und
andere Gedichte.
Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.
zu finden bey Jacob Chriſtoph Poſch.
1755.
Dieſe wenigen Gedichte brauchen kei-
ner weitlaͤuftigen Vorrede. Ein
großer Theil derſelben iſt nicht
neu, ſondern ſchon ſeit einiger
Zeit gedruckt. Es ſind die lyri-
ſchen Gedichte, die in den zweyen erſten Buͤ-
chern dieſer Sammlung enthalten ſind, meh-
rentheils vor fuͤnf Jahren bereits von einem
beruͤhmten Freunde zum Drucke befoͤrdert,
itzo aber nochmals ſorgfaͤltig durch ſehen, und
vieles daran geaͤndert, wo nicht verbeſſert wor-
den. Jm dritten und vierten Buche befin-
den ſich diejenigen Lieder, welche die lyriſche
Muſe erſt nach jener Sammlung gedichtet
hat. Sie ſind in der Ordnung verfertiget
worden, wie ſie hier ſtehen.
Der Sieg des Liebesgottes hat ebenfalls
ſchon im abgewichenen Jahre die Preſſe ver-
laſſen; da hingegen die vier angehangnen
Briefe ſich zum erſtenmal der oͤffentlichen
Critik darſtellen.
Es iſt gar kein Zweifel, daß ohngeachtet
aller angewandten Muͤhe noch ſehr viel an
allen dieſen Stuͤcken mit Grunde getadelt
werden koͤnne. Die ausbeſſernde Hand des
Dichters ſelbſt iſt mehr aus Muͤdigkeit, als
)( 2in
[] in der ſtolzen Einbildung, daß nunmehr al-
les vollkommen ſey, zuruͤckgezogen worden.
Da uͤbrigens der deutſche Parnaß mit ſich
ſelbſt uneinig und in gewiſſe Secten getren-
net iſt: ſo kann kein heutiger Dichter ſich ei-
nen gewiſſen und allgemeinen Beyfall verſpre-
chen. Er wird allezeit von einigen getadelt
werden, bloß weil er von andern gelobet
wird. Es koͤnnte leicht kommen, daß dieſe
Gedichte noch ein haͤrteres Schickſal zu ge-
warten haͤtten, und vielleicht dem Dichter aus
dem Petronius zugeruffen wuͤrde:
‘Adoleſcens, ſermonem habes non publici
ſaporis.’
Sollte er aber bloß deswegen mit ſeinen
Meinungen, in Sachen, die den guten Ge-
ſchmack betreffen, geheuchelt haben, weil ſie
von den Grundſaͤtzen anderer angeſehenen
Kunſtrichter abgehen?
Wie er ſich ſelbſt der im Reiche der Wiſ-
ſenſchaften hergebrachten Freyheit, ſeine Ge-
danken offenherzig herauszuſagen, mit Be-
ſcheidenheit bedienet hat: ſo wird es ihm
auch nicht znwider ſeyn, wenn andere ſich ei-
ner gleichen Freyheit gegen ihn ſelbſt gebrau-
chen. Er wird ſich zu belehren ſuchen, wo
er Unterricht findet; und wo er dieſen nicht
findet, wenigſtens zu ſchweigen wiſſen.
Jnn-
[]
Jnnhalt.
Lyriſche Gedichte.
- Erſtes Buch.
Seite- An Herrn Secretaͤr Gleim 1742. 3
- Der Fruͤhling 1742. 7
- An Chloen. 11
- An Chloen. 13
- An Chloen. 15
- An Chloen. 17
- Der Traum. 18
- Der Morgen. 19
- Morgenlied der Schaͤfer. 21
- Fruͤhlingsluſt. 23
- Die Zufriedenheit. 25
- Magiſter Duns 28
- Die Wuͤnſche. 30
- An Amorn. 31
- Die Muſe bey den Hirten. 32
- Das beunruhigte Deutſchland. 33
- Die lyriſche Muſe. 36
- Zweytes Buch.
- An das Gluͤck. 39
- Weinleſe. 42
- Vergleichung der alten und heutigen Deutſchen. 44
- )( 3Der
- Seite
- Der Abend, 47
- Das Orakel. 49
- Die Geliebte. 51
- Die Liebesgoͤtter. 52
- Ermunterung zum Vergnuͤgen. 54
- Der Weiſe auf dem Lande. 56
- An Venus. 60
- Die verſoͤhnte Daphne. 62
- Der verlohrne Amor. 64
- Der May. 65
- Die Wolluſt. 67
- Silen 71
- Drittes Buch.
- Tempe. 75
- Morpheus. 79
- Ein Gemaͤhlde. 82
- Neujahrswunſch des Nachtwaͤchters von Ternate. 84
- Amor und ſein Bruder. 87
- Die Wiſſenſchaft zu leben. 89
- Der ſtandhafte Weiſe. 92
- Die Sommerlaube 97
- Die Roſe. 99
- Der Sommer und der Wein. 100
- Die Freude. 101
- Die wahre Groͤſſe. 104
- Der Winter. 109
- Seite.
- Die Nacht. 111
- Die froͤhlige Dichtkunſt. 112
- Viertes Buch.
- Die Gluͤckſeligkeit. 117
- Der Tobacksraucher. 120
- An die Muſen. 123
- Die Trinker. 125
- An Galathee. 127
- Die Grotte der Nacht. 129
- Die Dichtkunſt. 133
- An die Deutſchen. 138
- An Herrn Baron von C*. 141
- Empfindungen an einem Fruͤhlingsmorgen. 143
- Die Liebe 147
- Der Schaͤfer. 150
- Palinodie 151
- An die Scherze. 153
- Die ruhige Unſchuld. 155
- Theodicee. 157
Der
[]
- Seite.
- Der Sieg des Liebesgottes,
ein Gedicht. 165
- Briefe.
- An Herrn Hofrath B* 201
- An Herrn Secretaͤr G* 218
- An Herrn Hof-Advocat Gr** 229
- An Herrn Hofrath C* 235
Jn der Poſchiſchen Buchhandlung, iſt neu zu finden:
Der Freund, 1ter Band, in gros Octav, koſt 1.
Rthl. 2. gute Groſchen. Wird woͤchentlich mit ei-
nem Bogen fortgeſetzet.
Hn. von Hagendorns, Fabeln und Erzaͤhlungen in 8.
1753. vor 8. gute Groſchen.
Lyriſche Gedichte
in
Vier Buͤchern.
[[2]][[3]]
Erſtes Buch.
A 2Den
[4]Lyriſche Gedichte
Sie
[5]Erſtes Buch.
A 3Und
[6]Lyriſche Gedichte
Der
[7]Erſtes Buch.
A 4Ein
[8]Lyriſche Gedichte
Schmuͤck
[9]Erſtes Buch.
A 5Bald
[10]Lyriſche Gedichte
An
[11]Erſtes Buch.
Ver-
[12]Lyriſche Gedichte
An
[13]Erſtes Buch.
Mein
[14]Lyriſche Gedichte
An
[15]Erſtes Buch.
Jch
[16]Lyriſche Gedichte
An
[17]Erſtes Buch.
BEin
[18]Lyriſche Gedichte
Der
[19]Erſtes Buch.
B 2Der
[20]Lyriſche Gedichte
Mor-
[21]Erſtes Buch.
B 3Nie
[22]Lyriſche Gedichte
Fruͤh-
[23]Erſtes Buch.
B 4Aber
[24]Lyriſche Gedichte
Die
[25]Erſtes Buch.
B 5Zu
[26]Lyriſche Gedichte.
Sieh
[27]Erſtes Buch.
Ma-
[28]Lyriſche Gedichte
Das
[29]Erſtes Buch.
Die
[30]Lyriſche Gedichte
An
[31]Erſtes Buch.
Die
[32]Lyriſche Gedichte.
Das
[33]Erſtes Buch.
CVor
[34]Lyriſche Gedichte
Wir
[35]Erſtes Buch.
C 2Der
[36]Lyriſche Gedichte
An
[37]Erſtes Buch.
C 3Ein
[38]Lyriſche Gedichte
Zwey-
[39]Zweytes Buch.
Zweytes Buch.
C 4Wen
[40]Lyriſche Gedichte
Fah-
[41]Zweytes Buch.
C 5Die
[42]Lyriſche Gedichte
Ver-
[43]Zweytes Buch.
Die
[44]Lyriſche Gedichte
ſchen Sitten.
Daß
[45]Zweytes Buch.
Die
[46]Lyriſche Gedichte
Der
[47]Zweytes Buch.
Bereits
[48]Lyriſche Gedichte
Das
[49]Zweytes Buch.
DSey
[50]Lyriſche Gedichte
Die
[51]Zweytes Buch.
Siehe Oeuvres de Clement Marot, chanſon 24.
D 2Die
[52]Lyriſche Gedichte
Un-
[53]Zweytes Buch.
D 3Er-
[54]Lyriſche Gedichte
Denn
[55]Zweytes Buch.
D 4Die
[56]Lyriſche Gedichte
Du
[57]Zweytes Buch.
D 5Noch
[58]Lyriſche Gedichte
Mir
[59]Zweytes Buch.
An
[60]Lyriſche Gedichte
Die
[61]Zweytes Buch.
Die
[62]Lyriſche Gedichte
Doch,
[63]Zweytes Buch.
Der
[64]Lyriſche Gedichte.
Der
[65]Zweytes Buch.
EEs
[66]Lyriſche Gedichte
Die
[67]Zweytes Buch.
E 2Jch
[68]Lyriſche Gedichte
So
[69]Zweytes Buch.
E 3Gold
[70]Lyriſche Gedichte
Si-
[71]Zweytes Buch.
E 4Du
[72]Lyriſche Gedichte.
Sie
[73]Zweytes Buch.
E 5Pan
[74]Lyriſche Gedichte
Drit-
[75]Drittes Buch.
Drittes Buch.
Durch
[76]Lyriſche Gedichte
Du
[77]Drittes Buch.
O goͤtt-
[78]Lyriſche Gedichte
Mor-
[79]Drittes Buch.
Hier
[80]Lyriſche Gedichte
Liebt
[81]Drittes Buch.
FEin
[82]Lyriſche Gedichte
Der
[83]Drittes Buch.
F 2Neu-
[84]Lyriſche Gedichte
des
Nachtwaͤchters zu Ternate.
Die
[85]Drittes Buch.
F 3Denn
[68[86]]Lyriſche Gedichte
Amor
[87]Drittes Buch.
F 4Jhm
[88]Lyriſche Gedichte
Die
[89]Drittes Buch
F 5Jn-
[90]Lyriſche Gedichte
Doch
[91]Drittes Buch.
Der
[92]Lyriſche Gedichte
An Herrn Hof-Rath C*
Sein
[93]Drittes Buch.
Sieh
[94]Lyriſche Gedichte
Wann
[95]Drittes Buch.
Kein
[96]Lyriſche Gedichte
Die
[97]Drittes Buch.
GGe-
[98]Lyriſche Gedichte
Die
[99]Drittes Buch.
G 2Der
[100]Lyriſche Gedichte
Die
[101]Drittes Buch.
G 3Doch
[102]Lyriſche Gedichte
So
[103]Drittes Buch.
G 4Die
[104]Lyriſche Gedichte
An Herrn Gleim.
Soll
[105]Drittes Buch.
G 5Doch
[106]Lyriſche Gedichte
Zu
[107]Drittes Buch.
Doch
[108]Lyriſche Gedichte
Der
[109]Drittes Buch.
Und
[110]Lyriſche Gedichte
Die
[111]Drittes Buch.
Die
[112]Lyriſche Gedichte
Bereits
[113]Drittes Buch.
HHo-
[114]Lyriſche Gedichte
Seyd
[115]Drittes Buch.
H 2Hier
[116]Lyriſche Gedichte
Vier-
[117]Viertes Buch.
Viertes Buch.
H 3Zur
[118]Lyriſche Gedichte
Quaͤlt
[119]Viertes Buch.
H 4Der
[120]Lyriſche Gedichte
Jch
[121]Viertes Buch.
Rauch
[122]Lyriſche Gedichte
An
[123]Viertes Buch.
Er-
[124]Lyriſche Gedichte
Die
[125]Viertes Buch.
Trinkt
[126]Lyriſche Gedichte
An
[127]Viertes Buch.
Und
[128]Lyriſche Gedichte
Die
[129]Viertes Buch.
JVon
[130]Lyriſche Gedichte
Um-
[131]Viertes Buch.
J 2Wenn
[132]Lyriſche Gedichte
Die
[133]Viertes Buch.
J 3Wie
[134]Lyriſche Gedichte.
Die
[135]Viertes Buch
J 4Du
[136]Lyriſche Gedichte
Wo
[137]Viertes Buch.
J 5An
[138]Lyriſche Gedichte
O un-
[139]Viertes Buch.
Aus
[140]Lyriſche Gedichte
An
[141]Viertes Buch.
O Au-
[142]Lyriſche Gedichte.
Em-
[143]Viertes Buch.
An einem Fruͤhlings-Morgen.
Der
[144]Lyriſche Gedichte
Die
[145]Viertes Buch.
KDie
[146]Lyriſche Gedichte
Die
[147]Viertes Buch.
K 2Soll-
[148]Lyriſche Gedichte
Jhn
[149]Viertes Buch.
K 3Der
[150]Lyriſche Gedichte
Pa-
[151]Viertes Buch.
K 4Jch
[152]Lyriſche Gedichte
An
[153]Viertes Buch.
K 5Bey
[154]Lyriſche Gedichte
Die
[155]Viertes Buch.
Jch
[156]Lyriſche Gedichte
Theo-
[157]Viertes Buch.
Die
[158]Lyriſche Gedichte
Eh
[159]Viertes Buch.
Jch
[160]Lyriſche Gedichte
Er
[161]Viertes Buch.
LDie
[162]Lyriſche Gedichte
Vorm
[163]Viertes Buch.
L 2Jn
[164]Lyriſche Gedichte
Sieg
[[165]]
Sieg
des
Liebesgottes.
Ein Gedicht.
[[166]][[167]]
L 4Dort
[168]Sieg des Liebesgottes
Nein!
[169]Ein Gedicht.
L 5O Lie-
[170]Sieg des Liebesgottes.
Soll
[171]Ein Gedicht.
Auch
[172]Sieg des Liebesgottes
Mehr
[173]Ein Gedicht.
Zwey-
[174]Sieg des Liebesgottes.
Wie
[175]Ein Gedicht.
Der
[176]Sieg des Liebesgottes
So
[177]Ein Gedicht.
MEin
[178]Sieg des Liebesgottes
Doch
[179]Ein Gedicht.
M 2Jhr
[180]Sieg des Liebesgottes
Er
[181]Ein Gedicht.
[182]Sieg des Liebesgottes
Sie
[183]Ein Gedicht.
M 4Und
[184]Sieg des Liebesgottes
Sie
[185]Ein Gedicht.
M 5Do-
[186]Sieg des Liebesgottes
Der
[187]Ein Gedicht.
Der
[188]Sieg des Liebesgottes
Denn
[189]Ein Gedicht.
Vier-
[190]Sieg des Liebesgottes
Er
[191]Ein Gedicht.
Zu-
[192]Sieg des Liebesgottes
Der
[193]Ein Gedicht.
NDoch
[194]Sieg des Liebesgottes
Ur-
[195]Ein Gedicht.
N 2Da
[166[196]]Sieg des Liebesgottes
Nein!
[197]Ein Gedicht.
N 3Durch
[198]Sieg des Liebesgottes
Briefe
[[199]]
Briefe.
[[200]][201]
An Herrn Hofrath B*
Aber, ohne Scherz! die hieſigen Gegenden ſind die ange-
nehmſten, die man ſehen kann. Der Fruͤhling iſt nir-
N 5gend
[202]Briefe.
gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie reden
auch vom Fruͤhling? Sie, die im Rauch einer engen
Stadt eingeſchloſſen leben, und die Stimme der Nachti-
gall nur bey den Poeten hoͤren? Jn Staͤdten, glauben
Sie mir, iſt nur ein halber Fruͤhling: der Hauch der We-
ſte iſt daſelbſt nur halb ſo lieblich, und die Bluhmen la-
chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man
die Schoͤnheiten der Natur bloß dem Nahmen nach.
Nur auf dem Lande kennet, fuͤhlet und genießet man ſie:
und ich kann, ohne zu luͤgen, ſagen, daß ich auf dem Lande
bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht
wenig Laͤrm verurſachet.
Ach!
[203]Briefe.
Dergleichen †Gedanken ſchleichen, wenn ich mich der
hohen poetiſchen Sprache, ich der ich unpoetiſch bin, be-
dienen darf, ſelbſt in meinem geheimſten Herzen zu-
weilen herum, bey meinen einſamen Spaziergaͤngen, wo
alles um mich herum lachet. Was fuͤr entzuͤckende Spa-
tziergaͤnge! Hier verlohnt ſichs doch der Muͤhe, daß ich
meine verwoͤhnten Fuͤſſe ermuͤde. Sie ſollten nur ſehen,
wie ich laufe, ich, den ſie oft faul geſcholten haben, weil
ich Jhnen auf ihren Tagereiſen durch meiſt unangenehme
Oerter zu folgen, keine Luſt hatte! Hier bieten die ange-
nehmſten Scenen der Natur ſich mir ſelbſt und unge-
ſucht an.
Viel
[204]Briefe.
Auch
[205]Briefe.
Soll
[206]Briefe.
Aber dieſe arme Muſe hat ſich ganz aus dem Odem gere-
det: ſie keichet fuͤr Muͤdigkeit, und wuͤnſchet, auszuru-
hen. Bis zu ihrer baldigen Wiederherſtellung, will ich
ihnen nur in der alltaͤglichen Sprache ſagen, daß mir auf
dieſer angenehmen Hartenburg ein Abentheuer zugeſtoſſen,
welches meine bisherige Vermuthung beſtaͤtiget hat, daß
ein ſo reizender Berg auch in andern Abſichten merkwuͤr-
dig ſeyn muͤßte. Die alten gefuͤrſteten Grafen von Hen-
neberg ſollen ein Bergſchloß daſelbſt gehabt haben; und
noch bey Lebzeiten des letzten Herzogs Sachſen-Roͤmhil-
diſcher Linie iſt ein Luſt- oder Trink-Ort hier geſtanden,
von welchem nichts mehr uͤbrig iſt, als ein ſchoͤner Felſen-
Keller und ein tiefer Brunnen. Sie muͤſſen, wenn ſie
uͤberhaupt von den Alterthuͤmern hieſiger Stadt, wider
Vermuthen, ein mehreres wiſſen wollen, gewiſſe gelehrte
Werkchen nachſchlagen, welche niemand lieſt. Als ich
ohnweit ermeldten Kellers meinen melancholiſchen Gedan-
cken nachhieng, noͤthigte mich ein ploͤtzlich einbrechender
Sturm hinein zu fluͤchten, bis der Regen voruͤber waͤre.
Kaum war ich einige Schritte von dem Eingang abge-
kommen, als ich durch die Erſcheinung eines ehrwuͤrdi-
gen Alten, der mich ihm folgen hieß, erſchrecket wurde.
Bis
[207]Briefe.
Die
[208]Briefe.
Jch wuͤnſchte nunmehr von ganzem Herzen, aus dieſen
nnterirdiſchen Wohnungen je eher, je beſſer loszukommen:
denn mit leeren Faͤſſern und mit leeren Glaͤſern iſt mir
niemals viel gedient geweſen. Aber meine Beſtuͤrzung
ſtieg aufs hoͤchſte, als mein Kellermeiſter mich wieder
anredete. Der Sturm, ſprach er, welcher dich in dieſen
Keller genoͤthiget, o Sterblicher! iſt nicht von ungefehr
entſtanden. Ein Gnome, der in dieſem Berge ſich auf-
haͤlt, hat ihn veranſtaltet, weil er dich zu ſprechen ver-
langet. Er hat mit Vergnuͤgen bemerket, daß du die
ſchoͤne Hartenburg beſonders liebſt, und beym Spatzie-
ren
[209]Briefe.
rengehen dieſelbe nicht leicht uͤbergeheſt. Er hat geglaubt,
daß du vor dieſem Beſuch um ſo weniger erzittern wuͤr-
deſt, da du aus den cabbaliſtiſchen Briefen eines witzigen
Marquis, mit derer Durchleſung du einige Zeit her be-
ſchaͤftiget geweſen, eine richtigere Kenntniß der Geiſter
aller Arten geſchoͤpfet haͤtteſt. Jch werde dich zu ihm
fuͤhren: folge mir! Jch laͤugne nicht, wertheſter Freund,
daß ich dieſes unerwarteten Beſuches gern uͤberhoben ge-
weſen waͤre.
Jch habe auch, die Wahrheit zu ſagen, eben nicht viel
ruͤhmliches von den Herren Gnomen gehoͤrt: ſie ſollen et-
was boshaft und uͤberhaupt ſchlechte Chriſten ſeyn. Aber
ich war einmal in den Haͤnden des Staͤrkern: ich muſte
der Gewalt weichen, und folgte meinem Fuͤhrer, wohin er
mich leitete.
ODas
[210]Briefe.
Dieſer
[211]Briefe.
Dieſer unhoͤfliche Spaß des Gnomen verdroß mich. Ei-
ne Sprache dieſer Art, die nur der großen Welt natuͤrlich
laͤßt, ſchien mir in dem Munde eines kleinen Gnomen un-
verſchaͤmt zu ſeyn; und ich weis nicht, was ich ihm wuͤr-
de geantwortet haben, wenn er mich haͤtte reden laſſen.
Wie nun? fuhr er fort; wird die gewuͤnſchte Ruhe in
Roͤmhild auf den Fluͤgeln eines erfreulichen Concluſi (weil
dieſes doch dermalen ein Modewort, auch bey den Bau-
ern, iſt) bald zuruͤckkommen? Sollen wuͤrklich die Buͤr-
ger dieſes Ortes die gluͤckliche Gelegenheit bald verlieren,
ihre politiſchen Einſichten zum Wohl ihres Vaterlandes,
bey einem Krug Bier, in den Schenken auszukramen?
Jch daͤchte nicht! Nein! Es waͤre mir auch eben nicht
angenehm. Mein Hof wuͤrde doch in kuͤnftiger Zeit kei-
nen ſo ſtarken Zufluß mehr bekommen, als in dieſen Zei-
ten der Unordnung geſchehen koͤnnen.
O 2Die
[212]Briefe.
Kurz, aller Unflath des menſchlichen Geſchlechts fließet
in dieſen traurigen Gruͤften zuſammen; ein ieder zu ſeiner
beſtimmten Strafe. Sind dir, ſetzte der Gnome mit
ſeiner gewoͤhnlichen poſſenhaften Art hinzu, dergleichen
Leute, die ich einſtens hier zu ſehen hoffen darf, an dem
Orte deines itzigen Aufenthaltes bekannt? Welche ſind es?
Luſtig! erzehle mir was! Biſt du denn gar nicht aufge-
weckt? nicht boshaft? Jch erwiederte verdruͤßlich, daß
ich
[213]Briefe.
ich wohl wetten duͤrfte, dergleichen Menſchen, die ihm
lieb waͤren, wuͤrden hier gar nicht anzutreffen ſeyn.
Wenn ſie es aber auch waͤren, ſo moͤchte ich ſie nicht
ſehen: ſie wuͤrden mich nur traurig machen; und ich
lachte lieber. Roͤmhild waͤre gut genug: nur verdroͤſſe
mich der unter die Einwohner ausgegangene Rottengeiſt,
welcher die gute Geſellſchaft ſelten und die Freude ſchuͤch-
tern machte.
O 3Ent-
[214]Briefe.
Sterben? und um eines ſproͤden Maͤdchens willen? un-
terbrach mich der unverſchaͤmte Gnome: o ſey des-
wegen unbeſorgt! Jch habe in dieſem meinen unterir-
diſchen Aufenthalt noch keinen Selbſtmoͤrder dieſer Art
geſehen; und vermuthe auch nicht, jemals einen ſolchen
zu ſehen. Die Schoͤnen und ihre Liebhaber haben ſeit
undenklichen Jahren einander ihr Wort gegeben, weder
durch eine uͤbertriebene Strenge dergleichen ſuͤndliche Ge-
waltthaͤtigkeiten zu veranlaſſen, noch bey unvermutheter Haͤr-
te ſich zu entleiben: alles aber, was, dieſem zuwider,
dann und wann geſagt, oder geſchrieben wuͤrde, ſollte als
ein unverbuͤndliches Compliment angeſehen werden.
Und
[215]Briefe.
Jch konnte mich des Lachens ohnmoͤglich enthalten, da ich
einen Gnomen mit der zuverſichtlichen Mine eines Adonis
ſprechen hoͤrte. Jch glaubte, einen unbaͤrtigen Helden zu
hoͤren, welcher der aufmerkſamen Mama die Heldentha-
ten erzehlet, die ſein Arm in der Schlacht bey Mollwitz
verrichtet, wo er am erſten die Flucht genommen. Aber
der Gnome bezahlte mich fuͤr mein Lachen. Alles, was
ich bisher geſagt habe, ſprach er mit vieler Ernſthaftigkeit
zu mir, hilft dir nichts, mein Freund! Jch kenne dich
nun: du wirſt ſo wenig jemals ein gluͤcklicher Liebhaber,
als ein großer Mann werden. Wer nur ehrlich, niemals
unverſchaͤmt iſt, und mit guter Art weder zu betruͤgen,
noch der Welt Wind zu verkaufen weis, erſcheint ſehr ſel-
ten in einer glaͤnzenden Geſtalt. Wer dieſes wuͤnſchet,
ſoll billig alle erforderliche Eigenſchaften beſitzen, um unter
andern Umſtaͤnden auf einem Rad ſterben zu koͤnnen.
Du biſt zu nichts nuͤtze. Jch ſchaͤme mich der großen
Abſichten, die ich zu deinem Gluͤcke gehabt habe. Jch
O 4hatte
[216]Briefe.
hatte dir die ehrenvolle Stelle meines Hauspoeten zuge-
dacht: weil doch mein Affe anfaͤngt, alt zu werden. Du
haſt dein Gluͤck verſcherzet. Gehe hin, und erhenke dich?
Jch fand mich voll Erſtaunen wieder an eben dem Ein-
gange des Kellers, wo ich vor meinem wunderbaren Ge-
ſichte geweſen war. Niemand wollte auf meine Nach-
frage von einem Sturm wiſſen. Die Luft, ſagte man
mir, waͤre dieſen ganzen Nachmittag beſtaͤndig ſo heiter
geweſen, als ſie noch waͤre: nicht das geringſte Woͤlkchen
haͤtte ſich an dem blauen Himmel blicken laſſen. Jch
waͤre beynahe boͤſe geworden. Jch hielt alle Leute fuͤr
blind, und alle Leute hielten mich fuͤr betrunken. Jch
troͤſtete mich endlich, als ein Poet; und rief mit einer
Art von Entzuͤckung aus:
Seht
[217]Briefe.
Jch ſchließe unter der angenemen Hoffnung, werthe-
ſter Freund, daß ich nun bald das Vergnuͤgen haben
werde, ſie wieder zu umarmen. Sie werden es mit
mir wuͤnſchen, wenigſtens aus Furcht, daß Sie bey mei-
ner laͤngern Abweſenheit leichte noch einmal mit einem
poetiſchen Brief heimgeſuchet werden moͤchten. Abſit
Omen! Jch bin ꝛc.
O 5An
[218]Briefe.
An Herrn Secretaͤr G*.
Wenn dieſe Nachrichten wahr ſind; ſo kann ich kaum
zweifeln, daß nicht dieſes fatale Wort: Ehe, alle Un-
ordnungen erregen ſollte, wegen derer zu unſern eiſernen
Zeiten das Reich der Liebe beruͤchtiget iſt. Dieſes Wort
muß allein Urſache ſeyn, daß die Gluͤckſeeligkeit unſerer
heutigen Liebhaber ſo tief unter der Gluͤckſeeligkeit jener
verliebten Gnidier ſich erniedriget findet, wofern anders
der gnidiſche Geſchichtſchreiber uns nicht hintergangen
hat. Er ſagt viel von Liebe; nicht ein Wort aber von
Ehe.
[219]Briefe.
Ehe. Gleichwohl iſt der letzte Wunſch aller Liebenden,
mit dem geliebten Gegenſtande aufs genaueſte vereiniget
zu werden: und was iſt Ehe anders, als dieſe genaueſte
Verbindung derſelben? Warum ſind nun ihre guͤldnen
Tage insgemein diejenigen, da ſie ihres letzten Wunſches
noch nicht gewaͤhret worden? Sie haben auf ſolche Wei-
ſe, wertheſter Freund, das Gute von dem Eheſtande
ſchon gekoſtet, da ſie Braͤutigam geweſen, und ohnfehl-
bar die wohlhergebrachten Rechte eines Braͤutigams nicht
verſchlafen haben, aber doch kein Ehmann geworden ſind.
Jn was fuͤr ſeltſame Vorſtellungen ſtuͤrzet mich dieſer Ge-
danke?
Mir
[220]Briefe.
Ohne Scherz! Sobald ein liebendes Paar aus den Haͤn-
den der freyen Liebe in Hymens Haͤnde kommt; ſo ver-
ſchwindet Amor mit allem, was ihn reizend macht: Gra-
zien und Freuden und die Begierden, die noch angeneh-
mer, als die Freuden, ſind, werden nicht mehr gefun-
den,
[221]Briefe.
den, und ihre Staͤte kennet man nicht mehr. Der zaͤrt-
liche Geſang verſtummet, und ſtatt deſſen erſchallen
ſchwermuͤthige Klagen und Seufzer andrer Art, als die
in den Armen der Wolluſt gehoͤret werden. Wie viele
hoͤre ich den Tag, da ſie zu ihrer ewigen Sklaverey ein-
geweihet worden, verwuͤnſchen, und wie wenige denſel-
ben ſeegnen! B * * und Booth ſind unter dieſen weni-
gen. Denn wie man von Megaͤren und Meſſalinen
hoͤrt, ſo lieſt man auch von Pamelen und Amalien. Aber
ich finde doch dieſen Unterſchied hiebey: die leztern kommen
in den Romanen vor, die erſtern ſind hingegen wirklich,
in dieſer unſrer beſten Welt wirklich geweſen; und mich
duͤnket, dieſer Unterſchied ſey betraͤchtlich.
Wie
[222]Briefe.
Wen muͤſſen ſolche Betrachtungen nicht furchtſam ma-
chen? Und wie ſehr muß dieſe Beſorgniß durch die Nach-
richt wachſen, die Sie mir, mein liebſter Freund, von
Jhrem eigenen mislungenen Verſuch ertheilen? Gewiß,
Jhre Begebenheit iſt ſonderbar und einem Roman nicht
unaͤhnlich. Nichts kommt mit dabey wunderlicher fuͤr
als die abentheuerliche Vaterliebe des Vaters Jhrer Schoͤ-
nen, der nicht wiſſen will, daß die Frau Vater und
Mut-
[223]Briefe.
Mutter verlaſſen und einem Mann anhangen ſoll, auch
deswegen Maͤnninn heißt. Wie? Orpheus hat mit ſei-
ner Leyer, die vermuthlich lange nicht ſo reizend, als die
Jhrige, geklungen, ſeine Geliebte dem Teufel ſelbſt ab-
locken koͤnnen? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen
moͤgen, Jhre Verlobte den Armen eines uͤbertriebenen from-
men Eigenſinns zu entreiſſen? Dieſer einige Umſtand macht
Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieſes
anbelanget, daß Sie von einem Maͤdchen ſich betruͤgen
laſſen, und ſolches fuͤr eine Goͤttinn gehalten, hernach
aber als einen Menſchen, gleich denen uͤbrigen Kindern
der verderblichen Eva, befunden haben: liebſter Freund,
das iſt ganz begreiflich. Wer wird nicht auf dieſe Art
betrogen.
Und
[224]Briefe.
Das muͤſſen herrliche Lieder werden, die ich nach dieſem
Plane ſinge. Ob ſie jemand leſen werde, das iſt eine
andere Frage. Sie werden eine ganz neue Gattung der
Lieder ausmachen, oder doch unmittelbar auf die feyerli-
chen Geſaͤnge der platoniſchen Liebhaber folgen, um die
es immer ſo finſter und melancholiſch ausſieht. Sie ha-
ben, wenn man ihren hohen Worten glaubt, kein groͤſ-
ſers Vergnuͤgen, als ihre Thraͤnen; und wuͤrden zeitle-
bens Thoren geblieben ſeyn, wenn ſie nicht zu gutem
Gluͤ-
[225]Briefe.
Gluͤcke geliebet haͤtten. Jhre Maͤdchen machen ſie nicht
bloß artig und geſittet; ſondern zu Weiſen, Menſchen-
freunden und guten Buͤrgern, ja mit der Zeit gar zu Se-
raphim. Das iſt viel!
PWer
[226]Briefe.
Da inzwiſchen eine Hauptbeſchwerlichkeit der Ehen zu ſeyn
ſcheinet, daß ihre Vergnuͤgungen in kurzer Zeit matt
und froſtig werden: ſo will ich Jhnen, zu kuͤnftig beliebi-
gem Gebrauch, ein beſonderes Huͤlfsmittel wider dieſe
Plage nicht vorenthalten, das ich in einem alten unge-
druckten griechiſchen Buche gefunden habe. Ein alter A-
thenienſer hat ſich zwar durch unvorſichtigen Gebrauch
deſſel-
[227]Briefe.
deſſelben Schaden gethan; aber der Misbrauch hebet
niemals den wahren Gebrauch auf. Sie wiſſen die ſpar-
taniſche Policey-Ordnung, die einem jungen Ehemanne
nicht erlaubte, bey ſeiner Gattinn anders, als in geheim
und verſtohlen, einzugehen. Wie? Sie gaͤhnen bey dem
Worte: Sparta, und erwarten eine alte Geſchichte? Sie
rufen wohl gar aus:
Machen Sie mich nicht boͤſe! Jch moͤchte ſonſt Luſt be-
kommen, Sie mit jenem Kutſcher zu vergleichen, der ſei-
nen gnaͤdigen Herrn vor einiger Zeit durch ein hieſiges
Amts-Dorf fuhr. Der Herr bemerkte daſelbſt ein an-
geſchlagenes Kayſerliches Patent; und erſterer ward ab-
geordnet, zu ſehen, was es waͤre. Er gieng hin. Das
erſte, was ihm in die Augen fiel, war in dem Kayſerli-
chen Titel das Wort: Jeruſalem. Sogleich gieng er
P 2wieder
[228]Briefe.
wieder weg zu ſeinen Pferden, ohne weiter zu leſen, ohne
was zu ſagen. Nun! rief ſein Herr ihm zu; was iſts?
was giebts neues, Hanns? Nichts! ‒ ‒ Wie? nichts? ‒ ‒
Nein! nichts! es iſt eine alte Hiſtorie von Jeruſalem! ant-
wortete der Kutſcher froſtig, und fuhr immer ſeiner We-
ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha-
be es verſprochen? Aber ‒ ‒ Sie werden meine Erzehlung
dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten
Einwuͤrfe ganz auſſer meiner Faſſung gekommen. Als ein
anderer Fontaine,
wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien-
ſer die Gewohnheit gehabt, ſein artiges Weibchen auf
ſpartaniſch zu lieben; und durch unbehutſame Entde-
ckung dieſes Geheimniſſes einen luͤſternen Freund veran-
laſſet habe, ihn mittelſt dieſer Mummerey zum Hahnrey
zu machen. Denn es iſt ein allzugroßes Kuͤnſteln, wie
in allen Sachen, alſo inſonderheit im Eheſtande gefaͤhr-
lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la-
chende Anmuth des Fruͤhlings dem fruchtbarn Herbſt ge-
ben zu wollen, ſich einfallen laͤßt. Mit wie vielem Ver-
gnuͤgen wuͤrde ich mit Jhnen uͤber dieſe und tauſend an-
dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer guͤtigen Einladung
mich gebrauchen und Sie beſuchen koͤnnte! Aber das hie-
ſige Commiſſions-Geſchaͤft iſt geendiget; und ich werde
zu Haus erwartet. Morgen reiſe ich von hier ab. Jch
verharre ꝛc.
An
[229]Briefe.
An Herrn Hof-Advocat G * * *
P 3Ach!
[230]Briefe.
Die
[231]Briefe.
P 4Und
[232]Briefe.
Unter
[233]Briefe.
P 5Mit
[234]Briefe
An
[235]Briefe.
An Herrn Hofrath C*
Wie? Sie haben meinen Nahmen auf dem Parnaß
gehoͤrt? Jch ſoll daſelbſt nicht ganz unbekannt,
nicht ganz auſſer Achtung ſeyn? So zuverlaͤſ-
ſig Jhre Nachrichten von einem Orte, wo ſie einen ſo
hohen Platz behaupten, mir mit Recht ſcheinen muͤſſen,
ſo kann ich doch dieſe nur fuͤr einen freundſchaftlichen
Scherz anſehen. Wie koͤnnte ich eine Parthey auf dem
deutſchen Parnaß haben, da hier alles durch Cabalen zugeht,
und ich hingegen ein Feind aller ſolchen kleinen Rottie-
rungen bin? Jnzwiſchen hat Jhre ſinnreiche Dichtung
mich ungemein ergetzet. Weil ich den ganzen Tag uͤber
damit beſchaͤftiget geweſen; ſo iſt meine Seele ſelbſt im
Schlafe damit fortgefahren, hat dasjenige, was ich zu
verſchiedenen Zeiten und ſtuͤckweiſe gedacht, in eine be-
ſondere Vorſtellung zuſammengehaͤnget, und folgenden
Traum gebildet.
Der
[236]Briefe.
Jch betrachtete dieſe beeden großen Maͤnner mit einer ſo
ehrerbietigen Aufmerkſamkeit, daß ich lange Zeit den Laͤrm
nicht bemerkte, welcher immer mehr um mich herum an-
wuchs. Eine Menge Leute, die ich alle fuͤr deutſche er
kannte, waren in den Tempel eingedrungen; aber durch
zwey
[237]Briefe.
zwey verſchiedene Thore, welche, wie ich hernach zu er-
fahren Gelegenheit hatte, auch zu verſchiedenen Wegen
leiteten. Der eine, welcher der gebahnteſte ſchien, duͤf-
tete von den lieblichſten Bluhmen aller Arten. Diejeni-
gen, die auf demſelben in den Tempel kamen, raͤucherten
insgemein den ehrwuͤrdigſten Dichtern Griechenlands,
Roms und Frankreichs, und beſungen ihr Lob, wenigſtens
in einem verſtaͤndlichen Deutſch und unter dem Getoͤne
des Reims. Hingegen die uͤbrigen, die auf dem andern
Pfade wandelten, der ſehr rauh und uͤberhaupt nicht eben
der luſtigſte zu ſeyn ſchien, verſchwendeten allen ihren
Weihrauch bey einer dem Homer gegenuͤberſtehenden
brittiſchen Statue von ſchwarzem Marmor: ſie ſungen
ihm zu Ehren uraniſche Lobgeſaͤnge voll Olymp und zu
gleicher Zeit voll mizraimiſcher Finſterniß, in ſeltſamen
Versarten, die ſie mit gewißen griechiſchen Nahmen
guͤtig beehrten.
Steigt
[238]Briefe.
Jmmittelſt naͤherte ſich mir eine Weibsperſon von ernſt-
haftem, ſtrengem Anſehen, und mit einem blendend weis-
ſen Kleid angethan. Sie redete mich liebreich an. Jch
habe mit Vergnuͤgen geſehen, waren ihre Worte, auf
welche dieſer heiligen Denkmaale deine vorzuͤgliche Auf-
merkſamkeit gefallen iſt. (*) Jch billige deine Wahl,
welche von den herrſchenden Vorurtheilen dieſer Zeit nicht
hingeriſſen worden. Jch ſelbſt will dich durch dieſes
Heiligthum begleiten: ich will dir die Vornehmſten dei-
nes Volkes zeigen, die, nebſt andern, auf dem von Opitz
gebahnten Wege beharret, und ſich eine Stelle bey den
Lieblingen der Muſen erworben haben.
Da
[239]Briefe.
Um-
[240]Briefe.
Aber in dieſen Tagen, fuhr meine Begleiterinn fort, faͤngt
jener ſo ſchoͤne und ſichre Pfad von neuem an, zu verwil-
dern. Der engliſche Witz ſcheinet auf den deutſchen Par-
naß eben ſo vielen Einfluß zu haben, als die engliſchen
Krieges-Heere und Schaͤtze auf das Gleichgewichte von
Europa: London iſt, was Paris geweſen. Und wer
muß die brittiſche Muſe nicht verehren, die von einem
goͤttlichen Feuer begeiſtert, mit ungeſtuͤmem, aber oft
regelloſem Fluge ſich in Hoͤhen, wohin ihr niemand folgen
kann, ſchwinget, ob ſie gleich auch nicht ſelten um die
un-
[241]Briefe.
unfruchtbarn Klippen des froſtigen Schwulſtes flattert!
Jhre Schoͤnheiten ſind ungemein; aber ihre Fehler nicht
minder. Denn der Britte haͤlt in keiner Sache Maaß:
ſein Feuer reiſſet ihn hin, und er gefaͤllt auch ſelbſt in ſei-
nen Ausſchweifungen. Aber iſt der Deutſche zu entſchul-
digen, der bey ſeinem angebohrnen Phlegma ſich zwin-
get, ausgelaſſen hitzig zu thun, und mit kaltem Blute zu
raſen? Die engliſche Art zu ſchreiben iſt wie die engliſche
Regiments-Verfaſſung: ſie ſind beyde gut; aber nur
fuͤr engliſche Koͤpfe. Aus dieſer Urſache haben die kluͤgern
Deutſchen ſich niemals einfallen laſſen, die Engelaͤnder
durchgehends zu ihrem Muſter zu nehmen: ſie haben al-
lein ihre ſtarke, ihre gedankenreiche und koͤrnichte Art zu
dichten nachgeahmet. Dieß ſind wahre Schoͤnheiten,
Schoͤnheiten fuͤr alle Zeiten und alle Voͤlker. Eine be-
hutſame Nachahmung derſelben iſt dem deutſchen Parnaß
ſchon nuͤtzlich geweſen, und haͤtte noch nuͤtzlicher werden
koͤnnen, wenn nicht ſo viele andere einer gleichen Maͤſſi-
gung vergeſſen haͤtten.
QMacht
[242]Briefe.
Unter dieſen Reden hatte ſich das Getuͤmmel im Tempel
dermaſſen vermehret, daß meine Gefaͤhrtinn und ich ein-
ander nicht mehr verſtunden, und endlich von dem ein-
dringenden Schwarm ganz von einander geriſſen wurden.
Jch
[243]Briefe.
Jch ſah, wie alles dieſes Volk, bis auf wenige Perſo-
nen, die bey den Dichtern des Alterthums ruhig ſtunden,
ſich in zween Haufen getheilet, ieder derſelben aber ſeinen
Liebling hatte, deſſen marmorne Statue ſie bey Milton
oder Virgilen aufzurichten ſuchten, und von andern ſich
daran verhindert ſahen. Jeder Theil hatte gewiſſe pa-
pierne Poſaunen zu ſeinem Dienſte, die mit einem lau-
ten, oft beſchwerlichen Gekreiſche vor dem Bilde hergien-
gen; indeß ihnen die Gegenparthey mit kleinen hellen Stu-
tzer-Pfeifchen antwortete. Jch hoͤrte hoͤhniſch lachen
und mit unter auch ſchimpfen: ja einige warfen ſogar
mit Kothe nach dem Helden des Gegentheils; und dieſe
ſchienen wohl eifrige, doch nicht eben die fuͤrchterlichſten
Feinde zu ſeyn. Jndeſſen wuchs der Streit, und das
Getoͤſe nahm uͤberhand.
Q 2Als
[244]Briefe.
Als eine glaͤnzende Erſcheinung eine ploͤtzliche Stille verur-
ſachte. Jch ſah den Gott des guten Geſchmacks auf einer
leuchtenden Wolke und ſo, wie ihn Voltaire geſehen, in
den Tempel kommen. Seine heitre Stirne war mit den
Lorbeern des Maro, mit dem Epheu des Horaz und mit
Anakreons Roſen umkraͤnzet; und ſeine ganze Geſtalt
lachte von ungeſchminkter, doch ruͤhrender Anmuth. Er
ſprach; und ſeine Worte waren ſuͤſſer, als die Toͤne der
harmoniſchen Leyer:
Jn
[245]Briefe.
Q 3Und
[246]Briefe.
Der
[247]Briefe.
Dieſe lange Rede wuͤrde vielleicht noch laͤnger und noch
entſcheidender fuͤr die ſtreitenden Theile geworden ſeyn;
wenn nicht das Getuͤmmel derer, die mit derſelben ſchlecht
zufrieden waren, den Gott unterbrochen und mich ſelbſt
Q 4auf-
[248]Briefe.
aufgewecket haͤtte. Jn der That! ein langer Traum!
werden Sie ſagen. Vielleicht haben die langen Winter-
naͤchte denſelben ſo lange gemacht. Vielleicht hat auch
der Traum der ſchoͤnen Mirzoza, den ich in einer der wi-
tzigſten Schriften des juͤngern Crebillon vor dem Schla-
fengehen geleſen, meine Phantaſie zu einem ſo langen und
critiſchen Traum vorbereitet. Er ſey inzwiſchen ſo gut
oder ſo ſchlecht, als er wolle, ſo habe ich Jhnen denſelben
erzehlen wollen. Jch bin mit ehrerbietiger Hochach-
tung ꝛc.
Appendix A
Nuͤrnberg, gedruckt bey Joh. Joſeph Fleiſchmain.
[][][][][][]
ſtehet in Addiſons Campaign, einem Gedichte auf den
Sieg bey Hoͤchſtaͤdt.
du Roule. 1750.
guten Koͤnigs.
Buchs: Delicta Majorum immeritus luis \&c. nach
Herrn von Hagedorn Ueberſetzung in Oden und Liedern
S. 8.
Vais par-tout prechant l’art de la ſimple Nature.
Malheureux, je m’attache à ce goût ancien.
Oeuvres divers. de Mr. de la Fontaine T. I.
avons entrepris de changer la langue du blanc au
noir. Et nous en viendrons à bout, s’il plait à
Dieu, en depit de Lope de Vega, de Cervantes \&
de tous les autres beaux eſprits qui nous chicannent
ſur nos nouvelles façons de parler.
Avantures de Gil Blas L. VII. c. 13.
mable,
Il doit briller par tout \& même dans la Fable.
Boileau
quent \& nous reveillent, outre qu’il eſt à propos que
ces choſes ſoient menagées \& dans des diſtances
convenables, nous voulons encore qu’elles ſoient
placées ſur un fond ſimple. Lettr. II. ſur les cau-
ſes de la Decadence du gout par Remond de Saint
Mard.
ornate eſſe dicturum: neque vero, qui non dicat,
quod intelligamus, hunc poſſe, quod admiremur,
dicere. Cic. de Orat. III.
Tanquam ſcopulum, ſic inauditum atque inſolens
verbum, fugiamus. Cæſar. L. I. de Analogia.
du Roi Numa, \& qui écrit en Proſe comme on n’é-
crit point. Avantures de GilBlas L. VIII. c. 9.
Hæc verba tam improbe ſtructa, tam negligenter
abjecta, tam contra conſuetudinem omnium poſita.
Senec. Epiſt. 114.
Romains; ainſi perit cette belle \& majeſtueuſe ſim-
plicité de Ciceron. Lettre 1. ſur la decadence du
gout par Remond de Saint Mard.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Lyrische und andere Gedichte. Lyrische und andere Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpmd.0