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[figure]
[[I]]
Die Jobſiade.

Ein
komiſches Heldengedicht
in
drei Theilen


Erſter Theil.

Dortmund:
in der Buchhandlung der Gebruͤder Mallinckrodt.
O. M. 1799.

[[II]][[III]][[IV]]

Hieronimus Jobs,
lutheriſcher Kandidat der Theologie
und Nachtwaͤchter zu Schildburg
in Schwaben
.


[[V]]
Leben, Meinungen
und
Thaten
von
Hieronimus Jobs

dem
Kandidaten,

und wie Er ſich weiland viel Rhum
erwarb,
auch endlich als Nachtwaͤchter zu
Schildburg ſtarb.

Vorn, hinten und in der Mitten
geziert mit ſchoͤnen Holzſchnitten.
Eine Hiſtoria luſtig und fein
in neumodiſchen Knittelverſelein.

Erſter Theil.

Zweite verbeſſerte und vermehrte Auflage.

[[VI]][[VII]]
[[VIII]]

Inhalt.


  • Erſtes Kapitel.
    Vorrede, und der Autor hebt an, die Maͤhr
    von Hieronimus Jobſen ſeliger zu beſchrei-
    ben, und er gibt ſeinem Buͤchelein den vaͤter-
    lichen Segen.
  • Zweites Kapitel.
    Von den Eltern unſers Helden, und wie er
    geboren ward, und von einem nachdenklichen
    Traum, den ſeine Mutter hatte.
  • Drittes Kapitel.
    Wie Frau Kindbetterin Jobſen einen Beſuch
    von ihren Freundinnen bekam, und was
    Frau Gevatterin Schnepperle dem Kind ge-
    prophezeit hat.
  • Viertes Kapitel.
    Wie das Kindlein getauft ward, und wie es
    Hieronimus genannt ward.
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Womit ſich das kleine Kind Hieronimus be-
    ſchaͤftiget hat.
  • Sechstes Kapitel.
    Thaten und Meinungen des Hieronimus in ſei-
    nen Knabenjahren, und wie er in die Schule
    ging.
  • Siebentes Kapitel.
    Wie der Knabe Hieronimus in die lateiniſche
    Schule kam, und wie er da nicht viel lernte.
  • Achtes Kapitel.
    Wie die Eltern des Hieronimus mit dem Rek-
    tor und andern Freunden zu Rathe gingen,
    was ſie aus dem Knaben machen ſollten.
  • Neuntes Kapitel.
    Wie die Zigeunerin Urgalindine auch wegen
    des Hieronimus um Rath gefraget ward,
    welch die Kunſt Chiromantia verſtand.
  • Zehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus von ſeinen Eltern und Ge-
    ſchwiſtern Abſchied nahm [und] nach der Uni-
    verſitaͤt verreiſte.
  • Eilftes Kapitel.
    Wie Hieronimus zu Pferde bis zur Poſtſtation
    kam, und wie er im Wirthshauſe einen vor-
    nehmen Herrn fand, Herr von Hogier ge-
    nannt, welcher ihm heilſame Lehren gab und
    ein Spitzbube war.
  • Zwoͤlftes Kapitel.
    Wie Hieronimus auf dem Poſtwagen fuhr,
    und wie er daſelbſt eine Schoͤne fand, welche
    er liebgewann, und welche ihm die Sack-
    uhr ſtahl.
  • Dreizehntes Kapitel.
    Wie Hieronmus auf der Univerſitaͤt gar fleiſ-
    ſig die Theologie ſtudiren thaͤt.
  • Vierzehntes Kapitel.
    Welches die Kopei enthaͤlt von einem Briefe,
    welchen nebſt vielen andern der Student
    Hieronimus an ſeine Eltern ſchreiben thaͤt.
  • Funfzehntes Kapitel.
    Folget auch die Kopei der ſchriftlichen Antwort
    des alten Senator Jobs auf vorgemeldten
    Brief.
  • Sechszehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus ausſtudirt hatte, und wie er
    nach ſeiner Heimath reiſete, und wie es mit
    ſeiner Gelehrſamkeit bewandt war; fein artig
    im gegenwaͤrtigen Kupfer vorgeſtellt.
  • Siebenzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus mit Stiefeln und Sporen
    bei den lieben Seinigen wieder angelanget
    iſt.
  • Achtzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus nun anfing geiſtlich zu werden
    und wie er ein ſchwarzes Kleid und eine
    Peruͤcke bekam, und wie er auf der Kan-
    zel zum erſtenmal predigte, u. ſ. w.
  • Neunzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus zum Kandidaten examinirt
    ward, und wie es ihm dabei erging.
  • Zwanzigſtes Kapitel.
    Wie der Autor gar demuͤthiglich um Verge-
    bung bittet, daß das vortge Kapitel ſo lang
    geweſen und wie er verſpricht, daß das
    gegenwaͤrtige Kapttel deſto kuͤrzer ſeyn ſollte.
    Ein Kapitel, wovon die Rubrik laͤnger iſt,
    als das Kapitel ſelbſt, und welches, unbe-
    ſchadet der Geſchichte, wohl haͤtte wegblei-
    ben koͤnnen.
  • Ein und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Vater Jobs der Senator dem Hieroni-
    mo eine Strafpredigt halten thaͤt, und wie
    er vor Verdruß ſtirbt.
  • Zwei und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus beinahe ein Informator ei-
    nes jungen Barons geworden waͤre.
  • Drei und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus ein Hausſchreiber ward bei
    einem alten Herren, welcher eine Kammer-
    jungfer hatte, mit Namen Amalia: und wie
    er ſich gut auffuͤhrte, bis im folgenden Kapitel.
  • Vier und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie dem Sekretar Hieronimo kurioſe Sachen
    vorkamen, und er weggejaget wurde.
  • Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus bei einer frommen Dame in
    Dienſte kam, welche eine Betſchweſter war,
    und ſeiner in Unehren begehrte, und wie er
    von ihr weglief.
  • Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus ein ſchlimmes und ein gutes
    Abentheuer hatte, und wie er einmal in ſei-
    nem Leben eine kluge That verrichtet hat.
  • Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus vergnuͤgt zu Ohnewitz ankam,
    und wie er da Schulmeiſter ward, in einer
    Schule von kleinen Maͤgdlein und Knaͤblein.
  • Acht und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus ein Auktor ward, und wie er
    ein neues A B C-Buch heraus gab, und
    wie er darob von den Bauern bei dem gnaͤdi-
    gen Herren hart verklagt ward.
  • Neun und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie die klagenden Bauern zu Ohnewitz von dem
    Herren Patron eine gnaͤdige Reſolution beka-
    men, und wie ſie zur Ruhe verwieſen wurden,
    und wie ſie mit dem Loche bedrohet wurden.
    Alles im Kanzlei-Stil.
  • Dreißigſtes Kapitel.
    Wie zu Ohnewitz an einem Mittwochen ein Auf-
    ruhr entſtand und allerlei Wunderzeichen vor-
    hergingen, und wie Herr Hieronimus mit
    Pruͤgeln u. ſ. w. fortgetrieben wurde.
  • Ein und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus auf ſeiner Flucht nach dem
    Bayerland ein neues Abentheuer hatte, indem
    er ſeine geliebte Amalia in der Komoͤdie an-
    traf. Sehr freundlich zu leſen.
  • Zwei und dreißigſtes Kapitel.
    Wie die Jungfrau Amalia dem Hieronimus ihren
    Lebenslauf erzaͤhlen that. Ein ſehr langes
    Kapitel, weil eine Frauensperſon ſpricht. Accu-
    rat hundert Verſe.
  • Drei und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus Luſt bekam, ein Schauſpie-
    ler zu werden, und wie er dazu von der
    Jungfrau Amalia uͤberredet ward.
  • Vier und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus ein wirklicher Schauſpieler
    ward, und wie ihm Jungfrau Amalia un-
    treu ward und mit einem reichen Herren da-
    von ging, und wie er auch in Deſperation
    von hinnen ging.
  • Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus nach ſeiner Heimath gen
    Schildburg gereiſet iſt und wie er da aller-
    lei Veraͤnderungen fand.
  • Sechs und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus Nachtwaͤchter ward in Schild-
    burg, und wie ſeiner Mutter Traum, und
    Frau Urgalindinens Weiſſagung erfuͤllet ward.
  • Sieben und dreißigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus einen Beſuch bekam von
    Freund Hein, der ihn zu Ruhe brachte. Ein
    Kapitel, ſo gut als eine Leichenrede.
[[1]]

Erſtes Kapitel.


Vorrede, und der Autor hebt an, die Maͤhr
von Hieronimus Jobſen ſeliger zu beſchrei-
ben, und er gibt ſeinem Buͤchlein den vaͤ-
terlichen Segen.


[figure]
1. Euch und mir die Zeit zu vertreiben,

Geneigte Leſer! will ich itzt ſchreiben,

Eine extrafeine Hiſtoriam

Von Hieronimus Jobs lobeſam.

A2. Mit
[2]
2. Mit welchem ſich in ſeinem Leben

Viel gar wunderbares hat begeben

Und welcher ſowohl in Gluͤck als Gefahr

Ein rechter kurioſer Hieronimus war.

3. Zwaren waͤre vieles von Ihm zu ſagen,

Der Leſer moͤchte aber nicht alles koͤnnen tragen,

Und Papier und Raum waͤre fuͤr der Meng

Seiner Abertheuer zu eng.

4. Zwaren weiß ich von Ihm viele Data;

Ich erzaͤhl aber nur die vornehmſten Fata,

Und was Er von ſeiner Geburt an

Merkwuͤrdiges hat gethan.

5. Weil ich nun die preiswuͤrdige Gabe

Zu dichten vom Sankt Apoll erhalten habe,

So habe, ſtatt daß man ſonſt in Proſa erzaͤhlt,

Dafuͤr einen ſehr ſchoͤnen Reim erwaͤhlt.

6. Wenn ich aber nach rechtem Maaß und Ehle,

Gleich nicht alles, wies ſich ziemt haͤtte, erzaͤhle,

So weiß doch der geneigte Leſer ſchon,

Daß man ſo was nennt Volkston.

7. Von meinem Aeltervater Hans Sachſen

Iſt mir die Kunſt zu reimen angewachſen,

Drum lieb ich ſo ſehr die Poeſie

Und erzaͤhl alles in Reimen hie.

8. Man
[3]
8. Man brauchet gar nicht darob zu ſpotten,

Die Verſe meines Vetters, des Wandsbecker

Botten,

Bleiben gewiß noch weit zuruͤck

Hinter den Verſen aus meiner Fabrik.

9. Ich habe mich zugleich emſig bemuͤhet,

Wie der geneigte Leſer mit Augen ſiehet,

Daß das Buͤchlein, wie ſichs gebuͤhrt,

Mit ſchoͤnen Figuren wuͤrde geziert.

10. Konnte aber nicht neue Kupfer bekommen,

Hab ſie alſo anderswoher oft genommen,

Doch paſſen ſelbige von ohngefaͤhr,

Wie man findet, genau hieher.

11. Sind zwar nicht Chodowieckis Gemaͤchte,

Koͤnnen jedoch, wie ich faſt gedaͤchte,

Noch immer, wie jene gut genug,

Durch die arge Welt helfen das Buch.

12. Und ob die Bilder gleich nicht ſind die feinſten,

So ſind die Verſe ja auch nicht die reinſten;

Und darum iſts ja loͤblich und gut,

Daß eins mit dem andern harmoniren thut.

13. Nun, mein Buͤchlein, ich wills nicht hindern,

Geh, ohne mich, zu den Menſchenkindern,

Manches Buͤchel, nicht beſſer als du,

Eilt ja jaͤhrlich den Meſſen zu!

A 214. Hie-
[4]
14. Hiemit will ich foͤrmlich nun legen,

Kraft meiner Finger und von Autors wegen,

Als dein zaͤrtlicher Vater gar mildiglich

Meinen Segen, liebes Buͤchlein! auf dich.

15. Der Himmel wolle dich fein lange bewahren

Vor Kritiken, Motten und Fidibus-Gefahren

Und was etwa noch ſonſt fuͤr Noth

Denen gedruckten Buͤchelchen droht!

16. Du muͤſſeſt in- und auſſerhalb Schwaben,

Deinem Vaterlande, viele Leſer haben;

Damit Schrift, Papier und Druckerei

Nicht, Gott behuͤte mich! verlohren ſey.

17. Allen und jeden, die leſen und bezahlen,

Melde meinen Gruß zu tauſend malen,

Und jedem hochweiſen Herrn Recenſent

Vermelde inſonders mein Kompliment.

18. Sag ihnen, doch demuͤthig, wie ſichs gebuͤhret,

S’ haͤtten geprieſen und gerecenſiret

Manches geringe Buͤchlein hoch,

Viel elender geſchrieben als du noch.

Zwei-
[5]

Zweites Kapitel.


Von den Eltern unſers Helden und wie er
geboren ward, und von einem nachdenklichen
Traum, den ſeine Mutter hatte.


[figure]
1. Eh ich weiter gehe, muß ich etwas melden

Von den beiden Eltern unſers Helden,

Auch noch ein oder anders Wort,

Von ſeinem wahren Geburtsort.

2. Und zwar war es ein Staͤdtlein in Schwaben,

Wo ſeine Eltern gewohnet haben,

Alda ſein Vater, Hans Jobs, ohne Gefahr

Erſter ehrwuͤrdiger Rathsherr war.

3. Er
[6]
3. Er war reich, hatte Schafe, Kuͤhe und Rinder,

Auch auſſer unſerm Helden noch viele Kinder,

Sowohl von maͤnnlich ‒ als weiblichem Ge-

ſchlecht,

Und lebte uͤbrigens ſchlecht und recht.

4. Hatte dabei einen kleinen Weinhandel,

War aufrichtig im Leben und Wandel,

Und ſowohl im Rathhaus als daheim fromm,

Dabei auch ein großer Oekonom.

5. Er war von Religion ein aͤchter Lutheraner,

In der Philoſophie aber nicht Karteſian- noch

Wolfianer,

Weil er uͤberhaupt weder Kartes, Wolf

oder Kant

Noch ſonſt eigentlich Philoſophie verſtand.

6. Jedoch hatte er ein wenig ſtudiret

Und ein Jahr lang das Gymnaſium frequentiret,

Wußte folglich in ſo weit viel mehr

Als ſonſt gewoͤhnlich ein hochweiſer Rathsherr.

7. Er lieh gern Duͤrftigen und Elenden

Wenn ſie etwas hatten zu verpfaͤnden,

Nahm hoͤchſtens zwoͤlf pro Cent davon

Und war ſehr dick und klein von Konſtitution.

8. Aß uͤbrigens und trank nach Appetite

Und bei ſeinem phlegmatiſchen Gebluͤte,

Rauchte er manche Pfeife Tabak,

Und fand an Zeitungsleſen Geſchmack.

9. Doch
[7]
9. Doch oft litte er von uͤberlaufender Galle

An einem ſtarken podagriſchen Anfalle,

Doch hinderte ihn dieſes niemals nicht

Zu verrichten als Rathsherr ſeine Pflicht.

10. Die Mutter war von ehrſamen Stande,

Die beretdſamſte Frau im ganzen Schwaben-

lande,

Groß und hager und tugendſam

Und ſo ſanftmuͤthig als ein Lamm.

11. Doch, wie es in den allermeiſten Ehen

Leider! nicht ſelten pfleget zu geſchehen,

Hatte ſie im Hauſe dann und wann,

Bei Gelegenheit, die Hoſen an.

12. Dies gab nun zwar, wie leicht zu gedenken,

Zuweilen kleine Haͤndel und Gezaͤnken;

Im uͤbrigen aber liebte ſich

Dieſes theure Paar gar zaͤrtlich.

13. Sie hatten nun ſeit etlichen Jahren

Die Geburt mehrerer Kinder ſchon erfahren,

Doch geſchahe es abermals zur Hand,

Daß ſich Frau Jobs wieder ſchwanger be-

fand.

14. Als ſie nun nach etwa neun Monaten ſahe,

Daß die Zeit ihrer Entbindung ſich nahe:

So machte gedachte Frau Jobs alsbald

Zur Niederkunft die gehoͤrige Anſtalt.

15. Ehe
[8]
15. Ehe ich aber nun weiter hier dichte,

Erzaͤhl ich erſt eine beſondere Geſchichte,

Oder einen Traum dieſer Frau vielmehr,

Welcher allerdings gehoͤrt hieher.

16. Die Erfahrung laͤßet manchesmal ſehen,

Daß die Traͤume gewiß nicht zu verſchmaͤhen,

Lieber Leſer! das glaube mir,

Du ſiehſt davon ein Exempel hier.

17. Einſt naͤmlich lag Frau Jobſen im Bette,

Und es kam ihr im Traum vor, als haͤtte

Sie ein gewaltiges großes Horn,

Statt eines kleinen Kindleins, geborn.

18. Dieſes Horn nun toͤnte und krachte

So maͤchtig, daß ſie darob erwachte,

Und ſie hat, ſeitdem ſie erwacht,

Oefters daruͤber nachgedacht.

19. Eine Frau, welche ſie uͤber die Deutung ge-

fraget,

Hat ihr damals zu ihrem Troſte geſaget:

Es zeige deutlich der Traum an,

Daß ihr Kind werde ein gewaltiger Mann.

20. Und daß ſeine Stimme ihn wuͤrde ernaͤhren,

Er wuͤrde ſie als Pfarrer laſſen hoͤren;

Denn das beweiſe klaͤrlich und ſchoͤn

Das große Horn mit ſeinem Getoͤn.

21. Doch
[9]
11. Doch wir wollen uns hieran nicht kehren,

Die Zukunft wird die Bedeutung wohl lehren,

Wenn das Kind zu ſeinen Jahren waͤchſt.

Ich ſchreite nun wieder zum Text.

22. Die Mutter legte nun Windel und Hemder

Zurechte, und am dreißigſten September

Wurde dieſelbe zu rechter Zeit

Durch die Geburt eines Knaͤbleins erfreut.

23. Welch ein Vergnuͤgen gab dies dem Vater!

Himmel! wie freute ſich der Senater!

Und wie ſprang er nicht, als er da

Das artige Buͤblein zur Welt ſah.

Drit-
[10]

Drittes Kapitel.


Wie Frau Kindbetterin Jobſen einen Beſuch
von ihren Freundinnen bekam, und was
Frau Gevatterin Schnepperle dem Kinde
geprophezeit hat.


1. Frau Jobſen war alſo, wie eben geſprochen,

Mit dem jungen Joͤbslein in den Wochen,

Er ſelbſt lag eingewickelt neben ihr da,

Schlief, und wuſt nicht, wie ihm geſchah.

2. Wie voll Jubel alles im Hauſe geweſen,

Daß laͤßt ſich nicht alles genau leſen;

Verwandten und Nachbarn nahmen am

Heil

Auch, wie leicht zu erachten iſt, Theil.

3. Taͤglich war in der Wochenſtube Laͤrmen,

Als wenn im Maimonate Bienen ſchwaͤrmen

Und es ging immer ſum, ſum, ſum

Ums Wochenbette luſtig herum.

5. Es waren jetz genau drei Tage,

Seitdem die Mutter im Wochenbette lage,

Als zum Kaffe auf den Nachmittag,

Ein ganzer Schwarm Frauen ihr zuſprach.

[11]
[figure]
5. Und zwaren von allen dieſen Madamen,

Die auf den Kaffe zu Frau Jobſen kamen,

Zeichnete ſich bei dem braunen Schmaus

Frau Schnepperle durch Beredſamkeit aus.

6. Der Vater des Joͤbschens war ihr Vetter;

Zuerſt ſprach die Geſellſchaft vom Wetter

Und von dergleichen Sachen mehr,

Die wichtig ſind, in das Kreuz und die Queer.

7. Darauf forſchte man, wie ſich Frau Kindbet-

terinn befinde?

Erkundigte ſich auch nach dem jungen Kinde:

Ob’s mit Appetit den Futterbrei

Genoͤße und fein ſtille ſey?

8. Man
[12]
8. Man that ihm hierauf nach der Reih’ die Ehre,

Hob es auf, ruͤhmte ſeine Groͤße und Schwere,

Und bewunderte einmuͤthig weit und breit

Seine mehr als gemeine Artigkeit.

9. „Meine hochgeehrte Frau Baſe!

„Schnatterte Frau Schnepperle, etwas durch

die Naſe,

„Das Kind wird wahrlich ein gelehrter Man̅,

„Ich ſehs ihm an ſeinem Geſichte an.

10. „Habe neulich ein ſchoͤnes Buch geleſen,

„Als ich auf der Rathsbibliothek geweſen,

„Welches von der Kunſt Phyſionomei

„Handelt, und was davon zu halten ſey;

11. „Darin ſtunden ſchrecklich viele Geſichter,

„Gelehrte, dumme, fromme Boͤſewichter,

„Silhouetten von feiner und ſchlimmer Ge-

ſtalt,

„Auch Koͤpfe von Thieren, jung und alt.

12. „Wenn ich etwa nicht unrecht geſehen,

„So glaub ich daraus zu verſtehen,

„Daß ein ſolches verkehrtes Geſicht

„Viel zukuͤnftiges Genie verſpricht.

13. „Und wollte ſchier gewiß verſichern:

„Das Kind geht einſt um mit Buͤchern;

„Und iſt wohl gar zum Pfarrer beſtimmt,

„Wenn es kuͤnftig zu Jahren kuͤmmt.

14. „Sei-
[13]
14. „Seine ſtarke Stimme ſcheint es anzuzeigen,

„Daß es einſt werde die Kanzel beſteigen.“

(Nota bene: Der kleine Jobs ſchrie hier juſt,

Gerade als wenn er es haͤtte gewuſt.)

15. Die Frau Schnepperle ſprach noch viel Worte,

Sie gehoͤren aber nicht an dieſen Orte.

Alle Frauen fielen mit großem Geſchrei

Der Rede der klugen Frau Schnepperle bei.

16. Nachdem nun die Viſite war zu Ende,

Reichten ſie alle der Frau Jobſen die Haͤnde,

Dankten fuͤr alle genoſſene Ehr

Und gingen hin, wo ſie gekommen her.

17. Die Woͤchnerin bekam zwar vom Laͤrm Kopf-

ſchmerzen,

Nahm aber die Rede der Frau Schnepperle

zu Herzen;

Zumal da dieſe im Ruf ſtand,

Als waͤre ihr was von der Magie bekannt.

Vier-
[14]

Viertes Kapitel.


Wie das Kindlein getauft ward, und wie es
Hieronimus genannt ward.


1. Als noch einige Tage waren vergangen,

Schien das Kind die Taufe zu verlangen,

Indem es immer erbaͤrmlich ſchrie

Und ſeiner Mutter machte viel Muͤh.

2. Es half davor weder Bruſt noch Suͤppchen

Noch ein im Munde geſtecktes Zuckerpuͤppchen,

Sondern es rief in einem fort,

Daß Niemand hoͤren konnt ſein eigen Wort.

3. Man machte drum in Senator Jobſens Hauſe

Anſtalten zum Kindtaufenſchmauſe

Und ſchleppte der Speiſen mancherlei

Zum morgenden Traktamente herbei.

4. Auch wurden Torten, Kuchen und mehr Sachen

Zum Nachtiſche bereitet und gebachen,

Auch an Wein, und Tobak und Bier

War gewiß gar kein Mangel hier.

5. Gevattern, Freunde und Verwandten

Hebamme, Nachbarn und Bekannten

Stellten ſich darauf artig und fein,

Zur gehoͤrigen Stunde ein.

6. Auch
[15]
6. Auch Kuͤſter und Pfarrer mit dem Formulare,

Wie leicht zu gedenken iſt, da ware;

Imgleichen ein ganzer hochweiſer Senat

Sich zeitig dabei eingefunden hat.

7. Es waren auch ſonſt noch viele Gaͤſte

Auf dieſem großen und hohen Feſte,

Und ich ſag es zu Jobſens Ehr:

Es ging alles fein ordentlich her.

8. Jedoch that ſich ein Dispuͤt erheben,

Was man dem Kind fuͤr einen Namen wollt

geben:

Heinz, Kunz, Matz, Peter oder Hans,

Diez, Joſt, Hermann oder Franz.

9. Von dieſen ſonſt ſchoͤnen Namen allen

Wollte keiner allgemein gefallen,

Und es wuͤrde gewiß noch zuletzt

Haben nicht geringe Haͤndel geſetzt.

10. Der Pfarrer aber, als ein kluger Herre,

That den Ausſpruch, daß es rathſam waͤre,

Bei dieſem Zwiſt im Kalender zu ſehen,

Was am Geburtstag moͤcht fuͤr ein Name

ſtehen.

11. Es ward alſo, ohne weiter zu fragen,

Vom Kuͤſter der Kalender aufgeſchlagen,

Und man fand darauf ohne Muͤh

Den Namen des heiligen Hieronimus hie.

12. Sol-
[16]
12. Solcher kluger Rath hat gleich allen,

Sowohl Gevattern, als den Eltern gefallen,

Und man faßte alſo in pleno den Schluß,

Das Kind ſollte heißen Hieronimus.

13. Nachdem nun der wichtige Handel geſchlichtet,

Ward der Actus vom Herrn Pfarrer verrichtet,

Und zwar nach dem gewoͤhnlichen Fuß,

Und nun hieß das Kind Hieronimus.

14. Alles uͤbrige ging ruhig und ſchoͤne,

Pfarrer und Kuͤſter thaten ſich recht bene,

Und es wurde faſt die halbe Nacht

Gegeſſen, getrunken, geraucht und gelacht.

Fuͤnf-
[17]

Fuͤnftes Kapitel.


Womit ſich das kleine Kind Hieronimus be-
ſchaͤftiget hat.


1. So lang Hieronimuͤschen in Windeln geblieben.

Hat er ſich die Zeit damit vertrieben,

Daß er ſchlief, aß, ſog oder trank,

Oder zuhoͤrte der Mutter Wiegengeſang.

2. Und zwar ſchlief, aß, ſog und trank er nicht

minder,

Als ſonſt zu thun pflegen zwei oder drei Kinder;

Wurde dabei recht fleißig gewiegt,

War aber bei dem allen noch nicht vergnuͤgt.

3. Sondern laͤrmte ſchier oft ganzer Tage

Und erhub in der Wiege bittere Klage,

Als wenn ihn was großes haͤtte gequaͤlt,

Obgleich dem Schreier gar nichts gefehlt.

4. Einige kluge Leute wollten behaupten,

Als wenn ſie nicht ohne Urſache glaubten,

Daß etwa eine Behexerei

(Mit Reſpect zu melden) im Spiel ſey.

5. Drob ward oft der Arzt herbeigefuͤhret

Und die Hebamme konſuliret,

Und manches Rhabarbartraͤnklein

Auch wohl Mohnſaft gegeben ein.

Jobſiade 1r Th. B6. Er
[18]
6. Er war alſo ſeiner Mutter faſt beſchwerlich

Indeß befand er ſich dabei gar herrlich,

Wuchs, und ward mit jedem Augenblick

Fett, groß, maͤchtig, ſtark und dick.

7. Vater und Mutter hatten alſo beide

An dieſem lieben Kinde viele Freude,

Und gaben manchen herzlichen Kuß

Ihrem kleinen Hieronimus.

8. Mehr hab ich von den erſten drei oder vier

Jahren

Des kleinen Joͤbschen nicht koͤnnen erfahren.

Beſchließe alſo dies Kapitel hiemit

Und thue zum folgenden den Schritt.

Sechs-
[19]

Sechstes Kapitel.


Thaten und Meinungen des Hieronimus in
ſeinen Knabenjahren, und wie er in die
Schule ging.


1. Von den andern Kinderjahren unſers Helden

Kann ich zwar ebenfalls nicht viel melden,

Sintemal die Laufbahn des Lebens ſein

Bishero geweſen noch eng und klein.

2. Gefolglich iſt von ſeinen Thaten und Werken

Eben nichts ſonderliches anzumerken;

Jedoch blieb immer, ſo lang er noch jung,

Eſſen und Trinken ſeine Hauptbeſchaͤftigung.

3. Er hatte aber ſonſt noch viele gute Gaben,

Spielte lieber mit Maͤdchen als mit Knaben,

Zankte und neckte auch oft beim Spiel

Und machte der loſen Streiche viel.

4. Auch lernte er ohne ſonderliche Muͤhe

Luͤgen, Fluchen und Schwoͤren fruͤhe,

Und hat dadurch in der Nachbarſchaft

Bei andern Kindern viel Erbauung geſchafft.

5. Er ſchluckte und naſchte ebenfalls gerne,

Aß Obſt, Roſinen und Mandelkerne,

Und kaufte fuͤr ſein bekommenes Geld

Die leckerſten Sachen von der Welt.

B 26. Mit
[20]
6. Mit ſeinen Geſchwiſtern konnt er ſich nicht

vertragen,

Aber ſein Vater that ihn nie ſchlagen,

Und ſeine Mutter, die gute Frau,

Nahm auch ſelten alles ſo genau.

7. Auch war er viel groͤßer als andre Kinder,

Keiner ſeines gleichen ſprang und lief geſchwinder,

Und kein einziger war ſo ſtark als er,

Und wer ihn erzuͤrnte, den nahm er her.

8. Da es ihm nun nicht fehlte an Kraͤfte

So verrichtete er manche Hausgeſchaͤfte,

Hohlte zuweilen Futter fuͤrs Vieh

Und unterzog ſich der Oekonomie.

9. Oder er ritte die Pferde in die Traͤnke,

[figure]
Oder
[21]
Oder er hohlte Bier aus der Schenke,

Brachte auch manches friſche Ey,

Aus dem Huͤner- und Gaͤnsſtall herbei.

10. War auch ſonſt ein guter dummer Junge,

Hatte dabei eine ſtarke kraͤftige Lunge,

Und predigte oft auf der Bank aus Scherz.

Dies alles ging ſeinen Eltern ans Herz.

11. Denn ſie ſahen mit innigſtem Vergnuͤgen

Solche Talente im Hieronimus liegen,

Und dachten ſehr oft in ihrem Sinn

Da ſtecket gewiß ein Pfarrer in.

12. Beſonders die Mutter, wenn ſie daran dachte,

Was ihr vormals Frau Schnepperle ſagte,

Und an ehmals gehabten Traum,

Wuſte ſich fuͤr Freude zu laßen kaum.

13. Denn alles ſchien ſich zuſammen zu ſchicken

Und die Sache natuͤrlich auszudruͤcken;

Und wenn ſie dieſes erwoge, ſo war

Der kuͤnftige Pfarrer hier offenbar.

14. Er wurde alſo und dergeſtalten

Fleißig zur Schule angehalten,

Welches doch Hieronimo uͤbel gefiel,

Denn er war viel lieber beim Spiel.

15. Und die Buͤcher waren ihm zuwider,

Er warf ſie oft auf die Erde nieder,

Und bei dem lumpen A, B, C, D,

That ihm immer der Kopf weh.

16. Zwar
[22]
16. Zwar der Praͤceptor that ſich bemuͤhen

Ihn zu allem Guten zu erziehen,

Und Er und die Ruthe in Kompagnie

Arbeiteten fleißig an ſeinem Genie.

17. Dieſer Mann hatte vorzuͤgliche Gaben

Zu erziehen muthwillige Knaben,

Und auf ihre Hoſen und Rock

Spielte ſehr oft ſein maͤchtiger Stock.

17. Nach vielem Bemuͤhen und ſauern Schweiße

Gelang’s des Mannes Herkul’ſchem Fleiße,

Und Hieronimus buchſtabirte bald,

Als er ohngefaͤhr war zehn Jahr alt.

19. Wie alt er aber eigentlich geweſen,

Als er fertig das Deutſche konnte leſen,

Das weiß ich eigentlich in der That

Nicht ſo genau und akkurat.

20. Da er nun zu groͤßern Jahren gekommen,

Ward er aus der deutſchen Schule genommen,

Und, um zu lernen das Latein,

Geſchickt in die lateiniſche Schule hinein.

21. Wie es ihm nun daſelbſt ergangen,

Und was er gutes ſonſt angefangen,

Dieſes ſtell ich dem Leſer hier

In dem folgenden Kapitel fuͤr.

Sie-
[23]

Siebentes Kapitel.


Wie der Knabe Hieronimus in die lateiniſche
Schule kam, und wie er da nicht viel lernte.


[figure]
1. Hieronimus, um weiter zu ſtudiren,

Fing nun an Mensa zu dekliniren,

Trieb auch ſonſt jedes noͤthige Stuͤck

Aus der lateiniſchen Grammatik.

2. Lernte danebſt manche Vokabel auswendig,

Indeß ging doch alles ſehr elendig;

Denn das verwuͤnſchte Lauſelatein

Wollte nicht in ſeinen Kopf hinein.

3. Beim
[24]
3. Beim Konjugiren und beim Syntaxis,

Und bei der lateiniſchen Praxis

Da war vollends der Henker los,

Und er bekam manchen Rippenſtos.

4. Denn der Rektor, als ein Hypochondriakus,

Schonte gar nicht den Hieronimus,

Und pruͤgelte oft, als waͤre er toll,

Dem armen Knaben das Leder voll.

5. Bei dieſer peinlichen Lehrmethode

Graͤmte ſich der Junge faſt zu Tode,

Und wuͤnſchte oftmal in ſeinem Sinn

Den muͤrr’ſchen Rektor zum Henker hin.

6. Zwar ſpielte er ihm wieder heimlich viel Poſſen

Fuͤr die Schlaͤge, welche er von ihm genoſſen,

Und der Mann hatte manchen Verdruß

Ob dem muthwilligen Hieronimus.

7. Denn ſeine Papiere und große Perruͤcke

Riß er ihm incognito oft in Stuͤcke,

Und that auch ſonſt noch dem braven Mann

Alles gebrannte Herzeleid an.

8. Auch brachte er ſeine Schulkameraden

Viel und manchmal in bittern Schaden,

Weil er ſich mit keinem vertrug

Und ſie oͤfters zu Boden ſchlug.

9. Auch weder ihre Kleider, noch ihre Buͤcher

Waren vor ſeinem Muthwillen ſicher,

Und er ſpielte viel Schabernack,

Meiſtens von boͤſem Nachgeſchmack.

10. Wann
[25]
10. Wenn auch einer etwa ſich uͤbel betragen,

Thaͤt er ihn gleich beim Rektor verklagen;

Dann ging’s uͤber die armen Buben her

Und er freuete ſich drob ſehr.

11. Der Schule uͤbrigens uͤberdruͤßig

Ging er zu Hauſe groͤßtentheils muͤßig,

Und ſo verſtrich allmaͤhlig die Zeit

In unnuͤtzlicher Unthaͤtigkeit.

12. Vom Griechiſchen will ich gar nichts ſagen,

Denn das wollte ihm nimmer behagen,

Und beim barbariſchen Typto, Typteis,

Kam Hieronimus uͤber und uͤber in Schweiß.

13. Er dachte alſo kluͤglich: das ſey ferne,

Daß ich ſolch kauderwelſches Zeug lerne;

Und was nun noch das Hebraͤiſche betrifft,

Dieſes floh er vollends als Gift.

14. Er machte alſo gar wenig Progreſſen.

Auſſer im Luͤgen, Schwoͤren, Trinken und Eſſen,

Auch etwa in Erfindung eines Fluchs

Ward der Knabe fein ſtark und wuchs.

Achtes
[26]

Achtes Kapitel.


Wie die Eltern des Hieronimus mit dem Rek-
tor und mit andern Freunden zu Rathe gin-
gen, was ſie aus dem Knaben machen ſollten.


1. Nachdem nun der Knabe achtzehn Jahre

Und noch etwas daruͤber alt ware,

Auch wirklich ſchon eines halben Kopfs

Groͤßer war, als der alte Hans Jobs;

2. Fingen die Eltern an nachzuſinnen,

Was nun ferner mit ihm zu beginnen,

Denn es war jetzt die hoͤchſte Zeit

Und die Sache von aͤußerſter Wichtigkeit.

3. Vor allen that man den Rektor fragen,

Was derſelbe vom Knaben moͤchte ſagen,

Und wozu er das meiſte Geſchick

Haben moͤchte zum kuͤnftigen Gluͤck.

4. Dieſer Mann nun wollte nicht heucheln

Noch den Eltern mit leerer Hoffnung ſchmeicheln,

Drum ſagte er ihnen gleich rund heraus:

„Aus dem Knaben wird nichts rechtes aus.

5. „Das Studlren iſt wahrlich nicht ſeine Sache;

„Drum iſts am kluͤgſten gethan, man mache

„Einen hieſigen Rathsherrn aus ihm,

„Oder thu ihn ſonſt wo zum Handwerke hin.

6. „Ich
[27]
6. „Ich habe es mannichmal in den Schulſtunden

„Zu meinem hoͤchſten Leidweſen gefunden,

„Daß in ihm nichs beſonders ſitzt,

„Welches einem ehrſamen Publiko nuͤtzt.“

7. Dieſe Rede hat den Eheleuten Jobſen,

Wie leicht zu ſchließen iſt, heftig verdrobſen;

Drum hoͤrten ſie ſolche mit Verachtung an,

Und hielten den Rektor fuͤr’n dummen Mann.

8. Es wurden nun mehr Freunde zu Rathe gezogen,

Und die Sache vernuͤnftiger pro et contra er-

wogen,

Und’s ging in der Verſammlung gerade ſo her,

Als wenn der alte Jobs zu Rathhauſe waͤr.

9. Nemlich, nach etwa drittehalb Stunden

Ward ein Mittel zur Vereinigung ſunden:

Man ſtellte weißlich auf’n neuen

Termin

Die Sache zur naͤhern Erwaͤgung

dahin.

Neun-
[28]

Neuntes Kapitel.


Wie die Zigeunerinn Urgalindine auch wegen
des Hieronimus um Rath gefraget ward,
welche die Kunſt Chiromantia verſtand.


1. Die Geſellſchaft war nun kaum in Frieden

Aus Rathsherrn Jobſens Hauſe geſchieden,

So fuͤhrte das Gluͤck von ohngefaͤhr

Eine alte Ziegeunerinn her.

2. Sie war von einem uralten Stamme,

Urgalindine war ihr Name,

Und Aegypten ihr eigentliches Vaterland,

Und die Mutter ehmals als Hexe verbrannt.

3. Sie konnte der Menſchen Thun und Weſen

Deutlich in den Strichen der Haͤnde leſen,

Sagte auch manches ſo deutlich vorher,

Als wenns wirklich ſchon geſchehen waͤr.

4. Manches Maͤdchen hat ſie recht ſehr erfreuet,

Wenn ſie ihm nahe Hochzeit geprophezeiet,

Und den Braͤutigam ſo klaͤrlich genannt,

Als haͤtte ſie ihn ſchon laͤngſtens gekannt.

5. Manchen unmuthsvoll wartenden Erben

Wahrſagte ſie des reichen Onkels Sterben,

Und erfreuete ſolche oft;

Denn die Onkels ſtarben unverhofft.

6. Man-
[29]
6. Manchen faſt verzweifelten Ehegatten,

Welche, leider! boͤſe Weiber hatten

Und den Tod derſelben gerne ſahn,

Kuͤndigte ſie nahe Erloͤſung an.

7. Manchem Stutzer, der kraͤftig gerochen

Nach Jesmin und Pomade, hat ſie verſprochen,

Trotz aller ſeiner Laͤcherlichkeit,

Dennoch dummer Schoͤnen Gewogenheit.

8. Ihre Reden wuſte ſie ſtets alſo zu fuͤgen,

Daß ſie immer gereichten zum Vergnuͤgen;

Doch half eine kluge Zweideutigkeit

Ihr manchmal aus der Verlegenheit.

9. Jedem verkuͤndigte ſie eine beſondere gute Maͤhre,

Tapfern Soldaten Pulver, Kugeln und Ehre,

Armen Schluckern einen Haufen Geld

Alten Matronen das Himmelszelt.

10. Sie verſtund noch viel mehr andere Kuͤnſte;

Aber ihre große und ſeltene Verdienſte

Machten ſie nicht von Haͤſchern frei,

Denn ſie ſtahl ein wenig nebenbei.

11. Kurz! man fand nirgends ihres Gleichen,

Endors Hexe haͤtte ihr muͤſſen weichen,

Wenigſtens in Luͤgen und Chiromantie

War keine Zigeunerin kluͤger als ſie.

12. Als Frau Jobs ihre Ankunft vernommen,

Iſt ſie zu ihr hinaus gekommen,

Und hielte wohl an des Hauſes Thuͤr

Folgende kurze Rede an Ihr:

13. „Mei-
[30]
13. „Meine geliebte Frau Urgalinde,

„Kommen Sie doch einmal zu meinem Kinde,

„Um ihm zu ſagen gutes Gluͤck

„Von ſeinem zukuͤnftigen Geſchick.

14. „Sie werden hoffentlich die Guͤte haben;

„Und mir es ſagen, was von dem Knaben

„Hieronimus eigentlich zu machen iſt

„Ohne Trug und arge Liſt.“

15. Madame! antwortete ſie, das ſoll ge-

ſchehen,

Laſſe ſie mich nur ſeine Haͤnde ſehen;

Dann ſag ich als eine aufrichtige

Frau

Ihm ſeinkuͤnftiges Schickſalgenau.

16. Man ließ alſo den Hieronimus holen,

Und Frau Urgalinde hat ihm befohlen,

Seine rechte Hand zu reichen dar,

Welche etwas beſchmutzet war.

17. Die Zigeunerin mit forſchendem Blicke

Erkundete nun alle und jede Stuͤcke,

Maß die Flaͤchen und Linien auch,

Alles nach Chiromanten Gebrauch.

18. Darauf ward ſie einen Augenblick ſtille,

Endlich gleich einer Delpdiſchen Sybille

Murmelte ſie etwas zwiſchen dem Zahn

Und hub folgende Prophezeihung an:

19. Ich
[31]
19. Ich ſehe, mein lieber Hieronimus,

ich ſehe,

Nach der Kunſt, die ich gruͤndlich verſtehe,

Dein ganzes kuͤnftiges Schickſal.

Mein Sohn!

Deines Halſes gewaltiger Ton

20. Wird manchen frechen Boͤſewicht

ſchrecken,

Manchen ſchlafenden Suͤnder wirſt

du aufwecken,

Dermaßen, daß die ganze Stadt

An deiner Rede Erbauung hat.

21. Fromme und Boͤſe wirſt du bewahren

Sie warnen fuͤr Leibes- und Seelen-

Gefahren

Und uͤber Jung und Alt, Groß und

Klein

Ein munterer getreuer Huͤter ſeyn.

22. Jeder mann wird deine weiſen Lehren

In dieſer Stadt dereinſt oͤffentlich

hoͤren,

Und wenn dann dein geoͤffneter

Mund ſpricht,

So antwortet dir keiner nicht.

23. Ich darfes fuͤr dieſes mal nicht wagen.

Dir ein mehrers von deinem Ge-

ſchicke zu ſagen,

Es iſt auch dieſes dermalen genug,

Nun gehe hin, mein Sohn, und ſey

klug.

24. Hier
[32]
24. Hier endigte ſich Urgalindinens Rede;

Sowohl Mutter als Vater waren beede,

Ob dem, was jtzo geprophezeit,

Sehr zufrieden und hoͤchlich erfreut.

25. Denn in ihren Gedanken war er

Ganz gewiß ein kuͤnftiger Pfarrherr,

Wenn anders die Weiſſagung traͤfe ein;

Denn wie koͤnnte es deutlicher ſeyn?

26. Urgalindine iſt drauf weggegangen,

Nachdem ſie einen ſtattlichen Lohn empfangen.

Man ſaget, als ſie links um gemacht,

Habe ſie uͤber Eltern und Sohn gelacht.

27. Nunmehr wurde dem Rektor zum Poſſen

Sowohl vom Herrn Jobs als Frau Jobs be-

ſchloſſen,

Daß der geliebte Hieronimus

Werden ſollte ein Theologus.

28. Es wird alſo nach Akademien

Im folgenden Kapitel Hieronimus ziehen,

Wenn wir vorhero haben geſehn,

Was noch bei ſeinem Abſchied geſchehn.

Zehn-
[33]

Zehntes Kapitel.


Wie Hieronimus von ſeinen Eltern und Ge-
ſchwiſtern Abſchied nahm und nach der Uni-
verſitaͤt verreiſte.


[figure]
1. Ehe man den Hieronimus ließ gehen,

Wurde er erſt in Ueberfluß verſehen

Mit Kleidern, Waͤſche, Buͤchern und Geld

Und was man ſonſt zum Studiren noͤthig haͤlt.

2. Es ward gefolglich auf dieſe Weiſe

Alles bereitet zur nahen Abreiſe;

Aber beim Abſchied gings bitter und ſchwer

Auf einer und der andern Seite her.

Jobſiade 1r Th. C3. Der
[34]
3. Der gute alte Jobs, der dicke Senater,

Weinte laut, wie im Mai ein Kater,

Und reichte ſchluchſend den Abſchiedskuß

Seinem theuern Sohne Hieronimus.

4. Gab ihm auch den vaͤterlichen Segen:

„Fahre wohl auf allen deinen Wegen

„Und ſtudire fleißig, mein Sohn,

„Damit wir haben Freude davon!

5. „Wenn dir etwa kuͤnftig was fehlet

„Und vielleicht ein Geldmange quaͤlet:

„So ſchreibe nur immer kuͤhnlich mir;

„Was du verlangſt, das ſchicke ich dir.

6. Hieronimus wurde, wie ſich’s gebuͤhret,

Ob des Vaters Rede hoͤchlich geruͤhret,

Und verſprach oͤfters zu ſchreiben hin,

Wenn ihm der Beutel wuͤrde duͤnn.

7. Mit der Mutter ging es noch ſchlimmer,

Sie erhob ein jaͤmmerliches Gewimmer,

Und durchdrungen vom herbeſten Schmerz

Druͤckte ſie den lieben Sohn lange ans Herz.

8. Endlich trat ſie auf einige Augenblicke

Mit Hieronimus ein wenig beiſeite zuruͤcke,

Und reichte ihm noch ein Paͤcklein dar,

Worinnen verſchiedenes Geld war.

9. Die-
[35]
9. Dieſer fromme, muͤtterliche Segen

That den Hieronimus inniglich ſehr bewegen,

Und er ſteckte, unter lautem Gewein,

Das erhaltene Paͤckelein ein.

10. Nun kamen ſeine Geſchwiſter an die Reihe,

Denen er, unter erbaͤrmlichem Geſchreie,

Allen nach einander die Hand gab

Und nunmehr reiſete Hieronimus ab.

11. Der lieben Eltern Trauern und Klage

Waͤhrte noch nachher verſchiedene Tage

Und dem guten Vater ſchmeckte ſchier

Weder Wein, Zeitung, Tabak noch Bier.

12. Bei der Mutter war die Betruͤbniß am groͤ-

ſten,

Und man vermochte faſt nicht ſie zu troͤſten,

Doch bei den Schweſtern und Bruͤdern war,

Wie ich vernommen, weniger Gefahr.

Eilf-
[36]

Eilftes Kapitel.


Wie Hieronimus zu Pferde bis zur Poſtſtation
kam, und wie er im Wirthshauſe einen vor-
nehmen Herrn fand, Herr von Hoaier ge-
nannt, welcher ihm heilſame Lehren gab und
ein Spitzbube war.


[figure]
1. Hieronimus alſo nunmehro wegreitet,

Seines Vaters Hausknecht ihn begleitet

Bis zu dem naͤchſten Staͤdtelein,

Da ſteigt er dann i’n Poſtwagen ein.

2. Ob
[37]
2. Ob nun gleich der Abſchied nahe gegangen,

So truge derſelbe doch großes Verlangen

Nach der geliebten Univerſitaͤt,

Wo es taͤglich ſo luſtig ergeht.

3. Kaum hatte er nun Schildburg verlaſſen

Und er ſich befand auf der Landſtraßen,

Als er Vater, Mutter, Geſchwiſter vergaß,

Und ſich hoͤchlich ergoͤtzte, daß

4. Er nunmehr, als ein freier Studente,

Baß ſich taͤglich vergnuͤgen koͤnnte,

Und des muͤrr’ſchen Rektors Pruͤgel und Lehr,

Dem Himmel ſey Dank! entloffen waͤr’.

5. Vorzuͤglich freuete er ſich nicht wenig

Und duͤnkte ſich reicher als ein Koͤnig,

Wenn ihm das Geld im Sinne kam,

Das er von Hauſe mitte nahm.

6. Vor allem vergnuͤgte ihn beſonder

Das liebe Paͤcklein, welches er von der

Hochbetruͤbten Frau Mutter empfing,

Als es an’s bittere Scheiden ging.

7. Da es ihm nun an Zeitvertreib fehlte,

Zog er’s Paͤcklein hervor und zaͤhlte

Das Geld, welches drin enthalten war,

Und fand mit innigſter Freude baar

8. Mehr
[38]
8. Mehr als dreißig verſchiedene Stuͤcke,

Alle von Silber, groß, ſchwer und dicke,

Gulden und Thaler mannichfalt

Meiſtens von Gepraͤge rar und alt.

9. Seine Mutter hatte ſie nach und nach erſparet,

Und zum Nothpfennige aufbewahret,

Denn ſie war eine weidliche Frau

Klug und ſparſam, oder vielmehr genau.

10. Zuweilen muſte ihm auch imgleichen

Der Knecht, ſein Begleiter, etwas reichen

Zum Zeitvertreib von den Viktualien,

Womit ihn die Eltern zur Reiſe verſehn.

11. Als nun unter dieſen Gedanken und Dingen

Dem reiſenden Hieronimus die Stunden

vergingen:

So gelangte er endlich ſehr muͤde und matt

Ins Wirthshaus der oben gedachten Stadt.

12. Allhte befand ſich nun der Poſtwagen,

Der ihn nach der Univerſitaͤt ſollte tragen;

Selbiger war aber zu dieſer Zeit

Noch nicht voͤllig zur Abfahrt bereit.

13. Hieronimus ließ nun vor allen Dingen

Seinen getreuen Gaul zu Stalle bringen,

Welchem ſein Knecht das Futter gab,

Und band den ſchweren Mantelſack ab.

14. Er
[39]
14. Er hat aber auch nicht vergeſſen,

Sch zu erlaben mit Trinken und Eſſen,

Und ſo ward er bald darauf am Tiſch

Wieder geſtaͤrket, munter und friſch.

15. Es war auch da ein fremder Herr logiret,

Mit einer großen Perruͤcke und reich ſchameriret,

Welcher aus fernen Laͤndern kam,

Herr Baron von Hogier war ſein Nam.

16. Dieſer erzeigte unſerm Helden viel Ehre

Und erkundete freundlich, wer er waͤre.

Hieronimus antwortete drauf behend:

Gnaͤdiger Herr! ich bin ein Student

17. Zu hoch dero Dienſten, und ich ziehe

Gleich itzo nach der Akademie

Um zu ſtudiren ſpaͤt und fruͤh

Die Wiſſenſchaft der Theologie.

18. So! dazu wuͤnſch ich Ihnen viel Gluͤcke!

Antwortete der Herr mit der großen Perruͤcke,

Aber nehmen Sie ſich wohl in Acht,

Daß Sie nicht werden in Schaden gebracht!

19. Ich hab auch hohe Schulen vormals geſehen,

Weiß wohl, wie’s da pflegt zu ergehen,

Mancher junger Burſche wird da um’s Geld,

Durch das verwuͤnſchte Spielen geprellt.

20. Und
[40]
20. Und viele, anſtatt fleißig zu ſtudiren,

Laſſen ſich zu Ausſchweifungen verfuͤhren,

Und verbringen die koſtbare Zeit

In aller erdenklicher Liederlichkeit.

21. Ich ſelbſt habe oͤfters in juͤngern Jahren

Die traurige Wahrheit davon, leider! er-

fahren,

Nehmen Sie alſo ſich fleißig in Acht,

Und denken Sie d’ran, ich hab’ es geſagt!

22. Hieronimus verſetzte: lieber Heere!

Ich danke vielmal fuͤr die weiſe Lehre,

Und werde Ihren trefflichen Unterricht

In meinem Leben vergeſſen nicht.

23. Uebrigens muß ich Euer Gnaden ſagen,

Das Spielen thut mir zwar ſehr behagen,

Hab’ die Ehre zu verſichern doch,

Wenn ich ſpiele, ſpiel ich nicht hoch.

24. „Niedrige Spiele laß ich paſſiren,

„Denn ſo kann man eben nicht verlieren,

„Und man vertreibet ſich doch die Zeit

„Sehr angenehm und mit Artigkeit.

25. „Wir, zum Exempel, koͤnnten nun beide,

„Bloß zum Zeitvertreib und zur Freude,

„Etwa ein kleines Spielchen auch thun.“

Erwiedert der Herr mit der Perruͤcke nun.

26. Hie-
[41]
26. Hieronimus, gleich im Augenblicke,

Fand den Vorſchlag des Herrn mit der Per-

ruͤcke,

Ein Spielchen zu machen, ſehr angenehm,

So lange bis der Poſtwagen kaͤm’.

27. Sie brauchten nun gar nicht lange zu warten,

Der Wirth brachte alsbald neue Karten

Fuͤr ſeine beiden Gaͤſte heran,

Und nunmehr fing man zu ſpielen an.

28. Anfangs ward niedrig pointiret,

Aber Hieronimus, durch Gewinnſucht ver-

fuͤhret,

Finge nun hoͤher zu ſetzen an,

Weil er die erſten Spiele gewann.

29. Nun aber wendete ſich das Gluͤcke

Zum Herrn von Hogier mit der großen

Perruͤcke,

Als welchem itzo in jeglichem Spiel

Immer die Karte guͤnſtiglich fiel.

30. Das Geld, welches Hieronimus zur Reiſe

Beſtimmt hatte, ging auf dieſe Weiſe

Bald hin, und da er noch weiter verlor,

Zog er nun auch das Paͤcklein hervor.

31. Aber das Gluͤck warf ſtets noch guͤnſtige Blicke

Auf den Herrn mit der großen Perruͤcke,

Und mit einem jeglichen neuen Satz,

Entſtand im Paͤcklein ein leerer Platz.

32. Und
[42]
32. Und in weniger als dreiviertel Stunden

War der muͤtterliche Segen ganz verſchwunden,

Und der Herr mit der großen Perruͤck’

Hatte alles gewonnen, Stuͤck vor Stuͤck.

33. Denn, daß der Herr mit der großen Perruͤcke

Ihn liſtiger Weiſe beim Spiele beruͤcke,

Das merkte der gute Hieronimus nicht —

Denn Herr von Hogier hatte ein ehrlich

Geſicht.

34. Es waͤr ihm endlich gar noch eingefallen

Auch ſeinen Mantelſack loszuſchnallen,

Und er haͤtte das drin erhaltene Geld

Auch noch auf die ungluͤckliche Karte geſtellt.

35. Doch, zu des Hieronimus groͤſtem Gluͤcke

Und zum Leidweſen des Herrn mit der Perruͤcke,

Bließ grade itzo der Poſtillon

Und Hieronimus fuhre davon.

36. Beim Abſchied warf er viele unwillige Blicke

Auf den Herrn mit der großen Perruͤcke,

Und mit einigem Ungeſtuͤm

Nahm er nunmehr Ade von ihm.

Zwoͤlf-
[43]

Zwoͤlftes Kapitel.


Wie Hieronimus auf dem Poſtwagen fuhr,
und wie er daſelbſt eine Schoͤne fand, welche
er liebgewann, und welche ihm die Sack-
uhr ſtahl.


1. Wie’s dem Hieronimus im Poſtwagen

Ferner erging, will ich nun ſagen,

Denn er kam ſo noch nicht los,

Sondern hatte wieder einigen Anſtoß.

2. Er dachte hieſelbſten oͤfters zuruͤcke

An den Herrn mit der großen Perruͤcke,

Und es fiele ihm itzo erſt ein,

Er muͤſſe ein Spitzbube geweſen ſeyn.

3. Das muͤtterliche Paͤcklein ging ihm ſehr zu

Herzen

Und er konnte deſſen Verluſt nicht ver-

ſchmerzen,

Seufzte, und wuͤnſchte in ſeinem Sinn

Den Herrn mit der Perruͤcke zum Henker

hin.

4. Er murmelte ſogar unverſtaͤndliche Toͤne,

Jedoch eine neben ihm ſitzende Schoͤne,

Welche er anfangs bemerkte kaum,

Riß ihn bald aus dem ſchwermuͤthigen

Traum.

6. Und
[44]
5. Sie ſchien alt zu ſeyn etwa zwanzig Jahre,

Schoͤn von Geſicht, ſchwarz von Augen und

Haare,

Und roſenroth von Wangen und Mund,

Dabei auch von ſchoͤnem Wuchſe, und

6. Kurz zu ſagen, in ihrem ganzen Weſen,

Konnte man nichts als lauter Anmuth leſen;

Sie erkundigte ſich in Kurzweil und Scherz

Alsbald nach des traurigen Hieronimi

Schmerz.

7. Wobei ſie denſelben freundlich anlachte;

Dies Laͤcheln that gute Wirkung und machte,

Daß er, da er dichte neben ihr ſaß,

Seinen Verluſt des Paͤckleins vergaß.

8. Er gerieth auch wirklich faſt in Entzuͤcken,

Weil er in ihrer ganzen Perſon und Blicken

So viel treffliche Reize fand,

Gefaͤhrlich vor ſein bischen Verſtand.

9. Es hatte noch keine halbe Stunde gewaͤhret,

Als er ſchon die Lieb’, in beſter Form, ihr erklaͤret,

So buͤndig, als je ein Held im Roman

Die Brunſt ſeiner Schoͤnen erklaͤren kann.

10. Sie ſchien nicht ungern ihn anzuhoͤren,

Und that ihn gar nicht im Vortrage ſtoͤren,

Hieronimus ward alſo endlich ſo frei

Und ruͤckte naͤher zu ihr herbei.

11. Ich
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11. Ich weiß nicht, ob ſonſt noch etwas paſſiret,

Was, laut zu ſagen, ſich nicht gebuͤhret,

Genug, ſie vertrieben ſich beide die Zeit

In ſuͤßer, vertraulicher Zaͤrtlichkeit.

12. Als ſie endlich zur Poſtſtation gekommen,

Hat ſie freundlich von ihm Ade genommen,

Wohin ſie ſich aber nachhero gewandt,

Das ſoll uns kuͤnftig werden bekannt.

13. Da indeſſen nach einigen Stunden,

Seitdem die Schoͤne vom Wagen ver-

ſchwunden,

Hieronimus nach der Sackuhr mal ſah,

War auch dieſe verſchwunden und nicht

mehr da.

14. Dieſer abermalige fatale Poſſen,

Hat den guten Hieronimus maͤchtig ver-

droſſen,

Denn er dachte alsbald daran,

Daß die Schoͤne den Diebſtahl gethan.

15. Indeß war nun fuͤr den guten Knaben

Weiter nichts uͤbrig, als Geduld zu haben,

Es fiel ihm jedoch nun hintennach ein

Hinfuͤhro etwas vorſichtiger zu ſeyn.

16. Er
[46]
16. Er hat ſich dabei feſte vorgenommen,

So bald er auf die Univerſitaͤt gekommen,

Um Geld und um eine neue Uhr

Seinen Eltern zu ſchreiben nur.

17. Er iſt endlich, ohne weitere Unfaͤlle,

Angelangt gluͤcklich an Ort und Stelle,

Folglich war unſer Hieronimus

Nunmehro ein Akademikus.

Dreizehntes Kapitel.


Wie Hieronimus auf der Univerſitaͤt gar fleiſ-
ſig die Theologie ſtudiren thaͤt.


1. Als nun Hieronimus arriviret,

Iſt er, ſtante Pede, immatrikuliret

Und ward alſo ſofort allhie

Ein Studioſus der Theologie.

2. Sintemal ſich nun auf Univerſitaͤten

Aus mancherlei Landen, Orten und Staͤdten

Viele Studenten finden ein,

Junge und alte, groß und klein.

2. Glei-
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3. Gleichergeſtalten und imgleichen fanden

Sich auch hier ſolche aus allerlei Landen

Und jaͤhrlich kamen noch viele herbei

Um zu ſtudiren mancherlei.

4. Zum Exempel: die Theologie,

Jura, Medicin und Philoſophie,

Und was man ſonſt fuͤr gute Kuͤnſte haͤlt,

Zum Fortkommen dereinſtens in der Welt.

5. Die meiſten aber, anſtatt zu ſtudiren,

Thaten nur ihre Gelder verſchlemmiren

Und lebten luſtig und guter Ding,

Indeſſen die edele Zeit verging.

6. Hieronimus, dem’s Studiren zuwider,

Mengte ſich bald unter die luſtigen Bruͤder

Und betrug ſich in kurzer Zeit ſchon ſo,

Als waͤre er laͤngſtens geweſen do.

7. Dann ſo gut als der beſte Akademikus

Lebte er taͤglich in Floribus,

Und es wurde manche liebe Nacht

In Sauſen und Brauſen zugebracht.

8. Wein, Tabak und Bier war ſein Leben,

Er that dabei die Stimme hoch erheben,

Wenn er mit lautem und ſtarken Klang

Das Gaudeamus igitur ſang.

9. Als
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9. Als ein wahres Muſter fideler Studenten

Verfuhr er bei allen, die ihn kennten,

Und lebte immer fein burſchikos:

Sein drob erhaltener Ruhm war groß.

10. Jene drei verhaßte Geſchwiſter:

Haͤſcher, Pedellen und Philiſter,

Hat Hieronimus als ein Held

Oeftermalen jaͤmmerlich geprellt.

11. Mehrmals hat er ſie periiret,

Oder ſie ſonſt laͤſterlich vexiret,

Anſonſten ſich noch gezeiget auch,

Alles nach Rennomiſtengebrauch.

12. Des Sommers iſt er fleißig ausgeritten,

s’ Winters beim Schnee gefahren auf Schlit-

ten,

Und keine Ergoͤtzlichkeit uͤberhaupt

Hielte Hieronimus fuͤr unerlaubt.

13. Mehrmals iſt er auch zum Vergnuͤgen

Nach den benachbarten Doͤrfern geſtiegen,

Allwo er dann meiſtens auf dem Land

Manche gutwillige Schoͤne fand.

14. Die Fenſter hat er oft naͤchtlich eingeſchlagen,

Jungen Fuͤchſen angethan viele Plagen,

Spielte Wuͤrfel, Karten und Billiard

Und alſo nicht ſehr gelehrt ward.

15. Im
[49]
15. Im Raufen und Schlagen fand er Vergnuͤgen,

Taͤglich that er in der Schenke liegen,

Ging aber auch, alle zwei Monat einmal,

Zur Abwechſelung in den Kollegienſaal.

16. Wenn er muthwillige Schulden gemachet,

Hat er die Glaͤubiger ausgelachet,

Auch ihnen geſpielet manchen Betrug,

Sonſt auch gemachet der Streiche genug.

17. Kleider und Buͤcher that er verſetzen

Und ſich dafuͤr mit Schmauſen ergoͤtzen,

Kurz zu ſagen zu ſeiner Zeit

Uebertraf ihn keiner an Luſtigkeit.

18. Zwar mußte er oft in’s Karzer gehen,

Iſt ihm auch ſonſt noch wohl Strafe geſchehen,

Haͤtt’ auch beinahe einmal zum Lohn

Faſt bekommen die Relegation.

19. Drei Jahre lang hat er dies Leben getrieben

Und ſeinen Eltern oft um Geld geſchrieben,

Doch waren die Briefe ſo eingericht’t,

Daß ſie ſeine Auffuͤhrung merkten nicht.

20. Zu unſers Hieronimus großem Lobe

Kommt im folgenden Kapitel eine Probe

Von dieſer kurioſen Korreſpondenz;

Beſchließe alſo das itz’ge eilends.

Vier-
[50]

Vierzehntes Kapitel.


Welches die Kopei enthaͤlt von einem Briefe,
welchen nebſt vielen andern der Student
Hieronimus an ſeine Eltern ſchreiben thaͤt.


[figure]
1. Sehr geliebteſte Eltern!

Ich melde,

Hiebei, daß es mir fehlet an Gelde,

Habet alſo die Gewogenheit

Und ſchicket mir bald eine Kleinigkeit.

2. Naͤmlich etwa 20 bis 30 Dukaten,

Denn ich weiß mich kaum mehr zu rathen,

Weil es alles ſo knapp geht hier,

Drum ſendet doch dieſes Geld bald mir.

3. Alles
[51]
3. Alles iſt hier ganz erſchrecklich theuer,

Tiſch, Stube, Waͤſche, Licht und Feuer,

Und was ſonſt etwa vorfaͤllt noch,

Drum ſchicket die 30 Dukaten doch.

4. Kaum begreift ihr die ſtarke Ausgabe,

Welche ich auf der Univerſitaͤt habe

Fuͤr ſo viele Buͤcher und Kollegia,

Ach waͤren doch die 30 Dukaten ſchon da!

5. Ich ſtudire taͤglich recht ſehr fleißig.

Sendet mir doch naͤchſtens die dreißig

Dukaten, ſo bald als moͤglich iſt, her,

Denn mein Beutel iſt jaͤmmerlich leer.

6. Waͤſche, Schuhe, Struͤmpfe und Kleider,

Friſeur, Naͤtherin, Schuſter und Schneider,

Dinte, Federn, Bleiſtift, Papier,

Koſten viel, ſchickt die Dukaten mir!

7. Das Geld, welches hoffentlich ihr bald ſendet,

Wird, ich ſchwoͤr es Euch, gut angewendet.

Ja, liebe Eltern! ich behelfe mich

Sehr genau und hoͤchſt kuͤmmerlich.

8. Wenn andre Studenten ſaufen und ſchwaͤr-

men,

So entziehe ich mich allem wilden Lermen,

Und ſchließe mich mit den Buͤchern allein

Auf meiner Studirkammer weislich ein.

D 29. Auſſer
[52]
9. Auſſer den noͤthigen Koſten und Speiſe

Erſpar ich, liebe Eltern! auf alle Weiſe

Und trink vor’n Durſt kaum einmal The,

Denn Geld ausgeben thut ſchrecklich mir

weh.

10. Andre Studenten, die liederlich praſſen,

Thun mich wegen meiner Eingezogenheit

haſſen,

Und ſagen: da geht der Knicker einher,

Er ſtudirt, als wenn er ein Pfarrer ſchon

waͤr.

11. Manchen Verdruß ſie drob ſchon mir machten,

Ich thu aber ihre Spoͤtterei verachten,

Und was man von meiner Froͤmmigkeit

ſpricht.

Vergeßt doch die 30 Dukaten nicht!

12. Taͤglich hab’ ich mich zehn ganze Stunden

In den Kollegiis bisher eingefunden,

Und wann dann dieſe Kollegia aus,

Studir’ ich in uͤbrigen Stunden zu Haus.

13. Die Profeſſors ſind trefflich mit mir zufrie-

den,

Und rathen faſt, mich nicht ſo zu ermuͤden

In meinen beſtaͤndigen Studiis

Philoſophicis und Theologicis.

14. Es
[53]
14. Es moͤchte ſich zwar nicht geziemen

Mich gegen Euch, liebe Eltern! ſelber zu

ruͤhmen,

Doch ſage und verſich’r ich Euch frei,

Daß ich der fleißigſte von allen ſey.

15. Oft will mir von allen gelehrten Dingen

Faſt der Kopf, ſammt dem Hirn, zerſpringen,

Und manchmal wird mir gar wunderlich.

(A propos! die Dukaten erwarte ich.)

16. Ja, liebe Eltern! ich leſe ſchier beſtaͤndig

Und ſtrap’ziere meine Sinnen ſehr elendig,

Und meiſtentheils wird ſogar die Nacht

Mit tiefem Meditiren zugebracht.

17. Naͤchſtens gedenk ich auf die Kanzel zu ſtei-

gen,

Und mich einmal im Predigen zu zeigen;

Ich disputir’ mich auch im Kollegium

Ueber gelehrte Materien tapfer herum.

18. Vergeſſet doch nicht die Dukaten zu ſchicken,

Damit ich ſie ſchier baldigſt moͤge erblicken.

Ihr bekommt einſt dafuͤr in meiner Perſon

Einen hochgelehrten und klugen Sohn.

19. Da ich auch ein Privatiſſimum geſonnen

Zu halten und wirklich ſchon begonnen,

Welches 20 Reichsthaler koſten thut:

So erwart’ ich auch dieſe wohlgemuth.

20. Auch
[54]
20. Auch thu ich Euch, liebe Eltern! zu wiſſen,

Daß ich juͤngſt meinen Rock ſehr zerriſſen,

Alſo fuͤget zu obigen Geldern doch

Zwoͤlf Thaler zum neuen Rocke noch.

21. Habe auch neue Stiefel ſehr noͤthig,

Es iſt auch kein Schlafrock mehr vorraͤthig,

Imgleichen ſind meine Pantoffeln und Hut

Auch andre Kleidungsſtuͤcke kaput.

22. Da ich nun dies alles nicht kann entbehren,

Woll’t ihr mir noch a part vier Louisd’or ver-

ehren,

Welche alsdann zur Nothdurft mein

Vielleicht moͤchten hinreichend ſeyn.

23. Ich bin auch kuͤrzlich todtkrank geweſen,

Und kaum mit genauer Noth wieder geneſen,

Doch verſich’re ich Euch mit Hand und

Mund,

Daß ich itzo ſey wieder ziemlich geſund.

24. Der Medikus, welcher mich kuriret,

Hat dafuͤr 18 Gulden aufgefuͤhret,

Und die aus der Apotheke gebrauchte Arznei,

Machet, laut Rechnung, zwanzig und drei.

25. Damit nun Arzt und Apotheker kriegen

Das ihre, werdet Ihr guͤtigſt fuͤgen,

Dieſe ein und vierzig Gulden dazu.

Seyd uͤbrigens wegen meiner G’ſundheit in

Ruh.

26. Die
[55]
26. Die Aufwaͤrterin, welche mich that laben

In der Krankheit, moͤchte auch wohl was

haben.

Drum ſendet noch ſieben Gulden dafuͤr

Und addreſſirt’s mit dem uͤbrigen an mir.

27. Fuͤr Citronen, Geleen und Konfituren,

Zur Staͤrkung kranker und ſchwacher Na-

turen,

Steht auch noch, als ein kleiner Reſt,

Acht Gulden bei dem Konditor feſt.

28. Dieſe bemeldte Poſten allzumalen

Moͤchte ich gerne naͤchſtens richtig bezahlen,

Denn ich liebe Ordnung, und huͤte mich

Vor allen Schulden ſorgfaͤltiglich.

29. Ich traue alſo zu Euern milden Haͤnden,

Daß ſie mir alles, nebſt den 30 Dukaten,

ſenden,

Sobald als Euch es moͤglich wird ſeyn.

Noch faͤllt mir eine Kleinigkeit ein:

30. Vor 15 Tagdn hatte ich’s Ungeluͤcke,

Und fiel hoch von der Treppe zuruͤcke,

Als ich ging ins Kollegium,

Und ſtieß mir den rechten Arm faſt krumm.

31. Der
[56]
31. Der Chirurgus verlanget derohalben

Zwoͤlf Thaler fuͤr Balſam, Pflaſter und Sal-

ben,

Spiritus und ſonſtige Schmiererei;

Drum thut auch dieſe 12 Thaler noch bei!

32. Doch, damit Ihr Euch nicht alteriret,

Ich bin, Gottlob! ganz wieder kuriret

Und geh’ mit geſundem Arm und Bein

Taͤglich in das Kollegium ein.

33. Nur habe ich einen ſehr ſchwachen Magen,

Die Aerzte, die ich konſulirt habe, ſagen,

Das kaͤme vom vielen Sitzen her,

Und weil ich ſo erſtaunlich fleißig waͤr.

34. Sie haben mir dieſerhalben angerathen:

Warmen Burgunderwein, mit Zimmt und

Muskaten,

Des Morgens zu trinken ſtatt des The,

Das waͤre gut fuͤr’s Magenweh.

35. Leget alſo noch bei zwei Piſtolen,

Um dafuͤr Burgunder und Wuͤrze zu holen;

Gewiß, liebe Eltern! ich trinke es nur

Bloß zur verordneten Magenkur.

36. Endlich habe ich noch einige Schulden

Von etwa 30 bis 40 Gulden,

Schicket mir alſo auch, ohne Fehl,

Liebe Eltern! dies Bagatell.

37. Koͤnnte-
[57]
37. Koͤnnte ich, neben bei, fuͤr andre Ausgaben

Auch etwa noch ein Dutzend Louisd’or haben,

So kaͤme mir dieſes recht bequem,

Und waͤre mir wirklich auch angenehm.

38. Wenn Ihr Euch uͤbrigens geſund befindet

Und naͤchſtens im Briefe mir verkuͤndet,

So wird mir dieſes erfreulich ſeyn,

Schließt aber auch ja das Geld mit ein.

39. Hiemit will ich alſo mein Schreiben beſchließen,

Meine Geſchwiſter thu ich freundlich gruͤßen

Und verharre hierauf zum Schluß

Euer gehorſamer Sohn

Hieronimus.

40. Ich ſetze noch eilig zum Poſtſcripte;

Meine hochgeehrte und ſehr geliebte

Eltern! ich bitte kindlich,

Schicket doch bald das Geld fuͤr mich.

Funf-
[58]

Funfzehntes Kapitel.


Folget auch die Kopei der ſchriftlichen Antwort
des alten Senator Jobs auf vorgemeldten
Brief.


1. Was hierauf des Vaters Antwort geweſen,

Das ſoll man gleichermaßen nun leſen:

Mein herzvielgeliebteſter Sohn!

Dein Schreiben hab’ ich erhalten ſchon,

2. Und deine Geſundheit und Wohlergehen

Mit Vergnuͤgen aus demſelbigen erſehen,

Jedoch vergnuͤgt es mich eben nicht,

Daß dein Brief wieder von Geld ſpricht.

3. Es ſind noch nicht drei Monate vergangen,

Da du hundert und funfzig Thaler empfangen,

Faſt weiß ich nicht, wo in der Welt

Ich hernehmen ſoll alle das Geld.

4. Ich hoͤre gern auch, daß du ſtudireſt

Und dich fleißig und ordentlich auffuͤhreſt,

Aber hoͤchſt ungern vernehme ich von dir,

Daß du 30 Dukaten forderſt von mir.

5. Faſt,
[59]
5. Faſt, mein Sohn! ſollte ich ſagen und glauben,

(Du wirſt mir meine Anmerkung erlauben)

Daß, wenn man auf der Univerſitaͤt

Sparſam iſt, nicht ſo viel noͤthig haͤtt’.

6. Zwaren iſt es wohl gewiß und ſicher,

Man hat nicht umſonſt Kollegia und Buͤcher,

Jedoch bekommt man fuͤr ſolche Summ’

Manches Buch und Kollegium.

7. Tiſch, Stube, Waͤſche, Licht und Feuer

Kann auch unmoͤglich ſeyn ſo theuer,

Auch Federn, Bleiſtift, Dinte, Papier

Kaufſt du fuͤr wenige Groſchen g’nug dir.

8. Ich vernehme es zwar auch ſehr gerne,

Daß du dich von boͤſer Geſellſchaft ferne

Haͤlt’ſt, und auf der Studirſtube ſitzſt

Und bei den geliebten Buͤchern ſchwitzſt;

9. Auch daneben nur The thuſt trinken:

Indeſſen will’s mir wahrſcheinlich duͤnken,

Daß, wenn man uͤber den Buͤchern ruht

Und The trinkt, nicht 30 Dukaten vorthut.

10. Wenn dich andre einen Knicker ſchelten,

So mag dir dieſes gleich viel gelten;

Doch, wer ſo viel Geld verſchwendet als du,

Dem kommt der Name Knicker nicht zu.

11. Weil
[60]
11. Weil du uͤbrigens von deinem Fleiße ſchrei-

beſt,

So rathe ich, daß du fein dabei verbleibeſt,

Damit das Geld und die edle Zeit

Angewandt werde in Nuͤtzlichkeit.

12. Doch mußt du dich nicht ſo ſehr angreifen

Und im Kopf zu viel Gelehrſamkeit haͤufen,

Denn es trifft, leider! mannichmal ein,

Daß große Gelehrte meiſt Narren ſeyn.

13. Dein Vorſatz, zu predigen, thut mir gefal-

len,

Drum uͤbe dich fleißig darin vor allem;

Aber, bei vieler Disputation

Kommt eben nichts Kluges heraus, mein

Sohn!

14. Wozu auch das Privatiſſimum nuͤtzet,

Wenn man ſchon zehn Stunden im Kollegio

ſitzet,

Das begreif’ ich um deſtoweniger wohl,

Da es 20 Reichsthaler koſten ſoll.

15. Doch laſſe ich’s vor allen andern paſſiren:

Denn das Geld, welches du zum Studiren

Gebraucheſt, gebe ich gerne her,

Und wenns auch noch dreimal ſo viel waͤr.

16. Da
[61]
16. Da auch, wie du ſchreibſt, dein Rock zerriſſen,

So kannſt du freilich einen neuen nicht miſſen;

Jedoch das Tuch wuͤrde ſuprafein

Fuͤr die verlangten zwoͤlf Thaler ſeyn.

17. Wer aber zum Pfarrherrn will ſtudiren,

Muß nicht mit koſtbaren Kleidern ſtolziren;

Drum waͤre ein etwas groͤberes Tuch

Zum neuen Rocke dir gut genug.

18. Auch fuͤr noch ſonſtige Kleidungsſtuͤcke

Willſt du, daß ich vier Louisd’or ſchicke

Naͤmlich fuͤr Schlafrock, Pantoffel und Hut,

Weil ſie nicht zum Gebrauche mehr gut.

19. Wenn ich aber ſolches allzumalen

Poſten fuͤr Poſten ſonders ſoll bezahlen,

Wozu ſollen dann, lieber Hieronimus mein!

Die verlangte dreißig Dukaten ſeyn?

20. Ich habe es mit Mitleiden geleſen,

Daß du juͤngſthin todt krank geweſen;

Aber du haſt nicht wohl gethan,

Daß du viele Arznei gewendet an.

21. Denn ich habe oft und viel erfahren,

Daß, beſonders in den juͤngeren Jahren,

Die ſich ſelbſt uͤberlaſſ’ne Natur

Mehr wirkt, als die beſte Mixtur.

22. Dein
[62]
22. Dein gebrauchter Arzt und Arzeneien,

Sind faſt theuer zum Verabſcheuen,

Und wie mir duͤnken ſollte, ſo iſt

Weder Apotheker, noch Arzt ein Chriſt.

23. Da auch eine Waͤrterin, wie ich geleſen,

In der Krankheit bei dir iſt geweſen;

So reichte fuͤr dieſe Aufwaͤrterin,

Statt ſieben, ein einziger Gulden hin;

24. Wenn ſie nicht etwa ſonſt, vor dieſen,

Liebesdienſte andrer Art dir erwieſen,

Denn, lieber Sohn! ich ſchließe dies

Schier aus den ſieben Gulden gewiß.

25. Was auch nun den Konditor anlanget,

Welcher ebenfalls acht Gulden verlanget,

So waͤre geweſen ein Thaler genug,

Und du wareſt gewißlich nicht klug.

26. Denn Citronen, Konfituren und Leckereien

Geben eigentlich dem Kranken kein Gedeihen

Aber ein Hafer- oder Gerſtentrank

Nutzet weit mehr, wenn man iſt krank.

27. Es iſt nicht gut, daß du biſt gefallen

Von der Treppe, drum ſorge ja fuͤr allen,

Daß du hinfuͤhro nicht wieder faͤllſt,

Denn die Kur betraͤget viel Gelds.

28. Dein
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28. Dein Wundarzt hat dich recht hergenom-

men

Denn fuͤr 12 Thaler, wie ich vernommen,

Heilt unſer beruͤhmte Stadtbalbier

Einen Arm- oder Beinbruch ſchier.

29. Doch freut’s mich, daß dein Arm wieder ku-

riret;

Denn wenn ein Pfarrer auf der Kanzel pero-

riret,

So muß der Arm geſchmeidig und fein

Beim Klopfen und Geſtusmachen ſeyn.

30. Ich muß dich ferner auch herzlich beklagen

Wegen deinem ſehr ſchwachen Magen;

Mein Magen iſt, leider! auch nicht viel

nuͤtz,

Weil ich ſehr oͤfters zu Rathe ſitz.

31. Indeß thut Burgunder mit Gewuͤrzen

Dich nur unnoͤthig in Koſten ſtuͤrzen;

Schlucke lieber oft ein Pfefferkorn ein.

Das ſoll ſehr gut fuͤr den Magen ſeyn.

32. Du willſt auch noch 30 bis 40 Gulden

Haben, zur Bezahlung einiger Schulden;

Ich ſinne nun hin, das Kreutz und die

Queer,

Beim Himmel! wo kommen die Schulden

doch her?

33. Du
[64]
33. Du haſt ja ſchon alles ſpezificiret

Und Poſten fuͤr Poſten zum hoͤchſten aufge-

fuͤhret,

Und vierzig Gulden, bei meiner Seel!

Sind nicht, wie du glaubſt, ein Bagatell.

34. Endlich ſoll ich gar noch ein Dutzend Piſto-

len

Zu andern Ausgaben fuͤr dich herbei holen;

Es waͤre dir vielleicht zwar angenehm,

Mir aber kommts hoͤchſt unbequem.

35. Denn mit den verlangten 30 Dukaten

Kannſt du dich wegen der Ausgaben ſchon

berathen,

Dieſes letztere Dutzend Louisd’or,

Kommt mir alſo als Ueberfluß vor.

36. Doch, um deinen Geldmangel zu ſtillen,

Will ich itzt nochmal dein Begehren erfuͤllen

Und ſende die Gelder mancherlei

Im beikommenden Paͤcklein herbei.

37. Jedoch muß ich dir hienebſt andeuten

Es ſind heur gar nahrloſe Zeiten,

Und es faͤllt mir wahrlich gar ſchwer,

Alle Gelder zu nehmen woher.

38. Mit dem Handel giebts nur Kleinigkeiten,

Denn es iſt kein Geld unter den Leuten,

Und die Rathsherrnſchaft wirft auch nicht

viel ab,

Drum ſind meine Einkuͤnfte ſo knapp.

39. Ich
[65]
39. Ich werde es alſo ſehr gerne ſehen,

Wenn du von der Univerſitaͤt thuſt gehen,

Zumalen da du, zu dieſer Friſt,

Gewißlich ſchon ausgelernet biſt.

40. Denn wenn du noch laͤnger alda bleibeſt

Und das koſtbare Studiren forttreibeſt,

So werde ich noch zum armen Mann

Und keine Gelder mehr ſchaffen kann.

41. Wir werden dich hier mit großem Verlangen

Als einen gelehrten Sohn ſtattlich empfangen,

Beſonders freut deine Mutter ſich

Auf deine Zuhauſekunft inniglich.

42. Ich moͤchte dir gern etwas Neues ſchreiben

Es thut aber alles hier beim Alten bleiben;

Ich bin indeſſen fruͤh und ſpat

Nach Gewohnheit geweſen oft im Rath.

43. Da haben wir, in Pleno, thun dichten,

Um verſchiedene Aenderungen einzurichten,

Damit in der hieſigen Polizei

Alles fein ſauber und ordentlich ſey.

44. Deine Mutter hat an Zaͤhnen viel ausgeſtan-

den;

Aber ein großer Wundarzt aus fremden Landen

Vor einigen Tagen hier kam

Und die boͤſen Zaͤhne wegnahm.

Jobſiade 1r Th. E45. Dei-
[66]
45. Deine Schweſter Gertrud hat einen Freier,

Es iſt der Prokurator Herr Geier,

Die Sache iſt ſchon gekommen ſehr weit

Und die Gertrud iſt ſchon ziemlich breit.

46. Unſer Pfarrer iſt immer kraͤnklich,

Man haͤlt ſeinen Zuſtand fuͤr bedenklich,

Stuͤrbe einſt dieſer rechtſchaffene Mann,

So wuͤrd’ſt du vielleicht unſer Pfarrer dann.

47. Unſers reichen Nachbars ſein Ließchen

Vermeldet dir ein herzliches Gruͤßchen,

Das Maͤdchen wird wirklich artig und fein

Und koͤnnte einſt deine Frau Pfarrerin ſeyn.

48. Endlich gruͤßen dich alleſamt wieder

Deine ſaͤmmtlichen Schweſtern und Bruͤder,

Sie freuen ſich uͤber dein Wohlergehen

Und hoffen ſchier baldigſt dich hier zu ſehen.

49. Ich beharre uͤbrigens

Dein treuer Vater

Hans Jobs, pro tempore Senater.

N. S. Dein Schreiben mir zwar gefaͤllt

Aber verſchone mich weiter mit Geld.

Sechs-
[67]

Sechszehntes Kapitel.


Wie Hieronimus ausſtudirt hatte, und wie er
nach ſeiner Heimath reiſete, und wie es mit
ſeiner Gelehrſamkeit bewandt war; fein artig
im gegenwaͤrtigen Kupfer vorgeſtellt.


[figure]
1. Sintemal man nicht ewig auf Univerſitaͤten

Bleiben kann, ſo wars endlich vonnoͤ-

then,

Daß nach verfloſſener drei Jahren Zeit,

Sich Hieronimus machte zur Abfahrt bereit.

E 22. Um
[68]
2. Um ſeiner Eltern Verlangen und Willen,

Die nun ſeine Heimkunft begehrten, zu erfuͤllen,

That er alles zu dieſer Friſt,

Was zum Abmarſche noͤthig iſt.

3. Zwar brauchte er nicht viel einzupacken;

Denn auſſer Stiefeln, Degen, Weſte und

Jacken,

Und was man an ſeinem Leibe ſonſt ſah,

War nicht’s mindeſte Geraͤthe da.

4. Nach Buͤchern brauchte man gar nicht zu

fragen,

Denn dieſe thaten ihm niemals behagen,

Und auſſer einer einzigen Predigt nur

Beſaß er nicht die geringſte Scriptur.

5. Ein Freund hatte ihm ſelbige verehret

Und ſie ihm nach und nach auswendig gelehret,

Damit er doch einmal ohne Beſchwer

Zu Hauſe koͤnnt predigen, wenns noͤthig waͤr.

6. Es that alſo der Gedanke bei ihm aufſteigen,

Wie er ſich daheim den Eltern koͤnnt’ zeigen,

Damit man nicht auf dieſe Manier

Den kahlen Zuſtand der Sache erfuͤhr.

7. Zuletzt fiel es ihm ein zu ſagen,

Wenn man nach Koffer und Mantelſack wollt

fragen,

Daß ihm alles geſtohlen waͤr

Auf ſeiner Reiſe gen Hauſe her.

8. Auch
[69]
8. Auch thaten einige Seufzer entſtehen;

Armer Hieronime! wie wirds dir ergehen,

Wenn man dich einmal examinirt,

Denn du haſt nichts gelernt noch ſtudirt?

9. Zwar hat’s ihm herzlich gereut und verdroſſen,

So daß er faſt Thraͤnen darob vergoſſen,

Weil er fuͤr alle Koſten und Zeit

Nicht erworben mehrere Gelehrſamkeit.

10. Aber alles ſein Trachten, Dichten und Denken

Wuͤnſchen, Seufzen, Jammern und Kraͤnken

Brachten ihm itzo keinen Gewinn,

Denn die Zeit war einmal dahin.

11. Um alſo ſeine Grillen zu verlieren,

Ließ er formaliter invitiren

Seine Freunde auf der Univerſitaͤt,

Und gab ihnen den Schmaus zum Valet.

12. Hier wurde dann tapfer nochmal geſchmauſet,

Getrunken, gelaͤrmt und geſauſet,

Bis endlich der traurige Morgen kam

Und Hieronimus Abſchied nahm.

13. Dieſer ging ihm recht ſehr zu Herzen

Und erregte ihm faſt herbe Schmerzen,

Ja, er hat wirklich laut geweint

Und im Arm ſeiner Freunde gegreint.

14. Eh
[70]
14. Eh er aber ſein Ade genommen,

Iſt er vorher zum Profeſſor gekommen,

Dieſer hat ihm, fuͤr baares Geld,

Ein akademiſch Zeugniß zugeſtellt.

15. Es iſt zwar nicht gar loͤblich geweſen,

Doch Hieronimus, ohne es zu leſen

(Denn es war geſetzt in griechſch und latein.)

Steckte es in den Schubſack hinein.

16. Ich laſſe ihn alſo nach Hauſe reiſen,

Und vorher will ich noch dem Leſer weiſen

Im oben bevorſtehenden Kupferblatt,

Wie’s um ſeine Gelehrſamkeit geſtanden hat.

Sie-
[71]

Siebenzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus mit Stiefeln und Sporen
bei den lieben Seinigen wieder angelanget iſt.


[figure]
1. Als einſt nach eingenommener Mittagsſpeiſe

Der Senator Jobs (denn es war ſo ſeine

Weiſe)

Mit ſeinem Pfeifchen im Lehnſtuhl ſaß

Und die politiſche Zeitung laß;

2. Indeß Frau Jobs einiger Sachen wegen

In der Kuͤche ein kleines Laͤrmen that erregen,

Auch ſonſt einige Ordnung gemacht

Und keine Seel an was Boͤſes gedacht;

3. Kam
[72]
3. Kam ein ſtolzer Reuter mit ſtarken Schritten

Auf der Straße eilig daher geritten,

Und gleich hoͤrten ſie, Knall und Fall,

Vor der Hausthuͤr einen Karbatſchenſchall.

4. Ob dieſem faſt fuͤrchterlichen Knallen

Ließ Jobs die Zeitung aus der Hand fallen,

Und die Pfeife ſelbſt war in Gefahr;

Frau Jobs aber verſtummte gar.

5. Aber aus dieſem recht paniſchen Schrecken

That ſie der Reuter bald aufwecken;

Weil er, im voͤlligen Reiſeſtaat,

Zu ihnen in die Stube trat.

6. Die Alten ſchienen beide ihn nicht zu kennen,

Er wollte ſich auch vorerſtlich nicht nennen,

Bis endlich der gute Vater da

In ihm ſeinen lieben Hieronimus ſah.

7. Es fehlt mir ſchier an allen noͤthigen Dingen,

Die gewaltig große Freude zu beſingen,

Welche der fromme Senator empfand,

Faſt entging ihm aller Verſtand.

8. Auch die Mutter konnte ſich nicht faſſen

Noch vor Freude Haͤnd’ und Fuͤſſe laſſen,

Als ſie ebenfalls itzt und nunmehr

Sah, daß es Hieronimus waͤr.

9. Faſt
[73]
9. Faſt haͤtten im Uebermaß der Freude

Klare Thraͤnen geweinet alle beide,

Und das Willkomm! und dem Himmel

ſey Dank!

Und ſo weiter, waͤhrete lang.

10. Es waren auch darauf nicht minder

Des Senators Jobſens uͤbrige Kinder

Alle zuſammen bei der Hand,

Und kein einziges hat ihn gekannt.

11. Es war recht ſpaßhaft anzuſehen

Wie ſich die Kinder thaten begehen:

Eins hielt ihn fuͤr’n großen Herrn

Welcher gekommen waͤr von fern;

12. Das andere hielt ihn, wegen dem Degen

Und der uͤbrigen gefaͤhrlichen Kleidung wegen,

Fuͤr einen, der Kinder im Sack ſteckt,

Beſonders wurden die juͤngſten erſchreckt.

13. Aber ſehr luſtig ging es mit der Eſther,

Unſers Hieronimi allerjuͤngſten Schweſter,

Denn ſie hielt ihn noch lange hernach

Fuͤr’n fremden Oheim von Gengenbach.

14. In den drei Jahren, die er dort verſchlen-

dert,

Hatte ſich ſeine Perſon ſehr veraͤndert,

Und er war dick geworden am Bauch,

Sein Bart ziemlich gewachſen auch.

15. Es
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15. Es war alſo eben kein Wunder zu nennen,

Wenn ihn anfangs niemand mochte kennen,

Beſonders, da ſein Studentenhabit

Auch nicht, wer er eigentlich war, verrieth.

16. Ein ſehr großer Hut mit einer Feder,

Hoſen und Weſte von gelbem Bocksleder,

Ein kurzes Kollet von grauem Tuch

Verſtellte den Hieronimus genug.

17. Dabei kam ein maͤchtig großer Degen

Welcher, der mehreren Sicherheit wegen,

Sowohl zum Stich, als Hiebe im Streit

Eingerichtet war ſpitz und breit.

18. Imgleichen die martialiſche Miene

Welche Tod und Wunden zu drohen ſchiene;

Die Haare hingen ſtruppicht am Kopf

Und den Nacken druͤckte ein dicker Zopf.

19. Dieſe und mehr ſeltſame Kleidungsſtuͤcke

Zogen bald auf ſich des Vaters Blicke,

Denn ein ſittſames ſchwarzes Kleid

Haͤtte den Alten weit mehr erfreut.

20. Auch wollte des Hieronimus uͤbriges Betra-

gen

Dem alten Vater Jobs nicht zum beſten

behagen,

Weil bei dem Hieronimus fort und fort

Fluͤche erfolgten auf jedes Wort.

21. Er
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21. Er gab ihm alſo deutlich zu verſtehen,

Daß er nun anders ſich moͤchte begehen,

Denn ein junger Theologus

Muͤſſe leben nach geiſtlichem Fuß.

22. Als er kurz drauf nach dem Koffer gefraget,

Hat Hieronimus alſobald geſaget

Und dabei kraͤftig geſchworen: daß er

Vom Poſtwagen juͤngſt ihm geſtohlen waͤr’.

23. Dieſe Nachricht, daß er den Koffer verlohren,

Klang unangenehm in des Vaters Ohren

Und er fing zu knurren drob an,

Haͤtte es nicht die Mutter gethan.

24. Denn ſie hielte den Alten zuruͤcke,

Sprach, das iſt ja ein Ungeluͤcke

Woran unſer lieber Sohn nicht ſchuld;

Er ergabe ſich alſo in Geduld.

25. Indeſſen verbreitete auch das Geruͤchte,

Des Hieronimus Wiederkunftsgeſchichte

Ueberall in dem Staͤdtelein aus

Und waͤlzete ſich von Haus zu Haus.

26. Der ganzen Buͤrgerſchaft ſchien dran gelegen,

Und uͤberall that ſich Verwunderung erregen,

Und wo ein Menſch nur den andern ſah,

So hieß es: Hieronimus iſt wieder da.

27. Es
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27. Es wurde uͤbrigens angenehm und freudig

In Senator Jobſens Hauſe allerſeitig

Der Reſt des uͤbrigen Tages verbracht

Und weiter nicht an den Koffer gedacht.

28. Hieronimus labte ſich an Trank und Speiſe

Weidlich, denn er war matt von der Reiſe,

Rauchte dabei auch ohne Beſchwer

Des Vaters großen Tabaksbeutel leer.

Achtzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus nun anfing geiſtlich zu werden
und wie er ein ſchwarzes Kleid und eine
Perruͤcke bekam, und wie er auf der Kan-
zel zum erſtenmal predigte, u. ſ. w.


1. Als nun der andre Morgen vorhanden

Und alles im Hauſe war aufgeſtanden,

Und beim Fruͤhſtuͤck und Kaffetiſch

Jeder ſich befande munter und friſch.

2. Hub der Vater an zu diskuriren:

Mein lieber Sohn! es will ſich gebuͤhren,

Daß deine bisherige Kleiderei

Anders in Zukunft beſchaffen ſey.

3. Vor-
[77]
3. Vorab, mußt du den ſchrecklichen Degen

Von deiner Seite, von nun an, legen,

Weil ein Geiſtlicher niemals nicht

Anders als mit der Bibel ficht;

4. Auch das graue Kollet und die lederne Weſte

Nebſt Hoſen, Stiefeln und dem uͤbrigen Reſte,

Wie auch den maͤchtigen Federhut;

Denn alles dies ſteht keinem Geiſtlichen gut.

5. Denn wenn jemand dieſen Anzug ſaͤhe,

Moͤchte er billig denken; o wehe,

Das koͤnnte eher ein Kuͤraſſier

Seyn, als ein kuͤnftiger Pfarrer hier!

6. Wiſſe auch, daß eine runde Perruͤcke

Auf den geiſtlichen Kopf ſich beſſer ſchicke;

Denn dieſe laͤſſet ehrwuͤrdig und wohl,

Ein ſtruppichtes Haar und Zopf laͤßt toll.

7. Ich habe alſo mir vorgenommen,

Um zu laſſen den Schneider kommen,

Damit dir dieſer ein ſchwarzes Kleid

Und einen Mantel noch mache heut.

8. Auch iſt der Perruͤckenmacher beſtellet,

Damit er, wenn es dir gefaͤllet,

Zu deines Kopfes kuͤnftiger Zier

Eine Perruͤcke bringe dir.

9. Das
[78]
9. Das wird ein ehrbares Anſehen dir geben,

Es iſt aber auch noͤthig daneben,

Daß du hinfuͤhro nicht mehr ſo guchſt,

Sondern auch geiſtlich zu leben ſuchſt.

10. Hieronimus hoͤrte zwar etwas ſproͤde

Seines alten Vaters vernuͤnftige Rede,

Doch ließ er ſich endlich ebenfalls

Alles gefallen und bereden all’s.

11. Man ſah ihn darauf, eh der Tag noch ver-

gangen,

Im ſchwarzen Kleide und Perruͤcke prangen,

Es war auch ein weißes Kraͤgelein da,

Gemacht von der Mutter manu propria.

12. Geiſtlich ſtaffirt vom Kopf bis zu’n Fuͤßen,

That er nun den Eltern kund und zu wiſſen,

Daß er, zu predigen in dieſer Livrei,

Am kuͤnftigen Sonntag geſonnen ſey.

13. Er hat ſich auch treu des Verſprechens ent-

ledigt,

Und am folgenden Sonntag gepredigt,

Und ohne einen ſonderlichen Anſtoß

Ward er gluͤcklich der Predigt los.

14. Denn, wie oben, Kapitel ſechszehn, gehoͤret,

Hatte ein Freund ihm eine Predigt verehret,

Dieſe kam ihm vortrefflich zur Hand,

Weil er ſie ganz auswendig verſtand.

15. Sie
[79]
15. Sie war gar vortrefflich komponiret,

Mit vielen erbaulichen Spruͤchen gezieret,

Und ſo voll vom gelehrten Tand,

Daß ſie Hieronimus ſelbſt nicht verſtand.

16. Auch ſein aͤuſſerer Anſtand war praͤchtig,

Seine Arme und Haͤnde bewegte er maͤchtig

Und der Stimme ſtarker Tenor

Drang den Zuhoͤrern ſtattlich ins Ohr.

17. Es wurde uͤbrigens von vielen hundert

Zuhoͤrern ſeine Predigt bewundert,

Viele ſtießen die Koͤpfe an

Und ſagten: „das giebt ein ganzer Mann!

18. „Wer Henker haͤtte das denken ſollen,

„Daß ſo was einſt haͤtte werden wollen

„Aus des Jobſens dummen Hieronimus?

„Er erregt ja Verwundernuß!“

19. Auch waren alle Verwandten gegenwaͤrtig,

Gafften Hieronimus an, der ſo fertig,

Als haͤtte er laͤngſt geſtanden im Amt,

Sie erbauen konnte alleſammt.

20. Aber, ich vermag nicht das Entzuͤcken

Der beiden guten Eltern auszudruͤcken,

Denn ſie hielten nun beiderſeits

Ihn fuͤr den groͤßten Redner bereits.

21. Als
[80]
21. Als nun der Gottesdienſt verrichtet,

Ward ein groß Freudenmahl angerichtet,

Und in Senator Jobſens Haus

Kamen alle Verwandten zum Schmaus.

22. Da hat man, waͤhrend dem Mittagseſſen,

Nichts zu Hieronimi Lobe vergeſſen,

Und man trank oͤfters zu dieſer Zeit

Aus grdßen Glaͤſern ſeine Geſundheit.

23. Es ward auch zu denſelbigen Stunden

Von der ganzen Verſammlung fuͤr gut be-

funden,

Daß bei obwaltenden Umſtaͤnden nunmehr,

Zu des Hieronimus groͤßerer Ehr,

24. Er es naͤchſtens muͤſſe wagen

Und ſich zum Kandidaten laſſen ſchlagen,

Damit er in optima Forma hie

Werde Kandidatus Miniſteril.

25. Zwar waͤre es dieſerhalb wohl vonnoͤthen

Vorerſt vors Examen hinzutreten,

Doch bei der gezeigten Gelehrſamkeit

Haͤtte dieſes keine Schwierigkeit.

26. Um ſo mehr, da der hieſige Pfarrer ſchwaͤch-

lich

Waͤre, ſo koͤnnte Hieronimus gemaͤchlich

Und ohne allen Zank und Geſchrei

Antreten die erledigte Pfarrei;

27. Wenn
[81]
27. Wenn es naͤmlich bald gluͤcklich geluͤnge,

Daß der Pfarrer den Weg alles Fleiſches

ginge,

Denn ſeine kraͤnkliche Konſtitution

Ließe dieſes feſt hoffen ſchon.

28. Hieronimus vermochte ſo viel Gruͤnden und

Flehen

Nunmehro nicht laͤnger zu widerſtehen,

Er gab alſo, obgleich aͤngſtlich genung,

Dazu ſeine Einwilligung.

29. Er leerete uͤbrigens zwar mit Vergnuͤgen

Manches großes Glas in ſtarken Zuͤgen,

Doch wenn er an’s kuͤnftge Examen gedacht,

So hat ihm dieſes ein Grauſen gemacht.

30. Endlich ſuchte er ſeine traurigen Grillen

Durch einen tuͤchtigen Rauſch zu ſtillen,

Obgleich ſein Mißfallen der alte Jobs

Bezeigte, durch ernſthaftes Schuͤtteln des

Kopfs.

Neun-
[82]

Neunzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus zum Kandidaten examinirt
ward, und wie es ihm dabei erging.


1. Indeß iſt es beim Entſchluſſe geblieben,

Und nach wenigen Wochen hat man ver-

ſchrieben

Die ganze hochehrwuͤrdige Kleriſey

Zu Hi[e]ronimus Examen herbei.

2. Jedoch, wie ihm ob ſolcher Gefahre,

Des nahen Examens zu Muthe ware,

Und ſein gemachtes aͤngſtliches Geſicht,

Dies alles begreift der Leſer nicht.

3. Es waͤre alſo ſolches zu ſchildern vergebens.

Die fuͤrchterlichſte Stunde ſeines Lebens,

Nahte nunmehro endlich herzu;

Ach! du armer Hieronimus, du!

4. Nenne mir nun, Jungfer Muſe, die Namen

Der geiſtlichen Herrn, welche zum Examen

Aus jeder Gegend der Schwaͤbiſchen Welt

Am beſtimmten Tage ſich eingeſtellt.

5. Der erſte war der Herr Inſpektor,

In der Lehre ſtark wie ein andrer Hektor,

Ein ſtattlicher dickgebauchter Mann;

Man ſah ihm gleich den Inſpektor an.

6. Seine
[83]
6. Seine Verdienſte ſchafften ihm dieſe Wuͤrde;

Er trug uͤbrigens ſeines Amtes Buͤrde

Geduldig und mit gar frohem Muth

Und aß und trank taͤglich gut.

7. Nach ihm kam der geiſtliche Aſſeſſer,

Ein Mann von Perſon zwar etwas groͤßer,

Doch an Koͤrper und Waden duͤnn

Und von etwas muͤrriſchem Sinn.

8. Er triebe nebſt der geiſtlichen Sache

Verſchiedene Stuͤcke aus dem oͤkonomiſchen

Fache

Und trank nur Bier und ſchlechten Wein,

Denn ſeine Einkuͤnſte waren klein.

9. Auch Herr Krager, ein Mann von hohen

Jahren,

In den Kirchenvaͤtern ſehr wohl erfahren,

Die er, ſo oft die Gelegenheit kam

Seinen Satz zu erweiſen, hernahm.

10. Auch Herr Kriſch, ein Mann von guten

Sitten,

Ungemein ſtark in Poſtillen beritten;

Wobei er ſich ſo gut und noch beſſer befand

Als der beſte Pfarrer im Schwabenland.

F 211. Auch
[84]
11. Auch Herr Beff, ein weidlicher Linguiſte,

Und im Leben und Wandel ein ziemlicher Chriſte,

Im Vortrag ein ewiges Einerlei,

Doch niemals gegen Orthodoxei.

12. Auch Herr Schrei, ſtark in der Rede,

Weder in Geſellſchaften, noch auf der Kan-

zel bloͤde,

Lebte uͤbrigens munter und friſch

Mit ſeiner Koͤchin exemplariſch.

13. Auch Herr Plotz, ein Mann wie ein Engel,

Er hatte zwar in der Jugend viele Maͤngel,

Nachdem er aber ſein Amt trat an,

Ward er ein gar frommer Mann.

14. Er hielte ſeine hochgeliebte Gemeine

Von allen Laſtern und boͤſem Weſen reine,

Und ſtrafte zur Zeit und zur Unzeit

Alle und jede, doch nach Gelegenheit.

15. Auch Herr Keffer, nie muͤde in Lehr und

Strafen,

Er nahm ſich treulich an ſeiner Schaafen,

Doch fande ſich in der Heerde ſein

Mancher hartnaͤckiger Bock mit ein.

16. Oft war er, um ſie zurechte zu fuͤhren,

Er deshalb genoͤthiget zu prozeſſiren,

Denn er verſtand die Jura, in der That,

So gut als der beſte Advokat.

17. Auſſer
[85]
17. Auſſer dieſen obengenannten kamen

Noch mehr geiſtliche Herren zum Examen,

Die ich nicht alle Mann fuͤr Mann

Sogar genau mehr nennen kann.

18. Als nun die ganze geiſtliche Schaare

Der hochehrwuͤrdigen Herren beiſammen

ware,

So ſetzten, praͤmiſſis praͤmittendis,

Sich alle um einen großen Tiſch.

19. Hieronimus trat mit Zittern und Zagen

Vor die ſaͤmmtliche Geſellſchaft der weiſſen

Kragen

Und ſcharrete ihnen demuͤthig den Gruß.

O weh dir! o weh dir! Hieronimus!

20. Zuvorderſt erkundigten die Examinatores

Sich nach ſeinen bisherigen Sitten und Mores

Und fragten ihn bald, ob er auch haͤtt’

Ein Zeugniß von der Univerſitaͤt?

21. Hieronimus, ohne ſonderliche Umſtaͤnde,

Gab das Atteſt in des Inſpektors Haͤnde,

Welcher daſſelbe alsbald dann luß;

O weh dir! o weh dir! Hieronimus!

22. Es war zwar, wie oben ſchon angefuͤhret,

In Latein und Griechiſch koncipiret,

Folglich zu leſen ein ſchweres Stuͤck;

Doch verſtand zu allem Ungeluͤck

23. Der
[86]
23. Der Inſpektor etwas von den Sprachen,

Um hier die noͤthigſte Dolmetſchung zu machen;

Denn fuͤr jeden andern geiſtlichen Herr

War die Ueberſetzung zu ſchwer.

24. Damit nun hier nichts moͤge fehlen,

Will ich dem geneigten Leſer erzaͤhlen,

Was eigentlich in dem Atteſtat

Von Wort zu Wort geſtanden hat.

25. Zuerſt Name und Titel vom Profeſſer

Und in drei Buchſtaben etwas groͤßer

Wuͤnſchte er, L. B. S. dem

Lectori Benevolo Salutem!

26. Sintemal und im maßen drei Jahre

Und einige Wochen hieſelbſt ware

Herr Hieronimus Jobſius

Als Theologiaͤ Studioſus;

27. Derſelbe aber abzureiſen nun mehro

Ernſtlich iſt geſonnen, und dero-

halben um ein ſchriftlich Atteſtat

Mich geziemen der maßen bat:

28. Sohabeich nicht unterlaſſen koͤnnen:

Ihme ſolches ſchriftliches Zeugniß

zu goͤnnen:

Daß derſelbe alle viertel Jahr

Bei mir einmal im Kollegio war.

27. Ob
[87]
29. Ob er ſich ſonſt des Studirens pri-

vat[e]m befliſſen,

Wird ihm wohl ſagen ſein eigen

Gewiſſen,

Dann in dieſem ſchriftlichen Be-

richt

Behaupte und zeugeich ſolches nicht.

30. Und von ſeinem ſonſtigen Betragen

Waͤre zwar nicht viel gutes zu ſagen,

Allein die chriſtliche Liebe will,

Daß ich davon ſchweige ſtill.

31. Uebrigens wuͤnſch ich ihm auf alle

Weiſe

Hiedurch eine gluͤckliche Abreiſe,

Und der guͤtige Himmel leite ihn

Kuͤnftig zu allem Guten hin!

32. Was man fuͤr große Augen gemachet,

Und daß Herr Hieronimus nicht gelachet,

Als man den Inhalt fand dergeſtalt,

Ein ſolches begreifet der Leſer alsbald.

33. Indeß iſt es fuͤr diesmal geſchehen,

Daß man die Sache hat uͤberſehen,

Und man redete von dem Atteſt

Aus chriſtlicher Erbarmung und Liebe das

Beſt’.

34. Denn
[88]
34. Denn die Herren dachten weislich zuruͤcke,

Daß ſie auch wohl viele luſtige Stuͤcke

Auf Akademien getrieben vor dem;

Man ſchritte alſo weiter ad rem.

35. Der Herr Inſpektor machte den Anfang

Huſtete viermal mit ſtarkem Klang,

Schnaͤuzte und raͤuſperte auch viermal ſich

Und fragte, indem er den Bauch ſtrich:

36. Ich, als zeitlicher pro tempore

Inſpektor,

Und der hieſigen Geiſtlichkeit Direk-

tor,

Frage Sie: Quid sit Episcopus?

Alsbald antwortete Hieronimus:

37. Ein Biſchof iſt, wie ich denke,

Ein ſehr angenehmes Getraͤnke

Aus rothem Wein, Zucker und Pomeran-

zenſaft

Und waͤrmet und ſtaͤrket mit großer Kraft.

38. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes;

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

39. Nun hub der Aſſeſſor an zu fragen!

Herr Hieronimus! thun Sie mir

ſagen,

Wer die Apoſtel geweſen ſind?

Hieronimus antwortete geſchwind:

40. Apo-
[89]
40. Apoſtel nennet man große Kruͤge

Darin gehet Wein und Bie zur G'nuͤge,

Auf den Doͤrfern und ſonſt beim Schmaus

Trinken die durſtigen Burſche daraus.

41. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! dem!

Drauf die andern secundum ordmem.

42. Nun traf die Reihe den Herrn Krager

Und er ſprach: Herr Kandidat! ſag’ Er,

Wer war der heilige Auguſtin?

Hieronimus antwortete kuͤhn:

43. Ich habe nie gehoͤrt oder geleſen,

Daß ein andrer Auguſtin geweſen,

Als der Univerſitaͤtspedell Auguſtin,

Er citirte mich oft zum Prorektor hin.

44. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

45. Nun folgte Herr Kriſch ohn Verweilen

Und fragte: Aus wie vielen Theilen

Muß eine gute Predigt beſtehn,

Wenn nach Regeln ſie ſollte ge-

ſchehn?

46. Hie-
[90]
46. Hieronimus, nachdem er ſich eine Weile

Bedacht ſprach: die Predigt hat zwei Theile,

Den einen Theil niemand verſtehen kann,

Den andern Theil aber verſteher man.

47. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

48. Nun fragte Herr Beff der Linguiſte:

Ob Herr Hieronimus auch wohl wuͤſte,

Was das hebraͤiſche Kuͤbbuz ſey?

Und Hieronimus antwortete frei:

49. Das Buch, genannt Sophiens Reiſen

Von Memel nach Sachſen, thut es weiſen,

Daß ſie den muͤrriſchen Kuͤbbuz bekam

Weil ſie den reichen Puff fruͤher nicht nahm.

50. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

51. Nun kam auch an den Herrn Schreier,

Den Hieronimus zu fragen, die Reihe,

Er fragte alſo: Wie mancherlei

Die Gattung der Engel eigentlich

ſey?

52. Hie-
[91]
52. Hieronimus that die Antwort geben:

Er kenne zwar nicht alle Engel eben

Doch waͤr ihm ein blauer Engel bekannt

Auf dem Schild an der Schenke, zum En-

gel genannt.

53. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

54. Herr Plotz hat nun fortgefahren

Zu fragen: Herr Kandidate! wie viel

waren

Concilia oecumenica?

Und Hieronimus antwortete da:

55. Als ich auf der Univerſitaͤt ſtudiret,

Ward ich oft vor’s Concilium citiret,

Doch betraf ſolches Concilium nie

Sachen aus der Oekonomie.

56. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

57. Nun folgte Herr Keffer, der geiſtliche Herre,

Seine Frage ſchien zu beantworten ſchier ſchwere

Sie betraf der Manichaͤer Ketzerei,

Und was ihr Glaube geweſen ſey?

58. Ant-
[92]
58. Antwort: Ja, dieſe einfaͤltigen Teufel

Glaubten, ich wuͤrde ſie ohne Zweifel

Vor meiner Abreiſe bezahlen noch,

Ich habe ſie aber geprellet doch.

59. Ueber dieſe Antwort des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

60. Die uͤbrigen Fragen, welche man proponiret,

Laſſe ich hier aus Mangel des Raums unbe-

ruͤhret,

Denn ſonſt machte das Protokoll

Wohl mehr als ſieben Bogen voll.

61. Sintemal man noch vieles gefraget,

Worauf Hieronimus die Antwort geſaget

Auf obige Weiſe, Stuͤck vor Stuͤck

Aus Dogmatik, Polemik und Hermenevtik.

62. Imgleichen ſonſt noch manche Sachen

Aus der Kirchenhiſtoria und Sprachen,

Und was man einen geiſtlichen Mann

Sonſt wo zur Pruͤfung noch fragen kann.

63. Ueber alle Antworten des Kandidaten Jobſes

Geſchah allgemeines Schuͤtteln des Kopfes,

Der Inſpektor ſprach zuerſt, hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

64. Als
[93]
64. Als nun die Pruͤfung zu Ende gekommen,

Hat Hieronimus einen Abtritt genommen,

Damit man die Sache nach Kirchenrecht

In reife Ueberlegung nehmen moͤcht:

65. Ob es mit gutem Gewiſſen zu rathen,

Daß man in die Klaſſe der Kandidaten

Des heiligen Miniſterii den

Hieronimum aufnehmen koͤnn’.

66. Es ging alſo an ein Votiren,

Doch ohne vieles Diſputiren

Ward man einig alſobald:

Es koͤnne zwar dermal und ſolchergeſtalt

67. Herr Hieronimus es gar nicht verlangen

Den Kandidaten-Orden zu empfangen,

Jedoch aus beſondrer Konſideration

Wollte man ſtille ſchweigen davon.

68. Es hat auch wirklich in vielen Jahren

Kein Fremder davon etwas erfahren,

Sondern jedermann hielt fruͤh und ſpat

Den Hieronimum fuͤr einen Kandidat.

Zwan-
[94]

Zwanzigſtes Kapitel.


Wie der Autor gar demuͤthiglich um Verge-
bung bittet, daß das vorige Kapitel ſo lang
geweſen und wie er verſpricht, daß das
gegenwaͤrtige Kapitel deſto kuͤrzer ſeyn ſollte.
Ein Kapitel, wovon die Rubrik laͤnger iſt,
als das Kapitel ſelbſt, und welches, unbe-
ſchadet der Geſchichte, wohl haͤtte wegblei-
ben koͤnnen.


[figure]
1. Ich bitte um Verzeihung alle, die mich leſen,

Daß voriges Kapitel ſo lang geweſen,

Dabei ſoll auch dieſes Kapitelein,

Liebe Leſer! deſto kuͤrzer ſeyn.

Ein-
[95]

Ein und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Vater Jobs der Senator dem Hieroni-
mo eine Straſpredigt halten thaͤt, und wie
er vor Verdruß ſtirbt.


1. Nun haͤtte man ſollen das Laͤrmen ſehen

Was da in Jobſens Hauſe geſchehen,

Weil es, wie geſagt, nicht allerding

Mit dem Examen nach Wunſche ging.

2. Aber was that denn des Hieronimi Vater?

Lieber Leſer! du magſt wohl fragen: was that

er?

Er gerieth drob in gar großen Grimm,

Und ſagte zu ſeinem Sohne: „du Luͤm-

3. „mel! hab’ ich drum ſo viel angewendet

„Und ganze Haͤnde voll Geld verſchwendet,

„So daß faſt worden zum armen Mann,

„Und habe itzt nur Verdruß daran?

4. „Haͤtteſt du fleißiger geſtudiret

„Und dich rechtſchaffener aufgefuͤhret,

„So waͤrſt du itzo nunmehro hie

„Ein Kandidatus Miniſterii!

5. „Und
[96]
5. „Und bekaͤmeſt bald eine gute Pfarre;

„Aber du biſt nun ein ungelehrter Narre,

„Der nichts von der Theologie verſteht

„Und ſein Leben lang brodlos geht!

6. „Deine Mutter und ich hofften beide

„An dir zu erleben viele Freude,

„Und nun haben wir bittern Verdruß

„Ob dich boͤſen Hieronimus!

7. „Alles was du vormals mir geſchrieben,

„Als haͤtteſt du die Studia getrieben,

„Und waͤreſt von allen der fleißigſte,

„Sind lauter Luͤgen, wie ich nun ſeh.

8. „Auch was du vom Privatiſſimo

„Und zehn Stunden im Kollegio,

„Von der Profeſſoren Zufriedenheit,

„Vom Therrinken in der Einſamkeit;

9. „Item, von den vielen gelehrten Dingen,

„Wovon dir der Kopf wollte zerſpringen,

„Vom Meditiren bis in die Nacht

„Und ſonſt noch etwa haſt vorgebracht;

10. „Auch daß dein Magen vom vielen Sitzen

und Leſen

„Geſchwaͤchet und verdorben geweſen,

„Das alles iſt, wie’s ſich nun befind’t,

„Nichts geweſen, als Luͤgen und Wind.

11. „Haͤt-
[97]
11. „Haͤtte ich doch ehmals unſers frommen

„Rektors guten Rath angenommen,

„Der es deutlich genug ſagte mir:

„Es wuͤrde niemals etwas gutes aus dir!

12. „So waͤre das viele Geld erſparet

„Und manches Kapital rund bewahret,

„Das du, boͤſer, unnuͤtzer Knecht!

„Auf der Unverſitaͤt verzecht.

13. So war ohngefaͤhr die Predigt beſchaffen,

Die der Alte hielte, den Sohn zu beſtrafen,

Und er haͤtte im erſten Affekt,

Faſt den Hieronimus mit Pruͤgeln bedeckt.

14. Weil indeſſen Zuͤrnen und Schelten

Fuͤr die Geſundheit zutraͤglich iſt ſelten,

So fiel auch den guten alten Mann

Gleich eine heftige Krankheit an.

15. Denn er litte oft in geſunden Tagen

Vom ſchmerzlichen Podagra viel Plagen;

Sein Rathsherrnſtand, guter Appetit und

Ruh

Disponirten den Koͤrper dazu.

16. Nun aber verließen ihn ploͤtzlich die Schmerzen

Und das Podagra trat ihm zum Herzen,

Und nach vier und zwanzig Stunden Zeit

Wanderte er aus der Zeitlichkeit.

Jobſiade 1r Th. G17. Alles
[98]
17. Alles im Hauſe rang nun die Haͤnde

Und des Klagens und Jammerns war kein Ende,

Daß Hieronimus ſelbſt ſogar

Kaum daruͤber zu troͤſten war.

18. Der Leſer moͤchte vielleicht gaͤhnen

Wenn ich dieſe traurigen Scenen

Naͤher beſchrieb, ich laſſe drum nun

Den Senator Jobs in Frieden ruhn.

Zwei und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus beinahe ein Informator ei-
nes jungen Barons geworden waͤre.


1. Obgleich nunmehro ſchon vierzehn Tage

Der alte Senator Jobs im Grabe lage;

So dachte doch noch dann und wann

Die Wittwe Jobſen an den ſeligen Mann.

2. Hieronimus bekam indeſſen ſein Futter

Bisher noch zu Hauſe von der Mutter

Und haͤtte in ſolchem Muͤſſiggang

Zugebracht gerne ſein Leben lang;

3. Wenn ihm nicht waͤre der Vorſchlag geſchehen

Sich nunmehro anderswo umzuſehen,

Wo er in der Zukunft bequem,

Seinen Unterhalt gebuͤhrlich hernaͤhm.

4. Denn
[99]
4. Denn die Hoffnung, eine Pfarre zu bekommen,

War dem armen Scheim gaͤnzlich benommen,

Nachdem die gelernte Predigt einmal

Gehalten war auf den Doͤrfern uͤberall.

5. Sintemal nun manche große Geiſter

Ihr Gluͤcke gemacht als Hofmeiſter,

So fiel es auch dem Hieronimus ein,

Irgendwo Hofmeiſter zu ſeyn.

6. Das Gluͤck ſchien ihm nicht ungeneiget,

Denn es hat ſich ohngefaͤhr gezeiget

Nach etwa dreier Monate Zeit

Fuͤr ihn eine ſchoͤne Gelegenheit.

7. Denn ein benachbarter Herr von Adel

Suchte einen Informator ohne Tadel,

Fuͤr billige Koſt und acht Gulden Lohn

Bei dem jungen Baron, ſeinem einzigen

Sohn.

8. Religion, Sitten, fuͤnferlei Sprachen,

Schreiben, Rechnen und dergleichen Sachen,

Philoſophie, Phyſik, Geographie,

Mathematik, Hiſtorie, Poeſie,

9. Zeichnen, Muſik, Tanzen, Fechten, Reiten

Et caetera, waren bloß die Kleinigkeiten

Welche fuͤr die acht Gulden Lohn

Lernen ſollte der junge Baron.

G 210. Es
[100]
10. Es ließen alſo Ihro Gnaden

Den Kandidaten Hieronimus zu ſich laden,

Und fragten: ob er fuͤr die acht Gulden Lohn

Uebernehmen wollte die Information?

11. Hieronimus antwortete: Gnaͤdiger Herre!

Das Informatoramt iſt ſauer und ſchwere

Und es waͤren acht Gulden ſchier

Viel zu weniges Lohn dafuͤr.

12. Doch, um Eure Gnaden zu gefallen,

Entſchließe ich mich ſofort zu allen,

Und nehme den jungen Herrn Baron

Gleich in meine Information.

13. Der Handel war alſo nun getroffen,

Bis ſich zuletzt wieder alles Verhoffen

Noch eine kleine Schwierigkeit fand.

Welche bloßerdings darin beſtand:

14. Ob auch Hieronimus in den verlangten Sachen

Die erforderliche Probe koͤnne machen,

Welche fuͤr die acht Gulden Lohn

Lernen ſollte der junge Baron?

15. Da hat ſich aber balde gewieſen,

Daß Hieronimus von allen dieſen

Sachen ſelbſt nichts gewußt, die von

Ihm lernen ſollte der junge Baron.

16. Er
[101]
16. Er ward alſo in Frieden entlaſſen,

Und zog wieder heim ſeine Straßen,

Und verwuͤnſchte die Information

Zum Henker, mit dem jungen Baron.

17. Ihro Gnaden aber ſuchten kreuz und queere,

Ob ein andrer aufzutreiben waͤre,

Welcher fuͤr die acht Gulden Lohn

Uebernaͤhme die Information.

18. Ob er fuͤr die acht Gulden bis zu heutigen

Stunden

Einen ſolchen gelehrten Information gefunden,

Iſt etwas, das ich nicht ſagen kann,

Es geht mich auch in der That nichts an.

Drei
[102]

Drei und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus ein Hausſchreiber ward bei
einem alten Herren, welcher eine Kammer-
jungfer hatte, mit Namen Amalia: und wie
er ſich gut auffuͤhrte bis im folgenden Kapitel.


1. Unter allen Staͤnden, die da werden

Angetroffen auf unſerer Erden,

Iſt, Zweifels ohne, wie bekannt,

Der Wittwenſtand der betruͤbteſte Stand.

2. Wo der Mann, als das Haupt des Weibes,

Fehlt, da ſteht es um die Pflege des Leibes

Und um die ganze Haushaltung ſchlecht

Und nicht das Geringſte geht zurecht.

3. Die Einkuͤnfte werden nach und nach vermin-

dert,

Die unentbehrliche Nahrung wird verhindert,

Und gleich wie in einem Jammerthal

Iſt Angſt, Noth, Elend uͤberall.

4. Frau Jobs hat dies auch, leider! erfahren,

Denn ſie merkte, daß gleich in den erſten Jah-

ren

Alles im Hauſe den Krebsgang ging,

Und ſie arm an zu werden fing.

5. Hie-
[103]
5. Hieronimus nun hat dazu freilich

Das ſeinige beigetragen getreulich,

Denn er lebte in muͤſſiger Ruh,

Aß gut und trank noch beſſer dazu.

6. Indeſſen ward doch nun auf die Dauer

Der guten Wittwe ſolche Wirthſchaft zu ſauer,

Und ihr Hieronimus gereichte faſt

Der Oekonomie zur groͤßten Laſt.

7. Er hat es auch ſelbſt eingeſehen

Daß es nicht laͤnger gut werde gehen

Und erkundigte ſich alſo weit und breit

Um eine andre Gelegenheit.

8. Wie nun gewoͤhnlich die Dummen und From-

men

Am allerbeſten in der Welt fortkommen,

So bot auch bei einem Edelmann

Sich abermal fuͤr ihn eine Stelle an.

9. Dieſer Herr lebte auf dem Lande

In einem trefflichen ruhigen Stande,

Und verzehrte als ein bied’rer Kavaller

Seine großen Einkuͤnfte mit Plaͤſir.

10. Er that in ſeiner Jugend einige Zuͤge

Im damaligen ſiebenjaͤhrigen Kriege,

Doch lag er meiſtens in Garniſon

Und ſchonte ſo viel moͤglich ſeine Perſon.

11. In-
[104]
11. Indeß ward er bald dieſes Lebens muͤde,

Denn er haßte Krieg und liebte Friede,

Und hielt folglich als ein tapfrer Mann

Unterthaͤnig um ſeinen Abſchied an.

12. Jedoch fand er noch immer viel Vergnuͤgen,

Oft zu reden von verſchiedenen Siegen,

Und wie er einmal von ohngefaͤhr

Auf der Flucht beinahe gefangen waͤr.

13. Uebrigens war er geneigt zu ſpaßen,

Schoß auch wohl auf der Jagd einen Haſen,

Trank bei der Tafel Burgunderwein

Und lebte ohne Gemahlin allein.

14. Er war alſo, in ſoweit, ein Junggeſelle,

Doch war bei ihm, an der Gemahlin Stelle,

Eine Kammerjungfer, die fruͤh und ſpat

Die noͤthigen Beduͤrfniſſe beſorgen that.

15. Er ſparte als Greis den Reſt ſeiner Kraͤfte

Und bekuͤmmerte ſich um keine Geſchaͤfte,

Sondern ein treues Bedienten-Paar

Beſorgte, was zu beſorgen war.

16. Der eine war ein ſchlauer, alter,

Treubefundener Hausverwalter,

Und der andre Herr Bediente war

Ein alſo genannter Sekretar.

17. Der
[105]
17. Der Verwalter war noch am Leben

Und befand ſich beim Dienſte nicht uneben,

Denn er ſorgte klug und weislich

Wenig fuͤr’n Herrn und viel fuͤr ſich.

18. Der Sekretar war vor einigen Tagen

Weil er todt war, zu Grabe getragen,

Und alſo und dergeſtalt fand

Sich dieſe wicht’ge Bedienung vakant.

19. Nun war der Verwalter ein alter Bekannter

Von Hieronimi Eltern, und darum wandt er

Als ein treuer dienſtfertiger Mann

Alle Muͤh’ fuͤr Hieronimus an,

20. Und hat ihn ſehr kraͤftig rekommandiret,

Ihn darauf in Perſona praͤfentiret

Bei der Jungfer und beim alten Herrn

Als einen faͤhigen Sekretaͤrn.

21. Es hat auch ſeine Perſon fuͤr allen

Der Kammerjungfer nicht uͤbel gefallen,

Drum verſprach ſie ihm ſteif und feſt

Bei dem Herrn zu reden das Beſt.

22. Er ſchien ihr beim erſten Anblick ſchon beſſer

Als der vorige Schreiber, ſein Anteceſſer;

Denn Hieronimus war ſtark und lang,

Der vorige aber war mager und krank.

23. All-
[106]
23. Alldieweil er nun, wie geſaget,

Der Kammerjungfer, als der Hauptperſon,

behaget,

So gab auch der alte Herr ſofort

Dazu ſein Fiat und adliches Wort.

24. Um ihm deſto mehr Gnaden zu erweiſen,

Mußte er ſogar diesmal mit ihm ſpeiſen,

Und der Herr ſprach mit freundlicher Stimm

Nach geendigter Mahlzeit zu ihm:

25. „Seine Pflicht ſoll darin beſtehen,

„Daß er nach Vieh und Geſinde muß ſehen,

„Und als der geheime Sekretaͤr

„Schreibe, was etwa zu ſchreiben waͤr.

26. „Wird er nun dieſe ſeine Amtspflichten

„Als ein braver Schreiber ausrichten;

„So geb ich ihm dafuͤr, alle Jahr,

„Vierzig harte Reichsthaler baar.

27. „Gefaͤllt ihm dieſe Bedingung, ſo bleib er

„Bei mir, ſub titulo als Hausſchreiber,

„Und ich verſpreche ihm, wenn er treu,

„Noch manche Accidenzien dabei;

28. „Doch muß er es niemals probiren,

„Mit der Kammerjungfer zu haſeliren;

„Denn wo etwa ſolches geſchicht,

„So leide ich’s, mein Seel! nicht.

29. „Der
[107]
29. „Der letztverſtorbene Hausſchreiber

„Sah gerne Maͤdchen und junge Weiber,

„Und es ward mir ſogar kund,

„Daß er mit meiner Jungfer gut ſtund.

30. „Ich haͤtte ihn proſtituiret

„Und ohne viele Umſtaͤnde kaſſiret;

„Weil er aber klein war und ſchwach,

„So ſah ich ihm noch den Fehler nach.

31. „Das Maͤdchen iſt zwar ſchlau und witzig;

„Aber dabei verzweifelt hitzig,

„Und wie mir gar manchesmal daͤucht,

„Zu allerlei ſchlimmen Sachen geneigt.

32. „Vor fuͤnf Jahren, unvermutheter Weiſe,

„Traf ich ſie an auf einer Reiſe;

„Und ihr luſtiges Weſen gefiel mir,

„Machte alſo meine Jungfer aus ihr.

33. „Er wird uͤbrigens, ohne zu fragen,

„Leicht ſchließen, was ich hiemit will ſagen;

„Denn einmal vor allemal ſage ich nu,

„Halte er mit Amalien nicht zu!

34. Hieronimus waͤre nicht klug geweſen,

Wenn er nicht, ohne viel Federleſen,

Auf obige Bedingung geworden waͤr

Sehr gern der geheime Sekretaͤr.

35. Er trat alſo ſein Amt an geſchwinde,

Und ſah taͤglich nach Vieh und Geſinde,

Schrieb auch auf oͤfters und viel,

Was etwa zu notiren vorfiel.

36. Zum
[108]
36. Zum Exempel: eingekommene Paͤchte,

Ausgegebenes Lohn fuͤr Maͤgde und Knechte,

Der geſchoſſenen Haſen und Rebhuͤhner Zahl,

Oder wenn man den Herrn beſtahl;

37. Oder was der Hausadvokat bekommen,

Oder der Richter extra genommen,

Oder was auf dem Markte indeß,

Man geloͤſet an Butter und Kaͤs.

38. Oder wenn etwa der Hausſchneider

Der frommen Amalia ihre Kleider

Unten und oben weiter gemacht,

Oder die Kuh ein Kalb gebracht.

39. Oder wenn die Jungfer Unpaͤßlichkeit wegen

Zur Ader gelaſſen, oder krank gelegen,

Oder ein Huhn geleget ein Ei;

Ausgaben und Einkuͤnfte mancherlei.

40. Wenn auch etwa Briefe zu ſchreiben waren,

So ließ der alte Herr, all’s Schreibens uner-

fahren,

Dem Herrn Sekretaͤr auch dieſe Muͤh,

Und Hieronimus beſorgte treulich ſie.

41. Mit Huͤlfe von Talanders Briefſteller

Ward er in Briefen fertiger und ſchneller,

(Und dieſes zwar gar in kurzer Zeit)

Als je ein Schulmeiſter in der Chriſtenheit.

42. In
[109]
42. In den uͤbrigen Stunden ging er muͤßig,

Aß, trank und ſchliefe uͤberfluͤſſig,

So, daß er dieſes Sekretariat

Sich lebenslaͤnglich gewuͤnſchet hat.

Vier und zwanzigſtes Kapitel.


Wie dem Sekretar Hieronimo kurioſe Sachen
vorkamen, und er weggejaget wurde.


1 Geneigter Leſer! unſre alten Vorfahren

Waren gewiß keine dumme Narren,

Sie hatten vielmehr oftermal

Einen klugen und geſunden Einfall.

2. Und ſie haben, in ihrem Leben

Den Nachkommen viel gute Lehren gegeben,

Mancher ſtets wahr befundener Spruch,

Zeiget noch ihre Weisheit genug.

3. Es iſt auch itzo faſt in allen Landen,

Unter andern ein altes Spruͤchwort vor-

handen,

Deſſen Gewißheit und Wahrheit man

Noch taͤglich vor Augen ſehen kann.

4. Naͤm-
[110]
4. Naͤmlich: wenn einer ſoll koͤnnen tra-

gen

Eine Laſt von lauter guten Tagen,

So muß er mit ſehr ſtarkem Gebein

Von der Natur verſehen ſeyn.

5. Dieſes alten Spruͤchworts Wahrheit

Zeiget ſich auch, mit großer Klarheit,

Im gegenwaͤrtigen Kapitel, ſchon fruͤh,

An dem Exempel Hieronimi.

6. Dieſer lebte gleich einem Fuͤrſten,

Brauchte weder zu hungern, noch zu duͤrſten,

Schlief fruͤh ein und erhub ſich ſpaͤt

Nach ruhigem Schlaf vom Federbett.

7. Es mangelte ihm folglich an keinem Stuͤcke.

Doch es war, zu ſeinem Ungeluͤcke,

Bewußtermaßen die Jungfer da,

Welche er taͤglich verliebt anſah.

8. In ihren Minen und ganzem Weſen

Schien er deutlich zu koͤnnen leſen,

Daß ſie in ihn den Sekretaͤr

Ebenfalls ſterblich verliebet waͤr.

9. Oft auch, wenn er ſie ganz nahe

Mit Aufmerkſamkeit ins Geſicht ſahe,

So that der Gedanke bei ihm entſtehn,

Als haͤtt’ er ſie vormals mehr geſehn.

10. Trotz
[111]
10. Trotz dem Verbote des alten Herren

Wagt’ ers nun, ihr die Liebe zu erklaͤren,

Und ſo wurden ſie bald ſo vertraut,

Als waͤren ſie Braͤutigam und Braut.

11. Doch, in Gegenwart des alten Herren,

Schien er ihrer gar nicht zu begehren,

Und er nahm ſich vor allem Verdacht

Weislich und, ſo viel moͤglich, in Acht.

12. Aber, ohne deſſelben Willen und Wiſſen,

Brachte in allerlei Scherzen und Kuͤſſen

Manches geheimes Stuͤndelein um

Amalia mit dem Hieronimum.

13. Dieſes des Hieronimi gutes Betragen

That dem Maͤdchen trefflich behagen,

Denn fuͤr die leere Schmeichelei

Des Herrn hielt ſie der Schreiber frei.

14. Er bekam auch dafuͤr viel ſchoͤne Dinge,

Doſen und Hemder, Schnallen und Ringe,

Tuͤcher, Manſchetten, Struͤmpfe, Hand-

ſchuh,

Halsbinden, Muͤtzen und mehr dazu.

15. Einſt hatte er bei ihr, von Amtswegen,

Ein Schreibergeſchaͤfte abzulegen,

Und da reichte ſie ihm ſogar

Eine fuͤrtreffliche Sackuhr dar.

16. Er
[112]
16. Er hat ſie gar dankbarlich angenommen,

Doch gleich, als er ſie in die Hand bekommen,

Rief er: Potz tauſend Element!

Dieſe Sackuhr habe ich gekennt.

17. Amalia ward zwar betroffen,

Doch geſtund ſie ihm ſofort offen-

herzig, ſie habe von einem Student

Sie ehmals erhalten zum Praͤſent.

18. Wie’s doch ſo wunderlich pflegt zu

gehen,

Das kann man itzodeutlich hier ſehen,

Erwiederte Hieronimus; ſich erlich!

Dieſer Studente war ich.

19. Und nunmehr haben ſich beide beſonnen,

Daß ſchon vor fuͤnf Jahren ihre Bekanntſchaft

begonnen,

Und aus der geſtohlnen Sackuhr

Machte die Jungfer itzt Schnack nur.

20. Und ſie haben beide herzlich gelachet

Und uͤber den Poſſen ſich luſtig gemachet,

Daß nunmehr, in die rechte Hand,

Sich die vermißte Uhr wieder fand.

21. Uebrigens war es kein ſonderlich Wunder,

Daß die Jungfer nicht im Hieronimus jetzun-

der,

Als Kandidaten und Sekretaͤr,

Den vorigen Studenten kannte mehr.

22. In-
[113]
22. Indeſſen machte dieſe laͤcherliche Affaire,

Daß ſich beide von nun an noch deſto mehre,

Zum Poſſen des alten Edelmanns,

Geliebet haben von Herzen ganz.

23. Ihr Umgang ward alſo auf die Dauer

Taͤglich vertrauter und genauer,

Und ihr Loͤffeln und Buhlerei

Trieben ſie faſt offenbar und frei.

24. War die Jungfer im Keller und Garten,

So that der Herr Schreiber ihr aufwarten,

Und in Kuͤche, Kammer und Stall

Folgte er nach ihr uͤberall.

25. Sogar, wenn ſie etwa nicht, von Pflicht-

wegen,

Den alten Herrn mußte waͤrmen und pflegen:

So brach ſich Hieronimus den Schlaf ab,

Und ihr naͤchtliche Viſiten gab.

26. Auch bei dem Schreiben und Notiren

That Amalia ihm treulich aſſiſtiren,

Und befand ſich ohne Unterlaß

Bei ihm, wo er ſtand oder ſaß.

27. Sie gab ihm auch manch ſchoͤnen Leckerbiſſen

Von des Herren Tafel heimlich zu genieſſen,

Und vom Kaͤlberbraten und Wildpret

Bekam er immer die Nieren und Fett.

Jobſiade 1r Th. H28. Sie
[114]
28. Sie brachte ihm noch dabei unter-

weilen manche Flaſche Burgunder

Heimlich aus dem Kellerhaus,

Und Hieronimus trank ſie aus.

29. So verſtrichen in lauter Wolluſt die Tage

Des Hausſchreibers Hieronimi, und ich ſage,

Daß kein hochwuͤrdiger Herr Praͤlat

Jemals beſſer gelebet hat.

30. Es konnte ſich aber dergeſtalten

Dies Leben nicht lange ſo verhalten,

Denn der alte gnaͤdige Herr

Merkte den Handel mehr und mehr.

31. Und anſtatt daß er ſonſt gelachet,

Hat er nun ſaure Geſichter gemachet,

Und er gab deutlich genug zu verſtehn,

Die Sache muͤſſe nicht laͤnger ſo gehn.

32. Zum Ueberfluß fuͤhrte er noch in aller Guͤte

Dem Herrn Sekretaͤren zu Gemuͤthe,

Daß, wenn er Amalien nicht kuͤnftig vermied,

So ertheilte er ihm den Abſchied.

33. Hieronimus verſicherte auf ſeine Ehre!

Daß nichts Schlimmes vorgegangen waͤre,

Und er wollte lieber hinfort

Mit Amalia reden kein einziges Wort.

34. Wenn
[115]
34. Wenn Er das thut, ſo kann Er bleiben,

So lange Er will, und bei mir ſchreiben

Lebenslang, als mein Sekretaͤr!

Erwiederte nun der alte Herr.

35. Obgleich nun, ſeit dieſem Augenblicke,

Hieronimus die verliebten Tuͤcke

Mit der Jungfer heimlicher trieb,

Und deſto fleißiger notirte und ſchrieb:

36. So hat ſich dennoch, nach einigen Tagen,

Ein ſonderlich Abentheuer zugetragen,

Als der alte Herr, Abends ſpaͤt,

Schlaflos ſich herumwaͤlzte im Bett.

37. Und deswegen, wie er wohl zu thun pflegte,

Einen Beſuch bei Amalien ablegte,

Damit ſie durch ihre Freundlichkeit

Ihm vertriebe die Schlafloſigkeit.

38. Da geſchah alsbald ein groß Wunder;

Denn er fand daſelbſten itzunder,

Daß ſchon Hieronimus, der Sekretar,

Bei der Jungfer im Bettlein war.

39. Himmel! tauſend Element! potz Velten!

Da ging es an ein Fluchen und Schelten,

Und es wurde noch in derſelbigen Nacht

Hieronimus aus dem Hauſe gejagt.

H 240. Es
[116]
40. Es half hier weder Bitten noch Flehen,

Das Abentheuer war nun einmal geſchehen,

Und ſelbſt die Kammerjungfer ſogar

Gerieth faſt drob in große Gefahr.

41. Doch ihre liſtigen Schmeicheleien

Thaten ſie dieſesmal noch befreien,

Aber dem ungluͤcklichen Kandidat

Zu helfen, war nun weiter kein Rath.

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus bei einer frommen Dame in
Dienſte kam, welche eine Betſchweſter war,
und ſeiner in Unehren begehrte, und wie er
von ihr weglief.


1. Die von Amalien erhaltenen Gaben,

Hemder, Ringe, Schnallen et caetera

haben

Zwar wohl noch eine kurze Zeit

Den Hieronimus aus der Noth befreit.

2. Nachdem aber alles verkauft und verzehret,

Was ihm die gute Jungfer hatte verehret

So mußte er wieder nolens volens,

Zur Vermeidung des Hungers und Elends,

3. Und
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3. Und um nicht vor Kummer zu ſterben,

Sich um eine neue Verſorgung bewerben,

Und ſich desfalls irgendwo nun

In eine gute Bedienung thun.

4. Nun lebte auf einem einſamen Schloſſe

Eine verwittibte Dame, die eine große

Alſo genannte Betſchweſter war,

Sie war alt und hatte ſchon graues Haar.

5. Brachte darum mit Beten und Singen,

Und lauter andern geiſtlichen Dingen,

Als eine ſehr große Heiligin

Schon einige Jahre des Lebens hin.

6. Sie litte nicht die allermindeſte Suͤnde

An und bei ihrem ſaͤmmtlichen Geſinde,

Und verſammelte ſie taͤglich zweimal,

Zum Singen und Gebet, in ihrem Saal.

7. Sie beſtrafte bei ihnen auf liebreiche Weiſe

Das kleinſte Vergehn mit Entziehung der

Speiſe,

Und hielte viel vom Faſten und Kaſtei’n

Und von einem halben Noͤſel Branntewein.

8. Da nun, ohne Zweifel, zu zweien

Sich beſſer laͤßt trinken und kaſteien,

Auch uͤberhaupt in Geſellſchaft

Man ſingen kann mit groͤßerer Kraft:

9. So
[118]
9. So hatte ſie ſchon laͤngſt ſich umgeſehen,

Einen frommen Menſchen auszuſpaͤhen,

Welcher ihr, ſowohl ſpaͤt als fruͤh,

Moͤcht’ leiſten geiſtliche Kompagnie.

10. Es waren nun zwar viele frommen

Muͤßiggaͤnger zu ihr gekommen,

Und hatten, wie ſich’s ziemt und gebuͤhrt,

Die geiſtlichen Dienſte geofferirt;

11. Aber bisher hatte keiner von allen

Das Gluͤcke gehabt, ihr zu gefallen,

Denn bald ſchien ihr der eine zu alt,

Bald der andre zu jung noch, und bald

12. War einer zu mager, bald einer zu ſchwaͤch-

lich,

Bald einer ein Kruͤppel, oder ſonſten gebrech-

lich,

Bald einer ſtumm, taub, ſcheel oder blind,

Oder ein haͤßliches Weltkind.

13. Hieronimus that es endlich wagen,

Seine Dienſte ihr anzutragen

Als geiſtlicher Aſſiſtent, und, ſiehe da!

Er gefiel ihr, ſobald ſie ihn ſah.

14. Denn er war weder krank noch ſchwaͤchlich,

Weder ſtumm, taub, blind oder gebrechlich,

Weder zu jung und weder zu alt,

Auch eben nicht von magrer Geſtalt.

15. Seine
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15. Seine halbgeiſtliche Kleidung und Perruͤcke

Gefiel auch der Alten im Augenblicke,

Und er verſicherte derſelben geſchwind,

Daß er waͤre kein Weltkind.

16. Er mußte alſo bei ſo geſtalten Sachen

Die erſte Probe noch heute machen,

Und er wohnte mit großem Geſchrei

Der frommen, ſingenden Verſammlung bei.

17. Hat auch, mit einem ernſthaften Weſen,

Aus der Hauspoſtill eine Predigt geleſen,

Und that alles mit beſonderm Anſtand,

Daß die Dame Vergnuͤgen drin fand.

18. Durch ihn ward ihr frommer geiſtlicher Eifer

Tagtaͤglich dann immer feſter und ſteifer,

Und ihr ohnedem geiſtlicher Sinn

Mehr und mehr erbauet durch ihn.

19. Sie ließ ſich auch von dem frommen Kandi-

daten

In allen ihren Handlungen leiten und rathen,

Und ſo ward in kurzer Zeit hier

Hieronimus der Liebling von ihr.

20. Wenn er ſich zuweilen auch etwa verginge,

Und ſich ungeiſtlicher Dinge unterfinge:

So uͤberſah ſie doch immer dies

Als eine menſchliche Schwachheit gewiß.

21. Er
[120]
21. Er brauchte auch, pro pœna, ſolchergeſtal-

ten

Das ſonſt eingefuͤhrte Faſten nicht zu halten,

Sondern er bekam vielmehr zum Troſt

Lauter leckere und geſunde Koſt.

22. Champagner, Kaffe und Chokolade,

Liqueurs, Mandelmilch, Limonade

Bekam der fromme Hieronimus,

Auch taͤglich zu trinken im Ueberfluß.

23. Er lebte alſo, mit einem Worte,

Sehr vergnuͤgt an dieſem heiligen Orte,

Wo er bloß nur aß und trank,

Und zuweilen las und ſang.

24. Das Schlimmſte war, daß er der frommen

Dame

Faſt gar nicht aus den Augen kame;

Denn ſie hatte zu bilden im Sinn

Einen recht frommen Menſchen aus ihm.

25. Wenn er bei ihr im Kanape ſaße

Und aus einem frommen Buch was vorlaſe:

So ſtreichelte ſie das fromme Schaaf,

Und rief entzuͤckt aus: das iſt brav!

26. Oft ſchmiegte ſie ſich an ſeine dicken Wangen,

Wenn ſie mit einander ein Lied ſangen,

Und ſo lagen ſie Arm in Arm,

Und ſangen ſo ruͤhrend, daß Gott erbarm!

27. Bei
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27. Bei einem ſo vertraulichen Wandel,

Merkte zuletzt Hieronimus den Handel,

Daß es der alten Dame nun

Um etwas mehr, als Singen zu thun.

28. Ob dieſer ſo wichtigen Entdeckung

Ueberfiel ihn eine heftige Schreckung,

Und ob ſolcher großen Gefahr

Saß er da faſt ſprachlos und ſtarr.

29. Als er ſich von der erſten Bewegung

Erholet, dachte er, mit vieler Regung,

An das vormals genoſſene Gluͤck

Mit der ſchoͤnen Amalie zuruͤck.

30. Dieſe war ſchoͤn, lieblich und ohne Maͤngel,

Die Dame hingegen haͤßlich, wie ein ſchwar-

zer Engel,

Gelb, zahnlos, kahl, hager und grau,

Kurz, eine unertraͤgliche Frau.

31. Nun haͤtte er ſich ſollen druͤcken

Und in die Umſtaͤnde einſtweilen ſchicken,

Und die Sache mit der alten Frau

Nicht eben nehmen ſo genau;

32. Allein dieſes wollte ihm nicht paſſen,

Er hatte alſo freiwillig ſie verlaſſen,

Und ſo blieb dann hinfort die Dame allein

Mit ihrem Geſangbuch und Branntewein.

Sechs
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Sechs und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus ein ſchlimmes und ein gutes
Abentheuer hatte, und wie er einmal in ſei-
nem Leben eine kluge That verrichtet hat.


1. Hieronimus, ehe und bevoren

Er die Abreis von der alten Wittwe erkohren,

Hat er mit einem Beutel voll Geld ſich ſchoͤn

Aus dem Kaſten der Dame verſehn.

2. Denn dafuͤr, daß er geſungen und gebetet,

Und von frommen Dingen geredet

Und die Careſſen gehoͤret an,

Mußte er billig ja etwas han.

3. Mit dieſem Gelde that er nun wandern

Von einer ſchoͤnen Stadt zur andern,

Und indem er alſo herumgeirrt,

Lernte er kennen manchen Wirth.

4. Traf er etwa hin und wieder

Schoͤne Quartiere und luſtige Bruͤder,

Oder eine gute Wirthin im Haus,

So ruht’ er gemeinlich einige Tage aus.

5. Es hat ſich aber einsmals begeben,

Daß er auf ſeiner Wanderſchaft gar eben,

Als es ſchon war Nachmittags ſpat,

In einer großen Schenke abtrat.

6. Es
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6. Es war das allerbeſte Wirthshaus in Schwa-

ben,

Man konnte viel fordern und wenig haben,

Und der Wirth war ein redlicher Mann,

Schrieb gerne mit doppelter Kreide an.

7. Da waren ebenfalls, grade heute,

Noch angekommen zwei fremde Leute,

Welche Hieronimus, der Kleidung nach,

Fuͤr reiſende Handelsmaͤnner anſach.

8. Zwaren hat gleich einer von ihnen

Ihm, von Perſon, etwas bekannt geſchienen,

Wenn nur ein großes Pflaſter nicht

Verſtellet haͤtte das halbe Geſicht.

9. Dieſe Herren haben geſellſchaftlich indeſſen

Mit dem Hieronimus getrunken und gegeſſen,

Und in kurzem richtete drauf

Hieronimus mit ihnen Freundſchaft auf.

10. Denn der Mann mit dem Pflaſter im Ge-

ſichte

Erzaͤhlte manche ſpaßhafte Geſchichte,

Theils geſchehen, und theils erdacht,

Worob ſich Hieronimus faſt krank gelacht.

11. Auch Hieronimus hat ihnen erzaͤhlet

Seine Begebenheit, und nichts verhehlet,

Wie es alles gegangen waͤr her,

Als er war bei der Betſchweſter.

12. Sie
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12. Sie haben uͤber dieſe wunderlichen Sachen

Ebenfalls recht herzlich muͤſſen lachen,

Und Hieronimus, bei dieſer Gelegenheit,

That mit dem eroberten Gelde breit.

13. Nachdem nun luſtig und guter Dinge

Der Tag dermaßen zu Ende ginge;

So eilte Hieronimus, Abends ſpaͤt,

Trunken vom Wein und Lachen, nach Bett.

14. Er war kaum im tiefen Schlaf begraben,

Als ſich die beiden Herren zu ihm begaben,

Und ſie nahmen, fein ſaͤuberlich,

Den Beutel mit dem Gelde zu ſich.

15. Als Morgens ſpaͤt Hieronimus erwachte,

Und gar nun nicht an was Boͤſes gedachte,

So fand er, beim Ankleiden von ohngefaͤhr,

Den Geldbeutel verſchwunden, die Taſche

leer.

16. Zwaren ſahe er hier anfaͤnglich

Die Sache nicht eben fuͤr verfaͤnglich,

Sondern als eine Kurzweil an,

Welche die luſtigen Kaufleute gethan.

17. Als er aber nach ihnen fragte,

Und der Herr Wirth ihm ſagte:

Es waͤren ſchon in aller Fruͤh

Dieſe Herren ſtille gereiſet von hie.

18. Da
[125]
18. Da gehub er an zu lamentiren

Und großen Jammer und Klagen zu fuͤhren,

Und fuͤr Ungeduld blieb fuͤrwahr,

In dem Kopfe kein einzig Haar.

19. Ob ſeinem aͤngſtlichen Klagen und Harmen

That ſich der fromme Wirth bald erbarmen,

Und hat fuͤr alles, was er verzehrt,

Weiter nichts, als ſeinen Rock begehrt.

20. That ihm dabei den Rath ertheilen,

Sich nun nicht laͤnger mehr zu verweilen,

Denn ohne baares Geld haͤtte hier

Niemals ein fremder Gaſt Quartier.

21. Dieſes Exempel Hieronimi kann uns lehren,

Wie ſich die Sachen in der Welt verkehren,

Und wie ſich manchesmal unverhofft

Das menſchliche Gluͤck veraͤndert oft.

22. Noch geſtern beſaß er reiche Beute

Und der Wirth hieß ihn Herr, aber heute

Jug ihn fort, ohne Rock und Geld,

Der fromme Wirth in die weite Welt.

23. Er konnte nun, mit Muße, unterwegen

Seinen klaͤglichen Zuſtand uͤberlegen

Und er wuͤnſchte ſich faſt im Augenblick,

Zu der Betſchweſter auf dem Schloſſe

zuruͤck.

24. Doch
[126]
24. Doch, wenn er an ihre Careſſen gedachte,

Und ihre Perſon ſich vorſtellig machte;

So uͤberkam ihm ein Grauſen ſchier,

Und er verlangte nicht wieder zu ihr.

25. Schon einige Tage hatte er mit rohen Ruͤben

Auf ſeiner Reiſe den Hunger vertrieben,

Und wie ein irrender Ritter ſich

Beholfen elendig und kuͤmmerlich.

26. Gleichwie nun, wenn die Noth iſt am groͤßten,

Das nahe Gluͤck einen pflegt zu troͤſten;

So war auch dem armen Hieronimus da

Nunmehro bald wieder Huͤlfe nah.

27. Denn er hoͤrte, am vierten Nachmittage,

In einem Waͤldchen, das am Wege lage,

Ein erbaͤrmliches lautes Geſchrei,

Und dieſes lockte ihn bald herbei.

28. Er iſt ſchnell an die Stelle gekommen,

Woher er das Jamme geſchrei vernommen,

[Und] es entdeckte ſich ihm alsbald

Eine Scene von traur’ger Geſtalt.

29. Eine ſtillſtehende Kutſche mit vier Pferden,

Den baͤrt’gen Kutſcher ohnmaͤchtig auf der Er-

den,

Eine junge Dame, welche hie

Ganz erbaͤrmlich heulte und ſchrie;

30. Auch
[127]
30. Auch einen reich gekleideten Herren

Bemuͤht, ſich gegen zwei Raͤuber zu wehren,

Welche, wie’s ſchiene, waren feſt

Entſchloſſen, ihme zu geben den Reſt.

31. Schon erkannte mein Held, in einiger Weite,

In ihnen die ſogenannten zwei Kaufleute,

Er eilte alſo, wie eine Furie,

Mit aufgehobenem Stocke auf ſie.

32. Spitzbuben! wo iſt mein Geldbeutel?

Rief er, und zerſchlug den Scheitel

Des einen Raͤubers mit ſtarker Hand,

Und ſtreckt’ ihn alſo todt in den Sand.

33. Mit eben ſolchen kraͤftigen Schlaͤgen

Ging er drauf dem andern Raͤuber entgegen,

Welcher aber ſogleich verſucht,

Sich zu erretten mit der Flucht.

34. Hieronimus wollte zwar ohn’ Verweilen

Auch noch dem fliehenden Buben nacheilen,

Allein der Raͤuber, ſchnell wie der Wind,

Floh aus ſeinen Augen geſchwind.

35. Uebrigens iſt kaum zu ſchreiben und zu ſagen,

Wie freudig ſich der Herr und die Dame be-

tragen,

Als die augenſcheinliche Lebensgefahr

Nunmehro gluͤcklich voruͤber war.

36. Sie
[128]
36. Sie haben beide ihn gar freundlich gegruͤßet,

Und die ſchoͤne Dame haͤtte ihn faſt gekuͤſſet,

Wenn ſie haͤtte geſcheuet nicht

Sein lange nicht gewaſch’nes Geſicht.

37. Es war auch kein Lobſpruch zu erdenken,

Welchen ſie ihm nicht thaten ſchenken,

Denn als ihren Erretter ſahn

Sie nun den Hieronimus an.

38. Sie noͤthigten ihn mit freundlichem Muthe

Mitzureiſen nach ihrem adlichen Gute,

Wo man mit Gaben mancherlei

Wuͤrde belohnen die erwieſene Treu.

39. In ſeinen ſo kuͤmmerlichen Umſtaͤnden

Ergriff er die Gelegenheit mit beiden Haͤnden,

Und ſofort, ohne weitere Bitt’,

Entſchloß er ſich gleich zu reiſen mit.

40. Er half den verwundeten Kutſcher noch tragen,

Und ſie legten denſelben in den Wagen,

Aber Hieronimus ohne Rock,

Beſtieg an ſeiner Stelle den Bock.

41. Ehe er aber noch aufgeſtiegen,

Suchte er, und fand mit Vergnuͤgen

Seinen Geldbeutel beinahe noch voll

In des erſchlagenen Raͤubers Kamiſol.

42. Das
[129]
42. Das ſonderbarſte von der ganzen Geſchichte

Betraf des Todten ſein Angeſichte;

Denn es war kein Pflaſter mehr da,

Und, als ihn Hieronimus genau beſah,

43. Erkannte er in ihm, im Augenblicke,

Den Herrn von Hogier mit der großen Perruͤcke,

Welcher ihn einsmal um vieles Geld

Beim Spiel auf ſeiner Reiſe geſchnellt.

44. So nahm dann dies Abentheuer behende

Fuͤr unſern Helden ein erwuͤnſchtes Ende,

Und gleich dem Ritter von der traur’gen Ge-

ſtalt,

Fuhr er mit der Kutſche davon alsbald.

45. Uebrigens, eh ich dies Kapitel will ſchließen,

Thu ich dem Leſer kund und zu wiſſen,

Daß dies ſey die einzige kluge That,

Die jemals Hieronimus verrichtet hat.

Sieben
[130]

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus vergnuͤgt zu Ohnewitz ankam,
und wie er da Schulmeiſter ward, in einer
Schule von kleinen Knaͤblein und Maͤgdlein.


[figure]
1. Derjenige Herr und die junge Dame,

Zu deren Rettung Hieronimus herbei kame,

Waren ein liebes artiges Paar,

Welches kuͤrzlich erſt getrauet war.

2. Der Herr hatte unter ſein adliches Gebiete

Doͤrfer und Schloͤſſer von mancherlei Guͤte,

Aber im Doͤrflein Ohnewitz

Ware eigentlich ſein Ritterſitz.

3. Um
[131]
3. Um ſeiner Gemahlin den Gefallen zu erweiſen,

That er oft mit ihr kleine Reiſen,

Denn er hielte große Freundſchaft

Mit allen in ſeiner Nachbarſchaft.

4. Damalen hatte er auch eben

Einem benachbarten Edelmann den Beſuch ge-

geben,

Und wurde bei der Ruͤckkehr im Wald

Angegriffen von den Raͤubern bald.

5. Sogleich warfen ſie den Kutſcher zu Boden,

Daß er da lag faſt ohne Odem;

Drauf forderten ſie mit Ungeſtuͤm

Sein Geld und ſonſtige Sachen von ihm.

6. Sie riſſen ihn auch aus dem Wagen

Und fingen an auf ihn loszuſchlagen;

Als auf das aͤngſtlich Geſchrei der Dam

Hieronimus, wie geſagt, zur Rettung kam.

7. Dieſe Geſchichte erzaͤhlten ſie unter-

wegens ihrem Erretter, der nun munter

Daher fuhr mit gar leiſem Schritt,

So gut es der gehabte Schrecken litt.

8. Hiexonimus hat ihnen gleichfalls erzaͤhlet,

Wie ihn das Schickſal bishero gequaͤlet,

Und ſo gelangten ſie, wie der Blitz,

Endlich an zu Ohnewitz.

J 29. Hier
[132]
9. Hier vergaß man bald alles Leiden,

Lebete herrlich und in Freuden,

Und fuͤr den ehrlichen Hieronimus ward

Geſorget auf die liebreichſte Art.

10. Neue Kleider, Eſſen und Trinken,

Wein, Toback, Braten und Schinken

Waren da, alles in Ueberfluß

Zum Dienſte unſers Hieronimus.

11. Nach einigen ſo vergnuͤgt verſtrichenen Wo-

chen

Hat auch der Herr dem Hieronimus verſprochen,

Fuͤr ſeinen zukuͤnftigen Unterhalt

Zu ſorgen ferner beſter Geſtalt.

12. Nun iſt auch grade dazumalen,

Ein abſonderlicher Umſtand vorgefallen,

Welcher fuͤr unſern Hieronimus gar

Sehr erwuͤnſcht und gelegen war.

13. Naͤmlich, die Ohnewitzer Bauern haben

Eine Schule fuͤr kleine Maͤgdlein und Knaben,

Und der Herr, als des Dorfes Patron,

Hatte daruͤber die Kollation.

14. Das A, B, C, D zu ſtudiren,

Und zu lernen Leſen und Buchſtabieren,

Waren alleinig die Studia,

Welche man hieſelbſt treiben ſah.

15. Alle
[133]
15. Alle Gelegenheiten, mehrers zu lernen,

That der Herr Patron weislich entfernen,

Denn ein Bauer, welcher gelehrt

Iſt, wird hochmuͤthig und hoͤchſt verkehrt.

16. Ja, die Erfahrung lehrt es, wenn der

Bauer ſchon verſteht ſeinen Kalender

Und ſein Katechismus-Buͤchlein,

So bildet er ſich ſchon was rechtes ein.

17. Hat er ſich nun noch hoͤher verſtiegen,

So laͤßt er gemeiniglich die Arbeit liegen,

Und dann ſieht’s hoͤchſt elendig und kraus

Mit den Paͤchten und Abgaben aus.

18. Auſſer dreißig Thaler Fixum trug dies Dienſt-

chen

Dem Herren Schulmeiſter noch manches Ge-

winnſtchen

An Eiern, Butter, Huͤnern und Gaͤns

Und manchem aͤhnlichen Accidens.

19. Auch ging er, wenn die Herrſchaft zu Hauſe,

Am Neujahrstag bei ihr zu Schmauſe

Und bekam dann fuͤr die Gratulation

Noch ein Geſchenk, nach Proportion.

20. Nun hat es ſich damals juſt begegnet,

Daß der Schulmeiſter dies Zeitliche geſegnet;

Und alſo war man weislich bedacht,

Daß ein neuer wuͤrde gemacht.

21. So-
[134]
21. Sobald dies der Herr Patron gehoͤret,

Hat er dem Hieronimus den Dienſt verehret;

Und folglich trat Hieronimus dann

Das Amt des Dorfſchulmeiſters an.

22. Zwar wollte nun anfangs das Schulleben

Ihm kein ſonderliches Vergnuͤgen geben,

Denn er hielte von Muͤſſiggang mehr,

Als von ſolcher beſchwerlicher Lehr.

23. Doch, da er auf dem herrſchaftlichen Schloſſe

Manche Wohlthat und Mahlzeit genoſſe,

Und ſich nach geendigter Schule erquickt;

So hat er ſich in das Lehramt geſchickt.

24. Und ſich nunmohr ernſtlich vorgenommen,

Seinen Pflichten moͤglichſt nachzukommen,

Damit er nun lebenslang hinfort

Bleiben moͤchte an dieſem Ort.

25. Auch gedachte er, in verſchiedenen Sachen

Einige wichtige Aenderungen zu machen,

Weil er im hieſigen Schulſtand

Viele eingeriſſene Fehler fand.

26. Er fing auch, nach langem Deliberiren,

Wirklich an, manches zu reformiren,

Jedoch bekam ihm dieſes nicht wohl,

Wie der geneigte Leſer bald hoͤren ſoll.

Acht
[135]

Acht und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus ein Auktor ward, und wie er
ein neues A B C-Buch heraus gab, und
wie er darob von den Bauern bei dem gnaͤdi-
gen Herren hart verklagt ward.


[figure]
1. Gleich bei dem Antritt der Schulregierung,

Fand Hieronimus, mit aͤuſſerſter Ruͤhrung,

Daß das eingefuͤhrte a b c-Buch

Nicht fuͤr Kinder ſey faßlich genug.

2. Denn
[136]
2. Denn da bisher die Maͤdchen und Knaben

Gebraucht hatten die Ballhornſchen Ausgaben,

So nahm Hieronimus hier und da

Darinnen verſchiedene Fehler wahr.

3. Nachdem er nun bei ſich zu Rath gegangen,

Hat er zu veranſtalten angefangen,

Unter folgendem Titel, davon

Eine nagelneue Edition:

4. Neues A b c-Buch, verbeſſert

Und mit verſchiednen Zuſaͤtzen ver-

groͤßert

Von dem Autor Hieronimus

Jobs, Theologiaͤ Kandidatus.

5. Zu den ſchon laͤngſt bekannten Buchſtaben,

Welche wir im Alphabete haben,

Setzte er noch das fft,

Imgleichen das ſch, und ſp.

6. Die Sporen des Hahns auf der letzten Seiten,

Und mehr andre ſolche Kleinigkeiten,

Ließ er hingegen, weislich und klug,

Aus dem nagelneuen A b c-Buch.

7. Er fuͤgte aber unterdeſſen nicht minder,

Zur Ergoͤtzung der lernenden Kinder,

Ein Neſtlein mit einem großen Ey

Dem ungeſporneten Hahne bei.

8. Kaum
[137]
8. Kaum war dies Buch zu Ohnewitz eingefuͤhret,

So ward es von den Bauern recenſiret,

Und gab zu einem grimmigen Streit

Die allererſte Gelegenheit.

9. Denn es wollte keinem einzigen von allen

Recenſenten die Einrichtung gefallen,

Und ſie ſahen alle, Mann fuͤr Mann,

Die Aenderung als hoͤchſt gefaͤhrlich an.

10. Selbſt den allerkluͤgſten unter ihnen

Hat’s beim neuen A b c-Buch geſchienen,

Als haͤtte Hieronimus dadurch gezeigt,

Wie ſehr er zur Autorſucht geneigt.

11. Wie wenn im Sommer von ſchwuͤlen Duͤften

Ein Ungewitter entſteht in den Luͤften,

So geht vor dem Donner ordinaͤr

Erſt ein gelindes Murmelen vorher.

12. Gleichermaßen entſtund unter den Leuten

Erſt ein leiſes Gemurmel von allen Seiten

Und es zoge ſich bald darauf

Ein Gewitter uͤber Hieronimus auf.

13. Er konnte nun zwar in Worten und Werken

Den Unwillen der Ohnewitzer leicht merken,

Doch verließ er, den Bauern zum Trutz!

Sich auf des gnaͤd’gen Herrn Patron

Schutz.

14. Je-
[138]
14. Jedoch die Ohnewitzer wollten nun zeigen,

Daß ſie laͤnger nicht geſonnen zu ſchweigen;

Denn ſie ſpuͤrten je laͤnger, je mehr,

An dem Schulmeiſter neues Beſchwer.

15. Sie traten alſo ſaͤmmtlich zuſammen,

Und der Kuͤſter verfertigte in ihrem Namen

Eine Klagſchrift in folgendem Ton:

Hochwohlgeborner, gnaͤdiger Pa-

tron!

16. Wir ſaͤmmtliche Bauern und Koſſa-

then

In Hochderoſelben Ohnewitzer Staaten

Nehmen in aller Unterthaͤnigkeit

Unſern Schulmeiſter zu verklagen die Freiheit.

17. Sintemal ſich derſelbe leider vergangen,

Und verſchiedene Neuerungen angefangen,

Alles unter dem nichtigen Verwand,

Zu verbeſſern den hieſigen Schulſtand.

18. Sich auch dabei nicht ſo auffuͤhret,

Wie’s einem frommen Schulmeiſter gebuͤhret,

Sondern vielmehr, ofte und viel,

Uns Bauern giebt ein boͤſes Beiſpiel.

19. Um von den Punkten, woruͤber wir queruliren,

Nur die vornehmlichſten anzufuͤhren,

So hat er pro primo und erſtens ſich

Unterfangen eigenmaͤchtiglich,

20. Ein
[139]
20. Ein neues A b c-Buch zu verfaſſen

Und drin die Sporen des Hahnes auszulaſſen,

Da doch der Sporen, zu jeder Friſt,

Ein weſentlich Stuͤck des Hahnes iſt.

21. Dagegen hat er das Lernen ſelbſt beſchweret,

Weil er das Alphabeth hat vermehret;

Denn fft, ſp und ſch,

Steht wider alle Gewohnheit da.

22. Auch, obgleich die Haͤhne niemals pflegen

Huͤhnereier in Neſter hinzulegen;

So liegt doch ein Ei nun bei dem Hahn,

Gleichſam als haͤtt’ es der Hahn gethan.

23. Nun koͤnnen ſolche Dinge beim Studiren

Die Kinder leichte auf Irrthuͤmer fuͤhren,

Und ein neues A b c-Buch iſt uͤberhaupt

Eine Neuerung und unerlaubt.

24. Pro secundo laſſen wir nicht unberuͤhret,

Daß von Alters her ein Eſelskopf eingefuͤhret,

Welchen in unſrer Schule, zur Buß,

Jedes muthwillige Kind tragen muß.

25. So hart und empfindlich nun dieſe Strafe

Sonſt demjenigen war, den ſie trafe,

So trugen die Kinder doch gern und mit Luſt

Den Eſelskopf an ihrem Hals und Bruſt.

26. Herr
[140]
26. Herr Jobs iſt aber nicht damit vergnuͤget,

Sondern er hat jetzt zum Kopfe gefuͤget

Einen Hals, Leib, Beine und Schwanz,

Und ſo iſt es nun ein Eſel ganz.

27. Wie jaͤmmerlich indeß die Kindlein klagen,

Wenn ſie den ganzen Eſel muͤſſen tragen,

Und ſtehen da gleichſam zum Spektakel ſo,

Iſt kaum zu glauben. Pro tertio

28. Thut Herr Jobs mit maͤchtigen Ohrfeigen

Sich gar zu barbariſch in der Schule bezeigen,

Und einige Knaben ſind wirklich ſchon

Taub und gehoͤrlos worden davon.

29. Pro quarto: ſind die Kinder der aͤrmern

Bauern,

Ob der vielen Pruͤgel, hoͤchlich zu bedauern;

Denn, wegen Anſehen der Perſon,

Kriegen ſie meiſt doppelte Portion.

30. Pro quinto: ſucht er in den Taſchen

Der Kinder nach, ob ſie auch naſchen,

Und findet er Aepfel und Nuͤſſe allhie;

So nimmt er ſie weg und iſſet ſelbſt ſie.

31. Pro sexto: iſt von ſeinem ſonſtigen Betragen

Noch allerlei beſonderes zu ſagen,

Denn mit des Schulzens Einliegers Frau

Lebt er, wie es heißt, gar zu genau.

32. Auch
[141]
32. Auch beſucht er faſt taͤglich die Dorfſchenke

Und genießt da allerlei hitziges Getraͤnke,

Hat auch oft, bis um Mitternacht,

Mit dem Schulzen beim Spiel zugebracht.

33. Wir haͤtten zwar noch mehrere Klagen

Allerunterthaͤnigſt vorzutragen;

Denn es ſind noch viele Gravamina

Neben den ſchon erwaͤhnten da.

34. Wollen ſie aber diesmal nicht beruͤhren,

Sondern nur unterthaͤniglich ſuppliciren:

Daß Sie, lieber gnaͤdiger Herr!

Uns geben einen andern Schulmeiſter.

35. Beharren uͤbrigens Eure Hochwohlge-

borne Gnaden

Allerunterthaͤnigſte Bauern und Koſſathen

Im Dorfe Ohnewitz gegeben.

N. N. N. N. N. N.

Neun
[142]

Neun und zwanzigſtes Kapitel.


Wie die klagenden Bauern zu Ohnewitz von dem
Herren Patron eine gnaͤdige Reſolution beka-
men, und wie ſie zur Ruhe verwieſen wurden,
und wie ſie mit dem Loche bedrohet wurden.
Alles im Kanzlei-Stil.


1. Es war nun durch zwei Deputaten

Die Klagſchrift uͤbergeben an Ihro Gnaden,

Und vom hochgedachten Herrn Patron

Erfolgte folgende Reſolution:

2. Wir haben mißfaͤllig wahrgenom-

men

Aus der Vorſtellung, womit ihr eingekommen,

Wasmaßen ihr gar große Beſchwer

Fuͤhrt uͤber euern Schulmeiſter her.

3. Ob Wir nun gleich hoͤchſt ungerne ſehen,

Daß ſolche Streitigkeiten bei euch entſtehen;

So haben Wir doch, nach der Breite und

Laͤng,

Erwogen eurer Beſchwerden Meng.

4. Koͤnnen indeß bis dato nicht finden,

Daß Beklagter Schuld ſey großer Suͤnden,

Und daß man, mit Recht, uͤber die Sach

Ein ſolches großes Allarm mach.

5. Zwaren
[143]
5. Zwaren iſt es dermalen nicht ohne,

Herr Jobs hat in ſeiner Schule ſchone

Ein neues A b c-Buch eingefuͤhrt

Und Uns unterthaͤnigſt dedicirt.

6. Auch iſt von ihm, wie vor Augen lieget,

Einiges drin weggelaſſen, einiges beigefuͤget,

Jedoch leuchtet es gar nicht ein,

Wie dieſes ſo ſchaͤdlich koͤnne ſeyn.

7. Denn obgleich hier der Hahn die Sporen

Aus Verſehen des Kupferſtechers verloren,

So kann man, bei der zweiten Edition,

Den Fehler leichtlich verbeſſern ſchon.

8. Auch die wenigſten Recenſenten heutiger

Zeiten

Merken in den Buͤchern auf ſolche Kleinigkeiten,

Sondern die guten lieben Herrn

Ueberſehen ſolche kleine Fehler gern.

9. Was betrifft die zugefuͤgten Buchſtaben,

So ſtehn ſelbige ſchon in aͤltern Ausgaben;

Wenigſtens fft, ſp und ſch

Dienen als Varianten da.

10. Es ſcheint zwar ſich weniger zu ſchicken,

Bei dem Hahn ein Ei auszudruͤcken;

Doch braucht drum das Ei vom Hahn

Eben nicht zu werden weggethan.

11. Denn
[144]
11. Denn vom Ei gleich auf’s Legen zu ſchließen

Waͤre unvernuͤnftig und gegen Gewiſſen;

Denn es beweiſet weiter nichts in der That,

Als bei Menſchen der Titel und’s Praͤdikat.

12. Ueberdem weiß man ja auch gar eben,

Daß Haͤhne ſich oft mit Eierbruͤten abgeben,

In hoc casu waͤre alſo, traun!

Der Hahn eigentlich ein Kapaun.

13. Wenn ihr pro secundo proponiret:

Daß Herr Jobs einen ganzen Eſel eingefuͤhret;

So hat er, Unſers Beduͤnkens, dran

Als ein vernuͤnftiger Mann gethan.

14. Denn er zeigt damit nichts mehr, nichts

minder,

Als daß, ſo wohl ihr ſelbſt, als eure Kinder,

Alte und junge, groß und klein,

Leibhaftig vollkommene Eſel ſeyn.

15. Pro tertio: wegen der Schlaͤge an die Ohren,

Woruͤber einige Knaben ihr Gehoͤr verloren;

Halten Wir es gar nicht fuͤr gut,

Daß euer Schulmeiſter ſolches thut.

16. Auch was ihr pro quarto zu klagen findet,

Halten Wir in ſo weit fuͤr gegruͤndet,

Denn ein Richter und Schulmann

Muß niemals ſehn die Perſon an.

17. Son-
[145]
17. Sondern Arme ſowohl als Reiche

Verdienen, wenn ſie boͤſe ſind, gleiche Streiche,

Und man muß zu jeglicher Zeit

Strafen mit Unpartheilichkeit.

18. Jedoch, wenn er die Kinder viſitiret

Und ihnen das Obſt aus der Taſche entfuͤhret:

So zeigt er, pro quinto, artig und wohl,

Daß ein Kind in der Schule nicht naſchen ſoll.

19. Weil auch die Kinder im zarten Magen

Nicht zu viel Aepfel und Nuͤſſe koͤnnen vertra-

gen,

So iſt ja des Schulmeiſters Abſicht hier gut,

Wenn er ſelbſt alles verzehren thut.

20. Was ihr da noch, pro sexto, klaget,

Und von des Schulzens Einliegers Frau ſaget,

Item von der Schenke und Kartenſpiel,

So waͤre zwar dies von Herrn Jobs zu viel.

21. Indeſſen iſt es Unſer gnaͤdiger Wille,

Daß man von ſolchen Dingen ſchweige ſtille,

Denn wer davon etwas ſaget noch,

Der ſoll, zur Strafe, zwei Tage ins Loch.

22. Uebrigens ſollen ſaͤmmtliche Beſchwerden

Kuͤnftig genauer unterſuchet werden,

Wenn von der vorhabenden Reiſe Wir

Gluͤcklich ſind retourniret allhier.

Jobſiade 1r Th. K23. Bis
[146]
23. Bis dahin befehlen Wir, bei Hals und

Kragen!

Euch ruhig und ſtille zu betragen.

Gegeben auf Unſerm Ritterſitz

Reſolution fuͤr die

Bauern in Ohnewitz.

Dreißigſtes Kapitel.


Wie zu Ohnewitz an einem Mittwochen ein Auf-
ruhr entſtand und allerlei Wunderzeichen vor-
hergingen, und wie Herr Hieronimus mit
Pruͤgeln u. ſ. w. fortgetrieben wurde.


1. Und dieſe Reſolution machte durchgehends

Im ganzen Dorfe viel Aufſehens,

Und es entſtand uͤberall herum

Unter den Bauern ein maͤchtig Gebrumm.

2. Denn ſie ſahen jtzo offenbare,

Daß der Patron Jobſens Goͤnner ware,

Und daß nichts auszurichten mit Glimpf

Und ſie ſchwuren alſo zu raͤchen den Schimpf.

3. Dieſer wichtigen Urſache wegen kamen

Sie oftmals in der Schenke zuſammen,

Und uͤberlegten bei Toback und Bier,

Wie die Sache anzugreifen allhier.

4. Sie
[147]
4. Sie haben auch ſaͤmmtlich alſobalden

Ihre Kindlein alle zu Hauſe gehalten,

Und kein’s von ihnen, weder groß noch klein,

Ferner geſchickt in die Schule hinein.

5. Aber die Vernuͤnftigſten von den Bauern

Riethen, auf gute Gelegenheit zu lauern,

Da alsdenn alle mannichfalt

Gebrauchen koͤnnten Ernſt und Gewalt.

6. Dieſer gar kluge Vorſchlag hat ihnen

Saͤmmtlich gut und thunlich geſchienen,

Und man beſtimmte dazu nunmehr

Die Zeit, wenn der Patron verreiſet waͤr.

7. Zwar wurden alle dieſe Anſtalten,

Noch zur Zeit, hoͤchſt geheim gehalten,

Bis endlich der erſchreckliche Tag kam,

Da die Unruhe den Anfang nahm.

8. Ehe aber dieſes alles geſchehen,

Sind zu Ohnewitz große Zeichen geſehen,

Wie denn vor wicht’gen Begebenheiten ſich

Vorbedeutungen zeigen gemeiniglich.

9. So hat zum Exempel eine kleine Weile

Vorhero eine ſehr große Eule

Auf dem Kirchthurm, um Mitternacht,

Ein erſchrecklich Geſchrei gemacht.

K 210.
[148]
[figure]
10. Auch hat einer von den Ohnewitzer Leuten,

Als er aus der Schenke kam, die Glocke hoͤ-

ren laͤuten,

Auch fiel der ſehr alte Schornſtein

Auf der Schule mit Gepraſſel ein.

11. Auch hat des Kuͤſters Kuhe geboren

Ein Kalb mit ungewoͤhnlich langen Ohren,

Auch viel Hunde fuͤhrten zum Theil

In dem Dorfe ein graͤßlich Geheul.

12. Auch
[149]
12. Auch ſah man hier und da Irrlichter,

Und ſonſt bei Nacht wunderbare Geſichter,

Auch trugs ſich zu, im hellen Mittag,

Daß des Muͤllers Eſel ein Bein brach.

13. Dieſes alles ſchiene anzuzeigen,

Daß ſich bald etwas werde ereugen;

Doch merkte man da erſt die Gefahr,

Als ſchon alles erfuͤllet war.

14. Nun war es gerade ein Mittwochen,

Da der Aufruhr endlich ausgebrochen

Und jeder Bauer, um Glocke acht,

Hat ſich Morgens aus dem Hauſe gemacht.

15. Es war recht graͤulich anzuſehen,

Wie ſich ein jeder mit Waffen verſehen,

Pruͤgel und Flegel in großer Zahl

Hatten die Zuſammenverſchwornen all.

16. Alles ward nun in dem Dorfe rege,

Und man weiſſagte Tod und Schlaͤge,

Und jeder Hund und jeder Hahn

Fing zu bellen und zu kraͤhen an.

17. Auf der Heide, die beim Dorfe ware,

Verſammlete ſich die ganze Schaare,

Und nun gingen ſie, in Prozeſſion,

Nach des Schulmeiſters Wohnung ſchon.

18. Ih-
[150]
18. Ihnen folgten, zu beiden Seiten,

Viele Kinder, welche ſich ſehr freuten,

Daß ſie nunmehro wuͤrden heut

Vom boͤſen Schulmeiſter befreit.

19. Noch lag Herr Jobs ruhig in ſeinem Bette,

Als wenn alles ſicher geſtanden haͤtte,

Bis da ploͤtzlich der ganze Schwarm

Hereinbrach mit großem Allarm.

20. Aber ſobald er vom Schlaf erwecket,

Hat er ſich darob heftig erſchrecket,

Weil er nun erſt den Hochverrath

Wider ihn geſpuͤrt und gemerket hat.

21. Ohne ihm viele Zeit zu laſſen,

That man ihn gleich derbe anfaſſen,

Und zur genauen Noth erlaubte man,

Daß er ſich vorhero kleidete an.

22. Man that ihm nun ſehr ernſtlich bedeuten,

Nie Ohnewitz wieder zu beſchreiten,

Sagte ihm auch manches Scheltwort,

Und jug mit Pruͤgeln unſern Held fort.

23. Alſo war dieſer Handel geſchlichtet,

Und die Expedition gluͤcklich verrichtet,

Und mit einem lauten ju! hu!

Eilte man nun der Schenke zu.

24. Jeder
[151]
24. Jeder behauptete itzt ſteif und feſte,

Er habe bei der Sache gethan das Beſte,

Und jeder wollt nun beim Branntewein

Der groͤßeſte Held geweſen ſeyn.

25. Jedoch einige, anſtatt ſich zu freuen,

Wollte nun der Handel ſchier gereuen,

Und es ahneten ſie gleichſam von fern

Bruͤchte und Loch, bei der Ruͤckkunft des

Herrn.

Ein und dreißigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus auf ſeiner Flucht nach dem
Bayerland ein neues Abentheuer hatte, indem
er ſeine geliebte Amalia in der Komoͤdie an-
traf. Sehr freundlich zu leſen.


1. Wie der Fuchs, wenn er den jagenden Hunden

Endlich aus dem Geſicht iſt verſchwunden,

Froh iſt, daß nur ein Maul voll Haar,

Und weiter nichts, diesmal verloren war.

2. So wußte ſich auch in ſeinem groͤßten

Ungeluͤcke Hieronimus damit zu troͤſten,

Und war froh, daß er eben mit hei-

ler Haut den Bauern entgangen ſey.

3. Zwar
[152]
3. Zwar hat, indem er ſich von Ohnwitz entfernet,

Er mit ſeinem eigenen Schaden gelernet,

Wie gar ſauer, elend und ſchwer

Es im Schulamte gehet her.

4. Er nahm ſich auch vor, nie in ſeinem Leben

Wieder Buͤcher im Druck herauszugeben,

Denn bloß und allein von Autorſucht

Ruͤhrte ſein Ungluͤck und jetzige Flucht.

5. Indeß, da der Patron nach dem Baierlande

Sich jetzt mit der Gemahlin auf Reiſen be-

fande,

So wollte auch Hieronimus dort bei ihm

Schutz ſuchen vor der Bauern Grimm.

6. Er hat ſich alſo nicht lange beſonnen,

Sondern auch ſeine Reiſe dahin begonnen,

Jedoch hielte bald ſeinen Lauf

Ein neues Abentheuer auf.

7. Denn er hat, wider alles Verhoffen,

Auf der Reiſe ein Hinderniß angetroffen,

Als er juſt in einer großen Stadt

Einige Tage ausgeruhet hat.

8. Hier, um ſeine melancholiſchen Grillen

Einigermaßen zu daͤmpfen und zu ſtillen,

Fiel es ihm einmal des Abends ein,

Zu gehen in die Komoͤdie ein.

9. Er
[153]
9. Er ward bald unter den Schauſpielerinnen

Einer wohlgeputzten Schoͤnen innen,

Welche an Geſicht, Stimme, Wuchs und

Haar

Seine ehmals geliebte Amalia war.

10. Himmel! wie ward er da entzuͤcket,

Als er ſelbige ſo unvermuthet erblicket!

Faſt waͤre das ganze Parterr davon

Gerathen in ſchreckliche Konfuſion.

11. Sie hatte kaum ihre Rolle geendet,

Als er ſich ſofort zu ihr gewendet,

Und nun gabs manchen Freudenkuß

Zwiſchen ihr und dem Hieronimus.

12. Beide waren begierig zu vernehmen,

Durch welchen Zufall ſie hier zuſammen kaͤmen,

Hieronimus eilte drum bald mit ihr

Hoͤchſt vergnuͤgt ins ſich’re Quartier.

13. Da hat erſt Amalia alles vernommen,

Was ihm wunderbares vorgekommen,

Seitdem ihn damals, in der Nacht,

Der alte Herr hatte fortgejagt.

14. Und wie’s ihm mit der frommen Dame ge-

gangen,

Und was ſie gedachte mit ihm anzufangen,

Und wie man ihm nachhero einmal

Des Nachts ſein Geld im Wirthshauſe ſtahl.

15. Und
[154]
15. Und wie er im Wald einen Raͤuber getoͤdtet

Und einem Gnaͤdigen das Leben gerettet,

Und wie er darauf zu Ohnewitz gar

Ein Schulmeiſter geworden war.

16. Und das Ungluͤck, welches ihn betroffen,

Und wie jetzt, wider alles Verhoffen,

Sie in der Komoͤdie gefunden allhier,

Dies alles erzaͤhlte er weitlaͤuftig ihr.

17. Nunmehr war auch des Hieronimi Begehren,

Von ihr alle Begebenheiten zu hoͤren,

Und die Schoͤne erzaͤhlte darauf

Ihm folgendermaßen ihren Lebenslauf.

Zwei
[155]

Zwei und dreißigſtes Kapitel.


Wie die Jungfrau Amalia dem Hieronimus ihren
Lebenslauf erzaͤhlen that. Ein ſehr langes
Kapitel, weil eine Frauensperſon ſpricht. Accu-
rat hundert Verſe.


[figure]
1. Amalia Ripsraps iſt eigentlich mein

Name.

Derjenige Ort, wo ich zur Welt kame

Und das Tageslicht zuerſt geſehn,

Iſt die beruͤhmte Stadt N. N.

2. Mein
[156]
2. Mein Vater war dort ein Advokate,

Welcher viele Prozeſſe zu fuͤhren hatte,

Sintemal er die Jura aus dem Grund

Und das Chikaniren verſtund.

3. Auch die allerverworrenſten Rechtsſachen

Wußte er noch weit verworrener zu machen,

Und durch manche Liſt und Rank

Zoge er kurze Prozeſſe lang.

4. Seine Geſchicklichkeit that erretten

Manchen guten Schelm von Galgen und

Ketten;

Und ein grade zu gehoͤriger Zeit

Von ihm angerathener falſcher Eid

5. Machte manchen muthwilligen Betruͤger

Ueber ſeinen ehrlichen Gegner zum Sieger,

Und half theils manchen aus harter Noth,

Theils manchen armen Teufel vom Brod.

6. Er haßte herzlich Frieden und Vertraͤge,

Und riethe viel lieber in alle Wege,

Auch bei der geringſten Kleinigkeit,

Zum Prozeſſe und Rechtsſtreit.

7. Seine Klienten ließ er immer tanzen

Durch alle moͤgliche rechtliche Inſtanzen,

Bis dann endlich ſelbige zuletzt

Ihren letzten Heller zugeſetzt.

8. Uebri-
[157]
8. Uebrigens diente er mit moͤglichſten Treuen

Seinen ſich ihm anvertrauenden Partheien,

Jedoch nahm er auch dann und wann

Von der Gegenparthei Geſchenke an.

9. So erwarb er ſich ein ziemliches Vermoͤgen;

Was andern ein Fluch war, war ihm ein

Segen,

Und wenn andre gezankt und gekriegt,

Zog er den Vortheil und war vergnuͤgt.

10. Meine ſelige Mutter war die Tochter

Von einem ehmaligen reichen Pachter,

Der, weil er ſehr gerne geprozeſſirt,

Sich und ſein Vermoͤgen geruinirt.

11. Mein Vater hatte ihm als Advokate

Gedient mit ſeinem getreuen Rathe,

Und er truge dafuͤr zum Lohn

Die artige Tochter des Pachters davon.

12. Sie hatte ſchon viele ausgeſchlagen,

Welche ſich, ſie zu freien, angetragen,

Als ſich noch ihr Vater im Wohlſtand

Und bei gutem Vermoͤgen befand.

13. Jedoch als ſich die Aktien verſchlimmert,

Haͤt ſich keiner mehr um ſie bekuͤmmert;

Denn auch das ſchoͤnſte Maͤdchengeſicht

Reizt ohne Geld zum Eheſtand nicht.

14. In-
[158]
14. Indeſſen hat es ihr doch gegluͤcket,

Daß ſie endlich meinen Vater beſtricket,

Denn hoͤchſt gruͤndlich verſtand ſie

Alle Kuͤnſte der Galanterie.

15. Mein Vater hatte ſie ſehr oft geſehen,

Und da iſt es dann, wie geſagt, geſchehen,

Daß er dieſelbige unbeſchwert

Von dem Pachter zur Frau begehrt.

16. Sie ſchmeckten zuſammen in ihrer Ehe

Vieles Vergnuͤgen und weniges Wehe,

Wenigſtens im erſten Vierteljahr,

Da ihnen die Ehe noch neu war.

17. Sie wußten von den prozeſſirenden Parthieen

Fuͤr die Kuͤche manchen Vortheil zu ziehen,

Denn die Frau Advokatin bekam,

Was etwa der Herr Advokate nicht nahm.

17. Auch zog ſie noch manche heimliche Gewinnſte

Durch ihr ſchoͤnes Geſicht und galante Kuͤnſte,

Wenn etwa eine verliebte reiche Parthie

Sich beſonderlich bewarbe um ſie.

18. Wenn der Herr Gemahl Akten geſchrieben,

So iſt ſie ſelten auch muͤßig geblieben,

Und ſie nahm in der Schlafſtube dann

Gemeiniglich geheime Audienz an.

20. Ob
[159]
20. Ob ichs nun gleich eben nicht will wagen,

Drauf zu ſchwoͤren und als gewiß zu ſagen,

Daß juſt gedachter Advokat

Mein Vater geweſen in der That;

21. So habe ich doch niemals es gehoͤret,

Daß ſich derſelbe haͤtte beſchweret,

Als mich, nach ohngefaͤhr einem Jahr,

Meine Mutter zur Welt gebahr.

22. Von meinen erſten Kinderjahren

Habe ich zwar nichts ſonderliches erfahren,

Doch liebten mein Vater und Mutter mich

Als ihr einziges Toͤchterlein zaͤrtelich.

23. Man ſparte auch gar keine Bemuͤhung

An meiner Bildung, Pflege und Erziehung,

Und ſchickte mich fruͤhe, da ich noch klein,

Fleißig zu lernen, in die Schule hinein.

24. Jedoch ſchonte man an mir in alle Wege

Vorwuͤrfe, herbe Verweiſe und Schlaͤge,

Und richtete in jeder Kleinigkeit ſich

Nach meinem Willen ſorgfaͤltiglich.

25. Als ich kaum zehn Jahr alt geweſen,

Fing ich ſchon an Romane zu leſen,

Und ward von der Liebe ſchon mehr gewahr,

Als andre Maͤdchen im achtzehnten Jahr.

26. Mit
[160]
26. Mit muntern Juͤnglingen und artigen Knaben

Mochte ich herzlich gerne zu ſchaffen haben,

Und fing gar manchen prakt’ſchen Roman

In meinem dreizehnten Jahre ſchon an.

27. Vielleicht war es ein Fehler der Erzeugung,

Daß ich auch ſehr fruͤhe eine Neigung,

Die auch nachher niemals verſchwand,

Eine Neigung zum Stehlen empfand.

28. Meine Eltern, geſchlagen mit Blindheit,

Hielten dieſes fuͤr Triebe der Kindheit,

Und haben, wenn ich was boͤſes gemacht,

Nur uͤber ihr ſchlaues Toͤchterchen g’lacht.

29. Mein funfzehntes Jahr war kaum ver-

ſchwunden,

Als ſich ſchon Freier bei mir einfunden,

Denn bei meinem nicht haͤßlichen Geſicht

Fehlte es mir an Anbetern nicht.

30. Ob nun gleichwohl mancher von ihnen

Meinem Vater nicht verwerflich geſchienen,

So fande indeſſen meine Mutter jedoch

Vieles an ihnen zu tadelen noch.

31. Nur einen Mann von ſehr hohem Stande,

Allenfalls aus den Vornehmſten im Lande,

Beſtimmte ſie einzig [und] allein

Fuͤr mich, ihr artiges Toͤchterlein.

32. Es
[161]
32. Es kam aber kein Mann von hohem Stande,

Der mich zur Frau zu machen rathſam befande,

Mir wurde indeſſen dabei recht bang,

Denn die Verzoͤg’rung fiel mir zu lang.

33. Ich ſuchte alſo und dergeſtalten

Mich anderweitig ſchadenfrei zu halten,

Und ließ zum geheimen Rendezvous

Manchen jungen artigen Herrn zu.

34. Aus Furcht, etwas Schlimmes zu erleben

Und daß es kuͤnftig moͤchte geben

In meiner Heirath ein Hinderniß,

Wenn ſie mir zu viel Freiheit ließ,

35. Fing die Mutter an ernſtlich drauf zu denken,

Meine Liebesſtreiche einzuſchrenken,

Und gab ſowohl bei Tag, als bei Nacht,

Auf meine Schritte und Tritte Acht.

36. Ward nun gleich dadurch meine Neigung ge-

hindert,

So ward ſie doch mehr vermehrt als vermin-

dert,

Denn eine ſtark verbotene Frucht

Wird nur deſto emſiger geſucht,

37. Und je groͤßer Hinderniß, je mehr Verlangen.

So iſt es auch mit meiner Neigung gegangen,

Denn ich ſuchte zu jeder Zeit

Sie zu befriedigen Gelegenheit.

Jobſiade 1r Th. L38. Des
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38. Des Nachts ließ ich oft durch mein Fenſter

Manche mit Fleiſch und Bein verſehene Ge-

ſpenſter,

Die dann meiſtens die halbe Nacht

Bis am Morgen bei mir zugebracht.

39. Auch konnte ich oft mir die Zeit vertreiben

Mit manchem erhaltenen Liebesſchreiben

Von ſo herzbrechendem Inhalt, als man

In jedem Romane leſen kann.

40. Ich ging grade im zwanzigſten Jahre,

Als ich einſtens auf einem Balle ware;

Da ward ich mit einem Herren bekannt,

Herr Baron von Hogier genannt — —

41. Hier fiel ihr Hieronimus ins Wort ploͤtzlich:

„Herr von Hogier? — — das iſt entſetzlich!

„Sein Name ſowohl, als ſein eigentlicher

Stand

„Iſt mir, mein Seele! nicht unbekannt;

42. „Herr von Hogier war ein Baͤrenhaͤuter!“

Ja, das war er, ſprach Amalia weiter,

Und Sie ſollen, lieber Hieronimus! ſehn,

Was zwiſchen mir und ihm iſt geſchehn.

43. Herr von Hogier hat mir dazumalen

Von Perſon und Weſen hoͤchlich gefallen,

Denn ſein reiches Kleid und große Perruͤck

Nahm mich ſchon ein, im Augenblick.

44. Er
[163]
44. Er that mir hoͤchſt verliebte Antraͤge

Und mir gefielen ſeine Vorſchlaͤge,

Um deſto mehr, da er hoch und theuer ſchwur:

Ich ſey ſeine einzige Goͤttin nur.

45. Auch ſprach er viel von ſeinen Guͤtern und

Vermoͤgen,

Welche im Lande Sachſen waͤren gelegen,

Ob er gleich bishero nur ſo

Reiſete durch die Welt inkognito.

46. Er that mir auch deutlich proponiren,

Er wolle mich gerne von Hauſe entfuͤhren,

Ich moͤchte nur mit vielen Juwelen und

Geld mich verſehn auf die beſtimmte Stund.

47. Als mich nun Nachtes nichts verhindert,

Hab ich zu Hauſe Kiſten und Kaſten gepluͤndert;

Steckte, was ich da bekam, zu mir

Und entfloh mit dem Herrn von Hogier.

48. Wir eilten, bis wir uns endlich befanden

Faſt an den aͤuſſerſten Graͤnzen der ſchwaͤbi-

ſchen Landen,

Und haben in den erſten vier Tagen faſt

Keine zwoͤlf Stunden ausgeraſt’t.

49. Was wohl die Eltern gedacht, als ſie gefunden

Ihre Kaſten leer und die Tochter verſchwunden,

Und wie ſie geweinet, geflucht und geſchmaͤhlt,

Das bleibt an ſeinen Ort geſtellt.

L 250. Als
[164]
50. Als wir endlich in X. angekommen,

So haben wir uns einmal vorgenommen,

Einige Tage da auszuruhn

Und uns etwas zu Gute zu thun.

51. Wir blieben da alſo ruhig liegen,

Lebten in Wonne und Vergnuͤgen,

Und der Herr Baron von Hogier

Stellte ſich zaͤrtlich gegen mir.

52. Ich hielte mich nun in meinem Sinne

Gluͤcklicher als eine Prinzeſſinne,

Und gedachte an nichts als Freud,

Luſt, Liebe und Ergoͤtzlichkeit.

53. Doch war nunmehro mein Ungluͤck nahe;

Denn ehe ich es mir verſahe,

Hat ſich einſt heimlich in der Nacht

Herr von Hogier, per Poſt, davon gemacht.

54. Auch mein Geld, lieber Hieronimus! denk Er!

Nebſt meinen Juwelen waren zum Henker,

Auch alle Koſtbarkeiten allzumal,

Welche ich vorher meinen Eltern ſtahl.

55. Nun ſah ich alſobald offenbare,

Daß Herr von Hogier ein Spitzbube ware,

Und daß es nicht allzurichtig ſtand

Mit ſeinen Guͤtern im Sachſenland.

56. Es
[165]
56. Es iſt alſo leichtlich zu gedenken,

Wie ſehr mich dieſe Sache mußte kraͤnken,

Denn ich haͤtte von dem Herrn von Hogier

Nie eingebildet den Streich mir.

57. Einſam nunmehr und von allen verlaſſen

Konnte ich vor Betruͤbniß mich kaum faſſen,

Und ich wußte nicht, wohin und woher

Fuͤr mich eine ſichere Zuflucht waͤr.

58. Wieder nach meinen Eltern zu gehen,

Das durfte unmoͤgelich geſchehen;

Denn es waͤre da ſicherlich

Gar nicht gut gegangen fuͤr mich.

59. Indeſſen waren zu allem Geluͤcke,

Noch vier und zwanzig Dukaten zuruͤcke,

Welche ich mit aller Vorſichtigkeit

Geneht hatte in mein Unterkleid.

60. Dieſe uͤbrige vier und zwanzig Dukaten

Kamen mir diesmal recht gut zu Statten,

Denn ſie waren nun, um und um,

Mein ganzes Vermoͤgen und Reichthum.

61. Ich wollte nun nicht laͤnger verweilen

Dem Herren von Hogier nachzueilen,

Sondern jug gleich am ſelbigen Tag

Ihm ebenfalls mit der Poſt nach.

62. Denn
[166]
62. Denn ich hatte im Poſthauſe vernommen,

Daß er da Extrapoſt bekommen,

Und daß er alſo im Schwabenland

Sich noch vermuthlich reiſend befand.

63. Haͤtte ich ihn unterweges attrapiret,

So waͤre er ſogleich arretiret,

Und ſo haͤtte ich gewiß alsdenn

Meine Sachen wieder bekommen.

65. Mein Lieber! es war grade dieſe Reiſe,

Als ich auf die bewußte Weiſe

Sie auf dem Poſtwagen traf an,

Wo unſre Bekanntſchaft zuerſt begann.

65. Uebrigens iſt es mir niemals gegluͤcket,

Daß ich Herrn von Hogier haͤtte erblicket,

Und ich habe auch niemals nachher

Gehoͤret, wo er geblieben waͤr — —

66. Hier iſt Hieronimus abermalen

Der Amalia in die Rede gefallen:

„Potz tauſend! ich weiß es, wo der Dieb,

„Der Herr von Hogier, der Schurke, einſt

blieb!

67. „Kurz vor unſrer Bekanntſchaft, liebe Amalie!

„Hatte mich Herr von Hogier, die Kanaille,

„Im Wirthshaufe um vieles Geld

„Mit ſeinem falſchen Spiele geprellt;

68. „Dies
[167]
68. „Dies war die Urſache meines Kummers

„Und meines melancholiſchen Schlummers,

„Den ich endlich bei Ihnen vergaß,

„Als ich damals auf dem Poſtwagen ſaß.

69. „Auch war Herr von Hogier einer der beiden

„Angetroffenen verkleideten Kaufleuten,

„Welche im Wirthshauſe hernachmal’n,

„Mir den Beutel mit dem Gelde ſtahl’n.

70. „Auch der Raͤuber, den ich getoͤdtet,

„Als ich jenen Herrn mit der Dame gerettet,

„War wahrlich, von Perſon und Geſicht,

„Kein andrer als dieſer Boͤſewicht.

71. „Sie koͤnnen ſich alſo zufrieden geben,

„Der Spitzbube iſt nicht mehr am Leben,

„Und ich habe uns alſo mit Recht

„Fuͤr alle Betruͤgereien geraͤcht.

72. Amalie verſetzte: dieſe Geſchichten,

Welche Sie, mein Lieber! mir da berichten,

Sind wahrhaftig recht ſehr kurios,

Und meine Verwunderung drob iſt groß!

73. Das Spruͤchwort: was auch gar klein

geſponnen,

Kommtdoch endelich an die Sonnen,

Trifft auch gewiß hier haarklein

Bei dem Schurken von Hogier ein.

74. Doch,
[168]
74. Doch, um im Erzaͤhlen fortzufahren,

Als wir damalen getrennet waren,

Setzte ich wegen der Sackuhr

Meinen Weg fort, doch zu Fuß nur.

75. Gleich drauf mußte es ſich zutragen,

Daß ein alter Herr mit ſeinem Wagen

Grade auch dieſe Straße kam,

Und er mich, da gehend, wahrnahm.

76. Er noͤthigte mich durch ſein freundlich Bezei-

gen,

In ſeinen Wagen bei ihm einzuſteigen;

Und weil ihm meine Perſon gefiel,

Gab er mir der guten Worte viel:

77. Immer bei ihm als Kammerjungfer zu bleiben

Und ihm die Zeit angenehm zu vertreiben;

Denn er waͤre mit Leib und Seel

Unbeweibt und noch Junggeſell.

68. Nun ware es eines Theils gefaͤhrlich,

Andern Theils, wie ich itzt dachte, auch thoͤrlich

Gehandelt und gethan von mir,

Ferner zu ſuchen den Herrn von Hogier.

79. Was mir der alte Herr angetragen,

Wollte ich alſo nicht ausſchlagen,

Obgleich ſein Alter und graues Haar

Mir ſo recht nicht anſtaͤndig war.

80. Ich
[169]
80. Ich bin alſo bei ihm geblieben,

Habe ihm die Zeit gut vertrieben,

Und ich betrug mich gegen ihn,

Als waͤre ich ſeine Gemahlin.

81. Er hat mich deswegen hochgehalten,

Ließ mich im Hauſe ſchalten und walten,

Und uͤber Geſinde, Maͤgde und Knecht’,

Hatte ich zu befehlen ein Recht.

82. Ich durchſah Stuben, Kuͤche und Keller,

Scheunen, Kammern, Boden und Soͤller,

Beſorgte die Waͤſche, Tiſche und Bett

Und was ſonſt noch vorfallen thaͤt.

83. Von allen Kaſten hatte ich die Schluͤſſel;

Jedes Geſchirre bis zur kleinſten Schuͤſſel,

Sogar Silbergeraͤthe und Leinewand,

Stunde alles unter meiner Hand.

84. Auch von manchem Abend bis zum Morgen

Trug ich fuͤr den alten Herrn alle Sorgen

Und beruhigte ihn, wenn er allerhand

Gewiſſe geheime Beduͤrfniſſe empfand.

85. Denn der gute alte Herre thate

Nicht das mindeſte ohne meinen Rathe,

Und nichts geſchahe uͤberall

Ohne meinen gegebenen Beifall.

86. Ich
[170]
86. Ich bekam, wie leicht zu gedenken,

Von ihm viel anſehnliche Geſchenken,

Stahl auch uͤberdieß von Zeit zu Zeit

Noch heimlich manche Kleinigkeit.

87. Obs nun gleich aͤuſſerlich an nichts fehlte,

So war doch noch etwas, welches mich quaͤlte,

Und mir fiele deswegen im Anfang

Bei dem alten Herren die Zeit lang.

88. Zwar in der Folge war der Hausſchreiber

Zuweilen wohl mein Zeitvertreiber,

Doch weil er ſich meiſt kraͤnklich befand,

So war ſein Umgang nicht intereſſant.

89. Es gereichte mir alſo zum wahren Vergnuͤgen,

Nach ſeinem Tode einen neuen Hausſchreiber

zu kriegen,

Und Sie, mein Lieber! waren juſt der

Damals neu angeſetzte Sekretaͤr.

90. Sie gefielen mir gleich, da ich Sie geſehen,

Ich muß es Ihnen offenherzig geſtehen,

Und dieſes war dann die Urſach,

Warum ich fuͤr Sie ſo kraͤftig ſprach.

91. Uebrigens iſt Ihnen von den Dingen allen,

Welche damals unter uns vorgefallen,

Bis er Sie Nachts einſt bei mir fand,

Lieber Hieronimus! nichts unbekannt.

92. Als
[171]
92 Als er ſie damals dimittiret,

Hat mich Ihr Abſchied ſehr geruͤhret,

Er fuhr aber noch deſtomehr

Ueber mich mit Verweiſen her.

93. Faſt haͤtte ich ebenfalls muͤſſen reiſen,

So zornig that er ſich beweiſen,

Und gewiß mit ſehr vieler Muͤh

Befriedigte ich ihn mit Kareſſen noch hie.

94. Indeſſen war doch ſeit dieſen Stunden

Seine Neigung zu mir ſehr verſchwunden,

Weil eine junge neue Kuͤchenmagd

Ihm beſſer als meine Perſon behagt.

95. Um nun meinen Kummer und Melancholeyen

Wegen Ihrer Abweſenheit zu zerſtreuen,

Lebte ich nachhero etwas frei

Mit des alten Herren Lakei.

96. Als er aber unſre Vertraulichkeit geſehen,

Da half mir kein weiter Bitten noch Flehen,

Sondern ich mußte alſofort,

Mit Sack und Pack, wandern von dort.

97. Da ich nun mit Geld ziemlich verſehen,

Entſchloß ich mich ſo lange durch die Welt zu

gehen,

Bis eine neue Gelegenheit ſich

Zeigte zum kuͤnft’gen Unterhalt fuͤr mich.

98. Auf
[172]
98. Auf meiner Reiſe durch dieſe Lande

Stieß ich auf eine Schauſpielerbande,

Und auf meine Bitte nahm man

Mich als eine neue Aktrice an.

99. Schon hab ich mich bei ihnen ſolchergeſtalten

Einige Monate lang aufgehalten,

Und geſpielet ſehr gut und wohl

Jede mir aufgegebene Roll.

100. Uebrigens iſt’s mir eine große Freude,

Daß uns das Schickſal nunmehr beide

Wieder hat ſo geſund und vergnuͤgt

Zum drittenmale beiſammengefuͤgt.

Drei und dreißigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus Luſt bekam, ein Schauſpie-
ler zu werden, und wie er dazu von der
Jungfrau Amalia uͤberredet ward.


1. Hieronimus hat die in vorigen hundert

Verſen erzaͤhlte Geſchichte ſehr bewundert,

Und vergaß, in ſeinem jetzigen Zuſtand,

Den Herren Patron und das Bayerland.

2. Er that vielmehr von nun an den Schluß faſſen,

Amalien niemals wieder zu verlaſſen,

Und nahm ſich desfalls vor zur Hand,

Auch zu werden ein Komoͤdiant.

3. Als
[173]
3. Als dieſes Amalia gemerket,

Hat ſie ihn in ſeinem Vorſatze geſtaͤrket,

Und ruͤhmte drauf dieſen Stand hoch

In dem folgenden Apolog:

4. Ich weiß es aus ſehr vielen Proben,

Daß der Schauſpielerſtand hoͤchlich zu loben

Vor einen jeglichen andern Stand

Der da iſt in der Welt bekannt.

5. Denn man ſieht darin deutlich und eben,

Wie es in dem ganzen menſchlichen Leben

Bald ſehr boͤſe und bald ſehr ſchoͤn,

Unter einander pflegt herzugehn.

6. Bald giebts gar luſtige Komoͤdien,

Bald aber jammervolle Tragoͤdien,

Bald lachet man, tanzet und ſingt,

Bald greint man, ſeufzet und hinkt.

7. Bald ſieht man recht komiſche Poſſen,

Bald werden Thraͤnen und Blut vergoſſen,

Bald iſt man duͤrftig, bald iſt man reich,

Bald jung und roth, bald todt und bleich.

8. Bald iſt man Bauer, bald iſt man Kaiſer,

Bald iſt man ein Narre, bald ein Weiſer,

Bald iſt man vornehm, bald iſt man arm,

Bald iſt man kalt und bald wieder warm.

9. Bald
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9. Bald General, bald ein Gemeiner,

Bald Kapuziner, bald ein Zigeuner,

Bald ein Bettler, bald ein Baron,

Bald ein Buͤttel, bald ein Herr von.

10. Bald Renomiſt, bald ein Stutzer,

Bald Kammerherr, bald Schuhputzer,

Bald Paſſagier, bald ein Wirth,

Bald ein Abbe, bald Kuͤhhirt.

11. Bald ein Pfarrer, bald ein Kuͤſter,

Bald Dummkopf, bald Polyhiſter,

Bald Monarch, bald Unterthan,

Bald Scharfrichter, bald Amtmann.

12. Bei dergleichen Abwechſelungen

Hat man immer neue Vergnuͤgungen,

Und es wird der Lauf der Welt

Gar artig dadurch fuͤrgeſtellt.

13. Wenn wir die aufgetragenen Rollen

Nur klug und vernuͤnftig ſpielen wollen,

So belohnt ein Klatſchen der Haͤnd’

Unſre Aktionen am End.

14. Hingegen wenn wir irgendwo gefehlet,

Dann wird die Haut uns voll geſchmaͤhlet,

Und alle Zuſchauer im Schauſpielhaus

Lachen, ziſchen und pfeifen uns aus.

15. Der
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15. Der Stand, liebe Amalia! den Sie da zeichnen,

Iſt angenehm, ich kann es nicht leugnen,

Antwortete darauf mit einem Kuß

Der neue Schauſpieler Hieronimus.

16. Er ward nun dem Direktor praͤſentiret,

Und ihm von Amalia rekommendiret,

Der nahm denn des folgenden Tages drauf

Ihn unter die ſpielende Geſellſchaft auf.

Vier und dreißigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus ein wirklicher Schauſpieler
ward, und wie ihm Jungfrau Amalia un-
treu ward und mit einem reichen Herren da-
von ging, und wie er auch in Deſperation
von hinnen ging.


1. Geneigter Leſer! jetzt will ich dir ſagen,

Wie ſich Hieronimus im Spielen betragen,

Nachdem ihn der Direktor examinirt

Und ſeine Faͤhigkeit probirt.

2. Tartuͤffiſche Schurken, verdorbene Prieſter,

Trunkene Studenten, laͤcherliche Kuͤſter,

Bange Poltrons, verliebte Schreiber

Und dergleichen aͤhnliche Rollen mehr

3. Spielte er alle ſehr manierlich,

Denn ihre Rollen waren ihm natuͤrlich,

Und er bekam darin jedesmal

Der Zuhoͤrer lauten Beifall.

4. Auch
[176]
4. Auch wenn er den Schulmeiſter hatte,

Oder als Autor auf die Buͤhne trate,

So ſah man ihm auch dann und wann,

Den Schulmeiſter und Autor leibhaftig an.

5. Hingegen war im ernſthaften Philoſophen

Fuͤr ihn nicht der mindeſte Beifall zu hoffen,

Auch im zaͤrtlichen Schaͤferſpiel

Leiſtete Hieronimus gar nicht viel.

6. Imgleichen ſpielte er ſehr ungeſchicklich

Den vornehmen Herren und war ungluͤcklich,

So oft er etwas Vernuͤnft’ges bekam,

Oder eine ſehr lange Rolle nahm.

7. Hieronimi jetzige Tage verfloſſen

Indeſſen in Vergnuͤgen und unverdroſſen

Im Arm ſeiner ſchoͤnen Schauſpielerin,

Im Arm ſeiner lieben Amalie hin.

8. Er haͤtte, von der Liebe gleichſam berauſchet,

Mit keinem Koͤnige nunmehro getauſchet,

Und alle ſein Truͤbſal und Elend

Schien nun gekommen zu ſeyn zum End.

9. Aber leider! iſt, wie’s Sprichwort heiſſet,

Nicht alles Gold und Silber, was gleiſſet,

Und das unbeſtaͤndige Gluͤck

Zeiget oft unvermuthete Tuͤck.

10. So
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10. So erfuhr auch Hieronimus in folgenden

Zeiten

Bald des Gluͤckes Veraͤnderlichkeiten,

Denn, da er’s am wenigſten geglaubt,

Ward ihm ſein groͤßtes Vergnuͤgen geraubt.

11. Und es hat ſich mit ihm begeben

Der ſchmerzlichſte Vorfall in ſeinem Leben,

Denn es wurde ihm untreu

Seine geliebteſte Amalei.

12. Naͤmlich: es traf ſich von ohngefaͤhre,

Daß ein junger, vornehmer, reicher Herre

Einſtmals in der Komoͤdia

Die ſchoͤne Amalia ſpielen ſah.

13. Gleichwie es nun uͤberall Narren giebet,

So hat auch er ſich in ſie verliebet,

Und Amalia ware ſo klug,

Daß ſie ſeinen Antrag nicht ausſchlug.

14. In ihrer Geſchichte koͤnnen wir es leſen,

Daß ſie ohnehin ſehr geneigt geweſen

(Sie war ja eine Frauensperſon)

Zur oftmaligen Variation.

15. Der reiche Herr that ſie oft beſuchen,

Hieronimus fing drob an zu fluchen,

Und hat theils geweint, theils gedroht,

Und wuͤnſchte ſich in der Verzweiflung den

Tod.

Jobſiade 1r Th. M16. Da-
[178]
16. Dadurch ward er aber nur taͤglich

Bei Amalien mehr verhaßt und unertraͤglich,

Und ſie ſagte ihm bald darauf

Ihre Liebe formaliter auf.

17. Da er nun ihren Entſchluß vernahm, ſo hat er

Abſchied bald genommen vom Theater,

Und er ging in aͤuſſerſter Deſperation

Wenige Tage nachhero davon.

18. Was indeſſen Amalia thut anlangen,

So iſt ſelbige mit dem Herren davon gegangen,

Und ſoll bei demſelbigen zwei Jahre hernach

Geſtorben ſeyn, als ſie im Wochenbette lag.

Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus nach ſeiner Heimath gen
Schildburg gereiſet iſt und wie er da aller-
lei Veraͤnderungen fand.


1. Es befande ſich nun auf dieſe Weiſe

Hieronimus abermals auf der Reiſe,

Doch war er gereiſt kein einziges mal

So mißvergnuͤgt als im gegenwaͤrtigen Fall.

2. Amaliens nie vermuthete Untreue

Ware ſeinen Gedanken ſtuͤndlich neue,

Und er haͤtte aus Verzweifelung

Faſt gewagt einen gefaͤhrlichen Sprung.

3. Zwar
[179]
3. Zwar waͤre in ſeinem betruͤbten Zuſtande

Fuͤr ihn beim Herrn Patron im Baierlande

Die beſte Zuflucht geweſen wohl,

Wenn ich mein Gutachten ſagen ſoll.

4. Aber einer, der mit Betruͤbniß beſeſſen,

Pfleget oftermal ſich zu vergeſſen,

Und iſt gemeinlich zu ſolcher Zeit

Mehrmals ein Thor und nicht geſcheut.

5. Alſo ſtatt ſich anders hin zu wenden

In ſeinen gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden,

Stellte Hieronimus ſeinen Sinn

Nach ſeinem Geburtsorte Schildburg hin.

6. Weil ihm nun eben keine Hinderniſſen

Auf der Heimreiſe ſonderlich aufſtießen,

So iſt er, dem Himmel ſey gedankt!

Wohlbehalten endlich da angelangt.

7. Hier hat er bei ſeiner Ankunft geſehen,

Daß große Veraͤnderungen waren geſchehen

In manchen Sachen, waͤhrend der Zeit

Seiner ſo langen Abweſenheit.

8. Seine Mutter war zwar noch am Leben,

Aber ihre aͤuſſerliche Umſtaͤnde ſtunden eben

Nicht allzuwohl, ſondern jaͤmmerlich

Und ſie ernaͤhrte ſich kuͤmmerlich.

M 29. Ei-
[180]
9. Einer ſeiner Bruͤder war gegangen

Den Weg alles Fleiſches, einer hat angefangen

Einen kleinen Nuͤrnberger Kram,

Wovon er ſeinen Unterhalt nahm.

10. Der aͤlteſte Bruder lebte im Eheſtande

Mit dem haͤßlichſten Weibe im ganzen Lande,

Doch machte das Geld, welches ſie beſaß,

Daß er ihre Haͤßlichkeit vergaß.

11. Seine aͤlteſte Schweſter hatte

Den Kuͤſter Loci zum Ehegatte,

Und dieſelbige lebte ziem-

lich vergnuͤget und wohl mit ihm.

12. Die Schweſter Gertrud hatte ein Kind vom

Prokrater

Geier, welcher, als er worden war Vater,

Sich davon hatte gemacht geſchwind

Und die Braut verlaſſen ſammt dem Kind.

13. Sie ſuchte ſich ſo gut als moͤglich zu ernaͤh-

ren,

Hatte vielen Umgang und Verkehren

Mit jungen Leuten von reichem Stand,

Bei welchen ſie ihren Unterhalt fand.

14. Eine andere Schweſter war bei einem alten

Wittwer, ihn zu waͤrmen und hauszuhalten;

Und auch dieſe lebte mit ihm, in ſo weit,

In Friede und guter Einigkeit.

15. Und
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15. Und ſeine allerjuͤngſte Schweſter,

Ein bluͤhendes Maͤdchen, genannt Eſther,

War noch bisher der Mutter Troſt

Und bekame von ihr die Koſt.

16. Ob nun gleich des Hieronimi Ankunft zware

Mutter und Geſchwiſtern angenehm ware,

Weil es ſehr lange hatte gewaͤhrt,

Eh ſie von ihm geſehn oder gehoͤrt.

17. So wollte es ſich doch fuͤr ihn nicht fuͤgen,

Als ein Faullenzer muͤßig da zu liegen,

Man ware alſo darauf bedacht,

Daß er irgend wuͤrde untergebracht.

Sechs
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Sechs und dreißigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus Nachtwaͤchter ward in Schild-
burg, und wie ſeiner Mutter Traum, und
Frau Urgalindinens Weiſſagung erfuͤllet ward.


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1. Nun ware grade in dieſen Tagen

Der Nachtwaͤchter in Schildburg zu Gra-

be getragen

Und ſeine Bedienung ware bisher

Noch unbeſetzet, vakant und leer.

2. Da nun in allen gutgeordneten Staaten

Man den Nachtwaͤchter nicht kann entrathen,

So ward von den Buͤrgern deliberirt,

Damit ein andrer wuͤrde ordinirt.

3. Nun
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3. Nun fanden ſich zwar faͤhige Subjekte,

Denen der entledigte Dienſt wohl ſchmeckte,

Doch wegen der Stimme ſtarkem Ton

Nahm man auf Hieronimus Reflexion.

4. Zwar machten Anfangs einige Perſonen

Dagegen Einwuͤrfe und Objektionen,

Als wenn Hieronimus eben nicht ſehr

Zu dieſer Bedienung geſchicklich waͤr.

5. Denn weil man ihm die Nachrede machte,

Daß er lieber ſchliefe als wachte;

So waͤre infolglich auf dieſe Art

Das Staͤdtlein nicht gehoͤrig bewahrt.

6. Indeſſen ward er doch bald einhellig

Von der ganzen Buͤrgerei, foͤrmlich und voͤllig,

So daß am Berufe nichts gefehlt,

Zum neuen Nachtwaͤchter erwaͤhlt.

7. Jedoch mußte er ſich vorhero bequemen

Des vorigen Waͤchters Wittwe zur Frau zu

nehmen,

Denn der verſtorbene ſelige Mann

Nahm ſich gar treulich des Staͤdtleins an.

8. Um alſo ſeine Treue zu vergelten

An der hochbetruͤbten Wittwe, ſo ſtellten

Die Buͤrger die Heirath ihrer Perſon

Als eine Condition ſine qua non.

9. Weil ſie nun erſt alt war dreißig Jahre

Und ihre Perſon nicht haͤßlich ware,

So nahm Hieronimus den Vorſchlag an

Und wurde alſo ihr Ehemann.

10. Es
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10. Es wurden nunmehro Alten und Jungen

Die Stunden der Nachts wieder vorgeſungen,

Denn der neue Waͤchter Hieronimus

Nahme das Horn vor’s Maul und bluß.

11. Und ſo oft er die Glocke hoͤrte ſchlagen,

Hub er an folgendes zu ſagen:

„Hoͤret ihr Herren in der Still,

„Was ich euch ſingen und ſagen will:

12. „Die Kirchglocke hat ſo eben

„Eilf, zwoͤlf, ein, zwei, drei Schlaͤge gegeben,

„Bewahret, wenn ich euch rathen ſoll,

„Das Feuer, das Licht und eure Toͤchter wohl.

13. „Damit ſich niemand etwa verbrenne,

„Oder ſonſt Schaden entſtehen koͤnne,

„Und ſeyd ſehr wohl auf eurer Hut,

„Hut, Hut, Hut, Hut, Hut thut gut.

14. Er hat ſich uͤbrigens ſtets aufgefuͤhret,

Wie’s einem frommen Nachtwaͤchter gebuͤhret,

Denn er ſchlief den Tag deſto mehr,

Damit er des Nachts fein wachſam waͤr.

15. In aller Zeit, da er gewacht und geſungen,

Iſt es keinmal einem Diebe gelungen,

Daß in Schildburg eine Raͤuberei

Irgendwo naͤchtlich geſchehen ſey.

16. Und jeder Buͤrger, wenn er noch ſo hart ſchliefe,

Erwachte, wenn Hieronimus bließ oder riefe,

Und ſeines Horns und Halſes Schall

Hoͤrte man im Staͤdtlein uͤberall.

17. So
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17. So hat ſich denn alles kurios gereimet,

Mit dem, was Frau Jobs Kapitel zwei ge-

traͤumet,

Und alles trafe nun haarklein,

Bei dem Nachtwaͤchter Hieronimus ein.

18. Auch von dem, was Urgalindine geſaget,

Als man ſie um das Schickſal des Knaben

gefraget,

Nach den Gruͤnden der Chiromantia,

Ware nunmehro die Erfuͤllung da.

19. Man konnte, nach nun vollendeten Sachen,

Von allem dieſem die beſte Deutung machen,

Wie’s dann mit Prophezeihungen uͤberhaupt

geht,

Daß man ſelbige hernach erſt verſteht.

20. Was indeſſen Frau Schnepperle geſprochen,

Als Frau Jobs war mit dem Kind in den

Wochen,

(Wie Kapitel drei zu erſehn)

Das iſt vor dieſesmal nicht geſchehn.

21. Aus demjenigen, was wir nunmehro wiſſen,

Laͤſſet ſich gegen Frau Schenpperle ſchlieſſen,

Daß ſie in der Kunſt der Phyſionomei

Nicht genug erfahren geweſen ſey.

Sie-
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Sieben und dreißigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus einen Beſuch bekam von
Freund Hein, der ihn zu Ruhe brachte. Ein
Kapitel, ſo gut als eine Leichenrede.


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1. Es iſt geweſen ſchon ſehr lange,

Wie uns Gelehrten bewußt iſt, im Gange,

Ein gar kluges Sprichwort, es hat’s

Der alte Kirchenvater Horaz:

2. Sowohl gegen die Pallaͤſte der

Großen

Als gegen die Huͤtten der Armen

pflegt zu ſtoßen

Der uͤberall bekannte Freund Hein

Mit ſeinem duͤrren Knochenbein.

3. Das
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3. Das will eigentlich nach dem Grundtext ſagen:

Alles, was da lebt, wird zu Grabe getragen,

Sowohl der Monarch, als der Unterthan,

Sowohl der reiche als der arme Mann.

4. Sintemal Freund Hein pflegt unter beiden

Nicht das mindeſte zu unterſcheiden,

Sondern er nimmt alles, weit und breit,

Mit der ſtrengſten Unpartheilichkeit.

5. Und er pflegt immer ſchlau zu lauern

Sowohl auf den Kavalier, als auf den Bauern,

Auf den Bettler und Großſultan,

Auf den Schneider und Tartarchan.

6. Und er geht mit der ſcharfen Senſen

Zu Lakeien und zu Excellenzen,

Zu der gnaͤdigen Frau und der Viehmagd

Ohne Diſtinktion auf die Jagd.

7. Es gilt bei ihm gar kein Verſchonen,

Er achtet weder Knotenperruͤcken noch Kronen,

Weder Doktorhut noch Hirſchgeweih,

Zierrathen der Koͤpfe mancherlei.

8. Er hat bei der Hand tauſend und mehr Sachen,

Welche ein End mit uns koͤnnen machen;

Bald giebt ein Eiſen, bald die Peſt,

Bald eine Weinbeere uns den Reſt.

9. Bald
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9. Bald eine Krankheit, bald ploͤtzlicher Schrecken,

Bald Arzeneien aus den Apotheken,

Bald Gift, bald Freude, bald Aergerniß,

Bald Liebe, bald ein toller Hundsbiß.

10. Bald ein Prozeß, bald eine blaue Bohne,

Bald eine boͤſe Frau, bald eine Kanone,

Bald ein Strick, bald ſonſtige Gefahr,

Wofuͤr uns alle der Himmel bewahr.

11. Da helfen, um ſich zu befreien,

Nicht d’Arçons ſchwimmende Battereien;

Denn Freund Hein, der hungrige Schelm,

Fuͤrchtet weder Veſtung, Schild, Degen

noch Helm.

12. Der Kommandant in den ſieben Thuͤrnen,

Der Großvizier zwiſchen hundert Dirnen,

So wie Diogenes in ſeinem Faß

Waren alle fuͤr ihn ein Fraß.

13. So iſt es von jeher gehoͤrt und geweſen,

Wie wir in den Geſchichtbuͤchern koͤnnen leſen:

Jakob Boͤhme und Ariſtoteles,

Klaus Narre und Demoſthenes,

14. Der ungeſtalte Aeſop und die ſchoͤne

Weltberuͤhmte griechiſche Helene,

Der arme Job und Koͤnig Salomon

Mußten endlich alle davon.

15. Kaiſer
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15. Kaiſer Max und Jobs der Senater,

Virgil und Hans Sachs mein Aeltervater,

Der kleine David und große Goliath

Starben alle, theils fruͤh, theils ſpat.

16. Niklas Klimm und Markus Aurelius,

Kato und Eulenſpiegelius,

Ritter Simſon und Don Quixot,

Sind leider nicht mehr, ſondern todt.

17. Auch Kartouche und Koͤnig Alexander,

Einer nicht ein Haar beſſer als der ander’,

Held Bramarbas und Hannibal

Sie ſtarben alle Knall und Fall.

18. Auch Auguſt der Held Polens,

Und Karl der Zwoͤlfte mußten volens nolens,

So wie der Perſer Schach Kulikan,

Und der große Czaar Peter dran.

19. Item, Xerxes mit ſeinem ganzen Heere,

Potiphar mit ſeiner Hausehre,

Und der einaͤugige Polyphem,

Und der alte Methuſalem.

20. Alle, alle mußten in die ſchwarze Bahre,

Kalvin und der Pater von Sankt Klare,

Auch der Patriarch Abraham,

Und Erasmus von Rotterdam.

21. Auch
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21. Auch Muͤller Arnold und die Advokaten

In den weitlaͤufigen preuſſiſchen Staaten,

Tribonian und Notar April,

Der zu Regensburg von der Treppe fiel,

22. Alles, alles ſank vor ſeiner Sichel,

Hippokrates Magnus und Schuppachs Michel,

Galenus und Doktor Menadie

Mit der Salernitanſchen Akademie.

23. Keiner konnte ſeiner Fauſt entfliehen,

Nicht Noſtradamus und Superintend. Ziehen.

Mit Doktor Fauſt und Traͤumer Schweden-

burg

Ging er ohne Umſtaͤnde durch.

24, Orpheus den großen Muſikanten,

Molieres den Komoͤdianten,

Und den beruͤhmten Mahler Apell

Nahm Freund Hein ſaͤmmtlich beim Fell.

25. Auch den Midas mit den langen Ohren,

Den Dichter Homerus blind geboren,

Den lahmen Tamerlan und Taͤnzer Veſtris;

Kein einz’ger von allen entſprang ihm hie.

26. Ach ja, lieber Leſer! dies Furchtgerippe

Fraß die Penelope und Xantippe,

Judith, Dido, Lukretia

Und die Koͤnigin aus dem Reiche Arabia.

27. Den
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27. Den lachenden Demokrit und den Murrkopf

Timon,

Gaukler Schroͤpfer und den Zauberer Simon,

Den Sokrates und jungen Werther, fuͤrwahr

Jenen als Weiſen, dieſen als Narr.

28. Selbſt Bucephalus und Roſſinanten,

Und Abulabas den Elephanten,

Roß Bayard und Bileams Eſelin

Nahm Freund Hein zum Morgenbrod hin.

29. Summa Summarum, weder vorn noch hinten

Iſt in den Chroniken ein Exempel zu finden,

Daß Freund Hein etwa irgendwo leer

Bei jemand voruͤbergegangen waͤr.

30. Und was er uͤbrigens noch nicht gefreſſen,

Wird er doch in der Folge nicht vergeſſen,

Sogar, leider! lieber Leſer, auch dich,

Und was das ſchlimmſte iſt, ſogar mich.

31. So ward es nun auch gleichergeſtalten

Mit dem Nachtwaͤchter Hieronimus gehalten,

Denn auch bei ihm ſtellte Freund Hein

Sich nach vierzig Jahr und drei Wochen ein.

32. Er bekam naͤmlich ein hitziges Fieber,

Das waͤre wohl nun bald gegangen uͤber,

Wenn man’s ſeiner guten Natur

Haͤtte wollen uͤberlaſſen nur;

33. Je-
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33. Jedoch ein beruͤhmter Doktor im Kuriren

Brachte ihn durch ſeine Lebenselixiren,

Nach der beſten Methode gar ſchoͤn,

An den Ort, dahin wir alle einſt gehn.

34. Als man ihn nun zu Grabe getragen,

Fuͤhrten die Schildburger große Klage,

Denn ſeit undenklichen Zeiten her

War kein ſo beruͤhmter Nachtwaͤchter als er.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Die Jobsiade. Die Jobsiade. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpz4.0