[][][][][][]
[figure]
[]
Der
Gelehrte Narr,

Oder
Gantz natuͤrliche Abbildung
Solcher Gelehrten,
Die da vermeynen alle Gelehrſamkeit und Wiſſenſchafften
verſchlucket zu haben, auch in dem Wahn ſtehen, daß ihres glei-

chen nicht auf Erden zu finden, wannenhero ſie alle andere Menſchen gegen ſich
verachten, einen unertraͤglichen Stoltz und Hochmuth von ſich ſpuͤren laſſen; in
der That aber doch ſelber ſo, wie ſie in ihrer Haut ſtecken, Jgnoranten, Pe-
dant
en, ja Ertz-Fantaſten und tumme Gympel ſind, die von der wahren
Gelehrſamkeit, womit die Weisheit verknuͤpffet ſeyn muß,
weit entfernet.

Nebſt einer luſtigen
DEDICATION
und ſonderbaren
Vorrede.
Dergleichen verkehrten Gelehrten zur guten Lehre, und ver-
hoffentlich daraus flieſſenden Beſſerung; andern aber, ſo ſich denen

Studiis widmen, und noch Anfaͤnger ſind, zur getreuen Warnung,
auch ſonſt jederman zum Vergnuͤgen
geſchrieben.


Gedruckt zu FREYBURG. Anno1729.
auf deß Autoris eigene Koſten.

[][]

DEDICATION.
Dem
Großgebohrnen, Großgelahrten und
Großweiſen Herrn,
HERRN
Peter Baron von Squentz,
Erb-Herrn auf Naͤrrſch- und Tollhauſen,
POLYHISTORI,

Groß-Cancellario in dem Platoniſchen Utopia, Groß-
Schatzmeiſtern aller Philoſophiſchen Weisheiten, Groß-Reverentz-
Meiſtern auf dem Parnaſſo, Groß-Jnſpectorn uͤber den Nord- und
Suͤder-Pol, Groß-Obſervatorn des Lauffes aller Planeten, aller
Sternen und ihrer Jnfluentz, ingleichen aller andern ſogenannten
Himmliſchen Zeichen, wie ſie in dem Calender beſchrieben und ab-
gemahlet, Groß-Judicirern uͤber die Conſtellationes, uͤber die Son-
nen- und Monden-Finſterniſſe, ſie moͤgen ſichtbar oder unſichtbar
ſeyn, uͤber die Cometen und andere Lufft-Zeichen, auch uͤber ihre
Wirckungen und Bedeutungen; ja Groß-Beguckern des
gantzen Firmaments, und General-Viſitatorn des
Horizonts \&c. \&c. \&c.

Meinem Großgeehrten auch Großgeneigten Herrn, und
vortrefflichen Patron.


[][]
Großgebohrner, Großgelahrter und
Großweiſer,
Inſonders Großgeehrter und Großgeneigter
Herr, und vortrefflicher
Patron.

DU Narr! duPavians-Phyſionomie!
Viſage à faire rire,
oder du laͤcher-
liches Geſichte! Du Affe! Du
Haaſe! Du
Pedant!DuJgnorant!Du
Limmel! Du Toͤlpel! Du Pantoffel-
Holtz ꝛc.


Wie klingen dieſe Worte? Großgeehrter,
auch Großgeneigter Herr und vortrefflicher Pa-
tron!
Ich frage, wie ſie in Dero Ohren klingen?
A 3und
[] und bin verſichert, Sie werden mir antworten
und ſagen: Ey pfuy! das ſind lauter haͤß-
liche Schand- und Schimpf-Worte, die
man niemals einem Menſchen, geſchwei-
ge einem Gelehrten, auf den Buckel
werffen muß.


O ſehr wohl geurtheilet! und ich bin voll-
kommen Ihrer Meynung. Nichts deſtoweni-
ger wuͤrde ich mich ſolcher Worte bedienen, und
mir nicht das geringſte Bedencken dabey machen,
wann ich mir ein gelehrtes Monſtrum ausgeſe-
hen, und beſchloſſen haͤtte, demſelben dieſes Buch,
welches der Gelehrte Narr betitelt iſt, zu dedici-
ren. Denn gelehrte Monſtra nenne ich ſolche
Leute, die alle Claſſen auf Schulen und Univerſi-
taͤten durchgegangen, auch daher prætendiren,
alles zu wiſſen, alles einzuſehen, alles zu begreiffen,
und uͤber alles ein excellentes Urtheil, das die
Quinteſſence des Verſtandes in ſich fuͤhre, zu
faͤllen, wobey ſie alle andere Menſchen verachten,
auch
[] auch ſolche aus einem gelehrten Stoltz und einer
falſchen Einbildung, gegen ſich nur vor Staub
halten; in der That aber, und bey allem dem, was
ſie auf Schulen und Univerſitaͤten oder ſonſt je-
mals gehoͤret, Matzen und Lappen, Narren und
tumme Schoͤpfe geblieben, von denen die wahre
Weisheit weit entfernet, weil der Saame der
Gelehrſamkeit auf ein duͤrres Land und ungeſun-
des Gehirn gefallen; an ſtatt daß andere, in de-
ren Koͤpffen ein geſundes nicht mit Heckerling
und Pferde-Miſt vermiſchtes Gehirn lieget, die
vortrefflichſten Maͤnner zu werden pflegen,
wann ſie von denen Schüler-Gymnaſiaſten- und
Studenten-Jahren behoͤrig profitiren.


Aber, nachdem ich meine Augen auf Ew.
Groſzgebohrn, Groſzgelahr-
und Groſz-
weisheit
gerichtet, u. mir die Freyheit nehme, Ih-
nen dieſes Buch zu dediciren; ſo bekenne ich hertz-
lich gerne, daß ich faſt nicht weiß, wo ich Honig-
ſüſſe und Reſpects-volle, Dero groſſen gelehrten
Meriten gemaͤſſe Worte genug hernehmen ſolle,
Bmeine
[] meine Dedication damit auszuſchmuͤcken u. aus-
zuſpicken; allermaſſen mir gar wohl bekannt, daß
Ew. Groſzgebohrn, Groſzgelahr- und
Groſzweisheit eben ſo ſehr mit ungemeinen
Meriten beladen, als wie bisweilen ein Eſel (je-
doch ſans Comparaiſon) mit Saͤcken beſchwe-
ret iſt, wann er aus oder in die Muͤhle gehet.


Mein guldener Peter! Mein ſilberner
Peter!
Mein Perl- und Diamantener Pe-
ter!
ſage ich demnach zu Ew. Großgebohrn,
Großgelahr-
und Großweisheit, Sie, Sie,
Sie ſind ein gelehrtes Wunder unſerer Zeiten,
und geben, ſo offt dieſelben nur Dero Mund er-
oͤffnen, oder die Feder anſetzen, der Welt etwas
ſchriftlich zu communiciren, einen lieblichen
balſamiſchen Geruch der Gelehrſamkeit und
Weisheit von ſich, der alles charmiret und be-
zaubert. Alle Dero Worte ſind admirable, und
an allen Buchſtaben, die aus Dero Feder flieſſen,
klebet Klugheit, wie Pech an denen Faͤßern, worin-
nen
[] nen man an vielen Orten das ſtarcke braune Bier
zu verwahren pfleget.


Die vornehmſten Gelehrten haben ſich gluͤck-
ſelig zu ſchaͤtzen, wann ſie von Ew. Großge-
bohrn, Großgelahr-
und Großweisheit
fein weit entfernet ſind, weil anderer geſtalt ih-
re Ehre und Reputation nicht beſtehen koͤnte,
ſondern dieſelben neben Ew. Großgebohrn,
Großgelahr-
und Großweisheit zu Nar-
ren werden muͤſten. Denn es mag ein vor alle
mal keine Gelehrſamkeit noch Weisheit von der
Welt uͤber derjenigen ſeyn, ſo in Ew. Groß-
gebohrn, Großgelahr-
und Großweisheit
Gehirne ihre Reſidentz genommen, noch etwas,
obwohl ſonſt gelehrtes, gegen dieſelbe beſtehen,
ſondern muß davor zerſchmeltzen, wie Butter in
der Sonnen.


Plato mit ſeiner Klugheit ſtecket in Ew.
Großgebohrn, Großgelahr-
und Groß-
B 2weis-
[]weisheit Daumen rechter Hand. Ariſtoteles
mit ſeiner hohen Gelehrſamkeit, Scharffſinnig-
keit und Scharffſichtigkeit, womit er das dickſte
Gewoͤlcke, und die unermeßliche Weite der Lufft,
wie auch die tiefſten Kluͤffte und Abgründe des
Erdbodens durchdrungen, wohnet in Dero rech-
ten Zeiger-Finger. Cicero mit ſeiner Bered-
ſamkeit in Dero rechten Mittel-Finger. Seneca
mit ſeinen ſcharffſinnigen Sententiis in den fol-
genden Finger, und in den kleinen Finger Ihrer
rechten Hand ſind alle übrigen kleinern Bernhaͤu-
ter von Philoſophis, wie da ſeynd geweſen De-
mocritus, Heraclitus, Diogenes \&c.
mit aller
ihrer Gelehrſamkeit, Wiſſenſchaften und Gril-
lenfaͤngereyen eingeſchloſſen.


Die lincke Hand Ew. Großgebohrn,
Großgelahr-
und Großweisheit betreffen-
de, ſo ſtecket in den Daumen Homerus; in den
Zeiger-Finger Ovidius; im Mittel-Finger Ho-
ratius;
in den folgenden Finger Virgilius; und
in den kleinen alle andere kleine Fabelhanſen von
Poë-
[]Poëten des Alterthums, mit ihren Einfaͤllen und
Operibus.


Die Staats-Klugheit ſtecket Ew. Groß-
gebohrn, Großgelahr-
u. Großweisheit,
Faͤuſt-dicke hinter denen Ohren, und die Rechts-
Gelehrſamkeit ſitzet Ihnen im Nacken; auch
Dero uͤbrigen Gliedmaſſen des Leibes faſt durch
die Banck, ja ſo gar die Zaͤhen an denen Fuͤſſen, ſind
mit Gelehrſamkeit angefuͤllet, wie in denen wohl-
beſtellten Apothecken die Buͤchſen und Schach-
teln mit koͤſtlichen Specereyen, dergeſtalt, daß
Sie von denen Fußſohlen bis an den Kopf,
von hohen Wiſſenſchaften ſtrotzen, wie ein Sack,
wann er mit Quirlln und Ruͤhrloͤffeln angefuͤllet
iſt.


Was Wunder iſt es demnach, wann man von
Ew. Großgebohrn, Großgelahr- und
Groſzweisheit ruͤhmen und preiſen hoͤret, wie
Sie ſo groſſe gelehrte Wunderthaten verrichten,
welche darinnen beſtehen, daß dieſelben erſtlich ſo
B 3viele
[] viele mit hohen Wiſſenſchaften angefuͤllete Buͤ-
cher ausgehen laſſen, daß auch einig und allein
das, was nur davon zu Maculatur wird, hinlaͤng-
lich iſt, denen Materialiſten in etlichen groſſen
Staͤdten alles benoͤthigte Papier zu Pfeffer- und
andern Tuͤthen zu fourniren.


Hernach ſo iſt das erſtaunens-wuͤrdige Ge-
ruͤchte in der Welt erſchollen, welchermaſſen eini-
ge Affen, die aus Africa heraus in unſer Clima ge-
kom̃en, und ſo gluͤcklich geweſen, von Ew. Groß-
gebohrn, Groſzgelahr-
u. Groſzweisheit
Unterricht zu profitiren, nebſt einigen Haaſen zu
Philoſophis worden; an ſtatt daß verkehrte Ge-
lehrte, durch ihre ungereimte und ungeſchickte
Diſcurſe, vielmals aus Menſchen Affen und Haa-
ſen zu machen pflegen.


Billig iſt es derohalben, daß die gantze Gelehr-
te Welt mit mir aus vollem Halſe ruffe und
ſchreye: Miracul! Miracul!Lange lebe noch
unſer Groſzgebohrner, Groſzgelahrter

und
[] und Groſzweiſer Herr PeterBaronvon
Squentz, mit ſeinen unerhoͤrten Wiſſen-
ſchaften und Schriften!
worinnen die Ge-
lehrſamkeit und Weisheit in einen ſo hohen Grad
zu finden, daſz ſie auch von andern wahren Gelehr-
ten nicht einmal mag begriffen und verſtanden
werden, ſondern dieſe erſt allemal um eine weitere
Erklaͤhrung bitten und ſuppliciren muͤſſen.


O Schlaraffenland wie gluͤckſelig waͤreſt du,
wañ der groͤſte unter denen Philoſophis, welches
unſtreitig unſer Groſzgebohrner, Groſz-
gelahrter
und Groſzweiſer Herr Peter
Baron von Squentz iſt, nur einige Tritte und
Schritte innerhalb deinen Graͤntzen thaͤte! Al-
le deine Einwohner wuͤrden ſogleich mit Gelehr-
ſamkeit und Wiſſenſchaften prangen.


O du Narren-Inſel! von welcher vor wenig
Wochen, in der Quinteſſence des Nouvelles,
ſo woͤchentlich zweymal in Amſterdam heraus
kom-
[] kom̃et, meldung geſchehen. Wie gluͤckſelig wuͤr-
deſt du nicht ebenfals ſeyn, wañ unſer Groſzge-
bohrner Groſzgelahrter
und Groſzwei-
ſer Herr Peter
Baron von Squentz, nur ei-
ne kleine Zeit in deinen Gegenden ſich aufhielte.
Denn es wuͤrde eine dermaſſen gelehrte Ausduͤn-
ſtung von ſeinen Fuͤſſen heraus gehen, die capable
waͤre, aller deiner Einwohner Kranckheiten zu
curiren.


Ja du Ratten-Inſel! von der man in der
nur-angefuͤhrten Eſſence des Nouvelles glei-
cher geſtalt einige ſonderbare Nachrichten geleſen.
Wer weiſz, was aus deinen Einwohnern werden
wuͤrde, wann ſie des groſzgelehrten Unterrichts
unſers Groſzgebohrnen, Groſzgelahrten
und Groſzweiſen Herrn PetersBaron von
Squentzens genieſſen koͤnten. Denn ſind ſie
ſchon ſo polit, daſz ſie dem Schiff, welches aus der
Narren-Inſel abgeſegelt, neue Entdeckungen zu
machen, Deputirte entgegen geſchicket, und die,
wel-
[] welche ans Land geſtiegen, wohl empfangen und
wohl bewirthet, warum ſolten ſie nicht durch die
Klugheit unſers theuren, Groſzgebohrnen,
Groſzgelahrten
und Groſzweiſen Herrn
Peters,
Baron von Squentzens, zu noch
artigern etlichen uralten heydniſchen Philoſo-
phis
und Stoicis gleichen Creaturen koͤnnen ge-
machet werden. Dabey waͤre kein Zweiffel, daß
die Ratten hernach nicht ſo raiſonnable ſeyn, und
ihn davor zu ihren Herrn erwehlen ſolten. O da
wartete ich gantz gewiſz mit einem Carmine auf,
meine Gratulation darinnen abzuſtatten, und
meine Freude zu bezeugen, daſz Sie mein vortreff-
licher Patron, nachdem Dieſelben, durch Dero
Meriten bishero, ſo viele Titel erworben, endlich
gar zum Ratten-Koͤnig worden waͤren.


Aber ſiehe da! Was faͤllet mir doch hierbey
ein? Ich gedencke bey mir ſelber, wie es doch moͤg-
lich geweſen, daß ein ſo gar gelehrtes Wunder, als
Ew. Groſzgebohrn, Groſzgelahr- und
CGroß-
[]Groſzweisheit ſind, jemals in der Welt hat
moͤgen zum Vorſchein kommen? und finde viel-
leicht die Raiſon. Man ſpricht nemlich, und haͤlt
dafuͤr, es thue das Geſtirne, bey der Zeugung und
Geburt des Menſchen, vermittelſt ſeiner Influ-
en
tz, eine maͤchtige Wirckung. Daferne nun
dieſes wahr und richtig iſt, ſo glaube ich gaͤntzlich,
daß ſich, nebſt dem uͤbrigen wirckenden Geſtirne,
der gantze Zodiacus oder Thier-Creyß, bey der
Zeugung und Geburt Ew. Großgebohrn,
Großgelahrheit
und Großweisheit, gar
ſehr intereſſiret, und ein jedweder Theil, derer
Zwoͤlfe ſind, ins beſondere ſich bemuͤhet, Ihnen et-
was von ſeiner Natur und Eigenſchaft einzufloͤſ-
ſen. Solches wird vornemlich der Widder, der
Stier, der Krebs, der Loͤwe, der Scorpion,
der Steinbock, und der Stockfiſch gethan ha-
ben; woraus dann allerdings etwas Extraordi-
nair
es erfolgen muͤſſen, welches in ſeinem Metier
excellir
et, und ein groſſes Aufſehen in der Welt
machet.


Die-
[]

Dieſes ſind meine zufaͤllige Gedancken, und
meine Hochachtung gegen Ew. Großge-
bohrn, Großgelahr-
und Großweisheit
iſt eben darum deſto groͤſſer, weil ich davor halte,
daß Sie in einer ſehr genauen Verwandtſchafft
mit dem Zodiaco ſtehen; hoffe anbey, Dieſelben
werden geruhen, meine gegenwaͤrtige Dedicati-
on,
die aus ſehr guter Meynung geſchiehet, guͤtigſt
auf- und anzunehmen. Jedoch noch eines:


Weil ich vor alles beſorget bin, wobey die Ehre
und Wohlfahrt Ew. Großgebohrn, Groſz-
gelahr-
und Groſzweisheitintereſſiret, ſo
kan ich mich nicht entbrechen, Sie zu bitten und zu
ermahnen, Ihnen auch zu rathen, ins kuͤnftige
das Geſicht nicht immer ſo aufwaͤrts gen Him̃el
zu kehren, noch das Maul ſtets ſo offen zu halten.
Denn es kommet jetzo der Sommer bald wieder
herbey, und die Schwalben werden ſich einfinden;
da dann Ew. Großgebohrn, Großgelahr-
und Großweisheit, einmal gar leichtlich einen
C 2unan-
[] unangenehmen Zufall, entweder in denen Au-
gen, oder in dem Maul haben koͤnten, welches
mir überaus leid zu hoͤren ſeyn wuͤrde.


Hiermit empfehle ich mich zu Dero beſtaͤndi-
gen unſchaͤtzbaren Gewogenheit, und verharre
mit aller aufrichtigen Ergebenheit,
Ew. Groſzgebohrn, Groſzgelahr- und
Groſzweisheit,


Meines Großgeehrteſten auch Großgeneigten
Herrn und vortrefflichen Patrons



gehorſamer Diener
Der Autor,
Jetzt ungenannt;
Sonſt wohl bekannt.


P. S.
[]

P. S.


Nachdem Ew. Großgebohrn, Groß-
gelahr-
und Großweisheit in der hohen Re-
putation
ſtehen, daß Sie Fragen, die ſonſt unauf-
loͤßlich ſind, und von andern nicht beantwortet
werden koͤnnen, ſonder Mühe entſcheiden; ich aber
von einigen vorwitzigen Leuten geplaget werde,
allerhand ſchwere Fragen zu beantworten, ſo bitte
ich, Dieſelben wollen geruhen, mir in geheim zu
melden:


  • 1) Wie des Æſopi Buckel ausgeſehen, ob er nem-
    lich wie ein Comma, oder wie ein Semicolon
    ; oder wie ein Punctum. geſtaltet geweſen?
  • Ingleichen was die Syrenen vor Lieder geſun-
    gen? auch ob ſich der Baß, der Tenor, der Alt,
    der erſte u. andere Diſcant dabey hoͤren laſſen?

Solche Bitte thue ich darum, damit ich auf
dieſe Weiſe den Vorwitz derer, die mich mit der-
gleichen Fragen vexiren, ſtillen koͤnne. Ihnen
Ihres Orts werde ich vor deren Aufloͤſung gar
ſehr verbunden ſeyn.



[]

Erklaͤhrung des Kupffers:


  • Der Gelehrte Narr ſitzet in ſeinem Muſeo, mit einem
    Schlaff-Peltz bekleidet, und eine groſſe Peruque auf-
    habende.
  • Etliche Affen und Haaſen genieſſen ſeines Unterrichts, und
    ſuchen von ſeinen gelehrten Diſcourſen zu profitiren.
  • Ein Affe iſt beſorget, die Peruque des Gelehrten Narrn
    auszukaͤmmen.
  • Der Satyr Silenus, von dem man lieſet, daß er des Bacchi
    Pfleg-Vater geweſen, ihn auch auf ſeinen Zug nach In-
    dien begleitet, haͤlt dem Gelehrten Narrn ein groſſes
    Buch vor, aus welchem ein unartiger Affe ein Blat reiſ-
    ſet, und ſeinen Hinterſten damit wiſchet. Von dieſem
    Sileno iſt hierbey noch dieſes zu mercken, daß er ſonſt auf
    einem Eſel reitende, und ſtets truncken, pfleget vorge-
    ſtellet zu werden.
  • Der Gelehrte Narr will dem unartigen Affen, ſeiner Boß-
    heit wegen, mit einem Stecken auf den Kopf ſchlagen.
    Ein anderer Satyr aber præſentiret dem Gelehrten Narrn
    eine angeſteckte Pfeiffe Toback, ſeinen Zorn dadurch zu
    beſaͤnfftigen.
  • Unten beym Gelehrten Narrn ſtehet eine Bouteille mit
    Bier und ein Glaß, weil er immer durſtig iſt, und ſehr
    gerne zu trincken pfleget.

Vor-
[]

Vorrede.


An den
Nach Standes-Gebuͤhr angeſehenen und
geehrten Leſer.

ICh habe eben jetzo, in meiner Dedication an
PeternBaron von Squentzen geſchertzet;
aber mit dem nach Standes-Gebuͤhr ange-
ſehenen und geehrten Leſer
muß ich in dieſer
Vorrede ernſtlich reden.


Vor allen Dingen bitte ich, man wolle uͤberhaupt nicht,
weder von dem Titel, noch von der Dedication, noch von dem
gantzen Inhalt des Tractats uͤbel, ſondern viel lieber gelinde
urtheilen, weil es eine gantz ſonderbare Beſchaffenheit da-
mit hat, ohne welche das Buch nimmermehr zum Vorſchein
gekommen ſeyn wuͤrde.


Hiernechſt erſuche ich auch den nach Standes-Ge-
buͤhr angeſehenen und geehrten Leſer,
daß er nicht et-
wa auf die Gedancken gerathen wolle, ob trachtete ich, mich
uͤber die Gelehrſamkeit, und die, ſo Profeſſion davon machen,
oder
[]Vorrede.
oder uͤber gute Academiſche Gewohnheiten zu moquiren,
und mein Geſpoͤtte damit zu treiben. Man thue mir hier-
innen ja nicht unrecht. Denn ich verſichere auf mein Ge-
wiſſen, daß mir nie ein dahin zielender Gedancke in den Sinn
gekommen, und ich habe in ſolcher Intention die Feder gar
nicht angeſetzet.


Au contraire, der Werth wahrer und vernuͤnftigen Ge-
lehrten iſt mir nicht unbekannt, und ich verehre einen jedwe-
den, nach ſeiner Ordnung und der Claſſe, worzu er gehoͤret,
gebuͤhrender maſſen.


Ich weiß, wie hoch ein Theologus zu halten, der eine
gruͤndliche Theologiſche Gelehrſamkeit, und eine Apoſtoli-
ſche Gabe zu predigen, zu lehren und zu unterrichten beſitzet,
ſein Amt wohl beſorget, deſſen eigenes Leben und Wandel
auch mit ſeiner Lehre fein richtig harmoniret und uͤberein-
ſtimmet. Ach ein ſolcher Mann iſt werth, daß man ihn ze-
henfaͤltig ehre und liebe.


Einem Juriſten, der das ſeinige recht gelernet, und recht
verſtehet, gebuͤhret ebenfalls alles Lob, wann er keine andern
als ſolche Sachen zu defendiren auf ſich nimmet, ſo die Ge-
rechtigkeit wircklich zur Seite haben, oder die er doch zum
wenigſten, ſeiner Meynung nach, vor gerecht haͤlt, ſolte er
ſich auch irren; hernach aber ſeiner Parthey mit aller Treue
und Aufrichtigkeit dienet.


Und wer wolte einen Medicum nicht æſtimiren und hoch
halten, da wir in der Schrifft ſelber leſen, daß man den Artzt
ehren ſolle. Es muß aber der Medicus ſeine Profeſſion ex
fun-
[]Vorrede.
fundamento verſtehen, die Gabe haben cauſam Morbi ein-
zuſehen und zu erforſchen, auch ſeine Patienten mit gebuͤh-
render Treue und Sorgfalt bedienen und abwarten.


Alle andere Gelehrte, wie ſie Namen haben, und in was
vor Aemtern dieſelben ſtehen, wann ſie eine wahre, von der
Pedanterey und falſchen Vorurtheilen befreyete Gelehr-
ſamkeit, nebſt einem geſunden Judicio beſitzen, ſind lauter
theure und venerable Maͤnner in meinen Augen, abſonder-
lich wann ſie auf Schulen und Univerſitaͤten lehren und un-
terrichten. Wackerer und fleißiger Schulmaͤnner ihre Muͤ-
he wird auf Erden ſelten gebuͤhrend belohnet. Es ſind
Maͤrtyrer, welche erſt ihre rechte Belohnung, und die Crone
vor ihre Arbeit, in dem Himmel erwarten muͤſſen.


Aber wie viele Maͤnner haben wir nicht, die gantz anders
beſchaffen ſeynd, ob ſie gleich gelehrte heiſſen, und unter die
Zahl derer Gelehrten gerechnet werden, weil ſie auf Schu-
len und Univerſitaͤten geweſen, daſelbſt inſcribiret, auch
wohl zu ſolchen Aemtern und Bedienungen gelanget ſind,
die anders nicht, als mit wahren und Weisheits-vollen Ge-
lehrten, ſo mit dem geſundeſten Verſtande begabet, ſolten be-
ſetzet ſeyn.


Was desfalls oͤffters die Urſache iſt, daß ſich nemlich der-
gleichen verkehrte Leute unter denen Gelehrten befinden,
ſolches wird der nach Standes-Gebühr angeſehene
und geehrte Leſer
zwar in dieſem Tractat zur Gnuͤge an-
gefuͤhret finden; allein es kan nicht ſchaden, wann ich auch,
Dgleich
[]Vorrede
gleich allhier in der Vorrede, etwas davon gedencke, weil oh-
ne diß allemal die Vorrede eine Emphaſis von dem gantzen
Wercke ſeyn ſolle, dem ſie vorgeſetzet iſt.


Elende Stuͤmper und verkehrte Gelehrte kommen erſt-
lich daher, wann man Gemuͤther gleichſam bey denen Haaren
zum Studieren ziehet, die entweder keine Luſt, oder keine Ga-
ben, oder wohl von beyden nichts darzu haben. Was koͤnte
oder wolte doch wohl aus dergleichen Leuten werden?
nichts, ſondern ſie bleiben geſchnitzte Hoͤltzer und ſtumme
Goͤtzen, denen der benoͤthigte Geiſt und das Leben fehlet.
Einen Knaben und Schuͤler, welchen man denen Studiis
widmet, ſolle man vorhero wohl erforſchen, ob er Luſt und
Liebe darzu hat? ingleichen ob er mit einer gluͤcklichen Me-
moria,
einem herrlichen Ingenio und guten Judicio verſe-
hen iſt. Findet man ihn damit begabet, ſo ziehe er voller
Hoffnung auf Gymnaſia und Univerſitaͤten, und die Hoff-
nung wird erfuͤllet, wann er nur nicht das Ungluͤck hat, daß er
in boͤſe Geſellſchaften verfaͤllet, mit denen er die edle Zeit
verſchwendet, und dabey, aller ſchoͤnen Gaben ungeachtet,
dennoch ein Jgnorant bleibet. Findet man bey Knaben und
Schuͤlern die vorbeſagten Dinge nicht, als unumgaͤngliche
Requiſita, die bey denen Studiis erfordert werden, ſo laſſe
man ſie ja eine andere Profeſſion erwehlen; oder es wird
gantz gewiß nichts aus ihnen.


Ferner gereichet es der Gelehrſamkeit zu einem groſſen
tort, wann man auf ſich nimmet, und ſich vorſetzet, allzuviele
Wiſſenſchaften, und allzuviele Sprachen, auf einmal zu er-
ler-
[]Vorrede.
lernen. Ein jedweder muß allerdings dahin trachten, in
demjenigen Studio, wovon er eigentlich Profeſſion machen
will zu excelliren, und ein vollkommener Meiſter darinnen
zu werden. Beſitzet er nun auch, nebſt der Mutter-Spra-
che, noch zwey, drey, vier biß fuͤnf andere Sprachen, wovon
einige vielleicht ohne diß von dem Studio, das man zu ſeiner
Profeſſion erwehlet hat, inſeparable ſind, ſo iſt es deſto beſ-
ſer, nuͤtzlicher und ruͤhmlicher. Man mag auch wohl in zwey
oder drey, bis vier, Gattungen von Studiis ſuchen ein Mei-
ſter zu werden; wie es dann z. E. weder einem Theologo,
noch einem Juriſten, noch einem Medico, etwas ſchweres iſt,
zu gleicher Zeit ein guter Hiſtoricus und vernuͤnftiger Phi-
loſophus
zu ſeyn; und es klinget von einem Juriſten gar
ſchoͤn, wann man von ihm ſaget: Er iſt auch ein trefflicher
Publiciſt.
Allein wir wiſſen ja, daß es nicht wenig Ge-
lehrte giebet, welche ſich auf zwantzig bis zwey und dreyſig
und noch mehr Sprachen legen, Verſe darinnen machen, und
prætendiren vollkommene Meiſter ſolcher Sprachen, inglei-
chen von zwantzig andern Wiſſenſchaften zu ſeyn; obwohl
eine von der andern gar ſehr unterſchieden, und ſo beſchaffen,
daß faſt zu einer jedweden ein eigener Mann erfordert wird.
Ich meines Orts zweiffele demnach, daß es rathſam und
thunlich, wann einer der Jura ſtudiret, mit der Hebraͤiſchen,
Chaldaͤiſchen, Syriſchen, Arabiſchen, Malabariſchen- und
Hottentoten-Sprache ſich den Kopf verwirret; oder ſich
allzuſehr mit der Phyſica und Chymie vermenget; oder aber
D 2ſich
[]Vorrede.
ſich beſtrebet, es denen alten Egyptiern in ihrer Hierogly-
phi
ſchen Schreib-Art gleich zu thun; geſchweige wann
man ſich etwa gar bemuͤhet, ein Meiſter in der Steganogra-
phia Sympathetica
zu werden.


Von ſo unzehligen Jdéen nun wird der Kopf confundi-
r
et; woraus nachgehends erſchreckliche Lapſus Judicii di-
ſcretivi
entſtehen. Endlich kommet eine ſtarcke Diſtracti-
on
bey noch ſehr guten Jahren darzu, und hiermit iſt der
Narr da. Er ſeines Orts bildet ſich zwar wohl ein, weit
mehr als ſonſt alle Gelehrte zu wiſſen, meynet auch, daß an-
dere Menſchen, die keine Studia haben, gegen ihn ein bloſſes
nichts, ja wohl gar Beſtien ſeyen. Allein er iſt und bleibet
ein Narr und purer Pedant, der wie ein Papagey herſchwa-
tzet, was er von andern gehoͤret, oder in ihren Schriften auf-
geklaubet; keinesweges aber capable iſt, uͤber eine vorkom-
mende Materie ſelber ein geſundes Urtheil zu faͤllen.


Academiſche Titel, wann ſie tumme einfaͤltige Schoͤpfe an
ſich bringen, die nichts gelernet haben, thun ebenfalls eine
gantz greuliche Wirckung. Denn der tumme und einfaͤltige
Schoͤps, ſo bald er damit pranget, vermeynet, er muͤſſe nun-
mehro groß thun, ſtoltz und hoffaͤrtig ſeyn, mithin andere
Menſchen nur uͤber die Schultern anſehen, weshalb er ſich
ſolche Airs und Minen giebet, die nicht affectirter ſeyn koͤn-
nen. Er ſpricht wenig, damit er ſeine Jgnorantz nicht ver-
rathe; es waͤre dann, daß bißweilen eine lateiniſche Paſſage,
oder etliche Phraſes, ihm entfahren, die er in dem Seneca, in
dem Cicerone, in dem Ariſtotele, oder in andern alten Au-
toribus
[]Vorrede.
toribus geleſen, und ſie nunmehro mit groſſer Autoritaͤt da-
her ſaget.


Der Doctor-Licentiaten-Magiſter- und andere Acade-
mi
ſche Titel, jedweder nach ſeiner Art und Proportion, ſind,
wie alle vernuͤnftige Menſchen ſolches erkennen und beken-
nen, etwas vortreffliches, und aller Ehren wuͤrdiges. Aber
es muß mit der Perſon, die einen dergleichen Titel fuͤhret, ſo
beſchaffen ſeyn, daß der Titel durch ihre Geſchicklichkeit, Ge-
lehrſamkeit und Tugenden eben ſo ſehr, ja faſt noch mehr, als
die Perſon durch den Titel, geehret und anſehnlich gemachet
werde.


Wo dieſes nicht iſt, ſondern der Herr Doctor, der Herr
Licentiat, der Herr Magiſter \&c. iſt etwa ein Pedant, ein
Toͤlpel und Eſel in der Haut, der weder wahre Gelehrſam-
keit und Geſchicklichkeit, noch Tugenden und Meriten beſi-
tzet, ſo bedeutet ſein gantzer Academiſcher Titel nichts.


Wer das Contrarium behaupten wolte, muͤſte billigen,
daß auch unvernuͤnfftigen Creaturen, vors Geld, Academi-
ſche Titel beygeleget wuͤrden, als wie die Univerſitaͤt zu Pa-
dua,
in Italien, bereits in dem Ruff ſtehet, als ob daſelbſt E-
ſel zu Doctoren gemachet wuͤrden; und daß man hernach
dergleichen graduirte Creaturen vor das erkennen muͤſte,
worzu ſie von dieſer oder jener Univerſitaͤt gemachet worden.


Aber ferne ſeye von uns dieſes. Univerſitaͤten haben zwar
das Privilegium von Kaͤyſern, Koͤnigen u. maͤchtigen
Fürſten,
auch in Roͤmiſch-Catholiſchen Landen von
D 3Paͤb-
[]Vorrede.
Paͤbſten, daß ſie Doctores, Licentiatos, Magiſtros, Bac-
calaureos \&c. creir
en koͤnnen. Allein ſie ſollen lauter ge-
lehrte, tuͤchtige, geſchickte, mit Tugenden und guten Quali-
taͤten geſchmuͤckte Subjecta darzu nehmen; Jgnoranten, Pe-
dant
en, grobe und unvernuͤnfftige Leute hingegen abgewie-
ſen werden. Handelt man darwider, ſo gereichet es der ge-
lehrten Welt zur Schande, und dem Publico zum Schaden.
Denn man vertrauet bißweilen einer graduirten Perſon ein
Amt an, und vermeynet mit ihr wohl verſorget zu ſeyn, weil
ſie einen Academiſchen Titel fuͤhret. In kurtzer Zeit aber
aͤuſſert ſich das Widerſpiel, und da leiden gantze Gemeinden
daruͤber Noth.


Ein ſehr groſſes Elend, bey dem gantzen gelehrten Weſen,
iſt bißhero auch wohl dieſes mit geweſen, daß man ſich ſo gar
genau u. ſtreng an die Meynungen alter Philoſophorum, u.
anderer laͤngſt verſtorbenen Gelehrten gebunden, und kein ei-
genes geſundes Urtheil dargegen auf kommen noch guͤltig
ſeyn laſſen wollen. Daruͤber haben die wackerſten gelehrten
Maͤnner vielfaͤltig geklaget, wie auch noch gantz neulich ge-
ſchehen, da man den hohen Geiſt des vor ſechs Monaten er-
blaſſeten, und zu ſeiner ewigen Ruhe gegangenen weltbe-
ruͤhmten Thomaſii in einer gewiſſen, uͤber ſeinen Todt gehal-
tenen vortrefflichen Rede, auf das loͤblichſte und gerechte-
ſte bewundert hat.


Der Freyheit-liebendeThomaſius heiſſet es in
derſelben Rede unter andern, trat zu einer ſolchen Zeit
auf
[]Vorrede.
auf den Schau-Platz der gelehrten Welt, da die
Welt-Weisheit, und mit derſelben faſt die gantze
Gelehrſamkeit, durch tauſend haͤßliche Larven de-
rer ſchaͤdlichſten Vorurtheile, inſonderheit des
Ehranſehens und Alterthums, auf das abſcheu-
lichſte verunſtaltet war. Ariſtoteles, Thomas,
Scotus, Occam, Lombardus, Porcianus, Car-
teſius,
wurden, wo nicht als Philoſophiſche Goͤt-
ter, doch zum wenigſten als allgewaltige Monar-
chen des Reichs der Welt-Weisheit angebetet.
Man hatte ihren Meynungen, unverdient, die
Verbindlichkeit geſtrenger Geſetze beygeleget,
und hielte es gleichſam vor ein Verbrechen der be-
leidigten Majeſtaͤt, von denenſelben nur eine
Haar-breit abzuweichen. Vernunfft-Natur- und
Sitten-Lehre waren durch die ungereimte Ver-
miſchung der Scholaſtiſchen Metaphyſic, nichts
als ein reicher Vorrath von leeren und duncklen
Woͤrtern. Der hohe Geiſt des Thomaſius kun-
te ſich unmoͤglich zu einer ſo niedertraͤchtigen
Sclaverey bequemen, und die noch ſo Centner-

ſchwe-
[]Vorrede.
ſchweren Ketten der Pedanterey, waren nicht
vermoͤgend ihn in dem tieffen Kercker der dunck-
len Unwiſſenheit gefangen zu halten. Er riſſe
dieſe Bande ruͤhmlichſt entzwey; er zerbrach die
Thuͤren eines unertraͤglichen Gefaͤngniſſes; er er-
hube ſich, als ein munterer Adler, zu dem hellſtrah-
lenden Licht der Sonnen-klaren Wahrheit: ja,
ſein Lobens-wuͤrdiges Beyſpiel ermunterte viele
zu einer glücklichen Nachfolge. Nunmehro be-
ſtritte er, mit faſt unuͤberwindlichen Waffen, die
in der Vernunfft-Lehre eingeriſſenen Irrthuͤmer.
Nunmehro zeigte er einen gebaͤhntern Weg in
ſcharfſinniger Erkaͤnntniß der Wahrheit gluͤckli-
cher fortzukom̃en. Nunmehro widerlegte er die
irrigen Lehr-Saͤtze derer Carteſianer vom Weſen
des Geiſtes. Nunmehro entdeckte er die Maͤngel
der Ariſtoteliſchen Ethic, und that zulaͤnglichere
Vorſchlaͤge, die Sitten-Lehre, benebſt einen ver-
nuͤnfftigen Begriff von denen Leidenſchafften des
Gemuͤthes ſich bekannt zu machen. Nunmehro
continuirte er, auf den von Grotius und Puffen-

dorf-
[]Vorrede.
dorffen im Rechte der Natur gelegten Grund
fortzubauen ſuchte, inſonderheit des letztern
Grund-Saͤtze auf das gruͤndlichſte zu erlaͤutern,
und gab ſich alle erſinnliche Muͤhe, dieſen ſo unent-
behrlichen Theil der Gelehrſamkeit von allen
Scholaſtiſchen Verwirrungen, vollkommen zu
befreyen. Sind dieſes noch nicht Zeugniſſe ge-
nug, welche die edlen Verrichtungen ſeines hohen
Geiſtes, in Verbeſſerung der Welt-Weisheit un-
widertreiblich bekraͤfftigen, ſo wird mir vergoͤn-
net ſeyn, dieſes alles mit denen ſinnreichen Wor-
ten des gelehrten Heumanns auszudrücken, wel-
cher in der Abhandlung von der natürlichen Ge-
ſchicklichkeit zu Philoſophiren, nicht nur diejenige,
welche die gütige Natur dem vortrefflichen Tho-
maſius
mitgetheilet, mit denen Sternen erſter
Groͤſſe vergleichet, ſondern auch mit recht nach-
druͤcklichen Redens-Arten von demſelben folgen-
de merckwürdige Abbildung machet: Was Lu-
ther
in der Reformation der Theologie gelei-
ſtet; faſt eben ſo viel hat der Herr Thomaſius

Egethan
[]Vorrede.
gethan in der Reformation der Philoſophie.
Denn wer kan wohl laͤugnen, daß er mit groͤſter
Hertzhaftigkeit die eingeriſſenen Irrthuͤmer und
Pedantereyen angegriffen, die Vorurtheile ſo
wohl derer Ariſtotelicker, als Carteſianer mit ſtar-
cken Waffen beſtritten, die Vernunfft- und Sitten-
Lehre, wie auch das Recht der Natur in eine gantz
neue aber auch recht ſchoͤne Verfaſſung gebracht
hat? Waͤre Thomaſius nicht gekommen, ſo ſeuff-
tzeten wir vielleicht noch unter dem Joch der alten
Philoſophie, und muͤſten uns mit leeren Schaa-
len abſpeiſen laſſen. Aber nachdem dieſer den
Durchbruch gemachet, ſo ſind durch ſeine Schriff-
ten vielen die Augen aufgegangen ꝛc.
Alsdenn
faͤhret der Redner noch ferner fort, zum Ruhm des Thoma-
ſius
zu ſagen:


Er ſahe mehr als zu wohl, daß die damals uͤbli-
che Schulfuͤchſiſche Rhetorica die wahrhafte Ur-
ſache des Verderbs der nuͤtzlichen Beredſamkeit
war, und daß die unrechtmaͤßige Verachtung der
teutſchen Sprache hierzu nicht wenig beytrug.
Daher ermangelte er nicht, ſeines Orts alles

moͤgli-
[]Vorrede.
moͤgliche beyzutragen, was zur Wiederherſtellung
der faſt verlohren gegangenen wahren Bered-
ſamkeit gereichen kunte. Er gab ſelbſt zur Deut-
lichkeit und Artigkeit der Rede, in denen Stun-
den, ſo zum Unterricht der teutſchen Schreib-Art
aus geſetzet waren, geſchickte Anleitung. Er leh-
rete ſelbſt die teutſche Redner-Kunſt, und machte
dabey ſolche Erinnerungen, welche aus dem We-
ſen der Beredſamkeit ihren Urſprung hatten, und
mit denen Umſtaͤnden gegenwaͤrtiger Zeit voll-
kommen uͤberein kommen.


Da wo dieſer alles Lobes-wuͤrdiger Redner etwas von
dem Lebens-Wandel des Welt-beruͤhmten Thomaſii mit
einflieſſen laͤſſet, ſpricht er: Einen hohen Geiſt zu beſi-
tzen, und die Klugheit zu leben verſtehen, klüglich
zu handeln und tugendhafft zu leben, ſind von ein-
ander ſo wenig abzuſondern, als das Licht von der
Sonnen, als der Glantz vom gediegenen Golde.


Nunmehro, nach Standes-Gebuͤhr angeſehe-
ner und geehrter Leſer!
wird es auch nicht undienlich
ſeyn, wann ich allhier mit anfuͤhre, was der zu ſeiner ewi-
gen Ruhe gegangene weltberuͤhmte Thomaſius in ſeinen
E 2klei-
[]Vorrede.
kleinen teutſchen SchrifftenNo. 7. pag. 366. von
der edlen Freyheit ſelber etwas vernunftiges zu
dencken und zu lehren, ohne ſich an die Meynungen
anderer zu kehren,
ſchreibet. Daſelbſt heiſſet es nemlich:


„Wir ſind in unſerer kleinen Geſellſchaft zufrieden, wann
„wir unſere edle und der Vernunfft gemaͤſſe Freyheit und
„Ruhe erwegen, deren wir, durch den gnaͤdigſten Willen und
„Befehl unſers Großmaͤchtigſten Landes-Vaters genieſſen.
„Denn eines Theils ſind wir Lehrende vergnuͤgt, daß hoͤchſt-
„gedachte Se. Churfl. Durchl. allen und jeden, die ſich an-
„ders vor capable halten was rechtſchaffenes zu lehren, oh-
„ne Anſehen des Standes, und ohne Einſchraͤnckung derer
„Lehren gnaͤdigſt erlaubet, dasjenige der ſtudierenden Ju-
„gend beyzubringen, was wir mit unſerer geſunden Ver-
„nunfft begreiffen, und was folglich dem gemeinen Weſen
„und der Ruhe des Staats nicht zuwider iſt, auch nicht zu-
„wider ſeyn kan. Wir ſind weder an Ariſtotelem noch Car-
„teſium,
weder an Galenum noch Hippocratem, weder an
Bartolum noch Baldum, weder an Carpzovium noch Me-
„vium,
noch an einige andere Autoritaͤt derer Philoſopho-
„rum, Medicorum
und Rechts-Gelehrten gebunden. Wir
„duͤrffen uns nicht befahren in die Haͤnde der heiligen Inqui-
„ſition
zu fallen, wann wir uns gleich weder an den Tho-
„mam
noch Scotum, noch an Albertum halten; wann wir
„gleich um die guͤldenen Spruͤche des Magiſtri Sententia-
„rum
des Ehrwuͤrdigſten Lombardi, uns gar nichts bekuͤm-
mern,
[]Vorrede.
„mern, und wann wir uns gleich weigern, uns unter das
„Faͤhnlein des Heil. Porciani einſchreiben zu laſſen. Wir
„duͤrffen uns nicht fuͤrchten, daß man uns werde eines Cri-
„minis Læſæ Majeſtatis
beſchuldigen, wann wir ſchon den
Regem Philoſophorum und Philoſophum Regum, den
„groſſen Stagyriten ein bißgen auslachen, und wann wir ſa-
„gen, daß wir von denen Subtilitatibus Metaphyſicis, denen
Syllogiſmis in Darapti und Felapton, denen vier Elemen-
„ten, denen qualitatibus occultis, denen Streitigkeiten de
„ſummo bono \& de Præſtantia Regni electivi
und ſuc-
„ceſſivi
nicht gar zu ſonderlich viel halten.


Aus denen vorher angezogenen Paſſagen derjenigen Re-
de, wodurch man den hohen Geiſt des erblaſſeten Thomaſi-
us
bewundert hat, erhellet, daß dieſer gelehrte Redner, eben
ſo, wie Thomaſius und andere vernuͤnftige Leute gethan und
thun, es vor unbillig achten, wann man in Teutſchland
ſich gleichſam ſchaͤmen wollen, in teutſcher Sprache auf
Univerſitaͤten zu lehren, oder ein Buch in ſolcher Sprache
heraus zu geben. Ach gewißlich! Auch dieſer thoͤrichte
Wahn, der noch in dem vorigen Seculo gewaltig geherr-
ſchet, hat ſchon manchen ehrlichen Teutſchen verhin-
dert, ein recht gelehrter Mann zu werden, und ein eigenes
geſundes Urtheil zu faͤllen. Denn er hat keine andern als
lateiniſche und griechiſche Buͤcher, die gemeiniglich
ſchwer und dunckel ſind, zu Geſichte bekommen, worinnen er
wohl einen Hauffen praͤchtige Worte geſehen; den Sinn
E 3und
[]Vorrede.
und Verſtand derer Autorum aber, nicht begreiffen noch dar-
aus ziehen, folglich aber auch nicht davon profitiren koͤnnen.


Gleichwie aber Grotius und Puffendorff, Thomaſius
und andere vortreffliche gelehrte Maͤnner, welche die Pe-
danterey
angepfuyet und angeſpeyet, ja ſie gar mit Fuͤſſen
getreten, vielen Gelehrten anders nicht als nur den Namen
nach bekannt ſind, welche folglich ihre Schrifften nicht gele-
ſen, noch davon profitiret, ja von einigen wohl gar behauptet
werden wollen, es waͤren ketzeriſche und gottloſe
Dinge in Thomaſius Schrifften enthalten,
wannenhero ſie auf keine Weiſe geleſen werden
muͤſten,
ob ſie dieſelben gleich ſelber niemals examiniret;
alſo iſt gar kein Zweiffel, daß ſich auch heutiges Tages nicht
noch gar viele Pedanten von der alten Art unter unſern Ge-
lehrten befinden ſolten, und es wird vielleicht das Pedanti-
ſche Unkraut und verwirrte Weſen in der gelehrten Welt,
noch lange nicht koͤnnen ausgerottet werden.


Mit Namen will ich meines Orts keinen Pedanten noch
andere Gelehrte nennen, die aus einem gelehrten Stoltz und
Hoffart zu Narren worden ſind. Indeſſen will ich doch
probiren, ob ich ſie characteriſiren, oder denenſelben ſolche
Merckmahle beylegen kan, daran man ſie gar leichtlich erken-
nen mag. Ich halte nemlich vor einen Pedanten und Nar-
ren diejenigen:


„Der Verachtung, Stoltz und Hochmuth, wegen eingebildeter
„Gelehrſamkeit, gegen andere Menſchen blicken, und ſich duͤncken laͤſ-
ſet,
[]Vorrede.
„ſet, es gebe in der Welt nicht ſeines gleiche, daher auch alles vor koſt-
„bar ja unſchaͤtzbar achtet, was er redet, thut oder ſchreibet. Item:


„Denjenigen, der aus einem gelehrten Stoltz, und aus Hoffart,
„nichts anders vorbringet, als lauter Sententien und ſolche Dinge,
„die von andern Autoribus ſchon vorlaͤngſt geſaget und geſchrieben
„worden. Ferner:


„Denjenigen, der ſich, um ſeiner Academiſchen Titel willen, ſtoltz
„und hoffaͤrtig, ja gantz und gar unertraͤglich anſtellet; da man doch
„weiß, daß er eintzig und allein ſeine Bloͤße damit bedecket, in der
„Haut aber anders nichts als ein purer Ignorant iſt. Desgleichen:


„Denjenigen, welcher denen abſurden Meynungen derer alten
Philoſophorum, Stoicorum und Scholaſticorum mit der aͤuſſerſten
„Hartnaͤckigkeit anhanget, und nicht ein Haar breit davon abwei-
„chen will, ob gleich andere, zu unſeren Zeiten lebende, wackere Maͤn-
„ner, ja die geſunde Vernunfft ſelber, und die taͤgliche Erfahrung
„das Contrarium lehren. Nichtweniger:


„Denjenigen, der uͤber Dinge, die uns nirgendswo dentlich of-
„fenbaret ſind, die niemand jemals mit Augen geſehen, niemals
„mit Ohren gehoͤret, niemals mit Haͤnden begriffen, niemals mit
„der Naſe berochen, niemals mit der Zunge belecket oder gekoſtet,
„die folglich unmoͤglich ſo zu demonſtriren, daß ſie der Menſch mit
„ſeinen Sinnen, als etwas unfehlbares und vollkommen gewiſſes
„begreiffen mag, ebenfalls mit der groͤſten Hartnaͤckigkeit diſputi-
„ret, und ſie als etwas ausgemachtes behaupten will, auch Buͤ-
„cher, ja wohl einen und noch mehr Folianten davon ſchreibet.
„Weiter:


„Denjenigen, welcher zu wiſſen prætendiret, was die vor vielen
„hundert, ja ein, zwey biß drey tauſend Jahren verſtorbene Gelehr-
„te gedacht haben, wann ſie ſich gleich nirgendswo uͤber ihre Ge-
„dancken recht deutlich expliciret; und dann endlich:


„Denjenigen, der ein verdecktes Eſſen und eine Paſtete von Poſ-
„ſibili
taͤten hinter der andern auf den Tiſch fetzet; niemals aber
„etwas reelles vorbringet, das zur wircklichen Nahrung und Spei-
„ſe, d. i. zu einem wahren Nutzen dienen koͤnte.„


Von
[]Vorrede.

Von dergleichen verkehrten Gelehrten, Pedanten, Jgno-
rant
en und gelehrten Narren nun, wird der nach Stan-
des-Gebuͤhr angeſehene und geehrte Leſer
eine gute
Anzahl luſtige Hiſtoͤrgen, Satyriſche Einfaͤlle und merckwur-
dige Diſcurſe in dieſem Tractat aufgezeichnet finden, derge-
ſtalt, daß ich hoffe, es werde einem die Zeit nicht lange wer-
den, der ſich die Muͤhe nimmet, das Buch zu durchleſen.


Kein wahrer Gelehrter aber, deſſen Wiſſenſchaften mit
Weisheit vergeſellſchafftet, der folglich eine gute und kluge
Conduite blicken laͤſſet, mithin ein ruͤhmliches Leben u. loͤbl.
Wandel fuͤhret, hat ſich nicht des geringſten anzunehmen,
noch etwas auf ſich zu ziehen. Solches bezeuge ich hiermit
nochmals, und bin verſichert, daß alle vernuͤnfftige und be-
ſcheidene Gelehrte, von denen ich ein aufrichtiger Freund und
ergebener Diener bin, die menſchliche Unvollkommenheit er-
kennen, auch dabey glauben, daß wir die rechte Vollkommen-
heit in allen Wiſſenſchafften nicht hier in dieſem, ſondern erſt
in jenem Leben erlangen werden.


Der nach Standes-Gebuͤhr angeſehene und geehrte Le-
ſer ſchencke mir ſeine Gewogenheit, die ich jederzeit ſehr hoch
halten werde. Solches bittet und verſichert


DerAutor,dieſes zwar
geringen doch luſtigen

Tractats.

[[1]]

Erſte Abhandlung.


DEr Hochmuth iſt an allen Menſchen uͤberhaubt, laſterhafft und bla-
mable.
Aber nichts iſt laͤcherlicher als ein ſtoltzer und hochmuͤthiger
Gelehrter, welcher vermeynet, daß er einen rechten Geruch der Ge-
lehrſamkeit von ſich gaͤbe, der die Naſen nicht nur dererjenigen,
die ſich in der Naͤhe bey ihm befinden, ſondern auch derer die
ihn von weitem ſehen oder hoͤren, mit einem balſamiſchen Geiſt an-
fuͤlle; ja der durch ſeine hochgelahrte Gegenwart, alles parfumire, und wohl-
riechend mache.


Niemand darffzweiffeln, daß nicht dergleichen abgeſchmackte, von Stoltz,
Hochmuth und eitlen Einbildungen ſtinckende, Thiere unter denen Gelehrten
anzutreffen, welche ſich vor Hoffart ſelber nicht kennen. Die Gelehrſamkeit
ſolte zwar allemal von der Weisheit begleitet ſeyn, und ſie zu einer treuen Ge-
ſellin und Geſpielin haben. Allein dieſe iſt, leider! von jener, oͤffters weit
entfernet; worgegen die Narrheit und Thorheit ihre Stelle bey der Gelehrſam-
keit vertritt. Denn wo der Hochmuth wohnet, da mag die Weißheit nicht
reſidiren, und viele Gelehrte ſeynd dergeſtalt mit hohen Einbildungen angefuͤl-
let, daß ſie auch wohl in dem Wahn ſtehen, ſie ſeyn nicht nur vor ihre Perſon
weit vortefflicher als andere Menſchen, ſondern es muͤſſen auch ihre Excre-
menta
viel beſſer als eines ſogenannten Ungelehrten ſeyn, oder auch eines andern
Gelehrten, der ihnen an vermeynter Gelehrſamkeit, nicht gleich, noch mit einem
Doctor-Licentiaten-Profeſſor- und Magiſter oder einem andern geiſtlichen Titel
pranget, als wie ſie. Ein Exempel von einem ſolchen Gelehrten Narren iſt einer
gewiſſen gantzen Stadt, mir aber inſonderheit bekannt, da ein ſicherer, viel-
leicht noch jetzo lebender, hochgelahrter Herr ſeine Magd, deswegen, weil ſie
bey hinwegtragung und ausraͤumung ſeines Nacht-Stuhls geſaget: Pfuy!
wie ſtinckt das,
im Zorn, und mit groſſer Ernſthafftigkeit angefahren, auch
Ain
[2] in die laͤcherlichen Worte ausgebrochen: Menſch! was redet ihr? Das
kan nicht ſtincken. Es gehet ja niemand darauf als ich, und ihr muͤſſet
wiſſen daß ich
Doctorbin. Wie viele von Stoltz und Hochmuth gantz auf-
geblaſene, mit ihren Academiſchen Titeln, eben wie ein Pfau mit ſeinem
praͤchtigen Schwantze, ſtoltzierende Gelehrte findet man auch ſonſt nicht, wel-
che ſich nicht ſcheuen in oͤffentlichen Compagnien herauszuplatzen und zu ſagen:
Ich binDoctor,ich binLicentiat,ich binMagiſter; Ergo,daß muß ich beſ-
ſer wiſſen,
wann ſie gleich hoͤchſt unrecht haben, und ſolches alle andere ge-
genwaͤrtige vernuͤnfftige Leute begreiffen. Allein ſie ſtehen in dem Wahn es
gereiche einem Doctori, Licentiato und Magiſtro, item einem Geiſtlichen
Herrn, zur groſſen Schande, wann er der geſunden Vernunfft etwas nach-
geben ſolte, falls er von dieſer uͤberzeuget wird, und ſiehet, daß er ſich in einer
oder der andern Sache geirret. Der Name und der Titel, den ſie fuͤhren,
und die nach ihrer Meynung, damit verknuͤpffte Autoritæt, wollen allenthal-
ben den Meiſter ſpielen, dergeſtalt, daß dergleichen Gelehrte Narren geden-
cken, ein jeder muͤſſe das Maul halten, und nur ſie reden laſſen. Ja, ſie præ-
tendi
ren, man ſolle nichts vor gut und recht erkennen, welches ſie nicht ap-
probi
ren; da ſie doch gemeiniglich kein Judicium haben, und nichts wiſſen, als
was andere, und zwar laͤngſt vermoderte, und verfaulte, Gelehrte geſaget
und geſchrieben, oder nach ihrer Einbildung gedacht. Sollen ſie aber ſelber
etwas dencken reden und ſchreiben, was ſich auf die gegenwaͤrtige Zeiten und
Umſtaͤnde ſchicket, da iſt niemand zu Hauſe, oder es klinget alles, was ſie ſa-
gen und ſchreiben, ſo erbaͤrmlich und elend, daß man billig daruͤber ſeufftzen
muß. Eben daher hat der ungelehrte Koͤnig von Franckreich, Ludovicus XI.
Anlaß genommen, ſich uͤber die Gelehrten zu moquiren, und zu ſagen: Gluͤck-
ſelig iſt derjenige, dem unbekannt iſt, was die Alten, und ſchon laͤngſt
vermoderten, gethan, geredet, geſchrieben und gedacht; dem es aber
doch dabey nicht an Vermoͤgen und Verſtande gebricht, ſelber zu thun,
zu reden, zu ſchreiben und zu dencken, was er ſolle.


Darzu gab ihm hauptſaͤchlich der Cardinal Beſſarion Anlaß, der ſich an
dem Koͤniglichen Frantzoͤſiſchen Hofe als Paͤbſticher Legat einfande, aber al-
lerhand grobe Schnitzer wider das Hof-Ceremoniel begieng. Den Hertzog
von Burgund, der doch, gewiſſer Maſſen ein Vaſall des Koͤnigs von Franck-
reich geweſen, beſuchte er eher als den Koͤniglichen Frantzoͤſiſchen Hof, und
war gleichwohl wegen derer Zwiſtigkeiten, welche unter dieſen beyden Hoͤfen
herrſcheten, vornemlich von dem Pabſt abgeſchicket, um ſie zu ſchlichten.
Wann
[3] Wann der Koͤnig mit ihm diſcurirte, und die Vorſtellungen des Paͤbſtlichen
Hofes nicht ſtatt finden laſſen wolte, citirte der Cardinal viele Paſſagen aus
einem Griechiſchen Tragœdien-Schreiber Sophocle, aus dem Pindaro einem
Griechiſchen Pœten, und aus dem Lycophron, der ebenfalls ein Griechi-
ſcher Pœt und Grammaticus geweſen. Zwiſchen dem Koͤnig von Franckreich
Ludvico XI. und dem Hertzog von Burgund, Carl dem Kuͤhnen, ſchwebete
ein Streit wegen verſchiedener an der Somme gelegenen Plaͤtze, welche der
Koͤnig von Franckreich, Carolus VII. als der Vater Ludovici XI. dem Hertzog
von Burgund, Philippo Bono, der ein Vater Carls des Kuͤhnen geweſen, ein-
geraͤumet gehabt, auf daß er ihn dadurch von ſeiner Alliantz mit denen Enge-
laͤndern abziehen moͤchte; worinnen auch Carolus VII. reuſſiret hatte Sol-
che Plaͤtze wolte nunmehro Ludovicus XI. eben wie heutiges Tages die Spa-
nier Gibraltar, und die Inſel Minorca, in dem Mittelaͤndiſchen Meer, wie-
der haben. Weil aber der Paͤbſtliche Legat, Cardinal Beſſarion, die Partey
des Hertzogs von Burgund hielte, citirte er, en faveur deſſen vor denen Ohren
des Koͤnigs, einige Verſe aus dem Menander und Calimacho. Nachdem
auch der Koͤnig von Franckreich declarirte, daß er mit denen Schweitzern
und dem Hertzog von Lothringen, wider den Hertzog von Burgund,
vereiniget bleiben wolte, ſo bemuͤhete ſich der
Cardinal-Legat, dem Koͤnig
aus dem Gorgias, einem beruͤhmten Sicilianiſchen Advocaten, ingleichen aus
dem Platone, zu beweiſen, daß ſolches dem wahren Intereſſe des Frantzoͤſi-
ſchen Hofes nicht gemaͤß ſeye. Letzlich hielte Beſſarion eine ſo lange und ver-
drießliche, auch mit vielen Lateiniſchen und Griechiſchen Terminis angefuͤllete,
Rede gegen den Koͤnig, daß dieſer in den groͤſten Zorn daruͤber geriethe, dem
Cardinal in ſeinen venerablen, biß auf den Nabel herab hangenden, Bart fiele,
und ihm eine Hand voll Haare aus demſelben rauffte; womit ſich die Nego-
ciationes
dieſes Cardinal-Legaten endigten.


Wann nun Gelehrte, von der Art, groſſen Potentaten vor die Augen kom-
men, ſo, daß dieſe dergleichen Pedantereyen ſelber hoͤren und ſehen, ſo muß man
ſich nicht wundern, im Fall Koͤnige und Fuͤrſten, bißweilen, eine ſehr ſchlech-
te Meynung von Gelehrten hegen. Denn, was dem Koͤnig von Franckreich,
Ludovico XI. mit dem Cardinal Beſſarion begegnet iſt, das wiederfaͤhret noch
heut zu Tage manchem Koͤnig und Fuͤrſten, daß ihm nehmlich gelehrte Leute zu
Handen ſtoſſen, welche der Gnade genieſſen, vor ihm zu diſcuriren und zu raiſo-
ni
ren. Ja es laͤſſet ſich dann und wann, ein Potentat ſelber mit ihnen in einen
Diſcurs ein Allein an ſtatt, daß dergleichen Gelehrte, zu ſolchen Zeiten, nur
A 2nach
[4] nach der geſunden Vernunfft raiſoniren, und ſich huͤten ſolten nichts was dieſer
zu wider vorzubringen; au contraire, durch deren Staͤrcke, einen Koͤnig, oder
Fuͤrſten, von der Wahrheit deſſen, was ſie behaupten und reden wollen uͤber-
zeugen ſolten, machen ſie es wie der naͤrriſche, mehr-erwehnte, Cardinal Beſſa-
rion. Diſcuri
ren ſie uͤber etwas, das doch die natuͤrliche Billigkeit betrifft, beruf-
fen ſie ſich auf das Corpus Juris, auf die darinnen enthaltenen Inſtitutiones und
Pandecten, auf den Codicem \&c. item auf das Jus Canonicum. Faͤllet der
Discurs auf andere Dinge unterlaͤſſet man nicht, vor denen Ohren groſſer
Potentaten viele ſich auf die Materie nicht reimende [Paſſagen] aus ſolchen Scri-
ben
ten anzufuͤhren, und deren Namen dabey zu nennen, die vor ein, zwey und
mehr tauſend Jahren geſtorben ſind. Rouliren aber die Raiſonnements auf die
Hiſtorie ſo ermangelt man ebenfalls nicht, ein halbes Dutzent und noch mehr
Autores. die von dieſer oder jener Sache geſchrieben, zu allegiren. O Eitel-
keit! O Thorheit! O gelehrte Narrheit! Gleichwohl meynet ein ſolcher Ge-
lehrter, der dieſes thut, es beſtehe ſein groͤſter Ruhm darinnen, und er weiß
ſich deswegen nicht wenig zu bruͤſten.


Weil ich mir vorgenommen hauptfaͤchlich derer Gelehrten uͤbermaͤßigen
Stoltz, und ihren auf eine wahre Narrheit hinaus lauffenden Hochmuth anzu-
fechten ingleichen die Tummheit und Einfalt, in welche viele andere Gelehrte
durch die Studia verfallen, zu zeigen wolte ich wuͤnſchen, daß die Herren Geiſt-
lichen nicht mitgetroffen, ſondern gaͤntzlich verſchonet bleiben moͤchten. Allein
es iſt bekannt, daß der Stoltz und Hochmuth auch uͤber dieſen Stand ſeine
Herrſchafft gewaltig exerciret; bey dem doch nichts als die Demuth ſtatt fin-
den und regieren ſolte. viele zwar wandeln in der Demuth, und es iſt von
ihnen aller gelehrter Stoltz und Hochmuth verbannet, weil ſie mit Paulo wiſſen
und bekennen, daß alle Gelehrſamkeit und Wiſſenſchafften Stuͤckwerck iſt. Ja,
ſie ruͤhmen ſich weiter nichts, als deſſen, was ſich Paulus geruͤhmet, da er ſpricht:
Ich ruͤhme mich nicht, daß ich etwas wuͤſte, ohne allein ꝛc. Derglei-
chen Geiſtliche nun ſind hundertfacher Ehren werth.


Indeſſen finden ſich wiederum andere Geiſtliche, welche vor gelehrten
Stoltz und Hochmuth ſtincken, mithin allen andern Menſchen gantz unertraͤg-
lich fallen. Davon wiſſen gewiſſe Staͤdte Flecken und Doͤrffer, die der Him-
mel mit hochmuͤthigen Geiſtlichen geſtraffet, ein Lied zu ſingen; und ich will
gleich allhier nur ein einziges Exempel anfuͤhren.


Es giebt viele Dorff- und andere Pfarrer, die mehr als eine Kirche und
Ge-
[5] Gemeinde zu beſorgen haben. Dieſelbe Kirche nun, wo der Herr Paſtor woh-
net, heiſſet Mater. Die andere iſt Filia, wird insgemein nur das Filial genannt-
und die Herren Paſtores ſind oͤffters obligirt, ſich dahin zu begeben, um den
Gottesdienſt, und was ſonſt ihres Amtes iſt, allda abzuwarten. Auf einem
gewiſſen, in einem Teutſchen Fuͤrſtenthum liegenden, Dorffe nun, ſtarb vor
ungefaͤhr eilff Jahren der alte Pfarrer, und ſeine Stelle ward mit einer Perſon
beſetzet, die ſich zehen Jahre auf Univerſitæten aufgehalten, auch bereits den
Academiſchen-Titel eines Magiſtri angenommen hatte. Weil er nun, gleich-
wie ſein Anteceſſor, ſich nicht Diſpenſiren koͤnnen, zu behoͤrigen Zeiten, auf
das Filial zu gehen, und der Schulmeiſter, der zugleich Kuͤſter geweſen ihm,
wie er es bey dem verſtorbenen Pfarrer gemachet, den Mantel durch ſeinen
Sohn nachtragen laͤſſet, will der neue Herr Pfarrer keinesweges damit zu-
frieden ſeyn, ſondern prætendiret abſolument, daß ihm der Schulmeiſter ſel-
ber nachtreten und den Prieſterlichen Mantel in eigener Perſon nachtragen ſol-
le. Deſſen weigert ſich der Schulmeiſter, und ſaget es ſeye genug, wann er
dem Herrn Pfarrer den Mantel durch ſeinen Sohn, oder jemanden an-
ders, tragen lieſſe.
Ihr Zanck gehet auch ſoweit, daß er vor das Hochfuͤrſtl.
Conſiſtorium kommet, und der Herr Pfarrer wird gefraget, warum er ver-
lange, daß ſein Mantel durch den Schulmeiſter ſelber ſolle getragen
werden, da doch ſein Vorfahrer ſo lange Jahre zufrieden geweſen,
daß ihm der Schulmeiſter den Mantel tragen laſſen, es moͤchte geſche-
hen ſeyn, durch wen es wolle?
Da kommet der neue Herr Pfarrer mit ſeiner
groſſen Raiſon angeſtochen, und ſpricht: Mein Vorfahrer war wohl Pfar-
rer; aber nicht
Magiſter.Ich hingegen bin es, und habe noch darzu dieſen
Gradumauf der weltberuͤhmtenUniverſitætWittenberg erlanget, wo
unſer ſeliger Vater
Lutherusgelebet, gelehret, geſtorben und begraben,
welche
Magiſtri,ſonder Widerſprechen, Zweyfacher Ehren werth ſeynd.
Allein das Hochfuͤrſtl. Conſiftorium gab dem ſtoltzen Paſtori einen derben Ver-
weiß, und legte ihm auf, zu frieden zuſeyn, wann ihm nur ſein Mantel getra-
gen wuͤrde, der Schulmeiſter moͤchte es in eigener Perſon verrichten, oder ver-
richten laſſen.


Wiewohl der Magiſter-Titel hat dieſen Pfarrer nicht etwa nur allein (ſein
Amt aus genommen) zu einem ſtoltzen Narren gemachet ſondern es ſind meh-
rere in der Welt, die, ehe ſie Magiſter worden, ſehr leidliche und ertraͤgliche Leu-
te geweſen; von dem Tage an aber, da ſie Magiſter geheiſſen, einen gantz un-
ertraͤglichen Stoltz und Hochmuth blicken laſſen, dergeſtalt, daß es ſcheinet
A 3es
[6] es fahre, als wie dorten, mit dem Biſſen, in Judam den Ertz-Schelm, der
Teuffel mit dem Magiſter-Titel in einige Leute, die ihn annehmen. Ich ken-
ne alte Magiſtros, die viertzig, funffzig, ſechtzig und mehr Jahre alt ſind. Die-
ſelben wuͤnſchen, daß ſie dieſen Academiſchen Gradum und Titel nimmermehr
angenommen haben moͤchten, wann ſie achzehen- und zwantzig jaͤhrige Juͤng-
linge damit prangen ſehen, die ſich vor Hochmuth ſelber nicht kennen. Der ge-
neigte Leſer verſtehe mich wohl, und ſehe mich nicht davor an, als wolte ich es
blamiren, daß man auch junge Leute zu der Magiſter-Wuͤrde gelangen laͤſſet.
Nein, daß iſt meine Meynung keinesweges. Allein dieſes ſolten lauter ſol-
che Subjecta ſeyn, die den herrlichen Titel in Anſehung ihrer Gelehrſamkeit,
wie auch wegen ihrer guten Sitten, klugen und vernuͤnfftigen Auffuͤhrung,
wircklich meritirten. Darauf ſiehet man, leider! am allerwenigſten, ſondern pfle-
get gemeiniglich alle und jede Studenten, ohne Unterſcheid, welche nur, die
zwantzig, dreyßig, viertzig biß funfftzig Thaler Unkoſten daran wenden wol-
len, zu admittiren, dergeſtalt, daß oͤffters zwantzig, dreyßig, viertzig, und
noch mehr Magiſtri auf einmal und auf einen Schuß gebacken werden, wie der
Becker das Brod becket.


Daß ich wahr rede, ſolches wiſſen alle und jede, die den Statum einer
und der andern derer heutigen Univerſitæten kennen, und es koͤnnen, es abſon-
derlich diejenigen Staͤdte bezeugen, wo ſich ſo viele Magiſtri befinden, daß
man, im Fall der Noth, ein gantzes Corps davon formiren, und es die Ma-
giſter-Eſquadron
nennen koͤnte. Unter ſolcher nun ſind allerdings, gemeini-
glich, nicht wenig Narren, Matzen und Lappen anzutreffen, und es iſt nur noch
die Frage, ob nicht die Zahl dieſer die uͤbrigen, an deren Klugheit, Gelehrſamkeit
und vernuͤnfftigen Conduite nichts auszuſetzen, bißweilen weit uͤbertrifft. Der
Unterſchied zwiſchen einem ſolchen Matzen und Lappen, und einem andern Ge-
lehrten Narren aber beſtehet darinnen, daß dieſer von wircklicher hohen Gelehr-
ſamkeit, und vielem Wiſſen, zu einem ſtoltzen und aufgeblaſenen Narren wor-
den; der Herr Magiſter Matz und Lappe hingegen ein junges Naͤrrgen iſt, das
ſich nur einbildet, es muͤſſe etwas wiſſen, weil es Herr Magiſter heiſſet; da
doch in der That nichts dahinter ſtecket, ſondern lauter Wind in der Lade iſt.
Ich meines Orts bleibe demnach dabey, daß Eltern unrecht handeln, wann ſie
ihre Kinder ſo gar zeitig Magiſter werden laſſen. Denn der vermeynte Meiſter
der Weißheit ſchaͤmet ſich hernach etwas mehr zu lernen. Gedencket, es hange
die gantze Gelehrſamkeit, und alle Wiſſenſchafften an dem Magiſter-Titel, und
bleibet folglich, Zeit ſeines Lebens, ein armer Stuͤmper.


Ein
[7]

Ein recht fataler Gebrauch hat ſich mit der Magiſter-Baͤckerey meliret;
und zwar dieſer, daß man faſt lauter laͤcherliche Carmina dabey zu machen pfle-
get, ſo daß es ſcheinet, als ob man ſich nur uͤber diejenigen moquire, welche die-
ſen Gradum und Titel annehmen, an ſtatt, daß man ihnen darzu gratuliren
ſolte. Das zeiget, wie weit dieſe herrllche Wuͤrde in Verfall gerathen; die
aber doch allemal in ihrem hohen Werth bleibet, wann der rechte Mann damit
bekleidet iſt.


Unter dieſen laͤcherlichen Carminibus, welche auf die Magiſter-Promotion
gemachet werden, finden ſich indeſſen oͤffters ſolche, die warhafftig etwas ſcharff-
ſinniges, und ein vortreffliches Saltz in ſich fuͤhren, wie ſeltſam ſie auch lauten.
Ich koͤnte deren allhier viele mit einflieſſen laſſen, und es waͤre nicht mal à pro-
pos.
Es mag aber bey einem einigen ſein bewenden haben, welches ich mei-
nes Orts vor vielen andern hoch halte und admirire.


Dieſes kam Anno 1721. bey einer Magiſter-Promotion, zu Leipzig zum Vor-
ſchein, und war in Form eines Briefes, an einen unter denen zumachenden
neuen Magiſtris begriffenen Candidatum Philoſophiæ \& Medicinæ addreſſiret.
Den Namen deſſelben will ich menagiren, und er befindet ſich nunmehro unter
der Zahl derer Verſtorbenen. Jedoch muß ich noch dieſes zu ſeinem ruͤhm-
lichen Gedaͤchtniß ſagen, daß er warhafftig wuͤrdig geweſen Magiſter zu werden,
zu ſeyn und zu heiſſen. Ja er war capable eheſtens weiter, und hoͤher zu ſchrei-
ten, als ihn der Tod, in der Bluͤte ſeiner Jahre, von der Welt riſſe. Der Ti-
tel lautet alſo:


a Monſieur,
Monſieur N. N. ‒ ‒ ‒
Candidat en Philoſophie \& Medicine,

Nebſt einem Kober
Saal-Eyern.
Franco.
a Leipzic.

Wohl-Edler, Wohlachtbarer, Wohlgelahrter
Wohlerfahrner, wohlweiſer,

Viel-Ehr- und Tugend-begabter, Sittreicher, Mann
und Hand-feſter Hr. Magiſter,


Nahm-
[8]
Nahmhaffter, Erbarer und zuͤchtiger Jung-Geſelle.

SO tumm und kauderwelſch faͤngt ſich mein Schreiben an,

Verzeihe, wenn mir ja ein Titul iſt entſprungen,

Fuͤrwahr ich habe dir nichts zur Bravour gethan,

Iſt ja etwas verſehn ſo ſtraffe meinen Jungen,

Der boͤſe Bube hat gar vieles ausgelaſſen,

Daß dieſer Brief in ſich mit Rechte koͤnte faſſen.

doch a propos, Monſieur, warum ſchreibt Er kein Wort,

Daß Ihm das groſſe M. iſt zugeworffen worden?

Mein Halle iſt ja nicht ein ſo entlegner Ort,

Der an dem Eiß-Meer liegt, zu weit hinein nach Norden

Er haͤtte mir davon wohl etwas koͤnnen ſchreiben;

Nun laß ich in der That das Verſemachen bleiben.

Er mag mir wohl gewiß der rechte Vogel ſeyn,

Ja, ja, wer ihn zu erſt hat von ſich laſſen fliegen,

Der riß den Kefich ſelbſt von freyen Stuͤcken ein.

Drauf kam er unverletzt aus ſelbem raus geſtiegen;

Gewiß, ich wolte mich vor allen Leuten ſchaͤmen,

Kein eintzig Briefgen nicht, und doch den gradum nehmen.

Als ich Magiſter ward, da gieng es anders her;

Ich habe dazumahl ein Rieß Papier verſchrieben,

Die Briefe flogen aus die Creutze und die Qveer,

Und dadurch hatt’ ich mir manch Carmen auf getrieben,

Das Porto riß mir zwar ein groſſes Loch in Beutel,

Allein, was ſchadets wohl? es iſt doch alles eitel.

Ach haͤtt’ Er doch das Ding auch eben ſo gemacht!

Bey meinem Hoſen-Knopff, ich wolte ſicher wetten,

Es wuͤrd Ihm noch vielmehr von Verſibus gebracht,

Die ſeinen Ehren-Crantz recht ſchoͤn beſungen haͤtten;

Da ſitzt Matz Taſche nun in ſeinem blauen Hute,

Und thut ihm niemand nichts auffs groſſe M zu gute.

Vor dieſes mahl will ich Ihm dieſen Streich verzeihn,

Wird Er ins kuͤnfftige den Doctor-Titel holen,

So ſoll und muß alsdenn an mich geſchrieben ſeyn,

Sonſt mahlet man Ihn an mit einer ſchwartzen Kohlen;

Durch-
[9]
Durchaus Er muß mir nicht die alte Mode aͤndern,

Ich mag ſonſt nimmermehr mit Ihm zu Coffée ſchlaͤndern.

Doch weiter in den Text: Ich moͤcht Ihn gerne ſehn

In ſeiner reinlichen und Nagel neuen Krauſe;

Ich weiß, das neue Kleid muß Ihm vortrefflich ſtehn,

Und er iſt gantz gewiß der ſchoͤnſte bey dem Schmauſe,

Die wohl gemachte Schuh, der Strumpff von klarer Seiten,

Die ſchicken ſich wohl recht zu den Magiſter-Freuden.

Ein Amſterdammer Tuch, das laͤſt vortrefflich flinck:

Wie viel bezahlte Er vor die Damaſtne Weſte?*

Ach mein! Er hoͤre doch, wie mirs mit meiner gieng,

Sie war, ſo viel ich weiß, wohl nicht die allerbeſte;

Mein Vater hatte ſich darinne laſſen trauen,

In dieſer ließ ich mich, als Herr Magiſter ſchauen.

Der Schneider machte ſie zwar gut und ziemlich gleich,

Nur um den Buſen rum war ſie zu weit gerathen

Mich aͤrgerts immer noch auf den vertrackten Streich,

Es gieng ein Gaſt hinein mit einem Kaͤlber-Braten.

Mein Vater will ihn auch biß dato nicht bezahlen,

Und wird ihm vor das Geld was auf die Naſe mahlen.

Was meinen andern Staat zur ſelben Zeit betraff,

So ſchafft’ ich mir darzu auch eine Staats-Peruque,

Die ſahe faſt ſo weiß, als ein geſchwemmtes Schaaf,

Sie war auch uͤber diß von Haaren ziemlich dicke,

Und der Magiſter-Ring, mon Frere, der ließ recht nette,

Es iſt, als wenn ich ihn noch an den Finger haͤtte.

Ich faſte meinen Hut mit einer Eſpagne ein,

Die war, und iſt mir recht, vom allerfeinſten Golde;

Was ſonſten an mir hieng, das muſte Silber ſeyn,

Ich wuſte, daß mir da der Vater reichlich zollte.

Bey der Gelegenheit, und andern Ehren-Tagen

Muß niemand nichts nach Gold und kahlen Silber fragen.

BDas
[10]
Das Frauenzimmer war mir auch nicht ungeneigt,

Und ich erbettelte mir bald ein Dutzend Craͤntze,

Davor hab ich mich auch recht genereus bezeigt,

Und kauffte ieglicher ein Dutzend Zobel-Schwaͤntze,

Die Jungfern geben nichts, ſie wollen wieder haben,

Und zwar etwas, daran ſie ihre Hertzen laben.

Die eine machte mir ſelbſt manu propria

Ein recht vortrefflich Paar von ſaubern Hand-Manchetten,

Davon das Muſter man auch auf der Krauſe ſah,

Moncher, du weißt es wohl, ſie kamen von Brunotten,

Mit dieſer kont ich mich, alswie ein Ochſe, putzen;

Und in dem vollen Staat, trotz Hochzeit-Bittern, ſtutzen.

Mich kannte niemand nicht in der Vortrefflichkeit,

Da ich mich ſelber nicht in meinen Ehren kannte,

Wie war mir doch ſowol zu dieſer lieben Zeit,

Wann man mich ohngefehr, mein Herr Magiſter, nannte;

Magiſter, iſt das Wort, das kan mich noch erwecken,

Und ſolt ich auch ſo gar ſchon in der Grube ſtecken.

Wir giengen ebenfalls, wie Ihr, Gregorius,

In der Procesſion, zu dem Magiſter-Schmauſe,

Allein mir gab der Gang, gewißlich, viel Verdruß:

Ich trat in vollem Putz aus dem Magiſter-Hauſe,

Und ſahe in die Hoͤh, wo die Poſaunen blaſen,

Da fiel mein Narr in Dreck mit ſeiner weiſen Naſen.

Bey Tiſche ſah ich auch ſo ehrerbietig aus,

Als wie ein halbes Schock entzuͤckter Pietiſten,

Den erſten Tag gieng man von Tiſche gleich nach Hauß,

Den andern lebten wir in allen Fleiſches-Luͤſten,

Moncher, Du glaubſt es kaum, das war die rechte Hetze,

Ich ſoff mich ſelbſt ſo rund, wie eine Cloſter-Betze.

Ein Viertel Jahr vorher gieng ich, zu groſſem Gluͤck,

Zwoͤlff Stunden woͤchentlich auf einen Taͤntzer-Boden

Da lernte ich vorher manch ſchoͤnes neues Stuͤck,

Ich tantzte Arien, Guavotten, Solo, Oden,

Aimable, Menuet, d’ Alcide Czarienne,

So keck und leiſe weg, wie eine lahme Haͤnne.

In
[11]
In Summa, jedermann erſtaunte uͤber mich;

Nichts kam mir ſaurer an, als nur --- ich ſags nicht gerne,

Die erſte Muſterung, da ſetzt es manchen Stich,

Da hieß es: Knacke mir doch einmahl dieſe Kerne.

Sub roſa, ich beſtund wie Butter an der Hitze,

Und kam nicht unbefleckt durch dieſe Marter-Pfitze.

Da ſolt ich, dencke nur, und zwar ex tempore,

Ein Quart-Blatt voll Latein und ohne Buͤcher ſchreiben,

Gleich als wenn alle Kunſt in dem Latein beſteh,

Da doch dergleichen Qvarck muß vor die Fuͤchſe bleiben;

Iſt ſchon die Chrie nicht recht nach dem Donat gerathen,

Quid tum? der Stilus bringt uns keine Wildpret-Braten.

Rach dieſem fragte man aus der Philoſophie,

Und zwar, wie Du ſchon weiß’t, fein nach der alten mode;

Allein, was ſcheren mich die grauen Termini?

Der Ariſtoteles iſt lange ſchon marode:

Die Neuen lernen uns viel beſſer raiſoniren,

Daß man die Wahrheit kan recht aus dem Kothe fuͤhren.

Dergleichen hab ich auch mein Tage nicht gehoͤrt,

Wie man uus dazumahl ſo ſcharff herum genommen.

Ja haͤtte man die Uhr nicht zeitig umgekehrt,

Ich waͤre gantz gewiß um den Magiſter kommen;

Wir wurden ausgehuntzt, als wie die Bettel-Jungen,

Die um das liebe Brodt beym Buͤrger-Meiſter ſungen.

Der, ſo mir dazumahl nechſt in den Ruͤcken ſtand,

Gab gleich wie Nachbar Hanß bey guten Zeiten Feuer,

Ja, dieſer Weißheits-Bach floß in mein duͤrres Land,

Sonſt war der gute Rath auf allen Seiten theuer;

Der Himmel wird dafuͤr ihm eine Pfarre geben,

Darauf er, als ein Fuͤrſt, nebſt Weib und Kind kan leben.

Man fragte auf die letzt: Was ein Sophiſma ſey,

Und die Figur, in der man ſolches muͤſte machen?

Die Fuͤnffte ſagte ich, die iſt des Zweiffels frey,

Darein gehoͤren ja dergleichen ſieben Sachen;

Und kurtz: man qvaͤlte uns, als wie die armen Hunde;

Ach GOtt bewahre mich doch fuͤr dergleichen Stunde;

B 2Je-
[12]
Jedoch dem Himmel ſey zu tauſendmahlen Danck,

Es wurde dieſe Noth auch endlich uͤberſtanden,

Man ſchrieb uns noch dazu den ſchoͤnſten Lob-Geſang,

Nunmehro ſtoͤſſet mir kein Kummer mehr zu handen.

Da ſitz ich hoͤchſt begluͤckt in meinen groſſen Ehren,

Und jederman will mich, als ein Orackel, hoͤren,

Dis, das, und dergeſtalt, und eins und andre mehr,

Wirſt Du, mein Hertzens-Freund, auch wohl erfahren haben,

Wenn man was werden will, ſo haͤlt es freylich ſchwer,

Gennng, wir haben nun, was unſer Hertz kan laben:

Wer was bedeuten will auf dieſer groſſen Erden,

Der muß, wie ich, und Du, auch ein Magiſter werden.

Nunmehro fuͤhre Dich, als ein Magiſter, auf,

Es darff durchaus nicht mehr ſchlecht weg, Herr Vetter heiſſen.

Wenn Du mit andern gehſt, ſo dencke fleißig drauff,

Daß Du Dir ja nicht laͤßt die Unter-Stelle weiſen:

Will jemand ſeinen Hut nicht erſt herunter ziehen,

So darffſt Du Dich auch nicht ums Compliment bemuͤhen.

Du giengſt zuweilen ſonſt noch auf das Biliard,

Nunmehro mußt Du auch dergleichen Oerter haſſen,

Denn dieſes ſchickt ſich nicht, man kan auf andere Art

Sich, als ein bon Eſprit, bey Leuten ſehen laſſen;

Die Coffée Haͤuſer ſind vor die gemeine Sorte,

Und unſer eins fragt nichts nach einem ſolchen Orte.

Ich weiß, Du haſt bißher Collegia beſucht,

Auch dieſes wird ſich nicht in Zukunfft vor dich ſchicken.

Herr Bruder, glaube mir, es laͤſſet gar verflucht,

Wenn ein Magiſter ſoll die Lerne-Bencke druͤcken.

Dein Intellectus iſt durch den Magiſter-Orden

Wie meiner, eben ſo, auch infinitus worden.

Wem Gluͤck und die Natur auf gleiche Art verſehen,

Ach wuͤrcklich, da hat es gar nichts nicht zu bedeuten,

Der muß ſchon in der Zunfft gelehrter Maͤnner ſtehn,

Und man bewundert ihn vor allen andern Leuten;

Wer die Eſpadille hat, und andre ſchoͤne Sachen,

Nebſt einem Trumpff dabey, der muß ſchon Solo machen.

Wohl-
[13]
Wohlan, weil Du nun mehr Magiſter worden biſt,

So will ich Dir darzu von Hertzen gratuliren,

Und wenn mein Wunſch vielleicht zu kurtz gerathen iſt,

So wirſt Du hochgeneigt, Herr Bruder, pardoniren,

Das Gluͤcke goͤnne dir ſo vieles Wohlergehn,

So viel als vitia in mancher Chrie ſtehen.


M. POMPONIVS MELA,
Nachbar und Einwohner zu Glaucha bey Halle


P. S.
JE daß dich! haͤtt ich doch das beſte bald verſehn

Da ich die Uberſchrifft will auf das Brieffgen ſchreiben,

So ſeh ich eben da den groſſen Kober ſtehn,

Der darff bey leibe nicht allhier in Halle bleiben,

Mon Cher, daß Du an mich fein fleißig kanſt gedencken,

So will ich Dir hiemit was angenehmes ſchencken.

Ich weiß, Du wunderſt Dich, was doch darinnen ſey,

Du haͤlſt es gantz gewiß vor Enten, Wuͤrſte, Schincken,

Nein, dencke dieſes nicht, ſonſt irrſt Du meiner Treu,

Es kommt nicht von Lion, drum darff es auch nicht ſtincken,

Du weißt ſchon, was ich will mit dieſen Worten ſagen,

Und wer es nicht verſteht, mag den Herr Vetter fragen.

Brich nur das Siegel auf, ſo wirſt Du ohngefehr,

Ein Schoͤckgen oder zwey geſottner Eyer finden,

Du lacheſt uͤber mich, ach lache nicht zu ſehr,

Wenn Du ſie beſſer findſt, will ich mich laſſen ſchinden,

Wenn Du erfahren wirſt, was ſie bedeuten ſollen,

So kanſt Du nimmermehr mit Deinem Diener ſchmollen.

Vors erſte zeigen ſie von der Promotion,

Daß Du, krafft dieſer, ſeyſt ein Sohn der weiſſen Hennen,

Nunmehro wird es wohl in deinem Hauſe ſtohn,

Und Dich wird jedermann ein Kind des Gluͤckes nennen,

Du kanſt den Triſmegiſt Dich an die Seite ſetzen,

Und biſt ihm wie ein Ey dem andern gleich zuſchaͤtzen.

B 3Be-
[14]
Betrachte die Figur, nicht wahr, es faͤllt Dir ein,

Daß ſonſt die gantze Welt ſey laͤnglich rund geweſen,

Allein vor dieſes mahl muß ſie wohl ſpitzig ſeyn.

Wer zweiffelt, der kan nur Magiſter-Verſe leſen,

Wenn Eyter und Scorbut nicht einen Krancken ſchwaͤchen,

Darff ein Chirurgus nicht mit der Lancetten ſtechen

Du biſt ein Medicus, und weißt ſchon, was man ſoll,

Nechſt dem, was ich geſagt, mit denen Eyern machen;

Drum ſchließ ich meinen Brief, du aber lebe wohl!

Und defendire mich, wenn andere druͤber lachen.

Es iſt mir ohne dem gar vieles mißgerathen,

Das, deucht mich, gar nicht taugt zu ſieden und zu braten.

Was ſoll gleich in der erſt die dumme Uberſchrifft,

Und daß ich uͤber dieß ſo viel von mir erzehle,

Ich bin es werth, wenn mich nur Schimpff und Schande trifft,

Denn meine Feder macht, daß ich mich ſelber qvaͤle;

Laͤßt Du den Lob-Geſang die andern Purſche leſen,

So ſehen ſie daß ich ein Idiot geweſen.

Allein, ich traue Dir dergleichen Ding nicht zu,

Du wirſt, was ich erzehlt, nicht allen Leuten ſagen,

Sonſt zuͤrne nicht mit mir, daß ich dergleichen thu

Wenn man mich wird um Dich, und Deinen Zuſtand fragen.

Ein Freund haͤlt reinen Mund von ſeinem guten Freunde,

Sonſt wird der beſte Freund zum allerſchlimmſten Feinde.
*
Eine wahre Begebenheit, daß vor 6. Jahren einer in eben derſelben ſchwartzen Damaſte-
nen Weſte Magiſter worden, in der ſich ſein Vater trauen laſſen; ingleichen, daß er ſich
ſonſt ſehr laͤcherlich aufgefuͤhret.

Vielleicht dencket ſchon mancher, der mit Leſung gegenwaͤrtigen Tractats
biß hieher gekommen, daß ich zu viel ſchreibe, und behutſamer gehen ſolte. Je-
doch ich bin bey mir ſelber uͤberzeuget, daß mich die wahren, und mit Weisheit
geſchmuͤckten Gelehrten, ſie moͤgen Graduirte Perſonen, Doctores, Licentiati
und Magiſtri ſeyn oder nicht, die den Statum der heutigen Welt recht einſehen
und erkennen, entſchuldigen und mir Beyfall geben werden. Nach denen uͤbri-
gen, und abſonderlich denenjenigen Murmelthieren, welche zur gelehrten
Narrn-Matzen- und Lappen-Claſſe, wircklich gehoͤren, frage ich nichts, lache
uͤber ihren Zorn, und will ihnen hiermit die Apologie eines gewiſſen weiſſen Ge-
lehrten, der von der gelehrten Narrheit ebenfalls geſchrieben, und vornemlich
die vermeynten Gelehrten, und daher ſtoltzierenden, in der That aber mit we-
nig
[15] nig wahrer Gelehrſamkeit und gar keiner Weißheit geſchmuͤckten, ſondern mit
lauter Ungeſchicklichkeit, Grobheit und Toͤlpeley angefuͤlleten Schul-Tuͤran-
nen durchhechelt hat, entgegen ſetzen, welche alſo laulet:


Es iſt ein altes Teutſches Spruͤchwort: Wann man un-
ter die Hunde wirfft, welchen man trifft, der ſchreyet.

Alſo iſt es auch dem Collectori dieſes Buͤchleins ergangen. Er hat
vermeynet, wann er niemand nenne, nur insgemein von dem
Ubelſtand rede, und die boͤſen Mores etlicher Bachanten taxire, ſo
ſeye es genug. Aber er befindet das Widerſpiel, indem ſich etliche
Petanten und Schul-Fuͤchſe ſelbſt nicht verhelen koͤnnen, ſondern
ſagen: Damit ſtichelt er auf mich; jenes iſt auf dich ge-
machet.
Iſt es auf dich, ſo ſeye es auf dich, du wirſt es am be-
ſten wiſſen. Ich meyne dich nicht. Wilſt du dich ſelber nennen
wird man dich deſto beſſer kennen, und jedermann ſagen, ich habe
nichts als die Wahrheit geſchrieben. Kayſer Sigismundus iſt ein
anderer Potentat geweſen, als ihr Schul-Potentaten. Da ihm
geſaget wurde: Die Leute reden Ew. Kayſerl. Majeſtaͤt
uͤbels nach,
antwortete er: Was Wunder hoͤre ich? Wa-
rum ſollen ſie nichts uͤbels reden; da wir doch uͤbels thun?

Dieſes ſagte ein groſſer Kayſer. Aber unſere Scholaſtici, unſere
Stoici, und unſere Stockheiligen, ſeynd mit ihrem groſſen Philoſo-
phi
ſchen Witz zu dieſer Kaͤyſerlichen Geſtalt und Beſcheidenheit noch
nicht gelanget.


Eine Hure, wann man ſie ſchilt, was ſie iſt, kan es am we-
nigſten leiden, ſondern will ſich weit ſchoͤner und ſauberer ſtellen,
als ſie an ſich ſelber iſt. Ja ſagen ſie, aber er verachtet die bonas
literas.
Nein, meine liebe Herren! ich verachte nicht die bonas li-
teras,
ſondern eure malos mores. Querels mea in bonos non con-
venit, gaudeant hæc dici, qui non ſunt tales. Vos maculas \& vibices
literarum inſequor.
Die ihr meynet, ihr habt das Latein allein ge-
freſ-
[16] freſſen, und wann es zum Treffen und Certament kaͤme, ſoltet ihr
euch doch wohl wundern, daß ich auch etwas weiß, Vos, vos, veſtræ
Dominationes,
ihr, ihr ſelbſt ſeyd Urſache daran, daß bey dem ge-
meinen Mann faſt nichts mehr auf die Gelehrten gehalten wird,
weil jederman nur allzudeutlich ſiehet, daß bonæ literæ, und mali
mores
gemeiniglich beyſammen ſeynd. Wer weiß das Sprichwort
nicht: Qui proficit in literis, \& deficit in moribus, plus deficit quam
groficit.
Ja, ſagen ſie, aber er ſchaͤndet den gantzen Schul-
Orden, und das gantze Schul-Amt darunter doch ſo vie-
le herrliche Leute geweſen, als
Philippus Melanchton,
Joachim Camerarius \&c.
Ey mein lieber Schul-Fuchs! und
laͤcherliches Herrlein! meineſt du etwa du ſeyeſt auch ein Melanchton,
oder Camerarius? Weit gefehlet. Es mangeln dir noch ein paar
gute groſſe Bauren-Schritte zu dieſer herrlichen Lob-wuͤrdigen
Maͤnner Geſchicklichkeit ſowohl, als zu ihren edlen Sitten und Tu-
genden. Es iſt wahr, wann ich ſage, die Schulmeiſter, oder Pe-
dan
ten, thun dieſes oder jenes, ſo verſtehe ich freylich keine Bau-
ren und keine Handwercksleute. Ich rede auch von keinen Edel-
leuten und Buͤrgern, ſondern ich meyne Schulmeiſter und Pedan-
ten. Es folget aber darum nicht, daß ſie eben alle gemeynet ſeynd,
ſondern nur die ſeynd gemeynet, die das was getadelt wird, thun.
Ich werffe unter den Hauffen, wen ich treffe, der fuͤhlet es wohl.
Ich nenne niemanden. Wer aber derſelbe Eſel iſt, dem wird es
ſein Gewiſſen, und die langen Ohren, damit er ſo leiſe hoͤret, was
auf ihn zielet, wohl ſagen. Aber daran ſiehet man, daß dieſer
hier, und der dorten, eben die rechten Pedanten ſeynd, welche ich
meyne, die ihr nehmlich euer Lebtag mit eurer Dialectic zugebracht,
und ſolche doch noch nicht, in communi vita zu practiciren wiſſet.
Sonſt wuͤrdet ihr wohl dencken koͤnnen, quod differat in definita, \&
univerſalis locutio, \& quod indefinita non ſemper, \& ubique æquipol-
leat univerſali.
Alſo wann man ſagt: Doctores Baſilea facit Witte-
berg
[17]berga Magiſtros, ſpricht man darum nicht, weil etwa eine ſaure
Birne mit durchgehet, daß ſie derowegen alle nichts taugen, oder,
daß man nicht etwa auch auf andern Univerſitæten pecuniam naͤh-
me, und ſchicke den Aſinum hernach wieder in patriam. Daß es
aber dich ſo hart verdreuſt, und zwar dich und den dorten allein,
gleich als ob ihr die Schul-Fuͤrſten alleine waͤret, und die bonæ
literæ
auf euch beyden allein beſtuͤnden (da doch noch wohl andere
wackere Kerls unter dem Orden ſeynd, die ich ihrer beywohnen-
den Geſchicklichkeit, und guten, hoͤflichen Sitten halber billig vereh-
re und hoch halte, die ſich deſſen aber, weil ſie nicht dadurch gemey-
net, auch nichts annehmen) iſt ein Merckmahl, daß ihr faſt hier-
durch allein getroffen ſeyd, Ego vos non cogitavi, non tetigi, vos ta-
men tangimini. Quæ ratio? aut quæ cauſa? veſtra nempe vitia. Si
taceretis, omnes vos pro optimis haberent; jam autem veſtro ipſo-
rum indicio ſicuti, ſorices proditi eſtis, dum veſtra hæc vitia, vosque
tangi oſtenditis.
Nun ſehet ihr ja, daß ich auch ein bißgen Latein
kan. Hæc talia inquit Tacitus, ſpreta exolereſcunt, ſi iraſcere, agnita
videntur. Sed omnes (inſtas) indefinite infamas. Domine Præceptor
reſpondeo per diſtinctionem inter præceptorum vitia \& officia. Si dico
de tuis \& quorundam tuorum ſociorum vitiis, non infamo veſtrum or-
dinem, nec veſtra officia; ſed vos illi ipſi eſtis, qui ordinem veſtrum,
qui officia veſtra, per veſtra vitia contemtui \& riſui omnium propi-
natis.


Omni Muſarum licuit cultoribus ævo
Parcere perſonis dicere de vitiis.
()

Deſſen haben wir in ſpecie Exempel genug, und zwar von
ſolchen Leuten, die du, und jener dort, zu widerlegen viel zu ge-
ring biſt. Reibe dich derohalben an ſie, wann du Luſt haſt, und
nicht an mich. Denn ihre Autoritæt, als die weit uͤber die meini-
ge iſt, zeiget dir vielmehr als ich, daß du ein abſurder Kerl biſt.
Und damit ich dich geſchwinde abfertige, ſo ſage mir doch, lieber!
Cwa-
[18] warum nennet Junius, in ſeinem Namen-Anzeiger, einen Philo-
ſophum
einen gelehrten Fantaſten? Lieber! ſage mir doch, warum
hat Rudolph Gualther, der gelehrte Schweitzer, ſeinen Lands-
mann Glareanum einen gelehrten Narren geheiſſen? Warum nen-
net Epictetus; beym Arriano in libris diſſertationum, Scholaſticum
animal, quod ab omnibus deridetur,
ein Scholaſticus, oder vielmehr
Scholhaſius ſeye ein Thier, deſſen jederman lache? wie Duarenus
lib. 1. diſput. anniverſ. cap. 3. Qui ſtudiis literarum ſe dediderint, eos
ad res gerendas fere ineptiores cæteris eſſe, quotidie experimur,
Die
ſich auf das Studiren begeben, die ſehen wie faſt taͤglich
daß ſie zn denen Welt-Geſchaͤfften viel ungeſchickter ſeynd,
als die, ſo nichts gelernet.
Wie ſaget Medenemus Cretuen-
ſis, cum videret multos in doctrina nec modum nec modeſtiam te-
nere?
Sagt er nicht, plurimos navigare Athenas Studiorum gratia,
qui primum eſſent ſapientes, deinde fierent Philoſophi, tunc progreſſu
temporis evaderent idiotæ,
Ihrer viele, die nach Athen ziehen
Studierens halber, die waͤren Anfangs gar witzig. Uber
eine Weile wuͤrden ſie
Philoſophi,und endlich gar tumme
Teufel, oder alberne Narren.
Mit denen allen ſtimmet
uͤberein Mich. Montigni in ſeinen periculis, da er ſchreibet:
Ich habe meiner Zeit hundert und hundert Bauers-
leute geſehen, die witziger und kluger waren als mancher

Doctor,ſo daß ich lieber jenem als dieſen aͤhnlich ſeyn
wolte.
Sieheſt du nun, mein lieber Schul-Fuchs! daß dieſes
eine alte Klage iſt, und nicht erſt von mir herkoͤmmet. Derohal-
ben liebes Maͤnlein! werde nicht zornig uͤber mich, oder uͤber die
braven Leute, die ich jetzt angezogen, Romſurdus, derer Frantzo-
Frantzoſen Virgilius, hat de vulgo pædagogorum alſo geurtheilet:
Bey dem einmahl die Schul-Ungeſchicklichkeit und Thor-
heit
[19]heit ein gewurtzelt iſt, hat ſich eine Maladie auf den Halſe
gezogen, daran er ſchwerlich curiret werden mag, ſon-
dern er bleibet darinnen erſoffen. Dieſes ſiehet man an
etlichen, die von der Schulmeiſterey und Pedanterey zu
weltlichen dienſten und Aemtern gezogen werden, daß
ihnen nemlich die Schul-Paßirlichkeit noch immer an-
haͤnget, und meynen, ſie haͤtten annoch unter denen Leu-
ten, wie Weyland unter ihren Schul-Buben, zu gou-
verni
ren und zu taxiren, wollen einem jedem ſeine Fehler
zeigen, und in anderer Leute Haͤuſer ſcharff ſehende Fuͤch-
ſe ſeyn; Da ſie doch in der That anders nichts ſind als
blinde Maulwuͤrffe.


Wer koͤnte auch denen Albern alles ſo ſtillſchweigend hingehen
laſſen, und bey ihrem Duͤnckel ſtille ſchweigen, da ſie ſich einbilden,
es muͤſſe alles, was ſie thun, recht ſeyn, und ſolten ſie auch die aller-
lahmſten Fratzen auf die Bahne bringen, daruͤber und de lanna ca-
prina
ſie ſich doch wohl ſelber unter einader zu todte zancken und
ſchreiben. Es wurtzelt dannenhero freylich die teuffeliſche Schul-
Zaͤnckerey, und gottloſe Schul-Deviſe; Semper contrarius eſto, oder
daß man allezeit wiederſprechen ſolle, von der Schule an, in man-
chen dergeſtalt ein, daß ſie auch hernach in andern hoͤhern Faculta-
tibus,
und in dem politiſchen Weſen, ja im Regiment, und bey der
Landes-Verwaltung, oͤffters groſſes Unheil, Zerruͤttungen und
Verderben verurſachen, indem kein Narr dem andern nachgeben
will, ſondern ehe er die in der Schul-præconcipirte, o[d]er vorgefaſte
Meynungen fahren ließ, und ſie nicht mordicus, wie ein flaͤmiſcher
Hund ſeinen erſchnappten Knochen, defendirte folglich ſeine ver-
meynte Reputation ſchmaͤlerte, und von ihm geſaget werden ließ,
daß es ein anderer beſſer als er verſtuͤnde, muͤſten lieber Land und
C 2Leute
[20] Leute, ja die gantze unſchuldige Chriſtenheit, durch ihre zanck-
ſichtige Hartnaͤckigkeit verwirret und zerſtoͤhret werden; ja gantz
und gar daruͤber zu truͤmmern, zu Grunde und zu Boden gehen.


Sonderlich haͤnget dieſe Thorheit, nechſt denen Schulmei-
ſtern, denen geiſtlichen Herren gar ſehr an, und das um keiner
andern Urſache willen, als weil dieſe Leute, die eine groͤſſere Facul-
tæt
vor ſich haben, am laͤngſten in der Schule bleiben muͤſſen, da-
her ſie gemeiniglich gantz unertraͤgliche Koͤpffe bekommen, und
meynen, ob haͤtten ſie allen Witz laͤngſt aus diſputirt, ausgegruͤbelt,
und wie man ſagt, in denen Kinder-Schuhen vertreten.


Jener alte Heyde ſpricht in ſeiner heydniſchen Theologie,
wann er den einen Fuß ſchon im Grabe haͤtte, wolle er doch noch
lernen, weil er lebe. Aber der meiſte Theil unſerer heutigen Theo-
logorum
meynen, daß, ſobald ſie nur die Cantzel einmahl beſtie-
gen, ſich weiter niemand unterſtehen doͤrffte, auch die Obrigkeit ſel-
ber nicht ihnen Lection zu geben, gleich als ob GOttes Wort, und
deſſen Geheimniſſe, eine Sache waͤren, die man bloß und allein in
denen Auditoriis Academicis begriffe.


Man beſehe die Hiſtorie der erſten Kirche, ſo wird man klaͤrlich
finden, was ich ſage. Denn ſo lange GOtt die damaligen Lehrer
unter der Ruthe und in der Creutz-Schule, in dem Maͤrtyrer-
Stande unter der Tyranney, Verfolgung, und dem Blut-Ver-
gieſſen gehalten, ey da ſeynd ſie einig in heiliger Einfalt, inbruͤn-
ſtig in der Liebe, ja gleichſam im Stande der Unſchuld verblieben,
und haben GOtt in Einigkeit des Geiſtes, in geſamter Chriſtli-
chen Vertraulichkeit angeruffen und gedienet. Sobald ſie aber von
Gefahr und Verfolgung befreyet geweſen hat ſie gleich der Ehr-
Kuͤtzel geſtochen, der Eigenduͤnckel eingenommen, alſo, daß ſie wie
andere GOttes- und der Kirche-vergeſſene Leute ſich unter ſich
ſelbſt, und zugleich die Chriſtliche Kirche verwirret, beneidet und
getrennet. Ja um eines jeden dunckeln, oder ſtreitigen Puncts willen
hat
[21] hat ein jeder gleich eine beſondere Kirche, Lehre, Secte, Anhang
und Benahmung haben wollen. GOtt verleyte, daß an dieſem
Exempel, abſonderlich aber an dem Conſtantinopolitaniſchen Kir-
chen-Gezaͤncke, ſo gleichſam ein Vorbote geweſen deſſelben herrli-
chen gantzen Reichs Untergangs, und der Tuͤrckiſchen Sclaverey
worein es gerathen, auch wir heutiges Tages uns ſpiegeln, und
bey Zeiten dem, vor der Thiere bißhero gelauerten, nunmehro
aber gantz augenſcheinlich herein dringenden allgemeinen Unheil
und Verderben, mit wahrer Chriſtlicher Buſſe, Demuth, Einig-
keit, Liebe und Vertraͤglichkeit zuvor kommen!


Es iſt ein vor allemal gewiß, daß man auſſer denen Trivial Schulen, allwo
man mehr als den Unterricht im Chriſtenthum genieſſet; item Leſen, Schreiben,
Rechnen; und dann ferner einen Caſum und Terminum verſtehen lernet, nicht
allemal nach Wunſch reuſſiret. Dieſe nun ſeynd die hoͤhern Schulen, Gymna-
ſia
und Univerſitæten; vornehmlich aber dieſe Letztern. Wer ein excellentes
Naturel
hat, ſtarck am Geiſte iſt, ein herrliches Judicium, und eine gluͤckſelige
Memoriam beſitzet, deſſen Hertze zu keinem Stoltz und Hochmuth incliniret, in
dem auch eine beſcheidene vernuͤnfftige Auffuͤhrung, und im uͤbrigen Luſt, nebſt ei-
nem ſtarcken Trieb zum Studieren ſtecket, der mag ſich gratuliren, wann ihn ſeyn
Leit-Stern auf Univerſitæten fuͤhret. Er wird gewißlich ein gelehrter, weiſſer,
kluger und geehrter, ja recht admirabler Mann. Mit dem es aber anders be-
ſchaffen iſt, der bleibe davon. Denn einer, welcher eine herrliche Memoriam,
und kein gutes Judicium beſitzet anbey aber zum Stoltz und Hochmuth inclini-
ret, der wird ein gantz greulicher und unertraͤglicher gelehrter Narr. Eben ſo ge-
het es denenjenigen, bey welchen Judicium und Memoria zugleich gut, die aber ſonſt
ſchwach am Geiſte, folglich incapable ſind, die mit denen Studiis verknuͤpffte
Fatiguen zu ertragen. Gantz erbaͤrmliche und elende Leute, hingegen werden
vollends aus denenjenigen, welchen ſowohl das Judicium als die Memoria ge-
bricht, und die noch darzu keine Luſt zu dem Studieren haben, ſondern bey denen
Haaren darzu muͤſſen gezogen werden. Aus dieſen werden Stock-Narren, Ertz-
Matzen und Lappen, ja rechte Schand-Flecken derer Gelehrten, die theils in
Anſehung ihrer ſtoltzen Einbildungen, theils in Betrachtung der groſſen Einfalt
und Tummheit, die ſich, ſtatt der Weisheit und wahren Gelehrſamkeit, ihrer
Sinnen bemaͤchtigen, der gantzen Welt zum Spott und Gelaͤchter dienen.
Was am meiſten, dieſer Leute halber, zubejammern und zu beklagen, iſt die-
C 3ſes
[22] ſes das die tummen und einfaͤltigen Gelehrten, die gar keine Gaben zum Studie-
ren gehabt, als man ſie darzu beſtimmet, oder bey denen Haaren darzu gezo-
gen, hernach gemeiniglich mit Schul-Aemtern verſehen werden. Aber O Him-
mel! wie ungluͤckſelich iſt nicht eine Gemeinde, es ſeye in Staͤdten, oder in Fle-
cken, oder auf denen Doͤrffern, deren Schulen mit ſolchen Narren beſtellet
ſind. Was formiren und machen dieſe anders als wiederum andere Narren,
aus allen Zuͤchtlingen und Lehrlingen, die in ihre Haͤnde gerathen? dergeſtalt,
daß man ſich nicht wundern muß, warum ſo viele Narren in der Welt verhan-
den. Roctores und andere Schul-Bediente ſolten indeſſen die Quinteſſence von
gelehrten, weiſſen und klugen Maͤnnern ſeyn. Dann das, was nicht nur El-
tern ſondern gantze Communen, Staͤdte Republiquen, Staaten und Lande vor
das koſtbarſte, vor das hoͤheſte und wertheſte, ja vor unſchaͤtzbar halten, nem-
lich die Kinder, werden ja ihren Haͤnden anvertrauet. Auf die getreue und ge-
ſchickte Information aber, ſo ſie von ihren Præceptoribus und Lehrern genieſſen,
kommet ja, gemeiniglich, nicht nur ihr zeitliches Gluͤcke und Wohlfarth, ſon-
dern auch vielmals daß Heyl der Seelen und die ewige Seligkeit an.


Der Methodus, oder die Lehr- und Unterrichtungs-Art, auf vielen ſol-
chen Schulen, wo man die denen Studiis gewidmete Jugend præpariret, auf
Univerſitæten zu ziehen, iſt ohne diß ſo beſchaffen, daß ſchon viele rechtſchaffe-
ne Leute daruͤber geſeufftzet und noch jetzo ſeufftzen. Sind nun vollends die
Stellen derer Lehrer mit Narren und Pedanten beſetzet, was vor ein groͤſſeres
Ungluͤck koͤnte ſich wohl vor die ſtudierende Jugend ereignen. Wer aber keine
Gelehrſamkeit, keine Weißheit, keine Klugheit, keine loͤbliche Auffuͤhrung
und keine guten Sitten mit auf Univerſitæten bringet, der kan verſichert ſeyn,
daß er auch von allem dem nichts mit ſich hinweg nehmen wird. Bringet hin-
gegen ein junger Menſch einen ſolchen weichen Schatz mit ſich, wann er auf
Univerſitæten anlanget, und hat nicht das Ungluͤck unter die Raͤuber und Moͤr-
der, das iſt unter boͤſe und liederliche Geſellſchafften zu gerathen, der kan ver-
ſichert ſeyn, daß er mit ſeinem Pfund wuchern, und weit reicher von dannen
ziehen wird, als er angelanget iſt.


Der geneigte Leſer erlaube doch, daß ich allhier mit einfließen laſſe, was
verſchiedene brave Maͤnner ſchon lange vor mir, von uͤbel eingerichteten Schu-
len, und denen darinnen ſeyenden verkehrten Lehrern oder Pedanten, geſchrie-
ben haben; wiewohl ich auch meine eigene Gedancken damit vermiſchen, und
allenthalben, wo ich es vor gut befinde einen Zuſatz machen werde. Ich pro-
te-
[23]teſtire aber nochmahls, das brave, loͤbliche und ruͤhmliche Maͤnner oder wahr-
hafftige gelehrte, und dabey weiſe Rectores, Schulmeiſter und andern Schul-
Bediente, keinesweges damit gemeynet ſind, ſondern dieſe bleiben einmal wie
das andere in ihrem inæſtimablen Werth.


Atyenaus ſtellet die alten Schul-Fratzen und Pedantereyen aus dem Co-
mœdi
en-Dichter Epicrute vor, da zwey Perſonen, alſo mit einander reden-
de aufgefuͤhret ſind:


A. Lieber! Was machet Plato, Spenſippus, und Menedemus? wo hal-„
ten ſie ſich auf? Was dichten ſie gutes? Wann du etwas neues von ihnen aus„
Athen mitbringeſt, ſo ſeye hiermit gebethen, und erzehle es uns auch.„


B. Das thue ich gerne. Ich ſehe in dem Panatheo, auf der Academie,
eine ziemliche Heerde Studenten bey einander, da meynete ich, wunderſeltſame„
Dinge und unaufloͤßliche Dunckel-Reden, zu hoͤren. Sie urtheileten und rede-„
ten von aller Dinge Natur, von dem Leben derer Thiere, von derer Baͤume„
Art, vom Unterſchied derer Kraͤuter und Pflantzen. Inſonderheit forſcheten„
ſie unter einander, unter welches Geſchlecht die Kuͤrbſen gehoͤrten?„


A. Und was beſchloſſen ſie dann endlich daruͤber?„


B. Anfangs erſtummeten ſie alle uͤber dieſe Frage, und gedachten ihr eine„
gute Zeit mitniedergeſchlagenen, oder gebogenen Haupte nach. Hernach trat„
einer unter ihnen auf und ſprach, der Kuͤrbis ſeye eine Art von einem Kappes-„
Kraut, weil er rund waͤre. Ein anderer zehlete ihn vollkommen unter die„
Kraͤuter; bald aber wieder ein anderer unter die Baͤume. Dabey war eben„
ein Sicilianiſcher Medicus gegenwaͤrtig, der dieſen aberwitzigen Grillen zuhoͤ-„
rete, und vor lauter Lachen einen lauten ſtarcken Bauch-Wind fahren ließ.„
Hieruͤber erzuͤrnete ſich das gantze Auditorium, und ein jeder ſchrie man ſpot-„
te ihrer. Plato hingegen ließ ſich nichts anfechten, hieß ſeine Schuͤler fort-„
fahren, und machte, daß ſie wieder auf ihr voriges Gezaͤncke fielen, gleichwie„
eine Katze auf ihre Fuͤſſe. Endlich wurde doch nichts beſchloſſen, ſondern es„
gieng ein jeder mit ſeiner Meynung davon.„


Die Beſchreibung Petronii Arbitri, von einem Schul-Schwaͤtzer, lau-„
tet wie folget: Dieſes waͤre noch leidlich, wann ſein Geſchwaͤtze einen auf„
den rechten Weg zur Wohlredenheit fuͤhrte. Nun bringet aber dieſes Wort-„
Gepraͤnge und Wort-Geraͤuſche, ihnen keinen andern Nutzen als dieſen, daß,„
wann ſie auſſerhalb denen Schulen, vor denen Leuten, und vor der Gemein-„
de-
[24] „de, redeu ſollen, ſie erſchrecken, gleich als ob ſie unverſehens in eine fremde und
„neue Welt entzuͤcket waͤren. Derohalben halte ich davor, daß die Jugend in
„Schulen gantz naͤrriſch und laͤppiſch werde, weil ſie gar nichts ſiehet, noch
„hoͤret, wie es in der Welt zugehet, oder was der gemeine Lauff mit ſich brin-
„get, ſondern allein laͤcherliche Themata und vortraͤge, darinnen von Meer-
„Raͤubern gehandelt wird, wie ſie mit Ketten an dem Ufer ſtehen, und von
„Tyrannen, welche denen Kindern gebieten, ihre eigene Eltern umzubringen.
„Weiter anders nichts, als Honig-ſuͤſſe Wort-Kugeln, uͤberzimmete und
„uͤberzuckerte Reden. Alle diejenigen, die bey ſolchen Dingen auferzogen
„werden, koͤnnen eben ſo wenig witzig ſeyn, als einer, der die heimlichen Gemaͤ-
„cher ausraͤumet, wohl riechen kan.


Jacobus Sadoletus ſpricht vom Schul-Leben: „Mit dieſerManierzu
„unterweiſen wird alle
Gutartigkeit, und Tugendhafftigkeit, aus dem Ge-
„muͤthe verſchlagen und verderbet, und koͤmmt nichts anders heraus als mur-
„riſche, unleutſelige und ſchwehrmuͤthige Leute, die nicht allein andern, ſon-
„dern auch ihnen ſelber beſchwerlich, an allen Sachen verzagen, kleinmuͤthig,
„Licht-ſcheu, einſame Winckel-Schlupffer, und bey der Geſellſchafft laͤcherlich
„ſeynd, die da kein freyes und freudiges Gemuͤthe tragen, ſondern, den Kopff
„ſtets voller Unluſt, und groſſer Gedancken, von kleinen unnuͤtzen Dingen ha-
„ben. Was kan aber der Tugend, Erbarkeit und Großmuͤthigkeit nachtheili-
„ger ſeyn als eben dieſes.


Man hoͤre was Johannes Sturmius ſaget: „Es iſt ein laͤcherlich Ding um
„einen gelehrten,
wann er ſtoltz, aufgeblaſen und murriſch iſt, im Fall man
„anders einen ſolchen Menſchen einen Gelehrten nennen darff, welcher mit der-
„gleichen Gebrechen behafftet. Wiewohl es iſt nicht ohne, daß nicht ſchier
„unter allen hohen vornehmen Leuten dergleichen zu finden, als unter denen
„Rednern Erutius, Curtius, Mamerius, unter denen ten Marſus, Zoylus,
„Chæilus;
unter denen Senatoren Valgula, Aſellus, Mencius. Indeſſen kan
„niemand ſtoltze Schulzaͤncker, und murriſche ungeſchickte Duͤnckel anſehen,
„der nicht lache wegen ihres laͤcherlichen Weſens, oder traurig werde derer
„herrlichen Studien halber, die an ihnen verlohren ſeynd.


Thomas Overburius mahlet einen unartigen Schul-Monarchen auf dieſe
Weiſe ab: „Er tritt nach der Tabulatur einher. Mit der einen Hand ſcandirt
„er Verſe, und mit der andern haͤlt er ſeinen Schul-Scepter. Es duͤrffen ihm
„keine Gedancken in den Sinn kommen, da nicht der Nominativus Caſus das
Ver-
[25]Verbum regiert. Er hat Zeit ſeines Lebens keinen Sinn oder Meynung:„
denn er gehet allein mit Worten um. Alle ſeine Ehre ſuchet er im Criticiſmo
und ſeine Exempel im Nizolio. Seine Phraſes elegirt er nach dem Thon„
und Wohllaut derer Sylben. Die acht Partes Orationes ſind ſeine Famuli.
Kurtz: Er iſt ein Heteroclytus. Denn er hat keinen Pluralem numerum, ſon-„
dern nur die ſingularem qualitatem derer Worte. Macht er in dieſem keinen„
Solæciſmum; ſo iſt doch ſein gantzes Leben anders nichts als ein continuus„
Solæciſmus


Ein gewiſſer vornehmer Mann, und groſſer Gelehrter ſchreibet: “Schul-„
Fuͤchſe ſind die allergroͤſſeſten Symplicia unter allen Kraͤutern, gantz unge-„
ſaltzene, und ungeſchmaltzene, Stock-Fiſche und Blaͤche zu allen Sachen ver-„
droſſen und unwillig. Sie lernen lange Jahre und Tage, und begreiffen„
doch nichts. Gleichwohl duͤncken ſie ſich groſſe Meiſter der Klugheit, ob ſie„
ſchon auf der Welt nichts koͤnnen als Worte machen. Wann man ihnen„
begegnet, moͤchte man allemal eine Hand voll Wermuth in das Maul neh-„
men, damit man derer tiefſinnigen Herren nicht lache. Gruͤſſet man ſie, ſobe-„
dencken ſie ſich, ob es ex rei literaria utilitate ſeye, daß ſie antworten, die Hand„
bieten, oder beyde zugleich bieten ſollen? Alsdann ergreiffen dieſelben das Huͤt-„
lein mit voller Hand wo es am hoͤchſten iſt, drehen es eine Weile vor dem Maul„
in den Haͤnden herum, und machen andere tolle Geberden mehr. Sitzen ſie„
bey einem uͤber Tiſche, ſo koͤnnen ſie vor tieffen Gedancken nicht zu reden„
kommen. Fragt man ſie etwas, ſo ſchweigen ſie eine Weile ſtille. Hernach„
bringen ſie wenig vor, und das ſich noch darzu eben ſo auf die Frage reimet,„
wie eine Fauſt auf das Auge; oder ſie ſagen auch wohl gar nichts. Mercken ſie,„
daß man ihrer nicht wahrnimmet, ſo ſtehlen ſie ſich geſchwinde von der Geſell-„
ſchafft hinweg, und wiſchen zum Loche hinaus, das der Maurer, oder Zim-„
mermann offen gelaſſen hat.„


Ein anderer ſpricht von denen Pedanten:Sie haben es mit ihrem„
ungeſchlachten Weſen,
und unzierlichen Sitten, dahin gebracht, daß das„
gemeine Volck mit Fingern auf ſie deutet, darum nennet ſie Epictetus ein„
Thier, deſſen jedermann lachet. Ihres Gebrauchs wegen, den ſie haben,„
auch denen geringſten Dingen, ſehr tief, und gleichſam mit Verwunderung,„
nachzuſinnen, anbey in dieſer ihrer Stockfiſcherey ſich bereden, ob ſeyen ſie al-„
leine witzig, heiſſet man ſie Fantaſten, und es iſt der Name eines Philoſophi
dermaſſen verachtet, daß man auch, im Schertz und Ernſt, denſelben ei-„
Dnem
[26] „nem jeden Narren anhanget. Schul-Fuͤchſe, welche die alten Scholaſticos
„genennet, ſind nichts anders als diejenigen, welche ſich taͤglich in Schul-
„Staube herum weltzen, wie ein Fuchs in ſeiner Hoͤle. Calmaͤuſſer werden
„ſie daher genennet, weil ſie in der Schule die Federn zerbeiſſen, eben ſo, wie
„die Maͤuſſe alles zu zernagen pflegen.


Noch weit laͤcherlicher, als alles bißherige, klinget eine andere Beſchrei-
bung von einem Schul-Fuͤrſten, die ich an einem gewiſſen Orte gefunden. „Er
„iſt, heiſſet es, das Haupt ſeiner Laͤuſe, ein ernſtlicher Regent, und lachet nicht,
„wann er ſchon ſaͤhe einen auf einen Butterweck, oder Butter-Strietzel, da-
„her reiten. Er iſt ein Fuͤrſt aller Fuͤrſten. Denn ohne ihn haͤtten die an-
„dern Fuͤrſten keine Menſchen zu Unterthanen, ſondern nur Beſtien. Alſo
„machet er denen Buͤrgern Obrigkeiten, und denen Obrigkeiten Buͤrger. Er
„iſt der vornehmſte und erſte Stand des Regiments und gemeinen Nutzens.
„Denn jedermann muß zum erſten unter ſeinen Stab kommen, und er ur-
„theilet uͤber einen jeden ohne Appellation oder Widerſprechen. Sein An-
„ſehen weiß er meiſterlich zu erhalten. Wann er unter ſeine Soldaten tritt.
„muß es gleich vor ſeiner Majeſtaͤt ein Erdbeben geben, und alles erzittern.
„Kommen etwa fremde Leute zu ihm, ſo muͤſſen geſchwinde die Ubelthaͤter, ſo
„das gantze Jahr durch etwas begangen, zu einem Exempel ſeiner ritterlichen
Juſtitz geſchmicket ſeyn. Seine Diſcipuli ſeynd, gegen ihm zu rechnen, was
„die uͤbrigen Pœten gegen ihrem Ur-Altvater Homero ſeynd, die man zu ſeinen
„Fuͤſſen abmahlet, dergeſtalt daß ſie alles auflecken, was dieſer kotzet. Er iſt
„oͤffters nicht ſo gluͤckſelig, daß er Kinder habe, weil er mit anderer Leute Kin-
„dern ſo umgehet als ob ſie von denen Baͤumen fielen, wie die Gaͤnſe auf ei-
„ner gewiſſen Schottlaͤndiſchen Inſel. Zu einem Schuſter iſt er verdorben.
„Denn er hat nicht mehr als einen Leiſten, uͤber den er alle ſeine Buben ſpan-
„net. Aber zu einem Feld-Obriſten iſt er eine erwuͤnſchte Perſon, weil er derer
„Schuͤtzen gewohnt, und die Schuͤſſe wohl erleiden kan. Auch hat er taͤg-
„lich das Paucken-ſchlagen zum Beſten, wann er ſeinen Schuͤlern den Hinter-
„ſten auspaucket. Er iſt der aller kunſtreicheſte. Denn er hat alle Kunſt-Loͤ-
„cher durchgucket, und weiß aller hinterſten Beſchaffenheit; nur ſeinen hat er
„nie geſehen. In jedermans Augen kan er einen Balcken erſtechen, ſo lange er
„ſelbſt dafuͤr ſtehet. Es iſt ihm wie einem Haus-Hund, der niemanden unan-
„gebellet voruͤber gehen laſſen kan; nicht daß er Urſache haͤtte zu bellen, ſondern
„nur, weil er von Natur und aus Gewohnheit bellen muß. kommt man ihm
„auf ſeinen Miſt, ſo ſuchet er alles herfuͤr, einen zu verſuchen und zu exami-
ni-
[27]niren, ob man auch ſo geſchickt ſeye als er? Fehlet einer nun an dem gering-„
ſten Woͤrtlein im Donat, ſo hat er ſchon die Reputation bey ihm verlohren.„
Warlich! warlich! ſaget er, es iſt nichts mit ihm. Er zerſchmeltzet„
vor mir wie Schnee und Butter in der Sonnen.
Er ſchwuͤhre einem„
theuren Eyd darauf, man muͤſſe nur darum ſtudiren, daß man den Donat
und die Grammatica vollkommen, ja wie ein Vater Unſer, auswendig herzu-„
ſagen wiſſe, und im uͤbrigen viele ſpeculirende Theorie beſitze. Mit dem es„
anders bewandr, der iſt in ſeinem Augen ein veraͤchtlicher tummer Eſel. Da-„
hero kommet es, daß er jedermann auslachet, und wieder von jedermann aus-„
gelachet wird. Allein er iſt denen andern darinnen uͤberlegen und reicher als„
ſie, weil die andern nur einen Narren an ihm alleine haben, er aber alle an-„
dere, auſſer ſeinem Stande vor Narren haͤlt; wiewohl das Gewicht ſeiner„
Narrheit die Menge derer andern wohl uͤberwiegen koͤnte, dergeſtalt, daß es„
ein groſſes Wunder iſt, wann ein witziger Mann aus ſeiner Schule koͤmmt,„
weil er unter allen ſeinen zuhoͤrern, der groͤſte Narr iſt, nur ein gemeiner Narr„
aber ſonſt ſchon zehen Narren machet. Die Lateiniſche Sprache haͤlt er ſo„
hoch, daß er bloß darum nicht bey Hofe ſeyn mag, weil man nicht Lateiniſch„
daſelbſt redet. Ja ich zweiffele nicht, er ſolte ſich des ewigen Lebens verzey-„
hen, wann er wuͤſte, daß daſelbſt kein Latein geredet werden wuͤrde. So„
offt er des Ariſtotelis Opera in die Haͤnde bekoͤmmet, faͤnget er ſelbſt an zu„
zweiffeln, ob er biß hieher eine vernuͤnfftige Creatur geweſen. Er beweinet„
anbey das groſſe Elend des menſchlichen Geſchlechts, und daß nicht alle ſol-„
cher hohen Geheimniſſe der Vernunfft theilhafftig werden koͤnnen, ſondern,„
wie er zu reden pfleget, als das unvernuͤnfftige Vieh ohne Verſtand dahin„
lebten.„


Es iſt wahr, geneigter Leſer! daß Hertze moͤchte einem Weinen, wann
man bißweilen zuhoͤret, woruͤber auch Schulen und Univeiſitæten diſputiret
nnd geſtritten wird. Ja ein vernuͤnfftiger Bauer begreiffet es, daß es oͤffters
lauter nichts-wuͤrdige Grillen ſeynd, womit man nur die edle Zeit verder-
bet. Daher hat Thomas Gartzion in ſeinem Buch, genannt der Schau-
Platz aller Kuͤnſte,
nachdem er erſtlich denen rechtſchaffenen Schul-Maͤn-
nern ihr gebuͤhrendes Lob beygeleget, Anlaß genommen, im vierdten Diſcurs
von denen unartigen, und eingebildeten Gramaticis alſo zu reden:


Dargegen finden ſich auch etliche, von denen ich nicht viel gutes zu ſa-„
gen weiß, ſtehe auch an, ob ich ſie unter die Grammaticos, oder unter die pu-„
D 2ren
[28] „ren Pedanten rechne; ungeachtet es lauter reine Grammatici ſeyn wollen. Die-
„ſes ſind die, welche einen gantzen Tag auf dem Marckt, oder in einem La-
„den, oder ſonſt bey einer Geſellſchafft gelehrter Leute ſtehen und diſputiren,
„ja ſich um geringer und nichtiger grammaticaliſchen Sachen willen zancken,
„mit vollem Geſchrey und Eyfer, als wann Leib und Leben daran gelegen waͤre,
„wodurch ſie jedermann die Ohren ſo voll fuͤllen, daß ſie auch einen Schmidt
„bey ſeinem Amboß uͤberdruͤßig und beſchwerlich ſeyn moͤchten. Da ſchweret
„man bey dem Polluce und Hercule, ja bey allen Goͤttern; da doch manchmal
„nur darum zu thun, ob man die Buchſtaben Y. und Z. nur allein im Grie-
„chiſchen, oder auch bey dem Latein gebrauchen ſolle? Ob man die animam Ari-
„ſtotelis,
die er Entelciam nennet, mit einem d. oder t. ſchreiben ſolle? Ob
H. auch ein Buchſtabe ſeye, oder nur eine nota aſpirationis? Ob man des
„Buchſtabens X. beduͤrffe oder nicht? allermaſſen man vorzeiten an ſtatt deſ-
„ſelben c s gebrauchet, und pacs, lecs, geſchrieben, da man jetzo pax und lex
„daraus gemachet. Item, ob der Name Ulyſſes mit einem X. oder mit zweyen
fl. ſolle geſchrieben werden? Ferner ob nur drey partes orationes ſind, nem-
„lich Nomen, Verbum und Conjunctio, wie Ariſtoteles und Theodorus wol-
„len? oder ob deren viere, wie die Stoici vorgeben, welche die Articulos von
„denen Conjunctionibus unterſcheiden? Item ob man die andern, welche lan-
„ge hernach darzu ſeynd geſetzet worden, auch vor partes orationes halten
„ſolle? wie Ariſtarchus und Palæmon ſolches haben wollen. Ingleichen,
„ob derer Pronominum funffzehen? wie Priſcianus will, oder deren noch mehr
„ſeynd? wie Diomedes und Phocas prætendiren. Weiter, ob man auch
„doppelte Buchſtaben doͤrffte gebrauchen, als in denen Worten, cauſa, reli-
„gio, \&c.
da etliche Schreiben cauſſa, relligio? oder, ob es genug an einem ſ.
„und l? und was dergleichen Sachen mehr ſeynd, als Accentus, Puncta, Or-
„tographia, Pronunciatio,
die Form, und Figur derer Buchſtaben, Ftymolo-
„gia, Analogia, Præcepta, Regulæ, Declinationes, Modi ſignificandi, Mu-
„tationes Caſuum, Varietates temporum \&c.
daruͤber ſie mit groſſen Ernſt
„und Eiffer halten, und billig von Luciano Samolatenſi, in einem ſonderlichen
„Buͤchlein, welches er vom Streit derer zwey Buchſtaben S. und T. geſchrie-
„ben, ausgelachet werden. Desgleichen von Andre Salernitano, welcher das
Bellum Grammaticale, oder den Feder-Krieg derer Gramaticorum, gar ar-
„tig, ſolchen naͤrriſchen Grammatieis zum Spott geſchrieben. Nebſt dieſen
„ſeynd auch andere, die wollen gar gute und reine Grammatici ſeyn. Meſſala
„hat von jeden Buchſtaben ein beſonderes Buch geſchrieben. Beroaldus will
„den Servium, geringer Sachen halber, in die Schulen verweiſen oder ſchi-
cken
[29] cken. Lucinius ſchilt den Vettium, daß er ſich mit Sabiniſchen Præneſtini
ſchen und Tuſciſchen Woͤrtern beholffen habe. Aſinius Bollio will dem Tito„
Livio
Schuld geben, er nehme den Landsmann zu ſehr mit, und wolle auch„
in denen Worten gar zu Paduaniſch ſeyn. Palæmon will gar an den Marcum„
Vatronem,
um geringer Grammaticaliſchen Sache willen. Quindilianus will„
dem Seneca einen Kuͤchen-Schilling geben, dieweil er, in geringen und kur-„
tzen Sententiis, die Krafft und den Nachdruck etlicher Woͤrter vernichtet.„
Valla zeucht allen Grammaticos, die vor ihm geweſen, uͤber die Banck, und„
wird vom Muncinello, und Poggio, wieder heruͤber gezogen. Uber dieſe fin-„
den ſich noch etliche andere Pedanten und Schul-Fuͤchſe welche, um ihrer qua-„
litæ
ten willen, billig bey jederman verhaſt ſeyn ſollen. Daß ſiehet man an„
dem eigenſinnigen und Hirnſchelligen Domitiano (NB. Domitianus à Domi-„
tor \& anus)
ſo die Buben nur bey dem hinterſten aufzaͤumet, der zu Rom ein„
Schulmeiſter geweſen, und an dem unbeſcheidenen Orbilio (Orbilius quaſi„
orbis bilis,
die Galle, die Geiſſel, die Ruthe, oder der Zorn der Welt) der„
zur Zeit Ciceronis zu Benevento ein Schulmeiſter geweſen. Item an Rhen-„
nio Palamone,
welcher ihm duͤncken ließ, es waͤren die freyen Kuͤnſte mit ihm„
aufgekommen, und wuͤrden auch wiederum mit ihm abſterben. Ferner an„
Lionide, der ein Pædagogus Alexandri geweſen, und wie Diognes Babyloni-„
cus
ſchreibet, deſſen Gemuͤthe in der Jugend zu allerhand Untugenden ange-„
fuͤhret; und an einem Andern, welchen Crates, der Philoſophus, mit Faͤu-„
ſten geſchlagen, weil er einen ihm anvertrauten Knaben, in ſeiner Jugend ver-„
derbet hatte. Was ſolle ich ſagen von etlichen boͤſen Laͤſter-Maͤulern, wel-„
che alles wollen tadeln, reformiren und critiſiren. Einer ſchilt den Plato-„
nem,
daß er keine Ordnung haͤlt in ſeinen Schrifften. Der andere ſagt„
vom Virgilio, er habe den Theocritum und Homerum beraubt, ausgeſchmier-„
ret, ja wohl gar geſchunden. Ein anderer ſagt vom Cicerone, daß er auch„
nicht die beſte Ordnung uͤberall gehalten habe. Ein anderer will an den Sa-„
luſtium,
daß er zu ſehr gezwungen ſey. Ein anderer ſchnurret den Terentium
an, daß er ſeine Comœdien von Labeone und Scipione gebetelt. Macrobius
muß auch ein undanckbarer und unverſchaͤmter Geſelle ſeyn, Plinius ein Luͤg-„
ner, und Ovidius von Eigen-Ruhm ſtincken. In Summa, es gehet keiner„
voruͤber, der ihnen nicht muß herhalten, und ſich von ihnen laſſen meiſtern.„
Was ſoll ich ſagen von dem naͤrriſchen Hochmuth etlicher, welche, damit ſie„
Aufſehens maͤchen moͤgen, mit einem Spruch, welchen ſie aus dem Cice-„
rone,
oder aus einem Pœten auswendig gelernet, aufgezogen kommen. Die-„
D 3ſen
[30] „ſen recitiren exponiren und gloſſiren ſie mit magiſtraliſcher Kunſt, daß denen
„Zuhoͤrern die Ohren ſchwitzen moͤchten. Solte man ihnen nicht billig entge-
„gen ruffen.


O Coridon! Coridon! quæ te dementia cepit!
O Coridon! Coridon! Wie ſticht dich doch der Narr und
Geck ſo gar ſehr!


„Bißweilen kommen ſie auch, wann ſie die Andacht ſticht, mit einem
„Spruch aus heiliger Schrifft einher getreten, und machen ſeltſame Gloſſen
„daruͤber, daß man auch Kroͤten damit vergeben moͤchte. Was ſolle ich ſagen von
„wunderſeltſamen Proſopo pœiis, mit welchen ſie herrein gepranget kommen,
„als haͤtten ſie alle Kuͤnſte gefreſſen. Da koͤmmt bißweilen ein Perottus, ein
Catolicius, ein Deſpaucerius, ein Mancinellus, ein Priſcianus ein David Bri-
„tannus,
ein Auguſtinus Pathus, ein Adamus Trajectenſis, ein Magiſter Telbe-
„ne,
ein Terentius, ein Scopus, und andere dergleichen gelehrte Leute mehr
„von welchen ſie hier ein wenig und dort ein wenig heraus geklaubet. Wann
„man ihnen das Ausgeklaubte abkauffete, wuͤrden ſie hernach ſtumme Hunde
„ſeyn. Cantalicius der ſpottet eines ſolchen Pedanten, welcher Branchidus ge-
„heiſſen, gar artig, mit nachfolgenden Verſen:


Dum legit in Cathedra ſapiens Branchidas Poëtas

Allegat ſemper pro Cicerone Phocam.

Branchitasein ſehr weiſer Mann,

Die Pœten ſchoͤn leſen kan.

Soll er aber Tullium nennen,

So thut er nichts als Phocam kennen.

„Wie viel beſſer und zutraͤglicher waͤre es, daß an ſolchen Geſellen der
„Wunſch des Quintiliani erfuͤllet wuͤrde, da er ſaget: An denenFædagogis
und Schulmeiſtern moͤchte man dieſes am hoͤchſten wuͤnſchen, daß
„ſie entweder recht gelehrt waͤren, welches ſie ihnen auch am meiſten
„ſollen laſſen angelegen ſeyn, oder daß ſie zum wenigſten wuͤſten, daß

ſie
[31]ſie nicht gelehrt ſeynd. O wie wohl redet Quintilianus! Denn es iſt kein„
ſchaͤndlicher Ding in einer Schul, als wann der Præceptor ſich nicht kennet,„
und ſich duͤncken laͤſſet er ſeye gelehrter als er iſt, koͤnne auch ſeine Knaben gar„
bald klug und gelehrt wachen. Von einem ſolchem Duͤnckel ſagt obgemeld-„
ter Candaticius, welcher auch ein Præceptor auf Schulen geweſen:„


Ille tribus brumis vix Alpha \& beata docebat,

In tribus aſt pueros menſibus aſtra doces.

Jener (er redet vom Quintiliano) lehretA. B. C.kaum recht in

dreyen Jahren, und du lehreſt in dreyen Monaten deine Kna-

ben auch die Sterne und den Himmel kennen.

Was ſoll ich ſagen von der naͤrriſchen pedantiſchen Gravitæt etlicher, die„
mit ihrem Baculo Magiſtrali, mit ihrem kahlen Rock, der nicht weniger als„
fuͤnff Jubel-Jahre geſehen, mit ihrem Meiſter-Geſang beydes in Proſa und in„
Verſen, mit ihrem hauffen Nachfolgern von Knaben, die ſie zum Pracht auf- und„
anfuͤhren, mit ihrem Lateiniſchen Gruß: Salus, Salvete, Avete Domini \&c.
mit ihrer praͤchtigen Reverentz, mit ihrer aufgeblaſenen Stellung und Gang,„
als wann ſie lauter Tullii waͤren, mit ihrem praͤchtigen Leſen, mit ihrem„
ſchnarchenden Reden, wann ſie ihre Knaben examiniren, mit ihrem anſehn-„
lichen Auf- und Abtreten in der Schulen, als wann ſie Pfauen oder welſche„
Hahnen waͤren; in Summa ſich mit allerhand anſehnlichen ja recht majeſtaͤ-„
tiſchen Geberden, Worten und Weſen, ſehen und hoͤren laſſen? Item von„
ihren ernſtlichen Erinnerungen, die ſie ſtets an ihre Knaben thun, daß ſie des„
Priſciani Fußſtapffen fleißig ſollen nachfolgen; daß ſie von dem Diomede nicht„
ſollen abweichen, daß ſie allezeit ein gutes Buch als ein Cornu copiæ ſollen„
unter dem Arm oder in denen Hoſen tragen, daß ſie ihr Catholicon, ihren„
Papiam, benebſt dem Momotracto bey Leibe nicht dahinten laſſen ſollen, und„
was dergleichen mehr damit man ſie fein uͤberall, wo ſie ſind, gehen oder ſte-„
hen, vor fleißige, ſorgfaͤltige und gelehrte Schuͤler anſehen moͤge, da ſie doch„
nichts als Eſel ziehen, die zwar Buͤcher tragen, aber nicht wiſſen, noch ver-„
ſtehen, was drinnen iſt. Was ſolle ich ſagen von ihren ſtoltzen und uͤbermuͤ-„
thigen Reden, in welchen ſie alle Sprachen unter einander hacken, damit„
man ihre pedant ſche und grobianiſche Gelehrſamkeit uͤberall ſpuͤre. Sollen„
ſie etwas parliren, ſo muß es alles latiniſiret, oder auch wohl mit dem Griechi-„
ſchen geſpickt ſeyn. Anderergeſtalt taugt es nichts, und moͤchte vielleicht von„
denen gemeinen und ungelehrten Leuten verſtanden werden.„


Die-
[32]

„Dieſes ſeynd diejenigen Witz-Beſteller, von denen Marcus Spelta in ſei-
„ner klugen Narrheit ſagt, daß ſie ſich einig und allein verderben in der Sophi-
„ſterey,
und ſolchen philoſophiſchen, fluͤchtigen, wetterwendiſchen und Kin-
„diſchen Quæſtionen und Fragen, die nichts gelten und nichts bedeuten. Es
„gehen demnach die Sachen leider uͤbel von ſtatten, wann die Republic von
„ſolchen Philoſophaſtern gouvernirt und verwaltet wird, die anders nichts
„haben als ihre Sophiſtereyen, Fantaſtereyen, Mucken und Windmache-
„reyen.


„Mit denen kommen faſt uͤberein diejenigen Philoſophi des erſten Ge-
„ſchlechts, welche Laurentius Grimalius de opt. Senat. lib. 1. p. 76. oder Liberius
„à Bodenſtein in Jurisprud. Polit. lib. 1. c.
23. (indem ſie nur der Titel unter-
„ſcheidet) vor untuͤchtig zum Regiment haͤlt, als die den rechten Grund der
Philoſophie noch nicht geſchmeckt, noch durch derſelben Geſetz und Lehr-Re-
„geln die boͤſen Begierden, und den Laſter-Durſt in ihnen ſelbſt geloͤſchet, wes-
„wegen ſie auch der Tugend und Philoſophie gantz ungemaͤß leben, als welche
„noch nicht in ihnen eingewurtzelt iſt, anderergeſtalt ſie nicht allein gelehrte ſon-
„dern auch fromme Leute aus ihnen gemachet haͤtte.


„Dahero iſt Johann Gebhard, in ſeinen Fuͤrſtlichen Tiſch-Reden oͤffters
„mit etlichen vornehmen Fuͤrſten nicht wohl zu frieden, daß ſie ihre Kinder ſchlim-
„men Pedanten und Schul-Haſen, welche auſſerhalb der Schul-Fuchſerey,
„an Sitten, Geberden uud allem ihrem Thun und Laſſen die groͤbſten Bengel
„ſeynd, anvertrauen, die davor halten, wann ihre Diſcipel in ſieben oder acht
„Jahren die Lateiniſche und Griechiſche Grammatic, perfectè, ad unguem, an
„einem Schnuͤrlein, mit allen Regeln, und Anomalis Figuris, von Wort zu
„Wort daher ſprechen und plaudern koͤnnen, auch etwas aus dem Cicerone
„und Virgilio zu ſagen wiſſen, daß ſie es gewaltig wohl getroffen haben, eben
„als wann Lateiniſch oder Griechiſch reden das Beſte an einem Fuͤrſten waͤre.


„Das ſeynd die Haus-Katzen, Hummeln, Stuben-Huͤter und Narren,
„von denen vorbeſagter Marcus Spelta ein beſonders Capitel ſchreibet, und
„zwar lib. 2. c. 4. der kugen Warheit, die ſich vor Correctores auswerffen,
„und doch Corruptores ſeynd, auch meiſtentheils ſchnatternde Gaͤnſe, und
„wollen mit denen Schwanen in einer Reyhe lauffen. Zu gewiſſen Zeiten kauf-
„fen ſie ihren Diſcipuln Kuͤchlein, Flaͤdlein und Paſtetlein, ſchmauſſen auch
„wohl mit ihnen, und laſſen GOtt einen guten Mann ſeyn.


Die-
[33]

Dieſen allen pfleget es gemeiniglich zu gehen, und zwar mit Recht, wie„
jenem Pædagogo, welcher in eine gewiſſe Stadt kam, der Meynung, et-„
liche ſeiner alten Diſcipel zu beſuchen, die daſelbſt ſtudierten. Er brachte„
die gaͤntzliche Hoffnung mit ſich, daß, weil ſie vor Jahren unter ſeiner Di-„
ſciplin
geſtanden, und von ihm gekommen waren, er auch mit ihnen viele„
Muͤhe gehabt, dieſelben ihm viele Hoͤflichkeit und Freundſchafft erweiſen, ja„
den Willkommen auf das herrlichſte ſprechen wuͤrden. Aber was geſchiehet?„
Der unwerthe Gaſt wolte einen dererſelben emendiren, der geſagt Domini„
Scholares,
deswegen er ihn warnete, er ſolte forthin ſolches Vocabulum nicht„
mehr gebrauchen, vorgebende es ſeye Barbariſch geredet. Hierauf gab ihm„
ſein geweſener Diſcipul zur Antwort: Nein es iſt nicht Barbariſch, ſon-„
dern
Africaniſch. Hierauf geriethen ſie in einen gewaltigen Zanck, und die„
Diſcipel ergriffen letzlich ihren miſerum hoſpitem, buckten ihn heruͤber, und„
hieben mit Peitſchen auf ſein bloſſes Geſaͤſſe gantz unbarmhertzig loß. Einer„
von ihnen fragte bey einem jedweden Streich: Iſt das Barbariſch oder
Africaniſch? Und als er mit der Sprache nicht heraus wolte, haben ſie ſo„
lange zugeſchmiſſen, biß er Ja oder Nein geſaget. Jedoch iſt ſeine Hartnaͤ-„
ckigkeit dermaſſen groß geweſen, daß, ehe er zugeben wollen es ſeye Africaniſch,„
derſelbe uͤber hundert Streiche ausgehalten. Ich glaube es ſolt ein Confor-„
tativ
auf dieſes Schwitz-Bad wohl bekommen ſeyn.„


Als nun der arme Geſelle die Undanckbarkeit ſeine Diſcipel geſehen, die„
ſie ihm bewieſen, iſt er ſo zornig worden, daß er alle Lectiones, die er ihnen„
ehemahls gegeben, expliciret und erklaͤret, verfluchet hat. Auch alles andere mit„
einander, ſo viele Verſe er ihnen exponiret, ſo viele Examina er mit ihnen ange-„
ſtellet, ſo viele Fabeln er ihnenerzehlet, ſo viele Declamationes er gehalten, ſo viele„
Hiſtorien und Geſchichte er ihnen geſagt, ſo viele Epiſteln und ſo viele The-„
mata
er ihnen proponiret, ſo viele Cujus er ſie gefraget, ſo viele Præcepta er„
ihnen gewieſen, ſo viele Figuren er ſie gelernet, ſo viele Regeln aus der Gram-„
matic
und Syntaxi er ſie uͤberhoͤret, ſo viele Autores er ihnen geleſen, auch ſo„
viele Streiche, ſo viele Baſtonaden, ſo viele Poſſen, ſo viele Schlappen, ſo viele„
Ohrtappen, ſo viele Maultaſchen, Harrauffen, Aufblaſen, ſo viel Stehens ad for-„
nacem ſine ponere,
ſo viel auf einem Fuß ich da ſtehen muß; kurtz alles, alles,„
was er nur mit ihnen, oder ihrenthalben, gethan execratus eſt, hat er verfluchet„
und vermaledeyet. Aber heut zu Tage will man eben ſolche Narren haben.„


Einen Schul-Tyrannen habe ich auch ſonſt folgendergeſtalt beſchrieben
geſehen: “Er iſt eine Gewalt ohne Vernunfft. Denn gleichwie die Jaͤger,„
EBe-
[34] „Bereuter und dergleichen Leute ihre Hunde und Pferde durch Grauſamkeit
„Schrecken, Streiche und Hunger abrichten, alſo dringt auch dieſer bey ſei-
„nen Buben mit Gewalt durch, und nicht mit Beſcheidenheit. Was er heiſt,
„oder dictirt, muß ohne Frage und Wiederrede geſchehen, recht und wahr
„ſeyn. Er giebet niemand Rede und Antwort, ſolte ſolche auch der gewal-
„tige Koͤnig Cyrus, oder der weiſe Cato von ihnen fordern. Daß ſo viele boͤſe
„Buͤrger in der Stadt ſeynd, daran iſt er Schuld, weil er ſie gleich in ihrer
„beſten Bluͤte verderbet, und zu Fantaſten oder Halsſtarrigen Bloͤchern ma-
„chet. Denn er weiß keinen Unterſcheid zu halten, noch zu unterſuchen, ob
„nemlich manche Tugend oder Natur derer Sporen oder des Zaums bedarff?
„manche getrieben ſeyn will, oder ſich ſelbſt treibet? Ja er movirt auch manch-
„mal Acheronta oder die gantze Hoͤlle und will die Buben mit allen Teuffeln
„meiſtern, bevorab wann er entweder zu viel Wein, oder zu viel Bier und
„Brandewein geſchoͤpffet und genippet; da er dann abſonderlich ſeine ritterli-
„che Autoritæt ſehen zu laſſen pfleget.


„Seine Hoſen ſeynd wie zwey alte Teutſche Puffer-Hulfftern. Die
„Schnupff- oder Naſen-Tuͤcher haͤlt er vor ein uͤbrig koſtbar Werck, weil er
„ſich in den Mantel ſchneutzet, oder ſeine Naſe auf den Ermel wiſchet. Wo
„jederman luſtig iſt, da ſitzet er gantz ſtille, haͤlt ſich ſo gravitætiſch als gien-
„gen ihm die Geſchaͤffte des gantzen heiligen Roͤmiſchen Reichs im Kopffe her-
„um, und begehret nicht zu reden, auſſer nur, wann man ihm gantz alleine zu-
„hoͤret. Er iſt keinen Menſchen unterworffen auſſer nur ſeinem Weibe, und
„das nur zu dem Ende, damit ſie ſich ihm hinwiederum unterwerffe.


„Er meynet es ſeye kein anderer als Buͤcher-Witz, und der Menſch lebe
„nur darum, auf daß er leſe und ſtudire, geſtalt er ſelbſt immer lieſet, eben als
„ob man nichts aus der taͤglichen Erfahrung und dem groſſen Natur-Buch
„lernen koͤnne.


„Alle ſeine Gedancken ſchlaͤgt er in Buͤchern nach. Sobald er ſie
„nicht darinnen findet, verwirfft er ſie, und meynet, daß er ſich geirret. Viel
„weniger glaubet er, daß er etwas reden doͤrffte, welches er nicht zuvor bey
„einem andern geleſen. Er kan ihm nicht einbilden, daß der Menſch etwas
„von Natur habe, ſondern muͤſſe alles lernen, geſtalt er ſich ſelbſt zu einer im-
„merwaͤhrenden Unwiſſenheit verdammet, und ſich als ein laſtbares Thier nur
„zum Mutation gewoͤhnet, nichts ſelber inventirt, ſondern nur dahin ſich befleiſ-
ſiget,
[35] ſiget, wie er zum allerzierlichſten dasjenige auf klauben und auflecken [koͤnne],„
was andere geſpeyet haben.„


Er kan nicht glauben, daß jemand ohne Buͤcher ſeyn gelehrt worden, oder„
daß diejenigen, ſo vor Aufkommung derer Buͤcher und des Buͤcherſchreibens„
gelebet, etwas haben wiſſen koͤnnen, gleich als ob der Menſch nichts von Ge-„
ſchicklichkeit in der Natur, in der Vernunfft und in dem Verſtand haͤtte, ſon-„
dern alles in denen groſſen, und manchmal wiederwaͤrtigen, Buͤchern ſuchen„
muͤſſe. Er hat kein natuͤrlich ſondern ein artificial Judicium, dannenhero man-„
cher Bauer, der Verſtand hat, und nur natuͤrliche Reden fuͤhret, weit beſ-„
ſer urtheilet als er. Er giebet niemanden Rationem; will aber doch jeder-„
mans Worte und Wercke an ſeine Rationes und Regulas binden, gleich als„
ob es ſowohl um uns Menſchen ſtuͤnde, daß alles nach denen Regeln koͤnte ge-„
richtet werden, und jederman nach der Grammatic reden und thun koͤnte.„
Endlich wann er zu weit koͤmmt, daß er die Conſuetudinem und den Uſum,
nicht mehr vertheidigen kan, ſo nennet er es eine Anomaliam, einen Gracil-„
lum,
eine Exceptionem, und ſo fortan. In Summa ein dergleichen Schul-„
Tyrann iſt ein pur lauterer ausgekuͤnſtelter Eſel.„


Was der geneigte Leſer biß hieher von unartigen Schul-Tyrannen, un-
ter welche auch verwirrte, eigenſinnige oder ſonſt boͤſe Profeſſores auf Uni-
verſitæ
ten, zu zehlen ſind, geleſen hat, das iſt von vielen andern Gelehrten eben-
falls zu verſtehen. Denn es ſtecken nicht alle gelehrte Narren in denen Schu-
len, oder auf Univerſitæten, ſondern es befinden ſich deren auch da und dor-
ten in ihrem beſondern Loͤchern. Dieſe ſind alſo abgemahlet und beſchrie-
ben:


Die Pedanten, welche nur halbe Menſchen ſeynd, und ihnen nimmer-„
mehr die Hoffnung machen duͤrffen rechte gantze Menſchen zu werden, die„
nur mit denen Motten und Buͤcherſchaben zu thun haben, welche ſie aus ih-„
rem erblichen Beſitz vertreiben, werden gar fein bey denen Lateinern Umbra-„
tici,
bey denen Teutſchen Stubenſitzer, Calmaͤuſſer, Dinten-Freſſer genen-„
net, dieweil ſie gleichſam, wie die Geiſter derer Verſtorbenen, ihr Leben an„
ſchattichten duncklen Orten, in unaufhoͤrlicher Muͤhſeligkeit und freywilliger„
Marter, mit greinen und gramen zubringen. Wann ſie andern rechten Men-„
ſchen von Ungefaͤhr oͤffentlich unter die Augen kommen, ſcheinen ſie nichts an-„
ders zu ſeyn als ein Geſpenſt, oder unſelige Geiſter mit ſcheußlichen Geſich-„
tern, die da um die Todten-Begraͤbniſſe wohnen. Gruͤſſet ſie einer, oder„
E 2reder
[36] „redet dieſelben an, werden ſie geſchwinde in ihnen ſelbſt entzuͤcket, ruffen alle
„ihre Gedancken zu Rathe, und befragen ſich bey ihnen ſelber, was dieſes be-
„deuten mag? ob es ihnen zum Spott geſchehen? oder ob es etwa aus einer ſon-
„derbaren himmliſchen Einflieſſung oder Influxion des Geſtirns herruͤhre? Von
„guten hoͤflichen Sitten wiſſen ſie nichts, koͤnnen mit niemanden converſiren,
„ſeynd in der That keine Menſchen, ſondern nur Schatten von Menſchen,
„die da einen Leib ohne Seele und Gemuͤthe, und nur allein mit kalten Gedan-
„cken uͤberſchwemmet, herum tragen. Man kan ſie erkennen an ihren tuͤcki-
„ſchen Geſichte, grober unartiger Geſtalt, runtzlichter Stirn, an ihren im
„Maul abgezirckelten Worten, dunckeln und nur unterſichtigen Blintzel-Au-
„gen, langen Sau-borſtigen Baͤrten, vermoderten und verſchimmelten Haa-
„ren, wie auch oͤffters an einem Mantel, welcher auf der einen Seite weiter
„herab haͤnget als auf der andern. Wer ſie reden hoͤret mag wohl ſagen, daß
„ſie nicht wiſſen, wie es in der Welt zugehe, noch was die Welt ſeye. Sie
„pflegen keinen Fuß fortzuſetzen, noch die Naſe zu ſchneutzen ohne Bedacht.
„Sollen ſie etwas der Zeit und Gelegenheit nach verrichten, ſo werden ſie bey-
„des mit ihren langen Rathſchlaͤgen verſaͤumen. Sie prætendiren lauter
„Weisheit zu lehren; und ihr gantzes Leben iſt doch anders nichts als eitel Un-
„ordnung. Faͤllet etwa des Rangs und der Ober-Stelle wegen ein Streit
„vor, ſo wiſſen ſie denſelben ohne allem Aufſchub zu ſchlichten, indem ſie ſich
„ſelber uͤber jederman ſetzen und erheben, aus einem gantz naͤrriſchen Ehr-
„Geitz. Sie halten es vor eine groſſe Schmach, und es verdreuſt ſie ſehr,
„wann man ſie anſpricht, und nicht zuvor einen Eingang oder Vorrede machet
„von ihrer groſſen Gelehrſamkeit, ihrem herrlichen Anſehen und weit-beruͤhm-
„ten Namen, der ihrer Meynung nach aller Welt bekannt ſeyn muß.


So haben ſich viel gelehrte Narren und gelehrte Stock-Fiſche, in der Welt
aufgefuͤhret, und dadurch anlaß gegeben, daß die Leute ſich faſt uͤber das geſamte
lehrte Weſen en general moquiret, ja bey nahe einen jeden Gelehrten vor einen
Narren und Fantaſten gehalten und angeſehen. Man ſolte meynen es muͤſte
doch endlich die Klugheit und Weißheit einmal anfangen bey denen Gelehrten
uͤber die Narrheit zu triumphiren; allein es kommen leider immerfort wie-
derum neue gelehrte Monſtra und Mißgeburten zum Vorſchein. Die Con-
duite
und Auffuͤhrung vieler jetzt-lebenden abgeſchmackten Gelehrten, die doch
rechte Lumina Mundi zu ſeyn prætendiren, lieſet und erſiehet man, von einer
Zeit zur andern, in denen gelehrten Zeitungen, und andern Nachrichten von
gelehrten Sachen. Regieret gleich ſonſt der Friede in der gantzen Welt, ſo
iſt
[37] iſt er doch aus der Region derer Gelehrten gaͤntzlich verbannet, indem unter ih-
nen ſich immerfort Leute befinden, die mit einander in der groͤſten Feindſchafft
leben und unaufhoͤrlich zancken. Eines von denen allerfriſcheſten Exempel des
laͤcherlichen Krieges derer Gelehrten iſt derjenige Streit, den ein gewiſſer be-
ruͤhmter Hollaͤndiſcher Schulmann, mit andern vornehmen Europæiſchen Ge-
lehrten, in Franckreich und Engelland des Quintiliani wegen hat. Ihre des-
falls gewechſelten Schrifften ſind mit ſehr vielen unhoͤflichen und ſtachlichten
Worten angefuͤllet. Ja man kan ſagen, daß ſie einander ſo unhoͤflich begeg-
nen, als es von groben Bauren kaum aͤrger zu vermuthen, und ich zweiffele
nicht, daß, Falls dieſe Zaͤncker in Perſon einander rencontriren ſolten, ſie es
eben ſo machen wuͤrden, wie es die ungehobelten und ungeſchlachten Bauer-
Luͤmmel in denen Schencken, wann ſie zu viel gezechet nicht ſelten zu machen
pflegen, da ſie nemlich einander bey denen Haaren erwiſchen, und ſich ſchlagen,
daß die Hunde das Blut lecken moͤchten. Abſonderlich hat ſich der Hollaͤnder
recht exceſſiv grob wider ſeine Gegner aufgefuͤhret, und Quintilianus, daferne
er ſolches wiſſen und erfahren ſolte, wuͤrde ſich ſonder allen Zweiffel nicht we-
nig uͤber ihn aͤrgern.


Dieſer nemlich M. Fabius Quintilianus, war ein vortrefflicher Redner,
welcher zu Neronis und Domitiani Zeiten in Rom lebete. Von Geburt aber
iſt er ein Spanier, und, wie einige Vorgeben, von Calahorra gebuͤrtig gewe-
ſen. Galba brachte ihn nach Rom, allwo er mit groſſen Ruhm, als Profeſſor
Eloquentiæ,
oder der Rede-Kunſt, gantzer zwantzig Jahre gelebet. Man
ſagt, daß er der erſte geweſen ſeye, welcher vor ſeine Lehren eine oͤffentliche
Beſoldung bekommen habe. Der Kayſer Domitianus hielte ihn ſehr werth,
und ließ ſeines Bruders Kinder von ihm unterrichten. Man hat von ihm ſei-
ne Inſtitutiones Oratorias, welche in Zwoͤlff Buͤchern beſtehen, und von dem be-
ruͤhmten Poggio zu unglaublicher Freude derer Gelehrten, zu erſt ſeynd heraus
gegeben worden; desgleichen Dialogum de oratoribus ſ. de caufis corruptæ
eloquentiæ.
Die hundert und fuͤnff und viertzig Declamationes aber, welche
noch biß dato verhanden ſind, und zu erſt von Uguleto Petro Aerodio in den
Druck gekommen, werden nicht ohne Wahrſcheinlichkeit des Quintiliani Groß-
Vater beygeleget. Die XIX Declamatienes longiores aber werden dem erſten
Quintiliano faͤlſchlich zugeſchrieben, und wollen einige ſie dem Marco Floro,
und Poſthumio Juniori, einem von denen dreyßig Tyrannen zueignen. Die
geſamten Schrifften ſind zu Leyden, Anno 1665. in zwey 8tav Baͤnden, durch
Petrum Galandium, mit des Turnebi, Camerarii, Paræi, Gronovii, und Va-
Erio-
[38]riorum, Pithœi, Aerodii, Schelii und Schultingii Anmerckungen heraus ge-
geben worden. Nach dieſem hat Ulricus Obrechtus Anno 1698. davon eine
gar accurate Edition an das Licht geſtellet. Gleichwohl ſolle dieſes alles jetzo
nichts heiſſen, nichts bedeuten, nichts gelten, ſondern man zancket ſich aufs
neue uͤber den wahren Verſtand, uͤber den Sinn, uͤber die Meynung, und uͤber
die Gedancken des Quintiliani, und zwar mit ſolcher Hefftigkeit, als wann
das Heyl von gantz Europa darauf beruhete. Auf dieſe hochgelahrten Herren
nun ſchicket ſich nicht unrecht eine Paſſage aus Trajani Bocalini Relation ex
Parnaſſo cap.
21. welche alſo lautet:


Geſtern um zwey Uhr iſt allhier, in dererGrammatiſten Quartier, un-
verſehens
Allarmgeſchlagen worden. Als die Gelehrten meiſtentheils zu-
gelauffen, fanden ſie, daß die Schulmeiſter, Epiſtel- und Comment-
ſchreiber dermaſſen hart an einander gewachſen waren, daß ſie ſchwehr-
lich aus einander zu ſetzen geweſen. Der Streit hat ſich allein daher er-
hoben, weil ſie ſich nicht vergleichen koͤnnen, ob das Woͤrtlein
Conſumptum
mit oder ohnep.zu ſchreiben? Uber dieſe Unruhe ward Ihro Majeſtaͤt,
der
Apollo,ſehr zornig, nicht allein, da die Urſache dieſes Schul-Krieges
gar geringe, ſondern auch weil
Paulus Manutius,welcher dieſer Unruhe
Urheber geweſen ſeyn ſolle,
Dion. Lambinum,der ihm zum Wiederpart ge-
ſtanden, mit einem Stein von Rom, darinnen beſagtes Wort mit
dem
p.geſchrieben geſtanden, ſehr beſchaͤdiget, und die Naſe gantz zer-
knirſchet hatte. Weil nun
Apollodieſem Geſindel, wegen ſeiner Grob-
heit und Ungeſchicklichkeit, ohne diß nicht wohl geneigt, befahlen Ih-
ro Majeſtaͤt dem Stadt-Voigt ſie allerdings aus denen Herrſchafften
des
Parnaſſizu verweiſen. Nachdem aberCicero, Quintilianus,und an-
dere vornehme Gelehrte, vor ſie auf das unterthaͤnigſte
intercediret,
und anbey vorgeſtellet, es ſeye dieſes heylloſe Geſindel nicht faͤhig hoͤ-
here Sachen zu begreiffen, und muͤſten ſich alſo bißweilen um derglei-
chen
Bagatellezancken, ſeynd ſie endlich erbeten, und in ihrem Stande
gelaſſen worden; jedoch mit der
expreſſen Bedingung, daß ſie nicht
kluge, ſondern naͤrriſche Gelehrte fuͤhrohin heiſſen ſolten.


Gantz entſetzlich iſt dieſes, daß dergleichen Staͤncker, Zaͤncker und ge-
lehrte Narren gemeiniglich prætendiren groſſe Philoſophi zu ſeyn. Was koͤn-
te aber einem wohl laͤcherlicher in die Augen fallen als ein Philoſophus, der die
gantze Zeit von der Kunſt, die Affecten zu bemeiſtern, zu zaͤumen und zu zwin-
gen, Lehren und Regeln giebet, und gleichwohl ſich ſelber, durch den gering-
ſten
[39] ſten Affect, der ſich nur in ihm reget, uͤber den Toͤlpel werffen laͤſſet, mithin zei-
get, daß er ein viel aͤrgerer Sclave derer Affecten als andere Menſchen, die
nicht einmal wiſſen was die Philoſophie iſt und bedeutet? Eben darum iſt ge-
ſchehen, daß ſich nicht nur Comœdien Dichter uͤber den Platonem, den Ari-
ſtorelem,
und andere groſſe Philoſophos moquiret, ſondern es iſt von meh-
rern, gantz andern Leuten als Comœdien-Dichtern, ebenfalls geſchehen. Quin-
tilianus
redet von denen Philoſophis alſo:


Sie haben ihnen ſelber, vermeſſener und hoffaͤrtiger Weiſe, den Na-
men der Weisheit-Kuͤndiger, und Lehrer der Weisheit zugeleget,
deſſen ſich weder Vornehme in wichtigen Rathſchlaͤgen, in Regie-
rungs-Sachen uͤber Lande und Leute, ſtattlich geuͤbte Maͤnner, ja
die hoͤchſten Kaͤyſerlichen Perſonen ſelber nicht unterſtanden; allermaſ-
ſen dieſe lieber groſſe und weiſe Sachen verrichten, als mit dem Titel
der Weisheit prangen wollen. Zwar die alten
Philoſophihaben viele
gute Lehren gegeben, und auch denſelben gemaͤß, ihr eigen Leben an-
geſtellet. Aber zu unſern Zeiten muß ihnen der herrliche Name nur
zum Schand-Deckel dienen. Denn ſie begehren nicht, durch Tugend
oder Geſchicklichkeit, von denen andern ſich zu unterſcheiden, ſondern
machen ihren argen Sitten nur einen Schein, mit ihrer angenomme-
nen
melancholiſchen Weiſe, verſtelleten Geſichte und abſonderlicher
Tracht. Auch dasjenige, was ſie ſich gantz eigenthuͤmlich zuſchreiben,
und einig und allein darinnen zu brechen haben wollen, wird ſonſt
ebenfalls von jederman, ja allenthalben gehandelt und
tractiret. Denn
wer redet nicht von Recht und Gerechtigkeit, von Billigkeit, von gu-
ten Sitten, von Daͤmpffung derer Begierden ꝛc. wo es anders nicht
gar ein ruchloſer Menſch iſt? Welcher Mahler, Baumeiſter und
Schreiner weiß nicht mit dem Circkel,
Quadranten und Winckel Maaß
umzugehen? Iſt auch je einer unter denen Bauern, der nicht denen
natuͤrlichen Urſachen nachgruͤnde, und von der Veraͤnderung des Ge-
witters zu ſagen wiſſe. Denn was die Gedancken, das Nachſinnen, und
die Rede betrifft, ſo ſind dieſe Sachen allen Menſchen gemein, die der
geſunden Vernunfft nicht beraubet oder ſtumm ſind.


Ulrich von Hutten beſchreibet einen zur Pedanterey inclinirenden Philoſo-
phum
auf dieſe Weiſe:


Alle diejenigen, welche hinter dem Ofenphiloſophiren, und ſich
der-
[40]dermaleins auf weltliche Sachen begeben, wiſſen nicht, was ſie wollen
oder ſollen. Denn gleichwie bey gutem Wetter ein Schiff leicht zu re-
gieren iſt; alſo koͤnnen die Muͤßiggaͤnger ein Ding mit Worten tapffer
herraus ſtreichen und loben, auch verachten, bald aber zugleich loben
und verachten. Sie haben gewaltige Anſchlaͤge im Kopffe ſtecken, und
koͤnnen ſehr
ſubtilauch von denen ſchwehreſten Regiments-Haͤndelndi-
ſputi
ren, weil ſie einen groſſen Vorrath von Worten haben und beſi-
tzen. Aber im Wercke taugen ſie gantz und gar nichts, und ſeynd unge-
ſchickt zu allen Sachen, wo ſie nicht zuvor wohl darinnen unterrich-
tet, geuͤbet und angefuͤhret werden. Was hilfft es indeſſen einem,
daß er ſich lange auf dem Kopff kratzet, und ſeine Naͤgel zerbeiſſet, her-
nach aber, wann er zur Verwaltung einigen Welt-Handels ſolle gezo-
gen werden, dabey mit lauter Unverſtand
agiret, und ungereimte An-
ſchlaͤge, die gar nicht zur Sache dienen, angiebet? Moͤgen die Leute als-
dann nicht billig von einem ſolchem
Philoſophoſagen: O ihr Buͤrger,
was ſollen wir mit dieſem Ochſen anfangen? Dieſes begegnet ge-
meiniglich denenjenigen, die da aus denen Buͤchern haben zancken und
kriegen gelernet, als welches gemeiniglich naͤrriſche Zaͤncker und un-
gluͤckſelige Kriegs Leute giebt. Alſo iſt es ein groſſer Unterſchied et-
was mit Verſtande verrichten, und wohl
diſcuriren koͤnnen. Was iſt
das aber vor ein Leben, wann man die Naſe allezeit in denen Buͤchern,
und den Kopff voller verwirrter Gedancken ſtecken hat? oder ſonſt viel
ſchreibet, waͤſchet und plaudert? wann man ſonſt weiter nichts nuͤtzli-
ches thut oder vornimmet? Mir meines Orts duͤncket, es ſey dieſes Le-
ben keinem wahren Leben aͤhnlich.


Hierzu kommt, daß diejenigen, welche ſich lange bey und in dem
Studieren auf halten, nicht allein unterdeſſen die
Experientz und Er-
fahrung an ihnen ſelbſt verſaͤumen, ſondern auch insgemein zu allen Ver-
richtungen ungeſchickt und unartig werden. Dannenhero geſchiehet es
auch daß ſie ſich ſonderlich durch ihre Sitten und Geberden vor an-
dern Leuten
characteriſiren, und ſich aller menſchlichen Gemeinſchafft
entſchlagen. Gerathen ſie aber ungefaͤhr einmal in Geſellſchafft da ſie-
het man erſt recht, was vor unluſtige, unfreundliche und eigenſinnige
ja recht wilde Leute es ſeynd, die doch gleichwohl einem jedweden ſei-
nen Fehler aufmutzen, ja auch Fuͤrſten und Herren antaſten duͤrffen, die
ſie gegen ihren vermeynten Stand hoher Welt-Weiſen vor nichts hal-

ten,
[41]ten; wie wir dann wiſſen, daß ein gewiſſerPhiloſophusſich oͤffentlich ver-
lauten laſſen, er wolle keine Koͤnigliche Crone aufheben, und
wann er ſie auch mitten im Wege finden ſollte. Viele zwar ha-
ben dieſe Worte dem, der ſie geſprochen, vor eine hohe Tugend und
Weisheit zugerechnet; ich aber ſpreche, daß ſie von einem puren
pedan-
ti
ſchen Eigenſinn, Stoltz und Hochmuth, hergekommen.


Den Krieg unter allen Voͤlckern in der Welt verwerffen und miß-
billigen die naͤrriſchen
Philoſophiuͤberhaupt und ſeynd doch ſelbſt die aͤrg-
ſten Zaͤncker und Feder-Krieger. De Haus-Sorge verdammen ſie als
ein unnoͤthig Dieng und der Kummer naget und frißet ſie gleichwohl
ſelber Tag und Nacht, dergeſtalt, daß ſie immerfort ſchreyen; Woher
nehmen wir Brod? Nach ihrer Lehre ſolle man die Schaͤtze und Reich-
thuͤmer verlachen; und iſt doch gleichwohl niemand begieriger dar-
nach, als viele von ihnen es ſind. Die aber, welche ſie wircklich verach-
ten, thun es aus einem
philoſophiſchen Hochmuth und Eigenſinn, wo-
bey ſie auch alle Freude und Luſt, alle Ergoͤtzlichkeiten alle weltliche Ge-
ſetze und Gerichte, ja den gemeinen Nutzen uͤberhaupt verwerffen. Wann
es bey ihnen ſtuͤnde, doͤrffte man vor denenſelben nirgends ſchiffen, fah-
ren oder reiten, ja wie ich glaube auch nicht einmal kacken, oder auf das
geheime Caͤmmergen gehen. Das aͤrgſte iſt, das viele von ihnen ſo
gar den Eheſtand vermaledeyen, und die Fortpflantzung des menſch-
lichen Geſchlechts mißbilligen, folglich gerne die Welt wuͤſte und
oͤde machten, muͤſten ſie auch gleich ſelber daruͤber zu Grunde ge-
hen. Was anders aber als dieſes wollen und ſagen ſie dadurch, es ſeye
das Beſte niemals geboren werden, oder das hoͤchſte Gluͤcke nach
der Geburt bald wieder ſterben und mit der Welt gar keinen Um-
gang haben. O Grillen! o abgeſchmackte Fantaſey!


Der geneigte Leſer beliebe ſich zu erinnern, welchergeſtalt er eben jetzo gelo-
ſen, daß ſich diejenigen, welche ſich lange bey dem Studieren aufhalten, ge-
meiniglich Schaden thun, weil ſie die Zeit daruͤber verſaͤumen, binnen welcher
ſie ſelber zu einer ſchoͤnen Experientz gelangen koͤnten. Das aber, was allhier
geſchrieben ſtehet, ſehen wir an nicht wenig Leuten welche taͤglich vor unſern
Augen herum gehen, daß ſie nemlich lange Jahre auf Schulen und Univer-
ſite
ten gelebet, und doch nichts gelernet haben und nichts bedeuten; au contraire
Frecht
[42] recht tumme Eſel und einfaͤltige [Narren] in ihrer Haut ſind. Einige brin-
gen es wohl gar, mit allem ihrem Schul- und Univerſitæten-Leben, nicht ein-
mal dahin, daß ſie die Lateiniſche Sprache gebuͤhrend verſtehen, reden oder
ſchreiben koͤnnen, ſondern elend Latein und ſchlecht Teutſch, wie Maͤuße-Dreck
und ſchwartzen Pfeffer, gantz tumm und ungeſchickt, unter einander mengen.
Nachſtehender Brief, den ein gelehrter Dorff-Schulmeiſter, und reſpective
Kuͤſter welcher funffzehen Jahre auf Schulen, und zehen Jahre auf Univer-
ſitæ
ten geweſen, an einem andern Dorff-Schulmeiſter geſchrieben haben ſolle,
giebet deſſen ein klares Exempel:


Laus DEO perennis Gloria!

Meine willige Officia zuvor, Clariſſime Dn. Frater! Es iſt euer
Dominus Paſtor bey mir geweſen, und hat mich um einen bonum
Conſilium
gefraget, ob ernoſterSchultzensFilia ſolte ſumere oder
non? Ich habe ihm einen bonum Einſchlag gegeben, wie er es ſol-
le facere. Ich habe auch mit dem Domino Paſtore brav diſcuriret,
und er hat gar pulcher geſtudiret, iſt auch ein feiner Græciſmus,
wie ich mercke. Da er ſolus getruncken tres cantores Cereviſia, er-
fuhr ich recht, wie es ihm in neulichſter Spolium ergangen. Ich
habe es nicht wollen Credere, daß dich mein lieber Domine Frater!
das Bellum ſo valde verderbet; aber jetzo habe ich es erſt recht er-
fahren. Wo iſt nun dein Pecuniam? in bellum. Haͤtteſt du deiner
Uxor gefolget, und einen ſchoͤnen Ager davor gekaufft, koͤnteſt du
dein Pecuniam in Marſupio behalten haben. Wo ſind nun deine
andern pulchros res? auch in Bellum. Mit mir iſt es eben alſo.
Meine Res haben einen Namen, und heiſſen Nihil. Ich hin ein
rechter pauper Nebulo, habe nichts mehr, als wie ich co und ſto.
Meine neuen Veſtii, mein Dies Dominicæ Pallium, alle meine Indu-
ſia,
meine neue Calcei, darinnen ich fein nach dem Lignum paſſiren
kunte, mein Pilius mit dem geflochtenen Hut-Inculum, der mich
quindecim groſſos gekoſtet, alle meine Superbia und Schmuck, mei-
ner Frauen ihre Veſtii, meiner Kinder ihre Veſtii ſind alle mit port.
Unſerer Magnus Magd, der Magdalenen, der pauper Maͤhren,
ſind
[43] ſind auch alle ihre Res weg. Die Vacca mit dem Kalbe, der Caper
mit denen kleinen Ziegen, Porcus magnus \& parvus iſt omnes allo.
Es waren auch noch kleine Ruſticis Huͤnerchen, die haben die Bel-
lum ſervi
zu Faſan-Huͤnerchen gemachet. Noch reuet mich nichts
ſo ſehr als mein ruffum Gallum, der allezeit krehete, wann es Hora
ſecunda
war, da ich dann wuſte wann ich zu Morgen ſolte lauten.
Meine Buͤcher kraͤncken mich auch, darinnen alle meine beſten Au-
tor
ſind ausgeleſen, als der Calepinus, der Marcus in Quartum der
Tullius in Octavum, der Cicero in Folium. Alle meine Grammaticæ,
græce \& latinos,
das groſſe Phraſibus Buch, meine ſchoͤne Poſtilla,
darinnen ich vor meine Domine Paſtores ſo manche ſchoͤne Predigt
gethan, der Catechiſmus in allen vier Linguas, das groſſe Vocabu-
lum
oder Nomenclatur Buch, auch die Philoſophans-Buͤcher, die
ich nicht omnes nennen kan, ſind alle via. Ach meine Partes de
trium
reuen mich doch zu ſehr! Denn wie du weiſt koͤnnen dieſelben
longe \& late nicht gefunden werden. Was ſchoͤne Muteten ſtun-
den darinnen, als: Exultate Juſtii (ſſ) Juch Holla (8) Congrega-
ſti: ſt: inimice Eſt:
Laſt uns unſere Tage genieſſen, und derglei-
chen ſchoͤne Muteten ſtunden darinnen. Vox prima haben ſie mit-
genommen, Vox ſecunda haben ſie gelaceraceriret. Vox tertia oder
Baſſus habe ich noch in unſerer Eccleſia. Dieſelbe ſiehet auch male
aus. Die Stuͤhle ſind zerriſſen, \& omnis, alles darinnen zer-
ſchmiſſen. In meiner Schola iſt nichts mehr totus. Die Feneſtras
ſind ex, der Ofen hat wohl ein Schock Oculi. Der Ofen-Forca ha-
ben die Regio Servii ein Cornu abgeriſſen. Die Veſica iſt fort.
Der Studier-Menſa iſt gramboſuit. Die Magna ſchwartze Tabula,
darauf ich meine Adjuvanten das Core informalia aufgeſchrieben,
haben, ſie becaculare, und Federn darein geſtecket, ſiehet aus als der
lebendige Diabolus. Mein Atramentum Dolium, alle meine Penna
mit dem Pennal, und anderthalb Bogen Papier, haben ſie mir ge-
furraverunt. Es muß certiſſime ein Gelehrter darunter geweſen
ſeyn. Mein Cupite iſt auch dehoneſtiret. Ein Corporal hat zur
F 2Dies
[44]Dies Mercurius Nox des langen Maͤrtens Filia ſechsmal darinnen
getummelt. Hoc dicit noſter Schultze, der hat ſolches gevidit,
und muͤſſen leiden. Mein pecuniam numeratam iſt auch allo. Ach
es war ſolch ſchoͤn Geld. Es waren lauter Bohemios groſſos, die
hatte ich in meinem Vecca Stabulum, unter dem groſſen Lapis ver-
ſtecket. Dennoch habens die Bello Servi gefunden. Mea perſo-
na
anbelangende, ſo gieng es mir auch wunderlich. Denn als un-
ſer Pagus all voll Equus und Mußquetierer war, erwartete ich
kein Spolium, ſondern gieng ſtatim davon. Da kriegte mich einer
und dicit: Du Bauer, wo ſind Pferde? Ich wieſe ihn nach noſter
Schultzens Domus, und ich lieff in unſer Domus kroch unter Sca-
mnum,
in dem finſtern Angulus, vermeynte der Diabolus ſolte mich
nicht finden. Aber tria Silopotarius fanden mich, kriegten mich
bey dem rechten Pes, zogen mich herfuͤr wie eine Sus, und ſchrien Geld
Geld her! Da war ich erſt in groſſer Neceſſitas. Ich hieſſe ſie Ihr
her! Herren Monſieurs, und warens doch nicht dignus. Sie frag-
ten wer ich waͤre, und ich ſagte ein Ruſticus. Da wolten ſie von
mir haben Caro, Farcimen, Schincken, unum Schock Oves, viel Buty-
rum
und Caſeus genug. Ich ſuchte und langte herfuͤr was in
meam poteſtatem war. Doch waren ſie damit nicht contentus,
ſondern begehrten Decem cantoros Cereviſiæ, und Rheiniſchen
Vinum Ich ſagte, das wir in unſerm Papus ſolchen Salus nicht
haͤtten. Da ſchlug der eine Nebulo mir den lincken Brachium
in Duo,
daß ich halb mortuus zur erden fiele, blieb auch ſo lange ja-
cere,
biß ich ipſis wieder zu mir kam. Unſerm Dominus Paſtor
iſt es auch nicht viel melius ergangen. Denn alle ſeine Res ſeynd
port. Sie haben ihm ſeinen ſchoͤnen longam barbam ausgeraufft,
und ſeine formoſa ſpons, des Schultzens Filia ſehr turbiret. Es
iſt non alles zu deſcribendi, wie ſie mit uns Domus gehalten haben,
welches ich dem Dominus Frater zu aviſiren nicht vorbey gekunt, und
befehle ihn hiernechſt goͤttlicher Protection, verbleibe auch,


Sein lieber treuer Frater in æternum \&c.


Nun
[45]

Nun weiß ich gantz gewiß, daß viele dieſen Brief vor eine thoͤrichte Luͤgen
und erdichtete Sache halten werden. Ich will mich auch nicht unterſtehen, je-
manden zuzumuthen, daß er ihn vor eine Wahrheit annehmen ſolle. Indeſ-
ſen kan ich doch verſichern, wie ich vor ungefaͤhr vier Jahren ein Leichen-Car-
men
geleſen, das ein, etliche Meilen von einer beruͤhmten Stadt noch jetzo le-
bender, Dorff-Prieſter auf den Todt ſeiner gnaͤdigen Edel-Frau gemachet,
und welches bey nahe eben ſo laͤcherlich wo nicht gar toller klinget als dieſer
Brief. Wie dann inſonderheit die ungereimte Redens-Art: Du groſſerPan
eheu!
O Pan du groſſer GOtt! vielfaͤltig darinnen anzutreffen.


Von einem, ebenfalls noch jetzo lebenden, Doctore und Profeſſore, mag
ich nicht weniger die Verſicherung geben, daß er faſt nichts ſchreibet oder re-
det, in Teutſcher Sprache, das er nicht mit eben ſo viel Lateiniſchen und Fran-
tzoͤſiſchen Worten, nach Proportion der Schrifft, ſpicken und auszieren ſolle,
wie der angefuͤhrte gelehrte Dorff-Schulmeiſter und Kuͤſter ſeinen Brief. Der
Unterſcheid beſtehet nur darinnen, daß der Herr Doctor und Profeſſor zierlich
Latein redet und ſchreibet, und kein ſo entſetzliches Barbariſches, wie der
Schulmeiſter, dem man dieſen Brief zu eignet. Aber man hoͤre dieſen
Herrn Doctorem und Profeſſorem Frantzoͤſiſch reden, oder erwege ſein Fran-
tzoͤſiſch, das er mit in ſeine Schrifften einflieſſen laͤſſet, ſo wird man ſich des
Lachens nicht enthalten koͤnnen. Vielleicht dencket jetzo, bey dieſer meiner Er-
zehlung, mancher bey ſich ſelber: Wer fordert dann von einemProfeſſore
auf teutſchenUniverſitæten daß er eben die Frantzoͤſiſche Sprache ver-
ſtehe,
und ich meines Orts ſage gleichergeſtalt, daß dieſes keine abſolute
Nothwendigkeit ſeye. Allein ſo muß auch keiner, ſchon bey hohen Jahren ſeyen-
der, Doctor und Profeſſor, welcher der Frantzoͤſiſchen Sprache nicht maͤchtig
iſt, immerfort halb Teutſch und halb Frantzoͤſiſch reden und ſchreiben. Ich
zweiffele auch, das es ſich ſchicket, wann einer, wie dieſer thut, auf ſolche
Weiſe betet und ſinget. Zum wenigſten bin ich meines Orts incapable der-
gleichen Poſſen ohne Lachen anzuhoͤren.


Jedoch was ſagt der geneigte Leſer darzu? Es hat ein gewiſſer Hochgelehr-
ter, der ſich vor einiger Zeit hier, wo dieſer Tractat an das Licht kommen, etliche
Monathe aufgehalten, ein Avertiſſement drucken laſſen, das warhafftig noch
weit laͤcherlicher iſt, als der angezogene Brief des Dorff-Schulmeiſters. Die-
ſes Avertiſſement lautet alſo:


F 3Cu-
[46]
Curieuſer Leſer!

Weil Unterſchriebener entſchloſſen ſeine, zu der Welt Dienſten
genugſam ſuffiſante, und à l’epreuve de tous les envieux, ohne die
ſogenannte Paſſauiſche Kunſt, von einer aͤcht-veſten Trempe be-
findliche Talenta, allen Staaten der Welt, denen darinnen begrif-
fenen dreyen Staͤnden, denen Lehr-Wehr- und Nehr Profeſſionen
zugleich alſo auch ihren Regenten und Haͤuptern, Lebenslang zu
widmen, und mit Rath und That, nach denen bereits geſchehe-
nen Notificationen, auf gar neue und verſchiedene Arten an die
Hand zu gehen, hat er noͤthig erachtet, die Lobwuͤrdige Intention
mit ihren faiſablen Modis, durch gegenwaͤrtiges Manifeſt, die pun-
ctatim
zu eroͤffnen, ſich auf galante Art uͤber alle thoͤrichte Raiſon-
neurs
und Capita mania ſola philavtia ſuper aures ipſorum leporinas-
aſininas gravida \& fructifera
jederzeit moquirend. Wer alſo, oder
welche, von der ſtudierenden, und nach der wahren Ehre trach-
tenden Jugend die Inclination heget bey ihm


  • 1) Collegia explicatoria, examinatoria \& diſputatoria, in Jure und
    darzu gehoͤrigen Præliminar-Scientien zu hoͤren, auch entweder ei-
    gene oder von ihm elaborirte Diſputationes ex Cathedra zu halten;
    wer oder welche
  • 2) Von Fuͤrſtlichen, Adelichen Buͤrger- oder Bauer-Stande
    beliebig, ihre Printzen und Soͤhne privatiſſime von ihm, in gleich
    erwehnten Wiſſenſchafften, nachſeiner dreyfachen Methode infor-
    mi
    ren zu laſſen;
  • 3) Conſilia und Bedencken, in Staats-als andern Civil-
    item in Finantzen-Policey-Cammer-Commercien-Manufacturen-
    Steuer- und Militair Sachen zu erfordern.
  • 4) Einen redlichen Tutorem, Curatorem, Oeconomum, \&
    Ad-
    [47]Adminiſtratorem Bonorum, Conſulenten vor Wittwen und Way-
    ſen, Staͤdte, Lande und andere Geſchaͤffte, auch Commiſſionen zu
    Friedens- und Kriegs-Affaires;
  • 5) Einen Geſandten auf Reichs und Creyß-Taͤgen Reſiden-
    ten, Carreſpondenten, Bibliothecarium, Archivarium, Directorem
    ritterlicher Academien, Staats-Criticum und ſo weiter verlangen,
    zu derer Vocation und Capitulation offeriret ſich Unterſchriebener.
    Solten ferner,
  • 6) Paſſagiers, Kauffleute, Kuͤnſtler und Handwercker, item
    die Land-Leute, zu ihren Privat- als Zunfft- und Gewercks-An-
    gelegenheiten, und Beobachtung ihrer Intereſſen, einen disintereſ-
    ſir
    ten Patronen, Rathgeber und Vorſprach vonnoͤthen haben,
    koͤnnen ſie ſich an ihn addreſſiren. Der Juden-Genoſſenſchafft
    offeriret er gleichfalls ſeine aufrichtige Patronance und Beyſtand
    in vorkommenden mercantiliſchen Streitigkeiten und ſo weiter.
  • 7) Curieuſe Gelehrte, auch Buchhaͤndler, welche entwe-
    der ſeine Selbſt-Arbeiten in Verlag zu nehmen, oder von ihm
    aus der Lateiniſchen, Hollaͤndiſchen, Frantzoͤſiſchen, Italiaͤni-
    ſchen, Engliſchen auch Spaniſchen Sprache, gebundene oder un-
    gebundene Translationes, ſie moͤgen noch ſo ſchwehr ſeyn als ſie wol-
    len, das genereuſe und gutwillige Verlangen haben, werden ih-
    re Satisfaction bey ihm zu finden.
  • 8) Hof-Commœdianten und Theatraliſten, Medaillenrs, Mah-
    ler, Kupfferſtecher, Architecteurs, auch galant gelehrte Stayren
    beliebende Virtuoſi koͤnnen ſich frey bey ihm angeben, wo ſie nach
    ihren Deſſeins, auf Luſtige- und Trauer-Faͤlle, und ſo weiter, In-
    venſiones,
    Erfindungen und Auszierungen de bon guſto, in ge-
    bundenen und ungebundenen Verſen Stylo Lapidari, oder Inſcri-
    ptionen, Symbolis, Emblematibus
    u. ſ. w. zu haben begierig.

Die
[48]

Die Conditiones und Bedingungen ſeynd: a) Ihre Propoſitio-
nes, Species Facti, Deſideria,
Abſichten und Vorhaben ihm
muͤndlich oder ſchrifftlich, nach allen, auch denen gerinſten Um-
ſtaͤnden zu communiciren, oder zu uͤberſchicken; b) nach Propor-
tion
und Wichtigkeit der Arbeit und der Impetrantz, Rang und
Stand, ihn mit guͤldenen und ſilbernen Species, lautè, liberaliter,
nobiliter, magnificè,
das iſt, wohl und gebuͤhrend, zu ihrem ei-
genen Vergnuͤgen und Glorie zu regaliren. Er verſichert alle auf
ſeine Honneur und thaͤtiges Licht, auch liebes Chriſtenthum, es
werde niemanden gereuen, ihn in oben rubricirten Thematibus con-
ſuli
ret und ſich ſeiner Connoiſſance bedient zu haben. Die Tha-
ten werden die Zuſagen redlich verificiren, und ſeinen oͤffentlichen
und heimlichen Verfolgern meritirte Dementien austheilen.



N. J. U. D.
Hochfuͤrſtl. C---Staats-
Rath und Cabinets-
Director,


Vielleicht, geneigter Leſer! ſpricht ſchon wiederum jemand entweder bey
ihm ſelber, oder auch wohl zu andern Abermal eine Luͤgen. Ich hingegen bit-
te, daß niemand dencke als ob dieſes Avertiſſements (oder Manifeſt, wie es
der Autor nennet) erdichtet und erlogen ſeye. Ich kan auf mein Gewiſſen ver-
ſichern, daß der gelehrte Mann das Avertiſſement, mit ſeiner Eigenen Hand,
und in Perſon ſehr vielen communiciret. Er fuͤhret wie die Unterſchrifft zeiget,
groſſe Titul, und nennet ſich einen Juris Utriusque Doctorem, ſolle auch zu
Erfurth wircklich promoviret haben. Iſt aber eine ſo hoch-betittelte, und gra-
duir
te Perſon capable, eine dergleichen Schrifft oͤffentlich bekannt zu machen,
was Wunder, wann ſich ein auf Univerſitæten geweſener elender Dorff-
Schulmeiſter gefunden, der einen ſo naͤrriſchen und laͤppiſchen Brief geſchrie-
ben? Er kan ja leichtlich weder Gaben noch Luſt zu denen Studiis gehaht ha-
ben,
[49] ben, gleichwohl aber mit Gewalt und bey denen Haaren darzu gezogen wor-
den ſeyn. Hernach, als derſelbe den elenden Schulmeiſter-Dienſt bekommen,
haben ihn etwa die Sorgen der Nahrung geplaget, und er hat ſich ſonder
zweiffel gezwungen geſehen, den groͤſten Theil ſeiner Gedancken auf den Acker-
und Feld-Bau, auf die Vieh-Huͤner und Tauben-Zucht zu wenden, welche
Dinge, wann ſie ſo fein zuſammen kommen, warlich! capable ſind, einen ver-
wirrten und einfaͤltigen Narren aus einem Schulmeiſter zu machen.


Aber à propòs! Was haͤlt dann der geneigte Leſer von dem, was jetz[e]
folget:


EXTRACT
Einiger Paſſagen eines beruͤhmten Scribenten
unſerer Zeit.


ES iſt ja wohl an dem, daß ich laͤngſt meine Feder haͤtte ruhen laſ-
ſen, wo nicht eine Menge dererjenigen! die da die Wahrheit lie-
ben, und nach derſelben Lehren, von allen Seiten auf mich loßge-
ſtuͤrmet, und von mir, daß ich mit gleichem Eyffer, wie bis daher
noch fernere Weisheits-Stroͤhme durch meine Schrifften ausflieſ-
ſen laſſen ſollte, erfordert haͤtten.


Item. So iſt auch hier durchaus meine Schreib-Art ſo be-
ſchaffen, daß ich mir wohl flattiren darff, daß, ſo lange das Evan-
geliſche Zion ſtehet, noch keine Schrifft jemahls ans Tages Licht ge-
kommen, da mit mehrerer Beſcheidenheit die Warheits-Gruͤn-
de waͤren vertheioiget worden, ja daß gar wenig Streit-Schriff-
ten ſind, welche dieſer hierrinnen (doch es ſey ferne, daß ich
mich ſelbſt ruͤhme; Ich will es dem Urtheil des Leſers uͤberlaſſen)
gleich kommen. Denn ob ich gleich die Wahrheit derb und tro-
cken ohne Wort-Blum, mit welcher ich ſonſt meine Schrifften zu
ſchmuͤcken pflege, vortrage \&c. \&c.


GDoch
[50]

Noch ſchreibet eben dieſer Autor anderswo.


Si qua eſt virtus, quam arrogare tantis per mihi audeo, ſi qua eſt
laus, qua me haud indignum eſſe forſan non absque ratione exiſtima-
verim, eſt ſane modeſtia, qua me vel mea adeo aliis præponere ve-
reor, ut potius nauſeem.


Item. Es iſt meinem Geiſte ein ſolcher Adel eingepraͤget,
daß ich mein Gemuͤth bis dahero vom Eheſtande abgezogen, und
in die hoͤhere Schrancken der Verleugnung und Heiligung (ich
rede dieſes nur in Abſicht auf mich) eingetreten bin. Es waͤhre-
te aber kaum 2 Jahre, ſo hatte der gute Mann ein Weib.


Als eben Demſelben von einem Studioſo eine Materie gegeben
wurde, uͤber welche dieſer gerne eine Diſputation wolte machen laſ-
ſen: ſo ward hernach als die Diſputation gedrucket wurde, ein
Brieff an denſelben Studioſum mit angedrucket, der ſich ohngefehr
alſo anhebet:


Kaum ſind 2 Stunden verfloſſen, nachdem du mir das Thema
gebracht haſt, da ſchon die Diſputation fertig iſt. Denn, was iſt
es noͤthig, daß man ſich mit Aufſchlagung vieler Buͤcher aufhaͤlt,
wenn man im Stande iſt, aus dem Schatz ſeines Hertzens ſelbſt
etwas gelehrtes, gruͤndliches und verwunderungs-wuͤrdiges
herfuͤrzubringen.


Eben dieſer, als er ein neues Ehren-Amt uͤberkam, ſetzte ſich
mit einem andern, der von vielen Jahren dieſes Amt bekleidet hat-
te, in Vergleichung; und da hieß es:


N.iſt ſchon in ſeinen juͤngern Jahren ſehr beruͤhmt worden;
von mir weiß auch alle Welt zu reden. Er iſt ſehr jung
Doctorwor-
den; ich auch. Er hat viele Buͤcher geſchrieben; ich habe deren
noch mehr verfertiget. Er iſt nicht
N.worden! das bin ich\&c.


Die
[51]

Die mich gehoͤret haben, wiſſen, daß ich dieſe Rede ohne alle
Hitze als welche mein edeles Gemuͤth nicht beweget, mit fertigen
Lippen und freudigem Munde vorgebracht habe
\&c.


Item. Die Sorgfalt des groſſen GOttes fuͤr unſere Schule
iſt ungemein; ungemein iſt auch die Wachſamkeit unſerer
Patronen
fuͤr derſelben Wohlfarth. Kaum hat derjenige, ſo bisher das
Amt eines Rectoris verwaltet, dieſes zeitliche geſegnet, als die-
ſe verledigte Stelle mir wieder iſt aufgetragen worden.


Meine Zunge und Feder iſt muthig, daß aus denſelben ein
groſſer Strohm der Weisheit herfuͤrquillet, der die Gemuͤther der
Menſchen befeuchtet.


Weil ich nunmehro en bon train bin, und den, in einem Gaͤnſſe-Fluͤgel ge-
wachſenen, Degen gegen alle gelehrte Narren en general, ſie moͤgen nun entwe-
der, an ſtatt, daß ſie auf Univerſitæten haͤtten klug werden ſollen, vor Hoch-
muth und Stoltz, od er aus Einfalt naͤrriſch ſeyn, gezogen habe, kan ich
mich nicht entbrechen, annoch verſchiedene Hiſtoͤrchen, die ich ſowohl von ſtol-
tzen Gelehrten, als einfaͤltigen gelehrten Matzen und Lappen, theils da und dor-
ten aufgezeichnet gefunden, theils erzehlen hoͤren, theils aber mit Augen geſe-
hen, allhier mit einzuruͤcken, in der Hoffnung, daß ſie den geneigten und un-
paſſionirten Leſer contentiren werden.


Einſtmals kam ein gelehrter Vagant zu einem gelehrten Dorff-Schulmei-
ſter, und begehrte vermittelſt einer langen Lateiniſchen Oration, von ihm ein
Viaticum oder Zehr-Pfennig. Nachdem er etwas bekommen, und wider hin-
weg gegangen war, ſprach des Schulmeiſters Frau zu ihrem Mann: Dieſer
Toͤlpel hat euch ſo lange mit ſeinem Latein aufgehalten, daß das Eſſen
unterdeſſen gantz kalt geworden. Da antwortete der Schulmeiſter:
Warlich Frau! ihr habt unrecht gethan, daß ihr mir nicht eher geſa-
get, daß der Kerl Latein geredet. Ich wolte wacker mit ihme
diſpu-
ti
ret haben.


Magiſter N. Pfarrer in dem Staͤdtlein N. als ihm geſaget ward, Pro-
G 2feſſor
[52]feſſor N. zu N. ſeye geſtorben, ſagte, er glaube es nicht. Denn, fuͤgte er gantz
verwirrter Weiſe hinzu, wann dem alſo waͤre, haͤrte er mir es ohne
zweiffel geſchrieben, indem er mir von allem Nachricht zu geben
pfleget
.


Ein Doctor Medicinæ wolte Handſchuh kauffen. Als er dieſelben anver-
ſuchte, hieß er ihm einen Spiegel bringen, damit er ſich deſto beſſer beſehen koͤn-
te, ob ſie ihm wohl paſſeten.


Ein anderer Medicus, als ihn die Floͤhe ſo ſehr in ſeinem Bette biſſen, loͤ-
ſchete das Licht aus, vermeynende die Floͤhe wuͤrden ihn hernach nicht mehr ſehen
koͤnnen.


Ein Studioſus Juris zog nach Straßburg auf der daſigen Univerſitæt Do-
ctor
zu werden. Als er uͤber die Bruͤcke paſſirte, kam der Wind, und warff
ihm ſeinen Hut in den Rhein, weswegen er gantz entruͤſtet ſprach: Die Straß-
burger muͤſſen grobe Beſtien ſeyn, weil ſie nicht ſo viel Verſtand haben,
feine Glaß-Fenſter auf beyden Seiten zu machen, damit man ſicher vor
dem Winde ſey
.


Ein anderer Doctorandus, als er nach Gießen auf die Univerſitæt kam,
und das ſchoͤne neu-gebauete Collegium ſahe, ſprach er zu ſeinem Gefehrten, es
waͤre ein ſchoͤnes Gehaͤuß
. Der antwortete ihm, es ſeye auf Italiaͤni-
ſche
Maniergebauet. Da fragte ihn der gute Laͤmpel: Iſt es dann nicht
in dieſer Stadt gemachet worden? Nein
ſagte der andere, welcher des
tummen Teuffels ſpottete, es haben es ihrer Zwey auf Reiffen, von Flo-
rentz gebracht
. Da wendete ſich der Alberne zu dem Klugen herum und
ſprach: Hab ich es nicht gedacht? Wie iſt es doch ſo ein ſtattlich Ding:
wann einer viele Laͤnder geſehen hat
.


Einer, welcher Magiſter werden wolte, kunte die Nacht, ſo vor dieſem ſei-
nem Ehren-Tag her gieng, nicht ſchlaffen, und verlangte immer nach dem
Tag, bat auch ſeinen Stuben-Geſellen, der naͤher bey dem Fenſten in einem
andern Bette lag, er ſollte zuſehen, ob es nicht bald helle wuͤrde? Als die-
ſer antwortete, es ſeye noch kein Anzeichen darzu verhanden, hieß ihn
der andere ein Licht ſchlagen ſagende, er ſolte es vor das Fenſter halten, ſo
wuͤrde er den Anbruch des Tages deſto beſſer ſehen koͤnnen
.


Einer
[53]

Einer fande einen Mathematicum, nach dem Mittags-Eſſen, in einem
Seſſel ſchlaffende, weckte ſolchen auf und ſprach zu ihm, es waͤre der Ge-
ſundheit nichts ſchaͤdlicher
, allegirte auch den halben Vers der Scholæ Sa-
lernitanæ: Somnum fuge meridianum.
Darauf antwortete der Mathemati-
cus:
Ich habe nur geſchlaffen den Muͤßiggang zu vertreiben. Denn
ich muß allezeit was zu thun haben
.


Einem krancken Aſtronomo wolte der Medicus Gerſten-Waſſer zu trincken
verordnen, da dann der Patient ſprach, es gelte ihm gleich, er moͤchte ihm
verordnen was er wolle, wann es nur nach Wein ſchmecke
.


Ein alter vor ſich lebender Pedant wolte ein Hauß bauen, und ließ ein
Viſier von Holtz machen. Als es ihm nun der Baumeiſter nach einander er-
klaͤrete, und ſagte: Sehet hier den Eingang, den Saal, die Kammern, die
Stube die Kuͤche, das Schreib-Stůblein ꝛc.
repetirte der tumme Teuffel alle
Worte! Sehet hier den Eingang, den Saal, die Cammern, ꝛc. Letzlich,
als er ein kleines ſchwartzes Loch ſahe, in einer Ecke des Viſiers, fragte er! Was
iſt daß
? Der Baumeiſter antwortete, es waͤre das heimliche Gemach.
Da fuhr der Pedant heraus und ſprach: Das habe ich wohl gedacht.
Denn es iſt ſchon laͤnger als eine viertel Stunde, daß ich es gerochen
habe
.


Ein Studioſus Juris, der nicht viel gelernet, am allerwenigſten aber die
Naſe in die Bibel geſtecket hatte, ſahe Moyſen mit einem langen grauen Bart
abgemahlet, in ſeiner Hand die Tafeln derer Zehen Gebote haltend, mit der
Uberſchrifft Exod. XX. da meynete der Bachant, Exodus waͤre der Name und die
XX. ſeye die Zahl ſeiner Jahre, weswegen er ſich wunderte und ſprach, er haͤt-
te nie einen Juͤngling von zwantzig Jahren geſehen, der einen ſo groſ-
ſen Bart gehabt. wie dieſer
Exodus.


Ein, von der Univerſitæt gekommener Student gab ſeinem Vater, wel-
chem die Maul-Wuͤrffe eine ſchoͤne Wieſe gar ſehr verderbeten, den Rath, er
ſolte ſie, zu Verhuͤtung eines weit groͤſſern Schadens, pflaſtern laſſen.


Ein anderer junger Student klagte, er haͤtte die Nacht nicht ſchlaffen
koͤnnen ſondern weil er keinen Umhang um das Bette habe, den Tag
die gantze Nacht geſehen.


G 3Einem
[54]

Einem Philoſopho erzehlete einer etwas von einem ſchoͤnen Luſt-Garten,
wie es nemlich ein groſſer weiter Ort, und eine groſſe Menge Baͤume darinnen
zu finden waͤren. Auf daß der, welcher die Erzehlung that, dem Philoſo-
pho
ſolches deſto beſſer zeigen und demonſtriren koͤnte, ſtreckete er ſeine Hand
weit aus, und wieſe damit rings herum. Da ſtunde der Philoſophus auf
ſahe ihm ſtarr auf die Hand, und ſagte endlich: Herr! Thut eure Hand hin-
weg. Denn ſie verhindert mich, das ich davor die Baͤume nicht ſe-
hen kan
.


Ein Studioſus, als er gefraget ward, was er in der Kirche gethan
haͤtte
? antwortete; Ich habe das Teutſche Kyrieleiſon helffen ſingen.


Ein anderer Studioſus lag bey einer Hure, und ſchaͤtzte ſich gar gluͤcklich
deswegen, da ſie accurat mit denen Frantzoſen behafftet geweſen. Bey dem
Abſchied ſprach die Hure zu ihm: Nun mein Herr! Wann ihr daheime
ſeyd, werdet ihr meiner auch gedencken, Ja
, ſagte er, das will ich
thun
. Nach fuͤnff oder ſechs Wochen, als er zwo boͤſe Blattern bekam, die
er von der Hure gefangen, erinnerte er ſich ihrer, und ſagte: Das iſt der
Sůnden Schuld. Ich glaube es muß eine ſonderliche Straffe GOttes
ſeyn, weil ich nicht mehr an ſie gedacht habe, wie ich ihr verheiſſen
.


Ein gelehrter Raths-Herr diſputirte, wie weit es von Speyer biß nach
Heydelberg waͤre? als einer behauptete, daß nicht mehr dann dritthalb
Meil-Wegs dahin ſeye
, antwortete er und ſagte: Ich wolte funfftzig
Thaler wetten, daß ſchon von zehen Jahren her drey volle Meilen biß
dahin geweſen
.


Ein Bachant, als er des Nachts, ſeiner Nothdurfft halber aufſtunde, aber
den heimlichen Ort im Hauſe, in welchem er noch fremde geweſen, nicht zu
finden wuſte, erreichte ſeines Reiſe-Geſelle Stieffeln, hoffierte ihn voll, und
gab des Morgens vor, die Maͤuſſe muͤſten es gethan haben.


Einer hatte den Hals gebrochen. Da man ihn aufhub, ſahe man, daß
er ein Meſſer in der Hand gehabt. Da ſagte ein Geiſtlicher, der dabey ſtun-
de, es waͤre noch ein groſſes Gluͤcke, daß der gute Geſelle nicht in das
Meſſer gefallen ſeye
.


Ein Schulmeiſter in einem Flecken war zu einer Mittags-Mahlzeit einge-
la-
[55] laden. Als es Zehen ſchlug, ſagte er zu ſeinem Sohn: Es iſt Zeit, daß ich
hingehe zum Mittags-Eſſen
. Der Sohn widerrieth es ihm, und ſagte,
er ſolte ſeineReputationzu erhalten, warten, biß man ihn noch ein-
mal ruffe
. Der Schulmeiſter aber, nachdem er noch eine Weile gewartet
hatte, wurde uͤber den langen Verzug ungeduldig, ruffte ſeinen Jungen wie-
der und ſprach, er ſolte hingehen und ſagen, daß man ihn noch einmahl
bitten moͤchte, weil es bey nahe eilff Uhr wåre
.


Ein Doctor Medicinæ ward zu einem krancken Edelmann geruffen, und
dieſer ſchickte jenem, zu dem Ende ſeine Kutſche. Unter Weges giengen denen
Pferden die Eiſen ab, und der Kutſcher hielte vor einer Schmiede ſtille, ſolche
wieder feſte machen zu laſſen. Als aber dem Doctor die Zeit zu lange fiel, ruffete er
dem Kutſcher zu: Auf! auf! Laſſet uns eilen. Der Kutſcher ſprach: Herr!
Ihr muͤſſet verziehen biß die Pferde beſchlagen ſeynd
. Hierauf platzete der
Doctor mit dieſen laͤcherlichen Worten heraus: Nichts! nichts. Fahret
ihr nur fort mit der Kutſche, die Pferde werden ſchon nachkommen
.


Ein Doctor derer Rechten reiſete nach Franckfurth am Mayn, und es
zerbrach ihm auf dem Wege ſeine Kutſche. Derohalben ſchriebe er an ſeinen
Vetter, der ein Fuͤrſtlicher Bedienter geweſen, und etwa eine Meile davon
wohnete, ihn Freundlich bittende, er moͤchte demſelben doch auf etliche Tage
ſeine Kutſche leyhen. Nachdem der Brief fertig, wolte er ihn alsbald uͤber-
ſchicken. Unterdeſſen aber koͤmmt der Kutſcher, und ſagt, die Kutſche waͤre
wieder zu rechte gebracht folglich nunmehro nicht von Noͤthen, eine
andere zu lehnen
. Da zerriſſe der Herr Doctor ſeinen Brief, ließ Feder und
Dinte holen, ſchrieb ſeinem Vetter einen andern, bedanckte ſich darinnen
freundlich vor die Freundſchafft, welche er ihm mit Lehnung ſeiner Kutſche ha-
be erzeigen wollen, und daß er derſelben nunmehro nicht beduͤrffte, weil ſeine
eigene ſchon wieder gemachet waͤre, Mit dieſem Schreiben hat er einen ab-
gefertiget, der es ſeinem Vetter uͤberbringen muͤſſen.


Ein Studioſus, als er nach Amſterdam kam, und die groſſen Schiffe
auf der See daher gehen ſahe, fragte, ob ſie Fůſſe håtten. Als er auch die
kleinen Boote und Chaloupen ſahe, fragte derſelbe, ob das derer groſſen ih-
re Kinder waͤren
.


Ein anderer, als er vor dem Rectore verklaget ward, und hoͤrete, daß
ſeines Wiederſachers Advocat den Bartholum und Baldum anzog fiel er dieſem
in
[56] in die Rede und ſprach: BartholusundBaldusſeynd falſche Zeugen, koͤnnen
auch nicht ſagen daß ſie bey unſerm Zanck gegenwaͤrtig geweſen
.


Ein Student zu Wittenberg gab ſeinen Landsleuten einen Schmauß.
Als ſie nun fein luſtig und froͤlich waren mit einer Muſic von Lauten, Geigen
und andern Inſtrumenten bringet einer unter ihnen eine Jungfer, bey der er
Freyerey angegeben, auf die Stube. Nachdem er etliche Reyhen mit derſelben
herum geſprungen, und erſt recht anfangen wolte zu loͤffeln, mercken es die
uͤbrigen, und einer ſpricht nach dem andern dieſe Loͤffel-Schweſter um ein
ehrliches Taͤntzlein an, worinnen ihr Galan auch mit Freuden gewilliget;
jedoch mit dem Beding, ſagte er daß ihr Herren mir die Jungfrau Ja
auch wiederbringet
. Nach gehaltenem Tantz bringen ſie die Jungfrau,
durch vieles Bitten, hinter den Tiſch treiben auch mancherley Geſpraͤche und
Kurtzweil mit ihr. Das kunte der junge Dominus nicht laͤnger anſehen, ſondern
trat vor den Tiſch und ſprach: Ey ihr Herren. Laſſet doch Jungfer Rebe-
cken wieder herfuͤr, ſie moͤchte etwa auf den Hof gehen und piſſen wollen
.


Ein gelehrter Dorff-Schulmeiſter, als man es ihm verwieſe das die Uhr
nicht recht gieng, uͤber die er doch die Aufſicht hatte ſagte: Die Uhr gehet
recht; aber die Sonne gebet nicht recht
.


Als ehemahls ein gewiſſer Magiſter, in einer der Unterſuchung der Gelehr-
ten auf der hohen Schule fuͤrgelegten Schrifft, ſo zu denen Kirchen Geſchichten
gehorte, verſchiedene Stellen aus Platone und andern anfuͤhrete, wolte bewei-
ſen, daß es Tag werde wenn die Sonne aufgehet.


Ein Philoſophus, als er ſahe eine Poſt voruͤber reiten, und daß des Po-
ſtillions
Pferd ſehr mit Packen beſchweret war, ſagte zu einem Nebenſtehenden:
Dieſer Geſelle hat kein Mittleiden mit ſeinem armen Pferd. Er koͤnte
wohl etwas von der Ladung auf ſeine eigene Schultern nehmen damit
das arme Thier nicht ſo ſehr beſchwehret wuͤrde
.


Ein reiſender Studioſus, als er ſahe daß man in Italien Eiß unter den
Wein that, ſteckte er ein Stuͤck in den Schubſack, nachdem er es fein ſauber
in ſein Schnupfftuch gewickelt hatte, und machte ſich die Rechnung, er wolte
bey der Abend-Mahlzeit ſeinen Truncks kuͤhl damit machen. Allein er fande es
endlich wie leicht zu erachten, gantz zerſchmoltzen, und das Schnupfftuch war,
als ob er es in das Waſſer getunck et haͤtte. Da druckete er es mit ſeiner Hand
aus,
[57] aus, tropffete das Waſſer in ſein Glaß, und meynete, das zerſchmoltzene Eiß
haͤtte eben ſolche Krafft wie die gantzen Stuͤcke.


Ein Superintendent fragte einen Studioſum Theologiæ,ob er, oder
ſein erſtgebohrner Bruder der aͤlteſte Sohn ſeines Vaters ſeye
.


Als ein gelehrter Burgermeiſter, aus einem kleinen Staͤdtgen ein gemahl-
tes Licht ſahe, deſſen Flamme oben ſchoͤn lebhafft gemachet war, fragte er, ob
es des Nachts auch ſo leuchtete wie beym Tag
.


Ein geheimer Rath an einem vornehmen Hofe, als er die Belagerung der
Stadt Oſtende abgemahlet ſahe, und auf der Land-Seite, ſowohl in dem La-
ger, als auf denen Waͤllen der Stadt, viel Volck erblickete, auf der See-Sei-
te hingegen nichts, ſagte er: Was haben doch die Spanier gedacht, daß
ſie nicht auf dieſer Seite wo die Waͤlle gantz bloß ſind, die Stadt an-
gegriffen haben? Sie haͤtten ſie warlich gleich Anfangs erobert
.


Ein Juriſt kam in eine Stadt, durch welche ein Fluß gieng. Als er nun
den andern Tag ausgehen wolte, ſagte man ihm, das Waſſer im Fluß waͤ-
re ſehr angelauffen
. Da rieff er, man ſolte ihm den Mantel bringen,
damit er nicht naß wuͤrde
.


Ein junger Doctor Juris waͤrmete ſich vor dem Camin, neben einer Jung-
frau, die gerne ſchwatzete, woruͤber ſie ſich dergeſtalt vergaß, daß der Saum,
oder unterſte Reiff, ihres Rockes anfieng Feuer zu fangen, und zu glimmen.
Der junge Herr Doctor ſahe es wohl, ſagte aber nichts, biß es endlich die
Jungfrau ſelber merckte, dem Feuer wiche, und den glimmenden Rock aus-
loͤſchete. Da ſprach der Doctor: Ich habe es ſchon vor einer halben
viertel Stunde geſehen; aber darum nichts ſagen wollen, weil ich G.
L. ſo viel auf
Univerſitæten gelernet, daß man einem andern nicht in die
Rede fallen muͤſſe
.


Einem Stadt-Commiſſario ward geſagt, es wuͤrde regnen, weil der
Hahn auf einer gewiſſen Capelle ſich gegen den boͤſen Wind kehrte
.
Der Secretarius fragte, was es dann vor Wetter waͤre wann der Hahn
auf die andere Seite ſtuͤnde
? und man antwortete ihm, es bedeute gut
Wetter
. Nach zweyen Tagen, als er ſich deſſen erinnerte, ſtieg er hinauf
auf die Capelle, und wandte den Hahn gegen die Seite, von der man ſchoͤnes
HWet-
[58] Wetter vermuthete. Als man ihn fragte warum er ſolches thaͤte? ant-
wortete derſelbe, er můſte fuͤnff oder ſechs Tage zu einer bevorſtehenden
Keiſe gut Wetter haben
.


Ein gelehrter Edelmann, als er geleſen, daß es gar keine Woͤlffe in En-
geland gaͤbe, ſagte: Warlich! daran iſt viel Geld zu verdienen. Ich will
ein Dutzent hinein fuͤhren, damit der Faſel auch in das Land komme
.
Als ihm aber einer anzeigte, wie es ein ſo groſſer Weg, und daß er uͤber das
Meer muͤſte, auf dem er noch niemals gefahren, ließ er ihm eine Frantzoͤſiſche
Land-Karte weiſen. Nachdem er dieſelbe gantz ſcharff uͤberſehen, ſagte er:
Was ſchwaͤtzet ihr mir von einem Meer? Ich ſehe nichts allhier als ein
kleines Wåſſerlein, kaum, ſo groß als der Rhein. Ich wundere mich,
daß der Koͤnig von Engeland nicht eine ſchoͤnen Bruͤcke daruͤber machen
låſſet, damit man alſo von einem Land zum andern mit ſolchen Thieren
wandeln koͤnne
.


Als ein Dorff-Prieſter hoͤrete, daß ſein Edelmann erzehlete, wie ſein Pferd
im poſtiren ein Bein zerbrochen, alſo daß er es auch haͤtte muͤſſen dahinten laſſen,
ſagte er: Warum haben Ew. Gnaden dem Pferd nicht ein hoͤltzernes
Bein machen laſſen. Ich habe einen
Capitaingekannt, der auch ein hoͤl-
tzernes Bein gehabt, nachdem er das rechte durch einen Stůck-Schuß
verlohren. Dem ungeachtet kunte er die Poſt ſo wohl reiten, als ir-
gend einer in dieſem gantzen Lande
.


Ein Student von Braunſchweig wolte zu Fuß auf die Univerſitæt Ro-
ſtock ziehen. Als er nun zwey Tage gereiſet, und auf der Luͤneburger Heyde
ſich verirret, den Weg aber nicht finden kunte, gieng er wieder Heim und
ſprach: Ich bin bald einen gantzen Tag auf der Heyde herum gegan-
gen, und kan die Stadt Roſtock doch nicht finden
.


Ein Pedant, welcher ihm viel einbildete, ward vor das Concilium Aca-
demicum
gefodert. Als er zur Thuͤre hinein gieng, ſtunde eben der Rector Ma-
gnificus
und die Profeſſores auf, nach Hauſe zu gehen, weil es ſchon ſehr ſpaͤte
war. Da rieff der ſtoltze Pedant ihnen zu und ſprach: Die Herren bleiben
nur ſitzen, und machen mit mir nicht ſo viel
Façon.


Ein anderer Pedant als ihn einer die Stiegen hinunter warff, ſagte: Es
iſt mir eben eins, ich habe doch ohne diß herab gehen wollen
.


Ein
[59]

Ein junger Magiſter beſuchte ſeinen Vetter, gruͤſſete aber keinen Men-
ſchen, als er in das Gemach trat. Indeſſen lieff des Vetters Hund zu ihm,
und wedelte den ungehobelten Geſellen mit dem Schwantze an. Daher nahm
der Vetter Anlaß ihm eine Reprimende zu geben, und ſprach: er ſolte ſich ſchaͤ-
men, daß der Hund beſſer gezogen ſeye als er. Denn der Hund gruͤſſe-
te ihn mit ſeinem Schwantz, er hingegen traͤte herein, wie ein anderer
Bauer, ohne jemanden zu gruͤſſen
. Da antwortete der junge Magiſter gantz
beſchaͤmt: Ich habe ja aber auch keinen Schwantz wie der Hund.


Ein Profeſſor Medicinæ unterrichtete einen Studenten, der ſich dieſem Stu-
dio
ebenfalls widmete. Unter andern ſagte dieſem der Profeſſor, wann er zu
einem Krancken kaͤme, muͤſſe er ſich allezeit umſehen, ob er etwas erblicke in dem
Gemach, darauf er fuſſen und ſtehen koͤnte. Als zum Exempel wann er et-
wa Birn- oder Apffel-Schaͤler, Pflaumen-Kern und dergleichen zu Geſichte be-
kaͤme. Hanns-Latz behielte es wohl, und wolte es ihm hernach, da er anfieng
ſeine Kunſt zu practiciren, zu Nutzen machen. Als er nun einſtmals einen
Krancken beſuchte, ſahe er nichts in der Cammer als einen Eſels-Sattel un-
ter dem Bette, vermeynte er haͤtte es wohl getroffen, und ſagte zu dem Kran-
cken, es naͤhme ihn nicht Wunder, daß er ſich ſo uͤbel befaͤnde, angeſehen
des groſſen
Exceſſes,den er begangen, indem er einen Eſel gegeſſen
haͤtte
.


Zu Leipzig auf der Univerſitæt erlangte einer eine extraordinaire Ver-
goͤnſtigung Publicè zu leſen, und ſchlug deswegen ein ſolch naͤrriſch Programma
an, daß Doct. Joachimus Camerarius, als er es laſe, ſagte: Ich verſtehe
nicht was er will
. Als ſolches dem Naſen weiſen Herrn geſaget wurde, freue-
te er ſich daruͤber und ſprach: Da muͤſſet ihr ja ſehen, daß ich ein gelehr-
ter Mann bin, weil auch dieſer hochgelehrte
Doctormeinen hohenSty-
lum nicht begreiffen kan.


Ein alter Pedant, der viele Buͤcher geſchrieben hatte, kam in das Hollaͤn-
diſche Lager, und ſahe, bey der Artillerie, die groſſen Stuͤcke, gantze und hal-
be Carthaunen, wie auch die darzugehoͤrigen Kugeln, weshalb er ſprach: Dar-
zu gehoͤret gewiß recht groß Pulver
.


Zwey Pfaͤltziſche Studenten giengen, zu Heydelberg, um die Herbſt-Zeit,
mit einander in einen Wein-Garten. Als nun der eine einen gantzen Trau-
H 2ben
[60] ben abriſſe, ſchalte ihn der andere und ſagte, er ſolte nur die Beere abeſſen,
und den Kamm oder Rappen am Stocke ſtehen laſſen, damit ſie uͤber ein
Jahr wieder andere Beere tragen koͤnten
.


Etliche Studenten hatten einen Profeſſorem die Treppe oder Stiegen
hinunter geworffen. Als ihn nun einer fragte, und ſagte; Ihr můſſet guten
Genuß von dieſen jungen Kerls haben, daß ihr dieſes alſo von ihnen
vertragen koͤnnet
. Antwortete er: Ich habe nichts von ihnen als die
bloße Ehre
.


Ein Bierlaͤndiſcher Pedant kam an den Rheinſtrom. Als man nun dem-
ſelben zweyerley Wein vortruge und ihn der Wirth fragte, wie ſie ihm
ſchmeckten
? antwortete er: Dieſer iſt beſſer am Hopffen; der andere am
Maltz
.


Ein anderer Pedant ſchriebe Briefe, und ſetzte kein Datum oder Tag dar-
ein. Als er gefraget ward warum? antwortet er; der Tag ſtehet ja im
Calender
.


Ein Philoſophus war bey dem Jano Duſa zu Gaſte, nebſt einem Edelmann:
Als nun der Philoſophus den Duſam fragte, wer dieſer (nemlich der Edel-
mann) der gegen ihn uͤber ſaß, waͤre? und zugleich mit einem Finger auf ihn
zeigete, wolte Duſa dieſe Verungluͤmpffung, welche der Edelmann geſehen und
gehoͤret hatte, wieder gut machen, und ſtellete ſich, als ob er verſtanden haͤtte,
der Philoſophus habe die Paſtete gemeynet, die auf dem Tiſche ſtunde. Duſa
deutete derohalben wiederum mit ſeinem Finger auf die Paſtete, und ſprach:
Eſt Artocreas,es iſt eine Paſtete, meynende, er wolte dem Narren das
Maul damit ſtopffen, daß er nicht ſo unverſchaͤmt fragen ſolte. Aber was ge-
ſchahe? Das Wort war kaum geſaget, ſiehe! da iſt mein guter Laͤmpel ge-
ſchwinde her, nimmt einen Becher, und bringet dem Edelmann eines mit dieſen
Worten: Domine Artocreas propino veſtræ Dominationi unum, d. i. Herr
Paſtete! Ich bringe eure Herrlichkeiten eines zu
.


Ein Schul-Fuchs wolte die Lateiniſche Bibel nicht leſen. Als er gefraget
ward warum? antwortete er: Darum, weil keineCiceronianiſchenPhraſes
darinnen ſtehen.


Ei-
[61]

Einer fragte einen jungen Pennal,wo er wolle hingehen? der antworte-
te: Ich will zum Spaß, und vorlanger Weile in die Kirche gehen.


Als Anno 1680. der groſſe Comet erſchiene, wolte ihn ein Studioſus auch
beſehen, bekam aber den Rauch aus einem Schorſtein in das Geſichte, ruffte
geſchwinde ſeinen Stuben-Geſellen und geſagt: Stehe auf und komme herfuͤr,
ich ſehe den Schwantz ſchon davon
.


Ein Dorff-Prieſter hat die erſten Tage, als dieſer Comet-Stern erſchie-
nen, den Monden durch ein Wappen-Glaß ſcheinen ſehen, und geſagt: Sehet
doch den erſchrecklichtn Comet-Stern an
.


Als auch ein Studioſus zu Straßburg von der Groͤſſe des Cometen diſcuri-
ren hoͤrte, ſagte er: Man koͤnne ſeine Groͤſſe zu Straßburg nicht recht ſe-
hen, ſondern man muͤſſe naͤher dabey ſeyn
.


Ein anderer, als er von der Stelle des Cometen aſtronomicè reden hoͤrte,
ſagte, er ſitze zu Heidelberg auf dem Schloße.


Einer der erſt neulich war Magiſter worden, und nach Hauſe reiſete, ſeinen
Vater zu beſuchen, ſchlieff den andern Tag biß um zwoͤlff Uhr des Mittags.
Als der Vater ihn aufweckte, auch denſelben einen Verweiß gab, warum er ſo
lange ſchlieffe, ſprach der Magiſter:Botz tauſend! Ich haͤtte es ſchier ver-
geſſen, daß ich aufſtehen ſolte
.


Ein Pfarrer unweit Dreßden wolte es auf eine praͤchtige Art erzehlen wie
ſtattlich der Churfuͤrſt zu Sachſen den Kayſer Matthiam empfangen und bewir-
thet hatte. Dannenhero ſagte er, es ſeye der Kayſer recht Hochfůrſtlich
tractiret worden.


Als auf einer Univerſitæt, in einem Monat, zwey Promotiones Docto-
rum
gehalten wurden, fragte ein Pennal,ob man dann diejenigenDoctores,
die man neulich erſt gemachet, ſchon verbraucht haͤtte, daß man jetzo an-
dere mache
.


Ein Schiffmann fuͤhrete, zu Baſel, einen aufgeblaſenen Studenten in ei-
nem Nachen uͤber den Rhein. Als ſie nun groſſe Gefahr auf dem Waſſer ausge-
ſtanden, aber doch endlich gluͤcklich auf der andern Seite angelanget, ſagte der
H 3Stu-
[62] Student gantz zornig zu dem Schiffmann: Warlich! ich wolte dich erſto-
chen haben, daferne du mich erſaͤuffet haͤtteſt
.


Ein Schul-Regent hatte ein kranckes Toͤchterlein, ſo erſt zwoͤlff Tage alt
war. Als nun eben ſelbige Woche das Evangelium einfiel von des Schul-
Oberſten zwoͤlff-jaͤhrigen Toͤchterlein; ließ dieſer ſeine Buben in denen Preci-
bus,
vor ſein Toͤchterlein, ad imitationem alſo beten: Wolleſt dich auch lieber
HErr! erbarmen uͤber unſers Schul-Oberſten kranckes zwoͤlff-jaͤhriges
Toͤchterlein; einen Tag vor ein Jahr gerechnet
.


Ein anderer Schul-Regent war auf einer Rolle uͤber Feld gefahren. Da
man nun das Fuhrlohn foderte, und es dem Herrn zu viel dauchte, ſagte, er zu
dem Roller, Er ſolte ihn nicht ſo hart halten, er waͤre der und der, wel-
cher ſo viel Bůcher geſchrieben, ob er ihn nicht kenne
? Aber der Roller ant-
wortet ihm: Ihr moͤgt ſeyn wer ihr wollet, ich kan niemand vergebens
fůhren
.


In einem Collegio war ein Pennal, der wolte auch gerne geſehen ſeyn,
daß er gute Verſe machen koͤnte. Derohalben ſtellete er ſeiner Mit-Schuͤler
einen, der einen ziemlichen Poëten abgab an, daß er ihm ſolte, die Oration, ſo
ihnen aufgegeben ward, gantz carminice machen worgegen er ihm ſeinen
Becher Wein uͤber Tiſchelaſſen wolte. Dieſer machte es ihm, und ſchriebe es
ab. Unten aber hienge er die Worte an: Pro hoc mihi debetur cyathus,hier-
vor gebůhret mir ein Becher Wein
. Jener gute Schlucker hatte dieſes
nicht wahrgenommen, mochte es auch nicht wieder abſchreiben, fondern uͤber-
gab das Carmen, und ward deshalb, als der Poſſen dadurch an den Tag kam,
weidlich ausgelachet.


Einem alten Pedanten gefiel das Ciceronianiſche Latein ſo wohl, daß er
ſagte: Wie, daß mich doch GOtt in dem groben Teutſchland, und nicht
unter denen Lateinern hat laſſen geboren werden? damit ich die Ehre
haͤtte, daß dieſe ſchoͤne Sprache auch meine Mutter-Sprache waͤre
.


Ein anderer ſagte, die gantzeDivinitasſteckte in demPlauto, und wol-
te die Ubiquitæt daraus widerlegen. Von dem ſagte ein gelehrter Mann, es
nehme ihn Wunder, daß der Kerl nicht auch eine
plautiniſche Poſtill uͤber
alle Sonntags
Evangeliaſchriebe.


Wie-
[63]

Wieder ein anderer Pedant wolte ſeinen Teutſchen Namen (wie ſie ge-
meiniglich zu thun pflegen) auch Lateiniſch machen, und nennet ſich, an ſtatt
Schuſter, Sutorius. Als er gefraget ward, warum er ſeinen Namen ver-
aͤndere
? ſagte er, das WoͤrtleinSutoriuswåre viel anſehnlicher, ſignifi-
cantius
undmagis em phaticum,als der Teutſche Schuſter.


Ein Profeſſor bekam einen jungen Pennal zum Famulo. Dieſem gab er ei-
nen Waxſtock in Verwahrung, mit dem Befehl, ihn wohl aufzuheben, und
nicht eher zu gebrauchen, als wann er es ſelber verlangen wuͤrde. Der albere
Fabian hatte allerley Hausrath, als Papier, Federn, Beutel, Schreibe-Zeug,
Brod, Kaͤß und andere Dinge in ſeinem Schubſack. Den Waxſtock ſteckte
er auch hinein, und ſetzte ſich alſo hinter den warmen Offen, allwo er entſchlieff
und der Waxſtock fieng an weich zu werden, dergeſtalt, daß alles zuſammen
klebete. Als nun der Profeſſor des Abends wolte zu Bette gehen, rieff er: Pe-
ter! Wo haſt du das Wax-Licht: zůnde es an
. Peter ſprach: HerrPro-
feſſor
hier habe ich es in der Ficken. Der Profeſſor ſprach: Warum in
der Ficken
. Peter antwortete: Die Katzen und Maͤuße haben mir mit
dem Licht-Freſſen, zu Hauſe und auf Schulen, viel Schlåge gemachet.
Darum ſteckte ich es nun in die Ficken, daß mir es die Katzen und Maͤuße
nicht mehr freſſen ſollen
; und damit zog er den geſchmoltzenen Waxſtock
heraus. Hieruͤber ward der Profeſſor zornig; ſein Pennal aber ſprach ferner:
Es muß wahr ſeyn wie man ſagt: Art laͤſſet nicht von Art. Ich habe le-
derne Ficken. Mich deucht es werden Katzen-Haͤute ſeyn, daß ſie mir
ſo am Licht gefreſſen
.


Ein Profeſſor ſupremus Alphabeti ſagte zu ſeinem Weibe: O Weiblein
Wann du wiſſen thaͤteſt, was du vor einen Mann haͤtteſt, du wuͤrdeſt
mir andere Ehre anthun. Ich habe jetzo laſſen ein Buch ausgehen,
das wird waͤhren ſo lange die Welt ſtehet
.


Ein tummer Student gieng vor eines Geigenmachers Hauſe voruͤber und
wurde gewahr, daß er oben aus ſeinem Giebel eine lange Stange mit lauter
Geigen behangen, ausgeſtecket hatte, die etwa in der Sonne trocken werden
ſolten. Derohalben ſprach der tumme Student gar andaͤchtig zu ſeinem Ge-
fehrten: Schaue ůber dich und zeuch den Hut ab. Hier oben wohnet ge-
wiß
St. Petrus,weil der Himmel ſo voller Geigen haͤnget.


Ein
[64]

Ein junger Student fragte einſtens einen Moͤnch in denen Niederlanden,
warum er doch mit ſo unfoͤrmlicher Geſtalt in einer Moͤnchs Kutte herum zoͤ-
ge? dem antwortete der Moͤnch: daß ich meine Eſels-Ohren in etwas ver-
bergen moͤge, die ihr einem jedweden ſo oͤffentlich ſehen laſſet
.


Ein ziemlich betagter Pedant wolte mit einer Jungfrau in Meiſſen galani-
fi
ren. Weil ſie aber keine Neigung zu ihm hatte, ſondern des Narren gerne loß ge-
weſen, fragte ſie ihn verbluͤmter Weiſe, ob er auch wuͤſte welches das groͤſte
und groͤbſte unter allen unvernuͤnfftigen Thieren wåre
? der Pedant ant-
wortete ihr gar bedencklich, der Elephant ſeye ſo groß und ungeheuer,
daß wann die Jungfrau einen ſaͤhe ſie aus Furcht in eine Ohnmacht
ſincken wuͤrde
. O ſagte ſie, mein Herr Elephant! Gehet flugs weg, ich
fůrchte eure Rede moͤchte wahr werden
.


Ein Student von Adel bemuͤhete ſich um die Affection einer Jungfrau;
jedoch nur in der Abſicht, daß er mit ihr Buhlen und Kurtzweile haben moͤch-
te. Zuweilen offerirte er ihr einen koſtbaren Ring zu Bekraͤfftigung ſeiner Lie-
be, den aber die Jungfrau, ohne Wiſſen und Willen ihrer Mutter nicht an-
nehmen, viel weniger ihm ſonſt in etwas zu Willen ſeyn wolte. Endlich frag-
te ſie hieruͤber ihre Mutter, welche ſie wohl unterrichtete, mit was Worten
und Gebaͤren ſie den Ring annehmen ſolte. Als nun der Stutzer wiederkom-
met, und nach vorigen Anbringen ihr abermal den Ring præſentiret, ſie ſich
auch mit beweglichen Worten vernehmen laͤſſet, daß ſie ihn annehmen und
verwahren wolle
, auch darnach, als ein Liebes-Pfand ihrer kuͤnfftigen Hey-
rath greiffet, zeucht der Juncker den Ring zu ruͤcke, und ſpricht: Pfuy Jung-
fer hat euch eure Mutter das Weigern noch nicht gelernet
? Sie wartete
nicht lange, giebt ihm eine gute Maulſchelle und ſaget: Pfuy Juncker! hat
euch euer Vater das Weichen auch noch nicht gelehret
?


Ein alter Pedant verſoffe faſt alles, was er hatte. Und als er kein Geld
mehr wuſte gienge er etliche Tage gar traurig und melancholiſch herum. In-
dem koͤmmet eines, und begehret vor einen Pfennig Peterſilien Kraut aus ſei-
nem Garten. Da ward er luſtig und ſprach: Ich habe es wohl gedacht,
es muͤſte einmal wiederkommen
.


Ein Pedant, der ſich eine ſonderbare Art wie die Narren jetzo pflegen, zu
ſchrei-
[65] ſchreiben angewoͤhnet, nannte unter andern einen dicken aufſteigenden Rauch
Ingens fumorum flumen,einen groſſen Rauch Fluß. Daruͤber hatten etli-
che ihr Geſpoͤtte. Aber einer unter ihnen defendirte den Pedanten, daß er
recht und wohl geredet haͤtte, und ſprach: Quemadmodum flumen deſcendit
absque pedibus, ita fumus adſcendit ſine ſcalis;
Gleichwie ein flieſſendes
Waſſer hinunter in das Meer laͤufft ohne Fuͤſſe; alſo ſteigt auch der
Rauch in die Hoͤhe ohne Leiter
.


Ein junger Student ſetzte ſich in einem Garten auf einen groſſen abge-
hauenen Stumpff eines Baumes mit uͤbergeſchlagenen Beinen, gleich als ob
er ritte. Deſſen lachte eine Jungfrau. Der Student wolte wiſſen, ob ſie
ihn auslache? und fuͤgte hinzu: Mir důncket ich ſitze hier ſocavalieriſch,
wie auf dem ſchoͤnſten Pferde. Nein
ſagte die Jungfer, ich ſpotte eurer gar
nicht, ſondern lache nur, daß ich einen Klotz auf dem andern ſitzen ſehe
.


Ein anderer Student erzehlete im Spatzieren-gehen, bey einem Teiche,
ſeine Thaten einer Jungfrau, und ſagte: Ich wolte einſtmals in dieſem
Teiche Krebſe fangen, und als ich nach einem Krebs in ein Loch griffe,
zog ich eine Menſchen-Hand heraus
. Die Jungfrau ſtellete ſich, als merck-
te ſie die Finte nicht, und ſprach gar furchtſam: Ey! Das muß ein loſer
Schelm geweſen ſeyn, der die Hand in das Loch geſtecket hat
.


Einſtmals wolten etliche Studenten von einer Univerſitæt auf die andere ſich
begeben, wobey ſich auch ein junger Pennal befunde. Sie waren alle zu Pferde und
mit Sporen verſehen, biß auf den Pennal, welcher deren keine hatte. Als ſie nun
auf einer feinen Ebene ritten, ſprachen ſie unter einander: Laſſet uns die Pferde
anſtechen, damit wir deſto eher in das Wirths-Haus kommen
. Auf dieſe
Weiſe ritten ſie wacker fort; der arme Pennal aber bliebe dahinten, wannen-
hero er ſchrie und ſprach: Ihr lieben Herren! Wartet doch, und gebet
meiner Maͤhren auch einen Stich, daß ich kan nachkommen
.


Ein Magiſter und Candidatus des heiligen Miniſterii wolte predigen: Als er
auf die Cantzel kam, den Eingang gemachet, und den Text abgeleſen hatte, ward
ihm etwas anders Noth ꝛc. daß er nicht weiter fortfahren kunte. Gleich in dem
ſchlaͤgt die Uhr. Da fieng er an: Die Zeit iſt nunmehro verfloſſen, und
der Seiger hat geſchlagen. Derowegen will ich eure Liebe nicht laͤnger

Jauf-
[66]aufhalten, ſondern meine Predigt mit dieſem wenigen beſchlieſſen, und
lieff zur Kirchen hinaus.


Ein Pedant ſchrieb einen Brief gen Padua, welcher auf den Wein-
Marckt in die Apothecke zum Monden ſolte geliefert werden. Derohalben
ſtellete er ſeine Uberſchifft alſo; In derAnteroniſchen Stadt, auf denBa-
ohus
-Marckt, in demAromatarioder dreyfoͤrmigen Goͤttin.


Ein anderer Pedant wolte eine Hure ſchelten und ſprach: Dieſe Roͤmiſche
Lupahat allezeit ihreOculosauf dieLoculosgerichtet, und ſiehet man
keine
Courtaiſche Freudigkeit an ihr; es ſeye dann ihre ſchaͤndlicheinglu-
vies
genugſamſatiirt.


Ein andrer wolte ſeinen Wirth auf das hoͤflichſte gruͤßen, und hatte die-
ſen Einfall: Ave Pincerna Delphico, Salve,derer ſtattlichen Zucker-ſuͤſ-
ſen Gerichte ein Meiſter
. Dii te adjuvent,ein heiliger der koͤſtlichen
Speiſe
.


Wieder ein Pedant in einem geiſtlichen Kleide erkundigte ſich bey einem
Bauer um den Weg nach Rom, als er ſich noch einige Meilen davon befande.
Der Bauer moͤchte ſich vielleicht vor gluͤckſelig gehalten haben, daß ein ſolcher
gelehrter Mann aus ſeinem heiligen Munde mit ihm geredet. Allein er ſprach:
Hoͤre Bauer, welches iſt dieGermana vianach desRomuliStadt? und
alſo bleibe er von dem Bauer unberichtet.


Zwey alte Studenten von Ingolſtadt wuſten von vieler Weisheit zu
ſchwatzen. Da ward der eine gefraget, wie hoch es von dem Himmel auf die
Erde ſeye
? und er antwortete, es waͤre eine ſolche Hoͤhe, daß in funffzehen
Jahren ein Můhlſtein kaum herunter fallen moͤchte
. Dieſem wider-
ſprach der andere ſagende, es waͤre nicht wahr. Denn am Tage der Him-
melfarth håtte ja der
Pater Quiringeprediget, daß der HErr Chriſtus
ſeye des Morgens um neun Uhr gen Himmel gefahren und håtte um Ve-
ſper Zeit wollen droben ſeyn
.


Einer, der lange Jahre auf Univerſitæten geweſen, ruͤhmete ſich wegen
ſeines Fechtens und Raufens, wie er dieſen und jenen gehauen, geſtochen, und
alſo gewonnen haͤtte Das hoͤrete ein Pennal und ſprach: Ich habe mich, zu
Tůbingen, auch einmal mit einem Studenten Jungen gebalget, und

ge-
[67]gewonnen, alſo daß ich drey Wunden, und er kaum einen blauen Fleck
bekam
.


Ein Pedant klagte es ſeinem Freunde, wie er unverſehens in die Elbe ge-
fallen und bey nahe erſoffen waͤre
, hinzufuͤgende: O! Wann ich haͤtte
muͤſſen erſauffen, ſo glaube ich nicht, daß ich jemals waͤre wieder froͤ-
lich worden
.


Ein Cloſter-Pennal ſpielte im Sommer mit andern. Als aber die Sonne
ihm ſehr heiß auf die Platte ſtach, ſprach er: O Sonne! daß dich GOtt ſchaͤn-
de. Wie machſt du einem ſo heiß? Behalte mir nur dieſe Waͤrme biß
auf den Winter, wann ich fruͤhe um drey Uhr muß zur Metten lauten
.


Ein grober Bachant unterſtunde ſich einſtens, den Kaͤyſer, im Namen des
Raths in einer gewiſſen Stadt, mit einer Lateiniſchen Oration zu empfangen.
Als er nun vor der Buͤrgerſchafft her zu des Kayſers Kutſche trat, hoffete je-
dermann bey dem Kayſer groſſe Ehre einzulegen. Der Redner aber fieng an:
Bene veneritis Domine Rex. Uber dieſen Gruß lachte der Kayſer, und die
guten Leute meyneten, es waͤre alles recht wohl ausgerichtet.


Ein Student zu Tuͤbingen beflieſſe ſich Verſe zu machen, kunte aber
ſchlecht Latein. Als er nun etliche fertig hatte, laſe er die her und ſprach: Wo-
ferne
Sybilladieſe Verſe nicht verſtehet, ſo glaube ich nicht, daß ein
Menſch ſolche verſtehen und auslegen kan; denn ſie haben viel in ſich
.
Darauf zeiget ihm einer viele grobe Vitia, ſagende: Man muß euch etwas
zu gute halten, ich ſehe gar wohl, ihr fanget an zu
græciſiren. Ja recht
ſagte der
Pfuct,das iſt meine Heymath. Ich bin von Graͤtzing gebuͤrtig.
Darum iſt mir das Latein dergeſtalt zuwider, daß ich nur will
Græcè
ſchreiben.


Ein unverſtaͤndiger Pedant begegnete einem von ſeinen Bekandten, der zu
ihm ſagte, es waͤre ihm im Traum vorgekommen, als ob er mit ihm rede-
te
. Da bat der Pedant um Verzeyhung, daß er nicht gebuͤhrend zugehoͤ-
ret haͤtte
.


Ein anderer Pedant von groſſen Einbildungen beſuchte einen Krancken,
und fragte denſelben, wie es um ihn ſtůnde? Da aber der Patient Schwach-
heit halber nicht antwortete, ward der ſtoltze Limmel zornig und ſagte: Ich
J 2hoffe
[68]hoffe auch einmal kranck zu werden. Alsdann will ich dir ebenfals
nicht antworten, wann du zu mir kommeſt
.


Ein Mathematicus begegnete ſeinem Medico, und bat ihn um Verzei-
hung, daß er ſo lange nicht kranck geweſen waͤre.


Ein Doctor Medicinæ wolte ſeine Pferde verkauffen. Als ihnen nun der
Kaͤuffer das Gebiß beſahe, ſagte der Medicus,was er denen Pferden doch die
Zaͤhne viel begucke, er ſolte lieber davor ſehen wie ſie gehen koͤnten
.


Ein Philoſophus, welcher ſein Hauß verkauffen wolte, trug einen Stein
von deſſelben Gemaͤure mit ſich herum, und zeigte ihn denen Kaͤuffern, vor eine
Probe und ein Muſter.


Ein alter eigenſinniger Pedant wolte ſein Pferd lernen faſten, und gab
ihnen nichts, oder doch ſehr wenig zu eſſen. Als es nun entlich daruͤber ſtarb,
ſagte er, es waͤre Schade, daß das Pferd eben jetzt ſtuͤrbe, da es die
Kunſt ſchier begriffen haͤtte
.


Ein Student wolte ſehen wie ihm der Schlaff anſtuͤnde, und ſahe mit zu-
gethanen Augen in den Spiegel.


Ein Stadt-Secretarius, der ſich viel Geld erworben, kauffte ein Haus,
guckte aus ſolchem heraus, und fragte die Leute, wie ihm das Haus an-
ſtuͤnde
.


Einem einfaͤltigen Magiſter traͤumete, er haͤtte in einen Nagel getreten.
Derohalben gieng er des Morgens und hatte ſeinen Fuß verbunden. Als ein
anderer Magiſter, der ihn beſuchete, dieſes verſtanden, ſagte er zu dem Pa-
tien
ten, warum er dann auch barfuͤßig ſchlaffe?


Ein ſtoltzer Philoſophus hatte ein ihm zugehoͤriges Faß Wein verpit-
ſchieret. Als aber ſein Famulus das Faß unten angebohret, und den Wein
ausgezapffet hatte, wunderte er ſich, daß das Pitſchafft unverſehrt ſeye,
und der Wein gleichwohl taͤglich abnehme. Da ihm einer ſagte, er ſolte ſe-
hen ob nicht etwa unten herum ein Betrug am Faſſe geſpielet waͤre
?
antwortete ihm der Philoſophus,er waͤre ein Narr, der Wein mangele
nicht unten, ſondern oben
.


Ein
[69]

Ein Cantor ſahe Spatzen auf einem Baum ſitzen, lieff hinzu, hielte ſeinen
Mantel unter, und ſchuͤttelte den Baum, als wolte er ſie im Fallen, gleich wie
die Aepffel oder Birne, fangen.


Ein Philoſophus war auf ſeinen Meyer-Hof vor die Stadt hinnaus gezo-
gen. Da fragte er den uͤber den Hof beſtelleten Mann, ob das Waſſer im
Zieh-Brunnen gut zu trincken wåre
? Als dieſer antwortete, es wåre ſehr
gut, und ſeine Vor-Eltern haͤtten alle daraus getruncken
, ſagte er dar-
auf: So muͤſſen ſie denn lange Haͤlſe gehabt haben, daß ſie ſo tief haben
koͤnnen hinab reichen
.


Ebenfalls ein Philoſophus begegnete einem Studioſo Jur. und ſprach zu
ihm: Siehe da! Ich habe doch gehoͤret als ob ihr geſtorben ſeyd.
Dieſer antwortete: Hier ſehet ihr aber daß ich noch lebe. Darauf ver-
ſetzte der Philoſophus,er glaube dem, der es ihm geſaget habe, mehr
als ihm
.


Noch ein anderer Philoſophus, als er hoͤrete eine Kraͤhe koͤnte zweyhun-
gert Jahre leben, wolte es ſelbſt verſuchen, kauffte eine, und hielte ſie daheim
in einem Kaͤfig.


Ein Legations-Secretarius befande ſich auf der See, und es ereignete ſich
ein ſo entſetzlicher Sturm, daß ein jeder von denen, die mit auf dem Schiffe
waren etwas ergriffe, um darauf im Fall der Noth, wann es etwa einen
Schiffbruch gaͤbe, an das Land zu fahren. Da faſſete der Legations-Secreta-
rius
den Ancker, und hielte ſich feſte daran.


Es war einer aus Zwilling-Bruͤdern geſtorben. Da kam zu dem an-
noch lebenden ein Profeſſor, und fragte ihn, ob er oder ſein Bruder geſtor-
ben waͤre
?


Einer ließ ſich uͤber den Rhein ſchiffen, und blieb doch in der Fehre auf ſei-
nem Pferde halten. Als man ihn fragte, warum er nicht abſtiege, ant-
wortete er: Damit ich deſto geſchwinder hinuͤber komme.


Es hatte ein Magiſter ſeiner Bekandten einem, der auf dem Lande wohnete
geſchrieben er ſolte ihm doch etliche Buͤcher kauffen, legte auch zu dem Ende
J 3das
[70] das benoͤthigte Geld bey. Als er aber weder Buͤcher noch Antwort erhielte,
reiſete er ſelber in die Stadt, und ſprach den Magiſter muͤndlich. Allein die-
ſer, ſobald er jenen erſahe, entſchuldigte ſich ſche, ehe der andere noch geredet
hatte, und ſprach, er habe keinen Brief von ihm empfangen, darinnen
er etliche Buͤcher begehret haͤtte


Einſtmals reiſeten ein Student, ein Bartſcherer, und ein Kahl-Kopff
mit einander. Als ſie nun des Nachts im Wirths-Hauſe nicht allzuviel traue-
ten, und einer um den andern wachen ſolte, traff das Looß den Bartſcherer am
erſten. Indem dieſer alſo wachete, nahm er ſein Scheer-Meſſer, und ſchore
dem Studenten gantz glatt auf der Haut alle Haare, hinweg. Hernach als
die Zeit zu wachen an den Studenten gekommen war, weckte er denſelben
auf. Der Student, welcher alſo vom Schlaf aufwachte, kratzte ſich auf dem
Haupte, fand keine Haare, fieng an und ſagte: Der arge Hudler der Bar-
bier hat ſich geirret, und den Kahl-Kopff ſtatt meiner aufgewecket
.


Ein Pennal fragte. Wie offt man das Neu-Jahr in einem Jahr
haͤtte
.


Ein anderer, als ſeine Tiſch-Geſellen in der Karte ſpieleten, und einer ſchrie:
Stich zu, lieff geſchwinde und that alle Meſſer auf die Seite.


Ein gelehrter Gerichtsſchreiber, als ihm einer Roßfeigen in die Schuhe ge-
leget hatte, verwunderte ſich nur daruͤber, wie doch das Pferd muͤſſe in die
Schuhe gekommen ſeyn
?


Ein gelehrter Raths-Herr, aus einer namhafften Stadt, gieng an ei-
nem Waſſer ſpatzieren. Nicht ferne davon weydeten Schaafe, deren Schat-
ten er in dem Waſſer erblickete. Da ruffete er geſchwinde denen Fiſchern,
welche accurat daſelbſt fiſcheten, zu, und ſagte: Hier, hier, an dieſem Ort
werdet ihr viel fangen
.


Ein Stadtſchreiber, der erſt neulich von der Univerſitæt gekommen, und
zu dieſem Poſten gelanget war, hatte einem von dem Medico ihm verordneten
Tranck eingenommen, und fragte hernach erſt den Medicum,was er wuͤr-
cken wůrde
? Dieſer ſagte, er wuͤrde ihm den Bauch oͤffnen. Da finge
der Staͤdtſchreiber an jaͤmmerlich zu ſchreyen, biß er hoͤrte, daß ſolches ſo viel
hieß als purgiren.


Ein
[71]

Ein reiſender Studioſus von Adel ſchriebe den vierten Tag nach ſeiner An-
kunfft in Franckreich! an ſeinen Vater, und beklagte ſich, die Frantzoͤſiſche
Sprache ſeye dermaſſen ſchwer, daß ſie ihm gar nicht in den Kopff
wolle
.


Zwey Studioſi zanckten ſich mit einander. Der eine hieß den andern ei-
nen Bachanten, und dieſer jener ein Pennal, welcher deswegen zu ihm ſprach:
Ich bin ſo gut als du biſt.


Ein von der Univerſitæt gekommener Studioſus ſang bey ſeiner Mutter Lei-
che mit heller Stimme, deswegen ſein Vater auf ihn ſchalte. Er aber ſagte:
Ich thue recht, und ihr unrecht. Ihr beſtellet Leute ums Geld, wel-
che ſingen muͤſſen; ich hingegen ſinge umſonſt
.


Ein alter Pedant hatte ſich bey einem Weinſchencken, der ihn als einen
Gaſt tractirte, einen gewaltigen Rauſch getruncken, gieng noch ehe es Nacht
war, vor das Hauß heraus an eine Ecke ſein Waſſer abzuſchlagen. Weil er
aber zu gleicherzeit den Hut in ſeiner Hand trug, piſſete er ihn unvermerckt
gantz voll. Hernach, als er ſolchen, aufſetzen wolte, ſchuͤttete er ihm ſeine eige-
ne Lauge ſelbſt uͤber den Kopff. Jedoch er glaubte feſtiglich, das Bad kaͤme
von oben aus einem Fenſter, ſahe derohalben uͤber ſich, und fieng an zu ſchrey-
en: O Schelm ſchuͤtte! Wann ich Obrigkeit hier waͤre ich wolte dich zu-
vor lernen Kopffweg ſchreyen, ehe du ſchůrten ſolteſt
.


Ein feiner junger Pennal hatte eine Jungfrau eine Hure geſcholten, und
geſaget, daß ſie bey einem gelegen wåre. Als er deswegen vorgefodert
ward, und nichts beweiſen kunte, bate er um Verzeihung, mit dieſen Wor-
ten: Ich habe gemeinet, was ich ſehe, das waͤre wahr.


Ein hochgelehrter Narr wolte ſich groſſer Reiſen ruͤhmen, und ſagte, er
ſeye in einem Lande geweſen, wo es ſo groſſe Bienen gaͤbe wie unſere
Schaafe
. Als man ihn fragte, wie groß dann die Bienen-Koͤrbe darzu
waͤren
? antwortete er, wie hier zu Lande. Da ſagte einer; Wie koͤnnen
dann die Bienen hinein kommen, und darinnen ſeyn
? worauf der Luͤgner
verſetzte: davor laſſe ich die Bienen Sorgen.


Ein junger Pennal, als er das erſtemal des Rheins anſichtig ward, fieng
er
[72] er vor Freuden an zu ſchreyen: GOtt ſeye gelobet, daß ich das Waſſer ein-
mal ſehe, aus welchem der gute Rheiniſche Wein gebrauet wird
.


Jener Studioſus, als er Magiſter werden wolte, war ſo verſtockt und
tumm, daß er die vier Elemente nicht zu nennen wuſte. Denn ob er gleich
dreye nannte nemlich: Das Feuer, die Lufft und das Waſſer, blieb er doch
bey dem vierten ſtecken. Ein gegenuͤberſtehender Profeſſor ſuchte ihm zu helf-
fen, und wieſe mit dem Fuß auf die Erde. Allein der Candidatus Philoſophiæ
begreiffe es gleichwohl nicht, ſondern fuhr heraus und ſagte: Und der
Schuh
.


Jener Magiſter ſolte aus etlichen Verſibus Virgilii Diſticha machen, brach-
te ſie aber voͤllig aus dem Virgilio abgeſchrieben. Als er deswegen zur Rede
geſtellet wurde, war ſeine Antwort, er koͤnne ſie doch nicht beſſer machen,
als ſie an ſich ſelber wåren
.


Jener Pennal, als er in einer Kutſche das erſtemahl auf Univerſitæten
reiſet, und es anfieng ſehr zu regnen, ſteckte den Kopff heraus, und ruffete den
Kutſcher zu: Kutſcher Es regnet mir ins Maul. Der Kutſcher gab ihm
zum Beſcheid: Narr mache es zu.


Ein anderer Bachant ward einer gewiſſen Sache bezuͤchtiget, die er laͤug-
nete: Man wolte ihm nicht glauben, er betheure es dann mit einem Eyde, den
zu ſchwehren er ſich weigerte, es ſeye dann, daß er zuvor etwas davor bekaͤme,
weil die Schrifft verbiete, vergebens zu ſchwehren.


Ein neuer Magiſter, als er bey dem Magiſter-Schmauß gewaltig gezechet
hatte, verlieffe ſich, eilig, und bliebe bey einer Haus-Thuͤre liegen, das Geſichte
uͤber ſich kehrende, und das Maul weit aufſperrende. Weil es aber regnete,
lieff ihm die Trauffe von dem Dache in das offene Maul, weswegen er heff-
tig ſprudelte und ſprach: Ich mag, und kan, warlich! nicht mehr Be-
ſcheid thun, wann ihr mir es auch ſchon einſchuͤttet
.


Ein junger Pennal, welcher noch die Windeln im Hintern hatte; wolte
gleich wohl ſchon loͤffeln, und ſeine Sache gar hoͤflich vorbringen, wannenhero
er zu ſeinem Hertzen ſprach: Ich moͤchte euch gerne kůſſen; aber meine Na-
ſe ſtoͤſſet allezeit auf die eurige, alſo daß ich nicht recht kan darzu kom-

men
[73]men. Hierauf gab ihm die Jungfer den Beſcheid: Ich habe noch ein an-
der Geſichte, das hat keine Naſe. Will etwa der Herr daſſelbe
kuͤſſen
?


Ein junger Matz wurde Magiſter, und gleich darauf wolte ihm ſein Va-
ter kein Geld mehr ſchicken, weil er in der feſten Meynung ſtunde, ein Mei-
ſter der Weißheit, wie nunmehro ſein Herr Sohn ſeye, můſſe ſelber viel
Geld verdienen koͤnnen
Der neue Magiſter ſchriebe wohl zwantzig Briefe
an ſeinen Vater, einen nach dem andern; aber alles umſonſt, weil der Vater
auf ſeinem harten Sinn ſtehen bliebe. Bey ſogeſtalten Sachen ſahe ſich der
Herr Magiſter genoͤthiget, ſeine Buͤcher und Kleider groͤſten Theils zu ver-
ſtoſſen, auch endlich mit dem Reſt nach Hauſe zu ziehen, und die Univerſitæt
gar zu verlaſſen. Dieſer Reſt ſeiner Sachen beſtunde in einem groſſen Buͤn-
del, wie ihn die wandernden Handwercks-Purſche zu fuͤhren pflegen, und der
Magiſter ließ ſich denſelben, durch einen Tageloͤhner zum Thore hinaus tra-
gen, hernachaber, als er der Stadt aus dem Geſichte kam, faſſete er ihn auf ſeinen
eigenen Buckel. Indeſſen begegnete ihm ein Fuhrmann mit ſeinem Karrn,
und er machte ein Geding mit ihm, daß er denſelben biß auf den nechſten Fle-
cken mitnehmen ſolte. Nachdem er aber aufgeſeſſen war, kunte er ſich mit dem
Buͤndel auf den Buckel nicht recht behelffen, und hatte gleichwohl auch nicht
die Courage, daß er ſolchen herunter nahm und vor ſich legte, in der Meynung,
der Karrn wuͤrde dadurch deſto mehr beſchwehret, folglich er auch ſeinen Beu-
tel deſto beſſer angreiffen muͤſſen. Jedoch endlich, da ihme der Fuhrmann
den Buͤndel ſelber ablegen hieß, that es der neue Herr Magiſter und ſprach:
Ey! wolt ihr dann auch ſo gut ſeyn, und mir meinen Buͤndel mit
fuͤhren
?


Jener einfaͤltige Tropff ſolte ſeinem Vater eine kleine Hand-Bibel an dem
Ort, wo er ſtudierte, binden laſſen. Er ſchrieb aber erſt wieder nach Hauſe,
und fragte an, ob er ſie ſolte inFolio, in Quarto,oderin Octavo,binden
laſſen
?


Wie iſt doch ſo gar nichts an dem Morgen, ſprach ein fauler Student,
welcher allemal biß um zehen Uhr im Bette zu liegen pflegte.


Jener Studioſus Theologiæ, als er im Baden auf dem Rhein ſchier er-
ſoffen waͤre, und man ihn heraus gezogen, auch das Waſſer von ihm hatte lauf-
Kfen
[74] fen laſſen, ſagte, es wåre ihm vor nichts aͤngſter geweſen, auſſer nur,
daß er ſo nackend vor unſerm HErre GOtt haͤtte erſcheinen ſollen
.


Ein Dorff-Pfarrer beklagte ſich hefftig, daß er einem andern Geiſtli-
chen ſchon vor einem Monat geſchrieben, dieſer aber ihm noch nicht ge-
antwortet habe
. Allein da man ſich umſahe, fande es ſich, daß der Brief
noch an dem Fenſter ſtack.


Ein einfaͤltiger Student zu N. wurde von etlichen ſeiner Cameraden auf
dem Felde in den Hanff gefuͤhret, welcher deſſelben Orts ſehr hoch waͤchſet.
darinnen lieſſen ſie ihn, lieffen aber vor ihre Perſon wieder heraus, ſchrien und
ſpotteten ſeiner mit dieſen Worten: Ha, ha, Monſieur! Ihr ſeyd gefangen
und koͤnnet nicht wieder heraus kommen
. Da ward dem guten Tropffen
angſt und bange, und er ſprach: Ach ihr Herren! Um GOttes willen! ma-
chet mir auf, und laſſet mich doch wieder heraus
; wobey er mit denen
Fingern an die Stengel klopffete.


Ein anderer tummer Studioſus, als er fallen wolte, hielte ſich an einen
groſſen Wein-Roͤmer.


Jener alte Pedant, als er vor etlichen Courtiſans und Hof-Junckern,
von ſeinem Ariſtotele und Thoma Aquino, ingleichen von ihren Subtilitæten
einen ſtoltzen Diſcurs anhub, ließ dabey, vor lauter groſſem Witz! einen ent-
ſetzlichen Bauchwind ſtreichen. Da fieng einer unter denen Beyſtehenden an:
Da ſiehet man was vor aufgeblaſene Leute die allzugroſſe Gelehrſam-
keit und Geſchicklichkeit machet
.


Ich bitte um Verzeihung, daß ich im Hauſe ein ſo groſſes Gerum-
pel gemachet habe
, ſprach ein anderer, als er die Stiege hinab gefallen
war.


Jener Frantzoͤſiſche Pennal ſagte zu Paris, Allemagneoder Teutſch-
land muͤſte eine groſſe Stadt ſeyn, weil immerfort ſo viele
Allemansoder
Teutſchen nach Paris kaͤmen
.


Ein Pohlack befand ſich zu Heydelberg auf der Univerſitæt. Als er von
dan-
[75] dannen reiſete, regnete es. Jedoch es fuͤgte ſich, daß er nach einem halben
Jahre wieder dahin kommen, und da regnete es abermals. Hierauf ver-
wunderte ſich der gelehrte Pohlack, und bildete ſich ein, es haͤtte ſeit ſeiner Ab-
reiſe nicht aufgehoͤret, in Heidelberg zu regnen.


Zu Wittenberg hatten etliche von Adel einen jungen Studioſum zum Fa-
mulo.
Weil er ſich aber ſehr nachlaͤßig in der Kleidung hielte, wie gemeini-
glich die Pennæle zu thun pflegen, ſagten ſie ihm, er ſolte ſich ein wenig mun-
ter halten, damit er ihnen keine Schande, ſondern eine Ehre waͤre
.
Des andern Tages, als er ſolte ein Fuder-Holtz hauen, gieng der gute Lem-
mel hin, thaͤt ſeinen Mantel und Degen an, und hieb alſo das Holtz.


Es hatten etliche Studenten einen jungen Pennal mit einem Ohr, an ei-
nem Pfoſten bey naͤchtlicher Weile angenagelt. Es bliebe auch der arme Ge-
ſelle in der Poſitur ſo da ſtehen, ſagte kein Wort, ſondern meynte er gehoͤre da-
hin, und es muͤſſe ſo ſeyn. Des Morgens giengen der Rector Magnificus,
nebſt einigen Profeſſoren, voruͤber, lieſſen dem Pennal den Nagel herausziehen,
und fragten ihn, wer denſelben ſotractiret håtte? ob esStudioſiwaͤren?
und ob er ſie wohl kennen wolte, wann ſie ihm vorgeſtellet wuͤrden
?
welche drey Fragen der Pennal mit Ja beantwortete. Hierauf ließ der Rector
die verdaͤchtigſten Nacht-Voͤgel von der gantzen Univerſitæt vor ſich kommen,
und examinirte einen nach dem andern vermittelſt der Frage: Seyd ihr es ge-
weſen
. Der erſte antwortete: Nein ich war es nicht. Fuͤnffe ſprachen, und
zwar ein jeder ins beſondere: Ich auch nicht. Endlich ſagte der Letzte: Ich
bin ebenfalls nicht dabey geweſen
. Der Pennal hatte ſein Ohr bereits ver-
geſſen, trat derohalben als er die Verantwortung derer andern hoͤrete, ge-
ſchwinde auf die Seite unter die uͤbrigen, und ſchrie: Ich war auch nicht
dabey
. Denn er vermeynte, weil er nur noch alleine uͤbrig, koͤnte man leicht-
lich ſagen, er muͤſſe es ſelber gethan haben.


Etliche Studioſi ritten mit einander ſpatzieren. Unter dieſen befande ſich
einer der noch nie ein Pferd zuvor beſchritten hatte, und der ſtach den Gaul,
welchen er ritte ſtarck mit denen Sporen, wannenhero es anfieng hefftig zu
rennen. Die andern rieffen ihm zu, er ſolte nicht ſo eilen. Da ſchrie der arme
Tropff zuruͤcke: Ich glaube der Teuffel iſt in dem Pferd. Ich ſteche es
ſo ſehr als ich immer kan, und es will dennoch nicht ſtille halten
.


K 2Einem
[76]

Einem ſtoltzen und eingebildeten Studioſo, hinter dem doch nichts ſteckte,
ward vorgeworffen, er ſtudiere nichts. Der antwortete: Diejenigen ſtu-
dieren nur, welche nichts koͤnnen. Wer aber ſchon alles weiß, wie ich,
darff es nicht erſt lernen
.


Ein alter Pedant der vor Hochmuth ſtanck, gieng mit etlichen Studioſis ſpa-
tzieren. Da begegnete ihnen einer, der vor der gantzen Geſellſchafft den Hut
abzog, weswegen er von allen und jeden den Gegen-Gruß empfieng. Weil
aber der ſtoltze Pedant ſahe, daß es ſein Bekanter war, ſprach er: Ey! die
Herren laſſen nur ſitzen, die Ehre geſchiehet mir alleine
.


Einer der binnen wenig Wochen Doctor werden wolte, erhielte Brieffe,
worinnen ein guter Freund verlangete, er ſolte ihm einige von der Architectur
handelnde Buͤcher kauffen. Derohalben gieng er in den Buchladen, und es
fiel ihm ein kleines Buͤchlein, Fundamentum Logices genannt in die Augen.
Da ſagte er zu dem Buchhaͤndler: Dieſes iſt ſonder zweiffel eines von de-
nen Buͤchern, die ich ſuche, weil das vornehmſte Stuͤcke eines Gebaͤu-
des in dem
Fundamentbeſtehet.


Ein Cantor, der auf allen muſicaliſchen Inſtrumenten geuͤbt ſeyn wolte,
ſolte eine Orgel probiren. Da er aber nicht recht ſchlug, ſagte er; derjenige
iſt Schuld daran, welcher die Blaßbaͤlge ziehet
.


Ein beſoffener Magiſter! fiel die Stiegen hinunter. Da ihm die andern
zuruffeten. Holla! Was macht ihr da? Domine Magiſter! ſprach er:
Wann ich vollends hinunter bin, wird man es ſehen.


Ungefehr acht Tage hernach, da einer Magiſter worden war, bekam er
eine Viſite von einem ſeiner Verwandten, der in einer Chaiſe mit zweyen Pfer-
den anlangete. Als nun dieſer zu dem neuen Magiſter ſagte, ſeine Pferde
waͤren gar muͤde
, ſprach er: Wie kommet das? Sie ſind ja in derChaiſe
gefahren und nicht zu Fuſſe gegangen.


Ein Juriſt hatte groſſe wehetagen im Haupte. Der Medicus verordnete
ihm derowegen ein Clyſtier, und der Apothecker fande ſich damit ein, es ihm
beyzubringen. Zu dem Ende begehrte er, der Patient ſolte ſich in behoͤrige Po-
ſitur
legen. Allein dieſer fuhr auf und ſagte, derMedicusmůſſe ein unver-
nuͤnfftiger Eſel ſeyn, daß er dem Hintern die Artzney verordne, da doch

die
[77]die Kranckheit im Kopffe ſtaͤcke. Er rieß auch das Clyſtier zu ſich, und
ſoffe es aus.


Ein Philoſophus, als ihm uͤber Tiſche Pfeffer-Fleiſch vorgeleget ward,
ſchabete den Pfeffer davon. Da man ihn fragte, warum er nicht eſſe? ant-
wortete er: Ich wolte gerne eſſen, wann das fleiſch nur nicht ſo beſchiſ-
ſen waͤre.


Ein von hohen Einbildungen gantz aufgeblaſener Studioſus, der ſich nicht
weniger als ein Doctor duͤnckte, war von der Univerſitæt heimgekommen, lag
des Morgens im Bette, und ſahe oben an der Decke einen Kuͤhdreck hangen.
Da diſputirte er lange mit ſich ſelber, wie es doch muͤſte zu gegangen ſeyn,
daß die Kuh da hinauf geſchiſſen haͤtte.


Ein Philoſophus zerdiſputirte ſich ſehr daruͤber, ob Quantitas koͤnne von
der Subſtantz ſepariret werden? Als zum Exempel ſagte er: Mein Kopff koͤn-
te wohl durch das Loch gehen; aber die Groͤſſe meines Kopffs kan
es nicht.


Ein, aus einem Dorffe gebuͤrtiger Pennal hatte niemals einen Spiegel
geſehen. Als es das erſtemahl geſchahe, und er ſeine Perſon darinnen erblick-
te, ſchrie er uͤberlaut, und ruffte denen Leuten zu, man ſolte ihm doch aus
dem Dinge helffen, er wuͤſte nicht, wie er da hinein gekommen waͤre.


Ein anderer Pennal, auf einem Doctorat-Schmauß, als ihn die Pur-
ſche agirten und vexirten mit ruffen und zupffen, Hut-drehen und andern
Dingen mehr, meynete er koͤnne es wieder ſo machen, gieng hinter einem her,
und drehete ihm auch den Hut auf dem Kopffe herum. Es war aber dieſes der
Rector ſelber, welcher da herum ſchliche. Weil er nun nicht ermangelte dem
Pennal eine derbe Reprimande zu geben, war das ſeine Entſchuldigung: Ma-
gnifice Domine Rector!
Man thut mir es auch.


Ein Dorff-Schulmeiſter, als man ihn bey dem Examine fragte, ob er
auch ſeinen
Decalogumkoͤnte? antwortete, Nein, er habe ſeiner keine
Kundſchafft.


Ein Studioſus von Adel beſuchte, von der Univerſitæt aus, einen ſeiner in
K 3der
[78] der Naͤhe wohnenden Befreundten. Bey dieſem ſahe er auf einer offenen Gal-
lerie,
ſein Portrait hangen. Weil es nun accurat zu einer rauhen Winters-
Zeit geweſen, verdroſſe es ihn ſehr und ſagte: Wann ich wieder heim kom-
men werde, wird man mich nicht mehr kennen, alſo bin ich verwuͤſtet
vom Schnee, Wind und Regen.


Als ein Stutzer heimlich von einer Gaſterey hinweg ſchliche, ſtieß er ſich
an eine Saͤule, und zwar ſo ſtarck, daß er bey nahe gar zu Boden gefallen waͤ-
re. Er rief denen andern, und dieſe kamen alſobald herbey gelauffen. Zuletzt
als es heraus kam, daß die Saͤule und er ſelber an dem gantzen Poſſen Schuld
war, ſprach er: Das laͤſſet ſie GOtt reden, daß es eine Saͤule iſt. Ich
wolte ihr ſonſt den Kopff zerſpalten haben.


Ein tummer Teuffel, welcher doch gleichwohl Doctor war, ritte mit ei-
nem andern uͤber Feld. Als nun ſein Reiſe-Geferte den guten Weg nachrit-
te, und auf einen Erbſen-Acker kam, fieng der Doctor an zu ſchreyen: Wol-
let ihr euch und euer Pferd verbrennen? Wiſſet das ich vor wenig
Wochen dieſer Fruͤchte gegeſſen, und ſie ſo heiß befunden, daß ſie mir mein
Maul verbrannten.


Ein Pedant, nachdem er eine ſtarcke halbe Meile in Pantoffeln ſpatzieret
hatte, und man ihn weiter zu gehen vermoͤgen wolte, ſagte: Warrlich ich kan
nicht mehr, meine Pantoffeln ſeyn zu muͤde.


Da ein eingebildeter und ſtoltzer Student erzehlen hoͤrte, daß der Schweiß
Alexandri Magni einen ſo guten Geruch von ſich gegeben, ruͤhmete er ſich, und
ſprach: Ich bin ihm gleich. Denn ich habe an mir gemercket, daß wann ich
meine Ohren fege mit der Federſpitze, und ſie von ungefehr in das Maul
ſtecke es wie Biſam ſchmecket. Ich habe auch,
ſagte er ferner, dieſe Ei-
genſchafft an mir, das wann ich mein Waſſer abſchlage, ſo riechet es wie
Mertz-Violen.
Als daruͤber eine anſehnliche Jungfrau laͤchelte, ward er
zornig, ſahe ſie an und ſagte: Meynet nicht, daß ich ſchertze? Wann ihr es
nicht wollet glauben, ſo kommet und verſucht es ſelber.


Als ein junger Student einen Philoſophum von dem Tode reden hoͤrete,
daß die Todten keine Pein und Quaal mehr haͤtten, fragte er, ob ſie dann
auch
[79]auch keine Floͤhe mehr fůhleten? Der Philoſophus ſagte Nein. Warlich!
ſagte der Pennal,ich glaube es ſeye bißweilen gut todt ſeyn.


Als ein Licentiat um zehen Guͤlden wettete, wegen einer gewiſſen Frage,
muſte ihm der andere, mit welchem er gewettet, ſchwehren, Falls er verloͤhre,
zu bezahlen, und der Licentiat ſchwuhr ſelber auch. Als er aber zu letzt ſelber
die Wette verlohren, wolte er dennoch nicht bezahlen, ſondern ſagte, er ha-
be nicht in der Meynung geſchwohren zu verliehren, ſondern zu ge-
winnen.


Eines Bauern, als ein Studioſus, auf der Univerſitæt ſeyender Sohn,
als er hoͤrte, wie die Soldaten das Land-Volck ſo hefftig plagten, und ihnen
ſo viel Drangſaal zufuͤgten, ſagte: Die Bauren ſind groſſe Narren, daß
ſie nicht einmal einen lebendig ſchinden, wie unſer Nachbar, welcher da-
mit er die Ratten aus ſeinem Hauſe vertreiben moͤchte, deren eine leben-
dig geſchunden hat, und ſie alſo lauffen laſſen.


Ein Doctor Theologiæ hatte einen falſchen Diamant gekaufft, in einen
Ring, und machte damit groſſe Parade an ſeinem Finger. Endlich ward es ein
Goldſchmidt bey einer Hochzeit gewahr, und ſagte: Was gehet Ew. Hoch-
wuͤrden vor Noth an, daß Sie einen ſo falſchen Stein am Finger
tragen.
Hierauf erzuͤrnete ſich der Doctor nicht wenig und wolte lange
nicht zugeben, daß der Deamant falſch waͤre, weil er ihn nicht nur ſelber
gekaufft, ſondern auch funfftzig Thaler baares Geld davor gegeben
haͤtte.


Ein Studioſus, als er den Virgilium loben hoͤrte, ſagte, er wolle nun
auch hinfuͤhro
Virgiliusheiſſen, damit man eben ſo von ihm zu reden
habe.


Als ein Pednat uͤber die maſſen ſehr, in einem groſſen Gedraͤnge, gedruͤ-
cket ward, ſagte er gleichwohl hernach, er habe gantz nichts gefuͤhlet, weil
er den Schnupffen habe.


Als einer im Hinwegreiſen, und im Wiederkehren in dem rechten Schlag
der Kutſche geſeſſen, und geſehen, daß die Haͤuſer, die ihm bey der Abreiſe in
die Augen gefallen, bey der Wiederkehr, nun auf der andern Seite, die hinter
ihm
[80] ihm geweſen, ſtunden, kunte er das gantz und gar nicht in ſeinen Kopff bringen,
ſondern vermeynte, die Haͤuſer muͤſten nicht mehr an ihrem vorigen Orte
ſtehen.


Ein verwirrter Pedant, als er gefraget ward, was dem Verſtorbenen
gemangelt haͤtte, von deſſen Leiche er kaͤme?
antwortete, er wiſſe es
nicht, weil der Sarg ſchon zugenagelt geweſen waͤre, als er dahin ge-
kommen, und er alſo nicht mehr haͤtte mit ihm ſprechen koͤnnen.


Ein anderer Pedant, als er einen weit gereiſeten Mann agiren wolte, ſag-
te, daß zu Florentz die Kinder von fuͤnff biß ſechs Jahren die Italiaͤni-
ſche Sprache ſchon gantz fertig reden koͤnten.


Als ein Paſtor aus einem rauhen Ort in eine anſehnliche Stadt kam, und
Spinat zu eſſen bekam, welcher wohl zugerichtet geweſen, fragte er, aus was
vor Kraͤutern dieſer Spinat gemachet ſeye?


Ein Doctor klagte dem andern, wie daß ſein Diener ſchon zwey. Tage
an vier Meilen gegangen, und noch nicht wiedergekommen
waͤre. Wie
ſagte der andere, das befremdet euch? Es iſt ſchon laͤnger als funffze-
hen Tage, daß ich einen meiner Freunde entboten, und er iſt biß dieſe
Stunde noch nicht gekommen, da es doch eben derſelbe Weg iſt.


Es buhlete ein Student lange an einer Magd, daß ſie ihm ſeinen geilen
Willen erfuͤllen moͤchte. Endlich willfahrte ſie demſelben, und beſtellete ihn in
einem Pferde-Stall, allwo ſie auch zuſammen kamen. Nachdem ſie ſich be-
reits in Poſitur geſetzet hatten, bedachte ſich der Student geſchwinde und
ſprach: Stehet auf meine Freundin! Laſſet uns anders wohin gehen!
Denn ich beſorge, wir machen junge Pferde-Fuͤllen, deswegen man uns
hernach peinlich anklagen moͤchte.


Ein Frantzoͤſiſcher Rechts-Gelehrter ſagte von einem, ſo auf das Leben
angeklaget aber echappiret war, man ſolte ihn auf dieGaléeren verdam-
men, dem Koͤnig vor einem Sclaven
in effigie,oder im Bildniß, zu
dienen.


Ein Syndicus, als er zu dem Begraͤbniß eines gewiſſen Buchhaͤndlers ein-
gela-
[81] geladen wurde, fragte: Iſt er dann geſtorben? Man autwortete ihm Ja.
Warlich!
ſagte der Syndicus ferner, in der groͤſten Verwirrung, es iſt mir
leyd. Unſer HErr GOtt verleihe ihm ein langes Leben.


Ein Pfaffe gieng zu Coͤlln am Rhein in denen Hunds-Tagen ſpatzieren.
Weil er nun viel Kuͤhe auf der Weyde, und darunter den Brumm-Ochſen lie-
gen ſahe, ſprach er, wer doch auch ein Ochſe bey ſo vielem Frauenzimmer
waͤre.


Ein Præceptor bey einem Edelmann, als er hoͤrte, daß man an einem
Ort die Vorſtadt vermittelſt Auffuͤhrung eines neuen Walls mit in die Stadt
einſchlieſſen wolte, lobete dieſes Vornehmen gewaltig, und ſolches darum, weil
die von Adel, welche lieber in der Vorſtadt, als an einem lufftigen fri-
ſchen Orte wohneten, auf dieſe Weiſe naͤher als zuvor allen ihren
Bequemlichkeiten waͤren, nemlich naͤher bey dem Schloß, naͤher bey
dem groſſen Marckt, naͤher bey der Cantzley, naͤher bey der Keit-
Schule ꝛc.
Er meynet alſo die Vorſtadt wuͤrde naͤher an die Stadt fort ge-
ruͤcket werden.


Ein Stutzer hatte einen andern adelichen Studioſum Luͤgen geſtrafft. Als
dieſer hernach dem Stutzer von ungefehr begegnete, fragte er denſelben, wa-
rum er ihn haͤtte heiſſen Luͤgen?
Der Stutzer antwortete, er haͤtte ihn
nicht Luͤgen heiſſen, ſondern ſeye viel zu
honnette,ſolche Worte zu ge-
brauchen. Wie
ſagte der andere, ich habe es doch von etlichen gehoͤret.
Zuletzt ſagte der Stutzer, wann ihr ſaget, daß ich euch Luͤgen geſtraffet,
ſo ſage ich euch, und will es auch ſagen, daß ihr luͤget.
Darauf ſagte
der adeliche Studioſus.Warlich! das hieß euch GOtt reden. Denn
ſonſten ſoltet ihr entweder mein Leben gehabt haben, oder ich das
eurige.


Ein Philoſophus, als er hoͤrte, daß einer von ſeinen Schuldleuten ge-
ſtorben, ſagte, ich wolte etwas wetten, daß er darum geſtorben, weil er
beſorget, er muͤſte mich bezahlen.


Ein junger Doctor, als er in einen Brunnen, nach einer Flaſche mit
Wein, die man in das kalte Waſſer hinein gehencket hatte, ſehen wolte, er-
blickte, in dem klaren Waſſer, ſeinen eigenen Schatten. Hieruͤber erſchrack
Ler,
[82] er, ruffete ſeine Geſellſchafft, und ſagte zu ihnen: Kommet geſchwinde, ihr
Herren! und helffet mir unſern Wein heraus ziehen. Denn es ſeynd

Antipodesin dem Brunnen, die werden ihn ausſauffen, wann wir es
nicht verhuͤten.


Ein Profeſſor, der ſeines Freundes Bildniß recht ſehr loben wolte, ſagte
zu etlichen: Ich bitte euch, gehet und ſehet meinen HerrnCollegen N.
Denn er iſt ſo ſchoͤn getroffen, daß, wann ihr ihn ſchon nie geſehen haͤt-
tet, ihr denſelben dennoch kennen wůrdet.


Ein Studioſus, der immerfort viel Ruͤhmens von ſeinen Helden Thaten
machte, geriethe des Nachts mit einem der ihm begegnete, in einen Streit, und
dieſer zog vom Leder. Ob nun wohl der Prahler ſeinen Stuben-Cammera-
den bey ſich hatte; hielte er dennoch nicht Standt, ſondern trollete fort biß zu
ſeinem Quartier. Als er ſich vor der Hausthuͤre befande, und den Feind nicht
mehr hinter ihm ſahe, ſagte er zu ſeinem Spieß-Geſellen: Warlich! Wann
ich deiner nicht geſchonet haͤtte, wolte ich dem Kerl den Kopff zerſpal-
tet haben.


Ein anderer Studioſus, der von Gelehrſamkeit gantz aufgeblaſen einher
gienge; ward gefraget, wo dieprima concoctio,oder die erſte Daͤuung ge-
ſchaͤhe?
Da antwortete er: Zwiſchen denen Zaͤhnen.


Zwey Studenten hatten Haͤndel mit einander, und wurden wieder verei-
niget, mit beyderſeits Verheiſſung, daß ſie hinfuͤhro gute Freunde bleiben wol-
ten. Als aber der eine ungefehr dem andern begegnete, ſchlug er ihn mit der
Fauſt an die Bruſt, in Beyſeyn vieler Perſonen. Der andere regte ſich nicht,
ſondern ſagte nur zu denen Umſtehenden: Ihr Herren ſolt meine Zeugen
ſeyn, wie mich dieſer geſchlagen, ohne daß ich mich im geringſten geweh-
ret, bloß damit ich nicht wieder mein Verſprechen handelte.


Ein alter Pedant, als er den Thurm eines Schloſſes ſahe, welcher im
Waſſer lage, nach einiger Zeit aber, da das Waſſer wegen des trockenen Wet-
ters ſehr abgenommen hatte, wieder dahin kam, ſagte: Ich glaube das die-
ſer Thurm taͤglich waͤchſet. Zum wenigſten zeiget er ſich hoͤher, als er
unlaͤngſt geweſen, und ich halte davor, daß er darum wachſe, weil er
an einem ſehr feuchten Orte lieget.


Je-
[83]

Jener Doctor Medicinæ, als er ein furchſames Pferd ſahe, welches ſich
vor dem Buͤchſen-Knall entſetzete, ſagte: Das Pferd wůrde keinen guten
Soldaten abgeben.


Ein Pedant, der ſelten unter die Leute kam, ſondern immer zu Hauſe in
ſeiner Studier-Stube ſtack, befande ſich einſtmals in einer Compagnie. Da
draͤngete ihn ſeine Nothdurfft, und er begehrte einen Brief, ſich damit zu wi-
ſchen. Weil ihm nun ein Blat weiſſes Papier gereichet wurde, ſchrieb er ſtracks
ſolches gantz voll, vorgebende, es waͤre Schade den Hintern an das ſchoͤne
weiſſe Papier zu wiſchen.


Ein anderer, als ihm, bey Sommers-Zeit, die Sonne auf dem Felde ſehr
heiß auf den Ruͤcken ſtach, ſagte: Die Sonne irret ſehr. Sie moͤchte wohl
ihre ůberfluͤßige Hitze biß auf den Winter verſparen, wann es kalt iſt,
und ſie nicht jetzo, mitten im Sommer ſo reichlich ausſpenden.


Ein Philoſophus hatte einen jungen Pennal in ſeiner beſondern Diſciplin
und Aufſicht. Als dieſer ſahe, daß ſein Vorgeſetzter viele Brieffe in das Feuer
warff, bat er denſelben, ihm deren etliche zu geben, daß er ſie ſeiner Mut-
ter ſchicken koͤnte, welche ihm befohlen, als er von ihr gezogen, er ſolte
ihr bißweilen Brieffe ſchicken.
Weil nun der Philoſophus eben ſo tumm, als
der ihm untergebene junge Pennal ſelber geweſen, gab er ihm ein halbes Dutzent
von ſeinen Briefen, mit der Condition,daß wann er ſie ſeiner Mutter
ſchickte, ſie ihm ſolche wieder zuruͤcke ſenden ſolte, damit er ſie verbren-
nen koͤnne. Denn er wolle nicht haben, daß jemand ſaͤhe, was darin-
nen ſtuͤnde.


Etliche Jungfrauen giengen aus, einen Bekannten zu beſuchen, der vor
einigen Tagen, mit dem Magiſter-Titel, von der Univerſitæt nach Hauſe ge-
kommen war. Da er ſie vor ſeiner Thuͤre vernahm, ſchlug er geſchwinde
den Ariſtotelem auf, und als er hernach die Stube geoͤffnet hatte, ſagte er:
Warlich! ihr Jungfrauen! Ihr findet mich eben uͤber dem ſtattlich-
ſten und vornehmſten
Autore,welcher jemals geſchrieben. Alsdann
recitirte er ihnen daraus einen guten Partickel Griechiſch. Als aber die
Jungfrauen ſagten, ſie verſtuͤnden es nicht, legte er es ihnen Lateiniſch aus,
L 2und
[84] und ſprach hernach auf Teutſch. Lieben Jungfrauen! habt ihr auch
jemals einen hoͤren beſſer aus dem Griechiſchen verteutſchen alsmich.


Ein gelehrter Buͤrgermeiſter, als er einen Schielenden ſahe, welcher bey
dem Leſen die Augen alſo im Kopff verwandte, daß man meynte, er ſaͤhe zwey
unterſchiedene Blaͤtter auf einmal im Buche an, ſagte: Dieſer ſolte zwey-
mal mehr koͤnnen als ein anderer. Denn er lieſſet doppelt ſo viel als
ſonſt einer.


Ein Doctor, der auſſer denen hohen Einbildungen wenig Wiſſenſchafften
beſaß, kam in eine gewiſſe Stadt und ſahe ein Epita phium uͤber ſeines ehemali-
gen Bekandten Begraͤbniß. Da ſagte er: Fuͤrwahr ich meynte er waͤre
todt, So ſehe ich aber wohl, daß ſein Name hier noch angeſchrieben
ſtehet:


Ein Profeſſor, welcher einer groſſen Printzeßin Einzug mit anſahe, wo-
bey ein Regiment Infanterie, aus Musqueten, nach der alten Art, Salve gab,
ſprach: Pfuy! Was dencken doch die Leute, daß ſie das Pulver und
die Lunten nicht gebieſamet, oder ſonſt etwas wohlriechendes darun-
ter gethan haben, damit ſie keinen ſolchen Geſtanck machten.


Ein ſtoltzer Gelehrter, als er die fuͤnff Sinnen nach einander erzehlen wolte,
nennte das Geſicht, das Gehoͤr, die Ohren, den Geſchmack, und als ihm der
Fuͤnffte Sinn noch nicht einfallen wolte, ſprach er nach tieffen Nachſinnen, Ha,
ha!
Ich habe es wohl gedacht, daß ich vergeſſen Zwey Augen zu nennen.


Ein anderer hatte bey ſeiner Freude einem etliche Buͤcher entlehnet. Nun
truge es ſich zu, daß derſelbe zwey Jahre hernach an der Peſt ſtarb. Jener,
als er dieſes vernahm, ſagte zu ſeinem Stuben Geſellen, ob er wohl in einer an-
dern Stadt wohnete: Laſſet uns geſchwinde von hinnen ziehen. Denn
ich beſorge, dieſe Buͤcher moͤchten uns die Peſt anhaͤngen, weil ſie von
einem
inficirten Orte kommen.


Ein Juriſt, der, wie ſehr viele Juriſten zu thun pflegen, ſich um nichts als
um ſein Jus jemals bekuͤmmert, bekam einen Schwaben das erſtemal zu ſehen,
wan-
[85] wannenhero er ſprach: Ich habe nie ein Thier geſehen, daß einem Men-
ſchen aͤhnlicher ſiehet als die Schwaben.


Ein abgeſchmackter Pedant war bey einem zu Gaſte, wolte ſich gar hoͤflich
ſtellen, und ſagte zu dem, der ihn tractirte; Ich wolte dem Herrn gerne
etwas Gutes vorlegen; aber es iſt nichts Gutes da.


Wieder ein Pedant, als ihm der Schneider ein Wammes gemachet,
und er ihn nicht bezahlen kunte, bate der Pedant, es ſolte ihm der Schneider das
Macher-Lohn borgen. Hieruͤber verlangte der Schneider eine Handſchrifft,
weswegen ſich der Pedant ſetzete und ſchriebe: Ich, Jobſt Schuͤtze bekenne
daß das Wamms meine iſt, welches mir Meiſter Ehrhart gemachet.
Was das Macher-Lohn anbelanget, hat es ſeine gute Wege, und
wird ſich wohl ſchicken.


Ein Philoſophus war einſtmals bey einem Fuͤrſten an die Tafel geladen.
Als er ſich einfande, wetzte er unter dem Gebet ſein Meſſer auf denen Schuh-
Sohlen. Der Fuͤrſt fragte, wo er das gelernet haͤtte? und der Philoſophus
antwortete, ſein Meſſer ſchnitte nichts, alſo haͤtte er es nothwendig muͤſ-
ſen wetzen,
ſchnitte auch alſobald damit ſeine Naͤgel ab, und ſagte zu dem Fuͤr-
ſten: Siehe da! gnaͤdigſter Herr: wie es jetzo ſowohl ſchneidet. Da ihn
aber der Fuͤrſt einen unhoͤflichen Grobian darauf ſchalte, auch ſprach, ob er
nicht wiſſe und ſaͤhe, daß ſeine Fuͤrſtliche Tafel bereits zur Gnuͤge mit
Meſſern und Gabeln verſehen ſeye?
verſetzte der Philoſophus:Gnaͤdigſter
Herr! Ich habe mich auf die
Philoſophieund nicht auf Dero Hof-Poſſen
geleget.
Hierauf ſagte der Fuͤrſt: Qui proficit in literis \& deficit in mori-
bus, plus de ficit quam proficit,
Wer zunimmt im Studieren, und ab-
nimmt an guten Sitten, der lernet mehr hinter als vor ſich.


Als ein Paſtor einſtmals im Sommer diſcuriren hoͤrete, von einem Saal,
der eine feine durchgehende Lufft hatte, von wegen zweyer Thuͤren, die gegen
einander ſtunden, wolt er auch Philoſophiren, wie die andern, und ſagte, es
waͤre kein Wunder, daß es im Winter ſo kalt waͤre. Denn ein jeder be-
fliſſe ſich die Waͤrme in ſeinem Hauſe zu behalten, vor der Kaͤlte aber
verriegele man Thuͤr und Thor, dergeſtalt, daß ſie muͤſſe auf der Gaſſe
bleiben.


L 3Ein
[86]

Ein Studioſus, als er ſich mit einem gehauen, und einen Streich mit der
flachen Klinge auf ein Bein bekommen, meynte er waͤre ſehr verwundet. Er
lieff auch alſobald zu dem Chirurgo. Nachdem aber dieſer das Bein hin und
wieder beſehen, und geſagt, er finde nichts daran, ſprach der Studioſus:So
wird es dann an dem andern Fuß ſeyn. Denn ein vor allemal iſt es ge-
wiß, daß ich einen Streich bekommen habe.


Ein anderer als er hoͤrte erzehlen, daß eines gekoͤpfften Haupt etlichemal
gejaͤhnet und gezittert habe, ſagte, das waͤre kein Wunder. Er haͤtte
wohl oͤffters geſehen, daß wann man ein Stuͤcke gebraten Fleiſch auf den
Tiſch getragen, es gezittert habe.


Ein Medicus, als er auf einem Dorffe ein Uhrwerck ſahe, deſſen Zeiger
immer auf zwoͤlffe ſtunde, ſagte aus Ernſt und Einfalt, es waͤre das aller-
richtigſte Uhrwerck im gantzen Lande, wann es Mittag ſeye.


Ein Philoſophus zu N. wurde zu dem Fuͤrſten zu N. zum Mittags-Mahl
beruffen. Als er nun in ſeinem Talar, oder langen Rock, hinauf in das
Schloß geſtiegen kam, und wegen des warmen Wetters ſehr ſchwitzete, ſagte
der Fuͤrſt zu ihm, warum er den ſchweren Rock angethan, er haͤtte
wohl einen leichten Mantel nehmen koͤnnen.
Hierauf beſahe der Fuͤrſt
den Rock recht genau, und befande ihn vorne mit Sammet gefuͤttert. Daher
nahm der Fuͤrſt Anlaß zu ſagen: Ihr muͤſſet wohl ſchwitzen, wegen des
ſchweren Futters.
Da wandte der Philoſophus dem Fuͤrſten den Ruͤcken
zu, hub den Rock hinden bey dem Geſaͤße auf, um den Fuͤrſten zu zeigen, daß
er nicht allenthalben ſo ſchwer, noch mit Sammet gefuͤttert waͤre. Allein er
bediente ſich darbey einer ſehr unhoͤfflichen Redens-Art, indem er ſprach:
Gnaͤdigſter Herr! Dahinten ſtecket der Beſchiß, (Betrug.)


Ein Magiſtrandus, als er bey dem Examine gefraget wurde, warum die
Hunde das eine Bein auf huͤben, wann ſie piſſeten?
antwortete derſelbe:
Damit ſie die Schuhe nicht bebruntzen.


Ein voller Gerichts-Actuarius, als er des Nachts neben einem kleinen
Baͤchlein, welches daher rauſchte, ſein Waſſer abſchlug, blieb die halbe Nacht
aufrecht ſtehen, vermeynete er piſſe ſo lange, weil er das Baͤchlein rauſchen
hoͤrte.


Ein
[87]

Ein Doctor, als ihn ſeiner Bekannten einer, um den Mittag, noch im
Bette ertappete, und denſelben wegen ſeines langen Schlaffens ſchalte, wen-
dete dieſe Entſchuldigung vor, er waͤre vor acht Tagen im Bade geweſen,
weshalben ihm dieſes wohl zu verzeyhen waͤre; angeſehen das Bad
ſchlaffende Leute machte.


Ein gelehrter Aufſchneider beruͤhmte ſich, er waͤre zu Venedig geweſen.
Als ihn einer fragte, was er da Gutes geſehen, gab der Aufſchneider vor,
er ſeye nur auf der Poſt durchgeritten, und habe ſich nichtarretiret. Als
darauf einer ſagte, das waͤre nicht moͤglich, weil Venedig in dem Meer
laͤge,
antwortete der Luͤgner, es waͤre im Winter, und das Waſſer allent-
halben zugefroren geweſen.


Ein Schulmeiſter trug ſein Waſſer zu dem Medico, der ſolches beſehen
ſolte. Als der Medicus fragte, wo er her waͤre, ſprach der Schulmeiſter, er
wuͤrde es wohl im Glaß finden.


Man beruffete ſich auf einen Philoſophum, daß er in einer Sache ein
Zeugniß ablegen ſolte, der es dann auf folgende Weiſe verrichtete: Ich lag
und ſchlieff,
ſprach er, und hoͤrte gleichwohl, daß der Beklagte den
Klaͤger auf den Kopff ſchmiſſe; kan aber nicht wiſſen, ob er ihn mag
recht getroffen haben oder nicht.


Ein Studioſus, als er auf den Todt kranck war, und der Prieſter ihn des
Hinzugs erinnerte, ſagende, er ſolte ſich vorbereiten zu dem Eingang in
die Seligkeit; allermaſſen er vielleicht noch heute in das Paradieß kom-
men wuͤrde,
gab zur Antwort, es waͤre ihm lieb, wann er ſo bald koͤnte
dahin kommen. Daferne es ein weiter Weg waͤre, koͤnte er ihn war-
lich nicht gehen, weil er viel zu muͤde, und zu matt, darzu ſeye.


Ein Philoſophus, der im Bade ſaß, und gefraget wurde, ob er waͤre ge-
zwaget worden?
ſagte, er wiſſe es nicht, haͤtte jetzo andere Gedancken
in dem Kopffe.


Als ein Juriſt das erſtemahl einen Muͤller-Eſel ſahe, ſagte er: Fuͤrwahr!
Wann er nach der
Proportionſeiner Ohren ſo waͤchſet und fortfaͤhret,
wird er mit der Zeit ein tapffer Pferd abgeben.


Ein
[88]

Ein gelehrter Raths-Herr wolte einem das Leid mit gar zierlichen Worten
klagen, weswegen er zu ihm ſagte: Es iſt mir Leid, daß euer Herr Vater
ſo jaͤhling gehimmelt hat.


Ein Roͤmiſch-Catholiſcher Mathematicus, als derſelbe ermahnet ward, er
ſolte in die Kirche gehen, und das hohe Feſt, (nemlich Mariaͤ Geburts-Tag)
gebuͤhrend feyern, fragte aus Tummheit und Einfalt, ob esFeſtum circumci-
ſionis beatæ Virginis,
das Feſt der Beſchneidung der Heil. Jungfrauen
waͤre.


Ein Student von Ingolſtadt kam nach Altorff, auch dieſe Univerſitæt zu
beſehen. Wann es nun donnerte, machte derſelbe vier Creutze vor ſich, und
ſagte bey dem erſten: S. Matthæus; bey dem andern: S. Lucas bey dem dritten:
S. Herodes; und bey dem vierdten: S. Pilatus. Als man ihm fragte, was die-
ſes bedeute?
ſprach er: Dieſe vierEvangeliſten helffen gewiß wider alle
Wetter.


Zu Agrigent in Sicilien befanden ſich etliche junge gelehrte Saͤuffer bey-
ſammen in einem Wirths-Hauſe, welche vom Wein alſo eingenommen, und
taumelnd worden waren, daß ſie vermeynten, ob fuͤhren ſie auf dem Meer, in
einer ſehr groſſen Gefahr. Derohalben warffen ſie allen Hausrath, den ſie
fanden zum Fenſter Hinaus, und vermeynten alſo ihr Schiff zu erleichtern, um
dadurch Schiffbruch und ihren Untergang zu verhuͤten. Als nun jedermann
herzu lieff, und ſich vor dem Hauſe verſammlete, kam endlich auch die Obrig-
keit des Orts, giengen hinein, und fragten, was das waͤre? da dann die be-
ſoffenen Herren ſagten, das Ungewitter tobe ſo gewaltig, und ſie wůrden
zu Grunde gehen, daferne ſie nichts auswuͤrffen.
Als die Obrigkeit hier-
uͤber erſtaunte, fieng der aͤlteſte unter denen Beſoffenen, weil er, und ſeine Ca-
meraten, die hinein getretenen Obrigkeitlichen Perſonen vor Meer-Maͤnner
anſahe, davon in denen Pœten zu leſen an: O ihr liebenTritones;Der
Sturm hat mich ſo erſchrecket, daß ich mich in das unterſte
Tabulatdes
Schiffes verkrochen habe.
Da ſahen die Obrigkeitlichen Perſonen, daß
die gelehrten Herren ſo ſehr von dem Wein bethoͤret waren, ermahnten ſie,
ſtille zu ſeyn, und in ſich zu gehen, ſagten auch zu ihnen, wann ſie ſich gelaſ-
ſen und beſcheiden auffuͤhren wuͤrden, man es ihnen vor dieſesmal ſo wol-
te hingehen laſſen,
hierauf ſagten die Beſoſſenengroſſen Danck, und verſpra-
chen,
[89] chen, daß wann ſie zu Lande kaͤmen, ſie ihnen, und denen uͤbrigen Meer-
Goͤttern zu Ehren, eine ſteinerne
Statuamoder Bildniß am Geſtade
aufrichten laſſen wolten, weil ſie ihnen in dieſer groſſen Gefahr, ſo gnaͤ-
dig erſchienen waͤren, und denenſelben ausgeholffen haͤtten.
Wegen
dieſer Hiſtorie iſt hernach daſſelbige Haus, wie ein gewiſſer Autor berichtet,
von dem gemeinen Mann, Triremis, oder ein Schiff daß drey Ordnungen
Ruder hat, wie die Galleéren, genennet worden.


Die Erzehlung dieſer Hiſtoͤrgen und Begebenheiten hat mich unvermerckt
weiter gefuͤhret, als ich darinnen gehen wollen. Jedoch ich irre ſehr in meinen
Gedancken, wann ſie dem geneigten Leſer, welcher dieſem Buch nicht uͤber-
haupt von deſſen Titel an biß zu ſeinem Ende feind iſt, etwa beſchwerlich fallen.
Nach meinem Sinn ſeynd ſie Luſtig und ergoͤtzlich zu leſen, und ich habe ſie mit
Vergnuͤgen colligiret, in Anſehung des Styli verbeſſert, oder nach meiner eige-
nen Wiſſenſchafft, ſo ich davon habe, hieher geſetzet. Sie zeigen auch in der
That recht natuͤrlich an, was der Stoltz, die Einfalt, und die Grobheit, in
manchem Gelehrten vor eine Wirckung thun. Nur dieſes habe ich dabey noch
zu erinnern, daß man ſie ja nicht alle vor erdichtet halten wolle. Denn es er-
eignen ſich noch taͤglich unter denen Gelehrten Dinge, die eben ſo toll, ja noch
toller, als dieſe jetzt angefuͤhrten ſind, heraus kommen. Zu deſſen Beſtaͤr-
ckung will ich noch einen Streich anfuͤhren, den ein ſehr gelehrter Mann began-
gen hat.


Dieſes iſt ein noch jetzt-lebender groſſer Theologus in einer nahmhafften an
Teutſchlands Ende gelegenen Stadt, und laͤſſet einen ſo gewaltigen Eyffer, wider
alle diejenigen, ſo nicht Lutheriſch ſind, blicken, daß man ihnvor eine Geiſſel aller
andern Religionen und ſecten; zu gleicher Zeit aber vor einen ſtarcken Pfeiler der
Lutheriſchen Kirche haͤlt. Abſonderlich iſt er entbrannt wider die Roͤmiſch-
Catholiſchen und Reformirten, die er nicht beſſer als Juden, Tuͤrcken und
Heyden, in ſeinen Predigten, und oͤffentlich gedruckten Schrifften tractiret,
indem er ſie insgeſamt, ohne alle Gnade und Barmhertzigkeit, zu dem Teuffel
in die Hoͤlle weiſet.


Vor einigen Jahren fuͤgte es ſich, daß er an einen Ort kam, wo ein gewiſ-
ſer Saͤchſiſcher Hertzog reſidiret. Der Hertzog, welcher viel von demſelben ge-
hoͤret hatte, ließ ihn einladen, daß er mit ihm an ſeiner Tafel ſpeiſen ſolte, und
der Theologus nahm die Invitation willig an. Bey der Tafel aber fieng das
Mgroſſe
[90] groſſe Licht der Lutheriſchen Kirche, ſo bald ihn der Wein nur ein wenig erhi-
tzet hatte, an, allerhand ſeltſame Diſcurſe zu fuͤhren. Vornemlich redete er
ſtarck wieder die Roͤmiſch-Catholiſchen, fragte auch endlich den Hertzog, ob
er wohl wiſſe, wann die Roſen-Craͤntze derer Roͤmiſch-Catholiſchen
am wohlfeilſten waͤren?
Der Hertzog ſagte nein, das wiſſe er nicht. Dar-
auf ließ ſich der groſſe Theologus alſo heraus: Ew. Durchl. geruhen zu ver-
nehmen, daß die Roſen-Craͤntze derer Catholicken in der Kirchen-Zeit
am wohlfeilſten, weil ſie alsdann am haͤuffigſten verhanden. Denn es
laͤſſet zu der Zeit ein jeder Bauer, welcher nur die Hoſen aufmachet,
und ſeinen Bauch ausleeret, deren einen hinter ſich liegen.
Der Her-
tzog laͤchelte zwar hieruͤber ein wenig, erroͤthete aber zu gleicher Zeit in ſeinem
Angeſichte, und ſprach weiter kein Wort bey der Tafel. Nachdem er aber auf
geſtanden war, und ſich in ſeinem Cabinet befande, ſagte er zu denen Umſtehen-
den: War das nicht ein grober und haͤßlicher Streich, den dieſer geiſt-
liche Herr begieng? Bewahre mich doch GOtt vor ſolchen Leuten!


Der geneigte Leſer urtheile nunmehro aus dieſem und dem uͤbrigen, was er
bißhieher geleſen, ob es nicht ſtoltze und aufgeblaſene, tumme und einfaͤltige,
grobe und ungehobelte, Narren unter denen Gelehrten geben muͤſſe, ſie moͤgen
ſeyn wes Standes ſie wollen, geiſtlich oder weltlich? Und hiermit mag ſich die
erſte Abhandlung dieſes Tractats endigen.



Andere Abhandlung.


EIn ſehr gelehrter Italiaͤner, Trajanus Bocalinus genannt, hat ein
Buch heraus gegeben, betitelt: Relationesaus demParnaſſo, wor-
aus ich, bereits in der erſten Abhandlung, eine Paſſage mit angezogen.
Dieſes Buch iſt in Italiaͤniſcher Sprache geſchrieben, auch nachhero in die
Hochteutſche uͤberſetzet worden, und man findet darinnen die Thorheit, welche
ſich mit der Gelehrſamkeit vermiſchet, mit ſehr lebendigen und natuͤrlichen
Farben abgemahlet; wie dann auch herrliche Lehren dabey gegeben werden.
Weil nun nicht zu glauben ſtehet, daß dieſes Buch in ſo gar vielen Haͤnden
ſich
[91] ſich befinden werde, will ich noch verſchiedene Relationes daraus allhier mit
einflieſſen laſſen. Jedoch werde ich mich weder allemal an die Worte der Teut-
ſchen Uberſetzung, noch ſtets an den Sinn des Bocalini binden ſondern alles
nach meinem eigenen Gutachten, und meinen beſondern Abſichten einrichten,
ſo daß es mehr eine Imitation als die ſelbſt-eigene Arbeit des Boccalini zu nennen
ſeyn wird.


Eine ſehr curieuſe, die Politicos angehende Relation aus
dem Parnaſſo.


DEmnach die ſaͤmtlichen Herren, in den Parnaſſum aufgenommenen Politici,
von vielen Monaten her, mit denen daſigen Herren Cammer-Raͤthen deli-
beri
ret und berathſchlaget, wie in dem Parnaſſo ein oͤffentliches Kauff-Haus
vor ihre Nation aufgerichtet werden moͤchte? iſt endlich die vergangene Woche
ſolches beſchloſſen und vor gut befunden worden. Alsdann haben die Herren
Politici, auf einem groſſen Marckt, alle diejenigen Waaren, deren das menſchli-
che Geſchlecht am meiſten vonnoͤthen, zu oͤffentlicher Schau- und Beſichti-
gung, gantz herrlich und praͤchtig, auslegen und zeigen laſſen.


  • 1) Findet man in dieſem politiſchen Kauff-Haus eine groſſe Quantitæt
    von der kurtzen Wolle ſo von dem neu-gepreſſeten Tuch abgeſchoren wird. Die-
    ſe Wolle achtet zwar der gemeine Mann nicht; aber von denen verſtaͤndigen
    Hofleuten wird ſie theuer bezahlet, dieweil ſie in Erfahrung gebracht, daß ſolche
    Wolle von dem allerfeineſten und beſten Tuch der wahren Weißheit herkomme,
    welches die klugen und verſtaͤndigen Menſchen von der allerzarteſten Wolle der
    Gedult gemachet haben. Sie dienet vornemlich die Sattel der Dienſtbarkeit
    damit auszufuͤllen, damit ſie ſich deſto beſſer auf den Ruͤcken derer armen und
    muͤhſeligen Hofſchrantzen ſchicken, wohl aufliegen, und ſie nicht etwa ſchwel-
    len und drucken moͤchten, welches dann denenjenigen ſchaͤndlicher Weiſe be-
    gegnet, die, ob ſie gleich aller Muͤhe und Arbeit Spinnen-feind ſeynd, ſich
    nichts deſtoweniger, des Hof-Lebens unterfangen, der gaͤntzlichen Hoffnung
    und Zuverſicht allda gute Tage zu haben, und in ihrer ſelbſt-eigenen Dienſtbar-
    keit uͤber andere zu herrſchen.
  • 2) Befindet ſich in dieſem politiſchen Kauff-Haus eine groſſe Anzahl
    M 2uͤber-
    [92] uͤberaus herrlicher Pinſel, denenjenigen Fuͤrſten und groſſen Herren faſt dien-
    lich, ſo in ihren aͤuſſerſten Noͤthen gezwungen werden, denen Unterthanen weiß
    fuͤr ſchwartz vorzumahlen. Und ob zwar dieſe Waare eintzig und allein vor ho-
    he Potentaten gehoͤret, ihnen auch in gewiſſen Faͤllen, erlaubt iſt, ſich derſelben zu
    bedienen; ſo verſehen ſich dennoch damit auch diejenigen falſchen und zweyzungi-
    gen Leute, ſo alles auf den aͤuſſerlichen Schein richten, und ſich auf nichts an-
    ders befleißigen als zu laͤcheln, zu betruͤgen, den gemeinen Mann mit der Naſe
    herum zu fuͤhren, und das Sprichwort an ſich wahr zu machen, daß ſie ſeyn
    die boͤſen Katzen, die forne lecken und hinten kratzen.
  • 3) Haben dieſe Politici in ihrem Kauff-Haus zu verkauffen allerley ſeltſame
    Brillen, von wunderbarer und unterſchiedener Operation, indem etliche ſehr
    nutz- und dienlich denenjenigen die Augen aufzuthun, welche die boͤſe Luſt und
    unkeuſche Begierden dermaſſen verblendet, daß ſie weder Ehre noch Schande
    achten, unter Freunden oder Feinden, Fremden oder nahen Bluts-Verwand-
    ten keinen Unterſcheid halten, ja unter der Sonnen nichts bedencken, noch zu
    Hertzen ziehen. Der Vertrieb, oder Débit dieſer Brillen iſt bey denen hieſi-
    gen, in dem Parnaſſo etablirten, Handelsleuten dermaſſen groß, daß man
    augenſcheinlich ſiehet und ſpuͤhret, ja mit Haͤnden greiffet, wie wenig unter de-
    nen Menſchen gefunden werden, welche in ihren fleiſchlichen Luͤſten ein gutes
    Geſichte haben.
  • 4) Noch eine andere Art von Brillen befindet ſich allhier, ſo denen Vori-
    gen gantz zuwider, und die Augen dunckel machen. Von dieſen berichten gedachte
    politiſche Handelsleute, daß ob ſie zwarallen Menſchen insgemein, doch aber de-
    nenjenigen, welche bey Hofe leben, ſehr nothwendig ja viel noͤthiger ſeyn als die an-
    dern, dadurch man weit und in die Ferne ſiehet; und ſolches um folgender Ur-
    ſache willen, weil zu Hofe manchem ehrlichen Mann ſehr verdrießliche und wie-
    derwaͤrtige Sachen vor Augen kommen. Solchen nun den Ruͤcken zu kehren,
    verurſachet oͤffters Groſſer Herren Zorn und Ungnade. Dieſelbe aber ſcharff
    anzuſehen, und zu beſchauen, bringet nichts als innerliches Hertzfreſſen und Be-
    truͤbniß. Bey dergleichen Occaſion nun ſind gemeldte Brillen ſehr dienlich,
    weil ſie einen ſelbſt von denen Beſchwerlichkeiten und Unluſt der argen und ver-
    kehrten Welt befreyen, dem gemeinen Mann aber einbilden, daß man ſie ge-
    dachte Sachen deſto eigentlicher zu beſchauen, aufſetze.
  • 5) Die dritte Art von Brillen, ſo allhier feil, ſind gut das Geſicht zu erhal-
    ten, ſonderlich denenjenigen unhoͤflichen und unfreundlichen Leuten, welchen,
    nachdem ſie zu neuen Ehren und Dignitæten erhoben worden, das Gefichte der-
    maſſen verdunckelt und verfinſtert wird, daß ſie auch in die hoͤchſte Undanckbarkeit
    verfallen. Die Politici des Kauff-Hauſes vermelden, daß ermeldete Brillen von
    der koͤſtlichen Materie des immerwaͤhrenden Gedaͤchtniſſes wegen empfangener
    Gutthaten, wie auch aus der Erinnerung der vorgeflogenen Freundſchafft, ge-
    machet ſeyen.
  • 6) Aber viel wunderbarer iſt die vierte Art von Brillen, mit ſolcher Kunſt
    und Geſchicklichkeit verfertiget, daß ſie aus einem Floh einen Elephanten, aus
    einem Zwerg einen groſſen ungeheuren Rieſen machen. Dieſe Art Brillen
    werden von etlichen groſſen Herren mit ſonderbarer Begierde gekauffet, und
    hernach ihren ungluͤckſeligen Hof dienern auf die Naſe geſetzet, welchen ſie dann
    die Augen dermaſſen alteriren, verfaͤlſchen und verblenden, daß ſie die geringe
    und ſchlechte Gunſt, wann ſich der Fuͤrſt etwa auf ſie ſteuret und lehnet, oder
    ſie uͤber eine Achſel freundlich, wiewohl faͤlſchlich und gezwungener Weiſe an-
    ſiehet, hoͤher achten als wann ſie jaͤhrlich tauſend Species-Ducaten Intraden
    von ihm bekaͤmen.
  • 7) Noch eine Art von Brillen, neulicher Zeit in Flandern erfunden, ſeynd
    allhier zu bekommen, und werden, gleichermaſſen, von hohen Standes-Perſo-
    nen mit vielem Gelde bezahlet, hernach aber ihren Hofleuten verehret, welche
    von ihnen aufgeſetzet und gebrauchen, verurſachen, daß ſie die eingebildete Beloh-
    nungen und hohe Ehren-Stellen, allbereits mit denen Haͤnden ergriffen zu ha-
    ben vermeynen, die ſie doch mit keinem Auge geſehen, auch in Ewigkeit nicht zu
    ſehen bekommen werden.
  • 8) Uber das werden auch allhier, aber in ſehr hohem Preiß, Menſchen-
    Augen feil gefunden, die eine wunderbare Wirckung und Tugend haben.
    Denn es iſt unglaublich, welchergeſtalt einer ſeine eigene Sachen taͤglich erken-
    net und verbeſſert, wann er ſie wohl mit anderer Leute Augen anſchauet und ein-
    ſiehet. Und bezeugen die geſamten Politici in dem Parnaſſo bey ihrem Gewiſſen,
    daß kein ander Mittel zu der wahren Gluͤckſeligkeit, zu der vortrefflichen Tugend
    des Noſce te ipſum, und zu ſeiner Selbſt-Erkaͤntniß, darnach ſo viele groſſe
    Maͤnner geſtrebet haben, zu gelangen ſeye, als eben dieſes.
  • 9) Werden allhier verkaufft Zirckel, nicht von Silber, Meßing oder
    Stahl, ſondern von der eigen nutzigen Reputation, die ſich in allen Ehren-Staͤn-
    den befindet, verfertiget und zugerichtet ſeynd uͤber alle Maſſen dienlich, ſeine
    eigenen Actiones taͤglich damit abzumeſſen. Denn die Erfahrung giebet ei-
    nem jedem genugſam zu erkennen, daß diejenigen Zirckel, ſo aus eigenem Ge-
    hirn, und Privat-Intereſſe geſchmiedet werden, denenjenigen gar uͤbel gerathen,
    welche in ihren taͤglichen Geſchaͤfften alle Linien in einen Punct zuſammen brin-
    gen wollen zu geſchweigen, daß dergleichen Zirckel denenjenigen, ſo ſie
    recht zu gebrauchen wiſſen, ſehr nutz und dienlich ſeye welche ſich um Re-
    putation
    willen, hoher Geſchaͤffte unterfangen, dieſelben recht abzumeſſen,
    damit ſie nicht in der Mitte ſtecken bleiben, und hernach wie Butter in der
    Sonnen beſtehen. So haben auch alle Verthuer und Schlecker- oder Lecker-
    Maͤuler, welche mehr wollen verzehren als ihr Pflug erwerben kan, kein beſſer
    Inſtrument, die nothwendige, Tugend zu erlernen, nicht hoͤher zu ſteigen, als
    ihnen die Federn gewachſen.
  • 10) Verkauffen die Politici in dem Parnaſſo eine Art von Meßruthen, ſo
    die Acker-Leute zu gebrauchen pflegen, denen ſehr noͤthig, welche mit andern
    Leuten wichtige und hohe Geſchaͤffte zu tractiren, oder ihnen heimliche Sachen
    zu vertrauen haben, damit ſie dieſelben in allen Ecken und Winckeln wohl aus-
    meſſen und erforſchen koͤnnen.
  • 11) Iſt allhier groſſer Vertrieb von einer Art eiſerner Inſtrumenten, de-
    nen, ſo die Wund-Artzte und Zahnbrecher zu gebrauchen pflegen, nicht gar un-
    gleich. Sie ſeynd ſehr nuͤtzlich und gut denen ungluͤckſeligen Hofleuten den
    Schlund und die Gurgel damit zu erweitern, welche zu Zeiten aus der Noth
    eine Tugend machen, und an ſtatt derer kleinen Pillen, groſſe Kuͤrbiße einſchlu-
    cken muͤſſen.
  • 12) Findet ſich allhier eine groſſe Menge von Beſen, ſo von lauter Vorſich-
    tigkeit geflochten, und zuſammen gebunden ſeynd. Dieſe werden ſehr von klugen
    und verſchlagenen Hofleuten eingekaufft, des Morgens und Abends die Stiegen
    ſauber und wohl zukehren, damit ſie nicht uͤber die gefaͤhrliche Erbſen fallen, welche
    etliche mißgoͤnſtige darauf zu ſtreuen pflegen, ſo ſich mehr delectiren und belu-
    ſtigen anderer Leute Actiones zu vernichten und zu verkleinern, als ihre eigenen
    wohl anzuſtellen, und ſich allein befleißigen andere ehrliche Leute um ihren guten
    Namen, Ehre und Reputation zu bringen.
  • 13) Befindet ſich allhier in dem politiſchen Kauff-Haus die vortreffliche
    Dinte ſo dem Golde gleich geachtet wird, viel koͤſtlicher als das Laſur-Blau,
    welche Dinte von beruͤhmten Scribenten verſchrieben wird, und iſt gleichſam ein
    koͤſtlicher Balſam ihre verſtorbenen Coͤrper damit zu balſamiren, und ihnen,
    auch nach dem Tode, einen ewigen und guten Geruch zu machen; dahingegen
    die Ignoranten und ungelehrte, oder auch gelehrte Narren und Fantaſten, einen
    unertraͤglichen Geſtanck von ſich geben, und bald nach ihrem Tod zu Staub und
    Aſche werden. Weiſe und gelehrte Leute machen ihnen mit dieſer Dinte allein
    einen ewigen und unſterblichen Namen, welcher mit denenjenigen, ſo nichts
    gewuſt haben, ſobald ihnen der Athem ausgehet, zu gleich verloͤſchet. Dieſer
    Balſam hat in Wahrheit eine uͤbernatuͤrliche Krafft und Wirckung, dieweil
    diejenigen, ſo ſich damit ſalben, leben, ob ſie ſchon ſterben, und allein ſo viel den
    Leib belanget, und aus dieſer Welt ſcheiden, wegen ihrer vortrefflichen Buͤcher
    aber in Ewigkeit darinnen bleiben.
  • 14) Loͤſen offt-gemeldte politiſche Handels-Leute viel Geld aus einem
    Oele, welches vielmals ſehr dienlich befunden worden, denen, ſo zu Hofe le-
    ben, den Magen damit zu ſtaͤrcken, auf daß ſie ohne Verletzung der Complexion
    ihrer Gedult, den groſſen Wiederwillen, und die hefftigen Verdrießlichkeiten,
    ſo ſie zu Hofe einſchlucken muͤſſen, deſto beſſer verdauen moͤgen.
  • 15) Verkauffen ſie in einen kleinen Glaͤßlein, den wohl-riechenden Men-
    ſchen-Schweiß, ſehr dienlich, diejenigen damit zu beſtreichen, welche durch
    den lieblichen Geruch ihrer ſauren Muͤh und Arbeit, mit der Feder in der Hand,
    unter denen Gelehrten ſich gerne wollen finden laſſen.
  • 16) Werden ſehr herrliche Morſellen allhier verkaufft, ſo ſehr dienlich ſind
    etlichen eigenſinnigen und wiederſpaͤnſtigen Stoicis einen Appetit zu machen,
    damit ſie vor denen Wiederwaͤrtigkeiten dieſer Welt nicht ſo leichtlich einen
    Eckel und Grauen bekommen, ſondern ſelbigen mit groͤſſerer Begierde zu ſich
    nehmen und einſchlucken moͤchten. Denn ob zwar dieſelbe vielen einen Grauen
    verurſachen, und manchen ehrlichen Mann gantz und gar zuwider ſind, ſo muß
    man doch vielmals groſſer Herren Ungunſt nicht auf ſich zu laden, auch ſeine ei-
    gene Sachen nicht in Gefahr zu ſetzen, ſich ſtellen, als ob man einen ſonderli-
    chen Gefallen daran haͤtte, und dieſelbe mit groſſer Begierde und hungerigen Ma-
    gen, ſo warm man es leiden kan, zu ſich nehmen.
  • 17) Verkauffet man in dieſem Cram groſſe Schachteln mit dem allerbeſten
    Bieſem-Zucker, denenjenigen geheimen Raͤthen, Secretariis und Raths-Her-
    ren einen lieblichen und wohl-riechenden Athem zu machen, welche die Ver-
    trauten geheimen Sachen bey ſich behalten, und in ihrem Leibe verfaulen laſ-
    ſen muͤſſen.
  • 18) In einem beſondern Laden, à part, werden auch gefunden die Ei-
    ſen, ſo man denen Pferden auf der Weide anzuthun pfleget, von dem Eiſen
    der Weisheit und der Bedachtſamkeit geſchmiedet. Und obſchon etliche Unver-
    ſtaͤndige vor ſolchen, als Inſtrumente vor die unvernuͤnfftige Thiere gehoͤrig
    einen groſſen Abſcheu tragen; ſo haben doch andere Verſtaͤndigere ſolche in groſ-
    ſen Eſtim, dannenhero ſie auch von denen unbedachtſamen und unvorſichtigen
    Koͤpffen mit groſſem Gelde bezahlet werden, um ſich dadurch im Zaum zu hal-
    ten, welche anderergeſtalt viel lieber ihre geſchaͤffte uͤber Hals und Kopff auf der
    Poſt, als mit einem gemeinen Bothen, der mit Bedachtſamkeit daher gehet,
    verrichten wollen.
  • 19) Unter allen Waren aber, ſo in dieſem reichen Kauff-Hauſe feil, iſt keine
    die beſſer abgehet, als eine Art von Fliegen-Wedeln, ſo zwar nicht von koͤſtli-
    chen Strauſſen, noch von Pfauen oder anderer ſchoͤnen Vogel-Federn, ſon-
    dern von Kraͤutern und Blumen gemachet ſind. Und weil Andreas Matthiolus,
    Parnaßiſcher Botanicus, unter dieſen Kraͤutern und Blumen den gifftigen Na-
    pellum
    gefunden hat, haben dahero die ſaͤmtlichen Raͤthe in dem Parnaſſo abge-
    nommen, daß dieſe Fliegen-Wedel nicht erfunden ſeyen in dem Sommer, Wind
    damit zu machen, ſondern vielmehr die verdrießlichen Fliegen von der Naſe da-
    mit zu vertreiben, welche etliche Unverſtaͤndige mit denen Dolch en zu verjagen
    vermeynet, ihnen aber daruͤber die Naſen ſelbſt abgehauen.

Poëten und andere ſtoltze Gelehrte haben folgende Relation
aus dem Parnaſſo in reiffe Erwegung zu ziehen:


DAmit die Ungelehrten, und Ignoranten, mit ihren unſaubern Gemuͤthern,
den Parnaſſum nicht entheiligten und verunreinigten, hat Apollo ſchon vor
etlichen Jahren zwo Compagnien Poëten aus Sicilien kommen laſſen, ſo in
dem Reymenreiſſen uͤber die Maſſen gut, und in ihren Inventionibus ſehr excel-
liren.
[97]liren. Deren Amt iſt, daß ſie taͤglich die Straſſen battiren und bereiten ſelbi-
ge ſauber zu halten.


Dieſe bekamen vor acht Tagen einen Poëten gefangen, welcher bey Verluſt
Leibes und Lebens, aus dem Parnaſſo relegiret und verwieſen war. Dieſer ob
ihm ſchon Buͤcher, wie nicht weniger ſonſt etwas zu ſchreiben verboten geweſen,
hat er doch dem ungeachtet, Apollini zum Trutz, und denen ſaͤmtlichen Muſis
zu beſonderer Verungluͤmpffung, nicht unterlaſſen, taͤglich viel Papier mit ſei-
nen Lumpen-Verſen zu beſudeln und zu verderben. Ja was noch mehr, ſo hat
er ſich vor einen recht excellenten Poëten ausgeben duͤrffen. Indem nun die
Haͤſcher ihn beſuchten, fanden ſie ein Karten-Spiel bey ihm, welches dann
ſein Verbrechen, und ſeine Miſſethat, nicht wenig vermehrt, weil ohne diß die
Karten Spiele vor Laſterhafftig gehalten, und bey Lebens-Straffe verboten
ſind. Sie uͤberlieferten dannenhero daß, bey dem Poëten gefundene, Karten-
Spiel ſo gleich dem Apollini; welcher ſich zum hoͤchſten uͤber eine ſolche ſchaͤndli-
che Erfindung verwunderte, und daß die laſterhafften Menſchen die Zeit da-
durch zubringen, auch Ehre, Guth und Reputation, Leib und Leben, ja biß-
weilen gar die Seele, damit verſpielen moͤgen. Noch mehr aber entſetzte ſich
Apollo, als er vernahm, daß die Thorheit derer Menſchen, ſo hoch geſtiegen
waͤre, daß ſie dasjenige ein Spiel und Kurtzweil nenneten, welches ſie doch mit
ſo groſſem Eiffer und Ernſt trieben, ja daß ſie vor eine Freude Luſt und Kurtz-
weile hielten, das Geld ſo leichtfertiger Weiſe zu wagen, daß mit ſo ſaurem
Schweiß erworben wird, und zu ſoviel unzehlichen Sachen nuͤtzlich und gut iſt,
abſonderlich zu Buͤchern, ohne welche die heutige Welt Ariſtotelem vor einen
Narren, und Alexandrum Magnum vor einen gemeinen Mann, halten wuͤr-
de. Appollo fragte dieſen Poëten, welches Spiel er vor allen andern
am meiſten ůbete und brauchte?
worauf er antwortete das Trumpff-
Spiel gefalle ihm am allerbeſten.
Derohalben befahl Apollo demſel-
ben, ſolchen zu ſpielen, welches er thaͤte. Sobald nun Apollo derer Mei-
ſter-Griffe dieſes Spiels innen ward, rieff er uͤberlaut, dieſes Spiel ſeye
die rechte
Philoſophiederer Hofleute, und die nothwendigſte Wiſſen-
ſchafft, ſo alle Menſchen lernen ſolten, welche nicht vor grobe und unge-
ſchickte Toͤlpel wolten gehalten werden.
Es lieſſen ſich auch Ihro Par-
naſſi
ſche Majeſtaͤt zugleich vermercken, daß der Schimpff, ſo dieſem guten Poë-
ten wiederfahren, ihnen zum hoͤchſten mißfiele wuͤrdigten ihn derowegen vor das
erſte des Titels eines Tugendhafften, befahlen auch alſobald ihn loß zu laſſen,
und geboten dem Pedellen der Univerſitæt, den folgenden Tag ein abſonderli-
Nches
[98] ches Logement vor ihn aufzuthun, und zuzurichten, in welchem dieſer vortreff-
liche Mann, dem gemeinen Nutzen zum Beſten, das herrliche Trumpff-Spiel
oͤffentlich lehren, und jederman darinnen unterweiſen ſolte. Apollo machte ihm
darneben eine herrliche Beſtallung aus, von 500. Ducaten, befahl auch bey ho-
her Straffe denen Platonicis, Peripateticis, und denen ſaͤmtlichen Philoſophis
moralibus,
wie auch insgemein allen Gelehrten in dem Parnaſſo, daß ſie dieſe
hoͤchſt-noͤthige Wiſſenſchafft mit Fleiß erlernen ſolten. Und damit ſie dieſes
Spiel nicht ſo leichtlich wieder vergeſſen moͤchten, erlaubte er ihnen, ſich taͤglich
eine Stunde darinnen zu uͤben.


Ob nun zwar dieſes denen ſaͤmtlichen Gelehrten in dem Parnaſſo ſehr Spa-
niſch vorkam, daß aus einem ſolchen, vermeynten, gemeinen Bernhaͤuter-
Spiel, etwas zum menſchlichen Leben nuͤtz- und dienliches ſolte koͤnnen gefaſſet
werden; ſo wuſten ſie dennoch vor gewiß, daß Appollo nicht leichtlich etwas befoͤh-
le, daraus ſeine (Virtuoſi) Tugendhaffte nicht ſonderlichen und groſſen Nutzen zu
erwarten haͤtten. Sie leiſteten demnach Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt unterthaͤ-
nigſten Gehorſam, dergeſtalt, daß gedachte Schule in ein groſſes Aufnehmen
geriethe.


Nachdem nun denen Gelehrten die verborgenen Griffe, und Heimlichkei-
ten, dieſes Spiels begunten offenbar zu werden, erhuben ſie Se. Parnaſſiſche
Majeſtaͤt, Dero trefflichen und hohen Verſtandes wegen, biß in den achten
Himmel hinauf, ruͤhmeten und preiſeten uͤberall, daß weder die Philoſophie,
noch auch die Poëterey, Mathematic, Sternguckerey, oder einige andere Scienttz,
ſondern eintzig und allein dieſes wunterſeltſame Trumpff-Spiel, das hohe Ge-
heimniß, ſonderlich diejenigen, ſo ihr Leben bey Hofe zubringen muͤſſen, lehrte,
daß eine jede ſchlimme, und die Geringſte Trumpff-Karte die aller-
hoͤchſten und beſten Bilder in der Karte, wann ſie nicht Trumpff ſind,
hinweg nimmt und dieſelben ſticht.


Denen Gelehrten, derer gantze Wiſſenſchafft in einem eit-
len Wort-Gepraͤnge und Geſchwaͤtze beſtehet, wird die-
ſe Relation aus dem Parnaſſo beſtens
recommandiret.


EIn Gelehrter Laconier hatte ſeine Meynung mit allzuvielen Worten vor-
gebracht; ward aber von dem Magiſtrat daſelbſt uͤberzeuget, daß er es mit
zweyen
[99] zweyen haͤtte verrichten koͤnnen. Weil nun die Laconier ſparſamer mit Wor-
ten als die Geitzigen mit denen Ducaten umzugehen pflegen, ward dem
Schwaͤtzer und Plauder-Matz, um ſeines Fehlers willen, der in ſeinem Va-
terland mehr als Capital iſt, nachdem er bereits acht Monate in beſchwerlichem
Gefaͤngniße gelegen, vor fuͤnff Tagen auferleget, daß er zur Straffe, den Piſa-
ni
ſchen Krieg von Franciſco Guiccardino beſchrieben, nur einmal durchleſen ſol-
te. Mit groſſer Muͤhe und Arbeit laſe dieſer Laconier nur das erſte Blat
durch. Alsdann empfande er einen ſolchen Eckel, ja eine rechte-Todes Angſt,
wegen des langen Gewaͤſches, daß er hinlieff, denen Richtern welche das Ur-
theil gefaͤllet, einen Fuͤß-Fall that, und ſie inſtaͤndigſt bat, ihn Zeit ſeines Le
bens auf die Galleren zu verdammen, oder einzumauren, ja aus Barmhertzig-
keit lieber lebendig zu ſchinden, als ihn ferner aufzuhalten, die weitlaͤufftigen Er-
zehlungen, ſo kein Ende naͤhmen, die ſchlaͤffrigen Anſchlaͤge, und verdrießli-
chen Orationes, welche bey Einnehmung auch eines jeglichen alten Tauben-
Hauſes gehalten worden, zu leſen. Denn es breche im das Hertz, uͤbertreffe
auch alle Marter, alle Schmertzen derer gebaͤrenden Weiber, und alle Todes-
Angſt, ſo, auf Anhalten derer allergreulichſten Tyrannen, der gottloſe Pe-
rillus
jemals haͤtte erdencken koͤnnen.


Auf Gelehrte, in welchen eine uͤbermaͤßige, und ihnen
nicht anſtaͤndige Curioſité herrſchet, kan nachſte-
hende Relation gezogen werden.


GEſtriges-Tages wurde von dem Obriſten derer Schergen, ſo von denen
Zuchtmeiſtern uͤber die Studia beſtellet iſt, gefaͤnglich eingebracht ein vor-
nehmer Gelehrter, welcher auf friſcher That ergriffen worden, daß er, mit der
Brille auf der Naſen, etliche Italiaͤniſche verliebte Poëtiſche Gedichte geleſen,
deswegen er, auf Befehl Apollinis, dieſen Morgen dreymahl ziemlich ſtatck
mit Ruthen geſtrichen, und ihm darneben angezeiget worden, er ſolte in dieſem
ſeinem Alter, ſo ſich auf 55. Jahre erſtreckete, die Zeit beſſer anwenden, und
ſich auf nuͤtzlichere und ernſthafftere Studia legen. Denn die Zeit mit Leſung
dieſer Italiaͤniſchen Geſaͤnge und Reimen zuzubringen und zu verlieren, ſtuͤnde
denen jungen Leckern und Loͤffel-Maͤulern viel beſſer an, denen es auch, wegen
ihres Alters, zu gut gehalten wuͤrde; denen Alten aber koͤnte man ſolches nicht
ungeſtrafft hingehen laſſen.


N 2Die-
[100]

Diejenigen Gelehrten, welche ihr, Geſinde, ingleichen ihr
Vieh, uͤber die Gebuͤhr hart tractiren, moͤgen ſich die
jetzt-kommende Relation aus dem Parnaſſo
an die Naſe reiben.


DEn 1ten April erſchienen vor dem Apolline der weitberuͤhmte guͤldene Eſol
Apulei, wie auch die beruͤhmte Aſinaria Plauti. Dieſe brachten im Na-
men derer ſaͤmmtlichen Eſel an und vor, daß, wann diejenigen Thiere von dem
menſchlichen Geſchlechte wohl gehalten zu werden meritirten, welche wenig ko-
ſteten, und doch groſſen Nutzen ſchaffeten, ſo haͤtten ſie vor allen andern Thieren
Urſache genug ſich uͤber ihre Herren zu beklagen. Denn ob ſie ſchon wegen der
ſchweren Arbeit, weder Tag noch Nacht Ruhe haͤtten, behuͤlffen ſie ſich doch
mit Waſſer und Haber-Stroh, und hielten Oſtern bey einer Handvoll Kleyen,
wuͤrden aber, dem allen ungeachtet, von ihrer Herrſchafft mit ſolcher Unbeſchei-
denheit tractiret, daß ſie gleichſam ein erbaͤrmliches Spectacul vor der gantzen Welt
worden. Ja wann ſie ſich ſchon mit denen allerſchaͤndlichſten und verachteſten
dienſten gegen ihre Herren demuͤthigten, koͤnten ſie dennoch ihre harten und Stei-
nern Hertzen nicht erweichen. Sie baͤten derohalben auf das demuͤthigſte
Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt wolten Ihnen belieben laſſen, bey ihrer Eſels-Ar-
beit, wo nicht ein gantzes Punctum, doch zum wenigſten ein Strichlein oder
Comma zu machen, und ihren Herren zu befehlen, gegen Creaturen, die ſich
ſo hoch verdient gemacht, wo nicht Danckbarkeit, doch auf das wenigſte Be-
ſcheidenheit, zu gebrauchen.


Die Klage und das Verlangen derer geſamten Eſel, befande Apollo
dermaſſen billig, daß er ihnen ihre Bitte gewaͤhrete. Hiernechſt entbrannte er
gantz vor Zorn wider viele Philoſophos, und andere Gelehrte, welche præten-
di
ren, unendlich mehr Weißheit als andere Menſchen zu beſitzen, und doch
nicht einmal wiſſen, wie ſie ihr Vieh tractiren ſollen. Dieſe verwandelte Apol-
lo,
zur Straffe, in Eſel, Ochſen, Pferde ꝛc. in welcher Geſtalt ſie ſechs Mo-
nate verbleiben, und eben ſo tractiret werden ſollen, wie ſie ihr Vieh zu tracti-
ren pflegen.


Rela-
[101]

Relation von denen ausgeſaͤeten Kuͤnſten derer Gelehrten,
und wie ſie dieſelben gebauet haben.


DIe Erndte in dem Parnaſſo iſt nunmehro voruͤber, auch alle Fruͤchte bereits
von denen Herren Gelehrten in die Scheuren eingefuͤhret. Allein man muß
bekennen, daß die allermeiſten eine ſchlechte Erndte gehabt; woran zum Theil
das Abnehmen des menſchlichen Verſtandes, und den Saamen, den man
ausgeſaͤet: zum Theil aber das Erdreich, dann auch Lufft und Waſſer
Schuld iſt.


Die, ſo auf Poëterey gebauet, haben in dem Fruͤhling ihres Alters geſe-
hen, daß die Felder ſich ſehr ſchoͤn zeigten, hoffeten derowegen nicht unbillig auf
eine reiche Erndte. Als aber der Junius, in welchem das Korn zu ſchoſſen pfle-
get, herbey ruͤckte, wurden die armſeligen Leute gewahr, daß aus ihrer Arbeit
nichts als tolle Gewaͤchſe und unbrauchbare Blumen wurden, ſo daß ſie ver-
gebens gearbeitet hatten, und dabey Hunger und Kummer leiden muͤſſen, des-
wegen dann ſelbiger Ackerbau, weil er ſehr ſchlechten Gewinn bringet, fuͤhro-
hin gewaltig in das Abnehmen kommen wird.


Die, ſo Latein geſaͤet, und eine ſtoltze Einbildung geheget, daß die Saat
gerathen muͤſte, haben anders nichts als Schulfuͤchſereyen und Grammaticali-
ſche Staͤnckerey geerndtet.


Von der Griechiſchen Sprache iſt wenig geſaͤet worden, weil jetziger Zeit
ſchlechter Vertrieb dabey iſt, welches vielleicht daher ruͤhret, daß das Brod, ſo
aus dieſem Korn gebacken wird, ob es zwar vor langen Jahren einer volckrei-
chen Nation taͤgliche Speiſe geweſen, denen bloͤden Maͤgen, derer jetzigen ſchwa-
chen Naturen, ſchwer zu verdauen faͤllet. Derowegen haben etliche verſchlage-
ne Koͤpffe in ihren Gaͤrten nur allein ſo viel geſaͤet, als ſie in ihrem eigenen
Hausweſen vor noͤthig gehabt, vielmehr damit ſie nicht vor Ignoranten und vor
unverſtaͤndig gehalten wuͤrden, als daß ſie ſich vor gelehrte Leute ausgeben ſol-
ten ingleichen nur den Saamen davon zu erhalten, und keinesweges als ob ſie
Kauffmanſchafft damit treiben wolten.


Der Saame der Hebraͤiſchen Sprache hat ſich faſt gar verlohren. Denn
weil er nicht mehr im Gebrauch, wird gar wenig geſaͤet, welches dann denen
N 3Men-
[102] Menſchen nicht zu geringer Schande und Schmach gereichet, daß ſie eine ſolche
Sprache nicht hoͤher achten, in welcher vor Zeiten GOtt der HErr ſelbſten ge-
redet, welches ihr auch kein geringes Anſehen machet.


Die Philoſophie haben Wurm-Saamen geſaͤet, deswegen auch wunder-
ſeltſame Gewaͤchſe daraus hervor gekommen ſind, als zum Exempel Grillen,
Schwaben, Ratten, Maͤuſe, und ander Ungeziefer mehr.


Aus dem Saamen, welchen die Aſtrologi geſaͤet, ſind Narren-Kappen
worden.


Diejenigen aber, welche eine reiche und gute Endte gehabt, ſind die Aſtro-
nomi,
die boͤſen Advocaten und unverſtaͤndigen Medici.


Denn der Saame, den die Aſtronomi ausgeſtreuet, hat Luͤgen getragen,
deren ſie ſehr benoͤthiget ſind, die Calender damit anzufuͤllen und voll zu machen.
Daß aber die boͤſen Advocaten und unverſtaͤndigen Medici eine ſo reiche Ernd-
te gehabt, daran iſt dieſes Urſache, weil die boͤſen Advocaten, in Ermange-
lung eines gnaͤdigen Regens von dem Himmel, ihren Acker mit dem Speck de-
rer Zanckſuchtigen und Proceſſ-liebenden Narren geſpicket; mit denen Thraͤnen
derer an der Gerechtigkeit Noth-leidenden, auch daher Weinenden und Seuff-
tzenden gewaͤſſert; und die unverſtaͤndigen Medici den ihrigen mit denen Lei-
chen dererjenigen ungluͤckſeligen Patienten, die in ihre Haͤnde gerathen ſind, ge-
duͤnget haben, wie man ſonſt die Aecker und Felder mit Miſt zu duͤngen pfleget.
Das ſchlimmſte bey der gantzen Sache iſt nur dieſes, daß ſich zu gleicher-Zeit,
der Fluch, und ein ſchweres Gewiſſen mit in die Scheuren derer boͤſen Advo-
ca
ten, und unverſtaͤndigen Medicorum, einquartieret haben, welche ſonder
Zweiffel alles eingeerndete wieder verzehren und auffreſſen werden.


Die, ſo Gutthaten geſaͤet, haben wider Verhoffen ebenfalls eine gute
Erndte gehabt. Denn ſo herrlich dieſer Saame, ſo wunberbar iſt er auch, indem
von vielen Achteln, welche man in das Erdreich wirfft, obſchon bey nahe alles
zu Schanden gienge, dennoch ein einiges Koͤrnlein, ſo davon aufgehet, den
Ackers- und Saͤemann zu groſſer Gluͤckſeligkeit bringet. Zu dieſem herrlichen
Acker-Bau aber gehoͤren allein großmuͤthige und freygebige Leute. Denn die
Geitz-Haͤlſe, denen die Geldgierigkeit angebohren, dergeſtalt, daß ſie eher ernd-
ten
[103] ten als ſaͤen wollen, haben das Hertze nicht, dieſen edlen Saamen auszuſtreuen,
weil ſie vermeynen er ſey verlohren.


Gleichergeſtalt haben diejenigen, welche Draͤuungen, und Schmaͤh-
Worte ausgeſaͤet, eine reiche Erndte gehabt, allermaſſen ſie in der That, Feind-
ſchafft, Verletzungen und Schaden genug bekommen.


Die, ſo boͤſe Wuͤnſche geſaͤet, haben den Fluch eingeerndtet. Etliche ande-
re, ſo Diſteln der Verleumdung geſaͤet, haben eine ſolche reiche Erndte von
Dornen gehabt, daß ſie alle Scheuren damit angefuͤllet, und biß in das dritte
Glied genug daran haben.


Eine ſehr nachdenckliche Relation aus dem Parnaſſo
iſt auch dieſe.


EInes Menſchen Sinn und Humeur recht zu erkennen iſt noͤthig oͤffters an die-
jenigen Orte zu gehen, wo ehrliche Handthierung getrieben wird: wie nicht
weniger in ſolche Craͤme und Laden, wo laſterhaffte und boͤſe Sachen verkauf-
fet werden. Wer ſich nun darinnen finden laͤſſet, den muß man genau mer-
cken und notiren. Alſo geben die Buchlaͤden zu erkennen, welche Liebhaber
derer freyen Kuͤnſte ſeynd. Alſo zeugen Spiel-Haͤuſer, und Spiel-Plaͤtze, mit
Fingern auf die, ſo Luſt zu dem Spielen haben. Die Paſteten-Haͤuſer, und
beruͤhmten Tracteurs, verrathen die Schlecker-Maͤuler; die Wirths-Haͤuſer
die Zech-Bruͤder. An keinem beſſern und bequemern Orte aber kan man die
eitlen leichtfertigen Leute erkennen lernen, als in denen Barbier-Stuben, in
welchen man ſiehet, welches die Ganimedes und Narciſſi ſeynd, ſo da mit groſ-
ſer Gedult dem Barbierer zwo Stunden ſtille halten koͤnnen, die ſo puͤnctlich
und eben muͤſſen geputzet ſeyn, daß ſie mehr Zeit zubringen, den Bart recht auf-
ſetzen zu laſſen, als die allerzierlichſte Braut ihren gantzen Kopff zu zieren und zu
ſchmuͤcken. Wann ein eintziges Haͤrlein vor dem andern hervor gucket, oder
krumm ſtehet, meynen ſie gleich, ſie ſeyn die allerverſtelteſten Leute in der gantzen
Stadt. Daher koͤmmet es, daß der Zeitungs-Schreiber, dem dergleichen
Stuͤcklein wohl bekannt, ſich zum oͤfftern in dem politiſchen Kauf-Haus finden
laͤſſet, und ſolches allein darum, auf daß er aus denen Waaren, ſo andere kauf-
fen, in Erfahrung bringen moͤge, wie ihrer viele an dem Hofe des Appollinis ge-
ſinner
[104] ſinnet ſeyn, damit er hernachmals, ſeinen guten Freunden und Bekannten ei-
gentlichen Bericht deswegen thun koͤnne.


Es kam demnach in dieſes politiſche Kauff-Haus, vor dreyen Tagen, Jo-
hannes Baptiſta Sanga,
ein beruͤhmter Secretarius an dem Roͤmiſchen Hofe. Die-
ſer fragte einen von denen Cram-Dienern, ob er Kohlen zu verkauffen haͤtte?
Ihm wurde mit Ja geantwortet, auch die Kohlen zugleich gezeiget, und weil ſie
ihm wohl anſtunden, wurde man des Kauffes eins. Er kauffte aber deren vier-
tzig Laſt. Solches kam den Zeitungs-Schreibern Spaniſch vor, was doch dieſer
Secretarius mit ſo vielen Kohlen anheben wolte, als der nur einen Diener haͤtte.
Weil er nun des Sangæ gar vertrauter Freund war, begehrte er deſſen Urſache
von ihm zu wiſſen, ob er es vielleicht darum thaͤte weil die Kohlen wohlfeiler als
das Holtz waͤren? dieſem gab der Sanga zur Antwort, Er, als der zu Hofe lebte,
muͤſte mehr auf Reputation als auf Gewinn ſehen, hielte nichts von dem Feuer,
ſo von Holtz gemachet wuͤrde, weil es viel Rauch und wenig Kohlen gaͤbe. Es
waͤren auch die Kohlen denenjenigen ſehr dienlich, die da nicht gerne haben,
daß ihre Suppen und Speiſen nach Rauch ſchmecken. So gaͤbe es hier-
nechſt Spuͤr-Hunde, die nur anderer Leute Thun auszuforſchen ſich
beflieſſen, und nach
Proportiondes Rauchs der aus der Kuͤche gienge,
urtheileten, wie ſtattlich dieſer oder jener zu Hauſe lebe.
An dieſem
Rauch ſeye ihm dannenhero nichts gelegen, ſondern er contentire ſich, wann
nur ſein Tiſch in geheim wohl verſehen waͤre.


Nach dem Sanga kam der Philoſophus Epictetus, ſeines guten Namens
und aufrichtigen Gemuͤths wegen in dem Parnaſſo hoch gehalten, und dem Zei-
tungs-Schreiber wohlbekannt. Dieſer begehrte allerley Beltzwerck zu ſehen,
und es wurden ihm alſobald Zobel und andere koͤſtliche Arten von Thieren gezei-
get. Weil ſie ihm aber nicht gefielen, ſagte er zu dem Vorſteher des Kauff-Hauſes,
Es waͤren ihm dieſe Beltze viel zu ſtattlich, und deswegen vor ihn nicht
dienlich, wolte lieber einen von der Art haben, ſo diejenigen truͤgen welche

prætendirten vor gute ehrliche Leute angeſehen, und gehalten zu wer-
den.
Dieſer merckte bald, wo der Philoſophus hinaus wolte, nahm ihn derohal-
ben bey der Hand, und ſuͤhret ihn in ein abſonderliches Logement auſſerhalb
des Kauff-Hauſes, von dannen er kurtz hernach wieder heraus kam, einen
Wolffs-Beltz, ſo mit Lamms-Fellen gefuttert, umhabende.
Weil er
aber den Wolff der ſehr ſchoͤn und koͤſtlich war, inwendig, die Lamms-Felle
hin-
[105] hingegen auswendig gewendet hatte, lieff ihm der Zeitungs-Schreiber nach,
mit Vermelden, er habe ſeinen Beltz unrecht umgehangen. Allein er bekam
eine lange Naſe, indem ihm dieſer Philoſophus, nachdem er denſelben wacker
ausgelachet, dieſe Antwort gab: Es ſcheinet lieber Freund! du ſeyeſt
wohlerfahren, wie man die halben Spaniſchen Stiefel anziehen
ſolle; aber dieſe Art von Beltzen recht umzuhangen, beduͤnckeſt
du mich noch ein groſſer Ignorant zu ſeyn. An dieſem Beltz, wie
du ſieheſt, iſt der Wolff hineinwarts gewendet. Denn wann von
demſelben auch nur ein eintziges Haͤrlein hervor guͤckete, wuͤrde
ich nimmermehr zu meinem Zweck und Intent gelangen koͤnnen.


Damit gieng der Zeitungs Schreiber wieder hinein, und fande einen an-
dern Philoſophum. Der begehrte Maͤntel zu ſehen, die biß auf die Erde reich-
ten, und es wurden ihm deren unterſchiedene dargeleget die der Farbe, wie auch
des Tuches halber, dem Philoſopho nicht uͤbel anſtunden. Nur allein hatten
ſie dieſen Mangel, daß ſie zu kurtz waren, und es beduͤnckte dem Zeitungs-
Schreiber ein ſeltſames Ding zu ſeyn, daß dieſe Maͤntel dem Philoſopho, der
doch mehr kleiner als mittelmaͤßiger Statur war zu kurtz ſeyn ſolten, da ſie doch
wohl denen allergroͤſſeſten Perſonen biß auf die Schuhe gereichet haͤtten. Er
machte ſich derowegen zu ihm, und fragte wer, auch von was Profeſſion er
waͤre? Der Philoſophus antwortete, er ſeye ein SicilianiſcherPhiloſo-
phus,
der ſich jederzeit geſtellet ob verachte er Reichthuͤmer, habe
aber durch ſein
Philoſophiſches Geſchwaͤtze, und vollkommene
Heucheley manchem den Beutel gefeget, und dadurch anſehnliche
Summen Geldes zuſammen geſcharret: Davor habe er zwey

Galleren ausgeruͤſtet, mit welchen er ſich auf das Meer begeben,
und noch fernere gute Beute machen wolle. Weil ihm aber nicht
unbewuſt wie dergleichen Handwerck ſehr verhaßt, auch wenig
Ehre dabey zu erlangen, habe er ſich mit einem guten langen
Mantel verſehen wollen, ſeine Intention und Vornehmen, ſo ihn
darzu bewegte, deſto beſſer zu bemaͤnteln, und dargegen denen
Leuten weiß zu machen, als ob er die
Ignoranten, und Feinde de-
rer Freyen Kuͤnſte betriegen wolle.
Dieſem Sicilianiſchen Philoſo-
pho
antwortete der Zeitungs-Schreiber, daß er ſich vergebens bemuͤhete.
ODenn,
[106]Denn, wann ſchon alle Tuͤcher aus Engeland und Holland bey-
ſammen waͤren, wuͤrden ſie doch nicht reichen einem Meer-Raͤu-
ber einen Mantel daraus zu machen, daß ihm nicht zum wenigſten
die Fuͤſſe allemal hervor gucketen.


Bald darauf kam ein ſehr weiſer Gelehrter in den Laden und begehrte etli-
che Ellen zu ſehen. Als er nun eine fand, ſo ihm gefiel, und dieſelbe eben be-
zahlen wolte, erinnerte ihn ſein Diener, dieſes Geld zu ſparen, weil noch eine zu
Hauſe, die gar juſt und gut waͤre. Dieſem Diener gab ſein Herr zur Ant-
wort: Die Elle, ſo ich daheim habe iſt bloß und allein gut vor
mich ſelbſt. Aber andere Leute zu meſſen habe ich befunden, daß
man fremde Ellen haben muͤſſe. Denn als ich, in etlichen wichti-
gen Geſchaͤfften, ſo mir zu Handen geſtoſſen mit der Elle meines
aufrichtigen Gemuͤthes andere Leute meſſen wollen, habe ich mich
gewaltig betrogen gefunden.


Darauf kam hinein Laurentius Gambara ein vornehmer Poët aus der
Stadt Breſcia gebuͤrtig. Dieſer, nachdem er einen uͤberaus ſchoͤnen Indiani-
ſchen Pappegay ſehr wohl beſchauet, auch ſich hatte vermercken laſſen, daß
ihm ſein Geſchwaͤtze uͤber die maſſen wohl gefiele, begehrte deſſen Preiß zu wiſ-
ſen. Man forderte dannenhero hundert und funfftzig Thaler dafuͤr. Der
Poët, welcher ihn um ein viel geringeres haͤtte haben koͤnnen, wann er ſeine Sa-
chen recht anzuſtellen gewuſt, gab zur Antwort, daß er des Preißes hal-
ber wohl zufrieden; es mangele ihm aber daran, daß er die gan-
tze Summa an baarem Gelde nicht gleich beyſammen haͤtte, wol-
le derohalben ſein Bette, darauf er ſchlieffe, die Tapezerey, und
andere
Mobilien, ſo in ſeiner Schlaff-Cammer befindlich, an ſtatt
der uͤbrigen Bezahlung, wie zwey Verſtaͤndige ſolches ſchaͤtzen
und angeben wuͤrden, dargeben.
Die in den Kauff-Hauß acceptirten
ſolches, und der Poët wolte ſich mit dem Pappegay nach Hauſe verfuͤgen. Der Zei-
tungs-Schreiber aͤrgerte ſich ſehr uͤber das Beginnen des Poëten, und hielte ihn
vor einen Stockfiſch. Jedoch ward er, durch ſeine Einfalt zum Mitleyden bewegt,
fragte ihn derowegen, was ihm wohl bewege, eines Lumpen-Vogels
hal-
[107]halber, leichtſinniger Weiſe, nicht allein alles, ſo er in ſeinem Hauſe
haͤtte hinzuſchleudern, ſondern ſich auch ſeines eigenen Bettes, das
doch zu der Ruhe ſeines Leibes und Gemuͤthes hoͤchſt noͤthig ſeye,
ſich zu berauben und zu begeben?
Hierauf antwortete Gambara und
ſagte: Lieber Freund! du ſolt wiſſen, daß ich, dieſen Pappegay zu
uͤberkommen nicht allein gutwillig alles, was ich in der Welt lieb
habe, zu veraͤuſſern begehre, ſondern wolte auch das, was ich an
meinem Leibe habe, biß auf das Hemd, ja mich ſelbſten zu einem
leibeigenen Sclaven auf die
Galéerenverkauffen, damit ich deſſen
maͤchtig werden moͤchte. Ich bin ein
Breſcianer,und habe die
allgemeinen Gebrechen meiner Lands-Leute mit auf die Welt ge-
bracht, daß ich mit der Zunge zu frey und mit dem Hertzen zu
aufrichtig bin, welches zwar bey denen Alten zwo herrliche Tu-
genden geweſen; aber heutiges Tages vor zwey groſſe Laſter ge-
halten werden, dieweil ſie mir bey groſſer Herren Hoͤfe, wie nicht
weniger anderswo groſſe Ungelegenheit verurſachet haben, der ich
verhoffentlich durch Erkauffung dieſes koͤſtlichen Vogels ein Ende
machen will. Denn derſelbe ſoll mich die nothwendige Tugend,
ſo denen
Breſcianerngantz unbekannt, aber von andernNationen
allzuſehrpracticiret wird, unterweiſen und lehren, wie man ſeines
Hertzens Gedancken verſchweigen, und andern zu Gefallen nur
dasjenige mit dem Munde reden ſolle, was ſie einem ſelbſt vor-
kauen und darein legen.


Relation von der aus dem Parnaſſo heimlich entwichenen
Tugend der Treue, woran ſich die falſchen Politici zu
ſpiegeln haben, indem ihnen die Hunde vor-
gezogen werden.


DEr Koͤnigliche Pallaſt der vortrefflichen Tugend der Treue, ſo vor Zeiten
von denen allervornehmſten Fuͤrſtlichen Dienern, wie nicht weniger von
denen vornehmſten Raths-Herren derer beruͤhmteſten Republiquen, ſehr fleißig
O 2fre-
[108]frequentiret und beſuchet worden, iſt eine Zeit her in ſolches Abnehmen ge-
kommen, daß er einem zerſtoͤrten und verwuͤſteten Hauſe nicht ungleich ſiehet;
dahero auch die Reſidentz dieſer beruͤhmten Tugend endlich gantz verſchloſſen.
Apollo, nachdem er von einer ſo hochwichtigen Sache Nachricht bekommen,
befahl die Thuͤren dieſes Pallaſtes mit Gewalt zu oͤffnen, und von dieſer Durch-
lauchtigſten Tugend der Treue ſelbſten die Urſachen ſolcher Neuerungen zu ver-
nehmen. Der Befehl Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt wurde alſobald exequiret,
und dieſe Koͤnigliche Behauſung gantz ohne Einwohner befunden. Die ſaͤmtli-
chen Tugendhafften, ſo bald ſie ſolches verſtanden, legten ihre Trauer-Kleider
an, beſtreueten ihre Haͤupter mit Aſche, gaben auch andere Zeichen einer wah-
ren und hertzlichen Traurigkeit von ſich. Abſonderlich war Apollo dermaſ-
ſen betruͤbet, daß man Augenſcheinlich die innerliche Schwermuͤthigkeit an ihm
verſpuͤhren kunte. Und weil Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt leichtlich abnehmen
kunte, es wuͤrde alle gute Policey unter dem menſchlichen Geſchlechte zu Grun-
de gehen, wann dieſes feſte und unbewegliche Fundament der Treue und des
Glaubens, auf dem dieſes Gebaͤude bißhers geruhet, ſich verlieren ſolte, lieſ-
ſen ſie an allen Orten durch ein oͤffentliches Gebot publiciren, daß derjenige,
welcher offenbaren wuͤrde, wo ſich die vortreffliche Tugend der Treue hin ver-
krochen habe, einen unſterblichen Namen zur Belohnung erlangen ſolte. Da-
mit auch keiner der Zahlung halber zu zweiffeln haͤtte, ertheilte der Koͤnigliche
Fiſcus Wechſel-Brieffe an Homerum, Virgilium und Livium, wie auch an
den uͤberaus reichen Tacitum, als welche die vornehmſten Kauff-Leute in
dem Parnaſſo unter denenjenigen ſind, ſo mit ihren Schrifften andern Leuten
einen unſterblichen Namen zu machen begehren. Die groſſe Belohnung gab
vielen Urſache zu ſuchen, wo doch die Treue hingekommen waͤre. Endlich
ward ſie in einem Stall unter denen Hunden des weit beruͤhmten Jaͤgers Acteo-
nis
und Adonidis gefunden. Dieſe gewuͤnſchte neue Zeitung wurde dem Apollini
unverzuͤglich zu wiſſen gethan. Der ſpedirte in aller Eil die zwo Muſen Telpome-
nem
und Taliam dahin, eine ſo Durchlauchtige Printzeßin aus einem ſolchen
ſchaͤndlichen Orte abzuholen, und wieder in ihr gewoͤhnliches Logement einzu-
fuͤhren. Aber es war alles vergebens. Die Durchlauchtige Printzeßin be-
weinte zum hoͤchſten ihren ungluͤckſeligen Zuſtand und ſagte zu denen zwo Muſis:
Vermeldet demApollini,meinem gnaͤdigen Herren wieder, es
haͤtte der Betrug und die Falſchheit, meine ewigen und unſterbli-
chen Todt-Feinde, endlich in dem Streit, den ſie jederzeit mit mir
gehabt, den voͤlligen Sieg wieder mich erhalten, der geſtalt, daß

ſie
[109]ſie, mit Beyſtimmung des ſchaͤndlichen Eigennutzes, welcher zu
dieſer boͤſen Zeit uͤber die Hertzen derer meiſten und beſten
Nationen
tyranniſiret und herrſchet, mich aus dem Gemuͤthe und der Seele
derer Menſchen, die ich zuvor gantz innen gehabt und bewohnet,
vertrieben. Weiter wollet ihr dem
Apollinizu wiſſen thun, es ſeye
die heutige Welt in allen Bubenſtuͤcken dermaſſen erſoffen, daß
der gute und ſteiffe Vorſatz, treu zu ſeyn, und ſeinem Fuͤrſten ehr-
lich, auch biß auf den letzten Bluts-Tropffen zu dienen, wornach
man vor Alters ſo ſehr zu ſtreben, und ſich darob zu verwundern
pflegte, heutiges Tages vor die groͤſte Thorheit, ja vor eine leicht-
fertige Halßſtarrigkeit gehalten wird. Sagt ihm auch noch fer-
ner, daß diejenigen ſo jetziger Zeit voller argen Liſt und Boßheit,
und die da bereit ſind allerley Untreue auszuuͤben, heutiges Ta-
ges vor die allerkluͤgſten und geſchwindeſten Koͤpffe, die ſich in alle
Haͤndel zu ſchicken wiſſen, gehalten werden, und dieſes heiſſet bey
der heutigen verkehrten Welt
politiſch ſeyn. Um dieſer und an-
derer Urſachen wegen bin ich Ungluͤckſelige, weil ich ſolche unerhoͤr-
te, unmenſchliche Falſchheit nicht laͤnger erdulden koͤnnen, end-
lich genoͤthiget worden die
Reſolutionzu faſſen, und mich, wie ihr
vor Augen ſehet, unter dieſe Hunde zu begeben, bey denen ich
die rechte wahre Treue gegen ihre Herren in beſter Form finde,
welche ich mit ſo bitterem ſauerem Schweiß in die eigennuͤtzige und
treuloſe Hertzen derer Menſchen einzupflantzen mich jederzeit hoͤch-
lich, aber, GOtt erbarme es! vergeblich beflieſſen habe.


Eine ſehr Lehr-reiche Relation, woraus alle und jede
hochgelahrte Herren erkennen koͤnnen, daß andere Kuͤnſt-
ler, wann ſie in ihrer Profeſſion excelliren und tugendhafft
ſind, eben ſo hoch zu ſchaͤtzen
als wie ſie.


NAchdem Apollo, vor vier Monaten eine allgemeine Zuſammenkunfft derer
O 3Ge-
[110] Gelehrten in Elicona auf den 8ten Hujus ausgeſchrieben, ſeynd allda auf be-
ſtimmte Zeit, den 8ten Auguſti, die Fuͤrſten derer Poëten, der Adel und die De-
putir
ten derer Univerſitæten, in dem groſſen Saal zuſammen kommen, daſelbſt
Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt, unter dem Himmel der Ewigkeit, auf ſeinem hell-
glaͤntzenden Thron, mitten unter denen Muſen ſaße. Weil auch Apollo, in
ſeinem Ausſchreiben gemeldet, wie er dieſe Verſammlung darum angeſtel-
let, einem Tugendhafften die Unſterblichkeit ſeines Namens wieder-
fahren zu laſſen, welchen er alsdann namhafft machen wolte,
hegeten
die Gelehrten vielerley Meynungen, wer doch derſelbe ſeyn moͤchte? Die mei-
ſten ſchloſſen auf Juſtum Lipſium, deſſen auserleſene Schrifften einen ſolchen
lieblichen Geruch in dem Parnaſſo von ſich gaben, daß ſie bey allen Gelehrten
mehr eine Begierde dieſelben gar zu verſchlingen, als zu verſuchen, verurſach-
ten. Andere gaben vor, es ſolte der oͤffentliche Einritt, nachmahlen die Au-
dien
tz in dem Koͤniglichen Saal, und letzlich die Unſterblichkeit des Cardinals
Seraphini Olivarii
auf dieſer Verſammlung beſchloſſen werden. Dieſer, als
er kurtz-verwichener Zeit, auf denen Graͤntzen dieſes Staats angelanget, wur-
de mit ungewoͤhnlich-herrlichen Ceremonien von denen meiſten aus dem Par-
naſſo
empfangen und eingeholet. Man verwunderte ſich zum hoͤchſten, wie ein
Menſch, der ſich die gantze Zeit ſeines Lebens in der muͤhſeligen Rota Romana
aufgehalten, ihm eine ſolche Wiſſenſchafft in der Theologie und Philoſophie
habe moͤgen zu wege bringen, wie nicht weniger in der Juriſterey, Mathematique
und Aſtrologie excelliren koͤnnen. Ja, dem die Griechiſche Sprache ſo ge-
mein geweſen, als die Lateiniſche, und, welches das Wunder noch groͤſſer
machet, daß ein Prælat mit ſolchen Wiſſenſchafften, und Tugenden begabet und
gezieret, dennoch als ein Schuͤler geſtorben ſeye. Denn es duͤnckte ihm ob wiſ-
ſe er ſehr wenig, und fieng derowegen in ſeinem achtzigſten Jahre an die Arabi-
ſe Sprache zu erlernen.


Dieſes weitberuͤhmten Namens Reputation wurde nochmehr durch ſeine
herrliche Bibliothec vermehret, die er mit ſich gebracht hatte, und darum von je-
dermann um ſo viel hoͤher geachtet worden, weil ihr Herr und Beſitzer gelehrter
war als die Buͤcher, welche er dermaſſen durchleſen und durchſtudiret, daß ſie von
denen Augen dieſes hochgelehrten Mannes gantz durchſichtig worden. Indem
nun das Ehrwuͤrdige Collegium derer Gelehrten mit Verlangen wartete, welcher
unter denen zweyen hochberuͤhmten Maͤnnern, deren jetzt-gedacht, die Ehre der Un-
ſterblichkeit erlangen wuͤrde, proponirten Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt Vincentium
pin-
[111]Pinti wegen ſeiner Vortrefflichkeit in dem Lautenſchlagen, deshalb er auch zu Rom
der Lauten Ritter genennet worden. In Betrachtung des ſchlechten und gerin-
gen Herkommens dieſes Namens, und der Profeſſion, wurden die ſaͤmtlichen Ge-
lehrten ſo hefftig beſtuͤrtzet, daß ſie Se. Parnaſſiſchen Majeſtaͤt allerunterthaͤnigſt
zu erkennen gaben, ſie waͤren ſo willig als bereit ihnen in allem, was ſie be-
fehlen wuͤrden, zu gehorſamen und nachzukom̃en; wolten aber ihrer
Par-
naſſi
ſchen Majeſtaͤt nur allein zu Gemuͤthe fuͤhren, daß ſie ungerne einen
Muſicanten unter ihnen haͤtten. Hierauf gab Apollo zur Antwort, wie
er die gegenwaͤrtige Verwunderung des
Collegiiſchon lange zuvor geſe-
hen, ſie ſolten aber nichts deſtoweniger gedachten Lauten-Ritter
ad-
mitti
ren, ob es ihnen ſchon fremd vorkaͤme, weil er es vor ein ſehr noth-
wendiges Werck erachte.
Alſo wurde, durch einen heimlichen Rathſchlag
der Streit beygeleget, und dem Lauten-Ritter die Unſterblichkeit ſeines Na-
mens bewilliget, welcher auch alſobald durch die Magiſtros Ceremoniarum in
das Collegium derer Tugendhafften iutroduciret wurde. Dieſen neuen dem
Namen nach Unſterblichen, redete Apollo hernach alſo an: Vincenti!Ihr
ſeyd der erſte von eurer Kunſt, welchem in dem
Collegioderer
Gelehrten
Seſſiongeſtattet iſt; allermaſſen ſonſten die Ehre allein
denenjenigen vorbehalten wird, welche mit ihrer ſauren Muͤhe und
Arbeit die freyen Kuͤnſte ſtudieret haben. Aber eure Perſon, de-
ren man heut zu Tage ſehr benoͤthiget, hat uns gleichſam gezwun-
gen dieſe
Reſolutionzu faſſen. Unterweiſet derohalben die Fuͤr-
ſten und die
Privat-Perſonen wohl in dieſer ſehr nothwendigen
Kunſt, die Lauten recht ſtimmen zu lernen, in welcher ihrer viele
ſolche
Ignoranten ſind, daß ſie die Sayten, indem ſie ſolche zu hart
ſpannen, wollen gar zerſprengen. Vornemlich aber laſſet euch be-
fohlen ſeyn etliche wunderliche gelehrte Koͤpffe von denen ich gewiß
weiß, daß ſie euch unter die Haͤnde kommen werden, welche mit
Gewalt wollen, daß der
BaſſderQuintegleich klingen ſollen, und
ſo lange ziehen biß dieſelbe, ob es zwar ſehr dicke Sayten, mit ſamt
der Laute in Stuͤcken reiſſen.


Den
[112]

Den Verfall und das Abnehmen derer Univerſitæten gie-
bet dieſe Relation aus dem Parnaſſo
zu erkennen.


NAchdem die Italiaͤniſchen Univerſitæten Deputirte an Se. Parnaſſiſche Ma-
jeſtaͤt geſandt, haben ſolche einige Monate warten muͤſſen, biß ſie zur Au-
dien
z gelaſſen worden. Als es aber geſchehen, haben die weltberuͤhmten In-
tronati
(welches eine Geſellſchafft gelehrter Leute zu Siena in dem Florentini-
ſchen iſt, die zu ihrem Sinn-Bild einen ausgehoͤleten Kuͤrbiß fuͤhret, darin-
nen Saltz iſt, und ſtatt eines Saltzfaſſes dienet, mit der Beyſchrifft: Meliora
latent.
Als die Vornehmſten dieſer Legation zu verſtehen gegeben, wie ſich un-
ter denen Gelehrten auf
Univerſitæten gantz entſetzliche Irrthuͤmer ein-
ſchlichen, ſo, daß ihre gantze Wiſſenſchafft in lauter alberen Meynun-
gen und unnuͤtzen Grillen zu beſtehen ſchiene, welche folglich auch der
ſtudirenden Jugend
inſpiriret, ſo daß nicht ſelten an ſtatt kluger Leu-
te, entweder von Vornrtheilen aufgeblaſene und ſtoltze Haſen, oder
einfaͤltige Toͤlpel von denen
Univerſitæten zuruͤcke kaͤmen. Weil nun un-
ter allen Mitteln, die man, ſolchem Ubel zu ſteuren
, adhibiret, keines
den gewůnſchten
Effecterreichet; alſo waͤren die ItaliaͤniſchenUniver-
ſitæ
ten genoͤthiget worden, ihre Zuflucht zu Sr.Parnaſſiſchen Majeſtaͤt
zu nehmen, und dieſelben allerunterthaͤnigſt zu bitten, ihnen ein
Reme-
dium Præſervativum
gegen dieſeCorruptelen zu ertheilen.Apollo uͤbergab
das Suchen und Anbringen dieſer Abgeordneten denen Herren Reformatori-
bus bonarum literarum,
welche aber mit ſo vielen andern Geſchaͤfften beladen
geweſen, daß ſie ſich entſchuldigten, die Sache vor dieſesmal auf ſich zu nehmen.
Es verfuͤgten ſich derohalben die Herren Deputirte zum andernmal zu Sr. Par-
naſſi
ſche Majeſtaͤt, welche dann eine beſondere Commiſſion anordneten, die
Sache zu unterſuchen und zu entſcheiden. Nachdem ſolche auf das beſte ventiliret
und erwogen worden war, bekamen die Abgeordnete den Beſcheid, es haͤtte die
Koͤniglich
-ParnaſſiſcheCommiſſionnach langem Ermeſſen befunden, daß,
weil gewiß und unlaͤugbar
, quod omnia orta occidunt, \& aucta ſeneſcunt,
ingleichen unmoͤglich waͤre, daß aus einem paar Schuh, wie ſchoͤn und
zierlich auch ſolche waͤren, mit der Zeit nicht ein paar alte Schlapp-
Solen wuͤrden, die
Univerſitæten ſich ihren Verderb und Verfall nicht
befremden laſſen můſten. Es růhre von einem unvermeidlichen Ver-

haͤng-
[113]haͤngniß her, und eine jedwedeUniverſitætſolte in deſſen zu frieden ſeyn,
wann ſich nur allemal einige rechtſchaffene kluge, und weiſe Gelehrte
bey derſelben befaͤnden. Die Narren waͤren eben ſo ſchwer auszurotten
wie das Unkraut aus einem Acker, der mit Weitzen beſaͤet iſt.


Nachfolgende Relation moͤgen die unartigen und falſchen
Herren Philoſophi zu Hertzen nehmen.


DIeſer Tage wurden die ſaͤmtlichen Gelehrten in dem Parnaſſo ſehr beſtuͤrtzt,
als ſie vernommen, daß bey naͤchtlicher Weile Annæus Seneca in Verhafft
allhier genommen worden, welcher der Vornehmſte unter denen Philoſophis
Moralibus,
und bey Se. Parnaſſiſchen Majeſtaͤt bißhero ſehr beliebt geweſen.
Man fuͤhrte derohalben vielerley Diſcurſe uͤber deſſen Urſache. Etliche muth-
maſſeten, es waͤre darum geſchehen, weil ihm Apollo auferlegt haͤtte vor der
gantzen Welt darzuthun, durch was vor Philoſophiſche Raͤncke er in ſo kurtzer
Zeit die er bey dem Nerone geweſen den uͤberſchwenglichen Reichthum von ſie-
ben und einer halben Million Goldes erworben und zu wege gebracht, weil er
damit der Armuth und der Maͤßigkeit, deren er ſich in ſeinen Schrifften ſo viel-
faͤltig ruͤhmet, einen groſſen Schand-Flecken angehangen, als woran ſich die
Menſchen um ſo viel deſtomehr aͤrgerten, da aus der Hiſtorie bekannt, daß er
derer rechten Geſellen einer geweſen ſeye, ſo bey denen reichen und wohlhaben-
den Leuten die Teſtamenta durch allerhand Raͤncke habe wiſſen heraus zu preſ-
ſen. Andere gaben vor, es waͤre der Ehebruch, den er mit der Agrippina be-
gangen, davon man murmelte, die Urſache dieſer Verhafftung. Viele glaub-
ten es ſolte die Piſonianiſche Conſpiration wider Neronem von neuem vorge-
nommen und unterſuchet werden, deren ſich, wie man glaubhafftig berichtet hat-
te, Seneca nicht allein theilhafftig gemachet, ſondern ſich auch von dem leidigen
Ehr-Geitz ſo weit einnehmen laſſen, daß er, nach verrichteter Mordthat ſelber
Kayſer zu werden verhoffet habe. Andere [ſprengeten] vor gewiß aus, wie Apollo
ſehr gegen dieſen Philoſophum erbittert waͤre, weil der Kayſer Nero ſelbſt ſolte
bekandt haben, daß Seneca nicht allein um die erſchreckliche Mordthat, ſo er an
ſeiner Mutter begangen, gute Wiſſenſchafft gehabt, ſondern er habe auch
ihn Neronem darzu perſuadiret und inſtigiret, nicht zwar aus Liebe zu ſeinem
Herrn, ſondern ihm Anlaß zu einem ſolchem Bubenſtuͤck zu geben, in der Hoff-
nung, daß er ſich dadurch in das aͤuſſerſte Verderben ſtuͤrtzen wuͤrde, und dieſes
Pſeye
[114] ſeye Senecæ einiges Intent und Zweck geweſen, damit er des unerſchoͤpflichen
Reichthums, ſo er mit ſeiner ſelbſt-eigenen Schande und Schmach, und ſei-
nes Fuͤrſten groſſen Schaden zuſammen geſammlet, verſichert ſeyn moͤchte.
Nachdem nun Seneca kurtz nach ſeiner Arretirung examiniret wurde, hat ſich in
dem Proceſſ befunden, daß nicht allein er, ſondern auch viele andere Philoſophi
Morales
zweyer ſchaͤndlichen Laſter, mit welchem ſie dem menſchlichen Ge-
ſchlecht groſſe Aergerniß geben, bezuͤchtiget wuͤrden, daß ſie nemlich mehr als
alle andere Menſchen rachgierig und zornig waͤren, welche Laſter ſie doch in
andern Menſchen blamirten und beſtrafften. Seneca hat auch ſolches gar nicht
negiret und widerſprochen. Weil er aber zu gleicher Zeit vorgegeben einPhi-
loſophus Moralis regardi
re andere Leute nicht als Menſchen, achte ſich
auch gegen ſie vor keine Gutthat verbunden, ſondern ſchreibe alles, was
ihm gutes wiederfahre, dem Himmel zu
, erkannte Apollo dieſes vor eine
unbeſcheidene Antwort, ſagende man muͤſſe allerdings vornemlich gegen
den hoͤchſten GOtt hernach aber auch gegen diejenigen Leute, aus de-
ren Hand man Gutthaten empfangen, danckbar ſeyn; und uͤbrigens kei-
nen Menſchen neben ſich, aus einem gelehrten Hochmuth verachten.

Apollofaͤllete hiernechſt ein Urtheil, Krafft deſſenSenecades Namens
eines wahren Weyſen verluſtig ſeyn, und fuͤhrohin die heimlichen Ge-
maͤcher in dem
Parnaſſofegen ſolte.


Eine luſtige Relation von denen Deliberationen und denen
laͤcherlichen Ausſpruͤchen derer Gelehr-
ten, iſt dieſe.


WEil das gemeine Sprichwort, daß man keinen Menſchen recht erken-
nen koͤnne, man habe dann einen Scheffel Saltz mit ihm gegeſſen,

von etlichen Gelehrten in zweiffel gezogen worden, als hat Apollo, welcher nicht
will, daß die herrlichen Spruͤche ſeiner Gelehrten, ſo vor allgemeine Regeln
und unwandelbare Geſetze gehalten werden, darnach die Tugendhafften ihr
gantzes Leben anſtellen, in etwas zweiffelhafft oder ungewiß befunden wuͤrden,
ſchon vor etlichen Tagen in einer allgemeinen Verſammlung denen Gelehrten
auferleget, dieſe Wahrheit und deren eigentlichen Verſtand recht zu ergruͤnden.
Es hat ſich auch bemeldtes Sprichwort ſo gar wahr befunden, daß das ſaͤmmt-
liche Collegium derjenigen Meynung beygepflichtet, ſo davor gehalten, man
muͤſſe
[115] muͤſſe dieſem Scheffel noch einen halben zuſetzen, und zwar um dieſer Urſachen
willen, weil bey denen jetzigen Menſchen, von Tag zu Tag das verfluchte La-
ſter der Falſchheit und Heucheley wuͤchſe und zunaͤhme. Derohalben erforder-
ten auch die nohtwendigen Regeln der Rechen-Kunſt, daß mit dem verderbten
Weſen derer boßhafften Menſchen, von denen Gelehrten auch die Nothwendi-
gen Mittel derer Tugenden multipliciret wuͤrden, damit denen neuen annoch
feyenden Laſtern deſto beſſer Wiederſtand geſchehen moͤge. Damit aber den
heutigen Welt nicht der ewige Schandfleck angehangen, und jedermann vor
Augen geſtellet werde, das die Laſter in der Welt zu, die Mittel aber gegen ſel-
bige abnehmen, haben die ſaͤmtlichen Gelehrte in der Verſammlung dahin ge-
ſchloſſen, es ſeye nicht ratyſam die alte Maaß zu aͤndern. Auch haben ſie ein-
muͤthiglich decretiret, das Sprichwort ſeye wahr, in ſoweit es die Manns-
Perſonen anbelange. Auf Seiten derer Weiber aber waͤre es gantz falſch,
als welche, ob ſie ſchon mit ihren Maͤnnern noch keinen Scheffel Saltz gegeſſen
haͤtten, doch ſchon die erſte Nacht, wann ſie bey ihnen geſchlaffen, wuͤſten,
was ſie von ihnen halten ſolten.


Noch weit nachdencklicher aber iſt dieſe jetzt-folgen-
de Relation.


MErckwuͤrdig zu ſchreiben iſt, das, was dieſe Woche in dem Parnaſſo vorge-
gangen, mit denen fuͤnff und zwantzig Maul-Eſeln mit Ducaten beladen,
ſo der Kayſer Nero dem Cornelio Tacito uͤberſendet hat. Die ſaͤmtlichen Ge-
lehrten, durch ſolch herrliches Geſchencke bewogen, lieffen eilends zu des Taciti
Logement,
etliche um die eigentliche Summa dieſes Geldes zu erfahren, an-
dere aber die Urſachen einer ſolchen ſtattlichen Verehrung zu wiſſen. Die
Summa des Geſchenckes, wie ſie berichtet wurden, belieff ſich auch auf eine
Million und zweymahl hundert tauſend Ducaten, mit welchen er Tacito das
herrliche Lob, ſo er ihm gegeben, belohnete, indem er ſagte, daßNeronicht
gehabt habe
infra ſervos ingenium. Die Vornehmſten unter denen Gelehr-
ten ſchloſſen dahin, ob zwar dieſes ein ůberaus herrlichesPræſentwaͤre,
ſo haͤtte
Tacitusdoch viel ein mehrers verdienet, durch daß ſtattliche
Lob, welches er dem
Neronigegeben, daß er nicht geartet geweſen
ſeye, ſchaͤndlicher Weiſe von einem Diener ſich
gouverniren zu laſſen,
und ſich ſelbigem zu unterwerffen. Dieſes Lob waͤre einer ſo viel groͤſſern

P 2Be-
[116]Belohnung werth, weil durch eine ſonderliche Schickung GOttes man
es ſehr wenig Fůrſten geben koͤnte.
Hingegen gab es auch andere, obſchon
geringere Gelehrten, welche davor hielten, es uͤbertreffe dieſe herrliche Ver-
ehrung des
TacitiVerdienſt weit. Ja ſie ſcheueten ſich nicht oͤffentlich recht
ſchimpfflich von einer ſolchen heroiſchen Action zu reden, und daß dieſes eine
Verſchwendung ſeye, die dem
Neroninicht ungewoͤhnlich, ja ein ſolch
unbeſonnenes Beginnen, das von dergleichen unbedachtſamen Fůrſten
herzukommen pflege, die mit ihren ůbermaͤßigen Geſchencken vielmehr
den Namen eines unnůtzen Verſchwenders, als eines freygebigen und
mildreichen Herrn erlangen.
Dannenhero eben dieſe mehr aus Mißgunſt
gegen den Tacitum, als aus Liebe, die ſie zu dem Neroni getragen, ihm ſelbſt
in das Angeſicht ſagten, es waͤre in demParnaſſovon dem groͤſten Theil
derer Gelehrten uͤbel aufgenommen worden, daß er vier Worte, wel-
che ihm zu Ehren von
Tacitogeſchrieben worden, mit einer ſo groſſen
Summa Geldes belohnet haͤtte, da doch eben ſelbiger
Hiſtoricusan an-
dern Orten, zu ſeiner ewigen Schande und Schmach, ſolche ſchimpff-
liche und unzuͤchtige Sachen von ihm vermeldet, welche das Lob, wel-
ches er ſo hoch beſchencket, gantz und gar umſtieſſen und verdunckelten.

Allein Nero hat dieſen geantwortet, daß gleichwie die vortrefflichen Mah-
ler, mit denen Schattirungen, denen Bildniſſen, welche ſie mahleten,
deſto mehr Anſehens machten alſo verurſachen auch die wahrhafften

Hiſtorici,indem ſie derer Laſter, will geſchweigen derer kleinen und ge-
ringen Fehler dererjenigen Fuͤrſten, welcher Leben ſie beſchreiben, mit
gedencken, daß man ihnen in dem Lob, das ſie ihnen geben, deſto mehr
Glauben zu ſtelle. Es waͤren ihm derowegen die Schandflecken und
Laſter, welche
Tacitusvon ihm meldet, um ſo viel deſto lieber, weil
das groſſe Lob ſo er ihm gegeben, dieſelben weit uͤbertraͤffe, und eben
durch ſie um ſo viel glaubhaffter gemachetwůrde. Denn gleichwie die
allerkoͤſtlichſten Tugenden, mit welcher ein Fuͤrſt koͤnte gezieret ſeyn,
gantz und gar verdunckelt werden, wann er mit dem ſchaͤndlichen La-
ſter behafftet, daß er ſich von ſeinen Dienern meiſtern und regieren laͤſ-
ſet; alſo bedecket auch die herrliche
Qualitæt,uͤber ſeine Diner wiſſen al-
lezeit Herr und Gebieter zu bleiben, die allergroͤſten Laſter und Ge-
brechen eines Fuͤrſten.
Solches iſt auch nicht ohne. Denn gleich wie man
nicht widerſprechen kan, daß die Alchimiſten, ſo daß ihrige durch den Rauch
gen Himmel ſchicken und verdiſtilliren, groſſe Narren und Thoren ſeynd, alſo
muß man auch bekennen, daß diejenigen Fuͤrſten, welche aus ihren Die-
nern
[117] nern guͤldene Kaͤlber machen, und dieſelbe wie Goͤtzen anbeten, ſehr thoͤricht
handeln.


Ob es recht ſeye, und was davon zu halten, wann ſich
Frauenzimmer unter die
Societætderer Gelehrten
menget? entſcheidet dieſe
Relation.


DIe weitberuͤhmten Intronati haben vor etlichen Monaten, wieder das alte
Herkommen, in ihre Geſellſchafft etliche tugendhaffte gelehrte Weibs-
Perſonen als die Victoriam Columnam, Veronicam Gamberam, Laurentiam
Terracinam,
ſamt andern nahmhafften Poëtinnen auf- und angenommen, und
zwar mit ſolchem Wohlgefallen derer geſamten Gelehrten zu Siena, daß die
Herren Academici durch die Schoͤnheit dieſes Frauenzimmers ſtimuliret, nicht
allein in ihren loͤblichen Exercitiis hauffenweiſe zuſammen gekommen, ſondern
auch taͤglich ſolche herrliche Poëtiſche Gedichte ausgehen laſſen, daß die Muſen
ſelbſt ſich darob entſetzen. Es begabe ſich auch kurtz darnach, daß vor denen
Ohren Apollinis ein boͤſes Geſchrey deswegen erſchollen, derowegen er den
Vorſteher ſelbiger gelehrten Societæt beſchickte, und ihm andeutete, ſolcher
Sachen ſich fuͤhrohin zu enthalten, dieweil man wahr zu ſeyn be-
funden, daß die rechte und wahre
Poëtereyderer Weiber in der Nadel
und dem Spinn-Rocken beſtehe, und wann die Weiber zu viel mit de-
nen Maͤnnern umgehen es gemeiniglich ein Ende nimmt, wie das
Schertzen und Spielen derer Hunde, welches dahinaus laufft, daß zu-
letzt einer auf den andern ſpringet.


In derRelation,welche jetzo kommet, ſtecket eine ſehr ar-
tige
Moquerieuͤber das Gepraͤnge und Gezaͤncke
derer Gelehrten.


IN der Mitte des Aprilis iſt der Juſtus Lipſius auf denen Graͤntzen des Parnaſſi
angelanget. Ob nun zwar ſeine Schrifften alſobald vor tuͤchtig erkennet
wurden, die von allen Tugendhafften billig geleſen werden ſolten, auch meri-
tir
ten, nebſt andern beruͤhmten Autoribus, in die Bibliothec Sr. Parnaſſiſchen
Majeſtaͤt geſetzet zu werden; wie dann um dieſer Urſachen willen, in vollem
P 3Rath
[118] Rath die Unſterblichkeit ſeinem Namen zugeſprochen und zuerkanndt worden,
mit denen beſten Prærogativen, ſo jemals einem wiederfahren; ſo iſt dennoch
ſein oͤffentlicher Einzug laͤnger als acht Tage aufgeſchoben worden, weil die edle
Nation derer Brabanter, bey ſolcher Gelegenheit, mit extraordinairer Ehrer-
bietung gegen dieſen ihren Landsmann ihr einen ſonderlichen Namen machen
wollen; wie ſie dann auf denen vornehmſten Plaͤtzen in dem Parnaſſo herrliche
Triumpff-Bogen mit einer recht Koͤniglichen Magnificentz aufgerichtet. Der
Einritt war wohl zu ſehen, indem die Gelehrten aus allen Facultæten, in groſ-
ſer Anzahl, dieſem vortrefflichen Mann aufzuwarten begehrten, welcher we-
gen des Titels, daß er in allen Scientiis erfahren, bey jederman den Namen
hatte, als ob er alles wuͤſte. Hoͤchlich muſte man bewunder[n] daß Lipſius, in
der erſten Zuſammenkunfft die vornehmſten Roͤmer, ſo ihm entgegen gekommen
waren, bey ihrem Nahmen zu nennen wuſte womit er zu verſtehen gab, daß er
von allen ſonderlich gute Kaͤnntniß haͤtte. Dieſes hochgelehrten Mannes
Schrifften trug Vellejus Paterculus auf ſeinen Achſeln, welcher unangeſehen er
hohen Alters halber krumm und lahm war, wegen empfangener Gutthaten,
gegen Lipſium ſich danckbar zu erzeigen, dieſe Prærogativ von Sr. Parnasſiſchen
Majeſtaͤt aus lauter Gnaden erhalten hatte. Auf Befehl des Apollinis ritte
Lipſius in der Mitte, zwiſchen dem nunmehr pardonnirten, auch in alle ſeine
vorige Wuͤrden reſtituirten Seneca und dem Tacito. Aus dieſer Sache
aber haͤtte gar leichtlich Streit entſtehen koͤnnen. Denn, nachdem bißhero Ta-
citus
alters, wie auch Reputation und Geſchicklichkeit halber, dem Seneca
ſonſt allezeit die Ober-Stelle gegeben; hat er ihm doch ſolche, bey dieſer Occa-
ſion,
freventlicher Weiſe diſputiret, alſo daß, als ſolches lautbar wor-
den, und die ſaͤmtlichen Philoſopi Morales dem Seneca, die Politici aber dem
Tacito zu Huͤlffe gekommen, man ſich eines groſſen Auflauffes beſorgte.
Aber die Philoſophi Morales zogen die Schnautze bald ein, indem ſie be-
dachten, wann es zum Ernſt kommen ſolte, ſie denen hochmuͤthigen Politicis
nicht laͤnger Wiederſtand zu thun vermoͤgen wuͤrden, weil es Leute, die weder
auf Recht noch auf Billigkeit ſehen, ſondern nur vor die groͤſte Tugend hal-
ten, den Feind zu uͤberwinden, ſolte es gleich tuͤckiſcher Weiſe geſchehen. Aber
es ward dieſer Tumult bald geſtillet, nachdem die Ceremonien-Meiſter darzu
kamen, welche aus Befehl derer Cenſorum Morum dem Seneca anzeigten, es
haͤtten auch die freyen Kuͤnſte gleichwie das Obſt zu Rom, und zu Ve-
nedig die Fiſche, ihre gewiſſe Zeit. Er ſolte derowegen, vor dieſes-
mal, dem
Tacitodie Ober-Hand geſtatten. Und ob ihm zwar hierin-
nen unrecht geſchaͤhe, ſolte er ſich doch derer Ehren, ſo ihm in denen vo-

rigen
[119]rigen Zeiten wiederfahren, erinnern, in welcher diePhiloſophi Morales,
ſo zu dieſen ungluͤckſeligen Zeiten vor lauterPedanten und Schul-Fuͤch-
ſe gehalten werden, in ſo hohem Werth geweſen ſind, daß ſie vor das
beſte Kleinod unter allen freyen Kuͤnſten geachtet worden, und ſolches
um ſo viel deſto mehr, weil die jetzige Zeit darinnen wir leben, das
Stu-
dium Politicum
biß in den Himmel hinauf erhebet, und gantz unverant-
wortlicher Weiſe zulaͤſſet, daß von ſolchem auch die
Philoſophia Peri-
patetica
unter die Fuͤſſe getreten wird, die doch vor die hoͤchſte unter al-
len menſchlichen Wiſſenſchafften gehalten zu werden
prætendiret.Se-
neca
gehorchte zwar dem Befehl derer Cenſorum Morum; allein es geſchahe
ungerne. Denn es iſt denen Philoſophis Moralibus, ob ſie ſich zwar aͤuſſer-
lich ſehr demuͤthig zu ſtellen wiſſen, der Ehr-Geitz doch gemeiniglich ſehr tieff in
die Glieder eingewurtzelt.


Als nun Juſtus Lipſius auf dem groſſen Platz in dem Parnaſſo angelanget
war, wurde ihm nicht geſtattet den Apollinem in ſeiner hoͤchſten Majeſtaͤt und
Herrlichkeit bey hellem Sonnenſchein anzuſchauen. So giengen ihm auch die
Muſen nicht biß an die Stiegen des Koͤniglichen Pallaſtes entgegen. Denn
ſolche hohe Ehre wiederfaͤhret allein denenjenigen, welche Buͤcher aus eigener
Invention geſchrieben. Des hochgelehrten Lipſii Schrifften aber beſtehen nur
in groſſer Muͤhe und Arbeit, woraus eine wunderſame Beleſenheit hervor leuch-
tet. Denn neue Sachen zu erfinden, und etwas mit groſſer Muͤhe und Ar-
beit aus ſeinem eigenen Gehirn zu erdencken, nicht aber von andern Scribenten
entlehnet, bringt die wahre Ehre und den rechten Ruhm; derjenige wird demnach
vor einen armſeligen Schneider und vor einen ſchlechten Criticum gehalten, der
die zerriſſenen oder veralterten Kleider derer Gelehrten wieder zuſammen flicket.
Den aber laͤſſet man vor einen beruͤhmten und erfahrnen Meiſter paſſiren, der
neue Kleider zuſchneiden, nehen, und auf Fremde Manieren ſo noch nicht ge-
ſehen worden, zuzurichten weiß. Etliche haben davor gehalten, es ſeye Lipſio
von Sr. Parnaſſiſen Majeſtaͤt und denen Muſen, aus Unwillen, den ſie gegen
ihn gefaſſet, ſo ſchlechte Ehre wiederfahren. Denn ob ſie ihm wohl ſolche herr-
liche Gaben mitgetheilet, daß er gar wohl, auf Taciti Weiſe, die Niederlaͤndi-
ſchen Kriege haͤtte beſchreiben koͤnnen, das von maͤnniglich ſo hoch gewuͤnſchet
worden; habe er dennoch, um gewiſſer Urſachen willen, welche aber Ihro Par-
naſſi
ſche Majeſtaͤt nicht vor hinnlaͤnglich erkandt, ſolch ihr heimliches Einge-
ben verachtet und in den Wind geſchlagen. Jedoch iſt dieſes letztere nur eine
Mey-
[120] Meynung, ſo der Wahrheit etwas gemaͤß; jenes aber, daß er uͤber den Leiſten
anderer Leute gearbeitet, in der Wahrheit ſelber gegruͤndet.


Indeſſen ſtunde Apollo, dieſen Einritt zuzuſehen, in feinem, neben der
Morgenroͤthe gelegenen Caͤmmerlein, welches die Italiaͤniſchen Poëten das
himmliſche Theatrum nennen, war mit einer Schnee-weiſſen Wolcke bedecket,
welche wie bey dergleichen Actibus gebraͤuchlich, eben als Lipſius mitten auf
dem groſſen Marckt ankam, durch einen lieblichen ſanfften Wind in etwas
zertheilet wurde, da durch Ihro Parnaſſiſche Maͤjeſtaͤt mit einem eintzigen Blick,
den ſie dieſem Tugendhafften gaben, ihn von aller Unwiſſenheit, ſo noch bey
ihm haͤtte moͤgen uͤbrig ſeyn, erledigte und befreyete, auch ihn damit zu einem
vollkommenen Gelehrten machte.


Als nun Lipſius in dem groſſen Saal zur Audientz angelanget, ward er
gleich Anfangs in ſeiner Oration, ſo er angefangen gegen Se. Parnasſiſche
Majeſtaͤt wegen empfangener groſſen Gutthaten ſich zu bedancken, einzuhal-
ten genoͤthiget wegen eines ſchwehren Zufalles, der dem beruͤhmten Grie-
chiſchen Scribenten Pauſaniæ, ſo auf der Banck derer Chronologorum
ſaß, begegnete. Dieſer fiele gantz ploͤtzlich in eine ſo ſtarcke Ohnmacht, daß
er vor Todt gehalten wurde, deswegen die ſaͤmtlichen Coſmographi, ihm huͤlff-
liche Hand zu bieren, zuſammen lieffen. Seine Hausgenoſſen vermeynten,
der Zufall kaͤme aus Mattigkeit her, wie es ziemlich ſpat worden, und derſelbe,
ehe er des Morgens ausgegangen, in ſeiner Bibliothec, ſeiner Gewohnheit
nach, nicht ein paar Loͤffel voll Conſervativ-Ladwerg aus des Pindari Verſen
zugerichtet, zu ſich genommen. Aber die Durchlauchtige Muſe Euterpe ſpruͤ-
tzete ihm mit zwey kraͤfftigen Sententiis aus dem Thucidide in das Angeſicht,
dadurch er gar bald wieder zu ſich ſelber kam. Da fieng Pauſanias (der die
Unhoͤflichkeit, daß er Lipſium in ſeiner angefangenen Oration fort zufahren ver-
hinderte, nicht bedachte) aus groſſer Schwermuͤthigkeit uͤber wunden, an,
zu ruffen und zu ſchreyen: O du verzehrende Zeit! O mißgoͤnſtiges
und neidiſches Alter! die ihr mit euren ſcharffen und beißigen Zaͤh-
nen auch diejenigen Sachen zernaget, ſo von denen Menſchen,
daß ſie ewig waͤhren ſollen, gemachet worden. Wie iſt es doch
moͤglich, daß die Verwechſelung derer Zeiten mit der Veraͤnde-
rung aller Sachen ſo feſt verknuͤpffet, daß mein vielgeliebtes

Grie-
[121]Griechenland, welches vor Zeiten eine Mutter aller Geſchicklichkeit,
eine Koͤnigin aller Wiſſenſchafften, eine ſichere beruͤhmte Woh-
nung derer freyen Kuͤnſte, ein Luſt-Garten der gantzen Welt,
ein Vaterland aller Gelehrten, ſo jemals gefunden worden, nun-
mehro zu einer gaͤntzlichen Unwiſſenheit und Wildniß worden,
gantz unbewohnt, auch dermaſſen aller derer herrlichen Pallaͤſte,
die ſowohl das gemeine Weſen, als
Privat-Perſonen in ſo groſſer
Menge gehabt, beraubet, daß heut zu Tage an denen meiſten
Orten nur geringe Bauers-Huͤtten und zwar in kleiner Anzahl
allda zu ſehen? ja, daß die beruͤhmteſten alten
Philoſophi, Oratores
undHiſtoricivonAthen,zu dieſen truͤbſeligen Zeiten arme Gaͤrt-
ner zu Conſtantinopel worden? daß aber hingegen die Nieder-
lande, ſo zu meiner Zeit eine lautere Einſamkeit, mit Waͤldern
und Teichen allenthalben umgeben, voller wilden Thiere, und ei-
ner Behauſung rauher und grober Leute, wilder als die Thiere
ſelbſten, zugeſchweigen, daß ſie um gute Kuͤnſte ſich ſolten bekuͤm-
mert haben, nunmehro zu einer ſchoͤnen fruchtbaren und luſti-
gen Landſchafft worden, voll hoͤfflicher, reicher und arbeitſamer
Einwohner, und vortrefflicher Staͤdte, auch mit uͤberaus ſchoͤnen
Pallaͤſten gezieret, und was mich am allermeiſten Wunder
nimmet, eine gluͤckſelige Landſchafft, in welcher ſcheinet, als ob
die Griechiſche und Lateiniſche Sprache ihre Wohnung aufge-
ſchlagen habe, ewiglich allda zu bleiben.
Dieſe des Pauſaniæ Rede
gieng allen Gelehrten aus Griechenland dermaſſen zu Hertzen, daß Ariſtote-
les, Plato, Demoſthenes, Pindarus,
und andere mehr des Weinens ſich laͤn-
ger nicht enthalten kunten, ſondern, ehe die Ceremonien mit Lipſio ihre End-
ſchafft erreichten, ein ſolches Geheul anflengen, daß Lipſius, weil alle Ge-
lehrte denen weinenden Griechen nachfolgten, und er alſo ſahe daß ſeine Ora-
tion
wegen des groſſen Geraͤuſches, Weinens und Klagens nicht kunte ver-
nommen werden, von der Cathedra herunter ſtieg, die Ungelegenheit und den
Mißfallen, ſo ihm Pauſanias mit dieſer Verhinderung verurſachet hatte, mit
dem herrlichen Ruhm und Lob, ſo er dargegen ſeinem Vaterland, und der gan-
tzen Niederlaͤndiſchen Nation gegeben gegen einander hielt, und alſo eines gegen
das andere aufhub.


QIn-
[122]

Indeſſen hielten die ſaͤmtlichen Gelehrte des Parnaſſiſchen Reichs davor,
es wuͤrde zwiſchen Cornelio Tacito, und J. Lipſio, eine groſſe Vertraulich-
keit und ſonderliche Freundſchafft ſich erzeigen. Allein man hat mit hoͤchſter
Verwunderung das Gegentheil erfahren. Denn vor zweyen Tagen verklag-
te Lipſius den Tacitum vor dem Apolline, mit Vermelden, daß er in ſeinem
erſten Buch derer Hiſtorien etliche Worte geſchrieben, die da gantz gottloß und
nicht zu gedulden waͤren. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt wurden wegen ſolcher har-
ten Auflage ſehr beſtuͤrtzt, befahlen, auch dem Tacito, den andern Morgen zu
erſcheinen, und ſich zu verantworten, welcher gantz unerſchrockenen Gemuͤths
dieſem Befehl nachkam, und damit ſeinen guten Vertrauten Freunden, die ſei-
netwegen ſehr kleinmuͤthig waren, wieder ein Hertze machte. Beatus Rhena-
nus,
und Fulvius Urſinus, Zogen den Lipſium auf die Seite und baten ihn ſehr
von dieſer Klage abzuſtehen, indem es ihm ſehr ſchimpflich fallen wuͤrde, wofer-
ne er ſie nicht erwieſe, ungluͤcklich und ſchaͤdlich aber, falls er ſie wahr machen
ſolte. Denn weil Tacitus einer von denen vornehmſten Politiſchen Freyherren,
ſo in dem Parnaſſo, und dannenhero einen groſſen Anhang bey denenjenigen, ſo
lange Haͤnde und ein weites Gewiſſen haben, haͤtte, wuͤrden ſelbige gewißlich
mit der Zeit ſich zu raͤchen nicht unterlaſſen. Dieſen gab Lipſius zur Antwort,
es moͤchte gehen wie es wolle, ſo ſeye er einmahl entſchloſſen ſein
Gewiſſen zu befriedigen
, und trat damit vor den Apollo. Allda waren die
vornehmſten von denen Gelehrten, ſo es mit Tacito hielten, zuſammen gekom-
men. Da fieng Lipſius an und ſagte, wie erPlatonemundSocratem,vor allen
Dingen aber die Wahrheit auf ſeiner Seite haͤtte.
Darauf fiel ihm Taci-
tus
in die Rede, und ſagte, er ſolte dieſen Eingang unterwegens laſſen,
indem er ſich hieher gar nicht ſchicke. Er moͤchte lieber ſeine Klage
kůrtzlich vorbringen. Die
Politiciwie er,Tacituswaͤren nicht gewoh-
net dererjenigen vorbedachte ſuͤſſe und glatte Worte mit Gedult anzu-
hoͤren, von welchen ſie nichts als Boͤſes zu gewarten haͤtten.
Alsdann
ſprach Lipſius zu dem Tacito:Ihr habt in dem erſten Buch eurer Hiſto-
rien frey heraus geſaget, GOtt frage nichts nach dem Heyl und Wohl-
farth derer Menſchen trachte nur dieſelben zu ſtraffen. Dieſes klinget
abſcheulich genug wann es nur von einem weltlichen Fuͤrſten geſaget
wird, geſchweige dann von GOtt, deſſen natůrliche Eigenſchafft iſt,
Barmhertzigkeit und vaͤterliche Liebe gegen das gantze menſchliche
Geſchlecht zu erweiſen. Es waͤre demnach der hoͤchſten Straffe wohl
werth, wann man ſich ſolcher ſchrecklichen und unerhoͤrten Sachen

ver-
[123]vernehmen laͤſſet. Eure eigentlichen Worte aber lauten alſo:Nec enim
unquam atrocioribus Populi Romani cladibus magis ve juſtis judiciis appro-
batum eſt, non eſſe curæ Diis ſecuritatem noſtram eſſe ultionem,
es ſey aus
keiner Niederlag derer Roͤmer ſo eigentlich geſpuͤret worden, daß
GOtt nicht unſere Wohlfarth ſondern nur ſich an uns zu raͤchen ſuche.
Und kan euch in dieſem eurem Irrthum nichts als das einige entſchul-
digen, daß ihr dem unverſtaͤndigen
PoëtenLucanonachgefolget ſeyd,
welcher vor euch eben ſolcher Meynung geweſen, indem er dieſe Verſe
geſchrieben:


Felix Roma quidem civesque habitura ſuperbos,

Si libertatis Superis tam cura placeret,

Quam vindicta placet.

Rom waͤre vor gluͤckſelig zu halten, wann denen Goͤttern

ihre Freyheit ſo ſehr, als dieſelbige zu ſtraffen angelegen waͤre.

Als Tacitus dieſes vernommen ſagte er: Es jammert mich, mein
lieber
Lipſie!daß ihr euch oͤffentlich vor denjenigen habt ausge-
geben, der allein den verborgenen Verſtand meiner Schrifften
habe wiſſen auszulegen, und habt hernach, in einer ſo hochwichti-
gen Sache, und da meiner
Reputationviel angelegen, ſo groͤblich
geirret. Denn meine Worte, wie ihr ſie jetzund verleſen habt,
ſeynd nicht allein, wie ihr vorgebet, keinesweges gottloß ſondern,
ich halte ſie auch vor gut und Heilig. Euch aber deſſen, was ich
vvrgebe, deſto beſſer zu unterrichten, will ich dieſe meine Mey-
nung mit weitlaͤufftigen und vielen Worten auslegen, welche ihr,
weil ich ſie, meinem Gebrauch nach kurtz gefaſſet, nicht habt be-
greiffen koͤnnen. Nachdem ich im Anfang meiner Hiſtorien dem
Leſer zu wiſſen gethan, wovon ich in dieſem gantzen
Tractatzu
handeln willens waͤre, habe ich geſagt, daß ich mich einer Arbeit
unterfange, in welcher mancherley Faͤlle vorkommen wuͤrden,

Q 2atrox
[124]atrox proeliis, diſcors ſeditionibus ipſa etiam pace ſævum, quatuor princi-
pes ferro interemti, tria bella civilia \&c.
Nachdem ich die Truͤbſalen,
und das groſſe Elend, ſo die Roͤmer nach
NeronisTodt ausge-
ſtanden erzehlet, habe ich geſaget, es ſeyn ſelbige ſo groß und ſo
viel geweſen, daß in denen vorigen Zeiten niemals, weder durch
harte Straffe derer Roͤmer, noch durch das gerechte Gerichte
GOttes ſich wahr zu ſeyn befunden habe, daß der GOtt, welcher
in denen vergangenen Zeiten denen Roͤmern ſich ſo gnaͤdig erzei-
get, und ſelbige beſchuͤtzet hat, daß es ſich gleichſam anſehen ließ, ob
laͤge ihm nichts ſo hoͤchlich an, als die Roͤmer mit ewig waͤh-
renden Siegen und
Triumphenherrlich, ja zu Herren uͤber
die gantze Welt zu machen, ſich nach dem Tode
Neronisderge-
ſtalt veraͤndert, daß man Augenſcheinlich geſehen,
Non eſſe curæ
Deis ſecuritatem noſtram, eſſe ultionem
daß er der Wohlfahrt derer
Roͤmer gantz und gar nicht mehr achte,
eſſe ultionem,ſondern nur
ſich an ihnen, wegen derer vielen Beleidigungen, ſo ſie ihm ange-
than, zu raͤchen ſuche. Iſt dann nun dieſes eine gottloſe Rede,
wann ich ſage, daß um derer ſchwehren Suͤnden willen, ſo die Roͤ-
mer ſowohl vor, als nach
NeronisTode begangen, die vaͤterliche
Sorge GOttes, ſie vor allem Ubel zu beſchuͤtzen, ſich in eine ſtren-
ge Gerechtigkeit, ſie mit allerhand Plagen heimzuſuchen, ver-
verwandelt habe.
Lipſius antwortete: Dasjenige, ſo ihr ſaget, iſt
nicht uͤbel geredet: Aber es reimet ſich nicht bey denenjenigen Wor-
ten, die ich vor gottloß halte, welche die Auslegung und den Ver-
ſtand, ſo ihr ihnen gebt, alsdann haben koͤnten, wann die Wor-
te
Securitatem noſtramallein von denen Roͤmern geſaget werden
moͤchten, weil ſie aber allgemein, ſiehet man, daß ſie das gantze
menſchliche Geſchlecht begreiffen.
Tacitus replicirte hierauf: Daß ich
das Wort
noſtram,in welches ihr,Lipſi!euer einigesFundament
geſetzet habt, allein das Roͤmiſche Volck verſtanden, erhellet
aus dem
Lucano,welcher eurem Beduͤncken nach, mir zu dieſer
gottloſen Meynung Urſache und Anlaß gegeben. Derſelbe ſagt in
ſeinen obangezogenen Verſen eben das, was ich euch geſagt; ge-

den-
[125]dencket aber nur derer Roͤmer, daß dieſelben ſich ewig bey ihrer
Hoheit und Gluͤckſeligkeit haͤtten erhalten koͤnnen, wann denen
Goͤttern ſo hoch daran gelegen geweſen waͤre, ſie bey ihrer alten
Freyheit zu
mainteniren, als ſich an ihnen zu raͤchen. Beduͤncket
euch dann nicht,
Lipſi!wahr zu ſeyn, daß die Roͤmer, ſo ihrer un-
erſaͤttlichen Regierſucht niemalen weder Ziel noch Maaß zu ſetzen
gewuſt, weil ſie ſo viele herrliche Koͤnigreiche, Fuͤrſtenthuͤmer und
Regimenter zerſtoͤret und verwuͤſtet, die Welt uͤberall beſtohlen,
auch dieſelbe, ihren unerloͤſchlichen Gelb-Durſt zu ſaͤttigen, mit
Feuer und Blut uͤberſchwemmet, endlich den Zorn des Aller hoͤch-
ſten gegen ſich erwecket, welcher nach dem er ſie denen allergrau-
ſamſten Tyrannen zum Raub uͤbergeben, die ihnen das groͤſte
Hertzeleyd und Drangſaal zu gefuͤget, letzlich uͤber ſie verhaͤnget
hat, daß ſie zur ſonderlichen Schmach, Spott und Hohn, von de-
nen allerbarbariſcheſten Voͤlckern in
Europahaben muͤſſen unter-
druͤcket und zu Boden gerichtet werden; welches dann in der That
ein erſchreckliches Ende, deſſen aber doch derer Roͤmer Ehrſucht,
Grauſamkeit und Geitz wohl werth geweſen. Und dieſes ſeynd
die Steine des Anſtoßes, an welche GOtt der Allmaͤchtige alle die-
jenigen kommen und gerathen laͤſſet, ſo des Herrſchens und Re-
gierens nicht koͤnnen ſatt werden. Damit ich aber, euch eures
Irrthums zu uͤberweiſen, ein Ende mache, ſo frage ich, ob ihr
nicht euch zu entſinnen wiſſet, daß ich auch an Andern Orten dieſes
Woͤrtlein
noſtram,odernoſtri,gebrauchet habe?Lipſius antwortete:
Da ihr des Koͤnigs dererArmenier, Tiridatis,Meldung thut, wel-
cher von dem
Corbulonenach Rom verſchicket ward, etlicher Sa-
chen wegen, deren er beſchuldiget wurde, ſich bey dem Kayſer
Ne-
rone
zuexcuſiren Dieſer, ehe er ſich auf den Weg begab, vergli-
che ſich mit dem
Corbulone,daß er nicht als ein Gefangener gehal-
ten werden, auch an keinem Ort ſein Gewehr abzulegen ſchuldig
ſeyn ſolte, und daß er die fremden Abgeſandten beſuchen, auch ſich
in Rom denen Burgermeiſtern gleich halten doͤrffte. Solch des

Q 3Tiri-
[126]TiridatisBegehren verlacheteCorbulo,und hielte es vor eine Bar-
bariſche Eitelkeit. Dieſes habt ihr mit folgenden Worten beſchrie-
ben,
ſcilicet externæ ſuperbiæ ſueto, non erat notitia noſtri: apud quos jus
Imperii valet, inania transmittantur.
Und an einem andern Ort, da ihr
vermeldet, wie denen Roͤmern zu ihrer Hoheit die Uneinigkeit ihrer
Feinde nicht wenig geholffen habe, gebrauchet ihr dieſe Worte:

Maneat quæſo duretque gentibus, ſi non amor noſtri, at certe odium ſui quan-
do vergentibus Imperii fatis, nihil jam præſtare fortuna majus poteſt, quam
hoſtium Diſcordiam.
Darauf antwortete Tacitus: Mit denen Worten,
non erat notitia noſtri, \& ſi non amor noſtri,meynet ihrLipſi!daß ich das
gantze menſchliche Geſchlecht, oder die Roͤmer allein verſtanden habe?

Lipſius entſetzte ſich hieruͤber, und ſagte: Nunmehro werde ich, lieber
Tacite!meines Fehlers gewahr. Bitte euch deswegen dienſtlichſt
um Verzeihung, und bekenne frey oͤffentlich, daß, je mehr man
eure Schrifften lieſet, je weniger man ſie verſtehet, und daß eu-
re
Annalesund Hiſtorien nicht vor einen ſchlechtenGrammaticum
gehoͤren wie ich bin.


FolgendeRelationbildet denPhiloſophiſchen Stoltz-
und Hochmuth ab:


DEr freygebige Koͤnig in Franckreich Tranciſcus I. begegnete geſtrigen Ta-
ges der Philoſophie, welche in dem Parnaſſo ſpatzieren gieng, ſich zu erluſti-
gen. Sie hatte ſich auf den Ariſtotelem und Platonem geſteuret, und weil ſie
gantz nackend gieng, ward dieſer Koͤnig zu groſſem Mittleiden bewogen, indem
er ſahe, daß die Koͤnigin aller menſchlichen Wiſſenſchafften, welche werth waͤ-
re aller Luſt und Kurtzweile einen Uberfluß zu haben, ſo armſelig waͤre, daß ſie
auch nicht einen Lumpen haͤtte ſich zu bedecken. Franciſcus I. thaͤte derowe-
gen alſobald ſeinen Koͤniglichen Mantel, voller Lilien von koͤſtlichen Diaman-
ten und Edelgeſteinen ab, dieſe edle Dame damit zu bedecken. Sie bedanckte
ſich aber gegen den Koͤnig vor dieſe groſſe Gnade, vorgebende, ſie koͤnte oh-
ne eintziges Nachtheil und Verluſt ihrer
Reputationin demParnaſſona-
ckent auf und abgehen; allermaſſen ſie weder Schande noch Unehre an
ſich, ſo zu bedecken oder zu verbergen, von noͤthen waͤren.


Fol-
[127]

FolgendeRelationzeiget, wie man ſich nicht allemal an
die vorgeſchriebenen Regeln derer Gelehrten binden
duͤrffe, welches doch ihrer viele mit groſſer Hart-
naͤckigkeit
prætendiren.


ZWey Tage hernach, als der beruͤhmte Poët Torquatus Taſſus, in den Par-
naſſum
aufgenommen worden, uͤbergab er Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt
ſein uͤberaus ſchoͤnes und herrliches Gedicht, wie Jeruſalem, von dem von
Bouillon, liberiret und befreyet worden hielte darneben an, Ihro Parnaſſiſche
Majeſtaͤt moͤchten ihnen belieben laſſen, ſolches, woferne es tuͤchtig befunden
wuͤrde, mit der Unſterblichkeit zu begnadigen. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt
nahmen es mit froͤlichem Hertzen an, lieſſen es, altem loͤblichen Gebrauch nach,
dem Bibliothecario, Caſtelvetro zu uͤberſehen, zuſtellen. Nach einigen Wo-
chen verfuͤgte ſich Torquatus Taſſus zu gedachtem Caſtelvetro, der ihm anzeig-
te, wie er ſein uͤbergebenes Werck mit allem Fleiß durchſehen, befaͤnde aber ſo
viel darinnen, daß er die Regeln, welche Ariſtoteles denen Poëten vorgeſchrie-
ben, nicht obſerviret und in Obacht genommen haͤtte, hielte es derowegen vor
untuͤchtig unter die beruͤhmten Autores dieſer Bibliothec geſtellet zu werden.
Er ſolte die noch uͤbrigen Fehler darinnen corrigiren und verbeſſern, und ſich
alsdann bey ihm wieder anmelden. Uber dieſen unverhofften Beſcheid
wurde Taſſus nicht wenig beſtuͤrtzt, erhube ſich derowegen, in Unwillen
zu dem Apollo, und ſagte, wie er dieſes Werck mit ſaurem Schweiß
zuſammen getragen, auch ſeinen Kopff und Schlaff mehrmahlen
daruͤber zer- und unterbrochen, habe darinnen auf nichts als auf
die Gabe, ſo ihm die Natur mitgetheilet, und auf die guten Einfaͤlle, ſo
ihm die
Muſeninſpiriret, geſehen, hielte demnach davor denen Re-
geln, ſo
Ariſtotelesvorgeſchrieben, in allem genug gethan zu haben.
Denn weil Ihro
Parnaſſiſche Majeſtaͤt wegen ſelbiger kein Geſetzpublici-
ret oder ausgehen laſſen, ſo koͤnne er auch nicht ſehen aus was Macht
Ariſtotelesſich unterfangen doͤrffte, Ziel und Maaß darinnen vorzu-
ſchreiben. Hiernechſt habe er niemalen von einem andern Ober-Herrn
in dem
Parnaſſo,als von demApollineund denenMuſen gehoͤret. Sein
Verbrechen, daß er dem Befehl
Ariſtotelisnicht nachgekommen, ruͤhre
vielmehr aus Unwiſſenheit als aus Boßheit her.
Uber dieſer des Taſſi
Rede wurde Apollo dermaſſen gegen den Ariſtotelem erzuͤrnet (wie derer
groſ-
[128] groſſer Herren Gebrauch, daß ſie der Jurisdiction halber ſich leichtlich entruͤſten)
daß er der Poëten-Wache unverzuͤglich anbefehlen lieſſe, den verwegenen Philo-
ſophum
gebunden vor ihn zu bringen, wie auch geſchahe. Apollo fuhr ihn mit
grimmigen und erblaſſetem Angeſicht, wie nicht weniger mit harten Worten an
und ſagte, ob er der vermeſſene und hochtrabende Geſelle waͤre, der ſich
haͤtte doͤrffen geluͤſten laſſen, ſeinen Tugendhafften, Geſetze und Ord-
nungen vorzuſchreiben, denen er allezeit die voͤllige Freyheit, zu ſchrei-
ben, und etwas zu erdencken, geſtattet und vergoͤnnet haͤtte. Denn
die vortrefflichen
Jngeniaſeiner Gelehrten, ſo von allen vorgeſchriebe-
nen Regeln und
Præceptis exemtund frey, vermehrten von Tag zu Tag,
mit ſeiner nicht geringen Beluſtigung die
Bibliothequenmit allerhand
neuen Sachen. Abſonderlich aber die
Poëten an gewiſſe Regeln und
Geſetze zu binden, waͤre nichts anders, als ihren Schrifften alle Lieb-
lichkeit und Anmuth benehmen, auch ihre vorttefflichen
Ingeniaver-
droßen zu machen, welche, wann ſie mit ihrer gewoͤhnlichen Freyheit der
Feder ihren Lauff laſſen, ſolche Sachen an den Tag geben, mit denen
ſich
Apolloſelbſten, wie auch die vielgeliebtenMuſen nicht allein beluſti-
gen, ſondern zum hoͤchſten daruͤber verwundern. Und weil des
Taſſi
Poë
tiſches Gedicht von der gantzen Welt mit groſſen Frohlocken ange-
nommen worden waͤre, ſo ſaͤhe man augenſcheinlich, daß in demſelben
alle Regeln ſo denen
Poëten jemahls vorgeſchrieben werden koͤnten, auf
das allergenaueſte in Acht genommen waͤren.
Der arme Ariſtoteles
erzitterte ob dieſen Worten, bate Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt gantz unterthaͤ-
nig, ſein hohes Alter anzuſehen, und einen ſolchenPhiloſophum,wie er
waͤre, wegen eines andern Unwiſſenheit nicht in Gefahr zu ſetzen. Er
habe ſelbige Regeln nicht in der Meynung geſchrieben, wie ihm von
denen Ungelehrten beygemeſſen wuͤrde, als ob ohne dieſelbe kein
Poëti-
ſches Gedichte ſeine vollkommenheit haben koͤnte; ſondern er habe al-
lein den Weg gezeiget deſto leichter zu dieſer Kunſt zu gelangen, auf
welchem auch die beruͤhmteſten
Poëten nicht ohne ſonderbaren Ruhm
gewandelt haͤtten. Der Ehrgeitz ſeye der eintzige Fehler, den er began-
gen habe, deswegen er auch Ihro
Parnasſiſche Majeſtaͤt gantz unter-
thaͤnig um Verzeihung baͤte. Denn weil er ſich lange zuvor leichtlich
einbilden koͤnnen, es wuͤrden viele Ungelehrte dieſe ſeine
Obſervationes
vor nothwendige Regeln undPræceptaausgeben, habe er ſich mit der
Hoffnung
Flattiret, ſein Name werde dadurch zu einer deſto groͤſſeren
Ehre und
Reutationgelangen; der Ehrgeitz aber ſeye eine Sache,
wel-
[129]welcher jederman das Geſicht verblende. Im uͤbrigen geſtuͤnde er
willig und gerne, daß auch ohne dieſe ſeine Regeln, die er vorgeſchrie-
ben,
Poëtiſche Gedichte in der hoͤchſten Vollkommenheit geſchrieben
und verfertiget werden, und ſolche auch hernach wiederum andern an
ſtatt dieſer Regeln, dienlich und befoͤrderlich ſeyn koͤnten.
In Anſe-
hung dieſes freyen Geſtaͤndniſſes und der gethanen unterthaͤnigen Bitte ward
Ariſtoteles von dem Apolline pardoniret, und wieder auf freyen Fuß geſtellet.


In der jetzt-kommenden Relation koͤnnen ſich die fal-
ſchen und aufgeblaſenen gelehrten Politici
beſpiegeln.


VOr zweyen Monaten verſchiede der Fuͤrſt in Lesbo, wannenhero die Land-
ſtaͤnde ſelbigen Fuͤrſtenthums, weil es nicht Erblich, ſondern in der
Wahl beſtehet, an Apollinem ihre Geſandten, abfertigten, mit unterthaͤnigſter
Bitte, IhroParnaſſiſche Majeſtaͤt moͤchten geruhen ihnen eine tuͤchtige
Perſon vorzuſchlagen, welche ſie wieder vor ihren rechtmaͤßigen Herrn
erwehlen und aunehmen ſollten.
Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt benenne-
ten ihnen unterſchiedene gelehrte und qualificirte Maͤnner. Aber es lieſſen ſich
die Abgeſandten beduͤncken, daß gleichwie Cornelius Tacitus der vornehmſte
unter denen Politicis; alſo waͤre er auch billig allen andern vorzuziehen. Ehe
ſie aber in dieſer wichtigen Sache weiter verfuͤhren, wurden ſie Raths ſich zu
ihm ſelbſt zu verfuͤgen, um zu vernehmen, im Fall ſie ihn zu ihrem Fuͤrſten auf-
und annehmen wuͤrden, auf was Art und Weiſe er ſie zu gouverniren und zu
regieren gedaͤchte? Tacitus, nachdem er ſich ſelber wacker heraus geſtrichen gab
denen Geſandten zur Antwort, was er in der Wiſſenſchafft, Landen
und Leuten wohl vorzuſtehen, vor ein Mann ſeye, das waͤre
Welt-kuͤndig. Denn weil jedermann ſeine Schrifften ſo hoch hiel-
te, beduͤnckte ihn, er koͤnne ſich mit Wahrheit ruͤhmen, es werde die
gantze Welt von denen heutigen Potentaten eintzig und allein
durch ſeine
Politicregieret. Da er nun andere Leute in der aller-
ſpitzfindigſten und
ſubtilſten Ratio Statusſo wohlinformiret und un-
terwieſen, ſo koͤnten ſie leichtlich gedencken und abnehmen, daß er

Rſich
[130]ſich ſelbiger viel beſſer in ſeinem eigenen Lande wuͤrde wiſſen zu ge-
brauchen und zu Nutzen zu machen. Und ob er wohl allhier, in
ihrer Gegenwart
ex tempore,ihnen einen ausfuͤhrlichenDiſcurs
zu halten getrauete, was ein Fuͤrſt in dergleichen Wahl-Reichen zu
beobachten und zu bedencken habe; ſo wolte er doch zum Beweiß-
thum, daß er mit Wahrheit von denen beſten
Politicisvor einen
Meiſter in dieſer Kunſt gehalten wuͤrde, ſolches mit wenig Wor-
ten bemercken, wie er ſich in ſeinem Regiment gegen ſie zu erzeigen
gedaͤchte, nemlich, daß er dem verſtorbenen Fuͤrſten in allen
Actio-
nibus,
daran die Unterthanen Luſt und Gefallen getragen, fleißig
nachfolgen, von denen aber, ſo ihnen zuwider geweſen, ſich aller-
aͤuſſerſt vorſehen und huͤten wolle. Und dieſes,
ſagte er, iſt der
rechte Kern der wahren
Politic,und dieQuinteſſencevon mirdiſtil-
li
ret, und in meinem eigenen Gehirn geſponnen. Er wolle ihnen
aber dieſes hohe Geheimniß in dem hoͤchſten Vertrauen
communici-
ret haben. Denn, wann es uͤberall ſolte aus gebreitet und offen-
bar werden, ſo wuͤrden endlich auch die Cram- und Becker-Buben
lernen, wie man die Koͤnigreiche und Fuͤrſtenthuͤmer
adminiſtriren
ſolte.
Dieſe, des Taciti Rede gefiele denen Herren Abgeſandten uͤber die
maſſen wohl, gaben auch zu verſtehen, es doͤrffte die Wahl auf ihn fallen.
Jedoch erinnerten ſie ihm darneben, wann ſie ihn nun vor ihren Fuͤr-
ſten erwaͤhlet hatten, wuͤrde von noͤthen ſeyn, in ſeinen Reden ge-
woͤhnlichere und gemeinere
modos loquendizu gebrauchen, damit
die Voͤlcker in
Lesboihn beſſer verſtehen koͤnten weil ſie nicht al-
le, wie die Leute in dem
Parnaſſo,ſtudiret haͤtten. Hierauf antwor-
tete Tacitus,daß ein Mann ſeines gleichen, als welcher ſich beflieſſe
mehr Spruͤche als Woͤrter aus ſeinem Munde gehen, und aus
ſeiner Feder flieſſen zu laſſen, ſich nothwendiger Weiſe dunckler
Reden gebrauchen muͤſſe, weil die ſinnreichen Spruͤche, und
Præ-
cepta Politica
gantz keineManier haͤtten, wann ſie in gemeinem
Kuͤchen-Latein vorgebracht wuͤrden. So habe er auch dieſe Art
zu reden vor andern erwehlet, damit die
Politic,als welche groſ-
ſen
[131]ſen Herrn allein zu wiſſen gebuͤhret, nicht zu gemein wuͤrde. Es
verſtuͤnden demnach ſeine Schrifften allein die klugen und
ſubtilen
Ingenia,ſo den Schnupffen nicht haͤtten. Jedoch wolle er auch de-
nen, die nicht gar hohen Verſtandes, zum beſten, ſeine Dollmet-
ſcher, als
Meroerum, Lipſium, Fulvium Urſinum \&c.mitbringen.
Ja er wolte gar aus Italien den hochberuͤhmten
Curtium Piche-
nam
kommen laſſen, welchen ihm der Groß-Hertzog von Florentz,
Ferdinandus II.ſo desTacitivornehmſter und beſter Schuͤler gewe-
ſen, ſo offte er ſeiner beduͤrfftig, zukommen zu laſſen, verheiſſen.

Mit dieſem Verſprechen waren die Herren Abgeſandten ſehr wohl zu frieden, be-
gaben ſich alſo wieder nach Hauſe, und ſtatteten von dieſes Mannes hohem
Verſtand und Weisheit eine ſolche Relation ab, daß er alſobald durch eine all-
gemeine Bewilligung des gantzen Volckes zu ihrem Fuͤrſten erwehlet und be-
ſtaͤtiget ward. Aber die Hoffnung, ſo man von ihm geſchoͤpffet hatte, fiele gar
bald in den Brunnen, weil er ſchon bey dem Antritt ſeiner Regierung viel ein
anderer Mann befunden wurde als man vermeynet hatte. Denn ſobald
er Poſſeſſion von dem Lande genommen, fieng er allgemach an zwiſchen dem
Adel und dem gemeinen Volck Uneinigkeit und Mißtrauen zu erwecken. Weil
auch der Adel dem gemeinen Volck an Klugheit und Macht uͤberlegen, und ſol-
ches deswegen unterdruͤckte, ſchlug ſich Tacitus argliſtiger Weiſe zu dem ſchwaͤ-
chern Theil, wannenhero die vornehmſten unter dem Volcke, wegen der an-
ſehnlichen Huͤlffe und ſtarcken Beyſtandes, ſo ihnen der Fuͤrſt leiſtete, ein Her-
tze bekamen, und viel Muthwillen gegen den Adel veruͤbten, woraus denn, in-
nerhalb Monats-Friſt, ein ſchwerer innerlicher Krieg entſtunde. Indeſſen
ſtellte ſich Tacitus an, als ein Liebhaber des gemeinen Friedens, offerirte ſich
auch dieſen Streit als ein Schiedsmann beyzulegen; da er doch in ſeinem
Hertzen wuͤnſchete, daß ſelbiger ewig waͤhren moͤchte. Gleichwol wuſte er
ſich mit ſolcher Liſt und Verſchlagenheit bey beyden Theilen zu inſinuiren, daß
ſie ihn als einen gemeinen Mittler und Schiedsmann erwehleten. Damit er
nun, mit anderer Leute Schaden, ſeine eigene Autoritaͤt befeſtigen moͤchte,
jagte er erſtlich dem gemeinen Mann eine groſſe Furcht ein, indem er ihnen die
Gedancken beybringen ließ, daß ſie in kurtzem vor dem Adel, ihres Lebens nicht
ſicher ſeyn, ſondern alle mit denen Koͤpffen wuͤrden bezahlen muͤſſen, wo ſie
nicht bald auff Mittel und Wege gedaͤchten, dieſem Ungluͤck zu entgehen.
Durch dieſen Griff erhielte er leichtlich, ſie vor der Gewalt des Adels zu be-
R 2ſchuͤ-
[132] ſchuͤtzen, eine Armée von auslaͤndiſchen Voͤlckern in ſeinem Staat auffzurich-
ten, welche er, den Schalck deſto beſſer zu verbergen, Friedens-Soldaten
nannte. Dieſe Voͤlcker wurden unter dem Schein den gemeinen Poͤbel, als
welcher ſchon allzufrech worden, in dem Zaum zu halten, mit des Adels gutem
Belieben bewehrt. Ihrer waren ſieben tauſend, und das Commando daruͤber
hatte Tacitus einem von ſeinen Favoriten anvertrauet. Damit er ſie, in allen
Occaſionen, zu ſeinem Willen haben moͤchte verbande er ſich dieſelben nicht al-
lein mit dem gewoͤhnlichen Eyd, mit Geſchencken und allerhand gutthaͤtigkei-
ten, ſondern verſtattete ihnen auch allen Muthwillen und Grauſamkeiten, ſo-
wohl gegen den Adel als gemeinen Mann. Wie beliebt ſie ſich aber hiemit
bey dem Fuͤrſten machten, ſo groſſen Haß und Feindſchafft luden ſie ſich bey
denen andern auf den Hals. Als ſich nun Tacitus, auf dieſe Weiſe in ſeiner
Herrſchafft feſt geſetzet hatte, fuͤllete er den Rath, die Stadt Lesbum, und das
gantze Land mit falſchen Anklaͤgern und Spionen an, welche er hernach gegen
die vornehmſten vom Adel verhetzete, um ſie unter allerhand Schein begange-
ner Exceſſe und Ubelthaten ihrer Ehren-Aemter zu entſetzen, und ihrer Guͤther
zu berauben, welche er nachmahls denen Anklaͤgern conferirte, und ſie dadurch
groß machte. Indem nun die Vornehmſten aus dem Rath theils aus Geitz,
theils aus Ehrſucht, die meiſten aber ihr eigen Leben zu ſalviren, mit falſchen
Anklagen und Verleumdungen die Maͤchtigſten in dem Lande verfolgten, ga-
ben ſie dem Fuͤrſten je langer je mehr Mittel an die Hand, ſich in ſeinem Domi-
nat
zu ſtaͤrcken. Uber das ſchickte Tacitus die Vornehmſten Raths-Herrn, de-
nen, er durch die falſchen Auflagen noch nicht beykommen kunte, aus dem Lan-
de, wo ſie ihm keinen Schaden thun kunten, trug ihnen groſſe und hohe Aem-
ter auf, welche ſie mit ſchwehren Koſten bedienen muſten, und fieng hernach
allgemach an, die alten Diener, ſo uͤber die Soldaten beſtellet waren, zu diſar-
mi
ren, deren Waffen er andern von ſeinen Creaturen gab. Nachdem er nun
durch ſolche Griffe, die Maͤchtigen im Lande unterdruͤcket hatte, ordnete er an-
dere Raths-Herren, und befoͤrderte zu denen hoͤchſten Ehren-Aemtern neu-ge-
backene aus dem gemeinen Poͤbel, ſo von ihm alleine dependirten. Damit er
aber das Land vor fremder Potentaten Einfaͤlle in Sicherheit ſetzen moͤchte,
fieng er an unuͤberwindliche Caſtelle und Feſtungen zu erbauen, welche er mit
fremden Garniſonen, die ihm treu waren, beſetzte. Weil er auch nicht leyden
kunte, daß das Volck und der Adel bewehrt waͤren, gleichwol aber wuſte, daß,
ſie wehrloß zu machen, ſehr gefaͤhrlich ſeye, bedachte er, durch ein anders und
ſicheres Stuͤcklein ſolches zu wege zubringen, nemlich durch einen langwierigen
Frie-
[133] Frieden, Muͤßiggang, Wolluſt und ſcharffe Proceduren gegen diejenigen, wel-
che Ehre und Reputation wegen, einander zu einem Zwey-Kampff ausforder-
ten. Solches geſchahe zu dem Ende, damit er alle Tapfferkeit aus dem Her-
tzen ſeiner Uuterthanen vertilgen moͤchte. Um ſie auch deſto geſchwinder weich
und weibiſch zu machen, lieſſe er, mit groſſen Unkoſten Gebaͤude anrichten, all-
wo alle Tage fiele, Commœdien, Jagden und allerhand Kurtzweile angeſtellet
wurden. Indem ſie nun ſolchen Sachen allzuſehr nachhiengen, vergaſſen ſie
daruͤber des Regiments und des Kriegsweſens. Weil ihm im uͤbrigen nicht un-
bekannt war, daß er zum Zweck ſeiner Tyranney, uͤber ein Volck, ſo in der
Freyheit gebohren, auch darinnen lange Zeit gelebet hatte, zu gelangen, ihnen an
nichts einigen Mangel erſcheinen laſſen muͤſte, ſonne er auf Mittel und Wege,
in ſeinem Lande allenthalben die Huͤlle und die Fuͤlle, ja einen ſehr groſſen Uber-
fluß in allen Sachen, zu verſchaffen.


Biß dato nun giengen Tacito alle ſeine Anſchlaͤge gluͤcklich von ſtatten.
Indem er aber das vornehmſte Stuͤcklein, ſeine Tyranney zu beſtaͤtigen, allzu-
ſtarck zu practiciren vermeynte, nemlich die vornehmſten Haͤupter, ſo ihm in
die Augen ſtachen, aus dem Wege zu raͤumen, erweckte er einen ſolchen allge-
meinen Wiederwillen gegen ſich, das er vor ſechs Tagen genoͤthiget wurde
wolte er anders nicht durch eine ſtarcke Verraͤtherey, die ſich wieder ihn ange-
ſponnen, ſelber um das Leben kommen, unbekannter Weiſe aus Lesbo zu ent-
fliehen, und ſich wieder in den Parnaſſum zu begeben, allwo er hernach ein Pri-
vat-
Leben, wie zuvor gefuͤhret.


Plinius der Juͤngere, welcher, wie bewuſt, Taciti allergroͤſter Freund ge-
weſen, war der erſte, ſo ihn beſuchte. Dieſer verwieſe ihm hoͤchlich, daß er,
den andern ſolche herrliche Præcepta, Land und Leute wohl zu regieren, vorge-
ſchrieben haͤtte, ſolche in ſeiner Herrſchafft in Lesbo ſo gar uͤbel practiciret haͤt-
te. Seit dem hat Plinius referiret, Tacitus habe ihm folgenden Beſcheid ge-
geben: Der Himmel, mein lieberPlini!iſt nicht ſo weit von der Er-
den, und der Schnee denen Kohlen an Farbe, nicht ſo ungleich,
als weit und ungleich, die
Praxiszn regieren, und die bloſſe Wiſ-
ſenſchafft gute
politiſche Regeln von derRatione Statusvorzuſchrei-
ben, von einander ſind. Denn die
Sententz, welche ich unter
R 3dem
[134]dem NamenGalbæ,demPiſonigegeben, die mir ſolchen groſſen
Ruhm bey denen Leuten gemachet, daß ſie dieſelbe faſt vor einen
goͤttlichen Ausſpruch gehalten, welche die Unverſtaͤndigen ſo leicht
zu
practiciren zu ſeyn vermeynen, iſt mir in das Werck zu richten
ſehr ſchwehr vorgekommen, weil es eine allzugroſſe
Metamorpho-
ſis
oder Veraͤnderung iſt, aus demPrivatin dem Fuͤrſten-Stand
erhaben worden. So ſollet ihr auch wiſſen, daß viele Sachen
ſind, vor denen, als vor groſſen Gebrechen und oͤffentlichen La-
ſtern die
Privat-Perſonen einen Abſcheu haben, und ſolche an Fuͤr-
ſten und Herren auf das hoͤchſte haſſen, die doch treffliche Tugen-
den ſind. Dieſes ſage ich darum: Sobald ich zum Fuͤrſten uͤber

Lesbumerwehlet worden, nahm ich mir gewiß vor, mich in mei-
ner Regierung dieſer Regel, ſo ich dir angezeiget, gemaͤß zu ver-
halten, in der Abſicht ich mich auch derer
Actionen meines Vor-
fahrens auf das allerbeſte
informirte, mit dieſem Steiffen Vorſatz,
ihm in denenjenigen, ſo an ihm gelobet wurden, nachzufolgen,
die andern aber, derentwegen man ihn geſcholten, zu vermeiden.
Nun brachte ich in Erfahrung, daß er den Rath durch die groſſe
Gewalt, ſo er ſich zugeeignet, zum hoͤchſten
offendiret hatte, in-
dem er alle wichtige Geſchaͤffte an ſich gezogen, ſo daß dem Rath
und der uͤbrigen Obrigkeit faſt nichts als der bloſſe Name mehr
uͤbrig geblieben. So nahm ich auch in acht, daß er ſich ſehr ver-
haſt gemachet, weil er den Adel ſo wenig geachtet, und ſelbigen der
Gebuͤhr nach nicht
conſideriret hatte, indem er gewolt, daß alle
Staats-Sachen von ihm alleine
dependiren ſolten. So war
hiernechſt ſeine ſtrenge Regierung keine geringe Urſache des Haſ-
ſes. Denn dadurch gab er an den Tag, daß er vielmehr das
Land
abſolute, gleich einem Erb-Herrn, als mit umſchraͤnckter
Gewalt, wie ein erwehlter Fuͤrſt zu regieren gedaͤchte. Dieſe
Weiſe nun zu herrſchen beduͤnckte mich, da ich noch eine
Privat-
Perſon war, und noch zu der Stunde, wie ich denPrivat-Stand
von mir legte, ſehr ſchaͤndlich, ja gantz tyranniſch, nahm mir

auch
[135]auch derohalben vor, ſolche zu verbeſſern. Aber ihr muͤſſet wiſ-
ſen, daß gleich in denen erſten Stunden, da ich mich mit der Fuͤrſt-
lichen Wuͤrde bekleidet ſahe, ich gleichſam fuͤhlete, wie mir die Be-
gierde nach der Gewalt zu herrſchen, dieſen meinen guten Vorſatz
gaͤntzlich aus dem Sinn und Hertzen geriſſen, dergeſtalt, daß ich,
ſolches euch mit deutlichen Worten zu ſagen,
vi dominationis convul-
ſus \& mutatus,
dieActionesmeines Vorfahren, welche ich, in mei-
nem
PrivatLeben, als tyranniſch und gottloß verfluchet und ver-
maledeyet hatte, vor tugendhaffte, gute, und
ad rationem Status
ſehr nothwendigePræceptazu halten anfieng. Ich kunte alſo
der Regierſucht, die mir in das Gehirn kam, nicht allein im ge-
ringſten keinen Wiederſtand thun, ſondern ich hielte ſogar davor,
es wuͤrde meiner
Reputationgantz zuwider ſeyn, wann ich mich
nicht der hoͤchſten und
abſoluten Gewalt unterziehen, und ſelbige,
an mich zu bringen trachten ſolte. Dieſe meine unerſaͤttliche Re-
gierſucht nun, hat den Haß und Unwillen des Raths, des Adels,
und des gemeinen Mannes wieder mich verurſachet, und mich
endlich in dieſes
Labyrinth,wie ihr ſehet, geſtuͤrtzet. Meine Un-
wiſſenheit hat mich keinesweges in dieſe Ungelegenheit gebracht,
ſondern daß ich zu viel gewuſt, und gar zu gelehrt geweſen bin.
Denn, wer in
Lesbo,als einem Wahl-Fuͤrſtenthum, wo die Un-
terthanen zwiſchen der Freyheit und Sclaverey ſchweben,
nec to-
tam libertatem nec totam ſervitutem, pati poſſunt,
die ſich weder der
voͤlligen Freyheit zu gebrauchen noch in die Dienſtbarkeit zu ſchicken
wiſſen lange und friedlich zu regieren begehret, der muß ſich
reſolvi-
ren, die Sachen in dem Stande zu laſſen, wie er ſie findet. Ja er
muß eines Fried-liebenden Gemuͤths, und von aller Ehr- und Re-
gierſucht entlediget ſeyn, mithin dieſes ſchwere
Præceptum Po-
liticum
wohl zupracticiren wiſſen, daß er auch andere neben ſich
leben laſſe. Es ſind demnach alle diejenigen, welche gar zu ver-
ſtaͤndige
Politici,wie ich geweſen bin, ſo von Natur zu derab-
ſolu
ten Herrſchafft geneigt und angereitzet werden, und die da
al-
[136]alles nach ihrerRatione Statuszirckeln und drehen wollen, zu de-
nen Fuͤrſtenthuͤmern, welche in der Wahl beſtehen, gantz untuͤch-
tig und ungeſchickt.


Eine ſehrcurieuſe Relationiſt auch dieſe.


DEmnach in dem Parnaſſo die Faſtnacht angegangen, binnen welcher Zeit die
Gelehrten ſich mit mancherley Freudenſpielen zu ergoͤtzen pflegen: als ha-
ben Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt durch oͤffentlichen Trompeten-Schall ausbla-
ſen laſſen, daß maͤnniglich, des Macrobii Saturnalia, Auli Gellii welcher, bey
denen heutigen Schulfuͤchſen und Criticis mit Gewalt Agellius heiſſen muß)
Noctes Atticas, Alexandri ad Alexandro ſeine Dies Geniales, und endlich derer
Roͤmer; als Herren uͤber die gantze Welt und Obriſten inſpectores derer
freyen Kuͤnſte, ihre Bachanalia hoch-feyerlich begehen, und ſich dabey luſtig erzei-
gen ſolten. Es befahle Apollo aber auch inſonderheit allen Nationen, ſo ſich in
dem Parnaſſo befinden, daß eine jedwede ſolche Feſte und Feyertage, nach ih-
res Landes Sitten und Gebrauch celebriren ſolte. Sobald dieſe froͤliche Zei-
tungen mit maͤnnigliches groſſen Frolocken publiciret waren, wurden die koͤſtlich-
ſten Bibliothequen eroͤffnet, in welche einem jedweden, ſo lange dieſe Feyerta-
ge waͤhren, zu gehen, ſeines Gefallens darinnen zu verharren, und ſich an de-
nen koͤſtlichen Scriptis derer beruͤhmteſten Autorum zu erſaͤttigen erlaubet wur-
de. Es iſt derohalben nicht zu ſagen, mit was groſſer Luſt und Freude man
in allen Gaſſen und Haͤuſern die ſtattlichſten und herrlichſten offenen Mahlzeiten,
ſo allda von Platone und andern angeſtellet worden, gehalten habe, bey welcher
die Gelehrten alle mit einander von dem koͤſtlichen Wein derer freyen Kuͤnſte
ſehr truncken wurden. Die Rechts-Gelehrten allein, nachdem ſie ſahen, daß
man keine Gerichte hielte, und die Zanck-Laͤden alle verſchloſſen waren, erzeig-
ten ſich ſehr traurig, hingen die Koͤpffe, und wolten gar Hungers ſterben, da
doch, bey dieſer froͤlichen Zeit, ſonſt jederman genug und voll auf hatte. Sol-
ches kommet eintzig und allein daher, weil Ihro Parnaſſifche Majeſtaͤt ſchon vor
etlich hundert Jahren die bloſſen Juriſten, ſo ſonſten in andern Sachen nichts
ſtudieret haben, vor pur lautere grobe Eſel und Ignoranten declariret, und ih-
nen zugleich die liebliche Speiſe der Theologie, der reinen Philoſophie, der an-
genehmen Hiſtorie, der Poëſie und anderer Wiſſenſchafften verboten hat, wel-
che nur vor treffliche und großmuͤthige Leute gehoͤren. Es giengen dannenhe-
[r]o die armen Tropffen nur in denen Kuͤchen umher, allwo ſie Schuͤſſeln und
Teller
[137] Teller leckten, da mittlerweile alle andere Gelehrte die Tiſche voller herrlicher
Speiſe hatten, ſo von denen beſten Scientiis zugerichtet waren. Damals be-
kamen die hohen und vortrefflichen Ingenia einen Eckol und Abſcheu vor denen
Digeſtis und dem Codice, als welche zu nichts dienen, dann nur den Leib zu
erfuͤllen, und groſſen Reichthum zuſammen zu ſcharren, daran ſie doch endlich,
wie an einem auszehrenden Fieber ſterben und ver ſchmachten muͤſſen. Vor
allen andern herrlichen Banqueten aber, war Caji Plinii ſeines ſehr merck-
wuͤrdig und wohl anzuſehen. Denn ungeachtet die vornehmſten unter denen
Gelehrten aus allen Facultaͤten, ſo in dem Parnaſſo reſidiren, ſich dabey befan-
den, hat er doch einen jeglichen auff das allerbeſte, mit ihrer hoͤchſten Satisfa-
ction,
herrlich und ſtattlich tractiret Ob aber gleich der meiſte Theil derer
Speiſen oder Gerichte, von lauter rothen Ruͤben waren, ſo hatte doch dieſer
weiſe und hochverſtaͤndige Mann, dieſelben auff mancherley Art und Weiſe
zugerichtet, dergeſtalt, daß die ſaͤmtlichen Gelehrten, ſie vor ſo viele unterſchie-
dene Speiſen hielten, auch ſolche mit ſonderlicher Luſt und Begierde aſſen und
zu ſich nahmen. Indem Apollo umher ſpatzierte, die vielfaͤltigen Gaſtereyen
in Augenſchein zu nehmen, wurde ihm von einem Ferrareſiſchen Bauer, Pa-
ſtor Fido
genannt, eine herrliche wohlriechende Torte verehret, welche ihm
ſo wohl gefiele, daß er ſich nicht enthalten, noch der ordinairen Mahlzeit er-
warten kunte, ſondern mitten auff der Straſſe ſelbige zu verſuchen anfieng,
welche ihm auch ſo delicat ſchmeckte, daß er auff gut Baͤuriſch das Maul und
zehen Finger darnach leckte. Dieweil er ſie nun ſo auſſerordentlich gut be-
fande, achtete er es vor eine groſſe Unhoͤfflichkeit, wenn er dieſelbe allein auf-
zehren ſolte, hielte derowegen vor rathſam, denen ſaͤmtlichen Muſen auch et-
was davon zukommen zu laſſen, damit dieſelben, als welche entweder mit
ſchoͤnen Verſen und andern loͤblichen Sachen ſchwanger gehen, daferne ſie
vielleicht luͤſtern darnach waͤren, nicht etwa zur Unzeit gebaͤren, oder ihre
Poëſie ein Mahlzeichen und Flecken mit auff die Welt braͤchte. Indem nun
Apollo und die Muſen mit trefflichem Appetit von dieſer Torte aſſen, wur-
den ſie gewahr, daß die Gelehrten, ſo um Ihro Parnaßiſche Majeſtaͤt wa-
ren, ein ſehr groſſes Verlangen hatten, die Torte auch zu verſuchen, wan-
nenhero Ihro Parnaßiſche Majeſtaͤt einem jeden aus denenſelbigen etwas da-
von zukommen lieſſen, welche Ihnen en general ſo herrlich gut ſchmeckte, daß
ſie bekannten, ihr lebetag dergleichen nicht verſucht zu haben. Ein eintziger
unter denen Gelehrten ward gefunden, der vorgeben durffte: Ihm haͤtte
davor gegrauet, dieweil ſie gar zu ſuͤß geweſen waͤre.
Dem gab aber
SApollo
[138]Apollo mit groſſer Unmuth zur Antwort: Das Suͤſſe waͤre der Natur an-
genehm, und wer an ſelbigem nicht eine ſonderliche Luſt empfaͤnde, der
haͤtte ſeinen Geſchmack verlohren. Er muͤſte demnach ein boͤſer
Menſch ſeyn, wann er nicht geſtehen wolte, daß dieſe Torte, (in wel-
cher mehr ſchoͤne Spruͤche und
Sententiæals Woͤrter zu finden) von
denen allerbeſten und niedlichſten Bißlein gemachet waͤre. Ja er
muͤſſe zu erkennen geben, daß er einer von den Verlaͤumdern ſeye, wel-
che von der Mißgunſt dermaſſen verblendet, daß ſie dasjenige, was
ſie nicht
imitiren und nachtuhn koͤnnen, nur ſchaͤndeu und ůbels davon
reden.
Endlich aber wurde der groſſe Zorn Ihro Parnaßiſchen Majeſtaͤt,
und der Schrecken derer ſaͤmtlichen Gelehrten, ſo ſie angekommen war, in
ein groſſes Gelaͤchter verwandelt. Denn, nachdem dieſe Torte gantz auff-
gezehret, kam Johannes della Caſa, nahm die Schuͤſſel, in welcher ſie Ihrer
Parnaßiſchen Majeſtaͤt war offeriret worden, und leckte dieſelbe ſo ſchoͤn aus,
als ob ſie ausgeſpielet worden waͤre, ſagte zugleich zu Ihrer Parnaßiſchen
Majeſtaͤt und denen Muſis, daß man ſich in denen Sachen, welche einem
wohl anſtuͤnden und gut ſchmeckten, nicht allezeit zwingen noch derer Regeln
des Galatei erinnern koͤnnte; Indem ſo waͤre in der Faſtnacht alles erlaubt. Die-
ſemnach giengen Ihro Parnasſiſche Majeſtaͤt in der Stadt auf allen vorneh-
men Plaͤtzen herum ſpatzieren, und ſahen, mit ſonderbarer Luſt und Wohlgefal-
len, wie alle Winckel in der Stadt voller gelehrter Leute waren, welche von aller-
hand Scientiis, in allen Facultæten, mit einander conferirten und diſputirten,
wie nicht weniger die allerberuͤhmteſten Redner ſo ſtattliche Orationes hielten, da-
rinnen ſie die Geſchicklich keit ſamtdenen Studiis insgemein wacker heraus ſtri-
chen, im Gegentheil aber die Jgnoranten ſtattlich durchhechelten.


Noch viel ein groͤſſeres Vergnuͤgen aber empfunden Ihro Parnasſiſche Ma-
jeſtaͤt ob denen Italiaͤniſchen Poeten, welche in groſſer Anzahl oͤffentlich auftraten
und ex tempore eine unzehlige Menge Reymen aus denen Ermeln ſchuͤttelten,
welches ihnen die Lateiniſchen Poëten nicht nachthun kunten. Denn weil ſel-
bige an die Fuͤſſe gebunden ſind, muͤſſen ſie, nothwendiger Weiſe etwas lang-
ſam gehen. Als nun Ihro Parnaſſiſche Maieſtaͤt dieſe obgemeldten Sachen
geſehen, und angehoͤret nahmen ſie von denen Muſis ihren Abſchied, welche hernach
noch eine gute Weile mit denen Poëten, als ihren Liebſten, in der Stadt herum
giengen; da ſie dann mit ſonderlicher Luſt, und Ergoͤtzlichkeit des beruͤhmten
Poëten Mauri ſeinen Laden, und die Waare, ſo er darinnen feil hatte, be-
ſchau-
[139] ſchaueten. Unter andern Sachen aber funden ſie eine groſſe quantitæt kleine
und groſſe Bohnen, von welchen etliche dieſer Damen ſich ſo ſatt aſſen, daß ſie
haͤtten berſten moͤgen; wobey etliche vorwitzige Geſellen obſervirten, daß ih-
nen diejenigen viel beſſer anſtunden, welche aus der Schaalen waren, als die,
ſo noch darinnen ſteckten. Als endlich Apollo in ſeinem Koͤniglichen Pallaſt
wieder angelanget war, hielten etliche Courtiſans von ſeinem Hoffe bey ihm an,
daß er ihnen, erlauben moͤchte, ſich zu verkleiden und Muinmen zu lauffen,
welchen Apollo zur Antwort gab, wie ſie gar keiner Larven vonnoͤthen haͤt-
ten, ihre Angeſichter zu bedecken, dieweil ihre Gemuͤther allbereits ſo haͤßlich
verſtellt waͤren, daß er ſie gewiß verſichern wolte, ſie koͤnten uͤberall ungehin-
dert umher lauffen, und wuͤrden von keinem Menſchen, wie klug er immer ſeyn
moͤchte, erkannt werden. Den folgenden Tag wurden, alten loͤblichen Ge-
brauch nach, viele Sachen zum beſten gegeben, welcherwegen man um die
Wette lieffe, entweder mit Pferden, Wagen oder zu Fuß. Bey denen Wa-
gen fiele das allerdenckwuͤrdigſte vor, welches wohl zu ſehen und zu notiren
war. Denn als an dem Ort, wo die Loſung zum lauffen gegeben wurde, ſehr
viele Wagen erſchienen, welche alle neue Naͤder hatten, darzu wohl geſchmie-
ret, auch von denen ſchoͤnſten und ſchnelleſten Noſſen gezogen wurden, ſahe
man unter denenſelbigen auch Cornelium Tacitum, welcher einen ſehr alten
zerbrochenen Wagen hatte, ſo an allen Orten mit Seilen zuſammen gebunden
war, und vor demſelben elende lahme Schind-Maͤhren welche er entlehnet
hatte. Es gab aber Tacitus bey dieſem Actu maͤnniglichen ſeine Tapfferkeit und ho-
hen Verſtand zu erkennen. Denn als das Zeichen zum Lauffen gegeben ward,
alle Kutſcher mit ihren Peitſchen, wie nicht weniger mit ihrem ſtarcken Zu-
ſchreyen, ihre Pferde wacker antrieben, ſaß Tacitus gantz ſtille bewegte ſich
nicht viel, wuſte doch unter deſſen die Pferde ſo wohl in Acht zu nehmen, und
ſeinen alten geflickten Karrn mit ſolcher Behendigkeit dermaſſen herum zu dre-
hen, zu wenden und deuen andern vorzubiegen, daß er bey dem aufgeſteckten
Ziel anlangte, da die andern mit ihren neuen Wagen noch nicht die Helffte er-
reichet hatten, wobey dann die Tugendhafften insgeſammt bekennen muͤſſen,
daß in allen Sachen, mit der Behendigkeit und dem Verſtand mehr, als mir
der Staͤrcke und Gewalt auszurichten waͤre, und daß diejenigen, ſo ihre Sa-
chen und Geſchaͤffte mit guter Manier, rechtem Verſtande und Schlauigkeit
angriffen, auch die allerverworrnſten und ſchlimmſten Haͤndel zu einem er-
wuͤnſchten Ende bringen und ausfuͤhren koͤnnen. Als dieſes vollzogen, lieffen
etliche Gelehrte zu Fuß mit einander um die Wette; woran aber die Tugend
S 2haff-
[140] haffte nicht ſo groſſe Kurtzweile, als bey dem vorigen Rennen empfanden, die-
weil die Unbilligkeit, ſo dabey vorlieffe, allzugroß und nicht zu erdulden war,
indem man dieſen armen Schluckern und Gelehrten, das Ziel zu weit geſtecket
hatte; dahingegen den groſſen reichen Hannſen daſſelbige ſo nahe geſetzet wur-
de, daß ſie es ohne eintzige Muͤhe, und ſonder Lauffen, wann ſie nur eine Hand
ausſtrecken und darnach griffen, erreichen mochten. Dannenhero waren ih-
rer viele, wegen dieſer groſſen Ungleichheit der Meinung, es ſeye vielmehr dem
bloſſen Gluͤcke, als dem ſauren Schweiß und denen Meriten zuzuſchreiben,
wann ein armer Gelehrter bey Hoffe zu denen hoͤchſten Ehren-Aemtern erha-
ben wuͤrde. Nichts deſtoweniger iſt bey dieſem letzten Lauffen obſerviret wor-
den, daß viele vom Adel, und andere Neiche bey Hofe ſehr zuruͤcke blieben,
und dargegen andere arme, unanſehnliche Tropffen ihnen weit vorgelauffen, an-
bey das Ehren-Craͤntzlein davon getragen haben. Und obzwar etliche ſich ge-
funden, ſo vorgeben doͤrffen, daß ſie ſolches durch Gunſt von dem Fuͤrſten er-
langet haͤtten; ſo haben doch andere Verſtaͤndigere davor gehalten, es haͤtten
ſich diejenigen billig zu ruͤhmen, und vor gluͤck ſelig zu ſchaͤtzen, welche ſich bey
groſſen Herren, denen ſie dienen, ſo beliebt zu machen wuͤſten, daß ſie zu hohen
Ehren befoͤrdert wuͤrden; ja ſie moͤchten wohl ſagen, daß ſie in ihrem ausge-
ſtandenen Lauff gute Fuͤße gehabt haͤtten. Unterdeſſen trug ſich ein anderer
Fall zu welcher bey dem Volck groſſes Lachen verurſachte, von wegen zweyer
vornehmen Perſonen bey Hoffe, welche wie offtermalen zu geſchehen pfleget,
indem einer den andern zuruͤcke zu halten, und in ſeinem Lauff zu verhindern
ſich unterſtunde, wider einander lieffen; woruͤber ſie dergeſtalt gegen einander
verbittert wurden, daß ſie des Hauptwercks ihres Lauffens, den Preiß da-
von zu bringen vergaſſen, und einander, ſchaͤndlicher Weiſe, mitten auf der
Gaſſen, mit Faͤuſten zu ſchlagen anfiengen. Nachdem ſie ſich nun eine gute
Weile in dem Koth mit allerhand Beſchuldigungen und Injurien, ſo ſie gegen
einander ausſtieſſen, wacker herum geweltzet, und ihre Reputation ziemlicher-
maſſen beſudelt hatten, wurden ſie endlich von jederman verhoͤhnet und verla-
chet, dergeſtalt, daß ſie mit Spott und Schimpff nach Hauſe ziehen muſten.
Ob nun zwar dieſes dem gemeinen Poͤbel laͤcherlich vorkam; ſo haben dennoch
Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt ſolches vor ein ſo hochwichtiges Werck gehal-
ten, daß ſie dem weitberuͤhmten Bildhauer Praxiteli auferlegen und anbefeh-
ken laſſen, ſolches in eine marmorſteinerne Tafel einzuhauen, damit ſich in
kuͤnfftigen Zeiten die Hof-Courtiſanen, ſo uͤber einander eyffern, daran zu ſpie-
geln haͤtten.


[In]
[141]

In denen verwichenen Jahren wurden die Præmia, und was ein jedweder
gewonnen hatte, durch den Stadthalter auf dem Parnaſſo, und den Stadt-
Schultheiſſen, ohne einige Ceremonien und Gepraͤnge ausgetheilet. Die-
ſes Jahr aber hat Apollo ſoches ſelbſt perſoͤnlich verrichten wollen, dero-
wegen er allen Potentaten, ſo ſich in dem Parnaſſo befinden, anſagen laſſen,
ſich in dem groſſen Koͤniglichen Saal einzuſtellen, und dieſen Ceremonien
beyzuwohnen. Dieſes kam denen Fuͤrſten etwas Spaniſch vor, daß ſie ſich
bey dieſem Actu, ſo hiebevor ſehr gering geſchaͤtzet worden waͤre, einſtellen
ſolten, da ſie doch nur allein zu denen allerwichtigſten erfordert wuͤrden. Die-
weil es aber Sr. Parnaſſiſchen Majeſtaͤt allergnaͤdigſter und ernſter Befehl war,
ſtelleten ſie ſich gehorſamſt ein, und wurden vom Apolline auf folgende Weiſe an-
geredet: Ich vernehme, daß ihr euch ſehr verwundert, warum ich
dieſes Werck, ſo bißhero, durch meine Diener verrichtet worden, an-
jetzo in Perſon volziehen will. Denn weil an dieſem gegenwaͤrtigen
eintzigen Handel, ſo anjetzo ſolte vollzogen werden, nicht allein die ewi-
ge gantze Wohlfahrt und Gluͤckſeeligkeit, ſondern auch das Heyl aller
eurer Unterthanen, uͤber welche ihr geſetzet ſeyd,
dependiret, ſo habe
ich euch, um eures ſelbſt-eigenen Beſten willen anhero erfordern laſ-
ſen. Lernet demnach heute von mir, die ihr ůber Land, und Leute
geſetzet ſeyd, daß ihr keine
Affecten nochPartialitætin eurem Hertzen
herrſchen laſſet, und wann ihr diejenigen, ſo euch treulich gedienet be-
lohnen wollet, ſo ſehet auf ihre
Meriten, und machet es nicht nach eu-
rem eigenen Schwindelhirn, ſondern thut wie ich, der anjetzo einen
ieglichen, wie ihr ſehet, nachdem er es mit ſeinem langen und ſauern
Lauffen verdienet hat, belohnet, ſo werdet ihr und eure Nachkom-
men biß an der Welt Ende das Regiment behalten, und den Namen
bekommen, daß ihr, als kluge und verſtaͤndige Regenten, Land und
Leuten wohl vorgeſtanden habt. Wo ihr aber darwiederhandelt, und
dieſem nicht alſo nachkommet, ſo werdet ihr euch ſelbſt zu Spott und
Schanden machen, um alles kommen, und aus vornehmen Fuͤ[r]ſten,
wie ihr jetzund ſeyd, zu Bettlern werden, dieweil ihr euch in todte
ſtinckende Aeſer habt verlieben wollen.


Zu deſto beſſerer Erlaͤuterung dieſer Relation, des Boccalini aus dem
Parnaſſo, iſt noͤthig zu wiſſen, welchermaſſen einem rothe Ruͤben auftragen
oder vorſetzen,
im Italiaͤniſchen ſo viel heiſſet, als einem etwas aufbinden,
S 3et-
[142] etwas vorbringen oder uͤberreden, das in der Wahrheit ſich nicht alſo verhaͤlt,
und ſtichelt der Autor allhier, verbluͤmter Weiſe, auf Plinium, dieweil ihm
Schuld gegeben wird, er habe in ſeinen Schrifften viele falſche und unwahr-
haffte Sachen vorgebracht, welche er aber doch alſo zuzurichten gewuſt, daß
ihrer viele ſelbige vor wahrhafft gehalten haben.


Durch die Torte verſtehet der Herr Autor die Italiaͤniſchen Commœ-
die,
ſo Paſtor Fido genannt wird, von einem aus Ferrara gebuͤrtig beſchrieben,
und in gantz Italien hoch gehalten.


Johannes della Caſa iſt der Autor ſo den Galateum hat laſſen ausgehen,
und will man hier damit andeuten, daß diejenigen, ſo gute Regeln und Præ-
cepta
vorſchreiben, ſelbige ſelbſt nicht allezeit ſo genau obſerviren.


Fava heiſſet in dem Italiaͤniſchen erſtlich eine Bohne, und darnach wird
ſolches Wort auch vor das vordere Theil des maͤnnlichen Gliedes genommen,
und dieſe Signification hat es allhier. Denn weil der Italiaͤniſche Poët Mau-
rus
verſchledene Sachen della Fava, wie es in der andern Signification aus-
geleget wird, geſchrieben hat, alſo ſchertzet der Autor allhier, und ſpricht, daß
die Weiber:
oder Muſæ ſich ziemlichermaſſen an denenſelben erluſtieretz
haben.


Diejenigen Gelehrten, welche ihre groͤſte Kunſt darinnen
beſtehen laſſen, daß ſie ſtille ſchweigen und nichts, oder
doch ſehr wenig reden, moͤgen ihre Gedancken uͤber
nachſtehende Relation aus dem
Parnaſſo machen:


ES ließ Apollo dieſen Morgen, wieder maͤnnigliches Verſehen, Harpo-
cratem,
der die Kunſt ſtille zu ſchweigen ſehr wohl ſtudieret hatte, vor ſich
kommen, und ſagte ihm, wie er ſich bißhero uͤber ſeine Verſchwiegenheit ſehr
verwundert haͤtte; nunmehro aber habe er ein groſſes Verlangen bekommen,
ihn einmahl reden zu hoͤren. Denn die Gabe des Stillſchweigens waͤre an einem
Mann am allermeiſten zu loben, welcher auch, bey ſich ereignender Occaſion, mit
ſei-
[143] ſeinem anmuthigen Geſpraͤche vornehmen und gelehrten Leuten die Zeit zu pas-
ſi
ren wuͤſte. Als Harpocrates dieſes vernahm, zog er die Schultern ein, und
gab damit zu verſtehen, daß er nicht reden koͤnne. Apollo deutete ihm noch-
malen an, das Stillſchweigen bey Seite zu ſetzen, und mit einem guten Dis-
curs
ſich heraus zu laſſen. Harpocrates aber kehrte ſich nicht daran, ſchwiege
vor wie nach, und logte einen Finger auf den Mund; woruͤber ſich dann Apol-
lo
etwas alterirte und ihm mit Ernſt anbefahl kurtz um zu reden. Da naͤherte
ſich Harpocrates dem Apollini, und ſagte ihm heimlich in das Ohr; Es waͤ-
re die heutige Welt ſo verdorben und verkehret, daß diejenigen billig
vor die Kluͤgſten und Verſtaͤndigſten zu halten, die da mit denen Au-
gen alles ſehen, mit ihrem Verſtande alles b[e]urtheilen; mit dem Mun-
de aber daruͤber ſtille ſchweigen koͤnten.
Dieſe Antwort verdroſſe den
Apollinem noch hefftiger, dergeſtalt, daß er ſich gegen die Umſtehende wandte,
mit Vermelden, er ſaͤhe nunmehro wohl, daß andemHarpocratenicht
viel beſonders ſeye.
Apollo befahl ihm derohalben auch ſich zu trollen, oder
fortzupacken, weil er nicht in den Parnaſſum gehoͤre, ſondern einer von denen
Puͤffeln waͤre, deren ſich heutiges Tages eine groſſe Menge befaͤnde, welche
unter dem Schein des Stillſchweigens ihre groſſe Unwiſſenheit verbergen und
zudecken wolten.


In folgender Relation ſtecket eine groſſe Staats Lehre vor
alle diejenigen Raͤthe, welche ihrem Fuͤrſten rathen, auf
weitlaͤufftige Conqueten zu gedencken, und wann er
ſich auch die gantze Welt unterthaͤnig
machen koͤnte.


DIe Durchlauchtige Monarchie derer Roͤmer, ſo hiebevor, ehe ſie von de-
nen Barbariſchen mitternaͤchtigen Voͤlckern unterdruͤcket worden, am
Hofe des Apollinis eine ſolche Autoritæt und Anſehen gehabt, zu dergleichen
kein anderer Stand jemalen hat gelangen koͤnnen, verfuͤgte ſich vor etlichen Ta-
gen, unterm Schein als ob ſie auf die Jagd ziehen wolte, zum Cornelio Taci-
to,
welcher, ſich zu erluſtieren, auf ſein Land-Guth verreiſet war. Demſel-
ben zeigte ſie an, wie ſie zu ihm kaͤme, ſich Naths bey ihm zu erholen, wegen
einer politiſchen Frage, uͤber welcher ſie allbereit unterſchiedene vornehme Po-
liti-
[144]liticos conſultiret; von welchen ſie aber biß dato nicht zur Gnuͤge berichtet worden
waͤre, verhoffte derowegen von ihmals dembeſten Statiſten, und Ober-Haupt
unter denen heutigen Politicis, beſſere Satisfaction zu haben. Die Frage aber,
ſo ihr biß anhero viel zu ſchaffen gemacht, beſtuͤnde darinnen, wie es doch kaͤme
daß das Koͤnigreich Franckreich, Spanien, Egypten, Paleſtina, die Stadt
Carthago, ſamt vielen andern Laͤndern, die ſie in Aſia, Africa und Europa be-
ſeſſen, welche, ehe ſie ſolches unter ihre Herrſchafft gebracht, vor ſich ſelbſt ſo
maͤchtig geweſen waͤren, daß ſich jederman vor ihnen habe fuͤrchten und entſetzen
muͤſſen, nunmehro aber, da ſie ſaͤmtlich unter ihrer Gewalt, und an ſtatt,
daß obgemeldte Laͤnder Sie zu einer maͤchtigen Monarchie haͤtten machen ſol-
len, welche in einem Augenblick alle die geringern verſchlingen koͤnte, haͤtten ſie
dieſelbe an Kraͤfften vielmehr geſchwaͤchet, als daß ſie durch ſelbige ſolte ſeyn
geſtaͤrcket worden, und ſolches naͤhme ſie ſo viel deſto mehr Wunder, weil man
ſonſten augenſcheinlich ſaͤhe, daß viele Faden zuſam̃en gedrehet, ein ſtarckes Seil,
und viele Reiſer zuſammen gebunden einen feſten Balcken machten; ſo viele maͤch-
tige Fuͤrſtenthuͤmer aber mit einander vereiniget, haͤtten nicht zuwege bringen koͤn-
nen, eine ſolche Monarchie, wie man vermeynet, ewigwaͤhrend zu machen. Hier-
auf gabe Tacitus zur Antwort, die Frage waͤre ſchwer, und derowegen noͤthig,
ſich wohl darauf zu bedencken; wolte ſich aber Morgen im Parnaſſo wieder ein-
ſtellen, und nachdem er ſich ein wenig in ſeinen Annalibus und Hiſtorien umge-
ſehen, verhoffe er aus denenſelben einen ſolchen Beſcheid zu geben, womit man
zufrieden ſeyn ſolte. Die Noͤmiſche Monarchie begnuͤgte ſich an dieſer Ant-
wort. Indem ſie aber vom Tacito Abſchied nahm, und ſich wieder nacher
Haus verfuͤgen wolte, fande ſich allda Melibeus der beruͤhmte Schaͤffer ein, ſo
Tacito dieſen Morgen etliche friſche Kaͤſe verehret hatte. Dieſer wurde von
der Frage verſtaͤndiget, welche die Noͤmiſche Monarchie an Tacitum gethan,
und begehrte derowegen an ſie, noch in etwas allda zu verharren, mit vermel-
den, er habe ihr Begehren vernommen, wolte ihr auch alſobald, ohne zu me-
diti
ren, auf die vorgehrachte Frage antworten, daß ſie damit ſolte zu frieden
ſeyn. Die Roͤmiſche Monarchie und Tacitus lachten des Melibei, und ſag-
ten ihm, daß er ſtille ſchweigen, und ſich zu ſeinen Schaafen verfuͤgen ſolte, weil
er ſich auf ſein Handwerck am beſten verſtuͤnde. Melibeus aber ſcheuete ſich
nicht, vorzugeben, daß Niemand von Staats-Sachen beſſer raiſoniren oder
diſcuriren koͤnte, als eben die Schaͤfer, und ſolten ſich Fuͤrſten und Herren
gluͤckſelig achten, wann ſie ſolche Liebe gegen ihre Unterthanen truͤgen, wie die
Schaͤfer gegen ihre Schaafe thun; noch gluͤckſeliger aber wuͤrden die Unter-
tha-
[145] thanen ſeyn, wann ſie mit ihrem Gehorſam gegen ihre Obern denen Schaafen
imitirten. Ob nun zwar Tacitus, und die Roͤmiſche Monarchie, uͤber ſolche
des Hirten hertzhaffte Antwort ſich nicht wenig verwunderten, wolten ſie den-
noch, er ſolte nicht weiter von Staats-Sachen raiſoniren. Der Hirte aber
kehrte ſich an nichts, ſondern ſprach zu der Roͤmiſchen Monarchie:Groß-
maͤchtigſte Koͤnigin! Ich bin, wie meinem
Virgiliogar wohl bewuſt,
ein Mantuaniſcher Hirte, und wolte es denen grauen Haaren, ſo ihr
auf meinem Haupte, und an meinem Bart ſehet, vor eine groſſe Schan-
de halten, wann ich mein Handwerck nicht recht ausgelernet haͤtte;
ſage demnach, daß in denen vielen Jahren, ſo ich die Schaafe huͤte,
ich gar eben erfahren, wie die Macht und der Reichthum eines Schaͤ-
fers nicht, wie mancher ſich einbildet, darinnen beſtehe, wann er viele
Millionen Schaafe hat, ſondern vielmehr darinnen, daß er deren nur
ſo viele habe, als er mit ſeinen Augen uͤberſehen, und mit ſeinem Hir-
ten-Stabe regieren kan, und die ſeine Pfeiffe hoͤren, und derſelben
folgen koͤnnen. Die Urſache deſſen iſt offenbar. Denn bey gar zu we-
nig Schaafen bleiben die Hirten allezeit arme Bettler und treibet ſie
die Armuth dahin, die Schaafe allzuhart zu melcken, und ihnen die
Wolle gar aus der Haut abzuſcheren. Bey der mittelmaͤßigen Zahl,
darinnen die hoͤchſte vollkommenheit beſtehet, befinden ſich die Schaͤ-
fer am allerbeſten; dahingegen bey der allzugroſſen Menge dieſe Un-
gelegenheit entſtehet, daß ein eintziger Schaͤfer derſelben nicht wohl
abwarten, noch ſie der Gebuͤhr nach verſehen kan. Dannenhero wer-
den die armen Schaafe, wegen ihrer groſſen Anzahl, und der Un-
achtſamkeit des Schaͤffers, vors erſte mager; nachhero aber muͤſſen ſie
vor Hunger und Kummer gar verſchmachten und verderben. Dieſer
Schade ruͤhret daher, weil die Berge allzuvoll, und an ſtatt, daß in
denenſelben gute Ordnung ſolte gehalten werden, alles uͤber und druͤber
gehet; auf welche Weiſe das unter uns Schaͤffern gebraͤuchliche Sprich-
wort wahr zu ſeyn ſcheinet, daß nemlich wenig Schaafe einem Schaͤfer
zur Haushaltung nicht viel nutzen; eine mittelmaͤßige Heerde aber beſſer
ſeye; gar zu viel hingegen lauter unordnung, ja mehr Schaden als Nu-
tzen verurſachen. Alſo ſolten ſich alle Potentaten, Fuͤrſten und Re-
giments-Perſonen gluͤckſeelig achten, wann ſie von dem unſterblichen
GOtt die Natur und Eigenſchafft derer Cameele empfangen haͤt-
ten, daß ſie ſich in rechter Demuth zur Erden beugen, und mit der

Tſchwe-
[146]ſchweren Regiments-Laſt beladen laſſen koͤnten, daß ſie auch ihrem
Hochmuth und Ehrgeitz Maaß und Ziel zu ſetzen wuͤſten, und nicht
mehr aufgeladen haben wolten, als ſie ſehen, daß ihre Schultern er-
tragen koͤnnen. Aber es wird aus gerechtem Gerichte GOttes denen
Menſchen die unerſaͤttliche Gierigkeit von Natur angebohren, daß
ſie ſich die gantze Zeit ihres Lebens aͤngſtigen und bemuͤhen, und in-
dem ſie alles zu ſich raffen und an ſich ziehen wollen, endlich mit ihrem
Schaden gewahr werden, daß ſie alle Muͤhe und Arbeit verlohren,
und umſonſt ſich bemuͤhet haben. Daher nun kommet es, daß in de-
nen 1600. Jahren, waͤhrender welcher Zeit ich in der Landſchafft

Arcadiaein Schaͤffer geweſen bin, meine Heerde niemalen ſich uͤber 600.
erſtrecket, und weil mir dieſelbe alle Jahre richtig und gewiß, eben ſo
viele Thaler eingetragen, bin ich jederzeit vor den allergluͤckſeligſten
Schaͤfer dieſes Landes gehalten worden. Um dieſer Urſachen willen
habe ich niemahln viel von denen Hirten gehalten, ſo aus bloſſem
Geitz viele Heerden Schaafe haben wollen, und auf einen Tag da-
mit reich zu werden vermeynen, dieweil das Auge des rechten Herrn
welches die Schaafe fett machet, nicht auf alle Achtung geben kan, da-
her er ſich oͤffters genoͤthiget ſiehet, ſolche liederlichen und unachtſamen
Miedlingen zu vertrauen, oder wohl gar anderen zu verleyhen, welche
dann die Schaafe uͤber ihr Vermoͤgen zu preſſen, ja das Marck aus de-
nen Beinen zu ſaugen pflegen, und ſich wenig bekuͤmmern, wann ſie
nur ihren N[u]tzen und Gewinn haben, es gehe denen Schaafen wie es
wolle. Es haben aber unter uns Hirten ſich auch des groſſen
Alexanders
gleich enbefunden, welcher ſich nicht geſcheuet von dem Allmaͤchtigen
GOtt zu begehren, mehr Welten zu erſchaffen, damit er ſeinen Ehr-
geitz durch deren Eroberung ſattigen koͤnne. Sonderlich aber iſt in die-
ſer Landſchafft
Arcadiaeiner, NamensMenalcas,mein ewiger Todt-
feind geweſen, welcher jederzeit dahin getrachtet, wie er eine groͤſſere

quantitætSchaafe, als ich, zu wege bringen moͤge. Er ließ ſich dero-
halben an 600. die er hatte, nicht begnuͤgen, ſondern, damit er uͤber al-
le andere Schaͤfer herrſchen moͤchte, entlehnte er das Geld, verkauffte
darzu den groͤſten Theil ſeiner Guͤther, und nachdem er eine anſehnli-
che Summa zuſammen gebracht, ließ er aus Spanien, Engeland und
Franckreich, an welchen Orten er wuſte, daß die beſte Wolle iſt, mit
ſchweren Unkoſten drey Heerden Schaafe kommen, jede von
500.
Stuͤ-
[147]Stuͤcken. Dieſe nun, weil ſie fremde waren, und den Hirten nicht
kannten, auch ſeine Sprache und Pfeiffe nicht verſtunden, wurden
des Morgens ſchlecht geweydet, und kamen des Abends hungerig wie-
der heim, wannenhero
Menalcasdieſelbe, als welche jederzeit hin und
her lieffen, zum Gehorſam zu bringen, die Hunde an ſie hetzte, die dann
als Fremde von denen Schaafen zum hoͤchſten angefeindet wurden,
und wuchſe der Wiederwill von Tag zu Tag deſtomehr, weil zu dem
natuͤrlichen Haß noch die Verletzungen kamen, welche Stuͤcke dann
mit einander bey denen Schaafen eine ſolche Halsſtarrigkeit, Verzweif-
felung und Ungehorſam verurſachten, daß ſie vor denen Hirten und
Hunden einen greulichen Abſcheu hatten. Dahero wann ſie ver-
merckten, daß man ſie melcken, ſaubern, oder ihnen die Wolle abneh-
men wolte, ſie ſich hin und wieder in denen Gebuͤſchen verſteckten, wo-
durch die ſaͤmtlichen Hirten in Erfahrung kamen, daß die Verzweif-
felung auch die armſeligſten Caninichen in grauſame Loͤwen verwandeln
kan. Denn es wuͤrden unter der Spaniſchen Heerde viel gefunden, ſo
ſich die Hirten zu beiſſen, unterſtehen durfften. Die Frantzoͤſiſchen
ſtieſſen und ſchlugen die Eymer, darein man ihre Milch gemolcken
hatte, mit denen Fuͤſſen um. Die Engellaͤndiſchen aber, damit ſie de-
nen fremden Hirten nicht gehorchen muͤſten, und von denen Hun-
den nicht zerriſſen wuͤrden, enthielten ſich des Weydens, und wol-
ten viel lieber Hungers ſterben, als in ſolcher Dienſtbarkeit leben.
Vielmehr aber war ſich daruͤber zu verwundern, daß eben dieje-
nigen Schaafe ihre Fruͤchte und Nutzungen, als Kaͤſſe, Wolle und
Laͤmmer, die ſie ihren natuͤrlichen Hirten ſo gerne goͤnneten, dieſen
Fremdlingen mit ſo groſſen Widerwillen folgen lieſſen, daß ſie auch be-
dauchte, es wuͤrde tyranniſcher Weiſe mit ihnen verfahren, und deß-
wegen uͤber ihr eigen Ungluͤck lachten, indem ſie ſahen, daß ihr Herr,
der
Menalcas,bey ihnen ins Verderben geriethe, ſich auch freueten,
daß ſie waren unfruchtbar worden. Als nun
Menalcasuͤber dieſen Zu-
ſtand nicht wenig betruͤbet und beaͤngſtiget war, ließ er dieſe Schaafe
zum Gehorſam zu bringen, eine neue Anzahl Hunde aus dem Schweitzer-
Lande bringen, welches ihm dann vollends zum hoͤchſten Schaden und
Nachtheil gereichte, weil die [Hunde] mit ſolcher Grauſemkeit gegen
die Schaafe verfuhren, daß ſie dieſelben endlich auch gar zu freſſen an
fiengen, wodurch die Schaafe je laͤnger je mehr Anlaß bekamen ſich zu

T 2wie-
[148]widerſetzen, welches dem armſeligen und betruͤbtenMenalcasUrſache
zur endlichen Verzweiffelung gab. In ſolcher Verzweiffelung erho-
let er ſich Raths bey dem allerſchaͤdlichſten
Politico,einemFlorentiner
von Geburt, und ſtellete ihm auch Glauben zu. Dieſer ſagte ihm, wie
daß kein beſſer Mittel waͤre, dieſe fremde Schaafe unter ſeinen Gehor-
ſam zu bringen, deſſen ſich auch die verſtaͤndigſten und kluͤgſten Hirten je-
derzeit bedienet haͤtten, als die Schafe laſſen recht Mager werden.
Dieſes Mittel aber, ſobald es in das Werck geſetzet war, gereichte
nicht allein dem Herrn, ſondern auch der Heerde ſelbſten, zum aͤuſſer-
ſten Schaden und
Ruin.Denn nachdem der Hirte von denen verhun-
gerten Schaafen weder Kaͤß noch Wolle mehr zu hoffen hatte, muſten
ſie endlich ſelbſten nach einander dahin fallen und verſchmachten. Alſo
ward der unglůckſelige
Menalcas,binnen einer Zeit von dreyen Mona-
ten ſeines
Capitalsund desIntereſſemit einander quitt, durffte auch,
dem alten Sprichwort nach, weil er den Schaden hatte, vor den
Spott nicht ſorgen, als welcher unlaͤngſt ein reicher Schaͤfer dieſes Lan-
des geweſen; nunmehro aber mit denen Fellen derer umgefallenen
Schaafe zu handeln anfienge; wozu ihn aber nichts als der eitle Ehr-
und Geld-Geitz gebracht, dabey er ſich jedoch ſeiner getriebenen Kauff-
mannſchafft wiewohl nicht ohne Schmertzen, ſtets erinnernkunte. Die-
ſer Schade aber, der da nicht geringe, hatte keinen andern Urſprung,
als das
Menalcas,in der Schaffhirtiſchen Kunſt nicht allerdings wohl
erfahren war; allermaſſen dieſe von derjenigen ſo in andern Kauff-
manns-Haͤndeln gebraͤuchlich gantz
different und unterſchieden, daß
auch dannenhero dem
Menalca,ſo mit 600 Schaafen jaͤhrlich 600. Tha-
ler zu gewinnen gewohnet war, ſeine Rechnung weit fehlete, indem er
mit 2000. Schaafen auch 2000. Thaler zu gewinnen vermeynte. Es
iſt zwar gewiß und wahr, daß in der
ordinairenRechen-Kunſt zwey-
mal 5. zehen, dreymal 5. funffzehen machet und ſo fortan. Aber in der
Schaͤfer-Rechnung machet zweymal 5. nur 3. dreymal 5. macht eins,
und viermal 5. bringet gar heraus die
Nulle,welche diejenigen in das
Verderben ſtuͤrtzet, die gar zu viel haben wollen, dergeſtalt, daß ſie
zu letzt, wie
ÆſopiHund, der vor ein Stuͤcke Fleiſch zwey zu erlangen
vermeynte, gar keines bekommen.


Die-
[149]

Diejenigen Poëten, ſo ſich auf den vor ſie eingefuͤhrten
Lorbeer-Crantz allzuviel einbilden, moͤgen die jetzt-kom-
mende Relation in reiffe Uberle-
gung ziehen.


ES wurde geſtriges Tages das hohe Feſt, dem beruͤhmten Lorbeer-Baum
zu Ehren, von denen ſaͤmtlichen Gelehrten in dem Parnaſſo hochfeyerlich
begangen, welches Feſt an dem Tage, da ſich der denckwuͤrdige Fall mit der
Daphne zugetragen, angeordnet worden, damit Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt,
ſo biß dato, wegen dieſer traurigen und betruͤbten Verwandelung ſehr be-
kuͤmmert geweſen, Ihr Gemuͤthe in etwas wieder ergoͤtzen moͤchten. An die-
ſem hohen Feſt iſt niemand als denen Poëten, denen Kayſern und andern Hel-
den erlaubet, mit Lorbeer-Craͤntzen gecroͤnet, in das Collegium derer Gelehr-
ten einzutreten. Denenjenigen aber, ſo dieſe Ehre und Prærogativ nicht ha-
ben, iſt anbefohlen worden, damit ſie dieſes Feſt mit ihren bloſſen Haͤuptern
nicht verunehreten, ſich unterdeſſen zu Hauſe zu halten. Franciſcus Petrarcha,
welchem von Alters her dieſes Amt vom Apolline aufgetragen iſt, hielte eine
ſehr ſchoͤne Oration, dem Lorbeer-Baum zu Ehren. Da er aber perorirte,
begegnete ihm ein denckwuͤrdiger Zufall. Er ſtriche erſtlich gedachten Baum
auf das allerbeſte heraus, ſo gar daß er auch vom Donner nnd Blitz verſcho-
net und nicht beruͤhret wuͤrde, ja daß er allein das Privilegium und die Gnade
habe derer Poëten, derer Kaͤyſer und anderer tapfferer Helden Haͤupter zu
croͤnen und zu zieren, und mit hoͤchſten Eyffer ſich wieder die Vermeſſenheit
der heutigen ungluͤckſeligen Welt heraus lieſſe, und ſelbige auf das aller un-
barmhertzigſte durchhechelte, wie nemlich die freyen Kuͤnſte ſo gar in Verach-
tung kommen waͤren, daß auch dieſer herrliche Baum, ſo in vorigen Zeiten
ſo hoch gehalten worden, nunmehro ſo verachtet waͤre, daß auch die Wirthe und
Weinſchencken, zum Zeichen ihrer Wirthſchafft ſich ſeiner gebrauchten, ja man
ſchaͤme ſich ſo gar nicht, denſelben zu allerhand Speiſen zu nehmen, und be-
diene ſich ſeiner Blaͤtter zu denen gebratenen Aalen, Lebern und andern Le-
cker-Bißlein. Solche nahmhaffte Mißbraͤuche und ſchaͤndliche Gewohnhei-
ten nun erzehlte Petrarcha mit ſolcher Vehementz und Eyffer, daß er daruͤber
in eine Ohnmacht geriethe, und gantz Krafftloß darnieder fiele, alſo daß er
nicht vermochte ſeine Oration zu Ende zu bringen. Er kunte auch nicht ehe
T 3wie-
[150] wieder zu rechte und zu ſeinen Kraͤfften kommen, biß die ſchoͤne Laura ſelbigen
auf ihren Schooß nahm und ihn wieder erquickete. Dieſer Fall gereichte Pe-
trarchæ
zu ſonderlichem Lob und Ehren, dieweil maͤnniglich daraus verſpuͤr-
te, was vor groſſe Liebe und Affection er zu dieſem Lorbeer-Baum truge, den
er in ſeinen Verſen mit ſo trefflicher Zierde und Wohlredenheit gelobet und
herausgeſtrichen.


Zu mercken iſt hierbey, daß der Autor unter dem Wort Lorbeer-Baum
in dieſer gantzen Relation ſchertzet, und dadurch die Lauram verſtehet, welche
eine uͤberaus ſchoͤne Dame, Petrarcha aber in dieſelbe ſehr verliebt geweſen,
und ihrer in ſeinen Schrifften oͤffters Meldung gethan.


Doctores Juris, und andere Advocaten, auch Procurato-
res,
koͤnnen ihre Reflexiones uͤber nachſtehende
Relation aus dem Parnaſſo machen.


ES wird der Parnaſſus nicht allein darum vor eine gluͤckſelige Wohnung ge-
halten, dieweil die Majeſtaͤt des Apollinis darinnen herrſchet, und das
Regiment fuͤhret, noch auch, daß die allervortrefflichſten und beruͤhmteſten
Leute ſich allda auffhalten ſondern von wegen des tugendhafften Wandels hoͤfli-
cher Sitten und Geberden, wie nicht weniger derer heilſamen Geſetze und
Ordnungen halber, ſo allda obſerviret werden, welches daher ruͤhret, dieweil
alle diejenigen, ſo ſich allda niederlaſſen, ſchuldig ſind, die beſten und herr-
lichſten Gebraͤuche ihres Landes mit ſich dahin zu bringen, welcheloͤbliche Ge-
wohnheit ſowohl dem Privat- als gemeinen Weſen groſſen Nutzen und Anſe-
hen verſchaffet hat, dahero leichtlich abzunehmen, daß dieſes ein recht gluͤck-
ſeliges Land koͤnne genennet werden, welches nicht nur bey ſeinen eigenen Geſe-
tzen verbleibet, ſondern, wo man ſich derer auserleſenſten Ordnungen und Sta-
tu
ten vieler Voͤlcker gebrauchet. Dieweil dann Apollo berichtet worden, wie
die Großmaͤchtigen Koͤnige in Spanien erſtlich verboten haͤtten, daß ins
kuͤnfftige keine Doctores Juris, noch andere Advocaten oder Procuratores, nach
Indien ſchiffen ſolten, hat er ſolches ein heiliges Verboth genennet, und
ſelbiger Koͤnige Gottſeligkeit hoͤchlich geruͤhmet, daß ſie ſolche Liebe und
Treue gegen die neue Welt erwieſen haͤtten, indem ſie dieſelbige vor dem groſ-
ſen Jammer und Elend, dadurch die alte Welt in ſo viele Streitigkeiten und
unnuͤ-
[151] unnuͤtzes Gezaͤncke gerathen, behuͤten wollen. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt
befahlen auch zugleich, ſolch vortreffliches Edict in eine metallene Tafel zu gieſ-
ſen, und ſelbiges hernach bey die uralten Leges 12. tab. auf dem groſſen Marckt
aufzuhencken. Die Herren Juriſten waren damit uͤbel zufrieden, und baten
Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt inſtaͤndigſt, daß dieſelben mit ihnen nicht alſo ver-
fahren wolten. Denn im Fall ſolches Edict ſolte publiciret werden, wuͤrden
Ihrer viele daher Urſache nehmen, denen von Ancona, Norcia, Recanati und
andern nachzufolgen, welche, mit nicht geringer Beſchimpffung derer freyen
Kuͤnſte die Doctores Juris aus ihrem Rath abgeſchaffet haͤtten, denen doch von
andern Voͤlckern, ſo groſſe Ehre erzeiget wuͤrde, daß ſie gaͤntzlich dafuͤr hiel-
ten, es koͤnte ohne derer Juriſten Beyfall und Gutheiſſen nichts loͤbliches ge-
ſchloſſen werden. Sie verhofften aber es wuͤrden Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt
um ſo viel deſtomehr ſich ihrer Sache annehmen, dieweil es zugleich Freyen
Kuͤnſten mitguͤlte, welche ſich alle diejenigen, ſo Jura ſtudieren, ſo hoch lieſſen
angelegen ſeyn, auch keine Muͤhe und Unkoſten ſparten, dieſelbe zu erlernen. Es
haͤtte Niemand vermeynet, daß Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt ſich ſo ſehr uͤber dieſe
derer Rechts-Gelehrten Bitte, die ſie thaten, erzuͤrnen ſolte. Allein er antworte-
te dieſen Juriſten mit der groͤſten Ungedult, wie er ſich nicht genugſam verwun-
dern koͤnte, daß ſie in ſeiner Gegenwart vorgeben doͤrfften, als ob ſie
ſo groſſe Muͤhe und Unkoſten auf die Freyen Kůnſte wendeten, da doch
das
DelphiſcheEdictmaͤnniglichen bekannt waͤre, in welchem dasStu-
dium Juris
nicht vor eine Freye Kunſt ſondern vor ein Handwerck waͤre
erkannt worden, dadurch die Menſchen, als mit einer ſonderlichen
Straffe, zu martern und zu plagen, dabey weder Freude noch Er-
goͤtzlichkeit zu gewarten, Auch kein ſonderlicher Verſtand erfordert
wuͤrde, und daß diejenigen guten Theils, ſo ſich darauf legten, ſol-
ches aus Geitz und ſchnoͤden Gewinnſtes wegen thaͤten, den Bauch
mit Thalern, wie die Schweine den ihrigen mit Eicheln zu fuͤllen.
Denn obſchon ſolche Leute nicht gar hohen Verſtandes waͤren wie zu
andern
Studiiserfordert wird, ſo koͤnten ſie doch gar leichtlich groſſe
Advocaten werden, wann ſie nur gute Ochſen-oͤpffe und ſtarcke
Eſels Ruͤcken haͤtten, damit ſie alle Arbeit ausſtehen, und den Karrn
wacker in den Koth ſchieben koͤnten.


Drit-
[152]

Dritte Ahandlung.


ALle diejenigen, welche ſich eine Zeitlang in Roͤmiſch-Catholiſchen
Landen
aufhalten, auch Kaͤnntniß von der Sache, und Einſicht
in dieſelbe haben, werden finden, daß die Pedanterey,gelehrte
Grillenfaͤngerey,
und gelehrter Hochmuth, daſelbſt ebenfalls gantz ent-
ſetzlich herrſchet, abſonderlich in ſolchen Roͤmiſch-Catholiſchen Landen
welche innerhalb denen Graͤntzen des Roͤmiſchen Reichs gelegen. Denn da
hoͤret man in Geſellſchafften, in Wein- und Bier-Haͤuſern, faſt allenthalben
Lateiniſch reden, und uͤber unnuͤtze Dinge aufs hefftigſte diſputiren, derge-
ſtalt, daß in dergleichen Geſellſchafften einem die Worte: Concedo Majorem,
nego Minorem;
oder Concedo Minorem nego Majorem, taͤglich mehr als
Zwantzigmal ja dreißig und nochmehrmahlen in die Ohren fallen. Vornem-
lich ſtecket die Geiſtlichkeit in Roͤmiſch-Catholiſchen Reichs-Landen, wo
die Teutſche Sprache geredet wird, biß uͤber die Ohren in der Pedanterey,
und Tummheit, und ich meines Orts, der Autor dieſes Tractats, kan mit gu-
tem Gewiſſen ſagen, welchermaſſen ich in ſolchen Landen ſehr wenig gute nuͤtz-
liche und erbauliche Predigten gehoͤret, ob ich deren ſchon mehr als tauſend beſu-
chet; gleichwie ich es denen Frantzoͤſiſchen und Italiaͤniſchen Predigern zu ihrem
Ruhm nachſagen muß, daß ich, waͤhrenden meinem Aufenthalt in Franck-
reich und Italien, unter vierhundert Predigten nicht eine gehoͤret, an der ich
etwas auszuſetzen gehabt haͤtte, ſondern alle ſo gefunden, daß man darinnen
auf ein thaͤtiges Chriſtenthum ſtarck angedrungen. Abſonderlich hat mich
einſtmals ein Faſten-Prediger bey denen Auguſtinern à la Rue Boucherie zu
Paris, au Fauxbourg St. Germain, durch ſeine Paſſions-Predigten dermaſ-
ſen beweget, daß ich die Paſſion faſt niemals erbaulicher und andaͤchtiger be-
trachtet. Hernach habe ich zu Nom, à la Chieſa nuova, den beruͤhmten Pater
Buſſi,
einen Bruder des verſtorbenen Cardinals dieſes Namens vier Wochen
lang, und alle Tage eine halbe Stunde, ſo predigen hoͤren, daß es auch kein
Wunder geweſen waͤre, wann er die Hertzen derer verhaͤrteſten Suͤnder er-
weichet haͤtte. Er ſtellete die groſſe Gluͤckſeligkeit derer Buͤrger des
Himmliſchen Jeruſalems vor, und das unausſprechliche Elend derer
Babyloniſchen Einwohner;
uͤber welches Thema er die gantzen vier Wo-
chen hindurch predigte.


Von
[153]

Von einigen Teutſchen Roͤmiſch-Catholiſchen Geiſtlichen aber noch
etwas mehreres zu reden, welche ſich entweder in ihren Predigten, oder in
ihren Schrifften, etwas laͤcherlich aufgefuͤhret, ſo bitte ich, mir zu glauben, wie
ich Anno 1704. zu Amberg in der Ober-Pfaltz den zweyten Tag des Wey-
nachts-Feſtes, in der Veſper-Predigt, einen Franciſcaner gehoͤret, welcher
das gantze Auditorium mehr als einmal zu einem lauten Gelaͤchter bewogen.
Er tractirte die Materie von der Jungferſchafft auf der Cantzel und beſchriebe
eine Jungfer, wie ſie von innen und auſſen, ja oben und unten, beſchaffen
ſeyn ſolle. Als er ſeine Beſchreibung gemachet hatte, fragte er, wie viel wohl
ſolche reine und rechtſchaffene Jungfern in Amberg moͤchten zu finden
ſeyn?
und ſprach anbey: Ich will nicht mit einem gewiſſen Geiſtlichen
es geſaget haben, der unlaͤngſtens an einem Orte geprediget, er ge-
traue ſich alle reine Jungfern in der Stadt auf einem Schub-Karn
zum Thor hinaus zu fuͤhren. Nein, nein fuhr er fort, ich ſage es nicht,
denn es moͤchte mir auch gehen wie es ihm gegangen hat. Wie gieng es
ihm dann?
f[r]agte er ſelbſten, und antwortete darauf: So gieng es ihm:
Als er nach geendigter Predigt nach Hauſe gehen wolte, umringten
ihn alle Jungfern, und wolten wiſſen, was er Boͤſes auf ſie wuͤſte?
Dannenhero muſte der arme Mann
Parolegeben, ſich nechſtkuͤnfftigen
Sonntag beſſer zu
expliciren. Da ſolcher herbey kam trat er wieder
auf die Cantzel und ſprach: Ihr lieben Jungfern! Ich habe vor acht
Tagen geprediget, daß ich mir getrauete euch alle auf einen Schub-
Karn zum Thor hinaus zu fuͤhren. Deshalb habt ihr mich umrungen,
und
obligiret, euch zu verſprechen, heute meine Worte recht zu erklaͤ-
ren. Nun bekenne ich, daß ich es geſprochen habe, und ſage es auch
nochmals. Aber ihr lieben Jungfern, ihr muͤſſet nicht meinen, daß ich
euch alle auf einmahl aufladen wolte. Nein, nein, nein, eine nach der
andern, und auf dieſe Art ſolte ich doch wohl endlich mit euch fertig
werden.
Alsdann gab er ein Exempel von etlichen recht keuſchen Jungfern.
Solches, ſagte er, ſind drey Bauer-Maͤdgen in Brabant, unweit
Bruͤſſel geweſen, welche aufs Feld graſen gegangen. Gegen dieſe ka-
men drey Dragoner angeſprenget, und
prætendirten, ſie ſolten ſich ih-
rem Willen
accommodiren. Hierwider mochte weder Bitten noch Fle-
hen dieſelbe
garantiren;au contrairees waren die Dragoner eben an
dem, Gewalt zu gebrauchen. Demnach baten dieſe drey armen Crea-
turen nur noch um ein Vater-Unſer lang Zeit. Was waren nun ſol-

Uche
[154]che in dieſer Kurtzen Friſt zu thun geſonnen? Wolten ſie ſich etwa mit
der Flucht zu retten ſuchen? Thorheit; Die Kerls hatten Pferde, und
wuͤrden ſie leichtlich eingeholet haben. Oder wolten ſich dieſelben zu
einer tapffern Gegenwehr entſchließen? Mit nichten. Es waren ja
drey ſchwache Werckzeuge, welche wieder Soldaten wenig ausgerich-
tet haͤtten. Wolan dann! was thaten ſolche? Sie fielen nieder auf
ihre Knie, und ſchrien mit dieſen Worten gen Himmel: Ach Marial
du Koͤnigin des Himmels und aller Jungfrauen! Siehe auf uns, in
dieſer unſerer Noth, und gieb vielmehr, daß ſich die Erde aufthue
und uns verſchlinge, als daß unſere Leiber durch dieſe Boͤßewichter,
ſolten geſchaͤndet werden! Was geſchah? Ihre Bitte ward erhoͤret.
Die Erdethat ſich auf, und nahm dieſe drey keuſchen Jungfrauen zu ſich;
uͤber welches
Miraculdie Dragoner dermaſſen erſchrocken ſind, daß ſie in
die Stadt Bruͤſſel geritten, und die Sache ſelbſten angegeben haben.
Darauf hat man die Leichname dieſer dreyen Perſonen geſuchet, und
in der Erde gefunden. Man zeiget ſie auch noch jetzo, als ein groſſes
Heiligthum in nur bemelter Stadt Bruͤſſel. Alſo ihr meine lieben
Jungfern! woferne heute oder Morgen eine oder die andere von euch
in dergleichen Noth gerathen moͤchte, und nicht Luſt haͤtte unziem-
lichen Zumuthungen
Satisfactionzu geben, die ſchreye auch gen Himmel,
zur Koͤnigin aller Jungfrauen, welche euch gantz gewiß erhoͤren, und
aus aller eurer Noth erretten wird.


Als ich mich Anno 1711. das erſtemal zu Wien befande, gienge ich, nebſt
verſchiedenen andern Lutheranern, des Sonntags fleißig, den ordinairen Pre-
diger in dem Francißcaner-Cloſter, welches nicht ferne vom Johannis-Gaͤß-
gen, bey einem kleinem Platz gelegen, zu hoͤren, weil wir gemeiniglich ſo viel
zu Ohren faſſeten, daß wir hernach die gantze Woche durch daruͤber lachen kun-
ten. Einſtmals ſtellete er die Eitelkeit der Welt vor, und ſagte Ketterl! (Ca-
tharina)
Was macht der Kayſer? Eitelkeit, Eitelkeit, Vanitas Vanitas Va-
nitatum Vanitas,
alles iſt in der Welt eitel, eitel, eitel; wobey er gantz ent-
ſetzlich mit denen Haͤnden auf die Cantzel ſchlug. Dergleichen Fragen tha-
te er auch von andern Potentaten, und beantwortete ſie auf eben dieſe
Weiſe.


Ein andermal trate er auf die Cantzel, und verglieche die Welt einem
Meer,
[155] Meer, auf welchem ein jedweder nach etwas fiſchete; die wenigſten aber et-
was fingen. Unter andern muſte Simſon, der bey denen Oeſterreichern und
andern mehr Samſon genannt wird, weydlich herhalten, und er redete von
ihm alſo:


Samſon, als er erwachſen war, wolte reiſen, die Welt zu be-
ſehen und darinnen zu fiſchen, weshalb er von ſeinem Vater und
Mutter Abſchied nahm, empfing auch eine brave Summa Sil-
ber von ſeinen Eltern, und ſtehet zu glauben, daß ihm abſonderlich
ſeine Mutter den Reiſe-Buͤndel ſtattlich werde angefuͤllet haben.
Denn die Muͤtterl laſſen es nicht, wann die Soͤhnel in die Welt
fliegen. Sie ſtecken ihnen heimlich Geld zu, geben viel Leinen
Zeug mit, und vergeſſen auch derer gebackenen Knoͤtel nit. Es
ſtunde aber nicht lange an, ſo fande ſich Samſon, der nicht weiter
gekommen war, biß gen Thimnat in derer Philiſter Land, ſchon
wieder zu Hauſe ein. Seine Eltern ſprachen zu ihm: Ey, lieber
Sohn! Wo kommſt dann du ſchon wieder her? Haſt du ſchon
genug gereiſet. Samſon antwortete: Ich habe ein Weib geſehen,
unter denen Toͤchtern derer Philiſter, gebet mir nun dieſelbige
zum Weibe. Sein Vater und ſeine Mutter ſagten zu ihm: Iſt
dann nun kein Weib unter denen Toͤchtern deiner Bruͤder, und
in allem deinem Volck, daß du hingeheſt und nimmſt ein Weib
bey denen Philiſtern, die unbeſchnitten ſind? Allein Samſon ſprach
zu ſeinem Vater: Gieb mir dieſe, denn ſie gefaͤllet meinen Au-
gen. Der Vater fragte ferner: Mein! Iſt ſie reich? Samſon
antwortete das weiß ich nit. Sie gefaͤllet meinen Augen, gieb-
mir ſie zum Weibe. Der Vater fuhr noch weiter fort zu fra-
gen: Iſt ſie tugendhafft? Samſon antwortete wiederum: Das
weiß ich auch nit. Sie gefaͤllet meinen Augen, gieb mir ſie zum
Weibe. Bey ſogeſtalten Sachen, und weil der Vater ſahe, daß
dem Sohn das Weib nit auszureden war, gab er endlich ſeinen
Willen drein, und die Hochzeit wurde vollzogen. In was vor

U 2Haͤn-
[156]Haͤndel aber geriethe nicht Samſon bey Gelegenheit dieſer Hey-
rath mit denen Philiſtern? Er gab denen Philiſtern ein Raͤtzel
auf, deſſen Geheimniß und Aufloͤſung das ungetreue Weib ih-
rem Mann Samſon aus dem Hertzen heraus preſſete, unterm
Vorwand, ſie koͤnne anderergeſtalt nit glauben, daß er ſie liebe.
Sobald aber die Hure das Raͤtzel wuſte, verriethe fie es ihren
Landsleuten, und Samſon geriethe daruͤber in einen verwirrten
Handel, weil er ſich obligiret hatte dreyßig Feyer-Kleider und
eben ſo viele Hemden zu geben, daferne die Philiſter das Raͤtzel
errathen wuͤrden. Er zog zwar wohl andere Philiſter aus, und
bezahlete damit; geriethe aber eben deswegen in noch weit groͤſſe-
re Haͤndel, die ihn endlich das Leben koſteten. Denn er verließ
dieſes Weib, das ihm ſo ſchoͤn in ſeinen Augen geduͤncket hatte,
und ſie wurde einem andern Mann unter ihren eigenen Lands-
leuten gegeben. Da ſieng Samſon, aus Verdruß und ſich zu raͤ-
chen, mit denen Philiſtern, aufs neue allerley Staͤnckerey an,
die ihm auch gluͤcklich von ſtatten giengen. Er bande eine groſ-
ſe Anzahl Fuͤchſe hinten mit denen Schweiffen zuſammen, legte
feurige Braͤnder darzwiſchen, jagte ſie hernach denen Philiſtern
in die Felder, und brachte auf dieſe Weiſe ihr Getreyde in Brand.
Zu einer andern Zeit erſchluge Samſon fuͤnff hundert Phili-
ſter, mit einem Eſels-Kinnbacken, und was er denen Philiſtern
derer Poſſen noch mehr machte. Nichts deſtoweniger gieng er
wieder in das Land derer Philiſter und verheyrathete ſich allda
zum zweyten mal an ein Weib, Delila genannt. Sobald die
Philiſter ſolches hoͤreten, addreſſirten ſie ſich an dieſes Weib, und
ſprachen zu ihr: Landsmaͤnnin! Seye keine Naͤrrin, und habe
keinen Wohlgefallen an der Beſchimpffung, welche dein Mann
Samſon deinen Landsleuten zufuͤget, ſondern erforſche von ihm,
worinnen ſeine groſſe Staͤrcke beſtehet, und offenbare ſolches her-
nach uns. Nun ſtellete ſich Delila zwar Anfangs als wolte ſie
dem Anſinnen ihrer Landsleute kein Gehoͤr geben, ſondern dem

Sam-
[157]Samſon treu verblieben. Aber endlich griffen ihr die Fuͤrſten derer
Philiſter an den nechten Puls, und damit wars aus. Bey die-
ſen Worten griffe ſich der Franciſcaner ſelber mit der rechten Hand
an den lincken Puls, und lachte zu gleicher Zeit uͤberlaut. Her-
nach fuhr er weiter fort und ſprach: Sie boten nemlich der Delila
eine groſſe Menge Silber dar, O da war es geſchehen. Die Ver-
ſuchung war zu ſtarck, und ihre Treue gegen den Samſon zer-
ſchmoltze wie Butter an der Sonnen. Denn ſo gehet es gemei-
niglich mit dem Frauenzimmer, daß wann ſie ſich noch ſo keuſch
und treu anſtellen, ſie dennoch gar leichtlich auf andere Gedan-
cken gebracht werden koͤnnen, wann man ihnen Gold und Sil-
ber zeiget und offeriret. Delila ihres Orts machte ſich demnach an
ihren Mann Samſon, hertzete und kuͤßete ihn, ſchmeichelte auch
demſelben ſonſt auf allerley Art, und bat, er moͤchte ihr doch ſa-
gen, worinnen eigentlich ſeine auſſerordentliche Staͤrcke beſtuͤnde,
immerfort hinzuſetzende: Mein lieber Samſon! Ich kan ſonſt nicht
glauben, daß du mich recht lieb habeſt. Ob ihr nun wohl Samſon
drey Naſen nach einander andrehete, begieng er zuletzt dennoch
den einfaͤltigen Streich, daß er ihr die Wahrheit ſagte. Hier-
auf verriethe ſie das Geheimniß an die Fuͤrſten ihres Landes, und
careſſirte unterdeſſen den armen Samſon dermaſſen, daß er ſein
Haupt auf ihren Schooß legte und entſ[c]hlieff. Alsdann beſcho-
re ſie ſein Haupt, und rieff Philiſter uͤber dir Samſon! Er wachte
auf, und meynte, er wolte es machen wie ſonſt; allein ſeine Staͤr-
cke war dahin. Die Philiſter griffen ihn, ſtachen ihm die Augen
aus, und trieben ihren Spott mit demſelben, biß er ſich endlich den-
noch einmal raͤchen und ein Haus umwerffen kunte, worinnen
ſich viele vornehme und andere Philiſter, Manns- und Weibs-
Perſonen von etlich tauſend befanden, die insgeſamt erſchlagen
wurden. Aber Samſon ſelber kam dabey ebenfalls um, und endig-
te alſo ſein Leben auf eine jaͤmmerliche und er aͤrmliche Art. Des-
wegen nun, daß Samſon, nachdem er bereits einmal von ſeinem
U 3erſten
[158]erſten Philiſter-Weib betrogen worden, ſich zum andernmal von
der Delila ſeinem zweyten Philiſter-Weib ſo treuhertzig machen
laſſen, daß er ihr ſeine Staͤrcke offenbaret, mithin ſich in ein ſolch
groſſes Ungluͤck geſtuͤrtzet hat, iſt er noch heutiges Tages eines rech-
ten derben Kuͤchen Schillings werth.


Dem beruͤhmten Moͤnch des Barfuͤßer- Auguſtiner-Ordens, Pat. Abra-
ham
von St. Clara, waͤre vielleicht nach einiger Meynung ebenfalls ein Platz
allhier in dem Gelehrten Narren anzuweiſen, zumalen er, in Wien ſelber, nur
insgemein der Pater Fabel-Hanns genannt worden. Allein ich vor meine
Perſon bekenne, daß obgleich ſeine Predigten und Schrifften, faſt durch die
Banck, mit laͤcherlichen Expreſſionen und luſtigen Hiſtoͤrgen angefuͤllet; ich
meines Orts dennoch allenthalben eine herrliche Moral daraus hervor leuch-
ten ſehe. Mehr zur Luſt, als den Pater Abraham von St. Clara zu blamiren,
will ich indeſſen einige Dinge kuͤrtzlich erzehlen, wie ſie in ſeine Predigten und
Schrifften einigefloſſen ſind.


Einſtmals ſagte er, unter andern, in einer Predigt: Weiberl! Encks
(euch) recommandire ich einen Fiſch zum Exempel und zur Richt-
ſchnur eures Lebens. Denn ein Fiſch ſpricht nit ein Woͤrtlein.
Faſſet ihn an beym Kopff, oder beym Schweiff, thut mit dem-
ſelben was ihr wollet, und ſchlachtet ihn, er wird nit ſchreyen.
Alſo ſollt auch ihr gegen eure Maͤnner ſeyn, geduldig wie ein Fiſch,
wann gleich die Maͤnner bißweilen wunderlich find. Wollet ihr
aber ja etwas reden, ſo recommandire ich euch wieder einen Fiſch
zum Beyſpiel, und zwar jenen, aus deſſen Maul Silber hervor
kommen. Als nemlich unſer Heyland einſtmals in Judea herum
wandelte, ſo ſchnautzten ihn die Roͤmiſchen Mauthner halter ſehr
hart an, und ſprachen: Wie haͤlts? den gebuͤhrenden Zoll-Groſchen
her. Da wandte ſich der HErr zu Petro und ſprach: Mein Peter!
Die Mauthner ſeynd ſchlimme Leute mit denen man ſich nichts
zu ſchaffen machen muß. Mein, gehe geſchwind hin an das Meer.
Da wirſt du einen Fiſch ſehen, den fange, mache ihm das Maul

auf,
[159]auf, und nimm einen ſilbernen Groſchen heraus, welcher darin-
nen liegt. Solchen ſilbernen Groſchen bringe her, und bezahle
damit den Mauth vor mich und vor dich; welches alles alſo geſche-
hen und erfolget iſt. Wann ihr demnach lieben Weiberl! ja etwas
reden wollet, ſo muͤſſet ihr, eben wie dieſer Fiſch einen ſilbernen
Groſchen, lauter guldene und ſilberne Worte aus eurem Mun-
de gehen laſſen, und zu euren Maͤnnern ſprechen: Mein gulde-
ner Hanns-Michel! Mein ſilberner Stoffel! Mein guldenes
Naͤrrl! Wie biſt dann heut ſo wunderlich. Ey mein! Sey doch
gſcheut! Ich will ja alles gerne thun, was du nur von mir ver-
langeſt. Ich wette, Weiberl! mit encks, daß wann eine jedwede
meiner Lehre folgte, ſie manche Maultaſchen, und manche Faun-
tzens auf die Goſchen nit bekommen wuͤrde.


Ein andermahl iſt der Pater Abraham von St. Clara auf die Cantzel getre-
ten, und hat, bald im Anfang ſeiner Predigt, ſich alſo heraus gelaſſen:
Heute muß ich euch, ihr meine lieben Zuhoͤrer! ein Raͤtzel auf-
zurathen geben, darum mercket alle wohl drauf. Das Raͤtzel
iſt: Wer den Teuffel lieb hat! der kommet nit zum Teuf-
fel. Wer ihn aber nit lieb hat, der kommt zum Teuffel.
Nun rathe wer da rathen kan. Allein ich ſehe ſchon, daß es Nie-
mand errathen wird, ſondern ich muß euch ſelber den Sluͤſſel dar-
zu geben. Hoͤret zu! wann man einen armen Mann ſiehet, wel-
cher hungerig und durſtig iſt, auch zerlumpt, ja wohl gar na-
ckend und bloß herum gehet, ſo pfleget man gemeiniglich zu ſa-
gen: O der arme Teuffel! Wer nun einen ſolchen armen Teuffel
lieb hat, ihn ſpeiſet, traͤncket und kleidet der kommt nit zum Teuf-
fel. Wer ihn aber nit lieb hat, und nit barmhertzig gegen ihn
iſt, der kommt zum Teuffel, und faͤhret zu ihm in die Hoͤlle.


Ingleichen hat man den Pater Abraham von St Clara einſtmahls auf der
Cantzel ſagen hoͤren: Wer nit will in den Himmel, den holt der Teuf-
fel
[160]fel auf ſeinem Schimmel. Item: Mancher denckt, wann er nur
ein Weib an dem Halſe hat, ſo waͤre ſchon alles gut und er ſeye
bereits in dem Himmel. Ja, im Himmel, du Limmel! Du biſt
noch weit entfernet davon, und haſt die Hoͤlle bey lebendigem Lei-
be auf dem Hals.


Von einer ledigen Weibs-Perſon, welche, ihrer Mutter unwiſſend,
ein unkeuſches Leben gefuͤhret, und ſchwanger worden war, ſpricht er an ei-
nem gewiſſen Ort in ſeinen Schrifften: Das Muͤtterl meynte, das Toͤch-
terl waͤre noch eine Jungferl; allein das Toͤchterl hatte bereits ge-
muͤtterlt.


Im uͤbrigen fuͤhren faſt alle ſeine Schrifften einen laͤcherlichen Titel, als
z. E. Judas der Ertz-Schelm; Vogel friß oder ſtirb; und dann: Gick,
gack, gack ein A.
Welchen Titel er einem Buch gegeben, indem er ein in
Bayern gelegenes Cloſter beſchrieben, welches an einem Ort erbauet worden,
woſelbſt eine Henne ein Ey geleget, auf dem ſich das Bildniß der Heil. Jung-
[f]rau Mariaͤ dermaßen natuͤrlich præſentiret haben ſolle, daß man es auch mit
Menſchen-Haͤnden nicht ſchoͤner haͤtte mahlen koͤnnen.


Einer von denen groͤſten gelehrten Narren aber, die unter denen Roͤ-
miſch-Catholiſchen Geiſtlichen
anzutreffen, mag wohl derjenige ſeyn, wel-
cher vor einiger Zeit zu Straßburg eine ſo gar unmaͤßige und abſurde
Schmaͤh-Schrifft wider die Proteſtanten ausfliegen laſſen, Gleich der Ti-
tel giebet ein vollkommenes Zeugniß, daß der Autor ein Ertz-Narr ſeyn
muß, wann es heiſſet: Friß-Vogel, oder ſtirb! Das iſt, Ein, wegen
dem wichtigen Glaubens-Artickul des Chriſtenthums, von der wahren
Kirchen, mit allen uneatholiſchen
Prædicanten ſcharff vorgenommenes
ExamenundTortur. Er ſpricht auf eine recht unvernuͤnfftige Art, es koͤnne
GOtt nicht GOtt ſeyn, wann nicht die Roͤmiſch-Catholiſche Kirche die
rechte und wahre, allein ſeligmachende Kirche waͤre.
Auch giebt derſelbe
als eine ausgemachte Wahrheit vor, KayſerMaximilianus I.habe zu Aug-
ſpurg, beym Reichs-Tage, mit ſeinen Augen geſehe[n], daß
Lutheroder
Teuffel auf der einen Schultern geſeſſen ſeye.
Ein anderes klares Zeug-
niß von der Narrheit iſt auch dieſes, daß die Vorrede weitlaͤufftiger iſt, als
der gantze uͤbrige Theil des Wercks.


An
[161]

An einem gewiſſen Orte ſpricht dieſer Narr, Die allgemeine Kirche
Chriſti iſt allezeit eine reine Jungfrau und getreue Geſponß ver-
blieben. Die Sectiriſchen Kirchen aber find Teuffels-Canaillen
und Antichriſts-Trabanten-Buddeln. Eine hurt mit dieſem
Hauffen, die andere mit jenem, die Dritte wiederum mit einem be-
ſondern, und ſofort an. Sie ſchelten, ſchlagen, rauffen und zer-
ketzern ſich unter einander aͤrger, als die freche ſchamloſe Armée-
Huren, und wollen doch lauter Jungfrauen ſeyn.


Weil aber die Lutheriſche, Calviniſche, Widertaͤufferiſche,
Socinianiſche ꝛc. Prædicanten par force wollen dafuͤr angeſehen
ſeyn, daß ſie die Catholiſche Kirche! oder, wie ſie reden, die Apo-
calipti
ſche rothe Hure, durch ihre Reformation wieder ehrlich ge-
machet, ſo rathe ich ihnen, daß ſie derſelben ins kuͤnfftige fleißig
wollen auf die Fuͤſſe ſehen, damit ſie ja nicht wiederum nebenaus
gehe. So kans wiederum geſchehen. Horatius ſagt gar recht:


Quo ſemel eſt imbuta recens ſervabit odorem

Teſta diu.

Jung gewohnt, alt gethan.

Zwar was rathe ich euch Herren? Hat Chriſtus, der Heil.
Geiſt, und die von ihnen beſtellten Lehrer und Hirten, dieſelbe
nicht huͤten koͤnnen, ſondern geſchehen laſſen muͤſſen, daß ſie,
wie ihr ſaget, uͤber tauſend Jahre lang, mit allen Voͤlckern auf
Erden gehuret hat, wie wolt dann ihr falſche uneinige Judas-
Bruͤder ſie huͤten.


Hier haben auch alle Uncatholiſche zu mercken, daß wann die
Catholiſche Kirche eine Teuffels-Hure iſt, wie ihre Prædicanten ſa-
gen, ſie alle uͤber einen Hauffen Teuffels-Huren-Kinder ſeynd.

XDenn
[162]Denn von dieſer Babiloniſchen Teuffels Hure kommen ſie ur-
ſpruͤnglich her, ſintemaln ihre Vor-Eltern ſaͤmmtlich Catholiſch
geweſen. Jetzt gehet hin, ruͤhmet euch alles deſſen bey denen Ju-
den und allen Unglaͤubigen, und vernehmet alsdann, was ſie
von Chriſto und denen Chriſten halten werden.


Ewiger GOtt, ſagt der gelehrte Jeſuit Georgius Heidel-
berger, wie wird bey dieſen Articuln ſowohl das Judenthum als
die Heydenſchafft, ſamt vielen Millionen einfaͤltiger Chriſten ge-
aͤrgert, der Name Chriſti unſers wahren GOttes gelaͤſtert, und
die Stifftung ſeiner Kirche verhoͤnet! Freylich, GOtt erbarms!
Aber wer iſt Schuld daran als die laͤſterlichen Reformatores, und
verzweiffelte Prædicanten.


Liebe uncatholiſche! Hat die Kirche gefehlet, oder kan ſie
fehlen, wie euch die Prædicanten bereden, wie unſinnig haben dann
eure Vor-Eltern gehandelt, ja wie unſinnig handeln noch heut
zu Tage diejenigen, ſo vom Catholiſchen Glauben abfallen, Lu-
theriſch, Calviniſch Wiedertaufferiſch, Socinianiſch, oder ſonſt
Uncatholiſch werden, indem ſie nicht verſichert ſeynd, ob ihnen
dieſe Kirche, zu welcher ſie ſich begeben (geſetzt, daß ſie auch die
wahre Kirche waͤre) Wahrheit oder Luͤgen zu glauben fuͤrhalte,
weil ſie fehlen kan, und alſo ihre Anhaͤnger jaͤmmerlich betrie-
gen. Was die Prædicanten hierwieder einwenden, iſt lauter
grundloſes Geſchwaͤtze.


Iſt aber die Kirche nicht in Irrthum gerathen, auch nicht
unſicht[b]ar, vielweniger zur Babyloniſchen Hure worden, ſo
war auch nichts an ihr zu reformiren, nichts zu ſaubern, nichts
ehrlich zu machen, wie alle vernuͤnfftige Creaturen urtheilen
muͤſſen.


War aber nichts an ihr zu reformiren, ſo iſt die vorgeſchuͤtzte
Re-
[163]Reformation Lutheri, Calvini, Muntzeri, Schwenckfeldi, Serveti
und aller andern Geſellen, welche mit Luthero entſtanden, und
ſich fuͤr Reformirer der Kirche ausgegeben, nichts anders, als ein
blinder Nebel, Affenſpiel, Welt-Betrug, Gotteslaͤſterung, und
vom Teuffel, zur Vermehrung ſeines Reichs angeſtellte Seelen-
Jagd. Denn was haben dieſe verfluchte Buben, und uneini-
ge Ertz-Ketzer zu reformiren gehabt, wo nichts zu reformiren
war?


Iſt aber ihre Reformation, Religion und Glaube ein ſolches
Greuel-Weſen und teuffeliſche Seelen-Jagd, wer mag dann laͤn-
ger Lutheriſch, Calviniſch, Wiedertaͤufferiſch, Socinianiſch ꝛc.
ſeyn. Mit einem Wort, wer mag dann laͤnger in aͤuſſerſter
Seelen-Gefahr Uncatholiſch ſeyn, bleiben, oder ins kuͤnfftige
Uncatholiſch werden? Wahrhafftig Niemand, er ſeye dann gar
an GOtt und ſeinem ewigen Seelen-Heyl verzweiffelt, oder aber
von GOtt verlaſſen, und vom Teuffel voͤllig bezaubert.


Hier laſſe ich nun euch Prædicanten die Wahl, antwortet
was ihr wollet, ſo ſeyd ihr geſchlagen. Es iſt kein Mittel-Weg,
ſondern heiſt: Aut vincere aut mori, Friß Vogel; oder ſtirb! Nur
heraus mit der Sprache, ich biete euch allen Trutz.


Bey dem Anfang des zweyten Capitels dieſes naͤrriſchen
Buchs heiſſet es: Sagen die Herren Prædicanten es ſeye nicht die
wahre, ſtets ſichtbare und unfehlbare Kirche, ſo ſeynd wir deſſen
zufrieden; bitten nur alle und jede ſich von dieſer falſch Evangeli-
ſchen Nagel-neuen Winckel-Synagoge abzuſondern. Sagen aber
die Herren Prædicanten, die Lutheriſche Kirche ſeye die wahre,
ſtets ſichtbare und unfehlbare Kirche Chriſti, ſo frage ich ſie
weiter:


Wo iſt dann die Lutheriſche Kirche, von derer Apoſtel Zeit an,
X 2bis
[164]biß aufs Jahr Chriſti 1517. geweſen? Nennet uns die Lehrer, wel-
che biß daher durch alle Secula das Lutheriſche Evangelium rein ge-
prediget, und die Lutheriſchen Sacramenten ausgetheilet?


Dic quibus in terris, \& eris mihi Magnus Apollo? ()

In welchem Land, in welcher Stadt, in welchem Dorff ꝛc. iſt
ſolches alles ſichtbar geweſen, und oͤffentlich geſchehen? Wie haben
die Voͤlcker geheiſſen, welche aus der Heydenſchafft, durch die ſtets
offenen Thore der Lutheriſchen Kirche eingegangen, das allezeit
reine Lutheriſche Evangelium angehoͤret, angenommen, ge-
glaubet und die Lutheriſchen Sacramenten empfangen? Zeigt uns
an die Ketzereyen, welche von dieſer allezeit geweſenen ſichtbaren Lu-
theriſchen Kirche ausgegangen, dieſelbe beſtritten, und mit denen
Juden und Heyden verfolget, und das uͤber 1500. Jahre lang,
wie Luther redet? Denn ihr wiſſet wohl, daß viel ſagen, und
nichts beweiſen, nirgends Platz findet.


Hic piſcibus magis muti.Bey dieſen Fragen, Chriſtlicher Leſer!
erſtummen alle Prædicanten. Damit ſie aber bey denen Ihrigen nicht
davor angeſehen werden, reſpondent quid pro quo, geben ſie unter-
ſchiedene lahme Antworten, machen allerhand uͤberzwerge Spruͤn-
ge daher, reden das, ſo zur Sache gar nicht dienet, fangen endlich
an Wind zu machen, und zu luͤgen, daß ſie moͤchten ſchwartz wer-
den, und ſagen: Daß vor Zeiten im Pabſtuhm viele Bekenner
Chriſti, viele fromme Nicodemiter, viele ſeufftzende Simeones und
Annæ geweſen, welche das unverfaͤlſchte Wort GOttes, und die
rechte Bedienung derer heiligen Sacramenten gehabt, auch dem
Pabſtlichen Irrthum nicht von Hertzen beygepflichtet, und alſo
ſelig worden ꝛc.


Durch dieſe bodenloſe Geſchwaͤtze betriegen ſie, leider! das
arme Volck jaͤmmerlich, welches auch blindhin glaubet, daß auf

ſol-
[165]ſolche Weiſe ihre Lutheriſche Kirche ſeye ſichtbar und unfehlbar
beſtanden.


Ich aber will denen Finſterniß-liebenden, luͤgenhafften Prædi-
can
ten, um ihren Seelen-Betrug recht zu entdecken, das Gebiß
dergeſtalt einlegen, daß ſie vor aller Welt abermal ſprachloß ſollen
zu Schanden werden.


Denn fuͤrs erſte ſage ich, daß obiges Vorgeben ein leeres Præ-
dican
ten-Geſchwaͤtze ſeye, welches nicht nur in der Bibel keinen
Grund hat, ſondern auch wider die Heil. Schrifft, wider den
Heil. Auguſtinum, wider Lutherum und ihre eigene Glaubens-Be-
kaͤnntniß ſtreitet, als welche ſaͤmtlich von ſolcher Winckel-Chriſten-
Kirch nichts wiſſen.


Zum andern antworte ich, daß die Prædicanten, indem ſie ſol-
ches ſagen, die gantze Welt wollen zu Narren machen; oder doch
der gantzen Welt zeigen daß ſie Narren ſeynd. Dieſes alles erwei-
ſe ich mit mehrerm alſo:


Von denen heimlichen Bekennern Chriſti, frommen Nicode-
mi
tern, ſeuffzenden Annen, welche Lutheriſch geweſen ſeynd, ehe
Luther, geſchweige ſein Evangelium, aus der Schalen gekrochen,
und oͤffentlich zu rumoren angefangen, weiß die Schrifft nichts, ja
ſie verdammet vielmehr ſolche heimliche Nacht-Voͤgel. Darum
bin ich auch nicht ſchuldig, die hochtrabenden Prædicanten-Reden,
da nichts hinter iſt, anzunehmen, vielweniger zu glauben.


Daß aber die Heil. Schrifft von ſolcher Winckel-Kirche nichts
weiß, iſt gewiß. Denn ſie thut durchgehends Meldung von einer
ſichtbaren Heerde, von denen ſtets-bleibenden Lehrern und Hir-
ten, welche allezeit oͤffentlich dieſe Heerde oder Chriſtliche Schaͤff-

X 3lein
[166]lein ſollen weyden, und die Woͤlffe davon abtreiben; die unglaͤubi-
gen Voͤlcker aber, oder zerſtreute irrende Schaafe, fuͤhren zu der
Wahrheit, welche allenthalben oͤffentlich geprediget werden ſolle.


Hernach redet die Heil. Schrifft von einer ſolchen Kirche, welche
wider die Macht derer Hoͤllen-Pforten unuͤberwindlich beſtehen
wird, dahero ſie auch haben will, daß man dieſer Kirche folgen, ſie
Raths fragen und hoͤren ſolle. Warum kommen dann die Prædi-
can
ten mit ſolchen heimlichen Winckel-Chriſten aufgezogen? Ha-
ben ſie ſonſt nichts? Seynd daß die Lehrer, welche auf denen Daͤ-
chern geprediget, Matth. X. 27. Fort mit ſolchen Lumpereyen, ihr
elenden Fabel-Hannſen!


Und geſetzt, daß dergleichen Nicodemiter im Pabſtthum ge-
weſen, ſo ſagt her, lieben Prædicanten, welchergeſtalten ihnen
euer Lutheriſch Evangelium, nach heutigem Fuß ſeye rein gepre-
diget, und eure zwey oder drey Sacramenten auf Lutheriſch ge-
reichet worden, daß ſolches die uͤbr[i]gen Papiſten nicht gemercket?
Ich ſage zwey oder drey Lutheriſche Sacramenten. Denn die
armſeligen wiſſen ſelbſt nicht ſo genau, wie viel ſie haben, zwey oder
drey mehr oder weniger. Sie nehmen es nicht ſo genau, um ein
paar Sacramente auf oder ab, wann nur etwas da iſt, das den
Namen hat, es ſeye weiß, ſchwartz oder ſcheckigt. Die Luthe-
riſchen wollens ſo haben, recht ſo.


Weiter mag ich aus dieſem abſurden und unvernuͤnfftigen Buche nichts an-
fuͤhren. Das angezogene zeiget die Narren-Kappe des Autoris genugſam; und
von dem Reſt kan ich ſo viel verſichern, daß er nicht beſſer, ſondern noch weit
aͤrger, leichtfertiger und naͤrriſcher iſt. Ich thue dem Autori dieſes leichtfer-
tigen Buchs mitlerweile noch zu viele Ehre an, daß ich ihn unter die Zahl derer
Gelehrten Narren ſetze, und nicht vielmehr gar unter die Canaillen, Hundsfuͤter
und Bernheuter rechne. Denn er ſchimpfft und ſchilt nicht allein Lutherum und
Calvinum vor Lotter-Buben, ſondern ſagt auch gantz ungeſcheuet, daß alle
die-
[167]diejenigen, welche ihrer Lehre beypflichten,en general,ſie moͤgen ſeyn
wer ſie wollen, zum Teuffel in die Hoͤlle fahren muͤſſen,
Wer iſt indeſſen
der Mann, der ſo hefftig redet? Ein Studioſus Theologiæ, und zur Zeit noch
ein purer Schuͤler der Jeſuiten. Ey! ſo lache vielmehr uͤber den
Gelb-Schnabel und unreiffen Eyfferer, als daß du dich uͤber ihn aͤr-
gern wolteſt,
doͤrffte mir vielleicht einer ſagen. Allein die Sache iſt nicht laͤ-
cherlich, ſondern ſeine Expreſſiones allzugrob und allzuunbeſcheiden, endlich
auch um ſo viel wichtiger, weil auf dem Titel geſchrieben ſtehet; Cum Ap-
probatione \& Superiorum Permiſſu.


Der Maul-Affe, indem er wegen der ſichtbaren Kirchediſputiret, und
behaupten will, daß ſolches die Catholiſche, nemlich die Roͤmiſch Catholi-
ſche,
jederzeit geweſen ſeye, ſaget und ruͤhmet ſich, nur in denen allhier ange-
zogenen Paſſagen bey nahe zehenmahl, er habe nunmehro die Evangeli-
ſchen ſtumm und ſprachloß gemachet
; da doch auf eben dieſes Vorgeben de-
rer Herren Roͤmiſch-Catholiſchen bereits viel tauſendmal gruͤndlich geant-
wortet worden, ja ein jedweder Evangeliſcher Schuͤlercapable iſt, denen
Herrn Roͤmiſch-Catholiſchen tauſend Gruͤnde desfalls entgegen zu ſetzen.
Er ſpricht, mann wiſſe Catholiſcher Seits nichts von Winckel-Kirchen
und heimlichen Verſammlungen, ſondern ſeye mit der reinen Lehre
allezeit an das helle Licht getreten.
Waͤre aber der Autor kein Ignorant
in der Kirchen- und andern Hiſtorie, muͤſte ihm bekannt ſeyn, daß die Chriſt-
liche Lehre, ſelber in der Stadt Rom bey nahe dreyhundert Jahre lang, an-
ders nicht als heimlich, in tiefen unterirrdiſchen Hoͤlen, Gewoͤlbern und Kellern
getrieben worden, woraus man die armen verſammleten Chriſten oͤffters Hauf-
fen-weiſe gezogen, und ſie zur Schlacht-Banck gefuͤhret. Auch koͤnte ihm nicht
unbekannt ſeyn, daferne er ein Hiſtoricus waͤre, daß in einem jedweden Seculo,
von derer Apoſtel-Zeiten an, allezeit ſolche Maͤnner aufgetreten, welche ſo ge-
lehret und geprediget, wie Lutherus, nehmlich der Heil. Schrifft gemaͤß; ob
man ſie gleich nachhero verfolget, ja gar erwuͤrget hat. Die Kirche iſt dem-
nach allezeit ſichtbar genug geweſen, wann ſie ſchon aus einem ſehr kleinen
Haͤufflein beſtanden, und kaum etliche Perſonen ausgemachet, die das Zei-
chen des Thieres nicht an ihrer Stirne geſchrieben gehabt.


Wiewohl der naͤrriſche Autor ſtatuiret, die Catholiſche Kirche ſeye
allemal recht hellglaͤntzend geweſen, dergeſtalt, daß ſie vom Anfang

her
[168]her, mit klingendem Spiel, Trommeln und Pfeiffen, und fliegenden
Fahnen marchiret,
wie noch heut zu Tage folches bey Proceſſionen gebraͤuch-
lich iſt. Item, daß ſie allezeit mit Purpur geglaͤntzet, worinnen der
Papſt und ſeine
Cardinæleprangen. Ja, daß man jederzeitMonſtran-
tzen aufgeſetzet, oder auf denen Gaſſen einhergetragen, die von Gold
und Edelgeſtein geglaͤntzet, wie die helle Sonne;
und daraus ſchluͤſſet
er, daß ſolches nothwendiger Weiſe die wahre Kirche ſeyn muͤſſe. Aber
du elender Marck-Schreyer, wo denckeſt du doch hin? Weiſt du nicht, daß
Chriſtus, indem er ſeine Kirche auf Erden eingeſetzet und befeſtiget hat, ihr zu
gleicher Zeit gewiſſe Characteres und Merckmahle beygeleget, woran man ſie
und alle die Seinigen erkennen ſolle? Weiſt du es nicht, ſo ſchlage nach, und
halte alsdann das Portrait, welches Chriſtus von ſeiner Kirche gemacht, gegen
die praͤchtige und glaͤntzende Geſtalt der Roͤmiſch-Catholiſchen Kirche. Ach
da wirſt du einen ſehr groſſen Unterſcheid finden. Hiernechſt ſpricht ja Chri-
ſtus. Mein Reich iſt nicht von dieſer Welt ꝛc. Item: Die weltlichen
Fůrſten herrſchen, und die Gewaltigen heiſſet man gnaͤdige Herren;
ihr aber nicht alſo.
Gleichwohl thut der Pabſt das Widerſpiel. Er me-
li
ret ſich in die meiſten weltlichen Haͤndel, und prætendiret uͤber Kayſer, Koͤ-
nige und Fuͤrſten,
Kurtz zu ſagen, uͤber die gantze Welt zu herrſchen, hat ſich
auch ſchon mehr als einmahl unterſtanden, Koͤnigreiche und Fuͤrſtenthůmer
in der Welt, nach, ſeinem Gefallen zu verſchencken und auszutheilen. Ich fra-
ge ob dieſes ein Merckmahliſt, woran man das ſichtbare Ober-Haupt derpræ-
tendir
ten wahren Kirche erkennen koͤnne?


Das Evangelium, welches bey denen Evangeliſchen geprediget wird, nen-
net dieſer tolle Schreyer ein Lutheriſches Evangelium; da es doch anders nichts
als das klare, aus Heil. Schrifft gezogene, Wort GOttes iſt.


Auch beſchuldiget er uns Evangeliſche, als ob wir nicht wuͤſten, wie viele
Sacramenta wir ſtatuiren ſolten, zwey oder dreye; da doch in unſerm Cato-
chiſmo ſchon zweyhundert Jahre lang mehr nicht als zwey zu finden. Beym
Anfang der Reformation hat man freylich uͤber die Zahl derer Sacramenten
diſputiret, ſolche aber bald hernach auf zwey feſte geſetzet. Wuͤſte der vor Eyffer
brennende Haaſe, daß auf Roͤmiſch Catholiſchen Conciliis, in denen alten Zeiten
mehr als einmal die Frage von der Zahl derer Sacramenten auf das Tapet ge-
kommen, und von einigen ſchon biß auf dreyßig und noch mehr angetragen
wor-
[169] worden, wuͤrde er vielleicht mit mehrerer Behutſamkeit von dieſer Materie ge-
ſchrieben haben.


Er ſpricht auch, wer doch jemahls die Sacramenta nach Lutheri-
ſchen Fuß gereichet und
adminiſtriret habe? und das iſt abermal ein kla-
res Anzeigen der groſſen Ignorantz dieſes unvernuͤnfftigen Menſchen, als welcher
nicht weiß, daß das Heil. Abendmahl gantzer zwoͤlffhundert, Jahre von de-
rer Apoſtel Zeiten an, nach Lutheriſchen Gebrauch, das iſt unter beyder-
ley Geſtalt,
ausgetheilet, biß man endlich denen Laͤyen den Kelch entzogen hat.
Von der Tauffe derer Evangeliſchen oder Proteſtanten aber iſt ja ohne diß
bekannt, daß ſie von der Roͤmiſch-Catholiſchen Kirche vor eben ſo guͤltig ge-
achtet wird, wie ihre eigene. O unvernuͤnfftiger und ungluͤckſeeliger Straß-
burgiſcher
Raiſoneur!


In Summa, dieſer tolle Hund bellet uns Proteſtanten an, weil wir

  • 1)
    nicht wie er, den Papſt vor einen Herrſcher und Herrn uͤber den Kayſer, Ko-
    nige und Fuͤrſten, ja uͤber die gantze Welt erkennen, mit der er, abſonderlich
    mit denen Landen derer ſo genanten Unglaͤubigen, worunter die Roͤmiſch Ca-
    tholiſche Cleriſey
    auch uns Proteſtanten als Excommunicirte rechnet, nach
    ſeinem Gefallen diſponiren moͤge.
  • 2) Nicht, wie er, tumm und blindlings hin glauben, was der Pabſt und
    ſeine Cleriſey ſchwatzet, ſondern alles vorhero nach dem Probier-Stein
    Heiliger Schrifft und des goͤttlichen Wortes pruͤffen und unterſuchen
    wollen.
  • 3) Nicht, wie er, vor denen Bildern auf die Knie niederfallen, welcher
    Bilder-Dienſt erſt im ſiebenden Seculo feſte geſetzet worden.
  • 4) Nicht, wie er, die Heiligen um ihre Vorbitte bey GOtt anruffen, ſon-
    dern mit unſerm Gebet recta zu GOtt ſelber gehen, und uns in ſeine Arme werf-
    fen, die er aufs liebreichſte nach uns ausſtrecket.
  • 5) Nicht, wie er, uns um die Verdienſte derer Heiligen bewerben, daß
    ſie uns nemlich bey unſerer Seligkeit zu ſtatten kommen ſolten, ſondern unſer
    Heyl eintzig und allein auf das Verdienſt JEſu Chriſti ſetzen.
  • 6) Nicht, wie er, den Roſen-Crantz immer in der Hand haben, noch
    ein Ave Maria hinter dem andern ohne Andacht daher murmeln, ſondern, an
    ſtatt deren, andere andaͤchtige Gebeter verrichten.
  • 7) Nicht, wie er, das Fegfeuer ſtatuiren, weil uns Chriſtus und ſeine
    Apoſtel von dieſem wichtigen Glaubens-Punct nichts geſaget haben; obgleich
    im uͤbrigen das Fegfeuer eine Sache iſt, wodurch die Moͤnche und andere
    Geiſtliche ſtattlich gemaͤſtet und ernehret werden.
  • 8) Nicht, wie er, Weyh-Waſſer zu Hauſe und in der Kirche nehmen, noch
    ſonſt unſere Zuverſicht, unſer Gluͤck und unſere Hoffnung auf geweyhete Din-
    ge ſetzen, ſondern ſie allein in dem Hochheiligen Namen GOttes beſtehen
    laſſen.
  • 9) Nicht, wie er, Meſſe hoͤren, noch vermeynen, es komme darauf das
    Haupt-Werck des gantzen Chriſtentuhms an.
  • 10) Nicht, wie er, die Ohren Beicht, ſondern an deren ſtatt ein Gene-
    ral-
    Bekaͤnntniß derer Suͤnden ſtatuiren; allermaſſen die Cleriſey, durch die
    Ohren-Beichte, nur die Geheimniſſe des Layen-Standes erforſchet ſich, ſolche
    zu Nutzen, und ſich zu gleicher Zeit zu Herren uͤber die Gewiſſen zu machen.
  • 11) Nicht, wie die Roͤmiſch-Catholiſche Kirche will, unter einerley Geſtalt
    communiciren, welches in der Roͤmiſch-Catholiſchen Kirche, auſſer der Meſſe,
    auch die Prieſter thun muͤſſen.
  • 12) Nicht, wie er, die Transſubſtantiation ſtatuiren; obwohl wir Luthe-
    raner ſonſt glauben daß wir beym Heil. Abendmahl Chriſti Leib und Blut
    weſentlich genug empfangen.
  • 13) Nicht, wie er, die Prieſter-Ehe verwerffen, welche erſt im 11ten Se-
    culo
    vom Papſt Gregorio VII. ſonſt Hildebrand genannt, verboten worden.
  • 14) Nicht wie er, die letzte Oelung vor etwas zur Seligkeit abſolument
    nothwendiges halten.
  • 15) Nicht wie er, durch die guten Wercke gerecht werden wollen, ſon-
    dern bloß durch den Glauben, ob wir gleich lehren, daß die guten Wercke mit
    dem Glauben auf das genaueſte muͤſſen verknuͤpffet ſeyn.
  • 16) Nicht, wie er, die Verfolgung in Religions und Gewiſſens Sachen
    ſtatuiren, noch ſagen, daß es recht ſeye, Hencker, Marter, Quaal und Pein zu
    employren, die Religion dadurch auszubreiten.
  • 17) Nicht wie er ſagen, Hæreticis non eſt ſervanda fides, das iſt, man
    muͤſſe
    Ketzern, oder ſolchen Leuten, die mit uns nicht einerleyReligion
    haben, keine Treue, keinen Glauben, keine Eydſchwuͤre, keine Friedens-
    Schlůſſe, keine
    Pacta,keine Verſprechung\&c.halten.

Dieſes ſind juſtement die Urſachen warum uns dieſer unverſchaͤmte Kerl
laͤſtert, verdammet, verfluchet. Im uͤbrigen bedencket er nicht, das wir eben
ſowohl wie die Roͤmiſch-Catholiſche Kirche, ein eintziges goͤttliches Weſen in
dreyen Perſonen glauben und verehren. Item, daß wir Chriſtum vor unſern
eintzigen Heiland, Erloͤſer und Seligmacher halten. Ferner wie die Haupt-
Regel unſerer Religion, bey dieſem Glaubens-Bekaͤnntniß, dieſe iſt, daß
wir GOtt ůber alles fůrchten, von gantzem Hertzen, von gantzer Seelen
lieben, und ihm allein vertrauen, auch unſern Nechſten als uns ſelber
lieben můſſen;
auf welche Weiſe, und wann ein jedweder nur dieſer Regel
folgte, alle Suͤnden ceſſiren wuͤrden. Daß aber ſolches von denen wenigſten
beobachtet wird, ſolches beklagen wir leider! und lehren indeſſen, daß kein
wahrer, bekehrter, in der Gnade GOttes ſtehender Chriſt in wirck-
lichen und herrſchenden Sůnden leben muͤſſe, oder aber, er koͤnne ande-
derergeſtalt keinen Theil am Reiche GOttes haben.


Endlich muß ich noch dieſes anmercken, daß dieſer unverſchaͤmte Laͤſterer
ſpricht, KayſerCarolus V.habe zwar anfangs dasExercitiumder Aug-
ſpurgiſchen
Confeſſionim Roͤmiſchen Reiche erlaubet, hernach aber,
durch einen Reichs-Abſchied wieder verboten.
Das wiſſen wir wohl.
Allein warum redet der Laͤſterer nichts vom Paſſauiſchen Religions-Frieden,
wodurch das freye Religions-Exercitium derer Proteſtanten im Roͤmiſchen-
Reiche auf das herrlichſte verſichert und feſte geſetzet worden? Warum geden-
cket er auch nichts vom Weſtphaͤliſchen Frieden, worinnen ſolches Religions-
Y 2Exer-
[172]Exercitium nochmahls bekraͤfftiget und verſichert iſt? welchen Frieden die Cro-
ne Franckreich ſelber garantiret hat. Aber da ſchweiget Matztaſche gantz ſtille
davon, entweder aus groſſer Ignorantz, oder aus einer mehr als teuffeliſchen
Boßheit.


Er hat ſeinem Laͤſter-Buch einen weitlaͤufftigen Extract aus Lutheri
Tiſch-Reden beygefuͤget, der aber keinesweges unverfaͤlſcht, ſondern da und
dorten mit Unwahrheiten angefuͤllet. Hernach ſo muß dieſer Laͤſterer auch
wiſſen, daß obgleich Buͤcher verhanden ſeynd, welche Lutheri Tiſch-Reden
heiſſen, dieſelben dennoch von ihm keineswegen ediret worden, ſondern daß ſol-
ches andere Leute etlich und zwantzig Jahre nach ſeinem Tode gethan, die nach
ihrem Gefallen hinein geſchmiert haben, was ſie gewolt.



Vierdte [Abandlung].


VOn denen Vorurtheilen, welche die Menſchen bißweilen von Kindes-
Beinen an, einzuſaugen pflegen, kommet allerdings ein ſehr groſſer
Theil des Verderbs in dem Gelehrten Weſen her. Der geehrte
Herr Magiſter, oder der Herr Informator plaudert ſie zu Hauſe hinterm Ka-
chel-Ofen oder beym Camin ſeinen Untergebenen vor. Als dann haͤlt der liebe
Herr Rector und Conrector auf Schulen eben dergleichen Diſcurſe, und der
Lernende wird in denen bereits zu Hauſe eingeſogenen Vorurtheilen bekraͤffti-
get. Ziehet er hernach auf Univerſitæten, fuͤget es ſich gar leichtlich, daß er
abermahl ſolche Profeſſores, Doctores und Magiſtros legentes antrifft, die eben
ſo ſchwatzen, wie der Herr Præceptor zu Hauſe und pedantiſche Schul-Mo-
narchen getahn. O da muß nun vollends in dem Gemuͤthe des Studierenden
dieſe und jene falſche Meynung, dieſer und jene falſche Lehr-Satz, vor eine
ewige Wahrheit paſſiren.


Wann ich den Menſchen, nach ſeinen innwohnenden Kraͤfften des Ver-
ſtandes betrachte, er mag unter die Zahl derer Gelehrten oder Ungelehrten ge-
hoͤren, ſo ſehe ich, daß er nach der erlangten Klugheit vernuͤnfftig zu raiſoniren,
und
[173] und nach der eingewurtzelten Boßheit, fein tumm und thieriſch zu leben,
ſich entweder in einem gebeſſerten oder verderbten Zuſtande befinden muͤſſe.
Aber dieſer letztere Stand des Menſchen, welchen die Theologi insge-
mein corruptum, die Myſtici beſtialem, die Philoſophi naturalem zu nen-
nen pflegen, iſt um ſo vielmehr mit Haͤnden zu greiffen, als bekannt, daß
die Menſchen von Natur in einer angebohrnen Ignorantz, abſurden Confu-
ſion,
und unvermeidlichen Obſcurité biß uͤber die Ohren ſtecken, aus wel-
chen angebohrnen Fehlern dann hernachmals, als aus einer verderbten
Quelle, alle Vorurtheile des Verſtandes Strom-Weiſe hervor kommen.
Daher finden wir in praxi auch unter denen, die par force gelehrt ſeyn wollen,
wunderliche Heilige, welche eben ſo von einer Sache, wie der Blinde von der
Farbe, und der Taube vom Klange urtheilen, ihre Gedancken, ſo ordentlich
wie ein tiefſinniger und melancholiſcher Metaphiſicus, und ihre gefaſten Idéen
ſo deutlich vorzuſtellen wiſſen, daß man mit Recht von ſolchen gelehrten Pota-
gen-
Machern ſagen kan, was jene unbarmhertzigen Nachrichter oder Cenſores
von eines ehrlichen Profeſſoris Commentario in Apocalypſin Johannis geurthei-
let haben, nemlich: Man muͤſte meynen, daß dieſerCommentariusnicht
wegen der Offenbarung
St, Johannis,ſondern die OffenbarungSt. Jo-
hannis
wegen dieſes neuenCommentariigeſchrieben worden waͤre.


Mittlerweile ſolte ein jedweder Gelehrter in ſeiner beſondern Diſciplin
trachten, die anklebenden Fehler derer Menſchen nach allen Kraͤfften zu verbeſ-
ſern, und der Entzweck aller Diſciplinen eintzig und allein dahin gehen, daß
denen verderbten und in blinden Vorurtheilen erſoffenen Leuten, theils die
geiſtliche, theils die buͤrgerliche und leibliche Gluͤckſeligkeit zuwege gebracht wer-
den moͤge. Hieraus kan ein jedweder, der noch ein Quintlein Witz in ſeinem
Gehirn heget, um ſo viel eher erkennen, wie hoͤchſt-nothwendig es ſeye, daß
ein jedweder auf ſich, und auf ſeinen verderbten Zuſtand ſelber, vor allen
Dingen, wohl Achtung geben muͤſſe. Dahero iſt das Errare bey denen Men-
ſchen nicht allein humanum, ſondern auch neceſſarium. Ich will ſo viel ſa-
gen, daß Fehlen und Irren bey denen Leuten, ſie moͤgen von Condition ſeyn
wie ſie wollen, nach ihrem verderbten Zuſtande unumgaͤnglich ſeye weil es
nicht moͤglich iſt, daß ein Menſch, und wann er auch Doctor Doctorum, ja
Magiſter Seraphicus \& Anglicus, oder ein Trismegiſtus omnium Scientiarum
waͤre, auf einmal alle Umſtaͤnde gantz genau einſehen koͤnne. Deswegen
pfleget es auch insgemein zu geſchehen, daß ſobald die Gelehrten die Incar-
Y 3cera-
[174]ceratos limites judicandi verlaſſen und extra principia certa \& recepta herum
vagiren, ſie gantz unvermerckt in das Labyrinth des ſchaͤdlichen Irrthums ver-
fallen. Aus dem verderbten Zuſtande nun entſtehen nachgehends die Judicia
inſana, febriculoſa, \& ab omni ratione aliena
die tumme einfaͤltige und alber-
ne Raiſonier-Kunſt, aus welchen ungereimten und ungegruͤndeten Judiciis
hernach die einfaͤltigen Præjudicia zu entſpringen pflegen. Hingegen aus dem
gebeſſerten Zuſtande kommen hervor die Judicia ſana, accurata, \& bona volun-
tatis humanæ decreta,
weil man alsdann nicht nach ſeinem wunderlichen Ge-
nie
und tollen Caprice, ſondern nach der Sachen Beſchaffenheit ohne eintzi-
ges Intereſſe, poſitis \& demonſtratis probandi principiis taiſoniret. Es iſt ge-
wiß daß den Wachsthum und das Aufnehmen aller nuͤtzlichen Kuͤnſte und
Wiſſenſchafften nichtsmehr als das ungluͤckliche und ungereimte Raiſoniren
verderbet, und glaube ich gaͤntzlich, daß ein jedweder vernuͤnfftiger Mann
hierinnen mit mir eines Sinnes ſeyn wird, wie dem Wachsthum derer Diſci-
plinen
nichts mehr als die geſchickten und unpaſſionirten Judicia aufgeholffen,
und im groͤſten Flor erhalten haben. Denn die Menſchen ſind nach ihrem
verderbten Appetit, gemeiniglich ſo geartet, daß ſie jederzeit dasjenige zu billi-
gen pflegen, was von dem meiſten Hauffen, zumal wann der Raiſonneur præ-
ſumtive Dignitatem
und Merita vor ſich hat, daß iſt, wann er entweder ein Do-
ctor Excellentiſſimus, Magiſter præſtantiſſmus,
und Paſtor vigilantiſſimus heiſ-
ſet, gebilliget worden iſt, weil ſich ſolche elende Leute insgemein einbilden,
wann ſie groſſer und vornehmer Gelehrten Judicia annaͤhmen und billigten,
ſie alsdann, als junge Raths-Herren in ſententionando \& dicendo nicht ir-
ren koͤnten. Allein wie miſerable ſolche Conſiliarii und vermeynte Oracula
denen jungen Leuten rathen, ſolches zeiget der Ausgang leider! oͤffters mehr als
zu klar, weil ſie, wann dieſelben die Hand an etwas ſchlagen und ſich als Maͤn-
ner zeigen ſollen, nichts als lauter leere Idéen im Kopffe haben, die ſich weder
hinten noch vorne zu der vor Augen liegenden Sache reimen wollen.


Mancher Studioſus Juris, wann er im Anfange ſeiner Studiorum Juridico-
rum
mit vielen Deſinitionibus, diſtinctionibus, cauſis und tabulis, ja auswendig
lernen derer legum Civilium geplaget worden iſt, wird deſperat, und den-
cket in ſeinem Hertzen: Ey der Hencker mag das gantzeStudium Juridicum
holen, ehe ich mir den Kopff, und dieMemoriamit ſo vielem unnuͤtzen
Zeuge zerbrechen und zermartern laſſen ſolte
, auf der andern Seite aber,
wann ſolche Leute das Examen Conſcientiæ nicht recht angeſtellet, und ihren Sta-
tum
[175]tum Miſeriæ nicht recht genau unterſuchet haben, ſo werden ſie insgemein toll-
kuͤhn und kriegen uͤberhaupt mehr als eine allzufreye Hardieſſe, dergeſtalt, daß
ſie meynen, wann ſie gleich ein oder etlichemal brav ablieffen; ſo muͤſte es doch
zum andern, dritten und letztenmal deſto beſſer gehen, indem es doch heiſſe:
Friſch gewagt, ſey halb gewonnen; es waͤre und bleibe eine ausgemachte
Regel daß kein Meiſter vom Himmel gefallen, und muͤſſe es zu letzt biegen oder
brechen. Solches kan man gar deutlich an denenjenigen ſehen, welche vor der
Zeit diſputiren, predigen, promoviren und advociren wollen, ehe ihnen noch,
zu einem ſolchen wichtigen Werck, die Fluͤgel recht gewachſen ſind, gleich dem
erdichteten Icaro, welcher nicht wuſte, daß er waͤchſerne Fluͤgel hatte, ſo von
der groſſen Hitze der. Sonnen nothwendig ſchmeltzen, er aber hernach, aus
allzugroſſer Unbedachtſamkeit ins Meer fallen, und allda nothwendig erſauf-
fen muſte. Indeſſen iſt es kein Wunder, wann aus ſolchen vorgefaſten Mey-
nungen und imaginativiſchen Gelehrſamkeit, Spaltungen in der Philoſophie,
grauſame Ketzereyen in der Theologie, und unendliche Opiniones communes
und diſſenſus in Jure entſtehen, weil ſich die Verehrer derſelben, und ſolche
Simulacra Eruditionis, nicht auf die Wahrheit der Sache, ſondern entweder
auf eine allzugroſſe Verwegenheit, oder deſperates Federfechten und vergebli-
che Raiſſonnir-Kunſt ſtuͤtzen, dabey aber ihre eingeſogene Præjudicia noch weit
hoͤher als derer alten Roͤmer Koſtbarkeiten, und des Geldſuͤchtigen Titi Ve-
ſpaſiani
Reichthum æſtimiren.


Wie des Menſchen natuͤrliche Conſtitution beſchaffen iſt, ſo iſt er auch
von Natur zu Irrthuͤmern geneigt, weil die aͤuſſerlichen Verrichtungen als
Effectus Temperamentorum, wohin auch die Irrthuͤmer gehoͤren, ſich nach des
Menſchen ſeiner angebohrnen Conſtitution richten muͤſſen. Aus dieſem Principio
demonſtrato
folget weiter, daß ein Sanguineus, von Natur, theils zum Vorur-
theil der Ubereilung und Leichtglaͤubigkeit geneigt ſeyn muͤſſe. Darum uͤber-
eilet ſich ein Sanguineus gar leicht in ſeinem Raiſonniren, weil er wegen der ge-
ſchwinden Bewegung ſeines Gebluͤtes einen Uberfluß von tauſenderley Idéen
in ſeinem Kopffe heget, und daher die deutlichen Idéen von denen duncklen
nicht accurat abſondert, und zuletzt in einen Defectum Judicii dolendum ver-
faͤllt. Man ſiehet dieſes unter andern an denen in der erſten Hitze und groͤſten
Ubereilung geſchloſſenen Ehen, da z. E. eine junge und feine Dirne von 15.
Jahren einen alten Krippen-Stoͤſſer, und krumm-gebuͤckten Kraͤuter-Sucher,
wie die boͤſe Welt ſo veraͤchtlich von alten Leuten zu reden pfleget, von 60. und
mehr
[176] mehr Jahren, und zwar noch wohl darzu auf Anrathen ihres Herrn Curatoris
heyrathet, weil ſolchen lieben Kindern insgemein von denen Geldgeitzigen Na-
bals-Bruͤdern in ihren jungen Jahren weiß gemachet wird, wie ein ſolcher
alter und venerabler Mann ein ſchoͤnes eigenes Haus beſaͤſſe, einen koſtbaren
und luſtigen Garten vor dem Thore haͤtte, in welchem ſie alle Tage ſich mit
Vergnuͤgen divertiren koͤnte, eine ſchoͤne Handlung von mehr als funfftzigtau-
ſend Thaler fuͤhrte, und noch wohl darzu (welches mein liebes Jungfer-
gen!
ſagen ſie, das beſte auf der Welt iſt) uͤber ſiebzig tauſend Thaler an
baaren Gelde in banco liegen haͤtte. Da nun heiſt es: O Himmel! Wer
wolte ſo thoͤricht handeln, und eine Parthev von der Art ausſchlagen?

Ferner, ſo ſind ſolche Leute insgemein nach der erſten Sorte im hoͤchſten Grad
leichtglaͤubig. Ich will ſo viel ſagen, man kan ihnen ohne den geringſten Wi-
derſpruch, gar leichte weiß machen, daß der Teuffel die Huren reithe, und
daß die alten Hexen an Walpurgis-Abend auf hoͤltzernen Kruͤcken und Miſt-
Gabeln nach dem Blolcks-Berg fuͤhren, und allda mit ihren Cameradinnen
und dem boͤſen Feind eine Menuet oder Paſſepied tantzen, weil ſolche Leute von
Natur ſehr muͤßig ſind, auch von vielem und groſſen Nachdencken eben nicht
ſonderlichen Staat zu machen pflegen. Man kan ihre kindiſche Leichtglaͤu-
bigkeit ſonderlich daher mit Haͤnden greiffen, wann ſie dem menſchlichen Anſe-
hen allzuviel glauben ohne Raiſon beymeſſen, und vor groſſer Einfalt dabey
ſeufftzen und ſagen: Man wuͤrde doch die Wabrheit nicht ſo gut als
wie dieſer oder jener vornehmer Mann, und anſehnliche
Profeſſor,erfin-
den koͤnnen. Es haͤtte der liebe Herr
PræceptorundDoctordieſeMaterie
ſogalantunddemonſtrativiſch ausgefuͤhret, daß ſie unmoͤglich noch beſſer
und
demonſtrativiſcher ausgefuͤhret werden koͤnte; da doch nicht gelaͤug-
net werden mag, daß keine Wahrheit ſo deutlich erfunden worden iſt, daß ſie
nicht noch deutlicher und accurater erkannt werden koͤnte, weil ſonſt folgen wuͤr-
de, daß ein endlicher Verſtand alle Wahrheit auf einmal voͤllig begriffen und
gaͤntzlich eingeſehen haͤtte.


Die hitzigen Leute ſind insgemein ſehr hochmuͤthig, und ſuchen ſich vor
vielen andern, durch unnuͤtze Grillen und vergeblichen Speculationes zu diſtin-
gui
ren. Sie wollen nicht allein in ihren Lehr-Saͤtzen infaillible ſeyn, wie
der Roͤmiſche Pabſt, ſondern auch par force haben, daß man ihnen abſolut,
und ohne eintzige Contradiction glauben muͤſſe. Was ſie redeten, das muͤſte
nothwendig vom Himmel herab geredet ſeyn. Sie waͤren das eintzige Oraculum
Del-
[177]Delphicum, bey welchen ſich alle andere Gelehrte, ſie moͤchten wollen oder
nicht, guten Raths erholen muͤſten. Sie fangen deswegen an, aus dem
Vorurtheil der eingebildeten Vielwiſſenheit ſich in allen ihren Collegiis zu ruͤh-
men, ihre Buͤcher, Diſputationes und Scartequen cum Emphaſi zu recomman-
di
ren, andere gelehrte Leute neben ſich zu verachten, von ihnen mal-honnet zu
raiſonniren, und ſich mit Reſpect zu ſchreiben, uͤber allen Dreck zu moquiren.
Sie wollen nicht allein uͤber die Leiber, gleich denen grauſamen Tyrannen,
ſondern wo es nur moͤglich waͤre auch uͤber die Seelen herrſchen; und dahero
wollen ſie ihre abendtheuerliche Grillen und wunderliche Meynungen andern
mit Gewalt ins Gehirne praͤgen. Wann man ſolchen haberrechtiſchen Ge-
lehrten gleich mit der groͤſten Sanfftmuth widerſpricht; ſo ſind ſie in ihrer
Conduite dennoch intolerable und laſſen den einmahl gefaſſeten Groll ſo
leichtlich nicht wieder fahren. Ihre abſurden Meynungen wollen ſie darum
nicht ablegen, weil ſie die wichtige Grille von ſich hegen, als ob ſie ein weit beſ-
ſeres Judicium, als alle andere geſcheute Leute haͤtten, und daher in ihren
Lehr-Saͤtzen unmoͤglich fehlen und irren koͤnten; da doch von allen Verſtaͤndi-
gen zugegeben werden muß, das Fehlen und Irren nicht allein was menſchli-
ches, ſondern gar was natuͤrliches und angebohrnes zu nennen ſeye. Sie ſa-
gen und behaupten in ihren Collegiis und Scriptis, wann ſie dieſe und jene
Meynung, welche ſie nun ſo lange Jahre wieder ihre Antagoniſten verfochten
haͤtten, fahren lieſſen, und dieſelbe nicht mehr halsſtarrig gewoͤhnlicher maſſen,
defendiren wolten, alsdann ihre Schuͤler und andere Leute von ihnen ſagen
moͤchten, daß ſie ein rechtes altes Weiber-Judicium haͤtten, welches ſo vielen
Fehlern und Maͤngeln unterworffen waͤre, als Floͤhe in alten Weiberpeltzen an-
getroffen wuͤrden.


Die Melancholiſchen ſcheinen nur darum nach ihrem Naturel gebohren zu
ſeyn, daß ſie erbaͤrmliche und ewige Sclaven vom Verſtande anderer gelehr-
ten Leute bleiben, und nichts weiter in Theologicis ſtatuiren wollen, als was
Affelmannus, Dannhauerus, Scherzerus, Calovius, Hulſemannus \&c. in die-
ſem und jenem Glaubens-Artickel, intrepide und maſcule verfochten haͤtten.
Die Alten waͤren, welches ich auch hertzlich gerne glaube, und ohne Gewiſſens-
Zwang zugeben will, keine Narren geweſen, und waͤre es am beſten gethan,
wann man es in der Welt fein bey denen alten Loͤchern lieſſe, und keine neuen
darzu bohrte. Daher entſtehet das Vorurtheil des blinden und tummen Ge-
horſams, da ſie lieber mit dem ſel. N. in manchen Sachen par Compagnie ir-
Zren
[178] ren wollen, als daß ſie ſolchen groſſen Luminibus Eccleſiæ mit Raiſon wider-
fprechen ſolten, Ja, ſagen insgemein dergleichen Geiſtliche Juͤnger, welche vor
der Zeit eine huͤpſche Knarre und feine Pfarre haben moͤchten, contradicireich
meinem
Profeſſori, Superiori \&c.ſo muß ich befuͤrchten, daß mich Ihro
Hochwuͤrden, mein hochgeneigteſter Herr
Patron,hernachmahls gar
zu lange auf der verdrießlichen
Expectanten-Banck ſitzen laſſen, und
mich hernachmahls mit keiner fetten Pfarre, Jungfer Tochter, An-
verwandtin, oder Haus-Jungfer, verſorgen werden.


Hieher gehoͤren auch, mit einem Wort, alle Brod-Gelehrte, und Brod-
Advocaten, welche um ein kahles Sechzehen groſchen-Stuͤcke, oder um einen
blanquen und geharniſchten Thaler, Wiſſen und Gewiſſen an den Nagel haͤn-
gen, und um eines elenden Gewinſtes willen Ehre und Renommée, ja gar
ihr bißgen Practiciren in die Schantze ſchlagen. Mehr mag ich vor dieſesmal
nicht ſagen, damit Niemand auf die Gedancken gerathe, ob wolte ich Perſo-
nalia tracti
ren, und manchen ehrlichen und braven Mann in ſeinem venerablen
Barte und ſchwartzen Mantel proftituiren.


Das Alter kan bey denen Menſchen ebenfalls unterſchiedene Gelegenhei-
ten und auſſerordentliche Urſachen zu Vorurtheilen geben. Denn ſo vielerley
Stuffen des Alters angetroffen werden, ſo vielmahl ereignet ſich auch Gele-
genheit zu dieſem oder jenem Vorurtheil. Daher ſiehet man taͤglich, daß mit
einem andern Vorurtheil ein munterer Abſolon, mit einem andern aber ein al-
ter und geitziger Nabal geplaget werde. Junge Leute leben insgemein luſtig,
und es heiſſet von ihnen uͤberhaupt: Semper luſtig, nunquam traurig. Sie
bemuͤhen ſich ſelten, das verlaſſene Guth ihrer Eltern zu conſerviren; ge-
ſchweige dann, daß ſie einen Anatociſmum begehen, und Intereſſe mit Intereſ-
ſe
vermehren ſolten, weil ſie dencken und unverſchrocken von ſich ſagen: Ein
junger Kerl můſſe die
Couragehaben, in der Welt, ehe er an Kruͤcken
gehen muͤſte, huntert tauſend Thaler zu erwerben. Das waͤre mit ei-
nem Worte Halluncken, welche die alten verroſterten Thaler, ſo lan-
ge im Gefaͤngniß liegen, und ſo unendliche Seufftzer nach ihrer Erloͤ-
ſung ſchicken ließen. Ein rechter Gurgel-Bruder wuͤſte das Geld nach
jetziger
Modebeſſer unter die Leute zu bringen; zumalen da es gantz
richtig waͤre, und
Salomonſelbſt geſaget haͤtte, daß der Menſch von
aller ſeiner Muͤhe und Arbeit nichtsmehr haͤtte, als wann er auf der
Welt fein luſtig und guter Dinge geweſen waͤre.
Mit denen alten Geld-
gei-
[179] geitzigen Schrabern hingegen ſiehet es in dieſem Stuͤcke gantz anders aus, und
kommen mir dieſe Leute, wann ich ſie denen luſtigen Bruͤdern gerade opponire,
nicht anders als wie die Spanier und Frantzoſen vor. Denn worinnen dieſe
eine ſonderliche Delicateſſe und ungemeine Scharffſinnigkeit finden, das
koͤmmt jenen gantz einfaͤltig und laͤppiſch vor, und was insgemein ein junger
und munterer Kerl vor ſein hoͤchſtes Guth zu halten pfleget, das kommt einem
alten Sauertopff gantz Spaniſch und wunderlich vor. Ja es moͤchte ein alter
Ehren-Zeißig, wann er die Luſtbarkeiten junger Leute mit anſiehet, vor Angſt
und Hertzeleid, den Magen verrencken, und die Seele, welche ohnedem nicht
gar zu feſte ſitzet, von unten aus hinweg purgiren. Deswegen geſchiehet es,
das die alten Leute insgemein mißtrauiſch und geitzig ſeyn, auch den gantzen
Tag nichts anders thun als queruliren und klagen. Ja, ſeufftzen ſie, wann
der Feind, bey einem entſtehenden Kriege, ins Land kommt, und ein
Stuͤcke vom Himmel von ungefaͤhr einfallen ſolte, wie dann Nie-
mand daruͤber ein
Privilegiumaufweiſen kan, ſo wuͤrden wir armen Leu-
te von
Haus und Hofe lauffen muͤſſen, und koͤnte kein Menſch ſeines Le-
bens eine Stunde ſicher ſeyn.
Jedoch darff man ſich eben nicht ſo groß wun-
dern, warum alte Leute insgemein ſo pimpeln und klagen, und alle Pfennige
und Dreyer, wann ſie ja einen davon ausgeben ſollen, ſechs biß ſiebenmal
umzuwenden pflegen, weil ſie wegen Schwachheit des Alters ihren Kraͤfften
nichts mehr zutrauen, und aus dieſem Grunde glauben, daß wan ſie auf einen
Thaler und Groſchen nicht mehr ſaͤhen, ſie alsdann in ihrem hohen Alter ver-
hungern und verderben muͤſten.


Die Auferziehung eines Menſchen, wann ſie gut und vernuͤnfftig gewe-
ſen iſt, kan ihn gluͤcklich, und zu einen weiſen Mann machen. Wo ſie aber
boͤſe, und ohne Vernunfft, von Eltern, oder denen, ſo Eltern-Stelle ver-
treten ſollen, tractiret worden, ſo wird mit der Zeit, aus einem ſolchem ar-
men Menſchen chriſtianè loquendo, ein vollkommener Hoͤllen-Brand, \&
philoſophice dicendo,
ein Mancipium omnium beſtialium affectuum, welcher
ſich vor der Zeit muthwillig in das zeitliche und ewige Verderben ſtuͤrtzet,
weil alsdann der Menſch nicht wider die Affecten zu leben gewohnet iſt. Ich
nehme aber die Auferziehung hier nicht in ſenſu juridico, da ein Vater Infan-
tem vel ex juſtis nuptiis ſuſceptum, vel â ſe ipſo agnitum, vel ob concubi-
tum demonſtratum
nach Nothdurfft ernehren muß; da dann insgemein, in
poſteriori caſu, non obſtante exceptione concubitus cum aliis
das ſchoͤne Ur-
Z 2theil
[180] theil erfolget: Da aber, und dieweil BeklagterN.die angegebene
Schwaͤngerung mit
Pantionillen geſtanden; als iſt Beklagter das Kind
ſo lange zu ernehren ſchuldig, biß es ſein Brod ſelbſt, nach Nothdurfft
verdienen koͤnne.
Aucontraire, ich verſtehe hier durch die Auferziehung die-
jenige nothwendige Verrichtung, da ſich Eltern unablaͤßig bemuͤhen, wie ihre
unerzogene Kinder, ſo wohl was den Leib als die Seele angehet, ſo unterrichtet
werden moͤchten, daß ſie dermaleinſt GOtt, der Kirche, und dem gemeinen
Weſen, tuͤchtige Dienſte leiſten koͤnten. Dieſe Auferziehung, in ſenſu mora-
li pro directione Morum, \& inſtitutione bonarum artium ſumta
geſchiehet ent-
weder oͤffentlich unter einer hohen Obrigkeit, in oͤffentlichen Schulen und
Wayſen-Haͤuſern oder wird von denen Eltern zu Hauſe ſelbſten, oder durch
ihre darzu beſtellten Informatores verrichtet. Dieſes aber heiſſe ich keine Auf-
erziehung, wann Eltern ihren Kindern von Jugend auf, ſo viel zu freſſen und
zu ſauffen geben, daß ihnen davon die Baͤuche zerboͤrſten moͤchten, weil dieſes
nicht auferzogen, ſondern in der That abſurd verzogen heiſſen kan, oder da
das Soͤhngen und Toͤchtergen nach ihrem naͤrriſchen Appetit zu allen Galan-
teri
en gewoͤhnet werden, welches etwa einen ſchlancken Leib, geſchickte Beine,
und ſonſt ein galantes Anſehen machen koͤnne, oder da es ſolchen Kindern gar
frey ſtehet nach ihrer eigenen Commoditæt zu leben wie ſie wollen. Daher ent-
ſtehet bey denen Soͤhnen das liederliche Leben, welches zuletzt verurſachet, daß
ſie entweder Soldaten, Oſt-Indien-Fahrer oder wohl gar Mauſe-Maͤrter ab-
geben muͤſſen; die Toͤchtergen aber gerathen, nach der galanten Art zu reden,
unter die Courteſier-Schweſtern. Man darff davon keine bekanten Exempel
anfuͤhren, weil ſie allzuverdrießlich klingen wuͤrden. Genug iſt es, daß viele
Eltern allzuſpaͤte, mit ihrem groͤſten Schaden, und unausbleibender Reue er-
fahren, wie die libertiniſche Auferziehung ihre Kinder um das zeitliche Gluͤ-
cke, Ehre und Renommée gebracht habe, ſo, daß ſie hernachmahls, auch als
verheyrathete Ehemaͤnner, ihre Haͤuſer ſtehen laſſen, aus der Stadt davon
lauffen, banquerout werden, und ihrer anſehnlichen und vornehmen Familie
einen ewigen Schand-Flecken Anhaͤngen.


Die Auferziehung, ob ſie gut oder boͤſe zu nennen ſeye? koͤnnen wir am
beſten aus derſelben Entzweck beurtheilen, welche eintzig und allein dahin gehen
ſoll, daß die Kraͤffte des Leibes im Wohlſtand erhalten, die Kraͤffte der See-
len aber mit guten Kuͤnſten und Wiſſenſchafften angefuͤllet werden moͤchten,
auf daß ſie, mit der Zeit tuͤchtige Werckzeuge des gemeinen Weſens werden
koͤn-
[181] koͤnten. Wie verkehrt aber die Leute in der Welt erzogen werden, das ſiehet
man gar deutlich an ihrer verkehrten Lebens-Art. Denn an ſtatt, daß ſie fleiſ-
ſig beten, und unermuͤdet ſtudieren und arbeiten ſolten, ſo gehen die jungen Her-
ren zumalen wann ſie brave Mutter-Pfennige haben, den gantzen Tag muͤßig,
und koͤnnen aͤrger als die Lands-Knechte fluchen, ja alle Teuffel und hundert
tauſend Sacramente ohne allem Anſtoß herbethen. Eine ſolche Auferziehung,
ob ſie ſchon nach der Mode vieler Leute, kan unmoͤglich einen erwuͤnſchten Effect
nach ſich ziehen, weil die jungen Kinder, in ihrer zarten Jugend insgemein
faulen, abſurden und ſuperſtitioſen alten Weibern, die man an einigen Orten
Muhmen zu nennen pfleget, anvertrauet werden, durch welche ſie dann, von
Jugend auf zur Wolluſt und naͤrriſchen Aberglauben angefuͤhret werden; oder,
wann es ja hoch kommt, ſo vertrauet man ſie nachgehends ſolchen Informato-
ribus,
die ſehr ſchlechte Stuͤmper ſeyn, von welchen ſie dann die Kunſt fruͤhe
zeitig zu raiſoniren und unvergleichlich aufzuſchneiden erlernen. Ich habe mit
Fleiß ein wenig oben, beym Mode educandi, den Leib unſerer vernuͤnfftigen
Seele vorgezogen, weil dieſes nicht allein der communis error in praxi iſt, da
ſich die jungen Faͤndgen, vor der Zeit eine gravitætiſche Mine, und einen au-
thoritæti
ſchen Gang angewoͤhnen, auch eher eine Menuet und Paſſepied tantzen
muͤſſen, als ſie den Verſtand excoliret, und ſich mit guten und nuͤtzlichen Wiſ-
ſenſchafftem gezieret haben. Solches bekraͤfftigten taͤglich ſehr viele Exem-
pel derer Studioſorum auf Univerſitæten, da ſie ſich am allererſten um einen
guten Tiſch, und luſtig-gelegene Stube bekuͤmmern, als daß ſie ſich vornehm-
lich bemuͤhen ſolten, zu erfahren, welcher Profeſſor, Doctor, Licentiat und Ma-
giſter,
die beſten und nuͤtzlichſten Collegia zu halten pflegen. Was nun al-
ſo die Kraͤffte unſeres Leibes entweder durch allzuuͤbermaͤßiges Schwelgen,
oder durch eine allzugroſſe Eigenſinnigkeit ruiniret, daſſelbe muß man voͤllig von
der rechten Art der Auferziehung removiren, weil es ſchnurſtracks wider den End-
zweck einer geſchickten Auferziehung laͤufft. Daher iſt es etwas recht ungereim-
tes, ja in der That was viehiſches zu nennen, wann etliche, auch von denen
Gelehrten ſagen: Ich eſſe und trincke was mir ſchmeckt, und leide dabey
was ich leiden ſoll und muß.
Denn dieſemnach waͤre es nicht noͤthig ge-
weſen, daß uns der weiſeſte Schoͤpffer eine Vernunfft eingepflantzet haͤtte,
nach welcher wir unſere Verrichtungen beurtheilen ſolten, ob ſie uns beym
Ausgang nuͤtzlich oder ſchaͤdlich ſeyn koͤnten. Auch ein Ochſe und Eſel friſſet
ſo lange, als er kan, und wann er endlich nicht mehr freſſen und ſauffen mag,
ſo hoͤrt er von ſich ſelbſten auf, weil ein ſolches unvernuͤnſſtiges Thier ehe nicht
Z 3wiſ-
[182] wiſſen kan, ob es genug gefreſſen hat, biß ihm das Futter an die Kaͤhle geſtie-
gen, ja ſo zu reden beym Ruͤſſel wieder hervor raget. Was aber die Kraͤffte
unſers Leibes conſerviret, oder daß ich ſo reden mag, in ſeinem baulichen We-
ſen erhaͤlt, und die edlen Gaben unſers Verſtandes entweder excoliret, oder
in einen gebeſſerten Zuſtand ſetzet, daſſelbe, gehoͤret alles zu der geſchickten Art
einer vernuͤnfftigen Auferziehung, weil wir dadurch die gemeinen Vorurtheile
vermeiden, auf unſere eigene Erkaͤnntniß gefuͤhret, und die Art, uns ſelbſt
alle Tage zu beſſern, gar leichte lernen koͤnnen. Dahero halte ich dieſes, nach
meinem wenigen Erachten, vor eine allgemeine Regel: Quod, qualis ſit mo-
dus educandi, talis quoque ſit modus vivendi;
das iſt: Wie einer erzogen
worden iſt, ſo pfleget er auch hernachmahls beſtaͤndig zu leben.


Man ſiehet ſolches ſonderlich an denen eigenſinnigen Grillen, und wun-
derlichen Koͤpffen, welche eine eintzige Fliege an der Wand beleidigen, und eine
eintzige Mine das gantze Concept wider aller Leute Vermuthen verruͤcken kan.
Fraget man, woher doch ſolches komme, und was wohl die eigentliche Urſa-
che einer ſolchen wunderlichen Conduite ſeyn mag? ſo iſt die Raiſon gar leich-
te zu geben, weil der Vater, oder der Præceptor, oder der Rector, eben ein
ſolcher wunderlicher Heiliger, als wie jetzo der Sohn geweſen iſt; wovon dann
der Sohn, oder der Diſcipul, ein ſolches eigenſinniges Weſen wider ſein Ver-
mercken nach und nach gelernet, und ſich halsſtarrig zu leben angewoͤhnet hat.
Dieweil uns aber, in der Auferziehung, entweder ein gutes oder boͤſes Exempel
zur Nachfolge, wie ich zuvor gemeldet, gegeben wird, ſo kan es unmoͤglich anders
kommen, als das verderbte Eltern und verderbte Præceptores, ihre Untergebene
noch mehr verderben muͤſſen; zumalen, da ein jeglicher Sohn und Schuͤler von
ſeinem Vater und Præceptor das falſche Concept heget, daß alles, was ſie
thaͤten, dieſelben nothwendig in praxi imitiren muͤſten.


Ehe ich mich noch von dem Vorurtheil der Auferziehung wende, ſo muß ich
noch einige handgreiffliche Irrthuͤmer anmercken, welche die Eltern insgemein
in der Auferziehung mit ihren Kindern zu begehen pflegen. Hieher gehoͤret
vornemlich der grobe Schnuͤtzer etlicher Eltern, da ſie vorgeben, daß ihre Kin-
der von Natur, und zwar im Mutterleibe, zu einem gewiſſen Studio vom
Himmel gleichſam prædeſtiniret worden waͤren. Sie ſchlieſſen gemeiniglich,
wann der Vater und Groß-Vater ein Paſtor paganus. Diaconus, Superinten-
dens, Advocatus
oder Medicus geweſen iſt, ſo haͤtte es auch ſeine unſtreitige
Richtigkeit, daß der Sohn ebenfalls ein Paſtor paganus, Diaconus, Superinten-
dens,
[183]dens, Advocatus und Medicus werden muͤſte; da doch vor allen Dingen, bey
dieſer einfaͤltigen Weiber-Prædeſtination, zu examiniren waͤre, ob dann der
Zweig, auf welchen dermaleinſt der gantze Stamm ruhen ſolte, ein vollkom-
menes Geſchicke und natuͤrliche Begierde zu dieſem Studio tractando haben
moͤchte. Denn wann ſolches noch vor der Geburt geſchiehet, und ſich von un-
gefehr zutruͤge, daß der zukuͤnfftige Sohn, ein fein douſes und ſtilles Tempe-
rament,
wie ſie insgemein die obtuſa Ingenia nennen, mit auf die Welt braͤch-
te, dergeſtalt, daß man mit dieſem guten Puͤrſchgen gantz gluͤcklich uͤber die
Mauren ſpringen, und an die Waͤnde lauffen koͤnte, ſo muͤſte wegen der naͤr-
riſchen und eingebildeten Prædeſtination folgen, daß der Himmel mit Fleiß ſol-
che Pecora Eccleſiæ \& Reipublicæ ſich vorbehalten haͤtte; welches dann abſurd
zu dencken, und noch viel abſurder zu behaupten ſeyn wuͤrde. Daher lobe ich
diejenigen Gelehrten, welche haben wollen, daß man einen Selectum Ingenio-
rum
in Erlernung derer Kuͤnſte und Wiſſenſchafften anſtellen ſolle, weil man als-
dann ſehen kan, ob ſich dieſer oder jener, zu dieſem oder jenem Studio ſchicket; zu-
mal wann man vorhero die Facultates Judicii, Ingenii \& Memoriæ genau exa-
mini
ret, und nach derſelben Force alle ſeine Informationes und Lectiones ein-
richtet.


Aber auch eine allzugelehrte Education taugt nichts, und ſolche beſtehet
darinnen, wann man die Kinder mit allzuvielen Lectionen uͤberhaͤuffet, derge-
ſtalt, daß ſie in einem Tage mehr als zehen unterſchiedene Buͤcher in die Hand
nehmen, und daraus etwas auswendig lernen muͤſſen. Aus ſolchen Kindern
werden gemeiniglich nichts anders als Pedanten und Contradictoriſche Feder-
Fechter. Ein dergleichen Gelehrter iſt meiſtentheis damit zufrieden, wann er
nur fein nach ſeiner Logique kuͤnſtliche Woͤrter, nach der Poëſie unnuͤtze Fa-
beln und kuͤnſtliche Verſe, nach der Diſputir-Kunſt kuͤnſtliche Syllogiſmos und
Barbariſche Modos, nach der Oratorie praͤchtige Woͤrter, nach der Moral bloſſe
Schein-Tugenden, nach der Phyſique lauter qualitates occultas, und nach
der Superphyſique abgelebte und abgedroſchene Diſtinctiones erlernet. In die-
ſen [falſchen] und eingebildeten Wiſſenſchafften gehet mancher, leider! auf Uni-
verſitæ
ten immer weiter, und dencket noch wohl, nach abſolvirten Studiis dar-
zu in ſeinem Hertzen Wunder, was vor Myſteria er verſchlucket und aufgefreſ-
ſen haͤtte. Dahero faͤnget er an in ſeinem Leben ſich ſingulier aufzufuͤhren,
bemuͤhet ſich allen Leuten zu widerſprechen, und die Gegner mit vielen wun-
derlichen und laͤcherlichen Inſtantien auf einmal ad multum abſurdum zu brin-
gen.
[184] gen. Mir gefaͤllt deswegen wohl, was der allgemeine Nachrichter derer Ge-
lehrten, Scioppius, von dieſer verkehrten Art derer Leute gar artig in ſeinem
Regenten-Spiegel urtheilet. Er ſpricht nehmlich: Wolte ich mich zu dem
Bauer auf das Land begeben, ſo finde ich da nichts als lauter Floͤhe
und Laͤuſe. Wolteich mich aber zu denen Gelehrten machen, ſo treffe
ich unter ihnen eine greuliche Menge Narren und
Pedanten an.Igitur
quorſum? ad Deum, quia ibi fons \& origo omnis boni deprehenditur
.


Nach der Auferziehung folget der Umgang ſowohl mit gelehrten als unge-
lehrten Leuten. Heut zu Tage nennet man es insgemein eine Conduite, welche um
ſo viel eher obſerviret werden muß, jemehr bekannt iſt, daß dieſelbe eine auſſeror-
dentliche Gelegenheit derer ſchaͤndlichſten und verderblichſten Vorurtheile ſeyn
koͤnne, auch vielmal in der That geweſen iſt. Denn indem wir uns bemuͤhen, de-
nen Sitten anderer Leute, welche uns in die Augen leuchten, nachzuaͤffen, ſo fol-
get, ſo viel daraus, daß wann wir mit Ehrgeitzigen, Geldgeitzigen, Verliebten,
Eigenſinnigen und Stoͤckiſchen umgehen, wir ſelber vielmals wider unſer Na-
turel
ehrgeitzig, verliebt, geldgeitzig, eigenſinnig und ſtoͤckiſch werden muͤſſen.
Sind aber die Leute mit welchen wir zu converſiren gewohnet ſind andaͤchtig,
bedaͤchtig, freygebig, beſcheiden, hoͤflich und artig, ſo bemuͤhen wir uns eben-
falls, im gemeinen Leben, andaͤchtig, bedaͤchtig, freygebig, beſcheiden, hoͤflich, und
artig, und von groſſem Nachdencken zu werden. Es haben dannenhero
die heutigen Politici nicht unrecht, wann ſie den gantzen Menſchen aus ſeiner
Auffuͤhrung beurtheilen wollen, weil doch ein jeglicher in der Conduite zeigen
muß, was er in der That verſtehe und gelernet habe. Fuͤhret fich nun einer
in ſeinem Leben ſaͤuiſch, unflaͤtiſch, oder wie ein Magiſter Suum und anderer
Stuͤcktoͤffel auf, ſo muͤſſen ihn auch alle geſcheite Leute vor einen unflaͤtigen,
ſaͤuiſchen und haͤßlichen Menſchen halten, wann er gleich darwider mit Haͤn-
den und Fuͤſſen ſtrampeln, ja ſich gar daruͤber die Krauße entzwey reiſſen wolte.
Dahero halte ich das Judicium jenes ſcharffſinnigen Philoſophi vor richtig, wann
er ſpricht: Halb ſtudirt, und eine guteConduite,hilfft durch die gantze
Welt.
Denn wann einer gleich gelehrter als Socrates, von Statur groͤſſer
als Goliath waͤre, mehrere Gedancken in ſeinen krummen Beinen als Archi-
medes
in ſeinem Kopff fuͤhrte, weit erſchrecklichere Metaphyſiſche Diſtinctio-
nes, pro \& contra Diviſiones
in ſeinem Gehirne, als etwa die alten Spittel-
Muͤttergen Floͤhe in ihren Lumpichten Peltzen hegte, ein weit graͤmiſchers und
tyranniſchers Geſichte als der bucklichte Ariſtoteles, und der breitſchultrichte
Fecht-
[185] Fechtmeiſter Plato machte; ſo glaube ich dennoch, daß wenn er auch alle dieſe un-
vergleichlichen Qualitæten im hoͤchſten Grad beſaͤße und keine galante Conduite
von ſich ſpuͤren ließe, er dennoch unter die Schulfuͤchſe und Ertz-Pedanten ge-
rechnet werden wuͤrde. Doch beſtehet die Conduite nicht in eigener Phantaſie
und naͤrriſcher Einbildung, wie ſich manche ſonderliche und eigenſinnige
Narren es ſo traͤumen laſſen wollen, weil auf dieſe Weiſe auch der Harlequin
auf dem Theatro, wann er agiret, und bißweilen die Hoſen herunter ziehet,
oder ſonſt haͤßliche Aſpecten formiren wolte, ebenfals eine galante Conduite
haben wuͤrde. Au contraire, das Fundament einer guten Auffuͤhrung beruhet
hierauf, daß ſie mit denen Sitten geſchickter Voͤlcker, und vornemlich mit dem
Judicio geſcheuter Leute uͤberein kommen muß. Von einem jungen und hi-
tzigen Studenten iſt bekannt, was er ehemals einem vornehmen Profeſſori
auf einer gewiſſen Univerſitæt opponiret hat, da er durchaus behaupten wol-
len, daß die Conduite in nichts anders, als in des Menſchen ſeiner eigenen
Einbildung beſtuͤnde. Wie nun der geſchickte Profeſſor voraus geſehen, daß
er bey dieſem, vom Vorurtheil der Halsſtarrigkeit und Eigenliebe beſeſſenen,
Studioſulo mit vielem gruͤndlichen Beweiß nichts ausrichten wuͤrde, ſo hat er
ihm endlich per deductionem ad abſurdum zur Antwort gegeben: Mein lie-
ber Herr! Wann die Auffuͤhrung, nach ſeiner Meynung, in einer bloſ-
ſen
Phantaſieund Einbildung beſtehen ſolte, ſo wolte ich ihm rathen,
daß er ſich jetzo, zumalen da es Marcktag iſt, gantz fingernackigt aus-
ziehen, den
Podexſchwartz faͤrben, und hernach diePoſterioramit fei-
nen gelben Zwecken beſchlagen ließe, und in ſolcher
Poſiturſporen-
ſtreichs auf den Marckt loß marſchirte. Wann nun die Leute ihn in
dieſer abendtheuerlichen
Poſiturſaͤhen, ſo wuͤrden ſie nach der Ver-
nunfft, und dem aͤuſſerlichen Anſehen, nicht anders ſchlieſſen und ſa-
gen koͤnnen, als: Dieſer Menſch iſt entweder klug, oder ein Narr
und toller Eulenſpiegel.
Klug kan er unmoͤglich ſeyn, weil er ſich nicht
nach dem
Juditiokluger Leute, und dererſelben erbaren Sitten und
Auffuͤhrung
reguliret. Alſo mag er wohl in der That ein toller Eulen-
ſpiegel heiſſen, und es mag zu vielen Zeiten, abſonderlich bey heiſſen
Tagen, nicht gar zu richtig bey ihm in dem Oberſtuͤbgen ausſehen.
Darwider mag er nun ſtrampeln und
diſputiren wie er will, fuhr der
HerrProfeſſorfort, ſo wird er doch dieſe letztereIdéendenen geſcheu-
ten Leuten nicht aus dem Gehirne bringen koͤnnen.
Hiermit nun iſt die
Comœdie und das hitzige diſputiren auf einmal ausgeweſen, und der gute Stu-
A aden-
[186] dente, wie jener Hund, welchem man den Schwantz wider Vermuthen abge-
hacket, gantz betruͤbt nach Hauſe gegangen.


Auch wird zu einer rechtſchaffenen und vertrauten Auffuͤhrung vornemlich
Communicatio rerum \& verborum erfordert, d. i. es muß ein guter Freund
dem andern in zweiffelhafften Sachen aufrichtig rathen, in ſchweren Dingen
realiter helffen, in widerwaͤrtigen Sachen aber nachdruͤcklich und nach Vermoͤ-
gen troͤſten, weil der Zweck einer aufrichtigen Converſation dahin gehen ſolle,
daß man nicht allein eine wahre Freundſchafft auf ein Jahr und etliche Wo-
chen einzugehen ſuche, ſondern auch dieſelbe ſo lange als man lebet auf die moͤg-
lichſte Art und Weiſe zu erhalten trachte. Dahero iſt dieſes eine rechte Schma-
rotzer-Conduite, wann etliche Sauff-Bruͤder in der Converſation gegen einan-
der ſagen: Ich bin des Herrn ſein ſchuldigſter, ſein gantz ergebenſter,
und
(ô Judicium) ſein unterthaͤnigſter Diener. Der Herr gebe mir nur
Gelegenheit an die Hand, womit ich ihm dienen koͤnne. Allein wann die
Noth an Mann gehet, und die Ochſen, ſo zu reden am Berge ſtehen, ſo iſt weder
der ergebenſte, weder der ſchuldigſte, noch der unterthaͤnigſte Diener zu Hauſe.
Da heiſt es wohl recht nach dem bekannten Vers: Donec eris felix, multos
numerabis amicos; tempora ſi fuerint nubila, ſolus eris.
; das iſt: So lan-
ge als du gluͤcklich biſt, wirſt du viele gute Freunde zehlen koͤnnen; dich
aber gantz allein befinden, daferne betruͤbte Zeiten einfallen.
Ich ha-
be dieſe Materie von der Conduite allhier mit Fleiß etwas weitlaͤufftig und
nachdruͤcklich anfuͤhren wollen, weil nicht allein die meiſten und gemeinſten
Fehler in der Converſation begangen, ſondern auch die liederlichſten und
leichtfertigſten Voͤgel und Sau-Maͤgen in dem gemeinen Umgang meiſtentheils
als Compagnons, erzehlet werden, von welchen man nichts als Zotten und
Poſſen, luſtige Raͤncke und leichtfertige Tuͤcken, nicht aber etwas geſcheutes
und nuͤtzliches erlernen kan.


Noch eine Urſache, welche endlich bey dem Menſchen viele wunderliche
und unnuͤtze Principia erwecket, auch die einmal eingeſogenen Meynungen in
ihrem Eſſe gleichſam conſerviret, iſt die alte und boͤſe Gewohnheit, daß die
einmahl von vielen Vorurtheilen bezauberten Menſchen ſich nicht beſſern, ob
ſie gleich die groͤſte Raiſon haͤtten, ſich in der Zeit viel kluͤger und geſcheuter
aufzufuͤhren. Es iſt aber das Vorurtheil der boͤſen Gewohnheit nichts an-
ders, als ein eingewurtzelter Fehler des verkehrten Willens, da die Leute in
ihrem
[187] ihrem boͤſen Leben fortfahren wollen, als wie ſie vor 10. und 20. Jahren ange-
fangen haben. Wann man z. E. fragt: Wie kommt es doch, daß dieſer
und jener Studente, dieſer und jener Kauff- und Handwercksmann,
den gantzen Tag nichts thut, als daß er die Steine auf der Gaſſen
zehlet, die Leute in
Fenſtern beſiehet und richtet, ſich auf denen Doͤrf-
fern vom Morgen biß in die Nacht, oder auch wohl acht und vier-
zehen Tage hinter einander, ohne nach
Hauſe zu kommen, im Luder
herum weltzet, mit dem
Frauenzimmer in Gaͤrtenconverſiret, mit ih-
nen ein
Lombergenſpielet, alsdann ein KoͤppgenCafféeoben drauf ſetzet,
und wann alles dieſes geendiget, zwar ſehr vertraute, aber zu gleicher
Zeit recht tolle und liederliche
Diſcurſefuͤhret? ſo wird man gleich von
denen meiſten Leuten die Antwort bekommen; Ach der liederliche Vogel iſt
vor 6. und [7]. Jahren nicht anders geweſen, wird auch ein Bruder Sauff-
aus und
Huren-Teuffel bleiben, ſo lange er espræſtiren kan. Ja, fah-
ren die Leute ferner fort, er wird das liederliche Leben nicht eher laſſen,
biß er das bißgen Guth ſeiner Eltern wird voͤllig durch die Gurgel ge-
jaget haben. Alsdann wird er, wie es alle andere Schelme zu ma-
chen pflegen, zur Stadt und zum Lande hinaus lauffen, und zu guter
letzt noch einmal Juchhe! ſchreyen.


Die Moraliſten nun nennen mit Recht eine ſolche pravam conſuetudinem
alterum diabolum,
weil dadurch die leichtfertigen Menſchen in ihrem Vorur-
theil der Hartnaͤckigkeit verſtaͤrcket, und endlich faſt auf keinerley Art und
Weiſe gebeſſert werden koͤnnen. Denn weil ein ſolches Vorurtheil der boͤſen
Gewohnheit habitum peccandi induciret, deteſtandam vivendi licentiam
mit ſich fuͤhret, ſo iſt auch nachgehends bey einem ſolchem elenden, und biß in
den aͤuſſerſten Grad verdorbenen Menſchen, wie die Teutſchen ſonſt im Sprich-
wort zu reden pflegen, Hopffen und Maltz verlohren. Hieher gehoͤret
abſonderlich die unverantwortlichen Expreſſiones derer Philoſophorum Ari-
ſtotelicorum,
wann ſie aus einer vorgefaſten Meynung der Hartnaͤckigkeit,
und alter boͤſen Gewohnheit ſagen, ſie koͤnten doch nicht von der Mey-
nung ihres
Groß Vaters desAriſtotelislaſſen, wann gleich andere toll
und thoͤricht daruͤber werden ſolten.


Es iſt dannenhero das gemeine Sprichwort gar richtig, wann man ſa-
get; Conſuetudo eſt altera natura, oder, wie der Poët ſinget: Naturam expel-
A a 2las
[188]las furca, tamen usque recurret. Man kan dieſes auch vornehmlich an dem
Exempel vieler bekannten Nationen abnehmen, da ſonderlich Handwercks-
und gemeine Leute dieſen und jenen Handwercks-Purſchen, welcher ſich aus
dieſer und jener Stadt zu nennen pfleget, nach ihrem eigenen Geſtaͤndniß nicht
gerne Arbeit geben wollen, weil ſie aus der verkehrten Gewohnheit ſolcher
Stadt gar wohl wiſſen, daß ſie mehr verſchwelgen als erwerben, mehr zur ver-
geblichen Galanterie und unnoͤthigen Putz, von Jugend auf, als zur noͤthigen
Arbeit angefuͤhret worden ſind. Alſo pflegen die paar tauſend Thaͤlergen,
welche etwa die Eltern verlaſſen, insgemein uͤber zwey Jahre nicht zu dauren,
weil ſie das bisgen Patrimonium entweder verſauffen, verreithen, verfahren,
oder mit verfuͤhrten Nymphen durchbringen. Deswegen iſt es auch kein
Wunder, wann vielmals gantze Familien, und vornehme Geſchlechter in die
aͤuſſerſte Armuth gerathen, ſo daß ſie nachgehends Subſidien-Gelder, oder beſ-
ſer zu ſagen, Allmoſen hier und da genieſſen, und das Gnaden-Brod biß an
ihr Ende zu ſich nehmen muͤſſen, weil ſie, nach ihrer verkehrten Art zu leben,
Meiſter an ihrem eigenen Ungluͤck geweſen ſind. Denn daß hernachmals ſol-
che liederiiche Leute einwenden und ſagen wollen, dieſes waͤre ein großes
Malheurzu nennen, und vor einFatum inevitabilezu achten, ſo halte ich
dieſes in der That vor etwas unchriſtliches und heydniſches, weil ja GOtt
niemals verbunden iſt, einen ſolchem liederlichen Vogel und Banqueroutma-
cher die Ducaten wiederum Hauffenweiſe ins Haus regnen zu laſſen. Denn
wann ſolche unerſaͤttliche Schmauß-Bruͤder und muͤßige Tag-Diebe, ihr
bißgen Vermoͤgen etwas genauer uͤberlegen, ihre Einnahm und Ausgabe mit
einander conferirten, und von ihren vergangenen Schmauſerey auf ein zu-
kuͤnfftiges vernuͤnfftiges Leben gedaͤchten, ſo wuͤrden ſie ohne groſſes Kopff-
Brechen, gar leichte ausrechnen koͤnnen, daß bey einer ſolchen blanquen Le-
bens-Art nicht allein Haͤuſer, Guͤther und Lehn-Guͤther, ſondern gar Staͤdte
und Laͤnder, in ſehr kurtzer Zeit verfreſſen und verſoffen werden koͤnten.


Mancher hat ein geringes Vermoͤgen, verſtudieret es, lernet auch davor
in der That etwas rechtſchaffenes, und kan gleichwohl nicht fort, noch zu et-
was kommen, ſondern bleibet, weit dahinden ſitzen. Solches ruͤhrer guten
Theils daher, weil die Aemter derer Profeſſorum auf Univerſitæten zu unſern
Zeiten faſt meiſtens erblich worden. Hieraus aber erwaͤchſet vor das gelehrte
Weſen noch ein anderer groſſer Nachtheil. Denn dasjenige, was der ver-
ſtorbene Herr Profeſſor ſeinem Sohn im Manuſeript, als ein Heiligthum und
My-
[189]Myſterium hinterlaſſen, ob es ſchon lauter Vorurtheile und Irrthuͤmer ſind;
communiciret der Sohn oder Schwieger-Sohn hernachmahls in ſeinem Col-
legio
ſeinen Herrn Auditoribus cum Elegio excellentiſſimi Dn. Parentis \&c.
dicti
ret es auch in calamum, oder in die Feder, damit ja die herrlichen Dogma-
ta
ſeines Vaters, Groß-Vaters und Ur-Groß-Vaters, oder Schwieger-Va-
ters, nicht in der Aſche vermodern, noch von dem Roſt der Zeit ſo ſchaͤndlich
verzehret werden moͤchten. O zu wuͤnſchen waͤre dannenhero, daß jederzeit
tuͤchtige Subjecta zu denen vacanten Profeſſionen, nach dem Wachsthum derer
Diſciplinen, nicht erkaufft, nicht ererbt, nicht erheyrathet, ſondern, legitimo mo-
do vocirt
wuͤrden, damit allemal etwas tuͤchtiges auf Univerſitæten geleſen, die
Studenten geſchickter in ihrem Scibili unterrichtet, und manche Magiſtri Phi-
loſophiæ
nicht ewige Schuͤler von der wahren Weißheit bleiben moͤchten.


Es giebt aber wenig, die ſich in ihren Vorurtheilen beſſern, und von ih-
rer Halsſtarrigkeit ablaſſen. Auch von ſolchen wenigen pflegen es die meiſten
nicht eher zu thun, biß es ihnen in der Welt, und in ihren Aemtern, nicht recht
nach Wunſch gehen will. Da heiſt es dann, wie David ſaget: Herr! Wann
Truͤbſal da iſt, ſo ſuchet man dich, und wann du ſie zuͤchtigeſt, ſo ruf-
fen ſie aͤngſtlich.
Denn wann endlich ſolche elende Leute in praxi erfahren,
daß ſie mit ihren Præjudiciis und wunderlichen Grillen nicht weiter fortkom-
men koͤnnen, ſondern bey verſtaͤndigen nur immer ein Gelaͤchter uͤber das an-
dere verurſachen, ſo kommen ſie zuletzt zu ihrer ſelbſt-eigenen Erkaͤnntniß, und
fangen an, denen alten Weiber-Præjudiciis gute nacht zu ſagen. Solches be-
ſtaͤrcken die Exempel einiger Philoſophorum, die zu unſern Zeiten aus Ariſtote-
li
ſchen Grillenfaͤngern in Electiſche Welt-Weiſe, wider aller Leute Vermu-
then, und zu jedermans Verwunderung, in ihren alten Tagen metamorpho-
fi
ret worden ſind. Alſo hat auch bißweilen Oratio, Meditatio, \& Tentatio
groſſe und alte Prediger in ihren Aemtern erſt zu rechten Ober-Hof-Predi-
gern und GOttes-Gelehrten gemachet, welche in ihren academiſchen Jahren, als
Studenten, ſich bey ihren Præceptis Homileticis Hülſemanni \&c. beredter als
Ambroſius, gelehrter als Auguſtinus, erfahrner als Lutherus geduͤncket ha-
ben; ob ſie gleich niemals bey ihrer ſyſtematiſchen Cognition ein Fuͤncklein ei-
ner geiſtlichen Erfahrung empfinden koͤnnen. Von denen Herren Juriſten
und Juris utriusque Practicis \& Pragmaticis iſt zur Gnuͤge bekannt, daß ſie in
ihrer guͤldenen Praxi alle Tage noch lernen, und mancher in ſeinem ungeſchickten
Libelliren oͤffters erfahren muß, daß ſie das Pfloͤckgen in libellando bey wei-
A a 3tem
[190] tem noch nicht getroffen, dahero ſie ſich genoͤthiget befinden, von ihrem Carpzov,
Brunnemann, Fiebigen,
Schwendendoͤrffern,Nicolai und Martini Proceſſ
und andern alten angeſchafften Troͤſtern abzugehen, auf die Naturam actionis
beſſer zu dencken, und die Naſe etwas tieffer, als ſonſten geſchehen iſt, in das
Corpus Juris Civilis und jura conſtituta zu ſtecken, damit ſie nicht die ar-
men Clienten in unverantwortliche Expenſen bringen, und in ewige Proceſſe
verwickeln moͤgen.


Eine gute und kluge Conduite liegt mir unterdeſſen immer in Sinn, da
ich dieſes ſchreibe, und ich will ſie allen und jeden, ſo ſich denen Studiis wid-
men, nochmals auf das beſte recommendiret haben. Denn es bleibt dabey,
daß diejenigen unter die Zahl derer Pedanten zu ſetzen, welche zwar etwas ſo-
lides
in denen Wiſſenſchafften, zu welchen ſie ſich bekennen, gelernet haben,
hingegen aber, in der aͤuſſerlichen Auffuͤhrung nicht die geringſte Politeſſe und
Artigkeit weder gegen Hohe, noch gegen Niedrige, noch gegen ihres gleichen
zeigen koͤnnen, oder zum wenigſten eine ſolche Singularitæt und ſcrupulöſe
Condui
te in Eſſen und Trincken, in Kleidern, im Gehen, ins beſondere aber
in ſpitzigen Peruquen, curieuſen Schuhen und Abſaͤtzen, beſondern Gevatter-
Krauſen, und langen Hand-Gebraͤmen angenommen, ſo daß man gleich aus
dem ſpitzigen Geſichte, zuſammen geruntzelter Stirne, und zuſammen geſpitz-
ten Maͤulgen, einen Miſteriarcham Muſarum Chemicarum Trismegiſtum \&
Philoſophum Paradoxum,
abnehmen kan. Nicht laͤcherlicher aber laͤſſet es,
als wann ſolche Pedanten die Stuben, und mit denenſelben ihre Idéen ſo ver-
rammeln und verketteln, daß Niemand zu ihnen hinnein, und hingegen ſie
zu Niemanden wieder heraus kommen koͤnnen. Ja wann etwa, wider Ver-
muthen, einer und der andere, durch Klopffen und Pochen, ihre gefaſten
Idéen, durch Contra-Idéen zerſtoͤret und verwirret, ſo pflegen ſie nicht an-
ders, als ein toller Diogenes Cynicus aus ihrer hoͤltzernen Zelle mit dem groͤ-
ſten Ungeſtuͤmen heraus zu fahren, mit Haͤnden und Fuͤſſen zu ſtrampeln, und
ein ſolches erſchreckliches Erdbeben und Lermen im Hauſſe anzufangen, gleich
als ob dadurch des Heil. Roͤmiſchen-Reichs TeutſcherNationen angeſetz-
ter Reichs-Tag, durch den Einfall derer Frantzoſen, voͤllig turbiret und auf-
gehoben worden waͤre. Uber eine ſolche naͤrriſche Conduite nun, muß ſich die
gantze vernuͤnfftige Welt allerdings moquiren.


Fuͤnffte
[191]

Fuͤnffte Abhandlung.


BEy der fuͤnfften Abhandlung und dem Beſchluß dieſes Tractats habe
ich gleich zu voraus erinnern ſollen, daß gleichwie ſie ohne diß eine
Zugabe iſt, welche das Werck etwas ſtaͤrcker machet, als es nach
dem erſten Entwurff haͤtte werden ſollen; alſo ich mich an mein in der Vor-
rede
gethanes Verſprechen, daß ich Niemanden nennen wolte, nicht ſo gar ge-
nau binden werde. Es ſind aber auch diejenigen Perſonen, von denen ich
etwas laͤcherliches anfuͤhren, und ihren Namen dabey melden werde, meines
Wiſſens ſchon alle todt, und im uͤbrigen gemeiniglich ſolche Maͤnner gewe-
ſen, die bey ihrem Leben anderer vortrefflichen Gelehrten gar nicht geſchohnet,
ſondern bald dieſen bald jenen uͤber die Banck gezogen, und gantz unbarmher-
tzig tractirer haben.


Von Carolo Patino erzehlet man, daß als ſich ſelbiger zu Baſel bey ei-
nem Medico aufgehalten, habe er ungefehr deſſelben Sohn, einen jungen
Studioſum Medicinæ gefraget, wie viel Theile der Artzney-Kunſt waͤren?
Da nun dieſer der gemeinen Ordnung nach geantwortet, Viere, nemlich die
Phyſiologie, Pathologie, Semeiotica und Therapevtica, ſo hat Patinus den
fuͤnfften Theil, welchen er zugleich vor den vornemſten ausgegeben, nem-
lich die Marckt-Schreyerey und Charlatans-Griffe hinzugeſetzet, weil der-
jenige, ſo dieſe nicht verſtuͤnde, nimmermehr den Namen eines geuͤbten Me-
dici
verdienen koͤnne. Und zwar hat Patinus nicht uͤbel geurtheilet. Denn de-
rer Herumlaͤuffer und Marckt-Schreyer nicht einmal zu gedencken, welche auf
oͤffentlichen Straſſen und Gaſſen auf ihre Geruͤſte treten, damit ſie den Poͤbel
betruͤgen, und ihm Ziegel-Staub vor goldene Pulver verkauffen moͤgen; ſo
frage ich, wie viel wohl auch ſogenannte rechte Medici ſeynd, welche nicht allent-
halben ein groſſes Seht ihr meine Herren! ausſchreyen, und von ihren Seel-
und Lebens-Kraͤffte bringenden Hertz-Staͤrckungen Groß- und Klein-
Welt-Geiſteriſchen Saͤfften, Indianiſchen Wunder-Oelen, hochhei-
ligen Paracelſiſtiſchen
Panacéen,unſchaͤtzbaren Gold-Traͤncken Se-
raphiniſchen Ladwergen, Sieben und ſiebentzigerley Pulvern, GOttes
Wunder Guͤte [p]reißenden Otter-Schmaltze,
und weiß nicht wie viel
hundert andern dergieichen, mit vielen fuͤrchterlichen Arabiſchen, und Abra-
Cadabtiſchen Benennungen
ausſtaffirten Huͤlffs-Mitteln groſſes Weſen
ma-
[192] machen. Denn Abra-Catabra iſt ein aberglaͤubiges Wort, von dem man
ſaget, daß wann es nach einer gewiſſen Art, auf einen Zeddel geſchrieben, und
als ein Amulet um den Hals gehangen wird, daſſelbe eine magiſche Krafft zur
Vertreibung derer Kranckheiten in ſich fuͤhren ſolle.


Allein dergleichen Marcktſchreyerey findet ſich in der Wahrheit nicht
nur bey denen Medicis, ſondern man trifft allenthalben unter denen Gelehrten
ſolche liebe Herren an, welche meynen, daß ſie biß in den dritten Himmel erha-
ben ſeynd, wann ihre matte Seele denjenigen Ruhm, wornach ſie lange Zeit
geſchnappet hat, wie ein Fiſch nach dem friſchen Waſſer, nunmehro allmaͤhlig
zu erlangen anfaͤnget.


Gleichwie nun die Marcktſchreyer ihre ſchoͤnen Privilegia und herrlichen
Zeugniſſe allenthalben auszubreiten pflegen; alſo findet man unter denen Ge-
lehrten nicht wenige, die ihren groͤſten Ruhm und Vergnuͤgen in neuen wohl-
ausgekuͤnſtelten Ehren-Titeln ſuchen. In Spanien ſind die Ertz-Welt-
und Ertz-Geſchichtſchreiber, nebſt denen Ertz- und Ober-Mathematicis
nicht unbekannt, und welche dieſe treffliche Benennungen von dem Koͤnig er-
langet haben, die muͤſten nothwendig in der Hiſtorie,Mathematic und andern
dergleichen Wiſſenſchafften en chef commandiren.


Die Italiaͤner errichten gelehrte Geſellſchafften, und trachen ſolche
durch allerhand ſeltſame und laͤcherliche Namen beruͤhmt zu machen, wie da
ſind die Argonauten, Seraphiner, Hoch erhabenen, Entbrannten;Olym-
phi
ſchen, Jungfraͤulichen, Eingethronten; wie nicht weniger die Dunck-
len, Unreifen, Unfruchtbaren, Hartnaͤckigen, Verfinſterten, Muͤßi-
gen, Verſchlaffenen, Untuͤchtigen,
und Phantaſtiſchen. Ja einige von
beſagten Italiaͤnern ſind ſo gar gewohnt ihre eigene Namen zu veraͤndern.
Alſo haben vornemlich zur Zeit PabſtsPauli II. Majoragius und andere, nach
dem Beyſpiel des Pomponius Lætus, ihre Geburts-Namen abgeleget, weil
ihnen ſolche allzuneu geſchienen, und davor alte Roͤmiſche angenommen.
Aber, daß ich wieder auf die Titel komme, ſo muß ich hier derer zwey verbitter-
ten Feinde des Julius Cæſar Scaligers, und des ſchon in der vorigen Abhand-
lung erwehnten Caſpar Scioppius, oder Schoppius, nicht vergeſſen. Denn
jener hat, durch vielfaͤltig eingeholte, und mit groſſer Muͤhe zuſammen ge-
brachte
[193] brachte Academiſche Reſponſa beweiſen wollen, daß er aus dem Fuͤrſtlichen
Geſchlechte
derer von Scala zu Verona entſproſſen ſeye, und hat ſich zugleich
hochtrabender gelehrter Titel angemaſſet. Dieſer aber, nachdem er ſeine
hochadeliche Herkunfft gleichfalls durch endlich abgehoͤrte Zeugen bekraͤffti-
gen laſſen, gebrauchte ſich ordentlicher Weiſe folgenden Titels: Caſpar
Schoppius,RoͤmiſcherPatricius,Ritter des Heil.Petri, Kayſerlicher,
wie auch Koͤniglich-Spaniſcher, und Ertz-Hertzoglich-Oeſterreichiſcher
Rath, Pfaltzgraf, und Graf von
Clartvalle.


Uber unſerer gelehrten Vorfahren greulichen Hochmuth muß man ſich bil-
lig wundern, als welche die praͤchtigen Beywoͤrter, Durchlauchtig,Excel-
len
tz, Hochberuͤhmt, Hochanſehnlich, womit man ehemahls nur Fuͤrſten
und Koͤnige, oder, wann es weit kam, Roͤmiſche Raths-Herren zu beehren
pflegte, auf die Schul-Leute gebracht, haben. Indeſſen ſiehet man heut zu
Tage, daß viele wollen Hochberuͤhmt heiſſen, welche doch kaum 20. Schrit-
te hinter ihrer Mauer bekannt ſind. Andere nennen ſich Viel vermoͤgend,
die in ihrem eigenen Hauſe wenig oder nichts zu ſprechen haben. Wieder an-
dere Hocherfahren und Hochgelehrt, die ſich kaum ſelbſt zu helffen wiſſen.
Und endlich ſchreyet man viele gar vor Unvergleichlich aus, denen ſich, mit
gutem Recht, mancher Schul-Knabe in der Wiſſenſchafft nicht nur vergleichen,
ſondern vielleicht ziemlich weit vorziehen koͤnte.


Wir wiſſen, daß der Roͤmiſche Kayſer,Carolus Magnus, in der Uber-
ſchrifft ſeines Buches, welches er von Verehrung derer Bilder wider die
Grichen ſolle geſchrieben haben, mit dem Ehren Nahmen eines vortreffli-
chen
und anſehnlichen Mannes,Excellentis \& Spectabilis Viri, iſt beleget
worden. Aber wer iſt wohl heute unter denen Gelehrten ſo geringe, welchem
nicht duͤncke, ob gebuͤhrten ihm dieſe Bey-Worte mit Recht? und man wuͤr-
de, zu unſerer Zeit, denjenigen vor ſehr einfaͤltig halten, welcher, wie ehemahls
Boulliau bey denen Pohlacken, den Titel IhroExcellentz nicht annehmen
wolte. Ja, gleich anfangs, da die Gelehrſamkeit ſich kaum wieder etwas aus
dem Staube erhoben, war doch dieſer Ehrgeitz und Titel-Sucht ſchon ſo
groß, daß es nicht an Leuten gefehlet, welche den Juriſten Bartolum, gleich als
waͤre er ein neues Ober-Haupt der politenWelt, den Allerunuͤberwuͤnd-
lichſten
genannt haben. Und man ſehe die Lobſpruͤche an, womit die Scho-
laſti
ſchen Lehrer ſind beleget worden, indem man ſie bald, vor Engliſche
B bbald
[194] bald vor Seraphiniſche, bald wieder vor Hoͤchſt-ſpitzfindige, Hocherleuch-
tete; Wunderbare, Allgemeine, Tief-gegruͤndeſte, Allzeit-fertige Mei-
ſter
und Doctores ausgeſchrien hat. So iſt auch dieſes wohl vor andern merck-
wuͤrdig, was der vortreffliche Rath und Profeſſor zu Leipzig, Herr Johann
Burckhart Mencke,
in ſeiner gelehrten Charlatanerie, woraus ich verſchiede-
ne Dinge gezogen, die allhier in dieſer fuͤnfften Abhandlung mit vorkommen,
von Magiſt.Hanns Segern, einem gecroͤnten Poëten und Rector bey der
Stad-Schule zu Wittenberg erzehlet. Dieſer hatte, ſolcher Erzehlung zu Fol-
ge, den gecrentzigten Heyland, auf einem Kupffer abbilden laſſen, welchen
er (nemlich der unterm Creutze ſtehende Seger mit folgenden, aus ſeinem
Munde gehenden, Worten kurtz und gut anredete: Mein HErr JEſu!
Liebeſt du mich?
worauf der Heyland, mit einem weitlaͤufftigen Compliment,
vom Creutz herunter antwortete: Ja, Hochberuͤhmter vortrefflicher und
wohlgelahrter Herr
MagiſterSeger, gecroͤnter KayſerlicherPoët,und
Hochwohlverdienter
Rectorder Wittenbergiſchen Schule, ich liebe dich.


Aus einem gantz greulichen gelehrten Stoltz und Ubermuth, hat man
auch den hochtrabenden Namen eines Panſophi, das iſt, Allwiſſenden Gelehrten
aufgebracht, deſſen ſich diejenigen bedienen, welche, um ihres Nutzens willen,
denen Zuhoͤrern alle Geheimniſſe und Schwierigkeiten in der Philoſophi aufzuloͤ-
ſen verſprechen; da ſie doch kaum ein mager und ausgeriptes Stuͤcke der Welt-
Weißheit recht durchzugehen vermoͤgend ſeynd. Dannenhero klaget der Herr
Lilienthal in ſeinem Werckgen von der Machiavelliſterey derer Gelehrten,
pag. 96. mit folgenden Worten daruͤber: Unter diejenigen Narren ſpricht
er, welche die unverdiente Ehre durch viele Verſprechungen zu erlan-
gen trachten, gehoͤren auch diejenigen, die auf
Univerſitæten Collegia
Panſophica
anſchlagen, worinnen ſie die Weißheit alle auf einmahl
lehren wollen. Denn es ſind viele gewohnt, durch ſolche prahleriſche
Titel, die unvorſichtige Jugend zu betruͤgen, und um das Geld zu brin-
gen; aber das iſt in Wahrheit eine groſſe Raſerey. Denn was koͤnte
wohl boßhaffter ſeyn, als ſich GOtt, der allein alles weiß, gleich ſtel-
len wollen; und wie thoͤricht iſt es nicht ſich deſſen zu ruͤhmen, das
auf der gantzen Welt nicht zu finden iſt? Wie elend iſt doch dieſe All-
wiſſenheit beſtellet, welche in der That aufs hoͤchſte kaum ſechs Wiſ-
ſenſchafften in ſich haͤlt? Es muͤſſen wohl, wo ich mich nicht ſehr irre,
ſo wohl die alten als neuen
Philoſophiſehr einfaͤltige und langſame
Koͤpffe
[195] Koͤpffe geweſen ſeyn, daß ſie die gantze Zeit ihres Lebens auf die
Weißbeit gewendet, welche doch unſere
Panſophider Jugend gar
leicht in einem eintzigen Jahre beybringen koͤnnen.
Auch Morhoff im
1. Cap. des 1ten B. §. 24. ſeines Poly hiſtoris urtheilet, daß man dieſe Unbeſon-
nenheit durch oͤffentliche Geſetze im Zaum halten ſolle, indem dadurch denen
Lehrern ein offener Weg zur Unwiſſenheit gebahnet, alle rechtſchaffene Gelehr-
ſamkeit ausgerottet, und ſowohl in die Schulen als Raths-Haͤuſer lauter un-
reiffe Wiſſenſchafften eingefuͤhret wuͤrden, da man an ſtatt erfahrner Weltwei-
ſen, eitel unzeitige und ausgerathene Nach-Beter einiger unverſtaͤndlichen Kunſt-
Woͤrter, ja mit einem Wort, an ſtatt rechtſchaffener braver Maͤnner nichts
als Oel-Goͤtzen und Maul-Affen zu unſerer hoͤchſten Schande empor kom-
men ſaͤhe.


Von denen Lulliſten, und abſonderlich von einem ſogenannten Kuhl-
mann
iſt bekannt, daß er verſprochen, er wolle die tuͤmmſten und aller Dinge
unerfahrnen Koͤpffe, durch eine eintzige Schrifft geſchickt machen, ſtehenden
Fußes von allen Dingen in der Welt, in gebundener und ungebundener Re-
de, ſo hurtig, verſtaͤndig und zieriich zu handeln, daß man ſolches mit Er-
ſtaunen wuͤrde anſehen muͤſſen. Ja ſie ſolten mit ſehr leichter Muͤhe neue, nutz-
liche und mit vielen erſprießlichen Dingen angefuͤllete Buͤcher ſchreiben.


Von Peter von Montmaur, der zu Paris, unterm KoͤnigLudovico
XIII. Profeſſor
der Griechiſchen Sprache geweſen, finden wir aufgezeignet,
daß er einſtmahls einen Zeddel angeſchlagen, welcher alſo gelautet:


Mit GOtt! Peter vonMontmaur,KoͤniglicherProfeſſorder Griechi-
ſchen Sprache, wird die, mit vieler verſteckten
Gelebrſamkeit angefuͤlle-
ten,
GloſſendesHeſychiusoͤffentlich zu betrachten und zu genieſſen vor-
legen, auch ihre Vortrefflichkeit in denen außerleſenſten Erklaͤrungen
kund machen; ferner mit feſten Gruͤnden, in der Vorrede beweiſen,
daß der
Autorvon der ChriſtlichenReligionnicht ſey entfernt geweſen.
Denen ſchweren Worten wird er eine Auslegung, denen alten ein neues
Anſehen, denen bißher verworffenen ihren vorigen Glantz, denen dunck-
len ihr Licht, denen verachteten ihre Annehmlichkeit, und denen zweif-
felhafften eine Gewißheit geben. In allem dieſem aber wird er
GOtt, und alles in GOtt ſuchen, damit durch deſſen Beyſtand etwas
wuͤrdiges vorgetragen werde, welches ſonderlich bey dieſer heiligen

B b 2Fa-
[196]Faſten-Zeit keine guten Gedancken verderben moͤge. Ich werde eitel
Gutes haben.
Dienſtags fruͤhe in der ſiebenden Stunde, im neuen
FrantzoͤſiſchenAuditorio.


Kan man hier nicht mit allem Recht ausruffen und ſagen: O gelehrte
Eitelkeit! O gelehrte Thorheit!
Man muß auch dabey noch dieſes beo-
bachten, daß er eine Stunde zu ſeiner Lection genommen, in welcher faſt noch
jederman ſchlaͤfft, nemlich fruͤhe Morgens von 6.---7. Uhr. Deswegen
hatte er auch faſt gar keine Zuhoͤrer, und man nannte ihn, Spotts-weiſe nur
eine Stimme in der Wuͤſten.


In praͤchtigen Buͤcher-Titeln ſuchen viele Gelehrte ebenfalls einen gantz
greulichen eitlen Ruhm. Alſo ſind ſie insgemein herrlich eingerichtet, und
ſcheinen viel groſſes und ſonderbares zu verſprechen. Durchſuchet man aber
das Buch ſelber, ſo findet man, das die Leſer hinters Licht gefuͤhret ſind. Von
ſolchen praͤchtigen Tireln, und denenjenigen, welche ſich verſchiedene ge-
lehrten Geſellſchafften
beygeleget haben, heiſſet es wohl recht:


Es fieng ein Berg zu kreiſten an,

Und that, als wann er ſchwanger waͤr.

Als nun faſt jederman,

Auf die Geburt mit Furcht und Zittern wartete,

So kam ein Maͤußgen her,

Und brachte was zu lachen:

Ein Prahler, der uns viel verſpricht,

Und liefert ſolches dennoch nicht,

Pflegts eben ſo zu machen.

Sehr wohl laͤßet es ſich leſen, was Plinius Secundus von der Gewohnheit
derer Griechen ſchreibet, nemlich: Die Griechen ſind in ihren Titlen ſehr
reich und gluͤcklich. Bald muß ein Buch den Namen des Bienen-
Stocks fuͤhren, eben als wann eitel Honig darinnen anzutreffen waͤre.

Ein
[197]Ein anderes wird das Horn des Uberflußes genannt, damit man glau-
ben ſolle, es ſeye darinnen alles koſtbare, und ſelbſt auch die ſonſt nir-
gends anzutreffende Huͤner Milch in groſſer Menge verhanden. Bald
werden ihre Wercke mit dem Namen derer Muſen allgemeiner Hand-
Buͤcher, fruchtbarer Wieſen, vollgeſetzten Tafeln, und andern ſolchen
Ehren-Titeln gezieret, daß man, um ihre Erlangung willen, Haab
und Guth in die Schantze ſchlagen ſolte. Aber, wann man in die Buͤ-
cher ſelbſt hinein ſiehet, O ihr Goͤtter! wie ſchlecht und mager iſt als-
dann alles beſchaffen.
Wiewohl es haben verſchiedene Nationes denen
Griechen hierinnen gar ſtarck nachgeahmet. Derohalben darff ſich Niemand
wundern, wann auch unſere heutigen Buͤcher-Schreiber viele ungereimte
Titel zu Marckte bringen. Was hat man nicht vor eine Menge Schatz-Kam-
mern von Antiquitæten und Lateiniſchen Redens-Arten, die doch wann man
ſie aufſchließet, mit Spreu und Kohlen angefuͤllet ſind? Wie viele Schrifften
verſprechen nicht den Kern der wahren Philoſophie vorzutragen, welche nicht
einmal die rechten Schaalen in ſich halten? Wie viele luſtige Redner ſind nicht
geſchrieben worden, in denen allen zuſammen man kaum einen eintzigen geſchick-
ten Schertz auftreiben kan? Derer Atlanten und Hiſtoriſchen Schau-Plaͤ-
tze
ſind ſo viele, daß man wohl Urſache haͤtte mit dem Tichter Cabullus aus-
zuruffen.


Annales Voluſi, cacata charta!
O Schrifften ſonder Witz, O ſehr beſchißnen Blaͤtter!
()

Es lohnet ſich nicht der Muͤhe ſo vieler goldenen Haupt-Schluͤſſel, Koͤ-
niglicher Hand-Leitungen,
Parnaſſus-Staffeln, groſſer und kleiner
Welt-Meere, Wahrheits-Schilde, Weißheits-Schantzen, menſchli-
cher Gehirn-Regiſter,
und andere viel hundert ſolcher Titel zu gedencken,
durch welche man die unvorſichtigen Liebhaber, betruͤglicher Weiſe, zu Kauf-
fung derer Buͤcher anzureitzen pfleget.


Hieher gehoͤret nicht unbillig der Schul-Rector zu Hudſtadt, einem
Orte, der ſonſt von nichts als von dem Schwein-Handel, welcher daſelbſt
getrieben wird, bekannt iſt. Dieſer Rector hatte wahrgenommen, die zum
Gebrauch des ehemaligen Dauphins, das iſt Erb-Cron-Printzens von
B b 3Franck-
[198]Franckreich (in Uſum Delphini) heraus gekommen ſehr begierig geſuchet und
theuer verkauffet worden. Dahero fuͤgte er auf dem Tittel eines Donats, den
er in Tabellen heraus gegeben, die Worte hinzu: In Uſum Delphinorum Hud-
ſtadenſium,
zum Gebrauch derer HudſtadiſchenDauphinen oder Delphi-
nen,
Cron- und Erb-Printzen.


Einige zieren ihre Titel-Blaͤtter mit haͤuffigen Gleichniſſen und weit ge-
ſuchten Figuͤrlichen Redens-Arten aus; wiewohl ſie dieſelben dadurch offt ſo
undeutlich machen, daß man das Abſehen des Verfertigers, und den Innhalt
des Wercks ſelbſt, ungeachtet aller angewendeten Muͤhe, unmoͤglich daraus
errathen kan. Wer ſolte wohl in Johann Hagenstriumphiren der Wahr-
heit, welche auf dem vierſpaͤnnigen Wagen des in beſſere Ordnung ge-
brachten
EvangelienBuchs aufgefůhret, und durch das Kriegs-Heer
derer heiligen Kirchen-Vaͤter begleitet wird,
eine Harmome derer vier
Evangeliſten ſuchen? Oder, was hat einſtmals einen gewiſſer Leipziger Medi-
cum
bewogen, ſein Wort unter dieſen Titel heraus zu geben: Jus publicum hoe
eſt: Theſes Medicæ de dolore capitis,
Staats-Recht, das iſt: Mediciniſche
Lehr-Saͤtze von Kopff-Schmertzen? Ein gewiſſer Spanier hat ſeine in 50.
Capitel vorgetragenen Philoſophiſchen Anmerckungen in dieſen fuͤrchterlichen
Titel eingekleidet: Pentacontarchus; das iſt: Ein mit funfftzig Soldaten
begleideter Kriegs
Officier,welcher inRamirezvonPrado[S]old ſtehet,
und unter deſſen Anfuͤhrung viele Ungeheuer in allen Arten der Ge-
lehrſamkeit ausgerottet, das Verborgene an das Licht gebracht, und
alles Dunckle und Verſteckte durchforſchet und erleuchtet wird.


Mit was vor naͤrriſchen Namen haben nicht die bekannten Roſen-Craͤu-
tzer
ihre Schrifften ausgezieret. Eine darunter z. E. heiſſet: die allgemei-
ne wiederkehrende Poſaunen, der letzten Jubel-Zeit, als ein Vorbothe
der vergroͤſſerten Eve, welche durch ihren Klang die Felſen in
Europa
erſchůttert, und durch Berge und Thal erthoͤnet. Eine andere Roſen-
Creutzer-Schrifft
wird genannt: Der Chriſtlich Cabaliſtiſche Goͤttlich-
Magiſche,Phyſicaliſch-Chimiſche dreymahl dreyfache allgemeine Schau-
Platz der eintzig wahren ewigen Weißheit,
und was dergleichen unbeſon-
nene Titel mehr ſeynd, von denen man, wie dort der Poët Virgilius von der
Cumaͤiſchen Sybille, ſagen moͤchte:


Hor-
[199]
Horrendas canit ambages antroque remugit

Obſcuris falſa invalvens.

Daß ſie in tiefer Klufft viel ungewiſſe Dinge,

Die unerforſchlich ſind, mit dunckeln Worten ſinge.

Wer ſolte wohl glauben, daß es unter denen Gelehrten ſolche Leute gaͤbe,
die ſich ihre einene Buͤcher ſelber zuſchreiben und dediciren. Dieſes erzehlet
man von H ‒ ‒ R. der unter dem Namen Chriſtian Cititzens eine Hiſtorie
des Ditmarſiſchen Krieges verfertiget, und ſelbige ſich ſelbſt dediciret hat.
So hat es bey nahe auch Andreas Schotte gemachet, der ſich ſein erlaͤutertes
Italien, welches er ſelber zuſammen geſammlet, von dem Verleger, Andreas
Cambierius,
hat zuſchreiben laſſen. Aber nichts iſt, nach des Erasmi Mey-
nung, luſtiger zu ſehen und zu hoͤren, als wann ſich die Gelehrten unter einan-
der um die Wette loben und bewundern, wann ſie ihre beyderſeitigen Ver-
dienſte durch gewechſelte Brieffe, Gedichte, und dergleichen Lob-Schrifften
erheben; wann der Ungelehrte den Unwiſſenden, der Thor den Narrn, der
Affe den Haſen, ſtreichelt, ſchmeichelt und kuͤtzelt. Dieſer iſt nach jenes Aus-
ſpruch, ein neuer Alceus, und groͤſſer als Mar[c]us Tullius, jener aber wird
von dieſem ein anderer Calimachus geprieſen, und vor gelehrter als Plato ge-
halten. Der ſchon-erwehnte vortreffliche Herr Rath und ProfeſſorMencke
ſpricht in ſeiner Charlatanerie, daß er ſich eines Gelehrten, der zu Leipzig ge-
lebet habe, erinnere, welcher als er in ein kleines Staͤdtgen zu einem Schul-
Dienſt beruffen worden, und ſich ſonſt Niemand gefunden, der ihn heraus-
ſtreichen wollen, ſich ſelber in einem, mit eigener Feder aufgeſetztem Gedichte
darzu Gluͤck gewuͤnſchet, und zugleich das liebe Leipzig beklaget, daß ſelbiges
an ihm ein ſo theures Haupt verlieren muͤſſe.
Wem iſt hiernechſt der Poët
Jacob Vogel unbekannt, welcher von ſich ſelbſt folgende, noch ſo ziemlich
vortheilhaffte, Meynung geheget:


Teutſchland hat zwar einen Lutherum,

Aber noch keinen Homerum;

Einen rechtſchaffenen Propheten;

Aber noch keinen rechtſchaffenen Poëten.

Doch
[200]
Doch nun thut GOtt erwecken frey

Einen Vogel, der ohne Scheu

Zum Teutſchen Poëtengecroͤnet iſt

Von hohen Leuten dieſer Friſt ꝛc.

Es fehlet auch an ſolchen nicht, welche ihren Buͤchern eine gantze Menge
Lob-Gedichte vorſetzen, als ob ſie ihnen von vornehmen Leuten freywillig,
und aus eigener Hochachtung waͤren zugeſchicket worden; die ſie doch in der
That entweder ſelbſt gemachet, oder ihren Clienten und Anhaͤngern abge-
preſſet haben. Dergleichen Leute ſcheinen es dem Cardinal Granvella nachzu-
thun; welcher ebenfalls, damit der Spaniſche TriumphKayſersCaroli V.
deſto anſehnlicher ſeyn moͤchte, ohne dasjenige Geſchuͤtze, ſo der Kayſer denen
uͤberwundenen Proteſtanten wircklich abgenommen gehabt, auf Kaͤyſerliche
Unkoſten noch viele neue Stuͤcke in Teutſchland gieſſen, und mit Heßiſchen und
Saͤchſiſchen Wappen hat bezeichnen laſſen.


Andere Buͤcher-Schreiber hingegen ſind von der Caprice, daß ſie ſich
mit Fleiß einen Widerſacher ſuchen, durch deſſen Beſtreitung ſie beruͤhmt zu
werden verhoffen. Dieſe aͤrgert nichts mehr, als wann ſich Niemand uͤber ſie
aͤrgern will, und daher erdencken ſie, wie Seneca ſaget, allerhand abge-
ſchmackte Poſſen, welche geſcheiten Leuten kaum im Schlaffe einkom-
men wuͤrden.
Ja damit es nur das Anfehen habe, als haͤtten ſie was neues
erfunden, ſo ſcheuen ſie ſich nicht alles, was der Vernunfft und denen Sin-
nen gemaͤß iſt anzufechten, in der eintzigen Abſicht, einen beruͤhmten Gegner zu
bekommen, mit dem ſie ſich auf das zierlichſte, nach Klopff-Fechter-Manier,
herum ſchlagen koͤnten. Und wann uͤber Verhoffen auch dieſe Kriegs-Liſt fehl
ſchlaͤgt, ſo fangen ſie ſelber an, wider ihre eigene Geburt, auf das greulichſte zu
wuͤten; maſſen von dem Poëten Garopolus bekannt iſt, das er ſein Gedicht vom
Carolo Magno, in einer oͤffentlichen Cenſur, ſehr ſcharff durchgezogen hat.


Noch andere, wann ſie keine fremde Redner auftreiben, laſſen ſichs nicht
dauren, ihre Gelehrſamkeit mit eigenem Munde auszupoſaunen, damit ſie ja
denen Marckt-Schreyern recht gleich werden moͤgen, die den unverſtaͤndigen
Poͤbel
[201] Poͤbel mit heller Stimme zu bereden trachten, daß diePanacéenwider alle
Kranckheit gut thun, und ein undenckliches Alter in ſtets-waͤhrender
Jugend zuwege bringen.
Hieher gehoͤret der Engelaͤnder,Doct.Jo-
hann Ker.
Dieſer hat ſeine Anmerckungen uͤber die Lateiniſche Sprache
der KoͤniginAnna in Engelanddedicirt, und unter andern verſichert, wie es
ein groſſes Theil von der Gluͤckſeeligkeit Ihrer Majeſtaͤt ſeye, daß dieſes
Buch eben unter Ihrer Regierung zum Vorſchein gekommen waͤre. Johann
Jovianus
Pontanus hat ſich ſelber eine Grabſchrifft verfertiget, die nach der
Teutſchen Uberſetzung in ungebundener Rede alſo lautet:


Dieſe Wohnung habe ich mir bey meinem Leben zubereitet, damit
ich nach meinem Ableben darinnen ruhen moͤge. Erweiſet doch ja
mir, nach meinem Tode, kein Leid, der ich bey meinem Leben Nieman-
den beleidiget habe. Ich bin ja derſelbige
Jovianus Pontanus,den die
Muſengeliebet, ehrliche Leuthe werth, und Koͤnige und Herren in Eh-
ren gehalten. Nunmehro weiſt du wer ich bin, oder vielmehr, wer
ich geweſen, Ich aber kan dich, Wandersmann! im Dunckeln nicht er-
kennen, ſondern bitte dich, daß du dich ſelbſt erkennen lerneſt. Le-
be wohl!


Wiewohl dieſe Grabſchrifft fuͤhret auch etwas Gutes und Loͤbliches in ſich,
wann ſie gleich nicht von der Ruhmraͤthigkeit befreyet iſt. Weit naͤrriſcher
aber lautet, was der gelehrte Frantzos Carl Molin von ſich ſaget, nemlich: Ich,
der keinem andern weiche, und ſonſt von Niemanden weiter et was ler-
nen kan.


Balſac erzehlet aus des Photius Bibliothec von einem Griechen, der
Alexanders des Groſſen Leben beſchrieben, und ſich geruͤhmet, das er jenes
durch das Schwert erworbenen Ruhm, gleichfalls durch ſeine Feder
verdienen, und dasjenige auf dem Papier werden wolle, was
Alexander
auf dem Erdboden geweſen ſeye.Balzac belachet auch eines andern Grie-
chen Thorheit, welcher als er neun Brieffe und drey Reden geſchrieben, jene
mit derer Muſen, dieſe mit derer Gratien Namen beleget hat, nicht anders,
als ob er ein Vater ſo vieler vortrefflichen Goͤttinen waͤre. Unter denen Juͤdi-
ſchen Rabbinen ſind dergleichen Prahler ebenfalls ſehr haͤuffig zu finden; Wie
dann der Rabbi Jochanan Ben Saccai an einem Orte ſeiner Schrifften alſo von
C cſich
[202] ſich ſelber redet: Wann alle Himmel-Baumrinden oder Papier, alle Baͤu-
me Federn, uud das gantze Meer eitel Dinte waͤre, ſo wuͤrde es doch
nicht zureichen, meine Weißheit zu beſchreiben.
Hilff Himmel! Was
vor ein greulicher Narr muß nicht dieſer Rabbi geweſen ſeyn?


Ein von Hochmuth ſtoltzender Gelehrte, Namens Georgius Leontinus
pflegte bey oͤffentlichen Zuſammenkuͤnfften, jederman mit groͤſtem Hochmuth
freyzuſtellen, in was vor einer Wiſſenſchafft er von ihm wolte unterrichtet
ſeyn?
Jacobus Mazonius aber gab auf alles, was man ihn fragte, alsbald eine weit-
laͤufftige Antwort, und prætendirte alles zu behaupten, oder uͤber einen Hauffen
zu werffen. Auch wiſſen wir, daß Franciscus Philelphus in einem Brieffe ſehr
prahlerhafft von ſich ſelbſt geſchrieben: Eines unterſtehet ſichPhilelphusgar
wohl zu behaupten, es mag gleich der
Caudidus (ſo hieß ſein Wi-
derſacher) deswegen vor Neid zerberſten, daß weder zu dieſer Zeit,
noch zuvor jemahls jemand unter deuen Lateinern geweſen ſeye, auſſer
mir, welcher allein in der Grichiſchen und Lateiniſchen Sprache der-
maſſen geuͤbt geweſen, oder in gebundener und ungebundener Rede ſo
viel vermocht hat. Weiſt du jemand anders, ſo nenne ihn. Aber wa-
rum ſchweigeſt du dann, du elender Kerl?


Dieſe Leute meynen auch, daß es viel zu Erlangung eines groſſen Ruhms
beytrage, wann ſie andere Gelehrte uͤberreden, ſie haͤtten eine groſſe Anzahl
Buͤcher, von denen ſchwereſten und unbekannteſten Materien fertig liegen,
welche ſie, gegen eine anſtaͤndliche Belohnung, alle Augenblicke in die Drucke-
rey lieffern koͤnten. Johann Bourdelot beruffet ſich in denen Anmerckungen
uͤber den Heliodorus allenthalben auf ſeine andere Schrifften, die doch nie-
mals an das Tage-Licht gekommen ſind; und Marcus Meibom pflegte allen
Fremden, welche ihn zu Amſterdam beſuchten, groſſe Baͤnde zu zeigen, mit
dem Vorgeben, daß er die darinnen enthaltenen Schaͤtze denen Gelehr-
ten nicht laͤnger mißgoͤnnen wolte, wann ihm ſelbige mit einer billi-
gen Vergeltung,
die er aber ſehr hoch anſetzte, bezahlet woͤrden. Doch
hat wohl ſo leichte Niemand den la Croix du Maine uͤbertroffen, der einen
Brieff an KoͤnigHenricum III. in Franckreich drucken laſſen, worinnen er
ſich ruͤhmet, daß er 800. Schrifften von allen Dingen, die der menſchli-
che Verſtand wiſſen oder begreiffen kan, mit ſeiner Hand ausgearbei-
tet, und in 100. Faͤchern fertig liegen habe, welche er dem Koͤnig ins

geſamt
[203]geſamt zu uͤberlieffern bereit ſeye, wann ihm ſelbiger nur vor jedes Fach
200. Thlr. zuſammen zwantzig tauſend Thaler, als ein ſehr ſchlechtes
Geld vor ſolche unausſprechliche Schaͤtze bezahlen wolle.


Noch weit ſchaͤtzbarer aber muß wohl das eintzige Buch derer Bruͤder
des Roſen Creutzes geweſen ſeyn. Denn unter andern Betruͤgereyen und
Marcktſchreyereyen, ſo ſie in die Welt ausſtreueten, gaben ſie vor, daß ſie
ein Buch haͤtten, woraus ſie alles lernen koͤnten, was nur in andern Buͤ-
chern ſtuͤnde, ſo jemals ans Tage-Licht gekommen waͤren, oder noch
geſchrieben werden koͤnten.


Indeſſen haben es dieſe doch bey Verſprechungen und leeren Prahlerey-
en bewenden laſſen; dahingegen Nicolaus Riccard, ein Genueſer, noch viel
unvernuͤnfftiger geweſen, als der ſich geruͤhmet, daß er viele Jahre her,
mit groſſer Můhe und Fleiß eine Widerlegung alles desjenigen, was in
einem bekannten und berůhmten Buch wider das heilige Tridentiniſche

Conciliumgeſchrieben worden, verfertiget habe. Da man nun ein vor-
treffliches Werck von ihm erwartete, ſo kamen endlich mit genauer Noth et-
liche wenige Bogen zum Vorſchein, darinnen er, gleich dem ſchon angezoge-
nen ſchwanger ſeyenden Berge, kaum ein laͤcherliches Maͤußgen zur Welt
brachte. So weiß man auch von dem Johann Chapelain, einem ſonſt gelehr-
ten Manne, daß ihm der Printz Heinrich von Orleans eine jaͤhrliche Beſtal-
lung gegeben, damit er die Geſchichte der beruͤhmten Lotharingiſchen Jung-
fer,
Jeanne d’ Arc, welche nur insgemein das Maͤdgen von Orleans genannt
wird, in einem Frantzoͤſiſchen Helden-Gedichte, nach Art des Homerus
oder Virgilius, beſchreiben ſolte. Daruͤber nun hat Chapelain, auf daß er
nemlich der Freygebigkeit des Hertzogs deſto laͤnger genieſſen moͤchte, viele
Jahre lang gearbeitet, und zu letzt ein ſehr kahles Gedichte, ſo er la Pucello d’
Orleans,
oder das Maͤdgen von Orleans betitelt, zu Stand gebracht; wo-
durch er aber der groſſen Hoffnung, ſo ſich alle von ihm gemachet, ſo ein
ſchlechtes Genuͤgen geleiſtet, daß ihn hernach faſt jederman hefftig damit durch
gezogen, und einer darunter folgende Verſe auf ſein Gedichte gemachet hat:


Illa Capellani dudum exſpectata Puella

Poſt longa in lucem tempora prodit anus.

C c 2Auf
[204]

Auf Teutſch:


Das Maͤgdgen, ſo uns Chapelain als ſchoͤn und jung

verſpricht,

Kommt endlich nach viel Zeit und Muͤh,

Als wie ein altes Weib,

Voll Runtzeln an das Licht.

Viele, wann ſie ſelber nichts haben, was ſie herausgeben, oder auch
nur verſprechen koͤnnen, vermeynen dennoch den Namen eines Gelehrten gar
wohl zu behaupten, wann ſie nur ihr Vermoͤgen darauf wenden, alle Schrifften,
die irgendswo zum Vorſchein kommen, begierig zuſammen zu kauffen, ob ſie ſol-
che gleich ſelbſt weder leſen noch verſtehen koͤnnen. Sie ſammlen alſo gantze Hauf-
fen Buͤcher, und ſehen ſelbige, wann ſie vorhero aufs herrlichſte in Gold und
Purpur eingebunden, und nach der Reyhe hingeſetzet ſind, taͤglich etlichemal
mit dem groͤſten Vergnuͤgen an, oder weiſen ſie auch wohl ihren Freunden
einmal uͤber das andere. Vornemlich bilden ſie ſich ein, was beſonders gelei-
ſtet zu haben, und halbe Goͤtter zu ſeyn, wann ſie einmal uͤber ein altes Manu-
ſcript
gerathen, welches ſie dann, es ſeye gleich von andern Gelehrten ſchon hun-
dertmal abgenutzt, oder auch ſonſt ſo verlegen und zerriſſen als es nur will,
dieſem ungeachtet vor einen vortrefflichen Schatz halten, und vor keine weltli-
che Koſtbarkeit vertauſchen wollen. So einer war Janus Nicius Erythræus,
ein gantz ſonderbarer Verehrer des Alterthums. Er ſchaͤtzte die alten Codices,
deren er ſehr viel in ſeiner Bibliothec hatte, auſſerordentlich hoch; woruͤber ihm
aber einſtmals ein laͤcherlicher Zufall begegnete. Denn als er dem Cardinal Fran-
ciſcus
von Toledo die Comœdien des Terentius gewieſen, und davon verſicherte,
daß ſie vor mehr als tauſend Jahren geſchrieben waͤren, wie ſie dann
auch in der That alt, dabey aber ſehr verderbt und uͤbel zugerichtet waren, ſo
ſetzte er hinzu, er glaube nicht, daß dieſer ſo gar alteCodexmit einigem
Gelde nach Wuͤrden koͤnne bezahlet werden;
worauf der Cardinal ant-
wortete: Ey dulieber GOtt, was hoͤre ich! Ich meines Orts wolte lie-
ber ein eintziges gantz nen-gedrucktes
Exemplarhaben, wann es nur gut
und richtig iſt als zehen ſolche verderbte und mangelhaffte, ſolten ſie
auch mit der Sibille eigenen Haͤnden geſchrieben ſeyn.


Noch
[205]

Noch weiter von denen Partiſans des Alterthums zu reden, ſo wird es
nicht unrecht ſeyn, auch dererjenigen ihre Thorheit hier zu beruͤhren, die nichts
loben und bewundern, als was nach Antiquitæten ſchmeckt, und die nach Art
derer Chineſer, alle uͤbrige vor ein ſich allein aber vor zwey-aͤugige halten,
weil ſie nicht nur bloß dasjenige, was ihnen vor der Naſe lieget, ſehen, ſondern
auch die Beſchaffenheit derer aͤlteſten Zeiten genau unterſuchet und durchfor-
ſchet zu haben vermeynen Wann ihnen nun etwa ein alter, von Schimmel
und Roſt durchfreſſener Pfennig, oder andere Uberbleibſel eines vor tauſend
und mehr Jahren abgebrauchten Hausraths zu Handen kommen, O ihr Goͤt-
ter, was entſtehet da vor Freude! Was macht man ſich nicht vor Muͤhe und
Arbeit, daß man ja alle Puncte genau daran erkennen, ja gantze Buͤcher mit
Erklaͤhrung dererſelben anfuͤllen, und ſeinen lieben Nachkommen hinterlaſſen
koͤnne. Das ſind eben die trefflichen Maͤnner, welche die Prophezeyung derer
Sybillen, die Lieder der wahrſagendenCharmante, die unerforſchlichen Ge-
heimniſſe
des Lycophronis, die Heiligen Buͤcher des KoͤnigsNuma, die ver-
ſteckte Deutung
des goldenen Vlieſſes die unverſtaͤndliche Grabſchrifft der
Ælia Lelila Chriſpis, die Schrifften derer Egyptier, und dergleichen Heim-
lichkeiten mehr gar leicht, und gleichſam ſpielende, aufloͤſen koͤnnen; obgleich
von denen letztern ſchon Apulejus geſtanden, daß ſie mit unverſtaͤndlichen
und wunderlich verzogenen Buchſtaben geſchrieben, auch ſonſt der-
maſſen in einander geſchlungen und gekuͤnſtelt waͤren, daß man ſich
leichtlich von dem Vorwitz, ſelbige zu durchſtaͤnckern, abhalten lieſſe.

Wie bald ſich aber die AntiquitætenCraͤmer betruͤgen laſſen, bezeugen ande-
rer zu geſchweigen, die zwey Ober-Zunfftmeiſter in dieſer Wiſſenſchafft,
AthanaſiusKircher, und Jacob Gronov. Es waren zu Rom etliche muth-
willige Juͤnglinge, die in Erfahrung gebracht hatten, daß man eheſtens ein
neues Gebaͤude in der Stadt aufrichten wuͤrde, deswegen ſie einen alten ver-
moderten Stein
an ſelbigen Ort vergraben laſſen, auf den ſie allerhand wun-
derliche Zeuge und phantaſtiſche Figuren gegraben hatten, um zu erfahren, was
doch Kircher immermehr vor einfaͤlle dabey bekommen wuͤrde? Was ge-
ſchieht? Man will den Grund zum Gebaͤude legen, und findet dieſen Stein
als ein neues Geſchencke des Alterthums, welches noch darzu durch ſeine Voll-
kommenheit koſtbar gemachet wuͤrde. Man verlangte alſo eine Erklaͤrung,
und ſchickte deswegen zu Kirchern. Dieſer ſprang, ſobald er den Stein ge-
ſehen, vor Freuden in die Hoͤhe, und wuſte, ohne Verzug, alle Circul, Creu-
tze und uͤbrige merckwuͤrdige Figuren, ſo geſchickt und kuͤnſtlich auszulegen,
daß nichts druͤber ſeyn kunte.


C c 3Zu
[206]

Zu einer andern Zeitbrachte ein vertrauter Freund eben dieſem Kircher ein
Stuͤcke ſeiden Papier von der Art, wie es die Chineſer gebrauchen, daß mit
viel wunderlichen Zuͤgen beſetzet geweſen. Da ſich nun der gute Kircher viele
vergebliche Muͤhe gemachet, ſelbige zu erklaͤren, ſo wurde endlich ſein Freund
der unnuͤtzen Arbeit uͤberdruͤßig, und hielte daß Papier freywillig vor den
Spiegel; da dann Kircher gar leichte ſehen kunte wie ungluͤcklich er desfalls an-
gelauffen ſeye, weil bloß folgende Worte, mit kleinen verkehrt ſtehenden La-
teiniſchen Buchſtabe[n],
darauf geſchrieben waren; Noli vana ſectari \& tem-
pus perdere nugis nihil proficientibus;
das iſt: Trachte dem nicht nach,
was eitel iſt, und verderbe die Zeit nicht mit unnuͤtzen Grillen.


Was that Gronov? Dieſem wieſe ein ſehr gehoͤffter Mann Monſieur Ro-
bert
von Neufville, wie ihn Gronov ſelbſt nennet, ein hoͤltzernes Maͤnngen
in der Geſtalt eines Saͤchſiſchen Bergmannes, dergleichen unſere Kinder
insgemein unter ihren Puppenwerck aufzuheben pflegen. Gronov, der ſein
Lebtage keinen Kerl mit einer Ertz-Mulde, Arſch-Leder, und dem uͤbrigen
Berg-Tracht geſehen hatte, freuete ſich alsbald, ſeinem eigenen Geſtaͤndniß
nach, gantz ungemein uͤber dieſes treffliche alte Monument, und hielte gleich dafuͤr,
man muͤſſe deſſen Gedaͤchtniß wieder erneuern; daher er dann ſein Berg-Maͤn-
gen
auf das Zierlichſte in Kupffer ſtechen laſſen, und ſolches vor einen alten
heydniſchen Teutſchen Prieſter, ſo das Schiff der Goͤttin
Iſistruͤge,
ausgegeben hat.
Die Worte, womit er dieſe vermeynte kleine Statue des
Alterthums, in ſeinem Theſauro der Griechiſchen Antiquitæten beſchrieben,
lauten alſo: Er hat ein wildes und unfreundliches Geſichte, mit einer um
das Haupt, faſt biß zu denen Augbraunen gewundenen Binde
(das iſt
die Muͤtze des Berg-Manns, dieſe gehet ihm auf der lincken Seite ſo weit
herunter, daß ſie gar bequem einen dicken Wulſt machet, auf welchem
das Schiffgen
(oder vielmehr die Ertz-Mulde) ruhen kan. Der Rock iſt
lang, aber hoch hinauf geſchuͤrtzet, daß er deſto freyer gehen koͤnne. Das
hintere Theil aber
(hier haſt du das Arſch-Leder) gehet unten ſpitzig aus.
Dieſes iſt alſo der beruͤhmte Teutſche Prieſter, den die Lateiner
Bajulum
Ceremoniarum
genennet haben, einen Mann der das Heiligthum traͤgt,
nicht zwar wie die edlen
Poëten zu ihrenMuſen,ſondern in ſeinen ge-
heimen und fůrchterlichen Wald.
Von dieſem Gronov iſt ſonſt noch be-
kannt, daß er der Tadelſucht gantz greulich ergeben, und der Univerſitæt
Leipzig ſpinnenfeind geweſen; wie er ſich dann nicht geſcheuet, alle unge-
reimte Schluͤſſe
vor Leipzig-maͤßig auszugeben.


Von
[207]

Von der Tadelſucht noch weiter zu reden, ſo hat ſich dadurch unter an-
dern auch Claudius Verdier, ein Frantzoſe beruͤhmt gemacht, indem er die Un-
beſonnenheit begangen, daß er etlichen wenigen Bogen den hoffartigen Ti-
tel
einer Cenſuraller alten und neuen Scribenten beygeleget, auch ſeinen
eigenen Vater Antonius nicht verſchonet hat, der ſeiner doch in der ſogenann-
ten FrantzoͤſiſchenBibliothec aufs ruͤhmlichſte erwehnet. Die alten Autores
aber und darunter auch den Tullium, Virgilium und Horatium, hat er aufs
ſchaͤrffſte herum genommen, und bald an einem die harte Schreib-Art, bald
an dem andern die fremden und ungewoͤhnlichen Woͤrter getadelt. Eben die-
ſes that auch der PoëtJohannCiampulus, der beſtaͤndig auf den Virgilius,
Horatius
und den Petrarcha laͤſterte, die zuſammen er ordentlich vor unwiſ-
ſende Schuͤler
ſchalt, in der Abſicht, daß er ſeine Gedichte uͤber die ihrigen er-
heben moͤchte. Hierzu kam, daß er von ſeinen vermeynten Meriten auf eine
gantz raſende Weiſe eingenommen war, alle andere neben ſich verachtete, auf
jederman ſchmaͤhete, auch ſeiner eigenen Verwandten nicht ſchonete.


Franciſcus Robortellus kunte ſeines gleichen durch aus nicht vertragen, wes-
wegen er denen gelehrten Maͤnnern Alciatus, Sigonius und Egnatius viel Ver-
druß angethan hat. Denn es war in ſelbigem ein verwegenes aufgeblaſenes
Gemuͤthe, und ungezaͤumte Begierde nach allgemeiner Hochachtung, daher
man auch nicht leicht jemand gefunden, welcher im guten Gluͤcke ſo trotzig,
und in widerwaͤrtigen Zufaͤllen ſo verzagt geweſen waͤre.


Bey der Gelegenheit kan ich auch gar wohl noch etwas von denen muͤnd-
lichen Zwey-Kaͤmpffen
ſagen, die man auf Univerſitæten vom Catheder
herunter zu halten pfleget. Der Anfangs beym Diſputiren abgezielte Endzweck
war zwar ſehr gut; iſt aber nunmehro dermaſſen verloſchen, daß man ſich oͤffters
um die nichtswuͤrdigſten und abgeſchmackteſten Dinge mit langweiligen Ge-
ſchwaͤtze, und groͤſter Gemuͤhts-Bewegung herum zancket; welcherley Strei-
tigkeiten aber ſchon die Alten nicht unbillig vitilitigia oder Schand-Gezaͤncke
genennet haben. Alſo haben ſich auch vor Zeiten, nach des Tullius Zeugniß,
der Amafinius und Rabirius, wegen gantz deutlicher und Handgreifflicher Sa-
chen, biß aufs Schlagen herum gebiſſen, zwiſchen dem Palæmon und Orbilius
aber iſt ein hefftiger Streit geweſen; ObÆneas,als er in Italien ange-
kommen mit dem rechten oder lincken Fuß zu erſt ans Land getreten
ſeye?
Der Redner Maximus hat den Schul-Lehrer Zoporion nicht wenig her-
un-
[208] unter gemachet, daß er nicht genugſam unterſuchet, in welche Hand ei-
gendlich die
Venusvon demDiomedesſeye verwundet worden? So giebt
es auch Leute, die nach Klopff-Fechter Art keine gebuͤhrende Ordnung und
Richt-Schnur in ihrem Diſputiren in acht nehmen, ſondern die Streiche ihres
Gegners durch allerhand Gauckeleyen zu vermeiden ſuchen, und wann ſie mit
guten Gruͤnden nichts ausrichten koͤnnen, ſich doch durch ihr Schreyen und un-
gewaſchenes Maul den Sieg zu erlangen bemuͤhen; ja oͤffters vielerley laͤcherli-
che Poßen und ſpoͤttiſche Reden mit einmiſchen, damit ſie zum wenigſten die
Anweſenden zum lachen bewegen moͤgen.


Ein vornehmer Geiſtlicher, welcher bey jederman in groſſem Ruhm
und Hochachtung geſtanden, auch dabey von ſolchem Anſehen war, daß er ſich
viele Gemuͤther durch einen eintzigen Blick unterwerffen koͤnnen, ungeachtet die
Gelehrſamkeit gar maͤßig bey ihm zugeſchnitten, und ſonderlich in Diſputiren
nicht zum Beſten beſtellet geweſen, hat einſtmahls die UniverſitætLeipzig be-
ſuchet. Da er nun den Catheder beſtiegen, und einen ſehr geuͤbten Gegner
vor ſich fande, der bereits viele andere zum Stillſchweigen gebracht hatte, ſo
tractirte er, ihn nichts deſtoweniger uͤberaus veraͤchtlich, gieng auf dem Ca-
theder
hin und her, und antwortete auf denerſten Einwurff ſeiner Gegenwart
gantz hochmuͤthig: Dieſes Knoͤtgen ſolte mir wohl mein kleiner Hund
(mit dem er nemlich auf dem Catheder ſpielte) aufloͤſen. Als nun ſein Ge-
genpart dieſes fahren ließ, und ein neues Argumenr vorbrachte, verſetzte der
Windmacher abermals: Wahrhafftig ein fuͤrchterlicher und kraͤfftiger
Satz, wider welchen wohl der Tauſendkuͤnſtler, ſelbſt wenig aufbrin-
gen ſolte.
Da aber der andere, der durch dieſe unvermuthete Frechheit gantz
verwirrt gemacht worden war, dieſe Worte unrecht verſtunde, und einwen-
dete, daß er kein Tauſendkuͤnſtler ſeye, ſo merckte der Prahler, daß er nun-
mehro, wegen jenes Beſtuͤrtzung, gewonnen Spiel habe, und ſchrie mit einem
lauten Gelaͤchter: Ey lieber! Wer hat dann geſagt, daß du der Tau-
ſendkuͤnſtler ſeyeſt?
Mit einem Wort, der ſonſt ſo geuͤbte und tapffere
Kaͤmpffer muſte hier nicht ohne Scham-Roͤthe weichen. Dieſe Begeben-
heit, wie ſie hier erzehlet wird, ſtehet mit in der mehr-angezogenen Charlatane-
rie
derer Gelehrten aufgezeignet.


Indeſſen iſt dieſer Sieg anders nichts als die Wirckung einer unver-
ſchaͤmten und gantz ausgelaſſenen Frechheit zu nennen, daher auch einige, die
ſol-
[209] ſolches in Acht genommen haben, gewohnt ſind, es denen furchtſamen Solda-
ten nachzuthun, und ſie zum Treffen gehen, ihr Gemuͤthe vorhero durch einen
guten Trunck aufzumuntern, und wann ſie dann alſo, in ſolchem beſoffenen
Zuſtande, nur nicht gar verſtummen, ſo ſind ſie mit ihrem vermeynten Siege
ſchon mehr als zuwohl zu frieden. Man erzehlet unter andern von dem Do-
minicus de llandria,
daß, als er den Argyrophilus, einen griechiſchen hoch-
erfahrnen
und ſehr beruͤhmten Mann, in einem ſolchen gelehrten Zwey-
kampff uͤberwunden, und ihm biß 100. Saͤtze aufgeloͤſet oder widerleget hatte,
er ſelbſt geſaget: Daß, wann er noch die andere Kanne Wein (denn ei-
ne hatte er bereits ausgetruncken ehe er auf den Kampff-Platz gieng) zu ſich
genommen haͤtte, ſo wolte er wohl gantz Griechenland beſtritten
haben.


Diejenigen, welche rechte Profeſſion von der gelehrten Klopfechte-
rey,
oder dem hartnaͤckigen diſputiren machen, haben allemal einen gantzen
Sack voll ſtachlichte Reden im Vorrath, die Zuhoͤrer dadurch zum Lachen
zu bewegen, ſprechen auch wohl; Es klinget doch ſchoͤn, wann man einPhi-
loſophi
ſcherAttila, Doctor-L[i]centiatenoderMagiſter-Geiſſel genannt
wird.
Hierzu helffen die ſogenannten Inſtantzien aus der Logica allerdings
viel, wann ſie fein luſtig ausgedacht ſind, und es wird Verſtand erfordert,
dieſe herum zu drehen. Allein es werden dergleichen Spoͤtter oͤffters auch
gantz entſetzliches bezahlet. Einſtmals wolte einer den beruͤhmten Jacobum
Thomaſium
zu Leipzig herunter machen, und bediente ſich unter andern ſpoͤt-
tiſchen Redens-Arten dieſer Worte gegen ihn: Das klingt eben ſo, als wann
ich ſagen wolte; Du biſt ein Haſe und wilſt doch Brey eſſen.
Aber weil
dieſer Hohnſprecher gleich zwiſchen zweyen andern Opponenten ſaß, ſo antwor-
tete Thomaſius gar hurtig: Was den Haſen betrifft, denſelben wollen
wir im Mittel beruhen laſſen;
woruͤber ein hefftiges Gelaͤchter entſtanden,
und alle Boßheit ſeines Gegners zu ſchanden worden iſt.


Denen Marckt-Schreyern arten diejenigen Gelehrten ebenfalls nicht
uͤbel nach, welche damit ſie nur derer Leute Augen auf ſich ziehen moͤgen, ſich
entweder einer ſehr praͤchtigen, oder aber auch wohl gantz beſondern und unge-
woͤhnlichen Kleidung bedienen. Wir wollen uns nicht bey denen alten Py-
thagoræern,
Staͤnckern und andern auf halten, die wann ſie nur einen Stab
und Taſche mit ſich trugen, einen Mantel uͤber die Achſel haͤngen, und das
D dfin-
[210] finſtere und unſaubere Geſichte mit einem langen Bart verwahret hatten, ge-
wiß glaubten, daß ihnen nun nichts weiter zu dem Anſehen eines großen
Weltweiſen
fehlen koͤnne; wie dann dergleichen bemaͤnteltes behaartes, und
mit einem, biß auf die Knie reichenden, Bart bedecktes Ungeheuer von dem
Gellius angefuͤhret wird. Ariſtoteles hingegen verfiel auf einen andern Ex-
ceſſ.
Er bediente ſich nemlich derer koſtbarſten Kleider und Schuhe, ließ den
Bart, wider den damaligen Brauch derer Weltweiſen glatt wegſcheren, be-
ſteckte die Finger mit Ringen, und fuͤhrte ſich im uͤbrigen ſo auf, daß wann
man die Sache genau betrachtet, er ſowohl als jene eine ziemliche Stelle in dem
Narren-Regiſter verdient hat. Jedoch, es gehet zu unſerer Zeit ebenfalls
nicht beſſer zu. Denn mancher Gelehrter weiß entweder vor ehrgierigen
Hochmuth nicht, wie er ſich praͤchtig genug heraus kleiden ſolle, damit er nur
vor einen Mann nach der heutigen Welt, vor einen galant homme, moͤge
gehalten werden; oder er ziehet gar zu unflaͤtig auf, und tritt in einem ab-
geſchabten Mantel altvaͤteriſchen Rocke, und mit herunter hangenden Plu-
der-Hoſen einher, bloß damit die Leute dencken ſollen, ihr eintziges Tichten
und Trachten ſey nur auf das Studiren gerichtet. Von dem gelehrten Fran-
tzoſen Jacob Rohault iſt bekannt, daß er einen ſo ſeltſamen aufgeſchlagenen
Hut getragen, daß Mollier, als er einen Licht ſcheuenden Gelehrten auf
dem Theatro vorſtellen wollen, dieſen Hut von ihm borgen laſſen, und ſonſt
alles ſo eingerichtet hat, das ſobald nur der Kerl auf das Theatrum getreten,
ſelbigen jederman vor ein Ebenbild des Rohauts erkennet und von Hertzen
daruͤber gelachet hat.


Zu loben iſt hingegen jener Baſeliſche Profeſſor, welcher, als er ſahe, daß
jederman, der ihm begegnete, ſeines anhabenden ſammeten Peltzes wegen
vor ihm den Hut abnahm, daß doch vorhero nicht geſchehen war, und man al-
ſo ſeinem Kleide mehr Ehre erzeigte als ſeiner Perſon, ſich ſelbſt dermaſſen ver-
drießen lieſſe, daß er den Rock auf den Hack-Stocke in kleine Stuͤcken
zerhuͤbe.


An ſolchen Gelehrten fehlet es auch nicht, die ſich ſelbſt mit Fleiß zum Ge-
laͤchter machen, wann ſie es nur, ihrer Meynung nach, dahin bringen, daß
man allenthalben von ihnen, als von neuen und ungewoͤhnlichen Abend-
theuer, zu reden pfleget, in welchem Stuͤcke Heinrich Loritus von ſeiner Va-
ter-Stadt Glareanus genannt, ſtatt aller uͤbrigen zum Exempel dienen kan.
Selbiger war ein guter Freund des Eraſmus und lehrte erſtlich zu Baſel die
Phi-
[211]Philoſophie, hernach zu Freyburg im Breißgau die Hiſtorie und Poëſie, mit
allgemeinen Ruhm und Beyfall. Aber es entſtunde, ſonderlich zu Baſel, ein
groſſer Streit bey der Univerſitæt, was dann dem Glareanus, der daſelbſt ſei-
ne Profeſſion erhalten hatte bey oͤffentlichen Zuſammenkuͤnfften vor ein Rang zu
geben ſeye? Denn weil er als ein beruͤhmter Poët, ſich ſchon, durch verſchie-
dene Schrifften, bekannt gemachet hatte, ſo ſchiene er allerdings eine hoͤhere
Stelle zu verdienen, als die gemeinen Magiſter beſaſſen. Weil er aber noch
keinen Doctor-Rang angenommen, ſo wolten ihn die Leute von dieſem Stande
auch nicht unter ſich leiden. Indeſſen aber muſte Glareanus ſich entweder un-
ter die Studenten verſtecken, oder ſich gantz hinten bey der Magiſter-Banck
anhaͤngen. Dieſes verdroſſe ihn zwar hefftig; allein er verbiſſe es eine Zeit-
lang, in der Hoffnung, daß man ihm bald einen hoͤhern Ort einraͤumen wuͤr-
de. Aber da er ſahe, daß ſolches kein Ende nahm, ſo geriethe er auf einen be-
ſondern Einfall, wodurch er gar bald eine Stelle unter denen Profeſſoren zu
erlangen verhoffte. Da nehmlich einſtmahls etliche Doctores ſolten gemachet
werden, ſo mithete ſich Glareanus einen Eſel, ſetzte ſich drauf, ritte damit in das
Auditorium, und miſchte ſich unter die uͤbrigen daſelbſt ſtehenden Studenten;
woruͤber aller Augen auf ihn gerichtet, und nach eines jedweden Gemuͤths-
Neigung Vielerley Urteile uͤber ihn gefaͤllet wurden. Etliche glaubten, der
Mann habe ſeinen Verſtand verlohren. Andere haͤtten vor lachen zerberſten
moͤgen, ſo offt der Eſel anfieng zu ſchreyen oder zu trampeln. Wiederum an-
dere hielten davor, er thaͤte ſolches die neuen Doctores zu verhoͤhnen, und ihnen
ihre Unwiſſenheit aufzuruͤcken. Kurtz, der Rector ließ ihn endlich fragen:
Warum er dann, in einer ſo vornehmen Verſammlung, mit dieſem
laſterbaren Thier erſchiene?
Aber Glareanus erwiederte: Weil er gerne
einen gewiſſen und ausgemachten Sitz haben wolle. Denn,
fuhr er fort,
es ſind in deſſen, daß ihr zweiffelt, ob ihr mich unter dieDoctoresoder
Magiſterſetzen ſollet? ſchon ſo viele Monathe verfloſſen, daß ich, ſo-
wohl euch aus dieſem Kummer zu reiſſen, als auch mich ſelber einmal
zu verſorgen, endlich auf dieſen Anſchlag kommen muͤſſen, mich auf ei-
nen Eſel zu ſetzen, und euch alſo zuzuhoͤren.


In Summa, es bleibet wahr, und iſt gewiß, daß es unter denen Ge-
lehrten, biß auf dieſe Stunde ſchon eine ziemliche Schaar Narren und Irr-
wiſche
gegeben hat, und es iſt nur zu bewundern, daß bißweilen auch unter
dieſen Leute geweſen, deren Lehren und Schrifften allemal einen gewiſſen An-
D d 2hang
[212] hang gefunden haben, wie die Roſencraͤutzer. Dieſe Leute, derer bereits in
dieſer fuͤnfften Abhandlung ein paarmal Erwehnung geſchehen, nannten ſich bald
die Erleuchteten, bald die Unſterblichen, bald die Unſichtbaren, und ſchrie-
ben ſich uͤberhaupt groſſe Eigenſchafften zu. Man kan einen Theil davon aus
ihrer Nachricht an curioſe Gemuͤther (Avis aux curieux) die ſie einſtmals
oͤffentlich anſchlagen laſſen, erkennen. Bey dem Moreri iſt dieſelbe folgendergeſtalt
zuleſen: Wir Abgeordneten unſers vornehmſtenCollegiiderer Bruͤder
vom Roſencreutz, halten uns ſichtbarer und unſichtbarer Weiſe in dieſer
Stadt auf. Wir lehren ohne Buͤcher und ohne einige Kennzeichen, und
reden die Sprache des Landes, in welchem uns gefaͤllet zu ſeyn, um die
Menſchen, welche unſersgleichen ſind, aus denen toͤdlichen Irrthuͤ-
mern heraus zu reiſſen.
Gleichwohl iſt dieſe Bruͤderſchafft von Irrwi-
ſchen
und Schwaͤrm-Geiſtern in der gelehrten Welt ſo beruͤhmt wor-
den, daß viele Gelehrte ſich bemuͤhet haben, in dieſelbe aufgenommen zu
werden.


Wie viel hat nicht die vermeynde groſſe Kunſt derer Lulliſten bezaubert, die
man lieber gar aus dem Himmel wolte erhalten haben? Aber in Wahrheit,
man ſolte eher aus des Heraclitus Dunckelheit ein Licht, aus des Socrates
Zweiffeln eine feſt gegruͤndete Wiſſenſchafft, und aus des DiogenesUn-
verſtand
die Weisheit ſelber, als aus dieſen Raͤtzel-vollen und abend-
theuerlichen Schrifften
etwas kluges erzwingen. Allein Narren, Matzen
und Lappen finden ein vor allemal ihre Partiſans, und niemals iſt jemand ſo
gar naͤrriſch geweſen, der nicht noch viel naͤrriſchere Anhaͤnger und Nachſolger
gefunden haͤtte. Es hat ja nicht an Leuten gefehlet, die unter Anfuͤhrung des
Heraclitus das Primum Principium, oder den erſten Anfang aller Dinge,
mit dem Parmenides die Vielheit derer Sachen, und mit dem Protogenes die
Wahrheit ſelbſt verlaͤugnet; oder auch mit dem Anaxagoras den Himmel vor
einen Stein, und den Schnee vor ſchwartz gehalten haben.


Einige Gelehrte, welche Genealogien geſchrieben, haben ſich dadurch
bey der Welt uͤberaus laͤcherlich gemachet, mithin veranlaſſet, daß man ſie
unter die Zahl derer Narren ſetzen muͤſſen. Von dieſer Art waren die
alten Heyden, deren Fuͤrſten insgemein von denen Goͤttern muſten erzeuget
ſeyn. Nicht viel beſſer ſind diejenigen, welche die Spanier von Tubal Japhets
Sohne, die Cambrier vom Gomer Zeries Bruder, die Britannier von dem
Brutus, die Francken von dem Francion des Priamus oder Hectors Sohne,
und
[213] und die uͤbrigen Voͤlcker von andern alten Helden herfuͤhren. Lachens-wuͤr-
dig iſt hiernechſt, daß der Spanier Frantz SandovalKayſersCaroli V, der
Engelaͤnder Statyer Jacobi I.Koͤnigs von Engeland, und JohannMeſſenius
derer Koͤnige von Schweden Geſchlechter, von Adam her, biß auf unſere
Zeit, in unzertrennter Ordnung erzehlen wollen. Was von denenjenigen zu
halten, welche vor wenig Jahren die Stamm-Tafeln einiger Hohen Europæi-
ſchen Haͤupter ſo eingerichtet, daß ſie mit der Heil. JungfrauenMaria und
dem Heil. Joſeph verwandt ſeyn muͤſten? ſolches iſt leicht zu erachten.


Die Logica und Metaphiſica ſind gantz unſtreitig, nach dem Zeugniß vie-
ler vortrefflichen gelehrten Maͤnner, welche zu gleicher Zeit daruͤber bittere
re Klage fuͤhren, groſſen Theils mit Thorheiten angefuͤllet. Wer kan wohl
die vielen wichtigen Streit-Fragen mit ruhigem Gemuͤthe anhoͤren, von denen
Foͤrmlichkeiten, Selbheiten, Gegenwuͤrffen, Innerlichkeiten, Was-
heiten, Zweck, Zielungen, Unverwerfflichkeiten,
und vielen andern der-
gleichen tiefſinnigen Subtilitæten, gegen welche ſelbſt die ſpitzfindigen Einfaͤlle
des Cleanthes und Chryſippus einfaͤltig ſcheinen, und die liſtigen Redens-Ar-
ten des Daphitas, Euthydemus und Dioniſiodorus zu Schanden gemachet
werden ſolten? Denn ob wir gleich gar wohl wiſſen, daß die Schulfuͤchſi-
ſchen und auf Schrauben geſtelten Fragen derer Scholaſtiſchen Lehrer vor-
laͤngſt ausgepeitſchet, da man nemlich mit einander geſtritten, ob GOtt
der HErr im Firmament, gehoͤre in ein
Prædicament?oder ob es
beſſer ſeye, wann ich einen unſer Meiſter, oder Meiſter unſer
heiſſe?
So kommen doch von Zeit, zu Zeit immer andere naͤrriſche Strei-
tigkeiten auf die Bahn. Man fraget, nemlich: Was der Haupt-Grund
der Untheilbarkeit ſeye? Ob ſich ein Ding gegen GOtt und die
Creaturen, gegen ein ſelbſt-ſtaͤndiges und zufaͤlliges Weſen uͤber-
einſtimmig, oder zweydeutig, oder auch gleichfoͤrmig verhalte?
Ob der Gegenwurff der Natur-L[e]hre ein bewegliches Ding oder
unbeweglicher Coͤrper ſeye? und wann das letztere, ob es ſolches
ſeye, ſo weit es beweglich, oder in ſo weit es natuͤrlich iſt? Ob der
Stoff aller Dinge, eine bloße lauterer Krafft ſeye? Ob dieſer
Stoff ein wirckliches Thun ſeye? Wie die Beraubung die natuͤr-
lichen Coͤrper machen helffe? Ob zwiſchen dem Stoff und der Ge-

D d 3ſtalt
[214]ſtalt, wann ſie vereiniget werden, eine zweyfache Vereinigung
ſeye? Ob die erſten Eigenſchafften Geſtalten derer Elementen ſind?
Ob, wann einer zugleich in zwey Collegia gehet, man ſagen ſolle.
Dieſes iſt das Mitglied zweyer Collegien? oder dieſer iſt die Mit-
glieder zweyer Collegien? \&c.


Hiernechſt ſind die ungeheuren und zum Schrecken der unſchuldigen Ju-
gend gefundene Worte, ich meine das Heilige Barbara, (wie der erſte Modus
in der erſten Figur in der Logica heiſſet,) ingleich en Celarent, Durapti, Feri-
ſon,
und wie ſie weiter heiſſen, bey vielen noch im groſſem Anſehen und Hoch-
achtung, ſo daß ſich die bekannte Uberſchrifft, die man in denen vorigen fin-
ſtren Zeiten auf das Grab eines ſolchen Pedanten geſetzet, noch heut zu Tage
auf manchen Sarg ſchicken doͤrffte:


Hic jacet Magiſter noſter,

Qui diſputavit bis aut ter,

In Barbara \& Celarent,

Ita ut omnes admirarent,

In fapesmo \& friſeſſimorum:

Orate pro animas eorum.

Oder, wie jener Teutſche Stoffel geſetzet hatte:


Hier liegt Magiſter Eberſchwein,

Der diſputirte brav und fein,

Er war ein Meiſter und kein Ochs,

Verſtund ſich wohl auf Æquivox,

Schloß
[215]
Schloß auch gar offt in Barbara,

Und machte treffliche Argumenta,

In Diſamis und Celarent,

So, daß ihn alle bewunderent,

Ihm wuͤnſche eine ſelige Ruh;

Das thun wir auch, je nu, je nu.

Es giebt in der That viele Gelehrte, die mit lauter Syllogismis um ſich
werffen, ſie moͤgen reden oder ſchreiben, als wann ein geſchicktes Urtheil, in
dem etwa der Major fehlet, nicht eben ſo gut waͤre. Bey oͤffentlichen Diſputa-
tionen
giebt man endlich wohl zu, daß man alle drey Glocken laͤutet, und
Majorem, Minorem und Concluſionem mit der groͤſten Andacht herbetet, da-
mit der andere Zeit habe, nachzudencken, und ſich nicht uͤbereilen doͤrffte.
Aber daß man in Schrifften Buͤchern und Geſellſchafften, immer auf Syllo-
gismus-
Schimmeln reiten will, ſolches zeiget ein Pedantiſches Gemuͤthe an.


Hieher koͤnnen annoch geſetzet werden, diejenigen, welche gantz beſonde-
re Methoden in Vortragung derer Wiſſenſchafften einfuͤhren wollen. Einige
wollen ſich der Mathematiſchen Lehr-Art bedienen, und wiſſen in der That nicht
einmal was dieſelbe hinter ſichhabe, und eigendlich heiſſe; wobey man den Yvo
Gaukes
einen Doctor der Artzney-Kunſt nicht unangemerckt vorbey laſſen kan,
der Anno 1712. eine Diſſertation,wie dieMedicinaufMathematiſche Gewiß-
heit zu bringen ſeye,
geſchrieben, und ſich darinnen der Mathematiſchen Lehr-
Art bedienen wollen, aber nichts als die Woͤrter Definitio, Propoſitio, Po-
ſtulatum
und Scholium angebracht hat. Dieſe hat er hin und her in ſeiner
Rede eingeflickt; an die Beweiß-Gruͤnde aber, die doch nichts Mathemati-
ſches in ſich haben, zuweilen einige Citationes angehangen, Nichts deſtowe-
niger hat er, auf dieſe Art, allerhand vorfallende Curen beweiſen wollen. Ex
behauptet z. E. den Satz: Das Fieber hat zehen Tage gewaͤhret, dadurch,
weil derfebriliſche Unflath innerhalb zehen Tagen weggeraͤumet wor-
den.
Dieſen aber: Ein Menſch von dreyßig Jahren hat das Fieber be-
kom-
[216]kommen, daher, weil das Blut eines Menſchen von dreyßig Jahren
hitziger ſeye, als anderer Leute.


Wer ſolte wohl meynen, daß dergleichen Leute noch heutiges Tages in
dem galanten Franckreich zu finden, welche glauben, daß nichts auſſer ihnen,
wircklich oder reell ſeye. Denn in denen Memoires de Trevoux wird erzehlet,
daß zu Paris der Urheber einer neuen Secte lebe, den des Malebranches Me-
taphyſica
ſo uͤberklug gemachet, daß er nunmehro behaupten will, er allein
ſeye in der That wahrhafftig verhanden, alle uͤbrige Menſchen aber,
und Creaturen waͤren nichts als ſeine eigene Einfaͤlle und Traͤume.

Gleichwohl hat er Anhaͤnger bekommen, die ſich Egoiſten, von Ego, Ich
nennen, und deren jedweder glaubet, daß er gantz allein in der Welt ſeye? daß
uͤbrige aber alles in ſeiner bloſſen Einbildung und Gedancken beſtehe.


Andere, und abſonderlich die Carteſianer, machen das Vieh zu unem-
pfindlichen Machinen, oder geben es vor zwey und vierbeinichte Uhrwercke
aus. Deswegen iſt einſtmals ein ſolcher abſurder Gelehrter, von einem rafi-
nir
ten Frauenzimmer uͤberaus beſchaͤmt worden; allermaſſen ſie einen Brief
an ihn geſchrieben, dieſes Innhalts: Sie haͤtte vernommen, daß er ein
Cartheſianer worden waͤre. Nun wuͤrde er auch ohne Zweiffel
die unvernuͤnfftigen Thiere bloß vor gekuͤnſtelte Machinen und In-
ſtrumente
halten, die keine Fuͤhlung und Empfindung haͤtten,
ſondern wie ein Uhrwerck durch ſich ſelbſt getrieben und beweget
wuͤrden. Die Sache aber wohl zu unterſuchen, moͤchte er einmal
ein Paar dergleichen kuͤnſtliche Machinen z. E. einen Hund und eine
Huͤndin zuſammen ſtecken, und eine Zeitlang bey einander laſſen.
Was gilts es wuͤrden dieſe beyden Machinen und Uhrwercke ſich ver-
mehren, und das dritte, vierdte und fuͤnffte Uhrwerck an das
Tage-Licht bringen. Hieraus koͤnte man abnehmen, ob die un-
vernuͤnfftigen Thiere ſchlechterdings Uhrwercke, und andere der-
gleichen kuͤnſtliche Machinen waͤren, oder ob ſie nicht vielmehr, in
dieſem Stuͤcke, denen Menſchen gleich kaͤmen.


Wie-
[217]

Wider andere haben durch Syllogiſtiche Gruͤnde den Sand ausrechnen
wollen, wie viel nemlich deſſen in der gantzen Welt waͤre. Solches alles
aber kommet von der Logica her, wann ſich bloͤde und tumme, oder ſonſt nicht
allzu richtige Koͤpffe damit verwirren. Bohuslaus Haſſenſteinius ſchreibet dem-
nach in ſeinem Wercklein de miſer. human. pag. 312. von denen Logicis gantz recht
alſo: Die Logici ſchieſſen Enthymemata loß, und bauen Waͤlder von
Syllogismis, damit ſie durch verwirrte und betruͤgliche Schluͤſſe
die Unerfahrnen beruͤcken moͤgen. Socrates ſpottet uͤber dieſe Leu-
te bey dem Plato. Dion vergleicht ſie mit denen Verſchnittenen, und
Origenes verſtehet unter denen Maͤuſen und Froͤſchen mit wel-
chen die Egyptier geplaget worden, das eitle Geſchwaͤtze derer
Dialecticorum.


Von denen Rhetoriſchen Springern, und Commœdianten aͤhnlichen Red-
nern, muß ich hier ebenfalls etwas gedencken, weil heut zu Tage nicht wenig ge-
funden werden, die mit wunderlich erhobener Stimme, vielfaͤltig veraͤndertem
Geſichte, frechen herumſchweiffenden Augen, klatſchenden Haͤnden, huͤpffen-
den Fuͤſſen, und andern dergleichen thoͤrichten Geberden und gauckleriſchen
Verbaͤugungen, die insgemein ein Zeichen ihres flatterhafften Gemuͤthes ſind,
die Zuhoͤrer anzureden pflegen, indem ſie vielleicht den Ausſpruch des De-
moſthenis
beobachten wollen, von welchen Valerius erzehlet, daß er dreymal
hinter einander ſeye gefraget worden, was das vornehmſte an einem Red-
ner ſeye?
worauf er jedesmal ohne Bedencken geantwortet: Die aͤuſſerliche
Auffuͤhrung, der er bey nahe alle Krafft und Wirckung in der Bered-
ſamkeit allein zugeſchrieben.
Und zwar, ſo wiſſen wir auch gar wohl, daß
ſchon Socrates, Plato, Cicero, Quintilianus, und die meiſten Stoicker dieſe
Kunſt einem Redner vor ſehr nuͤtzlich und noͤthig gehalten haben; ſo weit ſie
nemlich in einer anſtaͤndigen Leibes-Stellung, muntern Augen, unerſchrocke-
nem Geſichte, durchdringender Ausſprache, und endlich uͤberhaupt in einer
geſchickten, und dem Innhalt der Rede gemaͤßen Auffuͤhrung beſtehet. Da-
her hat Peter Frantzius ſolche Kunſt nicht nur wieder Mode machen, ſondern
auch auf das aͤuſſerſte treiben wollen, zu welchem Ende derſelbe eine neue Art
der Eloquentz erdacht, ſo er die aͤuſſerliche Beredſamkeit genennet hat. Er
fuͤhrte die jungen Leute allezeit vor den Spiegel, das ſie von dieſem Lehrmei-
E eſter
[218] ſter lernen ſolten, wie man ſich mit Mund und Augen, ja ſelbſt mit denen
Haͤnden, bey jedwedem Worte gebehren muͤſſe; worauf er dann dieſe neuen
Roſcios (wie man diejenigen, welche in einer Sache vortrefflich waren, dem
alten Roͤmiſchen Roſcio, der ſeine Perſon auf den Schau-Platz uͤber alle maſ-
ſen wohl vorſtellen koͤnnen, daß auch Cicero zu ſeiner Vertheidung eine Rede
gehalten, zu Ehren geheiſſen) oͤffentlich auftreten, und eine oder andere Rede
aus dem Cicero alſo herſagen laſſen; welches auch [insgemein] mit groſſem
Vergnuͤgen derer Zuhoͤrer geſchehen iſt, denen dieſes, als was neues, wornach
jederman begierig iſt, nicht mißfallen kunte. Allein es hat ſoweit gefehlet,
daß Frantzius, durch dieſe Kunſt-Stuͤcke, ſeine Schuͤler zu groſſen Rednern
haͤtte machen ſollen, daß vielmehr die meiſten dadurch zu einer gezwungenen
und ſchaͤndlichen Großſprecherey ſind verleitet worden.


Faſt eben dergleichen wiſſen ſichere Leute von dem beruͤhmten, in dieſem
Seculo verſtorbenen, Prediger J. F. M. zu erzehlen, daß ſelbiger, ſo offt er
vor einem groſſen Herrn predigen ſollen, allezeit vorhero ſeine Geberden und
Minen vor dem, in ſeiner Studier-Stube geſtandenen, ſehr groſſen, und aus
dem feineſten Venetianiſchen Cryſtall gemachten Spiegel unterſuchet habe.


Die Geſchichtſchreiber moͤgen ebenfalls nicht gantz und gar mit Still-
ſchweigen uͤbergangen werden, weil ſich ſchon ihrer viele auf mancherley Art
laͤcherlich gemachet, abſonderlich dadurch, wann ſie ſo gar die Treffen und
Schlachten, bey denen es insgemein ſehr unordentlich zugehet, auf das fleißig-
ſte und ordentlichſte beſchreiben und abmahlen laſſen. Nicht ohne Urſache hat
alſo der weltberuͤhmte GeneralSchomberg dem Michael le Vaſſor gerathen,
die Schlachten und gehaltenen Treffen nicht zu beſchreiben. Er ſelbſt,
wann er in
Bataillengeweſen, haͤtte bey weitem nicht alles in genaue
Obacht nehmen koͤnnen.
Die gemeinen Romanen-Schreiber aber ſind ſehr
gluͤcklich, ſolches alles auf das genaueſte zu entwerffen. Sie wiſſen auf de-
nen Fingern herzu erzehlen, wie die Glieder auf einander geruͤcket, wie die
Kugeln um die Koͤpffe geflogen, wie die Hiebe auf einander gefolget, und wie
ein jedweder gefochten, avanciret, oder zuruͤcke gewichen, dergeſtalt, daß man
meynen ſolte, ſie waͤren eben in der Lufft an einem ſichern Ort placiret gewe-
ſen, haͤtten mit ihren Augen Staub und Dampff durchdrungen, auch uͤber
jedwede Kugel, uͤber jedweden Hieb und Stich, ja uͤber einen jedweden vor-
oder ruͤckwerts gethanen Schritt, ein ordentliches Regiſter gehalten.


An-
[219]

Andere laſſen ſich duͤncken, es muͤſten ihre hiſtoriſchen Wercke abſolument
mit vielen Bildern ausgeſchmuͤcket ſeyn, wann ſie etwas gelten ſolten, em-
ploy
ren auch wohl einerley Bild, bey zehen unterſchiedenen Begebenheiten.
Solches findet man ſo gar in dem Theatro Europæo, allwo einerley Bilder
von Schlachten in etlichen Theilen wieder vorkommen, wo von gantz andern
Dingen gehandelt wird. In Dreßers Chronicke, und andern Chronicken,
hat man es noch weit aͤrger gemachet; wiewohl nicht zu laͤugnen iſt, daß da-
ran die Gewinnſichtigen Verleger oͤffters weit mehr Urſache ſind, als die Au-
tores.
Aber in was vor ein Regiſter ſind wohl die einfaͤltigen Bilder des Bu-
nons
zu ſetzen, z. E. damit man deſto leichter Iſaac im Sinn behalten ſolte, ſo
mahlte derſelbe einen Sack, und vorne ein J. dran. Wann man nun das J.
und den Sack ausſprach, ſo hatte man gleich Iſaac. In der Rechts-Ge-
lahrheit
hat er auch alles durch Bilder vorſtellen wollen, welches oͤffters ſehr
abgeſchmackt herausgekommen iſt.


Was that Johann Palatius? Damit er ſich in die damalige Zeit richten
moͤchte, in welcher mann die alten Muͤntzen und Medaillen ſehr hoch hielte,
hat er ſeine elende und Magere Hiſtorie mit einer groſſen Menge erdichteter
und ſelbſt-gemachter Můntzen angefuͤllet.


Wieder andere reden von nichts als Archiven,fremden Bůchern und
geheimen geſchriebenen Nachrichten,
damit ſie unter dieſem Vorwand, ei-
nigen deſto beſſer ſchmeicheln, und dem Leſer allerhand fabelhaffte Erzehlungen
aufbuͤrden koͤnnen. In dieſer Kunſt haben unter denen Teutſchen George
Ruͤxner,
und unter denen Frantzoſen Anton Varillas gewißlich allen uͤbrigen
den Preiß abgenommen. Denn damit jener nur den Adel etlicher Familten
hoch erheben koͤnte, ſo berufft er ſich beſtaͤndig auf ein gewiſſes Magdeburgiſches
Manuſcript; welches aber ſonſt niemals jemand, als er auf der Welt geſehen hat.
Dieſer aber vertheidiget ſeine Luͤgen allemal mit einer groſſen Anzahl von Ma-
nuſcriptis,
die keinen Menſchen bekannt ſind. Solche Luͤgner und boßhaff-
te Betruͤger, die uns gantz falſche Buͤcher hinterlaſſen haben, ſind ſehr viele
in der Welt geweſen. Ich will aber mich begnuͤgen, deren allhier nur zwey zu
nennen, nemlich Annium von Viterbo, der die Welt mit des Chaldæers Be-
roſus Antiquitatibus
betrogen, und Inqhiramum einen Florentiner, der mit de-
nen Antiquitatibus Hediuſcis ein gleiches gethan.


E e 2Die
[220]

Diejenigen ſind und bleiben indeſſen die allergroͤſten gelehrten Narren,
die uͤber den duncklen Verſtand eines Wortes oder etlicher, ja wohl gar uͤber
einen Buchſtaben, einen Lerm erregen, als ob die Wohlfarth der Welt daran
gelegen waͤre, wann dergleichen Worte gleich nichts nutzen, und nichts be-
deuten, als wie die Geſtalt des Jupiters im Caſu Genitivo. Was derglei-
chen Zaͤnckereyen noch laͤcherlicher machet, iſt die Verbitterung, und die
Feindſchafft, worein ſolche Zanckſichtige Gelehrte daruͤber mit einander gera-
then. Franciſcus Philelphus kan desfalls zu einem Exempel dienen. Denn als
er wegen des eigendlichen Verſtandes eines Griechiſchen Wortes mit einem,
Namens Timotheus, um den Bart gewettet und recht behalten, iſt er durch
kein Bitten ſeines Gegners zu bewegen geweſen, daß er ihm den Bart gelaſ-
ſen haͤtte, ſondern er hat ſelbigen ohne Barmhertzigkeit herunter geſchnitten,
und als ein Sieges Zeichen mit ſich im Triumph herum getragen.


Die groͤſten Narren nechſt dieſen [Wort- ]und Buchſtaben-Zaͤnckern,
ſind endlich diejenigen, welche uͤber lauter ungewoͤhnliche Fragen und un-
nuͤtze Grillen
diſputiren, z. E. Wie viele Ruder-KnechteUlyſſesmuͤſſe
gehabt haben? Ob der
Poët Homerusdielliasoder dieOdiſſeazu erſt ge-
ſchrieben? Wer doch wohl der
HecubaMutter geweſen ſeye? Was
Achillesvor einen Namen gefůhret, da er unter denen Weibern ge-
lebet? Ob
HomerusoderHeſiodusaͤlter ſeye? Welches wohl das groͤſte
Wunderwerck waͤre, wann der Elephant ſo klein wie ein Floh, oder
der Floh ſo groß wie ein Elephant wuͤrde?
Item ſolche Gelehrte, die
mit groſſer Muͤhe und vielen Gruͤnden etwas zu beweiſen ſuchen, daß doch kei-
nes Beweißes noͤthig hat, weil es ſichtbar, Handgreiflich und ſo beſchaffen iſt,
daß gar kein Menſch im geringſten daran zweiffelt. Hieher gehoͤret unſtreitig
derjenige Magiſter, deſſen in dem 140ſten Theil derer Teutſchen Actorum Eru-
ditorum
Meldung geſchiehet, welcher in einer der Unterſuchung derer Gelehr-
ten auf der Hohen-Schule fuͤrgelegten Schrifft, ſo zu denen Kirchen-Ge-
ſchichten
gehoͤrte, verſchiedene Stellen aus dem Platone und andern ange-
fuͤhret, um dadurch zu beweiſen, daß es Tag werde, wann die Sonne
aufgehet.


Jedoch, wo dencke ich hin, daß ich dieſe, aus Tummheit, Einfalt und
bloͤden Verſtande, Schwachheiten begehende Gelehrte die allergroͤſten ge-
lehr-
[221]lehrten Narren nenne? Denn ſolches ſeynd und bleiben ein vor allemal die
ſtoltzen und aufgeblaſenen Gelehrten, wie Petrarcha, der ſich zu Rom an
keinem andern Orte zum Poëten wolte croͤnen laſſen, als wo man ſonſt die
Roͤmiſchen Kaͤyſer zu croͤnen pflegte. Wie Ludovicus Arioſtus, den der vom
KayſerCarolo V. ihm aufgeſetzte Lorbeer-Crantz mit ſo unmaͤßiger Freude
uͤberſchuͤttete: daß er, als unſinnig auf denen Gaſſen herum gelauffen, und
ſich bey nahe raſender als der tolle Roland ſelbſt, deſſen Thorheiten doch von
ihm ſo lebhafft ſind beſchrieben worden, aufgefuͤhret hat; ingleichen wie der
ſchon-gedachte Glareanus, den KayſerMaximilianus I. zum Poëten gecroͤnet.
Wann dieſer Narr hoͤrte, daß ein Fremder angekommen, der ihn ſprechen
wolte, ſo ſetzte er augenblicklich den Lorbeer-Crantz auf, hieng die goldene
Kette
um den Hals, begab ſich in ein groſſes wohl ausgeputztes Zimmer, und
bliebe daſelbſt auf einem anſehnlichen Stuhl unbeweglich ſitzen, als ob er die
angekommenen Gaͤſte weder hoͤre noch ſaͤhe, ließ ſie auch ſo ungeſprochen wie-
der von ſich gehen. Hiermit mag genug von gelehrten Narretheyen ge-
redet ſeyn, und ich thue zum Beſchluß den wohlgemeynten Wunſch:



ES ſeufftzt die kluge Welt: komm doch, gerechte Zeit,

Und hau das Unkraut weg nach deiner Strengig-

keit!

Der gute Weitzen wird von ihm gar ſehr gedruͤcket,

Und wo es laͤnger waͤhrt zu letzt noch gar erſticket.

Laß Kunſt und Wiſſenſchafft in nuͤtzbarn Weſen bluͤhn,

So wird ihr Flor gar bald den Vortheil nach ſich ziehn,

Und der vom eitlen Tand geplagte Creyß der Erden

Von Grillen-Faͤngern bloß, leer von Pedanten werden,

E e 3Wenn
[222]
Wenn der Gelehrten Schaar der wahren Weißheit Frucht,

Und GOtt und auch der Welt mit Ernſt zu dienen ſucht.

Da wird die goͤldne Zeit mit Luſt zuruͤcke kommen,

Die ihren Platz anitzt im Himmel eingenommen.

Da wird von Heucheley und Zanck die Kirche rein,

Der Richt-Platz von Betrug und Liſt geſaubert ſeyn,

Und ſo viel Menſchen nicht durch Pulver, Tranck und

Pillen,

Die man zur Unzeit giebt, den weiten Kirchhoff fuͤllen;

Da wird Vernunfft und Licht in allen Seelen ſtehn,

Der Aberwitz zu Grund, die Dumheit betteln gehn,

Und kurtz: es wird alsdenn, zum groͤſten Troſt der Erden,

Ein Narr ſo ſelten noch, als itzt ein Kluger, werden.

ENDE.

[figure]
[[223]][[224]][[225]][[226]][[227]][[228]]

Lizenz
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Fassmann, David. Der Gelehrte Narr, Oder Gantz natürliche Abbildung Solcher Gelehrten, Die da vermeynen alle Gelehrsamkeit und Wissenschafften verschlucket zu haben, auch in dem Wahn stehen, daß ihres gleichen nicht auf Erden zu finden, wannenhero sie alle andere Menschen gegen sich verachten [...]. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bps8.0