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Alle Rechte vorbehalten, insbeſondere das der Ueberſetzung.
Das Aufführungsrecht iſt vom Verlage Bruno Caſſirer
in Berlin W., Derfflingerſtraße 16, zu erwerben
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Perſonen.
- Lulu
- Alwa Schön, Schriftſteller
- Rodrigo Quaſt, Athlet
- Schigolch
- Alfred Hugenberg, Zögling einer Korrektionsanſtalt
- Die Gräfin Geſchwitz
- Graf Caſti-Piani
- Banquier Puntſchu
- Journaliſt Heilmann
- Madelaine de Marelle
- Kadéga di Santa Croce, ihre Tochter
- Bianetta Gazil
- Ludmilla Steinherz
- Armande, Zimmermädchen
- Bob, Liftjunge
- Ein Polizeikommiſſär
- Mr. Hopkins
- Kungu Poti, kaiſerlicher Prinz von Uahubee
- Dr. Hilti, Privatdozent
- Jack
Der erſte Akt ſpielt in einer deutſchen Großſtadt, der zweite
in Paris, der dritte in London.
Erſter Aufzug.
Prachtvoller Saal in deutſcher Renaiſſance mit ſchwerem Plafond
aus geſchnitztem Eichenholz. Die Wände ſind bis zur halben Höhe mit
dunklen Holzſkulpturen bekleidet; darüber an beiden Seiten verblaßte
Gobelins. Nach hinten oben iſt der Saal durch eine verhängte Galerie
abgeſchloſſen, von der rechts eine monumentale Treppe bis zur halben
Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie befindet
ſich die Eingangsthür mit gewundenen Säulen und Fronteſpic[e]. An
der linken Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin, weiter vorne ein
Balkonfenſter mit geſchloſſenen ſchweren Gardinen; an der rechten
Seitenwand vor dem Treppenfuß eine geſchloſſene Portière.
Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers ſteht eine leere
dekorative Staffelei; rechts vorn befindet ſich eine breite Ottomane,
in der Mitte des Saales ein vierkantiger Tiſch, um den drei hochlehnige
Poſterſeſſel ſtehen. Links vorn ein kleiner Serviertiſch, daneben ein
Lehnſeſſel.
Der Saal iſt durch eine auf dem Mitteltiſch ſtehende, tiefverſchleierte
Petroleumlampe matt erhellt. Alwa Schön geht vor der Eingangs-
thür auf und nieder. Auf der Ottomane ſitzt Rodrigo, als Bedienter
gekleidet. Links in dem Lehnſeſſel, in ſchwarzem enganliegenden Kleid,
tief in Kiſſen gebettet, einen Plaid über den Knien, ſitzt die Gräfin
Geſchwitz. Neben ihr auf dem Tiſch ſteht eine Kaffeemaſchine und
eine Taſſe mit ſchwarzem Kaffee.
Er läßt auf ſich warten wie ein Konzert-
meiſter!
Ich beſchwöre Sie, ſprechen Sie
nicht!
Es ſoll Einer die Klappe halten, wenn
er den Kopf ſo voll Gedanken hat wie ich! — Es will
mir ganz und gar nicht einleuchten, daß ſie ſich dabei
ſogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben ſoll!
Sie iſt herrlicher anzuſchauen
als ich ſie je gekannt habe!
[6]
Behüte mich der Himmel davor, daß
ich mein Lebensglück auf Ihre Geſchmacksrichtungen
gründe! Wenn ihr die Krankheit ebenſogut angeſchlagen
hat, wie Ihnen, dann bin ich pleite! Sie verlaſſen die
Iſolierbaracke, wie eine verunglückte Kautſchukdame, die
ſich aufs Kunſthungern geworfen hat. Sie können ſich
kaum mehr die Naſe ſchneuzen. Erſt brauchen Sie eine
Viertelſtunde, um Ihre Finger zu ſortieren, und dann
bedarf es der größten Vorſicht, damit Sie die Spitze
nicht abbrechen.
Was uns unter die Erde bringt,
gibt ihr Kraft und Geſundheit wieder.
Das iſt alles ſchön und gut. Ich werde
aber doch vermutlich heute abend noch nicht mitfahren.
Sie wollen Ihre Braut am
Ende gar allein reiſen laſſen?
Erſtens fährt doch der Alte mit, um
ſie im Ernſtfalle zu verteidigen. Meine Begleitung kann
ſie nur verdächtigen. Und zweitens muß ich hier noch
abwarten, bis meine Koſtüme fertig ſind. — Ich komme
immer noch früh genug nach Paris. Hoffentlich legt
ſie ſich derweil auch noch etwas Embonpoint zu. Dann
wird geheiratet, vorausgeſetzt, daß ich ſie vor einem an-
ſtändigen Publikum produzieren kann. Ich liebe an einer
Frau das Praktiſche; welche Theorien ſich die Weiber
machen, iſt mir vollkommen egal. Ihnen nicht auch,
Herr Doktor?
Ich habe nicht gehört, was Sie ſagten.
Ich hätte meine Perſon gar nicht in
das Komplott verwickelt, wenn ſie mir nicht vor ihrer
Verurteilung ſchon immer die Plautze gekitzelt hätte.
Wenn ſie ſich in Paris nur nicht gleich wieder zu viel
Bewegung macht! Wenn ich nicht in die „Follies Berger“
[7] engagiert wäre, nähme ich ſie auf ein halbes Jahr mit
nach London und ließe ſie Plumkakes futtern. In London
geht man ſchon allein durch die Seeluft auf. Außerdem
fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier
immer gleich die Schickſalshand an der Gurgel.
Ich frage mich ſeit acht Tagen, ob ſich
jemand, der zu Zuchthausſtrafe verurteilt war, wohl noch
zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde.
Käme der Menſch nur endlich mal!
Ich muß hier auch meine Requiſiten
noch aus dem Pfandleihhaus auslöſen; ſechshundert Kilo
vom beſten Eiſen. Der Transport koſtet mich immer
dreimal mehr als mein eigenes Billet. Dabei iſt die
ganze Ausrüſtung keinen Hoſenknopf wert. Als ich
ſchweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten ſie
mich, ob die Sachen auch echt ſeien. — Die Koſtüme
hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen laſſen
ſollen. Der Pariſer merkt auf den erſten Blick, wo man
ſeine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer darauflos.
Aber das lernt ſich nicht mit untergeſchlagenen Beinen;
das will an klaſſiſch gebildeten Menſchen ſtudiert ſein.
Hier haben ſie eine Angſt vor der bloßen Haut wie in
Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde
ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe
verknallt, weil man ſah, daß ich ein paar Haare auf
der Bruſt habe, nicht ſo viel wie zu einer anſtändigen
Zahnbürſte nötig ſind. Aber der Kultusminiſter meinte,
die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude
am Strümpfeſtricken verlieren. Seitdem laſſe ich mich
jeden Monat einmal raſieren.
Wenn ich jetzt nicht meine ganze geiſtige
Spannkraft zu dem „Weltbeherrſcher“ nötig hätte, möchte
ich das Problem wohl auf ſeine Tragfähigkeit erproben.
[8] Das iſt der Fluch, der auf unſerer jungen deutſchen
Literatur laſtet, daß wir Dichter viel zu literariſch ſind.
Wir kennen keine anderen Fragen und Probleme als
ſolche, die unter Schriftſtellern und Gelehrten auftauchen.
Unſer Geſichtskreis reicht über die Grenzen unſerer
Zunftintereſſen nicht hinaus. Um wieder auf die Fährte
einer großen gewaltigen Kunſt zu gelangen, müßten
wir uns möglichſt viel unter Menſchen bewegen, die
nie in ihrem Leben ein Buch geleſen haben, denen die
einfachſten animaliſchen Inſtinkte bei ihren Handlungen
maßgebend ſind. In meinem „Totentanz“ habe ich ſchon
aus voller Kraft [nach] dieſen Prinzipien zu arbeiten
geſucht. Das Weib, das mir zu der Hauptfigur des
Stückes Modell ſtehen mußte, atmet heute ſeit einem
vollen Jahr hinter vergitterten Fenſtern. Dafür wurde
das Drama ſonderbarer Weiſe allerdings auch nur von
der freien literariſchen Geſellſchaft zur Aufführung ge-
bracht. Solange mein Vater noch lebte, ſtanden meinen
Schöpfungen ſämtliche Bühnen Deutſchlands offen. Das
hat ſich gewaltig geändert.
Ich habe mir Trikots im zarteſten
Blau-Grün anfertigen laſſen. Wenn die in Paris
keinen Succeß haben, dann will ich Mauſefallen ver-
kaufen. Die Trußhöschen ſind ſo graziös, daß ich mich
damit auf keine Tiſchkante ſetzen kann. Der vorteilhafte
Eindruck wird nur durch meine fürchterliche Plautze
geſtört, die ich meiner tätigen Mitwirkung in dieſer
großartigen Verſchwörung zu danken habe. Bei geſunden
Gliedern drei Monate lang im Krankenhaus liegen, das
muß den heruntergekommenſten Landſtreicher zum Maſt-
ſchwein machen. Seit ich heraus bin, futtere ich nichts
als Karlsbader Paſtillen; Tag und Nacht habe ich
Orcheſterprobe in den Gedärmen. Bis ich nach Paris
[9] komme, werde ich ſo ausgeſchwemmt ſein, daß ich keinen
Flaſchenſtöpſel mehr hochheben kann.
Wie ihr im Krankenhaus das
Wachtperſonal aus dem Wege ging, das war ein
erquickender Anblick. Der Garten war ausgeſtorben.
In der herrlichſten Mittagsſonne wagten ſich die Rekon-
valeszenten nicht aus den Haustüren. Ganz hinten bei
der Iſolierbaracke trat ſie unter den Maulbeerbäumen
vor und wiegte ſich auf dem Kies in den Knöcheln. Der
Portier hatte mich wiedererkannt und ein Aſſiſtenzarzt,
der mir im Korridor begegnete, fuhr zuſammen, als hätte
ihn ein Revolverſchuß getroffen. Die Krankenſchweſtern
huſchten in die Säle oder blieben an den Wänden
kleben. Als ich zurückkam war weder im Garten noch
unter dem Portal eine Seele zu ſehen. Die Gelegenheit
hätte ich nicht ſchöner finden können, wenn wir die ver-
fluchten Päſſe gehabt hätten. Und jetzt ſagt der Menſch,
er fahre nicht mit!
Ich verſtehe die armen Spitalbrüder.
Der eine hat einen wehen Fuß, der andere hat eine
geſchwollene Backe; da taucht die leibhaftige Todes-
verſicherungsagentin mitten unter ihnen auf. In den
Ritterſäulen — ſo heißt die geſegnete Abteilung, von
der aus ich meine Spionage organiſierte, — als ſich da
die Kunde verbreitete, daß die Schweſter Theophila mit
Tod abgegangen ſei, da war keiner der Kerle im Bett
zu halten. Sie kletterten an den Fenſtergittern hinauf,
und wenn ſie ihre Leiden zentnerweiſe mitſchleppten. Im
Leben habe ich kein ſolches Fluchen gehört.
Erlauben Sie mir, Fräulein von Geſchwitz,
noch einmal auf meinen Vorſchlag zurückzukommen.
Die Frau hat in dieſem Zimmer meinen Vater erſchoſſen;
trotzdem kann ich in dem Morde wie in der Strafe
[10] nichts anderes als ein entſetzliches Unglück ſehen, das ſie
betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre
er mit dem Leben davon gekommen, ſeine Hand nicht
vollſtändig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungs-
plan gelingen wird, ſcheint mir immer noch zweifelhaft,
obſchon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde
keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Auf-
opferung, Ihre Thatkraft, Ihre übermenſchliſche Todes-
verachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann
ſoviel für eine Frau, geſchweige denn für einen Freund
auf’s Spiel geſetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von
Geſchwitz, wie reich Sie ſind; aber die Ausgaben für
dieſe Bewerkſtellungen müſſen Ihre Vermögensverhält-
niſſe zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von
zwanzigtauſend Mark anbieten, deſſen Herbeiſchaffung in
barem Gelde für mich mit keinerlei Schwierigkeiten ver-
bunden wäre?
Wie wir gejubelt haben, als
die Schweſter Theophila glücklich tot war! Von dem
Tage an waren wir ohne Aufſicht. Wir wechſelten nach
Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Friſur ge-
macht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach.
Wenn der Profeſſor kam, redete er ſie per gnädiges
Fräulein an und ſagte zu mir: Hier lebt ſich’s beſſer als
im Gefängnis! — Als die Schweſter ausblieb, ſahen
wir einander geſpannt an; wir beide waren fünf Tage
krank; jetzt mußte es ſich entſcheiden. Am nächſten
Morgen kam der Aſſiſtenzarzt. — „Wie geht es der
Schweſter?“ — „Tot!“ — Wir verſtändigten uns hinter
ſeinem Rücken und als er hinaus war, ſanken wir uns
in die Arme: „Gott ſei Dank! Gott ſei Dank!“ —
Welche Mühe es koſtete, damit mein Liebling nicht ver-
riet, wie geſund er ſchon war! — „Du haſt neun Jahre
[11] Gefängnis vor Dir!“ rief ich von früh bis ſpät. —
Man läßt ſie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in
der Iſolierbaracke.
Ich habe volle drei Monate im Kranken-
haus gelegen, um das Terrain zu ſondieren; nachdem
ich mir die Qualitäten zu einem ſo ausgedehnten Aufent-
halt erſt mühſam zuſammenhauſiert hatte. Jetzt ſpiele
ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener,
damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo
hat je ein Bräutigam mehr für ſeine Braut getan.
Meine Vermögensverhältniſſe ſind auch zerrüttet.
Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer
anſtändigen Künſtlerin auszubilden, dann haben Sie ſich um
Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament
und der Schönheit, die ſie aus dem Innerſten ihrer Natur
heraus zu geben hat, kann ſie das blaſierteſte Publikum
in Atem halten. Dabei wäre ſie durch die Wiedergabe
der Leidenſchaft davor geſchützt, zum zweitenmal in
Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden.
Ich will ihr ihre Zicken ſchon aus-
treiben!
Da kommt er!
über der Treppe und Schigolch in langem ſchwarzen Gehrock, einen
weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.)
Vermaledeite Finſternis! — Draußen
brennt einem die Sonne die Augen aus.
Ich
komme ſchon!
Gräfliche Gnaden haben ſeit drei Tagen
kein Tageslicht mehr geſehen. Wir leben hier wie in
einer Schnupftabaksdoſe.
Seit heute früh um neun fahre ich bei
allen Lumpenſammlern herum. Drei nagelneue Koffer,
[12] vollgeſtopft mit alten Hoſen, habe ich über Bremerhaven
nach Amerika ſpediert. Die Beine baumeln mir wie
Glockenſchwängel am Leib. Das ſoll ein anderes Leben
in Paris werden!
Wo wollt Ihr denn in Paris abſteigen?
Hoffentlich nicht gleich wieder im
Hotel „Ochſenbutter“!
Ich kann Euch das Hotel „Montespant“
am Boulevard Rochechouart empfehlen. Ich wohnte
dort mit einer Löwenbändigerin. Die Leute ſind geborene
Berliner.
Helfen
Sie mir doch!
Dabei ſeid Ihr
dort ſicherer vor der Polizei als auf dem hohen Turmſeil!
Er will Sie nämlich heute
Nachmittag allein mit ihr reiſen laſſen.
Er leidet wohl noch an ſeinen Froſt-
beulen!
Verlangt Ihr denn von mir, daß
ich den Follies Berger in Schlafrock und Pantoffeln
debütiere?
Hm — die Schweſter Theophila wäre
auch nicht ſo prompt gen Himmel gefahren, wenn ſie
ſich für unſere Patientin nicht ſo liebevoll erwärmt hätte.
Wenn Einer den Honigmond bei ihr
abzudienen hat, wird ſie ſich noch ganz anders zur Geltung
bringen. Es kann ihr jedenfalls nicht ſchaden, wenn ſie
ſich vorher noch etwas auslüftet.
Stuhllehne geſtützt am Mitteltiſch ſteht).
Dieſe Taſche enthält
zehntauſend Mark.
Ich danke, nein.
[13]
Ich bitte Sie, ſie zu nehmen.
Kommen Sie doch
endlich!
Geduld, mein Fräulein. Es iſt ja
nur der Katzenſprung über die Spitalſtraße. — In fünf
Minuten bin ich mit ihr hier.
Sie bringen ſie her?
Ich bringe ſie her. — Oder fürchten
Sie für Ihre Geſundheit?
Das ſehen Sie doch, daß ich nichts fürchte.
Der Herr Doktor iſt nach dem letzten
Drahtbericht auf der Reiſe nach Konſtantinopel begriffen,
um ſeinen „Totentanz“ von Haremsdamen und Kaſtrierten
vor dem Sultan zur Aufführung bringen zu laſſen.
Sie gehen
hier näher.
ſchließt die Thür hinter ihnen.)
Sie wollten der verrückten Rakete noch
Geld geben.
Was geht Sie das an?!
Mich honoriert man wie einen Lampen-
putzer, obſchon ich ſämtliche Schweſtern im Spital habe
demoraliſieren müſſen. Dann kamen die Herren Aſſiſtenten
und Geheimräte an die Reihe. Und dann …
Wollen Sie mir im Ernſte weiß machen,
daß ſich die Aſſiſtenzärzte durch Sie haben beeinfluſſen
laſſen?
Mit dem Gelde, das mich dieſe Hunde
gekoſtet haben, könnte ich in Amerika Präſident der
Vereinigten Staaten werden.
Fräulein von Geſchwitz hat Ihnen doch
jeden Pfennig, den Sie ausgegeben haben, zurückerſtattet.
[14] So viel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monat-
liches Salair von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt
einem manchmal ziemlich ſchwer, an Ihre Liebe zu der
unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben
Fräulein von Geſchwitz darum bat, meine Hilfe anzu-
nehmen, ſo geſchah es gewiß nicht, um Ihre unerſätt-
liche Goldgier aufzuſtacheln. Die Bewunderung, die ich
vor Fräulein von Geſchwitz in dieſer Sache hegen ge-
lernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht.
Es iſt mir überhaupt unklar, was Sie an mich für An-
ſprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Er-
mordung meines Vaters zugegen waren, hat zwiſchen
Ihnen und mir noch nicht die geringſten verwandtſchaft-
lichen Bande geſchaffen. Dagegen bin ich feſt davon
überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroiſche Unter-
nehmen der Geſchwitz nicht zugute gekommen wäre,
heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinn-
ſtein lägen.
Und wiſſen Sie, was aus Ihnen ge-
worden wäre, wenn Sie das Käſeblatt, das Ihr Vater
redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten?
— Sie hätten ſich mit dem ausgemergeltſten Ballett-
mädchen zuſammengetan und wären heute Stallknecht
im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? —
Sie haben ein Schauerdrama geſchrieben, in dem die
Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren ſind und
das kein anſtändiges Theater zur Aufführung bringt.
Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf dieſem Bruſtkaſten
noch vor zwei Jahren zwei geſattelte Kavalleriepferde
balanciert. Wie das jetzt mit der Plautze werden ſoll,
iſt mir allerdings rätſelhaft. Die Franzöſinnen bekommen
einen ſchönen Begriff von der deutſchen Kunſt, wenn ſie
mir bei jedem Kilo mehr den Schweiß aus den Trikots
[15] tröpfeln ſehen. Ich werde den ganzen Zuſchauerraum
verpeſten mit meiner Ausdünſtung.
Sie ſind ein Waſchlappen.
Wollte Gott, Sie hätten recht! Oder
wollten Sie mich vielleicht beleidigen? — Dann ſetze ich
Ihnen die Fußſpitze unter die Kinnlade, daß Ihnen Ihre
Zunge an der Tapete ſpazieren geht.
Verſuchen Sie das doch!
Was iſt das …?
Es iſt ein Glück für Sie, daß wir hier
kein Publikum haben.
Wer kann das ſein?
Das iſt meine Geliebte! Seit einem
vollen Jahre haben wir uns jetzt nicht mehr geſehen.
Wie wollten denn die ſchon zurück ſein! —
Wer mag da kommen! — Ich erwarte niemanden.
Zum Henker, ſo ſchließen Sie doch auf!
Verſtecken Sie ſich!
Ich ſtelle mich hinter die Portière.
Da habe ich vor einem Jahr auch ſchon einmal geſtanden.
öffnet die Mittelthür, worauf Alfred Hugenberg, den Hut in der
Hand, eintritt.)
Mit wem habe ich … Sie? — Sind
Sie nicht …?
Alfred Hugenberg.
Was wünſchen Sie?
Ich komme von Münſterberg. Ich
bin heute morgen geflüchtet.
Ich bin augenleidend. Ich bin gezwungen
die Jalouſien geſchloſſen zu halten.
Ich brauche Ihre Hilfe, Sie werden
[16] ſie mir nicht verſagen. Ich habe einen Plan vorbereitet.
— Hört man uns?
Wovon ſprechen Sie? — Was für einen
Plan?
Sind Sie allein?
Ja. — Was wollten Sie mir mitteilen?
Ich habe zwei Pläne nacheinander
wieder fallen laſſen. Was ich Ihnen jetzt ſage, iſt bis
auf jeden möglichen Zwiſchenfall durchgearbeitet. Wenn
ich Geld hätte, würde ich Sie nicht ins Vertrauen ziehen.
Ich dachte zuerſt lange daran — — Wollen Sie mir
nicht erlauben, Ihnen meinen Entwurf auseinander-
zuſetzen?
Wollen Sie mir bitte ſagen, wovon Sie
denn eigentlich ſprechen?
Die Frau kann Ihnen unmöglich
ſo gleichgültig ſein, daß ich Ihnen das ſagen muß. Was
Sie vor dem Unterſuchungsrichter zu Protokoll gaben,
hat ihr mehr genützt, als alles, was der Verteidiger ſagte.
Ich verbitte mir eine derartige Unterſtellung.
Das ſagen Sie ſo; das verſtehe
ich natürlich. Aber Sie waren doch ihr beſter Ent-
laſtungszeuge.
Sie waren der! Sie ſagten, mein Vater
habe ſie zwingen wollen, ſich ſelbſt zu erſchießen.
Das wollte er auch. Aber man
glaubte mir nicht; ich wurde nicht vereidigt.
Wo kommen Sie jetzt her?
Aus einer Beſſerungsanſtalt, aus
der ich heute Morgen ausgebrochen bin.
Und was beabſichtigen Sie?
Ich erſchleiche mir das Vertrauen
eines Gefängnisſchließers.
[17]
Wovon wollen Sie denn leben?
Ich wohne bei einer Proſtituierten,
die ein Kind von meinem Vater hat.
Wer iſt Ihr Vater?
Er iſt Polizeidirektor. Ich kenne
das Gefängnis, ohne daß ich jemals drin war; und mich
wird, ſo wie ich jetzt bin, kein Aufſeher erkennen. Aber
darauf rechne ich gar nicht. Ich weiß eine eiſerne Leiter,
von der man vom erſten Hof aus aufs Dach und durch
eine Dachluke unter den Dachboden gelangt. Vom
Innern aus führt kein Weg dorthin. Aber in allen
fünf Flügeln liegen Bretter und Latten unter den
Dächern und große Haufen Späne. Ich trage die
Bretter und Latten und Späne an fünf Enden zuſammen
und zünde ſie an. Ich habe alle Taſchen voll Zünd-
material, wie es zum Feuermachen gebraucht wird.
Dann verbrennen Sie doch!
Natürlich, wenn ich nicht gerettet
werde. Aber um in den erſten Hof zu kommen, muß ich
den Schließer in meiner Gewalt haben und dazu brauche
ich Geld. Nicht daß ich ihn beſtechen will; das würde
nicht gelingen. Ich muß ihm das Geld vorher leihen,
damit er ſeine drei Kinder in die Sommerfriſche ſchicken
kann. Dann drücke ich mich morgens um vier, wenn die
Sträflinge aus geachteten Familien entlaſſen werden, zur
Thür hinein. Er ſchließt hinter mir ab. Er fragt mich,
was ich vorhabe; ich bitte ihn, mich am Abend wieder
hinauszulaſſen. Und eh’ es hell wird, bin ich unter dem
Dachboden.
Wie ſind Sie aus der Beſſerungsanſtalt
entkommen?
Ich bin zum Fenſter hinaus-
geſprungen. Ich brauche zweihundert Mark, damit
2
[18] der Kerl ſeine Familie in die Sommerfriſche ſchicken
kann.
Wünſchen der
Herr Baron den Kaffee im Muſikzimmer oder auf der
Veranda ſerviert?
Wo kommt der Menſch her?! —
Aus derſelben Thüre! — Er ſprang aus derſelben Thüre
heraus!
Ich habe ihn in Dienſt genommen. Er iſt
zuverläſſig.
Ich Dumm-
kopf! — Ich Dummkopf!
Ja, ja, wir haben uns hier ſchon ge-
ſehen! Scheren Sie ſich zu Ihrer Frau Vize-Mama!
Ihr Brüderchen möchte ſeinen Geſchwiſtern gerne Onkel
werden. Machen Sie Ihren Herrn Papa zum Groß-
vater ſeiner Kinder. Sie haben uns gefehlt! Wenn
Sie mir in den nächſten vierzehn Tagen noch einmal
unter die Augen kommen, dann ſchlage ich Ihnen den
Kürbis zu Brei zuſammen.
Seien Sie doch ruhig!
Ich Dummkopf!
Was wollen Sie mit Ihren Brenn-
materialien! — Wiſſen Sie denn nicht, daß die Frau
ſeit drei Wochen tot iſt?
Hat man ihr den Kopf abgeſchlagen?
Nein, den hat ſie noch. Sie iſt an
der Cholera krepiert.
Das iſt nicht wahr.
Was wollen Sie denn wiſſen! — Da,
leſen Sie; hier!
eine Notiz darin)
„Die Mörderin des Dr. Schön …“
[19]
„Die Mörderin des Dr. Schön
iſt im Gefängnis auf unbegreifliche Weiſe an der Cholera
erkrankt.“ — Da ſteht nicht, daß ſie geſtorben iſt.
Was will ſie denn ſonſt gethan haben?
Sie liegt ſeit drei Wochen auf dem Kirchhof. In der
Ecke links hinten, hinter den Müllhaufen, wo die kleinen
Kreuze ſind, an denen kein Name ſteht, da liegt ſie unter
dem erſten. Sie erkennen den Platz daran, daß kein
Gras darauf wächſt. Hängen Sie einen Blechkranz hin
und dann machen Sie, daß Sie wieder in Ihre Kinder-
bewahranſtalt kommen, ſonſt denunziere ich Sie der
Polizei. Ich kenne das Frauenzimmer, das ſich durch
Sie ihre Mußeſtunden verſüßen läßt.
Iſt es wahr, daß ſie tot iſt?
Gott ſei Dank, ja! — Ich bitte Sie, mich
nicht länger in Anſpruch zu nehmen. Mein Arzt ver-
bietet mir, Beſuche zu empfangen.
Meine Zukunft iſt ſo wenig mehr wert!
Ich hätte das letzte bißchen, das mir das Leben noch gilt,
gerne an ihr Glück hingegeben. Pfeif drein! Auf irgend
eine Art werde ich nun doch wohl zum Teufel gehen!
Wenn Sie ſich unterſtehen und mir
oder dem Herrn Doktor hier oder meinem ehrenwerten
Freund Schigolch noch in irgend welcher Weiſe zu nahe
zu treten, dann verklage ich Sie wegen beabſichtigter
Brandſtifterei. Ihnen thun drei Jahre Zuchthaus not,
damit Sie wiſſen, wo Ihre Finger nicht hinein gehören.
— Und jetzt hinaus!
Ich Dummkopf!
Hinaus!!
Nach vorne kommend.)
Nimmt mich Wunder, daß Sie dem
Lümmel nicht auch Ihr Portemonnaie zur Verfügung
geſtellt haben.
2*
[20]
Ich verbitte mir Ihre Unflätigkeiten! Der
Junge iſt im kleinen Finger mehr wert als Sie!
Ich habe an dieſer Geſchwitz ſchon
Genoſſenſchaft genug. Soll meine Braut eine Geſell-
ſchaft mit beſchränkter Haftpflicht werden, dann mag
ein anderer vorangehen. Ich gedenke die pompöſeſte
Luftgymnaſtikerin aus ihr zu machen und ſetze deshalb
gerne meine Geſundheit aufs Spiel. Aber dann bin ich
Herr im Hauſe und bezeichne ſelber die Kavaliere, die
ſie bei ſich zu empfangen hat.
Der Junge hat das, was unſerem Zeit-
alter fehlt. Er iſt eine Heldennatur. Er geht deshalb
natürlich zu Grunde. Erinnern Sie ſich, wie er vor
Verkündigung des Urteils aus der Zeugenbank ſprang und
dem Vorſitzenden zurief: „Woher wollen Sie wiſſen,
was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie ſich als zehn-
jähriges Kind die Nächte barfuß hätten in den Cafés
herumtreiben müſſen?!“
Hätte ich ihm nur gleich Eine dafür
in die Freſſe hauen können! — Gottlob gibt es Zwangs-
erziehungsanſtalten, in denen man ſolchem Pack Reſpekt
vor dem Geſetz einflößt.
Er wäre ſo Einer, der mir im „Weltbeherrſcher“
Modell ſtehen könnte. Seit zwanzig Jahren bringt die
dramatiſche Literatur nichts als Halbmenſchen zuſtande;
Männer, die keine Kinder machen und Weiber, die keine
gebären können. Das nennt man „Modernes Problem“.
Wenn ich bedenke, mit welch traurigen Jammergeſtalten
ſich mein Jugendfreund die Ehre erkämpft hat, der
größte deutſche Dichter zu ſein, dann wird es mir ſchwer,
ihn um ſeinen Lorbeer zu beneiden. Seine Helden be-
gehen Selbſtmord, weil ſie im Lauf von fünf Akten
nicht bis drei zählen lernen. Und dafür begeiſtert ſich
[21] ein in Gummiwäſche und Jägerhemden gekleidetes, von
Schmutz ſtarrendes Publikum von Klavierlehrerinnen,
das an Häßlichkeit jeden Kehrrichthaufen überbietet,
der ſich an den Hinterpforten eines Palaſtes aufſtaut.
Ich müßte nicht unter Exemplaren, wie es mein Vater
und ſeine zweite Frau waren, groß geworden ſein,
wenn ich ihm ſeinen Lorbeer nicht ſachte vom Haupte
nehme.
Ich habe mir eine zwei Zoll dicke
Nilpferdpeitſche beſtellt. Wenn die keinen Succeß bei
ihr hat, dann will ich Kartoffelſuppe im Hirnkaſten
haben. Iſt es Liebe, oder ſind es Prügel, danach fragt
kein Weiberfleiſch; hat es nur Unterhaltung, dann
bleibt es ſtramm und friſch. Sie ſteht jetzt im zwanzigſten
Jahr, war dreimal verheiratet, hat eine koloſſale Menge
Liebhaber befriedigt, da melden ſich auch ſchließlich die
Herzensbedürfniſſe. Aber dem Kerl müſſen die ſieben
Todſünden auf der Stirn geſchrieben ſtehen, ſonſt verehrt
ſie ihn nicht. Wenn der Menſch ſo ausſieht, als hätte
ihn ein Hundefänger auf die Straße geſpuckt, dann hat
er bei ſolchen Frauensperſonen keinen Prinzen zu
fürchten. Ich miete eine Remiſe an der Rue Lafontaine;
da wird ſie dreſſiert; und hat ſie den erſten Taucher-
ſprung exekutiert, ohne den Hals zu brechen, dann ziehe
ich meinen ſchwarzen Frack an und rühre bis an mein
Lebensende keinen Finger mehr. Bei ihrer praktiſchen
Einrichtung koſtet es die Frau nicht halb ſo viel Mühe,
ihren Mann zu ernähren, wie umgekehrt. Wenn ihr der
Mann nur die geiſtige Arbeit beſorgt und den Familien-
ſinn in die Puppen gehen läßt.
Ich habe die Menſchheit beherrſchen und
als eingefahrenen Viererzug vor mir im Zügel führen
gelernt; aber der Junge will mir nicht aus dem Kopf.
[22] Ich kann bei dieſem Gymnaſiaſten wirklich noch Privat-
unterricht in der Weltverachtung nehmen.
Sie ſoll ſich das Fell mit Tauſend-
markſcheinen tapezieren laſſen! Den Direktoren zapfe
ich die Gagen mit der Zentrifugalpumpe ab. Ich kenne
die Bande. Brauchen ſie Einen nicht, dann darf man
ihnen die Stiefel putzen, und wenn ſie eine Künſtlerin
nötig haben, dann ſchneiden ſie ſie mit den verbindlichſten
Komplimenten vom lichten Galgen herunter.
In meinen Verhältniſſen habe ich außer
dem Tod nichts mehr in dieſer Welt zu fürchten — im
Reich der Empfindungen bin ich der ärmſte Bettler.
Aber ich bringe den moraliſchen Mut nicht mehr auf,
meine befeſtigte Poſition gegen die Aufregungen des
wilden Abenteurerlebens einzutauſchen.
Sie hatte Papa Schigolch und mich
auf den Strich geſchickt, damit wir ihr ein kräftiges
Mittel gegen Schlafloſigkeit aufſtöbern. Jeder bekam
ein Zwanzigmarkſtück für Reiſeunkoſten. Da ſehen wir
den Jungen im Café „Nachtlicht“ ſitzen. Er ſaß wie ein
Verbrecher auf der Anklagebank. Schigolch beroch ihn
von allen Seiten und ſagte: „Der iſt noch Jungfrau.“
Da iſt ſie! — Die zukünftige, pompöſeſte
Luftgymnaſtikerin der Jetztzeit!
auf Schigolchs Arm geſtützt, ſchleppt ſich langſam die Treppe herunter.)
Hü, alter Schimmel! Wir müſſen
heute noch nach Paris.
Himmel,
Tod und Wolkenbruch!
Langſam! Du klemmſt mir den Arm ein.
Woher nimmſt Du die Schamloſig-
[23] keit, mit einem ſolchen Wolfsgeſicht aus dem Gefängnis
auszubrechen?!
Halt die Schnauze!
Ich laufe nach der Polizei! Ich
mache Anzeige! Dieſe Vogelſcheuche will ſich in Paris
in Trikots ſehen laſſen. Da koſten ſchon die Wattons
zwei Monatsgagen. — Du biſt die perfideſte Hoch-
ſtaplerin, die je im Hotel Ochſenbutter Logis be-
zogen hat!
Ich bitte Sie, die Frau nicht zu be-
ſchimpfen!
Beſchimpfen nennen Sie das?! —
Ich habe mir dieſer abgenagten Knochen wegen meinen
Wanſt angefreſſen! Ich bin erwerbsunfähig! Ich will
ein Hanswurſt ſein, wenn ich noch einen Beſenſtiel hoch-
ſtemmen kann! Aber mich ſoll hier auf dem Platze der
Blitz erſchlagen, wenn ich mir nicht eine Lebensrente von
zehntauſend Mark jährlich aus Ihren Gemeinheiten her-
ausknoble! Das kann ich Ihnen ſagen! Glückliche
Reiſe! Ich laufe nach der Polizei! —
Lauf, lauf!
Der wird ſich hüten!
Den ſind wir los. — Und jetzt ſchwarzen
Kaffee für die Dame!
Hier iſt Kaffee; man
braucht nur einzuſchenken.
Ich muß noch die Schlafwagenbillete
beſorgen.
O Freiheit! — Herr Gott im Himmel!
In einer halben Stunde hole ich Dich.
Abſchied feiern wir im Bahnhofsreſtaurant. Ich beſtelle
ein Souper, das bis Paris vorhält. — Guten Morgen,
Herr Doktor!
[24]
Guten Abend!
Angenehme Ruhe! — Danke, ich kenne
hier jede Thürklinke. Auf Wiederſehen! Viel Ver-
gnügen! —
Ich habe ſeit anderthalb Jahren kein Zimmer
geſehen — Gardinen, Seſſel, Bilder …
Willſt Du nicht trinken?
Ich habe ſeit fünf Tagen ſchwarzen Kaffee
genug geſchluckt. Haſt Du keinen Schnaps?
Ich habe Elexier de Spa.
Das erinnert an alte Zeiten.
Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um.)
Wo iſt denn mein
Bild?
Das habe ich in meinem Zimmer, damit
man es hier nicht ſieht.
Hol doch das Bild her.
Haſt Du Deine Eitelkeit auch im Gefängnis
nicht verloren?
Wie angſtvoll einem ums Herz wird, wenn
man Monate lang ſich ſelbſt nicht mehr geſehen hat.
Dann bekam ich eine nagelneue Kehrichtſchaufel. Wenn
ich morgens um ſieben ausfegte, hielt ich ſie mir mit der
Rückſeite vors Geſicht. Das Blech ſchmeichelt nicht,
aber ich hatte doch meine Freude. — Hol das Bild
aus Deinem Zimmer. Soll ich mitkommen?
Um Gottes Willen, Du mußt Dich ſchonen!
Ich habe mich jetzt lang genug geſchont.
Er iſt herzleidend; aber ſich vierzehn
Monate mit der Einbildung plagen müſſen — wer er-
trägt das! Er küßt mit Todesbangen, und ſeine beiden
Kniee ſchlottern, wie bei einem ausgefrorenen Handwerks-
burſchen. Aber in Gottes Namen! — — Hätte ich in
[25] dieſem Zimmer nur ſeinen Vater nicht in den Rücken
geſchoſſen!
Es
iſt ganz verſtaubt. Ich hatte es mit der Vorderſeite
gegen den Kamin gelehnt.
Du haſt es nicht angeſehen, während ich
fort war?
Ich hatte infolge des Verkaufs unſerer
Zeitung ſo viel geſchäftliche Dinge zu erledigen. Die
Geſchwitz würde es gerne bei ſich in ihrer Wohnung
aufgehängt haben, aber ſie hatte Hausſuchungen zu ge-
wärtigen.
Nun lernt das arme Ungeheuer das Freuden-
leben im Hotel „Ochſenbutter“ auch aus eigener Er-
fahrung kennen.
Ich begreife noch jetzt nicht, wie die Er-
eigniſſe eigentlich zuſammenhängen.
Sie war als Diakoniſſin nach Hamburg
gereiſt und hatte die Unterwäſche einer Cholerakranken
nach deren Tod gegen ihre eigene gewechſelt. Sie ſchickte
ſie mir, als ſie zurück war. Wir verſtändigten uns durch
Briefe, in denen immer nur das letzte Wort auf jeder
Seite galt. Ich wurde ins Lazaret transportiert und
lag ſchon nach zwei Tagen mit ihr zuſammen in der
Iſolierbaracke. Da machte ſie ſich mir in allem ſo ähn-
lich wie möglich und wurde dann als geheilt entlaſſen.
Heute kam ſie noch einmal, um mich zu beſuchen. Jetzt
liegt ſie dort als die Mörderin des Doktor Schön.
Mit dem Bilde kannſt Du es, ſoweit es
die äußere Erſcheinung betrifft, immer noch aufnehmen.
Im Geſicht bin ich etwas ſchmal, aber ſonſt
habe ich nichts verloren. Man wird nur unglaublich
nervös im Gefängnis.
[26]
Du ſahſt ſchrecklich elend aus, als Du
hereinkamſt.
Das mußte ich, um uns den Springfritzen
vom Halſe zu ſchaffen. — Und Du, was haſt Du in
den anderthalb Jahren gethan?
Ich hatte mit einem Stück, das ich über
Dich geſchrieben, einen Achtungserfolg in der literariſchen
Geſellſchaft.
Wer iſt Dein Schatz?
Eine Schauſpielerin, der ich eine Wohnung
in der Karlſtraße gemietet habe.
Liebt ſie Dich?
Wie ſoll ich das wiſſen! Ich habe die Frau
ſeit ſechs Wochen nicht geſehen.
Erträgſt Du das?
Das wirſt Du nie begreifen. Bei mir be-
ſteht die intimſte Wechſelwirkung zwiſchen meiner Sinn-
lichkeit und meinem geiſtigen Schaffen. So z. B. bleibt
mir Dir gegenüber nur die Wahl, Dich künſtleriſch zu
geſtalten oder Dich zu lieben.
Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich
ſei einem Luſtmörder unter die Hände geraten. — Komm,
gieb mir einen Kuß!
In Deinen Augen ſchimmert es wie der
Waſſerſpiegel in einem tiefen Brunnen, in den man
einen Stein geworfen hat.
Komm!
Deine Lippen ſind allerdings etwas
ſchmal geworden.
Komm!
ihm aufs Knie.)
Graut Dir vor mir? — Im Hotel „Ochſen-
butter“ bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes
Bad. Die Aufſeherinnen benutzten dann die Gelegen-
[27] heit, um uns, ſobald wir im Waſſer waren, die Taſchen
zu durchſuchen.
Oh, oh!
Du fürchteſt, Du könnteſt, wenn ich fort bin,
kein Gedicht mehr über mich machen?
Im Gegenteil, ich werde einen Dythirambus
über Deine Herrlichkeit ſchreiben.
Ich ärgere mich nur über das ſcheußliche
Schuhwerk, das ich trage.
Das beeinträchtigt Deine Reize nicht. Laß
uns der Gunſt des Augenblickes dankbar ſein.
Mir iſt heute gar nicht darnach zu Mut. —
Erinnerſt Du Dich des Koſtümballes, auf dem ich als
Knappe gekleidet war? Wie mir damals die betrunkenen
Frauen nachrannten! Die Geſchwitz kroch mir um die
Füße herum und bat mich, ich möchte ihr mit meinen
Zeugſchuhen ins Geſicht treten.
Komm, ſüßes Herz!
Ruhig; ich habe Deinen Vater erſchoſſen.
Deswegen liebe ich Dich nicht weniger. Einen
Kuß!
Beug den Kopf zurück.
Du hältſt meine Seelenglut durch die ge-
ſchickteſten Künſte zurück. Dabei atmet Deine Bruſt ſo
keuſch. Und trotzdem, wenn Deine beiden großen dunklen.
Kinderaugen nicht wären, müßte ich Dich für die abge-
feimteſte Dirne halten, die je einen Mann ins Verderben
geſtürzt hat.
Wollte Gott, ich wäre das! Komm heute
mit nach Paris. Dort können wir uns ſehen, ſo oft
wir wollen, und werden mehr Vergnügen als jetzt an-
einander haben.
Durch dieſes Kleid empfinde ich Deinen
[28] Wuchs wie eine Symphonie. Dieſe ſchmalen Knöchel,
dieſes Cantabile; dieſes entzückende Anſchwellen; und
dieſe Kniee, dieſes Capriccio; und das gewaltige Andante
der Wolluſt. — Wie friedlich ſich die beiden ſchlanken
Rivalen in dem Bewußtſein aneinanderſchmiegen, daß
keiner dem andern an Schönheit gleichkommt — bis die
launiſche Gebieterin erwacht und die beiden Nebenbuhler
wie zwei feindliche Pole auseinanderweichen. Ich werde
Dein Lob ſingen, daß Dir die Sinne vergehn!
Derweil vergrabe ich meine Hände in Deinem
Haar. Aber hier ſtört man uns.
Du haſt mich um meinen Verſtand gebracht!
Kommt Du nicht mit nach Paris?
Der Alte fährt doch mir Dir!
Der kommt nicht mehr zum Vorſchein. —
Iſt das noch der Divan, auf dem ſich Dein Vater ver-
blutet hat?
Schweig — ſchweig …
[29]
Zweiter Aufzug.
thür in der Hinterwand. Zu beiden Seiten derſelben hohe Spiegel.
In beiden Seitenwänden je zwei Thüren; dazwiſchen rechts eine Ro-
kokokonſole mit weißer Marmorplatte, darüber Lulus Bild als Pierrot
in ſchmalem Goldrahmen in die Wand eingelaſſen. In der Mitte des
Salons ein ſchmächtiges, hellgepolſtertes Sofa Louis XV. Breite hell-
gepolſterte Fauteuils mit dünnen Beinen und ſchmächtigen Armlehnen.
Links vorn ein kleiner Tiſch.
Die Mittelthür ſteht offen und läßt im Hinterzimmer einen breiten
Bakkarattiſch, von türkiſchen Polſterſeſſeln umſtellt, ſehen.
Alwa Schön, Rodrigo Quaſt, der Marquis Caſti-Piani, Bankier
Puntſchu, Journaliſt Heilmann, Lulu, die Gräfin Geſchwitz, Madelaine
de Marelle, Kadéga di Santa Croce, Bianetta Gazil, Ludmilla Stein-
herz bewegen ſich im Salon in lebhafter Konverſation.
Die Herren ſind in Geſellſchaftstoilette. Lulu trägt eine weiße Direc-
toirerobe mit mächtigen Puffärmeln und einer vom oberen Taillen-
ſaum frei auf die Füße fallenden weißen Spitze; die Arme in weißen
Glacés, das Haar hochfriſiert mit einem kleinen weißen Federbuſch. —
Die Geſchwitz in hellblauer, mit weißem Pelz verbrämter, mit Silber-
borten verſchnürter Huſarentaille. Weißer Shlips, enger Stehkragen
und ſteife Manſchetten mit rieſigen Elfenbeinknöpfen. — Madelaine de
Marelle in hellem regenbogenfarbigen Changeantkleid mit ſehr breiten
Aermeln, langer ſchmaler Taille und drei Volants aus ſpiralförmig
gewundenen Roſabändern und Veilchenbouquets. Das Haar in der
Mitte geſcheitelt, tief über die Schläfen fallend, an den Seiten gelockt.
Auf der Stirn ein Perlmutterſchmuck, von einer feinen unter das Haar
gezogenen Kette gehalten. — Kadéga di Santa Croce, ihre Tochter,
12 Jahre alt, in hellgrünen Atlasſtiefeletten, die den Saum der weiß-
ſeidenen Socken freilaſſen; der Oberkörper in weißen Spitzen; hell-
grüne, enganliegende Aermel; perlgraue Glacés; offnes ſchwarzes
Haar unter einem großen hellgrünen Spitzenhut mit weißen Federn. —
Bianetta Gazil in dunkelgrünem Sammt; perlenbeſetzter Göller, Bluſen-
ärmel, faltenreicher Rock ohne Taille, der untere Saum mit großen,
in Silber gefaßten falſchen Topaſen beſetzt. — Ludmilla Steinherz in
einer grellen, blau und rot geſtreiften Seebadtoilette. Armande und
Bob reichen Champagner. — Armande in knappem ſchwarzen Kleid,
rechtwinklig ausgeſchnitten, mit weißem Fichu Maria Antoinette. —
Bob, 14 Jahre alt, in rotem Jackett, prallen Lederhoſen und blinkenden
Stulpſtiefeln.
[30]
Mesdames et
Messieurs — excusez — Mesdames et Messieurs —
vous me permettez — soyes tranquilles — c’est le —
Was heißt Geburtstagsfeſt?
L’anniversaire!
Heißen Dank. C’est le — c’est l’anni-
versaire de notre bien aimable hôtesse — comtesse,
qui nous a réuni ici — ce soir. Permettez, Mesdames
et Messieurs — c’est à la santé de la comtesse
Adélaïde d’Oubra — Verdammt und zugenäht! — que
je bois, à la santé de notre bien aimable hôtesse, la
comtesse Adélaïde — dont c’est aujourd’hui l’anni-
versaire …
Ich gratuliere Dir.
Ich ſchwitze von oben bis unten. —
Il vous faut bien m’excuser, que je ne parle pas
mieux le Français parce que je ne suis pas Parisien.
De quel pays êtes-vous?
Je suis Autrichien.
Vous maniez les poids, Monsieur?
Parfaitement. Madame.
Moi, en général, je
n’aime pas les athlètes. Je préfère les tireurs. Il-y-avait
un tireur, il-y-a quinze mois, au Casino,
chaque fois, qu’il faisait boum, moi je faisais …
Dites donc, chère belle, comment
se fait’il que ce soit la première fois, qu’on ait le
plaisir de rencontrer votre charmante petite princesse?
Vous la trouvez telle-
ment charmante? — Elle vit dans son convent. Elle
n’est à Paris que pour vingt-quatre heures. Elle
rentrera demain soir.
[31]
Tu dis, petite mère?
Mon bijou — je viens
de raconter à ces messieurs, que l’autre semaine tu
as ue le premier prix de géométrie.
Quels jolis cheveux elle a!
Regardez ces pieds! Cette manière
de marcher! —
Certes, elle est de race!
Ayez donc pitié,
Messieurs! Elle est encore tellement enfant.
Voilà ce qui ne me gênerait pas! Je
donnerais dix ans de ma vie, si je pouvais introduire
mademoiselle dans les grands mystères de notre
évangile.
Eh bien, Monsieur,
je ne consentirais pas pour un million. Je ne veux
pas lui gâter son heureuse enfance comme on a gâté
la mienne.
Belle âme! Vous n’y consentiriez
pas non plus pour une petite parure en vrais diamants?
Pas de blagues!
Vous ne m’achterez pas de vrais diamants, ni à moi
ni à ma fille. Vous n’en êtes que trop sûr.
Die
Pariſer Malerſchulen, wiſſen Sie, ſind alle gut. Dafür
ſind wir ſchließlich in Paris. Ich rate Ihnen zu Julian.
Wenn Sie in die Paſſage Panorama eintreten, der erſte
Seitengang links. Da ſehen Sie dann gleich mit großen
Buchſtaben angeſchrieben Ecole Julian.
Ich weiß noch nicht, ob ich in eine
Schule gehen werde. Es nimmt ſo viel Zeit weg.
Est ce qu’on ne joue pas
ce soir?
[32]
Mais si, Madame, on
jouera; je l’espère bien!
Allons donc prendre nos places.
Je voudrais gagner.
Une petite seconde, Mesdames;
j’ai à dire deux mots à mon amie.
Madame —
vous m’accorderez la faveur d’être de moitié avec
vous. Vous avez la main si heureuse.
Au déjeûner, ce matin, la servante me
demande: Desirez-vous du pissenlit, Monsieur?
Eh bien, mon cher; qu’est ce que
vous lui avez répondu?
Je disais: Merci, ma belle; je n’en
ai pas l’habitude.
Ce qu’il est bête!
Vous faites de l’esprit,
Monsieur.
Ce serait à peu près, comme si vous
me demandiez des actions de la Société du Funicu-
laire de la Jung-Frau et si je vous répondais, moi:
Elle ne l’est plus maintenant!
Je ne comprends pas
Monsieur.
Parce que vous ne savez pas l’Alle-
mand, Madame. Jung-Frau c’est un mot allemand,
qui veut dire Vierge.
Est ce que vous en
avez encore, de ces actions là?
J’en ai quelques milles, moi; mais je
les garde. Il n’y aura guère d’occasion semblable,
pour se faire une petite fortune.
[33]
Moi, je n’en ai qu’une seul jusqu’à
present. Je voudrais en avoir d’autres.
Si vous voulez, Monsieur, j’essayerai
de vous les procurer. Mais je vous en préviens, vous
les payerez des prix exorbitants.
J’ai ue de la chance,
moi, dans cette affaire. Je m’y suis prise de bonne
heure. J’y ai mis toutes mes économies. — Si ça
ne réussit pas, gare à vous!
Je suis tout-à-fait sur de moi. Un
jour, Madame, vous me baiserez les mains. Vous
ferez un petit pélérinage en Suisse, avec Mademoiselle
votre fille, vous monterez avec ce Funiculaire et vous
bénirez du haut de la montagne ce pays fertile, la
source de vos richesses.
Vous n’avez rien à craindre, Madame.
Moi aussi, j’y ai engagé ma fortune jusqu’au dernier
sou. Je les ai payées fort cher, mes actions, mais je
ne le regrette pas. Elles montent d’un jour à l’autre;
c’est extraordinaire.
Eh bien, tant mieux.
Allons au jeu!
gehen ins Spielzimmer. Armande und Bob nach links ab. — Rodrigo
und die Gräfin Geſchwitz bleiben zurück.)
zuſammen; die Geſchwitz bemerkend).
Hm, gräfliche Gnaden …
Seh’ ich denn ſo gefährlich
aus?
Ich muß ein Bonmot machen.
Darf ich mir vielleicht etwas herausnehmen?
Scheren Sie ſich zum Henker!
Sie erlauben
mir nur zwei Worte.
3
[34]
Hand drückt).
Bitte, ſoviel ſie wollen.
Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.
Laſſen ſie uns allein!
Habe ich Sie wieder durch
irgend etwas gekränkt?
Sind Sie taub?
Sag’ es nur gleich heraus, wieviel Du haben
willſt.
Mit Geld kannſt Du mir nicht mehr
dienen.
Wie kommſt Du auf den Gedanken, das wir
kein Geld mehr haben.
Weil Du mir geſtern Euren letzten
Reſt ausgehändigt haſt.
Wenn Du deſſen ſicher biſt, wird es ja wohl
ſo ſein.
Ihr ſeid auf dem Trocknen, Du und
Dein Schriftſteller.
Wozu denn die vielen Worte? — Wenn
Du mich bei Dir haben willſt, brauchſt Du mir nicht
erſt mit dem Henkerbeil zu drohen.
Das weiß ich. Ich habe Dir aber
ſchon mehrmals geſagt, daß Du gar nicht mein Fall biſt.
Ich habe Dich nicht ausgeraubt, weil Du mich liebteſt,
ſondern ich habe Dich geliebt, um Dich ausrauben zu
können. Bianetta Gazil iſt mir von oben bis unten
angenehmer als Du. Du ſtellſt die ausgeſuchteſten
Leckerbiſſen zuſammen, und wenn man ſeine Zeit ver-
plempert hat, iſt man hungriger als vorher. Du liebſt
[35] ſchon zu lang, auch für unſere Pariſer Verhältniſſe.
Einem geſunden jungen Menſchen ruinierſt Du nur das
Nervenſyſtem. Um ſo vorteilhafter eigneſt Du Dich für
die Stellung, die ich Dir ausgeſucht habe.
Du biſt verrückt. — Habe ich Dich gebeten,
mir eine Stellung zu verſchaffen?
Ich ſagte Dir doch, daß ich Stellen-
vermittlungsagent bin.
Du ſagteſt mir, Du ſeieſt Polizeiſpion.
Davon allein kann man nicht leben.
Urſprünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich
über ein Pfarrerstöchterchen ſtolperte, dem ich eine Stellung
in Val Paraiſo verſchafft hatte. Das Holdchen hatte
ſich in ſeinen kindlichen Träumen das Leben noch berau-
ſchender vorgeſtellt und beklagte ſich bei Mama. Darauf
wurde ich feſtgeſetzt. Durch charaktervolles Benehmen
gewann ich mir aber raſch das Vertrauen der Kriminal-
polizei. Mit einem Monatswechſel von hundertfünfzig
Mark ſchickte man mich hierher, weil man wegen der
ewigen Bombenattentate unſer hieſiges Kontingent ver-
dreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfund-
achtzig Franks im Monat aus? — Meine Kollegen
laſſen ſich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich
näher, meinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Die
Franzöſin geht, wenn ſie das Herz auf dem rechten Fleck
hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den un-
zähligen Abenteurerinnen, die ſich hier aus den beſten
Familien der ganzen Welt zuſammenfinden, habe ich
ſchon manches lebenshungrige junge Geſchöpf an den
Ort ſeiner natürlichen Beſtimmung befördert.
Ich tauge nicht für dieſen Beruf.
Deine Anſichten über dieſe Frage
ſind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwaltſchaft
3*
[36] bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön
der Polizei in die Hand liefert, tauſend Mark. Ich
brauche nur den Sergeant de Ville heraufzupfeifen, der
unten an der Ecke ſteht, dann habe ich tauſend Mark
verdient. Dagegen bietet das Etabliſſement Oikonomo-
pulos in Kairo ſechzig Pfund für Dich. Das ſind fünf-
zehnhundert Franks, das ſind zwölfhundert Mark, alſo
zweihundert Mark mehr als der Staatsanwalt bezahlt.
Übrigens bin ich immerhin noch ſoweit Philantrop, um
meinen Lieben lieber zum Glück zu verhelfen, als daß
ich ſie ins Unglück ſtürze.
Das Leben in einem ſolchen Haus kann ein
Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich
machen. Als ich fünfzehn Jahr alt war, hätte mir das
gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß
ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen
Revolver und lief nachts durch den tiefen Schnee über
die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu erſchießen.
Dann lag ich aber glücklicher Weiſe drei Monate im
Spital, ohne einen Mann zu Geſicht zu bekommen.
In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und
ich erkannte mich. In meinen Träumen ſah ich Nacht
für Nacht den Mann, für den ich geſchaffen bin und
der für mich geſchaffen iſt. Und als ich dann wieder
auf die Männer losgelaſſen wurde, da war ich kein
dummes Gänschen mehr. Seither ſehe ich es jedem bei
ſtockfinſterer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an,
ob wir für einander beſtimmt ſind. Und wenn ich mich
gegen meine Erkenntnis verſündige, dann fühle ich mich
am nächſten Tage an Seele und Leib beſchmutzt und
brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde,
zu überwinden. Und nun bildeſt Du Dir ein, ich werde
mich jedem Lumpenkerl hingeben!
[37]
Lumpenkerle verkehren bei Oikono-
mopulos in Kairo nicht. Seine Kundſchaft ſetzt ſich aus
ſchottiſchen Lords, aus ruſſiſchen Würdenträgern, indiſchen
Gouverneuren und unſeren flotten rheiniſchen Groß-
induſtriellen zuſammen. Ich muß nur dafür garantieren,
daß Du Franzöſiſch ſprichſt. Bei Deinem eminenten
Sprachtalent wirſt Du übrigens auch raſch genug ſoviel
Engliſch lernen, wie Du zu Deiner Tätigkeit nötig haſt.
Dabei reſidierſt Du in einem fürſtlich ausgeſtatteten
Appartement mit dem Ausblick auf die Minarets der
El Azhar-Moſchee, wandelſt den ganzen Tag auf fauſt-
dicken perſiſchen Teppichen, kleideſt Dich jeden Abend
in eine märchenhafte Pariſer Balltoilette, trinkſt ſo viel
Sekt, wie Deine Kunden bezahlen können; und ſchließlich
bleibſt Du ja auch bis zu einem gewiſſen Grad Deine
eigene Herrin. Wenn Dir der Mann nicht gefällt, dann
brauchſt Du ihm keinerlei Empfindung entgegenzubringen.
Du läßt ihn ſeine Karte abgeben und damit holla!
Wenn ſich die Luder darauf nicht einübten, dann wäre
die ganze Sache überhaupt unmöglich, weil jede nach den
erſten vier Wochen mit Sturmſchritt zum Teufel ginge.
Ich glaube wirklich, ſeit geſtern iſt in Deinem
Gehirn irgend etwas nicht mehr wie es ſein ſoll! Soll
ich mir einreden laſſen, daß der Ägypter für eine Perſon,
die er gar nicht kennt, fünfzehnhundert Francs bezahlt?
Ich habe mir erlaubt, ihm Deine
Bilder zu ſchicken.
Die Bilder haſt Du ihm geſchickt, die ich
Dir gab?
Du ſiehſt, daß er ſie beſſer zu wür-
digen weiß, als ich. Das Bild, auf dem Du als Eva
vor dem Spiegel ſtehſt, wird er, wenn Du dort biſt,
wohl unter der Hausthür aufhängen. Dann kommt für
[38] Dich noch Eins in Betracht. Bei Oikonomopulos in
Kairo biſt Du vor Deinen Henkern ſicherer, als wenn
Du Dich in einen kanadiſchen Urwald verkriechſt. Man
überführt ſo leicht keine ägyptiſche Courtiſane in ein
deutſches Gefängnis, erſtens ſchon aus Sparſamkeits-
rückſichten und zweitens aus Furcht, man könnte dadurch
der ewigen Gerechtigkeit zunahetreten.
Was ſchert mich Eure ewige Gerechtigkeit!
Du kannſt Dir an Deinen fünf Fingern abzählen, daß
ich mich nicht in ein ſolches Vergnügungslokal ſperren laſſe.
Dann erlaubſt Du, daß ich den
Poliziſten heraufpfeife.
Warum bitteſt Du mich nicht einfach um
fünfzehnhundert Francs, wenn Du das Geld nötig haſt?
Ich habe gar kein Geld nötig! —
Übrigens bitte ich Dich deshalb nicht darum, weil Du
auf dem Trocknen biſt.
Wir haben noch dreißigtauſend Mark.
In Jungfrau-Aktien! Ich habe mich
nie mit Aktien abgegeben. Der Staatsanwalt bezahlt
in deutſcher Reichswährung und Oikonomopulos zahlt in
engliſchem Gold. Du kannſt morgen früh in Marſeilles
ſein. Die Mittelmeerfahrt dauert nicht viel mehr als
fünf Tage. In ſpäteſtens vierzehn Tagen biſt Du in
Sicherheit. Hier in Paris ſtehſt Du dem Gefängnis
näher als irgendwo. Es iſt ein Wunder, das ich als
Polizeiorgan nicht faſſe, daß Ihr hier ein volles Jahr
unbehelligt habt leben können. Aber ſo gut wie ich
Euren Antecedentien auf die Spur kam, kann bei Deinem
ſtarken Verbrauch an Männern jeden Tag einer meiner
Kollegen die glückliche Entdeckung machen. Dann darf
ich mir den Mund wiſchen und Du verbringſt Deine
genußfähigſten Lebensjahre in der Einſamkeit. Willſt Du
[39] Dich bitte gleich entſcheiden. Um halb ein Uhr fährt
der Zug nach Marſeilles. Sind wir bis elf Uhr nicht
handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de Ville
herauf. Andernfalls packe ich Dich, ſo wie Du daſtehſt,
in einen Fiacre, fahre Dich nach der Gare de Lion und
begleite Dich morgen Abend aufs Schiff.
Es kann Dir damit doch unmöglich ernſt ſein?!
Begreifſt Du nicht, daß es mir nur
um Deine leibliche Rettung zu tun iſt?
Ich gehe mit Dir nach Amerika, nach China;
aber ich kann mich ſelbſt nicht verkaufen laſſen! Das iſt
ſchlimmer als Gefängnis.
Lies einmal dieſen Herzenserguß!
Ich werde ihn Dir vor-
leſen. Hier iſt der Poſtſtempel „Kairo“, damit Du nicht
glaubſt, ich arbeite mit gefälſchten Dokumenten. Das
Mädchen iſt Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet,
und das mit einem Mann, um den Du ſie beneidet
hätteſt, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reiſt
jetzt in Dienſten einer Hamburger Kolonialgeſellſchaft.
Dann beſucht er ſeine Frau ja vielleicht ge-
legentlich.
Das iſt nicht ausgeſchloſſen. Aber
höre dieſen impulſiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein
Mädchenhandel erſcheint mir durchaus nicht ehrenvoller,
als ihn der erſte beſte Richter taxieren würde; aber ſolch
ein Freudenſchrei läßt mich für den Augenblick eine ge-
wiſſe ſittliche Genugtuung empfinden. Ich bin ſtolz darauf,
mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit
vollen Händen ausſtreue.
„Lieber Herr Meier!“
— So heiße ich als Mädchenhändler. — „Wenn Sie
nach Berlin kommen, gehen Sie bitte ſofort in das Kon-
ſervatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie
[40] nach Guſti von Roſenkron — das ſchönſte Weib, das
ich je in Natur geſehen habe; entzückende Hände und
Füße, von Natur ſchmale Taille, gerader Rücken,
ſtrotzender Körper, große Augen und Stumpfnaſe —
ganz ſo, wie Sie es bevorzugen. Ich habe ihr ſchon
geſchrieben. Mit der Singerei hat ſie keine Ausſicht.
Die Mutter hat keinen Pfennig. Leider ſchon zweiund-
zwanzig, aber verſchmachtend nach Liebe. Kann nicht
heiraten, weil vollkommen mittellos. Habe mit Madame
geſprochen. Man nimmt mit Vergnügen noch eine
Deutſche, wenn gut erzogen und muſikaliſch. Italienerinnen
und Franzöſinnen können mit uns nicht wetteifern, weil
zu wenig Bildung. Wenn Sie Fritz ſehen ſollten …“
— Fritz iſt der Mann; er läßt ſich natürlich ſcheiden
— „.... dann ſagen Sie ihm, alles war Langeweile.
Er wußte es nicht beſſer, ich wußte es auch nicht ....“
— Jetzt folgt die Aufzählung ihrer Glückſeligkeiten ....
Ich kann nicht das Einzige verkaufen, das
je mein eigen war.
Laß mich doch weiter leſen!
Ich liefere Dir heute Abend noch unſer
ganzes Vermögen aus.
Glaub mir doch um Gottes willen,
daß ich Euren letzten Sou ſchon bekommen habe. Wenn
wir nicht bis elf Uhr das Haus verlaſſen haben, dann
transportiert man Dich morgen mit Deiner Sippſchaft
per Schub nach Deutſchland.
Du kannſt mich nicht ausliefern!
Meinſt Du, das wäre das Schlimmſte,
was ich in meinem Leben gekonnt habe? — Ich muß
für den Fall, daß wir heute Nacht nach Marſeilles
fahren, nur raſch noch ein Wort mit Bianetta reden.
[41]
Lulu ſtarrt vor ſich hin, das Billett, das ihr Rodrigo zuſteckte und das
ſie während des ganzen Geſpräches zwiſchen den Fingern hielt, mecha-
niſch zerknitternd. Alwa erhebt ſich hinter dem Spieltiſch, ein Wert-
papier in der Hand, und kommt in den Salon.)
Brillant! Es geht brillant! Die
Geſchwitz ſetzt eben ihr letztes Hemd. Puntſchu hat mir
noch zehn Jungfrau-Aktien verſprochen. Die Steinherz
macht ihre kleinen Profitchen.
Ich ſoll in ein Bordell? — —
den Zettel, den ſie in der Hand hält, und lacht wie toll.)
Machſt Du denn nicht mit?
Gewiß, gewiß. Warum nicht!
Apropos, im „Berliner Tageblatt“ ſteht
heute, daß ſich der Alfred Hugenberg im Gefängnis
aus dem dritten Stockwerk ins Treppenhaus hinunter
geſtürzt hat.
Iſt denn der auch im Gefängnis?
Nur in einer Art von Preventivhaft. Ge-
rüchtweiſe verlautet, ſein Vater, der Polizeidirektor, habe,
während der Junge beerdigt wurde, Selbſtmordverſuch
gemacht.
Thür tritt ihr die Gräfin Geſchwitz entgegen.)
Du gehſt, weil ich komme?
Weiß Gott, nein. Aber wenn Du kommſt,
dann gehe ich.
Du haſt mich um alles betrogen,
was ich an Glücksgütern auf dieſer Welt noch beſaß.
Du könnteſt in Deinem Verkehr mit mir zum aller-
wenigſten die äußerlichen Anſtandsformen wahren.
Ich bin gegen Dich ſo anſtändig, wie gegen
jede andere Frau. Ich bitte Dich nur, es auch mir
gegenüber zu ſein.
[42]
Haſt Du die leidenſchaftlichen Be-
teuerungen vergeſſen, durch die Du mich, während wir
zuſammen im Krankenhaus lagen, dazu verführteſt, daß
ich mich für Dich ins Gefängnis ſperren ließ?!
Wozu haſt Du mir denn vorher die Cholera
angehängt?! Ich habe während des Prozeſſes noch
ganz andere Dinge beſchworen, als was ich Dir ver-
ſprechen mußte. Mich ſchüttelt der Ekel bei dem Ge-
danken, daß das jemals Wirklichkeit werden ſollte.
Dann betrogſt Du mich alſo mit
vollem Bewußtſein?!
Um was biſt Du denn betrogen? Deine
körperlichen Vorzüge haben hier einen ſo begeiſterten
Bewunderer gefunden, daß ich mich frage, ob ich nicht
noch einmal Klavierunterricht geben muß, um mein Da-
ſein zu friſten. Kein ſiebzehnjähriges Kind macht einen
Mann liebestoller, als Du Ungeheuer den braven Kerl
durch Deine Widerſpenſtigkeit machſt!
Von wem ſprichſt Du? Ich ver-
ſtehe kein Wort.
Ich ſpreche von Deinem Kunſtturner, von
Rodrigo Quaſt. Er iſt Athlet; er balanciert zwei ge-
ſattelte Kavalleriepferde auf ſeinem Bruſtkaſten. Kann
ſich eine Frau etwas Herrlicheres wünſchen? Er ſagte
mir eben noch, daß er dieſe Nacht in die Seine ſpringe,
wenn Du Dich ſeiner nicht erbarmſt.
Ich beneide Dich nicht um Deine
Geſchicklichkeit, die hilfloſen Opfer, die Dir durch uner-
forſchliche Beſtimmung überantwortet ſind, zu martern.
Ich kann Dich überhaupt nicht beneiden. Ein Bedauern,
wie ich es mit Dir fühle, hat mir mein eigener Jammer
noch nicht abgerungen. Ich fühle mich frei wie ein Gott
bei dem Gedanken, welcher Kreaturen Sklavin Du biſt!
[43]
Von wem ſprichſt Du denn?
Ich ſpreche von Caſti Piani, dem
die verworfenſte Niederträchtigkeit in lebenden Buchſtaben
auf der Stirne geſchrieben ſteht.
Schweig! Ich gebe Dir Tritte in den Leib,
wenn Du ſchlecht von dem Jungen ſprichſt. Er liebt
mich mit einer Aufrichtigkeit, gegen die Deine abenteuer-
lichſten Aufopferungen die reine Bettelei ſind. Er giebt
mir Beweiſe von Selbſtverleugnung, die mir Deine Zu-
mutungen erſt in ihrer ganzen Abſcheulichkeit zeigen. Was
gibt man nicht hin, wenn man Gelüſte hat wie Du!
Du biſt im Leib Deiner Mutter nicht ganz fertig ge-
worden, weder als Weib noch als Mann. Du biſt kein
Menſch wie wir anderen. Für einen Mann war der
vorhandene Stoff nicht ausreichend und zum Weib haſt
Du zu viel Hirn in den Schädel bekommen. Deshalb
biſt Du verrückt! Wende Dich mit Deinen Gefühlen
an Fräulein Bianetta Gazil. Die iſt gegen Bezahlung
zu allem zu haben. Drück’ ihr zwanzig Francs in die
Hand, dann gehört ſie Dir.
Rodrigo, Caſti Piani, Puntſchu, Heilmann und Alwa kommen aus dem
Spielzimmer in den Salon.)
Um Gottes willen, was iſt paſſiert?
Mais rien du tout, ma chère. On va
se rafraîchir.
Tout le monde a gagné,
c’est épatant!
Moi, j’ai gagné au moins quarant
louis …
Il ne faut pas ſ’en vanter,
mon amie!
C’est vrai; ça ne porte
pas bonheur.
[44]
Mais la Bauque aussi a gagné!
Es iſt pyramidal, wo das Geld herkommt!
Tant mieux; on n’a pas besoin,
de se priver de Champagne.
J’ai au moins, moi, de quoi me payer
un diner au Café de Paris.
Venez, Mesdames, au buffet!
— Lulu wird von Rodrigo zurückgehalten.)
Une petite seconde, Madame. — Haſt
Du mein Billetdoux ſchon geleſen?
Droh’ mir mit Anzeigen, ſoviel Du Luſt haſt!
Ich habe keine zwanzigtauſend Francs mehr.
Lüg’ mich nicht an, Du Kanaille! Ihr
habt noch vierzigtauſend Mark; der Lämmerſchwanz hat
mir das eben noch beſtätigt.
Dann wende Dich mit Deinen Erpreſſungen
doch an ihn! Mir iſt es egal, was er mit ſeinem
Gelde thut.
Ich danke Dir! Bei dem Hornochſen
brauche ich zweimal vierundzwanzig Stunden, bis er be-
greift, wovon die Rede iſt. Und dann kommen ſeine
Erläuterungen und Auseinanderſetzungen, denen gegen-
über einem ſterbensübel wird. Derweil ſchreibt mir
meine Braut: „Tout est fini entre nous!“ und ich kann
den Leierkaſten umhängen.
Haſt Du Dich denn hier in Paris verlobt?
Ich hätte Dich wohl erſt um Erlaubnis
fragen ſollen? Was war hier mein Dank dafür, daß
ich Dich auf Koſten meiner Geſundheit aus dem Ge-
fängnis befreit habe? — La misère noire! Ihr habt
mich preisgegeben! Ich hätte Packträger werden können,
wenn mich dieſes Mädchen nicht aufgenommen hätte.
[45] In den Follies Bergère warf man mir gleich am erſten
Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die fran-
zöſiſche Nation iſt zu heruntergekommen, um noch ge-
diegene Kraftleiſtungen zu würdigen. Wäre ich ein
boxendes Känguruh, dann hätten ſie mich interviewt und
in allen Journalen abgebildet. Gott ſei Dank hatte ich
auf der Toilette ſchon die Bekanntſchaft meiner Céleſtine
gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand
drückte, erklärte ſie mir, ſie beabſichtigte, ſich aus der
Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Erſparniſſe
zwanzigjähriger Arbeit auf dem Crédit Lionnais deponiert.
Dabei liebt ſie mich um meiner ſelbſt willen. Sie geht
nicht wie Du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei
Kinder von einem engliſchen Biſchof, die alle zu den
ſchönſten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden
wir uns auf der Mairie des erſten Arrondiſſements
ſtandesamtlich trauen laſſen.
Meinen Segen haſt Du dazu.
Dein Segen kann mir geſtohlen werden!
Ich habe meiner Braut geſagt, ich hätte zwanzigtauſend
Francs auf der Bank liegen.
Dabei prahlt der Kerl noch, daß ihn das
Mädchen um ſeiner ſelbſt willen liebt!
Meine Céleſtine verehrt den Gemüts-
menſchen in mir, und nicht den Kraftmenſchen, wie Du
das getan haſt und all die anderen. Das iſt jetzt über-
ſtanden! Erſt riſſen ſie einem die Kleider vom Leib
und dann wälzten ſie ſich mit der Femme de Chambre
herum. Ich will ein Totengerippe ſein, wenn ich mich
noch jemals auf ſolche Beluſtigungen einlaſſe!
Warum zum Henker verfolgſt Du denn die
unglückliche Geſchwitz mit Deinen ſchmutzigen Anträgen?
Weil das Frauenzimmer von Adel iſt.
[46] Ich bin Homme du Monde und verſtehe mich beſſer als
irgendeiner von Euch auf den Pariſer Konverſationston.
— Aber jetzt bitte ich um eine bündige Antwort. Wirſt
Du mir bis morgen Abend das Geld verſchaffen oder nicht?
Ich habe kein Geld.
Ich will Hühnerdreck im Kopf haben,
wenn ich mich damit abſpeiſen laſſe! Er giebt Dir den
letzten Sou, den er hat, wenn Du nur einmal Deine
verdammte Pflicht und Schuldigkeit thuſt und ihn nicht
umſonſt vor Deiner Thür winſeln läßt. Du haſt den
armen Jungen hierher gelockt. und jetzt kann er ſehen,
wo er ein paſſendes Engagement für ſeine Ver-
vollkommnung auftreibt.
Was ſchert es Dich, ob er das Geld mit
Weibern oder am Spieltiſch verthut?!
Wollt Ihr denn mit Gewalt den letzten
Pfennig, den ſich ſein Vater an der Zeitung verdient
hat, dieſem wildfremden Pack in den Rachen jagen?!
Du machſt vier Menſchen glücklich, wenn Du fünfe gerad
ſein läßt und Dich einem wohlthätigen Zweck opferſt!
Muß es denn immer und immer nur Caſti Piani ſein!
Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er Dir die
Treppe hinunterleuchtet?
Comme vous voulez, ma chère! Wenn
ich bis morgen Abend die zwanzigtauſend Francs nicht
habe — Du kannſt ſie auf dem Poſtbureau an der
Avenue de l’Opéra deponieren — dann erſtatte ich An-
zeige bei der Polizei und Euer Luderleben hat ein Ende.
— Au plaisir de vous revoir!
Sie ſuchen Madelaine de Marelle? — Sie
iſt nicht hier.
Nein, ich ſuche etwas anderes.
[47]
Die zweite Thür
links, bitte.
Haſt Du das ſchon von Deiner
Braut gelernt?
Pardon, mein Engel.
Ach Sie ſind’s! Madame de Marelle
erwartet Sie im Lift.
Fahren Sie bitte mit ihr hinauf. Ich
bin gleich zurück.
folgt ihr.)
Quelle chaleur! — — Schneid’
ich Dir die Ohren nicht ab, ſchneidſt Du ſie mir! — —
Muß man ſich durchquetſchen zwiſchen Juden, Chriſten
und Sirenen! — — Kann ich nicht vermieten mein
Joſaphat, muß ich mir helfen mit meinem Verſtand! —
Wird er nicht runzlich, mein Verſtand; wird er nicht
avachi; braucht er ſich nicht zu baden in Eau de Cologne!
A Monsieur Puntschu!
Les actions du
Funiculaire de la Jung-Frau tombées . . . . Attends!
Comment t’appelles-tu?
Gaston Tarnaud, Monsieur; mais on m’a
baptisé Bob parce que ça se prononce plus court
comme ça.
Es-tu né à Paris.
Oui, Monsieur.
Quel âge? . . . .
Maman n’est pas ici?
Non. — Quel charmante fille, mon
dieu!
[48]
Je la cherche partout; je ne puix pas
la trouver.
Attendez donc; Maman va revenir. —
Iſt ſie weiß Gott . . . . .
Und das Paar
Kniehoſen! — Weiß man nicht — Gott der Gerechte! —
Wird mir unheimlich …
Ecoutez, Monsieur, vous n’avez pas vu
ma mère?
Non, Mademoiselle; je ne l’ai pas vue.
J’ai tellement peur.
Madame doit être montée. Si Mademoiselle
veut me suivre?
Qu’est ce qu’il-y-a là haut?
Vous allez voir. Nous nous cacherons dans
l’escalier. Venez! Vous ne voulez pas?
A quoi faire; dites?
Ça vous amusera.
Eh bien, faites voir.
Pas ici.
Je n’y monte pas. On va me gronder.
Eh bien, Mademoiselle.
Après vous, Monsieur!
bemächtigt ſich Kadégas.)
La voilà, mon Dieu!
N’a-tu pas honte, vilaine garce; hein?
Oh, maman; je t’ai cherchée!
Tu m’as cherchée! —
T’ai-je envoyée me chercher? — Qu’as-tu à faire avec
ce haiduck là?! — Ah, tu me connaîtras!
und Lulu treten aus dem Speiſezimmer ein. — Bob hat ſich gedrückt.)
Ne pleure
pas; tu sais!
[49]
Qu’est ce que tu as? Pourquoi
pleures-tu, mon enfant?
Vous-avez pleuré, Made-
moiſelle?
La pauvre petite!
Ce sont les nerfs. Il
n’y faut pasfair attention.
Mais vous êtes trop sevère, Madame!
Voilà l’âge le plus difficile.
Je voudrais bien, qu’on retour-
nât au jeu.
Thür von Bob zurückgehalten, der ihr etwas zuflüſtert.)
Eh bien, qu’il entre.
Schigolch trägt Frack, weiße Halsbinde, ſchiefgetretene Lackſtiefel und
einen ſchäbigen Klapphut, den er aufbehält.)
Wo haſt Du
den her?
Aus dem Nouveau Cirque.
Er iſt etwas breit in den Hüften.
Er iſt breiter als ich. — Gefällt Dir das
nicht?
Wieviel Lohn bekommt er bei Dir?
Frag’ ihn, wenn Dich das ſo intereſſiert.
Dazu reichen meine franzöſiſchen Sprach-
kenntniſſe noch nicht aus.
Allez fermer les portes.
Ich brauche nämlich notwendig fünf-
hundert Francs. Ich habe meiner Geliebten ein Apparte-
ment gemietet. Elle veut se mettre dans ses meubles.
Haſt Du Dir hier auch noch eine Geliebte
genommen?
4
[50]
Sie iſt Münchnerin. In ihrer Jugend
war ſie die Frau des Königs von Neapel. Sie ſagt
mir jeden Tag, daß ſie früher einmal ſehr hübſch ge-
weſen ſei.
Braucht ſie die fünfhundert Francs ſehr nötig?
Elle veut se mettre dans ses meubles.
Solche Summen ſpielen doch bei Dir keine Rolle.
O Du allmäch-
tiger Gott!
Nun? — Was gibt es denn wieder?
Es iſt zu grauenhaft!
Hm — Du übernimmſt Dich, mein
Kind. — Du mußt Dich zuweilen mit einem Roman
zu Bett legen. — Weine nur; weine Dich nur recht
aus. — So hat es Dich auch ſchon vor fünfzehn Jahren
geſchüttelt. Es hat ſeitdem kein Menſch mehr ſo ge-
ſchrien, wie Du damals haſt ſchreien können. — Da-
mals trugſt Du noch keinen weißen Federbuſch auf dem
Kopf und hatteſt auch keine durchlöcherten Strümpfe an
Deinen Beinen. Du hatteſt weder Stiefel noch Strümpfe
daran.
Nimm mich mit Dir nach Haus! Nimm
mich dieſe Nacht mit zu Dir an den Quai de la Gare!
Ich bitte Dich! Wir finden unten Wagen genug!
Ich nehme Dich mit; ich nehme Dich
mit. — Was gibt es denn?
Es geht um meinen Hals! Man zeigt
mich an!
Wer? — Wer zeigt Dich an?
Der Springfritze.
Dem beſorg’ ich es!
Beſorg’ es ihm! Ich bitte Dich, beſorg’ es
ihm! Dann thu mit mir, was Du willſt.
[51]
Wenn er zu mir kommt, iſt er abgethan.
Mein Fenſter geht auf die Seine. — Aber er kommt
nicht; er kommt nicht.
Welche Nummer wohnſt Du?
Vingt cinq, Quai de la Gare.
Ich ſchicke ihn hin. Er kommt mit der ver-
rückten Kröte, die mir um die Füße kriecht; er kommt
noch heute Abend. Geh’ nach Haus, damit ſie es be-
haglich finden.
Laß ſie nur kommen.
Morgen bring’ mir ſeine goldenen Ringe,
die er in den Ohren trägt.
Hat er Ringe in den Ohren? — Das
habe ich noch gar nicht bemerkt.
Du kannſt ſie abſchneiden, bevor Du ihn
hinunter läßt. Er merkt es nicht, wenn er beſoffen iſt.
Und dann, mein Kind? Was dann?
Dann gebe ich Dir fünfhundert Francs für
Deine Geliebte.
Das nenne ich geizig. Haſt Du ſonſt
nichts?
Was Du magſt! Was ich habe!
Bald ſind es zehn Jahre, daß wir uns
nicht mehr kennen.
Wenn es weiter nichts iſt? — Komm ſo oft
Du willſt! — Aber Du haſt doch eine Geliebte.
Meine Vroni trägt keine Brillanten.
Sie iſt auch nicht mehr von heute.
Aber dann ſchwöre!
Aber habe ich Dir je nicht Wort ge-
halten?
Schwöre, daß Du es ihm beſorgſt!
Ich beſorge es ihm.
4*
[52]
Schwöre es mir! Schwöre es mir!
— Bei allem,
was heilig iſt! — Heute Nacht, wenn er kommt. —
Bei allem, was heilig iſt! — — Wie das
kühlt!
Wie das glüht!
Fahre nur gleich nach Haus. Sie kommen
in einer halben Stunde! Nimm einen Fiacre!
Ich gehe ſchon.
Raſch! Ich bitte Dich! — — — All-
mächtiger …
Was ſtarrſt Du mich jetzt ſchon wieder
ſo an?
Nichts …
Nun? — Iſt Dir Deine Zunge an-
gefroren?
Mein Strumpfband iſt aufgeg angen …
Nun ja denn!
Was bedeutet das?
Was das bedeutet? — Ich binde es
Dir, wenn Du ſtill hältſt.
Das bedeutet ein Unglück!
Nicht für Dich, mein Kind. Sei ge-
troſt, ich beſorg es ihm. —
band und geht ins Spielzimmer ab. — Rodrigo wird von Caſti Piani
in den Salon gepufft.)
Behandeln Sie mich doch wenigſtens
anſtändig!
Was könnte mich denn dazu ver-
anlaſſen?! — Ich will wiſſen, was Sie vorhin mit der
Frau hier geſprochen haben!
Dann können Sie mich gern haben!
[53]
Willſt Du Hund mir Rede und
Antwort ſtehen! — Du haſt von ihr verlangt, ſie ſoll
mit Dir im Lift hinauffahren!
Das iſt eine unverſchämte, perfide Lüge!
Sie erzählt es mir ſelbſt! Du haſt
ihr gedroht, ſie zu denunzieren, wenn ſie nicht mit Dir
kommt! — Soll ich Dich über den Haufen ſchießen?!
Die ſchamloſe Perſon! — Als könnte
mir ſo etwas einfallen! — Wenn ich ſie ſelber haben
will, brauche ich ihr weiß Gott im Himmel nicht erſt
mit Gefängnis zu drohen!
Danke ſchön. Weiter wollte ich
nichts wiſſen.
So ein Hund! — Ein Kerl, den ich
an die Decke werfe, daß er kleben bleibt, wie ein
Limburger Käſe! — — Komm her, wenn ich Dir die
Därme um den Hals wickeln ſoll! — — Das wäre noch
ſchöner!
Wo bleibſt denn Du? — Man muß Dich
ſuchen wie eine Stecknadel.
Dem habe ich gezeigt, was es heißt,
mit mir anzufangen!
Wem denn?
Deinem Caſti Piani! Wie kannſt Du
Canaille dem Kerl erzählen, ich hätte Dich verführen
wollen?!
Haſt Du nicht von mir verlangt, daß ich
mich für zwanzigtauſend Francs dem Sohn meines ver-
ſtorbenen Mannes hingebe?
Weil es Deine Pflicht iſt, Dich des
armen Jungen zu erbarmen! Du haſt ihm ſeinen Vater
in den ſchönſten Lebensjahren vor der Naſe weggeſchoſſen!
Aber Dein Caſti Piani überlegt es ſich, bevor er mir
[54] wieder unter die Augen kommt. Dem gebe ich eins vor
den Bauch, daß ihm die Kaldaunen wie Leuchtkugeln
zum Himmel fliegen. Wenn Du keinen beſſeren Erſatz
für mich haſt, dann bedaure ich, jemals Deine Gunſt
genoſſen zu haben!
Die Geſchwitz hat die fürchterlichſten Zu-
ſtände. Sie windet ſich in Krämpfen. Sie iſt imſtande
und ſpringt in die Seine, wenn Du ſie noch länger
warten läßt.
Worauf wartet das Vieh denn?
Auf Dich, daß Du ſie liebſt.
Dann ſag’ ihr, ich laſſe ſie grüßen und
ſie ſoll in die Seine ſpringen.
Sie leiht mir zwanzigtauſend Francs, um
mich vor dem Verderben zu retten, wenn Du ſie ſelber
davor bewahrſt. Wenn Du ſie heute mit Dir nimmſt,
deponiere ich morgen zwanzigtauſend Francs für Dich
auf dem Poſtbureau an der Avenue de l’Opéra.
Und wenn ich ſie nicht mitnehme?
Dann zeig’ mich an! Alwa und ich ſind
auf dem Trockenen.
Himmel, Tod und Wolkenbruch!
Du machſt vier Menſchen glücklich, wenn Du
fünfe gerad ſein läßt und Dich einem wohlthätigen Zweck
opferſt.
Das wird nicht gehn; ich weiß es im
voraus. Ich habe das jetzt genug ausprobiert. Wer
rechnet bei dem Schirmgeſtell auch auf ſolch ein deutſches
Gemüt! Was die Perſon für mich hatte, war der Um-
ſtand, daß ſie Ariſtokratin iſt. Mein Benehmen war
ſo gentlemanlike, wie man es bei deutſchen Artiſten
überhaupt nicht findet. Hätte ich ihr nur jemals unter
die Röcke gegriffen!
[55]
Sie iſt noch Jungfrau.
Wenn es einen Gott im Himmel giebt,
dann werden Dir Deine Witze noch einmal heimgezahlt!
Das prophezeie ich Dir!
Die Geſchwitz wartet. Was ſoll ich ihr ſagen?
Meine ergebenſte Empfehlung und ich
ſei kaſtriert.
Das werde ich ausrichten.
Warte noch! — Iſt es ſicher, daß ich
zwanzigtauſend Francs von ihr erhalte?
Frag’ ſie ſelbſt!
Dann ſag’ ihr, ich ſei bereit. Ich erwarte
ſie in der Salle à manger. Ich muß nur erſt noch eine
Tonne Kaviar verſorgen.
zimmer und ruft „Martha!“, worauf die Gräfin Geſchwitz in den Salon
tritt und die Thür hinter ſich ſchließt.)
Mein liebes Herz, Du kannſt mich heute vor
dem Tode retten.
Wie kann ich das?
Wenn Du den Springfritzen nach dem Quai
de la Gare bringſt.
Wozu das, mein Lieb?
Er ſagt, Du müſſeſt ihm heute noch an-
gehören, ſonſt zeigt er mich morgen an.
Du weißt, daß ich keinem Manne
gehören kann; ich bin von meinem Verhängnis nicht
dazu beſtimmt.
Wenn Du ihm nicht zuſagſt, dann hat er
das mit ſich ſelbſt auszumachen. Warum verliebt er
ſich in Dich!
Aber er wird brutal werden wie
ein Henkersknecht. Er wird ſich für ſeine Enttäuſchung
rächen und mir die Schläfen einſchlagen. Ich habe das
[56] ſchon erlebt. — Iſt es nicht möglich, daß Du mir dieſe
ſchwerſte Prüfung erſparſt?
Was gewinnſt denn Du dabei, wenn er
mich anzeigt?
Ich habe in meinem Vermögen
noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als
Zwiſchendeckpaſſagiere nach Amerika fahren. Dort wärſt
Du vor all’ Deinen Verfolgern in Sicherheit.
Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner
anderen Stadt mehr glücklich ſein. Du mußt ihm ſagen,
daß Du ohne ihn nicht leben kannſt. Dann fühlt er ſich
geſchmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den
Kutſcher bezahlen. Sag’ dem Kutſcher „Vingt cinq,
Quai de la Gare“. Das iſt ein Hotel ſechsten Ranges,
in dem man Dich mit ihm heute Abend erwartet. Soll
ich Dir die Adreſſe aufſchreiben?
Wie ſoll Dir eine ſolche Ungeheuer-
lichkeit das Leben retten? — Ich verſtehe das nicht. —
Du haſt, um mich zu martern, das furchtbarſte Ver-
hängnis heraufbeſchworen, das über mich Geächtete herein-
brechen kann.
Vielleicht kuriert Dich die Begegnung.
O Lulu, wenn es eine ewige Ver-
geltung giebt, dann möchte ich nicht für Dich einſtehen
müſſen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott
über uns wacht. Und doch wirſt Du wohl recht haben, daß
es nichts damit iſt. Denn womit habe ich unbedeutendes
Wurm ſeinen Zorn gereizt, um nur Entſetzen zu erleben,
wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die
Beſinnung verliert!
Du haſt Dich nicht zu beklagen. Wenn Du
glücklich wirſt, dann biſt Du hundert- und tauſendmal
[57] glücklicher, als es einer von uns gewöhnlichen Sterb-
lichen jemals wird.
Das weiß ich auch; ich beneide
niemanden! Aber ich warte noch darauf. Du haſt mich
nun ſchon ſo oft betrogen.
Ich bin Dein, mein Liebling, wenn Du den
Springfritzen bis morgen beruhigſt. Er will nur ſeine
Eitelkeit befriedigt ſehen; Du mußt ihn beſchwören, daß
er ſich Deiner erbarme.
Und morgen?
Ich erwarte Dich, mein Herz. Ich werde die
Augen nicht aufſchlagen bevor Du kommſt. Ich ſehe
keine Kammerfrau, ich empfange keinen Friſeur, ich werde
die Augen nicht aufſchlagen, bevor Du bei mir biſt.
Dann laß ihn kommen.
Aber Du mußt Dich ihm an den Hals werfen,
mein Lieb! Weißt Du die Hausnummer noch?
Vingt cinq, Quai de la Gare. —
Jetzt aber raſch!
Voyons, viens, cheri!
Die Damen
entſchuldigen, daß ich das Maul voll habe.
Ich bete Sie an!
Erbarmen Sie ſich meiner Not!
A la bonne heure! Beſteigen wir das
Schaffot!
ihr den Salon.)
Bonne nuit, chers enfants!
Paar auf den Korridor hinaus und kommt gleich darauf mit Bob zurück.)
Vite, mon enfant! Nous partirons
à l’instant. Tu m’accompagneras. Mais nous allons
nous déguiser. Tu ma donneras tes vêtements et tu
metteras les miens. — Vite, vite!
[58]
A votre service, Madame!
Lärm. Die Thüren werden aufgeriſſen. Bankier Puntſchu, Journaliſt
Heilmann, Alwa Schön, Bianetta Gazil, Madelaine de Marelle, Kadéga
di Santa Croce und Ludmilla Steinherz kommen in den Salon.)
ein Alpenglühen zu ſehen iſt, zu Puntſchu).
Il vous faut l’ac-
cepter, Monsieur!
Mais ça n’a pas cours, mon cher!
Sie Spitzbube! Vous refuser de me
donner ma revanche!
Ah ces Prussiens!
Est ce que vous y
comprenez quelque chose?
Il lui a pris son argent.
Et le voilà maintenant, qui quitte le
jeu, ce filou!
Ah, ce n’est pas propre!
Moi qui quitte le jeu? — Que sa
mise soit de l’argent, que Diable! Je ne suis pas
ici dans mon bureau de change. Qu’il vienne demain
à dix heures, m’offrir son papier!
Mon papier?! — Voici seize cents
francs, les actions que vous m’avez vendues!
Mais pour jouer il vous faut de l’argent
comptant!
Wenn Sie einen bis auf den letzten
Sou ausgeraubt haben, dann hat es plötzlich pas cours!
Qu’est ce qu’ils disent, maman?
Je n’en sais rien, moi —
Sie Halsabſchneider! Sie Saujude!
Mais voyons, mon ami, soyons rai-
sonnable! Il n’a pas de valeur, votre titre. Les
actions du Funiculaire de la Jung-Frau sont tombées,
[59] ce soir, jusqu’à quinze. Je viens d’en recevoir la
nouvelle par télégramme. Je n’en voulais rien dire
d’abord …
Mais comment ça se fait-il? Nous voilà
sur le pavé!
Et moi, qui perds toute une fortune!
Demain, à la Bourse, on va nous en offrir pour cent
sous la douzaine!
Grand Dieu! Dix huit
ans de peines et de travail!
Oh, maman! Reveille-toi! — Elle meurt!
Elle meurt!
Où allez vous, ce soir, prendre
votre diner, Monsieur Puntschu?
Je suis pressé; je vais prendre ma
voiture.
M’offrez vous à souper chez
Maxime, puisqu’ vous venez de perdre toute une fortune?
Si vous voulez. On y sera mieux,
peut-être. Il ne reste rien à faire ici.
Das hat man von dem Pack!
Warum ſpekulieren Sie
auf die Jungfrau! — Vous enverrez quelques petites
notes à Berlin et le mal sera réparé.
Vous avez beau dire, Madame! Ich
habe das Handwerk noch nicht ſo los wie Sie. Wollen
Sie mich nicht als Ihren Geheimſekretär in Dienſt
nehmen?
Connaissez-vous le Mouton
à cinq pattes? — Venez, allons au Mouton à cinq
pattes! C’est tout près des Halles. Nous y sommes
[60] chez nous. Jusqu’au petit jour nous aurons fait un
joli petit article.
Vous ne dormez donc pas?
La nuit? — Jamais!
Elle a les
mains glacées. Qu’elle est belle, cette femme! Il
faudrait ouvrir son corsage, afin qu’elle puisse respirer
plus librement.
weißen Lederhoſen und Stulpſtiefeln, einen Radmantel um die Schultern.)
Haſt Du noch etwas Geld, Alwa?
Biſt Du verrückt geworden?
In zwei Minuten kommt die Polizei. Wir
ſind verraten. Bleib’ hier, wenn Du Luſt haſt!
Barmherziger Himmel!
Maman, reveille-toi!
Tout le monde s’enfuit!
Et la
jeunesse et les beaux jours passés! Oh cette vie!
Mais c’est moi, qui gagnera de l’argeant
pour nous deux. Je ne veux plus rentrer dans mon
convent.
Dieu te bénisse! Sais-
tu bien ce que tu dis! — J’aurai peutêtre un engage-
ment au Concert Parisien. J’y chanterai mon désastre;
voilà ce qui les amusera!
Mais tu n’as pas de voix, maman.
Ah oui, c’est vrai!
Ne veux-tu pas m’y mener avec toi?
Dans ta jupe de bébé?!
Ca non, par exemple!
[61]
Mais justement! Suis-je pas gentille
comme ca?
Eh bien, soit donc!
Dieu me le pardonne! Demain soir nous irons à
l’Olympia, si tu le veux.
Si je veux, petite mère! Alors tu auras
de quoi vivre.
Au nom de la
loi — Madame, vous êtes arretée!
Mais non, mais non!
[62]
Dritter Aufzug.
in der Flucht des Daches öffnen ſich nach oben. Rechts und links vorn
je eine ſchlechtſchließende Thür. Im rechten Proſcenium eine zerriſſene
graue Matratze. Links vorn ein wackliger Blumentiſch, auf dem eine
Whiskyflaſche und eine qualmende Petroleumlampe ſtehen. Links
hinten in der Ecke eine alte Chaiſelongue; neben der Mittelthür ein
durchſeſſener Strohſeſſel.
Luke, ſo daß die Diele unter Waſſer ſteht. Vorn auf der Matratze
liegt Schigolch in langem grauen Paletot. Auf der Chaiſelongue links
in der Ecke liegt Alwa Schön, in einen Plaid gewickelt, deſſen Riemen
über ihm an der Wand hängt.
Der Regen trommelt zur Parade.
Ein ſtimmungsvolles Wetter für ihr erſtes
Auftreten!
tritt barfuß in abgeriſſenem ſchwarzen Kleide von links vorn ein mit
einer Waſchſchüſſel, die ſie unter den Tropfenfall ſetzt.)
Wo bleibſt Du denn, mein Kind? —
Haſt Du Dir erſt noch die Hände gewaſchen?
Reinlichkeit iſt der Schmuck der Armut.
Wenn nur
Du erſt hier aus dem Wege wärſt.
Mir träumte eben, wir dinierten zuſammen
chez Maxime. Bianetta Gazil war noch mit dabei.
Ich hatte fers de cheval beſtellt. Das Tiſchtuch triefte
auf allen vier Seiten von Champagner.
Yes, yes; und mir träumte von einem
Stück Chriſtmaß-pudding.
Wenn man ſich an einem von Euch wenigſtens
etwas wärmen könnte.
[63]
Willſt Du denn Deine Pilgerfahrt barfuß
antreten?
Der erſte Schritt koſtet immer allerhand
Geächz und Geſtöhn. Vor zwanzig Jahren was das mit
ihr um kein Haar beſſer; und was hat ſie ſeitdem gelernt!
Die Kohlen müſſen nur erſt gehörig angefacht ſein. Wenn
ſie acht Tage dabei iſt, halten ſie keine zehn Lokomotiven
mehr hier in unſerer ärmlichen Dachkammer.
Die Schüſſel läuft ſchon über.
Wo ſoll ich denn hin mit dem Waſſer?
Gieß es zum Fenſter hinaus.
Dachluke hinaus).
Es ſcheint doch, der Regen will endlich
nachlaſſen.
Du vertrödelſt die Stunde, wo die
Commis vom Abendeſſen nach Hauſe gehen.
Wollte Gott, ich läge ſchon irgendwo, wo
mich kein Fußtritt mehr weckt!
Das wünſchte ich mir auch. Wozu dieſes
Leben noch in die Länge ziehen! Laßt uns lieber heute
Abend noch in Frieden und Eintracht zuſammen ver-
hungern. Es iſt ja doch die letzte Station.
Warum gehſt denn Du Faultier nicht hin
und ſchaffſt uns was zu eſſen?! Du haſt in Deinem
ganzen Leben noch keinen Pfennig verdient!
Bei dieſem Wetter, bei dem man keinen
Hund vor die Thüre jagt?!
Aber mich! Ich ſoll Euch mit dem bißchen
Blut, das ich noch in den Gliedern habe, das Maul ſtopfen.
Ich rühre keinen Happen an von dem Geld.
Laß ſie nur gehen. Sie hat mit fünf-
zehn Jahren ihre Familie ernährt. Ich ſehne mich noch
nach einem Chriſtmaß-pudding; dann habe ich genug.
[64]
Und ich ſehne mich noch nach einem ſaftigen
Steak und einer Cigarette; dann ſterben! — Mir träumte
eben von einer Cigarette, wie ich ſie noch nie geraucht habe.
Sie ſieht uns lieber vor ihren Augen
krepieren, als daß ſie ſich zu unſerer Erlöſung ein Ver-
gnügen macht.
Die Menſchen auf der Straße laſſen mir
eher Mantel und Rock in den Händen, ehe ſie umſonſt
mitgehen. Hättet Ihr meine Kleider nicht verkauft, dann
brauchte ich wenigſtens das Laternenlicht nicht zu ſcheuen.
Ich möchte das Weib ſehen, das in den Lumpen, die ich
am Leib trage, noch was verdient.
Ich habe nichts Menſchliches unverſucht ge-
laſſen. Solange ich noch Geld hatte, brachte ich Nächte
damit hin, Tabellen aufzubauen, mit denen man den
perfekteſten Falſchſpielern gegenüber hätte gewinnen müſſen.
Und dabei verlor ich Abend für Abend mehr, als wenn
ich die Goldſtücke eimerweiſe zum Fenſter hinausgeſchüttet
hätte. Dann bot ich mich den Courtiſanen an; aber die
nehmen keinen, den ihnen die Juſtiz nicht vorher ab-
geſtempelt hat. Und das ſehen ſie einem auf den erſten
Blick an, ob man Beziehungen zum Galgen hat oder nicht.
Yes, yes.
Ich habe mir keine Enttäuſchung erſpart;
aber wenn ich Witze machte, dann lachten ſie über mich
ſelbſt; wenn ich mich ſo anſtändig gab, wie ich bin, dann
wurde ich geohrfeigt; und wenn ich es mit Gemeinheiten
verſuchte, dann wurden ſie ſo keuſch und jungfräulich,
daß mir vor Entſetzen die Haare zu Berge ſtanden.
Wer die menſchliche Geſellſchaft nicht überwunden hat,
der findet kein Vertrauen bei ihnen.
Willſt Du nicht vielleicht endlich Deine
Stiefel anziehen, mein Kind? — Ich glaube, ich werde
[65] in dieſer Behauſung nicht mehr viel älter werden. Von
den Zehenſpitzen aufwärts habe ich ſchon ſeit Paris kein
Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich.
— Und dann die Reiſeluſt, die mich in Atem hält.
Gegen Mitternacht werde ich im Kosmopolitan-Klub
doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Geſtern
ſagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Ausſicht, ihr
Geliebter zu werden.
In des drei Teufels Namen, ich gehe hin-
unter!
an den Mund.)
Damit man Dich auf eine halbe Stunde
weit kommen riecht!
Ich trinke nicht alles.
Du gehſt nicht hinunter, mein Weib! Du
gehſt nicht hinunter! Ich verbiete es Dir!
Was willſt Du Deinem Weibe verbieten,
das Du nicht ernähren kannſt?
Wer iſt daran ſchuld?! Wer anders als
meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht.
Bin ich krank?
Wer hat mich in den Kot geſchleift? —
Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht?
Haſt Du ihn erſchoſſen? — Er hat nicht viel
verloren; aber wenn ich Dich dort liegen ſehe, dann
möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich
ſo gegen meine Vernunft verſündigt habe! —
nach links in ihre Kammer.)
Sie hat es mir von ihrem Caſti Piani übermacht.
Sie ſelbſt iſt allerdings längſt nicht mehr dafür erreichbar.
Solche Teufelsracker können gar nicht
früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch
Engel daraus werden ſollen.
5
[66]
Sie hätte als Kaiſerin von Rußland ge-
boren werden müſſen. Da wäre ſie an ihrem Platz ge-
weſen. Eine zweite Katharina die Zweite.
Kammer zurück und ſetzt ſich auf die Diele, um ſie anzuziehen.)
Wenn ich nur nicht kopfüber die Treppe
hinunterſtürze! — Hu, wie kalt! — — Giebt es etwas
Traurigeres auf dieſer Welt als ein Freudenmädchen!
Geduld, Geduld! Es muß nur erſt der
richtige Zug ins Geſchäft kommen.
Mir ſoll’s recht ſein; um mich iſt es nicht
mehr ſchade.
Ça me chauffe!
Ça m’excite! — Oh verflucht!
Wenn wir ſie kommen hören, müſſen
wir uns ſo lange in meinen Verſchlag verkriechen.
Es iſt ein Jammer um ſie! — Wenn ich
zurückdenke — ich bin doch gewiſſermaßen mit ihr zu-
ſammen aufgewachſen.
Solange ich lebe, hält ſie jedenfalls
noch vor.
Wir verkehrten anfangs miteinander wie
Bruder und Schweſter. Mama lebte damals noch. Ich
traf ſie eines Morgens zufällig bei der Toilette. Doktor
Goll war zu einer Konſultation gerufen worden. Ihr
Friſeur hatte mein erſtes Gedicht geleſen, das ich in der
„Geſellſchaft“ hatte drucken laſſen —: „Hetz Deine Meute
weit über die Berge hin; ſie kehrt wieder von Schweiß
und von Staub bedeckt …“
Oh yes!
— Und dann kam ſie in Roſa-Tüll — ſie
trug nichts darunter als ein weißes Atlasmieder — auf
den Ball beim ſpaniſchen Geſandten. Doktor Goll ſchien
[67] ſeinen nahen Tod zu ahnen. Er bat mich, mit ihr zu
tanzen, damit ſie keine Tollheiten anſtellte. Derweil
wandte Papa kein Auge von uns und ſie ſah während
des Walzers über meine Schulter weg nur nach ihm.
Nachher hat ſie ihn erſchoſſen. Es iſt unglaublich.
Ich zweifle nur ſtark daran, daß noch
einer anbeißt.
Ich möchte es auch niemandem raten!
Dieſes Rindvieh!
— Sie hatte damals, obgleich ſie als Weib
ſchon vollkommen entwickelt war, den Ausdruck eines fünf-
jährigen munteren, kerngeſunden Kindes. Sie war damals
auch nur drei Jahre jünger als ich; aber wie lang iſt das
nun ſchon her! Trotz ihrer fabelhaften Überlegenheit
in Fragen des praktiſchen Lebens ließ ſie ſich von mir
den Inhalt von „Triſtan und Iſolde“ erklären; und wie
entzückend verſtand ſie ſich dabei aufs Zuhören. — Aus
dem Schweſterchen, das ſich in ſeiner Ehe noch wie ein
Schulmädchen fühlte, wurde dann eine unglückliche hyſteriſche
Künſtlersfrau. Aus der Künſtlersgattin wurde dann
die Frau meines ſeligen Vaters; aus der Frau meines
Vaters wurde meine Geliebte. Das iſt nun einmal ſo
der Lauf der Welt; wer will dagegen aufkommen.
Wenn ſie im entſprechenden Augenblick
nur nicht Reißaus nimmt und uns ſtatt deſſen einen
Obdachloſen heraufbringt, mit dem ſie ihre Herzens-
geheimniſſe ausgetauſcht hat.
— Ich küßte ſie zum erſtenmal in ihrer
rauſchenden Brauttoilette; aber nachher wußte ſie nichts
mehr davon. Trotzdem glaube ich, daß ſie in den Armen
meines Vaters ſchon an mich gedacht hat. Oft kann es
ja nicht geweſen ſein. Er hatte ſeine Zeit hinter ſich
und ſie betrog ihn mit Kutſcher und Stiefelputzer. Aber
5*
[68] wenn ſie ſich ihm gab, dann ſtand ich vor ihrer Seele.
Dadurch hat ſie auch, ohne daß ich mich deſſen verſehen
konnte, dieſe furchtbare Gewalt über mich erlangt.
Da ſind ſie!
Ich will das nicht erleben! Ich
werfe den Kerl hinaus!
pufft ihn nach rechts).
Vorwärts, vorwärts! Wie ſoll ihr
der Junge ſeinen Kummer beichten, wenn wir zwei uns
hier herumſielen.
Aber wenn er ihr Gemeinheiten zumutet!
Und wenn, und wenn! Was will er ihr
denn noch zumuten! Er iſt auch nur ein Menſch wie wir.
Wir müſſen die Thür auflaſſen.
Wozu die
Thür auflaſſen! — Kuſch Dich!
Ich werde ſchon hören, was
vorgeht. Gnade ihm der Himmel!
Jetzt ſtill!
Der ſoll ſich vorſehen.
Hopkins iſt ein Mann von hünenhafter Geſtalt, glattraſiertem, roſigen
Geſicht, himmelblauen Augen und freundlichem Lächeln. Er trägt
Havelock und Cylinder und hält in der Hand den triefenden Schirm.)
There is my little room.
Lulu bedeutungsvoll an. Darauf ſpannt er ſeinen Schirm auf und
ſtellt ihn im Hintergrund zum Trocknen auf die Diele.)
It’s not just too comfortable here.
den Mund).
What do you mean?
den Zeigefinger an die Lippen).
[69]
I don’t understand that.
We are alone. — There is
nobody.
verneinend den Kopf, zeigt auf Lulu, öffnet den Mund wie zum Sprechen,
zeigt auf ſich und dann auf die Thüre).
Mon Dieu, quel monstre!
hinten, faßt ſeinen Havelock zuſammen und legt ihn über den Stuhl
neben der Thür. Dann kommt er mit grinſendem Lächeln nach vorne,
nimmt Lulu mit beiden Händen beim Kopf und küßt ſie auf die Stirn).
Der
hat den Spleen.
Er ſoll ſich vorſehen!
Etwas Troſtloſeres hätte ſie uns nicht
heraufbringen können!
I hope you will give me some
money.
ſchillingſtück in die Hand).
die andere).
Allright!
Fünfſchillingſtück und wirft ihr einen gebieteriſchen Blick zu).
You are generous!
fuchtelt mit den Armen in der Luft und ſtarrt verzweiflungsvoll gen
Himmel).
küßt ihn auf den Mund.)
blickt fragend im Zimmer umher.)
einen verheißungsvollen Blick zu und öffnet die Thür zu ihrer Kammer).
[70]
ſeinen Hut lüftet)
die Thürſpalte dringt. — Alwa und Schigolch kriechen auf allen Vieren
aus ihrem Verſchlag.
Sie ſind drin.
Warte noch!
Hier hört man nichts.
Das hat man doch oft genug gehört!
Ich will vor ihrer Thüre knien.
Dieſes Mutterſöhnchen!
an Alwa vorbei, tappt über die Bühne, nimmt Mr. Hopkins Havelock
vom Stuhl und durchſucht die Taſchen.)
Handſchuhe — ſonſt nichts!
Havelock um, durchſucht die inneren Taſchen und zieht ein Buch her-
aus, das er an Alwa giebt).
Sieh mal nach, was das iſt!
und entziffert mühſam das Titelblatt).
Lessons for those —
who are — and those who want to be — Christian
Workers — with a preface — by Rev. W, Hay.
M. H. — Very helpful. — Price three shillings six.
Der ſcheint ganz von Gott verlaſſen
zu ſein.
Verſchlag zurück.)
Es iſt nichts hier in London. Die Nation
hat ihre Glanzzeit hinter ſich.
Das Leben iſt nie ſo ſchlimm, wie man es
ſich vorſtellt.
Nicht einmal ein ſeidenes Foulard hat
der Kerl! Und dabei kriechen wir in Deutſchland vor
dem Pack auf dem Bauch!
Laß uns wieder verſchwinden. Vielleicht
giebt er ihr beim Abſchied noch was.
[71]
Sie denkt an nichts als an ihr Ver-
gnügen und nimmt den erſten, der ihr in den Weg läuft.
Hoffentlich vergißt der Hund ſie Zeit ſeines Lebens nicht.
ſchließen die Thüre hinter ſich. Darauf kommt Lulu mit Mr. Hopkins
aus ihrer Kammer. Sie ſetzt die Lampe auf den Blumentiſch, während
Mr. Hopkins ſie ſinnend betrachtet.)
Do you think to come again?
Himmel und ſchüttelt den Kopf).
ſich ihr mit grinſendem Lächeln. Sie wirft ſich ihm an den Hals,
worauf er ſich ſachte losmacht, ihr die Hand küßt und ſich zur Thüre
wendet. Sie will ihn begleiten, er winkt ihr aber, zurückzubleiben und
verläßt geräuſchlos das Gemach. Schigolch und Alwa kommen aus
ihrem Verſchlag).
Hat mich der Menſch erregt!
Wieviel hat er Dir gegeben?
Fünfzehn Schillinge. Hier ſind ſie! Nimm
ſie! Ich gehe wieder hinunter.
Wir können noch wie die Prinzen hier
oben leben.
Er kommt zurück!
Dann laß uns nur gleich wieder ab-
treten.
Er ſucht ſein Gebetbuch; hier iſt es. Es muß
ihm aus dem Mantel gefallen ſein.
Nein, das iſt er nicht. Das iſt
jemand anders.
Es kommt jemand herauf. Ich höre es
ganz deutlich.
Jetzt tappt jemand an der Thür. — Wer
mag das ſein?
Wahrſcheinlich ein guter Freund, dem
er uns empfohlen hat. — Herein!
[72]
trägt eine Leinwandrolle in der Hand.)
Wenn ich Dir ungelegen komme,
dann kehre ich wieder um. Ich habe allerdings ſeit zehn
Tagen mit keiner menſchlichen Seele geſprochen. Ich
muß Dir nur gleich ſagen, daß ich kein Geld bekommen
habe. Mein Bruder hat mir gar nicht geantwortet.
Jetzt möchten gräfliche Gnaden gerne
ihre Füße unter unſern Tiſch ſtrecken?
Ich gehe wieder hinunter!
Wo willſt Du in dem Aufzug
hin? — Ich komme trotzdem nicht mit ganz leeren
Händen. Ich bringe Dir etwas anderes. Auf dem
Wege hierher am Leiceſter Square bot mir ein Trödler
noch zwölf Schillinge dafür. Ich brachte es nicht übers
Herz, mich davon zu trennen. Aber Du kannſt es ver-
kaufen, wenn Du willſt.
Was haben Sie denn da?
Laſſen Sie doch mal ſehen.
Leinwandrolle ab und entrollt ſie).
Ach ja, mein Gott, das iſt
ja Lulus Porträt!
Und das bringſt Du Ungeheuer
hierher? — Schafft mir das Bild aus den Augen!
Werft es zum Fenſter hinaus!
Warum nicht gar! Dieſem Porträt gegen-
über gewinne ich meine Selbſtachtung wieder. Es macht
mir mein Verhängnis begreiflich. Alles wird ſo natür-
lich, ſo ſelbſtverſtändlich, ſo ſonnenklar, was wir erlebt
haben. Wer ſich dieſen blühenden ſchwellenden Lippen,
dieſen großen unſchuldsvollen Kinderaugen, dieſem roſig-
weißen ſtrotzenden Körper gegenüber in ſeiner bürgerlichen
Stellung ſicher fühlt, der werfe den erſten Stein auf uns.
Man muß es annageln. Es wird
[73] einen ausgezeichneten Eindruck auf unſere Kundſchaft
machen.
Da drüben ſteckt ſchon ein Nagel dafür in
der Wand.
Wie [kommen] Sie denn zu der Aquiſition?
Ich habe es in Eurer Wohnung
in Paris heimlich aus der Wand geſchnitten, nachdem
Ihr fort wart.
Schade, daß am Rande die Farbe abge-
blättert iſt! Sie haben es nicht vorſichtig genug aufge-
rollt.
der in der Wand ſteckt.)
Es muß unten noch einer durch, wenn
es halten ſoll. Die ganze Etage bekommt ein eleganteres
Ausſehen.
Laßt mich nur; ich weiß ſchon, wie ich es
mache.
linken Stiefel aus und ſchlägt die Nägel mit dem Stiefelabſatz durch
den Rand des Bildes in die Mauer.)
Es muß nur erſt wieder eine Weile
hängen, um richtig zur Geltung zu kommen. Wer ſich
das angeſehen hat, der bildet ſich nachher ein, die ſeligſten
Wonnen zu genießen.
Ihr Körper ſtand
auf dem Höhepunkt ſeiner Entfaltung, als das Bild ge-
malt wurde. Die Lampe, liebes Kind! Mir ſcheint, es
iſt außergewöhnlich ſtark nachgedunkelt.
Es muß ein eminent begabter
Künſtler geweſen ſein, der das gemalt hat.
Haſt Du ihn
denn nicht gekannt?
Nein; das muß lange vor meiner
Zeit geweſen ſein. Ich hörte nur zuweilen noch abfällige
[74] Bemerkungen von Euch darüber, daß er ſich in ſeinem
Verfolgungswahn den Hals abgeſchnitten habe.
Der kindliche
Ausdruck in den Augen iſt trotz allem, was ſie ſeitdem
genoſſen hat, noch ganz derſelbe. Aber der friſche Tau,
der die Haut bedeckt, der duftige Hauch vor den Lippen,
das ſtrahlende Licht, das ſich von der weißen Stirne aus
verbreitet, und dieſe herausfordernde Pracht des jugend-
lichen Fleiſches an Hals und Armen …
Alles das iſt mit dem Kehrichtwagen
gefahren. Sie kann wenigſtens ſagen: Das war ich mal!
Wem ſie heute in die Hände gerät, der macht ſich keinen
Begriff mehr von unſerer Jugendzeit.
Gott ſei Dank merkt man den fortſchreitenden
Verfall nicht, wenn man fortwährend miteinander verkehrt.
Das Weib blüht für uns in dem Moment, wo es den
Menſchen auf Lebenszeit ins Verderben ſtürzen ſoll.
Das iſt nun einmal ſo eine Naturbeſtimmung.
Unten im Laternenſchimmer nimmt ſie
es noch mit einem Dutzend dieſer engliſchen Windmühlen
auf. Wer um dieſe Zeit noch eine Bekanntſchaft machen
will, der ſieht überhaupt nicht auf körperliche Qualitäten.
Er fragt nach den ſeeliſchen Vorzügen. Er entſcheidet
ſich für diejenige Perſon, von der er am wenigſten
Diebesgelüſte zu fürchten hat.
Ich werde es ja ſehen, ob Du recht haſt.
Adieu.
Du gehſt nicht mehr hinunter, ſo wahr
ich lebe!
Wo willſt Du hin?
Sie will ſich einen Kerl heraufholen.
Lulu!
Sie hat es heute ſchon einmal gethan.
[75]
Lulu, Lulu, ich gehe mit, wohin
Du gehſt!
Wenn Sie Ihre Knochen auf Zinſen
legen wollen, dann ſuchen Sie ſich bitte Ihr eigenes
Trottoir.
Lulu, ich gehe Dir nicht von der
Seite! Ich habe Waffen bei mir.
Verflucht noch mal! Gräfliche Gnaden
legen es darauf an, mit unſerem Speck zu fiſchen!
Ihr bringt mich um! Ich halte es hier nicht
mehr aus!
Du brauchſt nichts zu fürchten. Ich
bin bei Dir!
Sakerment, Sakerment, Sakerment!
Ich glaube, ich
habe vom Diesſeits nicht mehr viel Gutes zu erwarten.
Man hätte das Frauenzimmer an der
Kehle zurückhalten müſſen. Sie vertreibt alles, was Odem
hat, mit ihrem ariſtokratiſchen Totenſchädel.
Sie hat mich aufs Krankenlager geworfen
und mich von außen und innen mit Dornen geſpickt!
Dafür hat ſie allerdings auch genug
Courage für zehn Mannsleute im Leib.
Keinen Verwundeten wird der Gnadenſtoß
jemals dankbarer finden als mich!
Wenn ſie den Springfritzen nicht nach
dem Quai de la Gare gelockt hätte, dann hätten wir
ihn heute noch auf dem Hals.
Ich ſehe ihn über meinem Haupte ſchweben,
wie Tantalus den Zweig mit goldenen Äpfeln.
Willſt Du die Lampe
nicht ein wenig hinaufſchrauben?
[76]
Ob wohl ein ſchlichter Naturmenſch in ſeiner
Wildnis auch ſo unſäglich leiden kann? — Mein Gott,
was habe ich aus meinem Leben gemacht?
— Was hat das Hundewetter aus
meinem Havelock gemacht! — Mit fünfundzwanzig
Jahren wußte ich mir zu helfen!
Es hat nicht jeder meine herrliche, ſonnige
Jugendzeit gekoſtet!
Ich glaube, ſie geht gleich aus. — Bis
ſie zurückkommen, wird es hier dunkel wie im Mutterleib.
Ich ſuchte mit klarſtem Zielbewußtſein den
Verkehr mit Menſchen, die nie in ihrem Leben ein Buch
geleſen haben. Ich klammerte mich mit aller Selbſt-
verleugnung und Begeiſterung daran, um zu den höchſten
Höhen dichteriſchen Ruhmes emporgetragen zu werden.
Die Rechnung war falſch. Ich bin der Märtyrer meines
Berufes. Seit dem Tode meines Vaters habe ich nicht
einen einzigen Vers mehr geſchrieben.
Wenn ſie nur nicht zuſammengeblieben
ſind. — Wer kein dummer Junge iſt, geht ſo wie ſo
nicht mit zweien.
Sie ſind nicht zuſammengeblieben!
Das hoffe ich. Sie hält ſich die Perſon
im Notfall mit Fußtritten vom Leib.
Der Eine, aus der Hefe des Volkes hervor-
gegangen, iſt der gefeiertſte Dichter ſeiner Nation; und
der andere, im Purpur geboren, liegt in London in der
Grundhefe und kann nicht ſterben.
Jetzt kommen ſie.
Und wie ſelige Stunden gemeinſamer
Schaffensfreude hatten ſie miteinander erlebt!
Das können ſie jetzt erſt recht. — Wir
müſſen uns wieder verkriechen.
[77]
Ich bleibe hier.
Was bedauerſt Du ſie? — Wer ſein
Geld ausgiebt, hat auch ſeine Gründe dafür!
Ich habe den moraliſchen Mut nicht mehr,
um mich wegen einer Summe von fünfzehn Schillingen
in meiner Behaglichkeit ſtören zu laſſen.
unter ſeinem Plaid.)
Ein anſtändiger Menſch thut, was er
ſeiner Stellung ſchuldig iſt.
Come in, come in!
kleidern, weißen Gamaſchen, gelben Knopfſtiefeln und grauem Cylinder
tritt ein.)
It’s very dark in the stair-case.
Come in, darling. Here is more light.
Is that your sittingroom?
Yes, Sir.
I feel cold.
Take you a drink?
Well. Have you any brandy?
Yes. Come on.
I
don’t know, where the glass is.
That does not matter.
Flaſche an.)
Well.
You are a nice young man.
My father is Sultan of Uahube.
I have six women in London, three English, and three
French. Well, I don’t like to see them. They are
too stylish for me.
Will you stay longtime in London?
Well. When my father is dead,
I must go to Uahube. My kingdom is twice size of
England.
How much will you give me?
[78]
I give you a sovereign. Yes, I
will give you one pound. I give always a sovereign.
You may give me afterwards, but you must
show it to me first.
Never I pay beforehand!
Allright, but show me your money.
No Daisy. Come on!
Leib faſſend.)
Come on!
Let me go, I say!
Come on, Daisy;
where is the bed?
No, no; don’t that!
Well!
an der Kehle).
Well, that’s a den! That’s a
murderhole!
Kopf.)
Well. I am going.
— — Ich bleibe auch nicht hier. — In eine
Kaſerne! — — Why look you so sorrowful, my dear?
— — Blut! — Alwa!
— — Man muß ihn beiſeite ſchaffen. — Hopp! —
Sonſt nehmen unſere Freunde Anſtoß an ihm. — Alwa!
Alwa! — Wer da nicht mit ſich im Klaren iſt —! —
Entweder oder; ſonſt wird’s leicht zu ſpät! — — Ich
will ihm Beine machen.
es ihm unter den Kragen. Da ſich Alwa nicht regt.)
Er will ſeine
Ruhe haben. — Aber hier wird nicht geſchlafen.
ſchleift ihn am Genick in Lulus Kammer. Darauf verſucht er die Lampe
hinaufzuſchrauben.)
Für mich wird es nun auch bald Zeit,
ſonſt kriegt man im Cosmopolitan Club keinen Chriſtmaß-
[79] Pudding mehr. Weiß Gott, wann die von ihrer Ver-
gnügungstour zurückkommen. —
Die verſteht die Sache nicht. Die kann von der Liebe
nicht leben, weil ihr Leben die Liebe iſt. — Da kommt
ſie! Ich werde ihr ins Gewiſſen reden …
Wenn Sie Nachtquartier bei uns nehmen
wollen, dann geben ſie bitte ein wenig acht, daß nichts
geſtohlen wird.
Wie dunkel es hier iſt!
Es wird noch viel dunkler. — Der Herr
Doktor haben ſich ſchon zur Ruhe begeben.
Sie ſchickt mich voraus.
Das iſt vernünftig. — Wenn jemand
nach mir fragt, ich ſitze unten im Cosmopolitan Club.
—
Ich will mich neben die
Thüre ſetzen. Ich will alles mitanſehen und nicht mit
der Wimper zucken.
Thür.)
— Die Menſchen kennen ſich nicht; ſie wiſſen
nicht, wie ſie ſind. Nur wer ſelber kein Menſch iſt, der
kennt ſie. Jedes Wort, das ſie ſagen, iſt unwahr und
erlogen. Das wiſſen ſie nicht, denn ſie ſind heute ſo un
morgen ſo, je nachdem ob ſie gegeſſen, getrunken und
geliebt haben oder nicht. Nur der Körper bleibt auf
einige Zeit, was er iſt, und nur die Kinder haben Ver-
nunft. Die Großen ſind wie die Tiere; keines weiß, was
es thut. Wenn ſie am glücklichſten ſind, dann jammern
und ſtöhnen ſie und im tiefſten Elend freuen ſie ſich eines
jeden winzigen Happens. Es iſt ſonderbar, wie der
Hunger den Menſchen die Kraft zum Unglück raubt.
Wenn ſie ſich aber geſättigt haben, dann machen ſie ſich
die Welt zur Folterkammer und werfen ihr Leben für
[80] die Befriedigung einer Laune weg. — Ob es wohl einmal
Menſchen gegeben hat, die durch Liebe glücklich geworden
ſind? — Was iſt denn ihr Glück anders, als daß ſie
beſſer ſchlafen und alles vergeſſen können? — Herr Gott,
ich danke Dir, daß Du mich nicht geſchaffen haſt, wie
dieſe. — Ich bin nicht Menſch; mein Leib hat nichts
Gemeines mit Menſchenleibern. Habe ich eine Menſchen-
ſeele? — Zerquälte Menſchen tragen ein kleines enges
Herz in ſich; ich aber weiß, daß es nicht mein Verdienſt
iſt, wenn ich alles hingebe, alles opfere …
bleibt, ohne von beiden bemerkt zu werden, regungslos neben der
Thür ſitzen.)
Whence are you coming so late, Sir?
I have been in the theatre. There
are two thousand ladies lifting up the right leg at the
same time; and then the two thousand ladies are
lifting up the left leg at the same time. I never saw
such handsome girls before.
Didn’t you? But you are not English?
No. I am only here the last two weeks.
Are you borne in London?
No Sir. I am French.
Ah, vous êtes Française?
Oui monsieur, je suis Parisienne.
I am coming from Paris, where I was
staying for eight days.
On s’y amuse mieux qu’ici. Vous ne
trouvez pas?
Oui. I was everyday in the Louvre.
I admired the pictures. But I am no French. I am
from Zurich in Switzerland.
Est-ce de la Suisse Française, ça?
No. Zurich is in German Schwitzerland.
[81]
Alors vous parlez l’Allemand?
Sprächän Sie töütſch?
Un petit peu seulement, parce que mon
ancien amant était Allemand. Il était de Berlin, je crois.
Tonnärwättär, wia miach tas fröüt, taß
Sie töütſch ſprächän!
Du bleibſt bei mir die Nacht?
Abär iach habä niacht mähr, dän fühnf
Schielingä bei miar; iach nämmä nia mähr miet, wän
iach ausgähä.
It’s enough — parce que c’est toi! Tu as
les yeux si doux. Viens, embrasse moi!
Hiemäl, Härgoht, Töüfäl, Kräuz-
patadiohn . . . .
Je t’en prie, ferme ça.
Beim Töüfäl, äs iſcht nämliach tas ärſchte
Mol, tas iach miet einäm Mädachän gähä. Tu kchanſcht
miar gloubän. Sakchärmänt, iach hätä miar tas gahnz
andärſch gädahcht!
Biſt Du verheiratet?
Hiemäl, Hagäl, worum meinſcht tu,
iach ſei värheurotet? — Nein, iach bien Prifot-Tozänt;
iach läſä Philoſſoffie ahn der Unifärſität. Sakchärmänt,
iach bien nämliach ous oinär oltän Bodriziär-Fomiliä;
iach ärhielt als Studänt nur zwoi Frankchen Toſchängält
und tas kchohntä iach bäſſär anwänden als füar Mädachän.
Deshalb warſt Du nie bei einer Frau?
Äbän ja! Äbän! Abär iach brouchä äs
itzt; iach habä miach heutä Obänd värſprochän miet oinär
Basler Bodriziärsdochtär. Sie iſcht hiär Nurſery governeß.
Iſt Deine Braut hübſch?
Ja, ſie hat zwoi Millionän. — Jach
bien ſähr geſpahnt, wia äs miach dunkchän wird.
6
[82]
Quelle chance!
ſich und nimmt die Lampe.)
Eh bien, viens, mon philosophe!
ihrer Taſche und hält ihn ſich gegen die Stirn).
… Comme on,
darling!
O verreckchte Chaib — do lit Eine drin!
Bleib
bei mir!
Ä Todtnige! — Ä Liach!
Bleib bei mir, bleib bei mir!
Ä Liach lit do in —
Himmel, Stärne, Chaib!
Bleib bei mir!
Wo got’s do uſſe?
Und das iſch de Tüfel!
Ich bitte Dich, bleib!
Chaibe, verchaibeti Chaiberei — Oh Du
ewige Hagel! —
Bleib! — Bleib!
Lieber
erhängen! — Wenn ſie mich heute in meinem Blute
liegen ſieht, weint ſie mir keine Thräne nach. Ich war
ihr immer nur das gefügige Werkzeug, das ſich zu
den ſchwierigſten Arbeiten gebrauchen ließ. Sie hat mich
vom erſten Tage an aus tiefſter Seele verabſcheut. —
Springe ich nicht lieber von der Towerbrücke hinunter?
Was mag kälter ſein, das Waſſer oder ihr Herz? —
Ich würde träumen, bis ich ertrunken bin. — — Lieber
erhängen! — — Erſtechen? — Hm, es kommt nichts
dabei heraus. — — Wie oft träumte mir, daß ſie mich
küßt! Noch eine Minute nur; da klopft eine Eule ans
[83] Fenſter, und ich erwache. — — Lieber erhängen! —
Nicht in die Themſe; das Waſſer iſt zu rein für mich.
Da! — Da! — Da iſt es! — Raſch
noch, bevor ſie kommt!
Wand, ſteigt auf den Seſſel, befeſtigt den Riemen an einem Haken,
der im Thürpfoſten ſteckt, legt ſich den Riemen um den Hals, ſtößt mit
den Füßen den Stuhl um und fällt zur Erde.)
— — Verfluchtes
Leben! — Verfluchtes Leben! — — Wenn es mir noch
bevorſtände? — Laß mich einmal nur zu Deinem Herzen
ſprechen, mein Engel! Aber Du biſt kalt! — Ich ſoll
noch nicht fort! Ich ſoll vielleicht auch einmal glücklich
geweſen ſein. — Höre auf ihn, Lulu; ich ſoll noch nicht
fort! —
faltet die Hände.)
Mein angebeteter Engel! Mein Lieb!
Mein Stern! — Erbarm’ Dich mein, erbarm’ Dich mein,
erbarm’ Dich mein!
von gedrungener Figur, von elaſtiſchen Bewegungen, blaſſem Geſicht,
entzündeten Augen, hochgezogenen, ſtarken Brauen, hängendem
Schnurrbart, dünnem Knebelbart, zottigen Favorits und feuerroten
Händen mit vernagten Fingernägeln. Sein Blick iſt auf den Boden
geheftet. Er trägt dunklen Überrock und kleinen runden Filzhut.)
Who is it?
It’s my sister, Sir. She is mad; she is
always on my heels.
You have a beautiful mouth, when you are
speaking.
Don’t go, please!
You understand your business!
Yes, Sir.
You are no English?
No, Sir. I am German, Sir.
Where did you get your beautiful mouth?
From my mother, Sir.
6*
[84]
I do know that. — How much you want?
— I cannot waste money.
Will you not stay all night with me, Sir?
No. I haven’t time. I am married man.
You say, you missed the last bus and that
you have spent the night with one of your friends.
How much do you want?
Pound.
Good evening.
Stay, stay!
Why wish you, that I stay here all night? — That is
suspicious! When I am sleeping, you will file my
pockets!
I don’t do that. Don’t leave, Sir! I im-
plore you!
How much do you want?
Give me eight shillings.
That is too much. — You are a beginner?
I am just starting to-day.
Geſchwitz, die ſich gegen Jack aufgerichtet hat, zu Boden.)
Let her go! — That is not your sister.
She loves you.
Poor
beast! —
O, I would like, you would stay with me
all night!
Did you ever have a child?
No, Sir. Never. But I was a nice looking
woman.
Have you a friend living with you?
We are all alone, Sir.
Who is living down
below?
[85]
Nobody. That room is to let.
I judged you after your way of walking.
I saw, your body is perfectly formed. I said to myself,
she must have a very expressive mouth.
It seems, you took a fancy in my mouth.
Yes. Indeed.
What are you staring at me?
I have only a shilling.
Come on, give me the shilling.
I must get six pence change. I have to
take a’bus tomorrow morning.
I have no penny.
Come on. Look in your pocket.
Nothing — nothing.
Just let me see.
That’s all, what I have.
ſchillingsſtück in der Hand.)
I want have the half sovereign.
I will change him to-morrow morning.
Give it to me!
You are a society-woman.
You did take care of yourself.
Come on, come on.
We don’t need any light. The moon is
shining.
As you like, Sir.
I wouldn’t do you any harm. I love you. Don’t let
me beg go any longer.
Allright!
ſcheinen zwei viereckige grelle Flecke. Im Zimmer iſt alles deutlich
erkennbar.)
[86]
Dies iſt
der letzte Abend, den ich mit dieſem Volke verbringe. —
Ich kehre nach Deutſchland zurück. Meine Mutter ſchickt
mir das Reiſegeld. — Ich laſſe mich immatrikulieren. —
Ich muß für Frauenrechte kämpfen, Jurisprudenz ſtudieren.
auf und hält ſie von außen zu).
Hilfe! — Hilfe!
und richtet ihn, Lulu hinter ſich drängend, gegen die Thür; zu Lulu).
Laß los!
der Geſchwitz ein Meſſer in den Leib).
wimmernd zuſammen.)
gangsthür).
Goddam! There is no finer mouth within
the four seas! —
Hände ſind blutig. Er keucht aus tiefſter Bruſt und ſtarrt mit aus
dem Kopf tretenden Augen zu Boden.)
greift ſie die Whiskyflaſche, zerſchlägt ſie am Tiſch und ſtürzt, den ab-
gebrochenen Hals in der Hand, auf Jack los).
auf den Rücken. Darauf hebt er ſie vom Boden auf).
No, no! Have pity! — Murder! — They
rip me up! — Police!
Shut up! I have you save!
den Verſchlag.)
O don’t! — Don’t! — No!
auf den Blumentiſch).
It was a hard piece of work! —
I am a lucky dog, to find this
Unicum!
No so much
as a tovel is in this place! It looks aw’ful poor
[87] here! —
Well! This monster is quite safe from me! — It
will be all over with you in a second.
— Lulu! — Mein Engel!
— Laß Dich noch einmal ſehen! — Ich bin Dir nah!
Bleibe Dir nah in Ewigkeit!
O
verflucht! —
[]
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CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Wedekind, Frank. Die Büchse der Pandora. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpjz.0