſaͤWuoſi wuodel ſaalihixiEtten unhoidz Ochton wirren.Sitaͤ waſt wiel toiſti tulen.
Dieſes kan auff Teutſch ungefehr alſo ge-
geben werden:
O ſchoͤnes Wild von unſern PfeilenDurch ſo viel Wunden hie beruͤckt/Das ſich getraut bey uns zu heilen/Will ſein von unſrer Speiß erquickt/Durch dich wird uns numehr gelingenNoch hundertmahl dergleichen Beut/Und du kanſt tauſend Nutzen dringen/Biſtu zu kommen nur bereit.Ich konte hie vielleicht woll kommenSelbſt von den Goͤttern hergeſant/Die mir zu meinem Nutz und frommenViel guter Beute bracht zur Hand.
Wird
[413]Poeterey.Wird dieſer Tag dann nun ſich endenSo geh ich in mein Hauß hinein:So will ich zwiſchen meinen Waͤnden/Drey Naͤchte durch voll Freuden ſein.Ich habe mich mit Luſt und GluͤckeHieher durch Berg und Thal gebracht/Nun komm ich froͤlicher zuruͤcke.All Unluſt habe gute Nacht.Der Tag iſt froͤlich angefangen/Mit denen die noch uͤbrig ſein/Bald komt er wieder hergegangenIn voller Luſt und Freudenſchein.Ich ehre dich allzeit in deſſenVon dir erwartend Beut und Danck/Daß ich nicht moͤge dich vergeſſenUnd meinen guten Baͤrenſang.
Die Lapplaͤnder haben auch bey ihnen
der gleichen Baͤrengeſaͤnge/ davon Schef-
ferus in ſeiner Lapponiâ cap. 19. handelt.
Sie haben ſonderliche Ceremonien. Weñ
ſie einen Baͤren erſchoſſen/ ſo heben ſie
ihren Geſang als ein Triumph-Lied an.
Der Vorſaͤnger unter ihnen iſt ihr Fuͤh-
rer/ der einen Stab mit einen Meßin-
gen Ringe in der Hand fuͤhret. In
dem erſten Lied dancken ſie dem Baͤren/
daß er ihnen keinen Schaden an Leib und
Ge-
[414]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
Gewehr zugefuͤget. Hernach haben ſie
einen andern Geſang/ darin ſie den Baͤh-
ren bitten/ er wolle ihnen kein uͤbel zu
fuͤgen/ noch Ungewitter zu ſchicken/ weil
ſie ihn umgebracht haͤtten: dann ſie ha-
ben einen Aberglauben/ als wann ſie biß-
weilen einige Thiere halben/ die ſie um-
gebracht Schaden haben koͤnten. Sie
haben auch noch einen andern Geſang
darin ſie GOtt dancken/ daß er das Wild
zu ihren Nutzen erſchaffen/ und die Krafft
verliehen/ daß ſie ein ſo grauſames Thier
haben uͤberwinden koͤnnen. Wann ſie
nun den Baͤren zu Hauſe gebracht/ ſo
fangen ſie einen andern Geſang an dar-
in ſie ihre Frauen bitten/ daß ſie die
Rinde von den Ellerbaum zerkauen/ und
ihren Maͤnnern ins Geſicht ſpeyen moͤ-
gen/ welches ſie dann thun/ daß ſie als
blutruͤſtig erſcheinen/ und man meinen
moͤge/ es ſey die Jagt nicht ohn Gefahr
und Blut abgangen. Sie haben viel
andere Gebraͤuche die dabey vorfallen/
von welchen der Herr Schefferus kan nach-
ge-
[415]Poeterey.
geleſen werden. Wer ſolte meinen daß
unter den Lappen ſich auch ein Poetiſch
Feur bey Liebesſachen regen ſolte? Es
hat der Herr Scheffer in ſeiner Lapponia
cap. 25. einige ihre Liebeslieder angefuͤh-
ret/ die ſie Morſe faurog nennen. Es iſt
aber kein gewiſſes Gebaͤnde/ noch abge-
meßne Zahl der Sylben. Ein Verß iſt
lang der ander iſt kurtz haben bißweilen
gleichſylbige Reime/ bißweilen gar kei-
ne. Sie richten ihnen ſelbſt nach ihrem
belieben den Geſang ein. Wann ich die
Einfaͤlle derſelben betrachte/ ſo ſein ſie
warlich nicht ohne Geiſt/ wie dann das
eine/ ſo der Herr Scheffer daſelbſt bey-
bringet recht ſinnreich iſt. Es iſt ein Ge-
ſang eines der von ſeiner Liebſten weit
entfernet und nicht zu ihr kommen kan.
Wir wollen es verteutſchet hieher ſetzen/
Laß/ Soñe/ deinen Schein vorhin nach Orra gehen/O koͤnt ich dieſen Ort von ferne nur erſehen;Ich klim̃te Huͤgel an und deren hoͤchſten Baum/Und machte miꝛ dazu duꝛch Laub uñ Zweige Raum/Zu ſehen/ wo mein Lieb in Blumen geht ſpatziren/Ich lieſſe mich dahin von Wind uñ Wolcken fuͤhꝛẽ/
Ich
[416]Das VIII. Cap. Von der NordiſchenIch floͤge hin/ haͤtt ich der Kraͤhen Fluͤgen nur/Nun iſt kein Fluͤgel da/ kein Fuß zu deiner Spur.Kein feſter Gaͤnſe Fuß/ der mich hin zu dir trage.Und dich verlangt nach mir ſo manche liebe Tage.Du lenckſt dein liebes Aug und inneꝛs Heꝛtz zu mir.Doch lieffſt du uͤber Meer ich folget endlich dir.Wie Stricke/ Baͤnde/ Stahl uñ Eiſen uns beſpiñẽ/So lenckt die Liebe mich/ ſo zeꝛꝛt ſie Hertz un Siñen.Der Kinder Wille zwar ſteht/ faͤllt zur ſelben Zeit.Ein junges Blut das libt das dencket lang uñ weit.Solt ich ſie allezeit und ihre Meinung hoͤren:So wuͤꝛd ich leichtlich mich vom ꝛechtẽ wege kehꝛẽ.Nur ein Raht iſt noch da/ den ich ergreiffen kan.So find ich/ wie mich daucht/ die ꝛechte Liebes Bahn
Ich habe ſo viel muͤglich geweſen es an
Worten und Meinungen ungeaͤndert
gelaſſen. Nun ſehe mir einer dieſen Lap-
laͤnder/ wie artig er der Bewegungs Fi-
guren zu gebrauchen weiß/ ſein Verlan-
gen darzuſtellen/ was er fuͤr zierliche
Gleichniſſe und Bildunge in dieſem Liede
habe. Dieſes alles klinget in der Mutter
Sprache noch beſſer weil darin Figuræ
dictionis, Appoſitiones, Anadiploſes vor-
kommen/ die ſich in Teutſchen nicht wol
ſchicken/ welche aber den Hirtenliedern/
ſehe
[417]Poeterey.
ſehr wol anſtehen/ und eine zierliche Ein-
falt vorſtellen. Als wann beyin Virgilio
am Ende der zehenden Eclogæ ſteht: gra-
vis eſſe ſolet cantantibus umbra, Iuniperi
gravis umbra: ſo iſt in dieſem Carmine
nach der Lateiniſchen Uberſetzung des
Herrn Scheffers: omnes ramos præſe-
carem, virentes ramos; ſi ad te volare poſſem
alis, cornicum alis; per tot dies, tot dies tuos
optimos \&c. Welches zugleich ein Lieb-
koſen und eine Außdruͤckung des Ver-
langens vorſtẽllet. Diß Lied kan ſicher-
lich der Meiſterſaͤnger Kunſt beſchaͤmen.
Ich muß hier beylaͤuffig der Peruvianer
auch erwehnen/ welche eine art der Po-
eterey unter ihnen gehabt/ die nach ih-
rer art recht vollkommen geweſen/ wie
hievon der Yncas Gateillaßo de la Vega,
in ſeiner Hiſtoria Peruvianâ cap. 27. weit-
laͤufftig handelt. Sie haben gehabt die
ſie Amautas daß iſt Philoſophos genannt/
die Tragœdien vor den Koͤnigen und vor-
nehmen Herren von ihren Kriegen/ Sie-
gen/ der Vorfahren Heldenthaten/ und
d dCo-
[418]Das VIII. Cap. Von der Nordiſchen
Comœdien von allen in dem gemeinen
Leben vorfallenden Dingen geſpielet.
Man hat auch allerhand Encomia-
ſtica und Moralia Carmina unter ihnen/
die vorgemeldter Autor uͤberauß lobet.
Sie lieben mehrentheils kurtze Verſe in
vier Sylben beſtehend/ aber ohne Rei-
me/ damit ſie dieſelbe deſto beſſer im Ge-
daͤchtniß behalten/ und deſto bequemer
ſingen/ und auff der Floͤten ſpielen koͤn-
nen/ inſonderheit in Liebesſachen/ da-
von ſie verſchiedene Thoͤne haben. Der
Autor vergleichet ſie der Spaniſchen Re-
dondilla, welche eine art der Rondeaux
iſt. Man hat auch welche bey ihnen/
die man Haravec nennet/ iſt ſo viel als
Erfinder/ welche eben den Nahmen ge-
habt/ wie bey den alten Frantzoſen die
Troubadours. Selbige haben von na-
tuͤrlichen dingen Verſe geſchrieben/ und
einige Fabeln mit untermiſcht/ nemlich
wie der Schoͤpffer der Welt/ eine Jung-
frau vom Himmel geſandt/ in der Hand
einen Krug Waſſer haltend/ welcher
wann
[419]Poeterey.
wann er von ihrem Bruder zerbrochen
wird/ Donner und Regen erreget/
und andere dergleichen/ welche er aus
P. Blas Valera geſchriebenem Buche ange-
fuͤhret/ ſampt einem Carmine, daß er
bey den Zeitknoten und Baͤnder/ deren
ſie ſich in der Jahr Rechnung gebrauchen/
gefunden. Die Verſe die er ſpondiacos
nennt lauten alſo/ welche wir ſamt der
Lateiniſchen Uberſetzung hieher ſetzen
wollen:
Cumac Nuſta,Torallayquin,Puynnuy quitaPaguir CayanHina mantaræCununnununTllapantacCanri NuſtaUnuy quitaParamunquiMay nimpiriChici munquiPulchra NymphaFrater tuusVrnam tuamNunc infringit:Cujus ictusTonat, fulget,Fulminatque:Sed tu NymphaTuam Limpham.Fundes pluisInterdumqueGrandinem ſeu
d d 2Piti
[420]Das IX. Cap. Von der TeutſchenPiti munquiPacha ruracPachacamacViracochaCayhmapacChuras unquiCamas unquiNiuem mittis;Mundi factorPachacamacViracochaAd hoc munusTe ſuffecitAc præfecit.
Herr Hoffmann hat in der Vorrede ſei-
ner Getichte auch ein Indianiſch Liebes-
geticht von einer Schlangen in Teutſch
verſetzet angefuͤhret/ welches traun recht
ſinnreich iſt/ und bey ihm kan nachgeleſen
werden.
Das IX. Cap.
Von der dritten Zeit der
Teutſchen Poetery.
Einhalt.
DIe dritte Zeit faͤngt an vom Herrn Opitzen.
Vor ihm hat Petrus Denaiſius Aſſeſſor Ca-
meræ Spirenſis teutſche Carmina geſchrieben.
Wird
[421]Poeterey dritten Zeit.
Wird ſehr gelobet von Melch. Adami. Hubners
verdeutſchung des Bartas. Opitzen erſte Verſe.
Er hat dem Ronſard, Douſæ und Heinſio gefol-
get. Dem Dulæ wird vom Voſſio die Reim-Chro-
nicke zugeſchrieben. Opitzen ſonderliche Gelehrt
heit. Seine Dacia iſt verlohren. Des Herrn-
von dem Werder Teutſche Carmina. Buchnees
Urthel von Opitzen. Flemming iſt hoͤher geſtiegen.
Wird vor allen andern geruͤhmet. Von ſeinen eige-
nen Landsleuten werden ſeine Tugenden nicht recht
erkant. Der Herr Olearius hat ſeine Carmina herauß-
gegeben. Seine Lateiniſche Epigrammata. Des Herrn
Tſchernings Teutſche Carmina. Werden gleich-
fals ſehr gelobet. Matthaͤus Appellis geiſtliche Oden.
Colerus. Czepko. Hr. Gryphius. Daniel Caſpar
von Lohenſtein. Haben die Traurſpiele in Teutſch-
land zur Vollkommenheit gebracht. Verdienen ein
groſſes Lob. Herr Chriſtian Hoffmann von Hoff-
mans-Waldau ein vortreflicher Poet. Schreibt
faſt nach der Italiaͤniſchen art. Herrn Riſten ſei-
ne Oden. Seine Muſa Teutonica. Simon Dach.
Johan Roͤlings Geiſtliche Getichte. Johan Fran-
cken Geiſtliches Sion und irrdiſcher Helicon. Sei-
ne vielfaͤltige veraͤnderung des Vater Unſers. Des
Herrn Harſtoͤrffers/ Betuli, von Bircken/ Johan
Klai Teutſche Poemata. Die Bayern/ Tyroler
und Oeſterreicher haben in Teutſcher Poeterey
ſchlechte Proben gegeben. Scioppii Urtheil von ihnen.
Jacobi Balde[teut]ſche Carmina de vanitate Mundi.
d d 3Herr
[422]Das IX Cap. Von der Teutſchen
Herrn Chriſtian Weiſen Teutſche Gedichte wer-
den gelobet. Es werden unterſchiedliche andre er-
zehlet. Die heutige Zeit hat viel naͤrriſche Tichter
gegeben. Eines der ſich Hartmann Reinhold neñet/
Satyriſche Schrifft wieder dieſelbe. Ungelehrte
Leute fuͤhlen bißweilen einen ſonderlichen Trieb zur
Tichterey. Benedicti eines Italiaͤniſchen Bauren
Carmina. Gabriel Voigtlaͤnders eines Trompeters
Lieder. Zachariæ Lundii, Joh. Freinshemii
Teutſche Carmina. Getichte Teutſcher Frauens-
perſonen. Sibylla Schwartzin wird ſehr geruͤh-
met. Eine Probe ihrer Carminum. Der Frey-
herrin Henrietta Catharina Gerſtoͤffin gebohrnen
Frieſin trefliche Carmina. Der Frau D. Moͤlle-
rin gebohnen Eiflerin heraußgegebene Lieder. Con-
ſtantia Sirenbergin. Fruchtbringende Geſellſchafft.
Schluß des andern Theils.
WIr muͤſſen endlich auff die dritte
Zeit der Teutſchen Poeterey kom-
men/ da dieſelbe gleichſam aus
dem Grabe wider erwecket worden/ und
viel herrlicher als jemahls hervorkom-
men/ unter des Herrn Opitzen an-
fuͤhrung. Es haben zwar einige vor ihm
ſich etwas darin angenommen/ aber es
macht doch nichts gegen ſeine Vollkom-
men-
[423]Poeterey dritten Zeit.
menheit. Petrus Denaiſius, ein vornehmer
JCtus und Aſſeſſor Cameræ Spirenſis, ſoll
vor Herrn Opitio im Anfang dieſes Se-
culi ſehr gute Teutſche Verſe geſchrieben
haben. Dann diß bezeugt Melchior
Adami in ſeinem Vitâ. In vernaculâ ele-
gantiſſimæ venæ poëta fuit, docuitq; ipſe ſuo
exemplo; linguam Germanicam nullam
omnino cultus elegantiam reſpuere, mo-
dò excolatur. Nos hunc unum, ſi nullus
alius eſſet, omnibus Italis Gallisque oppo-
nere non dubitamus, tantâ facilitate, tan-
tâ felicitate, tantâ ſermonis puritate ac le-
poribus uſus eſt in vernaculis carminibus
concinnandis Dieſes iſt ein groſſes Zeug-
niß vom ihm/ das der Autor Anno 1620.
da Herr Opitz ſchon einige Carmina her-
außgegeben/ geſchrieben. Daß alſo ver-
muthlich/ er habe der Warheit gemaͤß
geurtheilet. Weil ich aber nichs davon
geſehen laß ichs dahin geſtellet ſein.
Huͤbner der des Bartas Schrifften
faſt um dieſelbe Zeit uͤberſetzet/ ſchrei-
bet nichts/ das mit Opitzen kan vergli-
d d 4chen
[424]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
chen werden. Er ſelbſt hat in ſeinen er-
ſten Verſen die er geſchrieben/ viel arten
zu reden und reimen von der alten Zeit/
wie man in der Vorrede der verteutſch-
ten Arriana ſehen kan/ da dergleichen et-
liche von ſeinen Erſtlingen herbey ge-
bracht werden/ wie dann auch in ſeiner
uͤberſetzten Argenis die Verſe nicht alle-
mahl gleich zierlich ſein. Doch hat er
nach dem Muſter des Herrn Ronſards
in Frantzoͤſiſcher/ und des Herren Douſæ
und Heinſii in Niederlaͤndiſcher Sprache
ſeine Poeterey und Schreibart viel ver-
beſſert. Von Heinſii Poematibus iſt dro-
ben geredet. Douſa hat meines wiſſens
nichts ſonderlichs geſchrieben/ nur daß
er die alte Hollandiſche Reim Chronica/
deren wir droben gedacht/ her außgege-
ben/ welche Gerh. Voſſius de Hiſtoricis
Græcis lib. 2. cap. 27. dem Duſæ ſelbſt/
weiß nicht durch was Irthum/ zu
ſchreibet/ dann er ſpricht: Janus
Douſa in præfatione hiſtoriæ ſuæ metricæ,
und wiederum: in præfatione quam præmi-
ſit
[425]Poeterey dritten Zeit.
ſit annalibus Batavis carmine à ſe compoſi-
tis: da doch in dem titul ſelbſt enthal-
ten/ daß ſie nicht von ihm geſchrieben/
ſondern nur heraußgegeben ſey. Der
Herr Opitz war ein gelehrter Mann/
und in Hiſtorien/ Griechiſcher und La-
teiniſcher Sprache wol erfahren/ wie ſei-
ne Variæ lectiones, Commentaria in Ca-
tonis Diſticha, und andere Sachen
zur Gnuͤge anzeigen. Seine Dacia anti-
qua welche ſehr geruͤhmet wird/ und wel-
che der Herr Chriſtian Hoffmann von
Hoffmans Waldau ſelbſt in ſeinen Haͤn-
den gehabt/ wie er in der Vorrede ſei-
ner Poematum bezeuget/ iſt verlohren ge-
gangen/ und wird von vielen ſehr bedau-
ret. Er war ſehr gluͤcklich im Uber ſetzen/
wie er dann viele Verſe auß dem Nie-
derlaͤndiſchen und Frantzoͤſiſchen ins
Teutſche gebracht. Des [Herrn] von
dem Werder Teutſche Uberſetzungen
und Getichte ſein auch um dieſelbe Zeit
hervor gegeben/ von welchen wir dro-
ben ſchon gedacht/ und kan man des
d d 5Herrn
[426]Das IX. Cap. Von der Teutſcheu
Herrn Buchners Urtheil davon leſen in
ſeiner andern Epiſtol, woſelbſt er ſeine
Fehler angemerckt. Von des Opitii Ge-
tichten urtheilet er Epiſt. 51. Non poteſt
aſcendere altius Muſa Patria, \& neceſle eſt
ut acquieſcat eo faſtigio, quo tu collocaſti.
Interim te ſequemur longè \& tua veſtigia
adorabimus: ſic tamen non obſcuri pror-
ſus morituri. Ich gebe ihm Beyfall/ daß
zu ſeiner Zeit er der vortreflichſte Poet
geweſen/ vermeine aber daß die Teutſche
Tichtkunſt in dem Herrn Flemmingen
noch hoͤher geſtiegen. Dann in War-
heit es ſteckt ein unvergleichlicher Geiſt in
ihm/ der mehr auff ſich ſelbſt/ als fremb-
der Nachahmung beruhet. Wir haben
an ihm/ den wir den Italiaͤnern und
Frantzoſen entgegen ſetzen koͤnnen/ und
wo einer bequem geweſen ein vollſtaͤndi-
ges Epicum Poëma, wie Taſſus, und Ari-
oſtus hervor zu geben/ ſo haͤtte es dieſer
vor allen andern ſeinen Landsleuten voll-
fuͤhren koͤnnen. Die Elocutio iſt an ge-
buͤhrenden Ohrt herrlich und Helden-
maͤßig
[427]Poeterey dritten Zeit.
maͤßig/ in Oden lieblich und ſinnreich/
Die Außbildung kraͤfftig/ die Erfindung
angenehm und ſonderlich/ und iſt dieſen
allen eine ſonderliche/ auß der Sachen
ſelbſt flieſſende/ nicht weit geholete/ und
mit harten Metaphoris verbluͤmte Schaꝛff-
ſinnigkeit vermiſcht. Ja es mag mit
Ehren vom ihm geſaget werden/ was er
ſelbſt in ſeiner Grabſchrifft ſetzet/ daß
ihm kein Landsman gleich geſungen. Ich
kan mich aber nicht gnug verwundern/
daß man ſo wenig Wercks von ihm ge-
macht/ und ſeine Tugenden nicht im hoͤ-
hern Werth gehalten. Der Hr. Schot-
tel hat ihn ſehr kaltſinnig gelobet/ wann
er ihm keinen andern Lobſpruch/ als ei-
nes guten luſtigen Poetens beyleget Der
Herr Hoffmann lobt nichts anders an
ihm/ als daß er ein feines Sonnet ge-
ſchrieben. Welches ob es zwar wahr
iſt; dann er hierin unvergleichlich gewe-
ſen; ſo war doch ein weit mehr es an
ihm zu loben. Man ſiehet nur hier auß/
wie die Urtheil von vornehmen Leuten
ſo
[428]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
ſo ungleich und parteiiſch fallen. Wir
ſein dem Sehl. Herrn Oleario ſehr ver-
pflichtet/ der uns die herrlichen Schriff-
ten dieſes Mannes erhalten/ und der ge-
lehrten Welt mit getheilet/ wuͤnſche daß
die verlohrne/ ſo ſie noch irgend wo ver-
borgen ſein/ wieder zum Vorſchein ge-
bracht werden moͤgen. Es hat unſer
wehrtes Holſtein billig auch ein Theil
daran/ welches durch die Perſiſche Ge-
ſandſchafft zu den meiſten Getichten an-
laß gegeben. In Lateiniſcher Sprache
hat er zwar einige Epigrammata geſchrie-
ben/ aber ſie reichen nicht an die vollkom-
menheit der Teutſchen. Nach ihm iſt
der Herr Tſcherning zu ſetzen/ deſſen
Fruͤhling und Vortrab des Sommers
viel ſchoͤner Getichte hat/ welche des Hn.
Opitzen ſeinen auff alle weiſe und wege
koͤnnen gleich geſchaͤtzet werden. Es iſt
eine ſonderliche Rennlichkeit/ und unge-
ſchminckte Zierlichkeit bey ihm/ weßhal-
ben man ihn billig unter Teutſchlands
Hauptpoeten zu ſetzen hat. Es war ei-
ne
[429]Poeterey dritten Zeit.
ne ſondeꝛliche Gelahꝛtheit in Wiſſenſchafftẽ
und Sprachen bey ihm/ wie ſolches ſeine
Lateiniſche Carmina und die verteutſch-
ten auch mit Anmerckungen heraußge-
gebene Arabiſche Sprichwoͤrter bezeu-
gen/ hat auff der Roſtockiſchen Academia
die Profeſſionem Poëſeos betreten/ welche
vor ihm Lubinus, Chytræus, Kirchman-
nus, Laurenbergius, und ich nach ihm/ als
meinem Lehrmeiſter und Vorgaͤnger ver-
waltet. Es ſind noch viel ſeiner Getichte
uͤbrig/ welche verdienen/ daß ſie auch ans
Licht gebracht/ und mit den uͤbrigen in
ein vollſtaͤndig Werck verſamlet werden.
Er hat viel andre ſeiner Landsleute/ (denn
er war ein Schleſier) gehabt/ die zur ſel-
ben Zeit und nach ihm geſchrieben: wie
dann Schleſien allemahl ſehr fruchtbar
von Poeten geweſen. Aber es ſein von
ihnen nicht eben rechte vollſtaͤndige Wer-
cke hervorkommen. Matthaͤus A-
pelles/ von Leuenſtein/ auff Lan/
genhoff Keyſerlicher und Fuͤrſtlicher
Muͤnſterberg-Oelßniſcher Rath/ dem
Heren
[430]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
Herr Tſcherning ſeinen Fruͤhling zu
geſchrieben/ hat einige Geiſtliche Lieder
unter dem Titul des Fruͤhlings-Mayen
hervorgegeben/ mehrentheils auff Wahl-
ſpruͤche Fuͤrſtlicher Perſonen/ und zu
ſonderlicher Erweckung ihrer Andacht
gerichtet/ welche mein Hochgeehrter Col-
lega Herr D. Major, ſeinem vor nehmen
Landsman zu ehren/ allhie im Kiel wie-
derum zum Druck befordert. Auß deſſen
gelahrter Feder ſelbſt/ ſo viel ſchoͤner Ge-
tichte gefloſſen/ womit er/ unter andern
vielfaͤltigen Schrifften den Ruhm ſeines
Vaterlandes vermehret. Es haben auch
aus derſelben Nation Colerus und Czepko
Teutſche Verſe geſchrieben/ und ſein end-
lich der Herr Gryphius, der Herr Da-
niel Caſpar von Lohenſtein/ und
Chriſtian Hoffmann von Hoff-
mans Waldau auß derſelben hervor-
kommen. Die beiden erſten haben die
Trauerſpiel in Teutſcher Sprache zur
hoͤchſten Vollkommenheit gebracht/ daß
wir den Außlaͤndern nichts darin nach-
zu-
[431]Poeterey dritten Zeit.
zugeben haben/ wie dann ihre Wercke
einem jeden vor Augen liegen. Anderer
art Getichte zu geſchweigen/ darin ſie
gleichfalls ſehr gluͤcklich geweſen. Herr
Daniel Caſpar iſt ſehr Spruch-reich
in ſeiner Schreibart/ und hat eine ſon-
derliche art ſehr kurtz diefelbe zu faſſen/
ſo woll in Trauerſpielen/ als in Oden.
Es iſt ihnen dieſe Poeterey ſo woll auß-
geſchlagen/ weil ſie die alten Griechen
und Lateiner zum Zweg ihrer Nachah-
mung gehabt/ ohn welchen nichts beſtaͤn-
diges und vollkommenes außgefuͤhret
werden kan. Dann wo keine gruͤndliche
Gelartheit bey einem Tichter iſt/ ſo wird
nie was gutes und vollenkommenes von
ſeinen Haͤnden kommen. Der Herr
Thriſtian Hoffmann von Hoff-
mans Waldan hat eine Sinn- und
Spruchreiche Schreibart nach art der
Italiaͤniſchen im Teutſchen gefuͤhret/ ſei-
ne Helden Briefe nach art des Ovidii ge-
ſchrieben/ ſein ſehr zierlich/ und mit Me-
taphoriſchen Redensarten/ nach der Ita-
liaͤ-
[432]Das XI. Cap. Von der Teutſchen
liaͤniſchen weiſe durch und durch gewuͤr-
tzet. Es muß des Herrn Riſten auch
nicht vergeſſen werden/ welcher eine fluͤſ-
ſige art Lieder zu ſchreiben gehabt/ deſſen
letzte Schrifften ſehr von den eꝛſtẽ verſchie-
den ſein. Dann ſeine Muſa Teutonica,
die er Anno 1640. heraußgegeben hat/
lauffen ſehr wieder die Reguln der Kunſt.
Simon Dach hat auch ſehr gute Oden
geſchrieben/ deſſen Nachfolger in der Pro-
feſſione Poëſeos zu Koͤnigsberg der Hr.
Roͤling mein lieber Freund/ geweſen/
der gar zu fruͤhe uns durch den Tod ent-
riſſen iſt. Seine Geiſtliche Lieder/ deren
ein Theil heraußgegangen/ ſein voll tieff-
ſinniger Einfaͤlle/ und fuͤhren eine Flem-
mingiſche art bey ſich/ als die er jederzeit
beliebet hat. Es iſt zu beklagen/ daß
nicht alle ſeine Verſe in ein vollſtaͤndig
Werck verſamlet werden ſollen/ die faͤhig
ſein unter die treflichſten Geiſter dieſer
Zeit ihn zu ſetzen/ und der Nachwelt
vorzuſtellen. Johann Franck/ ein
Raͤthsherr der Stadt Guben/ hat ein
renn-
[433]Poeterey dritten Zeit.
rennliches und wollgeſetztes Teutſches
Carmen geſchrieben/ deſſen Geiſtlicher
Sion und irrdiſcher Helicon hervorge-
geben/ worinnen viel ſchoͤner Geiſtlicher
und Weltlicher Lieder ſich befinden. Der
Herr Buchner/ als der verſtaͤndigſte
Richter in dieſen Dingen/ hat ihm ein
groſſes Lob beygelegt: Poêmatibus tuis
ſpricht er/ nec ipſæ Muſæ Muſicæ ma-
gis. Ita \& dictionis venuſtate \& inventio-
num præſtantiâ ſe approbabant, ut de ſe
jure poſſint jactare, quod Flaccus olim de
ſe: Odi profanum vulgus \& arceo. Es iſt in-
ſonderheit die vielfaͤltige Veraͤnderung
des Vater Unſers/ die er in ſeiner Va-
ter-Unſers-Harffe darſtellet/ verwun-
derns wuͤrdig. Dann er hat dreyhun-
dert drey und dreißig mahl daſſelbe um-
geſetzet. Harſtoͤrffer/Betuliusvon
Bircken/ Klai/ haben viele Dinge
ſo wol in gebundener als loſer Rede ge-
ſchrieben/ denen es nicht an Geiſt/ Er-
findung/ ſinnreicher Außbildung fehlet.
Aber es iſt doch etwas frembdes dabey/
e edaß
[434]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
daß in den Ohren der Schleſier und
Meißner nicht wol klinget. Sie ge-
brauchen gewiſſe Freybeiten in verſe-
tzungen und beſchneidungen der Woͤrter/
fuͤgung der Rede/ und in dem numero,
daß den etwas unlieblich lautet. Die
Bayern/ Tyroler und Oeſterreicher ha-
ben keine ſonderliche art im Poetiſiren/
und weiß ich deren keine zu nennen.
Dann ihre Sprache und Mundart iſt
unfreundlich/ deßhalben die Tichterey
frembd und unlieblich. Scioppius hat in
ſeinen Conſultationibus p. 29. die Grob-
heit ihrer Sprache weitlaͤufftig beſchrie-
ben/ und inſonderheit den Wieniſchen Bi-
ſchoff Melchiorem Cleſeliũ, der doch inſon-
derheit der Teutſchen Sprache Zierlichkeit
ſich angelegen ſein laſſen/ heßlich durch ge-
zogen/ und ſeine Idiotismos Bavaricos ihm
vorgehalten. Auß dieſer Urſache/ halte
ich/ ſein des Jacobi Balde eines Bayern
Carmina, die er ſeinen Lateiniſchen de
Vanitate Mundi mit eingemiſcht/ ſo un-
foͤrmlich und hart/ ob gleich die Sachen
gut
[435]Poeterey andern Zeit.
gut ſein. Des Herrn Chriſtian Wei-
ſen Teutſche Gedichte/ die vor etlichen
Jahren hervor gekommen moͤgen billig
unter die beſten Gebuhrten dieſer Zeit
gerechnet werden. In der Schertzhaff-
ten art iſt er unvergleichlich/ wie ſoͤlches
ſeine uͤber fluͤßige Gedancken/ und andere
Satyriſche Schrifften darthun Wir
koͤnten hier eine gantze Menge teutſcher
Poeten herbey bringen/ als Zeſens/
Caldenbachs/ Neumarckeu/ Flei-
ſchers/ Schirmers/ Sibers/ Hel-
den/ Schochs und anderer/ und koͤn-
te viel von ihnen/ wie auch von den obi-
gen geſagt werden. Aber ich werde mich
nicht unter nehmen allhie den Richterſtab
zufuͤhren/ und wird es im folgenden
offters Gelegenheit geben/ eines und an-
dern an gehoͤrigem Ohrte zu gedencken/
daß es alſo nicht noͤthig uns hiemit auff-
zuhalten. Wir haben der er ſo wol bekan-
ten als unbekanten Tichter gar keinen
Mangel/ und fehle[t] wenig daß die Tich-
terey nicht gar den Handwerckern unter
e e 4die
[436]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
die Faͤuſte geraͤht. Wer einen Reim
zuſammen ſetzen kan/ der ſchreibet ſchon
unmer drauff loß/ und weiß doch im
grunde nicht/ worin die rechte zierlich-
keit eines Verſes beſtehet. Wieder der-
gleichen unzeitige Reimer iſt eine gar
finnreiche Satyriſche Schrifft geſchrie-
ben von jemand der ſich Hartmann
Reinhold nennet. Dieſer ſey wer er
wolle/ ſo hat er traun dieſelbe ſo artig
abgemahlet/ daß nichts druͤber iſt: Dañ
es iſt eine perpetua μίμησις, und Unterrich-
tung eines naͤrriſchen Verſemachers.
Es iſt ohne Zweiffel derſelbe Autor der
den kurtzweiligen Redner neulich geſchrie-
ben/ worinnen viel auß dieſem Buche
wieder holet/ wird/ der ſonſt auß andren
Schrifften wol bekant. Die Uberſchrifft
dieſes Buchs iſt Reime dich oder ich
freſſe dichAntipericatametaparnabeuge
damphirribificationes Poëticæ, oder Schel-
len und Scheltens wuͤrdige Thorheit
Bœotiſcher Poeten in Teutſchland Hans
Wurſten zu ſonderbahren Nutzen und
Ehren
[437]Poeterey dritten Zeit.
Ehren vorgeſtellet. Wer eine Ergetzung
bey muͤßigen Stunden ſuchet/ wird ſeine
Muͤhe bey durchleſung dieſes Buches
nicht uͤbel anlegen. Ich muß zwar be-
kennen/ daß bißweilen auch bey den ge-
meinen ungelehrten Leuten ein Tichter-
Geiſt ſich erreget/ ſich uͤber deren Ver-
ſtand erhebet/ und was ungemeines bey
ſich fuͤhret/ wie dann der jenige Baur
Benedictus geweſen/ deſſen Jan. Nic. Ery-
thræus gedencket/ welcher nach verrichte-
ter Baurarbeit Verſe geſchrieben/ und
unter andern IIluſtre poëma, (wie ers
nennet) quod cum omnibus ab aliis editis
eruditione elegantiaque æquari conferriq;
poſſe videatur, de Ignatio Lojolâ Soc. Jeſu
fundatore. Aber es iſt dieſes mehr dem
Trieb der Natur als der Kunſt zuzuſchrei-
ben. Des Gabriel Voigtlaͤndern eines
Trompeters Lieder haben viel artiger
Einfaͤlle/ ob ſie gleich nicht nachder kunſt
gemacht. Hingegen ſein gelehrte Leute
die in Lateiniſcher Sprache die groͤſten
Poeten ſein/ und in Teutſcher gantz
e e 3auß-
[438]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
außaꝛtẽ/ nach des Ennii aꝛt/ [i]ngenio maximi,
arterudes, wie Jacob Balde in ſeinen Teut-
ſchen Carminibus de vanitate Mundi und
Zacharias Lundius in ſeinen Teutſchen Po-
ematibus, die doch beyde ſchoͤne Latei-
niſche Carmina geſchrieben. So haben
auch des Herrn Johannis Freinshemii,
der doch ein grundgelehrter Philologus
geweſen/ Teutſche Carmina, nicht dieſel-
art/ die wir an andern ſehen. Man
findet ſelten die Vollkommenheit in bey-
den Sprachen beyſammen. Vor allen
dingen muß allhie nicht vorbey gegangen
werden/ daß wir in Teutſchland Frau-
ensperſonen gehabt/ und auch noch zur
Zeit haben/ die die Maͤnner ſelbſt in der
Tichtkunſt beſchaͤmen koͤnnen. Um das
Jahr 1638. lebte Sibylla Schwar-
tzin/ Herrn Cbriſtian Schwartzen
Fuͤrſtlichen Pommeriſchen geheimen
Landraths uñ Burge\&rrNneiſtern der Stadt
Greiffswald Tochter. Dieſe war traun
ein Wunder ihrer Zeit/ dann ſie hat von
dem dreyzehenden Jahr ihres Alters
biß
[439]Poeterey dritten Zeit.
biß zum ſiebenzehnden/ worin ſie ſeel gen
Todes verblichen/ Verſe geſchrieben/ die
vor ſolche zarte Jugend und zwar einer
Frauenperſon/ unvergleichlich ſein. Da
zu derſelben Zeit Maͤnner/ die in ihrem
vollſtaͤndigen Alter/ und nachgehends
keinen geringen Ruhm in der Poeſie er-
worben/ ihr beyweiten nicht gleich ge-
than. Nach ihrem Tod ſein ihre Verſe
von M. Samuel Gerlach zu Dantzig
Anno 1650. in 4to heraußgegeben/ und
mit des Herrn Paſtorii und Herrn Tini
auffrichtigen Lobſpruͤchen beehret Dañ
es iſt der Warheit aller dings gemaͤß/ was
Herr Titius von ihr ſchreibet:
Hæc fuerat, ſi quà potuisſent rumpere ſataTeutonici Virgo gloria prima Chori.Quos olim cantus annis provecta dediſſet,Tam docto tangens ungue puella chelyn!
Weiln nun ihre Getichte in weniger Haͤn-
de ſein/ ſo will ich einige wenige Verſ[e]
hieher ſetzen/ Ut quemadmodum ex an-
gue Leo, ita vel ex uno folio hæc Sibylla æſti-
metur. Es leſe einer das Schimpfflied/
e e 4wel-
[440]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
welches ſie auff den unadelichen Adel ge-
ſchrieben; es iſt warlich ſo ſinnr eich und
ſtachlicht/ als etwas koͤnte von dem beſten
Geiſte erdacht werden. Zur Probe ſein
etzliche Strophen aus dieſem Liede:
Wer den Weg der Demuth kennet/
Der iſt edel nur allein.
Wer ſich ſelbſt unedel nennet/
Der mag zweymahl edel ſein.
Der iſt edel von Gemuͤth/
Und nicht ſchlecht nur von Gebluͤht.Marius will nicht viel preiſen
Seiner Ahnen Ruhm und Schild/
Sondern will viel lieber weiſen
An ihm ſelbſt der Eltern Bild.
Denn es ſind nur bleiche Wangen/
Die mit frembder Roͤthe prangen.
Die andern Strophen die wir kuͤrtze hal-
ber nicht hieher ſetzen ſein gleiches Schla-
ges. Die Sonneten/ die ſie geſchrieben/
ſein alle ſo gut als ſie ſein koͤnnen. Zur
Probe ſey dieſes:
Iſt Lieb ein Feur und kan das Eiſen ſchmiegen/Bin ich voll Feur und voller Liebes Pein/Wovon mag doch der liebſten Hertze ſein?Waus Eiſern waͤr/ ſo wuͤrd es mir erliegen/
Wanns
[441]Poeterey dritten Zeit.Wanns Guͤlden waͤr/ ſo wuͤrd ichs koͤnnen biegenDurch meine Gluht/ ſolls aber fleiſchern ſein/So ſchließ ich fort: Es iſt ein fleiſchern Stein.Doch kan mich nicht ein Stein/ wie ſie betriegen.Iſts dann wie Froſt/ wie kalter Schnee und Eiß;Wie preßt ſie dann aͤus mir den Liebes-Schweiß?Mich daucht: Ihr Hertz iſt wie die Loorberblaͤtter/Die nicht beruͤhrt ein ſtarcker Donnerkeil.Sie/ ſie verlaeht/ Cupido/ deine Pfeil.Und iſt befreit fuͤr deinem Donnerwetter.
Die andern uͤbertreffen ſchier dieſes an-
gefuͤhrte Exempel. Worauß dann zuſe-
hen/ was in ihr fuͤr ein groſſer Geiſt ge-
ſtecket/ der in ſo zartem Alter ſchon ſol-
chen hellen Schein von ſich gegeben.
Dieſes nimt mich aber Wunder/ daß
man ſie nicht in groͤſſer Hochachtung
gehalten/ ſondern noch dazu dieſer groſ-
ſen Gaben halber verleumbdet/ woruͤber
ſie hin und wieder klaget/ welches ein un-
fehlbahres Kennzeichen der ungeſchliffen-
ſten Grobheit iſt. Die alten Griechen
und Roͤmer/ ja auch noch heute die Auß-
laͤnder haͤtten vielmehr unter ſolchen E-
xempeln die Ehre ihrer Nation geſucht;
e e 5wie
[442]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
wie ſie dann dergleichen nicht verſchwei-
gen/ kaum aber eins daß dieſem gleich
in ſolchem Alter werden hervor bringen
koͤnnen. Wir haben zu unſer Zeit noch
ein groͤſſers Exempel an J. Exc. des Hn.
Baron Caroli von Frieſen Fraͤulein
Tochter/ Henrietta Catharina/ ietzo J.
Exc. des Herrn Baron von Gerſtoͤrffen
Gemahl gehabt/ die nicht allein unter-
ſchiedliche vortrefliche Teutſche und
Lateiniſche auff J. Chur-Fuͤrſtl.
Durchl. von Sachſen in erſter Jugend
geſchriebene Getichte/ welche von dero
hohen Hand zu empfangen ich gewuͤrdi-
get worden/ heraußgegeben; ſondern in
andern Sprachen und Wiſſenſchafften
eine ungemeine Vollkommenheit erlan-
get; deꝛo voꝛtꝛefliches Lob ob ich zwar nicht
ſatſam erheben kan/ und ſie vielmehr
ſelbſt ſolches zu verhelen ſuchet/ ſo hat
doch die Ehre unſers Vaterlandes nicht
zugeben wollen/ daß ich ſolches mit ſtill-
ſchweigen vorbeygehen/ und dieſe unver-
gleichliche Zierde unſer Zeit/ ungeruͤb-
met
[443]Poeterey dritten Zeit.
met laſſen ſolte Wie ich dann bereits ei-
ne Lateiniſche Elegiam druͤber verfertiget.
Wir muͤſſen auch allhier der Frauen
Gertrud Muͤllerin des Sehl. Hn. Pe-
tri Muͤllern geweſenen Med. D. und Pro-
feſſoris auff der Koͤnigsbergiſchen Acade-
mie, Eheliebſten/ gebohrnen Eifflerin/
nicht vergeſſen/ welche ein Buch Teut-
ſcher Oden/ die ſo woll geſetzet ſein/ als
ſie der beſte Poet ſetzen mag/ an das Licht
gegeben. Es fehlet hie nicht allein nichts an
Erfindung/ an Eygenſchafft und zierlich-
keit der Rede/ an gehoͤriger Kunſtrich-
tigkeit/ ſondern ich darff kuͤhnlich ſagen/
daß ſie einigen Tichtern unſerer Zeit/
die dennoch einen Nahmen geſucht und
erlanget haben weit vorzuziehen ſey:
Hat ſie alſo billig das Lob verdienet/
welches der Herr Titius in ſeinem ſinn-
reichen Epigraͤmmate auff dero Ehelieb-
ſten Tod/ ihr mit recht beyleget/ da er
ſpricht:
Gertrudis decimum pridem jubar addim Muſis
Pallados \& Phæbi gloria quanta tui.
und
[444]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
und ferner:
Quæ manus inſcribet doctis Eifleria cedris
Per maria \& terras ſedula fama vehet
ſchlieſſet endlich:
Priſtina commemorent veteres miracula chartæ:
Audebunt etiam ſecula noſtra loqui.
Der Carolus Ogerius gedencket in ſeinem
Itinere Polonico der Conſtantiæ, des Hn.
Sirenbergs vornehmen Burgerineiſters
in Dantzig Jungfern Tochter/ auff wel-
che er eine Lateiniſche Elegiam geſchrie-
ben/ und in derſelben ein unvergleichli-
ches Lob ihr beygelegt/ nennet ſie Sire-
nem Balthicam. Es ſein noch andere
Exempel bey uns verhanden/ deren der
Herr Thomaſius in ſeiner Diſſertation
de Eruditione Feminarum gedencket/ und
die mir theils ſonſten bekant/ von denen
mir aber nichts ſonderliches zu handen
kommen: deren Ruhm ich ietzo mit ver-
ſchweigung ihres Nahmens nichts entzo-
gen haben will. Ich halte traun den
Ruhm der Frauen/ den ſie aus der Po-
eterey erlanget/ viel hoͤher als den Ruhm
der
[445]Poeterey dritten Zeit.
der Maͤnner- Denn es iſt gar ein un-
billiges Urtheil des vornehmen Arabi-
ſchen Poeten Pharezdaki, welcher/ da er
ein ſehr ſchoͤnes Carmen einer Araberin
geleſen/ geſagt: (wie Pocokius in der Vor-
rede ſeiner Anmerckungen uͤber das Ara-
biſche Carmen Tograi erzehlet) Galli can-
tum cum Gallina imitatur iuguletur:
Wann die Henne wie der Hahn
ſinget/ muß man ihr den Halß ab-
ſchneiden. Sonſten hat man in dieſer
Zeit mit a[ll]em Ernſt die Verbeſſerung der
Teutſchen Sprache fortgeſetzet/ und nach
dem Exempel der Frantzoſen und Italiaͤ-
ner/ ſonderliche zu dieſen Zweg zielende
Geſellſch[a]fften angeſtellet. Worunter
inſonder[h]eit die ſo genante Fruchtbrin-
gende/ d[a]runter auch Fuͤrſtliche Perſo-
nen ſich [b]efinden/ den Vorzug hat/ durch
deren Stifftung viel gutes erfolget/ und
viel tre[ffl]icher Buͤcher hervor gekommen.
Von i[hr]em Urſprung/ Satzung/ Vorha-
hen/ G[l]iedern/ hat der ſo genandte unver-
droſſe[n] Carl Chriſtoph von Hille ein
eige-
[446]Das IX. Cap. Von der Teutſchen
eigenes Buch unter dem Nahmen des
Teutſchens Palmbaums heraußgegeben.
Nachgehends haben auch andere dieſem
Exempel gefolget/ und andere Geſellſchaff-
ten angeſtellet. Aber es iſt dadurch zu
vielen thoͤrichten Weſen anlaß gegeben/
davon allhie nichts weiters zu erwehnen.
Wir laſſen dieſe als ietzo bekandte dinge
fahren/ und ſchreiten zum dritten
Theil.
Drit-
[447]
III. Theil.
Von der Teutſchen Poeterey
an ihr ſelbſten.
Das I. Cap.
Von der Kunſtrichtigkeit der
Teutſchen Sprache/ und deren
faͤhigkeit zur Poeterey.
Einhalt.
DEr Teutſchen Sprache Zierlichkeit. Die
Teutſchen haben ſie ſelbſt verkleinert. Sie
wird bey den Autoribus barba[r]a lingua
genannt. Iſ. Voſſius verachtet die heutige Teut-
ſche Sprache ohne Fug. Die harten dialecti
koͤnnen dieſelbe an ſich nicht verunzie-
ren. Der Bayern und Deſterreicher Außrede
wiꝛd von Scioppio nicht unbillig getadelt. Des
Herrn Conringii und Herrn Praſchen Urtheil von
der treflichkeit der Teutſchen Sprache. Caroli M.
teutſche Grammatica. Teutſche Sprache hat ſich
weit erſtrecket. Ott[f]ridus und Trithemius haben
die Teutſche Sprache auch zu verbeſſern geſuchat.
Des Keyſers Maximiliani loͤblicher Vorſatz. Ur-
theil
[448]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
theil von der Teutſchen Grammatica auß dem
Bibliandro. Adami Bohorizi Arcticæ horulæ
ſucciſivæ. Joannis Grachi Pierii, Ladislai Sunt-
heim, Johann Bruͤcken/ Alſtedii, Laurentii Al-
berti Oſtro Franck/ Valentin Ickelſammer/ Johan-
nis Claii, Teutſche Grammatiken. Herrn
Schottels Teutſche Sprach-Arbeit. Claubergius
hat de Cauſis linguæ Germanicæ ſchreiben wollen.
Teutſche Sprache iſt vor andern ſonderlich zu er-
heben. Allgemeine Sprach-Arbeit. Carteſii
Urtheil von eineꝛ Eꝛfindung eineꝛ Linguæ Univerſalis.
Deſſen Vorſchlag von einer lingua Philoſophica
Georgii Dalgarne, John Wilkins, und Joachimi
Friſichii hierauff zielende Erfindungen.
EHe wir zu der Teutſchen Poeterey
ſelbſt kommen/ muͤſſen wir etwas
ſtille ſtehen/ und von der Kunſt-
richtigkeit der Teutſchen Sprache/ und
deren Grammatica etwas reden. Dann
es ſein etliche die die Teutſche fuͤr eine
barbariſche/ und zur Poetiſchen Lieblich-
keit unbequeme Sprache halten Ja es
haben ſich die Teutſchen ſelbſt Barbaros
und ihre Sprache Barbaram genannt/
Eginhartus in vitâ Caroli M. in præfatione
nen-
[449]der Teutſchen Sprache.
nennet ſich hominem barbarum. Der Wal-
lefridus Strabo de Vitâ Galli cap. 6. nennet
linguam Alemannicam barbaricam locuti-
onem. Derſelbe hat de reb. Eccleſiaſt. c.
7. dieſe Worte. Dicam ſecundum noſtram
barbariem, quæ eſt Theodiſca. Kero ein
Muͤnch von S. Gallen hat geſchrieben
Interpretationem Vocabulorum Barbarico-
rum, meinet dadurch die Teutſche. Ein
mehres hat Savaro in notis ad Sidonium.
Apollinar. lib. 4. epiſt. 16. angefuͤhret.
Welches alles aus der groſſen Ehrerbie-
tung gegen die Lateiniſche Sprache her-
gefloſſen/ dadurch andere ſich der Teut-
ſchen Beſcheidenheit mißbrauchet/ und
die Sprache noch mehr verkleinert/
die einige Landsleute ſelbſt verachtet. Ja
es iſt dahin gekommen/ daß diejenigen
die ſelbſt Teutſcher Abkunfft ſein/ nicht die
alte nur ſondern auch die jetzige/ die doch
nach allen ihren ſtuͤcken außgezieret iſt/
noch vor Barbariſch außſchelten. Iſt
derowegen unleidlich was Iſ. Voſſius de
Poëmatum Cantu p. 56. von derſelben ſa-
f fget:
[450]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
get: Germanorum ut vaſta ſunt corpora,
ta quoque vaſtus eſt ſermo. Plus ille pon-
deris quam majeſtatis habet, quâ tamen non
deſtitueretur, niſi illam infringeret ſyllaba-
rum ipſas quoq; fauces abradentiũ aſperitas
\& frequens nimis conſonantium concur-
ſus. Und ferner: Germanorum ſermo li-
cet nullum non admittat pedum genus, dif-
ficulter tamen hic ſe inſinuat delicatioribus
auribus, non tantum propter crebrum ſi-
bilum literæ S. \& concurſum nimium con-
ſonarum, \& præterea ruſticum \& obſcurum
A \& O longi ſonum, ſed \& quod maximâ
ſui parte conſtat ſpondeis \& moloſſis. Diß
Urtheil iſt viel zu hart und unfreundlich/
auch der Warheit nicht gemaͤß. Dann
es werden ja endlich die Conſonantes ſo
gar ſehr nicht uͤberhāufft/ wie er vorgiebt/
und kan auch hier in eine Maaſſe gegeben
werden: ſehe auch nicht/ wie die Vocales
A und O eine Sprache bāuriſch machen
ſolten/ dann ja die majeſtas linguæ inſon-
derheit von ſolchen Vocalibus herkommen
muß. Wie man ſolches beym Virgilio
ſehen
[451]der Teutſchen Sprache.
ſehen kan/ der inſonderheit dieſer Vocalium
ſich gebrouchet/ wann er die Worte klin-
gend und anſehnlich in einer wichtigen
Sache machen will. Was wolte er dann
von der Spaniſchen und Italiaͤniſchen
Sprache ſagen/ da dieſe Vocales gar haͤuf-
fig ſich finden? Sind alſo nur nichtige
kluͤgeletẽ/ damit man der Teutſchen Spꝛa-
che Wuͤrde und Anſehen zu ſchmaͤhlern ge-
dencket. Es kan auch einer oder andern
Nation harte und raue Außrede/ der
gantzen Sprache nicht beygemeſſen
werden. Die Bayern und Oeſterreicher
koͤnnen aus einem Vocali bißweilen 3. oder
4. machen/ wie Scioppius in ſeinen Con-
ſultationibus p. 29 von ihnen anfuͤhret/
in dem ſie Aaa an ſtatt auch/ Waarle
vor Warlich/ Gooold/ Taaeler vor
Gold/ teller ſagen.Talis, ſagt er/
facile Galus \& altis ſuſpicionem movet, ut
eum vervecum in patriâ craſſoꝙ ſub aëre na-
tum putent. In quâ ſuſpicione ſaltem de
plebeiis hominibus non multum eos falli
vel opificum, quiea dialecto magis utuntur.
f f 2exem-
[452]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
exempla fidem faciunt, quas magnam partẽ
obtuſi ingenii, ignavos \& laboris fugitantes
eſſe conſtat. Aber man muß aus dieſen E-
xempeln nicht uͤberhaupt von der gantzen
Sprache urtheilen: wie man bey den
Griechen/ ja bey allen Nationen ſolche ver-
ſchieden gehabt/ und noch heutiges Tages
hat. Ich wolte ein gantzes Woͤrterbuch
durchgehen und nach der Reihe erwei-
ſen/ daß unſre Woͤrter nicht hārter ſein
als die Griechiſche und Lateiniſche/ ja
woll weicher als jene/ und wo ſie haͤrter
ſein/ der Natur mehr nachahmen als
jene. Welches vielmehr unter die Tu-
genden als Laſter einer Sprache zu-
ſetzen. Ich ziehe alhie des Herrn
Conringii Urtheil in der Epiſtola auff des
Herrn Schottelii Werck von der Teut-
ſchen Sprach/ dieſem des Voſſiii vor/
deſſen Worte dieſe ſein. Habet Germa-
nica lingua, quâ ſe præ Græca pariter \&
Latinâ commendat, ſimul incredibilem at-
que infinitam vocum componendarum
vim \& felicitatem, habet primitiva pluri-
ma
[453]der Teutſchen Sprache.
ma, modo probè eruantur. Nec eſt ali-
quid temere elegantiæ, quo cuiquam lin-
guarum ſit ſecunda: niſi quod dum verbis
auxiliaribus cogitur aliis ſuppetias nimis
frequentes ferre, juſto poſſit videri prolixi-
or \& Græcanicam Latinamque brevitatem
haud aſſequatur. Quas dotes \& quam fe-
licitatem non agnoſcere, ideo autem dun-
taxat vilius illa æſtimare, quoniam exo-
tica non ſunt hæc bona, indignum profecto
facinus eſt, nec tolerandum prudentibus.
Der Herr Praſch hat in ſeinem Buch
von fuͤrtreflichkeit und verbeſſerung Teut.
ſcher Poeſie/ die Teutſche Sprache nicht
allein an ihrer Heldenmaͤßigen Eygen-
ſchafft/ ſondern auch an Lieblichkeit der
Griechiſchen Lateiniſchen und anderer
Voͤlcker Sprachen vorgezogen/ da-
durch ſie zur Poeterey geſchickter als an-
dere/ deſſen ſeines Satzes Uhrſachen er
da ſelbſt weitlaͤufftig anfuͤhret. Ob nun
zwar dieſe Eigenſchafften der Teutſchen
Sprache von verſtaͤndigen Leuten woll
gemerckt worden/ ſo iſt man doch ſpāte
f f 3dazu
[454]Das I. Cap. Von der Kunſtrichkigkeit
dazu kommen/ daß man ſie in richtige
Reguln gebracht. Hierin iſt Carolus M.
zu loben/ welcher zum erſten ſeine Mut-
ter Sprache in eine Grammatiſche Rich-
tigkeit verfaßt/ durch Beyhuͤlffe des
Nannonis Theobaldi, Albim und Beren-
geri. Dann ob zwar die Theodiſca und
Francica lingua unterſchieden geweſen/
wie Lambecius lib. 2. de Biblioth. Vindo-
bon. p. 427. erweiſet/ ſo iſt doch kein we-
ſentlicher Unterſcheid darinnen geweſen.
Dieſe des Caroli M. Grammâtica iſt wie
Geſnerus in ſeiner Bibliothecâ erwehnet
noch zu ſeiner Zeit verhanden geweſen.
Sie iſt aber dennoch nicht zur Voll-
kommenheit gebracht: denn es kla-
get nachgehends der Ottfridus in der
Vorrede ſeiner Evangelien ſehr uͤber die
haͤrtigkeit und unfreundlichkeit der Spꝛa-
che. Es hat auch Trithemius nicht we-
nig ſich bemuͤhet dieſelbe in Richtigkeit
zu bringen. Der Kayſer Maximilianus
hat auch die Beſſerung der Teutſchen
Sprache vorgehabt. Bibliander de ratio-
ne
[455]der Teutſchen Sprache.
ne communi omnium linguarum ſagt p.
27. Ferunt \& Maximilianum Imperatorem
in animo verſaviſſe emendationem ſermo-
nis Teutonici. Non prætermittere hic
etiam ſententiam gravem \& ſapientem; ut
judico Fabiani Francki civis Bolislavienſis,
debeo. Cujus hæc ſunt verba:Es waͤr
on Schaden ja meines Beduͤn-
ckens hoch von noͤthen/ daß eine
gantzeGrammaticahierin beſchrieben
wuͤrde/ recht regulirtes Teutſchen:
Die Sprache iſt ſo luſtig/ nuͤtzlich
und dapfer in ihrer redmaß; als
indert eine andere befunden wird.
Lambecius gedencket lib. 1. Biblioth. Vindo-
bon. eines Adami Bohorizi, wel-
cher ein Buch genant/ Arcticas horulas
ſucciſivas geſchrieben de Latino Carnio-
lanâ literaturâ ad Latinæ linguæ Analogi-
am accommodatâ, ſo zu Wittenberg An.
1584. in 8vo heraußkommen/ quo libello
wie er ſagt/ Slavonicæ linguæ Gramma-
tica \& Moſcoviticæ Rutenicæ, Polonicæ
Bohemicæ \& Luſaticæ linguæ cum Dalma-
f f 4ticâ
[456]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
tieâ \& Croateâ cognatio indicatur, deſſen
Lazius und Geſnerus in ſeinen Mithridate
ſich viel gebraucht. Koͤnte alſo auch die-
ſes zur Teutſchen Grammatic einen groſ-
ſen Vorſchub thun. Lambecius hat hievon
in ſeinen Prolegomenis Annalium Auſtri-
acorum weitlaͤufftiger handeln wollen/
und des Taciti und anderer Autorum lo-
ca erklaͤren wollen. Welche Arbeit
aber nun mit ihm verloſchen. Es ſoll
einer Johannes Gracchus Pierius auch uͤber
einer Grammatica gearbeitet/ aber nicht
vollfuͤhret haben/ und hat Ladislaus
Suntheim, deren Geſnerus und Simlerus
gedencken/ einige heraußgegeben. Drau-
dius gedencket eines Johann Bruͤcken/
deſſen Teutſche Grammatica zu Franck-
furth A. 1620 hervorkommen. Aber ich
habe deren keine geſehen/ auch nicht wo
mir recht/ bey dem Herrn Schottel eini-
ge erwehnung von ihnen gefunden. Man
wird auch in des Altſtedii Encyclopædia
eine finden. Laurentius Albertus Oſtro-
Franck hat eine Teutſche Grammaticam
zu
[457]der Teutſcheu Sprache.
zu Auſpurg Anno 1573 druckenlaſſen/ wel-
ches der Herr Schottel vor ein unvoll-
kommen Werck haͤlt/ wie auch Valentin
Ickelſammer eine andre/ die Hr. Schot-
tel ruͤhmet/ ob es zwar ein kleines Buͤch-
lein iſt. Johannes Claius hat auch ſeinen
Fleiß hierin angewandt/ deſſen Teutſche
Grammatica uͤber achtmahl gedrucket.
Das vollſtāndigſte Werck das in der
Teutſchen Sprache und Tichtereykunſt
hervorgekommen/ iſt des Herrn Schot-
tels ſeines/ weches billig allen andern
vorzuziehen/ dann er ſich befliſſen/ alle
Stuͤcke der Teutſchen Sprachkunſt vol-
lenkoͤmlich außzufuͤhren/ und da ers nicht
gethan/ ſolchen Entwurff vorzuſtellen/
wornach es weiter außgeuͤbet werden
koͤnne. Es were zu wuͤnſchen/ daß des
gelahrten und tieffſinnigen Carteſiani des
Claubergii Buch de Cauſis linguæ Germa-
nicæ, deſſen er in ſeinen Arte Etymologi-
câ Teutonum gedencket/ hervorkommen
were. Es wurde gewißlich eine gute
Arbeit geweſen ſein. Dann er allent-
f f 5hal-
[458]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
halben nach philoſophicis principiis uñ der
Analogiâ gehet/ und eine ſonderliche
Scharfſiñigkeit in erforſchung der Woͤꝛteꝛ
gebraucht/ welche ich nicht bey andern
finde/ ob er zwar bißweilen mehr ſinnreich
als gruͤndlich zu ſein ſcheinet. Von die-
ſem wird nachgehends ein mehres geſa-
get werden. Wir ſehen aber drauß/
daß keine Sprache bequemer ſey nach
der Vernunfft und den Conceptibus re-
rum gerichtet zu werden/ als die Teut-
ſche. Es ſaget Laurentius Albertus O-
ſtrofranck recht/ Sub ſole vix brevior \&
facilior lingua eſt, quæ ἀυτοφυὴς eſt, ex ſe
nata ex ſe conſtans. Der Nachdruck/ die
ſonderliche Faͤhigkeit in Zuſammen-
ſetzung der Woͤrter/ und andere Be-
ſchaffenheiten derſelben/ werden gar
weitlāufftig von dem Herrn Schottel in
ſeinen Lobreden vorgeſtellet/ daß es eine
uͤberfluͤßige Sache were hievon ein meh-
res zu erwehnen. Man hat einige ge-
habt welche ſich bemuͤhet eine Sprache
zu erfinden/ die der Natur/ und der Phi-
loſo-
[459]der Teutſchen Sprache.
loſophie gemaͤß/ und gantz keine Unrich-
tigkeiten habe. Ich halte aber davor
daß man die Teutſche/ was diß betrifft
allen andern vorziehen koͤñe. Es were gar
leicht zu erweiſen/ daß diejenigen Gruͤnde/
welche der gelahrte Frantzoͤſiſche Autor in
ſeiner Grammaire Generale \& raiſonneé ge-
ſetzet vor allen andern der Teutſchen
Sprachen zukommen koͤnnen. Ich kan
nicht unterlaſſen bey dieſer Gelegenheit/
einen Außſchweiff zu machen und von de-
nen/ die ſolche allgemeine Sprach-Ar-
beiten vorgehabt eine Erwehnung zu
thun. Es urtheilet Carteſius part. 1. Epiſt.
111. ad Merſennum, der ihn wegen Erfin-
dung einer linguæ Univerſalis, die jemand
vorgegeben/ um Raht gefraget/ daß
es eine vergebliche und unnuͤtzliche Arbeit
ſey/ wann es auff die Art/ wie der Autor
vorgeſchrieben/ angefangen wuͤrde.
Der Autor ruͤhmet von ſeiner neuen
Sprache/ daß man durch deren erlernung
alle andere Sprachen als ihre dialectos
erlernen koͤnne/ und daß er der Alten
Ge-
[460]Das I. Cap Von der Kunſtrichtigkeit
Gedancken/ durch ihre Woͤrter erfor-
ſchen wolle. Solches wird aber von
Carteſio vor eine Grillenfaͤngerey gehal-
ten. Derſelbe hat auch vor gehabt ei-
ne neue allgemeine Grammatica zu ma-
chen/ nach welcher eine Sprache in fuͤnff
oder ſechs Stunden koͤnne gelernet wer-
den. Welches Carteſius nicht eben ta-
delt. Kan nicht wiſſen/ ob es nicht etwa
demienigen gleich ſein ſolte/ welches der
Autor der Grammaire Generale erſonnen.
Er ſetzet aber zweene Fehler/ welche die
Arbeit unangenehm machen wuͤrden: als
erſtlich die zuſammenſtoſſung vieler Buch-
ſtaben/ die den Ohren zu wider iſt: dañ
um dieſer Uhrſachen willen hat man die
vielen flexiones der Woͤrter eingefuͤhret:
zum andern/ die beſchwerlichkeit die
Woͤrter der Sprache außwendig zu ler-
nen; dann es muſte ein jede Nation ent-
weder die Stammwoͤrter ihrer Syrache
gebrauchen: ſo wer es zwar leicht/ aber
man wuͤrde mit andern keine Gemein-
ſchafft haben koͤnnen/ oder auch fremb-
de
[461]der Teutſchen Sprache.
de Sprachen ihm mit hinzu ſetzen/ und
ſo wuͤrde man ſchwerlich jemand finden
der dieſe Muͤhe auff ſich nehmen wolte.
Dennoch wuͤrde es im ſchreiben den Nu-
tzen haben/ daß wann vieler Spra-
chen gleichdeutige Woͤrter mit einem Zei-
chen in einem Lexico vorgebildet wurden/
durch dieſelbe ſich alle Nationes verſtehen
koͤnten. Welches vom Herrn Becchero
in ſeinem Charactere Univerſali, und nach-
gehends von Kirchero in ſeiner Polygra-
phia, vorgeſtellet worden: worinnen et-
licher maſſen der Weg gewieſen. Es
thut aber Carteſius einen andern Vor-
ſchlag/ daß man durch Huͤlffe eines rich-
tigen Methodi Philoſophicæ eine Sprache
erdencken koͤnne die allen gemein ſey.
Er ſagt: Adverto poſſe adhoc addi inven-
tionem aliam tum ad primitiva linguæ hu-
jus vocabula, tum ad characteres inveni-
endos, ita ut breviſſimo tempore doce[r]i
poſſit, idque ope ordinis, h. e. ordinem
ſtabiliendo inter omnes cogita[n]ones, quæ
animum humanum ſubire poſſunt, quem-
da-
[462]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
admodum inter numeros ordo eſt natura-
liter conſtitutus: \& ſicut uno die quilibet do-
ceri poteſt numeros omnes in infinitum
nominare linguâ incognitâ \& ſcribere, quæ
tamen innumeris diverſis vocabulis deſig-
nantur: idem quoque fieri poſſit de aliis
omnibus vocabulis ad cætera quæ in men-
tem hominis cadunt exprimenda neceſſa-
rius. Es ſcheinet daß einige Engellaͤn-
der dieſen Vorſchlag ergrieffen. Dann
es hat Georgius Dalgarne ein Buch ge-
ſchrieben/ deſſen titul: Ars ſignorum vulgo
Character univerſalis \& Lingua Phtloſo-
phica. Worinnen er nach den Claſſi-
bus Prædicamentorum, und den einthei-
lungen der dinge in allen Wiſſenſchaff-
ten mehrentheils Einſylbige Woͤr-
ter ertichtet/ die nach den Vocalibus und
ihren poſicu und der Conſonantium ver-
ſetzung eine richtige Veraͤnderung der
Bedeutungen bekommen. Alſo bedeu-
tet ihm Av, Ens, res, Ar Subſtantia, Er
Accidens, Fr Ens completum vel concre-
tum, Or Corpus, Rr Spiritus, Vr compoſitum
id
[463]der Teutſchen Sprache.
id eſt: Homo, Meis concretum mathema-
ticum. Dieſen folgen nun alle ſpecies
nach der reihe/ und ein jegliches was
unter ihnen gehoͤret/ worinnen einer ich-
tige Ordnung der Conſonantium und Vo-
calium gehalten wird; Wie er dann ein
Lexicon Grammatico-Philoſophicum auff
einen Bogen verfaſſet. Eben dieſe Ar-
beit hat D. John Wilkins vorgenommen;
der ein groſſes Buch von dem Reali Cha-
ractere und Lingua Philoſophica geſchrie-
ben/ und der Koͤniglichen Geſellſchafft zur
eroͤrterung auffgetragen. Er hat groſſe
Muͤhe angewand alle Dinge unter 40.
Generibus einzutheilen; hat auch gleich-
fals nach dem Unterſcheid der Vocalium
und Conſonantium die dinge mit ſeinen
Woͤrtern benennet/ und mit gewiſſen
Zieffern gezeichnet. So hat auch gar
neulich ein Profeſſor Gymnaſii Rigenſis
Joachimus Friſichius dergleichen allgemei-
nes Sprach-Werck und eine Linguam
Ludoviceam dem Koͤnige in Franckreich
zu Ehren vorgenommen/ davon er den
Ab-
[464]Das I. Cap. Von der Kunſtrichtigkeit
Abriß und Einhalt/ auff etlichen Bo-
gen hervorgegeben/ die mir von mei-
nem hochwehrten Freunde Hr. Heñing
Witten/ deſſelben Gymnaſii beruͤhmten
Profeſſore zugeſaudt worden. Es wer-
den hierin viel groſſe dinge verheiſſen.
Das meiſte wird daran gelegen ſein/ daß
man andere Nationes auch zu der-
gleichen Einfaͤlle bringen koͤnne. Car-
teſius urtheilet an angefuͤhrtem Ohr-
te von ſolcher Sprache alſo: Exiſtimo poſ-
ſibilem eſſe hanc linguam \& reperiri poſſe
ſcientiam illam, ex quâ illa pendet: cujus
certè beneficio ruſticus quiſpiam de rerum
veritate poſſet melius judicare, quam jam
Philoſophus aliquis. Sed ne ſpera te un-
quam viſurum illam in uſu: id magnas
in orbe mutationes ſupponit, eſſetque ne-
ceſſe totum Orbem in Paradiſum terreſtrem
converti; quod ſanè in fabulis tantum lo-
cum habeat. Was die Lieblichkeit anlan-
get/ kan dieſelbe in dieſen ertichteten
Sprachen keine ſtatt finden. Vermei-
ne alſo daß eine Sprache die durch die
Na-
[465]der Teutſchen Sprache.
Natur und Kunſt zugleich zur Vollen-
kommenheit gebracht/ wie unſre Teut-
ſche iſt/ billig vor allen andern wehrt zu
halten ſey.
Das II. Cap.
Von der Orthographia
der Teutſchen Sprache.
Einhalt.
DIe Orthographia muß mit gewiſſer Maaſſe
außgeuͤbet werden. Die Hollaͤnder ſein die
erſten hierin. Cornel. Giſbert. Plempius
hat von der Orthographia geſchrieben. Ob die
Etymologia ein richtiger Grund der Orthographia
ſey. Maͤnſch wird von etlichen vor Menſch
geſchrieben. Des Worts Uhrſprung und Ablei-
tung. Die Veraͤnderung der Buchſtaben kan
nicht vermieden werden. Ob man ſo ſchreiben ſolle/
wie man redet. Iſt keine richtige Regul. Die
Vocales claræ und obſcuræ koͤnnen an Schrifft
nicht wol unterſchieden werden. Doͤmuͤthig
wird vor Demuͤthig von Butſchkj geſchrieben.
tleo, theo, deomutah. Das (h) und die Ver[d]op-
g glung
[466]Das II. Cap. Von der Orthographia
lung der Vocalium wird von etlichen zur außdeh-
nung des Vocalis gebraucht. Menſchſchen vor
Menſchen/ Lachchen vor Lachen ꝛc. iſt unge-
reimt. Die endigung der Woͤrter iſt auff ein
en/ ohne Zuſatz eines Conſonantis. Plempius
behauptet dieſes auch in der Hollaͤndiſchen und
Griechiſchen Spꝛache. Tadelt die Tentſchen unbillig
wegen verdoppelung der Conſonantium. Baco-
nis Verulamii urtheil von der Regul/ daß man ſo
ſchreiben ſolle/ wie man redet. Dergleichen Neue-
rung in Frantzoͤſiſcher Sprache. Herrn Titii
Urthel von der neuerung in der Teutſchen Ortho-
graphia. Die hinzuſetzung und hinwegwerffung des
(e) im Teutſchen. Das (e) mutum bey den Engellaͤn-
dern. Der Zuſatz des (e) in Nominativo Plurali
der Woͤrter die auff er und el außgehen/ wird geta-
delt/ wie auch die hinwerffung von dem Dativo
ſingulari und Imperativo. Exempel der Zuſam-
menfuͤgung in den alten Teutſchen Verſen. Vie-
lerley Dialecti der Teutſchen Sprache. Scioppius
ſetzet deren ſechs. 1. Den Meißniſchen. Deſſen
Fehler. 2. Den Reiniſchen. 3. Den Schwaͤbi-
ſchen. 4. Den Schweitziſchen. 5. den Saͤchſchen.
Iſt den andern vorzuziehen. Micrælii Urtheil. 6.
Den Bayeriſchen. Solche Dialecti ſein vor alters
auch geweſen. Ob die Dialecti untereinander zu
miſchen. Ronſard und Mambrunus geben es zu.
Aber ohne Fug. Des Hugo von Trimberg Reime hie-
von. Sam. Butſ[ki]accentus in der Teutſchẽ Spꝛache.
Da-
[467]der Teutſchen Sprache.
DAmit wir auch die Theile der
Grammatica kurtz beruͤhren/ ſo
wollen wir etwas weniges hie-
von anfuͤhren: Dann weiln von andern
groſſe Buͤcher davon geſchrieben/ ſo iſt
es nicht noͤthig/ daß wir uns hierin auff-
halten. Was nun erſtlich die Orthogra-
phiam anlanget/ ſo hat man in dieſer
Zeit Leute gehabt/ die alle ihre Kunſt in
dieſer Gruͤbeley geſuchet/ und fuͤr groſſe
Meiſter haben wollen gehalten ſein/
wann ſie nur etwas neues ihren thoͤ-
richten Einfaͤllen nach hierin haben her-
vor gebracht. Ich tadele nicht/ daß man
die Orthographiam außuͤbe; aber es muß
eine Maaß darin ſein/ und allezeit ein
Auge auff den gemeinen Gebrauch ge-
richtet werden. Die Teutſchen haben
ſpaͤter die Orthographiam außgeuͤbt/ als
die Hollaͤnder/ welches der Herr Conring.
angemerckt in dem Briefe uͤber des Hn.
Schottels Sprach-Arbeit. Cornelius
Giſebertus Plempius hat ein Buch de
Orthographiâ Belgicâ geſchrieben: worin-
g g 2nen
[468]Das II. Cap. Von der Orthographia
nen er viel ſonderlicher Einfaͤlle hat/ de-
nen ich durchgehends nicht beyfall geben
kan. Ins gemein ſetzet man die Etymo-
logiam zu einem grunde der Orthogra-
phie. Es iſt aber ſolche Regul nicht ſo
unfehlbar/ daß man nicht davon ab-
ſchreiten muͤſſe. Dann man fehlet zum
oͤfftern ſelbſt in den Etymologiis, und lei-
det die uͤbliche Außrede ſolche Schrifft
nicht. Dann es iſt ein ungereimter
Schluß: Dieſes Wort kan mit ſolchen
Buchſtaben fuͤglicher geſchrieben wer-
den: darum muß es auch alſo ſein. Man
muß hier der gemeinen Beliebung/ da-
von vornehmlich eine Sprache/ und
nicht von dieſes oder jenes unzeitiger
Critica hanget/ fuͤr die Richtſchnur hal-
ten. Was erhebliche Uhrſachen ſein/ daß
ich Maͤnſch/ nicht Menſch ſchreiben
ſolle? Man ſagt weil es von Mann
herkomt. Es iſt dieſes wol war/ dann
das Wort Menſch vor Alters kein ſub-
ſtantivum ſondern ein Adjectivum gewe-
ſen/ biß es endlich durch den Gebrauch
zum
[469]der Teutſchen Sprache.
zum Subſtantivo geworden/ wie ſolches
Vorſtius in ſeinem Specimine obſervatio-
num in linguam Vernaculam cap. 2. weit-
laͤufftig außfuͤhret: Es iſt aber allezeit
Menniſch, nicht Manniſch geſchrieben
worden/ da das Hauptwort in ſingulari
Mann/ in PluraliMenn gehabt/ und
gantz irrig iſt daß die Derivata eben die
Buchſtaben behalten muͤſſen/ die in pri-
mitivo ſein. Iſt auch unmuͤglich wegen
der nothwendigen Verānderung der
Buchſtabēn/ wie ſolches aus der Grie-
chiſchen und Lateiniſchen Sprache ſatt-
ſam erhellet/ (deren vielfaͤltige Exempel
bey dem Voſſio in ſeinem Buch de permu-
tatione literarum, ja auch in der formati-
one temporum und caſuum bey allen
Voͤlckern zu ſehen) und nicht anders mit
der Teutſchen Sprache kan gehalten wer-
den. Es haben dieſe neue Critici auch
dieſe Haupt-Regul: daß man ſo ſchreiben
ſolle wie man rede. Iſt wiederum ein
unrichtiger Schluß: dann da ſind fuͤrs
erſte unterſchiedliche Dialecti und Mund-
g g 3arten
[470]Das II. Cap. Von der Orthographia
arten/ und were was nach dieſer geſchrie-
ben nach der andern verwerflich. Bleibt
man alſo lieber/ weil die Teutſchen in ei-
ner art zu ſchreiben uͤbereinkommen/
bey der einſtimmung ihrer Feder/ als
daß man dem ungleichen Mundlaute fol-
ge. Thoͤricht iſt deßhalben/ daß ich ſoll
ſchreiben haͤben fruͤr heben/ waͤrffen
fuͤr werffen/ laͤben fuͤr leben/ ſaͤnden
fuͤr ſenden: dann man kan keinen unter-
ſcheid machen unter das e clarum und
obſcurum, wo es nicht von allen vocali-
bus gelten ſoll/ welche per remisſionem vel
elationem ſoni nicht koͤnnen ſo fort in
literas ſpecie diverſas oder diphthongos
verwandelt werden. Alſo iſt bey den La-
teinern (e) obſcurũ in dem Worte Severus
(e) clarum in dem Worte merces, welches
aber deßhalben nicht anders darff ge-
ſchrieben werden. I obſcurum iſt in dem
Worte inimici, clarum in dem Worte
piſcis. Auch iſt gar laͤcherlich wann
Samuel Butſchki doͤmuͤthig vor de-
muͤthig zum theil aus dieſen grunde
ſchreibet
[471]der Teutſchen Sprache.
ſchreibet. Dann ob zwar das Wort
deomuat bey den alten Teutſchen geſchrie-
ben/ dann man hat das Wort deo, theo,
welches humilem oder ſervum bedeutet/
bey ihnen gehabt/ davon Vorſtius in ob-
erwehnten Buch c.3. zu leſen. Aber deß-
halben muß man nicht eben die gemeine
ſchreibart endern. Es ſein auch etliche die
die erhebung und außdehnung der voca-
lium mit Zuſatz eines (h) oder mit Ver-
doppelung des vocalis außdruͤcken/ wel-
ches auch unnoͤthig iſt. Wieder dieſe/
die ſolches gleichfalls in der Schwediſchen
Sprache thun/ hat Martinus Brunnerus
einige diſſertationes geſchrieben/ wie der
Herr Schefferus in Sveciâ literatâ p. 216.
bezeuget. Auß dieſer ungegruͤndeten
Einbildung komt auch/ daß man
Menſchſchen vor Menſchen/ lach-
chen vor lachen/ Sachchen vor
Sachen/ ſchreibt: Weil man meinet
man rede alſo/ welches doch falſch iſt;
dann es iſt in Teutſcher Sprache die fle-
xio in plurali nicht auff ein ſchen ſon-
g g 4dern
[472]Das II. Cap. Von der Orthographia
dern en oder er: als heid/ heid, en/
licht/ licht er. Man kan hieruͤber den
Herrn Tſcherning in ſeinem unvorgreiff-
lichen Bedencken uͤber etliche Mißbrāu-
che in der Teutſchen Schreib und Spꝛach-
Kunſt cap. 1. obſer v. 2. nachſehen/ woſelbſt
er des Buchners Urtheil/ und
viel andre merckwuͤrdige und die Teut-
ſche Orthographiam betreffende dinge an-
fuͤhret/ deſſen Mannes Urtheil ich viel
hoͤher halte/ als dieſer Neulinge unzeiti-
ge Critic. Plempius, deſſen wir droben
gedacht/ hat in ſeiner Orthographia Belgi-
câ mit vielen gruͤnden erweiſen wollen:
daß die duplicatio Conſonantium inſon-
derheit in den Infinitivis falſch und unrich-
tig und nur von einer unfoͤrmlichen Auß-
rede herkomme. Die jenigen die die en-
digung des Infinitivi auff ben/ den/ fen/
gen/ ken/ len/ men/ nen/ pen/ ren/
ſen/ ren/ jen/ wen machen/ irren alle
nach ſeiner Meinung/ denn die endigung
iſt bloß auff en/ als in dieſen worten/
hebben/ wedden/ ſuffen/ leggen/
bak-
[473]der Teutſchen Sprache.
bakken/ willen/ temmen/ ꝛc. und iſt
er hierin auff rechter Meinung. Er
meinet aber daß die Conſonantes in dem
Hauptwort nicht zu verdoppeln ſondern
nur einfach zu ſetzen ſein/ wie ich bey den
Lateinern nicht ſage ſpuvvere, ſondern
ſpuere, nicht ruvvere, ſondern ruere.
Si quis objiciat, ſpricht er/ krabbenfieri ex
krabb \& en/ex eo quæſiverim quis homo
tam auritus ſit ut inkrabbduo (bb) audire
poſſit. Ja er komt ſo weit daß er meinet
man ſoll auch im Griechiſchen die Con-
ſonantes nicht verdoppeln ſondern vor
ϛέλλειν ϛέλ-ειν vor ἀγγέλλειν ἀγγέλ-ειν vor
πραττειν πρατ-ειν ſchreiben. Worinn ich
mit ihm nicht uͤbereinſtimmen kan/ wie-
wol er einige gruͤnde beybringet die nicht
allerdings zu verwerffen ſein. Daß er
aber von den Teutſchen die duplicationem
Conſonantium herholen will/ als wenn
durch Grobheit unſer Sprache die Zier-
lichkeit der Hollāndiſchen verdorben/ dar-
in irret er ſehr und urtheilet von derſel-
ben ſehr grob und ungeſchliffen nach art
g g 5eini-
[474]Das II. Cap. Von der Orthographia
einiger ſeiner andern Landsleute. De
Germanis ſpricht er p. 25. nihil dicam
Mann Sonnſcribentibus ſecundum
plumbeas ſuas linguas atque craſſas, und
p. 32. Auriculis aſini profecto carere non
poterit, ſi cum Germanis auſcultet, qui in
Sonn Mann duo (nn) clarè audiri vo-
lunt. Daß in dem Worte Sonn und
Mann von etlichen die Conſonantes ver-
doppelt werden/ hat dieſe Uhrſache: Dañ
jenes iſt mehr ein zwey-als einſylbig
Wort: Das gantze Wort heißt die
Sonne/ bleibt alſo wenn es einſylbig ge-
braucht wird die Sonn; aber ſo wird
in dem Verß vor einem folgenden Vocali
das (e) per Apoſtrophum weggeworffen.
Dann es gar unlieblich klingen wuͤrde/
wann ich es einſylbig vor einen folgen-
den Conſonantem ſetzen wolte. Das Woꝛt
Mann wird darum ſo geſchrieben/ weil
es in obliquis caſibus ein doppeltes (n) hat.
Hātt alſo der gute Plempius mit ſeinem
ſo groben Urtheil von der Teutſchen
Sprache woll zu Hauſe bleiben koͤnnen.
Hin-
[475]der Teutſchen Sprache.
Hingegen hat Claubergius in ſeinẽ 5. Buch
de Cauſ. L. Germ. eꝛweiſen wollẽ/ dz aus der
verdoplung der Conſonantiũ die euphonia,
volubilitas, vehementia in teutſcher Spra-
che beſtehe/ wie er in ſeiner arte Etymol. p. 34.
bezeuget. Daß nun dieſe Regul falſch/ und
man nach der Außrede die Schreibart nit
einrichtenkoͤñe/ eꝛhellet ſattſam hier auß/ uñ
ſtim̃et mit uns uͤber ein der vortrefliche Ba-
co Verulamius in ſeinem Buche de augmen-
tis ſcientiarum lib. 6. c. 1. woſelbſt dieſe
Worte ſich befinden. Illa ſcriptio, quæ
formata videri poſſit, ut pronuntiationi con-
ſona ſit. eſt ex genere inutilium ſubtilita-
tum. Nam \& ipſa pronuntiatio quotidie
gliſcit, nec conſtans eſt, \& derivationes
verborum, præſertim ex linguis extraneis
prorſus obſcurantur. Denique cum ex
more recepto ſcripta morem pronunciandi
nullo modo impediant, ſed liberum relin-
quant; quorſum attinet iſta novatio? Man
hat auch in der Frantzoͤſiſchen Sprache
ſolche neuerung einfuͤhren wollen/ welches
noch viel naͤrriſcher iſt/ davon der Hr. So-
rel in ſeiner Bibliotheque Françoiſe kan
nach-
[476]Das II. Cap. Von der Orthographia
nachgeleſen werden./ und eben derſelbe
Autor (dann daß er derſelbe ſey/ bezeuget
Mr. Denys in ſeinen Memoires des Artes
\& ſciences p. 74.) in ſeinem Buche de la
connoiſſance des bons livres traité 4. chap.
4. du nouveau langage françois. Durch
dieſe und dergleichen unrechte Rechtſchrei-
bung/ iſt die ehrliche Teutſche Sprache ſo
verketzert geworden/ daß ſie faſt ihr nicht
mehr ehnlich geſehen: Und iſt des Hn.
Titii ſein verſtāndiges Urtheil in Manu-
ductione ad excerpendum p. 137. hievon
dieſes: Quod ſi ratione ſolâ nitendum eſ-
ſet, bona linguæ pars faciem longè aliam
\& ſæpe variam haberet. Id quod in Ger-
manicâ noſtrâ fieri videmus, quibusdam
ratiunculas neſcio quas tantâ indulgentiâ
amplectentibus, ut quæ ſcribant exalio or-
be advecta videantur.
Ich konte hier viel abſonderliche Lehr-
ſātze von der Teutſchen Orthographia
beybringen; aber es ſein von vielen der-
gleichen dinge geſchrieben/ unter welchen
inſonderheit des Herrn Tſchernings Be-
den-
[477]der Teutſchen Sprache.
dencken zu loben. Zugeſchweigen derer/
die gantze Buͤcher allein davon geſchrie-
ben; als Gueinzius und andere. Man
muß aber die Novatores meiden/ worun-
ter Bellin in ſeiner Rechtſchreibung der
vornehmſte iſt. Eines muß ich noch von
dem (e) gedencken/ welches offt zur un-
zeit weggeworffen und hinzugeſetzet wird.
Der Opitz ſelber ſetzet es bißweilen eini-
gen Woͤrtern zu/ dahin es nicht gehoͤret/
als Bande/ Helde/ Hande/ Din-
ge/ Munde. So wird es auch in die
Dactyliſche Verſe bißweilen hinein ge-
ſchoben: Aber es iſt ein groſſer Unſtand
der Sprache/ und klinget ſehr Außlaͤn-
diſch. In der Engliſchen Sprache wird
daß (e) auch ſehr haͤuffig hinter die verba
und nomina gehenget/ wird aber nim-
mermehr in der Außrede/ oder in dem
Carmine angeſehen/ deßhalben es auch
(e) mutum genannt wird/ davon der Wal-
lis in ſeiner Engliſchen Grammatica c. 1.
§. 2. p. 56. \& ſeqq. Dergleichen findet
ſich auch in der Teutſchen Sprache: Aber
die
[478]Das II. Cap. Von der Orthographia
die Engellaͤnder gebꝛauchen ſich einer gꝛoͤſ-
ſeren Freyheit in Zuſammenziehung der
Woͤrter/ und heraußſtoſſungdes (e) Jo-
annes Bellin hat in ſeiner Syntaxi Præpo-
ſitionum Teutonicarum von p. 44. biß 58.
auß der Bibel und andern Poeten die
Exempel der Woͤrter zuſammen getra-
gen/ denen das (e) am Ende angehangen
oder entzogen wird. Es wollen auch
einige Grammatici, unter denen Hꝛ. Schot-
tel denen/ Woͤrtern/ die in ſingulari auff ein
er oder el außgehen in plurali ein (e) zuſe-
tzen/ als der Vater/ die Vaͤtere/ oder
da es ſich im Verß nicht ſchicke/ das erſte
(e) wegwerffen/ und dafuͤr ſetzen/ die Ubel-
thaͤt’re/ die Buͤrg’re. Hergegen in
den Woͤrtern/ ſo einen vocalem oder li-
quidam vor dem er haben/ laſſen ſie es
nicht gelten; als Mahlre/ Beſchwe-
r’re/ Zuhoͤr’re. Ob nun zwar dieſes
von der analogia in declinãdo kan abgefuͤh-
ret werden/ und Herr Schottel den O-
pitz deßhalben beſtrafft/ daß er dieſes
nicht in acht genom̃en/ ſo iſt doch die Ge-
wohn-
[479]der Teutſchen Sprache.
wohnheit/ die den pluralem dem ſingulari
gleich machet/ vorzuziehen. Des Herrn
Buchners Urtheil/ das Herr Tſcher-
ning in ſeinem Bedencken c. 2. obſ. 2. an-
fuͤhret/ gibt den beſten Außſchlag Pro-
nunciatio hæc, ſagt er/ ſoni difficilis eſt \&
ingrati, quod fugiendum, quicquid etiam
Grammatici præcipiant, quorum vita \&
ſpiritus in regulis vertitur. Es gebrau-
chen auch einige groſſe Freyheit in weg-
werffung des (e) von den Imperativis in
den letzten Sylben/ ſequente vocali; wor-
auff die Niederlānder nicht groß achten:
von den Dativis und Ablativis ſingulari-
bus: womit Harſtoͤrffer und andre Ober-
laͤnder es ſo genau nicht nehmen. Aber
es machet die Rede ſehr hart und unlieb-
lich. Die Zuſammenziehung der Woͤr-
ter/ durch außſtoſſung des (e) und andrer
Vocalium iſt bey den alten Teutſchen noch
heutiges Tages in unſer Niederſaͤchſcher
Sprache ſehr gebraͤuchlich: So findet
man unter den alten Teutſchen Poeten
beym Goldaſto ſoſt vor ſo iſt/ daſt vor
das
[480]Das II. Cap. Von der Orthographia
das iſt/ erſt vor er iſt/ mirſt vor mir iſt/
ſiſt vor ſie iſt/ derſt vor der iſt/ ſus vor
ſo es/ eſt vor es iſt. Aber heutige Oh-
ren ſein viel zu zart/ daß ſie dergleichen
Laut dulden ſolten. Es iſt auch ein groſ-
ſer Unterſcheid unter den Dialectis und
Mundarten/ nach welchen die Rede und
Schreibart ſolte eingerichtet werden/
wie ſchon droben gedacht. Dann es
ſein einige gar zu rau/ und muͤſſen durch-
auß nicht zum Muſter geſetzet werden.
Der Meißner Außrede iſt die zierlichſte/
aber ſie haben auch einige ſonderlichkei-
ten/ die nicht nachzuahmen ſein. An den
Meißnern tadelt Scioppius in ſeinen Con-
ſultationibus p. 28. dieſes: Miſnenſes o-
ptimis ac probatiſſimis vocabulis ac phra-
ſibus utuntur: quamvis in pronunciandis
diphthongis ac conſonantibus nonnullis,
riſum ceteris Germanis meritò debeant
verbi gratia cum dicunt:Heebtpro
Haubt/ ZeebererproZauberer/
JodproGott/ GarproJahr. Jott
jeb euch een jutes naues Garpro
Gott
[481]der Teutſchen Sprache.
Gott geb euch ein gutes neues
Jahr. Dem Meißniſchen ſetzet Sciop-
pius zur Seiten Turingicam, Francicam,
Haſſicam Dialectum. Den andern Haupt-
Dialectum nennet er den Rheiniſchen/
deſſen ſich die Voͤlcker bey dem Rheine biß
an Niederland gebrauchen. Der dritte
iſt ihm der Schwaͤbiſche/ welcher
doch auch an unterſchiedlichen Orthen
ſich aͤndert. Der vierdte iſt der
Schweitzerſche/ der vorhin allen Ale-
mannis eigen geweſen. Dieſen Dialectum
nennet Scioppius copioſiſſimam omnium-
que minimè depravatam, weiln die alte
Schweitzer von andern abgeſondert und
nicht durch frembdeꝛ Voͤlcker vermiſchung
ihre Sprache verdorben. Der fuͤnffte
iſt ihm der SaͤchſcheDialectus, welchen
die alten Sachſen/ Weſtphaͤlinger/ Hol-
ſteiner/ Mecklenburger/ Pom̃erer/ Bran-
denburger gebraucht/ und der mit den
Schweitzerſchen des Alterthums/ der
unveranderlichkeit/ ja mit allen andern
auch der Zierlichkeit halber wol ſtreiten
h hkan.
[482]Das II. Cap. Von der Orthographia
kan. Dann es iſt der Warheit gemaͤß/
was der beruͤhmte Herr Micrælius, mein
vormahliger Lehrmeiſter/ in ſeiner Pom-
merſchen Chronica/ in der Vorrede des
dritten Buchs ſchreibet: Die alten Svevi„
haben auch die rechte Sāchſche Wurtzel„
ihrer alten Niederteutſchen Sprache mit„
in Helvetiam gebracht/ und daſelbſt den„
Swyzern oder Sweyzern/ das iſt Sve-„
vitzern ihren Nahmen und ein groß theil„
ihres Idiomatis mitgetheilet. Dagegen„
hat die ſibilirende und mit vielen harten„
diphthongis erfuͤllete Hochteutſche Spra-„
che der Francken auch ſich hin und her„
außgebreitet/ und die Svevi oder Suobeni„
(Schwaben) die ſich in Schwaben ſetz-„
ten haben ſie gar gelernet. Die Ober-„
ſaͤchſche auch in Meiſſen und Thuͤringen„
haben ſie ſich belieben laſſen. Wir an-„
dern Sachſenleute haben nun auch an„
unſere Mutterſprache einen ſolchen Eckel„
gehabt/ das unſre Kinder nicht ein Va-„
ter unſer/ wo nicht in Hochteutſcher„
Sprache/ beten/ und wir keine Pom-„
mer-
[483]der Teutſchen Sprache.
merſche Predigt faſt mehr in gantz Pom-„
mern hoͤren moͤgen. Unſer maͤnnliches„
Atticißirendes Tau (T) müß allenthal-„
ben der Sigmatiſirenden (S) Sprache„
weichen. Unter deſſen kan gnugſam„
dargethan werden/ daß die Saͤchſiſche/„
Schveviſche/ oder Gothiſche Sprache„
die rechte alte Teutſche Sprache iſt. Der
ſechſte iſt der Bayerſche/ welchen die
Leute in Bayern/ Tyrol/ Steirmarckt/
Kaͤrnten/ Oeſterreich reden/ ei-
ne von den raueſten Redarten/ mit
welcher Scioppius an demſelben Orthe viel
Spottes treibet. Solche unterſchiedli-
che Red- und Schreib-arten ſein ſchon
vor alters in den Sprachen geweſen/
wie ſolches auß den verſchiedenen Exem-
peln der alten Teutſchen Sprache zu er-
ſehen/ die Zeiler in der 381. Epiſtel anfuͤh-
ret. Wer nun ein rennliches Teutſches
Carmen ſchreiben will/ der muß den lieb-
lichſten Dialectum, wie der Meißniſche iſt
ihm vorſetzen: Unter welchen aber die
andern Oberlaͤnder ſchwerlich zu bringen
h h 2ſein.
[484]Das II. Cap. Von der Orthographia
ſein. Dann ihre Idiotiſmi lauffen allezeit
mit unter. Meines erachtens ſoll ein
Niedkrſachſe die beſte art im ſchreiben
an ſich nehmen/ wann er in den Hoch-
teutſchen Idiotiſmis etwas geuͤbet iſt. Daß
man aber alle Dialectos unter einander
vermiſchen koͤnne/ iſt eine viel zu groſſe
Freyheit/ welche Ronſard ſeinen Frantzo-
ſen gibt/ jedoch daß die Hoffſprache den
Fuͤrzug vor ihnen habe. Dann er ſpricht
in ſeinem diſcurs von der Frantzoͤſiſchen
Poeterey: Je te conſeille d’ uſer indiffe-
remment de tous dialectes, entre lesquels
le courtiſant eſt touſiours le plus beau, a
cauſe de la majeſtè du Prince; mais il ne
peut eſtre parfait ſans l’ aide des autres.
Car chacun jardin a ſa particuliere fleur \&
toutes nations ont affaire les unes des au-
tres. Ich wundre mich/ daß der gelehrte
Mambrunus in ſeinem Buch de Carmine
Epico part. 2. quæſt. 10. num. 12. dieſer Mei-
nung Beyfall gibt/ und ſeine Landsleu-
te die heutigen Frantzoſen ſtraffet/ daß ſie
all zu ſtrenge hierin ſeyn. Er wirfft ihnen
der
[485]der Teutſchen Sprache.
der Griechen und Lateiner Exempel vor/
da zwar war/ daß die Griechen etwas frey
er geweſen/ wiewoll ſie auch die Vermi-
ſchung ohn Unteꝛſcheidnicht gebꝛaucht Die
Lateiner hergegen ſein ſo ſorgfaͤltig ge-
weſen/ als jemahls eine Nation ſein moͤ-
gen/ in der ſauberkeit ihrer Sprache zu
beobachten/ daß ſie auch den Spaniern
deßhalben auffſetzig ſein/ weil ſie eine
frembde art in die Lateiniſche Sprache
der ſo genandten guͤldnen Zeit gebracht.
Hugo von Trimberg/ deſſen wir droben
gedacht/ hat in ſeinem Renner eine gleiche
Meinung/ deſſen Urtheil/ ob es zwar zu
unſern Zeiten kein Anſehen hat/ ſo will
ich doch ſeine Verſe hieher ſetzen/ welche
doch ihres Alters halber uns ergetzen koͤn-
nen: Dann er ſpricht unter dem Titul
von allerley Sprache: p 112.
Wer Teutſch will eben dichten/Der muß ſein hertze richtenAuff mancherleye ſprache/Wer meynet/ daß die von AcheReden/ als die von Francken/Dem ſollen die Meuſe dancken.
h h 3Ein
[486]Das II. Cap. Von der OrthographiaEin yegklich landt hat ſeine rede und ſitte/Der ſeinem Landtvolck wonet mit/An ſprache/ an maſſe/ und an gewande/Iſt unterſcheyden landt von lande.Der welte ding ſteht uͤber all/An ſprache/ an maſſe/ an wage/ an zal.Iſt aber nit tugend an dieſen dreyen/Straffet man ſie dann/ das laß ich ſein.Die Schwaben ihr Woͤrter ſpalten/Die Francken ein theil ſie falten.Die Beyern ſie zu zerren/Die Doͤringen ſie auff ſperren.Die Sachſen/ ſie underzuͤcken/Die Reinlender ſie underdruͤcken.Die Wederauwer ſie wuͤrgen/Die Meiſſener ſie wol aus ſchuͤrgen.Egerlandt die Woͤrter ſchwencken/Steyerland ſie baß lencken/Oſterlandt ſie ſchrencken/Kernthen ein theil ſie ſencken.Boͤhem/ Ungern/ Pohlen/ LampartenDie hauen nit mit Teutſcher Barten.Franckreich/ Wahlen/ und Engelandt/Norwegen/ Ybernia ſind unbekandt/An ihren Sprachen Teutſchen leutenNiemandt kan euch wol gedeutenKriegiſch/ Juͤdiſch/ Heydeniſch/Syriſch/ Windiſch/ Kaldeiſch/Wer das miſchet in Teutſch gedichte/Sein meyſterſchafft wuͤrd gar zu nichte.Die landt ſprachen davor genant/
In
[487]der Teutſchen Sprache.In Teutſchen landen ſind bekandt/Wer aus denen was gutes nimet/Das wol in ſe nem dichte zimet/Mich dunckt der habe nit miſſethan/Thut ers mit kunſte/ und nit durch wahn.Weſtphalen/ Heſſen/ und manch landtIn Teutſchen landen ſindt bekandt/Wiewol ſie wuͤrgen/ zwicken/ und bindenDie ſprach/ vorn/ mitten/ und hinden.Dann T/ und N/ und R.Sind von den Francken ferꝛAn manches wortes enden/Wil yemand ſie darumb pfenden?Das Schwanfelder ihr woͤrter lengen/Und Bamberger ihr ſprache brengenVon den huͤlſen auff den kern/Eyn yegklich menſch ſprichet gernDie ſprache/ bey der er iſt erzogen.Sint meine wort ein theil gebogenAuff francken/ niemandt ſei das zorn/Dann ich von Francken bin geborn.
Was ſonſt in der Orthographiâ noch zu
erinnern iſt/ kan bey andern Autoribus
weitlaͤufftig geleſen werden: Diß eine
muß ich noch erwehnen/ daß Samuel
Burſki in ſeiner Hochteutſchen Cantze-
ley durchgehend[s] nach art der Griechen
einen accent uͤber die Woͤrter ſetzet/ dar-
h h 4nach
[488]Das II. Cap. Von der Orthographia
nach ſie ſollen außgeſprochen werden[:]
ich ſehe aber nicht wozu diß dienen ſolt[e]
in einer bekandten Sprache: man moͤcht[e]
es dann einem Außlaͤnder zu gefalle[n]
thun.
Das III. Cap.
Von der Etymologiâ der
Teutſchen Sprache.
Einhalt.
ETymologia zweyerley art. Die Ableitung
der Woͤrter geſchieht durch veraͤnderung der
Buchſtaben. Deſſen Exempel im Frantzoͤſi-
ſchen und Lateiniſchen. Bey den Teutſchen ſind
dergleichen Woͤrter viel/ deren Wurtzel unbekant/
aber in abgeſtorbenen Sprachen lieget. Exempel auß
des Vorſtii Specimine obſervationum. Clau-
bergii Ars Etymologica Teutonum Seine ſon-
derliche Scharffſinnigkeit hierin. Seine Reguln
werden angefuͤhret. Sein Buch de Cauſislinguæ
Germanicæ wird ſehr verlanget. Teutſche
Lexica. Rabani Mauri und Keronis Gloſſaria
Latino-Theodiſca. Jenes iſt von Lambecio
ver-
[489]der Teutſchen Sprache.
verheiſſen. Goldaſtus und Freherus haben einige
alte Woͤrter auffgezeichnet/ und hat dieſer ein voll-
ſtaͤndiges Lexicon verſprochen. Sein Buch de No-
minibus propriis. Lutheri Buch hievon. Teutoniſta,
der Teutſchlaͤnder. Der Autor des Buchs. Ano-
nymi Gloſſæ Latino-Germanicæ MStæ in der
Kiliſchen Academiſchen Bibliothec. Kiliani Di-
ctionarium Etymologicum. Iſt ſehr geſtuͤmlet.
Georgii Heniſchii Theſaurus Linguæ \& Sapientiæ
Germanicæ. Lindenbrogii vorhaben ein Lexicon
Germanicũ zu ſchreiben. Gloſſarium Latino The-
odiſcum. Viel Teutſche Woͤrter beim Iſidoro.
Joh. Bernhard Zinzerlings vorhabẽ wegen eines
Teutſchen Lexici. Frembde Woͤrter bey den Teut-
ſchen. Articuli, verba auxiliaria, und pronomina
bey den Gothen und Teutſchen außgelaſſen. Der
Articulus muß nicht vor die Nomina Propria ge-
ſetzt werden. Kan bißweilen aber geſchehen.
Etzliche endigungen der Woͤrter von andern Gram-
maticis vorbeygegangen. Die Præpoſitiones in-
ſeparabiles Wan und Ver. Harſtoͤrffers fuͤnff-
facher Gedenck-Ring. Das alte verbum auxilia-
re Ich thue noch heute bey den Engellaͤndern ge-
braͤuchlich.
DEr ander Theil der Sprachkunſt
beſtehet in der Etymologiâ oder
Woͤrterforſchung. Dieſe iſt nun
h h 5in
[490]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
in der Teutſchen Sprache von groſſer
Erheblichkeit. Sie kan aber auff zwey-
erley art betrachtet werden/ erſtlich/
wann man der Stammwoͤrter Urſprung
ſelbſt unterſuchet/ und auch aus andern
Sprachen herbey holet. Zum andern/
wann man die Eygenſchafft jeglicher Woͤꝛ-
ter in Betrachtung ziehet/ und ihre Be-
deutunge nach den neun Haupttheilun-
gen der Rede und deren Abtheilung und
Verwandſchafft eroͤrtert. Von der er-
ſten art der Etymologie haben wir in dem
erſten Theil weitlaͤufftig gehandelt/ und
were der Muͤhe werth/ daß man alles
am genaueſten unter ſuchte: welches keine
gemeine Scharffſinnigkeit erfodert. Ei-
ne Hauptregul iſt/ wie ich ſchon vorhin
erwieſen/ daß man nicht ſo ſehr auff die
Gleichheit/ als auff die Veraͤnderung
der Woͤrter ſehe. Dann es kommen
bißweilen Woͤrter von andern her/ die
faſt keinen Buchſtaben gleich haben/ und
kan doch gar klārlich dargethan werden.
Wer ſolte meinen daß in der Frantzoͤſi-
ſchen
[491]der Teutſchen Sprache.
ſchen Sprache das Wort dechoir von
dem Lateiniſchen cadere komme/ und iſt
doch in Warheit nichts anders. Erſtlich
hat man das e finale weggeworffen und
cader vor cadere geſaget wie die Italiā-
ner noch heutiges Tages. Hernach hat
man das d heraußgeſtoſſen und caer dar-
auß gemacht/ das noch die Spanier ge-
brauchen. Einige haben gar câr oder
kêr darauß gebildet/ wie die in der Picar-
die es außſprechen. Die ein wenig lieb-
licher in der Rede ſein wollen/ haben es in
cher verāndert/ wie es noch in alten
Frantzōſiſchen Romainen gebraucht wird.
Endlich hat man den Vocalem in einen
diphthongum verwandelt und choir da-
von gemacht/ davon das Compoſitum
dechoir noch im Gebrauch iſt. Wann
einem das Stammwort nicht bekant
were/ und die Mittel-Woͤrter noch ver-
handen/ wer ſolte ſagen/ daß dechoir von
cadere komme. Eben auff dieſe art hat
man viel Woͤrter in der Lateiniſchen
Sprache/ die durch viele Veraͤnderung
erſt-
[492]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
erſtlich auff den rechten Uhrſprung ge-
bracht worden. Diß hat Salmaſius in
dem Worte Pollinctor vorgeſtellet: wer
ſolte meinen daß ſolches von Per und li-
gare herkom̃e? und iſt doch ſo augenſchein-
lich/ daß es kein verſtaͤndiger leugnen kan.
Da hingegen andere Grammatici viel naͤr-
riſcher Einfaͤlle davon haben. In Teut-
ſcher Sprache hat man eine groſſe Men-
ge ſolcher Woͤrter/ deren Uhrſprung nie-
mand errathen kan: wer aber die mo-
numenta der alten Teutſchen Sprachen
nachſiehet/ und auff die Veraͤnderung
der Buchſtaben acht hat/ der wird ſich
bald darin finden. Dergleichen Arbeit
iſt von keinem Teutſchen noch zur Zeit
vorgenommen/ nur daß Vorſtius in ſei-
nem Specimine obſervationum in linguam
vernaculam folgende Woͤrter zur Probe
vor gebracht: Wer will ſagen/ woher daß
Wort ruchloß komme/ wann er nicht
weiß daß das Wort ruch oder ruach ſo
viel als Sorge bey den alten Teutſchen
bedeutet? Des Wortes Beicht Uhr-
ſprung
[493]der Teutſchen Sprache.
ſprung wird ſchwerlich einer geben/ wel-
cher nicht weiß/ daß es in dem al-
ten Teutſchen Pſalter begiht, oder begicht
geſchrieben wird/ und alſo zuſammen
geſetzet iſt aus der præpoſitione inſepara-
bili be und dem Wort giht oder gicht.
Worauß hernach per Syncopen bicht und
im Hochteutſchen beicht geworden. Die
Woͤrter freund und feind werden vor
primitiva gehalten. Wer aber die alten
Woͤrter fien odiſſe frigan amare kennet/
ſiehet leicht daß es die particicipia fiant,
und frigond ſein/ die nachgehends in ein-
ſylbige Woͤrter zuſammen gezogen.
Er handelt ferner von den Urſprung der
Woͤrter erquicken/ barmhertzig/ er-
eugen/ Beyſpihl/ Wucher/ die von
alten abgeſtorbenen Woͤrtern herkom-
men. Es konte aber ein groſſes vollſtaͤn-
diges Buch von Exempeln zuſammen
getragen werden. Iſt derowegen dieſes
der naͤheſte Weg/ daß man aus den al-
ten Woͤrtern derſelben Sprache/ die Ab-
leitung ſuche/ nicht aber aus den fremb-
den.
[494]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
den. Claubergius, deſſen wir im vor-
gehenden capite gedacht/ weiſet auch eben
denſelbigen weg in ſeiner Arte Etymolo-
gicâ Teutonum e Philoſophiæ fontibus de-
rivatam wie man Teutſch vom Teutſchen
herleiten ſoll. Es iſt eine kurtze aber ſinn-
reiche Schrifft/ die ich inſonderheit deß-
halben hoch halte/ weil er auch geſehen/
daß man das Teutſche nicht von dem
Griechiſchen und Lateiniſchen/ ſondern
dieſes von jenem herleiten muͤſſe/ und iſt
ſehr zu beklagen/ daß ſein Buch de Cau-
ſis linguæ Germanicæ nicht hervorgegeben/
worinnen er außfuͤhrlicher von allen han-
deln wollen. In dieſer kleinen diſſerta-
tion hat er nur die drey Woͤrter Ver-
nunfft/ Suchen/ Sprechen eroͤr-
tert/ und durch dieſe Gelegenheit ſchoͤne
Reguln/ und viel andre Exempel mit
eingemiſchet. Seine Reguln ſind dieſe:
1. Germanica vocabula prius \& potius e
Germanicis, quam è peregrinis derivanda.
2. Argumenta ab analogia petita ſunt eò
validiora, quò major vocum quæ inter ſe
con-
[495]der Teutſchen Sprache.
conferuntur ſimilitudo elucet. 3. Cum ad
materialem vocum ſimilitudinem accedit
formalis, (i. e. ſignificatio) tum demum e-
tymologia certa eſt. 4. Dialectorum \& an-
tiquitatis conſideratio multum facit ad lin-
guæ Germanicæ origines inveniendas. 5.
Quoties in aliis eruditis linguis ſimilem
quoad materiam aut formam, maxime quo-
ad utramque conſpicimus derivandi ratio-
nem, nova inde Germanicis originibus lux
accedit. 6. A ſenſilibus ad intelligibilia
quam plurima vocabula ſunt traducta. 7.
Vocabulorum Teutonicorum major eſt
quandoque bonitas quam Græcorum Lati-
norum aliorumque peregrinorum. 8. Vo-
ces quæ à rei perfectione petitæ ſunt me-
lius eam exprimunt, quam quæ ab ejus de-
fectu vel corruptione. 9. Veritas \& ele-
gantia originationis Germanicæ \& propriæ
ex oppoſitione originationis falſæ \& alienæ
clarius elucet. 10. Vocales omnes inter
ſe permutari poſſunt. 11. Nulla vocalis tam
eſt Germanis familiaris quam E. 12. Ma-
jores nominum vocales (O \& V) ſunt è
mi-
[496]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
minoribus (A, E, I) verborum, unde de-
rivantur. 13. In aliarum vocum ab aliis de-
ductione ſæpius magnæ vocales abeunt vi-
ciſſim in parvas. 14. Non omnes conſonæ
æquè facile jungi poſſunt, ſed aliæ magis
aliis ſociari gaudent. 15. Germani mul-
tas amant conſonas una ſyllaba comprehen-
dere. 16. Conſonæ lenes tantum cum le-
nibus, aſperæ cum aſperis conjungi poſſunt
in pronunciando. 17. Germani ad fortem
potius quam ad mollem pronunciationem
inclinant. 18. Sæpius S conſona fortis eſt \&
fortibus jungitur. 19. Nulla eſt magis ami-
ca conſonantium ſocietas, quam ſi planè
ſimiles jungantur. 20, Sonus longus vo-
calium compenſat geminationem conſo-
nantium \& contra. 21. Germani certas vo-
cales certis rebus per vocabula denotandis
eleganter accommodant. 22. Germani ſæ-
pe diphthongos amant, ubi Græci \& Latini
vocalibus utuntur ſimplicibus. Dieſe
ſein die Reguln/ die ich aus ihm habe auß-
zeichnen wollen/ weiln daß Buch nicht
uͤberall bekant. Worauß er zu erkeñen
gibt
[497]der Teutſchen Sprache.
gibt daß keine Sprache der Natur ſelbſt
und unſern conceptibus naͤher komt als
die Teutſche. Wann das vollſtāndige
Werck de Cauſis linguæ Germanicæ her-
vorgekommen/ wuͤrde es ohn Zweiffel
das vollenkommenſte geweſen ſein/ ſo biß
auff dieſe Zeit davon geſchrieben. Er
iſt ietzo geſtorben/ und zweiffle ich/ ob das
Buch noch vorhanden ſey. Es iſt
aber zu mercken/ daß er die Analogiam
bißweilen allzuweit außdehnet/ und mehr
tieffſinnigkeit/ als etwa grūndlich iſt/ er-
weiſet. Als wann er Suchen/ von
Sehen/ Zechen von Ziehen/ Fluchen/
von Flehen herfuͤhret. Wiewoll er es
ſo warſcheinlich machet/ als es immer-
mehr ſein kan. Seine hier in gebrauch-
te Critica iſt ſo ſpitz und fein/ als jemahls
Scaliger, Sanctius, Voſſius oder Scioppius
von der Lateiniſchen Sprache etwas moͤ-
gen erdacht haben. Deßhalben wir die-
ſes Mannes ſonderliche Geſchicklichkeit
und Faͤhigkeit in dieſem Wercke ſehr er-
heben und allen andern vorziehen
i iDaß
[498]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
Daß die Woͤrterforſchung recht von
ſtatten gehe/ ſo ſolte billig ein vollſtaͤndi-
ges Woͤrterbuch oder Lexicon in Teut-
ſcher Sprache geſchrieben werden/ wel-
ches Harſtoͤrffer in ſeinem Specimine Phi-
lologiæ Teutonicæ diſq. 8. §. 13. mit unter
ſeine zu Verbeſſerung der Teutſchen
Sprache zielende Vorſchlaͤge ſetzet/ deſ-
ſen entwurff Herr Schottel in ſeiner
Sprach-Arbeit vorgeſtellet. Aber noch
zur Zeit iſt nichts vollkommenes zum
Vorſchein gekommen/ da man hingegen
in Welſcher und Frantzoͤſiſcher Sprache
ſo viel Muͤhe der Sprache halben an-
gewandt. Man hat einige alte Gloſſa-
ria, ſo billig in hohem werthe zu halten
ſein/ weil in dieſen der ietzigen Sprache
Stammwoͤrter zum theil ſtecken; Da iſt
des Rabani Mauri Gloſſarium Latino-The-
odiſcum, in tota Biblia Veteris \& Novi
Teſtamenti, ſo noch nimmmer hervorge-
geben. Dieſes Buch hat Lambecius auff
ſeiner Tyroliſchen Reiſe irgend in einem
Schloß unter alten Buͤchern gefunden/
und
[499]der Teutſchen Sprache.
und der Keyſerlichen Wieniſchen Biblio-
theck einverleibet/ hat auch verſprochen
in ſeinem Syntagmate rerum Germanica-
rum es hervorzugeben/ welche Hoffnung
nun verloſchen. Er ſetzet den Anfang
dieſes Gloſſarii lib. 2. com. de Biblioth. Vin-
dob. c. 5. p. 416. welcher alſo lautet Pikin-
nant Samenunga Uuorto fona dero nivum
anti deru altun Euu. Inchoant congrega-
tiones verborum ex novo \& vetere teſta-
mento. Dieſes iſt warlich eine ſchoͤne
antiquitāt; dann es iſt etwa Anno Chr.
847. geſchrieben. Deſſelben Autoris Gloſ-
ſæ Latino-Theotilcæ de partibus humani
corporis/ wie auch de inventione lingua-
rum ab Hebraico ad Theotiſcam \& notis
antiquis, welche der Walefridus Strabo,
auß ſeinem Munde in die Feder verfaßt/
hat Melchior Goldaſtus dem andern tomo
ſeiner Rerum Alemannicarum part. 1. p. 65.
\& 66. einverleibet/ welche auch unter den
Wercken des Rabam, die zu Coͤln Anno
1607. heraußgegeben/ ſich mit befinden.
Es hat auch ferner ein Munch zu S.
ii 2Galle
[500]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
Gallen Kero genant/ Interpretationem vo-
cabulorum barbaricorum, wie er die Teut-
ſche Woͤrter nennet/ geſchrieben/ ſo an
eben demſelben Ohrt bey Goldaſto à p. 69.
usq; 92. befindlich. Derſelbige Melchior
Goldaſtus hat in ſeinem Tom. I. Rerum A-
lemannicarum ein Gloſſarium hinzugeſetzt/
wie auch Marq. Freherus in dem ſeinigen/
welcher auch ein vollſtaͤndiges Lexicon
Etymologium der Teutſchen Sprache
verſprochen/ wie Melchior Adami in ſei-
ner Lebensbeſchreibung bezeuget. Er
hat auch vorgehabt ονομαϑέτην ſ. de no-
minibus propriis Alemannorum tractatum.
Wovon der Herr Lutherus ein abſonder-
lich Buͤchlein auch geſchrieben/ das von
Gottfried Wegener mit Anmerckungen
neulich wieder heraußgegeben. Aber des
Freheri Arbeit iſt ohn Zweiffel verlohren
gegangen/ welcher Verluſt traun nicht
wenig zu bedauren. Man hat auch ein
altes Lexicon Germanico-Latinum, wel-
ches unter dem titul Teuthoniſta oder der
Teutſchlānder zu Coͤln Anno 1477. ge-
druckt
[501]der Teutſchen Sprache.
druckt. Der Autor nennet ſich am Ende
deſſelben/ woſelbſt dieſe Worte ſich befin-
den. Explicit præſens vocabulorum ma-
teria à perdocto eloquentiſſimoque viro
Dno. Gerhardo de Schuren, Cancellario
illuſtrisſimi Ducis Clivenſis ex diverſorum
terminiſtarum voluminibus contexta.
In der Vorrede ſetzet der Autor Huguico-
nem vetuſtiſſimum \& ampliſſimum termi-
niſtam huic operi penè totum inſerui ali-
osque etiam totos immiſcui. Worauß
zu ſehen/ daß noch einige andre uns un-
bekante Lexicographi damahls geweſen.
In dieſem Buche finden ſich unterſchied-
liche ietzo ungebrāuchliche alte Teutſche
Woͤrter. Es findet ſich auff unſer Aca-
demiſchen Bibliothec eines Anonymi ge-
ſchriebenes Latino-Germanicũ Gloſſarium,
welches aber nach dem ſo genanten Ca-
tholico erſtlich herauß gekommen/ und
mit den obigen eines Alters zu ſein ſchei-
net. In der Niederlāndiſchen Sprache
hat Cornelius Kilianus eine gute Arbeit
gethan/ deſſen Etymologicum Teutonicæ
ii 3lin-
[502]Das III. Cap Von der Etymologià
linguæ ſehr offt heraußgegeben. Wird
von Lipſio und andern gelehrten Leuten
billig hoch gehalten/ dann es finden ſich
offtmahls ſehr gute Anmerckungen dar-
innen. Es iſt aber nachgehends unter
dem Titul Kiliani aucti ſch aͤndlich geſtuͤm-
melt hervorgekommen/ woruͤber der
Franciſcus Junius in ſeiner Vorrede uͤber
des Willerami Paraphraſin ſehr klaget/ und
die Obrigkeit ermahnet/ daß ſie ſolche
ſtuͤmmelung/ die zum Nachtheil des Va-
terlandes gereichen/ ſtraffen und nicht
zugeben ſoll. Er nennet das vollſtān-
dige Werck billig eximium Belgarum o-
mnium Theſaurum. Es hat im Jahr
1616. Georgius Heniſchius ein gelehrter
Mann unter dem Titul Theſauri Linguæ
\& Sapientiæ Germanicæ den erſten Theil
eines Lexici heraußgegeben. Er aber iſt
nicht weiter als biß zu dem Buchſtaben
H gekommen. Er hat alle Teutſche ſy-
nonyma, derivata, phraſes, compoſita, epi-
theta, proverbia, anthiteta bey jegliche
Woͤrter geſetzet/ und were eine ſehr nuͤtz-
liche
[503]der Teutſchen Sprache.
liche Arbeit geweſen/ ſo er ſie zu Ende
gebracht. Aber von den Uhralten Woͤr-
tern findet man ſo gar viel nicht darin.
Es iſt auch der gelehrte Lindenbrogius
mit ſolcher Arbeit ſchwanger gegangen
dann es ſchreibet Grotius Epiſt. ad Gailos
144. ad Cordeſium: Laborat nunc Linden-
brogius in concinnando Lexico veteris ſer-
monis Germanici \& multa habet adjumen-
ta, quæ nec Spelmannus, nec alii habuerunt.
Erit id opus eruditis nec ingratum nec in-
utile. Dieſes iſt aber niemahls hervor-
gekommen/ nur daß mir berichtet/ ob
were noch in Bibliotheca Hambuigenſi ein
Gloſſarium MStum von ihm verhanden:
halte aber es ſey nur das Gloſſarium La-
tino-Theodiſcum, daß er offtmahls in
ſeinen Schrifften anfūhret. Das jenige
ſo er uͤber den Codicem Legum geſchrie-
ben/ iſt Anno 1613 heraußkommen Hat
alſo dieſes eine andere vollſtaͤndige Ar-
beit ſein ſollen. Es were dieſer Mann
ſehr bequem zu dieſem Wercke geweſen/
weiln er eine groſſe Kunde in den alten
ii 4Gloſ-
[504]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
Gloſſariis gehabt/ wormnen ſich meiſtens
Teutſche Woͤrter befinden/ wie auch bey
dem Iſidoro viel derſelbigen mit Lateini-
ſchen terminationibus ſein/ welche Bar-
thius Adverſar. lib. 7. c. 13. angemercket.
Noch iſt von meinem vormahls lieben
Freunde/ dem Sehl. Herrn D.Johann
Bernhard Zinzerling/ des Juſti
Zmzerlingii Sohne/ eine vollſtaͤndige
Arbeit eines Teutſchen Lexici vorgenom-
men geweſen/ das er mit groſſen Fleiß in
ſchoͤner Ordnung zuſammen getragen/
welches ich geſehen und geleſen. Es iſt
aber durch ſeinen fruͤhzeitigen Tod diß
Werck unvollkommen geblieben. Iſt
alſo bißhero nichts hauptſaͤchliches bey
den Teutſchen hier in geſchehen/ und blei-
bet dieſe Muͤhe noch einem getreuen Lieb-
haber des Vaterlandes/ und gelehrten
Mann vorbehalten. Hiezu gehoͤret auch/
daß man frembde Woͤrter auß der
Sprache außmuſtere; Dieſe ſein entwe-
der Kunſt oder Rechtswoͤrter oder ſonſt
auß frembden Sprachen der Teutſchen
mit
[505]der Teutſchen Sprache.
mit eingemiſcht. Der Kunſtwoͤrter hat
Zeiler Cent. 3. Ep. 35. einen Theil verdeut-
ſchet. Es iſt auch ein gantzes Buch da-
von neulich geſchrieben. Dieſes hat auch
Harſtoͤrffer unter andern mit zur ver-
beſſerung der Teutſchen Sprache vorge-
ſchlagen; auch ſind unterſchiedliche Sa-
tyriſche Schrifften uͤber ſolche miſchung
der Woͤrter verhanden. Es ſein aber ei-
nige gar zu aberglaubiſch hierin/ die auch
die ſchon laͤngſt bey den Teutſchen auff-
genommene Woͤrter nicht dulden wollen/
deren Thorheit billig zu verlachen iſt.
Nun ſolten wir auch die Theile der
Etymologiæ als den Articulum, nomen,
pronomen, verbum, participium, præpo-
ſitionem, Adverbium, Conjunctionem,
interjectionem betrachten. Aber es ſind
hievon alle Buͤcher voll/ und hat Herr
Schottel ſolches zur genuͤge außgefuͤh-
ret. Will nur dieſe wenige Anmerckun-
gen hinzu thun. Die Artirulos prono-
mina und verba Auxiliaria findet man in
der ālteſten Gothiſchen und Teutſchen
ii 5Spra-
[506]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
Sprache offtmahls außgelaſſen/ und an
ſtaat derer gewiſſe endigungen der Woͤr-
ter/ dadurch der Unterſcheid der Caſuum
temporum und perſonarum außgebildet
wird/ wie in dem Anfang des Gloſſarii
Rabaniani ſo wir droben angefuͤhret/ zu
ſehen/ und in dem was der Herr Zeiler
in der 381. Epiſtel aus dem Micrælio her-
bey gebracht. Ich ſolte aber den Ge-
brauch der articulorum und verborum
auxiliarium aͤlter halten/ und ſcheinet/
daß man hierin den Lateinern nachgeah-
met habe. Von den Articulis hat der
Menage in ſeinen Anmerckungen uͤber des
Malherbe poëmata p. 325. dieſes in Fran-
tzoͤſiſcheꝛ Spꝛache eriñeꝛt/ daß dieſelben vor
die nomina propria geſetzt nicht woll klin-
gen. Man ſaget alſo nicht recht le Ju-
piter le Bachus, l’ Amour ſondern Jupiter
Bacchus, Amour. Er tadelt auch die I-
taliaͤner/ die ſich hierin verſtoſſen. Die-
ſes muß gleichfalls in der Teutſchen
Sprache in acht genommen werden/
Aber wann ihnen epitheta beygeſetzt ſein/
ſo
[507]der Teutſchen Sprache.
ſo muͤſſen die Articuli nothwendig geſetzt
werden. Es kan auch bißweilen/ wann
andere Nomina propria unter ſich vergli-
chen oder entgegen geſetzet werden/ der
Articulus woll beſtehen bleiben. Die En-
digungen der Woͤrter werden fleiſſiggnug
von den Grammaticis angezeichnet/ jeden-
noch hat Vorſtius in ſeinen obſervationibus
cap. 5. angemerckt/ dz die endigung de von
ihnen außgelaſſen/ welche ſich findet in den
woͤrtern/ freude/ begierde/ ziehr-
de/ geluͤbde. Die endigungen auff (ft)
und (ſt)/ ſind gleichfalls vom Hn. Schot-
tel außgelaſſen/ da doch viel Nominä, die
von verois herkommen/ ſich alſo endigen/
als brennen/ brunſt/ ankommen/
ankunfft/ goͤnnen/ gunſt/ verneh-
men/ vernunfft ꝛc. Man findet auch
beim Vorſtio einige Anmerckung von der
præpoſitione inſeparabiliwancap. 11. Clau-
bergius hat in ſeiner arte Etymologica
Teutonum von der præpoſitione inſepa-
rabiliVer ſehr weitlāufftig und gruͤnd-
lich gehandelt/ und ihre vielfāltige Be-
deu-
[508]Das III. Cap. Von der Etymologiâ
deutungen mit den Bedeutungen des La-
teiniſchen PER verglichen/ welche Woͤr-
ter auch den Buchſtaben nach gaͤntzlich
uͤbereinkommen. Wer die richtige Ord-
nung der Theile darauß die Wōrter zu-
ſammen geſetzet gleichſam als in einer Taf-
fel und Spiegel ſehen will/ ſehe nur den
fuͤnfffachen Gedenckring des hn. Har-
ſtoͤrffers an/ welcher durch eine ſinnrei-
che Erfindung/ in deſſen Rādern und
Ringen die Woͤrter vor Augen geſtellet/
daß nach dem dieſelben geſchoben werden/
bald dieſes bald jenes Wort heraußkomt.
Worauß dann die Kunſtrichtigkeit gleich-
ſam als durch eine Mathematiſche demon-
ſtration dargethan wird. Dieſe iſt in
ſeinem Poetiſchen Trichter zu finden. Un-
ter die alten verba auxiliaria muß auch das
Wort thun geſetzet werden/ welches
ſie zu den verbis activis hinzugeſetzet/ und
geſchiehet ſolches noch heute bey vie-
len Oberlāndern/ in taͤglichen Gebrauch
der Rede. Daher der Herr Opitz es
an etlichen Orthen zugelaſſen/ als wann
er
[509]der Teutſchen Sprache.
er ſpricht: Ein fettes Haſelhun/
wornach die Buͤrger ſonſt die Fin-
ger lecken thun. So hat es Herr
Riſt in ſeiner Musâ Teutonica faſt in al-
len Carminibus. Solches iſt nun zwar
nicht zu loben. Aber es iſt doch keine
neuerung wie etliche meinen; Man hat
auch dergleichen Verbum auxiliare noch
heutiges Tages in der Engliſchen Spra-
che. Dann ſie conjugiren alſo I doe love
ich thue lieben und ſo ferner. Wer
aber recht ſauber reden will/ der laſſe die-
ſe unnoͤthige periphraſes fahren. Und ſo
viel von der Etymologiâ.
Das IV. Cap.
Von der Syntaxi der
Teutſchen Sprache.
Einhalt.
SYntaxis der Teutſchen Sprache komt mit der
Griechiſchen inſonderheit uͤberein. Sie iſt der
na-
[510]Das IV Cap. Von der Syntaxi
natuͤrlichen Ordnung gemaͤß. Syntaxis Poëtica
iſt ſehr verſchieden von der Proſaica. Elocutio Po-
etica muß nicht allzu proſaiſch ſein. Ob man die
Syntaxin Poeticam nach der Proſaica richten muͤſſe.
Diß meinen viele. Andere gebrauchen groͤſſere
Freyheit. Es findet einige Verſetzung der Woͤrter
in den Verſen ſtaat. Es werden Exempel ange-
fuͤhret. Die Ordnung der Woͤrter iſt in einem
Reimgebaͤnde anders/ als ungebundener Rede. War-
um die Lateiniſche Sprache die Verſetzungen beſſer
vertragen kan/ als die Teutſche. An der zuſam̃en-
ſetzung der Woͤrter iſt ſehr viel gelegen. Ariſtotelis
Urtheil von den Poetiſchen Verſetzungen. Exem-
pel der Verſetzung in einer Teutſchen Rede. Ver-
ſetzungen in Lateiniſcher Poeſi. Wird unbillig von
Sorbier getadelt. Exempel einiger Lateiniſchen
Verſe/ die durch gewiſſe Woͤrter/ nach dem ſie ge-
ſetzt/ gezieret/ oder verunzieret werden. Deſmareſts
Urthel von den Verſetzungen in der Frantzoͤſiſchen
Sprache. Joh. Bellini Syntaxis Præpoſitionum
Germanicarum. Dergleichen Arbeit ſolte mau in
andern particulis in epithetis, antithetis, ſynony-
mis vornehmen.
WIr kommen zu der Woͤrterfuͤ-
gung in der Teutſchen Sprache/
welche nicht weitlaͤufftig und ver-
worren iſt/ und zum Theil mit der La-
tei
[511]der Teutſchen Sprache.
teiniſchen/ vielmehr mit der Griechiſchen
uͤbereinkomt/ welches letzte Bernegger.
quæſt. 11. in German. Tac. mit einigen E-
xempeln erwieſen. Ja ſie folgt der na-
tuͤrlichen Ordnung genauͤer nach/ als ir-
gend eine andre Sprache/ worin ihr
die Frantzoͤſiſche nachahmet/ welche der
Herr Sorbier dieſer Uhrſachen halber der
Lateiniſchen in einem abſonderlichem Bu-
che/ wie wir droben geſehen/ vorgezo-
gen. So hātte die Teutſche vielmehr
Recht ihr den Vorzug anzumeſſen/ wañ
man auff dieſen Grund gehen wolte. Ich
will hier nicht weitlaͤufftig die Reguln der
Woͤrterfuͤgung anfuͤhren/ dann dieſes iſt
zur gnuͤge von andern geſchehen. Diß
muß inſonderheit in acht genommen wer-
den/ daß in allen Sprachen die Syntaxis
in Carmine von der Syntaxi in Proſa ver-
ſchieden ſey/ wie dieſes in Griechiſcher
und Lateiniſcher Sprache bekant iſt/ und
ſolches in dieſer Maſenius Palæſtr. Eloq-
ligatæ lib 2. c. 12. gar artig außgefuͤhret.
So hat man auch im Teutſchen Carmine
biß-
[512]Das IV. Cap. Von der Syntaxi
bißweilen eine Conſtruction die in Prolâ
nicht eben gebraͤuchlich iſt. Daher es
vor ein vitium gehalten wird/ wann die
Außrede im Carmine allzu proſaiſch iſt/
welches nicht in dem Syntaxi allein/ ſon-
dern auch in den Woͤrtern/ und der Re-
de ſelbſt beſtehet. Dieſes tadelt auch
Menage in ſeinen Obſervat. uͤber den Mal-
herbe liv. 5. da er dieſe Verſe des Autoris
erklaͤret: Ou trouves-tu qu’ il faille avoir
ſemè ſon bien, \& ne recueillir rien. Dann
er ſagt hievon: Ces vers ſon trop proſai-
ques, qui eſt le plus grand defaut des vers,
comme celui de la proſe, d eſtre trop po-
ëtique. Wann wir nun vieler Teutſcher
Poeten Verſe beſehen/ ſo finden wir/
daß diß Laſter bey vielen ſehr gemein:
Wiewoll bey der Teutſchen Sprache es
weniger getadelt wird/ als bey den an-
dern. Ja es kommen einige ſo weit/ daß
ſie gar nicht zugeben wollen/ daß man
im geringſten die Conſtruction endere/
die in Proſâ gebraͤuchlich iſt/ vermeinen/
daß man alsdann die hoͤchſte Zierlichkeit
im
[513]der Teutſchen Sprache.
im Teutſchen Carmine erhalten. Einige
gehen gar zu weit/ und gebrauchen ſich
einiger Verſetzungen/ die den Teutſchen
Ohren gar unlieblich klingen; welche
Freyheit bey den Oberlaͤndern ſehr ge-
mein iſt/ Und findet man deren ſehr viel
Exempel bey Harſtoͤrffer/ Klai und
andern. Alſo klinget es der gebrāuchli-
chen Außrede zu wider.
wie auch dieſes:
Herr Chriſtian Weiſe/ der einen Un-
terricht von verfertigung der Teutſchen
Getichte ſeinen Getichten angehaͤnget/
iſt gar zu ſorgfaͤltig in dieſem ſtuͤcke/ wann
er die Conſtructionem Proſaicam zu einer
vollkommenẽ Richtſchnur ſetzet; Vermei-
ne derohalben nicht/ daß die von ihm
angefuͤhrte Verſe
Der Himmel mag ſtuͤrmen/ mag hitzen und blitzen:Wann unter den Schirmen der Liebe wir ſitzen
ſo gar zu tadeln/ ja ich vermeine
vielmehr/ daß es beſſer klinge/ wann in
kkdem
[514]Das IV. Cap. Von der Syntaxi
dem Verß an ſolchem Ohrte dz Woꝛt wir
geſetzet werde. Ich hielte davor man ſolte
auch in Proſa bißweilen ſolche Ord-
nung der Woͤrter belieben koͤñen. So ſind
auch dieſe arten zu reden: Ich werde
gehen ein/ und andere dergleichen in
Poẽſi nicht allein zu dulden/ ſondern die
Nothwendigkeit ſelbſt gibt uns die Thei-
lung dieſer Woͤrter an die Hand. Dann
ſolche Woͤrter als eingehen/ außge-
hen/ abnehmen/ auffkommen/ und
viele andere/ gar ſchwerlich einen Ohrt im
Teutſchen Metro finden/ wann man ſie
nicht vonander trennet/ welche tren-
nung dañ auch in Proſa bißweilen geduldet
wird. Zugeſchweigen daß der Reim offt-
mahl von der Proſaiſchen Conſtruction
ableitet/ welches nicht woll zu vermeiden
iſt. Es iſt die gebundene Rede einer ge-
wiſſen art der Verſetzung fāhig/ die in
der ungebundenen Rede keinen ſtaat fin-
det: inſonderheit/ wann der Nachdruck
der Woͤrter ſelbſt ſolche an die Hand gibt/
weiches das Urtheil der Ohren bey einem
ver-
[515]der Teutſchen Sprache.
verſtaͤndigen Maun nur allein begreiffen
kan. Man verſuche es nur/ und nehme
eine Ode aus dem Flemming oder jemand
anders/ und ſetze an ſtatt der Reimwoͤr-
ter/ andere gleichdeutige/ die ſich nicht
reimen/ ſo wird man klaͤrlich ſehen/ wie
ſo gar nicht die Ordnung der Rede/ mit
derſelben/ die man in Proſa gebraucht/
uͤbereinkomme. Dann daß Maaß der
Fuͤſſe/ das Reimgebānde/ gibt der Re-
de eine eigene Geſtallt/ die woll klinget/
wann man ſie mit den Reimen und in
demſelben maaß lieſet; uͤbel aber/ wann
man ſie davon abſondert. In der La-
teiniſchen Sprache kan man dieſes klār-
lich ſehen/ in welcher die vielſylbigen
Woͤrter und derſelben Maaß eine ſonder-
liche art von Verſetzung erfodern/ die in
Proſa durchauß nicht klinget. In der
Teutſchen/ weil ſie verba auxiliaria, articu-
los, und pronomina gebraucht/ laͤßt ſich
dieſe art der Verſetzung nicht anbrin-
gen. Dann weiln dieſe bey allen nomi-
nibus und verbis ſtehen/ ſo lāſt ſich dieſer
kk 2Band
[516]Das IV. Cap. Von der Syntaxi
Band nicht trennen/ und muͤſſen die
adverbia und andere Particulæ ihren ge-
wiſſen Platz behalten/ der in Lateini-
ſcher Sprache ſich vielfaͤltig āndern kan.
Diß iſt eben der ſo genante Numerus in
der Rede/ der noch viel geheimes in ſich
hat/ und von niemand noch zur Zeit recht
unterſuchet iſt. In Lateiniſcher Spra-
che hat es viel auff ſich/ ſo gar/ daß ich
den vor den beſten Meiſter derſelben
halten will/ der von dem rechten poſitu
der Woͤrter wird urtheilen koͤnnen/ wel-
che Kunſt dem Ciceroni und Virgilio in-
ſonderheit mit tieffſinnigen Nachden-
cken abzuiernen iſt. Es glaͤubt niemand/
was doch warhafftig iſt/ quod voces \&
phraſes per ſe bonæ ſolâ juncturâ fieri poſ-
ſint ineptæ \& degeneres. Aber hievon
kan an einem andern Ohrt weitlaͤuffti-
ger geredet werden. Die Griechen und
Lateiner haben jederzeit das genus Orati-
onis πεφυκός und πεπλαςμένον unterſchie-
den. Diſt letzte iſt/ was in Orationibus
und Carminibus gebraucht wird/ da ge-
wiſſe
[517]der Teutſchen Sprache.
wiſſe Inverſiones und Verſetzungen ſtaat
finden. Ariſtoteles hat in ſeinem Buch
de Poëtica c. 12. vom Ariphrade angefuͤh-
ret/ daß er die Tragœdos außgelachet/
welche δωμάτων ἀπὸ vor ἀπὸ δωμάτων:
Α᾽χιλλέως περὶ vor περὶ Α᾽χιλλέως geſagt: A-
ber Ariſtoteles urtheilet gantz anders/
dann er beſchuldiget den Ariphradem der
Unwiſſenheit/ daß er nicht unter eine ge-
meine und poetiſche oder vielmehr tra-
giſche Rede zu unterſcheiden gewuſt. Bey
dem Homero und andern findet man ſol-
cher Exempel eine groſſe Menge. Iſt
alſo auch nicht ungereimt/ wann ich ſa-
ge/ daß in der Teutſchen Poeſi einige
Verſetzung/ jedoch nach art der Spra-
chen/ zugelaſſen ſey. Wir wollen deſſen
ein Exempel nehmen. Es iſt eine Enun-
ciatio die in richtiger Ordnung ſteht/ wañ
ich in gemeiner Rede ſpreche: Ich wil
Gaben bringen. Da ſtehet das Prono-
men vor/ das verbum auxiliare folget.
Das verbum ſchlieſſet/ und hat ſeinen
Accuſativum vor ſich: aͤndert man dieſe
kk 3Ord-
[518]Das IV. Cap. Von der Syntaxi
Ordnung; ſo hat es ſo fort einen fremb-
den Laut. Wann es aber in einen andern
contextum geſetzt wird/ als wann ein
membrum vorhergehet/ drauff das
andere eine ἀπόδοσιν hat/ ſo veraͤndert
ſich der numerus alſo fort. Zum Exem-
pel:
Da wird das pronomen hinter dem ver-
bo auxiliari geſetzet. Der Accuſativus kan
hinter dem verbo geſetzt werden/ wann
etwas auff den Accuſativum folget/ das
ſich auff denſelben referiret als:
Dann die Antitheſis unter Gold und
Gaben macht dieſe uͤbereinſtimmung/
die in den Ohren nicht unlieblieblich klin-
get; Man koͤnte zwar auch den Accuſati-
vum vorſetzen/ aber es hat einen viel
groͤſſern Nachdruck/ wann er hinten
hergeſetzet wird. Dergleichen Verß iſt
bey dem Flemming
Diß/ was uns iſt Verluſt/ iſt Mutter/ dein Gewinn.
Hie
[519]der Teutſchen Sprache.
Hie ſtehn die Wort Verluſt und Gewinn
gleichſam in Antitheſi, eines in der Cæſur,
das andere am Ende/ dadurch es die
Harmonia lieblich macht. So kan ich
auch in vorigẽ Exempel den DativumDir
hintenan ſetzen/ der ſonſt vorher geben
muß/ wann etwas anders drauff folget/
als:
Hie ſteht der Accuſativus vor und der
Dativus hinter/ gantz wieder die ordent-
liche fuͤgung der Rede. Weil die Empha-
ſis und der Gegenſatz offtmahls eine un-
ordnung der Woͤrter veranlaſſet/ die
ſonſt ungebraͤuchlich iſt. Ich habe in ei-
nem Carmine dieſe Verſe geſetzet
Dieſe Verſetzung der Woͤrter wuͤrde viel-
leicht jemand tadeln/ dann ich haͤtte ſa-
gen ſollen hie iſt Rom und Athen.
Aber es iſt der Klang der Woͤrter viel
beſſer/ wann ich das Wort Rom vor-
kk 4ſetze.
[520]Das IV. Cap. Von der Syntaxi
ſetze. In Lateiniſcher Poëſi findet man
Verſetzungen beym Virgilio, da faſt al-
les untereinander verworffen zu ſein ſchei-
net. Es iſt gar eine figur σύγχυσις ge-
nannt. Solche wird vom Virgilio mit
groſſem Verſtande gebraucht. Dann
was der Laboureur oder Sorbier in ſeinem
Buch Avantages de la langue Francoiſe ſur
la langue Latine wieder dieſe Verſetzun-
ge p. 66. anfuͤhret/ iſt von keiner Er-
heblichkeit. Daß uns die Verſetzung in
der Lateiniſchen Sprache dunckel vorkom-
inet/ komt nicht nur daher/ daß wir die
alte pronuntiation nicht wiſſen/ wie Slu-
ſius in der Antwort auff des Sorbieri
Buch meinet/ ſondern vielmehr aus die-
ſem Grunde/ weil wir des Rhythmi und
numeri gantz unerfahren ſein. Was der
poſitus der Woͤrter in Lateiniſchen Ver-
ſen vermag/ kan man aus dieſen Exem-
peln ſehen. Der bekandte Verß des
Virgilii: Tityre, tu patulæ recubans ſub teg-
mine fagi, wuͤrde gar uͤbel lauten/ wann
ichs alſo ānderte: Tu patulæ recubans ſub
tog-
[521]der Teutſchen Sprache.
tegmine, Tityre, fagi. Tibullus ſchrei-
het gar zierlich. Me retinent vinctum for-
moſæ vincla puellæ, \& ſedeo duras ianitor
ante fores. Kehrt man die Woͤrter um
auf dieſe art. Formoſæ retinent vinctum me
vincla puellæ, duras \& ſedeo ianitorante fo-
rës, klingt es uͤbel. Propertius ſaget: Cynthia
prima ſuis miſerum me cepit ocellis, lautet
viel beſſer/ als wann man alſo ſchriebe.
Prima ſuis miſerum me Cynthia cœpit o-
cellis. Wuͤrde mann den ſo lieblichen
Verß des Virgilii: Molli paulatim flaveſcet
campus ariſta, anders umſetzen/ wie es
dann wol dreymahl geſchehen kan/ man
wūrde ihn ſo fort veꝛderben/ theils daß der
poſitus verborum ſich nicht ſo woll ſchicket/
theils daß die conſecutio pedum, nicht die
erſte Lieblichkeit hat. Iſ. Voſſius hat in
ſeinem Buch de Poëmatum Cantu p. 42.
angemerckt/ daß in proſa an dem poſitu
verborum gleichfals ſehr viel gelegen.
Quis non perinde eſſe putet, ſagt er/ ſi
quis dicat: vir eſt optimus, aut vir optimus
eſt? Auribus tamen minimè ſatisfacere cre-
kk 5de-
[522]Das IV. Cap. Von der Syntaxi
debatur, ſi quis vel in communi ſermone
poſterius uſurpaſſet. Der Herr Deſma-
reſts, der das Poëma Clouis oder la France
Chreſtienne in Frantzoͤſiſcher Sprache ge-
ſchrieben/ hat in ſeinem Advis, das er hin-
ten angehaͤnget/ erwieſen/ daß in einem
Frantzoͤſiſchen Poëmate gleichfalls die
Verſetzungen die beſte Zierlichkeit ma-
chen. Denn er ſaget: La Poëſie Fran-
çoiſe n’ a rien de plus beau, que ces nobles
inverſions, que Malherbe a ſi bien faites;
ou l’ on reſerve au dernier vers â deſigner
la perſonne de qui l’ on parle; parce que
l’ eſprit attend avec grand plaiſir, ce nom
que ſembloit devoir eſtre au commence-
ment. Er fuͤhrt deſſen unterſchiedliche
Exempeln an/ und ſtraffet ſeine Lands-
leute einige/ die gar keine Inverſiones dul-
den wollen/ nennet es une pauvre \& mi-
ſerable politeſſe deren ſie ſich hierin zu ge-
brauchen vermeinen. Sein Urtheil lau-
tet alſo: Ce ſeroit une pure foibleſſe que
d’ abandonner la force en ces rencontres
pour de tels ſcrupules; pourveu que l’ on
n’y
[523]der Teutſchen Sprache.
n’y retombe pas ſouvent. Et l’ on recon-
noiſt bien, ſi le Poëte n’ a pas voulu per-
dre la force de ſon expreſſion, pour une
conſideration moins forte. Dieſes alles
wird ſich in der Italiaͤniſchen Sprache
gleichfalls alſo finden/ und ſehen wir
hierauß/ daß nicht alle Inverſiones zu ver-
werffen/ und nicht allein koͤnnen gedul-
det werden/ ſondern bißweilen/ inſonder-
heit in Heroico Carmine, nothwendig ſein.
Was ſonſt noch ferner von dem Syntaxi
in Teutſcher Sprache konte geſaget wer-
den/ ſolches iſt vom Herrn Schotteln
weitlaͤufftig außgefuͤhret. Die Conſtru-
ctio der Præpoſitionum muß in-
ſonderheit im Teutſchen woll in acht ge-
nommen werden. Hievon hat Johannes
Bellin ein nuͤtzliches Buch geſchrieben/
welches auſſerhalb der uͤblen Schreibart/
die dar in enthalten/ ſehr woll zu gebrau-
chen/ were aber beſſer/ daß er die Latei-
niſche uͤbliche terminos behalten hātte/
weil er durch die neue von ihm ertichtete
Teutſche Kunſtwoͤrter die Reguln ſehr
dun-
[524]Das IV. Cap. Von der Syntaxi[a]
dunckel macht. Es were eine feine Ar-
beit/ wann man andre particulas mit
gleichen Fleiß behandelte/ und ſie inſon-
derheit betrachtete/ wie ſie mit andern
Woͤrtern und Gliedern der Rede zu fuͤ-
gen. Man ſolte auch die ſynonyma, e-
pitheta, antitheta, phraſes in Teutſcher
Sprache zuſammen leſen/ wie man
dergleichen in der Lateiniſchen hat.
Worinnen Rudolff Sattler einen klei-
nen Anfang gemacht/ und Heniſchius
in ſeinem unvollkommenen Theſauro lin-
guæ Germanicæ. Aber noch zur Zeit
hat niemand ſonderlich hierauff gedacht/
und iſt doch gewiß/ daß in dieſen Stuͤ-
cken am allermeiſten die Fuͤgung einer
foͤrmlichen Rede beſtehe.
Das
[525]der Teutſchen Sprache.
Das V. Cap.
Von der Proſodia der
Teutſchen Sprache.
Einhalt.
ES ſein viele/ die die Teutſche Proſodiã beſchrei-
ben. Hr. Opitius. Und vor ihm Johann
Engard/ und noch ein ander Anonymus.
Nach ihm Herr Buchner. Titius. Schottel.
Tſcherning. Georg Neumarck. Caldenbach.
Harſtoͤrffer. Sigismundus Betulius von Bircken.
Johann Ludewig Praſch. Die quantitas im Teut-
ſchen iſt anders/ wie im Lateiniſchen und Griechi-
ſchen. Dieſe art die Sylben zu meſſen iſt neuer
als jene. Ob die Lateiniſchen metra im Teutſchen
nachgemacht koͤnnen werden. Plempius hat im
Niederlaͤndiſchen ſolches thun wollen. Exempel eines
Sapphiſchen/ Jambiſchen/ und Hexametri Car-
minis. Conſtantini Hugenii Elegia im Niederlaͤn-
diſchen. Teutſche latiniſirende Carmina von etli-
chen gemacht. Burchardi Berlichii Teutſche He-
xametri Leonini. Dergleichen Verß im Spani-
niſchen Italiaͤniſchen und Frantzoͤſiſchen. Sorbieri
und Caſauboni Urthel hievon. Aquilonius hat in
Daͤniſcher Sprache die Lateiniſchen metra
einfuͤhren wollen. Exempel des Vater Un-
ſers
[526]Das V. Cap. Von der Proſodia
ſers in einem Daͤniſchẽ Phaleuco. Baconis Verulamii
Urthel von dergleichen metris. Einiger Autorum
ſonderlicher Handgriff im Verſe machen. Kir-
cheri Artificium Poeticum. Webbe eines Engel-
laͤnders vermeintes Kunſtſtuͤck/ wie einer der Lateini-
ſchen Sprache unwiſſend Verſe machen koͤnne.
Stanislai Minck von Weißheun Teutſcher Proteus.
Quirini Kuhlmans vorgegebenes Kunſtſtuͤck. Ur-
thel von dieſen Erfindungen. Ein Vorſchlag die
Woͤrter unter die Pedes zuſammen zu leſen. Nu-
tzen ſolcher Arbeit. Die Reime geben bißweilen
Erfindungen an die Hand. Von der quantitate
der dreyſylbigen zuſam̃engeſetzten Woͤrter im Teu-
ſchen. Von den Monoſyllabis. Die vervielfaͤl-
tigung derſelben kan im Teutſchen nicht vermieden
werden. Menagii Urthel von den Einſylbigen
Woͤrtern im Frantzoͤſiſchen. Einſylbige Endigun-
gen der Verſe.
WIr kommen endlich auff die Pro-
ſodiam ſelbſt/ welche von der
Quantitate Syllabarum, Pedibus,
Met[ri], und was zu dieſem gehoͤrig iſt/
handelt. Hierin iſt von vielen weitlāuff-
tig geſchrieben/ daß man auch alles was
zu der Kunſt gehoͤret/ herbey gebracht.
Weß-
[527]der Teutſchen Sprache.
Weßhalben unnoͤthig iſt/ daß wir uns
darin auffhalten. Herr Opitz/ der zum
erſten die Teutſche Poeſie in Richtigkeit
gebracht/ hat auch eine Anleitung dazu
geſchrieben/ welche offtmahls und auch
mit Hannemans Anmerckungen herauß-
gegeben. Vor ihm ſind zwar einige ge-
weſen/ die hier in etwas geſchrieben/ die
mir nie zu Geſichte gekommen. Es ge-
dencket Draudius eines Johann En-
gard/ der ein Buch mit dieſem titul zu
Ingolſtad Anno 1583. in 8. heraußgege-
ben: TeutſcheProſodia,das iſt:
Nothwendiger Unterricht/ auf wel-
cherley weiſe und art in teutſcher
Sprache Verß und Reimen nach
rechter poetiſcher Kunſt zu ma-
chen/ und noch eines andern Anonymi
von dem zu Magdeburg Anno 1605. ein
Buch heraußgekommen/ genannt: Epa-
tologica Hieroglyphica Rhythmica.Neu
Formular zierliche Reime vorzu-
bringen. Es iſt aber leich[t] zu erach-
ten/ daß dieſer Leute ihre Arbeit dem
Trieb
[528]Das V. Cap. Von der Proſodia
Trieb dieſer Zeit gleich geweſen. Nach
Herrn Opitz hat Herr Buchner eine
Teutſche Proſodiam geſchrieben/ worin
dieſer trefliche Mann eine richtige Maaß
geſetzet/ welcher man hier in zu folgen ha-
be. Ich muß auch allhie meines ſehr
wehrten Freundes des Herrn Titii nicht
vergeſſen/ welcher zwey Buͤcher von der
Kunſt Hochteutſche Verſe und Lieder
zu machen/ her außgegeben. Worinnen
alles viel vollſtaͤndiger vorgetragen/ und
eine ungemeine Gelahrtheit gezeiget
wird/ der auch ſelbſt eine ſaubere art
zu ſchreiben nicht allein in Teutſcher ſon-
dern auch in Lateiniſcher Sprache ge-
wieſen. Nachgehends haben auch un-
terſchiedliche in Proſodicis was ans Licht
gebracht. Des Hn Tſchernings Teut-
ſche Anmerckungen haben wir ſchon viel-
mahls angefuͤhret. Hn. Schottels
Arbeit iſt allen bekant. Georg Neu-
marcken Poetiſche Taffeln/ mit den ge-
lehrten Anmerckungen/ verdienen billig
ihr Lob/ Caldenbach hat eine Poëticam.
Ger-
[529]der Teutſchen Sprache.
Germanicam in Lateiniſcher Sprache ge-
ſchrieben/ und zugleich einge zu verfer-
tigung unteꝛſchiedlicher Carminum dienen-
de Ideas mit hinangeſetzet. Des Herrn
Harſtoͤrffers Poetiſcher Trichter iſt
gleichfalls niemand unbekant/ und mit
vielen gelehrten Diſcourſen, und nuͤtzli-
chen Huͤlffsmitteln angefuͤllet. Herr
Weiſe hat auch einige gute Lehrſaͤtze
hervorgegeben. Sigißmund Betu-
lius von Bircken hat vor etli-
chen Jahren eine Anweiſung zur Teut-
ſchen Poeſie geſchrieben/ worinnen eini-
ge ſonderliche dinge vorkommen. Der
aus vielen ſchoͤnen Schrifften wollbekan-
te Johann Ludewig Praſch hat auch
neulich von fuͤrtreflichkeit und verbeſſe-
rung Teutſcher Poeſie ſeine gelahrte Ge-
dancken der Welt mit getheilet: Wor-
in er inſonderheit weiſet/ wie der Laut der
Sylben/ quantitas Syllabarum, in Carmine
beſſer’ in acht zu nehmen ſey. Dieſe ſein
die vornehmſten die ſich in dieſem Stuͤcke
hervor gethan: vieler andern zu geſchwei-
l lgen
[530]Das V. Cap. Von der Proſodia
gen/ die ſich ohne Noht bemuͤhet. Iſt
alſo nicht noͤthig hierin ſich weitlaͤufftig
auffzuhalten.
Das erſte damit die Proſodia um-
gehet/ iſt/ daß die quantitas Syllabarum
woll in acht genommen werde. Sel-
bige iſt nun in der Griechiſchen und La-
teiniſchen Sprache mehr auff die Eygen-
ſchafft der Buchſtaben gerichtet/ als in
der Teutſchen/ Frantzoͤſiſchen und Itali-
āniſchen/ welche nur bloß auff den Accent
gehen. Nachdem derſelbe die Woͤrter
erhebet oder niederdrucket/ nach dem muß
auch die quantitas Syllabarum ſich richten.
Wie nun bey den Griechen und Latei-
nern ihre quantitas Syllabarum mehꝛ Kunſt
hat/ ſo folgt bey uns die quantitas Sylla-
barum der Natur und Außſprach. Deñ
auch der Griecheñ und Lateiner Woͤr-
ter vor alters nicht anders als die unſri-
ge geweſen/ nachgehends aber ſein durch
die verſchiedene endigungen/ Zertrei-
bung der Conſonantium, dieſe Sprachen
in eine gantz andere Form gegoſſen/ und
hat
[531]der Teutſchen Sprache.
hat nach dem die quantitas Syllabarum ſich
geaͤndert/ das metrum und ſelbſt die
Muſic ſich auff dieſen Grund faſt geſe-
tzet. Nach der Griechiſchen und Latei-
niſchen Sprache aber zu urtheilen/ ſo
hat die Teutſche Sprache mehr Moloſſos
und Spondæos als eine eintzige/ deßhal-
ben wurde das in dem Lateiniſchen und
Griechiſchen uͤbliche metrum ſich zu derſel-
ben nicht ſchicken. Die andern Spra-
chen als Italiaͤniſche/ Spaniſche uñ Fran-
tzoͤſiſche/ weiln ſie der Lateiniſchen etwas
naͤher kommen/ haben eine groͤſſere Ver-
ānderung der Pedum, als bey uns. Sie
ſind aber dennoch gleichwoll des Lateini-
ſchen metri nicht faͤhig. Es haben ſich
zwar einige bemuͤhet dergleichen metrum
in dem Teutſchen auffzubringen: Aber
es will ſich durchauß bey unſern
Ohren nicht ſchicken. Plempius hat
in ſeiner Orthographia Belgica eine ſolche
art zu Poetiſiren in der Niederlaͤndi-
ſchen geſucht. Zu dem Ende er die Ver-
doplung der Conſonantium in den infini-
l l 2tivis
[532]Das V. Cap. Von der Proſodia
tivis und andern Woͤrtern auffhebet/ wel-
che er fuͤr unnoͤthig hālt. Daher dann
ſolche Sylben ihm lang oder kurtz geſetzt
werden/ nachdem die Natur des vocalis
es erfodert. Er hat die 10. Ode des 2.
Buchs aus dem Horatio in ein gleiches
Sapphiſches Niederlåndiſches verſetzet/
deſſen Anfang alſo lautet:
Leeft vvel, en dringd, als ſchip-er hooge barenNiet te ſeer, niet al te bedeeſt in onvveerSiinde, feild ontrent rif-en, of gevaer vanSandige banken. \&c.
Er hat allhie aus dem Wort Schipper
das eine p aus dem Wort riffen, das ei-
ne f weggeworffen. Er hat noch ande-
re als Phaleucos, Jambos im Niederlān-
diſch geſetzet/ aber die Reimen am Ende
behalten. So klingen dieſe Jambi nicht ſo
gar ungereimt
Het kleine hert, dan’t groote veel is moediger,De lichte voet, dan ſvvaere veel is ſpoediger \&c.
Das Vater Unſer hat er in Niederlaͤn-
diſche/ aber auch am Ende reimende He-
oxametrs verſetzet:
On-
[533]der Teutſchen Sprache.
Onſer al-er Vader tot in Heemelen hoochſtever heeven(ven \&c.U diin heilige naem moet vverden, en eere gege-
Conſtantinus Hugenius hat in ſeinen Nie-
derlaͤndiſchen Getichten ein Elegiacum
nach art des Lateiniſchen gemacht/ aber die
uͤbliche quantitatem Syllabarum behalten/
jedoch ohne Reimen. Es faͤnget alſo an.
Muyden ik legg te bedde gevelt veel platter alsyemant,(kuſt.Die mette vallende ſucht d’ aerde van achtereKoortſige kolen in helderen brand verlange ver-andert(nochtans \&c.Doen my den andeen dagh vreeſen en vieren
In Teutſcher Sprache haben auch eini-
ge die Latiniſirende Carmina gemacht:
Gleich wie dieſes/ das jemand auff Herꝛn
Opitium geſchrieben.
(ehret/Unſer/ Opitz/ Teutſchland/ dir jungſt die Sprache ver-Welche mit hoͤchſtem Fleiß ſuchte der edle Poet.Ei ſo danck demſelben fuͤr die trefliche MuͤheDaß auch den Teutſchen ſind die Getichte bekant.
Der in der Teutſchen Bibel ungefehr
vorfallende Hexameter iſt auch von unter-
ſchiedlichen angemerckt: Und Iſaac
ſchertzet mit ſeinem WeibeRebecca.
Burchardus Berlichius der ein Buch de Ju-
l l 3re
[534]Das V. Cap. Von der Proſodia
re Novercarum geſchrieben Anno 1628. hat
die verſus Leoninos im Teutſchen nach-
ahmen wollen/ indem er die Pflicht der
Stieffmuͤtter in ſolche art Verſe begrif-
ffen/ welche aus deſſen Buch part. 1. art. 5.
ſect. 8. der kurtzweil halber ich hieher ſe-
tzen will:
Ein fromm Stieffmutter thut die verſtorbene MutterFaſt wieder erwecken; Sie thut gleichfoͤrmige WerckeLiebt ihren Ehgatten/ dem ſie nach Wunſche gerathen/Macht ihm viel Freuden/ die macht ſie lang ohne Leiden.In Zorn deßgleichen/ ſie thut ihm mit Gnade weichen.Hilfft ihrn Stiefftindern/ und mag ſie nichts daran hin-
dernDieſelb ſie liebet; Sie nie kein Schande veruͤbet/Hilfft ihnn zu freyen: Hilfft ſonſt zu dem/ ſo gedeyenDenſelben bringet: Sie fleiſſig nach deme ringet/Was Gott/ was G'wiſſen/ was der Nechſt koͤnne genieſſen.Iſt nicht ein Starbock/ odr ſonſt ein garſtiger Harbock:Iſt auch nicht untreu/ was recht iſt/ ſie thuet ohn ſchenIſt keuſch/ iſt nehrlich/ iſt freundlich/ wandelet ehrlich/Iſt nicht den Kindern haͤſſig; nicht ſauerer Eſſig:Will nicht verletzen/ da ſie doch koͤnte verhetzenDen Mañ gegn Kindern: Sondern will gerne verhindernDaß der boͤſe Vater mit ihn nicht anfaͤhet Hader.Das gut ſie mehret/ das Hauß ſie glinde regieret.Hilfft Ungluͤck wenden/ hilfft aus den armen Elenden.Die Toͤchtr imgleichen ſie zieht/ als weren ihr eigenIn Zucht und Tugend. So gibts daher artige Jugend.
In
[535]der Teutſchen Sprache.In Summ was billig/ das thut dieſelbige willigUnd trifft das Mittel.
Dergleichen Verſus Leoninos, wie auch an-
dere nach Lateiniſcher art/ hat auch Cam-
panella im Italiaͤniſchen und Spaniſchen
geſchrieben/ und meinet daß ſolche gar wol
und leicht in denſelben zu machen. Dann
er ſaget Poetic. cap 10. art. 2. Hanc menſu-
rā nec in Italica vulgari, nec in Hiſpanica, nec
in Gallica habemus: ſed poteſt facile inve-
niri, \& eleganter, uti in verſificatoria Ita-
lica oſtendi, \& in noſtris canticis plurima
ſunt vulgaria metro latino compoſita.
Sorbier hat in dem Buch/ daß er von
der Frantzoͤſiſchen Sprache geſchrie-
ben/ deſſen wir droben erwehnet p. 227.
von derſelben eben ſolches be-
hauptet: daß es nicht unmoͤglich die La-
teiniſchen metra darin nach zu machen/
gedencket auch des Rapini der deſſen eine
Probe gegeben/ welche der gelehrte Ca-
ſaubonus in ſeinem commentario uͤber
den Perſium lobet. Bey dem Geſnero
in ſeinē Mithridate findet man ein Exempel
eines Teutſchen Hexametri und Frantzoͤſi-
ſchen
[536]Das V. Cap. Von der Proſodia
ſchen Phaleuci. Joh. Gerh. Voſſiꝰ meldet Inſt.
Orat. lib. 5. c. 5. p. 329. daß er im Niederlaͤndi-
ſchen auch dergleichē gemacht. Es hat auch
Aquilonius in ſeiner Manuductione ad Poe-
ſin Danicam inſonderheit ſich bemuͤhet
die Lateiniſche art zu Poetiſiren ſeinen
Landsleuten beliebt zu machen/ wie er
dann viel genera Metrorum Latinorum in
Daͤniſcher Sprache angefuͤhret/ uñ unter
andern ein Heroicū auff die Stad Malmoͤ/
ſo zimlich weitlaͤufftig iſt. Das Vater
Unſer hat er in einem Phaleuco Carmine
verfaſſet welches alſo lautet:
Fader milde der Himmelen beſid der/Nafnit være dit immer ærit hos os/Os dit Rige bekomme lad oc infa/Oc din Ville begas her oc forholdis/Som den ſkeride Land her ofven erre.Vort Brod daglige gif met al behsring.Vor Skyld bortleg oc ey betale/ ſom viOc ſtrax Skyldener alle vil benade/Fra Friſtelſe bevare lengo/ fra alt [o]ntRigit thi dit er/ ævig Ære/ Loff/ Prijs/Mact oc Herlighed/ immer nden ende.
Wir laſſen zwar einem jedem in dieſem
Wercke ſeine uͤberfluͤſſige Gedancken. Ich
halte aber/ daß es eine vergebliche Ar-
beit
[537]der Teutſchen Sprache.
beit ſey/ eine Sprache wieder ihre Ey-
genſchafft in ſolches Gebaͤnde zu zwingen.
Dieſes urtheilet auch Baco Verulamius
lib. 6. de augmentis ſcientiarum cap. 1. Il-
lud reprehendendum, ſagt er/ quod quidam
antiquitatis nimium ſtudioſi linguas mo-
dernas ad menſuras antiquas heroicas, ele-
giacas, ſapphicas traducere conati ſunt,
quas ipſa linguarum fabrica reſpuit: nec
minus aures abhorrent: in hujusmodi re-
bus ſenſus judicium artis præceptis præpo-
nendum. Iſt alſo das beſte/ daß man
bey der uͤblichen Poeſie im Teutſchen
bleibe/ und dieſe Kunſt ſo viel als immer
muͤglich iſt/ außuͤbe. Von den Lehrſaͤ-
tzen ſelbſt wird bey andern weitlaͤufftig
gehandelt/ worinnen man eben ſich nicht
ſo viel auffzuhalten. Dann es lernet ſich
die Poeſis viel gluͤcklicher durch die Ubung
an ſich ſelbſt/ als durch viele Reguln.
Es haben ſich auch einige gefunden wel-
che ſonderliche Handgriffe in dieſer Kunſt
verheiſſen/ wodurch man ohne groſſe
Bemūhung alſo fort ein Carmen ſchrei-
ben kōnne/ ob man gleich keine Proſodiam
l l 5ge-
[538]Das V. Cap. Von der Proſodia
geleſen. Dergleichen artificium eignet
ihm Kircherus im Lateiniſchen zu/ gleich
wie er auch einige Erfindungen hat einen
der Muſic unwiſſenden dahin zu bringen/
daß er etwas richtig in die Muſic ſetzen
ſolle. Und geſchicht eben auff ſolche art/
als wañ man durch die Virgulas Nepperi-
anas rechnet ohne ſondeꝛliche Wiſſenſchafft
der Rechenkunſt. Dergleichen Arbeit
hat lange vor Kirchero ein Engellaͤnder
Webbe in einem abſonderlichen Buch/
deſſen titul: Uſus \& autoritas loquens vor-
geſtellet/ worinnen einige Verſe aus dem
Ovidio in ihre pedes auffgeloͤſet/ und nach
Ordnung derſelben die Woͤrter hinge-
geſetzt. Wann nun einer Verſe machen
will/ der lieſet die Woͤrter aus den pedi-
bus zuſammen/ daß ein Hexameter oder
ſonſt was drauß wird. Aber es kan ein
jeglicher leicht gedencken/ daß dieſes eine
armſeelige Erfindung ſey/ dadurch zwar
Worte koͤnnen zuſammengebracht wer-
deu/ aber ohne Verſtande und Geiſt.
Im Teutſchen hat Stanislaus Minck von
Weinß-
[539]der Teutſchen Sprache.
Weinßheun/ oder der unter dieſem Nah-
men verborgen iſt/ Johannes Juſtus Win-
kelmann ein Buch genant Proteus
geſchrieben/ worinnen er nach der Lullia-
niſchen Kunſt anweiſen will/ wie ein jed-
weder ohne Muͤhe alſobald etliche tau-
ſend Verß machen und zu Papier brin-
gen koͤnne. Er ſetzet des Lullii neun Faͤ-
cher als Guͤte/ Groͤſſe/ Beſtaͤndig-
keit/ Gewalt/ Weißheit/ Begier-
de/ Tugend/ Warheit/ Ruhm.
Dieſen ſeyn ſo viel andre Contraria entge-
gen geſetzt. Ein jedes Fach muß nach dem
Alphabet in ſich begreiffen 1. Subſtantiva.
2. Adjectiva. 3. Verba. Ein jegliches von
den erſten Fāchern iſt mit einem auff-
gerichteten/ die contraria mit ei-
nem umgekehrten Buchſtaben gezeich-
net. Wie offt nun die Buchſtaben unter
einander verwechſelt werden koͤnnen/ ſo
koͤnnen auch die Faͤcher durch einander
gefuͤhret werden/ und was darunter
enthalten zu einer Rede oder Carmine
gebraucht werden. So hat auch Quiri-
nus
[540]Das V. Cap. Von der Proſodia
nus Kuhlman in ſeinem Prod[r]omo Quin-
quennii mirabilis ein Buch verheiſſen/
deſſen Titul ſehr weit hinauß ſiehet: Ars
magna Poëtica, Verſificatoria, Rhythmi-
ca in quâ porta ad Germanicam triplicem
Poeſin cum Deo aperienda, multa millia
carminum genera docenda, Epitheta plus-
quam 100000 Poëtica virtute inventorum
novorum artis Alphabetorum eruenda:
verbo: in paucis quibusdam methodus de-
monſtranda tantæ perfectitudinis, ut Teu-
tonica lingua cum aliis non de copiâ ſolum,
ſed de ipſo principatu elaborationis poſſit
contendere facillime. In ſeiner Epiſtel
de mirabilibus quibusdam inventis, geden-
cket er auch dieſer Erfindung/ und gibt
zu verſtehen/ daß ſolches in einer Ro[t]â
Naturæ beſtehe. Worauß zu ſehen/ daß
es dem Artificio Lulliano gleich ſein muͤſſe.
Ich laſſe dieſe Kuͤnſte an ſeinen Ohrt ge-
ſtellet ſein/ und weiß ich woll/ was man
ins gemein von der Lullianâ arte urthei-
let. Halte aber davor daß man eini-
gen Nutzen davon haben koͤnne: wann
man
[541]der Teutſchen Sprache.
man zuvor die rechten Gruͤnde der wa-
ren Rede und Tichtkunſt geleget hat.
Dañ es gibt auch die Natur in den Er fin-
dungen an die Hand/ daß wann man
die gewiſſe Ordnung der Dinge in rich-
tiger Bereitſchafft hat/ man ſeine Ge-
dancken ſehr woll darnach einrichten koͤn-
ne/ die in dem Analogiſmo Naturæ ihren
Grund haben muͤſſen. Es iſt aber gleich
viel/ ob ich die Artem Lullianam oder die
zehn Prædicamenta dazu gebrauche. Wo-
von ich ob ob GOtt will in einem Buche
de arguta dictione mit mehren handeln
will. Wer aber die rechte Gruͤnde der
Wiſſenſchafften an ſich ſelbſt nicht voll-
ſtaͤndig erlernet/ als die von Ariſtotele
gewieſene locos und Enthymemata in Rhe-
toricis, die aus den Hertzen der Sachen
flieſſen/ alle dieſe Kuͤnſte und circulatoria
inventa, die nur an ſtatt eines Jndicis und
Directorii dienen koͤnnen/ wenig nuͤtzen;
Dañ er wird/ weil er keinē delectum dar-
unter zu machen weiß/ an ſtat einer foͤrm-
lichen Rede und Carminis ein unnuͤtzes
Pa-
[542]Das V. Cap. Von der Proſodia
Papegeien-Geſchwaͤtze hervorbringen.
Es ſolte auch nicht wenig zu erleich-
terung der Teutſchen Verſe helffen/ wañ
man/ wie in dem Griechiſchen von Georg.
Koͤnig/ im Lateiniſchen von Bucellino
und Balbino die Woͤrter nach den pedi-
bus geordnet hātte: dann ich habe die-
ſes eine gute Beyhuͤlffe befunden/ wann
man bißweilen auff ein epitheton, verbum
oder ſubſtantivum nicht kommen kan; ja
es gibt offtmahlen zu einigen Einfaͤllen
und Erfindungen anlaß/ in dem man
auff ein Wort geraͤht/ das eine Metapho-
ram (welche ein Grund aller ſolchen Ein-
faͤlle iſt) an die Hand gibt/ daß man offt
2, 3. oder mehr Verſe darauß ableiten
kan. Wie ſolches im Teutſchen auch die
bloſſe Reime thun koͤnnen/ deßhalben die
Reim-Lexica einen groſſen Nutzen haben.
Es geſchieht ſolches bißweilen in der Teut-
ſchen Poeſi/ daß ein Wort geſetzet wird/
ſo eben nicht anſteht/ oder welches durch
eine Metaphoram koͤnte erhoͤhet werden.
Weiln man aber an den pedem gebun-
den
[543]der Teutſchen Sprache.
den iſt/ ſo wird man lange herum den-
cken muͤſſeu/ ehe man ein bequemes und
anſtaͤndliches Wort außfindet. Wann
man nun ſolchen Abacum von denen unter
ihren pedibus geſetzen ſubſtantivis, ver-
bis, adjectivis, particulis hat/ ſo darff
man nur den pedem anſehen/ und wird
ſo fort ſich aͤuſſern/ ob ein bequemes
Wort zu finden oder nicht.
Wir ſolten nun zwar auch von der
quantitate Syllabarum ins beſondere han-
deln. Aber es ſein groſſe Buͤcher hievon
geſchrieben. Nur wollen wir dieſes we-
nige allhie anfuͤhren. Wann ein adjecti-
vum zu dem ſubſtantivo geſetzet wird/ o-
der ſonſt ein zweyſylbig ſubſtantivum zu
einen andern einſylbigen Worte/ oder ei-
nem zweyſylbigen Verbo infinitivo eine
præpoſitio vorgeſetzet wird/ ſo gibt ſolches
einen dactylum: Wiewoll dem Accent
nach zu gehen/ die Mittelſylben gleichſam
halb lang ſein/ oder die beyden erſten
Sylben gar einen ſpondæum machen.
Dergleichen Woͤrter ſein Ehrſuͤchtig/
Groß-
[544]Das V. Cap. Von der Proſodia
Großmuͤthig/ Wahnwitzig/ Anlie-
gen/ Antreffen/ Großvater ꝛc. So
findet man bey dem Flemming/ daß er
lieber die letzte Sylbe in dieſen Woͤrtern
lang ſetzen wolle/ als das Mittel/ weil
die Nothwendigkeit in den Dactylis ſolches
erheiſchet. Dann er ſaget/ Großva-
ter/ -υ-Großmutter. -υ- Es klinget aber
ſehr unlieblich. Plempius hat in ſeiner
Orthograghia p. 30. von den Infinitivis
cum particulâ junctis dieſelbe Meinung.
In illis, ſagt er/ etſi penultima ſyllaba vi-
deatur eſſe longa; non eſt tamen, ſed ac-
cèntu eminet, quod in eâ vis ipſa verbi ſit,
nequaquam in ſyllabam appoſititiam trans-
ferenda. Ich wolte doch liber im Tro-
chaico und Jambico genere, wann ſo
ein Wort unvermeidlich muͤſte gebraucht
werden/ die mittle Sylbe lang ſetzen. Es
iſt aber viel beſſer dergleichen Woͤrter zu
fliehen/ weil ſie faſt bey den Teutſchen
keines metri recht faͤhig ſein: Dieſes
muß auch von denen Woͤrtern in acht
genommen werdeu/ die in plurali einen
Da-
[545]der Teutſchen Sprache.
Dactylum machen/ und in ſingulari eine
zweyſylbige Compoſition haben/ als
Wirthshaͤuſer/ Zehrgelder. Es
hat auch faſt eine gleiche Bewandniß mit
den Woͤrtern/ die in ſingulari zweyſylbig
in plurali dreyſylbig ſein/ als: Kleidung/
Kleidunge/ Irrthum/ Irrthuͤmer/
und dergleichen. Beſſer iſt ſolche
gantz und gar zu vermeiden. Ferner
muß auch noch etwas von den Einſyl-
bigen Woͤrtern erinnert werden. Dieſe
weil ſie ſehr haͤuffig in der Teutſchen
Sprache ſein/ und dannenhero bißwei-
len gantze Verſe davon beſtehen/ ſo hat
man die Regul gemacht; daß die Mono-
ſyllaba lang und kurtz ſein/ welche Herr
Praſch nicht will gelten laſſen. Dann
nach ſeiner Meinung ſein etliche von
Natur lang/ etliche kurtz/ etliche frey/
etliche zufālliger weiſe lang oder kurtz/
nachdem fie ſtehen/ oder mit andern ver-
einiget werden. Er fuͤhret dennoch viel
Monoſyllaba an/ die nach der Veraͤnde-
rung des Verſtandes bald lang bald kurtz
m mſein.
[546]Das III. Cap. Von der Proſodia
ſein. Welches zwar an ſich ſelbſt rich-
tig gnug iſt/ aber es iſt etwas zu genau
geſuchet. Dañ wan alle die Exempeln
die er ſelbſt anfuͤhret/ ſolten verworffen
werden/ ſo wuͤrde der helffte theil von
den beſten Getichten der vornehmſten
Poeten Gefahr lauffen. Es werden in
allen Sprachen einige Freyheiten von
den vornehmſten Poeten gebrauchet/
die man nicht eben nach der Gramma-
tiſchen Richtſchnur abmeſſen muß. Dañ
es erfodert bißweilen der Numerus, die
Nothwendigkeit und der Wollaut et-
was/ das man ſonſt nicht billigen wuͤr-
de. Wie wir dann aus dieſen Uhr ſa-
chen beym Homero und Virgilio groſſe
Freyheiten ſehen: Worinn ein gemei-
ner Verſtand/ der uͤber die Grammatic
und die Proſodia nicht ſchreitet/ ſich nicht
zu finden weiß. Und iſt uͤber dem zu be-
trachten/ was der Herr Menage ur-
theilet/ daß man kleine Fehler von groſſen
Poeten uͤberſehen muß. Im uͤbrigen iſt
von den Einſylbigen Woͤrtern zu mer-
cken
[547]der Teutſchen Sprache.
cken/ daß es eine uͤberfluͤſſige Sorgfalt
ſey/ derſelbē vielfāltigkeit zu meiden. Die-
ſes kan in dergleichen Sprachen nicht ge-
ſchehen. Wie es dann auch im Fran-
tzoͤſiſchen Herr Menage vor unmoͤglich
hālt/ in ſeinen Anmerckungen uͤber den
Malherbe lib. 5. p. 452. So ſind auch die ein
ſylbigen Endigungen nicht zuverwerffen/
es were dann/ daß dieſe Woͤrter einen
ſenſum abruptum haͤtten/ und ein comma
machen/ wenn andre vielſylbige vorher
gehen. Im Griechiſchen und Lateini-
ſchen wird es bißweilen vor eine Zierraht
des Verſes gehalten/ wie Hermogenes
ſelbſt davon urtheilet. Ob zwar Servi-
us von des Virgilii einſylbigen Endigun-
gen der Verſe/ das Gegentheil behaup-
ten will. Deſſen/ als eines Grammatici
Urthel/ nicht groß zu achten iſt.
m m 2Das
[548]Das VI. Cap. Von dem Numero
Das VI. Cap.
Von dem Numero Poëtico.
Einhalt.
DEr Numerus muß inſonderheit in Carmine
in acht genommen werden. Bringt ihm ein
Leben bey. Drey Theil eines Carminis
λόγος, ἁρμονία, ῥυϑμὸς. Was rhythmus ſey.
ein ander iſt im Lateiniſchen/ einander im Teutſchen.
Pedes ſimplices und Compoſiti im Lateiniſchen und
Teutſchen. Teutſche Spondæi. Ein jegliches metrum
hat ſeinen ſondeꝛlichen Rhythmum. Wie auch die Odē
die geſungen werden. Der rhythmus an ſich ſelbſt iſt
faͤhig das Gemuͤth zu bewegen. Rhythmus in dem
Trommelſchlag/ und in andern Bewegungen.
Rhythmus in dem Kaͤmmen der Hare/ auß Iſaaco
Voſſio. Collocatio \& harmonia verborum.
Marii Bettini Mathematiſche Betꝛachtungē hieruͤber.
Exempel der Harmoniſchen Zuſam̃enſetzung in den
Verſen. Der Autor des Buchs de la connoiſſance
des bons livres urtheilet nicht woll/ wañ er die Lateini-
ſche Poeſie leichter haͤlt/ als die Frantzoͤſiſche. Derglei-
chen Harmoniſche Collocation findet man auch im
Teutſchen. Die Zuſam̃enſtimmung der Strophen.
Marii Bettini Commentarius uͤber Ariſtotelis Po-
eti-
[549]Poetico.
eticam. Homeri und Virgilii Vortreflichkeit be-
ruhet vornehmlich auff dem Numero Poetico. Clau-
diani ταυτομετρία. Man muß auff die Lieblichkeit
im Carmine nicht allein ſehen. Torquatus Taſſus
iſt bißweilen mit Fleiß unlieblich. Rapini Lateiniſche
Poeſis. Frantzoͤſiſche Sprache iſt ſolches numeri
nicht faͤhig/ zum theil auch nicht die Teutſche.
Hievon wird ein mehres am andern Ohrte gehan-
delt werden.
DIe Betrachtung der kurtzen und
langen Sylben/ und deren
darauß entſtehenden Fuͤſſe/ und
Reimgebānde/ fuͤhret uns allhie auff die
Betrachtung des Numeri Poëtici oder
Rhythmi. Von welchem auch die vor-
nehmſten Poeten ſo gar wenig zu ſagen
wiſſen/ da dennoch dieſes gleichſam das
Leben eines Carminis iſt/ und andere
Geiſter/ die es hoͤren oder leſen/ gleich-
ſam lebendig macht und auſſer ſich fuͤh-
ret. Dann gleich wie die Kuͤnſtler/ Bild-
ſchnitzer und Mahler es fuͤr die groͤſte
Kunſt halten/ ihren Wercken die Leben-
dige Bewegunge/ ſo weit es ſich thun
m m 3laͤſt
[550]Das VI. Cap. Von dem Numero
laͤſt/ mit zu theilen: So muß auch die
Poëſis, deren gantzes Weſen in imitatione
beſtehet/ den Woͤrtern eine ſonderliche
Krafft und Regung/ theils durch das
Gebaͤnde/ Wollaut und gebuͤhrliche Zu-
ſammenſetzung und Verſetzung/ theils
durch die Metaphoras, die Ariſtoteles κατ'
ἐνέργειαν neñet/ geben. Dañ es wird ein
jeglich Carmen, oder vielmehr alle Rede
von dem Platone Dial. 2. de legibꝰ in 3. Theil
λόγον, ἁρμονἰαν, ῥυϑμὸν getheilet/ worunter
dieſes alles begriffen wird. Ohne dieſem
iſt alles todt/ und beſtehet nur aus ei-
nem leeren Schall. Der Rhythmus (dann
ſo nennen die Alten die gewiſſe proporti-
on der Fuͤſſe unter ſich/ die aus ihrer
kuͤrtze und laͤnge entſtehet) muß wie im
Griechiſchen und Lateiniſchen inſonder-
heit/ ſo auch im Teutſchen woll in acht
genommen werden. Jene haben eine
viel genauere Eintheilung der Fuͤſſe/ als
die Teutſche/ die nur bloß nach dem Ac-
cent gehen. Nach dem nun die Be-
ſchaffenheit der Sache es erfodert/ in
den
[551]Poetico.
den Gemuͤhtsbewegungen zu erregen/ dar-
nach richtet ſich auch der Gebrauch der pe-
dum, und der darauß zuſammen geſetzten
metrorum. Uber die pedes ſimplices hat
man auch compoſitos, welche nicht glei-
cher art mit den einfachen ſeyn/ ſondern
eine gantz andre Natur an ſich nehmen.
Dann ſie bewegen viel hefftiger/ und iſt
ihr Schall in der Muſic viel durchdrin-
gender/ wee dergleichen viel in den Odis
und Dithyrambis ſein. Im Teutſchen hat
man zwar wenig pedes, als Trochæum,
Jambum, Anapæſtum, Dactylum. Wel-
chen Herr Praſch auch den Spondæum
hinzuſetzet/ wie er dann in dieſem Pan
liebt/ Gott lebt/ und in den beyden
erſten Sylben der im vorigen Capitel
angefuͤhrten Wōrter Blutruͤnſtig/
Mannsliebe/ Andaͤchtig/ Gold-
bergwerck denſelben zu finden meinet.
Man kan auch nach art der Lateiniſchen
einige pedes compoſitos machen/ wie wir
im folgenden ſehen werden. Wie nun
ein jedes Reimgebaͤnde aus einem ge-
m m 4wiſſen
[552]Das VI. Cap. Von dem Numero
wiſſen Maaß der Fuͤſſe beſtehet/ ſo folget
auch darauß/ daß ein jedes metrum ſei-
nen ſonderlichen rhythmum habe/ wel-
cher/ da er nicht in acht genommen wird/
das gantze Weſen deßhalben in unꝛichtig-
keit kommet/ und durchauß kein Geſchicke
hat/ ob gleich die quantitas Syllabarum
und das metrum im uͤbrigen woll in acht
genommen. Es verhaͤlt ſich auch dieſes
mit der Teutſchen Poëſi nicht anders/ wie
wir nachgehends/ wann wir von den O-
den handeln/ darthun wollen/ daß
der Rhythmus derſelben/ die zur Muſic ge-
macht werden/ gantz anders ſein muͤſſe/ als
der gemeine. Vondem rhythmo in loſer
und gebundener Rede iſt beym Ariſtotele
in Rhetoricis, Cicerone in Oratore, auch bey
den altē Muſicis, Claude Fauchet de la langue
\& poëſie francoiſe l. 1. c. 6. Patricio in ſeinem
ſchoͤnen Buch della Poëtica part. 1. libr. 6.
part. 2. lib. 9. und endlich dem Voſſio in ei-
nem abſonderlichen Buch ein mehres zu
leſen. Zu geſchweigen des Dioniſii Hali-
carnaſſenſis, der 24. Buͤcher von der Rhyth-
mi-
[553]Poetico.
mica veterum geſchrieben/ welche aber
verlohren ſein. Es haben auch die Medici in
dem Pulß der Hand ihren Rhythmum.
Ja alles was auff gewiſſe art und Maaſſe
bewegt wird/ hat denſelben/ im-
gleichen auch das Tantzen. Man kan
ſolchen Rhythmum, auch ohne den Woͤr-
tern und dem metro ihm einbilden: Wie
ſolches aus den Woͤrtern des Vir-
gilii in Bucolicis erhellet: numeros memi-
ni, ſi verba tenerem. Man kan die-
ſes am beſten auff einer Trommel vor-
ſtellen/ worauff durch die Ordnung
der Schlāge/ und deren gewiſſe Zeiten
nicht allein ſonderliche und mit den Kriegs
Auffzugen ſehr woll uͤbereinkommende
Zeichen koͤnnen gegeben werden/ ſondern
alle Lieder/ auff was weiſe und art ſie
auch gemacht/ ſich ſpielen laſſen/ ob
gleich keine Worte/ keine andre Melodey
dabey iſt. Man hat bey den alten Mu-
ſicos gehabt/ die auch ohne eintzige Re-
de bloß durch den Rhythmum die Gemuͤ-
ther der Menſchen kraͤfftiger bewegen koͤn-
m m 5nen/
[554]Das VI Cap. Von dem Numero
nen/ als die Oratores jemahls mit der
gelehrtſten Rede gethan/ wie ſol-
ches aus dem Hermogene περὶ ἰδεῶν zu ſe-
hen. Es iſt ja auch bekant/ was von den
Pantomimis erzehlet wird/ wie dieſelbe
bloß allein durch ihre geſtus und einen
gewiſſen rhythmum alles haben nachma-
chen koͤnnen. Es iſt laͤcherlich und merck-
wuͤrdig was Voſſius in offterwehntem
Buch p. 63 anfuͤhret. Non ſemel recor-
dor, ſagt er me in ejusmodi incidiſſe ma-
nus, qui quorumvis etiam canticorum mo
tus ſuis imitarentur pectinibus, ita ut non-
nunquam, jambos vel trochæos, alias da-
ctylos vel anapæſtos, nonnunquā amphibra-
ches aut pæonas quam ſcitiſſime exprime-
rent, unde haud modica oriebatur dele-
ctatio. Wann nun zu dieſem Rhythmo
die Woͤrter hinzu gekommen/ und dieſel-
ben ihre gute harmoniam nach ihrem po-
ſitu gehabt/ ſo hat ſolches bey verſtaͤndi-
gen Leuten eine groͤſſere Bewegung erre-
gen muͤſſen. Was an der Collocatione
verborum nach dem Maaß und der har-
monia gelegen/ ſolches hat eine viel tieff-
ſin-
[555]Poetico.
ſinniger Betrachtung von noͤthen/ als
hie kan vorgeſtellet werden. Dieſer Verß
aus dem Horatio
(cus, remIndignum coges: adimam bona: mempe pe-
hat mit dieſem des Claudiani
Hæc largo matura die ſaturataque vernis \&c.
eine gleiche dimenſionem. Aber dieſer
klingt viel lieblicher und hat einen beſſern
Poetiſchen numerum, als jener. Dann
die vielen kleinen inembra und inciſa, die
ohn einiger harmoniſcher Verwechſelung
der Subſtantivorum und Epithetorum auff
einander folgen/ geben dem Verß eine
frembde art/ die einer loſen als gebund-
nen Rede āhnlicher iſt Weßhalbē die in O-
ratione ſoluta ungefehr einfallende Ver-
ſe/ bey ermanglung des numeri keine rech-
te Verſe zu nennen. Der Marius Bet-
tinus ein gelehrter Mathematicus philoſo-
phirt uͤber dieſe Woͤrter Ordnung/ auß
Mathematiſchen und Muſicaliſchen gruͤn-
den/ in ſeinen ſo genandten Apiariis, A-
piar. 10. progym. 1. prop. 7. woriñ er von der
Harmonia metrica in den Lateiniſchen
Carminibus handelt. Er hat alle genera der
Con-
[556]Das VI. Cap. Von dem Numero
Conſonantiarum Muſicarum in Elegiaco
Carmine unterſucht/ als diapaſon, dia-
pente, diateſſaron. Zum Exempel von die-
ſen Verſen.
Et Phaetontæas ſolitæ deflere querelasRoſcida frondoſæ revocant electra ſorores.
urtheilet er alſo: Solitæ \& frondoſæ quinto
inter ſe loco conſonant, per conſonantiam
diapente. Solitæ \& ſororos octavo loco per
diapaſon. Præterea Phaëtontæas \& querelas
item roſcida \& electra quartis inter ſe locis
reſonant diateſſaron. Dergleichen mehr
exempla fuͤhret er aus ſeinem Sylviludio
und Satyro-paſtorali an. In dieſem di-
ſticho:
Fertilis aſſiduo ſi non renovetur aratro,Nil niſi cum ſpinis gramen habebit, ager
findet er Diapaſon diateſſaron. Dann
die Woͤrter Fertilis und ager klingen gleich-
ſam in einem Circul zuſammen/ und gibt
traun dieſes die ſchoͤnſte Harmoniā in Ele-
giaco Carmine, ob gleich keine Conſonantia
in den Endigungen der Woͤrter iſt/
wie in aſſiduo und aratro. Dann dieſe
iſt/
[557]Poetico.
iſt/ wie er ſaget/ Conſonantia intelle-
ctualis è correlationibus verborum. Die-
ſe Harmonia meinet er ſey dem Lateini-
ſchen ſo eigen/ daß ſie durchauß in an-
dern Sprachen keine ſtaat habe. Wel-
ches auch der Warheit gemaͤß. Es
iſt durchauß nicht zu billigen/ was
der Autor des Buchs de la connoißance
des bons livres traité 3. urtheilet: daß die-
ſer ſo vielfaͤltigen Verſetzungen halber
ein Lateiniſches Carmen leichter zu ma-
chen ſey/ als ein Frantzoͤſiſches/ worin
man gar keine Freyheiten haͤtte/ und
ſich gar genau an die Regeln der natuͤr-
lichen Rede binden muͤſſe. Dañ es iſt eben
dieſer Uhrſachē halber vielmehr um zu keh-
rē: weiln in der Lateiniſchen und Griechi-
ſchen Sprache viel Verſetzungen ſein/
die aber nicht/ wie er meinet/ nach belie-
ben koͤnnen geſetzet werden: dañ es hoͤret
eine groͤſſere Ubung und Sorgfalt zu den-
ſelben/ als zu dem Frantzoͤſiſchen. Man
hat auch gleichfals im Teutſchen eine U-
bereinſtim̃ung der commatum und mem-
bro-
[558]Das VI. Cap. Von dem Numero
brorum, welche einen groſſen Unterſcheid
in der Elocutione Poëtica macht. Man le-
ſe Herrn Opitzen und Herrn Flemmings
Carmina, und halte ſie gegen einander/
man wird eine groſſe ungleichheit dieſes
Rhythmi halber finden: Dann bey dem
Flemming ein concitatior numerus ſich
findet/ als bey dem Opitz. Eben dieſe Con-
ſonantiæ, die ex collocatione verborum
metricâ in einem Verſe kommen/ koͤn-
nen auch in den Stophis der Oden dar-
gethan werden. Dann es iſt auch allhie
ſo woll eine generalis conſonantia Stro-
pharum, als eine particularis verſuum. Bet-
tinus findet auch hierin ſtrophas tetrachor-
das, pentachordas, hexachordas, octochor-
das \&c. deren Exempel er in ſeinen Eutra-
peliis und in ſeinem Viridario vorbringet/
verweiſet auch den Leſer auff ſeinen Com-
mentariū in Ariſtotelis Poticam, davon ich
nicht weiß/ ob er hervorgegeben ſey.
Er ſaget ſonſt ſelbſt von dieſem Wercke:
Ad hoc opus exornandum congeſſimus pene
omnes opes poeticas è præcipuis Poetarum
ac
[559]Poetico.
ac è fabularum Scriptoribus Græcis, Lati-
nis, Italis. Wodurch mir keine geringe
Begierde erwachſen/ dieſes Buches hab-
hafft zu werden/ dann er eine ungemei-
ne Scharffſinnigkeit in erforſchung des
Rhythmi in Carmine zeiget/ welches nie-
mand vor ihm in den Sinn gekommen.
Die alten Griechiſchen und Lateiniſchen
Poeten haben durch dieſen Numerũ ihre
Carmina unvergleichlich gemacht/ und je
mehr er von ihnen in acht genommen
wordẽ/ je vortreflicher iſt ihre dictio und
Elocutio geweſen. Dieſes macht des
Homeri Poeſie ſo herrlich: daher auch
Athenæus davor hālt/ daß keine Carmina
beſſer zu ſingen ſein/ als die ſeinige. Vir-
gilius iſt im Lateiniſchen der Meiſter/ deſ-
ſen unvergleichliches Urthel alle Worte
und Verſe ſo abmißt/ daß man die Sa-
chen ſelbſt vor Augen zu haben meinet.
Wer dieſes begreiffen kan/ und den Vor-
zug/ den Virgilius in dieſem Stuͤcke vor
andern hat/ der hat einen vollkommenen
Verſtand von der Lateiniſchen Poeſi zu
ur-
[560]Das VI. Cap Von dem Numero
urtheilen. Alle die andern wie ſie heiſſen
kommen ihm beyweiten hierin nicht gleich.
Der Claudianus wird zwar vom Barthio
Aduerſ. lib. 57. c. 11. pro numeroſiſſimo Po-
eta gehalten. Aber es iſt eine Ταυτομε-
τρία, daß ichs alſo nenne/ darin/ und ei-
ne durchgehende gleichſam tantzhafftige
Woͤrtermaaß. Welches vor ein Hel-
dengeticht nicht ernſthafftig gnug iſt/
und in der vielfāltigkeit der Dinge die vor-
geſtellet werden ſich nicht außnimt. Dañ
man muß nicht auff die Lieblichkeit allein
ſeyen/ ſondern ſie muß nach Beſchaffen-
heit unterbrochen werden. Gleich wie
auch der Mißlaut ſelbſt/ die Harmoniam
bißweilen lieblich macht. Darum hat
der unvergleichliche Taſlo die
Lieblichkeit der Italiaͤniſchen Sprache
mit harten Conſonantibus verſetzet/ wie
auß dem Anfang des vierten Buchs ſei-
ner Gjeruſalemme liberata zu ſehen.
Nachgehends hat man dieſe ſpringende
Woͤrtermaaß noch vielmehr beliebt/ wie
der Sidonius Apollinaris gethan/ biß man
gar
[561]Poetico.
gar auff die ὁμοιοτέλευτα zu Teutſch genan-
te Reime gekommen. Die Afri Scriptores
haben inſonderheit dieſe Reimerey auch
in Prolâ beliebt. Die in dem Virgilio
dieſen numerum der Verſe etwas genauer
gemerckt/ und ſolches nachahmen koͤn-
nen/ ſein ohnzweiffel die beſten: Worun-
ter zu unſer Zeit billig der Rapinus zu
rechnen/ welcher in ſeinen Reflexionibus
num. 36. die Frantzoͤſiſche Sprache dieſer
Zierde unfāhig zu ſein ſchaͤtzt; weil kein
Unterſcheid der Abfaͤlle darin iſt. Wel-
ches auff gewiſſe Art auch von der Teut-
ſchen war iſt. Wir wollen hievon nicht
mehr handeln/ damit nicht/ was zu ei-
ner andern Arbeit von uns außerſehen/
allhie vergriffen werde.
Das VII. Cap.
Von den Reimen/ ob ſie
nothwendig ſein in der gemei-
nen Poeſi.
Einhalt.
ES verwerffen einige die Reime/ als Iſaacus
n nVoſſi-
[562]Das VII. Cap. Von der Reime
Voſſius, Rolandus Mareſius. Sie ſind aͤlter als
die verſus Leonini. Des Sluſii und Sorbiers
wiederwertige Meinungen hierin. Die Reimende
poeſis erregt durch den Gleichlaut keinen Eckel oder
Einſchlaͤffrung. Sorbier ſagt diß vielmehr von
der Griechiſchen und Lateiniſchen. Italiaͤner und
Spanier belieben die ungereimte Verſe. Nicht a-
ber die Frantzoſen. Deſſen Uhrſach wird vom
Sorbier angefuͤhret. Es wird gezweiffelt/ ob man in
Comoedien Reime gebrauchen ſolle. Deſſen Urſachẽ.
Voſſii Urtheil von des Arioſti ungereimtẽ Comœ-
dien. de Meſſiriac hat Ovidii Epiſtolas in Fran-
tzoͤſiſche ungereimte Verſe verſetzet. Sorbiers
Urthel. John Milton hat ein Poemata The Pa-
radis loſt ohn Reime geſchrieben. Ein Exempel
in dem Niederlaͤndiſchen/ auß dem Abrahamo Mylio.
DIe Reimen machen einen groſſen
Theil der Teutſchen Poeſie, und
iſt deren Betrachtung an dieſem
Ohrte etwas gruͤndlicher anzuſtellen;
dann bey andern werden nur bloß die
Lehrſaͤtze von den Reimen gefunden/ mit
welchen wir uns nicht auffhalten wollen.
Es haben die Außlānder dieſe Frage auff
die Bahn gebracht/ ob es nicht beſſer
ſey
[563]Nothwendigkeit.
ſey daß man die Verß ohne Reimen
ſchreibe? Ja es ſind gelehrte Leute die
dieſe Reimerey als ein barbariſches und
Außlaͤndiſches Weſen verwerffen wollen.
Iſaacus Voſſius hat in dem ſo offt erwehn-
ten Buch de Poematum Cantu p. 25. gar
weitlāufftig davon gehandelt/ und aus
den alten erwieſen/ wie ſehr ſie den gleich-
laut in den Sylben getadelt. Er neñet
ſolches Reimgebānde/ barbarum \& in-
conditum metri genus. Rolandus Mare-
ſius ein gelehrter Mañ hat lib. 2. Epiſtol.
Philologic. 4. wieder desſelben Gebrauch
geredet/ und vermeinet/ daß dieſe art
der gemeinen Verſe von den ver-
ſibus Leoninis hergekommen/ woriñen
er irret: dañ ich davor halte/ daß die
verſus Leonini von der Reimerey in den
gemeinen Sprachen ihren Urſprung ge-
nommen/ wie wir nachgehends mit meh-
ren darthun werden. Dieſer Streit
von der Nothwendigkeit und Nuͤtzlichkeit
der Reimen in den gemeinen Verſen iſt
zwiſchen dem Sluſio und Sorbier in dem
n n 2offt
[564]Das VII. Cap. Von der Reime
offt erwehntem Buche auch abgehandelt.
Jener wirfft dieſein vor daß die Reimen-
de Poeſie durch den gleichlaut mehr den
Schlaff als die Auffmunterung veruhr-
ſache. Welches aber Sorbier leugnet/
und zwar nicht ohn Urſach: Dann ob
ſchon die Gleichheit ſich findet/ ſo iſt doch
dieſelbe verſchieden/ und iſt die Vielfaͤl-
tigkeit und Abwechſelung der dinge auch
da/ die einen Zuhoͤrer oder Leſer in der
Auffmerckſamkeit erhalten kan. Ja er
behauptet das Gegentheil/ daß bey An-
hoͤrung eines noch ſo herrlichen ungereim-
ten Getichtes ihm der Schlaff und Eckel
eher ankommen wuͤrde; als wañ der
Reim die Ohꝛen/ die ihre Vergnuͤgung da-
von haben/ allezeit gleichſam als durch
eine harmonie eroͤffnet. Welche har-
monia dañ durch die Abwechſelung der
Reime ſehr unterhalten wird. Dero-
halben die Italiaͤner in ihrem Poëmate
Heroico inſonderheit dieſe Wechſel- Rei-
me beliebet/ die dann nicht weniger ein-
ſchläffern koͤnnen/ als eine wollgeſetzte
Mu-
[565]Nothwendigkeit.
Muſic denjenigen/ der mit Fleiß darauff
mercket. Dann wer ſolche nicht begreif-
fet/ oder keinen auffmerckſamen Sinn
hat/ den wird auch die allerzierlichſte
und kuͤnſtlichſte Rede leicht in den Schlaff
bringen. Er will vielmehr durch viele
angefuͤhrte philoſophiſche Gruͤnde a p.
235. ad 243. darthun/ es koͤnnen die Grie-
chiſchen und Lateiniſchen metra einen eher
einſchlaͤffern/ als die reimende Frantzoͤſi-
ſche Verß/ wovon weiter bey ihm kan
nachgeleſen werden. Es iſt zwar war/
daß die Italiaͤner und Spanier ſolche
ungereimte Tichterey belieben/ wie dann
Voſſius diejenige lobet. Aber Sorbier
hālt davor es komm von ihrer Faulheit
her/ daß ſie nicht ſo viel Muͤhe anwen-
den wollen. Wie er dann ſeine Fran-
tzoſen deßhalben lobet/ daß ſie lieber eini-
ge metra, als Sonnet, Rondeau, Balade,
Virelais erfinden wollen/ darinnen einer-
ley art Reime offtmahls widerholet wer-
den/ als dieſelbe vermeiden: welches/ wie
es muͤhſamer/ ſo auch ergetzlicher iſt.
n n 3Haͤtte
[566]Das VII. Cap. Von der Reime
Haͤtte Lope de Vega ſeine Comoedien al-
le in Reimen ſchreiben ſollen/ er wuͤrde
eine ſo groſſe Anzahl nicht hervor ge-
bracht haben. Doch wuͤrde der Dra-
matiſchen Poeſis halber noch einiger zweif-
fel entſtehen koͤnnẽ. Dann man moͤchte
hie einwenden/ die Schauſpiele beſtuͤn-
den auß Geſpraͤchen/ die Geſprāche auß
geſchwinden Einfaͤllen/ wozu kein Reim
ſich ſchicke/ als welcher erſt mit Muͤhe
und nicht ohne Kunſt/ die doch billig ver-
heelet werden ſoll/ muͤſſe geſuchet wer-
den. Es were dann daß man die Per-
ſonen eines Schauſpiels vor gebohrne
Poeten halten koͤnte. Weßhalben auch
die Lateiner hiezu eine art Verſe erwehlt/
die der ungebundnen Rede am nechſten
komt. Es geben auch einige vor/ es
ſey ein Reim unfaͤhig groſſe Gedancken
außzudruͤcken/ und ſey vor kleine dinge laͤ-
cherlich. Dann es koͤnne ja nichts un-
geſchickter ſein/ als wann man einem
Diener ein gemeines Gewerbe/ die
Pforte zu ſchlieſſen/ die Taffel zudecken ꝛc.
reim-
[567]Nothwendigkeit.
reimweiß anbefehlen/ und hingegen da
man etwas groſſes vorzuſtellen/ ſich
an die Nothwendigkeit eines ſo unnoͤthi-
gen Wortes ſo feſt verbinden wolte/ daß
man offt ſeine Gedancken dem Reim
zu gefallen āndern muͤſte. Ob nun zwar
dieſes nicht ohn einigen Schein der War-
heit eingewandt wird/ ſo fehlt es doch
nicht an ſattſamer Beantwortung/ wie
wir dann im folgenden Cap. mit mehren
davon handeln wollen. Dieſe und an-
dere Uhrſachen haben einige be-
wogen/ daß ſie lieber ungereimte/ als
reimende Verſe ſchreiben wollen.
Bey dem Arioſto ſein Comœdien, wel-
che aus ungereimten Jambis beſtehen.
Voſſius urtheilet von ihnen: Multis illæ
placuere, \& certè dignæ ſunt, quæ ab omni-
bus laudentur, propter ingenium, ſed eti-
am quod eo carminis genere expreſſæ ſunt,
quod cantum admittat. Torquatus Taſ-
ſus hat in ſeinem Amynta und Guarinus
in ſeinem Paſtor Fido ſich derſelben Frey-
heit auch gebraucht. Petrarcha hat eini-
n n 4ge
[568]Das VII. Cap. Von der Reime
ge ſolche Carmina hinterlaſſen/ davon
Nicolaus Franco in ſeinem Buche Il Petrar-
chiſta einige heraußgegeben. Es hat
auch im Frantzoͤſiſchen der Herr de Meſ-
ſiriac des Ovidii Epiſtolas Heroidum in un-
gereimte Frantzoͤſiſche Verſe uͤberſetzet/
welche einigẽ nicht uͤbel gefallen. Aber
der Herr Sorbier urtheilet von den Fran-
tzoͤſiſchen ungereimten Verſen: Si quel-
que un de nous ſe hazardoit auiour d’huy
de faire des vers ſans rimes, tout le monde
ſ’ en moqueroit au lieu de luy en ſavoir gré
en faveur de noſtre langue. In
der Engliſchen Sprache hat man nicht
allein Comoedienſchreiber/ wie den John-
ſton und andre gehabt/ ſondern auch ei-
nige/ die in Heroico poëmate die unge-
reimte art beliebet. Der bekante Johan-
nes Miltou hat ein vollſtāndig Poëma: ge-
nannt The Paradis loſt, ohne Reimen ge-
ſchrieben/ woſelbſt er in der Vorrede die-
ſer Schreibart das Wort redet/ inſon-
der heit dieſer Uhrſachen halber/ daß des
Reims wegen man offtmahlen wider wil-
len
[569]Nothwendigkeit.
len Woͤrter ja gantze Reden ſetzen muß/
die man viel eigentlicher und beſſer ohne
dieſen Zwang haͤtte geben koͤnnen. In
der Niederlaͤndiſchen Sprache iſt Abra-
hamus Mylius ein Feind der Reimen/
welcher in ſeinem Buch de Lingua Belgi-
ca c. 29. eine gantze Ode de officio \& ſide-
litate veræ Amicitiæ, in Hollāndiſcher
Sprache gleichſam zur Probe gegeben/
deſſen Anfang alſo lautet:
Coomt hier mien Luidt geluydeloosNoch ſtomm vvilt ſo niet hangenCoomt, doet my nu den beſten dienſt,Die immer ghy ſoudt moegen:Coomt, helpt nu myne ſinnen:Wilt nu te vverke legghenAl d’ angenaem heid die ghy hebtAl uvve lieflickheid. \&c.
In Teutſcher Sprach hat noch niemand
es zu verſuchen begehret/ iſt auch eine un-
noͤtige Aꝛbeit. Meines erachtens/ wañ eineꝛ
die ungereimte Verſe hoͤher als die an-
dern halten wolte/ were es eben/ als wañ
einer einer Stroh fidel vor einer wollge-
ſtimten Geige den Vorzug gebe.
n n 5Das
[570]Das VIII. Cap. Von der Reime
Das VIII. Cap.
Verthedigung der Reime.
Einhalt.
DIe Verſe in den gemeinen Sprachen haben
ihre meiſte Zierlichkeit von den Reimen.
Godeau Meinung hievon wird gelobet. Bey
den alten Griechen und Lateinern hat man einige
Reime auch vor alters gehabt. Anacreontis und
Varronis reimende Verſe. Barthii Urthel. Rei-
me flieſſen aus der Natur. Sein derowegen nicht
zu verwerffen. Dieſer Grund wird vergeblich von
Iſaaco Voſſio umgeſtoſſen. Seine Einwuͤrffe
werden wiederlegt. Der auß den Reimen entſte-
hende Woͤrterzwang iſt gleichfals nichtig. Dele-
ctus verborum kan beſſer in einem gereimten als
unngereimten Carmine in acht genommen werden.
Der Reim umſchrencket die weitaußſchweiffende
Gedancken. Iſt im Teutſchen nothwendig. Gibt
bißweilen Erfindungen an die Hand. Man muß
auch in den Schauſpielen die reimende Verſe zuge-
ben. Antwort auff die im vorigen Capitel geſche-
hene Einwuͤrffe. Die Reime ſein in den Lateini-
ſchen Hymnis beliebet worden/ vor den gewoͤhnlichen
Lateiniſchen metris. Des Muͤnchs Ehrenfrieds
Lateiniſcher Rhythmus. Buchneri Urtheil. Lateini-
ſche
[571]Verthedigung.
ſche Reimen aus dem Cambdeno. Plcmpii, Cæ-
ſii, Caldenbachii, Maſenii Lateiniſche Reimen.
Petermanns Lateiniſche Oden auß des Riſten Lie-
dern. Gemengete Lateiniſche und Teutſche Rei-
men. Eine Probe aus des Barthii Adverſariis,
und aus des Plempii Muſio. Conſtantini Huge-
nii Olla podrida. Æquivoca Carmina. Eins
das zugleich Teutſch und Hebraͤiſch iſt. Einan-
ders/ das zugleich Italiaͤniſch und Hebraͤiſch. Derglei-
chen Carmina ſindet man auch im Italiaͤniſchen
und Frantzoͤſiſchen. Macaronica Carmina.
OB nun zwar von vielen gelehrten
Leuten/ wie wir bereits angefuͤh-
ret/ die Reimen als eine Kindi-
ſche Zierlichkeit verworffen werden/ ſo
kan und muß dennoch behauptet wer-
den/ daß dieſelben in den gemeinen Spꝛa-
chen/ und auch alſo in der Teutſchen
nicht allein zu dulden/ ſondern auch
nothwendig ſein/ und nicht koͤnnen auß-
gelaſſen werden. Weßhalben der Herꝛ
Godeau in ſeinem Diſcours uͤber des Mal-
herbe Poëmata ſolche art Verſe als un-
taugliche verwirfft/ und den Malherbe
lobt/ daß er eine genauere Richtigkeit in
die
[572]Das VIII. Cap. Von der Reime
die Frāntzoͤſiſche Reime gebracht. Dañ
dieſe neue Ketten/ wie er ſagt/ ſein viel-
mehr eine Zierde derſelben/ als Keñzei-
chen der Dienſtbarkeit. Es ſein die
Reime nicht ſo barbariſch wie die Roͤ-
mer und Griechen ſie davor gehalten/
dann man findet auch einige figuren der
Rede; deren Zierlichkeit bloß in Reimen
beſtehet/ welche auch zu rechter Zeit ei-
nen guten Platz in der Rede finden. Der
Griechiſche Poet Anacreon hat ſie auch
bißweilen in den Verſen/ die nach ſeinen
Nahmen genannt werden/ beliebet. Wel-
chen bey den Lateinern viele gefolget ſein/
wie Barthius Adverſar. lib. 31. c. 7. ange-
merckt/ deren Schrifften ob ſie zwar un-
tergangen/ ſo haben dennoch eini-
ge Grammatici etliche fragmenta uns er-
halten/ zu dem Ende fuͤhret er dieſe verſe
des Varronis an:
Orthophallica attulit pſalteriaQuibus ſonant in Græcia dicteria,Qui fabularum collocant exordia.
Es
[573]Verthedigung.
Es ſetzet Barthius hinzu: In eam rem alii
priſcorum loci adduci poſſent, ſi Analecta
noſtra poëtica exſcribere vellemus. Sufficit
Terentiani autoritas, qui rhythmos à me-
tris diſtinguit, ut utrumque genus in uſu fu-
iſſe confiteatur. Et eam diſtinctionem
novit ultimum ævum, ſtudio non igno-
rantiâ peccans. Es werden aber allhie an-
dere rhythmi verſtanden/ wie im folgen-
den cap. zu ſehen. Ob nun zwar die Grie-
chen und Lateiner ſolche Reime nicht
durchgehends gebraucht/ dann die Fuͤ-
gung und Abmeſſung der Rede laͤſt es
nicht zu./ ſo ſehen wir dennoch darauß/
daß ſolche Reime mit der Sprache ſelbſt
gebohren werden/ und der Natur ge-
māß ſeind. Von welcher die Griechen
und Roͤmer ſich/ durch geſuchte Kunſtre-
guln/ zu weit entfernet. Jſaacus Voſſius
kan nicht leugnen/ daß die Reimen na-
turlich ſein/ und das Ohr beluſtigen.
Aber er tadelt diß/ daß man der Natur
lieber als der Kunſt folgen wolle. Er
ſagt: p. 29. Fruſtra argumenta petuntur à
na-
[574]Das VIII. Cap. Von der Reime
natura, quæ non imperfecta tantum ſed \&
vitioſa eſt in multis. Multa homines na-
turæ faciunt inſtinctu, quæ inſigniter inepta
ſunt. Dieſer Grund iſt nicht der Er-
heblichkeit/ daß er den Gebrauch der
Reimen umſtoſſen ſolte: Ja es iſt vielmehr
dieſer Schluß gantz unrichtig. Dann
was iſt die Kunſt anders als eine Nach-
ahmung der Natur? welche zu einē Grun-
de aller Wiſſenſchafften nothwendig ge-
ſetzet werden muß. Eben dieſe hat in
der Griechiſchen und Lateiniſchen Spra-
che die kurtze und lange Sylben veran-
laſſet/ wie ſie uns den Reim gegeben:
und wer will hierin urtheilen/ welches
unter dieſen beyden ihr wuͤrdigſtes Ge-
ſchencke ſey. Es iſt eine groſſe Verwegen-
heit den allgemeinen Trieb/ den wir bey
Italiānern/ Spaniern/ Frantzoſen/
Teutſchen/ Morgenlāndern und allen
Voͤlckern mercken/ als eine nichtswuͤr-
dige thōrichte Sache zu verlachen. Man
pflegt es vor eine Richtſchnur des Rech-
ten zu halten/ wann alle Voͤlcker darin
uͤber-
[575]Verthedigung.
uͤbereinſtimmen/ deßhalben das ſo be-
kante Jus Gentium allen Buͤrgerlichen
Rechten vorgezogen wird. Warum ſol-
len wir in dingen die zur Kunſt und Wiſ-
ſenfchafft gehoͤren/ nicht ein gleiches be-
haupten koͤnnen. Es hat uͤber dem ein
jegliches ſeculum ſeinen ſonderlichen Ge-
nium, der ſich wie in allen dingen/ ſo
auch in Wiſſenſchafften und Kuͤnſten her-
vorthut/ welchem niemand mit ſeinem ei-
gnen Witz zu wiederſtreben vermag. Es
geben einige vor/ der Reim zwinge den
Tichter offtmahlen die beſten Gedancken
ſeinent halben fahren zu laſſen/
oder etwas uͤberfluͤſſiges beyzubringen/
daß zur Sachen nicht gehoͤre. Als
wann ſich dieſer Zwang nicht vielmehr
bey den Griechen und Lateinern fuͤnde/
da es viel ſchwerer die metra und pedes
recht zu ſetzen/ als bey uns die Reime zu
erfinden. Die dieſe Einwuͤrffe machen/ die
ſchlieſſen aus dem Mißbrauch der Reime
wieder den rechten Gebrauch derſelben.
Es iſt ja bekant/ daß in der Poeterey in-
ſon-
[576]Das VIII. Cap. Von der Reime
ſonderheit ein delectus verborum und
deren richtige Ordnung ſein muͤſſe. Iſt
dieſe da/ wie kan der Reim hierin eine
aͤnderung machen. Man ſagt der eine
Verß werde des andern halber gemacht.
So antwort ich: Es iſt entweder eine
natuͤrliche dependence zwiſchen dem erſtē
und andern Verß/ oder nicht: Iſt dieſe
Connexion da/ ſo muß der andre Verß
nothwendig aus dem erſten flieſſen. Iſt
ſie nicht; ſo muß doch die Ordnung der
Woͤrter geāndert werden/ daß alſo der
Reim keine Nothwendigkeit bringt/ auff
ſolche art und nicht anders zu ſchreiben.
Ein guter Poet ſchlieſſet keine Meinung
in dem erſten Verſe/ biß er ſeinen Reim
außgeſucht habe/ der bequem ſey dieſelbe
außzudruͤcken. Deßhalben auch bey den
Hebraͤeꝛn und Arabern die beyden Reime
die vor- und hinter-Tuͤhrē des Hauſes das
iſt des diſtichi genant werdē. So faͤllt auch
offtmahls der Schluß der Meinung in die
haͤlffte des nechſtfolgendē Verſes und wei-
ter hinauß: wozu die Vermiſchung der
Maͤnnlichen und Weiblichen Reime vor-
ſchub-
[577]Verthedigung.
ſchub thut. Wodurch man die vorge-
gebene Nothwendigkeit der Reimen
leichtlich umgehen kan. Es veruhrſa-
chet auch dieſer Reimzwang nicht/ daß
man weitlaͤufftiger ſein muͤſſe/ als die Sa-
che erfodert: Dann dieſes iſt viel ehe bey
den ungereimten Verſen zu befuͤrchten;
worinn die Phantaſie die Woͤrter und
ſententias weiter ziehen kan/ als wan die
Reime denſelben Maaß und Ziel ſetzen.
Wer ein guter Poet iſt/ wird die Woͤr-
ter und Reime ſo fuͤgen koͤnnen/ daß es
ſcheine/ als wann ſie dazu gebohren we-
ren. Ja es kan ein Reim bißweilen
zu ſolchen guten und bequemen Ge-
dancken anlaß geben/ die niemand in den
Sinn gekommen weren/ wann man nicht
den Reim zum Fuͤhrer gehabt. Iſt al-
ſo der Vortheil ſo groß/ als der Nach-
theil. Was ſolte auch endlich bey uns
vor ein unterſcheid unter die gebundene
und ungebundene Rede ſein? wann die
Reime die groſſe Freyheit/ die wir in
quantitate Syllabarum haben/ nicht ein-
ſchrenckete? Was die Comœdien anlan-
o oget
[578]Das VIII. Cap. Von der Reime
get/ ſo ſein die im vorigen Capittel an-
gefuͤhrte Einwuͤrffe keines weges ſo be-
ſchaffen/ daß man ſie dieſer halben des
Reimes entledigen ſolte. Waꝛum ſolten die
Dialogi, wie bey den Lateinern uñ Griechen
in ihꝛen Eclogis, ſo nicht auch in Reimen bey
uns koͤnnen vorgeſtellet werden? Dann ob
ſchon die Natur die geſchwinden Einfālle
uñ extemporales cogitationes nicht in Ver-
ſen hervor bꝛinget; ſo hindert doch dieſes
nicht/ dz man dergleichen Dialogos in Ver-
ſen begreiffe. Sie ſein keine extemporales
conceptus wedeꝛ bey dem Poeten/ oder bey
dem Actore, ſondern werden in einem
gantzen Syſtemate auff gewiſſe art und
weiſe geordnet/ wie die membra eines an-
dern vollſtāndigen Carminis. Deßhal-
ben auch hierin nicht die Kunſt außzu-
ſchlieſſen: die dennoch ſo kan verhelet
werden/ daß ſie nicht ſo ſehr in die Au-
gen leuchte: dann man hat nicht noͤthig
alle und jede Reden in voͤllige dople
Verſen zu faſſen/ ſondern man kan ſie in
den halben Verſen/ und noch wol kuͤr-
tzer enden. Wodurch dann die Reime
ſo
[579]Verthedigung.
ſo unterbrochen werden/ daß ſie kaum
in die Ohren fallen. Bleibt es alſo da-
bey/ daß die Suͤſſigkeit der ins gemein uͤb-
lichen Reime ja ſo gut/ wo nicht beſſer
ſey/ als die in den Lateiniſchen und Grie-
chiſchen Carminibus ſich befindende Ab-
faͤlle und Erhebunge der Woͤrter. Es
ſeind hiedurch etliche bewogen worden/
daß weiln die Reime viel ſanffter und
nachdencklicher in den Ohren klingen/
ſie viel lieber die Geiſtlichen Hymnos in
Lateiniſche reimende Verſe/ als in die
ſonſt uͤblichen Oden und Lyrica Carmina
verfaſſen wollen; wie des Heiligen Tho-
mæ Hymni von dieſer art und noch aͤlte-
re verhanden. Barthius hat in ſeinen
Adverſariis lib. 32. c. 12. eines Muͤnchen
Erinfredi, der Anno 806. gelebet Carmen
Rhythmicum, ſo er in der Mertzpurgi-
ſchen Bibliothec gefunden/ vorgebracht/
deſſen Anfang alſo lautet:
Felicitatis RegulaHac fine ſemper conſtitit,Ad puncta cum venit ſua.In ſe voluta corruit \&c.
o o 2Der
[580]Das VIII. Cap. Von der Reime
Der Herr Buchner urtheilet in ſemer
99. Epiſtel des erſten Theils von dieſen
Lateiniſchen Reim-Oden alſo: Hoc ge-
nus poëſeos etſi aut ignorarunt veteres,
aut non probarunt magnoperè, ut minus
grave; non aſpernandum tamen penitus eſt:
præcipuè cum pietati inſervit. Quare ſu-
perioribus quoque ſeculis nonnulli pii \&
ſancti viri eò inprimis ſe delectarunt.
Dieſes ſchreibt er an den Tobiam Hauſ-
conium, welcher ein Buch von ſolchen La-
teiniſchen Odis geſchrieben. Der gelehr-
te Cambdenus hat in ſeinen Remaines con-
cerning Britain p. 327. gar viel dergleichen
reimende Verſe und Oden/ aus ihren
alten monumentis hervorgezogen/ wel-
che aber kein Lateiniſches metrum haben/
ſondern nach dem jetzigen accent in der
pronuntiation gerichtet ſein. Etzliche ſein
gar ohne metro, wie dieſes des Waiter de
Mapes ſo gar laͤcherlich iſt: deſſen Anfang
alſo lautet:
Mihi eſt propoſitum in taberna mori,Vinum ſit appoſitum morientis ori:
Ut
[581]Verthedigung.Ut dicant, cum venerint Angelorum Chori,Deus ſit propitius huic potatori.Poculis accenditur animi lucerna,Cor imbutum nectare volat ad ſuperna.Mihi ſapit dulcius vinum in taberna,Quã quod aqua miſcuit Præſulis Pincerna \&c.
Nach der ietzo uͤblichen pronuntiaton ſein
von unterſchiedlichen reimende Carmina
geſchrieben. Cornelius Giſbertus Plem-
pius hat in ſeinem Muſio dergleichen etli-
che gemacht/ deſſen Vorrede ſo anfaͤnget:
Si vis Lector, quis ſim ſcire,Poſſum paucis expedire,Nec eſt opus fuſius,Ex ſutore Delphi natusSum Cornelius vocatusCognomento Muſius. \&c.
Cæſius hat in der Vorrede ſeiner Roſe-
mund zu bezeugung ſeines kuͤnſtlichen
ingenii dergleichen zum Exempel vorzei-
gen wollen/ meinend er der erſte ſey von
dem dieſe herrliche Erfindung entſtanden.
Caldenbach hat in ſeinen Lyricis ein abſon-
derlich Buch von Lateiniſchen Reimen/ uñ
in den Sylvis Tubingenſ. lib. 1. eines auff des
Thomæ Lanſii Tod/ jedoch mit behaltung
o o 3der
[582]Das VIII. Cap. Von der Reime
der quantitaͤt geſchrieben/ welches nicht
uͤbel gemacht. So hat auch Maſenius
ein Lateiniſches Saufflied in ſeiner Co-
mœdia, Bacchi Schola everſa, und einer Pe-
termann des Riſten Himmliſche Lie-
der in Lateiniſche Reimen gebracht.
Chriſtianus Daumius der den Palponiſtam
heraußgegeben/ gedencket in der Vor-
rede unterſchiedlicher alter Lateiniſcher
Reimenſchreiber. Man hat einige gehabt/
die Teutſche uñ Lateiniſche Verß unterein-
ander gemiſcht/ und gereimet/ davon
wir droben gedacht. Es hat Barthius
Adverſ. lib. 34. cap. 17. ſolchen Rhythmum
Iatino Germanicum von Anno 1259. der in
einem Kloſter bey Straßburg gefunden/
hervorgeſuchet/ der alſo anfānget:
Gens ſine capite mag keinen Rath geſchaffenImperium vacat capite. So hant kein hopt diePfaffenPropter quod ſchisma vertitur in deꝛ ChriſtenheitChriſma per hoc deſtruitur. Jederman lugt zuwemehr bret ꝛc.
Dergleichen haben einige zu un-
ſrer
[583]Verthedigung.
ſrer Zeit nachgemacht/ als Plempius in
ſeiner Strenula:
Gaude amus, laet ons blyeWeſen, heden, hoc in dieFilius nam, vvant den ſoneDes goe moeders matris bonæToont der aerden, monſtrat terræStellam ſuam zynen ſterre. \&c.
In welchen daß Lateiniſche und Nieder-
laͤndiſche einerley bedeutet. Conſtantinus
Hugenius hat unter ſeinen Niederlaͤndi-
ſchen Getichten ein Carmen, ſo er Olla
podrida nennet/ welches aus Niederlaͤn-
diſchen/ Frantzoͤſiſchen/ Italiāniſchen/
Spaniſchen/ Lateiniſchen/ Griechiſchen
unter ſich reimenden Verſen beſtehet.
Solche art Verſe aber ſein nur der kurtz-
weil halber von ſinnreichen Leuten/ nicht
aber zur Nachfolge geſchrieben. Eine
faſt gleiche oſtentatio ingenii iſt dieſe/ da
einige Carmina gemacht/ die in zweyen
Sprachen zugleich ihre Bedeutung und
Reimgebānde haben. Es fuͤhret der Herr
Wagenſeil in ſeiner Sota, de Uxore A-
dulterii ſuſpectâ cap. 1. p. 49. an/ daß einer
o o 4R.
[584]Das VIII. Cap. Von der Reime
R Juda. Med. D. ein Epithalamium geſchrie-
ben/ welches zugleich Teutſch und Hebrā-
iſch geweſen/ deſſen Anfang alſo gelautet:
[...]
Jaacob is jo ſo vvol im eben heraus auf eina.
Das uͤbrige von dem Carmine hat der
Autor vergeſſen gehabt. Er erzehlet
ferner/ wie er auff ſeiner Reiſe ein Buch
angetroffen genant [...] worinn
der R. Leo Mutinenſis ein ſolches Epicedi-
um ἀμφοτε [...]γλωο [...]σν, von 8. Verſen ge-
ſetzt; das zugleich Hebraͤiſch und Italiaͤ-
niſch iſt/ welches er auff ſeinen Præcpto-
rem Moſem gemacht. Welches wir hie-
her ſetzen wollen.
[...]Chi naſce muor, Oime, che paſs’ acerbo.[...]Colto vien l’ huom, cosi ordin’ il Cielo.[...]Moſe mori Moſe gia car de verbo.
[...]
[585]Verthedigung.[...]Santo ſia ogn’ huom, con pure zelo.[...]Ch’ alla metà, gia mai ſenza riſerbo.[...]Arriu huom, ma vedran in cangiar pelo,[...]Se fin habiam, ch’al Cielo vero ameno,[...]Va l’huomo và ſe viva aſlai, ſe meno.
Die Lateiniſche Außlegung der Italiaͤni-
ſchen Wōrter iſt dieſe:
o o 5Der
[586]Das VIII. Cap. Von der Reime
Der Hr. Wagenſeil haͤlt dieſes fuͤr eine
ſonderliche und verwunderungswuͤrdige
Sache: dann er ſaget Non habeo ſatis
exploratum, an quisquam usquam genti-
um tale quid præter Judæos auſus ſit, ſcio
tamen Junilium Epiſcopum Africanum I. 1.
de part. Div. Leg. c. 9. pro re impoſſibili id
habuiſſe, cum ſcriberet: Nulla dictio me-
trum in alia lingua conſervat, ſi vim verbo-
rum ordinemque non mutat. Ich verwun-
dere mich aber/ daß dieſem gelehrten
Mann nicht eingefallen/ wie daß in der
Frantzoͤſiſchen Sprache der Seigneur
des Accords unter dem titul les Bigarrures,
dergleichen Æquivoca Latino-Gallica viel
zuſammen geleſen/ worunter dieſes epita-
phium auff ein Pferd.
En pré morelicy eſt, ſellé, bridé, mort \& coygiſt,Fuyant euſt en dos, coup y a long aſpreau cul.En premor eliciet celebri de morte coêgitFiant utendos copia longa procul.
Es
[587]Verthedigung.
Es gedencket der Verdier auch eines Blaiſe
d’ Auriol, welcher ein Buch/ les ioyes \&
douleurs de noſtre Dame avec une oraiſon
par Equivoques latins \& francois geſchrie-
ben/ ſo eben dieſes Schlages iſt. Der
Nicolaus Antonius lobet in ſeiner Biblio-
thecâ Hiſpanica den Alphonſum de Ledeſ-
ma, der in Spaniſcher Sprache ſonderlich
in dieſen Æquivocis gluͤcklich geweſen. Es
ſieht aber ein jeder/ daß die vorgehende
Exempla mehr affectation als Verſtandes
haben/ und vielmehr eine bemuͤhung muͤſ-
ſiger als rechtſchaffener gelehrtē Leute ſein.
Die von den Italiānern beliebte Carmina
Macaronica ſind aus den gemeinen nach
der Lateiniſchen art eingerichteten Itali-
aͤniſchen Woͤrtern/ und den Lateiniſchen
gemiſchet/ deren ein gantzes Buch unter
dem Nahmen Merlini Cocaji hervorge-
kommen. Haben aber ein gemeines lie-
derliches Weſen/ und iſt zu verwundern
daß auch gelehrte Leute als Bernhardinus
Stephonius mit dieſen Thorheiten ſich be-
muͤhet: Dann es bezeuget Erythræus von
ihm
[588]Das VIII. Cap. Von der Reime
ihm in Beſchreibung ſeines Lebens: Cir-
cumfertur Macheronicum ejus Carmen,
quod Macharonis Forza inſcribitur; quo
nihil fieri poteſt in eo genere venuſtius. A-
ber es heiſſet auch bey gelehrten/ quod
monſtra etiam delectent, und daß die Heß-
lichkeit ſelbſt bißweilen angenehm ge-
macht werden koͤnne.
Das VIII. Cap.
Von dem Urſprung der
Reime.
Einhalt.
DIe Reime ſein nicht ſo gar neu. Ob
ſie von den Arabern/ Siciliern/ Provincial
Poeten in Franckreich gekommen? Die He-
braͤer haben ſie ſpaͤte angenommen. Ihre alte Poeſis
iſt verlohren. Gomari Lyra Davidica. Ob die
Gothen ſie in Italien auffgebracht? Kan nicht
gruͤndlich erwieſen werden. Jociſtæ wurden die
Gothiſchen Poeten genannt. Jocticos facere
ein Spiel am Neuen Jahrs Tage. Was Rhyth-
mi-
[589]der Reime.
ca Carmina bey den Griechen und Roͤmern erſtlich
geweſen? Sie waren ohne Reime/ und hatten nur
bloß die menſuram temporum. Exempel ſolcher
Lateiniſchen Verſe. Verſus Politici bey den Grie-
chen. Worauß dieſelbe entſtanden. Auff was
art ſie geſchrieben. Griechiſche Reim-Verſe.
Tzetzæ und Conſtantini Manaſſis verſus politici.
Warum jener lieber verſus politicos ſchreiben wol-
len. Die Reimen werden von der Natur gelehrt.
Verſus Leonini. Autores die dergleichen/ und die von
ihnen geſchrieben. Eine genauere Eintheilung und
Exempel derſelben. Dieſe Reimerey iſt auch in
Predigten und Diſputationibus beliebt worden.
IN den vorigen Capitteln haben
wir eroͤrtert/ was wieder die Rei-
me vorgebracht wird/ und dieſel-
ben gegen die Einwuͤrffe verthediget.
Die dieſe machen halten die Reime vor
eine Erſindung der neuen Zeit/ und ver-
werffen ſie mehꝛentheils aus dieſem Grun-
de. Wir haben in dem vorgehenden
Capittel erwieſen/ daß man ſie auch bey
den Griechen und Roͤmern gehabt/ ob
man ſie gleich durchgehends nicht ge-
braucht. Welcher Meinung zum theil
auch
[590]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
auch der gelehrte Huet beypflichtet; dann
ob er zwar in ſeiner Diſlertation de l’o-
rigine des Romaines p. 13. davor haͤlt/ daß
dieſe Reimkunſt erſtlich von den Arabern
in Europam gebracht nach des Taric und
des Muza ankunfft in Spanien/ welches
war Anno Chr. 713. ſo ſetzt er doch hinzu/
daß er gar leicht beweiſen wolle/ wie
auch den alten Roͤmern die reimende
Verſe nicht unbekant geweſen. Campa-
nella gibt in ſeinen Poëticis die Araber
auch vor die Erfinder der Reimen an/ uñ
iſt auff ſeine Landsleute ſchellig/ daß ſie
dieſelbe ſo begierig angenommen. Ich
laſſe dieſes dahin geſtellet ſein. Wann
ich aber die art der Reime bey den Ara-
bern/ die Clerice in ſeiner Proſodia Arabi-
ca beſchrieben anſehe/ ſo ſein ſie doch von
unſer art etwas unterſchieden/ dann ſie
eine viel groͤſſere Freyheit ihnen neh-
men. Linus Gyraldus will in ſeinen Dia-
logis de poetis ſui temporis den Urſprung
derſelben auff die Sicilier, einige aber wol-
len ſie auff die Provincial Poëten in Franck-
reich
[591]der Reime.
reich bringen/ von denen auch die Sicilier
die ihrigen uͤberkommen. Dieſes bemuͤ-
het ſich Claude Fauchet in ſeinem Buch de
l’origine de Poëſie Francoiſe liv. 4. chap. 7.
zu behauptē: abeꝛ ohne gꝛund. Es ſein auch
einige die von den Hebraͤern die Reime
herziehen wollen/ welche aber hierin ir-
ren; dann die Juden hierin den Chri-
ſten gefolget/ und haben ettwa vor 500.
Jahren ſeit des R. David Kimchi ſeiner
Zeit dergleichen Verſe wie die unſern ge-
ſchrieben. Dann ihre alte Poëſis iſt gar
verlohren/ welche zu erforſchen ſich viele
vergeblich bemuͤhet und die Koͤpffe druͤ-
ber zerbrochen haben. Scaliger vermei-
net/ daß man niemahls einig metrum
in Hebraicis gehabt: Andere/ es ſey eine
gewiſſe Zahl der Silben geweſen/ ohne
eintziger quantitāt zuſammen geſetzet/ und
nun in ſolchen Periodum gebracht/ daß
man ſie deſto fuͤglicher ſingen koͤnnen.
Gomerus in ſeiner Lyrâ Davidica meinet
was ſonderliches gefunden zu haben/
in dem er alle art der Pedum und metro-
rum
[592]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
rum in den Pſalmen Davids ſo zerſtreu-
et/ auffgeſuchet. Aber Capellus wendet
dagegen ein/ und zwar nicht ohne Fug/
daß wann man auff ſolche art die metra
in den Reden ſuchen wolte/ nie keine Pro-
ſa ſein wuͤrde/ darin ſich nicht viele fin-
den wuͤrde. Bleibt alſo bey ihnen alles
ungewiß. Die die Araber zu den erſten
Urheber der Reime machen/ bringen
dennoch ihrer Meinung keinen ſo gruͤnd-
lichen Beweiß. Dann ich ſchwerlich
glaͤube/ daß man von der Zeit an einige
Carmina werde herbey bringen koͤnnen.
Jſaacus Voſſius ſetzet den Urſprung die-
ſer Reimen auff die Zeiten/ wie die Go-
then erſtlich in Italien gekommen/ die
die Lateiniſchen Verſe nach den Reimen
ihrer Landsart eingerichtet. Aber er
bringet doch nichts hauptſāchliches zum
Beweiß: Dann wann man die Poeſin der
alten Gothen anſieht/ ſo findet man/ ſo
viel man nachricht haben kan/ keine Rei-
me an dem Ende der Verſe/ in den Lie-
dern/ welche nach Caroli M. Zeiten geſchrie-
ben
[593]der Reime.
ben. Wie ſolches aus des Wormii Poëſi
Runica zu ſehen. So ſolte ich auch mei-
nen/ daß es ſchwer zu erweiſen/ ob bey
den uhralten Gothiſchen Verſen auch
die Reime ſich befunden. Daß ſie aber
ihre Verſe und Poeten gehabt/ iſt auſſer
zweiffel/ und wurden ihre Lateiniſirende
Poeten Jociſtæ genant/ wie auß des Iſi-
dori Gloſſario zu ſehen. Von dieſen ſagt
auch Barthius Adverſ. lib. 3. c. 4. Apud Re-
ges Gothicos, Romanis dilaceratis, rhythmi
vice carminum in pretio erant, \& adeò perti-
nax fuit Rhythmicorum iſtorum Jociſtarum
natio, ut hodie etiam in nullis non magna-
tum Aulis reperiantur, qui verſiculis rhyth-
micis linguâ vernaculâ pronunciandis ad
miraculum uſque expediti ſunt. Iſidorus
ſagt: Jociſta eſt, qui verbum iocatur. Bar-
thius ſetzet vor verbum verſum, und am
andern Orthe lib. 12. c. 29. lieſet er verum.
Der du Freſne aber āndert es aus den
Gloſſis MStis Regiis, Jociſta, qui verbis io-
catur. Sie werden auch Joculatores, Jo-
culares genant/ wovon das Teutſche
p pWort
[594]Das IX. Cap Von dem Urſprung
Wort Goͤchel Goͤcheler noch herkomt.
Hievon muß auch das Spiel ſo man
auff den Calendis Januariis gebraucht/
genant worden ſein/ welches in den con-
ciliis verboten/ Jocticos facere. Das Strau-
chius in ſeinen Calendis Januariis c. 5. von
dem Wort Juchten herfuͤhret: dann
er meinet es ſey geweſen corium pilis a-
braſis præparatum. Ich halte aber dieſe
Meinung vor irrig: Dann ob zwar das
zu der Zeit uͤbliche Spiel: Vecula vel Cer-
volo facere einige meinen mit abgezognen
Hāuten geſchehen zu ſein/ ſo iſt von dem
Wort Jocticos doch ſolches nicht zu er-
weiſen. Ja auch das Wort Cervolo fa-
cere, wird vor conviciari, Geckerey trei-
ben gebraucht/ davon Barth. lib. 43. Ad-
verſ. c. 15. zu leſen. Von den Reimen
find ich hie nichts. Dann ob zwar
bißweilen auch Rhythmici verſus genant
werden/ ſo meint man nicht diejenigen/
die am Ende gleich lauten/ ſondern die
mit hinanſetzung der rechten Lateiniſchen
quantitāt/ nur bloß den rhythmum nach
dem
[595]der Reime.
dem Zahl der Fuͤſſe und dem accent in
acht nehmen. Welches klaͤrlich auß des
Bedæ ſeinem Buch de metris zu ſehen/ der
dieſe Verſe zum Exempel bringet:
deſſen metrum trochaicum iſt/ ob gleich
die quantitas Syllabarum nicht in acht ge-
nommen. Solcher art verſus, die bey
den Griechen politici genant worden/
ſind auch ſchon vor alters bey den Rō-
mern geweſen/ und nicht von den Gothen
auffgebracht: Dann das gemeine Volck
hat ſolche Geſaͤnge bißweilen erdacht/
un̄ gebraucht/ welche zwar den rhythmum
des Carminis hatten/ aber nicht die ge-
buͤhrende und von den verſtaͤndigern ein-
gefuͤhrte quantitatem pedum. Wuͤrden al-
ſo ad diſtinctionem metricorum Carmi-
num, rhythmica genant/ weil ſie nichts
als nur die bloſſen tempora behielten.
Solcher art war auch dieſes der Solda-
ten auff den Cæſarem. Urbani ſervate u-
xores, mœchum calvum adducimus. Die
metra bey den Comicis koͤnnen auch deſſen
p p 2ein
[596]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
ein Exempel geben. Dergleichen art
waren die Verſe/ ſo die Kinder und das
gemeine Volck auff den Aurelianum ge-
ſungen/ und nach ihrem rhythmo getan-
tzet/ welche beym Flavio Vopiſco in ſeiner
Lebensbeſchreibung zu leſen:
Mille, mille, mille, mille, mille, mille, mille, de-collavimusUnus homo, mille, mille, mille, mille, decolla-vimusMille, mille, mille vivat, qui mille mille occiditTantum vini habet nemo, quantum fudit ſan-guinis.
Hieruͤber ſein die gelehrte Anmer-
ckungen des Salmaſiii zu leſen/ welcher
von dergleichen art Verſen/ und ih-
rem rhythmo viel gelehrte Dinge zuſam-
men getragen. Es er hellet doch hier auß/
daß unter Griechen und Roͤmern je-
derzeit bey dem gemeinen Mann ſo eine
art Verſe geweſen/ wie hernach auffge-
kommen/ und durch die oͤffentliche ein-
fuͤhrunge der Reime eine groͤſſere an-
nehmlichkeit bekommen. Dergleichen
Ver-
[597]der Reime.
Verſe wurden wegen des gemeinen Ge-
brauchs bey den Griechen politici verſus
genannt/ oder wie andre meinen/ weil
ſie der ungebundnen Rede naͤher war:
dann die Proſa iſt bey den Griechen λό-
γος πολιτικὸς genant/ davon Jſaacus Voſſi-
us meinet/ daß ſie in den Gebrauch ge-
kommen/ wie die Griechiſche Sprache
durch die barbaros verdorben/ und die
alte Muſic, pronuntiatio, und Abmeſſung
der Woͤrter verlohren gegangen. Wann
jemand des Homeri Carmina nach dem
Accent außſpricht/ ſo ſein dergleichen art
Verſe viele darin zu finden. Wie auch
die hexametri nicht gleich/ und bald 12, bald
13 auch wol 17. Sylben haben/ ſoſein die
verſus Politici auch ungleich. Die dreyzehn
Sylben haben/ kommen mit dem Ale-
xandriniſchen Genere bey den Frantzoſen
und Teutſchen uͤberein. Ins gemein aber
gehen ſie nicht uͤber 15 Sylben. Leo Al-
latius hat in ſeinem Buch de Simeonum
ſcriptis, von ihnen außfuͤhrlich geſchrie-
ben. Solcher politicorum verſuum, die
p p 3noch
[598]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
noch zur Zeit nicht hervorgegeben/ ſein
viele verhanden in der Koͤnigl Frantzoͤ-
ſiſchen Bibliothec. wie bey dem Labbeo in
ſeiner Nova Bibliotheca MStor. p. 132. 133.
134. und 135. zu ſehen. Man hat auch ei-
nige Griechiſche Reim-Verſe/ worin die
Hiſtoria Apollonii Tyrii verfaßt/ die zu Ve-
nedig hervorgegeben/ und des Demetri
Zeni Βατραχομυομαχίαν, davon Cruſius in
ſeiner Turco-Græciâ. Sonſt ſein des
Tzetzæ und Conſtantini Manaſſis verſus
politici allen bekant. Und hat Tzezes in
der Vorrede ſeiner Verſe/ die Uhrſachen
geſetzet/ worum er die politicos verſus
lieber brauchen wollen/ welche Joachi-
mus Cammer Epiſt. 19. lib. 5. in gute La-
teiniſche Jambos uͤberſetzet; Er ſpricht:
Et cur enim aliquis artifici ſcribat modoLeges ubiq; temporum \& ſervans pedum?Et cuncta poliens ut decet ſubtiliter?Artificioſa cum pari atque barbaraMajore ſint adeo inque honore barbaraEt ineruditi plauſum uti docti ferant
Auß
[599]der Reime.
Auß dieſem/ was wir weitlāufftig ange-
fuͤhret/ iſt zu ſehen/ daß dennoch der na-
tuͤrliche Trieb allgemaͤhlich zu ſolchem me-
tro diſponiret/ und die Reime endlich
von ſich ſelbſt darauff gefolget. Es kan
aber keine Gewißheit dargethan wer-
den/ welche den erſten Anfang der Reime
gemacht. Meinem Beduͤncken nach ſo
iſt die Natur die Lehrmeiſterin geweſen/
und iſt nach und nach dieſe Reimerey
auffgekommen/ und kan vielleicht bey
den Teutſchen ſo woll/ als bey jemand
anders am erſten geweſen ſein. Wir
wuͤrden ſolches deſto gewiſſer ſagen
koͤnnen/ wann die Uhralten Carmina noch
verhanden weren. Daß wir in Teutſch-
land ſie ehe als die Frantzoͤſiſchen Poeten
gehabt/ iſt auſſer Streit/ und droben an-
gefuͤhret. Die ſo genandte Verſus Leo-
nini haben ſonſt in der Lateiniſchen Spra-
che zeitig den Anfang genommen/ und
erweiſet Naudæus Addition. à l’ Hiſtoire
de Louys XI. p. 146, daß ſchon Anno Chr.
480, man dergleichen art Verſe gehabt.
o o 4Nach-
[600]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
Nachgehends ſind dieſelben ſo in den Ge-
brauch gekommen/ daß man keine ande-
re als dieſe beliebet/ inſonderheit ln dem
zwoͤlfften ſeculo. Worunter des Bern-
hardi Morlanenſis, die er de contemptu
mundi geſchrieben/ die allerartigſten ſein.
Ja man findet die alten Bibliothecas
ſuperiorum ſeculorum mit dergleichen
Scriptoribus angefuͤllet/ deren Nahmen
und hiſtorien allhie zuerzehlen viel zu weit-
laͤufftig iſt. Man hat die bekandte Scho-
lam Salernitanam in ſolchen Verſen etwa
um das Jahr 1100 von einem Joanne de
Mediolano geſchrieben/ woruͤber der ge-
lehrte Moreau Anmerckungen außgege-
ben/ und in den Prolegomenis viele ge-
lehrte Dinge hievon zuſammen getra-
gen. Man findet bißweilen einige gute
Einfaͤlle und ſententias proverbiales in
dieſen Schrifften/ deren eine zimliche
Anzahl Michael Neander ſeiner Ethicæ Ve-
terum Latinorum hinzugeſetzt. Die Form
der Verſe iſt nicht einerley/ und wie Mo-
reau
[601]der Reime.
reau angemerckt/ ſo koͤnnen ſie getheilet
werden in Aritificioſos und vulgares, die
Aritificioſi wiederum in Adſonantes oder
Conſonantes \& Concordantes. Jene be-
ſtehen bloß in dem Reim/ dieſe haben ent-
weder Woͤꝛter oder Reime/ die zweien oder
mehr Verſen gemein ſein. Der Adſo-
nantium ſein zweyerley arten/ eine/
worin das Mittel dem Ende gleich lau-
tet. Dieſe hat wieder 3. Gattungen un-
ter ſich 1. wann der Reim in einem
Verſe iſt/ wie in dieſem: Hic jacet
Henricus ſemper pietatis amicus, 2. Wann
Anfang/ Mittel und Ende zuſam-
men reimen/ als in dieſem Verß: Vos
eſtis, Deus eſt teſtis, teterrima peſtis. 3. Wañ
der Anfang/ mit dem Mittel rei-
met/ und das Ende des erſten Ver-
ſes mit dem Ende des andern Zum
Exempel:
Die andere art iſt: Wann das Ende
p p 5des
[602]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
des erſten Verſes mit dem Ende
der andern Verſen reimet. Dieſe ſein
eigentlich diejenigen die Leonini genannt
werden von dem Leonio Canonico, wel-
cher 43 Verſe geſchrieben/ die einen
Reim haben. Solches geſchiehet 1. in
zweien Verſen/ Deſſen iſt ein Exem-
pel in dieſen Verſen eines Raimundi,
Ut mens ſe videat poſita caligine fumi,Quis vetat appoſito lumẽ de lumine ſumi?Quod ſi perfectè nequeo res edere cunctas,Ut deſint vires tamen eſt laudãda voluntas
Worinn keine ſchlechte Zierlichkeit
iſt/ daß allezeit nach dem dritten Verß
der vierdte auß einem bekandten Poeten
genommen. Dergleichen art iſt der
Jambus, welcher bey dem Academiſchen
Depoſitionis ritu an etlichen Ohrten ge-
braucht wird.
Nos dum iocamur craſſius,Bonis ſtudemus moribus,Lignum fricamus horridum,Craſſum dolamus ruſticum
Cur-
[603]der Reime.Curvum quod eſt, hoc flectimus,Craſſum quod eſt deponimus, \&cc.
Zum andern geſchieht ſolches in vielen
wie in dieſen Verſen des Floreti
Qui peccat nimium præſumens de pietateVel qui deſperat de divinâ bonitate,Aut induratus non ceſſat ab impietateEt qui fratris odit virtutes improbitate
und wie ſie ferner nach einander lauten.
Die dritte art iſt aus beyden vorigen
gemiſcht/ welche viel ſchwerer/ als die
andern iſt. Deſſen Exempel ſein unter-
ſchiedliche als wann 1. Mittel und En-
de in unterſchiedlichen Verſen rei-
men. z. e.
Stat foris ante fores Michael, dicens, quodhonoresImmutent mores rarò tamen in meliores.
Dergleichen Carmen de bello Trojano,
welches warlich nicht ſo gar ungeſchickt
iſt/ wird von Barthio lib. 31. Adverſ. c. 5.
heraußgegeben/ ſo ihm von Caſp. Gevar-
tio geſchencket und in jedem diſticho
glei-
[604]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
gleiche Reime hat; deſſen Anfang alſo
lautet:
Pergama flere volo fato Danais data ſoloSolo rapta dolo capta redacta ſolo
2. Wann Anfang Mittel und En-
de/ auch das Ende verſchiedener
Verſe zugleich ſich reimen. z. e.
Concordantes ſein/ wann der Anfang ei-
nes Verſes in allen iſt/ und das Ende
aller Verſe auff einen Reim außgehet/ der
dem Mittel gleichet z. e.
- In reterrenâ
- nihil eſt aliud niſi poe
- labor eminet atq; cate
- nec lex nec juris habe
Dieſen ſein entgegen geſetzt/ da der Anfang
unterſchieden/ das Mittel aber und Ende
in vielen Verſen einerley Wort oder Reim
iſt. Das allerſchwerſte in dieſer art iſt
wann
[605]der Reime.
wann alle Sylben und Reimen beyder
Verſe gemein ſein z. e.
Quos anguis dirus Chriſti mulcedine pavit,Hos ſanguis mirus triſti dulcedine lavit.
Die inartificiales ſein ſolche/ als wir im
vorigen Capittel beygebracht haben/ wel-
che ohn metro ſein und nur bloß die Rei-
me haben. Es haben aber auch einige
die artificiales unter die inartificiales gemi-
ſchet/ in dem ſie nach 4. reimenden unge-
meßnen Verſen/ allezeit einen Verß aus
einem bekandten Poeten hinanhengen.
Solcher art ſein die Verſe die ein Carme-
lite Gualterus Diſſe heraußgegeben/ deren
Anfang alſo lautet:
Heliconis rivulo modicè conſperſus
Vereor ne pondere ſim verborum merſus.
Sed quia jam labitur mundus univerſus
Incipe Mænalios mecum mea tibia verſusRhythmis dũ laſcivio, verſus dum propino,
Rodet forſan aliquis dente me canino,
Quia nec afflatus ſum ſpiritu divino,
Nec labra fonte prolui caballino \&c.
Es
[606]Das IX. Cap. Von dem Urſprung
Es iſt kein Zweiffel daß dergleichen arten
vielmehr koͤnnen erfunden werden/ und
wer weiß was in dem MSto Cantabrigienſi,
welches de metris reſonantibus geſchrie-
ben ſein ſoll/ davon Moreau gedencket/
noch vor verholene Kuͤnſte ſtecken? Die
Epitaphia dieſer art ſein unzehlig/ deren
etliche Labbeus in ſeinem Theſauro Epita-
phiorum zuſammen geleſen. An dieſer
Reimſucht haben damahls faſt alle kranck
gelegen. Dann man hat ihrer auch
nicht auff den Cantzeln und Cathedern
entbehꝛen koͤñen. Die Pꝛediger haben
ihre Predigten Reimweiß diſponiret/
welches bey einigẽ noch zur Zeit gebraͤuch-
lich. Wann man hat diſputiren wollen
ſo hat man die theſes und quæſtiones in
Reimen gefaſſet/ wie A. Wood in ſeiner
Hiſtoriâ Academ. Oxon. lib. 1. p. 23. dieſe
folgende zur Probe gibt.
Utrum futura contingentia
Comparans ad præſentia
Prudentia Cardinalis
Pra-
[607]der Reime.Praxin regat intellectus,
Cui concors eſt effectus
Appetitus rationalis?
Die andre quæſtion, die er ſetzet/ iſt dieſe:
Utrum potentiarum imperatrix,
Celſa morum gubernatrix
Vis libera rationalisSit laureatâ dignitate,
Electionis conſiliatæ
Ut domina principalis?
Die art und weiſe hieruͤber zu diſputiren
wird an angeregten Orthe weitlāuffti-
ger beſchrieben. Wir laſſen dieſe Rei-
merey fahren/ welche wir deſto umſtaͤnd-
licher allhie vortragen wollen/ je weni-
ger man ſonſt bey andern davon findet.
Denen die mir dieſe weitlaͤufftigkeit ver-
dencken/ antwort ich mit dieſem ungefehr
einfallenden Epigrammate:
Das
[608]Das X. Cap. Von Beſchaffenheit
Das X. Cap.
Von einigen Beſchaffenheiten
der Reimen.
Einhalt.
DIe Maͤnnliche und Weibliche Reime machen
in Teutſcher Sprachen eine angenehme Ab-
wechſelung. Die Italiaͤniſche und Spani-
ſche hat mehrentheils Weibliche Woͤrter und Rei-
me. Weßhalben ihre Poeſis einige Beſchwerlich-
keit hat. Ihre Heroica werden in gewiſſe Stan-
ces deßhalben getheilet. Die Frantzoſen enden ihre
Stances und Sonneten gern mit Maͤnnlichen Rei-
men. Rapini Oden von lauter Maͤnlichen Reimen.
Catmina Ταυτόρυϑμα des Monconiſiii, Angeli Ra-
parii, Conſtantini Hugenii. Tengnagels,
Brunonis. Niederlaͤndiſche Carmina von lauter Ein-
und Zweyſylbigen eintzelen Reimen. Rhythmus
Identicus. Widerholunge der Reime ob ſie zu dul-
den. Die Italiaͤner laſſen ſie nicht zu. Die Fran-
tzoſen ſein nicht ſo ſtreng hierin. Die Reime muͤſſen
zum wenigſten eine halbe Meinung ſchlieſſen.
Les enjambements. Solche billigen die Italiaͤ-
ner. Nicht die Teutſchen. Reime von Nomi-
bus propriis und frembden Woͤrtern. Laͤcherliche
Hiſtoria von Antonio Maraffa. Die mit der Cæſur
gleich-
[609]der Reime.
gleichſtimmende Reime. Die vielfaͤltige Reime in
Dactylico genere werden getadelt. Das Dactyli-
ſche genus iſt zu ernſthafften Dingen nicht geſchickt.
Allgemeine Eigenſchafften des Reimes/ aus dem
Vondel.
WIr wollen zu den Reimen der
Teutſchen Verſe uns wiederum
wenden. Von welchen diejeni-
gen/ die Teutſche Proſodien geſchrieben
viel Lehrſaͤtze haben/ die hier unnoͤthig
zu wiederholen. Die Teutſche Sprache
hat vor der Italiaͤniſchen und Spani-
ſchen den Vorzug/ daß ſie eine Abwech-
ſelung unter den Reimen hat: Da hin-
gegen dieſe mehrentheils Weibliche Rei-
ine gebrauchen muͤſſen/ welches ein Poë-
ma ſchwach und krafftloß macht/ weil die
Worte alle abfallen/ und dadurch den
Poetiſchen Trieb hemmen/ der durch
die Mānnliche Reime immerfort un-
terhalten und angefriſchet wird. Die
Italiāner werden deßhalben genoͤthiget
ihre Poëſin in gewiſſe Stances einzuthei-
q qlen/
[610]Das X. Cap. Von Beſchaffenheit
len/ weßhalben ſie die Einfaͤlle mitten in
ihrem Lauff zu unterbrechen gezwungen
werden. Welches viel Verhinderung
macht. Die Frantzoſen inſonderheit a-
ber der Malherbe, endigen ihre Stances
und Sonnetten viel lieber mit Mānnli-
chen als Weiblichen Reimen/ weil ſie
beſſer ſchlieſſen als die Weiblichen/ inſon-
derheit in Sachen/ da eine Haͤrtigkeit und
Hefftigkeit außzudruͤcken. Hingegen in
traurigen Dtngen ſchlieſſen die Weibli-
chen beſſer. Die Vermiſchung der beyden
iſt am allerlieblichſten. Dann wie die
Weiblichen zu ſchwach/ ſo ſein die Mānn-
lichen zu hefftig. Die μονοτονία iſt allezeit
verdrießlich. Deßhalben iſt es nicht
ſo gar angenehin/ wann die Verſe auff
lauter Mānnliche Reimen außgehen/ wie
dergleichen unterſchiedliche Frantzoͤſiſche
Oden der Rapinus gemacht. Welche der
I. Guillot in einem Brieff an Ioſ. Scalige-
rum (welcher der 41te unter den Frantzoͤ-
ſiſchen Briefen iſt/ die der Revius herauß-
gegeben) ſehr ruͤhinet/ ſo aber andern
nicht
[611]der Reime.
nicht gefallen. Vielweniger iſt es ange-
nehm/ wann ein Reim durch das gantze
Carmen beybehalten wird/ welches den-
noch einige mehr ad oſtentationem ingenii
gethan/ als daß ſie ſolche art zum Exem-
pel vorſtellen wollen. Wir finden ein
Frantzoͤſiſches Ταυτόρυϑμον unter des
Monconiſii ſeinen Carminibus, die ſeiner
Voyage angehaͤnget. Von dergleichen
Italiaͤniſchen Carmine, ſo einer Angelus
Raparius gemacht/ ſchreibt Erythræus Pinac.
II. imag. 28. Longum rhythmicum Car-
men ex minutulis ſtrophis confectum, in
illius laudem edulii compoſuit, quod
vulgo raviolos appellant: ac ſingulis Stro-
phis intercalaris verſus erat inſertus; \& quo-
niam carminis ea lex erat, ut ultima Stro-
phæ uniuscujusque ſyllaba, eodem quo ex-
trema intercalaris modo, deſineret, tre-
centa fere verba, ſimiliter eodemque mo-
do cadentia, repererat, Dergleichen
Carmina ſein in lächerlichen kurtzweiligen
Dingen woll/ aber nicht in ernſthafften
Sachen zu gebrauchen. Conſtantinus
qq 2Hu-
[612]Das X. Cap. Von Beſchaffenheit
Hugenius, welcher alle ſolche ingenii lu-
ſus im Niederlaͤndiſchen nachgemacht/
hat auch dergleichen in ſeinen Poematibus;
wie auch ein Exempel eines Carminis,
ſo von lauter Ein und Zweyſylbigen
Reimwoͤrtern durch und durch beſtehet/
deſſen Anfang alſo lautet:
- Siet
Niet
Na den
Quaden
Sang-
Gang
Leſer
Deſer
Sucht-
Klucht
Dergleichen wird man auch in Tengna-
gels ſeinen Amſterdamſchen Lindenbladen
finden/ und beym H. Bruno in ſeinem
Mengelmoes. p. 165. 166. Im uͤbrigen ſein
noch viele nuͤtzliche Anmerckungen von
den Reimen/ die wir nicht koͤnnen vor-
bey
[613]der Reime.
bey gehen. Im Teutſchen wird kein
Rhythmus Identicus zugelaſſen/ ob
gleich die Woͤrter der Bedeutung nach
unterſchieden. Welches dennoch die
Frantzoſen und Niederlaͤnder nicht ach-
ten. Die Italiaͤner ſein auch ſehr be-
hutſam in Wiederholung eines Reimes.
Dann ſie halten es vor einen Fehler/ wañ
in einer Ode ein Reim unterſchiedliche
mahl wiederholet wird/ ob gleich in ver-
ſchiednen Worten. Menage fuͤhret deß-
halben unterſchiedliche Oerter auß Ita-
liāniſchen Autoribus an. Es iſt aber zu
genau geſuchet. Malherbe Urtheil iſt die-
ſes geweſen/ man muͤſſe nur daſſelbe
Wort nicht zum Reime wieder gebrau-
chen/ den Reim aber koͤnne man in einer
Ode woll wieder anbringen. Menage aber
ſagt/ daß man dieſes in der Frantzoͤſi-
ſchen Sprach ſo gar genau nicht in acht
nehmen duͤrffe/ inſonderheit wann das
Wort ſo weit von dem erſten Orthe da
es geſetzet entfernet/ daß mans ſich nicht
mehr erinnere. Wobey mans in Teut-
q q 3ſcher
[614]Das X. Cap. Von Beſchaffenheit
ſcher Sprache auch woll bewenden laſſen
kan. Dann in den Oden die ihre ge-
wiſſe Strophen haben/ macht faſt eine
jegliche Strophe als ein abſonderlich Car-
men. Es iſt auch diß zu mercken/ wel-
ches viele nicht in acht nehmen/ daß ein
jeglicher Reim gleichſam eine pauſam ha-
ben muß/ und es ſehr hart klinget/ wann
zum wenigſten mit dem Reim keine halbe
Meinung ſchlieſſet; oder wann der Reim
auff ein epitheton oder præpoſition auß-
gehet/ und das Subſtantivum im andern
Verſe nachfolget. Welches die Italiā-
ner ſehr haͤuffig thun/ ja gar vor eine
Zierlichkeit halten. Die Frantzoſen nen-
nen es eniambemens, gebrauchen ſie a-
ber gar wenig/ als nur an Oertern/ da
mans nicht uͤberhoben ſein kan/ wie es
Des Mareſts auff ſolchen Fall zugibt.
Ronſard tadelt ſie nicht/ Menage aber ver-
wirfft ſie gantz und gar in ſeinen Anmer-
ckungen uͤber den Melherbe p. 536. In
Teutſcher Sprache haben ſie gar keine
art/ wiewoll ich einen ſonſt beruͤhmten
Poe-
[615]der Reime.
Poeten kenne/ der ſie in dem Alexandri-
niſchen genere ſehr haͤuffig gebraucht.
Menage tadelt auch in demſelben Buche
p. 368. daß man Nomina propria oder
ſonſi andere neue ſonderliche Woͤrter zu
den Reimen gebraucht. Welches Mal-
herbe ſehr offte thut/ woruͤber der
Theophile mit denen/ die ihm hierin nach-
affen wollen/ den Spott treibet. Der-
gleichen ſonderlichkeit hat ſich auch einer
Antonius Maraffa gebraucht/ von welchen
Erythræus Pinacoth. II. im. 45. dieſe lācher-
liche Hiſtoria erzehlet. Erat inuſitato-
rum monſtroſorumque verborum inven-
tor, quæ partim à ſe inventa \& excogitata
afferebat, partim ab Iſtris, Gallis, Hiſpanis,
Illyriis, Teutonicis, Sarmatis atque etiam
ſi Dis placet, Indis paululum mutata mu-
tuitabat, iisque tum præſertim utebatur,
cum verſus rhythmo eſſet terminandus.
Quamobrem multorum ad illum concur-
ſus fiebant, ſimulantium ſe rhythmorum
inopiâ laborare, ac rogantibus ut verbis ſi-
militer cadentibus, quibus egerent, ſibi
q q 4ſub-
[616]Das X. Cap. Von Beſchaffenheit
ſubvenirent: quibus ille ea ſuppeditabat,
quæ deinde riderent. Es wird auch fuͤr
einen Fehler gehalten/ wann die Cæſur
in demſelben oder folgenden Verſe ſich mit
der Rede gleich reimet. Aber es muß
ein Unterſcheid gemacht werden: wann
ein Reim die Strophen ſchließt/ und die
Cæſur in dem erſten Verß der folgenden
Strophen ſich mit dem Ende des erſten
reimet/ iſt ſolches von keiner Erheblich-
keit/ welches Menage an vorerwehnten
Ohrte p. 511. p. 538. auch angemercket.
Es iſt auch ein ſehr groſſer Unſtand/ wañ
man in dem Dactyliſchen genere die
Reime ſo ſehr vervielfāltiget. Dann es
halten einige fuͤr die grōſte Zierlichkeit/
deren ſich andere auch in den uͤbrigen
generibus gebrauchen/ daß ſie faſt alle
Woͤrter des Verſes unter einander rei-
men. So ſchreiben etliche:
Es klinget dieſes aber gar kindiſch/ und
iſt
[617]der Reime.
iſt einem unangenehmen Klapperwerck
āhnlicher/ als einer Harmoniſchen Lieb-
lichkeit. Zugeſchweigen daß das dactyli-
ſche genus an ſich ſelbſten etwas gemei-
nes und liederliches mit ſich fuͤhret. Wie
man dann auch bey den Lateinern ſolche
geſchwinde huͤpffende Reime in ernſthaff-
tigen Dingen nicht gebilliget. Dann es
klinget nicht maͤnnlich/ ſondern weibiſch
und gauckelhafftig. Der beruͤhmte Roſ-
cius hat pflegen zu ſagen: Se quò plus
ſibi ætatis accederet, eò tardiores tibicinis
modos \& cantus remiſſiores eſſe facturum.
So muß man auch dieſes in den generi-
bus Carminum in acht nehmen/ und er-
fodert ſolches die Sache an ihr ſelbſt.
Die allgemeine Eigenſchafften des Rei-
mes werden von Vondel in ſeiner Aen-
leiding ter Nedderduitſche Dichtkunſt
gar artig beſchrieben: Het Riimvvort
ſchient niet gevonden om het rijm te vin-
den, maer zy zo geſtellt of het geen riim-
term vvaer. Het vars ſchine ookk geen
rymelooze rede, maer trecke den aert van
q q 5een
[618]Das XI. Cap. Von dem Generibus
een vaers an, en ſta vvacker op zijne voe-
ten. Heeft het geene zenuvven, zoo hangt
het ſlap en vadzich: is het te gedrongen,
zoo ſtaet het ſtijf gelijck een lantsknecht
in zijn harnas. Was weiter von den Rei-
men in acht zu nehmen/ kan bey andern
nachgeleſen werden.
Das XI. Cap.
Von den Generibus Car-
minum.
Einhalt.
DIe Genera Carminum werden allhie gar
kurtz abgehandelt. H. Schævii Exempel
derſelben generum, ſo aus des Horatii O-
den uͤberſetzet. Die allgemeine Eintheilung der
Carminum. Jambiſche. Trochaiſche. Trochaici
mit Abſchnitten. Dactyliſche und Anapaͤſtiſche.
Ob ſie Herr Buchner erfunden. Sie ſein ſchon
bey den alten Teutſchen geweſen. Dactyliſche
Reimen. Dactyliſche Verſe klingen beſſer/ wann
ſie mit andern pedibus und metris unterbrochen.
Pedes compoſiti wie bey den Lateinern/ ſo bey den
Teut-
[619]Carminum.
Teutſchen. Es koͤnnen bey den Teutſchen viel
metra nach den Lateiniſchen gemacht werden. Gly-
con-Ithyphall- und Phalæciſche Ode bey Herrn
Tſcherning. Alcaicum, Elegiacum, Aſclepiade-
um, Anacreonticum Carmen bey den Teutſchen.
Andre arten der Lateiner koͤnnen fuͤglich nach ge-
macht werden.
DIe genera Carminum die bey den
Teutſchen vorkommen/ und theils
aus der Natur der Fuͤſſe/ und dem
Gebaͤnde flieſſen/ theils von frembden
Sprachen abgeſehen werden/ ſein von
vielen Autoribus ſo außgefuͤhret/ daß we-
nig hinzu zuſetzen. Daß wir aber die-
ſes Stuͤck nicht umhin gehen/ ſo wollen
wir die weitlaͤufftigen Lehrſaͤtze und E-
xempel andern uͤberlaſſen/ und nur all-
hie/ was etwa ſonderliches vorfůllt er-
wehnen. Daß es auch nicht an Exem-
peln fehle/ ſo ſollen zu ende dieſes Wercks
17. aus des Horatii 1. Buche uͤberſetzte/ und
noch nie heraußgegebene Oden/ in deren
jeglicher ein ſonderlich genus vorgeſtellet
wird/ hinangehaͤnget werden. Dieſe
hat
[620]Das XI. Cap. Von den Generibus
hat D. Henricus Schævius Sehl. ein Mañ
von groſſem Geiſt und vielen Wiſſenſchaff-
ten/ vormahliger Profeſſor des Stetini-
ſchen Gymnaſii, und mein Lehrmeiſter/
gemacht: der ihm ſelbſt das beſte Denck-
inahl ſeines Ruhmes haͤtte ſtifften koͤn-
nen/ wann ihn nicht der Tod zu fruͤh-
zeitig hinweg geriſſen. Die genera Car-
minum werden 1. nach den Fuͤſſen/ 2. nach
den Strophen und Reimſchluͤſſen/ 3. nach
der Materia eingetheilet. Die letzte art
beruhet nicht auff die Proſodia, ſondern
auff der Erfindung. Nach den Fuͤſſen
ſein erſtlich die Jambiſche. Die metra
die von ihnen gemacht werden/ koͤnnen
biß auff 16. Sylben außgedehnet werden.
Hieruͤber kan man nicht wol ſchreiten.
wie man auch unter vier Sylben nicht
gehen kan. Die Abwechſelung der Mān-
lichen und Weiblichen kan auff vielerley
arten geſchehen/ und hat Herr Weiſe
zwoͤlff derſelben vorgeſtellet. Eines aus
allen Gattungen der Jamborum gemiſch-
tes wird man finden in der Uberſetzung
Od.
[621]Carminum.
Od. 1. lib. 1. Horat. Eben dieſe Bewand-
niß hat es mit dem Trochaiſchen genere
deſſen ein gemiſchtes Exempel auß der
2. Ode vorgeſtellet wird. Man macht in
Trochaicis in gewiſſen regionibus Cæſuras
oder Abſchnitte/ welche die ſonſt matte
Trochaiſche Verſe etwas lebhafft machen:
deren Exempel wird aus der 3. Ode ge-
geben. Dergleichen Cæluræ koͤnnen auch
in andern metris nachgemacht werden/
entweder mit oder ohne Reime/ davon
Harſtoͤrffer in ſeinem Poetiſchen Trich-
ter in der fuͤnfften Stunde handelt. Wie-
woll die gereimten Cæſuræ hieher nicht
eigentlich gehoͤren/ dann ſie machen eine
andre art von metro, daß nach Stro-
phen eingetheilet wird. Die Dactyliſche
und Anapæſtiſche Carmina gehen nicht
uͤber die vierzehn und funffzehn Sylben
deren Exempel aus der 4. und 5. Ode des
Horatii darunten zu ſehen. Selbige ſoll
Herr Buchner im Teutſchen erfunden
haben/ welches ihm viel auffbuͤrden/ und
hat ihm Caldenbach lib. 1. Lyric. Od. 12.
ein
[622]Das XI. Cap. Von den Generibus
ein Lobgetichte deßhalben zugeſchrieben/
da er doch ſelbſt der Ehren gern entbeh-
ren will. Dann man findet ſchon unter
den alten Teutſchen Carminibus, die Gol-
daſtus heraußgegeben p. 399. dergleichen
Verſe; Er fuͤhret aus dem Ulrich von
Lichtenſtein einige an/ die alſo lauten:
Swer folget dem ſchilde/ der ſoll es enblandenDem liebe/ dem gute/ dem Hertze/ den HandenDas lonet vil hohe mit hohem gewinneDuͤ vil werdu minne. ꝛc.
Man koͤnte auch wol Dactyliſcher Rei-
men ſich gebrauchen/ wie die Hollānder
thun: Aber bißher hat bey den Teut-
ſchen niemand ſolches gethan/ nur daß
Der Hr. von Bircken in ſeiner Anwei-
ſung zur Teutſchen Poeſie cap. 5. n. 33.
etliche ſolche Carmina zur Probe geſetzet/
wie diſes
Wird mich der Himmel noch immer begnaͤdigen/ſol mir kein Eiferer/Neidiſcher GeifererMeine zufriedenheit koͤnnen beſchaͤdigen
Sonſt lautet es faſt beſſer/ wann die Da-
ctyliſchen entweder mit Trochæis unter-
bro-
[623]Carminum.
brochen/ wie Harſtoͤrffer davon einige
Exempel beybringt; als dieſes:
Lieblicher JEſu/ hertzliche WonnHeiliger Heiland/ guͤldne Sonn/
Oder wann Dactyliſche und Trochaiſche
Anapæſtiſche und Jambiſche Wechſelweiſe
geſetzet werden: Dann die huͤpffende art
dieſes metri hat etwas Kindiſches an
ſich/ welches ſehr dadurch gemehret wird/
wann man ſo viel alliterationes und paro-
nomaſias mit hinein bringt/ das etli-
che fuͤr eine Zierlichkeit halten/ ja wol
gar unter die Lehrſaͤtze dieſes generis brin-
gen/ denen ich durchauß keinen Beyfall
geben kan. Wie man nun im Lateini-
ſchen pedes compoſitos hat/ ſo kan man
ſie auch im Teutſchen haben/ und kan
man viel aus denſelben zuſammen geſe-
tze metra nach der Lateiniſchen art erſin-
nen/ die nicht ſo uͤbel klingen/ wann nur
die in den Teutſchen uͤbliche quantitas in
acht genommen wird. Ja ich halte dafuͤr/
dz man auch allerhand genera erfindē koͤn-
ne/ wann man die pedes und verſus auff
ge-
[624]Das XI. Cap. Von den Generibus
gewiſſe art, in ihren Strophis verwechſelt/
die auch bey den Latemern nicht im ge-
brauch ſein. Solcher generum ſein unter-
ſchiedliche ſchon zur Probe gegeben. Die
Glycon-Ithyphall- und Phalæciſche Ode
bey Herrn Tſcherning in ſeinem Vor-
trab des Sommers an Johann Heer-
mann/ gibt eine ſo liebliche Vermiſchung/
daß es das Ohr und Gemuͤth ergetzet.
deren Anfang lautet alſo:
O daß Caſtalis mir nicht fleuſt!Wie er andermahl ſich ergeuſt/O daß Erato von mir ſetzt!Die ſonſt meine Gedancken wetztEin Getichte zu ſingen/Als ich meinte zu bringen/Wo ſich Himmel und Feuer in mir ruͤhrteAls mein eifriger Geiſt Apelliſirte.
Er ſagt Appelliſirte: weil Herr Apel-
les zu erſt dergleichen Art geſchrieben.
Dem Alcaico, welches der Herr Tſcher-
ning in ſeinem Fruͤhling p. 394. hat/ fehlet
nichts an Zierlichkeit und Wollaut. In
meinen Getichten wird ſich auch eins
dergleichen art finden. Betulius hat in
ſeiner Anweiſung cap.3. gar ein Elegiacum,
deſſen Anfang dieſer:
Laß
[625]Carminum.
Laſſe ja/ laß dich nicht den Wein und die Weiber be-thoͤren:Dann die Weiber und Wein ſchaden auff einerleyweiß.Weiber und Wein die koͤnnen Leib und Kraͤffte ver-ſehren:Weiber und der Wein ſtellen die Fuͤſſe auff Eiß. ꝛc.
Diß klinget aber nicht ſo woll/ weiln die
Verſe allzu lang und die pedes ſich allzu
offt āndern. Die vielbāndige Oden
ſchicken ſich beſſer hiezu; und will ich
mich verpflichten daß ich die meiſten da-
von im Teutſchen ſo nachmachen will/
daß ſie nicht unlieblich ſein ſollen. Das
Aſclepiadeũ mit dem Glyconico vermiſcht
iſt bey Betulio l. c. Anacreontica hat
man haͤuffig. Von dem Sapphico iſt im
folgenden ein mehres. Warum ſolte
man nicht den Jonicum à Majore \& Mino-
re, Dactylicum, Alcmanicum, Archilochi-
um Dicolon, Hipponactium und die andre
unter ſich vermiſchte metra nachmachen
koͤnnen? Wer es nur verſuchen will/
und die Worte und Reime zu ſeinen Wil-
len hat/ dem wird es nicht fehlen/ und
r rwun-
[626]Das XII. Cap. Von den Arten.
wundert mich ſehr/ daß da man ſo viele
Neuerungen gemacht/ auch hierauff nicht
mehr befliſſen geweſen iſt. Aber wir
ſchreiten zu den uͤblichen arten der Ge-
tichte/ die bey den Teutſchen nach den
Strophen eingetheilet.
Das XII Cap.
Von den verſchiedenen Arten
der Reimſchluͤſſe.
Einhalt.
WOher das Alexandriniſche genus den Nah-
men habe: Komt vermuthlich von den Fran-
tzoſen her. Ob es zu Heroiſchen Getichten
bequem. Joannes Boſcanus und Garcilaſſo de la
Vega haben lieber ein kurtzes genus in der Spani-
niſchen Poeſi erwehlen wollen. Teutſche Elegien.
Vers communs. Sonnetten. Der Nahme iſt
bey den Provincial Poeten ſchon geweſen. Es
iſt ungewiß ob ſie von den Italiaͤnern oder Frantzo-
ſen herkommen. Claude Fauchet und Menage
Meinung. Wer ſie in Spaniſcher Sprach zu erſt
auffgebracht. Joſepho Baptiſta hat die zierlichſten
Son-
[627]der Reimſchluͤſſe.
Sonnetten in Italiaͤniſcher Sprache geſchrieben.
Flemming im Teutſchen. Iſt keine geringe Kunſt.
Der Frantzoſen Freiheiten in den Sonnetten
Quadrains Hexains, Huictains. \&c. Das Sapphi-
cum genus. Echo- Ringel-Reimen. Rondeaus.
Wiederholung der Reime bey den Meiſterſaͤngern.
Barrit eine gewiſſe art der Reime aus Herꝛn Schot-
tel. Widerkehr. Gegentritte. Ketten-Reime.
Pindariſche Oden: ſein einem Syllogiſmo Oratorio
gleich. Sechſtinne. Deren erſter Erfinder. Teut-
ſche Centones. Bilder-Reime. Griechiſche/ die
unter des Theocriti Carminibus gefunden wer-
den. Joachimi Camerarii Urthel von ihnen. Ra-
bani Mauri Carmina cruciformia. Madrigalen.
Woher ſie kommen. Covarruviæ, Cotins Mei-
nung. Mandrial. Ob die Frantzoſen oder Ita-
liaͤner zu erſt ſie gebraucht. Cotin beſchreibt ein
Madrigal nicht recht durch ein Epigramma. Herr
Ziegler haͤlt die Magdrigalen fuͤr die ſchwerſte art.
Die Teutſche Epigrammata koͤnnen auch in anderm
metro bißweilen beſſer als in Madrigaln verfaſſet
werden. Madrigalen ſein zur Muſic bequem.
Madrigalonen, Madrigaletti. Stances inegales.
ὲπίμικτα. Teutſche Inſcriptiones haben nicht die
beſte art. Die Italiaͤniſchen ſchicken ſich unter
den gemeinen Sprachen am dazu beſten.
r r 2Un-
[628]Das XII. Cap. Von den Arten
VNter denen nach den Strophen
eingetheilten Carminibus iſt das
Alexandriniſche das bekanteſte.
Woher dieſes den Nahmen habe/ kan
man nicht eigentlich wiſſen. Claude Fau-
chet handelt hievon in ſeinem Buche de
Poëſie Françoiſe liv. 2. p. 85. meinet/ daß
es entweder von den Buͤchern und Ro-
mainen alſo genannt/ darin die Thaten
des Koͤnigs Alexandri in dergleichen Ver-
ſe beſchrieben/ wovon er einige Exempel
in gemeldten Buche beybringet/ oder
auch von einem Frantzoͤſiſchen Poeten
Alexandro. Andre meinen/ es werde
von einer Stadt Alexandriâ in Welſch-
land/ woſelbſt es erſt erfunden ſein ſol-
le/ alſo genant. Zeiler wolte es gern
aus Teutſchland herfuͤhren/ deßhalben
er in ſeiner 569. Epiſtel an jemand ſchrei-
bet/ und von ihm zu wiſſen begehret/ ob
man nicht unter den uhralten Carminibus
eine ſolche art finden ſolte. Ich halte a-
ber/ daß man ſich deßhalben vergeblich
bemuͤhen werde/ und vermeine man muͤſ-
ſe
[629]der Reimſchluͤſſe.
ſe deſſen Erfindung den Frantzoſen laſſen.
Welches wie herrlich es etzlichen auch vor-
kom̄et/ ſo urtheilet deñoch der ſcharfſiñi-
ge Cenſor Rapinus in ſeinen Reflexioni-
bus part. 2. n. 10. davon/ daß es eine
monotoniam habe/ und den unterſcheid
des numeri nicht vorſtellen koͤnne/ ja
gar in einem langen poëmate endlich ver-
drießlich falle. Joannes Boſcanus und Gar-
cilaſſo de la Vega haben es lieber in Spa-
niſcher Sprache fahren laſſen wollen/
und an ſtatt deſſen/ die bey den Italiā-
nern gebraͤuchliche eilffſilbige Verſe ange-
nom̄en/ wie Nicolaus Antonius in ſeiner
Bibliotheca Hiſpanica bezeuget/ in qui-
bus, wie er ſagt/ majeſtatem explicarent
ſtyli atque uberiores venæ latices abun-
dantius effunderent. Man ſolte in den
Teutſchen Sprache die Heldenart gleich-
falls hierin faſt beſſer außdruͤcken koͤnnen.
Worin die Eygenſchafft dieſer Verſe be-
ſtehe/ iſt allen bekant. Darunten wird
ein Exempel aus der 6. Ode des Horatii
vorgeſtellet. Man hat auch einige art
r r 3Ver-
[630]Das XII. Cap. Von den Arten
Verſe/ die man nach art der Lateiniſchen
Elegias nennet/ bloß deßhalben/ weil
Weibliche und Mānnliche unter einan-
der verwechſelt werden. Dergleichen
hat man nicht allein im Alexandriniſchen
genere ſondern auch in andern. Man
vermiſcht auch wol zweyerley arten/ alſo
daß ein Verß Alexandriniſch/ der an-
der Anapæſtiſch iſt/ welches eine ſehr gu-
te harmoniam macht. Deſſen ein Exem-
pel aus der 7. Ode des Horatii gegeben
wird. Im Alexandriniſchen Genere hat
Herr Ziegler ein Buch ſolcher Elegien
geſchrieben/ von der Gebuhrt/ Leiden
und Aufferſtehung Chriſti. Eine ande-
re art Elegien hat Herr Weiſe in ſeinen
Getichten N. 37. und 38. Man hat fer-
ner eine Art/ die man gemeine Verß
vers communs nennet/ aus zehn und
eilffſilbigen Jambis beſtehend. Dieſe fuͤ-
gen ſich ſehr woll/ und koͤnnen zu vielen
dingen gebraucht werden. Wir wollen
deren ein Exempel aus der 8. Ode des
Horatii beybringen. Die Sonnetten/
wie
[631]der Reimſchluͤſſe.
wie und auff wie vielerley Art ſie zu ma-
chen/ kan man bey andern uͤberfluͤſſig
finden. Es iſt zweiffelhafftig welche Na-
tion ſie erfunden. Die Italiaͤner und
Frantzoſen ſtreiten hierum. Gewiß iſt
es/ daß bey den Frantzoſen der Nahme
Sonneten ſchon in der Roman de la Ro-
ſe, die ums Jahr 1260. geſchrieben/ ſich
findet/ und auch in andern Autoribus die
zur ſelben Zeit gelebet. Aber wie Mena-
ge in ſeinen obſervationibus uͤber den
Malherbe p. 570. angemerckt/ ſo kan man
noch nicht hierauß beweiſen/ ob dieſelbe
eben dieſe Maaß von 14. Verſen und der-
gleichen Reimen gehabt wie die heutige.
Verdier tadelt auch diejenige in ſeiner
Cenſione autorum, welche den Petrar-
cham vor den erſten Erfinder halten/ ſich
auff den Fauchet beruffend/ der ein Son-
net anß einem alten Frantzoͤſiſchen Auto-
re hervorgebracht. Welches ich aber
bey ihm nicht finden koͤnnen/ und ſolte
mich wunder nehmen/ daß Menage diß
vorbey gegangen were/ welcher außdruͤck-
r r 4lich
[632]Das XII. Cap. Von den Arten
lich bekennet/ daß es den Frantzoſen an
glaubwuͤrdigen Beweiß noch zur Zeit
mangele/ wiewoll es nicht ſo gar unglāu
ich iſt/ daß wie die Italiaͤner von den
Provincial Poëten ihre Poeterey/ ſo auch
die Sonnetten uͤberkommen haben/ in-
ſonderheit da der Nahme bey ihnen ver-
handen. Dann es koͤnnen ſolche kleine
Carmina woll verlohren gegangen ſein.
Wer es unter den Frantzoſen zu unſer
Zeit am erſten auffgebracht/ das unter-
ſucht Menage weitlaͤufftig am vorgedach-
ten Ohrt/ daran uns aber nicht ſonder-
lich gelegen. In Spaniſcher Sprache
hat Joan Boſcan es zum erſten geſchrie-
ben/ wie Nicolaus Antonius in ſeiner
Bibliotheca Hiſpanica bezeuget. Bey den
Italiānern iſt Petrarcha von den er-
ſten/ deſſen Sonnette/ wie alle ſeine andere
Carmina gar woll gemacht. Es ſchreibt
aber Lorenz. Craſlo. in ſeinen Elog: d’
huomini litterat. part. 1. p. 336. von dem Jo-
ſepho Baptiſta, daß er dieſe art der Car-
minum zur hoͤchſten Vollkommenheit ge-
bracht/
[633]der Reimſchluͤſſe.
bracht/ dann er ſagt: egli è ſtati il pri-
mo in queſto ſecolo, che in un Sonnetto
hà ſaputo unire tutte le bellezze imagina-
bili, Eruditioni ripoſti, ma feli ciſſamente
applicate: forme de dire magnifiche, ma
non iſcompagnate della chiarezza: Con-
cetti nobiliſſimi, ma genitori nel mede-
ſimo punta della maraviglia e del diletto.
Was dieſer von dem Joſepho Baptiſta ſa-
get/ daß koͤnnen wir billig von Flem-
ming ſagen/ dann es hat niemand in
Teutſcher Sprache ein ſo ſchoͤnes Son-
net geſchrieben/ als er. Welches traun
keine geringe Kunſt iſt. Dann es iſt von
dieſem war/ was Martialis von den
Epigrammatibus ſagt; librum ſcribere dif-
ficile eſt. Balzac ſaget in ſeinen Entre-
tiens Entr. 32. daß er zwar viel Elegias ge-
ſehen/ die ihm ſehr woll gfallen/ aber gar
wenig Sonnetten/ die ihn recht vergnuͤ-
get haͤttē. Die Frantzoſen brauchen ſonſt
viel Freyheiten/ die dem Sonnet ſeine
klingende art benehmen. Als wann Mal-
herbe, die andre quatrain der erſten an
r r 5den
[634]Das XII. Cap. Von den Arten.
Reimen nicht gleich macht/ welches doch
etwas nothwendiges bey einem Sonnet
iſt. Dieſes iſt nicht nachzumachen. Seine
eigene Landsleute tadeln ihn deßhalben.
Es verwerffen auch einige unter ihnen
die Reime und ſetzen ſie nicht an gebuͤh-
rendem Ohrte/ verwechſeln auch nicht
die Maͤnnljche mit den Weiblichen/ wie
es ſich gebuͤhret/ ſo daß drey/ vier
maͤnliche nach einander folgen. Es
werden auch von ihm die ſechs letzte Rei-
men/ drey Maͤnliche drey Weibliche/
wechſelweiſe widerholet. Es hat im Teut-
ſchen der Herr Harſtoͤrffer ſieben Māñ-
liche und ſieben Weibliche wechſelweiſe
widerholet/ welches ſehr ſchwer iſt/ und
keine ſonderliche art hat. Deꝛgleichē Wech-
ſelreime findē ſich auch in dem Italiāniſchē
bey Girolamo Preti. Ein Exempel eines
Sonnets/ wird auß der Od. 9. Horatii
vorgeſtellet. Man hat bey den Frantzo-
ſen/ auch vier/ ſechs/ achtzeilige Verſe/
Quadrains, Hexains Huictains, auff un-
ter-
[635]der Reimſchluͤſſe.
terſchiedliche art unter ſich verwechſelt
und gemiſchet/ welchen etliche drey-fuͤnff-
ſieben-neun-zehn- und zwoͤlffzeilige hinzu
thun/ deren Exempel bey dem Betulio
cap. 8. ſeiner Anweiſung zu leſen Hier-
in kan ein jedweder feinen eigenē Einfaͤllē
zum Theil folgen. Darunten wird ein E-
xempel der Sechszeiligen/ welche die Vier-
zeilige in ſich begreiffen auß der 10. Ode/
und ein anders von den achtzeiligen/ aus
der 11. Ode herbey gebracht werden. Das
Sapphicum genus iſt bey den Teutſchē auff
unterſchiedliche art auffgebracht/ ſo daß
es numehr bey ihnen faſt das Buͤrger-
recht gewonnen. Dann verſchiedene
Gattungen von den Autoribus vorgezei-
get werden. Darunten wird eins aus
der 12. Ode des Horatii angefuͤhret/ wel-
ches zugleich ein Echo fuͤrbildet/ ſo kein
genus carminis vor ſich iſt/ ſondern nur
eine affectio deſſelben. Von dieſem ha-
ben auch andere außfuͤhrlich gehandelt/
inſonderheit Herr Schottel und Betu-
lius cap. 9. ſeiner Anweiſung. Ringel-
Rei-
[636]Das XII. Cap. Von den Arten
Reime ſein diejenigen/ welche mit den-
ſelben Woͤrtern damit ſie anheben auch
den Schluß machen. Wovon aber zu
mercken/ daß der Anfang und Ende/
muß etwas ſententioſum odeꝛ patheticum
in ſich haben/ dann ſonſt dieſe art ohn
alle Zierlichkeit ſein wuͤrde. Dergleichen
hat einer Almeſius, oder wie er mit rech-
ten Nahmen heiſt/ Zamelius, ein gantzes
Buch geſchrieben unter dem titul Muſæ
Cyclades. Darunten wird ein Exempel
aus der 13. Ode des Horatii gegeben. Die
Frantzoſen haben ihre Rondeaus, Herr
Schottel hat auch eine andre art Rin-
gelreimen/ in Oden/ da 2. Verſe in ei-
ner jeden Strophe den Verß anfangen
und ſchlieſſen/ davon in den Anmerckun-
gen uͤber Neumarcks Taffeln p. 249. zu
leſen/ und viele andere/ davon in ſeiner
Reimkunſt lib. 3. c. 10. gedacht wird. Beym
Betulio findet man in ſeiner Anweiſung
cap. 9. deren auch unterſchiedliche Gat-
tungen/ und unter andern eine/ da das
gewoͤhnliche Tiſchgebet Aller Augen
war-
[637]der Reimſchluͤſſe
warten auff dich: ſtuͤckweiß eine jegli-
che Strophe/ jedoch ohne Reim ſchlieſ-
ſet. Solche Wiederholunge der Reime
ſind auch bey den alten Meiſterſaͤngern
geweſen; die ihre Klapperreime/ anhan-
gende Reime/ Reim-Wetzler/ oder Reim-
Schleiffer/ Schlag-Reime gehabt/ davon
Schottel in ſeiner Reimkunſt lib. 3. c. 21.
Die offte Wiederholung eines klingenden
Maͤñlichen Reimes/ wie beim Schottel in
dem Carmine, ſo eꝛ von deꝛ Teutſchē Haupt-
ſprache/ im Anfange ſeines fuͤnfften Bu-
ches hat/ in dem 18. 19. 20. 21. 22. 23ten Reim-
ſchluß/ nennet er in den Anmerckungen
Barrit oder Bardit/ und kan es ſein/
daß ſie ſolcher art ſein/ die Hans Sachs
ſeine Thoͤne oder Bare neñt/ davon
wir part. 2. c. 7. erwehnet. Aber er brin-
get deſſen keinen Beweiß bey. Die wider-
kehrende Reime beſtehen hierin/ daß in
dem gantzen carmine nur eine Reimung
ſey/ es ſein ſo viel Strophen als ſie wol-
len/ und von dem Mitteltheile des Car-
minis die Reime ruͤckgaͤngig wieder an-
fan-
[638]Das XII. Cap. Von den Arten
fangen/ alſo daß der erſte in der Wider-
holung dem letzten des erſten Theils gleich
werde/ und alſo biß auff den letzten in
gleicher Zahl uñ Reimwoͤrtern fortgehe/
der dem erſten gantz gleich iſt. Der erſte
Theil iſt gleichſam der Vorſatz/ der an-
der der Nachſatz/ oder Beantwortung
und Gegen-Rede. Die Wieder oder
Gegentritte haben in den vierverſichten
Strophē nur zwey Reimwoͤrter/ die ſo
fort wiederkehren/ und kan die Zahl der
Strophen nach belieben geſetzet werden.
Beyder Arten Exempel ſind darunten
zu finden/ der erſtē/ aus der 14, der an-
dern auß der 15. Ode deß Horatii. Man
hat auch eine art die man Kettenreime
neñt/ die ſich vorn/ in der mitten und
am Ende reimen. Von dieſen und der-
gleichen Reimgebānden ſein bey dem Hn.
Schottel in ſeiner Reimkunſt ſehr viel
abſonderliche Arten zu finden/ davon
man bey ihm weiter nachleſen kan. Wir
kommen auff die Pindariſche Oden/ wel-
che art die unſrigen nacht Art der Grie-
chi-
[639]der Reimſchluͤſſe.
chiſchen und Lateiniſchen gemacht. Mit
dieſen iſt es faſt/ wie mit einem Epiche-
remate oder Syllogiſmo Oratorio beſchaf-
fen/ darinnen die Strophe gleichſam eine
Propoſitio iſt/ welche dañ mit ihren rati-
onibus amplificirt wird. Antiſtrophe iſt
dem Minori zu vergleichen/ welche wider-
um amplificiret, und mit allerhand Po-
etiſchen figuris außgezieret werden kan.
Die Epodos macht gleichſam die Conclu-
ſionem. Dieſe Ordnung kan auch woll
geāndert werden/ daß Strophe den Mi-
norem, Antiſtrophe den Majorem ma-
chet/ wie ſolches auch in den Syllogiſmis
oratoriis geſchieht. Im Lateiniſchen
haben Heinſius, Sanmarthanus und an-
dere dergleichen Oden geſchrieben. Die
vielen Gattungen im Teutſchen/ wer-
den von andern weitlāufftiger angefuͤh-
ret. Wir ſetzen deren ein Exempel aus
der 16. Ode des Horatii. Die Sechſtinen
ſein von den Spaniern am erſten erfun-
den/ und wird von dem Nicolao Antonio
D. Petrus Vanegas de Saavedra der erſte
be-
[640]Das XII. Cap. Von den Arten
benennet/ der ſie gebraucht. Es iſt be-
kant/ worin ihre Eygenſchafft beſtehe.
Harſtoͤrffer hat auch an ſtatt der ſechs
Verſe/ drey und vierzeilige. Sie klingen
aber unlieblich. Drunten iſt ein Exem-
pel aus der 17. Ode des Horatii, und in
meinen Getichten findet ſich auch eins
part. 1. n. 32.
Dieſe ſein alſo die vornehmſten nach
den ſtrophis eingetheilte Genera, deren
viele Veraͤnderungen bey andern ſich be-
ſinden/ und noch mehr koͤnnen erdacht
werden. Betulius hat auch Centones,
ſo er Stuͤckelgebaͤnde neñet/ deren
Exempel er eines auß dem Opitio zuſam-
men geſetzet. Es hat aber in Teutſcher
Sprache nicht die art/ wie im Griechi-
ſchen oder Lateiniſchen. So hat man
Parodias, Acroſticha, Chronoſticha, wel-
che hieher nicht gehoͤren/ und den Nah-
men eines rechtſchaffenen Carminis nicht
verdienen. An Bilderreimen/ da die
Verſe eine gewiſſe Figur darſtellen/ be-
luſtigen ſich einige ſehr/ indem ſie bald
ein
[641]der Reimſchluͤſſe
einen Pocal/ bald einen Baum und deꝛglei-
chen außbilden. Die Griechen haben ſolche
dinge vor dieſen gemacht/ wie wir einige
des Theocriti ſeinen Carminibus hinange-
haͤnget finden Von dieſen urtheilt Came-
rarius Epiſtol. 2. lib. 5. an den Eobanum
Heſlum. In his Carminibus nihil eſt do-
ctorum admiratione dignum. Quid e-
nim elegans \& Atticum vel in argumento
vel elocutione, vel ſententiâ? An tu ve-
rò iſtos ςαυροποιητὰς \& γωνιοκάμπτας pro-
baſti? Minimè probaſti aut probas, qui
auguſtiam iſtam ingenii \& tormenta com-
poſitionis per luſum aliqua in parte bella
videri poſſe, in totâ poëſi laudem ſcis
prorſus non habere. Tribuuntur \& alia
hujusmodi poëmata Theocrito Bipennis
Alæ, Ara. Quæ quidem facilè vitabunt
induſtriam noſtram, \& non adeò digna
res videtur, ubi tu nervos intendas. E-
ben ſolches Urthel kan man auch von den
Bilderreimen faͤllen/ wie auch von den
verſibus quadratis, cubicis, die einige nach-
ahmen wollen. Unter allen dieſen Arten
s sſein
[642]Das XII. Cap. Von den Arten
ſein des Rabani Mauri Lateiniſche Carmi-
na, darin ſo vielerley art Kreutze ge-
bildet werden verwunderns wuͤrdig:
dann es muß dieſer Mann eine unglaub-
liche Muͤhe gehabt haben/ deren ſo gar
verſchiedene Formen/ in ſo vielerley art
Verſe zu verfaſſen. Wer aber ein recht
tuͤchtiges Gedichte ſchreiben kan/ wird
ſich nie mit dergleichen armſeeligen Er-
findungen behelffen.
Der Madrigalen haͤtte ich beynahe
vergeſſen/ welches eine ſehr feine art von
Reimgebānden iſt/ die von den Italiā-
nern und Frantzoſen etwas ſpāte auff die
Teutſchen gekommen. Woher ſolche Art
Verſe und das Wort an ſich ſelbſt den
Urſprung habe/ iſt ungewiß. Covarru-
vias hat in ſeinem Theſauro Linguæ Hi-
ſpanicæ viel mit dieſem Worte zu thun/
imgleichen auch Cotin in einer abſonder-
lichen Diſſertation von den Madrigalien.
Das Vocabularium della Cruſca fuͤhret
es her von Mandra, welches eine Schāf-
ferey bedeutet/ und Gallo: welches letzte
Co-
[643]der Reimſchluͤſſe.
Cotin nicht gefaͤllt. Einige leiten es von
dem Spaniſchen Wort Madragan ſummo
mane expergiſci her/ wie die Liebhaber
zu thun pflegen/ wann ſie ihre Liebeslie-
der bringen wollen. Das glāublichſte
iſt/ daß es von Mandra komme/ und vor
alters ein Schāfferlied bedeutet/ welches
auch hiedurch bekraͤfftiget wird/ wie
Menagius in ſeinen Originibus Italicis
angemerckt/ daß es bey den alten Itali-
aͤnern Mandriagale genañt worden Das
Wort ἀγέλη bedeutet auch bey den alten
Atticis, eine Heerde/ koͤnte es alſo von
μάνδρα und ἀγέλη zuſam̄en geſetzet werden.
Des Herrn Cotins Meinung iſt dieſe/
daß wie vor dieſen bey den Siculis zu erſt
die Hirtenlieder auffgekommen/ ſie viel-
leicht dieſe art von Verſen und Nahmen
gehabt haͤtten/ ehe noch die foͤrmlichen E-
clogæ abgefaſſet worden. Ja er meinet
gar/ daß bey den Morgenlāndern der-
gleichen Art vor langer Zeit im gebrauch
geweſen. Weiln nun die Gallier mit
den Griechen vor dieſen viel Gemein-
s s 2ſchafft
[644]Das XII. Cap. Von den Arten
ſchafft gehabt/ ſo koͤnte ſolches entweder
von ihnen auff die Masſilier gebracht/ oder
auch von Sicilien dahin gekommen ſein.
Die Italiaͤner aber hatten dieſes Wort/
und die art der Verſe von den Provinci-
al Poeten empfangen. Womit auch
Speron Speroni in ſeinen gelehrten Dia-
logis einig iſt. Seine Einfaͤlle ſein artig
und woll außgefuͤhrt/ aber wie mich be-
duͤncket/ was zu weit her geholet. Es
kan endlich gleich viel ſein woher das
Wort komme. Die Sache an ſich ſelbſt
iſt bekant gnug. Cotin gibt dieſe, Be-
ſchreibung: Le Madrigal eſt d’ ordinaire
une Epigramme galante compoſée de vers
inegaux pour la meſure, \& irreguliers
pour la rime. Le tendre eſt ſon chara-
ctere. Er nennet es ein Epigramma, wo-
durch es aber nicht recht beſchrieben wird.
dann ob zwar die Epigrammata hierin
woll abgefaßt werden koͤnnen/ ſo ſeind
doch nicht ſo fort alle Madrigalen Epi-
grammata. Der beruͤhmte Herr Zieg-
ler hat ſie am erſten in die Teutſche Spꝛa-
che
[645]der Reimſchluͤſſe.
che gebracht/ und eine gelehrte Diſſerta-
tion davon geſchrieben/ welcher er unter-
ſchiedliche Exempel anhaͤnget. Worin-
nen er von ihren Eygenſchafften handelt.
Er haͤlt ſie vor die ſchwerſte art eines
Teutſchen Carminis. Sie iſt aber wie
Herr Weiſe recht urtheilet ſehr leicht und
ſehr ſchwer. Leicht/ weil das Madrigal
ungebunden iſt. Schwer/ weil dieſe un-
gebundene Freyheit mit nachdenckli-
chen und ſcharffſinnigen Reden erſetzet
werden muß. Weßhalben auch Hꝛ. Ziegler
es fuͤr das eintzige genus haͤlt/ ſo zu den
Epigrammatibus. bequem iſt/ dann er
meinet es ſey ſehr ſchwer/ in einer andern
Art ein Fpigramma zu verfaſſen. Wor-
in ich gantz andrer Meinung bin Dann
ob man zwar ein Epigramma circumſcri-
ptum, wie ichs nenne/ in einem Madri-
gal verfaſſen kan/ ſo iſt man doch durch
die ungleichheit bißweilen mehr gebun-
den/ daß man umſchweiffe gebrauchen
muß/ da man vielleicht in einem andern
genere kuͤrtzer zum Ziel treffen koͤnte.
s s 3Es
[646]Das XII. Cap. Von den Arten
Es iſt ſo gar ſchwer und unmuͤg-
lich nicht/ wie er davor haͤlt/ daß man
gute Epigrammata im Teutſchen/ auch
auſſerhalb der Madrigalen ſchreiben kan.
Daß meiſte hierin komt auff den Wollaut
und das Urtheil der Ohren an. Auß
dieſem muß man ſchlieſſen/ ob man kurtze
oder lange/ gereimte oder ungereimte
Verſe ſetzen ſoll. Weiln auch dieſe art
zur Muſic erfunden/ angeſehen in den
Singeſpielen/ die faſt durchgehende Ma-
drigalen ſein/ ſie von den Muſicis mit dem
ſtylo reci ativo exprimirt wird/ ſo muß
in allen Zeilen zum wenigſten ein halber/
oder auch gantzer ſenſus ſein/ nachdem
es die Muſic erfodert/ ſonſt wuͤrde es gar
uͤbel klingen. Wie man dieſes auch noth-
wendig in den Oden die geſungen wer-
den in acht nehmen muß/ worinnen ſich
doch viele verſtoſſen. Kempe und Stock-
man haben gantze Buͤcher von Madriga-
len geſchrieben. Dieſe art des Carmi-
nis kan nach belieben außgedehnet/ und
in gewiſſe Sātze eingetheilet werden.
Herr
[647]der Reimſchluͤſſe.
Hr. Weiſe neñet ſolche Madrigaliſche O-
den. Mein hochgeehrter Collega Herr
D. Major nennet ſie Madrigalonen/ weil
dergleichen Endigung in der Italiaͤniſchen
Sprache etwas vergroͤſſert/ und zwar
mit guten Fug/ weil im gegentheil bey
den Italiaͤnern in ſignificatione diminu-
tivâ, die kleinen Madrigale Madrigaletti
genant werden. Der Frantzoſen ihre
Stances inegales ſein derſelben art. Bey
den Lateinern haben etzliche/ als Heinſius
und Hugenius faſt dergleichen Carmina
geſchrieben/ die ſie [...]πίμικτα nennen. Aber
hierin ſind allerhand metra gemiſchet/
die Dithyrambi koͤñen auch zum Theil mit
ihnen verglichen werden. Es ſein deren
einige Exempeln auch in meinen Getich-
ten zu finden. Einige haben die bey den
Lateinern gebrāuchliche Inſcriptiones
auch nachahmen wollen/ welches ſich
bißweilen thun laͤſſet/ und hat man deſ-
ſen Proben bey dem Autore des Mau-
ſolei Regum \& Ducum Hungariæ, Betu-
lio und andern. Aber die Teutſche
s s 4Spra-
[648]Das XIII. Cap. Von den
Sprache iſt wegen der weitlaͤufftigen Zu-
ſammenfuͤgung nicht woll bequem hiezu.
Dann die Periodi laſſen ſich wegen der
Huͤlffwoͤrter/ Articuln, und Pronomi-
num ſo enge nicht einſchrencken: oder
man mußder Rede einige Gewalt anthun/
und ſie wieder ihre natuͤrliche Eygen-
ſchafft zwingen/ und in kleine Theile zer-
ſtuͤcken. Die Italiaͤniſche Sprache weil
ſie ſo viel unnoͤthige Woͤrter nicht hat/
laͤßt ſich unter den gemeinen Sprachen
am beſten hiezu gebrauchen/ wovon un-
terſchiedliche Exempel in des Boldoni E-
pigraphice ſich befinden.
Das XIII. Cap.
Von den Erfindungen/
Einhalt.
ZU den Erfindungen koͤnnen die Excerpta dienen.
Excerpta Phraſium, Deſcriptionum, Com-
parationum, Iconiſmorum. Iconologia Cæ-
ſaris Ripæ. Zu einem Gedichte gehoͤret ein voll-
kom-
[649]Erfindungen.
kommener Verſtand. Cardinal Perrons Urthel.
Poeterey hindert keine andre Wiſſenſchafft: Der
Poetiſche ἐνϑουσι μὸς Die rennlichkeit und deut-
lichkeit der Rede. Die ſchwuͤlſtigen Compoſita,
Epitheta und periphraſes werden getadelt/ wie auch
die ertichtete Woͤrter. Neue frembde Woͤrter
ob und wann ſie zu gebrauchen. Unterſchiedliche
Exempla die getadelt werden. Metaphoræ Poeticæ,
muͤſſen von den gemeinen Woͤrtern unterſchieden
werden. Exempel der gemeinen Woͤrter. Lexi-
con Metaphorarum Poeticarum muß gemacht wer-
den. Die Griech ſchen und Lateiniſchen Metaphoræ
koͤnnen in Teutſcher Poeſi nachgemacht werden/
doch mit gewiſſer Maaß. Exempel derſelben.
Vondels Urtheil. Latiniſmi von Joh Baptiſta
einem Italiaͤniſchen Poetengluͤcklich gebraucht. Die
Metaphoriſche Epitheta finden keine gute ſtelle in
Teutſcher Sprache. Die Italiaͤner gehen den
Teutſchen hierin vor. Aus was Uhrſachen? Inſcri.
ptiones haben in der Frantzoͤſiſchen und Teutſchen
Sprache die art nicht/ wie in dem Italiaͤniſchen.
Von den Metaphoris des Cardinal Perrons Urtheil.
Metaphoræ Poeticæ ſein in gewiſſe Maaß einge-
ſchrenckt. Auguſtini Maſcardi Urthel. Meta-
phoræ frigidæ. Deren Exempel. Metaphori-
ſche Kunſtwoͤrter werden verworffen. Die Kunſt-
woͤrter ſein an ſich verboten in Carmine. In ge-
wiſſen Faͤllen zugelaſſen. Die Engellaͤnder belu-
ſtigen ſich hierin. Burlesque. Wird gaͤntzlich
s s 5ver-
[650]Das XIII. Cap. Von den
verworffen. Vavaſſoris Buch wieder dieſelbe. Die
Beſchaffenheit der Deſcriptionum. Der Trans-
lator Rapini urtheilet von der Beſchreibung der
Nacht. Sein Urtel wird unterſucht und wider-
legt. Virgilius wider ihn verthediget. Hugenii
Zedeprinten. Caraffæ Dicerie Poetique. Diſpoſitio
Außarbeitung eines groſſen und kleinen Carminis.
Die Ordnung der Stuͤcke eines kleinen Carminis
durch gewiſſe Lemmata. Spilimbergii Commen-
tarius in Horatium wird gelobet. Reim Exercitium.
NAchdem wir die Reimgebānde be-
trachtet/ ſolten wir von den Er-
findungen reden/ davon vielmehr
als von dem obigen zu handeln fiele/ in-
ſonderheit da von andern dieſes Theil
nur obenhin beruͤhret. Dieſe Erfin-
dungen koͤnten erſtlich in gemein/ hernach
abſonderlich nach Anleitung der Materie
unterſucht werden. Weiln wir aber der-
maleins ein abſonderlich Buch von den
Erfindungen in Latina Poeſi hervor zu
geben geſonnen/ ſo wollen wir allhie de-
ſto kuͤrtzer verfahren. Erſtlich ehe einer
erfinden kan/ muß er zuvor geleſen und
ge-
[651]Erfindungen.
geſamlet haben/ ſonſten wird er ein lee-
res Stroh dreſchen. Er muß nicht al-
lein die vornehmſten Teutſchen Poeten/
ſondern auch die Lateiniſchen und Grie-
chiſchen/ von welchen doch alles herflieſ-
ſet/ woll durchkrochen/ und ihre Kuͤnſte
ihnen abgelernet haben. Will er dieſen
die Außlaͤnder/ als Spanier/ Frantzo-
ſen Italiaͤner/ hinzuſetzen/ wird er ſei-
nen Schatz deſto groͤſſer machen. Der
delectus verborum muß inſonderheit all-
hie woll in acht genommen werden/ denn
wie derſelbe origo eloquentiæ genannt
wird/ ſo iſt derſelbe in Carmine vor al-
len andern das vornehmſte. Zu ſol-
chem Ende kan man in der Teutſchen
Tichterey eben ſolche Excerpta machen/ wie
in der Lateiniſchen/ davon ich/ ob GOtt
will/ in einem andern Buche mit meh-
rem handeln will. Die excerpta phraſi-
um, deſcriptionum haben beꝛeits einige zu-
ſam̃en getragē. Tſcherning in dem Abriß
ſeiner Poetiſchen Schatzkam̃er/ Treu in
ſeinen Dædalo,Bergman/ Harſtoͤrffer
in
[652]Das XIII. Cap Von den
in dem Anhang ſeines Poetiſchen Trich-
ters/ woſelbſt er die Außbildungen mit
anfuͤhret/ welche von den vornehmſten
Stuͤcken der Poetiſchen Zierrahten ſein/
davon Julius Cæſar Ripa ein abſonderlich
Buch in Portugieſiſcher Spꝛache geſchꝛie-
ben/ welches ietzo verteutſchet. Maſe-
nius hat einen kurtzen Außzug aus ihm
und andern gemacht in ſeinem Speculo i-
maginum veritatis occultæ. Die Com-
parationes muͤſſen auch angemerckt wer-
den/ wie ſolches in Lateiniſcher Poeſi von
Trognæſio geſchehen Im uͤbrigen iſt ein
groſſer Unterſcheid unter der gebundenen
und ungebundenen Redensart/ und wer-
den die Poeten durch einen ſonderlichen
Geiſt getrieben. Es meinen etliche/ als
wann ein Carmen nur ſo von ungefehr
gemacht werde/ beſtuͤnde nur von auß-
ſpuͤrigen Einfāllen/ die keine ſonderliche
Schlußreden von noͤthen hātten. Die-
ſe aber die ſo urtheilen/ legen ihren groſ-
ſen Unverſtand zu tage/ und haben nie-
mals was rechtſchaffenes in Wiſſenſchaff-
ten
[653]Erfindungen.
ten gethan. Dann es iſt gewißlich alſo/
wie J. C. Scaliger urtheilet/ es fallen die
Poetiſche Zuneigunge auff keinen gemei-
nen Verſtand. Ein vollenkommenes
Carmen, wie die Æneis Virgilii, Comœ-
dien, Tragœdien, und auch andere Ge-
tichte erfodern ein wollgelaͤutertes Urthel/
ſo woll in richtigen aus den locis Rhetori-
cis genommenen Schlußreden/ als an-
dern Zierlichkeiten/ die ihre gewiſſe art
und proportion haben muͤſſen. Es ſagt
der Cardinal Perronius in ſeinen Excerptis
gar artig. L’Excellence de vers conſiſto
comme en un point indiviſible de perfe-
ction, de ſorte, que s’ il s’ y peu mettre
un ſeul mot plus propre, ou plus ſignifi-
catif, ou meſme plus agreable a l’ oreil-
le, il ne peut eſtre dict parfait. Es iſt
die hoͤchſte Staffel eines Verſtandes zu
der Vollkommenheit dieſer Kunſt zu ge-
langen/ wie wir an den vortreflichſten
Geiſtern dieſer Zeit/ als Hugone Grotio,
Heinſio, Alexandro Moro und vielen an-
dern geſehen/ die in allen Stuͤcken der
Wiſ-
[654]Das XIII. Cap. Vou den
Wiſſenſchafften zu Hauſe geweſen/ ob ſie
gleich die beſten Poeten waren. Dann
was einige halbgelehrten hievon kluͤgeln/
ob hindere die Poeterey die andern Wiſ-
ſenſchafften/ iſt ein thoͤrichter Schluß der-
jenigen/ die nicht wiſſen unter den rech-
ten Gebrauch und Mißbrauch einen Un-
terſcheid zu machen. Es heißt/ wie der
Griechiſche Verß ſaget.
Wer ein gutes Urthel hat/ weiß woll/
wie weit er gehen/ und wie weit er
zuruͤcke halten ſoll. Denen Uberklugen
aber die es vor eine Thorheit halten in
dieſen Studiis ſich zu uͤben/ will ich mit dem
Verſe des Horatii antworten:
O major tandem, parcas inſane minori,
Wie weit die Erhoͤhung des Verſtandes
in Carmine gehe/ kan man hierauß ſehen/
daß die Alten hiezu einen ſonderlichen ἐν-
ϑουσιασμὸν erfodert/ der die Gedancken
offtmahls auſſer ſich fuͤhret. Wie von
den
[655]Erfindungen.
dem Marino geſaget wird/ daß da er bey
dem Camin-Feur ſitzend/ einige Stances
in ſeiner Adonis gemacht/ in den Ge-
dancken ſich ſo vertieffet/ daß ers
nicht inne geworden/ wie ihm das
Feuer den Schenckel verbrant. Dieſer
ἐνϑουσιαςμὸς weiſet ſich in allen Stuͤcken ei-
nes Gedichtes; ja in den Worten ſelbſt.
Daher man von den Poeten ſaget/ daß
ſie eine andre Sprache haben/ und mehr
als Menſchlich reden. Harſtoͤrffer ma-
chet unter die gemeine und Poetiſche Re-
de einen Unterſcheid/ wie unter tantzen
und gehen. Es muͤſſen die Woͤrter
und Phraſes in gebundener/ wie in unge-
bundener Rede auch ihre Rennlichkeit und
Deutlichkeit haben/ welche Herr Tſcher-
ning in der Vorrede ſeines Fruͤhlings
inſonderheit erfodert/ und iſt alles was
dieſer zu wiederlaͤufft den Ohren unan-
genehm. Dannenhero die viele gemach-
te Dithyrambiſchē Compoſita welche einige
ſehr hāuffen/ und in ihnen eine ſonderli-
che Zierlichkeit ſuchen/ ſchwuͤlſtige Epi-
the-
[656]Das XIII. Cap. Von den
theta und Periphraſes gāntzlich zu mei-
den. Worunter auch die alten Woͤrter
gehoͤren/ welche einige in der Italiaͤni-
ſchen Poeſi außgeſuchet/ von denen I.
Nic. Erythræus Pinacoth. I. num. 157. zu
leſen: imgleichen auch die neuen/ inſon-
derheit die ertichteten: Es ſein etliche
die es vor eine ſonderliche Zierlichkeit
halten/ ja wol gar unter die Lehrſātze
bringen/ daß man die Stim̄en der Thiere
mit gleichlautenden ertichteten Woͤrtern
außdruͤcken ſoll/ welches in allen Carmi-
nibus nicht zu billigen. Des Hn. Buch-
ners Urthel in ſeinem Buch de comm-
dic. ratione. c. 9. ſect. 1. gefaͤllt mir ſehr
woll. Ut in Comœdia \& in ludicro opere
talia aliquando deceant, in Epico carmi-
ne, quod totum inprimis gravitate cenſe-
tur, \& ad ſplendorem ac majeſtatem com-
paratum eſſe debet, locum non habet.
Er tadelt deßhalber nicht unbillig den
Gabriel Lermæum, der des Bartas Wercke
in Lateiniſche Verſe uͤberſetzet/ wañ er
den Leꝛchen Geſang mit dieſen Verſen vor-
ſtellet
Ipſa
[657]Erſindungen.
Virgilius der doch offt der Trompeten ge-
dacht/ hat niemahls das Ennianiſche
Taratantara gebraucht. Lautet alſo nicht
eben ſo zierlich wann Betulius von den
Bienen ſchreibet.
Brummet/ Immen um und um.ſummet brummet ſeid nicht ſtum.
und an einem andren Ohrte:
Wie offte wird das Summen/Hier von dem Nachbar Zaun auß dem Gehaͤgebrummen/(ein/Das Bienlein das vom Buſch ſein Honig ſamletSein ſuͤſſes Surgeſauͤß wird deine Wiege ſein.
Virgilius hat niemahls/ da er doch ein
gantz Buch von den Bienen geſchrieben/
das Wort bombus, welches von den
Bienen ſonſt gebraucht wird/ ſetzen wol-
len. Deſſelben Schlages iſt/ was Klajus
in ſeinem Friedens Einzuge ſchreibt
Bumb bidi bumb bumb haltDer Trompten lauter Laut auff den Paſteien ſchallt.
Bey denſelben Autoribus findet man vie-
le ſchwuͤlſtige und Dithyrambiſche Compo-
t tſita
[658]Das XIII. Cap. Von den
ſita, als von den Wellen der See: die
giſchgeſaltzen lauſchen und eilen
uferwerts: Der Wellen Wallen-
wuͤten. So auch ferner: das Schiff-
gepfluͤgte Meer: Das Flammge-
ſpaͤnn. d. i. die Sonnenpferde. Die
bunte Wuͤrmermuͤh/opus vermicu-
latum, und hundert andre mehr/ wel-
che von einigen als ſonderliche Zierlich-
keiten geachtet werden/ mir aber nicht
lieblicher in den Ohren klingen als die
vom Plauto erdachte Woͤrter: Sycolatro-
nidæ, Argentiextenebronidæ Fuſtitudi-
næferrierepinæ inſulæ, und des Pacuvii:
Repandiroſtrum incurvicervicum pecus.
welche Woͤrter kein verſtaͤndiger auſſer-
halb der Comœdie oder einem Schertz-
Gedichte gebrauchen wird. Die fremb-
den Woͤrter muͤſſen auch gemieden wer-
den. Worunter doch nicht zu verſtehen
die ſchon lāngſt in Teutſcher Sprache
das Buͤrgerrecht gewonnen; als Fen-
ſter/ Kloſter/ ꝛc. welche einige Kluͤg-
linge außmuſtern wollen/ die deßhalben
bil-
[659]Erfindungen.
billig von Buchnero de comm. dicend. rat.
lib. 1. c. 8 p. 141. außgelacht werden. La-
teiniſche und Frantzoͤſiſche Woͤrter haben
in einem ernſthafften Carmine und in ei-
ner abgemeßnen Rede keinen Platz. In
Diſcourſen (welches Wort auch durch
kein Teutſches recht außgedruckt werden
kan/) in Briefen/ in politiſchen Schriff-
ten/ wird man gezwungen dieſelbe zu
gebrauchen: dann es kan bißweilen viel
nachdencklicher dadurch gegeben werden.
Man hat in der Frantzoͤſiſchen Sprache/
welche reich iſt von Woͤrtern/ die einen ab-
ſtractivum und genericum conceptum
importiren einige Woͤrter/ als z. e. pe-
dant, (von deſſen Bedeutung der Autor
artis cogitandi in Diſſ. 1. handelt/) conduit,
und hundert andere/ die man im Teut-
ſchen nicht außdruͤcken kan/ wie J. C. Sca-
liger in ſeiner Oration von dem Wort
ineptus, dieſes und andre Woͤrter an-
fuͤhret/ die man nicht im Griechſchen
geben kan. Warum ſolte man
nicht derſelben ſich bißweilen/ da es die
t t 2noht-
[660]Das XIII. Cap. Von den
Nohtturfft erfodert im Teutſchen auch ge-
brauchen? Es iſt keine Sprache ſo rein/
daß nicht frembde Woͤrter darin zu fin-
den. Die Frantzoͤſiſche hat ſehr viel von
der Italiaͤniſchen angenommen/ dann
es hat Henricus Stephani ſchon zu ſeiner
Zeit ein gantzes Buch du nouveau Lan-
gage Francois Italianizé, ou autrement
déguiſé entre les courtiſans du temps;
hervorgegeben. Warum ſolte dann die
Teutſche Sprache hierin vor andern einē
Vorzug haben? Conringius hat dieſen
Mißbrauch der Teutſchen Poeſie in ſeinem
Brieff an den Herrn Schottel getadelt:
Scilicet, ſpricht er/ dum ditiorem \& ele-
gantiorem ſolito linguam reddere conan-
tur, condunt nova vocabula, nunc ineptis
compoſitionibus, nunc cothurnatis meta-
phoris. Er nennet dieſe die ſolches thun
grallatoria ingenia. Aber dieſe rennlich-
keit und deutlichkeit muß nicht dahin ge-
leitet werden/ daß man alle Metapho-
ras meiden ſolle/ wie einige Frautzoſen
in ſolchem wahn ſein/ und der halben
von
[661]Erfindungen.
von Rapino getadelt werden. Dann dieſe
muͤſſen in einer Poetiſchen Rede ſein/
ſonſten kriecht ſie bey der Erden/ und hat
nichts wodurch ſie ſich erheben kan. Es
muͤſſen auch dieſe keine gemeine Metapho-
ræ ſein/ denn die gemeinen Metaphoræ
ſein weniger zu gebrauchen/ als die ſonſt
gebraͤuchliche propriæ voces, wie Menage
recht urtheilet in ſeinen obſervationibus
uͤber den Malherbe p. 522. weil ſie durch
den Gebrauch des Poͤbels verkleinert
werden/ und dadurch unter außerleſe-
nen Woͤrtern keinē Platz verdienen. Weß-
halben man auch die Alltagswoͤrter/ wie
Betulius im 6. Capittel anmercket/ als
Semmel und dergleichen meiden ſoll.
Man hat angemerckt/ daß in dem gan-
tzen Werck des Virgilii das Wort Panis
ſich nicht findet/ weil es ſo gemein iſt/
ſondern er gibt es durch periphraſes, als
dona labotatæ Cereris, und andere Woͤr-
ter. Es ſein auch einige Particulæ Periodicæ
in Proſa gebraͤuchlich/ die ſich durchauß in
die Verſe nicht ſchicken/ als unangeſehn/
t t 3wel-
[662]Das XIII. Cap. Von den
welchermaſſen/ dannenhero/ de-
rentwegen/ wie ſolche auch im Lateini-
ſchen ſich befinden. Man hat auch gewiſſe
Metaphoras Poeticas, ſolche muß man
mit groſſem Verſtande gar genau unter-
ſcheiden. Dieſe ſein in allen Sprachen
bey Griechen/ Lateinern/ Italiaͤnern/
Frantzoſen ꝛc. woll in acht zu nehmen
und zuſammen zu leſen. Welches eines
von den vornehmſten Mitteln iſt zur
vollenkommenheit in der Tichterkunſt zu
gelangen. Da muß man nun von die-
ſen Metaphoris gantze Lexica zuſammen
tragen/ die mehr nutzen als alle Æraria
Poetica geben werden. Weiln auch eine
jede Sprache ihre ſonderliche Eygen-
ſchafft in den translatis hat/ aber auch
bißweilen etwas mit andern gemein/ ſo
muß man inſonderheit hierauff mercken/
da man deren etwas pcr analogiam auß
einer frembden Sprache in die Teutſche
uͤbernehmen kan/ welches aber mit groſ-
ſer Beſcheidenheit geſchehen muß. Wir
koͤnnen dieſes bey den Lateiniſchen Poe-
ten
[663]Erfindungen.
ten ſehen/ welche dergleichen Redensar-
ten den Griechen ſo artlich abſtehlen koͤn-
nen/ daß mans kaum gewar wird/ wañ
mans nicht recht genau betrachtet. Hie-
von wird an einem andern Ohrte ein
mehres geredet werden. Ich will nur
von denen in der Lateiniſchen Sprache
vorkommenden Metaphoris und Redens-
arten diß erwehnen/ daß ſelbige biß-
weilen gar zierlich in Teutſcher Poeſi koͤn-
nen angebracht werden. Horatius nen-
net fundum mendacem, der nicht die ver-
hoffte Frucht bringet: warum ſolte ich
im Teutſchen ſolches nicht nachmachen/
und aus dem Gegentheil ſagen? Wann
ihm ſein treues Land auff guten
Glauben zahlt die Fruͤchte die er
hofft. Oder: Sein Acker will nicht
Glauben halten.Claudianus ſaget:
Tempeſtas pretioſa Tagi: dieſes habe ich
nachgemacht in dem Carmine von der
Mertensgans/ da ich des Jupiters guͤl-
dnen Regen nenne/ ein koſtbahres Gold
und Liebsgewitter. Harſtoͤrffer hat ohne
t t 4Fug
[664]Das XIII. Cap. Von den
Fug in ſeinem Poetiſchen Trichter p. 101.
getadelt/ wann man nach der Lateini-
ſchen art/ intonſum caput Libanidas
unbeſchorne Haupt des Berges
Libanus ſagen wolte. Dann warum
ſolte ich nicht von einem Waldreichen Ber-
ge ſagen koͤnnen? Er hebt ſein unbe-
ſchornes Haupt empor. Ich kan
zwar nicht ſagen/ veſcitur aurâer frißt
die Lufft/ ſondern gar woll: Weil er
mit friſcher Lufft die Lebensgei-
ſter ſpeißt.Virgilius ſaget: Mane ſa-
lutantum totis vomit ædibus undam, da
laͤſt ſich das Wort vomere im Teutſchen
nicht nachmachen. Longinus hat in ſei-
nem Buch περὶ ὕφους einen Griechiſchen
Poeten getadelt/ der da ſchrieb: πρὸς
οὐρανὸν ἐξεμει̃ν, in cœlum vomere, und ſe-
tzet Tanaquil Faber in den Anmerckun-
gen/ Turpis \& ſordida eſt locutio; ge-
dencket aber nicht des Virgilii der von
dem Berge Ætna diß Wort gebraucht:
ja daß gar die Thuͤren in den Theatris
Vomitoria genant worden. Dieſes
macht
[665]Erfindungen.
macht der unterſchiedliche Gebrauch der
Sprachen/ wiewoll man von dem Feu-
erſpeienden Berge Ætnâ im Teutſchen
daſſelbe ſagen kan. Es hat Joſephus
Baptiſta, deſſen wir droben gedacht/ die
latiniſmos ſehr gluͤcklich in der Italiāni-
ſchen Poeſie gebraucht wie Nicol. Craſl. in
Elogi d’ huomini litterati part. 1. p. 337. be-
zeuget: Parue, ſagt er/ ad alcuni che i
ſuoi latiniſmi gli porgeſſero qualche nota
di reprenſione. Ma egli di coteſti ſi ri-
de, que nulla conoſcono la vaghezza di
quelle idee, delle quali come opulentiſſi-
ma matrona pompoſamente allan da la
lingua latina, e ſenza le quali povera me-
ſchina rimarebbe l’ Italica. In allen Din-
gen muß Maaſſe gehalten werden. Man
muß allezeit auff den Gebrauch und die
Eigenſchafft der Sprachen ſehen. Wo
dieſes nicht geſchieht/ kan man mit dem-
ſelben es verderben/ damit mans gut zu
zu machen vermeinet. Die Frantzoſen
haben auch in ihrer Sprache die Italiciſ-
mos bißweilen nicht zum beſten ange-
t t 5bracht:
[666]Das XIII. Cap. Von den
bracht: deßhalben Joachim du Bellay
wieder ſeine Petrarchiſirende Landsleute
ein abſonderliches Buch geſchrieben.
So haben auch Ronſard, Jodell, Bartas
viel Græciſmos in die Frantzoͤſiſche
Sprache gebracht/ welche deßwegen
von andern getadelt werden/ inſonder-
heit von dem I. F. Grandis in ſeinem Diſ-
cours Encomiaſtique ſur la Rhetoriq; Fran-
coiſ. de Monſ. de Bary p. 25. Vondel
hat in ſeiner Aenleidinge hievon auch
nuͤtzliche Lehren gegeben: Wy moeten
deſe tongen matigen, en mengen, en
met kenniſſe beſnoeien, oock niet alte
latinachtig, noch te nau gezet en nieu-
vvelyck Duitſch ſpreken, maer zulcks dat
de tong haer eigenſchap niet verlieze,
vvaer van de hervormers onzer ſpraecke
niet geheel vry zijn. Men vermide ge-
lijck een peſt, de vvoorden tegens den
aert onzer tale te verſtellen: een evel da
doorluchtige Italianen Spanjarden en
Franſchen oock van ziek zijn. Was die
Teutſche Sprache anlanget/ ſo iſt ſie
zwar
[667]Erfindungen.
zwar bequem genug alle Metaphoras auß-
zudruͤcken/ nur in dieſem reichet ſie nicht
zu/ daß ſie die Metaphoriſchen Epithe-
ta ſo nicht geben kan/ wie die Griechen/
Lateiner und die heutigen Italiāner Die
Teutſchen Adjectiva ſein ſo gar unbaͤn-
dig/ daß ſie nicht woll in den uͤblichen
Reimgebānden ſtaat finden. Dero-
halben wann die Italiaͤner ein mtaphori-
ſches epitheton ſetzen/ ſo muß man im
Teutſchen das Adjectivum in ein Subſtan-
tivum verwandeln/ und ſolches gleichſam
in Abſtracto ſetzen/ welches dann eine
weitläufftigkeit der Rede/ und ein fremb-
des Weſen veruhrſachet: Da man biß-
weilen zwey oder dreymahl einige Zei-
len leſen muß/ ehe man den Verſtand
erreichen kan. Zum Exempel wann man
ſagen wolte/ die Eiſerne Zeit/ ſo ſchickt
ſich dieſes nicht in den Verß/ ſondern
ich muß hievor ſetzen/ das Eiſen dieſer
Zeit. Die Italiaͤner aber koͤnnen bey
jeglichem ſubſtantivo ein epithcton meta-
phoricum ſetzen/ wodurch ſie eine Rede
ſehr
[668]Das XIII. Cap. Von den
ſehr ſcharffſinnig machen/ ja bißweilen
mehr als noͤthig iſt/ nnd die Gebuͤhr er-
fodert. Sie haben auch ihre Gerundia,
wodurch ſie die ſentcntias ſo zuſammen
ziehen koͤnnen/ als keine andre nation
thun kan. Was ſie in einem eintzigen com-
mate begreiffen/ davon muß ein Teut-
ſcher woll drey machen. Deſſen konten
hundert Exempel angefuͤhret werden.
Wird alſo beſſer ſein man ſuche in Teut-
ſcher Sprache die Scharffſinnigkeiten/
nicht ſo ſehr in Metaphoriſchen Beſchrei-
bungen/ als in neben und gegen ſaͤtzen
gantzer Enuntiationum, wie Flem̃ing und
andꝛe thun. Daheꝛ komt es auch dz die Ita-
liaͤner viel fuͤglicher die Inſcrptiones faſſen
koͤñen/ als die Teutſchen uñ Fꝛantzoſen/ von
welchen letztern man doch einige Exempel
ſo auff den ietzigen Koͤnig geſchrieben/ in
dem Mercure Galant de l’ Anno 1678. fin-
det. Es iſt traun ein groſſes an dem rech-
ten Gebrauch der Metaphorarum gelegen/
weßhalben auch Ariſtoteles in Rhetoricis
ſaget: Man koͤñe hieran ein vollkom̃enes
Ur-
[669]Erfindungen.
Urthel kennen/ wer ſie recht zu gebrauchen
weiß. Der Cardinal Perron hat gar weiß-
lich geurtheilet/ wie in den Excerptis p. 193.
zu ſehen/ daß die Sprachen den Urſprung
von der Nothwendigkeit habē/ aber durch
die affectation verdorben werden/ welche
mehrentheils in den metaphoris beſtehet.
Dann wie der luxus ein Zeichen iſt/ daß
das Regiment zu Grunde geht/ ſo iſt
auch der luxus in den Sprachen ein Zei-
chen ihres verderbens. Er ſagt ferner/
es ſey mit den Sprachen beſchaffen wie
mit den Fruͤchten/ welche/ wann ſie reiff
werden/ allerhand Wuͤrmer bey ſich zeu-
gen. Welches man zu dieſer Zeit von
der Teutſchen Sprache mit gutem grun-
de der Warheit ſagen kan. In der Po-
ëſi werden zwar hārtere Metaphoræ, als
in Proſa nicht allein zu gelaſſen/ ſondern
gar erfodert/ jedoch mit gewiſſer Maaſſe.
Dann weil man von einem Poeten viel-
mehr etwas außgeſonnens erwartet/ als
von einem Oratore, bey welchem etwas
neues alſofort verdāchtig iſt/ ſo mūſſen
auch
[670]Das XIII. Cap. Von den
auch einige hoͤhere Metaphoræ zugeſtan-
den werden. So ſieht man auch/ daß
die Proſa immer ehe verdorben wird/ als
die gebundene art zu reden. Weiln man
hierin ſich mehr um die Wahl der Woͤrter
bekuͤmmern muß. Es iſt aber auch den
Poeticis metaphoris ein Ziel geſchrieben/
daruͤber ſie nicht gehen muͤſſen. Dann es
wird ſo woll in exceſſu als defectu hierin
gefehlet. Ob zwar die Poetica translata
weiter als die Oratoria gehen/ ſo kan man
doch auch allzu weit gehen. Der gelehr-
te und ſinnreiche Auguſt. Maſcard. ſaget
gar artig in ſeinen Proſe vulgari p. 1. diſſ.
9. La metafora è figlivola della neceſſita,
ma poſcia adottata dal diletto: ritien però
ſempre l’ occhio fiſo alla madre, e di con-
ſentimento di lei accarezza il diletto: non
é de dimenticarſi la favella commune,
per contrar l’ habito nel parlar metafori-
co. Die Italiaͤner und Spanier ſetzen
offt aus der Mittelbahn/ weßhalben ſie
von vielen getadelt worden. Die alten
ſelbſt haben hierin keine Maaß gehalten.
Wann
[671]Erfindungen.
Wann man den Pindarum anſiehet/ wie
erhebt er ſich durch Woͤrter! was iſt bey
ihm fuͤr eine ungezāhmte Phantaſie/ die
nicht allemahl gleich lobwuͤrdig iſt/ aber
dennoch in Lyrico genere vor andern kan
geduldet werden. Plautus geht auch hier-
in weiter/ als Terentius, welcher die
Vernunfft und das Urthel mehr zu Ra-
the gezogen. Die Metaphoræ werden
alsdann frigidæ, von welchen Ariſtoles
lib. 3. Rhetoric. und Longinus περὶ ὕφους
weitlāufftig handeln/ davon wir in un-
ſern Buch de arguta dictione ein mehres
beybringen werden. Ein Exempel der-
gleichen naͤrriſchen hochtrabenden meta-
phorarum, hat ein Frantzoſe ſchertzweiſe
geſchrieben/ und unter dem titul: Lettres
Methodiques heraußgegeben. Es muß
auch hieher gebracht werden/ wann die
Engellānder die Kunſtwoͤrter als meta-
phoras in ihren Poematibus einbringen/
wie man bey dem Donne ſiehet/ da fin-
det man/ Atomos, Influentias, Ecſtaſes,
und ſo viel außſpuͤrige Conceptus, daß
man
[672]Das XIII. Cap. Von den
man daruͤber einen Eckel bekommen moͤch-
te. Caſtelvetro hat in ſeiner Poetica ein
artiges Urthel von denen gefaͤllet/ die dieſe
Kunſtwoͤrter in Getichten gebrauchen/
dann er ſpricht: Weiln die Wiſſenſchaff-
ten und die Kuͤnſte von dem Volcke nicht
verſtanden werden/ ſo ſolte man derglei-
chen Woͤrter nicht gebrauchen: Was
wuͤrde er von dieſen ſagen/ die die Meta-
phyſiſchen und Logicaliſchen terminos
nicht propriè ſondern gar metaphoricè
gebrauchen. Es iſt eine verdrießliche
Sache/ wann man die Gelehrtheit will
ſehen laſſen an Oertern/ da es ſich nicht
ſchicket/ welches Rapinus inſonderheit an
dem du Bartas und Ronſard tadelt. Es
hat eine andre Bewandniß/ wann man
einen luſum ingenii darin ſucht/ wie
Chriſtian Hoffmann ein Teutſches Car-
men: Die Bergprobe oder Reichſteini-
ſcher Goͤldner Eſel genannt/ in Bergmaͤn-
niſcher Redensart geſchrieben. Es iſt
auch der groͤſte Mißbrauch in den Me-
taphotis, wann man dieſelben von gemei-
nen
[673]Erfindungen.
nen nichtswuͤrdigen und ſchāndlichen din-
gen holet/ und auff die hohen und vor-
treflichen dinge bringet. Man hat gar
eine Schreibart erdacht/ die man Bur-
leſque nennet/ die von den Italiaͤnern
und Frantzoſen auffgebracht. Es iſt zu
verwundern/ daß in ſo klugen Nationen
dergleichen nārriſch Ding einen Beyfall
hat finden koͤnnen. Der gelehrte Va-
vaſlor hat in ſeinem Buch de ludicra di-
ctione dieſe Schreibart billig durchgezo-
gen/ und ſeinen Landsleuten ſolche ver-
wieſen. Worinnen er darthut/ daß
man bey keinem alten Autore dergleichen
Schreibart finde: da dennoch Cuperus
in ſeinen obſervationibus lib. 1. c. 10 das
Gegentheil zu behaupten vermeinet/ den
Rhinton bey den Griechen zum Urheber
derſelben vorgebend. Die Italiaͤner
haben uns dieſe Zierlichkeit/ die die Heß-
lichkeit zur Mutter hat/ zu ihrer ewigen
Schande erſtlich auff die Bahn gebracht/
und haben hernach einige in Franckreich
an dieſer Mißgebuhrt einen gefallen ge-
u uhabt/
[674]Das XIII. Cap. Von den
habt. Ein gelehrter Mann nennet der-
gleichen Carmina nicht unbillig excremen-
ta Pegaſi. Der Autor de la connoiſſan-
ce des bons livres handelt in ſeinem Trait.
3. mit mēhren hievon. Wir wollen uns
hie mit dergleichen unflātigen Weſen
nicht auffhalten. Erfreue mich druͤber
daß kein Teutſcher ſolches bißhero nach
gemacht. Ein Niederlānder hat den-
noch auch ſeinen Geiſt hierin wollen ſe-
hen laſſen/ welcher in ſeiner Thalia oder
Geurigen Sanggodin, das erſte Buch des
Virgilii mit ſo herrlichem Zierrath beklei-
det/ wie es im Frantzoͤſiſchen der Scar-
ron gethan.
Nechſt den Metaphoris iſt das vornem-
ſte/ die Deſcriptiones in einem Getichte
wol zu ordnen: dann hierin iſt ein groſ-
ſer Mißbrauch/ daß man die Gedan-
cken und die Phantaſie weiter lauffen laͤſt/
als die Gebuͤhr erfodert. Die alten La-
teiniſchen Poeten ſelbſt thun hierin zu
viel. Der eintzige Virgilius weiß
die Maaß zu halten. Der Engliſche
Trans-
[675]Erfindungen.
Translator der Reflexionum des Rapini
hat in der Vorrede hievon gehandelt/
und weiß an allen Nationen was in die-
ſem ſtuͤcke zu tadeln. Nur bey ſeinen
Landesleuten hat er eine groͤſſere Vollen-
kommenheit gefunden. Zu welchem En-
de er dann eine Beſchreibung der Nacht
auß einem Engliſchen Poeten anfuͤhret/
die er den Beſchreibungen des Virgilii
Apollonii, Taſſi, Marini, Chapellains, le
Moyne entgegen geſetzt: dann er meinet/
daß in den vier Verſen ſeines Lands-
mans mehr Verſtand ſtecke/ als in den
andern. Die Verſe lauten alſo:
All things are huſh’d, as Nature’s ſelflay dead.
The Mountains ſeem to nod their drovvſie
head.The little Birds in dreams their Songs repeat,
And ſleeping flovvers beneath the Night-devv
ſvveat.
Wann ich alle dieſe Worte zergliedern
wolte/ ſo konte ich leicht darthun/ daß
ſie mehr Phantaſie als Urtheils haben/
und denen andern/ inſonderheit des Vir-
u u 2gilii
[676]Das XIII. Cap. Von den
gilii ſeiner Beſchreibung/ die er Æn. 4. hat
im geꝛingſten nicht zu veꝛgleichen. Virgilius
bleibt in den Schrancken der Natuͤrlich-
keit/ Jener aber hat ein wildes weſen an
ſich: Virgilius ſaget placidum carpebant
feſſa ſoporcm corpora per terras, Jener
ſagt/ die Natur ſey erſtorben. Vitgilius
bleibt bey den Thieren/ die des Schlaf-
fes faͤhig ſein/ Jener eignet den Schlaff
auch den Bergen und Bluhmen zu. Vir-
gilius ſaget/ daß die Voͤgel ſchweigen/ Je-
ner/ daß ſie ihren Geſang im Traume
wiederholen. Welches ſo es recht
gegen einander gehalten wird/ ſo leuchten
die außſpuͤrigen Einfālle des Engliſchen
Poeten klårlich unter Augen. Ich mag
allhie nicht anfūhren was er uͤber den
Verſen des Virgilii fūr eine unzeitige und
nuͤchterne Critic gebraucht. Nur diß ei-
ne kan ich nicht unberuͤhrt laſſen/ daß er
den Verß des Virgilii der mit ſo groſſer
Vernunfft geſchrieben/ tadelt/ cum me-
dio volvuntur ſidera lapſu. Er ſaget/ er
koͤnne den Verß nicht loben/ weil dieſe
Wor-
[677]Erfindungen.
Worte von lauter Bewegung handelen
und were auch der numerus der Worte
ſelbſt der allgemeinen Ruhe/ die der Poet
beſchreibt/ zu wieder: Er wolte lieber da-
vor ſetzen/ cum medio librantur ſi-
dera curſu, dann wan die Sterne an
die Mittagslinie/ bey Mitternacht
kommen/ ſo ſchienen ſie als zu ruhen/
dadurch wuͤrde der Poetiſche Con-
cept mehr erhoͤhet. Man muß ſich bil-
lig verwundern uͤber dieſe elende Spitz-
findigkeit: Dann was haben die Ster-
ne mit der Ruhe der Menſchen und Thie-
re zu thun? Die Nacht bedecket nur die
Erde/ darum ſagt Virgilius: carpebant
feſſa ſoporem corpora per terras/ der
Sternen Lauff wird am meiſten des
Nachts gemerckt/ darum muß der vor-
nehmlich beſchrieben werden/ und ſagt
Virgilius am andern Ohrte gar artig
ſuadentque cadentia ſidera ſomnos. Es
hātte dieſer mit ſeiner ſo ſinnreichen Cen-
ſur woll zu Hauſe bleiben moͤgen/ und
iſt der Muͤhe nicht wehrt/ ob man gleich
u u 3noch
[678]Das XIII. Cap. Von den
noch eins und anders genauer unterſu-
chen koͤnte. Es iſt nicht gnug ſinnreiche
Beſchreibungen zu machen/ ſondern man
muß nach anleitung eines guten Urthels
und der Sachen ſelbſt hierin verfahren.
Sonſt kan man weit genug gehen/ wann
man der Phantaſie und dēn Worten den
Zuͤgel ſchieſſen laſſen will. Ein anders
iſt/ wann man abſonderliche Carmina
dieſer Art macht/ wie Conſt. Hugenius
in ſeinen Zedeprinten gethan/ und Ca-
raffa in einem Buche/ deſſen titul: Dicerie
Poetiche. Dieſe ſein luſus ingenii, und
kan man darin nach belieben verfahren;
Aber in einem vollſtaͤndigen Poemate,
muß man allezeit auff das gantze Syſte-
ma ſehen.
Von der Außarbeitung eines Carminis
oder von deſſen Zuſammenfuͤgung/ were
noch woll etwas zu ſagē: dañ ob zwar von
der Erfindung noch daß meiſte zu eroͤꝛteꝛn
uͤbrig/ ſo ſpahren wir diß in ein davon
handelndes Latein iſches Buch. Ein gan-
tzes Poema als die Æneis Virgilii hat eine
an-
[679]Erſindungen.
andre Ordnung als ein kleines Carmen-
Mambrunus hat in ſeinem Buch de Epico
Carmine, und Maſenius in ſeiner Palæſtra
Eloquentiæ Ligatæ die Außtheilung eines
groſſen Wercks artig vorgeſtellet/ dahin
ich den Leſer verweiſen will. Die klei-
nen Carmina koͤnnen am beſten durch ge-
wiſſe Lemmata und Ornamenta gefaſſet
werden/ welche art mir jederzeit belie-
bet/ dann die Diſpoſitiones Rhetoricas
ſo genau hierin zu ſuchen/ ſcheinet zu
haarklāuberſch zu ſein. Man
ſetzt etliche ſententias, die auff einander
ſchlußrichtig folgen/ dieſe ſchmuͤcket
man auß mit Metaphoris, Deſcriptioni-
bus, Iconiſmis, Fabulis und dergleichen/
wie es ſich am beſten ſchicket. Dieſeꝛ aꝛt ha-
be ich mich jederzeit bedienet/ und hernach
geſehen/ daß Bernhardinus Parthenius
Spilimbergius in ſeinem ſchoͤnen Commen-
tario uͤber des Horatii Odas das artifici-
um Rhetorico-Poeticum eben auff ſolche
art vorgeſtellet. Auch habe ich dieſelbe
bey Herrn Weiſen angetroffen. Der ſei-
u u 4nen
[680]Das XIII. Cap. Von den
nen nothwendigen Gedancken/ die Pra-
xin in Verfertigung ſolcher Getichte hin-
angehānget. Es hat auch Caldenbach
in ſeiner Poetice Germanica einige Diſpo-
ſitiones von allerhand arten der Carmi-
num gegeben/ worinnen doch keine rich-
tige Idea ſich findet/ ſondern nur ein ar-
gumentum und vielmehr paraphraſis la-
tina der ſchon gemachten Teutſchen Car-
minum. Es finden die enthymemata
Rhetorica eben ſo woll hierin ihren
Platz/ inſonderheit wann die Carmi-
na aus einem gewiſſen genere beſtehen/
in weitlaͤufftigen Elegiis, als wie die Epi-
ſtolæ Heroidum ſein/ davon laͤſt ſich aber
allhie nicht weitlāufftiger handeln. Biß-
weilen koͤnnen auch die Reime etwas
an die Hand geben/ zu welchem Ende
Herr Weiſe ein Reim Exercitium angibt/
da er einen Satz nunt/ und aus dem Reim-
regiſter alle Reimen auff den erſten fuͤgt/
deſſen er unterſchiedliche feine Exempel
vorſtellet.
Das
[681]Helden-Getichten.
Das XIV. Cap.
Von den Helden-Getichten.
Einhalt.
DDas Heldengetichte iſt das ſchwerſte/ und
erfodert den reiffſten Verſtand. Man muß
ſchier eine gantze Lebenszeit hierauff wenden. Vir-
gilius iſt hierin der beſte Meiſter. Wird deßhal-
ben unbillig getadelt/ daß er die Erfindungen nicht
von ihm ſelbſt/ ſondern von andern habe. Torqua-
tus Taſſus hat unter den neuen den Preiß. Die
Frantzoſen haben zwar offt einen Verſuch gethan/
aber nie die Vollkommenheit erlangen koͤn-
nen. Groſſe Freygebigkeit gegen den Cha-
pellaine. Cardinal Perrons Urthel von den Fran-
tzoͤſiſchen Helden-Getichten. Verſus Heroici
der alten Baxden. Dieſe waren eben den Paraſitis
und Scurris nicht zu vergleichen/ wie Valeſius mei-
net. Eine alte Gewohuheit bey den Gaͤſtereien
die Helden zu loben. Das bey den Frantzoſen und
Teutſchen gebraͤuchliche Ihrtzen ſchickt ſich nicht in
einem Helden-Getichte. Des-mareſts Urthel hievon.
Romainen. Woher ſie ſo genant und erſtlich ent-
ſprungen. Huet ſchreibt ihre Erfindung den Mor-
genlaͤndern zu. Die Frantzoſen haben ſie ehe ge-
habt als die Spanien und Italiaͤner. Die beſten
Frantzoͤſiſchen Romainen. Des Herrn Caſeneu.
u u 5ve
[682]Das XIV. Cap. Von den
re Charithea: Worauß der Continuator Barclaii
gantze Seiten außgeſchrieben. Teutſche Romainen.
Ob die Romainen zu leſen. Hugo Grotius. P.
Fortin billigen ſolche. Jacobus Palmerius à Gren-
temesnil verwirfft ſie gaͤntzlich. Die Mittelſtraſſe
muß gehalten werden. Flemming wird in der
Heldenart ſehr gelobet. Es koͤnnen auch luſtige
kurtzweilige Sachen in dem Alexandrino genere
verfaßt werden.
WIr ſchreiten ietzo zu den vor-
nehmſten arten der Getichte/ wel-
che von der materia oder objecto
ihren Nahmen empfangen. Unter die-
ſen hat das Helden-Getichte/ Epi-
cum Carmen den Vorzug/ welches das
groͤſte Meiſterſtuͤck in der Tichtkunſt iſt.
In dieſem kommen alle Zierlichkeiten zu-
ſammen/ und will derohalben mit ſon-
derlichem Verſtande gemacht ſein; iſt
auch nicht eines jeden Werck. Dann
diejenigen die hierzu bequem ſein/ muͤſſen
von der Natur recht dazu gemacht ſein.
Und ob ſchon einige deſſen faͤhig wāren/
ſo werden ſie durch andere Verhinderun-
gen
[683]Helden-Getichten.
gen davon abgehalten/ daß ſie kein
Werck zur Vollenkommenheit bringen
koͤnnen. Dann wem iſt eben gelegen
ſeine gantze Lebens Zeit an ſolche Bemuͤ-
hung zu verwenden/ deſſen keine Beloh-
nung zu hoffen/ davon auch wenige recht
urtheilen koͤnnen. Wāre Auguſtus kein
Liebhaber ſolcher Wercke geweſen/ es
haͤtte Virgilius vielleicht niemahlen was
geſchrieben/ und uns ſo unvergleichliches
Werck hinterlaſſen. Es iſt eine Sache
von langem Nachſinnen/ welches man
nicht ſo vor die lange Weile ſchreiben kan:
ſondern da muß das gantze Syſtema woll
außgedacht/ die Erfindung ſonderlich/
die Außbildung nachdruͤcklich und ver-
ſtāndig/ die Rede gebuͤhrlich erhoͤhet
ſein/ jedoch daß ſie nicht frech/ wild und
wind brechriſch werde. Worin wenige
ſich zu maͤſſigen wiſſen. Es iſt zwiſchen
einem kleinen Carmine, und einem groſſen
Helden-Getichte/ ein unterſcheid/ wie
zwiſchen einem Kōniglichen Pallaſt/ und
kleinen Hauſe. Der in den kleinen biß-
wei-
[684]Das XIV. Cap. Von den
weilen ein Meiſter iſt/ wird ſich nicht ſo
fort unterſtehen/ in einem groſſen Wer-
cke die Meiſterſchafft zu fuͤhren. Es kan
offtmahls ein Meiſter ein kleines Bild be-
reiten/ der eben den Coloſſum Rhodium
nicht auffrichten kan. Der vornehmſte
Meiſter/ den wir in alten Zeiten gehabt
iſt Virgilius geweſen/ ein Mann von un-
vergleichlichem Urthel und hohem Geiſte.
Dann ob zwar einige ihn deßhalben
verkleinern wollen/ daß er ſeine Erfin-
dung andern abgeſehen/ ſo urtheilen die-
ſelben eben ſo/ als wann ſie einen vortrefli-
chen Mahler deßhalben geringſch aͤtzig und
ohne Erfindung halten wolte/ wann er
bekante Hiſtorien in einem kuͤnſtlichen Ge-
maͤhlde vorgeſtellet. Virgilius hat viel
beſſer gethan/ daß er ein bekantes Hel-
denmaͤſſiges und zur Roͤmſchen Herr-
lichkeit zielendes Getichte außzuarbeiten
vorgenommen/ als wann er etwas
frembdes und neues auff die Bahn ge-
bracht/ davon er noch die allgemeine Be-
liebung erwarten muͤſſen. Zudem ſtecket
die
[685]Helden-Getichten.
die Erfindung nicht ſo ſehr in dem argu-
mento, als in der Außtheilung/ und Auß-
fuͤhrung des Wercks/ oder vielmehr in
Imitatione, da dieſelbe in allen Stuͤcken
zu ſpuͤhren/ und am allermeiſten in die
Augen leuchtet. Wer wolte deßhalben
einen Baumeiſter geringer halten/ daß
er ein altes unfoͤrmliches Gebāude uͤber
einen Hauffen wirfft/ und auß denſelben
materialien einen neuen viel herrlichern
Pallaſt aufffuͤhret? Die Italiaͤner koͤn-
nen ſich ihres Torquati Taſſi ruͤhmen/
der gleichfalls eine bekante Helden Hiſto-
rie zu ſeinem Getichte genommen/ und
ſo herrlich außgefuͤhret/ daß es billig fuͤr
ein Meiſterſtuͤcke zu halten. Es kan hier-
uͤber Franciſc. Patrit. della Poëtica part. 3.
lib. 8. nachgeleſen werden/ wo er die Fra-
ge eroͤrtert; ob man aus einer Hiſtoria
ein Poema machen koͤnne. Bey den
Frantzoſen/ ob zwar viele dergleichen
vorgehabt/ auch deſſen Proben gethan/
ſo iſt man doch noch nicht zu einer Vol-
lenkommenheit gekommen/ da doch vor-
neh-
[686]Das XIV. Cap. Von den
nehme Herren groſſe Belohnung dar-
auff geſetzet/ Jaͤhrliche Beſoldungen deß-
wegen gegeben. Dann es iſt bekant/ daß
der Herr Chapellaine, weil er die Hoff-
nung zu ſeinem Helden-Getichte von der
Virgine Aurelianenſi gemacht/ eine gute
Zeit voꝛhero 600 Rthal. jāhꝛlich genoſſen.
Welche Fꝛeygebigkeit ſchweꝛlich bey andeꝛn
Voͤlckern zu hoffen. Es will zwar der
Cardinal Perron behaupten/ daß die
Frantzoͤſiſche Sprache ſich beſſer zu ei-
nen Epico Carmine ſchicke/ als die Italiaͤ-
niſche/ aus Uhrſachen/ daß bey den Ita-
liānern lauter Weibliche Reime ſein. A-
ber dieſes will es allein nicht außmachen.
Dann es ſein andre Dinge/ darin die
Italiaͤner den Frantzoſen uͤberlegen ſein/
welches er ſelber geſtehen muß/ dann
er ſpricht: Les Eſprits Italiens ſont plus
propres pour en faire l’ oeuvre la matiere
pour ſe l’ imaginer, l’ inventer. Er ta-
delt auch an ſeinen Landsleuten/ daß ſie
nicht die Gedult haben ein weitlāuffti-
ges
[687]Helden-Getichten.
ges Werck außzuarbeiten/ das eines
Menſchen Leben erfodere. Er ſelbſt/
ſpricht er/ haͤtte in ſeiner Jugend ihm vor-
genommen ein Poema epicum von der
Kinder Iſrael Außzug aus Aegypten
unter dem titul la Moſaide zu ſchreiben.
Aber er habe es der weitlāufftigkeit hal-
ber bleiben laſſen/ weil er ſeine Lebens-
zeit hieruͤber hātte zu bringen muͤſſen.
Der Herr Scudery, der ein Poema Epi-
cum von dem Alarico unter dem titul. Ro-
me vaincu geſchrieben/ hat in deſſen Vor-
rede hievon auch mit mehrem gehandelt/
imgleichen Mambrunus in ſeinem Buche
de Epico Carmine, und Buſſiers in der
Vorrede ſeines Poematis von dem Scan-
derbeck, welche alle ihrer Landsleuͤte un-
gluͤckſeeligkeit in den Helden-Getichten
beklagen. Bey den alten Celtis und Teut-
ſchen hat man auch Helden-Tichter ge-
habt/ die Bardos, aber dieſelbe haben nur
Lieder auff die alten Koͤnige und Fuͤrſten
gemacht/ die der Ammianus Marcellinus
lib. 15. c. 9. heroicos verſus nennt. Bardi
qui-
[688]Das XIV. Cap. Von den
quidam fortia virorum illuſtrium facta he-
roicis compoſita verſibus cum duleibus
lyræ modulis cantitarunt. Durch dieſe
verſus Heroicos werden nicht hexametri
verſtanden/ ſondern der Marcellinus nen-
net ſie deßhalben ſo/ weil ſie zum Lob der
Helden gemacht/ wie der Valeſius in ſei-
nen Anmerckungen dieſe Worte auch er-
klaͤret. Von dieſen Bardis iſt mit meh-
ren zu leſen bey dem Athenæo in ſeinem
4. und 6. Buch/ Appiano in ſeinem Cel-
tico, und Diodoro Siculo im 5. Buch.
Dieſer letze ſchreibt alſo: Ε᾽ισὶ παρ᾽ ἀυτοῖς καὶ
ποηταὶ μελῶν, [...]ς βάρδους ὀνομά [...]ομσιν. [...]τοι δὲ
μετ᾽ ὀργάνων ταῖς λύραις ὁμόιων, [...]ς μέν ὑμνῆσιν,
[...]ς δε βλασφημ [...]σι. Sunt apud eos Melici
Poetæ, quos Bardos nominent: hi ad in-
ſtrumenta quædam lyris ſimilia, horum
laudes, illorum vituperationes decantant.
Valeſius vergleicht ſie den Scurris und Pa-
raſitis, welches aber etwas zu hart iſt.
Dann daß dergleichen Poetæ ſich bey der
alten ihren Conviviis gefunden/ und bey
denſelben ihre Heldengeſaͤnge geſpielet
und
[689]Helden-Getichten.
und abgeſungen iſt zwar war. Aber
dieſes iſt den Poeten nicht ſchimpflicher
geweſen/ als ihnen ſelbſt/ wann ſie bey
den Gāſtereyen ihre wichtigſte Anſchlaͤ-
ge gemacht. Wir haben ſchon droben
erwehnet/ daß bey den alten Gothen die-
ſer Gebrauch auch geweſen/ daß ſie ihren
alten Helden und Goͤttern zu ehren ge-
wiſſe Becher getruncken/ und dabey zu
ihrem Lobe geſungen. Daß dieſer Ge-
brauch ſehr alt ſey/ kan man auch auß
dem Virgilio ſehen/ welcher in der Be-
ſchreibung der Gāſterey die von der Di-
done angeſtellet lib. 1. Æneidos, den Jopam
einfuͤhret/ als einen Poeten und Muſicum,
citharâ crinitus Jopas
Perſonat auratâ, docuit quæ maximus Atlas. \&c.
Von der alten Teutſchen Heldenliedern iſt
im vorigen/ nemlich im 6. Theil des an-
dern Theils mit mehren gedacht/ wor-
unter auch die Heldenlieder auff den Atti-
lam zu ſetzen/ deren Aventinus in ſeinen
Annalibus Bojorum lib. 2. p. 130. gedencket.
Dann er ſpricht: Complura apud nos ex-
x xtant
[690]Das XIV. Cap Von den
tant de virtutibus Attilæ carmina patrio
ſermone more majorum ſcripta. Nam \&
adhuc vulgò cantatur, \& eſt popularibus
noſtris etiam literarum rudibus notiſſimus.
Die Helden-Getichte muͤſſen inſonder-
heit mit allerhand Erfindungen/ Tichte-
reyen/ Außbildungen/ Beſchreibun-
gen/ Vergleichungen außgezieret/ die
Rede mit metaphoris erhoͤhet wer-
den/ Maͤnnlich und Heldenmaͤſſig ſein.
Die in Teutſcher wie auch in der Fran-
tzoͤſiſchen Sprache gebrāuchliche art in
plurali anzureden/ muß hierin gantz ver-
mieden werden. Dieſe iſt erſtlich durch
Schmeicheley auffkommen/ wie davon
Celſus Cittadinus ein ſonderlich Buͤchlein
von dieſes Gebrauchs Urſprung geſchrie-
ben. Des Mareſts in ſeinem Advis bey ſei-
nem Clovis oder France Chreſtienne ur-
theilt hievon alſo: Le mot de vous en
parlant a une ſeule perſonne n’ a eſté in-
troduit, que par la baſſe flatterie des der-
nier ſiecles. En Poeſie Heroique ne peut
ſouffri cette foibleſſe, principalement
lors
[691]Helden-Getichten.
lors, qu’ il faut faire agir les fortes paſſi-
ons, dans lesquelles les mots de vous \&
de votre n’ auroient nulle force \& nulle
grace. Iſt alſo eine Thorheit wann ei-
nige aus unzeitiger Hoͤflichkeit/ das Wort
Ihr/ oder gar in der dritten Perſohn
Er gebrauchen/ welches die Rede noch
vielmehr verſtellet/ und in keinem Car-
mine ſich ſchicket.
Es iſt eine andre art Getichte/ aber
in ungebundner Rede/ welche dennoch
mit guten Fug Helden-Getichte genannt
werden koͤnnen. Dann ſie ſein von den
andern nicht unterſchieden/ als nur bloß
an dem metro. Es hat aber Ariſtoteles
zugegeben/ daß auch ein Poema ohne Me-
tro ſein kōnne. Solche ſein die ſo ge-
nanten Romainen, von welcher Urſprung
nicht einerley Meinung iſt. Einige ſchrei-
ben ſie den Arabern zu/ einige den Spa-
niern/ einige den Frantzoſen. Huetus
hat eine gelehrte Diſſertation von ihrem
Urſprung in Frantzoͤſiſcher Sprache ge-
ſchrieben. Dieſer bringt ihre Erfindung
x x 2auff
[692]Das XIV. Cap. Von den
auff die Morgenlānder/ Aegyptier/ Sy-
rer/ Araber/ Perſer/ von wel-
chen ſie auff die Griechen und Roͤmer
gekommen/ bey denen man unterſchied-
liche ſolche Poetiſche Schrifften hat. Daß
bey den alten Nordlaͤndern/ dergleichen
Getichte geweſen/ geben die Fabeln an
den Tag/ die man in der Edda noch vor-
findet. Ja wann man des Herrn Rud-
becks Meinungen annehmen ſolte/ duͤrff-
te woll die gantze Mythologia der Grie-
chen davon entſtanden ſein/ daß alſo die-
ſelben nicht von Caroli M. Zeiten nur her-
zu holen/ wie Huetus meinet. Der
Nahme der Romainen iſt ſonder zweiffel
bey den Frantzoſen entſtanden/ bey wel-
chen dieſe Getichte/ weil ſie in verdorbe-
ner Roͤmſcher Sprach/ die Romance
genant worden/ geſchrieben/ Romancen
heiſſen. Von welchem Wort Borellus in
ſeinē threſor des antiquitées Gauloiſes wei-
teꝛ zu ſehen. Iſt alſo die Meinung des Clau-
dii Verdieri falſch/ der in ſeiner Cenſione
Autorum p. 43. meinet/ es ſey der Nahme
Ro-
[693]Helden-Getichten.
Roman per metatheſin von dem Wort
Norman entſtanden/ weil ſie in der Spra-
chen erſt geſchrieben. In Spanien iſt auch
die alte Spꝛache Romance genant woꝛden/
von welcher Bernard. Aldrete ein gantzes
Buch heraußgegebē. Huetus ſaget. L’ Eſpa-
gne \& l’Italie receurent de nous un art,
qui eſtoit le fruit de noſtre ignorance, \&
de noſtre groſſierité, \& qui avoit eſté le
fruit de la politeſle des Perſes, des Ioni-
ens, \& des Grecs. Dieſe Romancen ſein
aber in Verſe mehrentheils/ und zwar
in groſſer Menge von den Provincial Po-
eten beſchrieben/ von welchen Claude Fau-
chet ein ſonderlich Buch hervorgegeben.
Von dieſen Provincial Poeten ſein ſie erſt
auff die Spanier/ hernach auff die Itali-
āner kommen/ und iſt Salmaſi[i] Meinung
falſch/ daß die Araber zum erſten dieſelbe
auff die Spanier gebracht/ und von de-
nen auff die andern Voͤlcker in Europa.
Dann die Spaniſchen Romainen, wor-
unter der Amadis wol der vornehmſte iſt/
ſein ohn ſtreitig junger als die Frantzoͤſi-
x x 3ſchen
[694]Das XIV. Cap. Von den
ſchen. Unter dieſen lobt der Huetus vor
allen andern des Herrn d’Urfé Aſtrée, wel-
cher erſt eine Kunſtrichtigkeit in dieſe
Schreibart gebracht/ und dann der Frau-
en de Scudery Romainen, wie auch des
Hn. de Segrais la Zaide. Der Herr Ca-
ſaneuve hat auch ein Romaine Charithea
geſchrieben/ von welcher der Medonius in
ſeiner Lebensbeſchreibung dieſes erweh-
net. Caſanovæ Charithea arriſit usque a-
deò Autori ignoto, alioquin ingenioſo, qui
Barclaji Argenidos Hiſtoriam continua-
vit, ut eum non puduerit plurimas ejus pa-
gellas totidem ferè verbis in ſe transmove-
re. Es iſt bey ihnen eine groſſe Men-
ge ſolcher Schrifften/ deren Erzehlung
wir bey dem Sorell in ſeiner Bibliotheque
Francoiſe finden. Dieſer hat auch in ſei-
nem Buche de la connoiſlance des bons li-
vres, weitlaͤuffrig von deren Einrichtung
gehandelt/ auch von einigen ſein Urtheil
gefaͤllet/ womit wir uns nicht auffzuhal-
ten haben. In Teutſchland hat man ſich
erſtlich nur mit den Uberſetzungen der
fremb-
[695]Helden-Getichten.
frembden Romainen vergnuͤget. Jetzo
aber hat man auch einige gute ſinnreiche
Wercke aus eigener Erfindung hervorge-
bracht/ als den Teutſchen Hercules, und
Herculiscus, die Aramena, die Octavia,
welche den Außlaͤndern nichts nachgeben.
deren Autores, wiewoll man ſie ſonſten
woll kennet/ noch zur Zeit ſich ſelbſt nicht
haben nennen wollen. Man koͤnte auch
allhie die Frage eroͤrtern/ ob ſolche Buͤ-
cher einen Nutzen haben/ und leſens wuͤr-
dig ſein. Worin die Urthel verſchieden
ſein. Ich wolte ſie ſo gar ſehr nicht tadeln/
wann nur Maaſſe darin gehalten wird.
Gleich wie eine Comœdia nicht allein erge-
tzet/ ſondern auch viel nuͤtzliches und lehr-
reiches in ſich hat/ ſo koͤnnen auch dieſe
Romainen ein gleiches thun. Man ſagt
das Hugo Grotius ein ſonderlicher Liebha-
ber derſelben geweſen/ und deren keine un-
geleſen gelaſſen. Der Herr de la Hoguette,
P. Fortin hat in ſeinem Buch genañt Te-
ſtament ou conſeils fideles d’ un bon pere a
ſes enfans. part. 2. ch. 10. die leſung derſel-
x x 4ben
[696]Das XIV. Cap. Von den
ben Buͤcher nicht widerrathen/ und viele
Uhrſachen beygebracht/ daß dieſelben
auch in vielen dingen nuͤtzlich ſein koͤnnen.
Wie aber nichtes mehr dem Mißbrauch
unterworffen/ als die ergetzlichen dinge;
ſo geht es auch mit dieſen Romainen, wor-
in einige zu viel Zeit verwenden/ die ſie
ſonſt nuͤtzlicher gebrauchen koͤnten. So
iſt es dem gelehrten Jacobo Palmerio â
Grentemesnil ergangen/ von welchem in
ſeiner Lebensbeſchreibung diß erzehlet
wird. Quidam nobilis Brittogallus has
Palmerio incauto pernicioſas nugas ob-
truſit, quibus utpote ad nativum homi-
num ingenium artificiosè compoſitis, ita
captus eſt, ut per integrum ferè anni cur-
riculum ſui compos eſſe non valuerit: ſed
eo tandem elaplo, ad ſuam mentem rever-
ſus ingemuit, acerboque dolore perculſus
animadvertit, ſe pro veris hiſtoriis, quibus
admiranda Dei providentia agnoſcitur,
figmentis libidinum incentivis memori-
am ſuam oneraſle, \& pro heroibus egre-
giisq; eorum ſacinoribus veritatem hiſto-
ricam
[697]Helden-Getichten.
ricam illuſtrantibꝰ ineptos thraſones \& va-
næ imaginationis otio ſuo abutentis ludi-
bria coluiſſe: Similis itaq; factus iis qui con-
vivia lauta ſomniant; excitati autem con-
ficiuntur inedia, indignatus eſt \& impla-
cabile contra illas furaces temporis affani-
as concepit odium. Er hat auch des
Herrn de la Hoguette, der ſein guter
Freund war/ und ihm ſein Buch zu ge-
ſandt/ Meinung/ ſo er von den Romai-
en gehabt/ gar nicht loben wollen/ und
ihn endlich dahin gebracht/ daß in den letz-
ten editionibus er ein Corollarium hin-
angehaͤnget/ worin er dieſe Schreibart
noſtri ſeculi morbum nennet/ und bereuet/
daß er mit dergleichen Eitelkeit behafftet
geweſen. Aber wie in allen Dingen eine
gewiſſe Maaß iſt/ ſo iſt ſie auch hierin/
und muß man nicht von einem extremo
auff das andre fallen. Solche Sachen
ſein mehr zur Ergetzung/ als zum taͤgli-
chen Gebrach gewidmet. Moriſottus
hat in ſeinen Briefen Cent. 1. Ep. 58. auch
wider dieſelben geſchrieben. Von dieſen
x x 5wer-
[698]Das XIV. Cap. Von den
werde am andern Ohrt ein mehres zu
reden haben.
Die Heldengetichte/ pflegen in dem Ale-
xandriniſchen genere bey den Teutſchen
und Frantzoͤſiſchen verfaſt werden/ deren
Gebrauch/ wie wir droben geſehen/ der
Herr Rapinus nicht fuͤr bequem haͤlt. Aber
man muß hier dem gemeinen Trieb fol-
gen. Im Teutſchen haͤtte Herr Flem-
ming ein Poema Epicum am beſten auß-
fuͤhren konnen. Dann er bey der ho-
hen Redensart auch den Numerum dieſes
Carminis ſonderlich zu miſchen weiß/ deſ-
ſen eine ſchoͤne Probe in dem Lobe des Sol-
daten zu Roß und Fuſſe bey ihm zu ſehen
iſt. Es kan auch dieſes genus zu kurtzwei-
ligen dingen gebraucht werden/ deſſen ein
Exempel bey dem Flemming in ſeiner
Schnee-Graͤffſchafft/ und bey dem Betu-
lio in ſeinem Niederſāchſchen Loorber-
hain p. 66. woſelbſt er ein Epicedium hat
auff einen Hoff-leu-hund/ und bey vielen
andern zu finden.
Das
[699]Oden.
Das XV. Cap.
Von den Oden.
Einhalt.
DIe Verbindung der Muſic und der Verſe iſt
ſehr alt. Wird von der Natur gelehrt/ und
iſt bey allen Voͤlckern gebraͤuchlich. Ode iſt
ein Sing-Getichte. Ronſard hat diß Wort zu
erſt in Frantzoͤſiſcher Sprache gebraucht/ und will
dieſe art Carminum in derſelben auffgebracht ha-
ben. Die alte art der Muſic iſt verlohren. Arias
Barboſa. Iſaacus Voſſius, Franciſcus Patricius.
Die Muſic der heutigen Oden iſt ſehr unterſchieden
von der alten. Odæ des Horatii in die Muſic ge-
ſetzet. Die Oden ſein nach verſchiedenen Inſtrumen-
tis Muſicis abgeſungen. Die eintheilung der Oden in
Strophas. Die Italiaͤner haben in Lyrico Carmine
ſich ſonderlich hervor gethan. Stances. Die heu-
tigen Oden ſein nach Voſſiii Meinung nicht zur
Muſic bequem. Die Oden die geſungen werden
muͤſſen anders eingerichtet werden. Solche ſein
ſchwerer zu machen als andere. Zieglers Urtheil.
Die Redensart in den Oden komt der Heldenart
am naͤheſten. Oden werden zu allerhand Sachen
gebraucht. Geiſtliche Oden. Hymni der alten.
Des Sehl. Herrn. Lutheri Geiſtliche Lieder. Wer-
den
[700]Das XV. Cap. Von den
den vor allen andern geruͤhmet. Geſaͤnge vor
Lutheri Zeit. Pſalmi ὶδιωτικοὶ, plebeii. Was
dieſelbe geweſen. Solche ſein verboten worden in
Concilio Laodiceno. Was durch die pſalmos po-
eticos verſtanden werde. Noëls. Die alten Kir-
chengeſaͤnge ſollen ohne groſſe Uhrſachen nicht geaͤn-
dert werden. Campanellæ Hymni. Die Vollenkom-
menheit der Pſalmen Davids. Odæ morales,
Heroicæ, amatoriæ. Schertz-Oden. Diræ
Scheltlieder. Gewiſſe Schlußverſe in Odis
Wiederholunge der Woͤrter und Verſe in Car-
mine. Figuræ Dictionis \& affectuumſein inſon-
derheit in Odis in acht zunehmen. Exempel aus
dem Flemming. Metra darin die Oden zu verfaſ-
ſen. Der Trieb der Natur thut das meiſte. Der
ὲνϑουσιαςμὸς muß bey den Erfindungen ſein. Die
erſten Einfaͤlle ſein die beſten. Exempel derer/ die
ihre erſte Einfaͤlle durch Verbeſſerung verſchlim̃ert.
Es koͤnnen bißweilen verſchiedenen Poeten gleiche
Gedancken/ ja dieſelben Verſe einfallen. Deſſen
Exempel.
ES hat nichts eine groͤſſere Macht
uͤber den Menſchlichen Geiſt/ als
wann ein ſchoͤnes wollgeſetztes Car-
men mit der Muſic verbunden wird/
dann die Muſic gibt den Verſen gleichſam
ein
[701]Oden.
ein Leben/ dadurch die Gemuͤther auffge-
muntert/ und zu allerhand Bewegungen
gereitzet werden. Daher iſt gekommen/
daß wann man etwas auff die Nachkom-
men fortbringen wollen/ man ſol-
ches in Geſānge verfaſſet/ da man noch
die Schreibkunſt nicht gehabt. Wann
unter dem Poͤbel etwas ſeltzames ſich be-
gibt/ ſo pflegen ſie reimende Sprichwoͤr-
ter davon zu machen. Dann ſie bilden
ihm viel ehe die Woͤrter ein/ die eine har-
moniam bey ſich fuͤhren. Weiln [n]un das
metrum nicht allein beluſtiget/ ſondern
auch die Rede gleichſam befeſtiget und
verewiget/ ſo hat man zu dem Gottesdienſt
und der Helden Lob ſolche Geſānge er-
wehlet. Es iſt nicht unglāublich/ daß
auch vor der Suͤndfluth dergleichen ge-
weſen. Nach derſelben ſind keine aͤltere
als des Moſis ſeine/ welchen hernach die
Heidniſchen gefolget/ die Campanella gar
artig degeneres Prophetas neñet. Solche
Carmina ſind bey den Griechen Oden/ bey
den Teutſchen Lieder genant. Das Wort
Ode
[702]Das XV. Cap. Von den
Ode iſt eiu Griechiſch Wort/ ſo nun auch
bey den Teutſchen faſt das Buͤrgerrecht
gewonnen. Ronſard hat es zu erſt in
Frantzoͤſiſcher Sprache gebraucht/ will
auch die Lyrica metra in derſelben
zu erſt erfunden haben; dem aber
einige den Clement Marott vorwerf-
fen/ der die Pſalmen Davids ſchon vor-
hin in gewiſſe Lieder gebracht. Hievon
kan mit mehren beym Menagio in ſeinen
Anmerckungen uͤber Malherbe Poemata
p. 563, 564, 565. geleſen werden. Auff was
Weiſe die alte Lyrica Carmina geſungen/
davon iſt wenig Nachricht uͤber/ nur
daß einige ſo etwas oben hin davon ge-
ſchrieben; es were dann das Arias Barbo-
ſa ein Luſitanus, deſſen Nicolaus Antonius
in ſeiner Bibliotheca Hiſpanicâ gedencket/
etwas ſonderliches hervor gebracht. Dañ
er ſaget von ihm: Scriplerat ille Rele-
ctionem magnificam doctam uberemque,
in qua multa queſtus eſt, quod non modo
Muſice temporum vitio indignam paſſa
eſt jacturam duorum generum enarmo-
nici
[703]Oden.
nici \& chromatici, cum tempeſtate no-
ſtra vix diatonico cantetur; ſed etiam
quod pcriere vocum ſyllabarumque tum
poeticæ tum communes pronunciationes.
Dieſes Buch aber iſt mir nie zu Geſichte
kommen. Eben dieſes hat Iſaacus Voſſi-
us in ſeinem gelehrten Buch de Poematum
Cantu \& viribus Rhythmi weitlāufftig
dargethan. Aber die art und Weiſe zu
Singen iſt von niemand recht entdecket/
und iſt noch woll das beſte und vollſtaͤn-
digſte hierin/ was Franciſc. Patricius in ſei-
nen Buͤchern della Poetica inſonderheit
lib. 5, 6, 7. part. 2. nach Anleitung der al-
ten Muſicorum geſchrieben/ deſſen ſich
einige ſehr fleiſſig in ihren groſſen Buͤ-
chern gebraucht/ und ihn kaum zu nen-
nen gewuͤrdiget. Dieſes iſt gewiß/ daß
die Muſic an der quantitate pedum und
dem metro gebunden geweſen/ und ver-
meinet Voſſ. der p. 37. und 38. eine Odam aus
dem Horatio und die Frantzoͤſiſche Ubeꝛſe-
tzung des Sorbiers derſelbē entgegen ſetzet/
daß da man im Lateiniſchē durch alle Stro-
phas
[704]Das XV. Cap. Von den
phas richtige numeros hat/ im Frantzoͤ-
ſiſchen und alſo auch im Teutſchen in jeg-
lichen Strophis eine neue Melodiam haben
muͤſſe. Und dieſes kan auch nicht anders
ſein/ wann die Muſic auff der quantitate
pedum gegruͤndet wird. Jedennoch be-
zeuget der Autor de la connoiſſance des
bons livres trait 3 p. 214. daß jemand die
Odas Horatianas in die Muſic geſetzet.
Nous avons veu de noſtre temps qu’ un
ſcavant \& curieux Muſicien avoit mis en
Air les Odes d’ Horace, \& les faiſoit chan-
ter dans des Concertes pour nous donner
des épreuves de la Muſique ancienne.
Ich bilde mir aber gaͤntzlich ein/ es ſey
dieſe Muſic/ nicht anders als die heuti-
ges Tages uͤbliche geweſen. Die alten
metra haben ihre Muſic bey ſich gehabt/
und haben durch die Krafft der pedum,
wann ſie auff gewiſſe arten geſungen wor-
den/ die Gemuͤther bewegen koͤnnen/ da
die heutigen nicht anders als durch die
Krafft der Woͤrter bewegen. Die alten
Muſici haben uͤber jegliche Sylben der
Ver-
[705]Oden.
Verſe ihre notas geſetzt/ wodurch man
wiſſen koͤnnen/ was vor einen Thon man
darzu ſingen oder ſpielen muͤſſen/ von den
ſieben tropis oder modis, Dorio, Æolio,
Phrygio \&c. Derer Carminum die ge-
ſungen worden/ ſein vielerley arten gewe-
ſen. Man hat auch nicht einerley Spiel-
werck dazu gebraucht/ von deren aller
richtigen Außtheilung Fr. Patricius in dem
andern Theil ſeiner Poetica weitlaͤufftig
zu leſen iſt. Man hat auch ſingende Tra-
gœdien und Comœdien gehabt/ davon
im folgen Cap. ein mehres. Ja es ſein
alle arten der Getichte geſungen worden/
es ſey bey den Goͤtzendienſten/ bey Gaͤſte-
retzen/ bey oͤffentlichen Spielen oder ſon-
ſten geweſen. Die Heroici und Elegiaci
haben gleichfalls eine art von ſingen ge-
habt. Die Oden aber ſein inſonderheit
zu der Muſic bequem geweſen/ wegen
der Eintheilung in gewiſſe membra oder
ſtrophas. Dieſe hat ihre Richtigkeit
mehrentheils gehabt/ aber Pindarus hat
groͤſſere von vielen Verſen beſtehende
y ype-
[706]Das XV. Cap. Von den
periodos gemacht/ und ſie in drey Theile
getheilet/ Stropham, Antiſtropham, und
Epodon. Man hat auch auff den Thea-
tris eigene Oehrter gehabt/ ſo Odea ge-
nant worden/ darauff man dieſe Carmina
geſungen. Wie die Eintheilung der al-
ten Oden geweſen/ und was fuͤr Thoͤne
zu denſelbigen gebräuchlich/ davon
finden wir zwar einige Nachricht bey
den alten Muſicis: Aber wir koͤnnen doch
dieſelbe nicht in gewiſſe Reguln ſetzen;
Franc. Patricius hat dieſes ſehr fleiſſig zu-
ſammen geleſen della Poetic. part. 2. lib. 6.
p. 284. \& ſeqq. woſelbſt die beſte Nachricht
kan gefunden werden/ und nach ihm oder
vielmehr aus ihm hat Kircherus in ſeiner
Muſurgia auch davon gehandelt/ der a-
ber in vielen geirret/ wie Marcus Méibo-
mius in den Anmerckungen uͤber die alten
Muſicos erweiſet. Die Italiāner haben
wie Taſſon davor haͤlt die allerbeſten Odas
geſchrieben/ ſo gar daß ſie auch/ wie er
meinet/ den Alten hierin zuvor thun.
Es iſt dieſes zum Theil war; dann ſie
wiſ-
[707]Oden.
wiſſen die Redensart treflich zu erhoͤhen/
wobey doch auch bißweilen viel Mißbrāu-
che vorfallen. Wir haben auch in der
Teutſchen Sprache/ einige von Flem-
ming/ Hoffmanswaldau und andernge-
ſchrieben/ die wir den Italiānern wolent-
gegen ſetzen koͤnnen. Dieſe der Italiaͤ-
ner Oden/ wie auch die Teutſchen haben
ihre gewiſſe Stanccs, welche deßhal-
ben ſo genant werden/ daß man am En-
de der Strophen etwas verziehen muß/
dann wie Dantes ſagt/ in eſſe ſtà e ſi rin-
chinde tutto l’ artificio della Canzone.
Darum werden auch in den achtzeili-
gen Stancen, darin ihr genus Epicum be-
ſteht/ die beiden letzten Verſe/ der Schluͤſ-
ſel genant. Aber es will ſich die Muſic ſo
nicht dazu ſchicken/ wie zu den alten La-
teiniſchen Oden. Voſſius ſagt p. 35. Si quis
ad Odas ſe conferat, quales Fuluius Teſti-
us \& innumeri alii ſcripſerunt, illæ, elegan-
tiſſimæ licet, cantari tamen nequeunt pro-
pter diverſitatem numerorum. Eadem
eſt ratio eorum Carminum, quæ ipſi vo-
y y 2cant
[708]Das XV. Cap. Von den
cant rimas octavas, quæ nec ipſa uno eo-
demq; cantus genere animari poſſunt Neq;
tamen me fugit \& illa quoq; vulgo cantari
verum hâc conditione quælibet etiam pro-
ſa cantari poſſit. Deßhalben ſpricht Voſ-
ſius, daß bey den Italiānern nur die poe-
mata zur Muſic bequem gehalten werden/
darin keine ſtrophen ſich finden. Wir
ſuchens mit den Teutſchen Odis ſo
genau nicht. Dann wann die erſte
Strophe einer Ode in die Muſic geſe-
tzet/ ſo muͤſſen die folgenden denſelben Ge-
ſang annehmen/ er ſchicke ſich dazu oder
nicht/ da bißweilen die ſenſus verſuum zer-
riſſen werden/ die Muſic auff die Worte
ſich nicht reimet. Man nehme nur eine
Ode auß dem Flemming Tſcherning und
andern/ und ſetze die erſte Strophe in
die Muſic/ ſelten wird man finden/ daß
die uͤbrigen recht dazu bequem ſein wer-
den. So muß nun dero wegen einer/ der
eine Ode die geſungen werden ſoll/ ma-
chet/ nothwendig die Muſic verſtehen/
und wann die erſte Strophe in die Muſic
ge-
[709]Oden.
geſetzet/ alle andere darnach richten/ und
wo muͤglich mit jeden Verß den ſenſum
zum wenigſten auff die helffte ſchlieſſen.
Ja er kan gar eine ſchon erfundene Melo-
dey nehmen/ und darnach das metrum
einrichten/ welches ich vielfaͤltig gethan.
Solches komt Jſaaco Voſſio am vorer-
wehnten Ohrte woll laͤcherlich vor. Aber
die zu unſer Zeit uͤbliche Muſic legt uns die-
ſe Nothwendigkeit auff. Wiedrigen falls
wuͤrde man gar uͤbelklingende Lieder ma-
chen. Herr Ziegler urtheilet gar woll
hievon: Gewiß/ es will unter den gene-„
ribus carminum nicht alleine vor ſich/„
ſondern auch/ und zwar um ſo viel de-„
ſto mehr wenn ſie in die Muſik geſetzet„
werden ſollen/ ein jedwedes ſeine ſonder-„
liche qualitet und Eigenſchafft haben/ da„
man denn dem componiſten die Worte„
ſo treuge nicht vorlegen darff/ ſondern„
man muß denſelben einen feinen Nach-„
druck und nach gelegenheit der materie„
eine gebuͤhrende ſtaͤrcke oder ſchwaͤche„
geben/ auch die commata zu rechter Zeit„
y y 3ſchnei-
[710]Das XV. Cap. Von den
ſchneiden und den Verß nicht wie eine„
Saue von der Weide lauffen laſſen. Ich„
bekenne es/ wenn Ich eine Ode zur Mu-„
ſik machen ſol/ ſo wird ſie mir allezeit„
duppelt ſauer/ als wann ich ſie vor mich„
und nach meinem gefallen machen darff„
Ich wolte auch davor halten/ daß man
zwar außerleſene Woͤrter in den Liedern
die geſungen werden/ aber keine gar hohe
und Metaphoriſche Redensarten ge-
brauchen ſolle: Dann wann die Woͤrter
nicht verſtaͤndlich ſein/ daß man zugleich
mit den Thon den vollenkommenen Ver-
ſtand der Woͤrter haben kan/ ſo hat ſol-
ches keine Krafft in Bewegung der Ge-
muͤther. Sonſten iſt eine Ode/ inſon-
derheit wann ſie nicht geſungen wird/
der hoͤheſten Redensart faͤhig. J. C. Sca-
liger ſaget: proximè ad Heroici Carminis
majeſtatem accedit. Ja ſie uͤberſteigt
ſelbſt die Heldenart; dann es ſein audaci-
ores Metaphoræ und andere Redensar-
ten zu gelaſſen/ die man in Heroico ge-
nere nicht gebrauchen kan. Wann die
alte
[711]Oden.
alte Proſodia der Muſic auch im Teutſchen
were/ ſo koͤnte man Thoͤne und Woͤrter
ohne groſſem Nachdencken verſtehen. A-
ber ietzo muß die deutlichkeit des Carmi-
nis, der undeutlichen Muſick zu Huͤlffe
kommen. Es koͤnnen alle Sachen ſich
zu den Oden ſchicken/ Geiſtliche/ Sitt-
liche/ Liebreitzende/ Kriegriſche und der-
gleichen mehr: da dann zum Theil auch
die Redensart ſich nach der materie ſchi-
cken muß. Was die Geiſtlichen anlan-
get/ ſo ſein bey den Griechen und Latei-
nern des vielfaͤltigen Goͤtzendienſtes hal-
ber unterſchiedliche Arten derſelben gewe-
ſen/ welche Franc. Patricius in ſeinem an-
dern Theil della poetica nach der laͤnge
erzehlt. Das gemeine Wort/ damit ſie
genennet worden iſt Hymnus ein Lobge-
ſang. Bey den alten ward die hoͤheſte
Redensart in denſelben gebraucht/ im
Teutſchen aber wird der Muſic und des
gemeinen Gebrauchs halber eine Maaſſe
hierin zu halten ſein. Es ſein aber die
Geiſtlichen Lieder nicht alle Hymni, ſon-
y y 4dern
[712]Das XV. Cap. Von den
dern haben auch andere verſchiedene
Arten unter ſich. Wir muͤſſen hie
von den Liedern gedencken/ die der
Sehl. Herr Lutherus gemacht/ welche
voll Geiſtes und nachdruͤcklicher Woͤrter
ſein/ dar in ein richtiges metrum iſt: dann
er hat gar genau auff die Sylben ge-
ſehen/ welches von den Frantzoſen und
Italiānern nur am meiſten in acht
genommen wird. Die quantitas iſt
zwar nicht allezeit beobachtet; Es muͤſſen
aber ſolche kleine Fehler in ſo wichtigen
Dingen/ da die Woͤrter und der Ver-
ſtand vollenkommen/ uͤber ſehen werden.
Dann man wuͤrde der Vollenkommen-
heit eine Gewalt anthun/ wann man
hierin etwas āndern wolte. Vor Lu-
theri Zeiten ſein auch verſchiedene Hymni
und Geiſtliche Lieder auch im Pabſtthum
ſchon geſchrieben/ darin etliche nicht ſo
gar uͤbel gemacht/ und des Alters halben
in Ehren zu halten/ und hat mir einer
berichtet/ daß ein abſonderlich Geſang-
Buch von denſelben zuſam̄en geleſen und
jemand
[713]Oden.
jemand heraußgegeben/ das ich aber
nicht geſehen. Man hat im uͤbrigen Hr.
Riſten/ Hn. von Stoͤcken/ und vieler an-
derer Geiſtliche Lieder/ welche ihren Fleiß
hierin ruͤhmlich angewandt/ und niemand
unbekant ſein. Hr. Roͤlings ſeine Geiſt-
liche Oden ſein voll Tieffſinnigkeit und an
Erfindung reich. In der alten Kirchen
hat man keine andre Pſalmen zugeben
wollen/ als die aus den Buͤchern der Heil.
Schrifft genommen/ nemblich die Pſal-
men Davids und andre Lobgeſaͤnge. Die
ſonſten gemacht wurden/ wuͤrden ψαλ-
μοὶ ἰδιω [...]ικοὶ Pſalmi Plebei genant/ und wa-
ren verboten in oͤffentlichen Verſamlun-
gen zu ſingen. Davon ſagt der LIX. Ca-
non des Concilii Laodiceni alſo: ὅτι οὐ
δε̃ι ἰδιωτικοὺς ψαλμοὺς λέγεσϑαι [...]ν τῆ ἐκκλησία,
οὐδὲ ἀκανόνιστα βιβλία. Quod non oportet
plebeios Pſalmos in Eccleſiá legere; aut
libros non canonicos. Balſamon und Zo-
naras erwehnen allhie in ihren Anmer-
ckungen/ daß unter den Pſalmis Plebeis
die Pſalmi Salomonis verſtanden werden/
y y 5die
[714]Das XV. Cap. Von den
die man damahls gehabt/ und nicht
fuͤr auffrichtig gehalten. Es erhel-
let aber aus unterſchiedlichen Oehrtern
der Hiſtoriæ Eccleſiaſticæ des Euſebii,
das viele Pſalmi von privatis gemacht/
die man in den Kirchen geſungen/ wie
dergleichen einer bey dem Clemente Ale-
xandrino am Ende ſeines dritten Buchs
ſich findet auff den Herrn Chriſtum/ und
auch Plinius lib. 10. Ep. 97. von den Chri-
ſten ſolches erwehnet. Von den Thera-
peutis (davon doch noch zweiffelhafftig
ob ſie Chriſten geweſen) ſchreibt Euſe-
bius lib. 2. c. 17. ποιοῦσιν ἄσματα καὶ ὕμνους ἐις
τ [...]ν ϑεὸν, διὰ παντ [...]ίων μέτρων καὶ μελῶν ῥυϑ-
μοῖς σεμνοτέροις χαράσσοντες. Cantica \&
hymnos omni metrorum genere rhyth-
mis gravioribus conficiunt. Widerum
lib. 5. c. 28. ſagt er/ daß viel Pſalmen von
den glaͤubigen Bruͤdern geſchrieben/ die
Chriſtum als einen wahren GOtt loben
und erkennen/ und lib. 7. c. 30. von dem
Paulo Samoſateno, daß er die zu Chriſti
Ehren gemachte Pſalme/ unter dieſem
Vor-
[715]Oden.
Vorwand abgethan/ daß ſie neulich er ſt-
lich/ und nicht von den alten gemacht/
welches dann der Synodus ſo wieder ihn
außgeſchrieben getadelt/ weil er dadurch
die Ehre Chriſti angefochten. Iſt alſo
glaͤublich daß ſolcher Pſalmen viel in
der Kirchen geweſen/ welche aber in
dem angefuͤhrten Canone deßhalben
verbotten worden/ weiln man zur Eh-
ren GOttes lieber die von dem Geiſt
GOttes ſelbſt geſetzte/ als die von Men-
ſchen erdachte Hymnos gebrauchen wol-
len. Valeſius hat dieſes angemerckt in
ſeinem Commentario uͤber den Euſeb. lib.
7. c. 24. Diſertè prohibetur ne Pſalmi ἰδιω-
τικοὶ id eſt à privatis hominibus compoſi-
ti in Eccleſiâ recitentur. Invaluerat enim
hæc conſuetudo, ut multi Pſalmos in ho-
norem Chriſti componerent, eosque in
Eccleſiâ cantari facerent. Deßhalben
wurden auch κανονικοὶ ψάλται in den Kir-
chen beſtellet/ welche gewiſſe Pſalmen
auff gewiſſe art und Weiſe ſingen muͤſten/
wie Bevereggius in den Anmerckungen uͤ-
ber
[716]Das XV. Cap. Von den
ber den XV. Canon. Conc. Laodiceni weit-
laͤufftiger außfuͤhret/ und inſonderheir
der Cardinal Bona in ſeiner Pſalmodia.
S. Agobardus, der im Jahr 840. geſtor-
ben/ deſſen Wercke der Stephanus Balu-
zius heraußgegeben/ handelt hievon auch
in einem abſonderlichen Buch de divinâ
Pſalmodia. Dann er ſpricht: Reveren-
da concilia Patrum decernunt nequaquam
plebeios pſalmos in Eccleſia decantan-
dos, \& nihil poëtice compoſitum in divi-
nis laudibus uſurpandum. Durch wel-
che letzten Verſe der Baluzius verſtehet
levia carmina \& faciles verſus, cujusmodi
ſunt, quæ moteta hodie dicimus. Zu
deſſen Beweiß fuͤhrt er einen Ohrt an
aus den Gulielmo Durandi, Epiſcopo
Mimatenſi, in ſeinem andern Buche de
modo generalis concilii celebrandi cap. 19. Vi-
deretur valde honeſtum eſſe, quod cantus
indevoti \& inordinati motetorum \& ſi-
milium non fierent in Eccleſia. Die-
ſe haben ſie aber nur bloß einmahl im
Jahr bey dem Weynachtfeſt gebrauchet/
wel-
[717]Oden.
welche Geſaͤnge Noels das iſt Natalitia Car-
mina genant woꝛden. Paſquier des Recher-
ches de la France l. 4. ch. 14. beſchreibt dieſe
Nouels daß ſie geweſen/ Chanſons ſpiri-
tuelles faites en l’ honneur de la Nativite
de noſtre Seigneur. Es iſt aber auch diß
Wort gebraucht worden/ wann das
Volck Koͤnigen und Fuͤrſten ein Freuden
Geſchrey gemacht/ da ſie daſſelbe ih-
nen zu geruffen/ wie Paſquier weitlaͤuffti-
ger an ſelben Ohrte anfuͤhret. Dieſes ha-
be ich bey dieſer Gelegenheit von den
Geiſtlichen Geſangen beybringen wollen/
in welchen man es gerne bey dem alten
bleiben laͤſſet. Der Heilige Agobardus
iſt ſehr ſorgfaͤltig hierin geweſen; daß er
nichts hat zugeben wollen/ als was auß
den Buͤchern der Heil. Schrifft genom-
men/ wie aus ſeinem Buche de cortecti-
one Antiphonarii zu ſehen. Der Balu-
zius thut denckwuͤrdig hinzu. Conſtat
res ſemel receptas in Eccleſia non facile
mutari, cautioresque in his rebus debere
eſſe Pontifices, ne miniſterium eorum vi-
tupe-
[718]Das XV. Cap. Von den
tuperetur. Sic Urbanus VIII. hymnos
correxit, \& tamen ſemper hymni antiqui
canuntur in Eccleſiâ. Deßhalben erin-
nert auch Campanella Poeticor. c. 8. art.
2. daß man auff einige kleine Fehler des
metri nicht ſo gar genau in den Geiſtli-
chen Geſaͤngen ſehen ſoll. Non tam me-
tri curanda eſt regula, quam ſonus auribus
gratus \& doctrina recondita bene reſtricta
\& deſtillata. Si S. Thomas menſuras in-
ſpexiſſet, non ſic altè locutus eſſet, mira-
bili lepore doctrinam profundiſſimam ex-
primendo. Derſelbe Autor, der ein Mann
von ſeltzamer und wunderlicher Wiſſen-
ſchafft geweſen/ hat ſelbſt einige Hymnos
geſchrieben/ wie er art. 4. an dem vori-
gen Ohrte ſchreibet: Nos triplicem Pſal-
modiam ſcripſimus de rerum naturâ: in
primâ cæleſtia \& incolas, in ſecunda ter-
reſtria, in tertia hominem cecinimus \&
Dei laudes ex his \& gratiarum actiones
expreſſimus. Fecimus \& poemata meta-
phyſica, unum de ſumma potentia, unum
in tribus cantilenis de ſummâ ſapientiâ:
unum
[719]Oden.
unum de primo Amore: duo de ſummo
bono. Er hat auch an denſelben Ohrte
art. 1. gar artig dargethan/ wie in den-
Pſalmen Davids alle arten der Carmi-
num, ſo viel ihr ſein moͤgen enthalten;
Drum man billig demſelben als einem
Goͤttlichen Wercke ſeiner Vollenkommen-
heit halber den Vorzug geben muß.
Nechſt den Geiſtlichen Oden folgen
die/ welche ein argumentum morale ha-
ben/ welches ſich zu den Oden ſehr wol
ſchicket. Wir finden deren unterſchiedli-
che bey Flemming und andern. Die Chi-
nenſer halten auff die Poemata moralia
am meiſten/ wie dann ihr Confutius vier
Buͤcher von alten Carminibus, wozu er
das fuͤnffte gemacht/ nachgelaſſen. In
welchen die gantze Sittenlehre/ die art
und Weiſe das Regiment zu fuͤhren/ und
die Exempel der Tugenden begriffen ſein.
Welche von ihnen in dem groͤſten wehrt
gehalten werden. Die Lobgedichte auff
die Helden und ihre Thaten koͤnnen auch
in Oden vorgeſtellet werden. Dann bey
den
[720]Das XV. Cap. Von den
den alten Teutſchen und Gothen hat man
dergleichen auff dieſelben gemacht. Es
muß aber alsdann die Redensart ja ſo
hoch ſein/ als in einem rechten Epico Po-
emate, und muß mans machen wie Ste-
ſichorus, davon Quintilianus lib. 10. c. 1.
urtheilet/ quod epici carminis onera lyrâ
ſuſtinuerit. In Liebesſachen iſt dieſelbe
ungleich/ nach dem die affectus ſollen
außgedruͤcket werden. Klagende oder
verlangende Oden/ koͤnnen bißweilen
abruptos ſenſus, tieffſinnige acumina ha-
ben/ wie die unvergleichliche erſte Ode im
fuͤnfften Buch des Flemmings. Scher-
tzet man aber/ ſo muß ein gleicher ſty-
lus ſem/ und ſind die acumina von ſol-
chen fontibus genommen/ die mehr ein
lachen/ als verwundern erwecken. Wir
haben verſchiedene in Teutſcher Sprache;
die man zum Exempel vorſtellen kan.
Der gruͤnen Jugend uͤberfluͤſſige Gedan-
cken verdienen hierin billig ihr Lob. Juſt
Georg Schochs Luſt und Blumengar-
ten von hundert Schaͤffer-Hirten-Liebes-
und
[721]Oden.
und Tugendlieder/ Filidors geharniſch-
te Venus gehoͤren auch hieher. Die
Preußſiſche Lieder inſonderheit des Si-
mon Dachen ſein ſehr gut und inſonder-
heit auff die Muſic gerichtet. Man kan
auch Diras und Sechltlieder ſchreiben wel-
che dergleichen Redensart haben/ wie faſt
andre Satyræ. Man hat auch in den O-
dis moralibus und amatoriis etzliche
Schlußverſe/ welche allezeit zu Ende einer
Strophen widerholet weꝛden. Dieſe wol-
len auch ihre ſonderliche Zierlichkeit ha-
ben/ und zwar alſo/ daß ſie gleichſam wie
eine Concluſion in einem Syllogiſmo auff
die vorhergehende Veꝛſe folgen. Sie ſchi-
cken ſich inſonderheit woll zur Muſic.
Sonſten muß man nicht leicht ohn Uhr-
ſach gantze Verſe in einem Carmine wi-
derholen. In verſchiedenen Carminibus
kan es bißweilen wol geſchehen/ wie wir
beym Homero und Virgilio ſehen/ die offt-
mahlen einerley Verſe an unterſchiedli-
chen Oehrtern geſetzet haben. Der Eu-
ripides hat mit einer ſentence fuͤnff Tra-
z zgœ-
[722]Das XV. Cap. Von den
gœdien geſchloſſen. Malherbe hat dieſes
in ſeinen Frantzoͤſiſchen Carminibus auch
gethan/ deßhalben der Cavallier Marin
von ihm in Schertze geſaget/ Malherbe
waͤr ein Mann von vielen Feuchtigkeiten/
(dann er war den Fluͤſſen ſehr unter worf-
fen) aber ein ſehr truckner Poet. Alle
Figuræ Dictionis \& Affectuum uͤber haupt
zieren die Oden treflich/ dar in der Herr
Flemming ein unvergleichlicher Meiſter
iſt. Wir koͤnten hie ein gantzes Buch
allein mit dergleichen Anmerckungen fuͤl-
len/ wann wir alle ſonderliche Umſtaͤnde
eines jeden Carminis, und deſſen Theile
gar genau erwegen wolten. Die Repeti-
tiones, Anadiploſes, Epizeuxes, Anapho-
ræ, Antitheſes, Contentiones \&c. ſein in
groſſer Menge bey dem Flemming/ welche
inſonderheit in acht zu nehmen/ und von
einem Liebhaber der Poeſie unter gewiſſe
titul zuſammen koͤnnen geleſen werden.
Dann ſie haben ein zartes Weſen bey ſich/
und koͤnnen die Gemuͤthsbewegungen
kraͤfftig vorſtellen. Der gleichen wider-
ho-
[723]Oden.
holungs Figuren ſein beym Flemming in
in der 9. Ode des 5. Buchs
O du ſchoͤne SalibeneSalibene o du ſchoͤne
Gleichen Schlags iſt dieſes in der 26. Ode
deſſelben Buchs.
Die getreue BaſileneBaſilene die getreuethut ſtaͤts/ was ich mich ſtaͤts freue.
Eine andre art von den Wiederholungen
iſt in der 22. Ode/ in der andern Strophe/
auch in der erſten Strophe/ der 19. Ode/
in demſelben Buche. Macrobius nennet
ſolche amœnas repetitiones Saturn. lib. 5.
c. 14. da er von Virgilio redet/ und unter
andern dieſes anfuͤhret.
Pan etiam Arcadia mecum ſi judice certet,Pan etiam Arcadiâ dicet ſe judice victum.
Campanella Poetic. cap. 8. art. 8. ſagt von
den Repetitionibus in Hymnis, quod gau-
dium præſtent. Antitheſes, Contentio-
nes, Converſiones ſein ſehr viele bey ihm/
z. e. in der 30. Od. des 5. Buchs.
Die Sonne ſcheint fuͤr mich nicht helle/Mich kuͤhlt die Gluth/ mich brennt das Eiß/
z z 2Ich
[724]Das XV. Cap. Von denIch weiß und weiß nicht was ich weiß.Die Nacht tritt an des Tages Stelle.Jetzt bin ich dort/ itzt da/ itzt hierIch folg’ und fliehe ſelbſt fuͤr mir.
In der 11. Ode deſſelben Buchs iſt dieſes
ſehr zierlich:
Der freie Wind faͤhrt ohne Zuͤgel/Ein leichter Pfeil eilt auff Gewinn.Der ſtarcke Plitz hat ſchnelle FluͤgelEin ſchneller Fall ſchieſt ploͤtzlich hin.Fuͤr ihren Sinnen ſind nicht ſchnelle/Lufft/ Pfeile/ Plitz und Waſſerfaͤlle.
Ich koͤnte dieſes mit allerhand Exempeln
und Gegenhaltungen der Grichſchen und
Lateiniſchen Poeten klārer machen/ wan̄
es nicht allhie zu weitlāufftig were. Die
Metra koͤnnen in den Oden vielfaͤltig ſein;
Trochaiſche ſchicken ſich am beſten/ da man
ein Verlangen vorſtellet/ in Sittlichen
und Liebesſachen/ Jambiſche in Schertz-
und Schelt-Gedichten/ Anapæſtiſche und
Dactyliſche/ wann man etwas luſtiges
vorſtellet. Dann es wuͤrde ſehr uͤbel
klingen/ wann man ſie in traurigen Sa-
chen gebrauchen wolte. Die vielerley
arten
[725]Oden.
arten der Reimgebānde ſind drobenſchon
beruͤhret. Woſelbſt ich auch von denen
nach den Lateiniſchen eingerichteten met[ris]
erwehnung gethan/ deren unterſchiedliche
auch im Frantzoͤſiſchen von dem Paſquier
des Recherches de la France liv. 7. ch. 12.
als ein Elcgiacum, Phaleucus, Oda Sap-
phica, Jonicum à Minore angefuͤhret
werden. Der Trieb der Natur/ oder
wie ihn die Poeten nennen/ der ἐνϑουσιασ-
μὸς iſt das vornehmſte in dieſer Sachen.
Derſelbige gibt den Erfindungen ein le-
ben/ und wird in den Oden durch die
Muſick erwecket/ und gereitz[e]t. Es laͤſ-
ſet ſich auch eine Ode viel b[e]ſſer machen/
wann man die Melodey ih[m] vorhero vor-
ſtellet/ und die Verſe na[ch] derſelben ein-
richtet. Dieſer ἐνϑουσιοσμὸς iſt etwas/
das von einer ſonderlichen Gluͤckſeeligkeit
der Natur komt/ und durch die Kunſt und
und Nachſinnen bißweilen nur gehindert
wird. Es iſt zu mercken daß insgemein
die erſten Einfaͤlle als welche aus dieſem
Trieb entſtehen die beſten ſein/ welches
z z 3ich
[726]Das XV. Cap. Von den
ich offt an mir ſelbſt wargenommen. Dan̄
ich pflege in verfertigung eines Carminis
alles was mir uͤber einer Sachen einfāllt
ſo fort zu Papier bringen/ ohne Ord-
nung/ ohne Connexion, halbe/ gantze
Verß/ damit mir die erſten Gedancken
nicht aus dem Sinn fallen. Unter dieſen
ſein allezeit die mir ohne ſonderlichen
Nachdencken beykommen die beſten/ die
ich aber ſo fort oder nachgehends durch
weiters Nachſinnen hinzuſetze/ und aus
einigen fontibus, die die Kunſt eroͤffnet/ her-
hole/ en[t]fernen ſich was mehr von den
Sachen/ und haben den Nachdruck
nicht Wan[n] dieſe erſt angemerckt/ die
gleichſam wie ein Chaos ſein deſſen was
darauß gemacht ſoll werden/ ſo findet
ſich die Außa[rb]eitung leicht. Worin
man endlich nicht zu eilen hat/ ſondern
je mehr man druͤb[e]r nachſinnet/ je beſſer
wird die Arbeit ſein. Da man dann zum
erſten auff des gantzen Carminis und als
dann der andern Strophen Schluß wie
zu einem Ziel/ darauff alles abdruͤcket/
ſehen
[727]Oden.
ſehen muß. Solte man dieſe Vorarbeit
vorbey ſtreichen laſſen/ und nur ſo fort
den Auffſatz beſchleunigen/ ſo wuͤrde man
den Trieb hemmen/ und mitten in dem
Wercke beſtecken bleiben. Gilt alſo im
Carmine nicht allezeit das Sprichwort
der Griechen δευτέραι φροντίδες σοφωτερα [...].
ſondern man verdirbt/ an der Erfin-
dung inſonderheit/ leicht etwas wann
man zu viel druͤber nachſinnet/ und durch
all zu groſſe Kunſt/ die natuͤrlichkeit ei-
ner Sachen verdunckelt/ wie jener Mah-
ler/ qui manum tollere de tabula neſciebat
Claude Binet hat in dem Leben des Ron-
ſards, von ſeinen Poematibus ſolches an-
gemerckt: Aucuns, ſpricht er/ ont trouvé
la correction, qu’ il a faite en ſes œuvres
en quelques endroits moins agreable, que
ce qu’ il avoit premierement conceu:
comme il peut avenir principalement en
la Poeſie, que la premiere fureur eſt plus
naive, \& que la lime trop des fois miſe,
en lieu d’ éclaircir \& polir, ne fait qu’ uſer
\& corrompre la trempe. Les doctes qui
z z 4ver-
[728]Das XV. Cap. Von den
verront fans paſſion ſes derniers concep-
tions en jugeront. Es hat Paſquier in
ſeinen Recherches liv. 6. ch. 7. daßelbe
von ihm auffgeſchrieben und ſich uͤber ihn
beklaget/ daß er drey Jahr vor ſeinem
Tode/ da er von dem Podagra und andern
Schwachheiten uͤbernommen/ die beſten
und artigſten Carmina auß ſeinen Wer-
cken hinweg gethan/ und viele Verſe al-
ſo geaͤndert/ daß die ſcharffſinnigſten Re-
den verlohren gegangen. Er berichtet
ferner/ daß ein ander das verworffene
wieder den Autorem ſelbſt zu behaupten
geſonnen/ und dem andern Druck ſeiner
Wercke hinbey fuͤgen wollen. Mit dem
To quato Taſlo iſt es gleichfalls ſo ergan-
gen/ daß er durch veꝛmeinte Verbeſſerung
an ſeinem ſo herrlichen Poemate viel ver-
dorben. Durch dieſen Tichterſchen Trieb
koint es bißweilen/ daß verſchiedene Po-
eten nicht allein einerley Einfaͤlle ſon-
dern gar einerley Verſe und Worte
haben/ da doch niemand des andern ſeine
Carmina geſehen oder geleſen. Deſſen iſt
ein
[729]Oden.
merckwuͤrdiges Exempel bey dem Menage
in ſeinen obſervationibus uͤber Malherbe
p. 255. 256. 257. von M. de Racan, welcher
gantzer vier Verſe gemacht/ die hernach
in des de Matthieu Tablettes de la vie \&
de la mort ihm von einem andern gezeiget
worden/ da er doch mit hohen Eiden be-
theuret/ daß er das Buch nicht gekant
noch geſehen. So hat auch Leonard.
Salviat. in ſeinem erſten Buch ſeiner Aver-
tiſſemens de la langue Italienne berichtet/
das ein Poet ſeiner Zeit/ der des Cardi-
nalen Bembo ſeine Sonnetten niemahls
geſehen/ eines gemacht daß des Bembe ſei-
nem durchauß gleich geweſen. Es kan auch
offt geſchehen/ daß jemand Woͤrter und
Verſe im Gedaͤchtniß hat/ da er vergeſſen
wo un̄ ob er ſie geleſen/ welche bey Gelegen-
heit ſich unteꝛ ſeinen eignen Gedan[k]en veꝛ-
ſtecken/ wo zu die Reime bißweilē den Weg
bahnen. Der Herr Menage verheißt
in einer ſonderlichen Diſſertation de furtis
\& imitatione Poetarum hievon zu han-
deln.
z z 5Das
[730]Das XVI. Cap. Von den
Das XIV. Cap.
Von den Schauſpielen/ Hir-
ten- und Straff-Gedichten.
Einhalt.
DIe Schauſpiele ſein nicht gaͤntzlich zu verwerf-
fen. Albericus Gentilis hat ſie in einer ab-
ſonderlichen Schrifft verthaͤdiget. Cardi-
nal de Richelieu hat in Franckreich ſie von den Un-
reinigkeiten geſaubert. Koͤnnen in den Schulen
ihren Nutzen haben. Comenii Vorſchlag. Hr.
Weiſen Comoedien. Vorſchlag eines vornehmen
Frantzoͤſiſchen Herrn von Auffrichtung einer fon-
derlichen Schauſpielſchule. Der alten ihre Schau-
ſpiele ſein vollenkommener als die heutigen. Ihre
Singeſpiele. Der Rhythmus ihrer Verſe und
Muſic wird durch den Trommelſchlag vorgeſtellet.
Wie die neuen Singeſpiele in Italien erſtlich auff-
gekom̄en. Der Teutſchen Schauſpiele. Comedien in
Proſa. Poſſenſpiele/ Kluchten/ Balletten Maſquera-
den/ wie weit beyde unterſchieden. Worauff ſie koͤn-
nen gemacht werden. Außbild-Bau-und Perſpectiv-
Kunſt iſt beyhuͤlfflich hiezu. Des Herrn Carteſii
Ballet, ſo Joh. Freinsheim verteutſcht. Andre werden
erzehlt. Benjamin Jonſons eines Engliſchen Poeten
Balletten und Maſqueraden. Johannis Miltons
Maſ-
[731]Schauſpielen.
Maſquerade. Schwediſche Balletten des Herrn
Stirnhelms. Exempel Teutſcher Balletten. Da-
vid Schirmers. Ballet von der Vortreflichkeit des
Weiblichen Geſchlechts von Herrn Vito Bering
in Lateiniſche Verſe geſetzet. Verſchiedene andre.
Repræſentation, ſo dem Carolo V. geſchehen. Hir-
teugeſpraͤche. Die Italiaͤner wollen hierin auch
vor den Alten den Vorzug haben. Wie ſie im Teut-
ſcheu zu machen. Satyre oder Straff-Gedichte.
Vondel nennet ſie Hekeldichte. Wie ſie zu machen.
Janus Gulielmus Laurenbergius hat in dem Nieder-
ſaͤchſiſchen ſolche geſchrieben. Joachimus Rachel im
Hochtentſchen. Der Frantzoſen Satyriſche Schriff-
ten/ Satyræ in Proſa bey den Teutſchen. Herrn
Weiſen unterſchiedliche Schrifften dieſes Schlags.
DIe Schauſpiele/ die an ſich ſelbſt
loͤblich und gut ſein/ haben durch
die eingeſchlichene Mißbraͤuche
bey einigen ihren guten Glauben ſo ver-
lohren/ daß man ſie gar fuͤr ſuͤndlich und
ārgerlich gehalten. Dieſe gehen aber zu
weit/ und werden ihre dawieder einge-
brachte Gruͤnde/ von dem vortreflichen
JCto Alberico Gentili in ſeiner Gelehr-
ten Diſſertatione de Actoribus Fabula-
rum
[732]Das XVI. Cap. Von den
rum non notandis ſattſam wiederleget.
Sie ſein bey den ſin̄reichſten und verſtān-
digſten Voͤlckern durchgehends beliebet/
und die Theatra fuͤr eine Schule des
Volcks gehalten worden. Dann was
iſt fuͤr ein Unterſcheid/ ob ich eine Hiſto-
rie geſchrieben leſe/ oder in einem Ge-
maͤhlde betrachte/ oder auch in einer a-
ction mir vorſtelle. Die Mimi der alten
ſein auch nicht zu tadeln/ die die ſinnreich-
ſten Spruͤche/ die koͤnnen erdacht wer-
den/ unter die Actiones eingemiſchet/ und
die Zuſeher entweder erluſtiget oder unter-
richtet. Wann alles in dieſen Schran-
cken bleibt/ und ſonſt keine unflātereyen/
und grobe Narrenpoſſen/ daran keine
verſtaͤndige ehrbahre Leute einen gefal-
len haben/ hinzukommen/ ſein ſie nicht
allein zu dulden/ ſondern in einer Volck-
reichen Gemeine bißweilen anzuordnen.
Der Cardinal de Richelieu hat es ſeinem
Geiſtlichen Stande nicht unanſtaͤndig ge-
halten/ daß er der Schauſpiel halber
gewiſſe Ordnunge gemacht/ und nachdem
er
[733]Schauſpielen.
er ſie von den Unſauberkeiten gereiniget/
ſelbſt Anlaß gegeben/ daß ſolche geſpielet/
und vorgeſtellet worden. Wie er dann
die vortreflichſten Geiſter ſeiner Zeit
durch die groͤſte Belohnungen dazu auff-
gemuntert. Ja ich komme ſo weit/ daß
ich vermeine/ es muͤſſen bißweilen gute
Schulen angeſtellet werden/ um die Ju-
gend auch in der action zu uͤben/ wozu ſie
ſonſt keine Gelegenheit hat. Es war kein
uͤbler Vorſchlag des Comenii, daß die
vornehmſten Hiſtorien in Comœdien ge-
faßt/ und durch die Action der Jugend
eingebildet wuͤrden; wie er dann zur Pro-
be eine Comœdie von dem Diogene Cyni-
co ſelbſt auffgeſetzet/ worinn alle Thaten
und Spruͤche deßelben angebracht wer-
den. Der Herr Weiſe hat auch unter-
ſchiedliche zu ſolchem Zweg zielende Comœ-
dien geſchrieben/ worunter mir die ſo
genante Complementir-Comœdie, ſo er
ſeinem Politichen Redner beygefuͤgt/
ſehr wollgefaͤllt. Worin er alle Actus
Converſationis Civilis in ein Schauſpiel
ge-
[734]Das XVI. Cap. Von den
gebracht. Der Autor des Buchs de la
connoiſlance des bons livres, welcher von
dem Nutzen der Schauſpiele gar weitlaͤuff-
tig gehandelt/ erwehnet p. 273. daß ein
vornehmer Herr in Franckreich geweſen/
der auff ſeinen Koſten einen Profeſſorem
Poeſeos Theatricæ anſtifften wollen/ wel-
cher oͤffentliche Lehrſaͤtze geben ſolle/ wie
die Schauſpiele anzuſtellen/ und das un-
gebuͤhrliche davon zu thun. Er hat vor-
geſchlagen eine ſo genante Academie an-
zurichten/ worin nur vornehmer Leute
wolerzogne Kinder in ſolchen Actionibus
ſich uͤben ſolten/ damit hinfuͤhro die
Schauſpiele von den Schandflecken/ die
ihnen nichtswuͤrdige und gewinſuͤchtige
Leute anhingen/ geſaubert wuͤrde. So ſol-
ten auch aus dem Magiſtratu gewiſſe Cen-
ſores verordnet werden/ die die Comœ-
dien unterſuchten/ ob in ihnen etwas
der Kunſt und dem Wollſtand zu wieder
lauffend anzutreffen, daß alſo keine ohn
derſelben Bewilligung gehalten wuͤrde.
Es ſein gewißlich dieſe Vorſchlaͤge nicht
zu
[735]Schauſpielen.
zu verachten/ und wuͤrde nicht undien-
lich ſein/ wann ſo etwas ins Werck gerich-
tet wuͤrde. Abſonderliche Geſellſchafften
und Lehrmeiſter hierin zu beſtellen wuͤrde
nur uͤberfluͤſſig ſein/ wann nur auff den
ſonſt gewoͤhnlichen Schulen eine zulaͤng-
liche Ordnung deßfals gemacht wuͤrde.
Es ſein gantze Buͤcher von den Comœ-
dien und Tragœdien geſchrieben/ darin-
nen die Lehrſaͤtze dieſes Poematis auß-
fuͤhrlich und grundlich dargethan wer-
den/ womit/ als bekanten Dingen/ wir
uns nicht auffzuhalten haben. Dieſes
iſt zu mercken/ daß die alten Griechen
und Roͤmer es ſo weit hierin gebracht
haben/ daß wir noch bey ihnen in die
Schul gehen muͤſſen. Was wir darin
gethan/ haben wir alles aus ihrer Nach-
ahmung. Man hat bey ihnen die Sin-
geſpiele/ Tāntze und Toͤne viel vollen-
kommener gehabt/ als wir jetzo ihnen
nachkuͤnſtlen/ davon niemand vollſtaͤn-
diger als Fr. Patric. della poetica part. 2.
gehandelt. Die nach ihren pedibus ab-
ge-
[736]Das XVI. Cap. Von den
gemeßne Verſe/ die drauff ſich gruͤnden-
de Mufic/ und mit derſelben verknuͤpffte
Taͤntze/ und Bewegungen der Glieder
koͤnnen von uns nicht begriffen werden.
Man hat die Pantomimos gehabt/ welche
durch ihre ſtumme Leibsbewegung auch
alle Reden haben vorſtellen koͤnnen/ wel-
ches allein durch den Rhythmum, den
man in der pronuntiation der Sylben
und in der Muſic gebraucht/ hat geſchehen
koͤnnen. Droben haben wir ein mehres
davon geꝛedet/ woſelbſt wir an dem Tꝛom-
melſchlag ein geringes und noch zimlich
weit entlegenes Beyſpiel gegeben/ das a-
ber das weſen des Rhythmi gleichſam als
in einem Schatten vorzeiget; weil es nur
ein bloſſer Schall ohn einiger harmonia
iſt. Iſaacus Voſſius gibt den̄och ein groſ-
ſes hier auff. Dann er ſagt p. 132. Vidi
qui adeò ſcitè tympana tractarent, ut qui-
busvis etiam adſtantibus modò bellicos,
modo languidos \& meticuloſos incuterent
motus, alias verò verſá vice ad ſaltandum
inſtigarent, idque ſolâ mtuatione rhyth-
mi
[737]Schauſpielen.
mi \& tranferendo pulſum fortiorem â
fine in principium cujusque menſuræ,
mutando nempe jambos in trochæos, a-
napæſtos in dactylos, \& pæonas quartos
in pæonas primos. Si Muſici noſtri id ip-
ſum præſtare jubeantur etiamſi cum o-
mnibus ſuis accurrant inſtrumentis, e-
runt tanquam aſini ad lyram, \& niſi ipſos
imitentur tympanotribas, nihil omnino,
ſi ſapiant, audebunt. Illi ipſi tamen in-
dignantur ſi muſicis accenſeantur tympa-
notribæ, in quo tantum abeſt, ut cum il-
lis ſentiam, ut potius exiſtimen meminem
eſſe bonum Muſicum, niſi idem quoque
bonus ſit tympanotriba. Ob nun dieſe
alte art der Muſic zwar verlohren/ ſo
haben dennoch ſich einige bemuͤhet/ die
Schauſpiele wieder mit der Muſic zu ver-
binden. Von dem Octavio Rinuccino
einem Florentiniſchen Poeten meldet
J. N. Erythr. Pinacoth. I. n. 34. daß er der
erſte geweſen/ der die alte art der ſin-
genden Schauſpiele wieder auff die Bahn
gebracht/ wiewoll vor ihm Æmilius Ca-
a a aval-
[738]Das XVI. Cap. Von den
vellerius ſchon einen Verſuch gethan.
Mit ihm haben zugleich ſich hervor [ge-
geben]/ Jacobus Perius, Horatius Vecchi-
ns, Dominicus Mazochius, und deſſen
Bruder Virgilius, P. Auguſtinus Mannus,
Octavius Tronſarellus, Anareas Salvado-
rus, Jacobus Cicogninus. Von welchen
Erythræus Pinac. III. n. 35. weitere Nach-
richt gibt. Dieſe haben auff groſſer Her-
ren Zuſchub die treflichſten Theatra ge-
bauet/ und dieſe Wercke zu ſpielen ange-
fangen/ durch der alten ihre Exempel auff-
gemuntert. Welchen ob ſie zwar nicht
gleich gethan/ ſo haben ſie doch in der
heutigen art der Muſic es auffs hoͤchſte
gebracht. Der droben gemeldete Joſeph.
Baptiſta hat von dieſer art Muſic ein
Buch la Poeſie Auletiche nachgelaſſen/
wie Craſſ. Elog. d’huom. litt. part. 1. p. 341.
bezeuget/ ſo aber noch zur Zeit nicht her-
vorgegeben. Numehr haben den Itali-
aͤnern die Frantzoſen und andre Nationes
nachgefolget/ und koͤn̄en wir ſie in Teutſch-
land auch ſehen. Die Schauſpiele haben
einen
[739]Schauſpielen.
einen groſſen Unterſcheid in der Redens-
art: Die Luſtſpiele haben einen niedrigen/
die Traurſpiele einen hōhern ſtylum. In
dieſen ſein Andreas Gryphus und Daniel
Caſpar vortreflich/ von welchen in Teut-
ſcher Sprache das Muſter zu nehmen.
Dann an den alten Schauſpielen/ die in
groſſen Buͤchern zuſammen getragen/ wie
dann der bekandte Juriſt Jacob Ayrer
ein groſſes Buch derſelben verfertiget/
iſt wenig nutze: ob gleich bißweilen einige
Einfālle nicht zu verachten. Welche in
Proſa geſetzt ſein/ gehoͤren eben hieher
nicht/ weil ſie mehr actus Oratorii als
Poetici ſein: dergleichen ſein viel von
Herrn Riſten/ Filidor und andern ge-
ſchrieben. Unter die Comœdien koͤnnen
mit gerechnet werden die alſo genanten
Poſſenſpiele/ die bey den Niederlaͤndern
Kluchten/ wegen der ſiñreichen Erfin-
dung heiſſen. Dieſe beſtehen nicht in gro-
ben Narrenpoſſen/ wie dergleichen ge-
meine Comœdianten viel haben/ ſondern
in einer artigen und zierlichen außſchmuͤ-
a a a 2ckung
[740]Das XVI. Cap. Von den
ckung einer lācherlichen Action. Die mei-
ſten Comœdien bey den Frantzoſen ſein
dieſes Schlages. Dergleichen haben
in Niederland auch vornehme Leute als
Conſtantinus Hugenius und andere ge-
ſchrieben. Bey den Teutſchen kan man
des Daniel Schwenters ſein Poſſen-
ſpiel Peter Squnetz genant/ wie auch
des Gryphii Horriblicribrifax ruͤhmen.
Hieher gehoͤren auch die Balletten und
Malqueraden, worin man durch Gebehr-
de agiret/ ſo etwas nach des alten Roſcii
art iſt. Dann es beſtehet allhie bloß in
Außzierung der Perſon/ und in kunſt-
fertiger application des Tantzes auff die
Perſon. Der Tichter hat ſonſt hiebey
nichts zu thun/ als daß er die Erfindung
zu Papier ſetze/ und etzliche kurtze ſinn-
reiche Verſe vor jede Perſon dabey/ wel-
che von den Zuſehern geleſen werden/ da-
mit ſie den Einhalt des Ballets beſſer
verſtehen. Unter den Balletten und Maſ-
queraden iſt ein geringer Unterſcheid.
Jene ſind weitlāufftiger/ und haben gar
vie-
[741]Schauſpielen.
viele Abtheilungen und Eintritte/ ſein
faſt einer vollſtaͤndigen Comœdien gleich/
Die Maſquerade hat etliche wenige Auff-
zuͤge. Die Perſonen werden vorgeſtel-
let gleichſam als viva emblemata, und kan
deren Einhalt beſtehen aus Hiſtoticis, fa-
buloſis, moralibus. Sie koͤnnen
auch auff gewiſſe Faͤlle als Hochzeiten/
Gebuhrts-Feſte/ Kroͤnunge der Koͤni-
ge/ und der gleichen gerichtet werden. In-
ſonderheit muß hier die Außbildkunſt
woll verſtanden werden/ weil das meiſte
ſchier darin beſtehet/ dazu dann die Ico-
nologia des Cæſaris Ripæ, Maſenii Spe-
culum imaginum veritatis occultæ gute
Anleitung geben kan. Auch ſind die Ver-
āndrungen des Theatri, die aus der Bau-
uñ Perſpectiv Kunſt flieſſen noͤthig zu wiſ-
ſen. Im Italiāniſchen hat man deꝛgleichen
gar viel Exempel. Der beruͤhmte Fran-
tzoͤſiſche Philoſophus Renatus Carteſius
hat/ da er in Schweden war/ eines auff
der Koͤnigin Chriſtinen Gebuhrts-Tag
gemacht/ eben um die Zeit/ wie in Teutſch-
a a a 3land
[742]Das XIV. Cap. Von den
land der Friede geſchloſſen ward/ deſſen
Uberſchrifft iſt la Naiſſance de la Paix.
Solches iſt von Johanne Freinshemio in
Teutſche Verſe uͤberſetzet. Die Erfin-
dung iſt ſehr gut/ und iſt diß Ballet des
beruͤhmten Autoris und Uberſetzers hal-
ben wuͤrdig/ daß es auffgehoben werde.
Man hat auch ein Frantzoͤſiſches Ballet
de la naiſſance de Venus, welches viel ſchoͤ-
ne Veraͤnderungen des Theatri hat/ und
vor den Koͤnig offt geſpielet worden.
Des Ange ſein Ballet d’ Eloquence, wel-
ches unter den Pieces curieuſes ſo zu Pa-
ris 1664 gedrucket/ ſich findet/ iſt gleich-
falls ſehr woll und artig erfunden. Ben-
jamin Johnſon ein vornehmer Engliſcher
Poet/ hat unter ſeinen Wercken gar vie-
le/ die auff allerhand Begebenheiten/
Fuͤrſtliche Einzuͤge/ Gebuhrtsfeſte und
dergleichen gemacht/ und vor dem Koͤnige
getantzet; worin viel ſchoͤner Einfaͤlle und
Außzierungen ſein. In des beruͤhmten
Johannis Miltoni ſeinen Engliſchē Poema-
tibus wird man auch deren finden/ die
ſehr
[743]Schauſpielen.
ſehr woll gemacht. Bey den Teutſchen
hat man auch unterſchiedliche. David
Schirmer hat in ſeinem Rautengepuͤſche
einige/ die auff unterſchiedliche Vorfaͤlle
von ihm verfertiget. Der Hr. Stiern-
helm hat in Schwediſcher Sprache
einige hervorgegeben. Das Bal-
let von der Eitelkeit welches zu Zelle
gehalten/ von verlohrner Zeit und Arbeit
ſo in Copenhagen geſpie[let]/ von des Weib-
lichen Geſchlechtes vortr[ef]lichkeit/ wel-
ches an demſelben Ohrt/ bey der Gebuhrt
der Durchlaͤuchtigſten Friederica Ama-
lia/ unſꝛeꝛ ietzigen gnaͤdigſten Pꝛinceßin uñ
Landes-Mutter vorgeſtellet/ und von dem
vortreflichen Poeten Hn. Vito Beringio
in Lateiniſchen Verſen beſchrieben wor-
den/ und viele andre koͤnten hie erzehlet
werden/ wann es nicht zu weitlaͤufftig
fiele. Man pflegt auch aus den natuͤrli-
chen Dingen Erſindungen zu nehmen/
wie das Roßballet ſo ihrer Kayſerl Maj.
prælentiret worden. Es iſt einem Ballette
nicht unāhnlich die aꝛtige Vorſtellung/ die
a a a 4dem
[744]Das XVI. Cap. Von den
dem Kaiſer Carolo V. geſchehen/ davon
Maſenius in ſeinem Speculo Imaginum l. 6.
c. 3. §. 2 gedencket/ darinnen dem Kayſer
alles was in Religions-Sachen theils
von ihm theils von andern vorgenom-
men und verſehen geweſen/ vorgehalten.
Es were nicht undienlich/ wann ſolche
ſtuͤckweiſe außgearbeitete Balletten in
ein Buch zuſammen getragen wur-
den.
Zu der Dramatiſchen Poeſie gehoͤ-
ren auch die Hirtengeſprāche/ weil ſelbi-
ge auch gleichſam einen Auffzug haben/
wiewoll ſie nur einfaͤltig/ und nicht nach
art der Schauſpiele eingerichtet. Die
Italiaͤner haben hierin einen groſſen Fleiß
angewandt/ ja gantze Comœdien dar-
auß gemacht/ und vermeinet Taſſon daß
ſeine Landsleute den Griechen und La-
teinern hierin viel zuvor gethan. Dañ
er ſaget in ſeinen Penſieri diverſi lib. 10. c.
14. [I] noſtri hanno inventata una terza ſpe-
zie, ne comica, ne tragica, chiama a Pa-
ſtorale; ſi che poſſiamo ſicuramente dire,
che
[745]Schauſpielen.
che oggi ella ſi divida in tre, cioè, Co-
mica, Tragica, e Boſcherreccia. Aber
wann man die Sache recht unterſuchen
wolt/ ſo ſind die Italiaͤner hierin etwas
zu weit gegangen/ dann ſie machen ihre
Hirten kluͤger/ als ſie billig ſein ſollen/
und ſchreiben denſelben ſo viel ſinnreicher
Spruͤche zu/ daß es gar uͤber die Eigen-
ſchafft des Characteris gehet. Der Ra-
pinus der ein trefliches Buch de Carmine
Paſtorali geſchrieben/ und ſelbſt die be-
ſten Meiſt erſtuͤcke deſſelben gegeben/ ur-
theilet dieſes von den Italiaͤnern/ und ſei-
nen eignen Landleuten: In eo peccatum
eſt ab hominibus noſtris, qui patrio ſermo-
ne eclogas ſcripſerunt; ſed multò magis
ab Italis, qui ut abundant ingenio, in re-
bus acutè copioſè que excogitandis, no[n]
poſſunt tenere ſe, quia quicquid venit in
mentem effundant, nihilque habent ægri-
us, quam ut ſibi temperent, quod per-
ſpicuum eſt in Marini Idylliis, cæterisque
ab illâ gente bene multis qui hoc carmi-
ne ſcripſerunt. Von des Guarini Paſtor
a a a 5Fido,
[746]Das XVI. Cap. Von den
Fido, Torquati Taſſi Amynta, und Bo-
narelli Phyllide, urtheilet er zwar/ daß ſie
ſehr woll geſchrieben. Aber er ſetzet hin-
zu: Peccant in eo Itali fere omnes, quod
quæ afferunt, quamvis ut plurimum conje-
cta belle ſint \& acutè largamque habeant
\& felicem copiam ſermonis atque rerum:
tamen ad perſonarum indolem \& ad id
quod in una quaquere maximè decens eſt,
in iis præſertim quæ ad paſtores pertinent,
non ſatis accommodant. Eò accidit quod
nimis fuſè \& abundanter dicant, quæ di-
cenda ſibi proponunt, quod Italis ſermo
per ſeſe bene locuples ſit \& copioſus eam-
que proferat ex ſe verborum vim \& abun-
dantiam, in quâ modum tenere diſſicile ſit.
Quod tamen vitium eſt in poetâ præſertim
paſtorali non modiocre. Den Ronſard
lobt er zwar/ daß er die Einfallt der Hir-
ten auch in der Redensart außgedruͤckt/
aber er tadelt an ihm die weitlaͤufftigkeit.
In demſelbigen Buche wird von den Ei-
genſchafften eines Bucolici Carminis ſo
herrlich und außfuͤhrlich gehandelt/ daß
nichts
[747]Schauſpielen.
nichts hinzu zu ſetzen/ darauß man den
Unterricht auch von einem Teutſchen Hiꝛ-
ten-Gedichte nehmen kan. Man hat bey
uns wenige in dieſem genere geſchrieben.
Nur daß der Hr. Neumarck ſeinem Luſt-
wald von denſelben hinangehānget. In
proſâ hat man dergleichen mehr/ und ge-
hoͤren die ſo genante Schaͤffereien zum
Theilauch hieher. Wir haben aber we-
nige/ die man ſonderlich ruͤhmen kan. Das
genus Carminis kan ſein Trochaicum wel-
ches ſich zur Unterredung am beſten ſchi-
cket/ auch wol ein Alexandriniſches. Es
iſt auch nicht noͤthig/ daß alle Verſe gleich
lang ſein/ ſie koͤnnen wol nach einer Di-
thyrambiſchen art gemacht werden/ der-
gleichen auch bey dem Neumarck zu fin-
den. Man kan ſie auch in Oden vorſtel-
len/ wie bey dem Opitz die ſonſt bekante
Ode iſt: Coridon der ging betruͤbet:
Da dann bißweilen der Dialogiſmus auß-
gelaſſen wird/ und bloß der Tichter un-
ter einer Erzehlung dieſelbe vortraͤgt.
Die
[748]Das XVI. Cap. Von den
Die Satyræ, welche auch vor dieſem ein
Anhang der Schauſpiele geweſen/ ſein in
Teutſcher Sprache noch von wenigen
geſchrieben. Vondel hat einige in ſeinen
Niederlaͤndiſchen Gedichten: nennet ſie
Heckeldichte, weiln man darin die Laſter
durchhechlet. Man kan ſie im Teutſchen
Schimpff- oder Straff-Gedichte nennen.
Eine Satyre iſt ein Gedichte/ darin
die heimlichen Laſter die bey etlichen Per-
ſonen im Schwange gehen geſtraffet und
hōniſch auffgezogen worden/ und hat zur
Enduhrſach die Verbeſſerung der Sit-
ten. Iſt derohalben von den Paſquillen
unterſchieden/ welche ehrliche Leute an-
ruͤchtig machen/ und alſo billig nicht ge-
litten werden. Das Alexandriniſche ge-
nus ſchicket ſich am beſten hiezu/ wiewoll
auch bißweilen die Oden hierzu koͤnnen
gebraucht werden. Theophile, Regnier
und andre haben in Frantzoͤſiſcher Spra-
che das Alexandriniſche genus, andre
auch woll Oden gebraucht/ deren gantze
Buͤcher voll ſein/ als le Cabinet Satyrique
und
[749]Schauſpielen.
und le Parnaſſe Satyrique, worinnen ſol-
che Satyrica zuſammen geleſen/ die aber
zum theil viel Schandpoſſen und lieder-
lichkeiten bey ſich fuͤhren. Des de Boilau
ſeine ſein von den juͤngſten/ und ſehr ſinn-
reich und picquant/ die zu Pariß im Jahr
1675. heraußgegeben/ nebſt der Uberſetzung
des Longini. In der Redensart werden
weithergeholete/ verwegene metaphoræ
ſinnreiche laͤcherliche Reden und Sprich-
woͤrter/ ſeltzame Beſchreibungen zugelaſ-
ſen/ die in andern Carminibus eines ernſt-
hafften argumenti nicht gebilliget wer-
den. Die Lehrſaͤtze dieſes Carminis wer-
den von Scaligero, Caſaubono, Heinſio in
abſonderlichen Buͤchern vorgetragen. Ja-
nus Guilielmus Laurenbergius hat vier
ſolcher Straffgedichte/ die er Schertzge-
dichte neñet/ in Niederſāchſcher Sprache
geſchrieben/ deren artlichkeit nicht zu be-
ſchreiben iſt. Ich ſchaͤtze ſie was den Cha-
racterem und die Erfindung anlanget den
alten gleich/ und wird derjenige der die
Eigenſchafft dieſer Sprache verſteht/ mit
groſſer
[750]Das XVI. Cap. Von den
groſſer Luſt und Ergetzlichkeit ſie leſen. Ei-
nige haben ſie in Hochteutſche Sprache
uͤberſetzen wollen/ aber die Zierlichkeit der-
ſelben gantz verdorben. In der Hoch-
teutſchen Sprache hat zum erſten Satyten
geſchrieben der Hr. Joachim Rachel/
ein gelehrter Mann und ſehr guter Poet/
der den Characterem dieſer Schreibart
inſonderheit wol im Teutſchen aus der
Nachahmung des Juvenalis außgedruͤckt/
welches an ihm billig zu loben. Dann
wer die alten Autores zur Richtſchnur
hat/ der gehet einen richtigen Weg/ und
thut es andern zuvor. Unſer Teutſchland
iſt ihm billig verpflichtet/ daß wir auch in
dieſem Stuͤcke nicht noͤthig haben/ den
Außlaͤndern den Vorzug zu goͤñen. Man
kan auch in der ungebundnen Rede einige
Satyras ſchreiben/ welche auff vielerley
arten koͤnnen eingerichtet werden. Und
haben wir in Teutſcher Sprache viel aus
dem Italiaͤniſchen/ Spaniſchen und Fran-
tzoͤſiſchen uͤber ſetzet/ auch unterſchiedliche
aus eigener Erfindung. Da kommen
in-
[751]Schauſpielen.
inſonderheit die Fictiones, Trāume/ Ge-
ſichter/ Fabeln wol zu ſtaat. Es koͤn-
nen hundert Wege und Arten erdacht
werden/ wodurch man ſolche vorſtellet/
und mag ich mich nicht auffhalten in er-
zehlung derjenigen Buͤcher/ die bey uns
von dieſer art geſchrieben. Man faſſet
ſie bald in Geſpraͤchen ab/ wie die Paſquilli
ſein/ die in etlichen tomis ſchon im vorigen
ſeculo hervorgegeben: bald in Briefen/
wie in der Frantzoͤſiſchen Sprache der
Secretaire Critique neulich eingerichtet/
bald in einer Romaine, wie die Argenis Bar-
claji, bald in einer Reiſebeſchreibung wir
Greiffenſohns Satyriſcher Pilgram/
Mundusalter \& idem, und viele andre. Und
wer kan die arten alle erzehlen? Dieſe
Schreibart erſtrecket ſich durch alle Din-
ge/ politica, moralia, oeconomica, Scho-
laſtica, von welchen allen ich viele Exem-
pel beybringen koͤnte/ aber an einem
andern Ohrte mit mehrem handeln
werde. Der Herr Weiſe hat hierin eine
ſonderliche Fāhigkeit gewieſen/ von dem
viel
[752]Das XVI. Cap. Von den
viel artiger Schrifften dieſes Schlages
hervorgekommen. Er hat auch ein Buch
von dem Politiſchen Nāſcher geſchrieben/
worin er eine Anleitung gibt/ wie der-
gleichen Buͤcher zu ſchreiben. Solche
Arbeiten ergetzen und erbauen zugleich/
und koͤnnen nicht als von tieffſinnigen
oder weitſehenden ingeniis erſonnen
werden.
Das XVII. Cap.
Von den Epigrammatibus.
Einhalt.
KUrtze und Scharffſiñigkeit die Tugenden eines
Fpigrammatis. Wie die kuͤrtze zu verſtehen.
Scharffſinnigkeit kan mißbraucht werden.
Findet in Geiſtlichen Reden und Predigten vor an-
dern ihren Platz. Vortrefliche Geiſtliche Redner
bey verſchiednen Voͤlckern. Simeon Polocenſis ein
vortreflicher Geiſtlicher Redner und Poet bey den
Ruſſen. Die Brunquellen darauß die Erfindun-
gen in Epigrammatibus flieſſen. Die Sprichwoͤr-
ter dienen inſonderheit hiezu. Welche Teutſche
Sprich-
[753]Epigrammatibus.
Sprichwoͤrter geſchrieben. Selbige ſind mit Fleiß
zuſammen zu leſen. Velſchius und Kuhlmann ha-
ben ſolches vorgehabt. Exempel einiger Erfindun-
gen ſo von den Sprichwoͤrtern genommen/ auß dem
Kurandor. Opitz/ Flemming/ Gryphii, Salomo-
nis von Golow/ Hugenii, Brunonis, A Steyn.
Epigrammata. Epigramma ſimplex \& circumſcri-
ptum. Exempel aus dem Niederlaͤndiſchen. Ein
gutes Lemma verkuͤrtzert das Epigramma. Gno-
mica. H. Schævii Leberreime. Grabſchriffte des
Herrn Hoffmans. Svvertii Epitaphia jocoſeria.
Lydii vrolicke uyren des Doods. Das Metrum der
Epigrammatum Der letzte Verß des Epigrammatis.
Loͤbers verſio Epigrammatum Ovveni. Fictio in
Epigrammate. Kleine Liebs-Carmina. Baſia
Weſterbans, I. Dans Kuſhes, Anagrammata Des
Chek-Bouni Buch hievon. Man findet bißwei-
len wie etwas fatales in ihnen. Exempel einiger
Anagrammatum, und andrer Spiel-Verſe. Sin-
nenebilder. Wie viel arten derſelben. Ihre
Beſchaffenheit. Die Italiaͤner haben ſie
inſonderheit außgeuͤbt. Einige Autores werden
geruͤhmet. Hieroglyphiſche Buchſtaben/ die zu
gleich Symbola darſtellen. Deren Exempel. Re-
bus de Picardie. Catz, Heinſ. Andr. Poirtier,
Schoonhove, Zevecot, Franc Quarles werden ange-
fuͤhrt. Raͤtzel. Barlæus, Harſtoͤrffer/ Schoch/ van
der Veen, Cotin, haben ſolche geſchrieben. Schluß
des Buchs.
bbbDie
[754]Das XVII. Cap. Von den
DIe Epigrammata haben in der
Teutſchen Sprache eben ſo woll
ihre Zierlichkeit/ wie in den an-
dern/ wann nur die richtigen Lehrſaͤtze
dabey in acht genommen werden. Die
Kuͤrtze/ und die Scharffſinnigkeit/ ſind
die vornehmſten Tugenden derſelben. Die
Kuͤrtze beſtehet nicht eben darin/ daß man
nothwendig innerhalb zween oder vier
Verſe dieſelben einſchlieſſen muͤſſe/ ſon-
dern wann man in Woͤrtern und ſenten-
tiis nicht unnoͤthige Umſchweiffe macht.
Dann es kan bißweilen in einem Epigram-
mate (welches aus zweien theilen Narra-
tione \& Acumine beſtehet) die Narratio
einige noͤthige Umſtaͤnde haben/ die in der
Kuͤrtze nicht woll koͤñen begriffen werden;
Wann nur das acumen fein kurtz und un-
vermuthet darauff komt/ wie in den Epi-
grammatibus geſchieht/ die ich circumſcri-
pta neñe. Sonſt kan man auch woll in zwo-
en oder vier Zeilen zu weitlaͤufftig ſein.
Es iſt eine groſſe Kunſt die Rede nicht wei-
ter zu ziehen/ als die Sache erfodert/ deß-
hal-
[755]Epigrammatibus.
halben auch der Antonius bey dem Cicero-
ne copioſum oratorem prudenti entgegen
ſetzt/ welches auch in den Carminibus
ſtaat findet. Die Scharffſiñigkeit wird
auch hierin mißbrauchet/ wann ſie gar zu
hāuffig und zu viel geſucht iſt. Die Ita-
liaͤner gehen offtmahls zu weit/ und
beſetzen faſt alle Zeilen der Rede mit acu-
minibus, welchen andere unbedachtſamer
Weiſe folgen. In Geiſtlichen Reden
hat das ſententioſum dicendi genus noch
vor andern Platz. Dann die hohe Re-
densart/ die Longinus ὕφος nennet/ be-
ſtehet zum Theil hierin/ welche zu Goͤtt-
lichen Sachen inſonder heit wol gebraucht
wird. Spanier/ Italiaͤner/ Engellaͤn-
der/ und numehro auch die Teutſchen
haben deſſen die herrlichſten Proben
gezeiget. Zu dieſen kommen auch ietzo
die Ruſſen/ von denen ich allhie einen klei-
nen Umſchweiff machen muß. Es hat mein
ſehr wehrter Freund Hr. von Horn/ bey
ſeiner neulichen Zuruͤckkunft aus Muſcow/
b b b 2mir
[756]Das XVII. Cap Von den
mir Simeonis Polocenſis, eines Rußſi-
ſchen Muͤnchen Predigten vorgezeiget/
und erklāret/ die in Warheit den ſinn-
reichſten Meditationibus der Itali-
aͤner und Engellaͤnder/ nicht allein nicht
nachgeben/ ſondern faſt zuvor thun. Der-
ſelbe hat auch die Rußiſche Poeſie erſt-
lich angefangen/ und zur Vollkommen-
heit gebracht/ wie er dann die Pſaline Da-
vids in allerhand bey uns uͤblichen arten
der Reimgebaͤnde uͤberſetzet/ deren tref-
lichkeit er nicht gnug ruͤhmen koͤnnen. Ich
koͤnte hie deſſen eine ſchoͤne Probe/ nem-
lich eine Poetiſche Rede eines in die Einoͤ-
de ſich begebenden Indianiſchen Koͤnigs/
aus dieſes meines guten Freundes
Dolmetſchung/ beybringen; wann es
uns nicht zu weit aus den Schrancken
ſetzte.
Daß ich auff die Epigrammata wieder
komme/ ſo werden dieſelbe von dem Gry-
phio Beyſchrifften/ von andern Siñge-
tichte/ von den Niederlāndern Snell-dicht,
Puntdicht genant. Von der Beſchaffen-
heit
[757]Epigrammatibus.
heit derſelben wie ſie muͤſſen gemacht wer-
den/ koͤnt ich viel allhie ſchreiben. Weiln
ich aber daſſelbe zu einer abſonderlichen
Arbeit de argutâ dictione verſpare/ ſo
will ich ſolches allhie uͤbergehen. Merce-
rius, Carolus à S. Antonio, Maſenius und
andre haben einige gewiſſe fontes ange-
wieſen/ worauß die Erfindungen zu zie-
hen. Die Lateiniſchen Exempla werden
haͤuffig bey ihnen angefuͤhret. Dieſe
koͤnnen auff ſelbige art im Teutſchen auch
leicht gewieſen werden. Auß dem fonte
alluſionum, welcher in alluſionibus auff
die Woͤrter und Sprichwoͤrter beſtehet/
iſt zum Exempel dieſes/ auff einen thoͤ-
richten Barbierer.
Die Schererey geht gut/ wir ſcheren uns zugleichIhr ſchert an mir den Bart/ ich ſcher den Gechan euch.
Es finden ſich andre mehr in dem dritten
Theil meiner Getichte/ als n. 19. 29. 34. 64.
Aus dem fonte comparatorum, wann
ungleiche Dinge unter ſich verglichen; o-
b b b 3der
[758]Das XVII. Cap. Von den
der gleiche Dinge artlich vorgeſtellet wer-
den/ iſt dieſes/ ſo n. 15. daſelbſt zu finden.
Auß dem fonte alienatorum, wann man
von einem Ding etwas bejahet/ das ihm
nicht zukommen kan/ oder ihm nicht zu-
gibt was man billig von ihm ſagen ſoll/
ſein dieſe. n. 40. 43. Aus dem fonte Re-
pugnantium \& oppoſitorum, wann nem-
lich wiederwertige Dinge von einem zu-
gleich geſagt werden/ oder ein Ding zu
gleich bejahet oder beneinet wird/ ſein die-
ſe n. 41. n. 62. Es kommen viel andre E-
xempel daſelbſt vor/ die theils aus jedem
fonte vor ſich/ theils aus vielen gemiſch-
ten abgefuͤhret/ die wir der weitlāufftig-
keit halber ietzo vorbeygehē. Man hat auch
noch einige andere Beyhuͤlffe in Erfin-
dung der Epigrammatum davon am an-
dern Ohrte ein mehres. Die Sprich-
woͤrter die wir bey allen Voͤlckern finden/
koͤnnen uns ſehr nuͤtzen/ weßhalben ich je-
derzeit zu rathen pflege/ daß man die
Adagia und Adagialia, aus aller art Auto-
ribus und Sprachen unter gewiſſe tituln
zu-
[759]Epigrammatibus.
zuſammen leſen ſolle/ wie der Gulio Var-
rini mit den Italiāniſchen Sprichwoͤrtern
in ſeineꝛ Scuola del Volgo es gemacht. Es iſt
nicht zu glauben/ was dieſes zu Erfindun-
gen nuͤtze. In Teutſcher Sprache ha-
ben wir des Agricolæ, Sebaſtian Fran-
cken Sprichwoͤrter/ auch die Janus Gute-
rus nebſt andern in ſeinem groſſen opere
beygebracht. Frideric. Petri hat unter
dem Titul der Teutſchen Weißheit/
derer vorigen Autorum Sprichwoͤrter
alle zuſammen getragen. Endlich
hat Lehman in ſeinem Florilegio Politico
unter gewiſſe tituln, allē Sprichwoͤrter
und ſcharffſinnige Reden zuſammen ge-
ſucht/ welches der Schuppius ſo hoch haͤlt/
daß ers nach der Bibel ſetzet. Ob nun
zwar hieran zu viel geredet iſt/ ſo iſt es
doch ſicherlich ein nuͤtzlich Buch/ und moͤch-
te woll ein Univerſal corpus Adagiorum
von allen Sprachen auff ſolche art ge-
macht werden. Der gelehrte Medicus
G. Hieronymus Velſchius, hat unter ſei-
nen vorhabenden Arbeiten/ auch eine
b b b 4Ideam
[760]Das XVII. Cap. Von den
Ideam operis Adagiorum Panglotti ge-
habt. Aber es iſt dieſes mit ihm zugleich
verſtorben. Es hat auch Quirinus Kuhl-
man in ſeinem Prodromo Quinquennii
mirabilis artem magnam ſ. Harmoniam
adagiorum omnium populorum verheiſ-
ſen. Von den Adagiographis in andern
Sprachen erwehne ich am andern
Ohrte ein mehres. Nur dieſes will ich
hie in einem und andern Exempel zeigen/
wie nuͤtzlich man dergleichen Sprichwoͤr-
ter gebrauchen koͤnne. Der Herr Kin-
dermann/ oder wie er ſich ſonſt nennet/
Kurandor/ hat auff eine Zittauiſche Hoch-
zeit/ einige Madrigalen geſchrieben/ de-
ren Schluͤſſe beſtehen mehrentheils aus
ſinnreicheu Spruͤchen und Sprichwoͤr-
tern/ die der Lehman in ſeinem Florilegio
unter dem titul des Eheſtandes zuſammen
geleſen. Bey ihm findet man an dem
vorgedachtem Ohrte/ n. 58. dieſes: Jeder-
man zeucht lieber neue Hoſen an/
als die einander verſchliſſen. Ku-
randor macht hievon dieſes Madrigal:
Ich
[761]Epigrammatis.
ICh frage nichts darnach/Sie mag ſein/ wie ſie wil/Auff Geld und Gutt acht ich nicht allzu vielIhr ſchlechter Stand ſoll ihr durchauß nicht ſcha-den.Iſt ſie nur reich von Tugend/Und in der beſten Jugend/So hab ich ſchon/ was mich vergnuͤgen kanMein Kopff will nichts/ als nur von Jungfern/wiſſen.Denn lieber zeucht man neue Hoſen an/Als die vorlaͤngſt ein ander hat zerriſſen.
Bey demſelben Lehman findet man n. 70.
dieſes. Wer ein alt Weib um Reich-
thum willen nimt/ der bekomt
den Sackgewiß/ wie es ums Geld
ſteht/ wird er erfahren. Kurandors
Madrigal lautet alſo:
HAn faͤngt den Fuchsnur uͤm des Balges wegen:Allein/ uͤms Geld/ wolt ich mich nimmermherzu einer alten legen.Ich/ Bruder/ ich verdencke dirs gar ſehr/Daß du den Wahn dich ſo betruͤgen laͤſſt.Du haſt den Sack gewiß genug in Haͤnden/Den wird ſo bald dir keiner nicht entwenden:
b b b 5Wies
[762]Das XVII. Cap. Von denWies aber mag uͤms Geldgen ſein bewandt/Das wirſt du nach der Hand/Mit groſſem Gram/ erfahren.Wil jemand ſich mit einer Alten paaren/Der laſſe ſich zuvor das Geld außzaͤhln/Der Sack wird ihm hernachmahls doch nichtfehln.
Beym Lehman iſt n. 86. dieſes. Ein
ſung Weib iſt dem Alten ein Poſt-
pferd zum Grabe. Kurandors Ma-
drigal iſt dieſes:
JEhoͤher man das Leben hat gebracht/Je mehr man ſich auch fuͤr den Tod entſetzet.Wie bebt der Greiß/Dafern Er weiß/Das itzt der Todauff Ihn die Sichel wetzet.Wie wolt er doch ſo gerne lange leben?Der nuß ihm bald ein glattes Maͤdchen geben.Gar recht! Nu darff Er nicht/zu ſeiner Gruft/ ſo gar beſchwerlich ſchreiten;Er kan in vollem Trabedahin noch eins ſo bald uud zeitlich reiten.So muß alsdannEin junges Weib auch ihrem alten MannEin Poſt Pferd ſein zum Grabe.
Man wird noch unterſchiedliche daſelbſt
finden/ die gleichfalls aus des Lehmans
Flo-
[763]Epigrammatibus.
Florilegio genommen/ welches ich nicht
tadele/ ſondern vielmehr lobe. Dann
auff dieſe art koͤnnen viel Erfindungen/ ja
bißweilen aus einem Metaphoriſchen Woꝛ-
te zu einem gantzen Carmine an die Hand
gegeben werden. Davon am andern
Ohrte weitlaͤufftiger. John Heydon hat
300. Epigrammata auff 300. Proverbia in
Engliſcher Sprache geſchrieben.
Derer die gantze Buͤcher Epigramma-
tum heraußgegeben ſein wenig: dann wie
Martialis ſagt/ iſt es ſchwer gantze Buͤcher
derſelben zu ſchreiben. Der Herr Opitz
hat nicht viele gemacht/ und die meiſten
aus dem Griechiſchen/ Lateiniſchen/ Fꝛan-
tzoͤſiſchen/ Niederlaͤndiſchen uͤbergeſetzet.
Beym Flemming ſein auch etzliche zu fin-
den/ der ſonſt in der Scharffſinnigkeit
den Preißhat. Bey Gryphio und andern
lauffen allemahl einige unter andern Poe-
matibus. Salomon von Golow/ ein Schle-
ſier hat 3000. Teutſche Epigrammata ge-
ſchrieben/ welchen an Scharffſinnigkeit
nichts fehlet: nur iſt der Numerus bißwei-
len
[764]Das XVII. Cap. Von den
len etwas hart. Bey den Niederlaͤndeꝛn
hat Conſtantin. Huigens eine gantze Men-
ge Epigrammatum die er Snelldicht nen-
net/ unter ſeinen Gedichten/ davor er
dieſes artige Epigramma geſetzet:
Veracht miin Snel-dicht niet, ’t is Alchimiſtery;‘Tis mergh van langen ſin, ’k ſegh niet hoe veelhet vveerdt isEn of’t uyt goede ſtof of quae gediſteleert is.Maer ſoeckt ghy ſot of vvijs in ’t korte, ſo leeſt my.
Man hat auch einige Niederlaͤndiſche Epi-
grammata in des Henrici Brunonis ſeinem
Mengelmoes. A. Steyn hat auch einige
Punt dichte heraußgegeben/ ſein aber
nicht ſonderlich. Bey den Italiaͤnern
und Frantzoſen findet man auch eine zim-
liche Anzahl/ aber nicht viel derer/ die gan-
tze Buͤcher davon geſchrieben.
Ein Epigramma iſt/ wie droben ge-
dacht einfach oder Circumſcriptum. Je-
nes iſt/ weñ nur ein acumen in einem oder
zweien diſtichis iſt. Dieſes iſt wie ein
Enthymema auß 2. Saͤtzen. Der Vorſatz
wird durch allerhand Figuren/ Diſtribu-
tio-
[765]Epigrammatibu.
tiones, Enarrationes \&c. außgedehnet/
daß der Leſer begierig wird zu vernehmen
was endlich kom̃en werde. Der Schluß
beſtehet nur in einem oder zween Verſen/
kont er mit dꝛeyē Woͤrteꝛn gegeben werdē/
were es noch beſſer. Dann je kuͤrtzer das
acumen drauff faͤllt/ je kraͤfftiger und
ſpitzer iſt es. Exempel ſind in dem dritten
Theil unſer Gedichte n. 17. n. 24. In den
Niederlāndiſchen Getichten/ die in der
Zeevvſchen Nachtegal verſamlet/ findet
man derſelben die ſehr artig ſein/ wiewoll
von freien metro, deren ich etliche hieher
ſetzen will.
Iorden reyſde naer Amſterdam te martMet een ſtijve beurs, en een moedich hart,Omalle coſtelickheit tecoopen:Daer ging hy alle vvinckels deur-loopen,Hy dede langen ſilvere Lampetten,Vergulde Schroeven, goude Braſſeletten,Groote Diamanten van veel caraten,Dikeurde hy nauvv voor duerop de ſtraten,Hy proefde Ringen, of ſ’ hem ook paſten,Hy ſach Fluvvelen, Satijnen, Damaſten,Turckſche Tapijten, Milaenſche neer-baſen,Schoone Porceleynen, Veneetſche glaſen,
Spie-
[766]Das XVII. Cap. Von denSpiegels van Ebben-hout, Brand-yſers vvichtich,Copere croonen groot en opſichtich,Hy taelde naer vermaerde Schilderyen,Van de beſte meeſters van de oude tyen,Van Lucas van Leyen, of van Mabuyſen.Naer lang geloop door veelderley huyſen,Naer dat hy’t al deur-pluyſt en beknoeyt had,En twintich winckel-knechts vermoyt had,Raet wat hy cocht, die ſinnelike Iorden?Vier houte lepels, en ſes tafelborden.
Het ſchijnt dat Signoor ſeer ſterck moet handelen,Naer dat hy noeſt over ſtraet gaet wandelen:Hy treet de Kay heele dagen plat,Nu ſtaet hy en ſiet by een droogh vat,Dan by een block wijnen, en ’tloſſen van ſchepen,Het graen ſiet hy ſtorten, de balen ſlepen,De Schippers vraegt hy watter comt uyt zee,Of de Weſt-vaerders noch zijn op de ree.Hoe dattet ſtaet met de vindemi:Maeckelaer vragt hy naer wiſſel en premi:Op de beurs treckt hy uyt ſijnen ſakVeel brieven, die leeſt hy met ghemak:Dan gaet hy dringen deuralle hoecken,Quanſuys om coop luy of boden te ſoecken:En als Signoor ſo een ront jaer gegaen heeft,Weet niemant dat hy oyt party gedaen heft.
Eenich
[767]Epigrammatibus.Eenich goet van vveſten of ooſten gecregen,Geladen, of in de vvaegh doen vvegen.Wel vvar toe dient dan al ſijn getrantel?Signoor draegt te pronck ſijnen mojen mantel,
Ghy zijt vvelproper in alu dinghen,Proper in’t ſpreken, proper in’t ſinghen,Proper van aenſicht, voeten, en handen,Proper van oogen, neus, en tanden.Proper van cleeren, kouſſens, en cragen,Proper van riem en ommeſlagen,Proper van ſchoenen, linten, en canten,Proper van mantel, hoet, en vvanten,Proper van hayr, van baert, en knevels,Proper van ſporen, en van ſtevels,Proper te peerd’, en proper op ſchaetſen,Proper in’t kolven, proper in’t kaetſen,Proper in al u doen en laten,Proper int vvandelen over ſtraten,De handen in ſy als een coper-potjen,Voorvvaer, ghy zijt een proper ſotjen.
Dieſe ſein nun Epigrammata circumſcri-
pta: Will ich dieſe kuͤrtzer machen/ ſo ma-
che ich ein weitlāufftiger Lemma oder
Uberſchrifft/ ſo kan ich die Narrationes
ent-
[768]Das XVII. Cap. Von den
entweder kuͤrtzer machen oder wol gar
bißweilen außlaſſen/ weil das Lemma die-
ſelbe erſetzet.
Man kan in den Epigrammatibus aller-
hand materien verfaſſen/ als Gnomica,
wie dergleichen Opitz auß dem Pibrac uͤ-
berſetzet hat. Wohin man auch die bey
den Teutſchen gebrāuchliche Leber-Reime
bringen kan/ von welchen Henricus Schæ-
vius ein Buͤchlein/ unter dem Nahmen
der Euphroſinen von Sittenbach her auß-
gegeben/ deren Autor ſonſt niemand leicht
bekant iſt. Conſtantin Huigens hat die
Apophoreta des Martialis in ſeiner Spra-
che nachgemacht/ und von allem Haußge-
raht Epigrammata geſchrieben. Die E-
pitaphia koͤnnen ja ſollen billig als Epi-
grammata abgefaßt werden. Der Herꝛ
Hoffmann hat einige Epitaphia ſudicra
geſchrieben/ die unvergleichlich ſein. Fran-
ciſcus Svvertius hat in ſeinen Epitaphiis
Iocoſeriis aus allen Sprachen ſolche zu-
ſammen geleſen. Hieher gehoͤren auch
des Lydii Vroliicke Uyren des Doods. Das
me-
[769]Epigrammatibus.
metrum kan nach belieben gemacht wer-
den/ von kurtzen/ langen und gemiſchten
Verſen: dann hierin muß man einige
Freyheit haben. Man muß ſich allezeit
nach dem letzten Verſe richten/ und nach-
dem das acumen ſich dazu bequemet/
das genus Carminis darnach neh-
men. Inſonderheit muß der letzte Verß
deutlich/ wollklingend und ſcharffſinnig
ſein/ ſo gar auch/ daß das letzte Wort das
treflichſte ſey. Die Uberſetzungen der
frembden Epigrammatum ins Teutſche
ſein ſchwer/ inſonderheit/ wann ſie ihre
acumina ex fonte alluſionum nehmen.
Iſt alſo des Loͤbers Arbeit nicht ſon-
derlich zu ruͤhmen/ da er des Ovveni Epi-
grammata zu verteutſchen vorgenom̃en/
das aber bißweilen gar uͤbel klinget/ in
dem er alle Epigrammata, die aus Lateini-
ſchen alluſionibus kommen ohn Unter-
ſcheid verteutſcht. Es kan auch eine fi-
ctio in den Epigrammatibus ſtaat ha-
ben/ ſie muß aber nur kurtz und nicht
weitlaͤufftig ſein/ wie dergleichen Exempel
c c cin
[770]Das XVI. Cap. Von den
in des Claudiani Epigrammate in Sphæ-
ram Archimedis/ und des Sannaza-
rii, auff die Stad Venedig. Die kur-
tzen amatoria Carmina haben auch kei-
ne Art/ wo ſie nicht einen guten Epigram-
mariſchen Schluß haben/ oder ſonſt mit
einer guten Figur ſchlieſſen. Derglei-
chen ſein im Lateiniſchen des Johannis Se-
cundi Baſia, deren etliche Weſterban
ins Niederlāndiſche verſetzet/ auch des
Bonefoni ſeine. Des Johan van Dans
Kuſies ſein desgleichen Schlages/ und
im Niederlāndiſchen ſehr artig geſchrie-
ben.
Ich haͤtte ſchier der Anagrammatum
vergeſſen/ welche wann ſie woll gemacht/
unter die Epigrammata, die ex fonte allu-
ſionum flieſſen/ mit koͤnnen gebracht wer-
den. Sonſten iſt es eine armſelige Er-
findung/ und nicht wehrt/ daß man mit
ſolcher ſich bemuͤhe. Der Hebrœer ihre
Cabala beſtehet zum Theil in Anagramma-
tiſmo.Jacob Spon gedencket in ſei-
ner Reiſebeſchreibung lib. 2. p. 53. daß ei-
ner
[771]Epigrammatibus.
ner Chek-Bouni ein Aegyptier von der
Krafft des Goͤttlichen und Menſchlichen
Wortes ein Buch geſchrieben/ nebſt einer
groſſen Anzahl Linien und Figuren/ in
welchen er tauſenderley curieuſe Sachen
durch Anagrammata heraußzubringen
verſprochen. Der Erythræus meldet
an einem Ohrte ſeiner Pinacothecæ, von
den Aurato, quod vaticinatus ſæpe fuerit
anagrammatibus. Ich habe dergleichen
unteꝛſchiedliche Exempel angemercket: daß
in Anagrammatibus etwas von deꝛ Natur/
Eigenſchafft und Gluͤck eines Menſchen/
der den Nahmen gefuͤhret/ ſo außdruͤcklich
vorgebildet/ daß es ſchier unglāublich
iſt. Koͤnte ich dieſelbe hieher ſetzen/ ſolte
man ſich billig verwundern. Ich weiß
daß aus dem Nahmen eines der jemand
entleibet/ durch reinen letterwechſel her-
außgekommen; daß er ein Todſchlāger
deſſelben ſey. Dergleichen Dinge habe
ich zur Kurtzweil offtmahlen verſuchet/
und bin ſehr gluͤcklich darin geweſen. Es
kommet aber dieſes vielmehr von ohnge-
c c c 2fehr/
[772]Das XVII. Cap. Von den
fehr/ als daß hierin etwas geheines ſte-
cken ſolle. Wann ſie in wenig Worten beſte-
hen/ ſo ſein ſie die beſten/ als wie die jenige
ſein/ die man in F. David Stendern
Anagrammatibus findet. Z. E. der heili-
ge Geiſt: der ſie geheiliget. General:
erlange. Wagen: gewan. Mahl-
zeit: zahle mit. Rechenkunſt: unſer
Knecht. Stockfiſch: Schiffkoſt.
Teutſcher: Recht feſt. Vernunfft:
unter fuͤnffſc. Sinnen. Buͤgermei-
ſter: Er reiſt Berge um. Geilheit:
heiliget. Armuth: hat Ruhm.
Diener: Neider. Friederich: ich red
frey ꝛc. Man pflegt auch aus den Nomini-
bus propriis Anagrammata zu machen daß
man unter denſelben die rechte Nahmen
verheele/ wovon Menage in obſerv. uͤber
Malherbe p. 454. und 548. kan geleſen wer-
den. Es haben einige ſonderliche Griffe da
zu erfunden/ daß ſie die Buchſtaben eines
Nahmens auff Wuͤrffel ſchreiben/ und
dann was etwa durch die Wuͤrffe her auß-
komt/ mercken. Aber es heiſt auch hie-
mit
[773]Epigrammetibus.
mit: Sultum eſt difficiles habere nugas.
Einige Exempel von ſolchen Anagramma-
tibus oder luſibus ingenii ſind zu finden in
des Paſquier ſeinen Recherches liv. 6. ch.
13. 14. Die Acroſticha, die ſchon zimlich
alt ſein/ wie Naudæus in ſeiner Addit. ad
Hiſt. Ludov. XI. p. 73. 74. erweiſet/ und
andere luſus ingenii, Carmina deren jedes
Wort von einem Buchſtab anfaͤnget/ wel-
che Sandius in ſeinen Animadv. uͤber den
Voſſium de Hiſt. Latin. p. 234. vor unmoͤg-
lich haͤlt/ die abeꝛ deñoch von vielē gemacht/
und andere Muͤnchgalantereyen/ ſein
Sachen die man vor die lange weile biß-
weilen lieſet/ darin aber eine ſchlechte
Kunſt ſtecket.
Die Sinnbilder und Rātzel ſein nicht
anders als eine Ableitung oder Species
von den Sinngetichten/ und iſt ein Siñ-
bild gleichſam ein gemahltes Epigramma.
Die Bilder koͤnnen von allen Dingen ge-
nommen werden/ nur daß man in den
Emblematibus dieſelbe à re intelligenti
nimt. Ein Symbolum, Impreſa, bey den
c c c 3Ita-
[774]Das XVII Cap. Von den
Italiānern genant/ iſt ein Bild welches
durch Gleichheit eines unvernuͤnfftigen
Dinges das Leben uñ die Sitten eines ver-
nuͤnfftigen in einem Conceptu vorſtellet.
Die Erfindung der ſelben koͤñen von eben
denſelben fontibus der Epigrammatum ge-
nommen werden/ wovon Maſenius in
Speculo Imaginum veritatis occultæ mit
mehrem handelt. Die Uberſchrifft deß-
ſelben muß woll gemacht ſein/ dieſe iſt als
ein ſcharffſinniger Schluß eines Epigram-
matis, und die Seele des Bildes/ welches
gleichſam den Leib vorſtellet. Hemiſtichia
auß Virgilio und andren clasſicis Poetis
ſchicken ſich am allerbeſten dazu. Im
Teutſchen pflegt man reimende Verſe
zu gebrauchen/ die nicht ſo nachdruͤcklich
wie die Lateiniſchen Woͤrter ſein. Alcia-
tus, Sambucus, Beza, verſtoſſen ſich ſehr
hierin/ in dem ſie nicht den heimlichen
Verſtand des Bildes/ ſondern das Bild
ſelber vorſtellen. Man kan Henr. Ste-
phani in ſeinem Frantzoͤſiſchen Buch l’art
de faire les de viſes hieruͤber auch nachle-
ſen.
[775]Epigrammatibus.
ſen. Die Italiāner ſind hierin die ſinn-
reichſten/ deren Symbola in einem Buche
zuſammen getragen/ unter dem Titul:
Theatro d’ Impreſe di Giovanni Ferro.
Es ſein ſehr gute Indices hierin/ welche ein-
getheilet ſein nach den Inſcriptionibus, wie
auch nach den Bildern/ darauß man man-
che ſchoͤne Erfindung ziehen kan. Des
Picinelli Mundus Symbolicus iſt noch
vollſtāndiger. Bey dem Maſenio ſein
etzliche artige Exempla Symbolorum, als
da er aus dem Wapen des Fabii Chiſii ei-
nen Adler nimt/ worauß er 50. Symbola
macht/ und auß der Pamphiliorum Wa-
pen/ eine Taube und Oelbaum/ von wel-
chen er gleichfalls 50. Symbola erfunden.
Der Index Maſenii, darin er alle Ordnun-
gen der Dinge durchgeht/ und von jeden
kuͤrtzlich die Eygenſchafft ſetzt/ am Rande
aber den ſenſum moralem, nuͤtzt treflich
zu den Erfindungen. Die von Gleich-
niſſen geſchrieben haben als Eraſmus, Ly-
coſthenes koͤnnen auch hiezu dienen. Die
Emblementa werden zu allen Dingen ge-
c c c 4braucht/
[776]Das XVII. Cap. Von den
braucht/ zu außzierung der Haͤuſer/ zu
Triumphbogen/ und Fuͤrſtlichen Feſtivi-
taͤten/ deren Exempel bey dem Theſauro,
Joanne Bocchio und andern zu finden.
Hieroglyphica ſein von den Sinnbildern
unterſchieden/ die nur ein Ding bedeu-
ten/ ſine aliquâ morali applicatione, wie
die Hieroglyphica der Ægyptier geweſen.
Es haben auch einige Hieroglyphiſche
Buchſtaben erfunden/ welche unterſchied-
licher Gattung ſein/ dann etliche nichtes
anders in ſich haben/ als daß ſie nur die
Figur des Buchſtaben darſtellen/ etzliche
aber uͤber dem Symbola ſein/ und auch
ihre lemmata haben koͤnnen. Von jenen
iſt ein Exempel bey dem Harſtoͤrffer in ſei-
nem Specimine Philologico diſquiſitione
6. p. 113. Von dieſen habe ich ein Exempel
aus dem Nahmen J. Hoch F. Durchl.
weines guaͤdigſten Fuͤrſten und Herrn
CHRISTIANI ALBER TI erfunden: dann
ob zwar von etzlichen andern als Crame-
ro, Herm. Glaſero, Sithmanno derglei-
chen dinge gemacht/ ſo haben ſie doch kei-
ne
[777]Epigrammatibus.
ne Emblematiſche Richtigkeit. Hieher
gehoͤret auch was die Frantzoſen Rebus de
Piccardie nennen/ von welchen Seigneur
des Accords viel geſchrieben/ davon eini-
ge Exempel Harſtoͤrffer in ſeinen deliciis
Mathematicis tom. 1. p. 14. publ. 6. anfuͤh-
ret. Derer die Emblemata in Teutſcher
Sprache hervorgegeben/ haben wir we-
nige. In Niederland ſein mehr der ſelben.
Catzen und Heinſens ſeine ſind nicht al-
lemahl richtige Emblemata, ſondern nur
bloſſe Bilder/ darauff einige Betrachtun-
gen gemacht ſein. Adrian Poirtier hat in
ſeinem Maſker der Wereld auch deꝛgleichen
Betrachtungen vorgeſtellet. Schoonho-
ven ſeine Lateiniſche Emblemata hat Zeve-
cot behalten/ und andre Niederlaͤndiſche
Verſe unter andern Lemmatibus drauff
gemacht. Im Engliſchen hat Franciſ-
cus Quarles Geiſtliche Emblemata ge-
ſchrieben/ wie auch Epigrammata, die er
divine fancies, nennet. Aber die Em-
blemata ſein mehr entheils aus des Her-
mani Hugonis piis deſideriis genommen/
c c c 5da
[778]Das XVII. Cap. Von den
da er doch der ſelben mit keinem Worte ge-
dencket.
Die Raͤtzel gehoͤren auch zu den Sinn-
bildern/ welche gleichfalls ihre fontes in-
ventionum in den vorigen locis haben
und beſtehen theils in Bildern/ theils in
Schrifften. Von jenen handelt Maſenius
weitlaͤufftig in Speculo Imaginum. Die
in Schrifften beſtehen/ werden durch tun-
ckle und weitentlegene Metaphoras be-
ſchrieben. Im Lateiniſchen hat Barlæus
einige gemacht/ von denen Tſcher-
ning etzliche ins Teutſche uͤberſetzet. Har-
ſtoͤrffer hat deren in ſeinem Nathan und
Jonathan. Juſtus Georg. Schoch in ſeinem
Liebes-Blumen Garten. Im Nieder-
lāndiſchen hat Johan van der Veen ein
gantzes Buch derſelben geſchrieben/ die
aber nicht ſonderlich ſinnreich ſein. Im
Frantzoͤſiſchen ſein des Herrn Cotin ſeine
recht artig/ der auch einen Diſcours von
denſelben hinbey gefuͤget.
Von den uͤbrigen/ als Grab-Gebuhrt-
Hochzeit- und Ehren-Gdichten/ wie dieſel-
be
[779]Epigrammatibus.
be zu machen und was dazu gehoͤrig/ kon-
te noch gar viel geſaget werden. Aber die-
ſes werde zur andern Gelegenheit verſpa-
ren. Wir wollen hiemit in GOttes
Nahmen dieſe unſre Betrachtungen
von der Teutſchen Sprache
und Poeſie ſchlieſſen.
ENDE.
Zuſatz.
P. 596. Nach dieſen Worten: Diemetra
bey denComiciskoͤnnen auch deſſen ein E-
xempel geben/ kan folgends hinzu geſetzet
werden:
Diß iſt eben das metrum welches Saturnium
genant wurde/ von welchem Servius in ſeinem
Commentario uͤber dieſe Verſe des Virgilii Ge-
org. l. 2. v. 385.
mit mehren handelt/ dann er erklaͤret dieſe
Verſus incomptos alſo: Verſibus incomptis i. e.
carminibus Saturnio metro compoſitis: quos ad
rhythmum ſolùm vulgares componere conſueve-
runt. Solcher art ſein auch die bey den Roͤ-
mern
[780]Zuſatz.
mern alte gebraͤuchliche Feſcennini, und die
vom Ariſtotele ſo genante Α᾽υτ [...]χ [...]διασματα
geweſen. In den uhralten Schauſpielen hat
man auch ſolche art Verſe gehabt von welchen
Livius lib. 7. c. 2. Cæterum, parua hæc quoque,
(ut ferme principia omnia,) \& ea ipſa peregrina
res fuit. ſine carmine ullo, ſine imitandorum car-
minum actu, ludiones ex Hetruria acciti, ac tibi-
cinis modos ſaltantes, haud indecoros motus mo-
re Thuſco dabant. imitari deinde eos iuuentus ſi-
mul, inconditis inter ſe iocularia fundentes verſi-
bus, cœpere: nec abſoni à voce motus erant. Ac-
cepta res, ſæpiusque uſurpando excitata verna-
culis artificibus, quia Hiſter Tuſco verbo ludio vo-
cabatur, nomen hiſtrionibus inditum: qui non
ſicut ante Feſcennino verſui ſimilem, compoſitum
temere ac rudem alternis iaciebant: ſed impletas
modis ſatiras deſcripto jam ad tibicinem can-
tu, motuq. congruenti peragebant.
Exem-
[[781]]
Exempel
Der verſchiedenen
Reimgebaͤnde/
vorgeſtellet
in uͤberſetzung einiger
Oden des Horatii
Derer droben pag. 619. ge-
dacht worden.
[782]Exempel der Reimgebaͤnde.
ODE I. Horat. Carm. Lib. 1.
Darinnen die 17. Genera
Der Jambiſchen Verſe einge-
fuͤhret werden.
16. Sie
[783]Exempel der Reimgebaͤnde
Das
[784]Exempel der Reimgebaͤnde.
Od. II.
Trochaico-Mixta.
STROPHE.
12. Solt
[785]Exempel der Reimgebaͤnde.
ge fuͤhret?
Fiſch auff Ruͤſtern ſtehn?
Ja den Kletter-Thieren ſchmeltzt das feiſte Land.
Was fonſt klim̃t.
Daß es mit den ſchoͤnſten Baͤumen ſcheinet auß zu
ſeyn.
Spiel ichs mit dir wieder ſo/ ſpricht der treue Weiber-
ſtrohm.
Macht die Perſer ſiegen.
d d d13. Ach
[786]Exempel der Reimgebaͤnde.
Sonſten hoͤhnen kuͤnfftig dich noch deine Kinder auß.
Deine Gnaden Wolcken uͤber uns außbreiten.
Mindre.
Uns dein Fleiſch und Blut uns deine Glieder/
Einmahl endlich doch zu Hertzen gehn.
Blut zu ſpuͤren iſt/
Und vom Zornfeur glimmt.
Du an Jahren jung/ und groſſen Thaten alt
Cœſars Mord.
14. Eyle
[787]Exempel der Reimgebaͤnde.
Eyle nicht bevor dein Volck recht voͤllig dein genoſſen.
ſeyn/
Daß du vor den grauen Jahren ziehſt bey deinen Sternen
ein.
Erſt noch recht erfahren
Wie man deine Lorbeer-reiſer hin und wieder kennt.
Od. III.
Exemplum Trochaicorum remanentium.
d d d 2Da
[788]Exempel der Reimgebānde.
Od. 4. Dactyl. gen.
14. Hur-
[789]Exempel der Reimgebaͤnde.
Od. 5. Gen. Anapæſt.:
d d d 312. Er-
[790]Exempel der Reimgebaͤnde.
Od.
[791]Exempel der Reimgebaͤnde.
Od. 6. Exempel der Hel-
denart.
d d d 4Als
[792]Exempel der Reimgebaͤnde.
Od. 7. Exempl. Elegiæ.
Da
[793]Exempel der Reimgebaͤnde.
Ex-
[794]Exempel der Reimgebaͤnde.
Exemplumder gemeinen Art
ex Od. 8.
Ich bitte dich ſag an/ was ſinds fuͤr Tuͤcke/
Was iſt fuͤr Gifft das Sybaris ſo liebt/
Und ſich um dich der eitlen Luſt ergiebt?
Der manchem ſonſt den Lorbeerkrantz beſcheidet?
Er fliehet/ wo die Sonn den Staub erweckt.
Wie komt es/ daß er ſich davor verſteckt?
In Mavors Pflicht/ den unſre Jugend liebet?
Gibt Franckreich ſonſt im Reiten unterricht;
Das ſchlaͤgt er hin/ das kuͤmmert ihn gantz nicht.
Verguͤldten Sand den hat er nie beruͤhret/
Er meidet ihn als Phlegetons geſtad/
Da Charons Faͤhr allein zu laden hat.
Die Ringekunſt viel beſſer ſo zu fuͤhren/
Das meidet er/ als ſey es ſolch ein Gifft/
Das Hydra ſelbſt auß ihren Adern triefft/
Daß er ſich wund am Kuͤriß hat getragen/
Wo
[795]Exempel der Reimgebaͤnde.
Wo bleibet ietzt die vielberuͤhmte Krafft/
Die ihm den Sieg ſo oͤffters hat verſchafft?
So wie der Held von Tethys ſelbſt gebohren/
Da manches Bluht vor Troja eingeſenckt/
Da bleibt er nur den Damen eingeſchrenkt.
Er mochte ſonſt in Ungluͤck ſein gerathen/
Der Phryger Volck befand ſich woll dabey/
Und blieb in deß vom Tod und Wuͤrgen frey.
Exemplumeines Sonnets
ex Od. 9.
Beſchleyret von dem Reiff/ ſo daß der Wald ſich lenckt/
Und nirgends eine Fluth fuͤr dicken Froſt ſich ſchraͤnckt:
So iſt mein rathen das/ daß du dich nur bemuͤheſt
Wie du das Holtz zum Feur und lichten Flammen zieheſt/
Zapf an ein altes Faß! die Sorg auff Gott geſenckt.
Das Laub wird ja nicht ſtets vom leichten Sturm ge-
kraͤnckt
Was Morgen ſchaden kan. Nim deiner Zeit gewin
Und ſchicke traurig ſein zum krummen Alter hin/
Treib deine Ritterſpiel und dein verliebtes Singen/
Dein Schertzen mit dem Volck/ das gerne ſich verſteckt/
Und mit dem Lachen bald ſich wiederum entdeckt/
Das darum widerſtrebt/ daß man es ſoll bezwingen.
Ex-
[796]Exempel der Reimgebaͤnde.
Exemplum ex Od. 10. der Sechsverſichten/
darinnen gleichſahm die Quadrains oder
Vierverſe begriffen.
Die unbelebte Welt/ ſo gleichſam thieriſch war
Auff einen feinern Schlag und auff ein beſſer Haar/
Nach dem du ihr die Kunſt beredt zu ſeyn gewieſen/
Gerathen und gewandt/ als waͤre ſie geſtellt
Auff einen Tummelplatz und wo man Schul-recht haͤlt.
Dich ſchneller Goͤtter-Poſt/ von deſſen ſchlauer Hand
Die Leyr und was ſie klingt den Tichtern iſt bekant/
Und wie man ahrtig ſoll von ſeiner Stelle bringen/
Was andre hingelegt/ daß kanſtu mehr den woll/
Du weiſt es meiſterlich wie man es treiben ſoll.
Verſtellet in ein Kind/ als er dich ſo erſchreckt.
Durch dich blieb Piramus fuͤr ſeinen Feind verſteckt.
Du kanſt durch deinen Stab die nackten Seelen holen/
Ins ſchwartze Minos Reich: du dieneſt beyder Macht/
Drum nimt der Himmel dich und Pluto ſelbſt in acht.
Exemplum ex Od. 11. der
Achtzeiligen.
Wie
[797]Exempel der Reimgebaͤnde.
Exemplum Echus ex
Od. 12.
Was ſoll mein Spiel fuͤr einen Held erwehlen
Wem ſol zu Ehren Echo auch erſchallen/
Wem ſols gefallen? E. Allen.
Soll es der Schatten in den Waͤldern hoͤren?
Da gleichſam Orpheus die verliebten Rinden
Pflag zu verbinden. E. in den.
Die Winde ſchlieffen gleichſam feſt gebunden
Baͤum/ derer Locken biß zun Wolcken reichen
Muͤſten da weichen. E. Eichen.
Und deine Thaten uͤber alle bringen
Du Vater/ kanſt ja auch die Welt verkehren
Dein Lob vermehren. E. ehren.
Du
[798]Exempel der Reimgebaͤnde.
Kan deinen Willen einer hintertreiben?
Iſt jemand nechſt dir/ iſt wie ich vermeine/
Pallas alleine. E Eine
Diana freut ſich kan ſie Wild erjagen/
Phœbus ſein Bogen pflegt auch nicht verweilen.
Seht ſeine Pfeilen. E. eilen.
Wie Caſtor reitet/ Pollux auch nicht minder.
Laͤſt ſeinen Feinden von den tapffern Keulen
Schreckliche Beulen/ E. heulen.
Den Schiffen freundlich von dem Himmel wincken/
Starren die Winde/ und der Fluhten prangen
Bleibet gefangen. E. hangen.
Tarquin und Numa zu den Sternen treiben?
Wodurch wil Cato ſich dem Pluto weiſen?
(Soll ich es preiſen.) E. Eiſen.
Kan iemand billig euren Ruhm verhelen.
Paulus und Faber wie man euch ſoll loben.
Stehet erhoben. E. oben.
Auch hat Camillus dieſe Laſt getragen/
Waren zu fechten jedoch woll gerathen/
Brave Soldaten. E. Aten. i. e. noxii
hoſtibus ab Ate Dea Noxæ.
Mar-
[799]Exempel der Reimgebaͤnde.
Ihn kan kein Unfall zu der Erden beugen.
Cæſars ſein Funcken/ wie der Sterne Ballen/
Muß ja gefallen. E. Allen.
Du biſt vom Himmel ja darzu erkohren/
Daß du dem Cæſar ſein Gebieth vermehreſt/
Boͤſes verkehreſt/ E. ehreſt.
Wieder die Serer iſts ihm auch gelungen
Indien wo bleits mit dem uͤberwinden/
Wo ſoll mans finden? E. hinden.
Er kan wie du auch auß den Wolcken blitzen.
Er weiß den Suͤndern ihre Luſt zu brechen/
ſtraffen die Frechen. E. raͤchen.
Exempel der Vierzeiligen Ringelreimen.
auß der 13. Od.
Die Galle ſtoͤßt mir auff/ die Zierde will veralten/
Die Waͤrme die mir ſonſt faſt niemals nicht gebricht/
Die weichet gantz von mir/ o Lydia mein Licht.
Die wieder meinen Sinn ſich durch die Wangen gieſſen/
Mein
[800]Exempel der Reimgebaͤnde
Mein Feur/ mein Lebensfeur iſt nirgens als bey dir/
Vor Liebe brenn ich gar/ und bin nicht mehr bey mir.
Dein allerſchoͤnſtes Kind. Er muß dich zu ſich reißen.
Sein Mund iſt Roſenroht (ſo daucht es Lydia dich)
Sein’ Arme wie der Schnee. Ach dieſes druͤcket mich.
Wenn er vom Wein erhitzt dich hebet an zu ſchelten.
So mancher tieffer Kuß! So mancher Liebes Strauß
Und was ſonſt mehr dabey/ fuͤrwahr es laufft woll auß.
Wann ſich ein ſuͤſſes Paar recht hertzlich ſo verbindet/
Daß nie kein Mißverſtand/ daß nie kein Scheiden-Riß
Bey Leben ſie zertrent/ ich lob und liebe diß.
Exempel der Wiederkehr auß der
14. Od.
Und durch der Flutheu Macht ſo weit vom Ufer bringen/
Ach ſieh auff deine Schantz/ ob nicht vor allen Dingen
Den Hafen einzugehn dir moͤge noch gelingen.
In dem bald Nord bald Oſt um deinen Maſtbaum ſingen/
Ja
[801]Exempel der Reimgebaͤnde.
Ja alle Plancken auch von ihren Stuͤrmen klingen/
Und da die Segel faſt in tauſend Stuͤcke ſpringen.
Iſt faſt kein Gott daheim/ es will ja gar nicht klingen/
Daß du von deinem Stand wilſt pralen/ ruͤhmen/ ſingen/
Wie du o Dannenbaum die Wellen koͤnſt bezwingen.
Imfall du fechten ſo lſt mit außgemahlten Dingen.
Es muß da Manſchafft ſeyn/ drum laß dich ja nicht bringen
Auffs hohe Meer noch auff die Klippen dringen.
Exempel der Wiedertritte auß der
15. Od.
Durch ſeine Fluht/ ſich mit der Beut zu heilen.
Sprach bey ſich ſelbſt/ der meinet ſich zu heilen/
Er ſchlaͤgt ſich wund mit ſeinem Raub und Eilen.
Wie ſehr er ſich mit dieſer Fahrt bethoͤre/
Was nuͤtzt es den/ daß man ſich ſo bethoͤre/
Und keinen GOtt und keinen Menſchen hoͤre?
Doch huͤte dich/ daß nicht mit groſſem Brauſe
Ihr Menelaus/ daß nicht mit groſſen Brauſe
Der Griechen Macht ſie fuͤhr anheim zu Hauſe.
e e e4. Die
[802]Exempel der Reimgebaͤnde.
Daß man nachdem wird Troja krachen hoͤren.
Wie wird es gehn? wenn man wird rauſchen hoͤren
Der Feinde Heer die dich zu Grund verſtoͤren?
Wen Pallas laͤſt den Schlangen Schild nur ſehen.
Wenn ſie den Puſch auff ihren Helm laͤßt ſehen/
Und ſchon die Haͤngſt in vollem Trabe gehen.
Und uͤben nur die Zoͤpfe recht zu faſſen.
Ach laß dem Volck der Nymphen ſolches faſſen.
Dein Seitenſpiel bleibt auch den woll verlaſſen.
Kan dir alsden kein ſichers Weſen ſchaffen.
Was Ajax fuͤhrt/ wird dir ein anders ſchaffen/
Er wird gewiß zu deiner Noht nicht ſchlaffen.
Ulyßes Blitzen kanſtu nimmer glauben/
Doch wirſtu ſehn/ und muſt es den wol glauben:
Wenn Neſtor wird mit ſeinem Haͤngſte ſtrauben.
Der artig weiß den Wagen fort zu treiben.
Der Nereon wird dich auff Hoffrecht treiben
Tydides laͤſt dich auch nicht ruhig bleiben.
10. So
[803]Exempel der Reimgebaͤnde.
An kemem Ohrt dich maͤnlich laſſen finden/
Denn wenn der Wolff ſich blickend laͤſſet finden/
Wo bleiben denn die faſt-erſtarte Hinden.
Dakanſt du den die Luſt ein Weilchen treiben:
Doch wird die Zeit den Kitzel dir vertreiben/
Wenn Troja raucht/ das wird nicht auſſenbleiben.
Exempel einer Pindariſchen Ode
auß der 16. Od.
Satz oderStrophe.
e e e 2Mich
[804]Exempel der Reimgebaͤnde.
Gegenſatz Antiſtrophe.
Ja
[805]Exempel der Reimgebaͤnde.
Nachſatz Epodos.
Exempel einer Sechſtinne auß
der 17. Od.
Und vergiſſet ſeiner Hirten
Die ihm doch ſo manchen Tag
Liebes Lieder vorgebracht/
e e e 3Laß
[806]Exempel der Reimgebaͤnde.
Laͤſt ſich meines Hoͤfchen Zier
Mehr als ienes koſtbar ſein.
Meiner Ziegen/ wen der Wald
Brennet/ und die andre Hirten
Wunſchen einen kuͤhlen Tag/
Keines hat er mir verbracht
Faunus meiner Heerde Zier.
Macht mein Viehchen ſicher ſeyn/
Boͤck’ und alles geht im Wald
Sonder auffſicht/ ſonder Hirten/
Keine Schlange hat bey Tag
Roch kein Wolff was umgebracht.
Und der ſuͤſſen ſeiten Zier.
Solt ich den nicht gaſtfrey ſeyn!
Goͤtter ſchuͤtzen meinen Wald.
Kommet meine lieben Hirten/
Spielt bey mir den gantzen Tag.
Tyndaris/ dir ſey gebracht
Jetzt der ſchoͤnſten Trauben Zier.
Um uns ſoll kein Streitten ſeyn.
Stoͤrt
[807]Exempel der Reimgebaͤnde.
Stoͤrt dein Cyrus gieich den Wald
Und ſonſt alle Luſt der Hirten.
Sey nur froͤlich dieſen Tag.
Trauren ſey gantz umgebracht.
Cyrus ſoll des Krantzes Zier
Heute traun nicht Meiſter ſeyn.
Koſt es gleich den halben Wald.
[[808]]
Appendix A Fehler/
die in dieſem Unterricht zu verbeſſern.
Pag. 12. lin. 11. fuͤr que liß quæ. p. 69. l.
ultim. fuͤr lander liß lande. p. 124. l. 3. fuͤr kuͤn-
ſtelein liß kuͤnſteleien. p. 163. l. 1. fuͤr Caſeneune
liß Caſeneuve. p. 180. l. 13. fuͤr Italiaͤniſche liß La-
teiniſche. p. 220. l. 9. fuͤr probalitas liß probabili-
tas. p. 214. l. 7. loͤſche aus das Wort ſich. l. 2.
fuͤr welche liß welcher. p. 247. l. 14. fuͤr Es liß Er.
p. 283. l. 21. fuͤr Geſnerus liß Ciſnerus. p. 296. l.
6. fuͤr Wornius liß Wormius. p. 302. l. ult. fuͤr
Trithenium liß Trithemium. p. 307. l. 6. 7. fuͤr:
des H. Annonis Reime/ liß Reime von den Heil.
Annone. p. 308. l. 3. fuͤr David liß Jacob. p. 318.
l. 3. fuͤr erhaͤlt liß erhellt. 333. l. 9. fuͤr Tereotii liß
Terentii. l. 19. fuͤr: auch des S. Annonis, liß: auch die
von dem S. Annone einem. p. 398. l. 4. fuͤr Men-
ſchenfreſſen liß Menſchenfreſſern. p. 419. l. 6. fuͤr
Baͤnder liß Baͤndern. p. 526. l. 6. fuͤr Sprache
liß Paeſie. p. 541. l. 19 nach dem Worte flieſſen
ſetze hinzu: dem werden. p. 544. l. 10. fuͤr Ortogra-
ghia liß Ortographia. p. 562. l. 14. fuͤr Poemata
liß Poema. p. 579. l. 10. fuͤr nachdencklicher liß
nachdruͤcklicher. p. 662. l. 17. fuͤr aber liß oder.
p. 671. l. 10. fuͤr Ariſtoles liß Ariſtoteles. p. 688.
l. 17. fuͤr nominent liß nominant.
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- Holder of rights
- Kolimo+
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- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie/ deren Uhrsprung/ Fortgang und Lehrsätzen. Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie/ deren Uhrsprung/ Fortgang und Lehrsätzen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpzf.0