Der
Studirenden Jugend
zu Leipzig
in einem Diſcours
Welcher Geſtalt man denen Frantzo-
ſen in gemeinem Leben und Wandel nach-
ahmen ſolle?
ein COLLEGIUM
uͤber des GRATIANS
Grund-Reguln/
Vernuͤnfftig/ klug und artig zu leben.

zufinden
bey Moritz George Weidemannen.
[[2]]

Gracien Maxim. 67.
DAnsles fonctións de l’ es prit, le plauſible a toujours
trionfé. Un diſcours poli \& coulant chatouïlle les oreilles, \&
charme l’ entendement: au contraire la ſeichereſſe d’ une ex-
preſſion metaphyfique choque ou laſſe les auditeurs. Ilya des em-
ploy, dont le principal exercice conſiſte à choiſir, \& ou la dependan-
ce eſt plus grande, quæ la direction: comme ſont tous ceux, qui ont
pour but d’ enſeigner \& de plaire. Que l’ Orateur prefére donc les
argumens les plus plauſibles; que l’ Hiſtorien entrem êle l’ utile \& l’
agreable, \& le Filoſofe le ſpecieux \& le ſententieux. Qv’ ils s’ étu-
dient tous à rencontrer le gout univerſel d’ autrui, qvi eſt la vraie
methode de choiſir. Car il en eſt comme d’ un feſtin, ou les vian des
ne s’ aprétent pas du gout des cuiſiners, mais à celvy des conviez.
Qv’ importe que les choſes ſoient fort au gout de l’ Orateur, ſi elles
ne ſont pas à celvy des auditeurs, pour qui elles ſont aprêtées?
Nam cœnæ fercula noſtræ, dit Martial, Malim convivis, quam
placuiſſe cocis.

[3]

Meine Herren


ES iſt kein Zweiffel/ und ſchon von
vielen angemercket worden/ daß wenn un-
ſere Vorfahren die alten Teutſchen anitzo
auferſtehen und in Teutſchland kommen
ſolten/ ihnen im geringſten nicht duͤncken
wuͤrde/ daß ſie in ihren Vaterlande und bey
ihren Landsleuten waͤren/ ſondern ſie wuͤr-
den ſich vielmehr einbilden/ daß ſie in einem
frembden Lande bey unbekanten und gantz andern Menſchen ſich
auf hielten; ſo groſſe Enderungen ſind/ ich will nicht ſagen/ in
tauſend/ ſondern nur in etlichen hundert Jahren darinnen fuͤrge-
gangen/ unter welchen nicht die geringſte iſt/ daß da fuͤr dieſem die
Frantzoſen bey denen Teutſchen in keine ſonderliche Hochachtung
kom̄en/ heut zu Tage alles bey uns Frantzoͤſiſch ſeyn muß. Fran-
tzoͤſiſche Kleider/ Frantzoͤſiſche Speiſen/ Frantzoͤſiſcher Haußrath/
Frantzoͤſiſche Sprachen/ Frantzoͤſiſche Sitten/ Frantzoͤſiſche
Suͤnden ja gar Frantzoͤſiſche Kranckheiten ſind durchgehends im
Schwange. Solten wir uns nun nicht billig ſchaͤmen (ſo wir ja
nichts anders bedencken wolten) daß wenn unſere Vorfahren ei-
nen Blick in die ietzige Welt thun ſolten/ ſie an ſtatt ihres gleichen
in Teutſchland anzutreffen daſſelbige mit teutſchen Frantz-Maͤn-
nern beſetzet finden wuͤrden/ welche von denen uralten Gebraͤu-
then ſo gar abgewichen ſind/ daß von ſelbigen faſt nicht das ge-
A 2ringſte
[4] ringſte mehr/ welches uns von den vorigen eine Anzeigung geben
koͤnte/ uͤbrig blieben; ich meine ja ſie wuͤrden uns als unechte Kir-
der und Baſtardte anſpeyen/ und uns eher mit unſern Frantzoͤſi-
ſchen Baͤrtgen fuͤr feige und weibiſche Memmen als anſehnliche
wackere Maͤnner achten; ich meine ſie wuͤrden uns entweder ei-
nen derben und nachdruͤcklichen Verweiß geben; oder aber uns
nicht einmahl ihres Zorns wuͤrdig achtende mit einen bittern Ge-
laͤchter von ſich ſtoſſen.


Auff dieſe Weiſe pflegt man oͤffters von unſerer heutigen Le-
bens-Art und Wandel zu urtheilen; aber meines Beduͤnckens/
wenn man keine andere Urſachen wieder dieſelbige fuͤrbringen
kan/ moͤchte man wohl mit dieſen in Ruhe ſtehen/ und die guten
alten Teutſchen in ihren Graͤbern ebenmaͤßig ruhen laſſen. Es
iſt von Anfang der Welt in denen meiſten Republiqven ſo her-
gegangen/ daß die Sitten und Manieren zuleben ſich hin und
wieder veraͤndert haben; eines einzelen Menſchen Wille iſt ver-
aͤnderlich/ wie ſolten denn ſo viele Menſchen/ aus welchen das ge-
meine Weſen beſtehet ſtets waͤhrend einerley Lebens-Art behal-
ten? Aenderungen ſind wohl ins gemein gefaͤhrlich/ aber des-
wegen nicht allemahl zuverwerffen/ weil man auch daß gute ſelten
ohne Gefahr erhalten kan. Dannenhero iſt ungereimbt/ wenn
man ein geaͤndertes Leben bloß wegen der Aenderung tadeln will
ohne zuſehen ob man das Gute mit boͤſen/ oder dieſes mit jenem
verwechſelt habe. Die alten Teutſchen waren wegen eines und
andern billig fuͤr uns zuloben; aber wer wolte leugnen/ daß wir
nicht auch in vielen Stucken einen mercklichen Vortheil fuͤr ih-
nen auffzuweiſen haͤtten? Solte nun ein Teutſcher von der Gat-
tung wie ſie uns Tacitus beſchreibet/ oder Dieterich von Verne
der edle Held elende (wie ihn das ſo genante Helden-Buch zum
oͤfftern betittelt) uns unſere Gebraͤuche durchhecheln wollen; ſo
halte ich gaͤntzlich dafuͤr/ daß ihnen aͤngſter werden ſolte/ als dem
alten
[5] alten Hildebrand geweſen/ da ihn der Rieſe bey ſeinem Bart er-
wuͤſchte und uͤber die Achſeln ſchleuderte. Meine Herrn/
wenn ſie etwan teutſche Buͤcher/ ſo fuͤr ein baar hundert Jahren
geſchrieben worden/ geleſ[e]n/ und dabey die herrlichen Holtzſchnit-
te bemercket haben; ſo ſtellen ſie ſich nur fuͤr/ wenn einer der auff
dieſelbe altvaͤteriſche Art gekleidet waͤre/ und den damahlen ge-
braͤuchlichen deutſchen dialectum (z. e. Es was ein Jung-
mann/ der was ein groß hoffierer der Maydt ꝛc.
) redete/
und ſich mit denen zu ſeiner Zeit gewoͤhnlichen Complimenten und
Reverentzen nichts geringes zu ſeyn duͤncken lieſſe/ uns itzo refor-
miren
wolte/ oder wenn M. Ortuinus Gratius und M. Jrus
Perlirus
die großen Fackeln jener Zeit eine Viſitation auff un-
ſern hohen Schulen anſtellen wolten; wer wuͤrde wohl ſo dann
fuͤr der gantzen erbarn Welt auslachens wuͤrdig ſeyn? So halte
ich auch gaͤntzlich dafuͤr/ daß die Nachahmung derer Frantzoſen fuͤr
ſich ſelbſt an uns ohne ſonderbahre Urſache geſcholten werden koͤn-
ne. Eine Nachahmung iſt allezeit lobens wuͤrdig/ wenn die
Sache ſelbſt nichts ſcheltwürdiges an ſich hat/ in Mitteldingen
verdienet ſelbige weder Lob noch Tadel. Bey dieſer Bewand-
nuͤß nun/ gleich wie es mit denen Frantzoͤſichen Suͤnden und
Kranckheiten ſeine geweiſete Wege hat/ und kein Menſch ſolche
vertheidigen wird; auch beyde nicht fuͤr uns/ ſondern jene fuͤr
die Herrn Theologos gehoͤren/ dieſe aber denen Herren Me-
dicis
zu curiren gelaſſen werden muͤſſen; alſo ſind die Fran-
tzoͤſiſchen Kleider/ Speiſen/ Haußrath/ Sprachen und Sitten
ſolche Dinge/ welche wenn ſie von Hoffarth/ Uppigkeit Uberfluß/
naͤrriſcher Affectation und andern Laſtern entfernt ſeyn/ mit
nichten als denen Goͤttlichen Geſetzen zu wieder ausgeruffen wer-
den koͤnnen; zum wenigſten wuͤrde es mir und meines gleichen
als ein unzeitiger Eyfer ausgedeutet werden/ wenn ich meine
Herren von dem Frantzoͤſichen Sprachmeiſter an des Schottelii
A 3teutſche
[6] teutſche Sprachen Schul/ von dem Dantzmeiſter auff die Kir-
meſſen/ von unſern Mode Schneidern an einen Dorffſtoͤrer/ oder
von denen Koͤchen/ ſo die Speiſen wohl zuzurichten wiſſen auff die
altvaͤteriſchen Sudelkoͤche/ die einen guten Hirſenbrey mit Biere
und dergleichen Leckerbißlein aus denen alten Kochbuͤchern anrich-
ten koͤnnen/ verweiſen wolte. Ein weiſer Mann ſo in der Welt le-
ben muß/ muß nicht allein das jenige/ ſo nicht zu aͤndern iſt/ ohne
murren mit Gedult ertragen/ ſondern auch vielm ahlen was gutes
zuſtifften und andere zugewinnen allen allerley werden/ oder doch
meiſtens auch das jenige/ was leichtlich mißbraucht werden kan/
ſich wiſſen zu nutze zu machen und zum beſten zukehren.


Derowegen ſey es ſo/ man ahme denen Frantzoſen nach/ denn
ſie ſind doch heut zu tage die geſchickteſten Leute/ und wiſſen al-
len Sachen ein recht Leben zugeben. Sie verfertigen die Klei-
der wohl und beqvem/ und erſinnen ſolche artige Moden/ die nicht
nur das Auge beluſtigen/ ſondern mit der Jahrszeit wohl uͤberein-
kommen. Sie wiſſen die Speiſen ſo gut zu præpariren/ daß ſo
wohl der Geſchmack als der Magen vergnuͤget wird. Jhr
Haußrath iſt reimlich und propre, ihre Sprache anmuthig und
liebreitzend/ und ihre ohnerzwungene ehrerbietige Freyheit iſt ge-
ſchickter ſich in die Gemüther der Menſchen einzuſchleichen als
eine affectirte bauerſtoltze gravitaͤt. Nichts deſto weniger iſt
auch nicht zu leugnen/ daß wenn man iemand/ der hochgeachtet
wird/ nachahmen will/ man ſich in Kleinigkeiteu/ welche nichts zur
Sache thun/ nicht vertieffen muß/ ſondern das Hauptwerck er-
gruͤnden/ durch welches ſich derjenige/ ſo nachgeahmet wird/ ſeine
Hochachtung erworben. Maͤnniglich lacht Baſſianum aus/
daß er mit aller Gewalt Alexander den groſſen nachaͤffen wol-
len/ ſo gar daß er den Kopff auff eine Seite zutragen ſich ange-
wehnet/ und des ehrlichen Ariſtotelis Buͤcher mit groſſen Leyd-
weſen derer Herren Peripateticorum verbrennen laſſen/ weil
man
[7] man ihn berichtet/ ob waͤre Ariſtoteles mit urſach geweſen/ daß
dem alexander mit Gifft vergeben worden; da er doch im uͤbri-
gen nicht die geringſte qvalitaͤt/ krafft welcher Alexander ſich
den Namen des Großen verdienet/ an ſich gehabt. Jch weiß
nicht/ Meine Herrn/ ob es uns nicht auch ſo gehe. Denn wie
kommts doch/ daß wan von uns Teutſchen iemand in Franck-
reich reiſet/ ohnerachtet er propre gekleidet iſt/ und ſehr geſchickt
von einen Frantzoͤſiſchen Braten oder fricaſſée raiſonniren
kan/ auch perfect parliret und ſeinen Reverentz ſo gut als ein
leibhafftiger Frantzoß zumachen weiß/ er dennoch gemeiniglich
als ein eiufaͤltiges Schaff ausgelachet wird/ da hingegen die
Frantzoſen/ ſo zu uns herauſſer kommen durchgehends Liebe und
Verwunderung an ſich ziehen? Es kan nicht fehlen/ wir muͤſſen
mit unſerer Nachahnung das rechte pfloͤckgen nicht getroffen ha-
ben/ und iſt dannenhero hoch noͤthig/ wenn wir ihnen hinter die
Kuͤnſte kommen wollen/ wodurch ſie alle Welt ihnen Ehrerbie-
tung zu bezeigen anlocken/ daß wir der Sachen ein wenig reiffer
nachdencken/ ob wir den wahren Hauptzweck erreichen koͤnnen.


Wie ſolten wir aber denſelben beſſer erlangen/ als wenn wir
das jenige etwas genauer uͤberlegen/ welches die Frantzoſen un-
ter ſich in hohen Werth halten/ und derohalben die jenigen ſo da-
mit begabt ſind andern fuͤrziehen. Sie machen viel weſens
d’ un honnéte homme, d’ un homme ſcavant, d’ un
bel esprit, d’ un homme de bon gouſt, \& d’ un homme
galant,
welches alles ſolche Eigenſchafften ſind/ ſo wohl verdie-
nen/ daß man ſie nicht obenhin anſehe/ noch vermeine/ daß man es
trefflich erfunden habe/ wenn man nach uuſerer Redens-Art ſa-
gen wolte/ ſie erfoderten zu einem geſchickten Menſchen/ daß er
ein chrlicher/ gelehrter/ verſtaͤndiger/ kiuger und artiger
Kopff ſey/
in anſehen die Frantzoſen ſelbſt dieſe Titel nicht alle-
mahl auff gleiche Art gebrauchen. Zwar ſo viel un honnéte
homme
[8]homme betrifft; halte ich wohl dafuͤr/ daß ſie gemeiniglich einen
chrlichen und gerechten Mann dadurch verſtehen/ der niemand
mit Vorſatz beleidiget oder vervortheilet/ ſeyn gegebenes Wort
genau beobachtet/ denen duͤrfftigen/ ſo ſeine Huͤlffe von noͤthen
haben/ willig und gerne beyſpringe/ auch von ſeinen Guthaten
nicht viel Weſens machet/ noch dieſelbe wieder vorruͤcket \&c.
und wird ohne Zweiffel des Farets Tractätgen/ welches er d’un
honnête homme
geſchrieben dieſes alles weiter erlaͤutern; wie
wohl jener Frantzoſe meinte/ dieſes waͤre ein honnête homme
der zugleich eine Maitreße/ einen verwirrten Proceß/ und eine
qverelle haͤtte/ und ſich bey allen dreyen wohl betruͤge. So
bemercken ſie auch mit dem Titel Scavant einen Gelehrten/ aber
einen ſolchen/ der mit ſchoͤnen und den menſchlichen Geſchlecht
nuͤtzlichen Wiſſenſchafften gezieret iſt/ denn denjenigen/ der im
Gegentheil den Kopff voll unnoͤhtige Grillen und Sophifte-
reien hat/ welche zu nichts nuͤtz ſeyn/ als die ſo dieſelben
lernen/ bey der klugen Welt zu proſtituiren, nennen ſie
Scavantas, welches faſt dem klange nach mit unſerm Wort
phantaſt uͤbereinkom̄t. So viel un bel esprit betrifft/ muß
man nicht meinen/ daß mit dieſem Titel die jenigen beleget wer-
den ſollen/ welche in Geſellſchafft einen luſtigen Schwanck artig
zu erzehlen oder aus dem ſteigreiff ein Verßgen oder Liedgen zu
machen wiſſen/ obſchon ins gemein ſolche Leute fuͤr beaux esprits
ausgeruffen werden/ ſo gar/ daß es bey denen Frantzoſen faſt da-
hin gekommen/ daß verſtaͤndige Leute ſich es fuͤr eine Schande ge-
halten mit dieſen Namen geruͤhmet zu werden. Le Pere Bou-
hours
ein bekanter Jeſuite hat die Eigenſchafften/ welche zu
der wahrhafftigen Schoͤnheit des Verſtands eigendlich erfordert
werden/ weitlaͤufftig beſchrieben. Er machet dreyerley Arten
derer Leute/ die mit ſo einem ſchoͤnen Geiſte begabet ſind/ derer
etliche fuͤrnemlich vom ſtudiren und der Gelehrſamkeit profes-
ſion
[9]ſion machen/ etliche ſich in taͤglicher converſation hauptſaͤchlich
beliebt zu machen wiſſen/ etliche aber zu wichtigen Verrichtun-
gen fuͤr andern gebraucht werden koͤnnen. Zu der erſten Art
erfordert er/ daß ein Gelehrter/ ſo ſich dieſes Titels wuͤrdig
machen will/ einen Verſtand haben muͤſſe/ qui ſoit ſolide, bril-
lant, penetrant, delicat, fertile, juſte, univerſel, clair \&
modeſte;
daß er geſchickt ſey alle Sachen wohl zu unterſchei-
den/ und ſelbige wie ſie au ſelbſt ſind zubetrachten/ nicht aber wie
der gemeine Poͤbel ſich durch das euſerliche Anſehen betriegen zu
laſſen/ oder durch all zu ſubtiles nachſinnen ſich eitele und vergeb-
liche Einbildungen davon zu machen/ daß er nicht verdrießlich
und muͤrriſch/ ſondern luſtig und lebhafft ſey; das er die Grund-
Regeln derer Wiſſenſchafften wohl verſtehe/ auch dadurch die dun-
ckelſten Fragen entſcheiden koͤnne/ und nicht an allen zweiffele/
oder ſolche Wahrheiten/ ſo offenbahr und am Tage ſind/ durch
unzeitiges diſputiren uͤmbzuſtoſſen ſuche; daß er ſeine Gedan-
cken nicht plump und unangenehm ſondern mit guter manier
und Anmuthigkeit fuͤrzubringen wiſſe; daß er einen guten Vor-
rath habe von fuͤrfallenden Sachen haͤuffig und doch nicht ver-
ſchwenderiſch zu raiſonniren, und nicht ſeine locos commu-
nes
auff einmahl ausſchuͤtte/ ſondern denen jenigen ſich verglei-
che/ die reich und propre gekleidet ſind/ aber niemahls naͤrriſche
Unkoſten auff ihre Kleidung wenden; daß er ſeine eigene Ge-
ſchickligkeit zu Marckte bringe/ und ſich mit anderer Gelehrten
Gute nicht bereichere/ oder ſeine Sachen mit nichts als Spruͤ-
chelgen/ die er aus denen alten und neuen Scribenten zuſammen
geſucht/ ausſchmuͤcke; daß er in allen guten Wiſſenſchafften be-
wandert ſey; daß er ſeine Gedancken andern klar und deutlich an
Tag geben koͤnne/ und nicht ſo zweydeutig oder dunckel rede/ wie
ehe deſſen die Oracula, oder als wenn er wolte lauter Raͤtzel auff-
zurathen geben; endlich daß er beſcheiden ſey und weder zu viel
Bvon
[10] von ſich prahle/ noch ſich affectirter Weiſe verberge. Nechſt
dieſem ſetzet er die andere Art des beaux exprits, ſo zwar nicht
ſtudiret, aber doch durch eine lange Erfahrenheit und Conver-
ſation
ſich die Geſchickligkeit zu wege bracht haben/ daß ſie wohl/
leichte/ und artig in Geſellſchafft reden/ daß ſie alles was man
ihnen ſagt/ geſchwind und ſcharffſinnig beantworten/ daß ſie ge-
ſchickte Fragen auffwerffen/ luſtige Hiſtoͤrgen erzehlen/ mit Ver-
ſtand ſchertzen/ in froͤlichen Geſellſchafften anmuthig ſpotten/ in
ernſthafften aber klug und weiſe raiſonniren, und mit kurtzen al-
lerhand Geſellſchafft belebt machen koͤñen/ oder wenn dieſelbe ver-
drißlich und ſchaͤfferig werden will/ wieder auffzumunthern wiſ-
ſen. Zu der letzten und fuͤrnehmſten Art erfordert er Leute/ die
gleichſam in Augenblick/ wenn man ihnen eine Verrichtung vor-
ſtellet/ alle Umſtaͤnde derſelben penetriren, auch das jenige zu-
vor ſehen/ was daraus entſtehen koͤnne; die alsbald die Mittel
und Wege erkennen/ wodurch man auch das ſchwerſte Vorhaben
zu Werck richte/ und alle Verhinderungen aus dem Wege raͤu-
me; die ſich auch nicht allzuviel Verhinderungen oder Zufaͤlle
vorſtellen/ welche zu nicht anders nuͤtz ſind/ als die Menſchen ohne
Noth zag-und zweiffelhafftig zu machen. Le bon gout, gleich-
wie es eigentlich einen guten und ſubtilen Geſchmack bedeutet/
und dannenhero von ſolchen Leuten gebraucht wird/ die nicht allei-
ne das was gut ſchmeckt von andern gemeinen Speiſen wol zu un-
terſcheiden wiſſen/ ſondern auch geſchwinde durch ihren ſcharffſin-
nigen Geſchmack urtheilen koͤnnen/ woran es einem eſſen mange-
le; Alſo haben die Frantzoſen nicht uneben dies Wort hernach fi-
guͤrliche Weiſe von allen denen zubrauchen angefangen/ die wohl
und vernuͤnfftig das Gute von den Boͤſen oder das artige von dem
unartigen unterſcheiden/ daß alſo den Nahmen d’ un homme
de bon gouſt
der jenige verdienet/ der ſo viel die Sinnen betrifft/
zum Exempel eine artige uñ geſchickle Lieberey auszuſuchen weiß/
oder
[11] oder der ſich lieber an einer anmuthigen Laute oder wohlgeſtriche-
ne Violine als an den beſten Brumeiſen oder der zierlichſten Sack-
pfeiffe delectiret; ſo viel den Verſtand anlanget/ der mehr
von Hoffmanns oder Caſpars Poëſie haͤlt/ als von Hanns Sach-
ſens Reimen oder andern Meiſter-Geſaͤngen/ der Ciceronem,
Cujacium, Grotium, Carteſium
hoͤher achtet/ als die Schola-
ſticos, Gloſſatores, Ariſtotelis Ethic,
und Petri Lombardi
libros ſententiarum;
ſo viel den Willen angehet/ der eine ver-
gnuͤgliche und dem gemeinen weſen nuͤtzliche Lebens-Art einer
verdrießlichen und pedantiſchen vorziehet; ja ſo viel endlich die
Affecten und Gemuͤthsneigungen beruͤhret/ der zum Exempel
ein galantes und liebreitzendes Frauenzimmer fuͤr eine alberne
und naͤrriſche coquette ſich zur liebſten wehlet. Aber ad pro-
pos
was iſt galant und ein galanter Menſch? dieſes duͤrffte uns
in Warheit mehr zuthun machen als alles vorige/ zumahlen da
dieſes Wort bey uns Teutſchen ſo gemein und ſo ſehr gemißbrau-
chet worden/ daß es von Hund und Katzen/ von Pantoffeln/ von
Tiſch und Baͤncken/ von Feder und Dinten/ und ich weiß endlich
nicht/ ob nicht auch von Aepffel und Birn zum oͤfftern geſagt
wird. So ſcheinet auch/ als wenn die Frantzoſen ſelbſt nicht einig
waͤren/ worinnen eigentlich die wahrhafftige galanterie beſtehe.
Mademoiſelle Scudery beſchreibet dieſelbige in einer abſonder-
lichen converſation de l’ Air galant, als wenn es eine verbor-
gen natuͤrliche Eigenſchafft waͤre/ durch welche man gleichſam
wieder Willen gezwungen wuͤrde einem Menſchen günſtig und
gewogen zu ſeyn/ bey welcher Beſchaffenheit dann die Galante-
rie,
und das je ne Scay qvoy wo von obgemelter Pere Bou-
hours
ein gantzes Geſpraͤch verfertiget/ einerley waͤren. Jch
aber halte meines beduͤnckens davor/ daß Monſ. Vaugelas und
Monſ. Coſtar die Eigenſchafft der Galanterie ein wenig ge-
B 2nauer
[12] nauer uñ deutlicher beſchriebẽ haben/ daß es etwas gemiſchtes ſey/
ſo aus dem je ne ſcay qvoy, aus der guten Art etwas zuthun/
aus der manier zu leben/ ſo am Hoffe gebraͤuchlich iſt/ aus Ver-
ſtand/ Gelehrſamkeit/ einen guten judicio, Hoͤfflichkeit/ und
Freudigkeit zuſammen geſetzet werde/ und deme aller zwang/ ar-
fectation,
und unanſtaͤndige Plumpheit zuwieder ſey. Ja ich
meine/ daß ich nicht irreu werde/ wenn ich ſage/ daß bey denen
Frantzoſen die Galanterie und la Politeſſe eines ſey und dan-
nenhero zu beſſern Verſtand der Galanterie alles das jenige
wohl verdiene geleſcn zu werden/ was ruͤhmlich erwehnte Made-
moiſelle Scudery
in einer andern converſation von der Poli-
teſſe
anmuthig und artig anfuͤhret. Denn daß ſie daſelbſt ver-
meinet/ wie die wahre Politeſſe darauff beruhe/ daß man wohl und
anſtaͤndig zu leben/ auch geſchickt und zu rechter Zeit zu reden wiſ-
ſe/ daß man ſeine Lebens-Art nach dem guten Gebrauch der ver-
nuͤnfftigen Welt richte/ daß man niemands einige grob-und Un-
hoͤffligkeit erweiſe/ daß man denen Leuten niemals das jenige un-
ter Augen ſage/ was man ſich ſelbſt nicht wolte geſagt haben/ daß
man in Geſellſchafft das groſſe Maul nicht allein habe/ und ande-
re kein Wort auf bringen laſſe/ daß man bey den Frauenzimmer
nicht gar ohne Rede ſitze als wenn man die Sprache verlohren
haͤtte/ oder das Frauenzimmer nicht eines Worts wuͤrdig achte;
hingegen auch nicht allzu kuͤhne ſey/ und ſich mit ſelbigen/ wie gar
vielfaͤltig geſchiehet/ zugemein mache; dieſes alles ſage ich/ ſind
ſolche Gigenſchafften/ die zu einen galanten Menſchen erfordert
werden.


Es iſt aber nicht genug/ Meine Herren/ daß wir mit dem
Verſtand derer Woͤrter/ die bey denen Frantzoſen einen Men-
ſchen in hochachtung bringen/ richtig ſind. Wir muͤſſen auch
ein wenig betrachten; ob denn die Frantzoſen hierinnen einen
Vorzug fuͤr uns haben/ daß wir dieſelben in dieſen Stuͤcken nach
zu
[13] zuahmen beduͤrfftig ſind. D’ un honnéte homme von einen
ehrlichen Mann machen ſie zwar viel weſens/ ſo gar daß ein be-
kanter Hoffmann ſeinem Koͤnig auff keine beſſere Art zuliebkoſen
gewuſt/ als daß er zu ihm geſagt/ wie er ihn nicht ſo wohl wegen ſei-
ner tapffern Thaten/ als daß er ein rechter honnéte homme
waͤre/ liebte und ehrete; Alleine ob auch bey allen oder denen mei-
ſten die wahrhafftige honnetête ſo wohl in der That als in
dem Munde anzutreffen ſey/ iſt eine kuͤtzliche Frage/ welche doch
auch zu unſeren Zweck eben nicht noͤthig iſt/ weitlaͤufftig eroͤrterß
zu werden. Denn ohne einer von beyden nationen zuſchmei-
cheln oder dieſelbe anzuſtechen/ werden wir gar ſicher ſagen koͤu-
nen; das wenn unter denen Frantzoſen nicht wenig gefunden
werden/ welche dieſe Tugend hindanſetzen/ bey uns Teutſchen an
ſolchen Leuten auch kein Mangel ſey/ und wenn im Gegentheil
die Frantzoſen viel Exempel des honnêtes gens auffzuweiſen
haben/ wir ebenmaͤßig daran nicht arm ſind/ noch von noͤthen ha-
ben deswegen bey denen Frantzoſen nach Perſonen/ denen man
hierinnen nachahmen wolte/ uns umzuſehen.


Was aber die Gelehrſamkeit betrifft/ ſo iſt wohl kein Zweif-
fel/ daß es heut zu tage unter denen Frantzoſen mit denen Gelehr-
ten auff das hoͤchſte kommen/ in Anſehen dieſelbigen durch die
Magnificentz des Koͤnigs uñ die Hochachtung derer Groſſen bey
Hoffe angefriſchet ins geſampt embſig bemuͤhet ſind/ anmuthige
und nuͤtzliche Wiſſenſchafften fortzupflantzen/ und die ohnnoͤthi-
gen Grillen derer Schulfuͤchſe auszutilgen und aus dem Lande
zujagen. Petrus Ramus ſcheinet von den erſten mit geweſen
zu ſeyn/ der den Grund hierzulegen helffen. Und ob er wohl in
ſeinem Haß wieder den Ariſtotelem ein wenig die Graͤntzen
uͤberſchritten/ auch ſeine Schrifften eben fuͤr die vollkommeſten
nicht zu achten ſind/ ſo iſt doch nicht zu laͤugnen/ daß er zuerſt das
Hauptſtuͤck der Weltweißheit/ welches einen Menſchen anwei-
B 3ſet/
[14] ſet/ wie erſeine Vernunfft recht gegrauchen ſoll/ von den Unflat
und Narrenpoſſen derer Schullehrer in Franckreich geſaubert/
und ſo viel an ihn geweſen/ ſich euſerſt bemuͤhet/ daß die Philoſo-
phie
als ein taugliches Werckzeug derer hoͤhern Wiſſenſchafften
gebraucht werden koͤnne; wiewohl mit ſeiner groͤſten Gefahr ja
mit Verluſt ſeines Lebens. Jhme ſind hierinne andere kluge
Koͤpffe nachgefolget/ und muß ich nur eines eintzigen zuerwehnen
geſtehen/ daß des Port Royal l’ Art de penſer ob ſie gleich
durch und durch gantz Carteſianiſch iſt/ dennoch ſehr viel gutẽ
Sachen in ſich begreiffe/ und wohl verdiene/ daß ſie von einem/
der in ſeinen Kopff ein wenig auffraͤumen will/ mit bedachtgeleſen
werde. Und was muͤſte ich fuͤr Zeit und Gelegenheit haben/
wenn ich alle die Gelehrten Frantzoͤſiſchen Scribenten, welche
die Mathemathic, die Phyſic, die Sittenlehr und die hohen
Facultaͤten mit vielen unvergleichlichen Schrifften ausgebutzet
haben nur erzehlen wolte.


Dieſes kan ich unangemerckt nicht laſſen/ daß ſie aus ei-
nem uͤberaus klugen abſehen nicht allein ihre Wercke mehren-
theils in Frantzoͤiſcher Sprache heraus geben; ſondern auch den
Kern von denen Lateiniſchen/ Griechiſchen/ ja auch nach Gele-
genheit teutſchen Autoren in ihre Mutterſprache uͤberſetzen;
denn dadurch wird die Gelehrſamkeit unvermerckt mit groſſen
Vortheil fortgepflantzet/ wenn ein ieder das jenige/ was zu einer
klugen Wiſſenſchafft erfordert wird in ſeiner Landes Sprache le-
ſen kan/ und es ſich nicht erſt umb frembde Sprachen zuerlernen
ſauer werden laſſen muß. Abſonderlich iſt an ihren verſionen
zu loben/ daß hierzu ſich Leute gebrauchen laſſen/ welche von maͤn-
niglich fuͤr gelehrt und klug paſſiret werden muͤſſen; auch beyder
Sprachen ſo wohl der Frantzoͤſiſchen als der Griechiſchen oder La-
teiniſchen recht maͤchtig geweſen; und endlich nicht obenhin/ wie
die Schuͤler die argumenta zu machẽ pflegen/ die Autores uͤber-
ſetzet/
[15] ſetzet/ ſondern mit guten bedacht und ſcharffen nachſinnen/ ſo gar
das mancher der ſeine verſion oͤffters und fleißig uͤberſehen auch
wohl in die zwantzig Jahr damit zugebracht/ ſich nicht verdrieſſen
laſſen/ alles zuzerreiſſen und von vornen anzufangen/ wenn ihm
eine beſſere methode gezeiget worden. Denn daß ich ietzo des
Deſmarais Titum Livium, des Giri Apologeticum Ter-
tulliani,
des Boelau Epictetum, des Arnaud d’ Antilli Joſe-
phum
geſchweige/ ſo haben Vaugelas durch uͤberſetzung des
Curtii, noch mehr aber der Herr D’ Ablancourt durch verdoll-
metſchung des Thucydidis, Frontini, Minucii Felicis, Ar-
riani, Cæſaris, Luciani
und Taciti ihre Namen unſterblich
gemacht/ und muß ich bekennen/ daß die Verſion des Taciti
mir bey leſung dieſes autoris fuͤr einen der beſten Commenta-
torum,
ſo viel den Verſtand davon anlanget/ gedienet habe/ in
der uͤberſetzung des Luciani aber ein ſolches Kunſtſtuͤck verborgen
ſtecke/ welches einen abſonderlichen weitlaͤufftigen Diſcurs ver-
dienet. Wannenhero amelot de la Houſſaie weißlich ge-
than haͤtte/ wenn er in ſeinen Diſcurs über die Commentato-
res
und Verſiones Taciti und in dem Tractaͤtgen von der
Schmeicheley ſein einfaͤltig Judicium von des d’ ablancourt
uͤberſetzung bey ſich behalten haͤtte/ denn ſo haͤtte der ungenante
Defenſor des D’ ablancourt ihn auch zweiffels ohne fuͤr einen
gelehrten Frantzoſen und geſchickten Dollmetſcher paſſiren laſ-
ſen/ da er hingegen bey dieſer Bewandnuͤß den armen Amelot
recht unbarmhertzig ſtriegelt/ und auch die geringften Fehler/
welche ihm ſonſten billig zu uͤberſehen geweſen waͤren/ fuͤr-
ruͤcket.


Aber wir muͤſſen uns nun auch unter uns umbſehen/ was
es mit denen Gelehrten fur eine Bewandnuͤß habe. Es giebt
ja noch in Dentſchland gelehrte Leute/ aber nicht ſo haͤuffig als
in Franckreich/ weil ſich ſehr viel von denen unſerigen auff die ab-
ſtractio-
[16]ſtractiones Metaphyſicas derer Schullehrer befleißigen/
(durch welche man weder dem gemeinen beſten was nutzet/ noch
ſeiner Seelen Seeligkeit befoͤrdert/ und bey weltklugen Leuten
mehr verhaſt als beliebt ſich machet/) oder die noͤthigen Wiſſen-
ſchafften nur obenhin und ohne gruͤndlichen Verſtand wie die
Nonnen den Pſalter lernen/ und iſt nichts neues/ daß wenn zum
Exempel ein gut Ingenium an ſtatt der Trebern ſeinen Ver-
ſtand mit vernuͤnfftigen Speiſen nehren/ und den Durandum
de S. Porciano \&c.
nicht fuͤr einen Heiligen paſſiren laſſen/
oder dem was ihm in der Jugend fuͤrgeſungen worden/ nicht
nach pfeiffen will/ ſelbiges in ja ſo ſcharffe Inqviſitiones faͤlt/ als
Petrus Ramus zu ſeiner Zeit/ der ſich fuͤr Koͤniglichen Com-
miſſariis
nachdruͤcklich defendiren muſte/ daß er gelehrt/ man
muͤſte die Logic definiren/ und doch mit Muͤhe und Angſt von
derſelben Inquiſition erlediget wurde; oder wohl gar verketzert
und aus heiligem iedoch unzeitigem Eyfer mit denen ſchimpfflich-
ſten Scheltworten beleget wird/ wie etwann ein Geiſtlicher in
Franckreich zu gedachten Rami Zeiten/ der nach des Rami Leh-
re an ſtatt Kiskis, Kankam, miſchi; quisquis, qvanqvam,
mihi \&c. pronuncirte,
von der Sorbone zu Pariß als ei-
ner der eine Grammaticaliſche Ketzerey begangen haͤtte/ ſeiner
beneficien beraubet wurde. So iſt auch offenbahr/ daß wir
in Deutſchland unſere Sprache bey weiten ſo hoch nicht halten
als die Franvoſen die ihrige. Denn an ſtatt/ daß wir uns be-
fleiſſigen ſolten die guten Wiſſenſchafften in deutſcher Sprache
geſchickt zuſchreiben/ ſo fallen wir entweder auff die eine Seite
aus/ und bemuͤhen uns die Lateiniſchen oder Griechiſchen Ter-
minos technicos
mit dunckeln und laͤcherlichen Worten zu
verhuntzen/ oder aber wir kommen in die andere Ecke/ und bilden
uns ein/ unſere Sprache ſey nur zu denen Handlungen in gemei-
nen Leben nuͤtzlich/ oder ſchicke ſich/ wenn es auffs hoͤchſte koͤmmt/
zu
[17] zu nichts mehr/ als Hiſtoͤrgen/ und neue Zeitungen darinnen zu-
ſchreiben/ nicht aber die Philoſophiſchen oder derer hoͤhern Fa-
cul
taͤten Lehren und Grund-Regeln in ſelbiger fuͤrzuſtellen.
Denn wieviel ſind unter uns/ die da meinen/ es ſey die Wiſſen-
ſchafft der Lateiniſchen Sprache ein weſentliches Stuͤcke eines
gelehrten Mannes/ und wer ſelbige nicht gelernet habe/ der koͤn-
ne ohnmoͤglich gelehret ſeyn; ja ich wolte wetten/ daß unter
denen/ ſo dieſen meinen Diſcurs leſen werden/ faſt die helffte die-
ſes ihre erſte cenſur werden ſeyn laſſen/ daß ich ungereimt ge-
handelt/ weil ich ſolchen nicht in Lateiniſcher Zunge verfertiget;
ſo gar wird unter uns ſelbſt der veraͤchtlich gehalten der nur im
geringſten in dieſen Stuͤck zu befoͤrderung guter Kuͤnſte etwas in
unſerer Sprache verſuchen wolte. Dannenhero auch kein Wun-
der iſt/ wenn es bey uns in Teutſchland an guten uͤberſetzungen
mangelt. Zwar ſo viel die Frantzoͤſiſchen Schrifften betrifft/
doͤrffen wir eben die Exempel geſchickter Verſionen ſo gar weit
nicht holen/ ſo von beruͤhmten Maͤnnern nur bey ihren muͤßi-
gen Nebenſtunden verfertiget worden. Denn wer achtet die
Dollmetſchung Moſis Amyraldi von Unterſcheid der Religio-
nen/ und Jean d’ Eſpagne von allgemeinen Jrrthuͤmern/ nicht
fuͤr ein Meiſterſtuͤck? des Molinæi Seelen-Friede und anderer
mehr anitzo zugeſchweigen. Aber was Lateiniſche und Giiechi-
ſche Scribenten betrifft/ werden wir auch wohl einen einigen fin-
den koͤnnen/ den wir ohne Pralerey dem Vaugelas oder d’ A-
blancourt
koͤnnen entgegen ſetzen. Sind gleich unter uns ei-
nige/ die hierzu nicht ungeſchickt waͤren/ ſo waͤre es doch denen-
ſelben hoͤchſt vor uͤbel zu halten/ wenn ſie mit ſo groſſen Fleiß/
als jene gethan eine recht nette Verſion ausarbeiteten/ da man
es ihnen doch kaum danck wiſſen/ oder mit Muͤhe und Noth die
Uberſetzung ungetadelt laſſen wuͤrde. Die meiſten Uberſetzun-
gen derer Autorum Claſſicorum ſind von Schulleuten ver-
Cfertiget
[18] fertiget worden/ die entweder aus itzerwehnten Mangel guter
Belohnung und daß ſie oͤffters mehr famis ſedandæ als famæ
acqvirendæ gratia
die Feder ergreiffen muͤſſen/ oder aber aus
Mangel eines reinen und Hochteutſchen Styli, als welchen
man nicht in Schulen/ ſondern in Geſellfchafft anderer Leute
und Leſung anderer Buͤcher begreiffet/ uns keine anmuthige
Verſion geben wollen/ oder koͤnnen. Zugeſchweigen/ daß viel-
faͤltig Exempel koͤnten angefuͤhret werden/ wie offtermahlen ar-
me Stuͤmper/ die kaum zwey oder drey Worte von der Sprache/
aus welcher die Uberſetzung geſchehen ſoll/ verſtehen/ und bey ieder
Phraſi das Lexicon brauchen muͤſſen/ ſich des dollmetſchens
anmaſſen/ und es auch ſo dann toll und taͤmiſch genung machen.
Jch entſinne mich/ daß fuͤr etlichen Jahren ein politiſch Tractaͤt-
gen heraus kommen/ in welchen der autor ſeine Schreibart de-
ſto beſſer zuverbergen viel Frantzoͤſiſch unter das Teutſche gemi-
ſchet hatte. Als nun die Exemplaria hiervon meiſtens abgan-
gen/ und ſelbiges wieder auffgelegt werden ſolte/ wolte der Ver-
leger denen jenigen zu gute/ ſo kein Frantzoͤſich verſtehen die
Frantzoͤſiſchen Worte und paragraphos alsbald darbey teutſch
mit uͤberſetzen laſſen/ und trug dannenhero dieſe Muͤhewaltung
einem auff/ der das vertiren nicht gelernet hatte/ welcher auch in
der That eine ſolche Probe ablegte/ daß man zum wenigſten bey
der geradebrechten Verſion was zulachen kriegte; denn es waren
in der Warheit etliche Redens-Arten ſo ungereimbt uͤberſetzt/
daß auch Heraclitus ſeine Thraͤnen haͤtte auff eine zeitlang ab-
trocknen muͤſſen/ wenn er ſolche geleſen haͤtte. Jch will nur
Exempels weiſe die vornehmſten hier anfuͤhren. (1.) Er
wird dadurch den Ruhm
d’ un homme ſageer-
werben: da er ſonſt
par un emportement brutal
oder durch einebrutale ausfuͤhrung ſeiner Sache ſich
uͤber-
[19]uͤberall in uͤbelncreditſetzen wuͤrde. (2.) Wie
vor dieſem ein Polniſcher
Seigneurzu Pariß ſei-
nen dollen Zunahmen bey einer
Dameließ anmel-
den/ gab dieſelbe ihrem Diener zur Antwort.

He! qv’ on mene cet animal à l’ ecurie, \& qv’ on
luy donne du foin. Admirez cela.
Ey laſſet die-
ſes Thier auff die
Reitſchule fuͤhren/ und ihm ein
Bund Heu vorlegen.
Kommet euch dieſes frembd vor?
(3.) Jhr Herren/ wir fallen zu weit in unſern
Diſcurſen \& il faut rompre les chiens,das iſt:
wir muͤſſen die Hunde ſtreichen laſſen. (4.) Luxurioſi \&
Prodigi
machen offtermahls einedepence ſourde
pour des amourettes,
das iſt eine heimliche Anklage
fuͤr ihreCourteſien (5) Il ne faut jamais donner
le flanc ou temoigner des baſſeſſes à ſon ennemy.

Man muß niemahls weinen oder gegen ſeinem
Feinde eintzige Zaghafftigkeit ſpuͤren laſſen.
(6)
Un grand eſprit tout ſeul eſt ungrand inſtrument
à faire des fautes.
Ein hoher Geiſt iſt eintzig und al-
lein ein groſſes Werckzeug krumme Haͤndel damit zu-
machen
(7.) Qvel Hazard faut il courir en pre-
nant une femme?
da er vermeinet/ ſie ſeyintacta
und wie die keuſcheſte Seele zu ihm ins Ehrenbet-
te geſtiegen/
\& un Couſin ou Compere a eu les
gans de Madame,
d.i. da hat ein guter Vetter oder
C 2Gevat-
[20]Gevatter Jhre Handſchuh in verwahrung gehabt. Sitzet
nun ein ſolcher ſchon in der hoͤchſten
Dignité,ſo
wird doch ſeines Weibes unehr des Mannes und
der Kinder Ehre keinen geringen Flecken abwi-
ſchen/ und mag die
ComœdiedesMoliereoder
das Frantzoͤſiſche Sprichwort.
Il a cela du com-
mun avec des grands Seigneurs
d. i. Er haͤlt die-
ſe mit andern groſſen Herren
auff der gemeinen Streue
andere aber mich nicht troͤſten. [8] La mort ſu-
bite eſt des toutes la plus commode au ſage \& a
un homme de bien.
Ein geſchwinder Todt iſt
einem klugen und beguͤterten Menſchen der aller-
beqvemſte.
(9) Avec uu bon mot Monſieur, l’
on me feroit aller aux Jndes.
Mit einem eintzi-
gen guten Wort/ mein Herr/
bracht ich es dahin/ daß
man mich in Jndien ziehen lieſſe. (10) Einer der eine
gantz ungeſtalte und
difforme perſon,weil erun
paure Cadet,
und ſie Geld und Mittel hatte/ hey-
rathet/ und ſie hernach ſitzen laͤſſet oder ſich an-
ders wo und im Hauſe mit
Catton divertiret,oder
mit
einem Catoniſchen ernſtlichen Sauerſehen beluſti-
get ꝛc.


Was iſt nun hierbey zuthun/ meine Herren? Sollen wir
uns bemuͤhen die teutſche Sprache durchgehends in Hochachtung
zubringeu/ um dadurch der Ausbreitung der Gelehrſamkeit den
Weg zu bahnen? Dieſes duͤrffte ſchwerlich angehen/ und wuͤr-
den
[21] den wir wenig ausrichten/ weil [bißher] ſchon eine geraume Zeit ſo
viel kluge Koͤpffe/ ſo viel edele Mitglieder der Fruchtbringenden
Geſellſchafft vergebens daran gearbeitet haben. Was fuͤr Hin-
berungen im Wege ſtehen/ waͤre anietzo zu weitlaͤufftig zu erzehlen.
Jch wil nur dieſes beruͤhren: Jn Franckreich redet niemand
teutſch/ auſſer etwan die Teutſchen untereinander/ ſo ſich darinne
auffhalten; Alleine bey uns Teutſchen iſt die Frantzoͤſiſche Spra-
che ſo gemein worden/ daß an vielen Orten bereits Schuſter und
Schneider/ Kinder und Geſinde dieſelbige gut genung reden;
Solche eingeriſſene Gewonheit auszutilgen ſtehet bey keiner pri-
vat-
Perſon. kommet auch derſelben im geringſten nicht zu. Wir
ſolten uns lieber derſelben als eines Mittels bedienen/ die Gelehr-
ſamkeit dadurch fortzupflantzen. Der Jeſuite Bouhours ruͤh-
met die Frantzoͤſiſche Sprache weitlaͤufftig/ daß ſic faͤhig ſey/ eben
dasjenige zu verrichten/ was man durch die Lateiniſche und Grie-
chiſche zu wege bringen kan/ dieweilen/ wie bereits erwehnet/ von
allen noͤthigen Wiſſenſchafften Bücher genung in Frantzoͤſiſcher
Sprache ediret werden. Wir haben ja auch noch gute teutſche
Buͤcher/ obgleich nicht ſo haͤuffig. Warum ſolte es nicht angehen/
daß man durch Huͤlffe der Teutſchen und Frantzoͤſiſchen Sprache/
welche letztere faſt bey uns naturaliſiret worden/ Leute/ die ſonſten
einen guten natuͤrlichen Verſtand haben/ in kurtzer Zeit viel weiter
in der Gelehrſamkeit braͤchte/ als daß man ſie erſt ſo viel Jahre
mit dem Lateiniſchen placket. Sprachen ſind wohl Zierrathen
eines Gelehrten/ aber an ſich ſelbſt machen ſie niemand gelehrt.


Man laſſe diejenigen/ ſo Luſt darzu haben/ und die vom ſtu-
di
ren die Zeit ihres Lebens profeſſion machen wollen/ Latein
und Griechiſch genung lernen/ denen andern aber/ ſo man im ge-
meinen Leben brauͤchen wil/ oder die nichts als Frantzoͤſiſch und
Teutſch gelernet haben/ und denen das ſtudiren wegen des Latei-
niſchen ſauer und verdrießlich wird/ helffe man ohne Verdrießlich-
C 3keit/
[22] keit/ mit dem was ſie gelernet haben/ fort. Jch halte gaͤntzlich da-
vor/ wann man dieſes nur mit wenigem verſuchte/ man wuͤrde gar-
bald einen mercklichen Vortheil daraus ſpuͤhren. Zum Exem-
pel: Wenn ein Fuͤrſt im Reich von 18. oder 20. Jahren
nicht alleine gruͤndlich davon raiſonniren koͤnte: Worinnen das
Amt eines Chriſtlichen und weiſen Fuͤrſten insgemein be-
ſtehe? Wie er zufoͤrderſt denen Goͤttlichen Geſetzen gehor-
ſame Pflicht zu leiſten ſchuldig? Wie weit ihn das natuͤrli-
che Recht gegen alle Menſchen verbinde? Was GOtt uͤber
dieſes in dem allgemeinen Sitten-Geſetz/ ſo er bald nach Er-
ſchaffung der Welt/ oder nach der Suͤndfluth dem gantzen
menſchlichen Geſchlechte
publiciret/ von ſelbigen erſordere?
Worinnen das Weſen und der Grund der wahren Chriſt-
chen Religion beſtehe? Wie das Kirchen-Regiment gefuͤh-
ret und der Kirchen-Friede erhalten werden muͤſſe? Wie
der Profan-Friede ſo wohl aͤußerlich als innerlich zu befeſti-
gen? Wie ein Fuͤrſt nach dem gemeinen Voͤlcker-Recht mit
andern Staaten und Republiqven umbgehen ſolle? Auff
was Art er das
Intereſſeſeiner Benachbarten beobachten
muͤſſe? Wie er bey Zeiten und im Frieden darauff bedacht
ſeyn ſolle/ daß er vor allen feindlichen Unfall ſicher ſeyn koͤn-
ne? Wie er ſcharffe Kriegs-
diſciplinſolle halten/ dabene-
ben aber auch guten und richtigen Sold geben? Wel-
cher geſtalt und zu was Ende er ſich mit andern Fuͤrſten oh-
ne Schaden und mit Nutzen in Buͤndniſſe einlaſſen ſolle?
Wie die Unterthanen in guten Sitten auffzuziehen? Wie
nach derſelben
geniooder ſonſt nach erheiſchender Noth-
durfft die
civil-Geſetze einzurichten? Wie weit dieſelbigen
zu
exeqviren oder in was maſſe ein Fuͤrſt ohne Gefahr dar-
innen
diſpenſiren koͤnne? Wie ferne die Straffe zu min-
dern oder zu ſchaͤrffen? Was fuͤr Diener einem Fuͤrſten zu

Un-
[23]Unterhalt ſeines Staats und zur Nothwendigkeit des ge-
meinen Beſtens vonnoͤthen/ auch was dererſelben ihr Amt
ſey? Wie die Gerechtigkeit gehandhabet werden muͤſſe/ daß
keinem zu kurtz geſchehe/ noch die Unterthanen durch lang-
weilige
Proceſſeausgeſogen und muͤrbe gemacht werden?
Wie Zoͤlle und
Contributionesohne groſſe Beſchwerung
derer Unterthanen oder Hinderung der
Commercien an-
zulegen/ auch wie ſolche loͤblich und wohl angewendet wer-
den ſollen? Und wie endlich derer Unterthanen Nahrung
mercklich gehaͤuffet und befoͤrdert werden koͤnne?
Wenn
ſage ich/ ein Fuͤrſt nicht allein dieſes alles wohl verſtuͤnde/ und hier-
nechſt ſo wohl in alten als neuen, ſo wohl in Kirchen-alspro-
fan-
Hiſtorien wohlverſiret waͤre/ auch fuͤrnehmlich den
Zuſtand des H. Roͤmiſchen Reichs deutlich innen haͤtte/ und
mit guter Art von allen durch eine geſchickte Rede nach dem
kurtzen Hof-
ſtyloſeine Gedancken eroͤffnen/ oder einen net-
ten und artigen Brieff verfertigen koͤnte;
ſondern uber dieſes
dasjenige/ was insgemein zu dem Amte eines Furſten gehoͤret/
auff ſich und ſeine Unterthanen inſonderheit wohl zuappli-
ci
ren wuͤſte; Dieintentionſeiner Benachbarten; Seiner
Unterthanen
naturell/das Thun und Verhalten ſeiner
Cleriſey und Bedienten/ das Vermoͤgen ſeiner Untertha-
nen/ die Nutzbarkeit ſeines Landes etc. genau bemerckete/
und aus dieſem allen dienliche Mittel zu ſuchen wuͤſte/
die gemeine Ruhe und Wohlfahrt zu befoͤrdern etc.

ſo halte ich gaͤntzlich dafuͤr/ man wuͤrde einen ſolchen Herrn mit
gutem Fug fuͤr einen gelehrten Fuͤrſten paſſiren laſſen muͤſſen/
und wo mir recht iſt/ ſo hat Plato auff einen ſolchen gezielet/ wann
er geſaget: Daß alsdenn die Republiqven hoͤchſt gluͤckſelig ſeyn
wuͤrden/ wenn entweder die Fuͤrſten philoſophirten oder denen
Philoſophis die Regiments-Laſt auffgetragen wuͤrde. Aber iſt
denn
[24] denn hierzu ſo groſſe Muͤhe vonnoͤthen? und woran lieget es/ daß
wir dergleichen Proben nicht viel auffweiſen koͤnnen? Warhaff-
tig an denen Potentaten ſelbſt nicht/ ſondern meiſtentheils an der
Art ſelbige zu unterweiſen? Jch bin verſichert/ daß wenn man ei-
nen jungen Herrn von 10 biß 12. Jahren/ der nur ſein Teutſch und
Frantzoͤſiſch verſtuͤnde/ anfienge taͤglich zwey biß drey Stunden
von dieſen Materien mit einem von Ernſt und Schertz gemengten
diſcurs zu unterhalten/ und darneben mit guter Art diſponirte/
daß er noch ein paar Stunden mit Luſt auff Leſung guter Hiſtorien/
auff die Geographie und Genealogien anwendete/ man wuͤrde
ohne ihm einigen Ekel vor dem Studiren noch Verdruß fuͤr denen
Gelehrten zu machen/ ingleichen ohne Beſchwehrung des Ge-
daͤchtniſſes mit vielen auswendig Lernen/ und Marter des Ver-
ſtandes/ dasjenige zu glauben/ was man nicht verſtehet/ welches
zugleich denen Menſchen einen haupt-verdrießlichen Eigenſinn
einfloͤſſet; ia endlich ohne Beybringung vieler nichtswuͤrdigen
Fragen/ welche das Gehirn verwirren und keinen groͤſſern Nu-
tzen haben/ als Ratten und Maͤuſe zu toͤdten; gleichſam ſpielende
und als durch den angenehmſten Zeit-Vertreib noch vor dem ach-
zehenden oder zwantzigſten Jahre dieſes alles zuͤ wege bringen
koͤnnen.


Ferner/ ſo viel eine Privat-Perſon betrifft/ werden mir
verhoffentlich die Gelehrten gar gerne Beyfall geben/ daß ſich ſel-
bige nicht wurde ſchaͤmen duͤrffen mit denen allergelehrteſten
Maͤnnern zu converſiren: Wenn ſie erſtlich die Regeln
gruͤndlich zu
raiſonniren wohl innen haͤtte/ ihre Gedancken
fuͤglich und ordentlich fuͤrzubringen wuͤſte/ von anderer ih-
ren Schrifften ein gut
judiciumfaͤllen/ auch denenſelbigen
den Urſprung ihrer irrigen Meinungen und wie weit ſelbi-
ge von der Richtſchnur der Warheit abweichen/
mit guter
Art und Freundlichkeit darthun koͤnte; Wenn ſie hernachmahls
die
[25]die Rede-Kunſt ſo weit verſtuͤnde/ daß ſie einen wohlgeſetz-
ten Brieff
verfertigen und einen geſchicktenDiſcurs formi-
ren koͤnte; wenn ſie in denen Mathematitiſchen Wiſſenſchaff-
ten
ſo weit bewandert waͤre/ daß ſie von niemand in ſelbigen ver-
rathen zu werden ſich befuͤrchten duͤrffte; wenn ſie von denen
Geſchoͤpffen Gottes und deren natuͤrlichen Eigenſchafften/

ſo viel die Schwachheit des menſchlichen Verſtandes zulaͤſt/ ver-
nuͤnfftig reden; wenn ſie von der menſchlichen Pflicht ſo
wohl gegen GOtt als Menſchen in allen Staͤnden
nicht
ungeſchickte nachricht geben koͤnte; wenn ſie ferner wuͤſte/ was
ehe deſſen von dieſem allen Pythagoras, Zeno, Epicurus,
Plato
und Ariſtoteles fuͤr Meinungen gehabt/ wie dieſer Phi-
ſophen
ihre Secten bald ab bald zugenommen/ wie die
Barbarey im Roͤmiſchen Reich
und ſonſt in der gautzen Welt
uͤberhand genommen/ wie an deren Statt eine Scholaſtiſche
Pedanterey lange Zeit Mode worden/ wie zur Zeit der Refor-
mation
gute Kuͤnſte wieder empor kom̄en/ wasRamusehe
deſſen in der Vernunfft Lehre/ was nach dieſen der beruf-
fene
des Cartesund deſſen Schuͤler abſonderlichMale-
branche
in nachſorſchung der Warheit/ was ebenfals die
Carteſianer,wasGaſſendus,wasDigbyin der natuͤrli-
chen Wiſſenſchafft/ was
Grotius, Hobbes,der HerrPu-
fendorff,
und derer Nachfolger/ oder Wiederſacher in der
Sittenlehre
theils geneuert/ theils gebeſſert; wenn ſie von Ur-
ſprung und Fortgang derer
Republiqvenin der Welt/
von dererſelbigen heutigen Zuſtand/ abſonderlich aber von
Beſchaffenheit des H. Roͤmiſchen Reichs/ und deſſen
Haupt und Gliedern/ von derer andern
Europæiſchen
Potentaten und Republiqven deſſein und interétwohlin-
formiret
waͤre: wenn ſie von dem Zuſtand der Kirchen al-
tes Teſtaments
etwas weniges/ von denen Spaltungen
Dneues
[26]neues Teſtaments und deren Gelegenheit/ abſonderli[c]h aber
von denen Jrrungen ſo nach derReformationentſtanden
genauer und deutlicher zuſagen wuͤſte; wenn ſie von denen
beſten
Autoren,zu foͤrderſt aber von denen neueſten gute
Kundſchafft haͤtte
und in deren Schrifften nicht [frembde] waͤre
u. ſ. w. Jch daͤchte wer dieſes alles præſtirte, doͤrffte noch
wohl ſich unter die Gelehrten machen. Jedoch weiß ich nicht/ ob
wir ſo balde unter jungen Leuten/ und die nicht unter dem ſtu-
diren
faſt veraltet ſind/ dergleichen antreffen wuͤrden/ ob wir ſie
ſchon nicht unter denen/ die in denen hohen und niedern Schu-
len an ſtatt der Buͤcher Wohlluſt und Ergetzlichkeit geliebet/ ſon-
dern vielmehr unter denen/ die die freyen Kuͤnſte in denen trivial
Schulen wohl begriffen/ auch ihre curſus auff denen Acade-
mien abſolviret
und die Diſcurs und Dictata ihrer Lehrer an
einem Schnuͤrgen herzuſagen wiſſen/ hervor ſuchen wolten.
Und dennoch koͤnte gar deutlich dargethan werden/ daß man die-
ſes alles einem erwachſenen jungen Menſchen/ der mit einem
guten natuͤrlichen Verſtand verſehen waͤre und nebſt ſeiner Mut-
terſprache einen Frantzoͤſiſchen Autoren verſtuͤnde/ es moͤge
ein Frauenzimmer oder Mannsperſon ſeyn/ ſo fer-
ne ſelbige nur rechtſchaffene und keine laulichte Begierde haͤtte
ſolches zu lernen/ mit der leichteſten und angenehmſten Art in
ſehr wenig Jahren/ nachdem der Fleiß mehr oder minder waͤre/
ich wil nicht ſagen hauptſaͤchlich beybringen/ doch zum wenigſten
dergleichen Anleitung darzu geben koͤnte/ daß ſie hernach ohne fer-
nere Handleitung und fuͤr ſich ſelbſt nach belieben zu ihrer Ver-
gnuͤgung ohne Anſtoß fort ſtudiren/ oder in der Welt gebraucht
werden koͤnte/ auch allbereit in Geſellſchafft/ wann ſie nur die
Regeln zu rechter Zeit zu reden und zu ſchweigen wohl in acht
naͤhme; fuͤr geſchickt und nicht ungelehrt paſſiren ſolte. Es
kan ſeyn/ daß man mir es fuͤr eine Thorheit oder extravagance
deuten
[27] deuten wird/ daß ich Frauenzimmer und Mannsperſonen in eine
Claſſe geſetzet/ gleich als wenn es eben ſo leichte waͤre jene als
dieſe gelehrt zumachen/ da doch bey uns fuͤr ein Wunder geach-
tet wird/ wenn eine Dame nur in einem einigen ſtuͤck von der
Gelehrſamkeit etwas beſitzet. Aber gleichwie ich einem ieden
gerne ſeine Meinung laſſe; alſo getraue ich mir doch nicht allein
dieſes/ was ich geſetzet/ mit guten Gruͤnden zu behaupten/ ſondern
gar darzuthun/ daß es viel leichter ſey und mehr Succes zuhof-
fen/ ein Frauenzimmer von einem guten Verſtande/ welche kein
Lateiniſch verſtehet/ auch nichts oder wenig von der Gelehr-
ſamkeit weiß/ als eine auch mit guten Verſtande begabte
Mannsperſon/ die aber darneben von Jugend auff ſich mit dem
Latein geplackt/ auch wohl allbereit herrliche Zeugnuͤſſe ihrer
Geſchicklichkeit erhalten hat/ zu unterrichten/ nicht zwar als ob
die Lateiniſche Sprache die Gelehrſamkeit hindern ſolte (denn
wer wolte ſo unvernünfftig raiſoniren?) ſondern weil durch
die durchgehends gewoͤhnliche Lehr-Art viel ungegruͤndet und
ohnnoͤthig zeug nebſt den Latein in die Gemuͤther der Lehrlinge
eingepraͤget wird/ welches hernachmahls ſo feſte klebet/ und
merckliche Verhinderungen bringet/ daß das tuͤchtige und ge-
ſcheide nicht hafften will. Eine neue Schreibetaffel nimmet das
jenige ſo man drauff ſchreibet gar leicht an; wenn aber eine
Schrifft eine geraume Zeit darauff ſtehen blieben/ wie ſchwer
gehet es doch zu/ wenn man hernach das erſte auswiſchen will?
iſt dann das erſte gar auff eine Eſelshaut geſchrieben worden/ ſo
wiſche man wie man wil es werden die alten Buchſtaben oder
Zahlen noch allezeit herfuͤr gucken. Jn zweyen oder dreyen
Jahren kan man viel lehren und lernen. Geſetzt nun daß ein
Frauenzimmer manchmahl etwas Vanitaͤt hat/ welche zuvor-
hero etwan in einer vierteljaͤhrigen Zeit mit guter Art auff die
Seite geſchaffet werden muß; ſo mangelt es doch denen jungen
D 2Herrn
[28] Herren daran eben ſo wenig. Ehe man aber bey dieſen wenn
ſie ſchon ſtudiret haben/ die præjudicia und vorhergefaſte
Meinungen/ welche ſich auff nichts anders als auff die Autori-
taͤt derer/ von welchen ſie ſolche eingeſogen/ gruͤnden/ ausmiſtet/
halte ich dafuͤr/ daß man zum wenigſten ein Jahr mehr Zeit ha-
ben muͤſſe/ welches niemand wunderlich fuͤrkommen wird/ der
beym Carteſio geleſen/ wieviel derſelbige ſeinem eigenen Ge-
ſtaͤndnuͤß nach Zeit angewendet/ ſeinen Verſtand von dergleichen
impreſſionen zuſaubern/ ohnerachtet ihm/ wenn man ſeine
Philoſophie etwas genau betrachtet/ noch unterſchiedene/ wie
wohl wider ſeine gute intention, zuruͤck geblieben.


Wir haben uns in Betrachtung des ſcavant homme ein
wenig zu lange auffgehalten/ wir werden aber den Vortheil da-
von haben in denen uͤbrigen Stuͤcken deſto kuͤrtzer zu ſeyn/ weil
doch/ wenn man es recht heraus ſagen will/ die Wiſſenſchafft der
Grund zu einem bel esprit und ein noͤthiges Stuͤck davon iſt/
dieſes beydes aber das natuͤrliche judicium oder le bon gout
trefflich ſchaͤrffet/ und aus dieſen dreyen endlich ein parfait
homme galant
werden kan. So viel le bel eſprit betrifft/
duͤrfften wir die kürtzeſte Arbeit machen/ wenn wir den Bouhours
folgen wolten/ maſſen wir nur mit zwey Worten ſagen koͤnten/ in
Franckreich waͤre ſelbige Art heute ſo gemein als die Muͤcken in
Hundstagen und bey uns hingegen ſo rar/ als ein Donnerwet-
ter im kaͤlteſten Winter. Er ſaget daß das vorige Jahr hundert
fuͤr Jtalien an ſchoͤnen Geiſtern ſo fruchtbar geweſen ſey/ als es
nach Auguſti Zeiten iemahls ſeyn koͤnnen/ das ietzige aber ſey
fuͤr Franckreich/ indem man mit guten fug ſagen koͤnne/ daß alle
Weißheit und aller Verſtand von der Welt eintzig und allein
bey denen Frantzoſen anzutreffen ſey/ und daß alle andere Natio-
nes
gegen die Frantzoſen gerechnet den Kopff mit Gritze gefuͤllet
haͤtten. Es koͤnne niemand mehr in Franckreich mit ſeinem
ſchoͤ-
[29] ſchoͤnen Geiſt empor kom̄en/ und ſich in hochachtung bringen/ weil
iederman davon etwas uͤberley habe/ und ſey bey nahe kein
Menſch unter i[h]nen/ der ein wenig manierlich erzogen worden/
welcher nicht w[o]hl zu reden und artig zuſchreiben wiſſe; die Zahl
von guten Au[t]oren und denen ſo artigen Sachen verfertigten/
ſey unendlich; die gelehrten Verſamlungen kluger Leute ver-
mehren ſich taͤglich/ ja er wiſſe mit einem Wort nichts/ ſo ge-
meiner waͤre in gantzen Koͤnigreich als le bel eſprit (der vor
dieſem ſo rar tarinnen geweſen) in auſehen er nicht alleine bey
denen Gelehrten anzutreffen/ ſondern auch bey denen Solda-
ten und groſſen Herren. Sie haͤtten Princen welche ſo wohl
am Verſtande als an Tapfferkeit es mit dem Scipio und Cæ-
ſar
annehmen koͤnten (bey welcher Gelegenheit er dann einen
bekanten Printzen ſehr artig und auff Jeſuitiſche Manier zu-
ſchmeicheln weiß) ſie haͤtten Hertzoge/ Marggrafen/ Grafen/
die ſehr geiſtreich und gelehrt waͤren/ und die ja ſo wohl mit der
Feder als dem Degen uͤmbgehen koͤnten/ auch ſo geſchickt waͤren
ein artig Ballet anzugeben oder eine Hiſtorie zu ſchreiben/ als
eine Feldſchlacht zu ordnen; Endlich ſo waͤre bey ihnen an Hertzo-
ginnen/ Marggraͤffinnen/ und Graͤffinnen ſo insgeſamt mit
ſchoͤnen Verſtande begabt waͤren/ ſo wenig ein Mangel als an
denen Herren ſelbſt. Aber uns armen Teutſchen giebt er eine
ſcharffe Lection, indem er uns mit denen Moſcovitern ver-
gleichet/ und vorgiebet als wenn das gar was ſonderliches waͤ-
re/ daß ein Teutſcher und Moſcoviter einen ſchoͤnen Verſtand
habe/ und wenn ja allen falls dergleichen Leute auff der Welt
waͤren/ ſo waͤren es doch Geiſter von einer ſolchen Art/ die
niemahls ohne Verwunderung und entſetzen erſchienen.
Der Cardinal Perron habe von dem Jeſuiten Gretſero geſagt/
daß er genung Verſtand fuͤr einem Teutſchen habe/ gleich als ob
es ein Wunderwerck waͤre/ daß ein Teutſcher mit Verſtande ver-
D 3ſehen
[30] ſehen ſey; Er ſetzet auch die Urſache ſeiner Meynung darzu/ daß
nemlich ein ſchoͤner Geiſt ſich gantz und gar nicht mit dem groben
temperament und maſſiv-Leibern derer Nori-Voͤlcker com-
porti
ren koͤnne. Dieſe offenhertzige Gedancken des Bouhours
ſolten uns nun eine gnungſame Materie geben/ eine Satyre zu
ſchreiben/ wenn es unſer Vorhaben waͤre; in Anſehen ſich der gu-
te Vater mit ſeinem bel eſprit ziemlich bloß gegeben/ indem er
zwar die modeſtie/ als ein noͤthiges Stuͤck davon/ wie oben er-
wehnet/ erfordert/ aber in Warheit ſich nicht allein hierinnen ſehr
immodeſt bezeuget/ ſondern auch ſeine Pralerey (wenn wir uns
teutſcher Redens-Arten/ oder nach ſeiner Art zu ſchertzen/ maſſiv-
Worte gegen ihm gebrauchen wollen) darinnen mercklich ſpuͤhren
laͤſt/ daß er in eben demſelben Geſpraͤch/ wo er d’ un bel eſprit
handelt/ den einen von denen ſich unterredenden Perſonen alſo
einfuͤhret. Il ne ſe peut rien voir de plus beau
que l’ idee que vous avez du bel esprit. J’ ay
penſé dire, qu’il ne ſe peut rien voir de plus
beau que vótre portrait; car on diroit que
vous eſtes peint vous même dans le tableau,
que vous venez de faire, tant il vous reſſemble.

Aber wir wollen den Ehrwuͤrdigen Herrn anietzo paſſiren
laſſen/ weil ihm ohne dem einer von ſeinen eigenen Landes-Leuten
unter dem verdeckten Namen des Cleante, wie bekant/ den Kopff
mit allzu ſcharffer Lauge gezwaget/ welcher auch abſonderlich ihm
dieſes fuͤrwirfft und fuͤr uͤbel haͤlt/ daß er gantze Nationen und die
Helffte der Welt angetaſtet/ auch von denen Teutſchen fuͤrnehm-
lich gefraget/ ob ſie koͤnten unter les beaux esprits gerechnet
werden? Zum wenigſten finden wir unter ſeinen eigenen Model/
ſo er uns oben d’un bel esprit gegeben/ nirgends/ daß dergleichen
Durch-
[31] Durchhechelungen und Schmaͤh-Worte gegen gantze Nationen
darzu gehoͤren/ ſo wenig/ als die offenbahre und handgreifliche
Schmeicheley/ ſo er von der Frantzoͤſiſchen Nation macht. Man
leugnet nicht/ daß bey denen Frantzoſen Leute von ſchoͤnen Ver-
ſtande in groſſer Menge anzutreffen; daß er aber ſo viel Weſens
mit ſeinen Marquis macht/ zweiffele ich ſehr/ ob es ihm Moliere
wuͤrde haben gut ſeyn laſſen/ wenn er noch laͤnger am Leben blie-
ben/ als welcher/ wie bekandt/ mit denen Herren Marquis ſich
oͤffters luſtig gemacht. Und meynet denn der ehrliche Mann/
das in Franckreich alles von ſchoͤnen Geiſtern ſo gar unmaͤßig uͤ-
berley iſt/ daß man keine Pedanten unter ihnen antreffen ſolte.
Wie wenn wir mit wenigen einen herfuͤrzoͤgen/ der ſich nichts ge-
ringes zu ſeyn duͤncket/ und dem Bouhours die Oberſtelle unter
denen beaux esprits wohl ſtreitig machen ſolte. Monſieur
l’ abbé de Gerard
iſt warhafftig auch keine Katze. Wer den
Titel ſeines Buches la Philoſophie des gens de Cour
und deſſen Vorrede/ wie auch den kurtzen Jnhalt derer daſelbſt be-
findlichen Geſpraͤche lieſet/ und bald auff dem Titel ſiehet/ daß die-
ſes Werckgen zum dritten mal auffgeleget worden ſey/ der ſolte
drauff ſchwehren/ der Autor habe den rechten Weg getroffen/ wie
man die Leute zu warhafftig Gelehrten und beaux esprits mit
kurtzer Arbeit machen ſolle/ zumal da er in der Vorrede nicht al-
lein auf die barbariſchen Woͤrter und unnoͤthigen abſtractiones
derer gemeinen Philoſophen, ſondern auch auff die allzu ſubtilen
mathematiſchen Erfindungen und wunderliche Neuerungen de-
rer Carteſianer ſtichelt/ und ohne dieſe Maͤngel alles das jenige/
was am curioͤſeſten in der Phyſic und am gegruͤndeſten in der
Sitten-Lehre iſt/ auff ſo eine leichte/ natuͤrliche und fuͤr die Leute
am Hofe geſchickteſte Art zu weiſen verſpricht/ daß man ſie verſi-
chern koͤnne/ ſie wuͤrden nicht weniger Vergnuͤgung in Begreif-
fung dieſer Philoſophie antreffen/ als wenn ſie einen Roman
oder Comœdie laͤſen. Wenn man aber das Werck ſelbſt in die
Hand
[32] Hand nimmt/ was findet man doch darinnen fuͤr abgeſchmackt
und albern Zeug? Jch wil nicht ſagen/ daß den Autoren der
ſinnreiche Baile (ein warhafftiger bel esprit) einer ziemlichen
derben/ wider die Reformirten begangenen Unwarheit beſchuldi-
get hat/ auch des unertraͤglichen Lobes nicht erwehnen/ daß er faſt
in allen Seiten ſich ſelbſt giebt/ und ſein groſſes Werck (worvon
la Philoſophie des gens de cour nur ein kurtzer Auszug iſt)
heraus ſtreichet/ denen Buchfuͤhrern/ die ſolches Zweiffels ohne
nicht haben verlegen wollen/ das Maul waͤſſerich zu machen/ auch
von einer Madame la Marquiſe, die er wil informiret haben/
viel Ruͤhmens macht; vielweniger was die methode betrifft/ all-
zu genau erinnern/ daß er nicht mit einen Buchſtaben erwehnet/
was er eigentlich durch die Philoſophie verſtehe/ auch die Ver-
nunfft-Lehre als das noͤthigſte Stuͤck auslaͤſt/ und in uͤbrigen die
Philoſophie und Theologie ziemlich untereinander wirfft;
ſondern ich wil nur etliche grobe Fehler und Auffſchneidereyen an-
fuͤhren/ die mir in Durchleſung kaum des dritten Theils dieſes
Buchs vorkommen. Jm andern Geſpraͤch/ da er von denen Se-
cten
der alten Philoſophen gehandelt/ macht er mehr Auffhe-
bens als die Klopff-Fechter von Vielfaͤltigkeit derer Secten, und
daß noch niemand dieſelben genau eingetheilt habe/ und verſpricht/
wie er eine gantz leichte und ſo herrliche Art weiſen wolle/ ohne
welcher man ohnmoͤglich aus der Verwirrung/ worein ſich die
Philoſophi ſelbſt geworffen haben/ kommen koͤnne; Endlich
koͤmmt es heraus/ man muͤſſe zwey Haupt-Secten machen/ die
Dogmatiſche und Sceptiſche/ und dahin alle andere zu bringen
ſuchen/ gleich als wenn Lipſius zu ſeiner Zeit/ und nach/ auch wol
fuͤr ihm viel andere ſich nicht allbereit dieſer Eintheilung bedienet
haͤtten. Jn dem dritten Geſpraͤch/ da er beweiſen wil/ daß das
Frauenzimmer auch die Philoſophie ſtudieren ſolte/ macht er ſich
ſelbſt einen Einwurff/ es habe glelchwohl Chriſtus das Maͤnnli-
che
[33] che und nicht das Weibliche Geſchlecht angenommen. So wun-
derlich nun dieſe objection iſt/ ſo wunderlich iſt auch die darauf er-
folgete Antwort/ welche wohl niemand errathen wuͤrde/ wenn er
gleich noch ſo tieffſinnig meditirte. Er ſpricht: es ſey eine ſon-
derbare Urſache/ warumb GOtt das Maͤnnliche Geſchlecht fuͤr
dem Weiblichen angenommen habe/ weil nemlich GOTT durch
Annehmung der menſchlichen Natur ſich habe erniedrigen wol-
len/ die Manns-Perſonen aber unter allen vernuͤnfftigen Creatu-
ren die allerverachteſten und niedrigſten waͤren. Eben ſo geſcheid
antwortet er an ſelbigem Orte auff den Einwurff/ warumb denn
Paulus denen Weibes-Perſonen das Predigen verboten habe?
Denn er ſagt/ es waͤre deßwegen geſchehen/ weil ſie mehr Ver-
ſtand haͤtten als die Maͤnner/ und damit es nicht das Anſehen ge-
winnen moͤchte/ als ob das Frauenzimmer durch ihre Schoͤnheit
und natuͤrliche Beredtſamkeit ſo viel Leute an ſich zoͤgen. Jm
vierdten Geſpraͤch erzehlet er/ daß etliche die Meinung behauptet
haͤtten/ ob waͤren die Engel etliche hundert Jahr fuͤr der Welt er-
ſchaffen worden. Aber dieſe ſchlaͤgt er alsbald mit einer eintzigen
Frage zu Boden: Denn/ ſpricht er/ an welchem Orte hielten ſich
denn die Engel auff/ da noch kein Ort geſchaffen war? u. ſ. w.
Dem ſey aber nun allen wie ihm wolle/ ſo ſolten wir Teutſchen
uns doch den von dem Bouhours uns gethanen Vorwurff/ als ob
wir keine beaux esprits unter uns haͤtten/ nicht nur darzu an-
reitzen laſſen/ daß wir deſto eyffriger ihnen das Gegentheil in der
That erwieſen/ ſondern daß wir auch durchgehends ſowohl hohes
als niedern Standes/ ſowohl Adel als Unadel/ ſowohl Weibes-als
Mannes-Perſonen uns einen ſchoͤnen Geiſt zu erlangen/ ange-
legen ſeyn lieſſen/ welches wir ja ſo leicht zu wege bringen koͤnten/
als die Frantzoſen/ wann wir nur rechtſchaffene Luſt darzu
haͤtten.


EEnd-
[34]

Endlich Le bon gout und die warhafftige galanterie be-
treflend/ ſo pfleget man zwar insgemein nach Franckreich zu rei-
ſen/ wenn man in dieſen Eigenſchafften ſich vollkommen machen
wil/ und iſt an dem/ daß die Frantzoſen hiervon profeſſion ma-
chen. Aber wenn wir die Warheit ſagen ſollen/ ſo koͤnnen wir
dieſe gute Qvalitaͤten auch bey uns antreffen/ wenn wir uns
nur von dem gemeinen Poͤbel etwas abſonderten/ und nicht ein
iedweder ſich einbildete/ daß er nach ſeiner eigenen impreſſion
galant
genug waͤre und le bon goùt vollkommen beſaͤſſe. Wie
mancher junger Menſch/ der erſt ausfliegt/ affectirt mit aller
Gewalt fuͤr galant angeſehen zu ſeyn/ und ſeinen guten Verſtand
ſehen zu laſſen; Aber auff was Weiſe? Bald kleidet man ſich
auff die wunderlichſte Art von der Welt/ und duͤrffen unſere
Schneider nur mit zwey Worten ſagen: dieſe Mode komme nur
gantz warm aus Franckreich/ ſo iſt es ſchon gut/ wenn gleich die
Frantzoſen uns damit hoͤchlich auslachen. Bald/ wenn man ſtu-
diren oder was noͤthigers thun ſoll/ verliebt man ſich ſterblich/ und
zwar zum oͤfftern in ein gut einfaͤltig Buttes-Maͤgdgen/ aus deren
Augen man gleich ſehen kan/ daß eine Seele ohne Geiſt den Leib
bewohne. Was gehen nun da fuͤr galanterien vor? Wie zu-
trampelt man ſich vor dem Fenſter/ ob man die Ehre haben koͤnne/
die Jungfer/ oder doch an deren ſtatt die Magd oder die Katze zu
gruͤſſen? Wie viel verliebte Briefe/ die man aus zehen Romans
zuſammen geſuchet hat/ und die mit vielen flammenden und mit
Pfeilen durchſchoſſenen Hertzen bemahlet ſind/ werden da abge-
ſchicket/ gleich als ob man des guten Kindes affection damit
bombardiren wolte? Wie laͤſſet man ſichs ſauer werden/ eine
galante Nacht-Muſic zu bringen? Wie ſpielet man mit denen
verliebten Minen uͤberall/ auch wohl in dem GOttes-Hauſe?
Daß ja von denen galanten Hiſtoͤrgen iedermann zuſagen wiſſe/
und auff den galanten Menſchen mit Fingern weiſen koͤnne.
Bald
[35] Bald/ wenn man ſeine galanterie in converſation ſchen laſſen
wil/ vermeynet man nicht beſſer fortzukommen/ als wenn man
nur fein viel rede/ es moͤge ſich ſchicken/ wie es wolle/ oder wenn
man einem ieden in der Geſellſchafft contradicire/ und da kan es
denn nicht fehlen/ es muͤſſen manchmal galante fauten mit un-
terlauffen/ daß man zum Exempel aus Jtalien uͤber die Alpes zu
Waſſer reiſet/ daß man aus Spanien unmittelbar in Pohlen
koͤmmet/ daß man bey Soldaten von der Philoſophie, bey Ge-
lehrten von der Fortification, beym Frauenzimmer von ſeinen
Collegiis oder von der Metaphyſic ſchwatzet/ oder daß man die
gantze Geſellſchafft mit ſeinen galanten diſputiren verdrießlich
macht/ u.ſ.w. Jedoch es mangelt bey dem Frauenzim̄er auch nicht
an vielfaͤltig affectirter Galanterey? Wie manche ‒ ‒ ‒ Aber/
Meine Herren/ hier haͤlt meine Feder billig inne/ und erinnert
ſich des Reſpects/ welchen man dieſem artigen Geſchlecht ſchuldig
iſt. Man kan ihre Fehler wohl dencken und wiſſen/ aber man
muß ſie nicht ſagen/ vielweniger davon ſchreiben; Denn dadurch
wuͤrde man die Graͤntzen der Hoͤfligkeit uͤberſchreiten/ und die
Hochachtung/ mit der man ihnen allezeit begegnen ſoll/ hoͤchlich
beleidigen. Diſcret ſeyn iſt ein notbwendiges Stuͤcke der ga-
lanterie,
und was wuͤrden wir alſo fuͤr Vortheil haben/ wenn
wir ihnen gleich in denen Stuͤcken/ worinnen ſie wider die Regeln
der Galanterie anſtoſſen/ die Warheit ſagten/ und doch eben in
ſelbigem Augenblicke wider dieſelbigen Geſetze ſuͤndigten. Wir
muͤſſen uns vielmehr befleißigen/ die uns anklebende vielfaͤltige
Maͤngel zu beſſern/ um Sie dadurch mit guter Art zu erinnern̄/
auch an die aͤnderung der ihrigen zu gedencken.


Derowegen/ daß wir dereinſt zum Schluſſe kommen/ bin ich
der Meinung/ daß wenn man ja denen Frantzoſen nachahmen
wil/ man ihnen hierinnen nachahmen ſolle/ daß man ſich auf hon-
néte,
Gelehrſamkeit/ beauté d’eſprit, un bon gout und galan-
E 2terie
[36]terie befleißige; Denn wenn man dieſe Stuͤcke alle zuſammen
ſetzt/ wird endlich un parfait homme Sâge oder ein vollkomme-
ner weiſer Mann daraus entſtehen/ den man in der Welt zu klu-
gen und wichtigen Dingen brauchen kan. Gleichwie es aber nicht
geſcheide gehandelt iſt/ weñ man ſich etwas zum Entzweck fuͤꝛſetzet/
und um die Mittel darzu zugelangen/ ſich nicht bekuͤm̄ert/ oder die
Hand in Schoß leget/ und fuͤr Faulheit dieſelbe nicht brauchen wil;
alſo iſt wohl noͤthig/ daß wir uns nach denen mitteln umbthun/
durch welche wir obberuͤhrte Eigenſchafften erhalten und dieſe
Nachahmung ins Werck richten koͤnnen. Jch wil nicht leugnen/
daß bey allen dieſen Stuͤcken ein gut naturell viel/ auch in etli-
chen das meiſte thue; Es wird aber auch hinwiederum niemand
verneinen koͤnnen/ daß mann der Natur durch Kunſt mercklich
forthelffen koͤnne/ die Kunſt aber am fuͤglichſten durch gewiſſe
Grund-Regeln und maximen erlernet werde. Weil ich dann
ſonſt nichts zuthun habe/ als daß ich Gelegenheit ſuche/ Meinen
Herren/ nach meinen wenigen Vermoͤgen zu dienen/ und an die
Hand zugehen/ darneben aber bemuͤhet lebe/ wie ſolches mit einer
guten Manier geſchehen moͤge/ damit weder dieſelben noch ich
dabey verdrießlich werden; Als habe ich mir fuͤrgeſetzt/ geliebts
GOtt dieſen Winter durch/ denen ſo dießfalls meine Lehrart
anſtehet/ anleitung zugeben wie man obbeſagte Stuͤcke/ worin-
nen die Frantzoſen uns Teutſchen zu uͤbertreffen ſuchen/ zu erlan-
gen ſein Leben anſtellen und ſeinen Verſtand diſponiren ſolle.
Zwar was die Gelehrſamkeit betrifft/ bin ich allbereit darinnen
begriffen/ Meinen Herren zuweiſen auff was fuͤr Regeln man ſei-
ne Gedancken gruͤnden und vernünfftige raiſonniren ſolle/
welche Lehre ob ſie wohl gemeiniglich obenhin tractiret/ und von
vielen als zur Gelahrheit ohnnoͤthig gar ausgelaſſen wird/ ſo iſt
ſie dennoch bey geſcheiden Leuten billich fuͤr das Hauptſtuͤck ei-
nes gelahrten Mannes angeſehen/ deren ich mich auch deſtowe-
niger
[37] niger zuſchaͤmen urſach habe/ weiln eine Hoch Adeliche Per-
ſon
unter uns Teutſchen (die bey denen Frantzoſen ſelbſt pour
un veritable bel eſprit \& galand homme paſſiret,
und
dannenhero von meinen Herrn billig als ein model d’ un hom-
me Sâge
betrachtet werden ſoll;) ſelbige Jhrer gelehrten Feder
wuͤrdig geachtet/ und unter dem Nahmen einer nuͤtzlichen
Seelen-Artzeney artig und geſchickt davon geſchrieben hat.
Was l’ honnêtete anlanget/ bin ich geſonnen/ die Maximen
des Goͤttlichen Rechts/ als welches die fuͤrnehmſte Richtſchnur
derſelbigen iſt/ nach Anleitung meiner Inſtitutionum Jurispru-
dentiæ divinæ,
wo GOtt will/ auff dem Montag nach der
Zahlwoche nach mittags nach zwey Uhr
wiederum zuer-
klaͤren anzufangen/ und binnen datound Oſtern kuͤnfftiges
Jahres zu vollenden; Aber in denen drey letztern Stuͤcken gebe
ich mich noch ſelbſten vor einen Lehrling aus und getraue mir
noch nicht die grundgeſetze d’ un bel eſprit, du bon gout \&
d’ un galand homme
nach meiner eigenen invention in ei-
ner gewiſſen Kunſtform fuͤrzuſtellen; Jch habe aber bißhero
angemerckt/ daß Gracian ein bekanter und beruͤhmter Spanier
in ſeinem Buch/ welches er Arte de prudencia genennet
und aus lauter Regeln geſchickt und artig zu leben beſtehet/ die-
ſes ſeinen fuͤrnehmſten Zweck ſeyn laſſen/ wie er durchgehends
die Menſchen dahin fuͤhren moͤchte/ daß ſie beaux eſprits,
hommes de bon gout \& galands
wuͤrden. Welches gleich
wie es von Amelot de la Houſſaye in das Frantzoͤſiſche uͤber-
ſetzet und als ein ſehr vernuͤnfftiges Werck von Leuten bey
Hoffe/ allwo die rechtſchaffene galanterie eigentlich ihren
Sitz hat/ æſtimiret worden; Alſo hat ſolches auch ein gelehr-
ter Mann unſerer Stadt in die hochteutſche Sprache vertiret.
Wannenhero ich vermeinet/ nicht ſonderlich zu irren/ [w]enn ich
Meinen Herren dieſes Buch zwiſchen hier und Oſtern nach
E 3meiner
[38] meiner geringen Wiſſenſchafft und Erfahrung erklaͤrete/ worin-
nen ich auch/ ſo ferne es denenſelben beliebig auff erwehnten
Montag nach der Zahlwoche vor mittag uͤmb 9. Uhr
den Anfang zu machen vorhabens bin. Jch haͤtte wohl Gele-
genheit hierbey mehr zuerwehnen wer derGraciangeweſen?
Was er ſonſt geſchrieben? Was von dieſem Buch abſon-
derlich zuhalten? wie die
Cenſur,ſo der JeſuiteBou-
hours
davon gefaͤllet/ zubeantworten ſey? von desAmelot
de Houſlaye
ſeiner Uberſetzung und andern Schrifften/
auch ſeinen Wiederſachern: Ob er den Titel des
Graci-
ans
mit dem Titell’ Homme de cour geſchickt verwan-
delt? was von ſeinen Anmerckungen zuhalten? was ich
in erklaͤrung dieſes Buchs fuͤr eine Ordnung beobachten
wolle? was meine Herren fuͤr Nutzen daraus zuhoffen?
Wiefern ich mich ſelbſt die Grund-Reguln des
Gracians
zuverſtehen und zubeobachten faͤhig erkenne? u. ſ. w. Aber
ich meine es werde ſich beſſer ſchicken/ daß ſolches biß auff die
Lectionen ſelbſt verſparet werde/ theils weil dieſer mein
Diſcurs uͤber verhoffen unter der Hand groͤſſer worden/
als ich anfangs gemeinet/ theils weil ich ſonſten allzuviel von
mir ſelbſt wuͤrde reden muͤſſen/ worinnen ich vielleicht allbereit
die Regeln der Weißheit uͤberſchritten/ indem ich gar wohl er-
kenne/ daß ein geſcheider Mann/ ſo wenig als moͤglich/ ja wenn
es nicht die Noth erfordert/ gar nicht von ſich ſelbſt reden
ſolle/ zumahlen in oͤffentlichen Schrifften.
Sie leben wohl.


Gra-
[[39]]

Gracien Maxim. 79.
L’Humeur joviale eſt une perfection plutôt
qu’un défaut, quand il n’y a point d’ excés.
Un grain de plaiſanterie aſſaiſonne tout. Les
plus grans hommes joüent d’ enjoüement com-
me les autres, pour ſe concilier la bienveillance
univerſelle: mais avec céte diférence, qu’ils gar-
dent toujours la préférence à la ſageſſe, \& le re-
ſpect à la bienſéance. D’ autres ſe tirent d’afaire
par un trait de belle humeur; car il y a des cho-
ſes qu’il faut prendre en riant, \& quelquefois cel-
les même qu’un autre prend tout-de-bon. Une
telle humeur eſt l’aimant des cœurs.


[[40]][[41]][[42]]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Christian Thomas eröffnet Der Studirenden Jugend zu Leipzig in einem Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle?. Christian Thomas eröffnet Der Studirenden Jugend zu Leipzig in einem Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle?. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpvr.0