[][][][][][][[I]]
POLITISCHE
WAHRHEITEN


Eure Rede sey allezeit lieblich und mit Salz gewürzt, daſs
ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollet.


(Paulus an die Colosser IV, 6.)


Erstes Bändchen.

Zürich.:
bey Orell, Geſsner, Füſsli und Compagnie,
1796.
[[II]][[III]]

I.
Ueber den
GEHORSAM,
im
Dienst der Könige und Fürsten
.
Beytrag
zur Dienst-Casuistick des Jahrhunderts.


A
[[IV]]

Specta, Juvenis. In ea tempora natus es, quibus firmare
[a]nimum expedit constantibus exemplis.


(Tacitus.)

[[V]]

VORERINNERUNG.


Die erste, wahre und einzige Veranlaſsung
dieses Werks (dann ein Werk sollte es wer-
den), ware folgende. Als ich im Jahr 1782.
zum Schutz und Schirm gegen die von meinem
gewesenen Dienſtherrn sich erlaubte Miſshand-
lungen meine Zuflucht zu dem Kayser, der Für-
sten und meinem Richter, zu nehmen genöthigt
war, trafe sichs in einer Unterredung mit ei-
nem Kayserlichen Minister, mit welchem ich
ehedem in mannichfaltiger Verbindung gestan-
den hatte, daſs derselbe auf meine Klagen,
warum ich verschiedene zum offenbaren Verder-
ben des Landes gereichende Zumuthungen un-
befolgt gelassen, ja mich ihnen nicht nur ent-
zogen, sondern widersezt hatte, die mir höchst
unerwartete Antwort gabe: „Wann nun Ihr
„Herr das Land hat ruiniren wollen, was
[VI] „hat das Sie angegangen? Das Land war ja
nicht Ihnen.


Es war in der natürlichen Ordnung der Din-
ge, daſs und warum zu jener an Revolutionen,
Projecten und Versuchen so fruchtbaren Zeit, ein
Staatsdiener K. Josephs so denken konnte, durfte
und, beynahe, so denken muſste. Für mich
war jene Rede nicht nur neu, sondern beunru-
higend und erschütternd; es war mir nicht an-
ders, als ob ein für meinen Augen gehangener
Schleyer weggezogen würde. Ich hatte mich
bisher als einen Diener meines Fürsten, noch
weit mehr und eigentlicher aber seines Landes
gehalten, das er in der von mir bekleideten er-
sten
Stelle meiner Hirten - Treue und Sorgfalt
anvertraut hatte. Hirte war ich also, (das
wars, was mir augenblicklich auf die Seele fiele)
aber nicht Herr seiner Heerde; wenn er
demnach solche nicht nur zu scheeren, sondern
auch zu schlachten beschlossen hatte, warst
du als Hirte berechtiget, solches zu hindern?
War der Grund hinreichend, aus Unmuth den
[VII] Hirten-Stab gar wegzuwerfen und dadurch den
Miethlingen und selbst den Wölfen gutes Spiel
zu machen? und was der sich auf einander zu-
drängenden Gedanken mehrere waren.


In allen meinen verschiedenen und langjähri-
gen Diensten hatte ich die Stimme meines Ge-
wissens zur ersten Regel meines Dienſtle-
bens gemacht, und dieser Ueberzeugung öftere,
reine und wichtige Opfer gebracht. Der Ge-
horsam gegen die Befehle und Anforderungen
meines Herrn ware erst die zweyte und jener
Regel subordinirte Pflicht; der keine Vorstellun-
gen, Widerspruch und Widerstand gestatten-
de sogenannte blinde Gehorsam aber ware
in meinen Augen vollends ein die Würde eines
vernünftigen und freyen Menschen erniedrigen-
des, ja schändendes, Ungeheuer.


Nun erwachten erst in mir viele Fragen und
Zweifel, von den wahren Gränz-Linien zwi-
schen Gewissen und Gehorsam; die Fragen
von engem und weitem, von zartem und ver-
härtetem, von wachendem oder schlummerndem
[VIII] oder eingeschlafenem Gewissen; von der Kunst,
Art und Graden des Gehorsams und Ungehor-
sams; welche Fragen insgesamt um desto wichti-
ger und interessanter vor mich wurden, je un-
mittelbarer sie mit meiner ganzen Lage und je-
zigem Schicksal verbunden und vor meine Be-
ruhigung und künftigen Lebensgang schlechter-
dings entscheidend waren.


So entstund dann in mir der innere Drang,
die Lehre von dem Gehorsam in dem
Dienst der Könige und Fürsten
in ihrem
ganzen Zusammenhang zu untersuchen oder ei-
gentlich in ihren ersten Gründen zu studiren.
Ich habe bey der vielen Musse, die mir der
Schneckengang der Reichs-Justiz verschafte, be-
reits im Jahr 1782. in Wien den Anfang dazu
gemacht und dieses Studium während der acht
Jahre meines Aufenthalts in Mannheim und der
fernern fünf Jahre in meinem Würtembergi-
schen Vaterlande fortgesezt. Eigene Belehrung
und Beruhigung über meine bisherige in That
und Leben behauptete Art zu dienen waren
[IX] meine erste Absicht bey dieser Beschäftigung.
Weiteres Forschen und Nachdenken und die
durch Lesen pragmatischer Geschichte gesam-
melte Beyspiele brachten mich allmälig auf den
Gedanken, daſs es etwa meinen künftigen
jüngern Brüdern in dem sogenannten Herren-
Dienst frommen könnte, ihnen so ein aus ma-
nichfaltigen bewährt gefundenen Erfahrungen
gesammeltes Recepten-Buch politischer
Hausmittel
allenfalls in die Hände zu liefern;
auch dieses Zeugniſs geglaubter und durch Le-
ben und Handlungen versigelter Wahrheit an-
statt eines biographischen Torso der Nachwelt
zu hinterlassen.


Das Resultat nun von allen diesen ältern
Erfahrungen und neuern Untersuchungen wa-
re, so weit die Sache mich selbst betrafe, bald
gefaſst. Ich ward von neuem vollkommen und
lebendig überzeugt, daſs ich, nach meiner gan-
zen individuellen Geistesbildung und Den-
kungsart, besser gethan hätte, in meiner sie-
[X] benzehen Jahre behaupteten republikanischen
Freyheit zu beharren, nur ein Diener des ge-
meinen Wesens, nur ein freiwilliger Die-
ner der Fürsten, die meinen Rath und Dienste
verlangten, zu bleiben, und mich weder durch
ihre gleiſsnerische Vorsäze und Versprechun-
gen, noch durch die Lockungen der Eigenlie-
be, wo nicht den Reformator, doch den Arzt
in dem groſsen Lazareth der kranken Mensch-
heit machen zu helfen, bereden und verleiten zu
lassen, mich ihnen als leibeigen zu verhandeln.


Es war nun aber, was geschehen, nicht
mehr zu ändern; und mir bliebe nur der einige,
doch unschäzbare, Gewinn übrig: Durch Scha-
den weise geworden zu seyn und die hohe
Wahrheit der Warnung: Verlasset euch nicht
auf Menschen, denn sie sind Fürsten! aus eige-
ner Erfahrung bestätigen zu können.


Nach diesen Gesinnungen war ich von Jah-
ren zu Jahren in der Ausarbeitung des Werks
vorgerückt; und da immer ein Tag den andern
[XI] mit weitern Einsichten und Erfahrungen lehrt,
hatte ich meinen Plan so angelegt, daſs, wann
auch die Schrift nicht bey meinen Lebzeiten
erschiene, sie doch etwan nach meinem Hin-
gang um so unbedenklicher, durchdachter und
vollständiger hervortreten könnte.


So dachte ich noch biſs in das Jahr 1792.
Indessen begonne der groſse Kampf nicht nur
unter den Göttern und Völkern der Erde, son-
dern auch in der moralischen Welt. Der
Kampf zwischen Gewalt und Recht, zwischen
der Vernunft und Glauben der Könige und
Fürsten, der Vernunft und dem Glauben der
Philosophen und dem gemeinen Menschen-
verstand ward von Jahren zu Jahren allgemei-
ner und heftiger; die Waffen waren ungleich,
der Muth, die Beharrlichkeit und die Erbitte-
rung aber in Wachsthum zwischen beeden
Parthien; der Streit dauert noch und wird noch
lange unentschieden bleiben: Wer am Ende
siegen oder unterliegen werde?


[XII]

Ich werde das Ende nicht erleben; so viel
weiſs ich aber mit starker Ueberzeugung schon
jezt: Daſs beyde Theile, jeder in seiner Art
zu sehen, zu denken und zu handeln, un-
recht haben.


Dieses wäre also die gemächliche und sichere
Lage eines bloſsen neutralen Zuschauers.
Glücklich ist der, der neutral seyn kann und
darf. Je länger je mehr wird aber im Krieg
so wohl als in der moralischen und politischen
Welt gleich beschwerlich und gefährlich, neu-
tral seyn zu wollen. Beede Parthien rufen
mit gleich starker Stimme: Wer nicht mit mir
ist, der ist wider mich; und ihre Behand-
lung gleicht vollkommen ihren Worten.


Ich habe in meinem Theil genug gestritten
und gelitten und darf mich meiner Wunden
und Narben nicht schämen; bey aller Versu-
chung eines alten Kriegers, bey der groſsen
und allgemeinen Fehde auch noch einen Feld-
zug mit zu wagen, rufen mir doch Vernunft,
meine 73. Jahre und meine dermalige persönli-
[XIII] che Lage in dem Land, worinnen ich wohne,
zu: Nach dem Rechte eines Veteranen mich in
mich selbst zu verhüllen, meine Betrachtungen
und Wünsche in mich zu verschliessen und
bey der immer gröſsern Verwirrung der Köpfe
und Herzen der göttlichen Allmacht, Weis-
heit und Güte zu überlassen: Wenn? wie?
und durch welche Mittel und Werkzeuge sie
Licht aus der jezigen Finsterniſs hervortretten
lassen werde.


Denn so, wie es dermahlen ist, kann es
und wird es nicht bleiben.


Diese Umstände und Rücksichten haben mich
zu dem Entschluſs bewogen, dem Geist der
Zeit und meiner eigenen Ruhe das Opfer zu
bringen, um diese Arbeit mehrerer Jahre, oh-
ne Reue, selbst zu begraben. Ich kann mich
irren; mit zunehmender Ueberzeugung glaube
ich aber: Daſs unsere Zeiten und die in der-
selben lebende und schwebende Fürsten- Mini-
ster- und gemeine Menschen gewisse Wahr-
[XIV] heiten und die Melodie ihres Vortrags nicht
mehr tragen, durch dieselben nicht mehr ge-
bessert, hingegen desto mehr erbittert und
gereizet werden, da sie sich an der Wahrheit
selbst nicht rächen können, es ihre Zeugen
und Bekenner um so empfindlicher entgelten
zu lassen. Wir leben in der Zeit der Extre-
men; wer sich nicht zu einer von beyden Par-
thien halten, sondern auf der allein sichern
und richtigen Mittelstraſse bleiben, nur (um
mit der Modesprache zu reden) ein gemäſsig-
ter Aristokrat und ein eben so gemäſsigter De-
mokrat seyn will, der hat nur um so gewisser
des Undanks, Schimpfens und Miſshandlung
von beyden Theilen sich zu gewärtigen.


Da ich nun kein Anhanger und Nachbeter
weder des einen noch des andern Theils seyn
konnte und wollte, so ist: Warten und
Schweigen wohl das Beste.


Da ich auf meinem eigenen Grund und
Boden baue, so habe ich mir, nach dem Recht
[XV] des Eigenthums, vor erlaubt gehalten, die
Grundmauren des Gebäudes stehen zu las-
sen; oder, unverblümt zu reden, die allge-
meinen
Sätze, worauf diſs ganze Thema von
dem Gehorsam im Königs- und Fürstendienst,
meiner Meinung nach, beruhet, beyzubehal-
ten und hiemit darzulegen. Wenn sie auch
nicht würdig erfunden werden, einst von an-
dern Händen überbaut zu werden, so mö-
gen sie einstweilen Ruinen eines versunke-
nen oder unvollendeten Gebäudes bleiben.
Man wallfahrtet ja heut zu Tage auch nach
Ruinen.


Nach eben diesem Recht des Eigenthums be-
halte ich mir auch bevor, einzelne etwa noch
brauchbare Steine aus ihrem Schutt auszule-
sen, um sie hie und da, sollte es auch nur,
wie zu Düsseldorf die Antiken auf den
Wänden der Schloſstreppe, oder zu Aquileja
an den Gartenmauren seyn, einzumauren.


Man kann unstreitig zu unsern Tagen Vie-
les
sagen, was man noch zu den Zeiten unsrer
[XVI] Väter kaum leise denken durfte. Vielleicht
kommt noch in dem folgenden Jahrhundert die
Zeit, wo man Alles, was man denkt und
glaubt, auch laut sagen darf; in ahndender
Hofnung, daſs eine solche Zeit kommen kön-
ne und werde, lege ich noch den Grund-
riſs
des Hauses oder Tempels, wie ich mir
dessen Aufführung gedacht, hier bey. Der
bloſse An- und Ueberblick rechtfertiget wohl
schon das von mir darüber ausgesprochene Ur-
theil der Zerstörung.


  
  • Allgemeine Vor-Anmerkungen.
  • Erstes Capitel: Von dem Gehorsam überhaupt.
  • Zweytes Capitel: Glaube und Meinungen der
    Könige und Fürsten in der Lehre vom Ge-
    horsam.
  • Drittes Capitel: Von dem Recht, Art und
    Kunst zu befehlen.

Vier-
[XVII]
  • Viertes Capitel: Von der Pflicht, Art und
    Kunst, zu gehorchen.
  • Fünftes Capitel: Von dem Gehorsam der Liebe.
  • Sechstes Capitel: Von dem freywilligen Ge-
    horsam.
  • Siebendes Capitel: Von dem blinden Gehorsam.
  • Achtes Capitel: Von dem stummen Gehorsam.
  • Neuntes Capitel: Von dem Gehorsam aus Ein-
    falt und Tummheit.
  • Zehendes Capitel: Von dem närrischen Ge-
    horsam.
  • Eilftes Capitel: Von dem Gehorsam aus Ei-
    gennutz.
  • Zwölftes Capitel: Von dem Gehorsam aus
    Furcht.
  • Dreyzehendes Capitel: Von dem gezwungenen
    und seufzenden Gehorsam.
  • Vierzehendes Capitel: Von Reden u. Schweigen.
  • Fünfzehendes Capitel: Von den Gränzen und
    Graden des Gehorsams überhaupt.

B
[XVIII]
  • Sechszehendes Capitel: Ob das Gewissen die
    Regel des Gehorsams seyn könne und
    dürfe?
  • Siebenzehendes Capitel: Von dem Gehorsam ge-
    gen Despoten.
  • Achtzehendes Capitel: Von dem Gehorsam ge-
    gen Herrn, so viel Verstand und einen bösen
    Willen haben.
  • Neunzehendes Capitel: Von dem Gehorsam ge-
    gen Herrn, so wenig Verstand und desto
    mehr Eigenwillen haben.
  • Zwanzigstes Capitel: Von dem Gehorsam gegen
    schwache Regenten.
  • Ein und Zwanzigstes Capitel: Von dem Gehor-
    sam gegen Narren.
  • Zwey und Zwanzigstes Capitel: Von dem Miſs-
    brauch des Namens des Regentens.
  • Drey und Zwanzigstes Capitel: Ob jemand
    zweyen Herren dienen könne?
  • Vier und Zwanzigstes Capitel: Vom Ministe-
    rial-Gehorsam.

[XIX]
  • Fünf und Zwanzigstes Capitel: Von dem Ge-
    horsam der Gesandten.
  • Sechs und Zwanzigstes Capitel: Von dem Ge-
    horsam der Landstände und Vorsteher eines
    Volks.
  • Sieben und Zwanzigstes Capitel: Von dem acti-
    ven und passiven Collegial-Gehorsam.
  • Acht und Zwanzigstes Capitel: Von dem Ge-
    horsam der Geistlichen.
  • Neun und Zwanzigstes Capitel: Von dem Ge-
    horsam in Justiz-Sachen.
  • Dreyssigstes Capitel: Von dem Gehorsam der
    Untergebenen.
  • Ein und Dreyssigstes Capitel: Von den Leiden
    des Gehorsams.
  • Zwey und Dreyssigstes Capitel: Von den Ge-
    fahren des Gehorsams.
  • Drey und Dreyssigstes Capitel: Von dem Un-
    gehorsam.
  • Vier und Dreyssigstes Capitel: Von dem Un-
    gehorsam, der wie Gehorsam aussieht.

[XX]
  • Fünf und Dreyssigstes Capitel: Von Wider-
    spruch und Widerstand.
  • Sechs und Dreyssigstes Capitel: Weissagungen
    und Aussichten vors Künftige.

Geschrieben, Ludwigsburg im Würtembergischen,
im Februar 1795.


v. Moser.


[[21]]

Allgemeine
Vor-Anmerkungen.


[[22]][[23]]

Eine der wichtigsten, aber auch delikatesten
Fragen in der Dienst-Statistik, ist die von dem
Gehorsam, dessen wahren Bestimmung, Graden
und Gränzen; den Gränzen und Graden von Wi-
derspruch und Widerstand, und welche Folgen
von Wohl und Weh der dabey interessirten
Theile aus denselben fliessen.


Das Thema verbreitet sich in und über alles
das, was von Menschen-Rechten und Freiheiten
gedacht und gesagt werden kann.


Zwo Hauptsätze stehen in allgemein aner-
kannter Richtigkeit fest: Unterthanen, Diener,
Untergebene, sind ihrem Beherrscher, ihrem
Herrn und Gebieter, ihrer Obrigkeit und Vor-
gesezten Gehorsam schuldig; und ohne diese
Kette der Ordnung und Unterordnung würde
keine bürgerliche und häusliche Verfassung,
noch weniger die gröſsere allgemeine Staats-
haushaltung bestehen.


[24]

Vor eben so wahr und richtig wird aber auch
allgemein anerkannt, daſs Regenten und Obrig-
keiten, und wer stufenweis weiter zu befehlen
hat, böses wünschen, thun und befehlen; daſs
sie irren und fehlen; daſs sie sich erzürnen und
übereilen können, und also die Befolgung und
der unbeschränkte Gehorsam gegen ihre
Wünsche und Befehle, die gleich heilige Pflich-
ten gegen Gott, das Gewissen, sich selbst und
andere Menschen verlezen, und in vielen Fällen
selbst dem, welchem man blindlings gehorchet,
am ersten und meisten schaden könne.


Auf diesem Glauben und Erfahrung gründet
sich die Ueberzeugung: Daſs es Fälle geben
könne, worinnen es Recht, Pflicht und Wohl-
that sey, nicht zu gehorchen; zu sagen, daſs
und warum man nicht gehorchen könne, wolle
und werde? Und es in dem über diſs Wollen
und Nichtwollen entstehenden Kampf drauf wa-
ge: Ob der befehlende oder nicht gehorchende
Theil siege oder unterliege?


Um den Gefahren eines solchen allzuoft mög-
lichen Streits vorzubeugen, ist im Groſsen und
Ganzen der Menschen- Völker- und Länderbe-
herrschung in allen christlichen Staaten durch
diejenigen Barrieres gesorgt, welche wir im
[25] weitesten Umfang Gesetze nennen, welche
dem befehlenden und gehorchenden Theil durch
alle Classen vorschreiben, wie er wollen solle
und dürfe?


Nach Verschiedenheit der Reiche und Länder
heiſst diese Willens-Regel Lex Regia, Wahl-
Capitulation, Erb-Vertrag u. s. w.


Weil aber aller Buchstabe tödtet und nur der
Geist lebendig macht, so ist zu Bewahr- und Be-
lebung dieses Geists der Gesetze, nach den
verschiedenen Verfassungen der Staaten, unter
dem Namen von Reichs- und Land-Ständen,
Parlamente, Etats, u. dgl. ein Ausschuſs des un-
terthänigen und gehorchenden Theils bestellt,
der bey dem Willen des Regenten dasjenige lei-
sten und erfüllen soll, was der Verstand bey
dem Willen eines jeden einzelnen guten und
vernünftigen Menschen zu verrichten hat.


Dieses alles ist dann in der Einrichtung selbst
vors Groſse und Ganze gut und vortreflich,
lieblich anzuhören und anzuschauen, und vieler
Ehren und Danks werth, wo es anzutreffen
ist; vor Menschen-Wohl und Glück immer un-
endlich besser und vorzüglicher, als wo Wille
und Verstand Aller dem bloſsen Willen von
Einem Preis gegeben ist.


[26]

Alle diese Hüter und Priester der Gesetze
sind aber keine Engel; eben wohl Menschen,
schwach, oft am schwächsten, wann und wo
sie am ersten Stärke beweisen sollten. Und wie
beym einzelnen Menschen zuweilen der Wille
mit dem Verstand davon läuft, von ihm ver-
führt und bethöret wird; wie der Vormünder
zuweilen zu gutherzig, zu nachgebend, und
sein Pupill desto frecher, kühner, schlauer und
zudringlicher ist, so auch hier. Doch auch so,
wie es ist, bey allen Mängeln, Unvollkommen-
heiten, ist’s noch immer besser, als wenns gar
nicht wäre.


Alle diese Erörterungen, wo der Monarch,
Fürst, Herr auf der einen, und sein Reich,
Volk, Land auf der andern Seite steht, gehören
vor die Hobbes, Miltons, Sacheverels,
Linguets
,
und die Sprecher der Wighs und
Torys der Menschheit.


Sie werden unter sich zanken, und keins kann
entscheiden; das Volk wird seufzen, murren
und gehorchen; wer die Hand auf dem Beutel
hat, hat auch den richtigsten Verstand, und
wer die meisten Soldaten halten kann, darf
wollen, was er will. Bald ist’s das Volk, bald
der Herr, so das eine, aber nicht das andere,
[27] kann: Je länger je mehr hat und kann der Herr
beydes; und zur Entschädigung erhält dagegen
das Volk Preſs- und Freſsfreiheit, das dann
beydes vor das Menschengeschlecht, wie sichs
allmälig artet, immer noch Surrogat vor den
verrauchten Geist der Gesetze ist.


Montesquieu sagt: Die Menschen sind, wie
ihr Clima; man müſste solchemnach sagen: Die
Regenten sind, wie die Verfassungen, in denen
sie gebohren und erzogen werden; daraus wür-
de folgen, daſs alle orientalische Kayser Tyran-
nen und alle Könige in Engelland Heilige wä-
ren; daſs in der Christenheit, deren erster Re-
ligionsgrundsatz Liebe und Verträglichkeit ist,
eitel Friede herrsche, und dagegen die [Y]ncas
und Otaheiter in ewiger Fehde leben müſsten.


Die Geschichte aller Zeiten und Völker, aller
Religions- und Regierungsverfassungen, bewährt
aber, daſs, dieses mannigfaltigen Unterschieds
ohngeachtet, in einem und eben demselben
Reich gute und böse Regenten gewesen. Das
nemliche Jahrhundert, das Neronen, Caligula’s
und Domitiane hatte, brachte auch einen Ti-
tus, Vespasian und Marc Aurel hervor; und,
seines catholischen Prädicats ohngeachtet,
[28] würden wir einen christlichen Tyrannen, wie
Philipp II. nicht mit einem Montezuma ver-
tauschen wollen.


Zum ganzen Ton der Befehle und deren be-
schränkten oder gränzenlosen Umfang, zum Ge-
horchen vom Besinnen an: Ob mans thun wol-
le
?
bis zum augenblicklichen Verstummen und
Unterwerfung, trägt freilich die Verschiedenheit
der Regierungsformen und besondern Landes-
verfassung vieles, wiewohl nicht alles, bey.


Zu den Zeiten der ersten Cäsars ward den
vornehmsten Römern ein Centurio ins Haus ge-
schickt, mit dem Befehl, zu sterben. Zur Di-
stinction ward manchmal die Wahl zwischen
Gift, Dolch oder Oefnung der Adern gelassen.
Der Befehligte stand von Tisch oder Bett auf,
machte eilends, wann er durfte, sein Testament,
nahm Abschied von seiner Familie, und der
kaiserliche Commissarius wartete so lang, biſs
die geschwinde Operation vorüber war. So
floſs das edelste Blut auf den bloſsen Wink ei-
nes Tyrannen; hingegen starb von Zwölfen
nicht Einer des natürlichen Todes.


Man denkt und spricht mit Schaudern an die
seidenen Stricke das Orients; der Bassa em-
[29] pfängt und küſst ihn, und die Stumme schnüren
zu. Die Beyspiele sind aber auch nicht selten,
daſs der, so der Strangulirte seyn sollte, dem
Ueberbringer aufpassen, den Kopf abhauen und
statt des Recepisse zurückschicken lassen; und
wie viele Sultans sind von ihren eigenen Janit-
scharen abgesetzt, eingesperrt und erwürget
worden?


In Engelland hörten die Scheiterhaufen unter
Heinrich VIII. und Maria nicht auf zu brennen;
die Schafots wurden mit dem Blut der Königin-
nen und der würdigsten Männer der Nation ge-
färbt; das Volk sah’s und schwieg; und Carl I.
ward auf Verdacht und Beschuldigung, noch
mehr als über Thatsachen, entthront und ent-
hauptet.


Carl IX. in Frankreich lieſs tausende seiner
Unterthanen in der einen Bartholomäusnacht er-
morden, und starb auf seinem Bett; der Freund
seines Volks, der, seiner und seines Reichs
Ruhe zu lieb, zum Glauben seines Volks sich
bekannt hatte, der noch spät dessen Liebe und
Bewunderung war, Heinrich IV. ward ermordet.


Peter der Groſse in Ruſsland hat mit eigener
hoher Hand seine Kneesen und Bojaren zusam-
mengeprügelt und den Executionen selbst bey-
[30] gewohnt; und Ludwig XIV. den einst Louvois
durch trotzigen Widerspruch heftig erzürnte,
warf seinen in der Hand habenden Stock zum
Fenster hinaus, um sich nicht vom Zorn über-
wältigen zu lassen und den Vorwurf machen
zu müssen: Daſs er einen Edelmann geschlagen
habe. Und beyde waren doch Monarchen.


Gegenwärtige Betrachtungen beschäftigen sich
eigentlich nur mit der Persönlichkeit des Re-
genten, er mag als der erste Mensch an seinem
Hof, Haus und Land, oder als Herr und Haupt
unter den verschiedenen Classen seiner Räthe
und Diener erscheinen.


Unzertrennlich hangen an ihm und unmittel-
bar folgen auf ihn seine handelnde Organen,
seine Räthe, oder, nach dem höhern und feiner
gestimmten Ton unserer Zeiten, seine Mini-
sters; und nach ihnen, das, was in einem Haus
das Gesinde heiſst, die Subalternen in ihren
zahllosen Gattungen und Nahmen.


Wir sind zum Befehlen gebohren und an-
dere zum Gehorchen
.
Diesen Glauben brin-
gen sie mit auf die Welt; er wird von der Wie-
ge an in ihnen genährt, von den Knabenjahren
[31] an in ihnen gestärkt, mit zunehmenden Jahren
von ihnen selbst innigst empfunden; durch al-
les, was um sie ist, in Wort und That bewährt.
Sie selbst handeln und wandeln in diesem Ge-
fühl ihrer Geburt, und überliefern ihn am Ende
ihres Laufs, als das kostbarste Vermächtniſs
ihren Nachfolgern.


So weit gut, wahr und unverwerflich. Der
Gebieter ist aber nicht vom Himmel gekom-
men; ist, wie wir alle, vom Weibe gebohren;
ist unser Bruder, unser Mitmensch. Der Mensch
steckt nicht im König, der König steckt im
Menschen; und wie der Mensch ist, so ist der
König und Fürst. Ist der Kern nichts nutz, so
wird die Frucht es noch weniger seyn; ist der
Mensch gut, so wirds auch der Fürst und Kö-
nig seyn.


Wir müssen also beym Menschen anfangen
und beym Fürsten aufhören; jenen in seinen
Grundlagen, Neigungen, Erziehung, Gesell-
schaft, der Denkungs-Art seiner Zeit und übri-
gen menschlichen Verhältnissen vorher beleuch-
ten, um diesem Gerechtigkeit wiederfahren zu
lassen; um weder aus Fehlern Tugenden zu
machen, noch als Fehler anzudichten, die es
nur nach unsern Begriffen und Vorurtheilen, in
[32] der That selbst aber und nach den wahren Ver-
hältnissen der Dinge nicht sind.


Es gibt gebohrne Regenten, sie mögen her-
nach, nach dem Zufall ihrer Geburt, einem Kö-
nigreich, einem Mönchs-Kloster, einem Kriegs-
heer, ihrem Jahrhundert zu befehlen haben, oder
selbst erst bey der Nachwelt triumphiren. Ein
Sixtus V. ein Alberoni, ein Luther, ein Lau-
don, ein Heinsius, würden in jedem Welttheil
und in jedem Zeitpunkt sich durchgeschwun-
gen, geherrscht, befohlen, sich über ihre Ge-
burt
erhoben haben.


Unter den gebohrnen Königen und Fürsten
sind Nahmen die jeder Zeiten Ruhm, jeder Kro-
nen Zierde, jeder Völker würdige Beherrscher
gewesen seyn würden. Bey all’ diesen war
der Mensch, die Seele stark, und groſs ge-
bohren
.


So gibt es dann auch hinwieder unter denen,
welche ihrer Geburt nach zum Herrschen und
Befehlen bestimmt zu seyn scheinen, denen
mans von der Stirne herunterliest und ihr gan-
zes Leben und Thaten bekräftigt, daſs sie ge-
bohrne Knechte
seyen, deren Seelenkräfte in
ihren
[33] ihren ersten Bestandtheilen so schwach sind,
daſs sie sich nie über ihre Niedrigkeit oder Mit-
telmäſsigkeit erheben, nie zu wahrer Geistes-
gröſse emporstreben können; staudenähnliche
Menschen, über die nicht nur der Starke, son-
dern jeder noch schwächere Herr werden kann,
die von andern geleitet, geführt und belebt wer-
den müssen.


Jeder Mensch darf heurathen, und bey der
Trauung in christlichen Ländern wird der Frau
verkündigt: Er soll dein Herr seyn; das heiſst:
Wann er kann und wann er mag.


Jeder König und Fürst soll regieren, wann
er kann, oder wann er nicht zu untüchtig oder
zu faul dazu ist, um es lieber durch andere
thun zu lassen. Die Ursache liegt ganz nahe:
Thron und Krone, Reich und Lande kann man
erblich machen, aber nicht die Seele. Auf einen
Heinrich IV. folgt ein Ludwig XIII., auf eine
Elisabeth ein Professor Jacob; diſs ist dann
der fortdauernde Fall, über den schon König
Salomo *) gejammert hat: „Wer weiſs, was
der für ein Mensch werden wird, nach dem
C
[34] König, den sie schon bereit gemacht haben?
— Darum verdroſs mich alle meine Arbeit, die
ich unter der Sonnen hatte, daſs ich dieselbe
einem Menschen lassen müſste, der nach mir
seyn sollte; denn wer weifs, ob er weise oder
toll seyn wird? Und soll doch herrschen in al-
ler meiner Arbeit, die ich weislich gethan habe
unter der Sonnen„; und endlich gar ausruft:
„Wehe dir Land, dessen König ein Kind, oder
nach unserer Sprache ein Kindskopf, ist„.


Der Unterschied zwischen beyden ist: Jene
bezahlen mit ihrer Person, diese nur mit ih-
rem Namen; jene regieren, diese unter-
schreiben
.


So von Seiten des Verstandes und Geistes.
Herz und Wille machen aber noch eine ganz
andere und vor das Glück der Völker weit we-
sentlichere Bestimmung. Ein Herr kann star-
ken Geistes und bösen Herzens seyn, ein ande-
rer dagegen schwach, aber gut.


Ein hoher Geist und gutes Herz macht den
Ruhm und Glück einer Regierung; wo aber
ein schwacher Kopf und böses Herz bey einem
Regenten zusammentreffen, dann sey Gott all’
denen gnädig, welchen er zu befehlen hat.


[35]

Diese psychologisch-genealogische Bemer-
kungen haben vorangeschickt werden müssen,
weil daraus vor alles, was über Befehlen und
Gehorchen gesagt werden kann, sehr unter-
schiedene Resultate folgen.


Dann, schwach oder stark, gut oder schlimm,
er befiehlt, so bald er zum Regenten geboh-
ren ist, und einem wie dem andern muſs man
gehorchen.


Der eine befiehlt aber mit Vernunft, Weis-
heit, Ordnung, Mäſsigung, er weiſs: Was?
Und warum er befiehlt; der andere befiehlt nur,
um zu befehlen, mit Macht, Trotz, Selbstdün-
kel und nach Dünkel seiner Herrn und Führer.


Dem einen gehorcht man gern, mit Lust und
Ueberzeugung, dem andern aus Zwang, mit
Widerwillen und Furcht.


Der eine erfordert Rath von andern, hört
die Stimme seines Volks und horcht auf die
Worte der Weisen; der andere ist sich stets
selbst klug genug, will nie gewarnt noch be-
rathen, nur blindlings gehorsamt seyn.


[36]

Erstes Capitel.
Von dem Gehorsam überhaupt.


Gehorsam ist, wenn ich meinen Verstand und
Willen dem Verstand und Willen eines andern
unterwerfe.


Wer also wenig oder keinen Verstand hat,
ist des andern Knecht, und der den meisten
Verstand hat, ist, wenn er will und kann,
Herr des andern.


Es gibt einen Conflict und Kampf des Ver-
stands mit Verstand; da entscheidet der Wille
des einen oder des andern, dessen, der Raison
annimmt oder verweigert.


Es gibt einen Conflict des Verstands mit Un-
verstand; da entscheidet entweder der Wider-
stand oder der Gehorsam dessen, der sich zum
Dienst des Wollens oder der Leidenschaften des
andern hergiebt.


Welche Hoheit und zugleich Tiefe, daſs ein
Mensch den andern als Herrn über sich erkennt,
daſs er ihn freywillig wählt, ihm nicht nur mit
allen Kräften und Fähigkeiten bis zur Erniedri-
[37] gung unterthänig ist, sondern ihm auch seine
Neigungen, Einsichten und Ueberzeugungen
unterwirft, und die Neigungen, Wollen und
Einsichten seines Herrn als seine eigene an-
nimmt, glaubt und gegen andere behauptet und
vertheidiget.


Wie klein, wie tief gesunken erscheint aber
auch der Mensch, der die schändlichste, unge-
rechteste Aufträge, die ihn selbst aneckeln und
anschaudern, ohne Bedenken und Widerspruch,
ohne Barmherzigkeit und Mitleiden, vollzieht;
nicht nur aus Noth, aus Zwang oder aus blos-
sem Gehorsam, sondern weil er sichs zur Ehre
und als ein Zeichen vorzüglichen Vertrauens
schäzt, das auserwählte Werkzeug des Wil-
lens seines Gebieters zu seyn. *)


Sie sind wie die Meisterknechte, so über die
Negers gesezt sind, selbst Knechte, aber stolz
darauf, die erste in ihrer Classe zu seyn und
Sclaven unter sich zu haben, die sie quälen
und mifshandeln können. Manchem Günstling
fehlte bey seinem treugemahlten Portrait, so
wie dem Meisterknecht die Peitsche, nichts
[38] als die Serviette unter dem Arm, um ihn an-
statt eines Cabinetministers, vielmehr vor den
Haushofmeister seines Fürsten zu halten.


Ein eben so sonderbarer Contrast ist, daſs
der Schwächere Herr des Stärkern, daſs der
Diener Herr seines Herrn ist, und ihn mit un-
sichtbaren Banden eines künstlichen Despotismus
bezähmt, bändiget, leitet und sich unterwirft.


Die Stuffenleiter der Schöpfung ist Veredlung.
Wenn man also eine Seelenwanderung glauben
könnte, so müfste sie nicht von Menschen in
Thiere, sondern von Thieren in Menschen an-
genommen werden, um sich die Löwen-Esel-
Wolfs Lamms-Hunds-Art u. dgl., die man so sicht-
bar unter Menschen findet, erklären zu können.


Es giebt unter Menschen und Thieren, die
bloſs zum Tragen, Ziehen und Gehorchen er-
schaffen zu seyn scheinen; gebohrne Last-Thie-
re
,
gebohrne Ochsen und Esel.


Gebohrne — Affen unter den Thieren und ge-
bohrne Hanswurste und Bonjourmacher unter
den Menschen.


Gebohrne — Budels unter den Hunden und
Menschen; man trift sogar unter der Diener-
[39] schaft der Höfe auf ganze Budels-Familien,
die sich, ohne alles persönliche Verdienst und
Würdigkeit, von Urvater, Groſs-Vater, Vater
und Sohn bis auf die Kinder und Enkel hinaus,
durch bloſses Kriechen, Aufwarten, Pfote ge-
ben, Laternen tragen, Ja sagen, sich zu allem
gebrauchen lassen, angebauet, erhalten, ge-
wurzelt und vermehret haben. Da diese Art
von Dienst an kleinen Höfen die gewöhnlich-
ste, angenehmste und unentbehrlichste ist, so
trift man auch an denselben diese menschliche
Budels am häufigsten an, und wer mitessen,
wer unter ihnen gedeihen will, muſs entweder
selbst von Budel-Art seyn oder in eine Budel-
Familie heurathen.


Es giebt Haus-Thiere, die sich zähmen, ab-
richten, unterrichten lassen, die in eine Art
von vertraulicher Gesellschaft mit ihrem Füh-
rer, Pfleger und Wohlthäter treten, seine Lau-
nen, Härte, sogar Miſshandlungen erdulden,
so wie sie empfindlich und erkenntlich gegen
seine Sorgfalt, Freundlichkeit und Schmeiche-
leyen sind, so der Elephant, das Cameel, die
Philosophen unter den Thieren, ein edles Roſs,
ein treuer Hund u. s. w.


[40]

Andere Thiere, obgleich auch Haus-Thiere,
lassen sich nie so ganz zähmen und ziehen,
um nicht immer noch von der ursprünglichen
und eigenthümlichen Art ihres Geschlechts was
an sich zu behalten, und solches aus Schuld
ihrer Herrn, der Menschen, oder aus eigenem
Instinct und Laune, zu äussern.


Bey manchen Thieren thut die Kunst, das ist
der Zwang, nur wenig, bey manchen andern
muſs er vieles, ja alles thun.


Das Indocilis pati liegt so tief und [zwingbar] in der Natur mancher Geschöpfe, daſs
man zwar Beyspiele genug von zahm gemach-
ten Löwen, Bären, Hirschen, Schlangen, Wöl-
fen und Füchsen hat; aber eben so viele und
fürchterliche von der Lebens-Gefahr, womit sich
die Uebertreibung dieses künstlichen Zwangs
geendiget hat.


Eben so giebt es im Menschen-Geschlecht,
im Geister-Reich, Classificationen, wie im Thier-
Reich, unabhängige, unbezähmbare, nicht den
mindesten Zwang erduldende Seelen.


[41]

Von dieser Art unzubändigende Menschen ha-
ben sich in neuern Zeiten Rousseau, und der
Graf von Bar selbt bekannt gemacht.


Rousseaus eigenes Bekenntniſs von sich in
dem Schreiben an den Präsident von Lamoignon
von 1763. lautet so: „Ein gewisser Stolz, der
mich immer trieb, den Menschen in dem Men-
schen aufzusuchen, machte, daſs ich es nie ler-
nen konnte, den Gedanken der Abhängigkeit
zu ertragen. Der Herzog von Luxemburg und
seine Gemahlin haben mich mit Freundschaft
überhäuft; aber ich muſste mich zwingen, ih-
ren Rang zu vergessen, sie nur als gute Men-
schen anzusehen; und endlich war es doch ihr
Stand, der mich bewog, eine Wohnung in ih-
rem Hause auszuschlagen; denn ich merkte,
daſs mir jede Kette, auch die des Wohlstands
und der Sitten, im Umgang mit Höhern uner-
träglich war. Ich habe darum den Genuſs der
Freyheit allem vorgezogen und ich habe dieses
Glück geschmeckt, denn ich riſs mich von al-
len Verbindungen, von allen Fesseln der Ge-
sellschaft los, und glücklicher war kein Sterb-
licher, als ich in Montmorency, wenn ich nach
einem in Gefühl der Unschuld verflossenen Tag
und einig mit der ganzen Schöpfung des Abends
[42] mit meiner Haushälterin, meinem Hund und
meiner Katze speiste.„ *)


Graf Bar aber singt mit wahrer Dichter-Glut:


A l’horreur d’obéir aux caprices d’un Grand,

Je préfere l’honneur de vivre indépendant;

Au seul mot de servir, mon esprit indocile

N’attache qu’une idée absolument servile.

Und der Ausruf jenes ältern Dichters:


Serviat æternum, qui non vult esse liber!

Ingleichem:

Vive tibi et longe nomina magna fuge!


War gewiſs nicht nur Dichtung eines Poeten,
sondern Drang, eigener, vielleicht schmerzli-
cher Erfahrung.


Man findet oft in Einer Classe Menschen ne-
ben einander stehen, deren einer den gefälligen
Jaherrn schon auf seiner Stirne und auf dem
des Beugens und Krümmens gewohnten Rücken
trägt; der andere mit seinem ernsten negativen
Gesicht, wie eine unbeugsame Eiche neben ei-
ner sich nach jedem Wind drehenden Pappel,
ihm zur Seite steht. Wer Josephs Liebling
Lascy neben dem Held Laudon beysammen
[43] gesehen hat, der brauchte nicht erst zu fragen:
Welches die Pappel und wer die Eiche sey?


Jeder freygebohrner denkender Mensch
hat überhaupt lange mit sich selbst zu arbeiten,
biſs er sich an das Joch des Gehorsams gewöhnt,
das er sich freywilig oder aus Noth auflegen
lassen.


Ein gebohrner Knecht hingegen weiſst sei-
ne Freyheit weder zu schätzen noch zu benu-
zen; er seufzet wieder nach einem Herrn,
wie ein verlohrener Hund, [um]hinter ihm her-
gehen zu dürfen.


Meiners, im göttingischen historischen Ma-
gazin, hat in einer Abhandlung anschaulich
und wahrscheinlich zu machen gesucht, daſs
die africanische Negern auf der untersten Stufe
der Menschheit stehen, ein ausgezeichnetes,
verworfenes, abgestumpftes Volk, gebohrne
Sclaven
seyen. Solche Negers findet man aber
auch in allen andern Welttheilen von allen Far-
ben und Sprachen, selbst unter denen auf einer
Höhe von Cultur stehenden Völkern.


Mit einer traurigen aber wahren Erfahrung
schrieb daher der vortrefliche Vice-König in Si-
cilien, Graf von Carracioli, an seinen Freund
[44]d’Alembert: „Ich beschäftigte mich mit allem
möglichen Eifer und aus allen meinen Kräften,
diesem Lande, welches man mir anvertraut hat,
wohl zu thun. Unglücklicher Weise treffe ich
in den Gegenständen selbst allerhand Hinder-
nisse an. Allein die stärksten kommen mir von
Menschen, und sogar von solchen, die man
gerne von ihren Ketten befreyen möchte. So
wahr ist es
,
mein lieber Freund, daſs die
lange Gewohnheit, Sclave zu seyn, die
Seele bis zu dem Punkte erniedrigt, wo
er die Sclaverey lieb gewinnt
,


Diese Subordination des Verstandes und
Willens ruht und liegt in der ganzen ursprüng-
lichen Oeconomie der Schöpfung des Menschen;
man könnte das menschliche Geschlecht in die
denkende und gehorchende Classe abtheilen.
Wenn es eine durch tausendfache Erfahrungen
bewährte Wahrheit ist, daſs es Millionen von
Menschen leichter ist, zu gehorchen, als selbst
zu denken; so ist eben so wahr, daſs es im
Ganzen eine der gröſsten Wohlthaten vor die
Menschen ist, in Einfalt und Vertrauen nur
gehorchen zu dürfen, als selbst denken
und befehlen
,
oder selbst wollen und wäh-
[45] len
zu müssen; es ist Bedürfniſs vor den gros-
sen Haufen, daſs ein Ausschuſs Menschen von
höhern Kräften existirt, der vor andere denkt
und will; gleich viel, ob es zum Guten oder
Bösen geschehe. Das Gute kommt durch Ver-
kettung und Folgen eben so oft und gewiſs aus
dem, was wir böse zu nennen [gewohnt] sind,
als die Gröſsen aus der Menge von Einheiten
bestehen.


Welch unübersehliches Unheil, Verwirrung,
Unsinn und Widersinn würde vor das ganze
menschliche Geschlecht, noch mehr für jede
geschlossene Gesellschaft daraus entstehen,
wenn der in seinen Resultaten so verschiedene
Verstand und Wille eines jeden Einzelen von
gleicher Kraft, Wirkung und Gültigkeit seyn
sollte? Wie würde man in allen Künsten, Wis-
senschaften und Handwerken, in der ganzen
häuslichen Verfassung zurecht kommen, wenn
einem jeden, ehe er gehorchte, alles vorerst
(a priori) erwiesen und begreiflich gemacht
werden sollte.


Vertrauen in die Geistes-Superiori-
tät; Einsicht und Erfahrung in den guten
[46] Willen
eines andern ist also der Grund des an-
fänglichen blinden Gehorsams, den der Vater
vom Kind, der Meister von seinem Lehrling,
der Lehrer vom Schüler, der Arzt vom Patien-
ten verlangen kann, und den ihm diese, wenn
sie erzogen, belehrt, unterrichtet, geheilet,
vervollkommnet werden wollen, auch wirklich
auf Treu und Glauben so lange leisten müssen,
bis sie im Stand sind, selbst zu prüfen und zu
entscheiden: Ob sie [richtig] gelehrt und geführt,
oder betrogen und vernachläſsigt worden?


Dahin zielet das groſse Wort (Joh. VI, v. 17.),
womit Jesus Christus seine göttliche Sendung
behauptete, da er sagt: „Meine Lehre ist nicht
mein, sondern deſs, der mich gesandt hat;
so jemand will deſs Willen thun, der
wird innen werden
,
ob diese Lehre von Gott
sey.„ Dieses ist, was Paulus und andere Apo-
stel mit dem Wort: Gehorsam des Glaubens
bezeichnet haben.


Dieses Vertrauen ist ursprünglich das groſse
Band, das jede menschliche Gesellschaft
zusammenhält
. Selbst bey den Völkern, die
wir Wilde nennen, so bald sie ein Oberhaupt
haben, ist der Gehorsam gegen dessen Anord-
[47] nungen und Befehle nur noch um so unum-
schränkter, freywilliger und anhänglicher. *)


Biſs hieher gehts als noch gebahnten ebenen
Weg; der aus Vertrauen, Hochachtung, Liebe
und Dankbarkeit entspringende Gehorsam ein-
zelner Menschen, Familien und Gesellschaften
gegen einen mit vorzüglichen Körperlichen oder
Geistes-Kräften ausgerüsteten Mann läſst sich
gedenken und begreifen; nun kommen wir aber
an den Scheideweg, wo menschliche Meinun-
gen ewig unvereinbarlich getrennt bleiben wer-
den, auf den Punct von der Erblichkeit der
obrigkeitlichen und landesherrlichen Gewalt und
aller daraus fliessenden, wahren oder angemaſs-
ten und immer mehr ausgedehnten Rechte und
[48] Besitzungen, von dem Ursprung und Wechsel
der verschiedenen politischen Verfassungen,
und wie solche allmählig zu der jetzigen Form
und aus diesen Methoden der Glaube erwach-
sen, an welchen die Menschen sich gewöhnen
lassen, in demselbigen erzogen und durch den-
selben geführt und regiert zu werden.


Hier sind wir auf einem Ocean, wo sich die
Ufer des festen Landes auf allen Seiten verlie-
ren, wo selbst oft der Compaſs ermangelt und
nur ein glückliches Errathen übrig bleibt. Ich
übergehe, als zu [meinem]Zweck nicht gehörig
und zu weit davon abführend, den Meinungs-
Kram älterer politischer Schriftsteller, und be-
rühre nur, was wir seit unsern lezten Tagen
davon aufzuweisen haben.


Unter unsern noch lebenden Schriftstellern
hat sich nemlich Wieland durch eine kleine
von Dohm hingeworfene Note *) bewogen ge-
sehen, eine in seiner Manier gedachte Abhand-
lung: „Ueber das göttliche Recht der Obrigkeit,
oder: Ueber den Lehrsatz: Daſs die höchste
Gewalt in einem Staat durch das Volk geschaf-
fen
[49] fen seye„, bekannt zu machen. Die zwo Grund-
sätze, woraus er alles herleitet und dahin wie-
der zurückführt, sind: Daſs die Menschen im
Ganzen genommen Kinder seyen, welche
eine beständige Aufsicht, Führ- und Leitung
bedürften; so dann, daſs in der menschlichen
Natur ein angebohrner Instinct liege, denjeni-
gen für unsern natürlichen Obern, Führer
und Regenten zu erkennen, und uns willig
von ihm leiten und meistern zu lassen, des-
sen Obermacht wir fühlen
. Darauf wird
dann der Schluſssatz von dem Recht der Stär-
kern
,
als der Quelle und Adern der obrigkeit-
lichen Gewalt unter den Menschen festgebun-
den und aus der Analogie der ganzen Natur
dessen göttlicher Ursprung behauptet.


Lange ward zu dieser Schrift geschwiegen
und diſs Schweigen war so ziemlich natürlich;
die Kraft und Muth haben, einen solchen Gor-
dischen Knoten zu lösen oder zu durchhauen,
sind just die, so sich mit Lesung eines Mer-
kurs und ähnlicher Schriften abzugeben am we-
nigsten Zeit und Lust haben; und die sich mit
solchen Lectüren beschäftigen, haben nicht al-
lemal die zur Prüfung dergleichen miſslichen
D
[50] Sätze erforderliche Einsicht. Endlich erschien
vier Jahre hernach ein Ritter auf diesem Kampf-
platz *), der zwar Wielanden ziemlich cava-
lierement behandelte und ihn zu guter lezt mit
etlichen Kreuzhieben zeichnete, am Ende aber
doch aus tief gefühlten, mehr gedachten, als
ausgesprochenen Gründen, aus Gründen, die
den Fürsten nichts weniger als schmeichelhaft
sind, sich sichtbar mehr auf die Seite der Hir-
ten-Hunde als der Schafe, just weil die Schafe
Schafe sind, auf die Seite der Fürsten mehr,
dann des Volks neigt.


Die Schmeicheley des einen und das Achsel-
tragen des andern erweckte einen dritten, mit
beyden eine Lanze zu brechen. Der tiefsinnige
Jacobi lieſs in das deutsche Museum 1781. ein
Gutachten oder vielmehr einen mit Zweifels-
und Entscheidungs-Gründen wohl stafirten Ur-
theilsspruch unter der Aufschrift einrücken:
Ueber Recht und Gewalt, oder philosophische
Erwägung eines Aufsatzes von dem Hrn. Hof-
rath Wieland über das göttliche Recht der
Obrigkeit.


[51]

„Im Grunde„ (hatte Wieland*) gesagt)
„ist’s für ihn (den Unterthanen) einerley, ob
der Oberherr, der ihm gegeben wird, dazu
gebohren oder erwählt seye. So bald er nur
einen Reuter auf seinem Rücken fühlt, der sei-
ner mächtig ist, so giebt er sich zufrieden,
folgt dem Zügel und duldet den Sporn. — Wohl
dem gemeinen Manne, dem kein Stephanus
Junius Brutus
,
kein Milton, kein Alger-
non Sidney
,
keine Cato’s Briefe diſs treu-
herzige Gefühl wegphilosophirt haben! Er nimmt
seine Regenten, gut oder schlimm, als ihm von
Gott gegeben
an, und ein böser Herr müſste
beynahe der Dedgial (Teufel) selbst seyn, bis
dem Volk einfiele, die Frage aufzuwerfen: Ob
es [auch] wohl schuldig sey, alles von ihm zu
leiden? — So fern ihm nur erlaubt ist, über
die eine und andere dieser regierenden Mächte
zu murren, wenn sie’s ihm nicht nach seinem
Sinn und Bedürfniſs machen; so fällt ihm nicht
ein, sich gegen sie aufzulehnen, und ein ei-
niger Sonnenblick ist wieder hinreichend ihn
zufrieden und guten Muths zu machen.„


[52]

Mit Recht erwiederte aber Jacobi auf obige
Gäuls-Philosophie: „Wie sollten die Pferde
Eins aus ihrer Mitte je zu ihrem Reuter machen
können, der ihnen Zaum und Gebiſs anlegte,
und sie lehrte, den Sporn zu ertragen? Aber
wir sind nicht, wie Thier und Mensch — son-
dern (als Menschen) nur nach Graden von
einander unterschieden.„


Im Jahr 1785. trat ein anderer tiefdenkender
Weiser, Herder, auf, der seinen Unglauben
an das Recht, von Geburts wegen zu herrschen,
laut und freymüthig bekannte *); zugleich aber
der Wielandischen Meinung von dem Recht
des Stärkern auf eine deutlicher bestimmte Weise
sich näherte, da er die Chimäre von dem still-
schweigenden Contract zwischen den Herrschern
und ihrem Volk, in die sich so manche Gelehrte
geträumt und vergafft hatten, in die einfache
und anschauliche Wahrheit auflöste: Daſs der
[53] Stärkere genommen, was er gewollt, und
der Schwächere gegeben [und] gelitten, was
er nicht ändern konnte
.
**)


Man mag nun aber vors Ganze über den
ersten Ursprung, Wachsthum und die verschie-
dene Gattungen der höchsten Gewalt in einem
groſsen oder kleinen Staat ein System oder Hy-
pothese annehmen, welche man will, so ist
nur um so gewisser, daſs solches den Indivi-
[54] duen, wo von dem persönlichen Gehorsam
die Frage ist, nichts nutze oder schade; hinge-
gen man als ausgemacht annehmen dürfe: Daſs
Furcht, Liebe und Eigennutz, als die Haupt-
triebfedern eines jeden, so gerechten als unge-
rechten Gehorsams zu achten seyen.


Furcht ist in allen rein-despotischen Ver-
fassungen die alleinige Lehrmeisterin jeder Gat-
tung des Gehorsams vor jede Gattung von
Menschen; die vom Groſs-Weſsier an bis zum
Galeeren-Sclaven sich durch Strick, Knute und
Säbel, Respect und Glauben zu verschaffen weiſs.


Nach dem europäischen Sprachgebrauch ist
zwischen: Diener, Knecht und Sclave ein
wahrer und wesentlicher Unterschied; nach dem
Gebrauch des Hofs zu Constantinopel und aller
andern, die ihm auch hie und da in Europa
gleichen, ist keiner, weil alle Diener und Unter-
thanen des Groſs-Sultans zugleich Sclaven sind,
ein Sclave aber bekanntlich keinen eigenen
Willen haben darf. Montesquieu faſst es noch
kürzer zusammen: Der Mensch, sagt er, unter
einem Despoten ist ein Geschöpf, das einem
Geschöpf gehorchet, welches befiehlt.


[55]

In christlichen Despotien, oder höflicher
gesagt Monarchien, ist dieser hänfene Strick
des Gehorsams mit Seide übersponnen, zuwei-
len gar mit Gold und Silber durchwürkt, je
nachdem der Sinn und Geist eines Volks ver-
gröberter oder verfeinerter ist; er schneidet
aber eben so tief ein, schnürt eben so fest zu,
und die berühmte Schluſs-Formeln: Car tel est
notre plaisir
!
Hiedurch geschieht unser Wille
und Meinung! Diſs meinen wir ernstlich und
bleiben Euch in Gnaden gewogen! und bitten
wir Gott, daſs er Euch in seinen heiligen Schutz
nehme! u. dgl. sind nur die Künste und Zierra-
then, womit der Befehl behängt und dessen
Strenge versteckt wird. Wehe dem, der ihnen
eine andere Deutung beylegen wollte.


Wie sehr eine lange Regierung eines einzel-
nen Fürsten den Charakter seiner Unterthanen
stimmen oder verstimmen kann, davon hat uns
das sogenannte Jahrhundert Ludwigs XIV. in
Frankreich, die Corporals-Regierung Fr. Wilh.
I. in Preussen, die philosophisch-despotische
Friedrichs II. die Beyspiele gegeben.


Nach einem kleinern Maſsstab hätte die bald
funfzig jährige Regierung Herzog Carls zu Wür-
temberg, in ihren mannichfaltigen Schattierun-
[56] gen und Auftritten, das Steigen und Fallen sei-
nes eigenthümlichen Geistes und dessen Ein-
flusses auf sein unterthänigstes Ministerium,
auf den gemeinen Mann seiner übrigen Diener-
schaft, auf seine herzliebe, getreue, gutmüthige
und bey aller ihrer Gedult doch nie unglückli-
che Unterthanen, auf deren Repräsentanten,
die in Worten stets, in Handlungen aber, so
viel als ihr beliebte, treugehorsamste [Land-
ſchaft]
, auf seinen Hof und den durch sein Bei-
spiel gebildeten und verführten Theil seines
Volks, bezeichnen können; da aber dieser Fürst,
nach so vielen abwechselnden Rollen seines
Lebens, noch kurz vor der vorgehabten pracht-
vollen Jubelfeyer seiner Regierung, vor den
unpartheyischen, gerechten und barmherzigen
Richter seiner Handlungen abgefordert worden,
so ist dadurch mancher gegründeter Tadel ge-
stillt und versöhnt, zugleich aber auch mancher
Posaunen- und Trompeten-Ton übertriebener
Lobpreisungen seiner bebrödeten Panegyristen
erspart und unterdrückt worden.


Von den Wirkungen der Furcht auf persönli-
chen Diener-Gehorsam besagt eine eigene Ab-
handlung dieser Schrift das mehrere.


[57]

Der groſse Wunderthäter und Heilige des
Jahrhunderts, der Miles perpetuus, hat frei-
lich auf den ganzen Geist unserer Zeit, auf
Verstand und Willen Deutscher Unterthanen
noch mächtiger gewürkt, als alle philosophische
Systeme, als alle Sammlungen von Reichs-Ge-
setzen und Reichsgerichtlichen Verordnungen *).
Ihr sollt nicht raisonniren! war das Lieb-
lingswort K. Friedrich Wilhelms I. in Preussen,
des Schöpfers des neuen militarisch-politischen
Glaubens! Ihr dürft raisonnieren, allen-
falls, wenn ihr Drang und Lust dazu
habt, auch klagen, murren und schimpfen,
wenn ihr nur zugleich gehorcht
!
war das
Symbol Friedrichs II. und seines Bewunderers,
Nachahmers und Rivalens, Josephs II. Diese
Monarchen wurden Stifter des dem blinden
Gehorsam
geweihten Tempels; ihre Bewaf-
nete zu Roſs und zu Fuſs dessen Beschützer;
ihre Ministers, Räthe und Diener, Priester und
Leviten dieses politischen Götzendiensts; ihre
bebrödete und besoldete Professoren und Leh-
rer Miſsionarien zur Ausbreitung der neuen
[58] Lehre, Lobpreiser des Tods fürs Vaterland,
Dichter des Patriotismus in einem militarischen
Staat u. s. w. Je zahlreicher die bewafnete
Apostel wurden, je gewisser ward der eingeprü-
gelte Volksglaube allgemein und herrschend;
es entstund bey der heranwachsenden Nach-
kommenschaft
ein neuer Nationalgeist,
der eine seltsame Mischung von Stolz und Ar-
muth darstellte. Es entstunden früh genug gros-
se und kleine Proselyten; je häufiger und all-
gemeiner aber die Nachahmung war, je schlech-
ter und fehlerhafter wurden die Copien; je
kleiner und ohnmächtiger die Bekenner dieses
Glaubens waren, je geringer war, so zu sagen,
an Druck und Papier der Nachdruck; die
mehreste dieser kleinen Nachbeter und Nach-
drucker muſsten sich gewöhnlich mit der Tole-
ranz
begnügen und sich daher gefallen lassen,
im Fall der Klagen ihrer gedrückten Untertha-
nen, von dem Richter im Reich so, wie die
Wildschützen beym Eingriff in das Jagd-Regal,
behandelt zu werden.


Diese Nachahmung eines groſsen Königs,
dessen Macht und Geist man nicht hat, sondern
nur dessen Selbstgefühl und Stolz; diese ist es,
welche das Unglück so mancher Deutschen
[59] Länder gemacht hat, hoffentlich aber je länger
je weniger machen wird.


Wie sehr wünschte ich, bey dieser lebendi-
gen Ueberzeugung, dem Glauben und Aus-
spruch des scharfsinnigen Meiners*) bey-
pflichten zu können, welcher unsere von der
einen Hälfte der Unterthanen genährte und be-
soldete Kriegsheere mit ganz andern Augen
ansieht, und das gerade Gegentheil von dem
über die Völker dadurch herbeygezogenen Druck
behauptet: „Es ist zwar„ (sagt Er) „eine ge-
meine aber durchaus grundlose Meinung, daſs die
Einführung der stehenden Heere gleichsam der
Zeitpunkt der unumschränkten Macht der Kö-
nige und der sterbenden Freiheit der Europäi-
schen Völker geworden seye. Durch die Ein-
führung der stehenden Heere ist zwar die Macht
der Könige viel gröſser, und die Macht des
Adels und das Ansehen der Stände viel gerin-
ger worden, als vormahls; auch hat man die
Uebermacht der Könige in einigen Reichen nicht
bloſs zur Demüthigung des Adels und zur Ver-
nichtung oder Entkräftung der Stände, son-
[60] dern auch zur Unterdrückung des Volks gemiſs-
braucht; allein, im Ganzen genommen, sind
die Europäischen Nationen durch die wach-
sende Macht der Könige viel freyer geworden,
als sie es unter dem Despotismus des Adels
und der Geistlichkeit des Mittel-Alters waren:
Leben, Ehre und Eigenthum sind in allen oder
den meisten Europäischen Staaten viel siche-
rer, als vor der Einführung der stehenden Hee-
re; und ohngeachtet die Fürsten nachheriger
Zeit unendlich mehr vermögen, als ihre Vor-
fahren, so übten sie doch viel weniger Bedrü-
ckungen und Gewaltthätigkeiten aus, als die
viel eingeschränktern Beherrscher des Mittel-Al-
ters, und als die Fürsten, und deren Günstlin-
ge noch zu unserer Väter Zeiten ausübten.
Selbst in den Reichen, in welchen ehrsüchtige
Könige oder gewaltthätige Ministers von schwa-
chen Königen, mehrere Menschen-Alter durch,
nach unumschränkter Gewalt getrachtet haben;
selbst in diesen fängt man an, gemäſsigtere
Grundsätze anzunehmen, und sich, so viel
man kann, vom Despotismus zu entfernen,
weil man durch die angehäufte Last der Sün-
den und Schulden der Vorfahren von der Falsch-
heit der Jahrhunderte lang geltenden Maxime
[61] überzeugt worden ist: Daſs nämlich die Macht
der Regenten mit einem hohen Wohlstande der
Unterthanen unvereinbar seye, und daſs die er-
stere in eben dem Verhältniſse wachse, in wel-
chem die Rechte der leztern gekränkt und die
Unterthanen willkührlich behandelt würden.„


Aufrichtig zu bekennen, wüſste ich, höch-
stens Engelland ausgenommen, auf der Land-
karte von Europa das Reich nicht zu finden, auf
welches dieser Lobspruch anwendbar wäre; und
die Kluft zwischen den Fehde- und Ritter-Zei-
ten des Mittel-Alters und unsern Tagen möchte
wohl zu groſs seyn, als daſs eine richtige Ver-
gleichung zwischen beyden statt finden könnte;
man müſste dann, auf eine ähnliche Art, die
Frage so stellen wollen: Ob Aberglauben oder
Unglauben dem menschlichen Geschlecht schäd-
licher gewesen sey? Eins wie das andere, wür-
de, nach Wahrheit und Gerechtigkeit, die Ant-
wort ausfallen müssen.


Liebe eines Volks zu seinem Herrn, und Va-
ter-Sinn von diesem und von jeder Obrigkeit ge-
gen ihre Unterthanen und Untergebenen, wäre
freilich das edelste Motif eines frohen und wil-
ligsten Gehorsams, der schönste Kranz um das
[62] Haupt eines guten und weisen Fürsten; geliebt
zu seyn
war der Ruhm, auf dessen Erringung
wahrhaft groſse Regenten stolz und auf dessen
Behauptung eifersüchtig waren, deren ehrwür-
dige Nahmen im Heiligthum der Geschichte un-
vergänglich glänzen werden; der Raum dieses
Tempels ist groſs genug, daſs er auch die der
Nachwelt entgegenwachsende von gleichem
Geist belebte annoch fassen wird. Die Wahr-
heit
muſs ihnen aber diesen Stempel eingeprägt
haben; nicht die Stimme der Schmeicheley, noch
weniger Eigenlob muſs ihnen diſs Zeugniſs
beygelegt, sie selbst müssen es durch redende
Thaten und den Dank ihres Landes und Zeit-
Genossen mit dem Nachklang thränender Sehn-
sucht versiegelt haben; sonst kommt ein Louis
XV. le Bien-aimé heraus, den sein Volk erst ver-
götterte und im Tod nach S. Denis hinaus ver-
fluchte; sonst wird aus der Prahlerey mit lan-
desväterlicher Liebe
eine abgenuzte und sich
selbst verächtlich machende Canzley-Formul,
welche der Unterthan nicht nur nicht glaubt
und nichts dabey empfindet, sondern ihrer noch
als einer muthwilligen Beleidigung der von ihm
beweisenden Gedult spottet. Hundertmal wird
ein solches Land eher die trotzigste Sprache
[63] eines seine Uebermacht fühlenden despotischen
Fürsten ertragen und sich, wenn’s auch mur-
rend oder seufzend wäre, unter diese Gewalt
beugen, als sich durch vorheuchelnde Liebe,
wo Handlungen überall das laute Gegentheil
beweisen, zum Narren halten oder wie ein
Kind behandeln lassen *).


Am häufigsten findet man diese Waare und
Sprache in Wahl-Sprüchen, Schau-Münzen, Re-
den, Gedichten und Predigten bey Huldigun-
gen, Regierungs-Antritt, Geburts-Tägen, desto
seltener bey Leichen-Predigten, wo solche noch
gehalten werden, und am seltensten im Leben
und Thaten der Könige und Fürsten. Wenn
auch die wechselsweise Liebe zwischen einem
Herrn und Land anfänglich einer glühenden
Bräutigams-Liebe gleicht, so wird nur allzuoft
eine laue und zulezt frostige eheliche Liebe
draus, wo man des seligen Endes, wenigstens
von einer Seite, hoft; auch es wohl laut genug
wünscht, um — von neuem betrogen zu werden.


Stolz auf den Nahmen, Würde und Rang eines
Herrn, Bewunderung und persönliche Würdi-
[64] gung seiner Thaten und der [ganzen] Höhe sei-
nes Geistes, muſs oft die Stelle der Liebe ver-
treten, und hat in solchem Fall bey dem Volk
in Hinsicht des Gehorsams auch die nemliche
Würkung. Ich erinnere mich nicht ohne Rüh-
rung einer [solchen] Scene auf meiner nordi-
schen Reise im Jahr 1773. wo ich bey einem
zugleich die Post versehenden Königl. Preuſsi-
schen Beamten und Pächter ohnweit Memel
übernachten muſste, der in den ungemessensten
Ausdrüken über seinen König, über des Juden
Ephraim Münz-Haushaltung, über die neuange-
kommene französische Pächter und die allge-
meine Armuth u. s. w. loszog, den König einmal
über das andere einen Tyrannen, einen Volks-
schinder, einen Roi des Pauvres, statt Roi de
Prusse, nannte, in Erzählung des mannigfalti-
gen Volksdrucks sich heiser redete, und end-
lich seine Invectiven mit denen in der stärksten
Empfindung ausgesprochenen Worten schloſs:
Es ist aber doch ein groſser König! Wo-
zu ich, nach einem langen bedächtlichen Still-
schweigen auf seine vorige Schmähungen, ein
freywilliges Amen! sagte.


Da nun in einer Monarchie so sehr vieles
auf
[65] auf die Virtù, auf die persönliche Tugend des
Regenten ankommt und von derselben der gan-
ze Ton der Regierung, die Handels-Weise und
Berathung des Ober- und Unter-Ministers, die
ganze Behandlung des Volks u. s w. abhängt,
so ist der in dieser Persönlichkeit liegende
Trost freylich sehr wandelbar und vergänglich.
Es bleibt aber dabey: Ein guter König, wenn
er auch von seinem Volk gar nicht bewundert,
ja nicht einmal nach Würden geschäzt würde,
ist immer mehr werth, als ein groſser König,
wenn er auch der Einzige in seiner Gattung
wäre. Der ehrwürdige Groſs-Kanzler vonCar-
mer
mag sich’s ganz gut bewuſst gewesen
seyn, warum er seinen jezigen König und nicht
Friedrich den Groſsen wegen seines rühm-
lichen Hasses gegen allen Despotismus

gelobt hat; dieser leztere würde es für Satyre
gehalten haben. Ob, und wie lange aber Fried-
rich Wilhelm II. jenes herrliche Lob stets ver-
dienen wird? mag die Zeit lehren; dann Fried-
rich II. lieſs im Jahr 1740. in den ersten Tagen
seiner neuangetretenen Regierung, die merk-
würdige Worte offentlich bekannt machen:
„Ich will, daſs künftig, wofern etwan mein
E
[66] besonderes Interesse dem allgemeinen Besten
meiner Lande zuwiderscheinen möchte, alsdann
dieses leztere jederzeit vor dem ersten den
Vorzug behalten soll„. So dachte, und gewiſs
aus Ueberzeugung sprach so der damals im
Ideen-Himmel schwebende König; der Wille
der Monarchen ist aber, nach einem alten wahren
Sprüchwort, wandelbar bis in ihren Tod.


In der Praxi der Staats-Verwaltung geht es
oft, wie in der sogenannten Ecclesia preſsa
bey den Religionen; da ist immer mehr Andacht,
als bey der gröſsten Freyheit des öffentlichen
Gottesdiensts. Es ist eine durch den ganzen
Gang der Geschichte bewährte Bemerkung,
daſs ein Fürst, wenn er sonst Kopf hat und
sich auf das: Leniter sævire, auf das systema-
tische Scheeren seiner Schafe versteht, von sei-
nen Unterthanen verhältniſsmäſsig immer mehr
gelobt, entschuldiget, gerechtfertiget, wird,
je härter er sie behandelt. Die ganze Regie-
rungs-Geschichte Friedrichs II. von Preuſsen,
von der Periode an nach geendigtem siebenjäh-
rigen Krieg, ist davon der redende Beweis. In
einem solchen Fall trift zu, was mir einst der
edle Fürst Orlow in Petersburg auf die Frage:
Ob seine Kaiserin von ihrem Volk auch gelie-
[67] bet werde? in einem tiefgedachten Sinn geant-
wortet hat: „Nein! sie hat uns noch nicht böses
„genug gethan, um sie lieben zu können.„


Stolz[auf] den Gedanken wahrer — oder auf
das Schattenbild vermeinter Freyheit kann mit
gleicher Macht auf den Verstand und Willen
eines Volks würken, und Gehorsam, Verläug-
nung und Unterwerfungen [zuwegenbringen],
welche ein Monarch mit allen Befehlen zu er-
halten sich vergeblich bemühen würde. Ein
Blick in den innern Gang von republikanischen
und denselben ähnlichen Staats-Verfassungen
kann davon bald und ganz überzeugen. Woträgt
ein Mensch williger, gedultiger seine ungeheu-
re Lasten, als der begnügsame, fleiſsige, aber
in der steten Einbildung genieſsender Freyheit
wandelnde Holländer? Wer ist stolzer auf die
Magna Charta seiner Freyheit, als der Britte?
Und wer lebt in deren würklichen Genuſs ru-
higer, sicherer, glücklicher, als der Eidgenos-
se? und vergiſst darüber jener seine drückende
Taxen und verschmerzt dieser den Stolz seiner
Aristokraten. Das auffallendeste neueste Bey-
spiel von der Allgewalt dieses Freyheits-Gefühls
auf den Geist einer ganzen Nation liefert uns
[68] die neueste Geschichte von Frankreich. Es
war nicht nur Begeisterung, sondern ein wah-
res hitziges Freyheits-Fieber, in welchem
man ein ganzes Königreich seine silberne Schuh-
schnallen zum Opfer errungener vermeinter
Freyheit darbringen, Herzoge und Pairs neben
ihren Schustern und Schneidern auf die Natio-
nal-Wache ziehen und der Majestät des nun von
zwölfhundert Königen, sans culottes, darge-
stellten Volks huldigen sahe; tausendfacher an-
derer Sottisen nicht zu gedenken, deren nur
ein so leichtsinniges und so leicht aller Eindrü-
cke empfängliches Volk, als die Franzosen,
fähig ist; welche aber der unumschränkteste Mo-
narch zu befehlen oder auch nur anzusinnen,
ohne Gefahr einer allgemeinen Aufruhr, nie
gewagt haben würde. *)


Diſs Freyheits-Gespenst wird aber, vielleicht
auch ohne Exorcismus fremder Geisterbanner,
auf eigenem Grund und Boden wieder ver-
schwinden, und schmerzliche Reue für die Theil-
nehmer, heilsame Warnung aber für andere
Staaten hinterlassen. Im Sturm kann man zwar
[69] Schiffbruch leiden und Thürme einstürzen se-
hen; zum Bau neuer Schiffe und Häuser gehört
aber ruhige Vorbereitung, nüchterne Köpfe und
stiller Himmel. Die ganze Declamation in der
französischen Constitution von den bürgerlichen
Rechten und Freyheit des Menschen trägt aber
die sichtbarste Zeichen von Uebereilung, und
gleicht einer vor ihrer Zeitigung abgefallenen
unreifen Frucht.


Ueberhaupt geht es mit dem Begriff von Frey-
heit, wie mit dem von Reichthum; er ist im-
mer nur relativ, nur local. Es giebt von kei-
nem von beyden einen allgemeinen Maaſstab,
und wird deſswegen über beyde beharrlich ge-
meſsen, verglichen, raisonnirt, gezankt und
gestritten werden. Da wir auch in Deutschland
nicht einerley Ehle, Maas und Gewicht, wohl
aber Valvations- und Vergleichungs-Tabellen ha-
ben, so würde vergebliche Arbeit seyn, sich
bey allgemeinen Theorien zu verweilen. Mit
voller Ueberzeugung unterschreibe ich aber,
auch als meinen eigenen Glauben, das eben so
redliche als freymüthige Bekenntniſs, was in
besonderer Rücksicht auf Deutschland der pa-
triotische Reuſs*) darüber abgeleget hat.


[70]

Diese überspannte Begriffe von der Freyheit
des Menschen und bürgerlicher Freyheiten rüh-
ren unmittelbar aus der eben so verkehrten Vor-
*)
[71] stellung von der Gleichheit der Menschen
und daraus hergeleiteten Aufhebung der ver-
schiedenen Stände
. *) Die ganze Idee in
ihrer Darstellung und würklichen Anwendung
ist Unsinn, ist gegen die Ordnung des Schö-
pfers in der ganzen Natur. Mannigfaltigkeit
und Abstufung ist das Groſse und Schöne der
Harmonie der Schöpfung, vom Elephanten bis
zur Maus, vom Adler bis zur Fliege, vom
Granit-Felsen bis zum Sandkorn; im Menschen
selbst, dem edelsten aller Geschöpfe Gottes,
Abstufung nach allen physischen und intellectuel-
len Kräften, vom Riesen bis zum Zwerg, von
Neuton, der Luft und Licht spaltet und den
Lauf der Gestirne miſst, von Franklin, der
Feuer dem Himmel entlockt, bis zu dem lezten
Gänsehirten in Europa. Mannigfaltigkeit der
Gröſse und Kräfte selbst in dem Reich der Gei-
ster, so weit es Menschen zu ergründen ver-
mocht haben.


[72]

So glänzend und blendend die Theorie von
Gleichheit der Stände in der bloſsen Beschauung
ist, so gewiſs wäre es die gröſste Strafe vor
die civilisirte Menschheit, wenn sie je, auch
nur in einer gemäſsigten Ausdehnung, in Er-
füllung gebracht werden könnte. Die Lehrer
davon, wenn sie nicht just solche Misantropen,
wie ihr Erfinder, Rouſseau, wären, würden
dabey selbst am übelsten dran seyn, und das
bethörte Volk früh genug Ursache finden, die-
sen Freyheits- und Gleichheits-Phantasten eher
zu fluchen, als sie zu segnen, und jeder sich
das Maas und Gewicht mit welchen er geboh-
ren, und die Form nach welcher er in das groſse
Band der menschlichen Gesellschaft eingekettet
ist, wieder zurückwünschen. Die Erfahrung
weniger Jahre hat in Frankreich bereits bewie-
sen, welche Greuel von Gesetzlosigkeit und
Insubordination, welche Zerrüttung aller gesel-
ligen Ordnung, welche Verwirrung der Köpfe,
welche tolle Anmaſsungen und Schwindeleyen
diese philosophische Narrheit schon nach sich
gezogen hat.


Von mehrerer Gleichheit in Tragung gemei-
ner Lasten und Abgaben, von mehrerem Gleich-
gewicht zwischen der geniessenden und arbei-
[73] tenden Classe, zwischen gerechten und ange-
maaſsten Befreyungen der höhern und desto här-
term Druck und Unterdrückung der sogenannten
niedrigen Stände konnte, durfte und muſste
die Rede seyn; der Bogen war zu sehr gespannt,
als daſs er sich noch mehr biegen lieſse; er
muſste brechen. Die Herabstimmung des unge-
heuren Miſsverhältniſses zwischen der befehlen-
den und gehorchenden Claſse war in Gerech-
tigkeit, Billigkeit und Menschlichkeit gegrün-
det; eine gänzliche Aufhebung, Zertrümmerung
der Einen Claſse, die Vermischung aller Stände,
aber konnte nur bey einem Volk statt finden,
das so leicht von einem äussersten Ende zum
andern überspringt.


Wozu übrigens der Unterschied der Stände in
der bürgerlichen und menschlichen Gesellschaft
überhaupt berechtige, oder nicht berechtige?
liegt ausser den Gränzen gegenwärtiger Un-
tersuchungen. So viel insbesondere den Adel
betrift, so ist mein kurzes und rundes Bekennt-
niſs: Bloſser Adel, ererbter, geschenkter
oder erkaufter, ohne persönliche Tugenden, Ver-
dienste und Geistesvorzüge, ist weiter nichts,
als ein tönendes Erz und klingende Schelle.


[74]

Doch kann ich hiebey nicht unbemerkt lassen:
Daſs, bey aller unserer Autklärung und so vie-
len andern cæteris paribus, das Deutsche Na-
tional-Temperament
,
im Ganzen genommen,
unstreitig vieles dazu beytrage, daſs keine sol-
che gräuliche Scenen unter uns vorfallen, als
die Geschichte anderer Reiche, von Frankreich,
Engelland, Ruſsland, Italien etc. aufzuweisen
hat. Ein Fürst kann es sehr arg in seinem
Land treiben, und doch ruhig zu Bette gehen;
der Unterthan leidets und schweigt: Wenn er
auch murrt, schimpft, Pasquille auf seinen Herrn
macht, endlich gar ihn verklagt, so vergiftet
er ihn doch nicht, miethet keinen Meuchelmör-
der, haut ihm den Kopf nicht herunter, zündet
ihm sein Schloſs nicht an, und seine Minister
und Augendiener, wenn auch unter ihnen die
ärgsten Buben wären, werden nach wie vor
mit tiefen Reverenzen begrüſst, und sind vor
Galgen und Laternenstöcken sicher. So war’s
wenigstens bisher; wie es in 20. 30. oder 40.
Jahren hie und da aussehen wird, kann die
Geschichte des künftigen Jahrhunderts erzählen.
Eine ewige Gedult möchte schwer zu verbür-
gen seyn; die zwo Extremen des Trotzens
und Verzagens liegen in der Natur des Men-
[75] schen. Frankreich stellt uns die neueste und
schrecklichste Beweise dar. Welches Volk hat
mehr auf sich treten, sich gedultiger miſshan-
deln und tiefer erniedrigen lassen? Und wie
schnell war der Uebergang von der fühllosest
geschienenen Langmuth zu rasender Wuth, ja
zu wahren Unmenschlichkeiten? Und welche
greuelvolle Auftritte stehen, indem ich dieses
schreibe, noch bevor?


Uns Deutsche sichert das National-Phleg-
ma
vor dergleichen überschnellten Extremen;
wenn der Despotismus auch noch so scharf
einschneidet, so ist doch patientia jugi in un-
serm Character. In den meisten weltlichen
Staaten ist ohnehin für das Gleichgewicht des
Gehorsams schon dadurch gesorgt, daſs Adel,
Geistlichkeit und Volk, nur eine gemeinschaftli-
che Scheere, und keins dem andern viel vor-
zuwerfen hat. Der Krummstab aber, unter dem
sich so gut wohnen lieſse, wird je länger je
weniger ein Hirtenstab, drückt hie und da här-
ter, als der eiserne Scepter eines unumschränk-
ten Monarchen; und just da, da, wo der An-
blick so vieler vom Mark der Länder und dem
Schweiſs der armen Unterthanen sich nährenden
Verschwender, Schwelger und Müſsiggänger
[76] würklich empörend ist, möchte es wohl nä-
her, als man denkt, vom Biegen zum Brechen
kommen.


Von der so gepriesenen Aufklärung sollte
man billig erwarten, daſs sich auch die Politik
immer mehr mit Lebens-Weisheit paaren, und
die Fürsten und ihre Räthe sich die von andern
begangene Fehler dazu dienen lassen würden,
solche mit desto mehrerer Vorsicht zu verhü-
ten, daſs sie sich selbst, nach eines jeden Stand,
Vorrechten und Kräften, zum Anliegen machen
würden, um die unsere allgemeine Reichs-Ver-
fassung begründen sollende Gesetze zu verbes-
sern, harmonischer, gerechter und menschli-
cher zu machen. Leider! hat es aber zu dieser
Hofnung nicht nur gar keinen Anschein, son-
dern es neigt sich vielmehr nicht nur in der Län-
der-Regierung, sondern selbst von Seiten der
Gesetze zu immer mehrerem Druck.


Das neueste Reichsgesetz, der Kaiserliche
Wahl-Vertrag, bindet dem Kaiser, dem Ober-
haupt des Reichs, dem Hüter und Vollzieher der
Gesetze, seit 50. Jahren, immer mehr die Hän-
de, und erweitert dagegen die schon fast grän-
[77] zenlose Gewalt der Reichs-Stände. Die Wahl-
Capitulation K. Leopolds II. hat vollends dem,
durch die Privilegia de non appellando ohnehin
schon genug gedrückten und gewürgten Deut-
schen Unterthanen, durch einen dem 19. Art.
§. 6. eingeschalteten Zusatz, den Hals vollends
zugeschnürt, gegen den Despotismus der uner-
sättlichen Reichs-Ständischen Cammern nicht
einmal mehr mucksen zu dürfen. Da man aber
alte und neue Beyspiele hat, daſs der zu stark
gespannte Bogen zuweilen bricht, wer kann
und wird in diesem Fall einen solchen Herrn
bemitleiden? Und wie kann und will der geist-
liche Churfürst, auf dessen Betrieb jene höchst-
verfängliche Clausel eingeschlichen, sich in
seinem Gewissen beruhigen, daſs er, um
eines elenden Weinzapfs willen, tausend un-
schuldige Unterthanen anderer deutscher Provin-
zen, um die ihnen ohnehin so erschwert wer-
dende Gerechtigkeit belistet habe. Dann acten-
mäſsig *) bewahrheitet ist, daſs nur durch List
[78] und affectirte Unschuld, gegen die gerechte,
wichtige und rühmliche Chur-Cöllnische und
Chur-Braunschweigische Einwendungen diese
Chur-Trierische ungerechte und unpatrioti-
sche Glosse in das Gesetz hineinmajorirt wor-
den. — Und nun prahle man noch mit Reichs-
und Landes-Justitz; nun klage man noch über
Murren und Klagen der Unterthanen, und zwin-
ge einen Kaiser zu schwören, daſs er, aller die-
ser die Lande auszehrenden Justitzkünste ohn-
geachtet, (§ 7.) „die Unterthanen inmittelst
*)
[79]gleichwohl zum schuldigen Gehorsam gegen
ihre Obrigkeit anweisen wolle.„


Geschieht das am grünen Holz, was wills am
dürren werden!


Wie mächtig Religions-Systeme und deren
verschiedene Grundsätze auf Verstand und Wil-
len eines jeden Menschen, insbesondere auf
Glauben und Aberglauben ganzer Völker, auf
deren Ueberzeugung, Anhänglichkeit und Ge-
horsam gegen das als Wahrheit erkannte und
geglaubte würken, davon zeugt die Geschichte
aller religiosen Parthien, Secten Gesellschaf-
ten, [und] aller einzelen Bekenner, Märtyrer,
Schwärmer, Phantasten, Enthusiasten, und wie
man sie nennen möchte, welche weder Schei-
terhaufen, Schwerdt, Strick, Galeeren, Verfol-
gungen, Dragonaden, die drohendeste Befehle,
Verlust ihres Vermögens und ganzen zeitlichen
Glücks, noch glänzende Aussichten, Schmei-
cheleien, Versprechungen, Bitten vermögen
konnten, ihren Glauben, Meinungen und Vor-
urtheilen, was es nun bey einem jeden war, zu
entsagen. Ich berühre diesen Punct nur um
des allgemeinen Zusammenhangs willen, da e[r]
[80] sonst in das eigentlich Politische dieser Materie
nicht gehört.


In seiner Maaſse eben so stark, als Religion,
und bey vielen Gemüthern noch stärker, würkt
auf den denkenden und seine Geistes-Kräfte
fühlenden Mann, das Lesen alter römischer
und griechischer Schriftsteller, britti-
scher Parlaments-Reden, französischer
Parlaments-Vorstellungen
gegen despoti-
sche Könige und Minister, das Eindringen in ihren
Geist und Grundsätze, überhaupt das ernste
Studium der alten römischen und der englischen
und französischen Geschichte von der Zeit an
der lezten zwo Jahrhunderte. Welch starke
Schlüsse und Modificationen verbreiten sich dar-
aus über die ganze so reichhaltige Materie vom
Gehorsam gegen Könige und Fürsten, insbeson-
dere im Deutschen Herren-Dienst, wo uns selbst
die Franzosen zur Zeit ihres stärksten Drucks *),
und
[81] und noch mehr die Engelländer getrost die Stir-
ne bieten konnten. Wenn aber auch ein Deut-
scher, durch eine über das Schicksal der untern
Volks-Classen sich erhebende edlere Erziehung
oder aus eigenem Hang und Neigung an sol-
chem Studio und Lectüre Geschmack gewinnt,
*)
F
[82] so lasse er sichs nie gereuen; er gewinnt alle-
mal an und in sich selbst so viel, daſs er auf
sein ganzes Leben gesichert ist, kein Stockfisch
zu bleiben, wenn er gleich eben so wenig je-
mahlen hoffen darf, Ober- oder Unter-Kammer-
herr oder wohl gar Minister des kleinsten Potenta-
ten zu werden. In der Regel aber muſs ich aus
inniger Ueberzeugung das Bekenntniſs nochmals
wiederholen, was ich über diesen Gegenstand
bereits vor einigen Jahren offentlich *) abgelegt
habe: „Wer Königen und Fürsten dienen will
und muſs, und dabey seine Gemüths-Ruhe lieb
hat, der enthalte sich, die Alten und viele prag-
matische Geschichtschreiber zu lesen; was man
auf der einen Seite durch Erweiterung von
Kenntnissen und an Klugheits-Regeln gewinnt,
das verliert man dagegen auf der andern wie-
der durch traurige Vergleichungen und Nach-
denken, und verwickelt sich in Scrupel und
Zweifel, die so hart drücken als bey einem
Münch, dem über sein Kloster die Augen auf-
gehen, ohne aus demselben heraus zn können.
Ich rede aus eigener schmerzlicher Erfahrung„.


[83]

Die Erziehung, wie sie nun einmal, mit
einer mildern oder härteren Schattierung, in
Europa eingeführt ist, trägt zur Art und Weise
des Gehorsams im Ganzen und allen seinen
Theilen überaus viel bey. Anders gehorcht
solchem nach ein Russe, anders ein Engelländer,
ein Franzose und ein Deutscher; alle wissen
aber von Kindheit an nichts anders, als daſs
man seinen Eltern und Vorgesezten, seinem
Herrn, seinem Lehrer und Meister, gehorchen
müsse. Der eine gehorcht blindlings und scla-
visch, und so wird er des gedankenlosen Ge-
horsams allmälig gewohnt oder durch Prügel
dazu gezwungen, und der geringste Hang zu
Widerspruch und Widerstand sogleich in ihm
erstickt; der andere gehorcht auch, er will
aber mehr dazu beredt und gebeten, als geheis-
sen oder gar bedroht seyn. Jeder gehorcht nach
dem ihm eingeprägten und angewöhnten beson-
dern Character seiner Nation: Der eine beraison-
nirt alles, ehe er es thut oder in dem er es
thut; murrt, schmählt, flucht über das befoh-
lene und thut’s doch; der andere nimmt hun-
dert ihm lästige und unangenehme Dinge vor
bekannt an, ohne daſs ihm was arges darüber
einfällt, weil ers von Vater und Voreltern her
[84] so gewohnt ist; jeder von allen gehorcht aber,
so viel ihm möglich ist, immer nur so, daſs er
sich selbst nicht dabey vergiſst, und dazu hält
er sich aber durch den angebohrnen Trieb der
Selbst-Erhaltung berechtiget. *)


Die ganze Art der bisherigen Erziehung
der mittlern und untern Volksclassen hat die
vor die Beherrscher gemächliche Folgen, daſs
der Bürger- und Bauern-Stand in einer fast all-
gemeinen, soll man glücklichen oder unglück-
lichen sagen, Unwissenheit von seinen Rechten
und Zuständigkeiten, und von den gegenseiti-
gen Pflichten seiner Herrn und Obern aufwächst,
wodurch das jedem nicht ganz stupiden und
verwahrlosten Menschen eigene Selbstgefühl
seiner Würde und Kräfte allmälig eingewiegt,
in ihm selbst unterdrückt und durch äussern
[85] Druck vollends erdrückt und erstickt wird; frey-
lich zu einer Zeit und in einem Land stärker
und schneller als im andern, unter allerley
Formen und nach verschiedenen Methoden; im
Ganzen aber ist Zweck und Würkung immer
einerley. Denn so, wie die Sachen dermahlen
noch in Deutschland stehen, sieht sich der ge-
meine Mann
selbst als ein zum Tragen, Dul-
den, Leiden und Schweigen erschaffenes subal-
ternes Geschöpf, seinen Herrn als seinen Gott auf
Erden *), und dessen Beamte und Diener als hö-
here Geister an, die er aber mehr fürchten als
lieben müsse; nach Beschaffenheit der Umstän-
de sie belügen, betrügen, und ihnen nur aus
Zwang gehorchen dürfe. Gehts zu hart über
ihn her, so tröstet ihn sein Pfarrer mit dem
ewigen Leben, als dem Ende aller irrdischen
Noth. Der Bauer selbst tröstet sich auch oft
genug damit, daſs sein Herr nicht ewig leben
und vielleicht ein besserer nach ihm kommen
werde.


[86]

Wie viel nun die mit schnellen Schritten zu-
nehmende Aufklärung unserer Zeiten überhaupt,
was die in mehreren Deutschen Provinzen zu
einer bessern Erziehung und Unterricht des
Volks, durch zweckmäſsigere Einrichtung der
mittlern und niedern Schulen getroffene rühm-
liche Anstalten, was eine freyere und liberalere
Denkungs-Art und Bildung des geistlichen
Standes, und am meisten das mildere Betragen
der durch warnende Beyspiele wacker gewor-
denen Regenten auch auf den gemeinen Mann
würken, und wie viel Licht, als er zu seinem
Bedürfniſs nöthig hat, sich über ihn allmälig
verbreiten werde, wollen wir von dem Segen
des kommenden Jahrhunderts verhoffen und er-
warten.


Der Geist der Zeit, wenn man mit diesem
Wort den Ideen-Gang unter den Menschen, den
Umlauf, Erweiterung und Verfeinerung der Be-
griffe bezeichnen darf, würkt auch in der Leh-
re vom Gehorsam auf eine auffallende Weise.
Wenn auch der Glaube der Könige im Grund
immer derselbe bleibt, und sie das Selbst-Gefühl
ihrer Macht in Thaten und Handlungen so stark,
als ihnen nur möglich ist, zu empfinden geben,
[87] so accommodiren sie doch um so ehender die
Worte dem Wahn und Glauben ihrer Unterthanen.


Als Thomasius zuerst in Deutschland die
Meinung des Mittel-Alters von dem göttlichen
Rechte
der Regenten angriffe, brachte es der
dänische Ober-Hof-Prediger Masius dahin,
daſs seine Schrift in Coppenhagen durch Hen-
kers-Hand verbrannt wurde. Hingegen König
Gustav III. in Schweden sagte in denen den 30.
Oct. 1778. seinen Reichs-Ständen vorgelegten
Puncten: Die Königliche Macht hätten ihm Gott
und des Reichs Einwohner verliehen. Mit
solchen Parade-Sprüchen darf man dann freylich
den eigenmächtigen Krieg mit Ruſsland, den
despotischen Reichstag zu Gefle, und dessen
traurige Resultate nicht ins Gleiche stellen.


K. Friedrich II. in Preussen gienge noch wei-
ter, und lieſse in einer mit dem berühmten Phi-
losophen Sulzer, freylich nur unter vier Au-
gen, im Jahr 1777. *) gehabten Unterredung
einfliessen: „Die Einbildung der Geistlichen
von einem unmittelbaren göttlichen Beruf sey
eben so ungereimt, als das Vorgeben, womit
man den Souverainen schmeichelte, daſs sie
das Ebenbild Gottes auf Erden seyen.„


[88]

Eben dieser König soll in einer philosophi-
schen Unterredung mit dem Akademiker Thi-
bault
geäussert haben: **) Das Unbegreiflich-
ste von allem sey Ihm, daſs Millionen Menschen
einem Einzigen gehorchen. So sprechen die
Groſsmächtigste und Allergnädigste unter vier
Augen; es wird aber eine Zeit kommen, und
wir gehen ihr schon entgegen, wo diese Wahr-
heiten von allen Canzeln mit und ohne Dach,
werden gepredigt werden.


Endlich so hängt auch der Gehorsam in vie-
len Dingen von den Begriffen ab, die man sich
von der Moralität der Sache selbst macht.
Ein Mann, der das Lotto-Spiel vor eine privile-
girte Betrügerey und Ueberlistung der Unter-
thanen, vor eine landsverderbliche Anstalt hält,
würde sich entehrt halten, wenn ihm um noch
so hohen Preis die Intendanz desselben über-
tragen werden wollte. Er überläſst also diese
einträgliche Ehre lieber andern minder Engher-
zigen, die sich noch was darauf zu Gute thun,
den Lotto-Intendant ihrem Titel anzuhängen.


[89]

Ein Kammerherr oder Kammerdiener, wel-
cher treuherzig glaubt, daſs sein Fürst über die
den gemeinen Mann bindende Gesetze erhaben;
daſs bey Ihm Ehebruch und Hurerey kein La-
ster noch Sünde, sondern höchstens eine leicht
verzeihliche menschliche Schwachheit sey, wird
sich, ohne mit Haaren dazu gezogen zu wer-
den, zum Kuppler und Mäckler gebrauchen las-
sen, wenn die Wahl seines Serenissimi auch
sein eigenes Weib oder Tochter träfe. So vie-
ler anderer ähnlicher Fälle, die auf Rechnung ir-
riger Einsicht gesezt werden müssen, nicht zu
gedenken.


Die Geschichte der Lehre vom Gehorsam
überhaupt ist innigst verwoben mit der uns noch
viel zu unbekannten, dunkeln, zweifelvollen,
räthselhaften Geschichte der Menschheit, wo
Wahrheiten und Muthmaſsungen noch so un-
gesondert beysammen liegen wie das Chaos bey
Schöpfung der Erde; wo der schärfste Denker
bey jedem Schritt immer Abgründe vor sich
sieht, die er zwar durch künstliche Brücken
von Hypothesen zu verbinden, und sich Bahn
und Zusammenhang zu machen sucht, wo aber
das feste Land durch neue Klüfte stets wieder
[90] unterbrochen, wo selbst einem so scharf und
hell sehenden Herder*) der Wunsch ausge-
preſst wird: „O! daſs ein anderer Montesquieu
uns den Geist der Gesetze und Regierungen auf
unserer runden Erde nur durch die bekannte-
sten Jahrhunderte zu kosten gäbe! Nicht nach
leeren Namen dreyer oder vier Regierungs-For-
men, die doch nirgend und niemals dieselben
sind oder bleiben; auch nicht nach witzigen
Principien des Staats: Denn kein Staat ist auf
Ein Wort-Principium gebaut; geschweige, daſs
er dasselbe in allen seinen Zeiten und Ständen
unwandelbar erhielte; auch nicht durch zer-
schnittene Beyspiele, aus allen Nationen, Zei-
ten und Weltgegenden, aus denen in dieser
Verwirrung der Genius unserer Erde selbst kein
Ganzes bilden würde; sondern allein durch die
philosophische, lebendige Darstellung der bür-
gerlichen Geschichte, in der, so einförmig sie
scheinet, keine Scene zweymal vorkommt, und
die das Gemählde der Laster und Tugenden
unsers Geschlechts und seiner Regenten, nach
Ort und Zeit immer verändert und immer das-
selbe, fürchterlich lehrreich vollendet„.


[91]

Biſs nun, wenn Herder nicht selbst Schöpfer
eines solchen das Ganze umfassenden Werks
seyn will, ein zweyter Montesquieu geboh-
ren wird, so bleibt doch ein gerechter Wunsch,
daſs man wenigstens von jedem einzelnen Deut-
schen Staat, der seine Landstände gehabt hat oder
noch hat, oder nie keine gehabt hat, eine eige-
ne pragmatische Geschichte des Gehorsams
hätte, wie solcher, nach dem mehr oder mindern
Despotismus der Regenten und ihrer Ministe-
rien, zu verschiedenen Zeiten beschaffen ge-
wesen; welchen Einfluſs er auf Gesinnung und
Betragen der Dienerschaft, auf die Moralität
der Unterthanen, auf die Lehrer auf Universi-
täten, auf die Geistlichkeit, auf den Gemein-
geist eines Lands und den Volksglauben gehabt,
und wie sich solcher biſs zu seiner jetzigen Gestalt
gradweis gebildet, verbessert oder verschlechtert
hat. Die Regierungs- und Länder-Geschichte von
Oesterreich, Böhmen, Sachsen, Brandenburg,
Würtemberg, Hessen, Baiern, Meklenburg etc.,
lauter Provinzen, die Land-Stände hatten und
nach verschiedenem innern Valor noch haben,
so bearbeitet, wie die Geschichte des Fürsten-
thums Hannover und des Herzogthums Wür-
[92] temberg, von dem pragmatischen Spittler*),
welchen Contrast würde sie in den so mannich-
faltigen Schattirungen darstellen? Mit welcher
Eifersucht und Wehmuth würde mancher bie-
derer Deutsche sein Vaterland, seine Dienst-Lei-
den sein schüchternes Volk, mit dem Freyheits-
Sinn, Freymuth in Reden, Rathen und Handeln,
mit der Lust und Wonne des Herren-Diensts sei-
nes Nachbarn zu vergleichen haben? Welch
fruchtbares Nachdenken würde aber auch dadurch
bey den Regenten selbst erweckt werden kön-
nen? wenn man Studium der Reichs-Verfassung
und ihrer eigenen Haus- und Landes-Geschichte
von ihnen hoffen und erwarten dürfte.


Wenn man dem schönen Ideal von dem Glück
unserer Zeiten trauen dürfte, das uns Mei-
[93] ners
*) vor Augen stellt, so läge der Despotis-
mus in Deutschland würklich in lezten Zügen,
und unsere Regenten samt und sonders würden
durch die erhabenste Gründe von Tugend und
Religion geleitet und begeistert. Die eigene
Worte dieses geübten Denkers lauten also:
„Die Geschichte unsers eigenen Vaterlandes
zeigt uns viele Beyspiele von Staaten, in wel-
chen die Regenten durch keine Grund-Gesetze
oder Landes-Stände eingeschränkt, oder wo
sie wenigstens mächtig genug sind, Grund-Ge-
setze und Landes-Stände zu Boden zu treten.
Allein in den meisten Staaten dieser Art ist
die Gewalt des Fürsten mehr dem Scheine
nach, als würklich, unbeschränkt; denn wenn
die Regenten solcher Länder auch nicht durch
Grund-Gesetze, das heiſst durch solche Ge-
setze eingeschränkt werden, deren Aufrecht-
haltung sie feyerlich beschworen haben, und
deren Uebertretung sich das Volk oder dessen
Repräsentanten mit rechtmäſsiger Gewalt entge-
gensetzen könnte; so werden sie doch durch
mancherley andere Gesetze und Betrachtungen
im Zaum gehalten, die ihnen meistens noch hei-
[94] liger und wichtiger, als der todte Buchstaben
von Grund-Gesetzen oder die ohnmächtigen
Vorstellungen von Land-Ständen sind: Nämlich
durch die Gesetze der Religion, der Tugend
und Klugheit; durch die Ueberzeugung, daſs
sie ihr Volk nicht unglücklich machen können,
ohne ihre eigene und ihrer Nachkommen Macht
und Ansehen zu schwächen; durch die Furcht
vor dem Murren und den Flüchen ihrer Unter-
thanen, vor dem Tadel ihrer übrigen Zeitgenos-
sen, vor dem Urtheil der unerbittlichen Ge-
schichte und Nachwelt, oder endlich durch
die Furcht vor dem groſsen Richter, der die
mächtigsten Könige eben sowohl, als die niedrig-
sten Sclaven dereinst nach ihren Thaten rich-
ten wird.„


Solls Weissagung, solls Ahndung dieses phi-
losophischen Sehers seyn, so spreche die gött-
liche Vorsehung ihr segnendes Amen! darüber
aus. Ich Ungläubiger, bekenne aber freymü-
thig, daſs ich das Land, den Staat, geschweige
die Staaten, nicht kenne, zu welchen diſs schö-
ne Bild auch nur in seinem Umriſs paſste. Ich
würde, wenn ichs wüſste, so alt ich bin, heute
noch dahin wallfahrten. Nach meiner bald funf-
zigjährigen Erfahrung muſs ich aber noch im-
[95] mer jener buſsfertigen Aebtiſsin nachbeten: Wir
sind eben alle, daſs Gott erbarm! Eher möchte
ich noch mit dem politischen Bergmann Spitt-
lern
*) eingestehen: Daſs Christenthum und
Philosophie den Despotismus gemindert und ge-
mildert haben: Es giebt aber Regenten, die
weder Christen noch Philosophen sind; bey die-
sen gehts dann auch darnach. Im Ganzen, darf
man sagen, ist der Depotismus minder brutal
aber um so rafinirter und verfeinerter gewor-
den; man befiehlt doch nicht mehr Meuchel-
morde und Vergiftungen, wie unter Ludwig XI.
in Frankreich, und unter Philipp II. in Spa-
nien; ein Professor der Theologie, von wel-
cher Confession er auch seye, darf es doch
nicht mehr wagen, von öffentlicher Canzel oder
Catheder zu behaupten: Daſs diejenige keine
Sünde begehen, welche Tyrannen, auch un-
verhörter Sachen, mit Gewalt, List, oder auf
jede andere Art aus dem Weg räumten, sogar,
wenn sie ihnen durch Eyd oder Bündniſs ver-
[96] bunden wären; mit der Zuversicht, daſs er von
einer ganzen Kirchen-Versammlung mit einer
solchen partheyischen Schonung werde behan-
delt werden, als dem Franciskaner Petit von
dem Costnizer Concilium geschehen ist *).


Zwischen diese beyde academische Gelehrte
tritt nun ein Mann in die Mitte, der mit weni-
germ Pomp, aber desto mehr Laune, mit einer
unter vieljährigen Erfahrungen und Beobach-
tungen gereiften lebendigen Welt- und [Men-
schen-Kenntniſs]
, die Sache nimmt, wie sie in
der That ist, und den schiedsrichterlichen Aus-
spruch thut.


„Es ist wohl nicht zu läugnen„, sagt Wie-
land
:
*) „Daſs der Hang zu despotisiren der
schwarze Punkt in aller Menschen Her-
zen
ist; und daſs es daher im Nothfall ohne
alles Bedenken laut gesagt werden darf, daſs
alle Regierungen, von Seiner Groſs-Türkischen
und Maroccanischen Hoheit an, bis zum Magi-
strat der Reichs-Stadt Buchau, in diesem Punkt
Menschen sind, so gut, wie wir alle, und
also
[97] also eben so gewiſs und unfehlbar noch will-
kührlicher, und so viel möglich uneingeschränk-
ter Ausdehnung ihrer Gewalt tendiren, als ein
irrdischer Cörper nach dem Mittelpunkt der Er-
de. Da dieses nun einmal und (was ich nie zu
vergessen bitte) in jeder Regierungs-Form
der Fall derjenigen ist, die sich mit Gewalt,
also um so viel mehr aller und jeder, die sich
mit einer sehr groſsen Gewalt, bekleidet sehen:
So kann es zu gar nichts helfen, sich über et-
was, das überall ist, immer war und immer
seyn wird, zu formalisiren; und den Regenten,
man schelte sie nun Böse oder Gute, ein Ver-
brechen aus dieser Erbsünde, womit die Gu-
ten eben so wohl als die Bösen behaftet sind,
zu machen; und es wäre, dächte ich, endlich
einmal Zeit, sie mit Vorwürfen über diesen
Punkt zu verschonen. „Also, weil es leider!
„(de facto) so und nicht anders ist, sollten
„wir uns etwa mit leidendem Sclaven-Sinn
„und Sclaven-Gehorsam gefallen lassen, wenn
„ein Despot für gut fände, uns das Fell über
„die Ohren zu ziehen„? Keineswegs. Aber
so arg steht es auch wahrlich nicht im lezten
Zehend des achtzehnten Jahrhunderts in Euro-
G
[98] pa — wenigstens nicht im Christlichen. Trotz
der besagten Erbsünde, womit alle Gewaltha-
ber ohne Ausnahme, so gut wie jeder Privat-
mann in seinem kleinen Zirkelchen, mehr oder
weniger
angesteckt sind, geht es, aus mancherley
bekannten Ursachen, noch immer in den meisten
europäischen Staaten, und besonders in unserm
Deutschen Vaterlande, von den groſsen Monar-
chien an biſs zu vorbesagter Reichs-Stadt Bu-
chau, verhältniſsmäſsig ganz leidlich zu. Und
mehr als eine leidliche Existenz von aussen
her ist niemand berechtiget, von diesem Le-
ben
zu fordern; denn glücklich kann kein Kö-
nig, ja kein Gott uns machen, wenn wir es
selbst nicht können.„


Wenns mit wünschen gethan wäre, (und
wünschen ist doch wohl keine Reichs-Sünde);
wenns noch Gebrauch wäre, Könige und Für-
sten vor ihrer Thron- und Erb-Folge schwören
zu machen; wenn alle an den Gott glaubten,
bey dem sie schwören, und was der wenn noch
mehrere sind, so möchte ich, wenn ich mein
Scherflein auch noch dazu legen darf, wohl wün-
schen, daſs wenigstens so lange, als unsere
Könige, Fürsten und Herrn sich Christen nen-
nen lassen, vor ihrem Regierungs-Antritt das
[99] offentliche Versprechen und Bekenntniſs von
ihnen geschehen möge, welches König Chri-
stian III. in Dännemark *) in dem vor seiner
Crönung seinem Volk geschwornen Eyd mit
den herzlichen Worten abgeleget hat: „Gott
gebe Gnade, daſs ich nichts versäume; so ich
aber als ein Mensch etwas versäumen würde,
das halte mir zu gut der barmherzige Gott,
um Christus, seines lieben Sohns, unsers Herrn
willen. Wiſsentlich aber oder muthwillig
will ich, ob Gott will, nicht handeln oder
handeln lassen, wider diese meine Zusa-
ge
:
So wahrlich helf mir unser lieber Herr Je-
sus Christus, mit seinem Evangelio.„


Da die willkührliche Gewalt Deutscher Regen-
ten so mannigfaltig modificirt ist, zugleich aber
von Zeit zu Zeit immer mehr rafinirt und ver-
feinert wird, so müſste mann berechnen kön-
nen, wie von oben herab Despotismus und
von unten herauf Gehorsam und Kriechen
einander entgegengekommen seyen. Man irrt
vielleicht nicht, wenn man die Periode von dem
Westphälischen Frieden und von dem sogenann-
[100] ten Jahrhundert Ludwigs des XIV. an zum Stand-
punkt davon annimmt; denn von dieser Zeit
her finden sich die hohen Selbst-Gefühle der
Fürsten, die beständigen Soldaten und die be-
ständigen Räthe, die einander treulich in die Hand
gearbeitet haben, um das moderne Souveraine-
täts-Gebäude in Theorie und Praxi zu Stand
zu bringen.


Es ist ausser dem Plan gegenwärtigen Werks,
den Beweis davon von Land zu Land und gleich-
sam Schritt vor Schritt zu verfolgen; ich muſs
mich mit allgemeinen Zügen begnügen, und
hoffe daher, auf die Nachsicht meiner Leser
rechnen zu dürfen, wenn ich ein bereits vor
mehrern Jahren von mir entworfenes Gemählde
wieder ins Angedenken bringe, das in seiner
Zeichnung, so keck sie auch manchem verwöhn-
ten Auge scheinen möchte, noch immer wahr
und sprechend erfunden werden wird: „Der
Zeitpunkt (schrieb ich bereits im Jahr 1784. *)
von welchem an man den Despotismus unserer
Deutschen Fürsten datiren muſs, ist das soge-
nannte Jahrhundert Ludwigs XIV. Die Deut-
sche Herrn haben immer gern gereist; sie reis-
[101] ten nach Rom, ins gelobte Land, an den Kai-
serlichen Hof, auf den Reichstag, auf die Für-
sten-Convente; besuchten und beschmausten
sich unter einander, wozu Leid und Freud, Lei-
chen-Begängniſse so gut als Hochzeiten, die
öftere Gelegenheit geben muſsten; trunken sich
immer mit ihren Junkern herum; und, wann
sie ihren Gast aufgezehrt und ihr mitgebrachtes
Geld alle war, zogen sie wieder heim. Lud-
wigs XIV. glänzender Hof gab den Sitten und
dem Ton seiner Zeit eine andere Stimmung:
Man fieng an, die junge Prinzen nach Frankreich
zu schicken, um Mores zu lernen; diese brach-
ten sie dann zurück, und noch mehr dazu, Lie-
be zur Verschwendung, zum Prahlen. Jeder
wollte ein Ludwig XIV. en mignature seyn;
indessen giengs, so klein oder groſs es jeder
vermochte. Der Adel, den die Reise-Sucht
nach Frankreich auch angesteckt hatte, befand
sich in seiner Meinung wohl dabey, und halfe
treulich dazu, aus seinen gnädigen Fürsten und
Herrn einen Souverain zu machen; es truge
damals noch was ein: Der Fürst muſste im Klei-
nen alle die Hof-Aemter haben, wies ein groſses
Vorbild, und sie wurden, wie billig, wohl ge-
nährt und gut bezahlt. Ludwig XIV. machte
[102] sich diese Eitelkeit zu seinen Absichten zu Nutz;
man fieng an, Gesandte an die Herren Vet-
tern
zu schicken und die gröſsere deutsche
Häuser wetteiferten drum, daſs ja jeder von
ihnen auch einen bekomme. Deutschland war
in wenig Jahren mit französischen Emissarien
wie besäet; und was wars, was sie gutes stif-
teten? Mit den täglichen Schmeicheleyen von
ihrer Gröſse und Souverainetät machten sie den
Deutschen Herrn den Kopf von falscher Hoheit
schwindlicht; um die Gröſse wenigstens in ei-
nem Perspectiv-Gemählde zu zeigen, verleite-
ten sie selbige zu übertriebenen Ausgaben, in
Erweiterung ihrer Hofstaat, im Bauen, in Nach-
ahmung des französischen Geschmacks und Mo-
den; sie hezten sie gegen ihr selbsterwähltes
gesetz- und rechtmäſsiges Oberhaupt, den Kai-
ser, auf; schaften ihnen Gespenster von besorg-
licher Unterdrückung, um ihnen das Vergnü-
gen zu machen, solche zu bekämpfen; hezten
Churfürsten gegen alte Fürsten und diese ge-
gen jene mit Rang- und Titel-Zänkereyen auf;
mit denen, die Soldaten schaffen konnten,
schloſsen sie Subsidien-Bündniſse; priesen ih-
nen ihr Recht des Kriegs und Friedens, als das
höchste Kleinod fürstlicher Glüchseligkeit an,
[103] brachten sie in den Geschmack, zu Ehren ihrer
neuen Souverainetäts-Rechte auf alle Congres-
se, und an andere Höfe auch Gesandte zu schi-
cken. Die Fürsten-Söhne wurden allmälig in
französischen Kriegsdienst gezogen; die fürstli-
che Canzler und Räthe, die nun auch Mini-
sters
zu heissen anfiengen, mit französischem
Geld gewonnen und bestochen. Die fürstliche
Kinder, denen man sonst einen guten Deutschen
Edelmann zur Aufsicht und einen Magister zum
Präceptor gegeben, bekamen allmälig lauter
französische Gouverneurs, die ihnen das:
Vous êtes un Grand Prince, von Morgen
biſs Abend so oft vorsagten, daſs es der Knabe
früh genug glaubte. Mit den Töchtern wards
ein Gleiches; mit französischen Sitten, Moden,
Lectüre und Sprache wurden auch die Grund-
sätze mit eingetröpfelt. Die Gelehrte wurden
das Echo von dem Ton des Hofs; hatten nichts
dabey zu verlieren, wohl aber zu gewinnen;
waren zum Theil durch französische Pensionen
gewonnen und fanden überhaupt sich selbst
gröſser, je gröſser sie ihren Fürsten machten.
Was wir zu viel thun, thun wir dem Herrn!
ward der Leib- und Wahl-Spruch eines jeden
Staats-Gelehrten; und so kniete immer der, des-
[104] sen Herr eine Spanne gröſser war, dem andern
auf den Hals, und jeder schrie mit Sclaven-
Stolz dem andern entgegen: Mein Herr ist so
groſs, als der Deinige. Sonst wuſste man nur
von Fürsten-Hut und Fürsten-Stuhl; nun
hieſs es: Fürsten-Crone und Fürsten-Thron*).


Um sich zu helfen und zu rathen, sind nur
wenige, die biſs auf die Quellen des Unheils,
biſs auf die Ueberspannung und Verderbniſs der
Grundsätze zurückgehen; die sich groſs, glück-
lich, reich, mächtig, geehrt genug halten,
freye Deutsche Fürsten, Stände eines mächti-
gen Reichs, Väter, Regenten, Hirten, Engel
Gottes vor ihr kleines oder gröſseres Volk zu
seyn; Souverains zu seyn, ohne Monarchen
vorstellen zu wollen. Der Hang zum Despo-
tismus haftet nun schon im Blut, und hat sich
[105] mit dessen ganzen Masse, mit der ganzen Den-
kungs-Art der Höfe, Ministerien und Dienerschaft
zu innig vereinigt, um so bald, vielleicht je-
mals, allgemeine Rückkehr zur glücklichen Mit-
telstraſse verhoffen zu dürfen. Mangel, Elend,
Schulden, Kriegsplagen und andere Nöthen ha-
ben bey manchen, gegen ihren Willen, ein
non plus ultra gesteckt, die sich dann begnü-
gen müssen, die Faust nur im Sack zu machen,
und in ihren vier Wänden sich anbeten und
beräuchern zu lassen.


So viel von den Franzosen. Ihr Geist spuckt
noch in Deutschland, doch noch weit mehr an
kleinen Höfen, als an groſsen. Das Gespenst
mit der Trommel
,
das im Jahr 1713. auf Deut-
schem Boden erschiene, hat ihn, seit Ludwigs
XIV. im Jahr 1715. erfolgten Tod, vollends
verscheucht. Die Deutsche Fürsten und Herrn
haben von jeher dem Krieg nachgezogen; gabs
keinen im Reich, so suchten sie ihn auswärts.
Es ist keine groſse oder kleine Macht in Euro-
pa, die unter ihren Kriegern nicht Deutsche
Herrn und Männer zu zählen hat. Der Unter-
schied zwischen der Vorzeit und unsern Tagen
bestand aber nicht nur darinn, daſs man in Frie-
[106] denszeiten von den jetzigen ungeheuren ste-
henden Heeren nichts wuſste, mithin vor den
hohen und niedern Adel weniger Gelegenheit
war, in Kriegsdiensten angestellt zu werden,
sondern weil der Kriegs-Stand und Civil-
Stand
so scharf von einander abgeschnitten
waren, daſs dieser leztere den Soldaten-Stand
tief unter sich und nur als ein nothwendiges
Uebel betrachtete, weit entfernt, ihn über sich
erhaben, geschweige als den eigentlichen Stand
der Ehre
zu achten. Die Fürsten, wenn sie
auch in jüngern Jahren dienten, hatten ehedem
selbst den Glauben, daſs es unvereinbarlich
und eine Art von Miſsstand seye, noch länger
dem Kriegs-Stand sich zu wiedmen, sobald
sie zur Regierung von Land und Leuten gelang-
ten; sie beschieden sich von selbst, daſs sich
ein Collegium nicht wie ein Regiment Soldaten
commandiren, und das geschwind denken und
rathen nicht wie das geschwind laden und schies-
sen befehlen lasse. Ohngeachtet sie sich alle
im Harnisch, Helm und Commando-Stab mah-
len lieſsen, und diese Grimasse von ihren ade-
lichen Hof- und Staats-Dienern, als Unter-
scheidungs-Zeichen ihrer Geburt und Standes,
nachgeahmt wurde, so schämten sich deſswegen
[107] die Herrn nicht, ihre Canzleyen in Selbst-Per-
son zu besuchen; der Canzler war in ihren
Rang-Ordnungen noch immer der erste Mann an
Hof; die Generals folgten erst auf die würkli-
che Geheime Räthe, die Obristen nach den
Hofräthen u. s. w. *), und das Militair trug
vom Feldmarschal an bis zum Fähndrich, so
gut wie der Hofmann und Bürger, Allonge-
Perrücken.


Diſs hat sich seit der Regierung der gewalti-
gen Despoten, Friedrich Wilhelms I. Königs
in Preussen und seines noch gröſsern Nachfol-
gers, Friedrichs II. so vollständig geändert,
daſs man Grund und Boden von Alt-Deutsch-
land in seiner Urverfassung und Regierungs-
Art meistens nur noch aus Tradition, und aus
Büchern kennt. Der Soldaten-Geist ist von
Berlin aus in alle Deutsche Lande ausgegan-
gen und hat sich, wo und so viel er konnte,
aller Köpfe und Cabinete bemächtigt. Seit die-
ser Epoque ist der Soldaten-Stand der eigent-
liche Stand der Ehre; seit dieser Zeit halten
[108] sichs unsere Fürsten, selbst die regierende,
selbst die, welche ein eigenes zahlreiches Mi-
litär haben, zur Ehre, Königen zu dienen;
seit dem geht die ganze Fürsten-Welt in Uni-
form und bewirbt sich, wenn sichs nicht anders
thun will, wenigstens um militarische Titel.
Jeder sucht, um es mit wenig Worten zusam-
menzufassen, sein groſses Vorbild wenigstens
dadurch zu erreichen, daſs er so willkührlich
regiert, als er nach dem Maaſs seiner Kräfte
darf; so viele Soldaten hält, als er kann, und
mit deren Hülfe von seinen Dienern und Un-
terthanen denjenigen blinden und unbeschränk-
ten Gehorsam verlangt, welcher das Wahr-
zeichen jeder militarischen Regierung, und,
im Ganzen genommen, der Ton und Geist un-
serer Zeit ist.


Schluſs [und] Resultat von allem diesem auf
die Erzieh- und Bildung unserer Königs- und
Fürsten-Söhne giebt sich von selbsten. Sie
treten, jeder nach dem durch seine Geburt be-
reits habenden Beruf und Bestimmung, oder
nach einer eigenen Wahl und Neigung oder
aus Noth in die Fuſsstapfen ihrer Väter und
Brüder, in den Geist ihrer Zeit mit ein. Der
[109] erste Rock, den sie nach zurückgelegten Kin-
der-Jahren bekommen, ist eine Uniform; sie
lernen noch eher und lieber exerciren, als le-
sen und schreiben; sie lernen von der Wiege
an den vorzüglich also genannten Dienst; sie
lernen eine Weile gehorchen, aber noch immer
allzufrüh befehlen; und dieses Commandieren
und Befehlen vereinigt sich so innig mit ihrer
ganzen Denkungsart, daſs es ihnen zur andern
Natur wird, und sie sich, wenn sie auch durch
Geburts-Rechte zur würklichen Regierung von
Land und Leuten kommen, diese gebietende,
keine Einwendungen und Vorstellung leidende,
Handels-Weise, auch in Geschäften und Din-
gen des bürgerlichen Lebens, nur mit Mühe,
gemeiniglich aber gar nicht, wieder abgewöh-
nen können.


Vergleichungen zwischen den nächstvorher-
gehenden Jabrhunderten und unsern Tagen las-
sen sich gar nicht anstellen. Die ritterliche Er-
ziehung des vierzehnten, funfzehnten und der
ersten Helfte des sechszehnten Jahrhunderts,
die Turniere und andere Ritter-Spiele damaliger
Zeiten; paſsen auf unsere jetzige so wenig,
als ihre körperliche Kräfte, Rüstung und Waf-
fen. Die Söhne Deutscher Fürsten, die nicht
[110] dem Krieg nachzogen oder sonst auf Aben-
theuer ausgiengen, jagten in ihren Wäldern,
trieben Buben-Streiche zu Haus, oder besuch-
ten andere Fürsten, wurden ihnen auch wohl
von ihren eigenen Eltern zugeschickt, wenn
sie daheim nicht mehr gut thun wollten *).
Ihre Erziehung und Unterricht war bey den
Catholischen in den Händen von Mönchen und
Jesuiten, bey Protestanten in denen eines Ma-
gisters, Doctors oder eines andern Gelehrten,
von deren Talenten und Lehr-Methoden man
noch aus den Instructionen urtheilen kann, die
biſs auf unsere Zeiten gekommen sind **).
Ein Glück wars, wenn dem lateinischen Prä-
ceptor noch ein biederer und weltkundiger Deut-
scher Edelmann beygesellet wurde. Von dem
Anfang an des verwichenen Jahrhunderts biſs
über dessen Mitte hinaus findet sich zwar bey
Erziehung und Unterricht deutscher Prinzen
mehrere wissenschaftliche Kenntniſs, aber auch
ein so sonderbares Gemisch von Jtaliänischer,
[111] Spanischer und Französischer Cortezza und Le-
bensart, daſs, wenn man die Schenk-Tische,
Pocale und Hofnarren nicht mit zu Hülf nähme
und sich der Sauf-Operationen an dem berühm-
ten Faſs zu Heidelberg erinnerte, man Mühe
haben würde, den eigenthümlichen Deutschen
National-Geist herauszufinden. Ein halbes Jahr-
hundert weiterhin wurden unsere Fürsten und
ihre Kinder mit französischer Sprache, Künsten,
Sitten, Moden, Lehr- und Hofmeistern bekann-
ter und vertrauter; man tauschte diese leztere
allmälig gegen Französische Schweizer um; zu
unsern Tagen wurden auch diese immer meh-
rers ausgemustert und ihre Stellen mit Deut-
schen Männern besetzt, und nun ists so, wie
wirs, ohne weitern Commentar, mit eigenen
Augen sehen können.


Doch nicht überall, weder vor jezt und hof-
fentlich auch fürs künftige.


In der auf ein überdachtes Militar-System ge-
gründeten und ihre Consistenz, Lebenskraft und
Dauer einzig daher ziehenden preussischen Re-
gierung ist es nun einmal grundgesez- und
hausverfassungs-mäſsig: Die Prinzen müssen
dienen; das Vaterland, genannt der Staat, for-
dert diſs von ihnen; der ganze Volks-Geist ist
[112] schon daran gewöhnt, und darauf gestimmt,
seine Könige und Prinzen an den Heeres-Spi-
tzen und nie anders als in kriegerischer Klei-
dung und [auf] dem Parade-Platz zu sehen. Die
Söhne dieses hohen Hauses wissens selbst nicht
anders, und ihre ganze Erziehung und Unter-
richt hat schon von vornen her das Gepräge
dieser königlichen Kunst; jedoch in einer so
glücklichen Mischung, daſs das rauhe, despo-
tische und pünktliche des sogenannten Diensts
durch persönliche Höflichkeit, Leutseligkeit,
sanfte Sitten und Bonhommie der preussischen
Prinzen gemildert und durch eine kluge Wahl
ihrer Hof- und Lehrmeister auch vor die Berei-
cherung und Ausschmückung ihres Verstandes
mit andern dann blos militarischen Kenntnissen
gesorget wird. Die genaue preussische Staats-
Oeconomie befiehlt ihnen zugleich Einsicht und
Ordnung in ihrer besondern Haushaltung, und
es gereicht ihnen und den preussischen Gene-
rals und Adel zum verdienten Ruhm, daſs sie
neben ihrer Wissenschaft des Diensts auch
noch solche Kenntnisse von der groſsen und
kleinen Staats- und Landwirthschaft besitzen,
die man, andere Belesenheit und moralische
Tugen-
[113] den nicht einmahl dazu gerechnet, in andern
Reichen und Staaten bey dem Soldaten-Stand
vergeblich suchen würde. Ein preussischer
Prinz kann, zu seinem Vergnügen, auch sein
Landgut, sein Rheinsberg, sein Friederichsfel-
de haben, und es nach seinem Geschmack und
Phantasie ausschmücken; er kann aber nicht,
wie ein Graf von Artois, Herzog von Orleans,
Prinz von Rohan-Guimene, Tonnen Goldes
an einem Abend verspielen, nicht Milionen un-
bezahlbarer Schulden machen u. s. w. Hinge-
gen ist man auch im preussischen Staat vor
französischen General-Pächtern und Volks-Auf-
ruhr gesichert.


In den östreichischen Staaten hat man das
grofse preussische Modell seit Kaiser Joseph II.
wie in vielen andern, so auch in Hinsicht der
Prinzen des Hauses, nachgeahmt. Schon bey
Lebzeiten der Kaiserin Maria Theresia hatten
zwar ihre Söhne, Enkel und Schwieger-Söh-
ne, militarische Charakter als Feldmarschälle,
Generals und Obristen; sie hatten nach ihren
Namen benannte Regimenter und trugen deren
Uniform; sie hatten, neben ihren Lehrern, mili-
tarische Hofmeister; eigentlich waren aber die
H
[114] Prinzen nur Titulados, und die besitzende Re-
gimenter ein kleiner Beytrag zu ihrer übrigen
Appanage. Eigentlich fieng Joseph II. an,
Schein in That zu verwandeln. Er war der
erste Kaiser seit Jahrhunderten in Uniform *),
er war seit Jahrhunderten der erste Feldherr an
der Spitze seines eigenen Kriegsheers, seine ei-
gene Brüder und Vettern so viel ihrer nach den
Jahren und sonstigen Verhältnissen konnten
muſsten dienen; und so wirds auch jezt unter
seinem Thronfolger und Neffen, K. Franz II.
wieder gehen, ohngeachtet der friedfertige K.
Leopold II. in der kurzen Zwischenzeit seiner
Regierung seinen ältesten Prinzen, unsern je-
zigen Kaiser, zum Conferenz-Minister und die
[115] zween nachfolgende zu Hofräthen ernannt hat*).
Was zum verdienten Lob der Preussischen Prin-
zen in Ansehung ihrer Kenntnisse und persön-
lichen Tugenden gesagt worden, kann mit vol-
ler Wahrheit und Ueberzeugung auch von den
Oesterreichischen wiederholt werden, und dür-
fen beyde andern Deutschen Fürsten als leuch-
tende Beyspiele der Nachahmung angepriesen
werden.


Unter unsern, wenigstens dem Namen und
Kleidung nach, geistlichen Chur- und Fürsten
hat das jetzige Jahrhundert keinen Christoph
von Sötern, keinen Bernhard von Gahlen mehr,
und ihr unterhaltendes mäſsiges Militare ist
mehr zur Parade und innerm Landes-Schutz,
als zu offensivem Gebrauch; auch bey den welt-
lichen Fürsten schränkt sich das würkliche Die-
nen
je länger je mehr nur auf die nachgebohr-
ne Brüder und Söhne der regierenden Herrn
ein, wenn man anders die von diesen bey den
Reichs-Kraisen habende Regimenter und führen-
de militarische Titel ihnen als Dienst anrech-
nen darf.


Unter den alten Fürsten-Häusern zeichnen
sich vornehmlich Hessen, Braunschweig, Wür-
[116] temberg, ehedem Anhalt aus, wo das Dienen
von Vater auf die Söhne, Brüder und den gan-
zen Stamm erblich und zu einem Familien-Her-
kommen geworden. Die Diener und Untertha-
nen solcher Herrn, deren Eltern und sie selbst
schon seit 40. bis 50. Jahren den preussischen
Dienst gewohnt waren, können aus Erfahrung
davon sprechen, wie viel von dem Geist der
preussischen Regierung in sie übergegangen,
und man bedarf nicht einmahl einer Landcharte,
um bei der Reise aus einer solchen Provinz in
die andern, an Miene, Ton und Melodie von
Dienern und Unterthanen den Unterschied zu
bemerken: Ob ein Soldaten-Fürst oder ein
Friedens-Fürst das Land behersche?


Doch genug, wo nicht zu viel, über einen
Gegenstand, wo Zeit und Erfahrung, mehr als
alle Wünsche und Declamationen, belehren wird
und belehren muſs Wie lange auch diese Pe-
riode dauern werde und dauern könne? Und
ob nicht während derselben noch mancher Fürst
das Attestat verdienen würde, womit die vor-
trefliche Churfürstin Sophia zu Hannover, nach
ihrem bey dem Czaar Peter dem Groſsen, im
Jahr 1697. abgestatteten Besuch, diesen fürch-
[117] terlichen Mann geschildert hat: *) „Er ist ein
recht guter Herr und sehr bös dabey, wie es
in seinem Land gebräuchlich ist
. Wenn er
wohl erzogen wäre würde er recht perfect
seyn, denn er hat viele gute Qualitäten und
Verstand.„


Ein Fürst mag aber gedient haben und noch
dienen oder nicht, so bleibt ein anderer eben so
betrachtungswürdiger Umstand dieser: Daſs vor
jedes Königs- und Fürsten-Haus, vor die Ver-
waltung jedes groſsen oder kleinen Staats, und
vor ihre Diener und Unterthanen durchaus nicht
gleichgültig bleibt, in welchem Alter ein Herr
zur Regierung seiner ererbten Lande gelange?


Es ist überhaupt schon hundert- und tausend-
mahl gesagt und geschrieben worden: Daſs die
Fürsten unstreitig besser regieren würden, wenn
sie niemals zu Fürsten wären erzogen worden;
es giebt Fälle, wo man einem geistreichen Mann
mit gleich trauriger Ueberzeugung das Wort **)
nachsprechen kann: „Ich möchte weinen, so
oft ich einen jungen Prinzen sehe, das sind
wahre Sacrifize der Societät; man thut alles,
[118] Dummköpfe oder Bösewichter aus den armen
Kindern zu machen„. Es giebt Fälle, wo man
dem Dichter vor und an der Wiege eines Prin-
zen mit schwerem Herzen nachsingen kann:


Dein Lehrer, stolz auf seinen hohen Rang

Zu ziehen eines groſsen Fürsten Sohn,

Wird deiner ersten Schmeichler einer seyn.

Es ist eine alte und traurige Wahrheit, die
der Graf Bar sagte: *)


Ne soyons point surpris, qu’un Grand, que cha-
cun flatte,

Que [chacun] veut gâter, en peu de tems se gâte; —

Le peuple concoit, qu’un Mortel couronné,

De lâches seducteurs souvent environné,

N’a point reçu du Ciel, parmi ses priviléges

Le desirable don d’éviter tous les piéges;

Que plus le Souverain est débonnaire et doux,

Et plus il est en butte aux trapes des filoux.

Da es aber mit der Erziehung nun einmal so
ist, wie es bisher gewesen und noch nach uns
bleiben wird; da um frommer und gerechter
Wünsche willen die Reichs-Canzley sich auch
fürs künftige nicht enthalten wird, auf erbet-
[119] telte oder erlogene Attestaten, die sogenannte
Veniam ætatis einem noch so unreifen und
ungezogenen Fürsten-Sohn zu geben, so bleibt
es doch immer für jedes Reich oder Land ein
bedaurenswerter Fall, wenn die schwere Strafe
über ihm zutrift, welche Gott bereits den Is-
raeliten durch die Propheten *) angedrohet
hat: „Ich will ihnen Jünglinge zu Fürsten ge-
ben, und Kindische sollen über sie herrschen.„
So gelind diese Drohung scheint, so bedeutend
ist sie in ihren Folgen. Schon in einer Privat-
Familie ist es ein gewisser Vorbote ihres Ruins,
wenn ein ehrlich und mühsam erworbenes Ver-
mögen in die Hände eines leichtsinnigen Ver-
schwenders kommt, der unbekümmert, wie
lange es währen könne, drauf loshaust, so lan-
ge was da ist. Dieses möchte aber noch im-
mer das geringere Unglück seyn; denn durch
Schaden wird man, wenigstens zuweilen, klug.
Wenn aber ein Reich oder Land das harte Schick-
sal trift, daſs auf einen Salomo ein Rehabeam
folgt, von dem die Geschichte *) erzählt, daſs
er den weisen Rath der alten Räthe seines Va-
ters verlassen, und durch die mit ihm aufge-
[120] wachsene junge Leute sich zu dem unvernünf-
tigen Rath verleiten lassen, dem Volk zu ant-
worten: Mein Vater hat auf euch ein schwer
Joch geladen, ich aber wills noch mehr über
euch machen; mein Vater hat euch mit Peit-
schen gezüchtiget, ich will euch mit Scorpio-
nen züchtigen; so ist zwar heut zu Tag durch
die zum Gebot eines solchen Herrn stehende
Legionen dafür gesorgt, daſs es nicht so leicht
und so bald zum Abfall ganzer Reiche und
Länder kommen kann; der stille Druck eines
Landes durch heillose Rathgeber, niedrige
Schmeichler und gefällige Augendiener ist aber
nur um so gewisser. Kommt vollends dazu,
daſs ein solcher Herr mit seinem Leben und
Handlungen Verführer seines eigenen Volks
wird und dessen bessern Character vergiftet,
so ist auf Menschen-Alter hinaus das Verder-
ben vollkommen.


Mit Beystimmung der Erfahrung aller Zeiten,
darf man laut und getrost sagen: Daſs es vor
jedes Reich und Land immer ein höchst seltner
Fall ist, daſs es glücklich geräth, wenn ein
Herr in frühen Jahren, bey einem noch unaus-
gebildeten Verstand und [unbefestigten] Charac-
ter, zur Regierung seiner Lande kommt. Das
[121] berühmte Quinquennium Neronis ist noch
immer ein schreckendes Beyspiel, nur daſs es
bey vielen nicht einmal so lange hält. Mit
gutem Gewissen darf man daher jedem jungen
Fürsten das Compliment machen, womit der
fromme und vortrefliche Erz-Bischof Fenelon*)
den ihm anvertrauten jungen Herzog von Bur-
gund, Enkel Ludwigs XIV. anzureden den
Muth und die Rechtschaffenheit hatte, ihm zu
wünschen: Daſs er noch lange Jahre Cron-
Prinz bleiben möge
.


Unter so viele Gebrechen unserer alten bau-
fälligen deutschen Reichs-Verfassung ist da-
her allerdings auch der durch die güldene Bulle
bey den Churfürsten und durch kaiserliche Pri-
vilegien bey andern fürstlichen Häusern einge-
schlichene Miſsbrauch zu rechnen, vermöge
dessen junge Fürsten schon im sechszehnten
und achtzehnten Jahr ihres Alters für volljäh-
[122] rig und zu Antretung ihrer Landes-Regierung
fähig gehalten werden; und noch ärgerlicher
und folgevoller ist, wenn der Abgang dieser
Volljährigkeit, nach der Rechnung der gemei-
nen Rechte im 21. und 25. Jahr, mittelst Er-
theilung der sobenannten Veniæ ætatis, fürs
Geld aus der Reichs-Canzley verkauft, und
ein Zeugniſs von angebohrnen und durch eine
stattliche Erziehung frühzeitig reifgewordenen
fürstlichen Tugenden zusammengelogen wird,
wovon sich leider! in der That selbst nur all-
zuoft das gerade Gegentheil befindet, und aus
dieser Venia ætatis erst eine Venia peccan-
di
,
eine um so zügellosere Freyheit, Jugend-
Streiche zu begehen, gemacht wird. Alles
Raisonniren über ein nun mehrere Jahrhundert
bestehendes Reichs-Gesetz ist freylich verge-
bens; vor dem Richterstuhl der Vernunft läfst
sichs aber schwer begreifen, wie ein Jüngling
von sechszehn Jahren den Verstand, Land und
Leute zu regieren, haben könne; und eher lieſs
sich noch glauben, daſs ein König in Frankreich
durch bloſse Berührung Kröpfe curiren, als
daſs ein Kaiser durch ein bloſses Machtwort
Regierungs-Weisheit inoculiren könne.


[123]

Wenn es noch Sitte wäre, Königs- und Für-
sten-Söhne in der Geschichte ihres Hauses so
pragmatisch zu unterrichten, daſs ihnen zu-
gleich Leben und Thaten ihrer Vorfahren in
ihren persönlichen Tugenden und Lastern, die
rühmliche und schädliche Seite ihrer ganzen
Regierung und Landes-Verwaltung spiegel-
mäſsig vor Augen gestellt, und mit herzgreifen-
den Anmerkungen begleitet würden, dann
möchte ein solcher Unterricht etwa hie und da
noch ein heilsames Antidot gegen die einen jun-
gen Fürsten umgebende Verführer und Schmeich-
ler seyn. Welcher Held von Mann müſste es
aber seyn, dem man nur einmal den Antrag
thun dürfte, eine solche Biographie zu entwer-
fen? Gewiſs keinem besoldeten Historiogra-
phen, keinem kriechenden Lob-Lügner. — Und
wer soll eine Haus-Geschichte dieser Art ver-
langen? Der bessere Sohn, der sichs zur Reli-
gion macht, die Thorheiten und Schwachheiten
seines Vaters lieber zu verbergen, als ihn ver-
meintlich noch unter der Erde zu beschimpfen?
Der schlechtere Enkel, der in der rühmlichern
Regierungs-Geschichte seines Vaters sein ei-
genes Urtheil zu lesen bekäme.


[124]

Doch die Richterin der Fürsten, die Ge-
schichte, weiſs auch noch auf mannigfaltige an-
dere Weise die Rechte der Wahrheit zu retten
und zu behaupten. Einstweilen wünsche ich,
daſs der in einer Monarchie geschriebene, in der
absolutesten Monarchie ins Russische übersezte
unsterbliche Belisaire des groſsen Fürsten- und
Menschen-Kenners Marmontel allen Deutschen
Fürsten-Söhnen als ein classisches Werk in die
Hand gegeben, und mit Anwendungen auf die
Deutsche allgemeine und ihres eigenen Hauses
Geschichte erklärt werden möchte. Sollte es
aber noch allgemeinere Sitte unter uns werden,
daſs Deutsche Bücher auch von Prinzen gele-
sen und beherziget werden, so möchte ich dem
vortreflichen Belisaire, die in ihrer Art eben
so lehrreiche und schätzbare Schriften: Hallos
glücklicher Abend
,
und: Theodor, oder
über die Bildung der Fürsten-Söhne zu
Fürsten
,
zu würdigen Gesellschaftern wünschen.


Zum Beschluſs dieser Betrachtungen nur noch
einige Worte von dem Einfluſs der Gelehrten
in die Lehre vom Gehorsam zu sagen, so sind
es die Universitäts-Lehrer, und die in ih-
rer Schule gebildete Staatsmänner, und (zum
[125] Unterschied von andern ehrlichen Leuten heut
zu Tage sobenannte) Hof-Publicisten haupt-
sächlich, welche seit Anfang des jetzigen Jahr-
hunderts den verfeinerten Despotismus in recht-
liche Kunstform gebracht, und das Heer von
Nachbetern in so vielen Deutschen Provinzen
gezogen haben, die unaufhörlich ihr Crescendo
singen, und je einer den andern in Lobpreisen
und Ausdehnung der Fürsten-Rechte zu über-
treffen und zu überschreyen sucht.


Der ältern Schreyer zur Zeit des dreyſsigjäh-
rigen Kriegs und der groſsen Erbitterung eines
Monzambano, Hyppoliti a Lapide etc. nicht
zu gedenken, kann man ohne Ungerechtigkeit
behaupten, daſs die preussische Staats-Rechts-
Lehrer, Cocceji, Thomasius, und besonders
der sich selbst uni Deo unique Regi fidissi-
mus Senex
nennende Hallische Canzler von
Ludewig
,
mit ihren Schülern den Grund dazu
gelegt haben und als die Meister vom Stuhl dieser
politischen Freymaurerey zu betrachten sind.


Einzele gesetzmäſsig denkende Männer stell-
ten sich von Zeit zu Zeit mit mehr oder we-
nigerm Glück jenen Usurpatoren entgegen und
die hohe Schule zu Göttingen zeichnete sich
in den ersten Jahren ihrer Gründung durch Leh-
[126] rer aus, die man patriotische Heilige nen-
nen möchte; auch diese Zeiten sind längstens
vorbey, und die Universitäts-Politik wird nie
mehr gestatten, daſs ein zweyter Treuer ein
zweytes Monstrum arbitrariœ Superiori-
tatis territorialis
aufstelle, wozu er so rei-
chen Stoff vor und um sich finden würde. Vor
dem Thor draussen sind aber auch Leute; und
wenn alle die, so reden sollten, nicht mehr
reden können, wollen oder dürfen, so werden
die Steine schreyen. Zum Glück der Wahrheit
und unsers Vaterlands fehlt es aber nicht an ei-
ner biſs auf unsere Zeiten reichenden Zeugen-
Wolke, die mit Muth, Kraft, Weisheit und Ein-
sicht sich der guten Sache Deutscher Mensch-
heit angenommen, die Regenten mit Nachdruck
ihrer Pflicht erinnert, durch Lehre und Beyspiel
den Lügen- und Verführungs-Kräften des De-
spotismus entgegen-gestanden und gearbeitet,
und diesen ihren Glauben und Ueberzeugung
mit williger Aufopferung ihres zeitlichen soge-
nannten Glücks versiegelt haben.


Soll man redlich sagen, wie die Sache ist, so
muſs man gestehen: Es geht im Staats-Recht
und Staats-Kunst just so, wie in der Religion.
Diese hat ihre aufrichtige Forscher und Beken-
[127] ner, aber auch vorsetzliche Zweifler, muthwil-
lige Spötter, heillose Verführer und Lästerer
von Profession. Eben so haben wir politische
Altglaubige, Staats-Pietisten möchte man
sie nennen; aber auch politische Freygeister,
Staats-Heuchler und Giftmischer anderer Seits.
Gleichwohl ist die reinere, gewissenhaftere,
gesetzmäſsigere und dem wahren Verhältniſs
zwischen Herrn und Land angemessenere Dog-
matick älterer Publicisten und patriotischer
Staatsmänner deſswegen noch keineswegs ver-
tilgt und vergessen. Noch in unsern Tagen ist
eines Seckendorf mehr als 140. jähriger Chri-
sten und Fürsten-Staat, seiner rauhen Schaale
ohngeachtet, in unverleztem Andenken, und
wird auch bey unsern Nachkommen noch ein
canonisch-patriotisches Werk bleiben, wenn
manche zu ihrer Zeit gepriesene und beklatschte
Deutsche und lateinische Compendia und Ele-
menta juris publici
von dem Strom der Ver-
gessenheit längst verschlungen seyn werden.


Es lieſs sich hier wohl noch ein und anders
sagen: Wie viel das Theater zum Sclaven-Sinn
eines Volks, zum Erschlaffen dessen National-
Characters, zum blinden Gehorsam beygetragen
[128] habe. Da ich aber mit dem Schauspiel über-
haupt und dessen Lectüre zu wenig bekannt
bin, so begnüge ich mich mit der einigen Be-
merkung: Daſs ich nie ohne innere Indignation
ansehen können, wenn in sogenannten Ge-
sellschafts-Theatern, Männer, die durch ihr
Amt, durch ihren Stand oder durch ihre Jahre
Ehrerbietung und Achtung von andern fordern
und erwarten können, zu Rollen sich erniedri-
gen können, wodurch sie sich in den Augen
der Zuschauer unvermeidlich lächerlich und
verächtlich machen, und den Gedanken erwe-
cken muſsten: Daſs dem, der sich selbst und
freywillig so herabwürdigen mag, ohne Beden-
ken andere unehrbare Zumuthungen von wich-
tigern Folgen geschehen können.



[[129]]

II.
Ich fühle meine Geburt
!

Glauben und Rede der Könige
und Fürsten
.


I
[[130]][[131]]

Wenn man in dem Leben der groſsen Welt,
in dem Umgang mit Königen und Fürsten, in
ihren Reden, Briefen und Schriften so oft die
Worte hört und liest: Ich fühle meine Ge-
burt; es ist unter meiner Würde
;
wenn man
sie von dem Blut, aus dem sie entsprossen,
mit dem höchsten Grad von Selbstsucht spre-
chen, von einer besondern Menschen-Classe,
genannt Prinzen vom Geblüt, reden hört;
wenn man aus dem Munde und Feder ihrer Lob-
redner, Augendiener und Schmeichler in Cabine-
ten, Canzleyen, Canzeln und Cathedern gleiche
Sprache anhören, in den Kirchen die Fürbitte vor
den oft notorisch bösen oder einfältigen Herrn mit-
beten muſs: Gott soll ihm fürstliche Gedan-
ken
geben; und was der Erscheinungen dieser
Art mehrere sind, so wird man, wie gezwun-
gen auf das weitere Nachdenken geleitet: Woher
diese hohe Selbst-Gefühle rühren? Wie vie-
les davon eigene Empfindung, Selbst-Betrug,
[132] Verblendung von andern, oder nur Grimasse
und angewöhnter Sprach-Gebrauch sey?


Wenn man nach dem Horazischen: Fortes
creantur fortibus
,
nach der Analogie des
Thier-Reichs mit dem Menschen-Geschlecht
schliessen dürfte, so wäre die Sache bald ent-
schieden. In jenem ist aber eine unvermischte
Geburts-Reihe; jedes Thier paart sich gern
mit seines gleichen, und nie wird ein starker und
groſsmüthiger Löwe einen Esel, ein bedächt-
licher und kluger Elephant einen Affen, ein
blutdürstiger Tieger ein frommes und tummes
Schaaf hervorbringen.


König David, der sich, seiner Hirten-Tasche
ohngeachtet, immer noch mit einem Deutschen
Reichs- und Crays-Stand, Hospodaren in der Wal-
lachey und Pohlnischen Starosten messen darf,
sagt von sich: Ich bin aus sündlichem Saamen
gezeugt, und meine Mutter hat mich in Sün-
den
empfangen; das hiesse nun freylich auch,
obgleich in einem andern Sinn: Ich fühle mei-
ne Geburt
;
und eine französische Dame sagte
dem Herzog von Orleans, Regenten von Frank-
reich, Anherrn des Herrn Egalité, ins Gesicht:
[133] Gott habe die Masse, woraus er die Menschen
erschaffen, in zwey Theile getheilt, und aus
dem einen die Prinzen, aus dem andern die
Lakayen gemacht. So scheint es auch in der
That zu seyn. In wie manchem gemeinen Mann
wohnt eine Königs-Seele, und wie mancher
Fürst würde kaum einen leidlichen Lakayen
vorstellen, oder doch die Livree ihm besser zu
Gesicht stehen, als ein Fürsten-Hut?


Der erste Grund, warum es so und nicht an-
ders ist, haftet nun freylich in der Erblichkeit
der Reiche und Länder bey solchen Familien,
deren Stamm-Väter die Macht oder Kunst ge-
habt haben, sich deren Besitz zu verschaffen.
So lange die Völker sich ihre Herrscher und
Häupter selbst wählen konnten, oder wo sie
solches noch können, trift man nicht allemal
just den würdigsten und tüchtigsten, aber doch
auch nicht den kundbar schlechtesten.


„Bey einem Fürsten„, schriebe selbst ein Kö-
nig, Friedrich der Groſse, im Jahr 1764. an den
damals neuerwählten König Stanislaus Augustus
in Pohlen, „der für den Thron gebohren ist,
nimmt man es nicht so genau; man ist zufrie-
den, wenn er die gewöhnliche Naturgaben be-
[134] sizt, ob man gleich berechtigt wäre, von sei-
ner Erziehung ein mehreres zu fordern und zu
erwarten. Wenn aber einem Fürsten von freyen
Menschen, die bisdahin seines gleichen waren,
die Crone angeboten wird, so versprechen sich
seine nunmehrigen Unterthanen etwas ganz aus-
serordentliches von ihm. Die Dankbarkeit muſs
alsdann seine erste Tugend seyn, weil er,
nächst der Vorsehung, seinen eigenen Unter-
thanen seine Gröſse zu verdanken hat. Wenn
ein König, der den väterlichen Thron bestieg,
schlecht regiert, so gereicht es ihm selbst zur
Schande; wenn aber ein Fürst, den freye Wahl
zur höchsten Würde erhob, sie schlecht verwal-
tet, so beschimpft er zu gleicher Zeit seine Un-
terthanen, die ihn wählten.„


Da nach der nun einmal bestehenden Form
und Verfassung der Reiche- und Länder-Regie-
rungen, dieses ohne gewaltsame Erschütterun-
gen nicht mehr zu ändern ist, so müssen wir
uns mit relativem Trost und Accommodation
der Principien behelfen. Richtig ist, daſs Gott
den Regenten- und Obrigkeitlichen Stand zu
ehren eben so gemessen befohlen hat, als den
der Eltern; diſs geht aber nur auf den Stand,
[135] ohne Berechnung auf dessen Individuen. Wie
wir nun unsere Väter nicht wählen können,
sondern sie nehmen müssen wie sie uns zu
Theil geworden, und mancher würdige bessere
Sohn unter einem bösen, brutalen, lasterhaften
Vater seufzen, ihn ehren, und den fürchten
muſs, den er nur lieben möchte, eben so ver-
sichs mit der Persönlichkeit einzeler Herr-
scher und Obrigkeiten. Ihr Stand, ihr Amt
macht sie unverlezbar und ehrwürdig, so
wenig sie es auch oft nach persönlichen
Eigenschaften und Tugenden verdienen
.


Diſs ists, was Könige und Fürsten von ihren
Kinder-Jahren an sehen, wissen, hören und,
weils alle Welt ihnen sagt, in diesem Wahn
und Glauben um so frühzeitiger genährt und
gestärkt werden. Sie vermischen und verwech-
seln das Jus divinum, die Vice-Göttlichkeit
ihres Amts und künftigen Bestimmung mit den
Vorzügen ihrer Person; und wenn ihnen jenes
rechtmäſsig erhabene Gesinnungen einflöſsen
sollte und dürfte, so machen sie aus Geist
Fleisch, rechnen auf Blut und Geburt die
Freyheit zu thun, was ihnen gelüstet
,
und
sind gewöhnlich die lezte, welche die Gränzen,
wie weit sich ihr Jus divinum erstrecke, ken-
[136] nen oder auch nur zu kennen verlangen, ge-
schweige vertragen mögen, wenn sie davon
belehrt und in dieselben zurück gewiesen wer-
den wollen.


So sehr das angeführte auf allgemein bekann-
ten Thatsachen beruhet, so ist es doch wohl
nicht überflüssig, aus der französischen Geschich-
te des jezigen Jahrhunderts einige Beweis-Stel-
len von der eigenen Hand und Gesinnung zwoer
Könige beyzufügen. So schriebe K. Ludwig
XIV. in Frankreich im Jahr 1705. an seinen En-
kel K. Philipp V. in Spanien: „Ich kann das
Ihrer Geburt so sehr würdige Project nicht
anders als beloben. — Wenn es darum gilt, ei-
ne Crone zu vertheidigen, so muſs man lieber
sein Leben verlieren, als sie fahren lassen; und
mit Vergnügen bemerke ich diese Gesinnungen
in allem, was mir von Ew. Majestät gesagt
worden.„


Im Jahr 1706. hatte Ludwig XIV. die entschei-
dende Schlacht bey Ramilies in Flandern ver-
lohren, und sein Enkel Philipp V. in Spanien
hatte die Belagerung von Barcelona aufheben
müssen. In dem Schreiben, das ersterer an den
leztern erlieſse, lieſst man die rührende Stelle:
[137] „Ihr Schmerz ist sehr gerecht; doch freut mich
zu sehen, daſs er Ihren Muth nicht nieder-
schlägt, der sich in Widerwärtigkeiten so gut,
als bey Eroberungen zeigen hann. Ich sehe,
daſs Sie so denken, wie man bey dem Ge-
blüt, woraus Sie entsprossen sind, und
bey dem Rang, in welchen Sie Gott gesezt
hat, denken muſs
.
— Wir sind in Flandern
auch nicht glücklich gewesen. Man muſs sich
unter die Gerichte Gottes beugen, und glauben,
daſs wann wir uns das über uns schickende Un-
glück zu Nutzen machen, wir dadurch dauer-
hafter und ewiger Güter theilhaftig werden.„


Den 22. Nov. 1708. schriebe K. Philipp an die-
sen seinen Groſsvater: *) „Ich bin von dem,
was Sie wegen der chimärischen und unver-
schämten Zumuthungen der Engelländer und
Holländer von Friedens-Präliminarien an Herrn
Amelot geschrieben haben, ganz durchdrungen
worden; niemahls hat man je dergleichen gese-
hen, und ich will nicht einmahl glauben, daſs Sie
solche nur einmahl haben anhören können, Sie,
die durch ihre Handlungen der preiswürdigste
König des Erdbodens geworden sind. Ergrimmt
[138] bin ich, daſs man sich nur einmahl einbilden kann,
daſs man mich zwingen werde, Spanien zu ver-
lassen, so lange noch ein Tropfen Bluts in mei-
nen Adern ist. Das wird gewiſs nun- und nim-
mermehr geschehen! Das Blut, das in mir
lauft, ist unfähig, eine solche Schande zu
überleben
.
Ich werde alle meine Kräfte an-
strengen, um mich auf dem Thron zu erhalten,
auf welchen mich Gott und Sie nach Ihm ge-
sezt hat; und nichts wird vermögend seyn,
mich davon zu treiben und einer solchen zu
entreissen, als der Tod„.


Den 17. April 1709. schriebe der junge Kö-
nig wiederum an Ludwig XIV: „Meine Parthie
ist schon längst genommen und nichts in der
Welt ist fähig, mich solche ändern zu machen.
Gott hat mir die Crone von Spanien auf
das Haupt gesezt; ich werde sie behaup-
ten, so lang ein Tropfen Blut in meinen
Adern lauft
.
Ich bin dieses meinem Gewis-
sen, meiner Ehre und der Liebe meiner Unter-
thanen schuldig. Ich bin überzeugt, daſs mich
diese nicht verlassen werden, es mag mir be-
gegnen, was da will; und wenn ich, wie ich
diſs entschloſsen bin, mein Leben an ihrer Spi-
tze biſs zum lezten Athemzug dran wagen
[139] werde, so werden sie auch ihr Blut willig ver-
giessen, um mich nicht zu verliehren. Wenn
ich einer solchen Feigheit fähig wäre,
mein Königreich abzutreten, so bin ich
gewiſs, daſs Sie mich nicht mehr vor ih-
ren Enkel erkennen würden
.
Ich brenne
vor Verlangen, dieser Ehre, so wie ich ihrer
schon durch mein Geblüt theilhaftig bin, auch
durch meine Handlungen würdig zu werden;
niemahls werde ich also einen meiner Würde
unanständigen Tractat unterzeichnen; nie wer-
de ich Spanien verlassen, als mit meinem Le-
ben; und, indem ich an der Spitze meiner Trup-
pen jeden Fuſs breit Landes streitig mache,
will ich lieber selbst untergehen, als eine Par-
thie ergreifen, die den Ruhm unsers Hauses
beflecken könnte, der durch mich sicherlich
nie verunehret werden solle.„


Ins Comische fällt, was die zu ihrer Zeit un-
ter dem Namen Mademoiselle von Montpensier
berühmte französische Prinzessin aus dem Hause
Orleans, in denen wegen ihrer groſsen Auf-
richtigkeit schätzbaren Nachrichten ihres eige-
nen Lebens *) von dem nachherigen groſsen
[140] Helden Prinzen von Conde erzählt: Man habe
ihm gar nicht ansehen können, daſs er ein fran-
zösischer Blut-Prinz gewesen seye. Wahr
ist, daſs, wann seine Bildung, so der von Co-
ste in zwei Bänden herausgegebenen Geschichte
seiner Thaten vorgesezt ist, geglichen hat,
mancher den König der Hunnen, Attila, als
einen französischen Prinzen daraus lesen würde.


K. Ludwig XIV. verbot einst dem Prinzen
von Conti, sich mit einem andern Herrn von
Stand zu duelliren: Dann, sagte er, wiſst, daſs das
Blut von Bourbon von weit edlerm Werth,
als anderer gemeiner Leute ist. Euer Oncle
hat seine Geburt gefühlt
und deſswegen in
einem ähnlichen Fall eine Herausforderung aus-
geschlagen; und meiner Meinung nach hat er
wohl gethan, sich nicht bloſszustellen. Sire,
antwortete der Prinz, wann ich erst einmal,
*)
[141] gleich ihm, zwo Schlachten gewonnen habe,
alsdann möchte ich wohl eben das thun.


Schöner ware die Rede und Handlung, die
man eben diesem König nacherzählt, daſs, als
ihm einst sein Liebling, Graf von Lauzun, sehr
unanständig begegnet, der Monarch in die Worte
ausgebrochen sey: Ach! wann ich kein König
wäre, hätte ich gute Lust, zornig zu seyn *).
Es wird aber den Königen nicht nur so viel
böses nachgesagt, sondern auch so viel rühm-
liches nachgelogen, daſs man im Glauben von
beeden nie zu vorsichtig seyn kann.


Nicht leicht war ein König, der seinen eige-
nen Werth als Mensch inniger fühlte, der die
Würde eines Menschen besser kannte und schäzte
und sie in ein richtigeres Verhältniſs mit sei-
nem Amt und Stand als König und Herrscher
seiner Staaten zu setzen wuſste, als König
Friedrich II. in Preussen; gleichwohl, so sehr
er Philosoph war und Weisheit des Lebens
kannte und übte, verschmähte er doch nicht
mit dieser Sprache zu prahlen, so bald sich
[142] ihm eine schickliche Gelegenheit darzu darbote.
Einen ziemlich comischen Zug dieser Gattung
erzählte der groſse Mann selbst in der Geschichte
seiner Feldzüge *): Als ihm nemlich der eng-
lische Gesandte Robinson im Jahr 1741. im Na-
men der Königin Maria Theresia in einem ziem-
lich hohen Ton Friedens-Vorschläge that, ant-
wortete ihm der König, noch höher gestimmt:
„Nur Fürsten ohne Ehre können ihre Gerecht-
same für Geld verkaufen. — Ha! wie? Sollte
ich in einem einzigen Tage die Empfindun-
gen der Ehre
und der Rechtschaffenheit ver-
läugnen, mit denen ich auf die Welt kam?
Wäre ich einer so niedrigen, so entehrenden
Handlung fähig, so würde ich glauben, zu se-
hen, wie sich die Gräber meiner Vorfahren öf-
neten; sie würden heraufsteigen und mir zu-
rufen: Nein, du gehörst nicht mehr zu un-
serm Blut
!
Wie? Du sollst für Gerechtsame,
die wir auf dich gebracht haben, kämpfen; und
du verkaufst sie! Du befleckest die Ehre, die
wir dir als den schätzbarsten Theil unsers Erb-
Vermächtnisses hinterlassen haben! Du bist
des Fürsten-Rangs, des Königs-Throns
[143] unwürdig
,
und nur ein verächtlicher Krämer,
welcher Gewinn dem Ruhme vorzieht! Nein!
nie, nie will ich solche Vorwürfe verdienen!
Lieber will ich mich und mein Kriegsheer un-
ter den Trümmern von Schlesien begraben las-
sen, ehe ich zugebe, daſs die Ehre und der
Ruhm des Preussischen Namens den geringsten
Flecken bekomme.„


Dieser Abglanz und Wiederschein von ver-
meintlich angebohrner Majestät und Hoheit
erstreckt sich auch auf Menschen und Geschö-
pfe, welche nach ihrer Qualität und Werth auf
die ihnen wiederfahrende Ehrerbietung, Ach-
tung und Schonung am wenigsten Anspruch
machen könnten.


In die erste Classe von diesen gehören die
Cammerdiener, in allen ihren Abtheilungen
und der ganzen Sachattierung des Garderobbe-
Ministeriums
. Man muſs groſse Höfe ken-
nen gelernt, an ihnen gelebt und eigene oder
seines Herrn Geschäfte mit ihnen gehabt haben,
um sich von der Wichtigkeit, Reizbarkeit und
ganzen Einfluſs dieser Art Leute zu überzeu-
gen. Ein rechtschaffener, gewissenhafter Cam-
merdiener, auch nur in weit geringerm Grad
[144] der Einsicht, Redlichkeit und unerschütterlichen
Muths, als la Porte, der Cammerdiener des
jungen Königs Ludwigs XIV. in Frankreich
war, welche schätzbare Person kann er vor
seinen Herrn, dessen Haus und ganzen Staat
werden? Wie ehrwürdig und gesegnet kann
er seinen Dienst zum Trost, Unterstützung und
Rettung ganzer Familien, und vieler einzelnen
würdigen Menschen machen? Wie kann er,
zumahlen bey hitzigen feurigen Herrn, oft durch
bloſses Stillschweigen oder eine zu rechter
Zeit angebrachte Rede nützen? Wie wahr ist
es, daſs in manchem Cammerdiener eine Kö-
nigs-Seele wohnt, dessen Herr, wenn es nach
Verdienst gienge, nicht werth wäre, ihm die
Schuhriemen aufzulösen? Welche Summe von
Unheil für die Person eines Herrn, dessen Haus
und Land, datirt sich aber auch in seinen ersten
Anfängen von den Verführungen, Insinuationen
und Eingebungen eines solchen Augendieners?
Wie viele Schurken sind schon durch sie geho-
ben, wie mancher redliche Mann durch sie
gestürzt worden? Und wie gerecht ist, wenn
der Graf von Bar*) darüber seufzet:


Puis-
[145]
Puis-je voir sans chagrin, que mon auguste

maitre,

Le Prince si clément, qu’il en cesse de l’être,

A sa honte éternelle et pour notre malheur,

Consulte un Violon, consulte son Tailleur;

Et souvent sur l’avis d’un seul Valet de Chambre

Hazarde le salut d’un Corps, dont je suis membre?

Man wird dadurch genöthigt, zu glauben,
daſs es nicht ein bloſser witziger Einfall war,
wenn Friedrich der Groſse über den ihm als
Gesandten zugeschickten Leib-Barbierer des
Tartar-Chans sagte: Daſs je näher einer bey
den Orientalischen Fürsten seinem Herrn auf
den Leib komme, je eine wichtigere Person
er seye. Nur allzuoft trift es als Erfahrungs-
Wahrheit an so vielen groſsen und kleinen Hö-
fen damit überein.


Ludwig XIV in Frankreich gab seinem En-
kel, dem jungen König Philipp in Spanien, un-
ter andern herrlichen Ermahnungen, die Lehre:
„Behandelt eure Domestiken gut, macht euch
aber nicht mit ihnen zu gemein, und am we-
nigsten traut ihnen zu viel. Bedient euch ih-
rer, so lang sie sich gescheut aufführen; schickt
sie aber wieder fort, so bald sie den gering-
K
[146] sten Fehler machen„. Diſs war nun freilich
ganz in Königlichem Ton gesprochen; und es
ist auch kein Zweifel, daſs die Cammerdiener
Ludwigs XIV. so wie die aller andern Könige.
Chur- und Fürsten, alle Mühe und Kunst wer-
den aufgeboten haben, um ihrem Herrn wenig-
stens nicht zu misfallen, vielmehr durch alle
Beweise des Gehorsams und Unterwerfung sich
in ihrem, wo nicht allemal angenehmen, doch
um so gewisser einträglichen Posten zu erhal-
ten. Wenn aber Ludwig, als König, jene Leh-
re, durch Erfahrung und Nachdenken geleitet,
abstrahirte, so handelte er als Mensch gerade
dagegen. — Der Herzog von St. Simon sagt
hierüber in seinen Denkschriften: *) „Er be-
handelte seine Bediente gut, sonderlich seine
Cammerleute; ihnen, vorzüglich den vornehm-
sten, theilte er sich am vertraulichsten und of-
fensten mit. Ihre Freundschaft oder ihr Haſs
hat viel gewürkt. Sie hatten beständig Gele-
genheit, gute oder böse Dienste zu erweisen.
Auch thaten sie es jenen mächtigen Freygelas-
senen der Römischen Kaiser gleich, denen der
Staat und die Groſsen hofirten. Sie wurden
[147] während dieser ganzen Regierung eben so sehr
geehrt, und kamen eben so sehr in Betrachtung,
als jene. Selbst die mächtigsten Minister und
die Prinzen vom Geblüte behandelten sie öf-
fentlich auf das säuberlichste, derer vom ge-
ringern Stand nicht zu gedenken. Das Amt
der Ober-Cammerherrn wurde durch die er-
sten Cammerdiener mehr als verdunkelr, und
die groſsen Hofämter erhielten sich nur in dem
Maaſse, in welchem die von ihnen abhängige
Bediente oder Subalternen nothwendiger Weise
mehr oder weniger um den König seyn durf-
ten. Anch war die Insolenz der meisten von
ihnen so groſs, daſs man ihr auszubeugen,
oder sie gedultig zu ertragen, wissen muſste„.


Um gerecht, um billig zu seyn, läſst sich
darauf erwiedern: Wie nun, wenn ein König
oder Fürst an seinem Cammerdiener einen Mann
von erprobter Treue, Verstand, Anhänglichkeit,
Rechtschaffenheit, Bescheidenheit und Ver-
schwiegenheit hat; wenn er seinen Kummer,
seine Leiden und Freuden, die er keinem sei-
ner Minister und Hofleute entdecken könnte,
mit Zuversicht in das Herz eines solchen Manns
niederlegen kann, soll er, weil er König und
Fürst ist, nicht auch Menschen-Rechte genies-
[148] sen, in seinem Diener sich nicht auch einen
Freund und Vertrauten, den er ohne Gefahr des
Miſsbrauchs wohl sonst an seinem ganzen Hof
nicht fände, zuziehen dürfen? Die Fälle sind
rar, aber doch möglich, und ich habe selbst ei-
nen nun verstorbenen Fürsten und seinen gleich-
falls verstorbenen Cammerdiener, einen Mann
von seltener Klugheit und güldener Rechtschaf-
fenheit, gekannt, der bey seinem Herrn Beicht-
vater-Stelle vertrate, und durch ein mit be-
dächtlich abgemessener Klugheit in Reden und
Schweigen und immer gleicher Ruhe und Hei-
terkeit des Gemüths begleitetes Betragen in vier-
zigjährigem Dienst ein solches Vertrauen bey
seinem Herrn erworben hatte, das Freunde und
Feinde an ihm respectirten, das er nie zu eige-
nem Vortheil oder zum Schaden einer guten
Sache oder guter Menschen miſsbrauchte, wohl
aber in hundert Fällen durch wenige in präten-
sionslosester Einfalt und Unschuld gesprochene
Worte mehr Gutes würkte, mehr Uebereilun-
gen und schädliche Dinge verhütete, als Ge-
mahlin, Kinder und alle Collegien nicht ver-
mocht hätten.


[149]

Die erste Gemahlin K. Ludwigs XIV. in Frank-
reich, eine Spanische Prinzessin, brachte eine
solche Zofe, Namens Molina, aus Spanien mit,
von welcher die sogenannte Mademoiselle von
Montpensier in ihren Memoiren *) blaue Wun-
der erzählt, und sich bey dieser Gelegenheit
segnet, daſs sie sich, gleich andern französi-
schen Dames, nicht vor diesem Cammer-Wurm
erniedriget habe.


Wer Wien in den spätern Lebens- und Regie-
rungs-Jahren der seligen Kaiserin Königin Ma-
ria Theresia, und die geheime Hof- und Cabi-
nets-Geschichte dieser Fürstin kennen gelernt
[150] hat, der erinnert sich auch noch der geliebten
und gewaltigen Cammerdienerin von Gutten-
berg
,
und ihres auf Personen und Geschäfte
bey der Monarchin gehabten Einflusses, um den
sich Hohe und Niedere zu bewerben gerathen
fanden. Wenn diese zu ihrer Zeit wichtige
Person, wenn eine Anastase bey der Kaise-
rin Catharina II. von Ruſsland, wenn ein Fre-
dersdorf
bey Friedrich II. in Preussen, mit eben
der Wahrheitsliebe, Freymüthigkeit und Aus-
führlichkeit die Geschichte ihrer Zeit zu schrei-
ben, Verstand, Lust und Musse gehabt hätten, als
die Vertraute der Königin Anne von Frankreich,
Frau von Motteville in ihren so lehrreichen
Memoires gethan, dann würden die Biographien
mancher Groſsen in einem ganz andern Licht
erscheinen, und dann würde man wohl hie und
da das Wort wiederhohlen können: Der Kö-
nig, der Fürst, ist erst groſs, der es auch
in den Augen seines Cammerdieners ist
.


Der geringern Garderobbe-Dienerschaft eines
Herrn nicht zu gedenken, gehörten sonst unter
die Familiaren eines groſsen und mittlern Hofs,
die Zwerge, die Hofnarren und sogenannte lu-
stige Räthe; die Ammen, wenn sie Verstand
[151] und Verschlagenheit genug hatten, wenigstens
subalterne Rollen zu spielen.


Als Ludwigs XIV. in Frankreich Enkel Kö-
nig in Spanien wurde, that seine Amme in des-
sen Gefolge gleichfalls die Reise nach Madrit.
Sie hielt eine eigene Cour, sie gabe denen sie
besuchenden Damen keine Gegen-Besuche; sie
wollte eine Thüre zu einer verborgenen Treppe
brechen lassen, um zu allen Zeiten in das Ge-
mach das Königs kommen zu können; zu eben
der Zeit, da man zu dringenden Staats-Ausga-
ben überall sparte und Aemter und Bedienun-
gen einzoge, beschwäzte sie den jungen König,
während dem er Billard spielte, daſs er ihr ein
Gespann von acht Pferden anschafte, und was
der Narrheiten mehrere waren. Mit Mühe brach-
te es der französische Botschafter dahin, daſs
sie nach Frankreich zurück befehliget wurde*)


Die Lieblings-Hunde der Könige und Für-
sten dürfen als vorzüglich accreditirte Geschöpfe
in dieser Liste nicht vergessen werden. Die
Geschichte des Mittel-Alters besagt, daſs K.
Philipp II. in Spanien dem um ihn sehr verdien-
[152] ten Admiral, Fürsten Andreas Doria, einen
Hund, der groſse Roland genannt, geschenkt
und auf die Lebenszeit des Hunds eine Pension
von 500. Scudi beygefügt, vor welche dieser
Roland von zwei Sclaven täglich aus silbernen
Schüsseln gespeist werden muſste, und ihm
nach seinem Ableben ein Monument in dem
Dorischen Pallast zu Genua, mit einer rühmli-
chen Innschrift, errichtet worden. Aus neuern
Zeiten ist der Lieblings-Hund K. Carls XII.
in Schweden, Pompee bekannt, dessen Cörper
aus Pohlen in einem eigenem Sarg nach Schwe-
den übergeschifft, von dem Canzley-Rath Her-
melin in einem sinnreichen Gedicht betrauert
und mit einem besondern Grabstein und Inn-
schrift beehrt worden.


Ludwig XIV. in Frankreich hielt viel auf
vortrefliche Hünerhunde; er hatte deren immer
sieben oder acht in seinem Cabinet, und gab
ihnen selbst zu fressen, damit sie ihn kennen
lernen möchten *). Bekanntlich war K. Fried-
rich II. in Preussen ein groſser Bewunderer
und eifriger Lobredner von Ludwig XIV. Viel-
leicht ist die groſse Liebe dieses Königs zu
[153] Hunden ihrem ersten Ursprung nach in einer
Nachahmung von Ludwig XIV. zu suchen.
Wer von dieser ausserordentlichen Vorliebe und
Gedult des Königs, von der Oeconomie und
Rang-Ordnung unter diesen Thieren, von den
Schicksalen der vorzüglichsten unter ihnen etc.
mehreres zu wissen verlangt, findet sich in
Büschings und Zimmermanns Schriften hin-
reichend befriedigt. Drolligt genug ists aber,
wenn Nicolai*) einen Umstand erzählt, wel-
cher just das beweiset, was ich oben von der
Achtung und Schonung gegen Favoriten der
untern Classen unter Menschen und Thieren an-
deutete: „Der König„, sagt er, „wählte unter
seinen Windspielen den Gefährten seiner einsa-
men Stunden, um sie mit nach Berlin zu neh-
men. — Sie wurden in einer sechsspänigen Kut-
sche nach Berlin gefahren, unter der Aufsicht
eines von den sogenannten Königlichen klei-
nen Lakayen, der gewöhnlich ihre Wartung
und Fütterung besorgte. Man versichert, die-
ser habe sich allemahl in der Kutsche auf den
Rücksitz gesezt, da die Windspiele den Vor-
dersitz einnahmen; habe auch die Hunde an-
[154] ders nicht, als per Sie angeredet: Z. B. Biche
seyen Sie doch artig! Alcmene, bellen Sie
doch nicht so!„


Eben diſs gilt auch von den Leib- und Schlacht-
Pferden groſser Fürsten, von Alexander des
Groſsen Bucephal an biſs auf die lahm, steif
und todt gefütterte Leib-Pferde Friedrichs des
Groſsen. Doch genug davon.


Wenn die Vorliebe vor diese Geschöpfe sich
auf Treue, Gehorsam, Muth und würkliche
Verdienste thierischer Art gründet, so ist ihnen
ihr günstiges Schicksal, wenn es auch, Men-
schen gegenüber berechnet, beneidenswürdig
scheinet, zu gönnen. Bey vielen ist es aber
nur ein eben so blinder glücklicher Zufall, als
wornach die Groſsen ihre menschliche Favori-
ten wählen; und alsdann verdienen beyde die
Grabschrift, welche der Graf von Clermont
seinem geliebten Hund Citron durch seinen
vertrauten und lustigen Hofprediger setzen lieſs:


Cy git Citron, qui, sans peut-être,

Avoit plus de sens que son Maitre.

Man kann dahin auch wohl die Abgötterey
rechnen, welche wenigstens vor Zeiten mit
[155] Sachen getrieben worden, die zum Leib-Ge-
räth eines Königs gerechnet wurden.


Ein solcher Fall wird von K. Philipp V. in
Spanien erzählt *). Er hatte in einer Krank-
heit sein Haupthaar verloren und muſste sich
also eine Perrüque machen lassen, welches ei-
ne eigene Staats-Conferenz veranlaſste. Der
Königliche Ober-Stallmeister, Graf Benavente,
behauptete: Die Haare dazu müſsten von dem
Kopf eines Edelmans oder einer Fräulein ge-
nommen werden; und der sie verfertige, müs-
se ein bekannter Mann seyn, weil mit den
Haaren allerhand Zauberey getrieben werden
könne und man schon schreckliche Beyspiele
davon habe.


Eine ganz eigene Betrachtung liefert aber
die Wahrnehmung, wie die Groſsen der Welt
mit ihrer eigenen Person, Leben, Gesund-
heit und Kräften umgehen, welche sie so be-
handeln, als kein gerechter und billiger Mann
nicht dem geringsten Menschen, ja nicht ein-
mal einem Thier, zumuthen würde. Wenn
man die persönliche Geschichte mancher Herrn
[156] durchgeht, wie sie durch ausschweifende Wol-
lüste auf ihren Cörper losstürmen, auf halsbre-
chenden Jagden allen Gefahren trotzen, auf
eben so gefährlichen Reisen alle Vorsichten
verspotten, und was der hunderterley ähnlichen
Fälle mehrere sind; und wenn man dabey wahr-
nimmt, daſs sie gleichwohl immer fortleben,
sich immer wieder durchreissen, alt dabey wer-
den und zulezt nach tausend überwundenen
Gefahren und Excessen ihrer Lebensordnung
noch auf dem Bett sterben, oder an einem gnä-
digen Schlagfluſs ersticken, so wird man ver-
sucht, von ihnen zu glauben: Daſs sie sich
selbst einbilden, aus einem von andern Men-
schen unterschiedenen, eigenen und unzerstör-
lichern Stoff erschaffen zu seyn oder doch ihren
eigenen über sie besonders wachenden Schutz-
geist zu haben. Richtig und auf Erfahrung ge-
gründet ist aber die Bemerkung: Daſs wenn
andre gemeine, obgleich sich selbst harte Men-
schen so auf sich loshausten, als viele Könige
und Fürsten, sie, wie man zu sagen pflegt,
zehenmal für einmal würden sterben müssen.
Ihr eigener Privat-Glauben in allen solchen
Fällen ist: Ich thue, was ich will, und leide,
was ich kann.


[157]

Aus einer Menge alltäglicher Beyspiele nur
ein illüstres anzuführen, so erzählt Zimmer-
mann
*) in der Krankheits-Geschichte Fried-
richs des Groſsen, aus dem Munde des König-
lichen Cammerdieners Schöning: Der König
habe die allerausgesuchtesten und seinem Zu-
stand angemessensten Arzneyen nie über ein-
oder zweymal gebraucht. Er sey äusserst ein-
genommen gegen alle Arzneymittel, mit Aus-
nahme eines gemeinen Digestivpulvers, und
einiger andern Kleinigkeiten, an die er einzig
glaube und denen er einzig und allein traue.
Ueber alle Begriffe gehe sodann die Unmäſsig-
keit des Königs im Essen. — Die unverdau-
lichsten Speisen seyen seine liebsten Speisen. —
Oft befalle ihn daher bey der Tafel Uebelkeit
und Erbrechen, und ein paarmal in jeder Wo-
che nach dem Essen eine heftige Colik. Kein
Mensch dürfe hierüber Vorstellungen machen.
So oft der König durch seine Aerzte beredet
worden, irgend ein Arzneymittel zu versuchen,
habe er deſswegen seiner Unmäſsigkeit im Es-
sen keine Schranken gesetzt. Er habe zuwei-
len das Mittel gelobt, nachdem er die erste
[158] Dose davon eingenommen; aber gleich nach
der zweiten Dose, bey der ersten Uebelkeit,
bey dem ersten Erbrechen, bey der ersten Co-
lik, bey der ersten üblen Nacht, habe der Kö-
nig gesagt: Diſs ist die schändliche Folge der
Arzneyen, die man mir giebt! Erschrecklich
habe er dann auf Aerzte und Arzneykunst ge-
scholten; höchst erbärmlich habe er dann sei-
nen Aerzten die Köpfe gewaschen und sie gleich
auf der Stelle heim versendet. — Dann habe
der König, sobald er sich die Aerzte vom Lei-
be geschaffet, wieder gegessen und gelitten
nnd nichts als seine kleine Mittelchen gebraucht.
So sey Friedrichs Krankheit zu dieser fürchter-
lichen Höhe gestiegen; so werde es nun ferner
gehen, und so werde Friedrichs Krankheit stei-
gen biſs zu seinem Tod.


So, wie sie aber mit sich selbst umgehen,
so behandeln sie auch gewöhnlich die zunächst
um sie befindliche Hofleute und Diener; selbst
ihre eigene Familie und liebste Freunde sind
von diesem in eine wahre Sclaverey ausarten-
den Zwang nicht ausgenommen, und nur um
diesen Preis einer Gleichstellung und Unter-
werfung in alle ihre Capricen und Launen be-
kommt man ihre freundliche Gesichter, gewinnt
[159] ihre Freundschaft und Vertraulichkeit, und
macht, wer’s dafür halten will, sein und der
Seinigen Glück. Menschlichkeit, Temperament,
Alter, Jahre, häusliche und Gesundheits-Um-
stände werden dabey wenig, oder gar nicht
in Rechnung genommen. Sie sind wie die un-
barmherzige Postknechte; es heiſstimmer: Fort!
fort! biſs Roſs oder Mann liegt. Mit ihnen
soll man Gedult haben; sie haben keine mit
andern.


Eine Erzählung des Herzogs von St. Simon *),
wie Ludwig XIV. in Frankreich in diesem
Stück seinen Hof, seine eigene Familie und
selbst seine geliebte Maintenon behandelt hat,
ist so ausführlich und zugleich so anschaulich,
daſs sie statt vieler andern als Muster angeführt
werden kann: „Der König (sagt er) war un-
umschränkt in seinen innern Einrichtungen. So
wie sein starker Cörper und gute Leibes-Be-
schaffenheit alle Fatiguen vortreflich aushielt,
ohne von Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Re-
gen oder bösem Wetter zu leiden, so konnte
auch keine Unpäſslichkeit, wenn sie sich auch
noch so wenig mit Reisen oder dem groſsen
[160] Hof-Gala-Kleid vertrug, eine Dame entschuldi-
gen, eine Reise oder Hof-Parthie mitzumachen.
Sie muſsten nach Flandern und oft noch wei-
ter mitgehen, tanzen, Nächte durchwachen,
essen, lustig und gute Gesellschafterinnen seyn
können; kein Wetter, keine Hitze, keine Käl-
te, keine Luft, keinen Staub scheuen, und das
alles an den bestimmten festgesezten Tagen und
Stunden, ohne nur eine Minute zu fehlen. Sei-
ne Töchter behandelte er nicht besser; und für
die Herzogin von Berry, und selbst für die
Herzogin von Burgund, hatte er eben nicht mehr
Schonung, ob er gleich die leztere so zärtlich
liebte, wie sie ihn, und beyde, als sie guter
Hofnung waren, dadurch Schaden litten. — Im
Wagen und auf den Reisen befand sich immer
ein groſser Vorrath von Victualien, als Fleisch,
Backwerk, Obst etc. bey der Hand. Kaum
war man nur eine Viertel-Stunde gefahren,
so fragte der König: Ob man essen wolle?
Er selbst aſs niemals zwischen den Mahlzeiten,
auch kein Obst nicht; aber es machte ihm Ver-
gnügen, eſsen und stark eſsen zu sehen. Man
muſste guten Appetit haben, aufgeräumt seyn,
oder es war ihm nicht recht; dieselben Damen
und
[161] und Prinzessinnen, wenn sie an dem nehmli-
chen Tage mit ihm an seiner Tafel nebst an-
dern speisten, muſsten deſswegen doch so wa-
cker den Schüſseln zusprechen, als ob sie den
ganzen Tag nichts zu sich genommen hätten.
Andere kleine Anwandlungen von Bedürfnissen
durften gar nicht erwähnt werden. — Der Kö-
nig, der die freye Luft liebte, lieſs niemahls die
Gläser aufziehen und würde es sehr übel genom-
men haben, wenn eine Dame, der Sonne, des
Winds oder der Kälte wegen, einen Vorhang
hätte niederlassen wollen. Man muſste nicht
einmahl thun, als ob man von dieser oder einer
andern Beschwerlichkeit litte. Er fuhr bestän-
dig sehr scharf, gewöhnlich mit untergelegten
Pferden. Uebel werden, war ein Verbrechen,
das auf immer ausschloſs.


Frau von Maintenon, die sich sehr vor Luft
und andern Incommoditäten scheute, genoſs in
diesen Stücken kein Vorrecht. Alles, was sie
unter dem Vorwande der Sittsamkeit und aus
andern Gründen erhalten konnte, war, allein
reisen zu dürfen; aber in jedem Falle, sie moch-
te krank oder gesund seyn, muſste sie zur ge-
sezten Zeit ihm folgen und mitreisen und fertig
L
[162] und angelangt seyn, ehe der König auf ihr Zim-
mer kam. Sie that manche Reise nach Marly,
in einem Zustand, wo man eine Bediente nicht
würde haben ausgehen lassen; auf einer Reise
nach Fontainebleau wars zweifelhaft, ob sie
nicht unterweges sterben würde. Aber sie
mochte sich befinden, wie sie wollte, so gieng
der König zu seiner gewöhnlichen Stunde zu
ihr, und that, was er zu thun Willens gewe-
sen war. Allenfalls lag sie zu Bette, und zu-
weilen im stärksten Fieber-Schweiſs; aber der
König, der freye Luft liebte und Wärme in
Zimmern nicht vertragen konnte, wunderte
sich, wenn er kam, alles verschlossen zu fin-
den, und lieſs alle Fenster aufmachen, ohne
Rücksicht auf den Zustand und die Nachtküh-
le; und diſs dauerte biſs zehen Uhr, wo er
zur Abend-Tafel gieng. Sollte Musik bey ihr
seyn, so geschahs trotz Fieber und Kopfweh,
und über dieses muſste sie noch den Glanz
von allen den Lichtern aushalten. So blieb
der König immer bey dem, was er sich vor-
gesezt hatte, ohne jemahls zu fragen: Ob es
ihr zuwider seye?


Die Herzogin von Bourgogne war schwan-
ger; der König wollte einige Reisen nach Marly
[163] thun, und so viele Bewegung vertrug sich
doch nicht mit ihrem Zustand. — Die Folge
war, daſs die Prinzessin um ihr Kind kam.
Der König empfieng die Nachricht davon in
Gegenwart einiger seiner Hofleute, als er im
Garten die Karpfen in ihrem Behälter in Au-
genschein nahm. Als einige der Anwesenden
diesen Unfall beklagten, unterbrach sie der Kö-
nig plötzlich mit den Worten: „Was kümmert
„das mich? hat sie nicht schon einen Prinzen?
„Und wenn der sterben sollte, ist der Herzog
„von Berry nicht schon alt genug, sich zu
„vermählen? Was liegt mir daran, wer mein
„Nachfolger ist, der oder jener? sind sie nicht
„alle meine Enkel„? Und gleich darauf sezte
er mit Ungestümm hinzu: „Es ist ihr unrich-
„tig gegangen, weil es ihr unrichtig gehen
„sollte, und ich werde nun nicht mehr in mei-
„nen Reisen und Vorsätzen durch die Vorstel-
„lungen der Aerzte und das Geschwätze der
„Matronen gestört werden; ich werde gehen
„können wohin es mir beliebt, und man wird
„mich in Ruhe lassen.„


Eine Stille, daſs man eine Ameise hätte
laufen hören, folgte auf diesen Ausbruch von
böser Laune; man schlug die Augen zur Erde
[164] und wagte kaum Athem zu schöpfen; alle, so
gar die Gärtner und Bauleute, blieben verwun-
dert und unbeweglich. Mir ist dieser Auftritt
noch jezt gegenwärtig, ohngeachtet es so lan-
ge her ist.„


Das Resultat von allem diesem ist der Glaube
und die Rede:
Ich kann, ich darf, was ich will.
Den Beweis davon könnten die Beyspiele vie-
ler jeztlebenden Könige und Fürsten liefern;
ich begnüge mich aber, nur verstorbene ange-
führt zu haben.


Impune quæ libet facere, id est, regem
esse
,
sagte schon vor mehr als tausend Jahren
Sallustius; vielleicht bringt die Umwälzung
der Zeiten nach Jahrhunderten wieder einen
Seher hervor, welcher nicht nur den Text in
reinem Deutschen, sondern auch die Noten da-
zu liefert.


[[165]]

III.
Von den
STECKEN-PFERDEN
der Könige und Fürsten
.


[[166]][[167]]

Da biſs zu unsern Tagen der Wahn in der
Welt befestiget ist, daſs Könige und Fürsten
Herrn ihrer Land und Leute seyen, mithin
solche nicht nur auf die Pacht-Zeit ihres Le-
bens benutzen, sondern auch noch die nach-
kommende Generationen mit Schulden, an de-
nen noch die Urenkel zu zahlen haben, bela-
sten können, so war eine natürliche Folge die-
ses Glaubens, daſs man es vor bekannt und
ausgemacht angenommen hat: Daſs ein Herr
seine Einkünfte auch nach eigenem Belieben
und Willkühr verwenden könne, es seye nun,
daſs, nach Abzug der unentbehrlichen Ausga-
ben, vor seinen Schatz oder Sparbüchse noch
was übrig bleibe, oder daſs dieses Deficit durch
Schuldenmachen, wenn sich Narren genug da-
zu finden, bedeckt und ergänzt werde. Das
ist nun die Hölle der Cammern und der Him-
mel der Financiers, Banquiers, Projectenmacher
und anderer Säugthiere der Länder. Da möchte
[168] aber auch zuweilen der rechtschaffenste, ge-
wissenhafteste Finanz-Minister, Cammer-Prä-
sident, Cammer-Director, Rentmeister u. s. w.
Blut schwitzen, wenn er sieht, wie mit dem
Mark und reinsten Blut des Landes gehaust,
zu welch unnützen, unedlen, heillosen und
schändlichen Zwecken solches verwendet wird,
ohne daſs ihm in den allermehresten Fällen ei-
ne andere Wahl übrig bleibt, als entweder
blindlings zu gehorchen, oder, wenns noch
gut geht, unfruchtbare Vorstellungen zu thun
und seine eigene Mitwürkung zu versagen,
oder sein Amt niederzulegen, um einem an-
dern gefälligern Jaherrn und Goldmacher Platz
zu machen. Eins von diesen ist der gewöhn-
liche Lauf der Welt. Anderer Seits steht der
Glaube der Fürsten und ihrer Diener so felsen-
fest, daſs man den für einen Phantasten halten
würde, der einen Augenblick daran zweifeln
wollte, daſs die Herrn, vom Monarchen an
biſs zum Dorf-Junker, mit ihren Einkünften
machen dürfen, was sie wollen. Da ist dann
aber auch der Noth Anfang.


So lange als noch Einnahme und Ausgabe
im Gleichgewicht bleiben, oder leztere die
erste nicht merklich überschreitet, so lange
[169] die eigentliche Staats-Bedürfnisse nicht darun-
ter leiden und vernachläſsiget werden, so lan-
ge es nur Wechsel von Liebhabereyen eines
Herrn ist, und nicht durch diesen Wechsel
zugleich das Land und ganze Familien unglück-
lich werden, so lange bleibt freilich immer
noch vieles zu wünschen, desto weniger aber
mit Bestand zu tadeln, und noch weniger Grund
genug, sich zu widersetzen. Es wäre aller-
dings Lob- und Wünschens-würdiger, wenn
ein Fürst von seinem Ueberfluſs ein Zuchthaus,
ein Waysenhaus, ein Arbeitshaus, ein Schul-
haus u. d. g. bauen lieſse, als ein Opernhaus,
ein Exercierhaus, eine türkische Moschee,
worinn nie gebetet, ein marmornes Badhaus,
worinn nie gebadet wird, einen Marstall, wo-
zu die Pferde, und eine Orangerie, wozu die
Bäume fehlen u. d. g. Wenn er dann aber das
Zuchthaus vom Land erbauen läſst und das
Opernhaus aus seinen Mitteln baut; wenn er
diſs Jahr, vor sein Vergnügen auf seine eigene
Kosten, ein Exercierhaus baut, und ein Paar
Jahre hernach, zum Nutzen des Landes und
zur Zierde der Residenz, auch aus seinen ei-
genen Einkünften ein Collegienhaus, wer mag
das, ohne Unbilligkeit, bekritteln? Der eine
[170] Herr dankt seines Vorfahren Jäger ab, deren
jeder Berg im Land seinen eigenen hat, und
hält dafür um so mehr Soldaten, weil diese in
seinem Sinn eigentlich den Fürsten machen.
Der eine läſst alle Schlösser seiner Voreltern
zusammenfallen und verwendet die Baukosten
auf Bibliotheken, Kunst- und Naturalien-Cabi-
nete, englische Gärten u. d. g. So lange es
nicht geht, wie bey Graf Friedrich Casimirn
in Hanau, der Dörfer und Aemter in Deutsch-
land verkaufte und versezte, um Nürnberger-
Spielsachen dafür zu kaufen, so kann sich der
redliche Diener noch damit trösten, daſs das
verwendete Geld doch immer, es seye nun
auf diese oder eine andere Art, im Umlauf des
Landes bleibt und so gemeinnüzig angelegt wird.


Die einige passionirte Jagdlust und der damit
verbundene Wild-Schaden ist es, der einem
Land keinen Nutzen bringt und den Untertha-
nen seufzen macht; über Bau-Geist und Bau-
Lust eines Fürsten habe ich in keinem Land
Seufzer gehört, als in dem einigen, wo die
Handwerksleute, bey erschöpfter Casse des Lan-
desherrn, durch fünfzig Prügel gezwungen wur-
den, auf ihren Privat-Credit, ohne Zahlung
und Hofnung dazu, gleichwohl fortzuarbeiten
[171] \&c. — — und der Fürst, da alles, auch die
Prügel, sein Ziel und Maaſs hat, endlich doch
Millionen borgen muſste, um eine in allem Be-
tracht thörichte Phantasie durchzusetzen, und
sich rühmen zu können, daſs ers doch erzwun-
gen
habe.


Wer von uns allen Kleinern hat nicht seine
Puppe? Wird es dem lezten Bauer, der nicht
ganz ein Bettler ist, verargt, wenn er ein Hei-
ligen-Bild oder gemahlten Augsburger-Kupfer-
stich in seiner Hütte hat? Soll der Landesherr
allein, vor die Würde und Bürde seines hohen
Amts, nichts zu seinem Vergnügen haben?
Wer war je so ungerecht, Friedrich dem Gros-
sen zu verargen, daſs er sein groſses Palais in
Potsdam, so viele andere Häuser daselbst und
in Berlin, baute, theils zu seinem Vergnügen,
theils um in den Friedens-Jahren seinen Lan-
des-Fabriken und Unterthanen Verdienst zu-
zuwenden? Wer wird einen jeden andern Für-
sten darüber tadeln, daſs er die von seinem
Vater durch den Subsidien-Handel erworbene
Schätze durch allerhand Bauwesen und sonst in
mehrern Umlauf bringt? Und so mit allem übri-
gen, was in dem weiten Gebiet der Natur
und Kunst die mannichfaltige Schattirung von
[172] Liebhaberey und Neigung aufbieten und dar-
stellen kann.


So lange aus der Reuterey von Stecken-Pfer-
den eines Fürsten nicht ein ganzer Marstall wird,
sondern sie, um in diesem Gleichniſs fortzufah-
ren, nur wechselsweis geritten werden, diſs
Jahr gebaut, ein anderes Jahr der Garten ange-
legt, das dritte Jahr Bücher, das vierte Gemähl-
de gekauft werden, u. s. w. und der Fürst,
wie weiland Friedrich der Groſse, mit sich selbst
Rechnung hält, wie viel er zu jedem dieser
Artikel alljährlich verwenden könne und wolle?
so kann sich ein Herr gegen schiefe und unge-
rechte Urtheile nicht nur bey sich selbst beru-
higen, sondern auch der die strengste Ordnung
liebende Finanz-Minister (von bloſsen Subal-
ternen ist nicht einmal die Rede) ist verbunden,
sich in solchen Fällen nach den Neigungen und
Willen seines Herrn zu bequemen und zu ge-
horchen; ja er kann nicht nur mit Verläugnung,
sondern mit Freuden gehorchen.


Eine solche Bescheidenheit und Unterord-
nung seiner Wünsche ist aber nicht nur bey
Monarchen, deren jeder sein Versailles und Mar-
ly haben will, eine seltene Erscheinung, son-
dern der gewöhnlichere Fall auch bey ungleich
[173] kleinern Herrn ist, leider! daſs sie alles was
ihnen gefällt oder einfällt, nicht nach und nach,
sondern zugleich und auf einmahl haben wollen:
Soldaten, Parforce-Jagd, Schlösser und Häu-
ser, Parcs und Gärten, Bibliotheken, Gallerien,
Pferde und Hunde, und was zu all diesen Num-
mern unentbehrlich mit gehört; einen zahlrei-
chen Hofstaat von Schmarozern und nach Er-
warten Fürstlicher Gnade hungernden und dür-
stenden Schuldenmachern.


Dazu ist nun kein Deutscher Fürst reich und
groſs genug, um es in die Länge auszuhalten;
es geht also entweder aufs Borgen los, oder
über das Land her. Gemeiniglich trift beydes
zusammen; und dann biegt sichs erst, so lang
gebogen werden kann, und — zulezt — brichts.
Der Brüche sind aber wieder so viele und von
so mancherley Art, daſs ein guter Doctor dazu
gehört, sie alle zu kennen, geschweige zu
heilen.


Der nachmalige Minister zu Hannover, von
Hardenberg
,
war, in den ersten Regierungs-
Jahren des Herzog Carls von Würtemberg, Cam-
mer-Präsident zu Stuttgardt. Wer Hardenber-
gen gekannt hat, weiſs, daſs er ein ehrlicher,
aber stolzer und herrischer Mann war, dem
[174] das Nein immer eher als das Ja im Munde saſs.
Der Herzog wollte einem wehrhaft gemachten
Edelknaben ein Geschenk von Silber machen,
das Hardenbergen zu groſs deuchte, dessen An-
schaffung er also widersprach und erschwerte.
Der Herzog kam über diese Verweigerung sei-
nes Cammer-Präsidenten auf den ganz natürli-
chen Einfall, sich den Cammer-Etat geben zu
lassen, und fand, daſs ein Herzog von Würtem-
berg noch immer mehr, als nur ein Paar silber-
ne Leuchter, verschenken könne. Als hernach
Millionen zur Welt hinaus getanzt, jubilirt, ge-
brennt und gegeigt wurden, lamentirten die
gutherzigen Schwaben immer darüber: Ach!
wenn ihm nur Hardenberg die silbernen Leuch-
ter nicht abgeschlagen hätte! Thöricht! der Feh-
ler war der, daſs der Minister in dem brausen-
den Jüngling den tiefer liegenden Mann, der da
kann was er will, miſskannte, und sich träu-
men lieſs, daſs ein solch Genie sich von einem
Schulmeister, wie Hardenberg und seine Col-
legen waren, ewig am Gängelbande führen las-
sen würde.


Da haben wir aber nun zu unsern Zeiten eine
Erscheinung erlebt, deren sich Monarchen und
[175] Despoten um so weniger versehen hätten, da
sie zugleich das stärkste und durchgreifendste
Correctif gegen allen Gebrauch und Miſsbrauch
willkührlicher Gewalt in Anwendung des Ver-
mögens und Credits eines Landes enthält. Ge-
wiſs ist der Despotismus noch nie schärfer, als
mit diesen seinen eigenen Ruthen, gestäupt
worden. Andere Könige und Fürsten habens ih-
rem groſsen Muster, Ludwig XIV. in Frankreich,
abgelernt, von ihrem Reich, Land oder Ländgen,
als von einem Staat zu sprechen. Dieser my-
stischen Person muſsten dann auch Rechte, For-
derungen und Bedürfnisse beygelegt werden;
sie muſste ihr eigenes Vermögen, und zu des-
sen Leitung, Verwahrung und Verwendung ih-
ren eigenen Verwalter haben, welches nach
dem natürlichen Gang der Dinge niemand an-
ders, als die erste Person in diesem Staat, der
sonst sogenannte Landesherr, seyn konnte. Die-
ser Staats-Verwalter betrug sich in dem sich
beygelegten neuen Amt so, daſs er zwar sich
selbst im Wohlstand befand, dem Staat aber ei-
ne immer strengere Diät verordnet, ein immer
unbedingterer Gehorsam von ihm gefodert ward.
Da erwachte der Geist der Völker; sie nahmen
den Fürsten beym Wort: Daſs er nur ihr Ver-
[176] walter
,
folglich ihnen, wie jeder anderer Ver-
walter, Rechnung von seiner Haushaltung schul-
dig sey: Rechnung von der Verwendung des
in Empfang genommenen Staats-Vermögens.
Es wurde zwischen wahren und eingebildeten
Staats-Bedürfniſsen ein Unterschied ge-
macht; man rechnete dem Staats-Verwalter
nach, wie viel er zum Nutzen verwendet und
zu eigenen Gelüsten verschwendet habe; man
sprach von Geld, Schweiſs und Blut der Unter-
thanen, von der Bilance zwischen Herrn und
Volk, und das Ende war: Daſs man den Köni-
gen ihren Cammer-Etat machte, mit welchen
sie nicht nur auskommen könnten, sondern
auch müſsten.


Engelland, durch den Druck seiner verschwen-
derischen Stuarte gepreſst, ist mit seiner Civil-
Liste
,
welche dem König seine Besoldung und
seiner Familie ihren Unterhalt bestimmt, längst
vorangegangen; Frankreich folgte ihm nun un-
ter seinem gutmüthigen und unglücklichen Kö-
nig nach, der seinem Volk selbst die laute und
umständliche Beichte abgelegt hat, wie wenig
er bedürfe und wie viel er entbehren könne.
Der
[177] Der Königliche Staats-Verwalter in Schweden
hat sich auf dem Reichstag zu Gefle von seiner
Rechnung losgeredt, muſste aber seine Bered-
samkeit mit seinem Leben bezahlen. In Däne-
mark murrt der Volks-Sprecher, und die Regie-
rung schweigt. Joseph II. starb unter dem Schre-
ken- und Schmerzens-Geschrey empörter Völ-
ker, welche die Sanftmuth und Weisheit seiner
Nachfolger kaum zu besänftigen vermochte.
— — Ueberall geht es hinter und über die Mo-
narchen her; und sie, sie sind es selbst und al-
lein, die durch ihre Neologie vom Staat den
Mund und die Augen der Völker geöfnet haben.
Die Fürsten haben diese Sprache und Grund-
sätze nachgeahmt; die Reihe wird an sie und
ihre Ministers auch kommen! Die Völker for-
dern nur Gerechtigkeit, und die Fürsten werden
weder Muth noch Macht haben, ihnen solche
zu verweigern.


Diese Betrachtungen greifen unmittelbar und
tief in die wichtige Frage ein: Ist dann aber
das Volk berechtiget, die Handlungen seiner
Fürsten zu richten, und — zu bestrafen? Vor
zwölf Jahren sagte ein diese Frage aufwerfen-
M
[178] der weiser Mann *): „Es gehört Kühnheit dazu,
man mag sie bejahen oder verneinen. Soll
(sagt er ferner) jeder Unterthan das Recht
haben, der Richter seines Richters, der Beur-
theiler seiner Gesetze zu seyn; jedem Befehle,
der ihm nicht gefällt, sich zu widersetzen; je-
der Auflage, die er nicht billiget, sich mit List
oder Gewalt zu entziehen; jede Verordnung
seiner Obrigkeit vor den Richterstuhl seines
Wohlgefallens zu fordern, was sollte daraus
werden? Der beste Fürst, die kleinste Justiz-
Obrigkeit kann das nicht zugeben„. Es giebt
gewisse Lehren, über die man denken und for-
schen, das gedachte und geglaubte aber nicht
sagen, viel weniger offentlich ausbreiten und
am allerwenigsten selbst ausüben darf; man
müſste dann ein Milton, oder ein Jünger aus
Pater Busenbaums Schule seyn.


So behutsam dachte und sprache man noch
biſs auf unsere neueste Zeiten; hie und da war
ein König, der, wie Gustav in Schweden, aus
Politik oder Ueberzeugung, laut das Bekennt-
niſs ablegte: Daſs er seine höchste Gewalt „von
[179] Gott und seinem Volk„ habe, und eben durch
diesen Satz zugleich seine Verantwortlichkeit
gegen Gott und sein Volk begründete, und das
Recht des Volks, ihn zur Rechenschaft zu zie-
hen, befestigte. Hinwiederum war auch wie-
der ein anderer König, der das Dei gratia nicht
einmahl auf seinen Münzen mehr leiden konnte;
vom Volk konnte also hier noch weniger die
Rede seyn.


Die Franzosen der alten Generation hielten
die Frage bereits für so entschieden, daſs sie
nicht einmahl deren Berührung und Aufwärmung
zugeben wollten. Als Ao. 1572. der Herzog
von Alençon von dem Hof Heinrichs III. in
Frankreich entflohen war, wandte er sich schrift-
lich an das Parlament, um sein Betragen zu
rechtfertigen. Der erste Präsident von Thou
wollte aber die Ablesung dieses Schreibens durch-
aus nicht gestatten, weil es Sachen gäbe, die
man in einem Staat nie in Zweifel ziehen lassen
müſste; zum Beyspiel: Ob es erlaubt seye, ge-
gen den König die Waffen zu ergreifen? Nun,
sagte er, ist ausser Zweifel, daſs solches nicht
erlaubt seye; folglich bedarf es darüber keiner
Berathschlagung, sondern das Schreiben des
[180] Herzogs muſs geradenwegs an den König selbst
geschickt werden. *)


Ihre Nachkommen des jezigen philosophischen
Geschlechts hingegen haben das Licht am ge-
genseitigen Ende angezündet, und über diſs The-
ma so laut und entscheidend abgesprochen, daſs
es den ganzen Europäischen Boden überschallt,
und nun auch Deutsche Philosophen und Staats-
männer es wagen, tiefer in diesen Abgrund zu
blicken, und Untersuchungen anzustellen, wel-
che biſs an den Crater dieser politischen Vulca-
ne führen. Es ist gar kein Zweifel, daſs wir
noch vor Ende dieses Jahrhunderts von Cathe-
dern und den Canzeln herab den Beweis wer-
den führen hören: Daſs die Herrscher aller Clas-
sen um des Volks, und dieses nicht um jener
willen sey; und das Ergo versteht sich alsdann
von selbsten.


Mir war immer eine von dem Anti-Jacobiner
Bischof Burnet erzählte kleine Geschichte sehr
erbaulich und anschaulich. Der Graf von Mid-
deltoun
,
Königlicher Statthalter in Schottland
unter K. Karln II. fragte einst den Presbyteria-
nischen Geistlichen Colvil, einen der weisesten
[181] und tugendhaftesten Männer seines Landes, was
er von der Ergreifung der Waffen von Unter-
thanen gegen ihren Souverain halte, und ob
er es vor erlaubt achte, wann solches ver-
theidigungsweise
geschehe? Colvil antwor-
tete: Man habe ihm diese Frage mehrmalen vor-
gelegt, er habe aber der Antwort immer auszu-
weichen gesucht; wann er aber aufrichtig seine
Gedanken darüber sagen solle, so wünsche er:
Daſs die Könige und ihre Ministers die Sache
vor erlaubt halten möchten, damit sie stets so
regieren, um zu keinem Widerstand Anlaſs zu
geben; daſs hingegen die Unterthanen jeden
Anfruhr vor criminell hielten. So würde immer
Ruhe in einem Staat bleiben.*)


Es mag dann nun aber dabey so viel zu er-
innern, zu billigen oder zu tadeln seyn, als
nur immer will, so ists doch als Beyspiel, als
Warnung, als Calculus probabilium, immer
gut, daſs ein Jacob II. in Engelland, ein Chri-
stiern in Dännemark fortgejagt, ein Peter III.
in Ruſsland abgesezt, ein Ulrich von Würtem-
berg, ein Philipp von Hessen, ein Joh. Fried-
[182] rich von Sachsen, etliche Jahre eingesperrt, ein
H. Carl Leopold von Meklenburg der Regierung
entsezt worden. Die Deutschen Marinelli
und ihres gleichen trösten ihre Sultans damit:
Daſs dergleichen heut zu Tag nicht mehr ge-
schehe, ja, daſs es nicht einmahl möglich seye,
weil der Kaiser nicht mehr in der That selbst
könne, als was die Fürsten, durch die er wür-
ken müsse, wollen; daſs aber kein Fürst den
andern beisse. Was aber per saltum nicht
mehr zu befürchten ist, das ist per gradus
möglich, und unsere jezige Tage haben noch
ganz andere und gröſsere Erscheinungen darge-
stellt, als daſs an kleinern Möglichkeiten nur
einmahl gezweifelt werden könnte.


[[183]]

IV.
Einige
CHARACKTER-ZÜGE
des Despoten
.


[[184]][[185]]

Der gute, sanfte, liebevolle, in lauter men-
schenfreundlichen Träumen eingewiegte, die
Fürsten, zumahlen Deutsche Fürsten, nur aus
Kupferstichen kennende Republicaner, Iselin,
schrieb im Jahr 1776. an seinen Freund Schlos-
ser
*): „Tyrannen sind in unsern Tagen weit
seltener als wir es uns in den Augenblicken
vorstellen, da uns Milzsucht beherrschet.
Schwache unentschiedene Seelen, die gut seyn
würden, wenn sie von guten Menschen umge-
ben wären, und die Werke der Schlimmen thun,
weil sie sich von eigennützigen und herrsch-
süchtigen miſsleiten lassen, das sind die mei-
sten, über die wir klagen; und gute, weise,
wohlwollende giebt es weit mehr, als in den
vorigen Zeiten. Wenn keine Menschen wären,
die gern Sclaven sind, so würden keine Ty-
rannen seyn. Wenn wir also Menschen,
[186]freye Menschen, bilden, so werden uns
sehr viele Fürsten Dank wissen
,
und sie
werden unsere Zöglinge mit Vergnügen auf-
nehmen„.


Zum Seitenstück dieser paradiesischen Hof-
nung mag folgende kleine Anecdote dienen:
Der um das Jahr 1760 verstorbene selige Ge-
heime Rath von P * *, ein frommer Mann, der
aber im Rathgeben und Umgang eine ganz ei-
gene Denkens- und Darstellungs-Art hatte,
pflegte alle Morgen, vor dem Antritt seiner
Geschäfte, in der Bibel zu lesen. Einst kam
er in dem zweyten Brief Pauli an die Corinther
auf die Stelle, wo der Apostel von sich schreibt:
„Ich habe oft gereiset ich bin in Gefahren ge-
wesen zu Wasser, — unter den Mördern, —
unter den Juden, — unter den Heyden, — in
Städten, — in der Wüsten, — auf dem Meer, —
unter den falschen Brüdern — in Mühe und
Arbeit u. s. w.„ „Das ist alle gut, (rief er
aus,) „lieber Paulus, bist du aber auch in * *
gewesen? Wenn du da nicht gewesen bist, so
hast du noch nicht das schlimmste erfahren„.


Daſs im Jahr 1776. Tyrannen in Europa und
nahmentlich in Deutschland selten gewesen sind,
[187] kann man dem biedern Iselin ohne Bedenken
zugestehen, und daſs sie heut zu Tage je län-
ger je seltener werden, gründet sich auf ge-
wisse Ursachen und Erscheinungen, die den
Königen und Fürsten selbst noch allzugegen-
wärtig sind, als daſs, sie daran zu erinnern,
nöthig wäre. Das Wort Tyrann, an sich, ist
auch ein solcher Eckel-Nahme, der mit dem
guten Ton und Lebensart des jeztlaufenden De-
cenniums unsers Jahrhunderts sich nicht verein-
baren läſst.


Aber! sollten wir nicht noch Despoten ha-
ben? Sollte das wahr seyn, auch in Deutschland
wahr seyn, was der gute Iselin im Jahr 1776.
geträumet hat: Daſs uns die Fürsten und noch
dazu sehr viele Fürsten Dank wissen würden,
wenn wir Menschen, freye Menschen, bilden?
Ists nicht vielmehr beynahe eine Hals-Sache,
ein Hochverrath gegen den Staat, von Deut-
scher Freyheit und Deutschen freyen Menschen
nur einmahl laut sprechen zu wollen; und wer-
den nicht vielmehr Prämien denjenigen verheis-
sen, welche vor freye Menschen neue (wenig-
stens papierne) Ketten erfinden?


Die erstere Frage läſst sich wohl am sicher-
sten beantworten, wenn man das Bild eines
[188] Despoten nach seinen Grundzügen zeichnet
und dann umher schaut: Ob in mehrerer oder
minderer Aehnlichkeit Originale dazu in Euro-
pa und insbesondere in Deutschland vorhanden
seyen? Da ich nur den Umriſs liefere, so hüte
ich mich sorgfältig, das Bild auszumahlen und
mit persönlichen Beyspielen aus der ältern und
neuern Geschichte zu belegen: Nichts würde
leichter seyn, als dieses; es würde aber aus
Skizzen eine Galerie, aus bloſsen Winken ein
Buch geworden seyn.


Aus einem Despoten kann ein Fürst ein Ty-
rann werden; ein billiger menschen-liebender
Despot ist aber so selten, als ein groſsmüthi-
ger Räuber.


Auch humane Fürsten können zu Despoten
gemacht werden, durch gott- und gewissenlo-
se Ministers und niederträchtige Schmeichler
unter ihrem Hof-Gesinde und Dienern; am
ersten und meisten durch kurzsichtige, eigen-
nützige, gefällige Freunde, wann irgend ein
Fürst andere, als solche, Freunde hat.


Die Staats-Verfassung macht nicht den Des-
poten, sondern der Despot macht die Verfas-
[189] sung. Es kann ein Fürst König, kann Monarch
seyn, ohne deſswegen Despot zu seyn. Hin-
gegen je kleiner zuweilen ein Fürst ist, je ein
ärgerer und abgefeimterer Despot ist er.


Der Despotismus hat, wie alle Künste, sei-
ne Grundsätze, Systeme, Regeln und Ausnah-
men, Bestandtheile, Wachsthum und Abnahme,
Leben und Tod.


Die Geburts-Stätte des Despotismus ist: Wann
die Regenten, durch eigenen Betrug und durch
Verführung geistlicher und weltlicher Heuch-
ler, Schmeichler und Irrlehrer, beginnen, ihren
ursprünglichen hohen Beruf und Bestimmung
zu miſskennen; wann sie vergessen, daſs ihre
Dignität ein ihnen übertragenes oder auf sie
vererbtes Amt seye, von dem sie Gott und
ihrem Volk
Verantwortung schuldig sind;
wenn sie anfangen, das Land vor ihr Eigen-
thum und ihre Unterthanen als Geschöpfe an-
zusehen, mit denen sie nach eigenem Belieben
schalten und walten können.


Sie schäzen ihre eigene Würde und göttliche
Abhängigkeit selbst gering. Sie wollen nicht
[190] mehr Statthalter Gottes, sondern lieber nur
Staats-Verwalter seyn.


Je gröſser der Umfang ihrer Staaten ist, je
gewisser und kühner trotzen sie bey sich
selbst auf ihre Gewalt, wenn auch bey ihnen
nur allzuoft in Erfüllung geht: „Ihr Hochmuth,
Stolz und Zorn ist gröſser, denn ihre Macht.„
Jesajas XVI, 6.


Sie sind eifersüchtig auf ihren vermeinten
Ruhm und wahre oder eingebildete Gröſse, und
deſswegen die unerträglichste Egoisten.


Sie setzen sich ohnbedenklich, wo und so
viel sie können, über die Gesetze hinweg,
deren Hüter, Beschützer und Vollstrecker sie
seyn sollten.


Sie sind gefühllos gegen die Beschwerden,
Noth, Klagen und Seufzer ihrer Unterthanen.


Sie wollen nicht Rath, sondern nur Gehorsam.


Ihre Lieblings-Phrase ist: So solls seyn!


[191]

Sie fragen nicht: Kanns seyn? ists recht oder
unrecht? leidet niemand darunter? u. s. w. son-
dern nur: Wie ists zu machen?


Sie hassen allen Verzug; alles soll nur im-
mer frisch von der Faust weggehen.


Sie hassen, scheuen und meiden den ihrem
Dünkel nach allzulangsamen und bedächtlichen
Gang collegialischer Berathschlagungen, und
suchen solche durch Departements, Commissio-
nen und Aufträge an einzelne Leute, mit de-
nen sie eher fertig werden können, zu umgehen.


Je hitziger die Herrn von Blut sind, je schnel-
ler und unbedingter wollen sie gehorcht seyn.


Sie können Gegen-Vorstellungen selten,
Widersprüche noch weniger leiden.


Wenns nicht geräth, wie sich dieser Fall oft
genug zuträgt, so kehren sie eben so schnell,
eben so leichtsinnig und gewaltthätig wieder um.


Sie schämen sich nich, offenkundige Thatsa-
chen von Ungerehtigkeiten, Gewaltthätigkei-
[192] ten, Schlechtigkeiten, so lange und so viel
sie können, zu bedecken, zu beschönigen, zu
rechtfertigen und zu entschuldigen, oder auch
allenfalls kurzweg zu läugnen.


Die Herrn glauben an ihre Gröſse und Macht,
aber auch an die Gutherzigkeit und Geistes-
Schwäche der Menschen.


Wo also bloſser Befehl, Zwang, Macht und
Gewalt nicht hinreichen, oder wo man diese
lieber mit guten Worten übertünchen und das
dumme oder leichtsinnige und leichtgläubige
Volk damit betäuben will, da nimmt man die
politischen Zauber-Formeln von Staat, Beſsten
und Wohlfahrt des Staats, Bedürfnissen und
Noth des Staats, Ehre des Reichs, der Crone,
des Staats etc. zu Hülfe.


Ein Despot ist auch oft freygebig, aber ge-
meiniglich so, daſs ers erst andern nimmt. So
machtens ehedem Tiberius, Caligula etc. So
machens noch heut zu Tag andere, die in ih-
ren Fuſsstapfen wandeln.


Sie
[193]

Sie suchen die Strenge ihrer Regierung und
Grundsätze durch persönliche Leutseligkeit,
Höflichkeit, und äussere Täuschungen zu be-
decken und zu mildern.


Sie schämen sich daher auch keinen Augen-
blick, ihr Volk mit Versicherungen, Zusagen
und erheucheltem Trost und Bedauren zu be-
lügen und zu betrügen.


Je unreiner die Absichten eines Regenten sind,
je ungewisser ihre Erfüllung und je gröſser
die Besorgniſs von Widerspruch und Widerstand
auf der Seite ihrer Reichs- oder Land-Stände
und Unterthanen, je freygebiger sind sie mit
Anpreisung ihrer landesväterlichen Sorgfalt um
das Wohl ihrer lieben und getreuen Unter-
thanen, als des einigen Beweggrunds dieser,
so wie aller ihrer Handlungen. Wann dieser
Kunstgriff, wie eine Arzney, wie ein Haus-
mittel, sparsam gebraucht wird, so hilft es zu-
weilen; bey zu öfterm Gebrauch aber verliert
es seine Kraft, macht sich lächerlich und den
Herrn selbst verächtlich in den Augen seines
Volks.


N
[194]

Sie glauben zulezt ihre eigene Lügen.


Anstatt ihre Reichs- und Land-Stände vor
ihre gebohrne Freunde zu halten, betrach-
ten sie solche vielmehr als ihre geschworne
Feinde
.


Der strengste Despot ist oft, in Sachen, wel-
che ihn nicht selbst und unmittelbar betreffen,
der strengste Justizmann.


Je eitler und stolzer sie sind, nur um so
mehr hassen sie überhaupt alle Selbstständig-
keit
der in ihren Augen geringern, zumahlen
ihrer eigenen Diener. Sie bilden sich ein, sie
sehen alles viel schärfer, reiner und klarer;
sie glauben, man müsse alles an ihnen und von
ihnen recht gethan finden, loben und bewun-
dern; man müsse alles, wenns nur von ihnen
kommt, sich gefallen lassen, alles von ihnen
leiden und dulden.


Ihre Reden und Handlungen stehen oft in
dem offenbarsten Widerspruch.


[195]

Sie verachten die Stimme des Volks und der
Weisen.


Aus dem Vorurtheil von der Heiligkeit und
Unverlezlichkeit ihrer Person, Würde und Macht,
entspringt dann auch der entschiedene Haſs ge-
gen alle Publicität; die stolz-trotzige oder
doch scheinbare Verachtung aller Urtheile des
Publicums, aller Spottschriften, Satyren, Pas-
quillen, Epigrammen, über ihre Person und Hand-
lungen; der dumm-boshafte Trost eines Tibe-
rius: Oderint, dum probent*), der eben so
schmälige Trost: Oderint, dum metuant;
(ich bleibe doch, der ich einmal bin), ohne
welche und ähnliche verkehrte Vorstellungen
ihre so ganz abgetumpfte Fühllosigkeit und
Gleichgültigkeit unbegreiflich bleiben würde.


Despoten ist an der Liebe und Hochachtung
ihrer Ministers und Räthe nichts gelegen, wenn
man ihnen nur gehorcht, ihnen nicht wider-
spricht; alles bejaht, bewundert; sie in ihren
Leidenschaften, Liebhabereyen und Phantasien
nicht stört u. s. w. Diese verdienen [nur] Cor-
porals zu Ministers zu haben.


[196]

Arme und Hungerleider, zumahlen unter ih-
rem Hof-Gesinde und den sogenannten Gelehr-
ten, sind ihnen die liebsten und zu ihren Ab-
sichten die bequemsten; zur Bedeckung des
Mangels geben sie ihnen desto mehrere äussere
Zierrathen, groſse Titul und schmale Besol-
dungen.


Ein Minister oder jeder anderer Diener, der
ihnen miſsfällt, hat schon vorhinein Unrecht.


Sie meiden, fliehen, hassen, und, wenn sie
können, drücken und unterdrücken sie Männer
von Geist, freye und freymüthige Männer.


Wenn sie alte Ministers und Räthe aus Noth
behalten müssen, oder sonst nicht wohl ent-
behren können, so suchen sie solche entweder
durch Schmeicheleyen, gute Worte, und Gna-
den-Bezeugungen zu gewinnen, oder durch
Drohungen und Trotz wenigstens zu schrecken
und stumm zu machen.


Dergleichen Herrn wollen einen sich selbst
fühlenden
Mann oft nur unter die Bank.
[197] nicht just zum Haus hinaus haben. Wer nun
nicht unter die Bank will, der geht lieber von
selbst, ehe mans ihn heiſst.


Sie lieben und suchen junge Männer, theils
weil sie mit ihren politischen Schwärmereyen
sympathisiren, theils weil sie um so leichter
gefällige Jaherrn an ihnen finden.


Je stolzer und schwächer ein Fürst ist, je
gewisser wird er in der Wahl seiner Ministers
den gefälligen Jaherrn oder den unwissendsten
Schaafskopf allemahl dem seines innern Werths
sich bewuſsten Mann von Verstand und Festig-
keit vorziehen.


Sie wollen nicht nur allein befehlen, sondern
auch allein arbeiten; es soll nichts geschehen
wovon sie nicht wissen. Sie übersehen aus Unver-
stand das Groſse der Staats-Verwaltung, und be-
kümmern sich desto emsiger um alle Kleinigkeiten.


Wenn sie zur Regierung ihres Landes gelan-
gen, strafen sie heillose, schädliche, mit dem
Fluch des Landes belastete Menschen zuweilen
blos darum nicht, damit sich nicht andere daran
[198] spiegeln; damit sie vor ihre eigene Sottisen
auch desto willigere und gehorsamere Diener
bekommen. Um ihrer eigenen Schurken willen
behalten sie lieber die von dem Vorfahren ererb-
ten mit dazu.


Die Herrn stecken sich unter einander an;
es lernts immer einer vom andern, und der Schü-
ler übertrift oft seinen Meister. So ruinirt sich
einer mit dem andern. Die steuren und reden
könnten und sollten, schweigen; aus Furcht
oder Eigennutz.


Alte Herrn, die lange selbst Kriege geführt
haben, oder in Kriegsdienst gewesen sind, for-
dern gemeiniglich von ihren Ministern, Räthen
und Dienern, lauter blinden Musquetiers-Ge-
horsam.


Man soll ihnen buchstäblich gehorchen, nie-
mahls raisonniren; nicht mehr, aber auch nicht
weniger thun, als von ihnen befohlen ist.


Alle Monarchen, die Verstand, aber keine
Kinder haben, neigen sich zum Despotism; ihr
Ruhm ist der Götze, dem sie opfern.


[199]

Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt
genommen, sind gebohrne Despoten, so weit
sie nach denen ihnen von den Capiteln gesez-
ten Gränzen können und dürfen; sie hangen
nicht an den zarten Banden der Menschheit,
welche die jeztlebende an ihre Nachkommen
bindet. Der Gedanke: Mit mir ist doch alles
aus! schwebt ihnen immer vor Augen; das blei-
bende Wohl ihres Volks rührt sie nur schwach;
sie sorgen nur vor Bereicherung und Versor-
gung der Familien, aus denen sie entsprossen
sind, oder werden der Raub eines Günstlings,
oder leben so drauf los, daſs sie noch verschul-
dete Lande und Cassen hinterlassen.


Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: „Stren-
ge Herrn regieren nicht lange„. Die Erfahrung
beweist aber dessen Unzuverläſsigkeit; und
nur aus der Geschichte dieses Jahrhunderts
könnte man 20. 30. 40. Beyspiele ausheben, daſs
just die strengsten und schlimmsten am längsten,
und die besten am kürzesten regiert haben.


Um so zu denken, zu leben und zu handeln,
muſs man in einer despotischen Verfassung auf-
gewachsen und gebildet worden seyn; einem
[200] freygebohrnen, frey zu denken gewohnten
Mann, wenn er auch persönlich nicht darunter
leidet, wird eng um die Brust bey dem blos-
sen Anblick und Athemholen in einem despoti-
schen Staat.


Mehrere auf einander folgende Despoten bil-
den allmählig bey ihren Ministerien, Collegien
und ganzen Dienerschaft diejenige Denkungs-
Art und Handels-Weise, die man bey dem
Soldatenstand und in andern Staats-Gesellschaf-
ten Esprit de Corps, Spirit publik, Ge-
meingeist, auch wohl bey niedern Classen Zunft-
geist benennt.


Er ist ein Geist von besonderer Natur, tro-
tzig
und kriechend zugleich; man könnte
ihn, nach Zeit, Ort und Umständen, Hunds-
geist
nennen, weil er sich vor beydes, zum
Hetzen und Kriechen, gebrauchen läſst. Er
war sonst, auch in Deutschland, noch häufiger
anzutreffen; doch spuckt er noch hie und da;
theils ist er aber durch den über ihn ausgespro-
chenen Exorcismum in eine Wüste gebannt,
theils ihm gegen sein Beissen ein wohlschlies-
sender Maulkorb angelegt worden.


[[201]]

V.
Das
CABINET
der
Könige und Fürsten
.


[[202]][[203]]

Der Sitz des regierenden Willens und Macht.
Vollkommenheit heiſst, nach der Sprache des
Jahrhunderts, das Cabinet, dessen Ausflüsse
Cabinets-Orders, Cabinets-Befehle, Cabinets-
Resolutionen heissen, und durch Cabinets-Mi-
nisters, Cabinets-Räthe, geheime Referendarien
und Secretarien veranlaſst, besorgt und ausge-
fertigt werden.


Nach der heutigen Verfassung gröſserer und
mittlerer Staaten und Länder wird, aus denen
hiernächst weiter auszuführenden Ursachen,
die Behandlung der Geschäfte durch das Cabi-
net, es seye nun als Ausfluſs von diesem Mit-
telpunct zur Peripherie, oder als Zurückkehr
von dieser zu jenem betrachtet, immer gewöhn-
licher, unvermeidlicher und unentbehrlicher.


In groſsen Verfassungen wird aber auch, im
Gegensatz von dem Staats-Rath, unter dem
[204] Cabinet dasjenige Departement verstanden, wel-
ches sich vorzüglich und ausschlieſslich mit den
persönlichen und Familien-Angelegenheiten des
Regenten, mit dessen Liebhabereyen, Privat-
Correspondenz, Neigungen, Phantasien, Gna-
den-Bezeugungen etc. beschäftiget.


So war unter der Oesterreichischen Regie-
rung der Kayserin Marien Theresien und ihres
Gemahls K. Franzens eine eigene Cabinets-Canz-
ley, deren in dem Fach der Finanzen- und Wech-
sel-Geschäfte die Herrn von Pfizner und Tous-
saint
vorstuhnden, und, in den leztern Jahren
M. Theresiens und nach dem Ableben K. Fran-
zens, von dem in groſsem und verdientem An-
sehen gestandenen Baron von Nenny, einem
Niederländer, die Privat-Corespondenz der Kay-
serin, Gnaden-Sachen und andere dergleichen
Geschäfte besorgt wurden.


Kayser Joseph hatte unter seinen Cabinets-Ar-
beitern stattliche, geprüfte, ihm mit dem feu-
rigsten Enthusiamus ergebene Männer, deren
Andenken mir noch heilig und ehrwürdig ist.
Er war freilich sein eigener Cabinets-Minister
und Canzley-Director, und der berühmte Con-
trollor-Gang in Wien, der Sitz dieses Cabinets,
dessen Expeditionen und Archive, konnte un-
[205] ter ihm zu den wichtigsten Pläzen in Europa
gerechnet werden.


Nach dessen Tod gewannen die Sachen eine
ganz andere Gestalt; die alte Männer wurden
entlassen, viele tausend Papiere verbrannt, und
ein junger Fürst von Lichtenstein, ein Liebling
K. Leopolds II. zum Director der Cabinets-Canz-
ley ernannt. — — Auch das dauerte nur, so
lange Leopold lebte; und, wie es nun geht,
weiſs ich nicht.


Bey dem Cabinet der Kayserin von Ruſsland
war im Jahr 1793. ein Reichs-Senator, ein Ge-
neral und ein Staats-Rath angestellt, und ihre
besondern Angelegenheiten und die Annahme
der Bittschriften wurden durch drey geheime
und Staats-Räthe und drey General-Majors
besorgt.


In dem Handbuch über den K. Preussischen
Hof und Staat von 1794*) findet sich der Ru-
brik: Geheime Cabinets-Expedition, ausdrück-
lich die Bemerkung beygesezt: „Besorgt die
unmittelbare Correspondenz des Königs„ und
arbeiten dabey fünf geheime Cabinets-Räthe
und zwei geheime Cabinets-Secretairs: Von die-
[206] sen ist nicht nur der, wahrscheinlich, die Cha-
toulle des Königs und sonstige geheime und
persönliche Ausgaben besorgende geheime Käm-
merierer unterschieden, sondern in noch weit
höherm Sinn und Umfang das geheime Staats-
Ministerium in dessen mannichfaltigen Abthei-
lungen; und von diesem zahlreichen Staats-
Rath unterscheidet sich, wie die Feder in der
Uhr von den übrigen vielen Rädern, das in
wenigen Personen bestehende geheime Cabi-
nets-Ministerium
,
oder das Departement
der auswärtigen Affairen, vor welches die aus-
ländische Staats- und Deutsche Reichs-Angele-
genheiten, die Familien-Geschäfte des Königl.
Hauses, die Wahrnehmung der Königl. Souve-
rainitäts-Rechte in allen Provinzen u. d. g.
gehören.


Diese Proben mögen genug seyn, um wenig-
stens die Schattierungen und den Unterschied
in den Hof- und Staats-Verfassungen zwischen
Cabinet und Cabinet zu bezeichnen.


In kleinern Regierungen oder Despotien geht
es freylich hie und da nach dem alten Sprüch-
wort: Daſs man niemand verwehren könne, zu
seinem Heu Stroh zu sagen, wenn auch gleich
[207] diese Duodez-Cabinete sich zu denen diesen
Nahmen in höherm Sinn führenden, wie die mit
dem Bildniſs des Regenten prangende Creutzer
zu denen groſsen Gold- und Silber-Medaillen,
verhalten; sie sind doch beyde Münzen, ob-
gleich von jenen etliche hundert Stück auf die-
se gehen. Bey den meisten dieser Herrn und
ihren Dienern läuft es auf eine bloſse Decora-
tion hinaus; und die Verständige unter ihnen
lieben nicht einmahl einen Titel, dem das Wort
Cabinet vorgehängt wird, weil es an sich selbst
schon einen gewissen verdächtigen Geruch mit
sich führet.


In manchen deutschen Provinzen heiſst das,
was man anderswo Cabinet nennt, Conferenz,
und unterscheidet sich von dem, mit oder ohne
Gegenwart des Landesherrn sich versammeln-
den Geheimen Rath hauptsächlich dadurch, daſs
nur die Auserwählte und Eingeweyhte, wenn
sie übrigens auch würkliche Geheime Räthe
sind, zur Conferenz gezogen, andere aber im
Vorhof dieses Heiligthums gelassen werden, um
zu riechen und zu errathen, was innerhalb des-
selben beschlossen wird, oder auch, ohne es ge-
rochen und errathen zu haben, sich bey ihren
[208] Abstimmungen in Demuth nach dem Wehen des
Cabinets-Winds zu richten, und sich zu beschei-
den, daſs sie nicht Staats-Ministers, sondern
nur schlechtweg Geheime Räthe sind.


Der Nahme machts nicht aus, es gilt um die
Sache. Es gibt Deutsche Höfe, wo man weder
von Cabinet noch Conferenz was weiſs, und
gleichwohl der ärgste und feinste Despotismus
herrscht, weil dann doch am Ende der Befehl
des Herrn entscheidet und allen Gegenvorstel-
lungen ein Ende macht, der Canäle aber unzäh-
lige sind, wodurch solche Befehle erhalten oder
erschlichen werden. Das ist der unglückliche
nicht genug zu beklagende Fall, wenn der Re-
gent von seiner Residenz, nahe oder weit, ab-
wesend ist, und alle an ihn gelangende Vor-
träge schriftlich geschehen müssen.


Es würde zu weit führen, die Genealogie der
Cabinete von einem Reich, Land und Periode
zu der andern zu verfolgen; einige Fragmente
von Deutschen Beyspielen möchten dann aber
doch nicht überflüſsig seyn, und können allen-
falls andern zu einem Leitfaden zur weitern
Ausführung dienen.


In
[209]

In Wien war erstmahls unter der Regierung
der Kayserin Königin Maria Theresia ein aus
figurirenden und rathenden Staats-Ministern
und ausarbeitenden eigentlichen Last-Trägern
von Staats-Räthen bestehender, in Gegen-
wart der Monarchin und ihres Gemahls und resp.
Sohns, Franz und Josephs, als Mit-Regenten,
sich versammelnder Staats-Rath errichtet,
worinnen viel gestritten und desto weniger ge-
than wurde, der sich zwar unter der Regierung
Theresiens das Air eines Cabinets geben woll-
te, ohne dessen Simplicität und Energie zu ha-
ben, der schon bey ihren Lebzeiten seinen Cre-
dit verlohr, und unter Joseph II. vollends nur
noch den Nahmen übrig behielt.


In Preussen sind zwar seit Friedrich II. Zei-
ten her zwei Cabinets-Ministers, und nun deren
noch mehrere, von deren Geschäften theils
schon vorhin gedacht worden, theils auch sol-
ches bey ein und andern ein bloſser Titel zu
seyn scheinet; wo hingegen unter der jezigen
Regierung Männer, die bloſs Minister und auch
dieses nicht einmahl sind, unmittelbaren Einfluſs
O
[210] auf die Gesinnungen und Cabinets-Entschlies-
sungen ihres Königs haben.


In Chur-Sachsen, wo man sonst nur das
Geheime Consilium hatte, entstanden, unter der
Regierung der Pohlnischan Auguste und durch
die Einleitung der Jesuiten, die von den Con-
stitutions-mäſsigen evangelischen Geheimen
Räthen unterschiedene Cabinets- und Confe-
renz-Ministers
,
um auch Catholische begün-
stigen und sie in mehr oder minderm Grad an
Geschäften Theil nehmen machen zu können.
Mit dem Fall der Jesuiten und mit mehrerer
Aufklärung der nicht mehr Königlichen Beherr-
scher der Churlande hat sich dieser Einfluſs
merklich vermindert, und ist immer mehr nur
äuſsere Decoration und Titel-Spiel geworden.


Der Glaube der alten Fürsten war, und der
Glaube der verständigen neuen ist es noch:
Daſs sie nicht allweise, nicht allwissend, noch
allmächtig seyen; daſs sie zu Regierung ihres
Hauses und Volks Rath und Hülfe bedürfen,
und weise handeln, solche anzunehmen und zu
befolgen; daſs ihre Würde und Vorzug damit
wohl bestehen könne, hingegen thöricht seye,
[211] nach seinem alleinigen Eigenwillen zu handeln.
So dachte und sprache wenigstens noch vor
anderthalb hundert Jahren der eben so staats-
kluge als gottseelige Herzog Ernst zu Sachsen
Gotha, welcher in seinem Ao. 1654. gefertigten
herrlichen Testament das Zeugniſs ablegte:
„Alle vorfallende Sachen sollen sie (meine Söh-
ne) mit gutem, getreuem und wohlbedachtem
ordentlichem Rath anfangen; vor sich selbsten,
sonderlich in wichtigen Fällen, nichts temere
vornehmen und gänzlich davor halten,
daſs groſsen Herrn und Regenten keine
Schande, sondern vielmehr ein Ruhm und
Ehre seye, guten vernünftigen Rathschlä-
gen zu folgen, und daſs daher der Frey-
heit gar nichts abgehe
„.


Der Glaube der alten Fürsten-Welt war, und
der verständigen neuern ist es noch: Daſs ihre
Räthe, Gehülfen und Diener, nicht nur berech-
tiget, sondern auch verbunden seyen, ihnen
über ihr Regenten-Leben und Handlungen, mit
oder ohne und gegen ihren Willen, gefordert
oder ungefordert, Vorstellungen zu thun; da-
her die schöne Verpflichtung in den gewöhnli-
chen Eydes-Formeln: Seinem Herrn treu, hold
und gewärtig zu seyn, seinen Schaden zu war-
[212] nen, seinen Nutzen und Bestes aber zu beför-
dern; daher so viele männlich-derbe, heroisch-
feste, freymüthige, über alle Menschen-Gefäl-
ligkeit und Menschenfurcht gleich getrost erha-
bene Warnungs- und Propheten-Stimmen treu-
er Räthe und Männer, die man noch hie und
da als Ruinen auf den Brandstätten politischer
Freyheit findet; daher die zum Theil schreckli-
che Beyspiele der Rache, Verantwortung und
Bestrafung der Unterlassungs-Sünden feiger,
furchtsamer, heuchlerischer, herz- und treulo-
ser Staats-Diener, welche lieber verstummten,
als redten, wo sie reden — lieber schmeichel-
ten, wo sie widersprechen und warnen sollten.


Sonst hielten die Fürsten alten Schlags ihre
geheime Räthe für ihre nächsten, wahre und
vertrauteste Freunde; nannten und bekannten
sie auch so vor ihrem eigenen und dem Aus-
land, waren stolz auf ihre Wahl und Besitz und
achteten sie vor den schönsten Schmuck in ih-
rem Diadem. Sie waren stolz darauf, alt mit
einander zu werden, und lebten je länger je
freundschaftlicher zusammen; ihre Geister und
Seelen wuchsen zulezt in einander; der Fürst
ehrte den treuen Diener noch in und nach sei-
nem Tode, und diesem war es unverschmerz-
[213] lich, seinen guten Herrn überleben zu müssen.
Auch von diesen Zügen findet man noch, in
gröſsern und kleinern Beyspielen neuerer Zei-
ten, jedoch je länger je seltener, hie und da Aehn-
lichkeiten; und glücklich ist der Fürst, das Land
und der Diener, wo es sich, wann es auch nur
in leichten Umrissen und sanften Schattierungen
wäre, noch also findet.


Der sogenannte dreyssigjährige Krieg und die
damit verbundene über ganz Deutschland aus-
gebreitete Unruhen; der darauf erfolgte, die
Souverainetät der Deutschen Reichs-Stände
gründende Westphälische Friede, und endlich
die Errichtung der stehenden Heere und das
Soldatiziren der meisten Fürsten, gaben der Sa-
che ganz eine andere Richt- und Wendung. Die
Nachahmung der französischen Formen vollen-
dete endlich die neue Schöpfung; jeder Regent
wollte, so weit ers vermochte, wenigstens im
Kleinen, ein Ludwig XIV. seyn: Die Distanz
zwischen ihm und seinen Dienern wurde im-
mer weiter gespannt; wenn er auch nicht den
Monarchen spielen konnte so stellte er doch den
Potentaten vor, und zur Dankbarkeit wurden
[214] die alten Graubärte von Canzlern und Räthen
in gefällige Ministers verwandelt.


Was hie und da aus Noth oder Nachahmungs-
sucht geschahe, ward je länger je mehr Mode,
allgemeine Sitte; man sahe die Fürsten nicht
leicht mehr ihre Wacht-Paraden versäumen,
aber je länger je seltener in ihrem geheimen
Rath erscheinen.


So wie die Sachen jezo stehen und höchst-
wahrscheinlich je länger je mehr werden und
bleiben werden, so lassen sie sich von verschie-
denen Seiten ansehen, deren jede ihre Gründe
dafür und darwider aufzuweisen hat.


Thatsache ist, daſs alle Landes- und Regierungs-
Geschäfte sich seit etwa anderthalbhundert biſs
zweyhundert Jahren unendlich verfeinert und
vervielfältiget haben. Daher die ungleich grös-
sere Anzahl von allen Gattungen der Diener-
schaft; daher immer mehr und nothwendiger
die schriftliche, anstatt der sonst gewöhnlichen
blos mündlichen, Behandlungen.


Die unläugbaren Vorzüge der schriftlichen
Vorträge vor dem persönlichen Besuchen des
geheimen Raths und anderer Collegien, möchten
hauptsächlich in folgendem bestehen:


[215]

Es wird unstreitig viele, mit Anhörung un-
nöthiger Weitläufigkeiten und noch unnützerer
Widersprüche, Zweifel und Zänkereyen, frucht-
los verschwendete Zeit erspart.


Der Regent gewöhnt sich an einen unpartheyi-
schern, bloſs auf die Sache selbst, wenn ihr
pro und contra redlich vorgetragen wird, ge-
richteten Blick.


Er gewöhnt sich an eine gelassenere und ru-
higere Beurtheilung von Personen und Sachen.
Diſs ist besonders nöthig und eine Regel prac-
tischer Lebens-Weisheit bey raschen, hitzigen
und eine Sache gleich beym ersten Blick zu
übersehen glaubenden Herrn; ein Kunstgriff,
dessen sich bekanntlich der berühmte und un-
glückliche Baron von Goerz bey seinem eigen-
sinnigen und ungeduldigen Herrn, K. Carl XII.
in Schweden, mit stetem Vortheil, bediente:
„Ich wills„, sagte er, wann ihn der rasche Kö-
nig nicht länger anhören wollte, „Ew. Maje-
„stät schriftlich geben„.


Ein Regent ist nur selten so wenig Mensch,
daſs bey ihm Vorurtheil und Vorliebe gar kei-
nen Einfluſs hätte; daſs er nicht bey einer Sa-
che Beyfall oder Abneigung bezeugte, weils
der gewollt und gewünscht und jener andere
[216] widerrathen und widersprochen hat. Diesem
allem wird, wo nicht allemahl, doch mehren-
theils, durch die gemeinschaftliche ministerielle
oder collegialische schriftliche Vorträge vorge-
baut und abgeholfen.


Die unrühmliche und weniger Entschuldigung
auf Seiten der Regenten verdienende Gründe
der bloſs schriftlichen Vorträge und ihres Nicht-
Besuchens des geheimen Raths möchten seyn:


Weil sie auf diese Weise ihre Unwissenheit,
Rathlosigkeit, ihren biſs auf würklichen Stupor
ausartendem Blödsinn besser verbergen und be-
decken können.


Weil sie ihren Selbst-Gefühlen, ihrem Hoch-
muth, Eigensinn, Eigenmacht und Herrscher-
Stolz keine Gründe entgegen zu halten, keinen
Widerspruch und Widerstand zu erfahren brau-
chen, sondern überall nach bloſsem Gutdünken
durchgreifen, auch wohl mit Grobheit, Heftig-
keit und Drohungen durchfahren zu können
glauben.


Weil sie, oder doch viele unter ihnen, ihre
Ministers und Räthe nur als ein nothwendiges
Uebel ansehen und ihnen daher lieber, so oft
als nur möglich, aus dem Weg gehen.


[217]

Weil sich Männer von Selbst-Gefühl und ei-
gener innern Würde, wahre Räthe, nicht wie
auf den blinden militarischen Gehorsam ange-
nommene und verpflichtete Subalternen behan-
deln lassen.


Weil die Herrn die persönliche Uebermacht,
die Geistes-Superiorität eines festen und ge-
wichtigen Mannes (einige Regenten nennen es
das Uebertölpeln) scheuen, und deſswegen die
nicht widersprechende, schriftliche, mundtodte
Referate vorziehen.


Weil es gemächlicher ist, Gekochtes nur zu
essen, als selbst zu kochen; weil es gemäch-
licher ist, nur zu befehlen, als Raths zu pfle-
gen; weil es leichter ist, nur zu unterschrei-
ben, als zu überdenken.


Es ist möglich, daſs die Verschwiegenheit
wichtiger, oder doch geheimer und wenigstens
auf eine Zeitlang geheim bleiben-sollender Rath-
schläge und Staats-Verhandlungen, z. B. neuer
Allianzen, Subsidien-Tractaten, geheimer Ver-
schickungen u. d. g. und noch möglicher ist,
daſs der Credit, Ansehen und Vertrauen zu ei-
nem herrschsüchtigen und eigennützigen Mann,
der sich bey einem schwachen Fürsten geltend
zu machen und einzuschmeicheln gewuſst hat,
[218] die erste Veranlaſsung zu Cabinets-Ministerien
und deren längern oder kürzern Beybehaltung
gegeben hat.


In dem Militär-Dienst ist es bereits bekannt,
wie sehr es die persönliche Tapferkeit und Muth
entflamme, unter den eigenen Augen seines
Königs oder commandirenden Feldherrn zu fech-
ten. Nicht viel geringer verhält sichs bey
dem Civil-Stand, wo es in unsern Tagen, ge-
wöhnlicher Maaſsen, der gerad umgekehrte Fall
ist. Sonst giengen die Fürsten, so bald sie re-
gierende Herrn wurden, selten mehr selbst in
den Krieg, aber desto fleissiger in den gehei-
men Rath und in ihre andere Collegien. Heut
zu Tage fällt also jene persönliche Ermunte-
rung gröſstentheils hinweg; die Könige und
Fürsten lernen das wahre, oft stille und schüch-
terne Verdienst eines Mannes nur selten, oft
gar nicht mehr kennen, sie nehmen ihre Mini-
sters und Räthe gemeiniglich nur auf Credit
und Empfehlung von andern, und werden dann
auch, wie es nicht anders als billig ist, öfter
als ihnen selbst lieb und gut vor ihren Staat
und Land ist, mit dieser Kaufwaare betrogen
und hinwiederum andere durch sie. Das ist
nun bey dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
[219] einmal nicht anders, und das einige Mittel, daſs
man so lange ändert, biſs mans entweder bes-
ser trift, oder zulezt die späte Ueberzeugung
erhält, daſs gerade einer des andern werth
seye. — So wars, ich wiederhole es nochmals,
sonst nicht. So lange die Fürsten noch selbst
in den geheimen Rath giengen, so machte nicht
nur, nach dem Sprüchwort, der Ton oft die
Musik, sondern auch das bloſse Schweigen ei-
nes biedern Mannes, Ein Kopfschütteln, Ein
traurender, Ein bedenklicher und wehmüthiger
Blick, würkte oft mehr als alles Reden, und
war wenigstens fähig, den gegenwärtigen Re-
genten aufmerksam und nachdenkend zu ma-
chen. Heut zu Tage heiſst es bey fast allen,
wie Göthe im Egmont sagt: Der König fragt
nicht; er schickt (er befiehlt).


Es ist zwar im Grunde zulezt einerley: Ob
ein Fürst von seinen Ministern oder von sei-
nen Cabinets-Secretarien und Referendarien be-
trogen werde? Und es sind Fälle, wo auch
der gewissenhafteste, redlichtse Mann seines
Fürsten (wie nun einmal die mehreste sind)
zu seinem wahren Besten belügen und betrü-
gen muſs; das Vorurtheil ist aber in der Re-
[220] gel mehr vor den Minister, als vor den bloſsen
Cabinets-Mann. Der beste Mittelweg ist, wann
der nun einmal zur Mode gewordene, schrift-
liche Vortrag, von dem die Stelle eines gehei-
men Referendars zugleich mit vertretenden würk-
lichen Minister, in Beyseyn des bloſs expedi-
renden geheimen Secretairs, geschieht. Also
ward es bey dem löblichen Marggrafen von
Baaden von dessen vertrautem Minister von
Edelsheim, und bey dem, ehe er durch der
Weiber Hände fiele, liebenswürdigen Marggra-
fen von Brandenburg-Anspach durch den geist-
vollen und würdigen Minister von Gemmin-
gen
gehalten.


Von den übrigen Cabinets-Räthen, Secre-
tarien
und Compagnie, habe ich schon vor mehr
dann zehen Jahren mein Bekenntniſs abgelegt *).
Dieses Glaubens bin ich noch; und längere
Erfahrungen, auch mannichfaltige, gute und
schlechte Beyspiele, haben mich in meiner Ue-
berzeugung nur noch mehrers bestärkt. „Un-
ter allen Stellen im Fürsten-Dienst (sagte ich)
ist die eines Cabinets-Secretairs und ge-
heimen Referendarii
eine der allerwichtig-
[221] sten. Ihrer Subalternität ohngeachtet können
sie ehrwürdige, seegensreiche Männer für ein
ganzes Land werden; die Gehülfen, Stützen
und Fürsprechen rechtschaffener Minister, Wohl-
thäter aller guten Sachen und Menschen seyn;
die Schäfer-Stunden und gute Launen eines
Herrn zu guten Absichten benutzen; die Wet-
terableiter bey aufsteigenden Gewittern seyn,
Unwillen und Verdacht gegen redliche Männer
abheben, dem Stachel geheimer und offentlicher
Verläumdungen seine Kraft benehmen, einen
Herrn von schlechten und übereilten Handlun-
weislich zurück halten; jeden guten Gedanken
und Regung bey ihm anfachen, beleben und
stärken; Schmeichlern und Augendienern die
Larve abziehen und sie in ihrer Blöſse kennt-
lich machen, und bey minderm äuſsern Schim-
mer, hingegen auch wenigerer Last und Verant-
wortung, weit glücklichere und vergnügtere
Leute seyn, als der Minister selbst.


Das Gegenbild hievon sind die Giftmischer,
Gifthaucher, geheime Debauchen- und geheime
Chatoull-Räthe, nebst der ganzen Familie der
Cabinets-Teufel.


Die Stelle eines geheimen Referendarii ist ein
eigentlicher Confidenz-Posten. Die Ministers
[222] und Räthe erbt ein Herr entweder mit dem übri-
gen Staats-Inventario, oder er nimmt sie, wie
sie ihm empfohlen und vorgeschlagen werden;
ein Herr kann vielmehr einen Mann, den er
im Auge nicht leiden kann, zum Minister ma-
chen, und Lebenslang behalten, weil er ihm
im guten und schlimmen Sinn unentbehrlich ist;
jene Stellen sind aber ein Werk seiner eigenen
Neigung und Wahl, ein Ausfluſs der Cabinets-
Regalien.


Man kann also bey dieser Stelle mit ziemli-
cher Zuverläſsigkeit von einem auf den andern
schliessen: „Wie der Herr ist, so ist auch sein
geheimer Referendarius„. Die Nutz-Anwen-
dung und Probe kann jeder, dem daran gele-
gen ist, selbst machen.


So dachte und sprach ich schon damals; so
wenig jetzo als damals halte ich es aber vor
anständig, eine Gallerie von nach dem Leben
gemahlten Männern dieser leztern Gattung auf-
zustellen, sondern begnüge mich, zu sagen:
Daſs in der Regel (keine ist aber ohne Ausnah-
me) Könige und Fürsten nur solche an Verstand
oder doch an Willen Verschnittene*) wäh-
[223] len, deren unbedingten Gehorsams sie vorhinein
vollkommen versichert sind; solche Löwen,
dergleichen einen der Bassa zu Belgrad um
sich hatte, die sich auf den ersten Wink zum
Beissen und benöthigsten Falls zum Zerreissen
gebrauchen lassen.


So sind sie gewöhnlich bey denen despotisch
regierenden Monarchen; so waren nahmentlich
die Cabinets-Männer unter K. Friedrich Wil-
helm I. und Friedrich II. in Preussen. — Die
Schilderung, die Büsching*) von ihnen ge-
macht, ist viel zu sehr nach dem Leben ge-
zeichnet, als um sie nicht mit seinen eigenen
Worten zu wiederholen: „Man würde sich
sehr irren, (sagt er), wenn man glaubte, daſs
des Königs geheime Cabinets-Räthe seine würk-
liche Räthe gewesen wären; denn diese nannte
er nur seine Schreiber, und sie waren auch or-
dentlicher Weise weiter nichts. Möchten nur
alle, die er gehabt hat, auch gute Stylisten ge-
*)
[224] wesen seyn! Aber selten hat einer unter den-
selben gewuſst, wie Königliche Cabinets-Briefe
und Befehle würdig abgefasset werden müssen,
insonderheit in Deutscher Sprache; und weil
der König auch kein Kenner des Deutschen
Briefstyls ware, so giebt es so viele undeut-
sche, steife und einförmige Cabinets-Stücke.
Es ist aber doch gewiſs, daſs die Cabinets-Rä-
the in manchem Falle Gelegenheit hatten, das
zu seyn, was sie hieſsen. Man weiſs, daſs auf
den Vortrag des Innhalts einer Schrift viel an-
kommt, so daſs sie bey den Vorträgen, die
sie zu thun hatten, mancher Person und Sa-
chen vortheilhaft und nicht vortheilhaft seyn
konnten. Diese Gelegenheit wuſsten einige,
als ein Schumacher, den der König von sei-
nem Herrn Vater erbte, ein Eichel und andere
mehr, wohl zu gebrauchen, und in den Fällen,
da sie andern nützlich gewesen, auch oft für
ihren baaren Nutzen ansehnlich zu sorgen, wie
der groſse Reichthum, den Eichel hinterlieſs,
bezeuget. Es hat aber auch wohl einer, der
es zu arg gemacht, sein eigenes Unglück da-
durch verursacht, wie Galster, den der Kö-
nig nach Spandau schickte„.


Auch
[225]

Auch kannte ich genau einen Minister, der
in der Aufwallung von Schmerz und Unmuth
über eine unwürdige Handlung, wozu sich der
Fürst von seinem geheimen Referendar verlei-
ten lassen, in die Worte ausbrach: „Der * *
ist ein Spitzbub„. „Ich weiſs es wohl„, ant-
wortete der Fürst ganz kaltblütig, „ich brauche
aber einen solchen„. Was dieser Herr gesagt,
das üben oft andere seines gleichen, ungesagt, in
der That selbst: Mit biedern, ehrlichen, tapfern,
freymüthigen Leuten ist ihnen nicht gedient;
sie wollen, statt Männern, Laquayen, beugsa-
me Schurken, denen sie dann ihrer Seits auch
wieder Schelmereyen, allerley Gattung, wenn
sie nur nicht in das Leib-Geheeg des Fürsten
kommen, zu gut halten


Der Cabinets-Geist ist herrisch, despotisch,
eigensinnig, trotzig, gewaltthätig, absprechend,
abschneidend; und so wie der Geist ist, so ist
auch seine Sprache und sein Styl; kurz,
barsch, nicht raisonnirend, mehr und weniger
ganz in dem entscheidenden militarischen Ton,
manchmahl mit einer beleidigenden Grobheit.


P
[226]

Ein höchst auffallendes Beyspiel dieser Art
liefert diejenige Cabinets-Ordre vom 21. Dec.
1787. an die Universität zu Halle, welche man
den guten und gütigen König Friedrich Wilhelm
II. unterschreiben machen. Der König hatte in
Berlin ein Ober-Schul-Collegium errichtet, wel-
chem auch die Universitäten in den Königl.
Landen untergeordnet seyn sollten. Die zu
Halle that gegen diese Zumuthung Vorstellung,
worinn sie auch ihre Unzufriedenheit über den
ihr vorgesezten Canzler von Hofmann, nicht
zu verbergen wuſste. Darauf kam nun obge-
dachte, weder im Geist und Character des men-
schenfreundlichen Monarchen gedachte, noch
viel weniger in der Würde eines Königs styli-
sirte Resolution, die um der Seltenheit der
Schreibart willen in ihren Hauptstellen wieder-
holt zu werden verdient: „Se. Königl. Maj.
von Preussen„ (heiſst es gleich im Eingang)
„haben höchst miſsfällig vernommen, daſs die
Universität zu Halle, aus einem besondern
Eigendünkel
,
sich beykommen läſst, nicht un-
ter dem Königl. Ober-Schul-Collegio stehen
zu wollen. — Diese sonderbare und wenig
Klugheit
verrathende Aufführung einer ganzen
Akademie würde Seiner Königl. Majestät äus-
[227] serst befremdend seyn, wenn Allerhöchstdenen-
selben nicht bekannt wäre, daſs nur einige
wenige pedantische Professores die thö-
richte Triebfeder
davon sind, und daſs zur
Ehre der Universität es noch kluge und wah-
re gelehrte Männer
daselbst giebt, die an
solchem Unfug keinen Theil nehmen„. Hier-
auf folgt der Machtspruch: „So wie nun Se.
Königl. Maj. den leztern ihre Zufriedenheit dar-
über zu erkennen geben, so wird denen erstern
ihre durch obige Renitenz bezeugte einfältige
Conduite
hiemit nachdrucklich veswiesen, und
ihnen alles Ernstes anbefohlen, dem
von
Allerhöchstdenenselben für die samtlichen Preus-
sischen Staaten etablirten Ober-Schul-Colle-
gio einen ganzunumschränkten Gehorsam
um so mehr zu leisten, da Se. Königl. Maj.
nicht gemeint sind, einigen unruhigen Kö-
pfen unter den Hallischen Professoren zu
erlauben, über landesherrliche Einrich-
tungen und Befehle zu klügeln, weil ihre
Pflicht ist, ohne Widerrede schnell und
geziemend zu gehorchen
„.


Wem die Ehre seines Königs lieb ist, der
sollte vieles drum geben, wenn er die Bekannt-
machung dieses Befehls vor dem Publico hätte
[228] verbergen, wenn er dessen Andenken auf im-
merhin vernichten können. Was die Universi-
tät zu Halle gethan? Ob sie blindlings gehorcht
und verstummt, oder wie die Sache zwischen
dem Hof und ihr vermittelt und gemildert wor-
den? ist mir unbewuſst. Die Publicität, deren
Stimme der König selbst so sehr respectirt, be-
hauptete aber auch hier ihre Rechte. In einer
der beliebtesten und allgemein gelesenen Mo-
natschriften *) erschien eine herbe und kräftige
Beurtheilung des Königl. Befehls, worinn die
Herrn von Hofmann und Woellner, denen
man den meisten Antheil an der Königl. Ent-
schliessung beymaſs, und leztern vor den Con-
cipisten derselben hielt, eben so unsanft behan-
delt, über die Sache selbst aber das auf Recht
und Wahrheit sich gründende Urtheil abgespro-
chen wurde: „Es ist ein gerechter Stolz, wenn
Männer, die sich fühlen, nur von Gott, den
ihren alten Privilegien nicht zuwider laufen-
den Landes-Gesetzen, ihrem Gewissen und ih-
rer gesunden Vernunft abhängen wollen. Es
wäre eine schlechte Empfehlung für die Ein-
chten der Juristen-Facultät zu Halle, wenn
[229] sie sich ohne Protestation dem Ober-Schul-Col-
legio unterworfen hätte. Der Landesherr kann
neue Gesetze geben, aber sie müssen keine
wohlerworbene Rechte beeinträchtigen; und
der Unterthan, der seine biſsherige Rechte ver-
theidiget, verdient keinen Verweis. Ist das
neue Gesetz zur Wohlfahrt des Ganzen noth-
wendig, so muſs der Unterthan darüber belehrt
werden, und besonders, wenn er zu einer so
respectablen Volksklasse, als die Mitglieder ei-
ner akademischen Gesellschaft, gehört. Dem
wahren Vortheil des Landes werden Männer,
die Lehrer der Nation werden sollen, die ihre
künftigen Seelsorger, Richter und Gesetzgeber
bilden müssen, gewiſs alles aufopfern; und
wenn sie dawider keine Respects-widrige Vor-
stellung thun, haben sie gar nicht strafbar ge-
handelt, ihre ohnvorgreifliche Protestation ein-
gereicht zu haben. — Wenn es heiſst: Die
Universität soll dem Ober-Schul-Colle-
gio einen unumschränkten Gehorsam lei-
sten
,
so hat man schon Unrecht, über den
Pabst zu spotten, der sich für untrüglich gehal-
ten wissen will. Der Concipient der allerhöch-
sten Resolution hat den Ausdruck: Unum-
schränkt
,
wie es scheint, nicht ganz gefaſst.
[230] Gehorsam sind die Untergebenen denen ihnen
vom Landesherrn bekannt gemachten Vorge-
sezten allerdings schuldig; allein unumschränk-
ten
Gehorsam, der jede vernünftige Gegen-
Vorstellung ausschlieſst, sollte man keiner Ge-
sellschaft im Staat ertheilen (zumuthen); und
am allerwenigsten in wissenschaftlichen Din-
gen, wo so viel auf die eigene Art zu sehen
ankommt. Man kann annehmen, daſs das vor-
gesezte Ober-Schul-Collegium wahrscheinlich
nichts unternehmen werde, was den Fortschrit-
ten wahrer Aufklärung zuwiderlaufen könnte.
Aber ist es denn doch nicht ein denkbarer Fall,
daſs ein einziger Mann in einem solchen Colle-
gio ein so groſses Uebergewicht erlangen kön-
ne, daſs seine aus Mangel an gewissen Ein-
sichten, oder zu Beförderung gewisser Absich-
ten, abzielende Vorschläge, die dem Ganzen
nachtheilig werden könnten, zum Gesetz ge-
macht werden können? Und ist diſs nicht um
so eher zu befürchten, wenn die Einsichten der
Befehlenden den Einsichten der Gehorchenden
weit nachstehen; wenn jene, eben weil sie ge-
gen diese überwichtig sind, aus einem auch dem
nicht verdorbenen menschlichen Herzen so eige-
nen Stolz, selbst ihre nicht ganz heilsam erkann-
[231] te Grundsätze dem ohngeachtet befolgt wissen
wollen, um nicht die Demüthigung zu erleiden,
von den Untergebenen eines bessern belehrt wor-
den zu seyn? Wenn es heiſst: Daſs es nicht
erlaubt seyn solle, über landesherrliche
Einrichtungen und Befehle zu klügeln
,

so ist dieses eine Beeinträchtigung des ersten
Rechts der denkenden Menschheit. Dieser Satz
leidet nur unter der geringsten Classe des Volks,
und dazu noch unter gewissen Einschränkun-
gen, seine Anwendung; allein Männern, wel-
che denken können, muſs es frey stehen, mir
geziemendem Respect Einwendungen wider die
landesherrliche Verordnungen machen zu kön-
nen. Der Gesetzgeber ist nur Mensch; er kann
in der besten Absicht eines guten Herzens Ver-
ordnungen erlassen, die dem Ganzen nachthei-
lig sind. Sollen dawider keine Vorstellungen
stattfinden können? Dann sizt türkischer De-
spotismus auf dem Thron, bey dem kein Ge-
setzgeber gewinnt; denn nur Liebe des Volks
macht gute Unterthanen; bloſse Furcht macht
Sclaven, die, befreyt von ihren Ketten, Ver-
wüstungen anrichten können, welche den De-
spoten selbst gefährlich werden müssen. Die
Fürsten haben diſs auch selbst gefühlt. Fried-
[232] rich der Einzige hat verschiedene Befehle ge-
geben: Daſs die Landes-Collegia auf erschli-
chene Cabinets-Orders, wenn sie wider die
Gesetze liefen, nicht Acht geben, sondern da-
von Bericht erstatten sollten; und Friedrich Wil-
helm mit dem allgemein verehrten guten Men-
schen-liebenden Herzen sollte unumschränkt
herrschen wollen? minder wichtige Männer den
berühmtesten Weisen seiner Staaten zu Ober-
aufsehern geben wollen, ohne daſs diese sagen
dürften: Wir brauchen dergleichen Aufseher
nicht. Dieses nur zu denken wäre unedel„.


Die Cabinets-Politik unterscheidet sich
von den ständigen erblichen Staats-Grundsätzen
eines Hofs hauptsächlich dadurch, daſs sie per-
sönlich, veränderlich, von der Convenienz und
Lage der Umstände abhängend, und mit gröbern
oder feinern Verstellungs-Künsten übertüncht
und überfirniſst ist.


Die Cabinets-Regalien sind, je länger je
mehr, ein so reichhaltiges Thema, daſs es nur
zu bewundern ist, daſs sie nicht längst zur Auf-
schrift einer juristischen Inaugural-Disputation
gewählt worden, um sich dadurch bey einem
[233] despotischen Fürsten oder dessen gewissenlo-
sem Minister zu empfehlen.


Neben dem alten, längst bekannten und ge-
übten Jnre vexandi subditos, neben dem
gleichfalls alten Principe legibus soluto,
verdienet wohl unter den modernen Cabinets-
Regalien die erste Stelle der Undank der Für-
sten
,
womit sie einen ihnen miſsfällig gewor-
denen, bey ihnen verläumdeten, redlichen, bie-
dern, unschuldigen Staatsdiener, kraft ihrer
vermeinten despotischen Allmacht, aus dem,
zuweilen langen Dienst, und, nach unläugbaren
um sein Haus und Land erworbenen Verdien-
sten, verstossen, und ihn und seine Nachkom-
menschaft unglücklich machen.


Manchmal ist es bey einem scheinbaren Un-
glück vor den Weggedrückten oder Fortgestos-
senen im Grund Erlösungs-Gnade; der Un-
dank bleibt aber allemahl auf Seiten des Regen-
ten, was er ist.


Nach der Politik Friedrichs des Groſsen, und
nach der Philosophie seines Münz-Juden Ephraim,
gehörte das Recht, unter eines andern Sou-
verains Bildniſs, Nahmen und Stempel, falsch
Geld
zu schlagen, Blech-Kappen, falsche Du-
[234] caten, Thaler, Rubels etc. auszumünzen, zu
dem Jure regio, zu den Cabinets-Rega-
lien
. Kleinere Potentaten, die aber nicht Kö-
nige waren, liessen sich gelüsten, diſs groſse
Vorbild nachzuahmen; es blieb aber bey bloſsen
Versuchen. Die Gesetze wachten; die falsche
Münze ward geprüft, erkannt und verrufen;
die damit angefüllte den Rhein hinabschwimmen-
de Fässer wurden angehalten und kurzweg con-
fiscirt. Ein gleiches geschahe von dem noch
mächtigern Ruſsland bey dem Zoll zu Riga,
mit denen sich nach Ruſsland einschleichen-wol-
lenden falschen Rubeln.


Nach Herzog Carls von Würtemberg Finanz-
System war der Diensthandel mit allen sei-
nen gräulichen Folgen ein Ausfluſs des deut-
schen Fürsten-Rechts; sein wilder Vater,
Herzog Carl Alexander, und dessen Leib-Jude
Süſs, waren ihm schon mit bösem Exempel
vorangegangen. Das gedruckte Sünden-Regi-
ster *) beweist es, daſs ihnen Dienste, Titel,
Ehre, Beförderungen, Begnadigungs-Recht etc.
um Geld feil waren; wars demnach Wunder,
[235] daſs er zeitig genug in die vorgefundene Fuſs-
stapfen getreten ist?


Die Cabinets-Justiz ist so alt, als der
Despotismus selbst; sie findet sich überall, wo
dieser herrscht; der Nahme aber ist eine Geburt
unserer Zeiten, der ehedem auch wohl unter
der Benennung Macht-Spruch, Macht-Voll-
kommenheit
begriffen war, immer aber eine
Justiz-Verwaltung bezielte, die mit Ueberge-
hung der Landes-Collegien und gesetzmäſsi-
gen Instanzen, mit oder ohne Vernehmung der
interessirten Theile, von dem Landesherrn un-
mittelbar sich angemaſst, oder doch dessen
Nahme dazu gebraucht und miſsbraucht wurde.


Wo mit dem Leben, Freyheit, Rechten und
Eigenthum der Unterthanen nach den Launen
und Leidenschaften eines despotischen Herrn
oder Ministers gebahret werden darf; wo keine
Reichs- und Land-Stände sind, die Muth und
Kraft genug zum Widerstand haben, da bleibt
nur der einige Trost: Leiden und Schweigen.
So wars ehedem in Frankreich unter dem ge-
waltthätigen und rachgierigen Cardinal Riche-
lieu; so in Engelland unter dem tyrannischen
Heinrich VII. so in Deutschland unter den Fer-
[236] dinanden; so noch überall, wo Gewalt vor
Recht geht, und wo, zur Bemäntelung des Un-
rechts, Justiz-Sachen in Staats-Sachen ver-
wandelt werden.


Eine ganz eigene und bey weitem die schlimm-
ste und gefährlichste Gattung der Cabinets-
Justiz
ist, wo, um den Unschuldigen desto
gewisser zu drücken und zu unterdrücken,
die äussere Form und Schein einer gesetzmäſsi-
gen Justiz-Verwaltung beybehalten wird; wohl
gar die Richter, um das Publicum desto mehr
zu täuschen, von ihren sonstigen Diener-Pflich-
ten losgebunden werden; ihnen eine ohne An-
sehen der Person zu leistende unpartheyische
Justiz anbefohlen, heimlich aber der Gang und
die ganze Behandlungsart vorgeschrieben wird,
um den Leidenden entweder seines Rechts ganz
verlustig zu machen, oder die Sache so zu
verwirren und zu verzögern, daſs er, ohne
ein Wunder, das Ende derselben nicht erleben
könne. Freylich gehört ein ungewöhnlicher
Grad von Argheit auf Seiten des Regenten da-
zu, der es wagen darf, seinen Dienern derglei-
chen Zumuthungen zu thun, und eine Hunde-
Art von Menschen, die sich dazu gebrauchen
[237] lassen. Daſs es aber solche gebe, ist leider!
bewahrheitete Erfahrung.


Diese Art von Ungerechtigkeit zu ergründen
und zu entkräften, macht den Deutschen Reichs-
gerichten um so mehrere Mühe, weil sie sich
einerseits hinter Formalitäten, an welche auch
die Reichsgerichte gebunden sind, verstecken,
und andererseits mit denen so hochgespannten
Reichsständischen Jurisdictions-Gerechtsamen
kreuzen; endlich weil nicht selten Cabinets-
Justiz
des Despoten und Staats-Justiz
des Richters mit einander einverstanden sind,
und der Miſshandelte politischen Rücksichten,
sollte es auch nur ein angedrohter Recursus
ad Comitia
seyn, aufgeopfert wird. Doch
hat man von ältern Zeiten noch Beyspiele thä-
tiger und exemplarischer Hülfe, und von neuern,
daſs wenigstens zum Schein ein Schreckschuſs
von Dinten-Pulver geschieht, welchen sich
der, den er treffen soll, schon selbst zu erklä-
ren weiſs. Mit den kleinen Potentaten wer-
den schon weniger Umstände gemacht, und
ihnen zuweilen die volle Ladung gegeben, ob-
gleich die in dem mittlern Zeitalter gewöhnli-
che Strafe des Hunde-Tragens vorlängst in
Abgang gekommen.


[238]

Zum Ruhm unserer gröſsern Deutschen Höfe
darf man sagen: Daſs Sache und Nahme von
Cabinets-Justiz bey ihnen immer seltener
werden. Man kann in mehreren Deutschen Pro-
vinzen (deren keine ich wohlbedächtlich nenne,
um keine an ihrem verdienten Lob zu verkür-
zen) Menschen-Alter durchleben, ehe man ei-
nen einigen solchen Fall aufweisen könnte.
Die Geschichte der neuern mit wahren Justiz-
Heiligen besezten Ober-Appellations-Gerichte
liefert häufige Beyspiele, daſs nicht nur gegen
den Landesherrn und dessen Cammern, sondern
auch (das noch weit mehr sagen will) gegen
einen viel vermögenden Minister, ohne Anse-
hen der hohen oder niedern Person des Klägers,
reine und strenge Justiz verwaltet worden.


Diese reine und edle Gesinnung breitet sich
auch bey mittlern und kleinen Deutschen Häu-
sern immer mehrers aus; und ich erinnere mich
nie ohne tiefe Rührung der, in dem erst im
Jahr 1785. verfertigten, aus dem Geist, Herzen
und Feder des würdigsten Ministers dieses Hau-
ses, Freyherrns von Preuschen geflossenen
Naſsau-Oranischen Erstgeburts-Gesetz §. 24.
enthaltenen vortreflichen Verordnung, wodurch
jedem bey der Justiz-Canzley angestellten und
[239] auf diesen Fall schon im voraus seiner Pflich-
ten entlassenen Rath aufgegeben wird, auch
in denen gegen den Landesherrn selbst oder
andere Personen des Fürstlichen Hauses anbrin-
genden Klagen, nur Gott, die Wahrheit und
die Gerechtigkeit vor Augen zu haben *).


Die Cabinet-Schulden sind eine Erschei-
nung dieses Jahrhunderts. Landgraf Ernst Lud-
[240] wig zu Heſsen-Darmstadt, und sein Schwager
Friedrich Jacob zu Homburg, hatten das Un-
glück gehabt, von einer Bande Betrügern, un-
ter verheiſsenem Goldmachen, hintergangen und
nach und nach in einen Abgrund von Schulden
gestürzt zu werden. Die rührendsten Vorstel-
lungen treuer Räthe waren vergebens; hinge-
gen fanden sich immer schädliche und leicht-
glaubige Menschen, die den bethörten Fürsten
Geld und Credit zu verschaffen behülflich wa-
ren. Je tiefer sie sunken, je gröſser wurde
ihre Verblendung; Homburg ward noch in
Zeiten die Wohlthat einer Kayserlichen Debit-
Commiſsion zu Theil. Das regierende Haus
Darmstadt konnte es natürlicher Weise länger
aushalten; darüber gieng Landgraf Ernst Lud-
wig mit Tod ab. Sein Sohn und Nachfolger,
Landgraf Ludwig VIII. lieſs sein erstes seyn,
die noch in Darmstadt sich findende Goldma-
cher fortzujagen (denn das eigentliche Raupen-
Nest dieser Betrüger hatte sich in Homburg
fest-
*)
[241] festgesezt); zugleich erklärte er aber, daſs er
von allen ohne Vorwissen und Beystimmung
der Collegien gemachten väterlichen Schulden
keinen Heller bezahlen würde. Es fand sich
auch bald ein dienstfertiger Schurke von Hof-
Publicisten, der in einer zusammengeschmierten
Deduction den Beweis dieses neuen Glaubens
zu führen übernahm; und hier war es, wo
dieser Bastart mit dem Nahmen von Cabinets-
Schulden
,
zum Unterschied von denen bisher
bekannten Landes-Cammer- und Kriegs-Schul-
den, belegt wurde. Bey diesen Werken der Fin-
sterniſs waren viele Betrügereyen und Schlech-
tigkeiten mit untergelaufen; eben so gewiſs
war aber auch, daſs viele gutherzige und leicht-
glaubige Familien, im Vertrauen auf das damahls
noch heilig geachtete Fürsten-Wort, ihr Ver-
mögen rein und ehrlich dargeliehen haben, wel-
che durch das neuerfundene System sämmtlich
in die tiefste Armuth und Elend gestürzt wor-
den, unter denen sich vornehmlich das sonst
reiche und angesehene Handelshaus Bernus in
Frankfurt auszeichnete. Diese klagten in Wien,
fanden aber taube Ohren und harte Herzen; der
alte Bernus verschmachtete seine Tage im
Q
[242] Elend, und starb auf dem Stroh, mittlerweile
der Landes-Nachfolger mit seinen Junkern und
Jägern im Wald unter Hirschen und Schweinen
ihr Leben verschwelgten, der nach Wien als
Cabinets-Satan abgeschickte Geheime Rath aber
sich am Lohn der Ungerechtigkeit ein feines
Rittergut, jedoch wohlbedächtlich im Land ei-
nes andern Fürsten zusammensparte.


Die blinde Anhänglichkeit und Ergebenheit
Landgrafens Ludwig VIII. womit er sowohl in
dem Oesterreichischen Erbfolge-Krieg, als nach-
her in dem siebenjährigen Krieg sich und sein
Land der Sache des Hauses Oesterreich aufo-
pferte, war Versöhnung für alle seine Sünden;
der Reichshof-Rath beugte sich unter die Macht
der Staats-Justiz, und das gewöhnliche Wort
der Kayserin Königin Maria Theresia, bey de-
nen ihr hierüber je zuweilen angebrachten Ge-
wissens-Rügen, war: „Laſst mir den alten
Mann zufrieden, so lang er noch lebt„. Nach
dieser Vorschrift handelte dann auch dieser Ju-
stiz-Hof würklich, und als ich im Jahr 1765.
als Hessen-Casselischer Gesandter an der Tafel
des damaligen Reichs-Vice-Canzlers Fürsten
Colloredo speiste, entblödete sich der mit zu-
gegen gewesene Reichs-Hof-Räthliche Refe-
[243] rent in dieser Sache nicht, offentlich zu sagen:
„Um ein paar Frankfurter Kaufleute willen kön-
ne man einen so wohlgesinnten Reichs-Stand
nicht ruiniren„; und als ich ihm mein äuſser-
stes Erstaunen über diese Art der Justiz-Pfle-
ge eben so laut bezeugte, sagte der Unver-
schämte: „Wenn der Preusse (Ludwig IX. ein
eben so leidenschaftlicher Preusse, als es sein
Vater für Oesterreich war) zur Regierung
kommt, den wollen wir schon festhalten„. Lud-
wig VIII. starb endlich, und der Reichshof-
Rath hielt seinem Sohn und Nachfolger Lud-
wig IX. redlich sein Wort; eine Kayserliche
Schulden-Commsision wartete vor seiner Thü-
re; er sollte vor seines Vaters und aller seiner
Voreltern Sünden büssen. Der Landgraf war
nichts als Soldat, und glaubte aufrichtig, daſs
in deren Menge eigentlich die Würde und Grös-
se eines Fürsten zu suchen sey; von Rechts
und Links der Deutschen Länder- und Justiz-
Verfassung verstund er nichts; von der einen
Hälfte seiner Dienerschaft war er verrathen und
von der andern verkauft; sie verleiteten ihn,
den damaligen Kayserlichen Gesandten im Reich,
Grafen von Neipperg, einen Mann, den sein
eigener Vater seiner ungeheuren Verschwen-
[244] dungen wegen bereits gerichtlich enterbt hatte,
zumCommissario in seinem Schulden-Wesen zu
erbitten. Dieser übernahm mit Freuden einen
solchen einträglichen Auftrag; er machte dem
tief verschuldeten Mann neuen Credit bey Ju-
den und Juden-Genossen, die, unter dem
Vorwand beträchtlichen Nachlasses, vorzüglich
vor andern ehrlichen und rechtmäſsigen Gläu-
bigern, und ohne Untersuchung der Qualität
und Legalität ihrer Forderung, mit baarer Zah-
lung befriedigt wurden. Um die Sache nicht
nur halb schlecht zu thun, ward unter seiner
Leitung ein Schulden-Zahlungs-Plan entwor-
fen, nach welchem zur Abfindung samtlicher
Cabinets-Creditoren, unter denen sich so
viele ehrliche Familien befanden, kein entbehrli-
cher Heller übrig blieb. Die verbrieften Glau-
biger des Fürstlichen Hauses konnten diese Ein-
richtung sich wohl gefallen lassen, da sie, je
stärker ihr Zahlungs-Fond war, um so ehender
zu dem ihrigen wieder gelangten. Nicht so die
gewaltthätig und hinterlistig enterbte und schon
so lange mit ihren himmelhohen Klagen am
Reichs-Hofrath enthörte Cahinets-Glaubiger.


Da trat die reine und strenge Gerechtigkeits-
Pflege K. Josephs II. selbst in das Mittel, und
[245] der neue Vergleich, wodurch Landgraf Ludwig
IX. von der schmäligen Neipergischen Vormund-
schaft erlöset, und ihm die Selbst-Administra-
tion des Schulden-Wesens unter unmittelbarer
Kayserlicher Oberaufsicht bewilliget wurde,
ward von dem Kayser nicht ehender gerichtlich
bestätigt, biſs sich dieser Fürst selbst erboten,
sich mit den groſsväterlichen Glaubigern, de-
ren Forderungen allein sich an fünf Millionen
beliefen, gütlich zu setzen. Die Folge davon
war, daſs nun erst noch 32. Jahren die Quali-
tät und Recht- oder Unrechtmäſsigkeit dieser
Cabinets-Schulden durch eine aus verständigen,
billigen und gewissenhaften Männern nieder-
gesezte Commission gründlich untersucht, das
Resultat den Erben der Unglücklichen zur ei-
genen Einsicht und Ueberzeugung, samtliche
Verhandlungen aber den Fürstlichen Collegien
zur Prüfung und endlich dem Landes-Fürsten
zur Genehmigung vorgelegt wurden. So kam
dann endlich mit den wenigen noch lebenden
und den Erben der verstorbenen Cabinets-Glau-
biger, den 19. Aug. 1779. ein auf Billigkeit und
Möglichkeit sich gründender Vergleich zu Stand,
welcher von beeden Theilen dem Kayserlichen
Reichshof-Rath, als ein neuer Beweis von wie-
[246] der hergestellter Legalität und Ordnung, über-
geben wurde.


Man würde eine Unwahrheit sagen: Daſs sich
der verstorbene Landgraf zur Ehre und Freude
gemacht habe, die seit dritthalb hundert Jahren
von seinen Voreltern her angehäufte Schulden
zu bezahlen; seiner Neigung nach hätte er lie-
ber gar nichts bezahlt, und die entbehrliche
Landes-Einkünfte dagegen zu Vermehrung sei-
nes Militar-Etats angewandt; es war aber doch
der nächste Vortheil für ihn selbst mit dabey,
daſs er die von seinen Vätern bereits vorgefun-
dene Schulden nicht erst zu machen brauchte,
wie ausser diesem Fall gewiſs geschehen seyn
würde. Sodann verdient ein Fürst allemahl Lob,
für das Gute, was er auch nicht gerne und aus
gezwungenem Willen thut; wanns dann nur
geschieht. Die Seufzer, Thränen und Klagen
so vieler Unglücklichen wurden gestillt, und
in lautes Lob des Fürsten, in dem man den ehr-
lichen Mann
erkannte, verwandelt, und der
mit Schmach bedeckte Nahme des Fürstlichen
Hauses Darmstadt vor dem groſsen Publico wie-
der ehrlich gemacht, der Credit und das Ver-
trauen aber so geschwind und vollständig wie-
[247] der hergestellt, als er vorher tief gesunken, ja
unwiederbringlich-scheinend verloren war.


Wenn es dem Bösewicht, so der Erfinder die-
ses Cabinets-Schulden-Systems und Verfasser
der Deduction gewesen, gelungen wäre, seine
Grundsätze allgemein geltend zu machen; wenn
kein Richter im Reich wäre, der die Fürsten,
früh oder spät, noch zwingen könnte, recht zu
handeln, wenn sie lieber ungerecht handelten,
so würde in kurzer Zeit keine Familie bey ih-
rem noch so rechtlich erworbenen Vermögen
vor den Diebsgriffen solcher Rabulisten sicher
geblieben seyn; die Fürsten selbst aber würden
zulezt sich in der unangenehmen Lage befun-
den haben, daſs keiner von ihnen mehr Herr
gewesen wäre, seinen eigenen Leibstuhl zu ver-
schenken oder zu vermachen, ohne Gefahr zu
laufen, von dem Landes-Nachfolger in Anspruch
genommen zu werden.


Zur Ehre des Deutschen Nahmens und zum
Trost der Theilhabenden ist aber hoffentlich diſs
Gespenst auf immerhin von unserm Boden ver-
schwunden.


[]

Appendix A Inhalt


s ersten Bändchens.
I. Ueber den Gehorsam im Dienst der Kö-
nige und Fürsten. Beytrag zur Dienst-
Casuistik des Jahrhunderts.


  • Vorerinnerung. 1.
  • Allgemeine Vor-Anmerkungen. 21.
  • Erstes Capitel: Von dem Gehorsam über-
    haupt.
    36.
  • II. Ich fühle meine Geburt. Glauben
    und Rede der Könige und Fürsten. 129.
  • III. Von den Stecken-Pferden der Kö-
    nige und Fürsten. 165.
  • IV. Einige Character-Züge des Despoten. 183.
  • V. Das Cabinet der Könige und Fürsten. 201.

[][][]
Notes
*)
Predig. II, 17. \&c.
*)
Fier de son esclavage, il parle avec dédain de ceux
qui n’ont pas l’honneur de le partager.
Rousseau.
*)
Epitres diverses.
*)
Unter den vielen Beschreibungen der neuern See-Reisen in
den nun mit Recht so benannten fünften Welt-Theil und
dessen zum Theil stark bevölkerten Inseln und Halb-In-
seln zeichnen sich, [zum] Beweis des gesagten, vorzüglich
die Nachrichten von der Regierung der Königin Oberea
auf der Insel Otaheiti aus; (in Hawkeswort Ge-
schichte der See-Reisen und Entdeckungen im Südmeer,
I. B. S. 237. u. s. w.) und die rührende Schilderung
von der Regierung des [Königs] Abba-Thutte in Wil-
sons
Nachrichten von den Pelew-Inseln in der West-
Gegend des stillen Oceans; in der neuern Geschichte der
See-Reisen. Hamburg 1789. I. Band. S. 380. u. f.
*)
Im deutschen Merkur 1777. Nov. S. 119.
*)
In dem Schreiben über das Recht des Stärkern, im deut-
schen Museum 1781. I. B. S. 10 u. f.
*)
In dem göttlichen Recht der Obrigkeit, im deutschen
Merkur 1777. Nov. S. 134.
*)
Die Natur theilet ihre edelsten Gaben nicht familienwei-
se aus, und das Recht des Blutes, nach welchem ein
Ungebohrner über den andern Ungebohrnen, wenn bey-
de erst gebohren seyn werden, durchs Recht der
Geburt
zu herrschen das Recht habe, ist für mich eine
der dunkelsten Formeln der menschlichen Sprache.
Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit. II. B. S. 252.
**)
„Wer hat Deutschland, wer hat dem cultivirten Eu-
ropa seine Regierungen gegeben? Der Krieg. — Gewalt-
same Eroberungen vertraten also die Stelle des Rechts,
das nachher nur durch Verjährung, oder, wie unsere
Staatslehrer sagen, durch den schweigenden Contract
Recht ward; der schweigende Contract aber ist in die-
sem Fall nichts anders, als daſs der Stärkere
nimmt, was er will, und der Schwäche-
re giebt oder leidet, was er nicht ändern
kann
. Und so hängt das Recht der erblichen Regierung,
so wie beynahe jedes andern erblichen Besitzes, an einer
Kette von Tradition, deren erster Gränzpfal das Glück
oder die Macht einschlug, und die sich hie und da mit
Güte und Weisheit, meistens aber wieder nur durch
Glück oder Uebermacht fortzog. Nachfolger und Erben
bekamen, der Stammvater nahm; und daſs dem, der
hatte, auch immer gegeben ward, damit er die Fülle
habe, bedarf keiner weitern Erläuterung; es ist die na-
türliche Folge des genannten ersten Besitzes der Länder
und Menschen„. Ebendaselbst S. 253.
*)
Arma tenenti omnia dat, qui jussa negat, sagte schon
Lucanus.
*)
In der Abhandlung von den Ursachen des Despotismus,
in dem Götting. histor. Magazin, II. B. S. 228.
*)
Metus et terror infirma vincula caritatis; q[u]æ ubi remo-
veris, qui timere desierint, odisse incipient.
Tacitus.
*)
Libertas et speciosa nomina prætexuntur: nec quisquam
alienum servitium et dominationem sibi concupivit, ut
non eadem ista vocabula usurparet. Tacitus.
*)
In der deutschen Staats-Canzley 20. Th. S. 425. in fol-
*)
genden Worten: „Nach meinem System von Staats-Recht
und Politik ist mir das Capitel von bürgerlicher
Freyheit
eben so wichtig, eben so heilig und unver-
lezlich, als das in unserm deutschen Staats-System so
wichtige Hauptstück von der Freyheit des Reichs und
seiner Stände. Edle Fürsten denken eben so. Sie sehen
ihr höchstwichtiges Regenten-Amt als eine Bürde an, die
ihnen nur darum erträglich wird, wenn sie recht viel
Gelegenheit erhalten, Väter und Wohlthäter ihres Volks
zu seyn. Regenten, deren Herz nicht die reine Quelle
dieser edlen Gesinnung ist, wird sie zwar durch reichs-
gerichtliche Strafgebote nicht eingeflö[ſ]st werden; geseg-
net seyen aber doch alle Schritte der Reichs-Gerichte,
welche dahin abzielen, den Ausbrüchen der Willkühr
und des Despotismus auf deutschem Grund und Boden
zu steuren! Gesegnet um so mehr, als in unserm mili-
tarischen Jahrhundert das System vom blinden Gehorsam
aus den Clöstern in die Staats-Verfassung übergegangen
zu seyn scheinet, und manche Staaten in Gefahr stehen,
aus bürgerlichen Gesellschaften militarische Subordina-
tions-Systeme zu werden. — Bürgerliche Freyheit
ist nichts anders, als natürliche, auf das Wohl der gan-
zen Staats-Gesellschaft abzweckende Gesetze einge-
schränkte, Freyheit. So lange also die natürliche
Freyheit nicht durch bürgerliche Gesetze oder die Natur
der bürgerlichen Gesellschaft eingeschränkt oder aufge-
hoben ist, so lange muſs sie jedem Gliede derselben un-
verlezt bleiben.„
*)
Ich empfehle zum Lesen, des sel. Zollikofers vor-
trefliche Predigt: Daſs die Verschiedenheit der Stände
und des äusserlichen Glücks nicht nur in unserer Natur
gegründet, sondern auch eine für uns höchstvortheilhafte
Einrichtung der göttlichen Weisheit und Güte seye; im
siebenden Band der nach seinem Tod berausgegebenen Pre-
digten. S.
253.
*)
S. Wahl-Tags-Protocoll von 1790. II. Band, S. 209.
u. f. Verbunden mit D. Crome Wahl-Capitulation K.
Leopolds II. S. 141, wo der brave Mann sich der ehr-
lichen und gewissenhaften Note nicht enthalten kann:
„Dieser„ (§. 6.) „nebst den folgenden ist gar zu
*)
sehr zum Vortheil des Landesherrn eingerichtet. Hier-
aus könnten gerade in unsern Zeiten am allerersten und
häufigsten Unruhen entstehen, da den armen Un-
terthanen durch jenes Gesetz auch der lez-
te Weg zur unpartheyischen rechtlichen
Abhülfe ihrer Klagen nun auch abgeschnit-
ten ist
.„
Nachdem dieses bereits geschrieben war, vernehme ich,
daſs das zwifacher Ehren- und Ruhms-würdige Reichs-
Kammer-Gericht, in eben diesem Proceſs zwischen dem
Churfürsten von Trier und seinen Landständen wegen
dem Pfingstbannzapf, auf dieses erschlichene Inserat der
Leopoldinischen Wahl-Capitulation schlechterdings nicht
geachtet habe.
Und nun wundere man sich nicht mehr, wenn Gott,
der allmächtige und gerechte Richter, sich der Franzosen
als Zuchtruthen gegen dergleichen gewaltthätige und
unbarmherzige Fürsten bedient.
*)
Ein Souverain von der Deutschen Grafenbank kann mit
seinem Gerichts-Beamten weit [despotischer] verfahren, als
ein König in Frankreich mit den seinigen; er kann sie
ohne Ursache von seinen Aemtern werfen. Das kann
unser König nicht. Alle Glieder seiner Dikasterien,
vom Pariser-Ober-Präsidenten an bis zum Arraser-Provin-
*)
zialrathe, sind unabsetzlich, es sey denn, daſs ihnen
nach der Ordnung der Gesetze ihr Proceſs gemacht wer-
de. Das kann nur eines Verbrechens halben geschehen;
und die Weigerung, Edickte zu protocolliren, gehört
nicht unter die Felonien. Diese Gewiſsheit, mein Herr,
macht Männer, und (können Sie es glauben) sie be-
ruht groſsentheils auf dem Eigenthum der Aemter, auf
eben dieser in Deutschland so sehr verspotteten Vena-
lität, welche den Monarchen hindert, die Parlaments-
Stellen an Schmeichler zu vergeben, den Richtern die
Macht läſst, ihren Esprit de corps auf ihre Söhne fort-
zupflanzen, und keinen in ihr Collegium aufzunehmen,
der ihnen nicht ansteht.
Lesen Sie die Vorstellungen unserer Parlamenter; le-
sen Sie die Bittschriften der Unterthanen an den König,
an seine Minister, an seine Beamten; Sie werden wahr-
lich den kriechenden Styl nicht darinn finden, wel-
cher so oft die Sprache und den Character der freyen
Deutschen
erniedriget; und in den Edicten unsers
Landesherrn, ob sie sich gleich mit den Worten: Te [...]
est notre plaisir,
endigen, ist die Sprache weit minder
despotisch, als in den gnädigsten Mandaten Ihrer Wild-
grafen und Reichsakten. Schreiben eines (angeb-
lichen) Franzosen im deutschen Museum 1781. II.
B. S. 158. u. f.
*)
Im patriotischen Archiv II. Band, S. 547.
*)
Wie kann Aufklärung würken, so lange die Erziehung
durchs Beyspiel der Erziehung, durch den Un-
terricht
stillschweigend, aber siegend und unabläſsig
entgegenwürkt, und die zarten Keime einer bessern
Thätigkeit und des ächten patriotischen Sinnes erstickt,
indem sie alles auf den niedrigsten Privat-Ei-
gennutzen
zurückführt und den Menschen isolirt? Nur
bey Wenigen ist die Gesundheit der Seele fest genug,
sie gegen eine so allgemeine Ansteckung zu sichern.
Hr. von Ungern-Sternberg in den Blicken auf
die moralische Welt S. 235.
*)
Le Systeme des Grands est, que le genre humain ne
vit que pour un petit nombre d’hommes et que le mon-
de est fait pour eux. — Belisaire par Marmontel.

Dieſs glauben nicht nur die Principi, sondern auch die
Principoni.
*)
In Nicolai Anecdoten von K. Fried. II. 2. Heft, S. 139.
**)
S. der Frau von la Roche Reisen nach Frankreich
1787. S. 407.
*)
In den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch-
heit,
II. B. S. 264.
*)
„Daſs wirs fuhlen möchten, wem wir den glücklichern
Genuſs unserer ungekränktesten Freyheit einzig zu dan-
ken haben! Nicht der National-Geist ists, der uns si-
chert; nicht die Verfassung ists, die den Verlust un-
serer Freyheit unmöglich macht; nicht ein allgemein
reger Patrotismus ists, der das Freyheits-Schicksal un-
sers Landes so ausgezeichnet merkwürdig seyn lieſs.
Unsere Fursten selbst warens, die uns schüzten; die
Minister unserer Könige warens, die den Despotismus
verabscheuten; der unvergleichbare beglückende Frey-
heits-Ton wars, der in allen Theilen der Landes-
Regierung selbst herrschte„. Spittlers Geschichte
des Fürstenth. Hannov. II. B.
S. 308.
*)
In der angefuhrten Abhandlung im Göttingischen histor.
Magazin,
II. B. S. 195.
*)
„Nun geben aufgeklärtere Religion und Philosophie
(weil doch hie und da ein Prinz sogar deutsche Bücher
liest) und endlich selbst auch Publicität der fürstlichen
Thaten und Unthaten dem allgemeinen Hang zur
despotischen Gewalt das mächtigste Gegengewicht.
In der Geschichte des Fürstenthums Hannover, II. B. S. 182„.
*)
Geschichte der päbstlichen Nuntien in Deutschland, II.
Theil, S. 46. u. f.
*)
Im neuen deutschen Merkur, Jul. 1792. S. 296.
*)
In der Beschreibung seiner Crön- und Salb[u]ng.
*)
In der Schrift: Ueber Regenten, Regierungen [und] Mini-
sters.
S. 401. u. f.
*)
Eine wichtige Auctorität, mit Namen Anti-Machia-
vel, sagte vor fast einem halben Jahrhundert eben diſs
und noch mehr dazu: La plupart de petits Princes et
nommement ceux d’Allemagne se ruinent par la depense
excessive, à proportion de leurs revenns que leur fait faire
l’yvresse de leur vaine grandeur; ils s’abiment pour soute-
nir l’honneur de leur maison et ils prennent par vanité le
chemin de la misére et de l hôpital; il n’y a pas jusqu’au
Cadet du Cadet d’une ligne appanagée, qui ne s’imagine
d’être quelque chose de semblable à Louis XIV. il batit
son [Versailles], il a ses maitresses, il entretient ses armées.
*)
Man sehe hievon die viele Rangordnungen dieser Zeit
von den Chur- und Fürstlich-Sächsischen Häusern, von
Würtemberg, Braunschweig etc. in dem I. Band mei-
nes Deutschen Hofrechts.
*)
S. davon die trauliche Correspondenz zwischen Herzog
Christophen zn Würtemberg, und Landgrafen Philipp
zu Hessen, vom Jahr 1560. in dem Patriot. Archiv
IX. B. S. 119.
**)
Ebendaselbst im IV. B. S. 209. u. f.
*)
Noch unter Kaiser Franz I. war bey groſsen Hof-Fe-
sten und Reichs-Thron-Belehnungen die spanische
Mantelkleidung in Gebrauch. Ich war im Jahr 1765.
als Hessen-Casselischer Gesandter in Wien gegenwär-
tig, als Joseph die erste Thron-Belehnung in der grün
und rothen Uniform seines Regiments leichter Reuterey
ertheilte; und da er aus seinem Cabinet heraustrat,
in der ihm gewöhnlichen Laune die Worte sprach:
„Mein Ober-Hofmeister (Graf von Uhlefeld) wird in
Ohnmacht fallen, wenn er mich in Uniform die Lehen
ertheilen sieht„. Zum Glück vor den Kaiser war in
seiner Wahl-Capitulation über diesen wichtigen Punct
nichts bedungen worden und sein Beyspiel hat es nun
zum Reichs-Herkommen gemacht.
*)
S. Patriot. Archiv für Deutschland, XII. B. S. 460.
*)
S. Götting. histor. Magazin II. Band, S. 100.
**)
Im deutschen Museum II. Band, S. 90.
*)
Epitres diverses.
*)
Jesaias III, 4.
*)
I. Könige XII, 6 — 13.
*)
Personne ne sonhaite plus, que moi, Monseigneur, que
vous soiés un très grand nombre d’années loin des périls
inséparahles de la roiauté. — Je le sonhaite pour le bien
de l’état. Je le souhaite pour le vôtre mêmê; car un des
plus grands malheurs, qui vous pût arriver, seroit, d’être
Maitre des autres dans un age, où vous l’êtes encore si
peu de vous-même. Directions pour la conscien-
ce d’un Roi, par Fenelon
,
p. 2.
*)
Memoires de Noailles, T. IV. p. 12. 39. und 135.
*)
Mr. le Prince amena Mr. le Duc son fils, de l’esprit
*)
du quel on avoit fort parlé, du tems qu’il étoit encore en-
fant en Flandres; cette reputation ne se trouva pas con-
forme à celle que les adulateurs de M. le Prince avoient
établie; il nous parut un petit garcon, qui n’étoit ni bien
ni mal fait, point beau et rien dans son air, qui
eut pu faire connoitre
, qu’il étoit Prince du Sang.
Mem, de Montpensier, T. V. p.
124.
*)
Memoir. de Choisy, T. I. p. 24.
*)
Hinterlassene Werke Friedrichs II. I. B. S. 152.
*)
Epitres diverses.
*)
I. B. S. 30.
*)
La Reine ne mangeoit [que] des mets à l’Espagnole, que l’on
lui faisoit chèz la Molina, une femme de chambre, qu’elle
avoit amenée d’Espagne, qui avoit été à la Reine sa mé-
re, qu’elle aimoit beaucoup et qui avoit une trés-grande
autorité sur elle. Puisque l’occasion se presente d’en par-
ler, je dirai qu’elle se donnoit des grands airs de gouver-
ner; tout le monde lui faisoit la cour, ma sœur de Guise
lui baisoit les mains et l’on dit, qu’elle l’appellait Maman
et lui faisoit mille présens, et toutes les femme lui en fai-
soient aussi pour être bien traitées de la Reine. Pour moi
je ne lui faisois ni la cour ni des présens, je ne l’ai ja-
mais fait qu’[à] mes maitres; je n’ai pas le vol pour les
subalternes, cela n’est pas bon en bien des occasions: Dieu
m’a fait naitre dans une grande élévation;
il y a proportionné mes sentimens, et on ne
m’en a jamais vù de bas, Dieu merci
. Me-
moir. de Monpensier, T. VII.
p. 8.
*)
Memoir. de Millot, T. II. p. 41.
*)
St. Simon, I. B. S. 33.
*)
In den Anecdoten von K. Friedrich, II. B. 2ten Heft
S. 214.
*)
Memoir. de Noailles, T. II. p. 199.
*)
In seinen Fragmenten, III. B. S. 49.
*)
In seinen Denkschriften, I. B. S. 40.
*)
Der Verfasser des Schreibens über das Recht des
Stärkern
im deutschen Museum 1781 I. B. S. 78.
*)
Memoir. hist. et polit. d’Amelot, T. I. p. 52.
*)
Hist. de la Gr. Bretagne, T. I. p. 312.
*)
In den Ephemeriden der Menschheit. 1776. 3. St. S. 22.
*)
Suetonius.
*)
S. 50.
*)
In der Schrift: Ueber Regenten, Regierungen und Mini-
sters,
1784. S. 209.
*)
Hi soli (eunuchi) Principes perdunt, dum eos more gen-
*)
In dem Leben Friedrichs II. K. in Preussen, S. 214.
*)
tium aut Regum Persarum volunt vivere, qui a Populo
etiam amiciſsimum Principem amovent, qui internuntii
sunt, aliud, quam respondetur, sæpe referentes, clauden-
tes Principem suum, et agentes ante omnia, ne quid sciat.
Lampridius.
*)
In dem deutschen Zuschauer. 1788. VII. B. S. 162.
*)
Im Patriot. Archiv, I. Theil, S. 202.
*)
Der patriotische Reg. Rath Reuſs äuſsert bey dieser
Gelegenheit, im 19. Theil seiner deutschen Staats-Canz-
ley
S. 243. den Wunsch: „Warum werden die Räthe
und Diener nicht auch gegen willkürliche Entlas-
sungen
sicher gestellt? Diſs ist die wesentliche Er-
forderniſs bey guter Bestellung einer Landes Regierung,
wann dem redlichen Diener seine Pflicht, in allen Fäl-
len, Gott, die Wahrheit und Gerechtigkeit allen Ne-
ben-Rücksichten vorzusetzen, erleichtert werden will.
Es ist immer eine harte Aufgabe für einen treuen, aber
armen, Rath und Diener, seine Pflicht zu erfüllen,
wenn er Gefahr lauft, in Ungnaden zu fallen und
nun in Gnaden entlassen oder etwa auf einen
unangenehmen Platz versezt zu werden. Unsere allge-
meine Rechts-Theorie stellt sie dagegen gewiſs nicht
sicher. — Aber Pflicht für den Regenten ist es, diesen
Grundsatz landgrundgesetzlich zu machen, wenn er sein
Land liebt„. Irre ich nicht ganz, so ist dieser gerechte
Wunsch blos deſswegen unerfüllt geblieben, weil man
in dem Vertrauen und aus Ueberzeugung der persönlichen
Tugend der Fürsten des Hauses Oranien-Nassau den Fall
als moralisch unmöglich gehalten, daſs sie einen Mann
*)
deſswegen, weil er seine Pflicht mit reiner Treue in ih-
rem ganzen Umfang erfüllt, unglücklich machen würden.
Bey Menschen Gedenken ist auch kein solcher Fall
eingetreten; und eben so wenig laſst es sich furs künf-
tige besorgen.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Politische Wahrheiten. Politische Wahrheiten. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpwd.0