eines
Schulbuches,
fuͤr
Kinder der Landleute,
oder
zum Gebrauch in Dorfſchulen.
(Hor. de Arte P. v. 128.) ()
bey Friedrich Nicolai.
1772.
[][]
Einleitung.
Wenn ich, ohne meinem Werke
einen Grad von Wichtigkeit
beyzulegen, den es vielleicht
nicht hat, mir Leſer verſpre-
chen darf: ſo muß ich mit ihnen uͤber gewiſſe
Fragen und Einwuͤrfe mich vergleichen, die
dieſer Verſuch, hoͤchſtwahrſcheinlich, ver-
anlaſſen wird.
Auf die erſte Frage, „wer mich berufen
„hat, mich zum Lehrer des Landvolks auf-
„zuwerfen?„ iſt meine kurze Antwort dieſe:
Ich lebe unter Landleuten. Mich jam-
merte des Volks. Neben den Muͤhſeligkei-
ten ihres Standes werden ſie von der ſchwe-
ren Laſt ihrer Vorurtheile gedruͤckt. Ihre
Unwiſſenheit, in den noͤthigſten Kenntniſſen,
beraubt ſie der Vortheile und Erſetzungen,
welche die, fuͤr alle Staͤnde, gnaͤdige Vor-
ſehung Gottes auch dem ihrigen gegoͤnnt hat.
Sie wiſſen weder, das, was ſie haben, gut
zu nutzen; noch, das, was ſie nicht haben
* 2koͤn-
[]Einleitung.
koͤnnen, froh zu entbehren. Sie ſind we-
der mit Gott, noch mit der Obrigkeit zufrie-
den. Gott tadeln ſie durch Murren, uͤber
die Einrichtung Seiner Welt, und halten
Ihn fuͤr einen Stiefvater, der partheyiſch
mit Seinen Kindern verfaͤhrt. Die Obrig-
keit aber ſehen ſie, bey jeder noͤthigen Ein-
ſchraͤnkung ihrer eigennuͤtzigen Wuͤnſche und
Handlungen, als einen harten Statthalter
an, der das zur befohlenen Pflicht hat, ih-
nen das Leben zu verbittern.
Daher iſt ihre Religion, meiſtentheils,
der verderblichſte Fatalismus. Die ganze
vortrefliche Sittenlehre Jeſu Chriſti und
Seiner Apoſtel liegt ihnen ganz außerhalb
der Sphaͤre der Ausuͤbung. Sie wollen
zur Noth, wohl durch Chriſtum ſelig, aber
nicht durch Chriſtum vorher fromm werden.
Die Urſachen dieſer ſaͤmmtlichen, den
Staat in ſeinem wichtigſten Theile, zerſtoͤ-
renden Uebel, liegt an der vernachlaͤßigten
Erziehung der laͤndlichen Jugend. Bringt
man nichts in den Kopf, ſo koͤmmt auch
nichts ins Herz; oder deutlicher zu reden:
Ohne Begriffe und Grundſaͤtze entſtehen
keine Entſchließungen — kein moraliſches
Urtheil, uͤber gut und boͤſe, wird gefaͤllt —
kein moraliſcher Vortrag verſtanden — kei-
ne
[]Einleitung.
ne Regel angewandt; ſondern der Menſch
bleibt ſinnlich, und iſt, ohne ein Wunder,
(wozu aber die Verheißung fehlt,) keiner
Art von moraliſcher Gluͤckſeligkeit faͤhig.
So fand ich die Landleute, und nun ſah
ich mich nach Huͤlfe um, wodurch dieſe Laſt
weggehoben werden koͤnnte.
Außer dem Catechismus und der Heils-
ordnung, fand ich kein Schulbuch fuͤr den
Landmann; und, außer dem Innhalte die-
ſer Buͤcher, keine Wiſſenſchaft, die man
deſſen Kinder lehrte.
Ich denke doch nicht, (um nicht bey die-
ſer Sache zu wiederholen, was andre ſchon
vortreflich geſagt haben,) daß man den
Verſtand eines Bauerkindes und ſeine Seele
fuͤr Dinge einer andern Gattung haͤlt, als
den Verſtand und die Seelen der Kinder hoͤ-
herer Staͤnde? Aber denn iſt mirs uner-
klaͤrbar, wie, nach der herrſchenden Lehr-
art, aus dieſen Leuten verſtaͤndige Menſchen
und gar Chriſten gebildet werden ſollen.
Sie verſtehen, (wie es die Erfahrung
lehrt,) nicht die Worte des Catechismus,
und ſollen doch den Sinn faſſen, und durch
ihr ganzes Leben thaͤtig werden laſſen. Da
ich alſo nichts fand, was unmittelbar fuͤr
den Landmann und ſeine Kinder mir zweck-
* 3dien-
[]Einleitung.
dienlich ſchien — ſo wagte ich dieſen Ver-
ſuch, mit dem herzlichen Wunſch, daß beſ-
ſere, weiſere Menſchenfreunde, als Arbei-
ter, an dieſe Erndte ſich machen moͤgten,
und daß mein Verſuch, bald, durch Mei-
ſterſtuͤcke verdraͤngt werden moͤge.
Dies vorhergeſagte mag zugleich dem
Einwurfe begegnen: „Iſt denn aber auch
„dieſer Verſuch ein dienliches Mittel, mehr
„Erleuchtung in dieſen Stand zu bringen?„
Nun will ich mich unmittelbar zu dem
wichtigſten Einwurfe wenden. Man ſagt
nemlich: „Aber, iſt es denn der Einrich-
„tung des Staates nicht nuͤtzlich, wenn der
„Bauer dumm bleibt; nicht ſchaͤdlich, wenn
„er klug und verſtaͤndig wird?„
Um dieſen ſcheinbaren Einwurf zu wie-
derlegen, iſt es noͤthig, uͤber Worte ſich zu
verſtehen.
Klug und verſtaͤndig werden, heißt bey
mir nicht, argliſtig, treulos, rebelliſch,
um der eingebildeten hoͤhern und beſſern Ein-
ſichten wiederſprechend, (raiſonneur,) neue-
rungsſuͤchtig, und ſeines Berufs uͤberdruͤ-
ßig werden; ſondern ich nenne nur denjeni-
gen klug, der in jedem Stande ſich ſo ver-
haͤlt, daß ihm ſein Leben keine Hinderniß,
zu einer ewigen Gluͤckſeligkeit, wird.
In
[]Einleitung.
In ſolchem Sinne nimmt die Bibel das
Wort Klugheit; und wir koͤnnen nicht ir-
ren, wenn wir aus ihr Weisheit ſchoͤpfen.
Nach dieſer Erklaͤrung wird wohl die
rechte Klugheit dem Landmanne nicht im
Wege ſeyn; ein guter Arbeiter, ein treuer
Dienſtbote, ein tuͤchtiger und gehorſamer
Soldat, u. ſ. w. zu werden. Was ſchadet
alſo der Unterricht in der rechten Klugheit
dem Staate?
Aber, ach! welche Vortheile wuͤrde der
Staat davon haben?
Wenn Einſichten, in den Zuſammenhang
aller Wahrheiten, im Menſchen entſtehen;
ſo giebt er Gotte recht — Er hat Luſt an
ſeinen Geſetzen — Man darf ihm nur die
Pflicht zeigen, ſo thut er ſie, um Gottes
willen, der ſeinen Gehorſam, als ein ange-
nehm Opfer, anſieht — Er gehorcht dem
guten Herrn, und auch dem wunderlichen –
Als Dienſtbote, iſt er treu; denn Gott
ſieht dahin, wo der Herr, oft, nicht hinſe-
hen kann — Als gedungner Arbeiter, iſt er
fleißig; er ſucht wirklich das Beſte desjeni-
gen, der ihn lohnt; denn er weiß, daß ein
ſolcher Menſch, von Gott, noch einen Gna-
denlohn erwarten kann — Als Soldat,
weiß er, daß gewiſſe Mitglieder der Geſell-
* 4ſchaft
[]Einleitung.
ſchaft ſeyn muͤſſen, die, als Ausgeſonderte,
zum allgemeinen Beſten, fuͤr die Sicherheit
des Ganzen, wachen und ſtreiten. Er
ſieht alſo ſeinen Soldatenſtand fuͤr ſeinen
Beruf an, und murret nicht wider den,
der ihn dazu erkohr. Er weiß, daß ohne
Gehorſam keine Ordnung erhalten wird —
Er gehorcht alſo freywillig; Er ſieht viel-
leicht gar ein, daß man, um ein guter Sol-
dat zu werden, gewiſſe koͤrperliche Fertigkei-
ten erlangen muͤſſe — daß Aufmerkſamkeit
auf die Befehle des Vorgeſetzten unentbehr-
lich ſey — Er ſucht alſo an Fertigkeit und
Aufmerkſamkeit vollkommen zu werden. Er
weiß vielleicht, daß mehr Soldaten, durch
Krankheiten, daran ſie ſelbſt ſchuld ſind,
umkommen, als durch Schlachten und Be-
lagerungen — Er traͤgt alſo die noͤthige
Sorge fuͤr die Geſundheit; damit, am Ta-
ge des Streits, er nicht, zum Schaden des
Staats, im Lazareth liege, und in ſeinem
Gliede fehle. Weil Er, nach Gottes Be-
fehl, gelernt hat, ſich an ſeinem Solde, zu
jeder Zeit, genuͤgen zu laſſen — ſo pluͤndert
und raubt Er, auch im Feldzuge, nicht.
Er iſt immer, da, wo Er ſeyn ſoll, und
fuͤrchtet den Tod nicht, weil der Tod fuͤr den
rechtſchaffnen Mann, auf dem Schlacht-
felde
[]Einleitung.
felde, nicht ſchrecklicher iſt, als auf dem
Bette.
Wie, meine Herren! ſollte mit dieſen
Leuten, ſollte mit Soldaten, die auf dieſe
Art klug waͤren, ſich nicht gut marſchiren
und der Feldzug thun laſſen? Ich daͤchte
es wohl.
Aber, vielleicht will man ſagen: „Es iſt
„unmoͤglich — das haben wir, unter klug
„werden, nicht verſtanden; und wird denn
„der gemeine Mann, ſchon aus dieſem Ver-
„ſuch zum Schulunterricht, klug werden,
„ohne weitere Lehrer?„
Das iſt freylich ein Ungluͤck, daß ſo viel
Woͤrter in unſerer Sprache keine beſtimmte
Deutung, wenigſtens bey manchen Leuten,
haben. — Vors zweyte, ſo dient zur
Antwort: daß dieſer Verſuch eines Schul-
buchs nur eine Anleitung fuͤr den Schul-
meiſter ſeyn ſoll, nach welcher er ſeine gan-
ze Lehr- und Erfindungsfaͤhigkeit, doch
noch uneingeſchraͤnkt, anwenden kann.
Auf die Methode koͤmmt alles an. Was
von Methode in einem ſolchen Lehrbuche ſte-
hen kann, das habe ich wenigſtens beruͤhrt,
und auf den Ton hingewieſen.
Als ich bis auf das Capitel von der Land-
wirthſchaft meinen Verſuch vollendet hatte,
* 5er-
[]Einleitung.
erhielt ich des Herrn Hofrath Schloſſers
Catechismum fuͤr das Landvolk. Auf-
fallend ruͤhrte mich die Aehnlichkeit unſerer
Abſichten, die gleiche Lehrart und Geſin-
nungen gegen den zahlreichſten aber verach-
tetſten Theil unſerer Mitmenſchen.
Wir ſind, ſo dachte ich, einander voͤllig
unbekannt, und ſchreiben faſt zu einer Zeit,
an entfernten Orten in Deutſchland, uͤber
einen Vorwurf — Vielleicht iſt dieſes ein
Wink der Vorſehung — Ich will ihn nicht
verachten — Und ſo entſchloß ich mich,
meinen Verſuch durch den Druck bekannt
zu machen. Nun ſey es mir erlaubt, ei-
nen kurzen Abriß und die Gruͤnde meiner
Anlage dem Leſer vorzulegen.
Ich habe mit Aufmerkſamkeit und
Wißbegierde angefangen, und behaupte,
daß mit dieſem Capitel, welches auf un-
zaͤhlige Arten veraͤndert werden kann, faſt
ein halbes Jahr lang, die Kinder geuͤbt
werden muͤſſen. Denn, haben ſie erſt,
aufs Wort und auf Sachen, merken ge-
lernt; ſo iſt der uͤbrige Unterricht leicht,
und eine Luſt, fuͤr Lehrer und Lernende.
Man denke aber nicht, daß es eine leichte
Sache ſey, den flatterhaften Sinn der
Kinder dahin zu bringen. In die gute
An-
[]Einleitung.
Anwendung dieſes Capitels ſetze ich die
ganze Kunſt des Lehrers.
Daß ich, gleich darauf, von Urſache
und Wirkung handle, und dieſe Erkennt-
niß unter die noͤthigſten zaͤhle, davon gebe
ich folgende Gruͤnde an.
Bey tauſend Gelegenheiten braucht
ein Kind, von der Wahrheit unterrichtet
zu ſeyn, daß jede Wirkung ihre Urſache
hat, und umgekehrt. Man ſagt, der
Gehorſam richtet daſſelbe aus. Ich ſage,
nein; denn, alle Beweggruͤnde, der
Selbſtliebe z. E., kann ich viel ſtaͤrker
mit dieſem Capitel verbinden, als mit
dem Gehorſam gegen Befehle, ohne an-
gefuͤhrte Urſachen oder Gruͤnde — Es
wird alſo viel Schaden verhuͤtet werden.
Und was ſchadet es denn, ſo fruͤh, als
moͤglich, zum Gebrauch der Vernunft zu
kommen?
Die metaphyſiſchen und ontologiſchen
Capitel, die darauf folgen, ſind, ſo wie
das vorige, lauter Huͤlfsmittel, zur Vor-
bereitung oder Zurechtſtellung des Ver-
ſtandes, auf den Unterricht in der Reli-
gion; der freylich, nach der jetzigen Ein-
richtung der Welt, nicht ſo ſpaͤt, und
nicht
[]Einleitung.
nicht auf die Art, erfolgen kann, als einige
Schriftſteller wuͤnſchen.
Aber, um alles Guten willen! ſo ganz
leer, von allem Menſchenverſtande, darf
doch wohl der Kopf nicht ſeyn, den man
den dogmatiſchen Theil der Religion, (und
doch iſt ein ſolcher Theil in allen Catechismen
enthalten,) lehren ſoll.
Daß man die abſtrakteſten Begriffe,
durch ſinnliche Gleichniſſe und Behand-
lung, in die Gemuͤther der Jugend brin-
gen koͤnne, habe ich in einigen Capiteln ver-
ſucht. „Mit welchem Gluͤck?, Das iſt ei-
ne andere Frage. Genung, daß es doch
moͤglich iſt —
Von dem Innhalte der Bibel ſcheint
mir ein kurzer Auszug, fuͤrs Gedaͤchtniß
des gemeinen Mannes, ein gutes Huͤlfs-
mittel. Eine chriſtliche Moral, (nicht
ein Wortregiſter der Tugenden,) habe
ich, ſo wie eine natuͤrliche Theologie, auf
Bitten eines Freundes, gewagt; weil ich,
als ein Laye, mich in dieſes Fach nicht
gern einlaſſen mogte. Doch ſind dieſe Ca-
pitel nicht ſo, mit dem Ganzen verbunden,
daß nicht beſſere, an ihre Stelle, geſetzt
werden koͤnnten. Inzwiſchen habe ich
alles das ſorgfaͤltig vermieden, was zwi-
ſchen
[]Einleitung.
ſchen den verſchiedenen Sekten der Chriſten-
heit ſtreitig ſeyn kann, und uͤberlaſſe den
Lehrern in jeglicher Kirche die Ergaͤnzung der
ausgelaſſenen Stuͤcke mit gegruͤndeter Be-
ſcheidenheit.
Verhaͤltniß iſt ein nuͤtzlicher, aber,
ſelbſt unter Gelehrten, nicht recht deutli-
cher Begrif. Ich habe ihn durch ein Gleich-
niß, das ein jedes Kind begreifen kann, er-
laͤutert.
Wer die Landwirthſchaft verſteht, wird
mit mir einſtimmen; daß, in den folgenden
Capiteln viel, dem Landmanne nuͤtzliches,
gelehrt werde.
Zum Nagelſchmieden, einem der ſim-
pelſten Handwerke, haͤlt man doch wenig-
ſtens drey Lehrjahre fuͤr noͤthig; iſt es nicht
zu verwundern, daß man geringer von der
Landwirthſchaft zu denken ſcheint, und daß
man von ihr glaubt: ſie lerne der Bauer
von ſelbſt?
Ja, er lernt ſie; aber wie? Mit allen
Irrthuͤmern und Vorurtheilen ſeiner Vor-
fahren, und zu der geringſten Verbeſſe-
rung, durch Nachdenken und Kenntniſſe,
unfaͤhig und auch unwillig.
Ein Landesherr, der die wichtige
Wahrheit glaubt, daß im Ackerbau die
Grund-
[]Einleitung.
Grundkraft des Staates liegt, wird mit
den beſten Edicten zur Verbeſſerung tau-
ben Ohren predigen, wenn Er nicht, fuͤr
die beſſere Einrichtung der Schulen, zur
Bildung der Gemuͤther in der Jugend,
durch Unterricht, in den nuͤtzlichſten oͤco-
nomiſchen Erkenntniſſen, Sorge traͤgt.
Ich will kuͤrzlich meine Meinung ſagen,
was verbeſſert, und wie verbeſſert werden
muͤſſe.
- §. 1. Mit Handwerkern und unwiſſenden
Bedienten muß keine Dorfſchule mehr be-
ſetzt werden: ſondern, wo moͤglich, mit
Candidaten der Theologie, und aus ih-
nen wuͤrden die Dorfprediger hergenom-
men. Den Nutzen brauche ich nicht zu
ſagen —
Sollte dieſes nicht angehen; doch mit
geſchickten und fleißigen Leuten, die der
Prediger, mit dieſer Lehrart, vertraut
gemacht hat. - §. 2. Sie muͤßten alle, auf 100 Thaler
jaͤhrlich, wenigſtens ſtehen; damit ſie
ſich ganz dem Schuldienſte weihen
koͤnnten. - §. 3. Es muͤßten Claſſen ſeyn, drey oder
vier; damit kein Kind, laͤnger als eine
Stunde, in der Schule bleiben muͤſſe;
doch
[]Einleitung.
doch koͤnnte es auch bleiben, wenn es
darum anſuchte. - §. 4. Die Schulgebaͤude muͤßten Vorzuͤge
vor den uͤbrigen haben, die Stuben helle,
und mit nuͤtzlichen und zweckmaͤßigen Bil-
dern geziert ſeyn. - §. 5. Leſen und Schreiben muͤßte dieſem Un-
terrichte vorgehen, und als eine Vorbe-
reitung zu dieſem anzuſehen ſeyn. Man
wuͤrde dabey wohl thun, den Kindern
ausgeſuchte Lieder und andre kurze Ge-
dichte, die ſehr gute Wahrheiten enthal-
ten, leſen und ſchreiben zu laſſen. Man
erreicht, auf die Weiſe, zwey Endzwecke
auf einmal, und erleichtert, der uͤbrigen
Lehre, den Eingang. Muſter ſolcher
Gedichte ſind in den Baſedowſchen Schrif-
ten zu finden.
Ihr Herren der Erde! moͤgtet ihr doch
nichts gegen den zweyten Paragraphen
einwenden! Hierauf kommt alles an.
Und welche Ausgabe waͤre edler, oder
wuͤrde reichere Zinſen tragen? Wo ſehr
arme Herrſchaften ſind, muͤßten Kirchen-
caſſen, ja ſelbſt die Unterthanen, zuſam-
men ſchießen. Sonſt aber ſchließe ſich
doch
[]Einleitung.
doch keiner aus, hier zuzulegen! Sind
wir denn bloß
— fruges conſumere nati?
Sind wir nicht Haushalter Gottes? Sol-
len wir nicht Sein Reich vermehren, und
das Reich der Finſterniß zerſtoͤren helfen?
Ach daß doch dieſer edle Eifer in allen
Seelen entbrennen moͤgte! daß allge-
meine Menſchenliebe hier keinen Stand
anſehen; daß, durch Ausbreitung ein-
ſichtsvoller Tugend, in jedem Dorfe,
Gluͤckſeligkeit wohnen, und daß Gerech-
tigkeit und Frieden ſich uͤberall begegnen
moͤgte!
1772.
Ver-
[]
Verzeichniß der Capitel.
- Erſtes Capitel. Aufmerkſamkeit und Wiß-
begierde. - Zweytes Capitel. Urſache und Wirkung.
- Drittes Capitel. Vom Ergruͤndlichen und
Nichtergruͤndlichen. - Viertes Capitel. Wahrheit, Gewißheit,
Wahrſcheinlichkeit, Irrthum. - Fuͤnftes Capitel. Glauben, Unglaͤubig ſeyn,
Leichtglaͤubig ſeyn, Aberglauben. - Sechſtes Capitel. Von der Religion, oder
dem Verhaͤltniß des Menſchen gegen
Gott, in drey Abſchnitten. - Siebentes Capitel. Eine Tugendlehre nach
der Bibel. - Achtes Capitel. Von der Geſellſchaft
und der Obrigkeit, von Geſetzen und
Soldaten. - Neuntes Capitel. Vom Verhaͤltniß.
- Zehentes Capitel. Von der Hoͤflichkeit im
Umgange, und im Reden, und vom noͤ-
thigen Briefſchreiben. - Eilftes Capitel. Etwas von der Rechen-
kunſt. - Zwoͤlftes Capitel. Etwas von Ausmeſ-
ſung der Flaͤchen und Koͤrper; etwas
Mechanik, dem ein Verzeichniß der ge-
woͤhnlichſten Laͤngen- und Flaͤchen Maaße,
Gewichte ꝛc. vorgeſetzt iſt. - Dreyzehentes Capitel. Vom Augen-
maaße und vom Betruge der Sinne. - Vierzehentes Capitel. Von natuͤrlichen
Dingen, zur Vermehrung nuͤtzlicher Er-
kenntniß. - Funfzehentes Capitel. Von Mitteln, die
Geſundheit zu erhalten; und einige einfa-
che Vorſchlaͤge, die verlohrne wieder her-
zuſtellen. - Sechzehentes Capitel. Von der Land-
wirthſchaft, als einem Berufe; und
Grund-Saͤtze, worauf es bey allen Arten
der Landwirthſchaft ankommt.
[[1]]
Das erſte Capitel.
Aufmerkſamkeit und Wißbegierde.
Lieben Kinder! es war einmal ein
Junge in einem Dorfe, der woll-
te nichts lernen; weil [er auf] nichts
Achtung gab, und wollte nicht
einmal gerne in die Schule gehen. Die Ael-
tern mußten ihn immer, vor ſich her, in die
Schule treiben; wie man ein Vieh vor ſich
hertreibt. Da ſeufzeten die Aeltern oft uͤber
das Kind, und ſagten:
„Du boͤſes Kind! aus dir wird nichts Gu-
„tes —“. In der Schule hatte der Schul-
meiſter ſeine Noth mit dem Jungen: entwe-
der, er ſaß nicht ſtille und hinderte die an-
dern Kinder, oder gab nicht Achtung, und
war nicht aufmerkſam auf das, was der
Schulmeiſter lehrte. Erſt ermahnte ihn der
Lehrer oder Schulmeiſter mit aller Guͤte, da
aber das nicht half, ſo ſtrafte er ihn hart, mit
allerley Strafen, die ſehr wehe thaten. Er
Ablieb
[2] blieb aber, wie er war. Da ſagte denn der
Schulmeiſter oft, im Zorn uͤber ſeine boͤſen
Streiche:
„Junge! dir wird es dein Lebetage nicht
„wohl gehen —‛.
Ihr lieben Kinder! was geſchah? Als der
Junge aͤlter und ſtaͤrker ward, da wollte
er Niemand gehorchen, und ſich keiner Ord-
nung unterwerfen. Er diente bey vielen
Herren, aber keiner konnte mit ihm fertig
werden.
Endlich beſtohl er ſeinen Herrn; und da
ihn dieſer dabey betraf, ſo wehrte er ſich,
und ſchlug ſeinen Herrn ſo, daß er daran
ſterben mußte. Er wollte davon laufen;
aber er ward ergriffen, und gefangen geſetzt.
Die Obrigkeit ließ ihm, andern boͤſen Buben
zum Schrecken, alle Glieder, bey lebendigen
Leibe zerſchlagen, und toͤdten; ſeinen Coͤr-
per aber auf das Rad legen, wo ihn die
Raben freſſen.
Lieben Kinder! haͤtte dieſer Menſch, nicht
in der Jugend, ſeinen Aeltern und Lehrern
ſo viel Verdruß gemacht, ſo haͤtten ſie nicht
uͤber ihn geſeufzt, und ihn verwuͤnſcht. Ihr
habt gehoͤrt, daß bey ihm eintraf, was Ael-
tern und Lehrer vorherſagten; denn es ward
nichts Gutes aus ihm; es gieng ihm ſein
Le-
[3] Lebetage nicht wohl; und er nahm ein ſchlech-
tes Ende.
Wollt ihr alſo, lieben Kinder! daß es
euch in der Welt wohl gehen ſoll; ſo ſeyd
aufmerkſam und willig, was Gutes zu ler-
nen! Macht euren Aeltern und Lehrern das
Leben nicht ſauer, durch Ungehorſam; da-
mit ſie euch mit Freuden, zum Guten an-
halten koͤnnen, und nicht mit Seufzen: denn
das iſt euch nicht gut! Verſprecht mirs alle,
durch ein Ja, und durch einen Handſchlag,
daß ihr euch, in der Schule, ſo betragen
wollet, als aufmerkſame, lehrbegierige Kin-
der. —
Seht, Kinder! in dieſes Buch will ich nun
eure Nahmen einſchreiben, und den Tag,
an welchem ihr mir dieſes Verſprechen ge-
than habt. Dieß Buch ſoll beſtaͤndig vor
euren Augen liegen, und euch an euer Ver-
ſprechen erinnern. Was man aber verſpricht,
daß muß man halten; ſonſt traut einem kein
Menſch mehr.
Du aber, gnaͤdiger und liebreicher Gott!
ſiehe das Verſprechen dieſer Kinder! Du
willſt, daß ſie zu Dir kommen ſollen! Sprich
Ja und Amen dazu! Seegne jede Wahrheit,
daß ſie in ihre Herzen eindringe; auf daß
dieſe Kinder, durch Erkenntniß der Wahr-
A 2heit,
[4] heit, hier und dort gluͤckſeelig werden! A-
men.
Das Erſte alſo, geliebten Kinder! was
ihr lernen muͤßt, iſt, aufmerkſam ſeyn, oder
Achtung geben.
Ihr muͤßt viel Dinge kennen lernen; aber
ihr muͤßt auch die Dinge von einander unter-
ſcheiden lernen.
Den Unterſchied der Dinge lernt man an
gewiſſen Zeichen kennen.
Nicht wahr, Kinder! ein jedes von euch,
kennt ſeine Aeltern und Geſchwiſter, ſo, daß
ihr ſie von andern Leuten unterſcheiden
koͤnnt? Ein jedes Kind kennt ſeinen Ball,
oder den Koͤnig im Kegelſpiel?
Nun ſagt mir einen Unterſchied, oder Un-
terſcheidungszeichen, woran ihr ſie kennt. —
Nota. (Dieſer Unterricht kann, ſo lange
als moͤglich, fortgeſetzt werden. Mit
ſehr viel Dingen, als Steinen, Pflan-
zen, Thieren, Baͤumen, und Werken
der menſchlichen Kunſt, ihren Arten,
und den aͤußerlichen und innerlichen
Kennzeichen derſelben werden die Kin-
der bekannt gemacht. Außer der Schu-
le, wird jedem Kinde aufgegeben, Be-
merkungen zu machen; und an dem Be-
merkten wird die Lehrart fortgeſetzt.
Nach-
[5] Nachdem die Kinder ſattſam hierin geuͤbt
ſind, iſt erſt der Uebergang, welcher
hier anfaͤngt: Mein Sohn! du ſiehſt
ꝛc. ꝛc. anzurathen.)
Mein Sohn! Du ſiehſt nach dem Bilde
des Hahns, das dort haͤngt. Sieht es nicht
recht aus, als wenn er leibhaftig da ſtuͤnde,
und kraͤhte? Giebts hier einen Hahn, der ſo
ausſieht? Aber, was iſt fuͤr ein Unterſchied,
unter dieſem gemahlten Hahn, und jenem
Hahn im Dorfe?
Nota. (Der Lehrer hilft hier den Kindern,
nach Moͤglichkeit, auf die Unterſchei-
dungs-Kennzeichen des Bildes vom ab-
gebildeten.)
Recht, Kinder!
Es iſt alſo ein großer Unterſchied, zwi-
ſchen dem Bilde, und dem wirklichen Dinge,
das abgebildet iſt.
Kinder! man kann auch Brodt abbilden;
aber, wenn man hungrig iſt, ſo iſt doch
wohl ein wuͤrkliches Stuͤck Brodt beſſer,
als ein gemahltes, welches man zwar fuͤr
Brodt anſehen, aber nicht, als Brodt, eſſen
kann. —
Was alſo nicht die Sache ſelber iſt, ſon-
dern ihr nur blos, dem Augenſcheine nach,
aͤhnlich ſieht, das nennt man ein Bild.
A 3Je
[6]
Je mehr Aehnlichkeit das Bild mit dem
Abgebildeten hat, je beſſer iſt das Bild.
Dieſes Bild von dem Hahn, geliebte Kin-
der! war mit Farben gemahlt, und alſo war
es ein Bild fuͤr die Augen. Aber, wenn ich
euch dieſen Hahn mit Worten beſchreibe, daß
ihr die Aehnlichkeit meiner Beſchreibung mit
dem wirklichen Hahne findet; ſo iſt dieß ein
Bild fuͤr die Ohren, oder ein Bild in der
Rede.
Lieben Kinder! unſere Sprache iſt voller
Beſchreibungen und Bilder. Wer gut be-
ſchreibt, den verſteht ein jeder leicht.
Nicht alles, was man fuͤr gut und nuͤtz-
lich anſieht und haͤlt, iſt darum immer wuͤrk-
lich gut. — Itzt, und wenn ihr groͤßer wer-
det, ſo wirds oft geſchehen, daß euch Dinge
vorkommen, die euch gut ſcheinen, aber euch
doch nicht gut ſind.
Z. E. Manches Kind kann denken: Heute
iſt ſchoͤn Wetter, wenn du doch die Stunde
ſpielen koͤnnteſt, anſtatt in die Schule zu gehen,
das waͤre gut fuͤr dich. —
Es iſt ihm aber nicht gut, ſondern ſchaͤd-
lich; den es gewoͤhnt ſich zum Ungehorſam
gegen die gemachte Ordnung, und will, als
ein unwiſſendes Kind, ſchon beſſer wiſſen,
was ihm gut iſt, als ſeine Vorgeſetzten.
We
[7]
Wer ſich nun nicht oft ſo betruͤgen will,
der muß wiſſen, und kennen lernen, was
wirklich gut und boͤſe iſt, und ſich von er-
fahrnen Leuten daruͤber belehren laßen.
Alſo Gutes, und Boͤſes oder Schaͤdliches,
hat auch ſeine Unterſcheidungszeichen.
Mein ganzes Amt iſt, euch, Kinder! dieſe
Kennzeichen bekannt zu machen, und euch in
den Stand zu ſetzen, daß ihr als verſtaͤn-
dige Menſchen, das Gute waͤhlen, und das
Boͤſe oder Schaͤdliche verwerfen lernt.
Solche Kinder, die, in der Schule, viel
Aufmerkſamkeit anwenden, die lernen diß
balde, worin das Gute von dem Boͤſen oder
Schaͤdlichen unterſchieden iſt. Die alten
Leute ſind ſolchen Kindern gewogen, und
freuen ſich uͤber ſie. Denn man kann auch
ein boͤſes Kind bald von dem guten unter-
ſcheiden. Ein boͤſes Kind iſt traͤge, unwil-
lig, und ungehorſam; man muß es in die
Schule treiben. Das gute Kind aber, iſt
gern in der Schule; munter, und willig zu
allen Guten; giebt Achtung, oder merkt auf
alles, was der Lehrer ſagt. Wenn ſolche
aufmerkſame und willige Schulkinder groß
werden, ſo geht es ihnen wohl; denn alle
Menſchen ſind ihnen gewogen, und helfen
ihnen fort.
[8]
Das zweyte Capitel.
Urſache und Wirkung.
Lieben Kinder! wer auf alles Acht giebt,
und aufmerkſam iſt, der wird bald gewahr,
daß oft ein Ding um des andern Dinges
willen geſchieht. Z. E. Daß es Tag wird,
wenn die Sonne aufgeht, des Morgens,
und daß es, am Abend, dunkel wird, wenn
die Sonne untergeht. Das heißt: Es giebt
Urſachen und Wirkungen, oder Folgen.
Habt ihr heute gefruͤhſtuͤckt? Seyd ihr
auch ſatt geworden? Nicht wahr? ihr ſeyd
darum ſatt geworden, weil eure Aeltern euch
genug Fruͤhſtuͤck gegeben haben.
Seht, Kinder! das reichliche Fruͤhſtuͤck,
was euch eure Aeltern gegeben, iſt alſo die
Urſache eurer Saͤttigung; und eure Saͤtti-
gung iſt die Wirkung von dem reichlich ge-
noſſenen Fruͤhſtuͤck. Da wißt ihr nun, was
Urſache und Wirkung heißt.
Sage mir, mein Sohn! warum iſt es
warm, hier in der Schulſtube? Nicht wahr?
darum, weil es eingeheitzt iſt, oder die
Sonne herein ſcheint. Alſo iſt die Sonne,
oder
[9] oder der eingeheitzte Ofen, die Urſache von
dieſer Waͤrme, und die Waͤrme iſt die
Wirkung des eingeheitzten Ofens oder der
Sonne.
Kinder! wenn man erndten will, muß
man nicht vorher ſaͤen? Recht, man muß
vorher ſaͤen. Was iſt nun hier die Urſache
vom Erndten? Recht, Kinder! das Saͤen;
und die Wirkung oder Folge, vom Saͤen,
iſt das Erndten.
Ihr lieben Kinder! wenn ihr, in der
Schule fleißig ſeyd, ſo iſt es eben, als
wenn ihr guten Saamen, oder gutes Korn
in euch ausſaͤetet. Wenn ihr groͤßer und
aͤlter werdet, denn werdet, ihr von dieſer
Saat ſchoͤne Fruͤchte erndten. Das heißt:
ihr werdet klug und verſtaͤndig ſeyn; ein
jeder wird euch lieb haben; und es wird
euch wohl gehen.
Welches iſt nun die Urſache hiervon?
Recht, mein Sohn! Das Fleißigſeyn, oder
der Fleiß in der Schule; und das klug und
verſtaͤndig werden, iſt die Wirkung.
Aber, Kinder! waͤre es nicht thoͤricht,
wenn einer die Wirkung wuͤnſcht, und will
doch die Urſache, ohne welche dieſe Wir-
kung nicht erfolgen kann, weglaßen?
A 5Z. E.
[10]
Z. E. Wenn ein Kind ſatt werden will,
und will doch nicht eſſen? — Wenn einer
im Winter nicht frieren will, bekuͤmmert
ſich aber doch um kein Holz, oder will
nicht einheitzen, oder in die Sonne ge-
hen? — Wenn einer zwar ſehen will, aber
nicht will die Augen aufmachen? — Wenn
einer zwar erndten will, aber nicht will den
Acker bearbeiten, und guten Saamen herein
ſaͤen? — Wenn ein Kind zwar wuͤnſcht,
daß man es liebe, und daß es ihm, wenn
es aͤlter wird, wohl gehe; aber es will nicht
gehorſam ſeyn, und will auch nichts nuͤtzli-
ches lernen, und Achtung geben, was ſein
Lehrer ſagt?
Nicht wahr, Kinder? So thoͤricht und
dumm iſt keines unter euch: Und man muͤß-
te den, mit Recht, auslachen, der ſo naͤr-
riſch, das iſt, ſo unverſtaͤndig thaͤte. Ein
Menſch von der Art, wird daher ein Narr
geheißen.
Aber, Kinder, manchmal koſtet es den
Leuten gar das Leben, daß ſie ſich nicht
um die Erkenntniß von Urſachen und Wir-
kungen bemuͤht haben; oder aber, ſo naͤr-
riſch und eigenſinnig ſind, und wollen zwar
die Wirkung, aber nicht die Urſache, ſich
gefallen laßen.
In
[11]
In dem Orte, wo ich her bin, waren
einmal viele Kinder krank. In dem Hauſe
aber, wo ich wohnte, war ein einzig Kind,
das wurde ploͤtzlich ſehr krank. Die Aeltern
ſchickten gleich nach dem Arzte. Der Arzt
kam, und brachte Arzeney mit, von derſelben
Art, als er ſchon bey vielen Kranken mit
Nutzen gebraucht hatte: Denn alle, die es,
zu rechter Zeit, eingenommen hatten, waren
beſſer geworden. Dieſes kranke Kind aber,
wollte durchaus nicht die Arzeney einneh-
men. Die Aeltern fragten dieſes Kind, ob
es denn nicht wuͤnſchte, wieder geſund zu
werden? „O ja! liebe Aeltern! ich wuͤnſche,
recht bald geſund zu werden,“ ſagte das
Kind. „Nun, ſo mußt du auch die Arze-
„neymittel brauchen, und ſie einnehmen; da-
„mit du geſund werden koͤnneſt“ ſprachen
die Aeltern. Aber, das Kind blieb bey ſei-
nem Eigenſinn. Es wollte gern geſund
werden; aber doch keine Arzeney, die die
Krankheit vertreibt, einnehmen. In wenig
Tagen mußte das Kind ſterben. Zuletzt
nahm es gerne ein, aber, da war es zu
ſpaͤt, und die Krankheit hatte zu ſehr zuge-
nommen.
Hier war die, zu rechter Zeit einzuneh-
mende Arzeney, die Urſache vom wieder ge-
ſund
[12] ſund werden; und dieſes war die Wirkung von
der eingenommnen Arzeney. Die Wirkung
wollte das Kind; denn es wollte gerne
wieder geſund werden, aber die Urſache
wollte es nicht, nemlich die Arzeney, zu
rechter Zeit, einnehmen: und an dieſem thoͤ-
richten und naͤrriſchen Eigenſinn, mußte es
ſterben. Alſo, Kinder! alles das, warum
etwas da iſt, oder geſchieht, nennen wir
Urſache, und was aus dieſer Urſache, da iſt,
oder geſchieht, nennen wir Wirkung, oder
die Folge, weil es auf die Urſache folgt.
Alle Dinge aber, die man ſehen, hoͤren,
ſchmecken, fuͤhlen und riechen kann, ſind
Urſachen, oder Wirkungen von andern Din-
gen, und, ſo wie man ſie anſieht oder ſtellt,
Urſache und Wirkung zugleich. Z. E. Die
Waͤrme, hier in der Schulſtube, iſt die
Wirkung des geheitzten Ofens, oder der in
die Fenſter ſcheinenden Sonne; aber dieſe
Waͤrme iſt zugleich die Urſache, daß ihr
nicht friert. — Das Fruͤhſtuͤck, welches
euch eure Aeltern geben, iſt die Urſache eurer
Saͤttigung, aber zugleich die Wirkung von
der Liebe, die eure Aeltern gegen euch tra-
gen, und von ihrer Vorſorge fuͤr euch.
Haͤtten aber eure Aeltern keinen Vorrath von
Brodt im Schranke gehabt, ſo haͤtten ſie
euch
[13] euch auch kein Brodt geben koͤnnen. Daß
ſie alſo Brodt in Vorrath hatten, das war
wieder die Urſache davon, daß ſie euch
Brodt geben konnten.
Seht, Kinder! So kann man, wie auf
einer Leiter, von Wirkungen zu Urſachen,
und von Urſachen zu Wirkungen, herauf
und herunter ſteigen.
Wenn man aber auch alle moͤgliche Urſa-
chen erforſchte; ſo muͤßte man doch, am
Ende, bey einer Urſache ſtehen bleiben, wel-
che die erſte Urſache waͤre.
Und dieſe erſte Urſache nennen wir Gott.
Der Gott, zu dem eure Aeltern vor dem
Tiſche beten, daß Er die Speiſe ſeegnen,
und gedeyen laßen wolle, dieſer Gott iſt die
erſte Urſache aller Dinge.
Eure Aeltern, ihr Kinder ſelbſt, ich und
alle Menſchen, die Thiere, die Baͤume, die
Gewaͤchſe, die Steine, die Erde, der Him-
mel, Sonne, Mond, und Sterne, kurz, alles,
was da iſt, alles hat dieſer Gott hervorge-
bracht. Ihm haben wir alles, auch ſelbſt
unſer Leben, zu danken; Er iſt die erſte Ur-
ſache aller Wirkungen. Alles, was wir ſe-
hen, hoͤren, und empfinden, nennen wir, mit
Einem Worte, die Welt, oder den Innbe-
griff aller Wirkungen Gottes, oder dieſer er-
ſten
[14] ſten Urſache. Denn Gott hat alles, was
da iſt, gemacht, und werden laßen.
Von Gott, oder von dieſer erſten Urſa-
che aller Dinge, werdet ihr, in dieſem
Schul-Unterricht, taͤglich mehr erfahren.
Denn es iſt Sein Wille, daß wir Men-
ſchen Ihn kennen lernen. Und dieſe Er-
kenntniß, iſt die Urſache aller menſchlichen
Gluͤckſeeligkeit.
Das dritte Capitel.
Vom Ergruͤndlichen und Nichtergruͤnd-
lichen.
Mein Kind! haſt du es ſchon gewagt,
durch das tiefe Waſſer, Muͤhlenteich, Fluß
oder Pful, zu waten? — Warum nicht?
Alſo meynſt du, es ſey kein Grund darin
zu finden? Du irreſt dich, liebes Kind! mit
einer rechten langen Stange will ich ſchon
den Grund finden; wer groͤßer iſt, als du,
kann auch vielleicht durchwaten, aber du biſt
noch zu klein.
Wenn du nun aber, von einem boͤſen
Menſchen, oder von einem grimmigen Thie-
re verfolgt wuͤrdeſt, und muͤßteſt durch das
tiefe
[15] tiefe Waſſer, um dich zu erretten, wuͤrdeſt
du nicht ſehr gerne ſehen, wenn ein großer
Menſch kaͤme, und truͤge dich durch, und
braͤchte dich in Sicherheit auf die andere
Seite? Wuͤrdeſt du dich nicht gerne tragen
laßen, und deinem Erretter herzlich danken?
Seht, lieben Kinder! Euer Leben iſt das
tiefe Waſſer, wodurch ihr gehen muͤßt.
Eure Unwiſſenheit in aller noͤthigen Erkennt-
niß, und die ungluͤcklichen Wirkungen da-
von, ſind die Feinde und grimmigen Thiere,
die euch verfolgen. Wenn ſich Niemand
um euch bekuͤmmerte, und euch huͤlfe, ſo
wuͤrdet ihr nicht gerettet, ihr wuͤrdet un-
gluͤcklich ſeyn. Gott aber will euch retten
laßen, und gluͤcklich machen. Darum hat
Gott, Lehrer und Schulen verordnet. Ich
bin dazu geſetzt, daß ich eurer Unwiſſenheit
zu Huͤlfe kommen ſoll; ich ſoll euch, ſo lan-
ge ihr Kinder, am Leibe und Verſtande
ſeyd, durch meine Lehre tragen, bis ihr euch
ſelbſt helfen koͤnnt, das iſt, ſelbſt den Grund
erreichen koͤnnt, und nicht in Gefahr ſteht,
durch Unwiſſenheit umzukommen.
Ihr ſollt alſo, durch den Schulunter-
richt, oder die Lehre, verſtaͤndig werden, und,
ſo viel als moͤglich, in jeder wichtigen Sa-
che, den Grund finden, worauf ihr veſt
ſtehen
[16] ſtehen koͤnnt, damit euch eure erlangte
Kenntniß Nutzen ſchaffe.
Weil aber alles darauf ankommt, lieben
Kinder! daß ihr mich auch verſteht, was
ich ſage; ſo erlaube ich euch, mich ſogleich
zu fragen, wenn ihr etwas nicht recht
verſtanden habt. Ja, ich will es, als ein
Zeichen eines recht guten Kindes, dem an
Erkenntniß recht viel gelegen iſt, anſehen,
wenn es mich fraͤgt —
Wenn ihr nun die Lehre gehoͤrig verſteht,
ſo habt ihr den Grund gefunden. Aber
alle Sachen laßen ſich nicht ergruͤnden.
Denn unſere Erkenntniß in dieſer Welt, iſt
noch unvollkommen, und wir wiſſen nicht
alle Urſachen und Wirkungen auf einmal,
daher iſt uns nicht alles ergruͤndlich. Aber
wir ſollen nicht Kinder bleiben, an Erkennt-
niß; ſondern, ſo wie unſer Coͤrper waͤchſt,
ſo ſoll auch unſer Verſtand wachſen. Denn,
uͤber manche Stuͤcke der Lehre, muß man,
ſein ganzes Leben lang, nachdenken, und
kann immer mehr lernen, je laͤnger man
ſich damit beſchaͤftigt. Wie thoͤricht aber
waͤre es, lieben Kinder! wenn man darum,
weil man nicht alles ergruͤnden oder begrei-
fen kann, nun gar nichts lernen wollte?
Waͤre das nicht eben ſo thoͤricht, als, wenn
ein
[17] ein Bauer darum gar nicht pfluͤgen wollte,
weil er nicht, in einem Tage, damit fertig
wird, oder darum gar nicht ſaͤen, weil er
nicht, den andern Tag, gleich erndten koͤnn-
te? Manche Sachen ſind daher wahr, und
kein Menſch kann ſie leugnen; aber man
kann nicht den Grund zeigen das iſt, nicht
erklaͤren, wie das zugeht. Und denn ſind
ſie unergruͤndlich. Z. E. Lieben Kinder!
ihr habt im vorigen Capitel gehoͤrt: daß
ein Gott ſey, oder eine erſte Urſache aller
Wirkungen. Daß dieſer Gott alles, was
da iſt, hat werden laſſen, und gewirkt hat.
Auch uns Menſchen, habe Gott erſchaffen,
oder werden laſſen.
Wie nun das zugeht, oder wie es Gott
macht, wenn Er alles, was da iſt, werden
laͤßt, das iſt unergruͤndlich; und wer die
Frage beantworten will, der muß Gott ſel-
ber ſeyn. Denn Gott iſt ſehr viel verſtaͤn-
diger, als der verſtaͤndigſte Menſch; Er
kennt alle Urſachen und alle Wirkungen;
und Gott allein, iſt daher keine Sache un-
ergruͤndlich. Man nennt deswegen ſolche
Fragen vorwitzig. Man muß ſich alſo,
am meiſten, um ſolche Dinge bekuͤmmern,
davon man den Grund finden kann, und
die man deswegen Wahrheiten nennet, weil
Bman
[18] man den Grund finden kann, warum ſie
ſo, und nicht anders ſind, oder, weil uns
ein andrer verſtaͤndiger Menſch davon Ver-
ſicherung giebt.
Das vierte Capitel.
Wahrheit, Gewißheit, Wahrſchein-
lichkeit, Irrthum.
Vier Nuͤße ſind mehr, als zwey Nuͤße —
Eure Kuh iſt groͤßer, als eure Katze —
Nicht wahr, Kinder? Seht! das iſt alſo
eine Wahrheit: daß vier Nuͤße mehr ſind, als
zwey Nuͤße — Und die Kuh groͤßer iſt, als
die Katze, das iſt auch eine Wahrheit.
Denn ihr duͤrft nur die Augen aufma-
chen, ſo werdet ihr gleich gewahr, daß
es ſich ſo verhaͤlt, wie ich ſage.
Solche Wahrheiten nennt man, augen-
ſcheinliche, oder in die Sinne fallende Wahr-
heiten.
Zwey Nuͤße ſind mehr als vier Nuͤſ-
ſe — Eure Katze iſt groͤßer als eure
Kuh. Seht Kinder! wer das ſagt, der ſagt
etwas, was nicht wahr iſt, oder eine Un-
wahr-
[19] wahrheit. Denn es iſt wieder augenſchein-
lich, daß das nicht wahr iſt.
Aber, alle Wahrheiten ſind nicht augen-
ſcheinlich, oder in die Sinne fallend. Ueber
manche Wahrheiten muß man ſich beſinnen,
und eine Weile nachdenken, ehe man ſie
als wahr annehmen, oder ihrer Wahrheit
Beyfall geben kann. Z. E.
Gott verdient unſre hoͤchſte Liebe, denn
Er thut uns alle Tage Gutes.
Gebt Achtung, Kinder! wie ich dis be-
weiſe. Ihr wißt aus vergangnen Lehrſtun-
den ſchon, daß wir die erſte Urſache aller
Wirkungen, Gott nennen. Daß ihr lebt,
geſund ſeyd, eßt, trinkt, ſchlaft; daß ihr
Haͤuſer habt, worin ihr euch vor dem Wet-
ter decken koͤnnt, davon iſt Gott die Urſa-
che, das hat Gott, zu eurem Beſten, veran-
ſtaltet. Wer uns aber ſo unzaͤhlig viel Gu-
tes thut, verdient der nicht unſre hoͤchſte
Liebe? Recht, Gott verdient ſie. Seht,
Kinder! das war eine Wahrheit, die nicht,
wie die vorigen, gleich in die Sinne fiel;
ſondern die erſt durch den Verſtand mußte
erkannt und bewieſen werden. Denn auch
unſre Sinnen koͤnnen zuweilen fehlen, wie
ihr kuͤnftig hoͤren werdet; und nur mit Huͤl-
fe des Nachdenkens, uͤber das was unſere
B 2Sin-
[20] Sinne uns als wahrſcheinlich anſehen laſ-
ſen, erkennen wir, ob die Sinne recht ha-
ben oder nicht.
Alſo, durch den Verſtand erkennen wir
die nuͤtzlichſten und wichtigſten Wahrheiten.
Aber jede Wahrheit hat ein ſicheres Kenn-
zeichen, woran ich ſie von der Unwahrheit
unterſcheiden kann.
Durch Aufmerkſamkeit wird das Kennzei-
chen der Wahrheit entdeckt. Nemlich, ich
werde entweder, durch meine Sinnen ge-
wahr, daß es wirklich ſo iſt, als es mir
ſcheint, (als vorher bey der Kuh und bey
der Katze, wenn nemlich die Katze in ein
kleines Loch kriecht, wo die Kuh nicht durch
kann,) oder, ich halte das, was mir als
wahr angegeben wird, gegen andre Wahr-
heiten, die ich ſchon weiß. Z. E. Wenn
einer zu euch ſagte: Kinder! geht ja nicht
in die Schule! wer in die Schule geht, der
ſtirbt den Augenblick. Wuͤrdet ihr nicht
gleich denken? Ich bin ſo oft herein gegan-
gen, und bin nicht geſtorben; es wird wohl
nicht wahr ſeyn, was der ſagt. Oder,
wenn ich euch ſage; Kinder! lernt fleißig;
ſo wißt ihr alle Tage mehr — Werdet ihr
nicht, aus eurer eignen Erfahrung, zugeſte-
hen muͤßen: Das iſt wahr, was unſer Leh-
rer
[21] rer ſagt! Wir wiſſen jetzo vielmehr als den er-
ſten Tag. Oder endlich, ich nehme die
Sache fuͤr wahr an, um des Zeugnißes
willen, (ein Zeugniß aber iſt: Was jemand
von ſich, oder von andern fuͤr wahr an-
giebt,) desjenigen, der da ſpricht oder
ſchreibt. Z. E: Wenn ihr einmal hoͤren
ſolltet, lieben Kinder! daß die erſte Urſache
aller Wirkungen, oder dasjenige Weſen,
welches wir, mit Einem Worte, Gott, nen-
nen, euer Wohlthaͤter, von dem ihr Leben
und alles habt, ich ſage, wenn ihr einmal
hoͤrtet, daß dieſes guͤtige Weſen wichtige
Nachrichten von ſich ſelbſt, den Menſchen
gegeben haͤtte, die ſie, ohne dieſen goͤttlichen
Unterricht nimmermehr wißen konnten —
Wuͤrdet ihr alle dieſe Nachrichten nicht fuͤr
wahr annehmen, um des Zeugnißes Gottes
willen? Recht, lieben Kinder! Denn was
haͤtte Gott, der uͤber alles guͤtig iſt, wohl
vor Urſache, uns armen Menſchen Unwahr-
heit zu ſagen, ober uns zu betruͤgen? und
was haͤtten eure Aeltern und Lehrer fuͤr
Vortheile davon, euch Unwahrheit zu lehren?
Wie heißt du, meine Tochter! mit dem
Taufnahmen? Iſt das wahr? Biſt du deſſen
gewiß, daß das wahr iſt? Fuͤhre mir einen
Grund, oder eine Urſache an, warum das
B 3wahr
[22] wahr iſt! Maria, ſagſt du, ſo heißen dich
deine Aeltern — Weißeſt du nicht mehr
Gruͤnde anzugeben, warum du ſo heißeſt?
Recht, mein Kind! ins Kirchenbuch biſt du,
unter dem Taufnamen, aufgeſchrieben. Seht!
dieß Kind wußte das gewiß, was ſie ſagte:
denn ſie konnte Gruͤnde anfuͤhren; alſo, ge-
wiß iſt alles das, was man ſich und an-
dern, durch Gruͤnde beweiſen kann. Ihr
lieben Kinder! das allein hilft euch nicht viel,
daß ihr Wahrheiten hoͤrt, oder auswendig
lernt. Nein die Wahrheiten muͤßen auch, in
euch, zu Gewißheiten werden. Das heißt ſo
viel: Ihr muͤßt euch zugleich den Grund an-
geben koͤnnen, warum eine Wahrheit wahr
iſt. Alsdenn kommt euch die Erkenntniß der
Wahrheit zu nutze, und wird lebendig in euch,
ſo, daß ihr die Wahrheit liebt. Wer aber
die Wahrheit liebt, der liebt auch Gott; denn
alle Wahrheit koͤmmt von Gott.
Wenn es erſt ein paar Naͤchte gefroren
hat, wagt ihr euch denn wohl, auf dem tie-
fen Waſſer zu glitſchen, oder zu ſchlittern?
Warum nicht? Weils alſo ungewiß iſt, ob
es euch haͤlt, oder, wie ihr es nennt, unſicher,
ſo giengt ihr nicht auf das Eis. Es iſt auch
nicht zu vermuthen, daß, in ein paar Naͤch-
ten, das Eis ſo ſtark und ſo dicke frieren ſoll-
te,
[23] te, daß es einen Menſchen traͤgt. Wenn es
aber, im Winter, vier bis fuͤnf Naͤchte und
Tage friert, ſo iſt es wahrſcheinlich, oder zu
vermuthen, daß das Waſſer dick genung Eis
hat, daß ihr drauf gehen koͤnnt, ohne durchzu-
brechen. Es kann aber doch eine warme
Stelle ſeyn, die nicht recht veſte gefroren iſt, da
ihr herein fallet, und Schaden nehmt.
Seht, Kinder! das iſt der Fehler der Wahr-
ſcheinlichkeit, daß ich niemals gewiß bin, ſon-
dern immer unſicher bleibe. Wer ſich ſtets
mit Wahrſcheinlichkeiten behilft, den ſichern
Weg der Gewißheit verlaͤßt, und immer ſpricht:
„Es koͤnnte doch wohl gut gehen! Vielleicht
„gluͤckt es! Wir wollens probieren, es kommt
„darauf an!„ Von dem ſagen kluge Leute: er
wagt. Es iſt dieß ein gewoͤhnlicher Fehler
junger Leute, die nicht viel Urſachen und Wir-
kungen kennen. Huͤtet euch davor, Kinder!
Denn wer wagt, begiebt ſich in Gefahr, ohne
daß es ſeine Pflicht erfodert, und kann zu
Schaden kommen, oder irren. Behaltet aber,
daß man das jenige wahrſcheinlich nennt, dem
noch viel Gruͤnde, zur voͤlligen Gewißheit
fehlen.
Sehr nahe bey der Wahrſcheinlichkeit, iſt
der Irrthum.
B 4Wenn
[24]
Wenn ihr, in der finſtern Nacht, aufge-
ſtanden ſeyd, um zur Thuͤre heraus zu gehen,
ſeyd ihr nicht oft vor der Thuͤre vorbey ge-
gangen, und habt euch in der Stube verirrt,
ſeyd an den Kachelofen gekommen, denn an
den Schrank, ehe ihr die Thuͤre gefunden
habt? Seht, Kinder! da habt ihr in eurem
Gange geirrt: denn das nennt man irren, oder
im Irrthum ſtecken, wenn man anders denkt,
als man ſollte; anders urtheilt, anders thut
und handelt, als man ſollte. Ihr, (z. E.)
ſuchtet die Thuͤre beym Ofen — War der Ofen
noch heiß, ſo haͤttet ihr euch gar verbrennen
koͤnnen; Denn ein Irrthum hat gemeiniglich
ſchaͤdliche Folgen.
Warum aber verirrtet ihr euch damals in
der Stube? Recht lieben Kinder! weil es dun-
kele Nacht war, weil ihr nicht ſehen konntet.
Seht, Kinder! was das Tageslicht fuͤr un-
ſere Augen iſt, das iſt die Wahrheit fuͤr unſern
Verſtand. Wer die Wahrheit liebt, und nach
Erkenntniß trachtet, in deßen Verſtande iſt
Licht, er verirrt ſich nicht leicht, oder kommt
doch bald wieder auf den rechten Weg.
Wer aber nach Wahrheit nichts fragt, und
nichts Gutes lernen will, in dem iſt Finſterniß;
denn jeder Irrthum iſt Finſternis im Verſtan-
de; und ein ſolcher Menſch irrt alle Augenbli-
cke.
[25] cke. Wenn er nun, durch ſeinen Irrthum ver-
kehrte Dinge gethan hat, ſo ſcheut er das Licht:
denn ſeine Werke ſind boͤſe, und er will nicht,
daß ſie ſollen offenbar werden, weil er die
Verachtung der andern, und die Strafe ſeiner
Thorheit fuͤrchtet. Alſo durch Aufmerkſamkeit
und Wißbegierde lernt ihr die Wahrheit kennen.
Wenn ihr den großen Nutzen erfahrt, den euch
die Erkenntniß der Wahrheit bringt, ſo lernt
ihr ſie auch lieben. Wenn ihr die Wahrheit
liebt, ſo ſtrebt ihr auch nach Gewißheit, das
iſt: Ihr betrachtet die nuͤtzliche Wahrheit ſo
lange, bis ihr davon gewiß werdet, und euch
und andre, durch Gruͤnde, uͤberzeugen koͤnnt.
Alsdann aber kann auch die ungewiſſe Wahr-
ſcheinlichkeit, nicht leicht betruͤgen, und in Irr-
thum bringen. Denn ihr glaubt nichts ohne
Gruͤnde, weil ihr wißt, daß alles, was man
fuͤr wahr erkennt, entweder durch die Sinne,
oder durch Gegeneinanderhaltung mit andern,
ſchon bekannten Wahrheiten, oder um des Zeug-
nißes willen, eines rechtſchafnen und verſtaͤn-
digen Zeugen erkannt und geglaubt werden
muß.
[26]
Das fuͤnfte Capitel.
Glauben, unglaͤubig ſeyn, leichtglaͤu-
big ſeyn, aberglaͤubig ſeyn.
Lieben Kinder! wenn Jemand die Erkennt-
niß der Wahrheit zwar haͤtte, das iſt: die
Wahrheit zwar von der Unwahrheit unter-
ſcheiden koͤnnte; aber ſein ganzes Verhalten
gar nicht darnach einrichtete, dem wuͤrde
die bloße Erkenntniß wenig helfen, und er
haͤtte ohne Nutzen die Schule beſucht.
Denn, Kinder! von allem, was man in der
Schule lernt, muß man Vortheil und Nu-
tzen haben, ſo daß man Zeit ſeines Lebens
dadurch gebeßert wird. Man wird aber,
durch die Erkenntniß der Wahrheit, nicht
eher gebeßert, als bis man an die Wahr-
heit glaubt. Wenn ihr aber der Wahrheit
zutraut, daß es euch gut iſt, ſie zu wißen,
und ſie zum Rath und Fuͤhrer in eurem
Leben anzunehmen, auch euer Thun und
Laßen, nach der Wahrheit einzurichten; als-
denn glaubt ihr an die Wahrheit. Und
das heißt glauben, oder glaͤubig ſeyn.
Alſo der Glaube, iſt diejenige Entſchlieſ-
ſung eines Menſchen, die durch ſorgfaͤltige
Be-
[27] Betrachtung der Wahrheit gewirkt wird,
nach welcher er der Wahrheit ferner Gehoͤr
giebt, und ſein Leben nach ihrer Vorſchrift
einrichtet.
Ihr koͤnnt nun gleich einſehen, lieben
Kinder, was unglaͤubig ſeyn heißt: Nem-
lich, man iſt unglaͤubig, wenn man der
Wahrheit den angeruͤhmten Nutzen nicht zu-
traut, und lieber im Irrthum bleibt, als ſich
Muͤhe giebt, die Wahrheit kennen zu lernen.
Dieſe Geſinnung laßt ja ferne von euch ſeyn, lie-
ben Kinder! Gott, der ein Gott der Wahr-
heit iſt, hat einen Abſcheu vor ſolchen un-
glaͤubigen Leuten. Und Er hat gleich von
Anfang, Seine Welt ſo eingerichtet, daß es
den Unglaͤubigen, auch hier in der Welt,
nicht wohlgeht.
Ich will euch eine wahre Geſchichte
erzaͤhlen von dem Nutzen, den der Glauben
an die Wahrheit ſchafft, und von dem
Schaden, den man davon hat, wenn man
unglaͤubig iſt, oder der Wahrheit nicht fol-
gen will.
In einem Dorfe wohnten acht Bauren
und der Prediger. Der Prediger war ein
verſtaͤndiger, guter Mann, der viel Wahr-
heiten wußte, und noch taͤglich mehr dazu
lernte. Einſt kam, im Winter, eine anſte-
cken-
[28] ckende hitzige Krankheit in das Dorf; und
in allen Haͤuſern waren Kranke. Da ſagte
der Prediger: „Lieben Leute! folgt meinem
„treuen Rath, haltet die Kranken nicht ſo
„heiß, mit Einheitzen und Zudecken mit De-
ckebetten, ſie haben doch Hitze genung;
„braucht keine hitzige Arzeneyen, ſie ſind
„ſchaͤdlich; ſchickt in Zeiten zum Doktor in
„die Stadt; denn wenn ihr wartet, bis euch
„der Othem ausgehen will, denn kann der
„Doktor nicht mehr helfen. Laßt friſche
„Luft, alle Tage, durch die Fenſter in die
„Stuben; und trinkt, Geſunde und Kranke,
„viel Waſſer, mit etwas Weineßig, ſo wer-
„den viel Kranke beßer werden, und viel
„Geſunde werden vor der Krankheit be-
„wahrt bleiben.‟
Drey Hauswirthe glaubten dem Prediger,
daß er die Wahrheit lehrte; denn ſie kannten
ihn, daß er ein rechtſchaffener verſtaͤndiger
Mann war, ſie machten es ſo, wie er ſagte;
und fragten ihn um Rath, wo ſie ſich nicht
zu rathen wußten. — In allen dieſen Haͤu-
ſern nahm die Krankheit nicht uͤberhand.
Die andern fuͤnfe aber waren unglaͤubig.
Sie ſprachen; „Das wollen wir wohl blei-
„ben laßen! Warum iſt denn eingeheitzt,
„wenn man die Fenſter aufmachen ſoll?
„Das
[29] „Das Holz iſt theuer. Hitze muß Hitze ver-
„treiben! Unſer Schaͤfer ſoll den Doktor
„noch was lehren koͤnnen. Branntewein
„und Pfeffer, (ſpricht er) wem das nicht
„hilft, dem kann nicht geholfen werden.
„Stark Bier muß der Kranke trinken, da-
„mit er Kraͤfte kriegt: er iſt ja ſchon ſo
„matt, und ſoll noch Waſſer mit Eßig trin-
„ken?‟ Was geſchah? Die fuͤnf unglaͤubi-
gen Hauswirthe ſturben, in kurzen, mit al-
len Kindern und dem meiſten Geſinde dahin;
und es blieb, in der ganzen Gegend, dieß Dorf
bekannt, wegen dieſer Geſchichte.
So, wie dieſer Prediger in ſeinem Dorfe
that; ſo, lieben Kinder! hat Gott unzaͤhlige
mal, die Menſchen gelehrt, was ihnen gut
oder ſchaͤdlich iſt. Er, von dem alle Wahr-
heit herkommt, hat, in verſchiednen
Zeiten, und durch viele rechtſchaffne Men-
ſchen, die Wahrheit verkuͤndigen laſſen. Wir
haben ein Buch, das heißt die Bibel, die
heißt darum das Wort Gottes, weil
die meiſten und wichtigſten und auch die
nuͤtzlichſten Wahrheiten, darin ſtehen. Alles,
was in dieſem Buche ſteht, das iſt Wahr-
heit, die muͤßt ihr glauben, das heißt, es
ihr zutrauen, daß ihre Erkenntniß euch nuͤtz-
lich iſt; und nach ihrer Vorſchrift euer Le-
ben
[30] ben einrichten. Gott aber, muͤßt ihr, ſo oft
ihr in der Bibel leſet, herzlich danken, daß
Er, uns armen Menſchen, Sein Wort hat
ſchenken wollen: denn dieß Wort iſt Wahr-
heit, und vertreibt alle Finſterniß im Ver-
ſtande; es iſt ein Licht auf unſerm Wege;
und wenn wir in dieſem Lichte wandeln,
das iſt: nach dem Worte Gottes uns rich-
ten; ſo haben wir uns der beſondern Gna-
de und Gemeinſchaft, mit Gott, zu getroͤſten,
wie ihr hernach mit mehrerem erfahren
werdet.
Alſo, lieben Kinder! haͤttet ihr gehoͤrt,
und gelernt, was Glauben und Unglauben
iſt, und daß man nur der Wahrheit glau-
ben muͤße.
Denn ſeht! es giebt eine fehlerhafte Ge-
ſinnung, die Leichtglaͤubigkeit heißt; da glaubt
man oft an Unwahrheit. Es iſt beſonders,
lieben Kinder! daß die Unglaͤubigen gemei-
niglich dieſen Fehler haben. Der Wahrheit
verſagen ſie ihren Glauben; aber es iſt kei-
ne Thorheit ſo unſinnig, der ſie nicht Glau-
ben geben ſollten. Seht! das iſt eine Stra-
fe Gottes; dafuͤr, daß ſie die Wahrheit nicht
lieben, und ſie nicht glauben wollen, laͤßt
ſie Gott, in ihrem verkehrten Sinne dahin
gehen,
[31] gehen, und es iſt ihrer Thorheit Frucht,
das Uebel, welches ihnen wiederfaͤhrt.
Ihr habt, wenn ihr Achtung gebt, ſchon
an der vorigen Geſchichte ſo etwas bemer-
ken koͤnnen. Wer kann ein Exempel von
Leichtglaͤubigkeit darin finden, und mir ſa-
gen?
Recht, meine Tochter! Die fuͤnf Bauren
glaubten dem Schaͤfer, der ſich nie um
Wahrheiten von der Art bekuͤmmert hatte,
lieber, als ihrem Seelſorger, der ſich Tag
und Nacht, um ihr Beſtes, Muͤhe gab.
Ich will euch aber noch eine Geſchichte
von Leichtglaͤubigkeit erzaͤhlen.
Ein Bauer hinterließ ein ſchoͤn Ackergut,
und nur einen Sohn. Wie der Vater noch
lebte, vermahnte er den Sohn oft zur Arbeit,
und ſagte: „Hans! wer fleißig arbeitet, der
„hat Brodt; aber der Faule muß darben.‟
Hans aber ging lieber in die Schenke, und
hoͤrte gerne was Neues. Als der Vater
todt war, that Hans vollends gar kei-
ne Ackerarbeit mehr, ſondern kam nicht aus
der Schenke eher weg, als bis er nach Hauſe
zu Bette gieng..
Einſt kam ein Bergmann in die Schenke,
ein liſtiger Betruͤger. Hans ſprach, und
trank mit ihm; da merkte denn der Berg-
mann
[32] mann bald, daß Hans dumm und einfaͤltig
war. Er fieng alſo an, vom Schatzgraben
zu reden, und ruͤhmte, daß er verſchiedne
Schaͤtze wuͤßte. Das gefiel Hanſen wohl.
Er bezahlte einen Krug Bier nach dem an-
dern fuͤr den Bergmann. Beym Trunke
wurden ſie recht vertraut. Da erfuhr Hans
vom Bergmanne, daß vor dem Dorf, im
Buſch ein Schatz ſtuͤnde. „Bruder! ſagte der
Bauer, „wenn du ihn weißt, warum haſt du
„ihn nicht ſchon gehoben? Ja, ſagte der
„Bergmann, das geht nicht ſogleich. Ich
„bin arm, wenn ich 33 Rthlr. 3 Gr. 3 Pf.
„in Gold, Silber, und Kupfergelde haͤtte,
„denn wollte ich ihn gleich heben.‟ Bruder!
rief Hans voller Freuden, ſo viel habe ich
eben in der Taſche, und wohl mehr. Ich
habe heut ein Pferd verkauft — 11 Duka-
ten, 3 Silbergroſchen, und 1 Kupferdreyer —
Nicht wahr? Das macht 33 Rthlr. 3 Gr.
3 Pf. und iſt dreyerley Geld. Gut, ſagte
der Bergmann, um 12 Uhr in der Nacht,
gehn wir hin, und du ſollſt die Haͤlfte vom
Schatz haben, weil du das Geld hergiebſt.‟
Sie giengen alſo hin in den Buſch. Der
Bergmann nahm die 33 Rthl. 3 Gr. 3 Pf.
in Empfang, und ſtellte Hanſen an einen
Eichbaum, und verbot ihm, bey Lebens-Ge-
fahr,
[33] fahr, zu reden, ſondern gebot ihm, dort 3
Stunden ſtille zu ſtehen.
Indeß der Bauer ſtille ſtand, ſo gieng
der Bergmann, mit dem Gelde, uͤber die
Graͤnze und davon. Am Morgen kam der
Bauer, der lange gefroren und gewartet
hatte, zu Hauſe, und wem er ſein Ungluͤck
erzaͤhlte, der lachte ihn aus. —
Seht, Kinder! dieſer Hans traute ſeinem
eignen Vater nicht zu, daß er ſein Beſtes
ſuchte, wie er ihm die Arbeit empfohl, und
war unglaͤubig. Hernach aber, war er doch
ſo leichtglaͤubig, daß ihn ein unbekannter
Menſch betruͤgen und um das Seinige brin-
gen konnte. Alſo leichtglaͤubig ſeyn, heißt
ſolchen Zeugnißen trauen, die keinen Glau-
ben verdienen.
Aberglaͤubiſch iſt man, wenn man Wirkun-
gen erwartet, zu denen die Urſachen fehlen.
Lieben Kinder! es giebt falſche Menſchen
in der Welt, die ſich gewißer Kuͤnſte ruͤh-
men, die ſie ſehr geheim halten. Bald wol-
len ſie machen, daß das Fieber ausbleibt;
bald, daß der Dieb das Geſtohlne ſelber
wiederbringen muß; daß die Kuͤhe keine
Milch geben; daß jemand, der ihnen was
zu Leide gethan hat, mit einemmal krumm
Cund
[34] und lahm wird, und wie die Poßen alle
heißen.
Seht! wer glaubt, daß er dieſe Kuͤnſte
kann; daß er durch bloße Worte und Zei-
chen, dieß ausrichten kann, der iſt aberglaͤu-
biſch — Er erwartet eine Wirkung, ohne
Urſache. Denn das bloße Wort eines ſchwa-
chen Menſchen, kann nicht die Urſache ſeyn,
woraus ſolche Wirkungen entſtehen. Und
Gott, als ein hoͤchſtguͤtiger Vater, hat die
Menſchen gewiß nicht der Gefahr ausſetzen
wollen, daß ein jeder boͤſer und feindlich
geſinnter Menſch, dem andern, bloß durch
ein paar Worte, Gottes edelſte Gabe, die
Geſundheit rauben, oder ihn um ſein Ver-
moͤgen, heimlich und ungeſtraft, bringen
koͤnnte. Der hoͤchſtguͤtige Gott liebt ja die
Menſchen, ſeine Geſchoͤpfe: Denn, wenn
das nicht waͤre, ſo haͤtte Gott keine geſchaf-
fen. Wir ſollen Gott fuͤrchten, weil alles,
was geſchieht, nach Gottes Willen geſchieht;
wie ihr hernach auch mit mehrern hoͤren
werdet. Wenn ihr alſo, ſchlecht unterrich-
tete Leute, von Geſpenſtern, die des Nachts
die Leute erſchrecken, von Kobolden und
Hexen, die, auf den Beſen, durch die Luft
reiten; von Kirchhoͤfen, daß die Todten des
Nachts darauf ſich ſehen laßen, und allen
ſol-
[35] ſolchen aberglaͤubiſchen Dingen, hoͤrt erzaͤh-
len: ſo ſeyd nicht leichtglaͤubig, euch davor
zu fuͤrchten, (wenn auch die Leute ſo gar
ſagten; „Sie haͤtten es mit ihren Augen
„geſehen;‟ denn, entweder ihre Augen ſa-
hen vor Furcht, damals unrichtig, oder ſie
ſagen mit Vorſatz Unwahrheit:) Sondern
fuͤrchtet, das iſt, ehret Gott uͤber alles, und
folgt der Wahrheit, ſo duͤrft ihr euch nicht
vor dieſen thoͤrichten Luͤgen fuͤrchten.
Das ſechſte Capitel.
Vom Verhaͤltniß, worin die Men-
ſchen mit Gott ſtehen, oder
von der Religion.
Geliebten Kinder! Was euch in allen vo-
rigen Schul-Uebungen gelehrt worden iſt,
das war ſchon, bloß um dieſes Capitels
willen, noͤthig; weil ihr es ſonſt nicht ver-
ſtehen konntet.
Die Erkenntniß der Religion, oder des
Verhaͤltnißes, worin der Menſch mit Gott
ſteht, iſt, unter allen Erkenntnißen, die wich-
tigſte. Daß dieſes wahr ſey, werdet ihr
C 2glau-
[36] glauben, ſo bald glauben, oder fuͤr wahr
annehmen, als ihr von der Religion werdet
unterrichtet ſeyn.
Ihr ſeyd zu dieſem Endzweck vorberei-
tet worden. Erſtlich: daß ihr die Huͤlfsmit-
tel zu aller Erkenntniß, nemlich Aufmerk-
ſamkeit und Wißbegierde, kennen gelernt,
und euch, in deren Anwendung, geuͤbet habt.
Zweytens: Ihr habt gehoͤrt, daß alle
Dinge, die wir ſehen, und empfinden, aus
Urſach und Wirkung beſtehen, und daß Gott
die erſte Urſach aller Dinge ſey, oder daß
alles ſeinen Anfang, Gott zu danken habe.
Drittens: Daß ber Menſch zwar, ſeinen
von Gott erhaltenen Verſtand, dazu brau-
chen muͤße, ſo viel Urſachen und Wirkun-
gen, als moͤglich, einzuſehen, und alſo weiſe
und klug zu werden. Daß aber doch ſich
nicht alles, durch eignes Nachdenken, oder
Belehrung von andern, ergruͤnden laße.
Viertens: Ihr wißt, was Wahrheit iſt,
und habt, die Zeichen derſelben zu kennen,
eure Faͤhigkeit geuͤbt.
Fuͤnftens: Ihr ſeyd belehret, daß man ſich
nach der [erkannten] Wahrheit auch richten muͤße,
oder der Wahrheit glauben; ſowohl der Wahrheit,
die man, aus eignen Nachdenken, fuͤr Wahrheit
erkennt, als auch der Wahrheit, die man, auf das
Zeug-
[37] Zeugniß eines unverwerflichen Zeugen, fuͤr
wahr annehmen muß.
Welcher Zeuge, geliebte Kinder! kann nun
wohl unverwerflicher, und alſo glaubwuͤrdi-
ger ſeyn, als die erhabne Urſache aller Wir-
kungen?
Gott, von dem wir Leben und alles Gu-
te haben; der Wohlthaͤter, der allen Speiſe
giebt, und Brodt aus der Erden, und Klei-
dung wachſen laͤßt; der guͤtige Vater, der
alles ſo veranſtaltet hat, daß, wer Seinen
Worten und Zeugnißen, in der Religion
folgt, ſchon hier ſehr gluͤcklich iſt, und nach
dem Tode, eine unausſprechliche Herrlichkeit
zu gewarten hat; Gott hat uns nicht al-
lein Verſtand gegeben, daß wir aus der
Erkenntniß aller Dinge Ihn finden, und
Ihn, die erſte Urſach aller Wirkungen nen-
nen muͤßen: ſondern Er hat auch Sich, aus
erbarmender Liebe, den Menſchen offenbart,
und einen ganzen Schatz von Wahrheit, ih-
nen geoͤfnet, den ſie ſonſt nicht wißen konn-
ten. Ein Buch, welches die heilige Schrift
oder Bibel heißt, enthaͤlt dieſen Schatz von
Wahrheit. Gott ſelbſt bezeuget, daß die heilige
Schrift Wahrheit ſey, und fordert von uns
Gehorſam und Annehmung der Wahrheit
oder Glauben.
Alſo
[38]
Alſo, geliebten Kinder! Gott, in allen Sei-
nen Verhaͤltnißen, aus Seinen Werken und
aus der Bibel kennen lernen, das heißt, in
der Religion unterrichtet werden, oder wah-
re Weisheit lernen.
Hoͤrt deßwegen, mit aller Aufmerkſamkeit,
dieſen Unterricht an! Bewahret, was ihr
lernt, in einem feinen guten Herzen, und
zeigt auch durch euer aͤußerliches Betragen,
daß ihr das Verhaͤltniß wiſſet, worin ihr
mit Gott ſteht!
Erſter Theil.
Natuͤrliche Erkenntniß von Gottes Ver-
haͤltniß gegen den Menſchen; oder von
den Eigenſchaften Gottes.
Lieben Kinder! Die erſte Urſach aller
Wirkungen, Gott! von dem alle Dinge ih-
ren Urſprung haben, iſt ſehr maͤchtig, das
iſt: Gott iſt ſtaͤrker, als alle andere Dinge,
Gott kann alles zwingen; kein Ding kann
Gott widerſtehen: denn da Gott die erſte
Urſache aller Wirkungen iſt, ſo ſteht Ihm
auch alles zu Gebote, und ein jedes Geſchoͤpf,
muß Gott fuͤr ſeinen Herrn erkennen.
Weil
[39]
Weil nun Gott alles thun kann, was Er
will, ſo nennen wir das kurz, Gott iſt all-
maͤchtig.
Wer alles ſo einrichtet, daß allenthalben
Ordnung gefunden wird, wo er gewirkt hat,
ſo, daß er ſeines Endzweckes niemals verfeh-
let, der heißt hoͤchſtweiſe.
Seht, lieben Kinder! die ganze Natur
zeugt davon, daß ein weiſer Gott ſie ſo ein-
gerichtet hat. Tag und Nacht, Sommer
und Winter, ſind, unter unzaͤhligen Beyſpie-
len, diejenigen, die ihr am leichteſten einſe-
hen koͤnnt.
Sonſt will ich euch nur noch an eine
Sache erinnern.
Das Brodt, was ihr eßt, iſt die gemein-
ſte Speiſe; man braucht nicht ſehr reich zu
ſeyn, um Brodt zu haben: Aber keine Spei-
ſe bekommt dem Menſchen ſo gut, als Brodt.
Wir koͤnnen es alle Tage eſſen. Der meiſte
Roggen wird vor den Winter geſaͤet, und
verdirbt nicht unter Eis und Schnee. Iſt
alſo nicht der Gott hoͤchſtweiſe, der alles
das, zu unſerm Beſten, ſo eingerichtet hat;
unſern Leib zu der Nahrung des Brodts,
und das Brodt zur Nahrung und Staͤrkung
fuͤr unſern Leib?
Alſo, Gott iſt hoͤchſtweiſe.
C 4Wenn
[40]
Wenn die Weisheit, durch ihre Wirkung,
den Nutzen und die Gluͤckſeeligkeit aller an-
dern Geſchoͤpfe befoͤrdert; ſo heißt dieſes die
hoͤchſte Guͤtigkeit.
Lieben Kinder! Schon daß ihr das Le-
ben habt, das iſt: daß Gott euch auserſe-
hen hat, die Zahl der Geſchoͤpfe zu vermeh-
ren, iſt eine große Guͤtigkeit. Was habt
ihr Gott zu Gefallen thun koͤnnen, ehe ihr
wart? Womit habt ihr Ihn zu dieſer Wohl-
that bewegen koͤnnen? Es iſt Gottes freye
Gnade und Guͤtigkeit, daß ihr lebt, und in
Seiner ſchoͤnen Welt, taͤgliche Proben Seiner
Vaterliebe genießt.
Erinnert euch ja, wenn ihr am ſchoͤnen
Fruͤhlingstage ſpielt, oder gute Speiſen eßt,
oder die Voͤgel ſingen hoͤrt, kurz; bey jeder
frohen Empfindung, in eurem ganzen Leben,
erinnert euch:
Daß Gott hoͤchſtguͤtig iſt!
Wer gar keinen Mangel, weder an Macht,
noch Weisheit, noch Guͤtigkeit hat, der iſt
vollkommen, das iſt: Alles Gute, was ſich
nur gedenken laͤßt, iſt da beyſammen.
In Gott iſt dieſes einzig und allein zu
finden: Denn es iſt kein Grund anzugeben,
wie, und wodurch Gott ſollte unvollkommen
wer-
[41] werden koͤnnen; da Er die hoͤchſte Macht,
Weisheit und Guͤtigkeit iſt.
Alſo, Gott iſt vollkommen.
Gerechtigkeit nennt man diejenige Guͤtig-
keit, die einen Unterſchied macht, zwiſchen
gut und boͤſe, gehorſam und ungehorſam.
Heiligkeit aber, die mit Mißfallen begleitete
Abſonderung von aller Unvollkommenheit.
Lieben Kinder! Wer weiſe iſt, das iſt:
wer Ordnung erhalten will, wo er gewirkt
hat, der muß alſo auch gerecht ſeyn; er muß
einen Unterſchied, zwiſchen dem gehorſamen,
der ſich die Ordnung gefallen laͤßt, und dem
ungehorſamen, der der Ordnung widerſtrebt,
machen. Daß Gott dieſes wirklich thut, wer-
det ihr aus dem Worte Gottes, mit meh-
rern lernen: Denn in der Bibel iſt der ei-
gentliche Beweis der Gerechtigkeit Gottes zu
finden.
Daß aber Gott heilig ſey, oder an Sich
ſelbſt, oder andern nichts boͤſes leiden, oder das
Boͤſe erlauben kann, iſt ſchon in dem Beweiſe
der Vollkommenheit Gottes mit enthalten:
Denn, wer an ſich ſelbſt das Boͤſe leidet, der
iſt nicht vollkommen.
Alſo, Gott iſt heilig und gerecht.
Wer alle nur moͤgliche Einſicht in den
Zuſammenhang aller Dinge hat; wer alle
C 5Ur-
[42] Urſachen und Wirkungen kennt, und den Er-
folg einer jeden Handlung vorherſieht, der iſt
allwißend, oder weiß alles. Weil aber Gott
alle Dinge geſchaffen, oder hervorgebracht
hat, und allenthalben Weisheit, oder abſichts-
volle Ordnung, hervorblickt, und dieſe Ord-
nung ſich noch erhaͤlt; ſo ſchließen wir mit
Recht: daß Gott alles weiß, weil er es ſonſt
ſo ordentlich nicht haͤtte einrichten koͤnnen.
Alſo, Gott iſt allwißend.
Wer alles vorher weiß, und die Macht
hat, es ſo einzurichten, wie er es gut findet,
der braucht ſeine Meynung nicht zu aͤndern,
oder heute ſo, morgen anders, zu verfahren,
und der iſt unveraͤnderlich.
Ihr habt gehoͤrt, daß Gott alles vorher-
weiß, und die hoͤchſte Weisheit und Macht
beſitzt, uͤberdem auch alle Vollkommenheit
hat; was aber ſich beſtaͤndig veraͤndert, das
iſt nicht ſtets vollkommen.
Alſo, Gott iſt unveraͤnderlich.
Was keinen Anfang braucht, um zu ſeyn,
noch, wegen Verluſt ſeiner Kraͤfte, zu ſeyn
aufhoͤren muß, das nennt man ewig, oder
immerwaͤhrend. Gott iſt die erſte Urſache
aller Wirkungen; haͤtte nun Gott einen Ur-
ſprung noͤthig, ſo waͤre ja dieſer die erſte
Urſach, und Gott waͤre die erſte Wirkung,
alſo
[43] alſo nicht vollkommen: Denn die Urſach iſt
eher, als die Wirkung. Kinder! dieſes laͤßt
ſich nicht denken. Wenn alſo Gott die erſte
Urſach aller Wirkungen iſt; ſo muß Gott
ewig ſeyn, das iſt: Gott muß immer gewe-
ſen ſeyn, und immer Gott bleiben.
Was keinen ſolchen Coͤrper hat, den man
ſehen, fuͤhlen, und einſchließen kann; was
nicht durch Arbeit muͤde wird, noch Nah-
rung und Schlaf braucht, um ſich zu erho-
len, das nennt man einen Geiſt, oder ein un-
coͤrperliches Weſen.
Denkt einmal, lieben Kinder! ob Gott
nicht nothwendig ein ſolcher Geiſt ſeyn muͤße,
wenn Ihm alle die Eigenſchaften zukommen
ſollen, von denen ihr vorher gehoͤrt habt?
Freylich, Gott iſt ein Geiſt, der alles
verſteht, dem alles zu Gebote ſtehet, vor
dem keine Macht mich ſchuͤtzen, und keine
Finſterniß mich decken kann. Gott, der die
ganze Welt, oder alles, was iſt, geſchaffen
hat, und durch Seinen Befehl erhaͤlt, Gott
kann im Augenblick die Welt verwandeln,
und uns zu Staub zermalmen. Waſſerflu-
then, Donner und Sturm, Hagel und Schnee,
dieß alles ſteht Gott zu Befehl. Aber nur ei-
nes davon iſt noͤthig zu dieſem Endzweck:
Denn, wenn es Gott als eine Strafe, brau-
chen
[44] chen will: ſo muͤßen Menſchen und Thiere
verderben.
Fuͤrchtet alſo, das iſt: ehret Gott, lieben
Kinder! von deßen Eigenſchaften ihr unter-
richtet ſeyd, uͤber alle Dinge, mehr als alle
Menſchen, und huͤtet euch, gegen Gottes
Befehle wiederſpenſtig zu ſeyn: Denn das iſt
die rechte Furcht Gottes, wenn man Gott eh-
ret und Hochachtung fuͤr Ihn empfindet,
und wenn man es nicht wagt, ungehorſam
zu ſeyn, oder Gottes Ordnung zu wieder-
ſtreben, ſondern ſich alle moͤgliche Muͤhe giebt,
den Willen Gottes, ſeines Herrn, zu wiſſen,
und, wenn man ihn weis, auch zu thun.
Zweyter Theil.
Geoffenbarte oder bibliſche Erkenntniß;
von dem Verhaͤltniß Gottes gegen
die Menſchen, und von der
Beſchaffenheit des Men-
ſchen ſelbſt.
Geliebten Kinder! Unſre Erkenntniß Got-
tes wuͤrde ſehr mangelhaft bleiben, und von
unſerer eignen Beſchaffenheit und Beſtim-
mung auf dieſer Erde, wuͤrden wir wenig
wißen, wenn der hoͤchſtguͤtige Gott nicht,
durch
[45] durch Offenbarung, oder Bekanntmachung ge-
wißer wichtigen Wahrheiten, unſerm Ver-
ſtande zu Huͤlfe gekommen waͤre. Gott hat
dieſes wuͤrklich gethan, und, von Anfang,
den Menſchen ſo viel Wahrheiten offenbart
oder kund gethan, als noͤthig waren. Gott
hat, entweder Selbſt Wahrheit gelehrt, oder
den Verſtand guter Menſchen ſo regiert, daß
ſie Wahrheit lehrten.
Im Anfang ward die Lehre Gottes
durch muͤndliche Erzaͤhlung erhalten, denn
die Menſchen konnten noch nicht ſchreiben.
Endlich aber ſammleten und ſchrieben, gute
und verſtaͤndige Menſchen, alles in ein
Buch, welches die Bibel, oder die heilige
Schrift, auch das Wort Gottes, heißt.
Dieſe Bibel iſt nun der Schatz von
Wahrheit, aus dem ein jeder Weisheit ler-
nen kann. Gott Selbſt erklaͤrt die Bibel
fuͤr Sein Wort, und Sein Zeugniß iſt un-
verwerflich.
So viele gute und verſtaͤndige Menſchen,
bezeugen alle Tage, daß ſie durch Betrach-
tung des Wortes Gottes, ruhig und gluͤck-
lich, verſtaͤndig und weiſe geworden ſind;
dieß ſind wieder Zeugniße, die Glauben
verdienen. Ihr ſeyd alſo ſchuldig, gelieb-
ten Kinder! dem Worte Gottes zu glauben,
das
[46] das iſt: es als Wahrheit anzunehmen, und
euch darnach zu richten.
Wenn ihr das thut, ſo werdet ihr, bey
euch ſelbſt, inne werden, und erfahren, daß
die Lehre der Bibel von Gott iſt, und daß,
ohne Gott, kein Menſch ſolche Weisheit
wißen, oder finden konnte.
Seht, lieben Kinder! um die Bibel leſen
und verſtehen zu koͤnnen, habt ihr bisher
muͤßen unterrichtet werden. Und, um eu-
ren fernern Unterricht in der Religion zu
erleichtern, will ich eurem Gedaͤchtniß, mit
Nachfolgendem zu Huͤlfe kommen.
Kurz gefaßter Innhalt der Bibel,
bis auf die Himmelfahrt Chriſti.
Im Amfang ſchuf, oder machte, Gott
Himmel und Erde, und Alles, was da iſt.
Auch den Menſchen ſchuf Gott, zum Bilde
Gottes auf Erden, und gab ihm einen Koͤr-
per aus Erde, der wieder zu Erde wird,
und in dieſen Koͤrper eine lebendige Seele,
die nicht wieder vergeht.
Die erſten Menſchen hießen, Adam, der
Vater, und Eva, die Mutter, aller Leben-
digen.
Gott
[47]
Gott offenbarte ſich ihnen gleich, das iſt,
Er that ihnen ſeinen Willen kund.
Sie waren von Gott ſo geſchaffen, daß,
wenn ſie Gott gehorſam waren, ſie beyde
ſehr gluͤcklich blieben. Denn ſie blieben als-
denn frey von boͤſem Gewißen, von Sorge,
Krankheit und Tod. Aber ſie gehorchten
nicht. Ihr Ungehorſam ward, von dem ge-
rechten Gott, der einen empfindlichen Un-
terſchied zwiſchen dem Gehorſamen und
Ungehorſamen machen muß, beſtraft. Die
Strafe der Suͤnde war der Tod, und
der Verluſt des hohen Grades zeitlicher
Gluͤckſeeligkeit, den ihnen Gott anfaͤnglich
zugetheilt hatte. Daher wurde ihnen
auch, der ſonſt ſo angenehme Landbau,
wie alle Arbeit ſo ſauer, daß ſie oft ſehr
ungern daran giengen, und traͤge und faul
dabey waren.
Nach und nach vermehrten ſich die Men-
ſchen! Weil ſie aber meiſtentheils ſehr boͤſe
waren, und ſich vor Gott gar nicht mehr
fuͤrchteten, ſo ließ Gott wohlverdiente Stra-
fen uͤber ſie ergehen.
Waſſerfluthen ſchickte Gott, uͤber die Er-
de; die laſterhaften Menſchen erſoffen, und
nur Ein Mann, Nahmens Noah, mit ſei-
ner Familie ſelb achten, ward, von Gott,
in
[48] in einem Schiffe, das die Arche heißt, wun-
derbar erhalten.
Aus ſeinen Nachkommen entſtanden die
Voͤlker, und unter andern die Juden, da-
von noch einige, zum Beweis aller dieſer
Wahrheit, unter uns wohnen. Dieſes Volk
waͤhlte Gott, unter andern Voͤlkern, aus,
um durch ſie, den uͤbrigen Menſchen recht
bekannt zu werden. Ihnen gab Er einen
kurzen Auszug Seines Willens, in den zehn
Geboten, offenbarte Sich vielen Perſonen
unter ihnen, und belehrte ſie, auf mancher-
ley Weiſe, von dem Verhaͤltniß des Men-
ſchen gegen Gott, oder von der Religion.
Die zehn Gebote ſind, noch heute zu Tage,
in ſolchem Anſehen, und wir lernen, in un-
ſern Catechismus, dieſe Gebote auswendig,
um ſie immer im Gedaͤchtniß zu halten.
Den Juden alſo offenbarte ſich Gott, beſon-
ders durch Lehre, und bewundernswuͤrdige
Wohlthaten; und erweckte aus Ihnen, Pro-
pheten und Lehrer, welche viel, von einem
verheißenen Erloͤſer vorherſagten, durch wel-
chen unter allen Voͤlkern Wahrheit und Er-
kenntniß ausgebreitet werden ſollte. Dieſe
Juden zeichneten endlich auch die von Gott
vorzuͤglich empfangenen Wahrheiten auf; und
dieſem Volke haben wir den groͤſten und er-
ſten
[49] ſten Teil der Bibel, welchen wir das Alte
Teſtament nennen, zu verdanken.
Ob aber Gott gleich Sich den Juden
ſo gnaͤdig erwies, ſo glaubten ſie doch nicht
immer Gott; ſondern thaten, was Gott
verbot, und richteten ſich nicht nach Gottes
Ordnung. Wenn ſie denn Gott durch Krieg,
Hunger und Krankheit ſtrafte, ſo bekehrten
ſie ſich zwar, oder ſie aͤnderten ihre Geſin-
nungen, aber nicht lange blieben ſie gehor-
ſam. Denn von der Zeit an, da die erſten
Menſchen geſuͤndigt, das iſt, ungehorſam ge-
weſen waren, wurde des Abweichens immer
mehr, die boͤſen Beyſpiele pflanzten das Boͤ-
ſe fort. Der Menſch liebte das Boͤſe mehr,
als das Gute, und hatte mehr Luſt an ſei-
nem eignen Willen, als an dem Willen Got-
tes. Endlich war die, von der Weisheit
Gottes verſehene Zeit, da durch eine beſon-
dre Perſon, dem Verderben des Menſchen
ſollte geſteuret werden, erfuͤllet. Von einer
juͤdiſchen Jungfrau, Namens Maria, ward
der Verheißene geboren, den Gott den er-
ſten Menſchen, als einen Tilger der verdien-
ten Strafen und Wiederherſteller des, durch
Ungehorſam verlohrnen Goͤttlichen Ebenbildes
im Menſchen, verheißen hatte, und auf den
die Juden, durch ihre Lehrer, die wegen ih-
Drer
[50] rer Gabe, das Kuͤnftige vorher zu wißen,
auch Propheten heißen, ſo oft waren auf-
merkſam gemacht worden.
Er wird in der Bibel, die in der damaligen
Sprache geſchrieben iſt, genennt Meßias, Chri-
ſtus, der Geſalbte, der Koͤnig, Jeſus, das iſt, ein
Seeligmacher, ein Erloͤſer, oder der große Leh-
rer und Prophet, der in die Welt kommen ſollte.
Von Ihm ſagt die Bibel: Er ſey Gottes
Sohn; Gott habe, bey der Taufe Chriſti,
Selbſt bezeuget: Dieſer iſt mein lieber Sohn,
an dem Ich Wohlgefallen habe; und der
heilige Geiſt habe, in ſichtbarer Geſtalt, bey
dieſer Gelegenheit, uͤber Jeſ[u] Haupte ge-
ſchwebt. Die Bibel legt Jeſu Chriſto goͤtt-
liche Eigenſchaften bey. Er ſey erſchienen,
oder gekommen, die Strafe, die ſonſt die
Menſchen leiden mußten, nemlich den Ver-
luſt der ſeeligen Gemeinſchaft mit Gott, da-
durch aufzuheben, daß Er Selbſt, an ihrer
Stelle, einen ſchmerzlichen Tod litte; zugleich
aber, um den Menſchen ein Muſter, oder
Vorbild zu ſeyn, wie ſie leben muͤßten, um
Gottes Gnade wieder zu erlangen. Von
den Menſchen aber forderte Gott, ſie ſollten
dieſem Verheißenen, goͤttliche Ehre erzeigen;
an Ihn glauben, das iſt: Ihn fuͤr den
Lehrer, Suͤndentilger, und Verſoͤhner des
menſch-
[51] menſchlichen Geſchlechts annehmen, in Sei-
nem Namen beten, und auf Ihn, die ganze
Hofnung einer ſeeligen Unſterblichkeit gruͤnden.
Chriſtus Jeſus lehrte die Menſchen viel
mehr Wahrheit als ſie jemals gewußt hat-
ten, verſtehen, oder begreifen. Das wichtig-
ſte aber, was Er lehrte, war fuͤr die Men-
ſchen: daß ein Leben nach dem Tode ſey,
oder daß, wenn gleich der Menſch ſtirbt, und
in der Erde verweſet, doch ein jeder Menſch,
zu ſeiner Zeit, wieder auferſteht, das iſt,
wieder zu leben anfaͤngt, und daß, nach
dieſer Auferſtehung, ein jeder Menſch gerich-
tet werden, oder den verdienten Lohn ſeiner
Thaten empfangen ſolle.
Chriſtus Jeſus lebte eine Zeitlang, auf
Erden, unter den Juden, war wohlthaͤtig
gegen jedermann, und that ſolche Werke, die,
nur Gott, aber kein bloßer Menſch, thun
kann, und daher mit Recht Wunder genennt
werden.
Er wußte, was die Menſchen dachten; ver-
wandelte Waſſer in Wein; heilte die gefaͤhr-
lichſten Krankheiten durch ein bloßes Wort,
und machte die Todten lebendig; auf Sei-
nen Befehl gehorchte der Wind, und das
Meer ward ſtille; dieß und noch mehr, that
D 2er,
[52] er, damit die Menſchen glauben ſollten: Er
ſey der verheißene Heiland der Welt.
Seine Lehre war die vollkommenſte Weis-
heit, und enthielt alles, wodurch ein Menſch
Rechtſchaffenheit lernen; ein ruhiges Gewiſ-
ſen, oder Bewuſtſeyn, daß Gott ihm gnaͤdig
iſt, erlangen, und alſo, hier auf Erden, gluͤck-
lich ſeyn, und nach dem Tode, eine gluͤckſee-
lige Fortdauer erwarten kann.
Aber, ſo wie die Menſchen vorher nicht
alle Gott geglaubt hatten, ſo glaubten ſie
auch, dem von Gott verheißenen Erloͤſer,
nicht alle. Nur im Anfang, einige Leute ge-
ringen Standes, waren Ihm treu ergeben,
und fanden, daß in Seinen Worten etwas
Goͤttliches, und ein Vorſchmack des ewigen
Lebens waͤre. Dieſe werden Apoſtel, d. i. Ge-
ſandten genannt, weil ſie von Jeſu unmittel-
bar ausgeſandt wurden, ſeine Lehre allen
Voͤlkern der Erde zu predigen.
Die meiſten und maͤchtigſten im Volke der
Juden waren Jeſu Feinde, und konnten die
aͤ[u]ßerliche Niedrigkeit ſeines Betragens, nicht
mit denen Begriffen reimen, die ſie ſich nach
der Pracht und Hoheit dieſer Welt, von dem
verheißenen Erloͤſer gemacht hatten. An-
ſtatt, daß ſie Chriſto Jeſu danken, und an
Ihn glauben ſollten, ſo haßten ſie Ihn ohne
Ur-
[53] Urſach; bloß weil Er, bey aller Gelegenheit,
ſie zurechte wies, und ihre verkehrte Ge-
muͤthsart tadelte. Sie haßten Ihn endlich
ſo ſehr, daß ſie ſich entſchloßen, Ihn zu
toͤdten.
Wenn man aber einen Menſchen zum
Tode verdammen will, ſo muß man ihn
vorher eines Verbrechens beſchuldigen, und
auch uͤberfuͤhren.
Das Erſte thaten die Juden, nemlich ſie
beſchuldigten Jeſum: Er ſey ein Zauberer,
das iſt, einer, der mit des Teufels Huͤlfe,
boͤſe Dinge thut, hernach: Er wolle Koͤnig
uͤber die Juden werden, endlich: Er habe
Gott gelaͤſtert. Aber, von allen dieſen konn-
ten ſie Jeſum nicht uͤberfuͤhren, oder bewei-
ſen, daß ihre Beſchuldigungen wahr waͤren.
Endlich ſtellten die Oberſten unter den Ju-
den falſche Zeugen auf, die verſicherten, alle
dieſe Beſchuldigungen waͤren wahr. Und
Jeſus Chriſtus ward zum ſchmerzlichſten
Tode, nemlich, an Haͤnden und Fuͤßen an
ein Holz, das, wegen ſeiner Geſtalt, ein
Creutz heißt, genagelt zu werden, und dar-
an zu ſterben, verurtheilt. Ohngefaͤhr um
die Zeit im Jahre, da wir, zum Gedaͤchtniß
dieſer Begebenheit, Oſtern feyern, ward alſo
Jeſus Chriſtus gekreuziget; nach der Gewohn-
D 3heit,
[54] heit, nachdem Er am Creutz geſtorben, in
ein Grab gelegt, oder begraben; Aber, am
dritten Tage ſtand Chriſtus Jeſus, aus eig-
ner goͤttlicher Kraft, lebendig auf, und er-
ſchien ſeinen, uͤber das Geſchehene, ſehr be-
truͤbten Juͤngern. Zu ihrem Troſt und voͤl-
liger Belehrung, oͤfnete Jeſus Chriſtus ih-
nen die Schrift, das iſt: Er gab ihnen Ein-
ſicht in den ganzen Zuſammenhang des Ver-
fahrens Gottes mit den Menſchen, und wie
Er, Chriſtus, der Sohn Gottes, habe ein
Menſch geboren werden, und, als ein Menſch
den Tod leiden muͤßen, um den Menſchen
Begnadigung bey Gott, wegen alles bisheri-
gen Ungehorſams, zu verſchaffen. Er be-
ſtellte auch dieſe ſeine Juͤnger zu Lehrern der
Menſchen, und befahl ihnen, die Leute zu
unterweiſen, und ſie denn, durch die Taufe,
zu Chriſten einzuweihen.
Durch dieſe Lehre und Unterricht wurde
nun der Glaube der Apoſtel geſtaͤrkt, und
ſie predigten dieſes Evangelium, oder dieſe
froͤliche Botſchaft, auf Befehl Jeſu, allen
Voͤlkern, wo ſie hinkamen, mit Freudigkeit.
Als Jeſus Chriſtus nun, auf Erden, al-
len Willen Gottes Seines Vaters, vollendet
hatte; ſo kam eine Wolke, und umhuͤllte
Ihn vor den Augen ſeiner Apoſtel, und vie-
ler
[55] ler Menſchen, und Er gieng wie[d]er ein, zu
Seiner Herrlichkeit im Himmel.
Aber, am Tage der großen Auferſtehung oder
des allgemeinen Gerichts, wird Er wieder er-
ſcheinen, und diejenigen, die Ihn fuͤr das, was
Er iſt, gehalten, und Seiner Lehre gehorſam gewe-
ſen, Theil an Seiner Herrlichkeit nehmen laßen;
die andern aber, die keinen Theil an Ihm haben
wollten, von der ſeeligen Gemeinſchaft mit Gott
ausſchließen.
Geliebten Kinder! dieſe Apoſtel nun lehr-
ten, wie es ihnen von Jeſu Chriſto, ihrem
und unſerm Herrn, befohlen war, zuerſt die
Juden, denn auch die verſchiedenen abgoͤtti-
ſchen Voͤlker zu denen ſie kamen. Und die-
ſe Voͤlker nennt die Bibel Heiden, d. i.
ſolche Leute, die keine richtige Begriffe von
dem einigen wahren Gott und von der
Religion (welches die Lehre von dem Ver-
haͤltniße der Menſchen mit Gott iſt) haben.
Eure Voraͤltern, Geliebten Kinder! wa-
ren auch ſolche Heiden, voller Unwiſſenheit
und Aberglauben, ehe ſie in der chriſtlichen
Religion unterrichtet wurden; und es giebt
noch ganze große Laͤnder voll ſolcher Hei-
den — Preiſet alſo und danket Gott da-
fuͤr, daß Er eure Voraͤltern berufen hat
von der Finſterniß zu dem herrlichem Lichte
D 4ſeines
[56] ſeines Evangelii. Haltet es fuͤr die groͤſte
Wohlthat Gottes, daß ihr Kinder chriſtli-
cher Aeltern ſeyd, alſo durch Lehrer in Schu-
len und Kirchen in aller Erkenntniß des
Willens Gottes unterrichtet werdet; und
wendet auch den empfangenen Unterricht ſo
an, daß ihr Gott den ihm wohlgefaͤlligen
Dank, durch ein tugendhaftes und chriſtli-
ches Leben, opfert.
Das ſiebente Capitel.
Eine Tugendlehre nach der Bibel.
Philipper im 4. Cap. v. 8. 9.
Was wahr iſt, was ehrbar, was gerecht,
was keuſch, was lieblich iſt, was wohl lau-
tet, iſt etwa eine Tugend, iſt etwa ein Lob,
dem denket nach — das thut!
So, meine liebſten Freunde, redet euch
die Bibel an, von welcher ihr gehoͤrt habt,
daß ſie Gottes Willen enthalte. Sie will
in allen Stuͤcken, euch vollkommen haben.
Ihr ſollt nicht allein vor groben Laſtern,
das iſt, vor ſolchen, die die weltlichen Ge-
ſetze ſtrafen, euch huͤten, ſondern auch ver-
borgene Suͤnden meiden; in allen Stuͤcken
euch
[57] euch anſtaͤndig, und ehrbar, und als ſolche
bezeigen, die da wißen, daß Gott alle Din-
ge ſieht und weiß.
Weil nun hierzu vor allen Dingen noͤthig
iſt, daß ihr gute Gedanken habt, gute Vor-
ſaͤtze faßt, gute Mittel waͤhlt, ſie auszufuͤh-
ren; zu allen Dieſen aber die beſten Anlei-
tungen in der Bibel findet: So will ich
euch eine Anweiſung geben, die euch nuͤtz-
lich ſeyn wird.
Wenn ihr in der Bibel leſen wollt, ſo
betet allemal vorher zu Gott:
Ach Herr, mein Gott! ich will in
der Bibel leſen, oͤfne mir die Augen
des Verſtandes, daß ich in der Er-
kenntniß Jeſu Chriſti zunehme; Dein
guter Geiſt bewahre mich vor Irr-
thum, und fuͤhre mich auf richtiger
Bahn! Amen.
Ihr werdet in der Bibel zweyerley fin-
den. Erſtlich: Wie Gott Sich gegen die
Menſchen bewieſen hat. Anderntheils: Wie
die Menſchen gegen Gott ſich bewieſen ha-
ben. Herablaßend, gnaͤdig, treu, gerecht
und gut, iſt Gott; die Menſchen aber, nicht
aufrichtig, nicht dankbar durch Gehorſam,
der einzigen Art von Dank, die gegen Gott
moͤglich iſt. Die meiſten in der Bibel be-
D 5ſchrie-
[58] ſchriebnen Menſchen, klebten mit ihren Her-
zen an vergaͤnglichen Dingen, die nicht Gott
ſind; ſuchten Ruhe, und fanden ſie nicht,
weil ſie außer Gott Ruhe ſuchten. Sie
thaten weder als Unterthanen, noch als
Obrigkeiten, ihre Pflichten, und fuͤrchteten
ſich hernach, wo nichts zu fuͤrchten war,
weil ſie mit ihren Herzen von dem Gott
gewichen waren, der allein mit Recht ſagen
kann: Fuͤrchte dich nicht in der Noth, denn
Ich bin bey dir.
Lieben Kinder! Wenn ihr den aufrichti-
gen Wunſch bey euch empfinden werdet:
„Weil mich Gott zu einem verſtaͤndigen
„Weſen geſchaffen hat, und mir Geſetze ge-
„geben, das iſt, Seinen Willen bekannt ge-
„macht hat, damit ich gluͤcklich ſeyn koͤnne,
„ſo will ich mich mit Fleiß huͤten, vor alle
„dem, was Gottes Willen zuwider iſt.“ Als-
denn wird euch euer Gewißen erinnern,
wenn ihr gefehlt habt. Wenn euch eure
Aeltern, Lehrer oder wahren Freunde zeigen,
wo ihr gefehlt habt, ſo werdet ihr nicht
widerſtreben, euern Fehler nicht entſchuldi-
gen, ſondern ihnen Recht geben. Es wird
euch leid ſeyn, daß ihr gefehlt habt, und
die Reue wird euch behutſamer, und wach-
ſamer auf euer Verhalten machen. Weil
aber
[59] aber doch durch dieſe Reue allein, das ge-
ſchehene Boͤſe, vor dem heiligen Gott nicht
gut gemacht werden kann: So werdet ihr
die, in unſerm Heilande Jeſu Chriſto, euch
angebotne Gnade herzlich annehmen, und
euch dankbar freuen, daß es Gott gefallen,
in Jeſu Namen, die Verſoͤhnung der bereu-
eten Suͤnden zu ſtiften. Ihr werdet in
Seinem Namen, eure Knie beugen, d. i.
beten, und glauben, daß, nach Seinem
Worte, welches Er mit Seinem Tod und
Auferſtehung verſiegelt hat, ihr nicht mehr
der Suͤnde Knechte ſeyn muͤßet, ſondern in
Ihm, Gerechtigkeit und Staͤrke habt, der
Suͤnde zu widerſtehen. Weil ihr auch den
wahren Werth des vrrgaͤnglichen Lebens,
und der irrdiſchen Guͤter, aus der Bibel
habt kennen lernen, ſo werdet ihr euch nicht
mit Unzufriedenheit plagen, ſondern in der
Wahrheit empfinden: daß, wer nach Gottes
Gnade zuerſt trachtet, zugleich in andern
Dingen weiſe werde, und ſich in den meiſten Faͤl-
len, nicht ganz huͤlf- oder rathlos befinde.
Da aber euer Beruf in der Welt, ſehr
arbeitſam iſt, und zu fuͤrchten ſtuͤnde, daß es
euch an Zeit fehlen moͤgte, die Erkenntniße, ſo ihr
in der Jugend gelernt habt, fortzuſetzen:
So iſt von Gott der Sonntag zum Ruhetag,
ſo
[60] ſo viel nur moͤglich iſt, von aller Arbeit,
eingeſetzt worden. Bewundert, lieben Kin-
der! die Guͤte Gottes in dieſer Sache —
Um euers Standes willen, hauptſaͤchlich, iſt
dieſe Einrichtung vermuthlich getroffen. Ihr
beduͤrft bey eurer Lebens-Art, Ruhe; und
damit euch dieſe Ruhe, durch Muͤßiggang,
nicht ſchaͤdlich werde, hat Gott euch die Be-
ſchaͤftigung dieſes Tages nahe gelegt. Ihr
ſollt Ihm, in der Gemeine, danken, euch in
Seinem Tempel lehren laſſen; ihr ſollt Gu-
tes thun, allerley Laſt wegreißen. Die Suͤn-
de iſt die groͤßte Laſt, dieſe reißt am Feier-
tage, aus euern Herzen, durch Pruͤfung eu-
ers Wandels, durch Erinnerung an eure
Pflichten, durch Wiederholung des Guten
was ihr wißt, durch gute Vorſaͤtze, und ein
aufrichtiges Gebet: So werdet ihr den See-
gen Gottes in eure Haͤuſer bringen, der da
wahrhaftig reich macht, und werdet auf den
Geiſt ſaͤen, und das ewige Leben erndten.
Nichts aber iſt noͤthiger, als ſich ſelbſt zu
kennen: Denn, geliebte Kinder! ein jeder
Menſch hat vor irgend einem Laſter ſich be-
ſonders zu huͤten, das iſt, er hat einen be-
ſondern Hang zu dieſem Laſter. Wollt ihr
alſo tugendhaft werden, ſo bemuͤhet euch ei-
frig, euer Herz von dieſer Seite kennen zu
ler-
[61] lernen, um gegen dieſe Verfuͤhrung beſonders
zu wachen; und betet oft, wie David:
Erforſche mich, mein Gott, und pruͤfe,
wie ichs meyne,
Entdecke mir mein Herz, und was ich hab
im Sinn;
Gieb, daß ich kuͤnftig nie, mir gut und
redlich, ſcheine,
Wenn in des Herzens Grund, ich doͤs und
falſch noch bin!
Chriſtliche Tugenden werden ſolche Hand-
lungen genannt, bey welchen man, um des
Befehls Gottes und Jeſu Chriſti, unſers Er-
loͤſers willen, etwas thut, oder, um Seiner
Warnung oder um Seines Verbots willen,
etwas unterlaͤßt.
Seht, meine lieben Kinder! ihr werdet,
wenn ihr laͤnger lebt, oft in ſolche Umſtaͤnde
kommen, da ihr, von der Uebertretung irgend
eines von den Geſetzen Gottes, einen ſchein-
baren und gegenwaͤrtigen Vortheil haben
werdet. Wenn ihr nun ſo denkt, „Dieſe Suͤn-
„de braͤchte mir was ein, ſie wuͤrde mir
„Gunſt zuwege bringen bey Menſchen, wenn
„ich ſie nicht thue, ſo werde ich verſpottet,
„gehaßt, verfolget werden, ich werde zuruͤcke
„kommen, in meiner Nahrung. Aber nein!
„Gott
[62] „Gott hat ſie verboten. Gott ſagt: Wenn
„du die ganze Welt gewoͤnneſt, und litteſt
„Schaden an deiner Seele, was haͤtteſt du
„davon! Gott ſagt: Fuͤrchtet euch nicht vor
„Menſchen, ſondern vor Mir. Gott ſagt:
„Wenn ſie euch verſpotten und verfolgen,
„darum daß ihr Mir nachfolgt, und gehorſam
„ſeyd, ſo verzaget nicht, es ſoll euch wohl
„belohnet werden! Ich will alſo Gott mehr
„gehorchen, als den Menſchen, als demjeni-
„gen, was mein boͤſes Herz und meine boͤſe
„Neigungen (welche in der Bibel oft Fleiſch
„und Blut heißen,) mir angenehm vorſtel-
„len‟ — Seht, Kinder! denn, wenn ihr ſo
denkt und verfahrt, ſo ſeyd ihr chriſtlichtu-
gendhaft, denn ihr glaubt, daß Gott ſey;
daß Er Seine Zuſage haͤlt; daß die Gnade
Gottes hoͤher zu achten ſey, als alles in der
Welt, und daß alſo alles, was Jeſus Chri-
ſtus geordnet, wahr und gut ſey. Dieß
nennt die Bibel Gottſeeligkeit, die zu allen
Dingen nuͤtze iſt; Fruͤchte des Geiſtes, wor-
an man erkennen kann, wie an den Fruͤch-
ten eines Baums, ob der Glaube rechter Art
iſt. Wenn die Bibel ſpricht: „Laßt euer
„Licht leuchten vor den Leuten! Wandelt im
„Lichte!‟ ſo meynt ſie das damit.
Ver-
[63]
Verfahrt in allen euern Handlungen ſo,
daß man ſehen kann, ihr glaubt es Gotte zu,
daß der Gehorſam gegen Seine Gebote eure
Gluͤckſeeligkeit ausmache.
Das Verzeichniß aller chriſtlichen Haupt-
tugenden findet ihr in der Evangeliſten und
Apoſtel Schriften, theils als Reden des Hei-
landes Selbſt, theils als Lehren, die Seine Juͤn-
ger, aus dem Unterrichte des Herrn Jeſu, ge-
ſammlet, und nach Seinem ausdruͤcklichen Be-
fehl, den Chriſten hernach verkuͤndigt, oder kund
gemacht haben.
Eine Sache will ich noch beruͤhren. Bey
dem redlichen Vorſatz, den ihr faßen werdet,
euern Leib und Seele Gott zu uͤbergeben,
werdet ihr doch zuweilen auf Abweichungen
gerathen, und nicht immer ſtark genung ſeyn,
Verſuchungen zu widerſtehen, und Fehler zu
vermeiden. Und die Bibel ſagt uns: „Wer
„kann merken, wie oft er fehle?‟ Aber lange
vorbedachte Einwilligung in die Suͤnde, muß es
nicht ſeyn. Die Suͤnde muß nicht herrſchen in
euch, ihr muͤßt keinen Gefallen daran haben; ſon-
dern, ſo bald ihr ſie an euch gewahr werdet, oder
euere Lehrer und redliche Freunde euch erinnern,
wo ihrgefehlt habt, ſo muͤßt ihr das Unrecht, ſo
viel als moͤglich iſt, wieder gut machen, und herz-
lich betruͤbt werden, daß es geſchehen iſt,
aber
[64] aber nicht verzweifeln. Denn in unſerm
Heilande Jeſu Chriſto, in der glaͤubigen An-
nehmung Seiner Erloͤſung, koͤnnt ihr euch
reinigen, von der begangenen, aber bereue-
ten, Suͤnde. Die Bibel nennt Ihn daher
einen offnen Born oder Brunnen, wider
die Ungerechtigkeit. Euer erkannter Suͤnden-
fall aber, wird euch vorſichtiger machen,
die Gelegenheit zur Suͤnde, ſorgfaͤltiger als
vorher, zu vermeiden; auch treiben, durch
herzliches Gebet, euch mit euerm in Chriſto
Jeſu verſoͤhnten Gotte, naͤher zu verbinden.
Auch das, geliebte Kinder! haben wir
der Lehre Jeſu Chriſti zu verdanken, daß
wir nun gewiß wißen koͤnnen, Gott ſey un-
ſer rechter Vater, und wir Seine Kinder.
Das iſt: Gott habe alles, was geſchiehet
und geſchehen iſt, zu unſerm Beſten einge-
richtet, weil Er uns liebt, als ein Vater
ſeine Kinder, und unſre Gluͤckſeeligkeit will.
Denn, weil in Gott die hoͤchſte Weis-
heit iſt, und wegen Seiner Macht, Ihm
keine Abſicht fehl ſchlagen kann; ſo wird
Er auch gewiß, mit den Menſchen, Seine
Abſicht nicht verfehlen.
Wenn wir alſo, geliebten Kinder! von
Gott wuͤrdiglich denken, Ihn ſehr ehren und
lieben, folglich Ihm gehorchen, ſo koͤnnen
wir
[65] wir auch verſichert ſeyn, daß alles uns zum
Beſten dienet, was uns begegnet.
Wir koͤnnen daher unſerm gegen uns vaͤ-
terlich geſinnten Gott, alle unſere Schickſale
ruhig anheim ſtellen; duͤrfen uns nicht mit
Sorgen, und troſtloſer Verzweiflung uͤber un-
ſer Fortkommen, quaͤlen; ſondern, bey Treue
und Fleiß in unſerm Beruf, (das iſt, in der
uns von Gott angewieſenen Stelle in ſeiner
Welt,) und bey Gebet, koͤnnen wir das Kuͤnf-
tige gelaßen erwarten.
Auch dieſe Geſinnungen heißen in der Bi-
bel, Gottſeeligkeit. Denn ein ſo geſinnter
Menſch iſt ſeelig, oder gluͤcklich, weil ihm
ſein Gewißen ſagt; er habe Gott zum Freun-
de. Seeligkeit aber iſt uͤberhaupt nichts anders,
als Bewuſtſeyn der Freundſchaft Gottes. Und
dieſe Gottſeeligkeit iſt das Reich Gottes, oder
die Sinnesart, die, nach dem Willen Jeſu
Chriſti, in unſerer Seele herrſchen ſoll.
Ein ſolcher gottſeeliger Menſch, geliebte
Kinder! iſt froh und zufrieden, mit dem, was
da iſt. Er verlangt nicht viel von andern
Menſchen. Er iſt maͤßig, und begnuͤgt ſich
mit ſeinem beſcheidnen Theile. Er iſt deß-
halb auch gern gelitten, und kommt alſo viel
leichter fort, als ein muͤrriſcher, unzufriede-
ner, der verdrießlich ausſieht, und ſich immer
Euͤber
[66] uͤber Gott und die Menſchen beklagt, daß
ihm nicht Gluͤck genung begegne.
Doch, auf lauter Roſen koͤnnen wir Men-
ſchen, bey aller Gottſeeligkeit, dennoch nicht
gehen. Es giebt auch nothwendiges Lei-
den. In Gottes Entwurf aller Urſachen
und Wirkungen, gehoͤrte dieſes mit — Wenn
aber ein guter Vater ſeinem lieben Kinde
zwar uͤbelſchmeckende, doch heilſame, Mittel
brauchen ließe, um es vor herrſchenden
Krankheiten zu verwahren; ſo thaͤte das
Kind unrecht, wenn es glaubte, der Vater
waͤre ihm deßhalb nicht gewogen.
So macht es Gott, lieben Kinder! mit
den Menſchen. Das Leiden iſt nuͤtzlich, aus
vielen Gruͤnden. Oft dem, der es leidet;
oft auch dem, der leiden ſieht, oder mit
leidet.
Das gute Kind, das ſeine kranken Ael-
tern oder Geſchwiſter pflegt, wuͤrde dieſe
ſchoͤne Tugend nicht uͤben koͤnnen, wenn kein
Kranker zu pflegen da waͤre. Die Aeltern
ſelbſt ſind vielleicht, durch die Krankheit, vor
groͤßern Ungluͤck bewahret und davon abge-
halten worden.
Ich will euch eine Geſchichte davon er-
zaͤhlen.
In
[67]
In der Stadt waren einmal Schauſpie-
ler, die fuͤr Geld, in einem großen Hauſe,
des Abends, ihre Kunſt ſehen ließen. Ei-
ner von meinen Bekannten wollte, mit ſei-
ner Frau und zwey Kindern, hingehen, und
hatte ſchon alles beſtellt. Die Kinder freu-
ten ſich beſonders ſehr auf das Schauſpiel,
auf die vielen Lichter, die bunten Kleider,
die Muſik, und was ihnen ſonſt noch ange-
nehm dabey vorkam. Auf den Mittag
wird der Mann ſehr krank, da mußte die
Frau zu Hauſe bleiben, und ohne ihre Ael-
tern ſollten die Kinder nicht ins Schauſpiel
gehen. Da weinten die Kinder ſehr, daß
von ihnen dieſe Luſt vergebens gehoft waͤre.
Das eine Kind war ſo unwillig, daß es
gar ſagte: „Warum mußte der Vater eben
heute krank werden? Eben heute, da wir ein-
mal eine Luſt haben ſollten? Aber hoͤrt,
Kinder! was geſchah? Den Abend kam
Feuer im Schauſpielhauſe aus, es brannte
bis auf den Grund, ab, und die meiſten Zu-
ſchauer wurden erdruͤckt im Gedraͤnge, oder
erſtickten vom Rauch, oder verbrannten in
der Flamme.
Da merkten die Aeltern, daß die Krankheit
des Vaters eine wohlthaͤtige Schickung und
Regierung Gottes geweſen, und lobten Gott
E 2da-
[68] dafuͤr. Ihre Kinder aber belehrten ſie an
dieſem Exempel: daß Gott, auch bey zuge-
ſchickten Leiden, die beſten Abſichten habe,
und daß, wenn wir oft nicht ſo gleich wiſ-
ſen, wozu das Leiden uns gut iſt, wir doch
hernach erfahren werden, wie gut es unſer
himmliſcher Vater mit uns meyne.
Was uͤbrigens die Lehren der wahren
Weisheit, die vor Gott gilt, betrift, ſo ſind
in den Spruͤchen Salomonis, dem Buch der
Weisheit, und Jeſus Sirach, alle die beſten
Lehren enthalten, die man erfinden kann,
um einen Menſchen klug zu machen; und im
neuen Teſtament iſt davon ebenfalls ein Vor-
rath, der nicht zu erſchoͤpfen iſt, wie
ihr, bey fleißiger Leſung der Schrift erfah-
ren werdet.
Nota. Von nun an koͤnnten die Schul-
kinder, ohne Schaden von dem Seel-
ſorger oder Prediger des Ortes, in
den gewoͤhnlichen Unterricht genommen
werden, der vor der Confirmation von
ihm gegeben zu werden pflegt.
[69]
Das achte Capitel.
Von der Geſellſchaft und der Obrig-
keit, von Geſetzen und Soldaten.
Geliebte Kinder! Wenn ihr in eurer Ael-
tern Hauſe ſeyd, muͤßt ihr euch nicht nach
der Ordnung richten, die eure Aeltern einge-
fuͤhret haben? Muͤßt ihr nicht, z. E. kom-
men, wenn ſie euch zum Eßen rufen; aufſte-
hen, wenn ſie euch wecken; da oder dort
hingehen, wenn ſie euch ſchicken? — Alſo,
ihr muͤßt euch die Befehle eurer Aeltern
gefallen laßen, und der Ordnung nicht wi-
derſtreben, die eue Aeltern eingefuͤhrt haben.
Das heißt: Eure Aeltern befehlen, und ihr
muͤßt gehorchen.
Welche Unordnung aber wuͤrde das im
Hauſe ſeyn, wenn keiner befoͤhle, oder, wenn
er befoͤhle, niemand gehorchte! Gewiß, Kin-
der! ihr haͤttet keine warme Stube im Win-
ter; kein Eßen, und kein Kleid auf dem
Leibe; denn ein jeder wuͤrde fuͤr ſich nur
ſorgen, und denn gienge alles zu Grunde.
Gott ſey alſo gelobet dafuͤr, daß Er, nach
Seiner hoͤchſten Weisheit, die Welt ſo ein-
gerichtet hat, wie ſie iſt, und auf Ordnung
allenthalben, Gluͤckſeeligkeit folgen laͤßt.
E 3In
[70]
In der Welt Gottes ſind verſchiedne
Staͤnde, das iſt: Es giebt ſolche Menſchen,
die andern befehlen, und ſolche Menſchen,
die andern gehorchen muͤßen. Die, ſo be-
fehlen, heißt man Aeltern, Herrſchaften, Obrig-
keit, Vorgeſetzte; die, ſo gehorchen, ſind,
Kinder, Beanne, Unterthanen, oder Knechte.
Wer dem einen befiehlt, muß doch auch, fuͤr
ſeine Perſon, wieder andern gehorchen.
Z. E. Ihr muͤßt euren Aeltern gehorchen;
aber eure Aeltern muͤßen ihrer Gutsherrſchaft
gehorchen; und die Herrſchaft muß wieder
dem Landesherrn gehorchen; und Gott muͤſ-
ſen alle Menſchen gehorchen.
Lieben Kinder! alle Menſchen konnten
nicht Herren oder Vornehme ſeyn. Stellt
euch einmal die Welt, als eine Kirche vor.
Nicht wahr? Auf der vorderſten Bank konn-
ten ſie nicht alle ſitzen: nur etliche haben
Platz darauf, die andern ſitzen auf der
zweyten, dritten, und ſo weiter.
Dieſe Ordnung hat der hoͤchſtweiſe Gott
gemacht. Wer tugendhaft iſt, laͤßt ſich
Gottes Ordnung gefallen.
Aber, wie mag es wohl zugegangen ſeyn,
daß ein Menſch dem andern gehorcht, ihm
dient, und mit ihm in Geſellſchaft, oder in
gewißen Verhaͤltniß lebt? Haͤtte nicht ein
jeder
[71] jeder koͤnnen ſein eigner Herr bleiben, und
vor ſich leben, ohne ſich um den andern
zu bekuͤmmern? Waͤre das nicht beßer ge-
weſen?
Nein! geliebte Kinder! Denn, wie die
Geſellſchaften, Geſetze, Obrigkeiten, und Sol-
daten entſtanden ſind, das will ich euch
kuͤrzlich erzaͤhlen.
Anfaͤnglich war, wie ihr aus dem kurzge-
faßten Innhalt der Bibel gehoͤrt habt, nur
ein Paar Menſchen, Adam, der Vater, und
Eva, die Mutter aller Menſchen, die nach
ihnen gelebt haben, und noch leben. Ihnen
gehoͤrte die ganze Erde: Denn Gott hatte
ihnen die Herrſchaft uͤber die Erde und al-
le Thiere gegeben. Sie lebten in der Ehe,
und hatten Kinder. So lange die Kinder
klein waren, mußten der Vater und die
Mutter, fuͤr ihren Unterhalt und fuͤr ihre
Erziehung ſorgen, weil ſie ſich ſelbſt nicht
helfen konnten, und die Kinder mußten den
Aeltern unterthan ſeyn, das iſt, gehorchen.
Seht! das war die erſte Geſellſchaft oder
Familie, nemlich von Aeltern und Kindern:
und da war die erſte Herrſchaft oder Ge-
walt, nmlich der Aeltern uͤber die Kinder;
und die erſte Unterthaͤnigkeit oder Gehorſam,
nemlich der Kinder gegen die Aeltern.
E 4Wie
[72]
Wie die Kinder groß wurden, und ihre
Nahrung und Erhaltung ſelbſt beſorgen konn-
ten, wollten ſie auch Aeltern werden, oder
Kinder haben, und eine Familie ſtiften. Die
Aeltern gaben ihnen daher etwas Eignes,
und ließen ſie von ſich. Als ſich nun die
Menſchen immer mehr vermehrten; ſo gab
es auch immer mehr Familien, und dieſe
breiteten ſich endlich uͤber die Erde aus.
So lange Platz da war, gieng das wohl
an. Ein Fleck aber war doch beßer, als
der andre, gut Waſſer, gute Aecker, gute
Weide, gut Holz, war doch nicht allenthal-
ben gleich gut zu finden. Eine jede Fami-
lie wollte gerne das Beſte beſitzen. Wer
aber was Gutes hatte, wollte es nicht miſ-
ſen. Da entſtand Feindſchaft unter den
Familien. Der Neid kam dazu, wie die
Bibel ſagt. Daß Gott den einen mehr ge-
ſeegnet hatte, weil er froͤmmer war, das
verdroß den andern; da ward aus Feind-
ſchaft, Gewaltthaͤtigkeit, und einer ſchlug den
andern todt; oder wenn die eine Familie
ſtaͤrker war, als die andre, ſo jagte die
ſtaͤrkere, die ſchwaͤchere Familie weg, und
raubte ihnen das Ihrige. Wenn nun die,
die vertrieben waren, Gelegenheit fanden, ſo
raͤchten ſie ſich, und thaten den Raͤubern
wie
[73] wieder alles zu leide, was ſie konnten. Wenn
aber dieſes beſtaͤndig ſo fortgedauert haͤtte,
ſo waͤre das menſchliche Geſchlecht bald zu
Grunde gegangen. Da traten viele Fami-
lien zuſammen, und ſagten: „Wir wollen uns
„vereinigen: Wir wollen gemeinſchaftlich, uns
„und das Unſrige, gegen unſre Feinde beſchuͤ-
„tzen; und wollen uns auch ſonſt gemeinſchaft-
„lich beyſtehen, in ſolchen Arbeiten, die zwar al-
„len nuͤtzlich ſind, die aber, eine Familie allein,
„nicht zwingen kann.‟
Da entſtanden die großen Geſellſchaften,
die man Voͤlker, Nationen, oder Staaten
heißt.
Die Leute merkten aber bald, daß ſie,
durch die bloße Vereinigung in eine groͤßre
Geſellſchaft, noch nicht viel gebeßert waͤren.
Denn, wenn Noth war, ſo half der eine
fleißig, der andre war faul, und that we-
nig; der eine kam fruͤh, der andre ſpaͤt;
und ſie konnten auch nicht eins werden,
was gethan werden ſollte, weil ein jeder
wieder ſeinen beſondern Vortheil ſuchte, und
das Beſte der ganzen Geſellſchaft, ſeinem
eignen Nutzen, nicht vorzog.
Als nun daraus, in der Geſellſchaft, ſo
viel Noth entſtand, daß einem jeden die
Augen aufgiengen; ſo wurden die Men-
E 5ſchen
[74] ſchen wieder eins, daß etwas veſtgeſetzt wer-
de, was in jedem Fall, gethan oder nicht
gethan werden ſollte, oder was Recht
und Unrecht waͤre, und ein jeder verſprach,
mit dem Veſtgeſetzten zufrieden, und ihm ge-
horſam zu ſeyn. Da entſtanden die Geſetze,
oder die Verordnungen im Staate.
Nun kam es noch darauf an, daß auch
ein jeder den Ausſpruch der Geſetze, wenn
ſie ihm, etwas zu thun, auflegten, oder,
wegen eines Fehlers ſtraften, ſich gefallen
ließe.
Wer liſtig war, der ſagte: „Das Geſetz
„geht mich nicht an; ich verſtehe das Geſetz
„ſo nicht, wie ihr andern, ſondern, wie es
„mir Vortheil bringt.‟ Wenn das aber die
Geſellſchaft litte, ſo war es eben ſo gut, als
wenn gar keine Geſetze geweſen waͤren, denn
ein jeder that, was er wollte. Sie wurden
alſo wieder eins, es ſollten gewiße Leute un-
ter ihnen ſeyn, die nach dem Geſetze urthei-
len, und einem jeden, bey ſeinen Streitig-
keiten, Recht ſprechen, oder richten ſollten.
Denen wollten ſie alle gehorchen, und ſich
von ihnen regieren laßen. Dieſe Leute ſoll-
ten, durch gewiße Abgaben, von einem jeden
der Geſellſchaft belohnet, und erhalten wer-
den,
[75] den, und keiner ſollte, bey Lebensſtrafe ihnen
ſchaden duͤrfen.
Da entſtanden die Richter, Obrigkeiten,
Fuͤrſten und Koͤnige.
Aber eine jede große Geſellſchaft, oder
Volk hatte ſeine eigene Geſetze, und eigene
Gebraͤuche, oder Verfaßungen. Darnach woll-
ten ſich denn die andern Geſellſchaften oder
Voͤlker nicht richten, wenn es ihnen Scha-
den brachte, noch weniger ſich den Ausſpruch
einer fremden Obrigkeit gefallen laßen.
Wenn denn nun einige Geſellſchaften oder
Voͤlker uneins wurden, und ſich nicht, uͤber
die ſtreitige Sache vergleichen wollten oder
konnten, ſo handelten ſie feindlich gegen ein-
ander, fielen ein, und raubten die Erndte,
Vieh und Menſchen weg, und die Menſchen
behielten ſie, als Knechte, und ſie mußten
ihnen umſonſt dienen.
Das iſt: Es war Krieg unter ihnen.
Weil aber ein jeder im Volk, gemeinſchaft-
lich, das iſt: gleich viel thun ſollte, um zu
wachen, oder den Feind zu verfolgen, oder
den Feind abzuhalten, wenn er einfiele; ſo
konnte indeß keiner das Land bauen, und,
im Sommer, Vorrath fuͤr den Winter und
Fruͤhling ſammlen: Denn es durfte keiner
zuruͤck bleiben, ohne beſchimpft, und aus der
Ge-
[76] Gemeine gejagt zu werden. Dauerte nun
der Krieg lange, ſo gieng in der Geſellſchaft
alles zu Grunde. Da wurden die Leute
endlich eins; Es ſollten die munterſten,
juͤngſten und ſtaͤrkſten von ihnen, wachen,
und im Kriege Dienſte thun, auch in Frie-
denszeit, ſich in alle dem uͤben, was ſie im
Kriege, ſchon koͤnnen muͤßten: damit die an-
dern indeß ſicher zu Hauſe bleiben, und das
Land bauen, und alſo das gemeine Beſte be-
ſorgen koͤnnten. Und fuͤr deren Unterhalt,
wollte die ganze Geſellſchaft ſorgen, weil
doch ein jeder, Vortheil und Nutzen davon
haͤtte. Daher ſind die Soldaten entſtanden.
Seht, lieben Kinder! ſo iſt es noch in
der Welt. Laßt euch alſo dieſe Einrichtung,
welche von Gott herkommt, und die beſte
iſt, die gemacht werden konnte, gefallen!
Danket Gott, daß ihr die Vortheile der
Geſellſchaft genießen koͤnnt! Macht euch um
die Geſellſchaft verdient, oder erwerbt die
Liebe der andern, dadurch: daß ihr das all-
gemeine Beſte, oder den Vortheil der gan-
zen Geſellſchaft, ſucht; und, ſo viel moͤglich
iſt, macht, daß andre von euch Vortheil
haben! Haltet uͤber Geſetz und Ordnung,
weil, eure eigne Gluͤckſeeligkeit ſowohl, als
das allgemeine Beſte, davon abhaͤngt. Be-
tet
[77] tet fuͤr eure Obrigkeit, daß Gott ſie ſeegnen
und mit Weisheit erfuͤllen wolle, und ge-
horcht, um Gottes Ordnung willen, als
Bauern oder Soldaten, euren Herren und
Vorgeſetzten mit willigem Gehorſam!
Das neunte Capitel.
Vom Verhaͤltniß.
Lieben Kinder! Ihr habt, in verſchiednen
Capiteln, viel vom Verhaͤltniß reden hoͤren.
Es hieß: die Religion waͤre die Lehre
von dem Verhaͤltniß, worinn die Menſchen
mit Gott ſtehen. Im vorhergehenden Ca-
pitel aber, ward euch das Verhaͤltniß er-
zaͤhlt, worinn der Menſch mit der Geſell-
ſchaft ſteht, in welcher er lebt.
Was kann alſo nun wohl das Wort,
Verhaͤltniß, bedeuten, oder was meynt man
damit, wenn man ſagt: Dieſe Dinge ſtehen
in Verhaͤltniß miteinander?
Ein paar Gleichniße, geliebte Kinder! ſol-
len euch dieß ſchwere Wort erklaͤren.
Nicht wahr? Ihr habt alle, eine Knall-
buͤchſe von Fliederholz geſehen, und ihr wißt
alle, wie ſie gemacht wird? Wenn ihr alſo
eine
[78] eine Knallbuͤchſe von Fliederholz haben wollt;
ſo nehmt ihr einen geraden Schuß vom
Flieder-Baum, bohrt das Mark heraus, und
ſucht euch einen geraden Stock von an-
dern Holze, zum Stempel, und ſchneidet ihn
ſo lange ab, bis er in die Roͤhre paßt.
Warum muß der Stempel gerade ſeyn?
Weil er ſonſt, zu der geraden Roͤhre, von
harten Holze, das nicht nachgiebt, ſich nicht
ſchickte.
Warum muß er nicht dicker ſeyn, als
die Hoͤhlung in der Roͤhre? Weil der Stem-
pel ſonſt nicht in die Roͤhre paßte.
Seht, lieben Kinder! das heißt: der Stem-
pel iſt mit der Roͤhre in einem Verhaͤltniß,
und denn kann daraus eine Knallbuͤchſe wer-
den. Oder, ſolche Dinge, die zu einander
gehoͤren, die muͤßen ſich zu einander ſchi-
cken. Ein Spinnrad beſteht, wie ihr alle
wißt, aus vielen Theilen. Wenn dieſe Thei-
le ſich nicht ſo zuſammen ſchickten; ſo koͤnn-
te keiner damit Garn ſpinnen. Wenn aber
alle dieſe Theile am Spinnrade, mit einan-
der in richtigen Verhaͤltniße ſtehen, ſo kann
man damit fertig werden, und ſpinnen.
Der Pflug, oder die Heckerlingslade, wuͤr-
de nicht zum Strohſchneiden und Pfluͤgen,
dienen koͤnnen, wenn alle Theile, die daran
ſind,
[79] ſind, nicht mit einander im Verhaͤltniß ſtuͤn-
den. Waͤre der Stiel oder Griff zu dick,
oder zu lang, die Raͤder zu hoch, das Eiſen
zu kurz ꝛc. ſo koͤnnte kein Menſch damit
handthieren.
Seht, lieben Kinder! ſo viel kommt auf
Verhaͤltniß in allen Dingen an.
Wenn ich nun ſage, der Menſch ſteht in
gewißem Verhaͤltniß mit Gott; ſo heißt das
ſo viel, als, Gott iſt die Urſach, warum
der Menſch da iſt, oder Gott hat dem Men-
ſchen das Leben gegeben, alſo, Gott iſt un-
ſer Herr, und wir Menſchen ſind Untertha-
nen Gottes. Ohne Gott, kann der Menſch
nicht hoffen, gluͤcklich zu ſeyn, weil alles
Gott zu Gebot ſtehet, und Gluͤck und Un-
gluͤck in Seinem Willen beruht. Alſo muß
ſich der Menſch ſo verhalten, wie es Gott
haben will, das iſt, Gott gehorchen.
Und wenn ich ſage: der Menſch ſteht in
Verhaͤltniß mit der Geſellſchaft, worinn er
lebt; ſo heißt das ſo viel, als, der Menſch
hats noͤthig, mit andern Menſchen in Ge-
ſellſchaft zu leben: Er muß alſo ſich zu der
Geſellſchaft ſchicken; ihre Erhaltung, durch
Liebe zur Ordnung und den Geſetzen befoͤr-
dern, und nicht ſeinen eignen Nutzen, dem
gemeinen Beſten vorziehen.
Denn
[80]
Denn, lieben Kinder! wenn ein jeder ſei-
nen Nutzen vorziehen duͤrfte, ſo ließen die
Aeltern ihre kranken Kinder verhungern, die
ihnen nichts, als Kummer machen; die Er-
wachſenen ſchluͤgen ihre alten Aeltern todt,
weil ſie nicht mehr Brodt verdienen koͤnnen;
der Faule naͤhme dem Fleißigen ſein Brodt
mit Gewalt; und keiner waͤre einen Augen-
blick, des Seinigen ſicher.
Aber, die Dinge, die mit einander in
Verhaͤltniß ſtehen, wirken auch, wechſels-
weiſe, auf einander, und erhalten ſich, durch
gemeinſchaftliche Kraͤfte. Daher kommts,
lieben Kinder! daß viel Leute mehr thun koͤn-
nen, als einer allein.
Es war einmal ein Dorf, voll boͤſer Bau-
ern, die in Feindſchaft mit einander lebten.
An ihrem Acker floß ein Strom, der einſt
uͤberlief, und den Damm durchbrach. Des
einen Bauern Acker lag gerade bey dem Lo-
che des Damms, und litte großen Schaden.
Er that ſein Moͤglichſtes, um das Loch im
Damme zu ſtopfen: aber es war, fuͤr eine
Familie, zu viel Arbeit; Und die andern
wollten ihm nicht helfen, weil es ihnen noch
keinen Schaden brachte, und keiner des an-
dern Freund war, oder das gemeine Beſte
ſuchte. Endlich ward das Loch ſo breit, und
ſo
[81] ſo tief, daß der ganze Fluß da herausſtuͤrzte,
und uͤber alle Aecker des Dorfes herfloß: Da
gieng denn das ganze Dorf zu Grunde.
Haͤtten nun die thoͤrichten Bauern einan-
der bey Zeiten geholfen, ſo waͤre ihr Scha-
de nicht ſo groß geworden, und ſie waͤren
im Wohlſtande geblieben.
Huͤtet euch ja vor ſolchen liebloſen Geſin-
nungen, geliebte Kinder! Helft, wo ihr hel-
fen koͤnnt, auch ungeheißen, Schaden verhuͤ-
ten, oder Nutzen ſtiften: So wird euch ein
jeder lieben! Und ihr koͤnnt das oft, wenn
ihr nur wollt. Wie oft ſeht ihr Vieh in
Schaden gehen, welches ihr wegtreiben koͤnnt!
Wie oft ſeht ihr ſtehlen, welches ihr nicht
verhehlen, ſondern anzeigen muͤßt; damit
nicht oͤfter geſtohlen werde, oder damit derje-
nige das Seine wiederbekomme, der beſtoh-
len wird! Wie oft koͤnntet ihr, wenn ihr
muͤßig gehet, z. E. einen Baum pflanzen,
oder von Waſſerzweigen reinigen, wenn euch
auch der Platz nicht gehoͤrte! Seht euch im-
mer, von Jugend auf als Glieder der Ge-
ſellſchaft an, mit welcher ihr in Verhaͤltniß
ſteht, und ſucht, bey allen Gelegenheiten, das
gemeine Beſte. Wenn ihr dieß redlich thut,
ſo werden andere Leute wieder euer Beſtes
ſuchen. Ihr werdet nie ohne Huͤlfe bleiben:
FDenn
[82] Denn Gott iſt ſolchen edlen Seelen beſon-
ders gnaͤdig, die nicht blos ihren Nutzen ſu-
chen, ſondern auch andern gerne nuͤtzlich
werden.
Bey Gelegenheit des Wortes, Verhaͤltniß,
geliebte Kinder! will ich euch auch die Woͤr-
ter, groß, mittelmaͤßig, und klein, erklaͤren.
Nachdem ihr wißt, was Verhaͤltniß iſt:
nemlich, Vereinigung vieler Urſachen zu ge-
meinſchaftlichen Wirkungen; ſo muß es euch
nicht ſchwer werden, zu verſtehen, daß an
dieſen Wirkungen, nicht eine jede Urſach gleich
viel Antheil hat; daß es ſolche Urſachen giebt,
die viel wirken, und ſolche, die weniger
wirken. Was nun viel wirkt, oder wirken
kann, nennt man groß, und das andere
klein. Z. E. In euers Vaters Garten,
ſteht ein großer Apfelbaum — Warum heiße
ich den Baum groß? — Weil es auch klei-
ne Aepfelbaͤume giebt, die dieſem, an Staͤr-
ke des Stammes oder der Aeſte, nicht gleich
kommen, und weil dieſer große Apfelbaum
mehr Aepfel tragen kann, als ein kleiner.
Seht alſo, geliebte Kinder! darauf, daß ihr
dieſes behaltet, und richtig anwendet!
Groß iſt das, was in Vergleichung mit
andern, viel wirkt, oder wirken kann, viel
Theile hat, oder viel Raum einnimmt.
Klein
[83]
Klein iſt das, was in Vergleichung mit
andern Dingen, wenig wirkt, oder wirken kann,
wenig Theile hat, oder wenig Raum einnimmt.
Mittelmaͤßig iſt das, was zwiſchen inne
ſteht, und weder zum Großen, noch zum
Kleinen, in ſeiner Art, gezaͤhlt werden
kann.
Wer nun alles recht anſieht, und recht
benennt, von dem ſagt man: Er denkt rich-
tig; und das iſt ein ſehr großes Lob. Durch
Uebung und Nachdenken erlangt man dieſe
Richtigkeit.
Lieben Kinder! es kommt ſehr viel auf
die Richtigkeit eurer Erkenntniß an. Wer
ſtets das Kleine groß nennt, den heißt man
einen Aufſchnelder oder Prahler, und es
iſt der Anfang, ein Luͤgner zu werden.
Ein Laſter, liebſten Kinder, welches Gott
und Menſchen verabſcheuen!
Ich habe einen Menſchen gekannt, der
hatte dieſen Fehler an ſich. Wenn Ein
Hund ihn anbellte, ſo erzaͤhlte er gleich:
Bey hunderten waͤren die Hunde um ihn
geweſen, und haͤtten ſo gebellt, daß er das
Gewitter nicht haͤtte donnern gehoͤrt. Ihm
glaubte endlich keiner mehr.
Wer aber alles verkleinert, oder ſchlech-
ter macht, als es iſt, der iſt gemeiniglich
F 2ſtolz
[84] ſtolz und aufgeblaſen; und das iſt der An-
fang, ein Verlaͤumder zu werden. Denn wenn
man alles geringer ſchaͤtzet, und ihm ſeinen
Werth entziehet; ſo thut man das, aus Ge-
wohnheit, auch an ſeinem Naͤchſten.
An den Ort, wo ich ſonſt war, kam ein-
mal ein junger Menſch hin, der hatte, mit
ſeinem Herrn, eine weite Reiſe gethan. Dem
Menſchen war nichts gut genung. Er hat-
te alles beßer geſehn, geſchmeckt und gehoͤrt.
Er verkleinerte alles, und verachtete alles.
Die Kirche im Dorf hieß er, einen Vogel-
bauer, die Bauerhaͤuſer nennte er, Huͤner-
ſtaͤlle. Kurz, es war ihm alles zu ſchlecht.
Es war ihm aber auch kein Menſch gut. Und
keiner wollte ſolchen hochmuͤthigen Menſchen
in Dienſt nehmen. Endlich gieng es ihm
ſo ſchlecht, daß ichs euch nicht beſchreiben
kann.
Gewoͤhnt euch alſo, geliebte Kinder! an
Richtigkeit, und treft das rechte Verhaͤltniß
der Dinge, auch in euern Gedanken und
Geſpraͤchen! Nennt alles bey ſeinem rechten
Namen; vergroͤßert und verkleinert nichts;
eure Rede ſey, Ja und Nein: So wird
euch ein jeder, als aufrichtigen verſtaͤndigen
Leuten, trauen.
Das
[85]
Das zehente Capitel.
Von der Hoͤflichkeit im Umgange
und im Reden; und vom noͤthi-
gen Briefſchreiben.
Lieben Kinder! Es iſt nichts, was einen
Menſchen in euerm Stande ſo beliebt macht,
als ein beſcheidnes Weſen.
Wer beſcheiden iſt, der iſt gegen ſeines
gleichen, dienſtfertig und freundlich; gegen hoͤ-
here Perſonen, ehrerbietig; und gegen eine Obrig-
keit, willig zum Gehorſam. Man kann es
einem Menſchen leicht aͤußerlich anſehen,
oder aus ſeinen Reden merken, ob dieſes al-
les in ſeinem Gemuͤthe iſt, oder ob er ſich
nach dieſen Regeln richtet; und die aͤußerli-
chen Zeichen davon, nennt man Hoͤflichkeit.
Alle Voͤlker haben darinn etwas beſon-
dres, worinn ſie ſich von einander unterſchei-
den. Bey uns aber, geliebte Kinder! iſt
man uͤber folgende aͤußerliche Zeichen, eins
geworden.
Wenn man einander begegnet, ſo muß
man ſich gruͤßen, das iſt, ſich Gutes wuͤn-
ſchen. Wenn dir ein Hoͤherer, als du biſt,
oder die Obrigkeit begegnet, ſo mußt du,
beym Gruͤßen, ſtille ſtehen, das Geſicht nach
F 3dem
[86] dem Vorbeygehenden kehren, und den Hut
oder die Muͤtze abnehmen. Wenn dieſe
Perſon, oder deine Obrigkeit, dich anredet,
ſo mußt du deutlich und verſtaͤndlich ant-
worten. Wenn ſie dich an deine Schul-
digkeit erinnert, die du thun ſollſt, ſo mußt
du allemal, zu deiner Antwort, das Ver-
ſprechen hinzuthun, du wolleſt gehorchen.
Wenn ſie, wegen eines begangnen Fehlers,
dich ernſtlich ermahnet, ſo mußt du um
Vergebung bitten, und durch Verſprechen,
ins kuͤnftige den Fehler zu vermeiden, ihren
Unwillen beſaͤnftigen.
Lieben Kinder! das Sprichwort, „ein gut
„Wort findet einen guten Ort‟ iſt ſehr ge-
gruͤndet. Manchem Verdruß, der euch
Schaden bringt, koͤnntet ihr entgehen, wenn
ihr dem ſchaͤndlichen Rechthabenwollen, dem
Wiederſprechen, und den ſo gewoͤhnlichen
Entſchuldigungen eurer Fehler, entſagtet.
Gott und Menſchen koͤnnen dieſes nicht lei-
den. Wenn ihr herzlich um Vergebung bit-
tet, ſo iſt kein Menſch ſo hart, der euch
nicht ſolche Fehler vergaͤbe, die keiner oͤffent-
lichen Strafe beduͤrfen.
Warum der Wiederſpruch ſo ſehr belei-
digt, das will ich euch kuͤrzlich erklaͤren.
Der
[87]
Der Wiederſpruch verraͤth ein hochmuͤ-
thiges Herz; denn wer wiederſpricht, der
will den andern uͤberfuͤhren, daß er kluͤger
iſt, und mehr einſieht, als der andre.
Der Wiederſpruch iſt das Zeichen eines
wiederſtrebenden Herzens: Wer wiederſtrebt,
der iſt ungehorſam. Ihr aber ſollt gehor-
ſam ſeyn.
Der Wiederſpruch bringt Unwillen und
Zorn in das Geſpraͤche, und noͤthigt den
Vorgeſetzten, ſich harter Mittel oder Stra-
fen zu bedienen.
Aus allen dieſen werdet ihr leicht einſe-
hen, warum ich davor warne, und euch
Hoͤflichkeit und Beſcheidenheit anpreiſe. Denn
meine Lehre ſoll euch klug, verſtaͤndig und
beliebt machen, und dadurch eure Ruhe und
Zufriedenheit befoͤrdern.
Das Uebrige der Hoͤflichkeit beſteht mei-
ſtentheils darinn, daß man einen jeden mit
dem Namen nenne, der ſeiner Wuͤrde zu-
kommt; daß man allen thoͤrichten Scherz
vermeide, der gemeiniglich fuͤr Verachtung
angeſehen wird; ſich immer des Verhaͤlt-
nißes erinnere, worinn man mit Perſonen
hoͤhern Standes, ſteht; und wenn ein ſol-
cher, oder die Obrigkeit, dir etwa gnaͤdig
iſt, dich nicht uͤberredeſt, oder dir einbildeſt,
F 4nun
[88] nun ſey gar kein Unterſchied mehr, zwiſchen
Ihm und Dir.
Wer dieſes nicht beobachtet, den nennt
man dummdreuſt, oder grob, und er wird
gemeiniglich empfindlich gedemuͤthiget.
Aber lieben Kinder! man muß auch mit
ſolchen Leuten umzugehen wißen, die nicht
gegenwaͤrtig ſind. Das iſt, man ſteht oft
mit Perſonen in Verhaͤltniß, die abweſend
ſind, und mit denen man alſo nicht muͤnd-
lich ſprechen kann.
Sollen nun dieſe Leute unſre Gedanken
wißen, ſo ſchreibt man an ſie, und das Ge-
ſchriebene heißt ein Brief.
Damit nun ein ſolcher Brief nicht von
einem jeden, dem es nicht zukommt, geleſen
werde; ſo wird er in ein ander reines Pap-
pier eingelegt, dieſes wird mit Siegellack
oder Oblate zugeklebt, und ein Zeichen, wel-
ches ein Petſchaft heißt, darauf gedruͤckt.
Auswendig aber wird der Name und Stand
desjenigen, an den ich ſchreibe, darauf ge-
ſchrieben, damit der Brief in die rechten
Haͤnde kommt. Und die Poſten oder Boten,
ſind dazu, daß dergleichen Briefe fortkommen.
Der Innhalt der Briefe, die ihr zu ſchreiben
habt, wird wohl hauptſaͤchlich zweyerley be-
treffen.
1) Mel-
[89]
- 1) Meldungsbriefe, darinn ihr andern et-
was meldet, oder ihnen Nachricht gebt. - 2) Bittbriefe, darinn ihr von andern
etwas begehrt.
Ehe ich euch einige Beyſpiele von ſolchen
Briefen gebe, ſo muͤßt ihr kuͤrzlich noch
lernen, wie das Aeußerliche, oder die Form
eines Briefes, ſonderlich an Hoͤhere, ausſe-
hen muß.
Wenn ihr an Hoͤhere ſchreibt, ſo nehmt
einen ganzen Bogen rein und gut Pappier;
beſchneidet ihn mit der Scheere am Rande,
daß er gerade wird. Fangt, einen Daumen
breit von oben und von der linken Seite
an, den Titul zu ſchreiben. (Die Titel fin-
det ihr in den Titular-Buͤchern.)
Ihr thut wohl, wenn ihr in der Unge-
wißheit, welcher von zweyen Tituln, dem
zukomme an den ihr ſchreiben wollt: Ihr
irrt nicht, ſage ich, wenn ihr alsdenn den
hoͤchſten oder vornehmſten waͤhlt.
Auf die erſte Blattſeite, ſchreibt ihr nur
etwa fuͤnf oder ſechs Reihen, und bleibt
zwey Finger breit, vom linken Rande, und
eben ſo weit unten zuruͤck. Auf der zwey-
ten und folgenden Blattſeiten, bleibt oben,
unten, und von dem linken Rande, auch
F 5zwey
[90] zwey Finger breit zuruͤck; und ſo fahrt fort,
bis der Brief zu Ende iſt.
Vergeßt nicht, daß alle eure Briefe an
Vornehme, ſo kurz ſeyn muͤßen, als es moͤg-
lich iſt. Denn Vornehme haben gemeinig-
lich mehr Geſchaͤfte, als unnoͤthig lange
Briefe zu leſen, und man kann, mit wenig
Worten, viel ſagen. Am Ende ſchließt den
Brief mit Verſicherung eurer Unterthaͤ-
nigkeit; ſetzt wieder den Titul desjenigen, an
den ihr ſchreibt; und ganz unten, zur rechten
Hand, euren Namen; unten, zur linken Hand
aber, den Ort, und den Tag, da ihr ſchriebt,
und das Jahr.
Bey Briefen an eures gleichen, duͤrft ihr
es in Anſehung des Pappiers und des Raums
nicht ſo genau nehmen.
Muſter zu Briefen.
Meldungsbriefe.
1) An Aeltern.
Ich melde Euch hiermit, daß ich, in Got-
tes Nahmen, den Dienſt bey meiner jetzigen
Herrſchaft angetreten habe. Gottlob! ich
bin
[91] bin geſund und vergnuͤgt: Denn ich habe den
guten Vorſatz, daß meine Herrſchaft Nutzen
von mir haben ſoll. Es iſt doch gar zu
wahr, was Ihr immer ſagtet, wer ein gut
Gewißen hat, der iſt froh. Meine Herr-
ſchaft geht gut mit mir um; ſie giebt mir
das Meinige, und ich nehme das Ihrige in
Acht. Nun, Gott helfe weiter, und erhalte
Euch geſund! Betet auch, liebe Aeltern, fuͤr
Euren
gehorſamen und dankbaren
Sohn.
2) An eine Herrſchaft vornehmen Standes.
Meiner gnaͤdigen Herrſchaft melde ich, daß
ich die mir befohlne Sache ausgerichtet, wie aus
- dem Angeſchloßnen
- der Beylage
- Die Wirthſchaft betreffend, ſo iſt:
- 1)
- 2)
- 3)
- 4) und ſo weiter. (Hier kann man aller-
hand
[92] hand Nachrichten, die Kinder erfinden hel-
fen, und den Raum fuͤllen.)
Ich empfehle mich und die Meinigen, in
meiner gnaͤdigen Herrſchaft Gnade und Vor-
ſorge, als
Der Titul
Ort.
den 15ten Merz.
1772.
unterthaͤnigſter treuer
Knecht.
N. S.
Bittbriefe.
1) An Aeltern.
Das leinene Zeug faͤngt mir an ſchadhaft
zu werden; ich bitte Euch alſo herzlich, mich
mit einigen neuen Stuͤcken, als Hemden ꝛc.
zu verſehen.
Wenn ich das Neue, von Eurer Guͤtig-
keit erhalte, ſo will ich das Schadhafte zu-
ruͤck ſchicken, vielleicht kann es die liebe
Mutter, fuͤr die juͤngſten Geſchwiſter, noch
brauchen.
Liebe Aeltern! Ihr habt mich ja noch in
keiner Noth verlaßen; darum habe das Zutrauen,
Ihr
[93] Ihr werdet, auch dieſes mal, die Bitte ge-
waͤhren
Eurem
dankbaren und gehorſamen
Sohne
2) An Vornehme.
Ewr - - - -. wuͤrde mit meiner demuͤthi-
gen Bitte nicht beſchwerlich fallen, wenn ich
nicht Ewr - - - Menſchenliebe und Guͤtig-
keit, von jeden haͤtte ruͤhmen hoͤren. Ich
bin ſchon, ſeit einiger Zeit, ohne Dienſt, und
kann doch Zeugniße meines Wohlverhaltens
aufweiſen.
Da es mir aber beſonders wichtig iſt, bey
einem guten Herrn zu dienen; ſo wuͤnſchte
ich auch vorzuͤglich, in Ewr - - - - Dienſte
als - - - - zu treten.
Meine Treue und Dankbarkeit, wird nie
aufhoͤren, wenn die demuͤthige Bitte erhoͤrt
wuͤrde
Ews - - - -
Ort.
den 15ten Merz
1772.
unterthaͤnigſt gehorſam-
ſten Dieners
N.
Aber,
[94]
Aber, Kinder! es giebt auch Briefe ver-
miſchten Innhalts: Wo ihr etwas meldet,
und zugleich um etwas bittet.
Z. E. Briefe, in welchen ihr jemanden,
der unzufrieden mit euch iſt, oder ſeyn koͤnnte,
die wahren Umſtaͤnde meldet, und ihn um
Verzeihung des Fehlers bittet.
Briefe, vermiſchten Innhalts.
1) An Aeltern.
Ich hatte zwar verſprochen, ſo bald, als
ich hier ankaͤme, Euch Nachricht zu geben,
aber es iſt bis jetzo noch nicht geſchehen.
Nun habt Ihr zwar Recht, zu glauben, ich
ſey nachlaͤßig, und machte mich aus Euch
nicht viel. Ich will Euch aber alles geſte-
hen, und denn werdet Ihr mir auch vergeben.
Die erſten Tage gieng keine Poſt, hernach
ſchickte mich mein Herr auf die Reiſe, und
wie ich vorgeſtern wiederkam, war eben die
Poſt abgegangen. Ich haͤtte freylich die er-
ſten Tage, im Vorrath ſchreiben ſollen, und
daran denken, daß hernach eine Hinderniß
vorfallen koͤnnte: Aber das iſt mir erſt jetzo
beygefallen. Ich will mich auch hierinn beſ-
ſern,
[95] ſern, und vorſichtiger werden. Vergebt mir
alſo, liebe Aeltern! nach Eurer Guͤtigkeit, mei-
nen Fehler, und zweifelt nicht an der treuen Liebe
Eures
Ort.
den 15ten Merz
1772.
dankbaren Sohnes.
2) An Vornehme.
Ew. - - - - bekenne mit ſchmerzlicher Reue,
den Fehler, in meinem Verhalten. Ich traute
andern Leuten, die ſich ehrlich ſtellen konnten,
zu viel, und dadurch iſt nun der Schade geſche-
hen. Mit Bosheit habe nicht Ew. - - - -
in Schaden gebracht, aber durch Nachlaͤßig-
keit. Ich will mich beßern und vorſichtiger
werden. Durch Wachſamkeit, und Treue,
will ich wieder einzubringen ſuchen, was itzo
verlohren gegangen iſt. Ew. - - - - verzei-
hen nur gnaͤdigſt dieſen Fehler, und erlau-
ben mir, mein bekuͤmmertes Herz, durch dieſe
Hofnung zu troͤſten, damit wieder mit Freu-
den ſeyn koͤnne
Ew. - - -
Ort.
den 15ten Merz
1772.
unterthaͤnigſt gehorſamſter
Knecht.
[96]
Das eilfte Capitel.
Etwas von der Rechenkunſt, als ei-
ne Uebung des Verſtandes.
Wenn ich die Theile in einem Dinge zaͤh-
le, und gegen andre, dieß Ding vergleichen
will, ſo rechne ich.
Geliebte Kinder! Wenn ihr nicht in euern
Leben, durch den Schein, oder boͤſe Leute,
wollt betrogen ſeyn, ſo lernt rechnen.
Zaͤhlen (Numeriren) ſo viel ihr braucht,
koͤnnt ihr an den zehn Fingern eurer Haͤnde
lernen.
Die Finger an der linken Hand zaͤhlen
vom Daum an, 1. 2. 3. 4. 5. und ruͤck-
waͤrts, wenn ſie eingeſchlagen ſind, bis 10.
Die Finger an der rechten Hand, 10. 20.
30. 40. 50. und ruͤckwaͤrts, wenn ſie ein-
geſchlagen ſind, bis 100. Wer geſchickt iſt,
kann dieß ſehr brauchen.
Zuſammenzaͤhlen (Addiren) iſt leicht.
47·5
354/
829.
Der Punkt bey der 7 bedeutet, daß ihr
die zehne zur vorſtehenden Zahl mitrechnet,
denn
[97] denn, ihr zaͤhlt zuſammen, von der Rechten
zur Linken.
(Subtrahiren) Abziehen, eine Zahl von
der andern, iſt: Wenn ich die groͤßte Zahl,
von der abgezogen werden ſoll, oben ſetze,
und darunter die kleine Zahl, welche ich von
der andern abziehen will.
Hier bedeutet der Punkt, daß ich von der
Zahl, die linker Hand ſteht, borgen muß,
weil die Zahl vor ſich nicht zureicht, die
nebenſtehende aber was abgeben kann.
Lieben Kinder! es geht in der Welt oft
ſo, wenn der eine Nichts hat, ſo muß der
andre, der mehr hat, etwas von ſeinem
Ueberfluß abgeben. Ja, die Menſchen ſind
ſich eben das ſchuldig, in der Geſellſchaft,
worinn ſie ſtehen, was ſich die Zahlen, in
einer Summa, ſchuldig ſind.
Multipliciren, oder eine Zahl durch die
andre vermehren, wird ſo gemacht. Oben
ſetze ich die Zahl, ſo durch die andre ver-
mehrt werden ſoll, und unten die vermeh-
rende Zahl.
G240
[98]
\begin{array}{rr} 240\\ 8\\ \hline 1920 \& \mathrm{Scheffel.}\\ \end{array} \end{array}240 Scheffel, ſollen 8 mal da ſeyn, wie viel
Scheffel ſind nun da?
Es verſteht ſich, daß die oben und unten-
ſtehende Zahlen, Dinge von einer Art ſeyn
muͤßen, ſonſt kann man nicht multipliciren. Die-
ſes gilt bey allen Arten der Rechen-Aufga-
ben. Z. E. 15 Scheffel Gerſte und 18
Stein Wolle koͤnnen nicht in eine Summe
gebracht werden.
Eintheilen, (oder dividiren) heißt, zuſe-
hen, wie oft ein beſtimmtes Theil, in einer
gewißen Summa zu haben iſt.
Wißt ihr wohl, warum \frac{6}{12} Theile ſo viel
ſind, als ½? Recht! weil die 6 die Haͤlfte
von 12 iſt. Aber alle Bruͤche, (denn al-
les, was nicht eine ganze Zahl iſt, heißt ein
Bruch) laßen ſich nicht ſo leicht aufloͤſen.
Wer unter euch beſondre Luſt hat, von der
Rechenkunſt mehr zu wißen, den will ich
ſolche, in beſondern Stunden lehren.
Das
[99]
Das zwoͤlfte Capitel.
Etwas von Ausmeßung der Flaͤ-
chen und Koͤrper, und etwas Mecha-
nik; dem ein Verzeichniß der ge-
woͤhnlichſten Laͤngenmaaße und
Gewichte ꝛc. vorgeſetzt iſt.
- Eine ordentliche Meile iſt ſo weit, als ein
Mann in zwey Stunden gehen kann. - Eine halbe Meile iſt eine Stunde Weges.
- Eine viertel Meile iſt eine halbe Stunde
Weges. - Eine Ruthe iſt 10 Fuß.
- Ein Fuß iſt 12 Zoll, oder ſtarke Daumen
breit. - Eine Berliner Ele iſt 2 Fuß, oder 24 Zoll.
(Sie wird eingetheilt, in halbe Elen,
Viertel- und halbe Viertel-Elen.) - Ein Centner iſt 110 Pfund. (Fleiſcherge-
wicht 100 ℔) - Ein Pfund iſt 32 Loth.
- Ein Loth iſt 4 Quentchen.
- Eine Hufe iſt 30 Morgen.
- Ein Morgen iſt 180 □ Ruthen (ließ Qua-
drat-Ruthen.)
G 2(Es
[100]
- (Es giebt aber auch alte Morgen, die
groͤßer ſind, weil man ſie noch nicht
nach der neuen Maaße gemeßen und
eingetheilt hat.) - Ein Winſpel iſt 24 Scheffel.
- Ein Scheffel iſt 16 Metzen, oder 4 Viertel.
- Ein Faß iſt 2 Tonnen.
- Eine Tonne iſt 96 Quart.
- Ein Faden Holtz iſt 8 Fuß breit, 8 Fuß
hoch, und 3 Fuß tief. - Ein Klafter iſt 6 Fuß hoch, 6 Fuß breit,
und 3 Fuß tief. - Eine Piſtole iſt 5 rthl.
- Ein Dukaten iſt 2 rthl. 18 gr.
- Ein Speciesthaler iſt 1 rthl. 8 gr.
- Ein Reichsthaler iſt 24 gr.
- Ein Gulden iſt 16 gr.
- Ein Drittel Thaler iſt 8 gr.
- Ein Groſchen iſt 12 Pfennige.
- Ein Pfennig iſt 2 Heller.
Weil aber eine Muͤnze beßeren Werth
hat, als die andere, ſo giebt man Aufgeld,
wenn man ſie haben will, oder haben muß.
Man nennt das Aufgeld, auch Agio.
Nachdem ihr die wichtigſten Unterſchiede,
der Laͤngen- und Flaͤchen-Maaße, Gewich-
te ꝛc. auswendig gelernt habt: So will ich
euch
[101] euch auch die Anwendung davon in eurer
Wirthſchaft, begreiflich machen.
Sage mir, mein lieber Sohn, welches
Feld iſt groͤßer: ein Feld, welches 100
Schritte lang, und 20 Schritte breit iſt,
oder ein Feld, welches 80 Schritte lang,
und 30 Schritte breit iſt? Dieß kannſt du
wißen, weil du multipliciren kannſt.
Das zweyte iſt alſo 400 Schritte groͤßer.
Aber
[102]
Aber eine Wieſe zu tauſchen oder zu
theilen, die nicht allenthalben gleich breit iſt?
Das iſt ſchon ſchwerer zu wißen. Seht!
ſo wie dieſe Figur ausſieht, ſo koͤnnt ihr
euch helfen: Nemlich, ihr theilt die Wieſe
in ſo viel große Vierecke ein, als moͤglich
iſt; meßt mit der Ruthe, die Laͤnge und
die Breite eines jeden Vierecks ab, und mul-
tiplicirt, wie vorher, die Fuͤße, die heraus
kommen; denn theilt ihr das, was ſich in
Vierecke nicht will theilen laßen, in Drey-
ecke oder Triangel; und um die kleinen
Streifgen, vertragt ihr euch guͤtlich; denn
ſie ſind ſicher keinen Proceß werth.
Seht! ſo koͤnnt ihr manche Geldausgabe
ſparen, dadurch, daß ihr in der Schule fleiſ-
ſig geweſen ſeyd.
Wenn einer unter euch, Holz kaufen will,
und es ſteht in Klafterholz, zu 6 Fuß die
Klobe; ſo iſt 1 Klafter ſo viel Holz, als
2 Klaf-
[103] 2 Klafter, zu 3 Fuß die Klobe. Aber wenn
nun einer in Faden kauft, der 8 Fuß Hoͤhe,
und 8 Fuß Breite hat; wie viel Klafter, die
nur 6 Fuß Hoͤhe, und 6 Fuß Breite haben,
hat er in 4 Faden?
7\frac{1}{9}tel Klafter in 4 Faden, iſt die
Antwort.
Da hier auch der ſchicklichſte Ort iſt,
lieben Kinder, euch ſowohl mit der nuͤtzli-
chen Erkenntniß von Wirkungen, die aus
der natuͤrlichen Kraft des Menſchen entſte-
hen, bekannt zu machen, als auch von der
Verſtaͤrkung dieſer Kraft, durch die Kunſt,
euch Nachrichten zu geben: So will ich
euch hiermit, den Hebel, die Schraube, und
den Kloben erklaͤren; zugleich aber ſollt ihr
alle dieſe Dinge ſehen, verſuchen, und euch
von dem, was ich euch davon ſage, ſelbſt
uͤberzeugen.
Seht! Kinder, die Kraͤfte eines Menſchen,
welche ſich im Heben und Tragen, oder
G 4Fort-
[104] Fortſtoßen ſchwerer Laſten aͤußern, ſind zwar
ſehr verſchieden, und koͤnnen, durch Uebungen
in der erwachſenen Jugend ſehr verſtaͤrkt
werden; aber der ſtaͤrkſte Menſch pflegt es
ſelten dahin zu bringen, daß er ſchwerer,
als 800 ℔, heben, tragen oder fortſtoßen koͤnnte.
Weil es nun doch, bey vielen Gelegenhei-
ten, noͤthig iſt, ſich mit weit ſchwerern
Laſten abzugeben, ſo hat man darauf geſon-
nen, die menſchlichen Kraͤfte, durch Kunſt
zu verdoppeln.
Mein Sohn! haſt du nicht geſehen einen
beladenen Wagen ſchmieren? Was that der-
jenige, der ihn ſchmieren wollte? Recht! er
ſteckte eine ſtarke Stange unter die Achſe,
und hob den Wagen in die Hoͤhe — Mehr
brauchen wir nicht davon zu wißen. Dieſe
Stange nun, heißt ein Hebel oder Hebe-
baum. Hieran ſind 3 Punkte zu bemerken.
Erſtlich, der Ruhepunkt des Hebels, ganz
unten; zweytens, der Laſtpunkt, da wo die
Laſt
[105] Laſt auf ihm liegt; und drittens, der Hebe-
punkt, wo der Menſch ſeine Hand oder
Schulter anſetzt, um zu heben.
Die wichtigſten Regeln beym Gebrauch
des Hebels, ſind dieſe.
1) Sucht, unter der Laſt, dem Hebel ei-
nen veſten Ruhepunkt zu ſchaffen.
2) Entfernt den Ruhepunkt, von dem
Laſtpunkt, nicht zu weit. 3) Je weiter ihr
den Hebepunkt, von dem Laſtpunkt entfer-
nen koͤnnt, je leichter werdet ihr heben. Nun
probirt ſelbſt, bey dem großen Blocke vor
jener Thuͤre, die Richtigkeit dieſer Regeln.
Ihren Nutzen werdet ihr kuͤnftig, bey ſehr
vielen Sachen inne werden.
Die Schraube dient eben auch, (wenn
man will) Laſten zu bewegen; aber auch,
viel andre Wirkungen hervor zu bringen.
Sie hat uͤberdem den Nutzen, daß ſie die
Laſt ſehr allmaͤhlig ihre Stelle veraͤndern
laͤßt, wobei ich Zeit behalte, ſie in jeder
Stellung zu behandeln, und hat noch den Vor-
theil, daß ſie ohne Unterſtuͤtzung traͤgt.
Hier iſt eine Wagenwinde, von welcher der
Deckel abgenommen iſt, daß ich euch das
Inwendige ſehen laßen kann. Mit ihr koͤnnt
ihr mehr heben, als mit dem Hebel. Dieſe
Schraube da, nennt man ohne Ende, und
G 5ſie
[106] ſie unterſcheidet ſich von allen andern Din-
gen dieſer Art, weil alle andere Schrauben,
ſehr bald zu tief herein geſchroben werden,
und alsdenn unbeweglich ſtecken: Bey die-
ſer aber, faͤngt das Schrauben immer wie-
der von vorn an.
Eben eine ſolche iſt an den Garnhaſpeln.
Wer einmal eine ſolche Schraube geſehen
hat, kennt ſie gleich.
Der Kloben, welcher da vor euch liegt,
iſt eigentlich ein Rad, welches ſich um eine
Spille bewegt, und darum ausgehoͤhlt iſt,
damit der Strick nicht herausglitſche. Man
braucht ihn zum in die Hoͤhe heben ſchwe-
rer Laſten, auch zum Fortziehen derſelben.
Je mehr Kloben ſind, je ſchwerere Laſt kann
man ziehen, oder in die Hoͤhe ſchaffen. Ich
will euch die Kloben anhaͤngen: Nun ver-
ſucht einmal, wie leicht ihr den ſchweren
Stein, den ich angebunden habe, werdet in
die Hoͤhe bringen koͤnnen.
Bey dem Kloben iſt zu merken, daß, je leich-
ter er ſich um die Spille bewegt, je groͤßer und
je runder er iſt, deſto leichter wird es dem, der
damit arbeiten ſoll. Je hoͤher, oder je weiter
von der Laſt, er anzubringen iſt, deſto laͤnger
muß der Strick ſeyn, und deſto leichter koͤnnt
ihr die Laſt damit heben, oder fortziehen.
Wenn
[107]
Wenn ihr, lieben Kinder, werdet Wirthe
ſeyn, ſo freue ich mich, was fuͤr nuͤtzliche
Verbeßerungen ihr werdet, in euern Geraͤ-
the machen. Z. E: Am Wagen; Wie viel
leichter wuͤrden die Pferde ziehen, wenn die
Deichſel lang und ſtark gemacht, auch zwi-
ſchen viel laͤngern Achsſchenkeln beveſtigt
waͤre, als jetzt geſchieht; wenn die Raͤder
recht rund, und die Achſe recht ins Rad
paßte, auch die Hinterraͤder viel hoͤher, als
die Vorderraͤder waͤren; ingleichen die Pfer-
de, zwey und zwey, oder zwey an die
Stange, und nur eins vorne, geſpannt
wuͤrden?
Seht! alles dieſes habt ihr hieraus ler-
nen koͤnnen. Die Deichſel iſt ein Hebel;
die Raͤder ſind Kloben; das Langſpannen iſt
die nuͤtzliche Entfernung von der Laſt, um
deſto beßer ankommen und fortziehen zu
koͤnnen.
Das dreyzehnte Capitel.
Vom Augenmaaß und Betruge der
Sinne.
Es iſt ſehr nuͤtzlich, lieben Kinder, daß ihr
diejenige Vollkommenheit euch anſchaffet, die
man Augenmaaß nennet.
Das
[108]
Das Augenmaaß iſt diejenige Geſchicklich-
keit, da man vom Verhaͤltniß derer Dinge
ſchnell, aber richtig, urtheilt; einen Raum
im Augenblick uͤberſchlaͤgt, ohne Inſtrumente
zum Meßen, noͤthig zu haben; da man es
einem Coͤrper anſieht, wie viel Staͤrke dazu
gehoͤrt, ihn zu bewegen, und ſich dabey ſo
wenig, als moͤglich irret. Dieſe Geſchicklich-
keit wird erlangt, durch Uebung. Bey eu-
ern Spielen ſelbſt, lieben Kinder, braucht
ihr ſchon Augenmaaß, ohne es zu wißen.
Wenn ihr Kegel ſchiebt, ſo richtet ihr eu-
ern Wurf ſtark oder ſchwach ein, nachdem
ihr glaubt, daß es noͤthig iſt. Wer unter
euch, am beſten Kegel ſchiebt, der hat das
richtigſte Augenmaaß. Wenn ihr eine Schlit-
terbahn habt, ſo richtet ihr den Anlauf ſo
ein, daß ihr zu Ende kommt. Wenn ihr ei-
nen Stein ſeht, ſo wißt ihr meiſtentheils
vorher, ob ihr ihn heben koͤnnt, oder nicht.
Je aͤlter ihr werdet, deſto nuͤtzlicher wird
euch dieſe Uebung werden; bey Verfertigung
euers Ackergeraͤthes, bey Ladung eurer Wa-
gens, und bey unzaͤhligen Vorfaͤllen kann es
euch dienen, Augenmaaß zu haben.
Aber eure Sinne ſind nicht untruͤglich.
Ich ermahne euch daher, das Augenmaaß
nur in denen Faͤllen zu gebrauchen, da keine
Zeit,
[109] Zeit, zur Erlangung mehrerer Gewißheit ſich
findet. In der Ferne ſcheint alles kleiner,
als es wirklich iſt. Wenn es neblicht iſt,
ſo laͤßt alles groͤßer, als es iſt.
Seht dieſen Stock, in dem Glaſe mit
Waſſer! Iſt er gerade, oder krumm?
Du irrſt, mein Sohn: Er iſt nicht krumm,
ſondern gerade; aber im Waſſer ſchien er
dir krumm.
Wenn die Luft abſteht, duͤnken dir die
Glocken, welche gelaͤutet werden, viel weiter
als ſie ſind.
Und wenn du krank werden willſt, ſo
ſchmecken dir die Speiſen ſauer oder bitter.
Wenn ihr euch beſchaͤdigt habt, ſo glaubt
ihr, man faße euch ſehr hart an, und wenn
das Glied geſund waͤre, ſo wuͤrdet ihr kaum
fuͤhlen, daß man euch anruͤhrt.
Seht hieraus, lieben Kinder, die Sinnen
ſind nicht immer ganz richtige Richter, uͤber
die Wahrheit einer Sache. Die Bibel nennt
deswegen diejenigen, ſinnliche oder natuͤrliche
Menſchen, die ſich bloß, in ihren Handlun-
gen, nach ihren Sinnen richten, und daher keine
wahre Weisheit beſitzen.
Ihr wuͤrdet alſo Zeitlebens in Gefahr ge-
blieben ſeyn, euch zu irren, wenn euer Ver-
ſtand nicht waͤre, durch die Erziehung in
der
[110] der Schule, in den Stand geſetzt worden,
euern Sinnen zu Huͤlfe zu kommen.
Wenn alſo eure Sinne euch rathen wer-
den: das iſt gut, das iſt boͤſe; ſo braucht
allemal euern Verſtand dazu, daß ihr erfahrt,
ob die Sinne recht haben.
Im folgenden Capitel, werdet ihr wichtige
Dinge davon hoͤren.
Das vierzehnte Capitel.
Von natuͤrlichen Dingen, zur Ver-
mehrung nuͤtzlicher Erkenntniß.
Ihr wißt, lieben Kinder! daß Gott alles,
was iſt, geſchaffen hat, oder, daß Gott die
erſte Urſach aller Dinge iſt.
Der Himmel und die Erde — erzaͤhlen
uns Wunder von ihrem Schoͤpfer.
Dadurch, daß die Menſchen ihren Ver-
ſtand zu nuͤtzlichen Dingen angewendet haben,
wißen wir: daß die Sonne ſehr viel groͤſ-
ſer iſt, als ſie uns ſcheint, weil ſie ſehr weit
von uns entfernt iſt. Ihr wißt aber, daß
in der Entfernung, große Dinge in unſern
Augen, klein ſcheinen. Sie hat ſo viel Licht
und Waͤrme in ſich, daß ſie uns erwaͤrmen
und
[111] und erleuchten kann, ob ſie gleich ſo weit
abſteht. Nach der Sonne berechnen wir un-
ſre Tage.
Der Mond iſt, an und fuͤr ſich, dunkel,
wird aber von der Sonne beſchienen; und da
dieſes, wegen ſeiner verſchiednen Stellung
gegen die Sonne, und die Erde, nicht im-
mer gleich iſt, ſo hat er auch bald mehr,
bald weniger Licht. Nach dem Monde wer-
den die Wochen berechnet.
Die Sterne ſind theils Sonnen, theils
Monde. Es iſt euch unglaublich, lieben Kin-
der, und doch, durch richtige Berechnung,
wahr, wie groß dieſe verſchiednen Himmels-
koͤrper ſind; wie viel ihrer an der Zahl ſind,
und welchen Raum ſie einnehmen.
Denkt alſo, ſo oft ihr den geſtirnten Him-
mel ſeht, an die unbeſchreibliche Macht eu-
res Gottes, der alle dieſe Dinge gemacht
hat; an Seine Weisheit, nach der Er, alle
dieſe ungemein großen Koͤrper, in Bewegung
geſetzt hat, und in Ordnung erhaͤlt. Denn
alle dieſe Koͤrper bewegen ſich um einander,
nach richtigen Verhaͤltnißen, das iſt: Welche
zuſammen gehoͤren, die ſchicken ſich auch zu
einander. Diejenigen, zu denen unſre Erde
gehoͤrt, ſind ſo eingerichtet, daß, nach der
goͤttlichen Verheißung, nicht aufhoͤrt, Som-
mer
[112] mer und Winter, Kaͤlte und Waͤrme; daß
Saatzeit und Erndte erfolgen kann; daß,
wenn viel Arbeit iſt, lange Tage, und wenn
weniger Arbeit iſt, kurze Tage ſind. Das Licht
der Sonne iſt ſo gemaͤßigt, daß wir Menſchen
ſowohl, als die Thiere, dabey ſehen koͤnnen.
Der Menſch iſt von Gott wunderbar be-
reitet; das Auge zum Sehen, das Ohr zum
Hoͤren; die Haut iſt mit empfindlichen Ner-
ven verſehen, zum Empfinden. Die Augen
ſtehen vorne im Geſicht, damit der Menſch,
von weiten gewahr werden koͤnne, was vor
ihm iſt; den Kopf aber kann er drehen, um
nach allen Richtungen hinzuſehen. Im Au-
ge mahlt ſich das Bild einer jeden Sache.
Die Ohren ſtehen an jeder Seite, um durch
jedes Geraͤuſch, den Menſchen aufmerkſam
zu machen; Im Ohr prellt der Schall, das
iſt, die auf verſchiedne Art bewegte Luft, ge-
gen ein Haͤutchen an, das die Trommel heißt.
Die Nerven ſind allenthalben in der Haut
verbreitet um jede Beruͤhrung zu empfinden
und durch eben dieſe Nerven entſteht in der Naſe
der Geruch, und im Munde der Geſchmack.
Durch den Mund nehmen wir die Speiſe zu uns,
und nachdem wir die Speiſe mit den Zaͤh-
nen zerkauet, und mit der Feuchtigkeit im
Munde, zum Hinunterſchlucken tuͤchtig ge-
macht
[113] macht haben, ſo empfaͤngt ſie, durch den
Hals, der Magen. Im Leibe ſind, uͤber
dieß, das Herz, welches das Blut allent-
halben herumtreibt, die Leber, welche das
Grobe in dem Blute von dem Feinen ſchei-
det; und die Lunge, welche, wie ein Blaſe-
balg, die innerliche Hitze abkuͤhlet. Außer
dem ſind noch, die Galle, welche die Spei-
ſen im Magen aufloͤſen hilft, dle Milz und
die Nieren, welche die untauglichen Feuch-
tigkeiten abfuͤhren, bis endlich das, was der
Koͤrper von den Speiſen nicht braucht, durch
die gewoͤhnlichen Wege ſeinen Ausgang
nimmt.
Seht, lieben Kinder, wie wunderbarlich iſt
dieß alles eingerichtet! Die Erde, zu denen
Himmels-Koͤrpern, die zu ihr gehoͤren; der
Menſch, zu der Erde, die er bewohnet; ſei-
ne Gliedmaßen, zu der Ernaͤhrung durch
Speiſen; und die Speiſen, zur Verdauung
durch dieſe Gliedmaßen! Dieſes Verhaͤltniß
zeugt allein von der großen Weisheit des
Schoͤpfers; und heißt uns Ihn in Demuth
anbeten.
Die Haͤnde und Fuͤße ſind ebenfalls ſo
genau, zu allen menſchlichen Verrichtungen
geſchickt. Durch die Haͤnde koͤnnen wir
uͤber die Thiere herrſchen, und uns alles
Hdas
[114] das Noͤthige verſchaffen, oder verfertigen;
durch die Fuͤße, uns von einem Orte zum
andern bewegen.
So oft ihr eure Glieder anſeht, lieben
Kinder, ſo dankt dem Schoͤpfer, der euch
ſo herrlich bereitet hat. Und da ihr ſowohl
als alle eure Glieder, Gottes Eigenthum
ſeyd, ſo huͤtet euch, daß ihr eure Glieder nicht
zur Suͤnde gebraucht, ſondern wendet ſie, durch
rechtmaͤßigen Gebrauch, zur Ehre Gottes an.
Die Thiere, deren eine unzaͤhlbare Men-
ge, groß und klein, auf der Erde, oder im
Waſſer leben, ſind zu eurem Nutzen da.
Ihr duͤrft ſie toͤdten, aber huͤtet euch, daß
ihr ſie nicht unnoͤthig martert. Der Ge-
rechte erbarmet ſich auch ſeines Viehes, ſagt
die Bibel. Ich weiß gewiß, daß es euch
ſchaͤdlich iſt, wenn ihr unbarmherzig mit
den Thieren umgeht. Die boͤſen Kinder
pflegen im Fruͤhling und Sommer die Vo-
gelneſter zu zerſtoͤren; Laßt das nicht von
euch geſagt werden. Die Voͤgel ſingen euch
ihren Geſang, und die meiſten darunter
ſchaffen die Raupen und anderes Gewuͤrme
weg, die Fruͤchten und Menſchen ſchaͤdlich
werden koͤnnten, wenn ſie ſich zu ſehr ver-
mehrten. In allen Theilen der Welt giebt
es andre Thiere. In den warmen Laͤndern
andre
[115] andre, als in den kalten. Einige Voͤgel
fliegen auch, wenn der Sommer aufhoͤrt,
nach ſolchen Laͤndern hin, wo es waͤrmer
iſt, als hier. Denn, lieben Kinder! Die
Erde, oder der Himmelskoͤrper, den wir be-
wohnen, wird in vier Haupttheile eingetheilt:
Europa, ſo heißt der Theil, in dem wir woh-
nen. Aſia, darinn liegt das gelobte Land,
oder Judaͤa. Afrika, darinn liegt Egypten,
von woher, Gott die Kinder Iſrael wunder-
bar, nach dem verheißenen Lande fuͤhrte.
Und Amerika, dieſer letzte Theil liegt uͤber
die See, und iſt vor nun bald 300 Jah-
ren, von einem Seefahrer entdeckt, der Co-
lumbus hieß. Es giebt noch viel Land,
was nicht ganz entdeckt iſt. Was nun
nicht Land iſt, das iſt Waſſer. Alles zu-
ſammen aber, iſt eine mehrentheils runde
Kugel. Und die Luft haͤlt alles zuſammen,
weil ſie die Erde umgiebt.
Ihr werdet erſtaunen, wenn ich euch ſage,
daß es Leute giebt, die uns die Fuͤße zukehren.
Hier iſt die Abbildung der Erdkugel: ſtellet euch
vor, daß hier eine Fliege kroͤche, und da unten
auch eine, ſo werdet ihres einigermaßen begreifen.
Die Gewaͤchſe ſind eben auch verſchieden, ſo
wie die Farben der Haut, an den verſchiedenen
Menſchen, die die Erde bewohnen.
H 2In
[116]
In den waͤrmeru Laͤndern wachſen andre
Fruͤchte, Baͤume und Kraͤuter, ſo wie es
andre Thiere, und anders ausſehende Menſchen
giebt. Es iſt erſtaunlich, lieben Kinder, daß
aus einem ſo kleinen Korne, ſo große, und
in einem Erdboden ſo verſchiedene Gewaͤchſe
wachſen koͤnnen. Vor allen Dingen aber
muͤßen wir Gott preiſen, daß Er das Korn
zur Haupterhaltung und Nahrung des Men-
ſchen, geſchaffen hat; es, als Saat, unter
Froſt und Schnee nicht verderben laͤßt, und
daß daraus eine Speiſe werden kann, die wir
Brodt nennen, und die man alle Tage leiden
kann. Die allerwenigſten Gerichte, lieben
Kinder, ſind von der Art, und wenn es die
allerkoſtbarſten waͤren, daß der Menſch ſie
alle Tage vertragen kann: Aber Brodt kann
er alle Tage eßen, und es bekommt ihm
wohl. Haltet daher das Dankgebet vor und
nach Tiſche, fuͤr eure Schuldigkeit; und weil
der Brodtmangel die groͤßte Landesnoth iſt,
ſo bittet Gott, daß Er euch mit taͤglichem
Brodte ſegnen, und vor der Geringſchaͤtzung
Seiner Gaben behuͤten wolle.
In der Welt hat alles ſeinen Nutzen.
Was dem einen ſchadet, das hilft dem an-
dern. Der Tod iſt das Ende aller vergaͤng-
lichen Dinge: Aber der Tod des einen, dient
zur
[117] zur Erhaltung des anderen. Wenn der
Baum lange genug getragen hat, ſo ſtirbt
er ab; man braucht ihn zu Brenn- oder
Bau-Holz, oder macht hoͤlzern Geraͤthe davon.
Wenn das Schwein fett iſt, ſo wird es
geſchlachtet, und dient den Menſchen zur
Speiſe.
Der Tod iſt alſo kein Uebel! denn es
iſt das Loos aller erſchaffnen Dinge, daß ſie
ſich veraͤndern muͤßen; und der Tod iſt nur
eigentlich, eine Veraͤnderung der Geſtalt ei-
nes Dinges. Die Raupe ſtirbt, aber es
wird ein Schmetterling daraus. Und die
Verweſung ſelbſt, oder der Miſt, waͤchſt von
neuen, in vielen Geſtalten auf. Nur dem
Menſchen iſt der Tod etwas mehrers, weil
wir eine Vergeltung unſerer Thaten, ſie ſeyn
gut oder boͤſe, nach Gottes Wort glauben.
Die nicht gut gelebt haben, fuͤrchten ſich al-
ſo vor den Tod. Und weil vor dem Tod
ſchmerzliche Krankheiten hergehen, an deren
vielen wir Schuld haben, das iſt, die wir
hatten vermeiden koͤnnen, wenn wir weiſer
geweſen waͤren, ſo iſt uns der Tod auch um
deßwillen zuwider.
Von den Mitteln, wie ihr, ſo viel moͤg-
lich geſund bleiben koͤnnt, wollen wir im
folgenden Capitel handeln.
Das
[118]
Das funfzehnte Capitel.
Von den Mitteln, die Geſundheit
zu erhalten; und einige einfache Vor-
ſchlaͤge, die verlohrne Geſund-
heit wieder herzuſtellen.
Lieben Kinder! wer iſt unter euch, der
nicht wiße, wie dem zu muthe ſey, der
krank iſt!
Nicht wahr, mein Sohn, wenn man
krank werden will, denn thut einem dieß und
das wehe, der Kopf iſt traͤge; man hat em-
pfindliche Hitze oder Froſt? Seht! wenn
man alles dieſes nicht fuͤhlt, munter und froh iſt,
denn iſt man geſund. Wie ihr wißt, ſo
beſteht der Koͤrper des Menſchen aus vie-
len Theilen, und keine Uhr iſt ſo kuͤnſtlich
eingerichtet, als eben dieſe Theile zu einan-
der eingerichtet ſind.
Bey euch, in eurem arbeitſamen Berufe,
wird es wohl hauptſaͤchlich auf 4 feindſee-
lige Dinge ankommen, wodurch die meiſten
in Krankheit verfallen.
Zum erſten iſt Erhitzung. Seht, lieben
Kinder! wenn ihr ſpielt, oder wenn ihr er-
wach-
[119] wachſen arbeiten werdet, ſo kann es nicht
fehlen, daß ihr nicht warm werden ſolltet.
Dieſes nun wuͤrde euch wenig ſchaden, wenn
ihr nicht oft, den daraus entſtehenden Durſt
zu ſtillen, kaltes Getraͤnke zu euch naͤhmet.
Hiervor huͤtet euch ſorgfaͤltig, denn dadurch,
daß ihr euch innerlich ſo ploͤtzlich abkuͤhlet,
entſteht eine Verhaͤrtung an Lunge und Le-
ber, die ſich in Geſchwuͤre und Auszehrung,
bald aber mit dem Tode, endigt. Wartet
alſo eine Zeitlang, brockt Brodt ins Getraͤnk,
laßt es weichen, und eßet es allmaͤhlig; ſo
wird euch der Durſt vergehen, und ihr er-
haltet eure Geſundheit.
Die zweyte Feindinn eurer Geſundheit, iſt
Erkaͤltung. Kuͤhle Tage und Abende im
Sommer nach heißen Tagen; das Liegen
auf der kuͤhlen Erde nach Erhitzungen; die
ungebuͤhrlich heißen Stuben im Winter, in
denen man doch nicht ſtets bleiben kann,
das ſind ohngefehr die gewoͤhnlichſten Urſa-
chen der Erkaͤltung.
Seht, lieben Kinder! ein jeder Menſch
muß beſtaͤndig durch die Haut eine feine
Feuchtigkeit wegduͤnſten. Wenn ſie Schweiß
wird, durch heftige Bewegung, denn kann
man ſie ſehen und fuͤhlen. So lange Waͤr-
me genung in der aͤußern Haut iſt, ſind die
H 4Schweiß-
[120] Schweißloͤcher offen; ſo bald aber eine Er-
kaͤltung die Haut betrifft, wird der Schweiß
in den Schweißloͤchern zaͤhe, und gerinnt.
Alsdenn koͤnnen die feinen Feuchtigkeiten
nicht mehr durchdringen; ſie ſtocken, und
haͤufen ſich; im Blute ſind ſie nichts nutze,
denn davon ſind ſie ſchon einmal abgeſchie-
den worden. Denn entſtehet Traͤgheit in
den Gliedern, Huſten und Schnupfen, Zahn-
ſchmerzen und andre Plagen; oft aber
Schlagfluͤße, und ein ploͤtzlicher Tod. Wenn
ihr alſo, in der Erndte, oder ſonſt, warm
geworden, ſo zieht mehr Kleidung uͤber den
Leib; ſetzt euch nicht warm auf die kuͤhle
Erde; hitzt im Winter, nicht zur Ungebuͤhr
eure Stuben. So werdet ihr manchem
ſchweren Anſtoß entgehen.
Der dritte und gewoͤhnlichſte Fehler iſt,
die Uebermaaß in Eßen und Trinken,
oder Ueberladung des Magens. Lieben Kin-
der! wenn ihr groͤßer werdet, ſo werdet ihr
viel Leute ſehen, die da eßen, als aͤßen ſie
nur einmal in ihrem Leben, und die nicht
eher aufhoͤren zu trinken, als bis ſie ohne
Verſtand hinfallen. Verabſcheuet ſolche! Huͤ-
tet euch vor Uebermaaß in den Nahrungs-
mitteln, ſie kommen euch nicht zu gute. Der
Magen giebt die meiſten unverdauet von ſich,
und
[121] und ihr habt alſo die edle Gabe, davon ein
Nothleidender haͤtte koͤnnen ſatt werden,
verderbet. Ueberdem ſchadet euch der Ueber-
fluß; euer Magen kann das nicht recht ver-
dauen; er druͤckt und ſchmerzt — Kopfweh,
unruhiger Schlaf, und ein Eckel vor dem
Eßen, ſind die Wirkungen davon. Wenn
ihr alſo ſatt ſeyd, ſo hoͤrt auf zu eßen. Als-
denn werdet ihr ſtets, mit Dankbarkeit, die
Gabe Gottes anſehen, und genießen koͤnnen.
Der vierte Feind der Geſundheit bey euch,
iſt der Gram und Kummer des Gemuͤths.
Wenn Aergerniß und Nahrungsſorgen, den
Menſchen quaͤlen und nagen, ſo wird er un-
muthsvoll, und verdroßen zu Allem: Und
weil, ſo lange der Menſch lebet, Koͤrper und
Seele genau verbunden ſind; ſo leidet der
Koͤrper mit, wenn die Seele ſich graͤmt.
Daraus kann Raſerey, und die unſeelige
Narrheit entſtehen, daß ein Menſch Hand an
ſich ſelbſt legt, und ſich toͤdtet, weil er den
Verdruß nicht laͤnger ertragen mag.
Gottesfurcht, aus welcher wahre Weis-
heit in allen Dingen entſpringt, kann euch,
lieben Kinder, am ſicherſten vor Gram und
Kummer bewahren. Wenn ihr das Eure
thut, ſo wird Gott ſchon das Seine thun.
Ihr ſollt nicht ſorgen, wie die, die von Gott
H 5nichts
[122] nichts wißen, ſagt die Bibel. Alle eure
Sorgen werft auf Ihn, denn Er ſorgt fuͤr
euch. Vielmehr freuet euch allewege der
Gnaden und Wohlthaten Gottes, und weh-
ret damit der Traurigkeit uͤber irrdiſche Din-
ge, welche, wie ihr nun wißt, den Tod
bringet.
Aber, es iſt damit nicht geſagt, lieben
Kinder, daß ihr gar nicht ſolltet krank wer-
den koͤnnen. Man kann in Umſtaͤnde kom-
men, wo man nicht Herr uͤber alles iſt,
was geſchieht: Durch Anſteckung von an-
dern kann man krank und auch, ohne Schuld,
verwundet werden.
Ich will euch alſo aufrichtig wohlfeile
Mittel, und eine Verfahrensart bey euern
Krankheiten rathen, die euch nuͤtzlich ſeyn
wird; zuvoͤrderſt euch aber mit gewißen Kenn-
zeichen der Krankheiten bekannt machen, ſo
daß ihr, wenn ihr keinen Arzt haben koͤnnt,
(denn ſonſt iſt es eure Pflicht, ſeines Raths
euch zu bedienen,) euch zur Noth, wo nicht
helfen koͤnnt, doch nicht ſchadet.
Wenn ihr Ziehen in den Gliedern, Kopf-
weh, bald Froſt, bald Hitze, habt, ſo habt
ihr ein Flußfieber. Alsdenn trinkt kein an-
der Getraͤnk, als eine Handvoll rein gewa-
ſchene Gerſte, auf Ein Maaß Waſſer gekocht,
bis
[123] bis die Gerſte platzt, und denn in jedes
Maaß davon, wenn es laulicht, Einen Loͤffel
Weineßig gethan. Hiervon trinkt, je mehr,
je beßer. Eßet nichts, als bis ihr wieder
rechten Hunger habt, und denn doch maͤßig,
und haltet euch maͤßig warm, daß ihr ſchwi-
tzet.
Wenn die Kinder die Pocken noch nicht
gehabt, und krank werden, ſo iſt dieſes Ge-
traͤnk unvergleichlich. Wird der Hals, bey
Pocken, Maſern ꝛc. ſchlimm, ſo thut Einen
Loͤffel Honig in vier Loͤffel Eßig, und gebt
dem Kranken alle Viertelſtunde eine Meßer-
ſpitze voll davon. So bald ſie aber krank
werden, ſo laßt alt und jung, mit einem
Brech- und Purgiermittel, dergleichen etliche
ein jeder Hausvater im Hauſe haben muß,
den Leib reinigen. Macht denn die Stube
nicht ſehr heiß; deckt den Kranken nicht heiß
zu; und laßt ihn ſehr duͤnne Habergruͤtze
trinken: Ihr werdet euch uͤber die Beßerung
vieler freuen.
Ein Dreytaͤgiges Fieber, (das iſt, wo ein
guter Tag, zwiſchen zwey Fiebertagen iſt)
hat Kaͤlte, und denn Hitze. Wenn ihr es
Einmal gehabt habt, ſo nehmt ein Brech-
und Purgiermittel ein, denn gewoͤhnlich ha-
ben dieſe Fieber ihren Sitz im Magen oder
Ge-
[124] Gedaͤrmen,) hilft dieß nicht, ſo iſt es Zeit,
den Arzt zu fragen.
Ein Viertaͤgiges Fieber iſt, wo zwiſchen
zwey Fiebertagen, zwey gute Tage ſiud. Bey
dem Viertaͤgigen und taͤglichen Fieber ſowohl,
als bey dem, welches in einen fort mit Hitze
anhaͤlt, und daher hitziges Fieber genennt
wird, muß ſogleich der Arzt gefragt werden.
Das Getraͤnk, wie oben, aber ſchadet nicht,
ſo wenig, als die Verordnung, die Kranken
nicht mit Hitze zu quaͤlen.
Die Ruhr, welche gewoͤhnlich die rothe
Ruhr heißt, entſteht gemeiniglich von Ver-
kaͤltung, und iſt mit heftigen Leibſchmerzen
begleitet; es geht Gebluͤt durch den Stuhl-
gang ab; und muß in Zeiten bey dem Arzt,
Huͤlfe geſucht werden. Im Anfang ein
Brech- und Purgiermittel, iſt ſehr noͤthig,
ſonderlich, wenn ſich eine Beaͤngſtigung und
Druͤcken in der Herzgrube aͤußert. Das Ge-
traͤnk iſt duͤnne Habergruͤtze, ſo viel als moͤg-
lich, und Kliſtiere von laulichten Waſſer, wo-
zu ein paar Loͤffel Leinoͤhl gethan werden.
Das beſte Purgier-Mittel vor die Ruhr, wird
in der Apotheke aus Tamarinden zubereitet,
und kann oͤfter, als einmal, gebraucht werden.
Wenn faule Fieber, das iſt, ſolche, die
dem Patienten gleich Anfangs alle Kraͤfte be-
neh-
[125] nehmen, ſich aͤußern; ſo iſt der Trank von
Gerſte, mit etwas Weineßig ſaͤuerlich ge-
macht, anzurathen; aber die Huͤlfe eines
Arztes ſehr bald noͤthig.
Das Hauptſaͤchlichſte bey allen Krankhei-
ten, iſt, daß der Kranke nicht in einer dum-
pfigen Stube gehalten werde; ſondern daß man,
in der Mittagsſtunde, die Fenſter alle Tage
oͤffne, den Kranken ſo lange wohl zudecke,
und auf die Art, die Luft in der Stube rei-
nige, daß man die Duͤnſte heraus, und rei-
ne Luft herein, laße.
Vor Quetſchungen iſt, kalt Waſſer mit
Eßig oft aufgelegt, das Beſte; vor Wunden
aber, mit Lappen, in kalt Waſſer getaucht,
alle Tage zweymal verbunden, und die Ma-
terie ausgewaſchen, ſo heilen ſie ohne Pfla-
ſter. Wenn Hitze in eine Wunde kommt,
welches aber bey dieſem Verfahren nicht
leicht geſchieht, ſo ſind die Blaͤtter von Weg-
breit aufgelegt, ſehr gut; im Winter aber,
da man dieſe nicht haben kann, Sauerteig
zwiſchen zwey Lappen gethan, und aufgelegt.
Wenn ein Geſchwuͤr ſich zuſammen zieht,
und ſich nicht zertheilen will, (welches ſonſt
mit warmen trocknen Kraͤuterſaͤcken, von
Camillenblumen, zu helfen iſt,) ſo kocht man
Leinſamen in Milch, und ſchlaͤgt es zwiſchen
zwey
[126] zwey Lappen, ſo warm man es an der Ba-
cke leiden kann, oft auf. Iſt Materie im
Geſchwuͤr, welches an der Weiche deſſelben
und am Pochen in demſelben zu ſpuͤren iſt,
ſo laͤßt man es mit einer Fliete aufmachen;
wenn die Materie herausgelaufen, ſo iſt
auch Linderung da.
Vor allen Dingen aber wartet nicht mit
dem Gebrauch aller Mittel, bis zum dritten
oder vierten Tage der Krankheit; ſondern
gleich im Anfange, wenn noch Kraͤfte da ſind,
kommt der Natur in Zeiten zu Huͤlfe, da-
durch, daß ihr die Haupturſache der Krank-
heit, nemlich den angehaͤuften Unrath im
Magen oder Gedaͤrmen, durch Brechen und
Purgieren wegſchaffet; oder bey Erwachſenen,
wenn viel Hitze da iſt, die Vollbluͤtigkeit,
durch Weglaßung eines gehoͤrigen Theils des
Blutes, vermindert; und huͤtet euch, als vor
Gift, vor allen hitzigen Mitteln, die von Un-
wißenden gerathen werden; denn ſie ſchaden
euch ſicherlich, und es waͤre ein Mord, den
ihr an eurem eigenen Leben begienget, wenn
ihr hierinn leichtſinnig verfahren wolltet.
Das
[127]
Das ſechzehnte Capitel.
Von der Landwirthſchaft, als einem
Berufe, und Grundſaͤtze, worauf es
bey allen Arten der Landwirth-
ſchaft ankommt.
Ein Stand, den man nicht ſelbſt erwaͤhlet,
heißt ein Beruf, oder als wenn man ſagte:
Gott hat mich, ohne mein Zuthun, in dieſen
Stand durch Mittel und Wege, die Ihm
allein bekannt, gefuͤhret: Alſo will ich ge-
troſt, auf dieſem mir von Gott gewieſenen
Wege, fortgehen, und Seines Schutzes und See-
gens gewaͤrtigen. Solch ein Stand iſt der Eu-
rige, lieben Kinder! Ihr habt ihn nicht
ſelbſt gewaͤhlt, und ſehr viel Urſachen ver-
hindern es, daß ihr ihn nicht, gegen einen
hoͤhern, vertauſchen koͤnnt. Ihr thaͤtet aber
auch Unrecht, lieben Kinder, wenn ihr euch
euern Stand nicht gefallen ließet. Sehr
vieles von ſeinen Muͤhſeeligkeiten koͤnnt ihr
vermindern, ſowohl durch Weisheit, Arbeit-
ſamkeit, Treue, Gehorſam, Beſcheidenheit
uͤberhaupt, als auch durch Erlangung aller-
ley nuͤtzlicher Erkenntniße, in der Landwirth-
ſchaft, als euerm Berufe. Die erſten Stuͤ-
cke ſind Tugenden, die alle Staͤnde zieren
wuͤr-
[128] wuͤrden, und alſo auch eure Pflichten aus-
machen; dieß letzte Stuͤck aber iſt von ſol-
cher Wichtigkeit, daß wir es, in dieſem Ca-
pitel, beſonders betrachten wollen.
Wenn irgend ein Stand der Geſellſchaft
nuͤtzlich, ja unentbehrlich iſt, ſo iſt es der
Stand der Ackerleute oder Bauern; und es
iſt außerordentlich wichtig fuͤr euch, meine
Freunde, die ihr zur Landwirthſchaft ſowohl,
als zu der damit verknuͤpften Hauswirth-
ſchaft, geboren ſeyd, daß ihr lernt und
wißt, was eigentlich von euch gefordert
wird.
Ein rechtſchaffner Landwirth, Ackersmann
oder Bauer, Koßaͤte oder Halbhuͤfner, Tag-
loͤhner oder Haͤusler, muß viel Erkentniſſe
beſitzen — Ihr werdet euch wundern, lieben
Kinder, daß ich hier auch die Tagloͤhner
oder Haͤusler mitrechne. Da aber ſehr oft ein
Tagloͤhner, durch Heyrath oder Verguͤnſtigung
ſeiner Herrſchaft, ſelbſt eine Ackerwirthſchaft be-
koͤmmt, oder doch als Knecht oder Meyer,
andern in ſolcher Ackerwirthſchaft dient; ſo
ſchadet es ihm nicht, ſo viel Erkenntniſſe, als
noͤthig, davon zu haben, und in dieſer Schu-
le, wo die Kinder gleichen Unterricht genieſ-
ſen, dazu angewieſen zu werden.
Der
[129]
Der Kornbau, von allen Arten iſt nun
die Hauptſache des Ackerbaues. Das Korn
wird in die Erde geſaͤet, nachdem vorher
uͤberdacht iſt, in welchen Erdboden ſich ei-
ne jede Art Korn am beſten ſchicke. Wei-
tzen iſt das theuerſte von allen Korn, aber
deßwegen nicht das nuͤtzlichſte, und erfor-
dert ſehr guten Boden, viel Duͤnger oder
Miſt, und oͤfteres Pfluͤgen und Eggen, das
iſt Lockermachen des Ackers, und Reinigung
vom Unkraut, vornemlich von Quecken oder
Paͤden. Von dem Weitzen wird Semmel
und Kuchen gebacken, auch Bier gebrauet.
Warum der Weitzen nicht das nuͤtzlichſte
Getreyde iſt, werdet ihr gleich, bey dem
Rocken hoͤren.
Rocken iſt nicht voͤllig ſo theuer im
Verkauf, als Weitzen, aber doch weit nuͤtz-
licher, weil erſtlich aus ihm, wenn er zu
Mehl gemahlen iſt, unſere hauptſaͤchlichſte
und unentbehrlichſte Nahrung, das Brodt,
gebacken wird, da wir doch Semmel und
Kuchen entbehren koͤnnen; ferner, der Ro-
cken auf allerley Erdboden, gemeiniglich waͤchſt,
alſo nicht ſo gut Land noͤthig hat, als der
Weitzen, auch einer ſo muͤhſamen Bearbei-
tung und Reinigung des Landes, als der
Weitzen, nicht bedarf, ob er ſie gleich ohne
IScha-
[130] Schaden vertraͤgt, und endlich ſein Stroh
und ſeine Abgaͤnge, (Aehr - Futter, Kaff)
ein viel beßeres Futter fuͤrs Vieh, geben,
als vom Weitzen. Dieſe beyden Arten Korn
pflegt man Wintergetreyde zu nennen. Die
folgenden ſind Sommergewaͤchſe.
Gerſte, die zum Bierbrauen unter andern
pflegt gebraucht zu werden, und gewoͤhnlich
weniger gilt, als der Rocken. Von der
Gerſte hat man vielerley Sorten; Große
oder Zweyreihigte, weil an der Aehre zwey
Reihen Koͤrner ſitzen; und Kleine oder Vier-
reihigte, weil vier Reihen Koͤrner an jeder
Aehre ſind. Außerdem hat man auch Win-
tergerſte, die an wenig Orten uͤblich, und
ſehr gut Land erfordert. Die Gerſte uͤber-
haupt, will guten, geduͤngten Erdboden, der
weder zu naß noch zu trocken iſt, haben,
und erfordert eine fleißige Bearbeitung,
durch Pflug und Egge.
Haber, dieſes Getreyde iſt gewoͤhnlich das
wohlfeilſte unter allen Arten Getreyde; nimmt
mit dem ſchlechteſten Lande, und mit der we-
nigſten Bearbeitung, vorlieb. Es giebt aber
beßern und glatten Haber, wenn man ihn in
gutes und wohlbeackertes Feld ſaͤet, ſonſt
artet er bald aus, und wird rauh. Neben ſei-
nem Gebrauch, bey gewißen Arten von Bier,
und
[131] und zu Gruͤtze, iſt er das gewoͤhnlichſte
Pferd futter.
Sommerrocken, wird auf ſolch Land
geſaͤet, wo der Haber nicht recht wachſen
will. Er zehret aber das Land noch mehr
aus als der Haber.
Lieben Kinder! im Erdboden ſind ge-
wiße naͤhrende Theile, fuͤr jede Art Pflanzen,
doch in manchem Erdboden, fuͤr die eine
Pflanze mehr, als fuͤr die andre, daher ent-
ſtehen die Redensarten: „Dieſer Fleck Acker
„traͤgt nicht gut Winterkorn; der nicht gut
„Sommerkorn, das Korn hat keine Art ꝛc.“
Wenn ich nun oft einerley Getreydeart, auf
einen Fleck ſaͤe, ſo erſchoͤpft ſich der Vor-
rath von naͤhrenden Theilen, fuͤr dieſe Art
Samen, und er waͤchſt ſchlecht; und daher
ſind die drey Felder entſtanden, als Winter-
feld, Sommerfeld, und Brache: denn durch
die Abwechſelung mit Getreydearten, kann
das Feld immer tragbar bleiben, und die
Brache iſt die Zeit der Ruhe. Waͤhrend
der Brachezeit ſammlet der Acker wieder
Fruchtbarkeit und naͤhrende Theile, und kann
ſein Gewaͤchs geben.
Dieſe Kenntniße ſind dem Landwirth von
beſondrer Wichtigkeit.
I 2Erb-
[132]
Erbſen und Bohnen ſind Schotenfruͤchte,
das iſt, ihre Koͤrner liegen in Schoten; ſie
ſind oft dem Weitzen an Preiſe gleich; ſie
brauchen gutes und lockeres Land, und pfle-
gen in die Brache geſaͤet zu werden.
Buchweitzen pflegt mit der Gerſte [wohl]
an Preiſe gleich zu ſeyn, und vertraͤgt ſchlech-
tes hohes Land. Die Naͤße und das Wet-
terleuchten ſind ihm ſehr zuwider. Man
hat gewoͤhnlich den beſten Nutzen von dieſem
Getreyde, wenn man Land damit beſaͤet,
welches in langer Zeit nicht geackert wor-
den. Zu Gruͤtze wird er am meiſten ge-
braucht.
Hirſe und Mohn ſind ſehr unterſchieden,
denn die Hirſe giebt Mehl, und der Mohn
Oehl: Sie werden gewoͤhnlich in die Brache,
in gegrabenes Land geſaͤet; wohin man auch
Lein, (woraus das Flachs wird,) gelbe Ruͤ-
ben, weiße Ruͤben, und Erdtoffeln zu brin-
gen pflegt, um ſie doch einiger maßen zu
nutzen.
Ihr ſeht alſo, lieben Kinder, daß es vie-
lerley Arten Getreyde und Erdfruͤchte giebt,
die auf dem Acker gewonnen werden. Ich
habe nur die gewoͤhnlichſten genannt; denn
jedes Land hat deren noch mehrere. Weiſ-
ſer und brauner Kohl, oder Kopfkohl und
Blaͤt-
[133] Blaͤtterkohl, rothe Ruͤben, Waſſerruͤben oder
Knollen, Kichererbſen und Linſen, Fuchs-
ſchwanz, (eine Art Hirſe,) und Manna, (ein
kleines Geſaͤme, welches wohlſchmeckt) auch
Faͤrbekraͤuter und Toback, werden an andern
Orten, auch auf dem Acker gebauet; und
koͤnnten vielleicht auch hier mit Nutzen ge-
bauet werden, wenn es verſucht wuͤrde.
Alles dieſes iſt angefuͤhrt worden, damit
ihr einſehen lernt, mit wie viel nuͤtzlichen
Dingen ſich der Ackerbau beſchaͤftigen koͤnne.
Dieß iſt es aber noch nicht alles. An ſol-
chen Oertern, wo die Huͤtung oder Vieh-
weyde nicht uͤberfluͤßig iſt, oder wo man
ſo klug geweſen, die Huͤtung, als Wieſen,
zu nutzen, und Acker genung oder ſolchen
hat, der ſich dazu ſchickt; da hat man auch
auf dem Acker, kuͤnſtliche Wieſen gemacht.
Ich will euch von vielen Futterkraͤutern, nur
den rothen Hollaͤndiſchen Kleeſaamen nennen,
weil er der nutzbarſte iſt: Den hat man auf
den Acker, der wohl geduͤngt und gepfluͤgt
ward, geſaͤet und untergeegget, welcher vie-
le Jahre dauert, und im zweyten Jahr et-
liche mal kann abgemaͤht werden. Hiermit
hat man die Kuͤhe auf dem Stall, im Som-
mer, mit Gras oder Heu vermengt, gefut-
tert, und außer dem Duͤnger, der nicht auf
I 3der
[134] der Weide verſchleppt wurde, ſo viel erhal-
ten, daß vier Kuͤhe ſo viel Milch gaben, als
vorher, (da das Vieh ausgetrieben wurde,)
zehn Kuͤhe.
Nach dieſem Vorberichte, von dem, wo-
mit ſich der Ackerbau beſchaͤftigt, wollen
wir weiter gehen, lieben Kinder, und ſehen,
was denn nun eigentlich der Landwirth da-
bey thun muͤße.
Erſtlich. Er muß, ſo oft er kann, Miſt
oder Duͤnger in ſeinen Acker bringen. Der
Miſt macht das Land fruchtbar, durch die
Fettigkeit, die er in ſich hat. Denn ihr
wißt, lieben Kinder, daß der Miſt warm iſt,
und einen Geruch von ſich giebt; nun, je
ſtaͤrcker er riecht, je fetter iſt auch der Miſt.
Dieſer Geruch entſtehet, aus dem Oehl und
Salz, welches er in ſich hat; wenn dieß mit
der Erde ſich vermengt, ſo klebt es der Er-
de an, und die Erde wird warm und frucht-
bar.
Ihr ſeht nun von ſelbſt ein, lieben Kin-
der, wie thoͤricht es iſt, wenn man
- a) Den Miſt nur auf den Acker faͤhret,
und auswendig herum ſtreuet, aber
nicht bald in die Erde bringet: Denn
da verraucht der Miſt, das iſt, ſein
Geruch oder die kleinſten Theile, worinn
eigent-
[135] eigentlich die rechte Fruchtbarkeit ſteckt,
verfliegen in die Luft. - b) Wenn man Stroh, das noch nicht
recht verfault, und mit dem Urin und
Miſt der Thiere ſich verbunden hat,
fuͤr rechten Miſt haͤlt, und damit den
Acker betruͤgt. - c) Zu wenig Miſt auf den Acker faͤhrt,
um mit dem vorraͤthigen Miſte, deſto
weiter zu langen: Denn da wird nir-
gends eine rechte Verbeßerung ge-
ſtiftet.
Zweytens. Der Landwirth muß zu rech-
ter Zeit pfluͤgen, das heißt, den Acker locker
machen, damit das Unkraut Zeit zu verſto-
cken oder zu verweſen habe, welches durch
den Pflug abgeſchnitten, und unter der Fah-
re liegt. Alſo, der Landwirth muß, wenn
er dreymal zum Winterkorn pfluͤgen will, in
Zeiten Brache pfluͤgen, damit er bey der
zweyten Pflugart, die darum Wendfahre
heißt, nicht das Kraut wieder oben bringt,
welches, weil es nicht Zeit gehabt, zu ver-
ſtocken, noch lebendig waͤre, und bald wieder
anwachſen wuͤrde. Hat er zur rech en Zeit
Brache gepfluͤgt, ſo wird er auch zur rechten
Zeit zur Saat pfluͤgen koͤnnen, denn er kann
bald nach der Wendfahre zur Saat pfluͤgen,
I 4weil
[136] weil das Land locker genung ſeyn wird.
Das Sprichwort: „Je mehr Fahren, je
mehr Ahren, iſt wahr; nur hat nicht ein
jeder Zeit, mehr als drey Pflugarten zur
Winterſaat, vorzunehmen, wer aber kann,
hut wohl daran.
Drittens. Er muß auch tief genung
pfluͤgen, wenn es der Erdboden zulaͤßt. Es
iſt ein ſchaͤdlicher Fehler bey der Acker-Wirth-
ſchaft, wenn man nur ſo oben hin, dem
Lande die Haut abſchindet. Die Urſachen,
ieben Kinder, ſollt ihr gleich begreifen.
- a) Wird, durchs flache Pfluͤgen, bey dem
Brach- und Wendfahrepfluͤgen, kein Un-
kraut recht ausgewurzelt, welches doch
ſehr wichtig iſt. Denn es iſt bekannt,
daß das Unkraut uͤberhaupt ſehr tiefe
Wurzeln ſchlaͤgt. - b) Kriegt das Korn nicht lockere Erde,
oder Krume genung, worinn es ſich
recht beſtauden kann. Es iſt alſo dem
Verdorren oder Verſcheinen, ſonderlich
im leichten Lande, ſehr ausgeſetzt; - c) Weil die Wurzel des Korns oben auf
liegt, ſo kann der Wind, im leichten
Lande, die Wurzel bald bloß wehen.
Wenn denn das Korn einmal doch ge-
raͤth, ſo giebt es leicht, Lagerkorn, das
heißt,
[137] heißt, das Korn legt ſich um, und
wird taub, oder hat wenig Koͤrner in
den Aehren. Und die Urſach, warum
es ſich umlegt, iſt, weil der Halm
nicht tief genung in der Erde ſteckt,
alſo von dem Regen und Winde ſchief
gedruͤckt wird, und nicht wiederſtehen
kann.
Viertens. Der Landwirth muß auch
den Acker recht klein und klar eggen. Durch
das Eggen wird der Saamen, mit Erde be-
deckt, und zugleich allenthalben gleich ver-
theilet, damit er fein gleich und ordentlich
aufgehen koͤnne, auch werden die Erdkloͤße
klein gemacht oder gebrochen; endlich aber,
ſo wird das durch den Pflug losgerißne Un-
kraut, mit der Egge zuſammen gebracht, daß
man es hernach, wenn es trocken, von dem
Acker wegfahren oder verbrennen koͤnne.
Die Egge muß deßhalb lange Zaͤhne von
Eiſen oder Holz haben, und oft geluͤftet
(aufgehoben) werden, wenn ſich viel Un-
kraut vorgeſetzt hat, weil ſie ſonſt nicht ihre
Wirkung thun kann.
Fuͤnftens Der Landwirth muß guten
Saamen ausſaͤen, das iſt, ſolch Korn, das
nicht multricht oder ſchimmlicht, durch Feuch-
tigkeit geworden, welches oft geſchieht, wenn
I 5man
[138] man Korn naß in die Scheune faͤhrt, oder
nicht lange genung im Felde trocknen laͤßt.
Er muß, als Saͤemann betrachtet, den Saa-
men nicht zu dicke ſaͤen, denn da bleibt der
Halm kurz, und die Aehre klein; doch rich-
tet ſich dieſes nach Erfahrungen, von der
Guͤte des Ackers. In dem beſten Acker
pflegt man aber, an Wintergetreyde nicht
uͤber anderthalb Scheffel, auf den Morgen
von 180 Ruthen, auszuſaͤen. Gar zu
duͤnne iſt auch nicht gut; doch wenn eins
ſeyn muͤßte, (welches doch nicht iſt, da
man die Mittelſtraße halten kann,) ſo wuͤr-
de bey duͤnner Ausſaat Vortheil ſeyn: Denn
das Korn beſtaudet ſich aus der Wurzel,
oder treibt viel Halme, zieht viel Nahrungs-
ſaft an ſich, und waͤchſt ſtark und lang.
Weil nun aber der Kornbau, wie ihr ge-
hoͤrt habt, nicht leicht mit Nutzen getrieben
werden kann, ohne Zugvieh und ohne Duͤn-
ger oder Miſt; der Miſt aber von Vieh
meiſtens entſteht: So ſeht ihr ſelbſt, lieben
Kinder, daß der Landmann auch Vieh hal-
ten muͤße. Des Viehes giebt es nun ver-
ſchiedene Arten: Rindvieh, Pferde, Schafe,
und Schweine, ſind die vornehmſten Arten,
von welchen auch der beſte Miſt oder Duͤn-
ger fuͤr den Acker geſammlet wird. Vom
Rind-
[139]
Rindvieh ſind die Kuͤhe dem Wirthe ſehr
nuͤtzlich mit ihrer Milch, denn von ihr wird
Butter und Kaͤſe gemacht; auch wird ſie
als Milch, verſpeiſet. Der Landwirth thut
wohl, wenn er auf ſtarkes Kuhvieh haͤlt,
und fuͤr Bullen, oder Rinder, von großer
Art, lieber mehr giebt, als ſich mit kleinen,
wohlfeiler behilft. Der Nutzen iſt ungemein.
Groß Rindvieh bringt auf alle Weiſe, mehr
ein, und koſtet nicht mehr zu erhalten, als
kleines.
Die Ochſen ſind das nuͤtzlichſte und beſte
Spannvieh; ſie ſind wohlfeiler zu erhalten
im Futter, als die Pferde; ziehen gut im
Wagen und Pflug, zur Noth auch in der
Egge; und wenn ſie alt ſind, gelten ſie,
beym Schlaͤchter, mehr, als da ſie jung wa-
ren, welches letztere bey den Pferden ſchon
nicht zutrift. Auch iſt ihr Duͤnger beßer,
als der von Pferden. Es iſt daher eine
große Thorheit, lieben Kinder, wenn ein
Ackersmann gar zu viel Pferde haͤlt, da er
mit Ochſen weit leidlicher fertig wuͤrde, und
manches erſparen koͤnnte. Die meiſten thun
es um des Fuhrwerkes willen, und Lohnfuh-
ren zu verdienen. Es iſt aber meiſtentheils
das Zeichen eines ſchlechten Wirthes, wenn
ſich Jemand mit ſolchen Nebendingen zu viel
ab-
[140]
abgiebt, und die Wirthſchaft geht gemeinig-
lich dabey zu Grunde.
In einem Dorfe nahe bey der Stadt, war
einmal ein Bauer, der hielt ſich vier ſtarke
Pferde, und hatte ein treflich Ackergut. Da
kamen die Leute aus der Stadt, haͤufig hin,
und handelten mit ihm, daß er Lohnfuhren
thun ſollte, ſie boten ihm viel Geld, und er
fieng an zu fahren. Dem Knecht gaben ſie
Biergeld, und ſchenkten ihm manch Glas
Branntewein, daß er geſchwind zufahren ſollte.
Dem Knecht gefiel das beßer, als die Acker-
arbeit. Wrnn nun noͤthig zu pfluͤgen, zu
eggen, Heu zu fahren ꝛc. war, und es
kam eine Lohnfuhre, ſo rieth der Knecht
immer zu: Der Herr ſollte das ſchoͤne
Geld mitnehmen, es wuͤrde wohl Wet-
ter bleiben; zum Pfluͤgen waͤre immer Zeit
genug ꝛc. Der Herr hatte ſchon auf hun-
dert Thaler verdient, und das gefiel ihm:
Er ließ ſichs alſo ferner gefallen. Die Pfer-
de waren oft uͤberjagt worden, wenn der
Knecht zu viel geſoffen hatte, nun ſollten ſie
auch noch alle verſaͤumte Ackerarbeit nach-
thun. Aber es fiel Regenwetter ein, das
Heu verdarb; es kam ein fruͤher Winter, der
Acker blieb unbeſaͤet, oder eilig und ſchlecht
beſtellt. Als der Winter kam, fielen die
Pfer-
[141]
Pferde alle nacheinander um. Und wollte
der Bauer vier andre haben, ſo mußte er
zu den mit den Lohnfuhren verdienten hun-
dert Thalern, noch funfzig Thaler aus ſeinem
Vermoͤgen zulegen, und litt doch noch an
der kuͤnftigen Erndte Schaden. Durch Scha-
den klug gemacht, ſchafte er den untreuen
Knecht ab, und keiner in der Nachbarſchaft
wollte ihn wieder annehmen; denn er hatte
ſich bey den Lohnfuhren, das Saufen ange-
woͤhnt.
Doch Pferde muͤßen zum Hofdienſt, Vor-
ſpann ꝛc. von jedem Ackerwirth, dem derglei-
chen oblieget, gehalten werden. Aber der
kluge Wirth haͤlt deren nur ſo viel, als er
noͤthig hat; um nicht in Futtermangel zu ge-
rathen, und dem uͤbrigen, viel nuͤtzlichern
Vieh, nicht die Nothdurft zu entziehen. Man
thut beßer, mittelmaͤßig große, und dabey
ſtarke Pferde, zu halten, als ſehr große, oder
ſehr kleine; die Mittelſorte thut gemeiniglich
die beſten Dienſte, und haͤlt ſich beßer am
Leibe, als ſehr große Pferde. Von den klei-
nen kann man wenig Arbeit fordern, und
koſten doch faſt ſo viel Futter, als ſtarke
Mittelpferde.
Wenn der Ackerwirth fleißig iſt, und zu
rechter Zeit aufſteht, kann er mit vier Pfer-
den
[142]
den, oder einem Spann, in Mittellande ganz
gemaͤchlich ein Gut vou fuͤnf Hufen Acker,
Jahr aus Jahr ein, beſtellen, und noch viel
Tage frey behalten. Es verſteht ſich, daß
dergleichen Pferde gut gefuttert und gewar-
tet werden muͤßen. Acht Pfund gutes Heu,
zwey Haufmetzen Haber, zwey Haufmetzen
Heckerling, ſind zum taͤglichen Futter fuͤr ein
ſolch Arbeitspferd hinlaͤnglich, oder Ahrfutter,
und kein Futterkorn. Auf die Wartung aber
kommt viel an. Warten heißt ſo viel als
pflegen. Ein Pferd braucht ſowohl Pflege,
als ein Menſch. Die beſten Mittel, ein Pferd
gut zu pfl gen und zu warten, ſind folgende:
- 1) Geſundes, nicht ſtinkendes Futter, hin-
laͤnglich und zur rechten Zeit, und ja nicht,
wenn das Pferd warm und erhitzt iſt, ge-
geben. - 2) Nicht getraͤnkt, wenn das Pferd noch
warm iſt, und wo moͤglich, das Waſſer im
Winter im Stall etwas ſtehen laßen, daß ihm
die groͤßte Kaͤlte vergeht. - 3) Alle Tage wenigſtens einmal, das
ganze Pferd geſtriegelt, und mit der Kartet-
ſche gebuͤrſtet, daß der Staub und freßende
Schweiß herunter kommt, und das Pferd
ruhig wird, wenn ihm nichts juͤckt und
ſchmerzt. - 4) Im Sommer den Stall kuͤhl, und
wegen der Fliegen finſter, im Winter aber
warm gehalten, iſt den Pferden ſehr heil-
ſam. - 5) Unter dem Pferde, wo moͤglich, al-
les trocken gehalten, ſonſt werden ihm die
Huͤfe weich, und die Fuͤße werden von der
Feuchtigkeit ſchadhaft, daß es leicht lahm
wird, oder bloͤde geht. Auch dem Pferde,
wenn es ruhen ſoll, reines Stroh unter-
geſtreut. - 6) Vom Pferde in der Arbeit nicht mehr
gefordert, als es thun kann Im Sande,
Moraſt und bergauf, nicht getrieben, oder
ſcharf gefahren. Ein jedes Pferd nach ſei-
ner Staͤrke an den Wagen geſpannt; die
fleißigſten links, und die, ſo ſich treiben
laßen, auf die rechte Hand, weil ſie da beſ-
ſer zu treffen ſind.
- 1) Geſundes, nicht ſtinkendes Futter, hin-
Die Fohlenzucht iſt gemeiniglich fuͤr den
hieſigen Landwirth mit Schaden verknuͤpft.
Vor dem vierten Jahre kann ein Fohlen
ohne Schaden nicht ſtark gebraucht werden,
und denn hat es gewiß mehr gekoſtet, als
es werth iſt; oder es iſt wohl gar verbuttet und
verdorben. Man thut alſo beßer, auf den
Maͤrkten ſich mit guten brauchbaren Pfer-
den zu verſehen, und die Muͤhe nebſt dem
Fut-
[144]
Futter, an Rindvieh oder Schafen zu wen-
den.
Schafe ſind, wegen ihres Duͤngers, Wolle
Milch, und Verkaufs vortreflich, aber we-
gen der Gefahr, verhuͤtet zu werden, an den
meiſten Orten (ſonderlich wo niedrige, oder
Gruͤnde mit Hoͤhen vermiſcht ſind,) in die
Laͤnge ſelten nuͤtzlich. Doch uͤberwiegen die
Vortheile einiger guten Jahre, an Nutzung,
den Schaden meiſtentheils; ſonderlich, wo
ein guter Hirte iſt, der die Weide kennt, und
die Heerde verſtaͤndig huͤtet.
Schweine ſind in der Hauswirthſchaft
nuͤtzlich; ihren Duͤnger haͤlt man fuͤr den be-
ſten im Acker, wo Eich- und Buchwaͤlder
ſind, werden ſie in die Maſt gethan, denn
von der Frucht der Eiche und Buͤche neh-
men ſie am Leibe ſehr zu, und werden fett.
Hernach werden ſie geſchlachtet, und geben
Schinken, Speck und Wuͤrſte, welche ihr Kin-
der kennt, und oft gegeßen habt. Die
Schweine gedeyen am beſten in trocknen
warmen Staͤllen, und wenn ihnen alle vier-
tel Jahr etwas rohes Spiesglas gepuͤlvert
im Trank geruͤhrt wird. Man bekoͤmmt die
ſes in der Apotheke, und um Einen Gro-
ſchen iſt fuͤr vier große Schweine genung.
Seht
[145]
Seht! lieben Kinder, das ſind die Hauptar-
ten von Thieren, womit ſich der Landmann be-
ſchaͤftiget. Außer ihnen giebt es Gaͤnſe, die an
ſolchen Orten, wo große Waſſer und ſchlechter
Erdboden ſind, ſowohl, als Enten, mit Nutzen
gehalten werden. Wo aber guter Boden und
wenig Waſſer iſt, da ſind dieſe Arten Thiere ge-
meiniglich ſchaͤdlich. Huͤner halten faſt alle,
und es ſind, wegen der Eyer, die Huͤner ſehr
nuͤtzlich. Die Truthuͤner und Tauben ſind nicht
aller Orten, dem Landmann, zu halten erlaubt.
Die Wieſen ſind ſolche Oerter, wo das Gras
zum Winterfutter gemaͤht, getrocknet, und als
Heu, hernach weggefahren und verwahret wird.
Auf dieſe hat allerdings der Landmann zu ſe-
hen, daß er durch ſeinen Fleiß, ſie in tragba-
rem Stande erhalte, weil davon, daß er viel
Heu, und gutes Heu gewinnt, alles abhaͤngt.
Die Wieſen werden verdorben:
- 1) Durch Mooß; dieſes Gewaͤchs uͤberzieht
den ganzen Boden, ſo daß kein Gras durch-
wachſen kann. Dieſes muß der Landmann im
Herbſt, ſorgfaͤltig abharken oder eggen, wenn
die Wieſe trocken iſt. - 2) Durch Huͤllen, oder Erdhuͤgel, die theils
von Maulwurfshaufen entſtehen, die bewach-
ſen ſind, theils auch von Behuͤten mit dem
Vieh, bey naßen Zeiten: Denn da tritt das
KVieh
[146]
Vieh tief ein, und was zwiſchen ihren Tritte
ſtehen bleibt, das bewaͤchſt, und wird dichte.
Endlich wird die Wieſe ſo huͤgelicht und un-
gleich, daß niemand glatt maͤhen kann, ohne
ſich die Senſe zu verderben; man muß alsdenn
das Gras hoch abhauen, alſo ſehr viel ſtehen
laßen. Dieß wird verhindert, wenn man die
Maulwurfhaufen auseinander wirft, und nicht
bewachſen laͤßt, auch kein Vieh auf ſehr wei-
chen Wieſen weiden laͤßt. - 3) Durch gar zu oͤfteres Abmaͤhen in einem
Jahre; denn, Kinder! auf der Wieſe ſtehen
vielerley Kraͤuter, und Grasarten. Viele zwar
ſchlagen jaͤhrlich aus der Wurzel, oder dem
Stiele aus; viele darunter aber tragen Samen,
welcher ausfaͤllt, und eine neue Pflanze bringt.
Laͤßt man dieſen nicht reif werden, ſondern
maͤht das Kraut ab, ehe es reif wird, ſo kann
er nicht ausfallen, und keine neue Pflanze kann
daraus wachſen.
- 1) Durch Mooß; dieſes Gewaͤchs uͤberzieht
Sehr gut iſt es den Wieſen, wenn ſie zu
ſolchen Zeiten uͤberſchwemmt werden koͤnnen,
da es ihnen keinen Schaden bringt, als im Fruͤh-
linge und Herbſt, oder Winter. Trockne Wie-
ſen werden mit Aſche, oder andern Duͤnger,
wenn ihn der Acker entbehren kann, mit Nutzen
geduͤngt. Alle Arten von Vieh freßen nicht
einerley Art Heu: Pferde, Rind- und Schaf-
Vieh
[147]
Vieh lieben ihre beſondere Arten Heu, und die
Kunſt des Landmanns aͤußertſich darinn, wenn
er dieſe Arten zu kennen und zu waͤhlen weiß.
Diß ſey genung, lieben Kinder, von dieſen
Hauptſtuͤcken des Landbaus. Nun muͤßt ihr
auch wißen, wie der Ackersmann in ſeinem
Hauſe die gehoͤrigen Pflichten ausuͤbt, ohne
welche ſeine Wirthſchaft nicht beſtehen kann.
- 1) Er muß auf Ordnung halten. Jedes
Stuͤck Haus- oder Ackergeraͤthe, muß an ſei-
nem Orte ſeyn, nicht krumm und verworfen,
uͤber einander herliegen. Jedes muß verwahrt,
oder doch ſo aufgehoben ſeyn, daß es nicht vor
der Zeit abgaͤngig wird, und wieder erſetzt wer-
den muß. Das hoͤlzerne und eiſerne Geraͤthe
muß vor Faͤulniß und Naͤße; und Leder und
Leinen Zeug, auch vor Beſchaͤdigung verwahrt
werden. Ich will euch davon eine Geſchichte
erzaͤhlen.- Ein gewißer Bauer war verarmt, und kei-
ner wußte, wie das zugieng. Da war ein
verſtaͤndiger Mann im Dorfe, der ſagte: „Kin-
„der! das will ich euch wohl ſagen; den Mann
„,hat das Lohn an die Handwerker zu Grunde
„gerichtet. Er mußte Holz kaufen, das war
„theuer. Alles hoͤlzerne Ackergeraͤthe aber ließ
„er im Schnee und Regen, auf der naßen Er-
„de ſtehen und liegen, das war denn allezeit
K 2„ver-
[148]
„verſtockt, und ſchadhaft; Lederzeug und Ge-
„ſchirr lag auf dem Fußboden im Stall, das
„fraßen die Ratzen; die Straͤnge ließ er an
„den Pfluͤgen, die verfaulten in weniger Zeit.
„Alles ſein eiſern Geraͤthe hatte der Roſt gefreſ-
„ſen, denn er ſahe nicht mehr darnach, wenn
„ers aus der Hand legte. Denn mußte er
„neues ſchaffen; und ſo iſt er verarmt.‟ Die
Leute gaben dem Mann recht, und nahmen das
Ihrige, beßer als vorher, in Acht.
- Ein gewißer Bauer war verarmt, und kei-
- 2) Er muß alles mit moͤglichſter Sparſam-
keit eintheilen, daß es zureicht, und noch Ueber-
ſchuß iſt. Dieſes iſt bey dem Futter beſonders
eine hoͤchſtnoͤthige Sache, wie ihr aus folgen-
der Geſchichte merken koͤnnt.- Es war einmal ein Schaͤfer, der hatte, um
Lichtmeßen, noch viel Heu auf dem Stalle. Da
kamen Fruͤhlingstage; die Lerche ſang; die
Sonne ſchien warm; und es wuchs allerley
Gras auf dem Anger. Hui! dachte er, was
ſoll das Heu auf dem Stalle, nun will ich die
Schafe recht pflegen! Er holte ein Beil, und
hieb die Schlieten entzwey, worauf das Heu
lag, ſo, daß alles Heu in den Stall fiel, wie
ein großer Haufen. Die Schafe kamen nach
Hauſe, und fraßen, ſo viel ſie wollten; weil
aber zu viel auf einmal da war, ſo ſuchten ſie
das beſte aus, das fraßen ſie; das andere aber,
wel-
[149]
welches ſie ſonſt wohl gefreßen haͤtten, traten
ſie in den Miſt. Der Schaͤfer freute ſich,
daß die Schafe ſo zunahmen. Seine Freude
waͤhrte aber nicht lange. Im Maͤrz kamen
Nachtfroͤſte, und es fiel ein Schnee, der uͤber
eine Ele hoch lag, und wohl vierzehn Tage lie-
gen blieb. Nun konnte der Schaͤfer nicht aus
dem Dorfe kommen. Gefuttert im Stall muß-
te werden, aber das Heu war alle, oder in
den Miſt getreten. Nun wollte der Schaͤfer
verzweifeln, und mußte, mit ſchweren Koſten
Haber und Heu kaufen; ſonſt waͤren alle
Schafe geſtorben. - Seht, Kinder! ſolchen Nutzen hat die Spar-
ſamkeit; Man hat in außerordentlichen Faͤllen
eine Zuflucht, und braucht nicht Noth zu leiden;
und ſolchen Schaden bringt die Verſchwendung;
denn was man heute nicht braucht, kann man
morgen wohl gebrauchen, ja recht noͤthig haben.
- Es war einmal ein Schaͤfer, der hatte, um
- 3) Er muß fleißig ſeyn, das heißt die Ar-
beit lieben, und alle andre dazu anhalten, die
zu ſeinem Hauſe gehoͤren: Denn durch ſeinen
Fleiß erwirbt er ſich das Vermoͤgen; und die
Erfahrung lehrt, daß der Spruch wahr iſt:
„Laͤßige Haͤnde bringen Armuth, aber wer fleiſ-
„ſig iſt, kommt empor. - 4) Er muß jede Arbeit zu ihrer Zeit thun,
das iſt, er muß im Winter ſolche Arbeiten thun,
K 3wo-
[150]
wozu er im Sommer oder Herbſt keine Zeit hat,
als Ausbeßern der Zaͤune, Gebaͤude, Holzfuh-
ren, Verfertigung des Ackergeraͤthes ꝛc. Wie
ſchoͤn waͤre es, lieben Kinder, wenn ihr das
lerntet! wenn ihr euer hoͤlzern Ackergeraͤthe
euch ſelbſt machen lerntet! Wie luſtig iſt der-
gleichen Arbeit! Manches Geld und Muͤhe
wird erſpart, wenn man ſich ſelbſt helfen kann.- Vor eurer Zeit war ein Mann, der konnte
gar nichts, als hinter dem Pfluge hergehn,
und fahren; er war ſo unwißend, daß er nicht
einmal einen Pflug ſtellen konnte. Wenn nun
viele zuſammen waren, ſo lief er immer hin,
und bat einen, daß er den Pflug ſtellen mußte.
Ein jeder lachte, und ſie hießen ihn nur den
dummen Michel. Brach ihm etwas, ſo zog
er nach Hauſe; und es mogte noch ſo gering
ſeyn, ſo gieng oder fuhr er damit nach der
Stadt, und verſaͤumte die Zeit.
- Vor eurer Zeit war ein Mann, der konnte
- 5) Er muß eine fromme und arbeitſame
Perſon zu heyrathen ſuchen; und dieſes, ſo
bald er Wirth wird. Denn, Kinder, wenn
ihr ſeht, wie noͤthig eure Muͤtter im Hauſe
ſind, ſo werdet ihr leicht begreifen, daß eine
Landwirthſchaft, ohne Hausmutter nicht lange
gut geht. Auf eine gute Wirthin kommt vie-
les an. Euer Wohl und Weh haͤngt von die-
ſer Wahl ab. Bittet daher Gott um Weis-
heit
[151]
heit zu dieſer Wahl; und wenn ihr groͤßer
werdet, ſo ſehet nicht zuerſt nach Reichthum
oder Anſehen, ſondern nach gottesfuͤrchtigen
und arbeitſamen Perſonen. Denn durch eine
fleißige und ordentliche Wirthin, wird der
Mann reich. Leſet deßhalb die Spruͤchwoͤr-
ter Salomons, Jeſus Sirach, und das Buch
der Weisheit, an vielen Stellen, nach.
- 1) Er muß auf Ordnung halten. Jedes
Nun will ich auch von den Dienſtpflichten
des Landmanns gegen ſeine Obrigkeit, handeln.
Was Obrigkeit iſt, wißt ihr; was verſchiede-
ne Staͤnde ſind, und was Gehorſam gegen
die Einrichtung Gottes in der Welt, iſt, wißt
ihr auch. Es kann euch auch nicht unbekannt
ſeyn, daß eure Aeltern gewiße Dienſte und Ga-
ben an die Obrigkeit thun und abgeben. Hier-
bey aber iſt noch noͤthig, daß ihr auch lernt,
was es mit dieſen Dienſten vor eine Bewand-
niß hat, und wie es gekommen iſt, daß ihr
dienen und Pacht geben muͤßt.
Seht! Kinder, eure Voraͤltern haben die
Guͤter, die ſie jetzt beſitzen, die Stellen, die ſie
als Haͤusler, oder Tagloͤhner, bewohnen, un-
ter der Bedingung von der damaligen Obrig-
keit erhalten, daß ſie der Obrigkeit gewiße Ta-
ge lang, mit Spanndienſten oder Handdienſten
dienen, auch Paͤchte und Gaben geben ſollten.
Wollten ſie dieſe Bedingungen ſich nicht gefal-
K 4len
[152]
len laſſen, ſo wurden ſie nicht angenommen
ſondern abgewieſen. Sie verſprachen es alſo
ſchriftlich oder muͤndlich; und daher kommen
die Dienſte, Paͤchte, und andere Abgaben;
nemlich, eure Vorfahren haben angelobt, wenn
man ihnen dieſes Gut, oder dieſe Stelle, ein-
raͤumen wollte, ſo uͤbernaͤhmen ſie dafuͤr die
geforderten Dienſte, Paͤchte, und Gaben, zu
thun und zu geben. Ihr, als ihre Nachkom-
men auf dem Gute oder in der Stelle, ſeyd
auch in eben der Verbindlichkeit, das zu hal-
ten, was eure Vaͤter gelobten, ſonſt wird euch
das Gut genommen, oder ihr werdet der Stra-
fe nicht entgehen, und uͤberdem noch euer Ge-
wiſſen beflecken.
Der Dienſt muß ehrlich geſchehen; die Pacht
ehrlich gegeben werden; ihr muͤßt der Herr-
ſchaft Beſtes, bey dem Hofdienſte, wirklich ſu-
chen; ſie nicht darum betruͤgen; den Hofdienſt
nicht ſaumſeelig und ſchlecht thun; als ſchlecht
pfluͤgen, eggen, ſaͤen, maͤhen, kleine Fuder la-
den, wenig Holz zerhauen, wenig Futter und
grob ſchneiden, und wie die Dienſte alle heißen
koͤnnen, dazu ihr an den Hoftagen gebraucht
werdet. Ihr muͤßt den Tag nicht verkuͤrzen,
daß ihr ſpaͤt kommt, und zu lange Mittag
macht, und fruͤh wieder abgeht: ſondern, ſo
wie der Dienſt abgeredet iſt, muͤßt ihr dienen.
Wer
[153]
Wer dadurch zum Betruͤger wird, der ladet
ein ſchwer Gewißen auf ſich, und es geht ihm
in ſeiner eignen Haushaltung gemeiniglich nicht
gut. Die Paͤchte und Gaben muͤßt ihr ehr-
lich abgeben, nicht das Schlechteſte ausſuchen,
ſondern gerade durch, wie ihrs habt, hingeben.
Eure Guͤter, als Aecker, Wieſen und Gaͤrten,
muͤßt ihr nicht heimlich, ohne Vorwißen der
Obrigkeit, vergroͤßern, noch eure Graͤnze ver-
ruͤcken, und weiter machen, zum Schaden deſ-
ſen, der an euren Aeckern oder Wieſe, und Gaͤr-
ten graͤnzt. Gott hat in Seinem Wort einen
Fluch darauf geſetzt und will den nicht unge-
ſtraft laſſen, der ſeinen Fluch verachtet.
Ich habe von einem Ackermanne gehoͤrt, der
wohnte unter einem Edelmann, der im Kriege
diente, und in vielen Jahren nicht zu Hauſe
kam. Die alte Mutter des Herrn wirthſchaf-
tete indeß, und hatte einen Meyer, der war
des Ackermanns Bruder. Dieſe beyden wur-
den eins, die Herrſchaft zu betruͤgen. Der
Ackermann pfluͤgte alle Jahr, wo er an herr-
ſchaftlichem Acker graͤnzte, etwas Land ab, und
den Graͤnzpfahl von den Wieſen, die an ſeine
Wieſe ſtießen, ſchlug er alle Jahr einen Schritt
weiter. Als er aber einſt an der Wieſe Weiden
kroͤpfte, fiel er mit der Leiter um, und fiel auf
den Graͤnzpfahl, den er dahin verruͤckt hatte.
K 5Die
[154]
Die Rippen waren entzwey, und er litte
große Schmerzen; da ließ er den Prediger
kommen, und bekannte ihm die Sache, daß er
juſt auf den verruͤckten Graͤnzpfahl haͤtte fallen
muͤßen, der ſonſt nicht da geſtanden, wenn er
ihn nicht ſo weit verruͤckt gehabt haͤtte. Er
ſtarb, und der Meyer ward hart geſtraft, und
als ein Schelm und Betruͤger, auf die Veſtung
gefangen geſetzt.
Ihr muͤßt auch nicht mehr Freyheiten und
Rechte begehren, als wie euch zukommen: Wenn
ihr etwa ſelbſt kein Holz habt, und die Herr-
ſchaft verſtattet euch das Holzleſen und aufraf-
fen deſſen, was abfaͤllt, ſo muͤßt ihr nicht ab-
hauen; denn das kommt euch nicht zu. Ihr
muͤßt nicht weiter ſchreiten, als eure Erlaub-
niß geht; ſonſt ſeyd ihr ſtraffaͤllig. Denn wie
wollte ſonſt die Herrſchaft ſorgen koͤnnen, daß
beſtaͤndig das Holz im Stande bliebe, ſo wohl
fuͤr ſie jaͤhrliche Einkuͤnfte abzugeben, als zum
Bau und zur noͤthigen Feuerung, fuͤr ſie und
fuͤr euch auf immer zuzureichen. Wenn aber
ein jeder hauen koͤnnte, was ihm gefiele, ſo wuͤrde
ein jeder nach dem Beſten greifen, und keiner
wuͤrde ans Sparen denken: Endlich wuͤrde al-
les Holz ausgehen, und die Herrſchaft mit
ſammt den Unterthanen wuͤrden Holz kaufen
muͤßen.
Aber
[155]
Aber, Kinder, man kann auch gewiße Ar-
ten von Baͤumen verderben, daß ſie unbrauch-
bar werden, ohne, daß man ſie abhauet. Z. E.
Wenn man an den jungen Fichten, Tannen
und Kiehnen, nur die Aeſte abſchneidet oder
verhauet, ſo wird nimmer ein ſtarker Stamm
daraus; denn der Saft dringt aus dem Hiebe,
und der Baum hoͤrt auf zu wachſen. Auch
bey der Holzwirthſchaft iſt die Sparſamkeit
vortreflich. Das hoͤlzerne Geraͤthe in Acht ge-
nommen; nach den Gebaͤuden zu rechter Zeit
geſehen; die Gehege verwahrt; die Hoͤfe mit
ſteinernen Mauern zugemacht; weniger Backoͤfen
gehalten; die noͤthigen Backofens mit Spar-
famkeit geheitzt, die Stubenofens nicht zur Un-
gebuͤhr heiß gemacht — So kann viel Holz ge-
ſpart werden. Es iſt aber nicht genung, we-
nig Holz zu verbrauchen, ſondern man muß
auch wieder viel anlegen, weil es ſonſt doch
alle wird. An die Gehege, Grabens, wuͤſte
Oerter, ſind immer Gelegenheiten genung, Holz
zu pflanzen, oder Holzſamen zu ſaͤen. Es iſt
loͤblich, lieben Kinder, auf ſolche Weiſe wohl-
thaͤtig zu ſeyn; denn wer einen Baum pflanzt,
der thut, auch noch nach ſeinem Tode, der
Welt gutes. Von ſeiner Frucht, oder in
ſeinem Schatten, wird einmal einer gelabt,
oder erfriſcht, und ſeegnet dafuͤr den, der den
Baum
[156]
Baum pflanzte. Sehr nuͤtzlich ſind daher die-
jenigen Leute, die Gefallen an der Gaͤrtnerey
haben, und Obſtbaͤume pflanzen, auch durch
Pfropfen und Oculiren, die wilden Staͤmme
verbeßern. Seht! Kinder, faſt ein jeder, der
auf dem Lande wohnt, hat einen Garten, und
koͤnnte nuͤtzliche Baͤume darinn haben, wenn er
wuͤßte damit umzugehen. Ein Baum traͤgt
oft viel ein, und braucht nur einen kleinen
Platz.
Ein Bauer hatte einſt vielen Schaden an
Vieh gelitten, und brauchte dreyßig Thaler,
um ſich wieder in Stand zu ſetzen. In ſeinem
Garten ſtanden zwey große Apfelbaͤume, von
der Art, die man Borsdoͤrfer nennt, die hatte
noch ſein Vater gepflanzt. Seit einigen Jah-
ren hatte der Bauer viel Fleiß an den Baͤu-
men gewendet, weil einmal der Prediger von
dem Nutzen der Obſtbaͤume mit ihm geredet
hatte. Er hatte das ſchlechte Holz ausgehauen,
die Raupenneſter vertilget, und die Baͤume
geduͤnget. Das Jahr, wie es dem Bauer ſo
ſchlecht gieng, fiengen die Baͤume wieder an,
zu tragen, und brachten uͤber zwoͤlf Scheffel
große ſchoͤne Aepfel. Sie waren nicht uͤberall
gerathen, und der Mann konnte ſie, zu zwey
Thaler, zwoͤlf Groſchen den Scheffel, los wer-
den. Da hatte er die dreyßig Thaler, die er
brauch-
[157]
brauchte; und ſo halfen ihm ein Paar Baͤu-
me aus der Noth.
Pfropfen heißt, in den abgeſaͤgten und ge-
ſpaltenen wilden Stamm, ein keilſoͤrmig ge-
ſchnittenes gruͤnes Reis, von einer guten Obſt-
art, ſtecken, es mit Baumwachs verſchmieren,
und zubinden, daß es darinn anwaͤchſt.
Oculiren, aber heißt, ein oder mehr Augen
von guter Art, in die Rinde des Stammes,
die vorher geoͤfnet wird, einſchieben, und ver-
binden, daß ſie einwachſen.
Die Handgriffe koͤnnt ihr bald lernen, wenn
ihr Achtung gebet, und vorher hier an abge-
ſchnittnen Weidenſtoͤcken, probieren wollt, bis
ihr es recht gut verſteht.
Nun will ich mit euch, geliebten Kinder, die
ihr die Schule verlaßt, den Beſchluß machen,
und euch danken, daß ihr mir mein Amt, durch
eure Aufmerkſamkeit und Willigkeit, erleichtert
habt. Die Wahrheiten, die ihr in der Schule
gelernt habt, werden euch durch euer ganzes
Leben begleiten, und entweder vor vielen Fehl-
tritten bewahren, oder doch, wenn ihr ja fehlt,
euch wieder zurechte weiſen und aufhelfen.
Dieß Buch, nach welchem ich euch gelehrt
habe, ſoll nun ein jeder abſchreiben, und als
eine [Erinnerung] an den Schulunterricht, und
um an den Zuſammenhang der Wahrheiten, in
der
[158]
der Folge denkeu zu koͤnnen, behalten und ver-
wahren. Wenn ihr zuweilen in erwachſenen
Jahren, in dieſem Buche nachſchlagen werdet,
ſo kann es nicht fehlen, es wird eure Einſicht
vermehren, und berichtigen helfen.
Das Uebrige muß nun an euern Seelen
durch Predigten, Leſung der heiligen Schrift,
eignes Nachdenken, und Gebet zu Gott um
Weisheit und Kraft, Seinem Worte gehorſam
zu ſeyn, gewirkt werden,
Dem Gott der Weisheit, des Raths, und
der Staͤrke von dem alle rechte Erkenntniß
kommt, empfehle ich euch herzlich!
[[159]][[160]][[161]][[162]][[163]][[164]]
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Versuch eines Schulbuches für Kinder der Landleute, oder zum Gebrauch in Dorffschulen. Versuch eines Schulbuches für Kinder der Landleute, oder zum Gebrauch in Dorffschulen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpv6.0