zum Studium der geſammten
Heilkunſt.
beyBreitkopf und Haͤrtel
1800.
[[II]][[III]]
Dem
Hochgebohrnen Herrn
Moritz, Grafen von Fries
als
ein Zeichen ſeiner Verehrung
gewidmet
von
dem Verfaſſer.
[[IV]][[V]]
Vorrede.
Das Handbuch, welches dem Publikum hier mitge-
theilt wird, fand ſeinen Urſprung auf demſelben Wege,
welchem wir die Bekanntmachung der meiſten Handbuͤ-
cher verdanken. Nirgends fand ich einen ſchicklichen Leit-
faden meiner propaͤdeutiſchen Vorleſungen, welcher den
Kenntniſſen des Zeitalters gemaͤß, haͤtte genuͤgen koͤn-
nen, den kuͤnftigen Arzt mit ſeinem Zwecke und den hier-
zu erforderlichen Mitteln hinreichend bekannt zu machen.
Ich mußte deshalb einen eigenen Plan zu jenen Vorleſun-
gen entwerfen, und nach Ausfuͤhrung deſſelben, glaubte
ich, durch ſeine oͤffentliche Bekanntmachung eine Luͤcke
unſerer Literatur auszufuͤllen. — Daß dieſe Luͤcke wuͤrk-
lich vorhanden iſt, kann nicht bezweifelt werden; —
daß ſie durch dieſes Handbuch ausgefuͤllt werden moͤchte,
war mein Wunſch bey deſſen Abfaſſung; — daß ſie aus-
gefuͤllt iſt, damit ſchmeichle ich mir in dieſem Augenblicke,
ſo wie jeder Schriftſteller, wenn er ſeinem Werke den
)( 3Ge-
[VI]Vorrede.
Geleitsbrief ertheilt; — ob ich mich aber hierinne irre,
daruͤber wird mich das Urtheil der Kenner belehren.
Die Kritik der Heilkunſt fand ich zwar noch nirgends
fuͤr angehende Aerzte, alſo kurz, huͤndig, leicht und
auch ohne naͤhere Sachkenntniſſe verſtaͤndlich, bearbeitet,
jedoch hatte ich hier zum Theil Maͤnner, wie Erhard,
Noſe ꝛc. zu Vorgaͤngern, und es kam darauf an, theils
die Reſultate dieſer Unterſuchungen, geordnet, von der
Schulſprache ſoviel, als moͤglich, entkleidet und popu-
lariſirt, vorzutragen, theils dieſelben zu einem Ganzen
zu verknuͤpfen, in welcher Verbindung ſie ſich noch nicht
vorfinden.
In der Encyklopaͤdie mußte ich mir einen eigenen
Weg bahnen, denn die meiſten ihrer bisherigen Bearbei-
tungen ſcheinen ihren Zweck nicht vollkommen zu errei-
chen, da ſie die Organiſation der Wiſſenſchaften, d. h.
den Einfluß eines jeden Theils auf das Ganze, und des
Ganzen auf das Einzelne, zu wenig erlaͤutern. Ich
folgte alſo meinem eigenen Entwurfe, deſſen Princip
in den Graͤnzen unſres Erkenntnißvermoͤgens der Natur
uͤberhaupt, und der menſchlichen Natur insbeſondere be-
gruͤndet iſt.
Eben dadurch habe ich nun die Lehre von der Bil-
dung des Arztes vorbereitet; denn das Hauptgeſchaͤft
aller Methodologie beruht doch nur darauf, daß ſie eine
zweckmaͤßige Anſicht der Wiſſenſchaften, nach ihrem In-
halte,
[VII]Vorrede.
halte, Zwecke, ihren Quellen und Huͤlfsmitteln liefert,
vermoͤge welcher man ihren Zuſammenhang, ihre Fol-
ge ꝛc. zu beurtheilen vermag. Uebrigens war auch hier
moͤglichſte Vollſtaͤndigkeit in weſentlichen Stuͤcken, Deut-
lichkeit und Triftigkeit der Beſtimmungsgruͤnde, mein
vorzuͤglichſter Zweck.
Bey der Lehre von der wiſſenſchaftlichen Bildung
mache ich den angehenden Arzt mit der auserleſenen Lite-
ratur einer jeden Wiſſenſchaft bekannt; ich nenne daher
zuerſt ein zweckmaͤßiges Handbuch, deſſen er ſich bey
dem erſten Studium bedienen kann; ſodann das klaſſiſche
Werk, welches der Wiſſenſchaft in ihrem gegenwaͤrtigen
Zuſtande, gleichſam als Codex dient, und fuͤge hier und
da noch die Anzeige einiger andern Werke hinzu, welche
eine beſtimmte Nebenruͤckſicht haben, und deren Kennt-
niß dem Anfaͤnger nuͤtzlich werden kann.
Den Grundſaͤtzen der praktiſchen Bildung laſſe ich
eine Ueberſicht der vorzuͤglichſten kliniſchen Inſtitute Eu-
ropens folgen, nebſt einer Anzeige der Schriften, in
welchen man von jeder Anſtalt naͤhere Nachrichten er-
haͤlt. Dieſe Ueberſicht iſt ebenfalls ein bis jetzt noch unbe-
friedigtes Beduͤrfniß, und da ich hier meinem Zwecke ge-
maͤß, mich ſehr einſchraͤnken mußte, bin ich geſonnen, in
Kurzem eine eigene, weitlaͤuftigere, und mehr belehren-
de Darſtellung dieſer Inſtitute zu liefern, worinne mich
mehrere meiner auswaͤrtigen Goͤnner und Freunde durch
)( 4die
[VIII]Vorrede.
die befriedigendſten Nachrichten guͤtigſt zu unterſtuͤtzen
verſprochen haben.
Mein einziges Beſtreben bey Abfaſſung dieſes Hand-
buchs war, es zu propaͤdeutiſchen Vorleſungen ſo taug-
lich als moͤglich zu machen; habe ich dieſen Zweck in et-
was erreicht, ſo bleibt mir nichts zu wuͤnichen uͤbrig, als
daß es, zu dieſem Behufe angewendet, auf Bildung
aͤchter Aerzte, und dadurch auf Vervollkommung unſrer
Kunſt, den wohlrhaͤtigſten Einfluß haben moͤge.
Leipzig,
im November 1800.
Burdach.
In-
[]
Propaͤdeutik
zum Studium der geſammten Heilkunſt.
Ein Leitfaden akademiſcher Vorleſungen.
Inhaltsanzeige.
- Einleitung § 1
- I.Die Heilkunſt21
- 1 ter Theil. Kritik der Heilkunſt 22
- 1 tes Kapitel, Beduͤrfniß der Heilk. 23
- 2 — Begriff der Heilk. 34
- 3 — Gegenſtand der Heilk. 45
- 4 — Quellen der Heilk. 55
- 5 — Gewißheit der Heilk. 83
- 6 — Schwierigkeiten der Heilk. 93
- 7 — Graͤnzen der Heilk. 103
- 8 — Behandlungsart der Heilk. 111
- [2]ter Theil. Encyklopaͤdie der Heilkunſt 136
- 1te Klaſſe. Grundwiſſenſchaften 154
- 1te Abtheil. Enfernte Grundwiſſenſch. 155
- 1tes Kap. Naturgeſchichte 157
- 2 — Chemie 171
- 3 — Phyſik 183
- 2. Naͤhere Grundwiſſenſch. 193
- 1tes Hauptſt. Kenntniß der
Erſcheinungen am Men-
ſchen uͤberhaupt und der
Geſundheit inſonderheit 194 - Inhalt.
1ter Abſchn. Form des menſchl. Koͤrpers § 196 - 1tes Kap. Anatomie 197
- 2 — Naturgeſch. d. Menſchen 213
- 2 — Miſchung d. menſchl. Koͤrpers. 215
- 3 — Erſchein. (im engern Sinne) 220
- 1tes Kap. Phyſiologie 221
- Phyſiolog. Semiotik 240
- 2 — Pſychologie 245
- Anthropologie 257
- Pſycholog. Semiotik 261
- Phyſiognomik 263
- 2tes Hauptſt. Kenntniß der Krankh. des Menſchen
1ter Abſchn. Allgem. Krankheitslehre 265 - 1. Pathogenie 268
- 2. Symptomatologie 273
- 3. Aetiologie 275
- 2 — Beſondre Krankheitslehre 279
- 1tes Kap. Pathol. Anatomie 280
- 2 — — Authropochemie 286
- 3 — Noſologie 291
- Syſtematik 295
- Diagnoſtik 301
- Prognoſtik 302
- Semiotik 303
- 3tes Hauptſt. Kenntniß der Heilkraͤfte 307
- 1ter Abſchn. Lehre v. d. mech. Heilkraͤften 322
- 2 — Chemiſche Heilkraͤfte 331
- 3 — Thieriſche Heilkraͤfte 340
- 1tes Kap. Arzneymittellehre der
aͤußern Natur 346 - 1. Arzneykoͤrperlehre 348
- Pharmacie 353
- Inhalt.
Formulare § 355 - 2. Arzneykraͤftelehre 357
- 2tes Kap. der innern Natur 359
- 4ter Abſchn. Geiſtige Heilkraͤfte 362
- 2te Klaſſe. Hauptwiſſenſchaften 367
- 1te Abtheil. Entfernte Hauptwiſſenſchaften 368
- 1tes Kap. Allgem. Arzneykunft 374
- 2 — — Handarzneyk. 377
- 3 — — Entbindungsk. 381
- 2 — Naͤhere Hauptwiſſenſchaften 383
- 1tes Kap. Beſondre Arzneykunſt 388
- 2 — — Handarzneyk. 398
- 3 — — Entbindungsk. 413
- 3 — Vervollkommungswiſſenſchaften 417
- 1tes Kap. Literatur der Heilkunſt 418
- 2 — Geſchichte der Heilk. 424
- 3 — Mediciniſche Geographie 429
- 4 — Nebenwiſſenſchaften 433
- 1te Abtheil. Volksarzneykunde 435
- 1tes Kap. Popul. Naturlehre des
Menſchen 436 - 2 — Diaͤtetik 439
- 3 — Popul. Krankheitslehre
des Menſchen 443 - 2te Abtheil. Staatsarzneykunde 446
- 1tes Kap. Medicin. Polizey 447
- 2 — Gerichtl. Medicin 450
- 3 — Hebammenkunſt 453
- Inhalt.
II. Der Arzt.
1ter Theil. Der Stand des Arztes § 456 - 2 — Bedingungen bey der Wahl dieſes Stan-
des 482 - 3 — Bildung des Arztes 501
- 1te Abtheil. Geiſtige Bildung 502
- 2 — Koͤrperliche Bild. 522
- 3 — Menſchliche Bild. 529
- 4 — Wiſſenſchaftliche Bild. 555
- 1tes Hauptſt. Allgem. Methodo-
logie der Heilk. 558 - 2 — Beſondre Methodo-
logie der Heilk. 580 - 1ter Abſchn. Vorberei-
tungsſtudium 580 - 2 — [Huͤlfsſtudium]593
- 3 — Studium der
Heilkunſt 630 - 5 — Praktiſche Bildung 729
- Ueberſicht der vorzuͤglichſten
kliniſchen Inſtitute. 784
[[1]]
Einleitung.
§ 1.
Die Propaͤdeutik zum Studium der Heilkunſt traͤgt alle
die Kenntniſſe vor, welche ihrem Weſen nach dazu beſtimmt
ſind, dem Unterrichte in der Heilkunſt ſelbſt voranzuge-
hen, (πϱὸ τῆς παιδιίσεως) und ſie unterſcheidet ſich hierdurch
von den Vorbereitungs- und Huͤlfswiſſenſchaften der Heil-
kunſt, welche ihrem Weſen nach fuͤr ſich ſelbſt beſtehen,
ihren eignen, durch ſie ſelbſt beſtimmten Zweck haben, und
nur durch gewiſſe Ruͤckſichten einem hoͤhern Zwecke unter-
geordnet werden *).
§ 2.
Sie belehrt alſo den kuͤnftigen Arzt uͤber den eigentlichen
Zweck, deſſen Erreichung er zum Gegenſtande ſeines Stu-
diums erwaͤhlt hat, und entwickelt denſelben theils fuͤr ſich,
Aund
[2]Einleitung.
und im Allgemeinen (objectiv), theils in wiefern er durch
Individuen realiſirt wird (ſubjectiv). Sie zerfaͤllt demnach
in zwey Abtheilungen, deren die eine die Heilkunſt, die
andere den Arzt darſtellt.
§ 3.
I. Sie entwickelt zuerſt den Begriff der Heilkunſt,
und fuͤhrt dadurch, daß ſie das Weſen, den Zweck, die
Quellen und Mittel derſelben erlaͤutert, auf den Stand-
punct, von wo aus ein gehoͤrig begruͤndetes Urtheil theils
uͤber ihren wiſſenſchaftlichen Werth, ihre Gewißheit und
ihren Nutzen, theils uͤber die Mittel, ſie zu erlernen und
auszuuͤben, gefaͤllt werden kann. Dies iſt die Kritik
der Heilkunſt.
§ 4.
Sodann liefert ſie die Encyklopaͤdie der Heil-
kunſt, indem ſie einen Umriß der Kenntniſſe entwirft,
welche dieſelbe begruͤnden. Sie ſtellt dieſe Kenntniſſe als
ein wiſſenſchaftliches Gebaͤude dar, und zeigt, wie die
einzelnen Theile zum zweckmaͤßigen Ganzen vereinigt ſind;
ſie entwickelt den Inhalt und die Quellen jeder hierher gehoͤ-
rigen Wiſſenſchaft, ihren Zuſammenhang mit den uͤbrigen,
und ihren Einfluß auf das Ganze.
§ 5.
II. Sie ertheilt hierauf Belehrung uͤberdie Mittel,
die Heilkunſt durch ſein Individuum zu realiſiren, oder uͤber
den Weg, auf welchem man Arzt wird, oder ſich zu dem-
ſelben bildet.
§ 6.
[3]Einleitung.
§ 6.
Es werden alſo die Bedingungen vorausgeſchickt,
welche in demjenigen ſchon erfuͤllt ſeyn muͤſſen, welcher ſich
zum Arzte bilden will.
§ 7.
Sie ſchildert hierauf die Eigenſchaften, welche der
Arzt, als denkendes Weſen beſitzen muß, und ertheilt ge-
hoͤrigen Rath uͤber die Huͤlfsmittel, dieſe Eigenſchaften ſich
zu erwerben, oder zu vervollkommnen. Hier findet alſo
Belehrung uͤber die geiſtige Bildung des Arztes
Statt.
§ 8.
Ferner zeigt ſie die Erforderniſſe des Arztes, in wiefern
derſelbe in ſeiner Kunſt es mit Gegenſtaͤnden der aͤußern
Sinnenwelt zu thun hat, und da wir nun weder von den
aͤußern Gegenſtaͤnden belehrt werden, noch eine Veraͤnde-
rung in ihnen veranlaſſen koͤnnen, außer durch unſere koͤr-
perlichen Organe, ſo iſt hier die Rede von der koͤrper-
lichen Bildung des Arztes.
§ 9.
In wiefern der Menſch Gegenſtand des Arztes und
ſeiner Kunſt iſt, muß derſelbe ſelbſt einen gewiſſen Grad der
Vollkommenheit als Menſch, d. h. als ein Weſen, in wel-
chem Vernunft mit Sinnlichkeit vereinigt iſt, beſitzen; und
die Propaͤdeutik belehrt daher auch uͤber die menſchliche
Bildung des Arztes.
§ 10.
Die Erwerbung der mannichfaltigen, zur Ausuͤbung der
Heilkunſt noͤthigen Kenntniſſe, macht hierauf den Gegen-
A 2ſtand
[4]Einleitung.
ſtand ihrer Unterſuchungen aus, und indem ſie den Weg
zeigt, auf welchem man ſich dieſe Kenntniſſe am ſicherſten,
vollſtaͤndigſten und leichteſten erwerbe, traͤgt ſie die wiſſen-
ſchaftliche Bildung des Arztes vor, oder die ei-
gentliche Methodologie.
§ 11.
Da nun aber die Heilkunſt, als Kunſt, in Anwendung
der erlangten Kenntniſſe beſtehet, und ihre Ausuͤbung auf
einer groͤßern oder mindern Fertigkeit beruhet, ſo lehrt end-
lich die Propaͤdeutik die Art und Weiſe, ſich dieſe Kunſt-
fertigkeit zu verſchaffen, indem ſie die praktiſche Bil-
dung des Arztes entwickelt.
§ 12.
Der Nutzen dieſer Propaͤdeutik offenbart ſich alſo ſchon
aus bloßer Anzeige deſſen, was ſie leiſtet, und die Erfah-
rung belehrt uns hinlaͤnglich von dem Nachtheile, welchen
ihre Vernachlaͤſſigung nach ſich zieht.
§ 13.
Die Kritik (§. 3) benimmt auf der einen Seite den
blinden Koͤhlerglauben, welcher von dem Werthe der Kunſt
nicht uͤberzeugt iſt, ſondern an denſelben glaubt; auf der
andern Seite ſchuͤtzt ſie vor einer troſtloſen Zweifelſucht,
welche die Kunſt zu dem Fragmente eines Handwerks herab-
wuͤrdigt, oder ſie, als ein Fantom, welches nur durch ſein
Alterthum im Beſitze eines rechtlichen Scheines iſt, vernich-
tet. Sie erhellt den Zweck, um ein Urtheil uͤber die Mittel
zu Erreichung deſſelben zu begruͤnden.
§ 14.
[5]Einleitung.
§ 14.
Die Encyklopaͤdie (§ 4) zeigt, warum eine jede der
zur Heilkunſt gehoͤrenden Wiſſenſchaften, erlernt werde,
welche Ruͤckſicht, und welche Anſtrengung das Studium
derſelben verlange.
§ 15.
Die Darſtellung der Bedingungen (§. 6) legt einem
Jeden die Puncte vor, durch deren Beantwortung er ſich
pruͤfen muß, ob er ſich zu Erlernung der Heilkunſt beſtim-
men duͤrfe oder nicht?
§ 16.
Die Lehre von der geiſtigen Bildung (§. 7) lenkt die
Aufmerkſamkeit des kuͤnftigen Arztes fruͤh auf die Mittel,
ſeinen Geiſt zu vervollkommnen, da dieſe Vervollkommnung,
je laͤnger ſie vernachlaͤſſigt worden iſt, auch deſto ſchwieriger
wird.
§ 17.
Die Lehre von der koͤrperlichen Bildung (§. 8) lehrt
den Arzt auf Erhaltung und Vervollkommnung ſeiner Ge-
ſundheit bedacht ſeyn, da hierauf die Vollkommenheit nicht
nur ſeiner individuellen Exiſtenz, ſondern auch der Beob-
achtung und des Handelns begruͤndet iſt.
§ 18.
Die Lehre von der menſchlichen Bildung (§. 9) zeigt
dem Arzte, wie er ſich als Menſch betragen muͤſſe, worauf
es ankomme, um ſeine innere und wahre Wuͤrde zu behaup-
ten, und dabey auf die Kranken durch Mittel, welche ſich
auf den Charakter ihrer Menſchheit beziehen, vollſtaͤndig zu
wuͤrken.
A 3§ 19.
[6]Einleitung.
§ 19.
Die Methodologie (§. 10) bewahrt den Arzt vor einem
ſeichten, uͤbel geordneten und zweckloſen Studiren, welches
entweder ſeinen Zweck gaͤnzlich verfehlt, oder zu viel Muͤhe
und Zeit koſtet, und oft nach allen dieſen Verſchwendungen
doch nicht an das eigentliche Ziel fuͤhrt.
§ 20.
Die Lehre von der praktiſchen Bildung (§. 11) warnet
vor den mannigfaltigen Klippen, an welchen der angehende
Arzt ſo leicht ſcheitern kann; ſie lehrt den Beobachtungsgeiſt
wecken, und aͤchte Erfahrungen ſammeln.
[[7]]
I.
Heilkunſt.
A 4
[[8]][9]
§ 21.
Die Heilkunſt wird hier dargeſtellt, theils in wiefern ſie
uͤberhaupt ihrem Zwecke entſpricht, und ihre Verſprechungen
erfuͤllt, theils in wiefern ſie auf mannichfaltige Kenntniſſe
ſich ſtuͤtzt, und die Moͤglichkeit, ſie zu realiſiren, in dieſen
Kenntniſſen beſteht. Sie zerfaͤllt alſo in zwey Theile, in
die Kritik und die Encyklopaͤdie.
Erſter Theil.
Kritik der Heilkunſt.
§ 22.
Die Kritik der Heilkunſt, als Theil der Propaͤdeutik,
liefert die Reſultate der Unterſuchungen uͤber das Weſen der
Heilkunſt, alſo uͤber ihren Zweck, uͤber die hierzu erforder-
lichen Mittel, und uͤber die Art der Anwendung dieſer Mit-
tel zu Erreichung eines Zwecks.
- Baglivi de praxi medica ad priscam obſervandi rationem
reuocanda. Edit. 4. Lugd. Batav. 704. 8. - Erhard’s Verſuch eines Organons der Heilkunde. In Roͤſch-
laubs Magazin II. Bd. Seite 1. f. f. und III. Band S. 1.
f. f. (noch nicht vollendet.)
A 5Erſtes
[10]Erſter Theil.
Erſtes Kapitel.
Beduͤrfniß einer Heilkunſt.
§ 23.
Die Nothwendigkeit der Kunſt, Krankheiten zu heilen,
beruht auf der unausbleiblichen Erſcheinung der Krankheiten;
koͤnnen naͤmlich dieſe, vermoͤge der ganzen Einrichtung der
[menſchlichen] Natur, niemals ganz vermieden werden: ſo
bedarf der Menſch jener Kunſt. Es fließen daher die Unter-
ſuchungen uͤber beyde Gegenſtaͤnde hier zuſammen.
§ 24.
Unter Leben verſtehen wir die Reihe von Erſcheinun-
gen an einem von ſeiner Entſtehung an, aus mannichfalti-
gen, vermoͤge ihrer Zuſammenſetzung harmonirenden Thei-
len beſtehenden, und ſeinen Zweck in ſich ſelbſt findenden
(alſo organiſchen) Koͤrper, welche, da ſie von den Erſchei-
nungen der uͤbrigen Natur abweichen, auch auf eigenthuͤm-
lichen, ihnen zu Grunde liegenden Kraͤften beruhen muͤſſen,
die wir den Grund des Lebens, Lebensprincip, Lebens-
kraͤfte nennen. Wir haben von dem Leben keinen andern,
als durch die Erfahrung gegebenen Begriff; es iſt alſo fuͤr
uns kein innerer Zuſtand, ſondern eine Erſcheinung.
§ 25.
Menſchliches Leben iſt die Reihe von Erſcheinungen,
welche dem Menſchen, ſeinen ſaͤmmtlichen Anlagen gemaͤß,
zukommen, und zwar 1) als einem Koͤrper uͤberhaupt, 2)
als einem organiſchen, d. h. durch ſich ſelbſt beſtimmten,
3) als einem thieriſchen, d. h. des Eindrucks der Außen-
welt faͤhigen, und ſich dem zufolge nach Willkuͤhr beſtimmen-
den, und 4) als geiſtigem, d. h. der innern Anſchauung
faͤhigen
[11]Kritik der Heilkunſt.
faͤhigen Weſen. Und ſonach eignen wir dem Menſchen
phyſiſche, d. h. ſchlechthin koͤrperliche, organiſche, thieriſche
und geiſtige Kraͤfte zu.
§ 26.
Jede Erſcheinung wird beſtimmt, erſtlich durch die ei-
genthuͤmliche, ihr zu Grunde liegende Kraft, und ſodann
durch die Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe, unter welchen und
durch welche ſich dieſelbe thaͤtig zeigt.
§ 27.
Demnach iſt das menſchliche Leben modificirt durch die
Verſchiedenheit der Umſtaͤnde, unter welchen und durch
welche der innere Grund des Lebens ſich wuͤrkſam zeigt,
und dieſe Modificationen bezeichnen wir im Allgemeinen
durch Geſundheit und Krankheit.
§ 28.
Geſundheit iſt die Reihe von Erſcheinungen am Men-
ſchen, deren jede ihrem eigenthuͤmlichen, durch die Erfah-
rung uns bekannten, und theils auf ſie ſelbſt, theils auf die
uͤbrigen ſich beziehenden Zwecke entſpricht. Den Innbegriff
der unnachlaßlichen Bedingungen, auf welchen dieſe Geſund-
heit beruht, nennen wir die naͤchſte Urſache der Geſundheit.
§ 29.
Krankheit iſt die Reihe von Erſcheinungen am Men-
ſchen, deren eine oder mehrere ihren, theils auf ihr eignes,
theils auf die uͤbrigen Organe ſich beziehenden Zweck, der
Erfahrung gemaͤß nicht erfuͤllen. Den Zuſtand des Men-
ſchen, oder ſeiner phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und
geiſtigen Natur, welcher die Bedingung jener Erſcheinungen
ausſchließlich enthaͤlt, nennen wir die naͤchſte Urſache der
Krankheit.
§. 30.
[12]Erſter Theil.
§ 30.
Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur,
und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen,
keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin-
det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen
kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen
Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig-
nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon
in analogiſcher Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der
Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft
gegen ihren zeitigen Zweck.
§ 31.
Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in
demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr-
kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man-
nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in
ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je
betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren,
und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer
Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je
zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe
ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der
phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ-
pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein
Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei-
ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke,
— daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes
den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den
meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar
muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben
Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte des
Menſchen
[13]Kritik der Heilkunſt.
Menſchen, und mit ihnen die aͤußern Beſtimmungen ſeines
Weſens ſich mehren, oder in welchem er in der rein menſch-
lichen und buͤrgerlichen Cultur fortſchreitet. Es erhellt alſo
hieraus auch in genetiſcher Ruͤckſicht, daß die Krank-
heiten unausbleiblich ſind **).
§ 32.
Ueberlegen wir endlich, daß Krankheiten und Schmerzen
zu der Summe von Uebeln gehoͤren, welche theils den
Genuß der entgegengeſetzten Guͤter erſt vollkommen wuͤrzen,
und uns dieſelben zweckmaͤßig benutzen lehren, theils der
Einfoͤrmigkeit des Genuſſes und der ſo leicht entſtehenden
Ueberſaͤttigung vorbeugen, theils die Entwickelung eines
hoͤhern Sinnes und die Erweckung von Tugenden veranlaſ-
ſen: ſo ahnden wir auch die Nothwendigkeit der Krankheiten
in teleologiſcher Ruͤckſicht.
§ 33.
Aus dieſem allen (§ 30, 31, 32) erhellt, daß, wenn
es eine Kunſt giebt, Krankheiten zu heilen, ſie keinesweges
dem Gefolge der Ueppigkeit und des Sittenverderbniſſes bey-
gezaͤhlt werden kann *), ſondern daß ſie ein Beduͤrfniß der
Menſchheit iſt **), und zwar ein um deſto dringenderes und
weiter umfaſſendes, je weiter der Menſch in der Cultur vor-
geruͤckt iſt, daß alſo auch die Staaten derſelben beſonders be-
duͤrfen ***).
Zweytes
[14]Erſter Theil.
Zweytes Kapitel.
Begriff der Heilkunſt.
§ 34.
Die Heilkunſt iſt die Kunſt, Krankheiten des Menſchen zu
erkennen, und nach einem, durch dieſe Kenntniß beſtimmten
Plane zu heilen, d. h. moͤglichſt vollkommene [Geſundheit]
wiederherzuſtellen.
- Gever’s Analytik des Begriffs der Heilkunſt (in Roͤſch-
laub’s Magazin. I. Bd. S. 257 f. f.)
§ 35.
Sie kommt darin mit allen Kuͤnſten uͤberein, daß ſie
den Begriff von Etwas (von Geſundheit) im [Voraus] bildet,
und denſelben ſodann realiſirt, daß ſie ſich alſo einen Zweck
vorſetzt, welcher durch eine beſtimmte, regelmaͤßige Thaͤtig-
keit mehr oder weniger vollkommen erreicht wird.
§ 36.
Die Heilkunſt hat alſo zwey Geſchaͤfte: zuerſt erkennt
ſie die Krankheiten des Menſchen, d. h. ſie faßt alle Er-
ſcheinungen an demſelben auf, welche die Vollkommenheit
ſeiner Exiſtenz einſchraͤnken, und urtheilt uͤber ihren Zuſam-
menhang und ihre Urſachen. Es involvirt dieſes Geſchaͤft
die Kenntniß ſaͤmmtlicher Erſcheinungen am Menſchen und
der Geſetze, nach welchen ſie erfolgen (Geſundheit und
Krankheit). Sie unterſcheidet ſich hierdurch von dem Zu-
falle, welcher zuweilen Krankheiten beſeitigt, indem er unter
unzaͤhlig moͤglichen Faͤllen gerade den zweckmaͤßigen herbey-
fuͤhrt, ohne daß ein denkendes Weſen abſichtlichen Antheil
daran hat.
§ 37.
[15]Kritik der Heilkunſt.
§ 37.
Dieſe Erkenntniß der Krankheiten iſt moͤglich, denn ſie
bezieht ſich nicht auf den letzten Grund der Dinge, nicht
auf das innere Weſen des Menſchen, ſondern auf ſeine Er-
ſcheinungen im Raume und in der Zeit (§. 29). Dieſe
Erſcheinungen aber koͤnnen wir eben ſo, wie die der geſamm-
ten aͤußern Natur, vollſtaͤndig beobachten, ſie in allen ihren
Verhaͤltniſſen auffaſſen, und darnach mit Gewißheit beſtim-
men, daß ſie andern, ehemals beobachteten, mehr oder
weniger aͤhnlich ſind.
§ 38.
Zweytens entwirft nun die Heilkunſt hiernach einen
Plan, die Krankheiten zu heilen, d. h. die krankhaften Er-
ſcheinungen zu beſeitigen, und ſtellt durch Verfolgung dieſes
Plans die Geſundheit wieder her. Dies involvirt die
Kenntniß aller der Verhaͤltniſſe und Beſtimmungen, welche
die Natur des Menſchen modificiren, und ihrer Wuͤrkungs-
art. Sie unterſcheidet ſich hierdurch von der Rontine, welche
zuweilen Krankheiten heilt, indem ſie unter den einzelnen
wahrgenommenen Faͤllen, welche ſie in dem gegenwaͤrtigen
Falle nachahmen will, gerade auf den paſſenden verfaͤllt.
§ 39.
Ein ſolcher Heilplan kann aber entworfen und ausge-
fuͤhrt werden, weil die Krankheiten Erſcheinungen (§. 29)
und Modificationen des Lebens, als der allgemeinen Er-
ſcheinung am Menſchen ſind (§. 25), welche von den innern
und aͤußern Verhaͤltniſſen der menſchlichen Natur abhaͤngen
(§. 26, 27), und weil die Heilung auf der Entfernung dieſer,
und der Herbeifuͤhrung neuer Verhaͤltniſſe beruht. Das
denkende
[16]Erſter Theil.
denkende Weſen im Menſchen vermag naͤmlich eben ſowohl
dieſe Heilung, als eine beſondere Modification der Natur-
kraͤfte herbeizufuͤhren, als uͤberhaupt irgend eine Naturkraft
durch Veranlaſſung neuer Verhaͤltniſſe nach ſeinem Willen
zu modificiren.
§ 40.
Da alſo ſowohl Erkenntniß (§. 37) als planmaͤßige
Heilung der Krankheiten (§. 39) moͤglich iſt, ſo iſt auch die
Heilkunſt, als welche einzig und [allein] dieſe beyden Geſchaͤf-
te hat (§. 34), moͤglich *). Sie leiſtet naͤmlich allen Forde-
rungen Genuͤge, welche man an irgend eine Kunſt thut **),
indem ſie 1) ihren Zweck (Wiederherſtellung der Geſundheit)
deutlich darſtellt, 2) die Mittel zu Erreichung deſſelben (in
der aͤußern Natur und in dem Menſchen ſelbſt) beſitzt, und 3)
mit Sicherheit die Art erkennt, dieſe Mittel zum vorgeſetzten
Zwecke anzuwenden (Heilplan).
§ 41.
Wenn wir die Erſcheinungen einer Krankheit ihrem we-
ſentlichen und urſachlichen Zuſammenhange nach kennen;
wenn wir wiſſen, wie ſie durch die Eigenſchaften und Wuͤr-
kungsgeſetze der menſchlichen Natur, ſo wie der auf ſie ein-
wuͤrkenden Kraͤfte, allmaͤhlig beſtimmt, und auf den gegen-
waͤrtigen Punct gebracht worden ſind, und uns dem
zufolge auch die Wuͤrkung der Heilmittel auf ſie, eben ſo
bekannt iſt: ſo beſitzen wir eine vollſtaͤndige Theorie
einer Krankheit.
§ 42.
[17]Kritik der Heilkunſt.
§ 42.
Werden nun dieſe Theorieen der Krankheiten, und dieſe
aus einzelnen Erfahrungen gebildeten allgemeinen Saͤtze,
durch Stetigkeit der Principien unter einander verknuͤpft,
und die einzelnen Thatſachen, welche ſich ſowohl auf
Kenntniß des Menſchen, als auf Heilung ſeiner Krankheiten
beziehen, auf allgemeine Grundſaͤtze zuruͤckgefuͤhrt, ſo wird
eine Heilwiſſenſchaft gebildet. Sobald wir feſtſetzen,
daß eine Wiſſenſchaft nur ein Innbegriff von Erkenntniſſen
aus Grundſaͤtzen der Vernunft, alſo a priori erkennbar ſeyn
und apodyktiſche Wahrheiten enthalten ſoll, ſo muß freylich
die Heilkunſt auf dieſen Charakter Verzicht thun *). Wenn
wir aber unter einer Wiſſenſchaft uͤberhaupt eine deutliche
und vollſtaͤndige Darſtellung zuſammenhaͤngender Wahrhei-
ten verſtehen, welche eben dadurch auch hinreichende Einſicht
in ihren Zuſammenhang gewaͤhrt: ſo iſt allerdings auch eine
Heilwiſſenſchaft moͤglich.
§ 43.
Unrichtig und zu enge iſt die Definition der Heilkunſt
als einer Kenntniß des Menſchen und ſeiner Erſcheinungen,
denn dieſe Kenntniß giebt nur ein Huͤlfsmittel derſelben ab.
Sie beſteht, als Kunſt, nicht im Wiſſen, ſondern im
Handeln.
§ 44.
Zu weit iſt die Definition, wenn man ſie die Kunſt
nennt, Krankheiten vorzubeugen und ſie zu heilen *). Denn
die Verhuͤtung von Krankheiten kann nur das Geſchaͤft eines
Bjeden
[18]Erſter Theil.
jeden Individuums fuͤr ſich ſeyn; die Heilkunſt iſt nur
competente Richterin uͤber die deshalb zu ergreifenden
Maaßregeln, vermoͤge der Kenntniſſe, welche ihr voraus-
gehen, und auf welchen ſie begruͤndet iſt **).
Drittes Kapitel.
Gegenſtand der Heilkunſt.
§ 45.
Der Gegenſtand der Heilkunſt iſt der kranke Menſch, eine
Erſcheinung der aͤußern [Sinnenwelt], und zwar eine ſolche,
welche nicht durch den Menſchen veraͤnderte und willkuͤhrlich
zuſammengeſetzte Kraͤfte vorausſetzt, ſondern unmittelbar
von den urſpruͤnglichen, beſtimmten Wuͤrkungsgeſetzen der
Natur ſelbſt abhaͤngt. Die Heilwiſſenſchaft iſt alſo eine
Naturwiſſenſchaft.
§ 46.
Es macht den Gegenſtand der Heilkunſt kein innerer
Zuſtand aus, auf welchen wir nur ſchließen koͤnnen, ſondern
eine Kette ſinnlich wahrnehmbarer Erſcheinungen, welche
fuͤr ſich, einzeln genommen, Symptome genannt werden.
Hat ſie naͤmlich die verſchiedenen Symptome an dem kran-
ken Menſchen, ihrem Zuſammenhange, ihren Urſachen und
Wuͤrkungen
[19]Kritik der Heilkunſt.
Wuͤrkungen nach, aufgefaßt: ſo vergleicht ſie dieſelben mit
vormals beobachteten Reihen von Symptomen, oder Krank-
heiten, welche durch eine beſtimmte Handlungsweiſe geho-
ben wurden; ſie ſucht ſodann die Abweichungen unter bey-
den auf, und modificirt hiernach fuͤr den gegenwaͤrtigen
Fall die vormals heilſam befundene Handlungsweiſe. Da-
durch hebt ſie die verſchiedenen, und beſonders die we-
ſentlichen und urſpruͤnglichen Symptome, und ſind
dieſe verſchwunden, ſo hat die Heilkunſt ihren Zweck
erreicht.
§ 47.
Die krankhaften Symptome, d. h. die Stoͤrungen eines
oder mehrerer Theile des menſchlichen Koͤrpers, wodurch
ſie unfaͤhig werden, theils fuͤr ſich, theils auf den uͤbrigen
Organismus gehoͤrig und ihrem Zwecke gemaͤß zu wuͤrken,
koͤnnen nun verſchieden ſeyn, und nach dieſer Verſchiedenheit
des Gegenſtandes hat auch die Heilkunſt verſchiedene
Zweige.
§ 48.
Es giebt zuerſt Krankheiten, wo Erſcheinungen im
engern Sinne des Worts, d. h. Veraͤnderungen des Men-
ſchen, welche der Zeitfolge nach von einander verſchieden
ſind, ſich uns als weſentlich und urſpruͤnglich offenbaren,
wo beſonders die Kraͤfte krankhaft modificirt ſind, ohne daß
eine ſinnlich wahrnehmbare Veraͤnderung in den Organen
ihnen als Urſache vorangegangen iſt. Wir nennen ſie innere
oder allgemeine Krankheiten, und da alle Kraͤfte, welche
ihre Heilung bewuͤrken koͤnnen, unter dem Namen von Arz-
eneymitteln begriffen werden: ſo wird der Zweig der Heil-
B 2kunſt,
[20]Erſter Theil.
kunſt, welcher ſich mit ihnen beſchaͤftigt, Arzneykunſt,
oder Medicin genannt *).
§ 49.
Die uͤbrigen Krankheiten beruhen auf einer ſinnlich
wahrnehmbaren Beſchaffenheit der Organe, welche in ihrem
phyſiſchen und chemiſchen Charakter begruͤndet iſt; nicht auf
Erſcheinungen im engern Sinne, denn dieſe folgen nur nach,
und ſind von jener abhaͤngig. Man nennt ſie aͤußere, auch
drtliche Krankheiten, und da ihre Heilung zum Theil auf
Handgriffen beruht: ſo heißt dieſer Zweig der Heilkunſt,
die Handarzeneikunſt, Chirurgie.
§ 50.
Da endlich die krankhaft erſchwerten Geburten unter
den mancherley Krankheiten ganz beſonders wichtig ſind: ſo
macht die Entfernung dieſer krankhaften Erſcheinungen den
Gegenſtand eines eigenen Zweiges der Heilkunſt aus, naͤmlich
der Entbindungskunſt, des Accouchements *). Da
nun aber die Hinderniſſe der Geburt theils auf den Wuͤrkungen
der Lebenskraͤfte (§ 48), theils auf phyſiſchen, d. h. ſchlecht-
hin koͤrperlichen Verhaͤltniſſen (§ 49) beruhen: ſo muß die
Entbindungskunſt ihre Grundſaͤtze aus den beyden genannten
Zweigen der Heilkunſt ſchoͤpfen, und ſie iſt deshalb nicht
weſentlich von ihnen verſchieden.
§ 51.
[21]Kritik der Heilkunſt.
§ 51.
Beyde Kuͤnſte (§ 48, 49) beſchaͤftigen ſich alſo mit
dem kranken Menſchen, als einem ſchlechthin koͤrperlichen
(phyſiſchen und chemiſchen), organiſchen, thieriſchen und
geiſtigen Weſen: denn alle dieſe Kraͤfte muͤſſen zuſammen-
kommen, um den Begriff des Menſchen zu conſtituiren.
Die Arzneikunſt aber betrachtet ihn, in ſofern vorzuͤglich
ſeine thieriſche und geiſtige Natur hervorleuchtet, ohne uͤbri-
gens ſeiner phyſiſchen Kraͤfte uneingedenk zu ſeyn. Die
Handarzneykunſt hingegen behandelt ihn vorzuͤglich in Hin-
ſicht auf ſeine phyſiſche und organiſche Natur, ohne jedoch
die thieriſche und geiſtige Natur unbeobachtet zu laſſen.
§ 52.
Beyde Kuͤnſte ſtuͤtzen ſich im Ganzen genommen auf
gleiche Kenntniſſe, ihre Graͤnzen verlaufen ſich oft in einan-
der, und die eine bedarf immer des Beyſtandes der andern.
Sie machen deshalb eigentlich ein unzertrennliches Ganzes
aus *), und nur die Unmoͤglichkeit, beide Kuͤnſte durch ein
und daſſelbe Individuum in gleich hohem Grade der Voll-
kommenheit zu realiſiren, hat eine Trennung derſelben
nothwendig gemacht.
§ 53.
Da alſo beyde durch gleichen Zweck geadelt werden:
ſo ſieht man, wie unbeſonnen die Streitigkeiten uͤber den
Vorrang der Einen vor der Andern waren *). Sie ſtehen
auf gleicher Stufe der Vollkommenheit, wenn ſie auf dem
B 3einzig
[22]Erſter Theil.
einzig wahren Wege der Erfahrung mit gehoͤrigem Eifer
bearbeitet werden, ſinken zu gleicher Niedrigkeit herab, ſo-
bald das Vorurtheil in ihnen herrſcht, die Hypotheſe leitet
und Spitzfuͤndigkeit den Zweck abgiebt; und nur ungebildete
Menſchen konnten ihrer Kunſt wegen aͤußerer Zufaͤlligkeiten
einen groͤßern Werth beylegen.
§ 54.
Eben ſo wenig Ehre bringt es dem Zeitalter, welches
den Werth der Heilkunſt nach der Achtung beurtheilen woll-
te, welche eine die wiſſenſchaftliche Cultur uͤberhaupt wenig
beguͤnſtigende Nation ihr ſchenkte *), oder ihn aus dem
Range der Zunft **), oder den Ehrenſtellen ***), oder
andern aͤußern Ehrenbezeugungen der Aerzte †), beweiſen
wollte.
Viertes Kapitel.
Quellen der Heilkunſt.
§ 55.
Wir haben geſehen, was die Heilkunſt zu leiſten verſpricht
(§. 34), wie ſie Kunſt (§. 40) und Wiſſenſchaft (§. 42)
iſt:
[23]Kritik der Heilkunſt.
iſt: wir muͤſſen nun unterſuchen, wie ſie dieſem Verſprechen
Genuͤge leiſtet, und welches deshalb ihre Quellen ſind.
§ 56.
Alle Kenntniſſe der Heilkunſt ſind Naturkenntniſſe (§. 45),
d. h. ſie betreffen Erſcheinungen, welche unabhaͤngig von
der Willkuͤhr des Menſchen, nur in der allgemeinen Natur-
kraft begruͤndet, aber durch den Menſchen in ihren Aeuße-
rungen modificirt ſind. Es gilt daher das Gemeinſame,
welches auf alle unſere Naturkenntniſſe ſich bezieht, auch
von der Heilkunſt.
§ 57.
Die Natur lernen wir zuerſt aus ihren Werken, aus
den Erſcheinungen, welche uns umgeben, und welche wir
vermittelſt unſerer Sinne wahrnehmen, kennen. Wahr-
nehmung iſt alſo der erſte Schritt zur Kenntniß der
Natur.
§ 58.
Verbinden wir ſodann die einzelnen Wahrnehmungen
zu einem Ganzen, richten wir unſere Aufmerkſamkeit auf
die Folge der Erſcheinungen, in welcher ſie ſich uns darbie-
ten: ſo erhalten wir eine Beobachtung.
§ 59.
Erweitern wir den Kreis unſerer Kenntniſſe durch Be-
obachtung einer Erſcheinung in der Natur, welche uns bis-
her noch unbekannt war: ſo machen wir eine Entdek-
kung.
§ 60.
Die aufmerkſame Beobachtung der Natur im Allge-
meinen und in ihren einzelnen Wirkungen belehrt uns von
B 4einem
[24]Erſter Theil.
einem ſichern, unabaͤnderlichen Gange derſelben, und in
dieſem Vertrauen giebt ſich ihr der Menſch in ruhiger Sorg-
loſigkeit hin. Wir gelangen hierdurch zu der Idee von der
Stetigkeit der Natur.
§ 61.
Dieſe Idee leitet uns zu Erfindungen, ſie laͤßt
uns naͤmlich hoffen, daß unter beſtimmten Umſtaͤnden,
welche wir jetzt zum erſtenmale (wenigſtens fuͤr uns zum
erſtenmale) herbeyfuͤhren, beſtimmte Wuͤrkungen erfolgen
werden. Dadurch gewinnt es den Anſchein, als haͤtten wir
Kenntniſſe der Natur a priori.
§ 62.
Wahrnehmungen und Beobachtungen liefern uns die
erſten Naturkenntniſſe, welche, weil ſie nur die ſchlichte
Aufzaͤhlung deſſen, was exiſtirt oder exiſtirt hat, enthalten,
hiſtoriſche genannt werden. Sie werden alſo voraus-
geſetzt und liegen allen hoͤhern Naturkenntniſſen zu Grunde.
§ 63.
Von ihnen erheben wir uns zu den philoſophi-
ſchen Naturkenntniſſen, welche ſich es zum Zweck
machen, den urſachlichen Zuſammenhang, der unter jenen
Erſcheinungen Statt findet, auszumitteln.
§ 64.
Da es nun aber die Graͤnzen unſers Erkenntnißvermoͤ-
gens nicht geſtatten, die letzten Gruͤnde der Erſcheinungen,
und alſo die Dinge an ſich, zu erkennen, uns auch dieſe
[Kenntniß] fuͤr unſern gegenwaͤrtigen Zuſtand kaum heilſam
ſeyn
[25]Kritik der Heilkunſt.
ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch moͤglich waͤre: ſo genuͤgt es uns,
die Geſetze aufzuſuchen, nach welchen die ihrem Weſen nach
uns fuͤr immer unbekannten Naturkraͤfte wuͤrken, und alſo
fuͤr uns exiſtiren.
§ 67.
Hierzu fuͤhrt uns nun die Inductionsmethode.
Da uns nemlich die Geſetze der Vernunft gebieten, zu glei-
chen Wuͤrkungen gleiche Urſachen zu denken, ſo ſchließen
wir durch die Induction von dem Aufeinanderfolgen oder
Beyſammenſeyn der Erſcheinungen, auf ein gemeinſchaftli-
ches Cauſſalverhaͤltniß, welches ihnen zum Grunde liegt.
§ 68.
Um hier nicht zu raſch zu folgern, und um allen moͤg-
lichen Taͤuſchungen vorzubeugen, muͤſſen wir ausmitteln, ob
gewiſſe Erſcheinungen immer beyſammen ſind, immer auf
einander folgen? — Iſt dies nicht der Fall, ſind ſie durch
das Werk des Zufalls, oder, richtiger zu ſagen, durch Ur-
ſachen, welche auſſer ihnen liegen, verbunden worden, ſo
koͤnnen wir ihnen kein gemeinſchaftliches Cauſſalverhaͤltniß
zuſchreiben. — Die in dieſer Abſicht unternommenen Ver-
aͤnderungen der Verhaͤltniſſe, wodurch die Erſcheinungen
ſelbſt veraͤndert werden, nennen wir Verſuche.
§ 69.
Wenn endlich alle mit einer Erſcheinung verbundenen
Verhaͤltniſſe hinweggenommen und geaͤndert wurden, und
doch die Erſcheinung ſich allemal gleich blieb, ſobald nur das
eine Verhaͤltniß Statt fand, ſo haben wir den entſchei-
denden Verſuch gewonnen, und wir ſind gewiß, daß
B 5jenes
[26]Erſter Theil.
jenes Verhaͤltniß die Urſache jener Erſcheinung, d. h. jener
Modification der Naturkraft enthaͤlt.
§ 70.
Da wir nun ferner die Erſcheinungen, ihren ſaͤmmtli-
chen Theilen und Verhaͤltniſſen nach, nicht immer ſchon be-
obachtet haben, noch ſie beobachten koͤnnen, ſo unterſtuͤtzt uns
hier die Analogie. Wenn wir nemlich durch mehrere Be-
obachtungen belehrt worden ſind, daß gewiſſe Umſtaͤnde in
einem beſtimmten Verhaͤltniſſe unter einander ſtehn, und wir
nehmen in dem gegenwaͤrtigen Falle einige dieſer Umſtaͤnde
wahr, ſo ſchließen wir, daß dieſelben zu den, uns noch
unbekannten, oder noch nicht vorhandnen, in gleichem Ver-
haͤltniſſe ſtehn werden.
§ 71.
Auf dieſem Wege gelangen wir nun zu einer ſo voll-
ſtaͤndigen Kenntniß der Natur, als uns vermoͤge der Graͤn-
zen unſres Erkenntnißvermoͤgens nur immer moͤglich iſt.
Sehen wir naͤmlich durch dieſe Huͤlfsmittel eine Erſcheinung,
nach ihrem Weſen, ihren Urſachen und Folgen ein, ſo ha-
ben wir die Theorie derſelben.
§ 72.
In demſelben Grade nun, in welchem Kenntniß der
Natur uͤberhaupt fuͤr uns moͤglich iſt, iſt auch Kenntniß des
kranken Menſchen, und der Kraͤfte, durch welche ſeine Hei-
lung beſtimmt wird, moͤglich.
§ 73.
Zuerſt naͤmlich nimmt die Heilkunſt die einzelnen Symp-
tome an dem kranken Menſchen wahr. Dieſe Wahrneh-
mung
[27]Kritik der Heilkunſt.
mung giebt die erſte Bedingung der Erfahrung ab, darf alſo
nicht mit ihr verwechſelt werden.
§ 74.
Sodann beobachtet ſie, wie dieſe Symptome auf ein-
ander folgten, was ihnen vorherging, wie ſie ſich verſtaͤrk-
ten, wie ſie unter dieſen oder jenen Umſtaͤnden wieder ver-
mindert wurden, was ihnen endlich folgte.
§ 75.
Auf dieſe Art macht ſie Entdeckungen, und liefert den
Stoff zu einer hoͤhern Verarbeitung.
§ 76.
Nimmt ſie einige Erſcheinungen wahr, welche ſie bis-
her immer mit gewiſſen andern verbunden beobachtet hat,
und ſie iſt verhindert, dieſe andern jetzt wahrzunehmen, ſo
ſchließt ſie der Analogie gemaͤß, auf ihre Gegenwart.
§ 77.
Nimmt ſie ferner in dem gegenwaͤrtigen Falle Erſchei-
nungen wahr, welche ſie vormals in ihren ſaͤmmtlichen Ver-
haͤltniſſen ſchon beobachtet hat, ſo ſchließt ſie nach der Ana-
logie, daß eine beſtimmte Handlungsweiſe auf die gegen-
waͤrtige Krankheit gleichen Einfluß haben wird, als ſie vor-
mals auf die aͤhnliche Krankheit hatte. Sie verhuͤtet alſo,
was vormals ſchadete, und wendet an, was vormals fruch-
tete.
§ 78.
Da nun die Naturgeſetze an ſich, zwar ſich immer
gleich, in ihren Wuͤrkungen aber unendlich modificirt ſind,
alſo
[28]Erſter Theil.
alſo auch die Krankheiten denſelben Geſetzen unterworfen,
aber nach der Verſchiedenheit der einwuͤrkenden Verhaͤltniſſe,
niemals vollkommen mit einander uͤbereinſtimmen, ſo kann
hier die Analogie auch niemals ganz vollſtaͤndig ſeyn, noch
die Heilart in zwey Krankheitsfaͤllen ſich ganz gleichen.
§ 79.
Weil alſo die krankhaften Erſcheinungen durch das ver-
ſchiedene Einwuͤrken der Verhaͤltniſſe auf den Menſchen, im-
mer verſchieden modificirt ſind, und deshalb ihre Heilart
auch in demſelben Verhaͤltniſſe modificirt ſeyn muß: ſo iſt es
ein unentbehrliches Beduͤrfniß fuͤr die Heilkunſt, mit dem
Cauſſalverhaͤltniſſe jener Erſcheinungen bekannt zu ſeyn, um
darnach die Anwendung der Heilkraͤfte abzumeſſen. Und
hierzu verhilft die Induction.
§ 80.
Hat naͤmlich die Heilkunſt nach mehreren Verſuchen den
entſcheidenden gewonnen, welcher ſie uͤberzeugt, daß ein ge-
wiſſer Umſtand, durch Einwuͤrkung auf die menſchliche Na-
tur ein beſtimmtes Symptom und als deſſen Folge wiederum
andre, dadurch aber eine ganze Krankheit hervorbringt, ſo
iſt ſie auf Entfernung dieſes urſpruͤnglichen Symptoms,
welches den uͤbrigen zum Grunde liegt, bedacht.
§ 81.
Weiß ſie ferner aus entſcheidenden Verſuchen, daß die-
ſes Symptom durch eine gewiſſe Handlungsweiſe entfernt
werde, ſo ſucht ſie das gehoͤrige Verhaͤltniß zwiſchen beyden
zu treffen, d. h. ſie modificirt die in gleichen Faͤllen heilſam
befundene Handlungsweiſe, je nachdem ſie an dem gegen-
waͤrtigen urſpruͤnglichen Symptome eine Verſchiedenheit der
Urſa-
[29]Kritik der Heilkunſt.
Urſachen, des Sitzes, des Grades, der Dauer, der Aeuſ-
ſerung und der Folgen wahrnimmt.
§ 82.
Dieſe Reyhe von Actionen, naͤmlich Wahrnehmung,
Beobachtung, Schluͤſſe durch Induction und Analogie, ge-
ben nun die Erfahrung der Heilkunſt, als welche ihre einzige
Quelle in ſich begreift.
§ 83.
Auf dieſe Art kann alſo die Heilkunſt niemals ohne
Theorie exiſtiren, und beyde haben einen gleichzeitigen Ur-
ſprung gehabt, da die Eine ohne die Andere ſich nicht den-
ken laͤßt. Unter Theorie der Heilkunſt verſteht man naͤmlich
die Einſicht in die krankhaften Erſcheinungen, wie dieſelben
durch Wirkung der innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſe auf die
Kraͤfte des Menſchen von Grad zu Grad beſtimmt, und
durch andere Verhaͤltniſſe von Grad zu Grad aufgehoben
werden.
§ 84.
Umfaßt nun eine Theorie ſaͤmmtliche Theile der Heil-
kunſt, und iſt durch ein einiges, hoͤchſtes Princip, Ord-
nung, Vollſtaͤndigkeit und der innigſte Zuſammenhang in
die Darſtellung derſelben gebracht worden, ſo hat man ein
Syſtem der Heilkunſt.
Fuͤnftes Kapitel.
Gewißheit der Heilkunſt.
§ 85.
Es herrſcht eine unwandelbare Stetigkeit in der Natur, ih-
re Geſetze ſind unvergaͤnglich und unnachlaßlich; und wenn wir
in
[30]Erſter Theil.
in ihren Werken einen Widerſpruch zu finden vermeynen, ſo
liegt der Fehler entweder an unſerer Beobachtung, oder an
unſerer Beurtheilung.
§ 86.
Haben wir daher ein Geſetz, nach welchem die allge-
meine Naturkraft wuͤrkt, entdeckt, und es nur in dem Kreiſſe
unſerer Erfahrungen als hinlaͤnglich bewaͤhrt und begruͤndet
gefunden, ſo koͤnnen wir mit Sicherheit urtheilen, daß daſ-
ſelbe in den unzaͤhligen andern Faͤllen, welche wir noch nicht
beobachtet haben oder nicht beobachten koͤnnen, eben ſo wuͤr-
ken werde.
§ 87.
Die Beobachtung einer Erſcheinung, welche einem
ſolchen Geſetze geradezu entgegen iſt, und es aufhebt, koͤn-
nen wir mit Sicherheit als unrichtig verwerfen, denn die
Natur iſt ein Einiges und ſtreitet nie mit ſich ſelbſt.
§ 88.
Hierdurch wird alſo die Gewißheit einer jeden Natur-
wiſſenſchaft moͤglich, und da die Heilkunſt ſich auf die Er-
kenntniß der Geſetze der in dem Menſchen wuͤrkenden Natur-
kraft bezieht, ſo iſt dadurch auch die Moͤglichkeit ihrer Ge-
wißheit begruͤndet *).
§ 89.
Ueber die Krankheiten und ihre Heilart hat im Allge-
meinen die Heilkunſt nur eine Stimme; ſie bewahrt naͤmlich
die Beobachtungen auf, welche in den einzelnen Faͤllen ſich
immer gleich ſind, und gleich ſeyn muͤſſen, und wendet ſie
gehoͤ-
[31]Kritik der Heilkunſt.
gehoͤrig an. Deshalb bleiben die Schriften aller großen
Aerzte, welche die Natur zu beobachten verſtanden, fuͤr im-
mer ſchaͤtzbar und nuͤtzlich, es moͤgen nun dieſelben in irgend
einem Zeitalter gelebt haben und irgend einer Secte zuge-
than geweſen ſeyn. Und es iſt der Triumph der Heilkunſt,
wenn Aerzte bey ganz verſchiedenen Theorien, doch eine und
dieſelbe Heilmethode haben.
§ 90.
Es koͤnnen nemlich dieſelben krankhaften Erſcheinungen
auf eine verſchiedene Art erklaͤrt und ausgelegt werden, je
nachdem die Vorſtellungsart von der Natur, und von der
menſchlichen Natur inſonderheit, verſchieden iſt *).
§ 91.
Vorzuͤglich wurde dieſe Abweichung dadurch veranlaßt,
daß man von der Beobachtung einzelner Erſcheinungen, ſo-
gleich zu Aufſuchung ihres letzten Grundes uͤbergieng, uͤber
welchen man vermoͤge der Grenzen unſers Erkenntnißvermoͤ-
gens, nie einig werden konnte.
§ 92.
Je mehr man bey Auslegung der Natur, ſich an die
Mittelglieder (zwiſchen den ſinnlichen Erſcheinungen und ih-
ren letzten Gruͤnden) haͤlt, d. h. durch Induction und Ana-
logie aus den beobachteten Erſcheinungen die Geſetze kennen
lernt, nach welchen die Naturkraͤfte wuͤrken, um deſto ei-
niger mit ſich ſelbſt wird die Heilkunſt, um deſto weniger
finden ſich Widerſpruͤche in ihr.
§ 93.
[32]Erſter Theil.
§ 93.
Hat die Heilkunſt dieſen Zweck erreicht, und dadurch
eine vollſtaͤndige Theorie gebildet, ſo kann ſie bey jeder ihrer
Handlungen, bey der Heilung eines jeden Individuums ſich
von dieſer Theorie leiten laſſen.
§ 94.
So lange aber dieſe Theorie noch nicht die einzig wah-
re iſt, ſo muß die Heilkunſt ſich noch an einzelne Beobach-
tungen halten; laͤßt ſie ſich im Gegentheile uͤberall durch
jene Theorie beſtimmen, ſo wird ſie unvollkommen, und
verdient alle Vorwuͤrfe von Unſicherheit.
- Martini certitudinis medicæ conſtitutio et encomium. Ve-
net. 628. 8. - Stahl de certitudine artis medicæ. Halæ 698. 4.
- Junker de certitudine medicinæ in genere. Halæ 743. 4.
- (Erhard) Ueber die Medicin. Arkeſtlas an Ekdemus. (Im
teutſchen Merkur. 1795. Auguſt). - Cabanis du degré de certitude de la médecine. à Paris. 6. — 8.
Sechſtes Kapitel.
Schwierigkeiten der Heilkunſt.
§ 95.
Die Gewißheit der Heilkunſt im Allgemeinen, d. h. die
Moͤglichkeit, Krankheiten mit Gewißheit zu erkennen und mit
Sicherheit zu heilen, kann alſo nicht bezweifelt werden. Je-
doch
[33]Kritik der Heilkunſt.
doch kann man eben ſo wenig die Schwierigkeiten leugnen,
mit welchen ſie verbunden iſt.
§ 94.
Zuerſt kann naͤmlich nur ein ſehr geuͤbter Verſtand, nur
eine angeſtrengte Aufmerkſamkeit die krankhaften Erſcheinun-
gen in dem Individuo vollſtaͤndig entdecken, die Urſachen,
durch welche ſie beſtimmt worden ſind, entwickeln, und das
Weſentliche von dem Zufaͤlligen unterſcheiden.
§ 95.
Da ſodann manche Theile des Koͤrpers, in welchen das
urſpruͤngliche Symptom der Krankheit ſeinen Sitz hat, den
aͤuſſern Sinnen nicht blos geſtellt ſind, ſo muß die Heil-
kunſt in ſolchen Faͤllen mit Huͤlfe der Analogie auf die ur-
ſpruͤngliche Krankheitserſcheinung ſchließen. Hierzu bedarf
ſie aber theils einer reichen Erfahrung, theils eines ſchar-
fen Beobachtungsgeiſtes, und einer gebildeten Beurthei-
lungskraft.
§ 96.
Die Krankheiten ſind die Producte unzaͤhliger zuſam-
mentreffender Kraͤfte, des Menſchen ſowohl, als der aͤuſ-
ſeren Natur. Dieſe Kraͤfte nun, koͤnnen in derſelben Ord-
nung und denſelben Verhaͤltniſſen nie mehr als einmal zu-
ſammen treffen, denn ſo bald dies geſchaͤhe, ſo muͤßte es
zwey Naturen ſtatt einer geben. Es iſt baher kein Krank-
heitsfall dem andern ganz aͤhnlich.
§ 97.
Da nun die Heilung dem Krankheitsfalle ganz ange-
meſſen ſeyn muß, ſo kann auch ein und dieſelbe Heilmethode
Cin
[34]Erſter Theil.
in allen ihren Punkten nicht mehr als fuͤr einen einzigen
Krankheitsfall paſſend ſeyn.
§ 198.
Wenn alſo die Erfahrung lehrt, daß bey einer gewiſſen
Krankheit eine beſtimmte Methode heilſam war, ſo findet
bey einem aͤhnlichen Krankheitsfalle keine vollſtaͤndige Ana-
logie Statt, weil derſelbe nothwendig durch andere Urſachen
beſtimmt ſeyn muß. Die Heilkunſt ſucht alſo die Abwei-
chung des gegenwaͤrtigen Falles von dem vormaligen auf,
und aͤndert dem zufolge auch die Heilmethode ab.
§ 199.
Da aber dieſe Unterſchiede oft aͤuſſerſt ſein, die Erſchei-
nungen oft aͤuſſerſt verwickelt ſind, und da die Entdeckung
des Cauſſalverhaͤltniſſes in den Naturerſcheinungen uͤberhaupt
mit großen Schwierigkeiten verbunden iſt, ſo wird hierzu
ebenfalls ein beſonders hoher Grad von Scharfſinn und Be-
urtheilungskraft erfordert.
§ 100.
Hieraus erhellet, daß die Heilkunſt nicht nur (nach
Hippokrates Ausſpruche) von großem Umfange, ſondern
daß ſie unermeßlich iſt. So wie die Natur in allen ihren
Wirkungen ſich nie ganz gleich iſt, ohngeachtet ſie immer
von denſelben Geſetzen abhaͤngen, ſo darf auch die Heil-
kunſt, welche einen Theil dieſer Wuͤrkungen abzuaͤndern be-
zweckt, in mehrern Faͤllen ſich nie ganz derſelben Methode
bedienen, ob ſie gleich nach denſelben Geſetzen wuͤrkt.
§ 101.
Die Form aber iſt uͤberhaupt mehr begraͤnzt, leidet
weniger Modificationen, als die Erſcheinungen im engern
Sinne
[35]Kritik der Heilkunſt.
Sinne, und dieſe Modificationen ſind leichter zu entdecken.
Deshalb hat derjenige Zweig der Heilkunſt, welcher die
Form des menſchlichen Koͤrpers zum Gegenſtande hat, oder
den Menſchen in phyſiſcher und organiſcher Ruͤckſicht be-
trachtet, weniger Schwierigkeiten.
§ 102.
Deshalb macht die Chirurgie, ſubjectiv betrachtet, d.
h. in ſo fern ſie durch ein Individuum realiſirt wird, An-
ſpruch auf mehrere Gewißheit; oder der Chirurg kann im
Ganzen genommen, mit einem geringern Aufwande von Be-
urtheilung zu dem Grade der Gewißheit gelangen, nach wel-
chem der Arzt ſtrebt.
- Magati confiderationes medicæ, quibus potiores difficultates
in praxi contingentes expenduntur. Bonon. 637. - Th. Bartholinus de artis medicæ difficultate, Hafn. 668. 8.
- Haaſe Progr. 4. de iis, quæ artem difficilem reddunt. Lipſ.
798-99. 4.
Siebentes Kapitel.
Graͤnzen der Heilkunſt.
§ 103.
Die Heilkunſt hat ihre Graͤnzen, auf welche ſie, wie
bey Erkenntniß, ſo bey Heilung der Krankheiten einge-
ſchraͤnkt iſt, und es giebt einen Punkt, welchen das Maaß
ihrer Kraͤfte nicht zu uͤberſchreiten geſtattet, ſo wie uͤber-
haupt der Menſch weder eine vollſtaͤndige Einſicht in die
geſammte Natur hat, noch die Naturkraft ſelbſt in ihrem in-
nern Weſen umzuaͤndern vermag.
C 2§ 104.
[36]Erſter Theil.
§ 104.
Zuerſt giebt es Krankheiten, welche man weder zu er-
kennen, noch, wenn man ſie auch erkannt haͤtte, zu heilen
vermag. Es gehoͤren hierher die Verletzungen und Zerſtoͤrun-
gen der innern Organe, von deren Gegenwart wir keine deut-
lichen Zeichen haben. Es iſt nicht unmoͤglich, daß wir bey
der hoͤchſt moͤglichen Vervollkommung der Kunſt, aus ſinn-
lich wahrnehmbaren Erſcheinungen auf andere krankhafte
Erſcheinungen, welche unſern Sinnen entgehen, zu ſchlieſ-
ſen, einige dieſer Krankheiten werden entdecken koͤnnen:
aber die Kunſt iſt hier unwuͤrkſam, weil die erſte Bedingung
der menſchlichen Exiſtenz, Integritaͤt der Structur, aufge-
hoben iſt.
§ 105.
Andere Krankheiten wuͤrden geheilt werden koͤnnen,
wenn man ſie nur zu erkennen vermoͤchte. Aber die frucht-
los angeſtrengte Aufmerkſamkeit der erfahrenſten und ſcharf-
ſinnigſten Beobachter laͤßt fuͤrchten, daß die Heilkunſt hier
niemals zu einer gewiſſen Erkenntniß gelangen wird. Dies
gilt vorzuͤglich von dem Anfange der Krankheiten innerer
Organe, wo noch keine auffallenden Wuͤrkungen ſich aͤuſſern,
und wo, wenn dieſe erſcheinen, das Uebel ſchon unheil-
bar iſt.
- Stahl de incurabilibus adfectibus. Halae 705.
§ 106.
Andere Krankheiten endlich, erkennt die Heilkunſt zwar,
aber vermag ſie nicht zu heilen. Dies findet Statt, erſtlich
wenn Verletzungen von Organen vorausgegangen, welche
entweder der Kunſt unzugaͤnglich ſind, oder wobey uͤber-
haupt das Leben nicht mehr fortdauern kann, weil das Sub-
ſtrat der Lebenskraft verletzt iſt; zweytens, wenn die Grund-
kraͤfte
[37]Kritik der Heilkunſt.
kraͤfte des Menſchen entweder mit ſichtbarer Abnutzung der
Organe oder ohne dieſelben erſchoͤpft ſind, z. B. in langwie-
rigen, eingewurzelten Krankheiten ꝛc. *).
§ 107.
Da alſo hier die Erreichung ihres Zwecks, Krankheiten
zu erkennen und zu heilen, der Heilkunſt, der Natur der
Sache nach, ſchlechterdings unmoͤglich iſt, ſo ſind dieſe Faͤl-
le eigentlich auch gar nicht Gegenſtaͤnde der Heilkunſt. Weil
ſie aber vermoͤge ihrer Kenntniß der Naturkraͤfte, dieſe Ue-
bel, wenn auch nicht heben, doch erleichtern kann, ſo arbei-
tet ſie hier nur auf den allgemeinen Zweck hin, menſchliches
Elend zu mindern.
§ 108.
Bey Krankheiten, deren Weſen ſie nicht zu erkennen
vermag, deren urſpruͤngliches Symptom, welches den
Grund der uͤbrigen enthaͤlt, ſie alſo nicht heben kann, ſucht
ſie wenigſtens die einzelnen ſich offenbarenden Crſcheinungen
durch Mittel, welche die Erfahrung bewaͤhrt hat, zu min-
dern, oder dem Kranken ertraͤglicher zu machen.
§ 109.
In den Faͤllen aber, wo ihr nur die Kraͤfte zu heilen,
fehlen, ſteht ſie als Troͤſterin dem Kranken bey, verhuͤtet al-
les, was ſein Leben verkuͤrzen koͤnnte, mindert ſeine Schmer-
zen, bereitet ihn zu der bevorſtehenden Umwandlung ſeiner
Natur vor, und ſucht endlich, ihm dieſe Metamorfoſe ſo
leicht als moͤglich zu machen.
C 3§ 110.
[38]Erſter Theil.
§ 110.
Auf dieſe Art bleibt die Heilkunſt auch da, wo ſie ihren
eigentlichen Zweck nicht erreichen kann, ehrwuͤrdig; und die-
ſe Beſchraͤnktheit kann ihr nicht zum Vorwurfe gereichen, da
ſie dieſelbe mit allen Aeuſſerungen menſchlicher Kraͤfte ge-
mein hat.
- Coſchwiz de adynamia artis medicae in morbis. Halae
720. 4.
Achtes Kapitel.
Behandlungsart der Heilkunſt.
§ 111.
Der Begriff einer Kunſt involvirt ſchon fuͤr ſich die Moͤg-
lichkeit einer groͤßern oder mindern Vollkommenheit, nach
Maasgabe der Art, ſie zu behandeln. Die Heilkunſt kann
eben ſo auf verſchiedenen Stufen ſtehen, je nachdem ihre Be-
arbeitung verſchieden iſt.
§ 112.
Wenn Krankheit etwas, der ſinnlichen Wahrnehmung
Entruͤcktes waͤre, und alſo die Heilkunſt nur den Zweck haͤt-
te, einen innern Zuſtand des Menſchen zu erkennen und zu
heilen, (§. 46.) ſo waͤre ſie zu verſchiedenen Zeiten, ihrem
eigentlichen Weſen nach, ganz verſchieden geweſen, wir
wuͤßten zuverlaͤſſig, daß es Jahrtauſende hindurch keine Heil-
kunſt gegeben haͤtte, und wir waͤren noch ungewiß, ob wir
jetzt in dem Beſitze einer ſolchen Kunſt waͤren, oder jemals
zu demſelben gelangen koͤnnten.
§ 113.
[39]Kritik der Heilkunſt.
§ 113.
Nun ſind aber Krankheiten lediglich Erſcheinungen in
der Sinnenwelt (§ 29), und wir koͤnnen ſie dem zufolge
erkennen (§. 37.) und heilen (§. 39). Es gab daher ſeit
Hippokrates eine Heilkunſt.
§ 114.
Da jedoch in jedem Zeitalter die Theorie, oder die An-
ſicht der krankhaften Erſcheinungen und ihrer Heilung ver-
ſchieden war, (§. 88.) und man ſich entweder in der Be-
ſtimmung des ganzen Heilplans einzelner Krankheiten, oder
in den naͤhern Modificationen deſſelben davon leiten ließ, ſo
war die Heilkunſt zwar im Allgemeinen ſich immer gleich, in
einzelnen Theilen aber abweichend *).
§ 115.
Jeder Beobachter ſah nemlich dieſelben Erſcheinungen
der Natur, und er mußte im Ganzen genommen, mit allen
uͤbrigen eine und dieſelbe Erfahrung machen, eine und die-
ſelbe Heilmethode feſtſetzen. Aber ſeine Art, dieſelben an-
zuſehen und zu erklaͤren, war verſchieden: ſo oft er alſo ſei-
ne Handlungsweiſe nach dieſer Vorſtellungsart heſtimmte,
ſo mußte er in den meiſten Faͤllen mit den uͤbrigen Aerz-
ten uͤbereinſtimmen, weil ſeine Theorie immer etwas
Wahres enthielt, aber in mehrern Punkten mußte er von
ihnen abweichen. Es gab daher nach Verſchiedenheit der
Principien, von welchen die Aerzte ausgehen, folgende Be-
handlungsarten der Heilkunſt, welche die verſchiedenen Sec-
ten abgeben.
C 4§ 116.
[40]Erſter Theil.
§ 116.
1. Der Empirismus ſtellt die nackten Beobach-
tungsſchaͤtze hin, ohne ſie durch hoͤhere Principien irgend ei-
ner Art unter einander zu verbinden, und ſieht nur auf das,
was der Beobachtung in einzelnen Faͤllen zunaͤchſt liegt.
Er ſtuͤtzt ſich blos auf Analogie (§. 75), und kann alſo auch
ſein Verfahren in den einzelnen Krankheitsfaͤllen nicht voll-
kommen modificiren (§. 76), weil er in denſelben keine Mo-
dification der Erſcheinungen nach ihren Urſachen wahrnimmt.
Er gehoͤrt alſo in das Kindesalter der Heilkunſt, und kann
unr als ihr Vorlaͤufer angeſehen werden.
§ 117.
2. Der Eklekticismus geht von Beobachtun-
gen aus, erhebt einzelne derſelben zu allgemeinen Saͤtzen,
ohne aber dieſe wieder durch allgemeine Principien zu einem
vollſtaͤndigen Ganzen zu verbinden. Weil ihn kein Syſtem
hinlaͤnglich befriedigt, ſo waͤhlt er aus jedem derſelben die-
jenigen Saͤtze, welche die Naturerſcheinungen am getreuſten
darſtellen, und bedient ſich alſo einer unvollſtaͤndigen Induc-
tion. Es iſt dies das aufwachende Gefuͤhl des noch unbe-
friedigten Beduͤrfniſſes eines Syſtems.
§ 118.
3. Der Dogmatismus, oder der ſyſtematiſche (ſich
ſelbſt nennt er den rationellen) Dogmatismus, geht von
einer, an dem Menſchen angeſtellten Beobachtung aus, wel-
che entweder ſelbſt unrichtig, oder zwar gegruͤndet iſt, aber
ſich nur auf einen Theil ſeines Weſens bezieht, und leitet
daraus, als aus einem oberſten Principe, die Erklaͤrung
aller Erſcheinungen im geſunden, kranken und geneſenden
Men-
[41]Kritik der Heilkunſt.
Menſchen her. Er bildet alſo ein Syſtem, aber durch eine
unrichtige Induction, und beſtrebt ſich, die Natur in daſ-
ſelbe zu zwaͤngen.
§ 119.
Bezieht ſich jenes Princip nur auf einen Theil der
menſchlichen Natur (§. 25), ſo werden folgende Syſteme
gebildet: aFyſiatrie, d. h. die Beurtheilung des Men-
ſchen von Seiten ſeines Koͤrpers, in ſo fern demſelben die
allgemeinen Merkmahle der Materie zukommen (nach ſeinen
phyſiſchen Kraͤften), und Chemiatrie, oder Beurthei-
lung deſſelben, in wie fern er gemiſcht iſt (nach ſeinen chemi-
ſchen Kraͤften).
§ 120.
b) Die Jatromathematik betrachtet den Men-
ſchen, in wiefern ſein organiſirter Koͤrper als ausgedehnt im
Raume erſcheint, (nach den Eigenſchaften ſeiner Theile, als
Flaͤchen betrachtet).
§ 121.
c) Die Zooiatrie beruͤckſichtigt einzig und allein die-
jenigen Wuͤrkungen der Naturkraft im Menſchen, wodurch
ſich derſelbe zunaͤchſt von der unbelebten Schoͤpfung aus-
zeichnet, und welche er im Allgemeinſten mit jedem belebten
Geſchoͤpfe gemein hat (nach ſeinen organiſchen und thieri-
ſchen Kraͤften).
§ 122.
d) Die Pſychiatrie endlich, ſieht in dem Menſchen
uͤberall nur Wuͤrkungen ſeines geiſtigen Princips, und leitet
aus deſſen Thaͤtigkeit alle Erſcheinungen am Menſchen her,
(beurtheilt ihn nach ſeinen geiſtigen Kraͤften).
C 5§ 123.
[42]Erſter Theil.
§ 123.
4. Der letzte Zweck, nach welchem die Heilkunſt ſtrebt,
iſt ſyſtematiſcher Empirismus *). Dieſer nemlich,
erkennt oberſte Principien an, durch deren Huͤlfe er ſaͤmmtli-
che Erſcheinungen in der menſchlichen Natur, nach ihrem eige-
nen Weſen dargeſtellt, an einander kettet, ihren Urſprung
und ihre gegenſeitige und hoͤchſte Beſtimmung erlaͤutert, ih-
ren Cauſſalzuſammenhang befriedigend entwickelt, und auf
dieſem Wege eine vollſtaͤndige Ueberſicht der Wuͤrkungsge-
ſetze der menſchlichen Natur gewaͤhrt.
§ 124.
Dies Syſtem gruͤndet ſich auf eine vollſtaͤndige Er-
fahrung, (§ 80) durch richtige und vollſtaͤndige Induction
erworben, es wird die Ausſoͤhnung des Empirismus mit
dem Dogmatismus, und die Vollendung der Heilkunſt. Es
ſtellt alle moͤgliche Anſichten des Menſchen auf, d. h. es
ſchildert ihn als ſchlechthin phyſiſches und chemiſches, als
organiſches, thieriſches und geiſtiges Weſen, erklaͤrt aus
dem Zuſammentreffen dieſer Kraͤfte ſeine ſaͤmmtlichen Er-
ſcheinungen, und beſtimmt die Graͤnzen, in welchen jede
dieſer Kraͤfte ſich wirkſam erweiſet.
§ 125.
Es bezieht ſich nicht auf die letzten Gruͤnde der Erſchei-
nungen, weil dieſelben vermoͤge der Graͤnzen unſres Er-
kenntnißvermoͤgens unzugaͤnglich ſind. Es entdeckt vielmehr
das Gemeinſame an den Naturerſcheinungen, und findet die
Ge-
[43]Kritik der Heilkunſt.
Geſetze, welchen die Naturkraft in ihren Aeuſſerungen folgt,
indem es zu gleichen Wuͤrkungen gleiche Urſachen denkt.
§ 126.
Es laͤßt nicht mehr Urſachen zu, als noͤthig iſt, um
die Erſcheinungen zu erklaͤren. Es iſt alſo einfach in ſeinen
Principien, unendlich in der Anwendung derſelben, und es
wird dadurch die Kopie der Natur.
§ 127.
So vollkommen aber dieſes Syſtem auch iſt, ſo werden
doch der Erweiterung, deren die Heilkunſt faͤhig iſt (§ 101)
dadurch keine Graͤnzen geſetzt. Die Natur wird wegen des
neuen Zuſammentreffens von Urſachen, in Ewigkeit neue
Erſcheinungen hervorbringen, und die Heilkunſt deshalb, ih-
rem aͤuſſern Umfange nach, nie vollendet werden koͤnnen.
§ 128.
So lange die Heilkunſt ein ſolches Syſtem noch nicht
gewonnen hat, ſieht ſie ſich gedrungen, einen der drey uͤbri-
gen Wege (§. 116 — 122) einzuſchlagen.
§ 129.
Waͤhlt ſie den Empirismus, ſo ſinkt ſie unter ſich ſelbſt
herab, ſie ſinkt in einem ungeordneten, zwecklos gemiſchten
Chaos unter, wo kein Anfang und kein Ende abzuſehn iſt,
und laͤhmt dadurch alle Kraͤfte des Geiſtes.
§ 130.
Neigt ſie ſich zum Eklekticismus, ſo kann ſie frey ein-
her ſchreiten, und die Natur in ihren Werken mit Unbefan-
gen-
[44]Erſter Theil.
genheit ſtudiren; aber ſie muß ſich zu ſehr mit dem Ein-
zelnen begnuͤgen, ſie ſteht fern von allgemeinen, hoͤhern
Anſichten, und bleibt deshalb ewig nur Bruchſtuͤck.
§ 131.
Ergreift ſie den ſyſtematiſchen Dogmatismus, ſo wird
ſie durch Beſchraͤnktheit der Anſicht, einſeitig; es wird durch
Feſthalten eines einzigen nicht allgemein guͤltigen Princips
der Geiſt eingeengt, und alle freye Unterſuchung gehemmt.
§ 132.
Beurtheilt ſie aber ein ſolches Syſtem nicht als das
hoͤchſte Ziel des menſchlichen Geiſtes, ſondern nur als tem-
poraires Huͤlfsmittel, um Einheit und Ordnung in unſere
Vorſtellungen von der Natur zu bringen, als Leitfaden, die
Erſcheinungen zu beobachten und zu beurtheilen, als Huͤlfs-
mittel, deſſen Gebrauch dereinſt bey vollkommnerer Kenntniß
der Natur verſchwinden wird, — ſo verſchafft ſie ſich die
Vortheile des Syſtems, ohne ſeinen Nachtheilen ausgeſetzt
zu ſeyn.
§ 133.
5. Der Skepticismus iſt es, welcher auf dieſem Wege
ſich bildet. In ihm treffen die Anſichten des Eklekticismus
und des ſyſtematiſchen Dogmatismus zuſammen, und da er
durch unablaͤſſiges Forſchen die ſinnlichen Erſcheinungen mit
den Geſetzen unſers Verſtandes in Harmonie zu ſetzen ſucht,
und raſtlos nach Entdeckung der Wahrheit ſtrebt, ſo iſt er
der einzige Pfad, auf welchem die Heilkunſt zu vervollkom-
men, und jenes vollendete Syſtem zu erringen iſt.
§ 134.
Hiermit darf aber nicht der unaͤchte Skepticismus ver-
wechſelt werden. Dieſer iſt nemlich a) gegen die Gewißheit
der
[45]Kritik der Heilkunſt.
der mediciniſchen Erfahrung uͤberhaupt gerichtet, welche er
entweder bezweifelt, oder gaͤnzlich leugnet. Hierdurch be-
zweifelt und leugnet er alſo die Moͤglichkeit aller unſrer Na-
turkenntniſſe.
§ 135.
b) Oder, und dies iſt der gewoͤhnlichſte Fall, er leugnet
die Zuverlaͤſſigkeit der Heilkunſt, wie ſie in gewiſſen Zeiten
und Laͤndern durch Individuen realiſirt wird. Er trifft alſo
nicht die Heilkunſt, ſondern ihr Schattenbild, die Routine,
Charletanerie, Ignoranz und Pedanterey.
Zwey-
[46]
Zweyter Theil.
Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
§ 136.
Unter Encyklopaͤdie der Heilkunſt verſteht man eigentlich
den zuſammenhaͤngenden, compendiariſchen Vortrag der zu
ihr gehoͤrigen Wiſſenſchaften *). Allein in dieſem Sinn iſt
ſie kein Theil von der Propaͤdeutik der Wiſſenſchaft, ſondern
die Wiſſenſchaft ſelbſt, da ſie ihren Inhalt, wenn auch nur
im Auszuge, wuͤrklich liefert.
§ 137.
In einem engern Sinne aber, welcher in unſern Zeiten
durch den erweiterten Umfang der Wiſſenſchaften, gemeiner
worden iſt, iſt die Encyklopaͤdie der Heilkunſt *) eine Anga-
be der zu Ausuͤbung derſelben erforderlichen Kenntniſſe, ſyſte-
matiſch geordnet, und die Erzaͤhlung des Inhalts, des
Zwecks,
[47]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Zwecks, der Graͤnzen, der Quelle und des Zuſammenhan-
ges der mediciniſchen Wiſſenſchaften. Und dieſe macht den
Inhalt der folgenden Paragraphen aus **).
§ 138.
Aus dem deutlich gedachten Zwecke der Heilkunſt ergiebt
ſich die Einſicht in den Zuſammenhang ihrer einzelnen Wiſ-
ſenſchaften, ihre Nothwendigkeit und ihren Einfluß auf das
Ganze.
§ 139.
Da naͤmlich die Heilkunſt zuvoͤrderſt das Geſchaͤft hat,
Krankheiten zu erkennen, (§ 34) ſo muß ſie eine vollſtaͤn-
dige Ueberſicht der Krankheitserſcheinungen beſitzen, welchen
die menſchliche Natur unterworfen iſt, (Noſologie).
§ 140.
Und da es ihr theils nicht immer frey ſteht, alle krank-
hafte Erſcheinungen unmittelbar wahrzunehmen, da ſie theils
den Grad der Krankheit erkennen, und daraus auf die vor-
hergegangenen, ſo wie auf die zukuͤnftigen Erſcheinungen
einen Schluß ziehen muß, ſo muß ſie eine vollſtaͤndige Kennt-
niß dieſer Zeichen haben (pathologiſche Semiotik).
§ 141.
[48]Zweyter Theil.
§ 141.
Bis hierher gehen die praktiſchen Wiſſenſchaften, d. h.
welche eine unmittelbare Anwendung in einzelnen vorkom-
menden Krankheitsfaͤllen finden.
§ 142.
Dieſe einzelnen Krankheitsfaͤlle koͤnnen aber nicht begrif-
fen werden, ohne gehoͤrige Kenntniß der Krankheit im All-
gemeinen nach ihrem Weſen, ihren Urſachen, Folgen und
Modificationen (allgemeine Pathologie).
§ 143.
Dieſe Einſicht der Krankheiten iſt aber nicht moͤglich
ohne Kenntniß der Erſcheinungen am Menſchen uͤberhaupt,
und ſeiner Geſundheit insbeſondere, und zwar der geiſtigen
Erſcheinungen ſowohl, als der koͤrperlichen (Fyſiologie und
Pſychologie).
§ 144.
Um ſich nun eine vollſtaͤndige Kenntniß der koͤrperlichen
und geiſtigen Geſundheit zu erwerben, und um dadurch eine
Norm zu finden, nach welcher die Krankheiten beurtheilt
werden muͤſſen, bedarf man der Kenntniß der ſich hierauf
beziehenden Zeichen (phyſiologiſche und pſychologiſche Se-
miotik).
§ 145.
Dies ſind theoretiſche Wiſſenſchaften, weil ſie die prak-
tiſchen begruͤnden, und nur mittelbaren Einfluß auf die Hei-
lung haben, und zwar ſind ſiedie philoſophiſchen, weil ſie nicht
blos das Wahrgenommene darſtellen, ſondern auch deſſen
Zuſammenhang und Urſachen unterſuchen.
§. 146.
[49]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
§ 146.
Zur Kenntniß der Erſcheinungen am Menſchen, wird
nothwendig erfordert, eine Kenntniß der ihnen zu Grunde
liegenden Materie, ſowohl ihrer Form, als ihrer Miſchung
nach (Anatomie und Anthropochemie).
§ 147.
Doch auch dieſe Kenntniß des Menſchen iſt unvollſtaͤn-
dig, ſo lange ſie nicht verbunden iſt mit der Lehre von den
uͤbrigen Gliedern der Schoͤpfung, und zwar theils ihrer
Form und Miſchung (Naturbeſchreibung und Chemie), theils
ihren Erſcheinungen und dem Cauſſalzuſammenhange derſel-
ben (Naturgeſchichte, Phyſik und Naturphiloſophie).
§ 148.
Das zweyte und eigentliche Geſchaͤft der Heilkunſt iſt,
die Krankheiten zu heilen. Hierzu ſind alſo zunaͤchſt durch
die Erfahrung gegebene Regeln zu Heilung der einzelnen
Krankheiten noͤthig (Klinik).
§ 149.
Die unendliche Mannichfaltigkeit der Krankheiten macht
aber eine ſo große Abaͤnderung des Heilplans, und deshalb
allgemeine Grundſaͤtze uͤber das Geſchaͤft der Heilung noͤthig
(Therapie).
§ 150.
Dies erfordert eine vollſtaͤndige Kenntniß der Mittel,
welche der Heilkunſt zu Erreichung ihres Zwecks zu Gebote
ſtehn, und zwar derer, welche auf ihn, als auf ein phyſi-
ſches und organiſches Weſen wuͤrken (Inſtrumentenlehre)
und welche ſich auf ſeine thieriſche und geiſtige Natur bezie-
hen (Heilmittellehre).
D§ 151.
[50]Zweyter Theil.
§ 151.
Dieſe Kenntniß der Heilmittel ſetzt alſo voraus, theils
die Lehre von den Verhaͤltniſſen der Naturkoͤrper ihren allge-
meinſten Eigenſchaften nach (Phyſik, Mechanik), theils die
Lehre von den eigentlichen Heilmitteln, zufolge ihrer Form
(Naturbeſchreibung), ihrer Miſchung (Chemie), und ihrer
Zuſammenſetzung (Formulare und Farmacie), endlich die
Lehre von den Seelenwuͤrkungen (Pſychologie).
§ 152.
Aus dieſer Skizze ergiebt ſich im Allgemeinen die Ge-
nealogie der vorzuͤglichſten mediciniſchen Wiſſenſchaften, ſo
wie ſie gleichſam als Wurzeln ſich aus dem gemeinſchaftli-
chen Stamme verbreiten. Bey ihrer naͤhern Berrachtung
werden ſie in umgekehrter Ordnung dargeſtellt, ſo wie ſie
bey Erlernung der Kunſt einander folgen muͤſſen, alſo wie
die verſchiedenen Wurzeln ſich allmaͤhlig in dem Stamme
vereinen.
§ 153.
Wir theilen deshalb ſaͤmmtliche mediciniſche Wiſſen-
ſchaften in Grund-Haupt-Vervollkommungs- und Ne-
benwiſſenſchaften.
Erſte Klaſſe.
Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt.
§ 154.
Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt ſind diejenigen, wel-
che, ohne Anleitung zu Heilung der Krankheiten ſelbſt zu ge-
ben, dieſelbe durch Ueberlieferung des erforderlichen Stoffes
moͤglich machen.
Erſte
[51]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Erſte Abtheilung.
Entfernte Grundwiſſenſchaften.
§ 155.
Dieſe Wiſſenſchaften enthalten die allgemeine Kenntniß
der Natur. Da naͤmlich der Menſch nur ein Glied der groſ-
ſen Schoͤpfung iſt: ſo muß man, um ihn gehoͤrig zu beur-
theilen, und ſeine Kraͤfte einzuſehen, die Erſcheinungen der
uͤbrigen Natur hinreichend kennen.
§ 156.
Unſere Kenntniſſe der aͤußern Natur zerfallen aber in
drey Abtheilungen: 1) Kenntniß der Koͤrper und ihrer Er-
ſcheinungen nach ihrer aͤußerer Form. Die Mannichfaltig-
keit der Erſcheinungen wird hier aus der Mannichfaltigkeit
der Formen abgeleitet. — Naturgeſchichte. 2) Kenntniß
der Koͤrper nach ihrer Miſchung, und Erklaͤrung ihrer Er-
ſcheinungen aus der letztern. — Chemie. 3) Kenntniß der
Erſcheinungen, welche der Materie uͤberhaupt zukommen,
deren Grund alſo nicht aus ihrer Form und Miſchung er-
klaͤrt werden koͤnnen, und einiger Koͤrper inſonderheit, de-
ren Wuͤrkung ebenfalls nur berechnet, nicht erklaͤrt werden
kann. — Phyſik. — Dieſe Naturkenntniſſe ſind alſo kei-
nesweges durch die an ſich heterogene Natur ihrer Gegen-
ſtaͤnde von einander getrennt, ſondern nur durch die groͤßere
oder mindere Eingeſchraͤnkheit unſerer Erkenntniß.
D 2Erſtes
[52]Zweyter Theil.
Erſtes Kapitel.
Naturgeſchichte.
Der erſte Schritt zur Kenntniß der Natur iſt Natur-
beſchreibung, d. i. bloße Kenntniß der Formen der
Koͤrperwelt; ein Product der bloß ſinnlichen Wahrnehmung
(§ 57).
Um ſich die Kenntniß dieſer unendlichen [Mannichfaltigkeit]
der Formen zu erleichtern, und einen Ueberblick uͤber die
geſammte Schoͤpfung zu gewinnen, ordnet der Verſtand
dieſe Formen nach ihrer groͤßern oder mindern Aehnlichkeit
untereinander, und indem er auf dieſe Art, Reiche, Klaſſen,
Ordnungen, Geſchlechter und Gattungen feſtſetzt, liefert
er eine ſyſtematiſche Naturbeſchreibung.
Bezieht ſich dieſe Aehnlichkeit der Form, welche den
Grund der Claſſification in ſich enthaͤlt, bey jedem einzelnen
Koͤrper auf ſeinen allgemeinen Charakter, ſeinen ſaͤmmtlichen
Theilen und Erſcheinungen nach, ſo giebt ſie ein natuͤr-
liches Syſtem.
Betrifft ſie hingegen nur gewiſſe Merkmahle an den
Koͤrpern, welche nur einen Theil ihrer geſammten Form
ausmachen, ſo bildet ſie ein kuͤnſtliches Syſtem.
Auf dieſe Kenntniſſe geſtuͤtzt, tritt nun die eigentliche
Naturgeſchichte auf. Sie erzaͤhlt die Erſcheinungen,
welche
[53]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
welche den verſchiedenen Formen zukommen, die Veraͤnde-
rungen, welche ſie entweder fuͤr ſich, oder in Verbindung
mit andern Formen erleiden, und erlaͤutert neue Erſcheinun-
gen aus den ſchon bekannten, vermoͤge der Aehnlichkeit der
Form, welche den Subſtraten von beyden zukoͤmmt. —
Sie iſt alſo ein Product der Beobachtung (§ 58).
Um ſicher zu fußen, um ihren Gegenſtand (den Men-
ſchen) nicht iſolirt, ſondern in Verbindung mit den uͤbrigen
Gliedern der Schoͤpfung kennen zu lernen, und um endlich
die Weſen vollkommen zu kennen, durch deren Vergleichung
mit dem Menſchen ſie den letztern gehoͤrig beurtheilen kann,
— muß die Heilkunſt zuvoͤrderſt ſich auf dieſe Kenntniß der
Natur ſtuͤtzen.
Sie bedarf derſelben aber ferner, weil die Krankheiten
des Menſchen großentheils von der Einwuͤrkung der aͤußern
Natur auf ſeinen Koͤrper herruͤhren, und durch eben dieſelbe
auch wiederum geheilt werden. Da ſie alſo in dieſer Ruͤck-
ſicht die Kraͤfte der Naturkoͤrper, oder ihre Wuͤrkungen auf
den menſchlichen Organismus kennen muß: ſo muß ſie zu-
voͤrderſt eine genaue Kenntniß ihrer Form haben.
I. Die allgemeine Naturgeſchichte ſtellt theils die
Merkmahle auf, welche gewiſſen Reichen und Klaſſen der
Naturkoͤrper gemeinſchaftlich zukommen, theils die Grund-
ſaͤtze, nach welchen dieſe Aehnlichkeiten entdeckt, und zur
Zuſammenſtellung der Naturkoͤrper benutzt werden. (Die
letztere Unterſuchung wird die Philoſophie der Na-
D 3tur-
[54]Zweyter Theil.
turgeſchichte genannt.) Die Heilkunſt muß alſo die
allgemeine Naturgeſchichte zum Verſtaͤndniß der ſpeciellen
benutzen.
II.Die ſpecielle Naturgeſchichte beſchreibt
die Formen der einzelnen Koͤrper, und die mit dieſer Ver-
ſchiedenheit verknuͤpfte Mannichfaltigkeit der Erſcheinungen.
1. Die Zoologie, oder die Naturgeſchichte derje-
nigen Geſchoͤpfe, welche keinen hoͤhern, als einen thieri-
ſchen Charakter haben (§ 25), iſt in beyden angegebenen
Ruͤckſichten (§ 162, 163) eine Grundwiſſenſchaft der
Heilkunſt.
Die Zootomie, ein Theil der Zoologie, iſt die Be-
ſchreibung der Form thieriſcher Koͤrper, in ſofern ſie organi-
ſirt ſind, nach ihren ſaͤmmtlichen, auch unter der Oberflaͤche
befindlichen Theilen; und da die Phyſiologie des Menſchen
ſich dieſer Kenntniß zur Vergleichung bedient, um zu unter-
ſuchen, worin Form und Erſcheinungen an Thieren und
Menſchen mit einander uͤbereinſtimmen, und um daraus
wichtige Reſultate ziehen zu koͤnnen, ſo heißt dieſelbe auch
die vergleichende Anatomie (comparata). Sie dient alſo zur
Einſicht der Phyſiologie, nicht nur der Thiere, ſondern auch
des Menſchen.
2. Die Phytologie, Botanik oder Naturgeſchichte
der Pflanzen macht die Heilkunſt beſonders mit den Stoffen
bekannt, deren ſie ſich zu Erreichung ihres Zwecks bedienen
muß (§ 163), wird derſelbe aber auch als Beſchreibung
eines Theils der Natur uͤberhaupt nothwendig (§ 162).
§ 169.
[55]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Die Phytotomie, oder die Beſchreibung der Form
der Pflanzen, als organiſirter Koͤrper, nach ihren ſaͤmmt-
lichen, auch unter der Oberflaͤche befindlichen Theilen, dient
zur Phyſiologie der Pflanzen, und ſodann in vergleichender
Ruͤckſicht auch der Thiere und des Menſchen (§ 167).
3. Die Oryktologie, Mineralogie, oder die Natur-
geſchichte der unorganiſchen ſichtbaren Koͤrper unſers Plane-
ten, welche eine beſtimmte Form haben (§ 157, 161),
alſo ſtarr (feſt) ſind, macht ebenfalls in beyden Ruͤckſich-
ten (§ 162, 163) eine Grundwiſſenſchaft der Heilkunſt
aus.
Zweytes Kapitel.
Chemie.
Die Chemie iſt die Lehre von den Erſcheinungen der Na-
turkoͤrper, in wiefern ihr Grund aus der Miſchung derſelben
erkannt und eingeſehen wird.
Obſchon ihr Geſchaͤft darin beſteht, die Koͤrper in ihre
Beſtandtheile aufzuloͤſen, und durch Zuſammenſetzung der
letztern, erſtere wiederum zu bilden: ſo iſt darin doch nicht
ihr vollſtaͤndiger Begriff enthalten, denn dieſes Geſchaͤft iſt
nur das Huͤlfsmittel, deſſen ſie ſich zu Erreichung ihres
Zwecks (§ 171) bedient.
D 4§ 173.
[56]Zweyter Theil.
Sie loͤſet naͤmlich die Koͤrper, deren aͤußere Kenntniß
ſie von der Naturgeſchichte empfangen hat, durch mancher-
ley Mittel in Theile auf, deren keiner dem Ganzen aͤhnlich iſt
(ungleichartige). und kehrt, um ihrer Kenntniß gewiß zu
ſeyn, den Verſuch um, d. h. ſie bildet aus den verſchiede-
nen ungleichartigen Theilen das bekannte gleichartige
Ganze. Hier gruͤndet ſie ſich alſo auf Beobachtung (§ 58).
Sie unterſucht hierauf die Erſcheinungen der Koͤrper;
ſie findet, daß mit einer beſtimmten Miſchung auch be-
ſtimmte Wuͤrkungen verbunden ſind, ſchließt alſo, daß die
erſtere den Grund der letztern in ſich enthaͤlt (§ 65); ſie
aͤndert hierauf die Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe der Erſchei-
nungen durch Verſuche ab (§ 66), und findet endlich durch
den entſcheidenden Verſuch (§ 67) den Grund einer Er-
ſcheinung in einem beſtimmten Stoffe.
Sie nimmt vermoͤge der Stetigkeit der Natur (§ 83)
an, daß dieſer Stoff unter aͤhnlichen Umſtaͤnden auch den
bekannt gewordenen aͤhnliche Wuͤrkungen hervorbringen
werde (§. 68), und ſie entdeckt auf dieſem Wege die all-
gemeinen Miſchungsgeſetze der Natur.
Ihr Gegenſtand iſt alſo die ganze Koͤrperwelt, wie ſie
unſern Sinnen erſcheint, und einer Theilung und Zuſam-
menſetzung faͤhig iſt. Iſt ſie bis zu den letzten Grundſtoffen
gelangt, deren Theilung fuͤr uns nicht mehr moͤglich iſt,
deren
[57]Encyklepaͤdie der Heilkunſt.
deren Wuͤrkung wir alſo auch nicht aus ihrer Miſchung be-
greifen koͤnnen: ſo hat ſie ihre Graͤnzen erreicht. Die Un-
terſuchung der Wuͤrkungsgeſetze dieſer Grundſtoffe iſt alſo
kein Theil der Chemie mehr, ſondern der Phyſik, obſchon
ſie gewoͤhnlich die hoͤhere Chemie genennt wird.
I. Die allgemeine Chemie traͤgt die allgemeinen Wuͤr-
kungsgeſetze der Materie, in ſofern ſie gemiſcht iſt, vor,
wie ſich dieſelben uͤber das ganze Univerſium wuͤrkſam zei-
gen, und die gemeinſchaftlichen Erſcheinungen ganzer Klaſ-
ſen von gleich gemiſchten Koͤrpern.
II. Die ſpecielle Chemie zeigt, wie dieſe allgemeinen
Miſchungsgeſetze in einzelnen Koͤrpern realiſirt werden; ſie
zerfaͤllt alſo in die Zoochemie, Phytochemie und Oryktochemie.
Die Heilkunſt bedarf der geſammten Chemie, da ſie
ohne dieſelbe keine moͤglichſt vollſtaͤndige Kenntniß der aͤuſ-
ſern Natur (§ 156), mithin auch nicht des Menſchen, als
eines Gliedes derſelben (§ 155) erlangen, und dadurch
auch ihren Zweck (§ 36) nicht erreichen kann.
Eben ſo dringend bedarf ſie auch der einzelnen Theile
der Chemie, zuerſt (beſonders der Zoochemie), um aus der
gleichen oder ungleichen Miſchung, verglichen mit den glei-
chen oder ungleichen Erſcheinungen an andern Naturkoͤrpern
und an Menſchen, den Grund der Erſcheinungen an dem
letztern zu entdecken.
D 5§ 181.
[58]Zweyter Theil.
Ferner um die Koͤrper, welche den Grund der Krank-
heiten oder der Geneſung abgeben, den Urſachen ihrer Wuͤr-
kung nach kennen zu lernen, worunter alſo auch die Kennt-
niß der Heilmittel gehoͤrt.
Die Lehre von der Miſchung des menſchlichen Koͤrpers,
(welche eigentlich hier ihren Platz gar nicht findet) und der
Heilmittel, macht den Inhalt der ſogenannten medici-
niſchen Chemie aus, welche alſo nur den dringendſten
Nothbedarf der Heilkunſt enthaͤlt, und weit entfernt iſt,
ihren Forderungen und Beduͤrfniſſen Genuͤge zu leiſten.
Drittes Kapitel.
Phyſik.
Die Phyſik oder Naturlehre iſt die Lehre von den Kraͤf-
ten in der Natur, fuͤr deren Aeußerungen wir durch getreue
Beobachtungen und Verſuche, Geſetze auffinden koͤnnen,
ohne jedoch einen hoͤhern Grund dazu in der Form und Mi-
ſchung der, ihnen zum Subſtrat dienenden Koͤrper, entdek-
ken zu koͤnnen.
Sie folgt alſo der Naturgeſchichte und Chemie, hebt da
ihre Unterſuchungen an, wo letztere ſie einſtellen mußte
(§ 176), und muß auch von ihren Unterſuchungen abſte-
hen, wo das Gebiet der metaphyſiſchen Kosmologie beginnt.
§ 185.
[59]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Sie ſtellt die Erſcheinungen, welche weder aus der
Form, noch aus der Miſchung ihrer Koͤrper erklaͤrt werden
koͤnnen, neben einander (§ 57, 58), ſucht ihre gemein-
ſchaftlichen Merkmahle auf, nimmt zu gleichen Wuͤrkungen
gleiche Urſachen, als Kraͤfte an, ſtellt die (§ 64) nach
der Verſchiedenheit der Verhaͤltniſſe (§ 26) abgemeſſene
Verſchiedenheit der Erſcheinungen dar (§ 65), findet da-
durch die Wuͤrkungsgeſetze der Naturkraͤfte (§ 68), und
giebt ihren Entdeckungen durch die Mathematik, d. h. durch
die Wiſſenſchaft der Koͤrper, in wiefern ſie ſchlechthin aus-
gedehnt oder im Raume erſcheinen, einen hoͤhern Grad von
Gewißheit.
I. Die allgemeine Phyſik hat die Kraͤfte zum Gegen-
ſtande, welche allen Koͤrpern, als ſolchen, gemeinſchaftlich
zukommen, und muß demnach, weil ſie die Kenntniß aller
Koͤrper, alſo auch eines Theils der menſchlichen Natur be-
gruͤndet, der Heilkunſt nothwendig vorangehen.
II. Die ſpecielle Phyſik iſt nach dem angegebenen Be-
griffe (§. 183, 184) deſto weitlaͤufiger, je eingeſchraͤnkter
die Chemie iſt, und wird an Zahl der Gegenſtaͤnde deſto
aͤrmer, an Gehalt aber reicher, je tiefer die Chemie in das
Weſen der Koͤrper eindringt, und viele Koͤrper, welche
vormals Gegenſtaͤnde der Phyſik waren, werden jetzt das
Eigenthum der Chemie.
1. Die Phyſik des organiſchen Reichs wird Phyſio-
logie genannt; ſie unterſucht ſeine Erſcheinungen, und
entdeckt
[60]Zweyter Theil.
entdeckt mit Huͤlfe der Analogie und Induction die Wuͤr-
kungsgeſetze der, jenen Erſcheinungen zu Grunde liegenden
Kraͤfte.
Sie hat nicht denjenigen Grad mathematiſcher Evidenz,
auf welchem die Phyſik der anorgiſchen Natur ſteht, weil
die Erſcheinungen der Organiſation nicht ſo beharrlich ſind,
auf mehr zuſammengeſetzten Kraͤften beruhen, einen weirern
Kreis von Beruͤhrungspuncten haben, und deshalb nicht ſo
leicht mathematiſche Berechnungen zulaſſen, als die anor-
giſche Natur.
a. Die Zoophyſiologie oder die Lehre von den
Erſcheinungen und Kraͤften der Thiere, welche ſich auf die
Zoologie (§ 166), Zootomie (§ 167), und Zoochemie
(§ 178) gruͤndet, dient der Heilkunſt, um durch Verglei-
chung der thieriſchen mit den menſchlichen Erſcheinungen,
Reſultate zur Kenntniß der letzteren zu erlangen, und wird
deshalb auch die vergleichende Phyſiologie genannt.
b. Die Phytophyſiologie oder die Lehre von
den Erſcheinungen und Kraͤften der Pflanzen, bereichert die
Heilkunſt ebenfalls durch angeſtellte Vergleichungen, mit
Entdeckungen uͤber die Kraͤfte des Menſchen.
2. Die Phyſik des anorgiſchen Reiches dient der Heil-
kunſt unmittelbar zu Beurtheilung der Kraͤfte unorganiſcher
Koͤrper, welche auf den menſchlichen Koͤrper einwuͤrken und
denſelben
[61]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
denſelben veraͤndern (Geſundheit, Krankheit, Tod hervor-
bringen) *).
Zweyte Abtheilung.
Naͤhere Grundwiſſenſchaften.
§ 193.
Die naͤhern Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt enthalten
die Kenntniß des Menſchen, und ſeiner geſammten Erſchei-
nungen, als auf welche ſich dieſelbe unmittelbar ſtuͤtzt.
Erſtes Hauptſtuͤck.
Kenntniß der Erſcheinungen am lebenden Menſchen uͤberhaupt,
und am geſunden inſonderheit.
Da die Heilkunſt den Menſchen zu ihrem alleinigen
Gegenſtande hat, und die uͤbrige Natur nur im Bezuge auf
ihn, nur um ihn gehoͤrig kennen zu lernen, unterſucht,
da endlich jedes andere Geſchoͤpf ihm aͤhnliche Mitgeſchoͤpfe
neben ſich hat, der Menſch hingegen, vermoͤge ſeiner gei-
ſtigen
[62]Zweyter Theil.
ſtigen Kraͤfte, iſolirt in der Schoͤofung ſteht: — ſo laͤßt die
Heilkunſt in den allgemeinen Naturwiſſenſchaften da, wo
von dem Menſchen die Rede ſeyn koͤnnte (§ 166, 167,
178, 190) Luͤcken, und ſpart die Betrachtung deſſelben bis
auf dieſe Stelle auf, wo ſie ihm ungeſtoͤrt ihre Aufmerſam-
keit ſchenken kann.
Die Erſcheinungen an dem lebenden Menſchen koͤnnen
ſich beziehen auf ſeinen Koͤrper oder auf ſeinen Geiſt, die
erſtern auf ſeine Form, oder ſeine Miſchung, oder ſeine
eigenthuͤmlichen Kraͤfte *).
Kenntniß der Form des menſchlichen Koͤrpers.
So wie die Kenntniß der Form uͤberhaupt der erſte
Schritt zur Kenntniß der Natur iſt (§ 157), ſo muß auch
die Lehre von der Form des menſchlichen Koͤrpers *) der
Unterſuchung der mannichfaltigen in ihm verwebten Kraͤfte
nothwendig vorangehen.
Anatomie.
Die Anatomie oder Zergliederungslehre liefert die
Beſchreibung der urſpruͤnglichen aͤußern Form des menſchlichen
Koͤrpers,
[63]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Koͤrpers, nach allen ſeinen Theilen, wie ſie beſonders durch
die Zergliederung erkannt wird. Sie iſt alſo bloßes Pro-
duct der ſinnlichen Wahrnehmung.
Nach der Verſchiedenheit der Theile des menſchlichen
Koͤrpers hat die Anatomie verſchiedene Zweige, naͤmlich 1)
die Oſteologie oder Knochenlehre beſchreibt die harten,
fuͤr ſich unbeweglichen Theile, welche den uͤbrigen zur Stuͤtze
oder zum Schutze dienen.
2) Die Syndesmologie oder Baͤnderlehre be-
ſchreibt die feſten, elaſtiſchen und geſchmeidigen Theile,
welche die Knochen theils untereinander, theils mit den
Muskeln vereinigen.
3) Die Myologie oder Muskellehre beſchreibt die
aus eigenthuͤmlichen, der Zuſammenziehung und Ausdeh-
nung faͤhigen Faſern, beſtehenden Werkzeuge der Bewe-
gung.
4) Die Angiologie oder Gefaͤßlehre liefert die Be-
ſchreibung der haͤutigen, durch den ganzen Koͤrper verbrei-
teten Kanaͤle, welche ſeine Fluͤſſigkeiten in ſich enthalten
und umherfuͤhren; und ſie hat nach Verſchiedenhnit dieſer
Kanaͤle, verſchiedene Zweige:
a) Die Arteriologie oder Schlagaderlehre enthaͤlt
die Kenntniß derjenigen Kanaͤle, welche unmittelbar mit
dem Herzen zuſammenhaͤngen, und das Blut aus demſelben
vermoͤge
[64]Zweyter Theil.
vermoͤge ihrer eigenthuͤmlichen Zuſammenziehung, nach der
Oberflaͤche der verſchiedenen Theile fuͤhren.
b) Die Phlebologie oder Blutaderlehre enthaͤlt die
Beſchreibung der Kanaͤle, welche unmittelbar mit dem Her-
zen zuſammenhaͤngen, und, durch ihre Klappen unterſtuͤtzt,
das aus den Schlagadern empfangene Blut von der Ober-
flaͤche der verſchiedenen Theile in daſſelbe zuruͤckfuͤhren.
c) Die Saugaderlehre *) giebt die Beſchreibung der
Kanaͤle, welche nicht mit dem Herzen, ſondern mit einer
Blutader unmittelbar zuſammenhaͤngen, in welche ſie die
von der Oberflaͤche der verſchiedenen Theile eingeſegenen
Fluͤſſigkeiten uͤberfuͤhren.
5) Die Nevrologie oder Nervenlehre beſchreibt die
vom Hirn und Ruͤckenmark aus, uͤber den ganzen Koͤrper
ſich verbreitenden Faͤden, welche die Bedingung der Em-
pfindung und in den Muskeln, der willkuͤhrlichen Bewegung,
abgeben.
6) Die Adenologie oder Druͤſenlehre beſchreibt die
Werkzeuge der Abſonderung verſchiedener Fluͤſſigkeiten aus
dem Blute, welche aus den durch eigene Haͤnte mit einan-
der verbundenen Werkzeugen zuſammengeſetzt ſind.
7) Die Splanchnologie oder Eingeweidelehre be-
ſchreibt die aus Muskelfaſern, Gefaͤßen, Nerven, Druͤſen
und
[65]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
und einem eigenthuͤmlichen Gewebe von Faſern mannichfal-
tig zuſammengeſetzten Theile, welche durch mannichfaltige
Erſcheinungen das Leben des Koͤrpers unterhalten.
8) Die Lehre von den aͤußern Theilen beſchreibt die
ohne Zergliederung in die Augen fallenden Theile des menſch-
lichen Koͤrpers.
Die ſogenannte hoͤhere Anatomie iſt eine Be-
ſchreibung der Form der Theile des menſchlichen Koͤrpers,
nebſt Angabe ihrer Geſchichte, ihrer Wuͤrkung und Beſtim-
mung. Sie iſt alſo nur eine ſcheinbare Bereicherung der
Anatomie, auf Koſten der Phyſiologie, und dergleichen
wiſſenſchaftliche Eingriffe ſind niemals von Nutzen, denn
nur bey ſtreng abgeſteckten Graͤnzen der Wiſſenſchaften kann
jede derſelben am vollkommenſten bearbeitet werden.
Die geſammte Heilkunſt bedarf der Anatomie, als der
erſten Bedingung zur Kenntniß des Menſchen, welche noth-
wendig der Phyſiologie vorhergehen und dieſelbe begruͤn-
den muß.
Die Handarzneykunſt und Entbindungskunſt beduͤrfen
inſonderheit der genaueſten Kenntniß der Form, jene des
ganzen Koͤrpers, dieſe beſonders der auf die Geburt ſich be-
ziehenden Theile des weiblichen Koͤrpers, — da die krank-
hafte Veraͤnderung der Theile nur nach ihrer urſpruͤnglichen
Form beurtheilt werden kann, und jene beſeitigt werden
muß, ohne daß dem Baue der uͤdrigen geſunden Theile da-
durch Eintrag geſchieht.
E§ 212.
[66]Zweyter Theil.
Unter den Nebenwiſſenſchaften muß beſonders die ge-
richtliche Arzneykunde die Anatomie benutzen, um an leben-
den Menſchen, ſo wie an Leichnamen das Urſpruͤngliche von
dem Krankhaften zu unterſcheiden, und dadurch auf die vor-
hergegangenen Urſachen, oder die daraus entſpringenden
Wuͤrkungen zu ſchließen.
Naturgeſchichte des Menſchen.
Die Naturgeſchichte des Menſchen erzaͤhlt die Verhaͤlt-
niſſe ſeiner aͤußern Form gegen die der uͤbrigen Koͤrper uͤber-
haupt, der Thiere inſonderheit, und ſeiner verſchiedenen Ra-
cen gegeneinander, nebſt der damit verbundenen Abaͤnderung
der Erſcheinungen. Sie iſt alſo das Reſultat der Beobach-
tung (§ 58).
Dieſes Studiums bedarf die Heilkunſt, als einer Ein-
leitung zur Kenntniß des Menſchen, um einzuſehen, welche
Stelle derſelbe in der großen Stufenfolge der Natur ein-
nimmt.
Zweyter
[67]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Kenntniß der Miſchung des menſchlichen Koͤrpers.
Die Beſtandtheile und Miſchungsverhaͤltniſſe des
menſchlichen Koͤrpers machen den Gegenſtand eines eigenen
Theils der ſpeciellen Chemie aus *).
Dieſe Unterſuchung hat alſo gleiche Quellen und gleiche
Methode, als die uͤbrigen Theile der Chemie, ſetzt auch
die genaueſte Kenntniß derſelben voraus, kann ſich aber
nicht auf den Grad der Gewißheit erheben, welchen die
Chemie der anorgiſchen Natur erreicht, weil die organiſche
Natur in ihren Wuͤrkungen weniger ſtetig, und vermoͤge
der mannichfaltigern Zuſammenſetzung heterogener Kraͤfte,
einer ſchwerer einzuſehenden, ewigen Abwechſelung unter-
worfen iſt, und weil dieſer Theil der Chemie ſodann die or-
ganiſchen Koͤrper zwar aufloͤſen, aber ihres andern Huͤlfs-
mittels, der Zuſammenſetzung der gefundenen Beſtandtheile
zum vorigen Ganzen (§ 173), ſich nicht bedienen kann.
Dieſe bisher außerſt vernachlaͤſſigte, und vermoͤge der
zweckloſen Behandlungsart der geſammten Chemie, bis jetzt
unvollſtaͤndige Wiſſenſchaft, iſt von dem wichtigſten Ein-
fluſſe auf die Heilkunſt, indem ſie eine ſehr lautere Quelle
zur ſichern Erklaͤrung ſehr vieler Erſcheinungen am geſunden
und kranken Menſchen abgiebt, und einen Theil ſeiner Na-
tur entwickelt.
E 2§ 218.
[68]Zweyter Theil.
Doch ſo wenig auch die Heilkunſt ohne Anthropeche-
mie vermag, eine ſo gefaͤhrliche Klippe bietet ſich ihr auch
in derſelben dar. So bald ſie naͤmlich bey den Graͤnzen der
menſchlichen Erkenntniß uͤberhaupt, und unſerer gegenwaͤr-
tigen inſonderheit, alle Erſcheinungen des Menſchen aus der
Miſchung ſeines Koͤrpers vollſtaͤndig erklaͤren will, in ihm
alſo nur ein chemiſches Product ſieht: ſo wird ſie einſeitig
und mangelhaft.
Denn ſo unbezweifelt es auch iſt, daß wir uns die Er-
ſcheinungen der Koͤrperwelt nicht anders, als begruͤndet in
ihrer Form und Miſchung denken koͤnnen, ſo vermoͤgen wir
doch nicht, in die innere Miſchung aller Weſen ſo tief ein-
zudringen, um daraus alle ihre Erſcheinungen hinreichend
zu erklaͤren. Das große Reich feinerer Stoffe liegt außer-
halb der Graͤnzen unſerer Sinne, und das Verfahren der
Natur in Verbindung und Zuſammenſetzung derſelben,
welche die Quelle der vorzuͤglichſten Modificationen der Er-
ſcheinungen abgiebt, liegt ebenfalls noch außer unſerm Ge-
ſichtskreiſe. Koͤnnten wir hieruͤber aufgeklaͤrt werden, ſo
brauchten wir nicht mehr von Kraͤften zu ſprechen, deren
Wuͤrkungsgeſetze wir nur aufſuchen: es gaͤbe denn alſo keine
Phyſik, keine Phyſiologie mehr, ſondern die Chemie ver-
ſchlaͤnge alle uͤbrigen Naturwiſſenſchaften, welche jetzt in
ihrer Unvollkommenheit neben ihr ſtehen.
Dritter
[69]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Kenntniß der Erſcheinungen am Menſchen.
Die Erſcheinungen am Menſchen im engern Sinne,
(d. h. ſeine Zuſtaͤnde, welche einander in der Zeit folgen und
dadurch von einander verſchieden ſind) ſind theils koͤrperlich,
theils geiſtig. Die Lehre von dieſen Erſcheinungen *) zer-
faͤllt alſo dem zufolge in zwey Theile.
Die Phyſiologie oder die Naturlehre des menſch-
lichen Koͤrpers iſt die Darſtellung ſeiner Erſcheinungen uͤber-
haupt, und der Geſundheit insbeſondere, verbunden mit
der Unterſuchung ihres Weſens, ihrer Urſachen und Wuͤr-
kungen.
Unter Natur verſtand man ehemals den ſeiner Beſtim-
mung angemeſſenen Zuſtand eines Koͤrpers; natuͤrlich
war deshalb am Menſchen, ſoviel, als geſund, wider-
natuͤrlich gleichbedeutend mit krankhaft, und Phyſiologie
war die Lehre von der Geſundheit. Allein ſie hat ein weite-
res Feld; ſie unterſucht die geſammte koͤrperliche Natur des
Menſchen, d. h. den Innbegriff von den innern Beſtim-
mungsgruͤnden, welche ſeine vermittelſt der aͤußern Sinne
wahrnehmbaren Erſcheinungen unter beſtimmten Formen ver-
nrſacht.
E 3§ 223.
[70]Zweyter Theil.
Zuerſt ſtellt ſie alſo die beobachteten koͤrperlichen Er-
ſcheinungen am Menſchen dar. Sie ſtuͤtzt ſich hier auf die
Anatomie, von welcher ſie die Kenntniß des Subſtrates die-
ſer Erſcheinungen entlehnt, und die groͤßere oder geringere
Vollkommenheit dieſer Lehre iſt daher von betraͤchtlichem
Einfluſſe auf ſie.
Sie entwickelt alſo hier den Nutzen dieſer Theile, wel-
cher theils unmittelbar wahrgenommen, und mit Huͤlfe einer
zureichenden anatomiſchen Kenntniß durch eine leichte Be-
obachtung erkannt wird, theils verſteckter liegt, und mit
mehreren Schwierigkeiten entdeckt wird.
Im letztern Falle ruft ſie außer der Anatomie, welche
ihr immer zur Seite geht, auch die Anthropochemie zu Huͤlfe
(deren bisherige gaͤnzliche Verweiſung auf dieſen Theil der
Phyſiologie nur durch ihren bisherigen mangelhaften Zuſtand
entſchuldigt werden kann), um zu unterſuchen, welche Mi-
ſchungsveraͤnderungen durch den beſtimmten Theil vor ſich
gehen, und welchen Einfluß er hierdurch auf den ganzen
Organismus hat.
Sie bedient ſich ferner der Verſuche, d. h. ſie veraͤn-
dert auf mancherley Art die Verhaͤltniſſe des Organes, um
die dadurch erfolgenden Modificationen ſeiner Erſcheinungen
zu beobachten, und daraus auf die weſentlichen Bedingung
ſeiner Wuͤrkungen zu ſchließen.
Eben ſo ſucht ſie auch durch Verſuche die Wuͤrkungen
des Organs aufzuheben, um durch Beobachtung des daraus
entſtehen-
[71]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
entſtehenden Nachtheils fuͤr die uͤbrige Organiſation ſeinen
Zweck aufzuklaͤren.
Sie benutzt hierzu auch die Beobachtungen der Patho-
logie, indem ſie ſich von derſelben belehren laͤßt, welche
Wuͤrkungen aus dem krankhaften Zuſtande des unterſuchten
Organs erwachſen.
Die vergleichende Anatomie und Phyſiologie dient ihr
zu einem aͤhnlichen Huͤlfsmittel, um naͤmlich aus der Ueber-
einkunſt aͤhnlicher koͤrperlicher Theile und Erſcheinungen an
Thieren, auf eine urſachliche Verbindung dieſer Theile und
dieſer Erſcheinungen am Menſchen zu ſchließen.
Hat die Phyſiologie auf dieſe Art die mancherley Wuͤr-
kungen des menſchlichen Organismus nach ihren Bedingun-
gen, Erſcheinungen und Zwecken dargeſtellt, ſo ſucht ſie nun
die eigentlichen Urſachen derſelben auf.
Sie verſucht alſo ihre Erklaͤrung 1) aus dem Baue des
menſchlichen Koͤrpers, und vergleicht damit die in der ge-
ſammten Natur beobachtete Modification der Kraͤfte durch
das verſchiedene Verhaͤltniß ihrer koͤrperilchen Subſtrate,
im Raume: ſie benutzt alſo hier die Mathematik, und zwar
zunaͤchſt die angewandten Theile derſelben, als Mechanik,
Hydroſtatik, Hydraulik ꝛc.
2) Aus der Miſchung des menſchlichen Koͤrpers: ſie
vergleicht dieſe mit der Miſchung der uͤbrigen Natur, und
E 4wo
[72]Zweyter Theil.
wo ſie in Beyden gleiche Erſcheinungen bey gleichen Stoffen
findet, ſchließt ſie, daß die Erſcheinungen des erſtern auf
dieſen Miſchungsverhaͤltniſſen beruhen.
Allein dieſe Erklaͤrungen ſchaffen ihr doch keine vollſtaͤn-
dige Befriedigung, denn obſchon dadurch die Art der Wuͤr-
kungen des menſchlichen Organismus aufgeklaͤrt wird, ſo
bleiben ihr doch immer noch ihre eigentlichen Urſachen ver-
borgen; ſie findet hier uͤberall Wuͤrkungen, welche von denen
der uͤbrigen Natur abweichen, und ſie ſieht daher ein, daß
der menſchliche Koͤrper nicht nur einen allgemein koͤrperlichen
Charakter habe, ſondern auch einen eigenthuͤmlichen, ihm
allein zukommenden, welcher alſo auch durch keine Verglei-
chung mit der uͤbrigen Natur, ſondern nur durch ſorgfaͤltige
Beobachtung ſeiner ſelbſt ausgemittelt werden kann.
Sie beobachtet alſo die Erſcheinungen des menſchlichen
Koͤrpers, wie ſie durch ihre mannichfaltigen Verhaͤltniſſe be-
ſtimmt werden, vergleicht ſie untereinander, ſchließt vermit-
telſt Analogie und Induction auf ihre Urſachen, begiebt ſich
des Anſpruchs auf die Kenntniſſe des innern Weſens dieſer
Urſachen, und ſtrebt nur nach Auffindung der Geſetze, nach
welchem die dem Menſchen inwohnende Kraft ſich thaͤtig er-
zeigt.
Hierdurch wird ſie alſo ein wuͤrklicher Theil der Phyſik.
Allein die Phyſik der anorgiſchen Schoͤpfung hat das vor
ihr voraus, daß ihr Gegenſtand einfacher, nicht ſo vielſeitig,
und mehr ſtetig iſt, alſo auch eine mathematiſche Berechnung
ſeiner Wuͤrkungsgeſetze eher zulaͤßt.
§ 236.
[73]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Dies iſt der Weg der analytiſchen Bearbeitung der Phy-
ſiologie. Als ſchon bearbeitete Wiſſenſchaft verfaͤhrt ſie
ſynthetiſch, und traͤgt 1) in ihrem allgemeinen Thei-
le die Reſultate der ſpeciellen Unterſuchung vor, naͤmlich
die Merkmahle, welche den ſaͤmmtlichen Erſcheinungen des
menſchlichen Koͤrpers gemeinſchaftlich zukommen, und die
denſelben zum Grunde liegenden Kraͤfte nach ihren Wuͤrkungs-
geſetzen. Dieſe Kraͤfte ſind aber theils allgemein, welche
der menſchliche Koͤrper mit andern gemein hat (phyfiſche
und chemiſche), theils eigenthuͤmliche (Lebenskraͤfte, Le-
bensprincip, Erregbarkeit).
2) Die ſpecielle Phyſiologie erlaͤutert die Erſcheinungen
der einzelnen Organe aus ihrer eigenthuͤmlichen Natur, ver-
bunden mit den allgemeinen Wuͤrkungsgeſetzen des menſchli-
chen Koͤrpers.
Uebrigens leiſtet die Phyſiologie auch in dieſen Graͤnzen
der Heilkunſt volle Genuͤge. Da es naͤmlich dieſer darauf
ankommt, den Menſchen in ſeinen verſchiedenen Wuͤrkungen
und Verhaͤltniſſen zu kennen, um dieſe Verhaͤltniſſe zu Be-
ſeitigung des krankhaften Zuſtandes abaͤndern zu koͤnnen: ſo
braucht die Phyſiologie auch nur zu zeigen, welche Erſchei-
nungen der menſchliche Koͤrper aͤußert, und nach welchen
Geſetzen ſie erfolgen, wenn ſie auch ſchon ihren letzten Grund
nicht befriedigend aufzuhellen vermag.
Sie entwickelt alſo die Wuͤrkungsgeſetze der Natur des
lebenden menſchlichen Koͤrpers uͤberhaupt; und da die Krank-
E 5heit
[74]Zweyter Theil.
heit nach eben dieſen Geſetzen erfolgt, und eben ſo, wie die
Geſundheit nur eine beſondere Modification des Lebens ab-
giebt, ſo koͤnnen wir nur durch die Phyſiologie eine gehoͤrige
Einſicht in die Urſachen, Erſcheinungen und Wuͤrkungen
der Krankheiten erlangen, und die Phyſiologie wird dadurch
der Eckſtein der Heilkunſt, weil ſie den Grund ihrer geſamm-
ten Theorie in ſich faßt.
Da die Phyſiologie nicht nur die Erſcheinungen des Le-
bens uͤberhaupt, ſondern auch der Geſundheit, als einer ein-
zelnen Modification deſſelben beſonders darſtellt: ſo iſt ihre
Kenntniß fuͤr die Heilkunſt auch in der Ruͤckſicht wichtig, um
den geſunden Zuſtand gehoͤrig zu erkennen und zu unterſchei-
den.
Die phyſiologiſche Semiotik, oder die Zeichenlehre der
Geſundheit, ſtellt alſo die durch unſere Sinne unmittelbar
wahrnehmbaren Wuͤrkungen der einzelnen Organe dar, um
daraus auf die, ihrem urſpruͤnglichen Zwecke entſprechenden
Wuͤrkungen der uͤbrigen Organe, welche unſrer ſinnlichen
Anſchauung nicht frey ſtehen, ſchließen zu koͤnnen.
Sie liefert die Reſultate einer genauen Beobachtung
der Erſcheinungen des menſchlichen Koͤrpers, wie dieſelben
im geſunden Zuſtande einander folgen und neben einander be-
ſtehen, und ſie iſt alſo ein Theil der hiſtoriſchen Phyſiologie
(§ 223), welcher erſt durch die uͤbrigen Zweige dieſer Wiſ-
ſeuſchaft, Einſicht in die urſachliche Verbindung des Bey-
ſam-
[75]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
ſammenſeyns und der Aufeinanderfolge dieſer Erſcheinungen
erhaͤlt.
Das Leben hat nur zwey Modificationen: Geſundheit
und Krankheit. Um alſo die eine gehoͤrig zu erkennen und
zu beurtheilen, muß man von der ihr gegenuͤber ſtehenden
unterrichtet ſeyn. Da nun das erſte Geſchaͤft der Heilkunſt
in Erkenntniß der Krankheiten beſteht, ſo muß ſie nothwen-
dig zuvoͤrderſt die Zeichen der Geſundheit vollkommen inne
haben.
Unter den Nebenwiſſenſchaften bedarf beſonders die ge-
richtliche Arzneykunſt der phyſiologiſchen Semiotik, um naͤm-
lich auszumitteln, ob und in welchem Grade die Geſundheit
in einem Subjecte Statt finde.
Pſychologie.
Dieſe Kenntniß des Menſchen (§ 221 — 244) iſt aber
immer noch unvollſtaͤndig, denn ſie bezieht ſich noch nicht
auf ihn, in ſofern er auch das Glied einer hoͤhern Schoͤ-
pfung iſt. Dieſe Luͤcke wird durch die Pſychologie ausge-
fuͤllt, welche alſo der allgemeinen Kenntniß des Menſchen
ihre Vollendung ertheilt.
Die Pſychologie oder die Seelenlehre iſt naͤmlich die
Darſtellung der geiſtigen Erſcheinungen im Menſchen uͤber-
haupt
[76]Zweyter Theil.
haupt, und in der Geſundheit insbeſondere, verbunden mit
der Unterſuchung ihres Weſens, ihrer Urſachen und ihrer
Wuͤrkungen. Sie iſt alſo ganz das fuͤr die geiſtige Natur
des Menſchen, was die Phyſiologie fuͤr ſeine koͤrperliche Na-
tur iſt.
Ihre Quelle iſt urſpruͤnglich das dem Menſchen inwoh-
nende Bewußtſeyn ſeiner ſelbſt. Der Menſch vermag naͤm-
lich bey allen geiſtigen Wuͤrkungen, welche er aͤußert, ſeine
Aufmerkſamkeit auf dieſe Acte zu lenken, und ihre eigen-
thuͤmlichen Merkmahle vermittelſt ſeines innern Sinnes wahr-
zunehmen.
Er findet, daß mit jeder geiſtigen Wuͤrkung eine Vor-
ſtellung verbunden iſt, ſtellt aber ihre Modiflcationen unter
den drey Klaſſen des Erkennens, Begehrens und Fuͤhlens
auf.
Dieſe Erſcheinungen machen alſo den erſten und hiſtori-
ſchen Theil der Pſychologie aus, denn ſie ſind blos durch
die Beobachtung, durch die Anſchauung ſeiner ſelbſt ge-
geben.
Was nun aber die Unterſuchung des Grundes dieſer Er-
ſcheinungen anlangt, ſo ſteht ſie, von der Kritik des Erkennt-
nißvermoͤgens geleitet, von der Anmaßung ab, denſelben an
ſich, in ſeinem innern Weſen zu erkennen, begnuͤgt ſich,
(wie die Phyſiologie in Ruͤckſicht auf die koͤrperlichen Erſchei-
nungen (§ 234) einen, ſeinem Weſen nach unbekannten Grund
der bekannten geiſtigen Erſcheinungen zu denken, (welchen ſie
an ſich betrachtet, Geiſt, in Ruͤckſicht auf ſeine Verbindung
mit
[77]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
mit der Koͤrperwelt, Seele nennt), und ſucht nur ſeine
Wuͤrkungsgeſetze und ihren Zuſammenhang zu entwickeln.
Dieſe Geſetze naͤmlich, nach welchen die geiſtigen Er-
ſcheinungen erfolgen, und nach welchen ſie verſchiedne Wuͤr-
kungen nach ſich ziehen, werden dadurch entdeckt, daß der
Menſch ſeine einzelnen Geiſteswuͤrkungen im geſunden ſo-
wohl, als im kranken Zuſtande, unter einander vergleicht,
durch Verſuche belehrt, das Weſentliche von dem Unweſent-
lichen unterſcheidet, die an andern Menſchen hieruͤber ge-
machten Beobachtungen hierzu benutzt, und die verſchiede-
[nen] Verhaͤltniſſe aufſucht, welche ihre Modificationen be-
ſtimmen.
Sie iſt alſo blos durch die Erfahrung gegeben, und
wird [daher] auch gewoͤhnlich die empiriſche Pſychologie ge-
nennt. Man nennt ſie auch Anthropologie, in ſofern das
eigentliche Weſen des Menſchen auf dem geiſtigen Vermoͤ-
gen beruht, und der Koͤrper nur das Subſtrat deſſelben
abgiebt.
Der Menſch darf nie bloß koͤrperlich betrachtet werden:
denn ſonſt uͤberſieht man den wichtigſten Theil ſeines Weſens,
und kann nur einſeitige Urtheile uͤber ihn faͤllen. Dadurch
wird die Pſychologie eben ſo noͤthig fuͤr die Heilkunſt, als
die Phyſiologie.
Einige Krankheiten des Menſchen beruhen unmittelbar
und ausſchließlich auf einer unregelmaͤßigen Wuͤrkung ſeines
geiſtigen Vermoͤgens. Uebrigens ſind aber auch die verſchie-
denen Charakter des Menſchen ſo innig unter einander ver-
kettet,
[78]Zweyter Theil.
kettet, daß keiner derſelben veraͤndert werden kann, ohne
ſogleich eine entſprechende Veraͤnderung der andern nach
ſich zu ziehen; und deshalb giebt es auch keine betraͤchtliche
Modification des Koͤrperlichen am Menſchen, keine Krank-
heit irgend einer Art, womit nicht eine angemeſſene Modi-
[fication] ſeines geiſtigen Weſens verknuͤpft waͤre.
Die Heilkunſt bedarf alſo der Pſychologie, nicht nur in
Ruͤckſicht auf die Krankheiten des Geiſtes, ſondern auch auf
alle uͤbrigen, ſobald ſie auf irgend einen Grad der Vollſtaͤn-
digkeit und Vollkommenheit Anſpruch machen will; und ſie
bedarf ebenfalls ihres Unterrichtes, um mit den Heilmitteln
bekannt zu werden, welche in der geiſtigen Natur des Men-
ſchen ſelbſt liegen.
Da nun alle diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche
den Menſchen nach ſeinen mannichfaltigen Erſcheinungen und
deren Wuͤrkungsgeſetzen darſtellen (als die naͤhern Grund-
wiſſenſchaften § 195), wegen ihrer Anwendung zum Behuf
der Heilkunſt, zu den mediciniſchen gerechnet werden, ſo ge-
hoͤrt hierher auch die Pſychologie, und es iſt Uſurpation und
eine grundloſe Anmaßung der Philoſophie, dieſelbe in ihr
Gebiet zu ziehen. Die Philoſophie entlehnt vielmehr dieſe
Erfahrungswiſſenſchaft eben ſo wie die Heilkunſt, aus dem
großen Gebiete der Naturwiſſenſchaften.
Ein Theil der Pſychologie iſt die Anthropologie im en-
gern Sinne, oder die Lehre von dem eigenthuͤmlichen Cha-
rakter
[79]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
rakter des Menſchen, welcher in der Vereinigung koͤrperli-
cher und geiſtiger Kraͤfte zu einem harmonirenden Weſen
beſteht. In ſofern naͤmlich die Pſychologie die allgemeine
Kenntniß des Menſchen durch Entwickelung ſeines hoͤchſten
Charakters vollendet, findet in ihr die Anthropologie ihre
ſchicklichſte Stelle.
Die Anthropologie ſtellt 1) den Einfluß des Koͤrpers
auf die Seele dar, und hierher gehoͤrt beſonders die Tem-
peramentslehre, welche die aus Erfahrung bekannten
Geſetze darſtellt, nach welchen der Innbegriff der Form und
Miſchung des menſchlichen Koͤrpers die geiſtigen Kraͤfte in
ihrem Vermoͤgen und ihren Wirkungen modificirt.
2) Den Einfluß der Seele auf den Koͤrper; hierher ge-
hoͤrt vorzuͤglich die Pathematologie, welche die durch
Erfahrung bekannten Geſetze entwickelt, nach welchen die
mit beſonderer Lebhaftigkeit verbundenen Actionen des geiſti-
gen Weſens im Menſchen, die koͤrperlichen Kraͤfte in ihrem
Vermoͤgen und ihren Wuͤrkungen beſtimmen.
Die Unentbehrlichkeit dieſer Kenntniſſe fuͤr die Heilkunſt
wird ſchon aus ihrem angegebenen Begriffe hinlaͤnglich deut-
lich. Da naͤmlich der gegenſeitige Einfluß des Geiſtigen
und Koͤrperlichen im Menſchen ſo ſtark iſt, daß er uͤberall,
ſowohl bey Entſtehung, als bey Heilung der Krankheiten
ſich wuͤrkſam erzeigt: ſo muß die Heilkunſt mit den Geſetzen
bekannt ſeyn, nach welchen er erfolgt, um ihn auf den be-
ſtimmten Zweck lenken zu koͤnnen, und dadurch das Gebiet
ihrer
[80]Zweyter Theil.
ihrer Herrſchaft uͤber die Natur um ein Betraͤchtliches zu er-
weitern.
Wenn wir immer alle Wuͤrkungen des geiſtigen Weſens,
wie ſich dieſelben durch koͤrperlichen Ausdruck offenbaren, er-
kennten, ſo wuͤrden wir weiter keiner Zeichen beduͤrfen. Denn
da die Geſundheit in Erſcheinungen beſteht: ſo haͤtten wir,
ſobald wir die ſaͤmmtlichen Erſcheinungen als zweckmaͤßig
anerkennten, eine vollſtaͤndige Beobachtung der Geſundheit.
Da wir dies aber nicht im Stande ſind: ſo wird eine pſy-
chologiſche Semiotik noͤthig.
Die pſychologiſche Semiotik, oder die Zeichenlehre der
Geiſtesgeſundheit, ſtellt die einzelnen geiſtigen Erſcheinungen
dar, welche wir unmittelbar (an uns durch Selbſtbewußt-
ſeyn) oder mittelbar (an Andern, durch Beobachtungen
des koͤrperlichen Ausdruckes) wahrnehmen, um aus deren
Beſchaffenheit auf die ihrem urſpruͤnglichen Zwecke angemeſ-
ſenen uͤbrigen Geiſteswuͤrkungen zu ſchließen.
Der Theil der pſychologiſchen Zeichenlehre, welcher den
Einfluß der Seele auf die aͤußere Form des Koͤrpers oder
das Uebereinkommende zwiſchen beyden, als Zeichen zu Be-
urtheilung der Geiſteswuͤrkungen darſtellt, iſt bis jetzt vor-
zugsweiſe unter dem Namen der Phyſiognomik bearbei-
tet worden.
Die Heilkunſt bedarf dieſer Zeichenlehre eben ſo, wie
der der koͤrperlichen Geſundheit (§ 243) zur Erkenntniß der
Krank-
[81]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Krankheiten, und unter den Nebenwiſſenſchaften benutzt ſie
vorzuͤglich die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft.
Zweytes Hauptſtuͤck.
Kenntniß der Krankheiten des Menſchen.
Allgemeine Krankheitslehre.
Die Pathologie, oder allgemeine Krankheitslehre (auch
allgemeine Pathologie genannt) beſchaͤftigt ſich mit Aufſtel-
lung der Merkmahle, welche entweder allen, oder einzelnen
Gattungen von Krankheiten gemeinſchaftlich zukommen.
Sie iſt alſo das Reſultat der ſpeciellen Krankheitslehre.
Da naͤmlich dieſe die einzelnen Gattungen der Krankheiten
in allen ihren Verhaͤltniſſen beſchreibt: ſo abſtrahirt jene das
Allgemeine hiervon, und ſucht den Zuſammenhang deſſelben
durch die bekannten Wuͤrkungsgeſetze der dem Menſchen in-
wohnenden Kraͤfte, aufzuklaͤren.
Dieſe allgemeinen Merkmahle der Krankheiten beziehen
ſich entweder auf die oberſten, fuͤr uns erkennbaren Geſetze,
nach welchen dieſelben erfolgen, oder auf die Wuͤrkungen,
welche ſie hervorbringen, oder auf die Urſachen, durch wel-
Fche
[82]Zweyter Theil.
che ſie herbeygefuͤhrt werden. Die Pathologie zerfaͤllt alſo
in die Pathogenie, Symptomatologie und Aetiologie.
1. Die Pathogenie oder Krankheitsnaturlehre iſt die
Darſtellung der fuͤr uns erkennbaren oberſten Geſetze, nach
welchen die ihrem urſpruͤnglichen Zwecke nicht entſprechenden
Erſcheinungen der menſchlichen Natur erfolgen.
Die Geſundheit beruht auf zweckmaͤßiger Wuͤrkung der
Kraͤfte des Menſchen, und alle Unterſuchungen ihres We-
ſens, ſchraͤnken ſich nur auf Entdeckung der Geſetze ein,
nach welchen jene Wuͤrkung erfolgt. Eben ſo verhaͤlt es ſich
auch mit den Krankheiten, als welche in einer Modification
jener Kraͤfte beſtehen, wodurch die Erreichung der Zwecke der
menſchlichen Natur geſtoͤrt wird. So viel wir alſo von dem
eigentlichen Weſen der Krankheiten wiſſen koͤnnen, traͤgt die
Pathogenie vor.
Ihren Stoff erhaͤlt ſie von der ſpeciellen Krankheitslehre
(§ 266), und ſie bearbeitet ihn, geleitet von der Phyſiolo-
gie und Pſychologie. Denn dieſe Wiſſenſchaften beſchaͤfti-
gen ſich nicht bloß mit Darſtellung der Geſundheitserſchei-
nungen, ſondern mit Entwickelung der Geſetze, nach wel-
chen die menſchliche Natur ſich uͤberhaupt wuͤrkſam erzeigt,
(§ 234, 250), oder ſie machen die Naturlehre des Menſchen
aus (§ 183). Da nun Krankheiten nichts Widernatuͤrli-
ches, ſondern einzig und allein von den Wuͤrkungsgeſetzen
der menſchlichen Natur abhaͤngig ſind (§ 222), und ſich auf
dieſelbe beziehen, ſo koͤnnen die Geſetze, nach welchen ſie er-
ſcheinen, nur vermittelſt jener Wiſſenſchaften aufgehellt
wer-
[83]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
werden, und dieſe haͤngen in ihrer Beobachtung und in ih-
ren Reſultaten auf das Innigſte unter einander zuſammen.
Da die Natur im Menſchen eben ſo, als in der Auſſen-
welt, ſtetig in ihren Wuͤrkungen, und uͤberall ihren Geſetzen
getreu iſt, ſo erfolgt die Heilung nach denſelben oberſten Ge-
ſetzen, nach welchen die Krankheiten ſelbſt entſtanden waren.
Die Pathogenie liefert alſo auch der Heilkunſt eine hin-
reichende Einſicht in die oberſten Grundſaͤtze, nach welchen
die Heilung der Krankheiten bewuͤrkt werden kann. Und in
ſofern man unter Philoſophie uͤberhaupt im Bezug auf Sach-
keuntniſſe, eine moͤglichſt vollſtaͤndige Kenntniß der Erſchei-
nungen ihrem Weſen und ihrer urſachlichen Verbindung
nach, verſteht, wird die Pathogenie mit Recht die Funda-
mentalphiloſophie der geſammten Heilkunſt genennt.
2. Die Symptomatologie, oder die Krankheitser-
ſcheinungslehre, traͤgt die einzelnen Modificationen der
allgemeinen, oder nur einem Theile inhaͤrirenden, auf eine
einzige Erſcheinung ſich beziehenden Kraͤfte des Menſchen
vor, in ſofern dieſe Modificationen theils unmittelbar be-
wuͤrkt, theils durch andre, vorhergehende herbeygefuͤhrt
ſind.
Es iſt dieſe Lehre das Reſultat der bloßen, an dem
kranken Menſchen angeſtellten Beobachtung, und ſie wird
fuͤr die Heilkunſt wichtig, um die Erſcheinungen jedes ein-
zelnen Krankheitsfalles gehoͤrig beurtheilen zu koͤnnen.
F 2§ 275.
[84]Zweyter Theil.
3. Die Aetiologie oder Krankheitsurſachenlehre,
ſtellt die verſchiedenen Verhaͤltniſſe der menſchlichen Natur
auf, welche ſie ſo modificiren, daß aus der bisherigen Ge-
ſundheit eine beſtimmte Gattung der Krankheit erwaͤchſt.
Sie iſt das Reſultat der an kranken Menſchen gemach-
ten Erfahrungen, weil ſie den urſachlichen Zuſammenhang
unterſucht, welcher zwiſchen den krankhaften Erſcheinungen
und den Kraͤften, welche vorher auf den Menſchen einwuͤrk-
ten, Statt findet; welchen Zweck ſie vermittelſt der Kennt-
niß der Wuͤrkungsgeſetze der menſchlichen Natur erreicht.
Zur gehoͤrigen Kenntniß eines jeden Krankheitsfalles,
deſſen ſaͤmmtliche Erſcheinungen wir ohnedies niemals voll-
ſtaͤndig wahrnehmen, iſt die Kenntniß der vorhergehenden
Verhaͤltniſſe des Menſchen fuͤr immer noͤthig, welche die
Urſache der gegenwaͤrtigen Krankheit abgegeben haben: ja
oft leitet ſie die Erkenntniß der Krankheit faſt ganz allein.
So wird alſo die Aetiologie eine wichtige Stuͤtze der Heil-
kunſt.
Allein ſie iſt es auch in Ruͤckſicht auf die Heilung un-
mittelbar, weil naͤmlich die Krankheitserſcheinungen niemals
gehoben werden koͤnnen, ehe ihre Veranlaſſungen hinweg-
geraͤumt ſind, und dies eine genaue Kenntniß derſelben vor-
ausſetzt.
Zwey-
[85]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Beſondere Krankheitslehre.
Die Lehre von den beſondern Krankheitserſcheinungen
bezieht ſich eben ſo wie die Lehre von der menſchlichen Na-
tur uͤberhaupt, und der Geſundheit insbeſondere (§ 195)
entweder auf die Form, oder auf die Miſchung ſeines Koͤr-
pers, oder auf die eigentlich ſogenannten Erſcheinungen.
Pathologiſche Anatomie.
Die pathologiſche Anatomie, oder die Lehre von dem
krankhaften Baue des menſchlichen Koͤrpers, traͤgt die Ver-
aͤnderungen vor, welche die Theile deſſelben, als ausge-
dehnt im Raume treffen, und ſie zu Erreichung ihres ge-
meinſchaftlichen, auf die geſammte Organiſation ſich bezie-
henden Zweckes, ungeſchickt machen, oder ſie in ihren Ver-
richtungen ſtoͤren.
Sie iſt alſo das Reſultat von Beobachtungen, oder ei-
ne Erzaͤhlung der krankhaft veraͤnderten Form, welche man
theils am lebenden menſchlichen Koͤrper wahrgenommen,
theils an Leichnamen durch die Zergliederung entdeckt hat, nebſt
Angabe der Urſachen, durch welche ſie veranlaßt wurde, und
der Wuͤrkungen, welche ſie auf die uͤbrige Organiſation hatte.
F 3§ 282.
[86]Zweyter Theil.
Ihre Quelle iſt alſo die Betrachtung und Zergliederung
des kranken oder krank geweſenen menſchlichen Koͤrpers, ver-
bunden mit den Kenntniſſen der Anatomie und der ſpeciellen
Krankheitslehre.
Da die durch den Geſichtsſinn wahrnehmbaren und
bleibenden Eigenſchaften des menſchlichen Koͤrpers, welche
ſich alſo auf ſeine Form beziehen, die erſten Zeichen zu Er-
kenntniß aller Krankheiten abgeben: ſo wird die pathologi-
ſche Anatomie der geſammten Heilkunſt unentbehrlich.
Dadurch ferner, daß ſie die Veraͤnderungen der Form
nicht nur beſchreibt, ſondern auch ihre Geſchichte entwickelt,
und die damit verbundenen Erſcheinungen der uͤbrigen Orga-
ne erklaͤrt, ſetzt ſie die Heilkunſt in den Stand, die krank-
hafte Form in dem Innern des Organismus zu entdecken.
Auch verbreitet ſie in vielen Faͤllen Licht uͤber die Anatomie
und Phyſiologie.
Ganz beſonders unentbehrlich iſt ſie aber fuͤr die Hand-
arzneykunſt (daher ſie auch chirurgiſche Anatomie genennt
wird) und fuͤr die Entbindungskunſt, weil die krankhaft
veraͤuderte Form des menſchlichen Koͤrpers den eigentlichen
Gegenſtand dieſer Zweige der Heilkunſt ausmacht.
Zwey-
[87]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Pathologiſche Anthropochemie.
Die pathologiſche Antropochemie oder die Lehre der
krankhaften Miſchung des menſchlichen Koͤrpers, ſtellt die
Veraͤnderungen ſeiner Beſtandtheile dar, durch welche er
unfaͤhig gemacht wird, ſeinen urſpruͤnglichen Verrichtungen
zweckmaͤßig vorzuſtehen, nebſt den Urſachen und Wuͤrkungen
dieſer Veraͤnderungen.
Sie hat alſo ihre Quelle in der chemiſchen Analyſe der
Leichname, oder der aus dem noch lebenden Koͤrper ausge-
ſonderten Saͤfte, oder andrer von ihm zertrennter Theile;
auch bedient ſie ſich verſchiedener Verſuche an dem lebenden
Koͤrper.
Sie bedarf ferner einer genauen Kenntniß der mit Ge-
ſundheit beſtehenden Miſchung des menſchlichen Koͤrpers,
um damit die vorgefundene krankhafte Miſchung zu verglei-
chen; und der Noſologie, welche ihr die vorhergehenden,
gleichzeitigen und nachfolgenden Veraͤnderungen zur Geſchich-
te derſelben darbietet.
Es iſt dieſe Lehre zur Erkenntniß der Urſachen mehrerer
Krankheiten ſowohl, als auch einzelner abhaͤngiger Symp-
tome, wichtig fuͤr die Heilkunſt, zumal wenn ſie dieſelbe
belehrt, ob dieſe krankhafte Miſchung urſpruͤngliche Urſache
der uͤbrigen Krankheitserſcheinungen, oder ob ſie ſpaͤtere Fol-
ge derſelben iſt.
F 4§ 290.
[88]Zweyter Theil.
Sie berechnet aber auch die Heilkunſt in Ruͤckſicht auf
die Erkenntniß der Wuͤrkung der Heilmittel, und ſie unter-
ſtuͤtzt ſie auch in Entdeckung derſelben zur Beſeitigung gewiſ-
ſer Krankheiten.
Noſologie.
Die Noſologie (oder ſpecielle Pathologie) iſt derjenige
Theil der Naturlehre des Menſchen, welcher ſeine verſchie-
denen kraukhaften Erſcheinungen (im engern Sinne des
Worts) als einzelne Ganze, nach ihrem Urſprunge, Ver-
laufe, ihren Urſachen, Zeichen und Wuͤrkungen, erlaͤutert
Sie bezieht ſich alſo auf ſein geiſtiges ſowohl, als auf ſein
koͤrperliches Weſen.
Sie ſchoͤpft alſo einzig und allein aus der Beobach-
tung der an einzelnen Menſchen vorkommenden Krankheits-
faͤlle. Sie unterſcheidet naͤmlich die Urſachen, Erſcheinun-
gen und Wuͤrkungen, welche dieſer Krankheitsfall mit
andern Faͤllen gemein hat. Entdeckt ſie nun, daß, ſo oft ſie
Beobachtungen anſtellt, gewiſſe Erſcheinungen immer mit
einander verbunden ſind, oder auf einander folgen, ſo
nimmt ſie dieſelben fuͤr weſentliche, beſchreibt dieſe mit Hint-
anſetzung der unweſentlichen, d. h. ſolcher, welche auf der
uͤbrigen und in keinem unmittelbaren Bezuge damit ſtehen-
den individuellen Lage des Kranken, nicht auf den gemeinen
Eigenſchaften der menſchlichen Natur beruhen, und liefert
durch
[89]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
durch Zuſammenſtellung der Krankheiten, welche in ihren
weſentlichen Erſcheinungen mit einander uͤbereinkommen,
die verſchiedenen Gattungen, und durch Zuſammenſtellung
der mit einander uͤbereinkommenden Gattungen, die Klaſſen
derſelben.
Hat ſie nun die weſentlich zuſammenhaͤngenden Krank-
heitserſcheinungen wuͤrklich geſunden, ſo bemuͤht ſie ſich,
ihr Cauſſalverhaͤltniß aufzuſuchen. Sie benutzt hierzu das
Reſultat der Wiſſenſchaften, welchen ſie ſelbſt ihren Stoff
erſt mitgetheilt hat, naͤmlich der pathologiſchen Anatomie
und Antropochemie, und da ſie hierdurch zwar belehrt, aber
nicht hinreichend aufgeklaͤrt wird: ſo ſchoͤpft ſie die Geſetze,
nach welchen die menſchliche Natur krankhaft wuͤrkt, aus
der allgemeinen Krankheitslehre, einer Wiſſenſchaft, welche
ſie ebenfalls begruͤndet hat.
Hierdurch wird ſie nun in den Stand geſetzt, von einer
jeden Krankheit die mannichfaltigen vorhergehenden Ver-
haͤltniſſe des Menſchen, wodurch die Entſtehung der Krank-
heit veranlaßt wurde (Gelegenheitsurſachen); die anhal-
tenden Erſcheinungen des noch geſunden Menſchen, welche
die Entſtehung der Krankheit beguͤnſtigten und befoͤrderten
(praͤdisponiredende Urſachen); die noch unbeſtimmten und
ſchwankenden, welche den Uebergang von Geſundheit in
Krankheit ausmachen (Opportunitaͤt); ſodann die weſent-
lichen, welche von einer beſtimmten Krankheit unzertrennlich
ſind, und nur zugleich mit ihr beſeitigt werden koͤnnen
(naͤchſte Urſache); hierauf die uͤbrigen, welche in einem
weniger nothwendigen Zuſammenhange mit der Krankheit
ſtehen, und daher einer den individuellen Verhaͤltniſſen des
F 5Kran-
[90]Zweyter Theil.
Kranken angemeſſenen groͤßern Modification faͤhig ſind
(Symptome), und endlich die Wuͤrkungen derſelben und der
ganzen Krankheit — gehoͤrig auseinander zu ſetzen.
Einige dieſer Unterſuchungen machen einzelne Zweige
der Noſologie aus; dieſe ſind naͤmlich die Syſtematik der
Noſologie, die Diagnoſtik, die Prognoſtik und die pathologi-
ſche Semiotik.
1. Die Zuſammenſtellung der Krankheiten nach ihren
gemeinſchaftlichen Erſcheinungen, und ihrer darauf beru-
henden Klaſſification in Klaſſen, Ordnungen ꝛc. macht den
Gegenſtand der noſologiſchen Syſtematik aus.
A. Nimmt ſie ihre Eintheilungsgruͤnde her von den we-
niger weſentlichen Erſcheinungen oder Symptome der Krank-
heit, ſo wird ſie zur ſymptomatiſchen Syſtematik,
welche mit der ſyſtematiſchen Naturbeſchreibung uͤberein
kommt, weil beyde auf bloßer Wahrnehmung beruhen (§ 158).
a) Wenn ſie hier auf das Zuſammentreffen der man-
nichfaltigen Symptome, und alſo auf den geſammten Cha-
rakter der Krankheiten, als bloßer Erſcheinungen, Ruͤckſicht
nimmt, ſo liefert ſie ein natuͤrliches Syſtem der
Krankheiten (§ 160).
b) Waͤhlt ſie aber eine einzelne Klaſſe von Sympto-
men zu ihrem Eintheilungsgrunde, ſo bildet ſie ein kuͤnſt-
liches Syſtem der Krankheiten (§ 161).
§ 300.
[91]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
B. Stellt ſie aber die Krankheiten nach ihren weſentli-
chen Erſcheinungen dar, welche den Grund der uͤbrigen ent-
halten, und auf deren Beſeitigung die Heilkunſt bedacht
ſeyn muß, weil mit derſelben auch die Entfernung der gan-
zen Krankheit verbunden iſt, ſo liefert ſie ein praktiſches
Syſtem der Krankheiten, welches das Reſultat der
Erfahrung iſt.
2. Werden die weſentlichen und charakteriſtiſchen Merk-
mahle, wodurch jene einzelnen Gattungen der Krankheiten
ſich von einander auszeichnen, in der Abſicht dargeſtellt, um
in einzelnen Faͤllen die vorhandenen Krankheiten zu erkennen,
und von allen uͤbrigen gehoͤrig zu unterſcheiden, ſo erwaͤchſt
hieraus die Diagnoſtik, oder die Erkennungslehre der
Krankheiten.
3. Stellt die Noſologie die Erſcheinungen dar, welche
nach moͤglichſt vollſtaͤndigen Beobachtungen, den gegenwaͤr-
tigen folgen, und durch dieſelben herbeygefuͤhrt werden,
nebſt den Merkmahlen, durch welche wir auf ihre kuͤnftige
Entſtehung ſchließen koͤnnen, ſo lehrt ſie die Zukunft vorher-
ſehen, und wird als eine ſolche Anleitung die Prognoſtik,
oder die Vorhererkennungskunſt der Krankheiten genennt.
4. Beſchreibt ſie endlich die an dem kranken Menſchen
ſinnlich wahrnehmbaren Erſcheinungen, welche vermoͤge ih-
rer, durch ſorgfaͤltige Beobachtungen, entdeckter Verbin-
dung mit andern, unſern Sinnen entdeckten Erſcheinungen,
uns von der Gegenwart dieſer letztern unterrichten, um da-
durch
[92]Zweyter Theil.
durch die Krankheiten in ihrem ganzen Umfange, und alſo
auch nach ihrem Sitze und ihrem Grade zu erkennen: — ſo
liefert ſie die pathologiſche Semiotik, oder die Zei-
chenlehre der Krankheiten.
Die Noſologie befriedigt alſo das erſte und wichtigſte
Beduͤrfniß der Heilkunſt, indem ſie zunaͤchſt in den Stand
ſetzt, die Krankheitsfaͤlle zu erkennen und zu beurtheilen,
und ſie iſt deshalb unentbehrlich fuͤr die Hauptwiſſenſchaften
oder fuͤr die ſpecielle Therapie, Chirurgie und Entbindungs-
kunſt, mit welchen Wiſſenſchaften ſie auch gemeiniglich im
Vortrage verbunden wird.
Ferner muß ſie der Lehre von den Wuͤrkungen der Heil-
kraͤfte auf die menſchliche Natur vorausgehen, und durch
Mittheilung ihrer Beobachtungen die allgemeine Pathologie
und ihre Zweige, die pathologiſche Anatomie und Anthro-
pochemie begruͤnden, nicht weniger auch uͤber mehrere Ge-
genſtaͤnde der Phyſiologie und Pſychologie, ja ſelbſt uͤber
Anthropochemie, uͤber Anatomie und Naturgeſchichte des
Menſchen mehr Licht verbreiten.
Dieſe Wiſſenſchaften aber, welche ſie unterſtuͤtzt, be-
nutzt ſie hinwiederum zu ihrem eigenen Zwecke; denn ſie be-
darf der Kenntniß der Form und Miſchung des menſchlichen
Koͤrpers uͤberhaupt (Anatomie, Naturgeſchichte des Men-
ſchen und Anthropochemie), ſo wie der Wuͤrkungsgeſetze der
koͤrperlichen und geiſtigen Natur des Menſchen (Phyſiologie
und Pſychologie), um die Krankheiten, als Modificationen
jener Erſcheinungen und Kraͤfte gehoͤrig einzuſehen, und um
ſie vollſtaͤndig zu beurtheilen, benutzt ſie auch die Lehre von
der
[93]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
der krankhaften Form und Miſchung (pathologiſche Anato-
mie und Anthropochemie), und von den Wuͤrkungsgeſetzen
der menſchlichen Natur in Bezug auf Krankheiten (Patho-
logie).
Drittes Hauptſtuͤck.
Kenntniß der Heilkräfte.
Die Lehre’ von den Heilkraͤften *) lehrt die beſtimmten
heilſamen Wuͤrkungen kennen, welche durch die Anwendung
verſchiedener Kraͤfte auf den kranken Menſchen hervorge-
bracht werden. Sie wird, in ſofern man ſich dieſer Kraͤfte
als Mittrl der Heilung bedient, Heilmittellehre, auch,
wiewohl uneigentlich Materia medica genennt.
Ihre einzige Quelle iſt die Erfahrung, d. h. eine durch
vielfaͤltig und genau angeftellte Beobachtungen der Erſchei-
nungen, welche der Einwuͤrkung verſchiebener Kraͤfte auf den
kranken Menſchen folgten, nach den Geſetzen der Induction
und Analogie erworbene Gewißheit uͤber den urſachlichen Zu-
ſammenhang derſelben.
Es kann naͤmlich die Kenntniß der bloßen Kraͤfte fuͤr ſich,
oder in ihren Verhaͤltniſſen zu der uͤbrigen Koͤrperwelt, noch
nicht die Kenntniß ihrer Wuͤrkung auf den Menſchen involviren.
Denn
[94]Zweyter Theil.
Denn jede Wuͤrkung in der Natur hat ihren zureichenden
Grund nicht allein in der Kraft, welche wir als eben hinzu-
kommend, unmittelbar in ihrer Thaͤtigkeit wahrnehmen,
ſondern auch zugleich in der Kraft, welche afficirt wird und
ihren Verhaͤltniſſen zu jener; oder mit andern Worten, jede
Erſcheinung iſt das Reſultat der Einwuͤrkung und Gegen-
wuͤrkung der Kraͤfte. Wir koͤnnen ſie daher nicht anders
vorherſehen, außer, wenn wir das gegenſeitige Verhaͤltniß
der Kraͤfte, welche mit einander in Beruͤhrung kommen,
aus der Erfahrung kennen.
Die Kraͤfte des Menſchen beſtimmen alſo die Wuͤrkung
der Heilmittel, und dieſe koͤnnen durch die an kranken Men-
ſchen angeſtellten Beobachtungen entdeckt werden, da alle
Beobachtungen an todten Koͤrpern, an Thieren, ja ſelbſt
an geſunden Menſcheu, unvollſtaͤndig und truͤgeriſch ſind.
Zuerſt iſt der Zufall die Veranlaſſung zu Entdeckung
der Heilmittel, d. h. entweder ohne den beſtimmten Willen
des Menſchen ein Heilmittel zu gebrauchen, oder doch ohne
beſtimmte Kenntniß ſeiner Wuͤrkungsart, alſo durch einen
blinden Griff in den Gluͤckstopf, wird einer Kraft Gelegen-
heit gegeben, auf den kranken Menſchen einzuwuͤrken, und
dieſer geneſet darauf.
Jetzt bietet ſich nun die Unterſuchung dar, ob dieſe Ge-
neſung in einem wuͤrklichen Cauſſalzuſammenhange mit der
Anwendung jener Kraft ſtand, oder ob ſie durch einen an-
dern, vielleicht uͤberſehenen Umſtand herbeygefuͤhrt wurde.
§ 313.
[95]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Das naͤchſte Mittel, hieruͤber zur Gewißheit zu gelan-
gen, iſt nur die wiederholte Anwendung dieſer Kraͤfte in
denſelben Krankheitsgattungen. Allein da kein Krankheits-
fall, ſo wenig, als die Geſundheit, in einem Individuum,
dem andern vollkommen aͤhnlich iſt: ſo kann jenes Mittel
von neuem angewendet, auch nie ganz dieſelben Wirkungen,
noch ſie in demſelben Maaße, derſelben Zeit ꝛc. hervorbringen.
Zu dieſen Verſuchen gehoͤrt alſo die genaueſte Kenntniß
der Krankheiten im Allgemeinen ſowohl, als in ihren Indi-
vidualitaͤten. Wenn naͤmlich bey Krankheiten, welche ihren
Urſachen und weſentlichen Erſcheinungen nach, einander
ganz unaͤhnlich ſind, nach Anwendung einer beſtimmten
Kraft die Geneſung erfolgte; wenn ferner dieſe Geneſung,
als Erſcheinung, d. h. nach der Zeit, in welcher ſie erfolgt,
nach ihrer Vollkommenheit ꝛc. in keinem Verhaͤltniſſe ſteht
mit der nach der Zeit und dem Maaße verſchiedenen Anwen-
dung jener Kraft: ſo kann man vermoͤge der Stetigkeit der
Natur mit vollkommener Zuverſicht ſchließen, daß man, wo
nicht in allem, doch in einigen dieſer Faͤlle ſich geirrt hat,
und daß die Geneſung hier von ganz andern Umſtaͤnden ab-
hieng, welche unſerer Beobachtung entgangen ſind.
Hat man hingegen mehrmals beobachtet, daß der An-
wendung einer Kraft in Krankheiten, welche im Allgemeinen
gleiche weſentliche Erſcheinungen (naͤchſte Urſache) hatten,
Geneſung folgte; hat man ein gewiſſes Verhaͤltniß zwi-
ſchen der Modification dieſer Geneſung, des Krankheitsfalles
und der angewendeten Kraft bemerkt; hat man endlich er-
fahren,
[96]Zweyter Theil.
fahren, daß bey Abaͤnderung aller uͤbrigen Umſtaͤnde die
Geneſung erfolgte, wenn nur die beſtimmte weſentliche
Krankheitserſcheinung und die Anwendung jener Kraft Stau
fanden: ſo hat man eine vollſtaͤndige Gewißheit, daß die
beſtimmte Kraft dieſe Krankheit gehoben hat, und daß ſie
vermoͤge der Stetigkeit der Natur in allen aͤhnlichen Faͤllen
auch aͤhnliche Wuͤrkungen hervorbringen wird.
Da alſo die Heilmittellehre lehrt, in welchen Krankhei-
ten und unter welchen Umſtaͤnden derſelben, in welchem
Maaße und unter welchen Verhaͤltniſſen der Anwendung,
die verſchiedenen Kraͤfte der aͤußern Natur und der Natur
des Menſchen heilſam wuͤrken: ſo giebt ſie zunaͤchſt die
Quelle der allgemeinen Heilkunſt ab.
Sodann wird ſie aber auch unmittelbar die Quelle der
beſondern Heilkunſt, indem dieſe nur nach ihren Vorſchriften
die Auswahl der Heilkraͤfte in den einzelnen Krankheiten un-
ternehmen kann.
Die Kenntniſſe hingegen, welche ſie vorausſetzt, ſind
verſchieden, je nachdem die Heilkraͤfte ſelbſt nicht einer und
derſelben Natur ſind, und demnach auf einen oder den an-
dern Charakter der menſchlichen Natur beſonders wuͤrken.
Wir theilen ſie daher ein in die, welche auf den Men-
ſchen, als auf einen ausgedehnten (den Verhaͤltniſſen des
Raumes unterworfenen), oder als einen gemiſchten (von
Miſchungsverhaͤltniſſen abhaͤngigen), oder als einen thieri-
ſchen
[97]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
ſchen Koͤrper, oder endlich als auf ein geiſtiges Weſen,
wuͤrken.
Nicht als ob dieſe verſchiedenen Wuͤrkungen in der
Natur ganz von einander disparat waͤren; denn jede Ver-
aͤnderung des Menſchen (alſo auch jede Einwuͤrkung auf ihn)
bezieht ſich immer, eben wegen jener innigen Vereinigung
der verſchiedenartigſten Kraͤfte in ſeiner Natur, auf alle zu-
gleich. Aber wir ſondern dieſelben in unſerer Idee von ein-
ander, um uns ihre Anſicht zu erleichtern; wir erforſchen
theils die unmittelbaren, theils diejenigen mittelbaren Wuͤr-
kungen der Kraͤfte, welche die auffallendſten Erſcheinungen
hervorbringen, und alſo die erheblichſten ſind.
Lehre von den mechaniſchen Heilkraͤften.
Der Menſch hat zwar, als das oberſte Glied der Schoͤ-
pfung, ſeine eigenen, hoͤhern Kraͤfte, als die uͤbrigen Koͤr-
per; aber demungeachtet iſt er den allgemeinen Geſetzen
der Koͤrperwelt nicht gaͤnzlich eximirt. Obſchon ſie mit meh-
rerer Einſchraͤnkung in ihn wuͤrken: ſo giebt ihre regelmaͤſ-
ſige Wuͤrkung doch die Bedingung ab, zur Aeußerung ſei-
ner hoͤhern Kraͤfte.
Sind alſo die aͤußern Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr-
pers, welche wir unter dem Namen ſeiner Form begreifen,
ſo beſchaffen, daß derſelbe nicht zweckmaͤßig wuͤrken, oder
ſeinen urſpruͤnglichen Verrichtungen nicht vorſtehen kann;
enthaͤlt alſo die unmittelbar veraͤnderte Form des menſch-
Glichen
[98]Zweyter Theil.
lichen Koͤrpers den Grund einer Krankheit, oder ein Hinder-
niß der Aeußerung ſeiner vollſtaͤndigen Thaͤtigkeit: ſo muß
dieſelbe durch Mittel verbeſſert werden, welche auf ſeine
mechaniſche Natur wirken, und welche wir unter dem Na-
men der Inſtrumente umfaſſen. Die Lehre von dieſen Mit-
teln nennen wir die mechaniſche Heilmittellehre *),
auch Inſtrumenten- und Bandagenlehre.
Wenn die krankhafte Form nicht Urſache, ſondern Folge
anderer krankhaften Erſcheinungen der chemiſchen, thieriſchen
oder geiſtigen Natur des Menſchen iſt: ſo iſt die Anwendung
der mechaniſchen Heilmittel nur als Unterſtuͤtzung der eigent-
lichen Heilung anzuſehen.
Inſtrumente uͤberhaupt ſind alſo diejenigen Koͤrper,
welche auf den Menſchen zunaͤchſt wuͤrken, in ſofern er, als
ausgedehnt, im Raume exiſtirt; und ihre Anwendung wird
eine Operation genannt. Doch iſt hierdurch ihre Neben-
wirkung nicht geleugnet, indem ihre Anwendung auch eine
Veraͤnderung der thieriſchen und geiſtigen Erſcheinungen,
zuweilen auch, ſoviel uns bekannt iſt (vielleicht immer), in
der Miſchung, als ſpaͤtere Folge nach ſich ziehen.
Die Quelle dieſer Lehre iſt alſo die Kenntniß der Koͤr-
per und ihrer Kraͤfte, in ſofern ſie im Raume ausgedehnt
ſind, alſo die Mathematik und zwar inſonderheit die Me-
chanik.
§ 326.
[99]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Allein dies iſt nicht ihre einzige Quelle, denn man kann
wohl vermoͤge derſelben die Wuͤrkungen eines Inſtrumentes
mit großer Wahrſcheinlichkeit vorherſagen; doch aus der
Mechanik allein kann man ſie doch nie ganz zuverlaͤſſig be-
ſtimmen, da man uͤber die Nebenwuͤrkungen der Operation
nur durch die Erfahrung am kranken Koͤrper ſelbſt belehrt
werden kann. Deshalb wurden ſeit jeher viele Operationen
durch die Mathematik ausgeſonnen, welche ſpaͤterhin durch
die Erfahrung fuͤr untauglich erklaͤrt wurden.
Das dringendſte Beduͤrfniß der mechaniſchen Heilmit-
tellehre iſt die Kenntniß des menſchlichen Koͤrpers nach ſei-
ner aͤußern Form im krankhaften Zuſtande (pathologiſche
Anatomie), um naͤmlich zuvoͤrderſt die Krankseit ihrem Ur-
ſprunge, ihren Erſcheinungen und Wuͤrkungen nach, zu
kennen.
So wie nun dieſe Lehre einzig und allein auf die reine
Anatomie geſtuͤtzt ſeyn kann, ſo bedarf die mechaniſche Heil-
mittellehre derſelben auch in der Ruͤckſicht, um bey Opera-
tionen die Theile, deren Form geſund iſt, ſchonen zu koͤnnen.
Wegen der Nebenwuͤrkungen muß aber die mechaniſche
Heilmittellehre auch die Data der Pathologie, Phyſiologie
und Pſychologie benutzen.
Was endlich ihren Nutzen anlangt, ſo iſt derſelbe fuͤr
die Handarzneykunſt und Entbindungskunſt vollkommen ein-
G 2leuch-
[100]Zweyter Theil.
leuchtend, da dieſe Zweige der Kunſt die krankhafte Form
des menſchlichen Koͤrpers zum Gegenſtande haben, welche
in vielen Faͤllen nur einer unmittelbaren Veraͤnderung faͤhig
und beduͤrftig iſt.
Lehre von den chemiſchen Heilkraͤften.
Wiewohl es bey unſern gegenwaͤrtigen Kenntniſſen ein
ſeinen Zweck gaͤnzlich verfehlendes Unternehmen iſt, den
menſchlichen Koͤrper allein nach den uns bekannten Mi-
ſchungsverhaͤltniſſen der geſammten Natur beurtheilen, und
aus derſelben die Wuͤrkung der Koͤrper auf ihn vollſtaͤndig
erklaͤren und vorherſagen zu wollen: ſo bleibt doch der
menſchliche Koͤrper immer ein Glied der geſammten Koͤrper-
welt, welche den Geſetzen der Miſchung gehorcht.
Es ſind naͤmlich zwar in ihm die chemiſchen Verhaͤlt-
niſſe den hoͤhern Geſetzen ſeiner thieriſchen und geiſtigen Na-
tur untergeordnet; allein der zweckmaͤßlge Zuſtand der er-
ſtern giebt doch die Bedingung der regelmaͤßigen Wuͤrkung
der letztern ab, und auf der andern Seite wuͤrkt auch die
Modification der thieriſchen und geiſtigen Kraͤfte auf die che-
miſche Zuſammenſetzung des Koͤrpers.
Sobald alſo die weſentliche Erſcheinung einer Krankheit
urſpruͤnglich auf der Miſchung des Koͤrpers beruht, und
dieſe
[101]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
dieſe erſt die krankhafte Aeußerung der eigenthuͤmlichen Kraͤf-
te veranlaßt hat, ſo iſt dieſer Zuſtand nur durch Anwendung
ſolcher Mittel zu beſeitigen, welche dieſe Miſchung unmit-
telbar und vorzuͤglich zu veraͤndern im Stande ſind. Ihre
Darſtellung giebt die Lehre von den chemiſchen Heilkraͤf-
ten *).
Iſt aber die krankhafte Miſchung des Koͤrpers abhaͤngig
von den Erſcheinugen der thieriſchen und geiſtigen Kraͤfte:
ſo macht ihre unmittelbare Beſeitigung durch chemiſch wuͤr-
kende Mittel nur die Nebenabſicht der Heilkunſt aus.
Die chemiſchen Heilkraͤfte wuͤrken zuerſt mechaniſch
und aͤußern ſodann auch Nebenwuͤrkungen auf die thieriſche
und geiſtige Natur des Menſchen; allein dieſe Veraͤnderun-
gen ſind theils weniger bedeutend, theils erfolgen ſie nicht
ſo unmittelbar, als die Wuͤrkungen auf die Miſchung des
menſchllchen Koͤrpers.
Will man aber die Wuͤrkung aller Mittel auf den
menſchlichen Koͤrper aus der Veraͤnderung ſeiner Miſchung
erklaͤren: ſo muß man zuvoͤrderſt ſeine verſchiedenen Erſchei-
nungen, deren unbekannten Grund wir mit dem Namen von
Kraͤften bezeichnen, aus ſeinen Miſchungsverhaͤltniſſen hin-
reichend erklaͤren; und um dies thun zu koͤnnen, muß man
vor allen Dingen die Erſcheinungen der geſammten Natur,
deren Wuͤrkungsgeſetze wir bis jetzt nur beobachten koͤnnen,
ihrem letzten chemiſchen Grunde nach, darſtellen. Es muͤſ-
ſen alſo nicht nur unſere gegenwaͤrtige Pathogenie und Phy-
G 3ſiologie,
[102]Zweyter Theil.
ſiologie, ſondern auch die Phyſik gaͤnzlich umgeſtoßen und
von einer allgemeinen Chemie verdraͤngt werden.
Die Quelle der Lehre von den chemiſchen Heilmitteln iſt
die Chemie, verbunden mit den am kranken menſchlichen
Koͤrper gemachten Erfahrungen; denn ohne dieſe kann man
nicht entraͤthſeln, wie weit ſich die Guͤltigkeit der chemiſchen
Geſetze in dem menſchlichen Koͤrper erſtreckt, oder wie ſehr
ſie durch die hoͤhern Kraͤfte des Menſchen eingeſchraͤnkt iſt.
Die Huͤlfsmittel dieſer Lehre ſind zunaͤchſt in der patho-
logiſchen und allgemeinen Anthropochemie, ſodann aber we-
gen der Nebenwuͤrkungen, auch in der geſammten Patholo-
gie und Phyſiologie begriffen.
Ihr unmittelbarer Gebrauch bezieht ſich, ſo wie der der
geſammten Heilmittellehre, auf die allgemeine und beſondere
Arzneykunſt und Handarzneykunſt.
Die Lehre von den thieriſchen Heilmitteln.
Der Menſch zeigt außer den phyſiſchen und chemiſchen
auch noch noch hoͤhere Erſcheinungen, welche er in einem
gewiſſen Grade mit den Thieren gemein hat, und welche,
weil ſie den hoͤchſten Charakter der Thiere ausmachen, thie-
riſche
[103]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
riſche Erſcheinungen genannt werden. Ihren Grund nennt
man das Lebensprincip, und uͤber dieſes iſt uns keine an-
dere Erfahrung moͤglich, außer welche ſich auf die Geſetze
bezieht, nach denen es ſich wuͤrkſam zeigt.
Dieſes Lebensprincip wird nun oft unmittelbar krank-
haft modificirt, ohne daß die vorhergegangene Veraͤnderung
der Form und Miſchung entweder ſinnlich wahrnehmbar,
oder doch wenigſtens von Bedeutung und auffallend geweſen
waͤre. Dieſe Krankheit erfordert dann zu ihrer Beſeitigung
die Anwendung ſolcher Kraͤfte, welche der Erfahrung zu-
folge ebenfalls vorzuͤglich auf das Lebensprincip wuͤrken,
ohne die Form und Miſchung des menſchlichen Koͤrpers auf-
fallend veraͤndert zu haben. Wir nennen dieſe Kraͤfte thieri-
ſche Heilmittel *).
Die Heilkunſt bedient ſich derſelben aber auch nebenbey
und zur Unterſtuͤtzung in den Faͤllen, wo die krankhafte Mo-
dification des Lebensprincips eine Folge der veraͤnderten
Form und Miſchung des Koͤrpers, oder der unregelmaͤßigen
Wuͤrkung der Seelenkraͤfte iſt, wo alſo der eigentliche Heil-
plan ſich zunaͤchſt auf dieſe Charaktere des Menſchen bezieht.
Der eigentlichen Wuͤrkung dieſer Kraͤfte geht alſo eine
Veraͤnderung der chemiſchen und phyſiſchen Natur des Men-
ſchen voraus, welche aber, mehr oder weniger unbedeutend,
oft ganz unmerklich iſt. — Sie fuͤhren aber auch Neben-
G 4wuͤrkun-
[104]Zweyter Theil.
wuͤrkungen in dem geiſtigen Weſen des Menſchen herbey,
welche ebenfalls beruͤckſichtigt werden muͤſſen, obſchon ſie
nur abgeleitete und mittelbar erfolgende Erſcheinungen ſind.
Dieſe Heilkraͤfte koͤnnen einzig und allein durch die am
kranken Menſchen angeſtellten Erfahrungen ausgemittelt
werden, da ſeine Wuͤrkungsgeſetze nichts Aehnliches in der
Natur haben, und nur durch ihre eigenen Erſcheinungen er-
kannt werden koͤnnen.
Es theilt ſich die Lehre von dieſen Kraͤften in verſchie-
dene Zweige, je nachdem dieſelben in der Natur des Men-
ſchen ſelbſt, oder außerhalb derſelben liegen.
Pharmakologie.
Diejenigen Kraͤfte der aͤußern Natur, welche in den
krankhaften Modificationen des Lebensprincips unmittelbar
heilſame Veraͤnderungen hervorbringen, d. h. ohne daß auf-
fallende Veraͤnderungen der Form und Miſchung des Koͤr-
pers vorhergegangen waͤren, werden Arzneyen, Arz-
neymittel (pharmaca) genennt, und die uͤber ihre Wuͤr-
kungen gemachten Erfahrungen werden in der Pharma-
kologie oder Arzneymittellehre vorgetragen.
Dieſe Arzneymittel ſind nun von zweyerley Art, theils
durch die Sinne unmittelbar wahrnehmbare Koͤrper, theils
feinere
[105]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
feinere Stoffe, welche wir nicht unmittelbar wahrnehmen,
und deren Wuͤrkung wir als die Aeußerung gewiſſer Kraͤfte
bezeichnen. Sie ſind alſo theils Arzneykoͤrper, theils Arz-
neykraͤfte.
Arzneykoͤrperlehre.
Die Lehre von den Arzneykoͤrpern beſchreibt die groͤbern
Stoffe, oder die Koͤrper der aͤuſſern Natur nach den ihnen ei-
genen, und von ihnen unzertrennlichen Kraͤften auf den kran-
ken menſchlichen Koͤrper.
1. Die Arzneykoͤrper werden zuerſt nach ihrer natuͤrli-
chen Beſchaffenheit beſchrieben, und man benutzt hierzu die
Kenntniſſe der ſpeciellen Naturgeſchichte und Chemie. Die-
ſer Theil der Pharmakologie macht die Droguenlehre
aus, denn die Arzneykoͤrper, von Seiten ihrer natuͤrlichen
Eigenſchaften betrachtet, werden Droguen genennt.
2. Sodann werden ihre Wuͤrkungen auf den kranken
menſchlichen Koͤrper vorgetragen, welche durch eine gelaͤu-
terte Erfahrung uns bekannt worden ſind. Wir nennen dieſe
Unterſuchung die Dynamik der Pharmakologie.
3. Endlich beduͤrfen auch die Arzneykoͤrper oft der Hin-
zukunft der Kunſt, um mit weniger Schwierigkeiten ange-
G 5wendet
[106]Zweyter Theil.
wendet werden, oder auf den kranken menſchlichen Koͤrper
leichter und vortheilhafter wuͤrken zu koͤnnen.
Dieſe kuͤnſtliche Veraͤnderung wird ihre Bereitung
genennt, und die Vorſchrift zur Bereitung eines Arzney-
koͤrpers, heißt eine Formel. — Auf dem zufaͤlligen
Unterſchiede, daß einige Formeln fuͤr gewoͤhnlich immer, an-
dere nur fuͤr einzelne Faͤlle beſtimmt und fuͤr ſie eigends ge-
macht werden, beruht es, daß dieſe Bereitung den Gegen-
ſtand zweyer Kuͤnſte ausmacht, naͤmlich der Pharmacie und
des Formulares.
a. Die Pharmacie lehrt diejenigen Bereitungen der
Arzneykoͤrper kennen, welche wegen ihrer auf ſehr viele
Krankheitsfaͤlle paſſenden Wuͤrkſamkeit fuͤr gewoͤhnlich in den
Officinen verfertigt, und daſelbſt fuͤr immer aufbewahrt
werden, und verbindet hiermit die Regeln, nach welchen
man bey Sammlung, Aufbewahrung und Bereitung der
Arzneykoͤrper verfahren muß. Die Vorſchriften, nach wel-
chen dieſe Bereitungen vorgenommen werden, heiſſen Offi-
cinalformeln.
Wird die Pharmacie als eine eigne Kunſt (Apotheker-
kunſt) betrachtet, welche deshalb auch ein beſonderes Stu-
dium erfordert, ſo werden in ihren Umfang auch die Huͤlfs-
kenntniſſe aufgenommen, welche ſie mit der dynamiſchen
Pharmakologie gemein hat, naͤmlich die Droguenlehre.
b. Das Formulare oder die Receptirkunſt
lehrt die Regeln, nach welchen der Arzt ſolche Bereitungen
der
[107]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
der Arzneykoͤrper fuͤr einzelne Faͤlle anordnet, von welchen
er ſich nach Vergleichung der Wuͤrkung jener Arzneykoͤrper,
und der Umſtaͤnde des gegenwaͤrtigen Krankheitsfalles, die
heilſamſten Wuͤrkungen verſpricht. Eine ſolche Vorſchrift
wird eine Magiſtralformel, oder ein Recept ge-
nennt.
Seine Grundſaͤtze ſchoͤpft das Formulare ebenfalls aus
der Droguenlehre, da eine ſolche Bereitung ſein Zweck iſt, wel-
che theils der aͤußern Beſchaffenheit (Conſiſtenz), theils der
eignen Miſchung der Arzneykoͤrper, angemeſſen iſt. Die
Gundſaͤtze bey ſolchen Bereitungen, welche ſich auf ihre
Heilkraͤfte beziehen, gehoͤren nicht in das Gebiet dieſer
Kunſt.
Arzneykraͤftelehre.
Die Lehre von den Arzneykraͤften (im engern Sinne)
unterrichtet uns von der Wuͤrkung derjenigen Kraͤfte der
aͤußern Natur, auf das krankhaft modificirte Lebensprin-
cip, deren in der Form und Miſchung der Koͤrper enthaltener
Grund uns unbekannt iſt, und auf der Gegenwart feiner
Stoffe beruht, welche wir aus ihren Wuͤrkungen kennen ler-
nen. Es ſind alſo dies die Kraͤfte, welche, weil ſie den
Gegenſtand der Phyſik ausmachen, phyſiſche genennt wer-
den (ſ. Anmerk. zu § 192).
§ 358.
[108]Zweyter Theil.
Die Quelle dieſer Lehre iſt ebenfalls die Erfahrung am
kranken Menſchen angeſtellt; ihre Huͤlfswiſſenſchaft iſt aber
die Phyſik.
Seelenmittellehre.
Der Menſch kann unmittelbar auf ſein Lebensprincip
nicht nur mit Huͤlfe der aͤußern Natur wuͤrken, ſondern
daſſelbe auch durch ſeine eigene Natur beſtimmen, in ſofern
er naͤmlich durch die Kraft des Willens beſtimmte Veraͤnde-
rungen ſeines Koͤrpers hervorbringt, welche ohne auffallende
Veraͤnderung der Form und Miſchung, hauptſaͤchlich auf
das Lebensprincip wuͤrken. In ſofern der Geiſt einen ſol-
chen Einfluß auf den Koͤrper hat, wird er Seele genennt.
So wie die Seelenwuͤrkungen (als willkuͤhrliche Bewe-
gung) Urſachen der krankhaften Modification des Lebens-
princips abgeben koͤnnen, ſo ſind ſie eben ſo als Heilmittel
zu gebrauchen, welche ganz vorzuͤglich in den Faͤllen ange-
wendet werden, wo die Krankheit urſpruͤnglich von ihrem
unrechten Gebrauche abhieng, aber als Huͤlfsmittel auch bey
andern Krankheiten anwendbar ſind.
Die vorzuͤglichſte Vorkenntniß dieſer Lehre iſt in dem
Theile der Phyſiologie und Anthropologie enthalten, wel-
cher
[109]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
cher die Bewegung des menſchlichrn Koͤrpers durch die Be-
ſtimmung des Willens, und ihre Wuͤrkungen aus einander
ſetzt.
Lehre von den geiſtigen Heilmitteln.
Der Menſch hat endlich, als das vollendetſte Weſen,
welches die Erfahrung uns kennen lehrt, auch eine geiſtige
Natur, welche verſchiedener, auch krankhafter Modificatio-
nen faͤhig iſt. Man kann ferner Actionen ſeines Geiſtes
veranlaſſen, welche durch Umſtimmung deſſelben jene krank-
haften Modificationen heben, die Geneſung bewuͤrken, und
welche man geiſtige oder pſychiſche Heilmittel nennt. Dies
iſt der Gegenſtand der Lehre von den geiſtigen Heilmit-
teln *).
So oft ein pſychiſches Heilmittel angewendet wird, ſo
bringt es allemal zuerſt eine Veraͤnderung der phyſiſchen,
chemiſchen und thieriſchen Natur im Menſchen hervor; allein
dieſe Wuͤrkungen ſind weniger betraͤchtlich, oft unſrer Wahr-
nehmung faſt gaͤnzlich entruͤckt, und ſeine vorzuͤglichſte Wuͤr-
kung beſteht alſo immer in der Einwuͤrkung auf den Geiſt.
Zunaͤchſt iſt eine Kenntniß dieſer Mittel in den Faͤllen
noͤthig, wo die krankhaften Aeuſſerungen des Geiſtes unmit-
telbar hervorgebracht worden ſind, und auf ihnen die we-
ſentliche Erſcheinung der ganzen Krankheit beruht.
§ 365.
[110]Zweyter Theil.
Allein bey jeder krankhaften Modification der phyſi-
ſchen, chemiſchen und thieriſchen Natur des Menſchen,
nimmt mittelbar auch der Geiſt Antheil; und wenn dann
auch die Heilkunſt ihr vorzuͤglichſtes Augenmerk nur auf Be-
ſeitigung jener weſentlichen Erſcheinung durch phyſiſche,
chemiſche oder thieriſche Heilkraͤfte richtet, ſo unterſtuͤtzt ſie
doch die Heilung immer auch durch unmittelbare Wuͤrkung
auf den Geiſt.
So wie die Erfahrung die einzige Quelle dieſer Lehre
iſt, ſo ſind ihre Huͤlfsmittel in der Pſychologie, und beſon-
ders in ihrem anthropologiſchen Theile enthalten.
Zweyte Klaſſe.
Hauptwiſſenſchaften.
§ 367.
Unter Hauptwiſſenſchaften der Heilkunſt verſtehen wir
diejenigen, welche zu Erreichung des eigentlichen Zweckes
derſelben (Heilung der Krankheiten) Anleitung geben. Je
nachdem dieſe Belehrung ſich auf die einzelnen Krankheits-
faͤlle mittelbar oder unmittelbar bezieht, werden ſie einge-
theilt in naͤhere und entferntere Hauptwiſſenſchaften.
Erſte Abtheilung.
Entfernte Hauptwiſſenſchaften.
§ 368.
Die entfernten Hauptwiſſenſchaften ſind in der allge-
meinen Heilkunſt enthalten; dieſe ſtellt naͤmlich die
Grund-
[111]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Grundſaͤtze auf, nach welchen man bey Heilung der Krank-
heiten im Allgemeinen, und einzelner Klaſſen derſelben ins-
beſondere verfahren muͤſſe. Sie ſchildert demnach die ge-
meinſchaftlichen Erſcheinungen der Krankheiten, ſo wie die
Wuͤrkung der Heilmittel in ihrer allgemeinſten und hoͤchſten
Anſicht, um daraus das allgemeinſte Verhaͤltniß der Heil-
mittel zu den Krankheiten in das gehoͤrige Licht zu ſetzen.
§ 369.
Dieſes entdeckte gehoͤrige Verhaͤltniß (Proportion) ei-
nes beſtimmten Heilmittels zu einer beſtimmten Krankheits-
erſcheinung, wird eine Heilanzeige (Indication) ge-
nennt, ſo wie das Mißverhaͤltniß (Disproportion) derſel-
ben eine Gegenanzeige (Contraindication) heißt. Da
nun die allgemeine Heilkunſt ſich mit Beſtimmung dieſer
Verhaͤltniſſe oder Mißverhaͤltniſſe beſchaͤftigt, ſo wird ſie
auch die Lehre von den allgemeinen Heilanzeigen genennt.
§ 370.
Ihre Quelle iſt die an dem kranken Menſchen gemachte
Erfahrung. Sie zieht naͤmlich aus der Beobachtung der
Heilung einzelner Krankheiten allgemeine Reſultate, welche
ſich auf die Heilung der Krankheiten uͤberhaupt, oder einzel-
ner Klaſſen derſelben, die ihren weſentlichen Erſcheinungen
nach, mit einander uͤbereinkommen, beziehen.
§ 371.
Sie ſtellt alſo, und darinne beſteht vorzuͤglich ihr Ge-
ſchaͤft, die Reſultate der Pathogenie und der Heilmittellehre
zuſammen, und bedarf alſo zunaͤchſt der Huͤlfe dieſer Wiſ-
ſenſchaften, ſodann aber auch aller uͤbrigen, welche dieſe
ſelbſt begruͤnden oder unterſtuͤtzen.
§ 372.
[112]Zweyter Theil.
§ 372.
Sie muß daher der beſondern Heilkunſt nothwendig
vorausgehen, denn dieſe enthaͤlt nur eine Anwendung der in
der allgemeinen Heilkunſt vorgetragenen Grundſaͤtze auf ein-
zelne Krankheiten und ihre beſondern Modificationen.
§ 373.
Sie theilt ſich auch in dieſelben Zweige, welche die be-
ſondre Heilkunſt nach der Verſchiedenheit ihres Gegenſtandes
hat, nemlich in die allgemeine Arzneykunſt, Handarzney-
kunſt und Entbindungskunſt.
Erſtes Kapitel.
Allgemeine Arzneykunſt.
Die allgemeine Arzneykunſt, (allgemeine mediciniſche
Therapie) *) traͤgt die allgemeinen Grundſaͤtze zur Heilung
derjenigen Krankheiten vor, deren weſentliche Erſcheinung
auf einer krankhaften Aeuſſerung der thieriſchen oder geiſti-
gen Kraͤfte des Menſchen beruht.
Ihre [beſondere] Quelle iſt, außer der Pathogenie, die
Noſologie, verbunden mit der Lehre von den auf die thieri-
ſche und geiſtige Natur wuͤrkenden Heilmitteln.
Ihre Anwendung findet ſie in der beſondern Arzney-
kunſt, welche ihre Reſultate fuͤr jede einzelne Krankheitsgat-
tung benutzt.
Zwey-
[113]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Zweytes Kapitel.
Allgemeine Handarzneykunſt.
Die allgemeine Handarzneykunſt oder allgemeine Ehi-
rurgie (allg. chirurgiſche Therapie) ſtellt die allgemeinen
Grundſaͤtze auf, nach welchen man bey Heilung derjenigen
Krankheiten verfahren muß, welche auf einer krankhaften
Aeußerung der phyſiſchen und chemiſchen Natur des Men-
ſchen beruhen.
Sie ſchoͤpft nicht nur aus der Pathogenie, als der ge-
meinſchaftlichen Quelle, ſondern auch, als aus ihrer beſon-
dern, aus der pathologiſchen Anatomie und Anthropochemie,
ſo wie aus der Lehre von den Heilkraͤften, welche ſich auf
die phyſiſche und chemiſche Natur des Menſchen beziehn.
Da aber die Aeußerungen dieſer Kraͤfte auch mit Ne-
benwuͤrkungen auf die thieriſche und geiſtige Natur, noth-
wendig verknuͤpft ſind, ſo gehoͤrt zu ihren weſentlichen Huͤlfs-
mitteln auch die Noſologie, Phyſiologie und Pſychologie.
Sie giebt demzufolge auch die einzige Stuͤtze der be-
ſondern Handarzneykunſt ab, deren Richtſchnur ſie fuͤr jede
einzelne Krankheitsgattung beſtimmt.
Drittes Kapitel.
Allgemeine Entbindungskunſt.
Die allgemeine Entbindungskunſt ſetzt die Grundſaͤtze
aus einander, nach welchen die Schwierigkeiten der Entbin-
Hdung
[114]Zweyter Theil.
dung uͤberhaupt, und gewiſſe Klaſſen derſelben insbeſondere
gehoben werden koͤnnen, und von welchen die Heilung der
einzelnen Gattungen ausgehn muß.
Da dieſe Schwierigkeiten nicht nur in der phyſiſchen,
ſondern auch in der thieriſchen und geiſtigen Natur der Ge-
baͤhrenden enthalten ſind, und uͤberall [auch] die Wuͤrkung
mechaniſcher und chemiſcher Mittel, durch die Anwendung
derer, die auf die thieriſche und geiſtige Natur wuͤrken, un-
terſtuͤtzt werden muß, ſo befeſtigt die allgemeine Entbin-
dungskunſt ihre aus der Erfahrung an Gebaͤhrenden gezoge-
nen Grundſaͤtze, nicht nur durch die Theile der pathologi-
ſchen Anatomie und Inſtrumentenlehre, welche ſich auf die
Geburt beziehen, ſondern auch ans der Pathogenie, Noſo-
logie, und der geſammten Heilmittellehre, nebſt den dieſe
Wiſſenſchaften begruͤndenden Kenntniſſen.
Zweyte Abtheilung.
Naͤhere Hauptwiſſenſchaften.
§ 383.
Die naͤhern Hauptwiſſenſchaften tragen die Grundſaͤtze
vor, welchen zufolge man bey Heilung der einzelnen Krank-
heitsarten verfahren muͤſſe, und werden deshalb unter dem
Namen der beſondern Heilkunſt begriffen.
§ 384.
Die beſondere Heilkunſt ſtellt die Reſultate der Erfah-
rung uͤber die Heilmethode der beſondern Krankheitsarten
auf. Sie unterſucht alſo das Gemeinſame der Heilung,
was
[115]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
was den auf gemeinſamen weſentlichen Erſcheinungen be-
ruhenden Krankheiten zukoͤmmt, und zeigt das Verhaͤltniß
oder Mißverhaͤltniß der einzelnen Heilmittel zu den einzelne
Krankheitsarten. Sie kann deshalb auch die Lehre von den
beſondern Heilanzeigen genennt werden.
§ 385.
Sie wendet zunaͤchſt die Reſultate der allgemeinen Heil-
kunſt auf die einzelnen Krankheiten an; und ſo wie dieſe
Wiſſenſchaft nur die allgemeinen Reſultate der Lehre von den
Krankheitserſcheinungen und den Heilmitteln benutzt, ſo
wendet ſie die beſondern Data derſelben an.
§ 386.
Ihr Nutzen bezieht ſich unmittelbar auf die Praxis,
oder auf die Heilung einzelner kranker Menſchen. Allein
deshalb ertheilt ſie nicht geradezu die ſpecielleſte Belehrung
uͤber jeden einzelnen Krankheitsfall. Denn wegen der immer
neuen Verbindung von Urſache und Wuͤrkung in der Natur,
iſt kein Fall dem andern vollkommen aͤhnlich, keiner laͤßt ſich
in der Zukunft vorherſehn, noch die Art ſeiner Heilung vor-
aus beſtimmen; und ſie traͤgt nur Saͤtze vor, welche aus
der Beobachtung einzelner Saͤtze abſtrahirt ſind, und ſich
auf ihren gemeinſchaftlichen Charakter beziehen. Ihre Leh-
ren muͤſſen alſo bey einem jeden Kranken mit Huͤlfe der all-
gemeinen Heilkunſt wieder individualiſirt werden.
§ 387.
Sie theilt ſich endlich in drey verſchiedene Zweige, nach
Verſchiedenheit der Krankheiten. Alle haben gleiche Erkennt-
nißquellen, gleiche Huͤlfsmittel; allein jeder bedarf der ein-
H 2zelnen
[116]Zweyter Theil.
zelnen Huͤlfsmittel mehr oder weniger, naͤher oder ent-
fernter.
Erſtes Kapitel.
Beſondere Arzneykunſt.
Die Krankheiten des Menſchen, welche auf der Modi-
fication ſeiner, ihrem Weſen nach und alſo durch Verglei-
chung mit der uͤbrigen Schoͤpfung, unerkennbaren und nur
in ihren Erſcheinungen ſich offenbarenden Natur (ſeiner thie-
riſchen und geiſtigen Kraͤfte) beruhen, werden innere
Krankheiten genennt, und machen den Gegenſtand der
Arzneykunſt aus. Dieſe Kunſt fuͤhrt ihren Nahmen deßhalb,
weil ſie zur Heilung ſich beſonders der Arzneykoͤrper be-
dient.
Die beſondere Arzneykunſt *) (innere Heilkunſt,
Medicin), als Wiſſenſchaft betrachtet, (beſondere Thera-
pie, Klinik) lehrt alſo die einzelnen Krankheiten der thieri-
ſchen und geiſtigen Natur des Menſchen, nach einem durch
die Erkenntniß derſelben beſtimmten Plane heilen.
Sie lehrt alſo zuerſt in jedem einzelnen Krankheitsfalle
eine Kenntniß der gegenwaͤrtigen Erſcheinungen durch eigene
ſinnliche Beobachtung, oder durch die Angabe des Kranken,
oder endlich derer, welche ihn beobachtet haben, erlangen,
und dadurch mit Huͤlfe der Diagnoſtik die vorwaltende Krank-
heitsgattung beſtimmen.
§ 391.
[117]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Sie zieht hierauf die allgemeine Krankheitslehre zu
Rathe; ſie ſucht naͤmlich das gegenſeitige Verhaͤltniß der
krankhaften Erſcheinungen (Symptomatologie), den bis-
herigen Zuſtand des Menſchen, den Grad ſeiner Geſund-
heit, und die Veranlaſſungen, welche dieſelbe unterbrochen
haben (Aetiologie) auf, und ſchließt hieraus auf die ur-
ſpruͤngliche Erſcheinung und das Weſen der ganzen Krank-
heit (Pathogenie).
Um hier ſo viel, als moͤglich, vollſtaͤndige Kenntniſſe
zu erlangen, muß ſie alſo die Lehre von der thieriſchen und
geiſtigen Natur des Menſchen uͤberhaupt (Phyſiologie und
Pſychologie) und alſo auch die von den zu ihrer Aeuſſerung
noͤthigen Bedingungen, die Form und Miſchung des Koͤr-
pers (Anatomie und Anthropochemie) benutzen.
Von dem, was ſich aus dieſen Unterſuchungen ergeben
hat, ſchließt nun die Arzneykunſt mittelſt der Semiotik auf
den Grad und die Gefaͤhrlichkeit der Krankheit, mittelſt der
Prognoſtik auf die mit Wahrſcheinlichkeit fuͤr die Zukunft zu
erwartenden Erſcheinungen.
Hierdurch ſucht ſie nun ein moͤglichſt vollſtaͤndiges, und
den individuellen Fall moͤglichſt erſchoͤpfendes Bild der Krank-
heit zu entwerfen, und bildet einen, dieſem nach, modifi-
cirten Plan der Heilung.
Sie erwaͤhlt alſo unter den Mitteln, welche auf die thie-
riſche und geiſtige Natur des Menſchen wuͤrken, diejenigen
H 3aus,
[118]Zweyter Theil.
aus, welche der Erfahrung zufolge, die weſentlichen Er-
ſcheinungen der Krankheiten zu heben vermoͤgen, und modi-
ficirt ihre Anwendung, je nachdem die weſentliche Erſchei-
nung in dem beſondern Falle modificirt iſt.
Allein das Geſchaͤft der Erkenntniß ſowohl, als der
Heilung innerer Krankheiten, bleibt doch unvollſtaͤndig,
wenn die Arzueykunſt nicht auch die phyſiſchen und chemi-
ſchen Kraͤfte des Menſchen beruͤckſichtigt.
Da nemlich ſeine thieriſchen und geiſtigen Verrichtun-
gen in der innigſten Verbindung mit ſeiner phyſiſchen und
chemiſchen Natur ſtehn, und ein gegenſeitiger Einfluß der-
ſelben ununterbrochen Statt findet, ſo bedarf die Arzney-
kunſt auch der pathologiſchen Anatomie und Anthropochemie,
ſo wie die Lehre von den phyſiſchen und chemiſchen Heilmit-
teln.
Zweytes Kapitel.
Beſondere Handarzneykunſt.
Diejenigen Krankheiten, welche auf ſinnlich wahrnehm-
barer krankhafter Form des Koͤrpers beruhen, werden aͤuſ-
ſere (auch chirurgiſche) Krankheiten genennt, weil ihr
Grund in der aͤuſſern Natur des Menſchen liegt.
Der Zweig der Heilkunſt, welcher die Heilung dieſer
Krankheiten zum Zweck hat, wird deshalb die aͤuſſere
Heil-
[119]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
kunſt, oder die Handarzneykunſt, Chirurgie,
(Wundarzneykunſt) genennt, weil zu Wiederherſtellung des
verletzten Mechanismus im menſchlichen Koͤrper, die Anle-
gung der Hand beſonders noͤthig iſt.
Die Handarzneykunſt iſt alſo die Kunſt, die krankhaft
veraͤnderte Form des menſchlichen Koͤrpers zu erkennen, und
nach einem, durch dieſe Kenntniß beſtimmten Plane zu
heilen.
Dieſe Kenntniß der verſchiedenen moͤglichen Modifica-
tionen der Form des menſchlichen Koͤrpers, liefert ihr zu-
naͤchſt die pathologiſche Anatomie, und die Merkmahle, um
die in jedem einzelnen Falle vorhandenen Erſcheinungen zu
erkennen, werden ihr von dem diagnoſtiſchen und ſemiotiſchen
Theile derſelben mitgetheilt.
Die Richtſchnur, nach welcher ſie dieſe Veraͤnderungen
beurtheilt, wird ihr in der Anatomie gegeben, welche Lehre
ihre weſentlichſte und vorzuͤglichſte Stuͤtze ausmacht.
Da die Krankheit der Form oft von einer Veraͤnderung
der Miſchung abhaͤngig, und nur durch Verbeſſerung der
Letztern heilbar iſt, ſo bedarf die Handarzneykunſt eben ſo
noͤthig der pathologiſchen und reinen Anthropochemie, ſo
wie der Lehre von den chemiſch wuͤrkenden Heilmitteln.
In vielen Faͤllen ſind aber die Krankheiten der Form
nicht unmittelbar ſinnlich wahrzunehmen, ſondern ſie aͤuſſern
H 4ſich
[120]Zweyter Theil.
ſich nur durch ihre Wuͤrkungen auf die thieriſche und geiſtige
Natur des Menſchen, und durch die krankhaften Erſcheinun-
gen derſelben. Die Erfahrung hat den urſachlichen Zuſam-
menhang derſelben beſtaͤtigt, ſo daß man von der Aeuſſerung
der Letztern auf die verborgene Gegenwart der Erſtern ſchlieſ-
ſen kann.
Jene Veraͤnderungen der Form ſind ferner, theils durch
krankhafte Modification der uͤbrigen menſchlichen Kraͤfte her-
vorgebracht, oder veranlaſſet oder beguͤnſtiget worden, theils
haben ſie Krankheiten dieſer Kraftaͤuſſerungen zur Folge.
In beyder Ruͤckſicht alſo, ſowohl um die Gegenwart
(§ 404), als um Urſachen und Wuͤrkungen (§ 405) der
aͤußern Krankheiten zu erkennen, bedarf die Handarzney-
kunſt einer vollſtaͤndigen Kenntniß der menſchlichen Krank-
heiten (Noſologie).
Um auch hier eine Richtſchnur zu haben, nach welcher
ſie dieſe Modificationen der hoͤhern Natur des Menſchen be-
urtheilt, muß ſie die Kenntniß der Wuͤrkungsgeſetze dieſer
Natur (Phyſiologie und Pſychologie) benutzen.
Die Handarzneykunſt betrachtet alſo theils die unmit-
telbar durch die Sinne wahrnehmbaren aͤuſſern Krankheiten,
theils ſchließt ſie auf ihre Gegenwart aus den krankhaften
Wuͤrkungen der thieriſchen und geiſtigen Natur; ſie unter-
ſucht den Grad ihrer Abweichung von der Geſundheit, die
ſpeciellen Urſachen, welche als veranlaſſend wuͤrkten, die
Erſcheinungen, welche der Menſch vor der Einwuͤrkung
dieſer
[121]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
dieſer Urſachen, zeigte, die Verbindung der urſpruͤnglichen
Krankheit mit andern, als ihren Folgen, und ſchließt auf
die Wuͤrkungen, welche ſie nach ſich ziehen wird.
Iſt ſie durch dieſe Unterſuchung zur moͤglichſt genauen
Kenntniß des einzelnen Falles, nach allen ſeinen Einzelnhei-
ten gelangt: ſo kann ſie nun mit Huͤlfe der allgemeinen
Handarzneykunſt einen Heilplan deſſelben feſtſetzen.
Hierbey muß die Handarzneykunſt in Ruͤckſicht auf die
innige Verbindung der innern und aͤußern Natur des Men-
ſchen, auch [Vorſchriften] aus der allgemeinen Arzneykunſt
entlehnen.
Den feſtgeſetzten Heilplan ſucht ſie nun mit Huͤlfe der
Mittel, welche die Erfahrung ihr uͤberliefert hat, zu reali-
ſiren; und zunaͤchſt bedient ſie ſich hierzu der mechaniſch
und chemiſch wuͤrkenden Mittel, dern Anwendung ſie nach
Verſchiedenheit des einzelnen Falles modificirt.
Zu Unterſtuͤtzung dieſer Heilung nimmt ſie aber auch
die, auf das thieriſche und geiſtige Weſen des Menſchen
wuͤrkenden Mittel zu Huͤlfe, und ſie bedarf daher der Heil-
mittellehre in ihrem ganzen Umfange, und aller der Kennt-
niſſe, auf welche dieſe ſich gruͤndet.
H 5Drit-
[122]Zweyter Theil.
Drittes Kapitel.
Beſondere Entbindungskunſt.
Die beſondere Entbindungskunſt iſt die Kunſt, die Hin-
derniſſe der Entbindung zu erkennen, und nach einem auf
dieſer Kenntniß begruͤndeteu Plane zu heilen.
Dieſe Hinderniſſe liegen groͤßtentheils in der phyſiſchen
Natur der Gebaͤhrenden; deshalb wird die Entbindunskunſt
auch als ein Theil der Handarzneykunſt angeſehen, und hat
mit ihr gleiche Behandlungsart, gleiche Huͤlfsmittel.
Aber ſie koͤnnen auch unmittelbar auf der Veraͤnderung
der thieriſchen und geiſtigen Natur beruhen, oder doch durch
dieſelbe verſtaͤrkt und unterſtuͤtzt werden; in dieſer Ruͤckſicht
iſt die Entbindungskunſt ein Zweig der Arzneykunſt, und
bedient ſich der innern Heilmittel.
Sie beruht deshalb auch auf allen den Huͤlfskenntniſſen,
welcher die Chirurgie und die Medicin beduͤrfen, und benutzt
beſonders diejenigen, welche ſich auf die Natur der Frauen,
und der zur Geburt beſtimmten Organe, ſo wie des Kindes,
beziehen.
Dritte
[123]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Dritte Klaſſe.
Vervollkommungswiſſenſchaften.
§ 417.
Diejenigen Wiſſenſchaften, welche, ohne unmittelbare
Belehrung uͤber Gegenſtaͤnde, ſo ſich auf Heilung der Krank-
heiten beziehen, zu ertheilen, auf eine mehr mittelbare
Art Erweiterung der Kenntniſſe, Befeſtigung der Grund-
ſaͤtze, Berichtigung des Urtheils uͤber Theorie und Praxis
der Heilkunſt zum Zweck haben, — ſind Vervollkommungs-
wiſſenſchaften der Heilkunſt.
Erſtes Kapitel.
Literatur der Heilkunſt.
§ 418.
Die Litteratur der Heilkunſt giebt eine Anzeige der Be-
muͤhungen der Aerzte, ihre Kenntniſſe, Beobachtungen und
Erfahrungen, welche ſich auf die Ausuͤbung der Heilkunſt
ſelbſt, oder auf ihre verſchiedenen Huͤlfs- und Grundkennt-
niſſe beziehen, Andern durch oͤffentlich bekannt gemachte
Schriften mitzutheilen.
§ 419.
Sie gewaͤhrt alſo durch dieſe bloß hiſtoriſche Kenntniß
eine allgemeine Ueberſicht deſſen, was fuͤr die Heilkunſt und
ihre einzelnen Faͤcher ſchon geleiſtet worden iſt, und traͤgt
dadurch zu Erweiterung unſerer Kenntniſſe bey.
§ 420.
[124]Zweyter Theil.
§ 420.
Ohne das zu wiſſen, was unſere Vorfahren und unſere
naͤhern oder entferntern Zeitgenoſſen allmaͤhlig entdeckt und in
ihren Werken aufgezeichnet haben, wuͤrde die Heilkunſt nie-
mals den Grad der Vollkommenheit haben erreichen koͤnnen,
auf welchen ſie, als die weitlaͤufigſte und ſchwerſte Erfah-
rungswiſſenſchaft, durch die vereinigten Kraͤfte vieler Jahr-
hunderte gediehen iſt. Unſere Heillunſt iſt alſo gegenwaͤr-
tig das Reſultat, welches aus dem Studium ihrer Littera-
tur, vereinigt mit Beobachtung der Natur ſelbſt, hervorge-
gangen iſt.
§ 421.
Doch abgeſehen von dem, was die Heilkunſt im Allge-
meinen der Litteratur zu verdanken hat, kann auch derjenige,
welcher die Heilkunſt in ihrem Umriſſe hat kennen lernen,
derſelben nie entbehren, weil er mit ihrer Huͤlfe ſich von dem
belehren kann, was fuͤr die einzelnen Gegenſtaͤnde der Kunſt,
auf welche ſeine Aufmerkſamkeit gerade vorzuͤglich geheftet
iſt, und woruͤber er beſonders genau unterrichtet ſeyn will,
ſchon geleiſtet worden iſt.
§ 422.
Endlich macht auch die Litteratur das erſte Beduͤrfniß
fuͤr die Geſchichte der Heilkunſt aus, und ſie iſt ſchon in die-
ſer Ruͤckſicht wichtig, in ſofern die Geſchichte der Kunſt
ſelbſt von Einfluß iſt.
§ 423.
Ihre Quellen ſind alſo die Schriften der Aerzte jedes
Jahrhunderts, und ihr vorzuͤglichſtes Huͤlfsmittel beruht auf
der Kenntniß der allgemeinen Litteratur.
Zweytes
[125]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Zweytes Kapitel.
Geſchichte der Heilkunſt.
§ 424.
Die Geſchichte der Heilkunſt enthaͤlt eine Erzaͤhlung von
dem Verfahren, welches man in den verſchiedenen Zeital-
tern beobachtet hat, um Krankheiten zu heilen, und ſie lie-
fert deshalb auch die Geſchichte der Veraͤnderungen und
Schickſale, welche alle einzelne Wiſſenſchaften, worauf ſich
die Heilkunſt gruͤndet, erfahren haben.
§ 425.
Sie ſtellt die verſchiedenen Behandlungsarten dieſer
Wiſſenſchaften in ihren Urſachen und Wuͤrkungen dar, und
wird hierdurch unſere Lehrerin, indem ſie uns zeigt, auf
welchem Wege man dem hoͤchſten Zwecke der Kunſt am naͤch-
ſten kam, und indem ſie vor den verſchiedenen Abwegen
warnt, auf welche man durch unzweckmaͤßige Methoden
verleitet wurde. Sie giebt daher dem Gange unſerer Be-
obachtungen, Erfahrungen, Theorien ꝛc. ſeine Richtung.
§ 426.
Dabey erwaͤhnt ſie auch die Krankheiten, welche gewiſ-
ſen Zeitaltern eigenthuͤmlich waren, oder in denſelben ihren
Urſprung fanden, nebſt ihren Urſachen und Wuͤrkungen;
und dadurch ſetzt ſie uns in den Stand, ſowohl dieſe, als
andere, welche eine groͤßere oder geringere Aehnlichkeit mit
ihnen haben, richtiger zu beobachten.
§ 427.
Ihre Quellen ſind in den Schriften der Aerzte jedes
Zeitalters enthalten, zu deren Kenntniß die Literatur ver-
hilft.
[126]Zweyter Theil.
hilft. In Ermangelung derſelben muͤſſen auch Muͤnzen,
oͤffentliche Denkmaͤhler, Geſetze ꝛc. ja ſelbſt Traditionen zu-
weilen ihre Stelle erſetzen.
§ 428.
Die Huͤlfsmittel ſind Sprachkunde; Kritik; Geogra-
phie; politiſche Geſchichte, in ſofern die Bearbeitung der
Kunſt mit Staatsbegebenheiten zuſammenhieng; Geſchichte
der menſchlichen Kultur, indem die Fortſchritte des menſch-
lichen Geiſtes uͤberhaupt gleiche Veraͤnderung in den zur
Heilkunſt gehoͤrigen Wiſſenſchaften veranlaßten; endlich Ge-
ſchichte der Philoſophie, in ſofern der Gang des philoſophi-
renden menſchlichen Verſtandes immer auch den Unterſu-
chungen uͤber die Natur, und daher auch uͤber den geſunden
und kranken Menſchen ihre Richtung gab.
Drittes Kapitel.
Mediciniſche Geographie.
§ 429.
Die mediciniſche Geographie beſchreibt, was ſich in
verſchiedenen Gegenden in Bezug auf Heilkunſt, ihre ver-
ſchiedenen Zweige, und die Kenntniſſe, welche ihr zu Grun-
de liegen, Merkwuͤrdiges findet; alſo das verſchiedene Ver-
halten der Nationen bey Krankheiten, die Wuͤrkungen des
Klima, der Lebensweiſe, der Staatsverfaſſung, der oͤffent-
lichee Anſtalten ꝛc. auf ihren koͤrperlichen Zuſtand, das ver-
ſchiedene Verfahren der Aerzte ꝛc.
§ 430.
[127]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
§ 430.
Sie liefert alſo der Heilkunſt Kenntniſſe, welche ſich
auf Verſchiedenheit des Orts beziehen, ſo wie das charakte-
riſtiſche Merkmahl der Geſchichte auf der Verſchiedenheit der
Zeit beruht. Sie gewaͤhrt alſo zuerſt den Nutzen, daß wir
uͤber manche Erſcheinungen am Menſchen, uͤber ſeine Ge-
ſundheit und Krankheiten belehrt werden, und einſehen, wie
dieſelben von aͤußern Einfluͤſſen, von Gewohnheiten ꝛc. her-
ruͤhren.
§ 431.
Sodann macht ſie uns aber auch auf die verſchiedenen
Methoden der Aerzte, oder derer, welche ihre Stelle ver-
treten, aufmerkſam, und ſtellt ſie uns zur Beobachtung
und Veraleichung auf. In beyden Ruͤckſichten wird ſie alſo
fuͤr die Vervollkommung unſerer Kenntniſſe wichtig.
§ 432.
Ihre Quellen ſind glaubwuͤrdige Laͤnder-, Orts- und
Reiſebeſchreibungen, beſonders wenn dieſelben von Aerzten
verfaßt ſind. Unter ihre Huͤlfsmittel gehoͤrt beſonders die
naturhiſtoriſche und politiſche Geographie, ſo wie die Natur-
geſchichte des Menſchen.
Vierte Klaſſe.
Nebenwiſſenſchaften der Heilkunſt.
§ 433.
Unter Nebenwiſſenſchaften der Heilkunſt verſtehen wir
diejenigen ſyſtematiſch geordneten Kenntniſſe, welche nicht
unmittel-
[128]Zweyter Theil.
unmittelbar auf den einigen Zweck der Heilkunſt (Heilung
der Krankheiten), ſondern auf das Geſundheitswohl der
Menſchen uͤberhaupt ſich beziehen, und aus den Grundwiſ-
ſenſchaften der Heilkunſt geſchoͤpft werden.
§ 434.
Der Arzt iſt alſo, als ſolcher, weder gerichtlicher Arzt,
noch mediciniſcher Politiker, noch Diaͤtetiker. Sein Zweck
iſt zunaͤchſt nur Heilung der Krankheiten; aber in ſofern ihn
das Wohl der Menſchheit uͤberhaupt intereſſirt, bearbeitet
er jene Gegenſtaͤnde, weil er vermoͤge ſeiner Kenntniſſe,
welche den Grund ſeiner Kunſt enthalten, allein competenter
Richter daruͤber ſeyn kann.
Erſte Abtheilung.
Volksarzneykunde.
§ 435.
Unter Volksarzneykunde verſteht man eine allgemein
verſtaͤndliche Belehrung der Nichtaͤrzte uͤber das menſchliche
Leben und ſeine Modificationen (Geſundheit und Krankheit),
als Erſcheinungen betrachtet, und ein darauf ſich beziehen-
des ſchickliches Verhalten, um es in Geſundheit und Krank-
heit ſeinem Zwecke gemaͤß zu erhalten. Sie zerfaͤllt dem-
nach in die populaͤre Naturlehre des Menſchen, Geſundheits-
lehre und Krankheitslehre.
Erſtes
[129]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Erſtes Kapitel.
Populaͤre Naturlehre des Menſchen.
Die populaͤre Naturlehre des Menſchen liefert eine all-
gemein verſtaͤndliche Ueberſicht der koͤrperlichen und geiſtigen
Erſcheinungen des Menſchen, der Wuͤrkungsgeſetze, nach
welchen ſie erfolgen, und der Wuͤrkungen, welche ſie ge-
genſeitig auf einander aͤußern.
Sie enthaͤlt alſo die Reſultate der Anatomie, Anthro-
pologie, Phyſiologie und Pſychologie, allgemein faßlich
vorgetragen.
Sie giebt die erſte Stufe zur mediciniſchen Aufklaͤrung
ab, iſt die noͤthige Vorbereitung zu der Lehre von Erhaltung
der Geſundheit, und eine, jedem gebildeten Menſchen noͤ-
thige Belehrung uͤber ſein Weſen.
Zweytes Kapitel.
Populaͤre Geſundheitslehre.
Die Diaͤtetik oder Geſundheitslehre liefert eine gemein-
faßliche Anleitung, ſeine geiſtigen und koͤrperlichen Er-
ſcheinungen ſo zu beſtimmen, daß dadurch Geſundheit er-
halten wird.
J§ 440.
[130]Zweyter Theil.
Von der ſpeciellen Phyſiologie, dem aͤtiologiſchen Theile
der Pathologie, und von der Heilmittellehre erhaͤlt ſie ihren
Stoff, welchen ſie den Faſſungskraͤften und Kenntniſſen der
Nichtaͤrzte gemaͤß bearbeitet.
Ihr Zweck iſt unmittelbar auf Erhaltung und Vervoll-
kommung des menſchlichen Wohlſeyns gerichtet, in ſofern
daſſelbe von vorhergaͤngigen Erſcheinungen ſeines Weſens
abhaͤngt, deren Beginnen oder Unterlaſſung in der Will-
kuͤhr des Individuums ſteht.
Je nachdem dieſe Begriffe von Wohlſeyn des Menſchen
verſchieden ſind, iſt auch die Diaͤtetik verſchieden. Die
Prophylaktik ſetzt naͤmlich zu ihrem hoͤchſten Zweck Ver-
huͤtung der Krankheiten; die Makrobiotik Verlaͤngerung
des Lebens, und die Eubiotik Energie des Lebens.
Drittes Kapitel.
Populaͤre Krankheitslehre.
Die populaͤre Krankheitslehre belehrt den Nichtarzt
uͤber die Krankheiten, ihre Urſachen, Erſcheinungen und
ſein Verhalten dabey, ſoviel ihm ohne wiſſenſchaftliches
Studium davon zu begreifen moͤglich, und zu ſeinem Zwecke
zu wiſſen noͤthig iſt.
§ 444.
[131]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Ihre Quelle findet ſie in der Pathologie und ſpeciellen
Therapie.
Sie verbreitet uͤber das Publikum die eigentlich medici-
niſche Aufklaͤrung, indem ſie den Nichtarzt belehrt, was er
von dem Arzte zu erwarten habe; was er von ihm fordern
koͤnne, oder nicht; was er auf der andern Seite ihm fuͤr
Pflichten ſchuldig ſey; wie er ferner in eigenen Krankheiten
ſein Vethalten beſtimmen, in fremden beſcheidenen Rath er-
theilen, ohne Eingriffe in das Amt des Arztes zu thun, und
ploͤtzlich verungluͤckten Menſchen zu Huͤlfe eilen koͤnne. —
Ueberſchreitet ſie dieſen Zweck, ſtellt ſie Regeln zu wuͤrklicher
Heilung der Krankheiten feſt, liefert ſie Kenntniſſe von Arz-
neymitteln und Formeln, will ſie wuͤrkliche Dilettanten in
der Heilkunſt bilden: ſo wird ſie verderblicher, als Gift in
den Haͤnden eines Kindes. — Dies erhellet aus den Schwie-
rigkeiten der Heilkunſt und ihrem Umfange.
Zweyte Abtheilung.
Staatsarzneykunde.
§ 446.
Die Staatsarzneykunde iſt der Innbegriff der, aus den
einzelnen Zweigen der Heilkunſt entlehnten und zum unmit-
telbaren Wohl des Staats angewendeten Kenntniſſe. Sie
zerfaͤllt in die mediciniſche Polizey und gerichtliche Arzney-
kunde.
J 2Erſtes
[132]Zweyter Theil.
Erſtes Kapitel.
Mediciniſche Polizey.
Die mediciniſche Polizey enthaͤlt die Grundſaͤtze, nach
welchen die Stellvertreter des Staates fuͤr die Erhaltung
der Geſundheit, fuͤr Abwendung und Heilung der Krankhei-
ten der Mitglieder deſſelben zu ſorgen haben.
Dieſe Grundſaͤtze werden von denſelben Wiſſenſchaften
geliefert, welche die Volksarzneykunde begruͤnden, nur daß
dieſelben ſich auf ganze Voͤlker beziehen, da jene nur die
Sorgfalt eines jeden Individuums fuͤr ſich ſelbſt betrifft,
und daß ſie noch mehr aus der ſpeciellen Therapie entlehnt
ſind.
Die neuern Zeiten bieten uns die vollguͤltigſten Beweiſe
von dem Nutzen der mediciniſchen Polizey dar, da mit ihrer
Huͤlfe Krankheiten, welche in gewiſſen Gegenden wegen
ſchaͤdlicher Eigenſchaften der Producte, der Luft ꝛc. fuͤr ge-
woͤhnlich (endemiſch) herrſchten, hinweggeraͤumt, andere,
welche ſich ploͤtzlich uͤber eine Menge Menſchen wegen An-
ſteckung oder anderer gemeiner Urſachen (epidemiſch) ver-
breiteten, gemindert und gehoben, Anſtalten zu Heilung der
Kranken auf oͤffentliche Koſten, zu Pruͤfung der Aerzte ꝛc.
getroffen wurden.
Zweytes
[133]Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
Zweytes Kapitel.
Gerichtliche Arzneykunde.
Die gerichtliche Arzneykunde ſtellt die Grundſaͤtze auf,
wornach vorkommende Rechtsfaͤlle, bey welchen es auf An-
erkennung der Geſundheit oder der mancherley Krankheiten
und ihres Grades ankommt, zu entſcheiden ſind.
Zur Quelle dienen ihr ſaͤmmtliche Grundwiſſenſchaften
der Heilkunſt, welche ſich ſowohl auf Kenntniß des geſunden
und kranken Menſchen beziehen (beſonders phyſiologiſche und
pathologiſche Semiotik), als auch die Kenntniß der Heil-
mittellehre betreffen.
Sie erzeigt ſich dadurch nuͤtzlich, daß ſie durch Entdek-
kung der Wahrheit das Urtheil des Richters beſtimmt, und
ſo die Sicherheit und das Wohl der einzelnen Staatsbuͤrger
beſchuͤtzt.
Dritter Abſchnitt.
Hebammenkunſt.
§ 453.
Die Hebammenkunſt ſtellt die Grundſaͤtze auf, welche die
Hebammen bey Unterſtuͤtzung der geſunden (natuͤrlichen)
Entbindungen befolgen muͤſſen.
J 3§ 454.
[134]Zweyter Theil. Encyklopaͤdie d. Heilkunſt.
§ 454.
Ihre Quelle iſt der Theil der Anatomie und Phyſiolo-
gie, welcher ſich auf die Entbindung bezieht.
§ 455.
Sie rettet der Menſchheit große Summen kuͤnftiger
Buͤrger, welche bey ſchlechter Behandlung in der Geburt
umkommen. Verderblich wird ſie dagegen eben ſo, wie die
Volksarzneykunde, wenn ſie die Hebammen mit Regeln zur
Heilung bey der Entbindung vorkommender Krankheiten be-
kannt macht, welche ohne Ueberſicht ſaͤmmtlicher Theile der
Heilkunſt nicht verſtanden, noch nach der Verſchiedenheit des
gegenwaͤrtigen Falles modificirt werden koͤnnen.
II.
[[135]]
II.
Der Arzt.
J 4
[[136]][137]
Erſter Theil.
Der Stand des Arztes.
§ 456.
Bey jedem Volke, unter jedem Himmelsſtriche giebt es
Krankheiten, denn ſie ſind vermoͤge der urſpruͤnglichen Ein-
richtung der menſchlichen Natur unvermeidlich (§. 30 — 32),
und da nun eine Kunſt, Krankheiten zu heilen, moͤglich iſt
(§. 40), ſo bedarf jedes Volk ſolcher Kuͤnſtler.
§ 457.
Niemand kann aber ſagen, daß er eine Krankheit hei-
len koͤnne, ſo lange er ſie nicht nach ihren Erſcheinungen,
Urſachen und Wuͤrkungen moͤglichſt vollſtaͤndig kennt; und
hierauf geſtuͤtzt, eine allgemeine Richtſchnur ſeines Verfah-
rens feſtſetzt.
§ 458.
Arzt iſt alſo derjenige, welcher die Krankheiten er-
kennt, und nach einem, auf dieſer Kenntniß beruhenden
Plane, durch beſtimmte Mittel heilt.
- Fr. Hoffmanni diſſ. de differentia medici et practici me-
dicinae. Hal. 716. 4.
§ 459.
Um alſo Arzt zu ſeyn, wird die Kenntniß der geſamm-
ten Natur, und eine genaue Bekanntſchaft mit dem ganzen
Weſen des Menſchen und ſeiner Krankheiten, ſo wie der
J 5Heil-
[138]Erſter Theil.
Heilmittel, nothwendig erfordert. Und da dies ein ſo groſ-
ſes, ja unendliches Feld iſt, ſo muß derjenige, welcher
Krankheiten heilen will, ſich dieſer Kunſt ausſchließlich wid-
men, ohne dabey irgend ein anderes Geſchaͤft zu treiben.
Daher machen die Aerzte einen eigenen Stand unter den
Staatsbuͤrgern aus.
§ 460.
Aus dieſem Grunde errichten die Stellvertreter des
Staats oͤffentliche Anſtalten, in welchen man Gelegenheit
findet, ſich jene Kenntniſſe und Fertigkeiten zu erwerben,
und ertheilen nur denjenigen, welche dieſe Anſtalten gehoͤrig
benutzt haben, und deren Geſchicklichkeit unter oͤffentlicher
Autoritaͤt von Aerzten gepruͤft worden iſt, das Recht, ihre
kranken Mitbuͤrger zu behandeln. Die Aerzte werden alſo
oͤffentlich authoriſirt oder privilegirt, und machen eine eigne
Zunft aus.
§ 461.
Dieſe Sorge iſt der Staat dem Wohle ſeiner Buͤrger
ſchuldig, weil dieſes durch Alle, welche ſich fuͤr Aerzte nur
ausgeben, gefaͤhrdet wird. Er muß daher nothwendig me-
diciniſche Zwangsanſtalten errichten, d. h. die einzelnen
Buͤrger, welche vermoͤge ihrer Unkunde der Heilkunſt, dar-
uͤber nicht entſcheiden koͤnnen *), zwingen, in Krankheiten
ihre Huͤlfe nur bey oͤffentlich authoriſirten Aerzten zu ſuchen,
und ſie verhindern an der Befragung derer, welche nicht oͤf-
fentlich gepruͤft ſind **).
§ 462.
Der Arzt iſt dem Staate, theils als Buͤrger deſſelben
uͤberhaupt, ſchuldig, von ſeiner Kunſt den vollkommenſten
Gebrauch zu machen, theils als beſonders von demſelben
bey Erlernung ſeiner Kunſt unterſtuͤtzter, und in ſeinen Ge-
rechtſamen beſchuͤtzter Buͤrger, alle ſeine Kraͤfte zu Erweite-
rung ſeiner Kenntniſſe und zu Befoͤrderung des allgemeinen
Wohles aufzubieten.
- P. Frank de civis medici in republica conditione atque offi-
ciis, ex lege praecipue erutis. Ticini 785. 8.
§ 463.
Der Staar hingegen hat die Pflicht gegen den Arzt,
welcher ſich ſeinem Beſten widmet, ihn in ſeinen erlangten
Rechten zu ſchuͤtzen, und ihm gehoͤrige Belohnung zu ver-
ſchaffen. Da naͤmlich in dem Staate alle Raͤder in einan-
der greifen, und jeder Buͤrger ſeine Kenntniſſe, [Kunſtfertig-
keiten] und Guͤter gegen die Kenntniſſe Kunſtfertigkeiten und
Guͤter des Andern austauſcht, ſo muß auch der Arzt fuͤr die
Ausuͤbung ſeiner Kunſt verhaͤltißmaͤßig belohnt werden.
§ 464.
Jedem Kranken liegt es ob, dem Arzte zuerſt ſeinen
ganzen Zuſtand ohne Ruͤckſicht zu entdecken, in ſeinem vor-
hergegangenen Leben die wahrſcheinlichen Urſachen deſſelben
mit ihm aufſuchen zu helfen, ſodann die Vorſchriften des
Arztes, in Ruͤckſicht ſowohl auf Arzneymittel, als auf die
uͤbrige Lebensweiſe gewiſſenhaft zu beobachten, und endlich
ſeine Bemuͤhungen nach Kraͤften zu lohnen.
- Henning von den Pflichten der Kraulen gegen die Aerzte.
Leipzig 791. 8.
§. 465.
[140]Erſter Theil.
§ 465.
Die Angehoͤrigen des Kranken muͤſſen ebenfalls die Er-
kenntniß und Heilung der Krankheit, ſoviel als von ihrer
Seite moͤglich iſt, zu unterſtuͤtzen ſuchen: ſie muͤſſen dem
Arzte genaue und ſichere Berichte abſtatten, auf die Befol-
gung ſeiner Vorſchriften achten, und durch ihre Gewalt uͤber
den Kranken auch nach dem Rathe des Arztes auf ſein Ge-
muͤth zu wuͤrken ſuchen.
- Elsner uͤber die Verhaͤltniſſe zwiſchen dem Arzte, den Kran-
ken und deſſen Angehoͤrigen. Koͤnigsb. 794. 8.
§ 466.
Diejenigen, welche die Heilkunſt oder einzelne Zwei-
ge derſelben nur wiſſenſchaftlich bearbeiten, ohne dieſe
Kenntniſſe zu Heilung der Krankheiten anzuwenden, werden
theoretiſche Aerzte genannt; welche aber von dieſen Kennt-
niſſen zur Beſeitigung von Krankheiten Gebrauch machen,
werden ausuͤbende oder praktiſche Aerzte genannt.
§ 467.
Der Stand des Arztes iſt mit vielen Annehmlichkeiten
verbunden, welche theils unmittelbar auf ſeine Beſchaͤftigun-
gen, theils auf der Erreichung ſeines Zwecks durch dieſelben
beruhen.
§ 468.
Zuerſt naͤmlich gewaͤhrt es jedem unverdorbenen Men-
ſchen das reinſte Vergnuͤgen, die Natur zu kennen und zu
beobachten. Hierinne beſteht aber das Geſchaͤft des Arztes,
theils bey dem Studium ſeiner Wiſſenſchaft, theils bey der
Ausuͤbung ſeiner Kunſt. Er iſt keinen Menſchenſatzungen
unterworfen, an keine Norm gebunden, welche durch ihr
Alter-
[141]Der Stand des Arztes.
Alterthum ſanctionirt iſt: er ſpuͤrt nur dem Gange der Na-
tur nach, nimmt nur ſie als ſeine hoͤchſte Richterin an,
und kennt keine Autoritaͤt, als die ihrige. Bey allen ſeinen
Beſchaͤftigungen endlich, nehmen die Sinne und der Ver-
fand gleichen Antheil, und alle ſolche Arbeiten, welche,
weil ſie zwiſchen die blos geiſtigen und die blos koͤrperlichen
[m]itten inne treten, und ſie unter einander verbinden, rein
[m]enſchliche genannt werden koͤnnen, ſind dem Menſchen am
angenehmſten, ſeinen Kraͤften am angemeſſenſten.
§ 469.
Sodann bietet ſich dem Arzte eine reiche Quelle von
Freuden auch bey der Erreichung ſeines Zweckes dar. Das
Bewußtſeyn, ſich um das Wohl der Menſchheit ſo unmittel-
bar verdient gemacht zu haben, verbunden mit dem innig-
ſten Danke der Geretteten und ihrer Freunde, gewaͤhrt dem
Arzte ein Gluͤck, welches ſchwerlich ein anderer Stand in ſo
reichem Maaße und ſo haͤufig ausſpendet.
§ 470.
Allein es treffen auch vielfache Beſchwerden den Stand
des ausuͤbenden Arztes, welche theils von dem Gegenſtande
ſeiner Kunſt ſelbſt, theils von ſeinen zufaͤlligen Verhaͤltniſſen
abhaͤngen.
§ 471.
Zuvoͤrderſt iſt der geſchickteſte Arzt bey dem beſten Wil-
len oft auſſer Stand geſetzt, zu helfen, theils in den Faͤllen,
wo die Kunſt ihre Graͤnzen erreicht hat, (§ 104 fgg.) theils wo
die Urſachen der Krankheiten auf den aͤußern Verhaͤltniſſen
der Kranken (ihrem Stande, ihren Geſchaͤften, ihrer Ar-
muth ꝛc.) beruhen, welche er als Arzt nicht abaͤndern kann.
§ 472.
[142]Erſter Theil.
§ 472.
Sodann wird der beſtaͤndige Umgang mit Kranken oft
laͤſtig; denn eben weil ſie krank ſind, koͤnnen die meiſten
nicht richtig urtheilen und ſchließen, ſie erzaͤhlen weitſchwei-
fig, wollen Erklaͤrungen haben, welche ſie nicht verſtehen
koͤnnen, widerſetzen ſich aus Grillen den beſten Anordnun-
gen des Arztes ꝛc. Aber auch alle unerzogene Menſchen jedes
Alters, ermuͤden auf aͤhnliche Art die Geduld des Arztes,
ohne daß dieſe Unarten gerade Wuͤrkungen einer eigentlichen
Krankheit ſind.
§ 473.
Ferner iſt kein Stand ſo vielen falſchen Urtheilen aus
geſetzt, als der des Arztes. Niemand kann ſein Verfahren
beurtheilen, als nur ein Arzt: aber in der Heilkunſt wil [...]
jeder Dilettant ſeyn, jeder glaubt Kenntniſſe zu beſitzen, um
den Arzt beurtheilen zu koͤnnen. Aus Mangel an Aufkaͤ-
rung ſieht man ihn bald fuͤr einen Gott an, dem die ganze
Natur zu Gebote ſteht, bald fuͤr einen zu reichlich bezahlten
Miethling; bald nimmt man Parthey gegen ihn, aus blin-
der Verehrung des Alten, und bald aus eben ſo grundloſer
Vorliebe fuͤr das Neue. Man erfuͤllt die (§ 464 f.) angege-
benen Pflichten gegen den Arzt nicht, und uͤberdies ſucht
noch mancher leere Kopf durch Aufwaͤrmung abgenutzter
Spoͤttereyen gegen ihn, ſich das Anſehen des Wichtigen und
Einſichtsvollen zu geben *). — Die Verſuche, das Pub-
likum in den Stand zu ſetzen, daß es den Arzt richtig beur-
theilen kann, koͤnnen zwar manches Gute bewuͤrken, aber
ihrem Zwecke nie vollkommen entſprechen **).
§ 474.
Aber auch Aerzte koͤnnen nie ein vollkommen gegruͤnde-
tes Urtheil uͤber das Verfahren eines andern Arztes faͤllen,
wenn ſie nicht neben ihm den ganzen Verlauf der Krankheit
in allen ſeinen Individualitaͤten beobachteten. Kleinliche
Menſchen, deren es unter den Aerzten, ſo wie in allen
Staͤnden giebt, maaſen ſich ſolche Urtheile an, um ihre Col-
legen, nach Art neidiſcher Handwerker, bey dem Publikum
verdaͤchtig zu machen.
- Solisci (Clossii) carmen de invidia medicis propria. Tu-
bing. 784. 8.
§ 475.
Beſonders wird der Arzt dann ſchief und ungerecht be-
urtheilt, wenn ihn das Gluͤck nicht beguͤnſtigt. Obſchon
naͤmlich die Heilung uͤberhaupt das Werk der Kunſt iſt *),
ſo wird ſie doch oft durch den Zufall herbeygefuͤhrt, d. h. es
ereignen ſich Umſtaͤnde, welche die Krankheit zu beſigen im
Stande ſind, ohne daß ſie von dem Arzte ſelbſt herbeyge-
fuͤhrt worden waͤren **). Das Werk des Zufalls iſt es fer-
ner, wenn an einen Arzt ſich ſolche Kranke wenden, deren
Uebel leicht zu heben iſt, oder wenn ſie gerade in dem Zeit-
punkte ſeinen Rath gebrauchen, wo die Krankheit ihrem Aus-
gange ſchon nahe iſt.
§ 476.
Endlich muß der Arzt ſeine Bequemlichkeit dem Wohle
der Menſchheit zum Opfer bringen; er iſt nie Herr ſeiner
Zeit, und muß jeden Augenblick bereit ſeyn, ſeine Erholun-
gen abzubrechen und die Befriedigung ſeiner dringendſten
Beduͤrfniſſe aufzuſchieben.
- Pezold das Angenehme und Unangenehme bey der Ausuͤbung
der Arzneywiſſenſchaft. Nordhauſen 752. 8. - Plaz progr. de medicae vitae commodis et incommodis.
Lipſ. 781. 4.
§ 477.
Den Schein des Arztes ohne ſeine Kunſt nimmt der
Afterarzt (medicaſter) an, er ſey nun oͤffentlich auto-
riſirt oder nicht. Er iſt entweder Charlatan oder Pfuſcher.
- à Freudenberg de abuſu et impoſtura medicantium. Mar-
burg. 638. 8. - Bitterkraut’s Klagthraͤnen der Arzneykunſt. 677. 4.
- Buͤcking der Arzt und Afterarzt. Stendal 789. 8.
§ 478.
Charlatan iſt derjenige, welcher aͤuſſern Zufaͤllig-
keiten und Nebendingen einen zu großen Werth beylegt, und
ſich beſonders durch Schwaͤtzerey und Prahlerey (ciarlare)
den Anſchein tiefer Kenntniſſe zu geben ſucht, um durch dieſe
Armſeligkeiten dem Poͤbel zu gefallen.
- Harvey de vanitatibus medicorum. Amſtelod. 695. 12.
- Laeti charlataneria medicorum. Freys. 717.
§ 479.
[145]Der Stand des Arztes.
§ 479.
Jeder Arzt wird alſo dadurch zum Charlatan, daß er
anſtatt das Publikum aufzuklaͤren, politiſcher Verhaͤltniſſe
wegen, daſſelbe in ſeinen Vorurtheilen beſtaͤrkt, und aus
Furcht ihm zu mißfallen, ſich nach ſeinen Launen und ſeiner
Unwiſſenheit accomodirt.
§ 480.
Der Pfuſcher (Routinier, Empiriker) beſitzt keine
vollſtaͤndige Kenntniß der Heilkunſt in ihren ſaͤmmtlichen
Theilen, keine Erfahrung, ſondern er hat nur aus mangel-
hafter Beobachtung einiger Kuren, oberflaͤchliche Kenntniß
einiger Krankheitsformen und Arzneyformeln, und er ver-
kauft dieſe durch Uebung erlangte Fertigkeit, Heilmittel zu
verordnen, fuͤr Kunſt.
§ 481.
Der Arzt endlich, welcher nicht ſowohl aus Privatin-
tereſſe oder aus Beſtreben zu gefallen, als vielmehr aus eige-
ner Ueberzeugung [auſſerweſentlichen] Umſtaͤnden zu großen
Werth beylegt, und daher z. B. in den meiſten Faͤllen im-
mer eine beſtimmte Krankheit zu ſehen glaubt, oder eine ge-
wiſſe Heilmethode immer fuͤr dienlich haͤlt, und dabey mit
Hartnaͤckigkeit auf ſeiner Meinung beſteht, iſt ein Pedant.
- Plaz progr. 4. de pedantismo medico. Lipſ. 762 — 64.
KZwey-
[146]Zweyter Theil.
Zweyter Theil.
Wahl des Standes.
§ 482.
Da die Beſtimmung des Individuums zu irgend einer
Beſchaͤftigung, ſowohl fuͤr daſſelbe, als fuͤr die uͤbrigen
Staatsbuͤrger von nicht geringer Erheblichkeit iſt, ſo muͤſſen
auch beſonders die Gruͤnde erwogen werden, welche den
Stand des Arztes zu waͤhlen, hinreichend beſtimmen koͤn-
nen.
§ 483.
Nicht ohne Nutzen wird das Ideal des Arztes in allen
ſeinen Verhaͤltniſſen und Eigenſchaften dargeſtellt, damit
man naͤmlich aus der Vergleichung deſſelben mit ſich ſelbſt
abnehme, worauf man das Beſtreben, ſich zu bilden und
zu vervollkommnen, beſonders zu richten habe, und welches
Talent einer beſondern Ausbildung beduͤrfe. Allein unbrauch-
bar iſt jene Idee der Vollendung, um darnach ſeine Taug-
lichkeit zum Arzte zu beſtimmen: denn die Eigenſchaften
und Talente, welche ſie aufſtellt, ſind theils nicht unnach-
laßlich bedingt, theils von der Art, daß man ſie durch feſten
Willen ſich eigen machen kann.
- Morgagni nova inſtitutionum medicarum idea, medicum
perfectiſſimum adumbrans. Padua 712. 4. — El. Wil-
denhayn. Lipſ. 775. 8.
Gag-
[147]Wahl des Standes.
- Gagliardi idea del vero medico fiſico e morale. Roma
718. 8. - Aepli’s Abbildung des wahren Arztes. Schafhauſen 773. 8.
§ 484.
Die Bedingungen, welche in jedem kuͤnftigen Arzte
nothwendig erfuͤllt ſeyn muͤſſen, ſind koͤrperliche und geiſtige
Geſundheit, und ein feſter vernuͤnftig begruͤndeter Wille,
Arzt zu werden. Wer dieſe Eigenſchaften beſitzt, hat hin-
laͤnglichen Beruf in ſich, die Heilkunſt zu erlernen.
§ 485.
Geſundheit des Koͤrpers iſt ein ſo unumgaͤngliches Er-
forderniß fuͤr den Arzt, als ſie es kaum fuͤr irgend einen an-
dern Gelehrten und Kuͤnſtler iſt. Beſitzt er nicht einen hohen
Grad derſelben, ſo kann er ſeinem muͤhſamen Berufe nicht
vorſtehen, oder er unterliegt fruͤh den taͤglichen Beſchwerden
und oͤftern Gefahren; auch kann er, wenn er nicht geſund
iſt, weder vermittelſt ſeiner Sinne die Krankheit gehoͤrig be-
obachten, noch ein gehoͤriges, nuͤchternes Urtheil uͤber ſie
faͤllen.
§ 486.
Ein geſunder, freyer Geiſt, welcher durch keine Vor-
urtheile verkruͤppelt, durch keine Pedanterey aͤlterer oder
neuerer Zeiten verbildet, noch durch Mangel an Uebung er-
ſchlafft iſt, ein Geiſt, deſſen Streben nach Wahrheit gerich-
tet iſt, welcher Sinn fuͤr das Edle und Große hat, — nur
ein ſolcher bildet den aͤchten Arzt. Ohne denſelben wird
man bey allen Kenntniſſen immer nur ein Handwerker, ein
Afterarzt.
§ 487.
Dies waren die vorlaͤufigen Bedingungen; jetzt folgt
des unmittelbare Erforderniß: vernuͤnftig begruͤndeter und
K 2des-
[148]Zweyter Theil.
deshalb unerſchuͤtterlicher Wille, die Heilkunſt zu ſtu-
diren.
§ 488.
Zu dieſem Vorſatze wird zuerſt erfordert eine vorlaͤuſige
Kenntniß ihres eigentlichen Weſens, ihrer einzelnen Wiſſen-
ſchaften und des Standes des Arztes nach ſeinen Vortheilen
und Beſchwerden: denn der Wunſch nach dem Beſitze eines
Gegenſtandes, von welchem man keine deutliche Idee hat,
iſt weder vernuͤnftig, noch auch feſt.
§ 489.
Hat man auf dieſe Art die Vortheile, welche die Heil-
kunſt ihren Juͤngern gewaͤhrt, uͤberwiegend gefunden, ſo faßt
man ein Intereſſe dafuͤr, welches aber, um alle Selbſttaͤu-
ſchung zu verhuͤten, gehoͤrig analyſirt werden muß.
§ 490.
1. Wiſſenſchaftliches Intereſſe iſt das erſte Erforderniß
fuͤr einen Arzt, d. h. er muß bey Erlernung ſaͤmmtlicher
Theile der Heilkunſt, ſo wie bey Ausuͤbung derſelben, das
Vergnuͤgen, welches die Beobachtung der Natur uͤberhaupt
gewaͤhrt, beſonders lebhaft empfinden. Er muß Enthuſiaſt
fuͤr die Vervollkommung ſeiner Kunſt ſeyn, die Beytraͤge
andrer Aerzte hierzu mit Intereſſe aufnehmen, und ſo viel
an ihm iſt, ſelbſt darauf mitzuwuͤrken ſuchen.
§ 491.
Dieſes Intereſſe fuͤr die Kunſt bewuͤrkt es allein, daß
der Arzt fuͤr die Muͤhe ihrer Erlernung und die Beſchwerden
ihrer Ausuͤbung vollkommen entſchaͤdigt wird, daß er Vor-
urtheile muthig bekaͤmpft, auch ohne Belohnung arbeitet,
ſeinen Ekel uͤberwindet, erlittenen Undank vergißt, und un-
gerechte
[149]Wahl des Standes.
gerechte Urtheile des Poͤbels mit kalter Verachtung ſtraft;
daß er endlich keine Arbeit ſcheuet, wo es darauf ankommt,
Wahrheiten zu entdecken, und keinen litterariſchen Despotis-
mus fuͤrchtet, um ſie oͤffentlich anzuerkennen und zu ver-
breiten.
§ 492.
Doch vermeide man bey dieſer Pruͤfung alle moͤgliche
Taͤuſchungen. Man kann naͤmlich bloß Intereſſe fuͤr die
Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt haben, und daraus kann
man nicht im mindeſten auf Neigung zur Heilkunſt ſelbſt
ſchließen. Man kann viel botaniſche, chemiſche, anatomi-
ſche Kenntniſſe in dem Gedaͤchtniſſe aufbewahren, ohne des-
halb zum eigentlichen Studium der Natur in der Phyſik und
Phyſiologie Kraͤfte und Willen zu haben; und man kann ein
ſcharfſinniger Naturforſcher ſeyn, ohne gerade Neigung zu
haben, ſich den Beſchwerden der Praxis zu unterziehen.
§ 493.
2) Menſchliches Intereſſe muß ferner den Arzt adeln,
denn ohne dieſes wird er hart, fuͤhllos, und erfuͤllt ſeine
Pflichten gegen den Staat und die Menſchheit nur zur Haͤlfte.
Auch in den Faͤllen, wo er ſeine Kenntniſſe nicht erweitern,
die Kunſt nicht vervollkommen, ja ſelbſt ſeinen Zweck (Hei-
lung) nicht ganz erreichen kann (§ 109), muß er jedem
Kranken beyſtehen, weil er doch die Macht hat, ihm ſein
Ungluͤck ertraͤglicher zu machen, und alſo das allgemeine
Elend zu mindern.
§ 494.
Auf einem ſolchen wiſſenſchaftlichen und menſchlichen In-
tereſſe fuͤr die Kunſt, muß der Wille, ſie zu erlernen be-
gruͤndet ſeyn. Dann iſt er feſt und unerſchuͤtterlich, und
K 3kann
[150]Zweyter Theil.
kann durch raſtloſe Anſtrengung auch das unmoͤglich Schei-
nende wuͤrklich machen, die Thaͤtigkeit ſeiner Geiſteskraͤfte
erhoͤhen, und dem hoͤchſten vorgeſteckten Ziele nahe kommen.
Denn vollendet iſt der Menſch von der Natur nie, er hat
aber Anlagen, Alles zu werden, von ihr erhalten, und dieſe
kann er bis zu einem bewundernswerthen Grade ausbilden.
§ 495.
Weil das Studium der Heilkunſt koſtſpieliger iſt, als
irgend ein anderes, ſo macht die Gewißheit, dieſe Koſten
beſtreiten zu koͤnnen, eine aͤußere Bedingung zur Wahl die-
ſes Studiums aus, denn ohne die erforderlichen Huͤlfsmittel
kann die Kunſt nur unvollkommen erlernt werden.
§ 496.
Dies (§ 485 — 495) ſind alſo ſaͤmmtliche Bedingun-
gen, welche den Beruf eines jungen Mannes zum Arzte in
ſich enthalten. Andere Motiven als jenes wiſſenſchaftliche
und menſchliche Intereſſe kann er nicht haben. Ehre und
Reichthuͤmer koͤnnen nicht das Ziel ſeyn, welches man durch
Ausuͤbung der Heilkunſt erreichen will.
§ 497.
1. Ehre iſt die Achtung der groͤßt moͤglichen Menge
von Menſchen. Dieſe Menge aber iſt beſonders in Ruͤckſicht
auf die Heilkunſt unaufgeklaͤrt, d. h. ſie iſt nicht im Stande
die Gegenſtaͤnde nach ihrem weſentlichen Werthe zu ſchaͤtzen,
ſondern legt einen zu großen Werth auf außerweſentliche
Dinge. Wer ihr gefallen ſoll, muß mit ihren Begriffen
wenigſtens zu harmoniren ſcheinen: man muß alſo Charlatan
ſeyn, nicht Arzt (§ 478).
- Hornſchuh wie muſs es ein Arzt anfangen, um in kurzer
Zeit berühmt zu werden? Coburg 792. 8.
§ 498.
[151]Wahl des Standes.
§ 498.
Aber auch der aufgeklaͤrte Theil des Publikums kann
den Arzt nicht beurtheilen (§ 461) und wenn er geachtet
wird, er ſey auch der groͤßte Kuͤnſtler, ſo iſt es meiſtens
wegen aͤußerer Zufaͤlligkeiten, nicht wegen ſeines Verdien-
ſtes. Kann man ſich aber wohl eine ſolche Achtung, deren
ſich der Arzt in ſeinem Herzen ſchaͤmen muß, als ein wuͤn-
ſchenswerthes Gut vorſtellen? — Der Arzt befindet ſich
nur zu oft in der Lage des Kuͤnſtlers, welcher unverdroſſen
fuͤr ſeine Kunſt arbeitet, wenn er gleich von ſeinem Zeitalter
nicht gefaßt, nicht verſtanden wird. Da wo er wirklich
Verdienſt ſich erworben, wo er etwas Großes geleiſtet hat,
wird ſeine Bemuͤhung uͤberſehen, wo hingegen ein Zufall ihn
unterſtuͤtzte, aͤrndet er Ruhm und das Anſtaunen der Men-
ge. Wer alſo blos vom Ehrgeize geleitet wird, muß bald
ermuͤden, Arzt zu ſeyn, er muß Charlatan werden.
§ 499.
2. Geldgeiz kann eben ſo wenig der Beſtimmungs-
grund zur Wahl dieſes Standes ſeyn; denn erſtlich iſt es
widerſinnig, die Natur mit Intereſſe fuͤr ſie zu beobachten
(dies unumgaͤngliche Erforderniß des Arztes) um Geld zu
verdienen; ſodann kann man bey Ergreifung irgend einer
andern Kunſt oder eines Handwerks dieſen Zweck weit ge-
maͤchlicher und mit minderer Anſtrengung erreichen, als
durch die Heilkunſt.
- Plaz de exiguo lucro ex medicina. Lipſ. 780. 4.
§ 500.
Ganz anders iſt es mit dem Charlatan. Es iſt kein
ſicherer Weg, reich zu werden, als durch Vorſpiegelung ver-
uͤbter Wunderkuren, des Vermoͤgens alle Krankheiten zu
K 4heilen,
[152]Zweyter Theil.
heilen, und es iſt dabey auch nichts leichter, als das Ge-
ſchaͤft des Charlatans, denn das Publikum kauft jede Sub-
ſtanz, ſie ſey nun ein Heilmittel oder nicht, wenn ſie nur
einen geheimnißvollen Titel fuͤhrt, fuͤr unmaͤßige Preiſe
auch dem Duͤmmſten ab, ohne daß er ſelbſt einer gewiſſen
Fertigkeit im Luͤgen, und alſo eines gewiſſen Grades von
Verſchlagenheit dazu bedarf. Geldgeiz kann alſo nur zum
Charlatan machen.
- Kurella Entdeckung der Maximen ohne Zeitverluſt und
Mühe ein berühmter und reicher Arzt zu werden. Berlin
750. 8.
Drit-
[153]
Dritter Theil.
Bildung des Arztes.
§ 501.
Zum Arzte, ſo wie zum Gelehrten uͤberhaupt, bildet man
ſich nur durch ſich ſelbſt. Es kann daher nur eine allgemeine
Anweiſung gegeben werden, worauf man bey ſeiner Bildung
zu ſehen, und wie man ſich der hierzu vorhandenen Mittel
zu bedienen habe.
- Bohn Diſſert. V. de officiis medici. Lipſ. 697 ſqq. 4.
- Gregory von den Pflichten und Eigenſchaften eines Arztes.
Leipz. 778. - Ploucqet der Arzt, oder uͤber die Ausbildung, die Studien,
Pflichten, Sitten und Klugheit des Arztes. Tuͤb. 797. 8.
Erſte Abtheilung.
Geiſtige Bildung.
§ 502.
Die Geiſteskraͤfte des Arztes muͤſſen beſonders geuͤbt und
ſtark ſeyn, indem ſein Geſchaͤft in der Erkeuntniß der ſo ver-
wickelten Urſachen und Wuͤrkungen in den Naturerſcheinun-
gen beſteht, wozu das ſchaͤrfſte Auge oft kaum hinreicht.
K 51. Auf-
[154]Dritter Theil.
1. Aufmerkſamkeit.
§ 503.
Die ſtete und ununterbrochene Richtung unſerer geiſti-
gen Selbſtthaͤtigkeit auf einen beſtimmten Gegenſtand,
welche wir mit dem Namen der Aufmerkſamkeit bezeichnen,
iſt die erſte und unentbehrlichſte Eigenſchaft eines Beobach-
ters, und daher auch eines Arztes.
§ 504.
Denn nur durch die ſchaͤrfſte Aufmerkſamkeit kann man
die Individualitaͤten jedes einzelnen Krankheitsfalls bemer-
ken, welche den Grund zu Beſtimmung unſres Verfahrens
bey der Heilung enthalten. Der Unaufmerkſame bemerkt
nur die Oberflaͤche der Erſcheinungen; dieſe iſt in den mei-
ſten Krankheiten dieſelbe, er bemerkt alſo uͤberall eine voll-
ſtaͤndige Analogie, er kann nicht individualiſiren, und wird
deshalb leicht ein Routinier (§ 480). Dies iſt eine Urſache,
weshalb ein guter theoretiſcher Arzt zuweilen ein ſchlechter
Praktiker iſt. Es geht ihm naͤmlich noch eine nothwendige
Eigenſchaft des Arztes (Beobachtungsgeiſt) ab: dahingegen
kann aber niemand ein guter Praktiker ſeyn, wer ein ſchlech-
ter Theoretiker iſt, denn in Jenem muß Alles und noch mehr
enthalten ſeyn, was dieſen bildet.
- Stahl de attentione medico-practica. Halae, 711. 4.
§ 505.
Obſchon die Aufmerkſamkeit oft ein Geſchenk der Natur,
und Menſchen verliehen iſt, welche keinen hoͤhern Gebrauch
davon zu machen verſtehen: ſo kann man ſich dieſelbe doch
ſelbſt durch ernſtlichen Willen in einem gewiſſen Grade zu
eigen machen, indem man ſich gewoͤhnt, alle Gegenſtaͤnde
von
[155]Bildung des Arztes.
von allen ihren Seiten zu beobachten, und auch die verſteck-
teſten Eigenſchaften derſelben zu bemerken. Durch Uebung
wird dann eine gewiſſe Fertigkeit, ein Habitus daraus, und
dieſen muß ſich der junge Arzt zu verſchaffen ſuchen.
§ 506.
Hierzu dient ihm unter andern auch die Naturbeſchrei-
bung. Es iſt naͤmlich nicht nur die bloße Kenntniß gewiſſer
Koͤrper, was ſie ihm mittheilt, ſondern auch die Fertigkeit,
die unterſcheidenden Merkmahle der Gegenſtaͤnde zu einem
Ganzen aufzufaſſen, und dadurch ſchnell uͤber dieſelben ent-
ſcheiden zu koͤnnen.
2. Gedaͤchtniß.
§ 507.
Das Gedaͤchtniß, oder das Vermoͤgen, vordem em-
pfangene Vorſtellungen zu reproduciren, muß eben ſo ſtark
an dem Arzte ſeyn. Denn zuerſt muß er die wiſſenſchaft-
lichen Kenntniſſe der Heilkunſt immer in Bereitſchaft haben,
und dieſe ſind außerordentlich weitlaͤuftig, da ſie theils die
ganze aͤußere Natur (Naturgeſchichte), theils die Natur
des Menſchen (Anatomie ꝛc.), ſeine Krankheiten (Patholo-
gie) und Heilkraͤfte (Materia Medica) umfaſſen.
§ 508.
Sodann aber muß er auch ſeine eigenen Erfahrungen
in dem Gedaͤchtniſſe aufbewahren, um noͤthigenfalls auf der
Stelle davon Gebrauch machen zu koͤnnen, er muß auch bey
einer ausgebreiteten Praxis den Verlauf der Erſcheinungen
an jedem einzelnen Kranken, die angewendeten Mittel, und die
darauf erfolgten Wirkungen in ihrem genaueſten Detail immer
gegenwaͤrtig haben, und endlich in Ruͤckſicht auf die Per-
ſonen,
[156]Dritter Theil.
ſonen, welche ihre Geſundheit fuͤr immer ſeiner Kunſt an-
vertrauen, aller Eigenheiten ihrer Natur, ihrer vor vielen
Jahren erlittenen Krankheiten und deren Heilung ꝛc. ſich ſo-
gleich auf das lebhafteſte erinnern.
§ 509.
Der junge Arzt muß alſo fruͤhzeitig darauf denken, wenn
ihm nicht ſchon von der Natur ein ausgezeichnetes Gedaͤcht-
niß verliehen iſt, daſſelbe durch eigenen Fleiß zu verſtaͤrken;
und da die ganze Mnemonik oder Gedaͤchtnißkunſt nur in
Empfehlung der gehoͤrigen Uebung beſteht: ſo muß er be-
ſonders ſolcher Uebungen des Gedaͤchtniſſes ſich bedienen.
§ 510.
In dieſer Hinſicht iſt ihm auch das Studium der Na-
turbeſchreibung und Anatomie vortheilhaft. Das Detail
dieſer Lehren iſt naͤmlich nicht nur an ſich nuͤtzlich, ſondern
es verſchafft ihm auch durch Uebung eine Staͤrke des Ge-
daͤchtniſſes, welche bey der Ausuͤbung der Heilkunſt von
dem groͤßten Nutzen iſt.
3. Phantaſie.
§ 511.
Staͤrke der Phantaſie oder des Vermoͤgens, vormals
gehabte einzelne Vorſtellungen zu einem neuen Ganzen zu
reproduciren, enthaͤlt den Grund jeder neuen Erfindung,
und das Genie beruht uͤberhaupt auf der Anlage der Phan-
taſie, wodurch man geſchickt wird, neue Verbindungen der
Begriffe zu verſuchen und Fragen aufzuwerfen, welche durch
vorher erworbene Kenntniſſe oder neue Erfahrungen beant-
wortet werden, denn es zeigt ſich eben nur durch Erfindun-
gen wuͤrkſam.
§ 512.
[157]Bildung des Arztes.
§ 512.
Nun iſt aber eine jede richtige Beurtheilung eines vor-
kommenden Krankheitsfalles eine neue Erfindung. Es hat
naͤmlich noch kein Fall exiſtirt, welcher dem gegenwaͤrtigen
ganz aͤhnlich geweſen waͤre, und es muß daher ein, dieſen
entdeckten Modificationen der Krankheit gemaͤßer Heilplan,
eine neue Erfindung ſeyn. Der große Arzt hat daher immer
auch eine lebhafte Einbildungskraft, welche ihm bey jedem
Kranken, theils alle moͤgliche Faͤlle von Krankheiten darſtellt,
uͤber deren Gegenwart nachher die Urtheilskraft entſcheidet,
und welche ſodann die Ideen zum Gebrauche und zur Mo-
dification der beſtimmten Heilmittel in ihm weckt.
§ 513.
Iſt dahingegen die Ideenaſſociation, worauf das Ge-
ſchaͤft beruht, traͤge, ſo praͤvalirt das Gedaͤchtniß; dies er-
weckt dann die vormals gehabten Vorſtellungen in derſelben
Verbindung, und kann alſo, da es nur Wiederholung einer
Heilmethode liefert, nicht individualiſiren. Dies macht da-
her den eigentlichen Unterſchied zwiſchen dem gemeinen und
dem großen Arzte.
§ 514.
Deshalb iſt Genie, oder eine von der Natur erhaltene Fer-
tigkeit im Erfinden, ein beſonderes Requiſit des Arztes.
Wem aber auch nicht eine in ſo hohem Grade lebhafte Phan-
taſie verliehen iſt, der kann dieſelbe doch durch zweckmaͤßige
Cultur verſtaͤrken. Dies geſchieht beſonders durch das Stu-
dium der ſchoͤnen Kuͤnſte, und dadurch, daß man dem Ge-
daͤchtniſſe nicht auf Koſten der uͤbrigen Geiſteskraͤfte zu viel
Nahrung giebt.
4. Hoͤhe-
[158]Dritter Theil.
4. Hoͤhere Seelenkraͤfte.
§ 515.
Der Ausbildung des Verſtandes und der Vernunft be-
darf der Arzt, ſo wie jeder Beobachter der Natur, um in
jeder einzelnen Erſcheinung nicht nur dieſe fuͤr ſich, ſondern
in ihr auch den Theil eines Ganzen zu ſehen, um nicht an
den zunaͤchſt liegenden Gegenſtaͤnden haͤngen zu bleiben, ſon-
dern einen hoͤhern, allgemeinen Standpunct zu erklimmen.
§ 516.
Ganz beſonders aber bedarf er einer geuͤbten Urtheils-
kraft, denn ſein ganzes Geſchaͤft beſteht eben darin, daß er
die vorkommenden Krankheiten einem allgemeinen Begriffe
unterordnet, und dieſem Urtheile gemaͤß einen Heilplan feſtſetzt.
§ 517.
Die Urtheilskraft muß in ihren Wuͤrkungen behend
ſeyn, oder der Arzt muß eine ſtete Gegenwart des Geiſtes
behaupten, denn ſehr oft iſt die Entſcheidung uͤber das Leben
eines Menſchen das Werk eines Augenblicks.
§ 518.
Sie muß ferner von dem Bewußtſeyn ihrer Rich-
tigkeit begleitet werden. Iſt ſie dies nicht: ſo wird der
Arzt durch jeden Umſtand, welcher eine Gegenanzeige (369)
zu enthalten ſcheint, ungewiß g[e]macht, er ſchwankt von ei-
nem Mittel, von einer Methode zur andern, und ſtiftet
durch dieſen Mangel an Feſtigkeit den groͤßten Schaden.
- Plaz progr. de inconſtantia medica. Lipſ. 778. 4.
§ 519.
Hiervon haͤngt auch ihre Deutlichkeit ab. Nichts
iſt gefaͤhrlicher, als wenn der Arzt die Gruͤnde, welche ihn
zu
[159]Bildung des Arztes.
zu einem Urtheile beſtimmen, nicht deutlich bey ſich entwik-
kelt: er ſchiebt dann ſeine Lieblingsneigung uͤberall ein. Der
Eine ſieht uͤberall Vollbluͤtigkeit, der Andere Verſtopfungen
im Unterleibe, der Dritte Unreinigkeiten des Darmkanals,
der Vierte Aſthenie; und befragt man ſie um den Grund
dieſer Urtheile, ſo beruft ſich ein Jeder von ihnen auf den
praktiſchen Tact oder das praktiſche Gefuͤhl. Dies iſt alſo mei-
ſtens ein leeres Wort, durch welches der Arzt ſich und An-
dere taͤuſcht, weil er die Beſtimmungsgruͤnde ſeines Urtheils
ſich nicht deutlich gedacht hat.
- Oſterhauſen, uͤber das praktiſche Gefuͤhl (in Roͤſchlaubs
Magazin 1. Bd. S. 224. f. f.).
§ 520.
Etwas ganz anderes iſt die durch Uebung erworbene
Behendigkeit und Fertigkeit des Urtheils, vermoͤge deren
man das richtige Reſultat findet, ohne gerade die einzelnen
Theile der Syllogismen und Soriten einzeln durchzuden-
ken. Dies iſt der wahre Daͤmon des geuͤbten denkenden
Praktikers, und ſein Vorzug vor dem weniger geuͤbten Arz-
te: er uͤberſieht das Ganze, wie ein geuͤbter Rechner ſein
Exempel, und findet das Reſultat aus einer bloßen Ueberſicht
der Theile. Doch ſey man immer auf ſeiner Hut, ſich hier
nicht zu taͤuſchen, und ein Urtheil ohne gehoͤrige Motiven
anzunehmen. Beſonders muß der anfangende Praktiker ſich
dieſer Methode gaͤnzlich enthalten.
§. 521.
Zu dieſer Ausbildung ſeiner Geiſteskraͤfte gelangt der
Arzt nur durch aͤchtes Studium der Philoſophie, dieſe macht
daher fuͤr ihn ſowohl, als fuͤr jeden Gelehrten, die Vorbe-
reitungswiſſenſchaft aus; und als ſolche werden wir ſie noch
unten betrachten.
Zweyte
[160]Dritter Theil.
Zweyte Abtheilung.
Koͤrperliche Bildung.
§ 522.
Der Arzt muß ganz beſonders darauf bedacht ſeyn, die
Geſundheit ſeines Koͤrpers zu erhalten und zu verſtaͤrken, da
er fortdauernd ſo viele Beſcherden und Muͤhſeligkeiten ertra-
gen muß. Denn ſeine hoͤhere Pflicht erlaubt es ihm nicht
immer, die Regeln der Diaͤtetik fuͤr ſich ſo ſtreng zu beobach-
ten, er muß ſich ſelbſt vergeſſen, wo es auf die Rettung
eines Menſchenlebens ankoͤmmt.
§ 523.
Er bedarf ferner als Handarzt auch in vielen Faͤllen ei-
ner gewiſſen Muskelkraft, einer ſtarken Bruſt ꝛc. und des-
halb muß er ſich aller der Huͤlfsmittel bedienen, welche im
Stande ſind, ſeine koͤrperlichen Kraͤfte zu erhoͤhen.
§ 524.
Sodann muß er auch eine gewiſſe koͤrperliche Staͤrke
beſitzen, um vor Anſteckungen ſicher zu ſeyn, welchen er fuͤr
immer ausgeſetzt iſt; und auch in dieſer Hinſicht iſt ihm die
Abhaͤrtung dienlich, doch darf dieſe auf der andern Seite
der Feinheit ſeiner Sinnesorgane keinen Einirag thun.
§ 525.
Auf die Vollkommenheit ſeiner Sinne muß er naͤmlich
ganz beſonders bedacht ſeyn, weil ihm dieſe den Stoff zu
allen ſeinen Beobachrungen liefern, und er nie ſeinen Zweck
erreichen kann, wenn ihm ſeine Sinne keinen richtigen Be-
griff von der Krankheit beygebracht haben.
§ 526.
[161]Bildung des Arztes.
§ 526.
Er muß alſo ſaͤmmtliche Sinnesorgane gehoͤrig uͤben,
und alles vermeiden, was dieſelben abſtumpfen und un-
brauchbar machen koͤnnte; denn er bedarf Aller, um ſich ge-
hoͤrig uͤber die Krankheitserſcheinungen zu belehren, da er
von einem einzigen leicht getaͤuſcht werden kann.
§ 527.
So wie er ſich aber zu huͤten hat, daß er nicht durch
Abhaͤrtung die Lebhaftigkeit ſeiner Sinneseindruͤcke vermin-
dert, ſo muß er auch jede Kraͤnklichkeit von ſich zu entfernen
ſuchen, welche die Lebhaftigkeit derſelben ſo ſehr vermehrt,
daß ein unrichtiges Urtheil dadurch herbeygefuͤhrt wird; auf
gleiche Art muß er auch jeden voruͤbergehenden Zuſtand ver-
meiden, welcher von einer ſolchen uͤbermaͤßigen Thaͤtigkeit
begleitet iſt, und daher unrichtige Urtheile veranlaßt, die
von den nachtheiligſten Folgen ſeyn koͤnnen.
§ 528.
Der Handarzt bedarf noch einer gewiſſen mechaniſchen
Fertigkeit der Hand, um alle Operationen mit Leichtigkeit
und Sicherheit zu machen; dieſe Geſchicklichkeit, welche ei-
nen wichtigen Theil ſeiner Kunſt ausmacht, wird durch Ue-
bung, beſonders in den juͤngern Jahren erlangt, und des-
halb iſt eine fruͤhe Beſchaͤftigung mit Zergliederung, gleich-
viel, ob von thieriſchen oder menſchlichen Koͤrpern, beſonders
zu empfehlen.
LDritte
[162]Dritter Theil.
Dritte Abtheilung.
Menſchliche Bildung.
§ 529.
Unter menſchlicher Bildung verſtehen wir uͤberhaupt die
Cultur, welche ſich weder allein auf die geiſtigen, noch al-
lein auf die koͤrperlichen Kraͤfte des Menſchen, ſondern auf
beyde in gleichem Maaße bezieht, und in den Verhaͤltniſſen
mit andern Menſchen, in derſelben Ruͤckſicht betrachtet, ihre
Anwendung findet.
§ 530.
Der Arzt bedarf derſelben, weil jeder Gegenſtand ſeiner
Kunſt ſich auf den Menſchen bezieht. Er muß den Zuſtand
deſſelben erkennen und zweckmaͤßig abaͤndern koͤnnen: da
nun aber eine untergeordnete Kraft auf eine hoͤhere weder
vollſtaͤndig wuͤrken, noch ſie zweckmaͤßig veraͤndern kann:
ſo muß der Arzt auch als Menſch einen hohen Grad der Voll-
kommenheit beſitzen.
- Van Geuns orat. de humanitate virtute medici praeſtantiſ-
ſima. Harderwyck, 790. 4.
§ 531.
Ohne aͤchte Humanitaͤt kann der Arzt nie ſein ho-
hes Ziel erreichen. Sie erfuͤllt ihn mit Wohlwollen fuͤr das
ganze Menſchengeſchlecht, heißt ihn abſehen von den Fehlern
des Individuums, und in ihm nur den allgemeinen Charak-
ter des Menſchen beruͤckſichtigen, wo es darauf ankoͤmmt,
ihm zu helfen; dadurch muntert ſie ihn auf, die Heilung
jedes einzelnen Kranken, ſo wie die Entdeckung allgemeiner
praktiſcher Regeln mit deſto mehr Eifer zu verfolgen.
§ 532.
[163]Bildung des Arztes.
§ 532.
Durch dieſe Eigenſchaft wird er auch in den Stand ge-
ſetzt, die Krankheiten viel ſicherer und leichter zu heilen:
der wohlthaͤtige Einfluß eines humanen und gebildeten Arz-
tes auf das Gemuͤth ſeines Kranken iſt in vielen Faͤllen al-
lein hinreichend, die ganze Krankheit zu heben, in andern
Faͤllen unterſtuͤtzt er zum wenigſten die Heilung.
§ 533.
Auf der andern Seite erhebt die Humanitaͤt den Arzt
zu dem wohlthaͤtigen Gefuͤhle eigener Selbſtſtaͤndigkeit, wel-
ches ihn bey den Vorurtheilen des großen Haufens gegen
die Heilkunſt und die Aerzte aufrecht erhalten muß.
§ 534.
Ganz beſonders wichtig iſt dem Arzte die Menſchen-
kenntniß, und dadurch auch die Kenntniß ſeiner ſelbſt.
Nach ſeinen Anlagen und Kraͤften kennt er den Menſchen
aus den Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt, aber es koͤmmt
nun auch darauf an, ihn in den Modificationen dieſer An-
lagen kennen zu lernen, ihn in ſeinen buͤrgerlichen Verhaͤlt-
niſſen, in der Art, ſeine Neigungen, Gefuͤhle oder Gedan-
ken zu offenbaren oder zu verdecken ꝛc. zu beobachten. Denn
dieſe Kenntniß des Charakters iſt ein weſentliches Erfordee-
niß zur Heilung eines jeden Krankheitsfalles.
§ 535.
Die Menſchenkenntniß lehrt ihn Klugheit, d. h.
die Fertigkeit in Ergreifung der ſchicklichſten Maaßregeln,
um die Geſinnungen und den Willen der Menſchen nach
ſeinem Zwecke zu beſtimmen. Man belegt ſie mit dem Na-
L 2men
[164]Dritter Theil.
men des ſçavoir faire, und traͤgt ihre Grundſaͤtze in der me-
die iniſchen Politik oder Klugheitslehre vor.
- a Caſtro medicus politicus. Hamb. 614. 4.
- Gruner de fortuna et prudentia medica. Jen. 726. 4.
- Udens mediciniſche Politik. Leipz. 783. 8.
- Starkens Verſuch einer wahren und falſchen Politik der
Aerzte. Jena, 784. 8. - Vogels allgemeine Bemerkungen uͤber das ſçavoir faire, in
der mediciniſchen Praxis. (In Hufelands Journal 1. Band.
S. 295.
§ 536.
So lange dieſe Klugheitslehre nur fuͤr ſich beſteht, und
alſo ſich nur auf den eigenen Zweck des Arztes, Befoͤrde-
rung ſeines individuellen Wohlſeyns, bezieht, ſo iſt ſie ſo
verderblich und veraͤchtlich, als ihre erſten Bearbeiter, die
Sophiſten. Wird ſie aber von der Humanitaͤt geleitet,
und hat ſie von dieſer die Richtung auf Erreichung eines,
die Menſchheit intereſſirenden Zweckes durch Ergreifung der
paſſendſten Mittel erhalten: ſo kann ſie der Moralitaͤt keinen
Eintrag thun, und ſie macht dann ein beſonderes Beduͤrfniß
des Arztes aus.
§ 537.
Sie lehrt ihn naͤmlich, wie er ſich gegen jeden einzelnen
Menſchen betragen muͤſſe, um ſich in den vollkommenen Be-
ſitz ſeines Zutrauens zu ſetzen, wie er die Delikateſſe ſchonen,
unſchaͤdliche Schwachheiten dulden, eingewurzelte Vorur-
theile allmaͤlig ausrotten, Geſchlecht, Alter, Stand, Ver-
moͤgen, Lebensart beruͤckſichtigen muͤſſe ꝛc. Hat er aber
einmal das Zutrauen ſeines Kranken gewonnen: ſo iſt er da-
durch auch ſeinem Ziele ſchon um ein Betraͤchtliches naͤher
geruͤckt, und die Heilung iſt ihm erleichtert worden.
§ 538.
[165]Bildung des Arztes.
§ 538.
Sie unterſtuͤtzt den Arzt bey Unterſuchung der verwik-
keltſten Krankheitsfaͤlle, hilft ihm die verborgenſten Urſachen
entdecken, ja ſogar dem Kranken, welcher ſie abſichtlich
verhehlen will, ſie unvermerkt ablocken: mit einem Worte,
durch ſie allein wird man in den Stand geſetzt, ſich ein
vollſtaͤndiges Bild vieler Krankheitsfaͤlle zu entwerfen, wel-
ches die erſte Bedingung einer rationellen Heilung abgiebt.
§ 539.
Endlich giebt ſie ihm auch die ſchicklichſten Mittel an
die Hand, welche die Heilung unmittelbar unterſtuͤtzen, ſie
lehrt ihn, die beſte Art, den ſchicklichſten Zeitpunct, die
Heilmittel bey jeden einzelnen Menſchen anzuwenden, und
ihre Wuͤrkung zu unterſtuͤtzen; ſie zeigt ihm, wie er den
Kranken Zutrauen zu dieſen Arzneymitteln nicht nur einfloͤßen,
ſondern auch auf die Laͤnge erhalten koͤnne; wie er ihren
Launen bald nachgeben, bald ſich ihnen ernſthafter wider-
ſetzen, ihre Vorurtheile bald mehr, bald weniger deutlich
hekaͤmpfen muͤſſe ꝛc.
§ 540.
So gewaͤhrt alſo die Klugheit dem Arzte ſichere Mittel,
zu Heilung der Kranken, welche ihm weder Scharfſinn,
noch Gelehrſamkeit, noch auch Erfahrung mittheilen koͤnnen,
und man ſieht daher ein, wie ſehr der Arzt derauf bedacht
ſeyn muß, ſich Menſchenkenntniß zu ſammeln, und ſich da-
durch in den Beſitz einer ſogenannten Politik zu ſetzen.
§ 541.
Dann lehrt ſie den Arzt auch, die wichtige ihn adelnde
Kunſt, in allen Verhaͤltniſſen der Geſellſchaft, und in dem
L 3Nach-
[166]Dritter Theil.
Nachgeben gegen alle ihre willkuͤhrlichen Einrichtungen,
ſeine Freyheit behaupten; ſie lehrt ihn die wahre Liberalitaͤt,
ſchuͤtzt ihn vor dem poͤbelhaften Hochmuthe gegen Niedere,
und vor dem Kriechen bey Hoͤhern, und iſt die einzige
Richtſchnur ſeines Verhaltens, um ſeine Wuͤrde in jedem
Falle zu behaupten.
- Carl, decorum medici. Budingen, 719. 8.
§ 542.
Um aber bloß ſein Gluͤck zu machen, bedarf der Arzt
dieſer aͤchten Bildung ganz und gar nicht. Hier unterſtuͤtzt
ihm nur ein gewiſſer Grad von Klugheit, mit deren Huͤlfe
er die ſchwache Seite eines Jeden entdeckt, um ihr zu
ſchmeicheln; denn er weiß, daß der, welcher das Stecken-
pferd des Publikums liebkoſet, allgemein beliebt iſt. Dieſe
Klugheit kann ihren Beſitzer bey dem großen ungebildeten
Haufen geachtet, und daher auch reich und beruͤhmt machen;
allein ſie ſcheitert bey dem gebildeten Theile des Publikums.
Daher iſt ein bloß kluger Arzt nur ein Localgeſchoͤpf, an
ſeinen Boden und an ſeines Gleichen geheftet; der Arzt aber,
welcher Humanitaͤt mit Klugheit verbindet, iſt der allge-
meine Menſch: nicht ſein unreines Ich, ſondern die Stim-
me der Humanitaͤt in ihm beherrſcht die Welt.
§ 543.
Klugheit laͤßt ſich freylich nicht lehren und Humanitaͤt
nicht gebieten; auf die Wege aber, welche dahin fuͤhren,
kann man wohl aufmerkſam machen. Aufmerkſame Beob-
achtung der Menſchen, mit welchen man umgeht, iſt der
einzige Weg zur Klugheit zu gelangen, welchen man
auch ſchon ſo fruͤh als moͤglich einſchlagen muß.
§ 544.
[167]Bildung des Arztes.
§ 544.
Hierzu genuͤgt eigentlich ein maͤßiger Kreis von Men-
ſchen, weil ihre Denk- und Handlungsweiſe im Ganzen viel
Uebereinſtimmendes hat; allein theils um ſich hiervon zu
uͤberzeugen, theils um einen aͤußern Stoß zu bekommen,
welcher zur Erforſchung des Menſchen antreibt, iſt die
Wahrnehmung einer großen Menge von Menſchen vortheil-
haft. Daher iſt es beſſer, wenn der Arzt in großen Staͤd-
ten ſtudirt, wo er Menſchen von allen Nationen und Klaſ-
ſen, Vermoͤgensumſtaͤnden, Beſchaͤftigungen ꝛc. beobachten
kann, oder wenn er Reiſen macht. Doch bleibt dies immer
nur die aͤußere Gelegenheit, Erfahrungen zu ſammeln, und
man kann die ganze Welt durchreiſet ſeyn, ohne halb ſoviel
vom Menſchen zu wiſſen, als der aufmerkſame Beobachter,
welcher nie das [Gebiet] eines kleinen Staͤdtchens uͤberſchritt.
§ 545.
Humanitaͤt iſt die Frucht der Ausbildung des morali-
ſchen Weſens im Menſchen, und wahre Aufklaͤrung durch
Philoſophie verleiht ihr Nahrung und Kraft.
§ 546.
Dadurch, daß der Arzt Theilnahme an dem Schick-
ſale des Kranken beſitzt, wird er zu Anſtrengung aller ſeiner
Kraͤfte, um ihn zu heilen, ohne Ruͤckſicht auf Belohnung,
aufgefordert, und durch Aeußerung dieſer Theilnahme ge-
winut er das Zutrauen des Kranken, welches die erſte, ja
oft die einzige Bedingung zum gluͤcklichen Erfolge der aͤrzt-
lichen Bemuͤh[u]ngen ausmacht.
Leidenſchaftloſigkeit und Ruhe des Geiſtes iſt
eine eben ſo noͤthige Eigenſchaft des Arztes, weil er ohne
L 4die-
[168]Dritter Theil.
dieſelbe kein richtiges und lauteres Urtheil faͤllen kann, da
doch hiervon das Wohl ſeiner Kranken abhaͤngt. Er muß
Stetigkeit in ſeinem Charalter und Feſtigkeit in ſeinen
Grundſaͤtzen ſich zu eigen machen, um unbefangen urtheilen
und den angelegten Plan mit feſtem Schritte verfolgen zu
koͤnnen, er muß muthig ſeyn, ohne in Verwegenheit auszu-
arten.
§ 547.
Erſtlich muß ſich dieſe Geiſtesruhe des Arztes auf ſei-
nen eigenen Zuſtand beziehen. Er muß zufrieden und ge-
nuͤgſam leben und weder muͤrriſch, noch jaͤhzornig ſeyn.
§ 548.
Sodann darf er gegen den Kranken, was ſich von
ſelbſt verſteht, weder eingenommen, und einer etwa zuge-
fuͤgten Beleidigung eingedenk ſeyn, noch auch zu viel Mit-
leiden fuͤr ihn empfinden; denn auch dieſe zu ſtarke Theil-
nahme ſtoͤrt als Leidenſchaft die Unbefangenheit der Urtheils-
kraft; weckt bald zu viel Furcht, bald zu viel Hoffnung in
ihm, und laͤßt ihn daher immer den rechten Geſichtspunct
verfehlen. Deshalb darf er auch diejenigen nicht behandeln,
welche zu nahe mit ihm verbunden ſind.
§ 549.
Endlich darf er aber auch keiner Leidenſchaft gegen an-
dere Aerzte ſich ſchuldig machen, noch ſich ſoweit erniedri-
gen, daß er ſie verdaͤchtig macht, oder der Anwendung von
Mitteln, welche ſie empfohlen haben, aus Halsſtarrigkeit
und Mißgunſt ſich widerſetzt, oder bey Berathſchlagungen
ſich in perſoͤnliche Streitigkeiten einlaͤßt.
§ 550.
[169]Bildung des Arztes.
§ 550.
Dieſe Geiſtesruhe beruht auf einer gewiſſen Staͤrke der
Seele, welche man ſich durch ernſtes Beſtreben erwerben
kann. Unterſtuͤtzt wird ſie aber beſonders durch koͤrperliche
und geiſtige Maͤßigkeit; gewoͤhnt ſich der Arzt an dieſelbe,
ſo wird er weder durch den Genuß hitzig, noch durch Er-
ſchoͤpfung muͤrriſch werden.
§ 551.
Er muß ferner Gemeinſinn beſitzen, und von allem
groben Egoismus frey ſeyn. Denn wenn irgend jemand
dem Wohle des gemeinen Weſens Aufopferung bringen, und
Uneigennuͤtzigkeit zeigen muß, ſo iſt es der Arzt, welcher
ſeinen Namen mit Ehren tragen will. Er muß Vorurtheile
bekaͤmpfen und Vorſchlaͤge zur Befoͤrderung des allgemei-
nen Wohls thun, und ihre Ausfuͤhrung, ſo viel es ſeine
buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe geſtatten, ſelbſt unterſtuͤtzen.
§ 552.
Sanftheit und Geduld muͤſſen ihn ferner cha-
rakteriſiren, weil jeder Leidende derſelben bedarf, und man
mit ihrer Huͤlfe, den Zweck dieſe Leiden zu mindern, viel
eher und vollkommner erreicht *).
§ 553.
Dieſe Geduld des Arztes darf keinesweges in eine ſkla-
viſche Unterwuͤrfigkeit ausarten, welche er aͤußert, um ſich
bey dem Kranken beliebt zu machen, ſondern ſie darf nur ſo
weit gehen, als es die Pflicht des Arztes, Heilung zu be-
wuͤrken, heiſcht, und darf ſich daher nur auf das beziehen,
L 5was
[170]Dritter Theil.
was im Stande iſt, die Heilung zu befoͤrdern. Nur zu oft
koͤmmt er in die Verſuchung, die Kranken zu verlaſſen, wo
ihre Launen, Vorwitz, Unfolgſamkeit, Mißtrauen, Vor-
urtheile ihm beſchwerlich fallen. Allein ſeiner Pflicht gemaͤß
iſt es, auch hier, ſelbſt mit einiger Aufopferung auszuhar-
ren, um vollen Gebrauch von ſeiner Kunſt zu machen.
§ 554.
Alle dieſe und aͤhnliche Eigenſchaften fließen aus der
Moralitaͤt des Arztes her. Ohne moraliſche Guͤte iſt er
der gefaͤhrlichſte Menſch im Staate, da man ihm Leben und
Geſundheit, oft ſein ganzes buͤrgerliches und haͤusliches
Gluͤck anvertrauen muß.
Vierte Abtheilung.
Wiſſenſchaftliche Bildung.
§ 555.
Die Lehre von der wiſſenſchaftlichen Bildung des Arz-
tes, oder die Methodologie des Studiums der Heilkunſt,
giebt eine Anweiſung, die einzelnen hierher gehoͤrigen Wiſ-
ſenſchaften am zweckmaͤßigſten zu ſtudiren.
§ 556.
Das Lernen iſt aber nur der Anfang des Studiums,
man empfaͤngt dadurch nur den bloßen Stoff: das eigentli-
che Studiren beſteht nicht nur in dieſem leidendlichen Aufneh-
men, ſondern auch in Uebung der hoͤhern Geiſteskraͤfte, in
Entwickelung eigener Ideen in und durch ſich, wozu nur eine
aͤußere Veranlaſſung noͤthig iſt.
§ 557.
[171]Bildung des Arztes.
§ 557.
Die Methodologie bezieht ſich daher nicht auf das bloße
Lernen, und uͤberlaͤßt auch die individuellen, weniger we-
ſentlichen Umſtaͤnde bey dem Studiren, der Wahl eines Je-
den. Sie liefert hingegen, wenn ſie formal iſt, die Geſetze,
nach welchen man uͤberhaupt durch empfangenen Unterricht
Ideen in ſich entwickeln muͤſſe. Als material aber, oder
als bezogen auf einen beſtimmten uͤberlieferten Stoff, kann
ſie nur den Geſichtspunkt aufſtellen, aus welchem man die-
ſen Stoff empfangen muͤſſe, um ihn zu ſeinem hoͤchſten Zwecke
anzuwenden. Letzteres iſt alſo auch das Geſchaͤft der Me-
thodologie der Heilkunſt.
- Lanciſi tractatus de recta medicinae ſtudii ratione inſtituen-
da. Romae 719. 8. - de Gortre methodus dirigendi ſtudium medicum. Harde-
rovici 753. 4. - Kemmens Einleitung in die Medicin uͤberhaupt. Halle
771. 8. - Senfft de methodo diſcendi artem medicam. Wirzeburgi
780. - Vogels kurze Anleitung zum gruͤndlichen Studium der Arz-
neywiſſenſchaft. Stendal 791. 8. - Reyhers Entwurf einer mediciniſchen Encyklopaͤdie und Me-
thodologie. Leipzig 793. 8. - Diezii rudimenta methodologiae medicae. Tubingae 795. 8.
Erſtes Hauptſtuͤck.
Allgemeine Methodologie des Studiums der Heilkunſt.
§ 558.
Zufolge der gewoͤhnlichen Eintheilungen der Wiſſen-
ſchaften in hiſtoriſche und philoſophiſche, iſt die geſammte
Heil-
[172]Drittter Theil.
Heilwiſſenſchaft, ſo wie jeder einzelne Theil derſelben, aus
beyden Gattungen zuſammengeſetzt.
§ 559.
Hiſtoriſch iſt naͤmlich jeder Theil, weil uͤberall Thatſa-
chen mitgetheilt werden, welche bloß das Gedaͤchtniß in An-
ſpruch nehmen; philoſophiſch aber, weil keine Thatſache,
keine Erſcheinung vorgetragen wird, wo man nicht auf den
urfachlichen Zuſammenhang derſelben unter ſich, und mit
andern, Ruͤckſicht naͤhme, wo alſo nicht auch das hoͤhere
Geiſtesvermoͤgen thaͤtig ſeyn muͤßte.
§ 560.
Man gehe alſo zum Studium eines jeden Zweiges der
Heilkunſt mit dem Gedanken, daß man nicht nur Thatſachen
zu erlernen, ſandern auch durch Anſtrengung ſeiner Geiſtes-
kraͤfte tiefer in ihr Weſen einzudringen, und die Grundſaͤtze der-
ſelben in ſich zu entwickeln habe. Deshalb muß man fruͤh darauf
bedacht ſeyn, dem Gange ſeines Geiſtes die gehoͤrige Rich-
tung zu geben.
§ 561.
So wie bey dem Eintritte in das Gebiet irgend einer
Wiſſenſchaft keine Methode vortheilhafter iſt, als die ſyn-
thetiſche, ſo iſt ſie auch bey dem erſten Studium der Heil-
kunſt die zweckmaͤßigſte. Man erlangt naͤmlich durch Auf-
ſtellung bewieſener und eroͤrterter Lehrſaͤtze, zuerſt eine Ue-
berſicht uͤber den geſammten Inhalt der Wiſſenſchaft, und
man kann hierauf mit Huͤlfe der analytiſchen Methode jene
Begriffe einer naͤhern Zergliederung unterwerfen, und von
den einzelnen, den Sinnen gegebenen Thatſachen ſich zu den
oberſten Principien erheben.
§. 562.
[173]Bildung des Arztes.
§ 562.
Die Geſetze unſres Erkenntnißvermoͤgens muͤſſen genau
erforſcht werden, ehe man zu irgend einer vollſtaͤndigen phi-
loſophiſchen Erkenntniß gelangen will, und daher wird die
Elementarphiloſophie jenes Vermoͤgens mit Recht Propaͤ-
deutik jedes wiſſenſchaftlichen Studiums genennt. Um aber
dieſe Geſetze genau zu befolgen, und ſich derſelben bey jedem
Acte des Erkenntnißvermoͤgens hinreichend bewußt zu ſeyn,
dazu wird eine gewiſſe Uebung des Geiſtes erfordert: denn
nur durch Uebung werden alle unſere Kraͤfte theils entwickelt,
theils vervollkommt.
§ 563.
Die Methode des Studirens uͤberhaupt, wird deshalb
auch am beſten durch Uebung im Studiren erlernt. Wer
ſich daher wiſſenſchaftliche Kenntniſſe irgend einer Art, wenn
ſie auch nicht im geringſten Bezuge auf die Heilkunſt ſtehen,
erworben hat, iſt dadurch geſchickter, die Heilkunſt zu erler-
neu; und das Studiren auf Schulen iſt die beſte Vorberei-
tung dazu, geſetzt auch, daß die dadurch erlangten Kennt-
niſſe keine [unmittelbare] Anwendung mehr finden. Wer hin-
gegen ein Handwerk oder eine Kunſt bisher handwerksmaͤßig
getrieben hat, und nun die Heilkunſt ſtudiren will, erreicht
entweder nie ſeinen Zweck, oder wenn er noch auf den rech-
ten Weg geleitet wird, ſo hat er doch mit unendlich mehr
Schwierigkeiten zu kaͤmpfen.
§ 564.
Den akademiſchen Unterricht ſehe man fuͤr das an, was
er wuͤrklich iſt, naͤmlich fuͤr eine bloße Anleitung zum Stu-
diren, fuͤr ein Mittel, um den rechten Weg zu Beobachtung
der Natur und zu Entdeckung der Wahrheit zu finden.
§ 565.
[174]Dritter Theil.
§ 565.
Er hat beſonders den Vorzug vor dem Privatſtudium
1) daß bey dem Vortrage der eigentlich hiſtoriſchen Theile
der Heilkunſt die Koͤrper ſelbſt vorgezeigt werden, von wel-
chen man durch Abbildungen oder Beſchreibungen in Buͤchern,
nur unvollſtaͤndige Begriffe bekoͤmmt, z. B. in der Naturge-
ſchichte, Anatomie, Chemie, Pharmacie. Bey dieſen Vor-
leſungen alſo, wo der Vortrag des Lehrers wenig Eigen-
thuͤmliches haben kann, ſey man beſonders darauf bedacht,
die Kenntniß jener Koͤrper nach der Beſchreibung des Leh-
rers ſeinem Gedaͤchtniſſe vollſtaͤndig einzupraͤgen. Man
muß ſich alſo auf eine jede Vorleſung gehoͤrig vorbereiten,
damit die Aufmerkſamkeit mehr geſpannt wird, und man
ſchon im voraus weiß, worauf man zu ſehen hat; und ſo-
dann muß man das Vorgetragene mit Huͤlfe der beſten
Schriftſteller, Abbildungen ꝛc. wiederholen. Nachſchreiben
iſt hier meiſtentheils zwecklos, oft zweckwidrig.
§ 566.
2) Man empfaͤngt bey den eigentlich philoſophiſchen
Theilen der Heilkunſt, die eigenthuͤmlichen Ideen des Leh-
rers, welche man noch in keinen Buͤchern, oder doch nicht
ſo deutlich entwickelt findet. Man ſuche hier dem Gedaͤcht-
niſſe [durch] Nachſchreiben zu Huͤlfe zu kommen.
§ 567.
3) Man lernt die wiſſenſchaftlichen Gegenſtaͤnde in einer
ſo freyen Ausfuͤhrung, und daher mir ſo viel Deutlichkeit
kennen, wie man ſelten in Schriften findet. Denn dieſe
ſind meiſtentheils entweder ſo, daß ſie noch einer weitlaͤufi-
gern muͤndlichen Entwickelung der einzelnen Saͤtze beduͤrfen
(Hand-
[175]Bildung des Arztes.
(Handbuͤcher), oder ſie ſind fuͤr eine groͤßere Klaſſe des Pu-
blikums, alſo auch fuͤr die, welche mit den Wiſſenſ[ch]aften
ſchon bekannt ſind, beſtimmt, und daher weniger deutlich.
Man vergeſſe daher nicht bey dem Nachſchreiben den Faden
des Vortrags zu behalten, man vernachlaͤſſige uͤber dem
Auffaſſen des Einzelnen nicht das Ganze in ſeinem Zuſam-
menhange.
§ 568.
4. Man wird mit den neuſten Bereicherungen der Wiſ-
ſenſchaften bekannt gemacht. Man ſuche nachdem hierinne
durch die Lektuͤre periodiſcher und anderer neuer Schriften
uͤber die ſchon bekannten Gegenſtaͤnde, auch fuͤr ſich fortzu-
ſchreiten.
§ 569.
5) Man hoͤrt die Beurtheilung fremder Ideen weitlaͤu-
figer und deutlicher, als man ſie in Schriften findet. Dieſe
Urtheile benutze man, nicht, um ihre Reſultate dem Gedaͤcht-
niſſe einzupraͤgen, ſondern als Muſter zu gruͤndlicher Unter-
ſuchung vorgetragener Meynungen, als Leitfaden zur Erfor-
ſchung der Wahrheit. Man nehme daher auch keinen Satz
des Lehrers, welcher nicht unmittelbar auf einer ausge-
machten Thatſache beruht, unbezweifelt an, ſondern man
forſche mit eigenen Kraͤften nach deſſen Wahrheit, und uͤbe
ſich ferner in dieſer Beurtheilung durch eine geordnete Lek-
tuͤre anderer Schriften, an welcher die Urtheilskraft den
meiſten Antheil nimmt. Demungeachtet unterdruͤcke man
das Mißtrauen gegen ſeine Kraͤfte nicht ganz, und verſcherze
nicht die groͤßte Zierde des Gelehrten, die Beſcheidenheit.
§ 570.
6) Endlich beſteht ein wichtiger Vortheil des oͤffentli-
chen Unterrichtes darinne, daß man dabey taͤglich ein gewiſ-
ſes
[176]Dritter Theil.
ſes gleichfoͤrmiges Maas von Ideen empfaͤngt, und da-
durch mit dem ganzen Umfange der Heilkunſt ganz allmaͤh-
lig bekannt wird, dahingegen man bey dem Privatſtudium
wegen des geſchwinden Faſſens die Gegenſtaͤnde zu eilig
verlaͤßt, und weder dem Gedaͤchtniſſe, noch der Urtheilskraft
die gehoͤrige Zeit laͤßt, dieſen Stoff zu verarbeiten. — Man
verhuͤte aus derſelben Urſache alle Luͤcken im Beſuchen der
Vorleſungen, und halte ſich daher auch in dieſer Ruͤckſicht
Manuſcripte.
§ 571.
Eher noch koͤnnen die Nebenwiſſenſchaften der Heilkunſt
durch das Privatſtudium erlernt werden, weil hier nicht ſo-
wohl neue Ideen vorgetragen, als vielmehr die ſchon be-
kannten neu geordnet, und auf einen anderen beſtimmten
Zweck bezogen werden.
§ 572.
In jedem Fache macht man groͤßere Fortſchritte, ſobald
man ſich fuͤr daſſelbe intereſſirt. Man ſuche alſo bey dem
Studium einer jeden einzelnen Wiſſenſchaft der Heilkunſt der-
ſelben Geſchmack abzugewinnen, und da wir dieſen Zweck
dadurch erreichen, daß wir unſere Kraͤfte an den Gegenſtaͤn-
den der Wiſſenſchaften ſelbſt uͤben, ſo unterſuche man ſelbſt
das was man kennen gelernt hat: man lege z. B. naturhiſto-
riſche, anatomiſche, pharmaceutiſche Sammlungen an, man
zergliedre Pflanzen und Mineralien, thieriſche und menſch-
liche Koͤrper, man ſtelle chemiſche Unterſuchungen an, man
nehme Verſuche uͤber phyſiologiſche Gegenſtaͤnde vor, man
ſuche bey ſeiner Lektuͤre und bey andern Gelegenheiten eigne
Reſultate zu finden, oder uͤber die bekannten Wahrheiten
Gewißheit zu erlangen, man benutze fruͤhzeitig die Gelegen-
heit, Kranke zu beobachten ꝛc.
§ 573.
[177]Bildung des Arztes.
§ 573.
Hierbey vernachlaͤſſige man aber nie ſeinen eigentlichen
Zweck, und verwende nicht auf Koſten des Hauptſtudiums
zu viel Zeit und Aufmerkſamkeit auf die Mittel deſſelben. Je
naͤher daher eine Wiſſenſchaft mit der eigentlichen Heilkunſt
zuſammen haͤngt, um deſto mehr Fleiß muß man darauf
verwenden.
§ 574.
Iſt man gehoͤrig vorbereitet zum Studium einer Wiſ-
ſenſchaft geſchritten, hat man alſo die Vorleſungen uͤber die-
ſelbe in der rechten Ordnung und mit den noͤthigen Vor-
kenntniſſen gehoͤrt (woruͤber die Encyklopaͤdie Belehrung er-
theilt), und ſie uͤbrigens gehoͤrig ſtudirt, ſo reicht einmali-
ges Hoͤren dieſer Vorleſungen hin. Hat man aber eine Wiſ-
ſenſchaft nicht zu gehoͤriger Zeit oder nicht in der gehoͤrigen
Ordnung ſtudirt, oder nicht die erforderlichen Vorkenntniſſe
gehabt, oder ſonſt nicht den gehoͤrigen Fleiß darauf verwen-
det, ſo bleiben viele Gegenſtaͤnde noch zu ſehr im Dunkel,
man kann ſich wegen Mangel an deutlichen Begriffen, durch
Privatſtudium nicht ſo leicht nachhelfen, und man iſt genoͤ-
thigt, dieſe Vorleſungen noch einmal zu hoͤren.
§ 575.
Geſellſchaftliche Disputationsuͤbungen geben Gewinn
fuͤr die Schnelligkeit der Beurtheilung, und fuͤr die Fertig-
keit des Ausdrucks, weniger fuͤr die Vervollkommung der
Kenntniſſe, am wenigſten fuͤr Befoͤrderung der Beſcheidenheit
und der Humanitaͤt. Wiſſenſchaftliche Unterhaltungen, wo
es weniger darauf ankommt, das letzte Wort zu behalten,
geben gleich reichen Gewinn in allen jenen Ruͤckſichten.
M§ 576.
[178]Dritter Theil.
§ 576.
Was die Lektuͤre des ſtudirenden Arztes anlangt, ſo
muß er zuerſt das Handbuch, uͤber welches er Vorleſungen
hoͤrt, vollkommen ſtudiren, dabey aber auch immer in einem
andern weitlaͤuftigern Werke, welches die ganze Wiſſenſchaft
umfaßt, nachleſen.
§ 577.
Monographien, oder Abhandlungen uͤber einzelne Gegen-
ſtaͤnde lieſet man am vortheilhafteſten, wenn man ſchon das
ganze Gebiet der Heilkunſt uͤberſieht. Daher muß man be-
ſonders in den letztern Jahren des akademiſchen Lebens mit
dieſer Lektuͤre anfangen, welche man das ganze Leben hin-
durch fortſetzt, weil der akademiſche Unterricht nur das Fach-
werk abgiebt, in welches ein Jeder noch eigen erworbene
Kenntniſſe eintragen muß.
§ 578.
Zu derſelben Zeit wird auch die Lektuͤre der periodiſchen
Schriften erſt vollkommen nuͤtzlich, mit welcher man eben-
falls fortfahren muß, um nie hinter ſeinem Zeitalter zuruͤck-
zubleibeu, ſondern alle neue Kenntniſſe deſſelben ſich auch er-
werben zu koͤnnen.
§ 579.
Kurze Excerpte aus den Monographieen, und eigne
Aufſaͤtze uͤber dieſelben, ſind beſondere Huͤlfsmittel der Auf-
merkſamkeit ſowohl und des Gedaͤchtniſſes, als der richtigen
und deutlichen Beurtheilung.
Zwey-
[179]Bildung des Arztes.
Zweytes Hauptſtuͤck.
Specielle Methodologie des Studiums der Heilkunſt.
Erſter Abſchnitt.
Vorbereitungswiſſenſchaft.
Dasjenige Studium, welches der Erlernung der Heil-
kunſt nothwendig vorhergehen muß, ohne jedoch einen Theil
derſelben auszumachen, und ohne Data zu uͤberliefern,
Kenntniſſe beyzubringen, welche mittelbar oder unmittelbar
reale Huͤlfsmittel derſelben werden koͤnnten, nennen wir das
vorbereitende Studium der Kunſt.
Aus dieſer Beſtimmung erkennt man ſchon hinreichend,
daß die Philoſophie die Vorbereitungswiſſenſchaft der Heil-
kunſt iſt, ſo wie ſie uͤberhaupt die Vorbereitung zu allen
uͤbrigen Bemuͤhungen des menſchlichen Geiſtes abgiebt.
Die Philoſophie iſt die Wiſſenſchaft der geiſtigen Natur
des Menſchen, in ſofern Wahrheit, Schoͤnheit und morali-
ſche Vollkommenheit ihren Zweck ausmachen, und eine Ent-
wickelung der Geſetze, durch deren Befolgung ſie dieſen Zweck
erreicht. (Sie iſt alſo nicht die Darſtellung der geiſtigen
Erſcheinungen im Menſchen, und der Geſetze, nach welchen
dieſelben erfolgen, denn ſonſt waͤre ſie eine Naturwiſſen-
ſchaft, eine Summe von Erfahrungen.) Dadurch iſt ſie
M 2nun
[180]Dritter Theil.
nun einzig und allein das gemeinſchaftliche Eigenthum aller
Zweige der Wiſſenſchaften, und ohne ſie giebt es gar keine
Wiſſenſchaft, ſondern nur Bruchſtuͤcke derſelben.
Die Heilkunſt kann in ihrem Umfange nur durch moͤg-
lichſt vollkommne Menſchen realiſirt werden, denn ſie ſucht
durch eine verhaͤltnißmaͤßige Modification ſaͤmmtlicher (nicht
nur der koͤrperlichen, ſondern auch der geiſtigen) Kraͤfte des
Menſchen, einen beſtimmten Zweck, (die Geneſung) zu er-
reichen: zu einer ſolchen zweckmaͤßigen Veraͤnderung einer
Kraft reicht aber eine ihr untergeordnete Kraft nicht hin. Es
wird hierzu im Gegentheile die moͤglichſte Vollkommenheit
erfordert, welche man dadurch erreicht, daß man von der
Philoſophie Belehrung uͤber ſeinen Zweck, Begruͤndung von
Weisheit und Tugend, Harmonie aller ſeiner Anlagen, und
durch dieß alles aͤchte Aufklaͤrung erhaͤlt.
Was die Heilkunſt als Wiſſenſchaft anlangt, ſo be-
ſtimmt die Philoſophie die Moͤglichkeit derſelben, ſie pruͤft
und laͤutert ihre Erkenntnißquellen, und leitet aus den all-
gemeinen Geſetzen des Denkens und Erkennens Grundſaͤtze
ab, welche die mediciniſche Erfahrung oder die Einſicht in
die Erſcheinungen am Menſchen, welche auf Heilung Bezug
haben, ihrem Cauſſalzuſammenhange nach, begruͤnden.
Sie verweiſet die Heilkunſt, ohne ihr Hypotheſen des
Ueberſinnlichen zu erlauben, lediglich an die erkennbaren
Erſcheinungen unſers Weſens, lehrt die allgemeinen Geſetze
auffinden, nach welchen dieſelben erfolgen, ordnet ſie, und
ſtellt
[181]Bildung des Arztes.
ſtellt badurch die Heilkunſt in die Reihe der Wiſſenſchaften
(§ 42).
Endlich gewaͤhrt ihr Studium Schaͤrfe des Urtheils,
Buͤndigkeit der Folgerung, und uͤberhaupt Vollkommenheit
im Denken: Eigenſchaften, ohne welche die Heilkunſt uͤber-
haupt nie vollkommen realiſirt werden kann.
Auf dieſe Art bildet die Philoſophie die Heilkunſt, giebt
ihr aber keinen Stoff an die Hand, denn ſie betrachtet die
geiſtige Natur des Menſchen immer nur nach dem in ihr ent-
haltenen Grunde fuͤr eine ſich gleich bleibende nothwendige
Form ihrer Thaͤtigkeit, und nach dem Zwecke dieſer Thaͤ-
tigkeit.
Die Heilkunſt hingegen unterſucht zwar auch die geiſtige
Natur des Menſchen, aber nicht nach dem Grunde oder dem
Zwecke ihrer Thaͤtigkeit, ſondern uͤberhaupt nach ihren Aeuſ-
ſerungen, wie dieſelben durch die Erfahrung erkannt werden,
und bedient ſich dieſer Beobachtung zufolge, entweder der
geiſtigen Vermoͤgen ſelbſt, oder der Wuͤrkung auf dieſelben
nach ihrem beſtimmten Zwecke.
Die Geſchichte belehrt uns daher, daß in demſelben
Grade, als die Philoſophie von ihrem urſpruͤnglichen Zwecke
abwich, ſich in metaphyſiſchen Spitzfuͤndigkeiten und blin-
dem Dogmatismus verlor, auch die Heilkunſt von der Stufe,
welche ſie erreicht hatte, herab ſank. Und wenn dieſelbe in
unſrem Zeitalter ſich ihrer moͤglichen Vollkommenheit mehr
naͤhert, ſo hat ſie dies einzig und allein dem Lichte der Phi-
M 3loſophie
[182]Dritter Theil.
loſophie zu danken, welches jetzt reiner iſt, und ſeine Strah-
len weiter wirft, als vordem.
Aber auch das edelſte Geſchenk, welches das Menſchen-
geſchlecht aufweiſen kann, iſt eines Mißbrauches faͤhig, und
die Benutzung der Philoſophie in der Heilkunſt kann in Af-
terweisheit ausarten.
Dies geſchieht, wenn die Philoſophie nicht nur als
bloße Fuͤhrerin, ſondern auch als Lehrerin der Heilkunſt
betrachtet wird. Man zwaͤngt dann Beobachtungen
in irgend ein philoſophiſches Syſtem, bringt Meta-
phyſik in eine Erfahrungswiſſenſchaft, fuͤllt die unausbleib-
lichen Luͤcken durch Kunſtwoͤrter der Schule, und hoͤrt auf,
die Mediciu philoſophiſch zu bearbeiten, ſondern bearbeitet
die Philoſophie mediciniſch.
Dadurch ſtoͤrt man den philoſophiſchen Gang medici-
niſcher Unterſuchungen, welcher unſre Ideen aufhellt, und
allein die Heilkunſt vervollkommt; und man giebt uns dafuͤr
philoſophiſche Kenntniſſe, welche ſeit jeher die Freyheit
der Unterſuchungen einſchraͤnkten, ihre Maͤngel durch Wort-
gepraͤnge verbargen, und durch den eitlen Wahn, die hoͤchſte
Vollkommenheit ſchon errungen zu haben, den Fortgang der
Wiſſenſchaft hinderten.
Zwey-
[183]Bildung des Arztes.
Zweyter Abſchnitt.
Huͤlfswiſſenſchaften.
Huͤlfswiſſenſchaften der Heilkunſt ſind diejenigen Wiſ-
ſenſchaften, welche man fruͤher als dieſe ſtudiren muß, und
deren Inhalt die Erlernung und Ausuͤbung derſelben unter-
ſtuͤtzt, ohne jedoch mit der Heilkunſt ſelbſt in unmittelbarer
Verbindung zu ſtehn.
- Joubert de praeſidiis futuri excellentis medici. Genev.
580. 4. - Köhler de perficienda re medica, maxime per momenta
aliqua, ad medicinam elegantiorem ſpectantia. Tubing.
795. 4.
Sprachkunde.
Die Nothwendigkeit der Sprachkenntniſſe fuͤr den Arzt,
ergiebt ſich am deutlichſten aus den verſchiedenen Ruͤckſich-
ten, in welchen er ſich derſelben bedient *).
I. Die Sprachkenntniſſe werden benutzt, um gewiſſe
Begriffe in den Wiſſenſchaften durch fremde Woͤrter fuͤr die
Gelehrten verſtaͤndlicher, leichter und kuͤrzer auszudruͤcken;
M 4der
[184]Dritter Theil.
der Arzt braucht hier nur ſoviel von den hierzu gebraͤuchlichen
Sprachen zu kennen, um den Grund dieſer Benennungen
einzuſehen, oder um dieſe Kunſtausdruͤcke gehoͤrig zu verſte-
hen und richtig zu gebrauchen.
Man erleichtert ſich daher das Studium der hiſtoriſchen
Wiſſenſchaften der Heilkunſt außerordentlich durch genaue
Kenntniß der Terminologie, ihrer Bedeutung und Ableitung
nach, und bey Erlernung der Anatomie, Chemie ꝛc. findet
man weit weniger Schwierigkeiten, wenn man jedes Kunſt-
wort hinreichend verſteht. Diejenigen, welche mit den
Sprachen ſchon einigermaaßen bekannt ſind, wiſſen ſich hier
leicht nachzuhelfen; die es nicht ſind, muͤſſen mit vieler Muͤ-
he das Stuͤckwerk nachholen, wovon ſie das Ganze vernach-
laͤſſigt haben. Hierzu dienen mediciniſche Woͤrterbuͤcher,
z. B.
- Knackſtaͤds Ertlaͤrung lateiniſcher Woͤrter, welche zur Zer-
gliederungslehre, Phyſiologie, Wundarzneykunſt und Ge-
burtshuͤlfe gehoͤren. 2te Aufl. Erfurt 800. 16 gl.
a) Die Kunſtwoͤrter der todten Sprachen haben das
Vorzuͤgliche, daß erſtlich ihre Begriffe genau beſtimmt und
feſt, alſo auch keines Mißverſtaͤndniſſes faͤhig ſind, da hin-
gegen den Woͤrtern in den lebenden Sprachen durch die Will-
kuͤhr einzelner Maͤnner, oder ganzer Voͤlkerſtaͤmme, oder
verſchiedner Zeitalter, verſchiedne Begriffe untergelegt wer-
den; zweytens verhuͤtet ihr Gebrauch in Etwas, daß die
Layen ſich anmaaſen, Krankheiten heilen zu wollen, da jeder
Ungebildete alle Begriffe zu verſtehen waͤhnt, deren Wortbe-
zeichnung er ausſprechen kann.
§ 598.
[185]Bildung des Arztes.
1. Die lateiniſche Sprache liefert der Heilkunſt die
meiſten Kunſtwoͤrter. Theile und Verrichtungen des menſch-
lichen Koͤrpers, Krankheiten und Heilmittel erhalten ihre
Benennung von ihr, und jede Verordnung des Arztes muß
in derſelben abgefaßt ſeyn. Es iſt alſo eine unnachlaßliche
Bedingung, daß man dieſe Kenntniß ſich vor dem Studium
der Heilkunſt erwirbt.
2. Die griechiſche Sprache iſt vermoͤge ihrer Bieg-
ſamkeit ungemein geſchickt, zu Kunſtausdruͤcken benutzt zu
werden, zumal wo zuſammengeſetzte Begriffe kurz ansge-
gruͤckt werden ſollen. Die deutſche Sprache koͤmmt ihr zwar
an Biegſamkeit gleich, wird aber an Leichtigkeit und Wohl-
klang von ihr uͤbertroffen, und deshalb bleibt die griechiſche
Sprache fuͤr immer ein unentbehrliches Huͤlfsmittel der Heil-
kunſt.
b) Unter den lebenden Sprachen iſt beſonders die-
jenige reich an mediciniſchen Koͤnſtwoͤrtern, in welcher am
ſtuͤheſten bedeutende Schriften uͤber die Heilkunſt erſchienen
ſind. Dies gilt von der franzoͤſiſchen, welche ſchon ſo
ausgebildet war, daß alle wiſſenſchaftliche Werke in ihr ge-
ſchrieben werden konnten, indeſſen andere Nationen ſich zu
gleichem Zwecke noch der todten Sprachen bedienen mußten.
Sodann waren auch die Franzoſen unſere Lehrer in der Chi-
turgie und in der Geburtshuͤlfe, und deshalb haben vorzuͤg-
lich dieſe beyden Kuͤnſte viel franzoͤſiſche Ausdruͤcke. —
Kenntniß der uͤbrigen neuern Sprachen iſt in dieſer Hinſicht
entbehrlicher.
M 5§ 601.
[186]Dritter Theil.
II. Der Arzt kann ſeine Kenntniß fremder Sprachen
benutzen, um Werke, welche in denſelben abgefaßt ſind, zu
leſen. Hierzu gehoͤrt ſchon eine genauere Sprachkenntniß.
Die lateiniſchen und griechiſchen Schriften der alten
Aerzte ſind, zumal, da wir von den meiſten brauchbare Ue-
berſetzungen haben, bey dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der
Kunſt nicht von dem reichen Inhalte, daß ein jeder gute
Praktiker ſie im Originale leſen, und deshalb eine lange
Zeit auf das Studium dieſer Sprachen verwenden muͤßte.
Die Geſchichtsforſcher aber, und der Literator muͤſſen ſie
inne haben; fuͤr dieſe iſt ſogar der Vollſtaͤndigkeit wegen,
wenn ſie die Geſchichte und Literatur der Kunſt im Mittel-
alter bearbeiten, Kenntniß der orientaliſchen, beſonders
der arabiſchen Sprache noͤthig.
Die Gelehrten der verſchiedenen Nationen mußten ehe-
mals, theils wegen Unvollkommenheit ihrer Mutterſprache,
theils wegen Unbekanntſchaft anderer Nationen mit derſel-
ben, ihre Zuflucht zu der lateiniſchen Sprache nehmen: die-
ſe wurde das gemeinſchaftliche Huͤlfsmittel zum Austauſch
ihrer Ideen, das Band der Gelehrtenrepublik. Die groͤßten
Aerzte des Mittelalters, und einige aus den neueſten Jahr-
hunderten ſchrieben lateiniſch.
In den neueſten Zeiten wurden die Sprachen eines jeden
Landes mehr ausgebildet, ſo daß man ſich in ihnen uͤber jeden
Gegen-
[187]Bildung des Arztes.
Gegenſtand hinreichend erklaͤren konnte, und die Scheide-
wand fiel, welche die Nationen von einander getrennt hatte.
Beydes bewuͤrkte, daß auch die Aerzte in ihrer Mutterſpra-
che ſchrieben, in der Ueberzeugung, von ihrer Nation ſo-
wohl, als von andern verſtanden zu werden, da jetzt nicht
mehr allein die Gelehrten, ſondern auch die Voͤlker ſelbſt
unter einander bekannter geworden waren.
Dies macht alſo die Kenntniß, beſonders der franzoͤſi-
ſchen, engliſchen und italieniſchen Sprache noͤthig, zumal
fuͤr den, welcher durch die gewoͤhnlichen Ueberſetzungen nicht
befriedigt, in den Geiſt eines originellen Schriftſtellers ein-
dringen, nicht nur ſeine Gedanken im Allgemeinen, ſondern
ſeinen ganzen Sinn faſſen, und das eigene Vergnuͤgen, wel-
ches die Lectuͤre eines Originals gewaͤhrt, genießen will.
Wer dieſe Nebenabſichten nicht hat, bedarf dieſer
Sprachkenntniſſe in unſerm uͤberſetzenden Zeitalter nicht,
zumal, da die meiſten unſerer Ueberſetzungen aus fremden
Sprachen, vollſtaͤndiger und gehaltvoller ſind, als die Ori-
ginale.
III. Der Arzt bedarf der Sprachen, um ſie zu ſprechen,
und dieſes Beduͤrfniß iſt nach Maaßgabe der individuellen
Verhaͤltniſſe eines Jeden verſchieden. Die Sprachen aber,
welche man ſpricht, muß man ſich vollkommen eigen machen,
um alle moͤgliche Mißverſtaͤudniſſe, welche von ſo großem
Nachtheile fuͤr den Arzt ſowohl, als fuͤr den Kranken ſeyn
koͤnnen, zu verhuͤten.
§ 608.
[188]Dritter Theil.
a. Von den todten Sprachen iſt eine ſolche Kenntniß
der lateiniſchen auf Akademien noͤthig; ſie iſt es ferner, wenn
man im Beyſeyn eines ungelehrten Kranken mit einem an-
dern Arzte ſprechen will, ohne von dem Erſtern verſtanden
zu werden, und um mit Gelehrten anderer Nationen, deren
Sprache man nicht kennt, ſich unterhalten zu koͤnnen.
b. Unter den lebenden Sprachen ſteht die Mutterſprache
eines Jeden obenan. Nur die Vorurtheile eines finſtern
Jahrhunderts konnten ihren Gebrauch herabwuͤrdigen, und
jeder Arzt hat die Pflicht, ſich eine gruͤndliche Kenntniß der-
ſelben zu erwerben, um richtig, deutlich und angenehm ſich
ausdruͤcken zu koͤnnen.
Von den uͤbrigen lebenden Sprachen waͤhle ſich ein Je-
der die, welche in der Gegend ſeines Wohnortes am meiſten
geſprochen werden, oder deren er wegen ſeiner Verbindung
mit andern Nationen am haͤufigſten bedarf.
Beſonders waͤhle man diejenigen Sprachen, deren Ge-
brauch am allgemeinſten iſt. Hierher gehoͤrt beſonders die
franzoͤſiſche, weil dieſe Nation den uͤbrigen an Cultur vor-
eilte. Oft bedarf auch der Arzt nur einzelner franzoͤſiſcher
Ausdruͤcke, um dadurch die Delikateſſe ſeiner Kranken zu
ſchonen. Sodann kann auch die Kenntniß einer ſlavoniſchen
Sprache hierher gerechnet werden, weil man dadurch in den
Stand geſetzt wird, Ruſſen, Pohlen, Boͤhmen, Maͤhren,
Ungarn, Illyrier, Steyermaͤrker zu verſtehen.
§ 612.
[189]Bildung des Arztes.
Nur mit dieſen Kenntniſſen groͤßtentheils ſchon ausge-
ruͤſtet, darf man zum Studium der Heilkunſt ſchreiten;
denn je laͤnger man das Studium der Sprachen aufſchiebt,
deſto ſchwieriger wird dieſe Uebung des Gedaͤchtniſſes, deſto
unangenehmer und trockener wird es, beſonders bey den tod-
ten Sprachen, und deſto koſtbarer wird endlich die Zeit.
Man ſchiebe alſo dieſes Studium ja nicht auf, weil ſeine
Vernachlaͤſſigung ſich nur zu ſehr, und fuͤr die ganze Lebens-
zeit raͤcht.
Hiſtoriſche Wiſſenſchaften.
In ſofern die Heilkunſt nur durch einen gebildeten Mann
realiſirt werden kann, muß der Erlernung derſelben auch
das Studium der Geſchichte und ihrer verſchiedenen Grund-
wiſſenſchaften, beſonders der Geographie und Antiquitaͤten,
vora[u]sgehen.
Denn dieſes Studium befriedigt eine edle Wißbegierde,
bereichert die Erfahrung, berichtigt die Urtheile uͤber die Vor-
faͤlle der Gegenwart, ſchaͤrft die Urtheilskraft, und traͤgt
ganz beſonders zu einer aͤchten Aufklaͤrung bey.
Eben ſo dringend bedarf der Arzt der allgemeinen Welt-
geſchichte, in wiefern er die Geſchichte ſeiner Kunſt ſtudiren
muß. Dieſe wird naͤmlich, da die Ereigniſſe im Gebiete
der Politik und der Wiſſenſchaften ſo nahe mit einander ver-
knuͤpft
[190]Dritter Theil.
knuͤpft ſind, durch die Erſtere immer unterſtuͤtzt, und kann
nie einen Schritt ohne dieſelbe thun.
Noch inniger haͤngt die Geſchichte der Heilkunſt mit der
Geſchichte der uͤbrigen Wiſſenſchaften, beſonders der Philo-
ſophie und der Naturgeſchichte zuſammen; ohne dieſe Ver-
bindung bleibt ſie eine bloße, unfruchtbare Erzaͤhlung, denn
ſie verfehlt ihren Zweck: Beobachtung der Fortſchritt des
menſchlichen Geiſtes und Belehrung uͤber die deshalb kuͤnftig
einzuſchlagenden Wege.
Schoͤne Kuͤnſte und Wiſſenſchaften.
Da der Zauber der Dichtkunſt beſonders geſchickt iſt,
die zarteſten Gefuͤhle des Herzens zu wecken und zu bewah-
ren, den Sinn fuͤr das Gute und Schoͤne, fuͤr Menſchen-
wohl und Veredlung zu beleben: ſo muß man auch vor Er-
lernung der Heilkunſt mit dem Studium unſerer Dichter den
Anfang machen, und es wird bey Ausuͤbung derſelben oft
Troſt, Ruhe und Muth gewaͤhren.
Es erhaͤlt dadurch auch die Einbildungskraft einen hoͤ-
hern Schwung, welcher ſich durch Energie der Gedanken
und des Ausdrucks offenbart; und wenn dieſe thaͤtigere
Phantaſie einer ſcharfen Urtheilskraft die Hand reicht: ſo
entſteht der ſchoͤnſte Bund, durch welchen einige Meiſter un-
ſerer
[191]Bildung des Arztes.
ſerer Kunſt den Leſer ihrer Werke unaufhaltſam mit ſich
fortreißen.
Auch haben mehrere Aerzte didaktiſche Gedichte uͤber
Gegenſtaͤnde ihrer Kunſt abgefaßt, unter welchen einige
klaſſiſch, und des Studiums der Aerzte fuͤr immer werth
ſind. Wir nennen hier nur
- Syphilis, ſive morbus gallicus, auctore Fracaſtorio.
Verona, 530. fol. - Die Geſundbrunnen. Ein Gedicht in vier Geſaͤngen,
von D.Neubeck. Breslau, 795. 4. - Uebrigens giebt es mehrere didaktiſche Gedichte uͤber Na-
turgeſchichte, z. B. von Cowley, de la Croix, van
Royen, Hill ꝛc. uͤber die Heilkunſt im Allgemeinen,
z. B. von Heerken, Talpa, Cloſſius ꝛc. uͤber
Phyſiologie, z. B. von Strauß, Hebenſtreit ꝛc.
uͤber Diaͤtetik, z. B. von Bernardinus, Fridae-
vallis, Duͤrante, Haberſack, Felici, Arm-
ſtrong ꝛc. uͤber Heilmittellehre, z. B. von Aemi-
lius Macer, Nikander, Carnarino ꝛc. und
uͤber mediciniſche Praxis, z. B. von Serenus Sam-
monikus, Delaunay, duͤ Port ꝛc.
Außer dem allgemeinen wohlthaͤtigen Einfluſſe der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte auf die Bildung des Arztes gewaͤhrt die Kennt-
niß der Zeichenkunſt noch den beſondern Vortheil, daß der
Arzt zu ſeinem eigenen, oder zum oͤffentlichen Gebrauche,
Gegenſtaͤnde, welche fuͤr die Kunſt wichtig ſind, z. B. aus
der reinen und pathologiſchen Anatomie, aus der Heilmittel-
lehre, Chirurgie und Entbindungskunſt, entweder ſelbſt
zeichnen,
[192]Dritter Theil.
zeichnen, oder doch wenigſtens den Zeichner gehoͤrig anſtellen
kann. Unter den groͤßten Aerzten zeichnen ſich daher auch ei-
nige als Kuͤnſtler aus.
- Z. B. Veſal, Albin, Camper, Hunter, Rei-
chel, Milan, Beer, Scarpa ꝛc.
Mathematik.
Die Mathematik, oder die Lehre von den Koͤrpern, in
ſofern ſie ausgedehnt oder im Raume erſcheinen, hat wegen
ihres ſichern Ganges, und ihrer Methode, zu Gewißheit zu
gelangen, ſehr vortheilhaften Einfluß auf die Methode des
Studirens uͤberhaupt, beſonders bey Entdeckung der Na-
turgeſetze.
Deshalb iſt vorzuͤglich die Algebra, als das beſte Mit-
tel, ſtetes Denken, ſtrenges Forſchen nach Wahrheit und
richtigen Ideengang ſich eigen zu machen, zu Aufſuchung
neuer Wahrheiten in der Heilkunſt beſonders nuͤtzlich.
Fuͤr den ausuͤbenden Arzt kann aber dieſes Studium
theils wegen des hierzu erforderlichen Zeitaufwandes, theils
wegen der dadurch ſehr leicht bewuͤrkten aͤngſtlichen Vorliebe
zu mathematiſcher Gewißheit, oft ſehr nachtheilig werden.
Die Aufangsgruͤnde der reinen Mathematik werden
aber noͤthig zur Einſicht der Phyſik, welche ohne dieſelbe
dunkel
[193]Bildung des Arztes.
dunkel und ungewiß bleibt, und zum Studium der ange-
wandten Mathematik.
Dieſe wird naͤmlich fuͤr die Heilkunſt wichtig, in ſofern
in ihr die Berechnung und Ausmeſſung einzelner Klaſſen von
Koͤrpern vorgetragen wird, und der menſchliche Koͤrper auch
in der Ruͤckſicht betrachtet werden muß, in ſofern er bloß
als ausgedehnt erſcheint.
- Baldinger’s Ueberſicht der phyſikaliſchen, mathematiſchen
Wiſſenſchaften und Inſtrumente, die ein Arzt kennen muß
(im neuen Magazin fuͤr Aerzte, XIX. Bd. S. 473.).
Die Mechanik iſt in dieſer Ruͤckſicht beſonders noͤthig
fuͤr den Handarzt und Geburtshelfer, indem ſie die richtige
Anwendung der Inſtrumente lehrt. Sie wird ferner benutzt,
um in der Phyſiologie die Lehre von der Muskelbewegung,
ſo wie die Optik, um die Lehre von der Function des Auges
einzuſehen; die Hydroſtatik bietet in Ruͤckſicht auf den Blut-
umlauf, wenn auch nicht Belehrung, doch Stoff zu einer
lehrreichen Vergleichung dar.
Doch kann auch dieſe Anwendung der Mathematik nach-
theilig werden, wenn man den Menſchen bloß, als im Rau-
me exiſtirend, betrachtet, darnach alle Erſcheinungen an ihm
beurtheilt, und daher die uͤbrigen Seiten ſeiner Natur zu
wenig in Anſchlag bringt.
NFuͤnf-
[194]Dritter Theil.
Oekonomie und Technologie.
Kenntniß der Oekonomie kann dem Arzte in vielen Faͤl-
len nuͤtzlich werden, beſonders wenn er die Nebenzweige
ſeiner Kunſt, als Diaͤtetik, mediciniſche Polizey oder Thier-
heilkunſt bearbeitet.
Die Bekanntſchaft mit den verſchiedenen Kuͤnſten und
Handwerken iſt dem ausuͤbenden Arzte noch noͤthiger, weil
die Krankheiten der Kuͤnſtler und Handwerker oft durch ihre
Werkzeuge, Stellung ꝛc. veranlaßt oder unterhalten werden,
und der Arzt darauf bedacht ſeyn muß, dieſe Umſtaͤnde un-
ſchaͤdlich zu machen.
- Ramazzini de morbis artificum. Edid. Ackermann.
Notimberg, 790. 8.
Dritter Abſchnitt.
Studium der Heilkunſt.
Der Plan zu irgend einem wiſſenſchaftlichen Studium
kann zwar niemals fuͤr Alle gleich paſſend eingerichtet wer-
den, da Jeder ſeine beſondere Faͤhigkeiten, Vorkenntniſſe,
Huͤlfsmittel und Zwecke hat. Im Ganzen genommen kann
aber folgender Plan zum akademiſchen Studium der Heil-
kunſt binnen neun Halbjahren zur allgemeinen Norm dienen,
welche
[195]Bildung des Arztes.
welche ein Jeder nach ſeiner Individualitaͤt und nach den
aͤußern Umſtaͤnden abaͤndern kann.
- Platner (progr. IX.) medicinae ſtudium octo ſemeſtribus
deſeriptum. Lipſ. 797-99. 4.
Es koͤmmt bey dieſem Plane vorzuͤglich darauf an, 1)
daß man alle noͤthige Wiſſenſchaften ſtudirt, und keine uͤber-
ſieht, 2) daß man einer jeden einzelnen die gehoͤrige Auf-
merkſamkeit ſchenkt, und ſie nicht zu fluͤchtig durchgeht, 3)
daß man ſie in der gehoͤrigen, Naturgemaͤßen Ordnung, und
keine ſtudirt, ohne mit den noͤthigen Vorkenntniſſen ſchon
ausgeruͤſtet zu ſeyn.
- Ludwig de non praecipitando medicinae ſtudio. Lipſiae,
772. 4.
1. Propaͤdeutik der Heilkunſt (zweytaͤgig). 2. Allgemeine Natur-
geſchichte mit Zoologie (ſechstaͤgig).
Bey dem aͤußerſt wichtigen Schritte zum akademiſchen
Leben muß man alle moͤgliche Uebereilung verhuͤten. Des-
halb duͤrfen anfangs auch nur wenig Vorleſungen beſucht
werden, damit man ſich naͤmlich weniger, dafuͤr aber auch
deſto deutlichere Begriffe verſchaffe, und der Gefahr entgehe,
durch die Menge von Gegenſtaͤnden uͤberhaͤuft und muthlos
oder nachlaͤſſig gemacht zu werden. Das erſte Halbjahr iſt
alſo beſtimmt, dem kuͤnftigen Arzte deutliche Begriffe von
ſeinem eigentlichen Zwecke und den dazu erforderlichen Mit-
N 2teln
[196]Dritter Theil.
teln zu verſchaffen, und ihm den Anfang einer Ueberſicht der
geſammten Koͤrperwelt zu gewaͤhren.
Uebrigens muß dieſe Zeit noch andern Wiſſenſchaften
und Kuͤnſten gewidmet werden, welche man entweder noch
gar nicht, oder nicht hinreichend betrieben hat, oder zu deren
Studium man nicht die gehoͤrige Gelegenheit gehabt hat,
z. B. Philoſophie, Mathematik, Philologie, Muſik, Zei-
chenkunſt ꝛc.
Im Anfauge des Studirens kann man ſich der alpha-
betiſchen Realencyklopaͤdien, oder der ſogenannten medicini-
ſchen und chirurgiſchen Woͤrterbuͤcher bedienen, um ſich naͤm-
lich von den wiſſenſchaftlichen Gegenſtaͤnden, welche man in
der Verbindung mit einer Wiſſenſchaft noch nicht kennt, ei-
nen vorlaͤufigen Begriff zu verſchaffen. Doch benutze man
dieſe Huͤlfsmittel nur zum vorlaͤufigen Studium, und
glaube nicht, den Gegenſtand dadurch vollſtaͤndig kennen zu
lernen; man kennt ihn nur fragmentariſch.
- Blancardi lexicon medicum. Edidit Iſenflamm. Lip-
ſiae, 776-77. III tomi. gr. 8. 3 Rthlr.
1. Die Propaͤdeutik der Heilkunſt ſetzt eigentlich ſchon
die Kenntniß der allgemeinen Encyklopaͤdie voraus, damit
man nicht nur ſeinen naͤchſten Umkreiß erkennt, ſondern
auch einen hoͤhern Standpunct gewinnt, um die geſammten
Wiſſenſchaften als ein einziges ungetheiltes Ganzes, alſo
in Bezug auf den hoͤchſten Zweck des Menſchen zu uͤberſehen.
Iſt dieſes Studium (welches eigentlich ſchon einen Gegen-
ſtand
[197]Bildung des Arztes.
ſtand des Schulunterrichtes ausmachen ſollte) noch nicht be-
trieben worden; ſo muß es jetzt noch nachgeholt werden.
2. Die allgemeine Naturgeſchichte laͤßt das ganze Ge-
biet uͤberſehen, wovon die Heilkunſt nur einen einzelnen
Theil bearbeitet, ihr Studium muß alſo dem der uͤbrigen
Wiſſenſchaften nothwendig vorausgehen, und in dem halb-
jaͤhrigen Vortrage derſelben kann die Zoologie fuͤglich mit
ihr verbunden werden.
- Rahn’s Handbuch der Vorbereitungswiſſenſchaften der Arz-
neykunſt. Zuͤrich, 792. 8.
Vollſtaͤndige, inſtructive, gut geordnete Sammlungen
natuͤrlicher Koͤrper ſind zum Studium der Naturgeſchichte
unentbehrlich. Da jedoch der, welcher ſich zum praktiſchen
Arzte bilden will, nicht gerade deshalb eine Akademie waͤh-
len kann, weil gute Naturalienſammlungen auf derſelben
ſind: ſo wuͤrde eine Ueberſicht der vorzuͤglichſten Sammlun-
gen dieſer Art hier uͤberfluͤſſig ſeyn. Ueberdies werden auch
auf Akademieen meiſtentheils Privatſammlungen benutzt,
welche daher dem Wechſel der Zeit mehr unterworfen ſind.
Literatur.
Einleitung in das Syſtem:
- Forſter enchiridion hiſtoriae naturali inſerviens.
Hal. 788. gr. 8. 16 gr.
Handbuch:
- Blumenbach’s Handbuch der Naturgeſchichte.
6te Auflage. Goͤttingen, 799. 8. 1 Rthl. 12 gr.
N 3Haupt-
[198]Dritter Theil.
Hauptwerke:
- Car. a. Linné ſyſtema naturae. Editio aucta
et renovata a Gmelin. Tomi II, vol. IX.
Lipſ. 8. 13 Rthlr. 8 gr. - Hiſtoire naturelle générale et particulière par Mr.
le Comte de Buffon. à Strasbourg, 786-
89. XLIII vol. 12. 75 Rthlr.
Journal:
- Voigts Magazin fuͤr den neueſten Zuſtand der
Naturkunde. Weimar, 8.
Fuͤr Zoologie:
- Borowsky’s gemeinnuͤtzige Naturgeſchichte des
Thierreichs. Mit illuminirten Kupfern. Ber-
lin, 780-90. X Bde. gr. 8. 64 Rthl. 8 gr.
1. Botanik (ſechstaͤgig). 2. Mineralogie (zweytaͤgig). 3.
Naturgeſchichte des Menſchen (zweytaͤgig). 4. Oekonomie des
menſchlichen Koͤrpers (viertaͤgig). 5. Oſteologie und
Syndesmologie (viertaͤgig).
In dieſem Halbjahre wird die Lehre von der Form
der einzelnen Naturkoͤrper vollendet, und dadurch der
Uebergang zur erſtern Kenntniß der Form des menſchlichen
Koͤrpers gemacht.
1. Botanik. Eine empiriſche Kenntniß der Pflan-
zen hat derjenige, welcher ſie nach ihrem Habitus, nach
ihrem
[199]Bildung des Arztes.
ihrem aͤußern Anſehen im Allgemeinen kennt (wohin auch
aͤußerſt zufaͤllige und betruͤgliche Merkmahle gehoͤren, z. B.
die Farbe), ohne ihren eigenthuͤmlichen Charakter, oder das
Merkmahl, wodurch ſie ſich von allen uͤbrigen unterſcheiden,
angeben zu koͤnnen. Dieſe Kenntniß bleibt immer nur un-
vollſtaͤndig, und man iſt ſich derſelben nie gewiß. Dahin-
gegen verlaͤßt uns die wiſſenſchaftliche Kenntniß nie, d. h.
die Fertigkeit, genau zu beſtimmen, welche einzig moͤgliche
Stelle eine jede Pflanze in dem Syſteme einnehme.
- Baldinger uͤber das Studium der Botanik (in dem neuen
Magazin fuͤr Aerzte. XV. Bd. S. 145).
Das Erſte bey dem Studium der Botanik iſt alſo, daß
man ſich eine genaue Bekanntſchaft des Syſtems, und zwar
des Linneiſchen, als des vollkommenſten, verſchaffe. Da-
durch allein bekoͤmmt man eine hinreichende Ueberſicht des
Ganzen, und ſetzt ſich in den Stand, auch ohne fremde An-
leitung, einzelne Pflanzen mit Gewißheit zu erkennen, und
dieſe Kenntniß zu behalten.
Auf einige Vegetabilien muß der Arzt ſeine Aufmerk-
ſamkeit beſonders richten. Er muß naͤmlich zuerſt die offici-
nellen Pflanzen, d. h. welche ihrer Heilkraͤfte wegen in den
Officinen vorraͤthig ſind, genau kennen, weil er nicht immer
den Apothekern ganz trauen kann, weil er oft den Kranken
ſelbſt die ihm dienlichen Pflanzen zum Sammeln anzeigen,
und ſie zuweilen auch ſelbſt muß einſammeln laſſen ꝛc. Als
gerichtlicher Arzt muß er ferner auch die Guͤte und Aechtheit
der in den Officinen aufbewahrten Pflanzenkoͤrper beurthei-
len, auch in Rechtsfaͤllen entſcheiden koͤnnen, ob auch die
Pflanzen angewendet worden ſind, welche genannt waren ꝛc.
N 4§ 644.
[200]Dritter Theil.
Sodann muß er aber auch, beſonders in der letztern
Ruͤckſicht, alle giftige und andere Pflanzen, welche viel
Aehnlichkeit mit unſchaͤdlichen, zur Nahrung oder zu medi-
ciniſchem Gebrauche dienenden Gewaͤchſen haben, vollkom-
men zu unterſcheiden wiſſen.
Dieſe anſchauliche Kenntniß erlangt er nur 1) in der
Natur ſelbſt, auf botaniſchen Excurſionen oder in Gaͤrten,
2) durch getrocknete und kuͤnſtlich aufbewahrte Pflanzen-
ſammlungen (herbarlae viva), 3) durch Abbildungen.
Die friſchen Pflanzen ſelbſt auf Excurſionen, oder in
Gaͤrten kennen zu lernen, iſt am vortheihafteſten. Wenn
man ſich dieſer beyden Huͤlfsmittel bedient, ſo kann man
dabey ſein Augenmerk immer auf die, dem Arzte zunaͤchſt
liegenden Pflanzen vorzuͤglich richten. Uebrigens ſind die
Excurſionen das beſte Mittel, Intereſſe fuͤr die Botanik zu
gewinnen.
Was das Trocknen und Aufbewahren der Pflanzen an-
langt, ſo iſt der Einfluß dieſer Methode auf Unterſtuͤtzung
des Gedaͤchtniſſes einleuchtend; nur muß ſich der kuͤnftige
Arzt hierbey noch mehr auf die officinellen Pflanzen einſchraͤn-
ken, weil er, wenn er auch viel andere trocknet, ſich durch
dieſe Beſchaͤftigung zu viel Zeit raubt.
- Hedwig’s Belehrung, Pflanzen zu trocknen, zu ordnen ꝛc.
Gotha, 797. 8. 14 gr.
§ 648.
[201]Bildung des Arztes.
Bey dem Studium der Botanik iſt es auch nuͤtzlich, ſich
um ihre natuͤrlichen Eigenſchaften, und den Gebrauch, wel-
chen die Menſchen in verſchiedenen Laͤndern und zu verſchie-
denen (oͤkonomiſchen, techniſchen ꝛc.) Zwecken davon ma-
chen, zu bekuͤmmern. Man ſtudirt dann mit noch mehr
Intereſſe, und erwirbt ſich, wie im Voruͤbergehen, manche
brauchbare Kenntniſſe.
- Loͤwe’s Handbuch der theoretiſchen und praktiſchen Kraͤuter-
kunde, zum Gebrauch fuͤr Jedermann. Breslau 787. 8.
Uebrigeus nehme man auch eine hoͤhere Anſicht von
dem Studium der Botanik: man betrachte es als ein Huͤlfs-
mittel, theils ſein Gedaͤchtniß zu ſtaͤrken (§ 510), theils
ſeinen Beobachtungsgeiſt auszubilden (§ 506).
Literatur.
Einleitung in das Syſtem:
- Car. a Linné philoſophia botanica. Editio aucta et
emendata cura Willdenow. c. tabb. aeneis.
Beolini 790. gr. 8. 1 Rthlr. 8 gr.
Handbuch:
- Willdenow’s Grundriß der Kraͤuterkunde, mit
Kupf. Berlin 792. 8. 1 Rthlr. 16 gr.
Hauptwerk:
- Car. a Linné ſyſtema vegetabilium ſecundum
claſſes, ordines, genera et ſpecies. Edit. XV.
curante Perſoon. Gotting. 797. 8. 2 Rthlr.
12 gr.
N 5Kupfer-
[202]Dritter Theil.
Kupferwerk:
- Schkuhr’s botaniſches Handbuch. Mit illum.
Kupf. Wittenb. 787 — 800. XXV Hefte. gr.
8. 50 Rthlr.
Kupferwerk officineller Pflanzen
- Eliſa Blakwall auserleſenes Kraͤuterbuch.
Leipz. 749 — 59. Fol. 40 Rthlr.
Journal:
- Schraders Journal fuͤr die Botanik. Goͤtting.
8. (Jaͤhrlich erſcheinen 4 Stuͤcke, davon 2
einen Band ausmachen).
2. Mineralogie. Der Arzt treibt dieſes Studium,
theils um ſeine Kenntniß der Natur vollſtaͤndiger zu machen,
theils um die mineraliſchen Heilmittel (obſchon deren nicht
eine ſo große Anzahl iſt, als der vegetabiliſchen) und Gifte
kennen zu lernen, theils um durch die Fertigkeit, Minera-
lien zu erkennen, uͤberhaupt auch einen ſchaͤrfern Blick, und
mehr Vollkommenheit in der Wahrnehmungskunſt zu gewin-
nen.
Oefteres Betrachten der Mineralien ſelbſt iſt ganz un-
entbehrlich, und deshalb iſt es auch rathſam, eigne Samm-
lungen anzulegen, welches uͤbrigens nicht mehr Zeit koſten
darf, als zu Erreichung jenes Zweckes hinreicht.
- In Freyberg erhaͤlt man durch die Beſorgung von Hr. Hof-
mann kleine Mineralienſammlungen, welche 200 inſtructive
Stuͤcke enthalten und 4 Louisd’or koſten. Auch hat die Mar-
tiniſche Buchhandlung in Leipzig dergleichen in Commiſſion.
§ 653.
[203]Bildung des Arztes.
Literatur.
Einleitung in das Syſtem:
- Werner von den aͤuſſerlichen Kennzeichen der
Foſſilien. Leipzig 774. 8. 12 gr.
Handbuch:
- Emmerlings Lehrbuch der Mineralogie. III
Baͤnde Gieſſen 793 — 97. gr. 8. 5 Rthlr. 12 gr.
Journal:
- Neues bergmaͤnniſches Journal. Herausgegeben
von Koͤhler und Hofmann. Freyberg 8.
3. Naturgeſchichte des Menſchen. Nachdem man im vo-
rigen Halbjahr das Thierreich in Ruͤckſicht auf aͤußere Form
betrachtet hat, ſo kann nun die Vergleichung deſſelben mit
dem Menſchen in derſelben Ruͤckſicht den Anfang zum Stu-
dium des Menſchen abgeben.
Literatur.
Handbuch:
- Ludwigs Grundriß der Naturgeſchichte der Men-
ſchenſpecies. Mit Kupf. Leipz. 796. gr. 8.
1 Rthlr. 8 gr.
4. Oekonomie des menſchlichen Koͤrpers. Dieſe Vorle-
ſungen ſind ganz nuͤtzlich, um ſich zuerſt allgemeine Begriffe
von der Structur des menſchlichen Koͤrpers zu erwerben, ehe
man das Detail durchgeht. Sie machen die Vorbereitung
zum Studium der Anatomie und Phyſiologie aus.
§ 657.
[204]Dritter Theil.
5. Oſteologie und Syndesmologie. Die Knochenlehre
macht die Grundlage der geſammten Anatomie aus, und
man muß ſie daher in dieſem Halbjahre mit moͤglichſtem
Fleiße und groͤßter Genauigkeit ſtudiren, weil ohne dies
keine der folgenden anatomiſchen Wiſſenſchaften gehoͤrig ver-
ſtanden werden kann, und man ſich durch dieſen Fleiß das
Studium der ganzen Anatomie um Vieles erleichtert. Noth-
wendig muß man auch ſelbſt menſchliche Knochen bey dem
Privatſtudium zu Huͤlfe nehmen, weil die Abbildungen hier
am wenigſten hinreichen. Die Baͤnderlehre muß beſonders
die Aufmerkſamkeit des Chirurgen auf ſich ziehn.
Literatur der Anatomie.
Handbuch:
- Hildebrands Lehrbuch der Anatomie des Men-
ſchen. IV. Baͤnde. Braunſch. 789 — 92. gr. 8.
5 Rthlr. 8 gl.
Tabellen:
- Schaarſchmidts anatomiſche Tabellen. Frank-
furt 788. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
Hauptwerk:
- Soͤmmering vom Bau des menſchlichen Koͤr-
pers. Frankfurt 791 — 97. V Th. gr. 8.
7 Rthlr. 16 gl.
Hauptkupferwerk:
- Loders anatomiſche Tafeln. Weimar 794 —
1800. Bis jetzt ſind 89 Tafeln erſchienen,
welche mit dem Texte 32 Rthlr. koſten; jetzt
ſollen noch 86 Tafeln folgen, ſo daß das ganze
Werk gegen 60 Rthlr. koſten wird.
Hand-
[205]Bildung des Arztes.
Handkupferbuch:
- Kulmus anatomiſche Tabellen. Herausgegeben
v. Kuͤhn. Leipz. 788. gr. 4. 5 Rthlr.
Journal:
- Iſenflamms und Roſenmuͤllers Beytraͤge
fuͤr die Zergliederungskunſt. Leipzig 8.
Literatur der Oſteologie.
Handbuch:
- Blumenbachs Geſchichte und Beſchreibung der
Knochen. Goͤttingen 786. 8. 1 Rthlr.
Literatur der Syndesmologie.
Hauptwerk:
- Weitbrecht ſyndesmologia, ſive hiſtoria liga-
mentorum corporis humani. Petropoli 760. 4.
3 Rthlr.
Jetzt kann man ſchon anfangen, ſich im Zergliedern
thieriſcher Koͤrper (Zootomie) zu uͤben, wenn man auch
gleich noch nicht ganz vollſtaͤndige Begriffe von den Theilen
des menſchlichen Koͤrpers hat. Die Vortheile, welche man
dadurch gewinnt, ſind 1) daß man ſich fuͤr die Anatomie
lebhafter intereſſirt, und ſie daher mit mehr Eifer erlernt
(§. 572); 2) daß man die Structur mancher Theile des
menſchlichen Koͤrpers durch die Betrachtung thieriſcher Theile
(z. B. des Auges) beſſer kennen lernt, als es durch Abbil-
dungen moͤglich iſt; 3) daß man eine Fertigkeit im Seci-
ren erlangt, welche ſowohl bey dem kuͤnftigen Studium, als
in der kuͤnftigen Praxis (nicht nur bey Leichenoͤfnungen,
ſondern auch bey Operationen) ſehr zu Statten koͤmmt; 4)
daß ſich der Ungewohnte an den Anblick zergliederter thieri-
ſcher
[206]Dritter Theil.
ſcher Koͤrper gewoͤhnt, und einen Eckel uͤberwinden lernt,
welcher dem Menſchen angebohren, und deshalb nichts we-
niger, als ſchimpflich iſt.
1. Chemie (ſechstaͤgig), 2. Phyſik (ſechstaͤgig), 3. Myologie und
Splanchnologie (viertaͤgig), 4. Angiologie und Nevrologie
(viertaͤgig).
Das dritte Halbjahr iſt beſtimmt der hoͤhern Kenntniß
der Auſſenwelt (d. h. nach ihrer Miſchung und ihren auf
eignen Kraͤften beruhenden Wirkungsgeſetzen), und der Vol-
lendung der niedern Kenntniß des Menſchen (d. h. ſeiner
aͤuſſern Form nach).
1. Chemie. Die aͤußere Form der Naturkoͤrper kennt
man nun: jetzt iſt es alſo Zeit, ſich mit ihrer Miſchung be-
kannt zu machen. Der Arzt bedarf nun der Chemie, theils
in ſofern er Naturforſcher iſt, theils unmittelbar, um die
Miſchungsveraͤnderungen des menſchlichen Koͤrpers zu erken-
nen und zu heben, um die Heilmittel nach ihren Beſtand-
theilen zu beurtheilen, um verſchiedene Heilmittel zu be-
ſtimmten Zwecken zuſammenſetzen, um als gerichtlicher Arzt
die Guͤte der officinellen Praͤparate beurtheilen, unbekannte
Subſtanzen ihrer Miſchung nach unterſuchen zu koͤnnen ꝛc.
Dieſe letztern Kenntniſſe, welche ſich auf die Miſchung
der Heilmittel beziehen, werden unter dem Nahmen der me-
dici-
[207]Bildung des Arztes.
diciniſchen Chemie begriffen. Allein man glaube deshalb
nicht, daß dieſer Auszug fuͤr den Arzt hinreichend ſey; er
iſt fuͤr ſich allein nur ein duͤrftiges Bruchſtuͤck, und wer nicht
bloßer Receptſchreiber, ſondern auch wuͤrklicher Arzt, alſo
philoſophiſcher Forſcher des Menſchen und Alles deſſen, was
auf ihn Bezug hat, ſeyn will, muß mit der geſammten Che-
mie vertraut ſeyn.
Man ſtudire alſo auch hier die Theorie der Chemie, und
zwar die, welche bis jetzt die vollkommenſte iſt, die anti-
phogiſtiſche. Man ſehe dieſes Syſtem fuͤr eine, den Kennt-
niſſen unſers Zeitalters angemeſſene Anſicht der chemiſchen
Erſcheinungen an, wodurch man einen Leitfaden gewinnt,
das Ganze der Chemie zu uͤberſehen, und ſich aus dem Chaos
iſolirter Thatſachen heraus zu finden.
Bey dem Studium der Chemie iſt eigne Beobachtung
chemiſcher Erſcheinungen und der Verſuche, wodurch dieſel-
ben deutlicher werden, unentbehrlich, und hierzu wird eine
gehoͤrig eingerichtete chemiſche Werkſtaͤtte erfordert. Es iſt
auch vortheilhaft, wenn der ſtudirende Arzt ſelbſt, chemiſche
Verſuche anſtellt: er erlangt dadurch Fertigkeit in dieſen Be-
ſchaͤftigungen, welche ihm einſt als praktiſchem Arzte, zu
Statten kommt, praͤgt ſich die Thatſachen tiefer ein, und
lernt ſich mehr fuͤr dieſes Studium intereſſiren.
- Um die durch chemiſche Verſuche hervorgebrachten Koͤrper
genau kennen zu lernen, kann man ſich der chemiſchen
Productenſammlung bedienen, welche der Prof. Lam-
padius in Freyberg fuͤr 30 Rthlr. verkauft.
Um
[208]Dritter Theil.
Um Verſuche anzuſtellen, kann man ſich der chemi-
ſchen Probierkabinete bedienen, welche der Profeſſor
Tromsdorf in Erfurt fuͤr 4½ Louisd’or verkauft.
Sie enthalten 44 Reagentien, aͤuſſerſt rein bereitet,
mit einigen chemiſchen Geraͤthſchaften. (S. Hartenkeil’s
med. chir. Ztg. 1799, IV. Bd. S. 205.)
Zur Unterſuchung der Mineralien dienen die Enge-
ſtroͤmiſchen Taſchenlaboratoria, dergleichen der Hof-
mechanikus Klindworth in Goͤttingen fuͤr 1 Louis-
dor verkauft. (Engeſtroͤm’s Beſchreibung eines
mineraliſchen Taſchenlaboratoriums. Greifswalde
782. 8.)
Beſonders fuͤr den gerichtlichen Arzt iſt es ſehr nuͤtzlich,
wenn er ein Jahr vor ſeinem akademiſchen Studium in einer
pharmaceutiſchen Anſtalt zubringt, wo man in der ſpeciellen
Chemie und Pharmacie ſich ſo genaue Kenntniſſe verſchafft,
als nachher waͤhrend des akademiſchen Lebens nicht mehr
moͤglich iſt.
Hierher gehoͤrt das pharmaceutiſche Inſtitut des Prof.
Tromsdorf in Erfurt. (S. Tromsdorfs Jour-
nal der Pharmacie. I. Bd. 1. Stuͤck.)
Literatur
Einleitung in das Syſtem:
- Fourcroy’s chemiſche Philoſophie, oder Grund-
wahrheiten der neuen Chemie. A. d. Franz.
Leipz. 796. 8. 12 gr.
Hand-
[209]Bildung des Arztes.
Handbuch der geſammten Chemie:
- Hildebrands Anfangsgruͤnde der Chemie.
III Theile. Erlangen 794. gr. 8. 3 Rthlr.
8 gl.
Handbuch des Syſtems:
- Girtanners Anfangsgruͤnde der antiphlogiſti-
ſchen Chemie. Berlin 795. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
Hauptwerk:
- Grens Handbuch der Chemie. IV Baͤnde. Halle
794 — 96. gr. 8. 5 Rthlr. 16 gl.
Woͤrterbuch:
- Macquers chymiſches Woͤrterbuch, oder Be-
griffe der Chymie. Aus dem Franzoͤſiſchen uͤber-
ſetzt und mit Zuſaͤtzen von Leonhardi. VII
Theile. Leipz. 788 — 91. gr. 8. 12 Rthlr.
Journal:
- Scherers allgemeines Journal der Chemie.
Leipz. 8.
2. Phyſik. Zu dieſem Studium darf man nicht ohne
gehoͤrige mathematiſche Kenntniſſe ſchreiten, weil man ſonſt
uͤber die Geſetze der hieher gehoͤrigen Erſcheinungen nie mit
Sicherheit und Gewißheit belehrt wird. Uebrigens betreibt
man es nicht bloß, um die ſogenannten phyſikaliſchen Heil-
mittel auf den kranken menſchlichen Koͤrper anwenden zu
koͤnnen, ſondern um eine moͤglichſt vollſtaͤndige Kenntniß
der Natur zu erlangen. Experimente vermittelſt eines ge-
hoͤrigen Apparats ſind hier ebenfalls unentbehrlich.
- In dem Magazine des M. Taubers in Leipzig, kann man
ſowohl einzelne phyſikaliſche Inſtrumente, als einen vollſtaͤn-
digen Apparat bekommen.
O§ 669.
[210]Dritter Theil.
Literatur.
Handbuch:
- Grens Grundriß der Naturlehre. Halle 797.
gr. 8. 2 Rthlr. 8 gl.
Freyer Vortrag:
- Hubens vollſtaͤndiger und deutlicher Unterricht
in der Naturlehre, fuͤr einen jungen Herrn,
III Baͤnde mit Kupf. Leipz. 792 — 94. gr. 8.
5 Rthlr. 4 gl.
Woͤrterbuch:
- Gehlers phyſikaliſches Woͤrterbuch, oder Ver-
ſuch einer Erklaͤrung des Vornehmſten der Na-
turlehre. VI Theile. Leipzig 787 — 96. gr. 8.
15 Rthlr. 16 gl.
Journal:
- Gilberts Anualen der Phyſik. Halle 8.
3. Nevrologie und Angiologie. Wenn auch
die Kenntniß der letzten Nerven- und Gefaͤßzweige nichts
zu einer gluͤcklichen Praxis des eigentlichen Arztes beytragen
kann, ſo muß er ſich dieſelbe doch verſchaffen, um den
menſchlichen Koͤrper nach allen ſeinen Theilen vollſtaͤndig
zu kennen, zumal da in der Folge der Zeit dieſe Kenntniß
durch den Fehler des Gedaͤchtniſſes immer ſehr reducirt wird.
Der Chirurg dedarf dieſer Lehren unmittelbarer, weil er ohne
ihre Kenntniß nie mit Sicherheit Operationen vornehmen
kann.
Literatur der Angiologie.
1. Blutgefaͤßlehre.
Hand-
[211]Bildung des Arztes.
Handbuch:
- Mayers anatomiſche Beſchreibung der Blutge-
faͤße des menſchlichen Koͤrpers. Mit Kupf.
Berlin 787. gr. 8. 2 Rthlr. 12 gl.
2. Saugaderlehre:
Hauptwerk:
- Cruykſhanks und Mascagnis Beſchrei-
bung der einſaugenden Gefaͤße des menſchlichen
Koͤrpers; uͤberſetzt v. Ludwig. III Theile
mit Kupf. Leipz. 788 — 94. gr. 4. 7 Rthlr.
12 gl.
Zur Nevrologie.
Handbuch:
- Haaſii cerebri neruorumque corporis humani
anatome. c. Fig. Lipſ. 781. gr. 8. 14 gl.
4. Myologie und Splanchnologie, wozu ge-
woͤhnlich auch die Adenologie und die Lehre von den aͤuſ-
ſern Theilen des menſchlichen Koͤrpers gerechnet wird. Die
Splanchnologie iſt fuͤr jeden Arzt die wichtigſte Lehre, indem
ſie den Grund der geſammten Phyſiologie in ſich enthaͤlt,
und ſie muß daher in ihrem genanſten Detail mit moͤglich-
ſtem Fleiße ſtudirt werden. Auch muß man die uͤbrigen
Zweige der Anatomie in Bezug auf ſie, erlernen, weil ſie
ohne dieſelben nicht gehoͤrig verſtanden werden kann.
Literatur der Myologie.
Handbuch:
- Walthers myologiſches Handbuch. Neue Aufl.
Berlin 795. 8. 12 gl.
O 2Haupt-
[212]Dritter Theil.
Hauptwerk:
- Albini hiſtoria musculorum hominis. c. Fig. Fran-
cof. 784. gr. 8. 3 Rthlr.
Handbuch der Splanchnologie:
- Vetter’s anatomiſche Grundbegriffe der Einge-
weyde des Menſchen. 788. 8. 20 gl.
Dieſe Kenntniß von dem Baue des menſchlichen Koͤr-
pers erwirbt man ſich vollſtaͤndig nur durch eigenes Sehn.
Man bedient ſich hierzu 1) der Demonſtration an Leichna-
men, 2) an kuͤnſtlich aufbewahrten Theilen des menſchlichen
Kuͤrpers, 3) an kuͤnſtlich bereiteten und der Struktur des
menſchlichen Koͤrpers nachgeahmten Stuͤcken, 4) an Abbil-
dungen.
Die Demonſtration an friſchen Leichnamen iſt das beſte
Huͤlfsmittel, weil ſie die Theile des Koͤrpers unveraͤndert
und in allen ihren natuͤrlichen Verbindungen zeigt, ſo daß
vorzuͤglich der kuͤnftige Chirurg hier ſeine vorzuͤglichſte Vor-
bereitung findet. Daher iſt ein gut eingerichtetes anatomi-
ſches Theater uneutbehrlich, welches bey einer gehoͤrigen
Menge von Leichnamen, licht, geraͤumig, trocken, und
dem Zugange friſcher Luft fuͤr immer offen iſt.
Da theils nicht immer die noͤthigen Leichname vorhan-
den ſind, theils gewiſſe Theile des Koͤrpers eine beſondere
Zubereitung erfordern, wenn man ihre Structur genau er-
kennen will, ſo werden ſie nach den Regeln der Zergliede-
rungskunſt aus ihrem natuͤrlichen Zuſammenhange getrennt,
zube-
[213]Bildung des Arztes.
zubereitet und aufbewahrt, und dies giebt denn die anato-
miſchen Praͤparatenſammlungen, welche ebenfalls ein weſent-
liches Erforderniß zum Studium der Anatomie abgeben.
Da aber die Theile des menſchlichen Koͤrpers durch dieſe
Zubereitung viel von ihrer natuͤrlichen Beſchaffenheit, (Groͤße,
Geſtalt, Farbe ꝛc.) verlieren, und oft ſo verſtellt werden,
daß man ſie kaum wieder erkennt, auch mit der Laͤnge der
Zeit leicht verderben, ſo bildet man ſie durch die Kunſt aus
verſchiedenen Maſſen nach. Man gewinnt dadurch den
Vortheil, daß man zu jeder Zeit die Theile des menſchlichen
Koͤrpers in ihrer natuͤrlichen Geſtalt betrachten kann; und
iſt der Kuͤnſtler der Natur ganz getreu geblieben, ſo kann
der Arzt ſich ſehr gute anatomiſche Kenntniſſe dadurch erwer-
ben, wenn er nur ſodann auch die Natur in den Leichnamen
ſelbſt, mit der Kunſt vergleichen kann.
- Am vorzuͤglichſten ſind die Wachspraͤpate Florentiniſcher Kuͤnſt-
ler, deren eine koſtbare Sammlung auf der Joſephsakademie
in Wien befindlich iſt.
Abbildungen ſind nur dann nuͤtzlich, wenn man wenig-
ſtens die vorzuͤglichſten Theile an den Leichnamen oder an
inſtruetiven Praͤparaten ſchon geſehen hat, und nun den
Verlauf der einzelnen Gefaͤße, Nerven, Muskeln, ſtudiren
will.
O 3Vier-
[214]Drittter Theil.
1. Anthropochemie (viertaͤgig), 2. Phyſiologie (ſechstaͤgig),
3. Pſychologie (viertaͤgig), 4. Anthropologie (zweytaͤgig).
Das vierte Halbjahr iſt beſtimmt, die Kenntniß des
Menſchen im Allgemeinen, und des Geſunden inſonderheit zu
vollenden, welches durch die Unterſuchung ſeiner Kraͤfte,
und der Geſetze ihrer Aeuſſerungen geſchieht.
1. Die Anthropochemie vollendet die hiſtoriſche
Kenntniß des menſchlichen Koͤrpers; ſie ſetzt Kenntniſſe theils
der Anatomie, theils der Chemie voraus. Sie unterſucht be-
ſonders auch die Saͤfte, und da man ehedem alle Lebenser-
ſcheinungen als abhaͤngig von dem Zuſtande der Saͤfte dar-
ſtellte, ſo wird ſie bis jetzt gewoͤhnlich in Verbindung mit
der Phyſiologie vorgetragen, wo ſie denn eigentlich ihre
Stelle nicht mit Recht findet.
Literatur.
Handbuch:
- Juchs Ideen zu einer Zoochemie. I Th. Erfurt
1800. gr. 8. 1 Rthlr.
2. Phyſiologie. Nachdem man mit der geſammten
Natur, ihrer Form (§ 636, 641, 651), ihrer Miſchung
(§ 662), und ihren Wuͤrkungsgeſetzen (§ 668), ſo wie
auch mit der Form (§ 654, 657, 670, 672) des menſchli-
chen Koͤrpers bekannt worden iſt, ſo kann man nun zum Stu-
dium
[215]Bildung des Arztes.
dium des menſchlichen Lebens, als einer ſinnlichen Erſchei-
nung, ſeines Grundes, ſeiner Verhaͤltniſſe ꝛc. uͤbergehen, und
zwar mit der Erinnerung, daß die Phyſiologie die Grund-
lage der ganzen Heilkunſt abgiebt, und daß nur der ein gu-
ter Arzt wird, welcher gruͤndliche phyſiologiſche Kenntniſſe
beſitzt.
Literatur.
Handbuch:
- Hildebrands Lehrbuch der Phyſiologie. 2te
verbeſſerte Auflage. Erlangen 799. 8. 1 Rthlr.
4 gl.
Hauptwerk:
- Halleri elementa phyſiologiae corporis humani.
Lauſannae 757—66. VIII Tomi 4. 32 Rthlr.
Journal:
- Reils Archiv fuͤr die Phyſiologie. Halle gr. 8.
3. Pſychologie. Nur wenn man mit den koͤrperli-
chen Erſcheinungen des Menſchen gehoͤrig bekannt iſt, kann
man die hoͤhern Kraͤfte des Menſchen kennen lernen, deren
Wuͤrkungen ſich durch den innern Sinn offenbaren. Mit
Unrecht wird dieſe Wiſſenſchaft fuͤr ein Eigenthum der Phi-
loſophen angeſehen (vergl. § 256, und 582); nutzbar iſt
es fuͤr den kuͤnftigen Arzt, wenn ſie ihm auch von einem
Arzte vorgetragen wird.
Literatur.
Handbuch:
- Abels Einleitung in die Seelenlehre. Stuttgard
786. gr. 8. 1 Rthlr. 8 gl.
O 4Jour-
[216]Dritter Theil.
Journal:
- Maucharts allgemeines Repertorium fuͤr em-
piriſche Pſychologie. Nuͤrnberg. 8.
4. Anthropologie. Der Vortrag dieſer Wiſſen-
ſchaft muß ebenfalls von einem Arzte, und ausſchließlich fuͤr
Aerzte beſtimmt ſeyn, weil ſonſt der Gegenſtand nur ober-
flaͤchlich behandelt werden kann.
Literatur.
Handbuch:
- Iths Verſuch einer Anthropologie, oder Philoſo-
phie des Menſchen, nach ſeinen koͤrperlichen An-
lagen. Bern 794—95. 2 Thle. gr. 8. 2 Rthlr.
10 gl.
1. Allgemeine Pathologie (ſechstaͤgig), 2. Pharmacie (zwey-
taͤgig), 3. Diaͤtetik (zweytaͤgig), 4. Anatomiſches Praͤ-
pariren (ſechstaͤgig).
In dieſem Halbjahr geſchieht der Uebergang zu den
praktiſchen Wiſſenſchaften. Man lernt die Erſcheinungen
und Wuͤrkungsgeſetze der menſchlichen Natur im kranken Zu-
ſtande kennen, und dabey, die Kunſt, Arzneyen zu berei-
ten, die Geſundheit zu erhalten, und den menſchlichen Koͤr-
per zu zergliedern.
§ 689.
[217]Bildung des Arztes.
1. Die allgemeine Pathologie ſtuͤtzt ſich auf die Phy-
ſtologie, und iſt die wichtigſte Wiſſenſchaft in der Heilkunſt,
um welche ſich die andern Alle, als um ihren Mittelpunct
bewegen. Nothwendig muß man ſie alſo in demſelben Geiſte
ſtudiren, als die Phyſiologie; am Beſten iſt es, beyde
Wiſſenſchaften unter Anleitung deſſelben Lehrers zu erlernen.
Literatur.
Handbuch der Pathogenie:
- Roͤſchlaubs Unterſuchung uͤber Pathogenie,
oder Einleitung in die mediciniſche Theorie.
2te Auflage. III Theile. Frankf. 1800. gr. 8.
6 Rthlr. - Hufelands Pathologie. Erſter Theil. Patho-
genie. Jena. 1800 1 thl. 12 gr.
Handbuch der Aetiologie, Symptomatologie und Noſologie:
- Sprengels Handbuch der Pathologie. Leipz.
795—97. III. Th. gr. 8. 5 thl. 6 gr.
2. Pharmacie. Durch Naturgeſchichte und Chemie
iſt man in den Stand geſetzt worden, dieſe Kunſt zu erler-
nen, und man ſieht ihre Kenntniſſe gegenwaͤrtig als bloßen
Stoff an, welcher in der Folge (bey dem Studium der Heil-
mittellehre) eine hoͤhere Bearbeitung erhaͤlt. — Da es hier
auch viel auf Avtopſie ankoͤmmt: ſo iſt es ſehr nuͤtzlich,
wenn man oft in Officinen iſt, und daſelbſt die wichtigſten
Bereitungen ſieht.
O 5§ 692.
[218]Dritter Theil.
Litteratur.
Handbuch:
- Hermbſtaͤdts Grundriß der Exprrimentalphar-
macie. Berlin, 792—93. II Baͤnde. gr. 8.
2 thl. 4 gr.
Waarenkunde:
- Tromsdorfs Handbuch der Waarenkunde. II
Theile. Erfurt, 798—99. 8. 4 Rthlr.
Dispenſatorium:
- Reuss diſpenſatorium univerſale, ad tempora
noſtra accomodatum et ad formam lexici che-
mico-pharmacevtici redactum. Argentorati,
791. II tom. gr. 8. 4 thl.
Journal:
- Tromsdorfs Journal der Pharmacie.
3. Diaͤtetik. Da man in der Phyſiologie mit dem
Weſen und den Erſcheinungen der Geſundheit bekannt ge-
macht worden iſt: ſo iſt man dadurch vorbereitet zur Einſicht
der Grundſaͤtze, nach welchen man die Krankheitsurſachen
verhuͤten, und nach Verſchiedenheit des Zweckes, das Leben
entweder verlaͤngern, oder vervollkommnen kann. — Der
Arzt bedarf der Diaͤtetik in ihrem Detail auch, um ſeinem
frageluſtigen Publikum, wenn auch nicht Rath (denn er wird
ſelten befolgt), doch Antwort zu ertheilen.
Literatur.
Handbuch:
- Reils diaͤtetiſcher Hausarzt. Aurich, 791
II Bde. gr. 8. 1 thl. 8 gr.
Woͤrter-
[219]Bildung des Arztes.
Woͤrterbuch:
- Vogels diaͤtetiſches Lexikon, oder theoretiſcher
praktiſcher Unterricht uͤber Nahrungsmittel ꝛc.
1ter Theil. Erfurt, 1800. 8. 1 thl.
4. Anatomiſches Praͤpariren. Die eigene
Uebung im Zergliedern des menſchlichen Koͤrpers gewaͤhrt
den Vortheil, daß man 1) die Lage der Theile uͤber und
neben einander, ihre Verbindung ꝛc. ſo genau kennen lernt,
als es durch Betrachtung von Praͤparaten oder von Kupfern
nicht moͤglich iſt; ſie iſt daher theils dem Phyſiologen, theils
dem Chirurgen noͤthig; 2) daß man eine Fertigkeit im Zer-
gliedern erhaͤlt, welche bey pathologiſchen und gerichtlichen
Sectionen ſehr zu Statten koͤmmt; 3) daß der Chirurg da-
durch Leichtigkeit und Sicherheit der Hand gewinnt, welche
ihn bey jeder Operation unterſtuͤtzen muͤſſen; 4) daß man
dabey auch die krankhaft veraͤnderte Structur des menſchli-
chen Koͤrpers kennen lernt, Dieſe viererley Zwecke muß
man bey dieſen Beſchaͤftigungen immer vor Augen haben,
und ſie mit einander zu verbinden ſuchen.
Literatur.
Handbuch:
- Fiſchers Anweiſung zur praktiſchen Zergliede-
rungskunſt. Mit Kupfern. Leipz. 791—93.
II Bde. gr. 8. 2 thl. 16 gr.
Handbuch mit pathologiſcher Ruͤckſicht:
- Bells Zergliederungen des menſchlichen Koͤrpers,
zum Behuf der Kenntniß ſeiner Theile, ihrer
Zergliede-
[220]Dritter Theil.
Zergliederungsmethode, und ihrer krankhaften
Veraͤnderung fuͤr praktiſche Aerzte und Wund-
aͤrzte. Aus dem Engliſchen uͤberſ. Mit Kupf.
Leipz. 1800. II. Bde. gr. 8. 3 thl. 12 gr.
1. Allgemeine Therapie (vierlaͤgig). 2. Semiotik (zweytaͤgig).
3. Materia Medica (ſechstaͤgig). 4. Pathologiſche
Anatomie (viertaͤgig).
Dies Halbjahr iſt zum Studium der Heilkraͤfte und ih-
rer Anwendung im Allgemeinen beſtimmt, verbunden mit
Erkenntniß der krankhaft veraͤnderten Structur des menſch-
lichen Koͤrpers.
1. Die allgemeine Therapie macht jetzt das
Hauptſtudium aus, und ſobald ihre Graͤnzen richtig beſtimmt
und genau beobachtet werden, ſobald ſie in den gehoͤrigen
Zuſammenhang mit den uͤbrigen Wiſſenſchaften geſetzt wird,
ſo iſt ſie ſowohl weniger ſchwierig, als auch weniger weit-
laͤufig.
Literatur.
Handbuch der allgemeinen mediciniſchen Therapie:
- Heckerstherapia generalis, oder Handbuch der
allgemeinen Heilkunde. Berlin, 789. 1 thl.
8 gr.
Handbuch der allgemeinen chirurgiſchen Therapie:
- Heckerstherapia generalis chirurgica, oder
Handbuch der allgemeinen chirurgiſchen Heil-
kunde. Erfurt, 791. gr. 8. 20 gr.
§ 700.
[221]Bildung des Arztes.
2. Semiotik. Das Studium dieſer wichtigen Lehre
wird beſonders dadurch intereſſant, daß man ſeine Aufmerk-
ſamkeit auf den Zuſammenhang der Zeichen mit dem Bezeich-
neten richtet.
Literatur.
Handbuch:
- Gruners phyſiologiſche und pathologiſche Zei-
chenlehre. 2te Ausgabe. Jena, 794. gr. 8.
1 Rthlr.
3. Heilmittellehre. Kenntniſſe der Naturge-
ſchichte, Phyſik, Phyſiologie und Pſychologie, verbunden
mit allgemeinen Begriffen uͤber die Krankheiten, muͤſſen dem
Studium der Heilmittellehre vorangehen. Von allen Heil-
mitteln muß man ſich moͤglichſt genaue Begriffe zu verſchaf-
fen ſuchen, und da oͤftere Anſicht der Arzneykoͤrper hierzu
noͤthig iſt: ſo iſt ſehr nuͤtzlich, wenn man ſich eine Samm-
lung derſelben anlegen kann, und uͤbrigens Gelegenheit hat,
chirurgiſche Inſtrumente oͤfters zu ſehen.
- Der Prof. Tromsdorf in Erfurt verkauft Praͤparatenkabi-
nete fuͤr die Heilmittellehre, aus 400 Praͤparaten beſtehend,
um 4 Louisd’or. - Zu wuͤnſchen waͤre, daß die Akademien das Anerbieten des
Brucharztes Wolfſohn in Wien benutzten, welcher eine
ſyſtemgtiſche Inſtrumenten- und Bandagenſammlung zum Ge-
brauche chirurgiſcher Vorleſungen, beſtehend aus 307 Stuͤk-
ken, verfertigt. Uebrigens ſind bey demſelben auch die In-
ſtrumente einzeln nach dem deshalb verfertigten Kataloge zu
haben.
§ 703.
[222]Dritter Theil.
Literatur der Inſtrumentenlehre.
1. Fuͤr Chirurgie.
Handbuch:
- Koͤhlers Anleitung zum Verbande und zur Kennt-
niß der noͤthigſten Inſtrumente in der Wundarz-
neykunſt. Mit Kupf. Leipz. 796. 8. 2 Rthl.
Hauptwerk:
- Siebold.
2. Fuͤr Geburtshuͤlfe.
Handbuch:
- Saxtorph examen armamentarii lucinae. Hafn.
795. 8. 12 gr. Erlangen, 799. gr. Fol.
Hauptwerk:
- Schreger die Werkzeuge der aͤltern und neuern
Entbindungskunſt.
Litteratur der Arzneymittellehre.
Handbuch:
- Grens Handb. der Pharmakologie. 2 Rthl. 8 gr.
Hauptwerk:
- Murray apparatus medicaminum. Ed. ſecunda.
curante Althof. Gotting. 793 — volum. VI.
gr. 8. 7 Rthl. 10 gr. — Pars II. curavit Gme-
lin. Gotting. 795—96. II tomi. 8. 2 Rthl. — - M. Vorrath von einfachen und gemiſchten Heil-
mitteln. 2te Auflage. Ueberſetzt und vermehrt
von Althof. Goͤttingen, 792 — VI Baͤnde,
8. 7 thl. 4 gr.
Journal:
[223]Bildung des Arztes.
Journal:
- Roͤmers Annalen der Arzneymittellehre. Leip-
zig. 8.
4. Pathologiſche Anatomie. Die Kenntniß
der allgemeinen Pathologie muß ihr bey dem ſynthetiſchen
Vortrage der Wiſſenſchaften vorangehen. Die Huͤlfsmittel
dieſes Studiums ſind dieſelben, als die der reinen Anatomie,
und pathologiſche Praͤparatenſammlungen ſind von beſon-
drem Werthe.
Literatur.
Handbuch:
- Ludwig primae lineae anatomiae pathologicae,
ſive de morboſa partium corporis humani fabri-
ca. Lipſ. 785. gr. 8. 8 gr.
Hauptwerk:
- Morgagni de ſedibus et cauſis morborum, per
anatomen indagatis. Editio aucta. Ebroduni,
779. III tomi. 4. 9 thl. 16 gr. — M. von
dem Sitze und den Urſachen der Krankheiten.
Altenburg, 771—76. V Baͤnde, gr. 8. 8 thl.
20 gr.
Kupferwerk:
- Baillie’s series of engravings accompanied with
explanations, which are intended to illuſtrate
the morbid anatomy of ſome of the most im-
portant parts of the human body. Fascic. I.
Lond. 799. gr. 4. 4 thl.
Journal:
- Heckers Magazin fuͤr pathologiſche Anatomie
und Phyſiologie. Altona, 8.
Sieben-
[224]Dritter Theil.
1. Specielle Therapie (ſechstaͤgig). 2. ſpecielle Chirurgie (vier-
taͤgig). 3. Entbindungskunſt (viertaͤgig). 4. Beſuchen des Kli-
nikums (ſiebentaͤgig). 5. Formulare
(zweytaͤgig).
In dieſem Halbjahre wird man nun unmittelbar uͤber
die Art, einzelne Krankheiten zu heilen, unterrichtet, und
alle vorher erworbenen Kenntniſſe finden hier ihre Anwen-
dung.
1. Specielle Therapie. Fuͤr gewoͤhnlich wird
die Noſologie mit ihr verbunden, und zu Erſparung der Zeit,
ſo wie zu beſſerer Vergleichung der einzelnen Krankheiten mit
der Heilmethode, iſt dies allerdings ſehr ſchicklich.
Literatur.
Handbuch:
- Sellensmedicina clinica, oder Handbuch der
mediciniſchen Praxis. 7te Aufl. Berlin, 798.
gr. 8. 1 thl. 16 gr.
Weitlaͤuftigeres Handbuch:
- Vogels Handbuch der praktiſchen Arzneywiſſen-
ſchaft, zum Gebrauche fuͤr angehende Aerzte.
3te Auflage. Stendal, 789—94. IV Bde. 8.
4 thl. 20 gr. (noch nicht vollendet.)
Hauptwerk:
- Frank de curandis hominum morbis epitome,
praelectionibus academicis dicata. Manhem.
792—94. Veomi. 8. 5thl. 12 gr. — F. Grund-
ſaͤtze
[225]Bildung des Arztes.
ſaͤtze uͤber die Behandlung der Krankheiten des
Menſchen. Aus dem Lateiniſchen. Mannheim,
794—97. V Bde. gr. 8. 3 Rthl. 22 gr. (noch
nicht vollendet). Bis zu ſeiner Vollendung kann
man mit Nutzen gebrauchen: - Cullens Anfangsgruͤnde der praktiſchen Arz-
neykunſt. Dritte Auflage. Leipzig, 1801. IV
Baͤnde. gr. 8. 5 Rthlr.
Journal:
- Hufelands neues Journal der praktiſchen Heil-
[kunde]. Jena, 8.
2. Specielle Chirurgie wird ebenfalls mit der
chirurgiſchen Noſologie, welche groͤßtentheils aus der patho-
logiſchen Anatomie entlehnt iſt, verbunden.
Literatur.
Handbuch:
- Calliſens Syſtem der neuern Wundarzneykunſt,
zum oͤffentlichen und Privatgebrauche. Aus dem
Lateiniſchen uͤberſetzt von Kuͤhn. Kopenhagen,
2te Aufl. 799. II Theile, gr. 8. 4 Rthlr. 12 gr.
Hauptwerk:
- Richters Anfangsgruͤnde der Wundarzneykunſt.
Mit Kupfern. Goͤttingen, 788—98. V Bde.
gr. 8. 7 Rthlr. 16 gr. (noch nicht vollendet. Bis
zur Vollendung erſetzt ſeine Stelle) - Bells Lehrbegriff der Wundarzneykunſt. Aus
dem Engliſchen, mit einigen Zuſaͤtzen und An-
Pmerkun-
[226]Dritter Theil.
merkungen. Mit Kupfern. 790—94. V Bde.
gr. 8. 8 thl. 18 gr.
Journal:
- Loders Journal fuͤr die Chirurgie, Geburtshuͤlfe
und gerichtliche Arzneykunde. Jena, gr. 8.
3. Die Entbindungskunſt wird wegen ihres ge-
ringern Umfanges gewoͤhnlich nicht in ſo viel Theile getrennt,
als die Arzneykunſt und Handarzneykunſt, obſchon ſie ei-
gentlich dieſelben Zweige hat; es werden vielmehr die Pa-
thologie, Semiotik, Inſtrumentenlehre und allgemeine und
ſpecielle Therapie der Entbindungen, zuſammen vorgetra-
gen.
Literatur.
Handbuch:
- Steins theoretiſche und praktiſche Anleitung zur
Geburtshuͤlfe. 5te Aufl. Kaſſel, 797. II Bde.
gr. 8. 2 thl. 4 gr.
Journal:
- Starks Archiv’ fuͤr die Geburtshuͤlfe, Frauen-
zimmer und neugebohrner Kinder Kranheiten.
Jena, 8.
4. Die Beſuche der kliniſchen Anſtalt muͤſſen jetzt ihren
Anfang nehmen, obſchon man nur noch den Beobachter ab-
giebt. Durch Kenntniß der Pathologie, Semiotik, allge-
meinen Therapie und Heilmittellehre iſt man ſchon in den
Stand geſetzt, die Hauptſache zu verſtehen, und durch ei-
gene Beobachtung der Kranken wird das Studium der No-
[...]ſologie ſowohl, als der ſpeciellen Therapie deutlicher, ein-
euchtender und intereſſanter.
§ 715.
[227]Bildung des Arztes.
5. Das Formulare wird demjenigen ſehr leicht,
welcher die gehoͤrigen chemiſchen und pharmacentiſchen Kennt-
niſſe ſich erworben hat, und mit Huͤlfe eigener Uebung in
Zuſammenſetzung von Formeln kann er ſich ohne Schwierig-
keiten eine gewiſſe Fertigkeit in dieſer Kunſt zu eigen machen.
Literatur.
Handbuch:
- Gruners Anleitung, Arzneyen zu verſchreiben.
Heidelberg, 790. 8. 10 gr.
Taſchenwoͤrterbuch:
- Tromsdorfs chemiſche Receptirkunſt, oder
Taſchenbuch fuͤr praktiſche Aerzte, welche bey
dem Verordnen der Arzneyen Fehler in chemi-
ſcher und pharmacevtiſcher Hinſicht vermeiden
wollen. Erfurt, 797. 8. 1 thl.
1. Uebung im Kliniko (ſiebentaͤgig). 2. Fortſetzung der ſpeciel-
len Therapie (ſechstaͤgig, und 3. der ſpeciellen Chirurgie (vier-
taͤgig). 4. Literatur der Heilkunſt (viertaͤgig). 5. mediciniſche
Polizey (zweytaͤgig). 6. chirurgiſche Operationen
(viertaͤgig).
Das achte Halbjahr iſt der Vollendung des Studiums
der Heilkunſt, und dem Uebergange zur Ausuͤbung derſelben,
ſo wie zum Studium ihrer Neben- und Vervollkommungs-
wiſſenſchaften gewidmet.
P 2§ 718.
[228]Dritter Theil.
1. Eigene Uebung in der kliniſchen Anſtalt iſt jetzt das
vorzuͤglichſte Geſchaͤft des ſtudirenden Arztes. Es verſteht ſich
von ſelbſt, daß er nur ſolche Patienten behandelt, deren
Krankheit ſchon in den kliniſchen Vorleſungen abgehandelt
worden iſt.
4. Literatur der Heilkunſt. Nothwendig muß
zu dieſer Kenntniß ſchon auf Univerſitaͤten hinlaͤnglicher
Grund gelegt werden, auf welchen man ſodann als Prakti-
ker weiter bauen kann. Die Vernachlaͤſſigung derſelben raͤ-
chet ſich anhaltend und ſicher.
Literatur.
Handbuch:
- Boerhaavc methodus ſtudii medici. Ed. Hal-
ler. Francof. 751. 4. 5 thl.
Hauptwerk:
- Halleri bibliotheca medico-practica. Ebroduni
776—87. IV tom. gr. 4. 13 thl. - — — chirurgica. Ebroduni 774—75.
II tom. gr. 4. 6 thl. 8 gr.
Journal:
- Hartenkeils mediciniſch-chirurgiſche Zeitung.
Salzburg, 8. (woͤchentlich erſcheinen 2 Bogen).
5. Die mediciniſche Polizey ſetzt Kenntniſſe der
Phyſiologie, Pathologie und ſpeciellen Therapie voraus,
und kann deshalb auch hier erſt ihre Stelle finden.
§ 722.
[229]Bildung des Arztes.
Literatur.
Handbuch:
- Hebenſtreits Lehrſaͤtze der mediciniſchen Poli-
zeywiſſenſchaft. Leipz. 791. gr. 8. 20 gr.
Hauptwerk:
- Franks Syſtem einer vollſtaͤndigen mediciniſchen
Polizey. Mannheim, 784—88. IV Bde. gr. 8.
8 thl. 4 gr.
Journal:
- Formeys mediciniſche Ephemeriden von Berlin.
Berlin, 8. (erſcheint zu unbeſtimmten Zeiten.)
6. Uebung in chirurgiſchen Operationen an Leichnamen
iſt jetzt die noͤthigſte und nuͤtzlichſte Beſchaͤftigung des Chi-
rurgen. Aber auch fuͤr den Arzt iſt ſie nicht ohne Vortheil,
theils weil er bey Operationen gegenwaͤrtig ſeyn, und oft
den Chirurgus leiten muß, theils weil er zuweilen in Abwe-
ſenheit eines Chirurgen dringende Operationen ſelbſt unter-
nehmen muß.
1. Uebung im Kliniko (ſiebentaͤgig). 2. Geſchichte der Heilkunſt
(ſechstaͤgig). 3. gerichtliche Arzneywiſſenſchaft
(zweytaͤgig).
In dem neunten Halbjahre erwirbt man ſich ferner die
Kunſt, Kraukheiten zu erkennen und zu heilen, und ſtudirt
noch die uͤbrigen Neben- und Vervollkommungswiſſenſchaf-
ten.
P 3§ 725.
[230]Dritter Theil.
2. Geſchichte der Heilkunſt. Zu dieſem Stu-
dium iſt man erſt jetzt reif, da man das ganze Gebiet der
Heilkunſt uͤberſieht.
Literatur.
Handbuch:
- Knebels Verſuch einer chronologiſchen Ueberſicht
der Literairgeſchichte der Arzneywiſſenſchaft.
Breslau, 799. gr. 8. 1 Rthl. 8 gr.
Hauptwerk:
- Sprengels Verſuch einer pragmatiſchen Ge-
ſchichte der Arzneykunde. 1ter und 2ter Theil,
neue Aufl. Halle, 1800. 3ter und 4ter Theil.
Halle, 1794—99. gr. 8. 7 Rthlr.
Journal:
- Sprengels Beytraͤge zur Geſchichte der Me-
dicin. Halle, 8.
3. Die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft ſetzt
ebenfalls das Studium der Anatomie, Phyſiologie, Patho-
logie, Therapie, Chirurgie und Entbindungskunſt voraus.
Sehr vortheilhaft ſind Uebungen in Verfertigung von Ob-
ductionen ꝛc.
Literatur.
Handbuch:
- Metzgers Syſtem der gerichtlichen Arzueywiſſen-
ſchaft. Koͤnigsb. 793. 8. 1 Rthl. 6 gr.
Journal:
- Formeys mediciniſche Ephemeriden von Berlin.
Fuͤnfte
[231]Bildung des Arztes.
Fuͤnfte Abtheilung.
Praktiſche Bildung des Arztes.
§ 729.
Durch das Studium aller dieſer Wiſſenſchaften hat
man nur einen Theil der Bedingungen erfuͤllt, welche zu
Ausuͤbung der Heilkunſt erfordert werden, aber die Kunſt
ſelbſt hat man ſich dadurch noch nicht eigen gemacht. Denn
bald kann man dem Gedaͤchtniſſe etwas eingepraͤgt, bald aus
Vernunftbegriffen gebildet haben, ohne davon in einzeln vor-
kommenden Faͤllen den gehoͤrigen Gebrauch machen zu koͤn-
nen. Man kann das Abſtracte inne haben, ohne es im Con-
ereto wieder finden zu koͤnnen.
- Cappel uͤber den Werth der Theorie und der eigenen Erfah-
rung in Beziehung auf die Ausuͤbung der Heilkunde. Goͤt-
tiugen, 798. 8.
§ 730.
Derjenige verdient, wie wir ſchon gezeigt haben, den
Namen eines Arztes nicht, welcher dem Gedaͤchtniſſe den
erſten Rang unter ſeinen Seelenkraͤften einraͤumt. Sein
Blick gleitet an der Oberflaͤche der Dinge dahin, und daher
ſieht er uͤberall eine vollkommene Analogie; er ſchließt von
Analogie der Krankheit auf Analogie der Heilmethode, kann
alſo nur gerade die Mittel auf dieſelbe Art anwenden, wie
ſie ehemals angewendet worden ſind, und ſeine Kunſt ſchraͤnkt
ſich auf eine Anzahl Recepte ein, welche die Routine mit
Probatum! unterzeichnet hat. Er iſt eine bloße Receptir-
maſchine, deren Feder das Gedaͤchtniß iſt. Wuͤrkliche Erfah-
rung zu erwerben iſt er unvermoͤgend.
P 4§ 731.
[232]Dritter Theil.
§ 731.
Der Arzt hingegen faßt das Einzelne und Eigenthuͤm-
liche eines jeden Krankheitsfalles auf, ſetzt daraus in ſeiner
Idee ein Ganzes zuſammen, vergleicht dieſes ſowohl, als
die einzelnen Theile mit dem, was die Erfahrung in andern
Faͤllen gelehrt hat, und ſetzt darnach eine, den individuellen
Beſtimmungen des Kranken angemeſſene Heilmethode feſt,
welche er in ihrem ganzen Umfange verfolgt.
§ 732.
Die praktiſche Bildung beſteht alſo darin, daß man
die Routine fliehen, und die eigentliche Kunſt ſich erwerben
lernt. Man bezweckt hier alſo, 1) die Kunſt zu beobachten,
2) die Kunſt, Erfahrungen zu machen, 3) Fertigkeit im
Handeln, 4) Erwerbung einer Theorie.
- Stahl de iſagoge practica. Hal. 711. 4.
- Kannegiesser de praecipuis cautelis praxin adeunti atten-
dendis. Kilon. 733. 4.
§ 733.
I. Die Beobachtung iſt die aufmerkſame Anſchauung
einer beſtimmten Reihe von durch Zeit oder Raum getrenn-
ten Gegenſtaͤnden, vermittelſt unſerer innern und aͤußern
Sinne, wodurch man von denſelben, als von Erſcheinun-
gen, vollſtaͤndige und deutliche Begriffe erlangt *).
§ 734.
Die mediciniſche Beobachtung beſteht alſo in der An-
ſchauung des kranken Individuums, nach ſaͤmmtlichen Er-
ſcheinungen ſeines koͤrperlichen und geiſtigen Weſens, und
ihres
[233]Bildung des Arztes.
ihres Zuſammenhanges unter einander ſowohl, als mit den
vorhergegangenen und gegenwaͤrtigen Beſtimmungen deſſel-
ben, wodurch man eine vollſtaͤndige Kenntniß der Krankheit
erlangt *). Die geſammte Heilkunſt beruht zuvoͤrderſt auf
Beobachtung, und man ſieht deshalb den Werth und die
Nothwendigkeit der Beobachtungskunſt ein.
§ 735.
Einen Theil dieſer Forderungen erfuͤllt man durch die
muͤndliche Unterſuchung des Kranken, oder durch das ei-
gentlich ſogenannte Krankenexamen. Im weitern Sinne
umfaßt dieſes Wort die ganze Beobachtung, welche die Thaͤ-
tigkeit aller Sinne des Arztes zu Unterſuchung des Kranken
voraus ſetzt *).
§ 736.
Zu dieſer Beobachtungskunſt gehoͤren nun folgende we-
ſentliche Erforderniſſe: 1) vorlaͤufige Kenntniß der im geſun-
den und kranken Zuſtande an dem Menſchen ſich aͤußernden
Erſcheinungen, zur Richtſchnur der Beobachtung und zur
Vergleichung des einzelnen Falles mit andern, mehr oder
weniger aͤhnlichen.
§ 737.
2) Schaͤrfe der Sinne, um alle Erſcheinungen auffaſ-
ſen, und Feinheit der Sinne, um ſie nach allen ihren Merk-
mahlen unterſcheiden zu koͤnnen.
P 5§ 738.
[234]Dritter Theil.
§ 738.
3) Freyheit von irgend einer Vorausſetzung, oder ir-
gend einem Vorurtheile, feſter Wille, nicht mehr und nicht
weniger zu finden, als die Natur zeigen wird.
§ 739.
4) Angeſtrengte und ungeſtoͤrte Aufmerkſamkeit auf den
Kranken, auf alle ſeine Aeußerungen, ſeine gegenwaͤrtigen
und vorhergegangenen Verhaͤltniſſe.
§ 740.
5) Man muß langſam und bedaͤchtig bey der Beobach-
tung zu Werke gehen; von allen Schwierigkeiten derſelben
uͤberzeugt ſeyn, und ſie zu bekaͤmpfen wiſſen; ſo lange an
der Beobachtung zweifeln, bis ſie von allen Seiten und auf
verſchiedenen Wegen zur Gewißheit erhoben iſt, dabey me-
thodiſch verfahren, um nicht den Faden der Unterſuchung
zu verlieren, keinen Umſtand fuͤr zu geringfuͤgig anſehen *),
aber das Weſentliche von dem Unweſentlichen unterſcheiden,
die einzelnen Umſtaͤnde bis in ihr innerſtes Detail verfol-
gen, und ſich dann erſt ein allgemeines Bild von dem
Ganzen entwerfen.
§ 741.
Die Beobachtungskunſt erwirbt man ſich nun dadurch,
1) daß man dieſe Erforderniſſe kennt, zu erfuͤllen ſucht, und
mit beſtaͤndiger Hinſicht auf dieſelben am Krankenbette ſich
uͤbt.
§ 742.
[235]Bildung des Arztes.
§ 742.
2) Durch das Beyſpiel großer Aerzte, welche man ent-
weder ſelbſt an Kranken Beobachtungen anſtellen ſieht, oder
deren Werke man ſtudirt.
§ 743.
II. Erfahrung iſt die Gewißheit, daß zwiſchen gleich-
zeitigen oder einander folgenden Erſcheinungen ein beſtimm-
tes Cauſſalverhaͤltniß Statt findet, zu welcher man durch
Vergleichung und Analyſe der Beobachtungen auf dem We-
ge der Analogie und Induction gelangt.
§ 744.
Die mediciniſche Erfahrung beſteht in der Gewißheit,
daß zwiſchen den verſchiedenen Krankheitserſcheinungen un-
ter einander ſowohl, als gegen gewiſſe aͤußere Beſtimmun-
gen, und zwiſchen der Geneſung und der Anwendung von
Heilmitteln ein beſtimmtes Cauſſalverhaͤltniß Statt finde.
Sie macht alſo den eigentlichen Inhalt der Heilkunſt aus,
und liefert die ganze Theorie derſelben.
- Zimmermann von der Erfahrung in der Arzneykunſt. Zuͤ-
rich 763—64. II Bde. gr. 8. 1 Rthlr. 6 gr.
§ 745.
Die Erforderniſſe, um Erfahrungen zu machen, ſind
1) vorlaͤufige Kenntniß der Krankheitserſcheinungen, und
der durch fremde Erfahrung ausgemittelten Kraͤfte zu Hei-
lung derſelben.
§ 746.
2) Richtige und genau angeſtellte Beobachtungen, nach
den angegebenen Grundſaͤtzen, als Stoff der Erfahrung.
§ 747.
[236]Dritter Theil.
§ 747.
3. Ein ruhiger philoſophiſcher Geiſt, welcher ſich vor
allen Uebereilungen huͤtet, und nach den aus ſeinem Weſen
entwickelten Geſetzen unſers Erkenntnißvermoͤgens den rech-
ten Weg zu Entdeckung der Wahrheit einſchlaͤgt.
- Caccia mediciniſche Vernunftlehre. Aus dem Italieniſchen
uͤberſetzt von Weber. Heilbronn 796. 8.
§ 748.
Die Kunſt, Erfahrungen zu machen, erwirbt man ſich
1) durch eigenes Beſtreben, jene Erforderniſſe zu erfuͤllen,
Studium der Philoſophie und der mediciniſchen Wiſſenſchaf-
ten, und durch Uebungen am Krankenbette, mit beſtaͤndi-
ger Ruͤckſicht auf jene Geſetze (§ 757).
§ 749.
2) Durch Benutzung des Beyſpiels großer Aerzte, am
Krankenbette ſowohl als in ihren Werken.
§ 750.
III.Fertigkeit in Ausuͤbung der Heilkunſt
beſteht darinne, daß man ein gehoͤrig begruͤndetes Urtheil
uͤber den gegenwaͤrtigen Krankheitsfall behend zu faͤllen, und
daſſelbe durch zweckmaͤßige Mittel auf die ſchicklichſte und
ſchnellſte Art zu realiſiren wiſſe *).
§ 751.
Die Fertigkeit in Beurtheilung der Krankheiten, be-
ruht auf hinreichender Kenntniß derſelben, auf Schnelligkeit
und
[237]Bildung des Arztes.
und Richtigkeit der Beobachtung, auf Uebung im Urtheilen
uͤberhaupt, und uͤber Krankheitsfaͤlle inſonderheit.
§ 752.
Die Fertigkeit in Heilung der Krankheiten beruht auf
der Geſchicklichkeit in ihrer Beurtheilung, verbunden mit Be-
hendigkeit des Erinnerungsvermoͤgens, welches die Erfah-
rungen uͤber aͤhnliche Faͤlle liefert, und mit dem Vermoͤgen der
Urtheilskraft, das richtige Verhaͤltniß der Heilmittel zu dem
Krankheitsfalle ſchnell zu treffen.
§ 753.
Hierzu koͤmmt noch bey Heilung innerer Krankheiten,
die Uebung, die pharmaceutiſchen und chemiſchen Grund-
ſaͤtze zu Abfaſſung von Formeln, und die diaͤtetiſchen zu An-
ordnung der Lebensweiſe des Kranken anzuwenden.
§ 754.
Zur Fertigkeit der Heilung aͤußerer Krankheiten gehoͤrt
noch die Geſchicklichkeit, chirurgiſche Operationen an dem
menſchlichen Koͤrper vorzunehmen.
§ 755.
Dieſe Fertigkeit erwirbt man ſich alſo 1) durch eigne
Uebung fuͤr ſich, z. B. durch Beurtheilung der Krankheits-
faͤlle, welche von Aerzten aufgezeichnet (§ 751, 752) ſind,
durch Abfaſſung von Formeln zu einem beſtimmt gedachten
Zwecke (§ 753), durch Operationen an Leichnamen oder an
Menſchen aͤhnlichen Koͤrpern (Phantomen, Puppen)
(§ 754); — 2) durch Uebung am Krankenbette; 3) durch
Beobachtung großer Aerzte, an dem Krankenbette und in
ihren Werken.
§ 756.
[238]Dritter Theil.
§ 756.
IV.Theorie. Ohne Theorie kann die Heilkunſt gar
keine Anſpruͤche auf eine gewiſſe Vollſtaͤndigkeit machen; in
dieſer Ueberzeugung oder in der dunklen Ahndung hiervon,
hat Jeder, auch der groͤbſte Empiriker, wenigſtens den Schat-
ten einer Theorie. Unſer Beſtreben muß alſo darauf gerich-
tet ſeyn, uns eine moͤglichſt vollkommene Theorie zu ver-
ſchaffen.
§ 757.
Dieſen Zweck ſucht nun der Arzt 1) dadurch zu errei-
chen, daß er die vorhandnen Syſteme der Heilkunſt nach
dem Zuſammenhange ihrer Grundſaͤtze unter einander, und
mit den allgemein bekannten Thatſachen und Erſcheinungen
in der Natur, und nach der Uebereinſtimmung derſelben mit
den Geſetzen unſers Erkenntnißvermoͤgens pruͤft.
§ 758.
Er ſtudirt alſo zuerſt die Syſteme, welche ihm zunaͤchſt
liegen (eines Reil, Darwin, Brown, Cullen) und geht
dann zu denen der Vorzeit zuruͤck (eines Hofmann, Stahl,
Boerhaave, Sylvius ꝛc.)
- Cullen uͤber die Art und Weiſe, die praktiſche Arzneykunſt zu
erlernen (als Anhang zum 4ten Bande ſeiner Anfangsgruͤnde
der praktiſchen Arzneykunſt. S. 533).
§ 759.
2) Sodann muß er durch Beobachtung der Natur ſelbſt
am Krankenbette unterſuchen, welches von dieſen Syſtemen
die meiſte Wahrheit enthaͤlt (denn in einzelnen Ruͤckſichten
ſind ſie alle wahr), welches die Erſcheinungen der Natur
am leichreſten, gruͤndlichſten und befriedigendſten erklaͤrt.
§ 760.
[239]Bildung des Arztes.
§ 760.
Man ſieht alſo, daß die (§ 732) angegebenen vier
Zwecke durch gleiche Mittel erreicht werden, denn ſie ſind 1)
Studium mediciniſcher Werke, 2) Beobachtung großer Aerz-
te bey Ausuͤbung ihrer Kunſt, 3) eigne Uebung.
§ 761.
1) Das Studium der mediciniſchen Werke
iſt ein hoͤchſt nothwendiges Huͤlfsmittel, um etwas in der
Heilkunſt zu leiſten, weil man dadurch mit den Erfahrungen
bekannt gemacht wird, welche die Aerzte ſeit vielen Jahr-
hunderten angeſtellt haben. Und obſchon es ungereimt und
von den verderblichſten Folgen fuͤr die Kunſt iſt, die Werke
der alten Aerzte Quellen der Heilkunſt zu nennen, ſo enthalten
ſie doch, ſo wie die der ſpaͤtern Schriftſteller, einen Schatz
von Kenntniſſen und Beobachtungen, wodurch die Bearbei-
tung der Heilkunſt unſrem Zeitalter um ein Betraͤchtliches
erleichtert wird.
§ 762.
Aber man huͤte ſich vor der Lectuͤre der Werke, deren
Verfaſſer aus Mangel an Genie, oder an Kenntniſſen nur
oberflaͤchlich beurtheilt haben. Dieſe Oberflaͤchlichkeit und
Seichtigkeit geht leicht in den Leſer ſelbſt uͤber, und dieſe Lek-
tuͤre ſtiftet dadurch den groͤßten Nachtheil, wenigſtens iſt ſie
immer Zeitverſchwendung.
§ 763.
Ferner darf der angehende Arzt die Werke derjenigen
nicht leſen, welche tiefer und gruͤndlicher zu beobachten
meynten, aber aus Vorurtheilen falſche Erfahrungen mach-
ten, und ihrer Theorie zu vielen Einfluß (einigen Einfluß
finden wir uͤberall) auf ihre Anſicht der Krankheiten geſtat-
ten
[240]Dritter Theil.
ten. Da nun bis jetzt noch kein vollendetes Syſtem der
Heilkunſt erſchienen iſt, ſo gehoͤren hierher diejenigen Aerzte,
welche zu irgend einem Syſteme geſchworen haben; und man
leſe alſo anfaͤnglich die Schriften derer nicht, welche einer
Theorie unbedingt huldigen (der Sectirer).
§ 764.
Endlich giebt es auch manche Beobachtungen, welche
die Aerzte erdichtet haben, um mit ihrer Geſchicklichkeit zu
prahlen, oder um irgend einer Meinung Glauben zu ver-
ſchaffen, oder um Buͤcher voll zu ſchreiben, oder aus andern
niedrigen Abſichten.
§ 765.
Die Lectuͤre des angehenden Arztes muß daher auf das
ſorgfaͤltigſte ausgewaͤhlt ſeyn, und darf nur in den Werken
der Klaſſiker unter den Aerzten beſtehen, mit welchen man
ſo fruͤhzeitig als moͤglich, bekannt werden muß.
- Gruner de obſervationum medicorum ſtudio rite dirigendo.
Jen. 797.
§ 766.
Uebrigens leſe man Aerzte von verſchiedeneu Syſtemen
aus verſchiedenen Zeitaltern, und von verſchiedenen Natio-
nen. Dadurch beugt man aller Einſeitigung vor, gewinnt
Achtung fuͤr das Neue ſowohl, als fuͤr das Alte, und erhaͤlt
ſich die Freyheit des Geiſtes, ohne welche man nie die Wahr-
heit findet.
- Plaz progr. priscam et recentiorcm medicinam commen-
dans. Lipſ. 783. 4.
§ 777.
Fuͤr die Arzneykunſt duͤrfen folgende Beobachter vor-
zuͤglich empfohlen werden:
Hip-
[241]Bildung des Arztes.
Hippocratis opera omnia. Ed. Haller. Lauſannae
784. IV Tom. gr. 8. 4 Rthlr. 16 gl. Sprengels Apo-
logie des Hippocrates und ſeiner Grundſaͤtze. Leipz. 789 —
92. II Bd. gr. 8. 2 Rthlr. (Noch giebt es keine brauch-
bare teutſche Ueberſetzung ſeiner ganzen Werke).
Celſi de medicina libri VIII. ed. Krauſe. Lipſ.
766. 8. 2 Rthlr.
Fernelii univerſa medicina. Cum notis Heurnii.
Ultraiecti. 656. 4.
Schenk de Graffenberg obſervationum me-
dicarum lib. VII. Francof. 600. 8.
Tulpii obſervationum lib. IV. Lugd. Bat. 672. 8.
Foreſti obſervationes et curationes medicinales.
Francofurti 602. fol.
Plateri obſervationum libri III. Baſil 614. 8.
Piſonis ſelectiores obſervationes et conſilia de mor-
bis a colluvie ſeroſa. Lugd. Bat. 650. 8.
Lommii medicinalium obſervationum libri III, Ant-
verp. 560. 8.
Sydenhami opera omnia medica. Genevae 723.
II Tom. 4. 2 Rthlr. 16 gl. (Noch fehlt es an einer les-
baren Ueberſetzung).
van Swieten conſtitutiones epidemicae et morbi
potiſſimum Lugduni Batavorum obſervati. Ed Stoll. Vienn.
782. II Tom. gr. 8. 2 Rthlr. — van S. Epidemien und
Krankengeſchichten, herausg. von Weber. Leipzig 785.
II Bd. gr. 8. 2 Rthlr. 16 gl.
Baglivii opera omnia medico-practica et anato-
mica. Norimb. 738. 4. 1 Rthlr. 8 gl.
Boerhaave conſultationes medicae. Gotting. 772.
8. 10 gl.
QDe
[242]Dritter Theil.
de Haen ratio medendi in noſocomio practico.
Vienn. 758 — 73. XV Tom. gr. 8. 10 Rthlr. 5 gl. Con-
tinuat. 773 — 79. III Tomi. 4 Rthlr. 8 gl. — d. H. Hei-
lungsmethode, aus deſſen groͤßern Werken gezogen, von
Platner. Leipz. 779 — 85. IX Bde. gr. 8. 11 Rthlr. 12 gl.
Wepfer obſervationes medico-practicae, de affecti-
bus capitis internis et externis. Tiguri 745. 4. 2 Rthlr. —
W. Beobachtungen von den innern und aͤußern Krankheiten
des Kopfs. Mit Anmerkungen von Weiz. Leipz. 786. gr. 8.
1 Rthlr. 16 gl.
Werlhofii opera medica. Collegit, auxit Wich-
mann. Hannov. 775—76. III Tom. 4. 3 Rthlr.
Fr. Hofmannsmedicina conſultatoria. Halle 721
— 37. XII Bde. 4. 6 Rthlr.
Mead monita et praecepta medica. Lipſ. 759. 8.
4 gl. — M. mediciniſche Erinnerungen und Lehren.
Frkft. 759. 8. 12 gl. — M. opera medica. Gotting. 748.
II Tom. 4. 1 Rthlr. 10 gl.
Morton opera medica. Genev. 727. II Tom. 4.
2 Rthlr. 8 gl.
Quarin de curandis febribus et inflammationibus.
Vienn. 781. 8. 1 Rthlr. — Q. Heilmethode der Fieber.
Kopenh. 777. 8. 6 gl.
Cleghorns Beobachtungen uͤber die epidemiſchen
Krankheiten, die in den Jahren 1744 — 49 in Minorka ge-
herrſcht haben. A. d. Engl. Gotha 776. 8. 16 gl.
Grants Beobachtungen uͤber die Natur und Hei-
lung der Fieber. A. d. Engliſchen. Leipz. 791. II Th. gr. 8.
2 Rthlr. 12 gl. — G. Beobachtungen uͤber die chroniſchen
Krankheiten. A. d. Engl. Leipz. 784. gr. 8. 16 gl.
Medikus Sammlung von Beobachtungen aus der
Arzneywiſſenſchaft. Zuͤrich 776. 8. 1 Rthlr. 4 gl. — Ge-
ſchich-
[243]Bildung des Arztes.
ſchichte Periode haltender Krankheiten. Frankfurt 794. 8.
1 Rthlr.
Stoll ratio medendi in noſocomio practico Vindo-
bonenſi. Vienn. 90 — 94. VII Tom. gr. 8. 7 Rthlr. 15 gl.
— S. Heilungsmethode in dem praktiſchen Krankenhauſe
zu Wien. Ueberſ. v. Faber. Breslau 783 — 91. IV Bde.
gr. 8. 5 Rthlr. 4 gl.
(May) Stolpertus, ein junger Arzt am Krankenbette.
Manuheim 777 — 11 8. (18 gl.)
Sarcone Geſchichte der Krankheiten in Neapel. Zuͤ-
rich 771 — 72. III Bde. gr. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
Huxhami opera phyſico-medica. Curante Rei-
chel. Lipſ. 764. III Tom. gr. 8. 2 Rthlr. 4 gl.
Whytts ſaͤmmtliche zur praktiſchen Arzneykunſt gehoͤ-
rige Schriften. A. d. Engl. Leipz. 771. gr. 8. 1 Rthlr.
12 gl.
Wichmanns Ideen zur Diagnoſtik. Hannover 794
— 97. II Bde. gr. 8. 1 Rthlr. 10 gl.
Rahn adverſaria medico-practica. Tiguri 779. gr.
8. 1 Rthlr. 4 gl.
Marcards mediciniſche Verſuche. Leipz. 777. II Bde.
8. 1 Rthlr. 8 gl.
Kloekhofii opuscula medica. Ed. Schlegel. Jen.
772. 8. 16 gl. — K. ſaͤmmtliche mediciniſche Schriften,
uͤberſetzt von Leune. Leipz. 790. II Bde. 8.
Fothergills ſaͤmmtliche medieiniſche und philoſo-
phiſche Schriften. Mit Kupf. Altenb. 785. II Bde. 8.
2 Rthlr. 6 gl.
J. P. Frank delectus opusculorum medicorum. Tici-
ni 788 — 91. X Tomi. gr. 8. 10 Rthlr. — F. Opuscula
medici argumenti. Lipſ. 790. gr. 8. 16 gl. — F. kleine
Q 2Schrif-
[244]Dritter Theil.
Schriften praktiſchen Inhalts, aus dem Latein. von Eye-
rell. Leipz. 798. gr. 8. 1 Rthlr.
Richters Bemerkungen uͤber die Entſtehung und Be-
handlung verſchiedener Arten von Fiebern. Halle 785. gr. 8.
18 gl.
Weikards vermiſchte mediciniſche Schriften. 2te
Aufl. Frankfurt 793. II Bde. 4 Rthlr.
Reil memorabilia clinica, medico-practica. c. fig.
Hal. 790 — 95. II Vol. 8. 2 Rthlr.
Ruſh mediciniſche Unterſuchungen und Beobachtun-
gen. A. d. Engl. Leipz. 792. gr. 8. 1 Rthlr. — R. Neue
mediciniſche Unterſuchungen und Beobachtungen. Nuͤrnberg
797. 18 gl.
Lentins Beytraͤge zur ausuͤbenden Arzneywiſſen-
ſchaft. Neue Aufl. Leipz. 797. 8. 1 Rthlr. 8 gl.
§ 768.
Fuͤr die Handarzneykunſt verdienen folgende Klaſſiker
geleſen zu werden:
Guidonis de Cauliaco opera. Par. 498. fol.
Parei opera. Paris. 582. fol.
Fabricii Hildani obſervationes chirurgicae. Fran-
cof. 598. 8.
Ruyſh obſervatt. anatom. chirurgicae. Amſtelod.
691. 4.
Stalpart van der Wiel obſervatt. chirurgicae.
Lngd. Bat. 687. II Vol. 8.
Obſervations de chirurgie par Ledran. à Paris 738. 8.
Le Drans Gutachten uͤber chirurgiſche Faͤlle. A. d.
Franz. Leipz. 773. 8. 18 gl.
Opuscules de chirurgie par Morand. Paris 768. 4.
Hei-
[245]Bildung des Arztes.
Heiſters mediciniſch chirurgiſche und anatomiſche
Wahrnehmungen. Roſtock 759 — 70. II Bde. 4.
Potts ſaͤmmtliche chirurgiſche Werke. A. d. Engli-
ſchen uͤberſetzt. Berlin 787 — 88. II Bde. gr. 8. 3 Rthlr.
8 gl.
Richteri obſervationes chirurgicae. c. fig. Götting.
770 — 76. III faſc. 8. 17 gl.
Schmuckers chirurgiſche Wahrnehmungen. Berlin
775 — 89. II Bde. gr. 8. 2 Rthlr. 12 gl. — S. Samm-
lung vermiſchter chirurgiſcher Schriften. Berlin 783 — 87.
III Bde. gr. 8. 2 Rthlr. 12 gl.
Thedens neue Bemerkungen zur Bereicherung der
Wundarzneykunſt und Medicin. Berlin 782. gr. 8. 1 Rthlr.
6 gl.
G. C. Siebolds chirurgiſches Tagebuch. Mit Kupf.
Nuͤrnberg 792. gr. 8. 16 gl.
Murſinna mediciniſch chirurgiſche Beobachtungen,
nebſt einigen Anmerkungen. Berlin 783. 8. 20 gl.
Loders chirurgiſch-mediciniſche Beobachtungen. I Bd.
m. K. Weymar 794. gr. 8. 1 Rthlr.
Hunczovskys mediciniſch-chirurgiſche Beobachtun-
gen, auf ſeinen Reiſen durch England und Frankreich. Wien
783. gr. 8. 1 Rthlr.
W. Hunters ausgeſuchte mediciniſch-chirurgiſche
Beobachtungen und Heilmethoden. Leipz. 784—85. II Bde.
gr. 8. 1 Rthlr. 16 gl.
§ 769.
Fuͤr die Entbindungskunſt kann man folgende Beobach-
tungen leſen:
Rödereri opuscula medica. Gotting. 763. II Tom. 4.
1 Rthlr. 8 gl.
Q 3Levrets
[246]Dritter Theil.
Levrets Wahrnehmungen von Urſachen ſchwerer Ge-
burten. mit Kupf. Altona 758 — 61. II Bde. 8. 1 Rthlr.
20 gl.
Smellies Abhandlungen aus der Hebammenkunſt.
Altenb. 755 — 70. III Bde. 8. 2 Rthlr.
Hagens Erlaͤuterung und Berichtigung des neuen
Lehrgebaͤudes der praktiſchen Geburtshuͤlfe. Berlin 790. gr. 8.
16 gl.
Campers Betrachtungen uͤber Gegenſtaͤnde aus der
Geburtshuͤlfe. m. Kupf. Leipz. 776. 8. 10 gl.
Boers Abhandlungen geburtshuͤlflichen Inhalts. Wien
791 — 93. III Th. gr. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
§ 770.
Dabey darf der angehende Arzt auch die Zuſaͤtze und
Entdeckungen nicht uͤberſehen, mit welchen die Heilkunſt in
unſern Tagen bereichert wird. Es iſt ihm daher bey der ge-
genwaͤrtigen Lage der Sachen, unumgaͤnglich nothwendig,
die vorzuͤglichſten periodiſchen Blaͤtter zu leſen.
- Außer den bey den einzelnen Wiſſenſchaften ſchon ge-
nannten Journalen, ſind beſonders noch zu leſen: - Roͤſchlaubs Magazin zur Vervollkommung der
theoretiſchen und praktiſchen Heilkunde. Frank-
furt. 8. - (Heckers) Journal der Theorien, Erfindungen und
Widerſpruͤche in der Natur- und Arzneywiſſen-
ſchaft. Gotha. 8.
§ 771.
2. Ein noch bedeutenderes Huͤlfsmittel iſt das Be-
ſuchen der Spitaͤler und kliniſchen Anſtalten, zuerſt um die
daſelbſt
[247]Bildung des Arztes.
daſelbſt angeſtellten Aerzte handeln zu ſehen, ſodann um un-
ter ihrer Aufſicht ſelbſt Kranke zu uͤbernehmen. Dies iſt die
beſte und unentbehrliche Vorbereitung zur Praxis.
- Titius de arte clinica opportune in noſocomiis addiſcenda
Witeberg. 795. 4.
§ 772.
Anfangs iſt es nichts weniger, als rathſam, große
Spitaͤler zu beſuchen. Denn die Aerzte muͤſſen hier wegen
Menge der Kranken, ſehr ſchnell beobachten und ihr Uttheil
faͤllen, und ihren ganzen Zuſtand mit wenigen Blicken uͤber-
ſehen: der Anfaͤnger kann wegen Mangel an Uebung ihnen
noch nicht folgen, er geraͤth in die Verſuchung, dle Erkennt-
niß der Krankheiten fuͤr etwas ſehr Leichtes zu halten, und
gewoͤhnt ſich an einen Schlendrian, welcher ihn fuͤr immer
abhaͤlt, Arzt zu werden. Hierzu koͤmmt noch, daß in man-
chen großen Spitaͤlern die aͤrztliche Beſorgung nicht die ge-
wiſſenhafteſte und nachahmungswuͤrdigſte iſt.
§ 773.
Man muß alſo an das Krankenbette zuerſt von einem
Arzte gefuͤhrt werden, welcher jedem einzelnen Kranken
nicht nur ſeine volle Aufmerkſamkeit ſchenkt, ſondern auch
die Unterſuchung ſeines Zuſtandes langſam, den Kraͤften und
Kenntniſſen des Anfaͤngers gemaͤß vornimmt, und das Ur-
theil daruͤber, welches er fuͤr ſich kuͤrzer zu faſſen pflegt
(§ 519), zum Beſten deſſelben analyſirt, alle Beſtimmungs-
gruͤnde entwickelt, und die Vortheile ſeiner beſtimmten Hand-
lungsweiſe gehoͤrig auseinander ſetzt.
§ 774.
Dies geſchieht nun in den ſogenannten kliniſchen Anſtal-
ten, welche in ſtehende (perpetua) und wandelnde (ambu-
Q 4antia)
[248]Dritter Theil.
antia) eingetheilt werden. Bey den ſtehenden werden die
Kranken in einem eignen Hauſe, gewoͤhnlich an einem groͤſ-
ſern Spitale, aufgenommen, von eigens dazu beſtimmten
Waͤrtern gepflegt, und daſelbſt von den Aerzten beobachtet.
Bey den wandelnden werden ſie in ihren eigenen Wohnungen
aufgeſucht, oder ſie holen ſich, wenn ſie nicht darnieder lie-
gen, ſelbſt Rath.
§ 775.
Jede Gattung dieſer Anſtalten hat fuͤr den angehenden
Arzt ihre eigenen Vortheile. Die weſentlichen Vortheile
der wandelnden find, daß er ſich 1) an die Privatpraxis und
an alle die Schwierigkeiten gewoͤhnt, mit welchen ſie zu kaͤm-
pfen hat; 2) daß er die Unpaͤßlichkeiten und geringfuͤgige
Krankheiten kennen lernt, welche in Hoſpitaͤlern gemeiniglich
nicht vorkommen; 3) daß er mehr auf die Anordnung der
aͤuſſern Umſtaͤnde, welche die eigentliche Kur unterſtuͤtzen
muͤſſen, achten lernt.
§ 776.
Bey den ſtehenden hingegen hat er 1) mehr Gelegenheit,
merkwuͤrdige Faͤlle zu beobachten, weil der Lehrer aus
dem damit verbundenen Spitale die Kranken, welche ihm
die zweckmaͤßigſten duͤnken, auswaͤhlen kann; 2) kann er
ſichre Beobachtungen anſtellen, da er durch die Kranken
nicht getaͤuſcht wird, ſondern ſich immer des Zeugniſſes der
Waͤrter bedienen kann; 3) ſtehn ihm alle Huͤlfsmittel zur
Heilung zu Gebote: Pflege, Arzneyen, Nahrung, Klei-
der, Luft ꝛc.
§ 777.
Aus Vergleichung dieſer Vortheile ergiebt ſich: daß
man in den ſtehenden richtigere Erfahrungen ſammeln, in
den wandelnden aber mehr ſein ſavoir faire ausbilden, und
ſich an die aͤußern unweſentlichen Schwierigkeiten der Praxis
gewoͤhnen lernt.
§ 788.
[249]Bildung des Arztes.
§ 788.
Bey kliniſchen Anſtalten lernt man immer nur das Ver-
fahren eines einzigen Arztes kennen. Es iſt daher leicht
moͤglich, daß man, indem man ihn zu ſeinem einzigen Mu-
ſter waͤhlt, nicht nur weſentliche, ſondern auch unweſentliche
Eigenſchaften in Ruͤckſicht auf Heilmethode von ihm an-
nimmt, und daher einſeitig wird. Ein Fehler, welchem
man dadurch vorbeugt, daß man auch andere Aerzte beob-
achtet. Hierzu giebt beſonders ein großes Spital gute Ge-
legenheit, wo man ſpaͤterhin mit verſchiedenen Aerzten Kran-
ke beſucht.
§ 789.
Denſelben Zweck erreicht man auch durch Reiſen, auf
welchen man ſich nicht nur Menſchenkenntniß ſammlet, ſon-
dern auch mit den verſchiedenen mediciniſchen Anſtalten be-
kannt wird, und die Heilmethode der ihnen vorſtehenden
Aerzte ſelbſt genauer kennen lernt.
- I. P. Frank oratio de medieis peregrinantibus (iu delectu
opusculorum medicorum, vol. XI.).
§ 790.
Um dieſe wiſſenſchaftlichen Reiſen mit Nutzen zu unter-
nehmen, muß man 1) außer hinreichenden mediciniſchen
Kenntniſſen, auch ſchon einige Uebung in der Praxis beſiz-
zen, um das Eigenthuͤmliche an einem Arzte, oder an jeder
Anſtalt beſſer auffaſſen zu koͤnnen; 2) man muß mit den
verſchiedenen Syſtemen, Theorien, Operationsmethoden ꝛc.
ſchon vorlaͤufig bekannt ſeyn, um dadurch, da man dieſes
Studiums an fremden Orten uͤberhoben iſt, mehr Zeit zum
Beobachten zu gewinnen; 3) man muß wiſſen, an welchen
Orten man ſeinen individuellen Zweck gerade am vollkom-
menſten erreichen kann.
§ 791.
[250]Dritter Theil.
§ 781.
Bloße Beobachtung der Aerzte iſt aber noch ncht hin-
reichend, zum Praktiker zu bilden: man kann naͤmlich die
Aerzte handeln ſehen, ohne deshalb ſeine Beobachtungsgabe
oder ſeine Urtheilskraft zu vervollkommnen. Wenn daher
auch andere Aerzte einen Kranken behandeln, ſo muß man
doch immer ſelbſt beobachten und ſelbſt beurtheilen, und
dieſe Unterſuchung ſodann durch das, was die geuͤbtere Ur-
theilskraft entdeckt, berichtigen.
§ 782.
Sodann muß man auch ſelbſt Kranke uͤbernehmen.
Doch huͤte man ſich, hierin zu ſehr zu eileu. So lange
man naͤmlich noch nicht eine Zeitlang gute Aerzte beobachtet
und unter ihre Aufſicht prakricirt hat, uͤberſieht man vieles
au den Kranken, und faͤllt einſeitige Urtheile; geneſet nun
der Kranke durch andere Umſtaͤnde, ſo iſt man geneigt zu
glauben, dies ausgerichtet zu haben; man faͤhrt alſo in der-
ſelben Methode fort, und ſo wird die fruͤhzeitige Praxis
eine gefaͤhrliche Klippe, an welcher der Arzt fuͤr immer
ſcheitern kann.
§ 783.
Man gewoͤhne ſich fruͤhzeitig daran, von allen Krank-
heiten, die man beobachtet, die Hauptdata in ſeinem Jour-
nale aufzuzeichnen, und man ſetze dies in der Praxis fort[.]
Dadurch beugt man dem Schaden vor, welcher aus der Un-
treue des Gedaͤchtniſſes erfolgt, man vergißt keinen Um-
ſtand der gegenwaͤrtigen Krankheit, und kann daher gluͤck-
licher heilen, man erinnert ſich der Beſchaffenheit des Kran-
ken, welchen man vormals heilte, bey neuen Krankheiten,
und erleichtert ſich dadurch das Geſchaͤft ihrer Erkenntniß,
ſo
[251]Bildung des Arztes.
ſo wie ihrer Heilung; endlich kann Einem auch daran lie-
gen, die Geſchichte eines Falles vollſtaͤndig zu wiſſen, wel-
cher in der Folge erſt merkwuͤrdig und intereſſant wird.
- Ueber Anordnung dieſes Journals ſiehe Lentius Beytraͤge
zur ausuͤbenden Arzneywiſſenſchaften. S. 19 f. f.
Kliniſche Inſtitute*).
I.In Deutſchland.
Altdorf. An der hieſigen Privatanſtalt fuͤr arme
Kranke iſt ſeit 1795 ein mediciniſches Clinicum ambulans er-
richtet; die Studirenden behandeln die Kranken unter Lei-
tung des Lehrers, des Prof. Ackermann. Jaͤhrlich wer-
den gegen 150 Kranke behandelt.
- Ackermanns Bemerkungen uͤber die Kenntniß und Kur ei-
niger Krankheiten. Altdorf, 794—800. VI Stuͤck. gr. 8.
(ſ. die Vorreden.)
Bamberg. Ein eigenes muſterhaft eingerichtetes
Spital, welches jaͤhrlich gegen 300 Kranke aufnimmt, dient
hier zu einem mediciniſchen Kliniko, an welchem Profeſſor
Roͤſchlaub Lehrer iſt.
- Marons kurze Beſchreibung des allgemeinen Krankenhanſes
zu Bamberg Mit Kupf. Weymar, 797. 8. (Auch in deſ-
ſelben Pruͤfung des Brownſchen Syſtems. 1 Stuͤck.)
§ 786.
[252]Dritter Theil.
Berlin. An der Charite, in welcher jaͤhrlich 3000
Kranke behandelt werden, iſt ein mediciniſches Klinikum
von 12 Betten, welches woͤchentlich zweymal beſucht wird,
an den uͤbrigen Tagen beſuchen es nur diejenigen, welche die
Kranken behandeln, und dies Geſchaͤft iſt nur entwe-
der zu [pruͤfenden] Candidaten, oder koͤniglichen Penſionairs
zugetheilt. Lehrer iſt Geheimerrath Fritze.
- Baldingers neues Magazin fuͤr Aerzte. VI Bd. S. 15.
- Fritzens Annalen des kliniſchen Inſtituts.
- Formays mediciniſche Topographie von Berlin.
Erfurt. Ein wandelndes Klinikum bey einer Kran-
kenanſtalt, durch welche jaͤhrlich gegen 500 Kranke in ihren
Wohnungen behandelt werden. Lehrer iſt Hofrath Hek-
ker.
- Heckers Nachricht, die Krankenanſtalt zu Erfurt betreffend.
Erfurt, 792. 8.
Erlangen. Ein mediciniſches Clinicum ambulans.
Lehrer iſt Hofr. Wendt.
- Wendts Nachricht von dem Krankeninſtitute zu Erlangen.
2te Aufl. Erlangen. 786. 8.
Goͤttingen. 1) Ein mediciniſch-chirurgiſches Kli-
nikum, welches jaͤhrlich gegen 500 Kranke enthaͤlt, und
welchem Prof. Arnemann vorſteht; 2) ein eigenes Ge-
burtshaus, in welchem jaͤhrlich gegen 80 Geburten vorfal-
len. Lehrer iſt Profeſſor Oſiander.
Arne-
[253]Bildung des Arztes.
- Arnemanns Magazin fuͤr die Wundarzneykunſt. 1 Stuͤck.
S. 444. - Oſianders Denkwuͤrdigkeiten fuͤr die Heilkunde und Geburts-
huͤlfe. 1 Stuͤck.
Halle. 1) Auf Koſten des Koͤnigs, welcher eine be-
ſtimmte Summe dazu ausgeſetzt hat, iſt hier eine Krankenan-
ſtalt und ein mediciniſches wandelndes Klinikum. Lehrer iſt
Prof. Reil, 2) Ein chirurgiſches Clinicum ambulans, un-
ter Aufſicht des Prof. Merkel.
- Reil memorabilia clinica. Faſcic. I. praefat.
Jena. 1) Ein mediciniſch-chirurgiſches Clinicum
ambulans, in welchem jaͤhrlich gegen 400 Kranke aufgenom-
men werden; die Zuhoͤrer ſind Praktikanten und Auſculran-
ten: Erſtere beſuchen die Kranken, referiren und verordnen,
Letztere recipiren, bereiten die zuſammengeſetzten Arzneyen,
und beſuchen die wichtigern Kranken. Lehrer ſind die Hof-
raͤthe Hufeland und Loder. 2) Ein mediciniſches Kli-
nikum, unter Aufſicht des Hofrath Stark. 3) Ein eige-
nes Geburtshaus mit 8 Betten; woͤchentlich werden 2 mal
Acouchiruͤbungen angeſtellt; bey jeder Geburt ſind einige
Studirende gegenwaͤrtig, bey ſchweren Alle. Lehrer iſt
Hofr. Loder, und Unteraufſeher D.Froriep. 4) Eine
Entbindungsanſtalt. Lehrer daran iſt Hofr. Stark.
- Hufelands Einrichtungen und Geſetze der herzogligen me-
diciniſch-chirurgiſchen Krankenanſtalt zu Jena. Jena, 799.
8. (Und in deſſelben Journale der prakt. Arzneykunde.) - Lodrrs mediciniſch-chirurgiſche Beobachtungen. 1 Band.
- Starks Einrichtung des kliniſchen Inſtituts zu Jena. Jena,
782. 8.
Deſſelben
[254]Dritter Theil.
- Deſſelben Anszuͤge aus dem Tagebuche des herzoglichen Jenal-
ſchen kliuiſchen Inſtituts. - Deſſelben Archiv fuͤr die Geburtshuͤlfe. II Bd. 1 Stuͤck.
Leipzig. Am hieſigen Spitale, iſt 1) ein medicini-
ſches Klinikum, unter Aufſicht des Profeſſor Koch. 2)
chirurgiſches Klinikum, welches D.Eckold dirigirt.
Marburg hat 1) ein mediciniſches Klinikum, an
welchem Profeſſor Michaelis Lehrer iſt. 2) ein Ent-
bindungshaus, in welchem jaͤhrlich gegen 50 Geburten vor-
fallen; die natuͤrlichen und zuweilen auch widernatuͤrlichen
Entbindungen geſchehen durch die Studirenden. Der Hofr.
Stein ſteht ihm vor.
- Steins Statuten und Einrichtungen des Gebaͤrbanſes zu
Marburg (in Baldingers neuem Magazin fuͤr Aerzte. XIII
Bd. S. 117).
Prag. Um dem hieſigen buͤrgerlichen Krankenhauſe,
in welchem jaͤhrlich gegen 1200 Kranke behandelt werden,
iſt 1) ein mediciniſches Klinikum, Lehrer Prof. Sebald.
2) ein chirurgiſches Klinikum, Lehrer Prof. Arnold. 3)
ein Entbindungsinſtitut, Lehrer Prof. Melitſch.
- Sebalds Geſchichte der mediciniſch-praktiſchen Schule an der
Univerſitaͤt zu Prag. Prag, 796. 8. - Baldinger neues Magazin fuͤr Aerzte. XII Bd. S. 530.
§ 795.
[255]Bildung des Arztes.
Tuͤbingen. Ein Clinicum ambulans, unter Anleit.
des Prof. Hopf.
- Hopfs Ueberſicht der wichtigern Vorfaͤlle im Clinicum ambu-
latorum. Tuͤbingen, 796. 8.
Wien. In dem allgemeinen Krankenhauſe, welches
fuͤr 2000 Kranke eingerichtet iſt, und in welchen jaͤhrlich
gegen 8000 Kranke behandelt werden, iſt 1) ein oͤffentliches
mediciniſches Klinikum mit 24 Betten; taͤglich werden die
Kranken zweymal beſucht, der Zutritt iſt unentgeldlich, und
jeder Arzt, der ſich meldet, kann die Beſorgung von Kran-
ken unter Anleitung des Hofrath Frank uͤbernehmen. 2)
ein Privaklinikum des D.Frank, von ohngefaͤhr 50 Bet-
ten mit weiblichen Kranken. 3) Ein Gebaͤrhaus, in wel-
chen jaͤhrlich gegen 1500 Geburten vorfallen; die Aerzte,
welche ſich hier melden, haben unentgeldlichen Zutritt, fuͤh-
ren der Reihe nach das Journal, verrichten die Entbindung,
(koͤnnen auch auf einen Monat in dem Hauſe ſelbſt wohnen,
wo ſie alle 4 Tage die Woche haben,) und beobachten die
Behandlung der Woͤchnerinnen. Lehrer iſt Prof. Boer. —
Außerdem kann man den Ordinationen und chirurgiſchen
Operationen der uͤbrigen Spitalaͤrzte beywohnen. — In
der Stadt haͤlt D.Beer ein Privatklinikum fuͤr Augen-
krankheiten.
- Beldingers[neues] Magazin fuͤr Aerzte. VI Bd. S. 544.
XVIII Bd. S. 80. - Pyls Magazin fuͤr gerichtl. Arzneykunde und mediciniſche Po-
lizey. II Bd. S. 757. - Salzburger mediciniſch-chirurgiſche Zeitung. 1792. I Bd.
S. 209.
§ 807.
[256]Dritter Theil.
Wuͤrzburg. An dem hieſigen Juliusſpitale iſt in
zwey Saͤlen, deren jeder 11 Betten hat, 1) ein mediciniſches
Klinikum, unter Aufſicht des Prof. Thomann; und 2)
ein chirurgiſches Klinikum, an welchem Prof. Siebold
Lehrer iſt. — Ferner iſt hier ein Entbindungshaus, wel-
chem Prof. Siebold vorſteht.
- Siebolds Nachricht von der Einrichtung des Klinikums zu
Wuͤrzburg. Wuͤrzb. 795. 8. - Thomann uͤber die kliuiſche Anſtalt an dem Juliushospitale
zu Wuͤrzburg. Wuͤrzb. 797. 8.
II. In Frankreich.
Paris. Hier iſt 1) ein mediciniſches Klinikum im
hospice de l’unité, vorzuͤglich fuͤr Krankheiten der Armeen
beſtimmt; Lehrer ſind Conviſſart und Leroux; 2) ein
chirurgiſches Klinikum im grand hospice de i’humanité, wo
oͤffentliche Operationen vorgenommen werden, und woran
Pelletan und Boyer Lehrer ſind; 3) ein mediciniſch-
chirurgiſches Klinikum fuͤr beſonders merkwuͤrdige Faͤlle
(elinique de perfectionnement), mit 28 Betten in dem Ge-
baͤude der Ecole de santé, unter Duͤbois und Petit-
Randel. — In allen dieſen Anſtalten haben die Studiren-
den keinen Antheil an der Behandlung der Kranken, ſondern
es iſt dieſelbe ganz allein den Lehrern uͤberlaſſen; einige
Krankheiten, fuͤr welche eigene Spitaͤler beſtimmt ſind, be-
koͤmmt man hier gar nicht zu ſehen. — Leroy und Bau-
delooque tragen die Entbindungskunſt am Phantom vor;
bey dem Privatunterrichte werden zuweilen, jedoch ſelten,
wuͤrkliche Entbindungen benutzt; allein dann wird aus der
großen Zahl der Zuhoͤrer der Entbinder durch das Loos ge-
waͤhlt,
[257]Bildung des Arztes.
waͤhlt, und man ſieht die Woͤchnerin weder einige Zeit vor,
noch nach der Entbindung.
- Wardenburgs Briefe eines Arztes, geſchrieben zu Paris
in den Jahren 1796—97. Goͤttingen, 799—800. III Baͤn-
de. 8. - Behns Erinnerungen an Paris, zunaͤchſt fuͤr Aerzte geſchrie-
ben. 1 Heft. Berlin, 799. 8.
Strasburg hat 1) ein mediciniſches Klinikum unter
Coze; 2) ein chirurgiſches Klinikum unter Flamant;
3) ein Entbindungshaus, in welchem jaͤhrlich gegen 100
Entbindungen vorfallen; bey gewoͤhnlichen Entbindungen
ſind 6 bis 7 Studirende, bey ſchweren Geburten alle gegen-
waͤrtig; wer die Anſtalt ein halbes Jahr beſucht hat, ent-
bindet in gewoͤhnlichen Faͤllen ſelbſt. Woͤchentlich ſind 2 mal
Accouchiruͤbungen, und taͤglich wird die Viſite von allen Stu-
direnden gemacht.
- Baldingers neues Magazin fuͤr Aerzte, VI Bd. S. 452.
- Plan général de l’enceignement dans l’école de médicine de
Strasbourg. 6. — 8.
III. In England.
London. In mehreren hieſigen Hoſpitaͤlern wird prak-
tiſcher Unterricht ertheilt. Die groͤßten ſind das St. Tho-
mas- und das Guyshoſpital. Man wird entweder Schuͤler
eines Wundarztes, verhindet die Kranken, darf beyde Ho-
ſpitaͤler beſuchen, und zahlt dafuͤr jaͤhrlich 25 Pf Sterling;
oder man wird Schuͤler eines Arztes, ſieht dann nur die
Praxis und die Operationen in dem einen Spitale, und
zahlt eben ſoviel. Beyde Hoſpitaͤler enthalten gegen 900
RKranke.
[258]Dritter Theil.
Kranke. Man ſieht außerordentlich viel Operationen, be-
koͤmmt aber ſelbſt keine Kranken zu behandeln. — In dem
Geburtshauſe (dem lying-in-hospitale zu Weſtmuͤnſter),
wo jaͤhrlich gegen 5000 [Geburten] vorfallen, erhaͤlt man fuͤr
40 Guineen jaͤhrlich freye Wohnung, Bekoͤſtigung, und die
Erlaubniß, allen Geburten beyzuwohnen. Lehrer iſt D.
Thynne.
- Fiſchers mediciniſch-chirurgiſche Bemerkungen uͤber London und
die engliſche Heilkunde uͤberhaupt. Goͤttingen, 796. 8. - Deſſelben Bemerkungen uͤber die engliſche Geburtshuͤlfe. Goͤt-
tingen, 797. 8. - Blizards Vorſchlaͤge zur Verbeſſerung der Hoſpitaͤler. Aus
dem Engliſchen uͤberſetzt mit Zuſaͤtzen von D.Albers, die
Medicinalanſtalten zu London, Edinburg, Bath und Wien
betreffend. Jena, 799. 8.
Edinburg. Hier iſt das mediciniſch-chirurgiſche Kli-
nikum in einem eigenen gut eingerichteten Gebaͤude, welches
fuͤr 230 Kranke beſtimmt iſt. Die Lehrer (die Profeſſoren
Duncan und Gregory), unterſuchen die Kranken ſelbſt,
und dictiren die Reſultate davon und ihre Bemerkungen dar-
uͤber.
- Baldingers neues Magazin fuͤr Aerzte. III Bd. S. 446.
IV. In Italien.
Pavia. An dem daſigen Spitale, welches 400 Bet-
ten zaͤhlt, iſt ein mediciniſch-chirurgiſches Klinikum von 26
Betten. Moscati iſt Lehrer der mediciniſchen, und
Scarpa Lehrer der chirurgiſchen Klinik. Außerdem geben
auch noch 4 am Spitale angeſtellte Aerzte praktiſchen Un-
terricht am Krankenbette.
Baloin-
[259]Bildung des Arztes.
- Baldingers neues Magazin fuͤr Aerzte. VIII Bd. S. 364.
— XVI Bd. S. 391. - Heckers Archiv der allgemeinen Heilkunde. I Bd. S. 469.
Modena. Hier iſt ein Buͤrgerſpital von 150 Betten;
84 derſelben gehoͤren zu der kliniſchen Anſtalt, an welcher
Garini Lehrer iſt.
Padua. An dem hieſigen Kliniko iſt Comparetti
Lehrer.
- Comparetti saggio della scuola clinica nel spedale di Pa-
dova. Padova, 793. 8.
An praktiſchen Anſtalten fuͤr die Entbindungskunſt [fehlt]
es in Italien gaͤnzlich.
V.In Daͤnnemark.
Kopenhagen hat 1) ein mediciniſches Klinikum,
unter Aufſicht des Prof. Bang; 2) ein Geburtshaus mit
55 Betten, wo jaͤhrlich gegen 1000 Geburten vorfallen; 25
Betten ſind fuͤr den oͤffentlichen Unterricht beſtimmt. Die
Schwangern werden erſt aufgenommen, wenn die Geburts-
arbeit ſchon ihren Anfang genommen hat, nach der Entbin-
dung kommen ſie in ein daneben ſtehendes Gebaͤude. Nur
5 Aerzte (vier Innlaͤnder und ein Auslaͤnder) werden als
Zoͤglinge aufgenommen, und eidlich verpflichtet; ſie entbin-
den, halten das Journal, und machen nach 3 Monaten an-
dern Aerzten Platz. Lehrer iſt Prof. Saxtorph, der Sohn.
- Bangs Auswahl aus den Tagebuͤchern des koͤniglichen Frie-
drichs Krankenhauſes zu Kopenhagen. 1ter Theil. - Examen critique de la doctrine du Cn. Sacombe; ouvrage
terminè par une description de l’hospice et de l’école pra-
tique d’accouchement de Copenhague. à Paris 7. — 8.
VI
[260]Dritter Theil.
VI. In Rußland.
Petersburg. Das hieſige kayſerliche, chirurgiſch-
mediciniſche Inſtitut hat ein Klinikum von 30 Betten, welche
theils fuͤr innere, theils fuͤr aͤußere Krankheiten beſtimmt
ſind; jaͤhrlich werden gegen 200 Kranke hier behandelt. In
dem Entbindungshauſe fallen jaͤhrlich gegen 60 Geburten
vor. Beyde Anſtalten ſind fuͤr die kayſerlichen Penſionnairs
beſtimmt.
- V. Kelchen Grundriß der Einrichtung der kayſerlichen medi-
ciniſch-chirurgiſchen Schule, und einiger andern Hoſpitaͤler
in Petersburg. Petersburg, 786. 8.
zeige der Schriften bey, wo man uͤber die einzelnen Inſtitu-
te etwas naͤhere Auskunft findet.
766. 8.
prae brutis. Halae 705. 4.
publica. Heidelberg 789. 4.
laub’s Magazin. I. Bd. S. 23 f. f.)
Jenae 709. 4.
wie iſt ſie es? — (In Roͤſchlaub’s Magazin. I. Band,
S. 303 f. f. 337 f. f.)
dicin. — (In ſeinem Magazin. I. Bd. S. 279 f. f.)
lae 733. 4.
nen wollen, ſo beduͤrfen wir einer conſequenten Termino-
logie; ſie muß theils deutſch ſeyn, theils griechiſch, weil
die meiſten hierher gehoͤrigen Wiſſenſchaften ſchon griechi-
ſche Benennungen haben. Die Arzeneikunſt kann dann den
Namen Jatrie ἰατϱεία bekommen.
Ultrajecti 649. fol.
Mederer von der Nothwendigkeit, beyde Medicinen zu ver-
einen. Freyburg 782. 8.
de Vigiliis a Creuzenfeld biblioth. chirurg. T. II.
p. 910 ſqq.
man in Schlaeger hiſtoria litis de medicorum apud
veteres Romanos conditione. Helmſt. 740.
512. fol.
lendo. Perpinian. 702.
Bat. 715. 4.
Heyland de discrepantibus medicorum potiffimum præſen-
ſentis ſeculi, ſententiis theoretico-practicis. Lips. 728. 4.
- Heineken de medicorum ſcandalis, ſive de morbis curatu
difficilibus et inſanalibus. Halae 748. 4.
- Ritters Bemerkungen uͤber die Moͤglichkeit und Nothwendig-
keit, die Arzneykunſt zur Wiſſenſchaft zu erheben. (Im phi-
loſoph. Journal IX. Bd. 3. Heft, S. 283).
verſae ſcientiae medicae, ac ſubiunctae hiſtoriae literariae.
Tubing. 783. 8.
- Fr. Herz Grundriß aller mediciniſchen Wiſſenſchaften. Ber-
lin 782. 8. - Theden’s Unterricht fuͤr die Unterwundaͤrzte bey Armeen.
3te Aufl. Berlin 782. 8. - Selle’nsſtudium phyſico-medicum, oder Einleitung in
die Natur- und Arzneywiſſenſchaft. 2te Aufl. Berlin 787.
klopaͤdie — ein Anhang zur Ueberſetzung von Bichat’s Ver-
ſuch uͤber Deſſault. Goͤttingen 798. 8.
Erlang. 779. 8.
- Vogels Auleitung zum gruͤndlichen Studium der Arzneywiſ-
ſenſchaft. Stendal 791. 8. - Reyher’s Entwurf einer mediciniſchen Encyklopaͤdie und Me-
thodologie Altona 793. 8. - Schraud primae linae ſtudii medici. Peſt. 794. 8.
niſchen und lebenden, weil die Phyſik des anorgiſchen Rei-
ches Phyſik im engern Sinne genannt wird; — andremal
bedeutet das Phyſiſche ſoviel als das Koͤrperliche, im Ge-
genſatze gegen das Moraliſche (das Geiſtige), weil naͤmlich
Willensfreyheit (als der Grund der Moralitaͤt, des vorzuͤg-
lichſten Charakters eines Geiſtes) von den Naturkraͤften der
Koͤrperwelt ausgeſchloſſen iſt; — und endlich bedeutet es
auch, ſeinem Urſprunge gemaͤß, das Ratuͤrliche, was noch
nicht von dem Menſchen abſichtlich veraͤndert iſt, im Gegen-
ſatze des Kuͤnſtlichen.
gie oder Lehenslehre des Menſchen begriffen werden. S.
Anmerkung zu § 48.
ſchen.
merk. zu § 48.
lichkeit der Aerzte aus ihren Kuren zu beurtheilen. — (in
der Heſſiſchen Medicinalordnung. S. 452.)
digkeit eines autoriſirten mediciniſchen Collegii und einer
mediciniſchen Zwangsordnung. Hamburg 787. 8.
Aepli’s
[139]Der Stand des Arztes.
- Aepli’s Antirelmarus, oder von der Nothwendigkeit einer
Verbeſſerung des Medicinalweſens in der Schweiz. Win-
terthur 788. 8.
à Paris 783. 8.
- Garn uͤber Vorurtheile, Aberglauben, Unglanben, Leicht-
glaͤubigkeit der meiſten Menſchen in der praktiſchen Arzney-
wiſſen-
[143]Der Stand des Arztes.
wiſſenſchaft und Wundarzneykunſt. Wittenberg und Zerbſt
795. 8. - Oſterhauſen uͤber mediciniſche Aufklaͤrung. Zuͤrich 798. 8.
tor. 718. 4.
- Heiſter diſſ. de fortuna medica. Altorf. 722. 4.
Over-
[144]Erſter Theil.
- Overkamp diſſ. quis de fortuna medica verus ſit ſenſus.
Heidelberg 789. 4.
- Von der Geduld, beſonders eines Arztes am Krankenbette.
Frft. 791.
Kenntniſſe, in Hinſicht auf die Erziehung des Arztes (in
Briefen an Aerzte und Weltweiſe II. Bd. S. 45 fgg.).
lin. Leipz. 776. 8.
- Sims uͤber die beſte Methode, mediciniſche Unterſuchungen
anzuſtellen. Hamburg 775. 8. - Udens Briefe uͤber Beobachtungen aus der praktiſchen Arz-
neywiſſenſchaft. Stendal 779. 8. - Bertrand ars medendi tota in obſervationibus. Paris 739. 4.
habendis. Lipſ. 773 — 74. 4.
(In ſeinem Handbuch der praktiſchen Arzneywiſſenſchaft. III.
Bd. S. 457 fgg. IV. Bd. S. 453 fgg.)
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Propädeutik. Propädeutik. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpq9.0