[]

Leben und Schickſale,
von ihm ſelbſt beſchrieben.

Vierten Theils erſte Abtheilung,
welche
die Fortſetzung

von
deſſen Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen
waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich
enthaͤlt.

Leipzig: ,
in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.
1797.

[][]

Begebenheiten,
Erfahrungen und Bemerkungen

waͤhrend
des Feldzugs gegen Frankreich
.

Zweiten Theils erſte Abtheilung.

Leipzig: ,
in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.
1797.
[[1]]

Erſtes Kapitel.


Landau.


Es war ohngefaͤhr fuͤnf Uhr Morgens, als ich
zum Diviſions-General, Laubadere, ge-
fuͤhrt wurde. Der General war ſchon auf, und
voͤllig in Uniform. Ich traf ihn in Geſellſchaft ei-
niger Offiziere, mit welchen er eben fruͤhſtuͤckte.
Er freute ſich, als er vernahm, daß ich ſeiner
Sprache maͤchtig war.


Die Franzoſen verſtehen groͤßtentheils nichts
als franzoͤſiſch; als ich daher einige ſeiner Fragen
franzoͤſiſch befriedigt hatte, faßte er mich bey der
Hand, hieß mich niederſetzen und an dem Fruͤh-
ſtuͤcke Theil nehmen. „Scheue dich nicht,“ ſagte
er, „du biſt bey freyen Leuten, bey Leuten, wel-
che wiſſen, daß Andre auch Menſchen ſind, wie
ſie, und welche niemanden verachten, als den
freywilligen Sklaven. Der freywillige Sklave
Vierter Theil. A
[2] allein verdient Verachtung, und — fuhr er mit
Hitze fort, — wenn dieſer freywillige Sklav des-
wegen Sklave wird oder bleibt, damit er Andre
noch mehr, als er ſelbſt es iſt, zu Sklaven machen
helfe, dann verdient er Abſcheu und Ausrottung,
wie ſeine Tyrannen.“


Ich bezeigte dem General — wie meine Lage
es erfoderte — meine Einſtimmung und verſicher-
te ihn — welches mir die Goͤttin Eleutheria
vergeben mag, und welches ich nicht ohne Schaam
geſtehen kann! — daß eben dieſe Grundſaͤtze mich
vermogt haͤtten, die Preußen zu verlaſſen, und
Schutz und Beyſtand bey der Nation der freyen
Franken zu ſuchen. „Bravo!“ ſagte Lauba-
dere, und reichte mir ein Glas Wein, „Du biſt
ein guter Kerl (bon garçon)! Betrage dich, wie
es einen freyen Mann gebuͤhrt, und Du erlangſt
das franzoͤſiſche Buͤrgerrecht — den beſten Lohn,
den die Republi[k][dir] geben kann!“


Das Fruͤhſtuͤck war ſehr frugal: Brod, Knob-
lauch und Wein war alles. „Nicht wahr,“ ſagte
der General, „du wunderſt dich, daß ich ſo ſchlecht
fruͤhſtuͤcke! Eure Generale eſſen wohl beſſer, das
weiß ich: die ſind nicht mit einem Stuͤck Brod zu-
frieden. — Der Obriſt von der Reuterey, wel-
cher ehemals in Preußen ſelbſt und ſonſtwo gewe-
ſen war, verſicherte, daß die Generale der Preu-
[3] ßen und Oeſtreicher gar viel in Banketen auf-
gehen ließen, daß ſie darin ſogar etwas ſuch-
ten, und er begleitete dieſe Bemerkungen mit eini-
gen ſpitzigen Einfaͤllen. Ich wollte und mußte
doch auch was ſagen, und fuͤhrte das Beyſpiel
Friedrichs, des Zweyten, an, der allemal maͤßig
gelebt, und wenig auf die Vergnuͤgungen der Ta-
fel gewendet haͤtte. Ja, ja, Friedrich, der
Zweyte
, erwiederte Laubadere: ich weis
es recht gut: allein wo habt Ihr nur noch Einen?
Es iſt ganz und gar keine Gleichheit unter Euch,
fuhr er fort: eure Obern leben wie die Prinzen,
und pflegen ſi[ch] nach Herzensluſt, aber die armen
Soldaten muͤſſen hungern bis zum Schwarzwer-
den. — Ich mogte dieſer Aeußerung nicht wei-
ter widerſprechen, zuckte die Achſeln, und —
ſchwieg.


Laubadere und ſein General-Adjutant Do-
xon (ſprich Doſſon) befragten mich ſofort uͤber
die Beſchaffenheit der Belagerung der Stadt Lan-
dau. Du biſt, ſagte Doxon, eben kein Dumm-
kopf, das ſieht und hoͤrt man Di[r] an: alſo kannſt
und mußt Du uns Auskunft geben, wie's draußen
ausſieht — was unſre Feinde im Schilde fuͤhren
und was wir von ihnen zu erwarten haben. —
Ich mag nicht wiederholen, was ich damals ge-
ſagt habe, aber ich kann heilig verſichern, daß ich
[4] kein Wort vorbrachte, welches fuͤr die Belagerer
Nachtheil haͤtte haben koͤnnen.


Doxon fuͤhrte mich nachher auf den Kirch-
thurm, wo ich durch ein Fernrohr ſehen mußte,
um ihm die Stellung der feindlichen Lager und
Batterien zu erklaͤren. Er war mit dem, was ich
ihm angab, zufrieden, und nahm mich mit in den
Gaſthof zum Lamm, wo wir noch eine Bouteille
Wein ausleerten. Darauf ging es zum Repraͤ-
ſentanten Dentzel, bey welchem alle Gefang-
nen und Deſerteurs eingefuͤhrt werden mußten.


Dieſer ſeltſame Mann war ehemals mein Be-
kannter geweſen, und wenn ich nicht irre, ſo ſind
wir gar noch verwandt. Ich habe freilich die Ge-
nealogie meiner Familie nie ſtudiert, und habe
meine Tante nicht bey der Hand, welche ſonſt als
ein lebendiges Repertorium von allen Vetter- und
Baſenſchaften Auskunft zu geben weis; aber ſo,
daß mein verſtorbener Vater oft mit ihr deswegen
zankte, und ihre Eitelkeit mit der Bemerkung de-
muͤthigte: daß es einem ehrlichen Kerl gleichviel
gelten koͤnnte und muͤßte, ob er mit dem großen
Mogul, oder mit dem Scheerenſchleifer Benot-
ſacht verwandt ſey. Ich erinnere mich aber doch
noch dunkel, daß meine Tante von dem Hn. Vet-
ter Dentzel geſprochen hat.


[5]

Genug, Dentzel hatte die Schule zu Duͤrk-
heim beſucht, und hernach in Halle die Theologie
ſtudiert, ſonſt auch da recht luſtig gelebt, und
war einer von jenen Studenten, welche der Pro-
rektor Pauli, dieſer ſchreibſelige Hiſtoriker, ein-
mal aus der Kneipe zum Poſthorn, wo es damals
Buhldirnen gab, hatte holen und aufs Karzer ſez-
zen laſſen. Dentzel erinnerte ſich nachher dieſer
Schnurre noch mit Lachen. In ſeinem Kandida-
tenſtande ſuchte er Eingang bey Mamſell Sabin-
chen Michaelis, dem ſchoͤnſten Maͤdchen in der
ganzen Pfalz. Allein Mamſell Sabinchen trug
damals die Naſe hoͤher, als daß ihr Dentzel
haͤtte behagen koͤnnen: ſie gab der Liebeley eines
Prinzen Gehoͤr, und ward dadurch endlich eben ſo
ungluͤcklich, als ſie vorher ſchon war. —


Wenn irgend einer unſerer Herren Roman-
ſchreiber Luſt hat, ein Magazin von Erfahrungen
und Begebenheiten fuͤr ungluͤckliche Frauenzimmer
anzulegen, ſo erbiete ich mich, ihm das Leben der
Mamſell Sabinchen Michaelis dazu zu liefern,
welches gewiß keine unrechte Stelle darin behaup-
ten wuͤrde.


Dentzel, der bey Sabinchen nicht ankommen
konnte, ließ ſeiner ſatyriſchen Laune freyen Lauf,
und beleidigte durch allerley Sarkasmen auf das
Maͤdchen, den Hofrath, ihren Vater, und den
[6] Herrn Prinzen von Leiningen ſelbſt. Dieß
brachte ihn um alle Hoffnung, im Leiningiſchen je
verſorgt zu werden, und dieß um ſo mehr, da die
dortigen Verſorgungen ohnehin immer ſehr anoma-
liſch vor ſich gingen. Er vettermichelte ſich alſo
in Landau bey verſchiednen franzoͤſiſchen Offizie-
ren an, und erhielt die Feldpredigers-Stelle bey
dem Regiment Deuxponts. D[a][er] ein heller
Kopf und luſtiger Bruder war, ſo fiel es ihm
leicht, dem trefflichen, aͤußerſt humanen und libe-
ralen Prinzen Maximilian von Pfalzzwey-
bruͤck, welcher damals in Landau als Obriſt ſtand,
zu gefallen. Dieſer Prinz war bey den Landauer
Buͤrgern ſehr beliebt, und ſie beſtrebten ſich, ihm
uͤberall zu willfahren. Als er daher den Dentzel
zur Oberpfarrſtelle in Landau ihnen empfahl, er-
hielt er ſie ohne Anſtand. Er heurathete nachher
die Tochter eines reichen Kaufmanns, und lebte,
einige Zaͤnkereyen mit ſeinem erzorthodoxen, into-
leranten Kollegen abgerechnet, ganz ruhig und ver-
gnuͤgt bis auf den Ausbruch der Revolution.


Kaum hatte dieſe den Anfang genommen, ſo
trat Dentzel ſogleich auf ihre Seite, und verfocht
die Rechte des Volks ſo ſtark und eifrig, daß man
ihn als die hoͤchſte und ſtaͤrkſte Stuͤtze des Patrio-
tismus verehrte. Beym Ausbruche der Revolu-
tion hatte LudwigXVI. in alle Departements
[7] einige von ſeinen Kreaturen abgeſchickt, welche
man Koͤnigs-Kommiſſarien (commiſſaires
royaux
) nannte, und die ſtarken Antheil an allen
Verhandlungen zum Vortheile des Souveraͤns zu
nehmen und zu bewirken wußten. Dentzel warf
einſt einen dieſer Kommiſſaͤre, der zu ſehr monar-
chiſch jeſuitiſirte, vom Gemeinhauſe, und brachte
es dahin, daß er die Stadt raͤumen mußte. Dar-
uͤber entſtanden Klagen gegen ihn, er aber zog ſich
mit Ehren aus der Sache, beſonders da ſich der
damals ſchon ſehr angeſehene Ruͤhl ſeiner an-
nahm. Dentzel wurde daher in Landau ange-
betet von allen Patrioten, und was er angab, wur-
de gebilligt und ausgefuͤhrt. Um ſich aber durch
die Verwaltung ſeines geiſtlichen Amtes nicht zu
ſchaden, gab er ſeine Pfarr-Stelle auf, und hieß
nun ſchlichtweg — Herr Dentzel.


Der erſte Abgeordnete, den die Landauer nach
Paris geſchickt hatten, hatte da nicht ſo gehandelt,
wie man es gewollt hatte: er wurde alſo abgerufen,
und Dentzel ſtatt Seiner auf die damalige Na-
tionalverſammlung abgeſandt. Hier hatte er nun
Gelegenheit, ſeinen Patriotismus zu zeigen, und
that dieſes auch mit einer ſolchen Freymuͤthigkeit
und Uneigennuͤtzigkeit, daß man ihn ſchon im Jahr
1792 zu Miſſionen gebrauchte. So war er auch
damals, als man uͤber das Schickſal des ungluͤck-
[8] lichen Ludwigs Capet in der Verſammlung
ſtimmte, abweſend. Ich fragte ihn einmal, was
er von der Hinrichtung dieſes Fuͤrſten hielte? Jezt,
antwortete er, muß ich ſie freilich billigen, indem
ſie geſchehen iſt: waͤre ich aber am Tage der Ver-
dammung des armen Teufels in Paris geweſen, er
haͤtte eine Stimme fuͤr ſich mehr gehabt: denn nim-
mermehr haͤtte ich auf ſeinen Tod geſtimmt.


Robespierre und Marat ſchaͤzten Den-
tzel, und ſo war es ihm moͤglich, bey der Gruͤn-
dung der Republik ſeinen Einfluß mannhaft zu
behaupten. Er erhielt daher auch 1793, im Jul,
die Miſſion zur Rheinarmee.


Als ich zu ihm hereintrat, ſah er mich eine Zeit-
lang ſtarr an.


Wie heißt Du? fragte er endlich.


Ich: Ich heiße Laukhard.


Dentzel: Von Wendelsheim?


Ich: Allerdings.


Dentzel (mir die Hand reichend) Willkom-
men, Bruder, im Lande der Freyheit! Nun, das
war doch ein geſcheider Streich von dir, daß du
deine Tyrannen verlaſſen haſt! Komm, ſetze dich,
und erzaͤhle mir was neues!


Ich ſezte mich, und Mamſell Lutz, die man
bald naͤher kennen lernen wird, mußte mir ein Glas
Li[koͤr] herbey holen. Unſer Geſpraͤch betraf die
[9] Preußen, die Univerſitaͤt Halle, Jena und Gießen,
den Eulerkapper, den D. Bahrdt, deſſen eifri-
ger Anhaͤnger er geweſen war, die Revolution in
Frankreich, die Belagerung, den Magiſter Weit-
maul und hundert andre ernſthafte Dinge und Poſ-
ſen. Der General Laubadere war unterdeſſen
hinzu gekommen. Gleich beim Eintritt rief ihm
Dentzel entgegen: „Hier, General, iſt mein Lands-
mann Laukhard, ein luſtiger Bruder (un ſacré gail-
lard
), der mir ſehr willkommen iſt. Wir wollen ei-
nen tuͤchtigen citoyen François aus ihm machen. —
Dentzel hatte den erſten Band meiner Lebensge-
ſchichte geleſen, und ſpaßte da beſonders uͤber die
Hiſtorie mit Thereschen, welche ihm ſchon von al-
ten Zeiten her bekannt geweſen war. Er geſtand
mir, daß er auch einmal ein biſſel in Thereſe
geſchoſſen oder nach Pfaͤlzer Ausdruck, verſcham-
merirt geweſen waͤre u. ſ. w.


Die gute Aufnahme des Repraͤſentanten ſezte
mich in muntere Laune, und der Wein, den ich ge-
trunken hatte, machte, daß ich ins Gelag hinein
plauderte; und die Geſellſchaft, welche aus Den-
tzel, dem General Laubadere, dem General
Delmas (man ſpricht das s am Ende aus: ei-
nige ſchreiben unrecht Delmace) und der huͤbſchen
Buͤrgerin Lutz beſtand, war mit mir zufrie-
den.


[10]

Ich blieb zum Eſſen bey Dentzel, und hatte
das Vergnuͤgen, den General Delmas, einen
feurigen jungen Mann naͤher kennen zu lernen.
Dieſer hat eine ſehr huͤbſche Frau, die Tochter des
Loͤwenwirths aus Brundrut, der Reſidenz des
ehemaligen Fuͤrſtbiſchofs zu Baſel. Die Citoyenne
Lutz iſt oder war die Tochter eines Fleiſchers, der
in dem Feldzuge von 1792 und 1793 ſich viel Geld
durch Lieferungen erworben hatte, damals aber
ſchon todt war. Sie lag immer bey Dentzel,
und vertrieb ihm, in Abweſenheit ſeiner Frau,
welche er in Paris gelaſſen hatte, die Zeit, war
aber doch auch gegen Andre nicht ſehr hart oder ſproͤ-
de, beſonders nicht gegen den Sekretaͤr des Repraͤ-
ſentanten.


Dentzel ſcherzte ſehr dreiſte mit ihr, und ließ
immer, nach Pfaͤlzer Art, Einiges aus der Zotologie
mit einfließen. Wir ſprachen, wie ſichs denken
laͤßt, franzoͤſiſch, denn weder Laubadere noch
Delmas verſtanden deutſch. Da ich nun oft die
Woͤrter: Monſieur und Mademoiſelle hoͤren ließ,
ſo be[str]afte man mich deswegen in Freundſchaft,
und ſagte mir: ich muͤßte bloß mit Citoyen, oder
Citoyenne, anreden, und alles um mich her dutzen,
wie ich denn auch von jedem, ſelbſt von der Lutzen
geduzt wurde.


[11]

Niemals habe ich meine Wuͤrde, als freyge-
bohrner Menſch, lebhafter gefuͤhlt, als damals,
da ich — dem Namen nach — verloffener preußi-
ſcher Soldat zwiſchen einem Repraͤſentanten der
maͤchtigen franzoͤſiſchen Nation, und zwiſchen zwey
Diviſions-Generalen ſaß, und dieſen ſo ganz in
allen Stuͤcken gleich gehalten wurde. Die Gedan-
ken und Geſinnungen, welche damals bey mir rege
wurden, laſſen ſich errathen: wenigſtens gaben ſie
mir einen neuen Beweis zu meinem alten Prinzip,
daß die Neufranken ſo lange unuͤberwindlich ſeyn
werden, als ſie ſelbſt es nur wollen. Ihr Gleich-
heitsſyſtem iſt ein Kitt, den nichts uͤbertrifft! —


Freund Dentzel trug mir auf, ihn fleißig zu
beſuchen: aber das Ungluͤck wollte bald, daß ich
von dieſer mir damals gewiß ſehr ſchaͤtzbaren Er-
laubniß keinen oͤftern Gebrauch machen konnte.
Als ich wegging, druͤckte er mir die Hand, und
verſprach mir, auf alle Art und Weiſe fuͤr mich zu
ſorgen. Ich wußte damals noch nicht, daß mich
dieſe Verheißung dereinſt der Guillotine nahe brin-
gen koͤnnte!


[12]

Zweytes Kapitel.


Meine Lage in Landau.


Ich wurde auf die Liſte der auslaͤndiſchen Deſer-
teurs geſezt, und bekam mein Quartier auf dem
ehemaligen Kaufhauſe (Douane), wo ich noch einige
zwa[n]zig Preußiſche, Oeſtreichiſche und Kondeiſche
Ueberlaͤufer antraf. Die Verpflegung, welche
wir erhielten, war gut: denn man gab uns, wie
den Volontaͤrs, gutes Brod, friſches Fleiſch,
Speck, geſalzene Butter, Kaͤſe, Linſen, Erbſen
und noch obendrein taͤglich zehn Sous Papiergeld.
Ein Sergeant Schmid, und ein Korporal hat-
ten die Aufſicht, welche aber von keiner Bedeutung
war, da beynahe ein jeder that, was er wollte.


Ich muß dieſe hottentottiſche Geſellſchaft et-
was naͤher beſchreiben! In einem allmaͤchtig-gro-
ßen Gemache, wo wenigſtens 100 Mann haͤtten
logiren koͤnnen, und wo Britſchen (lits de camp)
in vier Reihen angebracht waren, befanden ſich
ohngefaͤhr damals vier Kriegsgefangne und etwan
achtundzwanzig Deſerteurs. Einer davon war mit
einer Frau da, welche auch andern zu Dienſte
ſtand. Der Kerl hieß Bachmayer, und war von
den Anſpachiſchen Dragonern. Wer ihm nur zu
[13] ſaufen gab, dem erlaubte er allen Umgang mit ſei-
nem Weibe. Die andern waren theils Franzoſen
von der Kondeiſchen Armee oder von Rohan; dann
Polaken, Deutſche, Italiaͤner, meiſt Lumpenvolk,
und Diebe. Nichts war vor dieſem Geſindel ſicher:
ſie ſtahlen einander ſelbſt alles, und veruͤbten alle
nur moͤglichen Exceſſe. Viele waren mit ihren Pfer-
den und Gewehren nach Landau gekommen, und
hatten ſie dort verkauft. Da ſie nun auf dieſe Art
viel Geld hatten, ſo ſoffen ſie in einem weg, und
machten den fuͤrchterlichſten Spektakel, rauften
und ſchlugen ſich, wie unſinniges Vieh.


Wie mir bey dieſen Beſtien zu Muthe war, kann
man leicht denken! Einige darunter waren mir be-
ſonders fatal. Zu dieſen gehoͤrt ein gewiſſer Schie-
le, aus dem Anhaͤltiſchen, vorher Reuter unter
dem Regiment des Herzogs von Weimar. Er
war einige Tage vor mir nach Landau entwiſcht,
und hatte dem General den Poſten, den er verlaſ-
ſen hatte, verrathen, und ihn zum Ueberfall deſſel-
ben vermogt, auch ſelbſt den Fuͤhrer dabey abge-
geben. Der kommandirende Unteroffizier des Po-
ſtens war ein ſchlechter Kerl, der die noͤthige Wach-
ſamkeit verſaͤumt hatte: der Poſten wurde alſo
uͤberrumpelt, und bis auf zwey Mann, welche die
Franzoſen gefangen nahmen, niedergehauen.


[14]

Schiele erhielt nun ein anſehnliches Geſchenk
in Papiergeld, eine Kapotte u. dgl. und betrug ſich,
wie wenn er eine Heldenthat ausgefuͤhrt haͤtte, auf
die impertinenteſte Art gegen jederman. Sein
Geld hat er indeß nach und nach in Landau ver-
hurt und verſoffen, auch die Luſtſeuche, wie meh-
rere dieſes Geſindels, hernach mit in Frankreich
hineingeſchleppt. Er iſt im Herbſt 1794 nach der
Schweiz gegangen, nachdem er durch einen fal-
ſchen Taufſchein einen Paß, als ein Polake, er-
halten hatte. Ich wuͤnſche, daß er moͤge erkannt
werden, um fuͤr ſeine abſcheuliche Verraͤtherey noch
jezt zu buͤßen. Wer mit ſo einem Schuft Mitleid
hat, der iſt ſelbſt eben auch ein Schuft.


Ein andrer dieſer Buben hieß Schwabe, ein
Siebenbuͤrger, der von den Oeſtreichiſchen Huſaren,
Leopold Toſcana, weggelaufen war. Er hatte ſich
in Landau in einem Hauſe bekannt gemacht, und
daſelbſt einen betraͤchtlichen Diebſtahl begangen.
Der General ließ ihn deswegen einſtecken, und er
mußte bis zum Abmarſch ins Innere von Frankreich
gefangen ſitzen. Eben ſo wurden Magerer und
drey andere, welche naͤchtliche Diebſtaͤhle begangen
hatten, bis zum Entſatz von Landau eingeſperrt.


Die Frau des ſchon genannten Bachmayers
hatte in der Stadt ein Hurenmenſch aufgetrieben,
welche von da an bey ihr zu ſchlafen pflegte, und
[15] fuͤr 20 Sous Papiergeld zu haben war. Dieſer Ni-
ckel trieb ihr ſchaͤndliches Gewerbe auf die allerun-
verſchaͤmteſte Art, ſogar am hellen Tage. Zuwei-
len brachten die Deſerteurs obendrein noch andre
Menſcher mit, und ſo war denn unſer Kaufhaus
nicht ſelten einem Bordel aͤhnlich. Die ſchaͤnd-
lichſten Zoten wurden ohne Aufhoͤren geriſſen, und
die abſcheulichſten Lieder geſungen, ſo daß das
Zimmer, worauf wir waren, wirklich einer Raͤu-
berhoͤle gleich ſah. Der Sergeant Schmid,
welcher faſt immer beſoffen war, und der Korpo-
ral lachten zu jeder Unordnung, und halfen wohl
noch gar mit, Lumpenſtreiche ausfuͤhren.


Dieſe ſchoͤne Geſellſchaft nahm gar noch taͤglich
zu: denn taͤglich oder vielmehr naͤchtlich kamen im-
mer einige Deſerteurs an, ſo daß der Haufe dieſes
Geſindels, bey unſerm Abmarſche von Landau,
uͤber 60 Mann ſtark war: und ſo wie ſich die An-
zahl der Deſerteurs vermehrte, vermehrte ſich auch
die Unordnung. Der General ſelbſt konnte ſie nicht
mehr leiden und ſagte im allgemeinen: es ſey eine
foutue canaille um die Ausreißer.


Um aber doch dieſe Leute zu beſchaͤftigen, und
durch Beſchaͤftigung von ſchlechten Streichen ab-
zuhalten, hatte der General befohlen, daß die
deutſchen Deſerteurs, wenn ſie wollten, in den
Handmuͤhlen mit arbeiten koͤnnten. Es waren naͤm-
[16] lich acht Handmuͤhlen angelegt, welche taͤglich 16
Mann, 8 am Tage und 8 des Nachts, im Gan-
zen alſo 128 Mann beſchaͤftigten. Jeder dieſer Ar-
beiter oder Handmuͤller bekam fuͤr 12 Stunden,
wovon er aber nur 6 Stunden mahlte, 50 Sous in
Papier. Auf dieſe Art mußte der Proviant-Kom-
miſſaͤr blos fuͤr die Arbeiter an den Handmuͤhlen
taͤglich 320 Livres oder 80 Rthr. in Papier aus-
zahlen.


Es iſt aber falſch, wenn man ausgeſprengt,
und ſogar in oͤffentlichen Schriften nacherzaͤhlt hat:
daß man die Deſerteurs zu Landau gezwungen haͤt-
te, in den Handmuͤhlen zu arbeiten. Gezwungen
wurde keiner; aber wer kam, dem mußte Arbeit gege-
ben werden: denn das hatte der General ausdruͤck-
lich anbefohlen, um den Deſerteurs Beſchaͤftigung
und zugleich Gelegenheit zu verſchaffen, ſich etwas
nebenher zu verdienen: wer aber nicht kam, wurde
auch nicht einmal ermahnt, zu kommen: denn es
fanden ſich immer Franzoſen genug, welche aus
purem Patriotismus gern arbeiteten und drehten.
Es war uͤberdieß auch leichte Arbeit, wobey man
Taback rauchen und plaudern konnte. Ich ſelbſt
habe einigemal auch gedreht.


Bey der Baͤckerey waren ebenfalls einige De-
ſerteurs angeſtellt: als dieſe aber anfingen, das
[17] Brod zu ſtehlen und zu verkaufen, ſo wurden ſie
alle davon entfernt.


Außer den 50 Sous erhielt noch jeder Arbeiter
bey den Handmuͤhlen, und in der Baͤckerey taͤglich
eine halbe Bouteille weißen Wein.


Da ich von der Lage der Deſerteurs in Frank-
reich, ſo wie von der Behandlung der Kriegsge-
fangnen, noch mehr zu ſagen habe, ſo verſpare ich
dieſes bis auf eine ſchicklichere Gelegenheit. Ge-
nug, man ſieht hieran ſchon, daß kein rechtlicher
Franzoſe die Deſerteurs achten konnte, noch weni-
ger ſie beguͤnſtigen.


Es gefiel mir in der Geſellſchaft dieſer Leute
durchaus nicht; ich ſuchte daher anderen Aufent-
halt. Da ich noch mit Gelde verſehen war, ſo
ging ich oͤfters in den Gaſthof zum Lamme, wo
ich immer franzoͤſiſche Offiziere antraf, welche
froh waren, einen Preußen aufzufinden, der ihre
Sprache inne hatte. Unter andern ward mir ein
Hauptmann aus Nantes, welcher etwas ſtudiert
haben mogte, und ein wenig Latein verſtand, ſehr
gewogen, und bewies mir, bis zu meinem Ab-
marſch aus der Feſtung, viele Freundſchaft.


In der Geſellſchaft dieſer Leute, und dann auch
im Umgange mit den franzoͤſiſchen Soldaten und
Buͤrgern fing ich an, meine althiſtoriſchen und all-
Vierter Theil. B
[18] gemeinen Ideen uͤber die fraͤnkiſchen Angelegenhei-
ten nach Erfahrung und im Beſondern zu rektifizi-
ren und Manches beſſer einzuſehen, als ich es vor-
her einzuſehen im Stande war. Ich hatte zwar
ſchon bey den Preußen Vieles kennen und verglei-
chen lernen, hatte manchen Irthum, der unſern
Leuten anhing, und vielen noch anhaͤngt, abge-
legt, und Manches richtig abſtrahirt; allein ich
hatte doch noch nichts ſo ſelbſt an Ort und Stelle
mitangeſehen, und war noch nicht bey Republi-
kanern geweſen. Ich hielt es daher nun fuͤr meine
Schuldigkeit, die Sache, ſo viel ich davon einſe-
hen konnte, genau zu betrachten, und ſo tief in
ſie einzudringen, als es meine Kraͤfte geſtatteten.
Das habe ich denn, ſo lange ich mich bey den Fran-
zoſen, vom 26ten September 1793 bis den 4ten
Februar 1795, aufgehalten habe, treulich gethan,
und kein Tag iſt mir vergangen, wo ich nicht ei-
niges Bemerkungswuͤrdige geſehen, gehoͤrt oder
erfahren haͤtte. Wenn nun meine Leſer bedenken,
daß gerade in dieſe Zeit, die ich in Frankreich zu-
brachte, die wichtigſten Begebenheiten dieſer Repu-
blik, ſowohl im Innern als im Aeußern fallen,
ſo werden ſie gewiß keine Langeweile bey meiner
Erzaͤhlung empfinden, welche ich auch ſo voll-
ſtaͤndig und ſo gruͤndlich liefern werde, als es mei-
ne freilich ſehr beſchraͤnkte Bemerkungsfaͤhigkeit
[19] zulaſſen wird. Der Erfolg muß mein Wort ent-
ſcheiden. —


Die Offiziere klagten einhellig uͤber die gar zu
geringe Garniſon der Stadt, und behaupteten,
daß Cuͤſtine's Verraͤtherey oder Sorgloſigkeit
daran Schuld waͤre. Landau's Beſatzung war
damals nicht ſtaͤrker, als acht Bataillons Infan-
terie, alſo hoͤchſtens 8000 Mann, wenn die Ba-
taillons vollzaͤhlig geweſen waͤren. Aber das wa-
ren ſie nicht. Die meiſten Bataillons hielten kaum
500 Mann, und noch darunter. Zudem lagen
ſehr viel Leute in den Hospitaͤlern. Die Kavalle-
rie war fuͤr einen ſo wichtigen Platz auch gar nicht
hinlaͤnglich; daher denn auch keine Ausfaͤlle ge-
ſchehen konnten, wie vorher bey Maynz geſchehen
waren. Landau hat zur gewoͤhnlichen Beſatzung
in Kriegszeiten immer eine Mannſchaft von 12
bis 14000 Mann Infanterie, und 1000 Mann
Kavallerie noͤthig: denn es iſt eine Graͤnzfeſtung,
welche in Kriegszeiten immer in Belagerungsfaͤ-
higen Zuſtand geſezt und erhalten werden muß.
Dieß war damals um ſo mehr der Fall, da die Oeſt-
reicher und Preußen, nach der Eroberung von
Maynz, den Krieg gerade in dieſe Gegenden ſpie-
len wollten.


Mit Munition war Landau reichlich verſehen:
es hatte gutes neues Geſchuͤtz in Menge, und Pul-
[20] ver in fuͤnf Magazinen, womit man eine jahrlange
Belagerung haͤtte uͤberſtehen koͤnnen. Die Kano-
niers der Stadt, d. i. diejenigen Buͤrger, welche
ſeit 1790 auf Verordnung des Koͤnigs, oder viel-
mehr nach der Angabe des beruͤchtigten und beruͤhm-
ten Lafayette, im Artillerieweſen geuͤbt waren,
verrichteten die Dienſte auf den Schanzen, Re-
duten u. ſ. w. Eben darum waren auch nur we-
nige Kanoniere von der Feldarmee in der Feſtung.
Ich kann dieſen buͤrgerlichen Artilleriſten das Zeug-
niß geben, daß ſie ihr Handwerk recht tuͤchtig ver-
ſtanden.


Die ganze Buͤrgerſchaft war auch zu Kriegs-
dienſten organiſirt, und in Kompagnien abgetheilt.
Jeder ſtreitbare Buͤrger war bewaffnet, und muß-
te, da die Beſatzung ſelbſt nicht ſtark genug war,
die Poſten alle zu beſetzen, auf die Wache ziehen,
und die Poſten auf dem Wall und andre von min-
derer Wichtigkeit verſorgen.


Dentzel hatte, als er einfach, daß Landau
von den deutſchen Truppen bald ganz wuͤrde ein-
geſchloſſen werden, befohlen, daß jeder Buͤrger
ſich wenigſtens auf ſechs Monate verproviantiren
ſollte, und dieſes war auch ſo geſchehen, daß am
26ten Dezember 1793 noch nicht der geringſte Man-
gel in Landau merkbar war. Es iſt daher falſch,
wenn ſogar der wuͤrdige Verfaſſer der neueſten
[21] Geſchichte der Staaten und der Menſch
-
heit ſchreibt *): daß Landau auf dem Punkt ge-
ſtanden waͤre, aus Mangel an Lebensmitteln ſich
ergeben zu muͤſſen; — daß alles aufgezehrt ge-
weſen ſey; — daß die Einwohner Katzen und Maͤuſe
gegeſſen haͤtten u. ſ. w. Landau konnte ſich noch
bis zum Maͤrz 1794 halten, wie ich weiter unten
deutlich beweiſen werde.


Daß aber die Deutſchen bey dem Allen doch
einen groben Schnitzer begangen haben, iſt gewiß:
denn ſie mußten die Einerndtung des Getraides
1793 zu hindern ſuchen; und ſie haͤtten dieſes auch
gekonnt, wenn ſie, ſtatt oben bey Neuſtadt her-
umzuliegen, die Felder um Landau noch vor der
Erndte furaſchirt haͤtten. Einer Stadt, welche
man belagern will, und das war mit Landau der
Fall, muß man keine Zeit zur hinlaͤnglichen An-
ſchaffung der Lebensmittel geſtatten. Aber wie
viele Schnitzer ſind nicht in dieſem Kriege began-
gen worden! Man leſe den politiſchen Thier-
kreis, und bewundere die Weisheit vieler unſerer
deutſchen Kabinette!


Die Militaͤr-Magazine waren ſchon ſeit langer
Zeit, und insbeſondere durch Dentzels Bemuͤ-
hungen trefflich verſehen worden: Stroh und Heu
*)Jahrgang 1794 S. 57.
[22] war in Ueberfluß da, aber gerade war dieſes der
entbehrlichſte Artikel, weil wenig Kavallerie da
war. Es fehlte aber auch nicht an Korn, Waizen
und Gerſten, nicht an Ochſen, Schafen, Speck,
Poͤkelfleiſch, geſalzner Butter, Kaͤſe und Zwie-
back: und ſo konnte der General in dieſer Ruͤckſicht
wenigſtens eine lange Zeit uͤber ruhig ſeyn, und
den Entſatz abwarten, da er ſonſt, wegen der zu
ſchwachen Garniſon nicht im Stande war, dem
Feinde durch Ausfaͤlle zu ſchaden.


Einſtens ſprach man in Beyſeyn des Lauba-
dere von dem Verluſte, welchen die Deutſchen
bey Maynz durch die haͤufigen Ausfaͤlle der Fran-
zoſen erlitten hatten. Da ſagte er voll Unwillen:
ja, ich wuͤrde den Deutſchen auch ſchon zu ſchaffen
machen, ſo gut als d'Oyré, wenn ich nur eine dop-
pelte Garniſon haͤtte. Es iſt nicht mein Fehle[r]
daß die Leute ihre Schanzen da draußen ſo ruhig
fortbauen koͤnnen.


Drittes Kapitel.


Laubadere und Dentzel. Geheime Unterhandlung mit dem
Letzern, in Bezug auf meine Miſſion.


Dentzel und der General Laubadere waren
keine Freunde. Woher ihr gegenſeitiger Haß ent-
[23] ſtanden war, weis ich nicht, aber ſo viel weis ich,
daß ſie einander haßten. Vielleicht war es dem
Soldaten laͤſtig, vom Buͤrgerlichen abzuhaͤngen.
Sie gingen zwar von Hauſe aus, wie man ſagt,
ſehr freundlich miteinander um, und mußten die-
ſes ſchon thun, da nach dem Geſetze ein General
ohne den Repraͤſentanten, und der Repraͤſentant
ohne den General nichts, gar nichts unternehmen
darf. Daher waren ſie taͤglich beyſammen.


Laubadere iſt ein ſtiller, geſezter Mann,
welcher nicht viel Weſens macht, und unter an-
dern auch niemals zu tief ins Glas guckt, ob er
gleich den Wein nicht verachtet. Er kann aber ei-
ne huͤbſche Portion zu ſich nehmen: und der irrt
ſehr, der da glaubt, bey einem Glaſe Wein, oder
ſonſt in luſtiger Geſellſchaft etwas aus ihm heraus-
zulocken. Er iſt auch nicht mehr jung, und mag
immer ſeine funfzig hinter ſich haben. Außerdem
ſucht er nichts weniger, als mit Kenntniſſen zu
ſchimmern, und noch weniger bemuͤht er ſich,
witzig zu ſeyn. Er iſt ſchlicht und recht, dabey
ein tuͤchtiger Soldat, aber ſtrenge, und ſehr auf
ſeiner Hut.


Dentzel hingegen iſt ein feuriger, hitziger
Kopf, der oft mehr ſchwazt, als er verantworten
kann, und der ſelten uͤberdenkt, mit wem er ſpricht
oder zu ſchaffen hat. Er liebt den Wein ſehr, und
[24] trinkt nicht ſelten mehr als zuviel: und dann plau-
dert er ins Gelag hinein. Er hatte gegen das
Kommando des Generals Laubadere proteſtirt,
und wollte, daß Gillot es uͤbernehmen ſollte.
Er ſprach obendrein immer mit Herabwuͤrdigung
von Laubadere's militaͤriſchen Talenten, und
verſicherte jeden, wer es nur hoͤren wollte, Del-
mas ſey ein ganz andrer Mann! Er werde auch,
fuͤgte er hinzu, ſobald Landau entſezt ſeyn werde,
an den Konvent ſchreiben, und ſich den General
Delmas zum Kommendanten der Feſtung aus-
bitten. Laubadere ſey im Grunde ein Beth-
bruder, ein Roſenkraͤnzler, ſo ſehr er auch oͤffent-
lich den Atheiſten ſpielen wolle.


Dieſe Reden, welche Dentzel aller Orten
hoͤren ließ, wurden dem General hinterbracht;
und nun laͤßt ſich ihre Wirkung denken. Zur Aus-
ſoͤhnung dienten ſie gewiß nicht.


Hiezu kam, daß Dentzel, ſo ſehr er Patriot
ſeyn wollte, ſo ſehr er auch von Freyheit und
Gleichheit ſprach, im Grunde doch ſtolz und herrſch-
ſuͤchtig war. Das Geſetz will, daß alle Repraͤ-
ſentanten, wenn ſie im Namen der Republik eine
Verordnung ergehen laſſen, ſich im Namen der
Nation Wir nennen ſollen, doch ohne das von
Gottes Gnaden
dazu zu ſetzen. Niemand
hat ſich mit dem Wir wohl mehr gebruͤſtet, als
[25] eben Dentzel. Ich habe mehr als 50 ſeiner ge-
druckten Verordnungen durchgeleſen, welche fuͤr
die dortige Gegend allemal deutſch und franzoͤſiſch
zu haben waren, worin er ſich gar viel zu gute
that mit der Gewalt, welche ihm die Nation
verliehen hatte.


Eben wegen dieſer Herrſchſucht widerſezte ſich
Dentzel den Verordnungen und Einrichtungen
des Generals Laubadere ſehr oft, und traf
ſelbſt andere, welche dem General natuͤrlich auch
nicht gefallen wollten. Bey den Haͤndeln der Buͤr-
gerſchaft mit dem Militaͤr, war Dentzel oben-
drein jedesmal auf Seiten der Buͤrger, Laubadere
hingegen auf Seiten ſeiner Volontaͤrs: die Buͤrger
alſo waren dem Repraͤſentanten gewogen; die
Soldaten dem General.


Außerdem hatte Dentzel, um die Garniſon
in den Stand zu ſetzen, die Belagerung aufs laͤng-
ſte auszuhalten, die Subſiſtenz der Soldaten um
etwas geſchmaͤlert, auch ſtatt des bis dahin ge-
woͤhnlichen weißen Brodes gemiſchtes geben laſſen,
gebacken aus Waizen-Rocken- und Gerſtenmehl.
Wenn nun die Garniſon ſich uͤber dieſes oder jenes
beſchwerte: ſo ſchob Laubadere die Schuld alle-
mal auf Dentzel, und dieſer wurde auf die Art
der Gegenſtand des allgemeinen Haſſes der Gar-
niſon.


[26]

So ſtand es mit Dentzel, als ich in Landau
ankam, und meine Leſer beſcheiden ſich ſchon von
ſelbſt, daß meine Miſſion viele Schwierigkeiten
haben mußte. Ich fuͤhlte dieß gleich ſelbſt, und
doch war ich dumm oder unbeſonnen genug, einen
Streich ausfuͤhren zu wollen, fuͤr Andere, der
mir nicht gelingen, wenigſtens nur aͤußerſt ſchwer
gelingen konnte, und Vortheile fuͤr mich aufzu-
geben, die ich weit leichter und gewiſſer haͤtte be-
wirken koͤnnen. Pfui uͤber mich und meine kurz-
ſichtige Gutmuͤthigkeit! Wenn ich noch jezt daran
denke, moͤgt' ich mir allemal vor die Stirn ſchla-
gen vor Aerger, daß ich die ſchickliche Gelegenheit,
die ich damals auf mehr als eine Art in Haͤnden
hatte, mich bey der Republik zu inſinuiren, und
mein Gluͤck zu machen, ſo fahren ließ, und einem
Hirngeſpinſte nachrann, welches mir weiter nichts
als Gefahr und Noth gewirkt, und mich beynahe
verruͤckt gemacht hat! Aber wie es geht! Wenn
die Sache vorbey iſt, dann erſt ſieht man ein, wie
man ſie zu ſeinem Vortheile haͤtte nutzen koͤnnen.
Doch, wer aͤndert das Vergangne! —


Ich beſuchte Dentzel zwey Tage nach meiner
Ankunft foͤrmlich, und da fuͤhrten wir folgendes
Geſpraͤch:


Dentzel. Ja, ich glaube beynahe ſelbſt, daß
Landau noch am Ende den Deutſchen in die
[27] Klauen faͤllt. Die Spitzbuͤberey bey uns iſt gar zu
groß!


Ich. Spitzbuͤberey? Doch wohl hier in Lan-
dau nicht?


Dentzel. Das will ich eben nicht behaupten:
aber geſezt, daß unſre hieſige Garniſon auch noch
ſo ehrlich iſt: ſo iſt doch unſre Gefahr immer nicht
klein.


Ich. Allerdings nicht, beſonders wenn der
Erſatz nicht bald kommen ſollte.


Dentzel. Das iſt eben der Teufel! Wenn
Landau in den Haͤnden der Republikaner bleiben
ſoll, ſo muß es bald entſezt werden. Wir allein
ſind viel zu ſchwach, um uns mit Vortheil lange
zu behaupten. — Aber glaubſt du auch, Lands-
mann, daß wir auf Entſatz rechnen koͤnnen?


Ich. Das mußt du beſſer verſtehen, als ich.


Dentzel. Den Teufel kann ich verſtehen!
Weis ich denn, ob die Generale, welche uns ent-
ſetzen ſollen, ehrliche Leute ſind, oder nicht! Wie,
wenn ſie ſich beſtechen laſſen? Eure deutſchen Her-
ren ſind Vokativuſſe, und unſre Mosjehs haben ſo
allerhand Geſinnungen, worauf man nicht feſt
bauen kann.


Ich. Das weis ich: es ſind Euch gar viele
ſchon untreu worden.


[28]

Dentzel: Das iſt, leider, ſehr wahr. Schau,
da war Lafayette, Luckner Henriot, und
beſonders die Hollunken Cuſtine und Dumou-
riez — alle die Kerls, und noch eine ganze Hetze
aͤhnlicher Schufte ſind abgefallen, und man hatte
ſo ſehr auf ſie gerechnet!


Ich: Alſo, denkſt du, das koͤnnte auch hier
ſo der Fall werden?


Dentzel: Ich fuͤrchte es. Mir wenigſtens
koͤmmt es vor, unſre Armee muͤßte ſchon da ſeyn,
wenn keine Schurkenſtreiche vorgefallen waͤren.


Ich: Aber dann muͤßt du wenigſtens fuͤr deine
Sicherheit ſorgen.


Dentzel: Ja, da ſorgt ſichs was weg, wie
Ihr in Halle ſagt: das Jahr iſt lang! Doch es
mag gehen, wie es will, ich bin ein ehrlicher
Kerl! Ich ſcheere mich den Teufel drum, thue
das Meinige, und damit Holla!


Ich: Alles gut: aber —


Dentzel: aber? Glaubſt du denn, daß die
Preußen mich haͤngen werden, wenn ich ihnen in
die Haͤnde falle?


Ich: Das wohl nicht: Aber du haſt doch viel
wider dich. Sieh, du biſt ein Kind des deutſchen
Reichs. Du weiſt, daß nach dem Coneluſum des
Kaiſers und des Reichsgerichts alle die als Verraͤ-
ther des Vaterlands erklaͤrt ſind, welche Deutſche
[29] von Geburt ſind, und doch im Dienſte der Repu-
blik verbleiben. Dabey haſt du einen ſehr ange-
ſehnen Poſten: du biſt ein Mitglied jenes Kon-
vents, welcher den Koͤnig von Frankreich zum To-
de verurtheilt, und alle Fuͤrſten ohne Ausnahme
fuͤr Verbrecher und Tyrannen erklaͤrt hat. Du haſt
ſelbſt in deinen Zetteln ſehr ehrenruͤhrig vom Koͤnige
in Preußen und von dem Kaiſer geſprochen.


Dentzel (aufmerkſam): Das iſt wahr: Aber
Landau kann mit Sturm nicht erobert werden: da-
zu iſt es zu feſt. Alſo muß doch erſt kapitulirt
werden, und dann erhalte ich meine Freyheit durch
Akkord.


Ich: Wer ſteht dir dafuͤr, daß man Landau
nicht mit Sturm erobern werde? Und geſezt, es
wuͤrde blos ausgehungert, ſo muͤßte die Garniſon
ſich doch auf Discretion ergeben. Aber wir wollen
einmal eine Kapitulation vorausſetzen. Wird Lau-
badere, der dir nicht gruͤn iſt, dich auch darin
einſchließen? Und wenn er es thut, wird er nicht,
vielleicht aus Haß gegen dich, dich in die Haͤnde
der Feinde fallen laſſen? Oder koͤnnen die Belage-
rer nicht gerade auf deine Auslieferung beſtehen?


Dentzel: Du haſt, meiner Seele, recht!
Ich bin in einer hunzfoͤttiſchen Lage!


Ich: Und geſezt auch, du koͤmmſt frey durch:
koͤnnen deine Feinde nicht falſche Klagen wider dich
[30] anbringen? Hat nicht ſchon Mancher unter der
Guillotine bluten muͤſſen, der es nicht verſchuldet
hatte? Ich daͤchte du ſorgteſt fuͤr deine Sicherheit!


Dentzel: Und wuͤrde ein Spitzbube, wie
Dumouriez? nicht wahr?


Ich: Nein doch! Der ehrliche Mann ſucht
nur dann ſeine Sicherheit, wenn er der guten Sa-
che nicht mehr nuͤtzen kann. Dann erſt fuͤgt er ſich
in die Zeit.


Dentzel: Das kann nicht ſeyn. Es gehe wie
es will: ich bleibe der Republik getreu! Sie lebe,
oder fort von der Welt!


Dieſe leztern Worte ſprach Dentzel mit vielem
Nachdruck und Feuer, und ich fand fuͤr rathſam,
an mich zu halten, fuͤr dießmal naͤmlich: denn
gleich den folgenden Tag hatte ich folgende Unter-
redung mit ihm von neuem.


Dentzel: Freilich, wenn ich ſo recht Geld
haͤtte, ſo eine 20 oder 30, 000 Thaler: Mord-
Sakkerment, ich gaͤbe meinen Poſten auf, ſezte
mich nach London oder nach Berlin, oder ſonſt
wohin, lebte frey, und kuͤmmerte mich um die
ganze Welt nicht weiter! Es iſt doch nur Hunz-
foͤtterey in der Welt!


Ich: Haſt du etwan Verdruß gehabt?


Dentzel: Tuͤchtig! Heute habe ich mich ſchon
mit dem Teufel und ſeiner Großmutter herum ge-
[31] zankt — da mit dem General und dort mit dem
Großmaul, dem Maͤre: Die Kerls wollen alles
beſſer wiſſen!


Ich: Du ſprachſt zuvor von vielem Gelde: ich
daͤchte die Zeitumſtaͤnde machten es dir leicht, ſo
viel zu bekommen, als du nur magſt.


Dentzel: Wie ſo?


Ich: Geſtern ſchieneſt du zu glauben, daß
Landau in die Haͤnde der Deutſchen fallen werde.


Dentzel: Das glaube ich auch heute noch.


Ich: Je nun, wenn es denn nicht zu retten
iſt, ſo muß man's hingeben, und das zur rechten
Zeit, um einem Bombardement und Blutvergießen
vorzubeugen.


Dentzel: Was gewinne aber ich dabey? Ich
als Deutſcher? Als erklaͤrter Rebell?


Ich: Sieh an, wenn du izt Anſtalt machtest,
daß die Preußen Landau kriegten, ſo koͤnnteſt du
deine Sicherheit und deinen Vortheil ſo hoch trei-
ben, als du wollteſt.


Dentzel: Woher weißt du das? (ſehr nach-
denklich) Und dann die Mittel und Wege dazu!
Und dann ehrlich!


Ich: Landsmann, bin ich ſicher vor dir? Darf
ich reden?


[32]

Dentzel: Was du willſt, Landsmann! Ich
verſpreche dir bey allem, was dir und mir heilig
iſt, ich werde dich nicht verrathen.


Jezt hielt ich dafuͤr, daß es Zeit waͤre, naͤher
zu ruͤcken. Ich gab ihm alſo ein Oktavblatt mit
Folgendem:


„Wenn es geſchehen kann, daß Mittel
„ausfindig gemacht werden, wie die Fe-
„ſtung Landau, ohne gewaltſames
Beſchießen und Menſchenblut,
„den gegenwaͤrtigen Belagerern uͤberliefert
„werde: ſo ſollen die Angeber der gedachten
„Mittel das Recht haben, eine ehrenvolle
„Kapitulation nicht nur vorzuſchlagen, ſon-
„dern auch neben einer vollkommenen Si-
„cherheit ihrer Perſonen, einer, der Groͤße
„dieſes Dienſtes angemeßnen Belohnung in
„Gelde gewaͤrtig ſeyn.“


Dentzel (ſtuzt gewaltig): Hat das der Kron-
prinz von Preußen geſchrieben?


Ich: Wie du ſiehſt: in meiner Gegenwart hat
er's geſchrieben?


Dentzel (vergleicht den Zettel mit einem an-
dern Auffoderungs-Billet von der naͤmlichen Hand):
Richtig! Richtig! Aber wahrlich, das iſt zu arg!


Ich (mit forſchendem Blicke): Nun, was
denkſt du dabey?


[33]

Dentzel (finſter): Daß die Deutſchen Voka-
tive ſind, und mich zum Schurkenſtreich verleiten
wollen. Aber, bey Gott, Laukhard: zum Verraͤ-
ther bin ich noch zu ehrlich: denn auch ich ſchwur
Tod oder Freyheit, und eins von beyden muß mir
werden, wie meinen Bruͤdern! Sonſt hol' uns
alle der Teufel!


Ich (verlegen): Sehr edel und großmuͤthig!


Dentzel (mich ſtarr in die Augen faſſend):
Und doch konnteſt du dich brauchen laſſen, mich
znm Gegentheil bereden zu wollen? Laukhard,
Laukhard, du biſt, wie ich merke, noch immer der
alte Unbeſonnene, der gutmuͤthig und ſchwach ge-
nug iſt, ſich ohne weiteres Nachdenken, wie ein
unmuͤndiges Kind, zu allem beſchwatzen und ver-
leiten zu laſſen! So warſt du ſonſt, und ſo, wie
ich merke, biſt du noch jezt: und eben darum will
ich mein gegebnes Wort fuͤr dießmal dir halten und
ſchweigen. Aber — merke dir's wohl! — Du biſt
verlohren, wenn du dich noch einmal unterſtehſt,
bey mir oder jemanden anders das Mindeſte zu
wagen, was nur von Ferne einer Verraͤtherey aͤhn-
lich ſieht. Ich rathe dir, ſey auf deiner Hut! von
nun an werde ich auf alle deine Schritte und Tritte,
auf alle deine Worte und Handlungen Acht geben
laſſen; und verſtehſt du es im mindeſten, ſo biſt
Vierter Theil. C
[34] du geliefert. Dieß merke dir und geh! Du wirſt
mir veraͤchtlich! Geh, geh!


Ich (entſchloſſen): Veraͤchtlich? Ich bitte
dich, Repraͤſentant, ließ das Billet noch einmal,
und du wirſt ſehen, daß du dich uͤbereilſt! Hoͤre
nur noch etwas gelaſſen zu! Sieh, wie du ſelbſt
einſiehſt, und neben dir jeder Einſichtige: Eure
Beſatzung iſt zu ſchwach, ſich mit Vortheil gegen
die Belagerer laͤnger zu behaupten. So weit die
Preußen und Oeſtreicher jezt vorgedrungen ſind,
und ſo wenig Ihr auf die Ehrlichkeit Eurer Gene-
rale, und den Ernſt und die Bereitwilligkeit Eurer
Nation, wie es ſcheint, rechnen koͤnnt, um Ent-
ſatz mit Sicherheit zu erwarten, ſo ſicher mußt
du einſehen, daß Landau den Preußen gewiß in die
Haͤnde fallen wird. Faͤllt es durch Sturm oder
Bombardement, dann wehe dir, wehe der Beſa-
tzung! Zum Sturm und Bombardement hat der
Kronprinz von Preußen Beruf und Mittel: und
dennoch wuͤnſcht dieſer menſchenfreundliche Prinz,
das auf friedlichem Unterhandlungswege an ſich zu
bringen, was am Ende unwiderſprechlich ſeine wer-
den muß; und dieß wuͤnſcht er ohne die Haͤuſer der
Landauer einzuaͤſchern, oder Menſchenblut zu ver-
gießen. Repraͤſentant, kann ein Fuͤrſt je edler,
je menſchenfreundlicher denken? Und, ſieh, zu die-
ſem guten Werke wirſt du — du, deſſen Pflicht es
[35] iſt, fuͤr das Beßte der Landauer Buͤrger und Solda-
ten zu ſorgen, und im Fall der Noth aus dieſer
Noth eine Tugend der Schonung und Erhaltung
zu machen, Du, ſag ich, wirſt zu dieſem guten
Werke mitaufgefodert! — Ich thue das nun; und
blos darum willſt du mich veraͤchtlich finden?
Bey Gott, Repraͤſentant, Menſchenrechte zu ret-
ten, kann dir nicht heiliger — Verraͤtherey zu ver-
abſcheuen, kann dir nicht pflichtiger ſeyn, als mir!
Haͤtte ich nicht Alles nach meiner eignen Ueber-
zeugung gerade ſo gefunden, wie ich es dir hier
zergliederte: wahrlich, ich ſtaͤnde nicht vor dir!
Geirrt kann ich haben, aber um Verraͤther an dei-
ner Nation durch dich zu werden — o Dentzel, wenn
ich dazu faͤhig waͤre, dann lieber todt als lebendig!


Dentzel: Alles gut, Laukhard: aber meine
Pflicht und Ehre gebieten mir, das Aeußerſte ab-
zuwarten; und gehts dann nicht anders: wohlan
ich ſchwur auf Tod! Genug, du wuͤrdeſt mich ſehr
verkennen, wenn du mich auf irgend einen Fall ei-
ner Verraͤtherey faͤhig halten wollteſt: und damit
iſt es alle! Von nun an beſuchſt du mich nicht wei-
ter, gehſt und biſt — ich rathe es dir wohlbedaͤch-
tig — forthin ganz auf deiner Hut!


Der Ton und die Miene, womit Dentzel das
alles ſagte, uͤberraſchte meine Erwartung ſehr, und
brachte mich nicht wenig außer Faſſung. Ich be-
[36] dachte, wen ich vor mir hatte, ſchwieg endlich und
ging. Aber von nun an war guter Rath theuer!
Dentzel hatte das eigenhaͤndige Billet des Kron-
prinzen von Preußen in Haͤnden: Dentzel war
nichts weniger als verſchwiegen, und Wein war
ſein Lieblingstrank. Wie leicht war es nun moͤg-
lich, ein Woͤrtchen fallen zu laſſen, das mir meinen
Kopf haͤtte koſten koͤnnen! Den Beleg dazu hatte
er in Haͤnden. Er konnte, wenn er mir ſein Wort
nicht halten wollte, dieſen ſogar benutzen, ſeine
Treue und Anhaͤnglichkeit fuͤr die Republik zu be-
weiſen, und ſich beym National-Convent feſteres
Zutrauen und entſchiedenes Uebergewicht uͤber ſeine
Gegner, vorzuͤglich uͤber Laubadere, zu ver-
ſchaffen. Das alles ließ ſich als moͤglich denken:
ich dachte es ohne Unterlaß, und meine Seele
ſchwebte auf der Folter der Furcht ohne Aufhoͤren.
— Und doch achtet man das Alles jezt wie fuͤr
nichts.


Da ich, wie die Folge zeigen wird, ſo lange ich
in Frankreich war, mehr denn einmal, als der Ver-
raͤtherey verdaͤchtig, vor Gericht gefodert, auch
zweymal foͤrmlich deswegen eingezogen, am Ende
aber noch immer mit dem Leben davon gekommen
bin: ſo muß man Dentzeln das Verdienſt laſſen,
daß er, troz allen ſeinen Schwaͤchen, dennoch
Mann genug geweſen iſt, der Franzoͤſiſchen Nation
[37] eben ſo treu zu dienen, als einem Unvorſichtigen
Wort zu halten, und dadurch deſſen Leben zu ret-
ten. Daß Dentzel, in dieſer Ruͤckſicht, ſich ein
ſehr großes Verdienſt um mich erworben hat, wird
die Folge erſt ausweiſen.


Viertes Kapitel.


Aufſtand wider Dentzel. Gefahr fuͤr mich.


Es war an einem Sonntage Nachmittag, etwan
vierzehn Tage nach meiner Ankunft in Landau, als
in allen Straßen ein graͤßliches Geſchrey ertoͤnte.
Aux armes Volontaires! ſchrie man, Aux armes!
On va nous trahir. C'eſt Dentzel, qui veut
nous livrer aux pruſſiens!
— Dieſes Zetergeſchrey
hoͤrte man in allen Straßen der Stadt, und ehe
man ſichs verſah, ſtand die ganze Garniſon unter
den Waffen.


Laubadere erſchien auf dem Paradeplatze,
gerade vor dem Kaufhauſe, und hielt eine Rede
an die Soldaten, worin er ſie verſicherte: daß er
ſein Leben eher verlieren, als etwas Boͤſes wider
ſein Vaterland unternehmen wuͤrde. Dabey ſagte
er ganz deutlich, daß unter denen, in deren Haͤn-
[38] den viel Gewalt waͤre (entre les mains desquels ſe
trouve un grand pouvoir
), Spitzbuben und Schuf-
te waͤren, welche man, wie alte Schweine, ab-
kehlen muͤſſe, (qu i[l] faut égorger co[mm]e de vieux
porcs
). Mit dieſen Worten zielte der General ganz
ſichtbar auf den Repraͤſentanten.


Woher der erſte Laͤrmen ſeinen Urſprung ge-
nommen hatte, weis ich nicht genau anzugeben.
So viel iſt ſicher, daß Dentzel auf dem Conſeil
de défenſe
geweſen war, und da geſagt hatte, daß
er nur ſchwache Hoffnung zum Entſatz haͤtte, und
daß Landau wohl noch fuͤrchterlich fallen koͤnnte.
Delmas und Laubadere waren zugegen. Er-
ſterer gab Dentzeln Beyfall, und lachte. Lau-
badere ward boͤſe, und ſagte: Nur Uebelgeſinnte
koͤnnten an der Wohlfahrt und Rettung des Vater-
landes zweifeln! Darauf fuhr Dentzel auf, und
verſicherte, daß vielleicht der am wenigſten Hoff-
nung zur Erhaltung der Republik hegte, der ſie
jezt fuͤr unbezwinglich ausgaͤbe. — Sie waren dar-
auf fortgegangen, jeder aber mogte wohl noch die-
ſes und jenes zu Andern geſagt haben, woruͤber
denn der Spektakel ausbrach.


Ob Dentzel meine Angabe von der Gefahr
fuͤr ihn und die Landauer, im Falle einer gewalt-
ſamen Eroberung, vielleicht nach meinem Abſchie-
de, ernſtlicher uͤberlegt, und durch die lebhafte
[39] Vorſtellung derſelben, wie durch den Glauben an
die Unmoͤglichkeit des Entſatzes, wegen der Unzu-
verlaͤſſigkeit der Generale, nachher bewogen ſeyn
mag, den erwaͤhnten Vortrag auf dem Conſeil zu
thun, ohne auch nur aus der Ferne an die ver-
ſprochne Belohnung im Gelde zu denken, kann ich
eben ſo wenig ſagen, als ob er vielleicht im Rau-
ſche, oder in ungepruͤften Vertrauen den Antrag
des Kronprinzen und meine Unterhandlung dabey,
wenn gleich mit Tadel oder Misbilligung, ſchon
vorher irgend einem, z. B. ſeinem Freunde, dem
General Delmas — denn dieſer lachte nur auf
dem Conſeil, als Laubadere donnerte — oder
jemanden anders, ja, gar vielleicht mehrern ent-
deckt habe; ob ferner dieſe, ſeine Offenheit im
Rauſche, oder ſein Zutrauen misbraucht, ſeinen
Tadel oder ſeine Verachtung des Kronprinzlichen
Antrags verſchwiegen oder verdreht, und durch fal-
ſche Hinterbringung den Laubadere noch aͤrger
gegen ihn aufgebracht haben moͤgen, ſo daß dieſer
den Volontaͤrs ein bedeutendes Wort daruͤber zu-
fließen ließ, und dadurch den Aufſtand zuerſt ver-
anlaßte: das alles iſt mir ein Raͤthſel. Etwas
von allem dieſem muß durchaus vorgefallen ſeyn:
das beweiſet der Aufſtand, und die Gefahr darin
fuͤr Dentzel und fuͤr mich. Daß aber dieſes Et-
was noch im Dunkel, ſelbſt in Frankreich, liege,
[40] iſt wieder aus dem Erfolge klar. Denn Dentzel
wurde bald nach dem Entſatz von Landau, eben
wegen Landau
*), von neuem foͤrmlich einge-
zogen, und mußte nachher ſehr lange, auch noch
nach dem Tode des Robespierre, in Paris
gefangen ſitzen. Da alſo dieſe Begebenheit noch in
Frankreich ſelbſt unbekannt, wenigſtens nicht als
gewiß entſchieden iſt — ſonſt haͤtte Robespierre
Dentzels
Kopf wohl ſchwerlich verſchont —: ſo
wuͤrde ich wirklich zu weit gehen, wenn ich weitere
Conjekt[u]ren zur Entfaltung dieſer verwickelten Sache
wagen wollte.


Ich wenigſtens habe Dentzel als einen wuͤr-
digen Repraͤſentanten, und als Mann von Pflicht
und Ehre gefunden: und dieß mein Bekenntniß
muß, da ich weder von dem einen, noch dem an-
dern jezt mehr etwas zu fuͤrchten oder zu hoffen habe,
ſeine Feinde und Anklaͤger beſaͤnftigen, wenn ſie
ſonſt Luſt haben, gerecht und unpartheyiſch gegen
ihn weiterhin ſich zu zeigen. Uebrigens laſſe ich
alles Andere dahin geſtellt ſeyn, und erzaͤhle blos
[41] noch die Folgen, welche aus meiner Miſſion ſchon in
Landau fuͤr Dentzel und fuͤr mich entſtanden ſind,
und was fuͤr Einfluß ſie auf die Belagerer gehabt hat.


Die Volontaͤrs alſo liefen wie raſend in ganzen
Haufen hin nach dem Hauſe des Repraͤſentanten,
und foderten mit den aͤrgſten Fluͤchen und Drohun-
gen, daß er erſcheinen ſollte. Dentzel erſchien
am Fenſter, und wollte die Menge durch Zureden
und Vertheidigung ſeiner Unſchuld beſaͤnftigen,
aber er hatte kaum angefangen, als mehr, denn
20 Gewehre gegen ihn losbrannten, doch, oh-
ne ihn zu treffen. Dentzel entfloh hierauf, und
verbarg ſich, wie ich nachgehends gehoͤrt habe, in
ein leeres Weinfaß im Keller.


Laubadere war bald von der Gefahr, wor-
in Dentzel ſich befand, unterrichtet. Weil er
nun in ſchwere Verantwortung verfallen waͤre,
wenn die raſenden Soldaten dem Dentzel den
Garaus gemacht haͤtten, ſo eilte er herbey, und
haranguirte die Volontaͤrs, welche immer ſchrieen:
à bas le foutu mâtin! à bas le foutu traitre! End-
lich nach vielem Schreien, Schimpfen und Sa-
kramentiren, war Laubadere ſo gluͤcklich, die
wuͤthenden Leute — ſie waren alle vom zweyten
Bataillon la Correze — zu beſaͤnftigen, ſo daß ſie
abzogen, und Dentzels Wohnung ruhig ließen.
Es wurde aber dieſem, damit er bey einem neuen
[42] Tumulte ſicher ſeyn koͤnnte, eine Schutzwache von
zwoͤlf Mann gegeben.


Die Volontaͤrs gingen indeß noch nicht nach ih-
ren Quartieren, ſondern ſchickten eine ſtarke Depu-
tation aus ihrem Mittel an den General, welche
fodern mußte: Man ſollte Dentzel außer aller
Aktivitaͤt ſetzen, und ſobald es geſchehen koͤnnte,
bey dem Heilsausſchuß, als einen Feind und Ver-
raͤther des Vaterlands und der Republik angeben.
Laubadere, um ſie zu beruhigen, bewilligte al-
les, und von dieſer Zeit an, — wo Dentzel in
Arreſt gerieth — hat er einige Wochen lang ein
unumſchraͤnktes Anſehen in Landau behauptet.
Die ganze folgende Nacht war fuͤrchterlich unru-
hig: kein Menſch unterſtand ſich, auf der Straße
zu erſcheinen, oder herumzugehen.


Wie mir bey dieſer Sache ums Herz war, moͤ-
gen ſich die Leſer vorſtellen. Ich ging indeß doch
ins Lamm zu den Offizieren, und fragte, warum
denn der Repraͤſentant ſo verfolgt wuͤrde? Warum?
— Er ſteckt mit den Preußen unter einer Decke,
der ſacre bougre! Er will die Stadt verrathen,
und uns alle dem Feinde in die Haͤnde ſpielen. Er
hat ſogar ſeine Spionen hier! Aber wenn wir dieſe
herauskriegen, ſo ſoll auch kein Fetzen an ihnen ganz
bleiben. — Das war freilich kein troͤſtliches Aver-
riſſement fuͤr meine Wenigkeit!


[43]

Ich legte mich erſt ſpaͤte nieder, und ſchlief
noch weniger. Ohngefaͤhr um zwey Uhr nach Mit-
ternacht kam der Gemeinde-Bote und foderte mich
aufs Rathhaus oder Gemeinhaus. Ich erſchrack
anfangs nicht wenig, faßte mich jedoch bald, und
fragte: was man mit mir wollte? Das weis ich
nicht, erwiederte der Gemeinde-Bote: ich ſoll
dich hier nur abholen. Ich folgte dem Menſchen
bis in die Gerichtsſtube.


Man hielt da gerade einen ſogenannten Sicher-
heits- oder Kriegsrath (Conſeil de défenſe), wo-
bey der General Laubadere auch gegenwaͤrtig
war, aber kein Wort hoͤren ließ. Man foderte
mich ſofort vor die Schranken, und legte mir fol-
gende Fragen vor: „Ob und ſeit wann ich Den-
tzel kennte? Ob ich ehedem ſtarken Umgang mit
ihm gehabt — Ob ich ſeit dem Anfange der Revo-
lution an ihn geſchrieben — Ob ich Briefe von ihm
erhalten haͤtte? Ob mich der preußiſche General
Mannſtein — ich begreife noch immer nicht
recht, wie man hier auf den General Mannſtein
gekommen iſt! Mannſtein war, ſo viel ich mich
entſinne, damals nicht bey Landau, wenigſtens
habe ich ihn nicht geſehen, und er hat uͤberhaupt
eben nicht gar großen Einfluß bey der Preußiſchen
Armee gehabt, beſonders nachdem das, was zwi-
[44] ſchen ihm und den Franzoſen bey St. Menehoud vor-
gefallen war, zu ſehr bekannt ward — alſo: ob
der General Mannſtein mich an Dentzel ge-
ſchickt, und ihm durch mich eine Summe Geldes
fuͤr die Uebergabe von Landau habe bieten laſſen?
Ob Dentzel nicht gegen mich uͤber die Republik
raͤſonnirt, und geſagt habe, daß ſie zu Grund ge-
hen muͤßte? Dieſe, und wohl noch zwanzig andre
Fragen beantwortete ich ſo freymuͤthig und befrie-
digend fuͤr das Conſ[e]il de défenſe, daß es beſchloß,
mich auf der Stelle frey zu laſſen — weil es an
mir keinen Verdacht einer Falſchheit oder Subor-
nation finde. — Wer war froher, als ich, daß ich
den Klauen einer Inquiſition entgangen war, wo-
bey ich, wie ich ſchon gemerkt hatte, gar leicht mei-
nen beſten Kopf haͤtte verlieren koͤnnen. Ich ging
nach meinem Quartier und legte mich ſchlafen.


Fruͤh gegen 10 Uhr ließ Laubadere mich ho-
len. Er war allein und ſehr freundlich gegen mich.
Nachdem er mich hatte niederſetzen und einen Becher
Wein trinken laſſen, redete er mich ſo an:


Citoyen, Du biſt zwar dieſe Nacht fuͤr unver-
daͤchtig erklaͤrt, und in Freyheit geſezt worden:
Aber du darfſt eben nicht denken, daß nun alles aufs
Reine ſey.


Ich: Wie denn ſo? Hat jemand noch was ge-
gen mich einzuwenden?


[45]

Er: Ich und noch mehrere ſind uͤberzeugt, daß
du ein Emiſſaͤr der Preußen biſt, der hieher kam,
um Dentzel zu beſtechen.


Ich: Ey, ſeht doch einmal an! Wenn du das
ſo ſicher weißt, warum haſt du denn dieſe Nacht
auf dem Conſeil de défenſe geſchwiegen?


Er: Naͤrriſcher Kopf, das hab' ich deinetwe-
gen gethan! Ich wollte dich nicht in Gefahr brin-
gen: aber hier mußt du mir bekennen.


Ich: Was haſt du denn fuͤr ein Recht, mich
ſo zu Rede zu ſtellen?


Er: Wenn du mir hier nicht bekennſt, ſo laß
ich dich wieder aufs Conſeil fodern. Dentzel iſt
ein ſchlechter Menſch (malheureux).


Ich: Was geht das mich an?


Er: Gegen dich iſt er auch ein Verraͤther.


Ich: So?


Er: Ja, gegen dich! Er hat eben heute aus-
geſagt, daß du von den Feinden, und namentlich
vom General Mannſtein, (ich holte wieder ganz
frey Odem) an ihn geſchickt ſeyſt, und ihm aller-
ley Vorſchlaͤge zur Uebergabe gethan habeſt.


Ich: Wenn Dentzel das geſagt hat, ſo iſt
er ein Luͤgner.


Er: Das kannſt du ſo hinſagen? — Gut: Ich
werde ihn mit dir konfrontiren laſſen. — Doch
nein, du daureſt mich: du biſt ein leichtſinniger,
[46] unbeſonnener Menſch, oder vielleicht aus Unkunde
fuͤr deine Tyrannen eingenommen. Kurz, dir
kann ich es nicht verdenken, wenn du dich durch
Anlagen verraͤtheriſcher Abſichten an der Republik
verſuͤndigt haſt. Alſo geſtehe mir nur frey, wie
weit du mit Dentzel gekommen biſt, und ich
verſpreche dir, daß du keine Gefahr laufen ſollſt.


Ich: General, mache mir den Kopf nicht
warm, oder komm ſofort aufs Conſeil, und bringe
deine Ausſage da an!


Er: Citoyen, beſinne dich: du willſt aufs
Conſeil? Ich bitte dich um deines eignen Kopfs
willen, bekenne mir, was an der Sache iſt, und
du biſt ſicher! Denn koͤmmſt du nochmals vors Con-
ſeil,
ſo wirſt du arretirt, und es geht an deine
Gurgel.


Ich: Ich fuͤrchte nichts! Komm, ich gehe
aufs Conſeil, und wenn du mich nicht hinbringen
laͤßt, ſo gehe ich allein hin, und erzaͤhle, wie du
mich behandelſt. Verſtehſt du mich, General?
Du biſt Dentzels Feind: den willſt du ſtuͤrzen,
und mich vielleicht zum Werkzeuge deiner Abſicht
gebrauchen. Aber ich ſage dir, du koͤmmſt ſchief
bey mir an. Dentzel iſt unſchuldig, wenigſtens
weis ich nichts, das ihm zur Laſt fallen koͤnnte.


Er: Alſo haͤlſt du ihn wirklich fuͤr unſchul-
dig?


[47]

Ich: Allerdings! Ich bitte dich nochmals,
General, laß mich in Ruhe, oder ich muß mir
beym Conſeil Ruhe ſchaffen.


Laubadere ſchien wirklich von meiner Un-
ſchuld uͤberzeugt zu ſeyn, wenigſtens ſagte er mir
endlich, daß er mich nur fuͤr verdaͤchtig gehalten,
und mich darum ſondirt habe. Er haͤtte geglaubt,
mich auf die Probe ſtellen zu muͤſſen: ob ich und
Dentzel oder vielleicht neben uns, noch andre
Uebelgeſinnte etwas Arges gegen Landau im Schil-
de fuͤhrten. Nun aber ſey er vor der Hand von
meiner Ehrlichkeit uͤberzeugt: ich ſollte jezt nur ge-
hen, mich aber um zwoͤlf Uhr unfehlbar bey ihm
zum Eſſen einfinden.


Bey dieſem ſehr frugalen Mittagsmale lernte
ich den Kriegskommiſſaͤr von Landau naͤher kennen,
einen ſchon aͤltlichen Mann und ehemaligen Freund
des großen Voltaire. Er war aus Genf, und
hatte vor Zeiten da advocirt, war aber bey der lez-
ten Genfer ariſtokratiſchen Revolution genoͤthiget
worden, ſich zu entfernen. Es war mir beſonders
lieb, mit einem Manne zu ſprechen, der mir vom
alten Philoſophen, den ich ſchon laͤngſt verehrt hatte,
und deſſen Dictionnaire philoſophique mein ſymbo-
liſches Buch iſt, allerley Anekdoten erzaͤhlte. Ich
habe nachher noch mehrmalen mit dieſem Manne,
welcher Fatio hieß, zu thun gehabt, und allemal
[48] etwas Intereſſantes von ihm erfahren. Unter an-
derm einmal Folgendes:


Ein vornehmer Bankier aus Genf, Namens
Rilliet, Vetter der reichen Gebruͤder Rilliet zu
Paris, welcher in ſeiner Jugend viele Geſchaͤfte,
beſonders in Frankreich und Italien gemacht, und
ſeine beſte Zeit auf Reiſen verlebt hatte, heurathete
ohngefaͤhr im Jahr 1786 ein armes Fraͤulein von
Planta. Rilliet that dieß, um durch den Adel
ſeiner Frau ſich mitzuadeln: denn in dem damals
ariſtokratiſchen Genf war die erztolle Gewohnheit,
daß die Maͤnner ſich nach ihren adelichen Weibern
auch adelich ſchrieben. So haͤtte denn dieſer Herr
Bankier Rilliet, forthin Hr. Rilliet von Plan-
ta geheißen. Allein gleich in der Hochzeitnacht
merkte er, daß ſeine Jungfer Braut nichts weni-
ger als Jungfer war. Er machte ihr ſeine Entde-
kung bekannt, und ſie geſtand ihm mit Thraͤnen,
daß es an dem ſey, und daß ihr eigner Bruder, —
der Obriſt Planta, damals in franzoͤſiſchen Dien-
ſten, ſie in Beſançon zur Mutter gemacht habe. —
Rilliet trennte ſich von ihr, und verſprach ihr
jaͤhrlich 8000 Livres. Dieſe Summe war aber der
Mutter und dem Bruder nicht hinlaͤnglich. Sie
ſteckten ſich alſo hinter die vornehmen Genfer,
und dieſe brachten es dahin, daß zwar die Schei-
dung vor ſich ging; daß aber Rilliet, der ein
[49] großer Pinſel ſeyn mußte, noch obendrein aus dem
Rathe, deſſen Mitglied er war, geſtoßen, und zu
einer weit groͤßern, jaͤhrlichen Summe fuͤr ſeine —
disguſtirte Braut verdammt wurde. Ueberhaupt
war der Kommiſſaͤr ſehr uͤbel zu ſprechen auf die
faden Genfer und ihre noch fadere, laͤcherliche
Wirthſchaft.


Als er merkte, daß ich orthographiſch franzoͤ-
ſiſch ſchrieb, trug er mir auf, die Bons oder die
Brod- Fleiſch- Oehl- und andere Zettel fuͤr die
Subſiſtenz der Deſerteurs in Zukunft zu beſorgen,
ſtatt des Mar[o]ufles, des Sergeanten Schmid, wel-
cher weder leſen noch ſchreiben konnte. Fuͤr dieſe
Bemuͤhung erhielt ich alle 4 Tage eine Mundpor-
tion mehr, als die Andern, wie auch alle 5 Tage
40 Sous Zulage in Papier.


Ich muß dem General Laubadere nachſa-
gen, daß er von dieſem fuͤr mich gefaͤhrlichen Tage
an, mich beſonders gut leiden konnte, und daß er
mir oft geſtand, er habe mir durch ſeinen ungegruͤn-
deten Verdacht Unrecht gethan. — Du lieber
Gott! — Doch Praetor non judicat interiora.



[50]

Fuͤnftes Kapitel.


Fernere Begebenheiten in Landau.


Von dieſer Zeit an ließ der Kronprinz von Preu-
ßen, der auf meine Vermittelung vielleicht mehr
rechnete, als meine beſchriebene Lage ſie zuließ,
Landau beynahe taͤglich durch Trompeter zur Ueber-
gabe auffodern, erhielt aber immer die Antwort:
daß man Entſatz erwarte und das Aeußerſte daran
wagen wolle, dieſe wichtige Feſtung dem Frey-
ſtaate zu erhalten.


Dentzel ſaß indeſſen immer in Arreſt; aber
nachdem die Leute kaltbluͤtiger geworden waren,
fingen ſchon Viele unter den Buͤrgern und Solda-
ten an, ihn fuͤr unſchuldig zu erkennen, und das
harte Verfahren wider ihn auf den Haß zu ſchieben,
womit Laubadere ihn verfolgte. Laubadere
verlangte demnach, daß man die Sache nach Pa-
ris ſchicken ſollte: allein das Conſeil de défenſe
wendete dawider ein, daß dieſes nicht anginge,
weil die Briefſchaften vom Feinde aufgefangen
werden koͤnnten, wodurch denn dieſer nothwendig
von Landau's ganzer innern Lage unterrichtet wer-
[51] den muͤßte. Dentzels Sache blieb alſo noch ei-
nige Zeit liegen.


Zu Anfange des Oktobers brachten die patrouilli-
renden Reuter einen Menſchen ein, welcher etwan
vier Monate vorher vom 21ten Regimente deſertirt
war. Sie hatten ihn in den Weinbergen angetrof-
fen, wohin er ſich, wie er ſagte, begeben hatte,
um wieder zu ſeinen Republikanern zuruͤck zu keh-
ren, und dieß aus Reue uͤber ſeine Deſertion. Aber
alle dieſe Ausfluͤchte halfen ihm nichts. Lauba-
dere ließ Gericht uͤber ihn halten, und er wurde,
ſo ſehr ſich auch Delmas und der Obriſt von der
Reuterey (einer der ſolideſten, vortrefflichſten Maͤn-
ner, die Frankreich alle haben mag) dawider ſezten,
kurz hernach am deutſchen Thore todtgeſchoſſen.
Laubadere ſagte ganz kaltbluͤtig: ſie ſollten ihm
erſt ein anderes Geſetz machen, dann wollte er dem
Deſerteur Pardon geben. Durch dieſen Zug von
geſetzlicher Gerechtigkeitsliebe hat ſich aber der brave
General weder bey der Garniſon, noch bey der Lan-
dauer Buͤrgerſchaft beliebt gemacht.


Laubadere verlohr das Zutrauen der Lan-
dauer Buͤrger durch folgenden Vorfall noch mehr.
Da er muthmaßen konnte, daß die Belagerung noch
lange anhalten duͤrfte, ſo wollte er ein Geſetz in
Ausuͤbung bringen, welches einen General autori-
ſirt, aus einer blokirten Stadt alle die zu entfernen,
[52] welche bey der Belagerung unnuͤtz ſind. Er ließ
daher dieſes Geſetz abdrucken, und anſchlagen und
ermahnte die, welche ſich unfaͤhig fuͤhlten, dem
Vaterlande bey dem damaligen Zuſtande zu dienen,
auszuwandern. Er ging noch weiter: er ließ durch
einen Offizier, und durch einen Municipalbeamten
von Haus zu Haus alle die aufſchreiben, welche,
ſeiner Inſtruction gemaͤß, auswandern ſollten.
Hiedurch aber entſpann ſich ein gefaͤhrlicher Auf-
ſtand: denn da ſollten alte Maͤnner, Weiber, Kin-
der, hochhaubige Mamſellen und Damen auswan-
dern, und ihre Haͤuſer, nebſt Haab und Gut, im
Stiche laſſen. Ganz Landau kam daruͤber in Har-
niſch, und Laubadere mußte nachgeben. Das
Geſetz, welches auf dieſe Art die Leute aus ihren
Haͤuſern jagt, iſt hernach auch ganz und gar kaſ-
ſirt worden. Es war im Grunde [au]ch unausfuͤhr-
bar, und konnte zu dem gefaͤhrlichſten Aufſtande,
ja, zu Conſpirationen mit dem Feinde Anlaß geben.


Dentzel, wie ich oben berichtete, hatte den
Laubadere einen Bethbruder geheißen. Fol-
gender Zug ſcheint das Gegentheil darzuthun. Er
hieß mit dem Vornamen Joſeph Marie*).
[53] Um dieſe Zeit aͤnderte er denſelben, und nannte ſich
Maurice Leonor. Er wollte, wie er ſagte, die
Namen eines alten und dummen Hahnreys, und
einer jungen juͤdiſchen Hure nicht weiterhin fuͤhren *).
Im Lamm zu Landau erzaͤhlte man mir dieſe
Schnurre; und ich nahm mich — nicht ſowohl um
die Jungferſchaft der Maria zu retten: denn an
dieſer liegt mir, unter uns geſagt, eben ſo wenig,
als dem Papſt SixtusV. an der Jungferſchaft
der Koͤnigin Eliſabeth lag **)! — ſondern um
den Lamm-Mamſellen zu hofiren, welche ſich
uͤber dieſe Aeußerung zu entruͤſten ſchienen, — des
Jungfern-Bluͤmchens der armen Marie an,
wie auch der gehoͤrnten Stirn des lieben Joſephs,
und ſuchte darzuthun, daß man den guten Leutchen
zu nahe traͤte. Nun aber ging auch das Geſpoͤtte
erſt recht und allgemein los, und ich merkte, daß
ich in einer Geſellſchaft von Leuten war, vor de-
nen jeder Kirchen-Chriſt ein Kreuz ſchlagen muß.
Alles was kirchlich heilig heißt, wurde ſpoͤttiſch
[54] herumgeholt, und insbeſondere bekam die Hiſtorie
unſers Herrn und Heilandes von Einigen gewaltige
Stoͤße. „Was! rief endlich ein Offizier, Ma-
ria keine Hure? Sie war noch mehr: ſie war eine
Ehebrecherin von der allerſeltſamſten Art: ich will
es beweiſen! Nicht wahr, Kameraden, Maria
war Chriſti Mutter; Chriſti Vater war Gott der
Vater. Maria war alſo Gott des Vaters Frau.
Maria empfing Chriſtum durch die Ueberſchattung
des heiligen Geiſtes. Der heilige Geiſt kam alſo
Gott dem Vater, als Maria's Mann, ins Gehege,
und ſezte ihm Hoͤrner auf. Der heilige Geiſt iſt
folglich ein Ehebrecher, Maria eine Ehebrecherin;
und was iſt nun Chriſtus? —“


Seht Kameraden, fuhr er fort, ſolche abge-
ſchmackte Fratzen trugen uns bisher unſre Pfaffen
als Glaubens-Artikel, und Bedingungen unſerer
Seligkeit vor, und nannten die Heiden blind,
wegen ihrer mythologiſchen Lehren uͤber Jupiter
und andere Goͤtter und Goͤttinnen! — Verſteht
mich aber recht, Kameraden! Was ich jezt ſagte,
iſt eine chikanirende Widerlegung der abgeſchmack-
ten und den geſunden Menſchenverſtand ewig chi-
kanirenden Hauptlehre unſerer Pfaffen und Pfaffe-
rey. Sonſt iſt und bleibt Chriſtus eins der ehr-
wuͤrdigen Muſter fuͤr alle Retter der Vernunft, der
wahren Moral und Religion, und vorzuͤglich der
[55] Rechte der Menſchheit und der Toleranz vor den
Eingriffen der ſchmutzig intereſſirten und Moſaiſch-
herrſchſuͤchtigen Pfaffen. Die Schriftgelehrten und
die Phariſaͤer, uͤberhaupt die Pfaffen jener Zeit,
waren dem edlen Chriſtus, wie ihr wißt, unaus-
ſtehlich. Wo er nur konnte, ſtellte er ſie an den
Pranger als Heuchler, uͤbertuͤnchte Graͤber u. dgl.
Von Anbetung im Tempel zu Jeruſalem, oder auf
dem Berge zu Samarien wollte er nichts wiſſen,
nur von Anbetung des Vaters aller Menſchen im
Geiſt und nach der Wahrheit. Die Scheidewand zwi-
ſchen Juden und Heiden lehrte er zerſtoͤhren; und
nach ſeiner Vorſchrift ſollte nur Eine Heerde und
Ein Schaafſtall ſeyn. Alle Menſchen, ohne Un-
terſchied des Standes und der Geburt ſollten Bruͤ-
der ſeyn, wie Alle nur Eines Vaters Kinder waͤ-
ren — Gottes. — Seht Kameraden, dahin muß
es in Frankreich erſt noch kommen, wenn wir wahre
Chriſten ſeyn wollen. *) Bisher waren wir Pfaf-
fen- und Kirchen-Chriſten, ich meyne getaufte
Buͤttel der Vernunft und der Menſchheit.


[56]

Aber hoͤrt weiter, Kameraden! Sind wir erſt
wahre Chriſten, das iſt, vernuͤnftige Menſchen,
und ſehen wir ein, daß die Hauptſittengeſetze,
welche Chriſtus vortrug, Sittengeſetze der all-
gemeinen Vernunft, oder der moraliſchen Harmo-
nie ſind, die wir, wie Chriſtus, durch unſere be-
ſondere Vernunft auffinden und als verbindlich an-
erkennen, und bemuͤhen wir uns ernſtlich, ſie durch
den Einfluß unſeres Willens auszuuͤben, um das
im Kleinen zu werden, was Gott im Großen iſt,
thaͤtig, weiſe, guͤtig und gerecht, und dieß ſoweit
unſere Kraͤfte zureichen, zum Beſten des Einzelnen
und des Ganzen: o dann koͤnnen wir alle Pfaffen
und Kirchen und Kirchenlehren entbehren, und uns
kann es gleichviel ſeyn, ob Chriſtus dieß oder
jenes war: denn der Werth ſeiner Lehre haͤngt nicht
von ſeiner Perſon, ſondern von der Uebereinſtim-
mung mit der Vernunft ab. u. ſ. w.“


Vortraͤge von dieſer Art uͤber Moral, Religion,
Menſchen-Rechte, Staat, Politik u. dgl. hoͤrt
man in den Gaſthoͤfen und Schenken Frankreichs
jezt beynahe ohne Unterlaß: und wo ſolche Vor-
traͤge auf ſolche Art gehoͤrt werden, da hoͤre ich lie-
ber zu, als daß ich ſie durch Dreinreden oder Wi-
derſprechen ſtoͤhren ſollte. Ich ſchwieg alſo gleich,
und ließ Joſeph und Maria fahren, ſobald ich merk-
te, daß meine Apologie wenig fruchten wuͤrde.
[57] Da ich eben auch keine Luſt hatte, meinen eignen
Glauben, den Lamm-Mamſellen zu Gefallen, zum
Scheine weiter zu widerlegen: ſo ließ ich alles ge-
hen, wie es ging, und hoͤrte den theils groͤbern,
theils feinern Sarkasmen Manches dieſer Spoͤtter
nicht ohne Theilnahme und ganz gelaſſen zu: Denn
die Verſpottung der heiligen Fratzen halte ich ſchon
lange fuͤr eine Art von Genugthuung — dafuͤr,
daß man die Denk- und Preß[f]r[e]yheit urſpruͤnglich
und hauptſaͤchlich um ihrentwillen beſchraͤnkt und
verfolgt hat.


Ueberhaupt merkte ich nicht nur hier, ſondern
faſt in allen Staͤdten Frankreichs, in welchen ich
geweſen bin, ein Ideen-Commerz, das mich oft
in Erſtaunen ſezte. Die mehrſten hatte man, wie
die Meiſten, die ich daruͤber befragte, mich verſi-
cherten, ſchon vor der Revolution in Geheim fuͤr
ſich g[eſ]ammelt, und dieß um ſo gieriger, je ſtren-
ger man die Buͤcher verboth, worin ſie vorkamen.
Und ſo iſt es auch hier wahr, daß jedes Buͤcher-
verboth mehr ſchadet, als nuͤtzet. Laͤßt man je-
des Buch ſeinen Weg ungehindert wandern: ſo
wird der geringſte Theil des Publikums es ſeiner
Aufmerkſamkeit kaum werth halten; im umgekehr-
ten Falle — der groͤßte. Ueberdieß, enthaͤlt ein
Buch Irrthuͤmer, auch gefaͤhrliche, und cirkulirt
es frey und frank: ſo kommen dieſe deſto eher und
[58] freymuͤthiger zur Sprache zum pro und Contra,
und die Wahrheit behaͤlt am Ende die Oberhand.


Das Ideen-Commerz der Franzoſen hat ſelbſt
durch den Krieg unendlich gewonnen. Denn, auch
von dem weckenden Geiſte der Revolution abgeſe-
hen, giebt es jezt kein Kriegsheer weiter, worin
die Koͤpfe von jeder Art ſo komplicirt und vereint
waͤren, als in ihrem. Ueberall ungehinderte Mit-
theilung der Grundſaͤtze, Gedanken und Erfahrun-
gen unter den vielen Hunderttauſenden von verſchie-
denen Gewerben, aus Landleuten, Buͤrgern, Kauf-
leuten, Gelehrten, Kuͤnſtlern u. ſ. w. Fuͤrwahr
Robespierre iſt durch ſein allgemeines Aufge-
both — in gewiſſer Ruͤckſicht — der Prometheus
von Frankreich geworden! —


Hier zugleich ein Wort von dem katholiſchen
Pfarrer in Landau! Er hieß Ackermann und
iſt ein heller Kopf und warmer Freund ſeines Va-
terlands. Ehedem hatten die Auguſtiner, welche
in Landau eingekloſtert waren, und eine Miſſion
Franziskaner, woraus Herr Jaͤger in ſeinem
Lexikon ein Franziskaner-Kloſter gemacht hat,
nebſt einigen Stiftsgeiſtlichen die Seelſorge fuͤr die
katholiſchen Schaͤflein. Bey der Revolution fiel
alles das weg, und die Landauer fanden, daß fuͤr
ihre ohnehin ſchwache katholiſche Gemeinde Ein
Geiſtlicher zureichte. Herr Ackermann erhielt dieſe
[59] Stelle, und trug kein Bedenken, den National-
Eid abzulegen. Viele orthodoxen Katholiken nah-
men ihm das anfaͤnglich freilich ſehr uͤbel. Acker-
mann indeß fing an, ſeine Gemeinde uͤber Moral,
Religion, Kirchendienſt und Patriotismus gehoͤ-
rig zu unterrichten, und Er iſt es, dem die Lan-
dauer ihre beſſere Einſicht verdanken. Er ſchrieb
auch eine patriotiſche Zeitung, voll Beſcheidenheit
und Wahrheitsliebe; und ſeine Abhandlung uͤber
die Bedruͤckung der Franzoſen
unter der
vorigen Regierung *) kann Niemand leſen, ohne
die innigſte Ruͤhrung und ohne Verabſcheuung al-
ler Tyranney und Tyrannen. Ich habe den Pa-
ſtor Ackermann einigemal bey meinem Freunde
Brion geſprochen, und wurde allemal entzuͤckt
uͤber die guten, geſunden Urtheile, welche er uͤber
die Begebenheiten der Zeit faͤllte. Ein Mann,
wie er, konnte das Papſtthum ruhig fallen ſehen,
und bleiben, was er war — Mann von ſelbſtſtaͤndi-
gem Werthe.


Das Papiergeld hatte damals in Landau we-
nig Werth. Der Repraͤſentant hatte zwar anſchla-
gen und befehlen laſſen, daß das Aſſignatengeld,
oder wie man es damals gewoͤhnlich nannte, das
Rauſchegeld, im Gegenſatz des Klingegel-
[60]des, ſo wie das Numeraͤr- oder das baare Geld
ſeinen Kurs haben ſollte: aber daran kehrten ſich
die Landauer wenig: zwey Sous in Muͤnze wur-
den 10, ja endlich gar 20 Sous in Papier gleich
gehalten. Die Bouteille Wein, die man fuͤr 5
oder 6 Sous Geld haben konnte, koſtete in den ge-
woͤhnlichen Weinhaͤuſern ſchon 50, ja gar 60 Sous
Papier. Dentzel wollte dieſes Unweſen mit der
Schaͤrfe abſchaffen, aber gerade, als er daran
wollte, erregte ſich der Aufſtand, wodurch er au-
ßer Aktivitaͤt geſezt wurde. Der General hatte das
Herz dazu auch nicht; alſo blieb alles, bis zum
Entſatz der Stadt, wonach denn freilich, ſehr wahr-
ſcheinlich auch dort, das ſogenannte Maximum,
oder die allgemeine Taxe aller Waaren und aller Le-
bensmittel gegolten hat.


Der General unterhielt immer einige Leute,
welche ihm beſtaͤndig, wenigſtens woͤchentlich ein-
mal, Nachricht von dem Zuſtande der Armee uͤber-
bringen mußten. Daß dieſe nicht allemal erfreu-
lich ausgefallen ſeyn wird, wiſſen die, welche ſich
der Begebenheiten der franzoͤſiſchen Armeen von je-
ner Zeit erinnern. Wie aber die Spione, lauter
Landauer Buͤrger, immer ſo ungehindert durch die
Belagerer ſchleichen konnten, begreife ich noch jezt
nicht ganz. Die Stadt war enge eingeſchloſſen,
alſo muͤſſen die feindlichen Poſten ſehr geſchlum-
[61] mert, oder die Leute ganz beſondere Schlupfwin-
kel gewußt, oder ſonſt Um- und Auswege gefun-
den haben.


Einmal habe ich in Landau einem ſonderbaren
Schauſpiele beygewohnt. Als die Nachricht von
der Hinrichtung der Marie Antoinette, Gemalin
LudwigsXVI, und von der des Generals Cuͤ-
ſtine, der Laubadere's und Dentzels ab-
geſagter Feind war, in Landau ankam, ließ ſie
der General ſofort durch Abfeurung von 48 Kano-
nen feierlich bekannt machen. Darauf wurde ein
großes Feuer auf dem Marktplatze angezuͤndet,
und der Schinder mußte die Bildniſſe der Koͤnigin
und des Cuͤſtine hineinwerfen. Hierauf hielt
Laubadere eine Rede, worin er auf die ſacrée
garce
fuͤrchterlich loszog, welche durch ihre Herrſch-
ſucht und ihre Hetzereyen am Wiener Hofe Frank-
reich und ganz Europa ins Ungluͤck geſtuͤrzt habe.
Endlich daukte er dem Genius der Republik, daß
dieſe Peſt nun durch das Beil der Gerechtigkeit (la
glaive de la loi
) vernichtet ſey u. ſ. w. Die Vo-
lontaͤrs applaudirten ihm wie raſend, und ſangen
zum Beſchluſſe ihre Camagnole,*) welches ein ſkan-
[62] daloͤſes Lied auf die Koͤnigin iſt, durch alle Stra-
ßen. In ganz Frankreich hieß man die Koͤnigin ſchon
lange nicht anders als Madame Veto; und daher
heißt es in der Camagnole:


Madame Veto a mal au c[uͤ]:

C'eſt la Fayette, qui l'a foutue

De ſon con tout brulè;

Fayette en porte la [e]lé.

Danſons la Camagnole

Vive le ſon

Du Canon!*) u. ſ. w.

Ueberhaupt ſind die Franzoſen auf die Koͤnigin
Antoinette weit mehr aufgebracht, als auf ſonſt je-
manden, ſelbſt den verabſcheuungswuͤrdigſten Ega-
lité, ſonſt Herzog von Orleans, nicht ausgenom-
men. Sie ſehen dieſe Dame, als die Hauptur-
ſache alles Ungluͤcks und alles Elendes an, welches
uͤber ihre Nation gekommen iſt; ja, ſie nennen ih-
ren Namen nicht, ohne auszuſpuken und ohne die
heftigſten Verwuͤnſchungen gegen ihr Andenken aus-
zuſtoßen.



[63]

Ich ſprach lange nachher einmal in Dijon uͤber
die Standhaftigkeit, mit welcher dieſe Prinzeſſin
geſtorben iſt, und ruͤhmte es wenigſtens, daß ſie
ohne Aengſtlichkeit und ohne Troz auf der Blut-
buͤhne erſchienen ſey, auch alle Schmaͤhungen des
Pariſer Poͤbels, ohne ihre Miene zu veraͤndern,
maͤnnlich verſchmerzt habe. Iſt das wohl lobens-
werth? erwiderte mir ein Chirurgus: Starb nicht
auch Mandrin mit der groͤßten Standhaftigkeit
ſogar auf dem Rade? Ich leugne gar nicht, fuhr
er fort, daß Antoinette einen großen Geiſt ge-
habt hat; ſie war ja die Tochter der beruͤchtigten
Marie Thereſe! Aber eben deswegen war ſie fuͤr
Frankreich deſto ſchlimmer und gefaͤhrlicher: denn
Groͤße iſt nicht immer Guͤte. Genug wir ſind froh,
daß ſie nicht mehr iſt.


Die franzoͤſiſche Zeitung, welche Doxon,
der General-Adjutant, aus der Straßburger und
Pariſer franzoͤſiſchen Zeitung in Landau auch fran-
zoͤſiſch herausgab, war immer voll Invektiven auf
die Koͤnige und die Ariſtokraten. Mitunter lieferte er
auch Verſe von ſeinem eignen Machwerk, die aber
ſehr elend und abgeſchmackt ausfielen. Dieſe Zei-
tung hoͤrte zu meiner Zeit ſchon auf: denn die von
Paris und Strasburg kamen nicht mehr durch.


Auf dem Gemeinhauſe waren alle Waͤnde be-
klebt mit Dekreten und Verordnungen, taͤglichen
[64] Nachrichten u. dgl. Dieſe Zettel wurden von Zeit
zu Zeit abgeriſſen, und es fand ſich, daß manche,
wenn ſie oben das Beduͤrfniß aufs Haͤuschen zu ge-
hen ſpuͤhrten, im Herabgehen einen Zettel von der
Wand abriſſen. Es wurde alſo oͤffentlich durch den
Ausrufer angeſagt, daß wer kuͤnftig auf der Straße
oder auf dem Gemeinhauſe einen angeſchlagenen
Zettel abreiße, eine achttaͤgige Arreſtſtrafe zu ge-
warten habe. Herrmann, ein Zuckerbecker und
Mitglied der Municipalitaͤt, wurde daruͤber ertappt,
und nun nicht nur auf acht Tage eingeſteckt, ſondern
auch ſeines Amtes entſezt.


Zur Zeit des Terrorismus oder des Schreckens-
ſyſtems in Frankreich wurde die Abreißung der an-
geſchlagnen Zettel allemal mit dem Tode beſtraft,
indem man das als ein Zeichen des Misfallens an
der Verfaſſung, und als ein Signal zur Meuterey
anſah. In Landau war man damals nicht ſo
ſtrenge. Ueberhaupt konnte man ziemlich laut ſa-
gen, was man an der neuen Verfaſſung zu tadeln
fand. Einige thaten dieß auch freymuͤthig genug,
weil ſie ſchon als gewiß vorausſezten, daß die zu
ſchwach beſezte Stadt in die Haͤnde der Preußen
fallen wuͤrde. Die oͤffentliche Meynung war und
blieb indeß immer fuͤr die Republik. Landau zaͤhlte
nur wenig Ariſtokraten.


[65]

Den Rektor der Landauer lateiniſchen Schule
habe ich auch kennen lernen. Der Menſch war ein
wahrer Ignorant, und hieß Schuch. Wie ich den
Rektor fand, ſo fand ich auch den Konrektor und
die ganze Schule. Wahrſcheinlich iſt jezt auch die-
ſes Gymnaſium, ſo wie alle andre in Frankreich
aufgehoben. Aber wenn es fuͤr manche hoͤhere
Schulanſtalt Schade war, daß man ſie kaſſirte,
ſo war es das gewiß nicht fuͤr die Landauer.


Sechstes Kapitel.


Franzoͤſiſches Militaͤr.


Ich war nach der uͤberſtandnen Gefahr ziemlich
ruhig, und ſuchte die Zeit ſo gut, als ich konnte,
hinzubringen. Da man mit niemanden in der
Welt eher Bekanntſchaft machen und Freundſchaft
und Umgang errichten kann, als mit den gutmuͤ-
thigen, jovialiſchen und offnen Franzoſen, ſo war
es auch ſehr leicht, Viele von der damaligen Lan-
dauer Garniſon naͤher kennen zu lernen.


Ich hatte noch immer allerley Vorurtheile ge-
gen die franzoͤſiſchen Volontaͤrs mitgebracht, wel-
Vierter Theil. E
[66] che ich hier aber bald und gerne ablegte: denn ich
fand dieſe Leute weit beſſer, als ich ſie mir vor-
her gedacht hatte. Man weis ja, wie ſauber
man die franzoͤſiſchen Ohnehoſen (Sansculottes) und
ihre Ohnehoſenſchaft (Sansculotterie) beſchrieben hat,
und hier und da noch beſchreibt! Die von der fran-
zoͤſiſchen Nation organiſirte Militz erſchien uͤberall
wie ein Haufen roher Buben, der nicht beſſer waͤre,
als ein Haufen Luſtgeſindel und Zigeuner. Pfui
der Luͤgen und der Schande! — Ich hatte zwar
von den Volontaͤrs nicht mehr ſo arge und kindi-
ſche Vorſtellungen, als Herr von Goͤchhauſen und
Conſorten: ich dachte mir aber doch ganz andre
Leute unter ihnen, als ich nachher wirklich fand.


Freilich waren ſie nicht ſo nach der Schnur gezogen
und geuͤbt, wie die Preußen; ſie marſchierten nicht ſo
nach und auf der Linie; ſie konnten kein Minutenfeuer
machen, und preßten ſich nicht in ihre Roͤckchen ein,
wie dieſe. Dagegen aber verſtanden ſie ihren Dienſt
hinlaͤnglich und hatten, was allen unſern Lohnſol-
daten fehlt, eine unbegraͤnzte Anhaͤnglichkeit fuͤr
ihre Sache. Ich habe faſt von allen gehoͤrt, daß
ſie wuͤßten, wofuͤr ſie kaͤmpften, und daß ihnen
der Proceß ihrer Nation lieber und theurer ſey, als
ihr Leben. Das einzige Wort: „Es lebe die
Republik
!“ iſt bey den Volontaͤrs allemal das
Erſte, und das Lezte; und alle ihre Geſinnungen
[67] und Anſtrengungen erhalten von dieſer Haupt-Idee
Leben und Feuer. Freyheit oder Tod iſt ihre ein-
zige und ewige Alternative.


Ich erkundigte mich ſehr genau nach der Art,
wie man dieſe meiſt ſehr jungen Leute unter das
Gewehr gebracht hatte, und fand, daß obgleich
Mehrere auf den Befehl ihrer Vorgeſezten mit-
mußten, doch die Allermeiſten ganz freywillig zu-
gelaufen waren. Ihrer Begierde, dem Vater-
lande zu dienen, konnten die abgeſchmackten Be-
ſchreibungen und Maͤhrchen nicht Einhalt thun,
welche das Geſindel der Ariſtokraten in ganz Frank-
reich verbreitet hatte. Man hatte naͤmlich mit
Fleiß ausgeſprengt, daß der Feind ſo und ſo viel-
mal ſtaͤrker waͤre, als er wirklich war, und daß
weder die Preußen noch die Oeſtreicher von Wei-
chen wuͤßten, auch nicht von Pardon. —


Daß ſie im Jahre 1792 aus Frankreich ſo eilig
abzogen waren, ſchrieb man dem elenden Wetter
und dem Mangel an Lebensmitteln allein zu: ſonſt
wuͤrden die Preußen die Armee der Franken bey St.
Menehould gaͤnzlich zernichtet haben. Jezt aber —
fuhren die Ariſtokraten fort — haben wir weiter
nichts, als das allerſchrecklichſte Schickſal zu er-
warten. Ludwig Capet iſt hingerichtet, und
die ganze Welt ruͤſtet ſich, ſeinen Tod zu raͤchen.
Preußen und Oeſtreich, Holland und England,
[68] Spanien und Sardinien, Rußland, und das ganze
deutſche Reich, ja, alle andre Fuͤrſten in ganz Eu-
ropa, vielleicht auch gar der Großtuͤrk fallen uns
auf den Hals, und werden den Untergang unſrer
ganzen Nation beſchleunigen — ſobald wir uns ih-
nen ferner widerſetzen. Es iſt aber den Großen
von Europa blos darum zu thun, Ruhe und Wohl-
ſtand in Frankreich wieder herzuſtellen, und die
Moͤrder des Koͤnigs zur Verantwortung und Strafe
zu ziehen. Der Nationalkonvent ſieht das ein,
und weiß, daß er auf jeden Fall verlohren iſt: und
eben deßwegen will er mit Gewalt, daß wir uns
ruͤſten, und gegen den unbezwinglichen und fuͤrch-
terlichen Feind ziehen ſollen. Wenn wir dieß thun,
ſo ſind wir und der Konvent verlohren: thun wir
es aber nicht, je nun, ſo muß der Konvent nach-
geben, und wir — wir haben Frieden und Ruhe!


Das war der Inhalt aller ariſtokratiſchen Pre-
digten in Frankreich im Jahre 1793. Aber die
Idee von einer geſetzmaͤßigen Freyheit, und einer
edlen Unabhaͤngigkeit ohne das Joch einer willkuͤhr-
lichen Herrſchaft oder Despotie war ſchon damals
ſo tief in die Gemuͤther eingedrungen, daß bey dem
Aufgebot im Herbſte eben des Jahres, Alles zulief,
ſo ſehr, daß man endlich gar genoͤthigt war, recht
ſehr Viele wieder nach Hauſe zu ſchicken.


[69]

Dieſer Umſtand iſt in mancher Ruͤckſicht wich-
tig. Denn es giebt gewiſſe deutſche Politikaſter,
welche die Bereitwilligkeit der Franzoſen, gegen
den Feind zu dienen, dem Zwange und der Guil-
lotine zuſchreiben, und eben dieſes Mordinſtrument
zur Quelle des Republikanismus in Frankreich an-
geben. Aber abgerechnet, daß nur ein Schildai-
ſcher oder Schirachiſirender Politiker dafuͤr hal-
ten kann, daß ein feines, großes Volk ſich aus
Furcht vor der Guillotine, von einer kleinen, ſehr
kleinen Anzahl Buͤrger, deren Autoritaͤt ſich ledig-
lich auf den Begriff von Wahl und Freyheit ſtuͤzt,
und nicht den geringſten herkoͤmmlichen religioͤſen
oder politiſchen Grund hat, bewegen laſſen ſolle,
ſeine Kinder den grauſamſten, aufs aͤußerſte erbit-
terten Feinden entgegen zu ſtellen, und dieß ganz
gegen ſeine Neigung: dieſes unſinnige, politiſche
Geſchwaͤz abgerechnet, ſo iſt ja gewiß, daß bey
dem Aufgebote von 1793 noch nicht die allergeringſte
Spur von Gewalt ſichtbar war, geſchweige denn,
daß man denen, die nicht mitziehen wollten, mit
der Guillotine gedroht haͤtte. Die jungen Fran-
zoſen waren ihrem Geſetze gehorſam, welches be-
fiehlt, daß jeder Franzoſe gehalten iſt, die Waffen
zu ergreifen, wenn ſein Vaterland leidet und es ihn
dazu auffodert. Die aufgebotene Klaſſe ging auch oh-
ne Murren. Woher ſonſt ihre Tapferkeit, ihre Siege!


[70]

Und wenn man ja noch an Zwang denken will,
ſo uͤberlege man nur, daß junge Maͤdchen — nicht
Eine oder Zehne, denn die koͤnnte man allenfalls
ins Regiſter der Naͤrrinnen bringen, ſondern meh-
rere Hunderte — ſich erboten, mit ins Feld zu zie-
hen, daß Viele wirklich mitgezogen ſind, und daß
ſie nachher, als es dem Frauenzimmer verboten
wurde, Kriegsdienſte zu leiſten, ihr Geſchlecht ſehr
ſorgfaͤltig verbargen, blos deswegen, damit ſie der
Ehre, fuͤr ihr Vaterland zu fechten, nicht beraubt
werden moͤgten.


Hat man die Maͤdchen vielleicht auch mit der
Guillotine bedroht? Das einfaͤltige Gewaͤſche waͤre
uͤberhaupt gar keiner Antwort werth, wenn nicht
Maͤnner, die doch fuͤr einſichtig gehalten werden
wollen, Fratzen von der Art fleißig wiederholten,
und dadurch der oͤffentlichen Meynung, ſo viel naͤm-
lich an ihnen iſt, eine falſche Richtung beybraͤchten,
und hiedurch den Krieg verlaͤngern haͤlfen.


Und eben dieſe Maͤnner ſollten ſich wirklich ſchaͤ-
men, da ſie doch wiſſen muͤſſen, wenigſtens wiſſen
ſollten, wenn ihr ganzes Studium nicht gerade ſo
viel werth ſeyn ſoll, als eine taube Nuß, daß ehe-
mals der bloße Republikanismus in Griechenland,
zu Karthago, in der Schweiz, in Holland und in
Amerika, die ſeltſamſten Wunder gethan hat.
Weswegen lernen wir Geſchichte? Vielleicht, daß
[71] wir wiſſen moͤgen, quo anno ante Chriſtum natum
Miuos Geſetze gegeben, und Miltiades die
Perſer geſchlagen hat? Nein, wahrlich, wer mir
nicht ſagen kann, was die Geſetze des Minos
bewirkt und was fuͤr Urſachen und Folgen die Siege
des Miltiades gehabt haben, der mag meinet-
wegen auch vergeſſen, daß Minos und Milti-
ades je in der Welt waren.


Ich wenigſtens habe ſehr viele franzoͤſiſche Sol-
daten gekannt, — ich ward, wie man dereinſt ſe-
hen wird, ſelbſt noch einer — und habe das an ih-
nen gefunden, was jene edlen Vertheidiger Grie-
chenlands auch an ſich hatten, naͤmlich warme
Liebe zu ihrem Vaterlande, eine Liebe, die der
Deutſche deswegen nicht kennt, weil er als Deut-
ſcher kein Vaterland mehr hat. Der Enthuſiasmus
fuͤr ein Phantom verraucht bald, aber der Enthu-
ſiasmus fuͤr ein wahres Gut dauert, ſo lange dieſes
Gut ſelbſt dauert, und wird durch die Bemuͤhun-
gen derer, die uns das Gut entreißen wollen, nur
noch mehr angefacht. Ein beſtrittenes Gut, das
uns intereſſirt, lernen wir eben durch das Beſtrei-
ten beſſer kennen und inniger lieben.


Man hatte mir die Subordination der Franzo-
ſen auf der haͤßlichſten Seite geſchildert, und die
Sansculottes als die undiſciplinirteſten Truppen
ausgeſchrieen. Aber ich ſah ſehr oft das Gegentheil.
[72] Die Kriegsgeſetze der Franzoſen, welche in einem
kleinen Buche, Côde militaire genannt, enthalten
ſind, ſind ſo ſtrenge und ſo kategoriſch, als die
Preußiſchen nimmer ſeyn koͤnnen. Freilich ſteht
nicht auf dem Titel: daß ſie nur Unteroffiziere und
gemeine Soldaten verbinden ſollen; denn die fran-
zoͤſiſchen Kriegsgeſetze gehen alle ihre Kriegsleute
an, und werden — nach ihrem Geſetz der Gleich-
heit — ohne Anſehn der Perſon am Obriſten wie am
Gemeinen ausgeuͤbt. Bey dem allem fodern die
Geſetze ihres Côde militaire die ſtrengſte Befolgung;
und wer dawider ſuͤndiget, kann ſeine Strafe ſich
ſchon vorher ſelbſt diktiren: denn Ausnahmen und
Begnadigung, oder Ruͤckſicht auf vorhergegangne
ſchlechte oder gute Auſfuͤhrung, oder ſonſtige Mil-
derungsmittel finden durchaus nicht ſtatt. Mit
einem Worte, das Geſetz, und nur das Geſetz,
iſt die Disciplin der Franzoͤſiſchen Krieger, und
nicht der abſolute, oft ſehr eigenſinnige Wille des
Offiziers: und der Neufraͤnkiſche Krieger gehorcht
willig und ohne Murren.


Ich habe die Franzoſen und die Preußen, und
mehrere andre deutſchen Soldaten ſehen Dienſte
thun. Erſtere verrichteten, was ſie zu thun hatten,
allemal mit Luſt, und unterzogen ſich dem beſchwer-
lichſten Dienſte, ohne nur zu klagen. Hingegen
die deutſchen Miethlinge oder Lohnſoldaten werden
[73] gar leicht unzufrieden, und verwuͤnſchen den Tag,
an dem ſie zum Dienſte gekommen ſind, ſobald ſie
nur von harten Strapatzen oder von Mangel ge-
druͤckt werden. Ganz Europa iſt in Bewunderung
und Erſtaunen gerathen, als die ſo veraͤchtlich dar-
geſtellten Franzoſen in den Jahren 1793, 94, 95
Dinge ausfuͤhrten, wozu eine eiſerne Geduld, und
ein unbezwinglicher, durch den heißeſten Enthu-
ſiasmus angefeuerter Muth noͤthig iſt. Sollten die-
ſes Leute thun koͤnnen, welche die Disciplin ver-
achten, und ohne Subordination in den Tag hin-
einleben?


Da der franzoͤſiſche Soldat keinesweges von
dem Eigenſinne der Vorgeſezten abhaͤngt, ſo giebt
es auch da keine Offiziere, welche man nach der
Bedeutung, die dieſe Worte bey den Deutſchen ha-
ben, in gute und ſchlimme Offiziere eintheilen
koͤnnte. Der Franzoſe weis nicht, was ein Gif-
ter, Giftmichel oder ein Maͤnnchen wie
ein Braten
iſt. Denn Schimpfen und Schla-
gen ſind bey ihnen unerhoͤrte Dinge. Suͤndigt der
Soldat, ſo kann ihn ſein Vorgeſezter ſtrafen, aber
nur in gewiſſen leichten Faͤllen. Zu ſchweren Faͤl-
len muß ſchon das Kriegsrecht oder die Cour mar-
tiale,
der Volksrepraͤſentant, oder wohl gar das
Tribunal militaire, wie eins zu Auxonne geweſen
iſt, entſcheiden. Der Offizier hat hier nicht mehr
[74] Recht, als der Gemeine: ſein Zeugniß gilt gerade
nicht mehr und nicht weniger, als die Ausſage je-
des andern Buͤrgers.


Die Strafen der Soldaten oder der Volontaͤrs
ſind zwar weder Pruͤgel noch Gaſſenlaufen, auch
nicht andre hin und wieder uͤbliche laͤppiſche Beſtra-
fungen, ich meyne Eſelreiten, Gewehre tragen,
Pfahlſtehen und dergleichen; ſie ſind aber doch
ſtrenge, und dem Verbrechen angemeſſen, als Ar-
reſt bey Waſſer und Brod, oder Wegjagung mit
Infamie oder Tod. Alle militaͤriſchen Verbrechen
beziehen ſich nur auf drey Punkte: auf Nachlaͤſſig-
keit im Dienſte, auf Verletzung der Subordination
und auf Verraͤtherey. Dahin gehoͤrt auch die De-
ſertion, ein Einverſtaͤndniß mit dem Feinde und
dergleichen. Alle andre Verbrechen z. B. Dieb-
ſtahl, Duell, Schlaͤgerey, Mord, Nothzuͤchti-
gung u. dgl. werden nach den gemeinen oder buͤr-
gerlichen Geſetzen geahndet.


Ich war recht gern in der Geſellſchaft der Landauer
Volontaͤrs — Soldaten wollten ſie nicht mehr hei-
ßen — und lernte alle Tage durch Erfahrung ein-
ſehen, daß ſehr Viele in Deutſchland eine uner-
traͤglich ſchiefe Idee von ihnen gefaßt haben. Ihre
Geſpraͤche betrafen faſt immer politiſche Gegen-
ſtaͤnde, und wechſelſeitige Aufmunterung zur Ta-
pferkeit und zur Vertheidigung des Vaterlands. So
[75] ſehr ſie auch in ihren Meynungen uͤber die innere
Verfaſſung und Regierung Frankreichs, und uͤber
die Debatten und Faktionen des National-Con-
vents von einander abwichen, ſo ſehr ſtimmten doch
Alle darin uͤberein, daß erſt das Vaterland gerettet
werden muͤßte, und daß der kein ehrlicher Franzoſe
ſey, der etwas anders wolle, als Freyheit, oder
Tod.


Ich ſondirte ſie oft uͤber ihre Gedanken von den
deutſchen Soldaten, und fand, daß ſie ſich von
uns keine ſo weggeworfne Vorſtellung machten,
als ſehr Viele unter uns ſich von ihnen zu machen
gewohnt ſind. Doch ſchloſſen ſie immer, wenn ſie
etwas Gutes von uns geſagt [h]atten, damit, daß
es Schade ſey, daß wir fuͤr Tyranney, und Deſpo-
tismus ins Feld zoͤgen, und fuͤr Menſchenrechte
und Freyheit wenig Sinn zu haben ſchienen.


Ganz anders machten es in dieſer Ruͤckſicht die
erſten Emigrirten. Dieſe Meſſeigneurs und Meſ-
ſieurs
ſprachen von den deutſchen Truppen ſo weg-
werfend, daß ich mich wundere, wie es moͤglich
geweſen iſt, daß man nur daran denken konnte, die-
ſen veraͤchtlichen Haufen wieder zu ſeinen alten
Rechten zu verhelfen. In Koblenz behaupteten
Viele, und das ganz oͤffentlich, daß ihr Bouillé
die ganze Armee der Alliirten kommandiren muͤßte;
daß der Herzog von Braunſchweig ſich
[76] nicht dazu ſchicke; daß es der Ehre des franzoͤſi-
ſchen Namens zuwider ſey, wenn die Elite de la
nobleſſe Françoiſe
ſich von einem pauvre diáble d[e]
Prince Allemand
ſollte kommandiren laſſen, und daß
ſie nicht unter einem Fuͤrſten dienen wuͤrden, der
niemals l'honneur d'approcher le roi de France
gehabt haͤtte. —


Das Exerzieren lernt der eine Franzoſe von dem
andern, ohne daß Schimpfen, Fluchen, Stoßen
oder Stockpruͤgel die Fehlenden noch mehr verwir-
ren oder in Furcht ſetzen ſollten. Die Nation hat
ein Exerzierbuͤchelchen drucken laſſen und an die
ſtreitenden Nationalen vertheilet. *) Hierin fin-
den ſie alles, was ihnen zu ihrer militaͤriſchen Be-
lehrung dienen kann. Aengſtliche Kleinigkeiten,
die entweder zur bloßen Parade, oder zur takti-
ſchen Pedanterie gehoͤren, aber im Kriege wegfallen,
und nie etwas entſcheiden, ſind nicht darin. Es
iſt zum Erſtaunen, wenn man in Frankreichs
[77] Staͤdten und Doͤrfern junge Leute, ja, Kinder,
haufenweiſe ſich in der Soldaterey uͤben ſieht. Die
oͤffentlichen Anſtalten zur Anbildung junger Krie-
ger, unter der Aufſicht von Invaliden zu Paris,
ſind beruͤhmt und ermunternd.


Was der Patriotismus nicht ganz aufregt oder
vollendet, das erſezt die Ehrbegierde, welche durch
die jedesmalige oͤffentliche Bekanntmachung einer
jeden patriotiſchen Handlung, zumal im Felde, an-
gefeuert und unterhalten wird. Die Belohnung
der Verſtuͤmmelten und Invaliden machet der Fran-
zoͤſiſchen Nation wahre Ehre, und den beweibten
und bekinderten Soldaten einen Muth, wie ihn
kein goldnes oder ſilbernes Verdienſt-Zeichen be-
wirkt.


Ihre Feld- und Schlachtgeſaͤnge ſtimmen mit
ihrem Republikanismus und dem Zwecke ihres
Krieges treffend und eingreifend uͤberein, und ſind
voller Kraft und Feuer, und beleben den Muth
bis zum Enthuſiasmus. Sie ſind Producte ihrer
beſten und eindringendeſten Dichter; und mit der
Muſik und Melodie dazu, von Meiſtern in der
Kunſt, verhaͤlt es ſich eben ſo.


Um das Intereſſe ihrer Armeen an ihrem Na-
tional-Proceß, durch Unkunde in dem jedesmali-
gen Gange deſſelben, nicht erkalten zu laſſen,
ſchickt ihnen die Regierung alle Nachrichten von
[78] merkwuͤrdigen Vorfaͤllen, alle Verhandlungen und
Dekrete jedesmal unentgeldlich zu. Auch hat faſt
jede Armee ihre Schriftſteller und Novelliſten,
welche die Begebenheiten des Tages aus den vie-
len Franzoͤſiſchen Zeitungen, Journalen und Flug-
blaͤttern zweckmaͤßig ausheben, und ſie woͤchent-
lich zur Unterhaltung und Belehrung der Kaͤmpfer
herausgeben. Zur Abwechſelung fuͤgen ſie kleine
moraliſche Aufſaͤtze — uͤber Schonung des Buͤrgers
und Landmanns in feindlichen Landen — uͤber hu-
mane Behandlung der beſiegten oder ſich ergebenden
feindlichen Soldaten — uͤber die Pflicht des Har-
rens und Duldens in harten Kaͤmpfen mit der Na-
tur, oder uͤber die Pflicht der tapfern Vaterlands-
liebe im Kampfe mit dem Feinde u. dgl. ſehr oft
hinzu: auch kommen Gedichte, Bitten und War-
nungen der Generale, Belohnungen und Beſtra-
fungen, nebſt Anekdoten von edlen und tapfern
Handlungen ihrer Kameraden bey ihrer und andern
Armeen vor: und das alles erhalten die Bataillons
ohne die mindeſte Ausgabe.


Und dieſe pſychologiſch-politiſche Maſchinerie
iſt der Schluͤſſel zu den Rieſen-Thaten eines Vol-
kes, das von ſo manchem deutſchen Feder-Buben
und Schwaͤchling anfaͤnglich gar arg und uͤbertrie-
ben beſchimpft und verachtet ward, vor welchem
[79] aber jezt Koͤnige und Fuͤrſten Reſpekt zu hegen,
endlich theuer genug gelernt haben.


So viel ich weis, liefere ich hier Manches,
woruͤber unſere meiſten deutſchen Zeitungsſchreiber
und Schriftſteller bisher ein tiefes Stillſchweigen
zu beobachten, fuͤr gu[t] fanden. Dieß Stillſchwei-
gen koͤnnte der Glaubwuͤrdigkeit meiner Nachrich-
ten bey den Nachbetern aller derer Abbruch thun,
welchen daran liegt, das tauſendfache Gute, Ver-
nuͤnftige und Zweckmaͤßige der Franzoſen zu ver-
tuſchen, und nur das Entgegengeſezte mit recht
grellen und ſchreyenden Farben ans Licht zu ſtellen,
und dieß ſo darum, weil — im Lande der Puck-
lichten jeder gerade Mann die Pucklichen mehr in
Abſtich bringt. *) — Ich muß alſo meine corda-
ten Leſer um Verzeihung bitten, wenn ich meine
Nachrichten hier und da, wo ich — um der Incor-
daten willen, ich meyne die Unbeſchnittenen an
Herz und Kopf — es noͤthig finde, mit Belegen
unwiderſprechlich erhaͤrte.


[80]

Den erſten Beleg nehme ich aus dem Bulletin
Nationale, N. 5.
*) Hier nimmt der National-
Convent die ſechs Kinder des braven Richers,
eines Kanoniers, der in der Vendee von den Re-
bellen gemordet war, im Namen der Republik auf,
und befiehlt dem Wohlfahrts-Ausſchuß, eine Pen-
ſion anzugeben, welche man dieſen Kindern und
deren Mutter bewilligen koͤnne. Zugleich erhaͤlt
der Ausſchuß des oͤffentlichen Unterrichts den Auf-
trag, in dem Auszuge aus den Jahrbuͤchern der
Republik — der bekanntlich der Jugend in Frank-
reich als eine National-Moral in Beyſpie-
len zum Unterrichte fuͤr die Nachahmung dient,
— die Zuͤge von Aufopferung und Civism aufzu-
ſtellen, durch welche die lezten Augenblicke des
Richers und deſſen Sohns glaͤnzend und ruͤhm-
lich geworden waͤren. — Auch dieſer Sohn, fuͤgt
das Dekret hinzu, iſt in dem Vendee-Kriege er-
mordet, weil er dem Charette, der ihm das Le-
ben ſchenken wollte, ſobald er nur ausriefe: Es
lebe der Koͤnig
! zur Antwort gab: Meinen
Vater habt ihr ermordet, weil er die Republik ver-
[81] theidigen half: ich werde den Glanz von einem ſo
ſchoͤnen Tode nicht verdunkeln: ich verabſcheue alle
Tyrannen, und bete an die Freyheit: Es lebe die
Republik!


Den zweyten Beleg enthaͤlt der Argus révolu-
tionnaire
*) worin General Hoche, im 11ten Stuͤck
des II. Jahres der Republik, bekannt macht: daß
der Buͤrger Adraſte, Sergeant am zweyten Ba-
taillon des 58ten Regiments, die Bataillonsfahne,
welche er vor dem Feinde liegen ſah, troz der To-
desgefahr bey dem verdoppelten feindlichen Feuer,
dennoch muthvoll gerettet habe — aber auch ehren-
voll von ſeinen Kameraden belohnt ſey. Cer ex-
emple,
ſezt Hoche hinzu, dans un[e] armée républi-
caine doit trouver beaucoup d'imitateurs.


Vierter Theil. F
[82]

Unter der Rubrik: Mention honorable in dem
ſecond ſupplément au Bulletin — (Séance du 20me
Nivoſe, Lit. R.
) — wird an dem Buͤrger Payen
es gelobt, daß er dem Vaterlande einen Dukaten,
einen Reichsthaler und ſechs Livres geſchenkt habe,
als eine Beute vom Feinde.


In dem vorhin erwaͤhnten Stuͤcke des Argus
ſagt der Verfaßer: Das, was troͤſten muß in der
Gefangenſchaft, iſt, daß die Republik das Eigen-
thum und die Familie aller derer in Schutz nimmt,
welche den Poſten der Ehre behaupten, oder fuͤr
die Vertheidigung der Freyheit erliegen, oder im
Dienſte der braven Vertheidiger derſelben zu Scha-
den kommen.


In eben demſelben Blatte ſchreibt der Verfaſſer,
unter der Aufſchrift: Argusà ſes Camerades:
Argus vous le dit dans Pamerture de ſon ame,
mes Camerades, il y en a beaucoup parmi vous,
qui ne ſont point Républicains, et qui ſons indig-
nes du nom de Sans-culottes.
*) — Hierauf
faͤhrt er fort: „Euer Brod hat man zu 25 Sous
taxirt, und Ihr verkanft es zu 6 Livres. Daß man
[83] es ſo wohlfeil taxirte, geſchah zum Vortheil der
Armeen. — Und die Armeen uͤberall ſind die
nicht unſere Bruͤder? Sind ſie es nicht, die Inter-
eſſe fuͤr uns haben muͤſſen? Sind ſie nicht die
Sans-Cuͤlotten, mit denen wir unſer Brod zu thei-
len haben? Iſt es nicht unſere Pflicht, jene zu
Saarbruͤck zu troͤſten in der Dienſtbarkeit, worin
ſie von den Reichen und von ihren kleinen Despo-
ten gehalten werden?


Argus fodert ſeine Kameraden auf, diejenigen
unter ihnen anzuzeigen, welche ſich nicht betragen
wie freye Menſchen, und die nichts ſeyn koͤn-
nen, als Ariſtokraten, oder ſchlechte Miethlinge,
beſtochen von der Ariſtokratie, um Unordnung an-
zuſtiften.


Der gute Soldat iſt nicht der, welcher die
Republik beſtiehlt; auch nicht der, welcher den
Lebensunterhalt dem Armen verkuͤmmert, oder
pluͤndert, oder es danach macht, daß man ihn
einſtecken muß. Der gute Soldat iſt der, welcher
ſtrenge auf die Geſetze haͤlt, welcher feſt ſteht auf
ſeinem Poſten, und von nichts weis, als daß er
ſich ſchlage fuͤr die Freyheit. Dieſer nur wird
Lorbeer davon tragen: dieſer nur kann ſich freuen
des ſuͤßen Bewußtſeyns, Gutes gethan zu haben;
und er wird die Erkaͤnntlichkeit der Republik ver-
dienen.“


[84]

Wer bewundert hier nicht den ſeinen Geiſt
der militaͤriſchen Politik
unter den Neu-
franken! — Feldprediger, hier iſt Stoff und
Muſter fuͤr Euch! — Jetzt noch ein Beyſpiel von
ihrer militaͤriſchen Poeſie!


Couplets à l'ordre du 2. Nivoſe dans
l
'armée de la Moſelle.

(Air: Du ſerin qui t'a fait envie.)

I.

Vous, ſur qui la France inſultée

Fonde ſon eſpoir et ſes voeux,

Guerriers François, brillante armée,

Volons enſin loin de ces lieux!

Les ennemis de la patrie

Oſeroient - ils done nous braver?

Combattons l'ariſtocratie,

La détruire, c'eſt nous ſauver! — (bis.)

2.

L'Aquilon envain dans nos plaines

Souffle la neige et les glaçons:

Pour ſecouer d'indignes chaines

Que nous importent les ſaiſons.

Ne craignons pas que la victoire

S'arrête à l'aſpect des hivers:

„Tous les mois ſont bons pour la gloire,

„Et les lauriers ſont toujours verds. — (bis.)

[85]
3.

Guerriers! la mort eſt-elle à craindr[e]

A qui combat pour ſes foyers?

Le héros ſe croit-il à plaindre,

Quand il tombe ſur ſes lauriers?

„Mourir c'eſt rendre à la Nature

„Un bien qu'elle nous a prêté

„Et quand on meurt ſur ſon armure,

„C'eſt naitre à l'immortalité! — (bis.)

Wie klug richtet ſich hier Argus nach der
Jahreszeit! Er ſucht durch große, moraliſche
Empfindungen gegen ſtarke, phyſiſche abzuhaͤrten.
Und nun das Ende vom Liede! „Sterben, ſagt er,
iſt der Natur ein Gut zuruͤckgeben, welches ſie
uns geliehen hat; und wenn man auf ſeinen Waf-
fen ſtirbt, das iſt gebohren werden zur Unſterb-
lichkeit!“ — So politiſch-leer, wie dies Lied iſt,
ſind die wenigſten. Le Brun hat einige gelie-
fert, welche Feuer und Flamme ſpeyen. Man
kennt ſie in Deutſchland ſchon ziemlich.


Wenn daher auf dem zerſchoßuen Schiffe, Le
Vengeur,
die Mannſchaft an nichts weniger als
an ihre Rettung denkt, wenn ſie unter dem anhal-
tenden Kanonendonner der Englaͤnder, mit allge-
meinem Jubelgeſchrey, dieſen noch einmal die
volle Ladung giebt, allgemein vive la Nation
[86] jauchzt, unterſinkt, im Unterſinken noch die Maſt-
baͤume erklettert, und unaufhoͤrlich die Schlacht-
Hymne zum Anfeuern ihrer uͤbrigen fechtenden
Bruͤder anſtimmt, bis der Abgrund das Schiff
und ſie verſchlingt; wenn zwoͤlfhunderttauſend
Krieger vom Ruf der Freyheit aufgeboten und
vereinigt, allen Gefahren Troz bieten, alle Hin-
derniſſe uͤberwinden, voll ungeſtuͤmen Muthes und
voll Geduld gegen die Beſchwerden des Hungers,
des Durſtes, der Nacktheit, der Witterung und
der Jahreszeit ausdauern, durch Fluͤſſe ſchwim-
men, Staͤdte mit Sturm erobern, Feſtungen und
mit Schnee und Eis bedeckte Berge erklimmen,
uͤber gefaͤllter Bruͤder Haufen ſiegringend und un-
erſchrocken andringen, mit ihrem Bajonette alle
Lagen-Verſchanzungen- und Nedouten-Vortheile
des Feindes zernichten, durch kriegeriſchen Geſang
und ermunternden gegenſeitigen Zuſpruch ſich an-
feuern, den Feind erſchuͤttern, in Staunen ſetzen,
dem Vaterlande ihr Leben entſchloſſen opfern,
und ſterbend auf dem Schlachtfelde die Republik
noch mit dem letzten Hauche ſegnen; wenn alle
auf Erholung und Winterquartier Verzicht thun,
wenn der Enthuſiasmus der Nation ſogar Weiber
haufenweiſe verkleidet ins Schlachtfeld eilen macht,
wenn auch der Tageloͤhner zur Rettung des Va-
terlandes das Seine gern und zuvorkommend, hin-
[87] giebt; kurz, wenn dieſe Heroen, *) dieß eine
einzige Volk, von den fuͤrchterlichſten Maͤchten
Europens angegriffen, und von Verraͤthern ſo oft
hintergangen, dennoch gegen ſie alle, wie gegen
Natur und Kunſt ſiegreich daſteht: dann wiſſen
wir jezt, wodurch! —


Um aber dieſes naͤher zu wiſſen — denn von
dieſem Wiſſen haͤngen, in gar mancher Ruͤckſicht,
die Maaßregeln fuͤr Europens Ruhe in der Zu-
kunft ab — will ich noch etwas anfuͤhren, was
uns in den Stand ſetzen kann, das Verhaͤltniß
der Streitkraͤfte in Europa und deren Organiſation
richtig abzumeſſen, und dann vom Scheine aufs
Wahre zuruͤckkommen. Das Etwas, was ich
meyne, iſt die Einleitung zu der Déſcription de
quelques corps compoſant les armées Françoiſes.

Hier heißt es:


„Die Energie, der Muth und die Ausdauer,
womit die franzoͤſiſchen Truppen einen Krieg fuͤh-
[88] ren, welcher noch kein Beyſpiel in der Geſchichte
hat, muͤſſen einen jeden, der gegen die Angelegen-
heiten dieſer Unterwelt nicht voͤllig gleichguͤltig iſt,
nachdenken machen, und ſelbſt die Neugier aller
derer erregen, welche an demſelben, wenn ſich dieß
vorausſetzen ließe, nicht den mindeſten Antheil
nehmen konnten.


Wie viele Dinge hat man bis jezt, aufs Wort,
als unentbehrlich fuͤr eine Armee gehalten, um
dieſelbe ſiegen zu machen, deren die franzoͤſiſchen
Heere ſeit vier *) Jahren entbehrt haben: und
welche Heere haben je mehrere Lorbeere geerntet?


Die ſtrenge Mannszucht, welche Friedrich,
der Zweyte, bey ſeinen Truppen einfuͤhrte, hat
viele Nachahmer gemacht, und unzaͤhlige Anhaͤn-
ger gefunden. Getaͤuſcht durch den Schein, meyn-
te man, daß eine bis zum unmenſchlichſten Zwang
getriebene Strenge Automaten unuͤberwindlich oder
[ſie]ghaft machen wuͤrde: aber man wuͤrde zu Frie-
drichs Zeit von ſeinen Fortſchritten ganz anders
geurtheilt haben, wenn man die Aufloͤſung des
Raͤthſels gewußt haͤtte **); und der gegenwaͤrtige
Krieg iſt ſehr geſchickt, ein Vorurtheil zu vernich-
ten, das allgemein a[u]s jedem Soldaten ein Opfer
[89] macht, welches den Stockſchlaͤgen einer ganzen
Stufenreihe von Vorgeſezten gewidmet iſt.


Ueberall fodert man, daß die Armeen agiren
ſollen, aber uͤberall iſt der Soldat ein paſſives
Geſchoͤpf, welches ſich weder bewegen noch han-
deln kann. Im Schooße des Friedens und in
Beſatzungen gewoͤhnt man ihn, ſich unter den
Stock zu erniedrigen; und iſt es Krieg, ſo ver-
langt man, daß er gegen das Schimpfliche einer
Niederlage empfindlich ſey, deren Schande nie
auf ihn zuruͤckfaͤllt. Die Subordination laſtet
unaufhoͤrlich auf den Soldaten: man goͤnnt ihm
nicht einen Augenblick Erholung, nicht eine ein-
zige Minute, wo die Schnellkraft ſeiner Seele ſich
wieder beleben koͤnnte. *)


[90]

Und doch verlangt man mit Menſchen, welche
ſo ſehr herabgewuͤrdiget ſind, Truppen zu beſiegen,
die unter der Mannſchaft, woraus ſie beſtehen, kei-
nen andern Unterſchied, als den der Verrichtungen,
die ihnen uͤbertragen ſind, keine Mannszucht, als
welche ihnen die Pflicht der Stufe, auf der ſie ſte-
hen, und keine Unterwuͤrfigkeit kennen, als welche
ihnen das Geſetz und der Vortheil des Dienſtes auf-
legt. Wenn man einen Menſchen herabwuͤrdiget,
ſo wird man ihn nie dahin bringen, daß er große
Dinge ausfuͤhre; aber wenn man ihm zeigt, daß
er dieſer Ehre wuͤrdig ſey, dann wird man das Ver-
langen danach in ihm rege machen.


Die Menſchen ſind das, wozu man ſie macht.
Diejenigen, welche ſich ihrer bedienen, muͤſſen es
verſtehen, ſie ſo zu bilden, wie ſie ſeyn muͤſſen,
um das zu leiſten, was man von ihnen verlangt.
Man muß aber nicht erwarten, ſie dahin zu bringen,
daß ſie Vorſchlaͤge, die ihnen keine vortheilhafte
Ausſicht fuͤr ſie und die Ihrigen darbieten, wider
Leute werden ausfuͤhren helfen, die ſich eine Le-
bensweiſe verſchafft haben, die ſie gut finden, und
bey der ſie ein Recht zu haben glauben, ſie gegen
jeden zu vertheidigen, welcher als erklaͤrter Feind
ſie ihnen ſtreitig zu machen ſucht.


Zwiſchen Fuͤrſten iſt der Krieg ein Hazardſpiel,
wobey der lezte Thaler entſcheidet: zwiſchen einem
[91] Fuͤrſten und einer Nation iſt es der Loͤwe im Garne:
die Maus iſt nur nicht immer gleich da, um die
Maſchen zu zerfreſſen. Man vergißt es zuweilen,
daß man nichts vermag, wenn man von der allge-
meinen Einſtimmung, welche den Willen Aller
nach einem und demſelben Ziele eilen macht, nicht
unterſtuͤzt wird. In dieſem Zuſtande des Irrthums
handeln wollen, heißt, ſich Unfaͤllen, oder hoͤch-
ſtens einem ſchnell voruͤbergehenden Erfolge aus-
ſtellen. Dieß beweißt die Erfahrung aller Zeiten.
Fuͤrſten errichten Heere: aber welche Anſtrengung
und Koſten verurſacht ihnen dieſes! Wie viel ver-
ſchiedene Triebwerke muͤſſen ſie anbringen, wie viel
verſchiedene Plane uͤberdenken, um nur eine einzige
elende Legion auszuheben! Auf wie vielerley Pri-
vatintereſſe muͤſſen ſie ſchonende Ruͤckſicht nehmen,
indem ſie die Rekruten ausheben! Wie viel Zeit ver-
laͤuft, ehe dieſe Neugeworbenen im Felde erſchei-
nen koͤnnen! Das Uebel iſt nicht groß, wenn es
ein Fuͤrſt iſt, gegen den man Krieg fuͤhrt: fuͤhrt
man ihn aber gegen eine Nation, ſo ſteht dieſe auf
und marſchirt: und es iſt leicht einzuſehen, auf
weſſen Seite der Vortheil ſeyn werde. Es iſt wahr:
eine Nation, welche auf dieſe Weiſe ſich erhebt,
hat nicht den einnehmenden Anblick, den ein ge-
dientes Regiment giebt, wenn es in Parade geord-
net ſteht, wo alle Soldaten wie in Einem Tiegel
[92] geſchmolzen und in Einer Forme gegoſſen ſchei-
nen.


Dieſe ſtrenge Einfoͤrmigkeit uͤberraſcht gewiß,
ſie iſt aber, wie man jezt ſieht, zum Siege nicht
unumgaͤnglich noͤthig. Die Nationalgarden, wenn
ſie gleich unregelmaͤßig gekleidet ſind, ſind nicht
minder tapfere Truppen, als die Linientruppen,
bey welchen jene Regelmaͤßigkeit genauer beobach-
tet wird. Von gleichem Geiſte beſeelt, fechten
dieſe verſchiedene Truppen mit gleicher Tapferkeit,
trotzen dem Tode mit gleichem Muthe, und ertra-
gen gleiche Arbeiten und gleiche Beſchwerlichkeiten
— der Eine, wie der Andere. —


Es iſt nicht leicht, von den Nationalgarden
eine richtige Beſchreibung zu machen, oder dieſel-
ben unter eine gewiſſe Klaſſe zu bringen. Man
kann aber verſichert ſeyn, daß ſie ſich gut ſchlagen,
wenn auch unter ihnen ſich ſolche finden, die blos
mit einem Wamms, und Kamiſol, einem Lein-
wandkittel, oder einem Anzuge von allerhand Far-
ben — bekleidet ſind.“ —


Was dieſe Einleitung zum weitern Entwickeln,
Vergleichen und Entſcheiden alles enthalte, wird
der aufmerkſame Leſer, zumal vom militaͤriſchen
Fache, ohne mein Erinnern ſelbſt leicht bemerken.
Dilettantiſche Leſer, welche die Benennung, Ab-
theilung, Kleidung, Bewaffnung und Verrichtung
[93] des Neufraͤnkiſchen Militaͤrs gern naͤher kennen
moͤgten, finden ſie in dieſer Schrift ziemlich ausfuͤhr-
lich, wenn gleich ſeit 1794 Manches auch abgeaͤndert
iſt. Ich kann mich nicht weiter darauf einlaſſen.


Das frohe muntere Weſen des franzoͤſiſchen
Militaͤrs iſt zum Erſtaunen. Außer dem Dienſte
ſind ſie faſt immer guter Dinge. Mittheilend ſind
ſie recht bruͤderlich; und die vielen Freywilligen von
reicher Abkunft, die ſich ſelbſt bekoͤſtigen, helfen
den Minderbeguͤterten uͤberall durch. Wo ihrer 6,
8, 10 oder Mehrere einquartiert ſind, da iſt der
Wirth fuͤr ſeinen Haustiſch meiſt geborgen. Sie
geben ihre Portionen alle zum Zukochen hin; und
ſo maͤßig und genuͤgſam ſie bey Tiſche gewoͤhnlich
ſind, erhaͤlt der Wirth das Uebrige, oder er und
die Seinen muͤſſen es gleich mitverzehren helfen.
Und ſchon dieß macht, daß die gemeinen Leute die
Franzoſen faſt uͤberall lieber ſehen, als die Trup-
pen der ſtark-appetitiſchen Deutſchen.


Seit ihrem Aufenthalte in den Rheingegenden
findet man jezt, auf ihren Betrieb, beynahe in je-
der Schenke ein Billiard, Klavier u. dgl. So
eifrig ſie aber in irgend einem Spiele, oder ſonſti-
ger Unterhaltung zum Erholen begriffen ſeyn moͤ-
gen, ſo ſchnell liegt und ſteht auch alles, ſobald
nur ein Trommelſchlag ſie auffodert. Sie ſchei-
nen ſchon ganz dazu gewoͤhnt zu ſeyn, mit eben der
[94] heitern Hurtigkeit ſich zum Schlagen anzuſchicken,
womit ſie ſich zum Spielen anſchicken. Wer das
alles ſo ſelbſt mitanſieht, und vorher dem Mili-
taͤrweſen anderer Truppen auch zugeſehen hat, kann
ſich vor Erſtaunen in dieſe ſeltſamen Menſchen an-
faͤnglich gar nicht finden. Aber mit ſolchen Men-
ſchen ſtuͤrmt man die Hoͤlle! — Doch es iſt Zeit,
daß ich einlenke.


Siebentes Kapitel.


Fortſetzung meiner Geſchichte zu Landau. Beſchreibung der
Klubbs oder der Volksgeſellſchaften in Frankreich.


Daß es in der ganzen Welt gute Menſchen giebt,
iſt ein ſehr troͤſtlicher Gedanke, vorzuͤglich fuͤr den,
der des Beyſtandes guter Menſchen bedarf; und wie
Viele ſind wohl, die dieſes Beyſtandes nicht be-
duͤrften! Ich habe die Wahrheit dieſes Satzes ſehr
oft erfahren, und durchaus mehr rechtſchaffene,
und gute Menſchen gefunden, als ſchlechte. Aber
um Andre gut zu finden, muß man, wie Hr. Bis-
pink ſagt, erſt ſelbſt gut ſeyn. Bey kaltem Blute
und ruhiger Ueberlegung, wozu ich aber, ich muß
es geſtehen, nur ſehr ſelten aufgelegt bin, finde ich,
daß der Menſch immer Menſch d. i. nicht ganz gut,
[95] aber doch mehr gut als ſchlecht iſt. In Stunden,
wo ich mit meiner Lage ganz zufrieden bin, welche
aber auch nur hoͤchſt ſelten bey mir eintreten, ſehe
ich alle erſchaffne Weſen fuͤr gut, fuͤr unverbeſſer-
lich an; aber im Paroxismus des Unmuths ſcheint
mir die ganze Welt eine Hoͤlle zu ſeyn. Vielleicht
geht das meinen Leſern auch ſo!


In Landau machte ich mit einem jungen mun-
tern Manne Bekanntſchaft, welcher Korporal bey
den Stadtkanonierern war. Er war ein Sohn des
Buͤchſenmachers Brion, der in Paris gebohren,
ſich aber in Landau verheurathet hatte, und da zur
Zeit der Revolution die Oberaufſicht uͤber die daſi-
gen Zeughaͤuſer bekommen hatte. Der junge Mann
fuͤhrte mich in ſeine Familie ein, und da fand ich
lauter Leute, welche mir baß behagten. Buͤrger
Brion der aͤltere war ein trefflicher Mann, ein
angeſehner und reicher Buͤrger, und ein heller Kopf,
der ſogar ſich, ohne ſtudiert zu haben, mit der Lit-
teratur abgegeben hatte. Er war ehemals der Lieb-
ling des humanen Pfalzgrafen Maximilan von
Zweybruͤcken
. Seine Frau war eine gute lu-
ſtige Frau, welche ſich gern mit mir abgab, und
gern von meinen Begebenheiten erzaͤhlen hoͤrte. Die
Tochter dieſer Leute, ein huͤbſches Maͤdchen von
19 Jahren, war allemal froh, wenn ich kam, denn
ich tiſchte dann und wann allerhand Hiſtoͤrchen auf.


[96]

Brion fand deswegen Geſchmack an mir,
weil ich, wie er ſagte, die Revolution in Frankreich
aus dem rechten Geſichtspunkte anſaͤhe, und nicht
in den Tag hinein raͤſonnirte. Er hatte ſich viele
hieher gehoͤrige Schriften angekauft, welche er mir
mittheilte, und woraus ich Vieles lernte. Unter
andern beſaß er die in ſechs ſtarken Baͤnden zu Stras-
burg herausgekommene Geſchichte der Neu-
fraͤnkiſchen Freyheit, welche alle Dekrete der
Aſſemblée nationale und alle Begebenheiten bis zum
22ten September 1792 enthaͤlt, und zur genauen
Kenntniß der damaligen Begebenheiten unumgaͤng-
lich noͤthig iſt. Es wundert mich, daß ich dieſes
Werk noch nicht in Deutſchland geſehen habe: es
klaͤrt immer weit mehr und richtigar auf, als die
ſchiefen Nachrichten des Hn. Girtanners.


Mit Vergnuͤgen las ich auch die Wochenſchrift,
welche der ungluͤckliche Eulogius Schneider,
von welchem ich weiter unten mehr ſagen werde,
unter dem Titel Argos herausgegeben hatte, und
wovon Brion erwan 20 Stuͤck beſitzen mogte.
Dieſer Argos iſt leſenswerth; aber gewiß fuͤr Ari-
ſtokraten unverdaulich. *)Schneider hat das
ganze Weſen der Grundſaͤtze des aͤchten Republi-
[97] kanismus darin auseinander geſezt, aber eben
deswegen iſt er ein neuer Beweis geworden, daß
man recht gut denken, und dennoch recht ſchlecht
handeln koͤnne.


Dieſe und andere Schriften von eben der Art
gaben den Stoff zu meiner Unterhaltung mit
[Brion] her; und unſere gewoͤhnlichen Geſpraͤche
waren, wie auch der Zeit-Ton ſie angab, politi-
ſchen Inhalts. Man kann dieß ſchon abnehmen
aus unſerem Geſpraͤche uͤber das Manifeſt des
Herzogs von Braunſchweig, welches im vorigen
Bande S 23. u. ff. angefuͤhrt iſt. *)


Vierter Theil. G
[98]

Ich trug noch immer meine preußiſche Uni-
form. Brion gab mir einen dunkelblauen Rock,
und eine rothe ſcharlachne Weſte: dazu kaufte ich
mir lederne gelbe Beinkleider, neue Schuhe, und
einen eckigen Hut, und ſahe nun, indem ich auch
die Kokarde trug, aus, wie ein Citoyen Fran[çois]
Ich wollte, da ich noch Geld hatte, dem [braven]
Manne wenigſtens vier Laubthaler geben — der
Rock war noch ganz neu — aber er nahm auch
keinen Heller.


Durch eben dieſen Brion kam ich noch in
Bekanntſchaft mit mehr andern Buͤrgern, welche
*)
[99]Brions Freunde waren, und gerade dachten wie
er. Beſonders war ein gewiſſer Kaufmann De-
lisle
darunter, ein gewaltig ſcharfer Republika-
ner, ſo wie der Stadtmuͤller Mohrmanu. De-
lisle
verſicherte, daß er an dem Tage, wo die
[Preu]ßen nach Landau kommen wuͤrden, erſt ſein
Haus in Brand ſtecken, und dann ſich erſchießen
wolle. Eben dieſes betheuerte nebſt Andern auch
der Apotheker Hoffmann, deſſen Sohn ehedem
in Halle Theologie ſtudiert hatte.


Brion nahm mich einigemal mit in den
Klubb, oder in die Société populaire, welche da-
mals in Landau noch jedem offen ſtand. Von die-
ſen franzoͤſiſchen Klubbs muß ich meine Leſer et-
was umſtaͤndlich unterhalten: denn das iſt noth-
wendig, um von der Lage der Dinge in Frankreich,
und ihrer Veraͤnderung richtig urtheilen zu koͤn-
nen: und wenn ich Sachen von Wichtigkeit, die
ich genau habe kennen lernen, nicht auch genau
erklaͤren wollte, wozu ſollte dann mein Buch d[ie-][]
nen? dann waͤre es ja nicht mehr werth, als ir-
gend ein ſchaler Roman, z. B. das Heimweh von
S[till]i[n]g.


Bey dem Anfange der Revolution gab es
gleich durch ganz Frankreich viele Anhaͤnger des
neuen Syſtems, aber es gab auch Viele, welche
den treuen Freunden dieſes neuen Syſtems Angſt
[100] und bange machten. Sogar die Herren Geiſtliche
predigten oͤffentlich, daß das Ding keinen Beſtand
haben wuͤrde, und die Herren Freunde der cy-de-
vant-
Herren verkuͤndigten den nahen Ausbruch ei-
ner Gegenrevolution, welche dem ganzen Weſen
ein Ende machen wuͤrde. Die National-Ver-
ſammlung war ſelbſt getheilt, und die redlichen
Anhaͤnger des neuen Syſtems ſahen ein, daß alle
Bemuͤhungen, dem Staate eine beſſere Form zu
ben, fruchtlos ſeyn wuͤrden, wenn die oͤffentliche
Meynung ſich nicht beſtimmt zeigte, um daraus
abzunehmen, was man von der Nation erwarteu
koͤnne. Sie autoriſirte daher im Jahr 1790 die
Volksverſammlungen, das heißt: ſie erlaubte und
ermahnte ſogar, daß diejenigen, welche zum Be-
ſten des Vaterlandes berathſchlagen wollten, an
beſtimmten Tagen zuſammenkommen, und einan-
der ihre Gedanken mittheilen moͤgten, welche dann,
wenn ſie wichtig genug waͤren, allemal ſollten in
Betrachtung gezogen werden, wenn man ſie der
Verſammlung zu Paris ſelbſt vorlegen wuͤrde.
Dieſe Konventikel hießen gleich anfangs Sociétés
populaires,
oder auf Engliſch-Deutſch — K[lubbs]
Sie waren voͤllig frey, und jeder konnte Antheil
daran nehmen, ſogar Fremde und Auslaͤnder.
Damit aber eine Ordnung darin erhalten wuͤrde,
waͤhlten die ordentlichen Mitglieder derſelben, d. i.
[101] diejenigen, welche ihre Namen in das Buch der
Société hatten eintragen laſſen, alle Monate einen
Vorſteher. Dieſer Vorſteher mußte bey jedesma-
lig[er] Zuſammenkunft die Berichte von Allem ab-
ſtatten, was in dem ganzen Reiche vorgefallen
war, und beſonders [mußte] er die neuen Geſetze
und Verordnungen erklaͤren, und ſeine Meynung
daruͤber ſagen. Ohne ſeine Erlaubniß durfte nie-
mand im Klubb reden; wer aber reden wollte, fo-
derte das Wort, und er mußte es ihm geſtatten.


In dieſer Volksverſammlung liegt der wahre
Keim des Republikanism[us], welcher ſich in ganz
Frankreich ſo ſchnell verbreitet hat. Die Ehrbe-
gierde der Praͤſidenten ſpornte ſie an, ſich mit der
Lage der Dinge, und beſonders mit dem Unter-
ſchiede des Despotismus und der Freyheit bekannt
zu machen, und die Neugierde trieb Jung und
Alt in die Verſammlungen, um ſich da erzaͤhlen
und belehren zu laſſen. So voll der Saal in Lan-
dau auch beſtaͤndig war, ſo war doch alles aͤußerſt
ſtill: Alles war auf das, was der jedesmalige
Redner vorbrachte, erpicht: ſogar die Frauenzim-
mer hoͤrten in aller Stille zu, wenn ſie gleich ſonſt,
auch bey den ruͤhrendſten Auftritten in der Emi-
lia Galotti oder in Romeo und Julie
kaum eine Minute ſchweigen koͤnnen.


[102]

Die pfiffigern Ariſtokraten fanden gar bald,
daß dieſe Sociétés populaires endlich einmal das
Grab des Koͤnigthums werden moͤgten, und ſezten ſich
dawider: aber die Aſſemblée nationale unterſtuͤzte
ſie mit allem Anſehn und Nachdruck. Zu Mâcon,
einem Staͤdtchen nicht gar weit von Lyon, hatte
ein Buͤrger im Klubb geſagt, daß man dem Koͤ-
nige die Gewalt nehmen muͤßte, die Verordnungen
der Nation zu ſanktionniren: die Nation koͤnne allein
Geſetze machen, und dazu werde die Sanktion
des Oberbeamten derſelben, oder des Koͤnigs gar
nicht erfodert. — Der Maire der Stadt, ein ſtei-
fer Ariſtokrat, vernahm dieſes, und verbot fuͤr fer-
nerhin die Zuſammenkunft: Aber die Klubbiſten
verſammelten ſich dennoch. Da ergrimmte der
Maire, und er und andere Ariſtokraten entſchloſſen
ſich, die Verſammlung mit Gewalt zu ſtoͤhren.
Er bewaffnete alſo ſeinen Anhang, und drang in
den Saal der Societaͤt ein. Es floß Blut von
beyden Seiten, und mehr als 30 Buͤrger mußten
ihren Geiſt in dieſem Buͤrgerſpektakel aufgeben:
ſelbſt der Maire wurde todtgeſchlagen. Aehnliche
Vorfaͤlle hat es in Frankreich mehr gegeben und
ſelbſt die ſcheuslichen Auftritte in Avignon, von
denen ich weiterhin reden werde, haben unter an-
dern ihren Grund in der Stoͤhrung der Volksſocie-
taͤten.


[103]

Pfeilſchnell verbreiteten ſich die beſſern Grund-
ſaͤtze von Freyheit von einem Ende des Reichs bis
zum andern, und wurden jedem begreiflich. Auch
religioͤſe Gegenſtaͤnde wurden in ſolchen Geſellſchaf-
ten verhandelt, und ich ſelbſt habe den Pfarrer
Ackermann in Landau einſt eine ganz herrliche
Rede halten hoͤren uͤber die Gewalt des Papſtes.
Er bewies auf die allerfaßlichſte Art, daß der Bi-
ſchof zu Rom weiter nichts ſey, als — Biſchof zu
Rom, und daß es eine große Thorheit ſey, einem
Biſchof zu Rom, als Lehrer, die ganze Chriſten-
heit zu uͤberlaſſen, weil doch der Papſt nicht im
Stande ſey, jeden Chriſten zu unterrichten. Eine
noch aͤrgere Narrheit aber ſey es, ihn zum Herrn
der ganzen Chriſtenheit zu machen.


Die Societaͤten verbanden ſich nach und nach
unter ſich ſelbſt z. B. die ſociété zu Lyon ſchrieb
nach Vienne, nach Challons, nach Châlons, nach
Mâcon u. ſ. w. theilte den dortigen ſociétés ihre
Meynungen mit, und dieſe ließen die zu Lyon — ihre
Gedanken wieder wißen. So formirte ſich der Ge-
meinſinn und die bruͤderliche Einigkeit unter allen
Franzoſen. Sie wurden mit einander genauer be-
kannt, und ſuchten es einander in Patriotismus
zuvor zu thun.


Die National-Verſammlung beguͤnſtigte dieſe
Societaͤten nach allen Kraͤften: denn ſie ſah den
[104] handgreiflichen Vortheil, welchen ſie ſtifteten. Da-
her ſchrieb die Aſſemblée nationale hin und wieder
an die Klubbs und nahm ihre Briefe mit Beyfall
auf; j[a], man erlaubte den Abgeſandten dieſer Ge-
ſellſchaften, in der Aſſemblee aufzutreten, und von den
Geſinnungen ihrer Mitbuͤrger Bericht zu erſtatten.
Viele dieſer Reden ſind in den Zeitungen und Bul-
letins gedruckt worden, und manche davon ſind,
ihrer Naivetaͤt wegen, des Aufbewahrens wuͤrdig.


LudwigXVI. oder vielmehr ſein unſinniger,
ariſtokratiſcher Anhang merkte bald, daß er keine
groͤßern Feinde hatte, als eben die in den 1000 und
1000 Klubbs befindlichen Patrioten. Um ſie zu
ſtoͤren, ſollte ein Geſetz gemacht werden, vermoͤge
deſſen die Klubbs ſich monatlich nur einmal, und
zwar unter der Aufſicht eines commiſſaire royal ver-
ſammeln ſollten; und wo ein ſolcher commiſſaire
royal
nicht exiſtirte, ſollten auch keine Klubbs wei-
ter gehalten werden. Haͤtte Antoinettens Fak-
tion dieſes durchſetzen koͤnnen, ſo waͤre die fraͤnki-
ſche Freyheit auf einmal geſcheitert. Aber die Goͤt-
tin Eleutheria wachte, und das ſchaͤndliche Begin-
nen, der Nation ihre Freyheit zu rauben, laut ihre
Meynung zu ſagen, ging zu Grunde.


Die commiſſaires royaux waren Koͤnigliche Kre-
aturen: der Koͤnig ernannte ſie allemal ſelbſt, und
ſie waren eben darum da, um das Intereſſe deſſel-
[105] ben zu unterſtuͤtzen. Und nun dieſe — ſollten die
Volksſocietaͤten dirigiren! Sie maaßten ſich
dieſes Recht hin und wieder auch an. Sogar in
Landau ſelbſt, und in Weißenburg hatte der Maire
wegen des Klubbs einen ſo hitzigen Streit mit dem
Koͤnigs-Kommiſſar, daß dieſer den Maire gegen
alles Recht gefangen nehmen ließ, aber dabey auch
ſelbſt in Gefahr gerieth, vom Volke auf der Straße
ermordet zu werden.


Mir faͤllt hier ein Zug ein von der Impertinenz
dieſer ſogenannten Commiſſaires royaux, welchen ich
nicht uͤbergeben mag, wegen des Beweiſes, daß
Despotie immer bleibt, was ſie einmal iſt. Die
Kommiſſaͤrs waren, wie ſichs verſteht, lauter ge-
borne Franzmaͤnner, und lauter Adliche. Freilich
hatten die Diſtrikte im Elſas und in Deutſchlotha-
ringen ganz billig gefodert, daß man ihnen Deutſche
Kommiſſaͤre geben moͤgte. Allein da dem Koͤnige
das Recht ausſchließlich zuſtand, dieſe Leute zu er-
nennen, ſo ſchickte er, wie natuͤrlich, Franzo-
ſen. Da nun die Franzoſen nicht deutſch konnten,
ſo wuͤrden ſie im Elſaß, ſowohl auf den Gerichts-
ſtuben, als in den Klubbs, die ſie doch dirigiren
ſollten, nicht verſtanden worden ſeyn, und uͤber-
haupt eine traurige Figur geſpielt haben. Die Kom-
miſſaͤre foderten daher, daß man alles auf Franzoͤ-
ſiſch verhandeln und in den Klubbs nie anders als
[106] Franzoͤſiſch reden ſollte. Das hieß nun mit einem
Worte: dem Kommiſſaͤr im Klubb Alles unterwer-
fen: denn da verſtand der Zehnte kein Wort franzoͤ-
ſiſch.


Man darf ſich naͤmlich nicht einbilden, als ſey
die franzoͤſiſche Sprache im Elſaß und in dem deut-
ſchen Theil von Lotharingen ſehr gemein: auf den
Doͤrfern verſteht faſt Niemand ein Wort davon.
Alle Beamten, die dieſer Sprache unerfahren
waren, ſollten demnach entfernet, und Sprach-
kundige an ihre Stellen geſezt werden u. ſ. w. Ruͤhl,
welcher damals — das Unweſen fiel im Jahr 1791
vor — großes Anſehen im Elſaß und in Paris ſchon
hatte, ſtellte der National-Verſammlung das Ding
von der rechten Seite vor, und dieſe beſchloß, daß
kuͤnftig die gewoͤhnliche Landesſprache, alſo im El-
ſaß die Deutſche, bey Gerichtsſachen gebraucht
werden ſollte; und daß in den Klubbs daſelbſt auch
Deutſch geſprochen werden duͤrfte: wollten die Kom-
miſſaͤre Theil daran nehmen, ſo moͤgten ſie erſt ſelbſt
Deutſch lernen. —


Indeſſen wurden die Volksſocietaͤten von Tag
zu Tag angeſehner, und ſchon ſchien der nicht
mehr ein recht guter Buͤrger zu ſeyn, der nicht
dazu gehoͤrte, oder ſeinen Namen nicht einſchreiben
ließ. Da aber eben dieſe Societaͤten es ſich gleich-
ſam zur Regel machteu, das Anſehn der Aſſemblée
[107] von der antiroyaliſtiſchen Parthey — man weiß,
daß damals zwey Faktionen in der National-Ver-
ſammlung waren — aus allen Kraͤften zu unter-
ſtuͤtzen: ſo war es natuͤrlich, daß man von nun
an keinen mehr einnahm, der nicht fuͤr einen bra-
ven Patrioten d. i. fuͤr einen Goͤnner und Freund
der neuen Einrichtung bekannt war. Jede Socie-
taͤt formirte ſich alſo aus eigner Autoritaͤt Geſetze,
welche alle diejenigen, die eintreten wollten, zu
befolgen verſprechen mußten. Die Societaͤten
wurden dadurch engere Verbindungen, und wer
ſich dazu bekannte, unterzog ſich der Vertheidi-
gung aller Einrichtungen der Aſſemblée nationale.


Die Royaliſten ſtifteten gegenſeitig jezt auch
Volksſocietaͤten. Da naͤmlich kein Geſetz da war,
welches nur eine einzige Societaͤt in einem Diſtrikt,
in einer Stadt oder in einem Dorfe erlaubt oder
vorgeſchrieben gehabt haͤtte, ſo kounten ſich außer
der ſchon errichteten Geſellſchaft noch andere her-
vorthnn. Im Jahre 1792 und 1793 gab es der
royaliſtiſch-geſinnten Geſellſchaften mehrere, be-
ſonders in Marſeille, Toulon, Lyon und
Nantes, wie uͤberhaupt in Staͤdten, deren
Hauptbewohner ſich mit der Fabricirung oder mit
dem Verhandeln der Waaren fuͤr den Luxus der
Großen und des Adels abgaben, und folglich ihr
kaufmaͤnniſches Intereſſe dem edlern National-In-
[108] tereſſe vorzogen. Hier, wie in dem ganzen Dé-
partement de la Vend[é]e,
als dem Hauptſitze der
pfaͤffiſchen Dummheit und Entmannung, wurden
durch die antirepublikaniſchen Geſellſchaften die
aͤchten republikaniſchen lange gaͤnzlich unterdruͤckt
und vernichtet. Freilich bekannten ſich die koͤnig-
lichgeſinnten Geſellſchaften nicht oͤffentlich zur
Aufrechthaltung des Deſpotismus, und der paͤpſt-
lichen K[ir]cherey: ſie ſagten blos, daß ſie Ordnung
und Ruhe erhalten, und einer gaͤnzlichen Anarchie
entgegen arbeiten wollten: im Grunde aber arbei-
teten ſie gegen die Dekrete der National-Verſamm-
lung wirklich.


Die Emigrirten, welche im Jahre 1791 ſich
auf den Graͤnzen von Frankreich ſo za[hlreich]
verbreitet hatten, unterhielten mit dieſen koͤniglich-
geſinnten Geſellſchaften immer einen Briefwechſel,
und ermunterten die, wie ſie ſagten, redlichge-
ſinnten Franzoſen, doch ja das Unthier der Anar-
chie — ſie meynten aber die National-Verſamm-
lung — nieder zu ſto[ß]en, und die Geſetzmaͤßig-
keit d. i. das Koͤnigthum oder vielmehr den alten
Deſpotismus, wieder herzuſtellen. In den Jah-
ren 1793 und 1794 ſind ſehr viele hingerichtet wor-
den, bey denen man Briefe von der Art gefunden
hat.


[109]

Da endlich ſo viele Faktionen in Frankreich
herrſchteu: ſo war es wirklich das Werk eines
feſten Patriotismus, der doch noch den beſſern
Theil der Nation beſeelte, daß nicht Alles zu Grun-
de gieng, zumal, als die answaͤrtigen Feinde mit
auftraten. Ein kraͤftiges Mittel, ob es gleich
ein kauſtiſches Mittel war, war die Surveillance,
woraus der Jakobinismus und Terroris-
mus, und Robespierre's Tyranney ent-
ſprungen iſt.


Achtes Kapitel.


Surveillance. Urſprung und Macht des Jakobinismus.


Es gehoͤrt zwar nicht eigentlich in meine Biogra-
phie, daß ich meinen Leſern uͤber Dinge, wie die
ſind, von denen das gegenwaͤrtige Kapitel han-
deln ſoll, Unterricht gebe: allein ich will auch
meine Leſer von meinen Schickſalen nicht allein
unterhalten: der Hauptzweck meiner Schreiberey
iſt, daß ich ihnen die Erfahrungen und Bemerkun-
gen, die ich in Frankreich gemacht habe, mittheile;
und dahin gehoͤren Belehrungen von dieſer Art
zuerſt.


[110]

Der Wetteifer der Volksſocietaͤten und der
Koͤniglichgeſinnten hat in Frankreich die Surveil-
lance
geſtiftet. Man verſteht unter ſurveillance
oder Wachſamkeit, oder Aufſicht, die Gewalt
oder das Recht eines jeden franzoͤſiſchen Buͤrgers,
auf Alles Acht zu haben, was dem Wohl des
Staates zuwider iſt.


In Paris war die vornehmſte Volks-Geſell-
ſchaft, und ſie wurde, weil ſie ihre Zuſammen-
kuͤnfte aux Jacobins, oder in dem ehemaligen Klo-
ſter der Jakobinermoͤnche hielt, Jakobiner-
Klubb (Aſſemblée des Jacobins, auch Jacobins
ſchlichtweg) genannt. In dieſe Geſellſchaft tra-
ten gleich anfangs lauter warme Patrioten, und
machten durch ihre thaͤtige Bearbeitung und Ver-
breitung des Republikanismus beynahe mehr Auf-
ſehen, als ſelbſt die National-Verſammlung,
deren viele Glieder an dem Jakobiner-Klubb Theil
nahmen. Ihr Hauptgrundſatz war: Renoncer à
ſa liberté, c'eſt renoncer à ſa qualité d'homme, aux
droits de l'humanité, même à ſes devoirs
*).


Die National-Verſammlung war gleich bey
ihrer Entſtehung ein gelaͤhmter oder paralytiſcher
[111] Koͤrper, ohne Geiſt und ohne Leben. Hundert Fak-
tionen entzweyten die Mitglieder, und der Koͤnig
oder ſein Anhang, arbeiteten dem Intereſſe des
Volks, und der Freyheit, welches doch die Ge-
genſtaͤnde der Aſſemblée und ihrer Verrichtungen
waren, wenigſtens ſeyn ſollten, beſtaͤndig entgegen.
Die ehrlichen, oder wenn man anders will, die fuͤr
das Volk redlich geſinnten Glieder der Verſamm-
lung, ſo wie viele andre Verfechter der Freyheit ſa-
hen endlich ein, daß ſie durch die Aſſemblée unmoͤ-
glich erhalten, geſchuͤzt und befoͤrdert werden koͤnnte,
und ſuchten eben darum das Heil des Volkes in den
Volksſocietaͤten allein: das Volk ſollte und mußte,
wie die Erfahrung zeigte, ſich durch Gemeinſinn
und thaͤtiges Mitwirken ſelbſt retten.


Eine Menge kleiner Schriften, welche im Jahr
1792 noch vor dem fuͤrchterlichen 10ten Auguſt in
Frankreich erſchienen, und an allen Ecken und En-
den zerſtreut wurden, belehrten das Volk, daß es
in ſeiner Aſſemblée nationale kein Heil zu ſuchen
habe, und daß die Conſtitution geaͤndert werden
muͤſſe, weil es unmoͤglich ſey, daß das
Volk unter einem Koͤnige frey ſey oder
werde
. Soweit hatte es der ſtarre und verkehrte
Anhang des Koͤnigs gebracht!


Von dieſer Zeit an behaupteten die Jakobiner
oͤffentlich, daß man keinen Koͤnig mehr haben
[112] muͤſſe: und ein Feind der koͤniglichen Herrſchaft
hieß von da an — Jakobiner.


Die Sociétés populaires im ganzen Reiche, d. i.
die aͤchten Logen der Freyheit, machten jezt ge-
meinſchaftliche Sache mit den Jakobinern zu Paris,
und nahmen Alle, dieſelben Geſinnungen an. Endlich
kam der ſchreckliche Tag, der 10te Auguſt 1792,
wo das Koͤnigthum geſtuͤrzt, und endlich am 22ten
September die Republik errichtet wurde. Die
graͤßlichen Scenen, welche uͤberall dabey vorfielen,
waren zum Theil in dem Plan der Jakobiner, ein-
mal, um die Hauptfeinde der National-Rettung
wegzuſchaffen, und dann, um Andere von aͤhnli-
chen Verſuchen zuruͤckzuſchrecken.


Um dieſe Zeit fiel das ganze Anſehn der Natio-
nal-Verſammlung uͤbern Haufen, und die Jako-
biner waren jezt durch ganz Frankreich allmaͤch-
tig. Man maßte ſich zwar dieſer Gewalt nicht oͤf-
fentlich und erklaͤrt an, doch geſchah Alles, was
damals ausgefuͤhrt wurde, durch die Betreibung
der Volksſocietaͤten, bis endlich eine Convention na-
tionale
1793 zu Stande kam, die aber bis zum
Meſſidor 1794 von den Jakobinern ganz und gar
regiert wurde, als von den Meiſtern und Herren
der oͤffentlichen Meynung.


In allen Staͤdten und an allen Orten, wo
Volksklubbs gehalten wurden, hatten dieſe die Auf-
[113] ſicht auf alle ihre Mitbuͤrger, und es war hinrei-
chend, bey einem ſolchen Klubb in Verdacht des
Ariſtokratismus zu gerathen und Guͤter, Freyheit
und Leben zu verlieren, wenn man ihn nicht be-
ſuchte, oder Maͤßigung gegen Verdaͤchtige em-
pfahl.


Frankreich lag damals allerdings in einer fuͤrch-
terlichen Kriſe. Von Außen ſtanden maͤchtige Fein-
de, welche dem neuen und erſt aufzurichtenden Ge-
baͤude mit Gewalt den Sturz drohten: im Lande
waren konvulſiviſche Auftritte zwiſchen Royaliſten,
Moderantiſten und Jakobinern. Siegte Eine Par-
they, ſo mußten die andern nothwendig unterliegen
und zu Grunde gehen.


Endlich ſiegten die Jakobiner voͤllig. Selbſt
die Beſchuldigung der Feinde, daß nur ſie die Her-
ſtellung der vorigen Regierung hinderten, diente ih-
nen zu mehrerer Begruͤndung ihres Anſehns. Jezt
galten ſie als die Einzigen Retter des Volks
und des Vaterlands. Duͤmouriezs Treuloſig-
keit endlich[,] nebſt dem nun ſich immer mehr ent-
wickelnden Aufſtand in der Vendée, und vollends
der Abfall von Toulon und Lyon beſtaͤtigten ih-
ren Sieg aufs vollkommeuſte. Freyheit oder
Tod war von da an das Loſungswort durchs
ganze Reich: Jeder Tag gab neue Beweiſe, wie
Vierter Theil. H
[114] ſehr dieſer Grundſatz die Herzen der Franzoſen be-
ſeelte!


Ob Frankreichs Nation damals, als der Ja-
kobinismus Alles baͤndigte, frey war, iſt eine
Frage, die kaum der Antwort wuͤrdig iſt; um
aber doch Einigen meiner Leſer durch eine rich-
tige Vorſtellung derſelben vielleicht ein Vorurtheil
zu benehmen, will ich ſie loͤſen.


Die Nation war unter der Gewalt des Jako-
binismus nichts weniger als frey: das faͤllt von
ſelbſt in die Augen, und ich werde weiter unten
Thatſachen hin und wieder anfuͤhren, woraus die-
ſes ſonnenklar erhellen wird. Allein im Jakobinis-
mus lag doch der Grund, und zwar der einzige
Grund zur entſchiedenen Entjochung und zur ernſt-
haften Begruͤndung einer geſetzlichen Freyheit fuͤr
Frankreich.


Frankreichs Freyheit war durch die Deſpotie
der Koͤnige, durch den Stolz und den Uebermuth
des Adels und der Geiſtlichkeit laͤngſt zu Grunde
gegangen, und vernichtet worden. Der Anhang
dieſes alten Syſtems war noch ſehr ſtark, und die-
ſem allein arbeitete der Jakobinismus entgegen,
und zwar ſo gluͤcklich, daß er ihn voͤllig unter-
druͤckte. Erſt mußte der alte Schaden ausgeſchnit-
ten oder vielmehr ausgebrannt werden: erſt muß-
ten die alten Beulen, die alten Geſchwuͤre des
[115] Staatskoͤrpers gereinigt und geheilt werden, ehe
man eben dieſem Staatskoͤrper eine ungehinderte
Wirkſamkeit geſtatten konnte.


Aber nachdem dieſes geſchehen war, mußten
jene violenten Mittel, die man bey der Vor-Kur
angewandt hatte, auch aufhoͤren. Bey wildem
Fleiſch iſt lapis infernalis oder Hoͤllenſtein noth-
wendig: wer aber auf das friſchanwachſende, ge-
ſunde, und die Wunde zuheilende Fleiſch noch
kauſtiſche Mittel bringen wollte, waͤre ein einge-
machter Narr, oder Tyrann.


Daß der Jakobinismus an ſchrecklichen Auf-
tritten Schuld war, iſt außer allem Zweifel: ich
ſelbſt habe Scenen geſehen, und von andern, die
ich nicht geſehen habe, Folgen wahrgenommen,
bey deren Andenken mir die Haut noch ſchaudert.
Alſo war der Jakobinismus allerdings ein Uebel,
ein ſchreckliches Uebel: aber war er ein nothwen-
diges Uebel?


Um dieſe Frage mit Unpartheilichkeit zu beant-
worten, muß man kaltbluͤtig zu Werke gehen;
und wer dieſes thut, dem werden folgende Betrach-
tungen von ſelbſt einfallen.


Frankreich war durch die Regierung an
den Rand des Verderbens gebracht, und ſeinem
Untergange nahe: dieß konnte der Hof nicht laͤug-
nen. Die Nation, oder vielmehr der beſſere Theil
[116] derſelben, machte Foderungen an die Regierung,
um ſich zu retten: die Foderungen wurden ange-
nommen, geſtattet, ſanktionirt, aber — nicht
gehalten. Die Geſetze, welche man zum Vortheil
des Volks gemacht hatte, waren ohne Kraft, und
der Koͤnig ſelbſt trat ſie mit Fuͤßen. Auf den
Graͤnzen ſtanden Feinde, welche die Herſtellung
der Deſpotie und die gaͤnzliche Vernichtung aller
Volksfreyheiten drohten. Fremde Fuͤrſten inſul-
tirten die Nation mit ihren Manifeſten, und die
eignen Generale der Nation waren Meineidige.
Wo ſollte Rettung herkommen? Ja, die innern
Bewegungen ließen befuͤrchten, daß das Blut de-
rer bald fließen wuͤrde, welche bisher Freyheit und
Volksgluͤck gewuͤnſcht hatten. Hier nun war es
noͤthig, daß diejenigen, welche Muth genug hat-
ten, ſich oͤffentlich als die Anfuͤhrer der Volks-
freunde darzuſtellen, ſich anſtrengten, durch hef-
tige Anſtalten und ſtrenges Verfahren den Geiſt
der Nation zu erforſchen, ihn beſtimmt zu fixiren
und zu beleben: und nach dieſen wirklich wahren
und einleuchtenden Grundſaͤtzen hat Frankreich ei-
gentlich dem Jakobinismus ſeine Rettung
und ſeine Exiſtenz, als Republik, zu verdanken.


Waͤre freilich durch Geſetze und in rechtlicher
Form das zu erhalten geweſen, was man durch
Strenge und Schrecken zu erzwingen ſuchen mußte,
[117] ſo waͤre der Jakobinismus, oder wie man ihn ſeit
1794 auch heißt, der Terrorismus, eben ſo
abſcheulich, als die Bartholomaͤusnacht.
Aber bey der ſchrecklichen Alternative, entweder
wieder ins alte Joch des Deſpotismus, der
Pfafferey und der Tyranney des Adels noch ſklavi-
ſcher als zuvor zuruͤckgeworfen zu werden, oder
frey zu werden und zu bleiben, findet der Men-
ſchenfreund tauſend Gruͤnde, das Schreckensſyſtem
zu rechtfertigen und zu entſchuldigen, ohne jedoch
die fuͤrchterlichen Exceſſe gutzuheißen, welche ſo
haͤufig vorgefallen ſind, ob er ſich gleich auch hie-
bey erinnert, daß wenn man eine Saite zu ſehr
ſpannt, man ſich eben nicht wundern darf, wenn
ſie zerſpringt, und dem unvorſichtigen Spanner
ins Auge ſchlaͤgt. —


Es iſt nun, glaube ich, ſehr ſichtbar, daß der
Urſprung des Jakobinismus nicht ſowohl in der
erſten franzoͤſiſchen Konſtitution, noch uͤberhaupt
in den billigen Foderungen der Nation als viel-
mehr in den Bemuͤhungen der Feinde, die Freyheit
der Nation niederzudruͤcken, in den Angriffen der
Auslaͤnder, in den Wirkungen des ariſtokratiſchen
Anhangs in Frankreich, und in der Untreue und
der Verraͤtherey der franzoͤſiſchen Generale, beſon-
ders des Duͤmouriez, zu ſuchen ſey. Haͤtte
man der erſten Konſtitution nicht ſolche ſchreckliche
[118] und gewaltthaͤtige Mittel entgegen geſezt, ſo wuͤr-
de nimmermehr ein Jakobinismus entſtanden ſeyn.


Nach den jezt angefuͤhrten Gruͤnden iſt es eben-
falls gar ſchwer, uͤber den wahren Charakter und
das wahre Verdienſt oder Misverdienſt eines Ma-
rat, Robespierre und andrer Terroriſten zu
urtheilen. Sie moͤgen aber geweſen ſeyn, was ſie
wollen: man muß ihnen das immer laſſen, daß ſie
eine der Haupturſachen geweſen ſind, daß die Re-
publik Frankreich noch beſteht.


Als ich von Landau naͤher ins Innere von
Frankreich kam, war eben der Jakobinismus oder
Terrorismus in ſeiner groͤßten Wirkſamkeit, und
die ganze Nation lag in den graͤßlichſten Konvul-
ſionen. Aber dieſe Konvulſionen wurden von ein-
ſichtigen Maͤnnern regiert, und zu heilſamen Zwe-
cken geleitet. Die Nation ſah ein, daß ihre Ret-
tung nur auf dieſe Art moͤglich war, und autori-
ſirte ſie gleichfalls dadurch, daß ſie die Verfah-
rungsart der Jacobiner herrſchend werden ließ.
Haͤtte die Nation dieß nicht gewollt: wie haͤtte
eine Handvoll Menſchen es wagen duͤrfen, ſich die
ſtrengſte Aufſicht uͤber mehr als zwanzig Millionen
ihres Gleichen anzumaßen, zumal zu einer Zeit,
wo Alles auf das Recht und Unrecht einer An-
maßung oder Anmaßlichkeit aufmerkſam war! —
Alſo war damals dennoch nichts weniger, als
[119] Anarchie in Frankreich, wie man in Deutſchland
ſo dreiſt und frech ausgeſprengt hat.


Ich werde, was ich vom 27ten Dezember 1793
bis auf den Tod des Robespierre im Thermi-
dor 1794 in mehrern Staͤdten und Provinzen Frank-
reichs, beſonders in Auxonne, Dijon, Lyon,
Valence, Vienne, Montpellier, Gré-
noble, Mâcon, Avignon, und ſonſtw[o]
geſehen und erfahren habe, treulich mittheilen;
folglich iſt es nicht noͤthig, daß ich hier im Allge-
meinen angebe, wie ſich der Jakobinismus gezeigt
und geaͤußert habe. Eins will ich doch anfuͤhren,
damit ichs nachher nicht etwan vergeſſe, welches
leicht geſchehen koͤnnte, da ich nicht nach einem
ſchriftlichen Schema arbeite, ſondern ſo, wie mir
die Dinge, nach einer gewiſſen Ordnung im Kopfe,
und nach kleinen Hauptbemerkungen wieder einfal-
len, hinſchreibe. Es beſteht darin, daß die anti-
patriotiſchen Zuſammenkuͤnfte nach dem Sturz des
Koͤnigthums (royauté) ſogleich abgeſchafft, und
bey Todesſtrafe verboten wurden. Die Glieder
dieſer ariſtokratiſchen Klubbs wurden ſofort einge-
ſteckt, und ſehr viele von ihnen ſind hingerichtet.
In Strasburg war ſo eine Geſellſchaft, welche
ſich den Namen der Geſellſchaft fuͤr das Beſte des
Vaterlandes gab (pour le bien de la patrie). Ihre
Deviſe war eine Kokarde mit den Worten: Wohl
[120] des Vaterlands
(Bien de la Patrie): aber im
Grunde war ihr Zweck die Wiederherſtellung des
Koͤnigthums, der Pfafferey, des Adels und aller
Ingredienzen des franzoͤſiſchen Despotismus. Die
Mitglieder dieſer Geſellſchaft ſind alle auf die
Anklage des bekannten Eulogius Schneider
hingerichtet worden.


Die Volksſocietaͤten, oder die Klubbs der Ja-
kobiner — denn das iſt nun eins — waren vom
Konvent autoriſirt, auf alle Buͤrger Acht zu ge-
ben (de [ſ]urveiller les citoyens). Es wurden da-
her in allen Diſtrikten gewiſſe comitês de [ſ]urveil-
lance
feſtgeſezt, welche aus den einſichtsvollſten
und ſtrengſten Jakobinern beſtanden, und auf Al-
les Acht haben mußten, was in Ruͤckſicht der oͤf-
fentlichen Geſinnungen bemerkbar wurde. Von
der Art, wie dieſe ſurveillances ihr Amt geuͤbt ha-
ben, werde ich mehrere Thatſachen weiterhin an-
fuͤhren.


[121]

Neuntes Kapitel.


Bombardement von Landau.


Es iſt nun Zeit, daß ich wieder zu den Begeben-
heiten zuruͤck komme, wovon ich in Landau Zeuge
war.


Der Kronprinz von Preußen hatte ſich
einmal vorgeſezt, Landau wegzunehmen, es moͤgte
koſten was es wolle; und nachdem er den General
Laubadere faſt taͤglich um die Uebergabe ange-
gangen war, aber in der Guͤte ſeinen Zweck nicht
erreichen konnte, entſchloß er ſich, Anſtalten zum
gewaltſamen Angriff dieſes Platzes zu machen.
Worauf er hiebey weiter rechnen mogte, laͤßt ſich
denken.


Laubadere wurde ſehr bald von dieſen thaͤ-
tigen Anſtalten unterrichtet, und ſuchte ſich, ſo gut
er konnte, in Vertheidigungsſtand zu ſetzen. Er
ließ die Kaſematten bewohnbar machen, um ſeine
Garniſon da zu ſichern gegen das feindliche Feuer,
und dann mußte das Pflaſter in der ganzen Stadt
aufgeriſſen werden, um die Wirkung der Bomben
unſchaͤdlicher zu machen, und zu hemmen.


An einem Sonntage fruͤh hoͤrte man in der
Ferne ein gewaltiges Kanonenfeuer: die Franzoſen
[122] verſuchten damals ſchon, durch die Linien, welche
kurz vorher von den Oeſtreichern waren erobert wor-
den, durchzubrechen, um Landau zu entſetzen.
Um nun der Garniſon Schreck einzujagen, und ſie
zu verhindern, einen bey ſolcher Gelegenheit ſehr
rathſamen Ausfall zu wagen, ließ der Kronprinz
einige Haubitzen aus einer an der Oſtſeite von Lan-
dau angelegten Batterie, in die Stadt werfen.
Die Haubitzen thaten ſofort ihre Wirkung, und
ſchlugen einige Haͤuſer zu Schaden; auch wurde
eine alte Frau, ein Kanonier und ein Pferd ge-
toͤdtet.


Da die Landauer ſo was niemals erfahren hat-
ten, ſo fuhren ſie gar maͤchtig zuſammen, und
glaubten nun, der juͤngſte Tag ſey vorhanden.
Aber der General ließ in allen Straßen ausrufen,
daß er gewiß wiſſe, daß die Preußen fuͤr dieſes Mal
das Bombardiren nicht fortſetzen wuͤrden: denn ſie
haͤtten noch keine hinreichende Munition dazu: die-
ſes ſey ihm durch zuverlaͤſſige Spionen hinterbracht
worden. Er hatte ſich auch nicht geirrt: denn ge-
gen Mittag hoͤrte das Bombardiren von Seiten der
Preußen ſchon auf.


Da aber doch das Schießen bey den Weißen-
burger Linien noch immer fort gehoͤrt wurde, ſo
entſchloß ſich der General Delmas, einen Aus-
fall zu wagen. Man ſagte, Laubadere habe
[123] ihn dazu aufgefodert, wenigſtens muß es auf ſeine
Erlaubniß geſchehen ſeyn: denn er war ja Comman-
deur, und nicht Delmas. Dieſer nahm alſo
zwey Bataillons, la Montagne und la Correze,
und marſchierte durch ein Auslaßthor aus der Fe-
ſtung, um die Preußen, auf der Seite nach Wei-
ßenburg zu, zu delogiren. Allein dieſer Ausfall
misgluͤckte gar garſtig: denn die Preußen ſchoſſen
ihm ohngefaͤhr acht Mann todt, verwundeten meh-
rere, und zwangen ihn, ſpornſtreichs wieder nach
Landau zuruͤck zu kehren.


Dieſer mislungene Verſuch gefiel dem Obriſten
von der Reuterey am wenigſten. Er behauptete,
daß man aus Mangel an hinlaͤnglicher Kavallerie
bey Tage keinen Ausfall wagen muͤßte, und ſtellte
dem General Laubadere recht lebhaft die Ge-
fahr vor, worin ſich die beyden Bataillons befun-
den haͤtten, niedergemacht, oder doch gefangen
genommen zu werden, wenn die Preußen nur kluͤ-
ger geweſen waͤren, und ſie eine kleine Strecke wei-
ter haͤtten vormarſchieren laſſen. Du biſt verant-
lich, fuhr er fort, wenn kuͤnftig wieder ſo ein Schni-
tzer gemacht wird, beſonders da der Repraͤſentant
außer Aktivitaͤt geſezt iſt. Jezt handelſt Du nur
nach deiner Einſicht; aber gieb Acht, daß du im-
mer ſo handelſt, wie du es verantworten kannſt.
Der Obriſt ſtellte ihm dabey auch dieß vor, daß es bey
[124] den jetzigen bedenklichen Zeiten beſſer ſeyn wuͤrde,
wenn man den Repraͤſentanten wieder in Mitwir-
kung ſezte, zumal da die Beſchuldigung gegen ihn
gar nicht bewieſen ſey. — Laubadere gab hierauf
nach, und noch denſelben Abend wurde Dentzel ſei-
nes Arreſtes entlaſſen, und war wieder nach wie
vor Repraͤſentant.


Ich ſah Dentzel einige Tage nachher auf dem
Wall. Er gruͤßte mich freundlich, und ſprach mir
unbefangen zu; aber uͤber unſre Sache wurde von
jezt an auch kein Wort mehr erwaͤhnt.


Nun blieb es noch einige Zeit ganz ruhig in Lan-
dau. Die Buͤrger machten indeß ihre Haͤuſer bom-
benfeſt, d. i. ſie trugen Miſt auf die Boͤden, da-
mit die Bomben, welche etwan durchs Dach fallen
koͤnnten, da liegen bleiben und platzen moͤgten,
ohne weiter durchzudringen, und das ganze Haus
zu beſchaͤdigen.


Endlich erhielt der Kronprinz ſo viel Belage-
rungs-Geſchuͤtz, daß er Landau einige Tage ziem-
lich heftig beſchießen konnte. Den 27ſten October,
an einem Sonntage Nachmittag, hatte er, unter
ſcharfer Bedeckung von drey Bataillons, hinter
Rußdorf, eine Viertelſtunde von Landau, eine Bat-
terie errichten, und alles zum Beſchießen der Fe-
ſtung in Stand ſetzen laſſen. Montags fruͤhe, den
28ten, um Halbſieben fing das Feuer ſchon an,
[125] und waͤhrte, wiewohl mit einigen Pauſen, bis den
31ten um 8 Uhr des Abends.


Gleich am erſten Tage that das Feuer viel
Schaden: einige Haͤuſer geriethen in Brand, aber
durch die guten Anſtalten gegen das Feuer wurde
die Brunſt jedesmal ſehr bald geloͤſchet. Den 29ten
fingen die Preußen das Bombardement ſchon des
Nachts vor ein Uhr an, zuͤndeten an zwey Staͤtten,
aber ohne merklichen Erfolg: die Beſatzung dage-
gen ließ ihr Geſchuͤtz die Nacht uͤber ſchweigen, bis
den Morgen um 6 Uhr, wo ſie raſch antwortete,
und um 7 Uhr den Preußen einen Pulverkaſten in
die Luft ſprengte, wobey, wie ich jezt hoͤre, drey
Mann erſchlagen, und zehn Mann, nebſt einem
Offizier, verwundet worden ſind. Den 30ten zuͤn-
deten die Preußen an vier Stellen von neuem;
aber auch dieß entſchied nichts. Den 31ten zuͤnde-
ten ſie hier und da wieder, bis ſie endlich des Abends
um 8 Uhr das Bombardiren einſtellten, und um 10
Uhr die Batterie vom Geſchuͤtz und die Tranſcheen
von der Mannſchaft leer gemacht, und ſich in ihr
Lager zuruͤckgezogen hatten. Ueberhaupt iſt zwar
Landau bey dieſem Bombardement ſehr beſchaͤdiget
worden; aber deswegen wuͤrden die Preußen es
doch nicht erhalten haben, geſezt auch, ſie haͤtten
das Bombardiren mehrere Wochen auf dieſe Art
fortgeſezt.


[126]

Die preußiſchen Batterien waren nur auf der
Nordſeite angelegt, und konnten daher die Stadt
nur auf einer Seite aͤngſtigen. Zudem mußten
die Kononenkugeln, ſo wie die Bomben und Hau-
bitzen alle im Bogen geſchoſſen werden. Aus Bre-
ſche-Schießen war vollends gar nicht zu denken,
und das Fort nebſt dem Hornwerk, dieſe Haupt-
werker der Feſtung, litten beynahe gar nichts. Alſo
war es blos darauf angeſehen, die Stadt in Brand
zu ſtecken, um vielleicht die Einwohner zu bewegen,
den General zur Uebergabe zu zwingen. Kurz,
man mogte denken, es ſollte bey Landau gehen,
wie es bey Longwy und Verdun das Jahr zu-
vor gegangen war.


Wirklich waren die Landauer, welchen derglei-
chen Spektakel ganz neu waren, ſehr beſtuͤrzt, und
Viele hielten ſich fuͤr verloren. Einige ſprachen
gleich anfangs ganz laut von der Uebergabe und
hielten es fuͤr rathſamer, das Staͤdtchen den
Deutſchen zu uͤberlaſſen, als zuzugeben, daß die
Preußen es zuſammenſchoͤſſen.


Dentzel, welcher jezt wieder in vollem An-
ſehn ſtand, ließ die Buͤrger, wenigſtens die vor-
nehmſten oder angeſehenſten derſelben aufs Gemein-
haus fodern. Landau, ſagte er, iſt eine Graͤnzfe-
ſtung, iſt der Schluͤſſel zum Elſaß, und ein Ei-
genthum der Republik. Wir muͤſſen nun, da an
[127] Landau ſo viel liegt, dafuͤr ſorgen, daß dieſer Platz
erhalten werde. Ein Geſetz befiehlt, daß der, wel-
cher bey Belagerungen von Uebergabe ſpricht, und
dadurch Verzweiflung unter ſeine Mitbuͤrger ver-
breitet, mit dem Tode beſtraft werde, und Ihr
moͤgt Euch darauf verlaſſen, daß ich jeden, der ge-
gen dieſes Geſetz ſuͤndiget, nach aller vorgeſchrieb-
nen Strenge behandeln werde. — Dieſe Rede,
welcher ein oͤffentlicher Anſchlag auf allen Straßen
folgte, und der daſſelbe beſagte, ſtellte die unvor-
ſichtigen Reden von Uebergabe u. dgl. zur Ruhe.


Laubadere hatte ſeine Volontaͤrs und alle
Pferde nach den Kaſematten bringen laſſen, er ſelbſt
aber war in ſeinem Quartier geblieben, und ging
ganz unbefangen auf den Straßen herum. Den-
tzel bezog ein bombenfeſtes Gewoͤlbe auf dem Wall.


Wenn es abſcheulich iſt, ſich bey einer Belage-
rung auswaͤrts zu befinden, ſo iſt es gewiß noch
fuͤrchterlicher, in einer Stadt zu ſeyn, die eben be-
ſchoſſen wird. Nirgends iſt man beynahe ſicher,
wenigſtens iſt es gefaͤhrlich, auf der Straße, oder
in Gemaͤchern zu ſeyn, die nicht bombenfeſt gemacht
ſind: denn man kann nicht wiſſen, wo eine Kugel
oder eine Haubitze hinfaͤllt. Das Kaufhaus, wor-
auf wir lagen, wurde ſtark beſchaͤdigt, und eben
darum ließ uns der General in die Pfarrkirche zie-
[128] hen, welche vorher feſt gemacht war. Hiehin wur-
den nun auch die Hand-Muͤhlen gebracht.


Dieſe Kirche war voͤllig leer, und die Bilder,
welche ehemals zur oͤffentlichen Verehrung gedient
hatten, waren alle in die Sakriſtey gebracht wor-
den. Die Volontaͤrs, welche mit den Deſerteurs
an den Handmuͤhlen arbeiteten, witterten die Hei-
ligen-Bilder aus, und warfen ſie nach und nach
in das Feuer, welches ſie wegen der Kaͤlte in der
Kirche Tag und Nacht zum Waͤrmen fuͤr ſich und
die Arbeiter unterhielten. Da wurde denn der heil.
Stephan, der heilige Joſeph, eine Mutter Gottes
und einige heil. Engel zum großen Aergerniß eini-
ger Kaiſerlichen Deſerteurs dem Vulkan aufge-
opfert. Die Volontaͤrs machten jedesmal die ſpoͤt-
tiſchſten Anmerkungen, wenn ſo ein Heiligen-Klotz
zu brennen anfing. Die Kaiſerlichen Deſerteurs
vergaßen dagegen nicht zu bemerken, daß der liebe
Gott unmoͤglich einem Volk Gluͤck und Segen ge-
ben koͤnne, das ſo der Heiligen ſpotte, und ihre ge-
weihten Bilder ſo beſchimpfe und zerſtoͤre.


Ueberhaupt muͤſſen die gutkatholiſchen, auch
manche gutproteſtantiſchen Chriſten an der goͤttli-
chen Regierung bey der neuern franzoͤſiſchen Ge-
ſchichte ganz irre geworden ſeyn. Sonſt that der liebe
Gott und beſonders ſeine Heiligen unzaͤhlige Wun-
der; ja, Himmel und Erde wurde oft um einer nichts-
[129] wuͤrdigen Kleinigkeit willen in Bewegung geſezt.
Ein Prophet wurde von loſen Buben Kahlkopf ge-
ſcholten: fluchs kommen zwey Baͤren und zerreißen
zwey und vierzig von dieſen Spoͤttern. Jerobe-
am, der Koͤnig, wollte einen fanatiſchen Prophe-
ten einſtecken laſſen, aber ſeine Hand verdoͤrrte
ploͤtzlich. Wegen einer kleinen Luͤge fiel Ana-
nias und ſein Weib todt danieder; ja eine ganze
Stadt ging in Indien unter, weil die Einwohner
dem heil. Xaverius den Eingang verwehrt hat-
ten.


Aber in Frankreich — du lieber Gott! da wur-
den die lieben Heiligen aufs aͤrgſte gemißhandelt!
Ihre Lieblinge, die Moͤnche und Nonnen, wurden
fortgejagt, ihre Kirchen wurden zerſtoͤhrt, ihre
Bilder, ſogar die, wobey ſie ſonſt vorzuͤglich Wun-
der gethan hatten, wurden zerſchlagen, und ſie —
ſie ſaßen im Himmel ruhig, und konnten das Un-
weſen ſo unbekuͤmmert mit anſehen, ohne Feuer,
Pech und Schwefel auf die Gottesſchaͤnder herab-
zuſchleudern! Da nun doch wohl keine Revolution
im Himmel vorgefallen ſeyn wird, wonach der bis-
herige Schlendrian darin abgeaͤndert ſeyn moͤgte;
ſo muß jeder gute Chriſt ſtutzen und an ſeiner eig-
nen Religion zu zweifeln anfangen. — Mir iſt
das Ding freilich nicht aufgefallen: denn ich war
Vierter Theil. I
[130] ſchon lange uͤber alles das hinaus: aber nicht alle
Menſchen ſind ſolche Boͤſewichter, wie ich! —


Der oben genannte Buͤrger Brion hatte zwey
Haͤuſer, deren eins er ſelbſt bewohnte, das andre
aber hatte vorher einer ſeiner Verwandten bewohnt,
der aber aus guten royaliſtiſchen Geſinnungen ſchon
lange ausgewandert war. Da nun die Munici-
palitaͤt befahl, daß in jedem Hanſe wenigſtens
zwey Perſonen bleiben und die Hausthuͤr immer of-
fen laſſen ſollten, damit, wenn Feuer darin ent-
ſtaͤnde, man es ſowohl ſogleich erfahren, als auch
loͤſchen helfen koͤnnte: ſo erbot ich mich mit einem
gefangenen kaiſerlichen Reuter, Namens Schnei-
der, von Annaberg in Sachſen, einem kreuzbra-
ven jungen Menſchen, in dieſem leeren Hauſe des
Nachts zu bleiben. Brion nahm dieſes Aner-
bieten an, und verſorgte uns mit Eſſen und Trin-
ken aufs reichlichſte. Ich habe hernach bis zu mei-
nem Abmarſch aus Landau immer in dieſem Hauſe
geſchlafen.


Gleich am zweyten Abend des Bombardements
ging Schneider, um aus einem nahen Keller un-
ter einem Hauſe, welches ſchon oft gebrannt hatte,
und wirklich noch brannte, Wein zu holen. Er
kam zuruͤck und hatte Wein genug; allein er klagte
auch heftig uͤber ſein Schienbein, welches ihm durch
ein Stuͤck von einer zerſprungnen Haubitze verlezt
[131] war. Fruͤh konnte er ſchon nicht mehr gehen, und
litt die heftigſten Schmerzen. Ich holte ihm bey
dem Kommiſſaͤr einen Spitalzettel, und er wurde
ins Lazareth gebracht, wo er ſo lange lag, bis er
voͤllig kurirt war. Er iſt nachher noch vor dem Ent-
ſatz von Landau ausgeliefert worden.


Waͤhrend des Bombardements in Landau ver-
brannten ein Strohmagazin, worin auch Heu und
andre Dinge waren, drey Haͤuſer, einige Scheu-
nen und einige Staͤlle: aber ſehr viele Gebaͤude
ſind beſchaͤdigt worden. Ums Leben kamen ohnge-
faͤhr 20 Menſchen, ohne die, welche verwundet
wurden. Unter den Todten war auch ein Preußi-
ſcher Kriegsgefangner, dem eine Kanonenkugel auf
dem Wall die Eingeweide herausgeriſſen hatte.


Das fuͤrchterliche Kanoniren und Beſchießen
hatte, wie geſagt iſt, Donnerſtags den 31ten ſchon
aufgehoͤrt; aber die Landauer fuͤrchteten noch im-
mer, daß es wieder angehen, und vielleicht noch
heftiger fortgeſezt werden moͤgte. Es begaben ſich
daher einige orthodoxe, fromme Maͤnner, und ein
Ausſchuß andaͤchtiger Matronen zum Pfarrer
Ackermann, und baten ihn, oͤffentliche Bet-
ſtunden anzuſtellen, um Gott und ſeine Heiligen
zu bewegen, daß ſie doch alles fernere graͤßliche
Ungluͤck in Gnaden von ihnen abwenden moͤgten.
Allein Ackermann ſtellte ihnen vor, daß man keine
[132] Huͤlfe vom lieben Gott erwarten muͤßte, welche man
ſich ſelbſt ſchaffen koͤnnte durch Geduld, Muth und
Beharrlichkeit. Zudem duͤrfte er ohne den General
und den Repraͤſentanten keine Neuerungen im Got-
tesdienſte vornehmen.


Ackermann gab ſofort von dem Anſuchen der
Devoten dem General Nachricht. Dieſer erſchien
auf dem Marktplatz und ſagte: Die Gefahr, Buͤr-
ger, iſt vorbey! Alles, was die Preußen an Mu-
nition gehabt haben, haben ſie uns zugeworfen:
haͤtten ſie mehr gehabt, ſo haͤtten ſie noch nicht auf-
gehoͤrt. Seyd alſo getroſt und hoffet auf baldige
Befreyung! Unſre Bruͤder bey der Armee werden
nicht zaudern, Euch aufs kraͤftigſte zu Huͤlfe zu
eilen! — Dieſe Verſicherung machte den Buͤrgern
wieder Muth.


Ich hatte mit einem geſchickten Artilleriſten von
den Franzoſen Bekanntſchaft gemacht, und unter-
hielt mich mehrmals mit ihm uͤber die Belagerung
und beſonders uͤber das uͤberſtandene Bombarde-
ment. Dieſer Mann urtheilte, daß die Preußen die
Stadt ſehr unrecht bombardiert, und ihre Munition
vergebens verſchleudert haͤtten: denn ſie haͤtten ja
wiſſen muͤſſen, daß Landau aus ſoliden Haͤuſern
beſtehe, welche folglich ſehr ſchwer in Brand zu ſte-
cken ſeyen. Dann haͤtten ſie auch bedenken ſollen,
daß die Buͤrgerſchaft gar zu ſchwach ſey, um den
[133] General zu zwingen, die Stadt zu uͤbergeben, ge-
ſezt auch, ſie waͤre noch ſo ſehr ruinirt worden.
Es waͤre daher auch gar nicht rathſam geweſen,
die Stadt ſelbſt zu beſchießen, zumal, da es doch
ſchien, als wenn die Preußen eben nicht ſehr mit
Munition verſehen waͤren. Regelmaͤßig haͤtten ſie
lieber ihre ganze Kraft auf die Eroberung, oder Zer-
ſtoͤrung des Forts oder des Hornwerks, als worin
doch die Hauptſtaͤrke dieſes Platzes beſtaͤnde, rich-
ten ſollen. Es ſchiene uͤberhaupt, als verſtaͤnden
die Preußen nicht recht, wie man eine Feſtung an-
greifen muͤſſe u. ſ. w. Ich laſſe es dahin geſtellt
ſeyn, in wie ferne mein Artilleriſt Recht gehabt ha-
ben mag.


Die Deſerteurs in Landau haben ſich bey der
Beſchießung groͤßtentheils ſehr ſchlecht betragen.
Die Buͤrger bedienten ſich ihrer, ihre Effekten u.
dgl. in Sicherheit zu bringen, und zahlten recht-
ſchaffen, ließen es auch an Eſſen und Trinken nicht
fehlen. Aber dieſe Niedertraͤchtigen ſtahlen und
raubten noch daneben, was ſie konnten, und ver-
kauften es nachher an die Troͤdler. Ein Gewiſſer,
Namens Geſell, vom Regiment Kleiſt, ſtahl
einem Kaufmann vieles Silbergeraͤthe, woraus er
nachgehends in Beſançon, wo er es verkaufte,
noch 800 Livres geloͤßt hat.


[134]

Zehntes Kapitel.


Wie man in Frankreich jezt Hochzeit macht.


Ein Schweizer, welcher von der Legion Mira-
beau deſertirt war, und ſich in Landau anſaͤßig
machen, und da ſein Handwerk als Ziegeldecker
treiben wollte, heurathete um dieſe Zeit ein Maͤd-
chen aus der Stadt, und ward auf dieſe Art Buͤr-
ger. Da aber die Verheurathung in Frankreich
jezt auf eine ganz andre Art abgethan wird, wie
bey uns: ſo werde ich vielleicht nicht Unrecht thun,
wenn ich meine Leſer zu einem richtigen Begriff da-
von verhelfe, zumal, da man in Deutſchland hin
und wieder ausgeſprengt hat, die Franzoſen liefen
jezt zuſammen, wie das liebe Vieh, u. ſ. w.


Als ich zuruͤck aus Frankreich kam, hoͤrte ich zu
meinem groͤßten Erſtaunen einen emigrirten deut-
ſchen katholiſchen Pfaffen in Offenburg ganz im
Ernſte behaupten, daß die Ehen der Franzoſen kei-
ne rechte Ehen waͤren; daß ihre jetzigen Kinder
weiter nichts, als Hurkinder waͤren; daß der
Bruch eines ſolchen Konkubinats, eines ſolchen un-
reinen Buͤndniſſes nicht nur kein Ehebruch, ſon-
dern ein verdienſtliches Werk waͤre u. dgl. Aber
[135] ein katholiſcher Pfaffe, beſonders ein emigrirter,
konnte wohl nicht geſcheider ſprechen! Die meiſten
Emigrirten raͤſonniren ja ohnehin von den franzoͤ-
ſiſchen Angelegenheiten wie der Blinde von der
Farbe.


In Frankreich bindet der bloße Ehe-Verſpruch
ganz und gar nicht: vor der Beſtaͤtigung deſſelben
ſteht es jedem Theile frey, abzutreten, ſobald er
Urſache dazu zu haben glaubt; aber von dem Ter-
min der legalen Beſtaͤtigung der Ehe (confirmation
du mariage
) an, wird dieſe als ganz vollzogen an-
geſehn.


Ich aͤußerte einſt meine Verwunderung uͤber
dieſe Einrichtung, und gab zu verſtehen, daß es
doch wohl beſſer ſeyn moͤgte, wenn man auch dem
bloßen Verſprechen wenigſtens ſo viel geſetzliche
Verbindlichkeit zueignete, als jedes andre buͤrger-
liche Verſprechen haͤtte. Mein Antagoniſt aber
bewies mir, daß dieſes hier der Fall nicht wohl
ſeyn duͤrfte. Denn wenn ſich, ſagte er, ſchon vor
der Vollziehung der Ehe Hinderniſſe zeigen, ſo iſt
es ſehr rathſam, die Heurath ganz einzuſtellen,
um die kontrahirenden Theile nicht ungluͤcklich zu
machen. Lieben ſie ſich wirklich, und finden ſie
ihr gemeinſchaftliches Gluͤck, in ihrer naͤhern Ver-
bindung, ſo werden ſie zuſammeneilen, auch ohne
vorhergegangne geſetzmaͤßige Verlobung: und iſt
[136] dieſes nicht, ſo ſoll man ja lieber alles anwenden,
um ſie zu bereden, daß ſie von einander ablaſſen.
Ich fand dieſes eben nicht widerſinnig.


Wer ein Maͤdchen verfuͤhrt, ich meyne ein
ehrliches Maͤdchen, deſſen ſonſtiger Ruf unbeſchol-
ten iſt, und das nicht in die Klaſſe der feilen Dir-
nen, u. dgl. gehoͤrt, ſo muß er ſie, wenn es ſonſt
geſchehen kann, heurathen, oder er ſezt ſich dem
Verdachte, ein ſchlechter Buͤrger zu ſeyn, auf im-
mer aus. Und dieſer Verdacht — ſo civiliſirt
man naͤmlich jezt in Frankreich ſchon iſt — wirkt
dort weit ſtaͤrker, als bey uns die kirchliche Vor-
ſtellung von Himmel und Hoͤlle. Die Folgen vom
erſtern, fuͤhlt man in Frankreich handgreiflich;
aber die Folgen vom leztern? — Ja, wer weis,
ſagt ſchon der Bauer.


Wenn nun jemand ein Maͤdchen hat, das er
gern heurathen moͤgte, ſo beg[i]ebt er ſich mit dem-
ſelben, nebſt einigen Zeugen von beyden Seiten,
auf die Municipalitaͤt ſeines Diſtrikts, wo allemal
ein Bureau des mariages angeſtellt iſt. Jedem iſt
erlaubt, bey ſolchen Vorfaͤllen gegenwaͤrtig zu
ſeyn, und ich habe mehr als einmal dieſer Cere-
monie beygewohnt.


Was wollt Ihr? fragt der Praͤſident.


Braͤutigam: Ich und dieſe Buͤrgerin wol-
len einander heurathen.


[137]

Praͤſident: Wie heißt du, und wo biſt
du her?


Braͤut.: Ich heiſſe N. und bin von R.


Praͤſid.: Buͤrgerin, wie heißt du, und wo
her biſt du?


Braut: Ich heiße N. und bin von N.


Praͤſid.: Habt Ihr Zeugen bey Euch?


Braͤutigam: Ja, hier iſt der Buͤrger [N].
fuͤr mich, und der Buͤrger N. fuͤr meine Braut.


Praͤſid.: Buͤrger N., koͤnnt Ihr fuͤr die
gegenwaͤrtigen neuen Brautleute ein Zeugniß ab-
legen, daß ſie geſetzmaͤßig koͤnnen zuſammen gege-
ben werden?


Zeugen: Ja, wir bezeugen, daß der Buͤr-
ger N. und die Buͤrgerin N. unbeſcholtne Re-
publikaner, und von allen andern Verbindungen
frey ſind, welche ihre Ehe hindern koͤnnten.


Praͤſid.: Hoͤret nun an die Geſetze, deren
Befolgung die Nation von jedem Buͤrger und jeder
Buͤrgerin fodert, welche ſich ehelich verbinden
wollen.


Hierauf nimmt der Praͤſident das Geſetzbuch,
und ließt ihnen die kurzen, leicht zu verſtehenden
Geſetze vor, welche ſich auf die Ehe, deren Zweck,
Pflicht und Dauer beziehen. Der Inhalt iſt nicht
ſehr mannigfaltig, aber durchaus vernuͤnftig und
einleuchtend. Ich erinnere mich, daß die Ehe i[n]
[138] dieſen Geſetzen die Pflanzſchule der Republik (la
pepeniere de la république
) genannt wird, und
daß man ſehr auf die Ausſchweifung loszieht.


Wenn dieſes geſchehen iſt, ſo erinnert ſie der
Praͤſident, nach drey Dekaden, oder nach dreißig
Tagen wieder zu kommen, um ihre Heurath ein-
ſchreiben zu laſſen. Darauf werden Anſchlage-
zettel in allen Sektionen der Diſtriktſtadt angeklebt.
Es ſind hiezu eigne Plaͤtze beſtimmt, wo man
taͤglich leſen kann, wer heurathen will; und da
die Franzoſen ſehr neugierig ſind, ſo findet man
da auch immer Leſer. Sind die Brautleute von
einem Dorfe, ſo wird ein ſolcher Zettel auch auf
dem Dorfe angeheftet.


Nach Verlauf von drey Dekaden kommt das
Brautpaar mit den Zeugen wieder auf die Muni-
cipalitaͤt des Diſtrikts, wo man ſie nochmals zur
Erfuͤllung der Buͤrgerpflichten ermahnt, und ſie
ſodann in die Liſte der verehlichten Buͤrger und
Buͤrgerinnen einſchreibt.


Bis hieher koſtet der ganze Handel auch nicht
einen Heller: wer aber einen Trauſchein haben
will, zahlt dem Schreiber fuͤr ſeine Muͤhe, Pa-
pier und Pettſchaft funfzehn Sous in Papier:
und das iſt alles!


Die Eheſcheidung haͤlt in Frankreich jezt haͤr-
ter, als in irgend einem andern Lande. Dieſe
[139] Behauptung wird denen gewiß ſehr paradox vor-
kommen, welche ſich haben weiß machen laſſen,
daß man da auseinander laufen koͤnne, wie's ei-
nem beliebt, und daß der geringſte Unwillen oder
Ueberdruß ſchon hinlaͤnglich ſey, ſich zu trennen.


Der Buͤrger Sénard, erſt oͤffentlicher An-
klaͤger zu Dijon, hernach Procurator am tribunal
criminel
, war ehedem Advokat am Parlement zu
Dijon. Dieſer verſicherte mich, daß ſonſt vierzig
ſeines Gleichen am Parlemente geweſen waͤren,
deren jeder das Jahr uͤber wenigſtens 20 Eheſchei-
dungen in der Provinz oder dem Gouvernement
Burgund zu Stande gebracht haͤtte. Das mach-
te alſo das Jahr hindurch uͤber 800 Eheſcheidun-
gen in Einer Provinz. Dieſe Scheidungen wa-
ren freilich, nach dem katholiſchen Kirchen-Rechte,
nur von Tiſch und Bette; aber deſto ſchaͤdlicher
waren ſie, indem ſie nun eine anderweitige Ehe-
verbindung verhinderten, und ſo alle Unordnungen
und Ausſchweifungen gleichſam nothwendig mach-
ten, und den Wohlſtand ſehr vieler Familien un-
tergruben. Wir haben ja in Deutſchland derglei-
chen auch, und es waͤre zu wuͤnſchen, daß man
die Leute bey Eheſcheidungen, wenn doch geſchie-
den werden ſoll, ſo auseinander ſezte, daß ſie von
beyden Seiten wieder heurathen koͤnnten.


[140]

So gang und gaͤbe die Eheſcheidungen indeß
vorzeiten in Frankreich waren, ſo ſelten ſind ſie jezt.
Von dem Jahre 1792 bis 1794 ſind in dem ganzen
Departement von Côte d'or, ſonſt Burgund, nur
vier Eheſcheidungen voͤllig zu Stande gekommen;
alſo nach dieſem Maaßſtabe ohngefaͤhr 336 Ehe-
ſcheidungen innerhalb 2 Jahren in der ganzen Re-
publik, und vielleicht nicht einmal ſo viel: denn
das Departement von Côte d'or iſt eins der groͤß-
ten und volkreichſten von Frankreich.


Die Urſachen, nach welchen ohne Umſtaͤnde
geſchieden wird, ſind Ehebruch, Sitzenlaſſen, und
grobe Verbrechen. Wer ſonſt aus geringern Urſa-
chen ſich trennt, faͤllt in den Verdacht eines ſchlech-
ten Buͤrgers (il eſt cenſé oder ſoupçonné mauvais
citoyen
); und dieſer Verdacht iſt in Frankreich
ohngefaͤhr das, was ehedem die Exkommuni-
kation in der chriſtlichen Kirche war, wovon die
litteraͤriſch-gelehrten Herren Juriſten viel ſagen
koͤnnen. Ich werde weiterhin vom Verdachte
eines ſchlechten Buͤrgers
abſichtlich mehr
ſagen: denn auch dieſer Punkt gehoͤrt zur Kenntniß
der Entſtehung und Verbreitung des Civismus
in Frankreich.


Wenn alſo die neue Einrichtung die Eheſchei-
dungen, dieſe große Geißel der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft, vermindert und beynahe unehrlich ge-
[141] macht hat: ſo muß, ſo kann ſie wahrlich nicht ſo
elend und gottlos ſeyn, als man dieſelbe in Deutſch-
land verſchrieen hat, und hin und wieder noch
verſchreit.


Mehrmals hat man ſchon in Vorſchlag gebracht,
ein Geſetz auszuwuͤrken, nach welchem alle Maͤd-
chen in ganz Frankreich nicht mehr als 1000 Li-
vres, oder 250 Rthlr. Heurathsgut haben ſollten.
Dieſes Geſetz iſt aber nicht zu Stande gekommen;
und ſo will ich mich mit der naͤhern Entwickelung
der dahin gehoͤrigen Vorſchlaͤge auch nicht auf-
halten.


Dieſes Geſetz wuͤrde aber viel Gutes geſtiftet
haben: denn alsdann waͤren alle Maͤdchen in Ab-
ſicht ihres Vermoͤgens eben ſo gleich geworden,
als ſie es jezt in Abſicht ihres Standes ſind; und
da wuͤrden denn blos die geſunden, haͤuslichen,
geſchickten, ſchoͤnen oder tugendhaften — Maͤnner
bekommen haben; die entgegengeſezten aber, wie
die, welche den Eheſtand lediger Weiſe getrieben
haͤtten, oder ſonſt uͤbelberuͤchtigte Schweſtern ge-
weſen waͤren, waͤren ſitzen geblieben: und das
hatten ſie denn auch verdient! Zu Lacedaͤmon
gab es ehemals ein aͤhnliches Geſetz, und man
ſagt, daß die Ehen zu Lacedaͤmon weit gluͤcklicher
geweſen ſind, als da, wo es heißt: — quaerenda
pecunia primum; virtus poſt numos.


[142]

Alle Kinder muͤſſen 10 Tage nach ihrer Geburt
auf der Municipalitaͤt angegeben, und einregiſtrirt
werden. Da wird denn Vater und Mutter aufge-
ſchrieben, nebſt dem Namen des Kindes, den ihm
ſeine Aeltern beylegen. Die oͤffentliche Taufe iſt
ſeit 1793 verboten, wer aber die geheime brau-
chen will, mag es thun, nur muß es zu Hauſe im
Stillen geſchehen. Die meiſten Kinder, welche ſeit
1793 gebohren wurden, ſind nicht getauft, und ge-
rathen doch eben ſo gut, als jene, welchen der
ſchwarze Herr den Kopf mit kaltem oder warmem
Waſſer gewaſchen hat. Den cy-devant-Prieſtern,
welche, als die wahre eccleſia preſſa, oder vielmehr
ſuppreſſa, noch hie und da exiſtiren, aber ohne alle
Prieſterwuͤrde, iſt es durchaus nicht erlaubt, eine
Taufe zu verrichten. Wenn ja getauft ſeyn ſoll,
ſo muß es jemand thun, der nie Prieſter war.
Das iſt aber auch ja gleichviel, da jeder Chriſt,
ſogar ein Ketzer, guͤltig ſoll taufen koͤnnen.


O Sanctas gentes, quarum naſcuntur in undis
Numina!
*)


Herr Braun erzaͤhlt in ſeinem Buche: das
Betragen der Franzoſen in der Rheini
-
[143]ſchen Pfalz: daß ein franzoͤſiſcher Offizier im
Jahr 1794 ſein Kind oͤffentlich durch einen reformir-
ten Pfarrer habe taufen laſſen; daß dabey viele
andere Offiziere und Volontaͤrs gegenwaͤrtig ge-
weſen ſeyen u. ſ. w. Aber ich muß geſtehen,
daß mir dieſe Erzaͤhlung, ſo wie Herr Braun
ſie giebt, gar nicht anſteht, und daß ich an ihrer
Wahrheit ſtark zweifle. Ich kenne naͤmlich die
Franzoſen — oder wie Herr Girtanner ſie
immer umnennt, die Frankreicher, wenn ich
gleich niemals in der Pfalz oder im Elſaß, das
Wort Frankreicher gehoͤrt habe: da heißen ſie
Franzoſen oder Neufranken. Das Wort Frank-
reicher wird ganz aus Herrn Girtanners
Fabrik ſeyn; doch das moͤgte noch hingehen, wenn
nur in ſeinen papierreichen Schriften auch nicht
ſo viel andre Dinge aus ſeiner Fabrik vorkaͤmen,
welche, beym Lichte beſehen, viel weniger die
Probe halten, als das Wort Frankreicher*).
Ich kenne, ſag' ich, die Franzoſen, und bin ver-
ſichert, daß ein Offizier, welcher ſein Kind oͤffent-
lich in einer Kirche von einem Pfaffen taufen ließe,
[144] gleich, als ein Ariſtokrat angeſehen und behandelt
werden wuͤrde. Herr Braun hat ſich wahrſchein-
lich ſo was aufbinden laſſen, und es ſcheint, als
wenn das nicht das Einzige waͤre, was er von Hoͤ-
renſagen falſch referirt hat: denn daß er ſelbſt et-
was erdichtet haben ſollte, glaube ich nimmermehr.



Eilftes Kapitel.


Aufſtand in Landau wider den General Laubadere.



Der Repraͤſentant Dentzel war, wie ich oben
erzaͤhlt habe, wieder in ſeine Betriebſamkeit einge-
ſezt, und konnte wieder agiren, wie vorher. Da
Dentzel ein lebhafter Mann iſt, ſo kann man
denken, daß er dem General Laubadere den lez-
ten Streich, den er ihm geſpielt hatte, nicht leicht
vergeben konnte; wenigſtens ſuchte er — wie es
ſchien — das Zutrauen der Garniſon zu ſchwaͤchen,
welches ſie zu dem General hegte: und dazu fand
ſich bald Gelegenheit. Ich muß die Sache hier
umſtaͤndlich erzaͤhlen, da ich ſelbſt ſo eine kleine
Rolle dabey geſpielt habe.


Der Kronprinz von Preußen, nochdem er die
Stadt vergeblich hatte bombardiren laſſen, ließ
[145] nun taͤglich den General durch Trompeter zur Ue-
bergabe auffodern. Die Belagerer machten ſehr oft
Freudenfeuer, wegen einiger Vortheile, welche
die Verbuͤndeten uͤber die Franzoſen erhalten hatten;
und jedesmal wurden dieſe Viktorien, — freilich
um ein Merkliches vergroͤßert — den Belagerten
kund und zu wiſſen gethan. *)


Man weis, daß ein General der Franzoſen ver-
bunden iſt, von allem, was er vom Feinde ſchrift-
lich oder muͤndlich erfaͤhrt, genaue Nachricht ſei-
nem Korps mitzutheilen, und daß jeder Volontaͤr
das Recht hat, ſie von ihm zu verlangen. Dieß
hat die Nation darum verfuͤgt, damit man dem
General auf die Spur kommen moͤge, wenn er et-
wan mit dem Feinde Unterhandlungen zum Nach-
theil der Republik pflegen ſollte. Alſo mußte auch
Laubadere nicht nur auf dem Conſeil de défenſe,
ſondern auch auf dem freyen Markte den Soldaten,
die zuhoͤren wollten, allemal vorleſen, was der
Kronprinz, und nach deſſen Abzug, der General
von Knobelsdorff hinein geſchrieben hatte.
Vierter Theil K
[146] In den Schreiben der Belagerer war gewoͤhnlich
ein ſehr impoſanter Ton, der einen uͤblen Eindruck
auf die Garniſon und auf die Buͤrgerſchaft gemacht
hat.


Wenn — hieß es darin — der General jezt,
da es noch Zeit waͤre, die Stadt uͤbergeben wuͤrde,
ſo ſollte er, mit der ganzen Garniſon freyen Ehr-
vollen Abzug haben: auch ſollte das Eigenthum
der Einwohner, die Einrichtung der Regierungs-
form geſchuͤzt und geſichert ſeyn. Man verſprach,
die Geſetze der Republik zu reſpektiren, und die
Stadt Landau, als eine Stadt, welche man in de-
poſitum
genommen habe, nicht aber als einen ero-
berten Platz zu betrachten, und zu behandeln.
Wuͤrde aber — ſo hieß es in allen Briefen weiter —
der General dieſes nicht thun, und das Aeußerſte
abwarten, ſo wuͤrde man hernach nicht mehr kapi-
tuliren, ſondern nach der Strenge des Kriegsrechts
mit der Garniſon und der Stadt verfahren. Ueber-
haupt ſey es ihnen nicht moͤglich, Landau laͤnger
zu behalten: Entſatz ſey vollends gar nicht zu er-
warten: denn die Armeen der Republik wuͤrden al-
ler Orten geſchlagen, und ſeyen beynahe ganz ver-
nichtet: die Englaͤnder haͤtten Toulon: Lyon
ſey nicht mehr republikaniſch, und Paris wuͤrde
von der Veudée naͤchſtens verſchlungen werden,
[147] u. ſ. w. Dieſe lieblichen und troͤſtlichen Briefe
kamen beynahe taͤglich hinein.


Der General verſicherte indeß jedesmal, wenn
er ſo einen Schreckbrief vorgeleſen hatte, daß ihm
gar nicht Angſt ſey, und daß er Landau nicht her-
geben wuͤrde, es moͤgte auch werden, wie es koͤnnte.
Der Repraͤſentant aber, welcher oft auch gegen-
waͤrtig war, und welcher, außer der angedrohten
harten Behandlung Aller, bey einer gewaltſamen
Eroberung, die haͤrteſte fuͤr ſich, als erklaͤrter Re-
bell, von den Deutſchen befuͤrchten mußte, zuckte
allemal die Achſel, und ſagte weiter nichts, als,
da man ſeinen redlichen Eifer, der Republik zu
dienen, zu verkennen ſchiene, er allein auch nichts
entſcheiden koͤnnte, ſo uͤberließe er Alles der Ein-
ſicht und der Entſcheidung des Generals. — Das
bedenkliche Geſicht des Repraͤſentanten machte aber
viele Gaͤhrung bey der Buͤrgerſchaft und bey der
Garniſon.


Auch hatte die Nachricht, daß Fort Louis,
oder wie es nun, zu Ehren ſeines Erbauers heißt,
Fort Vauban, von den Kaiſerlichen erobert, und
die ganze dortige Garniſon zu Gefangnen gemacht
ſey, Schreck und Beſtuͤrzung in Landau verbreitet.
Die Kaiſerlichen hatten die Kriegsgefangnen frei-
lich hart genug behandelt, aber in Landau hatte
man — nach Nachrichten von außen — Alles
[148] noch vergroͤßert, und gar ausgeſprengt: die Kai-
ſerlichen haͤtten mehr als 600 Mann auf der Stel-
le niedergemacht, und die uͤbrigen wuͤrden nach
der Tuͤrkey gefuͤhrt, und da als Sklaven verkauft
werden. Ueberdieß war auch Fort Vauban gaͤnz-
lich ruinirt und in Grund geſchoſſen worden. Nach-
richten und Geruͤchte genug, um die Garniſon und
die Buͤrgerſchaft zu erſchuͤttern und auf ernſthafte
Ueberlegung zu lenken!


Ein großer Theil der Buͤrgerſchaft glaubte denn,
daß ihrer Stadt ein gleiches Schickſal bevorſtaͤnde,
und zitterte. Viele von ihr ſchloſſen daher, und
ſagten ziemlich laut, daß es doch beſſer ſey, den
Platz herzugeben, als ihn hernach auspluͤndern
und verbrennen zu laſſen.


Eines Tages ſaßen verſchiedne Buͤrger in ei-
nem Weinhauſe am Markte, und raͤſonnirten uͤber
die Gefahr, worin Landau ſchwebte. Zwey von
ihnen behaupteten, daß es hoͤchſt unvernuͤnftig ſey,
ſich noch vertheidigen zu wollen. Man ſollte die
Preußen einmarſchieren laſſen, und wenn der Ge-
neral nicht daran wollte, ſo muͤßte man ihn dazu
zwingen u. ſ. w. Dieſe beyden Buͤrger wurden
als Meutmacher angegeben, und auf Befehl des
Generals eingeſteckt. Dentzel aber ſtellte dem
General vor, daß dieſes Verfahren unuͤberlegt
waͤre; ſie kamen alſo wieder los, nachdem ſie ver-
[149] ſichert hatten, daß ſie nicht aus uͤblen Geſinnun-
gen gegen die Republik ſo geſprochen haͤtten.


Auch war es einem Theil der Garniſon nicht
gut zu Muthe. Viele von den Volontaͤrs naͤmlich
glaubten, ſie wuͤrden uͤber die Klinge ſpringen
muͤſſen, wenn man die Stadt endlich ohne Kapi-
tulation einnaͤhme, und murrten daruͤber, daß
man hiezu noch keine Anſtalten machte. Alle von
dieſer Art waren niedergeſchlagen und voll Furcht
und Schrecken, außer denen, welche wahren Pa-
triotismus beſaßen: dieſe blieben getroſt, und be-
haupteten, daß man frey leben oder umkommen
muͤßte.


Ich muß hier etwas von mir erzaͤhlen, das
freilich einem Filuſtuͤckchen nicht ſehr unaͤhnlich ſe-
hen wuͤrde, wenn ich Landau's Rettung fuͤr moͤg-
lich gehalten haͤtte, ſo ſehr es ſonſt mit dem Plane
uͤbereinſtimmte, den ich bey meiner Miſſion vor
Augen haben mußte. Ich hatte naͤmlich mit eini-
gen Kavalleriſten ziemlich genauen Umgang. Eines
Tages ging ich mit noch dreyen auf dem Walle
ſpazieren. Was meynſt Du wohl, Citoyen, fragte
mich der Eine, wenn die Preußen endlich doch
herein kommen, was es geben wird?


Ich: Ja, das weiß ich nicht! Was mich be-
trifft, ſo werde ich gehenkt.


Kavalleriſt: Gehenkt? wie denn ſo?


[150]

Ich: Weil ich ein Deſerteur bin. Aber ſie
ſollen mich gewiß nicht lebendig kriegen. Wenn's
ſoweit koͤmmt, ſo nehme ich ein Piſtol, und jage
mir eine Kugel durch den Kopf: Beſſer ſo, als
am Galgen geſtorben!


Kavall.: Aber ſag', ſind denn die Preußen
ſo ſchlimm?


Ich: Das ſind gottloſe Gevatterleute: die
kennſt Du noch nicht, mein lieber Citoyen!


Kavall.: Was wird denn mit uns werden?


Ich: Nicht viel geſcheides!


Kavall.: Sollten wir denn wirklich Gefahr
laufen?


Ich: Hoͤre, Citoyen, kommen die Preußen
ohne Kapitulation durch Gewalt herein, ſo muͤßt
Ihr Alle uͤber die Klinge ſpringen, muͤßt Alle ins
Gras beißen, ſo gewiß, als zweymal zwey viere
ſind.


Kavall.: Das ſind ſchlimme Aſpekten!


Dieſe Unterredung machte ſehr ſichtbaren Ein-
druck auf die Reuter, und in kurzer Zeit erfuhr ich,
daß das Geruͤcht davon durch die ganze Garniſon
verbreitet war. Die Preußen, hieß es uͤberall,
werden uns niederhauen, werden alles verwuͤſten,
wenn wir nicht kapituliren.


In dieſer Noth liefen nun Buͤrger und Solda-
ten zum General, und baten ihn, er wolle ihre
[151] Haͤuſer und ihr Leben ſchonen, und die Stadt lie-
ber jezt aufgeben, als ſie Alle in ſo große Gefahr
ſinken laſſen. Aber Laubadere wies jeden An-
trag von dieſer Art mit Unwillen und Verachtung
von ſich. Laßt die Stadt zu Grunde gehen, ſagte
er immer, ich bin ein ehrlicher Mann ich kenne
das Geſetz, und werde der Republik nie untreu
werden!


Bey dem Repraͤſentanten Dentzel, der viel-
leicht hoffen mogte, durch Kapitulation ſein und
der Stadt Ungluͤck abzuwenden, hatten die Be-
draͤngten mehr Troſt. Er verſicherte ſie, daß Ge-
fahr allerdings vorhanden ſey, aber eine Gefahr,
die man jezt noch heben koͤnnte; allein daß er fuͤr
ſich nichts darin thun duͤrfte, vorzuͤglich da man
ihn ſchon einmal in Verdacht der Verraͤtherey ge-
habt haͤtte. Der General wolle nichts von Ueber-
gabe hoͤren; er habe ſich, wie es ſchiene, einmal
vorgenommen, die Stadt bis auf den lezten Au-
genblick zu behaupten, und ſollte auch Alles dabey
zu Grunde gehen. Er alſo koͤnnte nichts machen,
und muͤßte ſich Alles gefallen laſſen. — Auf dieſe
Weiſe kam denn ein Aufſtand zum Gaͤhren, der
auch bald ausbrach.


Eines Tages erſchien ein Trompeter vom Ge-
neral Knobelsdorf — der Kronprinz war
abgegangen, um ſeine Vermaͤhlung mit der Prin
[152] zeſſin von Mecklenburg in Berlin zu vollziehen —
im Fort Landau, und verlangte, daß man dem
General ſeine Ankunft melden moͤgte. Lauba-
dere ließ ihm zuruͤck ſagen: Er moͤgte nur dem
General Knobelsdorf zu wiſſen thun, daß er
keine Briefe von ihm mehr annaͤhme. Ein ſolcher
Briefwechſel ſey illegal und hier ganz unnuͤtz, weil
man doch nichts weiter, als die Uebergabe von
Landau, vor Augen habe, woraus aber durchaus
nichts werden koͤnnte.


Der Trompeter ritt zuruͤck, kam aber nach ei-
ner Stunde wieder, und foderte, daß der General
wenigſtens ſeinen Brief annehmen ſollte. Aber
auch dieſes ſchlug Laubadere ab, und ſo blieb
der Trompeter, der nicht abziehen wollte, den gan-
zen Tag im Fort.


Indeſſen verbreitete ſich das Geruͤcht in Lan-
dau: der General ſey boͤſes Sinnes: er wolle die
Garniſon und die Stadt ungluͤcklich machen: er
hoͤre nicht einmal den feindlichen Trompeter. —
Darauf ſchickten die Bataillons Deputirte an den
General, und beſtanden darauf, daß er den Trom-
peter hoͤren ſollte; Laubadere aber gerieth in
Hitze, beſonders da ihn die Deputirten ziemlich
ſtark angegangen waren, und jagte ſie mit groben
Worten fort. Im Zorne ſagte er: qu'importe que
Landau ſoit foutu, et que vous ſoyer foutus anſſi,
[153] pouryuque je ſauve mon honneur
(was liegt daran,
wenn Landau und ihr alle mit zum Henker fahrt,
wenn ich nur meine Ehre retten kann!).


Dieſe Worte waren das entſcheidende Signal zum
Aufſtand. Die Deputirten liefen nach den Kaſer-
nen, und zu den auf allen Straßen zuſammenge-
rotteten Volontaͤrs, und ſagten ihnen, wie ver-
aͤchtlich ſie waͤren empfangen worden, und daß der
General nichts anders im Sinne habe, als ſie alle
ins Verderben zu ſtuͤrzen. Hierauf gings in hellem
Haufen vor das Haus des Generals, welches foͤrm-
lich beſtuͤrmt wurde. Es war ohngefaͤhr fuͤnf Uhr
des Abends, als dieſes vorging.


Die Dragoner nur, welche auch herbey geeilt
waren, widerſezten ſich der raſenden Wuth der
Volontaͤrs, welche ſchlechterdings den General
erſchlagen wollten, und aus vollem Halſe ſchrieen,
daß er ein Verraͤther ſey, der mit dem Feinde ein
verwickeltes Verſtaͤndniß habe; der die braven Re-
publikaner den Preußen zum Morden hinliefern
wolle u. ſ. w. Der Laͤrmen wurde fuͤrchterlich;
ſogar die Buͤrgerſchaft kam in Harniſch, und alle
kamen darin uͤberein, daß Laubadere nicht fer-
ner mehr Kommandant ſeyn koͤnne. Gegen acht
Uhr wurde endlich der Trompeter eingelaſſen, und
ſeine Depeſchen nahm der Oberſte der Reuterey an,
welcher von den Volontaͤrs hiezu war erſucht worden.


[154]

Die Volontaͤrs foderten, daß er ſofort die De-
peſchen oͤffnen ſollte, er aber verſicherte, daß ihm
dieſes nicht zuſtehe: das muͤſſe der General durch-
aus thun. — Was General! rief alles uͤberlaut:
Laubadere der Verraͤther, iſt unſer General
nicht: er ſoll die Depeſchen nicht oͤffnen: Du, du
ſollſt ſie oͤffnen! — Nein! ſchrie der Oberſte, das
darf ich nicht: das Conſeil de défenſe ſoll ſie oͤff-
nen: man rufe es gleich zuſammen!


Er begab ſich hierauf ſofort aufs Gemeinhaus,
wo denn auch das Conſeil de défenſe zuſammenkam,
welches die Briefe des Generals Knobelsdorf
erbrach. Der Oberſte trat bald darauf ans Fen-
ſter und rief der verſammelten Menge zu: die
Preußen wollen Landau!


So gebe man ihnen Landau, und erhalte unſer
Leben — war die einfoͤrmige Stimme aller Zuhoͤ-
renden.


Ich werde Morgen antworten, ſchrie der Ober-
ſte entgegen. Was Morgen, erwiederte der Hau-
fen: Heute noch uͤbergebe man Landau, und erhalte
unſer Leben!


Freilich ſoll Euer Leben und Eure Freyheit er-
halten werden, war des Oberſten Antwort: aber
die Preußen ſind noch nicht hier: und waͤren ſie
hier, ſo wuͤrden ſie gewiß weder Eure Freyheit noch
[155] Euer Leben kraͤnken. Die Preußen ſind keine
Oeſtreicher.


Hierauf ſchickten alle Bataillons der Volontaͤrs,
ſo auch die Reuter und die Dragoner Deputirte
aus ihrem Mittel an den Oberſten der Reuterey,
und erſuchten ihn, das Kommando der Feſtung,
ſtatt des Verraͤthers Laubadere, zu uͤberneh-
men. Es iſt zwar gegen das Geſetz, erwiederte
dieſer wuͤrdige Mann, daß ich in Euer Begehren
willige: aber die Noth zwingt mich, mich der be-
draͤngten Stadt und des Vaterlandes anzunehmen.
Ihr wollt mir alſo gehorchen? — Ja, erwieder-
ten Alle einhellig. Gut! ich nehme das Komman-
do an, und Morgen ſage ich Euch, was weiter
geſchehen ſoll. Jezt geht nach Hauſe, und ſeyd
ruhig! Es ſteht braven Republikanern ſchlecht an,
durch Tumult und Aufruhr Ruhe und Ordnung zu
ſtoͤren.


Die Menge verlief ſich nach und nach — es
war ſchon ſehr ſpaͤte, — aber alle riefen laut:
daß ſie keine 48 Stunden mehr in dieſem verfluch-
ten Neſte eingeſperrt bleiben wollten.


Der Oberſte ging zu Dentzeln, und ſagte
ihm, daß er ſich nun der gemeinſchaftlichen Sache
thaͤtig annehmen muͤßte. Dentzel fieng aber
ſein altes Lied wieder an, daß er in ungerechtem
Verdacht geweſen waͤre; daß er ſich erſt zu Paris
[156] vertheidigen muͤßte, und was der Reden mehr wa-
ren. Aber der Oberſte fertigte ihn kurz ab. Haͤngſt
Du, ſprach er, von deinen etwanigen Feinden ab,
oder gab die Republik dir deine Macht und dein
Anſehn? Wem willſt Du folgen? Sag mir nur,
ob Du dein Amt, als Repraͤſentant thun willſt
oder nicht! Im lezten Fall wanderſt Du ins Ge-
faͤngniß, aber nicht nach dem Willen der Aufruͤh-
rer, wie neulich, ſondern nach dem Geſetz. Rede!


Dentzel merkte, daß er mit einem entſchloß-
nen Manne zu thun hatte, und verſprach, alles
zu leiſten, was in ſeinen Kraͤften ſtaͤnde, um dem
verruͤckten Zuſtande der Stadt und der Garniſon
zu Huͤlfe zu kommen. Das iſt auch nicht mehr,
als deine verfluchte Schuldigkeit, verſezte der
Oberſte, und ging.


Zwoͤlftes Kapitel.


Fernere Begebenheiten zu Landau.


Fruͤh Morgens ritt der Oberſte mit noch einigen
andern Offizieren ins preußiſche Lager, wo er dem
Kommandeur kurz und nervoͤs zu Gemuͤthe fuͤhrte,
daß man, ohne die Geſetze der Republik zu belei-
digen, noch an keine Uebergabe denken koͤnnte: es
[157] waͤre deswegen auch ganz uͤberfluͤßig, daß man ſo
oft Trompeter in die Feſtung ſchickte. — Der Ge-
neral der Preußen ließ die franzoͤſiſchen Offiziere
aufs freundlichſte bewirthen, und nachdem ſie
lange mit einander geſprochen hatten, ritten die
Franzoſen zuruͤck.


Ein Rittmeiſter von dem Aſcherslebiſchen Re-
giment, von deſſen Schwadron ein Reuter, Na-
mens Ziegenberg, in Landau gefangen ſaß,
bath den Oberſten, doch dem armen Teufel etwas
Geld mitzunehmen, und als dieſer es zu beſorgen
verſprach, ſtellte er ihm zwey Kronenthaler zu.
Gleich nach ſeiner Ruͤckkehr kam der Oberſte ſelbſt
zu den Gefangenen, und rief dem Ziegenberg.
Da, ſagte er, ſchickt dir dein Rittmeiſter Geld,
und hier haſt du auch was von mir! Du wirſt uns
doch nicht ſchimpfen, wenn du wieder zu deinen
Preußen koͤmmſt? Sieh, auch wir ſind Menſchen,
aber Menſchen, die frey ſeyn wollen, um mit mehr
Wuͤrde und ungehinderter Menſch ſeyn zu koͤnnen:
Das bedenk; und lebe wohl! — Dem Reuter ſtan-
den die Thraͤnen in den Augen, und er erſt[u]mmte vor
wehmuͤthiger, freudiger Ruͤhrung. Ich habe den
Namen des Rittmeiſters vergeſſen; wenn er aber
dieſes leſen ſollte, ſo wird er ſich an ſeinen Auftrag
gewiß erinnern, und dann verſichere ich ihn neben-
her, daß Ziegenberg viel Gutes von ihm damals
[158] ſagte, und daß alle Anweſende, Franzoſen und Deut-
ſche, einhellig geſtanden, daß das ein rechtſchaff-
ner Offizier ſeyn muͤſſe, der ſeinen Soldaten in
der Gefangenſchaft bedaͤchte. — Scenen von die-
ſer Art, worin Freund und Feind gleich ehrwuͤrdig
erſcheinen — als Menſchen — ſind ganz dazu ge-
macht, die Menſchheit mit der Politik nun und dann
etwas auszuſoͤhnen; aber Unmenſchen finden es an-
gemeßner, entgegengeſezte Scenen zu Kupferſti-
chen auszuwaͤhlen, wie wenn ſie recht darauf aus-
gingen, die entzweyte Menſchheit immer noch mehr
zu entzweyen. Pfui, der Barbaren!


Die Volontaͤrs und die Buͤrger in Landau
glaubten nun, daß die Uebergabe keinen weitern
Aufſchub leiden wuͤrde; aber der rechtſchaffne Ober-
ſte erklaͤrte, daß nur ein Feind des Vaterlands
die Uebergabe dieſer wichtigen Feſtung betreiben
koͤnnte. Die Preußen muͤßten ſie niemals, oder
nur im Fall der hoͤchſten Noth bekommen. Er
wuͤrde aber gegen jeden, welcher forthin darauf
dringen wuͤrde, nach der Strenge der Geſetze ver-
fahren. Beruhigen koͤnnte man ſich indeß immer:
denn wer immer auf Kapitulation draͤnge, ohne
die Belagerten durch Hungersnoth oder Bombarde-
ment aufs Aeußerſte gebracht zu haben, der muͤſſe
die Beſatzung fuͤr ſehr muthlos, kurzſichtig oder
verraͤtheriſch halten, oder er ſelbſt muͤſſe noch kurz-
[159] ſichtiger ſeyn. u. ſ. w. — Der gute Mann wußte
freilich nicht, worauf das oͤftere Auffodern zum
Kapituliren, ſchon ſo ungewoͤhnlich-fruͤhe, berech-
net war: indeß ſein Nichtwiſſen ſicherte meinen
Hals. —


General Laubadere war inzwiſchen aus ſei-
nem Hauſe aufs Gemeinhaus in Verwahrung ge-
bracht worden. Es wurde ein Gericht zur Unter-
ſuchung ſeiner Sache angeſezt, welches aus dem
Maire von Landau, aus dem juge de paix, dem
Kriegskommiſſaͤr, und allen Oberſten der Batail-
lons beſtand. Der Repraͤſentant Dentzel und
der oft erwaͤhnte Oberſte von der Reuterey waren
auch gegenwaͤrtig, ohne jedoch am Verhoͤr, oder
an der Berathſchlagung Theil zu nehmen. Zuhoͤ-
ren konnte uͤbrigens jeder. Die Unterſuchung wur-
de zwey Tage fortgeſezt, und mit aller Strenge
betrieben.


Das Ende vom Ganzen war, daß die Unterſu-
chung den General von allem Verdacht, verraͤthe-
riſch gehandelt zu haben, oder nur uͤbel geſinnt zu
ſeyn, losſprach, und ihn ſofort wieder in Freyheit
ſezte, aber ſeine Aktivitaͤt, als General und Kom-
mandant, konnten ihm ſeine Richter nicht wieder
geben: dieß war das Vorrecht des Militaͤrs. Der
Oberſte ließ deswegen der ganzen Garniſon die Un-
ſchuld des Generals und die Nothwendigkeit, ihn
[160] ohne Verzug, wieder in ſeine Stelle einzuſetzen,
bekannt machen, und Laubadere fing ſeine Ver-
richtungen wieder an, nach wie vor.


Daß dieſe Kataſtrophe mir eben nicht gefiel,
verſteht ſich von ſelbſt: denn ich dachte, bey dieſer
Gelegenheit doch noch zu meinem Zwecke zu ge-
langen. Aber es ſollte einmal nicht ſeyn!


Die Lebensmittel gingen indeß nach und nach in
den Magazinen zuſammen, und der Lieferant oder
Aminunitionnaire,Bartholomaͤi, verſicherte,
daß die Garniſon nur noch bis auf Weihnachten
zu eſſen haben wuͤrde, da er bey der lezten Unter-
ſuchung einer Niederlage, viele Saͤcke, mit Spreu
ſtatt Mehl gefuͤllt, aufgefunden habe. Dentzel
ließ die Niederlagen des Getraides und des Mehls
nun alle durchviſitiren, und da fanden ſich wirklich
uͤber 100 Saͤcke, die von habſuͤchtigen Verraͤthern
mit Spreu und Haͤckerling angefuͤllt waren. Die-
ſer Betrug mußte aber ſchon unter dem Kommando
des Generals Gillot ſeyn geſpielt worden; viel-
leicht auch ſchon fruͤher, und ſo fiel er niemanden
von den damals in Landau Gegenwaͤrtigen zur
Laſt, doch machte dieſe Entdeckung abermals ſehr
ſtarken Eindruck auf die Garniſon. Man berech-
nete nun noch genau, was fuͤr Vorrath da ſey,
und fand, daß die Garniſon noch bis zu Ende des
Januars ſubſiſtiren konnte.


[161]

Dentzel ließ die Buͤrgerſchaft in der Kirche
der ehemaligen Auguſtiner zuſammen kommen,
und hielt eine ſehr pathetiſche Rede, worin er ſie
ermahnte, ihren Ueberfluß an Lebensmitteln an die
Garniſon abzugeben, da man entſchloſſen ſey, Lan-
dau erſt dann hinzugeben, wenn alles aufgezehrt
ſeyn wuͤrde: und die gutgeſinnten Buͤrger brachten
noch auf einen ganzen Monat Lebensmittel fuͤr die
Beſatzung zuſammen.


Das friſche Fleiſch ging vorzuͤglich zuerſt zu-
ſammen, und da man doch fuͤr das Lazareth friſches
Fleiſch haben mußte, ſo wurde beſchloſſen, Pferde zu
ſchlachten, und davon der Soldatenſchaft ein hal-
bes Pfund taͤglich, nebſt ſechs Loth Speck, etwas
Kaͤſe, Butter, Eſſig und Oehl zu reichen: und
dieſe Subſiſtenz genoſſen wir bis zum Entſatz der
Stadt. Außerdem erhielt der Mann noch eine
halbe Bouteille Wein taͤglich.


Die Franzoſen verſtanden ſich leicht, Pferde-
fleiſch zu eſſen, aber die Deſerteurs und Kriegsge-
fangnen wollten ſchlechterdings nicht daran, und
fingen heftig an, uͤber das Schindfleiſch, Schind-
angerfreſſen u. ſ. w. zu raͤſonniren. Es iſt zwar
richtig, daß das Pferdefleiſch mit dem Ochſenfleiſch
nicht in Vergleichung koͤmmt, beſonders da die da-
von gekochte Suppe nicht viel werth iſt: aber dem[-]
Vierter Theil. L
[162] ohnerachtet laͤßt es ſich immer eſſen, wenn es gut
bereitet wird, und die Pferde nicht zu alt ſind.
Gewoͤhnlich wurde eine Bruͤhe von Speck und Eſſig
daran gemacht, und ſo konnte man es immer ge-
nießen. Die Frau Brion hat mir mein Pferde-
fleiſch einigemal ganz vortrefflich zubereitet.


Wie aber wir ſchwerfaͤllige Deutſche an dem
Joche der Gewohnheit uͤberall weit feſter haͤngen,
als der lenkbarere Franzoſe, ſo auch hier. Das
Vorurtheil aus Mangel an Gewoͤhnung beherrſchte
die deutſchen Deſerteurs und Gefangenen lange
eben ſo, wie das entgegengeſezte Urtheil, oder der
angewoͤhnte Wohlgeſchmack unſere Vorfahren vor-
zeiten beherrſchte. Dieſen war Pferdefleiſch eines
ihrer koͤſtlichſten Gerichte, ſo koͤſtlich, daß der
Haupt-Laͤhmer altdeutſcher Kraft — ich meyne
den heiligen Bonifacius — es kaum dahin
bringen konnte, ihnen den Geſchmack daran abzu-
gewoͤhnen. Papſt GregorIII, und deſſen Nach-
folger, Zacharias, hatten ihm dieß aufgetra-
gen, weil ihre Heiligkeiten Pferdefleiſch fuͤr unrein
und abſcheulich hielten. Aber die lezte Heiligkeit
hielt dafuͤr auch die Kraͤhen, Stoͤrche, Biber und
Haſen! *)


[163]

Daß indeß ihre paͤbſtliche Heiligkeiten, wie
gewoͤhnlich, ſo auch hier eben nicht recht hatten,
bezeugt die Voͤlkerkunde und die Geſchichte. So
ſpeiſen die Samojeden ſelbſt krepirte Pferde, und
halten einen Pferdekopf fuͤr eine beſondere Leckerey.
Die Nogayiſchen Tataren ziehen das Pferdefleiſch
durchgehends dem Rindfleiſche vor, und heben
den Kopf, als einen Leckerbiſſen auf fuͤr die Vor-
nehmen. De la Motraye aß unter den Krim-
miſchen Tataren von einem Fuͤllen, deſſen Fleiſch
er fuͤr Kalbfleiſch hielt. Bernier genoß unter
den Usbekſchen Tataren ein ſehr gutes Pferde-Ra-
gout. Selbſt in Sina wird Pferdefleiſch auf die
Maͤrkte gebracht, und die Sineſen eſſen es eben ſo
gern, als alle Voͤlker in Oſten. Opitz berichtet,
daß die Kalmucken die fetten, unberittenen Pferde
vorzuͤglich ſchlachten, und daß ein Braten davon
wirklich ſehr lecker ſey. In Tunkin, auf Suma-
tra, auf der Kuͤſte Koromandel und in den andern
angraͤnzenden Gegenden genießt man Pferdefleiſch
eben ſo gern als Rindfleiſch. Die Neger auf der
Kuͤſte Guinea ſchaͤtzen das Pferdefleiſch ſehr, un-
geachtet es dort nicht oft vorkoͤmmt. Auch in
Amerika findet man dieſen Geſchmack, vorzuͤglich
im ſuͤdlichen. Die Einwohner von Patagonien
ziehen das Pferdefleiſch allem uͤbrigen vor, und
eſſen es roh oder gebraten. Die Chileſen und die
[164] Eingebohrnen in Buenos Aires machen es nicht
anders. Selbſt der Koͤnig von Schweden ſuchte
noch im J. 1784 dem Fleiſchmangel dadurch ab-
zuhelfen, daß er ſich bemuͤhte, den Genuß des
Pferdefleiſches, durch ausgeſezte Praͤmien und
Penſionen, allgemein einzufuͤhren. Der ganze
Hof folgte, und wer ſich ergeben gegen die Schwe-
diſche Majeſtaͤt zeigen wollte, aß Pferdefleiſch,
oder empfahl deſſen Genuß.


Freilich koͤnnen abgenuzte, alte Pferde nicht
ſo wohlſchmecken, als junge Fuͤllen, oder das
Fleiſch von wilden Pferden. Den Johann Rein-
hold Forſter verſicherten Khalmyken, welche
Rinder und ſehr wohlſchmeckende Schafe in Menge
hatten, daß ſie ein Fuͤllen allem andern Fleiſche
vorzoͤgen. Junge wilde Pferde ſind fuͤr die obigen
Voͤlker das leckerſte Wildpret. Vorurtheile wirken
indeß hiebey viel, und es koſtet ſelbſt dem philoſo-
phiſchen Kopfe Muͤhe, ſich uͤber ſie hinauszuſetzen,
ſobald ſie durch Erziehung und Gewohnheit, die
ſogar Menſchenfreſſer ziehen kann, eingewurzelt
und befeſtigt ſind. *)


[165]

Aber auch hievon weggeſehen, wuͤrde Pferde-
fleiſch, allgemein gegeſſen, hier zu Lande ein gar
theures Eſſen werden; und ſo moͤgen meine deli-
katen Leſer ihre gewoͤhnliche Eſſerey immer fort-
ſetzen, wenn ſie aus dieſer Epiſode nur ſoviel ſehen:
daß man ſehr unrecht thut, wenn man die hoͤchſte
Noth einer belagerten Stadt daraus folgert, daß
ſie, um ihren Lebensunterhalt zu verlaͤngern, ſich
zum Genuß des Pferdefleiſches entſchließt.


Daß die Landauer Garniſon und Buͤrgerſchaft
waͤhrend der Belagerung Maͤuſe, Katzen und Hun-
de gegeſſen habe, wie in einigen Nachrichten er-
zaͤhlt wird, iſt eben ſo eine Unwahrheit, als daß
die Stadt aufs Aeußerſte ſey gebracht geweſen.
Landau konnte ſich noch immer bis zum Maͤrz 1794
halten. Der Zwieback, womit ein ziemlich großes
Magazin angefuͤllt war, und den der General bis
auf die lezte Noth ſparen wollte, iſt gar nicht an-
gegriffen worden: Bohnen und Erbſen auch nicht.


Die Deſerteurs fingen aber doch nach und nach
an, ſehr in Furcht zu gerathen: denn ihnen war,
nach ihrer Meynung, nichts gewiſſer, als daß die
Deutſchen doch endlich die Stadt erobern, und ſie
dann ein hartes Schickſal haben wuͤrden. Sie
wurden alſo einig, den General Laubadere zu
bitten, daß er ihnen den Ausgang aus Landau
erlauben wolle, wo ſie denn bey Nacht ſich durch
[166] die deutſchen Poſten ins Gebuͤrge, und von da
zur franzoͤſiſchen Armee ſchleichen wollten. Die
Sache wurde dem General auch wirklich vorgeſtellt,
aber er wies ſie ab. Ihr kommt nicht durch, und
koͤnnt nicht durchkommen, ſagte er, und ich wuͤrde
die Verantwortung haben, wenn ich Euch der Ge-
fahr ausſezte, aufgehaſcht zu werden. Aber ich
verſpreche Euch, im Fall wir ja kapituliren muͤß-
ten, daß fuͤr Euch ſoll geſorgt werden. Ihr ſollt
auf jeden Fall frey nach Frankreich kommen.


Die Deſerteurs beruhigten ſich doch nicht ganz,
und Einige wagten es, bey Nacht aus der Feſtung
wegzulaufen, und ſchlichen gegen Abend auf einen
Abtritt auf dem Wall, wo ſie Stricke befeſtigten,
und ſich um Mitternacht daran herabließen. Zwey
davon entkamen gluͤcklich, drey aber wurden von
den Schildwachen angehalten, und zuruͤckgebracht.
Dieſe ließ der General einige Tage einſtecken.


Mir wurde die Zeit beſonders lang, und ich
wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als daß Landau den
Deutſchen zu Theil werden moͤgte. Ich wuͤnſchte
dieſes blos um meinetwillen, denn ich befuͤrchtete,
wenn Entſatz kaͤme, ſo moͤgte die Sache des Re-
praͤſentanten nachher noch einmal genauer unter-
ſucht, und ich nicht aufs angenehmſte hinein ver-
wickelt werden. Es zeigte ſich mir auch bald eine
Gelegenheit, aus Landau zu entkommen. Mein
[167] Freund Brion naͤmlich, welcher an meiner g[u]
ten Geſinnung gegen die Republik gar nicht zwei-
felte, gab mir zu verſtehen, daß ich, da ich doch
alle Schliche durch die deutſchen Poſten kaͤnnte,
es uͤbernehmen moͤgte, durchzuſchleichen, und dem
franzoͤſiſchen General Feuvre, den man in der
Naͤhe vermuthete, Nachricht von der Lage Lan-
dau's zu bringen: dadurch koͤnnte ich mich bey
der ganzen Republik gar ſehr inſinuiren.


Dieſen Antrag nahm ich mit Freuden an, und
Brion ſprach deswegen auf der Municipalitaͤt,
und hernach auch mit dem General, der mich kom-
men ließ, und mir meine Inſtruktion ſchon gab.
Es kam nur noch auf den Repraͤſentanten an,
aber dieſer wollte nicht einwilligen. Man koͤnnte
und duͤrfte, gab er vor, keinem Fremden ſo etwas
anvertrauen; und hierauf zerſchlug ſich zu mei-
nem groͤßten Verdruß der ganze Anſchlag.


Ich kann meine Leſer, heilig verſichern, daß
ich einen doppelten Plan im Kopfe hatte, welchen
ich wuͤrde ausgefuͤhrt haben, im Fall ich aus Lan-
dau waͤre geſchickt worden. Ich haͤtte wirklich
alles aufgeboten, um durch die Preußen durchzu-
ſchluͤpfen; haͤtte mir dieß aber nicht gelingen wol-
len, je nun, ſo haͤtte ich mich zum General von
Knobelsdorf begeben, und haͤtte ihm das ge-
ſagt, was er ohnehin ſchon wiſſen mußte, daß
[168] Landau noch ſobald nicht ſein werden wuͤrde. Wenn
ich aber, ohne bemerkt zu werden, zu den Fran-
zoſen haͤtte kommen koͤnnen, ſo haͤtte ich durch ehr-
liche Erzaͤhlung von der Lage der Feſtung mir den
franzoͤſiſchen Kommandanten verbindlich gemacht,
und dadurch allen Verdacht zerſtreut, den man
nachher noch gegen mich haͤtte faſſen koͤnnen.


Man muß das Ding kaltbluͤtig uͤberlegen, um
zu finden, daß ich den Preußen keine Verbindlich-
keit mehr ſchuldig war, wohl aber den Franzoſen,
vorzuͤglich dem braven Brion, und daß ich da-
bey die Pflicht hatte, auf meine Selbſterhaltung
bedacht zu ſeyn.


Warum aber Dentzel meine Miſſion nicht
billigen wollte, laͤßt ſich leicht errathen. Er trauete
mir nicht, und konnte, als geſcheider Mann, mir
wirklich nicht trauen. Ich ſah das ſelbſt ein, fand
ſeine Vorwuͤrfe unter vier Augen billig, und war
ſchon zufrieden, als er mir verſprach, daß er fuͤr
mein Durchkommen in Frankreich ſorgen wollte;
und vielleicht haͤtte er Wort gehalten, wenn ihn
die Robespierriſche Parthey nicht verfolgt haͤtte,
wie ich weiterhin berichten werde.


Meines Brions Bekehrungsgeſchichte will
ich doch auch erzaͤhlen, ſo wie ich ſie aus ſeinem
Munde gehoͤrt habe. Er war ehedem ein ſteifer
Pfaffenfreund, beſuchte alle Tage die Meſſe, beich-
[169] tete fleißig, und kommunicirte eben ſo fleißig. Sein
Haus ſtand jedem Pfaffen offen, und beſonders
war ein gewiſſer Auguſtiner, Pater Marcelli-
nus, ſehr willkommen. Brion war gewohnt,
dieſem Pater alle hohen Feſte einen Kronenthaler
zum Praͤſent zu machen, und das ſchon ſeit meh-
reren Jahren. Eines Tages kam der Pater zu
ihm, und redete ihn mit frommer Mine alſo an:
Lieber Hr. Brion, Sie haben mir bisher jaͤhr-
lich 24 Livres — (oder 6 Thaler Saͤchſiſch) ge-
ſchenkt: dafuͤr danke ich Ihnen nochmals recht
herzlich, und der liebe Gott wird es ihnen gewiß
reichlich vergelten.


Brion: Ja doch, Herr Pater: Ihr' Hoch-
wuͤrden ſollen das forthin auch ſo bekommen.


Pater: Tauſend Gottes Lohn dafuͤr, Herr
Brion! Aber wenn nun der liebe Gott uͤber Sie
gebieten ſollte? wir ſind doch alle ſterbliche
Menſchen!


Brion: Auf den Fall ſollen Sie von mir
durch ein Legat bedacht werden.


Pater: Das iſt alles recht gut, liebſter Herr
Brion: aber —


Brion: (halb aͤrgerlich) Aber? — Wie ſo?


Pater: Ich wuͤßte einen beſſern Vorſchlag.


Brion: Laſſen Sie hoͤren!


[170]

Pater: Sie haben da eine Wieſe, wofuͤr ih-
nen der Schafwirth jaͤhrlich gerade einen Louisd'or
oder 24 Livres Pacht giebt: wie waͤr' es, wenn Sie
unſerm armen Kloſter die Wieſe eigen zuſchreiben
ließen?


Brion wurde uͤber die unverſchaͤmte Zumu-
thung des Paters ſo aufgebracht, daß er ihm ge-
rade heraus ſagte, daß er von nun an von ihm
keinen Heller mehr bekommen ſollte. — Madame
Brion, die ihres Mannes Anhaͤnglichkeit an die
Auguſtiner ſchon lange nicht leiden konnte, und
uͤberhaupt jeden vertrauten Zuſpruch von Pfaffen
als eine gar ſchlechte Empfehlung fuͤr die Einſicht
des Zugeſprochenen betrachtete — freilich gegen
die Mode des lieben Frauenzimmers, welches den
Pfaffen in und außer den Kloͤſtern, ſonſt gar nicht
abgeneigt iſt —, beſtaͤrkte ihren Mann in ſeinem
Unwillen gegen die Herren; und Pater Marcelli-
nus verſchrie von nun an, den edlen Brion, als
einen ſchlechten Chriſten und als einen Veraͤchter
der Religion und der Geiſtlichkeit. Von dieſer
Zeit an, dachte Brion uͤber die Pfafferey ernſt-
licher nach, und war bey dem Anfange der Revo-
lution ſchon ſo weit, daß er dieſes heilige Geſin-
del — wie er die Pfaffen nannte — fuͤr die aͤrg-
ſte Peſt der Geſellſchaft hielt. Er hatte ſeit 1790
weder gebeichtet noch kommunicirt, und war doch
[171] ein Mann, wie man ihn nicht beſſer wuͤnſchen
konnte.


Durch ihn erfuhr ich auch, wie man ſo ganz
nach dem Voͤlkerrecht die deutſchen Geißeln in
Frankreich behandelte. So waren die Worm[ſer]
ſtaͤdtiſchen und biſchoͤflichen Geißeln, welche zur
Sicherung der Neu-Conſtitutioniſten am Rhein,
nach Frankreich geſchickt waren, vor Landau's
Belagerung, dort in und auf dem Wall ungehin-
dert herum gewandert, blos unter Begleitung von
drey Ordonnanzen. Sie logirten am Markte,
dem Stadthauſe gegenuͤber, hatten drey Zimmer,
nebſt einem Speiſeſaal, kamen ungehindert zu-
ſammen, ſahen weder — wie hernach die Gegen-
geißeln zu Erfurt — Gitterſtangen, noch durch-
brochne Thuͤren, weder Wache auf dem Abtritt,
noch Nachtſtuhl in dem Zimmer: kurz, ſie wurden
gehalten, wie Geißeln, nicht wie Gefangene —
und dieß auf Koſten der franzoͤſiſchen Nation.
Die Mainzer Regierung mußte die edle Behand-
lungsart, welche auch ihren Geißeln in Frank-
reich wiederfahren war, endlich ſelbſt ruͤhmen;
und ſo hatte Hr. Lever nicht unrecht, als er die
Kurmainzer Regierung in Erfurt, in ſeiner Be-
ſchwerde-Schrift vom 27ſten Sept. 1794, auf
ungegruͤndete politiſche Jerenriaden uͤber erſchoͤpfte
Staatskaſſen, auf mention des[ho]norable u. dgl.
[172] aufmerkſam machte. Ein Mainzer Patent um
freywillige Kriegsbeyſteuer, hatte naͤmlich ange-
geben, wie wenn die Staatskaſſen durch die Ver-
pflegung der Mainzer Geißeln in Frankreich waͤ-
ren erſchoͤpft worden, Lever nannte dieß eine
grobe Betiſe auf die franzoͤſiſche Nation, und eine
enorme Luͤge — weil die Mainzer Staatskaſſen
ſchon vorher nichts mehr gehabt haͤtten. Man
wuͤßte ja, was fuͤr enormen Prunk der Hr. Kur-
fuͤrſt, auf Koſten ſeiner armen Unterthanen, allein
bey der Kroͤnung Kaiſer Leopolds gemacht haͤt-
te, der uͤbrigen nicht zu gedenken.


Dreyzehntes Kapitel.


Landau durch die Franzoſen entſezt.


General Laubadere hatte, durch einen Spion
von der Rheinarmee, Nachricht erhalten, daß man
alle Kraͤfte aufbiete, die Weißenburger Linien zu
durchbrechen, um Landau zu deblokiren; und die
bey der Armee befindlichen Repraͤſentanten hatten
ihm befehlen laſſen, taͤglich fruͤh um 6 Uhr eine
Anzahl 24 Pfuͤnder abzufeuern, zum Signal, daß
die Feſtung noch außer der Gefahr ſey, ſich der
Gewalt zu ergeben. Dieſe Orde[r] wurde auch taͤg-
[173] lich aufs puͤnktlichſte befolgt, und das Signal alle-
mal durch ein Gegenſignal von der ſich immer
mehr naͤhernden Armee erwiedert.


Niemals iſt ein militaͤriſches Unternehmen he-
roiſcher und glorreicher vollbracht worden, als die
Wiedereroberung der Linien im Elſaß und der Ent-
ſatz der Feſtung Landau, am Ende des Jahres 1793.
Die franzoͤſiſchen Truppen, bisher von Koͤniglich-
Geſinnten oder ariſtokratiſchen Verraͤthern verraͤthe-
riſch behandelt und ſchlecht angefuͤhrt, waren vor
einigen Monaten der Uebermacht gewichen und
hatten die Linien von Weißenburg ſchaͤndlich ver-
lohren. *) Der Erfolg dieſes Verluſtes war, daß
ſie ſich hinter das Gebuͤrge ziehen, und dem Feinde
das flache Land bis nach Strasburg hin uͤberlaſſen
mußten. Die Lage der Franzoſen ward noch be-
denklicher, da in Strasburg eine Konſpiration ent-
ſtand, wodurch man den Kaiſerlichen die Stadt
uͤberliefern wollte. Es kann ſeyn, daß Eulogius
Schneider
bey der Entdeckung dieſes Kom-
[174] plots mehr Verbrecher entdeckte, als wirklich da
waren: aber es iſt unlaͤngbar, daß ein ſolches Kom-
plot wirklich ſtatt gefunden, und daß der Maire
Dietrichs, ſonſt Hr. von Dietrichs, ſtarken An-
theil daran genommen hat. Waͤre Strasburg da-
mals in die Haͤnde der Kaiſerlichen gefallen, ſo war
zwar Landau noch nicht erobert, aber alsdann
mußte erſt Strasburg wieder erobert werden, und
die Linien der Deutſchen waren noch ſicher.


Daher bemuͤhten ſich die Republikaner, unauf-
hoͤrlich vorzudraͤngen, troz den entſetzlichen Mord-
gefechten bey Lautern. Die Preußen machten
ſogar Verſuche auf die Bergfeſtung Bitſch, und
wenn ſchon dieſe Verſuche fehlſchlugen, ſo mußten
doch die Franzoſen immer mehr einſehen, welche
Gefahr ihnen drohte. *)


[175]

Sie fanden es daher unumgaͤnglich nothwendig,
die Elſaßer Linien anzugreifen, und da durchzubre-
chen. Den 22ten Dezember vereinigte ſich der
groͤßte Theil der Moſelarmee mit der Rheinarmee,
und nun begann das Rieſen-Werk. Toulon iſt
wiedererobert, alſo auch hier Landau oder der
Tod — war das Loſungswort, unter welchem ſie
wie wilde Baͤren fochten und auf die Kaiſerlichen
einfielen. Aber am 26ten, als am andern Chriſt-
tage, wagten ſie endlich eine Hauptſchlacht, und
fochten, beſonders auf dem Geisberg bey Weiſſen-
burg, wie Wuͤthende. Der Erfolg davon war, daß
die Kaiſerlichen, und die Reichsvoͤlker, welche in
Weiſſenburg und in den angraͤnzenden Oertern ſtan-
den, weichen und dem ſiegreichen Feinde das Feld
laſſen mußten. Die Franzoſen wurden Meiſter von
den Linien im Elſaß d. i. von einer großen Reihe
Schanzen, Verhauen u. dgl. welche oberhalb Ha-
*)
[176] genau anfaͤngt, und herunter bis nach Bergzabern
hinlaͤuft, und wenigſtens 12 bis 14 Stunden Laͤnge
hat. Die Franzoſen eroberten viele Kanonen, mach-
ten viele Gefangne u. ſ. w. Der Verluſt der Kai-
erlichen an Menſchen, Magazinen, Pulver, Waf-
fen, Kleidungsſtuͤcken u. dgl. war unermeßlich.
— Aber da dieſe an ſich hoͤchſt merkwuͤrdigen
Vorfaͤlle, freilich partheiiſch genug, von andern
Schriftſtellern erzaͤhlt ſind, ſo will ich wieder von
meinen Erfahrungen reden, wenn ich erſt noch
folgende Anekdote werde erzaͤhlt haben.


Als ich im Maͤrz 1795 von Freiburg nach
Offenburg wanderte, kehrte ich in einem Badiſchen
Dorfe ein, wo ich mit einigen Kaiſerlichen Kaval-
leriſten im Wirthshauſe von den Kriegsangelegen-
heiten zu ſprechen kam. Ja, ſagte ein Kavalle-
riſt, es ſind doch rechte Spitzbuben die Kondeiſchen
Hunde (er ſprach von der Armee der Emigrirten).
Wir hatten, ſchau der Herr, einen Chaſſeur bey
Schweighauſen gefangen: es war ein blut-
junges Kerlchen, und wir hatten ihm Pardon ge-
geben. Da fuͤhrte der Teufel einen ganzen Hau-
fen von den Kondeiſchen herbey: die riefen wie
unſinnig: Patriot! Patriot! und hieben auf un-
ſern Gefangnen ein. Wir ſezten uns zur Wehre:
da futterten die Spitzbuben, und machten Mine,
uns alle niederzuhauen, wenn wir ihnen den
[177] Gefangnen nicht ablieſſen. Einer davon verſtund
deutſch und ſagte, daß ſie den Patrioten zu ihrem
Prinz Condé bringen muͤßten. Was wollten wir
machen! wir uͤberließen ihnen den Chaſſeur, und
baten ſie, ihm nichts leids zu thun. Sie verſpra-
chens zwar: aber — o hole der Teufel die ver-
fluchten Racker! — auf 20 Schritte von uns,
hieben ſie ihn zu Stuͤcken, und jagten davon.


So abſcheulich dieſe Anekdote iſt, ſo war doch
ein Werber von den ſogenannten Anglois, d. i.
von dem Spitzbuben-Korps, welches unter dem
Namen Eugliſches Régiment de Montbaſſon,
ich glaube, ſo muß man dieſen Namen ſchreiben;
wenigſtens ſprach man ihn ſo aus — damals im
Breisgau zu Ettenheimmuͤnſter fuͤr Englands Rech-
nung errichtet wurde: ein Werber, ſag' ich, von
der ſchoͤnen Bande war noch ſo unverſchaͤmt, daß
er dem Kavalleriſten widerſprach, und das Verfah-
ren der Kondeiſchen an dem ungluͤcklichen Chaſſeur
billigte und rechtfertigte. Aber der Reuter ſah
ihn mit Verachtung an, und ſagte: wenn der Herr,
ſo was loben kann, ſo iſt der Herr nicht ein Haar
beſſer, als die Kondeiſchen Hollunken ſelbſt. —


Der Ruͤckzug der Preußen und Oeſtreicher wur-
de ſchon den 26ten Dec. in Landau bemerkt, aber
am 27ten kam die gewiſſe Nachricht, daß die Be-
Vierter Theil. M
[178] freyung nahe und voͤllig gewiß ſey. Man kann
ſich kaum vorſtellen, welche frohe Wirkung dieſe
Nachricht unter der Buͤrgerſchaft und der Garni-
ſon hervorbrachte. Einer lief immer gegen den An-
dern, und ſchrie freudig: „Weißt du was Neues?
die Preußen ziehen ab: wir ſind entſezt!“ Der
General legte ſich in ſein Fenſter, und ſchrie ein-
mal uͤbers andere: Me voilà au comble de mes
voeux: la place eſt ſauvée, la place eſt à la Répu-
blique!


Endlich kamen franzoͤſiſche Huſaren, und brach-
ten Briefe an Laubadere und an Dentzel.
Die Landauer Buͤrger riſſen ſich um dieſe Huſaren:
jeder wollte ſie in ſein Haus haben, jeder wollte
ſie bewirthen. Abends war ich ſelbſt in einem
Hauſe, wo einige Huſaren zuſammen zechten. Ich
ließ michs 3 Livres koſten, und die Franzoſen wur-
den mir gewogen. Da ich ſo ziemlich patriotiſch
ſprach, druͤckten ſie mir die Haͤnde, und wollten,
daß ich gleich mit ſollte. Du mußt unter unſerer
Eſcadron dienen: du biſt wuͤrdig, die Republik
vertheidigen zu helfen: Frankreich muß dein Va-
terland werden! — Kein froherer Mann kann ge-
dacht werden, als ein ſiegender Republikaner!
Aber ſein Sieg betrifft auch ihn und ſeine eigne
Sache mit! —


[179]

Den 28ten Dezember wurde Landau foͤrmlich
geoͤffnet: denn da waren die Preußen voͤllig abge-
zogen, und hatten ihren Weg nach Germersheim
zu genommen. Der General Feuvre bezog die
Feſtung, und Laubadere nebſt Delmas und
der bisherigen Garniſon zogen ab.


Die Deſerteurs, zu welchen ich damals noch
gerechnet wurde, ſollten in Begleitung von zwey
Gensd'armes nach Weißenburg und von da weiter
nach Frankreich gebracht werden: mir aber wurde
geſagt, daß der Repraͤſentant und der General
befohlen haͤtten, ich ſollte noch da bleiben. Dieſe
Worte erſchreckten mich; da man mich aber nicht
feſtſezte, und da der Befehl von Leuten kam, de-
nen eine Unterſuchung auf meiner Seite eben nicht
ſehr willkommen ſeyn konnte, ſo beruhigte ich mich.


Die Deſerteurs gingen den 28ten fruͤh um 9
Uhr aus Landau. Gleich darauf begab ich mich
zum Adjutant Doxon, um ihn zu fragen, war-
um ich nicht folgen ſollte. Ey was, ſagte dieſer,
da ſteckt gewiß ein Misverſtaͤndniß. Laubadere
geht noch heute weg, und kann ſich fuͤr jezt mit
dir nicht befangen. Geh du immer nach Weißen-
burg und ſey in Zukunft ein braver Citoyen: dann
wird dir's ſchon noch gut gehen.


Ich nuͤzte dieſen Wink, und verließ Landau
um II Uhr, nachdem ich noch vorher mit dem bra-
[180] ven Brion gegeſſen, und von ihm und ſeiner gu-
ten Familie Abſchied genommen hatte. Dieſe bie-
dern und hellen Leute werden mir Zeitlebens unver-
geßlich bleiben.


Die Fortſchritte, welche die Republikaner von
da an machten, waren eben ſo ſchnell, als die
Vortheile, welche ohngefaͤhr 9 Monate vorher die
Preußen uͤber die Truppen des Cuͤſtine davon
getragen hatten, aber ſie waren weit reeller. Die
Kaiſerlichen zogen ſich pfeilſchnell mit ihren Reichs-
truppen uͤber den Rhein, und die Preußen deckten
dieſen Ruͤckzug, ſo gut es ſich thun ließ. Die Fran-
zoſen machten auch ſofort Anſtalten, Fort Vauban
zuruͤck zu erobern. Andere warfen ſich ins Speier-
ſche und Pfaͤlziſche, aber nicht ſo ſchonend, wie
im Jahr 1792: denn wohin ſie kamen machten ſie
Erpreſſungen, und trieben Dinge, welche ſich
nimmermehr entſchuldigen, wohl aber demjenigen
begreiflich machen laſſen, der da bedenkt, daß die-
ſe Nation damals aufs aͤußerſte gebracht war, und
ſich ihrem Untergange und ihrer voͤlligen Unterjo-
chung nahe ſah; daß die Deutſchen in den franzoͤ-
ſiſchen Gegenden, wohin ſie gekommen waren,
[eb]en ſo abſcheulich und wohl noch abſcheulicher ge-
hauſet hatten, und daß man ohne Gefahr keine
Strenge gebrauchen konnte, gegen die Exzeſſe be-
gehenden Volontaͤrs, welche man wenig Tage zu-
[181] vor mit Verluſt vieler Tauſende gegen feindliche
Batterien und Schaaren gefuͤhrt hatte. Ich werde
uͤber dieſen wichtigen Gegenſtand noch mehrmals
meine Anmerkungen mittheilen: jezt fahre ich in
meiner Geſchichte fort.



Vierzehntes Kapitel.


Meine Reiſe von Landau nach Strasburg.



Auf dem Wege von Landau nach Weiſſenburg traf
ich jeden Augenblick Reuter und Volontaͤrs an,
welche ihrem Heere noch nachzogen; bey Bergza-
bern aber geſellten ſich Einige zu mir, die auch nach
Weißenburg wollten. Ich hatte da Gelegenheit,
Vieles uͤber die franzoͤſiſche Armee zu erfahren, und
insbeſondere erklaͤrte mir einer, warum die Guillo-
tine ihren Heeren folgen muͤßte. Das geſchieht,
ſagte er, um uns vor Verraͤtherey zu ſichern, wel-
che uns uͤberall verfolgt, und welche wir mit Ge-
walt unterdruͤcken muͤſſen. Stelle dir einmal die
Spitzbuͤbereyen der Ariſtokraten vor! Sie haben [sſch]
hier und da zu Wegweiſern aufgeworfen, wenn
kleine Abtheilungen von Republikanern die Gegend
nicht kannten. Alsdann haben ſie die unbeſorgte
Mannſchaft den Feinden in die Haͤnde gefuͤhrt, [und]
[182] dieſe haben die Irrgefuͤhrten niedergehauen. Wenn
nun ſo ein Schurke entdeckt wird, ſo ſpaziert er
nach dem Befehl der Volksrepraͤſentanten jezt auf
die Guillotine, die wir eben deswegen immer bey
uns haben. In Soldatenſachen hat man aber die
Guillotine niemals bey der Armee gebraucht, und
ſelbſt die Deſerteurs ſind nie guillotinirt, ſondern
erſchoſſen worden. — Es iſt daher ein ſehr unge-
gruͤndetes Vorgehen, daß die franzoͤſiſche Bravour
der Guillotine ihr Daſeyn zu danken habe.


In Weiſſenburg, wohin ich erſt gegen Abend kam,
ſah und hoͤrte ich nicht viel Angenehmes. Die deut-
ſchen Truppen hatten bey ihrem Ruͤckzuge noch al-
les rein ausgepluͤndert, und einige Leute ſogar er-
ſchoſſen, welche etwas zu fruͤh: „es lebe die Re-
publik!“ gerufen hatten. Weiſſenburg iſt eine kleine
Stadt am Gebuͤrge, deren Einwohner nicht alle
republikaniſch geſinnt, und daher mit den zuruͤck-
ziehenden Deutſchen ſtark ausgewandert waren.
Die Haͤuſer dieſer Ariſtokraten wurden von den Vo-
lontaͤrs und von den republikaniſch geſinnten Buͤr-
gern ſehr mishandelt und ausgepluͤndert. Wir hat-
ten auch in ſo einem ariſtokraten Hauſe unſer Quar-
tier, wo ſelbſt unſre Deſerteurs es trieben, wie es
ging: ſie liefen gar des Nachts herum ſtehlen.


Wir mußten bis auf den 30ten December Nach-
mittags in Weiſſenburg bleiben, weil wir mit ei-
[183] nem Transport Kriegsgefangnen nach Strasburg
wandern ſollten. Am 29ten erhielten wir Brod
und Wein, und den 30ten zogen wir ab, an der
Zahl etwan 60 Deſerteurs, und 600 Gefangne.
Ein Kapitaͤn und 50 Volontaͤrs begleiteten uns,
doch ohne auf uns ſcharf Acht zu geben: da hernach
in Strasburg die Zahl nicht mehr ganz voll war,
ſo glaube ich, daß mehrere weggelaufen ſind.


Erſt den 31ten kamen wir nach Hagenau, ei-
ner Stadt, die ſonſt beynahe ganz offen war, jezt
aber mehrere Schanzen und Werker hat, welche
theils durch die Franzoſen theils durch die Deut-
ſchen errichtet ſind. Wir wurden ins Franziska-
nerkloſter gebracht, wo wir ſo viel kaiſerliches Kom-
mißbrod erhielten, als uns gefiel. Die Kaiſerli-
chen hatten bey ihrem uͤbereiligen Zuruͤckzug nicht
einmal ihr Kommißbrod mitnehmen koͤnnen, und
litten daher unterwegs ſtarken Mangel, wie ich
hernach gehoͤrt habe. Unter den mehreren gefang-
nen kaiſerlichen Offizieren befand ſich ein gewiſſer
Leutnant Zimmer, vom Regiment Wilhelm
Schroͤder. Dieſer verſtand kein franzoͤſiſch, und
bath mich, den uns fuͤhrenden Hauptmann ſeinet-
wegen zu bitten, daß er ihn den folgenden Tag
moͤgte fahren laſſen, indem er ſchlechterdings nicht
mehr gehen koͤnnte. Ich that das, und der Kapi-
taͤn kam ſelbſt zum Leutnant, und verſicherte ihn
[184] nicht allein, daß er ſollte gefahren werden, ſondern
ſchickte ihm auch Wein, Weißbrod und eine Schuͤſ-
ſel voll Ragout oder wie die Volontaͤrs ſagen, Fri-
côt.
Auf den folgenden Tag verſorgte er ihn noch
beſſer. Auch die andern Offiziere erhielten ganz
gutes Traktament, gerade wie die franzoͤſiſchen —
und doch ſchimpften die undankbaren Herren da-
mals noch ſchrecklich auf die verfluchten Koͤnigs-
moͤrder!! Ihr Gluͤck war es, daß die Franzoſen
ſie nicht verſtanden, und daß ihnen uͤberhaupt an
den Geſinnungen der Kriegsgefangnen wenig gele-
gen war.


Aus Hagenau waren weit mehr ausgewandert,
als aus Weiſſenburg, wie denn uͤberhaupt keine
Provinz mehr Emigranten nach Deutſchland ge-
ſchickt hat, als der Elſaß, beſonders der Unter-
Elſaß. Die Urſache hievon iſt nicht ſchwer auf-
zufinden. Elſaß ſtand nie recht in Verbindung mit
Frankreich, und handelte immer mit Deutſchen:
ſelbſt die Sprache band es an Deutſchland. Und
dann ſind die Elſaſſer von allen Religionen viel zu
orthodox, als daß ihnen das neue Syſtem ſogleich
haͤtte gefallen koͤnnen. Daher die vielen Gefluͤch-
teten, wovon aber doch die meiſten zuruͤckgekehrt
ſind, die Edelleute und Geiſtliche ausgenommen,
wie ich weiterhin erzaͤhlen werde.


[185]

Den Weg von Hagenau nach Strasburg werde
ich niemals vergeſſen. In einem Dorfe, ohnweit
Hagenau, kam ein Junge von ohngefaͤhr 12 Jah-
ren, auf einen gefangnen Razen zugelaufen, mit
wuͤthender Miene und einem Meſſer in der Hand,
und ſchrie: „Der Hund da muß mir verrecken!“ —
Die Volontaͤrs entfernten den Jungen, aber ver-
gebens: er kam immer wieder, und ſchrie ohne Un-
terlaß, der kaiſerliche Hund muͤſſe verrecken. Der
Offizier wollte wiſſen, was der Junge vorhabe.
„Ach, ſchrie er, dieſer Kerl da hat mir meinen
Vater todtgeſchoſſen, und jezt will ich ihn auch
todtſtechen.“ Der Junge wurde aber mit Ge-
walt abgewieſen, und der Hauptmann ſagte ſo vor
ſich hin: ce ſont de ſacrès matins ces bougres de
Kayſerlics!
Der Raze verſicherte indeſſen hoch und
theuer, daß er den Bauer nicht erſchoſſen habe, al-
lein die Leute im Dorfe ſchwuren alle, daß wenig-
ſtens gerade ſo ein Kerl, wie er, den armen Mann
erſchoſſen habe, blos weil er geſagt hatte: Ihr
muͤßt doch wieder zuruͤck: unſre Leute kommen
ſchon.


In Brumat, einem anſehnlichen Flecken, drey
Stunden von Strasburg, war alles verſammelt,
als wir durchgingen, und jeder ſchimpfte auf die
Kaiſerlichen Kriegsgefangnen. „Schwarz-Fleiſch,
Weiß-Geld!“ ſchrieen ſie ihnen unaufhoͤrlich zu:
[186] denn mit dieſer Anrede hatten die Herren Oeſtrei-
cher kurz vorher die armen Leute exequirt. Die
Herren gingen aber jezt gerade, wie Roſt ſagt:
— — Wie ein Pfeifenmann
Der ſeinen ganzen Kram zerfallen hat.

Keiner getraute ſich, aufwaͤrts zu blicken, und der
Leutnant Zimmer mußte ſelbſt geſtehen, daß die
Leute Recht haͤtten: man habe es auch ein biſſel zu
arg gemacht. Wenn aber ein kaiſerlicher Offizier
geſteht, daß man es mit den patriotiſchen Franzo-
ſen, mit den Koͤnigsmoͤrdern, mit den verfluch-
ten, vom Papſt exkommunicirten Schandbuben von
Patrioten doch zu arg gemacht habe, ſo mag der,
der die Geſinnungen dieſer Herren kennt, abneh-
men, wie man es ohngefaͤhr gemacht habe.


Ich war durſtig, und bath einen Volontaͤr,
mit mir in ein Wirthshaus zu gehen: wir wuͤrden
ja wohl bald nachkommen. Als Deſerteur hatte
ich ohnehin mehr Freyheit, als die Gefangnen.
Der Volontaͤr war willig, ſagte dem Hauptmann,
daß er mit mir wuͤrde zuruͤckbleiben; und ſo gingen
wir ins Wirthshaus. Es waren mehrere Leute da,
und dieſe konnten gar nicht genug beſchreiben, wie
die Kaiſerlichen noch vor wenig Tagen bey ihrem
Zuruͤckzug im Flecken gepluͤndert und die Leute mis-
handelt haͤtten. Der ganze Flecken war durch die
vielen hineingeworfnen Haubitzen und Kugeln zer-
[187] ſtoͤrt: denn es war vor kurzem ein Hauptangriff
da vorgefallen, und einige Gebaͤude waren in die
Aſche gelegt, auch mehrere Leute dabey umgekom-
men. Gern haͤtte ich den Pfarrer Mallo in
Brumat beſucht, mit welchem ich ehemals in Gie-
ßen ſtudiert hatte, aber er war nicht zu Hauſe.
Ich habe lange nachher gehoͤrt, daß er in Stras-
burg hingerichtet ſey.


Ich und mein Volontaͤr erreichten unſere Trup-
pe nicht eher, als vor den Thoren Strasburgs:
denn wir ſchlichen nur ſachte nach, und kehrten
noch einigemal ein. Unterwegs hoͤrten wir, daß
die Gefangnen einen Wagen mit weißen Ruͤben,
welchen ein Bauer fuͤhrte, mit Gewalt angegriffen
hatten, und daß die Volontaͤrs die Raͤuber kaum
haͤtten abhalten koͤnnen.


In Strasburg lief alles auf, als wir anka-
men, und ſchrie: es lebe die Republik! — Seht
— rief einer dem Andern zu, — hier gehen von
den Leuten, welche uns unterdruͤcken wollen! Hoͤrt
einmal, Ihr Leute, was macht Euer Kaiſer? Iſt
er noch offnes Leibes? u. dgl.


Auf dem großen Platze wurden wir gezaͤhlt, und
hernach in das ehemalige praͤchtige Palais des Land-
grafen von Darmſtadt gefuͤhrt, wo man unſre Na-
men aufſchrieb. Die Preußen und Oeſtreicher wur-
den getrennt, und dieſe erhielten nicht ſo gutes
[188] Quartier, als jene: aber Gefangne und Deſerteurs
blieben noch immer beyſammen. Wir wurden ſehr
gut verpflegt, erhielten Brod, Fleiſch und Wein,
und lagen auf guten Strohſaͤcken in warmen Zim-
mern.


Ich hatte ehemals dieſe Palais oder Hôtel
Darmſtadt,
eins der ſchoͤnſten und groͤßten Ge-
baͤude in ganz Strasburg, ſchon geſehen: aber zu
der Zeit war es noch die Wohnung eines Prinzen;
wenigſtens wohnte der Landgraf allemal da, wenn
er nach Strasburg kam. Sein Wappen ſtand ſonſt
uͤber dem Thore; aber jezt war es zertruͤmmert,
und die Nation hatte ſich das Gebaͤude, nebſt al-
len reichen Domaͤnen, die der Landgraf im Elſaß
beſaß, zugeeignet, aber erſt, ſeitdem er ſeine Trup-
pen noch vor der Errichtung der Reichsarmee, im
November 1792, den Preußen zu Huͤlfsvoͤlkern
gegeben hatte. Damals war noch keine Reichsar-
mee, und der Landgraf war noch neutral, oder konnte
doch noch neutral bleiben. Seit dieſer Zeit hatte
auch Ruͤhl ein Dekret bey dem Konvent ausge-
wirkt, daß man dem Landgrafen von Heſſen-Darm-
ſtadt keine Schadloshaltung geben ſollte: wie man
ſie ihm vorher verſprochen hatte fuͤr alle ſeine Be-
ſitzungen im Elſaß. Ob hierin die Franzoſen Recht
gehabt haben, moͤgen die Publiziſten unterſuchen.
Das Wappen war alſo am Schloße herabgeriſſen,
[189] und als ein Zeichen angeborner Hoheit zer-
ſchmiſſen worden. Die Gemaͤlde und andere De-
korationen der Zimmer waren auch nicht mehr, und
in den großen Saͤlen lag Holz und Stroh.


So was waͤhrt denn auch nur eine Zeitlang,
und Pallaͤſte ſind dem Verderben eben ſo gut aus-
geſezt, als kleine Huͤtten! Freilich laſſen ſich dieſe
ohne große Muͤhe niederreißen, aber auch jene
werden eingeriſſen, und ihr Ruin iſt um ſo ſicht-
barer, je feſter ihre Struktur vorher war. —


Ich wollte, weil ich in Strasburg Bekannte
hatte, ausgehen, und wendete mich deswegen an
den Commis, welchem die Aufſicht uͤber die Deſer-
teurs und Gefangnen anvertraut war: aber dieſer
entſchuldigte ſich, und ſagte, daß er das nicht er-
lauben duͤrfte: vor einigen Tagen habe er auch ei-
nige Gefangne ausgehen laſſen, dieſe aber haͤtten
ſchlechte Streiche veruͤbt, und in der Stadt ge-
ſtohlen. Nun ſey es ihm verboten: aber der Kriegs-
kommiſſaͤr wuͤrde am andern Morgen fruͤh kommen,
und der wuͤrde mir es wahrſcheinlich geſtatten.
Fruͤh kam dieſer wirklich, und als er hoͤrte, daß
ich den Eulogius Schneider, damals oͤffent-
lichen Anklaͤger bey dem Tribunale zu Strasburg,
beſuchen wollte, erlaubte er mir nicht nur auszu-
gehen, ſondern ſchenkte mir noch drey Livres in
Papier, pour boire à la ſanté de la République.


[190]

Ich ging aus, und mein erſter Gang war nach
der Kathedralkirche, oder dem beruͤhmten Muͤnſter.
Allein wie fand ich da Alles veraͤndert! Der ganze
Muͤnſter war ausgeleert: alle Heiligen-Bilder,
alle Wappen, alle prunkvollen Grabſchriften, alle
Altaͤre, kurz, Alles, was ehemals die Augen der
Betrachter auf ſich gezogen hatte, war weg! Man
hatte aus dem Muͤnſter den Tempel der Ver-
nunft gemacht, d. i. denjenigen Ort, wo man
zuſammenkam, republikaniſche Reden anzuhoͤren
u. ſ. w.


Es iſt doch wahrlich Schade, ſagte ich, um
die herrlichen Kunſtwerke, die hier zerſtoͤhrt ſind!
Was, erwiederte ein Mann, der neben mir ſtand,
Schade um Kunſtwerke, welche den Aberglauben
und den Deſpotismus predigten?


Ich: Dem Vernuͤnftigen predigen die Werke
der Kunſt niemals Aberglauben und Deſpotismus:
weit eher Abſcheu dagegen.


Er: Um Vergebung, Citoyen, was nennſt
Du ein Werk der Kunſt?


Ich: Ein Werk, das die Natur veredelt ge-
treu ausdruͤckt.


Er: Was iſt denn ein religioͤſes Kunſt-
werk?


Ich: (ſtockend) Das iſt — iſt —


[191]

Er: Ich will dir's ſagen! Ein religioͤſes Kunſt-
werk iſt ein Meiſterſtuͤck, worin man religioͤſe, durch
den Aberglauben geheiligte Hiſtoͤrchen und Fabeln
ſo vorſtellt, daß ſich die Einbildungskraft dieſe
Fabeln als wirklich, oder wirklich geſchehen vor-
ſtellen kann.


Ich: Gut: aber ein Vernuͤnftiger wird die
Fabeln dennoch nicht glauben, wenn auch ſeine
Einbildung noch ſo ſehr dadurch afficirt wird.


Er: Ganz recht: ein Vernuͤnftiger d. i. ein
von Vorurtheilen freyer Menſch: Aber der Poͤbel! —


Ich: In Frankreich giebt's ja keinen Poͤbel
mehr! —


Er: (lacht) Im politiſchen Sinne ſind wir
freilich Alle gleich: aber im moraliſchen! Es giebt
in Frankreich eben ſo ſchwache Leute, wie in Deutſch-
land: und da doch die Fratzen bey uns einmal
durchs Geſetz vertilgt ſind, ſo muß auch der Sa-
men vertilgt werden, woraus ſie wieder entſtehen
koͤnnten. Dahin gehoͤren denn die religioͤſen Cere-
monien, die Kirchen, die Bilder, die Gemaͤlde,
und Alles, was darauf Bezug hat. Mit den
Kunſtwerken, welche den Deſpotismus laut pre-
digen, und die Tyranney ehrwuͤrdig machen hel-
fen, hat es eben die Bewandniß. Und eben dar-
um ſind die Ehrenſaͤulen, Trophaͤen, Grabmaͤler,
Inſchriften, nebſt den Sklaven in Feſſeln um Fuͤr-
[192] ſten zu Pferde, u. dgl. bey uns abgeſchafft und
zerſtoͤhrt worden, theils aus Haß gegen die Tyran-
nen, welchen zu Ehren dergleichen war aufgerich-
tet worden, vorzuͤglich aber, um zu verhindern,
daß dieſe Dinge nicht uͤber kurz oder lang der oͤf-
fentlichen Meynung ſchaden moͤgen. Wollten wir
konſequent handeln, ſo konnten wir nicht anders.
Und wie mich duͤnkt, iſt jedes Kunſtwerk, und
wenns das ſchoͤnſte waͤre, veraͤchtlich, ſobald es
zur Verfaͤlſchung oder Entwuͤrdigung des Menſchen
ſyſtematiſch dient. Lieber ungezwungene, ſchlichte
und unverfaͤlſchte Natur, und kein Kunſtwerk, als
viele Kunſtwerke, und die Natur — in Feſſeln!


Ich hatte nicht Luſt, weiter zu widerſprechen,
und ging, und ſeufzte — uͤber die Kunſt auf dem
Throne, und uͤber die Natur in Feſſeln.


Funfzehntes Kapitel.


Eulogius Schneider. — Doctor Lobſtein.


Ich kannte den beruͤhmten und beruͤchtigten Eu-
logius Schneider nicht von Perſon, aber
ſeine Schriften hatte ich geleſen, und er war mir
als ein zu guter Patriot beſchrieben worden, als
daß ich haͤtte fuͤrchten ſollen, er moͤgte uͤber meinen
Beſuch boͤſe werden. Ich wollte den Mann ken-
[193] nen lernen; und wird er boͤſe, dacht' ich, was
liegt daran! Er iſt ja nur ein Citoyen, und kein
großer Herr, oder Fuͤrſt!


Ich fragte nach der Wohnung des oͤffentlichen
Anklaͤgers, und man ſah mich bedenklich an, und
wies mich dahin. Ich glaubte, auf den Geſichtern
derer, die ich fragte, eine Gegenfrage zu leſen,
dieſe: willſt du etwan jemanden angeben, und
auf die Guillotine bringen?


Ich kam zu ihm, als er eben einige Buͤrger
bey ſich hatte, mit denen er heftig debattirte. Er
kam mir entgegen: Was willſt Du? ſagte er auf
deutſch zu mir.


Ich: Den beruͤhmten Mann kennen lernen,
der durch Philoſophie den Aberglauben beſiegte,
der einem unnuͤtzen Stand entſagte, um der Menſch-
heit zu nuͤtzen, den Deutſchland als einen ſeiner
beſten Dichter, und Frankreich als einen der waͤrm-
ſten Republikaner ſchaͤzt. —


Schneider: Das ſind Komplimente, Freund!
Ich bin blos ſtolz, daß ich der Republik dienen
kann. Aber wer biſt denn Du?


Hier erfolgte eine kurze Biographie von meiner
Seite, worauf Schneider fortfuhr:


Schoͤn, mein Freund, Du thuſt recht, daß
Du dich nach Frankreich begiebſt! Sey gutgeſinnt,
Vierter Theil. N
[194] und Du wirſt gluͤcklich ſeyn. Aber ſag mir doch,
was ſpricht man von mir bey euch?


Ich: Die Klugen loben und ehren Dich; die
Gelehrten und Virtuoſen ſchaͤtzen deine Verdienſte:
aber die Pfaffen, die Bigotten —


Schneider: (lachend) Ich verſtehe Dich
ſchon: Nicht wahr, die ſprechen, ich ſey ein Apo-
ſtat, ein Ketzer, ein Freygeiſt, ein Taugenichts,
und wer weiß, was ſonſt noch mehr! Das kann
ich mir alles ſchon recht gut vorſtellen: aber ich
bekuͤmmere mich nichts darum! Ich bin ein Apo-
ſtat vom Kirchenſyſtem, und bin froh, daß alle
braven Maͤnner denken, wie ich. Die Religion
der Pfaffen iſt eben ſo ſchaͤdlich, als der Deſpo-
tismus der Fuͤrſten: beydes muß zerſtoͤhrt werden,
wenn das Volk gluͤcklich werden ſoll.


Schneider fuhr in dieſem Tone noch lange fort,
und ſeine Lebhaftigkeit, ſein geſunder, ſtarker Aus-
druck, und ſeine Theilnahme an meinen Schickſa-
len entzuͤckten mich. Er gab mir beym Abſchiede
ein Aſſignat von 10 Livres.


Dieſer Mann iſt zu merkwuͤrdig, als daß ich
meinen Leſern das vorenthalten ſollte, was ich
nachher noch von andern uͤber ihn erfahren habe:
denn er iſt einer von denen, welche Achtung und
Abſcheu zugleich verdienen.


[195]

Eulogius Schneider war, wie jeder
weiß, erſt Franziskaner, dann Hofprediger zu
Stuttgard, nachher Profeſſor zu Bonn und endlich
Vikarius des Bisthums zu Strasburg und Pro-
feſſor der Theologie. Seine Verdienſte um die
Litteratur, und ſeine vortrefflichen Gedichte, vor-
zuͤglich ſeine Ode auf FriedrichII, ſind bekannt,
und was Ovidius von Tibullus ſagt
Donec erunt ignes arcusque Cupidinis arma,
Diſcentur numeri, culte Tibulle, tui
()

wird auch von Schneidern gelten.


Bey der Revolution wurde der Profeſſor des
kanoniſchen Rechts zu Strasburg, Hr. Brendel,
an die Stelle des Kardinals Prinzen von Rohan,
welcher durch ſein gottloſes Betragen die Achtung
der ganzen Welt ſchon laͤngſt verlohren hatte, in
dieſes Bisthum eingeſezt. Brendel war ein
alter Mann, aber ein Feind der Roͤmiſchen Herr-
ſchaft, und liebte, wie ſeine ſchoͤnen Hirtenbriefe
ausweiſen, das neue Syſtem von ganzem Herzen.
So einem Biſchofe muſte ein Vikarius, wie Schnei-
der war, ſehr willkommen ſeyn. Aber, — ſo lau-
tet die ſkandaloͤſe Chronik in Strasburg — bald
merkte der Biſchof, daß Schneider kein geiſtli-
ches Blut hatte, und uͤber Liebe und Wein nicht
aſcetiſch dachte, und er rieth ihm, ſich nach einem
andern Poſten umzuſehen: aber Schneider be-
[196] fand ſich bey dem ſeinigen wohl, doch verſprach
er, in Zukunft behutſamer zu werden.


Eines Tages hatte er mit mehrern luſtigen
Bruͤdern bis fruͤh um fuͤnf Uhr gezecht. Er ſah
dann nach der Uhr, ſprang auf, und ſagte: „es iſt
Zeit, daß ich nach Hauſe gehe, mich anzukleiden:
denn dieſen Morgen muß ich Meſſe leſen: es iſt
heute ein hohes Feſt.„ Was, Meſſe leſen? ſchrieen
die Andern: Sie ſind ja nicht mehr nuͤchtern!
Schneider lachte, und geſtand, daß er ſich ſeit
langer Zeit her nicht erinnern koͤnne, Meſſe nuͤch-
tern geleſen zu haben: er pflege immer vorher ein
Glas Wein, oder des etwas zu trinken. Wirklich
ging er auch nach der Domkirche und las ſeine
Meſſe. — Man muß naͤmlich wiſſen, daß, nach
Vorſchrift der katholiſchen Kirche, jeder Prieſter,
der Meſſe leſen, wie jeder geſunde Laie, der zum
Abendmahl gehen will, nuͤchtern ſeyn muͤſſe,
das heißt, er darf von Mitternacht an nichts ge-
geſſen oder getrunken haben.


Die Geſellſchaft war ſehr gemiſcht: Schnei-
der hatte Feinde darin; und nun wurde, wie
man leicht denken kann, in der ganzen Stadt aus-
geſprengt: der Vikarius des Biſchofs, Herr
Schneider, habe ein Sakrilegium begangen!
Er habe, ohne nuͤchtern geweſen zu ſeyn, Meſſe
geleſen! Das ſey ein allerliebſter Geiſtlicher, ein
[197] ſchoͤner Vikarius in ſpiritualibus generalis!*)
So kam das Gerede auch dem Biſchof Brendel
zu Ohren, und dieſer verboth Herrn Schneider, ich
weis nicht, auf wie lange Zeit, ſein Amt zu ver-
richten. Schneider, der vorher ſchon Mitglied
des Jakobinerklubbs zu Strasburg war, und aller
Augen durch ſeine Beredſamkeit auf ſich gezogen
hatte, ward endlich oͤffentlicher Anklaͤger.


Dieſes iſt ein Amt, wobey es ſehr ſchwer iſt,
den ehrlichen Mann zu machen, und noch weit
ſchwerer, es ohne Verdacht der Spitzbuͤberey, der
Rachſucht und der Ungerechtigkeit zu verwalten,
aber ſchlechterdings unmoͤglich, ohne Feinde, ohne
bittere, rachgierige und ſchreckliche Feinde zu blei-
ben. Eulogius Schneider haͤtte ſo ein Amt
bey ſeiner Lebhaftigkeit gar nicht annehmen ſollen.
Gleich Anfangs bekam er Haͤndel mit dem Exmaͤre
Dietrich, welcher die ſchoͤnſte Frau im ganzen
Elſaß hatte. Die ſkandaloͤſe Chronik ſagt, Schnei-
der habe der Madam Dietrich ſchaͤndliche Vor-
ſchlaͤge gethan, ſey aber von ihr ſpoͤttiſch abgewie-
ſen worden; und daher kaͤme Schneiders Haß
gegen ihren Mann. Indeſſen iſt es auch wahr,
[198] daß Dietrich gegen ſein Vaterland ſehr konſpi-
rirte, und ein Erzroyaliſte war.


Schneiders Wirkſamkeit fiel gerade in die
Zeit des Maratismus, ſonſt auch Terrorismus,
Jakobinismus oder Schreckensſyſtem u. ſ. w. be-
nannt, nach welchem jeder halbweg Verdaͤchtige,
jeder, der nur ſchien ein Ariſtokrat, ein Goͤnner
des Koͤnigthums oder der Emigranten zu ſeyn, ſo-
fort eingeſteckt, und nach kurzer Unterſuchung,
auch bey nur ſcheinbaren, oft an ſich unbedeuten-
den Beweiſen hingerichtet wurde: und da ſoll
Schneider ſein Amt zu weit getrieben, ſoll blut-
duͤrſtig gehandelt haben, und iſt wegen angeſchul-
deter Frevelthaten und Ungerechtigkeiten, mit
mehreren Richtern des Tribunals zu Strasburg,
gegen das Ende des Germinals im 2ten Jahre der
Republik (im April 1794) zu Paris hingerichtet
worden.


Sein Urtheil, das ich in Frankreich hin und
wieder angeſchlagen gefunden habe, bringt mit
ſich, daß Schneider einen uͤbertriebnen Stolz
und Herrſchſucht geaͤußert habe, daß er nach ſei-
nen Leidenſchaften Leute eingeſteckt und hinrichten
laſſen, deren Unſchuld hernach an den Tag gekom-
men ſey; daß er andere Schuldige fuͤr Geld und
fuͤr Gunſtbezeugungen ihrer Weiber und Toͤchter
[199] losgelaſſen, daß er die konfiszirten Guͤter an ſich
gezogen habe, u. dgl.


Bey meiner Zuruͤckreiſe aus Frankreich nach
Deutſchland, hoͤrte ich im Oberelſaß zu Befort
und Altkirchen die obigen Punkte nicht nur beſtaͤti-
gen, ſondern noch vermehren. Die Bauren und
Einwohner des Elſaſſes fluchen dem Andenken des
Aſtrologius Schneider noch immer. Ich wollte auf
einem Dorfe bey Altkirchen einen Bauer eines
Beſſern belehren, und ſagte ihm, Schneider habe
mit dem Vornamen Eulogius geheißen. Ei
was, erwiederte der Bauer: ich muß doch wohl
wiſſen, wie der Tauſendſabbermenter geheißen hat:
Aſtrologius hat er geheißen! Der verfluchte Kerl
hat mir meinen Schwager auch koͤpfen laſſen, blos
weil er einem Geiſtlichen ein Nachtlager vergoͤnnt
hatte.


Einen reichen Kaufmann ſollte Schneider
haben einſtecken laſſen, und ihn erſt gegen die Aus-
zahlung einer großen Summe losgegeben haben.
Er muͤßte alſo ein Menſch geweſen ſeyn, wie der
unter der Regierung KarlsII. in England ſo
beruͤchtigte Kirck. Schneider regierte das
ganze Tribunal: was er ſagte, galt fuͤr Recht,
und ſeine Meynung war allemal die ſiegende.


[200]

So naͤmlich ſtellen Schneiders Feinde die Sa-
che vor; aber gewiß uͤbertrieben: die Zeit wird
alles aufklaͤren. Schneider hat freilich große
Fehler begangen: ob er aber auch jene ſcheusliche
Ungerechtigkeit, jene beſtialiſche Grauſamkeiten
veruͤbt habe, laͤßt ſich, nach den Berichten der
Elſaſſer, noch nicht ausmachen: die Gaͤhrung iſt
dort noch zu groß, und darum iſt ein unpartheyi-
ſches Urtheil uͤber einen ſolchen Mann von dieſer
Seite noch immer nicht zu erwarten.


Die Schneideriſche Geſchichte giebt aber die
Regel: daß ein Auslaͤnder auf einem Poſten, wo
viel gehaͤſſige Thaͤtigkeit und viel Vorſicht noͤthig
iſt, ſelten ſein Gluͤck auf eine dauerhafte Art ma-
che. Die oͤffentlichen Anklaͤger in Frankreich, die
waͤhrend des Terrorismus im Gange waren, ſind
nachher beynahe alle geſtuͤrzt worden: Selbſt Fou-
quier Tinville in Paris, der ſo Viele zur Guillotine
befoͤrdert hatte, mußte endlich ſelbſt hinaufſteigen.
Dieſe Leute gleichen den Ruthen, die man ins
Feuer wirft, wenn man ſie genug gebraucht hat.
Uebrigens glaube ich, daß die Begebenheiten und
Schickſale des ungluͤcklichen, Schneiders einen
guten Stoff zu einer leſenswerthen und lehrreichen
Biographie geben koͤnnten, wenn ein Mann von
Einſicht und Weltkenntniß ſie in Arbeit naͤhme.


[201]

Die reichhaltigſten und beſten Materialien da-
zu liefert ein Ungenannter in der Klio. *) Der
Verfaſſer dieſer Aufſaͤtze hat, wie es ſcheint, Hn.
Schneider genau gekannt, den Gang ſeiner po-
litiſchen Laufbahn ſchrittweiſe bemerkt, und beyde
nach ihrem wahren Gehalt unpartheyiſch gewuͤrdigt.
Hier erſcheint Schneider ganz nach ſeiner fuͤrch-
terlichen Groͤße, nicht unſchuldig, aber auch nicht
als das Ungeheuer, wozu ihn ſeine rachſuͤchtigen
Feinde, erſt fuͤr Deutſchland, dann fuͤr Frankreich
gemacht haben, und dieß bis zur Reiſe zur Guillo-
tine.


Schneider iſt in jeder Ruͤckſicht ein ſehr
merkwuͤrdiger Mann, und die Klio eine zu we-
nig bekannte Zeitſchrift, als daß es meinen Leſern
unangenehm ſeyn koͤnnte, Schneiders Charak-
ter, Gang und Schickſal nach Hauptmomenten ken-
nen zu lernen, welche der erwaͤhnte Verfaſſer in der
Klio von ihm entworfen hat. Mir ſind es Zuͤge
von einer Meiſterhand. Man leſe weiter, und
urtheile ſelbſt!


Schneider war ein ſchwaͤrmeriſcher Freund
der Revolution, und traͤumte ſich goldne Tage von
ihr; aber er war kein Freund von Anarchie, man
[202] mag ſagen, was man will: er wollte Ordnung und
ſtrenge Ordnung, ſo wenig er auch ſelbſt daran ge-
woͤhnt ſeyn mogte. Er wuͤnſchte das Gute aus
voller Seele und ohne Eigennutz; aber ſeine Tem-
peramentsfehler hinderten ihn an jener tiefen Sach-
kenntniß, Weisheit und Beharrlichkeit, womit ein
Mann von feſtem Charakter und von gereinigter
Vernunft ſeine wohluͤberdachten Plane durchzuſetzen
ſucht.


Seinen Feinden fuͤrchterlich, ſeinen Freunden
gefaͤhrlich, ſah er ſich bald von den meiſten ver-
laſſen, die ihm einſt mit Leidenſchaft anhingen.
Er hatte aber immer dennoch ſehr gute Seiten,
und war ein Mann, der rathen und helfen konnte,
wenn Noth und Verwirrung alles draͤngten. Mit
etwas mehr Humanitaͤt und Maͤßigung haͤtte ihn
jedermann lieben und ſchaͤtzen muͤſſen. Mangel an
Delikateſſe, uͤbelgeaͤußerte Eitelkeit, thoͤrigtes
Selbſtvertrauen und wunderlicher Stolz haben ſeine
ſchoͤnſten Eigenſchaften verdunkelt. Mir kam oft
vor, als ſchwebte des unſterblichen Huttens
Geiſt uͤber ihn, aber er blieb ſich nicht gleich, und
Huttens Geiſt war troz ſeiner Rauheit bey wei-
tem kindlicher. Doch den Unterſchied machte viel-
leicht nur die Zeit. Wenigſtens hat man in
Schneiders Augen Thraͤnen geſehen, die des
groͤßten Mannes wuͤrdig geweſen waͤren.


[203]

Faſt alle Unannehmlichkeiten, die er erfahren
mußte, waren Folgen ſeiner Unbeſonnenheit und
ſeines oft unzeitigen Freymuths. *) Frey und
offen war ſein Gang, fern von aller Kriecherey,
und er ſchonte weder fremder Thorheiten, noch ſei-
ner eignen. Sein Gutes und ſein Boͤſes lag der
ganzen Welt zur Schau. Da er die Feſſeln des
Aberglaubens und des Deſpotismus, als Katholik
und als Moͤnch, ſelbſt lange getragen hatte, ſo
glaubte er ſich an den Apoſteln deſſelben nicht genug
raͤchen zu koͤnnen; aber er ſuchte nicht ſo ſehr
zu belehren, als vielmehr aufzuraͤumen durch
Spott. **)


Man hat ein ſtrenges Verdammungsurtheil
uͤber ihn ausgeſprochen, aber vergeſſen, welch maͤch-
tige Parthey wider ihn kaͤmpfte, und wie man ihm
unſinnige Verbrechen aufbuͤrdete, weil man ihn
mehr anſchwaͤrzen, als nach Recht und Gericht be-
urtheilen wollte. Seine Gegner waren fein und
[204] ſchlau; Er hingegen zeigte ſich immer gerade, kuͤhn
und ohne Schminke. Sein Stolz beleidigte man-
che Eitelkeit, und ſeine Superioritaͤt druͤckte ſchwer
auf alles, was ihn umgab. Auch ohne Verbre-
chen mußte er die Leidenſchaften gegen ſich empoͤ-
ren, denn er ſchonte niemand, und demuͤthigte
mit Blick und Charakter jeden, der kleiner war
als er, und doch oft groͤßer und beſſer ſcheinen
wollte. Was ſich nicht gegen ſeine Verdienſte und
gegen ſeinen Stolz verſchwor, das zitterte vor dem
Stachel ſeiner Satyre, und wapnete ſich oft ſelbſt
mit Verbrechen, um den maͤchtigen Feind zu ſtuͤr-
zen. Große Leidenſchaften zeugen große Fehler
und Tugenden, und es gehoͤrt mehr, als bloßer
Scharfſinn dazu, uͤber Maͤnner von ungewoͤhnli-
chem Gepraͤge zu entſcheiden.


Man hat Schneidern Fehler und gar Laſter
ſchuldgegeben, wozu er nicht einmal Anlage hatte;
und ob er gleich immer ſtrafbar bleiben wird: ſo
iſt doch ſein Todes-Urtheil aus lauter Luͤgen
zuſammengeſezt. Schneiders Verfolgung, Ver-
laͤumdung und Hinrichtung hatten ihren meiſten
Grund in ſeiner Freymuͤthigkeit gegen die Pfaffen,
den Maͤre Dietrich und deren hofierenden, ver-
raͤtheriſchen Anhang. Das Geſetz vom 28ten Jul
1791 gegen die ungeſchwornen Geiſtlichen wurde
im Niederrheiniſchen Departement entweder gar
[205] nicht, oder nur nachlaͤſſig ausgeuͤbt: die Anhaͤnger
des alten Syſtems fielen uͤber die geſchwornen Geiſt-
lichen her, und ſchlugen und mishandelten ſie.
Laveaux, Profeſſor der Rhetorik zu Strasburg,
ſuchte das Unweſen einzuſtellen; aber die hofierende
Municipalitaͤt erklaͤrte ihn fuͤr einen Aufruͤhrer,
und ließ ihn einziehen. Schneider rettete ſei-
nen Freund.


„Ihr wiſſet, ſagte er in ſeiner Rede, daß der
Grund alles unſeres Elends, und die Quelle aller un-
ſerer Unruhen in unſerm Departement in den gott-
loſen Aufhetzungen fanatiſcher Prieſter
zu ſuchen ſey. Im Anfange der Revolution war
alles patriotiſch: warum iſt es jezt umgekehrt?
Weil boshafte Phariſaͤer die Conſtitution als das
Werk gottloſer Freygeiſter, Gottesraͤuber und Ke-
tzer verſchreien; weil ſie predigen, jeder, der den
Buͤrgereid ſchwoͤre, ſey ewig verdammt!“ —


Als der Fanatismus noch aͤrger ward, drang
er von neuem auf eine ſchnelle Exekution des De-
krets, und wollte von Toleranz, von Menſchlich-
keit, von religioͤſer Freyheit nichts wiſſen, weil die
Flamme uͤber ihr Haupt ſchon zuſammenſchluͤge.
Als man ihn hieruͤber der Intoleranz beſchuldigte,
antwortete er: „Freilich habe ich intolerante Grund-
ſaͤtze: das wiſſen die gnaͤdigen Departements-Her-
[206] ren *) und ihre Anbeter am beſten. Dieſe Grund-
ſaͤtze predige ich aber oͤffentlich: denn ich beſuche
keine geheimen Zuſammenkuͤnfte von frommen
Muͤtterchen und Schweſterchen, bin auch kein Pie-
tiſt, grabe keine Schaͤtze, und banne keine Geiſter.
Ich bin aͤußerſt intolerant gegen Menſchen, die ein
gutes, edles Volk zu gaͤngeln, und unvermerkt an
den Rand des Verderbens zu fuͤhren ſuchen. Ich
bin intolerant gegen Doppelzuͤngler, gegen Kaba-
lenmacher, gegen Monopoliſten des oͤffentlichen
Einfluſſes, gegen Halbpatrioten, gegen Einſchlaͤ-
ferer, gegen Wucherer, mit einem Worte, gegen
alle Feinde des Volks. Dieſe Intoleranz werde
ich predigen, ſo lange ich lebe, ſollte ich auch, wie
der ungluͤckliche Pfarrer von Baͤrſch, auf oͤffentli-
licher Straße gemeuchelmordet, oder wie mein
Kollege Schwind von dem Prinzipal des hieſi-
gen Collegiums mit gezucktem Dolche verfolgt wer-
den.“


In ſeinen Betrachtungen uͤber den Gemeingeiſt
und die Lage Strasburgs im J. 1793, aͤußerte er
ſich den 25ten Jaͤnner uͤber die Pfaffen im Elſaß
und deren antirepublikaniſche Schliche noch eingrei-
fender. Man kann denken, wie wehe das alles
den Herren von jeder Kirche thun mußte, und wie
[207] unverſoͤhnlich ſie eben darum gegen ihn werden
mußten. Dietrich unterhielt dieß Feuer ſchon
lange, und ſo war er und ſein uͤbriger royaliſtiſcher
Anhang, naͤchſt der Geiſtlichkeit, der Hauptgegen-
ſtand, worauf Schneider ſeine revolutionnaͤre
Aufmerkſamkeit und ſeine patriotiſche Motionen
richtete, aber immer oͤffentlich, ungeſchenet und
unerbittlich-republikaniſch.


Dietrich, ganz Hofmann, der Leute von
Talenten fuͤr ſeine geheimen Hofplane uͤberall zu
gewinnen ſuchte, ſoll an Schneiders Befoͤrde-
rung nach Strasburg Antheil gehabt haben. Als
Schneider ankam, war Dietrich, wie alles,
enthuſiaſtiſch fuͤr ihn eingenommen. Schneider
ward bald Mitglied der Conſtitutionsgeſellſchaft,
und gewann hier einen großen Spielraum fuͤr ſeinen
regen Geiſt und fuͤr ſeine oft Demoſtheniſche Be-
redſamkeit. Alles, was er that und ſprach, trug
— ganz wider Dietrichs erſte Erwartung —
das Gepraͤge des leidenſchaftlichen, patriotiſchen
Ungeſtuͤms; und es war vorauszuſehen, daß er
einſt ſeine Meynung im politiſchen Fache, wie
vormals im theologiſchen, derb und dreiſt heraus-
donnern wuͤrde.


„Wer einem freyen Volke dienen will, ſagte
er oͤffentlich, muß den Tod nicht ſcheuen. Er muß
ſelbſt den Undank ertragen koͤnnen und doch nicht
[208] aufhoͤren, die Wahrheit zu ſagen. Ich ſehe wohl
ein, daß ich Gefahr laufe, ein Opfer meines Pa-
triotismus zu werden; aber es iſt meine Pflicht,
den Poſten nicht zu verlaſſen, welchen mir die
Vorſehung angewieſen hat.“ — „Wer den Tod
fuͤrchtet, wird immer feig ſeyn. — Nehmet die
Furcht vor dem Tode weg, und es wird keine
Sklaven mehr geben. Feigheit erzeugt den Deſpo-
tismus, und Furcht erhaͤlt ihn.“ —


Wie getreu er dieſen Grundſaͤtzen geblieben iſt,
hat der Erfolg gelehrt. Man weiß, wie gewaltig
ſich mit Anfang des Jahres 1792 der Partheygeiſt
in Frankreich geregt hat. Das Zutrauen verſchwand,
Bitterkeit, Grimm und alle Furien drangen mit
voller Fluth daher. Jakobiner kaͤmpften gegen
Fenillans, der Hof bruͤtete Plane: Alles ſchien
verloren. Auch in Strasburg brannte es lichter-
loh, und vorzuͤglich war an keine Ruhe mehr zu
denken, als die Conſtitutionsgeſellſchaft ſich trenn-
te, und Maͤre Dietrich fuͤr einen Freund und
Agenten des Hofes galt. Laveaux und Schnei-
der erklaͤrten ſich gegen ihn, wie gegen alles,
was hoͤfiſch geſinnt war. Die Perſonalitaͤten
wurden dadurch immer anzuͤglicher, und die ganze
Stadt gerieth in Aufruhr. *)


[209]

Daß Schneider den Maͤre Dietrich fuͤr
den aͤrgſten Feind der Volksfreyheit anſah, und
ihm die ſchaͤdlichſten Machinationen, voll bittern
Grolles, zuſchrieb, zeigen die erwaͤhnten Betrach-
tungen uͤber den Gemeingeiſt, nebſt Simo-
neau's Todtenfeyer. Hier ſang er:


Laſſet uns der Wehmuth Thraͤne weinen

Auf das Grab des edlen Simoneau,

Weil er ſtarb als Hirte fuͤr die Seinen,

Weil er nicht als feiger Miethling floh!

Weil er nur fuͤr ſeine Bruͤder lebte,

Weil er ſtand im Sturme der Gefahr,

Weil er vor dem Tode ſelbſt nicht bebte,

Weil er treu dem Buͤrgereide war.

Keiner lebte noch im Frankenreiche,

Keiner ſtarb ſo tugendhaft wie Er.

Ach, daß ihm am Buͤrgerſinne gleiche

Jeder Volksbeamte, jeder Maͤr!

*)
Vierter Theil. [O]
[210]
Er verſuchte nicht, das Volk zu blenden

Durch Betrug und falſcher Andacht Schein,

Und das fromme Chriſtenmal zu ſchaͤnden,

Um bewundert und gewaͤhlt zu ſeyn.

Er verlangte nicht von ſeinen Soͤhnen,

Das zu glauben, was ihm Thorheit ſchien,

Fuͤhrte nicht, um einem Hof zu froͤhnen,

Heuchelnd ſie zu fremden Prieſtern hin.

Simoneau ernaͤhrte ſich vom Fette,

Von dem Mark der guten Buͤrger nicht:

Er bewahrte keuſch ſein Ehebette,

That als Mann und Buͤrger ſeine Pflicht.

Scham und Wuͤrde ſtand auf ſeiner Stirne,

Er vermied das Laſter, wie die Peſt,

Er beging mit keiner feilen Dirne

Ein entehrendes Bachantenfeſt.

Er beherrſchte nicht des Volkes Wahlen,

Er betrog den ſchlichten Landmann nicht,

Sagte nicht bey Glaͤſern und Pokalen:

„Buͤrger, ſchreibt, was euer Sultan
ſpricht!“

[211]
Andre mogten vor Miniſtern knieen,

Mogten kuͤſſen eines Prinzen Hand:

Er verkaufte nie den Thuillerieen

Sein Gewiſſen und ſein Vaterland.

Er verfolgte nie die Freyheitswaͤchter,

Trennte bruͤderliche Bande nie;

Aber ward auch niemand zum Gelaͤchter,

Da er wieder um Verſoͤhnung ſchrie.

Ließ er je den Mann in Ketten ſchmachten,

Der den Schleier von dem Laſter zog?

Haßt' er jene, die fuͤr Freyheit wachten?

Liebt' er den, der Freyheitsliebe log?

Ließ er ungeahndet das Verbrechen?

Zog ihn je das Laſter in das Netz?

Ließ er Hohu dem Vaterlande ſprechen?

Seine Gottheit hieß ſie nicht: Geſetz?

Ach, er ſtarb an ihrem Hochaltare!

Ach, er gab ſich ſelbſt zum Opfer hin!

Sehet dort den Edlen auf der Bahre,

Sehet und benezt mit Thraͤnen ihn!

[212]
Pflanzt um ſeine Staͤtte, Frankenſoͤhne,

Einen Lorber- und Cypreſſenhain,

Und es ſtimme jede ſanfte Schoͤne

In die dumpfe Todesfeier ein!

Buͤrgerinnen, fuͤhret Eure Kleinen

In den Hain, der unſern Helden ehrt!

Wenn ſie dann bey ſeinem Namen weinen,

Freuet Euch, ſie ſind der Freyheit werth!

Daß nach oͤffentlicher Ableſung dieſes Gedich-
tes alle koͤniglichgeſinnten Freunde Dietrichs
uͤber Schneider herfielen, war natuͤrlich, aber
zugleich ein Beweis, daß ſie die Wahrheit der
Schilderung fuͤhlten. Freilich gab Schneider
vor, er habe Dietrich nicht gemeint; das aber
glaubte Keiner. Er gab ſogar ein Flugblatt zu
ſeiner Vertheidigung heraus; aber es bewies —
nach Schneiders ſatyriſcher Art — noch mehr.
„Wenn ich, ſagte er hier zu einem Freunde des
Matre's, mit Hn. Dietrich unzufrieden waͤre,
ſo muͤßten Sie den Grund dieſer Unzufriedenheit,
nicht in einer Privat-Leidenſchaft, ſondern
in meiner Vaterlandsliebe, und in meinem
unuͤberwindlichen Haſſe gegen alle Feinde des all-
gemeinen Beſ[ten] ſuchen. Ich habe nur eine Lei-
[213] denſchaft, und die heißt Freyheitsliebe. —
Mein Temperament iſt wahrlich mehr zur Men-
ſchenliebe, als zum Menſchenhaſſe beſtimmt. —
Ich habe in meinem Leben viele Feinde gehabt,
viel Unrecht erlitten, aber nie, nie habe ich mich
geraͤcht; und wenn ich jezt vor den Augen Gottes
ſagen ſollte, ob ich jemand auf Erden haſſe, ſo
wuͤßte ich niemand zu nennen.“


„Am Wuͤrtembergiſchen Hofe ſchrieb ich ein
Gedicht auf FriedrichII, und ſagte unter andern
von dem großen Manne:


„Verkriechet euch Despoten! was ſchaut ihr

Ihm ins Geſicht? Er traͤnkte den Schmeichler nicht

Mit Waiſenblut, und feile Dirnen

Maͤſtet' er nicht mit dem Mark des Buͤrgers.

In ſeinem Kerker faulte der Denker nicht;

Sein Cenſor fraß nicht, gleich dem Getraidewurm,

Der Schriften Kern aus, daß die Huͤlfen

Schmachtenden Leſern den Gaumen rizten.

Sein Glaube war nicht kuͤnſtliches Wortgeweb,

Nach keines Wurmes dreiſtem Syſtem geformt,

Nicht millionenfach durchflochten:

Einfach, wie Gott und die Wahrheit, war

er, —

[214]

Verheerten Friedrichs Jaͤger die Hoffnungen
Des Landmanns ſpottend? u. ſ. w. *)


Was? haͤtte der Herzog ſagen koͤnnen, das iſt
eine Satyre auf Mich! Denn ſehet nur, der
Heuchler lobt Friedrich auf meine Koſten!
Ich ſehe mich in dieſem Bilde, wie im Spiegel.
Der Despot, der ſich vor dem Antlitz des großen
Koͤnigs verkriechen ſoll, bin Ich. Mir wirft er
vor, daß ich meine Spionen und Schmeichler mit
der Habe der Waiſen naͤhre, und daß ich auf Ko-
ſten meines Landes Buhldirnen halte. Die zweyte
Strophe zielt offenbar auf meine Ungerechtigkeit
gegen Schubart, den ich, mir nichts dir nichts,
zehn Jahre auf dem Hohen-Aſperg im Gefaͤngniſſe
ſitzen ließ. Zugleich tadelt er meine ſtrenge Auf-
ſicht uͤber das Buͤcherweſen, und meinen Abſcheu
vor Publicitaͤt. In der dritten Strophe ſpottet er
meines falſchen Religionseifers und meines Aber-
glaubens. Denn ob ich gleich ausſchweifend lebe,
ſo glaub' ich doch alles, was mir die Roͤmiſch-
Katholiſche Kirche zu glauben vorlegt. — Von
der vierten Strophe will ich gar nicht ſprechen:
man ſieht ja offenbar, daß ſie auf meine Parforce-
Jagden und Wildhegungen zielt.“


[215]

„So haͤtte der Herzog, oder in ſeinem Namen
ein Hofjunker oder Schreiber ſagen koͤnnen: Aber
der Herzog und ſeine Junker und ſeine Schreiber
ſagten kein Wort; und man glaubt, daß ſie ſehr
weislich daran thaten!“


„Ein andermal ſchilderte ich in einer Predigt
das Bild eines guten Fuͤrſten. Da geſchah es denn
zufaͤllig, daß kein einziger Zug dieſes Bildes auf
den Herzog paßte. — Da ich aus der Kirche kam,
machte mir der Herzog ein Kompliment uͤber die
vortreffliche Predigt, und ermahnte mich, in die-
ſem Tone fortzufahren. Das werde ich, war
meine Antwort, und der Herzog und ſeine Junker
und ſeine Schreiber laͤchelten an demſelben Tage
freundlicher gegen mich, als gewoͤhnlich. — Man
dachte nicht daran, mich der Heucheley zu be-
ſchuldigen. Meine Freunde ſagten nur: Ach, Sie
machen ſich gar zu viele Feinde! Ich antwortete
ihnen: ich freue mich, von denen gehaßt zu wer-
den, welche die Wahrheit und die Tugend haſſen.
Es muß Leute geben, welche ſchlechterdings allem
trotzen, um frey ſprechen und ſchreiben zu koͤn-
nen.“ —


Das kam tief aus Schneiders Seele!
Wahrheit wollte er reden kuͤhn und ohne Menſchen-
furcht: Schade, daß er zuviel Spott einmiſchte,
und erbitterte, wenn er beſſern wollte. Im Kam-
[216]pfe fuͤr die Wahrheit — hat er auf dem
Schafot geblutet: das wiſſen Viele, aber Wenige
wagen es zu ſagen. Man hat dem Manne kleine,
weibiſche Niedertraͤchtigkeiten vorgeworfen: das
war nur Verlaͤumdung! Man hat ihn zum
Barbaren gemacht, aber mehr aus Schwaͤche,
Neid und Rachſucht, als aus Liebe zur Gerechtig-
keit. Er verdient in keinem Pantheon aufgeſtellt
zu werden; aber er verdient, daß man ihm eine
Thraͤne weine, wie jedem gefallenen großen Man-
ne, wandere er nun wie Marius unter den
Ruinen von Karthago, oder wie Hutten auf
der einſamen Inſel des Zuͤrcherſees!


Wie feſt er der Wahrheit anhing, und wie un-
geſtuͤm, aber auch wie edel er der Verlaͤum-
dung die Spitze bot, zeigt folgendes: „Weder
Kerker, noch Tod ſoll mich antreiben, wider mei-
ne Ueberzeugung zu ſprechen. Man hat ſich bis-
her Muͤhe gegeben, mir euer Zutrauen zu rauben,
man hat mich als einen Auslaͤnder, als einen
Abentheurer verſchrieen. Man hat mir bis ins Hei-
ligthum meiner friedlichen Wohnung Spionen und
Verraͤther nachgeſchickt, um meinen moraliſchen
Charakter und meine Lebensart verdaͤchtig zu ma-
chen. Man hat ſpaniſche Inquiſition uͤber meine
Privat-Unterredungen angeſtellt, und oͤffentliche
Blaͤtter mit den ſchwaͤrzeſten Verlaͤumdungen wider
[217] mich angefuͤllt. Das thut aber nichts: ich werde fort-
fahren, fuͤr euer Wohl, fuͤr die Sache der Freyheit,
fuͤr die Sache der ganzen Menſchheit zu kaͤmpfen, ſo
lange ich athme. Sie ſollen auftreten die Verlaͤum-
der, und mich einer ſchlechten Handlung uͤberzeugen!
Sie ſollen ſie nahmhaft machen die Verbrechen, die
ſie mir andichten; und dann Buͤrger, dann jaget
mich als einen Schurken aus eurer Mitte!“ —


So ſprach — Schneider! Aber ſo ſpricht
nicht der Mann, der da weis, daß das wahr iſt,
was man ſchlecht von ihm ſpricht. Verlaͤumdung
war das Meiſte! Kabale war es von Prieſtern und
Hoͤflingen! Wie haͤtte er ſonſt auch ſo große Sitt-
lichkeit von den Volksbeamten oͤffentlich fodern
koͤnnen! „Leſet die Geſchichte aller Freyſtaaten,
rieth er, und ihr werdet finden, daß Maͤnner von
den groͤßten Talenten, wenn ſie nicht auch ſtren-
ge Sitten hatten, am Ende Verraͤther ihres
Vaterlandes wurden. Die Sache iſt aus der Na-
tur der Dinge leicht erklaͤrbar. Der Wolluͤſtling
hat viele Beduͤrfniſſe: viele Beduͤrfniſſe erzeugen
Schulden: Schulden erzeugen Niedertraͤchtigkei-
ten: Niedertraͤchtigkeiten erzeugen Verzweiflung:
Verzweiflung erzeugt Meineid und Hochverrath.
— Erinnert euch an Alcibiades und Ariſti-
des. Jener war luͤderlich und verrieth ſein
Vaterland; dieſer war ſtreng in ſeinem Wandel,
[218] und blieb dem Vaterlande auch alsdann noch treu,
nachdem es ihn mit Undank verſtoßen hatte. Kato
blieb unbeſtechlich; denn er war maͤßig und tugend-
haft. Antonius ward Verraͤther; denn er
hatte keine Sitten. Brutus und Caͤſar geben
ein drittes Beyſpiel. Dieſer wurde aus einem
ausſchweifenden Feldherrn ein Tyrann; jenen bil-
dete ſein Stoicismus zum Befreyer Roms.“


Schneider konnte nicht einmal der Boͤſe-
wicht ſeyn, wofuͤr ſeine Feinde ihn ausgaben:
Zeuge davon iſt ſeine innige Achtung gegen die
mildere Natur in ſeinem Briefchen an die un-
verdorbenen Patrioten im Muͤnſterthal. „Ich le-
be wieder in Strasburg, ſchrieb er an dieſe Leute,
aber mein Geiſt ſchwebet mitten unter euch. Nie,
nie werde ich ſie vergeſſen, die freudigen Stunden,
welche ich in euren ſchoͤnen Gefilden verlebte. Die
Natur hat euch in ein gluͤckliches Thal geſezt; und
eure Haͤnde wiſſen die Wohlthaten der Natur zu
benutzen. — Heil Euch, daß Ihr ruhig und fern
vom Gewuͤhle der Staͤdte Eure Aecker beſtellen,
Eure Weinberge bauen, Eure Ziegen und Kuͤhe
weiden koͤnnet. Ihr ſeyd Kinder der Natur, und
wuͤrdig der Freyheit. In Eure Huͤtten wird ſie
zulezt ſich fluͤchten, die heilige Freyheit, wenn
Stolz, Eigennutz und Herrſchſucht ſie aus den
Staͤdten werden verjagt haben. Ihr wiſſet nichts
[219] von den tauſendfachen Raͤnken, deren ſich der Hof
bedient, das ſchoͤne Gebaͤu unſerer neuen Verfaſ-
ſung zu untergraben. Ihr habt die offenbaren
Feinde des Geſetzes beſiegt; und die Verraͤther
werden Euch nicht ſchaden koͤnnen, weil Ihr gera-
den Sinnes, weil Ihr ein unverdorbenes Volk
ſeyd.“


„Da ich den Freyheitsbaum zu Sulzbach
aufrichten half, da ich unter ſeinem Schatten zu
Euch redete, da ich an Eurem laͤndlichen Feſte und
Geſange Theil nahm: wie fuͤhlte ich mich da ſo
ſelig! Wie ſchlug mein Herz vor Freude! Wie
leicht vergaß ich alle Leiden, mit denen die Fein-
de des Volks mein Leben hier vergaͤllen! Haͤtte ich
nicht geſchworen, an dem Poſten zu ſterben, den
mir die Vorſehung angewieſen hat: ſo wuͤrde ich
mir unter Euch eine Huͤtte bauen, und den Reſt
meiner Tage dem Genuſſe der ſchoͤnen Natur,
und der einſamen Betrachtung nuͤtzlicher Wahrhei-
ten widmen.“


Dieß auszufuͤhren wuͤrde ihm wenig Ueberwin-
dung gekoſtet haben. Sein haͤusliches Leben war
ſehr einfach und thaͤtig. Sein Tiſch war arm,
ſeine Kleidung reinlich, aber gering. Wer mit ihm
umging, wunderte ſich, daß der Mann, den man
uͤberall der Schwelgerey beſchuldigte, ſo maͤßig
[220] und exemplariſch lebte: doch auch hieraus ſogen
ſeine Verlaͤumder ein ſubtiles Gift.


Es iſt ordentlich, als waͤre die royaliſtiſche
Parthey in Strasburg mit Blindheit geſchlagen
geweſen: ſo thaͤtig und unverdroſſen arbeitete ſie
wider ſich ſelbſt. Ueberall gab ſie Bloͤßen, und
Schneider war zu ſehr Volksfreund, als daß
er dieſe nicht zur Demuͤthigung jener Herren haͤtte
benutzen ſollen. Die ſelbſtſuͤchtigen Herren trieben
ihr Weſen, wie ihre hergebrachte Gewohnheit und
ihre Herrſchſucht es mit ſich brachte: und darum
ſollte das Volk in ſeiner alten Finſterniß und Un-
terjochung bleiben. Das aber wollte Schneider
und ſein patriotiſcher Anhang nicht, und dieß er-
regte Trubel uͤber Trubel. „Iſt es ein Wunder,
ſagte Schneider, wenn dem Volke die Geduld
ausgeht? Soll etwa das Volk allein philoſo-
phiſche Maͤßigung beobachten, indeß der Ariſto-
kratismus, geſtuͤzt von Verwaltern und Rich-
tern, ſich Alles erlaubt?“ —


Um den Hinterhalt und den Gipfelzweck der
Ariſtokraten zu beſtuͤrmen, that Schneider alles,
was warme, ungefaͤrbte und edle Volksliebe —
wie er ſie dachte und fuͤhlte — ihm gegen das Koͤ-
nigthum in Frankreich eingab. Er griff ohne
Schonung darauf ein, und drang endlich; als
der Staͤrkere, durch. Als der Kampf daruͤber
[221] entſchieden war, bewies er haͤufig: daß es mi[r]
der Koͤnigſchaft, wie mit ſo vielen andern Sachen,
ſey[:] So bald man ſie wegſchaffe, denke kein Menſch
mehr daran. Zur Unterſtuͤtzung ſeiner Behauptung
ſchrieb er Folgendes:


Alceſt.
Eine Erzaͤhlung.

In einer kleinen Stadt Italiens

War einſt ein Mann: ſein Name hieß Alceſt.

Er hatte juſt das Pulver nicht erfunden,

Doch war er ſchlicht und meynt' es herzlich gut.

Wenn er nicht ſchlief, ſo wacht' er ohne Fehl,

Und wenn er nicht bey ſeiner Arbeit ſaß,

So dacht' er uͤber dieß und jenes nach,

Und manchmal fiel ihm auch was Gutes ein.

An einem Abend ging er um den Graben

Der kleinen Stadt ſpatzieren; da ertoͤnte

Die Todtenglocke. Ploͤtzlich kehrt' er um,

Und eilte nach dem Thore, was er konnte,

Und fragte keuchend, wer geſtorben ſey.

„Der Gouverneur! verſezten ihm die Leute.

„Der Guvernoͤhr? — Verlaßne, arme Stadt!

Wer wird denn nun regieren?“ ſchluchzet er,

Und weinte laut. Den Kummer zu vertreiben,

Begab er ſich ins nahe Kaffeehaus.

[222]
Und ließ ſich Limonade reichen. Hier

Vernahm er aus dem roͤmiſchen Kourier,

Der Kaiſer ſey geſtorben. — „Großer Gott!

Der Kaiſer iſt geſtorben? Welcher Jammer

Fuͤrs ganze Reich! Wer wird es jezt regieren!„

So ſeufzet er, und will nach Hauſe gehn.

Da koͤmmt ſein Nachbar und verſichert ihn,

So eben ſey die Nachricht angekommen,

Der heilige Vater ſey zu Rom verſchieden.

„Der heil'ge Vater todt? — O Chriſtenheit!

Wer wird dich nun regieren! Ferner

Kann die Welt nicht mehr beſtehen: Morgen

koͤmmt

Der juͤngſte Tag!“ — Mit kummervollem

Herzen

Und banger Ahndung kehrt' er nun nach Hauſe,

Und legte ſich ins Bette, kreuzte ſich,

Erweckte Reu und Leid, und haͤrmte ſich

Bis Mitternacht: dann ſchlief er endlich ein.

Des Morgens ſtand er voll Beſorgniß auf,

Und ſah durchs Fenſter, ob die Welt noch ſtaͤnde:

Und, ſiehe da, die Baͤume gruͤnten noch

In ſeinem Garten: lieblich ſchien die Sonne,

Die Voͤgel ſangen, Arbeitsleute gingen

Ins Feld, wie ſonſt: die Schmiede haͤmmerten,

Die Kraͤmer machten ihre Laͤden auf,

Und Alles war, mit einem Wort, wie ſonſt.

[223]
Ei, ſprach Alceſt getroͤſtet zu ſich ſelber:

Die Stadt beſtehet ohne Guvernoͤhr,

Das Reich beſtehet ohne Kaiſer, ſelbſt

Die Chriſtenheit beſtehet ohne Papſt:

Die Herren ſind uns alſo uͤberfluͤßig!

Man ſieht uͤberall, daß Schneider jeder
Art von Darſtellung gewiß mehr, als ſonſt einer
in Strasburg, gewachſen war: und eben darum
haͤtten ſeine Gegner die Klugheit haben ſollen, ſei-
nen republikaniſchen Patriotismus nicht bis zum
vulkaniſchen Ausbruch zu reizen. An Materie da-
zu, fehlte es ihm, als Philoſophen und ſcharfen
Beobachter, durchaus nicht, und als Redner und
Dichter, an Form noch weniger. Denker feſſelte
er durch Gruͤnde, die er durch Action und Decla-
mation eindringend zu beleben wußte; und durch
Satyren oder Erzaͤhlungen gewann er den Lacher
und das Volk. Die bitterſte, die er je ſchrieb, iſt:
Die Municipalitaͤtswahl zu Abdera.
Er ſchrieb ſie — und das kann man ihm kaum ver-
zeihen — auf den gefangnen Dietrich, *) und
[224] ſ[t]ellte deſſen ganze Geſchichte darin auf, nebſt Zuͤ-
gen aus der Geſchichte und den Sitten der Stras-
burger. Als er merkte, wie bitterſcharf dieſe Spott-
ſchrift noch nach einigen Monaten gegen Dietrich
wirkte, geſtand er jemanden unter vier Augen: Er
wolle, er haͤtte das Ding nicht gemacht. — So
ſchwach war Schneider, aber auch ſo gutmuͤ-
thig! *)


Nur, weil er einſah, daß der oͤffentliche An-
klaͤger gegen die Werkzeuge der Gegenrevolution
gar zu nachſichtig verfuhr, und daß ohne ſtrenge
Exekution der Geſetze die Republik nie zu Stande
kommen wuͤrde, trat er ſein Anklaͤger-Amt erſt in
der Mitte des Februars 1793 an, obgleich er ſchon
[225] das Jahr vorher dazu ernannt war. „Ich will
nichts, ſagte er in ſeiner Rede an die Volksgeſell-
ſchaft, als eine einzige, unzertreunliche Republik:
weg mit Menſchenwillkuͤhr: das Geſetz al-
lein muß herrſchen! Die Bosheit beuge ihr
Haupt vor dem Geſetze, oder ſtuͤrze hin unter dem
Beile der Gerechtigkeit. Ich will nichts als Ge-
rechtigkeit. Dazu verpflichte ich mich feierlich.
Handle ich je dawider, ſo betrachtet mich als ei-
nen Verraͤther: ſo fliege mein Kopf hin aufs Blut-
geruͤſt!“


Die oͤffentlichen Angelegenheiten lagen ihm naͤ-
her am Herzen als ſeine eignen. Er wußte, daß
man recht darauf ausging, ihn durch die ſchaͤnd-
lichſten Geruͤchte zu ſtuͤrzen, und doch gab er ſich
nicht immer Muͤhe genug, ſie zu entkraͤften. So
wurde unter andern einmal ausgeſprengt: er wolle
in ſeiner naͤchſten Predigt darthun, es gaͤbe keinen
Gott. Einige Freywillige glaubten das, und
ſchwuren, den Vikar auf der Kanzel zu erſchießen.
Schneiders Predigt haͤtte jezt gerade das Da-
ſeyn Gottes beweiſen ſollen; aber ſie handelte von
der Rache des Weiſen und des Chriſten, und em-
pfahl großmuͤthige Vergebung. Das Geruͤcht
blieb nun im Gange, faßte feſten Fuß, und
Schneider ward, ob er gleich nichts weniger
Vierter Theil. P
[226] war, verſchrieen als ein Gotteslaͤugner in ganz
Frankreich. Sogar ſcheint Robespierre von
dem Geſchrey des Volks daruͤber Anlaß genommen
zu haben, den Glauben an Gott in einer National-
Rede zu befeſtigen.


Endlich machte man Schneider gar zum
Mitſchuldigen von Cuͤſtine und Duͤmouriez.
Aber Monnet, aus Nancy gebuͤrtig, ſtand an
der Spitze einer Faction, welche die Herrſchaft
uͤber Strasburg an ſich reißen wollte, und nach
und nach alle diejenigen aufopferte, die ſich ihren
ehrgeizigen und ſelbſtſuͤchtigen Abſichten widerſez-
ten. Dieſer Tyrann, nebſt St. Juſt und Le-
bas, waren diejenigen, welche Schneider
[e]inziehen und vor das Revolutionstribunal zu
Paris fuͤhren ließen. *)Schneider ſtarb hier,
wie man weiß, unter der Guillotine.


Vielleicht theile ich in der Folge noch einige
Nachrichten mit, welche dieſen fuͤrchterlichen Maͤr-
tyrer des republikaniſchen Enthuſiasmus von einer
ehrwuͤrdigen Seite zeigen werden. Vor der Hand
mag dieß genug ſeyn, um auf eine Schrift auf-
merkſam zu machen, welche einen Mann darſtellt,
der unter Frankreichs republikaniſchen Helden und
[227] Maͤrtyrern dereinſt eine ruͤhmlichere Stelle einneh-
men wird, als Robespierre, durch Seines
Gleichen verleitet, ſie ihm anweiſen ließ. Auch
hoffe ich jezt auf Schneiders Argos, oder
den Mann mit hundert Augen aufmerk-
ſam genug gemacht zu haben, und verſpreche mir
von jedem, der dieſe merkwuͤrdige Schrift, auf
meine Veranlaſſung, kennen lernen wird, nicht
nur Nachſicht fuͤr dieſe Epiſode, ſondern auch noch
dafuͤr Dank, daß ich ihn, durch ausgehobne Stel-
len, mit einem Werke naͤher bekannt machte, das
fuͤr den Geſchichtforſcher, Dichter, Redner, Staats-
mann und Philoſophen gleich viel Intereſſe hat.
Vielleicht liefere ich dereinſt auch noch einen Nach-
trag zu ſeinen Gedichten. Doch es iſt hohe Zeit,
daß ich den Faden meiner eignen Geſchichte weiter
fuͤhre.


Alſo nachdem ich den Eulogius Schnei-
der perſoͤnlich kennen gelernt hatte, wollte ich auch
den Erzphantaſten, Johann Michael Lobſtein, be-
ſuchen. Meine Leſer kennen dieſen Mann ſchon aus
dem erſten Theile meiner Geſchichte (S. 201.); und
eben, weil ich ehemals in einiger Verbindung mit
ihm geſtanden war, wollte ich ihn auch jezt beſu-
chen. Man zeigte mir ſein Haus, als ich aber
herein trat, erfuhr ich von ſeiner Frau, der Toch-
ter des ehemaligen Profeſſors Diez in Gießen,
[228] daß er nicht zu Hauſe ſey; und auf meine Frage,
ob er bald kommen wuͤrde, antwortete mir das
noch immer huͤbſche Weibchen, daß er unter einer
ganzen Dekade, d. i. in 10 Tagen, nicht wieder
kaͤme. Ich ging alſo weg, ohne an Lobſtein
weiter zu denken, und begab mich auf das Wirths-
haus zum tiefen Keller, wo ich vorzeiten bekannt
geworden war. Der Wirth war indeſſen geſtorben,
und die Tochter hatte geheurathet. Ihr Mann
war ein huͤbſcher junger Mann, der mit mir von
den alten Zeiten plauderte. Ich fragte ſo nach
dieſem und jenem, und kam endlich auf den Dok-
tor Lobſtein. Ja, ſagte der Wirth, der ſteckt
feſt: der ſizt auf dem Gemeinhaus! Ich erſchrack,
daß auch Lobſtein einſitzen ſollte, fragte nach der
Urſache, und hoͤrte folgende.


Lobſtein war gleich bey dem Anfange der
Revolution mit dem neuen Syſteme nicht zufrie-
den. Er war einer von jenen geduldigen Schafen,
welche ſich um Jeſu Chriſti willen traktiren laſſen,
wie man nur verlangt. Er hielt dafuͤr, daß dieſer
Zeit Leiden nicht werth ſeyen der Herrlichkeit, die
an uns ſoll offenbaret werden, und daß man folg-
lich ohne große Suͤnde ſich keiner Schmach noch
Bedruͤckung entziehen duͤrfe. Zudem ſey Ludwig
XVI. Koͤnig und Obrigkeit, und es ſey doch nach
dem klaren Ausſpruch Pauli (Roͤm. XIII. 1.)
[229] keine Obrigkeit ohne von Gott. *) Auch befehle
der h. Petrus (Br. I. Kap. 2, 13.) allen Men-
ſchen, unterthan zu ſeyn aller menſchlichen Ord-
nung. Niemand duͤrfe, laut dem Buche der Weis-
heit im 6. Kap. 4. Vers, fragen, wie die Obrig-
keit handle, noch was ſie mache: es ſey daher ein
frevelhafter Eingriff in die Rechte der Obrigkeit,
welche ihr von Gott ſeyen gegeben worden, wenn
man ihre Thaten muſtern wollte. **) Selbſt der
[230] Herr Chriſtus bekenne (Joh. XIX. 11.) daß
Pilatus die Gewalt, Unrecht zu thun, und un-
ſchuldige Menſchen geißeln und kreuzigen, Schul-
dige aber loszulaſſen, von oben herab, d. i. von
Gott erhalten habe.


Solch wunderliches Zeug, das freilich ſo recht
aus dem verhuuzten Bibelweſen entſpringt, pre-
digte der Schwaͤrmer Lobſtein im Anfange der
Revolution ſeinen Pfarrkindern zu Strasburg ohne
Aufhoͤren. Aber als gegen das Ende des Jahres
1793 aller oͤffentliche Gottesdienſt vollends aufge-
hoben und verboten wurde, da konnte er ſeinen
Feuereifer gar nicht mehr baͤndigen, und er ſpruͤhte
Flammen und Tod uͤber alle die, welche den Herrn
verlaͤngneten, und die heilige Religion Jeſu, des
Sohns des lebendigen Gottes, zerſtoͤrten. Er lief,
da er nicht mehr predigen durfte, und die Kirchen
verſchloſſen waren, von Haus zu Hauſe, geberdete
ſich ganz raſend und unſinnig, und drohte im Na-
men des dreyeinigen Gottes, daß naͤchſtens das
gottloſe Frankreich, gleich wie Sodom und Go-
morrha, untergehen, und vernichtet werden wuͤrde:
**)
[231] alle Anhaͤnger der verfluchten Rotte zu Paris wuͤr-
den hinabfahren in den Pfuhl, der mit Pech und
Schwefel brenne, u. dgl.


Anfaͤnglich ließ man den Narren gehen und
faſeln: als es aber zu arg wurde, und einige
ſchwache Koͤpfe wirklich bey dem unſinnigen Ge-
predige ſtuzten, und anfingen, die goͤttlichen Ge-
richte und das vom Himmel fallen ſollende Pech
und Schwefel zu fuͤrchten, ſo ſteckte man ihn ein,
und bekuͤmmerte ſich um ihn nicht weiter. Er iſt
auch, ohnerachtet er unaufhoͤrlich darum bat, weil
er gern ein Maͤrtyrer fuͤr ſeine Fratzen geworden
waͤre, nicht beſtraft, ja nicht einmal verhoͤrt wor-
den. Er iſt indeß lange geſeſſen, und ſtarb erſt
im Anfange d. J. 1795 im Gefaͤngniße zu
Strasburg.


Freund Herrenſchneider, den meine Leſer
auch ſchon aus den erſten Baͤnden meiner Biogra-
phie kennen, hat es kluͤger gemacht: er ließ den
Mantel huͤbſch nach dem Winde haͤngen, und pre-
digte damals den Jakobiuismus und den Deismus
im Klubb, wie ehemals die Hoͤllenfahrt des Herrn
Jeſu.


[232]

Sechszehntes Kapitel.


Religionszuſtand in Frankreich, am Ende des Jahres 1793.


Ich wuͤrde einen unverzeihlichen Fehler begehen,
wenn ich meinen Leſern nur meine eigne Hiſtorie
erzaͤhlen wollte, und ihnen nicht alles mittheilte,
was ich in Frankreich geſehen und erfahren habe.
Dahin gehoͤrt vorzuͤglich der Zuſtand des Religions-
weſens, wovon ich in dieſem Kapitel reden will.


Die herrſchende Religion in Frankreich war,
vor der Revolution, die Roͤmiſch-Katholiſche. Man
weiß, durch welch abſcheuliche Mittel die Pfaffen
und deren abgeſtumpfte Beichtkinder und Buͤttel,
LudwigXIV. und XV. dieſe Religion zur herr-
ſchenden und alleinigen gemacht haben. *) Noch
[233] lange wird man ſich an die Wirkungen dieſer ſau-
bern Religion, z. B. an die Hinrichtung des
Jean Calas zu Toulouſe u. ſ. w. erinnern. —



[234]

Unter der Regierung LudwigXVI. war freylich
viel Toleranz in Frankreich: das kam aber nicht
daher, als wenn die Pfaffen toleranter geworden
waͤren: nein, die Urſache war vielmehr, daß die
Layen den Pfaffen und der Kircherey entwachſen
waren, und daß die Buͤcher des Voltaire, des
Rouſſeau, des Montesquieux und andrer Philo-
ſophen, von allen Klaſſen geleſen wurden, und
Eingang uͤberall fanden, weil ſie verſtaͤndlich, un-
terhaltend, und in der Landesſprache geſchrieben
waren. Dadurch war nun freylich viel vorbereitet,
*)
[235] aber die Hierarchie beſtand dennoch immer, weil
die Kleriſey reich genug war, ſich Anhaͤnger zu
verſchaffen und zu erhalten.


Im Anfange der Revolution, wo die Tilgung
der National-Schulden das Thema des Tages
war, fing man an, die Geiſtlichkeit finanzioͤſer
zu muſtern. Man ſah, daß fuͤr den Klerus
eines Landes, das hoͤchſtens 25 Millionen
Menſchen zaͤhlte, ein Klerus, der 130 Millionen
Livres Einkuͤnfte hatte, viel zu reich waͤre:
dieſer Klerus koͤnne allerdings etwas von ſeinen
unermeßlichen Schaͤtzen, welche ſich wenigſtens
auf 2600 Millionen belaufen muͤßten, zur Be-
ſtreitung der allgemeinen Beduͤrfniſſe, zur Til-
gung der ungeheuren Schulden u. ſ. w. hergeben.
Daß von den Pfaffen ſelbſt nicht viel zu ſchoͤpfen
ſeyn wuͤrde, verſtand ſich ſchon von vorne. Man
griff alſo zu, und die Nationalverſammlung ſchaf-
te alle Erzbisthuͤmer ab, reducirte die Bisthuͤ-
mer auf 83 und hob alle geiſtlichen Zwinger, oder
die Kloͤſter auf.


Der Koͤnig ſanktionirte dieſes Geſetz, und Non-
nen und Moͤnche verließen ihre Zuchthaͤuſer meiſt
frohes Muthes: aber die Theologen, die Geiſtli-
chen, welchen das Heil Iſraels am Herzen lag,
wegen des Heils ihrer Kuͤchen und Keller, waren
nicht zufrieden mit der neuen Ordnung, und pro-
[236] teſtirten. Man verachtete ihre Proteſtation, und
befahl, daß ſie alle, ohne Ausnahme, der Nation
ſchwoͤren, und forthin niemand als Herrn aner-
kennen ſollten, als den Koͤnig und die geſetzgebende
Macht der Nation.


Auch dieſes Geſetz ſanktionnirte LudwigXVI,
bereute dieß aber nachher in ſeiner lezten Stunde.


Nun wanderte eine Menge Geiſtlicher, von
hohem und niederm Kaliber, Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤ-
fe, Praͤlaten, Abbees und mehr dergleichen Ge-
ziefer aus, und verbreiteten im Auslande alle
nur erſinnlichen boͤſen Geruͤchte wider die franzoͤſi-
ſche Nation. Die Nation beſezte indeß die durch
Emigration erledigten Stellen der damals noch
nothwendigen Geiſtlichen gleich mit andern Sub-
jekten, welche Geſchicklichkeit und Eifer genug
fuͤrs gemeine Beſte hatten. Man muß geſtehen,
daß unter den neuen ſogenannten konſtitutionellen
Biſchoͤfen Maͤnner von reifer Einſicht und von
großen Verdienſten geweſen ſind. Dieß ſieht man
ſchon aus ihren Hirtenbriefen, welche allerdings
von Einſicht und guten Geſinnungen voll ſind.


Die ehemaligen Biſchoͤfe waren nach der Be-
ſchreibung, welche die Franzoſen von ihnen mach-
ten, eingemachte Libertins und Wolluͤſtlinge.
Sie ſaßen oft ganze Jahre in Paris oder auf ihren
Luſtſchloͤſſern, verpraßten ihr Geld, hielten ſich
[237] Maͤtreſſen, und bekuͤmmerten ſich im geringſten
nicht um ihr Bisthum. Die Pfarreyen waren fuͤr
Geld feil, und dieſes iſt eben nichts wunderliches,
da die Bisthuͤmer ſelbſt zu Rom taxirt waren.
So zum Beyſpiel war der Erzbiſchof von Lyon zu
3000 Fiorini, oder Florenen taxirt, der Biſchof
zu Clermont zu 4550, der Biſchof zu Limoges
zu 1600, der Erzbiſchof zu Bourdeaux zu 4000,
der Biſchof zu Dijon auf 1233, der zu Auxerre
auf 4400 u. ſ. w. Man bedenke die entſezlichen
Summen, welche jedesmal beym Abſterben der
Biſchoͤfe nach Rom gingen, und den gewaltigen
Verluſt, welchen der heilige Vater zu Rom durch
die Revolution erlitten hat!


Da die Pfarreyen fuͤr Geld feil waren, und
die Herren Biſchoͤfe das von den Concurrenten zu
den Pfarreyen wieder zu ſammeln ſuchten, was
ihnen ihre Confirmation zu einem Bisthume in
Frankreich zu Rom gekoſtet hatte: ſo erhielt der
die Pfarre, der die Kirchengeſetze uͤber die Si-
monie ruͤſtig vorbeyging, und das Meiſte dafuͤr
anboth. Aber nun kann man auch denken, wie
die franzoͤſiſche Geiſtlichkeit beſchaffen war! Leute,
meiſt ohne Sitten und Kenntniſſe wurden mit den
geiſtlichen Aemtern belehnt, und waren aͤchte
Kreaturen der Biſchoͤfe, die ihnen aber eben nicht
auf der Haube ſaßen, weil ſie wohl wußten, daß
[238] ſie ſelbſt ihre Dioͤceſen ſchlecht genug beſorgten.
Hat etwas das Sittenweſen der Franzoſen, vor-
zuͤglich in Ruͤckſicht auf eheliche Treue und Keuſch-
heit, gelockert oder vielmehr untergraben, ſo war
es die Menge wohllebender junger Geiſtlichen,
welche durch das Geſetz des eheloſen Standes nur
noch luͤſterner wurden, und im Beichtſtuhle die
kennen lernten, welche ihrer ſtandesmaͤßig ge-
ſchaͤrften Luͤſternheit um ſo ergiebiger entſprachen,
je unvermerkter die Empfindungen der Andacht in
die des Mitleids und der Liebe ſich ſchmiegen.


Die ganze franzoͤſiſche Geiſtlichkeit war ohnge-
faͤhr nach der allermaͤßigſten Angabe 560,000
ſtark, ohne die ungeheure Menge Nonnen, welche
nicht mit Unrecht zur Geiſtlichkeit gerechnet werden,
denn ſie gehen muͤßig wie die, leben ehelos wie
die, und verzehren die Kraͤfte des Staats, wie
die. — Da aber nur 22,291 Pfarreyen im ganzen
Reiche waren, die Kathedralkirchen mit eingerech-
net, ſo folgt, daß 537,709 Pfaffen zu viel in
Frankreich waren. Ich will mich auf keine Be-
rechnung einlaſſen, welche Vortheile aus der Kaſ-
ſirung der Kloͤſter, der Stifter, der Abteyen, des
geiſtlichen Ordens von Malsha, und der penſio-
nirten weltlichen Orden, fuͤr die Nation entſprin-
gen mußten. Dieſe Vortheile fallen zu ſehr in
die Augen; und nur ein Bigotter, der das liebe
[239] Gebet der geiſtlichen Lippen als reellen Vortheil
der Staaten in Anſchlag bringt, kann hier Scha-
den wittern.


Die franzoͤſiſchen Pfaffen, geſtuͤzt auf ihre
Exemtionen und Privilegien, beſonders die Vor-
nehmen, die Biſchoͤfe, Praͤlaten, Aebte u. ſ. w.
waren mit dieſer Einrichtung, welche ohne den
Willen des h. Vaters und ohne ein National-
Concilium zu Stande gekommen war, gar nicht
zufrieden, und zogen haufenweiſe aus nach Deutſch-
land, Spanien und Italien. Zu Rom quaͤlten
ſie den h. Vater ſo lange, bis er endlich ſcharfe
Breves nach Frankreich ſchickte. Aber die Nation
lachte uͤber die paͤpſtlichen Breves, und machte
Dekrete, daß die Befehle des Papſtes durchaus
nichts gelten ſollten, daß der nichts mehr ſey,
als Biſchof zu Rom u. dgl.


Außerdem dekretirte die National-Verſamm-
lung, daß in Zukunft alle und jede Meynungen
in Religionsſachen vollkommen frey cirkuliren ſoll-
ten; daß jeder oͤffentlich ſagen und behaupten koͤn-
ne, was er von den uͤberſinnlichen Dingen halte,
und daß beſonders die Reformirten, welche man
fernerhin nicht mehr mit dem gehaͤſſigen Namen
Hugenotten belegen ſollte, ihren freyen und
ungehinderten Gottesdienſt halten koͤnnten u. ſ. w.


[240]

Dieſes vernuͤnftige Dekret machte, daß die
noch haͤufig in Frankreich heimlich exiſtirenden
Reformirten, beſonders in Langnedoc, in dem
Delphinat, in der Provence, in Burgund u. ſ. w.
welche bisher zum Theil den katholiſchen Gottes-
dienſt aus Furcht und Zwang mitgemacht hatten,
ſich ſofort fuͤr unkatholiſch erklaͤrten. *) Sogar
Geiſtliche und Moͤnche bekannten ſich zur refor-
[241] mirten Kirche, und ſchon fing man an, reformir-
ten Gottesdienſt hin und wieder oͤffentlich zu hal-
ten. — Auf dieſe Art war alſo alles wieder ver-
lohren, was ehemals die Verfolgung der Pfaffen
bewirken wollte, naͤmlich, daß Frankreich ganz
katholiſch ſeyn ſollte, und die Aſſemblée hatte
mehr gethan, als Heinrich der Große durch
das Edit de Nantes, 1598, konnte.


Der eheloſe Stand der Geiſtlichen — dieſe Peſt
fuͤr die Sitten der Weiber im alten Frankreich —
ſchien der National-Verſammlung ſo wichtig, daß
ſie deswegen ſchon 1791 haͤufig debattirte, und end-
lich feſtſezte, daß jedem Geiſtlichen, er moͤge Prie-
ſter ſeyn, oder ſonſt das Geluͤbde der ſogenannten
Keuſchheit, d. i. ledig zu bleiben, oder ohne recht-
maͤßige Gattin zu leben, abgelegt haben, oder
nicht, es freyſtehen ſollte, zu heurathen: doch
ſollte niemand dazu gezwungen werden. Dieſes
Dekret machte anfaͤnglich gewaltige Senſation,
und viele gemeinen Leute, die bisher die Konkubi-
nen ihrer Pfaffen ſo nachgiebig geduldet hatten,
kreuzten und ſegneten ſich, als ſie hoͤrten, daß ihre
Geiſtlichen Weiber nehmen ſollten, wie jene —
der Ketzer. Daher mag es auch gekommen ſeyn,
daß eben nicht gar viele Pfarrer — von Bi-
ſchoͤfen weis ich keinen einzigen — ſich dieſes
Vierter Theil. O
[242] Rechtes bedienten. Die meiſten zweifelten an der
Dauer der damaligen Dinge, und fanden es kluͤ-
ger, ſich keiner Strafe oder Compromiſſion fuͤr die
Zukunft auszuſetzen. Bey Vielen wirkte auch der
compromittirte Stolz ihres Standes u. dgl. —
Ich habe ein ſehr artiges, von einem Ungenannten
in Paris geſchriebenes Werkchen uͤber die Ehe der
Prieſter, geſehn, worin der Verfaſſer klar und
deutlich beweißt, daß das beſte Mittel, den Prie-
ſterſtand dem Staate nuͤtzlich zu machen, ſey, ihm
das Beweiben zu erlauben.


Die National-Verſammlung ging nach und
nach noch weiter, und griff endlich wirkliche Dog-
men der chriſtkatholiſchen Kirche an: ſie erklaͤrte
naͤmlich, daß die wirklich geſchiednen Perſonen
wieder heurathen koͤnnten, damit dem Unweſen,
welches aus der Trennung nothwendig folgen muͤß-
te, vorgebeugt werden moͤgte. Die konſtitutionel-
len Prieſter billigten dieſes Dekret, aber deſto mehr
ſchrieen die orthodoxen dawider: ſogar in der Aſſem-
blée
ſezte es ſtarken Widerſpruch. Aber auch dieſes
Dekret ſanktionnirte LudwigXVI. und ſo hoͤrte
die Ehe auf, ein unaufloͤsliches Sakra-
ment zu ſeyn.


Die kanoniſchen Strafen wurden auch kaſſirt,
die Beichtzettel abgeſchafft, und der Gottesdienſt
von allem Zwange befreyet. Alles das waren Ein-
[243] griffe in die Rechte der Geiſtlichkeit und des Pap-
ſtes, ganz gegen das kanoniſche Recht. Weil nun
Viele, beſonders die Freunde der Pfaffen, ſich auf
die Freyheiten der Gallikauiſchen Kirche, die Rechte
der Geiſtlichkeit, das Jus canonicun u. ſ. w. be-
riefen, ſo dekretirte endlich, im Jahr 1792, die
Aſſemblée, daß die Geiſtlichkeit ihre Geſetze fort-
hin blos und allein von der geſetzgebenden Macht
der Nation zu erhalten habe; daß alle aͤltere Ge-
ſetze, Privilegien, Konkordaten, Canones, Bul-
len, Brevia u. ſ. f. durchaus nichts mehr gelten
ſollten, und daß in Religionsſachen blos der klare
Ausſpruch der h. Schrift anzunehmen, und als
Glaubensartikel zu befolgen ſey.


Da lag nun Papſt, Kirche und Concilien!
Das hieß dem Katholicismus ganz ans Herz grei-
fen! Man weiß naͤmlich, daß die roͤmiſche Kirche
unter andern ihr Weſen in der Einigkeit des Glau-
bens (unit[a]te fidei) ſezt, das heißt, daß dieſe
Religion fodert, daß alle katholiſchen Chriſten ihre
Lehren auf dieſelbe Art, ohne alle Aenderung
und Abweichung gerade ſo nachbeſtimmen ſollen,
wie die Kirche oder der Papſt ſie ihnen nach der
Bibel oder der Tradition vorbeſtimmt. Dieſe
Glaubensquelle ſtopfte der National-Convent nun
zu, und verwies blos auf den klaren Ausſpruch
der Bibel. Die Bibel aber iſt eine [Sammlung]
[244] von Buͤchern, die ſich in den Lehren von der ver-
meynten groͤßten Wichtigkeit, z.B. der Recht-
fertigung, der Gnadenwahl, der Perſon Jeſu u.
ſ. w. nicht nur gewaltig widerſprechen, ſondern
auch ſo unbeſtimmt und dunkel geſchrieben ſind,
daß jeder ſeine Lehre darin finden kann, wie denn
Katholiken, Reformirte, Lutheraner, Socinianer,
Anapaptiſten, kurz, alle chriſtlichen Sektirer der
aͤltern und neuern Zeit ihre Lehren darin gefunden
und daraus bewieſen haben.


Dieſe Beſchaffenheit der Bibel iſt den Katholi-
ken ſo einleuchtend, daß ſie eben darum glauben,
ſich an die untruͤgliche Ausſage eines unfehlbaren
Richters, des Papſtes oder der Kirche, in Glau-
bensſachen halten zu muͤſſen. Wenn alſo der Con-
vent dem Papſte und der Kirche entſagte, ſo ent-
ſagte das Volk der Bibel; und ſo war der Meiſter-
ſtreich fertig, daß forthin blos die Vernunft und
der beſtaͤtigte Wille der Nation das Ruder auch im
Kirchenweſen fuͤhren ſollte.


Fuͤr einen, der in den neuern Zeiten nicht ſelbſt
in Frankreich geweſen iſt, oder der den Glauben
des großen Haufens fuͤr etwas mehr als ein ober-
flaͤchlich uͤbertuͤnchtes Phantaſie-Gemaͤhlde haͤlt,
iſt es freilich ſchwer zu begreifen, daß ein ſonſt ſo
erzkatholiſches Volk, wie die Franzoſen im Durch-
ſchnitt waren, ſich dieſe gewaltſamen Eingriffe ſo-
[245] fort gefallen ließ. Aber wenn man das uͤberlegt,
was ich oben von den Volksſocietaͤten und deren
Einfluß auf die oͤffentliche Meynung geſagt habe,
ſo wird man es nicht mehr unbegreiflich finden,
daß dieſe Neuerungen ſo ſchnellen und feſten Fort-
gang gefunden haben.


Die konſtitutionellen Geiſtlichen waren allemal
Mitglieder der Volksſocietaͤten, oder der Jakobi-
nerklubs. Um ſich hier Eingang bey dem Volke
zu verſchaffen, und das Mistrauen des großen
Haufens von ſich entfernt zu halten, bemuͤhten ſie
ſich, die religioͤſen Materien, von welchen in den
neuen Dekreten die Rede war, fleißig zu unter-
ſuchen und zu verhandeln. Daher war die Reli-
gion jedesmal einer der vornehmſten Gegenſtaͤnde,
nicht nur im Klub, ſondern alle Sonntage — die
Feſttage wurden gleich ſamt und ſonders abgeſchafft
nebſt den ſogenannten zweyten Hohen-Feſten —
predigte der Pfarrer zu ſeiner Gemeinde uͤber die
Gewalt des Papſtes, uͤber die Kirche, uͤber das
Anſehn der Bibel, uͤber Prieſterweihe, Moͤnchs-
weſen u. ſ. f. Und da alle dieſe Reden, freylich
nach dem Maaße der Einſichten des jedesmaligen
Redners, nach freyern Grundſaͤtzen gemodelt wa-
ren, ſo wurde die Denkfreyheit gefoͤrdert, und
das Volk kam von ſeinem alten eingewurzelten
Aberglauben ziemlich zuruͤck. Ich werde einige
[246] von dieſen Reden zu ſeiner Zeit im Auszuge an-
fuͤhren.


Zur Ermunterung der beſſern Denkungsart in
der Religion wurden diejenigen Biſchoͤfe und Pfar-
rer, welche ſich beſonders durch Lehre und Volks-
unterricht auszeichneten, oͤffentlich in der Aſſem-
blée
gelobt, und ſie erhielten Belohnungen, wel-
che ihnen durch Dekrete zugeſichert wurden: dieje-
nigen aber, welche die Anhaͤnglichkeit an den
Papſt predigten, wurden ihrer Stellen entſezt.
Das Wort Papisme (Papismus) erhielt um dieſe
Zeit eine ganz beſondere Bedeutung. Bisher war
es von den Protestanten blos gebraucht worden,
um die katholiſche Religion dadurch zu bezeichnen:
zur Zeit der Revolution hieß es die Meynung,
daß der h. Vater zu Rom das Haupt der katholi-
ſchen Kirche ſey.


LudwigXVI. hat alle jene Dekrete, welche
bis beynahe an ſeinen Sturz (den 10ten Aug. 1792)
wegen der Geiſtlichkeit, des Gottesdienſtes und
der Religion gegeben wurden, ſelbſt gutgeheißen,
und durch ſeine Unterſchrift zu wirklichen Geſetzen
erhoben; und doch hat er, nachdem er von ſeiner
Hoͤhe geſtuͤrzt war, heilig verſichert, daß er die
Eingriffe der Nation in die Rechte der Geiſtlichkeit
jederzeit verflucht und verabſcheut habe, und daß
er die Sanktion dieſer gottloſen Befehle fuͤr ſeine
[247] groͤßte Suͤnde halte. — Es muß alſo wohl wahr
ſeyn, was man ſo oft geſagt, und ſo oft gelaͤug-
net hat, daß LudwigXVI. es mit ſeinem Volke
niemals gut gemeynt habe, und daß er niemals
aufrichtig zu Werke gegangen ſey.


Siebzehntes Kapitel.


Fortſetzung des Vorigen.


Unter allen bisher von der irrgeleiteten menſchli-
chen Vernunft ausgeheckten Religionsſyſtemen,
iſt keins ſo zuſammenhaͤngend, keins ſo konſequent,
als das Roͤmiſch-Katholiſche. Alles iſt da, wie
in einer Kette: fehlt nur ein Gelenke, ſo bricht ſie;
und nimmt man aus dem Roͤmiſchen Kirchen-Sy-
ſteme auch nur den allergeringſten Lehrſatz, z.B.
den von der Zahl der Sakramente, von der ewig-
waͤhrenden Kraft der Prieſterweihe, u. dgl. ſo
faͤllt das ganze Syſtem, das ganze Gebaͤude uͤbern
Haufen. *)


Mit den andern z. B. proteſtantiſchen Syſte-
men verhaͤlt ſich die Sache ſchon anders. Da
[248] koͤmmt alles auf die Erklaͤrung der h. Schrift an,
und die iſt eine — waͤchſerne Naſe. — Wenn da-
her ein proteſtantiſcher Lehrer die Gottheit Chriſti,
die Wirkſamkeit der Sakramente u. dgl. laͤugnet,
ſo kann er immer ein Proteſtant bleiben: denn er
beruft ſich noch immer auf das allgemeine Glau-
bensbuch, die Bibel. Hingegen im katholiſchen
Lehrbegriffe beruht alles auf der Lehre von der Un-
fehlbarkeit der Kirche: was dieſe ſpricht, d. h.
was ein Concilium ausmacht, und der Papſt be-
ſtaͤtiget, iſt wahr, und wer es laͤugnet, iſt ein
Ketzer.


Dieſes wuſten in Frankreich alle Pfaffen recht
wohl, welche mit der neuen Einrichtung nicht zu-
frieden waren. Viele waren ausgewandert, aber
es blieben doch immer noch genug uͤbrig, um im
ganzen Reiche Unruhe und Rebellion anzuzetteln.
Man gab auch im Anfange des Jahres 1792 und
vorher noch nicht ſo ſcharf auf diejenigen Acht,
welche aus- und eingiengen: und ſo ſchlichen von
den ausgetretenen Prieſtern viele wieder zuruͤck,
und ſuchten die aͤcht roͤmiſchen Grundſaͤtze aufrecht
zu erhalten, oder gar noch zu verbreiten.


Sie ſtellten den Leuten vor, daß die Aſſemblée
nicht blos die Misbraͤuche der Religion abgeſchafft,
ſondern ſelbſt das Weſen derſelben untergraben
haͤtte. „Sehet, ſo ſprachen ſie, meine Chriſten!
[249] Ihr wißt, daß die Beichte ein weſentliches Stuͤck
der Religion iſt, und daß niemand Vergebung der
Suͤnden von dem gerechten Gott erhalten kann,
als wer die Abſolution ſeiner Uebertretungen von
einem Prieſter erhalten hat. Aber wo ſoll der ar-
me Franzoſe jezt beichten? Die Prieſter, welche
ihr habet, ſind Abtruͤnnige: ſie ſind vom Ober-
haupte der Kirche fuͤr unfaͤhig erklaͤrt, auf erlaubte
und guͤltige Art, Sakramente auszutheilen. Man-
che ſind von unrechtmaͤßigen Biſchoͤfen geweiht,
und folglich nicht einmal aͤchte Prieſter. Ihr wiſ-
ſet dieſes, und wiſſet auch, daß wer bey einem
ſolchen Prieſter beichtet, kommunicirt oder Meſſe
hoͤrt, ſich eines Kirchenraubs und der ſchrecklich-
ſten Todſuͤnde ſchuldig macht.“


„Die Kirche Gottes hat ſo lange beſtanden,
fuhren dieſe Herren fort: ſie traͤgt das Zeichen ih-
rer Aechtheit in ihrem Alterthume; und ſeit Jeſu
und ſeiner Apoſtel Zeiten hat dieſe heilige Mutter
aller rechtkatholiſchen Chriſten, eben das gelehrt,
was noch vor kurzer Zeit, vor der Entſtehung der
neuen Revolution in Frankreich gelehrt wurde.
Es iſt jetzo alles neu geworden: Schade nur, daß
die Wahrheit ewig iſt wie Gott, und keine Neue-
rungen leidet. Der heilige Dionyſius, der Areo-
pagit, welcher in Deutſchland als Mitglied der
vierzehn Nothhelfergeſellſchaft noch immer beruͤhmte
[250] Wunder thut, war der Apoſtel der Franzoſen:
der heilige Remigius hat unſern erſten fraͤnkiſchen
Koͤnig Clovis getauft, und da hat eine Taube,
oder vielmehr ein Engel in Geſtalt einer Taube,
das h. Oehl zur Salbung gebracht, welches ſonſt nie
verſiegte. Der h. Bernhard, der h. Bruno und tau-
ſend andre Heilige ſind Franzoſen geweſen, ſo viel
h. Jungfrauen, ſo viel h. Biſchoͤfe, ſo viel h.
Beichtiger! Und jezt! — Ach, Frankreich wird
ketzeriſch, es wird heidniſch!“


„Aber es iſt nicht genug, daß wir dieſes wiſ-
ſen: wir ſollen auch Gottes Ehre retten, und das
beſudelte Heiligthum wieder reinigen. Wenn ihr,
o Chriſten, euch den Neuerungen nicht widerſetzet,
ſo nehmt ihr Theil an den Graͤueln; ihr machet
euch aller Verbrechen ſchuldig, welche die unſinni-
ge Rotte der Gottloſen veruͤbt hat, und noch ver-
uͤbet.“


„Eures Koͤnigs Blut ſchreit um Rache zu Gott:
raͤchet es, raͤchet das Blut dieſes gottſeligen Mo-
narchen, dieſes Maͤrtyrers der Religion und der
Wahrheit! Raͤchet die Ehre Gottes und der Heili-
gen! Raͤchet die Religion eurer Vaͤter und eure!
Wer Gott verlaͤugnet, den wird Gott wieder ver-
laͤugnen, wer Chriſtum nicht erkennt, den wird
Chriſtus von ſich ſtoßen, und verdammen. Auf
denn, Chriſten, bewaffnet euch mit dem Schilde
[251] des Glaubens! Ihr werdet leicht uͤberwinden;
euer Sieg wird euch keine große Muͤhe koſten:
Gott iſt mit euch: alle Fuͤrſten von Europa ſind
fuͤr euch, und der beſte Theil der Nation, der
Kern des Adels ſtreiten auf der Graͤnze, und wer-
den bald da ſeyn, die wahren chriſtlichen Franzo-
ſen zu belohnen, und die Frevler ſchrecklich zu
zuͤchtigen.“ *)


Bey dem Poͤbel machte dieſe Vorſtellung der
Pfaffen, welche durch lange Erfahrung gelernt
hatten, wie man dem gemeinen Volke beykommen
muß, anfaͤnglich allerdings gewaltigen Eindruck;
und hin und wieder, beſonders in Lyon, Marſeille,
Toulon und Bourdeaux rotteten ſich Geſellſchaften
zuſammen, welche ſich den Namen der chriſtli-
chen, der katholiſchen gaben, und ſich den
Jakobinern oder den Volksgeſellſchaften aus allen
Kraͤften widerſezten. Dieß gelang in den genann-
ten Staͤdten um ſo eher, je enger ſich hier das In-
tereſſe des Kaufmannsgeiſtes mit jenem des Prie-
ſtergeiſtes verbunden fuͤhlte. Beyde ſind Erzfeinde
vom liberalen Gemeingeiſt, und ziehen ihren
[252] Egoismus dem Wohle einer halben Welt vor.
Wir ſehen dieß ja handgreiflich an dem Scheuſal
der Menſchheit, an Pitt und an ſeinen feilen
Sklaven in England.


Wes Geiſtes die vorhin erwaͤhnten antijakobi-
niſchen Geſellſchaften waren, ward man in Frank-
reich bald inne. In der Kirche St. Philibert zu
Lyon las im Fruͤhlinge 1793 ein Geiſtlicher, der
den Nationaleid geſchworen hatte, Meſſe. Der
raſende Poͤbel der chriſtkatholiſchen Parthey drang
hinein, inſultirte den Prieſter, ſchmiß ſeine Ho-
ſtie auf die Erde, ſchuͤttete den Kelch aus, und
haußte ſchrecklich. Es geſellten ſich noch mehrere
ihres Gelichters hinzu, und da gings auf die
Straßen nach der Wohnung des Biſchofs, welchen
ſie ſchlechterdings ermorden wollten. Die Natio-
nalgarde kam in Waffen, und da auch die kontre-
revolutionnairen Buͤrger Waffen fuͤhrten, ſo feuer-
ten beyde Partheyen auf einander in den Straßen,
und mehrere kamen ums Leben. Auftritte dieſer
Art ſind in Lyon mehrere vorgefallen.


In Bordeaux oder Bourdeaux — denn auf
beyde Art ſchreibt man dieſen Namen, ſpricht ihn
aber nur auf die erſte aus — wurden an einem
Tage drey konſtitutionelle Geiſtliche in den Fluß
geworfen, und erſaͤuft. In Avignon iſt zu ver-
ſchiednen Malen viel Blut wegen der konſtitutio-
[253] nellen Prieſter vergoſſen worden. Daher auch
endlich die harte Strafe aller dieſer widerſpenſtigen
Staͤdte! *)


[254]

Was fuͤr Unheil die Prieſter der katholiſchen
Parthey in der Vendée geſtiftet haben, iſt zum
Theil bekannt; aber wenn die noch halb dunkle Ge-
*)
[255] ſchichte dieſes Departements, wo der ſcheuslichſte
aller buͤrgerlichen Kriege gefuͤhrt iſt, einmal in
einem helleren Lichte erſcheinen wird, dann erſt
wird man mit Entſetzen einſehen:


Quantum relligio potuit ſuadere malorum!



[256]

Beſonders hatten die im finſtern ſchleichenden
aͤchten Prieſter die Argliſt und den Kniff, daß ſie
ſich an Kranke und Sterbende machten, und dieſen
Abſolution und Sakramente ertheilten, und ihnen
ſo in den Himmel halfen, wodurch ſie dann immer
die ganze Familie auf ihre Seite zu bringen wußten.


Der Konvent, welcher am 21ten September
1792 ſeinen Anfang genommen hatte, gab gleich
mehrere ſcharfe Dekrete, des Inhalts: daß die
Prieſter, welche den National-Eid nicht geſchwo-
ren haͤtten, ihn binnen einer gewiſſen Zeit ſchwoͤren
oder gewaͤrtig ſeyn ſollten, deportirt, d. i. nach
Cayenne in Amerika gebracht zu werden. Aber
das Prieſterthum hatte ſchon Maͤrtyrer, folglich
auch ſehr eifrige Anhaͤnger und Vertheidiger in
Menge. Am 10ten Auguſt, beſonders am 2ten
und 21ten September waren viele Prieſter in Pa-
ris, und andere an andern Tagen und Orten, zu-
mal in Orleans, Dijon und anderwaͤrts von Moͤr-
dern hingerichtet worden, und dieſe ſah man alle
als Heilige an. Manche Prieſter traten auf, und
erklaͤrten, daß ſie eher ſterben, als den National-
Eid ſchwoͤren wollten. Es ſind mir Beyſpiele von
Standhaftigkeit erzaͤhlt worden, welche man aller-
dings jenen an die Seite ſtellen koͤnnte, die man
von den Maͤrtyrern der erſten Kirche zu ruͤhmen
und zu bewundern pflegt.


[257]

Zu Dijon z. B. trat ein alter eisgrauer Prieſter
in die Verſammlung der Jakobiner mit den Wor-
ten: honneur et gloire à Dieu et malheur aux re-
belles!
Der ganze Klubb ſtuzte. Was willſt du?
fragte ihn einer. Ich will Gottes Ehre und das
Recht des Koͤnigs verfechten, oder ſterben! Ein
Mitglied der Verſammlung, welches mit dem al-
ten Strudelkopf verwandt war, wollte ihn retten,
und wegbringen; aber er blieb, und ſchrie ohne
Aufhoͤren: ich will ſterben fuͤr Gottes Ehre und fuͤr
das Recht des Koͤnigs! Der Verwandte ſtellte ihm
ernſtlich vor: Gott wuͤrde Gott bleiben, auch wenn
er fuͤr deſſen Ehre nicht ſtuͤrbe, und alle Koͤnige
in der Welt wuͤrden ſich kluͤglich huͤten, fuͤr irgend
einen ihrer Unterthanen ihr Leben aufzuopfern; er
moͤgte alſo kein Narr ſeyn, und ſich der Lebensge-
fahr fuͤr ihren Ex-Koͤnig nicht ausſetzen. Als
Prieſter ſollte er lieber mit gutem Beyſpiele vorge-
hen, und ſich dem Willen der Nation unterwerfen. —
Alles vergebens: er wiederholte ſeine erſte Betheu-
tung, und nun ergriff man ihn, fuͤhrte ihn ins
Gefaͤngniß, klagte ihn an, und er ſtarb unter der
Guillotine. „Gott und Koͤnig“ waren ſeine lezten
Worte.


Ebenfalls in Dijon riß ein Prieſter die oͤffent-
lich angeſchlagnen Dekrete des Konvents ab, und
Vierter Theil R
[258] trat ſie mit Fuͤßen. Da nun auf ſolche Exceſſe der
Tod ſteht, ſo wurde er ergriffen, und hingerichtet.


Zu St Jean de Losne, oder Lône, welche Stadt
jezt Belle Défenſe heißt, widerſezte ſich ein Prie-
ſter denen, welche eine daſige Kirche ausleeren ſoll-
ten. Er wollte durchaus die Zerſtoͤrung des Al-
tars nicht zugeben, und ſchlug einem Handwerks-
mann, welcher ein Heiligenbild herabriß, ſo ge-
waltig auf den Kopf, daß dieſer hinſtuͤrzte, und
bald darauf verſchied. Auch dieſer Prieſter iſt
guillotinirt worden.


In allen franzoͤſiſchen Staͤdten konnte man da-
mals auf allen Straßen angeklebte Urtheile in
Menge leſen, welche gegen Prieſter geſprochen
waren, die ſich den Befehlen der Nation thaͤtig
widerſezt hatten.


Daß der Konvent bey dieſen Umſtaͤnden nicht
wenig beunruhiget geweſen ſey, iſt leicht zu denken,
zumal, da die Mitglieder deſſelben, als einſichtige
Maͤnner, gar wohl merken konnten, welchen Ein-
fluß der Fanatismus auf die oͤffentliche Meynung
ſchon hatte: und an der oͤffentlichen Meynung lag
ja ganz allein die Erhaltung der Republik! Die
auswaͤrtigen Feinde waren nicht ſo fuͤrchterlich, als
die Pfaffen-Brut im Lande.


Da Guͤte und vernuͤnftige Belehrung nicht zu-
reichten, den Prieſtern folgſame Achtung gegen
[259] den geſetzlich-autoriſirten Willen der Naton einzu-
floͤßen, ſo fing man an, Strenge gegen ſie anzu-
wenden, und deportirte alle rebelliſche nach der
Cayenne. Dieſe Deportation geſchah meiſten-
theils unter den laͤcherlichſten und ſchimpflichſten
Aufzuͤgen. So ſaßen in Langres ſehr viele Prie-
ſter und einige Biſchoͤfe im Gefaͤngniß, um de-
portirt zu werden. An dem Tage, wo man ſie auf
offnen Wagen aus Langres fuͤhrte nach Breſt
zu, machte ein Haufen junger Leute, worunter
viele Jakobiner waren, eine Farze, deren gleichen
man bisher in Langres gewiß noch niemals geſe-
hen hatte. Sie kleideten ſich als Paͤpſte, Kardi-
naͤle, Biſchoͤfe, Aebte, Weltprieſter, Moͤnche
und Nonnen, ritten auf Eſeln, Ochſen und Stek-
ken, trugen Kreuze, Venerabels, Monſtranzen,
Weihwaſſer-Keſſel, Roſenkraͤnze u. dgl. In ih-
rer Geſellſchaft befanden ſich Juden, Spitzbuben,
Tuͤrken mit Turban, und endlich kam der Teufel,
der den Beſchluß machte. Dieſe karrikaturmaͤßige
Proceſſion zog mit den zu deportirenden Prieſtern
zum Thor hinaus, begleitete ſie uͤber eine Meile,
und trieb allen erſinnlichen Spott mit den armen
Leuten, welche durch die Verſpottung ihres heili-
gen Standes gewiß mehr gekraͤnkt wurden, als
durch die Deportation ſelbſt.


[260]

Alle Prieſter, welche von da an entdeckt wur-
den, zog man ein, und wenn man gleich kein
Verbrechen an ihnen fand, ſo wurden ſie doch fuͤr
verdaͤchtig erklaͤrt, und als Gefangene bewahrt.
Man ſezte naͤmlich voraus: daß Menſchen, die
ein Glaubensſyſtem zunftmaͤßig gelernt, und unter
reſpektablen Vortheilen und Anſehn getrieben haͤt-
ten, ſchon durch den hierarchiſchen Geiſt ihres
Standes, wenn auch nicht durch den imponirenden
Gehalt ihrer Zunftlehre, ſich immer angetrieben
fuͤhlen wuͤrden, ein Staatsſyſtem auf alle moͤgliche
Art untergraben zu helfen, das ihr Kirchenſyſtem
aufloͤßte, und ihr bisheriges kitzelndes Anſehn eben
ſo tief herabſezte, als es ihr Beutel-Intereſſe
finanzmaͤßig beſchraͤnkte. Die taͤgliche Erfahrung
machte dieſe Vorausſetzung durchaus noͤthig. Prie-
ſter, die vorher Bibel und Brevier beſpottet hat-
ten, um mit Voltaire's und Rouſſeau's
Schriften ſich bruͤſtend auszuzeichnen, griffen in
aller Andacht wieder zur Bibel und zum Bre-
vier, als man ſie praktiſch zu dem fuͤhren wollte,
womit ſie vorher theoretiſch geprahlt hatten. Pfaf-
fengeiſt iſt einmal ſo: ſelbſt Chriſtus ſchilderte
ihn mit eben den Zuͤgen; und was Friedrich der
Große
, von dem Mucken-Volk ſo oft und
beißend bemerkt hat, zeigen deſſen Anekdoten.


[261]

Um alſo das angefangne Werk durch Prieſter-
Intriguen nicht laͤnger hindern zu laſſen, richteten
die Jakobiner Adreſſe uͤber Adreſſe an den Natio-
nal-Convent, daß er Maaßregeln ergreifen moͤgte,
dem Unfuge vorzubeugen, welchen die Prieſter
ohne Aufhoͤren ſtifteten. Aber der Konvent, hieß
es endlich, kann nicht helfen, ſo lange wir noch
uͤberhaupt Prieſter haben. Es war naͤmlich be-
kannt geworden, wenigſtens hatte man es in ganz
Frankreich ausgeſprengt, daß der Papſt den Prie-
ſtern heimlich erlaubt habe, den National-Eid zu
ſchwoͤren, daß ſie aber an dieſen Eid dennoch gar
nicht gebunden, ſondern vielmehr verpflichtet ſeyn
ſollten, gerade gegen das Intereſſe der Republik,
zum Beſten der Monarchie und der Kirche unter
der Hand mitzuwirken.


Ich kann nicht ſagen, ob dieſe Erlaubniß des
Papſtes eine Erdichtung der Jakobiner geweſen
ſey, oder nicht. War es eine Erdichtung: ſo ha-
ben die Jakobiner nach ihrem Princip konſequent
gehandelt: denn dieſes beſtand darin, daß man
Alles thun duͤrfe, wenn es nur zur Gruͤndung und
Befeſtigung der Freyheit abzwecke: man muͤſſe
uͤbrigens nicht ſo ſehr auf die Rechtmaͤßigkeit oder
Unrechtmaͤßigkeit der Sache ſelbſt ſehen. Hat aber
der Papſt eine ſolche Diſpenſation wirklich gege-
ben: ſo hat auch er ſeinen jeſuitiſch-monarchiſchen
[262] Grundſaͤtzen ſehr gemaͤß gehandelt: denn dieſe er-
lauben alles, wenn nur das hohe Wohl der Kirche
— dadurch befoͤrdert und erhalten wird.


Kurz, man fand, daß ſo lange noch Prieſter
und oͤffentliche Religionsuͤbungen ſeyn wuͤrden, die
Republik nicht beſtehen koͤnnte. Die Sache we-
gen der Religion kam demnach oft vor in den Be-
rathſchlagungen des Konvents, bis endlich der
konſtitutionelle Biſchof von Paris — ſein Name
faͤllt mir nicht gleich bey — ſelbſt oͤffentlich im
Namen der gut- und ehrlich geſinnten Geiſtlich-
keit antrug, daß man alle poſitive Religion ab-
ſchaffen, und die Vernunft allein, als die hinrei-
chende, und einzig ſichere und reine Quelle der
Wahrheit, und als die unwiderſprechlichſte Lehr-
meiſterin der menſchlichen Gluͤckſeligkeit anſehen,
und oͤffentlich autoriſiren moͤgte: Und dieſer Vor-
ſchlag, auf den man freilich ſchon lange gedacht
hatte, wurde angenommen. Das geſchah gegen
das Ende des Jahres 1793.


Der National-Konvent dekretirte alſo, daß in
Zukunft kein oͤffentlicher Gottesdienſt, keine oͤf-
fentliche Religion ſtatt haben, und daß alle Sym-
bole derſelben, alle aͤußere Zeichen abgeſchafft ſeyn
ſollten. *)


[263]

Welcher Triumph fuͤr die Jakobiner! Aber
auch welcher Donnerſchlag fuͤr alle die, welche
*)
[264] noch ſteif und feſt dem angewoͤhnten Syſteme der
Religion anhingen!


Die Folgen dieſes Dekrets waren, daß ſofort
alle Prieſter nicht mehr Prieſter waren: ſie traten
wieder zuruͤck in den gemeinen Buͤrgerſtand, und
genoſſen, im Falle ſie ſich ſonſt nicht naͤhren konn-
ten, eine maͤßige Beſoldung. Sehr wenige von
den konſtitutionellen Prieſtern widerſezten ſich die-
ſem Dekrete: die meiſten gaben laut ihren Beyfall,
und waren die erſten, welche in den Klubbs, und
ſonſtwo, das Volk von dem Ungrunde jeder poſiti-
ven Religion zu unterrichten ſuchten.


Es giebt Leute, welche nicht begreifen koͤnnen,
wie ganz Frankreich ſeine alte Religion ſo auf ein-
mal habe fahren laſſen koͤnnen: und es waͤre wirk-
lich ein Wunderwerk, wenn das auf einmal
geſchehen waͤre. Aber hatte man nicht nach und
nach das alte katholiſche Syſtem, das vom Papſte
abhing, in ein neues konſtitutionelles Syſtem,
deſſen Stuͤtze die Autoritaͤt des Volkes war, ver-
aͤndert? Dieſes neue konſtitutionelle Syſtem wankte
nur noch, und es koſtete wenig Muͤhe, es zur ge-
legenen Zeit ganz umzuwerfen. Die Leute hingen
nicht mehr an dem alten Syſteme, und an das
neue waren ſie noch zu wenig gewoͤhnt, um es
ohne Widerſtreben nicht fahren zu laſſen.


[265]

Der Konvent hat daher nicht ſehr viel gewagt,
als er die oͤffentliche Religion vernichtete: ſein
Schritt war genau berechnet, das Volk — durch
die Jakobiner dazu vorbereitet, und die Mehrheit
der Nation war ganz dafuͤr empfaͤnglich. Der ge-
meine Mann hat uͤberdem nur einen Popanz von
Religion, aber geſunden Menſchenverſtand meiſt
immer genug, um uͤber ſeinen alten Popanz end-
lich ſelbſt zu ſpotten, ſobald er auf das Unſinnige
und Laͤcherliche deſſelben von einem ſonſt ehrlichen
oder anſehnlichen Mann aufmerkſam gemacht wird.
Wahrlich, nur die hellſte Religion iſt die haltbare-
ſte Stuͤtze der Moralitaͤt und des Staates! —


Achtzehntes Kapitel.


Fortſetzung des Vorigen.


Die Kirchen wurden, ſeit dem lezten Dekrete, bis
auf weiteren Befehl blos zugeſchloſſen. Die Jakobi-
ner aber, welche befuͤrchteten, daß der Gottesdienſt
doch wieder hergeſtellt werden koͤnnte, fanden fuͤr gut,
die Kirchen, als die vornehmſte Stuͤtze deſſelben,
gleich zu entheiligen und ſie ihrer bisherigen Beſtim-
mung zu entziehen. Sie brachten auch gluͤcklich ein
Dekret heraus, daß die Kirchen, und Prieſterhaͤuſer
[266] fuͤr Nationalguͤter erklaͤrt wurden. Die Admini-
ſtration dieſer neuen Guͤter wurde den Departemen-
tern und Diſtrikten uͤbergeben. Neuer Triumph
fuͤr die Jakobiner!


Die Kirchen wurden hierauf im ganzen Reiche
verwuͤſtet! Ich rede hier von den Pfarrkirchen und
Kathedralen: denn die Kloſterkirchen waren ſchon
vorher meiſtens ausgeraͤumt, und zu profanem Ge-
brauch beſtimmt worden.


Zu allererſt warf man von den Thuͤrmen alle
Glocken herab, welche man groͤßtentheils nach den
Gießereyen ſchickte, um Kanonen und Moͤrſer dar-
aus gießen zu laſſen. Auch wurde eine große
Menge dicker Sous (gros ſous) aus Glockenſpeiſe
gemuͤnzt. Man ließ nur gerade ſo viele Glocken in
den Staͤdten und Doͤrfern, als zu den Thurm-Uh-
ren erforderlich waren. — Von den Thuͤrmen ging
man in die Kirche ſelbſt, nahm alles Gold, Sil-
ber, Edelſteine und andre Koſtbarkeiten weg, womit
z. B. die heiligen Reliquien geziert waren, und
ſchickte das alles in den Schatz der Diſtrikte und
Departementer. Die Meßgewaͤnder wurden oͤffent-
lich auf dem Troͤdel verkauft, und die Kirchenlein-
wand, als Altar-Tuͤcher, Alben, Roͤcheln, Hu-
meralen u. dgl. in die Hoſpitaͤler geſchickt. Das
Holzwerk der Kirchen, als Altar, Kanzel, Orgel,
Beichtſtuͤhle und Baͤnke, wurde an Tiſchler, der
[267] Marmor an Marmorarbeiter, das Eiſen an Schloͤſ-
ſer und Schmiede verkauft.


Daß Frankreich durch dieſe Zueignung einen
Schatz gewonnen habe, groͤßer, als ihn manche
Proteſtanten ſchaͤtzen moͤgen, kann man nicht be-
zweifeln. Man berechne einmal alle goldenen und
ſilbernen Venerabels, Monſtranzen, Kelche, Pa-
tenen, Biſchofsſtaͤbe, Weinkaͤnnchen, nebſt ihren
Tellern; alle ſilbernen Rauchfaͤſſer, Statuen,
Leuchter, Krankenkreuze und Ciborien; alle gold-
nen und ſilbernen Quaͤſte und Borden an den Dal-
matiken, Meßgewaͤndern, Antipendien, Venera-
bels-Velen, Communiontuͤchern, Kanzelbehaͤn-
gen, Prozeſſions-Himmeln u. dgl.; alle Edel-
ſteine um das Hoſtienbehaͤltniß in den Venerabeln
und Monſtranzen, an den Einfaſſungen und Ver-
zierungen der Reliquien; alle ſilbernen Saͤrge fuͤr
ganze Heiligen-Koͤrper, nebſt den ſilbernen Kap-
ſeln fuͤr einzelne Glieder; alle ſilbernen Ampeln,
Engelchen, Heilige-Geiſt-Tauben, Jeſus-Kind-
chen, und Voſivtafeln fuͤr Menſchen und Vieh;
alle ſilbernen, innernen und bleyernen Orgelpfei-
fen, alle Weihwaſſer-Keſſel von Kupfer, Meſ-
ſing oder Marmor, nebſt dem Silberbeſchlag an
den Miſſalen; ferner alle feine Spitzen zu und an
den Alben, Humeralen und Roͤcheln; dann alles
Eiſenwerk zu Gittern, Chorthuͤren, Ampelſtangen,
[268] Befeſtigungsſtangen an den Altaͤren, und zu Spin-
deln in den Glocken-Achſen: — das alles berechne
man nach der Anzahl der Kathedral-Pfarr- und
Kloſter-Kirchen in ganz Frankreich, die Oratorien
und Kapellen nicht einmal mitgerechnet; endlich
erwaͤge man den Geiſt einer Religion, welche das
Suͤnden-Conto durch fromme Stiftungen und
Schenkungen ſo ganz und gar ſaldirt, daß noch ein
Verdienſt-Ueberſchuß zu einem Wechſel uͤbrig bleibt,
den der liebe Gott dereinſt im Himmel zu honori-
ren hat: — das Alles, ſage ich, berechne man,
berechne dazu die Kirch-Gebaͤude, die Prieſterhaͤu-
ſer, Gaͤrten, Grundſtuͤcke, Kirchhoͤfe und Kapi-
talien: und man wird die Millionen anſehnlich fin-
den, welche der Aberglaube reichlich zuſammenge-
bracht und vermehrt hat, um die Wunden einer
Nation dereinſt damit heilen zu helfen, welche er
ihr uͤber ein Jahrtauſend ſchlug. —


Die Bildſaͤulen der Heiligen von Stein und
Gips wurden alle zerſchlagen, und die hoͤlzernen
als Brennholz an Kaufluſtige verkauft. Alle Kru-
zifixe, alle Grabmaͤler und Mauſelaͤen wurden ver-
nichtet und eingeriſſen. — Die Volksſocietaͤten be-
trieben dieß vandaliſche Werk mit ſolchem Eifer,
daß innerhalb weniger Zeit, Frankreich gar keinen
Anſtrich mehr hatte, als wenn die katholiſche Re-
ligion je darin geherrſcht haͤtte. Weil aber die Ja-
[269] kobiner nichts mehr haßten, als das Kreuz, ſo
ließen ſie gleich anfangs die Kreuzer von den Kirch-
thuͤrmern herabſchmeißen, und warteten nicht, bis
man etwan einmal dieſe Thuͤrme ſelbſt demoliren
wuͤrde. In Mâcon fiel ein Maurer, der ſo ein
Kreuz von einem Thurme hinab werfen wollte, her-
unter, und brach das Genick. Der Kommentar der
Devoten — laͤßt ſich errathen.


Die Frauenzimmer trugen vorher Agnus-Dei
und Kreuzer am Halſe. Aber jezt, da man dieſes
Zeichen uͤberhaupt als ein antirevolutionaͤres Zei-
chen anſieht, unterſteht ſich keine weiter, auf ihren
profanen Buſen durch einen Schmuck aufmerkſam zu
machen, der die herzinnige Andacht den Anbeter von
dem gekreuzigten Heiland ſo leicht zu den Schaͤchern
verirren laͤßt.


In Frankreich waren ſonſt ſehr viele Reliquien
als Heiligen-Leichname, Haͤupter, Beine u. ſ. f.
auch viele heiligen Gnadenbilder. Man that einſt
den Vorſchlag, dieſe Dinge, welche ehemals ſo
viel Wunder gethan haben ſollten, zu ſammeln,
und einmal, wenn der Friede hergeſtellt ſeyn wuͤr-
de, an fremde Voͤlker, die auf dergleichen Sachen
noch viel halten z. B. an die Herren Spanier, Ita-
liaͤner, Oeſtreicher, Bayern u. ſ. w. zu verkaufen.
Allein dieſer Vorſchlag wurde verworfen. Es ſoll
und darf, ſchrieen die Jakobiner, nichts aus Frank-
[270] reich kommen, was irgendwo Aberglauben und
Pfafferey verbreiten koͤnnte. Aus Frankreich ſoll
andern Voͤlkern Licht aufgehen! — Alſo wurden
alle heiligen Ueberbleibſel, groͤßtentheils unter tau-
ſend Sarkasmen von Seiten der Jakobiner, ver-
nichtet.


In Dijon war eine heilige Hoſtie, welche durch
ganz Frankreich beruͤhmt war, und vielen Zulauf
durch Wallfahrten hatte, auch ſehr viele Wunder
wirken ſollte. Dieſe heilige Hoſtie war von einem
gottloſen Prieſter in Palermo vorzeiten konſekrirt,
und an einen Juden fuͤr viel Geld verkauft worden.
Der Jude ſtach auf der Hochzeit ſeiner Tochter,
nebſt ſeinen Freunden, mit Federmeſſern in die Ho-
ſtie, und, ſiehe, es floß ſofort Blut in reichem
Maße hervor. Die Juden erſchracken und fielen
wie todt zur Erde, die Hoſtie aber erhob ſich, fuhr
zum Fenſter hinaus, und ſchwebte in großer Glo-
rie und Herrlichkeit, mit Strahlen umgeben, hoch
in der Luft. Der Erzbiſchof, ein frommer, hei-
liger Mann, erfuhr dieß, kam fluchs mit der Kle-
riſey in Proceſſion, fiel vor die Hoſtie auf die Kniee,
begann ſeine Beſchwoͤrung, und die Hoſtie ſank in
des Erzbiſchofs heilige Haͤnde. Der Erzbiſchof
trug ſie in Proceſſion nach der Kathedralkirche, und
verwahrte ſie im Hochaltar. Der Papſt vernahm
die Begebenheit, und hoͤrte von den unbeſchreibli-
[271] chen Wundern, welche die Hoſtie in Palermo
wirkte. Er befahl alſo, daß man ſie nach Rom
bringen ſollte, um da nach Wuͤrden verehrt zu wer-
den. Als das Schiff in Begriff war, abzufahren,
tobte das Meer ſchrecklich, aber kaum war die h.
Hoſtie im Schiffe: ſo legte ſich der Wind, und
wurde ſo guͤnſtig, daß die Fahrt von ſtatten ging,
auch ohne Ruder und Segel. In Rom wirkte die
Hoſtie von neuem unzaͤhlige Wunder.


Lange hernach vermaͤhlte ſich ein Herzog
von Burgund, PhilippII, mit dem Bey-
namen der Gute, mit der Portugieſiſchen Prin-
zeſſin Iſabella. Dieſe nahm ihren Weg uͤber
Rom, um den Segen des h. Vaters einzuholen.
EugeniusIV war damals Papſt, und geruͤhrt
von der Froͤmmigkeit der Prinzeſſin, und von den
Geſchenken, die ſie dem roͤmiſchen Stuhl reichlich
verehrte, gab er ihr die heilige Hoſtie. Die Prin-
zeſſin brachte, durch Huͤlfe eines Prieſters dieſen
goͤttlichen Schatz nach Dijon, der Reſidenz der
Herzoge von Burgund. Hier ließ ſie ihr zu Ehren
eine Kirche erbauen, welche dem Erzengel Michael
geweiht wurde. In dieſer Kirche ließ ſie obendrein
eine praͤchtige Kapelle auffuͤhren, worin die h. Ho-
ſtie auf einem maſſiv ſilbernen Altar in einer gold-
nen, mit Edelſteinen beſezten Monſtranz verehrt
ward.


[272]

Seit jener Zeit, das iſt, ſeit der Mitte des
fuͤnfzehnten Jahrhunderts, hat nun dieſe h. Hoſtie
gar viele neue Wunder gewirkt, und man hat aus
ganz Frankreich Wallfahrten zu ihr angeſtellt. Sie
hatte ihre ganz eignen Kanonikos. Im Jahr 1794,
im April, wurde aber Kapelle und Altar zerſtoͤhrt,
und die h. Hoſtie in eine gluͤhende Kohlpfanne ge-
worfen, wo ſie auch verbrannt iſt, ohne irgend
ein Zeichen ihrer ehemaligen goͤttlichen Allmacht.
Bey dieſer Exekution erwarteten freilich alle fromme
Dijoner eine Rettung des weltberuͤhmten Heilig-
thums durch ein Wunder. Aber — als kein Wun-
der erfolgte, und die arme Hoſtie ſich ganz gedul-
dig zernichten ließ, fingen auch ſolche uͤber die Re-
liquien an zu raͤſonniren, welche vorher ihr Leben
dafuͤr gegeben haͤtten.


Der Sturz der chriſtlichen Religion in Frank-
reich zog auch den der juͤdiſchen nach ſich: die Sy-
nagogen wurden verboten, und eben ſo, wie die
chriſtlichen Kirchen zugeſchloſſen. Auch hat das
Judenthum drey Maͤrtyrer gehabt, welche eher
ſterben, als den Schabes u. dgleichen aufgeben
wollten. Aber die vernuͤnftigern Juden, deren es
hier und da auch in Frankreich giebt, ließen ſich
die neue Einrichtung gefallen, arbeiteten am Scha-
bes, ließen ihren Knaben die Vorhaut, aßen Schwei-
nefleiſch und zogen mit zu Felde. Man muß in-
[273] deß wiſſen, daß ſich die Iſraelitiſchen Glaubensge-
noſſen nicht ſo haͤufig in Frankreich, wie in Deutſch-
land, Polen u. ſ. w. befinden: es giebt ganze De-
partementer, wo kein Jude zu ſehen iſt.


Die Herren Maçons oder Freymaͤurer mußten
ihre Geſellſchaften ebenfalls aufgeben. Sie tha-
ten dieß, entſagten ihrer Zuſammenkunft, und
ſchloſſen ſich an die Jakobiner; ja, man wollte ſo-
gar behaupten, daß die Hauptſache der Jakobiner
ſchon von Cromwels Zeiten an, der vornehmſte
Gegenſtand der Freymaͤurerey geweſen ſey. Wenn
das iſt, ſo hatten die Biſchoͤfe in Frankreich wohl
nicht unrecht, als ſie ſchon vor vielen Jahren die
Aufhebung dieſes Ordens motivirten, und ihn als
dem Staate d. i. dem Koͤnigthum, und der Reli-
gion d. i. den Pfaffen und der Hierarchie ſchaͤdlich
darſtellten. *)


Vierter Theil. S
[274]

Auch die Zerſtoͤrung der Manſolaͤen war eine
Folge der Aufhebung des oͤffentlichen Gottesdien-
*)
[275] ſtes. Zerſtoͤrt die Ueberbleibſel der Tyranney,
ſchrieen die Jakobiner: und die Gebeine der Koͤ-
nige und der Großen wurden herausgegraben. *)
*)
[276] Die beruͤhmte Abtey zu St. Denis, nicht weit
von Paris, iſt jezt ein Hoſpital, und die Gruft
der Koͤnige — eine Holzniederlage. Die metalle-
nen Saͤrge der Koͤnige und der Perſonen aus der
koͤniglichen Familie ſind eingeſchmolzen, und die
Gebeine wurden ſonſtwohin begraben, verbrannt,
ja, je nachdem ſie es verdient hatten, ſogar zer-
ſtreut und vom Poͤbel verunehrt und beſchimpft.
Selbſt LudwigXIV liegt nicht mehr ganz bey-
ſammen: der ſtolze Ludwig! Es iſt wahrlich eine
ſeltſame Kataſtrophe in den menſchlichen Dingen!
Ille lugurthino clarus Cimbroque triumpho.
Quo victrix toties Conſule Roma fuit,
In coeno Marius jacuit, cannaque paluſtri,
Pertulit et tanto multa pudenda viro!

Auguſtus fand zu Alexandria noch den Sarg
des Erbauers dieſer Stadt, Alexanders des
Großen, welchen Ptolemaͤus Lagi dahin hatte
bringen laſſen. Er ließ den Sarg oͤffnen, fand
aber nur noch die Hirnſchale und einige Gebeine des
*)
[277] ſeltſamen Mannes, qui res humanas miſcuit olim.
Der roͤmiſche Tyrann — der Unterdruͤcker der Frey-
heit Roms, ſo gute Eigenſchaften er ſonſt auch ha-
ben mogte, verdient allerdings dieſen Namen, und
ſelbſt Friedrich der Zweyte (!) nennt ihn ſo. *)
— alſo der roͤmiſche Tyrann weinte, daß von dem
Weltverwuͤſtenden Helden nichts mehr, als ſo ei-
ne Kleinigkeit uͤbrig war. Wer in ſeinem Leben an
der ganzen Welt nicht genug gehabt hatte, hatte
nach ſeinem Tode genug an einem Sarge! **) Dar-
uͤber weinte Auguſtus, und Auguſtus blieb Ty-
rann. Der Herrſchgeiſt iſt einmal nicht anders!


Aber wenn eine Nation noch noͤthig findet, ſich
an der Aſche ihrer ehemaligen Beherrſcher zu raͤchen,
und deren laͤngſt vermorſchte Knochen der Beſchim-
pfung preis zu geben: dann muß es doch eben nicht
die hoͤchſte Ehre des Menſchen ſeyn — Natio-
nen zu beherrſchen! —


Zwiſchen Beherrſchen und Beherrſchen iſt indeß
ein Unterſchied, wie unter dem Eindruck, den
der gute und arge Beherrſcher noch bis auf die
ſegnende oder fluchende Nachwelt zuruͤcklaͤßt. Man
ſah dieß neuerdings in Frankreich beſtaͤtiget. So
[278] ſtuͤrmiſch die Nation in ihrem Haſſe gegen das Koͤ-
nigthum verfuhr, ſo gerecht zeigte ſie ſich jedoch
gegen Koͤnige von Verdienſt. So wurde Hein-
richIV, und LudwigXII, dem ehemals das
franzoͤſiſche Volk den ſchoͤnen Beynamen des Va-
ters des Volkes gab, auch bey der Zerſtoͤ-
rung der Gruft zu St. Denis verſchont; und ihre
ehrwuͤrdigen Reſte wurden mit dem lauten Zuruf
der Buͤrger: „Es ſind gute Koͤnige gewe-
ſen! Ihre Gebeine ſind uns heilig!“
in allen Ehren beerdiget.


Zu Dijon im Karthaͤuſerkloſter in der Vorſtadt
lagen die Herzoge von Burgund aus der juͤngern
Linie mit ihrer Familie begraben. *) Auch dieſen
ließen die Jakobiner im Grabe keine Ruhe. Die
laͤngſt vermauerte Gruft wurde aufgebrochen, die
Saͤrge eroͤffnet, und was brauchbar darin war, be-
ſonders ein ſchoͤner mit Edelſteinen beſezter Degen
des Herzogs Johannis intrepidi(leans fans peur)
weggenommen, die zinnernen Saͤrge an die Zinn-
gießer verkauft, und die Gebeine der alten Bur-
gundiſchen Regenten auf einem Schubkarren hin-
ausgefahren und in ganz gemeine Erde verſcharrt.
Ich ſprach einmal in Dijou uͤber dieſe Begebenheit,
[279] und wunderte mich, daß man die alten Herzoge
nicht habe ruhen laſſen. Ey was, Herzoge! erwie-
derte ein Buͤrger: es waren Blutſauger, die alten
Tyrannen von Burgund; und Tyrannen verdienen
Verfolgung im Leben, und Schimpf und Schande
nach dem Tode. —


Die Univerſitaͤten, deren es viele in Frankreich
gab, wurden eben ſo wie die Gymnaſien und Schu-
len ſamt und ſonders aufgehoben. Viele waren
vorher ſchon von ſelbſt eingegangen, aus Mangel
an Schuͤlern: Aber nun kaſſirte man die gelehrten
Innungen als hoͤchſt ſchaͤdlich, und der Republik
nachtheilig. Man betrachtete ſie als Pflanzſchu-
len, deren alter ſcholaſtiſcher Zuſchnitt nur der
abgeſchafften Staatsform entſprochen haͤtte; die
keinen Kopf eine andere Richtung haͤtte nehmen
laſſen, als die fuͤr Pfafferey und Deſpotie; ja,
die ſogar jedes aufkeimende Genie, das in den hoͤ-
hern und hellen Ton nur leiſe zu ſtimmen ſuchte,
mit Gewalt gedempft, und in die Schul-Akkor-
den der barbariſchen Jahrhunderte gezwaͤngt haͤt-
ten; die endlich nicht eher eine angemeßne Umaͤn-
derung zuließen, bis man ſie mit Stumpf und
Stiel vertilgt haͤtte.


Herr Salzmann hat unter andern Wahr-
heiten, welche ſein Carl von Carlsberg ent-
haͤlt, mehrmals geſagt, daß die Univerſitaͤten zu
[280] den laͤcherlichen Anomalien gehoͤren, welche das
Menſchengeſchlecht verhunzen helfen: aber in
Deutſchland hat man das mit Beyfall geleſen,
vielleicht hat man auch Herrn Salzmann Recht
gegeben; und doch ſind die gelehrten Handwerks-
logen geblieben, wie vorher. Daß die Univerſi-
taͤten, dieſe privilegiirten Duͤnkel-Fabriken, — wegen
ihrer Univerſitaͤtsheit —, noch immer in derſelben
Barbarey liegen, worin ſie vor 300 Jahren gele-
gen ſind, beweiſen unter andern die Promotionen,
die akademiſche Polizey, und die ſeltſame Art,
die Wiſſenſchaften zu lehren und den Kurſus abzu-
machen. — In Frankreich hat man dieſe Barba-
rey gehoben, indem man die Gelehrſamkeits-In-
nungen aufhob. Indeſſen werden jezt gewiſſe nuͤz-
liche Wiſſenſchaften dafuͤr deſto unbefangner, und
alſo mit mehr Intereſſe und Nachdruck gelehrt;
und in Zukunft laͤßt ſich noch wahres Wachsthum
der menſchlichen Kenntniß durch die Bemuͤhungen
der freyen Franzoſen erwarten, wie wir weiter
unten ſehen werden.


Die lateiniſchen Schulen hatten das Schickſal
der Univerſitaͤten: ſie wurden ebenfalls kaſſirt.


Auch die ehemals beruͤhmten Akademien exiſti-
ren nicht mehr: doch davon rede ich in dem Kapi-
tel von dem jetzigen Zuſtand der Gelehrſamkeit in
Frankreich.


[281]

Die Schulen auf den Doͤrfern wurden eben ſo
weggeſchafft, wie die in den Staͤdten, und die
Schulmeiſter durften den Katechismus durchaus
nicht mehr lehren. Ehedem beſtand der Unterricht
des gemeinen Mannes in Frankreich blos im Kate-
chismus. Selten lernte jemand, zumal in den
erbaͤrmlichen Dorfſchulen, ſchreiben, und noch
ſeltner rechnen: ein elender Katechismus, der nur
Frazzen enthielt, und den geſunden Menſchenver-
ſtand ganz und gar verkruͤppelte, wurde auswen-
dig gelernt, und mit Pruͤgeln kommentirt. —


In den Staͤdten war der Unterricht der gemei-
nen, nicht fuͤr die Studien beſtimmten Jugend eben
ſo elend. Daher auch die große Unwiſſenheit des
gemeinen Mannes in Frankreich! Und eben daher
die nicht lange anhaltende Schwierigkeit, die ge-
meinen Franzoſen uͤber ihre Katechismus- und
Pfaffen-Religion mit Spott und Lachen wegzu-
bringen. Dieß moͤgen die ſich merken, die, wie
mit Blindheit geſchlagen, von dem Popanz der
kirchlichen Phantaſie-Religion mehr erwarten, als
von der hellen und immer und uͤberall ſtichhalten-
den Religion der Vernunft. Zu hoch fuͤr den
gemeinen Mann iſt dieſe gewiß nicht: denn
ſie iſt fuͤr alle Menſchen. — Unterricht! Un-
terricht!! —


[282]

Um ſolche Schulen war es alſo nicht nur nicht
Schade, ſondern Vortheil, und ſie mußten einge-
ſtellt werden, wenn die Revolution ganz zu Stan-
de kommen ſollte. — Doch ſah man zugleich ein,
daß das Volk Unterricht haben muͤßte; und ſchon
im Jahr 1793 wurde eine Comité de l'inſtruction
feſtgeſezt, welche herrliche Vorſchlaͤge fuͤr den ge-
meinen Unterricht gethan hat. Doch davon zu
ſeiner Zeit.


Daß bey der Aufhebung der oͤffentlichen Reli-
gion in Frankreich manche Exceſſe von raſenden
Jacobinern und ihren Anhaͤngern, den Sanscuͤlot-
ten, ſind veruͤbt worden, kann man um ſo eher
denken, da alles ſo ſchnell und mitunter tumul-
tuariſch zuging. Dahin gehoͤrt unter andern, daß
die Sanscuͤlotten — dieſen Namen fuͤhrten 1793
und 94 alle die, welche fuͤr aͤchte Patrioten gehal-
ten ſeyn wollten — in die Haͤuſer liefen, und da
die Bilder, Roſenkraͤnze und Gebetbuͤcher mir nichts
dir nichts, wegnahmen, zerſchmiſſen und zerriſſen,
und jeden inſultirten, welcher ſich dieſem Muth-
willen widerſezte. Beſonders verfolgte man die
Roſenkraͤnze und die Mutter-Gottes-Bilder, wel-
che man ohne Gnade alle zerſchlug. Bey dieſer
Gelegenheit wurden auch die Bilder der Koͤnige
und anderer hohen Perſonen zerriſſen und vernichtet.
Jeder Hauswirth war gehalten, alle Zimmer den
[283] Sanscuͤlotten aufzumachen, damit ſie nachſehen
konnten, ob kein kontrerevolutionnaͤrer Quark
(ordures contrerévolutionnaires) ſich faͤnde; und
wenn einer nicht aufmachen wollte, ſo ſchlugen
die Sanscuͤlotten die Thuͤren mit Gewalt auf.


Nach der Eroberung von Lyon fanden ſich Hau-
fen von Sanscuͤlotten, welche die Gegenden um
Lyon, Vienne, bis nach Toulon hinab, durch-
rennten, ſich den Namen Bataillons révolutionnai-
res
gaben, und allerley Unfug ausuͤbten. Da ich
die Ehre gehabt habe, dieſe Herren naͤher kennen
zu lernen, auch einige Zeit, ſelbſt als Sanscuͤ-
lotte, mit ihnen herumgezogen bin, ſo werde ich
meinen Leſern in einem eignen Kapitel am gehoͤri-
gen Orte artige Nachrichten von ihnen mitzutheilen.


Neunzehntes Kapitel.


Beſchluß des Vorigen.


Robespierre, welcher um dieſe Zeit in Frank-
reich das hoͤchſte Anſehn, ſowohl im Konvent als
unter den Jakobinern hatte, wollte doch dem Volke,
das einmal an Verſammlungen zu gewiſſer Zeit
gewoͤhnt war, ein Etwas geben, das anſtatt der
[284] Religion die oͤffentliche Meynung leiten ſollte:
aber nun fragte ſich: was?


Sollte man einen neuen Gottesdienſt einfuͤh-
ren? Das waͤre hoͤchſt inkonſequent geweſen! Nein,
es mußte, ſo zu ſagen, eine Anarchie in der Re-
ligion entſtehen, und um dieſe Anarchie herbeyzu-
fuͤhren, beſchloß der Konvent, daß in jeder Stadt,
auch in jedem Dorfe, ein Tempel der Vernunft
ſeyn koͤnnte, nicht ſeyn muͤßte. In dieſem
Tempel der Vernunft ſollten alle zehn Tage Re-
den gehalten werden koͤnnen zur Begruͤndung
der aͤchten Buͤrgertugenden, und der Ausrottung
des Aberglaubens, d. i. der bisherigen oͤffentlichen
Religion.


Die Jakobiner, deren Namen damals Legion
hieß, bemeiſterten ſich ſofort dieſes Tempels, und
nur aͤchte Jakobiner hielten die Reden darin. Ge-
woͤhnlich waren die Kathedralkirchen, oder ſonſt
die vornehmſten dazu auserſehen, und der Redner
beſtieg an den feſtgeſezten Tagen die Kanzel. Weil
aber auch dieſe als ein ſchaͤdliches und verhaßtes
Erinnerungsmittel, den Jakobinern ein Dorn in
den Augen war, ſo riß man ſie uͤberall ein, und
errichtete fuͤr den Redner eine eigne Buͤhne.


Die Reden mußten jedesmal zuvor im Jako-
binerklub vorgelegt und gepruͤft werden, damit ja
nichts darin vorkaͤme, was nur von weitem nach
[285] Royalismus oder Chriſtenthum ſchmeckte. Sogar
durfte von Gott, deſſen Regierung, und von der
Unſterblichkeit der Seele nicht ein Wort einfließen:
Auch die Begriffe uͤber dieſe Dinge ſollten durch
eine Art von Anarchie gelaͤutert werden. Kam ſo
etwas vor, ſo wurde es geſtrichen; und hatte der
Verfaſſer gar Einiges zu Gunſten der Bibel u. ſ. w.
geſagt, ſo ward er obendrein deshalb noch verant-
wortlich.


Den Inhalt dieſer Reden koͤnnen meine Leſer
ſchon errathen. Sie rollirten meiſtens uͤber Frey-
heit, Gleichheit und Vaterlandsliebe; uͤber Haß
und Vernichtung der Tyranney und der Pfaffen,
und mit unter kamen derbe Ausfaͤlle auf den Stif-
ter der chriſtlichen Lehre, auf ſeine Mutter und
ſeine Apoſtel vor. Der Vater Papſt wurde vollends
nicht geſchont, und die ſonſt ehrwuͤrdigen Gebraͤu-
che der Religion in Frankreich, die Meſſe, Sakra-
mente, Fegfeuer u. dgl. fertigte man mit derben
Sarkasmen ab. Beyher wurden auch die Geſetze
erklaͤrt, und das Volk zur Befolgung derſelben
aufgemuntert.


In Colmar hoͤrte ich die erſte Rede im Tem-
pel der Vernunft. Der Prokurator Glocſin
von dem man bald mehr leſen wird — hielt ſie
mit allem Pathos uͤber das Recht der Voͤlker, ihre
Tyrannen zu richten, wenn ſie das Volk druͤcken,
[286] und die Geſetze nach Belieben beleidigen. Er be-
muͤhte ſich, beſonders darzuthun, daß der Satz:
die Obrigkeit iſt von Gott, grundfalſch ſey, indem
Gott, man moͤge ſich dieſes Weſen denken, wie
man wolle, unmoͤglich die Wege billigen koͤnne,
auf welchen die erſten Regenten zur Herrſchaft ge-
kommen waͤren. Hat etwan, ſagte er, Gott den
erſten Franken-Herzog zum Koͤnige in Gallien ge-
macht? Clovis war ein Ruchloſer, ein Erzraͤu-
ber! Sein Recht auf Gallien war das Recht des
Raͤubers auf das Gut des unbewaffneten Wande-
rers, oder das Recht der Sklavenhaͤndler auf die
Freyheit der armen Afrikaner. Aber, fuhr er fort,
wenn Gott dem Clovis das Recht uͤber Gallien
gegeben hat, wenn Gallien demnach rechtmaͤßig
auf Clovis Nachkommen fortgeerbt iſt: wer
gab dann dem Pipin das Recht, die Herrſchaft
dem Stamme des Clovis zu entreißen, und
auf ſeine Familie zu bringen? Und wie iſt hernach
dieſes Recht auf die kapet ingiſche Familie ge-
kommen, woraus unſre lezten Tyrannen geweſen
ſind? Lauter Widerſpruͤche! Wenn Gott die Men-
ſchen erſchaffen hat, ſo hat er ſie frey erſchaffen:
das Recht der Fuͤrſten hat ſeinen Urſprung nicht
in der goͤttlichen Regierung, ſondern in der Dumm-
heit der Menſchen, und in ihrem Sklavenſinn. —
Die Voͤlker Europens, fuͤgte er hinzu, werden
[287] uns jezt haſſen, weil wir dem Ludwig Caper
die Gewalt, uns zu tyranniſiren, genommen, und
ihn fuͤr ſeine Bosheit beſtraft haben. Aber die
Zeit wird kommen, wo eben dieſe Voͤlker unſerm
Beyſpiele folgen werden.


Reden von dieſer und aͤhnlicher Art habe ich
viele gehoͤrt, und mitunter einige, die allerdings
verdienten gehoͤrt, geleſen und beherzigt zu werden.
Da ſie allemal hoͤchſtwichtige Gegenſtaͤnde abhan-
delten, und der Redner frey unterſuchen und ſpre-
chen durfte, ſo fehlte es ſelten an Gruͤndlichkeit
und Staͤrke. *) Vorzuͤglich gute Reden wurden
gedruckt, herumgeſchickt, und hernach in allen
Weinhaͤuſern und Geſellſchaften vorgeleſen, be-
kommentirt und beexegeſirt, und ſo wurde deren
Inhalt immer mehr wirkſam gemacht. Es wuͤrde
mich zu weit fuͤhren, wenn ich Proben davon hier
liefern wollte: aber nur noch etwas Geduld, und
man erhaͤlt aus meinem reichen Vorrath: Lau-
hards Ausbeute in Frankreich fuͤr Theo-
logen, Politiker und Kosmopoliten.


Es ſtand jederman frey, an der Zuſammen-
kunft im Tempel der Vernunft Theil zu nehmen.
Jeder gute Patriot fand ſich ein, die Neugierigen
[288] auch, und ſo war die Verſammlung immer ſehr
anſehnlich und zahlreich. Die Worte: Tempel
der Vernunft
ſtanden mit großen goldenen
Buchſtaben uͤber den Thuͤren der ehemaligen Tem-
pel des Aberglaubens. Oft wurden drey, vier und
mehrere Reden an einer Dekade gehalten, und
man kam oft erſt Abends um zehn, elf Uhr aus
der lezten, Zum Einſchlaͤfern war keine. —


Das Zeichen zum Anfang jeder Verſammlung
wurde mit Laͤuten einer Glocke gegeben, aber auf
ganz andere Art wie zu dem Gottesdienſte bey
uns: die Glocke wurde blos einſeitig angeſchlagen.
Der Anfang dieſes Vernunft-Dienſtes, oder dieſer
Vernunft-Huldigung, wenn man ſo ſagen darf,
wurde mit Abſingung gewiſſer Lieder gemacht, wo-
zu auch Inſtrumente geſpielt wurden. Die Lieder
waren aus den Sammlungen republikaniſcher Ge-
ſaͤnge, welche man jezt in Frankreich ſehr haͤufig,
gut und enthuſiaſtiſch-belebend hat. Vorzuͤglich
wurde der Marſeiller Marſch muſicirt und geſun-
gen. Der Beſchluß geſchah wieder mit einem re-
publikaniſchen Liede.


So hatte denn Frankreich am Ende des Jahres
1793 bis in den Sommer 1794 gar keine eigent-
liche Religion, welche oͤffentlich waͤre geuͤbt wor-
den, nicht einmal eine oͤffentliche natuͤrliche: denn
dieſe erfordert wenigſtens oͤffentliches Bekenntniß
[289] des Daſeyns Gottes, und der Unſterblichkeit der
Seele, als Beweggruͤnde der Moral. Aber in
Frankreich ſollte alle Moral aus dem Buͤrgerſinn,
aus dem Patriotismus geleitet werden. Ueber
dieſe Quelle, die in die Sinne faͤllt, konnte man
buͤrgerlich machen, und ſie durch Geſetze laͤu-
tern und feſten Fußes verfolgen. Das hieß den
Sinn-Menſchen ſinnlich fixiren, wie jede Regie-
rung, als oͤffentliche, aͤußere Gewalt, dieß ei-
gentlich nur ſollte, weil ſie dieß eigentlich nur
kann, und weil es unweiſe und unklug iſt, noth-
wendige, gewiſſe Zwecke von der Wirkſamkeit zu-
faͤlliger und ungewiſſer Mittel zu erwarten. Da-
ſeyn Gottes und Unſterblichkeit der Seele kann man
bezweifeln, *) aber nicht, daß ich ein ſchlechter
Vierter Theil. T
[290] Buͤrger bin, ſobald ich die Geſetze uͤbertrete, die
mich nach dem erklaͤrten Willen meiner Nation zum
guten Buͤrger haben wollen.


Man hat ſo oft und ſo viel geſagt, und ſagt es
noch, daß kein Staat ohne oͤffentliche Religion d.
h. ohne oͤffentlich gehandhabten Glauben an un-
ſichtbare Dinge beſtehen koͤnne. Ich mag nicht
weiter unterſuchen, wie weit dieſe Behauptung ge-
gruͤndet ſey. Aber fragen moͤgte ich doch: ob die
Franzoſen, nach Abſchaffung aller oͤffentlichen Re-
ligion, ſchlechter geworden ſeyen, als ſie waren,
da ſie noch Pfaffen, Meſſe, Sakramente und allen
religioͤſen Schnickſchnack vollauf hatten? Die
ganze franzoͤſiſche Geſchichte von 1793 und 1794
zeigt, daß das Volk in Frankreich wenigſtens nicht
ſchlechter geworden iſt, nachdem die oͤffentliche
Religion abgeſchafft war: denn gerade um dieſe Zeit
beſiegten ſie alle ihre Feinde. Es mag daher doch
nicht ſo allgemein wahr ſeyn, daß man Kirchen,
Pfaffen, Glaubens-Einigkeit u. ſ. w. haben muͤſſe,
um als Staat zu beſtehen: ja, ein Volk ohne
alle Religion ließe ſich noch immer als Volk und
*)
[291] geſittetes, d. [i]. nach guten Geſetzen regiertes Volk
denken. Noch mehr, wenn man Chriſti Lehre
rein auffaßt, und ſie von aller Einwirkung der
Zeit, des Orts und der Perſonen entbloͤßt: ſo war
ihr Zweck unwiderſprechlich: die Moral der
Vernunft
zur Alleinherrſcherin in der Geſell-
ſchaft zu machen, und die Religion als die
Privatſache des einzelnen Menſchen aufzu-
ſtellen. Dadurch war das Wohl der buͤrgerlichen
Geſellſchaft im ganzen geſichert, aber die Gewiſ-
ſensfreiheit der Buͤrger im Einzelnen von der ge-
waltthaͤtigen Bedruͤckung und Feſſelung der Prieſter
auch erloͤſet. Vorher war Alles Prieſter-Religion,
und durch dieſe Alles den Prieſtern ſklaviſch unter-
worfen. Um nun von dieſem Joche die Menſchen zu
befreyen, lehrte Chriſtus: daß die wahre Wuͤr-
de und das wahre Wohl des Menſchen nur durch eig-
nes Handeln, nur durch Moral, und nicht durch
Opfer und den uͤbrigen Apparat der Prieſter-
Religion begruͤndet und geſichert werden koͤnne.


In dieſe Fußſtapfen traten alle einſichtige Fuͤr-
ſten, welche die Kunſt inne hatten, den Menſchen
nach dem Menſchen, und nicht nach phantaſtiſcher
Prieſter-Maſchinerie zu behandeln. „In mei-
nem Lande, ſagte Friedrich, der Zweyte, kann
jeder glauben, was er will, wenn er nur ehrlich iſt.“
Das war ganz in Chriſti Lehrſinn, ganz Chriſtlich in
[292] dem Munde eines philoſophiſchen Koͤnigs! Und un-
ter ſolchen Koͤnigen bedarf das Volk keiner poſitiven
Zwangs-Religion, um mit ſeinem Haupte — wel-
ches ein Einziger oder Mehrere ſeyn moͤgen — als
Staat zu beſtehen.


Aber ſobald man ein dummes, ſklaviſches Volk
mit einem Regenten denkt, deſſen Willkuͤhr Geſetz,
und deſſen Grillen unverbruͤchliche Vorſchriften ſind,
und der es fuͤr Oberverwaltungsamt angemeßner
haͤlt, Sklaven ſklaviſch weiter zu beherrſchen, als
ſie und ſich durch zweckmaͤßige Cultur zu veredeln,
um uͤber Menſchen Menſchenwuͤrdig zu herrſchen:
dann freilich ſcheint es, daß ein ſolches Volk un-
ter einem ſolchen Fuͤrſten eine Hoheprieſter-Reli-
gion noͤthig habe, die den lieben Gott zum Po-
panz und zum eigenſinnigen Tyrannen herabwuͤr-
dige, und ihn ja nicht, wie Chriſtus that, als
den liebevollen Vater aller Geſchoͤpfe, vorzuͤglich
der vernuͤnftigen, darſtelle.


Eine ſolche Religion mit einem ſolchen Gotte
erſezt dann freilich bey einem ſolchen Volke durch
die Gewalt der Phantaſie das, was die Regie-
rungskunſt in der Staͤrke der Vernunft des Ober-
verwalters, oder in der Staatsverfaſſung fuͤr die-
ſes Volk nicht findet. Keiner hat dieſe theologiſch-
politiſche Maſchinerie ſtaͤrker ins Licht geſtellt, als
der einſichtige und freymuͤthige Verfaſſer von dem
[293]Erweis des himmelweiten Unter-
ſchieds der Moral von der Religion.“ *)


„Die ganze Orakel-Theologie und (Orakel-)
Religion — ſagt er S. 308 — iſt ſo angelegt, daß ſie
den Leuten von Kindesbeinen an Furcht und Schre-
cken vor einem zornigen Gott und deſſen ewigbren-
nender Hoͤlle einjage, und ihre Gemuͤther immer
auf der Folterbank peinlicher Unruhe und ſchreckli-
cher Beſorgniſſe uͤber erdichtete abſcheuliche Gefah-
ren geſpannt erhalte. Dieß iſt der liſtige Kunſt-
griff, ſie mit den beſchwerlichſten Abgaben zu ſteu-
ern, ihre geaͤngſtigte Selbſtliebe zinsbar zu ma-
chen, und ſie anzuſpornen, ſich durch allerley Ga-
ben und Opfer die Geneigtheit derer zu erkaufen,
die als die Bevollmaͤchtigten des Himmels das
Zuͤchtigen und Loslaſſen, das Suͤnden-Vergeben
und Suͤnden-Behalten, das Ewig-ſelig-machen
und Ewigverdammen in ihrer Gewalt haben. —
Erſt wird den Leuten durch die Orakel-Theologie
alle Ruhe, Hoffnung und Zufriedenheit des Her-
zens geraubt, um ihnen dieſelbe hernach tropfen-
weiſe in einzelnen beliebigen Troͤſtungen und vor-
gegaukelten Beruhigungsgruͤnden fuͤr baares Geld
[294] wieder zutroͤpfeln zu koͤnnen. Erſt werden ſie in
ihrer Phantaſie beruͤckt, und mit dem Wahn ver-
giftet, ſich fuͤr abſcheuliche, von Gott verworfene
und aller Gluͤckſeligkeit unwuͤrdige Suͤnder anzuſe-
hen, um ihnen hernach fuͤr baare Bezahlung die
Suͤnden vergeben und einige ſchwankende Hoff-
nungen der Seligkeit wieder ertheilen zu koͤnnen.
Die Prieſterſchaft ſchlaͤgt durch ihre Orakel-Theo-
logie den von Natur ganz geſunden Menſchen erſt
ſelbſt blutende und heftigſchmerzende Wunden, um
hernach etwas an ihnen zu heilen zu haben. Sie
wird aber mit dieſer Heilung bey keinem Einzigen
ſein ganzes Leben hindurch fertig, um bis an ſei-
nen Tod das Arztlohn und die Heilungskoſten von
ihm ziehen zu koͤnnen. — Dieß iſt die wahre Ge-
ſtalt und Beſchaffenheit der Sache, die Jeder, der
das ganze Prieſtergewerbe nur mit einem halb auf-
merkſamen Auge anſieht, daran finden und erken-
nen muß.“


Daß eine ſolche Einrichtung eben nicht faͤhig
ſey, ein Volk beſſer und gluͤcklicher zu machen,
zeigt der Verfaſſer ferner, indem er S. 333 zeigt,
daß jede buͤrgerliche Geſellſchaft in dem Maaße
mehr oder weniger gluͤcklich ſey, in welchem die
Moral-Principien, nach denen ſie regiert wird,
entweder reine, oder mit angeblichen Reli-
gions-Principien vermiſchte ſind. Denn alle bey
[295] einer Maſchine angebrachte fremde und mit der Na-
tur der Maſchine gar nicht paſſende Regeln ſind
ein Hinderniß ihres ordentlichen Ganges, und eine
Quelle ihrer Zerruͤttung. — Je reiner dieſe Re-
geln angewandt werden, deſto vollkommner muß
die Wirkung der Maſchine ſeyn. — Nun enthaͤlt
die Moral einzig und allein die wahren Regeln,
nach welchen die Geſellſchaft eingerichtet und regiert
werden muß, wenn ſie gluͤcklich ſeyn ſoll. Alle
(angebliche) Religions-Vorſchriften
hingegen ſind von ganz anderer Natur, und be-
treffen ein ganz anderes Object, deſſen Natur von
der Natur der buͤrgerlichen Geſellſchaft himmelweit
verſchieden iſt. — Mithin kann keine einzige An-
wendung irgend einer Religionsvorſchrift auf die
buͤrgerliche Geſellſchaft anders, als zum aͤußer-
ſten Schaden der Geſellſchaft, geſchehen. — Ein
jedes, in das Geſetzbuch einer Nation aufgenom-
menes (ſchwankendes) Religions-Princip macht alſo
die Geſellſchaft ſelbſt unmoraliſch und ungluͤcklich;
und je mehrere ſolcher Principien darin gelten, de-
ſto unmoraliſcher und ungluͤcklicher muß die Geſell-
ſchaft ſeyn.“


Soweit der Verfaſſer. Die naͤhere Auseinan-
derſetzung dieſer Behauptung mag der Leſer in dem
angefuͤhrten Buche ſelbſt leſen, pruͤfen und entſchei-
den. Genug, was ein denkender Kopf in Deutſch-
[296] land theoretiſch aufſtellte, fuͤhrte man in Frankreich
praktiſch aus: und Frankreich — ſiegte. Nun moͤ-
gen einige Recenſenten es zuruͤcknehmen, daß der
Erweis — als etwas, das ſich unmoͤglich aus-
fuͤhren laſſe, in das Land der Utopier gehoͤre. — *)
Noch will ich nur erinnern, daß ſelbſt unſere
hellern und edlern Theologen — ein Spalding,
Teller, Henke, Roſenmuͤller, Nie-
meyer, Sintenis, Loͤffler u. a. — das
Weſen der praktiſchen Religion vom alten Kirchen-
Roſte immer mehr ſaͤubern und ſie dadurch auch dem
kritiſchen Denker achtungsvoller empfehlen. Wohl
jedem Lande, jedem Fuͤrſten, die ſolche Religions-
lehrer viele haben! Doch ich ſchweife aus, bitte
um Verzeihung, und erzaͤhle weiter.


Die Sprache des gemeinen Poͤbels — denn der
politiſchen Gleichheit in Frankreich unbeſchadet,
giebt es doch noch gemeinen Poͤbel dort genug, ſo
wie es in Deutſchland unter den Adelichen, Gelehr-
ten, Damen u. ſ. w. gemeinen Poͤbel giebt —
wurde durch die Vertilgung der Heiligthuͤmer be-
reichert: denn nun fluchte und ſchwur man bey den
ehemals ehrwuͤrdigen Dingen, welchen man die
[297] unanſtaͤndigſten Beynamen gab. Ein gemeiner
Chriſt wuͤrde ſagen, man habe Gott gelaͤſtert. —
Wenn es erlaubt waͤre, die Unanſtaͤndigkeiten der
Poͤbelſprache zu wiederholen, ſo ſollten hier Re-
densarten vorkommen, woruͤber der fromme Chriſt
ſich kreuzen und ſegnen wuͤrde. Aber wir wollen ſie
uͤbergehen.


Die Dekadi's d. i. die zehnten Tage im
Monate, derer jeder dreißig hat, waren blos Ru-
hetage, oder Tage, woran man, ohne als ſchlech-
ter Buͤrger verdaͤchtig zu werden, muͤßig gehen
konnte.


Aber im Anfange des Monats Mai, 1794,
that Robespierre den Vorſchlag, morali-
ſche Feſte an den Dekadentagen anzuordnen. Die
Rede des Ropespierre, die er hierzu hielt, iſt
wohl leicht eine der ſchoͤnſten, die jemals gehalten
ſind, und verdient von jedem geleſen zu werden,
der Gefuͤhl fuͤr das Wahre und Schoͤne hat. Mit
dem Feuer eines Demoſthenes und mit Kants
Gruͤndlichkeit bewies er hier: daß die Moral die
erſte Stuͤtze der buͤrgerlichen Geſellſchaft ſey. Dar-
in, fuhr er fort, beſteht das Geheimniß der
Staatskunſt und der Geſetzgebung, daß man mo-
raliſche Tugenden aus den Buͤchern der Philoſophie
in die Geſetze und in die oͤffentliche Verwaltung ver-
pflanze, und die gemeinen Begriffe von Rechtſchaf-
[298] fenheit in ſeinem Privatbetragen auf das Betragen
der Voͤlker anwende u. ſ. f.


Der Konvent kroͤnte die Rede des Robespierre
mit dem lauteſten Beyfall, und erklaͤrte feierlich
(um Pitts und aller Uebelgeſinnten oder Eng-
bruͤſtigen Verlaͤumdung und Beſorgniß oͤffentlich
zu begegnen): daß die Republik das Daſeyn des
hoͤchſten Weſens, und die Unſterblichkeit der Seele,
ſo wie die Beobachtung der Menſchenpflich-
ten, als die einzige, des Hoͤchſten Weſens
wuͤrdige, Verehrung anerkenne. — Als Haupt-
pflichten nahm man weiter an: Verabſcheuung der
Unredlichkeit und der Tyranney, Beſtrafung der
Tyrannen und Verraͤther, Unterſtuͤtzung der Un-
gluͤcklichen, Achtung gegen Schwache, Vertheidi-
gung der Unterdruͤckten, Ausuͤbung alles Guten ge-
gen Andere, Vermeidung aller Ungerechtigkeit. u.
dgl. — Die Feſte ſelbſt wurden nach den großen
Begebenheiten der Republik, nach den großen Tu-
genden und nach den großen Naturgaben benannt,
und ſollten den Menſchen an die Gottheit und an
des Menſchen Wuͤrde erinnern.


Darauf erhob man die blutigen Rettungstage,
den 14ten Jul, den 10ten Auguſt, den 21ten Jaͤn-
ner und den 31ten Mai, als die Gruͤndungstage der
Freyheit, zu Feſten. Außer dieſen wurden Deka-
den-Feſte angeordnet z. B. das Feſt des hoͤchſten
[299] Weſens, das Feſt des menſchlichen Geſchlechts,
des franzoͤſiſchen Volks, der Wohlthaͤter der Menſch-
heit, der Maͤrtyrer der Freyheit, der Freyheit und
Gleichheit, der Vaterlandsliebe, des Haſſes gegen
Tyrannen, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der
Liebe, der Jugend, des Maͤnnlichen-Alters, des
hohen Alters, des Ackerbaues u. ſ. w. Alle Ta-
lente, welche zur Befoͤrderung der Schoͤnheit und
des Nutzens dieſer Feſte durch Hymnen, oder buͤr-
gerliche Geſaͤnge, oder durch ſonſt etwas beytragen
konnten, wurden in dieſem Dekrete dazu aufgefo-
dert, und einer oͤffentlichen Belohnung verſichert.
Uebrigens wurde nochmals wiederholt, daß es je-
dem frey ſtaͤnde, ſeine Meynung uͤber religioͤſe Ge-
genſtaͤnde zu hegen, und zu ſagen, wie er es fuͤr
gut faͤnde.


Man ſieht leicht ein, daß dieſes Dekret blos die
Folge oder die Wirkung einer uͤberlegten Politik
war, und daß man nichts weniger, als eine neue
Religion gruͤnden wollte. Eine neue Religion iſt
eine, die bisher noch nicht bekannt war. Die aber,
welche der Konvent zur Uebung autoriſirte, iſt ja
die alte natuͤrliche, welche Confucius und So-
krates und Plato und Chriſtus und alle andere
Weiſen gelehrt haben, welche D. Bahrdt und Zol-
likofer vortrugen, und welche endlich, wenn aller
andre Phantaſienkram wegfaͤllt, immer bleiben wird.


[300]

Man hat in andern Laͤndern herumgeſchrieen:
die Franzoſen haͤtten eine neuheidniſche Religion an-
genommen: das iſt eine tolle Behauptung! Man be-
denke doch, daß in dem Religions-Dekrete ganz und
gar keine Rede von irgend einem Lehrbegriffe vor-
koͤmmt, und daß einem jeden es frey ſteht, ſeinen lie-
ben Gott, und das Verhaͤltniß, worin er mit ihm
zu ſtehen meynt, ſo einzurichten, wie er will, und
wie es ihm gut duͤnkt. Will jemand in Frankreich
den Jupiter und die Venus fuͤr wirkliche We-
ſen, fuͤr Gottheiten halten, ſo mag er es thun:
aber einen oͤffentlichen Gottesdienſt fuͤr Jupiter
und Venus darf er nicht aufbringen.


Alle Erkenntniß der Wahrheit kann nur nach
und nach ſtufenweiſe kommen. Erſt muß der ne-
gative Weg gegangen werden, zumal bey einmal
Verwoͤhnten. Man muß erkennen, daß das, was
man bisher als Wahrheit annahm, ſie nicht war.
Dann ſchreitet man zum poſitiven, forſcht nach,
was und wie das denn iſt, von dem wir erkennen,
daß es das nicht iſt, wofuͤr wir bisher es nahmen.
D[e]n negativen Weg ſchlug man in Frankreich ein,
indem man das roͤmiſche Hierarchie-Syſtem als
falſch und ſchaͤdlich in den Klubs erklaͤrte, und
es endlich, nach vorhergegangner beſſerer Beleh-
rung, oͤffentlich abſchaffte. Darauf ging man
— wir wiſſen ſchon, wann und wie — den poſi-
[301] tiven. — Sollte aber, demohnerachtet, das alte
Syſtem noch Anhaͤnger im Stillen haben, ſo muͤſ-
ſen die mit der Zeit ſich auch verlieren. Der oͤffent-
liche Gemeingeiſt, und die Beeiferung, Andern
an Einſicht nicht nachzuſtehen, oder die Schaam
und der Spott daruͤber — wird ſie weiter bringen.
Wer demnach am poſitiven Chriſtenthume noch
haͤngt, wird es reinigen. Die Paͤpſteley haͤlt ihn nicht
mehr ab, es, wie der alte, ehrwuͤrdige Spal-
ding, *) nur fuͤr das zu nehmen, was es, ſeiner
moraliſchen Natur nach, nur ſeyn kann und ſollte.
Es wird ihm endlich das werden, was Jakob
als allgemeines Religionsſyſtem fuͤr alle Vernuͤnf-
tige ſo buͤndig, lichtvoll und ſchoͤn darſtellt.


Ob man die ſogenannte Offenbarung der Chri-
ſten, oder die Bibel, forthin in Frankreich fuͤr
etwas mehr, als fuͤr eine individuelle Copie der eig-
nen Art, Gott, Welt und ſich zu betrachten, nehmen,
und folglich ſie nur hiſtoriſch benutzen werde,
wie die Buͤcher eines Herodots; Homers u. a.,
bedarf keiner weitern Beruͤhrung. — Kurz, da
die Einrichtung der republikaniſchen Gottesvereh-
rung, unbekuͤmmert um alles Syſtem, blos auf
die Anfachung der buͤrgerlichen und geſellſchaftlichen
Tugenden gerichtet iſt: ſo ſteht allerdings zu hoffen,
[302] daß die wahre Religion d. i. der aͤchte Deismus
in Zukunft Gewinn und keinen Nachtheil von der
gegenwaͤrtigen Veraͤnderung dieſer Dinge in Frank-
reich ziehen wird. Frankreichs Beyſpiel wird end-
lich weiter wirken, und man wird aufhoͤren, ein
Kirchen-Chriſt zu ſeyn, um ein Vernunft-Chriſt nach
Chriſti Sinn zu werden. Alſo auch dafuͤr wird die
Nachwelt Frankreich danken und erheben. Doch die
Ausfuͤhrung dieſer Gedanken, und die wahre Wuͤrdi-
gung des franzoͤſiſchen Religions-Inſtituts, muß ich
Andern uͤberlaſſen, die geſchickter und einſichtiger und
mit dem Gange der menſchlichen Erkenntniß und der
moraliſchen Vervollkommung bekannter ſind, als ich.


Das Feſt des hoͤchſten Weſens (Fête de l'Etre
Supreme
) wurde, dem obigem Dekrete zu Folge,
im Jun 1794 in Paris und in allen Staͤdten Frank-
reichs mit ungemeiner Pracht und Eifer gefeyert.
Eine naͤhere Beſchreibung davon zu liefern waͤre
uͤberfluͤßig: denn das iſt ſchon, denk' ich, von An-
dern hinlaͤnglich geſchehen. — Ueber allen Tem-
peln der Vernunft, welche von jener Zeit an Tem-
pel des hoͤchſten Weſens und der buͤrger-
lichen Tugend (temples de l'Etre ſupreme et
des vertus civiques
) hießen, wurde mit goldner
Schrift angeſchrieben: „Das franzoͤſiſche Volk er-
kennt das Daſeyn des hoͤchſten Weſens und die
Nothwendigkeit, daſſelbe durch Ausuͤbung der Buͤr-
[303] gertugenden zu verehren: es troͤſtet ſich mit der
Hoffnung der Unſterblichkeit.“ *) Ich werde wohl
noch mehrmals von dem Religionsweſen in Frank-
reich reden muͤſſen, will alſo jezt davon abbrechen,
und wieder von meinem eignen theuren Ich meine
Leſer unterhalten.


Zwanzigſtes Kapitel.


Marſch von Strasburg nach Colmar.


Den 3ten Jaͤnner zogen ohngefaͤhr 80 Deſerteurs,
und etwan 400 Kriegsgefangnen, aus Strasburg
nach Schlettſtadt zu. Drey Deſerteurs von Ro-
han, welche mit uns von Weiſſenburg gekommen
waren, wurden in Straßburg erkannt, als Emi-
granten angegeben, und zum Todtſchießen verdammt.
Sie hatten vorher bey den Franzoſen gedient, Ei-
ner davon, ein huͤbſcher junger Menſch, Namens
Du Houx, hat mich ſehr gedauret.


Wir wurden durch 40 Mann Volontaͤrs, alle
von einem Bataillon, du Var, begleitet; und
ein Hauptmann, Namens Landrin, fuͤhrte das
[304] Kommando. Dieſer Mann hatte einen aͤußerſt
feurigen rothen Kopf, und ich verſprach mir eben
darum wenig Gutes von ihm nach dem al[t]en deut-
ſchen Sprichwort: „roth Haar und Erlenholz
waͤchſt auf keinem guten Boden.“ Aber ich ward bald
zu meiner Freude gewahr, daß ich mich an Haupt-
mann Landrin geirrt hatte. Einige Stunden
von Strasburg hielten wir in einem Orte an, weil
noch eine Fuhre herbeygeſchafft werden mußte, um
einige erkrankte Kaiſerliche mit wegzubringen. Es
iſt doch vom Teufel, ſagte der Hauptmann zum
Sergeanten, daß keiner von uns deutſch, und
keiner von den Gefangnen franzoͤſiſch verſteht! Da
kann ich nun nicht einmal den Leuten ſagen, was ich
haben will. — Ich hoͤrte dieſes, lief hin und ſagte,
daß ich deutſch und franzoͤſiſch verſtuͤnde. Das iſt
brav, ſagte der Hauptmann: von nun an ſollſt du
mein Dollmetſcher ſeyn. Ich mußte ſofort mit ihm
trinken, und den ganzen Weg bis Schlettſtadt mit
ihm ſprechen. Es war ein ſehr muntrer Mann,
dem aber ſchon bey einer Attake der linke Arm lahm
geſchoſſen war. Er war aber nicht abgegangen,
und hatte die Penſion nicht genommen, die doch
jedem Verſtuͤmmelten, nach der Verordnung der Na-
tion, von Rechtswegen zukoͤmmt.


Ich bin in dieſes Landrins Geſellſchaft von
Strasburg bis Beſançon in der Franche Com-
[305] geblieben, und habe ihm vieles zu verdanken,
wie ich denn beynahe aller Orten, wohin ich ge-
kommen bin, brave Leute getroffen habe.


In Schlettſtadt, 7 Stunden von Strasburg,
wurden wir in einem ehemaligen Kloſter einquar-
tirt, nachdem ich dem Hauptmann vorher bey der
Einrichtung des Quartiers Dienſte geleiſtet hatte.
Vier Volontaͤrs blieben zur Wache bey uns, damit
niemand ausgehen, und, wie ſchon mehrmals geſche-
hen war, durch Stehlen Exceſſe in der Stadt begehen
moͤgte. Ich ſahe die Nothwendigkeit dieſer Verord-
nung ein, ob es mir gleich ſehr zuwider war, in ſo
uͤbler Geſellſchaft die Nacht zuzubringen. Aber es
dauerte nicht lange, da kam ein Volontaͤr: „Hoͤre,
ſchrie er, wo biſt du Citoyen Preuße, der franzoͤſiſch
kann?“ Ich meldete mich: Komm, ſagte er, du ſollſt
beym Kapitaͤn logiren! Ich folgte ihm zu die-
ſem, welcher in einem ehrbaren Buͤrgershauſe
einquartiert war. Mein Freund, redete mich der
Kapitaͤn an, du mußt kuͤnftighin allemal bey mir
logiren: du kannſt mir bey den Leuten manchen
Dienſt und Gefallen thun, und dafuͤr will ich dich
auch beſſer behandeln, als die andern: Noth ſollſt
du nicht leiden, ſo lange wir beyſammen ſind, und
und das ſind wir noch acht Tage: — Ich dankte ihm
fuͤr ſeine gute Geſinnung, aber ſtatt auf meinen
Vierter Theil. U
[306] Dank zu hoͤren, ließ er mir eine Flaſche Wein ge-
ben, welche ich mit einem kaiſerlichen Offizier,
dem Leutnant Zimmer, vom Regiment Wilhelm
Schroͤder, trinken ſollte, und ging.


Es waͤhrte nicht lange, ſo kam der auf der
Retirade in Gefangenſchaft gerathene Chirurgus
Ludwig, vom Regiment Prinz Ferdinand von
Preußen, nebſt noch einem Feldſcheer aus Schlett-
ſtadt, und wollten den Hauptmann ſprechen.
Ihre Abſicht war, ihm zu berichten, daß zwey
Burſche von den Kaiſerlichen, ohnmoͤglich Morgen
mit koͤnnten: es waͤre zu beſorgen, daß ſie unter-
wegs auf dem Wagen umkaͤmen. Da ich ſchon
einiges Anſehn bey dem Hauptmann hatte, ſo
nahm ich beyde Feldſcheere mit zum Maͤre, wo
der Hauptmann war, und ſtellte ihm in Beyſeyn
des Maͤres vor, daß die Leute in Schettſtadt blei-
ben muͤßten. Aber der Maͤre, ohne des Haupt-
manns Antwort abzuwarten, erklaͤrte ſofort, daß
ihr kleines Spital ſo voll ſey, daß nichts mehr
hineinginge: die Leute muͤßten alſo weiter nach
Colmar geſchafft werden. Der Hauptmann fiel
raſch ein: „wenn die Leute nicht fort koͤnnen,
ohne Gefahr auf dem Wagen zu ſterben, ſo muͤſſen
ſie hier bleiben: das wollen wir morgen ſchon ſehen.“
Er befahl hierauf dem Schlettſtaͤdter Chirurgus,
[307] ihm deshalb den andern Tag fruͤh Nachricht zu
geben, indeſſen aber die Kranken wohl zu pflegen.


Fruͤh weckte mich Landrin, lange vor Ta-
ges-Anbruch: „Geh, ſagte er, zu den Gefang-
nen, und ſieh, wie's mit den Kranken ausſieht.“
Ich that dieſes gern, denn wen ſchmeichelt es nicht,
unter ſolchen Umſtaͤnden von ſeinen Vorgeſezten ſich
mit Zutrauen beehrt zu ſehn! Die armen Kranken
hatten ſchon gehoͤrt, was ich Abends vorher fuͤr ſie
gethan hatte, und baten mich gar ſehr, daß ich ſie
aufs Hoſpital befoͤrdern moͤgte. Sie mogten mich,
wer weis, wofuͤr anſehen: denn ſie ſagten: „Hoben's
Gnod, bey Ihr Gnoden Herr Hoptmann zu bitten,
doß wir holter uf's Loſoreth kumen!“ Ich ver-
ſprachs, und rapportirte meinem braven Landrin,
daß die Burſche ſchlechterdings nicht fort koͤnnten.
So bleiben ſie hier, war ſeine Antwort, und bald
darauf disputirte er ſich ſo lange mit den Munici-
palitaͤtsbeamten herum, bis dieſe die Kranken in ihr
Spital bringen ließen.


Schlettſtadt war ehedem feſt, iſt aber nach und
nach verfallen, bis es im Jahre 1793 wieder ſtark
befeſtiget wurde. Dieß iſt mit mehreren Staͤdten
im Elſaß geſchehen, da man von allen Seiten her
einen Einfall der Deutſchen befuͤrchtete.


Die angenehme Gegend von Schlettſtadt nach
Colmar konnte ich nur wenig beobachten: denn es
[308] war alles mit Schnee bedeckt. Die Sonne ſchien
aber ſehr helle, und ſo machte das geſtreckte voge-
ſiſche Gebuͤrge einen unterhaltenden Proſpekt.


Als wir in Colmar eintraten, ſchrie alles:
es lebe die Republik! — Ein ungezogner Sol-
dat, vom Preußiſchen Regiment Kleiſt, mogte
ſich uͤber dieſes Geſchrey aͤrgern, und rief entgegen:
ich ſch — ß auf eure Republik! — Sogleich ent-
ſtand ein fuͤrchterlicher Spektakel, und der Haupt-
mann mußte Halt machen laſſen. Der Soldat ſollte
herausgefunden werden, dieſer aber war unter die
andern gelaufen, und der, welcher ihn angegeben
hatte, konnte ihn nicht mehr von denen unterſcheiden,
welche eine Montur trugen, wie er. Der Haupt-
mann ließ nun einen Krais auf dem Markte ſchlie-
ßen, und ich mußte in ſeinem Namen allen Deſer-
teurs und Gefangnen bedeuten: daß alle Schimpf-
woͤrter und Laͤſterungen gegen die franzoͤſiſche Repu-
blik mit dreymonatlichem Arreſt beſtraft werden ſoll-
ten, und hienach haͤtte ſich ein jeder zu fuͤgen. Das
iſt nicht zu hart, fuͤgte er hinzu, denn wer in einer
Monarchie auf den Regenten ſchimpfen wollte,
wuͤrde wohl noch ſchlechter ankommen.


Der Feldſcheer Ludwig gieng mit Erlaubniß,
welche ich ihm bewirkt hatte, ins Spital zu Col-
mar, und fand da einige deutſche Chirurgen, welche
ihn baten, da zu bleiben, und ihnen zu helfen.
[309] Der Hauptmann Landrin wollte anfaͤnglich gar
nicht einwilligen. Er koͤnnte, meynte er, in Be-
ſançon es nicht recht verantworten, wenn er
Kriegsgefangne zuruͤckließe. Als ich ihm aber
vorſtellte, daß Ludwig ja nur Feldſcheer ſey, wel-
cher niemals Waffen getragen habe, ließ er ſich
endlich bereden, und geſtattete ihm, im Spital zu
Colmar als Gehuͤlfe der dort angeſtellten Wundaͤrzte
zu bleiben. Ludwig haͤtte es hier gut haben koͤn-
nen, aber Ludwig war ein elender Wicht: durch ſeine
Grobheit, oder durch ſonſt etwas, muß er es verdorben
haben: denn einige Monathe hernach fand ich ihn
im Hoſpital zu Dijon krank, wo er auch geſtor-
ben iſt. Er hatte in Prenzlau Frau und Kinder.


In Colmar ſah ich zum erſtenmal eine Exe-
cution mit der Guillotine. Ein Dorfmaͤre wurde
hingerichtet, weil er einen Geiſtlichen, der den Eid
nicht ſchwoͤren wollte, einige Zeit bey ſich verborgen
gehalten hatte. Er beſtieg das Geruͤſt mit vieler
Geiſtesgegenwart, und ſagte noch, ehe er niederge-
legt wurde, recht laut: ich bin doch kein Schelm!


Ich muß geſtehen, daß die Guillotine damals
einen ſeltſamen Eindruck auf mich gemacht hat,
den ich den ganzen Tag nicht verwinden konnte.
Der Apparat, und die mir ſo ganz fremde Art, je-
manden hinzurichten, erſchuͤtterten mich gewaltig,
ob ich gleich einſah, daß unter den mir bekannten
[310] Hinrichtungsarten keine ſchneller, ſicherer und we-
niger quaͤlend iſt, als dieſe. Der Hinzurichtende
kann beynahe gar nichts empfinden, als die Todes-
angſt, man muͤßte ihn den ſo hinrichten, wie den
Chailler zu Lyon. — Die meiſten von denen,
welche ich habe auf der Guillotine ſterben ſehen,
ſchienen nicht einmal Todesangſt zu fuͤhlen: ſie wa-
ren unerſchrocken, und plauderten noch, als man
ſie ſchon ans Brett befeſtigte.


Ob und welche Schmerzen die Guillotinirten
nach ihrer Hinrichtung noch empfinden, mit
ſchmerzhaftem Bewußtſeyn empfinden, dieß iſt eine
Frage, die Hr. Soͤmmering ſo geloͤßt hat, daß
ſeine Aufloͤſung nichts entſcheidet, indem ſie zuviel
entſcheidet. Entweder muͤſſen alle gewaltſamen
Todesarten aufhoͤren, oder Hr. Soͤmmering muß
beweiſen: daß das anderwaͤrts uͤbliche Haͤngen und
Koͤpfen die Staͤrke und den Grad der Nachempfin-
dung nicht habe, welche er dem Guillotiniren zu-
ſchreibt. Daß dieß ſchneller und ſicherer die Qual
der gewaltſamen Entleibung endige, iſt außer Zwei-
fel, aber nicht, ob der Gehaͤngte oder ſonſt Ge-
koͤpfte nicht weit laͤnger nachzucke und nachempfin-
de, als irgend ein Guillotinirter.


Der Hauptmann bemerkte Niederſchlagenheit
an mir, und fragte nach der Urſache. Ich geſtand
ihm, daß der Anblick der Hinrichtung mir durch
[311] die Seele gefahren ſey. Mir iſts auch ſo gegangen,
ſagte er, aber nun bin ich dergleichen ſchon gewohnt.
Du wirſt noch mehr guillotiniren ſehen, und nicht
mehr davor erſchrecken. Er hatte recht: man ge-
woͤhnt ſich nach und nach auch an die allerſcheuß-
lichſten Scenen. Man denke an die Vieh- und
Menſchen-Schlaͤchter! —


Da wir in Colmar Ruhetag hatten, ſo konnte
ich aller Orten herum wandern und mich mit den
Einwohnern bekannt machen. Ich fand denn in
Colmar weit mehr Patriotismus, als in Stras-
burg. Vorzuͤglich ruͤhmte man an einem Procura-
tor Glocſin, daß er bey verſchiednen Gelegen-
heiten die gemeine Sache mit aller Macht vertre-
ten habe. Der Name Glocſin fiel mir auf:
denn eine weitlaͤufige Anverwandte von mir hatte
einen Doktor Glocſin von Colmar geheurathet. Ich
fragte alſo weiter nach, und erfuhr, daß der D.
Glocſin, welcher die Mamſell Stutz von Grehwei-
ler vorzeiten geheurathet hatte, der Vater des Pro-
kurators geweſen ſey. Hierauf beſchloß ich hinzu-
gehen. Ich traf ihn zwar nicht zu Hauſe, aber
ſein Schwager, dem ich meinen Namen und mein
Vaterland ſagte, bewirthete mich ganz artig, und
verſprach, dem Prokurator von mir Nachricht zu
geben. Dieſer wuͤrde auch — ſezte er hinzu —
[312] noch zu mir kommen, oder mich doch rufen laſſen,
wenn ſeine uͤberhaͤuften Geſchaͤfte es nur erlaubten.


Ich erwartete dieſes nicht, aber Abends um
acht Uhr wurde ich vom Hauptmann dahin beru-
fen, wo die Deſerteurs waren, welche man hier von
den Gefangnen getrennt hatte, und ſiehe da, ich
fand den Prokurator Glocſin, der auch Doktor
der Medizin iſt. Er war ſehr freundlich, und wollte
gern wiſſen, wie ſeine Mutter mit mir verwandt ge-
weſen waͤre. Ich konnte ihm weiter keine Aus-
kunft geben, als daß ihre ehemals noch ledige Schwe-
ſter in unſerm Hauſe Mamſell Couſine geheißen
haͤtte. — Ich habe wirklich von jeher nichts we-
niger ſtudirt, als die Genealogie meiner Freund-
ſchaft, und habe die, welche mir gefielen und mir
wohl thaten, immer lieber gehabt, als meine naͤch-
ſten Verwandten. An meine Freunde denke ich
immer, aber an meinen Bruder, oft in einen Monat
nicht. — Glocſin ſagte zu mir: wir ſind jezt
alle Vetter und Bruͤder, und du biſt auch mein
Bruder, wenn du ein braver Mann biſt! Er ſprach
noch lange mit mir, erklaͤrte mir verſchiedene Ka-
pitel aus der neuen Einrichtung, die mir anſtoͤßig
ſchienen, und rieth mir, die Geſetze zu ſtudieren,
und dann, wenn der Friede gemacht ſeyn wuͤrde,
zu ihm nach Colmar zu kommen: da koͤnnte er viel-
leicht fuͤr mich ſorgen. Sodann zog er ſeine Schreib-
[313] tafel hervor, gab mir ein Aſſignat von 25 Livres und
ging mit einem derben Haͤndedruck von dannen. Eine
halbe Stunde darauf kam jemand, und brachte mir
eine huͤbſche Flaſche Schnapps und ohngefaͤhr drey
Pfund geraͤuchertes Fleiſch, welches mir der Proku-
rator auf den Weg bringen ließ.


Wegen der Schreibtafel muß ich erinnern, daß
es uns Deutſchen anfangs ſchnurrig vorkam, wenn
wir einen Franzoſen bezahlen ſahen. Bey uns zieht
man den Beutel, oder holt die Muͤnze aus dem
Hoſenſack; in Frankreich aber zog man die Schreib-
tafel und langte Papiergeld heraus. Mit klingen-
der Muͤnze bezahlte man faſt gar nicht mehr, nicht,
als wenn die Leute kein baares Geld mehr gehabt
haͤtten, ſondern weil ſie dieſes an ſich halten, ſo
lange ſie noch Papiergeld haben. Man kann uͤber-
dem eine Million Livres in einer Schreibtafel leicht
herum tragen, wenn man vielgeltende Aſſignaten
hat, aber eine Million baares Geld koͤnnen mehrere
Perſonen kaum fortbringen, ſollt' es auch eitel Gold
ſeyn.


Den Jakobinerklub in Colmar habe ich in Ge-
ſellſchaft des Hauptmanns Landrin auch beſucht.
Er wurde in einer Kirche gehalten, wo man Sitze
in Form eines Amphitheaters angebracht hatte.
In der Mitte war die Rednerbuͤhne. In der er-
[314] waͤhnten Ausbeute ſoll man mehr daruͤber an-
treffen.


Ehe ich weiter erzaͤhle, will ich noch anmerken,
daß der Katholicismus im Elſaß weit mehr An-
haͤnger und Vertheidiger gehabt hat, als im uͤbrigen
Frankreich. Unter allen Franzoſen waren keine
ſchlechter unterrichtet, und mit Aberglauben aͤrger
vollgepropft als die Herren Elſaſſer. Aus Deutſch-
land kam beynahe kein vernuͤnftiger Gedanke in
dieſe Gegend, und aus Frankreich konnte keiner da-
hin kommen, weil die Elſaſſer alles haßten, was
waͤlſch d. i. franzoͤſiſch war. Daher fand das Sy-
ſtem der Revolution anfaͤnglich [eb]en nicht viel
Freunde in dieſem Lande; und wenu die Elſaſſer
ihr Land allein haͤtten vertheidigen ſollen: dann
waͤren die Deutſchen laͤngſt Meiſter von Landau,
Strasburg und Befort geworden. Auſſerdem gab
es im Elſaß doppelte Religioniſten, Katholiken und
Proteſtanten. Dieſe pochten auf ihre vom Koͤnige
zugeſtandnen Freyheiten und Privilegien, jene aber
wußten wohl, daß ihre Pfaffen Mittel und Wege
finden wuͤrden, dieſe Freyheiten zu eludiren, und
druͤckten die Proteſtanten meiſterlich. Da gab es
denn Schaͤrfung des Glaubens, und eben dadurch
ſtarke Anhaͤnglichkeit an den Katechismus von
beiden Seiten, welche im Stillen wohl noch fort-
dauert.


[315]

Aber der Elſaß kann, ſo ſehr man auch deut-
ſcher Seits da[ra]uf gehofft hat, und Einige viel-
leicht noch darauf hoffen, aus ſehr natuͤrlichen Ur-
ſachen dennoch niemals eine Vendée werden.
Auch wuͤßte ich mich nicht zu entſinnen, daß in
irgend einer Elſaſſiſchen Stadt ein Aufſtand von
Bedeutung wegen der Neuerungen geweſen waͤre.
Aber aus dem Angefuͤhrten laͤßt ſichs doch erklaͤren,
warum gerade aus dem Elſaß gemeine Leute, Hand-
werker, Bauern u. dgl. ſo haͤufig ausgewandert
ſind, da doch aus dem uͤbrigen Frankreich blos
Adeliche und Pfaffen, ſamt deren unadlichem An-
hange, ihr Heil in andern Laͤndern geſucht haben.


Damit man nicht etwan glaube, als uͤbertriebe
ich meine Schilderung vom Elſaß: ſo will ich, zum
Beſchluß, einen Elſaſſer ſelbſt daruͤber ſprechen
laſſen. Es iſt der Verfaſſer der ſehr merkwuͤrdigen
Briefe uͤber das Elſaß, beſonders in Hin-
ſicht der wiſſenſchaftlichen Kultur, der religioͤſen
Aufklaͤrung und des Patriotismus. (1792.)
Ueber die Urſache der ſo großen Unwiſſenheit des
Volkes und der Prieſter ſchreibt er S. 156: „Den-
ken Sie ſich ein Land, in welchem man keinen Be-
griff davon hat, was eine gute Schulverfaſſung,
und wie noͤthig und nuͤtzlich eine gute und ſorgfaͤltige
Erziehung der Jugend ſey: ſo haben Sie das Bild
der Schulverfaſſung des Elſaſſes genau getrof-
[316] fen vor ſich. Nirgends in Deutſchland, nicht in der
ſchlechteſten Dorfſchule, kann das Schulweſen elender
beſtellt ſeyn, als es bisher bey uns gaͤng und gaͤbe
war. — Die Schriften, welche fuͤr die Paͤdagogik
herauskamen, namentlich in Deutſchland, waren
fuͤr unſere Geiſtlichen ſo gut, wie gar nicht da. —
Unwiſſenheit in allen Faͤchern der Wiſſenſchaften
herrſchte durch alle Klaſſen. — Was die heilloſen
Buͤchermacher drucken laſſen, davon wollte man
nichts wiſſen, weil ihre Buͤcher ſo trocken und ſo
ſchwer zu verſtehen ſind, und weil man ſo leicht
ein Kaͤtzer werden koͤnnte. Und ſo kam es, daß je-
der ſchon ein Kaͤtzer war, der nur Schmidts
Geſchichte der Deutſchen las.“ —


„Es iſt gar nichts Neues, faͤhrt er S. 164 fort,
daß wir bisher mit Pfarrern verſehen waren, wel-
che in 12, 15, 20, und 25 Jahren nicht mehr die
Kanzel beſtiegen haben. Aus den Predigten macht
man ſich bey uns uͤberhaupt wenig. Hoͤchſtens hiel-
ten andere Pfarrer alle Vierteljahr eine ſogenannte
Predigt, das heißt, ſo eine Erzaͤhlungsſtunde,
welche ſie mit Maͤhrchen-Erzaͤhlen und Heiligen-
Hiſtoͤrchen zubrachten, oder mit Schimpferey uͤber
Vorfaͤlle in der Gemeinde. An den meiſten Orten
mußten Moͤnche die Pfarrdienſte verſehen. Daß
ſelten einer der Pfarrer, oder ihrer Vikarien eine
Predigt machen konnte, iſt ausgemacht. Aber wo
[317] haͤtten dieſe Leute auch ſoviel Unterricht erhalten
ſollen, um etwan aus zehn Predigten die eilfte zu-
ſammen zu ſtoppeln! Die Schulen waren in ſo
ſchlechter Verfaſſung, als unwiſſend die Lehrer in
denſelben waren. Das Non plus ultra alles Wiſ-
ſens beſchraͤnkte ſich hoͤchſtens auf etliche lateiniſche
Phraſen. — Und faſt auf die naͤmliche Art ſah es
auch ſeit langer Zeit in allen franzoͤſiſchen Schulen,
Gymnaſien und Univerſitaͤten aus, ſo daß ich ge-
wiß nicht zuviel behaupte, wenn ich ſage: die Wiſ-
ſenſchaften ſeyen bey uns ſeit mehr als einem hal-
ben Jahrhunderte her gaͤnzlich in Verfall gerathen.
Und dieß iſt auch das Urtheil des großen Abbe
Raynal, das er ſchon vor mehreren Jahren ge-
aͤußert hat. Gewiß, unſere dermaligen Unruhen
haben wir der ſeit Jahren her ſo ganz vernachlaͤſ-
ſigten Erziehung, der Verachtung der Wiſſenſchaf-
ten, und der unverzeihlichen Traͤgheit der Seelſor-
ger, Biſchoͤfe und anderer Aufſeher uͤber die Schu-
len zu verdanken.“


Das Volk war naͤmlich aͤußerſt kurzſichtig und
intolerant geblieben, und hing ganz ab von ſeinem
Leithammel, dem noch aͤrgern Prieſter. Es ſah
alſo die Nothwendigkeit und die Wohlthat der Re-
volution fuͤr ſich nicht ein, und blieb widerſetzlich.
Dieſe Volksblindheit benuzte der verruchte und ver-
buhlte Kardinal Rohan, als Erzbiſchof zu Stras-
[318] burg, und ließ ſich von ſeiner Prieſterſchaft eidlich
verſichern, daß ſie, wie er, den Eid der Treue
ſtandhaft verweigern wuͤrden. Dann mußten ſie
ſeine und die paͤpſtliche Exkommunikation gegen
die vereideten Prieſter und gegen alle die, welche
an den geiſtlichen Verrichtungen derſelben Theil
nehmen wuͤrden, oͤffentlich und heimlich erklaͤren
und einſchaͤrfen. Dadurch glaubte er das Volk da-
hin aufzuwiegeln, daß es fuͤr ſeine Religion in
Maſſe aufſtehen und die Repraͤſentanten der Na-
tion zwingen wuͤrde, den Prieſterſtand und deſſen
Rechte ganz wieder herzuſtellen. *) Allein er und
ſein blinder Anh[a]ng betrog ſich, und es floß nur
Blut, und die Prieſterſchaft beſchleunigte ihren
Untergang durch ihre Kurzſichtigkeit und Raͤnke
ganz wider Erwarten. Der Laie uͤberſah den dumm-
ſtolzen Leviten, und ſtuͤrzte ihn und den, dem er ſo
[319] lange als Stuͤtze gedient hatte, den Deſpotismus
in Frankreich.


Ein und zwanzigſtes Kapitel.


Reiſe von Colmar nach Beſançon.


Von Colmar hatten wir zwey ſehr ſtarke Maͤrſche
nach Befort. Ich wuͤrde mich unterwegs, wie mir
der Hauptmann oft rieth, des Wagens bedient ha-
ben, wenn ich nicht ein boͤſes Beyſpiel haͤtte ver-
meiden wollen, und wenn ich nicht gern immer
mit dem braven Rothkopf geſprochen haͤtte. Je-
den Tag erfuhr ich neue Beweiſe ſeiner Gutmuͤthig-
keit, und ich muß ihm nachſagen, daß er nicht eine
Flaſche Wein trank, ohne daß ich Antheil daran
nehmen mußte. Fruͤh tranken wir Wein, und aßen
Brod und Knoblauch dazu. C'eſt le dejeuner de
Henry quatre,
ſagte immer der Hauptmann. Es
iſt naͤmlich bekannt, daß dieſer große und wahre
Koͤnig, der noch jezt, wie wir oben geſehen haben,
im republikaniſchen Frankreich als ein Vater des
Volks verehrt wird, nie etwas anders zum Fruͤh-
ſtuͤck genoß, als Wein und Brod.


Auch gegen die uͤbrigen Deſerteurs und Ge-
fangne war Landrin ſehr guͤtig, und er er-
[320] laubte ihnen, nach ihrer Bequemlichkeit zu mar-
ſchiren, auch wohl zuruͤck zu bleiben und nachzu-
kommen. Als der Sergeant erzaͤhlte, daß die Kai-
ſerlichen die bey Fort Vauban gemachten Kriegsge-
fangenen ſchlecht behandelt, und ſie mit Schlaͤgen
fortgetrieben hatten, erwiederte er: das kann wohl
ſeyn, aber darum muͤſſen wir es den Kaiſerlichen
nicht nachmachen: Menſchlichkeit iſt eine gar ſchoͤne
Tugend!


Nicht weit von Befort faͤngt man an, lauter
franzoͤſiſch zu ſprechen, aber das iſt ein Franzoͤſiſch,
wobey einem die Ohren eben ſo fuͤrchterlich klingen,
als bey dem Elſaſſiſchen Deutſch.


Befort oder Belfort — man ſpricht das l nicht
aus — iſt beynahe ſo groß, als Landau, und iſt
eben ſo der obere Schluͤſſel zum Elſaß, wie dieſes
der untere iſt. Es iſt von Vauban trefflich befe-
ſtiget, hat aber dieſen ganzen Krieg uͤber weder
Kanonen noch Garniſon gehabt, weil beides bey
den Armeen war.


Abends berathſchlagte der Kapitaͤn mit dem
Sergeanten und mir, ob er den folgenden Tag
Ruhetag halten; oder gleich weiter marſchieren
ſollte. Du kannſt thun, was du willſt, war unſre
Antwort. Das weiß ich, aber ich moͤgte doch
wiſſen, ob die meiſten Gefangnen lieber hier aus-
ruhen wollten, als Morgen fort nach Lille mar-
[321] ſchieren. Ich mußte alſo aufs Schloß, um die
Gefangnen und die Deſerteurs, die dort einquar-
tirt waren, daruͤber zu fragen. Ich fand, daß alle
gern wieder ruhen wollten. Ich hinterbrachte das
dem Hauptmann und dieſer machte Raſttag.


In der Vorſtadt ſah ich ein Haus mit folgen-
der Inſchrift in franzoͤſiſchen Knittelverſen:


Cette maiſon eſt à un pere de huit fils,

Dont quatre c[o]mbattent l'Ennemi,

Et quatre s'y réparent auſſi.

So elend dieſe Verſe, als Verſe ſind, ſo ſehr
muͤſſen ſie doch bey jedem Voruͤbergehenden eine nicht
geringe Idee von dem Patriotismus dieſer Leute
erwecken.


Den 9ten Jaͤnner gingen wir von Befort nach
Lille, einem Flecken am Doux, da, wo eben die
ſogenannte Franche comté angeht. Ich weiß
nicht recht, ob man Lille oder L'Isle ſchreiben
muß: ich moͤgte beynahe das leztere vorziehen, in-
dem dieſer Flecken gerade auf einer Inſel liegt, die
der Fluß hier bildet.


Unſer Weg ging durch das Muͤmpelgardiſche,
welches ſonſt dem Herzog von Wuͤrtemberg gehoͤrt
Vierter Theil. S
[322] hatte, ſeit einiger Zeit aber ſchon zur franzoͤſiſchen
Republik gezogen war. Das Laͤndchen ſcheint gar
nicht unfruchtbar zu ſeyn und die Doͤrfer darin ver-
rathen mehr Wohlſtand, als die in der eigentli-
chen Franche comté. Die Muͤmpelgarder erhielten
von der Republik die Verſicherung, daß keine ih-
rer jungen Leute ausgehoben, und zu den Armeen
geſchickt werden ſollten, und noch im Anfange des
Jahres 1795, als ich wieder durch dieſe Gegenden
kam, hatte man ihnen Wort gehalten. Das gan-
ze Laͤndchen war ſonſt lutheriſch, aber der lutheri-
ſche Gottesdienſt hatte auch hier damals ſchon voͤl-
lig aufgehoͤrt.


Der Kapitaͤn war dieſen Tag uͤber ſehr vaͤter-
lich geweſen, und deswegen aͤrgerte es mich gar
ſehr, daß unſre Deſerteurs ihm des Abends ſo vie-
len Verdruß machten. Man hatte die Gefangnen
in einen leeren Schafſtall, und die Deſerteurs in
einen andern gebracht, und Wache davor geſtellt.
Der Kapitaͤn befuͤrchtete, und dieß nicht ohne
Grund, daß mancher ſich moͤgte belieben laſſen,
fortzulaufen wegen der Naͤhe der Gebuͤrge, welche
die Schweiz von Frankreich trennen. Ich war in-
deſſen mit ihm zum Maͤre gegangen.


Auf einmal kam Klage: die Deſerteurs haͤtten
mit Gewalt die Schildwache weggedraͤngt, und
waren mir nichts, dir nichts nach der Schenke ge-
[323] laufen, wo ſie ſichs wohl ſeyn ließen. Landrin
gerieth natuͤrlich in Hitze, fluchte aber mehr auf
die Volontaͤrs, welche die Leute durchgelaſſen hat-
ten, als auf die Deſerteurs. Ich mußte in der
Schenke, in ſeinem Beyſeyn, den Burſchen eine
derbe Strafpredigt halten, und ſie bedrohen, daß
er ſie zu Beſançon als Meutmacher angeben wuͤrde,
wenn ſo was noch einmal geſchaͤhe. Hierauf muß-
ten ſie wieder in den Schafſtall.


Der kaiſerliche Leutnant Zimmer gab dem
Hauptmann durch Zeichen zu verſtehen, daß man
die Kerls tuͤchtig durchpruͤgeln ſollte, und ich er-
klaͤrte ihm dieſes naͤher. Aber Landrin verwarf
den Wink mit Unwillen. Die Hunde ſchlaͤgt man,
ſagte er, und nicht die Menſchen: dieſe ſtraft man
nach den Geſetzen, oder geht das nicht an, ſo
wehrt man ſich gegen ſie, und ſticht ſie im Fall der
Noth wohl auch auf der Stelle nieder. Einen
Menſchen zu ermorden, der mich groͤblich beleidigt,
waͤre mir eine Kleinigkeit; aber einen Menſchen
mit Stockpruͤgeln zu ſtrafen, wuͤrde ich mich ewig
ſchaͤmen.


Ueberhaupt hatte der Hauptmann Landrin
ſeltſame Begriffe, woruͤber wir auf dem Marſche
oft diſputirten, und wobey er recht in Feuer kam.
Er meynte naͤmlich, daß perſoͤnliche und geſetzliche
Freyheit die einzige Quelle aller Moralitaͤt ſey,
[324] daß aber dieſe mit der Zeit ihre vortrefflichen Fol-
gen ſo allgemein in der franzoͤſiſchen Republik, und
bey allen kuͤnftighin freywerdenden Voͤlkern bewei-
ſen wuͤrde, daß ſelbſt alle buͤrgerlichen Poͤnalgeſetze
uͤberfluͤßig ſeyn wuͤrden. Ich widerſprach ihm im-
mer, und berief mich auf die Schwachheit der
menſchlichen Natur, und auf die Geſchichte aller
Voͤlker und aller Zeiten. Was willſt Du? — ſo
antwortete er mir immer mit Feuer — du berufeſt
dich auf die Geſchichte aller Zeiten, und du haſt
Recht: denn bisher iſt auf der weiten Erde noch
kein freyes Volk geweſen, wenigſtes iſt noch kein
kultivirtes*) Volk ſo lange frey geblieben,
daß es ſich haͤtte moraliſch beſſern koͤnnen. Aller
deſpotiſche Zwang macht die Menſchen boͤſe: denn
er macht ſie zu Heuchlern, und zerſtoͤrt in ihnen jene
[325] Liebe zur Aufrichtigkeit im Reden und Handeln,
ohne welche der Menſch unmoͤglich gut ſeyn kann.


Unſre Vernunft, fuhr er fort, irret ſich ſelten
in Ruͤckſicht unſrer Pflichten: das mußt du ſelbſt
geſtehen. Jezt ſag mir aber, warum wir ſo ſelten
unſre Pflichten beobachten?


Ich: Weil wir ſinnliche Geſchoͤpfe ſind, weil
wir, vom Taumel unſrer Leidenſchaften hingeriſ-
ſen, die Stimme der Vernunft nicht hoͤren, weil
wir — —


Landrin: Larifari! Du ſprichſt ja, wie der
Pfaffe auf der Kanzel! Ich will dir's beſſer ſagen.
Deswegen thun wir Boͤſes, weil wir zu viel Gu-
tes thun ſollen, weil man uns zuviel Pflichten auf-
buͤrdet.


Ich: Ich verſtehe Dich nicht, Kapitaͤn.


Landrin: Will Dir's erklaͤren. Man hat
von allen Zeiten her die wahren natuͤrlichen Pflich-
ten der Menſchen nicht gehoͤrig gekannt, und da-
her hat man Zeug zu menſchlichen Schuldigkeiten
gemacht, das niemals wirkliche natuͤrliche Schul-
digkeit war. Alle Geſetzgeber ſind in dieſen Fehler
gefallen, indem ſie von Pflichten gegen Gott und
gegen den Nebenmenſchen raͤſonnirt haben. Denn
ſchau, Bruder, es giebt keine Pflichten gegen
Gott, weil wir mit Gott in keinem Kontrakt ſte-
hen, und es giebt auch keine Pflichten gegen den
[326] Nebenmenſchen, mit dem wir nicht im Kontrakt ſte-
hen. Verſtehſt Du mich?


Ich: Alſo duͤrfte ich ja einen Menſchen, mit dem
ich nicht im Kontrakt ſtehe, ermorden, beſtehlen!


Landrin: Da haben wir's ja, das liebe Na-
turrecht, die ſchoͤnen Zwangspflichten! — Pflicht
beſteht im thun muͤſſen, nicht im Unterlaſſen muͤſ-
ſen. Unterſcheide doch den ruhigen Zuſtand der
geſellſchaftlichen Schuldigkeit von dem kriegeriſchen
Zuſtande der Nothwendigkeit des Nichtbeleidigens!
— Sobald du etwas thun mußt, haſt du eine
Pflicht zu erfuͤllen. Wenn man dir nun viel zu
thun giebt, ſo giebt man dir viele Pflichten. Dann
merkſt du aber bald, daß du Manches thun mußt,
das du eigentlich nicht ſchuldig biſt zu thun, das
heißt, du ſiehſt ein, daß du Pflichten haſt, die
keine ſind. Dieſe uͤbertrittſt du leicht: denn dein
Gewiſſen macht dir keine Vorwuͤrfe. Aber da du
es doch heimlich thun mußt, aus Furcht vor der
Strafe: ſo wirſt du unaufrichtig, falſch und heuch-
leriſch im Reden und Handeln: und der Haupt-
ſchritt zur Immoralitaͤt iſt gethan. Bisher haſt
du blos die Stimme der Vernunft noch gehoͤrt,
und eben deswegen keine wahre Schuldigkeit ver-
nachlaͤßiget: aber bald wirſt du auch die Stimme
der Sophiſterey und der Leidenſchaft hoͤren, und
wirkliche Laſter begehen: denn du wirſt Vernunft
[327] und Leidenſchaft nicht recht mehr unterſcheiden koͤn-
nen. Du ſiehſt dieß an allen verwoͤhnten hitzigen
Leuten. Erſt verleitet ſie ihr Temperament, ſich
uͤber das Laͤſtige und Zuviele der deſpotiſchen Con-
venienz hinauszuſetzen. Ihre Sinnlichkeit befin-
det ſich bey dieſer Lebensart behaglich. Sie gehen
weiter, werden zuͤgellos, und beruhigen ſich durch
die ſophiſtiſche Stimme der Leidenſchaft. Endlich
uͤberſchreiten ſie die natuͤrlichen Pflichten, und be-
taͤuben, um ſich auch dabey zu beruhigen, die
aͤchte Stimme der Vernunft, und ſophiſtiſiren
Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver-
nuͤnftigen Natur des Menſchen in Verbindung
ſteht, fort, und werden Scheuſale. Betrachte den
Wolluͤſtling, den Trunkenbold, den Geizhals, den
Tyrannen: und du wirſt finden, daß ich recht habe.


Ich: Noch ſehe ich nicht ein, wohin dein Raͤ-
ſonnement fuͤhren ſoll.


Landrin: Hoͤre nur weiter! Alle Pflicht ent-
ſteht aus Kontrakt: wer ſeine Schuldigkeit kennen
lernen will, muß dieſen auch genau kennen lernen.
Nun frage ich dich: was iſt beſſer, Freyheit oder
Sklaverey?


Ich: Freyheit allerdings!


Landrin: Kann aber ein einzelner Menſch
frey ſeyn?


Ich: Auf keine Weiſe.


[328]

Landrin: Recht ſo! Freyheit einzelner Men-
ſchen exiſtirt blos unter freyen Voͤlkern. Ein freyes
Volk iſt aber ein ſolches, das ſeine Rechte gegen
Jeden, er ſey wer und was er wolle, vertheidigen
kann. Die Kraft alſo eines Volkes, ſeine Rechte
zu vertheidigen, macht das Weſen der Freyheit
aus. Sobald du dieſen Satz einſiehſt, ſo begreifſt
du eine Menge Pflichten, die dir als Buͤrger
eines freyen Volkes obliegen. Dieſe wirſt du auch
ſo lange gern befolgen, als du die Freyheit fuͤr ein
hohes Gut anſiehſt. Alſo iſt der Begriff von der
Freyheit der Nation fuͤr den Republikaner die erſte
Quelle, der erſte Erkenntnißgrund ſeiner Schuldig-
keit; und aus dieſem einzigen Begriffe leitet ſich
alles her, was irgend als Pflicht fuͤr ihn ausge-
geben werden [ka]nn. Außer der Freyheit haſt du
aber auch dein Eigenthum, du haſt einen guten
Namen, du haſt Guͤter, du haſt Geſundheit, und
noch mehr. Dieſe Dinge ungeſtoͤhrt genießen zu
koͤnnen, heißt das Recht eines Buͤrgers, und wer
dich darin ſtoͤhrt, beleidiget dich, und wird an dir
zum Verbrecher. Alſo darf dich keiner ſtoͤhren, ſo
wenig du Andere ſtoͤhren darfſt in dem, was ihnen
zuſteht. Siehe da die Quellen der wahren Pflich-
ten, welche die Vernunft ſelbſt anerkennt, und
gegen welche ſelbſt die Leidenſchaften zu ſchwach
ſeyn werden, wenn einmal die Menſchen dieſe
[329] heilſame Grundfeſte ihrer Gluͤckſeligkeit werden voͤl-
lig kennen gelernt haben.


Ich: Aber wann wird das geſchehen?


Landrin: Sobald die franzoͤſiſche Republik
ihren Voͤlkern den Beweis gegeben haben wird, daß
wahre Moral nur in einem freyen Staate oͤffentlich
das wahre Gluͤck der Menſchen machen kann. In
Staaten, wo Deſpoten regieren, kann nur die
Tugend d. i. das innere Bewußtſeyn, Gutes ge-
than zu haben, und noch ferner Gutes thun zu
wollen, die wenigen Weiſen begluͤcken, die ſich da
finden. Aber im Freyſtaat macht die Erfuͤllung
der geſellſchaftlichen Pflichten auch aͤußerlich gluͤck-
lich, giebt Wohlſtand, macht geehrt, beliebt,
kurz, macht den Menſchen ſo, wie er gern ſeyn
moͤgte. Sag mir einmal, warum in einer Stadt,
worin 3000 Handwerksleute ſind, doch wenigſtens
2900 fleißig arbeiten?


Ich: Weil ihre Arbeit ſie naͤhrt.


Landrin: Schoͤn! Nun nimm an, die Aus-
uͤbung unſrer Pflichten naͤhre uns, d. i. mache uns
nicht im Innern — denn ſo ein Gluͤck iſt fuͤr die
meiſten Menſchen zu hoch — ſondern im Aeußern
vollkommen gluͤcklich, verſetze uns in Wohlſtand
u. ſ. w: ſo wirſt du finden, daß auch von 3000
Menſchen allemal 2900 und noch mehrere recht-
ſchaffne Maͤnner ſeyn werden.


[330]

Ich, fuhr er voll Enthuſiasmus fort, ich bin
voͤllig uͤberzeugt, daß die kuͤnftige Generation in
Frankreich beſſer ſeyn wird, als die gegenwaͤrtige,
und daß man in hundert Jahren die Uebung der
geſellſchaftlichen Tugenden, und der Pflichten ge-
gen das Vaterland, fuͤr das Wohl der Menſchheit
eben ſo nothwendig allgemein halten wird, als
man jezt das Othemholen noͤthig fuͤr das Leben
haͤlt. Dann werden die Strafgeſetze freilich noch
da ſeyn, aber kein Menſch wird ſie brauchen: in
Erz wird man ſie eingraben, und Moos wird ſie
uͤberziehen. Ihre Sprache wird ſo veraltern, daß
die Gelehrten nach Jahrtauſenden Muͤhe haben
werden, zu erklaͤren, welche Laſter man ehemals,
und wie man ſie beſtraft habe. —


Das Urtheil uͤber das Raͤſonnement des ehrli-
chen Landrin, wie uͤber die Wuͤrdigung ſeiner er-
baulichen Ausſicht in die Zukunft uͤberlaſſe ich dem
Leſer.


Ehe wir nach Beſançon kamen, paſſirten wir
eine kleine Stadt, Beaumes les Nonnes ge-
nannt, wo ehemals das erſte Nonnenkloſter im
ganzen Lande, Hochburgund, geſtanden hat. Jezt
heißt die Stadt Beaumes les Citoyens.


Den 11ten Jaͤnner kamen wir nach Beſançon.


[331]

Zwey und zwanzigſtes Kapitel.


Meine Reiſe von Beſançon nach Lyon.


Die Geſellſchaft mit meinem braven Laudrin
ſollte nun ein Ende nehmen: er war blos beordert,
die Gefangnen und Deſerteurs nach Beſançon, oder
wie dort herum die gemeinen Leute ſprechen, San-
ſon, zu bringen, und dann mit ſeinen Volontaͤrs
nach der Moſel-Armee zu ſeinem Bataillon du Var
zuruͤck zu kehren.


Ich bezeugte ihm ſchon unterwegs daruͤber mein
Leidweſen, und verſicherte ihn, daß es mich freuen
ſollte, wenn er mich mit zu ſeinem Bataillon neh-
men koͤnnte. Gern wollte ich das thun, antwortete
er, aber es iſt einmal verboten, bey der Armee ge-
gen den Feind, feindliche Deſerteurs oder Gefangne
anzunehmen: ſey aber deshalb ohne Sorgen! Ich
will mich erkundigen, wie ich dir helfen kann. Noch
heute ſpreche ich dich wieder.


Vor dem Thore zu Beſançon ſtand eine Menge
Einwohner, welche uns mit dem Abſingen des
Marſeiller Marſches und der Carmagnole empfingen,
es aber doch nicht ſo machten, wie die Lieblinge des
Exleutnants Goͤchhauſen, ich meyne die Herren
[332] Philiſter zu Frankfurt am Mayn, welche die ar-
men franzoͤſiſchen Kriegsgefangnen mit einem Ha-
gelregen von Steinen und Koth begruͤßten. Aber
wir waren ja auch keine exkommunicirten Koͤnigs-
moͤrder!


In Beſançon nahm mich Landrin mit in
ſein Quartier, und ging hernach fort auf die Mu-
nicipalitaͤt und zum Kriegskommiſſaͤr. Gegen acht
Uhr des Abends kam er voller Freuden wieder, gab
mir die Hand, und ſagte: Du biſt geborgen, Freund!
Du kannſt in unſre Dienſte treten, wenn du willſt.
Ich verſicherte ihn, daß ich dieſes herzlich wuͤnſchte.
Nun wohlan denn, fuhr er fort: ich habe dir einen
Paß nach Mâcon, oder wenn's da nichts iſt, nach
Lyon ausgewirkt: da findeſt du auslaͤndiſche Ba-
taillons, welche der Republik in der Armee re-
volutionnaire dienen. Willſt du dahin? von
ganzer Seele, war meine Antwort. Gut, fuhr er
fort, Uebermorgen fruͤh gehſt du ab. Nun trink,
Citoyen und ſey froͤhlich: es lebe die Republik!
— Niemals hatte ich den ehrlichen Landrin mun-
terer geſehen, als den Abend, und er verſicherte mich,
ſeine Heiterkeit kaͤme daher, daß er mir haͤtte dienen
koͤnnen.


Den folgenden Tag verhandelte ich meinen Rock
und Weſte gegen einen habit de police oder habit
national,
d. i. einen blauen Rock mit weißen
[333] Klappen, und [r]o[t]he[n] Aufſchlaͤgen und Kragen, nebſt
einer weißen Weſte. Ich gab noch einen Kronen-
thaler zu.


Frankreich war ehemals die Garderobe von ganz
Europa: alles machte die franzoͤſiſchen Flitter-
Moden nach. Aber ſeit der Revolution hat die Er-
findung der Moden in dieſem Lande aufgehoͤrt: die
Nation iſt ernſthafter geworden. Jezt geht jeder,
wie er will, doch ſchlicht und ungezwungen, wie
es freye Maͤnner ziemt. Die Meiſten tragen die
Kleidung der Volontaͤrs, um im Fall der Noth zur
Vertheidigung des Vaterlandes gleich bereit zu ſeyn.
Dieß iſt Pflicht fuͤr jeden, und jeder iſt darauf ge-
faßt und eingerichtet. Das Wort, Soldat, iſt
abgeſchafft, und wenn man es hier und da auch noch
hoͤrt: ſo hat es doch keine haͤßliche Nebenidee von
Sklaverey, Sittenloſigkeit u. dgl.


Als ich aufgeſtanden war, gieng ich gleich zu
Landrin: er ſagte mir, daß wir den Nachmittag um
2 Uhr zum Kommiſſaͤr gehen wuͤrden: ich moͤgte jezt
nur die Stadt beſehen. Ich that dieß, ich werde
aber niemals eine Stadt oder Landſchaft beſchreiben,
wodurch ich gekommen bin, es ſey denn, daß mir
etwas Beſonderes aufgefallen waͤre, wie man wei-
terhin bey Lyon, Grenoble, Avignon u. ſ.
w. ſehen wird. Alſo halte ich mich auch bey Be-
ſançon nicht auf, wo ich doch bey Betrachtung der
[334] ſchauderhaften Feſtungswerker und der doppelten
Citadelle die Bemerkung machte, daß wenn die
Deutſchen auch Landau, Strasburg und Befort
erobert haͤtten, ſie doch hier wuͤrden haben Halt
machen muͤſſen.


Von dem geweſenen Erzbiſchof zu Beſançon,
einem gebornen Marki von Grammout, hoͤrte ich
in einer Schenke das Lob, daß er mehr als 200
unſchuldige Menſchen aus ſeiner Dioͤces auf die
Galeeren befoͤrdert habe. Er ſtand bey Hofe in ſo
großem Anſehn, daß das Parlameut und die uͤbri-
gen Gerichte zu Beſançon ſich in alle Wege vor
ihm fuͤrchteten, und ſeinem Willen blindlings fol-
gen mußten. Auch die Leichen der hieſigen Erz-
biſchoͤfe ſind bey der Revolution nicht verſchont
worden. Die Kathedralkirche war ein Magazin.


Den Nachmittag ging ich mit dem Haupt-
mann zum Kriegskommiſſaͤr, wo ich einen Paß
erhielt, nach welchem ich mich zu den Bataillons
étrangers, employes au ſervice de la république
be-
geben ſollte. Mein Paß lautete nach Mâeou.


Ich blieb den Abend noch bey meinem Haupt-
mann, fruͤh aber zogen wir beyde auf verſchiednen
Wegen aus Beſançon: er nach der Moſel-Armeé
mit ſeinen Leuten, und ich nach Dole zu. Er
druͤckte mir beym Abſchiede recht freundlich die
Hand, ſchenkte mir noch 30 Livres in Papier, und
[335] ermahnte mich zur ewigen Liebe der Freyheit, als
dem einzigen Gluͤck der Menſchen. Da meine
Leſer ſchon wiſſen, was Landrin eigentlich unter
Freyheit verſtand, ſo koͤnnen ſie auch denken, wozu
mich der ehrliche Rothkopf ermahnte. Ich weinte
bey dem Abſchiede von dieſem Biedermann: auch
die Volontaͤrs gaben mir die Hand, und wuͤnſch-
ten mir alles Gluͤck. Ewig wird Landrin mir
unvergeßlich ſeyn, und nimmermehr werde ich das
oben erwaͤhnte Sprichwort als eine allgemeine
Wahrheit gelten laſſen.


Ich war nun ganz allein, und ging bis zum
erſten Etape, ohngefaͤhr fuͤnf Stunden weit, wo
ich uͤber Nacht blieb. — Das Wort Etape wird
wohl meinen Leſern groͤßtentheils unverſtaͤndlich
ſeyn: ich will es daher erklaͤren, zumal, da es
kein deutſches Wort giebt, das es voͤllig aus-
druͤckt.


Seit der Revolution hat man aus allen Gegen-
den des innern Frankreichs nach den Graͤnzen zu
gewiſſe Stationen angelegt, welche ein reiſender
Soldat taͤglich bequem zuruͤcklegen kann. Auf die-
ſen Stationen muß er allemal ſeinen Paß zeigen,
und ihn unterſchreiben laſſen. Dann bekoͤmmt er
frey Quartier, 1½ Pfund Brod, ½ Pfund Fleiſch
und eine Bouteille Wein. Solche Stationen hei-
ßen Etapes, und die Verſorger derſelben — Etapi[ers.].
[336] In allen groͤßern Staͤdten ſind Kriegskommiſſaͤre,
welche von Station zu Station dem Reiſenden
noch obendrein 3 Sous fuͤr jede Stunde bezahlen
muͤſſen. Daß man nun gerade nach den Etapes
gehen, folglich oftmals, wie es ſich fuͤgt, Um-
wege machen muͤſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Man
hat nach der Zeit einiges an den Etapes geaͤndert,
wie ich vielleicht zu ſeiner Zeit melden werde.


Mein Weg ging uͤber Dole, Challons ſur Laone
und Bourg en Breſſe nach Mâcon. Mâcon iſt
eine altfraͤnkiſche Stadt an der Saone, wo ich
zum erſtenmal einige von den aͤchten Ohnehoſen an-
traf. Ich muß ihre Organiſation wohl ein wenig
naͤher beſchreiben.


Als im Jahr 1793 Lyon rebellirte und Toulon
in die Haͤnde der Feinde fiel, da ward dem Kon-
vent bange, das ganze mittaͤgliche Frankreich
moͤgte ſich zur royaliſtiſchen Parthey ſchlagen. Man
hielt daher die Rebellen zu Toulon und Lyon ge-
rade fuͤr die gefaͤhrlichſten Feinde der Republik,
und das mit dem groͤßten Recht. Die Herren
Lyoner hatten ihre Emiſſaͤrs in allen dortherum lie-
genden Staͤdten, in Mâcon, Vienne, Montpel-
lier, Valence und andern, um auch dieſe Staͤdte
zum Widerſtand aufzuwiegeln. Die National-
Macht war auf den Graͤnzen. Es wurden alſo in
aller Eile Truppen zuſammengerafft und in dieſe
[337] Gegenden geſchickt. Jeder Offizier hatte das Recht,
anzunehmen zum Dienſte der Republik, was nur
wollte; ja, wer 20, 30 bis 40 Mann zuſammen
hatte, durfte ſich zu ihrem Anfuͤhrer aufwerfen,
und er blieb es. Es ging da ohngefaͤhr ſo zu, wie
bey der Errichtung der oͤſtreichiſchen Freykorps! —
Daß nun bey dieſen Leuten ſich allerley Geſindel
einfand, laͤßt ſich denken; aber die Noth war drin-
gend, und man durfte auf dieſen Mißſtand nicht
lange Ruͤckſicht nehmen.


Und dieſe ſo errichteten Korps hießen mit Ei-
nem Namen die Armée révolutionnaire, und waren
die aͤchteſten aller Ohnehoſen, oder Sansculottes.
Daß aber mit dergleichen Leuten ſich etwas recht
Tuͤchtiges ausrichten laſſe, beweiſen die blutigen
und entſetzlichen Belagerungen von Lyon und Tou-
lon, die in der Geſchichte aller Zeiten wenig ihres
Gleichen haben.


Nachdem Lyon erobert war, gingen viele dieſer
Truppen nach den Graͤnzarmeen; viele aber blieben
in den Staͤdten von Lionnois, Dauphine, Provence
u. ſ. w., damit man ſie, wenn ja noch einige Re-
ſte von Rebellion ſich regen ſollten, ſogleich bey der
Hand haben koͤnnte.


Bey dieſer Armée révolutionnaire waren mehrere
Bataillons, welche aus auslaͤndiſchen Deſerteurs und
Vierter Theil. P
[338] Kriegsgefangenen zuſammengeſezt waren, und ſich
den Ruhm der Tapferkeit miterwarben. Zwar war es
ſchon im Dezember 1793 verboten worden, Aus-
laͤnder bey den Armeen aufzunehmen, welche auf
den Graͤnzen Krieg fuͤhrten, aber bey der revolu-
tionnaͤren Armee durften ſie noch immer dienen.
Und zu ſo einem Bataillon ſollte ich denn auch ſto-
ßen, nach der Abſicht des braven Landrins.


In Mâcon meldete ich mich beym Kriegskom-
miſſaͤr, und dieſer ſagte mir, das deutſche Ba-
taillon ſey in Lyon: ich koͤnnte aber hier naͤhere
Nachricht einholen, da Sanscuͤlottes in Mâcon laͤ-
gen, welche erſt vor einigen Tagen von Lyon ge-
kommen waͤren.


Ich war uͤber dieſe Nachricht froh, und ſuchte
und fand eine Schenke, worin es vor Sanscuͤlotten
ſtrozte. Kaum hatte ich mich hingeſezt, als ein
derber Ohnehoſe mich anredete, und fragte, wo ich
herkaͤme, und wo ich hinwollte?


Ich: Will nach Lyon, und ſuche Dienſte.


Er: Was biſt du fuͤr ein Landsmann?


Ich: Ein Deutſcher. Ich habe den Preußen
gedient, bin aber nach Frankreich gekommen, die
gute Sache unterſtuͤtzen zu helfen.


Er: Bravo! (trinkt mir zu) Auf das Wohl
der Republik! Alſo du gehſt nach Lyon! Kannſt
Uebermorgen Geſellſchaft haben: es gehen einige
[339] von hier dahin. Dienſte kriegſt du auf alle Faͤlle,
fouttre! Jezt ſauf!


So hatte ich denn ſchon Bekanntſchaft mit den
Sanscuͤlottes. Ich fand unter ihnen einige recht
artige, feine Leute: aber groͤßteutheils waren es
rohe ungeſchliffene Waghaͤlſe, wie man ſie bey ei-
nem ſolchen Freykorps wohl nicht anders erwarten
durfte. Von militaͤriſcher Diſciplin mogten ſie
eben nicht viel halten: deun ſie verſicherten mehr-
mals unter tauſend Fluͤchen, daß ſie den Offizier
in Stuͤcke hauen wuͤrden, der ihnen etwas anders
befehlen wollte, als gegen die Ariſtokraten zu
marſchiren: ſie ſeyen blos da, um den verfluchten
Ariſtokraten die Haͤlſe zu brechen. Die Leute da
herum waͤren faſt alle von dem Kaufmannſchafts-
teufel beſeſſen, und zwackten den armen Kuͤnſtlern,
Handwerkern und Tagloͤhnern ihr Verdienſt ab bis
aufs Verarmen. Wenn nur ſie den vornehmen,
reichen Herrn ſpielen koͤnnten, dann kuͤmmerte ſie
die Noth und Ar[mu]th aller derer nicht, die Tag
und Nacht bis aufs Blut fuͤr ſie ſich abzehren muͤß-
ten. Hier waͤre eigentlich der Geld-Adel recht am
Bret[t]e; und wo der herrſchte, da gelte der Arme
weniger als nichts. Das Blatt muͤßte aber jezt
ganz gewendet werden: das abgezwackte Gut muͤßte
wieder an ſeinen rechten Herrn kommen: und da
[340] helfe kein Mitleid. Das war ſo der rechte Sankuͤ-
lottismus!


Ich hatte vom Commiſſaͤr einen Logis-Zettel
bekommen, aber [m]eine nunmehrigen Kameraden,
die Ohuehoſen, ließen mich nicht mehr von ſich,
und ich mußte die Nacht bey ihnen auf ihrer Ka-
ſerne, in einem ausgeraͤumten Kloſter, zubringen.
Einigemal gingen wir in Buͤrgerhaͤuſer, wo die
Leute uns zu trinken gaben, ohne etwas dafuͤr zu
fodern: denn die Ohnehoſen waren ſehr dafuͤr be-
kannt, daß ſie nicht gern bezahlten. In allen oͤf-
fentlichen Geſellſchaften, fuͤhrten ſie das große
Wort, und: „Es lebe die Republik: der Teufel
erſticke die verfluchten Sch... von Ariſtokraten!“
war allemal ihr leztes Wort.


Den dritten Tag, nach meiner Ankunft zu Mâ-
con, ging ich mit vier Sankuͤlotten auf Lyon.
Wir blieben unterwegs in allen Kneipen, wenig-
ſtens eine halbe Stunde, zechten derb, und zahl-
ten ſehr ſelten. Ich hatte noch viel baares Geld,
auch noch Geld in Papier, wollte alſo immer zah-
len, aber meine Begleiter ermahnten mich, das ja
nicht zu thun: das ganze Land da herum ſtecke voll
Ariſtokraten und voll Freunde der Pfaffen; und die
muͤßten noch froh ſeyn, daß ein braver Sankuͤlott
ihnen ihren Wein abtraͤnke, ohne ſie todtzuſchla-
gen.


[341]

Ich muß hier im Vorbeygehn bemerken, daß die
revolutionaͤre Armee ein Hauptſtuͤck des Schreckens-
ſyſtems geweſen iſt, wovon ich bald reden werde.
Wo ſolche Leute hinkamen, fuhr alles zuſammen,
und kein Menſch unterſtand ſich, nur den Mund zu
oͤffnen, aus Furcht, es moͤgte ihm ein Wort ent-
fahren, das der Sankuͤlott als kontrerevolutionaͤr
und ariſtokratiſch deuten koͤnnte; und dann war er
verloren: der Ohnehoſe gab ihn an, und man
ſchmiß ihn ſofort, mir nichts, dir nichts, ins Ge-
faͤngniß des Revolutions-Tribunals, woraus der
Ausgang gar ſchwer war. Die Regierung konnte
aber damals dem abſcheulichen Unweſen der San-
kuͤlotterie noch nicht mit Strenge ſteuren: die Re-
bellion war eben erſt gedaͤmpft; und haͤtte man die
mit Schaͤrfe behandeln wollen, welche dieſelbe hat-
ten daͤmpfen helfen, ſo wuͤrden ſich dieſe wahr-
ſcheinlich auf die Seite derer geſchlagen haben,
welche noch immer misvergnuͤgt waren: und dann
haͤtte man neue Sankuͤlotten haben muͤſſen, um die
alten zu Paaren zu treiben; und dieſe friſchen Oh-
nehoſen haͤtten es am Ende vielleicht noch aͤrger
gemacht, als die erſten.


Daß aber der Konvent die Ausſchweifungen der
Sankuͤlotten nicht billigte, erhellet aus jenen De-
kreten, welche gegen dieſes Geſindel in der Folge
gegeben wurden, und aus den Anſtalten der Volks-
[342] repraͤſentanten, die Truppen der revolutionaͤren
Armee aus jenen Provinzen wegzubringen, wovon
ich weiterhin reden werde.


Wir kamen gegen Abend, ich glaube, es war
den 22ten Jaͤuner, nach Lyon. Meine Begleiter
gingen nach ihren Kaſernen, ich aber zum Kriegs-
kommiſſaͤr, dem ich meineu Paß, und das Zeug-
niß, das mir Landrin gegeben hatte, vorwies,
und ihn bat, mir doch an die Hand zu geben, wie
ich mich in Zukunft verhalten ſollte. Er gab mir
meine Zettel auf Brod, Fleiſch, Wein und Quar-
tier, und fuͤr das Uebrige beſtellte er mich auf den
andern Morgen.


Drey und zwanzigſtes Kapitel.


Lyon.


Lyon hieß damals Commune Affranchie, weil dieſe
Stadt ſo zu ſagen aus den Haͤnden der Ariſtokra-
ten, wie aus einer Sklaverey, geriſſen, und der
Freyheit wieder gegeben war. Sie hat dieſen Na-
men auch ſo lange behalten, als die Jakobiner den
Meiſter oͤffentlich ſpielten; nachher wurde der alte
Namen Lyon wieder hervorgeſucht.


[343]

Dieſe Stadt, welche ehemals, nach Paris, die
ſchoͤnſte, volkreichſte und wohlhabendſte in ganz
Frankreich war, und deren Handel wegen ihrer In-
duſtrie, und wegen ihrer herrlichen Lage an zwey
ſchiffbaren Waͤſſern, der Rhône und der Saone,
ſich in die ganze Welt verbreitet hatte, giebt nun
dem Reiſenden einen traurigen Anblick. Man kann
auch von ihr ſagen, was Virgilius von Troja ſagt:
— — — fuit Ilium et ingens
Gloria Dardaniae!

Lyon iſt zwar nicht abgebrannt, aber ihre beſten
Pallaͤſte, Hoſpitaͤler, Fabriken, Kirchen u. ſ. w.
liegen in der Aſche, und die uͤbrigen Haͤuſer ſind
groͤßtentheils gar ſehr beſchaͤdiget. Was aber das
aͤrgſte iſt, ſo iſt das Blut von mehr als 10,000
ihrer Bewohner in und unter ihren Mauern gefloſ-
ſen, und niemals ſind ſo viel todte Koͤrper in die
Rhone geworfen worden, als im Winter 1793, 94.
Die Kunſtwerke, woran in Lyon ein Ueberfluß war,
ſind nun alle zerſtoͤhrt, und da, wo ſonſt Lud-
wigsXIV. metallene Bildſaͤule ſtand, ſtand da-
mals, als ich da war, die Guillotine, worauf je-
der ſterben mußte, der nur von Koͤnigen und Re-
genten Gutes ſprach. Es iſt doch ein wunderba-
rer Wechſel in den menſchlichen Dingen!


Ich weiß nicht, ob ich recht thue, wenn ich
meinen Leſern die Nachrichten von dem traurigen
[344] Ungluͤck dieſer Stadt mittheile, welche ich ſelbſt
dort erfahren habe, indem ſchon mehrere davon be-
kannt ſind. Da aber dieſe Nachrichten, beſon-
ders jene, welche Herr Girtanner in ſeinen po-
litiſchen Annalen aus den Berichten einiger Lyoner
Emigranten aufſtellt, ſchon deswegen verdaͤchtig
ſind, weil ſie von Emigranten d. i. von abgeſag-
ten Feinden der neuen Einrichtung ihres Vaterlan-
des herkommen, und uͤberdem die wahre Urſache
der Reb[e]llion nicht hinlaͤnglich und nur ſchief an-
geben: ſo lieſet man vielleicht nicht ohne Vergnuͤ-
gen das, was ich aus dem Munde mehrerer Buͤr-
ger zu Lyon und mehrerer einſichtigen und ehrlichen
Sankuͤlotten daruͤber erforſcht und gelernt habe!


Die Buͤrgerſchaft zu Lyon beſtand ſonſt meiſt
aus Handelsleuten und Fabrikanten, und dieſe hat-
ten ſich mit ſchwerem Gelde manche Monopolien
angekauft. Gewiſſe Zeuge, welche z. B. in Vienne
gemacht wurden, mußten erſt nach Lyon gebracht,
und da geſtempelt werden; ſonſt durften die Ver-
fertiger ſie bey ſchwerer Srrafe nirgends verkaufen.
Ein auffallendes Beyſpiel des Lyoner Handels-
Deſpotismus giebt die arme Stadt Avignon.
Dieſe hatte ehedem viele und ſchoͤne Fabriken, wor-
in gedruckte Leinwand gemacht wurde; und von
dieſem Verkehr lebten die Einwohner. Aber die Lyo-
ner ſteckten ſich hinter den paͤpſtlichen Vice-Lega-
[345] ten — Avignon gehoͤrte vorzeiten dem Papſte —
boten Geld uͤber Geld, und der heilige Vater verbot die
fernere Verarbeitung der gedruckten Leinwand in
ſeiner eignen Stadt, damit die Einwohner einer
fremden Stadt mehr Vortheil davon ziehen koͤnnten.
So vaͤterlich ſorgte der heilige Vater fuͤr ſeine Leute,
und ſeine Leute — darbten!


Zu Anfange der Revolution waren die Lyoner
ganz auf Seiten der Aſſemblée nationale, aber ſo-
bald ſie ſahen, daß eine Republikaniſche Verfaſſung
ſtatt haben ſollte: gleich aͤnderten ſie ihre Geſinnun-
gen. Bey dem vorgeſchlagnen Syſtem des Foͤdera-
lismus waren nirgends eifrigere Vertheidiger dieſer
Fratze, als eben die Herren zu Lyon: denn da dach-
ten ſie doch wenigſtens die zweyte vornehmſte Re-
publik unter den 84 fraͤnkiſchen Republiketten aus-
zumachen. Aber nichts wollte ihnen weniger in den
Kopf, als die allgemeine Freyheit des Handels,
weil dadurch alle ihre Monopolien wegfielen. So
patriotiſch dachten die Lyoner!


In Lyon hatte ſich eben ſo, wie in den meiſten
franzoͤſiſchen Staͤdten, ein ſtarker Klub von Volks-
freunden, oder Jakobinern geſammelt, der aber frey-
lich nur ſehr wenige von den Großen und Reichen un-
ter ſeine Mitglieder zaͤhlte. Da aber die Jakobiner
ſich beſonders fuͤr aͤchte Patrioten ausgaben, und
in dieſer Ruͤckſicht oft ſehr anzuͤglich und veraͤchtlich
[346] von den Petitmaͤtern oder Muſcadins redeten, auch
noch obendrein eine Surveillance fuͤr ſich, freylich
mit Genehmigung der Obrigkeit, errichteten: ſo ge-
riethen ſie immer mehr mit denen zuſammen, wel-
che nicht Jakobiner waren.


Endlich verlohr Ludwig Capet ſein Leben,
und der Jakobinerklub gab deshalb eine Adreſſe an
den Konvent, um dieſem fuͤr die Hinrichtung des
Tyrannen zu danken. Dieſe Adreſſe war das Sig-
nal zur Rebellion. Sie war von mehrern Tauſen-
den unterzeichnet, und enthielt unter andern: daß
hier der Konvent die Namen aller rechtſchaffnen
Buͤrger und aller wahren Patrioten in Lyon ſehen
koͤnnte. Es giebt zwar, hieß es in dieſem Aufſatz
weiter, hier noch einige, welche bloͤdſinnig oder bos-
haft genug ſind, Eure Anſtalten zu misbilligen, aber
wir hoffen, daß unſer Eifer fuͤr das gemeine Wohl
alle ihre Machinationen zerſtoͤren ſoll.


Die Adreſſe wurde dem Bulletin einverleibt, und
ſollte nun, der Gewohnheit nach, auch in Lyon an-
geſchlagen werden. Aber daruͤber entſtand ein Auf-
lauf, wobey viele Menſchen von Seiten der Jako-
biner und der Patrioten — denn ſo nannten ſich um
jene Zeit die Lyoner Ariſtokraten — ermordet wur-
den. Der Auflauf war hart an dem Rhone, und
der Fluß ſtrozte vor Leichen.


[347]

Der Praͤſident des Jakobinerklubs, Chailler,
— bey Hn. Girtanner heißt er Challier:
aber fehlerhaft — ein unternehmender Kopf, rieth
jezt, daß man, um fernern Aufſtand zu verhuͤten,
die Straßen mit Kanonen beſetzen ſollte. Er gab
davon der Municipalitaͤt Nachricht, aber dieſe ver-
warf den Anſchlag, und die Feinde der Jakobiner
ſtellten den Buͤrgern vor, daß man die Abſicht habe,
alle Nichtjakobiner nieder zu machen. Dieſes Vor-
geben war an ſich abſurd, fand aber doch Eingang
und Chailler wurde angeklagt, auch eingeſteckt,
aber ſogleich wieder frey gemacht. Dabey aber blieb
es nicht: denn um Mitternacht uͤberfielen die Ari-
ſtokraten den Saal, worin die Jakobiner zum Theil
noch verſammelt waren, toͤdteten deren uͤber 150
und zerſtoͤrten das ganze Gebaͤude. Bey dieſer Ge-
legenheit kam die ganze Stadt in Harniſch, und gar
viele Menſchen wurden ſelbige Nacht ermordet.


Chailler ward fluͤchtig, und die Jakobiner
klagten eine große Liſte von Lyonern als Ariſtokra-
ten und Feinde der Republik zu Paris an. Der
Konvent ſchickte auch einige Sankuͤlotten, welche
dann doch in Lyon Furcht verbreiteten. Da aber
dieſe bald zur italiaͤniſchen Armee abgingen, ſo
wollten die Lyoner, daß die Regierung geaͤndert,
und ein Interims-Parlament errichtet werden ſollte.
Dieſes Parlament ſollte weder im Namen des Koͤ-
[348] nigs, noch des Konvents regieren; und am Frieden
wuͤrde man ja ſehen, zu welcher Parthey man ſich
bekennen ſollte. Das war ſo ein Vorſchlag von
Kaufleuten, die ihrer Sache ganz gewiß ſeyn wol-
len, doch ohne es ſich etwas koſten zu laſſen!


Der Konvent befahl der Lyoner Municipalitaͤt,
dieſe gefaͤhrliche Unternehmungen zu hindern; und
dieſe, mit Einverſtaͤndniß der Jakobiner, errichteten
in Lyon eine Armée révolutionnaire von drey Ba-
taillons, Freyheit, Gleichheit, Bruͤderſchaft. Taͤg-
lich zog eins dieſer Bataillons auf die Wache, pa-
trouillirte durch die Stadt und ſteckte jeden, der ih-
nen verdaͤchtig vorkam, ins Gefaͤngniß. Es iſt
gar nicht zu laͤugnen, daß auch hiebey ſowohl von
den Jakobinern, als von der Revolutions-Armee
gar manche Exceſſe vorgefallen ſind.


Illiacos intra muros péccatur et extra,
heißt es auch hier, und ich bin weit entfernt, irgend
einer Parthey eine Apologie zu halten, ob ich gleich
voͤllig uͤberzeugt bin, daß das Ungluͤck der Stadt
Lyon ſich mehr von den Muſcadins, als von den Ja-
kobinern herſchreibt.


Viele Lyoner Buͤrger, aber auch viele Jakobi-
ner wurden bey den von Paris geſchickten Repraͤ-
ſentanten als Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe ange-
klagt, und eingeſteckt. Die Buͤrger befreyeten ihre
Mitbuͤrger mit Gewalt aus dem Gefaͤngniß: das
[349] Naͤmliche thaten auch die Jakobiner, und beyde
Partheien forderten endlich, daß man ein beſonde-
res Gericht errichten ſollte, um die Streitigkeiten
zwiſchen der Parthey des Convents (parti de la con-
vention
) und der Parthey der Unpartheilichkeit
(parti de l'impartialité) zu entſcheiden. Ueber die-
ſen ſeltſamen Vorſchlag verlohren viele Menſchen
ihr Leben. Die in Lyon ſtehende Revolutions-Ar-
mee, ohngefaͤhr 1800 Mann ſtark, war bey den faſt
alle Tage vorfallenden Gefechten mit den Unpar-
theiiſchen — ſo nannten ſich um dieſe Zeit die Ari-
ſtokraten — bis auf ohngefaͤhr 800 herabgeſchmol-
zen, und den Lyonern gar nicht mehr fuͤrchterlich.
Sogar die Jakobiner wurden gezwungen, die Stadt
zu verlaſſen, und ſich nach dem Gebuͤrge zu
fluͤchten: was zuruͤckblieb, wurde todtgeſchlagen.
Auch die Ohnehoſen zogen aus.


Der Konvent hatte dem General der Alpen-
Armee Befehl ertheilt, eine Truppe von vier Ba-
taillons nach Lyon zu ſchicken. Das geſchah auch,
aber die Lyonner fochten gegen die Truppen der Re-
publik ſo heftig und ſo gluͤcklich, daß ſie das Feld
erhielten, und die Soldaten des Konve[n]ts beynahe
gaͤnzlich niedermachten. Dieß geſchah am 29ten
und 30ten May 1793.


Die Lyoner feyerten jezt ein Siegesfeſt, wie
noch keins war gefeyert worden. Sie ließen oͤffent-
[350] lich eine Kirche vom republikaniſchen Graͤuel rei-
nigen, zogen in Proceſſion dahin, ließen Meſſe le-
ſen fuͤr das Wohl des Koͤnigs Ludwigs XVII und
fuͤr das Verderben der Demokraten. *) Die paͤpſt-
liche Bulle wider die Feinde der Kirche wurde oͤf-
fentlich angeſchlagen, und was der ariſtokratiſchen
Narrheit und der kaufmaͤnniſchen Politik und Theo-
logie mehr war. Aber abſcheulich war es, daß man
nun die noch in Lyon befindlichen Jakobiner auf-
ſuchte, ſie mordete, ja, ſogar ihrer Weiber und Kin-
der nicht ſchonte. Selbſt die Repraͤſentanten wa-
ren ihres Lebens nicht mehr ſicher, und mußten die
beſten Gute-Worte geben, auch verſprechen, ſich
bald wegzugeben. Uebrigens iſt es voͤllig falſch,
was der Korreſpondent des Hn. Girtanners ſagt,
daß ſelbſt die Lyoner dem Konvent von dem Nach-
richt gegeben haͤtten, was bey ihnen vorgefallen
waͤre: vielmehr weigerten ſie ſich, von da an den
Konvent anzuerkennen, indem ſie unpartheiiſch blei-
ben wollten. Sie ſtellten ſogar den Adel wieder
her, ja, einige adelten ſich ſelbſt, in Hoffnung, daß
[351] Ludwig XVII dereinſt ihren Adel beſtaͤtigen wuͤrde.
So tollkuͤhn war man in Lyon! —


Daß die Lyoner um dieſe Zeit mit den Foͤdera-
liſten zu Marſeille ein enges Buͤndniß gemacht ha-
ben, uͤbergeht der Korreſpondent des Hn. Girtan-
ners voͤllig, meldet aber doch mit einigen Worten,
daß die Truppen, welche die Marſeiller den Lyonern
zu Huͤlfe haͤtten ſchicken wollen, unterwegs vom
General Cartant ſeyen geſchlagen worden. Aber,
wie ſchon geſagt iſt, der Foͤderalismus war nicht
allein in Lyon, ſondern im ganzen mittaͤglichen
Frankreich. Cartant hatte nur wenige Batail-
lons Ohnehoſen, mit welchen er hin und her zog,
um den Gehorſam gegen die Befehle des Konvents
wieder herzuſtellen. Bey dieſem Geſchaͤfte ſind
mehrere tauſend Menſchen geopfert worden.


Chailler und mehrere ſeiner Anhaͤnger wurden
gefangen geſezt, und vor einem ariſtokratiſchen Tri-
bunal verhoͤrt. Man fragte ihn: ob er den Sohn
LudwigsXVI fuͤr ſeinen Herrn erkenne? Nein!
antwortete er: Das Geſetz iſt mein Herr; und
der junge Kapet iſt ein ſo dummer Junge, daß
ich ihn nicht einmal zu meinem Bedienten haben
moͤgte. Dieſe Antwort gab er, ſo oft man ihm
obige Frage vorlegte: man legte ſie ihm aber alle
Tage vor.


[352]

Der Konvent foderte die Unterſuchung des Pro-
zeſſes uͤber Chailler und ſeine Freunde; allein die
Lyoner verſagten den Gehorſam, und inſtruirten den
Prozeß dieſer Ungluͤcklichen ganz fuͤr ſich. Sie
wurden alle hingerichtet. In Girtanners An-
nalen werden nur zwey genannt, es waren aber
mehr als dreyßig, welche auf einen Tag mit
Chailler guillotinirt wurden.


In Lyon hatte man die Nationalkokarde abge-
ſchaft, und an deren Stelle eine weiße oder die koͤ-
nigliche aufgeſteckt. Chailler kuͤßte noch auf der
Blutbuͤhne die dreyfarbige Hurſchleife; und dafuͤr
wurde, nach ſeiner Hinrichtung, ſie zum Spott an
ſeinen abgehackten Kopf genagelt.


Wenn die Guillotine recht geht, ſo muß der
Kopf auf einen Schlag herabfahren, wenigſtens
kann er nur noch an der untern Haut haͤngen blei-
ben. Aber bey der Hinrichtung des Chaillers
wurde das Meſſer ſo eingerichtet, daß es dreymal
fallen mußte, ehe der Ungluͤckliche ſterben konnte.
Dieſer Umſtand von der Barbarey der Lyoner iſt in
Frankreich allgemein bekannt, und blos aus dieſer
Urſache iſt hernach auch der Henker oder der Guillo-
tineur hingerichtet worden: er hatte gegen das Ge-
ſetz einen Menſchen bey der Exekution gemartert.


Auch die Volksrepraͤſentanten mußten jezt Lyon
verlaſſen, und begaben ſich nach Paris, wo ſie von
[353] Allem, was in der rebelliſchen Stadt vorgefallen
war, genaue Nachricht gaben. Der Konvent faßte
denn, nach ſtrenger Unterſuchung der Sache, ein
Dekret ab, daß die Stadt Lyon fuͤr rebelliſch er-
klaͤrt, erobert, gepluͤndert und von Grund ans zer-
ſtoͤhrt werden ſollte. Zwiſchen der Saone und dem
Rhone ſollte eine Schandſaͤule errichtet werden mit
der Inſchrift: daß hier dereinſt eine beruͤhmte
Stadt geſtanden habe, welche aber rebelliſch ge-
worden ſey, und deshalben ſo jaͤmmerlich nun da-
niederliege.


Chailler wurde des Patheons wuͤrdig erklaͤrt;
und beynahe in allen Staͤdten [wur]d[e]n Straßen
und Hoſpitaͤler nach ſeinem Namen benannt! Er,
Le Pellet[ti]er und Marat hießen lange Zeit die vor-
nehmſten Maͤrtyrer der Freyheit.


Vier und zwanzigſtes Kapitel.


Fortſetzung des Vorigen.


Ich habe nicht noͤthig zu erzaͤhlen, wie Lyon von
der groͤßern republikaniſchen Armee erobert und zer-
ſtoͤhrt d. i. aufs fuͤrchterlichſte zugerichtet worden
iſt: das moͤgen meine Leſer in [un]ſern Journalen
Vierter Theil. Z
[354] ſuchen, wo ſie die naͤhern Umſtaͤnde dieſer grauſa-
men und entſetzlichen Tragoͤdie finden werden.
Ich glaube aber doch bewieſen zu haben, daß der
Konvent bey den damaligen mißlichen Umſtaͤnden
nicht anders konnte, als ſo ein hartes Urtheil uͤber
Lyon zu ſprechen. Lyon rebellirte gerade zu einer
Zeit, wo die Republik noch keine innere Konſiſtenz
hatte, und auf allen Seiten von den fuͤrchterlich-
ſten Feinden bedroht und geaͤngſtiget wurde. Und
haͤtten ſich die Staͤdte Marſeille, Toulon
und Lyon behaupten koͤnnen: dann gute Nacht
Republik, gute Nacht Freyheit! *)


[355]

Ich ging noch den naͤmlichen Tag, als ich in
Lyon angekommen war, hin und wieder herum,
fand aber wenig Straßen, wenig Winkel, wo das
Elend der Zerſtoͤhrung nicht ſichtbar geweſen waͤre.
*)
[356] Ganze Reihen Haͤuſer waren weggebrannt, und
gerade die allerſchoͤnſten. Kirchen, Kloͤſter und
alle Gebaͤude der ehemaligen großen Herren, wa-
ren ruinirt. Auch hatten die Hoſpitaͤler waͤhrend
der Belagerung großen Schaden erlitten. Als ich
an die Guillotine kam, floß das Blut derer, welche
wenig Stunden vorher waren gekoͤpft worden, noch
auf dem Platze. Dieſer Anblick machte mich ſchau-
dern. Ich trat in eine nahe Schenke, zu einem
Haufen Ohnehoſen, und ſagte: Es wuͤrde doch
huͤbſch ſeyn, das Menſchenblut dort wegzuſchaffen.
Warum? antwortete einer: das iſt ariſtokratiſches
Rebellen-Blut, das muͤſſen die Hunde auflecken.
Haſt du heute guillotiniren ſehen? — Nein! —
Nun gut: Morgen ſpielt man das naͤmliche Spiel:
dann kannſt du zuſchauen. —


Die Leute ſprachen vom Kopfabſchlagen, wie
wenn ſie von Nußklopfen geſprochen haͤtten: Alles,
was ariſtokratiſch iſt, muß ſterben, war allemal
der Refraͤn. Man ging bey der Unterſuchung auch
nicht immer ſehr genau zu Werke, und es war
ſchon hinlaͤnglich, von Adel oder Prieſter geweſen
zu ſeyn, um den Kopf zu verlieren, wenn man
auch ſonſt nichts begangen hatte. La nobleſſe, la
prêtriſe ce ſont des crimes,
hieß es; und das Urtheil
war fertig.


[357]

Die Guillotine reichte zum Hinrichten nicht zu,
und ſo ſchoß man die ungluͤcklichen Schlachtopfer
vor dem Thore mit Kartaͤtſchen todt; und was da
nicht gleich auf der Stelle blieb, das expedirten die
Sankuͤlotten mit ihren Saͤbeln und Bajonetten.
Und doch waren alle Grauſamkeiten, welche durch
die Guillotine und die Fuͤſeliaden in Lyon vorgin-
gen, noch lange nicht hinreichend, die Wuth und
Rachſucht der Ohnehoſen zu begnuͤgen. Sie hat-
ten gehofft, Lyon ſollte nach dem erſten Konvents-
ſchluß gepluͤndert und verbrannt werden, und als
dieſes nicht geſchah, da murrten ſie laut. Sie
machtens hierin, wie ehemals der heil. Prophet
Jonas: denn als der Herr ſeine Drohung, ge-
gen die große Stadt Ninive, welche drey Tage-
Reiſen lang, *) alſo ein ganz ander Ding, als
Lyon, war, nicht erfuͤllte: ſo wurde Jonas boͤſe,
und wollte vor Aerger Hungers ſterben. **) Jo-
nas war ein Prophet des Herrn, durch welchen
Gottes heiliger Geiſt ſelbſt redete, ***) den alſo
eine ſo elende Rachſucht nicht zum beßten kleidete.
Aber den Ohnehoſen konnte man ihr Murren wohl
nicht ſehr uͤbel nehmen, indem man ihnen die Pluͤn-
derung verſprochen hatte; und in dieſer Hoffnung
[358] waren ſie auch blindlings ins Feuer gegangen, und
hatten mehrere tauſend ihrer Bruͤder verlohren.
Auch waren viele von ihnen jaͤmmerlich verwundet:
und dennoch murrten ſie nur, und empoͤrten ſich
nicht oͤffentlich, wie der Prophet Jonas.


Die zum Tode Verurtheilten gingen groͤßten-
theils mit vieler Gleichguͤltigkeit, und Manche mit
wahrer Frechheit zum Richtplatz, ja, es war ſo zu
ſagen, wider den guten Ton, Betruͤbniß oder Furcht
vor dem Tode blicken zu laſſen. Ein Beyſpiel muß
ich hier erzaͤhlen, als einen Beweis von Liebe,
die auch im Tode ſtandhaft blieb.


Die achtzehnjaͤhrige Gattin eines jungen Lyo-
ners hatte ihrem Bruder bey den Emigranten etwas
von ihrem Schmuck ſchicken wollen, damit er es
verkaufen, und davon leben koͤnnte. Der Brief,
worin kleine Diamanten ſehr kuͤnſtlich unter dem
Siegel verſteckt lagen, wurde aufgefangen, und
nach der Eroberung der Stadt wurde der Mann
und die Frau eingezogen und inquirirt. Die Frau
laͤugnete, daß ihr Gatte um das Geſchenk fuͤr ih-
ren Bruder gewußt hatte, er aber widerſprach und
geſtand, daß er allerdings darum gewußt, ja, ſo-
gar zur Abſendung deſſelben geholfen habe. Da
nun das Geſetz alle die zum Tode verurtheilt, wel-
che den Emigranten die geringſte Huͤlfe leiſten wol-
len: ſo wurden dieſe beyden jungen Eheleute, wel-
[359] che weiter keinen Theil an der Lyonſchen Rebellion
genommen hatten, zur Guillotine abgefuͤhrt.


Sie erſchienen beyde auf dem Blutgeruͤſte, hiel-
ten ſich feſt umſchlungen, und ſagten ſich ganz un-
befangen die zaͤrtlichſten Dinge. Endlich riß die
junge ſchoͤne Frau ſich los, und ſagte zu ihrem Gat-
ten, der ſie wieder umarmen wollte: hâtons ce mo-
ment, mon ami; c'eſt pour nous rejoindre bientôt!
*)
Sie legte ſich ſofort aufs Brett; und ihr Kopf flog
herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihr
die theuren Wangen ſeiner Freundin noch einmal
kuͤſſen zu laſſen, und als dieſes geſchehen war,
uͤbergab er ſich mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit
den Haͤnden des Henkers. Als der Guillotineur
beyde Koͤpfe dem Volke hinwies, ſchrie auch keine
Seele: „es lebe die Republik!“ wie doch ſonſt
gewoͤhnlich iſt: alle ſchauten, in ſtumpfen Schmerz
verlohren, vor ſich hin, und bewieſen dadurch,
daß ſie noch nicht alles Gefuͤhl fuͤr Natur und
Menſchlichkeit verlohren hatten. Dieſe Geſchichte
war lange das Geſpraͤch des Tages, und wurde
mit ſehr humanen Gloſſen begleitet. Natur, rie-
fen Viele, edle, allmaͤchtige Natur: was iſt ge-
gen dich Kunſt, Politik und Tod! —


[360]

Den Tag nach meiner Ankunft ging ich zum Com-
miſſaͤr, wie er mich beſtellt hatte. Er las das Zeug-
niß des Hauptmanns Landrin ſehr aufmerkſam
durch, und ſagte dann: Ja, du kannſt vielleicht hier
ankommen als Volontaͤr bey den Truppen der Re-
publik: aber da muß ich dich an einen Colonel wei-
ſen. Gehe hin auf den Place Marat zum Colonel
von Montagne, der nimmt dich ohne Zweifel. Ich
traf nun zwar den Colonel nicht, wohl aber einen
andern Offizier, der mich, nachdem ich mein Anlie-
gen eroͤffnet hatte, ſogleich mitnahm, und in die
Ecurie fuͤhrte, wo eine ganze Kompagnie Ohnehoſen
beyſammen Quartier hatte. Dieſe Ecurie war vor-
zeiten ein praͤchtiges Gebaͤude nahe an der Saone,
und hatte einem Prinzen zugehoͤrt. Man nannte
dieſen Palaſt ſeit der Revolution Ecurie oder Pfer-
deſtall, um dadurch die Lebensart der ehemaligen
Prinzen in Frankreich durchzuhecheln, die ausge-
ſuchtes Futter gehabt hatten, ohne es zu verdienen,
und eben ſo zuͤgellos ſich gebehrdeten, wie jedes un-
baͤndige Pferd.


Hier fand ich Ohnehoſen von allerley Volk:
Deutſche, Italiaͤner, Spanier und Hollaͤnder,
meiſtens Deſerteurs; auch Kriegsgefangne mitun-
ter, welche man zur Zeit des Aufſtandes im mit-
taͤglichen Frankreich bewaffnet hatte. Die meiſten
aber waren durchgaͤngig Franzoſen; und ſo war ihr
[361] National-Intereſſe, durch ihr Uebergewicht, vor
dem Privat-Intereſſe der Rebellen und Auslaͤnder
geſichert. Bey dem Anblick dieſes buntſchaͤckigen
Gemiſches von Leuten, welche noch groͤßtentheils
die Uniform der Herren trugen, denen ſie kurz vor-
her gedient hatten, fielen mir die Volonen der
Roͤmer ein, von welchem der große Diktator ſagte,
ſie ſeyen immer gut genug, fuͤr das gemeine Wohl
zu fechten. Ich konnte daher bey der wunderſelt-
ſamen Karrikatur nicht lachen, die dieſe Militz beym
erſten Anblick machte.


Als der Offizier und ich ankamen, ſchrie er:
Citoyens Sancuͤlottes, hier bring' ich Euch einen
Deutſchen, der aber franzoͤſiſch ſpricht: Er will brav
werden, wie Ihr! — Vive la république! ſchrie
mir gleich der ganze ſanskuͤlottiſche Schwarm ent-
gegen. Ich erwiederte dieſen Zuruf mit den naͤm-
lichen Worten, und war ſofort gleich unter den
Burſchen bekannt.


Ich wollte mir nun auch Kameraden nach mei-
nem Geſchmack ſuchen, mit welchen ich naͤhern
Umgang pflegen koͤnnte. Den deutſchen Deſer-
teurs traute ich wenig, wie ich denn uͤberhaupt ſa-
gen muß, daß unter 10 Deſerteurs allemal 9 ſchlechte
Kerls ſind — nicht als wenn ich die Deſertion an
und fuͤr ſich fuͤr ein ſchlechtes Stuͤckchen hielte: wie
koͤnnten ſonſt Fuͤrſten und ihre dienſtfertigen Werber
[362] ſo gierig nach ihnen haſchen! — ſondern, weil ein
braver Burſche, ſobald er von vernuͤnftigen Offizie-
ren als Menſch menſchlich behandelt wird, ſelten
in die Nothwendigkeit verſezt wird, uͤberzulaufen.
— Alſo machte ich mich an einige franzoͤſiſche San-
kuͤlotten, — ſie nannten ſich ſelbſt ſo, oder Revolu-
tionnaires: Soldaten wollten ſie nicht heißen, auch
nicht einmal Volontaͤrs — redete freundlich mit
ihnen und bat ſie, mit mir ins Wirthshaus zu ge-
hen, wo ich eine Bouteille zahlen wollte. Drey
gingen mit, und da ich mit Papier und Geld noch
ziemlich verſehen war, ſo ließ ich ſie gut bewirthen.


Die Ohnehoſen waren fidele Bruͤder, alle drey
aus Auvergne, die bald meine Freunde wurden.
Sie gaben mir weitlaͤufige Nachricht von dem Zweck
ihres Berufes. Wir ſind blos da, ſagten ſie, die
Rebellen, die Verraͤther des Vaterlandes, die Ari-
ſtokraten, die Edelleute und die Pfaffen todtzuſchla-
gen. Bey uns heißt es kurzweg: friß Vogel oder
ſtirb! Pardon geben oder nehmen ſind uns unbe-
kannte Dinge. Du ſollteſt nur geſehen haben, wie
unſre braven Bruͤder da draußen vor dem Racker-
neſt (Lyon) zuſammenſtuͤrzten! Alle Tage kamen
Hunderte, oft Tauſende um: aber das machte uns
nicht irre! Wir marſchirten uͤber die Leichen unſrer
Kameraden, und kriegten doch endlich das Rebellen-
[Ne]ſt. Schade nur, daß wir es es nicht abbrennen
[363] durften! — Recht thuſt du uͤbrigens, daß du zu
uns dich geſellſt; aber den Tod darfſt du nicht ſcheuen!
fouttre! Es lebe die Republik! —


Das war ſo die Inſtruktion, welche die Ohne-
hoſen mir gaben; und daß ſie aͤcht war, habe ich
aus vielen Beweiſen eingeſehn. Ich fragte auch,
wie ſich die Auslaͤnder bey ihnen auffuͤhrten, und
hoͤrte da zu meiner Freude, daß die Deutſchen allemal
brave Ohnehoſen waͤren, beſſer, als die Spaniolen,
und noch beſſer, als die Italiaͤner, welche man vor-
waͤrts ſtoßen muͤßte. Aber wer einmal bey ihnen
ſey, der muͤßte wohl brav werden: denn wollte er
ſich fuͤrchten, und weichen, ſo ſtieße ihm ſein naͤch-
ſter Kamerad das Bajonet in den Wamſt, und dann
waͤre er ſchon bezahlt.


Der Dienſt der Ohnehoſen in Lyon beſtand, außer
den Wachen, welche ſehr ſtark, und allemal mit
ſcharf geladnen Gewehren beſezt waren, darin, daß
ſie Tag und Nacht ſtarke Patrouillen machten, alles
Verdaͤchtige arretirten, und alle Tage einen Kreis
um die Guillotine ſchloſſen: denn alle Tage wurden
Mehrere hingerichtet. Ich fragte auch nach den
auslaͤndiſchen Bataillons, hoͤrte aber, daß ſie nicht
mehr exiſtirten, ſondern v[er]theilt waͤren. Wie ſtark
aber damals die Revolutions-Armee war, konnte
mir niemand ſagen: denn taͤglich kamen einige hin-
zu, und einige gingen ab. Dieſe Armee war in dem
[364] ganzen mittaͤglichen Frankreich, in dem ehemali-
gen Lyonnois, Dauphine, Languedoc und
Provence zerſtreut, wo ihrer viele von den Ari-
ſtokraten oft erſchlagen wurden, viele auch davon
liefen, oder mit Paͤſſen ſich nach der Armee
begaben, welche in der Vendee gegen die Bri-
gands kaͤmpfte. Doch ſollen auch damals noch
wenigſtens 80,000 Mann Revolutions-Truppen in
jenen Gegenden geſtanden, oder vielmehr herumge-
ſchwaͤrmt haben.


Wenn man nun uͤberlegt, daß vor ſechs Mo-
naten von allen dieſen Kriegern noch keiner ein Ge-
wehr trug, und daß doch damals ſchon durch ſie
die ganze fuͤrchterliche Rebellion im mittaͤglichen
Frankreich gedaͤmpft, Marſeille beruhiget, Lyon
erobert, und Toulon zerſtoͤhrt war, ſo kann man
ſich ſo ohngefaͤhr einen Begriff machen, was eine
Nation vermag, welche fuͤr ihre Freyheit auf-
ſteht. Dieſe ſchafft Armeen, in einem Zeitraum,
worin die Monarchen ihre ſchon laͤngſt ſtehenden,
laͤngſt geuͤbten Heere kaum aus ihren Garniſonen
fuͤhren koͤnnen. Es iſt beynahe unglaublich, welche
Maͤrſche die Ohnehoſen gemacht, und wie geſchwinde
ſie an Orten operirten, wo man ſie noch lange nicht
einmal vermuthete. Gegen ſolche Krieger hilft
weder Kriegesliſt, noch Taktik, noch uͤberlegne Macht:
Nichts kann ſie zuruͤckwerfen, als gleicher Muth:
[365] und welches Monarchen Krieger meſſen ſich wohl
an Muth mit Republikanern, die fuͤr ihre eigne
Sache fechten, und dabey nichts ſehen, als Sieg
oder Tod? —


Den folgenden Tag ging ich in Begleitung meh-
rerer Ohnehoſen zum Colonel, welcher ehedem ein
ehrlicher Seifenſiedergeſelle geweſen war, aber bey
der Eroberung von Lyon ſeine Bravour auffallend
bewieſen hatte. Er ſah mich freundlich an, und
nachdem er verſchiedne Fragen uͤber meinen Patrio-
tismus, und uͤber meinen Haß gegen alle Ariſtokra-
ten und Pfaffen gethan hatte, ſagte er: tu peux exi-
ſter avec nous; tu auras bientôt un fuſil.
Das war
mein ganzes Engagement. Handgeld iſt uͤberhaupt
bey den Franzoſen ſchon laͤngſt nicht mehr Mode:
denn ſie meynen, durch Annehmung eines Handgel-
des verkaufe der Mann ſich und ſeine Haut, und
werde dadurch Leibeigen. Wer aber ſo niedertraͤch-
tig oder ſo dumm ſeyn koͤnnte, ſich um irgend einen
Preis zum Leibeignen zu verkaufen, der verdiene
Verachtung, und ſey nicht werth, daß er das Va-
terland und die Wuͤrde und die Rechte des Menſchen
vertheidigen helfe. Sie ſetzen hinzu: wer durch
viehhaͤndleriſchen Selbſtverkauf Verraͤther an ſich
wird, wird es weit eher an Andern werden. Dieß
iſt es, warum der franzoͤſiſche Volontaͤr kein Hand-
geld nimmt, und noch weniger der Sankuͤlotte.
[366] Der Soldaten-Eid iſt auch ganz abgeſchafft, wie
jeder andere. Wer ſchwoͤrt mehr Eide, ſagen ſie,
als die Soͤldner der Fuͤrſten, und wer achtet ſie
weniger, als wieder ſie! Dieß zeigt die Menge ih-
rer Deſerteurs.


Der Colonel hatte nicht einmal nach meinem
Namen gefragt, und erſt einige Zeit hernach ſchrieb
mich der Sergeant ins Regiſter. Sogar der Kor-
poral, welcher das Prêt oder die Loͤhnung, und
das Brod beſorgen mußte, machte blos ein Zeichen,
daß er nun einen Mann mehr zu beſorgen hatte.


Ich war ſehr vergnuͤgt, nun bey den Sankuͤlot-
ten zu exiſtiren, und trank mit einigen Kameraden
bis den andern Morgen auf das Wohl der Repu-
blik und der Sankuͤlotterie. — Warum ich ver-
gnuͤgt war? — Je nun, meine Herren, weil ich
bey einem Korps exiſtirte, wovon ich mich losmachen
konnte, ſobald ich wollte: denn kein Sankuͤlotte iſt
gebunden. Auch ſah ich die Moͤglichkeit vor mir,
irgend etwas zu thun, was mich der Republik
haͤtte empfehlen koͤnnen; und nun die Ehre, einer
freyen Nation zu dienen! Vielleicht war ich auch
darum vergnuͤgt, weil ich das Beſondere liebe:
und ich, als Sankuͤlotte, war doch wohl was be-
ſonderes?


[367]

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.


Meine Lage bey den Sankuͤlotten.


Daß es mir leicht war, die Gunſt aller meiner
Kameraden zu erwerben, ſowohl der Offiziere, als
der Gemeinen — denn die alle heißen Kameraden
oder Bruͤder — bilden ſich diejenigen meiner Leſer
ſchon fuͤr ſich ein, die mich von meiner Wiege an
kennen. Ich that alles, was ſie thaten, ſchwadro-
nirte wie ſie, lief herum wie ſie, trank wie ſie,
ſchimpfte auf Ariſtokraten und Pfaffen, wie ſie,
und war alſo in allen Stuͤcken gerade wie ſie. Mein
Dienſt erſtreckte ſich, ſo lange wir in Lyon waren,
blos auf das Patrouilliren, und zur Guillotine zie-
hen, um welche wir taͤglich, Nachmittags um zwey
Uhr, einen Kreis ſchließen mußten. Ich wuͤrde
d[e]nk' ich, meine Leſer beleidigen, wenn ich ihnen noch
viel von dem traurigen Spektakel ſchildern wollte,
vor welchem ich anfaͤnglich zuruͤckſchauderte, her-
nach aber es gleichguͤltig, oder doch ohne Zuckun-
gen betrachten konnte.


Einer von den Repraͤſentanten, welche damals
in Lyon das ſchreckliche Amt, die Empoͤrer zu ſtra-
fen, ausuͤbten, war der in ganz Europa bekannte
[368] Collot d'Herbois. Von dieſem Manne habe ich in Lyon
eben nichts Vortheilhaftes, doch auch nichts Nach-
theiliges reden hoͤren. Aber nach meiner Ruͤckkehr
nach Deutſchland habe ich erfahren: d'Herbois ſey
Komoͤdiant geweſen, und habe ehedem in Lyon ge-
ſpielt, wo man ſeine elende Aktion brav ausgeziſcht
habe. Nachher ſey er Mitglied des Nationalkon-
vents geworden, und habe die Beſtrafung der Lyo-
ner uͤbernommen, vorzuͤglich, um ſich wegen des
ihm auf dem Theater in dieſer Stadt wiederfahrnen
Schimpfes zu raͤchen.


Ich kann nicht ſagen, ob dieſe Theater-Ge-
ſchichte gegruͤndet ſey, doch ſcheint es mir eben nicht
ſehr. In Lyon ſelbſt habe ich nichts davon gehoͤrt;
und in Lyon war man eben nicht gewohnt, von den
Volksrepraͤſentanten mit Schonung zu ſprechen.
Es giebt dergleichen Anekdoten mehr! So ſoll z. B.
Robespierre ein naher Anverwandter des im
J. 1757 zu Paris hingerichteten Franz Dami-
ens geweſen ſeyn, und eben wegen dieſer Hin-
richtung die Burbonen ſo ſehr gehaßt haben. Es
giebt uͤberhaupt keinen Mann, der ſich bey der je-
tzigen Revolution ausgezeichnet hat, den man in
den deutſchen Zeitungen, Journalen, Annalen u.
dgl. nicht etwas anhinge. Und wenn man ja
weiter nichts weis, ſo ſprengt man aus: General
Pichegruͤ ſey doch nur eines Bauern Sohn;
[369] General Hoche ein Handwerker von Profeſſion;
General Fevre ein unehliches Kind u. ſ. w. Aber
da Pichegruͤ, Hoche und Fevre bewieſen ha-
ben, daß Bauernſoͤhne, Handwerker und Hurkinder
große Helden werden koͤnnen, welche Hochgebohrne
Durchlauchtigſte, Hochwuͤrdigſte, Excellente Gene-
rale zuruͤckwerfen und beſiegen: ſo kompromittiren
ſolche Anekdotenkraͤmer am ſchaͤndlichſten ſich ſelbſt,
und beweiſen jedem denkenden Menſchenforſcher, daß
eine alberne Plappergaus weiter keine Ruͤckſicht ver-
diene.


General Laporte wollte gegen das Ende des
Jaͤnners von Lyon nach Vienne, einer beynahe 8
Stunden von Lyon gelegnen Stadt. Er ließ unter den
Sankuͤlotten bekannt machen, daß er ohngefaͤhr 600
Mann noͤthig habe; wer mit wolle, koͤnne ſich mel-
den. Dieſe Art, zum Marſch aufzufodern, ver-
meidet alles Paſſive, und der Anfuͤhrer kann auf
ſeine Leute um ſo zuverlaͤßiger rechnen, jemehr es ihr
eigner Wille iſt, unter ihm zu agiren. —


Ich hatte zwar Luſt, noch in Lyon zu bleiben,
aber meine Kameraden redeten mir zu, mitzugehen,
weil ſie vermutheten, daß da unten, in dem ver-
fluchten Gebuͤrge der Ariſtokraten, etwas fuͤr ſie zu
thun ſeyn wuͤrde. Ich ließ mich alſo auch einſchrei-
ben, und zog nebſt andern Haufen mit einem von
Vierter Theil. Aa
[370] 150 Maun, welchen ein Colonel fuͤhrte, nach Vienne.
Auch unſre 150 Mann nannten ſich ſogleich
Bataillon de la Montagne.


Vor dem Thore befahl der Colonel, daß den
andern Morgen um 11 Uhr Alle in Vienne ſeyn
muͤßten: er muͤßte erſt noch zuruͤck in die Stadt,
und wuͤrde ſchon nachkommen. Darauf ritt er
zuruͤck, und wir machten, wie es jezt unter den
marſchierenden Franzoſen gebraͤuchlich iſt, Trupp-
weiſe vorwaͤrts. Der anfuͤhrende Offizier oder
General zeigt den verſammelten Leuten gewoͤhnlich
nur den Ort ihrer Beſtimmung, und die Zeit, wann
ſie dieſen erreichen ſollen, an, und uͤberlaͤßt es
ihuen, ihren Marſch dann nach ihrer Bequemlich-
keit darauf einzurichten. *)


Wer je ein preußiſches Regiment hat marſchi-
ren ſehen, der muͤßte ſich ſehr gewundert haben,
wenn er bey unſerm Trupp einen Soldaten-Marſch
haͤtte entdecken ſollen: wer aber die Preußen aus
Champagne hat ziehen ſehen, der kann, w[as][d]ie
Unordnung anbetrifft, ſich ſo ohngefaͤhr vorſtellen, wie
[371] die Ohnehoſen von einem Orte zum andern wan-
dern; aber a[u]ch blos nur, was die Unordnung an-
belangt: denn wir waren alle nicht ſo ſiech und krank,
nicht ſo hungrig und nicht ſo abgeriſſen, als die
Preußen damals, ob wir gleich, wegen der ſehr
verſchiednen Kleidung, buntſchaͤckig genug aus-
ſahen.


Ehe man nach Vienue koͤmmt, muß man eine
kleine Stadt paſſiren, deren Namen ich vergeſſen
bin, wo gerade, als wir am andern Tage fruͤh hin-
kamen, mehrere Bauren vom Lande waren, um ge-
doͤrrtes Obſt zu verkaufen. Die Ohnehoſen, mit
welchen ich war, — es war aber nur ein kleiner
Trupp, von ohngefaͤhr 20 Mann, da die andern
von unſerm Haufen ſchon voraus, viele aber noch
zuruͤck waren — bemerkten, daß einige dieſer Bau-
ern keine Nationalkokarden trugen. Fluchs nah-
men ſie ſelbige beym Buͤndel, fuͤhrten ſie mit Ge-
walt in einen Kramladen, und zwangen ſie, Kokar-
den zu kaufen, und an ihre Muͤtzen von Schafwolle
feſt zu machen: darauf ließen ſie die Leute wieder
gehen.


Als wir naͤher an Vienne kamen, erzaͤhlte ich
meiner Kameradſchaft, daß ehemals hier der Ort
geweſen ſey, wohin die alten Kaiſer zu Rom die
Staatsverbrecher verwieſen haͤtten: auch, daß unter
dieſen Pontius Pilatus geweſen ſey, der den
[372] Juden Jeſus zum Tode verdammt haͤtte. Fouttre,
fing einer an, hat denn der Kaiſer den Pilatus ver-
wieſen, weil er den armen Teufel hat hinrichten
laſſen? Freilich, erwiederte ich, ob ich gleich wußte,
daß Tiberius ganz andere Urſachen dazu gehabt
hatte. — Er hatte Unrecht, verſezte der Ohnehoſe:
der Mosjoͤh Jeſus hatte ſeine Strafe verdient:
denn er hat die ganze Pfafferey geſtiftet! — Nicht
doch, erwiederte ich, die iſt von herrſchſuͤchtigen
Biſchoͤfen und Paͤpſten geſtiftet. Jeſus verab-
ſcheute ſie, und es iſt eine Luſt, zu leſen, wie er
die Pfaffen ſeiner Zeit, die Schriftgelehrten und
Hoheprieſter, wo er nur konnte, hernahm. Jeſus,
Bruͤder, war es, der es wagte, den Deſpotismus
unter ſeiner Nation anzugreifen, und ihr Freyheit
und Gleichheit vorzupredigen. Ja, er war im ei-
gentlichen Sinne euer Patriarch, und — wie die
Muſcadins es nehmen — der erſte Sankuͤlotte,
der ſein Leben zur Stuͤrzung des damaligen Des-
potismus hingab, und nicht einmal ſo viel hatte,
worauf er ſein Haupt haͤtte legen koͤnnen, vielwe-
niger — Hoſen....Allerliebſt! riefen Mehrere;
wenn das wahr iſt, ſo muß er mit ins Pantheon!
Es lebe der Sankuͤlott Jeſus! Es lebe die Republik!*)
[373] — Aber hoͤre, Kamerad, rief mir ein Anderer zu:
nicht wahr, Pilatus iſt verwieſen worden, weil er
den Herrn Jeſus hat kreuzigen laſſen? Man muß
niemand quaͤlen, der ſterben ſoll. Guillotiniren
haͤtte er ihn hoͤchſtens ſollen, daun waͤre es noch
ſo halb und halb geweſen. Es lebe das Geſetz! —
Dieſer Zug verraͤth immer die Anhaͤnglichkeit, die
dieſe ſonſt ſo rohen Leute doch fuͤr das Geſetz, das
alle Martern und Unmenſchlichkeiten an Verurtheil-
ten verbietet, bey all ihrer Unwiſſenheit zeigten.


Die Urſache, warum Laporte einen Theil der
ſtarken Lyoner Garniſon weggenommen hatte, war
ein Befehl des Konvents, daß man mit guter Ma-
nier die Revolutions-Armee trennen, und nach den
Heeren auf den Graͤnzen ſchicken ſollte. Der Kon-
vent hatte naͤmlich Nachricht von den vielen, zum
*)
[374] Theil ſehr groben, Exceſſen, welche die Sankuͤlotten,
die ſich gegen Ariſtokraten, Prieſter und Kaufleute
alles erlaubt glaubten, hin und wieder begangen
hatten. Wollte man ſie auseinander gehen laſſen,
ſo ſtand zu befuͤrchten, daß dieſe Leute, die jezt von
der Arbeit entwoͤhnt waren, bey der erſten Empoͤ-
rung zu den Rebellen uͤbergehen, und da eben ſo
tapfer wider die Republikaner ſtreiten moͤgten,
als ſie einige Monate vorher fuͤr dieſelben gefochten
hatten. Und dann iſt dort unten an dem Rhone
das Land ſo recht gemacht, Raͤuber zu beherbergen,
wegen der vielen Gebuͤrge in jenen Gegenden, wo-
durch nur ſehr enge Paͤſſe ſchleichen, und wo die
Raͤuber gar ſchwer zu fangen ſind. Alſo war es
am kluͤgſten, daß man lavirte, und dem Unweſen
auf eine gute Art zu ſteuern ſuchte.


Die Buͤrger zu Vienne hatten an der Lyoner
Rebellion keinen Antheil genommen; ſie wunder-
ten ſich alſo gar ſehr, daß man ſie, wie ſie meyn-
ten, exequiren wollte, und verſagten unſerm Trupp
den Eingang, ob ſie gleich das Thor nicht ſperrten.
Die Ohnehoſen, welche auf einer großen Wieſe an
dem Rhone verſammelt ſtanden, fluchten und ſchwu-
ren hoch und theuer, daß ſie eindringen, und alle
Muſcadins morden wollten, die ſich weigern wuͤr-
den, die braven Raͤcher der Republik aufzuneh-
men. Der Laͤrmen ward endlich allgemein, und
[375]Laporte hatte Muͤhe, die Ruhe unter ihnen her-
zuſtellen. Er ritt ſelbſt in die Stadt und verſicherte
die Buͤrgerſchaft, daß dieſe Einquartierung ganz
und gar keine Execution ſey, und daß dieſe Trup-
pen kaum drey Tage da bleiben wuͤrden. Auf dieſe
Verſicherung empfingen uns die Buͤrger mit Freu-
dengeſchrey, und unſer Trupp kam in ein Kloſter
zu liegen.


Das ſind doch verfluchte Kerls, die Vienuer,
ſagten die Ohnehoſen: fouttre, man muß ihre Ge-
ſinnungen unterſuchen! In dieſer Abſicht zerſtreu-
ten ſich nun faſt alle in der Stadt hin und wieder,
liefen in die Haͤuſer, und bekamen uͤberall, wo ſie
einkehrten, vollauf zu trinken, ſo daß endlich der
ganze Trupp ſo ziemlich benebelt gegen Abend in
das Kloſter zuruͤck kam. Hier geſtanden ſie
denn, daß die Einwohner der guten Stadt Vien-
ne rechtſchaffne Citoyens, gute Patrioten und
gute Jungens waͤren.


Wir blieben nur eine Nacht in Vienne: denn
am andern Tage wurden wir beordert, abzugehen,
und die Straße nach Grenoble zu nehmen. Alle
Ohnehoſen ſteckten die Koͤpfe zuſammen, und frag-
ten ſich, was das wohl zu bedeuten habe? Aber ſelbſt
die Offiziere, welche wir bey uns hatten, wußten
keine Auskunft. Wir erhielten auf zwey Tage
Brod, und nun Marſch aus dem alten Vieune
[376] wo die Straßen eben ſo kothig ſind, als in der Vor-
ſtadt Glaucha zu Halle.


Fuͤnf ganze Tage brachten wir unterweges zu,
obgleich es kaum 20 Stunden von Vienne nach
Grenoble ſind. Wir machten aber ſehr große Um-
wege, um Doͤrfer zu erreichen, und da einmal auf
gut ſankuͤlottiſch zu trinken d. h. ohne zu bezahlen:
denn auf den Doͤrfern zahlt ein aͤchter Ohnehoſe
nichts. Dann iſt auch der Weg in jenem Lande,
wegen der fuͤrchterlichen Gebuͤrge, und wegen der
vielen Fluͤſſe ſehr uͤbel. — Die Bauren ſprechen
eine ſehr unverſtaͤndliche Sprache, welche aus Ita-
liaͤniſch und Provenſaliſch zuſammengeſezt iſt, doch
verſtehen ſie meiſtens das Franzoͤſiſche. Die Spra-
che dort herum iſt noch ſchaͤndlicher, als die in den
Gebuͤrgen von der Franche comté.


Unſre Ohnehoſen gingen, wie man weis, nicht
zuſammen, ſondern truppweiſe in mehreren Haufen,
verfolgten auch nicht immer denſelben Weg, ſon-
dern ſchwaͤrmten herum nach den Doͤrfern, und
fragten nur, ob ſie auf den Etape nnd nach Gre-
noble kommen wuͤrden. Endlich ſahen wir das
friedliche Grenoble von ferne.


Ich hatte bey dem Anblick dieſer Stadt ſo meine
ganz eigne Betrachtung und Empfindung. Bey dem
Namen dieſer Stadt fiel mir ihr Erbauer, der Kai-
[377] ſer Gratian, ein. *) Dieſer Kaiſer iſt, weil
er keine große Thaten im Kriege gethan, keine Laͤn-
der geraubt, und keine Staͤdte zerſtoͤhrt hat, —
bey den Hiſtorikern eben nicht in Anſehn. Seiner
haͤuslichen und im Stillen wirkſamen Tugenden,
welche Auſonius ſo gefaͤllig geſchildert hat, ge-
denken die Hiſtoriker nicht: aber mir war Grati-
an immer ſehr ſchaͤtzbar. Er iſt der Sohn des wuͤr-
digen K. Valentinians des Erſten, welcher
unter den chriſtlichen Kaiſern zuerſt einſah, daß
man, wie Gott, die Ketzer nicht verfolgen, ſon-
dern einen jeden glauben laſſen muͤſſe, was er wolle.
Valentinian hat dieſes durch ein Geſetz gebo-
ten, und dadurch den Pfaffen ſeiner Zeit die Ge-
walt benommen, uͤber die Gewiſſen zu herrſchen.
Er empfahl ſeinem Sohn, Grantian, das Naͤm-
liche, und dieſer befolgte die Vorſchrift ſeines Va-
ters puͤnktlich, und ward dadurch deſſen wuͤrdi-
ger Nachfolger.


Meine Kumpanſchaft war zwar nicht im Stan-
de, meine Bemerkungen zu verſtehen, als ich aber
daher ging, ohne ein Wort zu ſprechen, fragte mich
einer, warum ich ſo ſtill einher ginge. Ich theilte
ihm alſo einige Nachrichten von dem Erbauer der
Stadt Grenoble mit, und er antwortete mit einem
[378]Youttre: Es iſt doch Schade, daß Gratian ein
Kaiſer war! So ein braver Mann haͤtte Volksre-
praͤſentant werden ſollen! — Der rohe Ohnehoſe
ſah die Kaiſerwuͤrde, als eine Laſt an, die er fuͤr
den redlichen Mann unwuͤrdig hielt. —


Bey der vorigen Bemerkung dacht ich zugleich
an das vortreffliche Buch des gelehrten und weiſen
Abrahams Teller, Valentinian der
Erſte
betitelt. Blos ein eudaͤmonianiſcher Di-
ſtelkopf, ein intoleranter, dominikaniſch-geſinnter
Pfaffe, ein theologiſcher Schulfuchs oder ein Vor-
ſteher ſolcher Inſtitute, die den Aberglauben zum
Grunde haben, ein Paſtor Rindvigius, ein Herr
von Goͤchhauſen zu Eiſenach und andre dieſes Ge-
lichters koͤnnen einen Theodoſius den Großen, ei-
nen Juſtinianus und andere ſchaͤtzen, wegen ihrer
Befehle gegen die Ketzer: aber jeder brave, einſich-
tige Mann wird die Religions-Intoleranz allemal
eben ſo, wie die politiſche Tyranney widerrechtlich,
grauſam und abſcheulich finden, und ihr, ſo viel
er kann, die Spitze biethen. — Ich ſegnete Hn.
Teller und trat mit meinen Ohnehoſen ein in
Grenoble.


Der Etapier verſicherte uns, daß er kein Brod
in Vorrath habe, und erſt gegen Abend einiges lie-
fern koͤnne: es ſey ein großer Trupp Ohnehoſen
eben erſt von da nach den Alpen gezogen, und ſo
[379] ſey alles vorraͤthige Brod darauf gangen. In drey
oder vier Stunden ſollten wir jedoch friſches haben.
Die Ohnehoſen murrten, und ließen ſichs gefallen.


Die Dauphiné oder vielmehr das Delphinat —
die dortigen Einwohner nennen es ſelbſt ſo — iſt ein
ſehr gebuͤrgiges, fatales Land, worin aber ſchoͤne
fruchtbare Gegenden ſind. Dort, wo Grenoble
liegt, iſt eine recht ſchoͤne Gegend, und wenns nicht
ſo kalt auf den Bergen geweſen waͤre, ſo haͤtte ich
wenigſtens die große Karthaus beſuchen moͤgen,
welche einige Stunden von da auf einem ſcheusli-
chen Gebuͤrge liegt. Sie iſt jezt ausgeleert, und
alle ſeltne Koſtbarkeiten ſind zerſtoͤhrt. Der h.
Bruno hat hier ehemals ſein Hauptweſen gehabt.
Auch iſt ein Arm von ihm da oͤffentlich verehrt wor-
den: denn ſein uͤbriger h. Leib liegt in Kalabrien.
Dieſer Arm hat ſonſt Wunder gethan, aber leider
konnte er am Ende des Jahres 1793 ſich von dem
Feuer, worin er verbrannt wurde, nicht retten.
Scilicet omne ſacrum gens importuna profanat,
Omnibus obſcuras injicit illa manus!
*)


Dieſe Karthaus war ſonſt, wie man mir in
Grenoble erzaͤhlt hat, ein ſehr wohlthaͤtiges Inſti-
tut, worin jeden Tag viele Arme geſpeiſet wurden.
[380] Aber zum Erſatz dafuͤr beſaß auch dieſe Karthaus
beynahe alles gute Land, alle Wieſen, Weinberge
u. ſ. w. auf einige Stunden im Umkraiſe. — Weil
es nicht wahrſcheinlich iſt, daß jemand auf den ein-
ſamen Gebuͤrgen dort die Karthaus in Zukunft be-
wohnen werde, und weil die Nation die Koſten des
Abreißens wohl niemals daran wenden moͤgte: ſo
wird dieſes weitlaͤufige Gebaͤude noch viele Jahr-
hunderte hindurch dem Reiſenden ein Dokument
des Aberglaubens und der aſcetiſchen Nachteulerey
bleiben.


Unter den Staͤdten in Frankreich giebt es ſehr
wenige, worin bey der gewaltſamen Revolution
nicht Blut gefloſſen waͤre: und zu dieſen wenigen
gehoͤrt Grenoble. Es ſteht oder ſtand zwar da-
mals eine Guillotine auf dem Markte, aber ſie
war — welches den Einwohnern dieſer guten Stadt
wahrlich Ehre macht — noch nicht gebraucht wor-
den.


Die Grenobler ſchienen mir uͤberhaupt durchaus
gutmuͤthige Leute zu ſeyn, wenigſtens nahmen ſie
uns alle recht freundlich auf, und theilten uns das
Ihrige mit, ohne daß wir ſie darum anſprachen.


Wir wurden auch hier in ein Kloſter einquar-
tiert, wo unſre Ohnehoſen beynahe eine Feuersbrunſt
erregt haͤtten. Wir hatten naͤmlich friſches Lager-
ſtroh erhalten, und das alte, worauf, wer weiß,
[381] wie viele Ohnehoſen ſchon gelegen hatten, in ein
Nebenzimmer geworfen. Dieſes Stroh ging in
der Nacht an, und wuͤrde gewiß das ganze Ge-
baͤude in Brand geſteckt haben, wenn man es nicht
ſchleunig geloͤſcht haͤtte. Einige von unſern Ohne-
hoſen badeten ſich hier in der Iſere, die durch
Grenoble laͤuft, und man gab vor, dieſes Waſſer
habe die Kraft, die Kraͤtze zu heilen. Ob das wahr
ſey, weiß ich nicht, aber das Waſſer der Iſere iſt
ſo helle, als ich mein Tage kein Flußwaſſer geſe-
hen habe.


Sechs und zwanzigſtes Kapitel.


Reiſe nach Avignon.


Unſer Marſch war eigentlich nach der italiaͤniſchen
Armee, oder nach der Alpen-Armee angelegt.
Mehrere Truppen der Revolutions-Armee waren
nach der Rhein-Armee, andere nach der Vendée
und einige nach der Pyrenaͤen-Armee geſchickt wor-
den. Die Abtheilung, bey welcher ich mich be-
fand, war nach der Alpen-Armee beſtimmt. Die
Volksrepraͤſentanten hatten naͤmlich, wie man
weiß, den Befehl erhalten, dahin zu ſehen, daß
die republikaniſchen Truppen, welche man in Eile
[382] zuſammengerafft hatte, ſo untergebracht und ver-
theilt wurden, daß die Ruhe des Staats nicht dar-
unter leiden duͤrfte; und niemand wird die deshalb
genommenen Maßregeln tadeln, der ſich nur halb
und halb einen Begriff von einer Sankuͤlotten-Ar-
mee machen kann. *) — Wir harrten auf die An-
kunft des Generals Laporte in Grenoble, aber wir
harrten vergebens. Endlich befahl der Kommiſſaͤr,
daß wir abziehen, und unſern Marſch auf dem ch[e]-
min d'étapes
nach Marſeille richten ſollten:
wahrſcheinlich wuͤrden wir auf Mont Dragon in
Garniſon kommen.


Wir gingen alſo ab auf den fatalſten Wegen
nach Valence zu. Auf den Bergen war es im-
mer formidabel kalt, und in den Thaͤlern gewaltig
heiß, ob gleich nur erſt der Februar anging. Auf
dieſem Wege kam ich mit einem einzigen Kamera-
den eines Abends an ein Dorf, und war willens,
nebſt ihm in die Dorfſchenke einzukehren. Allein
der Sankuͤlotte machte mich aufmerkſam, daß es
nicht rathſam ſeyn wuͤrde, indem wir zu ſchwach
[383] waͤren, einen Anfall von Mehreren abzuhalten, uns
den Bauren bey Nachtzeit ſo aufs Gerathewohl zu
uͤberlaſſen. Man koͤnnte nicht wiſſen, ob ſie nicht
vielleicht erſt kurz vorher von Leuten unſeres Glei-
chen ſeyen inſultirt worden, und ob ſie nicht auf
Gelegenheit lauern moͤgten, ſich zu raͤchen. *) Ich
uͤberdachte das, fand ſeine Vorſtellung vernuͤnftig;
aber die Nacht kam heran, und in der Nacht laͤßt
ſich in jenem gebuͤrgigen und flußreichen Lande,
wo Weg und Steg nicht leicht zu finden ſind, gar
ſchlecht weiter machen. Ueberdieß hatten wir noch
vier franzoͤſiſche Meilen nach Valence. Als
[384] wir nun uͤberlegten, was wir machen ſollten, wurde
mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche ge-
wahr, und that den Vorſchlag, hier zu uͤbernach-
ten. Wir gingen hin, fanden ſie aber verſchloſſen,
und hatten das Herz nicht, ſie mit Gewalt zu oͤff-
nen, um die Bauren nicht zu allarmiren. Wir ent-
ſchloſſen uns daher kurz und gut, und krochen ins
Veinhaus, ruͤttelten uns auf den Gebeinen etwas
zurecht, und ſchliefen ziemlich gut bis zum andern
Morgen.


Vorzeiten wuͤrde ich mich gefuͤrchtet haben, eine
Nacht an ſo einem Orte zuzubringen, aber damals
galt mir es voͤllig gleich. Die Todten haben mir
meine Freyheit gewiß auch ſo wenig uͤbel genom-
men, als es die Gaͤnſe uͤbel nehmen, wenn jemand
auf ihren ausgerupften Federn ſich hinſtreckt. Ueber-
bleibſel ſind Ueberbleibſel: dieſe von außen und
etwas bequemer, jene von innen und etwas hart;
aber wie der Hunger das beßte Gewuͤrz der Spei-
ſen iſt, ſo iſt Muͤdigkeit die beßte Foͤrderung des
Schlafes.


Die Bauren in dieſen Gegenden haben die Ge-
wohnheit, die Rinde eines gewiſſen Baumes,
deſſen Namen mir entfallen iſt, aufzuritzen, wie
man in einigen Gegenden die Birken aufrizt, und
reiben den herausdringenden Anſatz klein, vermi-
ſchen ihn dann mit Wein, und dieſer wird dadurch
[385] weit lieblicher. Die Leute nennen das Zeug Manne,
und machen mancherley Gebrauch davon. Ich aß
es gern zum Brode, und das iſt alles, was ich
daruͤber ſagen kann.


Das gemeine Volk im Delphinat iſt aͤu-
ßerſt einfaͤltig und aberglaͤubig, und daher wundert
es mich ſehr, wie die Revolution dort ſo ganz ohne
Unordnung und ohne vieles Blutvergießen hat zu
Stande kommen koͤnnen, zumal da man eben da,
wegen der vielen Gebuͤrge, und ungangbaren We-
ge gar wenig mit Gewalt erzwingen konnte. Aber
vielleicht hatte auch kein Land mehr von der Ty-
ranney des Adels und der Pfaffen gelitten, als das
Delphinat, und ſo waren die Leute nur froh, daß
ſie einmal von dieſem Uebel erloͤßt wurden. — Herr
Fiſch in ſeiner vortrefflichen Reiſe durch das ſuͤd-
liche Frankreich erzaͤhlt, daß in Languedoc gar viele
Maͤhrchen herumgehen, und daß er wuͤnſche, man moͤ-
ge ſie ſammeln, und von der Vergeſſenheit retten. *)
Vierter Theil. Bb
[386] Ich habe einige geſammelt; aber hier iſt ihr Ort
nicht.


Die Stadt Valence oder Valenza, wie die
gemeinen Leute ſprechen, erinnerte mich lebhaft an
den Caͤſar Borgia, welcher 1499 Herzog von
Valentinois ward. Ich fluchte ſeinem Andenken,
aber der Maͤtreſſe K. HeinrichsII, welche auch
den Namen einer Herzogin von Valence fuͤhrte,
vorher aber Diane de Portiers hieß, konnte ich meine
Bewunderung nicht verſagen, da ſie in einem ziem-
lich hohen Alter den wuͤſten Heinrich, der doch
weit juͤnger als ſie war, immer in ihrem Netze zu
halten wußte. — Ich weiß nicht, ob ich vielleicht
irre, wenn ich ſage, daß man auch die oͤdeſten Ge-
genden unterhaltend finden kann, wenn man ſie mit
vergangenen merkwuͤrdigen Begebenheiten oder
Menſchen, durch Huͤlfe der Geſchichte, zu beleben
weiß, oder ſie ſo — zu bereiſen, wie Herr von
Thuͤmmel. Aber —
Dicite Pierides, non omnia discimus omnes.


Als wir Valence verließen, war unſer ganzer
Trupp nur noch ohngefaͤhr 20 Mann ſtark: denn
aller Orten waren einige zuruͤckgeblieben, zu Hauſe
gangen, krank geworden u. ſ. w. Wir begaben
uns mit den Paͤſſen, die wir hier erhalten hatten,
uͤber Montelimart und Carpentras nach Avignon.


[387]

Unterhalb dem ruſigen Montelimart geht das
Comtat an, welches noch vor wenig Jahren ein
Eigenthum des h. Vaters zu Rom war, jezt aber
unter dem Namen des Departements von Vaucluſe
zu der franzoͤſiſchen Republik gezogen iſt. Bey
Avignon will ich von dieſem Gegenſtande mehr ſa-
gen.


Wir paſſirten auch das ehemalige Fuͤrſtenthum
Orange oder Oranien, wovon noch jezt die Linie von
Nauſſau-Diez den Titel fuͤhrt. Dieſes Land
fiel nach dem Tode WilhelmsIII, Koͤnigs von
England, an das preußiſche Haus, aber Fried-
rich WilhelmI. uͤberließ es gegen Erſatz an
den Koͤnig von Frankreich im Jahr 1713; doch be-
hielt Preußen den Titel und das Wappen von Ora-
nien bey. Preußen hat ganz recht gehabt, dieſes
Fuͤrſtenthum abzutreten: denn jezt waͤre es doch
ohne Widerrede verloren.


Carpentras — man ſpricht das s am Ende aus
— iſt eine alte unbedeutende Stadt, wo man aber
ein excellentes Glas Wein findet. Unſre Sankuͤlot-
ten waren mit den Einwohnern des Comtats ſehr
zufrieden, weil ſie groͤßtentheils fuͤr ihren Wein,
und ihre eingemachten Oliven nichts foderten.
Das Frauenzimmer in der Provence iſt vorzuͤglich
gut gewachſen, vollbuſig, und hat feine Geſichts-
zuͤge. Daß ich auf dieſen Gegenſtand wenig ach-
[388] tete, glauben meine Leſer, ohne daß ich es lange
verſichere: auch meine Kameraden, kuͤmmerten
ſich um das liebe Frauenzimmer faſt gar nicht.
Die Sprache war uns hier zu Lande ſehr unver-
ſtaͤndlich, da das Provenſaliſche gar weit vom aͤch-
ten Franzoͤſiſchen abgeht. Doch verſtanden uns die
Leute faſt durchgaͤngig, und Viele ſprachen auch
rein franzoͤſiſch.


Man findet in dieſem Lande viele Ueberbleibſel
der alten Roͤmer, welche es ehemals zu einer roͤmi-
ſchen Provinz gemacht hatten, und ihm den Na-
men gaben, welchen es, bis auf die Revolution
fuͤhrte. Eins der vornehmſten roͤmiſchen Ueber-
bleibſel iſt der Circus bey Orange, welcher,
wie man ſagt, dem großen Marius zu Ehren
erbaut iſt, der in dieſen Gegenden die Cimbrer und
Teutonen geſchlagen hat.


Uebrigens kann man es den Paͤpſten nicht ver-
denken, daß ſie ſich immer bemuͤht haben, das
Comtat zu erhalten, denn es iſt ein ſchoͤnes frucht-
bares Laͤndchen, worin vorzuͤglich guter Waizen,
Wein und andere Producte gezogen werden, z. B.
Oliven und Saffran. Mich haben die Rosmarin-
Hecken, womit die Straßen beſezt ſind, ſehr ver-
droſſen: denn ſie duften, fruͤh Morgens beſonders,
ſo ſehr, daß einem der Kopf wehe thut. Der Ros-
marin waͤchſt hier zu einer ſehr betraͤchtlichen Hoͤhe,
[389] bleibt aber immer Staude: einen Rosmarin-Baum
habe ich nicht geſehen. Hat alſo ein gewiſſer Hal-
liſcher Naturforſcher im Kollegio geſagt: in der
Provence gaͤbe es Rosmarinbaͤume ſo groß wie die
hoͤchſten Fichten — ſit fides penes auctorem.


Das ganze Land des Comtats war vor der Re-
volution voll Kloͤſter, heiliger Kapellen, Kruzi-
fixe und anderer Inſignien des Katholicismus. Al-
les dieſes iſt jezt zerſtoͤhrt. — Faſt in jeder Kirche
war ein Gnadenbild, und man fand haͤufig wun-
derthaͤtige Reliquien. Aber alle Wunderkraft war
nicht im Stande, den reißenden Strohm einer Re-
volution zu hemmen, die ſie zernichtete. Hier,
wo der Aberglaube gleichſam ſein Hauptweſen ſo
lange gehabt hatte, iſt er endlich auch gefallen. *)


[390]

Ohngefaͤhr im halben Februar — es mogte et-
wan der 12te ſeyn, ſoviel ich noch rechnen kann —
kamen wir nach Avignon, der Hauptſtadt des
ehemaligen paͤpſtlichen Gebietes, und wurden wie-
der in ein Kloſter einquartiert. Wo alſo vorzeiten
die Hauptpropagandiſten des Aberglaubens ihr
Brut-Neſt gehabt hatten, da logierten jezt deſſen
Beſtuͤ[r]mer. —


Wir fanden hier viele Ohnehoſen, auch einige
Kriegsgefangene und Deſerteurs von den Piemon-
teſern welche Unfug uͤber Unfug trieben, dafuͤr
aber auch tuͤchtig buͤßen mußten.


Den zweyten Tag nach unſrer Ankunft wollte
ich mit einem Haufen Ohnehoſen, welcher nach
Marſeille ging, auch dahin abgehen, allein der
Kommiſſaͤr war dawider. Es iſt wider das Geſetz,
ſagte er, daß du als auslaͤndiſcher Deſerteur der
Republik Kriegsdienſte leiſteſt, doch magſt du zum
Repraͤſentanten gehen, und wenn der's erlaubt,
ſo iſt mir es recht. Ich indeß hatte das Leben bey
den Ohnehoſen laͤngſt ſatt, und wollte alſo lieber,
ohne Dienſt, fuͤr mich leben, als mit ihnen noch
ferner herumziehen. Ich trennte mich daher von
meinen Kameraden, und logirte mich zu einem
Grobſchmid, welcher mich aus eigner Bewegung
aufnahm, und mir eine Stube einraͤumte, wie
man bald naͤher erfahren wird.


[391]

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.


Avignon.


Dieſe Stadt mit ihrem Gebiete war ehemals eine
freye Stadt oder eine kleine Republik, verlohr aber
ihre Freyheit, und Papſt ClemensVI kaufte
dieſe Stadt und das dazu gehoͤrige Land von Jo-
hanna, Koͤniginn von Sicilien und Graͤfin von
Provence, im Jahr 1348 fuͤr 80,000 Florenen.


Sie iſt im vierzehnten Jahrhundert ſehr beruͤhmt
geweſen, indem vom Jahr 1305 bis 1377 die roͤ-
miſchen Paͤpſte, an der Zahl ſieben, hier reſidirt
haben. Sie liegt an dem Rhone, worein hier
die Sorgue ſtuͤrzt, und iſt beſſer gebauet, als ir-
gend eine Stadt in der Provence. Ehemals hat
Avignon ſehr gebluͤhet durch den ſtarken Handel
mit gedruckter Leinwand, aber ſeitdem der h. Va-
ter, von den Lyonern beſtochen, ſeinen Untertha-
nen die Verfertigung der gedruckten Leinwand bey
Strafe des Bannes verboth, iſt die Nahrung die-
ſer Stadt ſehr verfallen, wird ſich aber bey der je-
tzigen Regierung gewiß wieder heben.


Vor der Revolution ſtand hier ein Erzbiſchof
mit großen Einkuͤnften, und noch außerdem ein
[392] paͤpſtlicher Legat, welcher meiſtentheils ein Kar-
dinal, war, und die ganze Landſchaft, ſo wie das
Comtat verwaltete. Auch war hier viel Adel und
eine ſehr zahlreiche Kleriſey. Zu Anfange der Re-
volution beſchloß Avignon, ſich mit Frankreich zu
vereinigen; aber der Papſt hatte hier noch viel An-
haͤnger, und ſo entſtanden einige ſehr blutige Auf-
tritte, wobey von beyden Seiten die abſcheulichſte
Barbarey veruͤbt wurde. Der Vicelegat rettete ſich
nur noch mit Muͤhe, und mehrere von ſeinen Be-
dienten wurden von dem raſenden Poͤbel ermordet
— wieder zum Beweiſe: daß die poſitive Sinn-
und Phantaſie-Religion das nicht iſt, worauf ein
Staat ſeine Sicherheit zuverlaͤßig berechnen kann.
Denn wer haͤngt der poſitiven Religion mehr an,
als der Poͤbel, und wer in Frankreich war grauſa-
mer, als er? — Alles Poſitive hat naͤmlich keinen
feſten Grund, indem ihn nicht einmal das hat, wor-
aus das Poſitive ſo oder ſo geglaubt wird — die
Bibel — und wenn man's durch dicta probantia u.
dgl. noch ſo ſcheinbarfeſt blokirt. Der Menſch, auch
der gemeinſte, iſt fuͤr Wahrheit und Recht ge-
macht. Fuͤr beyde hat jeder einen immer horchenden
Sinn. Tritt nun jemand auf, der dieſen Sinn gerade
und ehrlich zu treffen weiß, ſo ſtuͤrzt das Entgegen-
geſezte, und der Betrogne zuͤrnt jezt um ſo unver-
ſoͤhnlicher, je ſchaͤndlicher er ſich misbraucht ſieht;
[393] und Haß und Verfolgung iſt dann der Lohn fuͤr
alle die, welche ihn und ſein unbefangnes Zutrauen
ſo lange herumgehaͤnſelt und misbraucht haben,
gleichviel, ob im Politiſchen oder im Reli-
gioͤſen.


Es iſt hier, wie in der Freundſchaft. Mit je
mehrerem Zutrauen man ſich einem Freunde anver-
traut, und je inniger man ihn geſchaͤtzt und geliebt
hat, um ſo unverſoͤhnlicher verachtet man ihn, wenn
man hintendrein erfaͤhrt, daß er unſer Zutrauen
misbraucht hat, und Verraͤther an unſrer Ergebung
gegen ihn geworden iſt. Woher waͤre es ſonſt auch
gekommen, daß die hellern Koͤpfe in Italien und
Frankreich, die nach der katholiſchen Religion er-
zogen, unterrichtet und gebildet waren, in den Jah-
ren, worin ihre empfindende Natur, wie ihre er-
kennende, zur Reife kam, dieſe Religion weit bit-
terer beſtritten, als ihres Gleichen unter den Pro-
teſtanten in Deutſchland, Holland und England.
Auch muß man hier nicht uͤberſehen, daß die katho-
liſche Religion, als die poſitivſte, oder beſtimmte-
ſte, die ſinnliche Empfaͤnglichkeit weit mehr ſchaͤrft,
als jede minder poſitive. Iſt aber dieſe Empfaͤng-
lichkeit einmal habituel-ſubjectiviſch da, dann wirkt
ſie das Entgegengeſezte gerade ſubjectiviſch-ſtaͤrker
wenn das entgegengeſezte Objective ſtaͤrker auf ſie
[394] einwirkt: und das geſchieht, ſobald der Menſch das
Entgegengeſezte als beſſer und richtiger einſieht.


Dieß iſt wohl der wahre Aufſchluß, uͤber die
Graͤuel-Scenen in Frankreich. — O, moͤgten doch
alle Fuͤrſten, Theologen und Schul- und Kirchen-
lehrer dieß genauer pruͤfen, und dann von dem Irr-
glauben zuruͤckkommen, daß Wahrheit weniger be-
ruhige und beſelige, als Irrthum und Taͤuſchung!
Ehrlich waͤhrt am laͤngſten, iſt ein Sprich-
wort, das die Welt oder die Menſchen dann beſſer
und ruhiger machen wird, wenn es die Geſetztafel
aller Kabinette, Schulen und Kirchen geworden ſeyn
wird. Alles andere iſt wankendes Product des Des-
potismus, widerſpricht der natuͤrlichen Be-
ſtimmung des Menſchen, deren Erreichung durch
die buͤrgerliche erleichtert, aber nicht erſchwert,
noch weniger verdraͤngt werden darf, und fuͤhrt am
Ende dahin, wohin es in der Schweiz, in den Nie-
derlanden, in Nordamerika und in Frankreich ge-
fuͤhrt hat. —


Avignon kam eigentlich erſt im Jahr 1792
zur Vereinigung mit der franzoͤſiſchen Republik, un-
ter dem Namen des Departements von Vaucluſe,
zu Ehren des großen Franz Petrarca, welcher
in der Grotte zu Vaucluſe, fuͤnf franzoͤſ. Mei-
len von Avignon, ehemals ſeine Laura beſungen
hat. — Gegenwaͤrtig iſt alles ruhig in Avignon
[395] und zu meiner Zeit hatten die Jakobiner einen ſtarken
Klub darin, welcher alles, was von der ehemaligen
Tyranney der Paͤpſte uͤbrig war, zerſtoͤhrt hatte.


Ich habe mich in dieſer Stadt beſonders umge-
ſehen, weil ſie viel Intereſſe fuͤr mich hatte, da ich
mich an die alte hier ausgeuͤbte Hierarchie ſo recht
lebhaft erinnern konnte. Denn hier hat ClemensV
die Schaͤtze, die er den Tempelherren genommen hatte,
auf dem Schloſſe angehaͤuft. In Avignon ſtiftete
JohannXXII die roͤmiſche Dataria, die An-
naten, Reſervationen, Proviſionen und anderes
Teufelswerk, welches ihm 25 Millionen Gulden,
eine fuͤr jene Geldarme Zeit unermeßliche Summe,
einbrachte. In Avignon ſprach ClemensVI den
Bannfluch uͤber den tapfern Kaiſer, Ludwig den
Baier
, die Paͤpſte zu Avignon ſind alle in der
Geſchichte merkwuͤrdig. ClemensV, Johann
XXII, BenedictXII, Clemens
VI, Innocenz
VI, UrbanusV und GregoriusXI haben von
hier aus die Chriſtenheit, welche beſonders im 14ten
Jahrhundert ſo tief geſunken war, als ſie beynahe
ſinken konnte, gewaltig tyranniſirt; ja, einige von
ihnen haben ſogar die Menſchheit durch ihre großen
Laſter entehrt. Petrarca lebte damals, und ſchil-
derte den paͤpſtlichen Hof zu Avignon als eine Schule
der Laſter, einen Mittelpunkt der Irreligioſitaͤt,
des Atheismus, und des Aberglaubens. — Das
[396] alles wußte ich recht gut aus der Geſchichte, und
erinnerte mich an alle Graͤuel der paͤpſtlichen Herr-
ſchaft um ſo lebhafter, da ich mich an eben dem
Orte befand, wo ehedem ein großer Theil dieſer
Graͤuel veruͤbt war.


Der paͤpſtliche Pallaſt ſteht auf einem Berge,
und ſieht, wie Hr. Fiſch richtig bemerkt, einem
Zwingherrenſitz aus den Zeiten des Fauſtrechts
aͤhnlicher, als einer Wohnung des Oberprieſters der
Friedensreligion. Es iſt ein ſolides mit hohen
Thuͤrmen verſehenes altes Gebaͤude. Ehedem be-
wohnte es der paͤpſtliche Legat, doch ſtand der groͤßte
Theil der Zimmer leer. Bey der Revolution hat
das Feuer in dieſen heiligen Mauern vieles beſchaͤ-
diget; und als ich ſie beſah, waren ſie der Aufent-
halt des luͤderlichſten Geſindels, welches der Maͤre
von Avignon aus der Stadt in die paͤpſtliche Burg
verwieſen hatte. Die ſchamloſeſten Huren aus der
ganzen Gegend trieben alſo da ungeſcheut ihr ſchmu-
tziges Gewerbe, wo ehedem der Statthalter Chriſti
gewohnt hatte! Ein ſeltſamer Wechſel der menſch-
lichen Dinge!


Der Pallaſt des Erzbiſchofs iſt durch den Brand
ebenfalls ſehr beſchaͤdiget, und die Kathedralkirche
ſtark verwuͤſtet worden. Keine Seele bewohnte da-
mals den erzbiſchoͤflichen Pallaſt, als luſtiges Ge-
ſindel, welches ſonſt nirgends unterkommen konnte.


[397]

Es war auch ſonſt eine Inquiſition zu Avignon,
welche aber, wie man mir berichtet hat, niemanden
zum Tode verurtheilte, doch aber uͤber Buͤchercenſur
und andre aͤhnliche Fratzen zu ſagen hatte. Auch
dieſe fand in der Revolution natuͤrlich ihr Ende.


Da die Buͤrger zu Avignon ſich dem Papſte
entzogen hatten, ſo zernichteten ſie auch alles, was
an deſſen Regierung erinnern konnte. Der Thron,
worauf die alten Paͤpſte geſeſſen waren, wurde
vom Poͤbel zerſchlagen, ihre Grabmaͤler gaͤnzlich
zerſtoͤhrt, und ihre Knochenreſte hingeſchmiſſen.
Die vortrefflichen Gemaͤlde und die Inſchriften, wel-
che hier und da zuſehen waren, und wovon die Reiſe-
beſchreiber ſo viel berichten, ſind alle nicht mehr.
Auch hier ſind die Franzoſen ihrem Grundſatze treu
geblieben: daß man alle Symbole der politiſchen
und religioͤſen Tyranney zernichten muͤſſe, geſezt
auch, man muͤßte die groͤßten Meiſterſtuͤcke mitzer-
nichten, wenn man anders die von dieſer und jener
Tyranney herkommenden Uebel aus der Wurzel hei-
len wolle.


In der ehemaligen Franziskaner Kirche iſt das
Grab der beruͤhmten Laura, welche Petrarca's
Muſe unſterblich gemacht hat. *) Man wies mir
[398] den Ort, aber weder Grabmal noch Inſchrift konnte
ich unterſcheiden, weil viel Schutt ſie bedeckte.
Laura ſoll in einem bleiernen Sarge liegen. FranzlI,
Koͤnig von Frankreich hat das Grab dieſes ſchoͤnen
Maͤdchens oͤffnen, und ein von ihm ſelbſt zu ihrem
Lobe verfertigtes Gedicht hinein legen laſſen. Je-
derman in Avignon weiß von dieſem edel-liebenden
Paare, und doch hat man, wie ich gehoͤrt habe, zu
Vaucluſe dieſem feinen, großen und freyen Dich-
ter auch nicht das geringſte Denkmal errichtet, wohl
aber das ganze Laͤndchen mit Kapellen und andern
Pfaffen-Poſſen angefuͤllt. Haͤtte ich das geringſte
Sehenswuͤrdige zu Vaucluſe vermuthet, ſo waͤre
ich dahin gewalfartet: aber ſo mogte ich den Weg
dahin fuͤr nichts und wieder nichts nicht macheu.


Es iſt wohl keine Stadt in ganz Frankreich,
wo nach Verhaͤltniß der Groͤße mehrere Kirchen
und Kloͤſter ſind, als in Avignon. Von weitem
ſieht die Stadt aus, als waͤren lauter Kirchen dar-
in, wegen der vielen hervorragenden Thuͤrme. Aber
ſchon zu meiner Zeit fing man an, Kirchen, Thuͤrme
und Kloͤſter einzureißen, und Avignon ſieht ohne
Zweifel jezt nicht mehr ſo bethuͤrmt aus, als vorher.


Waͤhrend der Revolution oͤffneten diejenigen,
welche der eingefuͤhrten Regierung zuwider waren,
bey einem Auflauf die Gefaͤngniſſe auf dem Schloß-
berg; und die zahlreichen Gefangnen warfen ſich
[399] auf die, welche ſie fuͤr die Ueheber ihres Ungluͤcks
hielten, her, zerſtoͤhrten ihre Haͤuſer, mordeten ſie,
ihre Weiber und Kinder, und trieben allen Unfug,
den man von Gefangnen erwarten kann, die ſo
anomaliſch in Freyheit geſezt werden.


Es giebt in Avignon viele Juden, denen aber,
wie ich oben erwaͤhnt habe, der oͤffentliche Gottes-
dienſt auch verboten iſt, und die gleich den Chri-
ſten, mit ins Feld ziehen muͤſſen. Vorzeiten wurden
dieſe Leute hier ſehr bedruͤckt, und durften des
Abends nach acht Uhr nicht ausgehen, oder jeder
Chriſt hatte das Recht, ihn auf alle moͤgliche Art
zu mishandeln. Wenn ein Jude gehenkt wurde,
ſo hatten ſie ihren eignen Galgen jenſeits des Rhone;
denn die Regierung hatte den Grundſatz, daß es ſich
fuͤr einen Galgen-Chriſten nicht ſchicke, neben einem
Galgen-Juden an Einem und demſelben Galgen
zu haͤngen. Jezt aber ſind alle Galgen, Raͤder
und Rabenſteine in ganz Frankreich abgeſchafft.


Ehemals ging eine Bruͤcke hier uͤber den Rhone,
welche Villeneuve, die in dem Rhone liegende
Inſel und Avignon miteinander verband, und bey-
nahe 800 Schuh lang war. Sie hatte 19 Bogen,
iſt aber jezt unbrauchbar und verfallen. Aber man
wird, wie ich gehoͤrt habe, dieſes nuͤtzliche Werk des
zwoͤlften Jahrhunderts jezt wieder herſtellen, weil
man keine Kloͤſter, Kapellen u. dgl. mehr zu bauen
[400] oder zu unterhalten hat. Die Bruͤcke ſoll vom h.
Benezet, einem armen Schaͤfer, herruͤhren, von
welchem die Legende gar viel zu erzaͤhlen weiß.


Das Comtat und die Stadt Avignon muͤſſen
jezt ſehr viel gewinnen, da ſie nun mit dem uͤbri-
gen Frankreich frey handeln koͤnnen. Unter der
vorigen Regierung war das nicht ſo: denn da muß-
ten alle Waaren, welche im Comtat verfertigt wur-
den, und alles Getraide, Wein, Oehl, Saffran,
und was ſonſt von dort ausverfahren wurde, ſchwer
verzollt werden. Aber das Unweſen mit dem Zoll,
der Acc[iſe] u. ſ. w. hat laͤngſt aufgehoͤrt.


Die Einwohner zu Avignon ſind im ganzen
brave, freundliche Leute, weit hoͤflicher, als die im
Delphinat, obſchon auch dieſe ein ehrlicher Schlag
Menſchen ſind. Ich wenigſtens wuͤrde ſehr un-
dankbar ſeyn, wenn ich den Avinioneſen nicht das
Zeugniß einer großen Hoſpitalitaͤt geben wollte.


Als ich vom Kommiſſaͤr zuruͤck kam, der mich
an den Repraͤſentanten gewieſen hatte, welcher
damals in Avignon auf Miſſion war, ging ich,
noch ungewiß, was ich thun ſollte, in ein Wein-
haus, und wechſelte da im Stillen, weil das nicht
gut oͤffentlich anging, einen halben Carolin gegen
Papier. Der Wirth, welcher mir gewogen ward,
weil ich ihm baares Geld brachte, ruͤhmte mich
oͤffentlich in der Stube gegen ſeine Gaͤſte, als ei-
[401] nen braven Mann, ob er mich ſelbſt gleich erſt ſeit einer
Minute kannte. Die Gaͤſte unterhielten ſich mit
mir, und ich erzaͤhlte ihnen manchesmeiner Aben-
theuer, welches ihnen zu gefallen ſchien. Unter
andern war ein Grobſchmied da, ein Mann von ohu-
gefaͤhr funfzig Jahren, Namens Neulot, der mehr
als die uͤbrigen ſich mit mir einließ, und mir end-
lich ſeyu Haus anbot, wo ich, ſo lange ich in
Avignon bleiben wuͤrde, wohnen koͤnnte. Ich nahm
dieſes Anerbieten mit Freuden an, und zog gleich
den folgenden Tag bey Neulot, welcher ohnweit
des Rhone ſein Haus hatte, ein. Ich habe in
dem Hauſe dieſes braven Mannes viel Gutes ge-
noſſen, und manche frohe Stunde gehabt; und bin
durch ihu mit mehreren bekannt geworden, welche
mir auch manches Vergnuͤgen gemacht haben.


Er misbilligte meinen Vorſatz, mit den Ohne-
hoſen weiter herum zu ziehen, und oͤffnete mir uͤber
ſie die Augen merklich. Die Armee revolutionnaire
iſt eine Ruthe, ſagte er, womit die Rebellen ge-
zuͤchtigt werden mußten. Da aber die Rebellion
jezt ein Ende hat, ſo darf dieſe Armee nicht weiter
exiſtiren, die nur Unordnung verbreiten wuͤrde. Er
bewies mir hierauf, daß ich wohl thun wuͤrde,
wenn ich mich ganz ruhig verhielte, und dasjenige
annaͤhme, was die Republik den fremden Gefang-
Vierter Theil. C c
[402] nen und Deſerteurs beſtimmt haͤtte. — Neulok
hatte recht: ich meldete alſo dem Kommiſſaͤr mei-
nen Entſchluß, fuͤr mich zu bleiben; und von die-
ſem Tage an erhielt ich taͤglich 1½ Pfund Brod und
10 Sous an Geld, nebſt noch zwey Sous fuͤrs
Quartier, da ich bey einem Buͤrger, und nicht in
einem Nationalgebaͤude wohnte.


Neulot ließ mich taͤglich mit ſich eſſen, und
nahm mich faſt alle Abende mit ins Weinhaus, wo
ich unter dem Namen grand Pruſſan (Pruſſien) ſehr
bekannt war.


Ich habe es ſchon geſagt, daß man aller Orten
Leute antrifft, welche uns gern helfen, wenn wir
in der Noth ſind; und der Satz: „res Sacra miſer
eſt,
“ ſcheint den Menſchen ins Herz geſchrieben zu
ſeyn. Gegen Einen Hartherzigen finden ſich
zehn Gutmuͤthige: Dieß habe ich ſo oft und an ſo
manchem Orte erfahren: denn was erfaͤhrt der nicht,
qui mores multorum vidit et urbes! Aber wir muͤſ-
ſen huͤbſch ohne Anſpruch kommen, und nichts als
Schuldigkeit fodern, was nur guter Wille iſt.
Ohne Praͤtenſion koͤmmt man ſehr leicht durch die
Welt, aber ſchwer, wenn ſich Stolz, Zudring-
lichkeit, Impertinenz, Ungenuͤgſamkeit und die
Sucht, bequem zu leben, mit der Duͤrftigkeit ver-
binden: und dann erſt iſt der Menſch im eigentlich-
ſten Verſtande elend und ungluͤcklich. Der iſt frei-
[403] lich ein Narr, welcher zu Fuße geht und Waſſer
trinkt, wenn er fahren und Wein haben kann: al-
lein wenn kein Wagen zu haben iſt, ſo muß man
gehen, und wer keinen Wein hat, muß mit einem
Trunk Bier oder Waſſer zufrieden ſeyn; ſonſt iſt er
auch ein Narr, und verdient ausgelacht, nicht
aber unterſtuͤzt zu werden. Sollten einige meiner
Leſer in die Umſtaͤnde kommen, worin ich ſo oft ge-
weſen bin: ſo moͤgen ſie ſich dieſen Wink merken;
und es wird ſie niemals reuen. Sie werden auf
dieſe Weiſe das Boͤſe beſiegen, und da und dort
werden ſie etwas Gutes finden, welches ſie um ſo
mehr freuen wird, je weniger ſie es verlangt, oder
erwartet haben. Und wer kann heute ſagen, in
welche Lage er Morgen kommen kann! —


Ich half meinem Neulot fleißig in ſeiner
Schmiede, zog den Balg, und ſchlug auch mit zu,
wenn er grobes Eiſen ſchmiedete. Das gefiel ihm
und ſeiner Frau; und dieſe machte mir, um mir
ihren Dank zu zeigen, oft warmen Wein, woran
die Leute ſehr gewoͤhnt ſind, ob ſie ihn gleich durch
das Waͤrmen verſchlimmern.


Zu Villeneuve jenſeits des Rhone bin ich auch
einigemal mit meinem Neulot geweſen, und kriegte
hier einmal einen heftigen Zank uͤber die Frage: ob
[404] der Adel ſchon an ſich ein Verbrechen ſey, und ob
man jeden, der adelich ſey, fuͤr einen Feind der Re-
publik halten koͤnne? Mein Gegner behauptete die-
ſen Satz gerade hin, ich aber beſchraͤnkte denſelben
ſehr. Als wir nicht einig werden konnten, ſtand
er endlich auf und ging mit den Worten: Citoyen,
es ſcheint, daß auch du ein — Edelmann biſt! In
Deutſchland ſoll ſo unter jedem Strohdach ein ſol-
ches Inſekt hauſen; du biſt alſo wohl auch einer
von dieſen ſacrès mâtins. Und dahin ging er.


Wir blieben, und es entſtand eine intereſſante
Unterredung uͤber die relativen Maßſtaͤbe, wonach
einzelne Menſchen und ganze Voͤlker Ehre und
Schande, und Verdienſt und Verbrechen abmeſſen.
In Frankreich iſt Adel jezt Schande und Verbre-
chen, und war ſonſt hohe Ehre, hohes Verdienſt,
aͤrger als in Deutſchland. — Ob uͤbrigens ein Sou-
veraͤn berechtigt ſey, einen Adelſtand, als einen
erblichen Mittelſtand, zwiſchen ſich und den
uͤbrigen Staatsbuͤrgern zu gruͤnden, dieß unterſu-
chet Kant, und betrachtet den angeerbten Adel
(nach Art einer angeerbten Profeſſur) als ein Ge-
dankending, ohne alle Realitaͤt, und ſagt: „Was
das Volk (die ganze Maſſe der Unterthanen) nicht
uͤber ſich ſelbſt und ſeine Genoſſen beſchließen kann,
das kann auch der Souveraͤn nicht uͤber das Volk
[405] beſchließen: — folglich iſt angeerbter Adel — ein
widerrechtlich ertheilter Vorzug. *)


Die wenigen Wochen, welche ich in dieſer ehe-
maligen paͤpſtlichen Reſidenz zubrachte, gingen
mir unter vielen Vergnuͤgungen hin, wozu die Gut-
muͤthigkeit des Grobſchmieds Neulot, und der herr-
liche wohlfeile Wein das meiſte beytrug.


Ehe ich in meiner Erzaͤhlung weiter gehe, muß
ich meinen Leſern eine Idee von der Lage der aus-
laͤndiſchen Deſerteurs in Frankreich beybringen, da-
mit ſie einſehen, warum ich bey den Ohnehoſen oh-
ne Erlaubniß des Repraͤſentanten nicht ferner blei-
ben ſollte. Freilich wird mancher Leſer es nicht
gern ſehen, daß ich den Faden der Geſchichte ſo
oft durch Ausſchweifungen unterbreche: aber da ich
keinen Roman ſchreibe, und mehr unterrichten, als
unterhalten will: ſo wird mir der, welcher mehr
Unterricht, als Unterhaltung ſucht, meine Neben-
gaͤnge, die doch immer zur Kenntniß der neuern
Begebenheiten in Frankreich, oder zu deren ver-
nuͤnftigen Beurtheilung gehoͤren, auf alle Faͤlle
wenigſtens zu gute halten.


[406]

Acht und zwanzigſtes Kapitel.


Von den fremden Deſerteurs in Frankreich.


Jeder Kriegfuͤhrenden Macht iſt daran gelegen,
daß des Feindes Soldaten brav ausreißen: denn
nichts bringt mehr Unordnung und Unzuverlaͤſſig-
keit in eine Armee, als haͤufige Deſertion, und
dieſe wird eben darum dem Gegentheil allemal ſehr
vortheilhaft. Es war daher auch den Franzoſen
im geringſten nicht zu verargen, daß ſie alle An-
ſtalten trafen, um die Soldaten ihrer Feinde zur
Deſertion zu verleiten. Es iſt dieſes freilich eine
Sache, die blos der Krieg und die Abſicht, den
Genuß der Menſchen-Rechte allgemeiner zu ma-
chen, eutſchuldigen kann.


Schon in Champagne ſtreuten die Franzoſen
Zettel aus, worin den Preußen und Oeſtreichern al-
lerhand Vortheile verſprochen wurden, wenn ſie ſich
zu ihnen begeben wuͤrden. Ich habe oben ſo einen
Zettel eingeruͤckt. Aber in Champagne ſchlug dieſe
Aufforderung wenig an, am wenigſten bey den Preu-
ßen. *) Eben ſolche Zettel hatte auch Cuͤſtine in
Deutſchland ausſtreuen laſſen.


[407]

Die Vortheile, welche der Nationalkonvent den
Ueberlaͤufern anboth, waren folgende:


1.) Sollten ſie gleich bey ihrer Ankunft 50 Li-
vres bekommen, und eben ſo gehalten werden, wie
die franzoͤſiſchen Soldaten.


2.) Sollten ſie eine jaͤhrliche Penſion von 200
Livres erhalten.


3.) Sollten ſie zu allen Militaͤrdienſten und
militaͤriſchen Bedienungen faͤhig ſeyn; auch durch
erzeigte Dienſte das Buͤrgerrecht erhalten.


4.) Ihre Weiber und Kinder ſollten nach ih-
rem Tode verſorgt werden.


Das waren ſo die vorzuͤglichſten Vortheile, wel-
che der Konvent den Ueberlaͤufern verſprach, und
auch allen redlich hielt bis auf das Ende des J. 1793,
aber jezt nur noch denen haͤlt, welche durch treue
Dienſte ſich dieſer Wohlthaten wuͤrdig machen, wie
ich weiterhin zeigen werde.


Dieſe Anſtalt des Nationalkonvents war auf
den natuͤrlichen Trieb des Menſchen nach Freyheit
und Verbeſſerung ſeiner Lage angelegt; aber zu
einer Zeit, wo es nur wenigen in den Kopf wollte,
daß Frankreich vermoͤgend bleiben wuͤrde, ſich ſelbſt
zu retten, vielweniger diejenigen, die auf dieſe Auf-
foderung dorthin hinuͤbergingen. Wenn aber der
Convent in den Ueberlaͤufern helle Einſicht und brave
Geſinnungen erwartete: dann betrog er ſich ſehr,
[408] und bewies, daß diejenigen, welche zu ſolchen De-
kreten gerathen hatten, mit dem Deſerteursweſen
wenig bekannt waren.


Der engliſche Obriſt Tyrimble macht in ſeiner
Reiſe durch Spanien, bey Gelegenheit der Garde
Valonne
, welche der Koͤnig von Spanien haͤlt,
und die aus lauter Deſertoͤren beſteht, die ganz
richtige Bemerkung: „daß ſolche Leute eine veraͤcht-
liche Kanalje ſeyen.“ Er hat recht; denn obgleich
mancher ehrliche Soldat aus guten Gruͤnden ſeinen
Kriegsherrn verlaſſen kann, ſo bleibt es doch im
allgemeinen wahr, daß die meiſten Ueberlaͤufer
ſchlechtes Geſindel ſind. Aber das bedachten die
Franzoſen nicht: denn bey der ehemaligen franzoͤ-
ſiſchen Armee waren gar keine Deſerteurs, und bey
ihren deutſchen Regimentern nur wenige. Der Ge-
nius dieſer Leute konnte ihnen alſo nicht ſehr bekannt
ſeyn.


Der Antrag der Franzoſen wirkte erſt im Jahr
1793: denn von da an liefen von allen Armeen,
vorzuͤglich von der Kaiſerlichen, die Soldaten hau-
fenweiſe nach Frankreich, wo man ſie mit offnen
Armen aufnahm, und ihnen ſofort die verſproch-
nen 50 Livres auszahlte. Manche gingen auf meh-
rere Diſtrikte, gaben ſich allerwegen fuͤr erſt ange-
kommene aus, und ließen ſich drey, vier und mehr-
malen das Geld auszahlen. Ich ſelbſt habe viele
[409] dieſer Buben geſprochen, welche ſich ruͤhmten, in
Landau, Weißenburg, Hagenau, Strasburg, Pfalz-
burg und Metz die 50 Livres erhalten zu haben.


Man errichtete Bataillons aus lauter Deſertoͤren
unter dem Namen Bataillons étrangers. Es wurden
auch Huſaren-Regimenter aus Ueberlaͤufern errich-
tet: ſo groß war die Anzahl derſelben in Frankreich!
Als man hernach dieſe Leute auf die Graͤnzen brachte,
flatterten ſie wieder ab, wie ſie gekommen waren.
Freilich gingen ſie nicht wieder zu derjenigen Armee,
wobey ſie vorher geſtanden hatten, aber da man,
troz des allgemeinen Cartels, den die Verbuͤndeten
geſchloſſen hatten, doch jeden aller Orten annahm,
der nur wollte, und, ohne weiter nachzufragen, das
glaubte, was er von ſeiner vorherigen Exiſtenz angab:
ſo war es z. B. einem oͤſtreichiſchen Deſerteur et-
was ſehr leichtes, bey den Preußen, Hollaͤndern,
Heſſen u. ſ. w. gleich wieder anzukommen.


Aber das war noch lange nicht alles! Als Tou-
lon und Lyon ſich der Republik widerſezten, war-
fen ihrer ſehr viele ſich mit in dieſe Staͤdte, und
ſtritten nun gegen die Nation, welche ſie ſo groß-
muͤthig aufgenommen hatte. Die Rebellen gaben
dieſen Leuten ſehr gute Subſiſtenz und guten Gold,
und ſo fanden ſie bey ihnen ihr Behagen beſſer, als
im Dienſte der Republik.


Viele, gar ſehr Viele ſchlichen auch nach der
[410]Vendée, wohin ſie der beruͤchtigte Gaſton durch
Manifeſte eingeladen hatte. Es lag auch gleichſam
in den Grundſaͤtzen dieſer Leute, lieber gegen Frank-
reich, als fuͤr Frankreich zu ſtreiten. Ein Oeſtrei-
cher z. B. ein Piemonteſer, ein Spaniol und ſonſt
eifrige Katholiken, die ihre Meſſe, ihren Roſen-
kranz und ihr Marienbild, troz aller Immoralitaͤt,
fuͤr die groͤßten Heiligthuͤmer hielten, mußten in
Frankreich, wo man ſchon 1792 ſehr vieles an ihrer
Religion geaͤndert hatte, und dieſe im Jahr 1793
ganz abſchaffte, nichts als Graͤuel der Verwuͤſtung
ſehen, und ſich fuͤr ewig verdammt halten, wenn
ſie fuͤr das Intereſſe eines ſo gottloſen Volkes fech-
ten wuͤrden.


Dem Konvente konnte dieſes Unweſen nicht lange
unbekannt bleiben, und es wurden bald Dekrete ge-
macht, demſelben abzuhelfen. Erſtlich ſollte man
keine fremden Deſerteurs in die franzoͤſiſchen Armeen
weiter aufnehmen; die wirklich angeſtellten aber
ſollten alle nach der Armee gegen Spanien und zur Re-
volutions-Armee geſchickt werden, damit der Deſer-
tion geſteuert wuͤrde. Nachdem aber Lyon und Toulon
wieder in die Haͤnde der Republikaner gekommen war,
verabſchiedete man die Auslaͤnder auch bey denen Ar-
meen, welche man zur Eroberung dieſer Plaͤtze ge-
braucht hatte. Doch befinden ſich bey allen franzoͤſi-
ſchen Truppen noch manche Auslaͤnder, welche ihren
[411] Dienſt ehrlich verrichten, und darum als National-
Franzoſen gehalten werden.


Gegen das Ende des J. 1793 hob der Konvent
auch die Penſion auf, die den Deſerteurs war ver-
ſprochen worden, und ließ ihnen fernerhin nichts,
als die Subſiſtenz der Kriegsgefangnen.


Indeſſen ließ man doch den fremden Deſerteurs
alle buͤrgerliche Freyheit: wer arbeiten wollte oder
konnte, durfte alles treiben, womit er etwas zu ver-
dienen hoffte; und es iſt beynahe kein Dorf in
ganz Frankreich, wo nicht Deſerteurs waͤren, welche
den Bauern aushelfen, oder Handwerke treiben.
Sehr viele haben in Frankreich geheurathet, und
ſind Buͤrger geworden, genießen auch alle Vorrechte
der Nationalen, und erhalten noch immer ihre taͤg-
liche Subſiſtenz von der Nation.


Die Auffuͤhrung der meiſten Deſerteurs war,
wie man ſie von ſolchem Geſindel nur erwar-
ten konnte, das heißt, uͤber allen Begriff ſchlecht
und infam. Das ſogenannte Luderleben ſchien
ihre einzige Kunſt zu ſeyn, und ich werde weiterhin,
wenn ich von den Deſertoͤren in Dijon, wo zu mei-
ner Zeit einige Tauſend waren, zu reden komme,
einige frappante Beyſpiele von dem verfluchten Be-
tragen dieſer Schurken anbringen.


Es giebt in Frankreich jezt eine doppelte Klaſſe
Deſerteurs: ſolche, die der Republik gedient haben,
[412] z. B. bey der Revolutions-Armee, aber nachher
verabſchiedet worden ſind; und andere, die ihr nie-
mals gedient haben. Erſtere wurden zu meiner
Zeit gehalten wie Invaliden, d. i. ſie erhielten noch
außer ihrer Subſiſtenz ihre Kleider, und hatten
gute Quartiere; leztere aber mußten mit der blo-
ßen Nahrung zufrieden ſeyn, ob ihnen gleich auch
dann und wann Kleider gereicht wurden, wenn
ſie gar zu ſehr abgeriſſen waren. Zu ihrem Lager
hatten ſie blos Strohſaͤcke und Friesdecken, und wa-
ren in ehemaligen Kloͤſtern einquartiert.


Dieſe Menſchen bemuͤhten ſich haͤufig, weil
ſie einmal an das Herumſchwaͤrmen gewoͤhnt wa-
ren, Frankreich zu verlaſſen; und Vielen iſt es auch
gegluͤckt, nach der Schweiz und von da aus, wei-
ter zu kommen. Aber da die Graͤnzen, beſonders
unter der Domination der Jakobiner, wegen der
Emigranten, ſtark beſezt waren, ſo wurden gar
Manche wieder aufgefangen, und zuruͤckgebracht.
Ihre Strafe war dann ein Arreſt von 8, oder 14
Tagen, ja von einem ganzen Monat. Ich werde
von dieſen Verſuchen zur Flucht einige Beyſpiele
in der Folge anfuͤhren.


Ich las einmal in dem Journal de Perlin, daß
mehr als 40,000 Deſerteurs in Frankreich waͤren,
und das war gar nicht zu viel angegeben, wenn
man bedenkt, daß die Meiſten, welche in dem je-
[413] tzigen Kriege von allen Armeen der Coalition weg-
gelaufen ſind, ihre Zuflucht nach Frankreich ge-
nommen haben. Man nehme nun an, wie's denn
wirklich war, daß jeder taͤglich 1½ Pf. Brod und
10 Sous Geld erhielt, ſo koſteten die Deſerteurs
der Republik taͤglich 60,000 Pf. Brod und 5000
Thaler Preußiſch. Wenn dann das Pfund Brod
zu fuͤnf Sous gerechnet wird, und geringer
kann es nicht angeſchlagen werden, wegen der
damaligen Theurung, ſo koſteten die Deſerteurs
jeden Monat 262,500 Thaler, ohne das Holz,
Stroh, Decken u. dgl. was dieſen Leuten gegeben
wird, und ohne die Beſoldung, welche ihren Auf-
ſehern noch außerdem gereicht werden muß. Es iſt
daher gewiß, daß die franzoͤſiſche Republik mehrere
Millionen zur Erhaltung der fremden Deſerteurs
hat hergeben muͤſſen, welche ihr weiter keinen Vor-
theil brachten, als daß ſie nicht wider ſie ſtritten.


Im Sommer 1794 wurde dem Konvent der
Vorſchlag gethan, die fremden Deſerteurs ſamt
und ſonders aus dem Lande zujagen, um auf ein-
mal dieſer Laſt los zu werden. Aber dieſer Vor-
ſchlag wurde verworfen, weil in dieſem Fall die
feindlichen Heere ſehr ſtarken Zuwachs erhalten
haͤtten, und beſonders, weil zu befuͤrchten war,
daß die Deſerteurs ſich in die Gebuͤrge werfen, und
dort Raͤuberbanden machen wuͤrden. Dafuͤr fand
[414] man fuͤr gut, denen unter den Deſerteus, welche
in Laͤndern zu Hauſe waͤren, die entweder mit der
Republik in Verbindung ſtaͤnden, oder ſich neutral
verhielten, zu erlauben, in ihr Vaterland zuruͤck
zu kehren. Alſo hatten die Schweden, Daͤnen,
Schweizer, Polen, Venetianer, u. a. die Frey-
heit, Frankreich nach Belieben zu verlaſſen, nur
mußten ſie beweiſen koͤnnen, daß ſie da wirklich zu
Hauſe waren. Einige ſchrieben daher um ihren
Taufſchein, Andere aber machten ihn ſelbſt, oder
ließen ihn machen: und ſo kam mancher heraus.
Nach dem Sturz der Jakobiner gab man auch auf
den Graͤnzen nicht mehr ſo ſtark Acht auf die Aus-
wanderungen, und nun ſchlichen ſich Viele ohne
Paͤſſe nach Brabant, nach der Schweiz und nach
Italien.


Die Franzoſen achten die Deſerteurs nicht, da
ſie ihnen von einer ſo ſchlechten Seite bekannt ge-
worden ſind. Ich habe viele daruͤber ſprechen hoͤ-
ren, und alle behaupteten, daß ein Menſch, der
ſeinem Herrn ohne dringende Noth untreu wuͤrde,
uͤberhaupt ein elender Menſch ſey, der das Ver-
trauen der Republikaner nicht verdiene. Doch wa-
ren ſie auch billig genug, um einzuſehen, daß man-
cher ehrliche Kerl ſeine guten Gruͤnde haben koͤnne,
ſeine Fahnen zu verlaſſen; und ſo einer durfte ſich
nur auf der guten Seite zeigen und brav handeln,
[415] um das Vertrauen der Franzoſen in vollem Maße
zu genießen. Beſonders waren die beliebt, welche
in Fabriken, Werkſtaͤtten, oder auf dem Felde ar-
beiteten, und ſich dadurch nuͤtzlich zu machen ſuch-
ten.


Es iſt aber grundfalſch, was in einigen deut-
ſchen Zeitungen geſtanden hat, daß man die De-
ſerteurs in Frankreich zu den allerniedrigſten Arbei-
ten anhalte, und ſie auf alle Art mishandle. Dieſe
Nachrichten ſind wahrſcheinlich verbreitet worden,
um das Ausreißen bey den deutſchen Armeen zu
verhindern. Aber zur Steuer der Wahrheit muß
ich bekennen, daß kein Deſerteur angehalten wurde,
irgend etwas zu arbeiten, wenn er ſelbſt nicht wollte,
noch weniger, daß man ſie, wie in den deutſchen
Zeitungen erzaͤhlt wurde, zur Reinigung der Ab-
tritte und zum Gaſſenkehren gezwungen, mit Stock-
ſchlaͤgen traktirt, oder ſonſt mishandelt habe. Das
alles iſt grundfalſch, uns der Quelle wuͤrdig, wor-
aus es gefloſſen iſt.


Es war allerdings von den Franzoſen uͤbereilt,
daß ſie den feindlichen Ueberlaͤufern ſo große Vor-
theile zuſagten, oder man muͤßte die Vorausſetzung
bey ihnen annehmen, daß dieſe große und feierliche
Zuſage die feindlichen Armeen durch Deſertion auf-
loͤſen und ſchwaͤchen und ſie dadurch bald zum Frie-
den bequemen wuͤrde, und daß die Nation alsdann
[416] an Kriegskoſten das erſparen koͤnnte, was die De-
ſertoͤre ihr beym Eintreffen koſteten. Dieſe Vor-
ausſetzung war aber zu ſehr gegen den Geiſt der da-
maligen Zeit und der feindlichen Heere, als daß ſie
zur Wirklichkeit haͤtte kommen koͤnnen. Sie kam
auch nie, jener Berechnung gemaͤß, ganz dahin,
wohl aber nach und nach großentheils; und die
Nation gab anfangs, was ſie verſprochen hatte,
puͤnktlich. Aber Leute, die ſich ſo betrugen, wie
die Deſerteurs in Frankreich, — konnten auch gar
nicht erwarten, daß man ihnen die verſprochnen
Wohlthaten forthin noch ſo reichen ſollte, wie man
ſie ihnen verſprochen hatte. Freilich mußte der
Unſchuldige mit dem Schuldigen leiden: aber wie
ſollte man unter einem Haufen ſolcher Erzſchufte
den braven redlichen Mann gleich heraus finden!
Wer ſich ſelbſt herausfand, genoß der Gunſt der
Nation, war angeſehen und geehrt, und ſeine La-
ge war ſehr ertraͤglich.


Indeſſen wurde, ſobald der Deſerteur der Huͤlfe
der Nation wirklich bedurfte, kein Unterſchied mehr
gemacht, ob er ein Schuft oder ein rechtſchaffner
Mann war. Der kranke Deſerteur wurde eben ſo
im Hoſpital gewartet und verpflegt, wie der beſte
franzoͤſiſche Volontaͤr oder Offizier: denn in Frank-
reich gilt blos der Menſch, und ſo wurde er
blos als Menſch behandelt, der den Beyſtand ſeiner
[417] Bruͤder noͤthig hatte. Vor Gericht war der Deſer-
teur eben ſo angeſehen, wie ein Buͤrger; und ich
weiß mehrere Faͤlle, wo Deſerteurs ihre Sache ge-
gen Buͤrger gewonnen haben. Die Klagen wider
die Fremden wurden nicht ſo, wie ſonſt wohl
zu geſchehen pflegt, als gegruͤndet gleich angenom-
men, ſondern erſt aufs genaueſte nach dem gemei-
nen Rechte der Franzoſen unterſucht, aber die Stra-
fen waren allemal weit gelinder, als ſie wuͤrden ge-
weſen ſeyn, wenn Franzoſen die Beklagten geweſen
waͤren. Man hat in Frankreich nicht mehr den haͤß-
lichen Grundſatz, welchen Cicero aus den Zwoͤlf-
Tafel-Geſetzen anfuͤhrt: contra hoſtem (d. i. pere-
grinum) perpetua auetoritas,
und welchen man in
ſo manchen Laͤndern noch ſo huͤbſch befolgt, daß es
jedem Auslaͤnder Angſt ſeyn muß, ſich daſelbſt auf-
zuhalten. Man bedenke nur, wie man unter an-
dern mit den Fremden in Rußland verfaͤhrt, wenig-
ſtens ſonſt verfuhr unter der Regierung Katharina,
der Zweyten.



[418]

Neun und zwanzigſtes Kapitel.


Meine Ruͤckreiſe von Avignon nach Lyon.


Nachdem ich ohngefaͤhr neun Tage in Avignon
zugebracht hatte, wurde eine große Anzahl Kriegs-
gefangner Piemonteſer daſelbſt eingebracht. Unter
dieſen waren viele Deutſche, auch einer meiner
Landsleute, von Werrſtadt gebuͤrtig. Er war
vor noch nicht langer Zeit in kaiſerliche Dienſte ge-
treten, war aber da weggelaufen zu den Piemon-
teſern, und nun ohnweit Nizza gefangen worden.
Dieſer Menſch erzaͤhlte mir ſo viel Gutes und Ruͤhm-
liches von dem Heldenheer Sr. Majeſtaͤt von Sar-
dinien, den Robespierre den petit roi Sarde
nannte, daß ich leicht einſah, dieſes Heer wuͤrde in
alle Ewigkeit gegen die Franzoſen nichts ausrichten,
wie es denn auch nichts ausgerichtet hat.


Gleich den andern Tag gingen einige Piemon-
teſer nach Miradel, einem ehemals paͤpſtlichen
Schloſſe auf einem Berge, eine ſtarke Stunde von
der Stadt, wo ich auch ſchon geweſen war, und
wo man Wein haben konnte. Als ſie ſich
voll geſoffen hatten, gingen ſie fort, kehrten
aber zuruͤck, als es finſter war, pluͤnderten den
[419] Wirth rein aus, fuͤllten ihre Brodbeutel mit Speck
Brod und Weinflaſchen, und fluͤchteten ſich in die
Gebuͤrge, um nach der Schweiz oder nach Italien
zu entwiſchen. Aber einige Gensd'armes,
welche das Gebuͤrge durchſtreiften, hielten ſie an,
und brachten ſie zuruͤck. Sie wurden ſofort auf vier
Monate eingeſteckt.


Der Repraͤſentant befahl nun, daß man alle
Kriegsgefangnen und Auslaͤnder weiter ins Innere
von Frankreich bringen ſollte, um ſie von der zu na-
hen Graͤnze mehr zu entfernen: denn von Avignon
nach den Alpen iſt es gar nicht weit; und wer ein-
mal in dieſen Gebuͤrgen iſt, und den Weg weiß,
kann leicht nach Italien kommen, obgleich der,
d[e]r keine Wege kennt, immer Gefahr laͤuft, ſich zu
verirren und Hungers zu ſterben.


Die Gefangnen ſollten nach Toulouſe gebracht
werden, und der Kommiſſaͤr wollte mich mit dahin
ſchicken. In Toulouſe findeſt du auch Preußen,
ſagte er, aber ich wußte, daß nur Spanier und Sar-
dinier da waren. Auch hatte ich keine Luſt, mit
den Piemonteſern zu gehen, in deren Geſellſchaft
es mir gar nicht gefiel. — Ich ſtellte alſo dem
Kommiſſaͤr vor, daß mich der Hauptmann Lan-
drin, deſſen Zeugniß ich ihm vorwies, deswegen
nach Mâcon empfohlen haͤtte, damit ich Dienſte
bey der Republik haben koͤnnte. Da nun dieſes
[420] nicht anginge, und ich mich ſelbſt von den Ohne-
hoſen getrennt haͤtte, ſo waͤre es doch billig, daß
er mich wieder zu meinen alten Kameraden gehen
ließe. Du haſt recht, erwiederte der Kommiſſaͤr:
Du wirſt ohne Zweifel deine Preußen in Mâcon,
oder in Langres, oder in Dijon oder da herum
finden: in Lyon kannſt du das Naͤhere hoͤren: und
dahin will ich dir einen Paß geben. Das ge-
ſchah.


Mein ehrlicher Grobſchmied war mit meiner Ab-
reiſe nicht zufrieden. Da ich einige Kenntniß vom
Gartenbau hatte, ſo meynte er, ich koͤnnte in Avig-
non ganz gut fortkommen, wenn ich nur gaͤrt-
nern wollte, und duͤrfte nicht, wie ein Landſtreicher
herumfahren. Aber meines Bleibens war nicht
mehr!


Ich brachte die lezte Nacht in Geſellſchaft mei-
nes Wirthes und einiger anderer Bekannten in der
Weinſchenke zu und gieng fruͤh mit einem ſchweren
Torniſter, den mir die Wirthin mit Speck, Brod,
einer Branteweinsflaſche und Oliven gefuͤllt hatte,
und, betruͤbt, eine Stadt zu verlaſſen, wo mir es
gut gegangen war, fort auf Carpentras zu, und
kam gegen Abend nach Orange, wo der Etape
war.


Meine Zuruͤckreiſe nach Lyon war eben nicht
merkwuͤrdig. Ich ging uͤber Montelimart,
[421]Valence und Vienne, aber nicht uͤber Greno-
ble, wohin mein Paß nicht wies, den man genau
befolgen muß, wenn man nicht als Vagabunde
angehalten ſeyn will. Ich hatte groͤßtentheils den
reißend-laufenden Rhone zur Linken. Ich gab mich
auf den Doͤrfern und in den kleinern Staͤdten fuͤr einen
Kriegsgefangnen aus, und hatte das Vergnuͤgen
zu ſehen, daß alle Leute Mitleid mit mir hatten,
und mir gern unentgeldlich Brod, Wein und Oliven in
Menge mittheilten. Auf dieſe Art wollte ich, ohne
jemals Noth zu leiden, durch ganz Frankreich ge-
zogen ſeyn. Wenn ich irgend einmal, wegen der
boͤſen Wege auf den Ort des Etapes nicht kommen
konnte, ſo ſprach ich den erſten beſten Baner um ein
Nachtquartier an, und kein einziger hat mir
dieſes verſagt, vielmehr machte jeder ſich eine Freude
daraus, mich zu beherbergen und zu bewirthen. Be-
ſonders wohlthaͤtig fand ich diejenigen, deren Kinder
in der Armee dienten: ſie meynten, daß ſie ver-
bunden waͤren, nothleidenden Auslaͤndern beyzuſte-
hen, denn wer koͤnnte wiſſen, ob nicht in eben dem
Augenblick auch ihre Kinder der Huͤlfe beduͤrften.


Das war Sprache der Natur, die den Feind
vergeſſen mach[t], ſobald ſeine Lage auf den Men-
ſchen in ihm hinweißt. Dieſe humane Sprache
ſollte man — zumal zur Zeit des Krieges — zum
Beßten der ungluͤcklichen Schlachtopfer deſſelben,
[422] noch eindringender und verſtaͤndlicher zu machen
ſuchen, und nicht ſie noch verwirren und ſchwaͤchen
wollen, wie der Verfaſſer der Wanderungen
es zu thun verſucht hat. Ihr, die Ihr als Kriegs-
gefangne, ſo gute Menſchen in Frankreich gefunden
habt, Ihr ſchaͤmet euch gewiß wie ich, wenn Ihr
nach eurer Zuruͤckkunft hoͤr't, wie unmenſchlich an
ſo manchem Orte man ſogar die mit dem Tode rin-
genden franzoͤſiſchen Kriegsgefangnen behandelt hat.
O Herder, o ihr Verfaſſer des Kosmopoliten:
in Deutſchland — in Deutſchland fehlt es noch ſehr
an Humanitaͤt! Humane Menſchen giebt es
unter uns genug, aber auch humane Regierungen
viele? — Wahrlich diejenige, welche man ſo haͤufig
kanibaliſch genannt hat, war es in der erwaͤhnten
Ruͤckſicht durchaus nicht! Zeugen fuͤr dieſe Wahr-
heit ſind mehrere Tauſende unter uns da: man frage
ſie, und — erroͤthe!


O moͤgten doch alle unſere Schriftſteller zur
Foͤrderung der Humanitaͤt, es ihr Hauptaugenmerk
ſeyn laſſen, „„den Geiſt der Humanitaͤt erſt de-
„„nen einzufloͤßen, ohne deren Humaniſirung die
„„Humaniſirung der Uebrigen, wenn nicht un-
„„moͤglich, doch unendlich ſchwer gemacht wird!““
Denn was hilft es, ſagt der Herausgeber der
Sammlung erbaulicher Gedichte, oder
des Zuchtſpiegels fuͤr die politiſchen Vampyrs,
[423] was hilft es, die Zweige eines Baumes auf die
ſchoͤnſte Art zuzuſtutzen, und doch nicht zu ſorgen,
daß deſſen Wurzel und Stamm am Krebsſchaden zu
kranken aufhoͤre! Die Geſundheit des Ganzen haͤngt
von der Geſundheit aller deſſen Theile ab, aber
vorzuͤglich von der Geſundheit der Haupt-
theile. Siechen dieſe; ſo ſiechet alles Uebri-
ge.“ *)


Wie geſagt, ich fand ſehr gute, wohlthaͤtige
Menſchen, nur verſtand ich die Leute nicht immer
recht, wegen ihres ganz eignen Dialekts. — Ich
habe mich oft uͤber diejenigen gewundert, welche
die einzig-aͤchte Ausſprache des Franzoͤſiſchen be-
ſtimmen wollen, da doch jede Provinz, ja, beynahe
jede Stadt ihre eigne hat, — das patois abgerech-
net, welches ohnehin eine verdorbene Sprache iſt.
In Deutſchland kann ein Weſtphaͤlinger und ein
Pfaͤlzer recht gut deutſch ſprechen, und doch werden
ſie beyde niemals ſprechen, wie der Sachſe, oder
[424] der Brandenburger. Eben ſo iſt's auch in Frank-
reich; und wenn ſonſt nur die Ausſprache rein und
ohne Mistoͤne iſt, ſo kann, ſo muß man ſie ſchon
ertragen. D. Bahrdt vertheidigte die ſaͤchſiſche
Ausſprache, und ſprach doch ſelbſt: niſcht.


Zu Ende des Februars kam ich nach Lyon zu-
ruͤck, und hoͤrte vom Kommiſſaͤr, daß ich weiter
muͤßte, es ſtaͤnde mir aber frey, wohin ich wollte:
ſein Rath indeß waͤre, ich ginge nach Dijon in
Burgund, deun da gaͤbe es ſehr viele Deutſche, und
auſſerdem waͤre Dijon der wohlfeilſte Ort weit und
breit. Ich verſprach, mich zu beſinnen, und bath
ihn, er moͤgte mich ausruhen laſſen, welches er
auch that. Seine Frau bemerkte, daß meine Schuhe
abgeriſſen waren, und bewog ihn, mir ein Paar
neue zu geben.


In Lyon oder wie es damals noch hieß, in
Commun[e] affranchie, hatten die ſcheuslich-
ſten Exekutionen jezt aufgehoͤrt, und alle die waren
gefallen, welche ſich des Verbrechens der Rebellion
ſchuldig gemacht hatten. Man hat die Anzahl
der hier Hingerichteten ſehr verſchieden angegeben,
man kann aber immer annehmen, daß ſie ſich zum
mindeſten auf 1700 belaufen habe. General Rou-
ſi[n] war dahin geſchickt worden, und hatte das ſchreck-
liche Schauſpiel ausgefuͤhrt.


[425]

Als ich dießmal da war, hatte zwar das Guil-
lotiniren ein Ende, das heißt, man richtete die
Leute nicht mehr ſo haufenweiſe hin, obgleich noch
dann und wann Einzelne ſterben mußten, und die
Unterſuchungen noch immer fortgingen: denn in
Lyon ſaßen noch ſehr Viele als verdaͤchtig, und Lyon
hatte ein außerordentliches Revolutions-Tri-
bunal.


Ich muß hier in der Kuͤrze einiges von dieſem
Tri[bu]nal anbringen, um falſchen Begriffen vorzu-
beugen, die man ſich davon machen koͤnnte. Nach
der erſten Anordnung ſollte nur in Paris, und nir-
gend anders ein Revolutionstribunal exiſtiren, das
iſt, ein Gerichtshof, wo Verbrechen gegen die Grund-
geſetze des Staats unterſucht und beſtraft werden
ſollten. Aber bald ergab ſichs, daß das Revolu-
tions-Tribunal in Paris nicht hinreichte, wegen
der uͤberall zunehmenden Revolutionsverbrechen.
Alſo wurden ſolche Gerichtshoͤfe aller Orten errich-
tet, wo ſie nach der Meynung der Volksrepraͤſen-
tanten, und nach dem Gutachten der Jakobiner noͤ-
thig waren. Sie ſollten aber der Natur ihrer Ein-
richtung und Beſtimmung gemaͤß keine permanen-
ten Tribunale ſeyn, ſondern gleich aufhoͤren, ſobald
die traurige Veranlaſſung vorbey waͤre, die ſie noth-
wendig gemacht haͤtte. Ihre Organiſation hing
lediglich von den Repraͤſentanten ab, und dieſe al-
[426] lein waͤhlten ihre Beyſitzer. Viele Departementer
hatten gar keins, doch gab es ihrer in den meiſten.
Die vornehmſten waren zu Strasburg, Beſançon,
Dep. von Doux, Lyon, Bourdeaux, Nantes,
Toulou, Marſeille, Reunes, und an andern
Orten. Das heiligſte war freylich immer das
Pariſer, doch ſind in Nantes, unter der Admini-
ſtration des blutduͤrſtigen Carrier, mehr Grau-
ſamkeiten vorgefallen, als ſelbſt in Paris und Bour-
deaux, wo man doch auf einmal 96 Prieſter, die
nicht ſchwoͤren wollten, guillotinirte.


Schon im Maͤrz 1794 wurde das Anſehn oder
die Gewalt der Revolutionstribunale ſehr verringert,
und endlich fielen ſie ganz mit dem Tod des Ro-
bespierre. Doch davon muß ich weiterhin aus-
fuͤhrlicher reden.


Lyon hat nach dem Sturz der Jakobiner ſeinen
alten Namen wieder erhalten, ſo wie Toulon und
Marſeille. Dieſes leztere hatte den ſchnurrigen
Namen: ſans nom.


Ich fand in Lyon einige von den Ohneſen, wel-
che ich vor einigen Wochen hier gekannt hatte, und
die ſich ſehr wunderten, daß ich zuruͤckkaͤme. Ich
erzaͤhlte ihnen meine ganze Begebenheit, und da
meynten ſie, es koͤnne nicht fehlen, es wuͤrden ge-
wiß wieder foutus muſcadins rebelliren, und zu Paa-
[427] ren getrieben werden muͤſſen: dann ſollte ich nur
auch kommen; ich koͤnnte Offizier werden!


Ich ging mit einigen Ohnehoſen Abends in eine
Schenke, an einem Dekadentage; aber noch jezt
wuͤnſche ich, ich waͤre damals nicht mitgangen: denn
ich habe die boͤſen Folgen dieſes Ganges uͤber zwey
Jahre an meinem Koͤrper gefuͤhlt. Einige meiner
Leſer, beſonders die ſuperklugen, — wenn anders
ſuperkluge Leute mein Buch ihrer Aufmerkſamkeit
wuͤrdigen ſollten — werden die wichtige Bemerkung
machen, daß ich an meinem Ungluͤck ſelbſt Schuld
geweſen ſey, da ich ohne Noth die Schenke beſucht
habe. Aber wenn die Herren bedenken wollen, daß
ich ſchon viel hundertmal in die Schenken gegangen
war, ohne daß mir das geringſte Uebel begegnet
waͤre, ſo werden ſie von ſelbſt einſehen, daß die
Schenke und mein Unfall nicht nothwendig zuſam-
menhingen, und mir es dann auch nicht uͤbel neh-
men, daß ich zu Lyon mit den Ohnehoſen zu Wei-
ne ging.


In dem Weinhauſe waren mehrere Ohnehoſen
und andre Leute, welche ſich, wie damals vor-
zuͤglich gewoͤhnlich war, mit den Hiſtorien des Ta-
ges unterhielten, und eben die Zeitung geleſen hat-
ten, worin die Fortſchritte der republikaniſchen
Waffen beſchrieben waren. Sie waren alle mun-
ter, und tranken auf nichts, als auf das Wohl-
[428] ſeyn der Republik. Ich miſchte mich in ihr Ge-
ſpraͤch, und machte meine Sache ſo gut, daß ſie
mir das Zeugniß gaben: ich ſey, troz meiner deut-
ſchen Geburt, wuͤrdig, ein citoyen François zu
ſeyn, und die Waffen der Freyheit zu fuͤhren.


Unter andern war ein gewiſſer Offizier da, ich
glaube, er hieß La Salle, der mir ſtark zutrank,
auch ſelbſt ſchon einen derben Rauſch weghatte,
und mitunter gewaltig auf die Feinde der Republik
loszog, denen er nichts als Tod und Verderben
prophezeihte. Ich ließ ihn immer reden, und wider-
ſprach erſt, als er anfing, die fremden Soldaten
als feige Memmen, und Hunzfoͤtter darzuſtellen.
Da aber konnte ich mich nicht mehr halten, und
ſagte ihm gerade heraus: wer ſo raͤſonnirte, habe
noch keinen Preußen geſehen: das ſeyen auch Maͤn-
ner, ſo gut als die Franzoſen.


Er: Das iſt nicht wahr: die Deutſchen ſind
Tyrannen-Sklaven ſo gut als die Spanier, die Hol-
laͤnder und die Piemonteſen.


Ich: Gut: aber laß ſie fuͤr ihre Freyheit, fuͤr
ihr Vaterland erſt einmal auftreten; und du ſollſt
ſehen, daß ſie ihren Mann ſtellen.


Er: Aber nur nicht wie die Franzoſen! fouttre!
Die Deutſchen ſind Memmen, und laſſen ſich von
ihren Fuͤrſten treiben und verkaufen, wie das
Schlachtvieh.


[429]

Ich: Citoyen, hole mich der Teufel, wenn
ich mich jezt nicht zu den Fremden rechnen muͤß-
te —


Er: (hitzig) Nun, was willſt du damit ſagen,
Citoyen?


Ich: Ich wuͤrde dir das Maul ſtopfen, und
den Muth der Deutſchen vertheidigen.


Er: (ſehr lebhaft) Nun wohl, vertheidige
ihn!


Ich: Ich habe keinen Degen.


Er: Da ſieht mans! Weil du keinen Degen
haſt, ſo willſt du uns weis machen, du haͤtteſt
Courage, dich mit mir zu meſſen. Geh, trink und
halt das Maul!


Einer aus der Geſellſchaft: Sacrè mâtin!
hoͤre, ich will dir nur ſagen, daß du gleich gehen,
und Degen holen mußt! Wenn alsdann der Frem-
de keinen Muth hat, ſich mit dir zu ſchlagen, ſo
haſt du recht; wenn du aber keine Degen hohlſt,
ſo halt' ich dich fuͤr einen Zaͤnker, der ſich nicht
getraut, ſeine Haͤndel auszumachen. Verſtehſt
du mich?


Er: (aufſtehend) Sollen gleich welche da ſeyn:
nur ein wenig Geduld!


Er ging fort, und ich erwartete ihn ohne Furcht
zuruͤck. Vielleicht trug der Wein, der damals mei-
nen Kopf beherrſchte, das Seinige nicht wenig bey,
[430] daß ich meinen Mann ſo unbefangen zuruͤck erwar-
tete. Endlich nach einer halben Stunde kam er,
und brachte zwey Degen von gleicher Laͤnge, wor-
aus er mich einen waͤhlen hieß. Ich nahm den
erſten beſten, und ohne weiter zu bramarbaſiren,
ſogar ohne Sekundanten, welche uͤberhaupt in
Frankreich nicht Mode ſind, gingen wir hinter das
Haus in den Mondſchein, und fingen an, auf ein-
ander einzufechten. Mein Gegner war geſchick-
ter als ich, und beym dritten oder vierten Ausfall
ſtieß er mich vorn in die Bruſt, daß ich ruͤcklings
zu Boden fiel, und alles Beſinnen verlohr.


Als ich wieder zu mir kam, lag ich ſchon in
der Wirthsſtube auf einem Lehnſeſſel. Meine Klei-
der und ſogar mein Hemde waren ausgezogen, und
meine Wunde gewaſchen, und mit einem großen
Stuͤck Schwamm bedeckt, doch lief das Blut noch
immerfort in meine langen Hoſen.


Endlich kam der Chirurgus, den mein Gegner
herbeygehohlt hatte, unterſuchte die Wunde, und
verband mich mit dem ausdruͤcklichen Befehl, mich
in ein Bette zu legen, und ruhig zu bleiben: Fruͤh
wollte er wieder kommen. Mein Gegner verſicherte
ihn, daß er mich im Hauſe der Buͤrgerin — ihr
Name iſt mir entfallen — ohnweit dem Wirths-
hauſe finden wuͤrde, und bath ihn ſehr, ja fruͤh wie-
der zu kommen: er wolle alles bezahlen u. ſ. w.
[431] Ich wurde wirklich von vier Franzoſen, wobey der
Offizier, der mich verwundet hatte, ſelbſt war,
in ein Buͤrgerhaus gebracht, und in ein recht gutes
Bette hingelegt.


Dreißigſtes Kapitel.


Folgen meines Duells. Reiſe nach Dijon.


In den neuen franzoͤſiſchen Geſetzen iſt das ſtrenge
Geſetz der Koͤnige gegen die Schlaͤgereyen gar nicht
aufgehoben; vielmehr dictirt der neue Criminal-
Codex denen die haͤrteſten Strafen, welche ſich
ſelbſt Genugthuung ſchaffen, und nicht die Huͤlfe
der Geſetze auffodern, wenn ſie beleidiget werden.
Demohnerachtet fallen ſowohl bey den Armeen, als
in den Staͤdten ſehr viele Zweykaͤmpfe vor, und
ich erinnere mich wenigſtens nicht, daß ich von
Beſtrafung ſolcher Duellanten je gehoͤrt haͤtte. Es
ſcheint ſo in der Natur dieſes Volkes zu ſeyn, daß
ſie die Duelle gutheißen, und daher keine Klagen
gegen die Beleidiger der Gegengeſetze anbringen.
Wer ſich in Frankreich ſchlaͤgt, wird fuͤr einen
Mann von Ehre gehalten, und wer bey gewiſſen
Beleidigungen ſich nicht herumbalgen wollte, wuͤr-
[432] de der Gegenſtand der allgemeinen Verachtung ſeyn;
wenigſtens wuͤrde es einem jungen Manne, der ent-
weder wirklich Waffen traͤgt, oder doch ſie zu tra-
gen im Stande iſt, nimmermehr vergeben werden,
wenn er einen Duell verbitten wollte. So iſt die
Denkungsart der franzoͤſiſchen Nation noch jezt:
ob ſie recht oder unrecht habe, kann und will ich
nicht ausmachen, muß aber doch bekennen, daß
ich Faͤlle erlebt habe, wo es ſchlechterdings nicht
anging, einen Zweykampf zu vermeiden, ohne ſich
dem Vorwurf der Feigheit und der allgemeinen Ver-
achtung auszuſetzen.


Ich will indeſſen meinen Duell in Lyon ganz
und gar nicht entſchuldigen, und bekenne gern, daß
er ſich niemals zugetragen haͤtte, wenn mein Kopf
durch den Trunk nicht heroiſch geworden waͤre. Ich
hatte gar keinen Beruf, die Tapferkeit der Deut-
ſchen in einem Lande zu vertheidigen, wo ich die
Ehre der Koͤnige nicht haͤtte um alles vertheidigen
moͤgen: denn auf Apologien dieſer Art ſtand da-
mals der Tod.


Den andern Tag fruͤh war der Chirurgus *)
wieder da, unterſuchte abermals die Wunde,
[433] und ſagte, ſie ſey nicht gefaͤhrlich: waͤre ſie aber nur
etwas tiefer gegangen, ſo waͤre ich foutu u. ſ. w.
Der gute Mann hat ſich ſehr viel Muͤhe mit mir
gegeben.


Meine Wirthin war eine recht brave Frau, die
mich ſehr bedauerte und alles that, was ich nur
begehrte: ſie gab mir ſogar Wein zu trinken, ob
es gleich der Wundarzt aufs ſtrengſte verboten hatte.
Der Offizier beſuchte mich recht fleißig und brachte
immer gute Freunde mit, die er verſicherte, ich ſey
ein braver Kerl, ich habe Courage, wie ein Fran-
zoſe: fechten muͤßte ich nur noch lernen, dann
wuͤrde kein ſacrè mâtin mir zu nahe kommen duͤrfen.
Dann bedaurte er, daß er mit mir Haͤndel ange-
fangen haͤtte, ſchob alle Schuld auf den Wein,
und ich vergab ihm nicht nur, ſondern freute mich
noch — warum? weiß ich ſelbſt nicht — daß ich
mich mit einem Ohnehoſen geſchlagen hatte. Man
iſt zuweilen recht kindiſch ſonderbar!


Meine Wunde beſſerte ſich zuſehends durch die
Bemuͤhung des Arztes, und ſchon am 4ten oder
5ten Tage konnte ich außer Bette ſeyn, und her-
umgehen, aber das Haus zu verlaſſen — wollte
er durchaus nicht zugeben. Die Zeit ward mir aber
ſehr lange: denn meine meiſte, angenehmſte und
nuͤtzlichſte Beſchaͤftigung in Frankreich war, alle
Vierter Theil. Ee
[434] oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen und da den Debat-
ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeſchlaguen
Zettel an den Ecken der Straßen zu leſen, oder in
Weinſchenken mich mit Leuten von Kopf zu unter-
halten, um das jetzige Frankreich, ſoviel als moͤg-
lich war, kennen zu lernen, auch die Maſchinerie
genau zu erforſchen, wodurch es das geworden iſt,
was es jezt iſt, u. dgl. Dieſe Art von pſycholo-
giſch-politiſchem Studium trieb ich von Ort zu
Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geſchichte,
und fand dabey ſoviel Unterhaltung, daß es mir
zum Beduͤrfniß geworden war. Dieſes Beduͤrfniß
konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir-
thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich
allein; und wenn ſie auch da war, ſo wußte ſie
doch wenig zu erzaͤhlen.


Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entſchloß ich
mich, Lyon zu verlaſſen: meine Freunde, die Oh-
nehoſen, verſicherten mich, ſolche Wunden heilten
von ſelbſt, wenn man nur Pflaſter darauf legte.
Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hoſpital
gehen ſollte, weil ſie befuͤrchtete, mein Aufenthalt
in ihrem Hauſe moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen.
Ich entdeckte meinen Vorſatz dem Arzte, der ihn
aber ſtracks verwarf, und mir rieth, mich im La-
zarethe vollends kuriren zu laſſen. Der Mann
[435] hatte recht, und ich hatte ſehr unrecht, daß ich ihm
nicht folgte.


Mein Gegner wollte mich zwar ins Hoſpital
bringen, aber bey dem allen ſchien es mir doch,
daß er lieber ſehen moͤgte, daß ich mich abfuͤhrte.
Der Tag zu meiner Abreiſe wurde alſo beſtimmt.
Der Offizier ſchenkte mir ein Hemde und ein Paar
Struͤmpfe: — die meinigen hatte ich ſchon laͤngſt
in den Gebuͤrgen des Delphinats weggeſchmiſſen,
— dann nahm er meine Schreibtafel, und ſteckte
60 Livres Papier hinein. Meinen Namen ſchrieb
er ſich ſorgfaͤltig auf, und verſicherte mich, daß er,
wo er mich finden wuͤrde, alles Moͤgliche zu mei-
nem Vergnuͤgen thun wollte. Gern, ſezte er hinzu,
gaͤbe er mir mehr Aſſignate, aber die 60 Livres
ſeyen alles, was er habe: er habe ſie ſogar ſelbſt
borgen muͤſſen. — Ich habe uͤber dieſen Mann nie-
mals boͤſe ſeyn koͤnnen, und ſchied mit Thraͤnen
von ihm.


Auf dem Wege ſah ich mich oft nach der un-
gluͤcklichen Stadt um, welche noch vor wenig Mo-
naten eine der ſchoͤnſten und bluͤhendſten in Europa
war, nun aber die fuͤrchterlichſten Spuren des buͤr-
gerlichen Krieges jedem Auge darbot. Es ging
mir damals, wie vorzeiten dem Servius Sul-
pitius, welcher bey dem Anblick der zerſtoͤhrten
Staͤdte Athen, Korinth, Maͤgara und Agina ſich
[436] wunderte, daß der Menſch noch ſo thoͤrig ſeyn,
und den Verluſt eines einzelnen Menſchen fuͤr et-
was großes, und der Bemerkung wuͤrdiges finden
koͤnnte. Die grauſame Unwaͤlzung in Frankreich hat
deutlich genug gelehrt:
— — — humanis quae ſit fiducia rebus!


Ich brachte zwey Tage zu, um nach Mâcon
zu kommen. Den erſten Tag gings friſch weg:
es war das herrlichſte Wetter. Aber am andern
Tage hatte ich große Muͤhe, mich nach dem alten
Mâcon hinzuſchleppen. Meine Wunde ſchmerzte
mich ſehr, und bey jedem Schritte fuͤhlte ich die
ſchrecklichſten Stiche. Ich kehrte oft in die Doͤr-
fer ein, wo mich die Leute beklagten, und mir im-
mer Wein geben wollten; aber ich dankte.


In Mâcon meldete ich mich bey dem Kommiſ-
ſaͤr, der mir zwar auf einen Tag Quartier gab, mich
aber in kein Spital bringen konnte, weil in Mâ-
con damals keins war. Uebermorgen ſollſt du,
ſagte er, nach Challons gefahren werden: es ſind
noch mehr Kranke hier, die dahin ſollen. Ich blieb
alſo in Mâcon, genoß aber die ganze Zeit nichts,
als einige Glaͤſer Wein, die ich gerade nicht haͤtte
trinken ſollen. Mein Wirth kaufte mir mein Brod
und Fleiſch ab, weil ich es nicht brauchen [ko]nnte.


Ich hatte von Mâcon nach Challons noch drey
Soldaten zu Begleitern, welche auch unterwegs
[437] erkrankt waren, und zu Challons ins Spital ſollten.
Wir fuhren auf einem republikaniſchen Waͤgelchen
d. i. auf einem Karren von zwey Raͤdern, der mit
einer leinenen Plane bedeckt war. Als wir den
andern Tag zu Challon ankamen, war das daſige
Spital ſo beſezt, daß keiner mehr hinein konnte.
Der Kommiſſaͤr ſchwur hoch und theuer, daß er
uns nicht helfen koͤnne, und daß er es bedaurte,
daß wir weiter muͤßten. In Dijon ſeyen vier Ho-
ſpitaͤler, und da ſey auch der Hauptſammelplatz al-
ler Kranken von weit und breit: dahin muͤßten wir
auch. — Er ließ uns aber fuͤr die Nacht gut ein-
quartiren, ließ uns durch den Medikus unterſuchen,
uns Arzney geben, und den andern Tag fruͤh nach
Dijon fahren, wo wir denn auch Abends um 8 Uhr
ankamen.


Die Krankenfuhren in Frankreich ſind eine Art
Frohndienſt, — wenn man anders Dienſte fuͤr die
leidende Menſchheit Frohndienſte nennen kann —
welche unter keinem Vorwande abgelehnt werden
duͤrfen. An wem die Reihe in einem Dorfe oder
in einer Stadt iſt, der muß fahren und das auf
der Stelle, oder er muß doch ſorgen, daß gefah-
ren werde. Aber in Deutſchland habe ich gefun-
den, daß man zwar die Vorſpanne fuͤr die Equi-
page eines Herrn Offiziers, einer gnaͤdigen Frau,
einer Maͤtreſſe, eines Kammerdieners prompt ge-
[438] nug herbey ſchaffen muß, daß aber auch die Kran-
ken oft liegen bleiben, bis ſie der Hinſchaffung in
die Hoſpitaͤler nicht mehr beduͤrfen. Was iſt hier
kanibaliſch, was human? —


Zu Dijon brachte man uns in dasjenige Hos-
pital, welches im ehemaligen Carmelitinnen-Klo-
ſter angelegt iſt, und zu Ehreu des in Lyon hinge-
richteten Chaillers Hôpital Chailler genannt wird.
Ich erhielt in einem großen Saale ein recht gutes
Bette; und der Doktor Antoine, nebſt den Feld-
ſcheeren, gaben ſich alle Muͤhe, mich herzuſtellen;
und wenn meine Bruſtwunde damals nicht geheilt
iſt, ſo war es lediglich meine Schuld, und nicht
die der franzoͤſiſchen Chirurgen.


Ich hatte ein ſtarkes Fieber, und der Arzt hielt
dafuͤr, daß es von uͤbler Lebensart u. dgl. herkaͤme.
Ich zeigte ihm meine Wunde: er ſchuͤttelte den Kopf
ſehr, und befahl dem Oberchirurgus, alleu Fleiß
anzuwenden, daß dieſer Fehler bald verbeſſert wuͤrde.
Aber der Chirurgus machte mir alle Tage einen
Wicken hinein, welches mich ſehr ſchmerzte: ich
ließ mir es aber gefallen, und der Feldſcheer ver-
band mich ſo fleißig, als der brave Antoine
Arzney zu meiner Fieberkur vorſchrieb. Da aber,
wie es billig und recht iſt, mehr eine angemeßne
Diaͤt, und genaue Wartung die Hauptſache der
Kur bey den Franzoſen jezt ausmacht: ſo er-
[439] hielt ich nur wenig Arzney; und dieſe beſtand mei-
ſtens in einem Traͤnkchen.


In Dijon lagen damals (im Maͤrz 1794)
wenigſtens 5000 Deſerteurs und gewiß 6 bis 7000
Kriegsgefangne, womit die weitlaͤufigen Kloͤſter
der cy-devant Benediktiner, Bernardineſſen, Nor-
bertiner und der adlichen Damen unſrer lieben
Frauen zu St. Julian (Demoiſelles de notre Da-
me St. [I]ulien
) angefuͤllt waren. Viele Kriegsge-
fangne lagen auch in der Kapelle, worin ehedem
der Hofſtaat Sr. Hoheit, des Exprinzen von Con-
dé, ehemaligen Statthalters von Burgund, ſeine
ſogenannte Andacht verrichtete.


Da dieſe Leute von Armeen herkamen, bey de-
nen ſie nur alles moͤgliche Ungemach ausgeſtanden
hatten, und nun in ſo ſehr veraͤnderter Luft leben
mußten, ſo riſſen auch epidemiſche Krankheiten in
Menge unter ihnen ein, welche Manchen ins Grab
legten. Aber — ich wiederhole es — ich kann
mich auf das Zeugniß aller derer berufen, welche
in Frankreich als Gefangne und Deſerteurs gewe-
ſen ſind — und die ſind doch wohl Legionen! —
daß die Franzoſen es an Pflege und Arzneyen nicht
haben fehlen laſſen, um die kranken Auslaͤnder
wieder herzuſtellen; und in keinem Stuͤcke hat die
Nation beſſer bewieſen, daß ſie die leidende Menſch-
heit ehre, als durch die edle Sorge fuͤr die kr[an]-
[440] ken Fremden. Ich wuͤnſchte nur, daß die Herren,
welche den Franzoſen ſo gern alles Boͤſe nachſagen,
und ſie auf alle Art zu beſchimpfen ſuchen, die
Herren Goͤchhauſen, Reichard, Schirach und an-
dere dieſer Clique, Zeugniße von den aus Frank-
reich zuruͤckgekehrten Kriegsgefangnen zum Nach-
theil der Franzoſen ſammeln moͤgten. Aber das
koͤnnen ſie nicht: was ſie nachtheiliges ſagen, ha-
ben ſie von den cy-devant großen Herren und Pfaf-
fen, oder von ihrer angelaufenen Brille; und ich
kann, ohne Furcht, ein démenti zu bekommen,
geradehin behaupten, daß wer in Frankreich gewe-
ſen iſt, ſchlechterdings nicht anders, als gut von
der franzoͤſiſchen Nation ſprechen kann, wenn er
anders ein Mann iſt, der ſeine eignen Erfahrungen
nicht verlaͤugnen will, oder der durch ſein ſchlech-
tes Betragen die Franzoſen nicht ſelbſt genoͤthigt
hat, ihm die Pflichten des Wohlverhaltens etwas
eindringend in einem Arreſte einzufloͤßen. Will
man aber die Franzoſen wegen ihres Benehmens
auf deutſchem Grund und Boden tadeln: je nun die
Oeſtreicher machen, wie ich dereinſt zeigen werde,
es da nicht erbaulicher: und wollen Schutzver-
wandte, Freunde und Retter ſeyn!


Das Hoſpital Chailler war mit auslaͤndiſchen
Kranken ſtark angefuͤllt, welche aber unter den Fran-
zoſen herumlagen ſind in jeder Ruͤckſicht ihnen gleich
[441] gehalten wurden. Das einzige Uebel fuͤr ſie war,
daß der Arzt mit den meiſten nicht reden konnte,
weil er ſie, und ſie ihn nicht verſtanden, und er
ſich alſo bloß mit aͤußern Anzeigen behelfen mußte.
Als ich wieder etwas herumgehen konnte, nahm
ich mir die Freyheit, dem Dokter Antoine im
Namen eines Deutſchen etwas anzuzeigen. An-
toine ſah mich an: Du kannſt alſo auch deutſch?
fragte er. O ja, war meine Antwort: ich bin ja ein
Deutſcher! Eh bravo, rief er: darf ich dich bitten, mich
bey meinen Beſuchen zu begleiten? Ich will dir je-
desmal 20 Sous geben. Ich verſicherte ihn, daß
ich ihn allemal herzlich gern begleiten wollte, daß
ich mir aber ſeine 20 Sous verbitten muͤßte: Er
habe mir in meiner traurigen Lage ja ſo huͤlfreiche
Hand geboten, und ſo ſey es meine Pflicht, ihm
wieder zu dienen.


Von dieſem Tage an ging ich alle Morgen um
7 Uhr mit dem D. Antoine bey allen gefaͤhr-
lich-kranken Deutſchen herum, erklaͤrte ihnen ſeine
Fragen, und ihm hernach ihre Antworten. An-
toine war ſehr zufrieden mit mir, und verdop-
pelte ſeinen Fleiß, meine Geſundhe[it] voͤllig wieder
herzuſtellen. Weil ich durchaus ſeine Aſſignaten
nicht nehmen wollte, ſo ſprach er mit dem Depen-
ſier, daß er mir taͤglich eine Bouteille Wein ge-
ben ſollte, außer dem Becher, welchen ich ohnehin
[442] alle Tage zweymal bekam, rieth mir aber, ſparſam
zu trinken, damit ich mir keinen Schaden thaͤte.
Meine Wunde auf der Bruſt wurde vom Feldſcheer
beſorgt, und dieſer verſicherte mich, daß ſie bald
voͤllig kurirt ſeyn wuͤrde. Aber der gute Feldſcheer
ward um dieſe Zeit ſelbſt krank, und nun kam ein
Anderer, dem ich meinen Schaden nicht entdeckte,
weil ich hoffte, daß ich ihn mit Pflaſtern ſelbſt hei-
len koͤnnte: denn ich muß es nur geſtehen, ich konnte
es nicht leiden, daß man mir alle Tage Wicken
hineinbrachte.


Als ich ſo ziemlich wieder hergeſtellt war, ſagte
ich zum Doktor, daß ich nun bald hinausgehen wuͤrde:
Das ſollte mir leid ſeyn, antwortete er: Du kannſt
uns hier im Hoſpital nuͤtzlich werden, wenn Du
dich als Krankenwaͤrter anſtellen laſſen willſt. Ich
habe ſchon mit dem Oberkrankenwaͤrter und dem Di-
rektor geſprochen: ſie ſind es zufrieden, und nun
kommt es auf Dich an, ob Du willſt. Ich ergriff
dieſes Anerbieten mit Freuden, denn ich hatte die Vor-
theile kennen lernen, welche ein neufraͤnkiſcher Kran-
kenwaͤrter genießt, und ging zum Infirmier Major
Fraipon und dem Direkteur Aubert, von welchen
ich meine Inſtruktion erhielt, und als Infirmier-
ſubalterne eingeſchrieben wurde. Hierauf mußte
ich zur Municipalitaͤt, welche meinen Namen gleich-
falls aufſchrieb, und mir das Verſprechen abnahm,
[443] daß ich mich nach dem Geſetz betragen, und alles
thun wollte, was der Republik und beſonders den
Kranken nuͤtzlich ſeyn koͤnnte. Denn in Frankreich
kann niemand in Dienſte der Republik kommen,
ohne daß die Regierung des Ortes, wo er angeſtellt
wird, darum wiſſe. Dieſe muß alle Perſonen ken-
nen, welche irgend eine Bedienung haben, ſey es
auch der geringe Poſten eines Krankenwaͤrters im
Hoſpital.


Ein und dreyßigſtes Kapitel.


Laukhard als Krankenwaͤrter.


Ich habe meine Leſer ſchon mit ſo verſchiednen
Lagen bekannt gemacht, in welchen ich mich ſeit
meiner Exiſtenz befunden habe, daß ich hoffe, wenn
ſie keine Langeweile gehabt haben, da ſie mich als
Schuͤler, Student, Kandidaten, Vikarius, Jaͤ-
ger, Lehrer am halliſchen Waiſenhaus, Magiſter,
Soldaten, Emiſſaͤr und Sankuͤlott ſahen, ſie werden
ſie jezt auch nicht haben, wenn ich mich ihnen als
Krankenwaͤrter vorfuͤhre. *)


[444]

Fraipon war mein unmittelbarer Vorgeſezter,
ein Mann von großer Ehrlichkeit, und ſo gutmuͤ-
thig, daß er keinem Menſchen ein boͤſes Wort ſagen
[k]onnte, ſo ſtrenge er ſonſt darauf hielt, daß im Hoſpi-
tal alles nach der Vorſchrift geſchahe. Ich habe
ſelten einen Mann geſehen, welchem ſein Amt
mehr angelegen haͤtte, als dieſem Fraipon. Er
war ſchon fruͤh um fuͤnf Uhr auf ſeinem Poſten,
durchlief alle Saͤ[l]e des Tages wohl 6, 8 und mehr-
mal, ſah nach der geringſten Kleinigkeit, und gab
jedem Krankenwaͤrter Unterricht in dem, was ihm
*)
[445] oblag. Dieſer Mann wollte nun nicht, daß ich
meine eignen Kleider im Dienſte des Hoſpitals
abnu[tz]en ſollte, und gab mir die Uniform eines
Krankenwaͤrters, das heißt, eine ſchwaͤrzliche Jacke
mit gelben Knoͤpfen, ein paar lange Hoſen, oder
ein Pantalon, und eine blaue National-Muͤtze mit
rothem Rand, der oben weiß eingefaßt war. Denn
dieſe drey Farben zuſammen machen die National-
Farbe aus. Außerdem hatte ich noch eine weiße
Leinen-Schuͤrze vor.


Ich war auf dem Saal La Montagne an-
geſtellt, und hatte 14 Kranken zu beſorgen, welche
meiſt Deutſche waren. Die Saͤle in den Spitaͤ-
lern haben alle ihre Namen, die uͤber den Thuͤren
angeſchrieben ſtehen, und von den neuen Begeben-
heiten hergenommen ſind. Da waren alſo Salle
Marat
, Pelletier, Fraternité, Egalité,
Liberté, Guillaume Tell, Brutus, Caſ-
ſius, Barra und andere mehr: denn im Hoſpi-
tal Chailler allein waren uͤber 30 Krankenſaͤle.


Unter meinen Kranken war auch der oben ſchon
genannte Chirurgus vom Regiment Pr. Ferdinand
von Preußen, Namens Ludwig, welcher aus Col-
mar nach Dijon gekommen war. Ich habe viele
Muͤhe mit dieſem Manne gehabt, aber troz aller
Bemuͤhung der Aerzte und troz der allerbeſten Pflege
ſtarb er doch einige Zeit hernach an der Schwind-
[446] ſucht. Auch der Feldſcheer Schaͤfer von Gießen
war meiner Sorge anvertraut. Er hat mir noch
im vorigen Jahre, als ich durch Gießen kam, fuͤr
meine Pflege herzlich gedankt.


Meine Verrichtungen waren einfach, und alle
Tage ſich gleich. Fruͤh um 5 Uhr machte ich mich
an die Arbeit, kehrte meinen Saal aus, oͤffnete
die Fenſter, reinigte die Nachtgeſchirre, welche den
Tag uͤber nicht im Zimmer bleiben durften, brachte
die Betten der Kranken in Ordnung, und holte dann
Holz, um den Tag uͤber das Feuer im Kamin zu
erhalten. Um ſieben Uhr kam der Doktor, welchem
ich von dem Befinden der Kranken Nachricht gab,
und ihm meine Bemerkungen mittheilte. Um 9
Uhr holte ich die fuͤr jeden Kranken beſtimmte Ti-
ſane, und um 10 Uhr auf den Schlag, ging ich
nach der Kuͤche, um das Eſſen heraufzuholen, und
den Kranken auszutheilen. Nachher aß ich ſelbſt
auf meiner Stube oder ging aus, in einer Schenke
zu eſſen: denn die Krankenwaͤrter duͤrfen ausgehen,
nur muͤſſen ſie einen von ihren Kameraden bitten,
daß er von Zeit zu Zeit ihre Kranken beſorge. Auf
einem großen Saal aber, wo mehrere Waͤrter ſind,
muß wenigſtens immer einer gegenwaͤrtig ſeyn.


Nachmittags um vier Uhr wurde das Eſſen
wieder ausgetheilt, und alsdann mußten alle Bet-
ten friſch gemacht werden. Sobald es finſter war,
[447] wurden die Lampen oder Reverberes angeſteckt, wel-
che die ganze Nacht durch brennen mußten.


Außer ſeinem Saale und der Kuͤche hat der
Krankenwaͤrter nichts zu beſorgen: denn fuͤr das
Uebrige ſind andere Perſonen angeſtellt.


Fuͤr dieſe Verrichtungen hatte ich folgende Emo-
lumente. Erſtlich erhielt ich alle Monate 69 Livres,
folglich jeden Tag 2 Livres 6 Sous. Sodann
hatte ich taͤglich 2 Pfund recht gutes Brod, ein
Pfund Fleiſch, zwey große Becher Wein, und ſo
viel Fleiſchbruͤhe, als ich wollte. Dabey holte ich
mir in der Apotheke ſo viel Tiſane und von welcher
Gattung ich nur verlangte. Mein Trunk war ge-
woͤhnlich die Limonade minerale, wie man
ſie nannte, ein ganz trefflicher Trunk! Ich hatte
außerdem ein recht gutes Bette, und durfte mein
Hemde wechſeln, ſo oft es mir beliebte, denn ich
konnte mir ja nur im Magazin eins holen.


Ich war ohngefaͤhr 8 Tage auf meinem
Saal, als ein preußiſcher Wachtmeiſter ankam,
welcher von dem Regiment Dragoner, mit weißen
Aufſchlaͤgen, und Klappen — den Namen habe ich
vergeſſen — deſertirt war. Er hatte, wie man
ſagte, die Loͤhnung und das Pferd mitgenommen.
Dieſer Menſch war gefaͤhrlich krank, und, da ich
ihn gut wartete, ſo vertraute er mir ſeine Schreib-
tafel an, mit 150 Livres in Aſſignaten. Ich nahm
[448] ſie zu mir, und meldete dem Major Fraipon,
daß ich dem Krenz — ſo hieß der Wachtmeiſter
— ſein Geld wiedergeben wuͤrde, wenn er aufkaͤme,
wenn er aber ſtuͤrbe, ſo habe er mir es vermacht.
Fraipon billigte dieſes, und Krenz ſtarb ohn-
gefaͤhr nach 8 Tagen im fuͤrchterlichſten Delirium,
worin er die gewaltigſte Furcht vor der Hoͤlle und
dem Teufel blicken ließ, und das Blut Jeſu Chri-
ſti, das ihn rein machen ſollte von allen Suͤnden,
unaufhoͤrlich anflehte. Durch den Tod des Krenz
befand ich mich alſo im Beſitz von 150 Livres Aſſig-
naten, aber der zweyte Oberkrankenwaͤrter, Bo-
nard, wollte mir dieſe Erbſchaft ſtreitig machen,
und verlangte, daß ſie dem Hoſpital heimfallen
ſollte. Allein der Direktor Aubert ſprach mir ſie zu,
und ſo behielt ich, was ich hatte.


Was nach der Austheilung der Speiſen uͤbrig
blieb, fiel den vier Krankenwaͤrtern zu, die ſie zu
beſorgen hatten, und deren einer das Brod, zwey
das Fleiſch und Gemuͤſe, und einer den Wein trug.
Da allemal einige Flaſchen Wein, oft 3, 4 und
mehr Portionen Brod und Fleiſch uͤbrig blieben: ſo
wurde dieß zuſammengetragen und unter ſie
vertheilt. Diejenigen, welche mit mir die
Austheilung beſorgten, waren in der Stadt an-
geſeſſen und verheirathet; ich uͤberließ ihnen daher
meinen Antheil an Brod, Fleiſch und Gemuͤſe und
[449] ließ mir den Wein geben. Auf dieſe Art war uns
von beiden Seiten geholfen: ich trank den Wein
gerne: denn es war alter guter Burgunder, und
meine Kameraden hatten was fuͤr ihre Familie.


Bald wurde ich allen Chirurgen und andern
Hoſpital-Bedienten bekannt, und da ich immer bey
der Hand und munter war, ſo gingen ſie gern mit
mir um. Ich werde mich lebenslang an den Umgang
und die Freundſchaft der Buͤrger Gibaſier, Val-
lée, Viol und andrer Feldſcheere, an den Apo-
theker Lenel, an den Magazin-Inſpektor Talon
und an andre guten Leute, die ich im Spital zu
Dijon habe kennen lernen, mit Vergnuͤgen erin-
nern. Auch nachher, als ich nicht mehr im Spital
war, haben dieſe Maͤnner es gern geſehen, wenn
ich ſie beſuchte.


Auf unſerm Spital ging es ſehr friedlich zu,
und die Zeit uͤber, da ich darauf war, ſind wenig
Exceſſe vorgefallen. Einmal nur war große Schlaͤ-
gerey unter einigen Volontaͤrs im Garten, und ei-
nige von ihnen wurden deshalb eingeſteckt. Ein
andermal hatte ſich ein Krankenwaͤrter, aus Dijon
gebuͤrtig, troz der ſcharfen Verbote, unterfangen,
einige Hembden unterzuſchlagen, und in der Stadt
zu verkaufen: er wurde verr[rath]en, und auf zwey
Jahre in Arreſt geſezt. Die Strafe war allerdings
Vierter Theil. Ff
[450] hart, aber ein Inſtitut dieſer Art muß auch vor aller
Betruͤgerey geſichert ſeyn: ſonſt kann es nicht beſtehen.


Die Langeweile fand ſich aber endlich bey mir
ein: denn da ich nur ſelten ausging, indem der
Oberkrankenwaͤrter es dahin gebracht hatte, daß je-
der Krankenwaͤrter ſich bey ihm melden mußte,
wenn er weggehen wollte, ſo mogte ich nur alle zwey
oder drey Tage um dieſe Erlaubniß anhalten, und
blieb alſo lieber auf meinem Zimmer. Im Grunde
kann ich es dem Fraipon nicht verdenken, daß er
ſolche Verfuͤgungen traf; denn es gab wirklich Ge-
ſellen, welche halbe Tage lang wegblieben, und
ihre Kranken verſaͤumten.


Um mir aber die Zeit zu vertreiben, borgte ich
mir Buͤcher vom Feldſcheer Gibaſier, und ent-
deckte endlich eine Leſebibliothek (Cabinet de Litte-
rature
), wo ich fuͤr 2 Liv. monatliche Vorausbezah-
lung Buͤcher in Menge haben konnte. Da las ich
nun Rouſſeaus neue Heloiſe wieder, und meh-
rere Schriften von Voltaire; eine Reihe Baͤn-
de von dem großen Werk, das unter dem Titel:
Recucil de Voyages imaginaires noch immer fort-
geſezt wird. Ich ſchaffte mir auch das [I]ournal de
Perlet
an, woraus ich die politiſchen Neuigkeiten
ſo lernen konnte, wie ſie ein Erzjakobiner auf-
tiſchte. Als meine Mitkonſorten merkten, daß ich Zei-
tungen las, kamen ſie haͤufig auf mein Zimmer, und
[451] wollten was neues wiſſen. Ich erzaͤhlte ihnen gern,
und gewann dadurch immer mehr in ihrer Gunſt.


Bey dem Hoſpital war ein ſehr großer Garten, der
ehedem zum Kloſter gehoͤrt hatte, jezt aber zum
Vortheile des Hoſpitals gebauet wurde, und den
Kranken zur Erholung diente. In dieſem Garten
habe ich manche frohe Stunde zugebracht.


So oft ich auf den Abtritt ging, mußte ich allemal
lachen. Es war ein ſehr geraͤumiges Gemach, —
aber nicht das einzige im Spital — welches mit
breiten Steinen belegt war. Dieſe Steine waren
vorher Grabſteine der ehemaligen Bewohnerinnen
dieſes Kloſters geweſen, und die ſchnakiſchen Leute
hatten ſie ſo angebracht, daß man im Sitzen die
voͤllige Grabſchrift leſen konnte. So ſtand z. B.
auf einem Steine des Abtrittpflaſters: Hier liegt
Schweſter Anna Olympia, geborne Graͤfin von Mor-
bian, ihres Alters 42, ihrer Profeſſion 26 Jahr: —
Hier liegt Schweſter Clara Roſalia, geborne Baro-
neſſe von Lamey, ihres Alters 69, ihrer Profeſſion
50 Jahr. u. ſ. w. Es iſt doch eine ſeltſame Sache
um eine Revolution: ſogar die Grabſteine der heili-
gen Nonnen werden auf die Abtritte gelegt! —


Die Kapelle im Garten, worin ſ[o]nſt ein Ma-
rienbild verehrt wurde, war zum Hinlegen der
Todten beſtimmt, welche hernach, nach Verlauf
von dreymal 24 Stunden, vom Todtengraͤber vor
[452] die Stadt gefahren, und verſcharrt wurden. Das
Magazin fuͤr das Leinenzeug war in der ehemali-
gen Kloſterkirche; auch das irdene Geſchirr und
anderes Geraͤthe. In der Sakriſtey logirte Talon,
der Aufſeher uͤber das Magazin. Die Bilder der
Heiligen, welche meiſt von Gyps waren, lagen
auch hier alle zerſchlagen herum, und die deutſchen
Soldaten ſchnitten ſich Tabakspfeifenkoͤpfe aus den
Truͤmmern dieſer ehemaligen Gegenſtaͤnde der oͤf-
fentlichen Verehrung!


Unter meinen Verrichtungen war mir keine
laͤſtig, als das Klyſtiren und das Wegbringen der
Todten. Jenes muß jeder Krankenwaͤrter vom
Chirurgus lernen, und dann nach des Arztes Vor-
ſchrift vornehmen. Dieſe Arbeit habe ich niemals
gerne gethan. Eben ſo laͤſtig war mir das Weg-
ſchaffen der Leichen, welche allemal von zwey Kran-
kenwaͤrtern in den Garten hinab getragen werden
mußten, nachdem man ſie vorher ganz entkleidet
und in alte Betttuͤcher gewickelt hat. Doch ich
wußte einmal, daß dieſes ſeyn mußte, und da ich
mich dazu verſtanden hatte, ſo gewoͤhnte ich mich
auch daran.


Ich habe die Zeit meines Aufenthalts im Hos-
pital mehr als 40 Kranken beſorgt, und ich koͤnnte
mir nicht vorwerfen, daß ein einziger unzufrieden
weggegangen waͤre. Mit Vergnuͤgen befolgte ich
[453] die Anweiſung, worin befohlen war: „keinen Un-
„terſchied der Perſonen zu machen: fuͤr Fremde eben
„ſo wie fuͤr Franzoſen zu ſorgen, und jedem Huͤlfs-
„beduͤrftigen nach Vermoͤgen zu dienen.“


Ich glaube dem aufmerkſamen Leſer einen Ge-
fallen zu thun, wenn ich hier eine kurze Beſchrei-
bung eines franzoͤſiſchen Militaͤr-Hoſpitals an-
bringe. Dieſe ſoll nicht nur beweiſen, daß die
Nation in Frankreich bey weitem nicht ſo wild,
unmenſchlich und verdorben ſey, als man ſie ge-
meiniglich beſchreibt; und dann kann auch ſo eine
Beſchreibung dazu dienen, daß man daraus die
haͤßlichen Maͤngel unſrer deutſchen Feldlazarethe
kennen und verbeſſern lerne, wenn anders dieſe
Schrift das Gluͤck haben ſollte, Maͤnnern in die
Haͤnde zu kommen, welche Verbeſſerungen vorneh-
men koͤnnen. Wenn aber auch das nicht iſt, ſo
werden ſich doch die Leſer die Zeit nicht lang wer-
den laſſen: denn es iſt immer angenehm zu ſehen,
daß man Menſchen menſchlich behandelt:
und wer ſo was nicht gern ließt, und nur Bege-
benheiten ſucht, iſt nicht einmal werth, daß man
um ihn ſich viel bekuͤmmere.


[454]

Zwey und dreißigſtes Kapitel.


Beſchreibung der franzoͤſiſchen Lazarethe.


In Frankreich giebt es jezt zweyerley Lazarethe:
einige ſind buͤrgerliche, andere militaͤriſche. Je-
ne finden ſich in allen Staͤdten, und ſind fuͤr die
Kranken des Diſtricts beſtimmt, welche nicht wirk-
lich zum Militaͤr-Stand gehoͤren, und aus Man-
gel der Huͤlfe des Staats beduͤrfen: dieſe hingegen
gehoͤren fuͤr die kranken Solda[t]en und fuͤr alle Aus-
laͤnder ohne Unterſchied.


Da ich vorzuͤglich von den lezten Lazarethen
handle, ſo will ich von den buͤrgerlichen nur ſoviel
ſagen, daß in jedem derſelben nur 4 Krankenwaͤr-
ter angeſtellt ſind: die uͤbrigen Dienſte verſehen
ledige Frauenzimmer aus der Stadt ohne Ausnah-
me nach der Reihe, und wechſeln alle zehn Tage
ab, die ausgenommen, welche ſich einer liederli-
chen Lebensart ſchuldig machen. Sobald ein Maͤd-
chen als eine feile Dirne oͤffentlich bekannt iſt, iſt
ihr der Eingang ins Hoſpital verſperrt. Dieſe
Maͤdchen bekommen fuͤr ihren Dienſt nichts weiter,
als das Eſſen, doch duͤrfen die reichern zu Hauſe
eſſen. Dieſe Einrichtung hat man den Jakobinern
[455] zu danken, und ſie iſt deswegen gemacht worden,
damit die ſchoͤnere Haͤlfte des Volks ſich gewoͤhne,
ſanft und mitleidig zu werden. Uebrigens ſteht das
Buͤrgerſpital unter der ſtrengſten Aufſicht der Mu-
nicipalitaͤt und hat ſeinen eignen Direktor. Sobald
nun jemand krank wird, der nicht im Stande iſt,
ſich ſelbſt pflegen und kuriren zu laſſen, ſo wird er,
auf die erſte Anzeige, in das Spital ſeines Di-
ſtrikts gebracht, und da auf Koſten des Staats un-
entgeldlich abgewartet und geheilt. Nachher erſezt
man dem Geheilten noch den Verluſt ſeiner ver-
ſaͤumten Arbeit. —


Die Militaͤrſpitaͤler ſind da angelegt, wohin
man die Kranken von den Armeen, und ſonſtwoher
leicht bringen kann. In Dijon waren deren vier:
Chailler und Rouſſeau in der Stadt; Marat aber
und Le Pelletier außer derſelben. Wer aber in einem
bekannt iſt, kennt ſie alle in ganz Frankreich, weil
ſie alle nach einer Regel angelegt ſind, ſo wie et-
wan alle Kapuzinerkloͤſter in der ganzen Welt.


Jedes Hoſpital ſteht unter der naͤchſten Fuͤr-
ſorge der Municipalitaͤt, die naͤchſte Aufſicht dar-
uͤber fuͤhrt aber der Krieskommiſſaͤr, welcher mit dem
Direktor alle Rechnungen abthut. Dann iſt ein
Director, zwey Oberkrankenwaͤrter, ein Ausgeber,
ein Kellner, ein Apotheker nebſt zwey Gehuͤlfen
zum Ti[ſan]ekochen u. dgl. ein Koch mit den noͤthi-
[456] gen Gehuͤlfen, ein Magazinier, ein Holzhacker,
und noch einige Andre, welche die kleinern Verrich-
tungen auf ſich haben z. B. den Hof und die Trep-
pen rein zu halten, die Strohſaͤcke zu fuͤllen, die
Matratzen auszuſtopfen u. ſ. w. Wir nannten
dieſe Leute [C]o[u]r[c]urs oder Beylaͤufer. Außerdem
iſt fuͤr jede 14 Kranken ein Krankenwaͤrter beſtimmt,
welcher außer ſeinen Kranken nichts zu beſorgen
hat.


Die Stuben ſind bald kleiner, bald groͤßer,
doch duͤrfen die Betten darin nur ſo geſtellt werden,
daß man rund um ſie herumgehen kann; blos oben
ſtoßen ſie an einander. Jeder einzelne Kranke hat
ſein eignes Bette. Dieſe beſtehen aus einem wohl-
gefuͤllten Stro[h]ſack, einer Matratze mit Wolle ge-
fuͤllt und mit Zwillich uͤberzogen, zwey Betttuͤchern,
einer derben Friesdecke, und einem Pfuͤhl. Alle
15 Tage werden friſche Betttuͤcher aufgelegt, und
wenn der Kranke ſie außer dieſer Zeit verunreiniget,
ſo werden ſie jedesmal gleich gewechſelt.


Sobald der Kranke ankoͤmmt, nimmt der
Krankenwaͤrter von der Stube, worauf er kom-
men ſoll, ihn zu ſich, und giebt ihm ein
weißes Hemde, eine Muͤtze, einen leinenen Pan-
talon, und einen Kapot. Leztere zwey Stuͤcke
werden unten aufs Bette gelegt, damit der Kranke
ſie beym Aufſtehen finden und anziehen kann. Auſ-
[457] ſerdem erhaͤlt jeder Kranke noch einen zinnernen
Becher, eine zinnerne Schuͤſſel und einen Krug zur
Tiſane und dies oben am Bette. Alle zehn Tage
bekoͤmmt der Kranke ein friſches Hemde eine friſche
Muͤtze und ein friſches Pantalon. Die ſchmutzige
Waͤſche wird auf eine eigne Kammer getragen, und
von Zeit zu Zeit gewaſchen. Die Kleider jedes an-
kommenden Kranken werden zuſammengebunden,
mit deſſen Namen verſehen, und ſo in einem dazu
beſtimmten Gemache aufbewahrt, wozu der Ober-
Krankenwaͤrter den Schluͤßel hat. Die Kleider
aller derer, die in Dijon ſtarben, wurden hernach
unter jene von den Gefangnen und Deſerteurs aus-
getheilt, die ihrer bedurften.


Hat die Krankheit Gefahr, ſo wird es dem Dok-
tor gemeldet, der dann ſofort koͤmmt, und den Pa-
tienten beſucht.


Alle Morgen um 7 Uhr erſcheint der Medikus
des Hoſpitals, nebſt einem Feldſcheer, dem Apo-
theker und einem Feldſcheer-Zoͤglinge. Der Feld-
ſcheer und der Zoͤgling fuͤhren ein Tagebuch fuͤr je-
den Tag; der Doktor aber haͤlt das Tagebuch vom
vorigen Tage in der Hand, und beurtheilt danach
den Zuſtand der Krankheit. Dieſes Tagebuch iſt
gedruckt, und hat folgende Rubriquen: 1.) Bett-
Nummer, 2.) Namen des Kranken, 3.) Namen
der Krankheit, 4.) Zeit ſeines Aufenthalts im Ho-
[458] ſpital, 5.) Alimente, 6.) Medikamente, 7.) Ti-
ſane, 8.) beſondere Bemerkungen. Sobald der
Arzt ans Bette koͤmmt, examinirt er den Kranken,
verordnet deſſen Speiſen, Trank, Medizin u. dgl.
und der Feldſcheer ſowohl als der Zoͤgling muͤſſen
beide die Verordnungen des Doktors aufzeichnen.
Zu dieſem Behufe tragen ſie ein Bret, worauf ihre
Schreiberey liegt, und ein Tintenfaß einſteckt, mit
herum. Ehe der Doktor das Zimmer verlaͤßt,
nimmt er dem Feldſcheer ſein Heft ab, und laͤßt
den Eleven das ſeinige laut ableſen, um gewiß
zu wiſſen, daß nichts falſch aufgezeichnet ſey.


Wenn die Viſite vorbey iſt im ganzen Hoſpital,
die dann freylich von mehreren Aerzten gemacht
werden muß, wenn ſehr viele Kranke da ſind, ſo
wird unten in einer Stube neben der Apotheke ein
Auſzug gemacht und auf jeden Saal ein Zettel ge-
ſchickt, worauf fuͤr jeden Kranken das beſtimmt iſt,
was der Krankenwaͤrter nun aus der Apotheke holen
ſoll. Die eigentlichen Arzeneyen muß der Apothe-
ker ſelbſt bringen, und die den Kranken auch ſelbſt
eingeben, von deren Wirkung nachher der Kranken-
waͤrter Nachricht geben muß.


Alle Tage muß der Waͤrter alle Schuͤſſeln,
Becher und Kruͤge ſeiner Kranken reinigen; und
wenn der Major Schmutz, Satz u. dgl. in Kruͤgen
oder in Bechern findet, ſo ſezt es Verweiſe, auch
[459] wenn es auf der Stube uͤbel riecht, oder Stroh u.
dgl. auf dem Fußboden herum liegt. Reinlichkeit
ſagte immer der Major Fraipon, iſt die Seele
der Krankenwaͤrterey: Reinlichkeit iſt die erſte Be-
dingung jeder Kur. Tobak darf auf den Saͤlen
niemand rauchen; wer rauchen will, muß hinaus-
gehen.


Jeden Morgen, ſobald es zehn Uhr ſchlaͤgt, wird
gelaͤutet, und die Krankenwaͤrter holen erſt ihren
Kranken Bouillon, oder Fleiſchbruͤhe, wovon
jeder einen Napf voll erhaͤlt; ſodann wird das
Brod, das Fleiſch, das Gemuͤſe und der
Wein in Beyſeyn eines Feldſcheers, der von
Bette zu Bette mitgeht, und im Tagebuch nach-
ſieht, was jedem Kranken vom Medikus ver-
ordnet iſt, ausgegeben. Es iſt allen Waͤrtern ver-
boten, den Kranken irgend etwas zu eſſen oder
zu trinken zu geben, oder zu holen: koͤmmt ſo was
heraus, ſo wird der Krankenwaͤrter mir nichts, dir
nichts, fortgejagt; denn der Medikus ſpricht, in
der Diaͤt beſtehe die Seele der Kur; doch kann der
Patient ſich, mit Bewilligung des Arztes, dies und
jenes fuͤr ſein Geld holen laſſen z. B. Honig, Pflau-
men und dergleichen, doch aber nur mit Bewilli-
gung des Arztes. Ein Kamerad von mir ließ ſich
einmal bereden, einem Volontaͤr eine halbe Flaſche
Champagnerwein zu holen, welches der ſonſt ſanfte,
[460] ſtille Antoine erfuhr, und ſofort auf deſſen Entlaſ-
ſung drang. Der Major und der Direktor konnten
es kaum dahin bringen, daß der gute Benoit blei-
ben durfte: ſo ſtreng hielt Antoine auf dieſe Ord-
nung! Den andern Tag ſagte er es ſelbſt allen
Waͤrtern, daß er hieruͤber keinen Spaß verſtehe,
und durchaus nicht leiden werde, daß irgend ein
Kranker ohne ſeine Bewilligung etwas genieße.


Einigen Kranken iſt es erlaubt und einigen gar
vorgeſchrieben, am Tage im Garten herum zu ge-
hen; andre aber muͤſſen in der Stube, oder im Bette
bleiben: fuͤr die puͤnktliche Befolgung dieſer Vor-
ſchriften ſteht der Waͤrter.


Des Nachmittags um 4 Uhr wird wieder aus-
getheilt, wie fruͤh um 10 Uhr, und nach eben der
Ordnung.


Die Kranken bleiben nicht immer auf einem
Saal, ſondern werden, wie ihre Krankheit abnimmt,
auf einen andern gebracht, damit ſie nicht wieder
in die alte Krankheit zuruͤckfallen.


Alles Laͤrmen und Spektakeln iſt ſtrenge verboten;
daher es denn auch in ſolch einem Hoſpital ſo ruhig
zugeht, wie in irgend einem Kloſter von La Trappe.
Abends werden die Wandlampen (reverberes) oder
die Wiederſcheiner von einem beſondern Beylaͤufer
im ganzen Hoſpital angezuͤndet, und mit Oehl verſe-
hen: denn damit haben die Waͤrter nichts zu thun.


[461]

Fuͤr die ſehr kranken Patienten, welche nicht
aufſtehen koͤnnen, ſind zur Verrichtung ihrer Noth-
durft Baſſins und Urinoirs da, welche aber je-
desmal muͤſſen gereinigt und ſauber gehalten wer-
den: ſo wie die zinnerne Klyſtierſpruͤtze, wovon
auf jedem Saale eine befindlich iſt.


Die Verwundeten, Kraͤtzigen und Veneriſcheu
ſtehen blos unter der Behandelung des Oberchirnr-
gus. Die beyden erſtern erhalten keinen Wein,
und die Veneriſchen auch kein Fleiſch: die Kraͤtzigen
aber bekommen ganze Portionen.


Es wird ſehr geſorgt, daß die, welche gleich-
artige Krankheiten haben, auch zuſammen kommon,
damit die Vermiſchung und Verbreitung der
Krankheiten verhuͤtet werde. Daher iſt es auch
nicht einmal erlaubt, daß die Kranken von dem
einen Saal in den andern gehen, aus Furcht, ſie
moͤgten ihr Uebel mit dahin bringen.


Den erſten Tag des Monats erhalten die Kran-
kenwaͤrter ihre Bezahlung vom Direktor; und bey
dieſer Gelegenheit wird ihnen die Inſtruktion alle-
mal vorgeleſen, welche vom Konvent ſelbſt fuͤr ſie
verfaßt iſt, und aus kurzen, buͤndigen Vorſchriften,
beſtehet. Unter dieſen Vorſchriften iſt eine, welche
aͤcht jakobiniſch iſt, des Inhalts: daß kein Waͤrter
ſich unterſtehen ſoll, einen Prieſter, er habe Na-
men wie er wolle, zu einem Kranken zu laſſen; denn
[462] da, wo man die Menſchheit pflege, muͤſſe der
Fanatismus ſich nicht einſchleichen: dieſer mache
ſchon Geſunde krank, und Kranke gewiß noch kraͤn-
ker. — Aber ich erinnere mich auch nicht, daß ir-
gend ein Kranker je nach einem Pfaffen verlangt
habe. Sie, die ſtarben, ſtarben alle demohnerach-
tet ziemlich ruhig.


Wenn ein Kranker ſtirbt, ſo ruft der Krankeu-
waͤrter den Wachthabenden Feldſcheer — denn im-
mer muß ein Feldſcheer auf der Wache ſeyn —
und dieſer unterſucht den Todten. Wenn er ihn
wirklich todt findet, ſo nimmt der Waͤrter noch ei-
nen Kameraden, und die tragen den Kadaver im
Laken in die Todtenkammer, wo ſie ihm das Hemde
abziehen, und in alte Laken wickeln. So bleibt
er drey Tage liegen, im hohen Sommer auch
kuͤrzere Zeit, und wird ſodann, nachdem ihn der Chi-
rurgus nochmals beſehen hat, vom Todtengraͤber
außerhalb der Stadt eingeſcharrt. Die Franzoſen
ſind uͤberhaupt von dem laͤcherlichen Vorurtheil zu-
ruͤckgekommen, daß man mit den Todten Staat
und Gepraͤnge treiben muͤſſe. Sie begraben ſie
auf die einfachſte Weiſe, und zwar wohin ſie wol-
len: doch muß das Grab nach dem Geſetz 8 Fuß
tief und auf eine Viertelſtunde von dem Orte
entfernt ſeyn, wo Menſchen wohnen. Die Beerdi-
[463] gung geſchieht allemal gegen Abend in der Daͤm-
merung. *)


Die Koſten der Civilſpitaͤler traͤgt allemal der
Diſtrikt der Kranken, hingegen die der Militaͤr-
Lazarethe traͤgt die Republik ſelbſt; und eben dar-
um muͤſſen alle Rechnungen derſelben monatlich
nach Paris geſchickt werden. Es iſt daher auch
nicht moͤglich, daß Mangel in einem ſolchen Hofſpi-
tale einreiße. Alle Tage wird friſches Fleiſch, und
alle zwey Tage ſchoͤnes weißes Brod geliefert.
Ich habe in Frankreich nirgends ſchoͤneres Fleiſch
geſehen, als in den Hoſpitaͤlern. Der Wein muß
gut und alt ſeyn, und wird aus der Provinz ge-
nommen, wo das Spital iſt. Antoine meynte auch,
das Departement von Cote d'or ſchicke ſich zu Hoſ-
pitaͤlern beſſer, als das ganze uͤbrige Frankreich.
weil der Burgunderwein unter allen Weinen [der]
[464] geſundeſte, und fuͤr gewiſſe Krankheiten eine wahre
Arzney ſey; und dann auch, weit Dijon in einer
ſehr geſunden Gegend liege. Auf dem Hoſpital
wurde ſo guter Wein, rother und weißer, ausgetheilt,
alſ man ihn in keinem Weinhauſe der Stadt finden
konnte.


Bey dem allen iſt es aber doch nicht moͤglich,
daß jemand von den Spitalbedienten etwas in ſei-
nen Beutel mache, gewiß nichts betraͤchtliches.
Deun im Fall eines Betruges von Wichtigkeit,
muͤßte Municipalitaͤt, Kriegskommiſſaͤr und Di-
rektor miteinander unter einer Decke ſtecken; auch
duͤrfte der Medikus oder die Medici und der Apo-
theker nicht vergeſſen werden, weil dieſe aus ihren
Journalen den Betrug jener ſonſt gar nicht ent-
decken und bekannt machen koͤnnten. Eben ſo ver-
[haͤlt] es ſich mit den Infirmiers Majors. Daher
glaube ich auch nicht, daß die Republik in den
Hoſpitaͤlern betrogen werde: wenigſtens erinnere
ich mich nicht, daß man deshalben je Klage ge-
fuͤhrt habe.


Der große Vortheil der franzoͤſiſchen Militaͤr-
ſpitaͤler beſteht darin, daß das Militaͤr gar nichts
darin zu ſagen hat. Ein Volontaͤr, welcher krank
iſt, ſteht nicht mehr unter ſeinen Offizieren, folg-
lich laͤßt er ſich von ihnen nichts gefallen; und be-
ſchwert ſich,wenn ihm ſonſt etwas abgeht. Aber
[465] bey den Oeſtreichern, Preußen und andern Truppen
verwalten Offiziere, Unteroffziere u. ſ. w. die
Hoſpitaͤler; und daher entſteht deren traurige ge-
ſtalt, die Vernachlaͤßigung der Kranken, und das
meiſte von dem Unweſen, welches ich im vorigen
Bande beſchrieben habe, und welchem nicht abge-
holfen werden kann, ſo lange man keine beſſern
Grundſaͤtze annimmt.


Fremde duͤrfen ohne Erlanbniß des Thorhuͤters
nicht ins Spital, und niemand darf heraus, als die
zum Spital gehoͤrigen Bedienten. Die Kranken
bleiben ſo lange, bis der Medikus ſie fuͤr geſund
erklaͤrt; und dann erhalten ſie ein gedrucktes Billet,
worauf der Arzt ihren und ſeinen Namen ſchreibt.
Dieſes Billet muß hernach an den Kommiſſaͤr, ab-
gegeben werden, und dient ihm zu ſeiner Berech-
nung. Mit dem Billet des Kommiſſaͤrs, welches
der Kranke bey ſeiner Ankunft mitbringt, berechnet
der Direktor. Daß uͤbrigens ſehr genaue Regiſter
gefuͤhrt werden, verſteht ſich ſchon von ſelbſt.


 

Dieß mag fuͤr diesmal von dem neuen Franzoͤ-
ſiſchen Spitalweſen genug ſeyn. Wie ich hoͤre,
ſoll Buͤrger Wedeling ein eignes Buch daruͤber
geliefert haben. Ich kenne es nicht weiter; und
was man hier davon hat, iſt Reſultat meiner eig-
Vierter Theil. Gg
[466] nen Erfahrung. *) So wenig dies auch iſt, ſo be-
weißt es doch genug: daß Frankreich es dahin
gebracht hat — ſo ungern unſere politiſchen Unken
es auch vernehmen — den Menſchen, auch von
Seiten des Staats
, als ein ſelbſtſtaͤndiges
Weſen, als Zweck zu behandeln, und nicht als
Niethe wie Friedrich der Zweyte ſich einmal
ausdruͤckt, oder als ein Mittel, das der Deſpot nur
ſo lange achtet, als er es zur Erreichung ſeiner
herrſchſuͤchtigen Zwecke brauchbar findet. In ſol-
chen Staaten ſucht ein Diogenes, von der po-
litiſchen Seite, freylich noch immer vergebens
nach — Menſchen!


Drei und dreißigſtes Kapitel.


Ich verlaſſe das Hoſpital, und gebe Lektionen.


Aus dem, was ich in den beyden lezten Kapiteln
geſagt habe, laͤßt ſich leicht der Schluß ziehen, daß
ich als Krankenwaͤrter im Hoſpital zu Dijon nichts
weniger als ungluͤcklich war. Ich lebte ordentlich,
[467] hatte an nichts Mangel, und einen Poſten, wobey
ich wenigſtens ein nuͤtzliches Glied der Geſellſchaft
war, denn ich diente meinen Mitmenſchen wirklich
und vielleicht mehr, als mancher Profeſſor der Theo-
logie. Aber ich weiß es nicht zu ſagen, es fehlte
mir immer was, und ich war in einſamen Stunden
oft unzufrieden, ohne daß ich wußte, warum. Bisher
war ich immer in gewaltſamen Veraͤnderungen ge-
weſen, und meine ganze Seele war ſchartig ge-
worden, ſie konnte ſich daher nicht ſo recht in die
ruhige ſtille Lebensart eines Krankenwaͤrters fin-
den.


Ich hatte mit einigen Offizieren von den ge-
fangnen Preußen, Oeſtreichern und Hannoveranern
Bekanntſchaft gemacht, und beſuchte ſie oft in den
zwey Kloͤſtern, wo ſie einquartiert waren, und genoß
manchen Beweis ihrer Freundſchaft. Als ich eines
Tages auf dem Zimmer des Hn. Hauptmann von
Euler, der bey einem oͤſtreichiſchen Freykorps ge-
ſtanden hatte, etwas uͤber das Unangenehme mei-
ner Lage merken ließ, ſo erklaͤrten ſich mehrere ge-
genwaͤrtige Offiziere, daß ſie, wenn ich das Spi-
tal verlaſſen wollte, gleich Unterricht im Franzoͤſi-
ſchen bey mir nehmen wuͤrden, wobey ich wenig-
ſtens monatlich 90 Livres verdienen koͤnnte. Auch
duͤrfte ich die unſchickliche Arbeit auf dem Spital
[468] dann nicht mehr thun und wuͤrde unabhaͤngiger und
freyer.


Ich dachte uͤber dieſen Vorſchlag nach, wollte
aber noch nichts entſcheiden, und blieb immer Spi-
talwaͤrter. Endlich ward der brave Major Frai-
pon krank, und Bonard hatte nun uͤber alles die
Aufſicht. Dieſer Mann war wirklich nicht ſchlimm,
aber ich hatte ihn in der Kuͤche dadurch beleidiget,
daß ich geſagt hatte: „da Fraipon krank ſey, ſo
wuͤrde es forthin wohl ſchief mit dem Spital ausſe-
hen.“ Das zog Bonard auf ſich, als wenn ich
glaubte, er koͤnne dem Inſtitute nicht allein vor-
ſtehn. Doch neckte er mich nicht, oder er konnte
mich nicht necken: denn wer bey uns that, was
ſeine Pflicht war, dem hatte keiner was zu ſagen.


Eines Tages hatte ich einen großen Waſſerkrug
beym Waſſerholen zerbrochen, und dafuͤr einen an-
dern aus dem Magazin geholt. Bonard behaup-
tete, ich muͤſſe mir den Krug an meiner Beſoldung
abziehen laſſen, aber der Direktor ſagte, was aus
Unvorſichtigkeit zerbrochen wuͤrde, muͤſſe hingehen.
Das Ding kuͤtzelte mich, ich muß es nur geſtehen,
und ich ſagte zu einem andern Waͤrter: „ſiehſt du,
Bonard hat mich wollen den Krug zahlen machen,
aber er hat eine Naſe gekriegt. — Bonard hoͤrte
auch dieſes, ſagte es dem Direktor, und dieſer gab
[469] mir nun auch eine Naſe. Bonard, um ſich an mir
zu raͤchen, verſetzte mich auf den Saal Egalité,
wo die Kraͤtzigen lagen. Das verdroß mich ſehr,
aber ich mußte ſchon zufrieden ſein, weil ſolche A[n]-
ordnungen lediglich vom Major abhaͤngen, und
weil es mir, als einem der juͤngſten Krankenwaͤr-
ter zukam, die Kraͤtzigen zu warten: denn da dieſe
die wenigſte Wartung beduͤrfen, und der Waͤrter
nicht einmal ihr Bette machen darf: ſo uͤberlaͤßt
man ihre Pflege den Neulingen unter den Waͤr-
tern.


Ich blieb indeß noch einen ganzen Monat auf
Egalité und foderte meinen Abſchied erſt zu Ende
des Prairéals. Der Direktor gab mir ihn ungern,
aber er gab mir ihn, als ich darauf beſtand, und
obendrein ein gutes Zeugniß, welches hernach bey
der Inquiſition revolutionnaire in Macon geblie-
ben iſt.


Nun fing ich meine Stunden mit den fremden
Offizieren an, und meine Schuͤler waren der Hr.
Hauptmann von Euler, Hr. Leut. von Crone,
von den Kaiſerlichen; Hr. Leut. von Witzleben
und von Fink, von den Preußen; Hr. Leut. von
Ruhdorf, von Reinhardt und von Sander
von den Hannoveranern; Hr. Leut. von Branden-
ſtein von den Sachſen, und Herr Dunhaupt,
Feldſcheer bey den Hannoveranern. Alſo hatte ich
[470] taͤglich neun Lektionen: fuͤr jede erhielt ich 7½ Sous:
folglich verdiente ich monatlich 101 Livres 5 Sous,
wofuͤr ich in Dijon recht gut leben konnte, um ſo
eher, da mir die Nation ohnehin mein Brod, und
taͤglich 10 Sous Geld gab.


Ich danke hier den Herren, welche mich in Dijon
ihres Zutrauens wuͤrdigten, von Herzen fuͤr das
viele Gute, und fuͤr die Freundſchaft, die ſie mir
bewieſen haben.


Von da an logirte ich in der Caſerne der Deſer-
teurs, wo mir der Kommendant Belin ein ziemlich
gutes Bette gegeben hatte. Ich logirte mit dem
Sohne des Biſchofs von Coppenhagen, der aber
ſeinen Namen veraͤndert hatte, und jezt Adelsberg
hieß, auf einer ehemaligen Nonnenzelle, wozu wir
den Schluͤſſel hatten.


Dieſer junge Mann war in Daͤniſchen Dienſten
geweſen, und hatte bey der Garde, als Faͤhndrich
geſtanden. Einige dumme Streiche, wie er ſelbſt
ſagte, machten, daß der Kronprinz von Daͤnemark,
als General der Garde, ihm einige derbe Verweiſe
gab, worauf er wider den Willen ſeines Vaters den
Dienſt verließ und nach Deutſchland ging, um da
bey den Preußen anzukommen. Er wollte aber
das preußiſche Militaͤr wenig gekannt haben, ſonſt
ſagte er, haͤtte er den Schritt nie gewagt. Er
ging, auf Zurathen einiger Bekannten in Hamburg,
[471] unter die preußiſche leichte Infanterie, und wurde
bey dem Bataillon von Muͤffling, nicht Junker,
wie er erwartet hatte, ſondern Schuͤtze. Seinen
Koffer, voll Waͤſche und anderer Sachen, nahm der
Major an ſich, und verſprach ihm, fuͤr ſeine Be-
foͤrderung zu ſorgen. Adelsberg diente ohnge-
faͤhr ein Jahr, merkte aber gar nichts von Befoͤrde-
rung, fuͤhlte alſo Aerger und Langeweile, und deſer-
tirte bey der Retirade im Winter 1793, kam nach
Langres, Macon und endlich, nach vielem Herum-
laufen, nach Dijon. Er iſt unter einem ſelbſtfa-
bricirten Taufſchein ſchon im Herbſt 1794 aus
Frankreich gegangen, wohin aber, weiß ich nicht.


Adelsberg, oder, wie er eig[e]ntlich hieß,
Balle, war ein guter Menſch, der auch einige
Kenntniſſe hatte. Ich habe in ſeinem Umgang
mich recht gut befunden, vorzuͤglich, da die meiſten
der in Dijon befindlichen Deſerteurs eingemachte
Schurken waren, mit denen man gar nicht zurechte
kommen konnte. Die Einwohner in Dijon haßten
dieſe Leute auch ſehr wegen ihrer erzgroben Streiche,
welche ſie tagtaͤglich begingen. Stehlen war be-
ſonders ihre Sache, und es verging kein Tag, daß
nicht Klagen wegen Diebſtahl bey dem Kommen-
danten wider einen Deſerteur eingelaufen waͤren.


Die elenden Leute ſind zwar nicht werth, daß
ich von i[hr]en Stuͤckchen die Leſer unterhalte, aber
[472] eine Erzaͤhlung dieſer Art kann doch dienen, daß man
einſehen lerne, man muͤſſe eben nicht jedem glau-
ben, der aus Frankreich kommt, und die franzoͤſi-
ſche Nation tadelt. Die Leute ſind wegen ihrer
Uebelthaten in Frankreich beſtraft worden, und nun
wollen ſie ſich durch Schmaͤhungen und Laͤſterun-
gen raͤchen. Wer ſich aber daſelbſt geſetzmaͤßig be-
tragen, und nur keine groben Exceſſe begangen hat,
wird keine Urſache haben, mit der Behandlung
der Franzoſen unzufrieden zu ſeyn. Ich will da-
her eins und das andere, was mir ſo eben einfaͤllt,
von dem ſchlechten Betragen der Deſerteurs aufuͤh-
ren.


Ein gewiſſer Bollmann, von den Kaiſerlichen,
aus Koͤlln am Rhein gebuͤrtig, hatte in Dijon eine
huͤbſche Frau genommen, welche aber in ſehr zwey-
deutigem Rufe als Maͤdchen geſtanden war. Er
logirte ſich in die Stadt zu einer Wittfrau, und
fing da an Wein zu ſchenken. Bey eben dieſer Witt-
frau logirte auch ein alter Mann, ehemals Parla-
ments-Aſſeſſor in Dijon, Namens Fouquet. Boll-
manns Frau wartete dem alten Manne auf, und
gewann ſein ganzes Zutrauen. Noch zu der Zeit,
als ich auf dem Hoſpital war, mußte Fonquet nach
Pontarlier verreiſen, und uͤbergab der Bollmannen
ſeinen Stubenſchluͤſſel. Dieſe und ihr Mann oͤff-
neten nun Fouquets Koffer, nahmen alles, was
[473] ſie vorfanden, und wegbringen konnten, und noch
eine Summe baares Geld von 12000 Livres.


Außerdem hatte ein andrer Deſerteur, Jil, wel-
cher krank im Hoſpital war, dem Bollmann ſeine
Uhr, Kleidung und einige 100 Livres aufzuheben
anvertraut. Alles das packte das ſaubere Paar zu
dem vorigen, und entlief nach der Schweiz. Aber
ohnweit Beſançon hielt man ſie auf Steckbriefe an,
und ſchickte ſie nach Dijon zuruͤck. Der Mann
wurde auf 6, die Frau aber auf 3 Monate zum
Arreſt verdammt. Ich habe nachher den ſaubern
Schurken im Hoſpital Rouſſeau ſtark uͤber die Fran-
zoſen raͤſonniren hoͤren: aber man weiß, warum.


Ein Anderer, Namens Gerber, machte die
Hand des Kommendanten Belin nach, verfertigte
Brodzettel, und ſtahl auf dieſe Art dem Brodaus-
geber uͤber 60 Stuͤck Brod nach und nach. Er
wurde ebenfalls auf 6 Monate eingeſteckt.


Zwey Deſerteurs griffen Abends im Finſtern
einen Mann in der engen Gaſſe, wodurch man nach
dem Departementshauſe geht, an, raubten ihm
ſeine Uhr und Brieftaſche mit Gewalt, und ent-
liefen.


Kein Frauenzimmer getraute ſich beynahe
Abends allein auf der Straße zu gehen, weil die
Deſerteurs ihnen die Hauben und Halstuͤcher ge-
waltſam wegriſſen.


[474]

Nirgends ſahe man dieſes Geſindel gern hin-
kommen: denn wohin ſie kamen, ſchlugen und
rauften ſie ſich, und zogen aus den Wirthshaͤuſern
gemeiniglich ab, ohne zu bezahlen. Bey einer
Brantweinbrennerey drangen ſie einmal in den La-
den, nahmen einige Flaſchen mit Gewalt, und
liefen damit nach der Caſerne.


Als endlich die Ausſchweifungen der Deſerteurs
taͤglich zunahmen: ſo wurde beſchloſſen, dieſelben
zu vertheilen, und auf die umliegenden kleinern
Staͤdte zu ſchicken. Ein Trupp mußte nach Belle
Dêfenſe,
oder St. lean de Lone, wie es ſonſt hieß;
andre wurden nach Anronne, Beaune und ſonſt wo-
hin geſchickt; auch konnte jeder, der nur wollte,
aufs Dorf gehen, und bey den Bauren arbeiten
helfen, wo auch jeder Arbeit fand.


Der Kommendant Belin wurde von der Mu-
nicipalitaͤt angegangen, daß er keine beſſere Ord-
nung bey den Deſerteurs hielte. Aber der gute
Mann konnte wirklich dieſe Hoͤllenbrut nicht baͤn-
digen. Die Caſerne der Deſerteurs war einer Raͤu-
berhoͤle ſo aͤhnlich, wie ein Ey dem andern. Nach
dem Befehl des Convents ſollten von den Deſer-
teurs die beſten zu Aufſehern uͤber die andern beſtellt
werden: aber da war es ſehr ſchwer, gute Leute her-
auszufinden, oder man dankte fuͤr die Ehre, un-
ter einem ſolchen Haufen etwas zu ſagen zu haben.
[475] So lehnte ich ſelbſt das Aufſeher-Amt von mir ab,
als Belin mir es antrug: denn wer thun wollte,
was ſein Amt mit ſich brachte, war ſeines Lebens
bey den Unmenſchen nicht ſicher.


Einſt kam der Kommendant ſelbſt ins Kloſter,
um gewiſſen Unordnungen abzuhelfen: aber da er-
griffen ihn einige, welche vorher ihre Roͤcke aus-
gezogen, und ihre Geſichter mit Schnupftuͤchern
verbunden hatten, um unkenntlich zu ſeyn, gaben
ihm derbe Rippenſtoͤße, und warfen ihn zum Thor
hinaus auf die Gaſſe. Er holte zwar Wache, aber
wer hatte es nun gethan! Wie konnte man unter
1000 Spitzbuben die Viere herausfinden, welche
den Kommendanten mishandelt hatten?


Das Kloſter, worin die Deſerteurs ihr Weſen
hatten, war ein adeliches Stift geweſen, und hatte
herrliche Bequemlichkeit: aber bald ſah es aus,
wie eine Spelunke. Die meiſten Zimmer waren
getaͤfelt, und ſehr viele tapezirt geweſen, weil hier
ehemals, nach der Mode in Frankreich, viele junge
Damen erzogen wurden. Aber die Deſerteurs riſ-
ſen die Tapeten und das Getaͤfel herunter, und
verbrannten alles, Thuͤren, Stuͤhle, Baͤnke, Fuß-
boden, ſogar die Sparren vom Dache. So we-
nigſtens fand ichs, als ich im Jaͤnner 1795 noch
einmal dahin ging.


[476]

Von den Oertern, wohin man einen Theil der
Deſerteurs geſchickt hatte, liefen die bitterſten Kla-
gen ein. Einige durchſtreiften das Land, und ſtah-
len auf den Doͤrfern, ſo, daß keine Gans, Huhn
oder Puter vor ihnen ſicher war. Sie erbrachen
die Keller, und holten den Bauren ihren Wein her-
aus u. ſ. w.


Indeſſen wurden, wie ich oben erwaͤhnte, die
Deſerteurs, wenn ihre Bubenſtuͤcke entdeckt wur-
den, doch nicht ſo hart beſtraft, als wenn ſie fran-
zoͤſiſche Buͤrger geweſen waͤren. Man koͤnne, meyn-
te Belin, von ſo einem unmoraliſchen Hauſen,
der nur den Stock reſpektiren gelernt haͤtte, nicht
viel fodern: wenn ſie es nur nicht zu arg mach-
ten, muͤßte man immer zufrieden ſeyn. Doch ſaß
die Priſon in der Caſerne immer voll Burſchen,
welche bald dieſen, bald jenen Lumpenſtreich voll-
fuͤhrt hatten: wer aber grobe Verbrechen beging,
wurde nach der Conciergerie gebracht. Einmal
brachen die Eingeſperrten ihre Kerker mit Gewalt
auf, und ſezten ſich in Freyheit; und der Kommen-
dant war nicht ſo kuͤhn, ſie wieder einzuſtecken: er
hatte gehoͤrt, daß ſie ihn, im Fall er es thun wuͤr-
de, todtſchlagen wollten.


Im Fruͤhling d. J. 1794 ging das Laufen der
Deſerteurs und der Gefangnen nach der Schweiz
erſt recht an: faſt taͤglich eutliefen einige, aber ſehr
[477] viele wurden erwiſcht, und dann auf 8, 14 Ta-
ge eingeſteckt. Ich kenne ihrer, welche drey-vier-
mal zu entlaufen verſucht haben. Viele ſind auch
durchgeſchluͤpft, welches endlich ſehr leicht wurde,
nachdem, wie man weiß, die Jakobiner die Graͤn-
zen nicht mehr ſo ſtark beſezt hielten. Als vollends
das Dekret uͤber die Entlaſſung neutraler Auslaͤn-
der bekannt wurde, da machten Viele ſich und an-
dern falſche Taufſcheine, beſonders ein gewiſſer
Bernhard von Wuͤrzburg, ein ehemaliger Jeſuiter-
ſchuͤler. Ein Andrer, Boͤhmroth, vom Regi-
ment Wolfframsdorff, fabricirte gar falſche Sie-
gel, und ſo gelangten Viele zu Paͤſſen nach der
Schweiz. Aber endlich wurde auch dieſer Kunſt-
griff entdeckt, beſonders da in den falſchen Tauf-
ſcheinen oft die laͤcherlichſten, grammatikaliſchen
Schnitzer vorkamen. Das Departement unterſuch-
te alſo die Papiere von nun an genauer, ob ihnen
gleich wenig daran lag, daß ſolche unnuͤtze Men-
ſchen Frankreich verließen. Boͤhmroth wurde
drey Monate eingeſteckt, weil er fuͤr einen Andern
einen Paß verfertiget und das Siegel des Depar-
tements nachgemacht hatte.


Aus dem, was ich hier erzaͤhlt habe, kann man
ſchon abnehmen, warum Mancher, der aus Frank-
reich zuruͤckkam, uͤbel von den Franzoſen ſpricht.
Aber ich getraue mich auch, ganz dreiſte zu behaup-
[478] ten, daß, wer dieſes thut, ſich gewiß als ein De-
ſerteur, das heißt, als ein verdorbner Menſch, in
Frankreich betragen hat, der nur die phyſiſche Mo-
ral des Stockes und nicht die der Geſetze zu achten
gelernt hatte.


Vier und dreißigſtes Kapitel.


Meine Beſchaͤftigung in Dijon. Rechtspflege in Frankreich.


Ich konnte es unter der infamen Bande der De-
ſerteurs nicht lange aushalten, und ſuchte mir da-
her ein Quartier in der Stadt, wo ich zwar taͤg-
lich 4 Sous fuͤr Kammer und Bette zahlen mußte,
aber nun auch bequem und artig wohnte. Es war
bey einem geweſenen Bedienten des Exprinzen von
Condé, der mir manche Anekdote von ſeinem ehe-
maligen Herrn mittheilte, welche ich zu ſeiner
Zeit in den Abentheuern des Marki von Vilencon
erzaͤhlen werde. Er hatte mit ihm auswandern
ſollen, aber er hatte lieber in ſeinem Vaterlande blei-
ben wollen, als in andern Laͤndern den Vagabun-
den machen; und daran that er recht.


Der Kommendant Belin konnte mich, wie
ich oͤfters merkte, gut leiden: er war ſeines Ge-
werbes ein Eiſenhaͤndler, und ein Mann von eini-
[479] gen Kenntnißen. Ich erhielt von ihm, was ich
wollte, und mehr als einmal gab er mir Papier-
geld. Er meynte, wenn alle Deſerteurs waͤren,
wie ich, ſo wollte er mit Freuden jedem alle Wo-
che eine Bonteille Wein geben. Einen davon hatte
er in ſein Haus genommen, und brauchte ihn zu
ſeiner Bedienung.


Ich habe meine Zeit ſo ziemlich vergnuͤgt in
Dijon zugebracht: wenn ich mit meinen Lektionen
fertig war, ging ich in die Weinſchenke zu Vien-
not, wo immer ſtarke Geſellſchaft war. Da ich
ſchon vorher mit vielen Buͤrgern aus der Stadt be-
kannt war, ſo mehrten ſich meine Bekanntſchaften
immer, und da ich fleißig mitſchwadronirte, ſo war
ich wohl gelitten. Sehr oft wurde ich von den
Gaͤſten in die Weinſchenken gerufen, um mit die-
ſem und jenem eine Flaſche zu leeren: denn es iſt
dem Franzoſen unmoͤglich, allein zu trinken: er
muß ſchlechterdings einen Geſellſchafter haben, der
mit ihm plaudere und trinke.


Die Geſpraͤche waren allemal politiſchen In-
halts: man raͤſonnirte uͤber den Krieg, uͤber die
Geſetze, uͤber die dereinſtige aͤchte Form der fran-
zoͤſiſchen Republik, und andre Gegenſtaͤnde dieſer
Art. Da mir alle dieſe Dinge ſchon lange intereſ-
ſant waren, ſo konnte ich mich ſehr dabey unterhal-
ten; und da ich uͤber alles das viel nachgedacht hat-
[480] te, ſo konnte ich meine Meynung oft mit großem
Beifall derer ſagen, die mir zuhoͤrten. Beſonders
war es den Franzoſen angenehm, wenn ich ihnen
aus der Geſchichte der Griechen, Roͤmer, Schwei-
zer und Niederlaͤnder etwas erzaͤhlte, und ihre neue
Republik, mit jenen aͤltern Freyſtaaten verglich.
Viennot ſah allemal gern, wenn ich kam; und
meine Zeche war immer gemacht, wenn ich mit
Franzoſen zuſammen trank: denn dieſe ließen mich
niemals mitbezahlen.


Die Franzoſen beſuchten damals die oͤffentlichen
Wirthshaͤuſer haͤufiger als ſonſt. Denn die Jako-
biner gaben auf alle Tritte und Schritte der Buͤr-
ger Achtung, und ſahen nach ihrer oͤftern Erfah-
rung die Geſellſchaften in Privathaͤuſern als ver-
daͤchtig an. Man ſcheute ſich daher, jemand in
ſeinem Hauſe zu beſuchen, wie denn auch niemand
einen Beſuch gern annahm, weil er nicht wiſſen
konnte, ob der Fremde verdaͤchtig war oder nicht.
Die oͤffentlichen Haͤuſer waren aber von allem Ver-
dacht des Royalismus und Foderalismus frey; und
da die Franzoſen durchaus Geſellſchaft haben muͤſ-
ſen, ſo wurden dieſe deſto fleißiger beſucht. Ich
muß geſtehen, daß ich in dieſen Geſellſchaften, worin
das lebhafteſte Ideen-Commerz herrſchte, viel ge-
lernt, und meine Begriffe uͤber das Neufraͤnkiſche
Syſtem ſehr berichtiget habe, welches warlich nichts
[481] leichtes iſt, da uns unſre von Jugend auf beyge-
brachten Begriffe von Herrſchaft, Adel, Vorrech-
ten, Religion u. ſ. w. zu gar ſchiefen Urtheilen
verleiten koͤnnen, wenn wir die franzoͤſiſchen Be-
gebenheiten nur ſo obenhin anſchauen, zumal nach
der einſeitigen oder ganz verſchraubten Darſtellung
ſo vieler benebelter Schriftſteller. Deswegen muß
man auch Geduld mit denen haben, welche dieſe
große Revolution von der unrechten Seite anſehen.
Die Leute ſind nicht unterrichtet, oder unbeſchnitten
an Herz und Kopf. Wenn daher der Wanderer
in ſeinen Wanderungen einen kleinen Trupp fran-
zoͤſiſcher Gefangenen einen peuple ſouverain nennt,
und ſich dann uͤber ſein eignes Hirngeſpinnſt etwas
zu gute thut: wer zuckt nicht die Achſeln uͤber den
abgeſchmackten, faden Geſpenſter-Vogt!


Fleißig habe ich auch die Gerichtsplaͤtze
beſucht, wohin jeder gehen und alles mit anhoͤren
darf, was da verhandelt wird. Es giebt in Frank-
reich keine Rechts- oder Juſtiz-Geheimniſſe mehr:
blos der Friedensrichter handelt bei verſchloßnen
Thuͤren, und das iſt auch ſchon recht. Denn der
Friedensrichter iſt eigentlich kein Richter, ſondern
eine von dem Diſtrikt autoriſirte Perſon, die Pri-
vathaͤndel der Buͤrger in der Guͤte beyzulegen;
und dazu dedarf es keiner Publicitaͤt.


Vierter Theil. H h
[482]

Ich habe, ich weiß nicht recht mehr, wo, gele-
ſen, daß die Franzoſen ſeit der Entſtehung ihres
neuen Syſtems ſchon uͤber 7000 Geſetze gemacht
haͤtten; und daruͤber hat ſich de[r] E[h]renmann, der
das geſchrieben hat, derb aufgehalten, und gefragt,
was doch aus einem Staat werden koͤnne, der 7000
Geſetze haͤtte! Aber der Menſch wußte wohl nicht,
was er ſchrieb. Die meiſten franzoͤſiſchen Geſetze
gehen blos auf die Begebenheiten des Tages, und
gelten gerade nur ſo lange, als ihr Gegenſtand dauert.
Buͤrgerliche Geſetze betreffen blos den Privatſtand,
und ihrer ſind aͤußerſt wenig. Ihr Inhalt iſt ge-
meinnuͤtzig, und ihre Sprache gemeinverſtaͤnd-
lich.


Doch giebt es in Frankreich, wie in der ganzen
Welt Rechtshaͤndel, welche man aber allemal erſt
bey dem Friedensrichter anbringen muß. Denn
kein Collegium darf einen Proceß annehmen, ohne
daß der Friedensrichter den Klaͤger durch ein Cer-
tifikat dazu autoriſirt habe. Einen Friedensrichter
giebt es in jeder Gemeinde und er hat die Pflicht
auf ſich, die ſtreitenden Partheyen auf jede Art zu
verſtaͤndigen, und zum Vergleich zu bewegen. Er
kann von d[en] Partheyen keinen Heller nehmen, iſt
aber auch wegen ſeiner Friedensſtiftung niemanden
reſponſabel; ja, er darf ſogar nicht einmal die Pro-
[z]eſſe bekannt machen, und iſt quaſi ein juriſtiſcher
[483] Beichtvater. Wie nuͤtzlich und wohlthaͤtig aber
das Amt eines Friedensrichters ([I]uge de paix) ſey,
muͤſſen alle wiſſen, welche jemals das Ungluͤck ge-
habt haben, der Deutſchen Juſtiz, beſonders der
- - und der - - in die Krallen zu gerathen.


Wenn aber die Bemuͤhungen des Friedens-
richters nichts ausrichten, ſo muß freylich die
Sache da angebracht werden, wo ſie nach den Ge-
ſetzen entſchieden werden kann. Der Friedensrich-
ter, welcher auf jeden Fall die Geſetze verſtehen
muß, ſagt zwar den Partheyen allemal, wer Recht
oder Unrecht habe, wer gewinnen oder verlieren
werde, aber wenn ſie ſich doch nicht weiſen laſſen,
ſo muß er ſie an die Richter weiſen. Iſt die Sache
von ganz geringem Belang, ſo wird ſie ſofort auf
der Dorf - oder Stadtmunicipalitaͤt entſchieden; iſt
ſie aber etwas verworrener, oder wollen die Par-
theyen mit dem Spruch der Municipalitaͤt nicht
zufrieden ſeyn, ſo geht es auf das Diſtrikts-
gericht.


Hier ſind zwoͤlf Beyſitzer, und ein Praͤſident,
der jedoch oft umwechſelt. Erſt wird die Sache
muͤndlich entweder von den Partheyen ſelbſt, oder
von ihrem Anwald — worunter man ſich aber kei-
nen Advokaten, Juſtizkommiſſarius oder ſonſt ein
Maͤnnlein dieſer Art denken darf — deutlich vor-
getragen, und nach den Hauptpunkten vom Schrei-
[484] ber aufgeſezt. Wenn alles vorgebracht iſt, was
zur Sache gehoͤrt, nimmt der Praͤſident den Auf-
ſatz des Schreibers, und ließt ihn den Partheyen
ſowohl, als den Beyſitzern vor. Erſtere werden
befragt, ob noch etwas zu erinnern ſey. Wenn
ſie es verneinen, ſo wird den Richtern vom Praͤſi-
denten ein Vortrag gemacht, worin er ihnen die
ganze Lage der Rechtsſache erklaͤrt. Nun wird,
um Beſtechungen vorzubeugen, geloſet, und drey
von den zwoͤlf Beyſitzern werden Richter in der
Sache. Dieſe nehmen die hieher gehoͤrigen Geſetze
vor, beſtimmen ihren Sinn, und ſprechen das Ur-
theil auf der Stelle, welches ſofort vom Schreiber
aufgezeichnet, und den Partheyen eingehaͤndigt
wird; und damit iſt die Streitſache hier ent-
ſchieden.


Sollten die Partheyen glauben, daß man ihnen
Unrecht thue, ſo koͤnnen ſie aufs Departements-
Gericht, und von da an den Konvent (Chambre
de caſſation
) gehen: das alles ſteht ihnen frey, und
koſtet nichts, als die Zeit, die ſie verſaͤumen. Aber
ſehr ſelten geht ein Proceß durch mehr als eine In-
ſtanz, und aͤußer[ſt][wen]ige kommen nach Paris;
denn man iſt in den hoͤh[ern] Inſtanzen eben nicht
gewohnt, den niederen zu widerſprechen und andre
Spruͤche zu faͤllen, als ſchon den G[e]ſe[tz]en gemaͤß
gefaͤllt waren.


[485]

Die Urſache der ſchnellen Juſtiz in Frankreich
mag wohl nicht an den Geſetzen allein, und nicht
einmal groͤßtentheils an den Geſetzen liegen. Dieſe
ſind zwar ſehr deutlich und beſtimmt, und es koſtet
kein Kopfbrechen, ſie zu verſtehen, und im gehoͤrigen
Fall anzuwenden. Aber die Geſetze in andern Laͤn-
dern ſind auch deutlich und beſtimmt, wie man
denn dem neuen Geſetzbuch in Preußen meiſt nur
den Vorwurf der Weitſchweifigkeit machen kann.
Aber daß in Frankreich die Juſtiz raſch von ſtatten
gehe, in andern Laͤndern aber ſo ſehr ſchneckengaͤn-
gig, daran ſcheinen andre Dinge Schuld zu ſeyn.
In Frankreich gilt der hohe Grundſatz der Gleich-
heit, nach welchem jeder Menſch, in Ruͤckſicht
auf Geſetz und Recht, ſo gut iſt, als jeder andere;
folglich darf und kan[n] da keine Perſon angeſehen
werden. Aber in Deutſchland — du lieber Gott,
da kann mancher zugleich Klaͤger und Zeuge ſeyn;
da fraͤgt man erſt wer es iſt? Und findet ſichs,
daß der Beklagte ein Mann von Einfluß, ein rei-
cher, vornehmer Herr iſt, je nun, ſo verliert er
ſeinen Proceß gewiß nicht, geſezt auch, er habe
das groͤßte Unrecht von der Welt. Ich kann mit
Beyſpielen aufwarten.


Eine andere Haupturſache der ſchnellen Juſtiz-
pflege in Frankreich iſt, daß keine Advokaten da
ſind, keine Juſtizkommiſſarien, welche fuͤr Geld
[486] vertheidigen. Denn Geld bekoͤmmt da kein Anwald;
und fuͤr einen Vortrag oder fuͤr eine Vertheidigung
oder Verantwortung darf Niemand nichts nehmen,
oder er wuͤrde ſich und ſeinen Civismus aͤußerſt
verdaͤchtig und verhaßt machen.


Drittens giebt es auch keine Sporteln: denn
das Recht wird nicht verkauft. Daher haben denn
auch die Richter und Anwalde keinen Vortheil da-
von, wenn ſie den Proceß in die Laͤnge ziehen: je
eher er ausgeht, deſto eher ſind ſie dieſer Laſt uͤber-
hoben. Diaͤten u. dgl. werden ganz und gar nicht
gutgethan. Bey uns iſt das ganz anders!


Und endlich, welches die Haupturſache der
beſſern Rechtspflege bey den Franzoſen iſt, jeder
Buͤrger, welcher mit bey Gerichte ſizt, hat alle nur
moͤgliche und hoͤchſte Urſache, das Recht ja nicht
zu beugen, und nur nach dem Geſetz und ſeiner
beſten Einſicht zu ſprechen. Denn er iſt ja gar
nicht lange Richter: es giebt ſolcher Aemter, welche
nur ein halbes Jahr dauern; wenige waͤhren zwey
Jahre. Da er alſo befuͤrchten muß, daß man als-
dann die Rechtsſache abermals vornehme, und ihm,
wenn man beweiſen koͤnnte, daß er das Recht ge-
bogen haͤtte, die gefaͤhrlichſten Haͤndel zu Halſe
ziehen koͤnnte, ſo iſt es eben ſo ſehr ſein Vortheil
als ſeine Pflicht, ſich zu huͤten, und nur ſo zu ſpre-
[487] chen, wie es die Vernunft nach dem Spruch des
Geſetzes fodert.


Man entdeckt gar bald, welcher Richter ein
Schurke, und welcher ein ehrlicher Mann iſt. Wir
wiſſen z. B. alle, daß Hr. Linksum die Pupillenkaſſe
beſtohlen hat; daß Hr. Rath Schurkius falſche
Zeugniſſe gerichtlich ausſtellt; daß der Juſtizkom-
miſſar Rabula zwey Gegenpartheyen zugleich be-
dient, und beyde betruͤgt; daß der Juſtiz-Amtmann
Schleicher fuͤr den Putz ſeiner Frau und Kinder
mehr ausgiebt, als er rechtmaͤßiges Einkommen
hat: das und noch tauſendmal mehr wiſſen wir,
aber wozu hilft es, daß wir es wiſſen? Die Her-
ren hab[e]n Aemter d. i. Gewalt. Nehmt aber
dem Herrn Linksum, Schurkius, Rabula, Schlei-
cher und andern dieſes Gelichters ihre Aemter, ſo
werden ſie gar bald der Gegenſtand der allgemeinen
Verachtung und des wohlverdienten [H]aſſes aller
Rechtſchaffnen und ſelbſt des Poͤbels ſeyn, und ſo
ihre Strafe leiden. Wuͤßten dieſe Herren, daß man
ſie einmal zur beſtimmten Zeit abſetzen werde: ſie
wuͤrden ihr Amt weit ehrlicher verwalten. *)


[488]

In Frankreich ſind alle Juſtizaͤmter ambulato-
riſch: Keiner bleibt lange Maͤre, Prokurator,
Beyſitzer u. ſ. f. Alle wiſſen den Punkt, wo ſie
abgehen muͤſſen: daher haben auch alle den groͤß-
ten und ſtaͤrkſten Beweggrund, recht zu thun und
das Geſetz nicht zu beleidigen.


Es iſt allerdings an dem, daß die jetzigen fraͤn-
zoͤſiſchen Richter groͤßtentheils nicht auf Univerſi-
taͤten geweſen ſind, keine Compendia und Sy[ſte]mata
ſtudiert haben, und nicht Doktoren in utroque jure
geworden ſind. Allein die ſchlechte Juſtiz in Deutſch-
land koͤmmt nicht aus der Unwiſſenheit der Rich-
ter, ſondern aus ihrem Privatintereſſe: deswegen
ve[ke]hren und verdrehen ſie den klaren Ausſpruch
des Geſetzes, und machen die hellſten Sachen dun-
kel und verwirrt. Uebrigens ſehe ich auch nicht
ein, warum ein franzoͤſiſcher Buͤrger, der ſich mit
den ohnehin ſchon deutlichbeſtimmten Geſetzen ab-
giebt, und ſonſt einen guten ſchlichten Verſtand
hat, nicht eben ſo gut das, was recht i[ſt], oder un-
recht, lernen ſollte, als einer von unſern Herren
Akad[e]mikern, die nur ſo nothduͤrftig ein Kollegi-
um bey einem Profeſſor hoͤren, dem andre Sach-
*)
[489] ken[n]er die groͤbſte Unwiſſenheit und die ſchuͤlermaͤſ-
ſigſten Schnitzer vorwerfen. Ohnerachtet man in
Frankreich alles ruͤgen kann, was tadelhaft ſcheint,
ſo weiß ich doch nicht, daß zwey Rechtsmaͤnner
ſich dort wegen Ignoranz je ſo befehdet haͤtten, wie
vor kurzem ein Paar Rechtsgelehrte in Deutſchland,
die gar ſo weit gingen, daß ſie ſich die Ohren,
nach Art der Jagdhunde, beſteigen, und zu dieſem
Behufe Leitern brauchen wollten. *)


Es mag aber bey dem [V]orwurfe, daß die neu-
fraͤnkiſchen Juriſten kein Ius verſtehen ſollen, ge-
hen, wie es mit einem andern eben ſo wichti-
gen ging, daß ihre Soldaten Lumpenpack waͤren,
die wie ihre Generale, gar nichts vom Kriege und
der Kunſt, ihn recht zu fuͤhren verſtaͤnden. Die
Franzoſen haben gewieſen, daß ſie Soldaten ſind;
und wer hingeht, wird finden, daß ſie das Recht
eben ſo gut handhaben, wenn nicht noch beſ-
der, als die rabuliſtiſchen Rechtspfleger anderer
Nationen.


Uebrigens iſt auch die Neufraͤnkiſche Jurispru-
denz bey weitem ſo ſchwer nicht, als die Deutſche.
Man bedenke nur, wie ſchwierig die Lehre von den
Teſtamenten, von Eheſachen u. ſ. w. iſt; und dann
[490] nehme man das liebliche lus publicum, feudale,
canonicum
und andere Theile der vielkoͤpfigen deut-
ſchen Juriſterey, wovon die Neufranken kein Wort
mehr wiſſen wollen; und man wird finden, daß es
leichter ſey, in Frankreich ein Rechtsverſtaͤndiger
zu werden, als bey uns in Deutſchland.


Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.


Verſuch, nach der Schweiz zu entkommen. Entfernung der Guil-
lotine. Nationalfeſte in Dijon. Sinken der Jakobiner.
Geſpenſter.


Einmal, es mogte ſo einen Monat nach meinem
Abſchiede aus dem Spitale ſeyn, ließ ich mich von
einem gewiſſen Geſell, der vorher bey dem preußi-
ſchen Regiment von Kleiſt geſtanden hatte,
verleiten, mit ihm nach der Schweiz entwiſchen zu
wollen. Es war noch vor dem Dekrete des Kon-
vents, daß neutrale Auslaͤnder zu Hauſe gehen
duͤrften. Dieſer Geſell ſtellte mir die Sache ſo
leicht vor, daß ich bald nachgab, und ihn zu be-
gleiten verſprach. Die Urſache, warum er mich
gerade gern mitgehabt haͤtte, war ohne Zweifel,
weil ich eine gefuͤllte Brieftaſche mit Aſſignaten,
[491] und noch einiges baares Geld hatte. Ich kann ihm
das nicht verdenken; und wenn es uns gelungen
waͤre, unſern Anſchlag gluͤcklich auszufuͤhren:
gern haͤtt' ich all mein Papier, und all mein Geld
dazu hergegeben: mich luͤſtete es gar ſehr nach ei-
ner Reiſe durch die Schweiz.


Wir gingen, nachdem wir uns auf vier Tage
mit Brod, Speck, und Schnaps verſehen hatten,
Abends von Dijon weg nach Auxonne zu. Ohn-
weit Auxonne verbargen wir uns fruͤh in einem
Wald; harrten den ganzen Tag bis ſpaͤt in die Nacht,
um alsdann in der Naͤhe von Auxonne einen Kahn
loszumachen, und uͤber die Saone zu fahren.
Allein zu unſerm Ungluͤck waren Leute bey den Kaͤh-
nen; wir machten uns alſo auf die andre Seite
der Bruͤcke, fanden aber da gar keinen Kahn.
Nun liefen wir laͤngs dem Fluß hinan, ob wir
ſonſtwo Kaͤhne finden wuͤrden, aber umſonſt. End-
lich kam der Tag und wir waren nicht weit von
einem Dorfe. Du ſiehſt, ſagte ich zu Geſell,
wir kommen nicht uͤber den Fluß; und wenn wir
auch druͤber waͤren, ſo wiſſen wir hernach weder
Weg noch Steg: laß uns alſo umkehren, und un-
ſer Vorhaben ein andermal ins Werk ſetzen, wenn
wir welche bey uns haben, die der Wege kundiger
ſind als wir.


[492]

Geſell gab mir recht, fuͤrchtete aber, der Kom-
mendant zu Dijon moͤgte uns in Arreſt ſetzen laſ-
ſen, wenn wir dahin zuruͤck kaͤmen; ſchlug mir
alſo vor, auf einen andern Diſtrikt zu gehen,
wie ſchon mehrere gethan haͤtten, und uns da fuͤr
Friſch-angekommene auszugeben. Ich hatte da-
zu keine Luſt, und Geſell ließ ſichs gefallen,
nach Dijon mit zuruͤck zu gehen. Wir gelangten
wieder dahin, und niemand ſchien uns vermißt zu
haben; doch erfuhr ich hernach aus dem Munde
des Kommendanten ſelbſt, daß er um alles wußte,
und nur ſchwieg, weil man uns nicht aufgefangen
hatte. — Es war allemal ein tolles Unternehmen,
aus einem Lande entwiſchen zu wollen, wo man
die Landſtraße nicht halten durfte, dabey der Ge-
genden unkundig war, und noch des Nachts gehen
mußte, um nicht jeden Augenblick von Auflaurern
angehalten zu werden.


Im Sommer dieſes Jahres war ein wahrer Ju-
bel in Dijon, wie in ganz Frankreich, als die
Volksrepraͤſentanten in den Departementern und
Diſtrikten die ſcheusliche Mordmaſchiene, die Guil-
lotine, aus den Augen des Publikums wegſchaffen
ließen. Dieſe Schreck-Buͤhne ſtand ſonſt immer
mitten auf den groͤßten und freyſten Plaͤtzen, das
Meſſer immer hoch, und drohte jedem Verbrecher
den Tod. Aber jezt, da die junge Republik der
[493] Verraͤtherey von Innen gewachſen war, jezt brachte
man ſie weg und ſtellte ſie in Kirchen oder Kloͤſtern
hin, holte ſie bey jedesmaligem Nothfall nur her-
vor, und ſchaffte ſie gleich nach dem Gebrauch wie-
der weg.


Die Franzoſen hatten eine faſt kindiſche Freude,
da ſie das Mordmeſſer nicht mehr vor Augen
hatten. Ihre Freude wurde noch vermehrt, da
ſie in dem Bulletin laſen, daß, wenn einmal die
allgemeine Ruhe hergeſtellt ſeyn wuͤrde, alle Arten
von Todesſtrafen abgeſtellt werden ſollten. — Ich
habe durchaus bemerkt, daß, obgleich Stroͤhme
Bluts in Frankreich gefloſſen ſind, das franzoͤſiſche
Volk das Blutvergießen doch nicht liebt. Die ab-
ſcheulichen Scenen waren eine nothwendige Folge
der Revolution: das Volk ſah dieß ein und ließ ſie
zu.


Bey dem Siegesfeſt, das in Dijon gefeiert
wurde, hatten wir eine Schnurre, die uns vielen
Spaß machte. Ein huͤbſches Maͤdchen, als Goͤttin
des Sieges gekleidet, wurde auf einem Triumph-
wagen herumgefahren, und die ganze Buͤrgerſchaft
ging in Proceſſion vor und hinten nach, und ſang
republikaniſche Lieder. Einige zwanzig oͤſtreichi-
ſche Kriegsgefangne ſtanden da, und gafften den
Zug an. Einer von ihnen fragte: was das fuͤr
eine Proceſſion ſey? Was wird es ſeyn, antwor-
[494] tete ein gewiſſer Beſſel, — den man ſchon kennt,
und von dem ich bald mehr ſagen werde, — die
Franzoſen feiern heute ihr Fronleichnamsfeſt. Ey
mein Gott, ſagten die Oeſtreicher, das iſt ja nicht
die rechte Zeit! — Das thut nichts, fuhr Beſſel
fort, die Franzoſen ſind ſchnakige Kerls: die
feyern das Fronleichnamsfeſt, wenns ihnen ge-
faͤllt.


Endlich ruͤckte der Triumphwagen naͤher, und
vor demſelben wurde ein Schild, das die Aegide
der Minerva vorſtellt, hergetragen. Die Oeſtrei-
cher nahmen dieſes Schild fuͤr eine Monſtranz, und
das Haupt der Meduſa fuͤrs Venerabile oder das
Hochwuͤrdige darin, zogen ihre Kasketer ab, fie-
len auf die Kniee, und beteten, unter vielem Klo-
pfen vor die Bruſt, das ſchoͤne Hochwuͤrdige an.
Nun entſtand ein allgemeines Gelaͤchter und ein
lauter Spektakel, welcher beynahe die Feierlichkeit
geſtoͤhrt haͤtte. Selbſt die Goͤttin des Sieges lach-
te auf ihrem Triumphwagen. Man ſprach uͤber
dieſe Schnurre noch lange in allen Schenken, und
lachte uͤber die unbegreifliche Unwiſſenheit und
Dummheit der Oeſtreicher, welche ſelbſt von ihrer
Pfaffenreligion ſehr wenig wiſſen mußten, da ſie
ſolche Sottiſen zu begehen faͤhig waren.


Herrlicher und ſchoͤner, als das Feſt des Sie-
ges, wurde das Feſt des hoͤchſten Weſens gefeiert,
[495] wobey auch eine große Proceſſion und feierliche
Muſik war, und erhabne Hymnen zu Ehren des Ur-
weſens geſungen wurden. Ich habe einige Reden
geleſen, welche an dieſem Tage hin und wieder in
Frankreich ſind gehalten worden, und habe daraus
erſehen, daß ein Republikaner von Gott ſich ganz
andre Vorſtellun[g]en macht, als der, welcher in ei-
ner Monarchie lebt. *)Voltaire hat wohl
Recht, daß der Menſch ſich den lieben Gott nach
ſeiner Lage denke, wie denn einmal ein Eremit
Gott den heiligen Geiſt, als Eremiten in einer
Eremitage mit der Kutte bekleidet, mahlte. —
Der Unterthan des Deſpoten macht aus Gott einen
Koͤnig, und giebt ihm alle Eigenſchaften deſſelben,
ſogar einen Hofſtaat, Armeen, Feinde u. dgl. Bey dem
denkenden Republikaner findet ein ganz andrer Be-
griff Eingang: Der wuͤrde nie ein Weſen verehren
koͤnnen, deſſen bloßer, unbedingter Wille Geſetz
iſt. Sein Gott muß mit Weisheit regieren, mehr
lenken durch Vernunft, als durch Strafen u. ſ. w.


Bey dieſem Nationalfeſte vergaß ſich ein frem-
der gefangner Offizier ſo ſehr, daß er des Abends
ſpaͤt im National-Habit, den ihm eine weibliche
Bekanntſchaft gegeben hatte, mit der Kokarde auf
dem Hute einem Balle beywohnte. Er mogte zu-
[496] viel getrunken haben, und bekam Haͤndel mit ei-
nem Franzoſen. Beyde wurden eingezogen, und
den folgenden Tag wurde der Offizier auf 6 Mo-
nate zum Arreſt verurtheilt: es war naͤmlich den
Kriegsgefangnen verboten, nach 10 Uhr auszu-
gehen, und noch mehr, Kokarden zu tragen. Bey-
des wuͤrde indeß nichts gemacht haben, wenn er
nur keine Haͤndel angefangen haͤtte. Er iſt aber
nicht lange geſeſſen: denn nach wenig Wochen kam
er durch die Fuͤrſprache einiger Buͤrger wieder los,
und die Richter aͤußerten: daß man gegen Kriegs-
gefangene allemal etwas von der Strenge der Ge-
ſetze erlaſſen koͤnne, aber gegen Buͤrger muͤſſe
man unerbitterlich ſein. Uebrigens wurde dieſer
Offizier in ſeinem Arreſt recht gut gehalten, und
ich habe ſelbſt geſehen, daß er in einem guten Zim-
mer ein recht gutes Bette und alle moͤgliche Be-
quemlichkeit gehabt hat. Auch die eingekerkerten
Kriegsgefangnen wurden gut gehalten, wie der ge-
meldete Offizier bezeugen kann. Ich wuͤrde ſei-
nen Namen hier nennen, wenn ich nicht befuͤrchten
muͤßte, den braven Mann, der mir ſehr wohl ge-
wollt hat, durch eine Unbeſcheidenheit zu belei-
digen.


Außer meinen Stunden machte ich mich auch
an allerhand Aufſaͤtze, vorzuͤglich an einen uͤber meine
Begebenheiten, und hatte bey meiner Abreiſe aus
[497] Frankreich ſchon eine große Anzahl Bogen fertig:
ich warf aber das meiſte davon ins Feuer, weil
ich mich vor der Viſitation auf der Graͤnze fuͤrchtete.


Die Jakobiner in Dijon hielten ihre ſehr zahl-
reichen Seſſionen in dem ehemaligen Pallaſt des
Biſchofs, wo ich oft recht kraͤftige Reden und
Verhandlungen mit angehoͤrt habe. In meiner
Ausbeute ſoll man einige davon antreffen. Aber
ſo angeſ[e]hen die hieſigen Jakobiner bey dem Kon-
vente, zu den Zeiten des Robespierre, ſeyn mußten,
ſo ſchlecht empfahlen ſie ſich hernach durch ihre
Adreſſe uͤber die Preßfreyheit, worin ſie, nach dem
Urtheil des Konvents, ganz verkehrte und Freyheits-
widrige Grundſaͤtze aufſtellten. Die Herren naͤm-
lich wollten, daß nur Buͤcher, nach ihren Grund-
ſaͤtzen geſchrieben, die Erlaubniß erhalten ſollten,
oͤffentlich zu erſcheinen, ſolche aber, welche etwan
ein anderes Syſtem z. B. das moderantiſtiſche u.
dgl. predigten, durchaus verboten wuͤrden. Der
Konvent widerſprach, wie billig, ſchickte die Adreſſe
welche die Dijoner hatten drucken und in der ganzen
Republik herumſchicken laſſen, mit Unwillen zuruͤck
und erklaͤrte: daß er nicht geſonnen ſey, die Denk-
und Preßfreiheit durch Geſetze zu vernichten, und
der menſchlichen Vernunft ihren Weg durch Dekrete
vorzuzeichnen.


Vierter Theil. Ii
[498]

Dieſe Antwort des Konvents machte die Dijo-
ner aufmerkſam, und ſie glaubten darin zu bemer-
ken, wie wenn der Konvent die oͤffentliche Mey-
nung fuͤr ſich und die Republik ſchon ſo feſt und
ſo allgemein begruͤndet halte, daß er des Or-
gans dazu, der Jakobiner, jezt eben ſo entbehren
koͤnne, wie der Guillotine: und hieraus folgerten
die Einſichtigern, daß der Einfluß der Jakobiner bald
ganz aufhoͤren wuͤrde. Ja, da die Antwort des
Konvents auf den Straßen im Bulletin zu leſen
war, ſo wieſen Einige ſchon mit bedeutender Miene
auf die ſonſt ſo ſehr gefuͤrchteten Jakobiner, und be-
merkten: es muͤßte doch wohl nicht ſo ganz mehr
an dem ſeyn, daß ſie, wie ſie ſich deſſen ſonſt zu ruͤh-
men pflegten, im Konvente alles durchzuſetzen ver-
moͤgten, was ſie nur wollten. Kurz dieſer Umſtand
veranlaßte viele Buͤrger, ſelbſt den Kommendan-
ten Belin, aus dem Klub herauszutreten, der ſich
auch von da an nur noch ſehr ſparſam verſammelte,
bis er endlich ganz aus einander ging. — Das Ge-
baͤude naͤmlich ſtand aufrecht, und das Geruͤſte
dazu ward uͤberfluͤßig.


Von der großen Sucht der Franzoſen, ſich zu
duelliren, ſahen wir dieſen Sommer hier ein trau-
riges Beyſpiel. *) An einem Morgen wurden, ohn-
[499] weit dem Thore Rouſſeau auf dem Walle, zwey
junge Maͤnner todt gefunden, welche ſich die Nacht,
und wahrſcheinlich ohne alle Zeugen geſchlagen
hatten. Der eine lag auf der bloßen Erde, und neben
ihm zwey blutige Degen; der andere auf einer Bank
in einiger Entfernung vom erſten, wohin er ſich
ohne Zweifel nach dem Stich noch geſchleppt hatte.
Sie mußten ſich zugleich verwundet haben: man
hat aber weder die Urſache ihres Zweykampfs, noch
die Umſtaͤnde deſſelben naͤher erfahren koͤnnen. Ohn-
weit der Stadt wurde auch ein Volontaͤr mit einem
Stich in der Bruſt todt gefunden: wahrſcheinlich
hatte dieſer ſich mit einem Kameraden herumge-
ſchlagen, denn ſeine Wunde war von einem Bajo-
net. Es iſt naͤmlich bekannt, daß die Volontaͤrs,
wenn ſie keine Degen oder Saͤbel haben, das Bajonet
zu ſolchen raſenden Geſchaͤften zu brauchen pflegen.


Daß die Franzoſen nicht mehr an Geſpenſter
glauben, habe ich in Dijon auch erfahren. Unſre
*)
[500] Gefangnen und Deſerteurs waren in Kloͤſtern ein-
quartiert; und da war es kein Wunder, daß ihnen
oft genug Geiſter erſchienen. Wie ſollt' es auch
in einem Kloſter nicht ſpuken! Im Benediktiner-
Kloſter logirten Hannoveraner, Heſſen und Preu-
ßen. Dieſe ſahen eben nicht viel Geſpenſter; doch
ſoll oben auf dem großen Gange ſich immer ein
Moͤnch haben ſehen laſſen, welcher mit Ketten rauſch-
te, u. dgl. Aber im Bernardineſſen-Kloſter lagen
faſt lauter Oeſtreicher, und die ſahen nun tagtaͤglich
Nonnen ſpuken! Ihnen war Garten, Kloſter und
Hof voll Geſpenſter! Im Garten wollte ein oͤſtrei-
chiſcher Offizier, wie er mich ſelbſt verſicherte, eine
derbe Ohrfeige von einem Geſpenſte erhalten haben,
weil er ſich unterſtanden haͤtte, daſſelbe anzureden.
Aber ich bin verſichert, daß der Herr Leutnant v.
Crone, ſchon eben wegen ſeines ſteifen und feſten
Geſpenſter-Glaubens, nimmermehr irgend eine
Figur um Mitternacht angeredet hat. Sein Be-
tragen und beſonders ſeine Haͤndel mit dem preu-
ßiſchen Leutnant von Roͤmer beweiſen hinlaͤnglich,
daß er eben kein Alexander war. — Alle Oeſtrei-
cher wollten ſpukende Nonnen geſehn haben, und
erklaͤrten dieſe Geſpenſter fuͤr die Seelen ſolcher Non-
nen, welche ehemals ihrem Geluͤbde der ewigen
Keuſchheit nicht getreu geblieben waͤren.


[501]

Im Kloſter, wo die Deſerteurs wohnten, ſpukte
es auch fuͤrchterlich: da ließ ſich oben auf dem
Gange eine Nonne ſehen, und im Garten ſah man
oft einen graͤßlich-ſchwarzen Mann mit feurigen
Augen u. ſ. w. Beſonders war ein entferntes Ge-
mach beruͤchtiget, wo ſogar am hellen Tage das Un-
gethuͤm wuͤthen ſollte. — Daß gemeine Oeſtreicher
und Ungarn an dieſe und andere Moͤnchspoſſen glau-
ben und ſie Andern in vollem Ernſte erzaͤhlen konnten,
hat mich nicht gewundert: aber daß Offiziere ſol-
chen Fratzen nicht nur Beyfall gaben, ſondern ſie
auch noch ſelbſt geſehen haben wollten, hat mir eben
nicht den beſten Begriff von der Geiſteskultur die-
ſer Herren beygebracht.


Eines Tages ſaß ich bey Viennot in der Schen-
ke, und mein vormaliger Knmpan auf dem Spital,
der Koch Mauriceau, trat hinein. Ich trank ihm
zu: nun, ſagte er, Bruder, laß uns was ſchwa-
tzen! Du ſchwatzeſt doch gern.


Ich: Ja wohl! Wovon?


Er: Wovon du willſt, und ich verſtehe.


Ich: Wollen vom Teufel und von Geſpenſtern
ſchwatzen. Hoͤre Bruder, glaubt man hier noch
an dergleichen?


Er: Allerdings hat man daran geglaubt, aber
ſeitdem die Pfaffen nichts mehr gelten, gilt ihr An-
[502] hang, der Teufel und die Geſpenſter auch nichts
mehr.


Ich: Alſo iſt's doch auch ſpuken gangen
bey euch?


Er: Das mein' ich! Droben im Condélſchen
Pallaſt ließ ſich jedesmal, wenn jemand aus der
Familie ſtarb, ein weißer Geiſt ſehen, und im Pa-
lais Mazarin haben die Kapuziner noch vor acht
Jahren ein Geſpenſt ausgebannt, und es hinaus
nach Mirande verwieſen, wo es noch vor eini-
gen Jahren tuͤchtig geſpukt hat.


Ich: So hats ja wohl auch Hexen bey euch
gegeben?


Er: Allerdings! Die Burgunder waren immer
ein dummes, aberglaͤubiges Volk, ſo dumm zwar
nicht, als unſre Nachbarn in der Franche Comté,
und im Delphinat, aber doch ſehr dumm und un-
wiſſend. Da haben wir denn ganz natuͤrlich auch
Hexen die Menge gehabt! Noch vor 20 Jahren —
ich weiß es noch, als geſchaͤhe es heute, — wur-
de eine Hebamme beym Parlament als Hexe ange-
klagt, aber das Parlament nahm keine Notiz da-
von, und verwies die Sache an den Biſchof. Die-
ſer fand die Frau unſchuldig, und ließ ſie. Kurz
darauf ſchlug der Donner in eine Kirche, und zuͤn-
dete; auch zerſchlug der Hagel unſre Fruchtfelder.
Der Poͤbel glaubte, die alte Hebamme ſey an die-
[503] ſem Ungluͤcke ſchuld, und foderte im Aufruhr ihre
Beſtrafung. Man ſtillte den Aufruhr, und die
alte Frau wurde eingezogen, ſaß uͤber 2 Jahre und
ſtarb im Gefaͤngniß.


Ich: Schrecklich! Aber jezt habt ihr die Thor-
heit fahren laſſen?


Er: Allerdings! Die Revolution hat dem Aber-
glauben ein Ende gemacht. Seitdem es keine Krea-
turen mehr giebt, die das Privilegium hatten, die
Leichtglaͤubigkeit der Menſchen durch Aberglauben
in Contribution zu ſetzen, wie dieß unter der heillo-
ſen Pfaffenſchaar die Moͤnche am beſten verſtanden,
ſo giebt es auch keine Geſpenſter, Hexen und vom
Teufel beſeßne mehr, ja, kein Teufel ſelbſt mehr;
und uͤberhaupt hoͤren alle Teufelskuͤnſte auf, ſobald
die Wunderwerke aufhoͤren: denn wo der liebe Gott
nicht mehr unmittelbar wirkt, da treibt der leidige
Satan ſein Spiel auch nicht mehr.


Der lezte Gedanke des alten Mauriceau gefiel
mir, und ſchien ſich durch die Hiſtorie des neuen
Teſtaments vollkommen zu beſtaͤtigen. Grade zu
der Zeit, wo der Herr Jeſus die großen Zeichen
und Wunder gethan haben ſoll, war auch der Sa-
tan außerordentlich geſchaͤftig; und als vor meh-
reren Jahren Gaßner Wunder wirkte, war in ſei-
ner Gegend beynahe kein fein-organiſirtes Maͤdchen,
[504] das nicht vom Teufel leiden wollte. Man frage
nur den theuern Gottesmann Lavater!


Sechs und dreyßigſtes Kapitel.


Laukhard in der Conciergerie


Ich hatte ſeit meinem Abſchiede aus dem Hoſpi-
tal gut und vergnuͤgt gelebt, und dachte die Zeit
abzuwarten, wo ich wieder zuruͤck nach Deutſchland
kehren koͤnnte: denn zu einer Flucht aus Frankreich
nach der Weiſe ſo mancher Deſerteurs und Gefang-
nen, wollte ich mich nicht mehr entſchließen. Ich
hatte mein hinlaͤngliches Auskommen, gute Ge-
ſellſchaft, angenehme Spaziergaͤnge u. ſ. w. und
war geſund, bis auf meine geſchwollnen Fuͤße, und
die Wunde auf der Bruſt.


Um die Aerntezeit fiel mir dennoch ein, an den
Repraͤſentant Dentzel nach Paris zu ſchreiben:
denn dieſer hatte mir doch in Landau verſprochen,
fuͤr mich zu ſorgen. Ich fuͤhrte meinen Einfall aus,
und ſchrieb ihm einen weitlaͤufigen Brief, worin
ich ihm meine Schickſale meldete, und ihn erſuch-
te, mir einen Paß nach Paris auszuwirken: ohne
ſpezielle Erlaubniß durfte man naͤmlich nicht dahin
kommen, und ich hatte doch große Luſt, mich in
[505] der Hauptſtadt der neuen Republik umzuſehen, und
da dem großen Triebrad in der Naͤhe zuzuſchauen.
Ich gab meinen Brief auf die Poſt, und erwartete
eine baldige Antwort.


Aber Dentzel war damals, wie ich nachher
aus den Zeitungen erfuhr, eben wegen der Lan-
dauer Affaͤre zu Paris in Arreſt, und wenn ich die-
ſes gewußt haͤtte, ſo wuͤrde ich nie an ihn geſchrie-
ben haben: denn alsdann war es gewiß, daß der
Brief nicht an ihn, ſondern an den Wohlfahrts-
ausſchuß gelangte. Ich hatte zwar von der Lan-
dauer Sache nicht ein Wort einfließen laſſen: aber
befuͤrchten mußte ich doch immer, mein Name
moͤgte den Pariſern von Landau aus bekannt ge-
worden ſeyn: und dann war ich entdeckt und ver-
loren. Daher war es von mir ſehr unuͤberlegt, daß
ich mich nicht vorher erkundigte, ob Dentzel auch
wirklich aktiv im Konvent noch ſey, oder nicht?
Ich haͤtte dieß leicht wiſſen koͤnnen, wenn ich nur
die Monatsliſte nachgeſehen haͤtte, worauf alle je-
desmaligen Repraͤſentanten, Generale u. ſ. w.
verzeichnet waren.


Es mogten ohngefaͤhr acht Tage nach dem Ab-
ſchicken meines Briefes an Dentzel vergangen ſeyn,
als ich auf einmal mitten auf der Straße, da ich
eben zu den Offizieren in die Stunde wollte, auf
Befehl der Municipalitaͤt angehalten und nach der
[506] Conciergerie gebracht wurde. *) Man kann ſich
mein Erſtaunen kaum vorſtellen. Ich bath den
Buͤrger Villet, der die Aufſicht uͤber dieſes große
Gefaͤngniß hatte, den Kommendant Belin doch in
meinem Namen bitten zu laſſen, daß er zu mir kom-
men wolle; und dieſer ehrliche Mann kam nach ei-
ner Stunde.


Sage mir, ſchrie ich ihm entgegen, warum
ich hier bin?


Er: Das weiß ich ſelbſt nicht.


Ich: Ich habe doch nichts verbrochen?


Er: Hier, ſoviel ich weiß, nicht das ge-
ringſte.


Ich: Aber wer hat mich denn arretiren laſſen?


Er: Der Wohlfahrtsausſchuß.


Ich: Der Wohlfahrtsausſchuß? Wie ſo?


Er: Dieſen Morgen ſchickte der Maͤre zu mir,
daß ich ihm die Perſon eines Deſerteurs, Namens
Laukhard, der bey Landau von den Preußen de-
ſertirt ſey, kenntlich machen moͤgte: ich habe die-
ſes gethan, und thun muͤſſen, wie du weißt; und
ſo biſt du arretirt worden.


Ich: Ich verſtehe von dem allen kein Wort!


[507]

Er: Und ich noch weniger. Ich lief aber gleich
zum Maͤre, und fragte ihn, warum du arretirt
waͤreſt. Er wies mir den Befehl von Paris, aber
da fand ich weiter nichts, als daß man dich eines
kontrerevolutionnaͤren Verbrechens im allgemeinen
beſchuldiget. Der oͤffentliche Anklaͤger, heißt es,
ſolle in einigen Tagen ſeine Inſtruktion deinetwe-
gen erhalten.


Nun ging mir ein fuͤrchterliches Licht auf!
Sollte mein Brief an Dentzel dem Wohlfahrts-
ausſchuß uͤbergeben ſeyn? Das war mir jezt ge-
wiß. Aber wer hat dem Wohlfahrtsausſchuß denn
geſagt, was ich in Landau habe machen ſollen?
Mein Verdacht fiel gleich auf Dentzel; und da
bemeiſterte ſich eine ſehr unedle Rachſucht meiner
Seele: ich wollte ihn verderben, ohne meiner ſelbſt
zu ſchonen. Es ſchien mir ſo ſuͤß, ſo angenehm,
den, der mich haͤtte verrathen koͤnnen, mit mir
ins Verderben zu reißen. Ich ſchaͤme mich noch
jezt dieſer ſehr unedlen Empfindung, welche ich
damals in der erſten Aufwallung hatte; aber da-
mals war ſie mir vielleicht zu vergeben. Der Er-
folg ſcheint indeſſen doch zu beweiſen, daß Den-
tzel, als ehrlicher Mann, mir Wort gehalten, und
an meiner Gefangennehmung keinen Antheil gehabt
hat: denn er kam bald nach Robespierre's Tode
[508] los, und wieder in Aktivitaͤt. Waͤre aber ſein
Proceß mit ſeinem Geſtaͤndniße ſchon bis auf meine
Verwickelung mit ihm in Landau gekommen, ſo
haͤtte er wahrſcheinlich ſo nicht wegkommen koͤnnen;
und ich — noch weit weniger.


Ich ſaß alſo in der Conciergerie und hatte alle
Muße, uͤber mein Mißgeſchick nachzudenken.
Man ſieht leicht ein, daß meine kuͤtzliche Lage mir
Stoff genug darboth, mich hier zunaͤchſt mit mir
zu beſchaͤftigen, und das Spruͤchwort von allen
Seiten recht auseinander zu ſetzen:


„In ſolchem Waſſer faͤngt man ſolche Fiſche!“


Ende des vierten Bandes (Leben und Schickſale.)


Ende des zweyten Bandes. (Begebenheiten etc.)


[509]

Appendix A Verbeſſerung der Druckfehler.


Seite 28. Zeile 12: muͤßteſt du.


— 32. — 22: geſchrieben.


— 74. — 11: Infamie, oder der Tod.


— 83. — 2: Armen. — Und die Armen.


— 100. — 10: geben, fruchtlos.


— 141. — 5 von unten: haͤtten.


— 244. — 8: Anabaptiſten.


— 259. — 1: Nation.


— 278. — 19: Jean.


— 292. — 9: fuͤr ſein Oberverwaltungs-
amt.


— 310. — 4: ihn denn ſo hinrichten.


— 382. — 2: wuͤrden.


— 392. — 19: ſo oder ſo gegruͤndet wird.


— 423. — 1 von unten: regalirt.


— 426. — 6: das hitzigſte war freilich.


— - — 21: Ohnehoſen.


— 444. — 5: geſchaͤhe.


— 464. — 15: gar leicht entdeckt.

Notes
*)
Jahrgang 1794, S. 57.
*)
In dem Namen-Verzeichniſſe der vielen Deputirten, welche
im Jahre 1794 zu Paris gefangen ſaßen, und erſt im Herbſte
eben des Jahres aus dem Gefängniſſe entlaſſen wurden, ſtand
bey Dentzels Namen: detenu pour l'affaire de Lan-
dau
.
*)
Man weis, daß der Name der allerſeligſten Jungfrau
generis communis iſt, und folglich Männern und Wei-
bern beygelegt wird.
*)
Zürnen Sie nicht, meine frommen Leſer, daß ich dieſe, und
weiterhin ähnliche Ausdrücke wiederhole! Eine Schrift, worin
Beyträge zur neuern franzöſiſchen Geſchichte vorkommen, kann
ohne dergleichen nicht bleiben. Berichteten doch auch die Evan-
geliſten die Läſterungen der Juden auf Chriſtum.
**)
Virginem eſſe, parum curo; eſſe vero reginam
Angliae — doleo.
*)
Was hier der Offizier behauptete, ſah der National-Con-
vent, durch die Kabalen und Faktionen der Prieſter aufmerk-
ſam gemacht, endlich auch ein: und daher der damals in Frank-
reich bald erfolgende Einſturz des päpſtlichen Kirchenſyſtems.
In Landau war die lezte Meſſe den 27ſten December, 1793.
Statt ſich darüber zu ängſtigen, erſchallte Spott und Jubel.
So locker ſizt dem Volke ſein — Popanz! Und doch [will]
man durch ihn ſich ſichern!
*)
Landau, 1793.
*)
In den pieces fugitives et républicaines, wie auch in dem
Parnaſſe républicain findet man eine Menge ſkandalöſer
Lieder auf den König, die Königin, die Emigranten, die Prie-
ſter und die treuloſen Generale. Ich kenne nichts Beißenders,
*)
Was man in Frankreich und am Rheine und wo es nur
Neufranken giebt, öffentlich ſingt und nachſingt, iſt die Ca-
magnole. Alſo —
*)
als dieſen kauſtiſchen Zuchtſpiegel für recht Viele von denen,
welche ſich Götter der Erde dünken.
*)
Es heißt: Inſtruction concernant l'exercice, les ma-
noeuvres et le ſervice militaire de l'infanterie na-
tional Pariſienne, ou méthode facile pour appren-
dre en peu de temps l'exercice et le commandement,
ſans le ſécours d'aucun maitre. Quatrième edition;
conſidérablement augmentée. A Paris, chez Guillot,

1790. So hieß die Ausgabe, welche ich geſehen habe. Ohne
Zweifel iſt ſie ſeit 179[0] noch öfterer [von] neuem erſchienen.
*)
Was für modifizirenden Einfluß der Nationalſtolz
auch der ſtockblinde und ſtockdumme — bey ähnlichen Con-
currenzen ebenfalls äußere, lehrt Zimmermanns Meiſter-
ſtück vom Nationalſtolz.
*)
Séance du troiſième jour de la troiſième décad[e]
du quatrième mois de l'an ſécond de la Républi-
que une et indiviſible.
Man ſieht, daß dieß Weitſchwei-
fige daher rührt, daß man zu der Zeit mit dem neuen Ka-
lender und den Namen der Monate noch nicht auf[s][R]eine war.
*)
de l'armée de la Moſelle, rédigé par de vrais
Sans-Culottes de l'armée républicaine.
— Zum
Motto hatte er: Frapper les préjugés, eclairer l'hom-
me dont ils environ: nerent, le ber[c]eau, voilà le
prémier dévoir des amis de la patrie et de la raiſon.

Der Argus kam zu jener Zeit in Saarbrück heraus; und da-
her die vielen Druckfehler, die man darin antrifft. Auch kann
die Eile und der Kriegsſpektakel Schuld mit daran geweſen
ſeyn. Unterhaltend iſt er übrigens auf alle Fälle — wenn
man nicht ſchirachiſirt.
*)
Il ſaut, ſagt Bürger Gregoire in ſeinem Rapport
ſur les inſcriptions des monuments publics, que
tout ce, qui eſt beau, tout ce, qui eſt bon, entre
dans la définition du Sans-culottisme.
*)
„Was würde aus der Menſchheit, wenn nicht von Zeit zu
Zeit Heldengeiſter aufträten, um ihr einen neuen Schwung
zu geben, ihr aufzuhelfen, ſie zu [erf]riſchen: Gerade durch dieſe
Heroen wird das Leben der Sittlichkeit immer wieder neu-
geboren. — Menſchen, die ein inneres Freyheitsgefühl gött-
lich über ihr Zeitalter erhebt, ſind das wahre, eigentliche
Salz der Erde; und was ihr Beruf von ihnen fodert, halte
ich für wohlgethan, wenn auch Zeitgenoſſen und Nachwelt
ſie Tyrannen, Schwärmer, Böſewichter ſchelten. Ohne ſie
würde die Menſchheit ſtinkend.“ So Jakobi im II. Th.
des Woldemar S. 215.
*)
Jezt ſieben.
**)
Vielleicht Beſtechung feindlicher Generale. Im innern
Frankreich hält man ſie für gewiß.
*)
An Zeit dazu fehlt es den meiſten deutſchen Soldaten nicht[;]
aber zur Erholung gehört auch Geld. Der deutſche Soldat
habe indeß auch dieſes, man behandle ihn auch ſchonend und
nach Ehre: wird darum die Sache ſeines Fürſ[te]n zu ſein[er]
eignen werden? Wird er patriotiſch-enthuſiaſtiſch kämpfen
wie der National-Franzoſe? Zumal wenn er Auslander iſt,
oder für militäriſches [Eh]rgefühl zu roh oder zu ſ[t]umpf? Oder
wenn er gar den Krieg ſeines Herrn nicht für gerecht hält,
und ihn ſelbſt für einen Uſurpator oder Des[p]oten? — Aber
auch hievon abgeſehen, wird der, nach dieſem Winke behan-
delte, Soldat, ſobald er Ausländer oder von der Hefe des
Volks iſt, nicht Weichling, nicht ſtolz und inſultirend gegen
den Bürger und Landmann werden? — Ueberhaupt der jetzige
Krieg hat, von Seiten der Franzoſen, die bisherige militäri-
ſche Organiſation und Machinerie ſo verrückt, daß man ſich
ſchon genöthigt ſehen wird, andere Grundſätze für beyde, wie
überhaupt für jeden Krieg, in der Zukunft humaner oder
moraliſcher zu befolgen.
*)
Man muß dieſen Argos mit dem obigen Argus nicht ver-
wechſeln.
*)
Brion lebt noch, und meine Lebensgeſchichte iſt in ſeinen
Händen. Iſt alſo an dem erwähnten Geſpräche nur das Min-
deſte erdichtet: ſo fodre ich ihn auf, dieß öffentlich zu
rügen. So gewiß bin ich, daß auch kein Wort darin erdich-
tet iſt. Brion wird vielmehr zu wenig als zuviel wieder-
holet finden; aber Brion beſcheidet ſich, daß ich nicht mehr
bey ihm in Landau bin. Dieß wolle ſich der Leipziger
Hr. Recenſent vom III. Bande meiner Lebensgeſchichte nur
ſo nebenher bemerken, wegen des ſo etwas [inſinuirenden]
Winkelzugs über eben dieß Geſpräch, im 94ſten Stück der
Neuen Leipziger gelehrten Anzeigen vom J. 1796,
S. 800. — S. 803. ſagt er: „Wenn alle Anekdoten den
Gehalt haben, den eine von Leipzig S. 477. erzählte (hat)
— nicht S. 477, ſondern 475 u. 476 — ſo verliert die
Zuverläſſigkeit der Nachrichten des Verfaſſers ſehr.“ —
Sonderbar! Dieſe Anekdote über den Kurfürſten von Kölln
war ganz eine Nebenſache, in einer Anmerkung unten,
und trug ihren Credit gleich an ſich, durch das eingeſchobene
wie man in Halle jezt erzählt. Alſo —
Relata reſerebam, und dieß nach der Relation dreyer
nicht unbedeutender Herren aus Leipzig, die ich im Stillen
*)
noch immer verehre, als Männer von Kopf und Herz. —
Dann ſah auch der Inhalt der Anekdote dem offnen und lau-
nigen Maximilian nicht ungleich, noch weniger der
Wahrheit der Geſchichte überhaupt. — Bey kalter, unbe-
fangener Ueberlegung wird der Herr Recenſent ſich denn doch
wohl beſcheiden, daß er hier offenbar zuviel anwinkte, indem
er von der Beſchaffenheit einer Nebenſache auf die Be-
ſchaffenheit einer Hauptſache rutſchte. Für die Wahrheit
meiner Hauptberichte ſind Zeugen genug da, und noch am
Leben, wenn auch der Gang der Sache für ſie nicht ſchon
ſpräche; und für meine Wahrhaftigkeit kann ich freilich nicht
unbedingten Glauben fodern, und überlaſſe das Urtheil dar-
über ſehr gern meinen Leſern, zum voraus verſichert, daß ſie,
wie die Augenzeugen meiner Erzählungen, finden werden: —
ich erzähle eher zu wenig, als zuviel. — Es könnte leicht
ſeyn, daß kompetente Richter, die den Gegenſtand meiner
Erzählungen und mich genauer kennen, das vielleicht in den
Urtheilen des Recenſenten fänden, was er an meinen vor-
giebt gefunden zu haben — eine Härte in gewiſſen Angriffen,
wie er meine freymüthigen, aber Thatſachen angemeßnen,
Urtheile zu benennen beliebt hat. Doch vielleicht zu einer
andern Zeit mehr davon, jedoch mit dem Suum cuique!
*)
Rouſſeau du contrat ſocial, chap. IV. pag. 19.
nach der neuen, niedlichen und ſehr wohlfeilen Ausgabe bey
Gerhard Fleiſcher, 1796.
*)
Juvenal, um die Zwiebel-Gottheiten der Egypter gehö-
rig zu würdigen, ſagt zwar in hortis; in undis aber, oder
in dem Taufwaſſer, ſoll der heilige Geiſt — der Chriſten zu-
erſt entſtehen.
*)
Vielleicht hat Hr. Girtanner das Wort Frankrei-
cher analogiſch nach Oeſtreicher gemacht. Aber dann
dürfte man ja auch ſagen: Rußländer, Türkeyer, Portugal-
ler, Dänemärker u. ſ. w. ſtatt Ruſſen, Türken, Portugieſen,
Dänen. Es iſt lächerlich, in ſolchen Kleinigkeiten etwas
Eignes haben zu wollen!
*)
Das erſte Victorien- oder Freuden-Feuer machten die Preu-
ßen den 18ten Nov. wegen des eroberten Fort's Louis: das
zweyte den 2ten December wegen des Sieges bey Kaiſers-
lautern.
*)
Schmidts Geſchichte der Deutſchen. Ulm 1785. I. B.
S. 6.
*)
Man leſe den Benk Bergins über die Leckereyen, aus
dem Schwediſchen, mit Anmerkungen von D. J. R. For-
ſter, und D. Curt Sprengel, 2. Th. S. 55. ff. —
F. L. Walther von Menſchenfreſſenden Völkern und Men-
ſchenopfern. — Lindemanns Moral älterer Völker,
S. 331.
*)
Jener Soldat hatte ganz recht, welcher im National-Con-
vent ſagte: „So lange wir Sanscülotten an unſrer Spitze ha-
ben werden, werden wir ſiegen, werden wir Mannszucht hal-
ten, und man wird mit uns machen können, was man will.“
— Selbſt Condé ſah dieß ein, als er vor der Zu-
rückeroberung der Linien gegen die öſtreichiſchen Generale äu-
ßerte: Frankreich reiniget ſich von unſern Einverſtandenen;
wir ſind verloren! — Man leſe das Pariſer Journal uni-
verſel, N.
1502, pag. 6593.
*)
Dieſe Gefahr war ſo einleuchtend, ſo groß und ſo allgemein,
daß die Vorſtellung davon jeden Franzoſen, der nur etwas Frey-
heitsgefühl oder Selbſt- und Ehrliebe hatte, wie elektriſch zur
allgemeinen patriotiſchen Vertheidigung anfeuern mußte. Sie
konnten ſchon aus dem, was die Oeſtreicher und Preußen auf
franzöſiſchem Boden bis jezt getrieben hätten, das ſich denken,
was ſie weiter treiben würden, wenn man ihren Fortſchritten
nicht nachdrücklich widerſtehen wollte. Das Benehmen der Ver-
bündeten, vorzüglich der Oeſtreicher, war ein zu größlicher
Commentar der Manifeſte, als daß man hätte zaudern dür-
fen, deren Ausführung weiter ruhig abzuwarten. Die Wieder-
eroberung der Linien, und der darauf erfolgte Entſatz von
Landau hatte alſo allgemeinere und höhere Motive, als die
drey Millionen Livres, welche der National-Convent der
Armee, die Landau entſetzen würde, verſprochen hatte. Wenn
demnach Girtanner im 5. B. ſeiner Annalen S. 309
*)
ſchreibt: „Landau ward entſezt, aber nicht durch die Kraft re-
publikaniſcher Waffen, ſondern durch die Allmacht des Geldes;
nicht durch Patriotismus, ſondern durch Eigennutz:“ — ſo
ſteht einem der Verſtand ſtille, und man begreift nicht, wie
nur ein Menſch von ſchlechtem Menſchenſinn, aber noch weni-
ger, wie ein Schweizer, der doch, als Stück von Republika-
ner, die Allmacht des Patriotismus beſſer kennen ſollte, ſo et-
was Widerſinniges hinfaſeln konnte. Bey Girtanuirn
mag das Geld allmächtig ſeyn; daß es dieß aber nicht bey den
franzöſiſchen Republikanern war, erfuhr ich in Landau, wo
nicht einmal eine Million hinreichte, den Patriotismus nur
[Eini]ger zu beſchleichen.
*)
Ein Vicarius in ſpiritualibus generalis iſt bey den
Katholiken das, was bey den Proteſtanten der Miniſter des
geiſtlichen Departements iſt.
*)
Die Klio iſt eine Monatsſchrift für die franzöſiſche Zeitge-
ſchichte. Man leſe hier vorzüglich das 9te, 11te und 12te Heft.
*)
Der Kurfürſt von Kölln wies ihn zu Bonn einmal zu-
recht. Schneider ward aufgebracht und anzüglich. Der
Kurfürſt rief: Schaffet mir doch den Pfaffen vom Halſe!
Sind denn, antwortete Schneider, Ew. Hoheit etwas anders?
**)
Eben den Weg ging Voltaire; und eben dieſer Weg iſt
zur Bekehrung der Phantaſie-Helden in dem Miniſterium des
Lügen-Departements der eindringendſte. Den Weg der Be-
lehrung durch und nach Vernunft ging Rouſſeau; aber wie
viel läßt ſich darauf wohl ausrichten für den großen Haufen
von Theologen, Phantaſten und Orthodoxen! —
*)
Dietrich, [Ter]erel, Monnet u. dgl.
*)
Strasburg iſt nach Paris eine der volkreichſten Städ-
te Frankreichs: [man] rechnet die Einwohner auf 60,000.
*)
Strasburg war vorzeiten eine der anſehnlichſten Reichsſtädte
in Deutſchland. Das ſogenannte Philiſterweſen, oder das
ungeſchliffne Goliathiſiren der Reichsſtädter war durch die
Verbindung mit Frankreich noch immer nicht abgeſchliffen.
Nun nehnte man ein Domſtift hinzu, Biſchöfe und Adliche
von Außen, die im Elſaß zu verlieren hatten: und die Größe
der [G]ährung iſt kein Räthſel mehr.
*)
Die ganze Ode findet man in den Gedichten von Eulo-
gius Schneider, S. 30, der zweyten Auflage, mit dem
Bildniſſe des Verfaſſers.
*)
Dietrich, der die arme Stadt Strasburg, durch ſei-
nen gränzloſen Ehrgeiz und durch übelangelegte, aber noch
ſchlechter ausgeführte Plane, in ſoviel Unglück geſtürzt hatte,
flüchtete endlich von Strasburg, und war am Ende thörigt
genug, von ſelbſt zurück zu kehren. Alles fiel nun über ihn
her, und man zog ihn gefänglich ein. Sein Proceß und ſeine
Hinrichtung ſind bekannt.
*)
„Gott weiß es — ſagte er, als man ihn zu Ende Novem-
bers 1792, bey der neuen Beamtenwahl zu Weißenburg, zum
öffentlichen Ankläger ernannt hatte — Gott weis es, daß ich
einen ſolchen Poſten mir nie wünſchte[!] Ich rieth daher allen
denen, die mir ihre Abſicht, mich zu wählen, eröffneten, ſich
nach einem Manne umzuſehen, dem mehr, als mir, damit
gedient wäre. Die Verrichtungen eines öffentlichen Anklägers
würden meinem Herzen äußerſt ſchwer gefallen ſeyn. Sie wür-
den mich aus meinen litterariſchen Beſchäftigungen und der
Sphäre eines Schriftſtellers herausgeriſſen, und zu Arbeiten
verdammt haben, welche mit meiner natürlichen Gemüthsart
allzuſehr kontraſtiren. Doch ein guter Bürger muß die Stim-
me des Volks verehren, und jedes Opfer ſich gefallen laſſen,
welches das allgemeine Beſte fodert.“ — Als die Repräſen-
tanten ihm nachher verboten, [ſ]eine Anklägerſtelle aufzugebe[n]
erklärte er öffentlich: „Ich bleibe an meinem Poſten, und
weiß zu ſterben für die Sache der Freyheit und Gerechtigkeit.
Nicht erſt ſeit geſtern wandle ich unter Meucheldolchen.“ —
*)
Neueſte Staats-Anzeigen, 1. B. 2tes St. S. 51
[u]. 67 in der Appellation der Gemeinde Strasburg an die
Republik und die National-Konvenzion.
*)
„Sezt Gott uns ſolche Brut zu Königen auf Erden:

So kann der Teufel auch noch ſein Geſalbter werden,“

ſagt Herr von Nicolay in ſeinen Sinngedichten. Er ſagt
ferner:


„Vernunft, Zeit, Neuer[e]r und Spötter
Verjagen endlich ſelbſt die Götter
Von dem Olymp. Kein Mars, Merkur, noch Jupiter,
Noch Juno, noch Minerva gelten mehr.“


„Wir ſind nicht mehr in jenen Zeiten, ſagte Condor-
cet in ſeiner Rede über die Republik, wo man unter
die Mittel, die Macht der Geſetze zu ſichern, jenen Aber-
glauben zählte, der aus einem Menſchen eine Art von Gott-
heit macht. Ohne Zweifel glauben wir nicht mehr, daß man,
um die Menſchen zu regieren, ihre Einbildungskraft mit ei-
ner kindiſchen Macht rühren müſſe, und daß ein Volk ver-
leitet ſeyn werde, die Geſ[e]tze zu verachten, wenn der oberſte
Verwalter derſelben nicht einen Großgarderobenmeiſter beſizt.“

**)
In einem gewiſſen Lande ſollten vor zwey Jahren alle Pre-
diger über Joſuä 24, 21. eine Predigt halten. Der Conci-
vient des Befehls ſchrieb ſtatt Joſuä Jeſaiä, und nun hieß
der Text: „Zu der Zeit wird der Herr heimſuchen die hohe
Ritterſchaft, ſo in der Höhe ſind, und die Könige der Erde
ſo auf Erden ſind, daß ſie verſammelt werden in ein Bünd-
lein zur Grube, und verſchloſſen werden im Kerker, und nach
langer Zeit wieder heimgeſucht werden“ u. ſ. w. — Man
ſieht hieraus, daß FriedrichII. nicht unrecht hatte, als
er die Bibel eine wächſerne Naſe nannte, die jeder Sektirer
**)
zu drehen und zu modeln ſucht, wie ſein Ammen-Glaube
und ſein Katechismus es wolle. Lobſtein citirte die Bibel,
um die Königſchaft in Frankreich aufrecht erhalten zu helfen:
Cromwell citirte ſie, um in England das Gegentheil zu
bewirken. Alſo —
*)
Das Hofleben und die unberechnete ungeheure Verſchwendung
der Großen in Frankreich — waren eine Folge der durch
Politik durchaus ge[ſ]chwächten Moralität. Man hat dieß lezte
den Jeſuiten zu ihren vielen Sünden mit angerechnet,
aber man that den Leuten in gewiſſer Rückſicht zuviel. Ehe
ſie waren, war Macchiavel, und vor dieſem ſchon das,
was er ſyſtematiſchſein nach der Geſchichte geißelte. Was die
von Medicis thaten, thaten die Ludewig[e] auch. Sie
bef[o]lgten eine Politik, welche durch Ungerechtigkeit und Ver-
ſchmiztheit, nach dem Geſetz des Liſtigern und Starkern, einen
Krieg Aller gegen Alle nach ſich zog, das Zutrauen zwiſchen
Völkern, wie zwiſchen Regenten und Unterthanen ſchwächte,
und ſo jeden lehrte, mehr für ſich zu ſorgen, als fürs Ganze.
Hiedurch ward ein gewi[ſſ]er moraliſcher oder vielmehr politi-
*)

ſcher Egoismus bey Hofe herrſchend, und durch den Hof bey
der Nation: denn wie der Hirt, ſo ſeine Heerde.


Die Jeſuiten, als ſie aufkamen, bemerkten dieſen
Zuſtand, und als ſchlaue Köpfe, die ſich in die Zeit und die
Menſchen zu ſchicken wußten, maßen ſie, um Eingang zu
finden, ihre Moral der vorgefundenen Politik an. Sie mach-
ten nur die Kiſſen, worauf die Politik ohne Gewiſſensbiſſe
königlich überliſten, wüthen, morden, rauben, und dennoch
chriſtlichſanft ruhen, ja, ſogar als Heilige von hinnen ſchei-
den konnte. Ihre Lehre über den Probabilismus, nebſt
dem Grundſatz, daß der Zweck die Mittel heilige, waren das
Prov[pfmeſſ]er, durch deſſen Hulfe ſie das abge[f]e[i]mteſte Syſtem
der Menſchen- und Dinge-Behandlung auf den Stamm der
poſitiven Religion propften, und dadurch heiligten. Dieß
Syſtem fröhnte der Politik und den Leidenſchaften der Großen
zu ſehr, als daß es nicht hätte Hofſyſtem werden ſollen. Es
ward es, und die Jeſuiten beherrſchten von nun an die Gei-
ſter- und Körperwelt, im Cabinet wie im Beichtſtuhl. Den
Erfolg davon lehrt die Geſchichte. Man herrſchte mit heili-
ger Beruhigung jezt unumſchränkt, ſo weit Liſt und Kraft
es zuließ, ohne Rückſicht auf Recht, Vernunft, Achtung,
Haltbarkeit und Verträge. Der Liſtigſte war der Beſte; und
Chriſtus, Sakramente, Gnade und Beichtväter waren die
Mittel, die gröbſten Vergehungen zu tilgen, und den Länder-
und Völker-Rauber, Verräther, Mörder und Schinder zum
Heiligen umzuſtempeln. Die Moralität und der Werth der
Menſchen lag jezt mehr außer ihnen, als in ihnen. Eine
Bartholomäusnacht ward ein verdienſtliches Werk
durch den Mund und die Hand des abſolvirenden Beichtvaters.


Allein was den Königen zu Gute kam, kam deren Unter-
thanen es nicht minder. Sündige keck, beichte reumüthig,
und du wirſt ſelig — ward der Grundſatz aller jeſuitiſch-
katholiſcher Chriſten. Die Politik verſtieß ſyſtematiſch gegen
die Grundſätze der allgemeinen Moral: und wie konnte man
erwarten, daß die Moral der Unterthanen die Politik der
Beherrſcher noch achten ſollte! Friede umarmt nur Gerechtig-
keit: und mit dem Maaße, womit Andere uns meſſen, meſſen
wir ihnen wieder: reſpektiren ſie unſere und Anderer Recht[e]

*)

nicht, ſo reſpektiren wir ihre wieder nicht. — Und ſeht, ſo
kam es, daß eine ganze Nation mit kaltem Blute das end-
lich ihrem Throne bis auf die Heſen mit jeſuitiſch-ſyſtemati-
ſcher Grauſamkeit vergalt, was dieſer nach ſeiner Politik,
durch Jeſuiten eingeſchlummert, auf die unverantwortlichſte
Art längſt an ihr verſchuldet hatte. Seht dieß Fürſten, ſeht
dieß Völker, ſehts und zittert, aber ſeht ja zugleich, woher
das alles kam! Die Politik verderbte die Moral, die Moral
die Religion, der Fürſt den Prieſter, der Prieſter ihn und
das Volk; und das Volk endlich, der politiſchen und religiö-
ſen Neckerey müde, und durch das Betragen Beyder gewi[ß]igt
und geweckt, ſtürzt, um ſich zu retten — Beyde.


Seht, ſoviel vermag verkehrte Politik! Sie durch Prie-
ſter, Aberglauben, Furcht und Baſtillen retten wollen, ver-
räth eine noch verkehrtere. Nur ächte, innere Moralität,
durch reife Einſicht geſtüzt, und ohne alle Quackſalberey der
Prieſter vom Beherrſcher wie vom Beherrſchten überall geach-
tet, und auf alles, was in ihr Gebiet einſchlägt, ehrlich an-
gewandt, nebſt heiliger Beachtung der Rechte Anderer, es
mag ſie die Vernunft, oder der von ihr beſtimmte Zweck des
Staates angeben, ſichert die Ruhe und das Gluck der Völker
und der Fürſten. — Man leſe in den Briefen eines preuß.
Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braunſchweig
— 4ten Pac[ks] 2te Abth. S. 452 ff.

*)
Gregoire ſagte in ſeiner Rede über die Freyheit der
Gottesdienſte: „Ein Jahrhundert lang waren die Proteſtan-
ten der Gegenſtand der grauſamſten Verfolgung: man jagte
ſie, man kerkerte ſie ein, man hing ihre Pfarrer, ſchloß ihre
Tempel, und behandelte ihre Verſammlung als etwas Auf-
rühreriſches. Als ihnen nach einem qualvollen Jahrhunderte
erlaubt ward, wieder frey zu athmen, kamen auf einmal
drey Millionen Proteſtanten in Frankreich zum
Vorſchein.“ — Das Aehnliche prophezeihet er nach der jetzi-
gen Revolution. „Wer wollte glauben, fügt er hinzu, eini-
ge Jahre von Geplärr und Gewaltthätigkeit hätten die Maſſe
der Bürger umgeſchaffen? Nein, glaubt es nicht: die Ver-
folgung iſt wider ihre Meynungen gerannt, aber ſie hat
weder ihren Verſtand überzeugt, noch ihre Herzen überredet.
Bey der Unmöglichkeit, die Religionsgrundſätze zu vertilgen,
oder die Bürger ſchnell in Einen Glauben zu vereinigen,
was liegt uns zu thun ob? — Alle Religionen an die Re-
publik zu ſchließen durch Zuſicherung einer gänzlichen und un-
umſchränkten Freyheit der Gottesdienſte.“ — Die Zeit muß
es ausweiſen, ob Gregoire nicht irrte, als er die jetzigen
Umſtände durchaus parallel mit den vormaligen voraus-
ſezte, und nun folgerte, wie wir wiſſen. Wenigſtens hat der
Konvent, wie wir bald ſehen werden, auf ſeine Rede wenig
Rückſicht genommen. Gregoire war vorzeiten ſelbſt Prie-
ſter: und daher mogte es wohl kommen, daß man das Bün-
dige in ſeiner Rede für eine angewöhnte Fertigkeit hielt, ſich
mit gewiſſen Grundideen, auf dem theologiſchen Kampfplatze,
geſchickt herumzutummeln. Selbſt Rouſſeaus Emis hat
noch Manches von dem einnehmenden Schimmer dieſer Fer-
tigkeit.
*)
Keiner hat dieß einleuchtender gezeigt, als der ſcharfſinnige
und freymüthige Verfaſſer des Beytrags zur Berich-
tigung der Urtheile des Publikums über die
franzöſiſche Nation
. II. Th.
*)
Dieſes Galimathias iſt nicht erdichtet. Es flogen in Frank-
reich kleine Broſchüren herum, z. B. Cri de la vérité:
Avis important aux François [chrêt]iens
u. a. mehr,
welche [j]uſt dieſes Inhalts ſind. Die emigrirten Pfaffen ſpre-
chen noch immer [ſo].
*)

Viele Deutſche haben das anfängliche Verfahren der Franzö-
ſiſchen Nation gegen die widerſpenſtigen Prieſter, Edelleute
und den Hof barbariſch gefunden; aber in Frankreich wollte
man das Gegentheil finden. Der beſte Dolmetſcher darüber
iſt Salaville, Herausgeber der Annales patriotiques.
Dieſer ſchreibt in ſeinen Betrachtungen über revo-
lutionäre Meynungen: „Gleich von Anfange der
Revolution war man in Rückſicht auf die Art, ſie zu leiten,
in zwey Meynungen getheilt. Diejenige, die ſeither unter
der Benennung Moderantismus ſo ſehr in Ungunſt ge-
kommen iſt, war zu jener Zeit beynahe allein herrſchend. —
(Und daß ſie das nicht blieb, wer war Schuld daran?) —
Alle mit Einſicht begabten Männer glaubten an die Möglich-
keit einer ruhigen, einzig durch die Fortſchritte der Aufklä-
rung bewirkten Revolution. Die Blätter der Geſchichte, ge-
färbt vom Blute, welches politiſche Revolutionen fließen
machten, die Schilderungen aller Unordnungen, Drangſalen
und alles Jammers, denen die Volker in jenen ſtürmiſchen
Zeiten unterlagen, ſchreckten die Männer, die ſich einbildeten,
in ganz verſchiedener Lage zu ſeyn, nicht ab: ſie brachten alle
jene Erſcheinungen auf Rechnung der Unwiſſenheit und Un-
kenntniß der Grundſätze, und der Herrſchaft der Vorurtheile,
die unter uns völlig verſchwunden zu ſeyn ſchienen.“ —


Mirabeau — theilte dieſen allgemeinen Irrthum
nicht. Ich glaube nicht, ſagte er, an eine ruhige, ohne
Blutvergießen mögliche Revolution: Entweder werden
wir die Freyheit nicht erlangen, oder, wenn wir ſie erlan-
gen, ſo ſeyd verſichert, daß wir ſie mit großen Aufopferungen
erkaufen müſſen.“


„Auch zeigte er, alles ſeines bekannten Ungeſtüms unge-
achtet, in den erſten Schritten eine Mäßigung, deren man
ihn kaum fähig gehalten hätte. Jene weiſe Taktik des dritten
Standes, die ſelbſt die Argliſt der Geiſtlichkeit zu Schanden
machte, war beynahe ganz ſein Werk; und es war eine höchſt
bemerkenswerthe Erſcheinung, wie der Mann vom heftigſten
Charakter, voll Kühnheit und Unternehmungsgeiſt, ſich einen
Monat lang damit beſchäftigte, den unzeitigen Ungeſtüm ſei-

*)

ner Kollegen zurückzuhalten, einzuſchränken und zu mäßigen.
Mit allen Anlagen zu einem revolutionären Flibuſtier war er
gewiſſermaßen der Fabius der Revolution.“


„Jener Irrthum des größten Theils der einſichtsvollen
Männer, die glaubten, eine politiſche Revolution laſſe ſich
mit den Waffen der Philoſophie allein zu Stande bringen,
oder die vielmehr ſich beredeten, ſie wäre ſchon zu Stande ge-
bracht, und man dürfte nur noch ihre Reſultate beſchließen,
war vielleicht von unglücklichern Folgen, als man ſich vor-
ſtellt. Sie hätten völlig Recht gehabt, ſobald ihr Werk nur
in der Theorie hätte exiſtiren ſollen: unter dieſer ſpekula-
tiven Form würde es gewiß allgemeinen Beyfall erhalten ha-
ben. Allein von dem Augenblick an, wo es darum zu thun
war, es zur Wirklichkeit zu bringen, da eilten die, die zu
andern Zeiten enthuſiaſtiſche Anhanger jener Grundſatze, wor-
auf es ſich gründete, geweſen waren, zu widerrufen. Die
Prieſter, welche die Bibel und das Gebetbuch gegen Vol-
taire's und Rouſſeau's Werke vertauſcht hatten, ließen nun
Voltaire und Rouſſeau liegen, und nahmen wieder Bibel und
Gebetbuch. Die Glieder des Adels, die, weil es Mode
war, für Philoſophen gehalten ſeyn wollten, und die ſich daß
Anſehn gaben, Titel und Standes-Vorzüge zu verachten,
und Grundſätze der Gleichheit anzunehmen, wurden auf ein-
mal wieder feudaliſch geſinnt. Der Hof, an dem einige Zeit
vorher beynahe alle Etikette abgeſchafft worden war, nahm
ſie mit ihren kleinſten [Theilen] und Formen wieder auf: und
ſo bildete ſich in eben dem Verhaltniß, in welchem man dar-
an arbeitete, die Revolution in der Wirklichkeit und in der
Sache zu Stande zu bringen, eine Gegenrevolution in dem
Gedankenſyſtem einer ſehr großen Anzahl von Perſonen.“


„Dieſe Wendung hätte man vorausſehen ſollen: man
hätte ſich nicht verbergen ſollen: daß gereizte Leidenſchaften,
verleztes eigenes Intereſſe, und hochanſprechende Eitelkeit, die,
Denkungsart jener Kaſten nothwendig ändern mußten, die,
ſo lange nur von Theorie die Rede war, philoſophiſche Grund-
ſätze begierig angenommen, gerühmt, und zu deren Ausbrei-
tung beygetragen hatten. Um dieſes Hinderniß zu verhüten,

*)

war man äußerſt zurückhaltend in Ergreifung ſtrenger Maaß-
regeln: Man ſuchte in einer unrechten Mäßigung Ruhm:
Man gab denen, die nothwendig Gegenrevolutionärs ſeyn
mußten, und an denen, der Natur der Dinge gemäß, ſchnelle
Gerechtigkeit hätte ausgeübt werden ſollen, alle Leichtigkeit
zu entfliehen. Nachſicht und Menſchenliebe waren an der
Ordnung des Tages. Man verlangte, die Revolution ſollte
durch Flugſchriften zu Stande kommen: Man errichtete unter
dem Namen eines hohen National-Gerichtshofes ein Revolu-
tionstribunal, allein nur um der Form willen, und unter
der ausdrucklichen Bedingung: daß es keinen Menſchen ſtrafen
ſollte. Es war blos ein Scheininſtitut: denn während es
große Beyſpiele der Strenge anzukündigen ſchien, berath-
ſchlagte man, ob die Todesſtrafe nicht abgeſchafft werden ſollte.“


„Sollte man nicht mit Wahrſcheinlichkeit die Vermuthung
wagen dürfen: dieſe unkluge Nachſicht der erſten Zeiten habe
den jungſt verfloſſenen jenen Abgrund von Drangſalen, Grau-
ſamkeiten, Ungerechtigkeiten und Verfolgungen zugezogen?
Sie habe die Mäßigung in ſolchen Miskredit gebracht, daß
ſie für gegenrevolutionär angeſehen ward?“ — —


„Die Philoſophie hätte das ohne Zerſtörung, wie die
Natur, allmälig bewirken können, was wir durch Gewalt
erhalten haben; allein dazu hätte ſie einiger hundert Jahre
bedurft, und wir hatten nicht Zeit zu warten. Es iſt mithin
klar, daß die Philoſophie, weit entfernt, uns zu einer ge-
waltſamen Revolution vorzubereiten, vielmehr mit aller Kraft
ihrer Grundſätze uns davon entfernte; und daß vielleicht nie
irgend ein Volk eine Revolution mit weniger revolutionären
Anlagen unternommen hat: Denn wahrhaftig, nichts konnte
weniger revolutionär oder inſurrektionsmäßig ſeyn, als die
ſchönen Grundſätze von Menſchlichkeit, Menſchenliebe und
Aufopferung, die man damals predigte und übte. Indeß
mußte die Revolution entweder nicht zu Stande kommen,
oder ſie mußte nothwendig gewaltſam bewirkt werden.“ —

*)
Das Dekret, welches den 3ten Ventos über die Ausübung
des Gottesdienſtes gegeben wurde, war wörtlich folgendes:
*)

Der National-Konvent dekretirt auf vereinigten Vortrag
der Wohlfahrts-Sicherheits- und Geſetzgebungs-Aus-
ſchüſſe:


1.) Nach dem 7ten Art. der Rechts-Akte, und dem
122ten der Konſtitution, kann die Ausübung keines Gottes-
dienſtes geſtöhrt werden.


2.) Die Republik beſoldet keinen.


3.) Sie geſtattet keinem ein Lokale, weder zum Kirchen-
gebrauch, noch zur Prieſterwohnung.


4.) Religionsgebräuche außerhalb dem dazu gewidmeten
Bezirke ſind nicht erlaubt.


5.) Das Geſetz erkennt keinen Geiſtlichen an. Keiner darf
öffentlich mit den kirchlichen Kleidern, Zierrathen, oder in
einem den Religions-Zeremonien gewidmeten Anzuge er-
ſcheinen.


6.) Jede Zuſammenkunft von Bürgern, um irgend einen
Gottesdienſt zu halten, iſt der obrigkeitlichen Aufſicht unter-
worfen. Dieſe Aufſicht beſchränkt ſich auf Polizey-Maaßre-
geln und öffentliche Sicherheit.


7.) Kein, einem Gottesdienſte eignes Symbol kann auf
einem öffentlichen Platz, oder äußerlich auf irgend eine Art
ausgeſtellt werden. Keine Inſchrift darf den Verſammlungs-
ort bezeichnen. Keine Proklamation oder öffentlicher Aufruf
darf geſchehen, um die Bürger dahin einzuladen.


8.) Die Gemeinden, oder Gemeinde-Abtheilungen ſollen,
als ſolche, kein Lokal zum Gebrauche des Gottesdienſtes erſte-
hen oder miethen.


9.) Es ſoll keine ewige oder lebenslängliche Schenkung,
noch irgend eine Taxe erlaubt ſeyn, um die Ausgaben zu
beſtreiten.


10.) Wer durch Gewaltthätigkeit irgend einen Gottes-
dienſt ſtöhrt, oder die Gegenſtände deſſelben mißhandelt, ſoll
nach dem Polizeygeſetze vom 22ten Jul, 1791, beſtraft werden.


11.) Das Geſetz der zweyten Sans[c]ülottide im 2ten Jah-
re über die Penſion der Geiſtlichen bleibt, und die Verfügun-
gen deſſelben ſollen nach ihrer Form und Inhalt vollſtreckt
werden.


12.) Jedes Dekret, deſſen Verfügungen dem gegenwärti-
gen Geſetze zuwider ſind, iſt abgeſchafft.

*)
Wie in Deutſchland, ſo auch in Frankreich gab es viele, die
über den Urſprung, das Weſen und den Zweck der Freymäu-
rerey ihr Urtheil hören ließen. Eine unbefriedigte Neugierde
und etwas Neid zuweilen, iſt die Quelle der Vermuthung und
der Debatten darüber. Viele wiſſen nicht einmal, wie die
Freymaurerey bey uns zuerſt entſtanden iſt. In Deutſchland
entſtand ſie, als Ausländer hier anfingen, das Chriſtenthum,
oder vielmehr das aſcetiſche Papſtthum autoriſirt einzuführen.
— Reines Chriſtenthum war damals in Rom durchaus nicht,
folglich könnte man es den Deutſchen von da auch nur ver-
fälſcht und bebrämt zuführen. — Die erſten Ankömmlinge in
Deutſchland, Mönche, fanden es ſumpfig und waldig, und
*)

wählten zu ihrem Wohnſitz Berge, zumal in der Nähe von
Flüſſen. Jene umgab eine minder ungeſunde Luft, und in
dieſen fanden ſie Füche zu ihren Faſtenſpeiſen; und von den
Kühen auf den Wieſen am Fluſſe konnten ſie Milch haben. —
Dieſe Leute kultivirten phyſiſch und moraliſch nach ihrer Art,
wie es gehen wollte. Nach und nach kamen mehrere, auch
Biſchöfe, Grafen u. dgl. unter Karl dem Großen. Sie ſollten
Klöſter, Kirchen und Häuſer haben. Geſchickte und hinrei-
[ch]ende Baumeiſter fand man in Deutſchland nicht; und die
in Italien hatten keine Luſt zum Lande der Wölfe und Bä-
ren. In Italien ſtanden ſie unter ſtrenger Aufſicht, und ihr
Arbeitslohn war taxmäßig feſtgeſezt. Wer nun, erklärte man,
mit nach Deutſchland zieht, um dort bauen zu helfen, ſoll von
alle dem frey ſeyn. Dieß lockte: man benedicirte ihre Pro-
feſſions-Inſignien, eximirte ſie von hoherer Aufſicht und der
Taxe: und ſo hatten ſie Freymauern und die Erlaubniß,
ſoviel Geſellen anzunehmen, als ſie für gut fanden. Endlich,
wen die Aufſicht der Biſchöfe und Gaugrafen nicht behagte,
ließ ſich, er mogte ſeyn, wer er wollte, Mäurer oder nicht
Mäurer, als Mitglied bey der Mäurer-Zunft aufnehmen,
erhielt ſein Zeichen, und war von der ſtrengen Aufſicht frey
wie die Herren in Spanien, die ſich aus eben der Abſicht bey
der Hermandad, als Gehülfen des In[qu]iſitionsgerichts, auf-
nehmen laſſen. Dieß iſt der Urſprung des Namens und der
Sache der erſten Freymäuerey in Deutſchland.


Die wahren oder eigentlichen Freymäurer misbrauchten ihre
Freyheit, und mit der Zeit war man genöthigt, ſie wieder,
wie jede andern Zunftgenoſſen, nach den Geſetzen einzuſchrän-
ken. Aus Freymäurern wurden alſo wieder gebundene Mäu-
rer. Die Schein-Freymäurer ſezten indes ihre Verbindung
und Zuſammenkunft fort, und die vorher eigentliche Kunſt-
ſprache ward uneigentlich oder tropiſch, ſo wie ihr Zweck jezt
hieroglyphiſch-moraliſch ward. Die Cultur der Wiſſenſchaften
ſtieg, man lernte die Myſterien der Alten kennen, man mo-
delte nach, modificierte weiter nach dieſem und jenem, bis end-
lich die jezt nur ſogenannte Freymäuerey das ward, was ſie
gegenwärtig iſt — eine geſchloſſene Geſellſchaft meiſt einſichtiger,
würdiger Männer, deren Hauptberuf es iſt, gewiſſe ge[ſell]-
ſchaftliche Pflichten vorzüglich auszuüben. —

*)

Die Menſchen bleiben immer Menſchen — ſchrieb [W]ede-
kind an Gregoire über den Vandalismus in Strasburg. —
Sollten wir nicht vielmehr das Andenken jedes Unſinns heili-
gen, und unſere Nachkommen zu bewahren, daß ſie nicht von

*)

Ueber die Entſtehung der Freymäurerey in England zu Er-
reichung politiſcher Zwecke, während Cromwel domi-
nirte, leſe man das Buch: „Aufklärung über wichtige Gegen-
ſtände in der Freymäurerey, beſonders über die Entſtehung
derſelben ohne alle Schwärmerey.“


Noch eins zum vorigen! Wer heutzutage auf Ib[bu]r[g]
bey Osnabruck, auf Huisburg bey Halberſtadt, oder auf
dem Petersberg bey Halle — der ſchönen Ausſicht ſich
freuet, lobt den Geſchmack und die Klugheit der erſten Anbauen.
Aber weite Ausſichten über Wald und Haine und Sümpfe
gab es auf den hohen Bergen vorzeiten wohl; nur [noch] keine
ſchönen: dazu fehlte es an der abwechſelnden Mannigfaltig-
keit in den Natur- und Kunſt-Part[h]i[e]en. Das ſchattirte Spiel
von Stadten, Dörfern, Burgen, Gaſthöfen und Mühlen zwi-
ſchen Wieſen, Hainen, Feldern und Waldern entſtand erſt
lange nachher. Auch lebten die moraliſch-kaſtrirten Phanta-
ſienbrüter der damaligen Zeit mehr in ihrem Ide[enhim]mel,
als im äſthetiſchen Naturhimmel der Sinne. Alſo nur die
Sorge für ihre Geſundheit und für etwas mehr Sicherheit be-
wo[g] ſie, wie alle alten Burgbewohner, ihren Aufenthalt auf
hohen Bergen zu nehmen. Die Benennung von Monsſerenus
für den Petersberg in ältern Urkunden, ſcheint dieß mit zu
beſtätigen.


Jenes verwechſelnde Urtheil mahnt mich indeß gar treffend:
wie täuſchend auch viele Theologen das ſchon in der Bibel fin-
den wollen, was der Kunſtfleiß eines Sewiers, Kants
und Anderer, durch Hume's Voltaire's und Leſſings
Scharfblick geweckt, auf dem Boden der Bibel — dieſer ſki-
ßirten Kovie der moraliſchen Natur des Menſchen:
denn was da drüber iſt, iſt nicht zum Heile — erſt, aufgeräumt:
und nachher nach der Symetrie der allgemeinen Vernunft
gleichſam neu aufgeführt haben.


Decipimur ſpecio Recti!
*)
neuem in ihn verfallen? Nicht die Vernunft, ſondern ihre Ge-
ſchichte, ſichert das Volk gegen die moraliſchen und politiſchen
Krankheiten der Vorzeit. Werkzeuge der Henker, Kronen,
Scepter, kurz alles, was an die vorigen Zeiten des Königthums
erinnern kann, ſollte in Nationalgebäuden aufbewahrt, und
jährlich einmal der Jugend vorgezeigt werden. Nehmt weg
alles, was euch an die vorigen Zeiten erinnern kann: und ihr lauft
Gefahr, daß es euren Nachkommen gehe, wie den Kindern,
welche giftige Beeren aßen, weil ſie nicht wußten, daß es gif-
tige Beeren waren. —
*)
Eloge de Voltaire S. 2.
**)
— — Quem totus non capit orbis,
Urna capit.
*)
Dieſe Linie fängt mit Philipp, dem Kühnen, König
Johannis Sohn, 1363 an, und endigt ſich mit Karl, dem
Kühnen
, 1477.
*)
Wer frey denkt, denkt gut — ſagt Haller; und in den
Verlocken an den Schillerſchen Muſenalmanach heißt es S. [10:]
„Meiſterwerke gedeihn nie, wenn ein Nero gebeut.“
*)
„Wir wiſſen, ſchrieb Voltaire an M. d'A[n]gerſon, ſehr
gut, daß dieſe und jene Gottiſen (bey Gott und Seele)
nicht ſtatt finden, aber wir ſind ſehr mittelmäßig unterrichtet
über das, was ſie ſind. — Allein, wenn wir gewiſſe Dinge,
die ein wenig delikat ſind, nicht begreifen, ſo iſt es wahrſchein-
lich, daß es nicht nothwendig ſey, daß wir ſie begreifen ſollen.
Wenn gewiſſe Dinge durchaus nothwendig wären, ſo würden
alle Menſchen ſie haben, wie alle Pferre Füße haben. Man
kann ziemlich verſichert ſeyn, daß das, was nicht durchaus
nothwendig iſt für alle Menſchen, zu jeder Zeit, und an jedem
Orte, auch nicht nothwendig ſey für irgend einen. Dieſe Wahr-
heit iſt ein Polſter, worauf man ruhig ſchlafen kann: daß
Uebrige iſt ein ewiger Gegenſtand fürs Streiten zum Pro und
Contra.“ (Oeuvres comp[l.] à Bas[l]e, T. 94 p. 70.)
Wer die Wichtigkeit der Zweifel an die wichtigern überſinn-
lichen Begriffe näher prüfen will, dem empfehle ich das Buch
*)
unter dem Titel: Die geſunde Vernunft, oder die
übernatürlichen Begriffe im Widerſpruche mit den natürlichen.
London, 1788. Da kann man S. 26[1.] ſehen, warum die ein-
ſichtigern und klügern Völker und Menſchen auf Kirchen-Re-
ligion am wenigſten halten, am meiſten aber die dummen und
trägen.
*)
Nebſt genauer Beſtimmung der Begriffe von Theologie, Re-
ligion, Kirche, und proteſtantiſcher Hierarchie, und des Ver-
hältniſſeß dieſer Dinge zur Moral und zum Staate. Frank-
furt und Leipzig, 1788.
*)
Wen der Witz dahin kitzeln mögte, die Franzoſen und die
Utopier fur ſynonym zu halten, der würde allen Fürſten ein
artiges Compliment machen, die es für gut gefunden haben,
der Ueberlegenheit dieſer Utopier nachzugeben.
*)
Die Religion, eine Angelegenheit des Menſchen. Leipzig, 179 [...] .
*)
Le peupel François reconnoit l'Exiſtence de l'E-
tre ſupreme, et la néceſſité de ſon culte par l'exer-
cite des vertus civiques: il ſe conſole par l'eſpe-
rance de l'immortalité de l'ame.
*)
„Wäre dieß gelungen, heißt es in den erwähnten Briefen
S. 166, ſo hätte Hr. Rohan für zwey Millionen Einkünfte
ein Dutzen Huren und ein Dutzen Jagdhunde mehr halten kon-
nen, und die Pfaffheit ware in ihrem Elemente geblieben,
und der arme betrogne Landmann wäre noch immer das Laſt-
vieh privilegiirter Tagdiebe und Schurken.“ — Nach eben
dieſen Briefen, S. 251, ging die Tollkuhnheit der Pfaffen ſo-
weit, daß das Strasburger Domkapitel gegen die geſetzliche
Wahl des Biſchofs Brendel förmlich proteſtirte, und die
National-Verſammlung einen Haufen Treu- und Gewiſſen-
loſer Menſchen nannte, die nur darauf ausgehe, die heilige
katholiſche Religion zu verdrängen und ſie alle zu Luthera-
nern zu machen u. ſ. w. Und daher die Widerſezlichkeit,
daher das Auswandern u. dgl.
*)
Dieſes Haus gehört einem Vater von acht Söhnen. Viere
davon kämpfen mit dem Feinde, und vier bereiten ſich hier
dazu vor.
*)
Ich glaube, daß der Hauptmann Landrin ſehr Recht hatte,
die Freyheit einer kultivirten Nation von der Freyheit, oder
vielmehr von der Zügelloſigkeit einer rohen Horde wilder Men-
ſchen zu unterſcheiden. Jene verdient erſt mit Grund den Na-
men Freyheit, da hingegen dieſe ſo ziemlich an die Freyheit
gränzt, wovon die Lehrer des Naturrechts in ihren Büchern
reden, wenn ſie behaupten: Jeder Menſch ſey von Natur frey
geboren. Die ächte Freyheit kann nur vernünftig und ſocial
ſeyn, und blos der iſt vernunftig und ſocial, der im gleichen
Schritte mit dem höchſten Grade der Kultur ſeines Jahrhun-
derts fortſchreitet. Folglich iſt auch ſogar der Begriff der Frey-
heit relativ. Ich mag dieſen Gedanken hier nicht verfolgen:
in dem Kapitel aber, worin ich meinen Leſern die wahren
franzöſiſchen Begriffe von Freyheit mittheilen werde, ſollen ſie
auch die Folgerungen dieſer Grundſätze finden.
*)
Monopol[ie]n ſind gegen das Intereſſe jeder Nation; fördern
aber das Chatouillen-Intereſſe der Fürſten und deren Miniſter
ſehr. Es wird alſo Geld reichlich ſpendirt, und das Monopol
iſt fertig. Aber eine ganze Nation durch Beſtechung dahin zu
bringen, daß ſie Einzelnen etwas [einräumen], was Alle[n]
ſchadet — das ſahen die Lyoner und Conſorten ein, daß das
nicht gienge: und daher ihre Anhänglichkeit an den Thron
und ihr Haß gegen Demokraten und Demokratismus!
*)
Hätte Pitt dieſe Gährung ſtracks unterſtützet: Europa wäre
längſt zur Ruhe. Aber was kümmert einen Kaufmann das
Intereſſe Anderer! Pitt wollte unumſchränkt herrſchen in
England, und Herr zur See ſeyn. Die Holländer ſtanden ihm
vorzüglich im Wege, und ihre Beſitzungen reizten ihn gar
ſehr. So via facti zuzufahren, ging nicht: er zwang ſie alſo,
– auch Andere, weil im Trüben gut fiſchen iſt, und weil das Au-
genmerk auf einen gemeinſchaftlichen Feind, die Franzoſen, es
verhindern ſollte, ſein Augenmerk auf einen beſondern zu mer-
ken und zu hintertreiben; oder gelänge der Krieg, dann den
Franzoſen das wegzukapern, was er in dieſem Falle den
Holländern hätte laſſen müſſen — zur Theilnahme am Kriege.
Aber ſchon bey der Belagerung von Dunkirchen, die er
von der Seeſeite nicht unterſtützen ließ, konnte man merken,
wohin er eigentlich wollte. Die mordbrenneriſche Expedition
auf Toulon zeigte das Nämliche. Der Krieg ſollte einmal
in die Länge gezogen werden, um das Volk in England und
deſſen Sprecher in eine anhaltende Nothwendigkeit zu ſetzen,
ſein deſpotiſches Verfahren als ein interimiſtiſches Reſultat der
Noth und der Zeit gelten zu laſſen: während der Zeit aber die
Zügel der willkührlichen Regierung ſo feſt anzuſchnallen, daß
nichts ſie weiter zerreiße. Die Volksmaſſe mußte alſo durch
*)
weggeſchickte Land- und Seetruppen vermindert, geſchwächt
und lenkſamer gemacht werden. Er hob große Anleihen von
mächtigen Handelshäuſern, um die Unterſtützung des Throns,
ihnen, im Fall ſie dereinſt wieder bezahlt ſeyn wollten, zum
Bedürfniß zu machen. Den ausgehobnen Truppen, zumal de-
nen zu Lande, gab er ſolche Anführer, von welchen er ge-
wiß wußte, daß ſie nichts entſcheiden, und folglich ſeinen
Plan, den Krieg in die Länge zu ziehen, nicht kontern wür-
den. Die Admirale zur See erhielten Befehl, wie er ihn für
ſeinen Plan ant fand. Dunkirchen ließ er von der See-
ſeite nicht angreifen, um den Franzoſen das Vordringen bis
nach Holland nicht zu erſch[weren]. Sie ſollten dahin drin-
gen, die Holländer, des Statthalter-Deſpotismus überdrüſſig,
ſollten ſich mit ihnen verbinden: und dann hatte er ein
Recht, die Beſitzungen der Holländer wegzunehmen. — Dieſe
Abſicht iſt erreicht. Aber Belgien darf den Franzoſen nicht
bleiben, weil ſonſt Englands Handel und Credit zu ſehr daher
litte. Auch Hannover darf nicht verloren gehen, wegen der
Hülfstruppen und der Einkünfte von daher, und wegen der
Stimme im deutſchen Reichs-Rath. Alſo muß man, wegen
des leztern, den Kaiſer zum Freunde halten, und um dieß für
die Dauer zu bewirken, muß man alles aufbieten, ihm die
Wiedereroberung von Belgien moglich zu machen. In Bel-
gien gerettet; hat man dem Kaiſer noch etwas hinzu erobern
helfen, und ihm dadurch — wills Gott! — eine P[rä]po-
te[n]z verſchaffet: dann hat man, was man wollte, und zum
ſchuldigen Danke läßt man ſich die neuen Acquiſitionen garan-
tiren, herrſcht dann in England Souverain, und beſtimmt
Handel und Geldlauf, wie es ſeiner Pittiſchen Majeſtät be-
liebt. — Sehet Deutſche, das iſt der Grund eurer noch im-
mer unabſehbarer Leiden! O daß doch unſere edlern und hu-
manern Fürſten erwachten, und für Englands Guineen und
Handels-Deſpotismus deutſches Blut nicht mehr fließen, und
Deutſchlands beſte Provinzen, zum Nachtheil aller übrigen, nicht
länger verwüſten ließen! —
*)
Jon. Kap. 3. 3.
**)
Kap. 4. 3.
***)
[2.] Pet. [1]. v. 21.
*)
Laſſen wir dieſen Augenblick beſchleunigen, mein Freund, da-
mit wir bald wieder vereinigt werden.
*)
Dieſe Art zu marſchieren hat freylich nichts Gezwungnes, und
noch weniger das Anſehn fluchtverdächtiger Züchtlinge, deren
Schritt und Tritt überall ſcharf bewacht werden müſſe; aber
in der Nahe vom Feinde, oder auf Retiraden, wenn unvor-
ſichtige Anführer, oder verwöhnte, disciplinloſe Haufen ſie bey-
behalten, hat ſie auch Gefahr, wie die Jourdaniſche Armee es
vorigen Herbſt erfahren hat.
*)
Wenn der franzöſiſchen Nation noch daran liegen könnte, die
Religion der Vernunft, unter dem Namen Chriſtenthum
— der Schwachen wegen – wieder öffentlich lehren zu
*)
laſſen: ſo wüßte ich keinen konſequentern Weg dazu, als den
eben bezeichneten. Ich habe ihn bey mehrern Franzoſen ver-
ſucht: und ſie ſahen ein, daß das ächte und reine Chriſtenthum
weiter nichts enthält, als die Elemente der Moral-Religion
der Vernunft. Ich werde dieß dereinſt vielleicht zeigen in einem
gedrängten Auszug aus [T]indalsChriſtianity as old, as
the creation
, oder das Chriſtenthum ſo alt, als die Welt. —
Genug, wäre Johannes der Täufer, und die Apoſteln eben ſo
mächtige Vor- und Nacharbeiter für Chriſti Lehre geweſen,
wie ohngefahr die Jakobiner dieß für die Beſchlüſſe des Kon-
vents geweſen ſind: ich bin verſichert, der Deſpotismus, zumal
der kirchliche, wäre nie Syſtem geworden, und ſelbſt in Frank-
reich wären der Schreckensſcenen weniger geweſen. Doch, Alles
hat ſeinen Gang und ſeine Zeit!
*)
Sie heißt auch auf lateiniſch und griechiſch, Gratianopolis.
*)
Ovid. L. III. Amor, Elog. VIII.
*)
Man kann nicht läugnen, daß der Konvent, ſo viel man ihn
im [...]uslande auch getadelt hat, oft in einem Monate, unter
den gefä[h]rlichſten Stürmen, mehr Regierungsweisheit gezeigt
hat, als ein Victor Amadäus, in einem ganzen ruhigen
Jahrhunderte nie zeigen wird. Und doch meynt der Erzlügne[r]
Pitti in Frankreich ſey keine Regierung!
*)
Die Leute in jenen Gegenden waren ohne Ausnahme gut re-
publikaniſch geſinnt, und wußten recht gut, daß die Sankü-
lotten es waren, welche das innere Frankreich gerettet, und die
Sachen dahin gebracht hatten, daß ſie der Deſpotie der Pfaf-
fen, der Edelleute und der Beamten nicht neuerdings, und
wohl noch ärger, als vorher, waren unterworfen worden;
auch, daß ſie, ohne Requiſition, ihre Feldarbeit in Ruhe und
heiler Haut betreiben konnten. Dieß machte ſie auch überall
gaſtfrey gegen die Sankülotten; aber Viele von dieſen, zu ſtolz
auf die öffentliche Meynung aber ihr Verdienſt um die Erhal-
tung der Republik, gingen in ihren Foderungen oft weiter als
ſie ſollten, und machten es, wie mancher Furſt, welcher die
Dankpflicht der Unterthanen für den Schutz den er ihnen an-
gedeihen laßt, wozu ſie Geld und Leute ohnehin ſchon im vor-
aus geben, ſoweit ausdehnt daß er ſie, wie das Ihrige als
ſein Eigenthum betrachtet, und nun zugreift, wann und wie
es i[h]m beliebt. So wenig dieß nun gutes Blut bey den Un-
terthanen ſetzet, ſo wenig ſezte das Herren-Benehmen vieler
Sankulotten auch gutes Blut bey manchen Bauren: und dar-
um war Vorſicht nöthig, wenn Einzelne zur Nacht ſich ihnen
nahten.
*)
Der Titel dieſer Reiſe iſt: Briefe über die ſüdlichen
Provinzen von Frankreich
— in den Jahren 1786
87 und 88 geſchrieben von J. G. Fiſch. Zweyte Auflage.
Ich kenne über das Südliche Frankreich nichts vollſtändigeres,
als dieſe Briefe, und empfehle ſie daher jedem, welchen dieſe[r]
merkw[ü]rdige Diſtrict intereſſiret. Sie werden dereinſt ein noth-
wendiges extremum Comparationis für den ſeyn, welcher
den jetzigen Zuſtand dieſer Provinzen mit dem ehemaligen vor
der Revolution vergleichen will.
*)
Wunder ſind denn wohl nicht von Gott: ſonſt wäre Gott
hier w[wid]er ſich ſelbſt geweſen. Wunder ſind ein Product der
Unwiſſenheit des trägen Glaubens und des politiſchen und re-
ligiöſen Dunſtmachens. — Aber wen macht es nicht lachen,
wenn eben die Maria, die ihre und andere Klotzbilder in Frank-
reich ungeſtöhrt zernichten ließ, in Oeſtreich jezt weinet, um den
Pöbel gegen Frankreich erſt hintendrein aufzubringen! —
Kurz, wie der Glaube ſelig macht, ſo macht auch nur der
Glaube Wunder; denn wo dieſer verſchwindet, verſchwinden
auch jene; und Gott bleibt Gott. Ganz Frankreich hält ſich
feſt am Irrdiſchen, und befindet ſich wohl; und was das Ueber-
irrdiſche betrifft, ſo iſt jezt jedes hellen Franzoſen Frage und
Antwort kurz dieſe:
De Iove quid ſentis? — Minimum eſt, quod ſcire
laboro:
Iupiter eſt, quodcunque vides, quocunque moveris.

Und damit iſt ſeine Theologie zu Ende. Und doch, wer über-
windet ihn!
*)
In der fünften Sammlung von Herders Briefen zur Be-
förderung der Humanität finden diejenigen, welche den Pe-
trarca noch nicht gehörig kennen, ſchon genug, um dieſen
ſeltnen Geiſt zu bewundern und zu achten.
*)
Metaphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre von Imanuel
Kant, Königsberg bey Nicolovius, 1797. S. 192.
*)
Die Urſache davon findet man in den Briefen eines preußi-
ſchen Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braun-
ſchweigs gegen die Neufranken.
*)
Vorrede zur Sam. erbaul. Gedichte S. 95. Unter allen
Humanitäts-Schriftſtellern hat keiner einen glücklichern Ein-
fall gehabt, den politiſchen Vampyrs Humaniſirung zu predi-
digen, als der erwähnte Herausgeber. Er ſchlug gerade den
entgegengeſezten Weg ein, den die Herausgeber der Horen
gehen wollten. Dieſen leztern Weg nennt er S. 21, ff. den
verkehrten und der Natur widerſprechenden Weg; zeigt auch
ſehr einleuchtend: warum. Die Xenien-Dichter werden
von ihm wahrſcheinlich keine Notiz gehabt haben: ſonſt hätten
ſie ihn wohl auch mit einem bonetten Diſtichon [r]elagirt!
*)
Seit einigen Jahren werden die Feldſcheere in der preußiſchen
Armee Chirurgi genannt. Dieſes fremde Wort ſagt noch lange
nicht, was Feldſcheer ſagt, und hatte billig einem deutſchen
recht guten Worte nicht vor[ge]zogen werden ſollen. Unwiſſende
Leute ſprechen Kriurgus, Klurgus, Gregorius u. ſ. w.
*)
Sans-culottes heißt bekanntlich Ohne-Hoſen. Einmal zielte
man mit dieſer Benennung auf diejenigen, welche geſtrickte,
fleiſchfarbene und ſo glatt anſchließende Beinkleider trugen,
daß es ſchiene, ſie trügen gar keine, oder wären ohne Hoſen.
*)
Dieſe Glättlinge nannte man nachher Muscadins.. Eigentlich
aber nannten die Hoflinge und der Adel alles, was zum Volke
gehörte, und zwar zur derben, zerlumpten oder uneleganten Klaſſe,
die den Hof- und Adels-Druck am tiefſten gefühlt hatte, und
darum beym Ausbruch der Revolution am bitterſten auf ſie
eindrang, verachtungsweiſe Sansculottes. Ein Hofſchranze
ſagte daher einmal zu Dumouriez, daß man ihn und die
übrigen National-Miniſter bey Hofe Miniſtres Sansculottes
nenne. „Aber, antwortete Dumouriez, wenn wie Ohne-
Hoſen ſind, dann wird man deſto eher ſehen, daß wir Männer ſind.“
— Der Name Sansculottes, der nachher zur Gegenverach-
tung als Ehrenname beybehalten wurde, hat weit ſchrecklichere
Folgen in Frankreich gehabt, als in den Niederlanden der
Schimpfname Gueux oder Bettler. Man muß hiebey bemerken,
daß faſt alle Schimpfnamen der Factionen niedrig ſind; und
doch iſt es faſt allemal die vernehmere Parthey, welche ſie zur
Bezeugung ihrer Verachtung erfindet. Aber man bemerke nur
auch, daß ſie mehrentheils Urſache haben, es zu bereuen. Man
ſehe die Denkwürdigkeiten des Gen. Dümouriez,
S. 177 im II Th. Dieß zur Erläuterung über den Namen
Sansculottes für die, welche deſſen Urſprung vielleicht noch
nicht wiſſen.
*)
In Frankreich behandelt man die Todten, wie man ſieht,
jezt ſehr einfach, und dem äußern Prunk nach, ganz gering-
ſchätzig: und doch behandelt, man die geſetzmäßigen Lebendigen
dort weit beſſer als irgendwo; folglich iſt es falſch, daß wenn
man die Todten geringſchätzig behandelt; man es mit den Le-
bendigen bald nicht beſſer mache. Dieß Argument motiviren
vorzüglich diejenigen, welchen der Sarg, das Todtenhemd,
das Gelänte und der Prunk etwas abwirft, unbeküm-
mert, ob die Familie des Verſchiednen Geld zu Bro[de] übrig
habe, oder nicht, geſchweige zum Beläuten und was noch
dazu gehört. Wir ſind alſo ſo ſuperhuman, daß wir die Ur-
banität gegen die Verſtorbnen auf Koſten der Humanität ge-
gen die nothleidenden Lebendigen ſehr ängſtlich übertreiben.
*)
Wedekings Schrift ſollte, wie ich höre, in einer berühm-
ten Stadt gedruckt werden. Der Cenſor aber ſoll gemeynt
haben: das konne er nicht zugeben, weil es uns Deutſche
zu ſehr beſchame.
*)
Wer das Unweſen unſrer deutſchen Juſtiz vielleicht noch nicht
aus Erfahrung kennt, kann es beſchrieben finden in dem
Grab der Chikane, worin, daß haufige Proceſſe das
größte Uebel eines Staats ſind, gezeigt, die wahren Quellen,
woraus ſie entſtehen, oder nachdem ſie entſtanden ſind, ſorg-
*)
fältig genährt, ins unendliche vervielfältiget und gleichſam ver-
ewiget w[e]rden, entdeckt, dabey aber auch zugleich die wirkſamſte[n]
Mittel, dieſe verſchiedene Quellen zu hemmen und zu verſtopfen,
an die Hand gegeben werden.“
*)
Die A. L. [Z]. von 1796, und die A. [d]. [B]. von 1797. enthalten
die Belege.
*)
In der erwähnten Ausbeute ſoll eine Probe davon vor-
kommen.
*)
Dieſe Sucht ward unter der königlichen Regierung dadurch
herrſchend, daß man bey ſeinem Regimente einen Offizier als
*)
brav und tapfer achtete, der ſich nicht wenigſtens drey-
mal duellirt hatte. Brav und tapfer wollte aber hernach
auch der Gemeine ſeyn. Dieß Vorurtheil hat lange geherrſcht,
war allgemein, Standes-mäßig und tief eingewurzelt. Die
neue Regierung wird daher noch lange laviren müſſen, bis es
bey den lebhaften Franzoſen eine herrſchende Ueberzeugung
werde: daß Tapferkeit und Gewandtheit eines Stiers und
Mörders das eben nicht ſey, worin der vernünftige und brave
Mann ſeine Ehre ſuchen müſſe.
*)
Conciergerie iſt in Frankreich ohngefähr das, was die Ha[aus]-
[vogtey] in Berlin iſt.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Laukhard, Friedrich Christian. F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bptx.0