[][][][][][][[I]][[II]]
PREISSCHRIFTEN


[figure]

Nr. XI der historisch-nationalökonomischen Section.
XIX. A. Leskien, Die Declination im Slavisch-litauischen und Germanischen.

LEIPZIG:
BEI S. HIRZEL.
1876.

[[III]]
DIE
DECLINATION
IM
SLAVISCH-LITAUISCHEN UND GERMANISCHEN.


GEKRÖNTE PREISSCHRIFT.

LEIPZIG:
BEI S. HIRZEL.
1876.

[[IV]]

Auf die von der Fürstlich Jablonowski’schen Gesellschaft
gestellte Preisfrage:


Eine eingehende Erforschung des besonderen Verhältnisses, in welchem innerhalb
der indogermanischen Gemeinschaft die Sprachen der litauisch-slavischen Gruppe zu
den germanischen stehen
.


eingereicht und gekrönt im März 1876.


[[V]]

Einleitung.


Vergleichende Grammatik einer gewissen Anzahl indogermanischer Sprachen
dem Ganzen des Sprachstammes oder anderen Theilen desselben gegenüber ist
nur dann möglich, wenn jene Sprachen eine über die Periode der Ursprache oder
die Entwicklungsperiode einer grösseren Gruppe hinausreichende gemeinsame
Geschichte durchlaufen und innerhalb dieser gewisse, von der Art aller Ver-
wandten abweichende Züge angenommen haben. Von dem an sich denkbaren
Fall, dass die Zeit der gemeinsamen Geschichte zu kurz gewesen sei, um einer
eigenartigen Entwicklung Raum zu geben, kann man, als von einem nicht nach-
weisbaren, völlig absehen.


Für die Zusammenschliessung einer bestimmten Anzahl indogermanischer
Sprachen zu einem engeren Ganzen kommt es also darauf an, solche Züge zu
finden, die nicht überhaupt in jeder Sprachentwicklung vorkommen können und
daher, wenn auch mehreren Sprachen gemeinsam, doch als auf allgemeinen Nei-
gungen oder Gesetzen beruhend vom historischen Gesichtspunkt aus nur zufällige
Uebereinstimmungen sind, die für eine engere Einheit nichts beweisen. Die An-
sichten über den Werth der zu diesem Zwecke gesuchten Beweismittel, über die
Grenze zwischen zufälligen Uebereinstimmungen und solchen, die auf gemein-
samer geschichtlicher Entwicklung beruhen, waren nie ganz fest und schwanken
gerade jetzt mehr als je.


Es schien freilich eine Zeit lang, als sei die Frage nach der Gruppirung der
indogermanischen Sprachen zu einem gewissen Abschluss gekommen. Die enge
Verbindung der beiden asiatischen Familien lag auf der Hand, die des Litauischen
und Slavischen ebenfalls. Ferner ergab es sich, dass das Germanische weder
mit dem Griechischen noch Italischen noch Keltischen einen engen Zusammen-
hang habe, jedenfalls weit eher mit dem Litauisch-slavischen zu einer Gruppe
zu verbinden sei. Man erhielt also auf diese Weise drei Abtheilungen des Sprach-
stammes, die asiatische, südeuropäische, nordeuropäische, über deren richtige
Aufstellung kaum ein Zweifel bestand, wenn man auch unsicher blieb, wie inner-
halb der südeuropäischen die italischen Sprachen zu stellen seien, ob dem Kel-
tischen oder Griechischen näher.


Bei dieser Gruppirung blieb es nicht, in verschiedener Weise wurden zwei
jener Gruppen wieder zu einer engeren Einheit verbunden. Schleicher, wie
bekannt, nahm an, die südeuropäische stehe zu der asiatischen in näherem Ver-
hältniss, diese beiden seien nach Abtrennung der nordeuropäischen länger ver-
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. *
[VI]Einleitung.
eint geblieben. Schleicher kam zu dieser Anschauung durch die Wahrnehmung
der verschiedenen Alterthümlichkeit der drei Gruppen, mit andern Worten, ihres
verschiedenen Verhältnisses zur Ursprache. Weil die nordeuropäische Gruppe
sich von dieser am weitesten entfernt, das soll hier aber nur heissen, die meisten
Verluste alten Sprachgutes erlitten und die meisten Neubildungen geschaffen hat
(s. Comp.3 7), so folgerte Schleicher, dass «die Slavodeutschen zuerst ihre Wan-
derung nach Westen antraten», sich am frühesten vom Urvolke abzweigten und
eine eigenartige Entwicklung bekamen. Dieser Schluss ist aber nicht zulässig,
denn die angegebene Art der Entfernung von der Ursprache giebt keinen Mass-
stab für eine frühere oder spätere Abzweigung von derselben. Die italischen
Sprachen stehen mindestens ebensoweit von der Ursprache ab wie die slavi-
schen, sowohl an Verlusten wie an Neubildungen; da es nun Schleicher fest-
stand, dass die italischen Sprachen zusammen mit dem Griechischen (und Kel-
tischen) sich abgezweigt haben, das Griechische von allen europäischen Sprachen
als die alterthümlichste in der Erhaltung der Formen erscheint, folgt nothwendig,
dass das bestehende Verhältniss zwischen Griechisch und Italisch und das ver-
schiedene Verhältniss des Italischen und Griechischen zur Ursprache nur das
Resultat einer ungleich schnellen Entwicklung sein kann, die von der Zeit der
Abscheidung aus der Ursprache ganz unabhängig ist. Also kann auch der weitere
Abstand der nordeuropäischen Sprachen von der Ursprache im Vergleich zum
Griechischen einfach auf einer anders gearteten, schnelleren Entwicklung be-
ruhen und beweist ebensowenig die frühere Trennung derselben, als die Alter-
thümlichkeit des Griechischen dessen und der ganzen südeuropäischen Abtheilung
längeren Zusammenhang mit der asiatischen. Es giebt ja überhaupt Beispiele
genug, dass selbst die Einzelsprachen einer Familie auf verschiedenem Boden,
was die Schnelligkeit der Entwicklung betrifft, sich ausserordentlich verschieden
verhalten, vgl. das Lettische mit dem Litauischen, das Bulgarische mit dem Ser-
bischen oder Russischen. Schleicher hätte nach den sonst von ihm befolgten
Grundsätzen der Vergleichung eigentlich bei einer Zerlegung des Sprachstammes
in drei Abtheilungen stehen bleiben müssen, und es scheint mir, dass er zu der
Ueberordnung einer Zweitheilung über die Dreitheilung nur gekommen ist durch
die Erfahrung, dass die unzweifelhaft feststehenden Gruppen, die asiatische und
die slavisch-litauische je in zwei Theile zerfallen. Aber dieser Vorgang ist nicht
zwingend. Geht man von der Vorstellung aus, dass Völker- und Sprachver-
schiedenheit durch räumliche Trennung eines einheitlichen Volkes und einer ein-
heitlichen Sprache entsteht, so ist eine dreifache Spaltung aus irgend welchen
äusseren Veranlassungen oder inneren Gründen ebensogut möglich wie eine
zwiefache. Obwohl die Beantwortung der Frage nach der Gruppirung der indo-
germanischen Sprachen jetzt eine andere Richtung genommen hat als bei Schlei-
cher, ist es doch immer noch nothwendig, scharf hervorzuheben, dass die relative
Alterthümlichkeit verschiedener indogermanischer Sprachen nicht als Kriterium
für Verwandtschaftsgrade benutzt werden darf, und dass die Zweitheilung nicht
etwas nothwendiges ist, sondern nur auf einem Analogieschluss und einer ge-
wissen allgemeinen Wahrscheinlichkeit beruht.


[VII]Einleitung.

Die Kriterien einer engeren Gemeinschaft können nur in positiven Ueber-
einstimmungen der betreffenden Sprachen, die zugleich Abweichungen von den
übrigen sind, gefunden werden. Auf solche gründet sich aber die von Schlei-
chers Aufstellung abweichende und allgemeiner angenommene Reducirung der
drei Gruppen (südeuropäisch, nordeuropäisch, asiatisch) auf zwei Abtheilungen,
eine asiatische und eine europäische, letztere in die bekannten beiden Gruppen
als Unterabtheilungen zerfallend. Diese Zweitheilung hat ihren Rückhalt an be-
sonderen grammatisch-lautlichen Erscheinungen der europäischen Sprachen,
z. B. der übereinstimmenden Spaltung des r in r und l, namentlich aber an der
den asiatischen Sprachen fehlenden Spaltung des a in a und e. Auf jeden Fall
verdiente sie den Vorzug vor der Schleicherschen, und Schleicher hätte bei con-
sequenter Anwendung der sonst von ihm befolgten Grundsätze selbst dazu über-
gehen müssen.


Bekanntlich pflegte man sich die Auflösung des indogermanischen Sprach-
stammes in Familien und Einzelsprachen, ob man Schleichers Gruppirung oder
die andere annahm, nach seinem Vorgange durch das neuerdings sehr in Miss-
credit gekommene Bild eines Stammbaumes zu versinnlichen. Gegen dieses Bild
liessen sich von Anfang an, wie gegen alle solche Vergleiche, Einwendungen
machen. Bei der Spaltung einer Sprache entstehen ja nicht in dem Sinne neue
Individuen wie bei der Fortpflanzung organischer Wesen; jede indogermanische
Sprache, und mögen noch so viele Spaltungen eines grösseren Ganzen bis auf die
Ursprache zurück hinter ihr liegen, ist doch immer noch diese Ursprache selbst,
nur in veränderter Gestalt, dasselbe Individuum, wenn überhaupt derartige Ver-
gleiche mit organischen Wesen zulässig sind, in einem anderen Lebensalter. Der
Widerspruch, der darin zu liegen scheint, dass wir die als eine Menge von Indi-
viduen angesehenen indogermanischen Sprachen doch wieder nur für ein und
dasselbe Individuum halten sollen, entsteht eben bloss durch den unpassenden
Vergleich mit organischen Wesen. Wenn von einem Volke ein Theil z. B. durch
Auswanderung sich abzweigt und vom anderen völlig getrennt wird, so ist der
sich entfernende Theil gerade so gut im Besitz der ganzen Sprache wie der zu-
rückbleibende, und es existirt also die betreffende Ursprache dann so viele male,
als Trennungen vorgekommen. Es mag also sein, dass die Bezeichnung «Stamm-
baum», mit der das Liniensystem, durch welches Schleicher die Verzweigung
der indogermanischen Sprachen darstellte, benannt wurde, zu allerlei falschen
Vorstellungen Veranlassung geben konnte und gegeben hat. Lassen wir aber
den Namen fallen und sehen auf den eigentlichen Sinn der Zeichnung, so ist
nichts dagegen einzuwenden. Die Linien bedeuten in der That weiter nichts,
als die ohne bestimmte, weil bisher und vielleicht immer unmögliche, geogra-
phische Fixirung angegebenen Wanderungslinien der angenommenen Gruppen
und einzelnen Völker, der Anfangspunkt des Liniensystems den Sitz des indo-
germanischen Urvolkes. Das ganze beruht also auf der Vorstellung, dass in der
Geschichte der indogermanischen Völker so und so viele Wanderungen und da-
mit verbundene geographische Trennungen und zwar wirksame, den früheren
Zusammenhang des Volkes und der Sprache aufhebende Trennungen vorgekom-
[VIII]Einleitung.
men sind. Wo Schleicher die Theilung des indogermanischen Sprachstammes
beschreibt, liegt stets diese Anschauung zu Grunde. Die Berechtigung dazu
gibt eine ganze Reihe bekannter historischer Thatsachen. Hat man Wanderungen
wie z. B. die der Angeln und Sachsen mit ihrer völligen Trennung von den
einstigen Volks- und Sprachgenossen vor Augen, deren Resultat die Entstehung
eines besonderen germanischen Volkes und einer besonderen Sprache war, so
muss man wenigstens die Möglichkeit zugeben, dass irgend eine Abtheilung des
Indogermanischen sich vollständig und scharf vom Urvolke oder einem Theil des-
selben abgelöst und die betreffende Sprachengruppe eine eigenthümliche Ent-
wicklung, abgesondert von allen anderen indogermanischen Sprachen, gehabt
haben kann.


So lange man, was bis vor einigen Jahren wenigstens bei der jüngeren
Generation der Sprachforscher wohl ziemlich allgemein der Fall war, an dieser
Vorstellung festhielt, gehörte es zu den Desiderata der Sprachvergleichung, neben
der Gesammtgrammatik des ganzen Sprachstammes vergleichende Grammatiken
der einzelnen Gruppen zu besitzen. Dies Verlangen war auch vollkommen ge-
rechtfertigt, da man ja annahm, dass jede Gruppe eine eigne Geschichte habe;
Versuche der Art sind vorhanden, so Leo Meyers Vergl. Grammatik des Griechi-
schen und Lateinischen, Ficks Wörterbuch; Schleicher hatte den Plan, eine ver-
gleichende Grammatik der nordeuropäischen Gruppe zu schreiben. Gegenwärtig
sind diese Wünsche in den Hintergrund getreten, theils weil die historische Gram-
matik der einzelnen Sprachen die Kräfte zu sehr in Anspruch nimmt, namentlich
aber, weil die ganze jenen Wünschen zu Grunde liegende, oben beschriebene An-
schauungsweise durch die Angriffe Joh. Schmidts ins Wanken gekommen ist.
Da meine Arbeit über die Declination im Germanischen und Slavisch-litauischen
voraussetzt, dass man überhaupt noch berechtigt sei zu dem Versuche, die Zu-
sammengehörigkeit dieser drei Familien als einer besonderen Gruppe des Indo-
germanischen nachzuweisen, muss ich meine Stellung zu Schmidts Ansichten
hier angeben, kann es aber an dieser Stelle nur in der Kürze.


Die Beweisführung in Schmidts Schrift (Die Verwandtschaftsverhältnisse der
indogermanischen Sprachen, 1872) darf ich nach den Erörterungen, die seitdem
für und wider geschehen sind, als bekannt voraussetzen und mich auf Angabe
des Resultats beschränken. Joh. Schmidt findet, dass gewisse sprachliche Eigen-
thümlichkeiten es unmöglich machen, auf der einen Seite das Slavisch-litauische
vom Germanischen, auf der andern Seite vom Arischen, namentlich Iranischen
zu trennen, und nach ihm (S. 17) ist «gleichmässig falsch sowohl die Annahme
einer slavisch-lettisch-deutschen Grundsprache als die einer slavisch-lettisch-
arischen Grundsprache, da keine von beiden Annahmen den sprachlichen That-
sachen gerecht wird. Wollte man sich dadurch aus der Verlegenheit retten, dass
man eine engere Einheit der nordeuropäischen Sprachen mit den arischen an-
nähme, d. h. wollte man sich die Sprachtrennung in der Weise vorstellen, dass
aus der Ursprache zunächst durch Zweitheilung erstens die südeuropäische
Grundsprache, die Mutter des Griechischen, Italischen und Keltischen und zwei-
tens eine Sprache hervorgegangen wäre, welche sich später durch abermalige
[IX]Einleitung.
Theilung in die nordeuropäische Grundsprache und in die arische Grundsprache
aufgelöst hätte, wollte man dies voraussetzen, so käme man wieder in Collision
mit den Eingangs (S. 2 f.) festgestellten gemeinsamen europäischen Eigenthüm-
lichkeiten, welche eine solche Annahme unmöglich machen. Man mag sich also
drehen und wenden, wie man will, so lange man an der Anschauung festhält,
dass die in historischer Zeit erscheinenden Sprachen durch mehrfache Gabelungen
aus der Ursprache hervorgegangen seien, d. h. so lange man einen Stammbaum
der indogermanischen Sprachen annimmt, wird man nie dazu gelangen, alle die
in Frage stehenden Thatsachen wissenschaftlich zu erklären. Der ganze Charakter
des Slavolettischen bleibt unter dieser Voraussetzung unbegreiflich. Verständlich
wird er nur, wenn wir anerkennen, dass das Slavolettische weder vom Arischen
noch vom Deutschen losgerissen werden kann, sondern die organische Vermit-
telung beider ist». Die Stellung, welcher nach Schmidt im Norden dem Slavo-
lettischen als Vermittler zwischen Germanisch und Arisch zuzuschreiben, kommt
im Süden dem Griechischen zu, S. 24: «auch in Südeuropa besteht dasselbe Ver-
hältniss wie in Nordeuropa, es gibt keine Grenze zwischen den arischen und
europäischen Sprachen, das Griechische ist ebenso unzertrennliah mit dem La-
teinischen wie mit dem Arischen verbunden. Dass es keine gemeinsame euro-
päische Grundsprache gegeben hat, beweist uns schon das Slavische, jetzt sind
auch die südeuropäische und die gräcoitalische Grundsprache unhaltbar ge-
worden, und wir sehen überall nur stufenweisen continuirlichen Uebergang von
Asien nach Europa». Da endlich Schmidt Ebels Versuchen (Beiträge II, 137),
das Keltische dem Germanischen ebenso nahe zu stellen wie dem Italischen bei-
tritt, so wird ihm das Keltische zum Vermittler zwischen Latein und Germanisch,
zwischen Süd- und Nordeuropäisch (S. 25), und «wollen wir uns die Verwandt-
schaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachen in einem Bilde darstellen,
welches die Entstehung ihrer Verschiedenheiten veranschaulicht, so müssen wir
die Idee des Stammbaumes gänzlich aufgeben». Schmidt hat dafür denn auch
andere Bilder vorgeschlagen, ohne darauf besonderes Gewicht zu legen, und sich
mit Recht darüber beklagt, dass man an diesen für die Sache unwesentlichen
Vergleichen so viel Anstoss genommen hat. Ich lasse daher diese ganz bei Seite;
allein wie der Stammbaum, um diese unpassende Bezeichnung der Kürze wegen
beizubehalten, nichts anderes ist, als der Ausdruck einer Reihe von ethnogra-
phisch-historischen Thatsachen, von Völkertrennungen durch Wanderung, so
muss man sich auch bei Schmidts Anschauungsweise fragen, wie nimmt sie sich
aus ins ethnographisch-historische übertragen. Die Sprachen führen ja nicht ein
Leben für sich, sondern sind an die Völker gebunden.


Für Schmidts Hypothese bildet die geographische Einheit der indogermani-
schen Völker, die ununterbrochene Continuität des von ihnen bewohnten Ge-
bietes während der Entstehung seiner Reihe von Uebergangsstufen der Sprache
die absolut nothwendige Voraussetzung. Es steht nun fest, dass dieses continuir-
liche Gebiet sich nicht von Anfang an über den ganzen, heutzutage in Asien und
Europa von Indogermanen bewohnten Raum mit Ausfüllung der jetzt von stamm-
fremden Völkern bewohnten Zwischenräume erstreckt haben kann. In völlig
[X]Einleitung.
historischer Zeit sind vielfach neue Gebiete von Indogermanen besetzt worden,
und wenn irgend ein Schluss auf längst vergangene ethnographische Verhältnisse
Geltung hat, so ist es der, dass die Indogermanen einmal auf einem verhältniss-
mässig eng begrenzten Raum zusammengewohnt und von diesem aus sich ver-
breitet haben müssen. Von einer solchen Verbreitung in vorhistorischer Zeit
können wir uns eine Vorstellung nur erwerben durch Betrachtung der in histo-
rischer Zeit vorgekommenen Fälle, und aus diesen ergibt sich, dass die Aus-
breitung auf zweierlei Weise geschehen kann: entweder ein Theil des Volkes
wandert aus und wird geographisch völlig getrennt von dem anderen Theil, vgl.
die Wanderung der Angelsachsen nach Britannien, der Norweger nach Island,
der Südslaven in die Donauländer, oder andererseits die natürliche Vermehrung
der Volkszahl nöthigt das Volk durch Occupation des Landes an seinen Grenzen,
sei dies unbewohnt oder bewohnt, in letzterem Fall mit Verdrängung oder Auf-
saugung der alten Bewohner, sein Gebiet zu erweitern, wobei der geographische
Zusammenhang bestehen bleibt; ein solches Beispiel gibt die enorme Aus-
breitung des russischen Volkes nach Norden, Osten, Süden während des uns
historisch bekannten Zeitraums von etwa 1000 Jahren. Die zuletzt beschriebene
allmähliche Art der Gebietsvermehrung eines Volkes vollzieht sich natürlich viel
langsamer als die durch Auswanderung, und in älterer Zeit langsamer als jetzt.
Es versteht sich, dass die allmähliche Ausbreitung kein absolutes Hinderniss
einer Wanderung ist, nur wird diese da, wo das Volk Raum zu jener hat, we-
niger leicht eintreten.


Es fragt sich nun, welcher von den beiden an sich möglichen Vorgängen für
die Ausbreitung des indogermanischen Urvolkes der wahrscheinlichste ist, Wan-
derungen oder allmähliches ununterbrochenes Vorwärtsschieben. Es braucht
kaum erwähnt zu werden, dass der Annahme von trennenden Wanderungen
nach der Analogie geschichtlich bekannter Vorgänge von historischer Seite gar
nichts im Wege steht. Versuchen wir, uns den Hergang und das Resultat bei
allmählichem ununterbrochenem Fortschieben vorzustellen. Im ersten Jahrhundert
vor und nach Christo, um eine Zeit zu nennen, wo die Interpretation der Ueber-
lieferung nicht mehr zweifelhaft ist, haben wir von allen indogermanischen Völkern
mit Ausnahme der Slaven und Litauer bestimmte Nachrichten, und auch das
Gebiet dieser beiden lässt sich mit einiger Sicherheit als das heutige mittlere und
westliche Russland bis an die Ostseeküste, oder allgemeiner als das Land östlich
von Weichsel und Karpaten bestimmen; wir können uns also ein wenigstens
hier genügendes Bild von der damaligen Ausbreitung der Indogermanen machen.
Indogermanen reichten damals vom Ganges bis nach Britannien, und ferner,
wenn man auch alle streitigen Fragen, z. B. nach der Zugehörigkeit einer Anzahl
kleinasiatischer Stämme, die das geographische Bindeglied zwischen Iraniern
und Europäern bildeten, bei Seite lässt, sicher berührten sich in jener Zeit
mehrere indogermanische Völker unmittelbar, so die Kelten und Germanen an
Rhein und Donau, höchst wahrscheinlich Slaven und Litauer im Osten mit Ger-
manen, wahrscheinlich Slaven und iranische Stämme im Nordpontuslande, ferner
Griechen mit indogermanischen (illyrisch-thrakisch-getischen) Stämmen im Nor-
[XI]Einleitung.
den, und diese können die Grenznachbarn von Kelten oder Germanen oder
Slaven oder allen dreien sein. Dass diese geographische Lage auch schon vor
dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bestanden hat, kann nicht
zweifelhaft sein, wie lange sie so oder ungefähr so zurückreicht, lässt sich frei-
lich nicht bestimmen. Betrachtet man nun den ungeheuren Umfang des Gebietes,
die Culturzustände, in denen wir die meisten indogermanischen Völker zur Zeit
ihres ersten geschichtlichen Auftretens finden, die allgemeinen geographischen
Verhältnisse Europas, die äussere Beschaffenheit des Landes, wie wir sie für das
alte Nord- und Mitteleuropa kennen, so scheint es mir aller historischen Wahr-
scheinlichkeit zu widersprechen, dass die Lage der Völker zu der angegebenen
Zeit die unmittelbare Folge einer continuirlichen Ausbreitung sei, dass in dem
langen Zeitraume, der bis zur vollendeten Occupation des genannten Gebietes
verlaufen sein muss, niemals wirkliche geographische Trennungen stattgefunden
haben. Ich muss wenigstens gestehen, dass ich ohne dieselben mir die Aus-
breitung der Indogermanen nicht vorstellen kann. Sind aber solche Trennungen
vorauszusetzen, so bleibt es möglich, dass jede der angeführten geographischen
Berührungen nach einer langen Periode der Trennung erst durch Annäherung
von verschiedenen Seiten her wieder neu erfolgt, dass z. B. die Nachbarschaft
der Germanen und Kelten an Rhein und Donau durch zufällige äussere Umstände,
die mit dem Verhältniss der Sprachen gar nichts zu schaffen haben, hervorge-
bracht ist, so gut wie das Zusammenwohnen von Griechen und Italikern auf der
italischen Halbinsel durch Einwanderung von Griechen in den südlichen Theil
derselben.


Wenn man aber die Wahrscheinlichkeit einer Anzahl von Trennungen zu-
gibt, so muss man bei der Voraussetzung, die bestehenden Verhältnisse der
indogermanischen Sprachen zu einander erklärten sich nur aus Uebergangsstufen
und könnten sich nur innerhalb einer geographischen Continuität ausgebildet
haben, diese Continuität vor jede Ausbreitung verlegen, in ein verhältnissmässig,
d. h. mit der späteren Ausdehnung verglichen, enges Gebiet. Und wer von jener
Voraussetzung ausgeht, wird eben antworten, dass kein Hinderniss bestehe, die
Herausbildung der sprachlichen Eigenthümlichkeiten, durch welche sich die ent-
fernter von einander wohnenden Stämme unterscheiden, und der zwischen ihnen
liegenden Mittelstufen in jenes Gebiet und jene Zeit zu verlegen. Dagegen ist
auch principiell von Seiten der Sprache nichts einzuwenden: jedes einigermassen
ausgedehnte Volk zeigt dialektische Differenzen der trotzdem als einheitlich ange-
sehenen Sprache. Aber sobald man diese Anschauungsweise combinirt mit der
Wahrscheinlichkeit der Wanderungen und geographischen Trennungen, so er-
gibt sich eine Möglichkeit, die den Werth von Schmidts Hypothese nicht auf-
hebt, aber die Consequenzen wesentlich modificirt. Wenn man innerhalb der
indogermanischen Einheit z. B. die Vorfahren der Germanen mit a bezeichnet, die
der Arier mit c, beide in der Zeit der geographischen Continuität durch gewisse
dialektische Eigenthümlichkeiten sprachlich unterschieden, ferner die zwischen
beiden wohnenden Vorfahren der Slaven und Litauer mit b, deren Dialekt weder
von a noch von c getrennt werden konnte und die Vermittelung beider bildete,
[XII]Einleitung.

[figure]

so kann man sich vorstellen, dass entweder durch geographische Trennung, Aus-
wanderung von c oder durch gemeinsame Abzweigung von a und b der Zusam-
menhang unterbrochen wurde. Die Wirkung müsste sein, dass zwar b die Eigen-
thümlichkeiten, die es mit c theilt, behält, aber während seiner mit a allein
gemeinsamen Geschichte mit diesem zusammen Eigenthümlichkeiten entwickelt,
die c nicht mehr theilen kann. Die Chronologie der einerseits dem Slavisch-
litauischen und Arischen, andererseits dem Slavisch-litauischen und Germani-
schen gemeinsamen Eigenthümlichkeiten kennen wir nicht, aber so gut ich mir
vorstellen kann, dass die Slavoletten mit den Iraniern die Entwicklung einer
Anzahl von k-lauten zu Spiranten theilten, als sie zu gleicher Zeit z. B. mit den
Germanen das bh der Casusendungen zu m verwandelten, so gut ist es möglich,
dass die beiden Dinge niemals gleichzeitig waren, dass noch bh sich über das
ganze Gebiet erstreckte, während die Spirans statt k nur über die Vorfahren der
Slavoletten und Arier reichte und m erst eintrat nach Abtrennung der Slavoletten
mit den Germanen von den Ariern. Mit einem Worte, die sogenannte Stamm-
baumtheorie widerspricht der Uebergangstheorie, um so Schmidts Hypothese
kurz zu bezeichnen, gar nicht. Slavisch-litauisch-germanisch kann eine von der
Fortentwicklung der übrigen indogermanischen Sprachen unabhängige gemein-
same Geschichte gehabt haben und trotzdem kann es wahr sein, dass Slavisch-
litauisch das Mittelglied zwischen dem Germanischen und Arischen bildet; die
europäischen Sprachen können eine von den asiatischen zu scheidende Gruppe
bilden, obwohl Slavisch und Griechisch möglicherweise die Mittelglieder zwischen
beiden Gruppen sind. Diese Möglichkeit ist aber für die Fortbildung der ver-
gleichenden Grammatik von grosser praktischer Bedeutung. Habe ich mir das
heutige oder überhaupt das historisch überlieferte Slavisch-litauische nur in der
Stellung eines Mittelgliedes, einer Uebergangsstufe zwischen Arisch und Germa-
nisch vorzustellen, so kann allerdings von einer vergleichenden Grammatik des
Slavisch-litauisch-germanischen so wenig die Rede sein wie von einer des Sla-
visch-litauisch-arischen. Jeder solcher Schnitt wäre reine Willkür. Hat dagegen
das Slavisch-litauische zu irgend einer Zeit diese Vermittlerrolle verloren durch
eine Trennung der oben angegebenen Art, so hat es vielleicht eine mit dem
Germanischen gemeinsame Geschichte, und so bleibt eine vergleichende
Grammatik dieser Gruppe denkbar und ausführbar. Diese hat dann einfach die
aus älterer Zeit ererbten Uebereinstimmungen des Slavisch-litauischen mit dem
Arischen zu registriren und sich dadurch nicht beirren zu lassen. Ich lasse es
vorläufig ganz unentschieden, ob die Gründe Schmidts für die Uebergangslage
des Slavisch-litauischen, des Keltischen, des Griechischen entscheidend sind;
zugegeben, sie beweisen, was sie beweisen sollen, so macht mir das den Stamm-
baum nicht unwahrscheinlicher.


Vorhistorische Zustände können wir uns nur mit Hülfe der Analogie histori-
scher oder wenigstens der urkundlichen Geschichte näher liegenden Vorgänge
[XIII]Einleitung.
klarer machen, und Schmidt hat auch nicht unterlassen, solche zu verfolgen. Hier
kommt namentlich der Abschnitt S. 178 ff. («Ergebnisse für die Verwandtschafts-
verhältnisse der slavischen Sprachen unter einander») in seinem neuesten Werke
«Zur Geschichte des indogermanischen Vocalismus II» in Betracht. Die bisherige,
namentlich durch Schleicher ausgebildete Annahme der Gabelung des Urslavi-
schen in einen westlichen und einen südöstlichen Zweig, von denen jener sich
wieder in Čechisch und Lechisch, letzterer in Russisch und Südslavisch theilt,
das Čechische ferner in Čechisch im engeren Sinne und Sorbisch, das Lechische
in Polnisch und Polabisch, das Russische in Gross- und Kleinrussisch, die süd-
slavische Gruppe in Bulgarisch und Serbo-slovenisch, letzteres endlich in Serbisch
(Serbo-chorvatisch) und Slovenisch — diesen ganzen Stammbaum sucht Schmidt
aufzuheben, indem er auch hier die scharfen Grenzen leugnet und nach gewissen
sprachlichen Kriterien continuirliche Uebergänge annimmt, hier freilich ausge-
sprochener Massen in der Urheimat ausgebildete. Es heisst S. 182: «man mag
also einen Stammbaum entwerfen wie man will, die speciellen Uebereinstim-
mungen des Slovenischen mit den westslavischen Sprachen, des Čechischen und
Polabischen mit den südslavischen, des Polabischen sowohl mit dem Čechischen
als mit dem Polnischen, des Sorbischen sowohl mit dem Polnischen als mit dem
Čechischen vermag er nicht gleichmässig zu erklären. Daher sehe ich mich ge-
nöthigt, hier auf engerem Gebiete zu wiederholen, was ich schon auf weiterem
gethan habe, indem ich constatire, dass die Methode, die Verschiedenheit der
slavischen Dialekte vermittels eines Stammbaumes zu erklären, den Thatsachen
nicht gerecht wird und sich dadurch als falsch erweist». Ferner S. 199: «um zu
veranschaulichen, wie sich die Vorfahren der historischen Slaven . . . . in der
Urheimat räumlich berührt haben müssen, diene das folgende in idealer Regel-
mässigkeit gehaltene Schema» (ich erlaube mir, um mich bequemer darauf
beziehen zu können, es hier aufzunehmen):

[figure]

[XIV]Einleitung.
Endlich S. 201: «vergleichen wir diese für die vorhistorische Zeit nothwendig an-
zunehmenden Siedelungsverhältnisse der Slaven mit den historischen, so stellt
sich heraus, dass, obwohl die Ausdehnung des von Slaven besetzten Gebietes in
historischer Zeit sehr starke Veränderungen erlitten hat, die Siedelungsverhält-
nisse der einzelnen Stämme zu einander — von dem zwischen sie gedrungenen
Keile der Deutschen, Magyaren und Rumenen abgesehen — heute noch dieselben
sind, wie wir sie für die Urzeit annehmen müssen».


Ich knüpfe zunächst an die letztcitirte Stelle an: es könnte demjenigen, der
nicht näher auf die historischen Verhältnisse eingeht, nach Schmidts Worten
leicht scheinen, als bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Siede-
lungsverhältnissen in der Urheimat und den späteren, oder als seien diese die
unmittelbare Fortsetzung jener. Das ist nun entschieden nicht der Fall, wenn
unsere historische Ueberlieferung etwas werth ist. Nehmen wir z. B. die erste
Hälfte des 9. Jahrhunderts, wo Rumunen vielleicht nördlich der Donau noch gar
nicht vorhanden waren oder ein sehr kleines, nicht mehr bestimmbares Gebiet
einnahmen, die Magyaren noch nicht eingedrungen waren und die Deutschen die
westslavischen Stämme noch nicht überwältigt und auseinandergedrängt hatten,
eine Zeit, wo das Slaventhum seine grösste Ausdehnung nach Süden und Westen
hatte. Dass damals zwischen Russen und Bulgaren oder zwischen Serben und
Russen eine unmittelbare geographische Berührung nicht stattfand, steht fest.
Die Slovenen waren Grenznachbarn der Serbo-chorvaten, diese der Bulgaren;
im Norden standen Čechen, Sorben, Polen, Polaben in geographischem Zusam-
menhang; möglicherweise berührten sich im Osten die Russen mit den Polen
oder Čechen oder mit beiden. So giebt es eine südliche geographisch zusammen-
hängende Abtheilung und eine nördliche. Es ist nicht gerade unwahrscheinlich,
wenn es sich auch nicht beweisen lässt, dass die beiden Abtheilungen an der
mittleren Donau, etwa auf der Linie Pressburg-Pest zusammenstiessen, indem
südlich der Donau Slovenen, nördlich Čechen wohnten. So stehen allerdings die
Völker, wenn man die Lücke zwischen Russen und Südslaven überspringt, zu
einander ungefähr in einer Lage, wie sie Schmidts Schema gibt (ganz auch so
nicht, denn nach ihm berühren sich sprachlich die Polaben sowohl mit den Čechen
wie mit den Polen, im 9. Jahrhundert dagegen liegt ein breiter sorbischer Streifen
zwischen Polaben und Čechen). Allein dass die Lage der Slovenen und Čechen
so ist, wie sie Schmidt für die Urheimat ansetzt, ist ein Zufall. Die Čechen
können nach Böhmen, Mähren, Oberungarn nur über die Sudeten- und Karpaten-
pässe und die Senkung zwischen diesen Gebirgen, jedenfalls von Norden und
Osten gekommen sein, während alle Verhältnisse dafür sprechen, dass das Vor-
dringen der Slovenen nach Pannonien und Noricum durch die Donaupforte statt-
gefunden hat (vgl. am kürzesten Rösler, Ueber den Zeitpunkt der slavischen An-
siedlung an der untern Donau. Wiener Sitzungsber., phil.-hist. Cl. B. LXXIII,
S. 92, 1873). Folglich waren Čechen und Slovenen einmal völlig getrennt, und
äussere Umstände, die mit der relativen Lage dieser Stämme in der Urheimat
und dem Verhältniss ihrer Dialekte nichts zu schaffen haben, führten sie wieder
zusammen; oder um mich vorsichtiger auszudrücken, da die wirkliche Berührung
[XV]Einleitung.
nicht fest steht, gaben ihnen dieselbe relative Lage wieder. Geben wir nun auch
Schmidts Hypothese von der Lage der Stämme in der Urheimat zu, so haben wir
hier doch einen deutlichen Fall, wo zwei neben einander gelegene Dialekte, von
denen der eine, das Čechische, als Vermittler zwischen dem späteren West-
slavischen und Südslavischen angesehen werden soll, völlig von einander getrennt
wurden und zwar durch Wanderung nach verschiedenen Richtungen. Nun glaube
ich mit Schmidt, dass zwischen dem Slovenischen und Serbochorvatischen keine
scharfen Grenzen vorhanden sind noch je waren; die beiden Sprachen zeigen
ferner Erscheinungen, die nur ihnen allein gehören, weder auf der einen Seite
von den Bulgaren noch auf der anderen von den Čechen getheilt werden, und
ich sehe nicht ein, was uns hindern kann, für das Slovenisch-serbische ein Son-
derleben anzunehmen, in welchem es getrennt von den übrigen Verwandten
diese Eigenthümlichkeiten entwickelte; wobei die etwaige einstige Mittelstellung
des Slovenischen als Uebergang zum späteren Westslavischen ganz gleichgültig
ist. Also auch hier widerspricht die Stammbaumtheorie der Uebergangstheorie
nicht, und das Beispiel der slavischen Sprachen kann so gut auf die eine wie auf
die andere passen.


Ueber Schmidts Zeichnung möchte ich bemerken, dass sie zwar deutlich
genug ist, aber schwerlich so das ideale Bild der Lage einer Reihe von Dialekten
gezeichnet werden darf. Man darf den Umfang eines Sprachgebietes, wenn man
von allen zufälligen Grenzkrümmungen absieht, durch eine Kreislinie als ideale
Peripherie darstellen, aber die Theilung des eingeschlossenen Raumes durch
Radien ist eine rein willkürliche, und doch beruht auf einer solchen Theilung
die Möglichkeit der gegenseitigen Lage der Stämme, wie sie Schmidt sich denkt.
Sobald man irgend welche andere Theilungslinien anwendet, ergeben sich andere
Berührungen, und man wird zugeben, dass irgend ein anderer Theilungsmodus
nach der Art, wie wir erfahrungsmässig Dialekte gruppirt sehen, bei weitem
wahrscheinlicher ist. Indess ich will darauf weiter kein Gewicht legen, alle
solche Bilder sind ihrer Natur nach unvollkommen.


In allem bisherigen habe ich mich absichtlich auf das Detail der sprachlichen
Kriterien, die Schmidts Ansicht stützen, nicht eingelassen und die Richtigkeit und
Beweiskraft seiner Aufstellungen zugegeben. Es kam mir zunächst nur darauf
an zu zeigen, dass zwischen den beiden Ansichten kein principieller Widerspruch
besteht, dass die Uebergangsreihe Schmidts in die Urheimat des ganzen Stammes
oder der betreffenden Familie verlegt werden muss, und dass derjenige, der
daran festhält, dass es innerhalb der indogermanischen Sprachen in der That
scharf trennbare, durch geographische Sonderung entstandene Gruppen gibt,
nur zuzugeben hat, dass auf dem Boden der Urheimat bereits dialektische
Unterschiede bestanden, was jeder ohne weiteres zugeben kann. Man sollte nicht
sagen: das Verhältniss der indogermanischen Sprachen unter einander ist nur
verständlich durch die Annahme continuirlicher Uebergangsstufen, sondern: ge-
wisse Erscheinungen, einzelne Uebereinstimmungen indogermanischer Sprachen
lassen sich vielleicht nur erklären, wenn sich in der Urheimat Sprachtheile be-
rührt haben, die später aus einander gerathen sind, das spätere Verhältniss der
[XVI]Einleitung.
Sprachen aber hängt nicht ab von ihrem etwaigen ursprünglichen, d. h. in der
Urheimat zwischen den Dialekten der Ursprache anzusetzenden Verhältniss.


Es kommt nun nach diesen allgemeinen Auseinandersetzungen vor allem
darauf an, ob die sprachlichen Erscheinungen, die Schmidt zur Grundlage seiner
Hypothese hat, das beweisen, was sie beweisen sollen. Ich knüpfe hier zunächst
an den speciellen Fall, das Verhältniss der slavischen Sprachen zu einander an,
um von da aus auf die Stellung des Slavisch-litauischen im Ganzen des Sprach-
stammes überzugehen. Zum Verständniss dessen, was Schmidt S. 194 über die
Entwicklungsgeschichte der slavischen Sprachen zusammenfasst, muss das Re-
sultat seiner Untersuchungen über die ursprünglichen Lautgruppen er, el, ar, al
vor Consonant vorausgeschickt werden. Dies findet sich ausgesprochen einmal
S. 98: «Das Urslavische hatte, unmittelbar nachdem der Zusammenhang
zwischen ihm und dem Litauischen erloschen war, in den fraglichen Worten
noch wie dieses er, el» . . . . «Es entwickelte sich . . . . auf dem ganzen sla-
vischen Sprachgebiete gleichmässig die Svarabhakti: wo bisher nur er, el be-
standen hatten, traten ere, ele an deren Stelle». Also nach Schmidt setzen alle
Abweichungen der slavischen Sprachen in der Vertretung von ursprünglichem
er, el durchgehends die Lautverbindung ere, ele voraus (von vereinzelten Fällen,
wo statt el — ol anzusetzen ist, kann hier als etwas unwesentlichem abgesehen
werden). Ferner S. 172: «nachdem das Slavische aus der Continuität mit den
verwandten Sprachen ausgeschieden war, hatte es år, ål an Stelle von lit. und
urspr. ar, al; von diesem Sprachstande hat sich eine einzige Spur bis auf den
heutigen Tag erhalten: poln. poleć gen. polcia, osorb. polč, ěech. polt sind laut-
gesetzliche Vertreter von urslav. * poltĭ (S. 134 unter platĭ). In allen übrigen
Worten entwickelten sich år, ål durch Svarabhakti zu årå, ålå, von denen sich
auch ausser dem gemeinslavischen olovo (S. 146) Spuren in allen slavischen Dia-
lekten erhalten haben. Im Russischen und Kleinrussischen sind oro, olo vom Be-
ginne der historischen Tradition an (S. 115) die regelmässigen Vertreter von altem
ar, al. Ebenso war es im Altpolnischen . . . . Erst nachdem sich årå, ålå auf
dem ganzen slavischen Sprachgebiete gleichmässig entwickelt hatten (ausgenom-
men in * poltĭ), traten dialektische Verschiedenheiten in der bis dahin einheit-
lichen Sprache hervor. Russen und Kleinrussen bewahrten årå, ålå in oro, olo,
Polen und Sorben gaben den ersten Vocal auf . . . ., Südslaven und Čechen
zogen årå, ålå in rā, lā zusammen. Das Polabische hat inlautendes ålå wie das
Südslavische und Čechische zunächst zu zusammengezogen (S. 152), dagegen
årå zu ār, welches später zu ōr geworden ist (S. 154)». Der auf S. 194 be-
schriebene gesammte Entwicklungsgang ist nun folgender: «Als die Slaven
noch ein Volk bildeten . . . ., hatte ihre Sprache noch 1. dj, tj unverändert,
2. ebenso dl, tl, dn, tn, 3. vy und izŭ neben einander, 4. ere, ele . . . ., årå,
ålå
. Allmählich traten auf verschiedenen Punkten des Gebietes neue Laut-
neigungen hervor, welche von dem Orte ihres Aufkommens aus weiter um sich
griffen, jede für sich, jede in anderer Ausdehnung. Die vier genannten ursla-
vischen Characteristica wurden durch sie in folgender Weise und Ausdehnung
verändert: 1. dj, tj wurden bei den Westslaven zu dz, ts (= c). 2. d, t schwan-
[XVII]Einleitung.
den vor l, n bei den Vorfahren der Russen, Kleinrussen, Bulgaren, Serben, Kroa-
ten, blieben dagegen bewahrt bei denen der Slovenen (ausser tn) und West-
slaven. 3. vy kam bei den Vorfahren der Bulgaren, Serben und Kroaten ausser
Gebrauch, wurde dagegen bei denen der Slovenen, Russen und Westslaven be-
wahrt. 4. a. ere ward bei den Vorfahren der Südslaven und Čechen zu , er-
hielt sich bei den übrigen und ward erst später bei den Vorfahren der Polen,
Polaben und Sorben zu re (S. 90, 94, 95). b. ele ward zu nicht nur bei den
Vorfahren der Südslaven und Čechen, sondern auch bei denen der Polaben
(S. 95) . . . . Bei den Vorfahren der Polen und Sorben wurden ele und das da-
neben liegende olo (S. 98) zu respective le, ło vereinfacht. c. årå ward bei den
Vorfahren der Südslaven und Čechen zu , und zwar waren die Vorfahren der
Čechen und Südslaven zu dieser Zeit noch in vollem Zusammenhange mit denen
der Polen und Sorben, denn der Lautwandel erstreckte sich auch bis in den An-
fang von deren Gebiet, wie poln. straż neben stroż, osorb. straža neben stroža,
poln. osorb. trapić beweisen. d. ålå inlautend ward zu nicht nur bei den
Vorfahren der Südslaven und Čechen, sondern auch bei denen der Polaben …»


Nach Schmidt muss man also annehmen, dass die in den vier Punkten an-
gegebenen Veränderungen des Urslavischen insofern gleichzeitig waren, als sie alle
noch auf dem Boden der geographischen Continuität stattfanden (vgl. seine Ueber-
tragung auf die Zeichnung S. 200). Von diesen Punkten sind aber 2. und 3. hin-
fällig, d. h. hier, es lässt sich mit demselben Rechte annehmen, dass diese Ver-
änderungen erst in der einzelnen Gruppe oder einzelnen Sprache nach der
Trennung aus der Urheimat eingetreten und damit für das alte Verhältniss der
Sprachen nicht massgebend sind. Bei vy handelt es sich um einen Verlust, der
nach Schmidts eigenen Ansichten zu solchen Bestimmungen werthlos ist. Der
Verlust von t, d z. B. vor n tritt im Verlauf der Geschichte auch in westslavi-
schen Sprachen ein: obersorb. panyć neben padnyć, kranyć neben kradnyć,
niedersorb. panuś, kśanuś. So gut das hier nachweislich im Laufe der Sonder-
entwicklung des Sorbischen eingetreten ist, kann es in einer Sonderentwicklung
des Russischen und Südslavischen eingetreten sein, kann in der Sonderentwick-
lung des Slovenischen dialektisch vorhanden sein und nicht, wie die Formen im
Sorbischen beide vorkommen. Was nun das Verhältniss der Punkte 1. und 4.
betrifft, so scheint mir, ist 1. fern zu halten, weil sich nicht ausmachen lässt, ob
die Verwandlung von lj, dj zu ts, dz bei den Vorfahren der Westslaven schon in
der Urheimat eintrat oder erst nach einer Trennung von den übrigen Stämmen.
Man kann annehmen z. B., dass die Wandlung von ere in von irgend einem
Centrum ausgehend sich über die Vorfahren der Südslaven erstreckte und die
der Čechen noch erreichte und umfasste, während zu gleicher Zeit von einem
anderen Punkte aus dz = dj, ts = tj sich über die gesammten späteren West-
slaven verbreitete, so dass von allen Sprachen nur der Vorfahr des Čechischen
beides, wie auch dz, c erhielt. Völlig ebenso gut kann man sich aber auch
vorstellen, dass das in dem bezeichneten Gebiete herrschend geworden war,
während über das gesammte Slaventhum hin noch dj, tj unverändert erhalten
waren, dass diese erst verwandelt wurden, als die Vorfahren der Westslaven von
[XVIII]Einleitung.
den übrigen Stämmen getrennt waren. Da Lautwandel, wie der von dj, tj in
dz, c und der von ere in oder sonst wie in keinem inneren Zusammenhang
mit einander stehen, so bleibt es immer möglich, dass von den späteren West-
slaven bei ihrer Trennung von der anderen Abtheilung die Čechen hatten,
Polen, Polaben und Sorben ere, dass im Čechischen jenes blieb, im Polnischen,
Polabischen und Sorbischen re entstand und dabei nach der Trennung erst das
über alle vier Stämme sich ausdehnende dz, c ausgebildet wurde. Ich weiss
wenigstens nicht, wie man je beweisen will, dass diese verschiedenen Erschei-
nungen nothwendig gleichzeitig auf dem Boden der Urheimat eintreten mussten.


Ob Schmidt das Verhältniss der slavischen Sprachen richtig bestimmt hat,
hängt also allein von dem vierten Punkte ab, davon, ob seine Erklärung der be-
treffenden Erscheinungen richtig und ob das chronologische Verhältniss der ein-
zelnen Erscheinungen von ihm richtig dargestellt ist. Es ist äusserst schwierig,
ohne auf die erdrückende Masse von Einzelheiten, auf sämmtliche Beispiele ein-
zugehen, über diesen Gegenstand zu handeln, und ich kann mir hier nicht die
Aufgabe stellen nachzuweisen, dass Schmidts Svarabhaktitheorie angewendet auf
jede beliebige Behandlung der betreffenden Lautgruppen im Slavischen verfehlt
ist. Es kommt mir nur darauf an, an einem Beispiel zu zeigen, dass die aus der
Behandlung von ursprünglichem er, el, ar, al entnommenen Kriterien nicht zur
Aufstellung der Uebergangsreihen, wie sie Schmidt hat, berechtigen und selbst
seine eigenen Angaben dagegen sprechen.


Ich nehme als Beispiel den Fall, wo im Urslavischen die Lautgruppe ar, al
vor Consonant stand. Daraus müsste im Gange der regelmässigen Entwicklung
or, ol werden, oder wie Schmidt will, år, ål, also mit einer Zwischenstufe
zwischen reinem a und tieferem o, ein Unterschied, auf den es hier zunächst
nicht ankommt. Die Untersuchung der in den einzelnen slavischen Sprachen
überlieferten Formen dieser ursprünglichen Lautgruppen führte ihn zu dem
Schluss, dass die gemeinsame, in der Zeit der ununterbrochenen Continuität des
Slaventhums herrschende Vorstufe das durch Svarabhakti entstandene oro, olo
(årå, ålå) gewesen sei, und zwar ausnahmslos und ohne Unterschied, ob jene
Gruppen im Inlaut zwischen Consonanten standen oder ar, al anlauteten. Die
Annahme der Svarabhakti für den Anlaut bildet aber den schwachen Punkt der
ganzen Theorie: es ist uns hier Svarabhakti in den slavischen Sprachen nicht
bloss nicht überliefert, sondern es lässt sich auch mit der grössten Sicherheit
zeigen, dass sie nie vorhanden war. Es kommen zwei Fälle in Betracht: ent-
weder die Sprachen differiren im Vocal als a und o, oder sie haben alle a (ein-
mal alle o). Nehmen wir zunächst den ersten Fall: nach Schmidt ist die Ent-
wicklung z. B. eines ursprünglichen * arlijā (Acker, W. ar) folgende:


  • urslav. * årlija
  • urslav. * årålija
  • westslav., russ. * orolĭja; südslav. rālija
  • westslav., russ. rolja (rolĭja).

Dies Schema entspricht nicht der nach der Behandlung des Inlauts (wo ar, al
zwischen Consonanten stehen) zu erwartenden Regel, darnach müsste im Russi-
[XIX]Einleitung.
schen * orolĭja oder * orolja erhalten sein (vgl. koróva), im Čechischen * rālja
stehen (vgl. kráva), nur das polnisch-sorbische rola entspricht der Regel, indem
nach Schmidt in diesen Sprachen der erste Vocal der Svarabhakti verloren geht
(krova). Schmidt kann also die russische Form nur erklären durch den Ver-
lust des ersten o von * orolĭja (S. 197) und beruft sich auf die Abneigung aller
Slaven gegen vocalischen Anlaut. Sievers in seiner Besprechung des Werkes (Jen.
Lit. 1876, Art. 79) hebt die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorganges hervor, zu-
mal «ja die Wörter mit gemeinslavischer Svarabhakti ihren anlautenden Vocal
ruhig behalten (russ. olénĭ, ólovo)». Es kommt aber vor allem in Betracht, dass
eine Abneigung gegen anlautendes o im Russischen nicht besteht, das Gross-
russische bewahrt es im Anlaut überall, und diejenigen slavischen Sprachen,
welche es vermeiden, denen man also jene Abneigung zuschreiben kann, setzen
v vor, aber auch in diesen ist der consonantische Vorschlag verhältnissmässig
jungen Datums. Man kann also nicht mit Schmidt sagen, jene Abneigung habe
die Ausbreitung der von den Nachbarn herüberdringenden Vereinfachung (der
von den Westslaven herüberkommenden des oro zu ro) begünstigt; die Abnei-
gung existirte eben nicht. Für das Russische kann man nur annehmen, dass
ro unmittelbar, ohne die Mittelstufe der Svarabhakti aus or umgestellt sei. Nur
im Vorbeigehen füge ich hinzu, dass dieser eine Fall schon es überhaupt sehr
zweifelhaft macht, ob irgendwo zur Erklärung des r, l + voc. statt ursprüng-
lichem voc. + r, l, die sogenannte Metathesis, Annahme von Svarabhakti erfor-
derlich ist.


Der zweite Fall, wo die Sprachen im Vocal als a übereinstimmen, ist folgender:


  • Grundform * ar-lra-m, * artlam (Pflug, W. ar)
  • ursl. * årdlo
  • ursl. * årådlo
  • überall rādlo, rālo.

Dagegen wäre zu erwarten gewesen nach der Analogie von * arlija west-
slavisch und russisch * orodlo, * rodlo, * rolo, oder lassen wir diese Analogie fallen
und stellen uns vor, die Regel des Inlauts wäre befolgt, so hätte entstehen müssen
russ. * orolo, poln. und sorbisch * rodlo, čechisch und südslavisch radlo, ralo.
Da nun das südslavische ralo bei beiden Voraussetzungen, nach dem Entwick-
lungsgange von * arlija wie nach dem des Inlauts, im regelmässigen Laufe der
Entwicklung liegt, und man sich nach Schmidt vorstellen soll, dass im Russischen
rolja durch Hinüberdringen des Einflusses von Seiten der Vorfahren der West-
slaven aus * orolĭja entstanden sei, muss man consequenter Weise annehmen,
dass a im westslavischen und russischen radlo, ralo auf einem Uebergreifen der
bei den Vorfahren der Südslaven einheimischen Wandlung von oro (årå) in
beruhe. Also muss man zu der Anschauung kommen, dass innerhalb einer An-
zahl ursprünglich gleich geformter Worte, und es handelt sich hier um eine ge-
ringe Anzahl, das eine von dieser, das andere von jener Seite her seine Gestalt
bekommen habe. Schmidt drückt sich zwar S. 196 etwas allgemeiner aus: im
Anlaute «erlitten einige Worte auf dem ganzen Slavengebiete, also auch bei den
Vorfahren der Russen, Polen, Sorben, Polaben Contraction zu rā, lā». Allein da
[XX]Einleitung.
wir uns jede solche Lauterscheinung als in einem engen Kreise entstanden und
von da sich verbreitend denken sollen, so kann der Anfangskreis doch nur inner-
halb der Vorfahren der Südslaven oder etwa der Čechen gesucht werden, da
rā, lā hier der sonst beobachteten Entwicklung entspricht, während es den Er-
scheinungen auf dem übrigen Gebiete widerspricht. Mir scheint es nun äusserst
unwahrscheinlich, ja so gut wie unmöglich, dass z. B. im Russischen von zwei
Worten aus einer in der Sprache noch gebräuchlichen Wurzel (in or-ati pflügen)
das eine, rolja, seine von der zu erwartenden Gestalt abweichende Form durch
Einfluss von westslavischer, das andre, ralo, seine abweichende durch solchen von
südslavischer Seite her gewonnen habe, wie ich mir überhaupt von Berührungen
und Verkehrsverhältnissen der Stämme, die ein solches Herüber und Hinüber zur
Folge haben, keine Vorstellung machen kann. Wollte man endlich etwa Worte
wie rālo ausser Zusammenhang mit den allgemeinen Regeln für die Behandlung
von ar setzen, so bleibt die Gestalt derselben als rālo z. B. im Russischen ein
Zufall, d. h. ist für uns nicht erklärlich und auch nicht zu weiteren Schlüssen
verwendbar.


An die Verbindung al im Anlaut knüpft sich eine weitere Schwierigkeit:
neben ladija (ladiji), Nachen, und lanija (laniji), Hindin, sind uns im Altbulgari-
schen überliefert auch aldija, alnija (geschrieben auch alŭdija, alŭnija, wie
Schmidt S. 175 richtig bemerkt, nur eine Consequenz der altbulgarischen Ortho-
graphie, die sonst keine Verbindungen von ld, ln kennt), ferner neben lakati
(hungern) auch alkati (alŭkati), dies auch russisch. Nach Schmidts Vorstellung
von der allgemein gültigen Svarabhakti wäre die Entwicklung diese:


  • * alkati
  • * ålkati
  • * ålåkati
  • ālkati lākati,

das ālkati eine der allgemein slavischen wie auch südslavischen Entwicklung
widersprechende Erscheinung, um so wunderbarer, als Regel und Ausnahme
neben einander bestehen. Unter Schmidts Beispielen der Stellung al befindet
sich auch eines des Inlauts balŭtina, das mit blatina (von blato Sumpf, See)
gleichgesetzt wird. Es stammt aus dem Šestodnev des Exarchen Johannes von
Bulgarien, die Handschrift ist serbischer Redaction vom Jahre 1263, und das
Wort wird Gorskij und Nevostrujev, Opisanie II, 1, 23 citirt als bal’tiny mit der
Erklärung «vpadiny, kuda stekaetŭ, voda» von da ist es in Miklosichs Wörter-
buch übergegangen und hat nur dies eine Citat. Schmidt erklärt die auffallende
Erscheinung S. 175 so: «Vielleicht bestand im Südslavischen, ehe sich die Regel
herausbildete, vermöge deren die aus dem ursprünglichen Vocale und der Svara-
bhakti zusammengeflossene Länge stets hinter die Liquida rückte, auch die Mög-
lichkeit die Vocale wie im Polabischen vor der Liquida zu concentriren. Viel-
leicht waren diese Nebenformen gerade im bulgarischen Dialekte heimisch, da
das Nebeneinander von alkati und lakati u. s. w. völlig analog dem S. 13 er-
wähnten von vŭlk und vlŭk, Bŭlgarin und Blŭgarin in der heutigen Sprache ist....
Diese Annahme wird durch die Gestalt einiger ins Rumenische gedrungenen
[XXI]Einleitung.
Worte unterstützt: daco-rom. baltĕ lacus, stagnum (durch ĕ umschreibe ich das
jerŭ), mac.-rom. μπάλλτᾳ aus ab. blato palus; bardĕ securis, bĕrdaš faber lig-
narius — ab. brady securis; galvatinĕ cranium — ab. glava caput, serb. glavetina»
(folgen noch einige Beispiele). Miklosich (Slav. Elem. im Rum., Wiener Denkschr.
XII, 15) nahm an, dass hier Umstellung des l aus der altbulgarischen, überhaupt
südslavischen Form blato stattgefunden habe. Schmidt fährt dagegen fort: «Wären
die rumenischen Formen wirklich aus den fertigen altbulgarischen umgestellt, so
dürfte man erwarten, dass diese Metathesis auch das eine oder andere der Worte,
in welchen die Liquida schon ursprünglich vor dem Vocale stand, ergriffen hätte,
dies ist aber nirgends geschehen. . . . . Daher glaube ich, dass im rum. baltĕ,
bardĕ, galvatinĕ, gard, daltĕ
alte bulgarische Nebenformen von blato u. s. w.
bewahrt sind. Allerdings finden sich auch die Worte unseres zweiten Verzeich-
nisses (S. 123 ff.), wenn sie ins Rumenische gedrungen sind, hier meist mit der
südslavischen Reihenfolge la, ra: rum. blagĕ, brazdĕ = ab. blagŭ, brazda u. a.
. . . . Diese widersprechen aber meiner Annahme gar nicht, da sie zu einer spä-
teren Zeit entlehnt sein können, in welcher die Lautfolgen ra, la durch die Schrift-
sprache so fest geworden waren, dass sie die Nebenformen mit ar, al gänzlich
verdrängt hatten«. Schmidt führt dann noch (S. 176) rum. Entlehnungen an, die
Svarabhakti haben, z. B. chĕrĕbor (alacer) = altbulg. chrabrŭ; chranĕ, chĕranĕ
(nutrimentum) = serb. chrana, und hält auch diese für wahrscheinlich in dieser
Gestalt aus dem Südslavischen entlehnt. Zugegeben, dies alles verhalte sich so,
so ist doch die Consequenz der Art, dass sie Schmidts frühere Ansetzungen zer-
stört. Noch zur Zeit, als die Südslaven (es kann sich hier nur um Bulgaren,
höchstens Serben und Bulgaren handeln) mit den Rumunen in Berührung traten,
d. h. nicht vor dem 6—7. Jahrhundert, bei der Einwanderung in die Süddonau-
länder, sollen bei ihnen die Formen mit Svarabhakti, d. h. die nach Schmidt zur
Zeit der slavischen Continuität ausgebildeten und über das gesammte Sprach-
gebiet verbreiteten, noch vorhanden gewesen sein, also Formen, um die Sache
an einem Beispiel durchzuführen, wie * gårådŭ, daneben das daraus entstandene
* gardŭ, und ferner noch das ebenfalls daraus entstandene * gradŭ. Die Unwahr-
scheinlichkeit, dass dieselbe Sprache den sonst betretenen Weg, die Wandlung
des årå, ålå in rā, lā, bei einigen so geläufigen Worten, wie die in der oben
citirten Stelle bei Schmidt vorkommenden glava und gradŭ, nicht eingeschlagen
habe, liegt auf der Hand; es bliebe nur denkbar, dass der eine Dialekt * gardŭ,
* galva
u. s. w., der andre gradŭ, glava ausbildete, und so scheint sich auch
Schmidt die Sache zu denken. Allein wie stimmt dies Resultat zu der Ansetzung
auf S. 200, wornach årå auf dem Gebiet zwischen den Radien BM — FM (siehe
die oben gegebene Zeichnung), d. h. bei den Vorfahren der Südslaven und der
Čechen zu rā, ålå ausser bei den Südslaven und Čechen noch bei den Polaben
zu geworden sein soll, also während der Continuität des Volks- und Sprach-
lebens. Das kann ja gerade nicht der Fall gewesen sein, wenn die Bulgaren oder
Südslaven überhaupt noch årå, ålå in ihre spätere Heimat herüberbrachten oder
daraus auch ar, al gemacht hatten. Wenn also Schmidts Princip hier geltend
gemacht werden soll, müssen die Bulgaren oder alle Südslaven oder das süd-
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. **
[XXII]Einleitung.
slavische Volk, von dem die Rumunen ihr gard, baltĕ haben, noch nicht von der
Wirkungssphäre der Veränderung des årå, ålå in rā, lā auf dem Boden der Ur-
heimat mitergriffen gewesen sein. Es hilft nichts, etwa dagegen zu sagen, die
Verbindung der Bulgaren mit denjenigen anderen Stämmen, die rā, lā haben,
könne sich gelöst haben zu einer Zeit, wo noch eine Anzahl årå, ålå übrig waren,
wo der ganze Process noch nicht fertig war, daher hätten die Bulgaren später
z. B. * gårådŭ zu gradŭ oder gardŭ umbilden können. Wie will man das jemals
plausibel machen? Konnten bei den Bulgaren nach Lösung der Continuität mit
den übrigen Stämmen eine Anzahl solcher Umbildungen selbständig geschehen,
so sehe ich nicht ein, was einen hindern kann anzunehmen, dass sie alle ausser-
halb des Connexes mit den anderen Stämmen entstanden sind.


Meine Ansicht ist daher, dass die von Schmidt für die gegenseitigen Verhält-
nisse der slavischen Dialekte aufgestellten Kriterien durchaus nicht die Bedeutung
haben, welche er ihnen zuschreibt, dass sie das nicht beweisen, was sie be-
weisen sollen; und ich glaube dasselbe von den Gründen, die Schmidt (Ver-
wandtschaftsverh. S. 9 ff.) für eine nahe Berührung des Slavolettischen mit dem
Arischen, für die Untrennbarkeit dieser beiden aufstellt. Die schon von Bopp
hervorgehobenen nom.-acc. dual. der i- und u-stämme und der ā-stämme, slav.
kostī, lit. avì (= avī), sanskrt. avī, znd. āfritī; slav. syny, lit. sūnù (= sūnū),
sanskrt. sūnū, znd. pājū; slav. rącě, lit. rankì (aus * rankë), sanskrt. açvē, znd.
dātē, sind schon deswegen wegzulassen, weil wir nicht wissen, wie im Germa-
nischen diese Formen gelautet haben, ganz abgesehen von dem irischen fáith
= * váti, das Schmidt anführt. Es heisst bei ihm S. 13: es ist unmöglich »zahl-
reiche Erscheinungen, in welchen das Slavolettische mit dem Arischen überein-
stimmt, vom Deutschen aber abweicht, zu übersehen: in der Declination haben
Slavisch und Litauisch den instr. sg. auf urspr. -bhi, plur. auf urspr. -bhis,
den loc. plur. auf urspr. -sva, in der Conjugation den einfachen und den zu-
sammengesetzten Aorist, das Futurum auf urspr. -sjāmi, das part. perf. act. auf
urspr. -vans, das Supinum auf -tum, lauter Formen, von denen das Gotische
gar nichts mehr weiss oder, wie vom einfachen Aorist (s. Verf. Ztschr. XIX,
291 f.) und part. perf. act. (bērusjōs) nur noch wenige, als solche nicht mehr
empfundene und daher kaum zu rechnende Spuren zeigt. Und zwar sehen
wir schon hier, dass das Slavische, welches geographisch dem Arischen
näher liegt als das Litauische, in der Bewahrung der Aoriste, welche dem Litaui-
schen verloren gegangen sind, dem Arischen auch grammatisch näher steht
als das Litauische«. Man bemerke, dass es sich um lauter Verluste einst gemein-
samer indogermanischer Bildungen handelt. Sie beweisen für die nähere oder
fernere Beziehung der betreffenden Sprachen nichts. Die grössere geographische
Nähe hat die Slaven nicht verhindert, das Futurum auf -sjāmi zu verlieren,
denn dies existirt auch nur in kaum zu rechnenden Spuren, während das ent-
fernter liegende Litauische es unversehrt bewahrt hat. Slavisch und Litauisch
haben das alte Perfectum spurlos verloren, während das ferner liegende Germa-
nische es erhalten hat. Sind aber in einigen Fällen Verlust oder Erhaltung des
ursprünglichen Sprachgutes unabhängig von der relativen Lage der Sprachen, so
[XXIII]Einleitung.
können sie in allen davon unabhängig sein und alle derartigen Erscheinungen
sind für die Bestimmung des Verhältnisses der Sprachen zu einander gleich-
gültig. Ebenso steht es mit einigen anderen auf derselben Seite angeführten
Punkten: «nur eranisch-slavolettisch ist der gen. sg. des Pron. der ersten Person:
apers. manā, abaktr. mana, lit. máno, abulg. mene, denn got. meina muss wegen
der analogen theina, seina als Stamm ma- mit Suff. -eina aufgefasst werden».
Lit. máno gehört nicht hierher, sondern ist der Genitiv des Possessivstammes
mana-, nom. msc. manas, wie der preuss. Genitiv maise = * maja-sja vom Pos-
sessivum mais = * majas, und dass der gotische Genitiv meina mit dem Possessiv-
pronomen zusammenhängt, so gut wie der lat. mei etc., kann doch auch nicht
bezweifelt werden. Da so in verschiedenen Sprachen der Genitiv verschiedener
Possessivstämme als Genitiv des persönlichen Pronomens fungirt, ist der ur-
sprüngliche Genitiv des letzteren verloren gegangen und kann im Litauischen,
Germanischen und Italischen einst mit sanskrt. mana correspondirt haben; es
handelt sich also auch hier vielleicht, ja wahrscheinlich um einen Verlust. Die-
selbe Möglichkeit liegt vor bei lit. visa- (all), slav. vĭsĭ, das nur im Arischen eine
Entsprechung hat. Auch darin, dass slav. ovŭ nur hier und im Iranischen (ava-)
vollständig flectirt wird, andre Sprachen es nur in Resten haben, vermag ich
keine besondre Annäherung des Slavischen an das Iranische zu finden. So gut
es ein Zufall ist, dass an den beiden Enden eines vom Indischen bis zum Litau-
ischen reichenden Sprachgebietes das Sanskrit jenes ava- fast ganz, das Litauische
völlig aufgegeben hat, so wenig lässt sich demonstriren, dass die Erhaltung des-
selben in den beiden in der Mitte liegenden Sprachen etwas mit einer längeren
historischen und geographischen Continuität zu thun hat. Ich behaupte damit
nicht, dass alle diese und andre Erhaltungen und Verluste, wenn einmal aus
anderen Gründen eine engere Beziehung hergestellt werden muss, nicht mit an-
geführt werden dürfen, sondern nur, dass sie keine Beweiskraft haben. Aus
demselben Grunde sind alle Vergleichungen des Wortschatzes immer erst von
secundärem Werth, abgesehen davon, dass sie sehr veränderlich und abhängig
sind von der veränderlichen und vermehrbaren etymologischen Erkenntniss und
bei verschiedenen Sammlern zu recht verschiedenen Resultaten führen; man
vergleiche in dieser Beziehung die Verzeichnisse Schmidts und Ficks (Sprach-
einheit etc.). Etwas mehr Gewicht scheint eine von Schmidt als solche hervor-
gehobene Uebereinstimmung gewisser Zahlworte im Slavischen und Arischen zu
haben, S. 14: «an die Stelle der Cardinalzahlen von fünf bis zehn hat das Slavi-
sche collective Substantiva gesetzt. Sehen wir hierbei von den Benennungen für
sechs, sieben und acht ab, welche nirgends ausserhalb genau entsprechendes
haben, so finden sich die drei übrigen Zahlcollectiva oder Abstracta sämmtlich
in den arischen Sprachen, und zwar nur in diesen wieder: pętĭ ist skrt. paṅkti-
Fünfheit, devętĭ = abaktr. navaiti- Neunheit, desętĭ = skrt. daçati- Decade».
Ich würde diesem Umstande mehr Bedeutung zuschreiben, wenn jene Abstracta
auch im Arischen die ursprünglichen Zahlworte verträten, und nicht für das Sla-
vische auch eine andre Betrachtungsweise möglich wäre. Wir dürfen, meine ich,
von den Worten für 6, 7, 8 eben nicht absehen; sie lauten šestĭ, sedmĭ, osmĭ,
[XXIV]Einleitung.
nur aus der ganzen Reihe erkennt man, dass das Slavische für alle alten Zahl-
worte von 5—10 einen Ersatz anderswoher genommen hat und zwar von ver-
schiedenen Seiten her. Dass nun sedmĭ, osmĭ aus den Ordinalzahlen sedmŭ, osmŭ
(beide auch lit. sékmas, ászmas; dem sékmas wie sedmŭ liegt das im Preussischen
erhaltene septmas zu Grunde) entstanden, scheint mir unzweifelhaft durch die Form
gegeben. Dass also pętĭ, šestĭ, devętĭ ebenso den Ordinalzahlen pętŭ, šestŭ, de-
vętŭ
entsprechen und daraus gebildet sind, ist durchaus möglich; dass devętĭ in
diese Reihe gehört, ist mir auch deswegen wahrscheinlich, weil im Litauischen
eine andre Form, devyni, herrscht, eine Neubildung wie septyni und asztůni.
Demnach ist das einzige Wort, welches hier bedeutend bleibt, desętĭ, wegen
seiner Uebereinstimmung mit dem Litauischen dészimtis. Die Uebereinstimmung
des Slavisch-litauischen mit dem Arischen beschränkt sich also, wenn man sicher
rechnen will, darauf, dass von einem Zahlwort, dem für 10, in beiden Sprach-
gruppen eine gleichartige Weiterbildung mit Suffix -ti- vorgenommen ist, ein
Umstand, dem ich bei der Häufigkeit des Suffixes in beiden keine besondre Be-
deutung beilegen kann.


Es handelt sich hier um zwingende Kriterien, und als solche können alle
von Schmidt angeführten Punkte nicht gelten; es bleibt nur einer übrig, der viel-
leicht entscheidend ist: die Wandlung einer gewissen Anzahl von k-Lauten in
einen Spiranten (arisch ç, slav. s, lit. sz oder s) in durchweg denselben Worten.
Dass darauf das Hauptgewicht fällt, ist denn auch anerkannt, und die Frage ist:
muss aus dieser Wandlung auf eine engere Verbindung des Slavisch-litauischen
mit den arischen Sprachen geschlossen werden; mit anderen Worten: ist es
nach sonstigen sprachgeschichtlichen Erfahrungen nothwendig anzunehmen, dass
diese Wandlung innerhalb einer ununterbrochenen Continuität von Slavoletten
und Ariern vor sich gegangen sei. Um diese Frage bewegt sich ein grosser Theil
von Ficks Buche (Die ehemalige Spracheinheit der Indogerm. Europas), und ich
meine trotz Schmidts Einwendungen (Rec. des Fickschen Werkes, Jen. Lit. 1874,
Art. 201), ihm sei der Beweis gelungen, dass bereits die Ursprache einen dop-
pelten k-Laut, k und (letzteres Zeichen des in ç u. s. w. übergehenden Conso-
nanten) besessen habe und dass dies Verhältniss in allen indogermanischen
Sprachen wiederzufinden sei. Das allgemeine Resultat von Ficks Untersuchung
ist in einem Schema ausgedrückt folgendes.


indog. kindog.
ar. k, sl.-l.k, germ. hv (f), südeur. kv (p)ar. ç, sl.-l. sz, s, germ. h=k, südeur. k

Schmidt bringt a. O. Ausnahmen bei, also Fälle, in denen Ficks indogerm.
k z. B. im Südeuropäischen nicht zu kv oder p, und Fälle, in denen im Süd-
europäischen oder Germanischen zu kv geworden ist. Er zieht daraus den Schluss,
dass die Unterscheidung der beiden k-Laute im Südeuropäischen und Germani-
schen nicht durchgeführt war. Geben wir das auch zu, so folgt daraus nicht,
dass der Unterschied in der Ursprache nicht vorhanden war. Die Sache steht
vielmehr so: es giebt unleugbar im Südeuropäischen und Germanischen ein kv
[XXV]Einleitung.
neben einem k in einer Anzahl gleicher Fälle; auf der anderen Seite giebt es ein k
neben einem aus k-Laut hervorgegangenen Spiranten im Slavisch-litauischen
und Arischen. Ebenfalls ist es sicher, dass in einer Reihe von Fällen der slav.-
lit.-arische Spirant im Südeuropäischen und Germanischen als k erscheint, das
slav.-lit.-arische k dort als kv wiederkehrt. Rechnet man nun auch alle Fälle
ab, wo dies Verhältniss nicht zutrifft, so bleibt doch die Thatsache bestehen: das
Südeuropäische und Germanische kennen eine Spaltung des k-Lautes in kv (daraus
auch p) und k, das Slavisch-litauische und Arische eine solche in k und ç (sz, s),
in vielen Fällen correspondiren diese Spaltungen mit einander. Hat nun die
Grundsprache keinen doppelten k-Laut gekannt, so ist diese Corresponsion barer
Zufall, und dafür vermag ich sie nicht zu halten, wenigstens kann man dann mit
demselben Recht auch die Uebereinstimmung des Arischen und Slavisch-litau-
ischen in ç (sz, s) für Zufall erklären. Die von Schmidt angeführten Beispiele,
in denen das Verhältniss nicht stimmt, können, wie mir scheint, nur beweisen,
dass k und das palatal afficirte einander in der Ursprache noch sehr nahe
lagen, so dass bei den Einzelentwickelungen der Sprachen die beiden Classen
nicht überall so scharf wie durchweg im Arischen und Slavisch-litauischen aus-
einandergehalten wurden, Uebertritt von der einen in die andre Classe stattfand,
ebenso wie das Verhältniss der doppelten Medien g, gˏ; gh, gh̗, die anzunehmen
sind wie k, k̗ nur im Arischen und Slavisch-litauischen getreuer bewahrt, in den
übrigen Sprachen mehr verwischt ist, d. h. vielleicht, denn die Untersuchungen
darüber sind nicht abgeschlossen.


Gibt man nun die Existenz eines k, k̗ u. s. w. für die Ursprache zu, so be-
schränkt sich die specielle Uebereinstimmung des Arischen und Slavisch-litaui-
schen auf die Qualität des aus hervorgegangenen Lautes, und das ist ein Punkt
von viel geringerer Bedeutung. Seinen wirklichen Werth kann man durch einen
analogen Fall erläutern: in einem Theil des Griechischen, im Oskisch-umbrischen
und im britisch-gallischen Keltisch wird kv z. B. im Relativstamm zu p, in einem
andern Theil des Griechischen, im Latein und im Irischen geschieht das nicht,
und doch wird wohl daraus niemand eine engere Beziehung des nicht-ionischen
Griechisch, des oskisch-umbrischen Italisch und des britischen Keltisch herstellen
wollen, sondern jeder annehmen, die Entwicklung gehöre in allen drei Fällen
der einzelnen Familie an, obwohl der Lautwandel auch auffallend genug ist. Wir
haben es hier zu thun mit einem lautphysiologischen Vorgange, der sich auf ge-
meinsamer Grundlage an beliebigen Punkten wiederholen kann, wie z. B. die
Erscheinungen des sogenannten Zetacismus gleichförmig auf den verschiedensten
sprachlichen Gebieten wiederkehren. Es scheint mir daher ebenso wahrschein-
lich, dass ein palatal afficirtes indogermanisches sich in getrennter Entwicklung
verschiedener Familien zu einem Spiranten entwickelt habe, wie, dass diese Ent-
wicklung in eine Periode der Continuität und gemeinsamer sprachlicher Schick-
sale falle. Es ist demnach auch für mich nicht erwiesen, dass das Slavisch-
litauische und Arische zu einander in einem Verhältnisse stehen, wornach es von
vornherein unerlaubt sei, das Slavisch-litauische mit einer oder mehreren anderen
Familien des Indogermanischen, mit allen europäischen Sprachen zu einer Gruppe
[XXVI]Einleitung.
zu vereinigen und dieser Gruppe eine besondere, vom Arischen zu trennende
Entwicklung beizulegen. Damit ist freilich nicht gesagt, dass es eine solche
Familie geben muss, oder dass wirklich das Germanische mit dem Slavisch-
litauischen eine besondere Gruppe bilde. Es kann ja möglicher Weise die bisher
beliebte Gruppirung innerhalb des Europäischen falsch sein und statt der zwei
Abtheilungen (nord- und südeuropäischer) eine Dreitheilung (Slavisch-litauisch,
Germanisch, Südeuropäisch) anzunehmen sein. Für eine engere Verbindung des
Germanischen mit dem Slavisch-litauischen sind bestimmte Gründe zu suchen.


Die bisher, namentlich von Schleicher beigebrachten, sind zusammengestellt
und kritisirt von Schmidt (Verwandtschaftsverh. S. 4): er kommt zu dem auch
für mich unzweifelhaften Resultat, dass sie alle keine beweisende Kraft haben
ausser dem einen Argument der Wandlung des bh der Casusendungen zu m,
«dies Zusammentreffen ist um so wichtiger, als keine der drei Sprachen diesen
Lautwandel in anderen Fällen zeigt». Schmidt hat dann selbst neue Argumente
hinzugefügt (von der Vergleichung des Wortschatzes sehe ich aus dem oben an-
geführten Grunde ab): erstens die Contraction des -jā im nom. sg. fem. wie altb.
prijająšti, lit. áuganti, got. frijōndi soll auf gemeinsamer Entwicklung beruhen;
auf diesen Punkt gehe ich hier nicht näher ein, weil ich unten S. 10 versucht
habe nachzuweisen, dass keine Gemeinsamkeit stattfindet. Zweitens: die got.
Declination der Zahlen von 4—10 als i-Stämme vergleicht Schmidt mit der
litauischen Declination der Zahlen von 4—9; dabei wird besonders hervorgehoben
die Zahl 4, lit. keturì, welches nach Schmidt gleich einem ursprünglich gotischen
*fidvōri, der Vorstufe von fidvōr sein soll, «die gotische Form lässt sich keinem
der sonstigen Declinationsschemata einordnen, die litauische kann allerdings nom.
plur. des in allen casus obliqui ausser dem acc. erscheinenden Stammes keturja-
sein, aber auch Laut für Laut dem gotischen fidvōr entsprechen, d. h. den im
acc. kéturis zweifellos gesicherten i-Stamm wie im Gotischen ohne Casussuffix
bieten». Gegen diese Aufstellung habe ich verschiedene Einwendungen zu
machen: zunächst können von den litauischen Zahlworten nur 4, 5, 6 zur Ver-
gleichung herbeigezogen werden, da 7 seplynì, 8 asztůnì, 9 devynì secundäre
Bildungen mit erweiterndem Suffixe sind; ferner ist keturì ganz sicher nicht un-
flectirter Stamm, sondern gewöhnlicher pronominal-adjectivischer nom. pl. des
a-Stammes keturja-, so gut wie septynì etc., wie denn überhaupt die Zahlen von
4—9 mit Ausnahme des acc. pl. pronominal-adjectivisch flectirt werden, vgl. dat.
keturë́ms. In keiner indogermanischen Sprache finden wir das Zahlwort für 4
als unflectirten Stamm und fidvōr ist kein solcher, sondern steht für *fidvōrs =
*katvāras, wie im Arischen, Griechischen, Lateinischen. Es bleiben zur Ver-
gleichung mit den germanischen i-Casus der Zahlworte thatsächlich nur die drei
Accusative kéturis, penkìs, szeszìs, und ich bin allerdings auch der Meinung,
dass wir darin den Rest einer älteren Flexion der Zahlworte haben, die mit der
des slavischen četyrije (vier), dat. četyrĭmŭ, acc. četyri, instr. četyrĭmi, loc. čety-
rĭchŭ
übereinstimmt. Allein im Slavischen heisst der gen. četyr-ŭ, das ist die
consonantische Form, und möglich ist es wenigstens, dass der nom. četyre, der
vorkommt, auch = četyr-e ist, wenn dieser freilich auch nach der Eigenthüm-
[XXVII]Einleitung.
lichkeit der altbulgarischen Quellen für četyrje (чєтырѥ) = četyrĭje (чєтырьѥ)
stehen kann. Im Slavischen und Litauischen fallen nun die i-Formen in die all-
gemeine Regel dieser Sprachen, die alten consonantischen Formen ausser in No-
minativen, Genitiven und zuweilen Accusativen durch die Formen der i-Stämme
zu ersetzen. Es ist daher ganz zweifelhaft, ob irgend ein historischer Zusammen-
hang mit den germanischen Formen stattfinde.


Von weit grösserem Gewicht sind die weiteren bei Schmidt S. 7 angeführten
Punkte: die Zahlbildung mit got. -lif, -lib, lit. -lika, das gleiche Wort für die
Zahl 1000, die Verwendung des nasalen Suffixes oder Infixes zur Präsensbildung
mit inchoativer oder passivisch-intransitiver Bedeutung, Punkte, die ich hier
nicht weiter auszuführen brauche. Rechnet man dazu noch besondere Eigen-
thümlichkeiten in stammbildenden Suffixen wie das gemeinsame -iska- u. a.,
ferner diejenigen Uebereinstimmungen zwischen Slavisch-litauisch und Ger-
manisch, die beide Familien nach der bisher geltenden Anschauung als zur euro-
päischen Abtheilung gehörig characterisiren, so scheint es mir zum wenigsten
noch eine plausible Vermuthung zu sein, dass dem Slavisch-litauischen und Ger-
manischen eine besondere Entwicklungsgeschichte zuzuschreiben sei. Wir haben
noch, und darauf kommt es mir hier an, das Recht, den Versuch zu machen, ob
das Litauisch-slavische sich mit dem Germanischen zu einer besonderen Gruppe
mit einer vom Ganzen des Sprachstammes oder anderen Theilen desselben ge-
trennten Entwicklung vereinigen lasse. Das Gelingen eines solchen Versuches
bleibt dabei natürlich ganz dahingestellt.


Fragt man sich, von welcher Seite her dieser Versuch am zweckmässigsten
anzustellen sei, so darf der Wortschatz, wie oben bemerkt, erst in letzter Reihe
berücksichtigt werden. Das Gebiet, auf welches man zu allererst Rücksicht zu
nehmen hätte, die Entwicklung der Laute aus dem ursprünglichen Bestande
heraus, bietet abgesehen von einer Erscheinung, der Wandlung des bh von
Casusendungen in m, keine Ausbeute: bei der Vergleichung des litauisch-slavischen
Lautsystems mit dem germanischen kommt man durchweg auf die allgemein indo-
germanische oder wenigstens europäische Grundlage. Es bleiben also Flexion
und Stammbildung, oder um für die letztere einen hier passenderen Ausdruck
zu brauchen, Bildung und Anwendung der Ableitungssuffixe. Sprachen, deren
ganzer Habitus nicht zweifelhaft lässt, dass sie eine längere gemeinsame Ge-
schichte durchlaufen haben, pflegen in der Flexion Erscheinungen darzubieten,
die nur ihnen gehörig auf Verlassen oder Umbilden der indogermanischen Grund-
formen beruhen; man vgl. in dieser Beziehung die Flexion der beiden arischen
Sprachen mit der Flexion der übrigen indogermanischen Sprachen, die des Sla-
vischen und Litauischen mit der einer anderen europäischen Gruppe, die eigen-
thümlichen und gleichartigen Neuerungen in der Conjugation im Italischen und
Keltischen. Neubildungen in der Flexion gelten mit vollem Recht als Haupt-
kriterien engerer Verwandtschaft: da die Mittel eine verlorne oder sich verlierende
alte Form zu ersetzen sehr mannichfaltig sind und keine allgemeinen sprachlichen
Gesetze nothwendig auch auf verschiedenem Boden zur Anwendung dieses oder
jenes bestimmten Mittels führen, ist immer die grösste Wahrscheinlichkeit dafür,
[XXVIII]Einleitung.
dass die Anwendung gleicher Mittel auf historischem Zusammenhang beruhe.
Dasselbe lässt sich von der besonderen Ausbildung und Anwendung der stamm-
bildenden Suffixe sagen.


Die folgende Darstellung der Declination des Slavisch-litauischen und Ger-
manischen ist mit der Absicht unternommen zu untersuchen, ob gemeinsame
Züge einer besonderen Entwicklung dieses Theiles der Flexion vorhanden sind,
und ob demnach dieses Gebiet auf eine gemeinsame Sondergeschichte dieser Fa-
milien zu schliessen erlaubt. Dass dabei oft auch das Verhältniss der slavisch-
litauischen Formen zu denen der arischen Sprachen und die Frage nach der älte-
sten Form dieses oder jenes Casus herangezogen werde, war unumgänglich; es
war aber nicht meine Absicht, dahin zielende Untersuchungen weiter zu führen
als für den vorliegenden Zweck erforderlich schien.


Bei der Untersuchung bin ich, wie das S. 1 kurz ausgesprochen ist, von dem
Grundsatz ausgegangen, dass die uns überlieferte Gestalt eines Casus niemals
auf einer Ausnahme von den sonst befolgten Lautgesetzen beruhe. Um nicht
missverstanden zu werden, möchte ich noch hinzufügen: versteht man unter
Ausnahmen solche Fälle, in denen der zu erwartende Lautwandel aus bestimmten
erkennbaren Ursachen nicht eingetreten ist, z. B. das Unterbleiben der Verschie-
bung im Deutschen in Lautgruppen wie st u. s. w., wo also gewissermassen eine
Regel die andre durchkreuzt, so ist gegen den Satz, die Lautgesetze seien nicht
ausnahmslos, natürlich nichts einzuwenden. Das Gesetz wird eben dadurch nicht
aufgehoben und wirkt, wo diese oder andre Störungen, die Wirkungen andrer
Gesetze nicht vorhanden sind, in der zu erwartenden Weise. Lässt man aber
beliebige zufällige, unter einander in keinen Zusammenhang zu bringende Ab-
weichungen zu, so erklärt man im Grunde damit, dass das Object der Unter-
suchung, die Sprache, der wissenschaftlichen Erkenntniss nicht zugänglich ist.


Einige Ergänzungen erlaube ich mir hier zum Schlusse beizufügen. In der
Besprechung des Ablativs (S. 35 ff.) hätte der Gathadialekt herangezogen wer-
den müssen als Beweismittel für die ursprüngliche Beschränkung des Ablativs
auf die msc.-ntr. a-Stämme, da er den Casus ebenfalls nur bei diesen Stämmen
kennt (s. Hübschmann, Zur Casuslehre S. 240). Was das S. 37 erwähnte Schick-
sal des t nach ai, au im Altpersischen betrifft, so macht mich Dr. Hübschmann
aufmerksam, dass naiy (nicht) als dem zend. noiṭ entsprechend Verlust des t hat
und derselbe Verlust in ciy = ciṭ eingetreten ist. Demnach würden altpersische
Ablative von i-Stämmen z. B. *Caispai gelautet haben. In dem Abschnitt über
den acc. plur. S. 104 hätte dem Satze: «in keiner der drei Familien ist ein urspr.
acc. plur. der consonantischen Stämme vergleichbar erhalten», beigefügt werden
sollen, was mich veranlasst, die in den Grammatiken aufgeführten consonantischen
Formen des acc. pl. im Litauischen und Slavischen unberücksichtigt zu lassen.
Schleicher führt Lit. Gr. S. 193 dùkteres an (mit der Note «uralte Form! Grund-
form duktaras»). Er scheint sie später nicht mehr so angesehen oder für zweifel-
haft gehalten zu haben, da es Comp. 3 532 heisst: «alle consonantischen [lit.
Stämme] gehen nach der i-Form, ákmenis u. s. w.» In der That wäre für ein
*duktaras lit. *dukters zu erwarten, vgl. gen. sg duktèrs, nom. pl. dùkters, und
[XXIX]Einleitung.
da nicht angegeben ist, woher die Form stammt oder welchem Dialekt sie ent-
nommen ist, kann sie ganz wohl = dùkteris sein; i und e in Endsilben sind
dialektisch oft nicht zu unterscheiden; und selbst wenn e = e ist, könnte die
Form immer noch nach Analogie von żolès (-St.) gebildet sein. Sonstige Bei-
spiele der Art sind mir nicht bekannt. Die slavischen Formen matere, crĭkŭve,
kamene
, wie sie Miklosich (Altslav. Formenlehre in Parad.) als acc. pl. in den
betreffenden Paradigmen hat, würden die allgemein indogermanische Endung
-as zeigen, somit nichts besonderes bieten. Der Grund, weshalb ich sie weg-
gelassen, ist der, dass ich keine sicheren Belege dafür habe finden können; einer,
den Miklosich, Vgl. Gr. II, S. 53 gibt, jelene, ist aus einer serbisch-kirchensla-
vischen Quelle des 15. Jahrh. und beweist nichts, da das e die aus dem ę der
ja-Stämme hervorgegangene serbische Accussativendung sein kann.

[[XXX]][[1]]

Die Declination im Slavisch-litauischen und
Germanischen.


A. Der Nomina.


Die Declination, d. h. die feste Verbindung von Stämmen mit bestimmten
Casussuffixen, war vollendet vor der Trennung der indogermanischen Sprachen.
Die vergleichende Grammatik einer einzelnen Gruppe dieser Sprachen hat es da-
her nicht zu thun mit dem Ursprung der Casussuffixe, mit der etwa zu vermuthen-
den ältesten Form und ursprünglichen Bedeutung, sondern mit der Gestalt und
Geschichte der Wortformen, die aus der Verbindung von Stamm und Casus-
suffixen hervorgegangen sind, den Casus. Wenn z. B. derselbe Casus bei a- und
u-stämmen verschiedene Formen des Suffixes zeigt, so berührt uns die Frage
nicht, ob möglicher oder wahrscheinlicher Weise diese verschiedenen Suffix-
formen doch ursprünglich gleich sind oder gemeinsamen Ursprung aus einer
dritten zu Grunde liegenden haben; wir haben nur zu fragen: welches ist die
älteste für uns erreichbare Gestalt dieses Casus bei den a-stämmen, welches bei
den u-stämmen. Ja selbst die Verbindung des Stammes mit dem Suffix und die
etwa dabei obwaltenden Lautgesetze gehören nicht in unser Gebiet, da jene Ver-
bindung längst vor der Enstehung der einzelnen Gruppen vollzogen war. Die
Antworten auf die angedeuteten Fragen hat die allgemeine vergleichende Gram-
matik des indogermanischen Sprachstammes zu geben. Es versteht sich freilich
von selbst, dass jede Vergleichung einer bestimmten Anzahl indogermanischer
Sprachen die Kenntniss und Benutzung der bereits vorhandenen Resultate nach
dieser Richtung voraussetzt, es kann aber nicht als ihre Aufgabe angesehen werden,
dieselben zu vermehren.


Die bestehenden Casusformen, Worte in Schleichers Sinne, von denen hier
allein die Rede sein soll, sind denselben lautlichen Processen unterworfen, wie
alle anderen Bildungen der Sprache, ein, wie es scheinen muss, selbstverständ-
licher Satz, in thesi auch von den Grammatikern zugegeben, in praxi aber viel-
fach unbeachtet gelassen. Bei der Behandlung der Declinations-, ja aller Flexions-
formen von Seiten der vergleichenden Grammatik ist eine gewisse Neigung
vorhanden, Bildungen, die nach den sonst bekannten und befolgten Gesetzen,
namentlich des Auslautes, sich nicht in gerader Linie erklären lassen, als Aus-
nahme von diesen Gesetzen zu erklären oder, was auf dasselbe hinausläuft, be-
sondere Regeln für jene Formen aufzustellen. Dies Verfahren führt leicht dazu,
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 1
[2]a. Declination der Nomina.
gegen die Lautgesetze Bildungen einer einzelnen Sprache mit vorhandenen ve-
dischen und sanskritischen zu identificiren und so als uralt hinzustellen, während
sie in der That oft sehr späten Ursprungs sind. Ferner herrscht, wo solche Ver-
gleichungen nicht möglich sind, die Gewohnheit, eine bestimmte unerklärbare
Bildung mit Anwendung der bekannten Entwickelungsgesetze der Laute in die
Periode der Ursprache zurückzuverlegen und so hypothetische Grundformen, z. B.
der Casus einer Einzelsprache oder einer Gruppe anzusetzen, die niemals existirt
haben. Beispiele dieser von demselben Punkte ausgehenden falschen Richtungen
werden uns unten begegnen.


Dieser Stand der Dinge macht es nothwendig, jede Casusform der drei
Sprachen, mit denen wir es hier zu thun haben, einer genauen Prüfung zu unter-
werfen, deren Richtschnur die Frage sein wird: ist die für einen jeden Casus von
der vergleichenden Grammatik bisher angenommene Grundform wirklich die,
aus der nach den bekannten Entwicklungsgesetzen der betreffenden Sprache der
Casus hat entstehen können? Um dem vielfach angefochtenen und in der That
missbrauchten, aber bequemen Worte Grundform einen für den Bereich dieser
Arbeit unzweifelhaften Sinn zu geben, sei hier bemerkt, dass, wenn keine
näheren Bestimmungen hinzugefügt sind, unter Grundform, z. B. eines Casus,
jedesmal diejenige Gestelt zu verstehen ist, die derselbe hatte unmittelbar vor
oder in der Zeit der Trennung der bestimmten Einzelsprache von der ihr im
Kreise der indogermanischen nächst verwandten, also z. B. eine slavische Grund-
form werden wir diejenige nennen, die dem betreffenden Worte zukam bei der
Trennung des Slavischen vom Litauischen, oder, was mit anderen Worten das-
selbe sagt, diejenige Form, welche mit Anwendung der bekannten Entwicklungs-
gesetze der Einzelsprache die für diese anzusetzende älteste Gestalt repräsentirt.


Die Entwicklung einer bestimmten Flexionsreihe, also hier der Declination,
unterliegt dem Einfluss zweier Momente. Jede Sprache besitzt zur Zeit ihres
Entstehens als Einzelsprache eine gewisse Anzahl von Casusformen, herüber-
gebracht aus der Periode ihres Zusammenlebens mit einer oder mehreren ver-
wandten Sprachen. Diese Formen nehmen ausnahmslos die Gestalt an, welche
die Wirkung der Lautgesetze, vor allen der hier namentlich in Betracht kommen-
den Auslautsgesetze, hervorbringen muss. So weit ist die Entwicklung einfach
und, wie man sagen kann, regelrecht. Nun erscheinen aber thatsächlich in der
einen Sprache mehr, in der anderen weniger Bildungen, deren Gestalt durch
die Wirkung der Lautgesetze nicht erklärt werden kann, aber auch nicht erklärt
werden darf; sie sind der Stammclasse oder der Function, der sie dem Sprach-
gebrauche nach anzugehören scheinen, ursprünglich fremd, einer anderen Stamm-
classe entlehnt oder mit einer ihnen von Hause aus nicht zukommenden Function
versehen, mit einem Worte Analogiebildungen. Beide Momente, lautgesetzliche
Umbildung und Analogie, erklären die in einer bestimmten Periode vorhandene
Gestalt der Declination einer Sprache, wie jeder Art der Flexion, und nur diese
beiden Momente kommen in Betracht. Untersuchen wir also nach dem ange-
gebenen Princip die einzelnen Casusformen unsrer Sprachen, und zwar so, dass
bekanntes oder ohne Schwierigkeit erkennbares vorangestellt und seine Bedeutung
[3]i. Die Casus des Singulars.
angegeben wird, ehe die unklaren oder schwierigeren Punkte an die Reihe kom-
men. Dazu sei mir noch eine Vorbemerkung gestattet: die mir vorschwebende
Untersuchung lässt sich nicht führen, ohne oft ins allerspeciellste der Lautgesetze
namentlich des Slavischen und Litauischen einzugehen. In keiner der vorhan-
denen Grammatiken ist die Lautlehre genügend dargestellt, noch viel weniger in
den vergleichenden Grammatiken; da es nun an diesem Orte unmöglich ist, eine
ausführliche, systematische Lautlehre jener Sprachen vorauszuschicken, sind Di-
gressionen, oft längere und schwierige, auf das Gebiet der Lautlehre unumgäng-
lich und für die Beweisführung durchaus nothwendig.


I. Die Casus des Singulars.


1. Nominativ singularis.

A. Der i-, u- und masc. a-stämme.

Im Litauischen lautet der nom. sing. der i- und u-stämme -i-s, -u-s bis auf
den heutigen Tag (akìs, sūnùs), im Slavischen verlangt das Auslautsgesetz den
Abfall des -s, es lauten daher die Nominative auf -ĭ, -ŭ aus (nostĭ = naktìs,
synŭ
= sūnùs); nach germanischen Auslautsgesetzen muss i vor dem auslauten-
den s schwinden, u bleiben (maht-s, sunu-s). Die Formen -i-s, -u-s sind die
allen indogermanischen Sprachen gemeinsamen, haben die regelrechte lautgesetz-
liche Entwicklung in unsern drei Sprachfamilien durchgemacht und sind so-
mit ohne Bedeutung für die Charakteristik derselben als einer besonderen Gruppe.


Dasselbe ist zu behaupten vom nom. sing. masc. der a-stämme: das li-
tauische -a-s (vìlka-s), das lautgesetzlich ebenfalls auf -a-s zurückgehende ger-
manische -s (vulf-s), für das man nach den bekannten Spuren ältester Runen-
inschriften noch -a-s ansetzen kann, wie bei den i-stämmen -i-s, geben die
allgemeine indogermanische Form des Casus. Diese muss einmal auch für das
Slavische gegolten haben, und wir könnten uns damit begnügen, dass diese
Casusform ebenfalls für die Charakteristik der Gruppe nichts bedeutet. Allein es
soll doch zugleich festgestellt werden, ob von einer bestimmten, ehemals der
ganzen Gruppe gemeinsamen Grundlage aus die vorhandenen Formen der ein-
zelnen Familien wirklich erklärt werden können, ob hier nicht Störungen ein-
getreten sind. Das ist aber gerade bei der slavischen Nominativform auf (vlŭkŭ)
der Fall. In den vergleichenden Grammatiken (s. Bopp I3, 539, Schleicher, Comp. 3,
514) gilt das ŭ für die regelrechte lautgesetzliche Vertretung eines ursprünglichen
-as, s sei nach der allgemeinen Regel abgefallen, a zu ŭ geschwächt. Das letztere
ist aber in dieser Stellung nach slavischen Lautgesetzen nicht möglich. Die Ent-
stehung eines ŭ aus ursprünglichem a ist überall im Slavischen an bestimmte
Bedingungen geknüpft; hier geht uns nur das Vorkommen desselben im Auslaut
an. Die dabei in Betracht kommenden Gesetze sind folgende:


1. in Endsilben (Flexions- und Ableitungssilben) entsteht ŭ
1*
[4]a. Declination der Nomina.
aus ursprünglichem a nur vor folgendem Nasal. Die Fälle sind: 1. sg.
aor. simpl. der Verbalstämme auf a, ursprünglich auslautend auf -am, slavisch
(nesŭ, ich trug); 1. sg. aor. comp., ursprünglich auf -sam, slavisch -sŭ oder
-chŭ (nesochŭ); acc. sg. msc. der a-stämme, ursprünglich -am, slavisch (gradŭ,
Stadt); gen. plur., ursprünglich auf -ām, slavisch mit verkürztem Vocal als -am
anzusetzen (s. u. beim gen. plur.), dafür ŭ (kamen-ŭ zu Stamm kamen-, Stein);
dat. plur., Grundform des Suffixes -mans, slavisch -mŭ (grado-mŭ); part. praet.
act. im nom. sg. msc.-ntr. nesŭ, Suffix , dessen Grundform für das Slavisch-
litauische -ans- ist; pron. 1. pers. azŭ, vgl. skrt. ahám, griechisch ἐγών u. s. w.;
die Präpositionen (in, an), (mit), (zu), zurückgehend auf *an, *sam (vgl.
są-logŭ und sonst - in Nominalcomposition), *kam (s. Beitr. z. vgl. Spr. VIII,
101), die Part. (aber), deren Nebenform den Nasal noch zeigt. Das -mŭ der
1. plur. verbi (nese-mŭ) widerspricht nur dann, wenn man als indogermanische
Grundform -masi (-mas) ansetzt; es ist aber -mans anzunehmen, schon wegen
des griechischen -μεν und -μες, ein Nebeneinander, das sich nur so befriedigend
erklären lässt (s. Scherer, Z. Gesch. d. d. Spr. 193).


2. Ursprüngliches -as im Auslaute wird im Slavischen zu-e
oder -o, je nach dem bereits in vorslavischer Zeit der Vocal zu e geschwächt war
oder noch als a erhalten ins Slavische überging, wo es dann zu o ward. Die
Fälle sind: 2. sg. aor. der Verbalstämme auf -a, ursprünglich auslautend auf
-as, slav. -e (nese); 2. sg. imperf. nesěa-še, ursprünglicher Auslaut des Hülfs-
verbums -sas; nom.-acc. sg. der -as-stämme, slavisch o (slovo); gen. sing. der
consonantischen Stämme, ursprünglich Suffix -as, slavisch -e (kamen-e); nom.
pl. der consonantischen, msc. i- und u-stämme, ursprünglich -as, slawisch -e
(kamen-e, pątij-e, synov-e
).


3. Woursprünglich a auslautete, steht nicht ŭ, sondern e oder
o, jenachdem in vorslavischer Zeit der Vocal bereits zu e geworden oder als a
verblieben war, daher voc. sg. msc. a-stämme vlŭče, vgl. litauisch vilkè, voc. sg.
fem. a-stämme ženo = *genă, wo die Kürze das alte Characteristicum des Voca-
tivs ist.


Auf den vorliegenden Fall diese Regeln angewendet, ergiebt sich folgendes
Resultat: die Nominativendung war ins Slavische übergegangen als -as, wie das
Litauische und Deutsche beweisen; daraus kann an sich -e entstehen, aber dieser
Vorgang war durch die Entwicklungsgeschichte der Sprache abgeschnitten, weil
die allgemeine Regel die ist, dass die Vocalspaltung a : e vor der Geschichte der
europäischen Einzelsprachen abgeschlossen ist, also auch für das Slavische, und
die übrig gebliebenen kurzen a, je nach der Vocalentwicklung der Einzelsprache,
nur zu o werden oder a bleiben konnten. Demnach musste lautgesetzlich ein
Nominativ auf -o entstehen: *vlŭko. Der Verlust dieser Form erklärt sich durch
das Zusammenfallen mit dem nom.-acc. sg. der Neutra, wie slovo, dělo; die
Sprache liess diese Nominativform beim msc. ganz fallen, und ersetzte sie durch
den Accus., daher die Endung . Dieser Vorgang mag bei einer Sprache, die
theils wirklich sehr alterthümlich ist, theils noch mehr dafür angesehen wird, als
sie es thatsächlich ist, auffallend erscheinen, wird aber sofort durch eine Be-
[5]i. Die Casus des Singulars.
trachtung andrer Stammclassen einleuchtend. In der vocalischen Declination
können nur die fem. a-stämme einen vom nom. unterschiedenen acc. bewahren
(žena, ženą), bei allen i- und u-stämmen fallen nothwendig nom. und acc. sg.
lautgesetzlich zusammen · noštĭ, fem. = lit. naktìs und nàktị für naktin; oder msc.
zęlĭ (Schwiegersohn) = lit. gentìs (Verwandter) und gènti̧; synŭ = lit. su-
nùs
und súnų für sunun. Ferner fällt nothwendig der acc. sg. msc. der a-
stämme auf urspr. -am mit dem der u-stämme auf-um zusammen, vlŭkŭ wie synŭ,
es lag also sehr nahe, wie bei diesen die beiden Casus zusammengefallen waren,
sie auch bei jenen auszugleichen. Die Verwendung von Accusativformen zur
Function des Nominativs wird uns im Slavischen noch oftmals begegnen; in der
ferneren Entwicklung der slav. Sprachen nimmt sie immermehr überhand, so
dass einzelne der modernen Sprachen, z. B. das Russische, ausser dem nom. sg. fem.
der ā-stämme gar keine wirklichen Nominativformen besitzen, auch im Plural nicht.


B. Nom. sg. fem. der ā-stämme.

Von einem vielleicht einmal dem Auslaute dieses Casus zukommenden -s,
als wirklichem Casussuffixe, findet sich hier keine Spur mehr, der Stamm bildet
zugleich die Nominativform, und diese bietet, da sie für alle drei Sprachen als
anzusetzen ist, nichts für das Verhältniss zu den übrigen indogermanischen
charakteristisches; nur um allen Zweifel abzuschneiden, soll hier die Frage
berührt werden, ob vielleicht eine der Specialgeschichte der einzelnen Glieder
unserer Dreiheit vorangehende Verkürzung des auslautenden ā stattgefunden
habe, da thatsächlich die Kürze in allen dreien herrschend ist. Das ist erweislich
nicht der Fall gewesen, im Slavischen wäre ein vorslavisches ă im Auslaut zu
o geworden (vergl. den voc. sg. ženo und das oben angeführte Gesetz), im Ger-
manischen nach dem Auslautsgesetze abgefallen, dort žena, hier giba weisen also
nothwendig auf auslautendes ā als unmittelbare Vorstufe. Die Verkürzung des
ā, wo dieser Vocal sicher als Kürze erscheint, und das ist im Litauischen der
Fall, während wir für das Slavische die wirkliche Quantität für die Zeit
unsrer ältesten Quellen nicht bestimmen können, muss also in der Periode
der Einzelsprachen eingetreten sein. In Befolgung des Grundsatzes, das gewon-
nene Resultat an der weiteren Entwicklungsgeschichte der einzelnen Sprachen
zu prüfen, sei hier hinzugefügt, dass die Verkürzung im Litauischen eingetreten
sein muss, ehe die Verwandlung der langen ā in ō begann, weil sonst nicht
Formen wie lë́pa (Linde), sondern *lëpo entstanden wären. Nun findet sich in
dem pomesanischen Vocabular, dass die Endung dieses Nominativs o ist (mergo
= litauisch mergà, glawo = litauisch galvà u. s. w. (s. das Verzeichniss bei
Pauli, Preuss. Studien, Beitr. VII, 159), gegenüber dem Dialekt der Katechismen,
der a hat (Vocab. menso, Kat. mensa, Fleisch). Pauli (Beitr. VII, 437) ist der
Meinung, dies o sei eine Verdumpfung von bereits verkürztem a, entspreche also
nicht dem litauischen ō = ā. Mir scheint aber die Sache so zu stehen, dass man
sich nach dem vorliegenden Thatbestande ebensowohl für die Länge des ō = ā
entscheiden kann: die Mundart des Vocabulars schwankt zwischen o (oa) und a
[6]a. Declination der Nomina.
als Vertretern eines ursprünglichen ā, beide stehen in Wurzelsilben litauischem ō
gegenüber, vgl. mothe = litauisch. mōtė́ (Weib, preuss. noch Mutter), aber po-
matre
(Stiefmutter), nozy = litauisch. nósis (Nase), aber po-nasse (Oberlippe);
die Fälle, wo pomesanisches o litauischem kurzem a der Wurzelsilbe entspricht,
beruhen auf der besonderen Einwirkung von folgendem r, l (Pauli, Beitr. VI,
424), sind also hier nicht massgebend; es bleibt daher die Möglichkeit bestehen,
dass im nom. sg. fem. das o die alte Länge sei.


Die Sprache der preussischen Katechismen bietet auch hier, wie so oft, Be-
sonderheiten und einige räthselhafte Eigenthümlichkeiten. Die grosse Ueber-
zahl der Beispiele zeigt ganz klar, dass die regelmässige Endung ā ist, so dass
wir für die Abweichungen davon nach einem besonderen Grunde zu suchen
haben. Lautgesetzlich ohne Schwierigkeit der Erklärung sind die Formen gallǻ
(Kopf), mêrgu (Mädchen), widdewǻ (Wittwe), litauisch galvà, preuss. gen. sg.
galwas, litauisch mergà, aber preussische Katechismen I. II. acc. sg. mergwan,
also beruht das ǻ auf der Einwirkung des vorangehenden Labials und Verwand-
lung des in vū, ǻ, daher auch z. B. der dat. plur. mergǻ-mans. Ausserdem
findet sich dieselbe Nominativform bei aucktimmiskǻ (Obrigkeit), deiwǻtisku
(Seligkeit), labbisku (Güte), seilisku (Andacht), und einmal adjectivisch gebraucht,
aina peronisku enteikusna III, 39 (eine gemeine Ordnung); da dies der einzige
Fall eines adjectivischen nom. sg. fem. auf -u ist, darf man annehmen, dass hier
nur eine Verwechslung von Seiten des Uebersetzers mit dem Substantiv «Ge-
meine» vorliegt. Die Beispiele gehören demnach alle zu einer bestimmten Kate-
gorie von Worten und sind ganz gleichmässig Ableitungen mit dem bekannten
Adjectivsuffix -iska-, dass sie aber wirkliche Adjectiva seien, ist mir aus folgen-
den Gründen unglaublich. Wenn man, was ja durchaus im Bereiche der Mög-
lichkeit liegt, annähme, es sei ursprünglich ein femininales Substantiv zu sup-
pliren, so fehlt dabei die Möglichkeit des Nachweises, woher die im Preussischen
ausser nach v sonst nicht vorkommende Wandlung des alten ā in u gerade hier
komme. Wollte man ferner annehmen, es stehe der acc., wie in diesen Quellen
oft genug, für den nom., -u also zunächst für -un aus -an, so ist dagegen zu
sagen, dass zwar Accusative auf -un = -an und neben -an häufig genug sind,
dieselben aber das n nicht verlieren (vgl. kailǻstiskun III, 23, Gesundheit). Offen-
bar wäre die Sache erklärt, wenn man jene Formen als wirkliche Substantiva
fasst, abgeleitet von Adjectiven auf -iska- durch Suffix -vā, das zur Bildung des
Abstractums verwendet wäre, wie -ja- im gotischen barniskei fem., barniski ntr.
(Kindheit) von barniska- (vergl. ähnliche Bildungen im Nordischen und anderen
germanischen Dialekten bei Grimm, Gr. II, 372 f.). Im Litauischen und Let-
tischen ist -va- oder seine Nebenformen, wie -vė = -vjā, kein häufiges Suffix
(Schleicher, Lit. Gr. p. 109 hat nur primäre Bildungen, wie kal-và, Höhe, zu
kél-ti, genau entsprechend ist smár-vė, Gestank, zu smird-ė́ti), aber offenbar eng
verwandte Suffixformen dienen auch im Litauischen zur secundären Ableitung,
z. B. senóvė (Alterthum) von sénas (alt), womit dann namentlich slavische Bil-
dungen wie gąštava (Dickicht) = *gąstjava zu gąstŭ (dicht) zu vergleichen
sind; so dass gegen die oben angenommene Verwendung des -vā im Preussischen
[7]i. Die Casus des Singulars.
sich principiell kaum etwas wird einwenden lassen. Vielleicht lässt sich nun
auch noch in den preussischen Denkmälern selbst das v nachweisen: Kat. III, 72
steht sen alkînisquai (dat. sg. mit Kummer, eigentlich «mit Hunger»); es ist das
einzige Mal, dass qu in einer der hier besprochenen Bildungen vorkommt, und
es scheint diese Schreibung daher nicht von besonderer Bedeutung zu sein. In-
dess ist es doch beachtenswerth, dass das Vorkommen des Zeichens qu in Kat. III
derart wechsellos und consequent ist, dass wir Grund haben, es überall als wirk-
liches k + v zu fassen. Sicher ist das in dem Verbalstamme quoit-, quait-
(wollen), der in allen Ableitungen nie anders geschrieben wird und dem litaui-
schen kvët- (in kvëczù, einladen, der Mittelbegriff ist «fordern») gleich ist; ebenso
steht es bei preuss. quei (wo), quendau (woher, in is-quendau), man braucht
zur Bestätigung nur die Correlativa stwi (da), stwen (dorthin), stwendau (von
dort her) zu vergleichen. Wenn ferner der nom. pl. relat. (Stamm ka-) stets quai
oder quoi und nie anders geschrieben wird, ebenso die eigenthümliche Form
des nom. sg. fem. quai, alle anderen Formen und Ableitungen dagegen nie anders
als mit k vorkommen, so wird man nicht umhin können, in dieser Consequenz
auch einen Unterschied der Laute zu finden, also qu als wirkliches kv zu fassen.
Endlich steht qu noch in dem III, 45, 47 vorkommenden poquelbton, das als
Uebersetzung von «kniend» dient, seiner Form nach (es ist part. perf. pass.)
kaum etwas anderes bedeuten kann, als «gekrümmt, gebogen», und mit litaui-
schem kìlpa (Bogen, Bügel, Steigbügel, Schlinge), vielleicht auch mit kalpa, preus-
sich Vocab. kalpus (Rungenbrett) zu vergleichen ist (auf die Schreibung b vor t
ist nichts zu geben, in der Aussprache kann hier nur p gewesen sein, und man
darf dies also ohne weiteres ansetzen). Litauisches klúpoti (knien) kann wegen
des Vocalismus direct wenigstens nicht herangezogen werden, dagegen liegt das
germanische *hvilban (got. nur in hvilftri erhalten) völlig nach Laut und Be-
deutung stimmend sehr nahe, und hier haben wir kv. Bei dieser Sachlage wird
es doch mindestens sehr wahrscheinlich, dass auch jenes alkînisquai richtig auf-
geschrieben ist und uns den letzten Rest der sonst durch den Verlust des v ver-
lorenen Formen erhalten hat (zu diesem Verluste des v vergl. den acc. mergan
im Katech. III gegenüber dem mergwan von I und II und lit. mergà). Die beiden
anderen Katechismen können, was die Schreibung mit qu betrifft, wenn man nur
auf die einzelnen Beispiele sieht, ebenfalls herangezogen werden: I an-terpins-
quan
(eigentlich «in Nutzen»), II salobisquan (Ehe), peronisquan (Gemeine); in
I kommt in der That daneben nur das richtige qu = kv in quaits (Wille) vor, in
II aber auch enquoptzt (begraben), krichstianisquan acc. sg. adj. (christlich),
griquan gen. pl. (Sünde, St. grika-), aber dieser zweite Katechismus ist in der
Orthographie von den dreien der am meisten verwahrloste und inconsequenteste,
so dass sein Gegenzeugniss wenig bedeutet.


Ich hielt es nicht für überflüssig, diese Auseinandersetzung hier aufzu-
nehmen, weil man in sprachwissenschaftlichen Werken, namentlich slavischer
Gelehrter, nicht selten die Neigung trifft, in vereinzelten absonderlichen Formen
etwas uralterthümliches zu finden und von ihnen aus allerlei weitgehende Schlüsse
zu machen. Ebensowenig wie in den Nominativen auf -u etwas anderes als
[8]a. Declination der Nomina.
eine lautliche Umbildung von Formen auf (-vā) steckt, ebensowenig glaube
ich, dass uns in den vereinzelten nom. sg. fem. auf -ai (zuweilen auch -ei) etwas
anderes als eine speciell preussische Entwicklung vorliegt, obwohl ich eine Er-
klärung derselben nicht geben kann. Der Versuch könnte nur gemacht werden
durch Herbeiziehung der mannigfachen auslautenden ai des Preussischen, z. B.
in den Personalsuffixen, wo die anderen Sprachen keine Diphthonge bieten, was
uns hier zu weit führen würde; es wird sich indess bei der Besprechung der
pronominalen Declination eine Gelegenheit finden, auf diesen Punkt zurückzu-
kommen. Die Beispiele sind: aucktimmiskai (neben aucktimmiskǻ), deiwutiskai
(neben deiwǻtisku), crixtisnai (neben crixtisnă), mensai (neben mensă, Fleisch),
switai (Welt), giwei (Leben), schlusnikai (Dienerin); adj. poklusmai (gehorsam),
uschtai (sechste), septmai (siebente), pirmoi (erste, hier aber daneben pirmois als
masc.); pron. stai (neben sta, die), quai, quoi (welche); das von Nesselmann
(Spr. d. alten Pr. S. 48) noch angeführte peisalei (stai — III, 52) kann ebenso-
wohl nom. plur. msc. sein. Die angeführten Beispiele sind schwerlich gleicher
Art: die adjectivischen können der zusammengesetzten Declination angehören,
und dann erklärt sich das i aus dem angefügten Pronomen -ja; die pronominalen
sind mit den litauischen neutr. tai u. s. w. zu vergleichen, wo das i auf einer
angehängten Partikel beruht; und was die substantivischen betrifft, so könnte
man bei dem Zustand der Uebersetzung allenfalls auf den Gedanken kommen,
dass der Uebersetzer zuweilen die pronominale Form missverständlich auf Sub-
stantiva übertragen habe. Aehnlichen Dingen werden wir öfter begegnen.


Anhang. Im vorstehenden sind die ursprünglichen ja-stämme übergangen
worden, um deren besondere Erscheinungen für beide Genera zusammen-
fassen zu können. Alles, was die msc. ja-stämme in den einzelnen Familien
besonderes bieten, gehört der Specialgeschichte derselben an, beruht auf ihren
besonderen Lautgesetzen. Im Litauischen liegen die sogenannten uncontrahirten
Formen wie kélias (Weg) zum Theil neben den contrahirten kélis, kelýs; die
meisten Beispiele sind fest, entweder contrahirt oder nicht contrahirt. Das Sla-
vische kennt die im Litauischen als Contraction bezeichnete Erscheinung gar
nicht: entweder das j verbindet sich mit dem vorhergehenden Consonanten zu
den gesetzmässigen Consonantendiphthongen, plačĭ (fletus) = *plak-jŭ zu plak-
ati
(weinen), oder das j bleibt als solches erhalten, kon-jĭ (Ross), in jedem Falle
musste ŭ zu ĭ werden. Aus der fehlenden Uebereinstimmung des Litauischen
und Slavischen ergiebt sich ohne weiteres, dass als Grundform für beide unver-
ändertes -ja-s anzusetzen ist, und damit zugleich, dass die germanischen Formen,
got. harjis, hairdeis ebenfalls nicht der Vorgeschichte dieser Familie angehören.


Etwas weniger leicht ist die Entscheidung beim Femininum. Alle drei Fa-
milien zeigen hier Formen mit i (ë) statt im Auslaut. Im Slavischen gehören
hierher:


1. die auf Suffix -ynjā-, z. B. добрыни (virtus) l. dobrynji, vergl. die
Aufzählungen bei Miklos. Gr. III, 39; Bild. der Nomina p. 53;


2. die vereinzelten Feminina ладии (Schiff) l. ladiji, млънии (Blitz), l.
mlŭniji, мравии (Ameise), l. mraviji, алънии (cerva), l. alŭniji;


[9]i. Die Casus des Singulars.

3. eine Anzahl Nomina (meistens nom. agentis) masc. gen., aber femininaler
Flexion auf Suffix -ijā- nom. sg. -ии, d. i. -iji, z. B. сждии (Richter), sądiji,
gen. sądiję, acc. sądiją u. s. w., письчии (Schreiber), pisĭčiji, vergl. Miklos.,
Bild. d. Nomina; Vgl. Gr. III, 40.


4. Participium praes. act., part. praet. act. I, und die Comparative, deren
Stämme zum Behufe der Femininalbildung das Suffix -jā- anfügen: part. praes.
nesąšti, part. praet. act. I nesŭši, comp. dobrějĭši zu den Stämmen: nesąt-, nesŭs-,
dobrějĭs-


5. nom. sg. fem. des Pronomens (dieser) — si.


Zunächst ist hier anzumerken, dass die lautliche Gestalt der Endung richtig
als -jī anzusetzen ist. Das steht zunächst für die Participial- und Comparativform
fest: denn jedes auslautende (wie inlautende) volle i ist immer eine alte Länge
(die ursprüngliche Kürze wird im Slavischen zu ĭ), und das j ist in den Laut-
verbindungen št = tj, š = sj enthalten. Für die unter 1. angeführten Beispiele
steht das ī als Länge nach der eben angeführten Regel sicher, und die Hand-
schriften mit genauerer Lautbezeichnung des j (z. B. cod. Suprasliensis) schreiben
добрын̑и, d. h. dobrynjī, also auch hier ist das -jī- gesichert. Die Fälle unter
2. und 3. schreibt Miklosich ладий, сѫдий, d. h. ladijĭ, sądijĭ, also mit kurzem
Auslaut, oder, wie er diese Schreibung eigentlich aufgefasst haben will, in noch
späterer Form ladij, sądij. Das ist aber eben nur eine Anbequemung an die
spätere Gestalt dieser Worte, so gut wie z. B. die Schreibung дѣлай 2. sg. imper.,
d. h. dělaj, statt des für ältere Zeit allein richtigen дѣлаи, d. h. dělajī, vergl.
z. B. nesiнєси 2. sg. imper. zu Wurzel nes (nesti, tragen). Es ergiebt sich in
der That von selbst, dass, wenn für 1. und 4. -jī sicher steht, für die völlig
gleichen Erscheinungen in 2. und 3. nicht oder j angesetzt werden kann. Der
Lautwert der slavischen Schreibung als -jī musste hier zunächst festgestellt
werden, damit man nicht ohne weiteres das i des Slavischen mit dem ī der San-
kritfeminina wie bharatī u. a. identificire. Dann aber bleibt zu untersuchen,
ist das -jī überhaupt als Vergleichungsmaterial zu gebrauchen, d. h. lässt sich
mit Grund voraussetzen, dass es in eine vorslavische Periode gehört? In den
südslavischen Sprachen findet sich, so weit mir der Sprachschatz bekannt ist,
keine Spur des -ji mehr, die betreffenden Worte haben alle -ja (bei Suffix -ija
mit Wegfall des i), so slovenisch boginja = ab. bogynji, ladja, sodja (= ab.
sądiji), ebenso im Neubulgarischen robinè, d. i. robinjŭ = robinja (Sklavin, alt-
bulg. rabynji) mravè = mravjŭ = mravja, oder noch die vollere Form mravijá.
Nun haben freilich diese beiden Sprachen für die Geschichte jener Bildungen
keine grosse Bedeutung, weil ihre Quellen sehr jung sind. Die Feminina der
betreffenden Participien werden entweder gar nicht mehr gebraucht oder, wenn
noch, mit dem nom. sg. auf -a, die fem. comp haben immer -a; ebenso ist hier
die Form si oder eine entsprechende nicht vorhanden. Von etwas grösserer Be-
deutung könnte das Serbische sein wegen des relativen Alters seiner Quellen, die
bis ins 11. Jahrh. zurückreichen, allein auch hier finden sich nur Formen auf
-a: milostynja (Almosen, ab. milostynji), ladja, sudja. Daničic (Истор. облика.
Belgrad 1874, p. 9), führt zwar die Form milostynjiмилостыни an, aber aus
[10]a. Declination der Nomina.
Dometian’s Leben Sava’s, dessen Sprache so stark kirchenslavisch gefärbt oder
geradezu kirchenslavisch ist, dass sie nichts beweisen kann; und ebenso verhält
es sich mit dem Leben des heiligen Simon von König Stephan, aus dem a. a. O.
S. 156 si citirt wird, in den übrigen Quellen heisst es sija oder sa. Auf das i in
sija die Vermuthung zu gründen, dass durch Analogiebildung der fertigen Form
si das ja erst angefügt sei, ist deswegen nicht thunlich, weil auch andere Formen
desselben Pronomens schon im Altbulgarischen das i vor j zeigen, z. B. acc. sg.
sem. siją, nom.-acc. dual. msc. sija, acc. plur. msc.-fem. siję, dies i also
jedenfalls erst erklärt und ausser Zusammenhang mit dem des nom. sg. fem. sija
gesetzt sein müsste (auf die eigenthümlichen Formen dieses Pronomens wird uns
die Betrachtung der pronominalen Declination zurückführen; ich bemerke hier
nur vorläufig, dass im ab. si das j nur scheinbar fehlt, die Form steht für sji,
dieses für sĭji). Obwohl also diese Sprachen für die einst allgemeine Gültigkeit
des -ji kein Zeugniss ablegen, so ist doch anzunehmen, dass auch sie dieselben
einst besassen und nur, wesentlich durch die überwiegende Analogie der Feminina
auf -a, wieder verloren haben. Etwas weiter kommen wir nämlich mit den
anderen Sprachen; im Russischen finden sich die Formen auf -ynji u. s. w.
wenigstens vereinzelt auch in den profanen alten Denkmälern und kommen dia-
lektisch, während die Schriftsprache sie heutzutage gar nicht mehr aufweist, noch
vor : knjagnji (княгни) = gemeinrussisch княгиня, knjaginja = ab. kŭnęgynji
(Fürstin) Пѣсни Рыбник. I, 138, v. 297. Am entscheidendsten ist hier das Pol-
nische: diejenigen von den oben aufgestellten Kategorien von Worten, die das
Polnische noch besitzt, haben auch hier i (= ji), nicht ja, z. B. auf -yni : gos-
podyni
(Herrin), bogini (Göttin), prorokini (Prophetin); andere: lani (cerva) =
ab. laniji oder alŭniji; sędzi = ab. sādiji. Dass diese Formen alt sind, beweist
auch der Umstand, dass bei den msc. nom. ag., während z. B. der acc. sg. fe-
mininal gebildet wird, sędzię = ab. sādijā, die Sprache durch die absonderliche
Nominativform sich gewissermassen hat verführen lassen, einige Casus adjec-
tivisch-pronominal zu bilden, gen. sędziego, dat. sędziemu, weil das i als Nomi-
nativendung sonst nur bei den Adjectiven vorkommt. Da wir nun aus der Ent-
wicklungsgeschichte des Polnischen keine Neigung kennen, auslautendes -jā in
-jī zu verwandeln, das Polnische dem westslavischen Zweige, das Altbulgarische
dem südöstlichen angehört, also zwei der von einander am weitesten entfernten
Sprachen dieselbe Erscheinung zeigen, darf der Schluss gezogen werden, dass
die Endung -jī in den bestimmten Fällen ursprünglich slavisches Gemeingut war.
Ich bemerke noch, dass das Čechische wenigstens in den Worten auf -ynjā- dazu
stimmt; hier lautet der nom. sg. im Altčechischen vor dem Auftreten des Laut-
gesetzes, nach welchem später ija, ije zu i wird, -yni, z. B. hospodyni, daher
auch die Kürze des i, während die Formen wie lodi nur aus ladija (ладиꙗ),
nicht aus ladiji (ладии) erklärt werden können. Was aber noch mehr zu beach-
ten ist, das Altčechische hat auch das fem. part. auf i : řkuci = ab. rekąšti, vgl.
Šafařik, Altb. Gramm., übers. von Jordan, p. 70). Die Neigung ferner der west-
slavischen Sprachen, die Formen auf -i nicht zu vermehren, sondern im Gegen-
theil durch die weit geläufigeren auf -a, -ja zu ersetzen (so modern čech. hospo-
[11]i. Die Casus des Singulars.
dyně, d. i. -ynja) spricht auch für das Alter jener. Somit haben wir die in Rede
stehenden Nominativformen zunächst der gemeinsam slavischen Entwickelungs-
periode zuzuschreiben.


Wie verhält es sich mit dem Litauischen? Zunächst waltet hier im nom. sg.
fem. derselbe Unterschied zwischen contrahirten und nicht contrahirten Formen,
wie im nom. sg. msc. żolė́ = żolia (Kraut), aber pradżà = pradia (Anfang),
prekià (Preis). Davon weichen nur ab:


  • 1. die Worte patì (Ehefrau), gen. paczós = patios, also Stamm patiā-, fem.
    zu dem alten Worte pàts, Stamm pati- (Eheherr, selbst); martì (Braut), gen.
    marczós = martios; vësznì (Gastin), gen. vëszniós;
  • 2. die fem. des part. praes. act. áuganti, gen. sg. áuganczios = áugantios;
    des part. fut. act. áugsenti, gen. áugsenczos = áugsentios; des part. praet. act.
    áugusi, gen. áugusios;
  • 3. nom. sg. fem. der Pronominalstämme ja- (er), szja- (dieser), kurja-
    (welcher), jì, szì, kurì (nom. sg. msc. jìs, szìs, kùrs).
  • 4. nom. sg. fem. der adjectivischen u-stämme, welches mit Abwerfung des
    u durch Suffix -ja gebildet wird, z. B. kartì (msc. kartùs) gen. kareziós, d. i.
    kartios.

Auch hier ist zunächst das Alter der Formen vom Standpunkt des Litauischen
zu untersuchen. Das Preussische giebt leider keine Aukunft, die angeführten
Kategorien von Worten fehlen den Quellen bis auf eine im folgenden noch zu
erwähnende Ausnahme und den acc. sg. martin neben martan, aus diesem lässt
sich aber nichts entnehmen für die Nominativform, da auch die den litauischen
Nominativen auf (= -jā) entsprechenden Formen in den Katechismen häufig
den acc. sg. auf -in zeigen (vgl. Nesselmann, Spr. d. a. Pr. S. 49, 50). Nun
finden sich zwar sowohl in den Katechismen wie im Vocabular nom. sg. fem.
von -stämmen auf -i, allein sieht man, wie muti (Mutter), duckti (Tochter) =
lit. motė́, duktė́ sind, in denen das -ė́ gar nicht aus entstanden, sondern ur-
sprünglich aus Ersatzdehnung hervorgegangen ist, wie ferner semmê = lit. żémê
(Land, Erde) contrahirt ist, so werden Beispiele wie supuni (Hausfrau) = lit.
żiupónė werthlos, man wird auch bei ihnen das i = ė ansetzen müssen. Ebenso
stehen die Beispiele des Vocabulars neben ė, ohne Frage sind die -i im Auslaut
blosse Verhörungen von wahrscheinlich verkürztem oder stummem e oder Schwä-
chungen desselben (vgl. Pauli, Beitr. VII, 173). Anders dagegen im Lettischen:
hier treffen wir das i in denselben Fällen wie im Litauischen, pati = lit. patì
(das Wort martì fehlt, wie vësznì); fem. part. praes. -ůti = lit. -anti, fut. -schůti
= lit. -senti, praet. -usi = lit. -usi; endlich schî = lit. szì. Zieht man nun in
Betracht, dass das Lettische mit dem Litauischen die Theilung der ja-stämme msc.
wie fem. gen. in contrahirte und nicht contrahirte gemeinsam hat: zełsch = lit.
kélias (Weg, uncontr.), lázis = lit. lokýs (Bär, contr.); ∫in̸a = lit. żinià (Kunde)
uncontr., ∫ále = lit. żolė́ (contr.), dass ferner das Preussische die letztere Art
der Contraction ebenfalls kennt (vgl. semê = lit. żémê), so darf man schliessen,
dass auch jenes i für der gemeinsamen Entwicklungsperiode der litauischen
Familie angehört. Damit ist nicht gesagt, dass die verschiedenen Sprachen der-
[12]a. Declination der Nomina.
selben im einzelnen überall gleichen Schritt gehalten hätten, vielmehr finden sich
im Litauischen, wie in dieser Sprache selbst zuweilen contrahirte und uncontra-
hirte Formen neben einander bestehen, z. B. żinė́ neben żinià, so auch dem
Lettischen gegenüber Abweichungen und umgekehrt. Aber dass gerade bei den
Nominativen auf i sich nur die gleichen Beispiele finden und keine anderen,
macht die Alterthümlichkeit derselben um so gewisser. Eine Einschränkung
wäre hier freilich nach dem Preussischen zu machen, es kommt Katech. III, 64
das fem. part. praet. act. au-lausê (todt) vor, also behandelt wie semmê = lit.
żėmė, allein bei dem Zustande der Texte kann man sich auf die Richtigkeit einer
einzelnen Form durchaus nicht verlassen.


Welches ist aber der Werth dieser Erscheinung im Litauischen für die Ver-
gleichung? Auf den ersten Blick erkennt man die Aehnlichkeit der slavischen
nom. sg. fem. part. auf -ąšti, -ŭši mit den lit. auf -anti, -usi; das im Slavischen
deutlich erkennbare j fehlt im Litauischen nur scheinbar, áuganti steht für *aug-
antji
, da in dieser Sprache ji in i zusammengeht und j daher nicht auf den vor-
hergehenden Consonanten einwirkt. Es scheint also sicher zu sein, dass wenig-
stens der nom. sg. fem. part. eine gemeinsame Umbildung des alten -jā in -jī er-
litten hat (das auslautende ī ist im Litauischen nach einer durchgehenden Neigung
dieser Sprache verkürzt); wie weit sich sonst etwa dieselbe Umwandlung erstreckt
haben mag, lässt sich nicht mehr erkennen, da die sonstigen Formen des Slavischen
und Litauischen, die hier in Betracht kamen, sich etymologisch nicht decken.


Was endlich das Verhältniss zum Deutschen betrifft, so bemerkt Joh. Schmidt
(Verwandtschaftsverh. p. 6): «den nordeuropäischen Sprachen gemeinsam ist die
Contraction des -jā gewisser femininer Nomina im nom. sg. zu langem ī, über-
einstimmend besonders im fem. der Participia: got. frijōndi wie abulg. prija-
jąšti, berąšti
, lit. áuganti. Hier muss die Contraction in sehr früher Zeit
eingetreten sein, denn got. frijondi erweist, dass sie vor Wirkung des got. Aus-
lautsgesetzes schon bestand. Das Auslautsgesetz fand schon frijondī vor, welches
es zu frijondĭ verkürzte. Hätte es noch *frijondjā gefunden, so würde daraus
nur *frijondjă geworden sein». So ansprechend diese Zusammenstellung auch
erscheint, es ist mir doch keineswegs sicher, dass wir es hier mit einer gemein-
samen Entwicklung zu thun haben. Die Verwandlung eines ursprünglichen ja,
in ji, i, ĭ (got. ei) findet sich in manchen Fällen als Resultat der besonderen Ent-
wicklung des Germanischen; es wurde in Betreff der Declination schon oben
bemerkt, dass beim msc., und wir können hier gleich beifügen, auch beim
ntr. von einer mit dem Slavisch-litauischen gemeinsamen Entwicklung nicht die
Rede sein könne und bei den fem. wird eine solche Annahme dadurch sehr un-
wahrscheinlich, dass die Wandlung von -jā zu -i durch ein bestimmtes Laut-
gesetz geregelt ist, nur bei Stämmen mit langer Wurzelsilbe oder mehrsilbigen
eintritt, bandi, hulundi, dagegen banja, ein Gesetz, von dem sich im Litauischen
und Slavischen keine Spur findet und das wir für eigenthümlich germanisch halten
müssen. Die Beschränkung auf den nom., während es im acc. bandja gegenüber
dem msc. hari heisst, wird sich aus der ehemaligen Nasalirung des auslauten-
den -a (aus -ām) genügend erklären lassen.


[13]i. Die Casus des Singulars.

Die Nominativformen sämmtlicher Arten von a-stämmen bieten nichts, was
für die drei Sprachen eine besondere Stellung oder engere Einheit in dem
ganzen des indog. Sprachstammes begründen könnte.


C. Die Nominativformen der consonant. Stämme.

a) Die n-stämme.

Uebersicht der vorhandenen Formen:


  • slav. msc. kamy, St. kamen- (Stein),
  • fem. fehlt.
  • msc. korę = korję, St. korjen- (Wurzel), vereinzeltes Wort.
  • lit. msc. akmů́, St. akmen- msc. (Stein),
  • fem. fehlt.
  • got. msc. hana, St. hanan-,
  • fem. tuggō, St. tuggōn-; managei, St. managein-.

Der Unterschied der Genera kann hier, da die ursprüngliche Form des No-
minativs davon nicht beeinflusst wird, unbeachtet bleiben; die germanischen
Femininalformen sind Neubildungen, deren eigenthümliche Form und Ent-
stehung im Zusammenhange mit dem gen. pl. zu behandeln sein wird und
die hier nur der Vollständigkeit wegen mit angegeben sind. Die Frage nach
der dem nom. sg. msc. zu Grunde liegenden ältesten Form ist nach der
Theorie von dem ursprünglich allgemein gültigen Nominativsuffixe -s dahin
beantwortet worden, dass auch hier für die älteste Periode *akman-s anzusetzen
sei (so Schleicher, Comp. 3, 510). Scherer (z. Gesch. d. deutschen Spr. S. 316 f.)
behauptet: «es giebt für den Nominativ dreierlei Bezeichnungsweisen: erstens
Vocalverstärkung des Bildungssuffixes, zum Theil mit Veränderung des Themas;
zweitens beigefügtes ám;drittens Anhängung von -s . . . . . Die erste Art
des Nominativausdrucks nehme ich in mehreren Fällen an, in denen man un-
berechtigt einstiges s und verschiedene andere Consonanten abfallen zu lassen
pflegt. Man legt sich die Lautgesetze der Ursprache nach willkürlichen Hypo-
thesen zurecht». Zu den ersten Fällen rechnet Scherer die Bildung des sanskrit.
nom. sg. msc., wie açmā, lat. homō u. s. w., «dem (skrt.) Nominativ von
Stämmen auf an correspondiert im Lateinischen gleichfalls ā (homō), im Griechi-
schen ān (ποιμήν), worauf auch die germanische und letto-slavische Form
beruht. Eine alte Dittologie mithin, das eine Gebilde mit, das andere ohne Wahl
verschiedener Themagestalt.» Scherer muss zu dieser Meinung gekommen sein
durch die scheinbare Unmöglichkeit, ein Nominativ-s bei diesen Stämmen
irgendwo in einer indogermanischen Sprache zu finden. Ich glaube aber
nachweisen zu können, dass zunächst die slavische Form auf -y sich nur aus
der Grundform auf -an-s erklären lässt, und zwar durch eine genaue Betrachtung
der Auslautsgesetze, auf die schon von Joh. Schmidt (Vocal. I, 177) hingewiesen
ist, die hier aber der Wichtigkeit der Frage wegen vollständig gegeben werden
mögen.


[14]a. Declination der Nomina.

Der Laut y entsteht im Slavischen in folgenden Fällen:


1. aus langem ū, sei es, dass dies


  • a) einem ursprünglichen oder wenigstens vorslavischen ū entspricht: synŭ =
    skrt. und lit. sūnùs, nom. acc. dual. syny = skrt. sūnū, lit. sūnù mit ver-
    kürztem Auslaut; ljuby, gen. ljubŭv-e u. s. w., Stammauslaut ; oder
  • b) erst innerhalb des Slavischen durch Dehnung (Steigerung) des kurzen u
    (ŭ) entstanden ist, wobei es gleichgültig ist, ob das ŭ auf ursprüngliches a
    oder u zurückgeht, z. B. dychati durat. zu dŭchnąti (blasen), vgl. duchati,
    Wurzel dus; sylati frequ. zu sŭlati (schicken), Wurzel sar; syny acc. plur.
    durch Ersatzdehnung aus sūnu-ns, vgl. lit. sunùs neben altem sūnuns.

2. Durch Contraction eines ŭ mit folgendem i (jĭ, ji); so möge hier, obwohl
nicht treffend, der Kürze wegen die Erscheinung genannt werden, nach welcher
nom. sg. msc. decl. comp. dobryjĭдобрый aus dobrŭ + jĭ, vynąвынѫ aus
vŭ inąвь инѫ entsteht.


3. Aus a + Nasal.


  • a) im Inlaut; die wenigen, zum Theil problematischen Beispiele s. Joh. Schmidt,
    Vocal. a. a. O.
  • b) im Auslaut: acc. plur. msc. vlŭky = -ans, acc. plur. fem. ženy =
    -āns
    , bei den ja-stämmen aber msc. konję sem. dušę; nom. sing. msc.-ntr.
    part. praes. act. nesy, dagegen bei ja-stämmen pišę, Grundform des Suffixes
    -ant-. Der gen. sing. fem. ženy gegenüber dem der -stämme (dušę)
    ist nicht sicher erklärt (s. u. beim gen. und der pron. Declination), muss
    also überhaupt von der Betrachtung zunächst ausgeschlossen werden.

Auf den letztangeführten Punkt kommt es uns hier vor allem an: überall,
wo in etymologisch erklärbaren Fällen y einer Verbindung von ursprünglichem
a + nas. entspricht, folgte auf den Nasal ein andrer Consonant. Umgekehrt,
wo wir etymologisch sicher a, ā + nas. ohne folgende Consonanten ansetzen
können, erscheint nie y, sondern für am, an ŭ (wie schon oben beim nom. sg.
msc. der ŭ-stämme auseinandergesetzt), für ām, ān dagegen ą: acc. sg. fem.
ženą = -ām, 1. sg. praes. berą = *berām für noch älteres -āmi, instr. sg. fem.
ženoją für -āmi mit Abfall des i oder für -ām. Nimmt man das alles zusammen, so
bleibt kein andrer Schluss übrig, als dass die Form kamy nur auf *akmans zu-
rückgehen kann, weder *akmā noch *akmān konnten im Slavischen zum Aus-
laut -y führen. Man könnte hier einwenden, dass doch der gen. plur. auf ur-
sprüngliches -ām, der im Slavischen auf endigt (vlŭkŭ, ženŭ, kamenŭ) eine
Möglichkeit biete, ein auslautendes y aus ursprünglichem ā + nas. ohne folgen-
den Consonanten zu erklären, indem man annehmen könne, aus -ām (oder wie
nach slav.-lit. Auslautsgesetz anzusetzen, -ān) wäre zunächst -ūn, daraus -y
geworden, aus welchem durch Verkürzung , und könnte sich dabei auf die
litauische Form des Casus berufen: vilkū́, mergūı akmenū́, älter und dialektisch
noch -ūn. Allein mit solcher historischer Verbindung gleicher Lauterscheinungen
muss man sehr vorsichtig sein: die altpreussischen Katechismen haben noch
Genitive auf -an (— ān), von denen an der betreffenden Stelle zu handeln sein
wird. Für die Beurtheilung der slavischen Form kommt nun noch hinzu, dass
[15]i. Die Casus des Singulars.
in dem ganzen uns historisch bekannten Verlauf zwar sehr häufig die Schwächung
und Verkürzung eines ursprünglich vollen und langen ī zu ĭ vorkommt, ja das-
selbe ganz, wenigstens in seiner Geltung als Vocal verloren geht, z. B. inf. ab.
dělati, russ. dęłatĭ, sprich dělat́, während die gleiche Erscheinung bei y ganz fehlt,
aus diesem wird nie das dem ĭ entsprechende ŭ. Dieser Unterschied in der
Behandlung des i und y stimmt wieder zu dem allgemein beobachteten Gesetz
von der grösseren Widerstandsfähigkeit der u-Vocale gegen Schwächungen und
Ausstossungen gegenüber den a- und i-Vocalen (vgl. das gotische und lettische
Auslautsgesetz). Es ist demnach die Vorstufe eines -y für den gen. plur. durch-
aus unwahrscheinlich, und die Erklärung des -ŭ kann nur ausgehen von der
Annahme einer Verkürzung des noch intact bestehenden -ām (-ān) zu -am (-an),
aus dem weiterhin nothwendig -ŭ wird, oder aus der Verkürzung eines bereits
aus -ām (-ān) gewordenen -ūm (-ūn) zu -um (-un), aus dem wieder ŭ werden
muss, vor dem Eintritt der Wandlung aller langen ū zu y. Mir ist das erstere
eben wegen der grösseren Nachgiebigkeit der a-vocale gegen Kürzungen wahr-
scheinlicher; im Litauischen z. B., um einen analogen Fall anzuführen, hat der
gen. plur. sein langes ū bis auf den heutigen Tag bewahrt, mergū́, während der
acc. sg. fem. auf -ām seit alter Zeit verkürzt auftritt, mérgą̨̆.


Um hier ein für allemal für die Behandlung der in der Flexion so häufigen
y und der nasalen Silben die Richtschnur zu geben und nicht jedesmal die betref-
fenden Regeln wiederholen zu müssen, fasse ich sie sogleich zusammen:


1. ein Nasalvocal (ą, ę) entsteht nur in einer (natura oder positione) langen
Silbe; daher 1. sg. praes. nesą = ām (i), aber 1. sg. aor. nesŭ = -am; acc. sg.
fem. ženą = -ām, aber acc. sg. msc. vlŭkŭ = -am.


2. Nasalvocal kann nur aus ursprünglichem a-vocal entstehen, aus ā + nas.
oder aus ă + nas. + cons., und zwar ist ą = ā + nas., ę = ē + nas.; nie
wird aus i oder u + nas. ein Nasalvocal, sondern stets ī, ū (d. h. slav. y), da-
her acc. plur. noštī = naktins, syny = sūnuns.


3. Wo ein y = ū einer ursprünglich nasalen Silbe mit ursprünglichem a
entspricht, folgte nach der früheren Auseinandersetzung stets nas. + cons.; da
nach 2. aus jedem als a verbliebenen a-Vocal + nas. vor anderen Consonanten
ą geworden wäre, muss zu der Zeit, als im Slavischen die Nasalvocale ent-
standen, in den betreffenden Silben bereits ein Vocal gestanden haben, der
nicht mit dem Nasal zum Nasalvocal werden konnte, d. h. hier die nächste Vor-
stufe des y, nämlich un, hervorgegangen aus an durch verdumpfende Einwirkung
des nasalen Consonanten (oder ūn aus ān, wenn wie z. B. im acc. pl. fem. auf
ursprüngliches -ā-ns das ā bereis lang war). Dass diese Chronologie richtig ist,
beweist unwiderleglich die Parallelität der acc. plur. wie ženydušę, der
Participien wie nesypišę (vgl. auch kamykorę). Das j hindert die Ver-
dumpfung des a (ā) zu u (ū), der a-vocal blieb, sei es als a oder e, daher die
Nasalvocale nach dem j; hätte zu derselben Zeit bei den a-stämmen ohne j noch
das a (ā) bestanden, so wäre nothwendig parallel den ja- (-) stämmen die
Endung ą entstanden; es gab also, an Beispielen ausgedrückt, im Slavischen eine
Zeit, wo ein acc. pl. *ženūn(s) neben einem *dusjān(s) oder dusjēn(s) stand.


[16]a. Declination der Nomina.

Das Auslautsgesetz, nach welchem Nasale die Wandlung eines ursprüng-
lichen a in u bewirken, glaube ich vorläufig folgendermassen fassen zu können:


1. vor einfach auslautendem Nasal wird jedes kurze a zu ŭ (d. h. kurzem u);


2. die Einwirkung des Nasals auf a in langen Silben erfolgt nur dann, wenn
dem Nasal noch ein Consonant folgte; bei einfach auslautendem Nasal nach ā
bleibt dieses (in ą enthalten).


3. j hindert bei langen Silben die Wirkung der Nasale.


Beispiele geben die im vorhergehenden angeführten Worte; dort auch die Er-
klärung der scheinbaren Ausnahme des gen. plur. auf -ŭ.


Müssen wir somit als Grundform des nom. msc. der n-stämme im Slavischen
eine Form mit s ansetzen (*akmans), so fragt sich, wie verhält sich dazu das lit.
akmů́.


Im Litauischen lauten die nom. sg. sämmtlicher n-stämme gleich, einerlei
ob sie in den verwandten Sprachen msc. oder ntr. sind. Da nun die ursprüng-
lichen Nominativformen der beiden Genera lautgesetzlich nicht auf die gleiche
Form führen können, auch in keiner indogermanischen Sprache sich dazu ent-
wickeln, das heutige Litauisch aber überhaupt das neutrum gegen das msc. oder
fem. aufgegeben hat, kann in der Nominativform auf -ů nur die des msc. vor-
liegen, da fem. und msc. hier ja nicht geschieden sind. Der thatsächliche Bestand
der drei litauischen Sprachen ist folgender:


Litauisch -ů, in russisch-litauischen Dialekten -un, daneben dialektisch
-u, -uo, -o, also es können vorkommen: akmun, akmů́, akmuo, akmu, akmo als
Modificationen des ursprünglich gleichen Lautes oder Lautcomplexes.


Preussisch des Vocabulars: smoy = lit. żmů (Mensch) msc.; wundan =
lit. vandů́, dial. unduo (Wasser); dadan (Milch); semen = lit. sėmů́ (Samen),
Die drei letzten Beispiele sind in den verwandten Sprachen Neutra: got. vatō,
skrt. dadhan, slaw. sěmę, und auch im preussischen Vocabular als solche anzu-
sehen (vgl. vorläufig Pauli, Beitr. VII, 202). Endlich kann man irmo (Arm) neben
slav. ramę (ntr.) für n-stamm halten, die Nominativform wäre dann die des
msc., allein das Wort kann seiner Form nach auch nom. sg. fem. eines a-stam-
mes sein (s. o.), was neben den Formen der verwandten Sprachen, in denen
das entsprechende Wort msc. a-stamm ist, als durchaus möglich anzusehen ist.
Es bleibt demnach zur Vergleichung mit dem Litauischen nur smoy.


Preussisch der Katechismen: emmens, emnes (Name), kêrmens (Leib);
denen anzuschliessen ist die Form des


Lettischenakmens (so bei allen Worten gleich). Die preussischen wie
die lettischen Formen sind ganz secundär, durch Uebergang in die vocalische
Declination (der a- oder i-stämme) zu erklären, ganz wie die späteren slavischen
Formen kamenĭ u. dgl. Bielenstein (Lett. Spr. II, 7) drückt sich so aus (das Let-
tische habe das Nominativzeichen -s, «wo im Litauischen Casuszeichen und der
vorhergehende Consonant geschwunden sind»), dass man vermuthen muss, er
halte die lettische Form für ursprünglicher als die litauische, und für die Grund-
lage dieser. Das ist aber durchaus unmöglich, aus -ens kann im Litauischen nur
-ęs, dialektisch -i̧s, d. h. gesprochen -ēs, -īs, höchstens mit Abfall des s ė oder ī
[17]i. Die Casus des Singulars.
werden, nie aber ů; im Lettischen selber bleibt ursprüngliches -ans, -ens nie
ohne die lautgesetzliche Veränderung zu -ůs und -ës (i̊s), und im preussischen
Katechismus beweist das zum msc. gewordene unds (Wasser), dass hier eben-
falls Uebergang in die vocalische Declination vorliegt.


Ueber die einzige in Betracht kommende preussische Form wird sich schwer-
lich etwas anderes aussagen lassen, als was Pauli, Beitr. VII, 165 bemerkt: «es
scheint hier (bei smoy) oy das ů vertreten zu sollen mit ungenauer Auffassung
des sch’waähnlichen nachhallenden å durch den Niederschreibenden» (vgl. den-
selben Beitr. VI, 426, §. 47—49).


Im Litauischen ist die Entscheidung, was dem auslautendem ů zu Grunde
liegen muss, keineswegs leicht. Es soll hier versucht werden, zu einem wenig-
stens wahrscheinlichen Resultat zu gelangen. Auf dem ganzen Gebiet der li-
tauischen Sprachen herrscht die entschiedene Neigung, a vor folgendem Nasal in
u zu verwandeln. In den östlichen Dialekten des Litauischen, oder um bei der
Unbestimmtheit, die noch in der litauischen Dialektologie herrscht, einen be-
stimmten Localdialekt zu nehmen, in dem von Anykszczei (über diesen s. Schlei-
cher, Donaleitis S. 335), wird jedes a vor nas. + cons. zu u, runka = rankà
(Hand), randù zu rundu (ich finde), jedes ą des Hochlitauischen (d. h. der aus
der Lautverbindung a + nas. + s, ż oder im Auslaut aus am, an entstehende
Vocal) zu ų, d. h. u, z. B. żųsis = żąsìs (Gans), acc. sg. runkų = rànką (vgl.
auch Schleicher, Gramm. S. 78). Im Lettischen verhält es sich genau so, nur
dass aus dem vor Consonanten im Inlaut entstehenden un bereits ů geworden,
růka, růdu; im Auslaut acc. sg. růku, gréku (msc.). Wir haben es also hier mit
einer Bewegung zu thun, die in der uns bekannten historischen Entwicklung
der litauischen Sprachen in dauerndem Fortschritt begriffen ist, nicht wie
beim Slavischen mit einzelnen und bestimmten Gesetzen unterworfenen Ver-
wandlungen des a in u durch folgenden Nasal. Es fragt sich daher, welche
von den aus ursprünglichem a + nas. entstandenen u, resp. ů, gehören der
späteren Entwicklung der Einzelsprachen oder Dialekte des Litauischen, welche
der ganzen Familie an; ehe das entschieden ist, kann nicht ausgemacht werden,
worauf das ů von akmů́ zurückzuführen ist. Die Betrachtung kann sich indessen auf
den Auslaut oder, besser gesagt, auf die nicht wurzelhaften Elemente beschränken,
da im Inlaut, in der Wurzelsilbe, wo ursprünglich a + nas. + cons. überhaupt
erhalten blieb, d. h. a nicht zu e geworden war, das Hochlitauische noch heu-
tiges Tages das a bewahrt.


Für den Auslaut, in dem angegebenen Sinne zu verstehen, liegt die Sache
folgendermassen: selbst, wo Litauisch und Lettisch in der Verwandlung des a zu
u übereinstimmen, zeigt die Sprache der preussischen Katechismen in den aller-
meisten Fällen noch den a-Vocal:


acc. plur. der a-stämme lit. vilkus, lett. wilkus, pron. lit. tůs, tùs, jůs, jùs
(letzteres enclit.), lett. jůs (auf den Unterschied in der Schreibung des dem li-
tauischen ů entsprechenden Vocals als ů und õ wird hier keine Rücksicht genom-
men, der Unterschied ist nur einer der Accentuation); aber preuss. tâwans, St.
tâva- = lit. të́va- (Vater), s-tans = lit. tů́ s, tùs.


Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 2
[18]a. Declination der Nomina.

suff. dat. plur. lit. -mus, lett. m, aber preuss. -mans.


gen. plur. lit. -ū, dial. -un, lett. -u; preussisch schwankend grikan (Sünden)
neben grecon, grekun. Da auch sonst im Preussischen die Neigung zur Wandlung
in u vor Nasal bereits hervortritt, z. B. dat. plur. 2. pers. ioumus neben ioumans,
im ersten Katechismus numons dat. plur. 1. pers. neben nûmans, nûmas im
dritten, so haben wir im gen. plur. offenbar auch ältere und jüngere Formen
neben einander, -an oder vielmehr -ān ist also als Grundform für die litauische
Familie anzusetzen.


acc. plur. 1. pers. lit. mùs, lett. mûs, aber preuss. mans͘.


praepos. lit. su (mit), in Nominalcompositionen -, lett. sa, preuss. sen, also
Grundform *san.


In anderen Fällen ist das Preussische, weil die Formen zufällig nicht vor-
kommen, nicht vergleichbar.


nom. acc. dual. der msc. a-stämme lit. vilku, pron. - du, decl. comp. gerů́-ju.
Der Ursprung der Form ist überhaupt unklar; man denkt zunächst an das sanskr.
au (das nähere s. unten); jedenfalls bleibt die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit
einer Entstehung des ů, u aus dem Diphthong.


loc. plur. msc. der a-stämme lit. vilkůse, dial. vilkunse, lett. wilkůs, nicht
weiter zurück zu verfolgen, da das Preussische fehlt.


praep. (von), lett. nů; Ursprung dunkel, das preuss. na, no heisst wie
slaw. na «auf» und kann wenigstens nicht unmittelbar herangezogen werden.


2. sing. verbi der mit a-Suffixen gebildeten Verbalstämme: lit. -u, reflexiv
-ů-s, lettisch ebenso. In den preussischen Katechismen findet sich das u nur
einmal in dem vereinzelten asmu (sum), also von einem nicht ursprünglich hier-
her gehörenden Verbalstamm, neben dem ebenfalls vereinzelten asmau und dem
gewöhnlichen asmai; sonst schwankt die Endung bei den verschiedenen Verbal-
stämmen zwischen a, e, i (imma = lit. imù, ich nehme; turri = turiù, ich habe,
inf. turrîtwei, lit. turė́ti; segge, ich thue, inf. seggit); es bleibt also bei der son-
derbaren Form asmu als der einzigen mindestens zweifelhaft, ob das lettisch-
litauische -u für die Gesammtperiode der drei litauischen Sprachen anzusetzen ist.


Nur ein sicherer Fall ist vorhanden, in dem die drei Sprachen überein-
stimmen, der instr. sg. msc. der a-stämme, lit. vilku, altlettisch ebenso (jetzt
durch die Dativform wilkam ersetzt; dass diese nicht, wie Bielenstein, lett. Spr.
II, 22 meint, ein alter Instrumental auf -ami ist, darüber s. u. bei diesem Casus);
pron. lit. (daneben jů-mì, die Form ist aber erst entstanden durch secundäre
Anfügung des -mi, wie im dialektischen vilku-mi nach Analogie von sunu-mì, aki-
u. a.), lett. (je, desto), preuss. sen-ku (womit, zum pron. ka-s), kustu
(wie — so). Wenn auch die Form dieses Casus weiterer Auseinandersetzung
bedarf, so ist doch durch die Vergleichung mit slav. vlŭkŭmĭ, vlŭkomĭ an der
einstigen Existenz eines Nasals nicht zu zweifeln, und diesem das u zuzuschreiben.


Aus allem bisher angeführten geht jedenfalls hervor, dass in der gemein-
samen Entwicklungsperiode des Litauischen, Lettischen, Preussischen die Nei-
gung, a vor Nasalen zu u zu verwandeln, nur in sehr wenig Fällen durchge-
drungen war. Wenn wir nun dem lit. żmů́, akmů́ das preuss. smoy gegenüber
[19]i. Die Casus des Singulars.
finden, so scheint mir bei der Alterthümlichkeit des Preussischen in der Be-
wahrung des a vor Nasalen selbst in der Sprache der Katechismen, die doch um
wenigstens 150 Jahre jünger ist als die des Vocabulars, dem wir das smoy ver-
danken, die Annahme berechtigt, dass diese Nominative bereits in der Zeit der
gemeinsamen Entwicklung den u-Laut hervorbrachten.


Gehört nun dieses u bereits der litauisch-slavischen Gemeinsamkeit an?
Ich glaube, man kann mit der grössten Wahrscheinlichkeit behaupten, dass dies
nicht der Fall war. Wir kennen ein paar Fälle, wo in der Wurzelsilbe u = a +
nas. ist oder wenigstens sein kann (s. Joh. Schmidt, Voc. I, 104), ferner einen
sicheren Fall in einem Stammbildungssuffix, in den cass. obl. part. perf. act.,
lit. gen. sg. msc. augus-io, slaw. nesŭš-a, aber auch got. bêrus-jôs, und hier ist
das u (vgl. skrt. und das griech. -υῖα) älter als die Sonderexistenz der drei nord-
europäischen Sprachen überhaupt. In allen anderen Fällen ist die Ueberein-
stimmung des Litauischen und Slavischen in diesem Punkte nur scheinbar (z. B.
acc. plur msc. der a-stämme lit. -us, slav. -y, gen. plur. lit. -ū, slav. -ŭ; vgl.
die oben gegebene Zusammenstellung der litauischen Sprachen untereinander, die
natürlich auch auf das Verhältniss zum Slavischen anwendbar ist). Für die An-
nahme einer grundsprachlichen Uebereinstimmung von akmů und kamy fehlt
demnach jede ratio. Haben wir für das Slavische die Grundform *kamans fest-
gestellt, so kann für das Slawisch-litauische nur *akmans angenommen werden,
und die Entwicklungsreihe wäre diese:


slav.-lit. *akmans


Nun kommen wir bei dieser Annahme allerdings auf eine bedenkliche
Schwierigkeit: nach litauischem Auslautsgesetz geht auslautendes s auch in der
Lautgruppe -ns nicht verloren (vgl. den acc. plur.). Es giebt freilich Fälle, wo
ein ursprüngliches s abgefallen sein muss, im nom. plur. msc. part. áugą, wenig-
stens scheinbar in der 2. sg. verbi sukì, aber diese Fälle sind auch in anderen
Beziehungen so räthselhafter Natur, dass sie für den vorliegenden Fall nichts
nützen. Wenn man also trotzdem den Abfall des auslautenden s hier annimmt,
so wäre das eine eben solche Singularität, wie die Entstehung eines u aus a in
der slavisch-litauischen Periode, und die Wagschalen stünden gleich. Und den-
noch glaube ich, dass sich ein Uebergewicht zu Gunsten des Abfalls von s nach-
weisen lässt. Ich kenne im Litauischen und Lettischen kein Wort, wo sich ů aus
un (sei dies = ursprünglich u + n oder = ursprünglich a + n) entwickelt hat,
das nicht entweder nach dem u (= u oder a) zwei Consonanten, d. h. hier Nasal
+ anderen Consonanten, zeigte oder einsilbig wäre; die zwiefache Consonanz
kann dem Worte selbst angehören oder durch Zusammenrückung mit einem an-
deren Worte entstanden sein, wobei j als voller Consonant gilt; ohne diese Be-
dingungen entsteht nicht ů, sondern u, vgl. lett. acc. sg. msc. fem. der a-stämme
wilku, růku, aber einsilbig pron. (lit. vìlką, rànką, ji̧, ję); lit. instr. sg. msc.
2*
[20]a. Declination der Nomina.
vilku, aber einsilb. pron. lit.-lett. , in der Zusammensetzung lit. gerů́-ju;
1. sg. praes. lit.-lett. -u, in der Zusammensetzung refl. lit.-lett. -ů-s u. s. w.
(vgl. die oben gegebenen Fälle von ů, u in allen drei lit. Sprachen). Mir scheint
nun, diese Sachlage entscheidet sehr stark zu Gunsten der Annahme, dass für
den Anfang der speciellen Entwicklung die Form *akmans anzusetzen und ein
späterer singulärer Abfall des -s anzunehmen sei.


Bei den germanischen Formen genügt ein Hinweis auf das gotische Auslauts-
gesetz noch nicht, um die Grundform als -ān zu bestimmen, denn hana könnte
auf vorgerman. hanā zurückgehen, allein die hochdeutsche Form hano weist auf
germ. hanā wegen ihres constanten o (vgl. Braune, Quantität der ahd. Endsilben;
Paul und Braune, Beitr. II, 152), und nach der bisherigen Fassung der voca-
lischen Auslautsgesetze des Germanischen kann das auslautende ā nur in Folge
eines ursprünglich vorhandenen nachstehenden Nasals erhalten sein (s. auch
Scherer, ZGDS p. 120). Weiter zurück als auf *hanān können wir fürs Germa-
nische nicht kommen, es liegt also in dieser Nominativform eine Differenz vom
Slavisch-Litauischen, eine Coincidenz mit den übrigen indogermanischen
Sprachen.


b) nom. sg. msc. der Participialstämme (Suff. -ant-, -ans-) und
der Comparativstämme (Suff. -jans-)
.

α. part. praes. act. (-ant-).

Hier stellt die litauische Form -ās (sukąs, dial. sukans und sukus = sukuns)
das Nominativ-s ohne weiteres sicher. Dass hier aber das s in der That unmittel-
bar dem consonantischen Stammauslaut angefügt ist, lehren die litauischen Laut-
gesetze. Es ist nicht möglich, dass hier der Stamm des Particips durch ein
erweiterndes Suffix vocalisch auslautend geworden und dadurch in die vocalische
Declination übergegangen sei, wie z. B. in den cass. obl. durch Anfügung von
-ja- (daher gen. sg. msc. sùkanczo = sukantio). Wäre dies erweiternde Suffix
auch im nom. sg. angetreten, so würde die Form *sukantis lauten (das lett. -ůt(i) s
ist in der That so gebildet), da ja in diesem Falle zu i contrahirt würde, i vor
auslautendem s aber nicht wegfällt, vgl. in der heutigen Sprache: stets vìlks =
vìlkas, aber nie anders als dàlgis = *dalgias. Wollte man ferner Erweiterung
durch reines a annehmen, so würde zwar statt nom. *sukantas gesprochen wer-
den innerhalb der speciellen Entwicklung des Litauischen *sukants, aber weder
könnte aus der secundär zusammengekommenen Gruppe das t wegfallen, noch
jemals vor der erst secundär durch Ausfall entstandenen Gruppe n(t)s ein Nasal-
vocal entstehen. Dass das fut. sùksęs dem praes. völlig gleich steht, braucht nur
angedeutet zu werden, ę entsteht aus ą durch Einfluss des j (1. sg. fut. sùksiu).
Letzte indogermanische Grundform ist also jedenfalls -ant-s; es fragt sich nur,
ob sich über die Periode, in der das t verloren oder assimilirt wurde, etwas fest-
stellen lässt. In keiner indogermanischen Sprache, abgesehen vom Germanischen,
lässt sich das ts noch belegen, entweder t ist mit dem s abgefallen (griech., so
auch im Sanskrit, wenn die Form bharan lautet) oder s allein erhalten (lit.,
lat., sanskr., wenn vor gewissen Lauten bharãs steht, vgl. auch z. bharaç), oder
[21]i. Die Casus des Singulars.
die Form lässt den zunächst vorausgegangenen Consonantenbestand nicht mehr
erkennen, so das slav. nesy msc. und ntr. Diese Form ist dem kamy ganz gleich
und das y auf die oben auseinandergesetzte Art entstanden zu denken. Bei dem
Consensus zwischen Latein, Litauisch und Sanskrit ist die Wahrscheinlichkeit
einer sehr frühen, bereits vor der Sprachtrennung erfolgten Assimilation des t,
also einer als -ans anzusetzenden Grundform, nicht zu leugnen. Wenn wir diese
Wahrscheinlichkeit auch in Betreff des Germanischen gelten lassen, werden wir
geneigt sein, der bisher allgemein geltenden Annahme zu folgen, dass got. gi-
bands
auf den erweiterten Stamm gibanda- zu beziehen sei. Doch ist eine andere
Auffassung möglich, vielleicht wahrscheinlicher: dem germanischen Auslauts-
gesetze widerspricht auch eine ursprünglich consonantische Form auf -ants, got.
-ands nicht; diese Ansetzung bleibt für die beiden anderen Sprachen ebenfalls
vollkommen denkbar, und es ist somit möglich, dass das t erst in der besonderen
Entwicklung der einzelnen assimilirt worden ist. Vielleicht liegt sogar in dem
einst vorhandenen t der Grund, weshalb der nom. im Litauischen anders behan-
delt ist, als bei den substantivischen n-stämmen, mit deren Grundform auf -an-s,
wenn sehr früher, vorlitauischer Verlust des t eingetreten war, der nom. sg. msc.
part. zusammenfallen musste. Wäre somit -ant-s für unsere drei Sprachen an-
zusetzen, so ergäbe das eine Differenz von allen übrigen indogermanischen
Sprachen, da in diesen sich das t nicht mehr nachweisen lässt, aber nach dem
eben bemerkten ist die Sache zu problematisch, um von Wert zu sein. Auf die
preussische Form sindats (sitzend, I. Katech. 2. Art.; in II. syndens, in III. sî-
dons
, III. 91 sîdans) wage ich mich nicht zu berufen wegen ihrer Vereinzelung,
es ist wohl nur ein Druckfehler. Dagegen kommt skellânts oder schkellânts
(schuldig) nach Nesselmanns Glossar fünfmal vor, dîlants (arbeitend) III, 52
zweimal, das können aber ebensowohl vocalische Formen sein, wie die lettischen
auf -ůt(i)s.


β. part. perf. act. und compar.

können hier zusammengenommen werden, da der Stammauslaut derselbe ist. Es
kommt hier nur das Slavisch-litauische, beim Comparativ nur das Slavische in
Betracht, da im Germanischen jenes Particip bis auf geringe Reste verloren und
keine Form des nom. sg. msc. erhalten ist, der Comparativ im Litauischen wenn
nicht ursprünglich, so doch durch neu angetretene Suffixe abweicht, im Preus-
sischen, wo er in alter Form erhalten, in unseren Quellen keinen nom. sg. msc.
aufweist, im Germanischen aber in eine andere Flexionsclasse übergegangen ist
(s. einzelne Formen beim ntr. unter acc. sg.).


Das Suffix des part. perf. act. ist im Slavischen -vans- nach vocalisch aus-
lautenden Verbalstämmen, -ans nach consonantischem Schluss (da-vŭda, geben,
nes-ŭ), im Litauischen, wie es scheint, nur-ans, denn davęs lässt sich allenfalls aus
der nach der gewöhnlichen Auffassung eigenthümlich lit. Wurzelform dů́-ti er-
klären. Doch ist dabei das Preussische zu beachten, das wenigstens in einigen
Fällen nach Vocalen v zeigt: taykowuns (geschaffen habend) I, inf. teickut, att-
skiwuns
(auferstanden) vgl. et-skî-mai (wir stehen auf) I, aulauwussens (acc. plur.
[22]a. Declination der Nomina.
todte) I, inf. aulâut (sterben), klantîwuns, inf. klantît (fluchen) III, 35. Auch aus einem
andern Umstand erlaubt das Preuss. einen Schluss auf einst vorhandenes v, und ob-
wohl es für die Gestalt des nom. sg. zunächst gleichgültig ist, möchte ich doch die
Frage hier berühren, weil wir gelegentlich uns darauf beziehen müssen. Im Preuss.
nämlich wechselt die Endung zwischen -uns und -ons, seltener -ans (dâuns,
gemmons, gemmans
), und ich halte diesen Wechsel nicht für einen zufälligen.
Die Aufzählung bei Nesselmann (Spr. d. a. Pr. 65) enthält 31 Beispiele von voca-
lisch auslautenden Verbalstämmen, und hier kommt nur -uns (neben einmaligem
-ans) vor, ferner 27 Fälle, wo der Verbalstamm consonantisch auslautet, darunter
mit -uns nur swintinninuns (Druckfehler für swintinnuns) neben swintinons,
wierpuns
neben wierpons, lisuns neben lisons, lassinuns, iduns, migguns, ran-
guns, wedduns;
einmal -ans, immans ohne Nebenform; einige male -ans mit
Nebenform -ons, laipinnans neben -ons, gemmans und -ons, gubans, gubas neben
-ons, sidans und -ons; sonst aber -ons ohne Wechsel. Die Formen auf -ans
beruhen übrigens zum Theil auf einer Verwechslung mit dem part. praes. Es
ergiebt sich demnach als Regel, dass -uns den vocalisch, -ons den consonantisch
auslautenden Stämmen angehört (vgl. Nesselmann a. a. O. S. 63); und dies hat
seinen lautlichen Grund darin, dass bei den vocalischen Stämmen das Suffix mit
v anlautete, dies aber im Verein mit dem folgenden Nasal eine völlige Ver-
dumpfung des a zu u herbeiführte, während der Nasal allein nur die Mittelstufe
zwischen a und u, nämlich o bewirkte. Da von den Formen auf -ans einige
sicher richtig sind, ausserdem a mit u (o) in den preussischen Katechismen auch
sonst wechselt, haben wir die drei möglichen Lautstufen hier in der That sämmt-
lich vertreten: -ans, -ons, -(v)uns; ein einziges mal kommt vor polîkins (ver-
liehen habend), wohl nur ein Versehen.


Gegenüber dem Litauischen und Lettischen ist die preussische Form in
gewissem Sinne auffallend; lit. -ęs, wie lett. -is (miręs, miris, gestorben) gehen
zunächst auf -ens zurück, und die Wandlung des -ans in dies -ens muss sehr
alten Datums sein, eingetreten, ehe die Neigung, a vor n oder n + cons. in u zu
wandeln, aufkam, weil sonst in beiden Sprachen sicher -ųs, -us entstanden wäre.
Ich führe das hier nur an, weil die Vorstellung, die man aus gewissen lautlichen
Erscheinungen, z. B. der gleichen Vertretung des lit. sz, ż, lettisch wie preus-
sisch durch s, z gewonnen hat, es stehe das Preussische dem Lettischen näher
als dem Litauischen, leicht dazu führt, die speciellen Uebereinstimmungen des
Lettischen und Litauischen zu übersehen. Bei genauerer Untersuchung, die nicht
hierher gehört, wird es mehr als fraglich, ob jene Meinung richtig ist. — Als
letzte gemeinsam litauische Form ist jedenfalls -ans anzusetzen und es verdient
hervorgehoben zu werden, dass im Litauischen das Verhältniss des nom. sg. msc.
zu allen übrigen Casus, was die Gestalt des Participialsuffixes betrifft, als genau
dasselbe erkennbar ist, wie in den arischen Sprachen. Im Slavischen ist dies
Verhältniss wenigstens nicht mehr unmittelbar deutlich, denn das -ŭ des nom. sg.
könnte, rein lautlich aufgefasst, auf eine Suffixform -us- bezogen werden, wie
sie in den obliquen Casus vorliegt. Der Consensus der übrigen Sprachen deutet
aber natürlich auch für das Slavische auf eine Verschiedenheit in der Suffixform
[23]i. Die Casus des Singulars.
zwischen nom. sg. und cass. obl., wir werden also für beide Sprachen als stamm-
bildendes Suffix im nom. -ans- ansetzen. Bei dieser Lage der Sache giebt nun
die Vergleichung der Nominativform, lit. -ęs, slav. -ŭ, mit dem nom. der sub-
stantivischen n-stämme Veranlassung zu weiteren Fragen. Wie kommt es, dass
1. der nom. sg. msc. dieses Particips nicht dieselben Wandlungen durchgemacht
hat wie der nom. sg. der n-stämme, dessen Grundform ja eben -an-s war;
2. wie ist es zu erklären, dass der nom. sg. msc. part. praes. im Slavischen auf
-y, der des part. perf. act. auf -ŭ auslautet, während doch beiden zunächst die
Lautgruppe -ans zu Grunde zu liegen scheint und sonst jedes -ans im Auslaut zu
y wird. Ich kann mir die Sache nur auf eine Weise erklären, durch die Existenz
einer Nominativform auf -ans-s, die zwar hypothetisch auch sonst angenommen
(Schleicher, Comp.), aber nicht lautgesetzlich nachzuweisen war. Die Verwand-
lung des a in u erfolgte im Slavischen sowohl bei -an-s wie bei -ans-s, aber
nur vor n + einfachem s trat Ersatzdehnung ein, daher *kamans, * kamuns,
* kamūns
, woraus kamy, dagegen vor n + s + s nicht, daher *nakans-s, * ne-
sunss, *nesuns, *nesun, nesŭ
. Dieselbe Annahme macht es denn auch begreif-
lich, warum im Litauischen die substantivischen n-stämme und dieses Participium
auseinandergehen; bei jenen trat ebenfalls vor n + s Ersatzdehnung ein, *ak-
mans, *akmāns, * akmūns, akmů
, vor n + s + s nicht, daher *marans-s, *mi-
ranss, *mirans
, preuss. *mirons, lit.-lett. *mirens, daraus lit. mìręs, lett. miris.
Wie sich zu diesen Aufstellungen die acc. plur. verhalten, darüber am betreffen-
den Orte.


Ueber den nom. sg. msc. des slavischen Comparativs, z. B. dobrě-jĭ braucht
nichts weiter gesagt zu werden, als dass sich die Kürze des Auslauts genau so
erklären lässt, wie beim part. perf. act.; das ĭ ist gleich ŭ nach j.


c) nom. sg. der r-stämme (msc. und fem.).

Die germanischen Formen stehen einem ursprünglichen Stande hier näher
als die slavisch-litauischen, insofern sie den letzten Consonanten des Stamm-
bildungssuffixes bewahren, got. daúhtar gegenüber lit. duktė́, slaw. dŭšti =
*duktī. Es fragt sich, von welcher Nominativform haben wir als der dem Ger-
manischen zunächst zu Grunde liegenden auszugehen? Die südeuropäischen
Glieder unseres Sprachstammes haben übereinstimmend in den Verwandtschafts-
namen das r: πατήρ, pater, air. (p)athir; und selbst wenn ein lateinisches
patēr in der uns bekannten Periode der Sprache zweifelhaft ist, wird man wohl
aus dem -tōr der nom. ag. die einstige Länge des e der Verwandtschaftsnamen
supponiren dürfen, also als Grundform des nom. sg. für die ganze Gruppe -ēr
ansetzen. Dass diese Form vor der Geschichte der einzelnen Sprachen liegt, wird
durch den Hinweis auf vereinzelte griechische Dialektformen wie χέρς, μάκαρς,
die noch dazu anderen Kategorien von Worten angehören, nicht hinfällig. Wird
man demnach geneigt, die germanische Grundform als -ār zu bestimmen, so lässt
sich auch nachweisen, dass nach speciell germanischen und zwar altnordischen
Lautgesetzen nur so angesetzt werden kann. Hätte es für die specielle Entwick-
[24]a. Declination der Nomina.
lung der germanischen Sprachen noch eine Form *patar-s gegeben, so hätte diese
im Altnordischen nur *faðarr oder *faðirr ergeben können, genau wie hammarr,
annarr
u. dgl. aus -ara-s, denn da auslautende Consonantengruppen, bestehend
aus Consonant + s, vom consonantischen Auslautsgesetz nicht angegriffen wurden,
würde ein *faðars, *faðirs hinüber gedauert haben in die Wirkungszeit des
vocalischen Auslautsgesetzes, nach welchem aus *anþaras * anþars, altnord.
annarr wurde, und ebenso behandelt sein. Mithin war das s verschwunden vor
dem Eintritt des consonantischen Auslautsgesetzes. Aus dem Gotischen lässt sich
derselbe Nachweis aus einem besonderen Grunde nicht führen; in dieser Sprache
wird aus -rs nach Vocalen r, daher die Nominative vair (=* viras), stiur, anþar
u. a. zunächst aus *vairs u. s. w., während nach Consonanten rs bleibt akrs u. a.,
also würde auch ein durch das consonantische Auslautsgesetz nicht afficirbares
*fadars doch haben zu fadar werden müssen. Nebenbei bemerkt, muss das
Gesetz, nach welchem -rs bei vorhergehendem Vocal das s verliert, zu den spä-
testen Auslautsmodificationen des Gotischen gehören: das consonantische Aus-
lautsgesetz ist älter als das vocalische; da nun die Grundformen *vairas, *an-
þaras
von jenem nicht betroffen werden konnten, weil eben auslautendes
ursprüngliches s erhalten bleibt, musste zunächst durch die nun eintretende
Periode des vocalischen Auslautsgesetzes *vaírs, *anþars entstehen und erst
nach dieser Wirkung konnte das s abfallen. Eben der Umstand, dass dies
letztere fürs Nordische gar nicht gilt, beweist, dass auch im Gotischen fadar und
anþar aus einander zu haltende Fälle sind. Wir kommen also mit Hülfe der
germanischen Sprachen nicht über die Nominativform auf -ār hinaus.


Die slavischen und litauischen Formen sind folgende:


  • preuss. Katech. mûti, duckti, brâti,
  • „ Vocab. mothe, brote,
  • lit. motė́, duktė́,
  • lett. māte,
  • slav. mati, dŭšti.

Die preussischen Formen der Katechismen sind nur durch die auch sonst
vorkommende Schwächung des ē zu ī (vgl. supuni mit lit. żiupónė) von den
anderen unterschieden, so dass -ē als Endung für die ganze litauische Familie zu
Grunde zu legen ist. Auch die slavischen Formen matī, dŭštī (das i ist wie jedes
volle i des Slavischen ein langer Vocal) sind, da das Suffix ja jedenfalls ein a
enthalten hat, nicht anders als aus *mātē, * duktē zu erklären. Nun zeigen auf
den ersten Blick diese Formen im Fehlen des r die grösste Verwandtschaft zu
denen der arischen Sprachen, skrt. bhrātā, z. brāta, apers. brātā, und sind
auch bereits von Bopp zu den speciellen Uebereinstimmungen zwischen arisch
und slavo-lettisch gerechnet worden. Dennoch halte ich es für unmöglich, darin
mehr als einen Zufall zu erkennen. Grassmann, Wörterb. zum Rigveda VII
macht darauf aufmerksam, dass die Nominativformen mātār, hotār bisweilen im
Vedatext herzustellen sind, aber auch von Seiten des Slavisch-litauischen lassen
sich lautliche Gründe gegen die gemeinsame Ausbildung des nom. auf -ā an-
führen. Hätte bei einer etwa vorausgesetzten näheren Verbindung des Slavisch-
[25]i. Die Casus des Singulars.
litauischen mit dem Arischen eine beiden, jetzt getrennten Gruppen gemeinsame
Form bereits existirt, z. B. mātā, so wäre sie im Slavischen zu māta, im Li-
tauischen zu mōta geworden; es giebt keinen Fall, wo aus vorslavisch-litauischem
langem ā im Auslaut ein anderer Vocal als a geworden wäre. Also jedenfalls hat
das ā nicht im Auslaut gestanden, ob aber für die gemeinsame Periode des Sla-
vischen und Litauischen noch -*ars, daraus -*ers, oder -*ār, daraus -*ēr anzu-
setzen, ist aus diesen Sprachfamilien heraus unmöglich zu entscheiden, da sowohl
die Lautgruppe wie einfaches r im Slavischen nothwendig abfällt, im Litauischen
rs schwerlich geduldet werden konnte, r nothwendig schwindet.


Die Nominativform der r-stämme giebt also für die Bestimmung des Ver-
hältnisses des Slavisch-litauischen zum Germanischen keinen Anhaltspunkt,
widerspricht aber auch nicht einer etwa sonst sich ergebenden Annäherung, und,
was hier wichtig ist, hat jedenfalls in ihrer slavisch-litauischen Form keine Be-
deutung für die Versuche, das Slavisch-litauische dem Arischen näher zu stellen.


Masculine oder femininale s-stämme kommen in unseren Sprachen nicht
vor, nur Neutra sind vertreten, die beim acc. sg. abzuhandeln sind; die schein-
baren litauischen Masculinformen werden ebenfalls dort erwähnt werden.


2. Genitiv singularis.

A. Consonantische Stämme.

Die durch Anfügung des alten Suffixes -as gebildeten Genitive sind in den
drei Sprachfamilien nicht mehr überall, wo sie zu erwarten waren, vertreten,
indem Uebergänge in die vocalische Declination stattgefunden haben. Am reich-
sten ist in dieser Beziehung das Slavische, es hat die alte Form bei


  • den n-stämmen, msc. kamen-e, ntr. imen-e,
  • den r-stämmen mater-e,
  • den s-stämmen sloves-e ntr.,
  • den anderswo fehlenden -nt-stämmen der Art, wie z. B. žrě-
    bęt-e
    ,
  • den durch Spaltung des langen ū zu ŭv consonantischen Stämmen
    auf -ū-, nom. sg. ljuby, gen. ljubŭv-e;

dagegen haben die Participien und der Comparativ, da sie in allen Casus ausser
dem nom. sg. msc. ntr. ein vermehrendes Suffix -ja- annehmen, auch den Ge-
nitiv der a-stämme (nesąšta, nesŭša, mĭnjĭša). Es bedarf keiner weiteren Er-
läuterung, dass das e jener Genitive unmittelbar dem alten -as entspricht, Mittel-
stufe ist -*es.


Das Litauische hat einige Verluste mehr erlitten; erhalten ist die alte Form
nur bei den n- und r-stämmen: akmèn-s, motèr-s, verloren bei den -s- und Parti-
cipialstämmen, jene bekommen das erweiternde Suffix -i- oder -ja- für die
Flexion, diese -ja-, nom. sg. më́nů (Mond), St. mėnes-, gen. më́nesio von St.
mėnes-ja-, part. gen. sukanczo, d. i. sukantio, sukusio von den Stämmen sukant-ja-,
sukus-ja
-. Höchst wahrscheinlich hat uns hier das Preussische die älteste Form
[26]a. Declination der Nomina.
intact erhalten in dem öfter im III. Katechismus vorkommenden und von allen
anderen preussischen Genitivformen abweichenden kermenes (nom. kermens, s. o.);
denn wäre auch dieser Casus ein Uebergang in die vocalische Declination, wie
solcher im acc. sg. kermenan (neben kermenen) vorliegt, so würde die Form nur
*kermenas lauten können (vgl. den gen. sg. der a-stämme). Wenn es noch eines
weiteren Zeugnisses für den einst vorhandenen Vocal vor s im Litauischen bedarf,
so giebt dieses die Nichtexistenz des Nasalvocals in akmèns: die ursprüngliche
Stellung a (e) + nas. + s giebt stets Nasalvocal; daher kann auch z. B. der
gen. pron. pers. tavę́s u. s. w. nicht, wie Schleicher wollte, aus -enas oder-inas
erklärt werden. Für das Slavische und Litauische muss nach dem gesagten
die Schwächung des a der Endung zu e als gemeinsam angenommen werden,
demnach ist die Grundform beider *akmen-es.


Im Germanischen zeigen den consonantischen Genitiv die


  • n-stämme, got. hanin-s,
  • r-stämme, „ broþr-s,
  • part. praes. „ giband-s,
  • vereinzelte, wie man-s u. a.,

die anderen ursprünglich hierher gehörenden sind, wie bekannt, vocalisch ge-
worden. Hier lässt sich nun die Schwächung des Vocals vor s zu i (= e) nicht
belegen, allerdings vermuthen, wenn man annimmt, dass im gotischen hanin-s,
ahd. hanin, das i des stammbildenden Suffixes aus assimilirendem Einflusse eines
folgenden i hervorgegangen sei, und dafür spricht freilich der Umstand, dass nur
noch die Form, deren Auslaut sicher i war, dat.-loc. sg., ebenfalls i zeigt, got.
ahd. hanin = *hanini, die übrigen aber a. Allein über eine Vermuthung kommt
man hier nicht hinaus, die übrigen germanischen Sprachen haben alle a oder
dessen Vertreter vor dem n, as. hanan, -on, -un, -en, ags. hanan, anord. hana.
Nun ist es allerdings ganz wohl möglich, dass das a der letztgenannten Sprachen,
deren Declination sehr stark von secundären Analogiebildungen durchsetzt ist,
erst aus den anderen Casus eingedrungen ist, und die Uebereinstimmung des
Gotischen und Althochdeutschen hat immer ein gewisses Gewicht für die An-
nahme eines einst allgemein germanischen i an der betreffenden Stelle. Aber
man darf auf der anderen Seite nicht vergessen, dass das a des stammbildenden
Suffixes auch ohne Einwirkung eines folgenden i geschwächt werden konnte, vgl.
altlat. nomin-us, zumal hier möglicher Weise auch noch Accentverhältnisse in
Betracht kommen. Es lässt sich weiter nichts sagen, als dass uns nichts hindert,
die germanische Endung als -is anzusetzen, aber die Sicherheit, dass wir für
unsere drei Familien -es als Grundform anzusetzen hätten, während im Griechi-
schen und Lateinischen -os anzunehmen ist, fehlt doch.


B. i- und u-stämme.

Bekanntlich giebt es für die Anfügung der vocalisch anlautenden Casus-
endungen bei diesen Stämmen eine doppelte Möglichkeit und daneben eine zwie-
fache Form der Genitivendung:


[27]i. Die Casus des Singulars.

1. Der Stammauslaut erscheint in seiner Steigerungsform, dabei kann die
Form des Genitivsuffixes sein


  • a) -s: skrt. sūnō-s, z. paçèus, skrt. avēs, z. patōis;
  • b) -as: z. paçavō, patajō = -vas, -jas; griech. ἡδέϝ-ος, πόλεως, πόληος =
    *πολεϳος;

2. der Stammauslaut bleibt ungesteigert, Genitivendung ist -as, dabei bleibt


  • a) u oder i als Vocal erhalten, νέκυος, πόλιος, wahrscheinlich auch im Grie-
    chischen aus -uv-as, -ij-as, jedenfalls kann die Spaltung des Vocals im
    betreffenden Fall immer angenommen werden;
  • b) u, i werden zu den entsprechenden Spiranten v, j, skrt. sūnv-as, bei den
    i-stämmen im Sanskrit nur mit der dort den fem. eigenthümlichen
    Endung -ās, avj-ās, aber vedisch auch von ari-, arj-as (s. Schleicher,
    Comp.3 538).

Es ist noch hinzuzufügen, dass die Theorie geneigt ist, die angeführten Fälle
auf zwei zu reduciren, indem angenommen wird, dass sūnōs (= sūnaus) und
sūnvas beide aus der Grundform *sunavas entstanden seien, neben der dann als
zweite *sūnu-as, *sūnuv-as bestanden habe.


Auf die gegebenen Möglichkeiten hin sind die bestehenden Formen zu unter-
suchen. Bei der slavischen, synu, lässt sich sicher bestimmen, dass für den An-
fangspunkt der slavischen Entwicklung nur *sūnaus und keine andere Form
gelten kann; ein *sūnvas, *sūnuas, *sūnuvas kann selbstverständlich nicht zu
Grunde gelegt werden, da das u des Slavischen bestimmt auf einen, wie immer
entstandenen Diphthongen au hinweist. Aber auch eine Entstehung aus *sūnavs
= sūnavas ist nicht möglich, weil es im Slavischen keinen Fall giebt, wo vor
auslautender Consonanz Vocal ausfiele, das Slavische ist darin dem Litauischen
geradezu entgegengesetzt (vgl. gen. kamene mit akmèns); aus *sūnavas hätte nur
*synove werden können. Für die i-stämme lässt sich mit derselben Gewissheit
-ais als Anfangspunkt der slavischen Entwicklung erkennen: eine Form wie
pątī, moštī = *moktī kann aus *pantajas nicht hervorgehen aus dem eben bei
den u-stämmen angeführten Grunde; aus *pantijas, *pantjas nicht, weil das
Slavische eine Contraction von i (j) + a zu ī nicht kennt. Man darf hier nicht
etwa die nom. sg. fem. auf ī der oben (s. nom. sg.) besprochenen -stämme
heranziehen, da hier ja eben das j bleibt, nesąšti = *nesąt-jī. Die regelmässige
Entwicklung eines *pantijas wäre *pątĭje, die eines *pantjas *pąšte gewesen:
pątī, moštī können also nur auf *pantais, *maktais beruhen; ī ist der regelrechte
Vertreter von auslautendem ai, d. h. kurzem a + i.


Wenn auch nicht mit völliger Sicherheit, so doch mit der grössten Wahr-
scheinlichkeit lässt sich ferner behaupten, dass die litauischen Formen sūnaús,
akë́s
= *akais mit Mittelstufe *akeis die ältesten erreichbaren sind. Leider hat
das Preussische nur sehr undeutliche Spuren der Genitive von i- und u-stämmen
erhalten. In Katech. III lautet der gen. von soûns; das schon im nom. in die
Analogie der a-stämme übergetreten erscheint, soûnas; das ist ebenfalls die Form
der a-stämme, wenigstens lässt sich nicht nachweisen, dass das als Länge anzu-
sehende a (s. beim gen. sg. der a-stämme) aus au hervorgegangen sein könne.
[28]i. Declination der Nomina.
In Kat. I. (Taufformel) lautet die Form sunos, an derselben Stelle in II. sunons, das
letztere sicher nur ein Druckfehler für sunous, und das würde die der litauischen
genau entsprechende Form sein Genitive von i-stämmen können wohl in Formen
wie etnîstis (Gnade) mit Grund vermuthet werden, allein die Form lässt sich von
der der ja-stämme nicht trennen und kann ebensowohl bei dem im Preussischen
vorkommenden Uebergang der i- in ja-stämme (s. acc. nacktien) den letzteren
angehören. Wenn wir nun für das Litauische Grundformen wie *sūnavas, *aka-
ias
supponirten, so wäre zwar der Verlust des a vor dem schliessenden s nach
litauischen Auslautsgesetzen an sich zu erklären, nur enthielte die Erklärung
einen starken chronologischen Fehler: Elisionen des Vocals wie im nom. sg. msc.
der a-stämme vìlks = vìlkas, wie sie heutzutage Regel sind, gehören zu den
allerspätesten phonetischen Erscheinungen des Litauischen und sind nicht ein-
mal gegenwärtig völlig durchgedrungen oder dialektisch allgemein, in der Mund-
art von Anykszczei z. B. existirt das a noch als geschwächter Vocal durchweg:
vìlkŭs = vìlkas, während wir doch nirgends Nebenformen von sunaús, akë́s kennen.
Ferner ist es im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass eine aus zunächst vor-
ausgesetztem *akajas hervorgehende Form *akais ihr ai in ë verwandelt hätte,
wenigstens kenne ich keinen Fall, wo ein irgendwie durch Zusammenrückung
entstandenes ai dieser Verwandlung, die bei ursprünglichem ai so häufig ist, an-
heim gefallen wäre, vgl. z. B. 2. sg. praet. sukaí = *sukaji, aber te-sukë 3. sg.
opt. = *sukai(t). Was aber von den i-stämmen gilt, darf man bei der durch-
gängigen Conformität dieser Stämme auch auf die u-stämme übertragen. Es
könnte auffallen, dass dem akë́s nicht ein *sunůs gegenübersteht, allein man darf
im Litauischen durchaus nicht, wie man sich das z. B. nach Schleichers Dar-
stellung im Compendium und der litauischen Grammatik leicht vorstellen könnte,
für das ursprüngliche au als Regel ů erwarten, es bleibt vielmehr au in den aller-
meisten Fällen unverändert: nach einer auf Nesselmanns Wörterbuch beruhenden
Zählung giebt es 200 Fälle mit au, 65 mit ů, also für den letzteren Vocal entfällt
nur etwa ¼ aller Fälle. Nach dem gesagten werden wir für das Litauische nicht
über die Formen sunaús, *akais, d. h. akë́s hinausgehen können, die also mit
den slavischen sich decken. — Einer kurzen Erwähnung bedürfen noch die
lettischen Formen sird-s, alus (lit. szirdë́s, alaús), weil sie leicht zu falschen Con-
structionen Veranlassung geben können; sie beruhen einfach auf der im Letti-
schen allgemeinen Verkürzung aller Endsilben (vgl. růkăs = lit. rankós), die
aus au und ë stets u und i werden lässt, vgl. 1. sg. praet. lit. -au, likaú, lett. -u,
liku. Nach Bielensteins Worten (Lett. Spr. II, 20) muss es scheinen, als sei hier
ein Genitivsuffix -s unmittelbar dem Stamm angefügt. In dem, was die Reich-
haltigkeit und Zuverlässigkeit des Materials betrifft, wahrhaft ausgezeichneten
Werke Bielensteins ist die Auffassung der Formen leider oft beeinträchtigt durch
die Neigung, die lettischen Gestalten derselben direct auf älteste vorhandene oder
erschlossene Grundformen zu beziehen.


Die germanischen Formen, die bei den u-stämmen durchaus einerlei Gestalt
sind und alle zunächst aus sunaus = der gotischen Form hervorgehen, zeigen
bei den i-stämmen eine Differenz: got. anstais, as. ahd. ensti = ensti aus *anstîs
[29]i. Die Casus des Singulars.
verhalten sich nicht so, dass letzteres aus ersterem als Grundform lautlich erklärt
werden könnte. Betrachten wir zunächst nur die gotischen Formen. Scherer
(ZG 113) setzt als Grundformen *sunavas und *anstajas (vgl. auch S. 419),
und es ist unzweifelhaft, dass daraus nach dem Auslautsgesetz sunaus, anstais
werden mussten. Aber bei der Annahme von sunaus als germanischer Grund-
form widerspricht bekanntlich das Auslautsgesetz auch nicht, und einem ebenso
angesetzten anstais nur dann, wenn man Scherers Fassung desselben annimmt
(S. 121: «das Germanische befehdet i und a als letzte Vocale des Wortes, daher
verlieren sich die einfachen Kürzen i, a gänzlich aus der Endsilbe und âi, ai, ii
(i) werden zu â, a, i. Später verkürzen sich auch âa und â zu â und a»).
Allein das Gesetz ist in seiner Ausdehnung auf die Diphthonge nur dann erweis-
lich, wenn man Scherers sehr weit gehende und durch keine anderen Gründe
als eben dies hypothetische Auslautsgesetz gestützte Ansetzungen von Grund-
formen mitmacht (s. a. a. O. S. 120). Formen, wie die 2. sg. opt. praes. nimais
oder 2. sg. opt. perf. nemeis machen eine schon vorgermanische Form anstais
völlig möglich. Weiter als bis zur Möglichkeit lässt sich hier allerdings nicht
schliessen und wir stehen damit, wie oft, vor einem Falle, der eine gewisse Wich-
tigkeit hat und den wir doch nicht sicher entscheiden können. Stünde es fest,
dass für das Litauische, Slavische und Germanische nur -ais, aus gelten könne,
so wäre damit eine Abweichung vom Griechischen gegeben, das hier die süd-
europäischen Sprachen vertreten muss, da Italisch und Keltisch kaum einen
sicheren Schluss erlauben; das Griechische kennt entsprechende Formen nicht.
Auf der anderen Seite bestünde ebenfalls eine Abweichung vom Arischen, das
zwar -ais und -aus hat, daneben aber auch im Zend -avas, -ajas. Ich hebe
diesen Umstand nur hervor, um gelegentlich daran zu erinnern, dass an der-
gleichen Subtilitäten die Frage nach dem Verhältniss der Sprachen öfter hängt,
und dass es daher nothwendig ist, darauf näher einzugehen.


Eine weitere Schwierigkeit macht die ahd. alts. Form ensti = ensti = *enstîs:
ist sie aus einer einst mit dem Gotischen gemeinsamen Grundform nur lautlich
differenzirt oder nach einem anderen Princip gebildet? Scherer (S. 419) nimmt
das erstere an, indem er aus dem von ihm angenommenen *anstajas «mit Fär-
bung des a», d. h. durch Schwächung des a zu e, i *anstijas entstehen lässt, das
dann durch den Eintritt des vocalischen Auslautsgesetzes zu *anstīs geworden;
das gotische behielt das a, sonst würde *ansteis entstanden sein. Wäre diese
Entwickelung sicher, so hätten wir in der That zugleich den directen Nachweis
einer Grundform *anstajas für das Germanische. Als analoge Abweichung des Alt-
hochdeutschen vom Gotischen in der Schwächung des Vocals kann man ahd. suniu
dat. sg. für *sunivi neben got. sunau = *sunavi anführen, das Altsächsische hat
aber hier wieder die dem Gotischen entsprechende Form suno, sunu. Wie schwer
oder gar nicht hier zu einer Sicherheit über den Ursprung der Formen zu ge-
langen ist, zeigt die Darstellung der germanischen u-Declination bei Scherer selbst
S. 434, wo so viele Uebertragungen und Analogiebildungen als mitwirkend zu
der uns überlieferten Gestalt der Declination herbeigezogen werden, dass man
kaum noch Schlüsse auf die ursprüngliche Gestalt derselben wagen darf. Es ist
[30]a. Declination drr Nomina.
daher auch fraglich, ob die Heranziehung von suniu neben sunau irgend etwas
beweist; der Genitivform liegt sicher in keiner germanischen Sprache ein aus
*sunavas durch Vocalschwächung entstandenes *sunivas zu Grunde, so dass in
diesem Casus die Parallelität der beiden Stammclassen jedenfalls fehlt. Somit
bleibt, worauf es hier ankommt, die zweite Möglichkeit offen, dass in enstî die
dem griech. πόλιος analoge Bildung vorliege, und wir im Germanischen beide
Weisen, gesteigerten Auslaut in got. anstais, ungesteigerten in ahd. enstî anzu-
nehmen haben. Wir werden die Spuren solcher Doppelbildungen auch bei den
übrigen Casus zu suchen haben, um zu einem relativ sicheren Resultat zu ge-
langen.


C. a-stämme.

a) masc.-neutra.

Am leichtesten ist hier die Entscheidung über das Germanische: got. vulfis,
so wie die Formen der übrigen germanischen Sprachen, die dieser völlig ent-
sprechen *), kann eine Endung -is nur aus ursprünglichem -asja haben, das
durch Assimilation zu *assa, *-issa, durch das vocalische Auslautsgesetz endlich
zu -is, d. h. *iss wurde. Dass so der Vorgang war, dass Assimilation des sj zu
ss stattfand, beweist die altnord. Form úlfs durch die Nichtverwandlung des
auslautenden s in r, die bei ursprünglich einfachem s nothwendig ist (s. Ebel,
KZ. IV, 149). Zugleich besteht im Germanischen kein Unterschied zwischen dem
gen. sg. msc.-ntr. der substantivischen und dem der Pronominalstämme (abge-
sehen vom Personalpronomen), got. þis = tasja.


Ehe wir zu den sehr abweichenden Formen der beiden anderen Sprachen
übergehen, wird es zweckmässig sein, an die Gestalten dieses Casus in der Ge-
sammtheit der indogermanischen Sprachen zu erinnern. Im Arischen waltet
genau dasselbe Verhältniss wie im Germanischen, -sja gilt als Suffix bei Nomen
und Pronomen; ebenso verhält es sich im Griechischen. Die italischen Sprachen
müssen bei der noch immer bestehenden Unsicherheit der Erklärung und nament-
lich der Schwierigkeit einer solchen bei den pronominalen Formen wie lat. illius
u. s. w. vorläufig unberücksichtigt bleiben; es wird sich Gelegenheit zu ihrer
Benutzung gleich im folgenden finden. Das Keltische giebt keine Möglichkeit
einer sicheren Zurückführung der Formen. Man kann also, ohne auf die Frage
nach der ursprünglichen Zugehörigkeit des -sja einzugehen, das Factum so aus-
sprechen: im Germanischen, Arischen, Griechischen hat der gen. sg. msc.-ntr.
der a-stämme, einerlei ob diese nominal oder pronominal sind, als Suffix
nur -sja.


Im Slavischen und Litauischen ist nun das Verhältniss zwischen Pronomen
und Nomen ein anderes. Die Formen des Nomens, lit. vìlkō, slav. vlŭka = vlŭkā
[31]i. Die Casus des Singulars.
(da nur ursprüngliches ā im Auslaut als a erhalten bleibt) lassen sich trotz
Schleichers Behauptung (Comp.3 543) in keiner Weise aus *varkasja erklären,
da in keiner der beiden Sprachen Verluste von s oder sj zwischen Vocalen vor-
kommen. Die pronominale Form ist im Litauischen der nominalen gleich, , dass
dieser Zustand aber erst durch eine Uebertragung dieser auf jene entstanden ist,
wird durch das gleich zu behandelnde Preussische so gut wie sicher. Das Sla-
vische hat als pronominale Genitivendung -go (togo) und -so (čĭ-so), deren Er-
klärung noch dahin steht (s. unten pron. Declin.). Jedenfalls haben wir zunächst
das Factum, dass innerhalb des Slavisch-litauischen Differenzen zwischen no-
minaler und pronominaler Declination in diesem Casus bestehen, die das Ger-
manische nicht kennt. Es ergeben sich daraus zwei Fragen: ist diese Differenz
ursprünglich, und wie ist die slavisch-litauische Genitivform der Nomina zu
erklären?


Von ganz besonderer Bedeutung ist hier das Preussische, es kennt für msc.
und fem. nur eine Form: msc. deiwas, fem. galwas, so in den Katechismen,
und nach Pauli’s Deutung (Beitr. VII, 19) auch im Vocabular einmal gen. sg. msc.
in silkas-drunber (oder -drimbis) «Seidenschleier». Dass das a der Endsilbe beim
fem. als lang anzusetzen ist, versteht sich von selbst, vgl. lit. galvós, aber auch
beim msc. muss es lang sein, weil ă vor s im Preussischen der Katechismen aus-
fällt, daher der nom. sg. constant deiws, im Dialekt des Vocabulars zu i ge-
schwächt ist, daher nom. deywis. Daneben stehen nun als pronominale Formen
des msc.:


    • steisei
    • steise
    häufig in Kat. III.
  • steisi einmal in III.
  • stesse häufig in III.
  • stessei „ „ „
  • steisai einmal in III.

zu nom. sg. msc. s-ta-s, zusammengesetzes Pronomen wie lit. szì-tas aus den
Stämmen szi-, preuss. si-, und ta-. Derselbe Wechsel des Auslauts zwischen e,
ei, ai
findet sich auch bei anderen pronominal declinirten Worten, von ains (unus)
sogar ainessa III, 24. Wie es sich nun auch mit dieser wechselnden Schreibung
verhalten mag, man wird, namentlich im Hinblick auf die gesammte Pronominal-
flexion des Preussischen (s. u.) keine andere Annahme haben können, als dass
hier der alte Genitiv auf -sja vorliege, s-tesse = tasja. Wenn das aber richtig
ist, so fällt damit die etwaige Möglichkeit einer Erklärung des nominalen Genitivs
deiwas aus *daivasja von selbst weg. Hier im Preussischen haben wir also einen
Unterschied pronominaler Declination von der nominalen und zwar einen solchen,
dass wir beide Formen auf bekannte Suffixe verwandter Sprachen beziehen
können. Anders im Slavischen, wo zunächst beide unterschiedenen Formen
noch unklar sind. Was ist von diesem Unterschied zu halten, ist er ursprünglich,
oder, was dasselbe sagt: ist die nominale Form des preussischen Genitivs eine
aus alter Zeit ererbte oder aber eine speciell preussische, an dieser Stelle nicht
ursprüngliche Formation? Die Möglichkeit einer ursprünglichen Form *daivās
[32]a. Declination der Nomina.
lässt sich nicht bestreiten. Die Länge des ā könnte nur in einer Contraction ihren
Grund haben, also müsste man zurückgehen auf *daiva + as oder wahrschein-
licher auf *daiva-j-as, und hätte damit eine Bildung, wie sie als Grundlage der
italischen Formen osk. -eís, umbr. -ēs, lat. -ei, -ī angesetzt wird, von Schleicher
(Comp.3 543) auch für das Keltische; ausserdem könnte der gen. sg. fem. der
ā-stämme herbeigezogen werden als Analogie, der ja im preussischen gal-
wās
= lit. galvós völlig gleiche Form hat. In dem letzteren ist aber gerade der
Punkt, wo für das Preussische und dessen Verhältniss zum Litauischen und Sla-
vischen der Zweifel anfängt. Wäre eine Form wie deivās vorpreussisch, also
einst wenigstens dem gesammten Litauischen, wie man vermuthen müsste, auch
dem Slavischen eigen gewesen, so erklärt sich zwar die slavische Form vlŭkā
ganz vortrefflich aus *vlŭkās; warum aber hätte das Litauische von den gleichen
Formen *deivās, *galvās die eine als galvós erhalten, die andere aufgeben und
zu dë́vo umbilden sollen, zumal da kein Lautgesetz den Abfall von s verlangt.
Ein solcher Abfall kommt zwar im Litauischen vereinzelt vor (s. oben beim nom.
sg.), aber hier verbietet die Lautgleichheit des msc. und fem. und die Gemein-
samkeit des -s bei allen anderen Genitivformen (sunaús, akë́s, akmèns) daran zu
denken. Von der slavischen Form lässt sich streng genommen nicht behaupten,
dass sie der überlieferten preussischen nicht gleich sein könne, mag es auch
immerhin bei weitem wahrscheinlicher sein, dass vìlko und vlŭka dieselbe Form
sind. Wenn aber lit. dë́vo (lett. dëva) und preuss. deivās entschieden nicht das-
selbe sind, so kann man sich diese Differenz auf doppelte Weise erklären: ent-
weder es hat zwei Genitivformen oder vielleicht besser ausgedrückt, zwei zur
Function des Genitivs verwendete Formen gegeben, von denen das Litauisch-
lettische die eine, das Preussische die andere festgehalten hat; oder die preus-
sische Form ist eine Analogiebildung, vom fem. aufs msc. übertragen. Was die
erste Möglichkeit betrifft, so hat es immer sein missliches, bei zwei Sprachen, die
so wenig, nur dialektisch unterschieden sind, wie Preussich und Litauisch, deren
eine uns noch dazu erst in der Epoche des Aussterbens und sehr schlecht über-
liefert ist, in einer Degeneration, die secundäre Vorgänge stark begünstigt, radi-
cale Abweichungen, selbst nur stark differirende Verwendungen eines altüber-
lieferten, einst gemeinsamen Sprachgutes anzunehmen. Für die zweite Möglichkeit
der Erklärung lässt sich dagegen manches sagen. Vergleicht man die überlieferten
Casusformen der msc. und fem. a-stämme, so stellt sich eine fast durchgängige
Gleichheit heraus. Der Uebersicht wegen mögen diese Casus (nur die vier ge-
wöhnlichen sind im Preussischen überliefert mit dem Vocativ) hier an demselben
Worte durchgeführt werden, die unbelegten, d. h. nur bei anderen Worten be-
legten, besternt


msc. sing.n.deivs*)fem.*gena, genā**)
g.deivāsgenās
d.*deivai, deivu*genai


[33]i. Die Casus des Singulars.

Also im plur. herrscht, abgesehen von dem im dat. plur., sonst aber nirgends
bezeichneten Quantitätsunterschied im Stammauslaut, absolute Gleichheit der
Formen. Nun ist es mir im höchsten Grade wahrscheinlich, dass der nom. plur.
fem. aus einer Anlehnung an das msc. hervorgegangen sei. Wir haben zwar im
Griechischen sicher eine Pluralform des femininalen a-stammes mit i-suffix, diese
ist aber auch dort auffallend genug und erklärt sich vielleicht ebenfalls nur durch
Analogiebildung, um so mehr als ein nom. plur. fem. auf altes -ās mit dem gen.
zusammenfallen musste, ganz wie es, abgesehen von dem, aber bloss als Mög-
lichkeit vorhandenen Accentwechsel, z. B. im Litauischen wirklich der Fall ist:
rànkos repräsentirt beide Formen, mergós ist gen. sg., mérgos nom. plur. An-
dererseits hat das Litauisch-lettische keine Spur eines nom. plur. fem. auf ai,
und auch die eigenthümliche slavische Form auf -y, -ę (ein acc.) führt indirect,
wie unten auszuführen, auf -ās. Drittens scheint mir sogar wenigstens ein Bei-
spiel der dem Litauischen gleichen femininalen Pluralform Katech. III, 27 erhalten
zu sein in dem Satze: stawîdas madlas ast steismu tâwan en dangon enimmewingi,
deutsch: «solche bitte sind u. s. w.», also im Deutschen Plural. Es ist doch un-
glaublich, dass das häufig vorkommende und an dieser Stelle des Katechismus
(im Vaterunser) siebenmal nach einander stehende fem. madla gerade hier als
msc. behandelt und die Stelle noch dazu falsch übersetzt sein soll, wie Nessel-
mann meint, der madlas für nom. sg. masc. hält; es ist eben der alte nom. plur.
fem. Dazu kommt noch die Doppelform des dat. sg. msc., von der die auf -u die
genaue Entsprechung in den beiden andern litauischen Sprachen und vielleicht im
Slav. hat, die auf -ai wieder der Femininalform gleicht; da nun u aus ai nicht ent-
standen sein kann, bleibt auch hier nur Annahme einer Entlehnung vom fem.
übrig. Bei dieser Sachlage, die uns eine Ausgleichung zwischen den Formen des
msc. und fem. als höchst wahrscheinlich annehmen lässt, kann man auf die
Genitivform des msc. für die Vergleichung unmöglich etwas geben. Wie viel
freilich von den auffallenden Erscheinungen in der Sprache der preussischen
Katechismen auf die damalige Gestalt des Dialekts, wie viel auf Unwissenheit und
Missverständnisse des Uebersetzers kommt, ist nicht auszumachen; wie dem aber
auch sei, die Authenticität der Form im Sinne einer ursprünglichen gewinnt in
keinem Falle.


Also ich fasse die preussische Form deivās als eine unursprüngliche, von
der die eigentliche Form des msc. vollkommen verdrängt ist. Und doch vielleicht
nicht vollkommen; eine freilich kühne Vermuthung in Bezug auf eine verzweifelte
Stelle des Katech. III führt möglicher Weise auf eine letzte Spur des dem litaui-
schen analogen Genitivs. III, 52 ist der Satz: «du sollst dem Ochsen, der da
drischet, das Maul nicht verbinden», übersetzt durch: tu turei stesmu kurwan,
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 3
[34]a. Declination der Nomina.
kas arrientlâku, ni stan austin perreist. Alle anderen Worte sind klar, nur ar-
rientlâku
spottet der Erklärung und Vergleichung. Wenn Nesselmann noch Thes.
ling. pruss. p. 7 den von ihm als tlâku abgetrennten letzten Theil mit abulg.
tlŭką, tlěšti, russ. tołkat́ u. s. w. (stossen) vergleicht, so beweist das eben nur
seine Unkenntniss des Verhältnisses von Slavisch und Litauisch: das Wort
kann weder urverwandt noch aus dem Slavischen entlehnt sein, denn in beiden
Fällen würde die Wurzelsilbe talk lauten. Dagegen hat auch Nesselmann, was
freilich auf der Hand lag, im ersten Theil lit. ár-ti (pflügen) richtig vermuthet
und fährt fort: «ich denke mir nun die Entstehung dieses wundersamen Wortes
so: der Uebersetzer hatte den bekannten Spruch vor sich: «du sollst dem Ochsen,
der da drischet, das Maul nicht verbinden»; nun hatte derselbe, der hiesigen
Landessitte gemäss, den Ochsen zwar häufig zum Pflügen, aber nie zum Dreschen
benutzt gesehen, daher übersetzte er: «der da pflügt», aria oder ähnlich, ver-
änderte dieses aber nach nochmaliger Einsicht in den deutschen Text in tlaku,
vielleicht entlaku, so dass nun in seiner Handschrift und von da auch im Drucke
beide Formen neben einander stehen blieben und zu einem räthselhaften Com-
positum zusammenwuchsen». Abgesehen von der durch nichts zu begründenden
Meinung, dass entlâku wirklich «er drischt» heisse, könnte man sich den Hergang
ja ungefähr so vorstellen, aber viel näher scheint mir folgendes zu liegen: der
Uebersetzer, der, wie es feststeht, nicht selbst übersetzte, sondern seinen Tolken
(Dolmetsch) dazu brauchte, fragte diesen, wie «der Ochse drischt» zu über-
setzen, dieser, dem Dreschen und Ochs keine Beziehung zu einander hatten, über-
setzte nach der ihm einzig bekannten Verwendung des Ochsen zur Feldarbeit
frisch weg: ária ànt laúko (lit.) «er pflügt auf dem Felde», wofür preussisch ein
arie ent lauku sehr wohl möglich wäre (u = lit. ō = urspr. ā kommt auch sonst
vor, vgl. mûti = lit. motė́ = *mātē). So wäre der gesuchte Genitiv wirklich vor-
handen. Ich weiss wohl, dass dem leicht entgegenzusetzen ist, es finde sich in
dem uns überlieferten Preussischen die Präposition ant nicht und lâku für lauku
sei auch auffällig; aber ich will damit auch weiter nichts geben, als eine ge-
wagte Vermuthung, die man bei diesen corrumpirten Quellen wohl haben darf.
Die obigen Bemerkungen über den gen. msc. auf -as bleiben davon unberührt.


Es bleibt nun für die Erklärung des litauischen und höchst wahrscheinlich
auch des slavischen Genitivs nichts anderes übrig als die Vermuthung Hattala’s,
die Formen dë́vo, vlŭkā seien gar nicht Genitive, sondern Ablative auf urspr.
-āt. In beiden Sprachen muss lautgesetzlich das t abfallen, und die Formen sind
damit in der That lautlich erklärt. Auf eine etwaige syntaktische Begründung
dieser Ansicht, wie sie versucht worden ist, muss man, glaube ich, verzichten;
es lässt sich zwar leicht nachweisen, dass die Formen auf -o, -a ablativische
Functionen haben, z. B. beim Comparativ, im Litauischen als Bezeichnung des
Urhebers beim Passivum, allein bei der ganz engen Verwandtschaft des Ablativs
und Genitivs, bei der Leichtigkeit, mit der diese Casus sich ablösen, halte ich es
für zu unsicher, vom Gebrauche auf die ursprüngliche Form zu schliessen.


Die Verwendung der Ablativform statt des Genitivs bei diesen Stämmen ver-
anlasst nothwendig, über die etwa derselben zu Grunde liegenden sprachgeschicht-
[35]i. Die Casus des Singulars.
lichen Thatsachen nachzudenken. Hätte es im Gebiete der litauischen und sla-
vischen Sprachen je einen gen. sg. msc. auf -asja gegeben, so ist gar nicht ein-
zusehen, wie derselbe hätte verloren gehen können. Der Verlust einer Casusform
kann verschiedene Gründe haben: die Auslautsgesetze können alles charakteri-
stische der Form abstreifen, so dass Zusammenfallen mit einer anderen Casusform
eintritt, und eine und dieselbe Form zwei ursprünglich getrennte Functionen
erfüllt oder erfüllen müsste. Ist nämlich in solchem Falle das Formgefühl einer
Sprache noch lebendig, so wird aus einer anderen Stammclasse, in der die Formen
nicht zusammenfielen, die verlorne entlehnt, es entsteht eine Analogiebildung,
wie solche in der modernen Entwicklung, z. B. der slavischen Sprachen, fast
übermässig vorhanden sind. Oder die Sprache besitzt zwei Casusformen ver-
schiedenen Suffixes, aber so verwandter Bedeutung, dass namentlich bei der
Abschleifung der Empfindung für die ursprüngliche Bedeutung die feine Nüance
nicht mehr gefühlt und die eine der Formen vernachlässigt, aufgegeben wird.
Der erstere Fall wird für den Genitiv auf -asja durch die litauischen und sla-
vischen Auslautsgesetze ausgeschlossen, wir sehen ja im preuss. stesse u. s. w. die
Form erhalten, und im Litauischen hätte * tasja, *varkasja auch nur *tasie, *vil-
kasie
oder * tasi, * vilkasi, wie im Slavischen * toše, * vlŭkoše oder -šĭ werden
können, eine weitere Veränderung hätte nicht stattgefunden. Die Form ist über-
dies von allen sonstigen Casusformen deutlich geschieden. Möglich wäre der
andere Fall, allein es ist, wenn man sowohl das Slavisch-litauische selbst wie
die übrigen Sprachen betrachtet, sehr unwahrscheinlich, dass der Genitiv für
den Ablativ hingegeben sei: einmal ist der wirkliche Genitiv aller anderen
Stämme im Slavisch-litauischen in lebendigem Gebrauche, zweitens, wo in an-
deren Sprachen Verlust eintritt, sehen wir regelmässig den Ablativ weichen, wie
im Griechischen und Deutschen. Es ist daher wohl erlaubt, die Vermuthung aus-
zusprechen, dass das Slavisch-litauische einen nominalen gen. sg. auf -asja nie
besessen habe, und die weitere Hypothese, dass das Suffix ‒ sja ursprünglich
eins jener dem Pronomen eigenthümlichen Casussuffixe gewesen, und in den
Sprachen, die es auch beim Nomen haben, erst auf dieses übertragen sei. Damit
soll nicht gesagt sein, dass dies in jeder einzelnen Sprache für sich geschehen sei,
möglicher Weise kann es auch in einer ganzen, erst später getrennten Gruppe
vor sich gegangen sein.


Ueber die Behandlung der vorliegenden Ablativformen der indogermanischen
Sprachen ins reine zu kommen, scheint mir überhaupt recht schwierig, und es
dürfte wegen der allgemeinen Frage nach der ursprünglichen Casusreihe und der
sich daran knüpfenden Frage nach dem Werthe, den die in einer Sprache vor-
handene Reihe für die Rückschlüsse auf die Ursprache hat, der Mühe werth sein,
hier wenigstens andeutungsweise darauf einzugehen. Die Theorie der ver-
gleichenden Grammatik geht dahin, den Ablativ mit ursprünglichem -at oder
daraus entstandenem -t der Ursprache für alle Stammclassen der Nomina zuzu-
schreiben, also einen Zustand anzunehmen, wie er im Zend und den italischen
Sprachen wirklich vorliegt (s. z. B. Schleicher’s Comp.3 533). Man nimmt also
auch an, dass die Sprachen, die bei gewissen Stämmen den Ablativ nicht kennen,
3*
[36]a. Declination der Nomina.
ihn bei diesen im Verlauf ihrer Geschichte eingebüsst haben. Dabei kommen aber
doch ganz eigenthümliche Verhältnisse heraus. Das Sanskrit hat den Ablativ nur
bei den msc. und ntr. a-stämmen, auch beim Pronomen nur so. Der von Benſey,
Kl. Skrtgr. § 451 und A. Weber, Beitr. III, 389 genannte vereinzelte Fall vom Ab-
lativ eines u-stammes ist ganz unsicher: vgl. das P. W. s. v. vidjōt, wo sowohl
dies wie didjōt als dem Gleichmass in der Formel mrtjōs pāhi vidjōt pāhi zu Liebe
künstlich aus vidjut, didjut gebildete Formen erklärt werden. Die griechischen
Adverbia auf -ῶς stammen alle, direct oder als Analogiebildungen, von den
a-stämmen her, und zwar, wie die Vocalisation als ō zeigt, vom msc.-ntr. Das
Slavisch-litauische hat den gen. -abl. auf -ā = -āt nur beim msc. und ntr.
a-stamm. Wenn die gotischen Adverbia auf -ō wirklich Ablative wären, was
kaum möglich ist, gehörten auch sie der Form nach nur den a-stämmen an. Wir
haben also hier in drei oder vier Sprachen, die unter einander in keinem näheren
historischen Verhältniss stehen, für die gleichen und, wie Italisch und Zend zeigen,
so bequem zu bildenden Ablativformen der i- und u-stämme gleichmässigen Ver-
lust, und, was noch sonderbarer ist, in allen dreien oder vieren gleichmässige Erhal-
tung der syntaktisch doch ebenso überflüssigen Form bei den msc.-ntr. a-stämmen
anzunehmen. Es scheint mir daher viel wahrscheinlicher, dass die Ablativform
schon ursprünglich nur den msc.-ntr. a-stämmen zukam und im Zend wie in den
italischen Sprachen auf die anderen Stammclassen übertragen ist. — Ich möchte
hier eine Bemerkung nicht unterdrücken, die, wenn sie auch aus der Kargheit
des Materials heraus nichts entscheiden kann, doch vielleicht einen Beitrag zur
weiteren Verfolgung der hier behandelten Frage liefert. Im Altpersischen sind
nur Ablative von msc.-ntr. a-stämmen wirklich formell nachweisbar. Verbin-
dungen wie hacâ draugâ (von Lüge), hacâ Kambujiyâ (von Kambyses), wie sie
häufig vorkommen, können nur Ablative enthalten, wie sie auch von Spiegel,
Altp. Keilinschr. S. 154, bestimmt sind. Die Formen fallen allerdings mit dem
instr. zusammen, aber einmal ist ein solcher hier syntaktisch undenkbar und
dann zeigt die Anwendung der nicht als Casus geltenden Formen auf -ta = skt.
-tas (in dem öfter vorkommenden hacâ paruviyata, «von früher her»), so wie das
häufige hacâ ma, «von mir», wo ma = skrt. mad deutlich genug, dass wir es bei
hacâ mit Ablativformen zu thun haben, in denen, wie das im Altpersischen nach
a-Vocalen nothwendig ist, das t abfiel. Von der Genitivform auf -hyâ ist der
Ablativ deutlich geschieden. Nicht so bei den anderen Stammclassen: fem. ā-
stamm z. B. hacâ … taumâyâ (von dem Stamme) kann lautgesetzlich ebenso-
wohl = *taumâyâs wie * taumâyât sein und entspräche in letzterem Falle dem
zendischen Ablativ fem. gen. auf -ayâṭ. Nun lauten die Genitive der u- und
i-stämme z. B. Kuraus (St. Kuru-, Cyrus), Fravartais (St. Fravarti-, Phraorthes),
nach den Citaten in Spiegels Glossar s. v. hacâ kommt einmal eine solche Form
ablativisch vor: hacâ Bâbiraus (St. Bâbiru-, von Babylon). Wendet man darauf
die Regel an, wie sie Schleicher, Comp.3 200 giebt: «im Altpersischen wird im
Auslaut t, n, h (s) nicht geduldet, wenigstens nicht geschrieben . . . . . t wird
nach au in s gewandelt, z. B. 3. sg. impf. a-kunaus, W. kar (machen), Gdf. a-
karnaut
», so könnte die Sache einfach so erscheinen: die Ablativform * Bâbiraut,
[37]i. Die Casus des Singulars.
die zendischen Formen wie paçaoṭ entspräche, sei durch die Wandlung von t in s
mit der Genitivform nur äusserlich zusammengefallen, ebenso natürlich bei den i-st.
Und doch wäre das falsch, denn nach der Fassung der Regel müssten ja die wirk-
lichen Genitive * Bâbirau, * Kurau, * Fravartai lauten, der Unterschied der Casus
wäre mithin geblieben. Wie soll man aber daran zweifeln, dass in Verbindungen
wie Caispais pitâ (des Caispis Vater) oder Kuraus putra (des Cyrus Sohn) so gut
wirkliche Genitive enthalten sind, wie etwa in Arsâmahyâ pitâ (des Arsama
Vater); man kann doch nicht annehmen, dass hier auf einmal lauter Ablativ-
formen aus *Caispait, * Kuraut u. s. w. stehen. Kurz, die ganze Regel ist un-
richtig, der Abfall des s beschränkt sich auf die Stellung nach a-Vocal, wie es
auch bei Spiegel a. a. O. S. 146 angegeben ist, und wie die nom. sg. auf -is, -us
ohne weiteres zeigen. Auch so würde, die Allgemeinheit der Regel von der Wand-
lung des t in s nach au zugegeben (sie kann thatsächlich nur aus der 3. sg. im-
perf. der Präsensstämme auf -nu- abstrahirt werden), ein ursprünglicher Ablativ
* Bâbiraut mit gen. Bâbiraus zusammenfallen müssen, aber die Möglichkeit, und
das ist es, worauf ich hier hinweisen wollte, bleibt doch, dass das Verhältniss
der Ablativ- und Genitivformen im Altpersischen so war, wie im Sanskrit.
Unglücklicherweise lässt uns die Ueberlieferung in Betreff der analogen Fälle aus
anderen Flexionsclassen im Stich: es kommt keine Form eines i-stammes auf -ais
ablativisch vor, noch ist die 3. sg. opt. praes. auf -ait belegt, so dass das Schick-
sal von auslautendem t nach ai nicht entdeckt werden kann; das würde den
Stand der Dinge auf einmal klar machen.


Kehren wir zu unserer unterbrochenen Betrachtung zurück. Wenn man zu
der gegebenen Auseinandersetzung hinzunimmt, dass für das Slavisch-litauische
die einstige Existenz eines Genitivs auf -a-sja beim Nomen höchst unwahrschein-
lich ist, so kommt man auf den Schluss, dass es eine Zeit gegeben habe, wo
wenigstens in einem Theile des indogermanischen Sprachgebietes die msc.-ntr.
a-stämme nur eine Form zur Bezeichnung des Genitiv- und Ablativverhältnisses
hatten, die auf -āt = a-at, sowie die übrigen Stammclassen die eine Form auf
-as, -s zum Ausdruck beider Verhältnisse gebrauchten, während beim Pronomen
unterschiedene Formen für beide bestanden. Oder anders ausgedrückt: nur beim
Pronomen waren überhaupt die Functionen geschieden. Diese Differenz zwischen
Nomen und Pronomen mag auf den ersten Blick auffällig erscheinen, ist es aber
in der That weniger, wenn man bedenkt, dass die Pronomina ja entschieden
andere und mehr Casussuffixe zeigen als die Nomina. Stellen wir uns die Sache,
um zu einer Ansicht zu gelangen, warum gerade nur bei den nominalen a-stäm-
men eine Doppelform vorhanden ist, an Beispielen vor Augen: es existirte gen.-
abl. *varkāt, gen.-abl. sūnaus, und so bei allen nominalen Nicht-a-stämmen, mit
-s-suffix; beim Pronomen aber tasja und * tāt oder tasmāt neben einander mit
geschiedenen Functionen; so wäre der Grund einer Annahme des -sja für die
a-classe der Nomina darin zu suchen, dass nur sie mit dem Pronominibus in der
Ablativ-(Genitiv) form eine Gleichheit des Auslauts zeigen; weder Sanskrit,
noch Zend, noch Griechisch, noch Italisch haben in der Ablativform der Prono-
mina andere als a-stämme, sei es, dass a den Auslaut der Wurzel bildet, sei es,
[38]a. Declination der Nomina.
dass dasselbe dem Zusatze -sma- angehört. Die so bei den nominalen a-stämmen
eingetretene Scheidung der beiden Casus wäre dann erst im Zend und Italischen
zur Perfection gekommen, indem die Ablativform auf die anderen Stammclassen
ausgedehnt wurde. Dabei blieben immer noch Fragen unbeantwortet: wie
kommt es, dass die msc.-ntr. a-stämme einen andern gen.-abl. hatten, als die
übrigen, und dass nur beim Pronomen die Functionen von Ablativ und Genitiv
ursprünglich geschieden waren? Die Frage lässt sich nicht beantworten, so wenig
wie für den Umstand, dass wir für den instr. sg. zwei in ihrer Function nicht
verschiedene oder besser gesagt nicht mehr unterscheidbare Casussuffixe -ā und
-bhi finden, die wenigstens im Slavisch-litauischen beide vorkommen (ā auf die
femininalen ā-stämme beschränkt) eine Erklärung gefunden ist, ausser der über-
all passenden, dass eben für den ältesten Zustand der Sprache die Zahl der Casus-
suffixe eine grössere war.


Ich betone, dass ich auf die vorgetragene Hypothese nicht viel gebe, aber es
kommt mir gerade darauf an, die gegebenen Möglichkeiten zu erschöpfen, und
eine Möglichkeit bleibt es, dass das Slavisch-litauische den gen. auf -sja beim
Nomen nie besessen hat. Das war aber hier um so mehr hervorzuheben, weil
davon das Verhältniss dieser Gruppe zu den anderen indogermanischen berührt
wird: um nur eins hier auszusprechen, dass Slavisch-litauische hätte in diesem
Falle einen primitiveren Zustand bewahrt, als alle anderen indogermanischen
Sprachen, wenn man von den italischen und keltischen Sprachen absieht, das
muss man aber wegen der Unklarheit der Genitivformen in diesen auf alle Fälle.
Im Italischen ist ohne die grösste Willkür keine Spur des -sja nachweisbar, aber
die hier in Betracht kommenden Genitivformen der msc. a-stämme wie die pro-
nominalen Genitive scheinen mir ganz unursprüngliche, speciell italische Bil-
dungen zu sein. Alles, was die vergleichenden Grammatiker darüber vorgebracht
haben, kann nur als ein Versuch angesehen werden, Grundformen zu finden und
mit Grundformen zu operiren, die keine Gewähr haben.


Es wäre hier vielleicht der Ort, über die etwaigen germanischen Ablative,
die in den Adverbien auf -ō vermuthet sind, zu reden. Die Entscheidung über
diese schwierigen Formen lässt sich aber nur durch eine Untersuchung der ger-
manischen Adverbialbildung überhaupt erlangen, auf die ich hier verzichten
muss, weil sie zu weit in die Stammbildung hineinführen würde. Ein Bedenken
gegen die Auffassung jener Adverbia als Ablativa auf -āt bildet das Auslauts-
gesetz, wenigstens in seiner bisher anerkannten Fassung. Wenn durch das con-
sonantische Auslautsgesetz das t beseitigt war, kann für ā nach Wirkung des
vocalischen Auslautsgesetzes nur ă erwartet werden.


b) fem. ā-stämme.

Alle europäisch-indogermanischen Sprachen, wenn man die unklare Form
des Keltischen bei Seite lässt, geben uns Belege für den Auslaut dieser Form als
-ās: griech. -āς, -ης, lat. osk. umbr. -ās, germ. -ās (daher got. -ōs und alle
Formen der einzelnen germanischen Sprachen), lit. -ās (preuss. -as = ās, lett.
-as = ās, lit. -ōs); das Slavische hat die Form verloren und anderweitig ersetzt,
[39]i. Die Casus des Singulars.
worüber unten. Nur die arischen Sprachen zeigen deutlich eine anders geartete
Bildung: skrt. açvājās, zend. dātajāo, dātajāoç-ka, altpers. taumājā. Bekannt-
lich wird das -ās im Arischen auch bei den fem. i- und u-stämmen neben -as
und einfachem mit Steigerung des Stammes verbundenem -s angewendet, worin
man kaum etwas anderes als Uebertragung von den ā-stämmen erblicken kann.
Die Formen der geschlechtigen Pronomina zeigen keine Abweichung, was den
Ausgang -ās betrifft, und hier haben wir auch im Arischen einfaches -ās ohne
vorangehendes j, da im sanskr. tasjās sj oder besser sja als stammbildendes
Element aufzufassen ist. Was nun bei dieser Pronominalform als eigentliches
Casussuffix abzutrennen sei, ist nicht wohl auszumachen, da sowohl tasja + as
wie + ās die vorhandene Form ergiebt; bei den Nomina liegt ja -ās deutlich vor.


Es scheint ziemlich allgemein die Ansicht zu herrschen, die europäischen
Formen dieses nominalen Genitivs seien mit den arischen zu identificiren. Dem
scheinen die altlateinischen Formen auf -ais, -aes eine unmittelbare Handhabe
zu bieten; so wird nach Curtius (Erläut. S. 53) aus -ājās «durch Verdünnung der
Silbe jās im Lateinischen -aïs (auch -aes), das dann einerseits zu (terrâi) und
weiter zu ai, ae abgestumpft, andererseits wie in familiās zu ās contrahirt ward,
während die Griechen das j ausfallen liessen und α-ας zu ᾱς zusammenzogen».
Wer, wie z. B. Schleicher, die Entstehung des gen. msc. der italischen a-stämme,
osk. -eis, lat. -ei, -ī = *eis auf *-a-j-as zurückführt, erhält durch jene Erklärung
des gen. fem. zugleich eine Parallelität der Genera, die scheinbar für ihn spricht.
Trotzdem scheint mir die Sache äusserst zweifelhaft. Im Oskischen und Um-
brischen finden wir den gen. sg. msc.-ntr. der a-stämme auf -eís, umbr. -ēs,
-ēr
, also wie im Lateinischen -ei = * eis; dagegen von einem entsprechenden
-aís der fem. nichts. Wenn nun so nahe verwandte Sprachen wie Oskisch-
Umbrisch auf der einen, Lateinisch auf der andern Seite so eigenthümliche Bil-
dungen zeigen, wie die gen. auf -eis jedenfalls sind, muss man annehmen, dass
dieselben auf einer noch gemeinsamen Entwicklung der Sprachen beruhen. Wenn
aber daneben die ganz analoge Form auf -ais nur in der einen vorkommt, diese
aber zugleich in den vereinzelten Formen auf -ās die zum Oskisch-Umbrischen
völlig stimmende Gestalt aufweist, so ist nach allen sprachgeschichtlichen Er-
fahrungen zu präsumiren, dass -ais erst auf dem Boden des Lateinischen selbst
entstanden ist durch Nachbildung des -eis der msc.-ntr. Mir ist nicht unbekannt,
dass solche Ansichten in der vergleichenden Grammatik immer noch starken
Widerspruch erregen: man hat sich nach dem ganzen Entwicklungsgange dieser
Disciplin daran gewöhnt, bei den einzelnen Formen der Einzelsprachen immer
zunächst an die Ursprache zu denken und die Canäle zu suchen, die bis zu dieser
hinführen, den Drang zur Formbildung, der sich in den einzelnen Sprachen
durch Uebertragungen und Analogiebildungen verräth, vernachlässigend. Ich
halte es, wenn man sich vor falschen Constructionen bewahren will, für ganz
nothwendig, die letztere Seite immer zuerst hervorzuheben, dann erst nach den
Grundformen zu suchen. Hätten wir, was wir leider nicht haben, eine den An-
forderungen der heutigen Grammatik entsprechende Geschichte derjenigen indo-
germanischen Sprachen, deren Entwicklung wir am längsten verfolgen können,
[40]a. Declination der Nomina.
ja nur des Slavischen und Deutschen, so würde mancher Unglaube an Analogie-
bildungen schwinden. Mir gilt es durchaus nicht für erwiesen, dass in den latei-
nischen gen. fem. auf -ais ursprüngliche Formen stecken, ja nicht einmal, um
das hier mit anzuführen, dass das allgemein italische -eis der msc.-ntr. auf
-ajas zurückgehe. Ich halte es für wenigstens ebenso möglich, dass diese Form
nichts weiter sei, als die auf die a-stämme übernommene Form der i-stämme, ur-
sprünglich-ais. Wenn man sieht, wie im Oskischen consonantische und u-stämme,
mātreis, senateis, diese Genitivform haben, die doch hier gar nicht anders erklärt
werden kann, als auf Grundlage einer Nachbildung der i-formen, wenn daneben
bei den u-stämmen noch im osk. castrous, umbr. trifor die ursprüngliche Genitiv-
form vorkommt, man also den Fortschritt der Analogiebildung in diesen Sprachen
selbst beobachten kann, so hält es doch auch nicht schwer, die gleiche Ueber-
tragung auf die a-stämme anzunehmen. Die italischen Sprachen gelten noch
immer fälschlich für sehr ursprünglich, aber niemand sträubt sich dagegen, im
Italischen, speciell im Lateinischen die Entlehnung des Suffixes des gen. plur.
fem. auf -rum in die msc. und ntr. hinein anzunehmen, ebensowenig die Aus-
dehnung des nom. und gen. plur. der i-stämme auf die consonantischen u. s. w.
Die Sache steht bei der lateinischen Declination so: die Herrschaft der i-stämme
ist in der Declination eine so ausgedehnte, dass, wenn eine Form einer andern
Stammclasse mit einer i-form lautlich identisch ist, und wir diese Identität nicht
auf ein aus dem Italischen selbst bekanntes Lautgesetz zurückführen können,
wir immer der Wahrheit näher kommen werden, wenn wir dieselbe auch für
eine wirkliche i-form halten, als wenn wir dafür eine indogermanische Grund-
form suchen, die doch, genau genommen, keine andere Gewähr hat, als eben jene
Form selbst.


Ganz ebenso steht es mit den im Griechischen gesuchten Beispielen für eine
Genitivform auf -ājā̆s, so anzusetzen, weil die so gedeuteten Formen die Quan-
tität des a vor dem s nicht immer erkennen lassen. Curtius deutet die gen. msc.
der männlichen Themen auf ā, ᾱο, εω aus -ā-jas. Schleicher, Comp.3 540, be-
merkt schon dagegen: «wir möchten jedoch bezweifeln, dass im gen. sg. ein ein-
mal vorhandenes s geschwunden ist, da die Analogie der zahlreichen Genitive
auf -os wohl ein solches gehalten haben würde.» Ganz entschieden; bei der
Existenz der Genitivformen auf -o (oo, οιο aus οσjο = asja) ist es zweifellos,
dass wir in den Formen wie Ἀτρείδαο die Endung -sja anzusetzen haben, also
mit dem Stammvocal zusammen -āsja, wie auch von Bopp angenommen. Dar-
aus entsteht ao richtig lautgesetzlich; und es erscheint mir ebenso einzig richtig,
anzunehmen, dass von den überzahlreichen msc. ă-stämmen das Suffix eben
wegen des gleichen Genus auf die minder zahlreichen msc. ā-stämme übertragen
ist. Auch hat die Berufung auf die femininalen Formen gleicher Art im arkadischen
Dialekt (s. Michaelis, Inschr. aus Tegea. Jahrb. f. cl. Phil. 1861, p. 585) keine
Bedeutung; wenn in diesem Dialekt die femininalen ā-stämme Genitive wie ζα-
μίαυ = ζαμίαο bilden, so haben wir darin natürlich dieselbe Form wie Ἀτρεί-
δαο; allein wenn im selben Dialekt der gen. sg. fem. des Artikels τᾶς lautet, so
kann ich mich wenigstens nicht überzeugen, dass hier Artikel und Nomen die-
[41]i. Die Casus des Singulars.
selbe Grundform auf -αjος, nur verschieden lautlich umgebildet, enthalten sollen.
Wo lässt sich erstlich ein Grund finden, dass in bedeutend vorhistorischen Zeiten
ein j ausgefallen und dann in einem Falle, beim Artikel, αο zu ᾱ geworden, im
andern, beim Nomen, αο uncontrahirt geblieben und noch dazu s abgefallen sei.
Wollte man aber, um wenigstens bei τᾶς und den gemeingriechischen Formen
der Nomina auf gen. -ᾱς das ājas zu retten, in der That einen so frühen Ausfall
des j annehmen, so würde man in eine zweite Schwierigkeit gerathen: das ă
aller Genitivendungen auf -as ist im Griechischen zu -ος geworden, Curtius setzt
daher auch consequent -ājos an; die Contraction eines -αος aber zu -ᾱς zeigt sich
wieder für die vorhistorische Zeit als unmöglich, da die ganzen Contractionen in
den verschiedenen Dialekten verschiedenen Gesetzen unterliegen, also alle jung
sind. Wenn die Anführung des Abfalls von s in λέγετε gegenüber legitis zur Er-
läuterung des -s-abfalls im Genitiv einen Werth haben soll, so müssten die ver-
gleichenden Forschungen erst ein sichreres Resultat über die ursprüngliche Form
der Personalendungen geliefert haben, als es bis jetzt der Fall ist; man kann
nicht eine Unerklärlichkeit mit der andern klar machen. Es scheint mir daher
nach den bisherigen Resultaten der Forschung allein möglich anzunehmen,
dass in dem betreffenden eigenthümlichen Dialekt o oder jo (wie es nach Ausfall
des s erscheinen musste) als generelle Casusendung aller nominalen a-stämme
angenommen ist. Somit wäre für die südeuropäischen Sprachen keine andere
Form des gen. sg. fem. der ā-stämme als ursprünglich nachweisbar, denn -ās.
Was nun die nordeuropäischen Sprachen betrifft, so hat zwar Scherer, Z. Gesch.
d. d. Spr. 120, die germanische Form auf -ā-as zurückgeführt («im gen. sg. der
feminina auf â ist auch wohl -â-as die eigentliche Endung und man fühlt sich
versucht, das skrt. -â-yâs, zd. -a-yâs herbeizuziehen»). Den einzigen Stütz-
punkt für diese Ansicht bildet die von Scherer aufgestellte, schon oben als un-
haltbar bezeichnete Ausdehnung des vocalischen Auslautsgesetzes, nach welchem
die ursprünglichen einfachen Längen und der Diphthong ai vor auslautendem -s
verkürzt erscheinen müssen. Mit dieser Verwerfung des Schererschen Gesetzes
fällt auch die Möglichkeit des Nachweises einer Grundform -ā-as oder, wie es
auch denkbar wäre, -ā-ās. Die litauische Gestalt des Casus bedarf keiner weiteren
Bemerkung, als dass kein Grund vorliegt, über -ās (lit.-ōs) hinauszugehen. Der
Schluss dieser Vergleichungen und Betrachtungen wird nun der sein, dass für
die europäischen Sprachen keine andere Form des Genitivs erkennbar ist, als
-ās gegenüber dem arischen ājās. Eine weitere Frage ist allerdings, ob in jenem
-ās nicht im letzten Grunde eine Verbindung von -ā + as zu suchen sei, die-
selbe Frage, die z. B. bei * sunaus neben * sunavas vorliegt; die Contraction liegt
dann aber weit vor der Geschichte der einzelnen Sprachen und berührt uns
hier nicht.


Das Slavische besitzt die Form überhaupt nicht, sondern hat dafür glavy,
dušę
(ja-stamm), d. h. nach dem oben beim nom. sg. ausgeführten Gesetze, eine
auf -ans oder -āns basirende Bildung. Vor dem Versuche einer Erklärung dieser
sonderbaren Form wird es nicht unnütz sein, sich zu vergegenwärtigen, was aus
einer Form wie dem europäischen -ās, dem arischen -ājās und einem etwaigen
[42]a. Declination der Nomina.
-*ājas, wenn eine derselben noch am Anfangspunkte der slavischen Entwicklung
bestand, geworden wäre: ein * galvās, * dausjās wäre einfach * glava, * duša
geworden und so mit dem nom. sg. und, wie sich später ergeben wird, dem ur-
sprünglichen nom. pl. zusammengefallen. Die beiden andern hypothetischen
Formen enthalten j; dieser Laut hält sich aber im Slavischen zwischen Vocalen
mit Vorliebe: die Fälle, in denen er in der späteren Entwicklung geschwunden
ist, kennt unsere älteste Ueberlieferung entweder noch gar nicht (dobrajego u. s. w.
gegenüber späterem dobraago u. s. w.), oder sie zeigt noch die Spuren des j im
Hiatus (wie z. B. in den Imperfectformen dělaachŭ u. s. w.) oder in einer be-
stimmten Affection des Vocals (wie in chvalīši etc. = *chvalĭješi etc.). Der ganze
bestehende Vocalismus des Slavischen war fertig, ehe der Schwund des j begann,
dadurch schliesst sich die Möglichkeit einer Form *ājas aus, diese hätte nur -*āje
werden können (vgl. die gen. wie kamen-e u. s. w.) und wäre so geblieben. Es
könnte zwar jemand auf den Gedanken kommen, so gut wie dobrajego zu dob-
raago
durch Ausfall des j und Vocalassimilation geworden, und zwar kurz nach
dem Anfang unserer Ueberlieferung, so hätte auch etwa kurz vor der Periode der
ältesten Texte aus *glāvāje ein *glavāa, durch Contraction *glavā werden können,
die ganze Aufstellung bewiese also nichts. Dem ist zu entgegnen, dass der
Schwund von j überhaupt nur stattfindet, wo Consonanten folgen, niemals da,
wo ein Vocal auslautet, sogar bei gleichem Vocal vor und nach j nicht: dobra-
jego — dobraago, dobrujemu — dobruumu
u. s. w., aber dobraja, dobriji, dobroje
u. s. f. Die letztere Regel spricht natürlich auch gegen die Annahme eines-ājās. Wir
können demnach der Reihe der europäischen Sprachen auch noch das Slavische
anfügen, das nur die Existenz eines einstigen -ās erkennen lässt. Davon
ausgehend haben wir die existirende Form auf -y, -ę zu betrachten. Dass es je
eine nominale ursprachliche Genitivform auf -ans, -āns gegeben habe, ist mit
nichts wahrscheinlich zu machen, die Form muss eine speciell slavische sein.
Man hat daran gedacht, für diesen Genitiv des Slavischen einen Anhaltspunkt in
der Ueberleitung zahlreicher ā-stämme des Germanischen in die Kategorie der
n-stämme zu suchen (Friedr. Müller, Revue ling. IV, 264), also ein slav. vĭdovy
einem got. viduvōns gleichzusetzen. Allein da sonst weder im Slavischen noch
im Litauischen eine Spur solcher Veränderung der Form nachweisbar ist, wird
die Sache unwahrscheinlich, lautlich aber unmöglich: ein der germanischen Form
zu Grunde liegendes *vidavānas müsste ganz nothwendig slav. zu *vĭdovāne führen,
wie der Vergleich mit den sonstigen consonant. Genitiven kamene etc., und der Um-
stand beweisen, dass überhaupt Vocalausfall vor auslautenden Consonanten dem
Slavischen ganz unbekannt ist. Es bliebe nun die weitere Möglichkeit, dass
nach dem nothwendigen Verlust der alten Genitivform auf -ās bei dem noch
lebendigen Formgefühl der Sprache ein Ersatz aus einem andern Casusgebiet
gesucht sei, wie das bei lautgesetzlich bedrohten Casus in den slavischen Sprachen
bis in die neueste Zeit geschehen ist. Darauf beruht denn auch die Meinung, die
von Schleicher, Comp.3 543, als Vermuthung, von Scherer (z. Gesch. d. d. Spr.
291, 474) bestimmter ausgesprochen ist: der gen. sg. habe die Form des acc.
plur. angenommen. Man könnte sich den Fall so zurechtlegen: gen. sg. und nom.
[43]i. Die Casus des Singulars.
plur. fielen seit alter Zeit in eine Form, * galvās, die dann zu * glavā wurde,
zusammen; als nom. plur. ward sie, wie das eine allgemeine Neigung des Sla-
vischen ist, durch den acc. plur. glavy, dušę ersetzt, und der rein äusserlichen
Formenanalogie folgte der gleichlautende gen. sg. Unwahrscheinlich ist mir aber
das im höchsten Grade: Analogiebildungen halten sich überall, auch im Slavi-
schen, immer im Kreise der Bedeutungsgleichheit oder Bedeutungsverwandtschaft,
die hier vollständig fehlt. Hier liegt entschieden etwas anderes zu Grunde. Wenn
man, ohne nach dem historischen Zusammenhang zu fragen, nur die Lautform im
Auge hat, gleichen die litauischen Genitive des pron. pers. manęs, tavęs, savęs den
vorauszusetzenden slavischen gen. auf -ā̆ns so sehr, dass man wohl auf den Ge-
danken kommen kann, die eigenthümliche Form gehöre ursprünglich nur der pro-
nominalen Declination an und sei von dieser auf die nominale übertragen. Einer
Entscheidung lässt sich nur bei der Betrachtung der pronominalen Declination im
Zusammenhange nahe kommen, und indem ich auf den betreffenden Abschnitt
verweise, bemerke ich hier nur vorläufig: dass die genannten litauischen Formen
nicht ganz jung sind, beweisen trotz des Fehlens des Altpreussischen, das nur
Possessivformen an jener Stelle hat, die übereinstimmenden lett. manis, tevis,
sewis
(die Entsprechung ist wie part. praet. act. lit. miręs, lett. miris). Schleicher
hat sie nach Smith, Beitr. II, 338 = * mani-n-as u. s. w. angesetzt, was wieder
nach litauischen Lautgesetzen unmöglich ist, ganz abgesehen von der im Hinblick
auf loc. manyjè u. s. w. gemachten, aber dadurch nicht gerechtfertigten An-
setzung eines Stammes mani-. Der Ausfall des a vor dem s würde dem des Ge-
nitivsuffixes in akmèns = *akmanas zwar richtig entsprechen, aber secundär zu-
sammenstossendes n + s bringt nie einen Nasalvocal hervor, nicht einmal in dem
doch noch viel jüngeren Lautbestande des Lettischen; also ist tavęs = tavens
eine ältere und in der Endung ursprünglichere Form.


Für unsern Zweck haben wir der Besprechung dieser Genitivform nur hinzu-
zufügen, dass sie keine Momente für die engere Beziehung des Slavisch-litauischen
zum Germanischen bietet, dass aber diese drei Familien wie die übrigen euro-
päischen nur auf ursprüngliches -ās schliessen lassen.


3. Locativ-Dativ singularis.

A. Der germanische Loc.-Dat.

Im Germanischen lässt sich, wenigstens beim Nomen, keine Form als wirk-
liche Dativform nachweisen. Im Gotischen kann es nach den Lautgesetzen nicht
zweifelhaft sein, dass die Dative der consonantischen i- und u-stämme nur auf
Locativformen zurückgehen: hanin, broþr, sunau, anstai nur auf *hanin-i, *broþr-i,
*sunavi, *anstaji
. Ein Zweifel könnte nur entstehen bei den a-stämmen, aber
wie Scherer (vgl. Gesch. d. d. Spr. 287) ohne Zweifel richtig erkannt hat, ein
dat. gibai kann den Auslautsgesetzen zufolge nur gedeutet werden durch Abfall
eines Vocals am Ende, und die einzige sich darbietende Vergleichung ist der lit.
loc. mergo-jè, d. i. mergo-jà, also auch gibai ist loc. = * gibāja. Durch die Ver-
[44]a. Declination der Nomina.
gleichung des althd. Dativs gëbo, -u mit gibāi und dem gegenüber des ahd. tage
mit got. daga wird es ferner (s. Scherer a. a. O. 115 ff.) höchst wahrscheinlich,
dass letzteres nicht auf -āi, sondern auf -ai ausging, also auch eine Locativform
war. Die pronominalen Dative wie þamma, die äusserlich dem dat.-loc. daga
gleichen, verhalten sich doch im althd. anders: dëmo, dëmu, und sind beim Pro-
nomen besonders zu betrachten. Eine zweite Frage ist nun allerdings, ob wir in
den übrigen germanischen Sprachen durchaus dieselbe Form haben, ob also das
Gotische dazu die Grundform giebt. Unzweifelhaft ist das bei den consonanti-
schen Stämmen der Fall, bei den a-stämmen steht der Identificirung wenigstens
nichts im Wege. Bei den u-stämmen liegt altsächs. sunu, suno ein sunau zu
Grunde, ebenso dem ags. suna und der von Scherer (a. a. O. S. 435) ange-
führten altfriesischen Form auf -a = â = au; wenigstens möglich ist dieselbe
Zurückführung auch bei der andern ags. Form sunu. Wenn Scherer den dat.
fêt, St. fotu- mit Recht zu den echten u-formen zählt und wegen des Umlauts auf
die Endung -iu recurrirt, so tritt hier schon die abweichende Form, die im ahd.
suniu und vielleicht im nord. velli (St. vallu-) gebildet wird, hervor. Jedenfalls
haben wir sie im Ahd. klar vorliegen, dazu im dat. der i-stämme ensti = enstî.
So kommen wir zu derselben Frage, wie oben beim gen. sg. der i-stämme, got. an-
stais
, ahd. ensti. Das ahd. suniu kann gotischem sunau nur unter der Voraussetzung
gleichgestellt werden, dass das ältere * sunavi hier den Vocal a bewahrte, dort
zu i schwächte; aus * sunivi aber musste suniu werden. Ebenso kann enstî nicht
unmittelbar = anstai aus * anstaji sein, aus dem vielmehr hätte * ansta, * anste
werden müssen, sondern nur durch die Mittelform * anstiji. So können die
Formen erklärt werden; ob sie so erklärt werden müssen? Im Ahd. lautet der
angenommene intsr. sg. ebenfalls suniu, und wenn man überlegt, dass der im
Altsächsischen thatsächlich bestehende Fall der Lautgleichheit von gen. und dat.
(beide suno) im Ahd. bei Zugrundelegung der gotischen Formen sunaus, sunau
ebenfalls eintreten musste, liegt es durchaus nicht ausser dem Bereiche der Mög-
lichkeit, dass hier die Instrumentalform, von der unten zu reden sein wird, den
Dativ ersetze. Beim i-stamme aber bleibt die Ansetzung einer dem gen. enstî =
urspr. *anstij-as (gebildet wie πόλιος) analogen Bildungsweise *anstiji (wie πόλιι)
ebenfalls denkbar, so dass wir die im Griechischen bekannte Doppelbildung auch
im Deutschen in zwei Singularcasus der i-sämme, gen. und loc., vermuthen
dürfen. Eigentliche Dativformen können auch in den althochdeutschen Formen
nicht gesucht werden.


B. Die Locative und Dative des Litauischen und Slavischen.

a) Die Locative des Litauischen.

Können wir im Germanischen eigentliche Dative nicht nachweisen und
sicher behaupten, dass eine functionelle Trennung der beiden Casus nicht oder
nicht mehr existirt, so haben wir im Litauischen eine sowohl formell als functionell
vollständig deutliche Scheidung der Casus, aber auch wieder auffallende Er-
[45]i. Die Casus des Singulars.
scheinungen genug, um nicht in Versuchung zu kommen, in jedem einzelnen
Falle nach den indog. Grundform zu suchen. Im Litauischen haben alle Stämme
mit Ausnahme der msc. reinen a-stämme, d. h. der ohne j, das Locativsuffix -je,
d. h. ja, da a nach j nothwendig die Färbung zu e annimmt; also:


  • fem. ā-stamm galvō-jè
  • msc. ja-st. dàlgy-je
  • i-st. aky-jè
  • u-st. dangu-jè
  • cons. St. akmenyjè,

die consonantische Form ist nur der Vollständigkeit wegen mit aufgenommen, in
der That ist sie den i-stämmen entlehnt, fällt also für die Betrachtung weg,
msc. a-st. abweichend vilkè.


Diese Formation mit dem vollen Suffixe -ja sieht recht alterthümlich aus und
scheint auch so angesehen zu werden. Scherer a. a. O. 287 vergleicht die weite
Anwendung dieses Suffixes im Zend, wo, wie es scheint, alle Stämme daran
Theil haben. Meine Kenntniss des Zend reicht nicht so weit, um bei der Fülle
von Formen, die in der vocalischen Declination locativisch gefasst werden und sich
lautlich zum Theil sowohl mit Genitiv-, wie mit Instrumentalformen decken, eine
Meinung aussprechen zu können, wie weit hier die Bildungen ursprüngliche, wie
weit Analogien, wie weit vielleicht überhaupt gar nicht Locative sind. Nur das steht
mir fest, dass sie mit den lit. in der Form nicht zusammentreffen. Den Beispielen,
wie bāmaja, viçpaja (Spiegel, Gr. S. 123), vohujā (wenn das überhaupt loc. sein
kann, Justi, Gr. § 545), wollte man sie mit dàlgyje u. s. w. vergleichen, fehlt die
dem Litauischen charakteristische Dehnung des Stammauslautes vor j, und von
Formen, die man mit akyjè zusammenstellen könnte, vermag ich überhaupt nichts
zu entdecken. Es lässt sich, glaube ich, nachweisen, dass die weite Ausdehnung
des -ja im Litauischen ganz secundär ist.


Völlig erklärlich ist die Form galvō-jè = * galvā-ja, die Länge des stamm-
auslautenden Vocals ist ja hier ursprünglich und dieselbe stimmt völlig zu got.
gibai = *gibāja, wie zu der jedenfalls im Suffix verwandten sanskritischen auf
-ā-jām. Die Länge des i in akyjè ist aber ganz unerklärlich, sobald man nicht
eine einfache Anlehnung an die fem. ā-stämme annimmt, die hier um so leichter
eintreten konnte, als die i-stämme mit wenigen Ausnahmen fem. gen. sind. Den-
selben Uebertritt mit Erhaltung des i und Annahme der Suffixe oder des Aus-
lauts der Casus der ā-stämme bemerkt man auch sonst im sing.: so ist dat. ákei
= *akiai gebildet, wie mérgai, instr. akiè, d. h. akià (neben akimì) wie mergà;
und selbst, wenn man, was an sich möglich, in den Formen ákei, akiè wirkliche
i-formen sehen will, so ändert das nichts an der Thatsache, dass sie in den En-
dungen den ā-formen gleich sind, also auch den loc. sg. in dieselbe Analogie
herüberziehen konnten. Bei den u-stämmen nun scheint die Dehnung des Stamm-
auslautes, hier das wichtigste, im Litauischen zu fehlen, wenigstens behandeln
Schleicher und Kurschat die Mittelsilbe von dangujè als Kürze. Allein, wenn sie
auch im Litauischen heute überall entschieden kurz sein sollte, so lässt sich doch
nachweisen, dass sie es nicht immer war. Das Lettische nämlich hat für sämmt-
[46]a. Declination der Nomina.
liche Stämme die Endung -ja angenommen, in dieser vollen Form freilich nur
noch vereinzelt in den Volksliedern (s. Bielenst., Lett. Spr. II, 18) erhalten und
selbst da vielleicht noch etwas anders zu fassen: aber in älterer Zeit und in der
Volkspoesie ist ein mit dem vorhergehenden Vocal diphthongbildendes i häufig
(ıi̊mái = lit. żëmojè, ſeméi = lit. żémėje), welches endlich im heutigen Lettischen
ganz abgefallen ist, gerade wie man im modernen Litauischen regelmässig rànko,
aký
u. s. w. spricht. Das Lettische hat die Dehnung des Stammauslauts überall
(vgl. Bielenst., Lett. Spr. II, 15 f.)


  • a-st.
    • msc. lett. grékā́, wäre lit. * grëko-je,
    • in Wirklichkeit grëke,
    • fem. lëpā́ = lit. lëpoje.
  • ja-st.
    • msc. uncontr. zełā́, lit. kelyje
    • contr. sapnī́, lit. dalgyje,
    • fem. ſalḗ = lit. żolė-je,
  • i-st. sirdī́ = lit. szirdy-je,
  • u-st. alū́ = lit. alŭ-je für *alūje.

Die blosse Zusammenstellung, namentlich die ganz der fem. gleichende Form des
msc. a-stammes (für diese hat das behauptete schon Smith, De locis II, 61, «e de-
clinatione femininorum huc traducta sunt», erkannt) thut wohl ohne weiteres dar,
dass hier nur Analogiebildung nach der so deutlich ausgeprägten Form des loc.
sg. fem. der ā-stämme vorliegt und dass die überall herrschende Länge des
Stammauslautes auch erst dieser Form nachgebildet ist. Es ist daher im höch-
sten Grade wahrscheinlich, dass das litauische sūnujè die Länge der zweiten
Silbe wegen ihrer beständigen Unbetontheit nur wieder verloren hat, oder dass
dieselbe aus dem gleichen Grunde nicht als lang gehört und so aufgezeichnet
wurde.


Somit reducirt sich für das Litauische die ursprüngliche Anwendung des
Locativsuffixes -ja auf die femininalen ā-stämme, wie im Germanischen, und be-
merkenswerth ist es doch, dass auch das Sanskrit sein -jām nur bei denselben
Stämmen anwendet, -ām in etwas weiterer Ausdehnung, aber doch auch nur
beim fem. der i- und u-stämme. Das litauische -ja könnte, wenn man allein die
heutige Lautgestalt -je = -ja im Auge hat, und eine andere ist uns nicht über-
liefert, mit -jām geradezu identisch sein; immerhin ist das aber schon aus dem
Litauischen heraus nicht wahrscheinlich, weil bei der einstigen Existenz des
Nasals und der Länge des ā wahrscheinlich in älterer Zeit mehr Beispiele der
Schreibung mit a erhalten wären, während dieselbe ganz vereinzelt ist und
gerade die ältesten Quellen je haben (s. Schleicher, Gr. S. 172). Die deutsche
Form gibai kann natürlich nicht aus *gibājām erklärt werden. Zugleich verdient
es Beachtung, dass bei den übrigen europäischen Indogermanen irgendwelche
Locativformen auf -ja nicht nachgewiesen werden können. Scherer a. a. O. 287
(vgl. auch Curtius Etym.4 614) dachte an die räthselhaften griechischen Bildungen
wie ϑύραζε u. a., die, wenn sie aus * ϑυρα-jε lautlich erklärbar sind, allerdings
eine Analogie bieten, allein ich habe mich noch immer nicht von der Entstehung
[47]i. Die Casus des Singulars.
des ζ aus inlautendem j zwischen Vocalen überzeugen können. Wie die Sache
steht, bietet immerhin got. gibai zu lit. galvo-je eine sehr bemerkenswerthe
Parallele.


Es bleibt noch die eine abweichende Form des Litauischen, die der msc.
a-stämme zu betrachten, vilkè zeigt, wenn man es direct auf altes * varka-i be-
zieht, eine entschieden auffällige Gestalt, mir ist wenigstens kein Fall bekannt,
wo im Litauischen altes ai selbst im Auslaute zu ĕ geworden wäre. Dass trotz-
dem im letzen Grunde altes -ai darin steckt, kann nicht bezweifelt werden, aber
vielleicht ist das Litauische zu dem Auslaut e doch auf einem Umwege gelangt.
Die eigentlich echte Locativform sehe ich in dem Adverb namë (zu Hause, St.
nama-, als selbständiges Wort plur. tant. namaí); ë ist die für altes ai regelrecht
zu erwartende Vertretung. Es ist mir, um wenig zu sagen, ferner höchst wahr-
scheinlich, dass die bei Smith, De locis II, 60 citirten Schreibungen von Locativ-
formen in älteren Quellen cziesi (Bretkun), czesie (Willent), szimty (Kat. 1547),
szadegimij (ib.), ischguldimi (ib.), wie Smith selbst vermuthet, den Auslaut ë
bedeuten oder dessen Nebenform i, nur müsste man, um hier völlig sicher zu
gehen, die Orthographie der mir zum grössten Theil unzugänglichen Quellen
genau untersuchen; vgl. indessen zur Bestätigung bei Smith l. c. 27 diewie-p
(Willent) = dëvë-p (bei Gott). Nun kommt neben namë́ auch namëje vor (von
Kurschat, Deutsch-lit. Wörterbuch s. v. Haus als namë́j angeführt). Dazu citirt
Smith (l. c.) aus dem ältesten Katechismus den Satz: sunus klausikiet gimditaju
jussu Paneie
, d. h. «ihr Söhne, gehorchet euren Eltern in dem Herrn»; die letzte
Form ist = pånë-je; vgl. auch Beitr. I, 211, wo eine ganze Reihe solcher Bil-
dungen aufgezählt wird, z. B. darżije, virije u. a., und nicht mit Schleicher
an den Uebergang in die ja-stämme zu denken, sondern darżi als alter Locativ
= darżë aufzufassen ist. Man sieht darin schlagend die übermächtige Analogie
des -je, dass es an eine fertige Locativform noch einmal angetreten ist. Nun ist
es gewiss nicht zu viel vermuthet, wenn man annimmt, dass der Auslaut ĕ der
jetzt bestehenden Form nur der Gewohnheit, alle anderen Locative auf ĕ zu hören,
seinen Ursprung verdankt. Diese Gewohnheit ist so mächtig, dass sie den alt-
litauischen und ursprünglichen loc. pron. tamì verdrängt und in tamè umge-
wandelt hat; da vilkè, tamè an sich deutlich von allen anderen Formen unter-
schieden sind, brauchte man das j nicht mit.


Die Sache steht also endlich für das Litauische so: als ursprüngliche Formen
des lc. sg. können nur gelten die auf -je des fem. ā-stammes, und die auf -ë =
ai des msc. a-stammes, die sich mit den entsprechenden Formen des Germani-
schen vollkommen decken und zwar beide zusammengenommen nur mit diesen;
die ursprünglichen Locativformen der consonantischen i- und u-stämme sind ver-
loren und durch die Analogiebildungen nach Art der femininalen ā-stämme ersetzt.


b) Die Locative des Slavischen und die Dative des Slavischen
und Litauischen
.

So einfach die eigentlichen Locativformen des Litauischen sich bestimmen
lassen, so sehr verwischt in der Form sind grösstentheils die des Slavischen, auch
[48]a. Declination der Nomina.
von der Betrachtung der als Dative fungirenden Formen nicht zu trennen, von
diesen wieder nicht die litauischen Dative.


Es ist merkwürdig, wie bei den im Slavischen so deutlich geschiedenen
Functionen des Dativs und Locativs der Ursprung der Formen so schwer erkenn-
bar ist. Schleicher beginnt seine Auseinandersetzung über den altbulg. loc. sg.
(Comp.3 553) mit den Worten: «der Loc. gilt fast bei allen Stämmen zugleich als
Dativ», und fügt beim dat. sg. (ib. 556) hinzu: «nur fem. rącě für * rąkě darf
vielleicht als Dativ gelten». Nach ihm hätten wir es also überhaupt nur mit Lo-
cativformen zu thun. Allein wie soll man sich da erklären, dass bis in die
modernsten Entwicklungsphasen der einzelnen slavischen Sprachen ein so leben-
diges Bewusstsein für den Unterschied dieses Casus blieb, dass im Altbulgari-
schen z. B. bei den msc.-ntr. a-stämmen, auch bei den Resten der u-stämme
eigenthümliche Formen, die nur dativisch gebraucht werden, existiren. Ein Bei-
spiel: bei den i-stämmen lautet der dat.-loc. nošti, bei den u-stämmen dat. sy-
novi
, loc. synu, und Schleicher erklärt den ersteren aus Uebernahme der Endung
-i aus den i-stämmen mit Steigerung des Stammauslautes. Mir scheint das doch
zu den verzweifelten Erklärungen zu gehören: wenn bei den i-stämmen eine und
dieselbe Form beide Functionen erfüllen konnte, warum nicht bei den u-stämmen;
ja, wenn die Form synovi zugleich auch locativische Bedeutung hätte, das hat sie
aber in älterer Zeit nie und in späterer fast nie. Ferner erklärt Schleicher synu
für eine wirkliche Locativform, dieselbe Form ist bei ihm der dat. sg. msc.-ntr.
der a-stämme, vlŭku, diese aber dient in den älteren Quellen nie als loc., als
solcher wird nur vlŭcě gebraucht. Schleicher beruft sich auf den Wechsel
zwischen a- und u-stämmen, nach welchem auch bei diesen die a-form syně als
loc. vorkomme. Das ist für etwas spätere Quellen richtig, aber die Form dient
wieder nie als Dativ, und erklärt sich bei den u-stämmen sehr einfach daraus,
dass diese schon in unserer ältesten Ueberlieferung im Verschwinden begriffen
sind und in allen Casus anfangen, nach der Analogie der a-stämme behandelt zu
werden (gen. syna u. s. w.). Wer die Ueberlieferung und die Geschichte der
Formen, nicht bloss ihre Lautgestalt im Auge hat, kann gar nicht daran zweifeln,
dass im Slavischen von Alters her -ovi der u-stämme nur Dativ, -u nur Locativ
war; -u der a-stämme nur Dativ, -ě nur Locativ. Wo also ein Dativ und ein Lo-
cativ sich lautlich decken, haben wir viel eher ein secundäres lautliches Zu-
sammenfallen anzunehmen und den Versuch zu machen, die wirklichen Dativ-
und Locativformen herauszufinden. Es kommt hier auch das Pronomen in Betracht:
dat. tomu, loc. tomĭ sind völlig geschiedene Formen; man kann sich wenigstens
schwer vorstellen, wie Schleicher das allerdings thut, dass die Endung -u in
tomu der Locativform der nominalen u-stämmen ohne einen bestimmten Grund
entlehnt sei. Die litauischen Sprachen haben noch dazu dieselben oder wenig-
stens sehr nahe liegende Formen und man sieht für diese Uebertragung in so
früher Zeit gar keinen Grund; Auslautsgesetze, welche später in der Einzelent-
wicklung zum Verlust von Formen und zur Entlehnung führen, waren ent-
schieden in der Gesammtperiode noch nicht wirksam.


Um von einem festen Punkte auszugehen: es liegt kein lautlicher oder syn-
[49]i. Die Casus des Singulars.
taktischer Grund vor, die Form synovī nicht für einen wirklichen Dativ zu halten;
sie ist nur in dativischem Gebrauch und deckt sich lautlich völlig mit der ari-
schen Form sūnavē; ī ist der regelmässige Vertreter von ursprünglich auslauten-
dem oder durch Consonantenabfall in den Auslaut gerathenem ai, vgl. nom. pl.
msc. der a-stämme (vlŭcī = * varkai), die Partikel li (ob, oder) = lit. lai, 3. sg.
opt. berī = *bharait, lit. permiss. te-sukë́, die dat. pron. pers. mi, ti, si mit μοί etc.
Dem gegenüber kann man synu, wie es nur als Locativ gebraucht wird, auch
nur als wirkliche Locativform fassen; es deutet zunächst auf *sūnau. Nun liegt
es natürlich sehr nahe, an ved. sūnávi, skrt. sūnāú zu denken, also Abfall des
ursprünglich auslautenden i anzunehmen. Mit solchen Annahmen ist man in der
vergleichenden Grammatik nicht gerade schwierig, und doch ist sie hier bedenk-
lich. Abfall eines ursprünglich auslautenden Vocals ist als speciell slavische Er-
scheinung fast gar nicht nachzuweisen. Sicher ist er in berą = bharāmi, aber
hier, wie die Uebereinstimmung des Germanischen und der andern europäischen
Sprachen darthut, einer viel ältern Periode zuzuschreiben. Für das Slavische als
solches kenne ich nur den einen, ebenfalls hypothetischen Fall beim instr. sg.
fem. glavoją = *galvā-jā-mi (so wenigstens wird die eigenthümliche Form er-
klärt) gegenüber den Formen wie vlŭkomĭ, pątĭmĭ u. s. w. mit erhaltenem -i.
Man muss also mit der Annahme des Abfalls sehr vorsichtig sein. Dass trotzdem
die slavische Form im letzten Grunde auf *sūnavi zurückgeht, ist mehr als wahr-
scheinlich, aber für die Specialuntersuchung lautet die Frage nicht, wie die indo-
german. Grundform gewesen ist, sondern wie die dem Slavischen vor der Periode
seiner Sonderentwicklung, also vereint mit dem Litauischen zu Grunde liegende
aussah. Die slavischen Lautgesetze, wie schon bemerkt, führen nur auf * sūnau,
und legt man diese Form auch für das Litauische zu Grunde, so führt sie zu
einer wahrscheinlichen Erklärung des Verlustes und der Annahme einer deut-
licheren auf -je: * sunau konnte im regelmässigen Verlauf der Entwicklung auf
* sūnu führen (vgl. den nom.-acc. dual. vilkù), also eine ganz suffixlose Gestalt,
wie sie gerade in Sprachen, die sich sonst manche Alterthümlichkeiten bewahrt
haben, aufgegeben zu werden pflegen. Demnach halte ich *sūnau für die gemein-
same litauisch-slavische Form des Locativs und bemerkenswerth ist es immerhin,
dass die arischen Sprachen dieselbe Gestalt, also Abfall des i zeigen, sūnā́u, alt-
baktr. khratāo, vanhāu u. dgl., altpers. Babirauv, wobei man nicht mit Schleicher
Comp.3, 550 an *Babirauvi zu denken braucht; das v gehört nur der bekannten
Eigenthümlichkeit der Schrift bei auslautendem u an.


Der Bemerkung, dass *sūnavi nicht unmittelbar der slavischen Form voran-
gehen könne, wird man leicht aus dem Slavischen selbst einen Einwand ent-
gegensetzen durch Hinweis auf das als loc. angesehene Adverbium domovĭ (nach
Hause) vom u-stamm domŭ (z. B. gen. domu), das sich in den modernen Sprachen
zum Theil als domoj (durch Ausfall des v aus domoύ entstanden), slov. auch als
domov erhalten hat. Es steht neben dem adverbialen, wie immer entstandenen
doma (zu Hause), letzteres hat also die eigentlich locativische Bedeutung, ersteres
drückt nur die Richtung aus. Auffallend ist schon dies, noch bedenklicher wird
die Ansetzung von domovĭдомовъ als loc. wegen der Nebenform domoviдомови,
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 4
[50]a. Declination der Nomina.
d. h. des Dativs, in derselben Bedeutung. Der Dativ ist hier aber nach slavischer
Syntax gerade am Platze, denn er wird bei Verben der Bewegung als Ausdruck
des Zieles gebraucht, z. B. altruss. privede Volodimirŭ sŭ Mstislavomŭ vsja bo-
jary Novgorodskyja Kyevu
(Buslajev, Ист. гр. II, 282) (Wolodimir führte mit
dem Mstislav alle Novgorodschen Bojaren nach Kijev), und im Serbischen
bis heute ganz gewöhnlich, z. B. pa odoše svaki svome dvoru, « da gingen alle
nach ihrem Hofe» (eine Menge von Beispielen Даничић, Српска синтакса p. 321).
Vergleicht man damit noch andere bei Buslajev a. a. O. gegebene Fälle, z. B.
Danilu že vozvrativšusja kŭ domovi: «Als Danilo nach Hause zurückkehrte», wo
statt des sonst allein stehenden domovi die nur mit dem Dativ zu gebrauchende
Präposition hinzugefügt ist, und nimmt dazu, dass domovĭдомовь in den
ältesten Quellen des Altbulgarischen gar nicht vorkommt, so kann es wohl nicht
zweifelhaft sein, dass domovĭ, домовь, aus dem Dativ domovi, домови, erst
entstanden ist durch die in der Weiterentwicklung der slavischen Sprachen
häufige Schwächung eines auslautenden i, и zu ĭ, ь, das sich dann natürlich
nur als j oder Erweichung äussert oder ganz abfällt.


Bei den u-stämmen steht uns im Slavischen nach den obigen Bemerkungen
ein altererbter Unterschied zwischen Locativ- und Dativform fest. Völlig im
Gegensatze dazu stehen die i-stämme und die fem. ā-stämme: bei beiden haben
wir nur die gleiche Form für loc. und dat. seit ältester Zeit überliefert. Bei den
letztgenannten erklärt sich diese Gleicheit durch lautliches Zusammenfallen ohne
weiteres: Bildungen wie dat. * ganā + ai daraus *ganāi und loc. *ganā + i,
daraus *ganāi, mussten nothwendig im Slavischen in ženě zusammenfallen. Viel-
leicht möchte sich jemand, um den doch festgehaltenen Unterschied zu beweisen,
auf die Accentuation des Serbischen berufen, wo bei überhaupt möglichem Accent-
wechsel der loc. verschieden vom dat. betont wird, z. B. dat. glâvi, loc. glávi,
dat. vȍdi, loc. vòdi, allein einmal fehlt dieser Unterschied im Russischen und
dann ist vor allem zu bedenken, dass der Loc. nicht ohne Präposition vorkommt,
diese aber im Serbischen einen bestimmten Einfluss auf die Betonungsweise des
abhängigen Casus hat.


Mit dem slavischen Dativ glavě deckt sich völlig das lit. gálvai, eigentlich
gálvāi, die Länge ist aber im Litauischen in solchem Falle nie mehr zu erkennen,
da das lange ā in Diphthongen nicht der Wandlung zu ō unterliegt. Der loc.
glavě dagegen weicht von galvo-jè ab; es sind eben zwei Suffixe gebräuchlich
gewesen, einfaches -i und -ja, von dem oben die Rede war. Der Unterschied
zwischen loc. und dat., wie er im Litauischen ja noch erhalten, ist auch hier
jedenfalls ein ursprünglicher.


Was ist von der Form des loc.-dat. der i-stämme, msc. pątī, fem. pamętī,
zu halten? Es wird zunächst zu versuchen sein, ob wir sie nach irgend einer
vorhandenen Möglichkeit der Vergleichung lautlich erklären können. Ausge-
schlossen sind, um zunächst auf etwaige Dativform zu forschen, die Zusammen-
stellung mit skrt. dat. avajē, weil ein *mantajai (aus pa-mętĭ, «Gedächtniss» ent-
nommen) höchstens zu *mętoji, aber nicht zu -mętī leiten konnte, denn eine etwa
aus *manta-j-ai mit Schwächung des zweiten a entstandene Mittelform * mętĭjī
[51]i. Die Casus des Singulars.
anzusetzen, kann man nicht wagen, weil in der gleichgebildeten Dativform sy-
novi
das a des Steigerungsdiphthongen als o geblieben ist; ferner verbietet sich
die Vergleichung mit skrt. dat. avjāi, oder wenn wir, von der Länge des ā als
etwas vielleicht oder wahrscheinlich speciell arischem absehend, *avjai ansetzen,
mit diesem, weil ein * mantjai nothwendig, hätte * męštī werden müssen. Es
giebt nur eine lautliche Möglichkeit, für die zwar keine unmittelbaren Belege an-
geführt werden können, die aber bei dem bekannten Verhalten des u und i vor
Vocalen zulässig ist, die Ansetzung einer Grundform *mantij-ai. Diese würde im
Slavischen zu *mętĭjī werden, und bei der wenigstens zum Theil allen slavischen
Sprachen gemeinsamen, also alten Dehnung des ŭ und ĭ vor j zu y, ī, zu * mę-
tījī
, mit Verlust des j zu -mętī. Von diesem Ausfall des j war oben beim gen. sg.
fem. der ā-stämme die Rede, wo bemerkt wurde, dass derselbe ungefähr mit
dem Anfang unserer Ueberlieferung häufiger hervortritt, sein erstes Auftreten
aber vor derselben liegt. Nimmt man nun die Fälle, wo der Verlust des j all-
gemein slavisch ist, also vor den Beginn der altbulgarischen Tradition fällt, so
zeigt sich, dass j dabei stets von palatalen Vocalen (e, i) begleitet war, z. b. 3.
sg. praes. dělītĭ ist = dělĭjetĭ, daraus * dělījetĭ nach dem eben erwähnten
Gesetz der Dehnung, weiter * dělīetĭ und durch die Vocalassimilation * děliitĭ,
endlich dělītĭ; něsmĭ = ne jesmĭ; während bei nicht palatalen Vocalen theils
der Ausfall des j viel später, theils, wo er eingetreten ist, keme Contraction statt-
gefunden hat, z. B. in älterer Zeit gen. sg. decl. comp. dobrajego, später dobraago,
imperf. dělaachŭ u. s. w. Also liegt eine Entstehung der Dativform -mętī nach
der oben gegebenen Deutung im Bereiche der lautlichen Möglichkeit. Wenn dem
aber so ist, so würde die slavische Form mit der litauischen Dativform ákei =
*akiai, nákczei = *naktiai so gut wie zusammenfallen; der Unterschied bestünde
nur darin, dass im Litauischen der Stammauslaut einfach zu j geworden ist; in-
dess bleibt im Litauischen die Entlehnung von den fem. ā-stämmen, wie Schlei-
cher sie annimmt, ebenfalls denkbar, und wird vielleicht unterstützt durch die
Accentgleichheit, nur möchte ich mich auf den letzten Punkt nicht zu sehr be-
rufen, weil im Litauischen alle Dative den Accent auf der Endsilbe vermeiden.


Die zweite hier einschlagendc Frage ist: lässt sich die gleichlautende sla-
vische Form auch als ursprüngliche Locativform fassen? Schleicher, Comp.3 553
erklärt pątī, noštī einfach = pąti-i, also durch Contraction des Stammauslautes
und Locativsuffixes, wie griech. loc.-dat. πόλῑ = πόλιι. Besonders wahrschein-
lich ist diese Aufstellung nicht, wenn man sie auch, wie es oben beim gen. und
loc. der i-stämme des Althochdeutschen geschah, bisweilen vermuthen darf. Das
Griechische steht mit der strieten Durchführung der Declination der i- und u-
stämme nach Analogie, um es kurz zu sagen, der consonantischen allein, und
auch hier ist sie ja nicht allen Dialekten gemeinsam. Es ist daher wenigstens zu
überlegen, ob nicht auch für das Slavische eine Grundform mit gesteigertem Aus-
laut, also aj-i, anzusetzen wäre. Merkwürdig ist es, wie klar zu erkennen diese
Form wenigstens in einigen europäischen Sprachen ist: πόλει = * πολεjι, got.
anstai = * anstaji, und wie sehr verwischt sie in den arischen erscheint, im
Sanskrit ist sie mit der Form der u-stämme vertauscht: kavāu, avāu wie sūnāu,
4*
[52]a. Declination der Nomina.
im Zend gara, uta-jūtā und andere Beispiele auf a, ā, ō (s. Justi, Gr. § 534—
539). Schleicher nimmt Comp.3 550 nach Spiegels Vorgang für die letzteren
Abfall des ji an, demnach gara = *garaji, wie im skrt. sūnā́u neben altem sū-
návi
, das Mehr liegt bei jenen nur im Abfall des j. Die Uebertragung der u-form
auf die i-stämme, denen eine dem sūnávi entsprechende, * avaji, auch vedisch
schon ganz zu fehlen scheint, muss einen bestimmten lautlichen Grund haben,
und einen solchen kann man finden, wenn man annimmt, auch hier, wie im
Zend sei das Suffix i mit dem vorausgehenden j sehr früh abhanden gekommen,
eine dadurch ganz suffixlose und undeutlich gewordene Form wie * ava aber
durch die sehr deutlich in der Endung ausgeprägte u-form vertreten, was
gerade bei der Parallelität in der Declination der beiden Classen nicht fern liegt.
Beim Slavischen fanden wir, dass mit dem loc. der u-stämme nicht über die
Grundform * sūnau hinaus zu kommen ist; supponiren wir nach dem eben an-
geführten einen gleich alten Abfall des i bei den i-stämmen, so würde eine Form
* mantai (aus *mantaji in weit vorslavischer Zeit entstanden) nothwendig zu *mętī
führen. Diese Auseinandersetzung scheint mir weiter dadurch eine Berechtigung
zu bekommen, dass so innerhalb des Slavischen die Analogie der i-stämme mit
den u-stämmen, die man ohne Noth nicht vernachlässigen darf, gewahrt bleibt.
Was das Litauische betrifft, so würden beide vorgetragenen Deutungen es er-
klären, warum der alte loc. verloren ging: ein *mantī = * mantii gäbe lit. * at-
minti
, ein *mantai (aus *mantaji) kann ebenfalls durch die Zwischenstufe -*mintë
zu -*minti werden, und eben diese undeutliche Form hätte zur Entlehnung der
kräftigeren Endung -je der femininalen ā-stämme geführt (at-mintyje).


Ueberblicken wir den bisher zurückgelegten Weg, so fanden wir einen seit
ältester Zeit ausgeprägten Unterschied von dat. und loc. im Slavischen bei den
u-stämmen (synovi, synu); konnten uns das Zusammenfallen der Formen beim
fem. ā-stamm (ženě) lautlich völlig befriedigend erklären; im Litauischen war
der Unterschied durch die Anwendung des Locativsuffixes -je gewahrt; bei den
i-stämmen war ebenfalls die Annahme eines bloss lautlichen, späteren Zu-
sammenfallens der Formen für das Slavische zu begründen, im Litauischen ist
ein wirklicher Dativ vorhanden, den man als ursprünglichen fassen kann. Es
bleiben noch zu besprechen: der slavische Dativ der a-stämme msc. ntr. vlŭku,
der litauische Dativ der msc. a-stämme vìlkui und der der u-stämme súnui, der
slavische loc. der msc. ntr. a-stämme, vlŭcě = *vlŭkě; sie gehören in der Decli-
nation des Slavischen und Litauischen zu den schwierigsten Formen. Am ein-
fachsten scheint sich die Locativform vlŭcě zu geben, wenn man sie = * varkai,
skrt. vrkē, ansetzt, wozu man nach den bekannten Formen der verwandten
Sprachen ohne Zweifel berechtigt ist. Und doch ist selbst hier eine lautliche
Sonderbarkeit: man hätte nach der sonst befolgten Regel * vlŭci statt vlŭcě er-
warten müssen (s. die oben gegebenen Beispiele der Vertretung des ursprüng-
lichen ai im Auslaut durch i), genau wie im nom. plur. vlŭci = lit. vilkai ist;
nur eine Form lässt sich dem loc. vlŭcě in dieser Hinsicht gleichstellen, der nom.-
acc. dual. ntr. izě (zu igo, Joch), doch ist dessen Erklärung auch schwierig. Man
pflegt sich in solchen Fällen gewöhnlich mit der den Sprachen zugeschriebenen
[53]i. Die Casus des Singulars.
Neigung zur Differenzirung zu helfen, die unter anderem bewirken soll, dass
Formen von ursprünglich verschiedener Function durch verschiedene Behandlung
des gleichen Auslautes getrennt gehalten werden. Diese ganze Differenzirungs-
theorie gehört ins Gebiet der Nothbehelfe, welche die vergleichende Grammatik
vermeiden sollte; ohne mich auf die weitläufige Frage hier näher einzulassen,
muss ich doch sagen, dass mir aus dem Gebiete des Slavischen und Litauischen
kein Fall vorgekommen ist, in welchem die Wirkung der Auslautsgesetze gehemmt
wäre durch Rücksicht auf zu erhaltende Bedeutungsunterschiede. In jeder Sprache
übrigens kann man den seltenen Fällen, wo eine lautliche Differenzirung aus
Gründen der Bedeutung vorgenommen zu sein scheint, gewöhnlich eine ganze
Reihe von Fällen entgegensetzen, wo die Aufrechthaltung des Unterschiedes aus
denselben Gründen geboten gewesen wäre und die Formen doch zusammenge-
fallen sind. Wenn im Slavischen z. B. beim i-stamm gen., dat., loc., voc. sg.,
nom. acc. plur. alles in die eine Form nošti zusammenfällt, beim fem. ā-stamm,
wie wir gesehen haben, loc. und dat. sing. nicht mehr zu unterscheiden sind,
wie sollte dieselbe Sprache dazu kommen, einen loc. sg. *varkai von einem nom.
plur. * varkai, mit dem doch eine syntaktische Verwechslung gar nicht vorkom-
men kann, dadurch zu scheiden, dass sie jenen zu vlŭcě, diesen zu vlŭci werden
liess, zumal sie bei denselben msc. a-stämmen nom. und acc. sg. in vlŭkŭ, acc.
und instr. plur. in vlŭky ungetrennt lässt. Man hat also entschieden nach einem
lautlichen Grunde für die Erhaltung des ai als ě im loc. sg. zu suchen; ob freilich
ein solcher noch zu finden ist, wage ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Es kommt
hier ein Factor in Rechnung, der überall zu spüren, bis jetzt aber leider in seinem
Werthe nicht fest zu bestimmen ist, der Accent. Eine und zwar vergleichende
Bearbeitung der litauisch-slavischen Accentgesetze gehört zu den allerdringend-
sten Erfordernissen für eine wissenschaftliche Grammatik dieser Sprachen. In
unserem Falle kann man z. B. sehr wohl die Frage aufwerfen, ob es zufällig sei,
dass im Litauischen bei weitem die meisten msc. a-stämme im loc. sg. den Ton
auf der Endlilbe tragen, ob diese Betonung die ursprüngliche sei, ob sie einst
auch für das Slavische gegolten habe, wie es wahrscheinlich ist, ob etwa davon
die Erhaltung des ai als ě abhänge? Aber eine Antwort ist darauf bis jetzt un-
möglich. — Ich wollte diese Bemerkung hier nicht unterdrücken, um einmal dar-
auf aufmerksam zu machen, dass hier noch manche Punkte zu untersuchen sind,
ehe die Vergleichung der indogermanischen Sprachen eine genügende Grundlage
erhalten kann. Zunächst muss auch ich dabei stehen bleiben, dass in vlŭcě der
alte Locativ erhalten sei.


Die noch restirenden Dativformen, slav. a-st. vlŭku, lit. a- und u-st. vìlkui,
súnui
tragen ein so gleiches Gepräge, dass sie mit einander zu behandeln sind.
Es wurde schon oben bemerkt, dass Schleichers Auffassung dieser Formen, nach
welcher sie Locative der u-stämme und, von diesen auf die a-stämme übertragen,
hier dativisch angewendet sein sollen, sich weder syntaktisch noch in Bezug auf
ihre Entstehungszeit in vorslavischer und vorlitauischer Periode chronologisch
rechtfertigen lasse. Den letzteren Punkt mag auch Scherer empfunden haben,
wenn er die litauischen Formen von den slavischen trennt (z. G. d. d. Spr. 291),
[54]a. Declination der Nomina.
seine eigne Erklärung leidet aber theils an der Unwahrscheinlichkeit der von ihm
wie von Schleicher angenommenen Uebertragungen, theils an der noch grösseren
Unwahrscheinlichkeit seiner lautlichen Ansetzungen. «Wir haben», heisst es a. a.
O., «von u-stämmen loc.-dat. synu, dat. synovi, loc. syně, von a-stämmen dat.
vlŭku, vlŭkovi, loc. vlŭcě. Dazu pronominal dat. tomu, Grdf. tasmái. Niemand
zweifelt, dass der loc. ě nur den a-stämmen, der Dativ ovi (aus Grdf. avai, skrt.
avē, wie z. B. nom. plur. vlŭci aus Grdf. varkai) nur den u-stämmen ursprüng-
lich gebühre. Für loc. dat. u bleibt nur die Zurückführung auf einen Locativ der
u-stämme offen, Grdf. sunavi: wie im Genit. synu für Grdf. sunaus, mithin u für
au steht, so gleichfalls hier u für av, au, im u ursprünglich û aber ist i spurlos
untergegangen». Das ist in mehrfacher Beziehung ungenau: erstlich haben wir
in älterer Zeit keinen Dativ des u-stammes synu, sondern diese Form ist nur
loc., und es bleibt daher unerklärt, weshalb die a-stämme diese Form ent-
lehnt und wieder nur als Dativ angewendet haben sollten; zweitens kann synu
nicht aus *sunavi durch eine Mittelform *sunûi entstehen, weil diese Form selbst
nicht entstehen kann; nur bei folgendem Consonanten oder im Auslaut kann aus
au (av) ū werden, nie bei folgendem Vocal. Scherer fährt fort: «Diese Form
(synu) fand im Dativ der a-stämme (Grdf. varkâi) gewiss nicht vlŭcě und noch
weniger tomě vor — denn weder begegnet der Loc. vlŭcě in dativischer noch der
Dativ vlŭku in locativischer Function — sondern ohne Zweifel *vlŭka, *toma (aus
vlŭkâ, tomâ für varkâi, tasmâi), ersteres gleichlautend mit dem Gen. und gerade
deshalb zur Differenzirung geneigt, letzteres dann unter dem Einfluss der No-
minalflexion ebenfalls gewandelt. Wenn Grdf. rankâi (loc. dat. vom fem. rankâ)
nicht ebenfalls die Gestalt raṅka, sondern raṅcě annimmt, so beruht dies wohl
auf altem Uebergang des âi in ai, welches seinerseits zu ě oder i werden konnte»
u. s. w. Diese Annahmen sind ganz willkürlich: dass altes âi je zu a geworden,
ist nicht zu beweisen, alle älteren āi wie ai sind im Slavischen zu ě oder i ge-
worden. Scherer trennt, wie erwähnt, die litauischen Dative vìlkui, támui
wenigstens insofern von den slavischen, als das -ui in der Entwicklung des Li-
tauischen selbst entstanden sein soll. Seine Darstellung dieses Vorganges gehört
aber zu den gezwungensten der vielen gezwungenen Erklärungen des Buches.
«Litauischer Uebergang», so construirt Scherer, «von â zu ů (au), der sich den
skrt. Dualen und Locativen auf âu für â und dem skrt. Perfectum dadâu, dadhâu
vergleicht, kann, dünkt mich, nicht geleugnet werden. Den Wurzeln und stů
für und stâ gesellt sich der instr. sing. für , got. thê (vgl. Pott, Präpos.
S. 308, d) und der nom. dual. tů́-du zu. Im Substantiv mit bekannter Verkürzung
instr. sing. vilkù (vgl. den altpreuss. «Dativ» auf u), nom. dual. vilkù. Grdf. beider
Casus varkâ. Von wird das Prät. daviaú gebildet. Musste nicht ebenso im Dativ
aus tasmâi zunächst tasmavi, aus varkâi zunächst vilkavi entstehen? Eine solche
Form fiel aber mit dem vorauszusetzenden Dativ der u-stämme, z. B. *sû́ navi zu-
sammen, neben welchem (wie zd. Dativ paçvē neben paçavê) sûnui bestand: dieses
ui wurde ausschliesslich herrschend im Dativ der u- und a-stämme. Analoge Wand-
lung des auslautenden ksl. a (â) zu u (au) lässt sich nicht nachweisen». Man kann sich
in der That eine wunderlichere Art der Zusammenstellung und Vergleichung kaum
[55]i. Die Casss des Singulars.
denken. Dass im Dual und der 1. sg. perf. des Sanskrit âu aus â entstanden sei,
ist eine Hypothese, die sich nur auf diese Formen stützt und zum Belege nicht
gebraucht werden darf, es heisst das nur eine unbekannte Grösse durch die andere
ersetzen. Wenn im Litauischen der nom.-acc. dual. vilku heisst, im Slavischen
vlŭka = , wie im Sanskrit vrkāu neben vedischem vrkā, so kann man eben-
sowohl den Schluss ziehen, *varkau und *varkā seien seit ältester Zeit gleichberechtigte,
vielleicht dialektisch wählbare Formen gewesen, von denen die eine
Sprache diese, die andere jene bewahrt habe; damit kann also jedenfalls nichts
bewiesen werden. Die Erklärung von instr. sg. = ist eine eben solche
Hypothese, die richtige Deutung ist = *ta-mi (s. u. beim instr.). Eine Wurzel-
form stu ist eine reine Fiction, entstanden aus einer zu mechanischen Anwendung
der Steigerungsregeln und der Nichtbeobachtung litauischer Dialektverhältnisse.
Weil es ein Verb stóviu, stovė́ti, eine Dialektform desselben staunu, und ein No-
men stůmů́ (Statur) giebt, hat man eine Wurzelform stu zu Grunde gelegt. Nun
ist aber stůmů́ nur eine von Schleicher verhörte oder eine dialektische Form (ů
für ō ist dialektisch häufig) für stōmů́, so hat denn auch Kurschat (D.-Lit. Wörter-
buch s. v. «Körpergrösse») und Schleicher selbst, Lit. Gr. S. 45, stomů́ neben
stůmenýs (Stück Leinen von Leibeslänge), welches letztere ganz dasselbe Wort
ist, nur mit einem weiterbildenden Suffix; stovëti aber ist ein denominatives
Verbum von stova (Stand, Stelle), gebildet wie slav. sta-va (articulus), auch in
za-stava u. s. w., d. h. mit Suffix -va- von W. stā; und so wenig es einem ein-
fallen kann, dem slavischen Verbum stavati (stehen), staviti (stellen) eine Wurzel-
form stu unterzuschieben, so wenig sollte einem das beim Litauischen einfallen.
Die Consequenz solches äusserlichen Verfahrens führt dann dahin, für slavisches
stojati (stehen) eine Wurzel sti anzusetzen, was denn in der That auch schon ge-
schehen ist. Was endlich staunu betrifft, so ist dies ganz dasselbe was stóviu,
und erklärt sich aus der in manchen Dialekten sehr beliebten Anwendung von
-nu statt eines beliebigen andern Präsensstammsuffixes, das sonst gebräuchlich
ist; statt stāviu = stóviu heisst es dialekt. stavnu, woraus natürlich von selbst
in der Aussprache staunu wird; es ist genau derselbe Fall wie guinù (ich trachte)
neben [.]guijù, vgl. Schleicher, Gr. § 114, 2. Unter dieselbe Reihe von Doppel-
bildungen fällt 1. sg. stóvmi neben stóviu, auf welche Form Schleicher, Gr. S. 251
die Wurzelform stu bezieht; hier zeigt sich die secundäre Bildung schon im
Bleiben des v; wäre die Form alt und ursprünglich, so würde sie wie einù (ich
gehe) auch *staumi oder etwa *stůmi gelautet haben; die allermeisten 1. sg. praes.
auf -mi, die Schleicher § 119 anführt, beruhen auf ganz später Formübertragung
von dė́mi, esmì u. a. auf andere Verbalclassen. Die eigentliche Wurzelform ist
und bleibt also für das Litauische sta, wie sie in stó-ti, praes. stó-ju erscheint.


Mit diesem Vergleiche Scherers war es nichts, etwas scheinbarer ist der von
dů́ti (geben), praes. dů́du, praet. daviaú, passt aber ebenfalls nicht hierher: im
Preussischen lautet der dat. sg. msc. pron. stesmu, kasmu u. s. w. und es liegt
nicht der mindeste Grund vor, diese von Scherer nicht erwähnten Formen von
den lit. támui, kámui zu trennen, im Preussischen aber giebt es nur eine Wurzel-
form (inf. dâtwei, 3. sg. praes. dâst), also auf dů́ti, die jüngere Form, kann
[56]a. Declination der Nomina.
man sich zur Erklärung von -ui, der älteren, nicht berufen. Man wird für die Ab-
weisung nun eine Erklärung des ů von dů́ti verlangen. Diese lässt sich, wie ich
glaube, in befriedigender Weise geben, wenn man mit Hülfe bekannter That-
sachen die betreffenden Formen genauer analysirt. Es ist von Schleicher der
auffallende Umstand nicht unbemerkt geblieben, dass das ů im Präsens in der
Reduplicationssilbe steht; im Comp.3 784 heisst es ohne Erklärung: «W. urspr.
da (geben), die im lit. dav, dů lautet, auch hier mit Verlust des Wurzelauslautes,
aber mit vollem Vocal in der Reduplicationssilbe důd-» u. s. w., hier scheint es,
als nähme Schleicher eine Art von gesteigerter Reduplicationssilbe an, also etwa
urspr. * daudu. In der Lit. Gr. S. 253 heisst es: «Wie δίδωμι, τίϑημι, skrt.
dádâmi, dádhâmi aus den Wurzeln, δω, ; ϑη, dhâ durch Reduplication ent-
standen sind, so die entsprechenden litauischen Formen dů́ mi für dů́dmi, dė́mi
für dė́dmi, nur ist im Litauischen der Wurzelvocal (die Wurzeln lauten hier ,
d. i. du, und ) in die Reduplicationssilbe getreten und im Auslaute völlig ge-
schwunden». Es lässt sich leicht zeigen, dass diese Dinge unhaltbar sind. Das
ē̇ in dė́mi, neben dem sogar dèmi vorkommt und neben dem dést steht (d. h.
dĕst, denn ist nur Folge des Accents, Steigerungsvocal oder ältere Dehnung
wäre ė), ist nichts anderes als eine Ersatzdehnung für *dedmi; weiterer Beweis
dafür ist die moderne Form dedù; stünde dė́mi, wie Schleicher ansetzt, für *dėdmi,
so hiesse es *dėdu; der kurze Vocal stimmt überdies zum slav. deždą = *ded-ją.
Die andere Wurzel hat slav. praes. damĭ, dasī, dastĭ, damŭ u. s. w. für *dadmĭ
u. s. f. Die Uebereinstimmung des Slavischen mit den litauischen Sprachen in
dem Verlust des Wurzelvocals vor den Personalendungen muss nach aller ver-
nünftigen Vergleichungsmethode Beweis genug sein, dass derselbe vor der Einzel-
entwicklung von Slavisch und Litauisch vor sich gegangen ist; es konnte also
auch im Litauischen kein Wurzelvocal besonderer Art in die Reduplicationssilbe
treten, weil keiner mehr vorhanden war. Ferner zeigt die Uebereinstimmung
des Preussischen und Slavischen in dem a der Reduplicationssilbe, dass dies noch
der Vocal derselben war zur Zeit der engeren Gemeinschaft der litauischen und
slavischen Sprachen. Mit einem Worte: das ů ist erst innerhalb des Li-
tauisch-lettischen in der Reduplicationssilbe entstanden
, und
der Entwicklungsgang ist folgender: der inf. lautete ursprünglich nur wie preuss.
dâtwei, dem entspräche, wenn keine Veränderungen vorgegangen wären, lit.
*dō-ti (vgl. stō-ti zu stā). Daneben ist die Form - erhalten in dō-snùs (frei-
gebig), dovanà (Gabe), padónas (Unterthan). Dovanà braucht ebensowenig wie
das slavische abgeleitete Verbum davati aus W. du erklärt zu werden oder dajati
aus W. di, es liegen hier alte Nomina *dā-va, *dā-ja zu Grunde. Wie die
Sprache zwischen o und ů ins Schwanken gekommen ist, namentlich durch den
dialektischen Wechsel dieser Vocale, beweisen auch die verschiedenen Schrei-
bungen, Kurschat s. v. «freigebig» hat z. B. důsnùs, aber dovanà. So ist also
dů́-ti aus *dō-ti entstanden. Als litauische Grundform des Präsens ist *dadmi
anzusetzen. In den preussischen Katechismen wird die 3. sg. consequent dâst,
die vereinzelt vorkommende 2. sg. dâse geschrieben, der Vocal der Reduplications-
silbe ist also gedehnt (auch das slav. a in damĭ u. s. w. ist nach den früheren
[57]i. Die Casus des Singulars.
Bemerkungen über slav. a höchst wahrscheinlich als ā anzusetzen), im Litaui-
schen demnach *dōst, daraus dů́st. Dass in einer litauischen Neubildung, wie
dem Präteritum, dann als Wurzel zu Grunde gelegt ist, daher daviau, kann
nicht Wunder nehmen; übrigens ist es auch noch die Frage, ob die Form nicht
anders erklärt werden kann; preuss. dâuns part. praet. act. ist = *dā-vans.


Wenn auf diesem Wege nicht zum Ziele zu kommen war, giebt es für das
lit. vìlkui, súnui, das slav. vlŭku überhaupt noch eine Möglichkeit der Erklärung?
Nach den früheren Bemerkungen halte ich es für allein richtig, zunächst davon
auszugehen, dass diese Formen wirkliche Dative, nicht Locative sind, erst wenn
so keine Erklärung zu gewinnen ist, darf man vielleicht auf Locativformen zurück-
gehen. Da sich nun die Entstehung des -ui der a-stämme aus -āi nicht begrün-
den lässt, bleibt nur die Möglichkeit einer Entlehnung von den u-stämmen. Da
auch im Slavischen keine Möglichkeit ist, von einem -āi direct auf zu kommen,
müssen hier ebenfalls die u-stämme zu Grunde gelegt werden. Aus alle dem
folgt, dass als Grundlage der vorliegenden Formen zunächst eine wirkliche Dativ-
form der u-stämme zu suchen ist. Da als solche im Slavischen eine alte Form
als synovi = *sūnavai erhalten ist, kann, wenigstens für beide Sprachen zu-
sammen, an diese nicht gedacht werden, sondern nur an die einzige mögliche
Nebenform derselben, *sūnvai (analog den zend. Dativen auf -v-ē). Hätte man
es nur mit dem Litauischen zu thun oder nähme zunächst nur auf dieses Rück-
sicht, sowäre die Erklärung ziemlich einfach: altes *sūnvai kann nach litauischen
Auslautsregeln zu der Gestalt *sūnvi führen, und es ist klar, dass die bestehende
Form súnui geradezu mit derselben identificirt werden dürfte. Eine alte solche
Dativform liegt wahrscheinlich wirklich vor in den preussischen Infinitiven wie
dâ-twei (geben), worin man schwerlich etwas anderes erkennen kann, als den
Dativ des Stammes dātu-, dessen acc. im Litauischen, auch im Preussischen wie
im Slavischen, das sogen. Supinum bildet (důtu, dâtun, datŭ). Vom Standpunkt
des Litauischen allein ist es vielleicht auch möglich, den dat. sū́nui unmittelbar
an slav. synovi = *sūnavai anzuschliessen, nur nicht so, dass -av- vor ai (i) zu
ů, u geworden wäre, sondern dass a vor v ausfiel und so die Form *sūnvai,
*sūnvi
entstand, aus der dann, wie eben bemerkt, sū́nui. Für wahrscheinlicher
halte ich die Deutung aus *sūnvai. Man darf sich, nebenbei bemerkt, nicht durch
die scheinbar gleichlautende litauische Locativform sūnùi irre führen lassen, sie
ist nur eine moderne Verkürzung von sūnujè, wie man heutzutage auch mergój
statt mergojè, akýj satt akyjè schreibt und mergó, aký spricht, der Unterschied ist
nur, dass nach dem u das j sich in der Aussprache hält; daher auch der ad-
verbiale loc. virszùi (oben) zu virszùs. Die weitere Entwicklung ergiebt sich für
das Litauische dann ohne Schwierigkeit: Dativ und Locativ der msc. a-stämme,
wenn als deren indogermanische Grundform *varkāi und *varkai feststehen,
sind im Litauischen schwerlich aus einander gehalten, sondern werden beide
*vilkë geworden sein. Da nun bei den u-stämmen die Formen aus einander ge-
halten sind, ist die Entlehnung der Dativform auf -ui von den u-stämmen ein
sehr natürlicher Vorgang. Da aber auf diese Weise sämmtliche msc. Dative auf
altes -āi der Sprache beim Nomen abhanden gekommen waren, ist -ui auch
[58]a. Declination der Nomina.
auf das Masculinum des Pronomens übergegangen, daher támui; die preussische
Form s-tesmu und die gleich auslautenden nominalen Dative des Preussischen
werden unten zur Sprache kommen.


Wenn so auch die litauischen Formen erklärbar werden, so genügt doch die
vermuthete Grundlage nicht, wenn man das Slavische herbeizieht, weil sich nicht
beweisen lässt, dass ein Dativ *synu, wie er als Muster des vlŭku vorauszusetzen wäre,
aus *sūnvai, überhaupt aus -vai entstehen konnte. Mit vlŭku kommen wir nicht
über *varkau, d. h. auf den u-stamm angewendet, *sūnau hinaus, und dies ist die
Locativform (synu). Wenn sich so lit. vilkui, sūnui auf keine Weise mit slavischem
vlŭku vereinigen lassen, so scheint es mir gerathen, trotz der scheinbaren Gleichheit
der Formen, sie nicht gemeinsamer Entwicklung zuzuschreiben. Es ist nur der gleiche
lautliche Grund, der hier wie dort zu einer Entlehnung von den u- stämmen ge-
führt hat. Wir fanden im Slavischen den alten loc. *varkai als vlŭcě, der dat.
*varkāi kann auch nur vlŭcě ergeben haben, die Formen müssen also einst, wie
beim fem. in ženě, zusammengefallen sein. Dass beim fem. dieser Zustand be-
stehen blieb, hat offenbar seinen Grund in der allgemein, wenigstens in älterer
Zeit zu beobachtenden Abneigung, mit Analogiebildungen aus dem Genus heraus-
zugehen; die etwa dafür zu Gebote stehende andere Kategorie femininaler Worte
sind aber i-stämme, in denen ebenfalls dat. und loc. zusammengefallen sind.
Denken wir uns also einen Zustand der Sprache, in welchem vlŭcě dat. und loc.,
aber daneben synovi dat., synu loc. war, so erscheint es uns als das am nächsten
liegende, den Dativ als vlŭkovi zu entlehnen. Dies ist notorisch nicht geschehen;
die Anführungen der Formen auf -u und -ovi freilich, wie sie z. B. auch bei
Schleicher, Comp.3 553 erscheinen, könnten zu dem Glauben veranlassen, seit
alter Zeit seien beide als dat. sing. der a-stämme gleich gebräuchlich gewesen
und stünden einfach neben einander; das widerspricht durchaus der Ueber-
lieferung, das -ovi ist bei den a-stämmen anfangs nur ganz sporadisch vertreten
und noch jetzt haben einzelne slavische Sprachen (Grossrussisch und Serbisch) es
nicht. Man muss demnach einen andern Weg der Entwicklung suchen, den ich
mir so denke: es wurde anfangs vielmehr der loc. vlŭcě durch vlŭku ersetzt,
solche Uebertragungen gehen aber bekanntlich nicht mit einem male vor sich, die
alte Form wird durch die neue nicht sofort verdrängt, sondern beide sind eine
Zeit lang neben einander im Gebrauch. Da nun vlŭcě zugleich dativische Function
hatte, kam auch vlŭku als Nebenform des Locativs zu dativischer Bedeutung; es
bedarf aber einer Erklärung, warum dieselbe als Dativ fixirt wurde. Der Grund
scheint mir im Pronomen zu liegen: der ursprüngliche dat. msc. *tomě = tasmai
folgte dem Zuge des nominalen dat.-loc. vlŭcě und nahm ebenfalls die Form tomu
an, diese kann aber nur dativisch verstanden werden, da der loc. tomĭ (=tasmin)
ganz anders gebildet ist. Dieser beim Pronomen nothwendigen Fixirung verdankt
dann auch beim Nomen das -u seine ausschliesslich dativische Bestimmung,
während vlŭcě als loc. festgehalten ward. Ich vertraue auf diese verwickelte
Auseinandersetzung deswegen mehr, als ich es sonst thun würde, weil sie sich
wenigstens innerhalb sicherer oder höchst wahrscheinlicher lautlicher Vorgänge
hält, und weil sie uns vor allen Dingen das scharfe Auseinanderhalten des Dativs
[59]i. Die Casus des Singulars.
und Locativs im Litauischen und Slavischen begreiflich macht, während dies bei
der Annahme von lauter Locativformen ganz unverständlich bleibt.


In allem bisherigen sind die preussischen Formen unberücksichtigt geblieben,
mit Absicht, weil die Declination in den Katechismen in Verwirrung gerathen ist
und erst eine Sonderung der unrichtigen von den richtigen Formen vorgenommen
werden muss. Diese sei hier kurz vorgenommen, sie ergiebt kein anderes Re-
sultat als das eben gewonnene. Oben wurde beim gen. sg. eine vergleichende
Zusammenstellung der Declination des fem. und msc. innerhalb der a-stämme
gegeben und gezeigt, dass nur im nom. sg. ein constanter Unterschied festge-
halten wird, die übrigen Casus alle gleichlauten können. Nun finden sich im
Preussischen im Dativ der msc. a-stämme zwei Formen: waldniku — wêldnikai,
die letztere dem fem. Dativ gleichlautend. Scherer hält die Form auf -u für einen
Instrum., der also missbräuchlich in dativischer Function angewendet wäre und
formell sich dem lit. instr. vilku vergliche. Lautlich ist das ohne Zweifel möglich,
denn der instr. von kas, stas lautet preuss. ku, stu, aber trotzdem ist jene Zu-
sammenstellung unrichtig, denn im Preussischen lauten auch die pronominalen
Dative stesmu, kasmu; das sind doch sicher keine Instrumentalformen und von
den lit. támui, kámui nicht zu trennen. Wenn es ferner eine so deutliche Dativ-
form des msc., die auf -ai, gab, was sollte die Sprache oder den deutschen Ueber-
setzer veranlassen, dafür die Instrumentalform einzusetzen, für die er gar kein
Sprachbewusstsein hatte? Es ist auch hier, wie mir scheint, sicher, dass die
Formen auf -u die alten Dative des Preussischen sind, den litauischen auf -ui
gleichzusetzen und so zu erklären, die auf -ai dagegen entweder in der Sprache
wirklich vorkommende Anschlüsse an die femininale Declination oder Missver-
ständnisse des Uebersetzers. *)


[60]a. Declination der Nomina.

Um keine der vorhandenen Locativformen zu übergehen, sei hier noch die
eigenthümliche Bildung des Slavischen bei den consonantischen Stämmen ange-
führt: kamen-e, mater-e, sloves-e, žrěbęt-e, crĭkŭv-e. Miklosich (Wien. Sitzungs-
ber. Phil. hist. Cl. 1875, p. 68) ist geneigt, diese Form für den Genitiv zu halten, der
also den Locativ ersetze, «wofür die in andern Fällen nachweisbare Verwandt-
schaft beider Casus spricht». Das Verhalten dieser Casus im Slavischen spricht
nicht dafür, und ich könnte mir den Hergang nur so zurechtlegen, dass bei der
Mischung der ursprünglich consonantisch flectirten Casus dieser Stämme mit den
von den i-stämmen entlehnten Formen der consonantische Genitiv kamene als loc.
verwendet wurde, weil bei den i-stämmen beide Casus zusammenfallen. Aber
die Locative auf -e erscheinen in unserer Ueberlieferung entschieden als alter-
thümliche, im Verschwinden begriffene Formen, ererbt aus einem älteren Sprach-
zustand. Ich weiss sie nicht zu deuten noch zu vergleichen, denn die etwa mög-
liche Zusammenstellung mit den aus dem Zend angegebenen Locativformen auf
kurzes -a (-ja) ist so lange werthlos, als die mannichfachen Casusformen des
Locativs, Dativs, Instrumentalis und Genitivs nicht im Zusammenhang behandelt
sind, und ich mir wenigstens kein Urtheil zutraue, welche Formen als alt, welche
als jung und entstellt anzusehen sind. Auch der Gedanke, dass vielleicht ein
Zusammenhang des -e (= ă) mit der litauischen Locativendung -je (= ja) statt-
finde, der Art, wie es sonst vorkommt, dass dieselbe Casusendung an vocalische
Stämme mittelst j angefügt wird, an consonantische unmittelbar — lässt sich
weiter nicht begründen.


4. Accus. sing. msc., fem.; nom.-acc. sing. ntr.

A. Acc. sing. msc., fem.

Die Form des Suffixes bei consonantischen Stämmen als -am, bei vocalischen
als -m steht auch für unsere Sprachen als Grundform fest, aber in keiner der
drei Familien ist m als solches erhalten: das Germanische hat den Consonanten,
wo er überhaupt erhalten ist, als n, got. þa-n-a, im Litauischen ist er wie jedes
auslautende m zu n geworden, acc. sg. vilka-n, vgl. gen. pl. vilkūn, so schon im
Preussischen des Vocabulars wie der Katechismen. Das Slavische lässt nicht er-
kennen, ob den aus nasalen Silben entstandenen kurzen oder langen einfachen
Vocalen und Nasalvocalen der Auslaut m oder n zu Grunde liege. Es kann so
höchstens als eine Möglichkeit ausgesprochen werden, dass die Wandlung von m
*)
[61]i. Die Casus des Singulars.
in n einer gemeinsamen Entwicklung angehöre; sie kann ebensowohl in der
Einzelsprache erst eingetreten sein: im Griechischen ist sie vorhanden, im Ita-
lischen nicht; und selbst in modernen slavischen Dialekten kommt es vor, dass
die secundär in den Auslaut getretenen m zu n werden.


Die Formen der vocalisch auslautenden Stämme bieten nicht die mindeste
Schwierigkeit, die einfache Zusammenstellung beweist ihre Zusammengehörigkeit,
zugleich aber auch die Unwichtigkeit derselben für die specielle Vergleichung des
Germanischen und Litauisch-slavischen. Nur der Vollständigkeit wegen seien sie
hier mit angeführt.


i-stämme:


  • got. anst = *ansti-n,
  • lit. nakti̧ = nakti-n (so dialektisch noch),
  • slav. noštĭ = *nokti-n oder-m.

u-stämme:


  • got. sunu = *sunu-n,
  • lit. súnų = sūnu-n,
  • slav. synŭ = *sūnu-n oder-m.

a-stämme:


  • msc. got. vulf = *vulfa-n,
  • lit. vìlką = vilka-n,
  • slav. vlŭkŭ = *velka-n oder-m,
  • fem. got. giba = *gibā-n,
  • lit. mérgé = merga-n, verkürzt aus *mergā-n; vgl. preuss. gena-n,
  • slav. ženą = *genā-n, -m.

Das Slavische giebt den Beweis, dass die Verkürzung des Auslauts beim Femi-
ninum erst innerhalb des Litauischen selbst stattgefunden haben kann, da slav.
nur = ām, ān sein kann.


Was die consonantischen Stämme betrifft, so hat das Germanische die bekannte
alte Form, got. brôþar = *brôþar-am. Dem heutigen Litauischen fehlt sie ganz, es ist
dafür die Analogie der i-stämme eingetreten (ákmeni̧, móteri̧); sehr wohl möglich
ist es aber, dass im Preussischen der alte Accusativ erhalten ist in kermenen,
kermnen, kermenan
(St. kermen-, Leib). Denkbar bleibt dabei freilich ein Ueber-
gang in die a-stämme, bei denen auch zuweilen statt -an -en geschrieben wird,
z. B. waldǻnen (nom. sg. waldǻns), laisken (nom. sg. laiskas); man muss indess
im Auge behalten, dass sonst im Gebiet des Slavischen und Litauischen wenig Nei-
gung besteht, die ursprünglich consonant. Stämme in a-stämme überzuführen.


Eigenthümlich verhält sich hier das Slavische: anstatt eines ursprünglichen
*akman-am, mātar-am u. s. f. hätte man *kamenŭ, *materŭ erwarten sollen, wie
denn sonst jedes auslautende -am zu wird; die vorhandenen Formen aber, so-
weit der Casus nicht nach Weise der i-stämme gebildet wird (kamenĭ, materĭ),
lauten kamen-e, mater-e, crĭkŭv-e, und weichen von den sonstigen Gestaltungen
des Accusativs ganz ab. Es liegt natürlich sehr nahe, das auslautende -e für den
Rest des -am zu halten und sich dabei etwa auf das Griechische zu berufen,
das die Accusativendungen der verschiedenen Stämme verschieden behandelt:
[62]a. Declination der Nomina.
*varkam — λύκο-ν *mātar-am — μητέρ-α. Allein so einfach kann dieser Ver-
gleich doch nicht gebraucht werden: im Griechischen werden auch sonst die aus-
lautenden -am gleicher Bildungen verschieden behandelt, z. B. ἔφυγον neben
ἔδειξα, während im Slavischen der Auslaut beider Aoristformen gleich ist:
vezŭ = *avagham, bychŭ = *a-bhū-sam; ausserdem ist das Schwinden des ur-
sprünglichen Nasals im Auslaut von Accusativen wie μητέρα im Griechischen eine
Ausnahme von der allgemeinen Regel; es liegen also hier ganz speciell griechische
Lautwandel vor. Dass in den europäischen Sprachen nicht etwa eine allgemeine
Tendenz vorhanden war, den acc. der consonantischen Stämme von dem der msc.
a-stämme getrennt zu halten, geht z. B. aus dem Oskisch-umbrischen hervor,
wo -om für beide die Endung bildet (umbr. curnaco[m] wie puplu[m]). Es bleibt
daher in Betreff der slavischen Sprachen immer ein Recht zu zweifeln, ob jene
Formen auf -e wirkliche Accusative sind. Leider ist die slavische Grammatik
nicht in dem Zustande, dass man über das Vorkommen der einzelnen Formen in
den älteren Quellen eine Uebersicht erlangen könnte; was ich geben kann, lässt
den Zweifel bestehen oder vermehrt ihn. Im Assemanischen Evangelistar kommt
nicht ein einziger Accusativ auf -e vor (s. Assemanov ili Vatikanski Evangelistar.
Jzd. Dr. Fr. Raěki. Uvod Jagicá p. XLV), während die Genitive und Locative
auf -e gebräuchlich sind; die Accusative haben nur die Form: kamenĭ, materĭ,
ljubŭvĭ
, also i-formen. Im Ostromirschen Evangelium steht der häufiger vor-
kommende Accusativ von kamy nur als kamenĭ und ebensowenig kommt von
anderen n-stämmen ein Accusativ auf -e dort vor. Nun giebt es allerdings
Quellen, in denen Formen auf -e in accusativischer Function von jeder Art con-
sonantischer Stämme reichlich vertreten sind, z. B. der codex Suprasliensis. Ver-
gleicht man mit diesem Stande den des Ostromirschen Evangeliums, so stellt sich
heraus, dass im letzteren der acc. zu kamy neunmal und nur in der Form kamenĭ
erscheint, der acc. zu mati elfmal und zwar achtmal als matere, dreimal als ma-
terĭ
, während der gen. kamene vorkommt wie der gen. matere. Jedenfalls ist
dies ein auffälliges Verhältniss, das mich längst auf den Gedanken gebracht hat,
der acc. matere sei nichts anderes als die Genitivform, und die Anwendung des-
selben als Accussativ, wie auch bei dŭštere, hervorgegangen aus der Neigung des
Slavischen, bei Bezeichnungen lebender Wesen den Genitiv statt des Accusativs
zu gebrauchen. Diese Neigung beschränkt sich in der neueren Entwicklung der
slavischen Sprachen, wenigstens im Singular, auf das Masculinum, aber noch in
der Zeit, aus der unsere ältesten Quellen stammen, war sie nicht durchgebildet:
der wirkliche acc. sg. msc. Belebter ist häufig neben dem gen. Was für Gründe
nun auch zusammengewirkt haben mögen, um gerade bei den belebten Masculinis
die Vertretung des Accusativs durch den Genitiv zu bewirken, als einen haupt-
sächlichen wird man sich vorstellen müssen, dass gerade bei der im Slavischen
ganz freien Wortstellung im Satze eine neue Scheidung von Subjects- und Ob-
jectscasus (die ja lautlich zusammengefallen waren) bei jener Kategorie von
Worten am meisten Bedürfniss war. Das trifft die Worte mati und dŭšti nicht,
aber ein acc. *materŭ musste mit dem gen. pl. materŭ zusammenfallen und es
kommt hinzu, dass die beiden Worte dem verlorenen msc. *brāti (preuss. brâti,
[63]i. Die Casus des Singulars.
lit. brōter-ė́lis) völlig gleich flectirt wurden, während sie später, wo die Formen
ihrer Casus andern Analogien folgen, sich wieder ganz den übrigen Femininen
anschliessen. Der Analogie von matere, dŭštere als acc. entstammt dann der
Gebrauch der Genitivformen auf -e bei den übrigen consonantischen Stämmen in
accusativischer Function, wobei wieder zu beachten ist, dass die Worte auf -y,
gen. -ŭv-e alle Feminina sind wie mati, dŭšti. So hätten wir denn überhaupt
keine ursprünglichen Accusativformen auf -e, und die räthselhafte Ausnahme
fiele weg. Ich gebe indess das vorstehende unter dem Vorbehalt, dass eine ge-
nauere Untersuchung der Quellen vielleicht zu einer andern Auffassung führen
mag. Nur eins sei hier noch angeführt als ein Hinweis darauf, dass der Sprache
die wirkliche ursprüngliche Accusativform der consonantischen Stämme wahr-
scheinlich verloren gegangen ist: schon in altbulgarischen Quellen, z. B. im Asse-
manischen Evangelium, kommt es vor, dass die Nominativformen wie ljuby (gen.
ljubŭve) neben der gewöhnlichen Accusativform ljubŭvĭ (i-form) auch als Accu-
sative verwendet werden, und im Serbischen, noch bei dalmatinisch-chorva-
tischen Dichtern des 16. Jahrh. werden die echten Nominativformen der n-stämme,
wie kami (= kamy) häufig genug accusativisch gebraucht. So gut wir nun wissen,
dass kamenĭ und kamy in accusativischer Bedeutung nur den verlornen alten Ac-
cussativ ersetzen, so gut ist es denkbar, dass auch kamene ein solcher Ersatz, in
Wirklichkeit also Genitivform ist.


B. Nom.-acc. sing. neutr.

a) Die consonantischen Stämme.

Die Vergleichung muss sich hier auf das Germanische und Slavische be-
schränken, da dem Litauischen das Neutrum bis auf geringe Reste abhanden ge-
kommen ist, die überdies der vocalischen Declination angehören.


Vergleichbar sind hier nur -n und -as-stämme: was im Slavischen von con-
sonantischen Formen mehr da ist, fehlt dem Germanischen in dieser Gestalt. Da
in letzterem auch die -as-stämme zum Theil in die Analogie der a-stämme über-
gegangen sind, bleiben als unmittelbar einander gegenüberstehende Formen nur
die der -n-stämme. In beiden Familien hat der nom. acc. sg. eine auffallende
Gestalt: das Deutsche weicht mit der Dehnung des Vocals in hairtô, vatô von
allen andern indogermanischen Sprachen ab; eine rein lautliche Erklärung giebt
es für diese Abweichung nicht; man könnte, um innerhalb des Germanischen zu
bleiben, geneigt sein, eine Uebertragung der Länge aus dem Plural haírtôna an-
zunehmen, allein auch hier ist die Länge durch den Hinweis auf sanskr. nā-
māni
, zend. dāmãn kaum als ursprünglich zu erweisen, da die letzteren Formen
im Zusammenhang mit dem räthselhaften manā̆si u. s. w. betrachtet werden
müssen. Sehr auffällig ist es nun, dass im Slavischen die Gestalt des nom.-acc.
imę, znamę sich nur aus einer vorausgehenden Gestalt *imēn, *znamēn erklären
lässt. Wäre, wie in den südeuropäischen Sprachen und in den arischen, der un-
veränderte Stamm *anman, in slavischer Form *inmen (daraus īmen) verwendet
[64]a. Declination der Nomina.
worden, so hätte das nothwendig *ime, *zname geben müssen. Nie wird eine
Kürze mit Nasal zum Nasalvocal, und es berechtigt uns nichts, von einem sonst
allgemein gültigen Gesetz zu Gunsten jener Form eine Ausnahme anzusetzen, zu-
mal da Formen wie *ime, *zname der Sprache ganz wohl hätten passen können.
Die Dehnung kann nun nicht, wie möglicherweise im Germanischen durch eine
Uebertragung aus dem Plural erklärt werden, da sie innerhalb des Plurals im
Slavischen nicht vorkommt, nom.-acc. imĕna und so in allen Casus. Die Reste
dieser Neutra im preussischen Vocabular wundan, dadan (Milch), semen (Same)
geben keinen Aufschluss (Pauli in den Beitr. VII, 202, 204); ich möchte indess
glauben, dass wir in dem letzten Beispiel wegen des e die ächte alte Form haben,
die beiden ersteren dagegen den Neutris der a-stämme (preuss. -an) gefolgt sind,
ähnlich wie in Katech. III pecku, die richtige alte Form, auch durch peckan ver-
treten wird; die Quantität des e der Endsilbe ist aber nicht zu bestimmen. Die
übrigen Sprachen verfahren so mit dem Suffix -man, das hier fast allein in Betracht
kommt, dass keine Dehnung eintritt: arisch nom.-acc. -ma mit Abfall des -n, lat.
-men und ebenso im Altirischen -min, nom. ainm (Name) = *an-min. Eine
ganz merkwürdige Ausnahme macht bei diesem Suffixe bekanntlich das Grie-
chische: während im Arischen, Lateinischen, Litauischen, Slavischen die An-
wendung des neutrale Verbalnomina bildenden -man sehr häufig ist, wird dies
im Griechischen durch -μα, -ματ-ος vertreten. Es liegt freilich sehr nahe, im
Anschluss an das latein. -men-to- und ähnliche Weiterbildungen andrer Sprachen
dem Griechischen ein Suffix -manta- unterzulegen, das dann zu -mant- verkürzt
wäre oder seit alter Zeit diese Nebenform gehabt hätte und endlich zu -man der
andern Sprachen geworden wäre. Allein sieht man Worte wie slav. sěmę, St.
sēmen-, lit. sėmů́, St. sēmen-, lat. sēmen, althd. sâmo, St. sāmin-, so bleibt doch
kein anderer Schluss, als dass -man in dieser Gestalt und Anwendung indoger-
manisch sei und nicht einzelsprachlich, dass aber, wo eine Einzelsprache eine
verwandte abweichende Form zeigt, diese einer besonderen Entwicklung, einer
Neubildung zuzuschreiben ist. Ausserdem kommt hier noch hinzu, dass die Form
des Griechischen doch nicht zu einem angenommenen -mant- stimmt: es ist schon
schwer zu begreifen, warum ein solches in den obliquen Casus zu -ματ- wird,
ganz unverständlich aber der nom. -μα, da eine Form auf -μαν, wie sie z. B.
nach πᾶν oder part. ntr. λῦσαν zu erwarten war, völlig den Lautgesetzen gemäss
ist und innerhalb der deutlich verständlichen Bildungen liegt. Die nähere Ver-
folgung der griechischen Eigenthümlichkeit würde hier zu weit führen, sie wurde
nur herangezogen, um den Gedanken, die slavische Form auf -mę sei vielleicht
aus einer volleren Form -mant abzuleiten, als unrichtig nachzuweisen. Es bleibt
nichts übrig, als die beiden Thatsachen, die Länge des Vocals im Germanischen
und die im Slavischen, hinzunehmen; ob dieselbe älter sei als die Entwicklung
der einzelnen Familien, lässt sich nicht erkennen; die Vermuthung bleibt aber
offen, dass es der Fall sei, namentlich wenn man die von Delbrück Ztschr. XXII,
272 besprochenen vedischen nom. sg. ntr. auf -mā hinzuzieht. Ueber die Be-
deutung dieser wage ich keine Entscheidung, die Sache bedarf noch von Seiten
der vedischen Grammatiker aus einer näheren Untersuchung.


[65]i. Die Casus des Singulars.

Denken wir uns für Germanisch wie Slavisch als Grundform ein *sāmān,
so ist im Germanischen die Weiterentwicklung ganz regelrecht, im Slavischen
Uebergang des ā in ē anzunehmen, also *sēmēn, und zwar ehe die Bildung der
Nasalvocale eintrat, weil sonst *sěmą entstanden wäre. Mag man aber über das
Alter der Länge denken, wie man will, so zeigt sich doch hier eine Neigung, die
in den europäischen Sprachen auch sonst hervortritt: den nom. acc. ntr. der con-
sonantischen Stämme, der ja, ohne Suffix, ursprünglich dem einfachen Stamme
gleich ist, doch von diesem zu scheiden.


Diese Neigung wird am klarsten bei den -as-stämmen: während das stamm-
bildende Suffix in sämmtlichen indogermanischen Sprachen Europas in allen andern
Casus zu -es- wird, lautet es griechisch, lateinisch, slavisch im nom.-acc. sing.
-os (slavisch als -o), zum sichern Zeichen, dass hier in allen Sprachen -as erhalten
blieb, also eine europäische Grundform dieses Casus z. B. als *nebhas anzusetzen
ist, woraus im Griechischen νέφος, im Slavischen nebo. So erklärt sich die sla-
vische Form des nom.-acc. sg. ganz einfach, und ist nicht, wie Schleicher, Comp.3
526 meint, durch Anschluss an die neutralen a-stämme entstanden; der Vorgang
ist vielmehr, wie weiter unten auszuführen, gerade umgekehrt gewesen.


Der Verlust der consonantischen Declination dieser Stämme im Germanischen
begreift sich ohne weiteres, wenn man die zu erschliessende ursprüngliche Flexion
neben die eines neutralen a-stammes stellt:


  • as-st. nom.-acc. *agas, musste zu *ags werden,
  • gen. *agisas, musste zu agis werden, so erhalten,
  • loc.-dat. *agisi, musste zu *agis werden,
  • [dat. *agisai, musste zu agisa werden],
  • plur. nom.-acc. agisā, erhalten als agisa,
  • gen. agisē = *agis-ām, so erhalten,
  • dat. agisam, vocalische Form, aber auch bei andern consonantischen
    Stämmen durchgedrungen.

Die Pluralformen fallen also in der Flexion ganz mit denen des a-stammes: vaurda,
vaurdê, vaurdam
zusammen, der gen. sg. ebenso mit vaurdis, und dieser Um-
stand würde schon genügen, um den völligen Uebergang in die a-stämme zu er-
klären; es kommt noch dazu, dass eine neutrale Form wie *ags mit s hinter
Consonant, die nach Wirkung des vocalischen Auslautsgesetzes mit dags zu-
sammenfiel, dem Sprachgefühl ganz fremdartig erscheinen musste.


Innerhalb der Participial- und Comparativstämme bietet sich im Germani-
schen wegen der Annahme der sogenannten schwachen Declination nichts ver-
gleichbares; dennoch müssen wir bei denselben kurz verweilen wegen einer
Aufklärung über die Formen des Slavischen und Litauischen. Im Slavischen wird
der nom.-acc. ntr. der part. praes. act. und praeter. act. dem nom. sg. msc.
gleichlautend gebildet: nesy, nesŭ, und das ist lautlich völlig erklärlich, ein -ant,
-ans
des Neutrums kann im Slavischen zu nichts anderem führen, als wozu -ants,
-anss
des msc. geführt hat, zu y und ŭ, das Litauische, bei dem wir in diesem
Falle das Neutrum erhalten haben, bewahrt den Unterschied der Genera, da es
das s des msc. bewahrt, msc. sukąs, sukęs, ntr. suką, sukę, der Vocal des Suf-
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 5
[66]a. Declination der Nomina.
fixes ist der nämliche für beide Genera, wie im Slavischen. Consequenter Weise
würde man nun im Slavischen denselben Gleichklang des msc. und ntr. auch
beim Comparativ erwarten, also mĭnjĭ, dobrějĭ für beide, da es nicht abzusehen ist,
wie -jans-s des msc. und -jans des ntr. lautgesetzlich auseinandergehalten wer-
den konnten. Trotzdem dienen die angeführten Formen nur dem msc., während
das Neutrum mĭnje, dobrěje hat. Schleicher, Comp.3 466 bemerkt zu den letz-
teren: «die alte consonantische Form ist nur erhalten im nom. sg. ntr. und msc.,
ntr. mĭnje, Gdf. *man-jas, vgl. lat. minus für *minius». Hier ist also und zwar
nach dem Latein und Sanskrit, das Germanische kann die Annahme stützen, die
Suffixform als jas angesetzt, und daraus entsteht allerdings -je ganz regelrecht.
Allein jene Annahme hat ihre Bedenken gegen sich, weil im Slavischen weder
die Declination des Comparativs noch die der Participialstämme auf einen Unter-
schied der sogenannten schwachen und starken Casus führt, die Form der stamm-
bildenden Suffixe ist überall dieselbe. Ich meine daher, dass die Sache etwas
anders liegt. Schleicher hat a. a. O. ganz richtig erkannt, dass die in den Gram-
matiken paradigmatisch angesetzte Form des nom. sg. msc. mĭnjijĭ, мьн̑ий oder,
um Miklosichs Beispiel zu nehmen, boljijĭ, бол̑ий, die der zusammengesetzten
Declination sei, also = boljĭ + mit der immer eintretenden Dehnung des ĭ
vor j zu ī. Nun scheidet zwar Miklosich, vgl. Gr. I, 77, den bestimmten, zu-
sammengesetzten nom. sg. msc. durch die Schreibung бол̑ии, d. i. boljījī, wie von
добрѣй = dobrějĭ als unbestimmter Form die bestimmte добрѣи, d. i. dobrějī,
allein die Scheidung ist, da überhaupt das in den alten Quellen nicht geschrieben
wird, willkürlich und grammatisch geradezu unbegreiflich. Auf jeden Fall muss
bei der bestimmten Form -й = -jĭ im Auslaut stehen; nimmt man nun, wie
Miklosich thut, бол̑ий, добрѣй als unbestimmte Form, so könnte daraus als
bestimmte nur hervorgehen boljījĭ + , mit Dehnung des ĭ vor j boljījī-jĭ; daraus
kann durch eine Dissimilation, wie sie öfter vorkommt, das eine ausgefallen sein,
dann bliebe boljījĭ, бол̑ий, es kann aber nicht das letzte (das überall erhalten
wird) verloren gehen, so dass boljījī, бол̑ии, übrig bliebe. Ebenso würde aus do-
brějĭ
+ mit der Dehnung dobrějī-jĭ, also eigentlich zu schreiben добрѣий; und
es ist auch hier denkbar, dass das mittlere ausfällt, also dobrějĭ, добрѣй, entsteht,
nicht aber, dass abfällt und die Gestalt добрѣи = dobrějī die definitive wird.
Kurz, mit diesen Ansetzungen Miklosichs ist nichts zu machen; alle Schwierigkeiten
verschwinden dagegen, wenn man mit Schleicher die scheinbar unbestimmte Form
boljījĭ, болий, als die bestimmte ansieht. Wie man zu der falschen Ansetzung
derselben als unbestimmter gekommen ist, begreift sich ja leicht, wenn man
bedenkt, dass der Comparativ äusserst selten überhaupt in unbestimmter Form
vorkommen kann. Ist daher aus mĭnjī-jĭ, мьн̑ий als eigentliche Nominativform
mĭnjĭ herauszunehmen, so möchte ich glauben, dass diese Form ursprünglich
auch dem Neutrum zugekommen sei und die gebräuchlichen dobrěje, mĭnje eben-
falls der bestimmten Declination zuzuzählen sind, also entstanden wären aus
*dobrějĭ-je, mĭnjĭ-je mit Ausfall des ĭ. Es ist unschwer zu erklären, dass später
diese Formen auch unbestimmt oder adverbiell gebraucht worden sind; die be-
queme Unterscheidung vom msc. musste dazu leiten und ausserdem der Anschluss
[67]i. Die Casus des Singulars.
an die adjectivischen ja-stämme, deren nom.-acc. sg. ntr. in unbestimmter Form
eben auf je ausgeht. Miklosich giebt zwar die bestimmte Form des Neutrums als
болѥѥ, boljeje, was also eine nicht zusammengesetzte Form болѥ, bolje, vor-
aussetzen liesse; allein gegen die Ursprünglichkeit dieser Form muss uns bedenk-
lich machen, dass keine entsprechende добрѣѥѥ, dobrějeje existirt, sondern nur
добрѣйшєѥ, dobrějĭšeje, d. h. von dem durch -ja- erweiterten Stamm auf
-jans-ja-, der den obliquen Casus zu Grunde liegt, noch mehr aber den Umstand,
dass der acc. als бол̑ьшєѥ (boljĭšeje) von dem nom. болѥѥ, boljeje differiren
soll, was unmöglich ursprünglich sein kann. Mir scheint daher boljeje nur eine
missverständliche, erst aus dem an sich schon zusammengesetzten bolje neu com-
ponirte Form zu sein. Demnach wäre der ursprüngliche nom.-acc. ntr., den wir
dem msc. gleich als *boljĭ voraussetzen, dem Slavischen in dieser einfachen Ge-
stalt verloren gegangen und nur aus dem componirten bolje herauszuanalysiren.


Eine Vergleichung mit den gotischen Adverbialformen wie hauhis, mins,
mais
u. s. w. unterlasse ich, weil nicht auszumachen ist, ob hier wirklich acc.
sg. ntr. oder ein anderer verstümmelter Casus zu Grunde liegt.


b) Die vocalischen Stämme.

In keiner der drei Familien finden sich neutrale i-stämme; im Deutschen
und Litauischen noch schwache Reste neutraler u-stämme, die dem Slavischen
ganz fehlen, neutrale a-stämme in allen dreien, wenn auch innerhalb der litaui-
schen Familie reichlicher nur im Preussischen, im Litauischen selbst ver-
einzelter.


Betrachten wir zunächst die u-stämme: die gotischen Formen wie faíhu,
filu
u. s. w. verglichen mit den adverbiell angewendeten acc. ntr. litauischer Ad-
jectiva wie saldù und den preussischen Beispielen alu (Bier), meddo, d. i. medu,
des Vocabulars, dem pecku, d. i. peku, der Katechismen geben geradezu die Grund-
formen, die skr. madhu, griech. μέϑυ entsprechen. Im Slavischen musste nun
aus medu medŭ werden, d. h. die Form des nom.-acc. ntr. dieser Stämme fiel
mit dem nom. acc. msc. synŭ = sūnus, sūnum, nothwendig zusammen, und
das ist der Grund, weshalb im Slavischen das Neutrum dieser Stammclasse ver-
schwunden ist. Es hätte sich allerdings ein Unterschied im Plural erhalten
können; dass auch dieser nicht vorhanden ist, wird sich einfach daraus erklären,
dass die einzigen slavischen u-stämme, die als ursprüngliche Neutra bestätigt
werden durch die verwandten Sprachen, medŭ und olŭ (Bier, germ. alu, ntr.)
Stoffnamen sind, die kaum je im Plural vorkommen.


In Betreff der a-stämme ist für das Germanische nichts besonderes hervor-
zuheben, ebensowenig für das Litauische: die ursprünglich bereits mit dem acc.
sg. msc. identische Form wird wie dieser behandelt: got. vaúrd = *vaúrdam,
wie vulf = *vulfam; lit. géra (nur adverbiell angewandt: gut), eigentlich gérą,
wie vìlką, und preussisch im Vocabular kelan (Rad), lunkan (Bast) u. s. w. (s.
Pauli, Beitr. VII, 201). Ganz verwunderlich dagegen ist die slavische Form mit
dem auslautenden o, igo (jugum), kolo, dělo. Nach Schleichers Bemerkung Comp.3
527 scheiden die Neutra des Slavischen den «acc. sg. vom acc. sg. des msc.,
5*
[68]a. Declination der Nomina.
indem sie den vollen Stammauslaut o zeigen, während ihn das msc. zu ŭ
schwächt»; aus dem Anschluss an diese Form der a-stämme erklärt Schleicher,
wie oben erwähnt, auch die der -as-stämme, nebo. Für die letztere giebt es aber
eine befriedigende Deutung aus der allgemein europäischen Gestalt der -as-
stämme, während es völlig unbegreiflich ist, wie aus einem -am im Auslaute im
Slavischen o werden konnte. Nirgends in den indogermanischen Sprachen findet
sich eine Scheidung in der Behandlung des nom.-acc. ntr. und des acc. msc.
dieser Stämme. Auch im Slavischen muss das Neutrum unmittelbar vor dem
Eintritt der speciell slavischen Entwicklung der Auslautsgesetze auf -am oder -an
ausgelautet haben, und es ist nur eine Verwandlung dieser Verbindung im Aus-
laut bekannt, die zu . Es giebt daher nach meiner Ansicht nur eine mögliche
Erklärung des o, die, dass alle neutralen a-stämme im Slavischen die Nom.-acc.-
form der -as-stämme angenommen haben. Diese Uebertragung ist ganz einfach,
wenn man von der regelrecht zu erwartenden Form auf -*ŭ ausgeht und dabei
den Plural in Betracht zieht; in letzterem bleibt der Unterschied vom msc. ge-
wahrt und konnte lautgesetzlich nicht aufgehoben werden: msc. vlŭci, ntr. iga,
dort nom.-acc. sg. vlŭkŭ, hier ebenfalls *igŭ; iga deckt sich aber in der Endung
mit nebes-a, und das Gefühl, dass zu dem Plural auf -a ein Singular auf -o ge-
hört, liess diese Entsprechung auch bei a-stämmen eintreten. Es ist hier ein
Zug, der sich in der modernen Entwicklung der slavischen Sprachen fortwährend
wiederholt: das Formengefühl bleibt durch gewisse, lautgesetzlich unantastbare
Formen so lebendig, dass, wo in einer Stammclasse ein Zusammenfallen eintritt,
immer das Bestreben herrscht, durch Entlehnung einer deutlich gebliebenen
Form derselben Bedeutung aus einer andern Stammclasse den ursprünglichen
Unterschied, wenn auch mit andern Mitteln, aufrecht zu erhalten. Es beschränkt
sich übrigens in diesem Falle der Anschluss an die -as-stämme nicht auf den nom.
acc. sg. allein: von igo, das doch, wie die Uebereinstimmung von jugam, ζυγόν,
jugum, juk zeigt, ursprünglich sicher nicht mit Suffix -as gebildet ist, kann man
vom specifisch slavischen Standpunkt nicht einmal sagen, ob es -as- oder -a-
stamm sei, der gen. sg. heisst ebensowohl ižese wie iga, nom. plur. ižesa wie
iga, von lože (Lager) giebt es eine Ableitung ložes-ĭno (uterus), obwohl jenes
sicher nicht -as-stamm ist, ebenso von dělo. gen. děla und dělese, von lice plur.
lica und ličesa u. s. f. Umgekehrt kommen von wirklichen alten as-stämmen,
wie sloves- (= skrt. çravas, griech. κλεϝεσ-) von unsern ältesten Quellen an auch
die Casusformen der a-stämme vor, gen. slova, dat. slovu, plur. slova, wenn
auch in älterer Zeit seltener. Es ist leicht verständlich, dass die schon ursprüng-
lich viel zahlreicheren a-stämme, zu denen alle Adjectiva gehören, da Adjectiv-
stämme auf -as- im Slavischen nicht mehr vorkommen, in der weiteren Geschichte
der Sprachen die Casusformen der -as-stämme ausser dem nom.-acc. sg. mehr
und mehr verdrängen, sodass diese in den modernen slavischen Sprachen selten
werden. Die allgemeine Annahme einer neutralen Nominativform auf -o wurde
noch durch einen andern Umstand befördert: das Neutrum der Pronomina wie
to darf schwerlich anders als aus ursprünglichem ta-d erklärt werden, wenigstens
haben wir bei dem Consens des Arischen, Griechischen, Italischen, Germanischen
[69]i. Die Casus des Singulars.
vollkommen das Recht dazu; aus tad konnte, da das a im Europäischen nicht zu
e wurde, nur to entsehen und von hier aus mochte namentlich die Einwirkung
auf die Adjectiva vor sich gehen. Natürlich steht bei allen solchen Untersuchungen
Hypothese gegen Hypothese: wenn ich mich aber frage, ist es wahrscheinlicher,
dass hier ein unerklärlicher Lautübergang, verstossend gegen ein sonst aus-
nahmslos befolgtes Gesetz stattgefunden hat, oder dass eine Analogiebildung, der-
gleichen gerade in den slavischen Sprachen so ungemein häufig sind, vorliegt, so
kann ich nicht umhin, die letztere Annahme für weit rationeller zu halten.


Auch beim acc. sg. hat sich so die Untersuchung auf das Detail der Einzel-
sprachen einlassen müssen, ohne etwas zur Bestimmung des Verhältnisses von
Germanisch zu Slavisch-litauisch zu gewinnen ausser der Möglichkeit, dass die
Dehnung des Suffixvocals im nom.-acc. sg. ntr. der -as-stämme etwas diesen
Familien gemeinsames sei.


5. Instrumentalis singularis.

Bekanntlich unterscheidet sich in diesem Casus das Slavisch-litauische, wenn
wir das Germanische, dessen Formen controvers sind, zunächst bei Seite lassen,
vom Arischen durch die Anwendung eines hier nicht vorkommenden Suffixes -mi
(= bhi, über die Erklärung des m = bh s. u. die Pluralcasus); es erscheint im Sla-
vischen vielleicht bei allen Stämmen, im Litauischen nur bei den femininalen ā-
stämmen nicht; diese letzteren haben im Litauischen das im Arischen allgemein
gültige , welches im Slavischen bei denselben Stämmen, wenn auch verdunkelt,
zu finden ist. Dass übrigens im Indogermanischen einst auch -bhi als Instrumental-
suffix des Singulars häufiger oder allgemein war, lassen die griechischen Beispiele
mit -φι und Präpositionen wie abhi, ἀμφὶ, ob, umbi u. s. w. vermuthen (s.
Schleicher, Comp.3 563).


Die Formen der verschiedenen Stammclassen sind meist leicht verständlich:


  • cons. Stämme lit. msc. akmeni-mì,
  • fem. mōteri-mì,
  • slav. msc. kamenĭ-mĭ,
  • fem. materī-ją,

alle Formen den i-stämmen entlehnt.


  • u-stämme lit. sūnu-mì,
  • slav. synŭ-mĭ,
  • i-stämme lit. msc. genti-mì,
  • fem. aki-mì, akià,
  • slav. msc. pątĭ-mĭ,
  • fem. kostĭ-ją, kostī-ją,
  • a-stämme lit. msc. vilkù,
  • slav. „ vlŭko-mĭ,
  • lit. fem. galvà,
  • slav. „ glavoją.

Die einzigen Formen, die einer [Erläuterung] bedürfen, sind die des lit. msc.
a-stammes, die des lit. fem. ā-stammes und die slavischen Femininalformen.
[70]a. Declination der Nomina.
Geht man bei den letzteren von der starken Uebereinstimmung mit den arischen
Formen auf -a-jā in dem j und der Kürze des Stammauslautes aus, so kann man
nicht umhin, Bopps sinnreiche Erklärung (vgl. Gr.3 II, 539) wahrscheinlich zu
finden, wornach -o-ją = -a-j-ā-mi, also an die fertige Instrumentalform auf
noch einmal Suffix -mi angetreten sein soll (vgl. auch Schleicher, Comp.3 564).
Diese zweite Anfügung wäre zu erklären aus der sonst allgemeinen Verbreitung des
-mi. Freilich bleibt dabei eine lautliche Schwierigkeit, der Abfall des auslauten-
den i; ursprünglich auslautende Vocale fallen bekanntlich im Slavischen nicht ab.
Schleicher vergleicht ihn mit dem Abfall des i in der 1. sg. praes., vezą = *va-
ghām
aus *vaghāmi, allein es lässt sich leicht nachweisen, dass bei den Verbal-
stämmen auf -a der Abfall des i älter ist als die Einzelsprachen, wahrscheinlich
allgemein europäisch, sicher germanisch, denn *viga kann nicht auf germanischem
Boden aus veghāmi hervorgegangen sein, sondern nur aus vorgermanischem
*veghām. Der instr. sg. fem. wäre ja aber eine speciell slavische Neubildung mit
einem Suffixe, das in allen andern Fällen, wo es vorkommt, nie sein verloren
hat; und bei derartigen secundären Analogiebildungen halten sich sonst die
Sprachen streng an das vorliegende Muster. Der Schwund des i in -o-ją würde
in der That das einzige Beispiel vom Abfall eines ursprünglich auslautenden
Vocals in der gesammten Sonderentwicklung des Slavischen bilden. Wenn man
nun noch überlegt, dass es nicht recht begreiflich ist, warum die Sprache eine so
deutliche, von allen andern Casusformen unterschiedene Bildung wie das voraus-
zusetzende *ženoja = ursprünglichem *gana-jā aufgegeben habe, so erscheint es
um so unbegreiflicher, warum, wenn trotzdem Analogiebildung nach den Formen
auf -mĭ eintrat, die neue Gestaltung *ženojāmĭ wieder von den letzteren ab-
weichend behandelt wurde. Kurz, so plausibel auch auf den ersten Blick Bopps
und Schleichers Erklärung erscheint, so hat sie ihre sehr bedenklichen Seiten,
und man muss die Vermuthung aussprechen dürfen, dass die Entstehung dieser
Form eine andere sei: ženoją führt mit Beobachtung der Lautgesetze nur auf
*genajām zurück, und es scheint mir die Annahme nicht ganz abweisbar, dass
hier in der That das Suffix als -j-ām anzusetzen. Oben wurde das Locativsuffix
-ja behandelt und nachgewiesen, dass es in dieser Form im gotischen dat. sg.
der ā-stämme wie im Litauischen (ja, je) ursprünglich sei; dazu stimmt die
Zendform, und doch heisst es im Sanskrit -ā-jām, wofür es kaum eine andere
Erklärung geben dürfte, als dass jenes in der Casusbildung öfter verwendete
Element -am angetreten, also das Suffix = -ja + am sei, wie auch Schleicher
eine solche Auflösung für die pronominale Form jasjām angedeutet hat (Comp.3
614). Zu vergleichen wäre das Dativsuffix -bhj-am neben dem Instrumental-
suffix -bhi und der Wechsel pronominaler Formen mit und ohne -am in den
verschiedenen Sprachen: lat., germ., slav., lit. Grundform der II. Person tu, tū,
sanskr. tv-am. Wie sich indess die Sache auch verhalten mag, für die Geschichte
dieser Form im Slavischen scheint mir noch eine Berichtigung nöthig: Schleicher
Comp.3 564 nimmt kostiją als direct einer Grundform auf -i-jā (+ mi) ent-
sprechend, dieser Form nachgebildet die der consonantischen Stämme materiją,
crĭkŭviją
. Darnach müsste man annehmen, das Suffix -mi sei seit ältester Zeit
[71]i. Die Casus des Singulars.
auf das msc.-ntr. beschränkt gewesen. Zu einer solchen Annahme der Trennung
der Instrumentalsuffixe nach den Genera ist aber nirgends ein rechter Grund zu
finden: im Sanskrit erscheint ā überall, im Litauischen -mi überall mit Aus-
nahme der femininalen ā-stämme. Da diese letzteren im Litauischen eine beson-
dere Stellung einnehmen, im Slavischen sich mit der arischen Form berühren,
werden wir viel eher anzunehmen haben, dass ihnen allein in älterer Zeit im
Slavischen die Bildung auf -ją zukam und dass diese erst von ihnen aus auf alle
andern Feminina, welcher Classe auch immer angehörig, übertragen wurde.


Im Litauischen bietet die Erklärung von galvà keine Schwierigkeit: das
auslautende ă beruht jedenfalls auf einer Verkürzung, und das einzusetzende
deckt sich mit den vedischen Formen wie dhārā (s. Benfey, Gr. Gr. p. 297,
N. 6), wie auch mit iranischen so völlig, dass ohne Zweifel darin eine alte Bil-
dung, entstanden aus Stammauslaut + Suffix zu suchen ist. Dieser Form
der ā-stämme sind die Nebenformen der femininalen i-stämme akià (spr. akiè)
entnommen; sie finden sich eben nur beim Femininum, während der msc. i-
stamm sie nicht hat. Es scheint sogar vereinzelt auch eine Uebertragung des -mi
auf die ā-stämme vorzukommen, Schleicher (Beitr. I, 240) führt nach Mikuckij
an katbumi (von kalbà, Sprache), wo man an dem u vor m deutlich die Analogie-
bildung erkennt, ferner duonomi (zu dů́na, Brot) «aus einem alten Gebetbuche»,
welches, wenn nicht mangelhafte Orthographie für duonumi den übrigen Casus
der Feminina in dem o mehr entspricht.


Diese eben erwähnten Analogiebildungen werfen vielleicht auch Licht auf
eine Thatsache, die bei Geitler, Litauische Studien, p. 56, erwähnt wird. Es
heisst dort: «den instr. sg. der weiblichen a-stämme, mergà, schreibt Prof. Ba-
ranowski mit einem Nasal, mergà, und nach ostlitauischer Art mergų̀, also putų̀
(Anik. 74) mit dem Schaum, këtų̀ (Anik. 84) mit der harten, indem er schliesst:
da im Dialecte von Wilkomierz a vor Nasalen fast durchgängig zu u wird (ein
Process, der im Litauischen überhaupt vorgezeichnet ist, und wie oben gezeigt,
mit seinen Anfängen in die lettoslav. Periode zurückreicht), so muss putu als
instr. sein schliessendes u einem ehemals nachfolgenden n (an, am) ebenso ver-
danken, wie der acc. runkų, ponų von runka, ponas, wie ku () für u. s. w.
— Prof. Baranowski machte mich darauf aufmerksam, dass in den Gegenden, wo
dangùs, nusigąstù gesprochen wird, ganz parallel mergà (d. i. nach seiner Mei-
nung mergą́) vorkommt, wo dongus, nusigostu, auch su mergo sich findet (in
żemaiten), und ganz entsprechend in Wilkomierz dungùs, nusigųstù, su mergù,
d. i. mergų̀, wenn auch in der factischen Aussprache nichts von einem Nasal zu
hören ist. Diese Argumentation lässt sich etymologisch rechtfertigen. Denn da
der instr. sg. der weiblichen a-stämme ursprünglich -a-jām lautete (slav. -oją,
skrt. ajā, aus älterem -ājām, lit. -oje, das für den loc. verwendet wurde, A. Lud-
wig, Agglutination oder Adaption, p. 98), so muss in dem -ą, -ų der Rest des
-ām gesucht werden (Zusammenziehung beider a muss angenommen werden,
wie in sùkome aus sukajame, Schleicher, Lit. Gramm. 224; Kürzung ist bei den
litauischen Auslautsgezetzen nicht befremdend). Noch klarer wird die Annahme
eines ehemaligen Nasals durch den instr. sg. der - (ė-)-stämme: wórszkių
[72]a. Declination der Nomina.
(Anik. 89) für gewöhnliches warszkè, egłų, gewöhnlich eglè, ebenso gójlistų (Anik.
76), żołų̀ (60) für żolè, in Szirwids Punktai su galiby didżu (p. 1, ganz wie der
acc. sg. użtiesu, fürwahr, für uż tiesą); denn da wir im Slavischen ьѭ (woraus
durch Assimilation des ь an jиѭ, костьѭ, костиѭ) haben, so finden wir
dies -iam in -ių wieder. Der Process, der hier Dialecte schied, ist offenbar dieser:
-iām, -iām, -ian, -iun, ių, oder es wurde aus -ian, -ią durch Umlaut -ię, z. B.
żemię, durch den so gewöhnlichen Ausfall des i vor ę żemę (wie im acc. sg.
żémę), das Schleicher żemè schreibt. Bekanntlich kürzen sich Nasale im Aus-
laute. In -ių ist noch das i des Stammes erhalten, welches auch im Preussisch-
litauischen sich erhielt im instr. sg. akiè von dem i-stamme akìs (neben akimì);
es wäre offenbar akię zu schreiben. Der Dialect von Wilkomierz hat akiu, akių
(i-stamm), vgl. szaknių̀ (Anik. 84), von wórszkių (-stamm) gar nicht geschie-
den ..... Auch Szirwids Punktai bieten instr. sg. wie akiu». Wenn wir die
Form mergù für alt halten, so ist die Erklärung aus -ām richtig und dies -ām
würde sich zum slav. -jām, dem es eine willkommene Bestätigung gäbe, ver-
halten, wie sonst an vocalische Stämme mit und ohne j angefügte Casusendungen.
Es ist aber eben sehr die Frage, ob die Form alt ist und nicht vielmehr nur vom
-u des msc. herrührt. Geitler hätte sich für die Alterthümlichkeit derselben noch
auf das Lettische berufen können: Bielenstein, Lett. Spr. II, 22, führt femininale
Instrumentale wie galvu, růku an, aber gerade eines seiner Beispiele zeigt eine
ganz unursprüngliche Verwendung des -u als instr. pl. oder, wenn man sich nur
an die Bedeutung der Stelle halten will, dual.: sweschas mâtes galwas áuti abu
růku daun̸ajam’
(i), der Schwiegermutter Kopfhauben müssen mit beiden
Händen
aufgedrückt werden. Man sieht jedenfalls daraus, dass das Bewusst-
sein von der ursprünglichen Zugehörigkeit der Form verschwunden ist, und ich
möchte vorläufig annehmen, dass auch in den betreffenden litauischen Dialekten
mergù u. s. w. nur ein dem Masculinum entnommener Ersatz für das ältere verlorene
mergà = mergā ohne Nasal ist. Der Verlust der Femininalform erklärt sich ohne
Schwierigkeit aus dem vollständigen lautlichen Zusammenfallen des instr. sg. fem.
aller ā-stämme mit dem nom. sg., namentlich wenn man hinzunimmt, dass schon
im Hochlitauischen öfters der Accent beider Casus derselbe ist, nothwendig
aber in den Dialekten, welche den Ton auf der Endsilbe eingebüsst haben.


Was die litauische Form des msc. a-stammes, vilkù, betrifft, so hat Scherer
(z. Gesch. d. D. Spr. 426) in seiner völlig gerechtfertigten Polemik gegen die
Annahme eines Instrumentalsuffixes -mi für das Germanische nach der andern
Seite gefehlt, indem er lit. aus herleitet. Bei der Besprechung des dat.-loc.
sg. wurde nachgewiesen, dass die Verwandlung von einfach (pure) auslautendem
ā in u im Lateinischen unmöglich ist, und damit fällt diese Ansetzung. Da nun
eine andere Entstehung eines ů, u im Auslaut aus a nicht bekannt ist, als in der
ursprünglichen Verbindung a + nas., so bleibt gar nichts anderes übrig, als die
Vergleichung mit slavischem vlŭkomĭ. Es kommen für die Aufstellung der Form
folgende Gestaltungen in Betracht:


  • vilkù, dial. und alt vilkumi (piktumi vyrumi Schleicher, Beitr. I, 238 aus Mi-
    kuckijs Werk); im zusammengesetzen Adjectiv gerůju;

[73]i. Die Casus des Singulars.
  • pronominal tů, tům, tůmì,
  • preussisch s-tu (so), zum Pronominalst. s-ta-; ku (wie) zu ka-, in senku (wo-
    mit), ku-ilgimai (wie lange) *);
  • lettisch jů — jů (je — desto) zu Pronomen ja-.

Die in der letzteren Sprache im Sprachgebrauch des täglichen Lebens und
im Volksliede vielfach erhaltenen instr. sg. auf -u (Bielenstein, Lett. Spr. II, 23),
z. B. lúzin̸u (mit Bastbändchen) msc. — auch vom fem., wie schon oben bemerkt,
durch Uebertragung káilu galwu (mit blossem Kopf), wi̊nu růku (mit einer Hand)
— betrachtet Bielenstein ohne Zweifel mit Recht als wirkliche alte Instrumentale.
Dadurch aber widerlegt sich von selber seine Ansicht, dass die Dativform der
masculinen a-stämme, grékam, neben welcher aus den Volksliedern auch vollere
Formen, wie têwami (dem Vater), man wi̊nami (mir allein), angeführt werden
(a. a. O. p. 22), einfach der alte Instrumental = *grékami, also mit einem even-
tuellen Instrumental gréku identisch sei. Die Uebereinstimmung des Litauischen,
Preussischen und Lettischen in dem -u beweist, dass die Entstehung desselben
in eine ältere Zeit fällt. Es ist undenkbar, dass die ganz volle Form auf -ami
sich nun in einer weit mehr als das Litauische lautlich entarteten Sprache neben
-u gehalten haben könne. Die Dativform grékam erklärt sich auch sehr gut
anders, durch den Hinweis auf die Behandlung des Dativs in der gesammten
lettischen Declination: es blieb durch Einwirkung der Auslautsgesetze keiner der
älteren Dativformen mit einem deutlich ausgeprägten Suffix erhalten: aus vilkui
wurde *vilku, so lautet aber auch der acc. (aus *vilkan) und ebenso, wie be-
merkt, der instr.; in gleicher Weise musste bei den u-stämmen aus alui * alu
werden, das ebenfalls dem acc. gleich ist. Bei den letzteren Stämmen ist für
den Dativ die Instrumentalform alum (=lit. alumù) eingetreten, was vielleicht
begünstigt wurde durch eine bereits früh beginnende Abstumpfung des Sprach-
gefühls in der syntaktischen Verwendung der beiden Casus, wie denn im Plural
die Dativform überhaupt den Instrumental ersetzt (wilkëm ist beides). Die Fe-
minina (auf und -i), bei denen die alte Form lëpai ebenfalls als *lëpa un-
kenntlich wurde, suchen den Ersatz anderswo, indem sie den loc. als dat. mit
benutzen: lëpái = lit. lëpoje, sirdí = lit. szirdyjè. So ist denn auch wilkam
eine neue Form, entweder dem dat. sg. der Pronomina und Adjectiva tam, la-
bam
(lit. tám[ui], labám[ui]) nachgebildet, und das halte ich für das wahrschein-
lichste, wie ja bei den msc. a-stämmen im Plural die pronominale Form einge-
drungen ist, dat. wilkëm = tëm; oder es geht z. B. têwam wirklich auf das in
den Volksliedern erhaltene têwami zurück und ist dann allerdings ein instr., aber
als solcher eine Neubildung nach Analogie der Stammclassen, in denen das
Suffix -mi gebräuchlich war, jedenfalls nicht in der Geschichte des Lettischen
[74]a. Declination der Nomina.
der Vorläufer von têwu. Es spielt hier einer jener Zufälle, wie sie auch inner-
halb der Entwicklungsgeschichte der modernen slavischen Sprachen häufig genug
sind, dass eine ganz junge Form scheinbar ein uraltes Gepräge trägt. Ein Bei-
spiel der Art aus dem Slavischen wird nicht überflüssig sein: der instr. pl. der
msc. a-stämme lautet russisch z. B. vołkami, und es könnte einer nicht übel Lust
haben, darin ein urindogermanisches *varkabhis zu suchen, leider ist aber die
Form ganz jung, Analogiebildung vom fem. z. B. ženami, während es altrus-
sisch nur vołky heisst = altbulg. vlŭky in Uebereinstimmung mit allen älteren
slavischen Sprachen. In solche Deutungen lettischer Formen aus uralten, wo die
lettischen ganz jung sind, ist Bielenstein nicht selten verfallen.


Mir scheint nach dem bisher bemerkten nun sicher, dass für die ganze li-
tauische Familie eine gemeinsame Form des instr. sg. dieser a-stämme auf -u
angenommen werden muss, entstanden zunächst aus -am, dies aus -ami (= slav.
-omĭ). Man wird hier leicht einwenden, dass doch in aki-mì, sūnu-mì das i fest-
gehalten sei; aber wir finden in der kurzen uns bekannten Geschichte der litaui-
schen Sprachen eine starke Neigung zum Aufgeben der ursprünglich auslauten-
den, namentlich kurzen Vocale, und zwar zu einem sehr unregelmässigen Abfall,
der sicher nicht erst in der uns überlieferten Periode eingetreten ist oder ange-
fangen hat; unregelmässig hier in dem Sinne genommen, dass er innerhalb der
gleichen Form bei einer bestimmten Stammkategorie eintritt, bei einer andern
nicht. Ein analoges Beispiel bietet die 3. sg. praes. verbi, die im Slavischen,
einerlei ob die Personalendung unmittelbar an die Wurzel tritt oder an einen
Stamm auf -a, stets das alte i des -ti behält (veze-tĭ wie jes-tĭ), während im
letzteren Falle im Litauischen die ganze Endung verloren geht, veża, und in der uns
bekannten Geschichte der Sprache keine Spur davon erhalten ist, auch im Preus-
sischen nicht, im ersteren aber ti erhalten bleibt, ésti, ést. Aehnlich verhält es
sich, wenn im Slavischen das alte -ai des nom. plur. msc. überall zu i wird, vluci
wie ti = *varkai, tai, litauisch dagegen beim Nomen ai bleibt, vilkai, im Ad-
jectivum und Pronomen zu ë, i wird të, gerì. Was bei den u- und i-stämmen
erst heutzutage eintritt, indem man jetzt sūnùm, akìm statt sūnumì, akimì spricht,
trat bei den a-stämmen bereits in älterer Zeit ein, daher * vilkam und nach der
regelrechten Weiterentwicklung vilkù.


Der Unterschied des Vocals von vilkù und tů́ erklärt sich aus der Einsilbig-
keit des letzteren. Einsilbige Worte erhalten ursprüngliche und secundäre Länge
(eine solche ist für den zwischen am und ů, u liegenden Nasalvocal anzusetzen)
besser, vgl. den acc. pl. pron. tů́s, nom. vilkŭs, beide aus -ans, lett. acc. sg.
vilku, aber , beide gleich *vilkan, *tan. Wo die Instrumentalendung nicht im
Auslaut steht, bleibt ů, die Länge, erhalten, daher in der zusammengesetzten
Declination der Adjectiva gerů-ju. Aus dem angeführten folgt nun für das histo-
rische Verhältniss der innerhalb des eigentlichen Litauischen überlieferten Formen,
vilku, vilkumi, tů, tům, tůmì, dass tůmi jünger ist als , obwohl es dem Suffixe
nach älter erscheint: aus ursprünglichem *ta-mi kann auf keine Weise tůmì ent-
stehen, ů erklärt sich eben nur aus einem Nasalvocal, folglich ist an das orga-
nische das der Sprache sonst geläufig -mi noch einmal wieder angefügt, wie
[75]i. Die Casus des Singulars.
das auch Schleicher vermuthungsweise Comp.3 615 ausgesprochen hat (vgl. Beitr.
I, 410); tům ist wieder aus der neuen Form moderner Weise verkürzt, wie sū-
nùm
aus sūnumì; vilkumi endlich hält Schleicher für einen Anschluss an die u-
stämme, einfacher wird es sein, auch hier dieselbe secundäre Anfügung von -mi
anzunehmen wie bei tůmì.


Wenn Schleichers Ansicht von der Deutung des germanischen Instrumentals
aus dem Suffixe -mi richtig wäre, so wäre damit in der That eine bedeutsame
Uebereinstimmung des Germanischen mit dem Slavisch-lit. gegeben, die in Schlei-
chers Darstellung umsomehr hervortritt, als er nach Holtzmann im Althochd. In-
strumentale auf der femininalen ā-stämme ansetzt. (Vgl. auch Beitr. II, 456
Note: «man beachte diese neue Uebereinstimmung zwischen den drei nordischen
Sprachen: sie haben sämmtlich nur bei den weiblichen Stämmen auf den
instr. sg. I. [d. h. Suffix ] erhalten»). Dass die letzteren gar nicht existiren,
bedarf nach Dietrichs Auseinandersetzung (vgl. auch Scherer, Z. Gesch. d. D. S.
425) keines Nachweises mehr. Aber auch für die msc.-ntr. lässt sich die An-
nahme des -mi nicht begründen, ohne zu den gezwungensten, den germanischen
Gesetzen ganz widersprechenden Lautveränderungen zu greifen. Schleicher
erklärt (seine endliche Ansicht ist Comp.3 564 ausgesprochen) ahd. wolfu aus
* wolfami «oder vielmehr wahrscheinlich mit Dehnung des a aus ā-mi»; ebenso
auch got. þē aus *tā-mi, mit der Bemerkung: «die althochdeutschen Formen ver-
bieten hier an den instr. I auf zu denken, der überdiess als aus *þa-ā, *hva-ā,
*sva-ā
entstanden, wahrscheinlich *þō, *hvō, *svō lauten würde». Alles das ist
unhaltbar (vgl. Scherer a. a. O. 425): zuerst müssten wir annehmen, das i des
Suffixes sei abgefallen vor dem Eintreten der germanischen Auslautsgesetze, da,
wenn diese ein * wolfami vorhanden, daraus nur ein fortan bleibendes * wolfam
entstehen konnte. Für diesen frühen Abfall des i ist aber keine Begründung zu
finden; dass sie im Litauischen nicht gesucht werden kann, liegt in der oben
gegebenen Darstellung der dortigen Verhältnisse. Ferner ist die Annahme einer
Dehnung vor dem m eine ganz willkürliche; ohne eine solche konnte Schleicher
nicht auskommen, denn ein beim Eintritt der Auslautsgesetze vorhandenes * wol-
fam
konnte nur zu * wolf werden. Dazu kommt, dass die Hinweisung auf die
Qualität des Vocals im Gotischen (als ē) nicht beweisen kann, was sie bei Schlei-
cher wenigstens wahrscheinlich machen soll: wir haben ja sonst Beispiele von
einem bisher nicht aufgeklärten Wechsel von ē und ō im Gotischen, vgl. den gen.
plur. vulfē = * varkām = * varka + ām mit demselben Casus des fem. gibō,
zwar aus -ā + ām, aber sicher auch seit uralter Zeit in -ām contrahirt wie die
Endung des msc., und in den übrigen germanischen Dialekten vom msc. nicht
unterschieden. Endlich hat Schleicher die überlieferten Formen des msc. i- und
u-stammes auf -iu unberücksichtigt gelassen, muss also wohl angenommen haben,
da sie sich aus -i-mi, -u-mi nicht deuten lassen, dass die Endung von den a-
stämmen entlehnt sei; das ist aber natürlich nur dann zu billigen, wenn die
Erklärung bei den letzteren völlig sicher steht.


Schleicher ist bei der ganzen Darstellung dieser Formen offenbar zu sehr
von seiner Auffassung des Verhältnisses zwischen Germanischem einerseits und
[76]a. Declination der Nomina.
Slavisch-litauischem andrerseits beeinflusst gewesen. Bei unbefangener Be-
trachtung lassen sich die germanischen Formen alle aus Suffix erklären. Die
althochdeutschen Formen verbieten die Erklärung aus gar nicht, im Gegen-
theil fordern sie: ahd. tagu, alts. dagu ist so gut aus * dagā entstanden, wie der
acc. pl ntr. wortu, alts. fatu aus urspr. ohne folgenden Consonanten; wäre
die Form im Gotischen erhalten, so müsste sie * daga lauten, d. h. sie fällt mit
dem dat. sg. zusammen. Beim Pronomen, wo die Dativform ja ganz anders
gebildet ist, und wegen der Einsilbigkeit die Länge des Vocals erhalten werden
konnte, blieb * als þē, *kā, *kvā als hvē. Althd. suniu ist nur aus * sūnavā,
woraus zunächst * sunivā, zu verstehen; ebenso kann balgiu unmittelbar zu alt-
indischen Formen wie patjā gestellt werden, obgleich bei der Neigung der msc.
i-stämme des Germanischen in die Analogie der a- und ja-stämme überzutreten,
hier auch an eine Entlehnung aus hirtiu gedacht werden kann, wie balgu durch
Anschluss an tagu entstanden ist. In Betreff der Pronominalformen dieses Casus
in den übrigen germanischen Sprachen verweise ich auf Scherer, Z. Gesch. d.
D. S. 424, da eine weitere Besprechung derselben für den uns vorliegenden
Zweck keine Förderung giebt.


Es ist somit der Vergleich der germanischen Instrumentalformen mit denen
des Litauischen und Slavischen ganz aufzugeben, die Sprachen entfernen sich
vielmehr in dieser Beziehung stark von einander: Litauisch und Slavisch sind
die einzigen Familien des Indogermanischen, die für den Singular das Instrumen-
talsuffix mi = bhi besitzen, wenigstens in lebendiger casueller Anwendung.


6. Vocativus singularis.

Die Vocativform der slavischen und litauischen u- und i-stämme bilden eine
genaue Parallele zu den arischen auf -au (ō), ai (ē): lit. sunaú, slav. synū =
*sunau
, lit. akë = *akai, slav. kostī = *kostai. Die Vergleichung lässt sich aber
vielleicht noch weiter ausdehnen, wenn man das ē der fem. ā-stämme im San-
skrit und Zend zu dem im Litauischen fast nur bei männlichen Eigennamen ge-
bräuchlichen -ai stellen darf (z. B. Jónai von Jónas, doch auch tė́vai zu tė́vas);
wegen der Erhaltung des ai im Auslaut vgl. den nom. pl. tėvai. Diesen ver-
stärkten Formen steht im Germanischen nur eine gegenüber, got. sunau neben
sunu. Die Beispiele auf u sind etwas häufiger als die auf au (11 gegen 8 nach
der Aufzählung bei L. Meyer, G. Spr. p. 574), doch sind unter den ersteren
8 Beispiele fremder Eigennamen (Lazaru u. s. w.), während von echt gotischen
Worten nur sunu einmal, dauþu zweimal vorkommt, so dass über die Gebräuch-
lichkeit der Form kein Zweifel sein kann. Nach den Formen des Griechischen
und Italischen erscheint in diesen Sprachen nichts analoges. Schleicher, Comp.3
575 führt nach Stokes aido (mi domine) als Vocativ auf -au des nom. sg. áed,
áid
an, Zeuss-Ebel2 239 hat nur a aed (nom. propr.) nach Stokes Beitr. I, 336.
Wenn jene keltische Form richtig aufgefasst ist, so fiele damit der Gegensatz, in
dem sonst die südeuropäischen Sprachen mit den übrigen in diesem Casus der
u- und i-stämme stehen, weg, und damit auch die engere Beziehung des Slavisch-
[77]ii. Die Casus des plurals.
litauischen und Germanischen zum Arischen: wir hätten uns zu denken, dass
seit alter Zeit Formen auf -u und -au, wie auf -i und -ai neben einander be-
standen, von denen hier die einen, dort die anderen aufgegeben sind.


Die Formen der a-stämme msc. gen. vulf, vlŭče, vilke gehen auf * varka
zurück. Dass der Vocal in der Vorgeschichte des Slavisch-litauischen bereits e
war, geht hervor aus der slavischen Form der femininalen ā-stämme glavo, wo
das o einem bereits in vorslavischer Zeit verkürzten a aus ā entspricht; wäre
nun ins Slavische noch *vilka wie *galva übergegangen, so würden beide Formen
auf o auslauten. Gegen die Gemeinsamkeit der Entwicklung im msc. zu e scheint
auf den ersten Blick das Preussische zu sprechen, wo deiva neben deive, tâva
neben tâve vorkommt; allein es ist darauf nichts zu geben, das auslautende e,
wie e überhaupt, scheint einen stark nach a hinneigenden Klang gehabt zu haben
(so oft auch im heutigen Litauischen noch), so dass der Uebersetzer der Katechis-
men zuweilen a für e (ä) hörte und die beiden Laute verwechselte, z. B. gen. sg.
ainessa, während er sonst immer -e oder -ei in dieser Endung schreibt; so
wechseln bei ihm stas und stes (der), acc. stan und sten, wo a das ältere ist (lit.
tas, tan), assai und essei, 2. sg. der W. as, astai und estei 2. pl., wo sicher e
das ältere für die litauische Familie ist, gena, Frau, mit seltnerem gana, wo der
Consens der anderen europäischen Sprachen das e sicher stellt u. s. w.


II. Die Casus des Plurals.


1. Nominativus pluralis.

A. Der consonantischen Stämme.

Wo uns die drei Familien die alten Formen erhalten haben, stimmen sie
unter einander, aber auch mit den übrigen indogermanischen Sprachen überein,
so dass eine blosse Anführung genügt:


  • got. man-s, guman-s, alts. brođar, modar = -n-as, -r-as,
  • lit. ákmens = *akmen-es,
  • móters = *moter-es,
  • slav. kamene = *kamen-es,
  • matere = *mater-es.

Das lautgesetzliche ist ohne weiteres klar. Zusammengesetzter sind die Fragen
bei den vocalischen Stämmen, hier kommen verschiedene Bildungen in Betracht.


B. Die u- und i-stämme.

Evident ist die Uebereinstimmung des slavischen synove mit got. sunjus =
* sūnivas
, beide gleich * sūnavas, aber schon das litauische sū́nūs ist aus dieser
Grundform nicht erklärlich, sie würde hier zu * sunavs, d. i. *sunaus haben
[78]a. Declination der Nomina.
führen müssen, von der Schwächung aber eines secundär entstandenen au zu ū
giebt es kein Beispiel, in allen vorhandenen Fällen bleibt au (vgl. z. B. das oben
angeführte staunu für * stavnu). Wollte man aber auch den Verlust des Vocals
vor dem s in eine verhältnissmässig alte Zeit hinaufrücken, so dass au im Verein
mit den älteren Beispielen dieses Diphthongs behandelt wäre, so würde die zu
erwartende Form durchaus * sūnůs sein müssen, und von diesem führt wieder
keine bekannte litauische Lautregel zu sū́nūs. Die Bemerkung Schleichers Comp.3
519 «sū́nūs mit Dehnung anstatt der Steigerung» erklärt nichts; wenn sich ent-
sprechende Formen mit ū und bei den i-stämmen mit ī im vedischen Sanskrit
finden, so haben wir hier die genügende Erklärung durch samprasāraṇa aus
-v-as, -j-as. Im Litauischen lässt sich aber diese Erscheinuog nicht nachweisen,
und so wird auch * sūnvas als Grundform ausgeschlossen (u für va findet sich
vereinzelt im Preussischen, so gallǻ für galvà (s. oben beim nom. sg.), nicht
aber im Litauischen. Es wird demnach keine andere Form zu Grunde gelegt
werden können als * sūnuvas, entsprechend vedischen Formen wie ājuvas, St.
āju- und den griechischen wie νέκυ-ες: aus dem nach Schwinden des a oder e
vor s entstandenen *sunuvs (vgl. ákmens für *akmenes) kann nur sū́nūs werden.
Wir haben also in diesem Casus eine Doppelform, mit und ohne Steigerung des
Stammes, von denen das Litauische jene, das Slavische und Germanische diese
bewahrt haben.


Dieselbe Differenz zwischen Slavisch und Deutsch auf der einen, Litauisch
auf der andern Seite lässt sich bei den i-stämmen nicht so sicher nachweisen,
hier können die Formen identificirt werden. Das slav. msc. pątĭ-je, mit Dehnung
des ĭ gewöhnlich pątīje (die Beschränkung der Form auf das msc. erklärt sich
einfach dadurch, dass im Slavischen sämmtliche fem. die Nominativform des
Plurals aufgegeben haben und durch den acc. ersetzen, kostī ist also acc.), ent-
spricht ganz genau gotischem ansteis, balgeis, Voraussetzung für beide ist -ijas.
Ich sehe keinen hinreichenden Grund, mit Scherer die Grundform des Germa-
nischen als -a-j-as anzusetzen, aus der -i-j-as durch Schwächung des a hervor-
gegangen sei. Die Formen der deutschen Sprachen im engern Sinne mit ihrem
i=î im Auslaut (ahd. belgi, alts. gasti, ahd. ensti, alts. ansti) sind mit der gotischen
identisch. Für Scherer lag die Veranlassung zu seiner Ansetzung in der alt-
nordischen Gestalt dieses Casus, fem. âstir, msc. stađir, wo, wenn unmittelbare
Entsprechung des i mit gotischem und deutschem ī stattfände, der Umlaut, also
z. B. steđir zu erwarten wäre, daher i, wie Scherer schliesst, nur = ai sein könne
(vgl. denselben Gegensatz darstellend den conj. praes. mit dem conj. praet., 2. sg.
praes. farir = got. farais, 2. sg. praet. fœrir = got. fôreis).


Allein im Nordischen wird die Sache dadurch erschwert, dass wir bei den
msc. eine Classe mit und ohne Umlaut finden, dem stađir steht belgir gegenüber,
letzteres genau gleich got. balgeis; und man muss nun schon mit Scherer so weit
gehen (p. 421) anzunehmen, «dass dieser Gegensatz des zu i gefärbten oder nicht
gefärbten a im gunirten Themavocal sich dort innerhalb einer und derselben
Sprache hervorgethan habe». Das ist an sich schon wenig wahrscheinlich, und
wird es noch weniger dadurch, dass auch im acc. pl. stađi und belgi, Umlaut und
[79]ii. Die Casus des Plurals.
Nichtumlaut neben einander stehen, wo doch in beiden Fällen i nur = i-ns sein
kann, also gar kein Grund für das Unterbleiben des Umlauts vorliegt. Hier
müsste man zur Erklärung wieder die Analogie des Nominativs herbeiziehen,
wie auch Scherer thut; man kommt aber auf diesem Wege zu einer Kette sehr
unwahrscheinlicher Vorgänge. Mir scheint es doch einfacher anzunehmen, dass
im Altnordischen der Umlaut wieder aufgegeben ist, bei den fem. schon ganz,
bei den msc. zum Theil. Um das erklärlich zu finden, muss man den massen-
haften Uebergang der ursprünglichen femininalen ā-stämme des Altnordischen
in die Classe der i-stämme vor Augen haben. Dieser Uebergang geschah doch
wohl in derselben Weise, wie bei denen, die als ā-stämme noch gebräuchlich
sind und nom. plur. -ir ohne Umlaut neben -ar haben, d. h. durch eine rein
äusserliche Annahme des -ir, das an die Stelle des -ar gesetzt wurde, und zwar
wie dieses ohne Wirkung auf den Wurzelvocal. Bei der durchgehenden Gleich-
heit der Flexion von msc. und fem. innerhalb der i-stämme ist es dann begreif-
lich, wenn derselbe Hergang sich auch auf die ohnehin viel seltneren Masculina
erstreckte. In einem ganz analogen Fall bei den u-stämmen greift auch Scherer
nicht zu der analogen Erklärung, und doch handelt es sich da um verschiedene
Dialekte: im Angelsächsischen und Altfriesischen nämlich (s. Scherer p. 435)
lautet der nom. pl. suna, offenbar nicht aus *sunivas erklärbar, dagegen gleich-
lautend dem gen. sg. suna und also möglicher Weise wie dieser aus * sunaus,
das wäre *sunavas zu deuten, und doch will hier Scherer lieber eine Uebertragung
aus dem gen. sg. annehmen. Was der einen Sprache recht ist, muss der andern
billig sein, ich sehe wenigstens keine Veranlassung zu einer verschiedenen Auf-
fassung: wenn im Altnordischen allein -ajas und -ijas neben einander angenom-
men werden, warum nicht im Angelsächsisch-altfriesischen ein -avas neben son-
stigem germanischen -ivas? Ich führe das nur an um zu zeigen, dass man bei
Scherers Verfahren viel zu rasch auf Grundformen schliesst. Es ist überhaupt
sehr fraglich, ob man auf Formen, wie das angeführte suna, Schlüsse für die
ältere Zeit bauen darf; die Flexion dieser u-stämme ist in den erwähnten Dia-
lekten so durchsetzt von Analogiebildungen, dass ich wenigstens nicht wagen
möchte, irgend welche ältere Bildungen daraus zu reconstruiren. Gerade dasselbe
gilt aber von der altnordischen Declination überhaupt. Was übrigens, nebenher
bemerkt, die Erklärung des suna betrifft, so ist eine Herübernahme des a aus dem
gen. sg. ganz unverständlich; Analogiebildungen halten sich immer in derselben
Formen- oder Functionsreihe, und eine solche liegt hier auch nicht so fern: im
fem. heisst der nom.-acc. pl. handa, lautet also wie derselbe Casus bei den fem.
ā-stämmen (gifa), kann daher von diesen übernommen sein, und die weitere
Uebertragung auf das msc. liegt dann wenigstens weit näher als eine Analogie-
bildung aus dem gen. sg. Ein Bedenken ähnlicher Art wird uns auch abhalten
müssen, in dem ags. nom. pl. sunu, suno eine Grundform * sūnuvas zu suchen,
was an sich möglich wäre; es kann eben ganz wohl die Accusativform sein, da
in dieser Sprache nom. und acc. pl. absolut zusammengefallen sind.


Aus dem Germanischen lässt sich somit ein Beweis für die Existenz eines
*gastajas, *anstajas nicht beibringen, die allgemeine germanische Form ist -ij-as,
[80]a. Declination der Nomina.
welches freilich allgemein germanisch möglicherweise erst aus -ajas entstanden
ist, wie -ivas der u-stämme sicher aus -avas. Diese Vermuthung beruht dann
eben auf dem Verhalten der u-stämme; dass aber ein solcher Schluss trügen
kann, beweist das slav. synove neben pątĭje. Es steht somit nichts im Wege, die
germanische Form der i-stämme mit der slavischen zu identificiren.


Es fragt sich jetzt noch, wie verhält sich dazu die litauische Form ákys.
Auch diese lässt keine andere plausible Deutung zu, als aus -ij-as, denn -aj-as
wäre aus denselben Gründen, die bei den u-sämmen *-aus oder höchstens -*ůs
erhalten hätten, zu -*ais oder -*ës geworden. In der ebenfalls annehmbaren
Grundform * akjas, analog älterem skrt. arjas zu ari- hätte zwar samprasāraṇa
stattfinden können, allein da die Endsilbe dieses Casus stets unbetont ist, wäre
ja zu kurzem i geworden, vgl. die contrahirten msc. ja-stämme: unbetonte En-
dung giebt -is, dàlgis, betonte -ýs, kelýs. Ohne Schwierigkelt ist nur die Ab-
leitung aus *akijas, das nothwendig nach Schwinden des a ein ákys gibt.


Also bei den i-stämmen ist für alle drei Familien die gleiche Form -ijas mit
ungesteigertem Stammauslaut anzusetzen, dem gegenüber bei den u-stämmen
im Slavischen und Germanischen -avas mit Steigerung, im Litauischen -uvas
ohne Steigerung. Denkbar wäre es übrigens, dass einst im Litauischen die u-
stämme sich ebenso verhielten und die Endung -ūs nur in Nachahmung der i-
stämme annahmen, wobei, wie immer in solchen Fällen, das rein zufällige, die
Dehnung, als das Characteristicum der Form genommen ward.


C. a-stämme.

Nom. plur. msc.-fem.


Bei diesen Stämmen erhebt sich zunächst die Frage nach dem ursprüng-
lichen Verhältniss der beiden durch die indogermanischen Sprachen verstreuten
Suffixe -as und -i. Es spricht manches dafür, dass die Vertheilung, wie sie die
arischen Sprachen bieten, nämlich die Beschränkung des -i auf den nom. plur.
msc. des Pronomens, die ursprüngliche war, d. h. für unsere Betrachtung, das
Verhältniss der Formen so lag vor der ersten Trennung der indogermanischen
Sprachen. Zunächst ist dafür geltend zu machen, dass im Germanischen genau
dasselbe Verhältniss besteht, dann dass im Slavischen und Litauischen nur der
msc. a-stamm i hat, das fem. nicht (das scheinbar eine Ausnahme machende
Preussische wird unten auf das richtige Verhältniss zurückgeführt werden), also
ein Anschluss an den pronominalen a-stamm msc. gen. leicht denkbar ist; ferner,
dass Oskisch und Umbrisch das Suffix -i bei den Nominibus gar nicht haben, das
Keltische, wie es scheint (s. Schleicher, Comp.3 519), ebenfalls nur beim msc.


Bei dieser Bestimmung ist von dem Dualsuffixe i und von dem skr. nom.-
acc. ntr. jugāni abgesehen. Das letztere ist eine besondere Bildung dieser Sprache.
Das fem. und ntr. dual. hat allerdings im Arischen und Slavisch-litauischen
Suffix -i (açvē, jugē, slav. rącê, izě, lit. ranki), aber mit der Zurückführung der
Dualsuffixe auf bekannte Suffixe des Plurals ist es trotz der vielleicht zuzugeben-
[81]ii. Die Casus des Plurals.
den ursprünglichen Identität eine so missliche Sache, dass man wenigstens vor-
läufig besser thut, sie bei der Betrachtung des Plurals aus dem Spiel zu lassen.


Schleicher hat die Hypothese aufgestellt, tai wäre auf *ta-j-as zurückzu-
führen (Comp.3 517) und dies sogar auf *ta-i-sas (p. 611), eine Meinung, die
aus dem Bestreben hervorgeht, für die gleiche Function auch den gleichen Aus-
druck in der Ursprache zu finden, und gestützt wird durch die Ansicht von dem
Verhältniss der lateinischen Form des msc. equei, equī zu equeis, welches letztere
Schleicher aus *akva-j-as deutet. Wenn dergleichen Zurückführungen auf Grund-
formen hier einen Sinn haben sollen, so kann es nur der sein, dass eine solche
Form als Erbgut aus der indogermanischen oder wenigstens aus der Einheits-
periode einer einzelnen Gruppe der indogermanischen Sprachen herübergebracht
sei. Da müsste es denn für einen sehr wunderbaren Zufall gehalten werden,
dass nirgend wo anders eine entsprechende Form erhalten blieb, für noch wunder-
barer aber, dass die nächstverwandten Dialekte, Oskisch und Umbrisch, nur msc.
-ōs, fem. -ās kennen. Es ist dagegen bei den Auslautsverhältnissen des älteren
Latein, die den oskisch-umbrischen entsprechenden Formen auch für dieses vor-
ausgesetzt, vollkommen begreiflich, dass nach Abfall des -s (der Plural matrona
aus dem pisaurischen Hain kann wenigstens und wird am natürlichsten = ma-
tronas
genommen) nach einem Ersatz für die sehr unkenntlich gewordene Form
(* equo aus * equos) ausgesehen wurde. Ein solcher konnte sehr bequem in den
pronominalen Formen auf -ei, ī gefunden werden, ebenso gut aber in den Pluralen
der i-stämme auf -eis, und ich glaube in der That, dass die Differenz in unsrer
Ueberlieferung des nom. plur. msc. als * viroi (überliefert poploe, daraus virei,
virī
) und vireis (daraus auch virēs, virīs) sich aus dieser doppelten Analogie
erklärt. Man ist gewohnt, die beiden Formen in der Weise zu identificiren, dass
man virei auf vireis, dies also weiter auf * virois zurückführt, was ja ohne
Zweifel lautlich möglich ist, aber durch das Material der historischen Ueber-
lieferung (s. dasselbe bei Büchler, Grundriss p. 17) nicht bewiesen werden kann.
Den Zug, a-stämme in die i-Declination überzuführen, erwähnt auch Bücheler
p. 18 (vgl. die Bemerkungen oben beim gen. sg.). Wo die Pronomina Plurale
wie eis, heis zeigen, werden sich auch diese auf dem angegebenen Wege er-
klären; es ist dafür doch bezeichnend, dass im senatusc. de Bach. ques (=queis)
nur als Plural des Interrogativstammes qui-, quei nur als Plural des Relativ-
stammes quo- vorkommt. Aus dem gesagten würde weiter folgen, dass die
Uebereinstimmung des Latein mit dem Griechischen in der Anwendung des i im
nom. plur. msc. und fem. nur ein Zufall ist, so gut wie dieselbe Uebereinstim-
mung des Preussischen mit dem Griechischen nur ein Zufall sein kann. Für
das Griechische und Lateinische wäre kurz der in beiden selbständig einge-
schlagene Gang der Entwicklung dieser: in beiden Sprachen ging das i zu-
nächst auf das fem. des Pronomens, vom Pronomen auf die nominalen a und ā-
stämme über.


Also wir halten daran fest, dass in der Ursprache zwei verschiedene En-
dungen, -i des Pronomens, -as des Nomens vorhanden waren, die innerhalb der
Einzelsprachen nicht auf einander bezogen und aus einander erklärt werden
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 6
[82]a. Declination der Nomina.
dürfen, und haben von diesem Standpunkt aus die Formen unserer drei Familien
anzusehen. Slavisch und Litauisch haben gemeinsam die pronominale Endung
beim msc. vilkai, vlŭcī, die litauische Form bildet geradezu die Grundform der
slavischen, und es ist wenigstens sehr wahrscheinlich, dass dieselbe während einer
gemeinsamen Entwicklungsperiode entstanden ist. Innerhalb des Slavischen ist
es zwar vollkommen begreiflich, dass die alte Form *varkās, die nur hätte *vlŭka
geben können, verloren ging, sie wäre mit dem gen. sg. und nom.-acc. dual.
zusammengefallen, und die Anlehnung an die pronominale Form ti = * tai lag
nahe. Allein derselbe Grund gilt nicht auch für das Litauische, wo ein aus der
Grundform zu erwartendes *vilkōs erhalten bleiben und eine vollkommen kennt-
liche Pluralform abgeben konnte, deren Zusammenfallen mit der Femininalform
rankōs die pluralische Beziehung ja nicht hinderte. Ich meine daher, dass wir
es hier mit einer älteren Erscheinung zu thun haben, die nicht so zu sagen aus
lautlicher Noth, sondern durch eine mehr spontane Ausgleichung von nominaler
und pronominaler Declination eingetreten ist: die beim Pronomen seit uralter Zeit
bestehende Scheidung zwischen msc. und fem. in diesem Casus wurde bei den
msc. a-stämmen nominaler Art bereits in der litauisch-slavischen Periode nach-
geahmt.


Was das Femininum betrifft, so hat das Litauische die nominale Form in
ursprünglicher Weise, rankōs, das Slavische den acc. statt des Nominativs, rąky
(bei -stamm dušę = -jāns); in diesem Umstand liegt aber ein indirecter Beweis
für das einstige Vorhandensein der dem Litauischen entsprechenden Form auch
hier: * rankās hätte zu * rąka werden müssen, fiel also mit dem nom. sg. rąka
zusammen, wurde eins mit seinem geraden Gegensatz. Die Uebertragung der
Accusativform auf den Nominativ bei diesen zahlreichen Stämmen hat dann die
Folge gehabt, dass überhaupt ausser den vereinzelten consonantischen Formen
wie matere kein femininaler nom. plur. im Slavischen mehr vorkommt (vgl. oben
die i-stämme).


Wie früher schon einmal erwähnt, bildet das Preussische mit seinem Femi-
ninum eine merkwürdige Ausnahme, in den Katechismen heisst es z. B. gennai
(l. genai) zu genna (l. gena) wie msc. grîkai zu grîks. Dass diese Erscheinung
in der Sprache der Katechismen jung ist, zeigt ganz zweifellos der Dialekt des
Elbinger Vocabulars, indem hier nur die nominale Form wie im Litauischen vor-
kommt: wayos (Wiesen, lit. vejós zu vejà, Rasen), lauksnos (Gestirne) u. s. w.,
s. Pauli, Preuss. Stud. Beitr. VII, 180. Ausserdem aber liegt im Katechismus III,
27 die oben beim gen. sg. schon besprochene Pluralform stawîdas madlas (zu
madla, Gebet) wirklich vor. Möglicherweise kommen daher alle femininalen
Plurale auf -ai nur auf Rechnung des Uebersetzers; natürlich ist es aber auch
denkbar, dass in der damaligen Sprache bereits eine Confusion der Art bestand.
Uns genügt es, dass das i beim Femininum sicher nur der besonderen preussi-
schen Entwicklung angehört.


Die germanischen Sprachen kennen nur eine einzige, die nominale Form,
beim Nomen, deren Grundform uns das got. vulfôs, gibôs giebt, wenigstens zu
geben scheint. Einen durch seine Consequenzen interessanten Einwurf gegen
[83]ii. Die Casus des Plurals.
diese Identificirung der Formen des msc. und fem. hat Scherer gemacht. Nach
seiner Formulirung der germanischen consonantischen Auslautsgesetze (a. a. O.
p. 97) heisst es: «das Ostgermanische [also nach Müllenhoffs und Scherers An-
setzung Gotisch und Altnordisch] lässt das schliessende s unangetastet, das West-
germanische [Deutsch und Angelsächsisch] duldet im allgemeinen kein s am
Wortende». Die Einschränkung bezieht sich auf die einsilbigen Pronominalformen
ahd. wir, ir, er, der, huer und den nom. sg msc. des unbestimmten Adjectivs
blintêr, welcher bei Scherer, da er ihn aus *blinda-jis, urspr. *blindas + jas ab-
leitet, auch in die erstere Kategorie fällt. Wie es sich nun auch mit dem Ur-
sprung dieser Adjectivform verhalten möge, Thatsache ist, dass der nom. pl. der
sogenannten westgermanischen Sprachen bei allen Nicht-a-stämmen dem Gesetze
entspricht (ahd. z. B. man = got. mans, belgi = got. balgeis), bei den femininalen
ā-stämmen ebenfalls (z. B. ahd. gëbâ = got. gibos), bei den msc. a-stämmen da-
gegen nicht: altsächs. dagos, dagas, angels. fiscas, zu welchen noch die von
Förstemann, K. Z. XIV, 163 behandelten althochdeutschen pluralischen Orts-
namen auf -as (Rimilingas) kommen, die sich etwa bis zur Mitte des 9. Jahr-
hunderts nachweisen lassen. Scherer (a. a. O. p. 427) sträubt sich gegen die
Annahme einer Abweichung vom Auslautsgesetz und sucht die Erklärung in dem
arischen -āsas (skrt. dēvāsas, zend. açpāoṅhō, altpers. bagāha). Ein so gebildetes
* varkāsas kann allerdings im Germanischen zunächst nur * vulfāss geben, und
das einstmals doppelte s würde hier die Erhaltung z. B. im altsächsischen wulƀos
ebenso erklären wie im gen. sg. auf -es = got. -is. Demnach hätten wir im
Germanischen zwei Formen anzusetzen: -ās für das fem., -āsas für das msc.,
und bekämen in letzterer eine ganz specielle Uebereinstimmung mit den arischen
Sprachen, noch genauer mit dem Iranischen, das die längere Form auch nur
beim msc. kennt. Scherer bemerkt dazu: «vereinzelte Uebereinstimmung einer
westarischen Sprache mit dem Ostarischen ist nichts unerhörtes». Gewiss nicht,
allein eine solche Uebereinstimmung hat zur nothwendigen Voraussetzung die
einst allgemeine indogermanische Gültigkeit dieser Form, und auffallend bleibt es,
dass in keiner andern westarischen (europäischen) Sprache sich von -āsas die
geringste Spur findet. Ja sogar im Germanischen weist das nordische ulfar die
Grundform * vulfās = * varkās ganz unzweifelhaft auf, da eben aus * varkāsas,
* vulfāss
nordisch nur * ulfas hätte werden können, vgl. gen. sg. ulfs = vulfis
aus * vulfissa = varkasja. Es ist mir daher nicht entschieden, ob wir nicht in
den altsächsischen und angelsächsischen Formen eine Alterthümlichkeit vor uns
haben, wie in den vereinzelten althochdeutschen, und die Sache so ansehen
müssen, dass die Wirkung des Auslautsgesetzes im Althochdeutschen consequent
weiter gegangen ist, in den beiden andern Dialekten bei diesen Formen auf-
gehört hat und die Plurale auf -s so feste Formen wurden. Jedenfalls ist mir das
Verbleiben des s in den beiden Dialekten nicht genügend, um eine sonst nur als
speciell arisch bekannte Form dem Germanischen zuzuschreiben.


6*
[84]a. Declination der Nomina.
2. Genitivus pluralis.

Auch bei diesem Casus werden wir für die Bestimmung des Verhältnisses
von Slavisch-litauisch zum Germanischen wenig oder nichts positives gewinnen.
Dennoch ist er hier ausführlicher zu behandeln, weil er wieder einen Punkt dar-
bietet, wo das Germanische unmittelbar an die arischen Sprachen anzuknüpfen
scheint, und einige für das Verhältniss des Slavischen zum Litauischen nicht un-
wichtige Bemerkungen dabei zu machen sind.


Als Suffix ist, wie die consonantischen Stämme darthun, -ām anzusetzen,
dies findet sich überall wieder, auch bei den vocalischen in verschiedenen Ver-
bindungen mit dem Stammauslaut. Sowohl im Slavischen wie im Litauischen
hat die Wirkung des auslautenden Nasals das ā in ū umgewandelt, das aber im
Slavischen früh verkürzt sein muss, da es sonst als y, nicht wie in Wirklichkeit
als ŭ erscheinen würde: die vorliegenden Formen sind also litauisch älter und
dialektisch -ūn, gewöhnlich , slav. (nach j natürlich statt dessen ĭ), lit. ak-
men-ū́
, slav. kamen-ŭ. Für die chronologische Bestimmung dieser Lautentwick-
lung muss festgestellt werden, dass sie nicht der gemeinsamen Entwicklung der
beiden Familien angehört, da das Preussische der Katechismen noch gen. plur.
grîkan, swintan (zu grîks, swints) kennt und zwar nach Nesselmanns Citaten
ersteres wenigstens sechsmal, letzteres zweimal, so dass an ein Versehen für
grîkun nicht gedacht werden kann. Ueberhaupt kennt das Enchiridion (Kat. III)
den gen. plur. auf -un beim Nomen gar nicht, beim Pronomen schwanken an und
on (steison die gewöhnliche, steisan die seltenere Form, ebenso bei anderen Pro-
nomina), in I. dagegen findet sich auch beim Nomen -un (grecon, grekun), in II
wird an denselben Stellen griquan geschrieben. Es scheint wohl, dass wir die
Sprache zur Zeit der Abfassung dieser Texte in der Periode des Ueberganges zu
denken haben, wo noch das alte -an, namentlich dialektisch, zum Theil erhalten
war. Jedenfalls zeigt die Existenz desselben, dass die Entwicklung des alten
-ām zu -ūn eine speciell litauische ist und mit der gleichen slavischen nicht in
Verbindung gesetzt werden darf.


Bei den u- und i-stämmen gehen die beiden Sprachen genau in derselben
Weise auseinander wie im nom. plur.: die i-stämme haben slavisch wie litauisch
ungesteigerten Stammauslaut, die u-stämme im Slavischen gesteigerten, im Li-
tauischen ungesteigerten, daher entsprechen sich genau


  • lit. naktiū(n), nakczū = *nakti-ām,
  • slav. nostĭjĭ, gewöhnlich mit Dehnung des ĭ vor j noštījĭ (ноштий) = *nakti-
    jām;
    der einzige Unterschied, der aber kaum einer genannt werden kann,
    ist, dass im Slavischen das i in i + j gespalten wird, im Litauischen ein-
    fach vor dem Vocal in j übergeht;

dagegen:


  • lit. sūnū́(n) nur aus *sūnu-ām oder *sūnuvām herzuleiten,
  • slav. synovŭ = *sūnavām;

bei den ā̆-stämmen herrscht völlige Gleichheit:


[85]ii. Die Casus des Plurals.
    • msc. lit. vilkū
    • slav. vlŭkŭ
    = * varkām.
    • fem. lit. galvū
    • slav. glavŭ
    = -ām,

es wird also hier in den Vocalen, beim Masculinum -ām = -ă + ām, beim fem.
= -ā + ām kein Unterschied gemacht, beide Gruppen müssen für die Einheits-
periode des Slavisch-litauischen als ein unterschiedsloses -ām angesetzt werden.


Die übrigen europäischen Sprachen, vom Germanischen zunächst abgesehen,
lassen leider nicht überall erkennen, wie sich die Formen des msc. und fem. dort
ursprünglich zu einander verhalten haben, da das Griechische für ersteres die
pronominale Endung -sām angenommen hat, das Italische ebenfalls, im Kelti-
schen die Formen so unkenntlich geworden sind, dass sie zu weiterer Bestim-
mung nicht gebraucht werden können. Die Wahrscheinlichkeit ist natürlich da-
für, dass für msc. wie fem. der ă̄-stämme ein contrahirtes gleichwerthiges -ām
für alle europäischen Sprachen vorhanden war, und man könnte diesen Punkt
ganz unberührt lassen, wenn sich nicht im Gotischen jener eigenthümliche Unter-
schied zwischen msc. und fem. in den Endungen und bei den ă̄-stammen
und -n-stämmen fände (bei den i-stämmen balgē wie anstē, u-stämme sunivē
wie handivē, dagegen hananē — tuggōnō, vulfē — gibō; mit Einschluss derer
auf -eini-, die im nom. und gen. plur. der Analogie von gibōs folgen, nom. plur.
z. B. birōdeinōs, gen. plur. hazeinō), ein Unterschied, den selbst die übrigen
germanischen Dialekte nicht theilen. Da die femininalen n-stämme ihn nur des-
wegen zeigen, weil sie erst secundär aus ā-stämmen entwickelt sind, beschränkt
sich die Differenz innerhalb des Nomens auf die ă̄-stämme, und erscheint ausser-
dem nur im Pronomen, þizē und þizō. Da aber bei letzterem sicher die gleiche
Endung -sām für beide Genera zu Grunde liegt, muss hier der Unterschied als
vom Nomen übertragen gefasst werden, und es ist die Frage nur so zu stellen:
woher rührt die Differenz des fem. und des msc.-ntr. der a-stämme des Goti-
schen in diesem Casus?


Es wäre freilich das bequemste, man könnte diesen Unterschied einfach an
die alte Verschiedenheit der Verbindungen -a + ām im msc.-ntr., -ā + ām im
fem. anknüpfen, wenn nur die nothwendig daraus zu ziehenden Consequenzen
nicht mit den sonstigen Thatsachen in Widerspruch stünden. Ein solcher ur-
sprünglicher Unterschied müsste ja einst allen germanischen Sprachen angehört
haben: wenn er nun in deren Ueberlieferung nicht mehr existirt, könnte man
nur annehmen, die gen. plur. sämmtlicher Stammclassen wären hier nach der
Analogie der femininalen ā-stämme umgebildet worden, aber man sieht dazu
weder in den Lautverhältnissen einen Grund, noch sind diese Stämme an Zahl
und Bedeutung gegen die übrigen zusammen so überwiegend, dass ein solcher
Vorgang nicht höchst unwahrscheinlich wäre. Wenn es also möglich ist, die
bestehende Differenz ohne Hülfe jener ursprünglichen Grundformen aus dem für
alle Genera unterschiedslos angenommenen -ām durch Vorgänge innerhalb der
Entwicklungsgeschichte des Germanischen zu deuten, so verdient eine solche Er-
klärung den Vorzug. Ein Versuch dazu darf wenigstens gemacht werden.


[86]a. Declination der Nomina.

Die dabei in Betracht kommenden Thatsachen sind folgende: das Germa-
nische hat eine zwiefache Behandlung des ursprünglichen ā: in einer gewissen
Anzahl von Fällen erscheint es in allen Dialekten als ō (oder dessen Vertreter uo
u. s. w.), in einer anderen bestimmten Anzahl hat das Gotische ē, Althochd. ā,
Alts. ā, daneben auch e, Angelsächs. œ Altnord. ā. Es kann hier ununter-
sucht bleiben, ob z. B. im Althochdeutschen das ā erst secundäre Entwicklung
aus ē ist, wofür manches spricht, da wir es hier nur mit der Differenz in der
Behandlung von altem ā überhaupt zu thun haben. Woher diese Differenz rührt,
ist nicht auszumachen, nur, worauf es hier ankommt, ist durchaus kein Grund
zu finden für eine etwaige Annahme, dass wir in brōþar = bhrātar- und dēds
= * dhāti-
Vocale von ursprünglich verschiedener Qualität zu sehen hätten. Die
beiden Entwicklungen, zu ō und nicht zu ō, stimmen nun durchweg in den ger-
manischen Sprachen überein; es kommen aber einzelne Abweichungen, und
zwar nur in Endsilben vor, wo das Gotische ē, das Althochdeutsche-altsächsische
aber ō (o) zeigen (Angelsächsisch und Altnordisch kommen nicht in Betracht, weil
sie überhaupt in den Flexionssilben kein o mehr haben): es sind 2. sg. praet.
nasidēs, althd. neritôs, got. svē, alth. , got. vulfê, althd. wolfô(-o); ferner, aber
ebenfalls nur in Endsilben, giebt es Fälle, wo das got. a mit unentschiedener
Quantität, aber sicher einst lang, das Althochdeutsche dagegen o oder u hat,
z. B. hana — hano; þamma (vgl. hvammê-h) — dëmu u. s. w. Es sind daraus,
wie mir scheint, folgende Regeln zu entnehmen:


1. Das lange ā der Endsilben (sei es ein ursprüngliches, sei es durch Er-
satzdehnung entstandenes) ist in den Fällen, wo Gotisch und Hochdeutsch in
der Qualität des Vocals differiren, als ā im Urgermanischen anzusetzen.


2. Das Gotische kennt keine weitere Entwicklung des ā zu ō als die sich
bereits allgemein germanisch vollzogen hatte, im Althochdeutschen setzte sich
die Entwicklung von ā fort und führte bald zu ô (o), bald zu u; ihr verfielen
die in 1. bestimmten ā: daher neritôs, hano, demu.


3. Im Gotischen wurden dieselben ā, wenn sie im Auslaut standen zu a,
daher hvamma, wenn in einsilbigen Worten oder vor Consonanten zu ē, daher
hvē, þē, hvammē-h (eine Verbindung, die zu einer Zeit fest geworden sein
muss, als das ā noch lang war).


Ehe wir dies auf den gen. plur. anwenden, ist noch daran zu erinnern, dass
das consonantische Auslautsgesetz in seiner gewöhnlichen Fassung nicht richtig
ist, dass vielmehr die Nasale nach ursprünglichem langen ā später abfielen, dieser
Abfall überhaupt die letzte Phase des ganzen Auslautsgesetzes ist, dass also die
Fälle, wo ursprünglich m nach ā im Auslaut stand, nicht unter vocalischen Aus-
laut zu zählen sind.


Betrachten wir davon aus den gen. plur., so ist für das msc. als urgerma-
nisch * vulfān, für das fem. * gibōn anzusetzen, die weitere Entwicklung ergiebt
sich aus den angeführten Punkten: beim msc. folgte im Hochdeutschen das ā der
fortgezetzten Umbildung zu ō (o), daher wolfô(-o), wurde im Gotischen als nicht
im Auslaut stehend zu ē, später fielen die Nasale ab. Die Erklärung aber, warum
das -ān des msc. nicht ebenfalls im Urgermanischen zu -ōn ward, wird sich nun
[87]ii. Die Casus des Plurls.
auch finden lassen: die fem. haben im Plural in allen anderen Casus ō = ā, die
msc. nur im nom. plur.; wenn man sich die Gesammtheit der Formen vergegen-
wärtigt, wird es verständlich, dass im fem. auch der gen. plur. demselben Zuge
folgte, der in den andern Casus das ā zu ō gemacht hatte, im msc. aber mit den
andern obliquen Casus das ā festhielt; in einer Progression ausgedrückt:
dat. gibōm, acc. gibōs: g. gibō(n) = d. vulfam, acc. vulfans: gen. * vulfān
(vulfē),

dass die Wandlung des ām in ē im Gotischen die sozusagen naturgemässe war,
wenn keine anderen Einflüsse mitwirkten, zeigt die Uebereinstimmung der con-
sonantischen, i- und u-stämme im .


Was nun im Germanischen die Verbindung des -ām mit den einzelnen
Stammclassen betrifft, so ist das Verhältniss zwischen i- und u-stämmen genau
dasselbe, wie im Slavischen:
pątĭjĭ : synovŭ = ahd. gestio, gesteo : sunio (= got. sunivē),
also bei den u-stämmen Steigerung, bei den i-stämmen nicht. Dies wenigstens
scheint die einfachste Erklärung der Formen. Scherer (a. a. O. p. 421) will
zwar die beiden Stammclassen in der Bildungsweise nicht trennen, ahd. gestio
= *gastijām
geht ihm im letzten Grunde auf *gastajām zurück mit geschwächtem
a wie in sunio = *sunivē = *sūnavām, eine Anschauung, gegen die sich, was
die rein lautliche Seite betrifft, nichts sagen lässt, die aber auch durch nichts
begründet werden kann. Wir können, wie die bisher behandelten Casus zeigen,
eine völlige Parallelität der Casusbildung bei den i- und u-stämmen nicht her-
stellen, so wenig wie eine solche in andern Sprachen nothwendig oder immer
vorhanden ist. Im Hochdeutschen stimmt noch dazu der gen. pl. zum gen. und
dat. sg. enstî, zu dessen Identificirung mit der gotischen Form keine Veranlassung
ist. Scherer hält nun allerdings die Erklärung des gotischen gastē, anstē aus der
alten i-form für möglich: aus -aj-ām soll durch Verlust des j und Contraction
-ām geworden sei, dies dann wie sonst zu , wodurch die Form mit der der
a-stämme zusammenfiel, während man sonst annahm, es habe hier, wie im gen.
und dat. sg. msc., einfach Uebertragung aus der a-form stattgefunden. So wäre
allerdings das gleiche Bildungsprincip durchgeführt, allein wenn wir als Grund-
formen * gastajām, * sūnavām ansetzen sollen, und es sich bei dem i in beiden
Fällen, in sunio, sunivē wie in ahd. gestio um einen rein lautlichen Vorgang
handelt, so bleibt es unverständlich, warum im Gotischen die Form der i-stämme
davon ausgeschlossen blieb. Vollends unwahrscheinlich aber ist Scherers Aus-
dehnung jener Grundform auf das Altnordische, wo wir glauben sollen, dass so-
wohl das ursprüngliche -ajām wie das geschwächte -ijām neben einander vor-
kommen, aus ersterer die Formen wie braga, aus letzterer die wie belgja zu
erklären. Nach den wirklich vorliegenden Formen scheint es mir weit sicherer,
die althochdeutschen Formen aus Grundformen ohne Steigerung des Stammvocals
zu erklären, und die gotischen Genitive auf für Entlehnungen aus den msc.
a-stämmen zu halten.


Wenn man geneigt ist, in den uns vorliegenden Formen überall directe Ab-
kömmlinge der ursprünglichen Formation zu sehen, kann man übrigens ganz
[88]a. Declination der Nomina.
dieselbe Controverse bei den u-stämmen anregen: ahd. sunio stimmt nicht zu
alts. hando und nicht zu ags. suna. Letzteres bezeichnet Sievers (Paradigmen)
durch cursiven Druck als Analogiebildung nach den a-stämmen, ersteres lässt er
ohne besondere Merkmale, es könnte also nach ihm als wirkliche u-form zu
fassen sein, und dabei auch wieder an ein zu Grunde liegendes -avām mit un-
geschwächtem a gedacht werden. Allein auch hier liegt es viel näher, an die
Analogie der übrigen Stämme zu denken, durch welche die alte zu erwartende
Form auf -io verdrängt ist. Bei dem ganzen uns überlieferten Stande der Decli-
nation in den germanischen Dialekten ausser dem Gotischen und zum Theil selbst
hier, wird es im Zweifelfalle immer richtiger sein, die Erklärung möglichst wenig
auf einen allerältesten indogermanischen Lautbestand zu beziehen, wenigstens
so lange, bis eine den gegenwärtigen Anforderungen entsprechende systematische
vergleichende Grammatik der germanischen Sprachen uns die Verhältnisse der
Laute und Formen derselben deutlicher gemacht hat, als es bis jetzt der Fall ist.


Ich komme jetzt zu dem oben schon angedeuteten Punkte, in welchem dieser
Casus im Germanischen eine besondere Berührung mit der Form der arischen
Sprachen zeigen soll. Scherer (a. a. O. p. 430) setzt in seiner Uebersicht der
germanischen Grundformen der Declinationsendungen bei den femininalen ā-
stämmen sowohl -ān wie -ānān (= ām, ānām) an, letzteres nach dem «West-
germanischen», denn das Gotische kennt die Form mit n so wenig wie das Alt-
nordische (vgl. p. 428). Man hätte also, anders ausgedrückt, für das Urgerma-
nische die Existenz zweier Bildungen neben einander anzunehmen, Anfügung
von blossem -ām an den vocalischen Stammauslaut mit Verschmelzung von
Stamm und Endung und Einsetzung von n zwischen Stamm und Endung, wobei
das -ām von aller Contraction frei bleibt. Die überlieferte Vertheilung dieser
Nebenformen wäre dann eine zufällige dialektische, nur das Angelsächsische mit
seinem gifena neben gifa hätte beide erhalten. Die Möglichkeit einer solchen
Anschauung ist ja nicht zu bestreiten, ihre Wahrscheinlichkeit gar sehr: das n
der arischen Sprachen in diesem Casus correspondirt mit dem hier vielfach sonst
vor Casusendungen stehenden n, und kennen wir auch dessen Ursprung nicht,
so reiht es sich doch ein in eine Fülle gleichartiger Erscheinungen, im Germani-
schen aber stünde es ganz vereinzelt. Ferner hat keine andere europäische
Sprache eine Spur davon, endlich glaube ich, dass aus dem Deutschen selbst ein
Grund dagegen zu finden ist. Scherer ist der Meinung (p. 430), dass der seit
alter Zeit vorhandene gen. plur. auf -ānām «ausreichte, um zur Folgerung eines
Stammes auf -ān zu verführen», diese Folgerung sei der Ursprung des schwachen
Femininums. Also tuggônô, manageinô als die Veranlassung der ganzen Formation
wären auch die ältesten Formen. Nun sind dieses, wie schon oben erwähnt, die
einzigen Classen von Femininen, welche sich im Gotischen an dem Unterschied
des femininalen ā-stammes vom msc. betheiligen, indem sie als Endung haben.
Das ist nun schwer oder gar nicht verständlich bei Scherers Annahme: wenn
die Grundform -ānām hier gilt, warum nicht das zu erwartende *-onê, da es
doch handivê = -avām heisst und woher die Abweichung vom msc. hanan-ē?
Man kann hier nicht die Analogie der andern Form der femininalen ā-stämme,
[89]ii. Die Casus des Plurals.
also gibô zu Hülfe rufen, denn wenn deren Beispiel wirkte, warum wirkte es
nicht auf alle Feminina ohne Unterschied, also warum nicht auch *handivô. Da-
gegen wird das ô der femininalen n-stämme verständlich, wenn man annimmt,
dass es auch im gen. plur. ursprünglich nur tuggô (= *tungān) hiess von einem
Nominativ * tuggā, das n also im gen. plur. wie in den übrigen Casus erst eine
speciell germanische Erweiterung des Stammes ist; diese veränderte an dem
einmal bestehenden und wie oben auseinandergesetzt, auch zu erklärenden ô der
Endung nichts mehr.


Freilich erhebt sich hier nun die Frage, wie die sogenannte schwache Decli-
nation im Germanischen bei Substantiv und Adjectiv zu erklären sei. Die Frage
hat mit dem Verhältniss des Germanischen zum Slavisch-litauischen, wenigstens
unmittelbar, nicht viel zu schaffen, denn etwas entsprechendes findet sich in
diesen Sprachen nicht. Trotzdem kann sie hier nicht umgangen werden, weil
nothwendig doch die Frage entschieden oder wenigstens behandelt werden muss:
ist die schwache Declination ein Product der besonderen Geschichte des Germa-
nischen, oder ist sie anzuknüpfen an ältere Sprachperioden, und wenn letzteres,
auf welche Fälle in den verwandten Sprachen ist sie zu beziehen. Ich würde
vorziehen, die ganze Sache bei der Adjectivdeclination abzuhandeln, wenn diese,
sobald die Untersuchung über das Germanische hinausgeht, überhaupt einen
selbständigen Abschnitt bilden könnte, und nicht im Germanischen selbst auf der
einen Seite ebenso mit der substantivischen Declination zusammenhinge, wie
auf der andern mit der pronominalen.


Wäre man in der germanischen Grammatik nicht durch Grimms Vorgang
von vornherein von dem Gedanken beherrscht gewesen, dass das n in der Decli-
nation eine ganz besondere Eigenthümlichkeit, sozusagen eine Erfindung des
deutschen Sprachgeistes sei, so würde man vielleicht die ganze Erscheinung nicht
für so merkwürdig gehalten und eine nicht fernliegende Erklärung dafür gefunden
haben. Die Meinung, als gehöre das n der Declination als solcher an, darf wohl
für überwunden gelten; es wird allgemein als dem Stamm angehörig anerkannt.
Die Frage ist also diese: woher kommt die ausserordentliche Verbreitung dieser
Stämme im Deutschen und ihre besondere Anwendung bei der Adjectivdeclination.
Und für beides, meine ich, giebt es eine Erklärung.


Beginnen wir mit dem sogenannten schwachen msc. Es ist klar, dass die
gotischen ahman-, blôman- u. s. w., kurz die mit Suffix -man- gebildeten (s. die
Aufzählung bei Leo Meyer, G. Spr. § 232) ihre Stammform nicht erst in der ger-
manischen Entwicklungsperiode bekommen haben. Bei den übrigen, auf -an
ohne m ausgehenden ist dies nicht so unmittelbar deutlich, aber auch nachzu-
weisen. Es giebt von ältester Zeit an in den indogermanischen Sprachen ein
Suffix -an-, welches nom. ag. primär aus Wurzeln bildet, oder auch secundär
angewendet in einem der Bedeutung eines nom. ag. sehr verwandten Sinne die
Betheiligung an etwas, die Beschäftigung mit etwas bezeichnet. Aus dem San-
skrit gehören hierher z. B. takšan- (Zimmermann, √ takš), rāǵan- (König, √ rāǵ)
djuvan-, (Sonne, eigentl. «Leuchtender», √ div, dju), pušan- (Name eines Gottes,
eigentl. «Ernährer, Gedeihenbringer», √ puš), ukšan- (Stier, √ ukš beträufeln),
[90]a. Declination der Nomina.
vršan- (Stier, √ vrš benetzen), wahrscheinlich juvan- (vgl. BR. W. s. v.) u. a.
Häufig ist das Suffix nicht, aber die Bedeutung ist klar; und so auch im Grie-
chischen ἀηδον-, ἀρηγον-, τεκτον-, ἀλαζον-, mit anderem Vocal adjectivisch in
ταλαν-, ἀρσεν-. Im Griechischen wie im Lateinischen findet sich ferner eine
Suffixform -ōn- mit durchgehends langem Vocal, aber in derselben Bedeutung
des nom. ag.: δρομων-, δραπων-, φαγων- u. s. w., comedōn-, combibōn-, suc-
cubōn-
u. s. w. (s. L. Meyer, Vgl. Gr. II, p. 139). Die Länge des ō hat hier
schwerlich einen andern Grund als die Vocallänge in datōris oder δοτῆρος, d. h.
Uebertragung aus dem nom. sg., wo die Länge lautgesetzlich entstehen musste,
oder aus dem acc., wofür die sanskritischen Formen dātāram, açmānam, rāǵā-
nam
zu sprechen scheinen; wir dürfen die Beispiele also hierher rechnen. Be-
trachtet man nun die schwachen msc. der germanischen Sprachen, so zeigt sich,
dass die grösste Zahl derselben reine nomina agentis primärer (d. h. hier un-
mittelbar verbaler) oder secundärer Ableitung sind. Ich gebe die Beispiele aus
dem Gotischen als Beleg und bemerke nur, dass in den andern Dialekten sich
die Sache ähnlich verhält:


  • auhsan- = skrt. ukšan-, also altererbt, ebenso
  • guman- = lat. homin-, lit. żmen- (nom. żmů),
  • ahan- (Sinn, Verstand), √ ak, also eigentlich «der sehende»,
  • hanan-, √ kan, also «Sänger»,
  • aran- (Adler) wird man wohl auch zu diesen alten Worten ziehen dürfen,
    ar (ὄρνυμι), also «der sich erhebende».
  • Von Verben, die im Germanischen selbst noch vorliegen:
  • faura-gaggan- zu gaggan,
  • skulan- (Schuldner) zu skulan,
  • lukarna-staþan- zu standan vgl. unser «Ständer» im Sinne von Pfeiler,
  • ufar-svaran- (wenn dies nach dem dat. -svaram Timoth. I, 1, 10 anzu-
    setzen; Meineidiger) zu svaran,
  • vilvan- (Räuber) zu vilvan (rauben),
  • un-, fulla-vitan- (Nicht-, vollkommener Wisser) zu vitan,
  • haurnjan- (Hornbläser) zu haurnjan (Horn blasen),
  • fērjan- (Nachsteller) hat wohl nur zufällig im Gotischen sein Verbum nicht
    neben sich, vgl. ahd. fârên (nachstellen) und zur Bedeut. fârâri (Nachsteller),
  • mana-maurþrjan- (Mörder) zu maurþrjan,
  • timrjan- (Zimmermann) zu timrjan (zimmern),
  • vardjan- (Wächter) zu fra-vardjan,
  • nutan- (Fänger), vgl. ga-niutan (fangen),
  • gamainjan- (Theilnehmer) zu gamainjan (Theil nehmen),
  • skiljan- (Metzger) wird auf √ skar (griech. κείρω) bezogen und setzt dann
    ein Verbum * skiljan voraus, zu vergleichen mit bidjan; jedenfalls ist die
    Bildung wie bei den übrigen,
  • gasinþjan (Reisegefährte), vgl. ags. sîđian (reisen) u. s. u. gasinþan-,
  • aiza-smiþan-, wenn auch die √ nicht sicher ist, gehört selbstverständlich
    auch hierher,

[91]ii. Die Casus des Plurals.
  • vaurstvjan- (Arbeiter) ist zu beziehen auf ein von vaurstva- abgeleitetes
    Verbum *vaurstvjan, gebildet ähnlich wie bandvjan. Ich will damit nicht
    sagen, dass ein solches Verbum im Gotischen wirklich gebräuchlich ge-
    wesen sei. Gab es einmal Bildungen der Art von abgeleiteten Verben
    wie das oben angeführte haurn-jan-, so konnte die Sprache nach dieser
    Analogie natürlich auch unmittelbar vom Stamm aus solche Worte bilden.
    Mit Leo Meyer hier eine besondere Suffixform -jan- anzunehmen, ist
    kein Grund vorhanden. Ebenso wird es sich verhalten mit:
  • svigljan- (Pfeifer), zu dem das Substantiv svigla-, das Verbum sviglôn, aber
    kein *svigljan vorhanden ist,
  • skattjan- (Geldwechsler), zu skatta- (Geld),
  • liugnjan, subst. liugna- (Lüge),
  • fiskjan-, subst. fiska-,
  • kasjan- (Töpfer), kasa- (Gefäss).

Dazu kommt nun eine Reihe secundärer Bildungen, deren Bedeutung sich
nur dadurch von der eines eigentlichen nom. ag. unterscheidet, dass sie nicht
den Vollzieher einer Handlung, sondern den Theilhaber, Empfänger, Bearbeiter
einer Sache bezeichnen:


  • ga- hlaiban- zu hlaiba- (Genosse), «der das Brot mit hat»,
  • ga-jukan- (Genosse), «der das Joch (juka-) mit trägt»,
  • ga-laistan- (Gefährte, Begleiter) zu laisti- (Spur, Ziel), entweder so zu er-
    klären, dass eine Nebenform laista- bestand, oder dass i vor dem neuen
    Suffixe abfiel; ebenso
  • ga-dailan- (Theilhaber) zu St. daili- (Theil),
  • galeikan- (þiudôs galeikans ἔϑνη σύσσωμα, Eph. 3, 6) zu leika- (Leib), vgl.
  • man-leikan- (Ebenbild), eigentl. «Mannesgestalt habend»,
  • garaznan- (Nachbar), «das Haus mit habend», zu razna-; dass
  • ga-daukan- (wenn so nach acc. plur. gadaukans I. Cor. 1, 16 anzusetzen,
    was wahrscheinlich ist) ebenso zu erklären, liegt nahe,
  • ga-sinþan- (Gefährte) braucht nicht mit Leo Meyer auf ein muthmassliches
    *sinþan (gehen) bezogen zu werden, sondern kommt von sinþa- (Gang)
    und bedeutet «Theilnehmer am Gange, der Reise»,
  • ga-vaurstvan- (Mitarbeiter) zu vaurstva- (Arbeit), vgl. auch alla-vaurstvan-
    (allwirkend),
  • in-kunjan- (Stammesgenoss) zu kunja- (Geschlecht), vgl. Bildungen wie
    ἐνοίκιος, und got.
  • ingardjan- (Hausgenoss) zu gardi- (Haus),
  • us-liþan- (Gichtbrüchiger) zu liþu- (Glied), wo das u vor dem neuen Suffixe
    abgefallen ist, eigentlich «einer der die Glieder aus hat», vgl. die nieder-
    deutsche Redewendung: «den Arm ut’t Lid hebben» = verrenkt haben.

Die Uebereinstimmung in diesen Bildungen ist ja unverkennbar, es sind
Bâhuvrhi-composita, wie sie überall häufig sind, deren erstes Glied eine Präpo-
sition bildet. Dazu kommen noch ausserhalb der Composition:


  • spillan- (Verkündiger), der mit spilla- (Erzählung) zu thun hat,

[92]a. Declination der Nomina.
  • gaujan- (Gaugenosse) zu gauja- (nom. sg. gavi),
  • stauan- (Richter) zu staua (Gericht),
  • arbjan- (Erbe) zu arbja- (das Erbe),
  • aurtjan (Gärtner) zu aurti-gards,
  • baurgjan- (Bürger) zu baurgi-. Es mag hier gleich bemerkt werden, wie
    sich das Sprachgefühl ganz gleich verhält zu den Suffixen des nom. ag.
    -an- und -ārja-; unser «Bürger», ahd. burgâri enthält eben das letztere
    vermöge derselben Bedeutungserweiterung aus dem einfachen nom. ag.
    heraus, wie wir sie für -an- behaupten,
  • vai-dēdjan- (Uebelthäter) zu dēdi- (That),
  • bandjan- (Gefangener) nicht unmittelbar zu bindan, sondern zum Substan-
    tiv bandjā-, ebenso
  • bi-haitjan- (Prahler) mit dulga-haitjan- (Schuldforderer, Gläubiger) nicht auf
    haitan, sondern zunächst auf haiti, St. haitjā (Forderung, Geheiss),
  • vein-drugkjan- (Weintrinker) mit af- drugkjan- werden wir so nicht auf
    drigkan, sondern auf einen substantivischen ja-stamm drugkja- = ahd.
    trunch zu beziehen haben, und
  • arbi-numjan- liegt ein subst. *numi- oder * numja- (Nehmung) zu Grunde,
    gebildet wie qums, St. qumi- oder quma-, dem im althd. not-numeo ent-
    stammt: einem althd. -nëmo würde got. -niman- entsprechen,
  • af-ētjan- (Fresser) sicher nicht unmittelbar zu itan, wenn auch ein ent-
    sprechendes Substantiv *êti- oder *êtja- fehlt (vgl. slav. ědĭ, Speise),
  • faura-gaggjan- neben dem schon erwähnten faura-gaggan erklärt sich aus
    faura-gaggja- (Vorsteheramt). Eine Suffixform -jan hat nirgends existirt.

Bei allen diesen Worten haben wir also ein bestimmtes, in seiner Bedeutung
klares stammbildendes Suffix vor uns, das altererbt ist, mit dieser Bedeutung
aus der ältesten indogermanischen Zeit stammt, im Gotischen und den germa-
nischen Sprachen überhaupt nur eine grössere Verbreitung erlangt hat als anders-
wo: also in einem Worte wie gajukan- ist die Sachlage nicht so aufzufassen, als
habe es erst ein an sich natürlich mögliches gajuka-, wie griech. συ-ζυγο- ge-
geben, sondern das Wort ist von vornherein mit dem Suffixe -an oder, was bei
zu Grunde liegenden Stämmen auf -a- auf dasselbe herauskommt, mit -n ge-
bildet worden.


Nun bleibt im Gotischen ein Rest von Masculinen, deren Etymologie nicht
klar ist und damit die ursprüngliche Bedeutung nicht zu bestimmen, oder bei
denen, wenn auch etymologische Beziehungen zu finden sind, die Bedeutung ver-
dunkelt ist. Dieser Rest ist in der That gering, wenn man die nur conventioneller
Weise den Substantiven zugezählten substantivirten schwachen Adjective wie
blindan-, liutan-, unhulþan-, veihan-, þarban- u. a. abrechnet; es bleiben dann
nur: aban-, attan-, h(b)alsaggan-, brunnan-, uzētan- (Krippe, wenn es msc. ist),
fanan-, fulan-, gardan-, hohan-, maþan- (nur nom. sg. maþa überliefert, viel-
leicht fem.), mênan-, notan-, skuggvan-, snagan-, sunnan-, smakkan-, sparvan-,
vaihstan, giblan-, mêlan-, fraujan-, galgan-, hlijan-, mannan-
. Endlich sind
einige zu erwähnen, deren nahe Beziehung zu gotischen Worten klar ist, deren
[93]ii. Die Casus des Plurals.
Bedeutung aber nicht zu der oben gegebenen der nom. ag. stimmt: ga-tauran-
(Riss) zu tairan; ganauhan- (Genüge) zu ganauhan; drobnan- (Aufruhr) zu dro-
bnan
, trans. drobjan, ib-daljan- (Abhang) vgl. dala- (Thal); bidagvan (Bettler)
vgl. bidjan, bida; viljan- (Wille) zu viljan, nêhvundjan- (Nächster) vgl. adv.
nêhva; gudjan (Priester) zu guþa-, guda-; das Deminutiv magulan- zu magu-,
der nom. plur. brôþra-hans. Unter diesen mögen immer noch einige sein, die
als substantivirte Adjective anzusehen, wie nêhvundjan-, bidagvan-, gudjan- (vgl.
veihan-) oder als nom. ag., die ihren persönlichen Sinn gegen einen unpersön-
licheren aufgegeben haben, z. B. viljan- (vgl. oben ahan-).


Unerwähnt ist noch geblieben svaihran-, wo wir aus çvaçura-, ἑκυρό-ς,
ahd. swëhur, mit völliger Bestimmtheit wissen, dass das stammbildende Suffix
ursprünglich nicht auf -n- ausging. Das ist für die Anschauung des ganzen wichtig.
Diese lässt sich nun folgendermassen zusammenfassen:


1. es gab von alter Zeit her ein nomina agentis bildendes Suffix -an-;


2. dies ist im Germanischen zu häufigerem Gebrauch gekommen als in
andern indogermanischen Sprachen und seine Bedeutung in der uns überlieferten
Periode der Sprache offenbar für das Sprachgefühl ganz lebendig gewesen, so
dass sogar im Gotischen das im Deutschen so häufige -ārja- viel seltner, in der
That nur in einigen wenigen Beispielen vorhanden ist (bôkareis, môtareis, vul-
lareis, liuþareis, laisareis, sôkareis
).


3. Die Mehrzahl der vorhandenen sogenannten schwachen msc. lässt sich
nach Ableitung und Bedeutung als zu diesen nom. ag. gehörig bestimmen, und
sie bilden demnach die aus alter Zeit ererbte Grundlage der schwachen Decli-
nation der männlichen Substantiva.


4. Es ist leicht verständlich, dass die Fülle dieser Bildungen auch eine Anzahl
ursprünglich anders geformter Stämme in ihre Analogie hinübergezogen hat, wie
das bei svaihran- unmittelbar nachgewiesen werden kann.


Hier wäre nun auszuführen, dass die schwache Declination der Adjectiva auf
demselben Suffixe -an- beruht, das wie in andern Sprachen andere Suffixe des
nom. ag. zur Substantivirung der Adjectiva benutzt wurde. Dass diese Sub-
stantive im Deutschen adjectivische Verwendung bekamen und zwar gerade die
des bestimmten Adjectivs, lässt sich Schritt für Schritt begründen. Ich verzichte
aber hier auf diese Begründung und verweise auf H. Osthoff, Zur Geschichte des
schwachen deutschen Adjectivums (Forschungen 2. Th.), der die Sache nach
meiner Meinung entscheidet.


Wenden wir uns nun zu den schwachen Substantiven fem. gen.: die im
Gotischen vorkommenden sind zunächst zu sondern nach dem vocalischen Ele-
ment, welches dem -n vorangeht, in Bildungen auf -ein- und auf -on-. Die
letzteren zerfallen ihrer Bedeutung nach in verschiedene Kategorien:


1. solche, die den behandelten msc. nom. ag. als fem. nom. ag. zur Seite
stehen, oder, wenn auch das entsprechende msc. fehlt, die gleiche Bedeutung
haben:


  • garaznōn- fem. zu garaznan-,
  • arbjōn- fem. zu arbjan-,

[94]a. Declination der Nomina.
  • unvaurstvōn- (Müssige), fem. zu vaurstvan-,
  • daura-vardōn- neben daura-varda fem. zu daura-varda- msc.;
  • gamarkōn- (Grenznachbarin) zu marka;
  • malōn- (Motte) zu malan;
  • vinþi-skaurōn- (Wurfschaufel).

Es ist von vornherein klar, dass hier nicht unmittelbar ein Suffix -an- zu
Grunde liegen kann, denn an diesem konnte ein Genusunterschied ursprünglich
nicht ausgedrückt werden, daher denn im Griechischen ἡ ἀηδών, ὁ und ἡ ἀρηγών.
Sollte das Femininum kenntlich gemacht werden, so konnte es nur durch ein
neues Suffix geschehen, griech. τέκταινα zu τέκτων u. a., skrt. râǵńī d. i. *râ-
ǵan-jā
zu râǵan-. Das ist im Gotischen nicht geschehen, jene gotischen Femi-
nina sind also germanische Neubildungen, und zwar, wie mir unzweifelhaft scheint,
Analogiebildungen: wie dem msc. auf -a ein fem. auf gegenübersteht, vgl.
daura-varda- msc. zu daura-vardā fem., so stellte die Sprache neben das alte
-an- ein jüngeres -ān-, d. i. -ōn-. Das Bedürfniss, besondere Bezeichnungen für
das femininale nom. ag. zu haben, ist in den Sprachen, wie es scheint, über-
haupt jüngeren Ursprungs: die ältesten Verwandtschaftsnamen auf -tar- unter-
scheiden die Genera nicht; das Slavische hat neben dem aus älterem -tar- der
nom. ag. weiter gebildeten msc. -tarja-, nom. sg. -teljĭ (da-teljĭ, dator), kein fem.,
obwohl es ganz einfach gewesen wäre, das entsprechende Femininum *dateljā zu
brauchen; das Griechische und Sanskrit verwenden -jā zur Femininalbildung,
δότειρα, dātrī = *dātarjā, lateinisch wieder -īc-, sodass die Sprachen weder ein
völliges Durchführen des Genusunterschiedes zeigen noch in der Formation des
fem. übereinstimmen. Im Germanischen werden alte Feminina auf mit dem
Sinne eines nom. ag. wie -vardā zur Bildung der -ān-formen beigetragen haben:
man hatte also alte nom. ag. auf -a msc. gen. (-varda-), eine weit grössere An-
zahl dagegen von solchen in der Sprache lebendig empfundenen auf -an-, jenen
entsprechend fem. auf , und schuf zu diesen dann die conformen auf -ān-.


2. Eine weit zahlreichere Classe besteht aus Abstracten und zwar


a) Verbalabstracten:


  • armaiōn- zu arman, das Erbarmen,
  • brinnōn- zu brinnan, Fieber, eigentl. «Brand»,
  • driusōn- zu driusan, Abhang, eigentl. «Fall»,
  • reirōn- zu reiran, Zittern,
  • rinnōn- zu rinnan, Bach, vgl. Fluss: fliessen,
  • vinnōn- zu vinnan, Leiden

u. s. w.


b) von Adjectiven:


  • fullōn- Fülle zu fulla-,
  • heitōn- Hitze, Fieber, zu einem Adjectiv * heita-,
  • aglōn- zu agla-, Trübsal,
  • gariudjōn-, Ehrbarkeit, zu gariuds, Stamm -riuda-.

Dass in dieser Kategorie von Worten dasselbe Suffix oder -jā ursprünglich
[95]ii. Die Casus des Plurals.
sei, welches solche Abstracta in allen indogermanischen Sprachen bildet (φυγή,
ἐλευϑερία), wird uns geneigt machen, die Entwicklung des -ān- auch hier
für specifisch germanisch zu halten. Es fragt sich nur, ob wir auch hier die Ver-
anlassung zu dieser Weiterbildung mit -n- nachweisen können. Der Entschei-
dung lässt sich nur nahe kommen, wenn man zugleich die Feminina auf -ein- in
Betracht zieht; sie sind viel zahlreicher und entsprechen den Abstracten anderer
Sprachen auf -.


Diese Feminina auf -ein-, ihre Zahl ist c. 100, sind mit Ausnahme von
aiþein-, kilþein-, hvairnein-, þramstein-, marein- sämmtlich Abstracta zu Adjec-
tiven oder vereinzelter zu Substantiven (wie godein- zu goda-, vitvodein- zu vit-
vodja-
oder vitvod-). Nun vergleiche man folgende Stellen:


Phil. 2, 1: εἴ τινα σπλάγχνα καὶ οἰκτιρμοί — jabai hvo mildiþo jah gablei-
þeino
, also nom. sg. gableiþeins, St. gableiþeini-, anzusehen als Verbalabstractum
zu gableiþjan sich erbarmen.


Röm. 12, 1: διὰ τῶν οἰκτιρμῶν — þairh bleiþein guþs (im Got. steht der
acc. sg.); Col. 3, 12: ἐνδύσασϑε … σπλάγχνα οἰκτιρμῶν, χρηστότητα — ga-
hamoþ .... brusts, bleiþein, armahairtein (im Got. der Text abweichend, über-
setzt ist der acc. sg.); II. Cor. 1, 3: ὁ πατὴρ τῶν οἰκτιρμῶν — atta bleiþeino.
Nach den Formen dieser drei Stellen könnte man mit vollem Rechte als nom. sg.
bleiþeins, St. bleiþeini-, Verbalabstractum zu bleiþjan ansetzen, und ich sehe
allerdings gar keinen Grund ein, warum man das nicht thut. Es findet sich zwar
der nom. sg. bleiþei, St. also bleiþein-, einmal Gal. 5, 22, übersetzt aber dort
nicht οἰκτιρμοί, sondern ἀγαϑοσύνη, ist also Abstractum zum Adjectiv bleiþs,
St. bleiþja- und gedacht wie das griechische Wort im Verhältniss zu ἀγαϑός.
Die Bedeutungsverschiedenheit, wenn auch nicht gross, berechtigt entschieden,
zwei Worte: bleiþei und bleiþeins anzunehmen, während die Lexica nur bleiþei
neben gableiþeins aufführen; belehrend ist aber, dass GaLö den nom. als ga-
bleiþei
ansetzen und gableiþeins mit einem Fragezeichen dazu stellen. Das näm-
lich zeigen die angeführten Stellen klar, dass der Bedeutungsunterschied zwischen
einem Verbalabstractum auf -eini- von schwachem Verbum auf -jan- und einem
Abstractum auf -ein- zu einem Adjectivstamm sehr gering sein und man, wo
nur einzelne Formen überliefert sind, in Verlegenheit sein kann, wie Stamm
und Nominativ zu bestimmen. Das Zusammenfallen der Bedeutung wird fast
jedesmal dann stattfinden, wenn in der Sprache ein Adjectiv und ein davon ab-
geleitetes schwaches Verbum neben einander vorhanden sind. Dass dies nicht
bloss in der Theorie als möglich gedacht werden kann, sondern wirklich vor-
kommt, lässt sich aus dem Gotischen leicht nachweisen:


Joh. 10, 33 muss man wegen des gen. vajamereins den nom. sg. als vaja-
merei
(βλασφημία), folglich als St. vajamerein- ansetzen, und als Grundlage ein
wie vaila-mers, St. -merja-, gebildetes *vajamers annehmen; Marc. 7, 22 steht
aber der nom. sg. vajamereins, folglich St. mereini-, als Verbalabstractum zu
vajamerjan, das wirklich vorkommt; die Bedeutung ist ganz dieselbe. Ebenso
verhält es sich mit vitvodein- und vitvodeini-, ersteres auf vitvods, letzteres auf
vitvodjan zu beziehen. Gerade so gut aber, wie es hier einerlei war, welche
[96]a. Declination der Nomina.
Bildung angewendet wurde, musste es einerlei sein in manchen Fällen, wo uns
nur eine Form überliefert ist: z. B. ein * filuvaurdeins (Geschwätz) zu filuvaurd-
jan
könnte keinen andern Sinn gegeben haben, als filuvaurdei zu einem Adjec-
tivum St. * filu-vaurda- (vgl. lausa-vaurda-), *faurhteins zu faurhtjan nichts andres
bedeuten als faurhtei zum Adj. faurhta-. Einzelne Ansetzungen von Nominativen
sind ganz willkürlich, z. B. 2. Cor. 7, 11 wird nach dem acc. unverein (ἀγανά-
κτησιν) der nom. als unverei angesetzt und dazu ein Adjectiv-Stamm * unverja-
angenommen, aber mit demselben Rechte kann man nom. unvereins annehmen
als Abstractum zu unverjan, wie es Schulze (Glossar) und GaLö wirklich thun.


Es ist klar, dass da, wo das Verbum ein ausgeprägt transitives oder facti-
tives ist, ohne Object nicht wohl gedacht werden kann, das Abstractum des Ad-
jectivs den Zustand, das des Verbums die Thätigkeit ausdrückt, so bei garaihtei,
Gerechtigkeit, zum Adj. garaihta-, dagegen garaihteins, Rechtsertigung, zu ga-
raihtjan
, rechtfertigen (vgl. 2. Timoth. 3, 16 πρὸς ἐπανόρϑωσιν, πρὸς παιδείαν
τὴν ἐν δικαινσύνῃ — du garaihteinai, du talzeinai in garaihtein), ebenso svikneins,
Reinigung, sviknei, Reinheit, hauheins, Erhöhung, hauhei, Höhe u. s. w. Das
Factum bleibt trotzdem bestehen, dass in sehr vielen Fällen die Abstracta der
Adjectiva sich von den Verbalabstracten auf -ni- in der Bedeutung nicht unter-
scheiden, und beide Classen promiscue gebraucht werden können.


Noch auf eine andere Thatsache muss hingewiesen werden. Wenn z. B.
Leo Meyer zu dem Abstractum gafraþjein- ein Adjectivum *gafraþja- hypothe-
tisch ansetzt, so geschieht das nach dem vorhandenen z. B. grinda-fraþja- (klein-
müthig), jenes wie dieses ein Bâhuvrhi (Verstand, fraþi, St. fraþja-, mit habend);
ein ebenfalls mögliches * gafraþeini- zu gafraþjan (verständig sein) würde das-
selbe bedeutet haben. In derselben Weise kann man auch zu andern Beispielen
die Adjectiva erschliessen. Wie verhält es sich aber mit gaaggvein- (gaagvein-,
Beengung)? Hier wird man doch schwerlich ein Adjectiv *ga-aggvja- = aggvu-
erschliessen wollen, wobei die geforderte transitive Bedeutung nicht einmal her-
auskäme, sondern wird das Wort einfach als Verbalabstract zu gaaggvjan
ansehen, es also für gleichbedeutend mit einem etwaigen *gaaggveini- halten.
Damit hätten wir wenigstens ein Zeugniss, dass nicht bloss Bedeutungsgleichheit
einen unterschiedslosen Gebrauch der beiden Wortclassen veranlassen konnte,
sondern auch ein Uebergang der Form von einer in die andere möglich war.


Auf Grund der gegebenen Thatsachen möchte ich die Hypothese aufstellen,
dass die schwache Declination der fem. auf ursprünglich - (Abstracta zu Ad-
jectiven) veranlasst wurde durch eine Vermischung mit den Verbalabstracten auf
-eini-. Es muss dabei nur erklärt werden, warum jene nicht einfach die Formen
dieser i-stämme annahmen, sondern consonantisch behandelt wurden. Auch da-
für wird sich ein zureichender Grund finden lassen. Folgende Sätze scheinen
mir darauf hinzuführen:


1. Die uns erhaltenen gotischen Bildungen mit Suffix - haben bekanntlich
den nom. sg. auf -i bei langer Wurzelsilbe und wenn andere stammbildende
Suffixe dem - vorangehen, bandi, hulundi, und unterscheiden auf diese Weise
den nom. vom acc. bandja. Diese Contraction muss älter sein als das Wirken
[97]ii. Die Casus des Plurals.
der Auslautsgesetze, denn hätten diese den nom. als * bandjā vorgefunden, diesen
zu * bandjă verändert, wie der Accusativ * bandjān zu bandja wurde, und wäre
dann erst die Contraction eingetreten, so ist es unverständlich, warum nicht nom.
und acc. gleich behandelt sind, da die Sprache doch beim fem. a-stamm die
beiden Casus nicht scheidet (nom.-acc. giba). Wir haben also ein *bandi aus
* bandjā, vor dem Wirken der Auslautsgesetze entstanden, als nom. einem acc.
* bandjān gegenüberzustellen.


2. Mit Ausnahme von hlasei zu hlasa-, frijei zu frija-, latei — lata-, afgudei
— afguda-, inahei — inaha-, unagei
zu einem zu erschliessenden *unaga-, faihuf-
rikei
zu faihufrika- (anaviljei und gafraþjei zu den Adjectivst. -vilja- und -fraþja-)
sind alle andern Adjectiva, die den Abstracten zu Grunde liegen, der Art, dass
sie entweder lange Wurzelsilbe haben oder mehrere Bildungssilben nach der
Wurzel (vgl. das Verzeichniss bei Leo Meyer, Gr. Spr. § 465), also von allen
diesen uns vorliegenden Beispielen musste der nom. sg. eines Abstractums auf
-- einmal den Auslaut -ī haben, z. B. * faurhtei, * handugei, oder, um durch
die gotische Schreibweise nicht irre zu führen, * faurhtī u. s. w.


3. Wenn sich nun, wie oben ausgeführt, die Sprache daran gewöhnte, eine
grosse Anzahl derartiger Bildungen promiscue mit den Verbalabstracten auf -eini-
zu gebrauchen, so war damit der Grund zu einer Heteroklisie gelegt. Es konnte
z. B. ein acc. * faurhteinin, der zu * faurhteinis gehört, zugleich als zu * faurhti
beziehbar empfunden werden, umgekehrt aber auch natürlich ein acc. *faurhtjān
zum nom. *faurhteinis. Dass nun die letztere Möglichkeit keine Spuren hinter-
lassen hat, liegt offenbar darin, dass das erst im Germanischen zu starker An-
wendung gekommene -ni- in seiner ganz einseitigen Bedeutung lebendiger em-
pfunden wurde, als das auch andern Zwecken dienende --, wie sich überhaupt
unmittelbar auf Verba zurückgehende, ihre verbale Natur gewissermassen halb
bewahrende Abstractbildungen immer in den Sprachen die grössere Beweglich-
keit und Sinnlichkeit bewahren. Mit einem Worte also: der nom. sg. * faurhti
verlor seine Casus obl.; dieser Verlust ist weniger gross, als es scheinen möchte,
wenn man bedenkt, dass die Plurale von den allermeisten dieser Abstracta kaum
je vorkommen können, dass von den cass. obl. des Singulars aber der acc. in
der Häufigkeit der Anwendung den gen. und dat. bei weitem übertreffen muss,
sodass in der That auf die Accusativform das grösste Gewicht zu legen ist, und
von ihr die weitere Entwicklung abhangen wird; vgl. Grimm, Gr.3 p. 544, wenn
auch in etwas anderer Beziehung: «Uebergänge veranlasste schon im Gothischen
der gleichlautende acc. sg. beider Declinationen.» — Nach der Wirkung des con-
sonantischen Auslautsgesetzes entstand der acc. *fauhrteini, die Nominative
*faurhti, *faurhteinis blieben noch unberührt. Nun wurde durch das vocalische
Auslautsgesetz der acc. *faurhteini zu faurhtein, der nom. *faurhti hätte zu *faurhti
werden sollen. Diese Verkürzung wurde verhindert durch die Zugehörigkeit der-
selben im Sprachgefühl zum acc. faurhtein, oder was auf dasselbe hinausläuft,
dieses schuf zu dem acc. faurhtein einen entsprechenden neuen Nominativ, wel-
cher der alten Form gleich war, d. h. den nom. eines n-stammes, während bei den
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 7
[98]a. Declination der Nomina.
übrigen Worten auf altes die lautlichen Processe ohne Aufenthalt wirkten, da-
her bandi u. s. w. entstand.


Noch ein anderer Umstand mag dabei mitgewirkt haben oder sogar noch
stärker wirksam gewesen sein: im Gotischen haben wir eine beträchtliche An-
zahl von Adjectivabstracten auf Suffix ja- gen. ntr., zum Theil neben der femi-
ninalen Form, nom. sg. -ei, z. B. aglaiti — aglaitei, barniski — barniskei, lausa-
vaurdi — lausavaurdei
, ausserdem azeti, biuhti, unhaili u. s. w. Die Feminina
auf -i wie * fauhrti mussten nun bei dem regelmässigen Entwicklungsgange im
nom. sg. mit den Neutris zusammenfallen: *faurhti fem. = unhaili ntr. Das
konnte ganz wohl eine Flexion dieser Feminina als Neutra nach sich ziehen und es
ist möglich, dass unter diesen Neutris einige Feminina stecken. Das Gefühl für
das Femininum konnte aber nicht verloren gehen, weil die Feminina von Anfang
an in der Ueberzahl vorhanden waren und umsoweniger wegen ihrer Vermi-
schung mit den stets femininalen Verbalabstraten auf -eini-. Man konnte also
sehr leicht dazu kommen, die entstandene Heteroklisie wieder auszugleichen
durch Neubildung eines Nominativs zu acc. faurhtein, diesen aber der Form nach
möglichst nahe dem nach regelmässigen Entwicklungsgange entstehenden anzu-
schliessen, was wieder nur faurhtei giebt. Aus dem nom. und acc. resultirt dann
die übrige Flexion.


4. Die Bestätigung, dass der ganze Wandel in die consonantische Declination
hinein von der Bedeutung abhängig gewesen ist, scheint mir die Betrachtung der
übrigen Feminina auf zu geben. Unter den in die consonantische Declination
übergetretenen sind nur fünf, die oben genannten aiþei (Mutter), kilþei (Mutter-
leib), hvairnei (Schädel), marei (Meer), þramstei (Heuschrecke), nicht Abstracta
von Adjectiven, dagegen unter den der vocalischen Declination verbliebenen 32
Beispielen auf - befindet sich nur ein erkennbar von einem Adjectiv abgeleitetes
Abstractum: sunja zu Adj. sunja- (wahr), und das ein solches, wo wegen der
Kürze des Wurzelvocals die Wandlung zu i nicht eintrat. Hinge die Entstehung
der schwachen Declination hier nicht mit der Bedeutung zusammen, wie wird
es erklärlich, dass von den auf gebildeten Nominibus concreterer Bedeutung
wie þiudangardi, vasti, haiþi, die sich nicht unmittelbar auf Adjectiva beziehen,
nur jene 5 in die n-Dcclination übergingen, von den Adjectivabstracten nur ein
einziges, sunja-, nicht? Natürlich ist dies Verhältniss aufgestellt nach den uns
überlieferten Worten: es mag immerhin in der Sprache mehr Abstracta wie
sunja und noch einige Worte wie marei gegeben haben, aber wäre das Verhält-
niss nicht ungefähr so in dem Gesammtvorrath der Sprache gewesen, so könnte
es sich unmöglich in unserem Texte so zeigen, man müsste denn an einen der
wunderbarsten Zufälle glauben.


Kehren wir nun zu unserer zweiten Abtheilung, den fem. auf -ōn- zurück
und wenden das gefundene darauf an. Wie die abgeleiteten Verba auf -jan das
Abstractum auf -eini-, die auf -ai- im Verbalstamm solches auf -aini- entwickeln,
so haben zwar die Verbalstämme auf -ō- eins auf -ōni-, aber ein Verhältniss der
letzteren zu den fem. auf -ōn-, wie das der Verbalabstracta auf -eini- zu denen
auf -ein- lässt sich hier nicht herstellen, die auf -on- kommen vielmehr von
[99]ii. Die Casus des Plurals.
andern Verbalstämmen her, (so driusōn- — driusan, reirōn- — reiran, rinnōn-
rinnan
). Ein solches Verhältniss ist aber auch zur Erklärung nicht nöthig:
nehmen wir an, dass hier das Suffix ursprünglich -ā war wie bei jenen -, so
konnte sich ganz wohl eine Analogie aus den letzteren für die ersteren bilden,
oder in einer Proportion ausgedrückt * faurhtjā: faurhtei = * driusā: driusō
und die wenigen Abstracta dieser Bildung von Adjectiven wie *fullā fielen wegen
der Bedeutungsähnlichkeit mit hinein. Es braucht nur noch hinzugefügt zu
werden, dass Fälle wie viduvō, tuggō, die eine dritte Classe bilden würden, der
wir aber aus den verwandten Sprachen -ā mit Sicherheit als ursprünglich zu-
weisen können, der einmal eingetretenen Neigung nachgegeben haben (wie
marei u. a. in der andern Classe).


Also, worauf es uns hier ankommt, das n der schwachen Declination der
Feminina beruht nicht auf einem altererbten n vor dem Suffix des gen. plur.,
sondern in diesem Casus wie in allen andern auf secundär im Germanischen
aus den alten nom. ag. auf -an- und den Verbalabstracten auf -eini- entwickelten
n-stämmen. Zu Grunde liegen immer ā- oder -stämme, und das erklärt es,
warum im Gotischen der gen. plur. ō und nicht ē hat. In den germanischen
Dialekten, die im gen. plur. aller Feminina auf -ā, auch der nicht durch n er-
weiterten, -ōnō haben, ist dies demnach von den erweiterten, den n-stämmen
entlehnt, und dadurch wird es wieder erklärlich, warum das n gerade auf die
Feminina beschränkt ist, während es doch in den arischen Sprachen allen Genera
zukommt. Wir müssten schon, um diesen Unterschied zu erklären, annehmen,
im Germanischen hätten die msc. das n wieder aufgegeben, oder im Arischen
die Feminina es von den Masculinen entlehnt, welche beiden Annahmen sich
durch nichts würden begründen lassen.


Ich muss übrigens hinzufügen, dass der Gang der Entwicklung, wie ich ihn
dargestellt habe, an den Formen der übrigen germanischen Dialekte geprüft wer-
den muss und dadurch vielleicht die Anschauung modificirt wird. Ihre Grund-
lage, die Vermischung von Declinationsclassen, die Behandlung einzelner Formen
der Stämme auf -ni- als n-stämme halte ich für richtig; ein althd. nom. sg. ma-
nagin
ist auch nur vom i-stamm aus zu begreisen.


3. Dat. plur. und Instr. plur. des Slav.-lit.

Mit diesem Casus kommen wir zu einem Lautverhältniss, das für einen der
schlagendsten Gründe einer besonderen Einheit des Slavisch-litauischen und Ger-
manischen gilt, auf die Vertretung des bh in Casusendungen durch m. Im Sla-
vischen und Litauischen giebt es vier Casus der Art: instr. sg. -mi, mĭ, instr. plur.
mis, mī, dat. plur. preuss. -mans, lit. mus, slav. , germ. -m (aus -ms, vgl.
altn. vereinzelt erhaltenes -mr), dat. instr. dual. lit. -m, slav. -ma (d. i. -),
von denen die ersten drei auf die Grundformen bhi, bhis, bhjams zurückgeführt
werden, letzteres erschlossen aus der Vergleichung des preuss. -mans mit dem
arischen -bhjas und dem Dativsuffix des Singulars -bhjam; bhis in den arischen
7*
[100]a. Declination der Nomina.
Sprachen, bhi wenigstens in abhi, ἀμφί u. s. w. erhalten. Das -m, -mā des
Duals endlich ist zu vergleichen mit arischem -bhjām. Sicher ist, dass in keiner
der drei Familien sich sonst der Uebergang eines bh in m findet noch irgendwie
lautgesetzlich begründet ist. Man hat daher wohl das Recht zu fragen · ist trotz
der völligen Gleichheit der Function und der Aehnlichkeit der Form z. B. mis =
bhis. In den Mémoires de la société linguistique de Paris II, 213 hat A. Ber-
gaigne (Du prétendu changement de bh en m en paléoslave, en lithuanien et en
gothique) die Identität einfach in Abrede gestellt und mit Berufung auf Prono-
minalcasus wie slav. tomu, tomĭ = tasm-, tasmin behauptet, auch das m der
nominalen Casusendungen sei = sm und rühre also von einer Theilnahme der
Nominalstämme an dem Zwischensatz sm, sma her. Zur Widerlegung genügt
einfach die Bemerkung, dass im Preussischen, wo das Pronomen sm unversehrt
bewahrt (stesmu), die Endung des dat. plur. nur einfaches m hat. So sehr man
sich daher auch sträuben möchte, die Entwicklung eines bh zu m anzunehmen,
so bleibt doch nichts anderes übrig; damit wird aber die Verpflichtung nicht auf-
gehoben, nach einem lautlichen Grunde der so auffallenden Erscheinung zu
suchen.


Die Entsprechungen, wie sie oben gegeben wurden, sind nun nicht so glatt,
wie sie auf den ersten Blick aussehen: die Länge des ī im Slavischen im instr.
plur. ist sehr auffallend, - kann nicht einfach = bhis sein, dies hätte zu -
werden müssen, so gut wie z. B. naktìs zu nostĭ. Ferner ist, wenn wir die pro-
nominale Declination herbeiziehen, der dat. sing. pers. II. und III. slav. tebě, sebě,
preuss. tebbei, sebbei, sicher in te-bě u. s. w. zu zerlegen, das Suffix im letzten
Grunde mit -bhjam verwandt, und doch ist hier bh nicht zum m geworden. Nun
werden wir bei der Besprechung der Personalpronomina sehen, dass tebě, tebei
in die Analogie einer vocalischen Declination übergegangen sind, der Auslaut auf
-*bai, nicht auf -bh(j)am beruht; ein dem bhjam-s als Plural entsprechendes
Singularsuffix bhjam fehlt dem uns überlieferten Zustand des Slavisch-litauischen.
Sicher ist aber, dass sich bhjam-s zu -bhjam genau so verhält, wie bhi-s zu bhi,
s
Zeichen des Plurals ist; demnach muss eine Singularendung -bhjam einmal
allgemein indogermanisch gewesen sein, so gut wie man das für -bhi annehmen
muss. Fragen wir jetzt, wie die Länge im slavischen instr. plur. - entstanden
sein kann, so bleibt, da an einen Ursprung aus ai hier nicht gedacht werden
darf, nur eine Möglichkeit, die Entstehung aus einer nasalen Silbe, also aus
* mins oder * mims (vgl. acc. plur. noštī), damit kämen wir also auf eine dem
*bhjams entsprechende Grundform *bhims, aus der im Litauischen nur *-mīs, ver-
kürzt -mis, im Slavischen nur - werden konnte. Dem *bhims als Plural würde
ein * bhim, analog dem *bhjam, als Singularsuffix entsprechen, aus dem litauisch
wie slavisch nur der Auslaut i, ĭ hervorgehen kann. Den Nasal in der Dual-
endung zeigt das arische *bhjām. Giebt man diese Ansetzungen, denen lautlich
nichts im Wege steht, zu, so ist damit, glaube ich, eine Erklärung des m ge-
funden, dasselbe beruht auf einer Angleichung des Anlautes des Suffixes an
dessen Auslaut, wie dergleichen ja sonst häufiger vorkommt. Ganz ohne Stütze
ist dabei nur die Ansetzung des * bhim, denn das griech. φιν zur Vergleichung
[101]ii. Die Casus des Plurals.
herbeizuziehen, ist bei der beweglichen Natur des n zu unsicher, aber man wird
zugeben, dass es immerhin eine plausible Conjectur ist.


Die Entwicklung hätte sich demnach im Slavisch-litauischen so gestellt:

Ist diese Auseinandersetzung zutreffend, so ist sie für das Deutsche nicht
ohne Wichtigkeit, das m seines dat. plur. wäre dann beweisend für eine ur-
sprüngliche Form der Endung als * mams, denn nur so würde sich nach unserer
Auffassung m = bh erklären. Weder in den arischen Sprachen, noch in den
südeuropäischen findet sich vom Nasal in dem Suffixe eine Spur, bhjas ist die
letzte Form, die für sie zu finden ist. Aus den altnordischen dat. plur. tveimr
und þrimr wissen wir, dass s erst in der Entwicklung des Germanischen abge-
fallen ist, dass * vulfam zunächst auf *vulfam-s, dies auf *vulfamas zurückgehen
muss, und es ist klar, dass es zu den Auslautsgesetzen besser stimmt, wenn
* mas unmittelbar = bhjas zu Grunde gelegt, als wenn eine Grundform * mams,
*mans
angenommen wird, da-*mas unmittelbar zu -ms führt, *-mans nur durch eine
lautgesetzlich nicht zu begründende stärkere Verstümmelung. Indess wäre selbst,
wenn man von *-mas = -bhjas ausginge, der Abfall des auslautenden s doch etwas
irreguläres, und wir dürfen daher wohl auch annehmen, dass bei der Ansetzung
von *mams = *bhjams eine nicht regelrechte Einbusse von Lauten, zunächst zu *mas,
dann zu *ms, -m stattgefunden hat. Die Uebereinstimmung mit dem Slavisch-lit.
läge dann in zwei Punkten: Erhaltung des ursprünglichen Nasals vor dem s und
Wandlung des bh in m, während in allen andern Sprachen der Nasal fehlt und
bh als momentaner Laut (bh, b, φ) erhalten ist. Nach den geltenden Regeln der
Vergleichung muss man geneigt sein, die Form -*mams für das Germanische,
Slavische und Litauische einer gemeinsamen Entwicklung zuzuschreiben, obwohl
sich natürlich nicht beweisen lässt, dass die von uns angenommene Assimilation
nicht auch in jeder Sprachfamilie für sich vorgenommen sein kann.


Ein Punkt ist bisher unerwähnt geblieben, die Abweichung des Germa-
nischen wie Slavisch-litauischen von den arischen Sprachen im Mangel des j
nach bh, m des dat. plur. Zwar findet man in Schleichers Comp.3 573 die Mei-
nung ausgesprochen, dass jenes j einer verwandten Casusendung, des dat. dual.
-bhjām, sich noch erhalten habe im russischen dat. plur. der Zahlworte 2, 3, 4,
dvumja, tremja, četyrmja, allein das ist ein Irrthum, wie ich im «Archiv für slav.
Phil. I, 56» gezeigt habe; die Formen sind ganz jungen, speciell russischen Ur-
sprungs, entstanden durch eine Ausgleichung der Declination jener drei Zahl-
worte; tremja ist = tremi-a, d. h. instr. tremi (ab. trĭmi) mit Anfügung des a
vom alten Dual dvěma; weil so die Lautgruppe ja secundär ist, fehlt auch das
[102]a. Declination der Nomina.
sonst nothwendige sogenannte euphonische l zwischen m und j, das sonst noth-
wendig ist, vgl. zem-l-ja für älteres zem-ja. Das nähere s. a. a. O. Also wir
haben in der That keine Spur des j im Slavisch-litauischen weder im Plural noch
im Dual, und können nur annehmen, dass es bereits in alter Zeit verloren ge-
gangen ist, wieder eine Erscheinung, die sonst in diesen Sprachen nicht vor-
kommt.


Auf den Dativ plur. beschränkt sich die Vergleichung des Germanischen
mit dem Slavisch-litauischen in Bezug auf die mit bh anlautenden Casussuffixe.
Der instr. plur. des Slavisch-litauischen ist aber hier mit zu erwähnen, weil seine
Formen sich nahe mit den arischen berühren: lit. -mis, slav. ist die Endung
bei allen Nicht-ă-stämmen, im Slavischen ausserdem beim Pronomen (těmi), da-
gegen haben die ă-stämme und im Litauischen auch das Pronomen msc. gen.
ganz eigenthümliche Formen: slav. vlŭky, lit. vilkais, tais. Die Zusammenstel-
lung des letzteren mit dem skrt. vrkāis ergiebt sich so sehr von selbst, dass es
keiner Verweisungen auf die vergleichenden Grammatiken bedarf, in denen sie
gemacht ist. Bekanntlich wird vrkāis aus * vrka-bhis oder vrkēbhis (der vedi-
schen Form neben -āis) durch Ausfall des bh erklärt, dem entsprechend bei
Schleicher, Comp.3 566 lit. vilkais aus * vilka-mis mit dem Zusatze: «wäre der
Ausfall des m alt, so wäre * vilkës entstanden», ebenso slav. vlŭky aus *vlŭkŭmī,
vlŭkŭ-i
mit Contraction der Vocale. Dass der Ausfall eines m zwischen Vocalen
im Slavisch-litauischen etwas unerhörtes ist, bedarf keines weiteren Beweises,
man begreift ihn umsoweniger, als alle instr. plur. der anderen Stämme auf mis,
mit vorhergehendem Vocal auslauten, die Form der a-stämme also diesen ganz
analog war, während im Slavischen die Entstellung zu y das Zusammenfallen mit
dem acc. plur. vlŭky zur Folge hatte, und daher die Form in den modernen sla-
vischen Sprachen meist wieder aufgegeben und durch neue Analogiebildungen
ersetzt ist (vgl. das schon angeführte russische volkami, dem ženami nachge-
bildet). Der gleiche Grund lässt sich auch gegen die Herleitung des skrt. vrkāis
aus * vrka-bhis oder vrkēbhis anführen, und ich glaube in der That, dass die
beiden Formen nicht aus einander entstanden sind. Wenn man aber dabei
bleiben will, dass ein Ausfall von bh stattgefunden, so muss man ihn nach allen
Gesetzen der Vergleichung für proethnisch halten. Was Schleicher für die Nicht-
alterthümlichkeit des lit. ai anführt, trifft nicht zu, denn es wird nicht jedes ai
in Endsilben zu ë, nom. plur. heisst es vilkai, obwohl im Pronomen = preuss.
s-tai, also wenn z. B. gen. sg. *akais (von akìs) zu akë́s wird, braucht darum
nicht vilkais zu *vilkës zu werden. Ausserdem liegt eine innere Nothwendigkeit,
-ais aus -ă-bhis oder -ai-bhis abzuleiten, nicht vor, haben wir doch m Singular
zwei indogermanische Instrumentalsuffixe ā und bhi; warum sollte das im Plural
nicht ebenso gewesen sein? Also wir können, wenn wir durch nichts zu recht-
fertigende Gleichsetzungen vermeiden wollen, nur auf eine Doppelform: *var-
kāis
und *varkaibhis kommen. Dass ā in * varkāis lang ist, geht aus dem San-
skrit hervor, wäre es kurz gewesen, so würde hier *vrkēs stehen.


Sollte nun nicht dies āis zum Singularsufflx ā sich ebenso verhalten, wie
bhis zu bhi, oder *bhjams zu bhjam oder acc. plur. a-ns aus *am-s zu -a-m, d. h.
[103]ii. Die Casus des Plurals.
s das Zeichen des Plurals sein? Wenn es richtig ist, was doch schwerlich zu
bezweifeln, dass wir den gen. sg. der i-stämme skrt. avēs = *avais im letzten
Grunde auf *avaj-as zurückführen müssen, und die Verwandlung des letzteren
zu * avais sich zum Theil wenigstens in der Grundsprache vollzogen hat, so ist
die Möglichkeit vorhanden, instr. *varkāis auf *varkājas zurückzuführen, die
Länge des ā erklärt dann genügend, dass das entstandene āi nicht weiter skrt.
zu ē, lit. zu ë wurde, obwohl, wie wir sahen, für das Litauische diese Hülfe
nicht nöthig ist. Das erschlossene *varkājas möchte ich nun auflösen in * varkā-
j-as
, d. h. *varkā enthält das Suffix des instr. sg. -ā, -as ist das Pluralzeichen,
j jener Zwischensatz, von dessen Ursprung und eigentlicher Natur wir bis jetzt
nichts wissen. Dass aber -as neben -s Pluralsuffix ist, bedarf keines weiteren
Beleges. Die Sache verhielte sich also, auf die einzelnen Sprachen angewendet,
dass in den arischen Sprachen beide pluralischen Instrumentalsuffixe bei den
a-stämmen sich erhalten haben, im Litauischen nur das eine, ähnlich wie in den
arischen Sprachen im Singular nur ā erhalten ist, im Litauischen sowohl ā (beim
sem.) wie bhi (mi).


Die grösste Schwierigkeit bei dieser Form auf -āis besteht aber darin, von
ihr aus auf die slavische Gestalt -y zu kommen. Ein y kann von den slavischen
Lautgesetzen aus betrachtet sein = urspr. ؛, = urspr. -uns, = -uns aus urspr.
-ans, was alles hier ausgeschlossen ist. Endlich kann es aus einer Contraction
von ŭ-i (ī oder ĭ) hervorgehen, z. B. vyną = vŭ iną (in einem fort); dieser Vor-
gang ist eigentlich so zu denken, dass ŭ vor dem i (wie vor j) gedehnt wird (es
wird daher auch vyiną geschrieben) und das i im y aufgeht. Zunächst müsste
man nun, um aus āis auf y = ŭ-i zu kommen, annehmen, dass āi kein wirk-
licher Diphthong gewesen, sondern = ā-i mit Hiatus, was zwar nicht unmöglich,
aber unwahrscheinlich ist. Setzen wir indess so an, so ist es leicht denkbar,
dass im Slavischen, das in älterer Zeit eine absolute Abneigung gegen unmittel-
baren Zusammenstoss von Vocalen hat, ein *-ājis entstanden wäre, man könnte
dafür selbst auf das angenommene *-ājas zurückgehen. Nach den bekannten
Lautgesetzen würde daraus -*ājĭ werden. Will man aber noch weiter gehen
und eine alte Verkürzung zu -*ăjis ansetzen, so hätte daraus bei der bekannten
Neigung der ă-stämme ihr ă in o zu wandeln und der zuweilen dafür eintreten-
den Schwächung zu ŭ (vgl. instr. sg. vlŭkŭmĭ und vlŭkomĭ) ein *ŭjĭ hervorgehen
können und mit der Dehnung des ŭ zu y * yjĭ. Weiter kann man aber nicht kom-
men; denn nun müsste man weiter den Abfall des ĭ annehmen, um zu yj, y zu
gelangen, und ein solcher widerspricht durchaus dem Auslautsgesetze. Wo so
viele dem sonstigen Gange der Entwicklung widersprechende Vorgänge anzu-
setzen sind, um von der vorausgesetzten Grundform auf die vorliegende zu
kommen, ist immer die Wahrscheinlichkeit grösser, dass die ganze Annahme in
dieser Gestalt unrichtig ist, dass also -y gar nicht direct auf -āis zurückgeht, und
ich bin überzeugt, dass jeder Versuch einer solchen Zurückführung unnütz ist,
dass man entweder auf eine Erklärung verzichten oder sie auf einem anderen
Wege suchen muss. In der gesammten uns bekannten Entwicklung des Sla-
vischen kann man mit Sicherheit darauf rechnen, dass, wo eine Form nicht auf
[104]a. Declination der Nomina.
die für die betreffende Stammclasse geltende Grundform lautgesetzlich zurück-
geführt werden kann, sie einer andern Stammclasse entlehnt ist, also auch für
den instr. plur. auf -y ist das wahrscheinlich. Nehmen wir die ganz regel-
mässige Entwicklung eines alten *varkāis, so würde dieselbe zu * vlŭci geführt
haben, also die Form mit dem nom. plur. zusammengefallen sein, oder zu *vlŭcě
= dem loc. sg., Grund genug, die Form durch eine deutlichere zu ersetzen. Nun
lautet der instr. plur. der u-stämme synŭmi und syny, ersteres ganz sicher iden-
tisch mit s؛nubhis, lit. s؛numìs, letzteres der Form der a-stämme gleich und auf-
gefasst als innerhalb des Slavischen später diesen entlehnt, wie denn sonst diese
Entlehnung vorkommt (gen. syna u. s. w.). Hier beim instr. sg. liegt aber die
Sache so, dass die Formen auf -ŭ-mi in den ältesten Quellen auch bei den a-
stämmen erscheinen (s. Miklos., Vgl. Gr, III, 16), also z. B. vlŭkŭmi, was einer
Grundform * varka-bh- entspricht; a- und u-stämme stehen sich also in diesem
Falle ganz gleich; und es lässt sich wenigstens nicht beweisen, dass y ursprüng-
lich allein den a-stämmen zukam, syny nicht schon auch eine ältere Form der
u-stämme ist. Wenn das aber der Fall ist, so geht es auf * s؛nvāis zurück und
daraus kann nachweisbar syny entstehen: wurde zu ؛, d. h. slav. y, wie in
četyrije, vgl. skrt. čatvāras, chytiti neben chvatiti, kyselŭ neben kvasŭ, also aus
*s؛nvāis zunächst *s؛n؛is, daraus *synyĭ und mit dem Aufgehen des i in y, wie
sonst, y, syny. Davon aus ist dann die Form auf die a-stämme übergegangen,
die Entsprechung des alten *varkāis, lit. vilkais verloren.


4. Accusativus pluralis.

Eine blosse Zusammenstellung genügt, um die gleiche Bildung unserer drei
Familien darzuthun, zugleich aber auch zu zeigen, dass darin nichts abweichen-
des von den übrigen indogermanischen Sprachen vorkommt:


  • i-st. lit. naktìs = naktins,
  • slav. noštī = * naktins,
  • got. mahti-ns,
  • u-st. lit. s؛nùs = s؛nuns,
  • slav. syny = *sununs,
  • got. sununs.

In keiner der drei Familien ist ein ursprünglicher acc. plur. der consonan-
tischen Stämme vergleichbar erhalten, da das Slavisch-litauische bei diesen den
acc. plur. durch die i-form zu ersetzten pflegt.


  • msc. a-st. lit. vilkùs = vilkuns, aus *vilka-ns, -ans noch
    preussisch,
  • slav. vlŭky = * vilku-ns aus -a-ns,
  • got. vulfa-ns,
  • ntr. a-st. lit. verloren,
  • slav. iga = -ā,
  • got. juka = -ā,

[105]ii. Die Casus des Plurals.
  • fem. a-st. lit. rankàs = * rankā̆ns, preuss. noch -ans,
  • slav. rąky = * rankā̆ns,
  • got. gibōs.

Nur dies fem. bedarf einiger Worte zur Erläuterung. Man könnte versucht
sein, das lit. rankàs unmittelbar auf eine Grundform * rankās mit verkürzter
Endsilbe zurückzuführen, und sie so mit skrt. açvās, griech. χώρας unmittelbar
zusammenzustellen, demnach der Verlust des n für sehr alt anzusehen oder das
n als ursprünglich fehlend. Dem widerspricht das Preussische mit seinem acc.
plur. gennans und das slav. -y, das nur auf eine nasale Silbe zurückgeführt
werden kann. Es ist indess zu bemerken, dass im Litauischen der Verlust des
n älter sein muss, als die Trennung des Litauischen und Lettischen, denn wäre
ins Lettische noch *rankā̆ns übergegangen, so würde es zu *růkus geworden sein,
es heisst aber růkas, das bedeutet * rankās. Ein solches Schwinden des Nasals
in früher Zeit ist nun in der That etwas ungewöhnliches, in andern Fällen hat,
wie die Nachwirkungen auf den Vocal zeigen, auch das Lettische den Nasal
noch mit überkommen, z. B. acc. sg. růku = *rankan, lit. ranką. Dennoch
glaube ich, dass hier nur ein ausnahmsweise früher Ausfall des n anzunehmen
ist. Scherer will zwar (a. a. O. 428) das germ. -ōs auf ein ursprüngliches ā + as
zurückführen, das -as also wie bei den consonantischen Stämmen als Accusativ-
endung angesehen haben. Wenn man aber bedenkt, dass im Griechischen -ανς
dialektisch erhalten ist, dass im Oskischen -ass = ans erscheint, so halte ich es
kaum für gerechtfertigt, von einer indogermanischen Grundform auf -ās auszu-
gehen. Hätte speciell im Litauischen eine Form *rankās als acc. existirt, so
wüsste ich nicht zu erklären, warum diese anders behandelt wäre, als der nom.
* rankās, der zu rankōs nach der gewöhnlichen Regel wurde, während Ver-
kürzung auslautender nasaler Silben häufig ist. Wenn wir so für das Litauische
-āns ’als Grundlage für das wahrscheinlichste halten, so stimmen Litauisch und
Slavisch in diesem Punkte nicht zum Germanischen. Es scheint mir aber für
das letztere immer noch am wahrscheinlichsten, dass hier die Nominativform für
den acc. eingetreten ist, wie im sing. die beiden Casus zusammenfallen.


5. Locativus pluralis.

Dieser im Germanischen fehlende Casus sei hier nur erwähnt, um eine
litauische Eigenthümlichkeit gegenüber dem Slavischen als wahrscheinlich
speciell litauisch darzustellen. Während alle Sprachen, die diesen Casus haben,
bei den a-stämmen zwischen Stamm und Suffix -i- einsetzen: vrkēšu, açpae-šu
(-šva), ἵπποισι, vlŭcěchŭ, bei den übrigen das Suffix einfach an den Stamm an-
hängen, hat das Litauische bei a- und u-stämmen statt dessen n : vilkunsu (dar-
aus vilkůsu) aus älterem * vilkansu; * sununsu, daraus s؛nůsu. Dass man hier,
wie es geschehen ist, das n sucht, welches im Sanskrit zuweilen Stamm und
Endung trennt, ist nicht zu billigen, erstlich fehlt es sonst im Slavischen und
Litauischen ganz und gar, und steht zweitens im Sanskrit nie vor consonantisch
[106]a. Declination der Nomina.
anlautenden Casusendungen. Gegenüber der Uebereinstimmung der anderen
Sprachen in -ai- kann man in dem n nur eine litauische Neubildung vermuthen.
An ein Eindringen vom acc. plur. darf schwerlich gedacht werden, eine befrie-
digende Erkärung weiss ich aber nicht zu geben, umsoweniger, als aus den An-
gaben nicht zu entnehmen ist, wo und in welchem Umfange die Formen mit n
noch vorkommen. Nur auf eins möchte ich aufmerksam machen: in der älteren
Sprache, zum Theil auch jetzt noch im Hochlitauischen, in Ostlitauen aber sehr
verbreitet (vgl. Geitler, Lit. Studien p. 57) ist die Verbindung des acc. plur. mit
der Postposition -na (abgekürzt -n) zur Bezeichnung der Richtung, von den
Sprechenden, wie es scheint, geradezu als Casusform empfunden (von Bara-
nowski nach Geitlers Angabe als cas. impositivus bezeichnet). Es entsteht auf diese
Weise ein loc. plur. der Richtung auf ein scheinbares Suffix -sna (darbůs-na =
darbuns- aus darbans-, acc. plur. + na) neben einem loc. plur. der Ruhe auf
-su, -se, und es scheint mir nicht undenkbar, dass dieser sich an jenen angelehnt
und von ihm das -uns-, -ůs- angenommen habe. Da sich a- und u-stämme im
acc. plur. nicht unterscheiden, werden beide Stammclassen davon betroffen.
Es wird dieser Vorgang um so leichter eingetreten sein, als sich bei den übrigen
Stämmen der Vocal des acc. plur. in der Verbindung mit -na vom Vocal des loc.
plur. nicht unterscheidet: ausser der Verbindung mit dem -na heisst z. B. der
acc. plur. von dëna dënăs, loc. dëno-se(u), aber mit -na dënos-na, da bei der
Stellung im Inlaut die alte Länge in der Accusativsilbe unverkürzt bleibt. Von
i-stämmen stehen mir keine Beispiele der Verbindung mit -na zu Gebote, der
Unterschied könnte auch hier nur ein quantitativer sein, also * akys-na und aki-
se
(su). Man könnte also die Gleichung aufstellen, dënosna: dënosu = darbůsna:
darbůsu
, letzteres also die ersetzende Analogiebildung für das der slavischen
Form entsprechende *darbësu.


III. Die Casus des Duals.


Da im Germanischen der Dual der Nomina nicht erhalten ist, könnten wir
denselben hier übergehen, wenn nicht hervorzuheben wäre, dass die Casus des
Slavisch-litauischen eine überraschende Gleichheit mit denen der arischen
Sprachen zeigen.


Nom.-acc. dualis sind im Slavischen und Litauischen völlig gleich ge-
bildet bei den


  • i-stämmen: slav. noštī, lit. naktì, verkürzt aus * naktī, also = arischem -ī
    (z. B. skrt. avī);
  • u-st.: slav. syny = * s؛n؛, lit. s؛nù, aus s؛n؛ verkürzt, also = ar. -؛, s؛n؛;
  • fem. ā-st.: slav. rącě = * rankai, lit. rankì = * rankë (vgl. im Pron. të́-dvi)
    = * rankai, also wie ar. -ē.

Die einzige Abweichung zwischen Slavisch und Litauisch findet sich in den
[107]iii. Die Casus des duals.
ă-stämmen, slav. vlŭka, d. i. vlŭkā, also wie das arische -ā, litauisch dagegen
vilkù, verkürzt aus * vilků (vgl. das Pronomen -du), steht demnach dem skrt.
vrkāu gleich. Beide Formen sind also alt, im Slavischen die eine, im Litauischen
die andere bewahrt.


Da das Neutrum dem Litauischen fehlt, lässt sich nur slav. izě, d. i. igě =
*jugai anführen, das wieder gleich skrt. jugē ist. Dies völlige Zusammentreffen
mit den arischen Sprachen ist merkwürdig genug, aber für das Verhältniss des
Slavisch-litauischen zum Germanischen gleichgültig, weil wir nicht bestimmen
können, wie einst die Dualcasus in dieser Familie gelautet haben.


Die Endung des gen.-loc. im Slavischen (dem Litauischen fehlt dieser
Casus) ist -؛, also = dem skrt. -ōs aus älterem -*aus, wenn auch die Verbindung
des Stammes mit der Endung zum Theil eine andere ist, z. B. vlŭk؛ = *varkaus,
während skrt. vrkajos.


Der dat. instr., slav. ma = , lit. -m setzt als nächste Vorstufe, wenn
unsere Erklärung des m der Casusendungen richtig ist, * mām = der sanskri-
tischen Endung *bhjām voraus, nur muss das auslautende m vor der speciellen
Entwicklung des Slavischen geschwunden sein, da sonst hätte * entstehen
müssen. Von dem vermeintlichen Verbleiben des j war oben die Rede.


[[108]]

B. Declination der Pronomina.


I. Der nicht-persönlichen Pronomina.


Die drei in Betracht kommenden Sprachfamilien bieten der Erklärung der
pronominalen Casusformen zum Theil solche Schwierigkeiten, dass es nothwendig
ist, das Slavische und Litauische erst allein zu betrachten, und dann die germa-
nischen Formen dazuzustellen.


1. Die Formen des Slavischen und Litauischen.

Sämmtliche nicht-persönliche Pronomina werden im Slavischen und Litaui-
schen (bis auf einen unten zu erörternden Fall) auf eine Weise flectirt, es
braucht daher auch nur ein Pronominalstamm in seinen Formen betrachtet zu
werden. Der besseren Uebersicht wegen stelle ich ein vollständiges Paradigma
voran; die Formen, welche von der nominalen Flexion nicht abweichen, also schon
behandelt sind, sind cursiv gedruckt.


[109]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.

Der nom.-acc. sg. ntr. fällt im Slavischen allerdings lautlich auch mit dem-
selben Casus beim ntr. a-stamme zusammen, to wie igo, dělo, doch ist die Gleich-
heit nur eine scheinbare. Bei der Besprechung des Nomens wurde nachgewiesen,
dass dessen -o nicht auf indogermanisches -am zurückgehen kann, sondern von
den alten -as-stämmen entlehnt ist. Man könnte nun allenfalls annehmen, dass
die so entstandene allgemeine Neutralendung o auch auf das Pronomen über-
gegangen sei, allein to kann sehr wohl auf die Grundform ta-d zurückgehen, die
im Slavischen zu nichts anderem werden konnte; und beweisend ist dafür das
preuss. s-ta; diesem kann nicht *tam zu Grunde liegen, da das m als n im Preus-
sischen erhalten bleibt, z. B. acc. sg. msc. sta-n, folglich ist [s-]ta = ta-d. Das
litauische tai ist mit einer festgewordenen hervorhebenden Partikel i versehen.
Wir gehen also jetzt über zu den vom Nomen in Stammbildung oder Suffix ab-
weichenden Formen:


a) Die abweichenden Formen des sing. msc.-ntr.

Der slavische Genitiv sing. togo ist einer der schwierigsten Casus der
indogermanischen Declination und daher den mannichfachsten Erklärungsver-
suchen ausgesetzt gewesen, die nach meiner Meinung alle zu nichts geführt
haben oder sehr unsicher sind. Die Form ist auch innerhalb des Slavischen da-
durch auffallend, dass sie der einzige Pronominalcasus ist, der in zwei gänzlich
von einander abweichenden Gestalten vorkommt: von einem Pronomen nämlich,
čĭ-[to] lautet der gen. čĭ-so (česo), bei allen andern herrscht die Endung -go.
Die Ansichten über diese Formen, was ihnen in anderen Sprachen entspreche
und wie sie sich zu einander verhalten sollen, findet man bei Miklosich (Ueber
die Genitivendung -go, Sitzungsber. der Wien. A. phil.-hist. Cl. LXII, p. 48 —
Mai 1869) besprochen. Es lag ja sehr nahe, bei diesen Formen an tasja zu
denken, und Bopp hat mit demselben togo identificirt, Schleicher sowohl togo wie
čĭso, indem er annahm, -so sei unmittelbar aus -sja entstanden, togo aber aus
einer Mittelstufe * tasga, aus dieser durch Assimilation dann * taga. Dass die
dabei nothwendige Verwandlung von j in g im Slavischen unmöglich sei, habe
ich schon Beitr. V, 409 nachgewiesen, und Miklosich (a. a. O.) stimmt dem bei,
hält aber daran fest, dass -so von čĭso = -sja sei, die Grundform also *ki-sja,
«dass so statt des erwarteten šo, še steht, kann mich in meiner Ansicht nicht be-
irren, indem j auch sonst spurlos ausfällt, man vergleiche den Dativ und Instru-
mentalis des Duals des Pronominalstammes : těma für sanskritisches tā-bhjām,
wofür etwa těmja erwartet wird, man beachte ferner altslovenisch vĭsego nicht
etwa vĭšego aus vĭsjogo, allerdings neben dem čechischen všeho und dem pol-
nischen wszego. Das wir im Altslovenischen čĭso statt des nach der Analogie
von sego aus zu erwartenden čĭse haben, ist allerdings befremdend. Dieses
čĭse findet sich im Altčechischen als čse, čese und im Altpolnischen als czse in
niczsež». Ich glaube allerdings auch, dass die Zurückführung des -so auf -sja
richtig ist, aber sprachgeschichtlich verhält es sich damit doch anders als Miklo-
sich will, das j ist nicht erst auf slavischem Boden verloren gegangen, und die
[110]b. Declination der Pronomina.
Vergleichung mit den Casusformen von und vĭsĭ muss ganz beseitigt werden,
da die Erklärung der Formen sego, vĭsego aus unmittelbar ursprünglichem *sjogo
u. s. w. selbst nicht richtig sein kann. Wenn der vorhandenen Declination von
ein Stamm kja (so müsste man ihn nach Miklosichs Voraussetzungen annehmen,
oder um das in s übergehende k anzudeuten, als kja, also slav. sja-) zu Grunde
läge, so könnte daraus nur * šĭ, * šego u. s. w. werden, denn es giebt keinen
Fall, wo ein im Slavischen verbliebenes j nicht auf einen vorhergehenden über-
haupt afficirbaren Consonanten nach der allgemeinen Regel gewirkt hätte. Die
Berufung auf das Dualsuffix -ma hilft nichts, da ja auch im Litauischen die Casus-
suffixe mit bh(m) ihr j eingebüsst haben, dieser Verlust also weit vorslavisch ist.
Und wäre ebenfalls in vorslavischer Zeit aus dem Pronominalstamme * sja- das
j geschwunden, so würde der gen. * sogo u. s. w. lauten, nicht sego. Man wird,
wie ich glaube, auf eine andere Erklärung kommen können, sobald man alle
vorkommenden Formen, auch die vereinzelten, mit in Betracht zieht.


Es stehen in den Quellen neben einander z. B. nom. sg. msc. (сь) und
сии (l. sījĭ), ntr. se (сє) und sije (сиѥ), gen. fem. seję und sijeję, dat. msc. semu
und sijemu, dat. fem. seji und sijeji (сиѥи), acc. fem. lautet sĭją, sīją. Miklosich
meint, Vgl. Gr. III, 66, das i von sije, siją beruhe auf der Vocalisirung von j in
dem vorausgesetzten * sje, *sją. Allein wo kommt je dergleichen vor, und was
hätte die Sprache hindern sollen, wenn einmal das j behalten wurde, aus * sje
auf dem regelrechten Wege *še zu machen, derartige Formen wären ja voll-
kommen verständlich geblieben, mit nichts anderem zusammengefallen. Nimmt
man dagegen an, der zu Grunde liegende Stamm sei für die obliquen Casus sĭja-,
so erklärt sich alles. Es kann dabei, nebenbei bemerkt, unentschieden bleiben,
ob man das ja als Suffix oder das ganze als ein zusammengesetztes Pronomen wie
etwa lit. szì-tas, preuss. s-tas anzusehen habe; mit der zusammengesetzten De-
clination der Adjectiva darf man freilich keinen Vergleich ziehen, da es sich bei
dieser nicht um eine Zusammensetzung, sondern um eine Aneinanderrückung
zweier flectirter Formen handelt. Aber ein anderer Vergleich liegt nahe, der mit
kyjĭ (кый), von dem auch mehrere Formen nicht einfach der zusammengesetzten
Declination der Adjectiva entsprechen, z. B. kojego, kojemu, sondern auf einen
abgeleiteten Stamm ka-ja- zurückgehen. Also alle Formen unseres Pronomens
ausser nom. sg. , der einfach = ḳi-s, gehen auf -ḳija-, d. h. slav. sĭ-je- zurück
und zwar sego auf sĭjego u. s. w. Mit einer solchen Form konnte die Sprache
einen doppelten Weg einschlagen, indem einmal ĭ vor j gedehnt wurde, daher
z. B. sījemu, oder das ĭ ausfiel; im letzteren Falle würde *sjego (сѥго) u. s. w.
entstehen. Solche durch Vocalwegfall secundär entstandene Verbindungen mit
j haben aber keine Consonantenveränderung zur Folge (vgl. das unten zu er-
wähnende вьсꙗкъ), sondern verlieren im Altbulgarischen, wenn der Consonant
nicht erweichbar ist, das j (vgl. вьсдкъ вьсѣкъ), also entstand sego u. s. f.


Ganz ähnlich verhält es sich mit vĭsĭ (omnis). Das Wort ist, wie lit. vìsas
und im Slavischen die Casus vĭsěchŭ, vĭsěmŭ, vĭsěmi beweisen, ursprünglich a-
stamm und kann erst innerhalb des Slavischen in den übrigen Casus eine dem
analoge Declination angenommen haben. Wäre es von Haus aus ja-stamm oder
[111]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
auchja-stamm, so würde es nur gen. *vĭšego u. s. w. heissen können. Nun be-
weisen hier Schreibungen wie nom. sg. fem. vĭsja (вьсꙗ) das secundäre Zu-
sammentreten des s-j, die Form steht also für *vĭsĭja. Dass es hier keine Neben-
formen wie *vĭsiją = siją giebt, beweist nichts dagegen, aus vĭsĭją konnte eben
beides werden: vĭsją, vĭsą und * vĭsīją, bei ist das eine, bei vĭsĭ das andere
erhalten, wenn man nicht vorzieht, vĭsą für den alten acc. fem. des ā-stammes
zu halten, der also diesen bewahrt hätte, wie vĭsěchŭ u. s. w. Es ist auch mög-
lich, dass diese Flexionsweise bei vĭsĭ überhaupt erst aus der Analogie von
entstanden ist, darauf deutet der nom. sg. hin. Demnach sind die Formen von
und vĭsĭ bei der Erklärung des čĭ-so = *ki-sja fern zu halten, und die letztere
Entsprechung so zu fassen, dass der Verlust des j, oder will man lieber, die As-
similation des sj zu ss, d. h. slav. s, in vorslavische Zeit fällt, wenigstens vor
die Wirkung der später geltenden Lautgesetze, und da in einzelnen Fällen
solcher Verlust vorkommt (vgl. -ma — bhjām, -mŭ — *bhjams), so ist das nicht un-
annehmbar. Da ferner das a der Endung sja europäisch nicht zu e wird (vgl.
το-ῖο), muss es im Slavischen als o erscheinen. Das e im čechischen und pol-
nischen čse gehört, wie hier ohne weiteres Eingehen auf die specielle slavische
Grammatik nicht näher nachgewiesen werden kann, der besonderen Entwicklung
dieser Sprachen an. вьсꙗкъ ist = vĭsĭ-jakŭ, vgl. сꙗкъ = sĭ-jakŭ.


Wenn nun die Auffassung des -so als -sja richtig ist, so kann togo nicht =
tasja sein, da es durchaus keinen Grund giebt, warum nicht ein entsprechendes
* toso entstehen sollte, und Miklosich hat daher in der erwähnten Abhandlung
einen andern Weg der Erklärung eingeschlagen. Er nimmt an, -go sei identisch
«mit der Partikel gâ, gá, welche skrt. gha, ghâ; ha, hâ, hi, griech. γε, dorisch-
aeolisch γα (τοῦτο γί aus τοῦτο γε ι), altbaktr. , armen. zi; lit. ga (tai ga,
Pott 1, 415), gi, gu, g, lett. gu, g, dz; slavisch endlich nach Verschiedenheit der
Sprachen go, gŭ, že, ž, zi, z und in Folge der Verwandlung des ž in r : ra, re, r
(Vgl. Gr. I, 336) lautet. Sie wird in den gotischen Singular-Accusativen der
ersten und zweiten Person mi-k, þu-k und in si-k und in den althochdeutschen
Plural-Accusativen unsi-h und iwi-h angetroffen». Die Heranziehung der deut-
schen Formen hat für die Erklärung des togo als Casusform nur dann einen
Werth, wenn man annimmt, das -k sei nicht hervorhebende Partikel und als
solche an einen fertigen Casus gefügt, sondern selbst Casussuffix; denn wäre
ersteres der Fall, so müsste in dem to- von togo die eigentliche Genitivform
stecken, was nicht erweislich ist. Miklosich hält denn auch in der That -go für
ein Casussuffix im eigentlichen Sinne. Dass ein solches dem Ursprunge nach mit
einer in der Sprache selbständig gebrauchten Partikel zusammenhängen kann,
ist an sich nicht zu leugnen, da ja beide auf eine und dieselbe Pronominalwurzel
zurückgehen können; ich verstehe nur nicht, weshalb Miklosich zur Stütze seiner
Ansicht anführt, gha werde gelegentlich declinirt. Wenn das der Fall ist, so ist
eben Pronomen und nicht Partikel oder gar Casussuffix, also dieser Umstand für
die Beweisfährung ganz werthlos. Aber selbst was Miklosich für eine solche De-
clination von ga (gha) beibringt, gilt wenigstens für die slavischen Sprachen nicht.
Man kann sich hier nicht auf moderne slavische Formen berufen, wie serbisch
[112]b. Declination der Pronomina.
tizijeh statt tijeh-zi, wo in der That die Declinationsendung der Partikel angefügt
ist, aber das ti- in ti-zi-jeh beweist ja klar, dass hier ganz junge, durch den nom.
plur. ti-zi veranlasste Formen vorliegen; wäre das Pronomen mit der Partikel im
eigentlichen Sinne zusammengeschmolzen, so könnte vor derselben doch nur eine
Form des Stammes, aber kein Casus wie ti erscheinen. Noch eine andere An-
führung von Miklosich ist unbrauchbar: das neuslovenische teleha (dessen da,
als acc. den da) ist = altbulgar. to-ględi-go (siehe ihn), also go von to getrennt,
daraus soll sich «die Lockerheit der Verbindung des Stammes to mit dem Suffix
go» ergeben. Aber eine solche Lockerheit schlägt ja der Auffassung des go als
Casussuffix geradezu ins Gesicht; sie besteht auch überhaupt gar nicht, vielmehr
ist der Fall genau derselbe, wie mit tizijeh und allen ähnlichen: die angehängte
Partikel ging mit der Nominativform eine feste Verbindung ein, die Sprechenden
empfinden das ganze als ein Wort und hängen die Casusendungen an das Ende
des ganzen Gebildes. Dergleichen Fälle kommen häufig genug vor: ich erinnere
nur an die litauischen Imperativformen wie eikite, wo die Partikel zwischen Ver-
balstamm und Personalsuffix steht; daraus wird niemand folgern, dass deren
Verbindung eine lockere sei; eikite ist einfach ein weiter conjugirtes singulari-
sches eiki, eik. Wäre das go also trennbar, so müsste man bestimmt darin nur
eine Partikel und demgemäss in to- die Genitivform sehen.


Versuchen wir dagegen -go als Casussuffix im eigentlichen Sinne anzusehen,
so schwebt es ganz in der Luft, d. h. hier, hat keine Entsprechung in den ver-
wandten Sprachen, denn erstlich ist es doch nur eine willkürliche Voraussetzung,
dass in mi-k u. s. w. vor dem k der reine Pronominalstamm und nicht ein durch
Lautgesetze umgebildeter Casus stecke, während wir überall in den älteren indo-
germanischen Sprachen die Anfügung von Partikeln an fertige Casusformen gerade
der Pronomina verbreitet finden. Ferner erhebt sich die auch von Miklosich nicht
übersehene Frage, wie ein und dasselbe Suffix in einer Sprache den acc., in der
andern den gen. bedeuten könne. Miklosich beruft sich zur Hebung dieses
Zweifels auf den Umstand, dass im Slavischen der Genitiv den Accusativ ersetzen
könne und dass ja die Partikel sma bei der Bildung verschiedener Casus eine
Rolle spiele. Es ist mir nicht verständlich, wie mit diesen Anführungen das Be-
hauptete bewiesen oder nur wahrscheinlich gemacht werden kann. Der Genitiv
ersetzt im Slavischen allerdings den Acc. bei Bezeichnungen lebender Wesen, nur
bei diesen, während togo allgemein gilt; die Regel ist in den ältesten uns über-
lieferten Quellen erst im Werden, also verhältnissmässig jung, und kann doch
nimmermehr auf das Germanische angewendet werden. Ferner, wann bildet
denn sma einen Casus? Es tritt an den Stamm der Pronomina und an diesen
erweiterten Stamm die Casusendungen, selbst ist es kein Casussuffix, kann also die
Anwendung eines gha zum Ausdruck verschiedener Casusfunetionen nicht erläutern.
Wenn die Erklärung Miklosichs etwas werth sein soll, so muss man entweder nach-
weisen, dass, falls -go angehängte Partikel ist, in to- eine Casusform und zwar des
Genitivs oder eines der Bedeutung nach verwandten Casus steckt, oder falls es
selbst Casusendung, dass irgendwo etwas entsprechendes und zwar als Genitiv-
endung vorkommt; sonst ist sie um nichts besser als frühere Erklärungsversuche.


[113]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.

Ich kann selbst keine Erklärung geben, musste aber die vorhandenen durch-
nehmen, um zu zeigen, dass auch die neueste nicht zu halten ist, und dass eine
Beziehung des -go zum deutschen -k nicht nachgewiesen ist. Ich erwähne auch
noch den Versuch Benfeys (Ueber die indogerm. Endungen des gen. sing.
p. 25). Er hält čĭso für die alte den Genitiven auf -sja entsprechende Form,
billigt auch Miklosichs Erklärung des -go aus gha, nimmt aber dies als Partikel,
nicht als Casussuffix. Als Partikel sei es einer einst vorhandenen Genitivform
* toso angetreten, aus der Verbindung *tosogo aber durch Synkope togo geworden.
Benfey ist darauf gekommen durch die Nebenformen čĭ ogo, čego, čĭso, wo
scheinbar alle drei gesuchten Formen vorliegen; allein die Geschichte der Sprache
zeigt, dass in ältester Zeit čĭso allein vorhanden war, čego kennen die altbulga-
rischen Quellen nicht, und zu čĭsogo sind die Formen dat. česomu statt čemu, loc.
česomĭ statt čemĭ zu stellen, d. h. also, man hat čĭso, dessen Genitivbedeutung
sich leicht verdunkelte (vgl. čech. co aus čso = čĭso als nom.), als Stamm be-
handelt und die pronominalen Casusendungen, darunter -go, daran gefügt, mit
andern Worten, čisogo setzt čĭso und togo schon voraus; čego aber ist erst dem
togo und jego später nachgebildet. Auch diese Lösung ist also nicht gelungen,
ganz abgesehen von der inneren Unwahrscheinlichkeit eines Ausfalls wie der
Silbe -so-. Die Entstehung des togo ist ein ungelöstes Räthsel. Die Form bietet
bis jetzt keine Möglichkeit zu Vergleichungen mit Genitivformen verwandter
Sprachen, für eine solche bleibt allein čĭso verwandbar.


Zunächst bieten sich dafür die schon beim nominalen Genitiv erwähnten
Formen des Preussischen dar. Von dem zusammengesetzten Pronomen stas = lit.
szìtas, in den Katechismen als Artikel gebraucht, kommen folgende Schreibungen
des gen. sing. msc.-ntr. vor (wo nichts besonderes bemerkt, sind die Formen
aus Katech. III):


    • steisei (einmal steisai, was dasselbe bedeutet, und
      steisei-sei III, 50 durch Druckfehler)
    • steise
    • stessei
    • stesse (stetse III, 39 Druckfehler
    • steisi vereinzelt III, 22;
    ungefähr gleich häufig,
    6—10 mal jedes,
  • ferner von dem abgeleiteten Pronomen tans (= ta-na-s) tennessei,
    von schis (dieser) schiêise.
  • Von den Possessivpronomina mais (= * majas), twais, swais:
    maisei
  • twaisei (gleichbedeutend twaisai), die häufigste Form (7 mal), daneben ver-
    einzelt twaiasei und einige male twaise (das mehrmals vorkommende twaias
    ist die nominale Form); dazu aus I twaisei, twaise, aus II twayse, twaysis,
  • swaisei, swaise.
  • Vom Zahlwort ains: ainassei, ainessa; von ainonts (jemand) ainontsi, von ka-
    wîds
    (welcher) kawydsa (?).

Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass diese Form auf -sja zurück-
geht und dass allen diesen Schreibungen eine und dieselbe preussische Form zu
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 8
[114]b. Declination der Pronomina.
Grunde liegt; aber welche ist die richtige, wie die eigentliche Lautgestalt? Von
der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob das ursprüngliche j noch darin
enthalten und in seiner Nachwirkung merkbar ist oder nicht, also auch, ob Sla-
visch und Litauisch eine gemeinsame vom alten -sja lautlich abweichende Form
erzeugt haben. Dem slav. -so käme ainessa am nächsten, aber dies ist ganz ver-
einzelt (nur III. 24) und kawydsa (III. 59) ist wegen der falschen Uebersetzung
der Stelle zu zweifelhaft. Ausser diesen beiden Stellen schwankt die Schreibung
zwischen ei, e, i. Dieselbe Schwankung findet sich bei den contrahirbaren femi-
ninalen -stämmen auch (lit. nom. sg. -ė = -), z. B. heisst es:


  • semmê = lit. żémė, acc. semmien (lit. żémę = zemią) wo man die Wirkung
    des j auf das folgende a sieht; in I. dafür semmin. — Im Dialekt des El-
    binger Vocabulars sind zum Theil die Formen den litauischen ganz gleich,
    z. B. gerwe = gérvė (Kranich), saule = sáulė;
  • supûni = lit. żiupónė, ebenso im Vocabular vereinzelter, z. B. pelki = pelkė
    (Sumpf), asy = eżë́ (Rain); damit zu vergleichen ist, dass den lit. motë́
    duktë́
    in den Katechismen mûti, duckti (im Vocab. mothe) entsprechen.

Wenn nun giwei III. 24 den nom. sg. zu geiwin (I), geywien (II), gywin
(III. 80) bildet, so ist der richtige nom. sicher einem zu erschliessenden lit. *gyvė
(Leben), dem vorhandenen lett. dfiwe gleichzusetzen, und ich halte es für völlig
möglich, dass das auslautende ei in der Vorstellung und nach dem Gehör des
Schreibers nichts anderes bedeuten soll, als ein dem i sich näherendes e. Die
Feminina auf e kommen in den Katechismen selten vor (packe, semmê, aulausê),
sonst würden wir vielleicht mehr Beispiele des -ei haben; es ist aber sehr mög-
lich, dass die unter dem nominalen nom. sg. unerklärt gelassenen Formen wie
deiwutiskai eigentlich = deiwutiskei sind (nach dem sonstigen Wechsel von ai
und ei in der Schreibung auslautender Silben); das hiesse also -iskė = -iskjā,
und jene Adjectiva auf -iska- wären zur Abstractbildung sowohl mit Suffix -
(s. oben beim nom. sg.) wie mit - erweitert; vgl. in Betreff letzterer ähnliche
litauische Bildungen wie të́viszkė (Erbe) zu të́viszkas (väterlich).


Einen ähnlichen Wechsel von ê, êi, i finden wir ferner in wackîtwei (rufen,
III. 19), enwackêimai (wir rufen an, III. 2), enwackêmai (III. 84); zwischen ê und
i in druwê (ich glaube) III, drowe I, drowy II; vgl. auch turrîtwei (haben) III,
turrettwey I, turryetwey II. Die meist -twei geschriebene Infinitivendung
kommt auch als -twi vor (biâtwi, fürchten, III. 12) und als -twe (istwe, essen, III.
72), anderer Fälle ähnlicher Art zu geschweigen. Es geht daraus also her-
vor, dass die Laute ei, ê (das tiefe ī-artige e) und î (dafür auch mit Vernach-
lässigung der Quantitätsbezeichnung e, i) einander wenigstens für das Ohr des
Schreibers in der Aussprache sehr nahe gelegen haben müssen und sicher oft
den gleichen Laut ausdrücken. Die Beispiele, in denen so ei, ē̆, ī̆ wechseln, ent-
halten alle ursprünglich entweder ai oder oder ein irgendwie entstandenes
langes ē (wackêmai); wie im Litauischen ė als Contractionsproduct nur aus
entsteht, während ja zu je, e, i wird. Demnach müsste man genau genommen
für den Auslaut von stessei, steise, steisi als Endung -sjā zu Grunde legen. Die
Länge des Vocals wird aber durch die übrigen Sprachen widerlegt. Es lässt sich
[115]i. der nicht-persönlichen Pronomina.
indess aus der Ueberlieferung des Preussischen höchst wahrscheinlich machen,
dass -sjă ebenso behandelt wurde. Man darf freilich nicht Fälle wie 2. plur. verb.
auf -tei, -ti und vereinzelt -te hier heranziehen, weil die Personalendungen in den
uns überlieferten Texten überhaupt so absonderlicher Art sind, dass sie erst
selbst einer Aufklärung bedürfen. Indess kann man einen andern Fall hierher-
ziehen, der mit unserm geradezu identisch zu sein scheint: im Litauischen wird
das fut. auf -siu (bú-siu) so behandelt, dass in allen Personen ausser der 1. sing.
das alte ja in i contrahirt wird: 2. sg. búsi, 3. bús(i), 1. plur. búsime (dial. bu-
sieme = busiame
). Im Preussischen kommt nun im imperativisch-conjunctivischen
Sinne eine 3. sing. plur. (beide Personen wie im Litauischen gleichlautend und
ohne Personalsuffix) auf -sai, -sei, -se, -si vor, die kaum etwas anderes sein
kann, als die Futurform: boûsei, boûse, boûsai (bhū), ebsignâsi (er segne); dâsai,
dâse, au-dâsei
(zu geben). Da also hier sjă zu Grunde liegt, haben wir den
verlangten Wechsel der Schreibung auch für die Kürze; der Aussprache nach
wird eine dem litauischen ė entsprechende Kürze anzusetzen sein, die man durch
ě bezeichnen könnte. So werden wir also kaum zweifeln, dass in stessei u. s. w.
-sja enthalten ist, also das j innerhalb der litauischen Sonderentwicklung noch
bewahrt war. Als slavisch-litauische Grundform ist daher nach -sja anzusetzen
und die Entwicklung folgendermassen:


sja
preuss. * sje slav. * sa
sě so
.


Noch eine andere Frage knüpft sich an die preussische Genitivform: ist vor
dem s das ei oder e der richtige Vocal, also zu schreiben steisě oder stesě. Diese
Frage ist insofern nicht gleichgültig, als wir ein altberechtigtes ei vor pronomi-
nalen Casusendungen, entsprechend dem skrt. ē, finden werden, es sich also
darum handelt, ob im Preussischen das zwischen Pronominalstamm und Casus-
endung eingeschobene i weiter verbreitet sei als in anderen Sprachen. Doch ist
es vorzuziehen, diese Frage im Zusammenhange zu behandeln und zunächst erst
die übrigen Casus durchzunehmen.


Dativ sing. msc. ntr. slav. tomu, lit. támui (heutzutage nur noch tám),
preuss. s-tesmu haben offenbar dieselbe Casusendung, wie die Nomina: vlŭku,
vilkui, waldniku;
es wurde schon bei der Besprechung des nominalen dat. sing.
msc. bemerkt, dass diese Form im Litauischen aus einer wirklichen Dativform
stammt, keine Instrumentalform ist, und der Grund angegeben, warum die
eigentlich den u-stämmen zukommenden Formen auf die a-stämme, auch auf die
pronominalen übergingen. Beim Pronomen kommt gegen die Bestimmung als
instr. noch hinzu, dass in keiner indogermanischen Sprache ein instr. sg. msc.
mit dem Zwischensatz -sma- vorkommt. Dieser wird aber durch das preuss. sm
als sicher erwiesen, als slavisch-litauische Grundform des Stammes ist also
tasm(a)- anzusetzen, daraus lit. tám-, slav. tom-. Die Länge des ā im lit. támui
braucht nicht als Ersatzdehnung genommen zu werden, sondern kann Wirkung
des Accents sein, darf indessen mit Rücksicht auf gleich zu erwähnende preus-
sische Formen im ersteren Sinne aufgefasst werden.


8*
[116]b. Declination der Pronomina.

Die preussische Form, die in den Katechismen sehr häufig ist, zeigt immer
den gleichen Auslaut -u (steismo [III. 63] ist dem steismu gleichzurechnen) mit
Ausnahme von stesma III. 45 und stasma I, man wird aber auf diese beiden Fälle
gegenüber den etwa zwanzigen auf -u nichts zu geben haben. Eine andere Dif-
ferenz innerhalb der preussischen Form bedarf jedoch der Erwähnung: wir haben
hier wieder einen Wechsel zwischen stesmu und steismu (wie den zwischen stessei
und steisei), beide Schreibungen ungefähr gleich häufig; ebenso tenneismu, ten-
nesmu
, einmal sogar tennysmu, Erhaltung des stammauslautenden a in kasmu,
Dehnung desselben bei den Possessiven maiâsmu, twaiâsmu, swaiâsmu, endlich
Wegfall desselben, z. B. anter-smu, St. antara-, kawidsmu, St. kawida-, twaismu,
St. twaja-, wismu, St. wissa- (all), für *wisasmu. Wegen des litauischen -ámui
bin ich geneigt, Schreibungen wie twaiâsmu für dem wirklichen Laute ent-
sprechend zu halten, dann wäre also anzusetzen * tasmui, * tāsmui, tā́mui. Dem-
nach würde man auch ein preuss. *s-tâsmu annehmen dürfen, oder da bei diesem
Pronomen in den meisten Casus e für a eintritt (selbst im nom. sg. msc. stes
neben stas) ein stēsmu und der Wechsel zwischen ei, ê und vereinzeltem i(y)
bedeutete nichts anderes als in den oben angeführten Beispielen. Die Länge
scheint bestätigt zu werden durch Schreibungen wie stêismu III. 90. Mit dieser
Annahme fiele denn auch der Gedanke, dass ei ursprünglicher Diphthong sei,
entstanden aus jenem Einsatze i zwischen Stamm und Casussuffix, dieser kommt
nämlich in den gesammten indogermanischen Sprachen nur da vor, wo Prono-
minalstamm und Casusendung unmittelbar an einander treten, aber nie vor -sma-.
Ebensowenig aber auch vor -sja des Genitivs, und man wird also schwerlich
geneigt sein, im Genitiv steisei das ei für ursprünglich zu halten, sondern ent-
weder auch hier eine Dehnung anzunehmen, also stēsě, oder Uebertragung aus
einem anderen Casus, worauf wir beim gen. plur. zurückkommen. Neben den
Formen mit gedehntem Vocal hätte man im Preussischen dann solche mit unge-
dehntem anzusetzen, wie der Ausfall des Stammauslautes von -smu deutlich
kurzen Vocal verräth; mit andern Worten, die Sprache hätte die alten Lautver-
hältnisse noch zum Theil erhalten. Vielleicht war, was sich nach der schlechten
Ueberlieferung nicht beurtheilen lässt, Kürze oder Länge des Vocals von der
Stellung im Satze oder der Silbenzahl oder dem Accent abhängig (vgl. z. B. lit.
tā́mui und loc. tămè).


Locativ. sing. msc. Leider ist diese Form im Preussischen nicht über-
liefert. Die älteste Form hat sich aber im Litauischen ziemlich treu erhalten vor
der Postposition -pi (bei) in älteren Büchern (s. Smith in den Beitr. I, 506), z. B.
jemim-pi, schwentamim-p. Der Nasal erscheint als m nur wegen des folgenden
p, davon getrennt ist tamin anzusetzen, daraus das altlit. tami, also eigentlich
tami̧ (warum im heutigen Litauisch tamè, ist beim Nomen auseinandergesetzt).
Da nun m unzweifelhaft ebensowohl wie in támui auf sm zurückgeht, bekommen
wir als Grundform tasmin, d. h. die mit der sanskritischen identische Gestalt.
Wie sich daraus die slavische entwickelt, ergeben die Lautgesetze ohne weiteres:
urspr. i + nas. muss zu ĭ werden, sm wie in tomu zu m, a zu o, also tomĭ.
Smith, De locis quibusd. gramm. lingg. Balticarum et Slavonic. III. 46 wirft die
[117]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
Frage auf, ob vielleicht das preussische, einmal (Kat. III, 89) nach en (in) vor-
kommende schisman heranzuziehen sei. Die Schreibung a für i oder allenfalls e
spricht dagegen, und überhaupt ist man bei solcher Vereinzelung niemals sicher,
dass man es nicht mit einer der vielen Liederlichkeiten des Uebersetzers der
preussischen Katechismen zu thun hat.


Im instrum. sing. msc. haben wir eine entschiedene Abweichung des
Slavischen vom Litauischen; das letztere hat die nominale Form, und es wurde
oben gezeigt, dass auch tůmì, welches dem slav. těmĭ ähnlicher zu sein scheint,
nur eine litauische Neubildung ist. Dieser slav. Instr. weicht nun von der nomi-
nalen Form dieser Sprache (vlŭkomĭ) in einem Punkte ab, der auch sonst der
pronominalen Declination wenn nicht eigenthümlich, doch bei ihr häufiger ist als
in der nominalen, durch die Vermehrung des Stammes mit i : těmĭ ist aufzulösen
in * ta-i-mi, auf indogermanischer Lautstufe * tai-bhi(m). Eine sich mit dieser
deckende Form findet sich schon deswegen nicht, weil den andern Sprachen das
singularische bhi fehlt; der Vergleich Schleichers, Comp.3 645, mit ἧφι ist nicht
wohl zu brauchen, weil die ursprüngliche Form der Endung und die Casuszugehörig-
keit nicht sicher sind; das skrt. tena, vrkena hat zwar i, ist aber anderer Bildung.
Wir dürfen, müssen sogar in solchem Falle immer fragen: ist die Form ursprüng-
lich, gab es überhaupt eine indogermanische Form * taibhi(m) neben (so im
Zend)? Die Frage ist nicht gleichbedeutend mit der andern: existirte überhaupt
ein Singularsuffix -bhi; denn bei dessen Voraussetzung könnte man nach vlŭ-
komĭ
ein * ta-bhi erwarten. Natürlich lässt sich ein ursprüngliches * taibhi als
möglich vertheidigen, aber die bestehenden historischen Verhältnisse führen leicht
auf einen andern Gedanken. In allen Sprachen mit alleiniger Ausnahme des
Slavischen lautet bei Nomen und Pronomen instr. sg. msc.-ntr. gleich, immer-
hin ein gewichtiges Zeugniss dafür, dass wahrscheinlich nie eine besondere Form
für das Pronomen vorhanden war. Nehmen wir einmal an, das Slavische habe
einst seine mit dem Nomen stimmende Form ta-bhi(m) gehabt, so musste diese laut-
gesetzlich zu *tomĭ werden, d. h. fiel mit dem loc. tomĭ=tasmin zusammen. Die
Vermuthung einer Neubildung liegt also nahe, und diese wäre dann nach dem
instr. plur. těmī gemacht. Weiter als bis zu einer Vermuthung kann man es hier
nicht bringen, aber sie ist eben so viel werth wie ein ursprachliches * taibhi(m).


b) Die vom Nomen abweichenden Formen des plur. msc.-ntr.

Genitivus pluralis. Die vollständigste Erhaltung des Casus haben wir
im Preussischen steison (einigemale steisan, wie sonst an, das ältere, mit on, dem
jüngeren, wechselt). In der Auffassung des ei kann man hier nicht wie beim
gen. und dat. sg. schwanken, da nie eine andere Schreibung vorkommt; auch
tenneison steht nur so; (s)teison ist also sicher = *taisām = skrt. tēšām, daraus
slavisch den Lautgesetzen völlig entsprechend těchŭ (s. -ŭ = -ām beim nominalen
gen. plur.). Im Litauischen würde die Form nach Analogie des dat. plur. (tëmùs)
* tësu gelautet haben. Ein lautlicher Grund zu ihrem Aufgeben liegt nicht vor,
es beruht also wohl nur auf der allgemeinen Neigung des Litauischen, vom
[118]b. Declination der Pronomina.
Nomen abweichende Pronominalformen fallen zu lassen (vgl. das ganze Femini-
num). Ueber eine möglicher Weise erhaltene Spur der Pronominalform siehe
unten den loc. plur.


Im dativ. pluralis zeigen die litauischen Sprachen und das Slavische über-
einstimmende Form, am deutlichsten erhalten im preuss. (s)teimans = * taimans
= * taibhjams, skrt. tēbhjas; daher lit. tëmùs, slav. nach den Lautgesetzen těmŭ.


Der loc. pluralis, im litauischen tůsè nominal, im Preussischen nicht er-
halten, lautet slav. těchŭ, also auch nominal = vlŭcěchŭ (vgl. skrt. tēšu), und
soll hier nur erwähnt werden, um auf das Zusammenfallen dieses Casus mit dem
gen. plur. těchŭ aufmerksam zu machen. Die Wirkung der Lautgesetze musste
nothwendig dazu führen; dass die beiden Casus sonst nichts mit einander zu
thun haben, versteht sich von selbst.


Um einem Missverständniss vorzubeugen, füge ich bei, dass die scheinbar
alterthümliche lettische Form des loc. plur. táis neben tůs (= lit. tůsè) nicht
gleich altem * taisu sein kann, sondern durch neue Anfügung des Pluralsuffixes
s(u) an die specifisch lettische, ebenfalls junge Form des loc. sing. tái entstanden
ist. Ebenso sind die sonderbaren Nebenformen des loc. plur. tanis, älter tamís,
erstlich nicht direct eine aus der andern geworden und beide nicht alt, sondern
genau wie táis aus den Singularformen taní, tamí gemacht, und zweitens sind
diese selbst wieder nur Abkürzungen von * tanīje, tamīje, gebildet wie die Lo-
cativformen der persönlichen Pronomina nach der Analogie der nominalen i-
stämme (sirdi = lit. szirdyjè). Ich deute das hier nur an, eine nähere Aus-
führung der dabei obwaltenden Vorgänge würde eine Auseinandersetzung über
das lettische Auslautsgesetz erfordern, die hier zu weit führen würde, bemerke
übrigens bei der Gelegenheit, dass das Lettische in seiner gesammten Declination
keine einzige Form bietet, die alterthümlicher wäre, als die entsprechende li-
tauische, dass vielmehr der gesammte lettische Flexionsvorrath auf dem Laut-
bestande beruht, den das Litauische jetzt bietet oder zur unmittelbaren Voraus-
setzung hat; es ist geradezu nur die jüngere Entwicklungsstufe des Litauischen,
so zu sagen das litauische Romanisch. Es war ein Irrthum Schleichers, das Let-
tische dem Preussischen näher zu stellen als dem Litauischen.


Das Lettische bietet also die alte Form des loc. plur. nicht, möglicher Weise
hat sich aber eine Spur derselben im Litauischen selbst erhalten, die interessant
ist zu verfolgen. In der Zweizahl werden dat. instr. dual. slavisch wie litauisch
pronominal flectirt: lit. dvëm = tëm, slav. dvěma = těma; während nun die
beiden andern Dualcasus im Slavischen dva, dvoju lauten, hat das Litauische den
im Vocalismus eigenthümlichen gen. dvëjū, also einen scheinbaren Stamm dvë-.
Dass die Form dvëjū in dieser Gestalt ursprünglich sei, ist nicht zu glauben, wo-
her das zweimalige i(j) vor der Casusendung, dvëjū wäre = * dvai-j-ām? Ent-
weder also ist das ë aus dem Dativ herübergenommen, oder es ist einst eine dem
slav. těchŭ entsprechende pronominale Form *tësū, *dvësū vorhanden gewesen, die
bei der späteren Bevorzugung der nominalen Form nur halb nominal wurde, in-
dem ë festgehalten ward. Das also die oben angedeutete Spur eines pronominalen
gen. plur. auch für das Litauische. Ferner fehlt dem Litauischen der loc. dual,
[119]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
überhaupt, auch bei der Zweizahl, Kurschat (Beiträge z. Kunde d. lit. Spr. II,
125) führt aber dwiesa (nach Schleichers Schreibung dvësè) an in dieser Function.
Es ist die Pluralform, diese kommt aber mit ihrem -ëse, -ësu ganz und gar der
vorauszusetzenden litauischen Pronominalform * tësu, der wirklich vorhandenen
slav. těchŭ gleich und giebt bei der Gleichheit, die im Slavischen hier zwischen
Nomen und Pronomen msc. gen. herrscht, eine Stütze für unsere obige Annahme
eines älteren loc. plur. nom. lit. * vilkësu, der durch eine Neubildung, vilkůsu,
vielleicht in der oben beschriebenen Weise, ersetzt wurde.


Die übrigen Formen, instr. plur. und die Dualcasus bedürfen hier nur
einer Andeutung: slav. instr. plur. těmī = skrt. tēbhis, abgesehen von der bereits
beim Nomen erörterten Gestalt des Suffixes; gen.-loc. dual. slav. toju = skrt.
tajōs; dat.-instr. dual. slav. těma, lit. tëm haben den Zusatz von i, wie die ent-
sprechende Pluralform (těmŭ, tëmùs) und weichen darin von der sanskritischen ab.


c) Die vom Nomen abweichenden Formen des fem. sing.

Da das Litauische hier nur nominale Formen bietet, haben wir es einzig mit
dem Preussischen und Slavischen zu thun; das erstere ist hier wieder im höchsten
Grade merkwürdig durch Erhaltung alterthümlicher, vergleichbarer Formen. Ich
stelle sie zunächst in den verschiedenen Schreibungen zusammen:


  • gen. sing. stessias, stessies, stesses, steises;
  • dat. „ stessiei, steisiei, stessie, stessei, stesse, steisei.

Was zunächst die Endung betrifft, so scheint es mir ohne weiteres sicher zu
sein, dass sie dieselbe ist, wie im skrt. ta-sjās, ta-sjāi. Darnach wäre im dat.
sing. der Auslaut ei das alte und richtige, man sieht aber aus den obigen Schrei-
bungen, dass es dem Uebersetzer nicht darauf ankommt, dafür auch e zu setzen;
daher wird auch möglich sein, was wir oben für den gen. sing. annahmen, dass
derselbe gelegentlich ei für ursprüngliches e (= ja) schrieb. Die auch hier vor-
kommende Schwankung zwischen ei und e im Pronominalstamm ist zu beur-
theilen wie beim gen. und dat. sg. msc. Nur das eine lässt sich aus der Ueber-
lieferung nicht beurtheilen, ob das a(e) vor dem auslautenden s lang oder kurz
war, die Aufstellung der Grundform muss also diesen Punkt unentschieden
lassen: * tasjā̆s.


Die slavischen Formen gen. sing. toję, dat. tojī sind abweichend. Was die
letztere Form in slavischer Schreibung betrifft, so wird sie gewöhnlich fälschlich
durch той, d. i. tojĭ wiedergegeben. Es ist dies, in der Lesung toj, die abge-
kürzte Form der modernen Sprachen, die Quellen bieten immer nur тои, das
man auf beide Weisen lesen kann. Da aber alle Casusendungen des Pro-
nomens im sing. fem. den nominalen gleich sind, bei den Nominibus nach j un-
bestrittener Massen ī gelesen werden muss (dušī, voljī, vyjī), so liegt kein Grund
vor, das Pronomen in diesem Casus anders anzusehen. Die Formen sind nämlich
äusserlich genommen von einem femininalen jā-stamm tojā- abgeleitet und unter-
scheiden sich nur dadurch vom acc. , nom. ta, die unmittelbar auf tā- be-
[120]b. Declination der Pronomina.
ruhen. Dass das auslautende ī des dat.-loc. tojī (wegen j für ě) = ai ist, ver-
steht sich von selbst. Ist also tojī einfach = tasjāi, dem es auch in der Kürze
des Wurzelvocals zur Seite steht? Eine einfache lautliche Entsprechung, bei der
j als aus sj entstanden gefasst werden müsste, halte ich so lange für unmöglich,
als nicht irgend ein Fall angeführt wird, wo das sonst im Slavischen vorkommt.
Einem nach tasjāi zu erwartenden * toši stünde ja gar nichts im Wege; oder ver-
änderte sich die Lautgruppe vor der Wirkung der späteren Lautgesetze in ein-
faches s, so könnte * tosě erhalten geblieben sein. Dasselbe gilt vom Genitiv.
Läge auf der andern Seite eine Form vor, die etwa dem sanskritischen nominalen
dat. sg. fem. auf -ājāi zu vergleichen wäre, also * tājāi, so wäre ein solcher im
Slavischen zu * tajī geworden (ein * ta-jai als dem tojī zu Grunde liegend aus
dem zend. -a-jai zu entnehmen, ist mir zu gewagt). Vielleicht bietet das Sla-
vische selbst einen Weg zur Erklärung: der instr. sg. toją (über die Endung s.
das Nomen) stimmt sowohl in der Kürze des Wurzelvocals (o = ă) als in dem
einfachen j zum skrt. ta-j-ā; sollte also nicht im Slavischen ein einst vorhan-
denes tasjāi durch blosse Angleichung, durch Nachahmung der Gewohnheit des
instr. zu * tajāi, d. i. tojī umgebildet sein? Dasselbe hätte dann beim gen. statt-
gefunden. Beim Pronomen gehe ich in solchen Vermuthungen mit weniger Be-
denken weiter, weil, wie wir namentlich beim Personalpronomen sehen werden,
die Neigung zu Analogiebildungen hier ganz besonders stark ist.


Beim gen sing. toję kommen wir also noch einmal auf die nasalirte En-
dung zurück, die schon beim Nomen (rąky, dušę) räthselhaft war. Alle Schwierig-
keit der Erklärung wäre mit einem Male beseitigt, wenn Benfeys Entdeckung
eines indogermanischen Genitivsuffixes îans sich bestätigte (Ueber die indo-
germanische Endung des gen. sing. îans, îas, îa, Göttingen 1874). Ich kann
nicht umhin, etwas darauf einzugehen, es wäre zu wichtig, wenn so der Stein
des Anstosses, den die Endung -y, -ę bisher bildete, beseitigt würde. Das Ziel
der Benfeyschen Schrift ist, aus den überlieferten pronominalen Formen des gen.
sing. und denselben Suffixformen, wenn sie auch beim Nomen, nach Benfey
vom Pronomen dahin übertragen, vorkommen, die ursprachliche Existenz eines
Genitivsuffixes -îans nachzuweisen, aus welchem entstanden und ebenfalls schon
in der Ursprache vorhanden waren -îas und -îa. Es kommt darauf an, einmal
die Länge des î, dann das n zu begründen. Benfey nimmt an, das von ihm
nachzuweisende Genitivsuffix sei identisch mit dem Comparativsuffix, skrt. -îjans-.
Wenn man auch die Möglichkeit der Verwendung desselben Suffixes zu beiderlei
Functionen zugeben wollte, so kann darauf doch nicht der Beweis der Länge im
Genitivsuffixe îans begründet werden, vielmehr würde diese Länge erst aus den
überlieferten Genitivformen zu erweisen sein, und dadurch würde die Identifi-
cirung mit dem Comparativsuffixe eine Stütze finden. Benfey versucht nun für
eine Rigvedastelle (II. 11, 10) die Lesung -sîa des Genitivsuffixes -sja nachzu-
weisen. Mir scheinen die Beweisgründe durchaus nicht zwingend zu sein; es
handelt sich darum, dass in dem Sollen
ní mâjíno Dâvanásja mâjấ,
dem eine Silbe fehlt, das j des -sja als Vocal zu lesen ist, ob als Kürze oder
[121]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
Länge, ist an sich zweifelhaft. Benfey will -sîa lesen: bei der Kürze des i ist
die Messung des zweiten Fuses
_ ‿ ‿ ‿ (Paeon primus)
bei der Länge
_ ‿ ‿ _ (Choriamb)
und nach Benfeys Zusammenstellung von 132 Beispielen (bis Rg. I. 32) kommt
an dieser Stelle in elf- und zwölfsilbigen Rollen der Choriamb 44 mal vor, andere
Füsse, aber stets auf eine Länge ausgehende, 84 mal, so dass nur in zwei Bei-
spielen eine Kürze steht: der Paeon primus (nur I, 24, 14) und ausserdem I, 32,
6 ‿ ‿ _ ‿. Wenn aber Benfey p. 22 verlangt, dass es darnach nicht soll «im
geringsten zweifelhaft bleiben dürfen, dass Dâvanasîa an dieser Stelle das einzig
richtige ist», so ist das doch zu weit gegangen. S. 21 sagt Benfey selbst:
«übrigens will ich keineswegs leugnen, dass, wie noch andere Rhythmen in diesem
zweiten Fuss vorkommen, so auch der Paeon primus (_ ‿ ‿ ‿) noch sonst er-
scheint, wenngleich sehr selten und fast immer in einer Weise, die leicht Aende-
rungen zulässt» (folgt ein Beispiel). Man sieht also, es handelt sich dabei um
eine nicht fertige metrische Theorie, und einem Schluss aus einer solchen vermag
ich wenigstens keine bindende Kraft zuzuerkennen. Somit bleibt für die Länge
des i nur das lateinische illîus und was ihm an pronominalen Genitiven gleich
ist; ich brauche aber kaum darauf hinzuweisen, dass die Annahme, dies î sei
gleich grundsprachlichem ī ganz in der Luft schwebt und andere Erklärungen
dieser lateinischen Eigenthümlichkeit, wie sie bisher versucht worden, gerade
so berechtigt sind. Wie steht es nun mit dem Nasal? Benfey hat selbst bemerkt,
dass keine Genitivendung irgend einer indogermanischen Sprache ein n nach-
weisbar enthalte ausser gen. sg. pron. pers. im Litauischen manę́s, tavę́s, savę́s,
gen. sg. fem. nom. im Slavischen rąky, duśę und pron. toję. Die litauischen
Formen lassen sich lautlich allenfalls aus * tavians erklären, ebensogut
aber unmittelbar aus * tavans nach Wandlung des a in e (vgl. part. praet. act.
sukęs), und das letztere müsste man sogar nach dem Slavischen vorziehen, denn
diesem fehlt das j, die Endung ist = -ā̆ns und es wäre eine petitio principii, das j
von toję heranzuziehen, da es eben erst auszumachen ist, ob dasselbe zur Casus-
endung gehört; die andern Casus haben es ebensogut und in diesen gehört es
nicht zur Endung. Also das ganze reducirt sich darauf:


  • 1. wir haben eine lateinische Form, deren î sich als ursprachlich nicht
    nachweisen lässt, und die kein n enthält, ausserdem aus ihrem Zusammen-
    hange mit illī, quoiei herausgerissen ist;
  • 2. wir haben eine litauische Form, die zwar n hat, bei der aber j sich
    nicht nachweisen lässt; eine slavische (rąky), die sicher kein j hat.

Ein aus diesem Zustand der Dinge erschlossenes îans scheint mir demnach
wenig Werth zu haben. Auf die Versuche Benfeys, im Slavisch-litauischen
ein Genitivsuffix îa nachzuweisen, gehe ich hier nicht ein, sie scheitern an der
lautgesetzlichen Unmöglichkeit.


Um mich wenigstens der Lösung zu nähern, möchte ich zuerst die Vorfrage
stellen: liegt es wirklich so nahe, die slavischen Formen toję, rąky, dušę mit den
[122]b. Declination der Pronomina.
litauischen manę́s, tavę́s, savę́s zu verbinden, oder, lassen wir rąky, dušę als
möglicher Weise erst dem Pronomen entlehnte Formen bei Seite, toję mit den
litauischen Genitiven in Zusammenhang zu setzen? Sieht man die Sache von
ihrer historischen Seite an, so wird man nach der folgenden Auseinandersetzung,
bei der ich etwas ins Personalpronomen übergreifen muss, zugeben, dass manę́s
u. s. w. eher litauische Neubildungen sind als irgend etwas anderes, altererbtes.
Im Slavischen lauten die obliquen Casus des Singulars der Personalpronomina,
das Reflexivum eingerechnet, so:

Dazu kommen als enclitische Nebenformen des Dativs: mī, sī, tī. Man wird ohne
weiteres bemerken, dass der loc.-dat. und instr. nach Analogie der femininalen
ā-stämme gebildet sind (ženě, duši, ženoją), also für die pronominale Flexion zu-
nächst nicht in Betracht kommen. Die acc. sind = skrt. mām u. s. w. und
stehen zunächst für * mēn, *tēn, *sēn; die Dative u. s. f. = altem *mai u. s. w.
Die Genitive haben nichts von den sonst gebräuchlichen Genitivendungen an sich,
gleichen aber so genau den arischen, zend. mana, tava, skrt. mama (wohl nur
durch Assimilation der beiden Silben an einander für mana; über das slav. b
vgl. unten die Personalpronomina), dass man nicht den geringsten Zweifel an der
Identität des mene mit mana hegen kann. Die Färbung zu e hat der Vocal des
Pronominalstammes fast überall in den europäischen Sprachen, und das aus-
lautende a ist zu e geworden, wie z. B. im voc. vlŭče = *varka.


Stellen wir nun dazu die preussischen Formen:

so kann wieder kein Zweifel sein an der Identität des acc. mit dem slavischen,
noch eigenthümlicher aber ist die vollständige Uebereinstimmung der Dativformen,
sogar in dem b der 2. und 3. Person. Es ist daher im höchsten Grade wahr-
scheinlich, dass die Flexion dieser Pronomina im Slavischen und Litauischen
einst ganz dieselbe war, dass also der ursprüngliche Genitiv, der slavischen Form
entsprechend, dem Litauischen verloren gegangen ist. Schon im Preussischen
ist das der Fall, es braucht dafür den gen. sing. msc. des Possessivums, denn
twaise ist = * tvajasja, nom. sing. twais = * tvajas (slav. tvojĭ). Im Litauischen
dient für die possessive Bedeutung des Genitivs ebenfalls der gen. sing. msc. des
Possessivpronomens: manō (nom. sing. manas), tavō, savō. Dass der loc. sing.
und instr. sing. lit. manyjè, tavyjè, savyjè; manimì, tavimì, savimì, der dat. mán-
(ei) mit ihren den nominalen i-stämmen nachgebildeten Formen litauisch-lettische
Neubildungen sind, liegt auf der Hand. Dass die acc. manę̀, tavę̀, savę̀ ebenfalls
solche sind, lässt sich gegenüber den preussischen Formen und dem erhaltenen
litauischen acc. refl. si und dem vereinzelten mi (= si̧, mi̧) nicht bestreiten.
[123]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
Nothwendig muss man bei diesem Verhältniss also darauf kommen, dass die
litauischen Genitive manę́s, tavę́s, savę́s ebenfalls in diese Reihe von Neubildungen
gehören, dann können sie aber mit dem slavischen toję in Form und Entstehung
nichts zu thun haben. Es kommt bei der Auffassung der litauischen Formen noch
dies in Betracht: der acc. manę̀ u. s. w. stimmt im auslautenden Vocal nicht zu
den übrigen Casusformen, da er nicht auf einen Stamm mani- zurückgehen kann,
ein acc. von diesem würde * mani̧ (vgl áki̧) lauten. Für diese Eigenthümlichkeit
glaube ich eine Erklärung zu haben, gebe sie aber lieber unten im Zusammen-
hange mit dem ganzen Personalpronomen, und bemerke nur vorläufig, dass mit
dem acc. die Bildung des Genitivs zusammenhängt.


Es bleibt also das slavische toję mit seinem nominalen Zubehör wieder ver-
einzelt. Gerade im Slavischen hat man nun allen Grund, bei dieser Form zu
fragen: ist sie denn eine wirkliche Genitivform? Wir haben im Slavischen im
Singular der Pronomina ausser čĭso nicht eine einzige formell als gen. zu be-
stimmende Form: mene, tebe, sebe, togo sind alles nicht Genitivformen im ge-
wöhnlichen Sinne. Nehmen wir an, wie die arischen Sprachen und das Preus-
sische es an die Hand geben, das Slavische habe einst einen gen. sing. fem.
* tasjās, nach seiner Weise in * tajās umgebildet, besessen, so hätte daraus den
Lautgesetzen nach * toja werden müssen, und dies hätte, da es von allen anderen
Formen unterschieden ist, so bestehen können; allein der Auslaut ist dem eines
femininalen ā-stammes gleich, und das konnte zum Aufgeben der Form geneigt
machen. Die alten nominalen Genitive * rankās, * dusjās (lit. rankos) mussten zu
* rąka, * duša werden, fielen also mit dem nom. sing. ganz und gar zusammen.
In ähnlichen Fällen sehen wir das Slavische, dessen Formgefühl trotz der zer-
störenden Auslautsgesetze immer ausserordentlich lebendig blieb und bis auf den
heutigen Tag lebendig ist, zu einem Ersatz durch einen verwandten Casus greifen;
es ist einfach das unbewusste Streben nach deutlichem Ausdruck. Nun kann ohne
weiteres toję mit dem sanskritischen loc. sing. fem. tasjām identificirt werden.
Dass im Slavischen nicht * toją daraus geworden ist, braucht uns davon nicht
abzuhalten, wir finden auch sonst in anderen Fällen nach j ein ą und ę wechseln
(auf diesen Punkt komme ich gleich im folgenden in Verbindung mit einer
anderen lautlichen Schwierigkeit zurück). Dass der loc. den gen. ersetzen
kann, bedarf wohl keines besonderen Nachweises, die Bedeutungen des
«an, bei, in» sind annähernd im Stande, die mannichfachen Beziehungen
des Genitivs auszudrücken, ähnlich wie der gen. sing. msc. ntr. im Slavi-
schen und Litauischen durch den in der Bedeutung enger begrenzten, aber
verwandten Ablativ ersetzt wird. Die Form macht so beim Pronomen keine
Schwierigkeit. Man könnte nun für das Nomen eine einfache Entlehnung vom
Pronomen annehmen, und diese scheint mir das wahrscheinlichste, aber eine
Möglichkeit ist vorhanden, selbst beim Nomen auf eine analog gebildete Locativ-
form zu schliesen. Die sanskritische Form des loc. sing. fem. der ā-stämme ist
açvā-j-ām (Zend a-j-a); eine Betrachtung der übrigen Casusformen dieser Stämme
muss aber darauf führen, dass das eigentliche Casussuffix (wie sicher beim Pro-
nomen, wo sj zur Stammbildung gehört) -ām ist. Wenn wir


[124]b. Declination der Pronomina.
  • dat. sing. avj-āi hanv-āi neben açvājāi,
  • instr. sing. avj-ā hanv-ā „ açvajā

stellen, und dazu nehmen, dass älteres açvāi, açvā überliefert ist, so kann kein
Zweifel bleiben, dass hier die Casusendungen ai, ā sind, und so gut açvāi, açvā,
vom u- und i-stamm loc. sing. hanv-ām, avj-ām vorhanden sind, musste ein
loc. * akvām möglich sein ausser * akvājām. Dass Doppelformen der femininalen
ā-stämme, mit und ohne j, auch innerhalb des Slavisch-litauischen vorkommen,
beweist instr. sing. lit. rankà = * rankà, slav. rąkoją. Nehmen wir an, dass
eine solche Doppelform auch für den loc. sing. bestanden habe, so haben wir im
Litauischen rankoje die eine, die andere würde * rankām sein, und daraus kann
im Slavischen durch die Mittelstufen * rankān, * rankūn das rąky entstehen; wo j
im Stamm vorhanden war, unterblieb wie immer die Verwandlung und es ent-
stand Nasalvocal, daher dušę. Diese Annahme erklärt zugleich, warum das Sla-
vische bei den femininalen ā-stämmen, seien sie nominal oder pronominal, keine
eigenthümliche Locativform mehr besitzt, sondern dafür den Dativ, rącě, tojī,
eintreten lässt. Doch gebe ich gern die Construction des nominalen Locativs
* rankām Preis, es genügt auch die Annahme einer Entlehnung vom Femininum
des Pronomens. Was die Verwendung einer Locativform in genitivischer Function
betrifft, so darf man für das Slavische noch daran erinnern, dass nach der Wir-
kung des consonantischen Auslautsgesetzes in zwei Stammclassen der gen. dem
loc. gleichlautend geworden war: bei den u-stämmen gen. synu, loc. synu, und
was hier noch von grösserer Bedeutung ist, bei den zahlreichen femininalen i-
stämmen, gen. nošti, loc. nošti. Ferner lässt sich noch herbeiziehen die wie
immer zu erklärende Locativform kamen-e der consonantischen Stämme, die
ebenfalls dem gen. kamen-e gleichlautet, sodass ein Anschluss an die Locativform
der Sprache nicht fern liegt.


Wenn so auch in der gegebenen Erklärung keine innere Unwahrscheinlich-
keit liegt, so könnte doch die angenommene lautliche Entwicklung Bedenken
erregen. Zunächst, warum ist nicht der beim Pronomen vorausgesetzte loc. * ta-
jām
aus tasjām so behandelt, wie etwa der instr. * tajām, d. h. -ām wie hier und
in andern Fällen zu geworden? Darauf lässt sich nur antworten, dass wir
auch sonst im Slavischen bei gleichen zu Grunde liegenden Lautverhältnissen
einen Wechsel zwischen ą und ę finden, dessen Ursache bis jetzt nicht gefunden
ist, vgl. z. B. nom. sing. part. pišę, gen. pišąšta, 3. plur. aor. comp. něsę =
* nes-sę, dašę = * da-chę
(ch = s zwischen Vocalen) neben 3. plur. imperf. nesě-
a-chą
, wo dasselbe -* sant des Hülfsverbums zu Grunde liegt, 3. plur. praes.
glagoljątĭ aber chvalętĭ, obwohl letzteres auch auf Präsensbildung mit Suffix -ja-
zurückgeht. Demnach ist es auch erlaubt, die abweichende Entwicklung eines
-jām zu -ję in toję anzunehmen. Gewichtiger ist ein anderer Einwand. Bei der
Besprechung des nom. sing. msc. der n-stämme wurde davon ausgegangen, dass,
wo wir sicher ein auslautendes -y auf eine ursprünglich nasale Silbe zurück-
führen können, die Lautverbindung indogermanisch als a + nas. + cons. er-
scheint, und darauf wurde die Annahme eines vorslavischen nom. * akmans
gegründet. Dieser Entstehungsregel des -y würde die oben angenommene Ent-
[125]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
wicklung von rąky widersprechen, mit Anwendung der Regel müsste auf -* ā̆ns
oder überhaupt auf n + cons. zurückgegangen werden. Giebt man wiederum
die Regel Preis und nimmt an, auch ā mit Nasal ohne weiteren consonantischen
Zusatz sei zu -ūn, daraus -y geworden, so fehlt jede Beziehung dieser Verwand-
lung zu einem bestimmten Lautverhältniss, und man steht vor der Frage, warum
nicht alle -ām oder -ān im Auslaut gleich behandelt sind, sondern bald zu ą (ę)
bald zu y werden, worauf dann jede Antwort fehlt. Ich weiss aus diesem Di-
lemma nicht herauszukommen und bin daher weit entfernt, die gegebene Deutung
des toję und rąky für sicher zu halten. Wenn ich sie trotzdem mit aufgenommen
habe, so ist es nur geschehen, um die Möglichkeiten zu erschöpfen und eine
Kritik der ganzen hier in Betracht kommenden mannichfachen Fragen hervor-
zurufen.


d) Die vom Nomen abweichenden Formen des fem. plur.

Im Slavischen stimmen gen., dat., loc. plur. völlig mit denen des msc. über-
ein: těchŭ, těmŭ, těchŭ. Ob das je auch in der litauischen Familie der Fall war,
ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Im Preussischen ist es allerdings der
Fall, aber hier fallen alle Casus des msc. und fem. zusammen, sodass die ur-
sprüngliche Zugehörigkeit der Formen nicht bestimmt werden kann. Die Frage,
ob das ě = ai ursprünglich auch dem fem. zukommen kann, werden wir beim
Deutschen wieder aufnehmen. Dieselbe Frage erhebt sich beim Dual, wo slav.
těma beiden Genera, lit. tëm nur dem msc. zukommt.


2. Die germanischen Formen verglichen mit denen des Slavisch-
litauischen.

Bei der Besprechung der germanischen Formen verzichten wir auf die Be-
handlung der Stammbildung in den zusammengesetzten Pronominalstämmen, da
diese Bildungen im Slavischen und Litauischen nichts entsprechendes haben, es
kommt uns also hier nur auf die Casusendung an und auf die vor derselhen
stehenden Elemente wie sma und ähnliche, die nicht germanisch, sondern indo-
germanisch sind.


a) Die Formen dessing. msc.-ntr.

Beim Nominativ sind nur die Formen des Pronomens got. sa, sō, þat-a einer
Betrachtung zu unterziehen. Die Uebereinstimmung zwischen dem

ist der Art, dass man kaum umhin kann, die althochdeutschen Formen des msc.
und fem. der (thie), diu, das altsächs. thê, thie, fem. thiu für eine neue Form,
[126]b. Declination der Pronomina.
einen Anschluss an den Stamm ta- der übrigen Casus und des ntr. zu halten.
Ferner macht die weitere Uebereinstimmung zwischen

geneigt zu der Annahme, dass für das Indogermanische überhaupt der Nomi-
nativ als
sa sā tad
anzusetzen ist, also Formen wie * tas, tā nicht vorhanden waren und in den
Sprachen, wo sie später auftreten, also auch im Slavischen und Litauischen,
spätere Bildungen sind. Auf der andern Seite ist es allerdings auch möglich, für
die Grundsprache Doppelformen sa — tas, sā — tā anzunehmen, von denen die
eine hier, die andere dort erhalten wäre. Dafür könnte das Griechische mit seinen
doppelten Pluralformen τοἰ — οἱ, ταἰ — αἱ sprechen, allein es liegt hier wieder
bei der Uebereinstimmung aller andern Sprachen im Stamm ta- für den Plural
nahe, an eine speciell griechische Fortbildung des nom. sing. ὁ, ἡ zu denken.
Zu einer sicheren Entscheidung wird sich die Sache kaum bringen lassen, ich
wollte sie nur nicht unerwähnt lassen, weil sie ein sprachgeschichtliches Moment
enthält.


Von den übrigen Formen des sing. kommt für uns nur der dat. in Betracht;
gen. þis ist natürlich = preuss. (s)tesse, im Gotischen aber mit der nominalen
Form gleich gebildet, also für diese Sprache keine eigentlich pronominale Form;
der acc. ebenfalls nur lautgesetzlich, durch die beim einsilbigen Wort nothwen-
dige Erhaltung des Wurzelvocals und die Bewahrung des n in Folge des ange-
fügten a = ā (þan-ā), von der nominalen Form unterschieden. Es tritt hier
wieder die Frage ein, welcher Casus eigentlich þamma sei (s. darüber Braune,
Quantität der althochd. Endsilben, Paul und Braune, Beitr. II. — Paul. Der Ab-
lativ im Germanischen, ebend. II. 339). Eins steht zunächst fest: dass das aus-
lautende a lang anzusetzen ist; daher denn die von der weiteren Wirkung des
Auslautsgesetzes durch die angehängte Partikel verschonten Dative wie hvammē-h.
Nach der bisherigen Fassung des Auslautsgesetzes konnte ein þammā auf * þam-
māi
zurückgehen und war dann sicher dem skrt. tasmāi gleich zu setzen, dem
Casus nach wirklicher Dativ, wie im Nomen daga = * dagāi so gefasst wird.
Braune versucht nun a. a. O. dies Auslautsgesetz überhaupt umzustossen auf
Grund der althochdeutschen Formen tage und demu, die allerdings nicht auf die-
selbe urgermanische oder gotische Grundform zurückgehen können: ersteres
könne nur auf einem gotischen * dagai beruhen, «denn niemals geht gotisch aus-
lautendes kurzes a im althochd. in e» über (die Beweisgründe sind blinte = got.
blindai, neme = got. nimai, imper. habe = got. habai, überhaupt alle Fälle, wo
sich e im Althochdeutschen auslautend findet, d. h. abgesehen von der späteren
Schwächung der auslautenden Vocale zu e); demu könne nur auf got. þamma
zurückzuführen sein, denn das Althochdeutsche kenne nur einen Uebergang des
[127]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
auslautenden kurzen a des Gotischen, nämlich den in -u. Da nun Braune trotz-
dem die für tage vorausgesetzte Form * dagai und z. B. blindamma für dieselbe dati-
vische Casusform hält, muss er annehmen, dass das urgermanische Auslautsgesetz
aus * blindammai das i fallen liess, daher ahd. blintemu, dagegen in * dagai das i
festhielt, daher tage, und so kommt er zu der Formulirung: «indogerm. ai bleibt
im Germanischen in der zweiten Silbe, in der dritten wird es zu a verkürzt».
Darnach kann also der gotische nominale Dativ daga nicht = * dagai sein, und
Braune hält ihn für den Instrumental = althd. tagu. Nun blieben aber wieder
þamma, himma u. s. w. unerklärt, denn in diesen zweisilbigen Formen müsste
ja nach dem obigen Gesetze * þammai u. s. w. stehen, und Braune nimmt an,
dass þamma erst durch die Analogie von blindamma herbeigeführt sei. Dagegen
hat Paul a. a. O. mit Recht eingewandt, «dass die Flexion des Adjectivs sich immer
mehr der der Pronomina anbequemt, nicht umgekehrt» und als positiven Beweis
gegen Braunes Auffassung die Formen wie hvammēh angeführt, die das ā von
þamma beweisen, das in einem vorausgesetzten * þammai nicht vorhanden ist. Da
aber auch Paul annimmt, dass mit Ausnahme der Medialformen (nimada etc.) u. s. w.
ai im Gotischen erhalten bleiben musste (für den Wegfall des i in den Medial-
endungen fehlt ihm die Erklärung), so bleibt ihm nichts übrig, als in þammā
einen anderen Casus zu suchen, und das kann dann nur der Ablativ tasmāt sein.


Ich halte diese ganzen Auseinandersetzungen nicht für zutreffend. Bei Braune
(p. 34 des Sonderabdr.) heisst es: «von den Endungen [des Althochdeutschen]
auf unveränderliches o, welche sämmtlich aus langen Vocalen verkürzt sind, muss
man die Endungen trennen, die in den alten Quellen auslautendes u zeigen, das
dann in o übergeht. Diese Endvocale sind schon alte germanische Kürzen. Es
sind folgende sechs: 1) I. sg. praes. ind. st. v. und schw. v. I, nimu; 2) instr.
msc. ntr. tagu; 3) dat. sg. msc. st. adj. blintemu; 4) dat. sg. fem. st. adj. blin-
teru;
5) dat. sg. fem. a-Decl. gibu; 6) n. a. sg. der u-Decl. sunu, filu»; hinzu-
zufügen ist noch 7) der nom. acc. plur. ntr. auf -u, giuuâtiu, cunnu. Der sechste
Fall, wo u ursprünglich ist, muss bei Seite gelassen werden, mit den anderen
hat es aber doch eine eigene Bewandtniss. Woher wissen wir denn so bestimmt,
dass gerade diese a, aus denen die u hervorgegangen sind, im Germanischen,
d. h. vor der Trennung der Dialekte, kurz waren? Für die Formen blintemu,
blinteru, gibu
trifft das nur dann zu, wenn man (angenommen, sie seien wirk-
liche Dative, und so lange die Annahme nicht absolut unmöglich wird, ist daran
festzuhalten, wie es ja auch Braune thut) -ai als Auslaut ansetzt, nimmt man
aber eine Grundform * gebāi, * blindammāi etc. an, wie es doch sicher ursprüng-
lich richtig ist (vgl. skrt. açvāi fem., tasmāi, griech. -ῃ, -ᾱͅ), so ergiebt sich, die
bisherige Fassung des Auslautsgesetzes beibehalten, zunächst * gebā. Die 1. sg.
praes. nimu, got. nima hat einen Nasal verloren, und wir wissen aus anderen
Fällen (got. gen. pl. ê, ô), wie der Nasal die Verkürzung verhindert. Braune
nimmt z. B. an, dass althd. hano nicht auf die gotische Form hana zurückgehe,
sondern auf ein * hanō = hanā, also wenn man auch die Auslaute nima, hana
des Gotischen für kurz hält, so folgt daraus nicht, dass das a für das Germanische
als kurz anzusetzen, sondern nur, dass es im Gotischen verkürzt ist. Bleibt allein
[128]b. Declination der Pronomina.
der instr. tagu; hier ist eine indogermanische Grundform auf anzusetzen, dies
müsste nach der gewöhnlichen Formulirung des germanischen Auslautsgesetzes
zu ă werden, und somit wäre ein Fall vorhanden, wo ahd. -u = got. , ebenso
beim nom.-acc. plur. ntr., urspr. , germ. ă, ahd. u (wenn nicht abgefallen).
Darin sind sich alle Fälle gleich, dass für die vorgermanische Zeit ā als Länge
angenommen werden muss und zwar nach den belegbaren Formen der anderen
Sprachen. Der Gedanke liegt also nicht fern, dass die Qualität des Vocals als u
in der That mit der ursprünglichen Länge etwas zu thun habe. Hat man sich auf
voralthochdeutscher Stufe das auslautende a eines instr. * daga oder einer 1. sg.
nima und das einer Form wie nasida ganz gleich, beide kurz zu denken, wie
kommt es, dass jenes tagu, nimu, dieses nerita lautet? Wo wir hinter zwei ver-
schiedenen Entwicklungsrichtungen gleiche Vocale finden, hinter diesen wieder
eine Trennung, die mit jener Verschiedenheit übereinstimmt, ist doch die Wahr-
scheinlichkeit durchaus dafür, dass die Gleichheit nur eine scheinbare ist und
die alte Trennung in der bestehenden Verschiedenheit fortlebt. Daraus würde
nun allerdings hervorgehen, dass für die voralthochdeutsche Stufe jene Auslaute
noch als lang anzusetzen wären, und ich sehe darin nicht bloss keine Schwierig-
keit, sondern halte es sogar für nothwendig, wenn man je zu einer klaren An-
schauung von dem Verhältniss der westgermanischen (deutsch-angelsächsischen)
zu den ostgermanischen (gotisch-nordischen) Auslauten kommen will. Mit andern
Worten, das vocalische Auslautsgesetz ist wenigstens in der Ausdehnung, wie bis-
her angenommen, nicht allgemein germanisch, sondern erst nach der Trennung
der Hauptgruppen ausgebildet. Es würde zu weit führen, wollte ich das hier
im einzelnen begründen. Kehren wir zu der vorliegenden Form zurück: wir
können jetzt zugeben, dass tage in der That auf * dagai zurückgeht, aber dies,
mit kurzem a im Diphthong, ist dann nicht Dativ, sondern Locativ, und wir
haben, wie für das Griechische οἴκῳ [und] οἴκοι, so für das Germanische ur-
sprünglich loc. * dagai, dat. * dagāi anzusetzen, das gotische Auslautsgesetz
machte daraus * daga, * dagā und bei der weiteren Verkürzung der Längen fielen
die Formen in daga zusammen. Gälte, was Braune annimmt, das Auslautsgesetz
bei zweisilbigen Formen nicht, so ist nicht abzusehen, warum das Gotische die
charakteristische Form * dagai oder dagāi, die doch im femininalen gibai geläufig
bleibt, hätte fallen und dafür den instr. eintreten lassen. Im Althochdeutschen
ward der loc. * dagai als Dativ tage festgehalten, der eigentliche Dativ, der aus
dem zunächst entstehenden * dagā hätte * tagu werden müssen, fiel mit dem instr.
zusammen und verschwand so. Beim Pronomen und Femininum, wo ein solches
Zusammenfallen nicht eintreten konnte, blieb der alte Dativ demu, gebu erhalten.
Im Gotischen musste aus * þammāi demgemäss * þammā (die Länge erhalten in
hvammē-h) endlich þamma werden. So halte ich þamma und demu für dieselbe
Form und beide für wirkliche Dative.


b) Die Formen des fem. sg.

Die gotischen Formen des gen. und dat. þizōs und þizai haben in dem z
unverkennbar einen Rest des alten sj bewahrt; da aber alle germanischen
[129]i. Der nicht-persönlichen Pronomina.
Sprachen in ihrem r (z) einfaches s voraussetzen lassen, muss sj bereits in der
germanischen Periode zu s geworden sein, zunächst wohl aus ss, wie wir für
þis = tasja die Mittelstufe * þissa nothwendig ansetzen müssen (vgl. den nomi-
nalen gen. sg.). Man könnte freilich auf den Gedanken kommen, dass hier über-
haupt kein j vorhanden gewesen sei, sondern wie im gen. plur. pron. einfaches
s (-sām), allein dafür lassen sich keine Zeugnisse auffinden, und jedenfalls be-
weist das preuss. stessias das Vorhandensein des j auf europäischem Boden.
Nehmen wir also an, das z (r) repräsentire ursprüngliches sj, so ist got. þizōs
(althd. derā u. s. w.) unmittelbar = preuss. s-tessias, skrt. tasjās, auch die
Kürze des Wurzelvocals stimmt; deru, welches nicht auf got. þizai bezogen wer-
den kann (s. o. S. 126) ist aus * þizā = * þizāi = preuss. s-tessiei = skrt. tasjāi
hervorgegangen. Aus ursprünglichem germanischem * þizāi musste nach dem go-
tischen Auslautsgesetze * þizā̆ werden; diese Form ist verloren, so gut wie beim
Nomen, das sie durch eine Locativform gibai = * gibā-ja ersetzt hat. Scherer
construirt auch für þizai einen loc. * tasjā-ja, allein eine solche Form lässt sich
nirgends nachweisen, und es scheint mir daher einfacher anzunehmen, þizai sei
nur dem Nomen nachgebildet. — Auf die vom Pronomen abweichende Adjectiv-
form blindaizos komme ich beim Adjectiv.


c) Die Casus des Plurals.

Nom. plur. msc. þai deckt sich mit preuss. s-tai, lit. , slav. , wie mit
den Formen der übrigen Sprachen und spricht dafür, dass das Suffix i des nom.
plur. ursprünglich auf das pron. beschränkt war.


Gen. plur. þizē, þizō got. Der Unterschied der Endung ist derselbe, wie
beim Nomen zwischen fem. und msc. in den dort behandelten Fällen. Da beim
Pronomen die gleiche Endung -sām zu Grunde liegt, kann von einem ursprüng-
lichen Unterschied nicht die Rede sein, derselbe ist also specifisch gotisch und
kann nur durch Anschluss an das Nomen (man denke an den Gebrauch dieses
Pronomens als Artikel) erklärt werden.


Die gotischen Formen bieten eine auffallende Seite: es sind wirkliche Pro-
nominalcasus, haben aber nicht, wie preuss. s-teison, slav. těchŭ, skrt. tēšām die
Stammerweiterung des msc. durch i. Nun ist es zwar nicht undenkbar, dass
eine Grundform * tasām ohne i vorhanden war, allein dann hätte man für das
Femininum nach Analogie von skrt. tāsām, griech. τάων, istārum auch ein fem.
* þōzō erwarten müssen; von einem kurzen a, wie in þizō, findet sich sonst in
diesem Casus keine Spur. Hat also im Gotischen der Casus des Fem. Verände-
rungen erlitten, so ist das auch für das Masc. den anderen Sprachen gegenüber
wahrscheinlich, wir werden also als urgermanische Form * þaizē anzunehmen
haben und das i des Gotischen durch Analogie des Singulars þis, þizōs erklären
(s. Sievers, Die starke Adjectivdeclination. Paul und Braune, Beitr. II, 98 ff.).
Es kann daran um so weniger gezweifelt werden, als altn. þeira, ags. þâra den
Diphthong haben und sich dieser ungezwungener Weise doch nur aus * taisām
erklären lässt. Was die Einwirkung des Singulars auf den Plural betrifft, so
Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 9
[130]b. Declination der Pronomina.
haben wir zur Erläuterung den umgekehrten Fall im Altnordischen, wo dat. sg.
msc. þeim, gen. sg. fem. þeirar, dat. þeiri ihr ei der Nachbildung der Plural-
formen þeim (= * þeimr), þeira verdanken, ebenso angelsächs. þâm, þœre nach
plur. þâm, þâra — þœra.


Beim Femininum fragt es sich, ob wir auf eine Grundform * tāsām oder
* taisām zurückzugehen haben. Da das Gotische und Deutsche nichts entscheiden,
sprechen nordisches und angelsächsisches þeira — þâra mit ihrer Geltung für
beide Genera für * taisām und das stimmt genau zu dem Zusammenfallen der Formen
im slav. tḝchŭ. Dieser Zug wiederholt sich beim dat. plur. Trotzdem bleibt es
misslich, etwas darauf zu geben, da z. B. auch das Altpersische für msc. und
fem. die Form tjaisām hat, während das Zend zum Sanskrit stimmt; es bleibt
also auch die Möglichkeit einer Uebertragung der Masculinform auf das Femini-
num innerhalb einer einzelnen Familie.


Ueber den dat. plur. þaim, allen germanischen Dialekten für alle Genera
gemeinsam, gilt hinsichtlich des Suffixes das beim Nomen besprochene; auf das
Zusammenfallen der Genera wie im slav. těmŭ ist das eben beim gen. plur.
gesagte anzuwenden.


II. Die pronominale Declination der Adjectiva.


Bekanntlich galt es bei vielen und gilt wohl noch für ein besonders sicheres
Zeichen des Zusammenhangs zwischen Slavisch - litauisch und Germanisch,
dass beide Gruppen eine, wie man glaubte, auf gleiche Weise entstandene pro-
nominale Adjectivdeclination haben. Man nahm an, die unbestimmte (starke)
Declination des germanischen Adjectivs sei entstanden aus der Zusammen-
setzung
des Adjectiv stammes mit dem Pronomen ja-; da man nun im Sla-
visch-litauischen das bestimmte Adjectiv gebildet fand durch Zusammen-
rückung
der declinirten Formen desselben Pronomens und der Casusformen
des Adjectivs, kam man auf den, scharf aber richtig ausgedrückt, abenteuer-
lichen Schluss, die germanischen und slavisch-litauischen Formen seien einer
Entstehung. Trotz aller Widerlegungen, die auf das schlagendste die lautliche
Unmöglichkeit und den Widerspruch in der Bedeutung aufgezeigt haben (s. jetzt
namentlich Sievers oben angeführte Abhandlung) scheint jene Meinung unaus-
rottbar zu sein. In neuerer Zeit ist durch Miklosich die Compositionstheorie so-
gar auf das Slavische und Lettische ausgedehnt worden, so dass endlich in der
ganzen pronominalen Declination der Adjectiva über nichts die Ansicht fest steht,
als dass im Litauischen das unbestimmte Adjectiv in einer Anzahl von Casus
pronominal declinirt wird, ohne mit ja- zusammengesetzt zu sein, und dass die
bestimmte Declination des Litauischen im engeren Sinne (vom Lettischen ab-
gesehen) durch einfaches Aneinanderrücken der Casus des Adjectivs und Pro-
nomens entstanden ist. Beides war nicht möglich anders aufzufassen. Ich
möchte nun zunächst zeigen, dass die Annahme einer eigentlichen Composition
des Adjectivstammes mit -ja- für das Slavische und Lettische verfehlt ist.


[131]ii. Die pronominale Declination der Adjectiva.
1. Das bestimmte Adjectiv im Slavischen und Litauischen.

a) Im Slavischen.

Miklosich (Ueber die zusammengesetzte Declination in den slav. Sprachen.
Wiener Sitzungsber. phil. -hist. Cl. LXVIII, 133. Mai 1874) behauptet: «Die
Formen der zusammengesetzten Declination zerfallen in zwei Classen, je nach-
dem das Adjectiv und das Pronomen declinirt werden oder das erstere in seiner
thematischen Form auftritt; jenes findet statt im sing. gen. msc. ntr. dobraago
aus dobra-jego, dieses im sing. instr. msc. ntr. dobryimĭ aus dobrŭ-imĭ». Die
Frage ist wichtig genug, um untersucht zu werden, da, wenn jene Behauptung
richtig, wir ja ein Präjudiz für eine sehr alte Composition des Adjectivstammes
mit ja- erhielten. Ich stelle zunächst die betreffenden Formen hierher.


Die zusammengesetzte Declination sieht nun folgendermassen aus. Die ohne
weiteres als Zusammenrückungen des Adjectivcasus mit dem entsprechenden
Pronominalcasus zu erkennenden Formen sind cursiv und die Bestandtheile
durch den Bindestrich getrennt:

9*
[132]b. Declination der Pronomina.

Also wir haben hier, wenn man die Formen, in denen die Genera zusammen-
fallen, nur einmal zählt und ebenfalls nom.-acc. ntr., nom. acc. plur. fem., loc.-
dat. sg. fem. als ununterschiedene Formen nur je einmal rechnet, 30 Casus-
formen, davon sind 25 ohne allen Zweifel Zusammenrückungen zweier Casus,
5 nicht ohne weiteres als solche zu erkennen (Miklosich rechnet zwar noch zu
den letzteren gen. plur. dobrŭjichu, instr.-plur. dobryjimi, aber warum? dobrŭ
und dobry sind ja die wirklichen nominalen Casusformen, ersteres aller Genera,
letzteres des msc.-ntr.). Es muss jedem auffallen, wie es sprachgeschichtlich
äusserst unwahrscheinlich ist, dass in diesen fünf Formen ein anderes Bildungs-
princip herrschen soll, als in jenen 25. Vielleicht soll man annehmen, diese fünf
seien der Rest einer älteren, im übrigen aufgegebenen Bildung, die etwa im deut-
schen Adjectiv mit Bedeutungswechsel zu finden sei. (Miklosich will es unentschie-
den lassen, welche der beiden Weisen älter sei jünger kann doch die Zusammen-
setzung nicht sein als die Zusammenrückung; wo sind denn im späteren Slavi-
schen unflectirte Adjectivstämme anzutreffen?) Dann müsste man auch erklären,
wie man sich die Entstehung dieser Formen in ihrer vorliegenden Lautgestalt
und Bedeutung eigentlich denken soll. Construiren wir uns einmal den Fall (da
es auf die Casusendungen des Pronomens nicht ankommt, nehme ich die san-
skritischen Formen):


  • nom. sg. msc. * nava-jas
  • gen. * nava-jasja
  • dat. * nava-jasmāi
  • acc. * nava-jam
  • loc. * nava-jasmin
  • instr. * nava-jena (slav. * -jaibhi).

Solche Bildungen kann man doch nur unter die Kategorie Composition bringen
oder allenfalls das ja mit dem bekannten Suffixe ja vergleichen; in beiden Fällen
gilt aber im Slavischen das Gesetz, dass der Vocal vor j o sein muss, es hätte
also z. B. im instr. * novojimĭ heissen müssen (vgl. die analoge Flexion von mojĭ
[meus], instr. sg. mojimĭ). Ausserdem wären auf diese Weise ganz bequeme
[133]ii. Die pronominale Declination der Adjectiva.
Formen entsanden, gen. * novojego u. s. w., von denen nach Miklosichs Auffas-
sung z. B. im instr. sg. fem. dobroją ein Rest erhalten ist, und es ist nicht ab-
zusehen, warum die Sprache solche Formen sollte aufgegeben und durch weit-
läufigere Umschreibungen ersetzt haben. Nun setzt freilich Miklosich für instr.
sg. dobrŭ-jimĭ den Stamm * dobrŭ- an, allein solche Stämme existiren nicht: wer
sich etwa dabei auf den nominalen instr. sg. dobrŭ-mĭ (neben dobromĭ) berufen
will, in welchem vor der Casusendung ein scheinbarer Stamm dobrŭ- steht,
begeht den Fehler, dass er aus vorslavischer Zeit stammende, längst fertige Casus-
bildungen, in denen Stamm und Endung fest verbunden waren, mit einer speciell
slavischen, jedenfalls nicht indogermanischen und uralten Bildung zusammenwirft.
Das in Bezug auf die Form, die Sache hat aber noch eine andere Seite: das Li-
tauische hat unbestreitbar nur durch Zusammenrückung entstandene Formen
(auf eine scheinbar widersprechende, völlig falsch gedeutete lettische Bildung
komme ich im folgenden); wenn nun irgend etwas in der Sprachgeschichte Wahr-
scheinlichkeit hat, so ist es nicht am wenigstens wahrscheinlich, dass Litauisch
und Slavisch zusammen den Gebrauch des Pronomens ja- als nachgesetzten Ar-
tikel (denn das ist ja das Wesen der Sache) ausgebildet haben. Ist das aber der
Fall, auf welchem Wege konnte das Slavische allein dazu gelangen, die Casus-
formen des Pronomens dem nackten Adjectivstamme zu suffixiren? Wie kann
man selbst noch für die Sprachperiode, in der sich Litauisch und Slavisch trenn-
ten, nackte Stämme annehmen? Man kommt also, wenn man die Entstehung der
slavischen fünf Formen aus Adjectivstamm und Pronomen doch festhalten will,
zu der weiteren Folge, dass schon in slavisch-litauischer Zeit oder noch weiter
zurück eine solche Suffigirung stattgefunden habe, dass sich während dieser Zeit
auch schon die artikelartige Nachsetzung entwickelte, dass im Litauischen, ob-
wohl diese Sprache sich in der Erhaltung der Declinationsformen besonders aus-
zeichnet, alle Formen mit suffigirtem ja- verloren gegangen seien. Endlich wie
soll man sich überhaupt vorstellen, dass ein Artikel einem Stamme suffigirt wird,
wohl zu bemerken, ohne in die Kategorie der stammbildenden Suffixe zu ver-
fallen? Kurz, man verwickelt sich mit Miklosichs Annahme in eine Menge laut-
licher und sprachgeschichtlicher Unwahrscheinlichkeiten, um nicht zu sagen Un-
möglichkeiten.


Nehmen wir dagegen an, jene fünf Formen seien nach demselben Princip
gebildet, wie die übrigen 25, so ist die Erklärung ihrer vorhandenen Gestalt sehr
einfach. Wir haben uns als zu Grunde liegend zu denken:


  • instr. sg. msc. * dobrŭmĭ-jimĭ
  • dat. pl. * dobromŭ-jimŭ
  • loc. pl. * dobrěchŭ-jichŭ
  • dat. dual. * dobroma-jima
  • instr. sg. fem. * dobroją-ją (statt -jeją, wie auch in den
    anderen Casus des fem. sg. das je- fehlt,
    vgl. gen. dobryję = * dobry-jeję).

Es muss auffallen, dass gerade dieses die Casus sind, in denen eine schwere
Endung, -mĭ, -mŭ, -ma, -chŭ, -ją, in beiden Elementen ganz gleich und nahe
[134]b. Declination der Pronomina.
hinter einander zweimal erscheint, eine Gleichheit, wie sie unter den 25 anderen
Formen nicht wieder vorkommt; keine der letzteren ist mehr als viersilbig,
während wir hier lange fünfsilbige Formen haben. Es ist daher wenigstens sehr
denkbar, dass hier durch Abwerfen des ersten, inneren, für die Charakteristik
der Formen unwesentlichen der beiden gleichen Bestandtheile eine Dissimilation,
eine Erleichterung gemacht ist. Im sg. fem. haben wir sogar durch alle Formen
hindurch einen solchen Fall sozusagen vor Augen. Die Formen würden voll-
ständig lauten:


    • *dobry-jeję
    • *dobrě-jeji
    dafür
    • dobry-ję
    • dobrě-ji.

Dass -ję, -ji nicht etwa ältere gleichberechtigte Nebenformen statt jeję, jeji sind,
lehrt ein Blick auf toję, toji und alle anderen Pronomina. Es kann uns also nichts
hindern, denselben Vorgang auch sonst als möglich, ja wahrscheinlich anzunehmen,
wo dieselben Verhältnisse obwalten. So also erklärt sich einmal dobroją aus * do-
broją-ją
, und instr. sg. msc. dobrŭ-jimĭ, nach späterer Lautform mit Dehnung
des ŭ vor j dobryjimĭ (добрыимь). Wenn man ferner für den nominalen dat.
plur. mit Miklosich (Formenlehre in Paradigmen) dobrŭmŭ als die ältere, echt
altslovenische Form ansetzte, würde man auf demselben Wege zu dobryjimŭ
kommen; allein eine Dativform dobrŭmŭ kommt nicht vor und ist eine von Miklo-
sich einer grammatischen Theorie zu Liebe, weil die Form des instr. sg. do-
brŭmĭ
neben dobromĭ existirt, gemachte Conjectur. Es ist aber auch nicht nöthig,
sich darauf zu berufen. Wir haben im msc. bereits drei Casus, die von Haus aus
-ŭji-, daraus -yji-, oder von vornherein -yji- haben:


  • instr. sg. dobrŭ-jimĭ, dobryjimĭ
  • gen. pl. dobrŭ-jichŭ, dobryjichŭ
  • instr. pl. dobry-jimi.

Nach unserer Dissimilationstheorie hätte nun der loc.-plur. * dobrějichŭ aus * do-
brěchŭ-jichŭ
werden müssen; überlegt man aber, dass in der gesammten prono-
minalen Flexion gen. und loc. plur. zusammenfallen (so těchŭ, jichŭ u. s. w.),
so ergibt sich sehr leicht eine Wirkung dieses Verhältnisses auf das Adjectiv, man
bildete den Loc. nach dem Genitiv dobrŭjichŭ, und die beiden Dativformen, des
plur. und dual., sind nun weiter derselben Analogie gefolgt. Aus dieser An-
lehnung an das Pronomen (ich bemerke im Vorbeigehen, dass diese im weiteren
Verlauf der Geschichte des Slavischen immer stärker wird, so dass in den neueren
Sprachen zum Theil eine vollständige Ausgleichung der einfach pronominalen
und der adjectivischen zusammengesetzten Declination stattgefunden hat) er-
klärt sich auch, dass keine besonderen Formen des instr., dat., loc. plur. fem.,
dat. dual. fem. vorhanden sind. Die nur zusammengerückten Formen müssten
lauten * dobramijimi u. s. w., daraus *dobrajimi u. s. f. Weil aber beim Prono-
men alle diese Casus sich von denen des msc. nicht unterscheiden (těmi, těmŭ,
těchŭ, těma
), so gab auch das Adjectiv den Unterschied der Genera auf, um so
leichter, als der gen. plur. dobrŭjichŭ ohnehin von Anfang an bei msc. und fem.
gleich lautete. Fällt damit die Hypothese einer Suffigirung des ja- an den Ad-
[135]Die pronominale Declination der Adjectiva.
jectivstamm, so bleibt uns nur noch zu betrachten, wie es sich mit der für das
Lettische behaupteten verhält.


b) im Lettischen.

Das Lettische hat eine doppelte Art der Bildung eines bestimmten Adjectivs,
eine längere und eine kürzere; ich stelle sie zunächst neben einander, um dann
einige Bemerkungen daran zu knüpfen; die in Klammer stehenden Formen sind
von denen des Nomens nicht verschieden.


Bielenstein nimmt nun an, die kürzeren Formen seien aus den längeren
nach Wegfall des j durch Contraction entstanden; wir hätten also in labá-jis u. s. w.
herrlich erhaltene Formen, bestehend aus Adjectivstamm und Pronomen. Mi-
klosich sagt daher auch (a. a. O. p. 149): «abweichend vom Litauischen tritt im
Lettischen in allen Casus das Thema des Adjectivsein: labbájis aus labba-jis u. s. w».
Es muss einen schon wunder nehmen, dass das dem Litauischen gegenüber laut-
lich so entartete Lettische alte Formen so merkwürdig treu erhalten haben soll,
sogar innerhalb seiner selbst neben stark verkürzten. Doch ich sehe davon ab.
Bei Bielensteins und Miklosichs Ansicht sind zwei sehr wesentliche Dinge ver-
gessen: 1. können die kürzeren Formen nach den lettischen Lautgesetzen gar
nicht aus den längeren erklärt werden. Da ich hier nicht ausführlich auf diese
Lautgesetze eingehen kann, sei hier nur ein besonders in Betracht kommendes
erwähnt: secundär (durch Consonantenausfall) zusammengetretenes a + i = ai,
a + u = au
werden im Lettischen nie zu (lit. ë), ů, daher kann acc. sg. labů
nicht = labáju, nom. plur. labi̊ nicht = labáji sein; 2. labá- kann deswegen
nicht Stamm des Adjectivs sein, weil sein a stets lang ist (' bezeichnet die Länge,
nicht die Accentsilbe); wer es dennoch dafür hält, muss eine Erklärung der
Länge geben.


Die Sache verhält sich in Wirklichkeit folgendermassen: die kürzeren
Formengehen auf die Zusammenrückung der beiden vollen Casus
zurück
, also kurz gesagt, auf die litauische Form, und sind nur eine Verkürzung
[136]b. Declination der Pronomina.
von dieser, die längeren zum Theil die alten unverkürzten, zum
Theil lettische Neubildungen
. Die einzelnen Casus geben die Bestä-
tigung: es sind zurückzuführen


  • gen. sing. labá auf labá-ja = lit. labo-jo; die Verkürzung des a nach dem
    Auslautsgesetz; die längere Form labá-ja kann die alte sein und ist es wahr-
    scheinlich;
  • acc. sing. msc. fem. labů ist = * labů-ju = lit. labą̄-ji̧, -ję;

die nominale Form lautet lettisch labu, die nasale Silbe ist in der zusammenge-
setzten Declination zu ů geworden, weil sie im Inlaut steht, daher litauisch die
Länge; der acc. sing. fem. muss damit zusammenfallen wie sonst. Von der ein-
stigen Existenz des * labů-ju giebt das bei Bielenstein II, 57 (Note) angeführte
raſchnůju zu raſchans (schön) (einem Volksliede aus Kabillen entnommen) den
Beleg, also auch eine unmittelbare Bestätigung unserer Ansicht aus dem Letti-
schen selbst. Daraus ist die gebräuchliche Form durch Wegwerfung des -ju ent-
standen, und ich kann hier gleich die allgemeine Regel hersetzen: das ange-
fügte Pronomen ist jedesmal abgeworfen, also nur noch an der
Quantität (Länge oder Diphthong) der jetzt auslautenden, einst
inlautenden Silbe wahrnehmbar
. Dabei bleibt es möglich, dass, wo j
zwischen gleichen Vocalen stand, der Vorgang so zu denken ist, dass j ausfiel
und Contraction eintrat;


  • nom. plur. msc. labi̊ = * labi̊-ji = lit. labë-jë, labë-ji; nicht zusammengesetzt
    lett. labi, lit. labì; i̊ erhalten aus dem gleichen Grunde wie oben ů;
  • gen. plur. msc. fem. labů = * labů-ju = lit. labū-ju;
  • acc. plur. msc. labůs = * labůs-jus, lit. labůs-ius;
  • nom. sing. fem. labá = labája, so die längere Form, die also hier die alte sein
    kann und wohl sicher ist;
  • nom. plur. fem. labás = * labás-jas = lit. labós-ios; nicht zusammengesetzt
    labăs;
  • acc. plur. fem. labás = * labás-jas = lit. labāses, d. i. labāsias; nicht zu-
    sammengesetzt lett. labas.

Es ist klar, dass auch die scheinbar nominalen oder mit den Casus des
Nomens zusammenfallenden Formen zum Theil hierher gehören:


  • loc. plur. msc. labůs = * labůs-jůs = lit. labůs-iůs(e), vgl. die Bemerkung
    bei Schleicher, Gr. p. 208, dass dafür um Ragnit die einfache Form labůs
    gebraucht wird;
  • loc. plur. fem. labás = * labás-jas = lit. labos-ios(e), um Ragnit labos;
  • loc. sing. fem. msc. labá, längere Form labájá, beruhen im msc. auf der no-
    minalen lettischen Locativform (gréká u. s. w.), die femininale Form ist aber
    die alte = lit. labojoje durch Dissimilation aus * laboje-joje, übrigens auch
    im Litauischen ausser im Volksliede ungebräuchlich und durch die noch
    stärker verkürzte Form laboje, die mit der nominalen zusammenfällt, ersetzt
    (s. Schleicher p. 208).

Die beiden Dativformen, msc. sing. labam, plur. labi̊m sind die einfach pro-
nominalen Formen, lit. labám(ui), labëm(u)s; in dem sing. der längeren Form
[137]ii. Die pronominale Declination der Adjectiva.
steckt übrigens wahrscheinlich * labám-jam, vgl. lit. labą̄-jem = labām-jam. Der
dat. instr. plur. fem. labám ist die nominale Form. Sobald einmal ein Zusam-
menfallen mit nominalen Formen in einigen Casus eingetreten war, konnte dies
natürlich fortgesetzt werden.


Die einzige kürzere Form, die nicht auf der alten Zusammenrückung und
deren lautlicher Veränderung beruht, noch auf Zusammenfallen mit nominaler
oder einfach pronominaler Form, ist nom. sing. msc. labáis. Diese ist in der
That aus der längeren labájis entstanden. Ich meine aber, ihr Entstehen ist un-
schwer zu erklären, sie beruht auf der Analogie des fem. labá-ja = lit. labōji. Wie
einem áudéj(i)s ein fem. áudéja (Weber, Weberin) entspricht, so wurde zu einem
fem. labája ein msc. labájis neugebildet. Der Grund dieser Neubildung ist wieder
ein lautgesetzlicher: aus altem * labasjis musste labasis werden (so lit.), vgl.
nom. sing. wie nésis (Tracht) = * nesjas; gesprochen wurde das * labas(s), vgl.
mênes(s) = mênesis (Mond), die Form verlor also alles charakteristische. Vom
Femininum stammt denn auch die Dehnung des á. Nun muss man noch dazu
bedenken, dass der weiteren Durchführung dieser Neubildung auch der gen.
sing. labá-ja, kurz eine ganze Anzahl von Formen, die j zwischen Vocalen hatten,
zu Hülfe kam.


Damit glaube ich, wird wohl die Annahme einer Suffigirung des Pronomens
ja- an den nackten Stamm des Adjectivs für irgend welche Formen der slavi-
schen und litauischen Familie widerlegt sein, und fest stehen, dass die zusammen-
gesetzte Declination in beiden nur durch Zusammenrückung der Pronominalcasus
mit den declinirten Adjectivformen entstanden ist, alle Abweichungen davon nur
scheinbar oder spätere Neubildungen sind. Uebrigens darf ich wohl hier die Be-
merkung aussprechen, wie sehr noch immer selbst bei so bedeutenden Sprach-
forschern wie Miklosich das unglückliche Verfahren herrscht, die Formen ausser-
halb ihres Zusammenhanges zu betrachten und so das allerjüngste für uralt zu
halten, weil man zu wenig gewohnt ist, der einzelnen Sprache eine Entwicklung
in sich zuzuschreiben, und wie nothwendig es ist, sich über die Lautgestalt der
Formen genaue Rechenschaft zu geben.


Was nun den Vergleich mit dem Germanischen betrifft, so würde ich, selbst
wenn das starke Adjectiv aus Adjectivstamm und suffigirtem Pronomen bestünde,
wegen der entgegengesetzten Bedeutung und der abweichenden Form die Zu-
sammenstellung mit dem slavisch-litauischen Adjectiv für völlig unberechtigt
halten und die Bildung des starken Adjectivs der speciellen Entwicklung des
Germanischen zuschreiben. Wir könnten also für unsern Zweck die germani-
schen Formen ganz übergehen, indess will ich doch einige allgemeine Bemer-
kungen zur Klärung der Frage hierhersetzen.


2. Das germanische starke Adjectiv.

Dass gegen die Annahme der Suffigirung von ja- an den Stamm derselbe
allgemeine sprachgeschichtliche Grund spricht, das Nichtvorhandensein nackter,
unflectirter Adjectivstämme in der betreffenden Sprachperiode, dass ferner die
[138]b. Declination der Pronomina.
Bedeutung, wenn man nicht das Kunststück machen will, die bestimmte in die
unbestimmte übergehen zu lassen, um für das Deutsche dann wieder eine Er-
neuerung des Unterschiedes durch Neuschaffung einer andern bestimmten (der -n-)
Form eintreten zu lassen, sich gar nicht mit dieser Annahme vereinigen lässt, ist
ohne weiteres klar. Aber sehen wir davon ab und fragen, wie es mit den laut-
lichen Verhältnissen steht. Alles zusammengefasst so : 1. von allen Formen aller
germanischen Sprachen muss nicht eine einzige aus der Composition mit ja-
erklärt werden; 2. können die meisten nicht so erklärt werden; 3. beim hoch-
deutschen blintêr wäre die Voraussetzung * blinda-jis das bequemste Erklärungs-
mittel. — Dagegen kann alles auf die einfachste Weise erklärt werden, wenn
man annimmt, die pronominalen Formen des starken Adjectivs seien einfach pro-
nominal flectirt, wie die litauischen in den betreffenden Casus; dabei bleibt
blintêr unerklärt. Also bei der Compositionstheorie hat man eine Unwahrschein-
lichkeit über die andere und erlangt die Möglichkeit, eine Form bequem erklären
zu können, bei der Annahme der einfach pronominalen Declination wird alles
auf die wahrscheinlichste Weise erklärt, nur blintêr non liquet. Wer unbefangen
wählt, kann nicht zweifelhaft sein, was richtig ist. Ich bin mit dem, was Sievers
(die starke Adjectivdeclination) darüber urtheilt, so völlig einverstanden, dass
ich nur die ganze Abhandlung hier wiedergeben könnte. Ich verweise also ein-
fach auf diese und beschränke mich hier darauf, einen Punkt hervorzuheben, der
die Formen des Pronomens betrifft: gen. plur. blindaizē, blindaizō unterscheiden
sich im Gotischen vom Pronomen þizē, þizō; ich nehme an, dass das ai der Ad-
jectiva auf * þaizē beruht, wie es oben auch für das Germanische erschlossen
wurde, also im Adjectiv die ältere Gestalt erhalten ist, ferner dass diese auf den
gen. sg. fem. zurückgewirkt hat, daher blindaizōs für * blindizōs = þizōs. Beim
Pronomen hat die Ausgleichung in der einen, beim Adjectiv in der andern Rich-
tung stattgefunden. — Die Erklärung der Besonderheiten der einzelnen germa-
nischen Dialekte in dieser Flexion gehören in die deutsche Grammatik.


III. Declination der Personalpronomina.


Bekanntlich bildet die Erklärung der Formen dieser Pronomina eines der
schwierigsten Probleme der vergleichenden Grammatik. Kaum irgendwo ist die
Neigung, die alten Bahnen zu verlassen und auf Grund irgend einer einzelnen
Form die übrigen neu zu construiren, so gross wie auf diesem Gebiete. Einer-
seits muss die vergleichende Grammatik darauf ausgehen, womöglich die indo-
germanischen Grundformen zu finden, andererseits bestrebt sein auszuscheiden,
was in jeder einzelnen Sprache nur dieser angehört. In neuerer Zeit hat Scherer
den Versuch gemacht, die Grundformen zu bestimmen und die germanischen
Formen zu erklären (ZGDSpr. p. 233 ff.). Er gelangt zu folgenden Aufstel-
lungen:


Der Pluralstamm asma entspricht germanischem unsis, uns, darnach wird
amsma, ansma (eigentlich ama-sma, ana-sma, wobei Scherer ama, daraus ana,
[139]iii. Declination der Personalpronomina.
für den Superlativ des Pronominalstammes a hält) als vermittelnde Grundform
angesetzt. Das lateinische enos des Arvalliedes soll nicht prosthetisches e haben,
sondern auf dem Superlativ ama in der Gestalt ana beruhen.


Der Stamm der 2. pers. ist tva, aus dem Personalsuffix -dhi des Imperativs
wird eine Nebenform tvi erschlossen (p. 236).


Aus den Personalendungen der 1. plur. med. wird (p. 237) als deren
Grundform matva angesetzt, daneben wie tvi neben tva auch matvi (ich — du).
Dies wird angewandt zur Erklärung von Formen des selbständigen Pronomens.
«Ging das Verständniss für den eigentlichen Sinn von matvi verloren, so konnte
sie [diese Form] leicht als mat-vi aufgefasst werden und mat für einen ganz über-
flüssigen Ablat. Sing. gehalten werden, so dass vi sich als Stamm des Plurals
ergab, den wir im skrt. vay-ám, germ. * vaj-as (goth. veis) in der That vorfinden».


Ebenfalls aus den Medialendungen des Verbums wird als Urpronomen der
2. plur. tatva entnommen, daneben titvi (p. 238), tv erweicht sich zwischen
Vocalen zu dv, d fällt aus, «das ergibt tivi und dafür darf, wie W. dju neben div
steht, tjui, tjuvi vermuthet werden, fiel davon t ab, so kommen wir auf die ge-
suchte Form [nämlich juj im Sanskrit juj-ám]. Und ich halte diese Ansicht über
den Gang der Entwicklung einstweilen fest, auch ohne dass ich sonst ähnliches
j aus tj nachzuweisen wüsste».


Aus dem sanskritisch-zendischen gen. sing. tava wird zweifelnd auf einen
Plural tavas geschlossen. «Dann würde man am einfachsten die Enclitica vas
daraus ableiten. Unmittelbare Verstümmelung von tvas, die sich lautgesetzlich
vollzogen haben müsste, wäre indessen ebenso denkbar: doch möchte ich an-
lautend v für tv nicht mit Sicherheit bebaupten» (p. 239).


Dies die Quintessenz von Scherers Aufstellungen. Man muss gestehen,
die starke Phantasie der alten vorboppischen Etymologen hätte an aben-
teuerlichen Lautübergängen nicht kühneres ersinnen können, als jenes juj aus
titvi, und das übrige gibt dem nicht viel nach. Wir finden in einer Sprache
einen scheinbaren Stamm des Plurals, der die Lautfolge Vocal + n + s
hat (uns); s kommt im Sanskrit und sonst vor, daraus wird geschlossen, die
ursprüngliche Lautfolge sei Vocal + n + s, obwohl sich nirgend in den
Sprachen mit Vocal + s eine Nachwirkung des n beweisen lässt. Nach dieser
Art zu schliessen behaupte ich, die Form des sanskritisch-griechisch-italischen
Adjectivsuffixes -ika- gehe auf -iska- zurück, denn so heisst es nicht bloss im
Germanischen, sondern auch im Slavisch-litauischen. Indessen bei ansma war
doch immer noch ein Anhalt da, man analysire aber einmal eine der anderen
Entwicklungsreihen bei Scherer. Das Imperativsuffix dhi wird aus seinem Zu-
sammenhange mit mi, si, ti etc. herausgerissen und daraus ein i-stamm tvi er-
schlossen, dabei ausser Acht gelassen, dass die Entwicklungsgeschichte der
Personalpronomina in ihrer uralten Suffigirung an den Verbalstamm noth-
wendig eine andere gewesen sein muss als in selbständiger Stellung. Weiter
aber, ich will ganz davon absehen, dass die Erklärung der Medialendungen
aus zwei gleichen oder verschiedenen Pronominalstämmen weit davon entfernt
ist, sicher zu sein, und annehmen z. B. mahê und was ihm in den anderen
[140]b. Declination der Pronomina.
Sprachen entspricht, sei = * matva (ich — du), man muss dann noch die wun-
derliche Erklärung der Medialformen als passivische (p. 216) in den Kauf nehmen,
da nur so matva als Medialendung denkbar wird, muss mit Scherer die Secundär-
endung mahi ausser Zusammenhang mit mahê setzen und das i der ersteren auf
den i-stamm tvi beziehen, dann gelangt man zu matvi. Weiter, keine Medial-
endung der 2. plur. führt selbst nach Scherer auf eine andere Urform als tatva
(Reduplication für tva-tva), aus dieser Art von Reduplication wird die analoge
ti-tvi hergestellt, das dann durch Lautveränderungen, von denen nicht eine auch
nur die mindeste Wahrscheinlichkeit hat, zu juj geworden sein soll. Die Fragen,
ob das selbständige Pronomen, wie es uns aus einer gegen die Entstehungszeit der
Verbalformen verhältnissmässig späten Sprachperiode vorliegt, nothwendig aus
derselben Composition, wie vielleicht die Personalsuffixe, ob der Stamm des
Plurals nothwendig aus dem des Singulars hervorgegangen sein müsse, sind da-
bei noch gar nicht in Betracht gezogen, und doch führt selbst Scherers Darstel-
lung über eine Doppelheit des Stammes für sing. und plur. der I. pers. nicht
hinaus. Warum also die unsägliche Mühe, juj mit tva in Verbindung zu setzen?


Gegenüber einem solchen Verfahren halte ich es für richtiger und zweck-
mässiger, erstlich in der Reconstruction der Grundformen nicht weiter zu
gehen, als die Formen des selbständigen Pronomens und die bekannten Laut-
gesetze erlauben, zweitens vor aller Reconstruction von Grundformen die Ge-
schichte der einzelnen Sprachen über das Verhältniss ihrer Formen zu einander
zu befragen. Wir werden dabei, hoffe ich, erkennen, dass wenigstens innerhalb
des Slavischen und Litauischen Ausgleichungen der Casus untereinander statt-
gefunden haben, die es unmöglich machen, mit den einzelnen Formen auf indo-
germanische Grundformen hin zu operiren.


1. Das Personalpronomen des Litauischen und Slavischen.

Die heutigen Formen des Litauischen (die lettischen beruhen nur auf diesen,
brauchen also hier nicht berücksichtigt zu werden):

[141]iii. Declination der Personalpronomina.

Dazu die nur in possessivem Sinne gebräuchlichen Genitive mano, tavo, savo (es
sind die gewöhnlichen Genitive der in der älteren Sprache noch gebräuchlichen
Possessivpronomina mànas, tàvas, sàvas). Ferner sind heranzuziehen ältere
und dialektisch abweichende Formen:


  • dat. sing. dial. manei, tavei, savei (s. Beitr. I. 238), in älteren Schriften tavi,
    savi;
  • loc. sing. älter tawieje, sawieje (Beitr. II, 339, Bemerkungen über die prim.
    Fürwörter, von Smith), d. i. tavëje, savëje oder möglicher Weise tavėje, sa-
    vėje; * manimè, * tavimè, * savimè
    , zu erschliessen aus sawim-pi (bei sich);
  • gen. plur. dial. junsu, munsu;
  • loc. plur. jusu, zu erschliessen aus jusupi (s. Smith, De locis II, 27); * mu-
    simè, * jusimè
    aus musim-pi, jusim-pi; ferner bei Smith, De locis III, 5 und
    sonst musůse, jusůse;
  • nom. dual. alt ve-du.

Endlich sind noch herbeizuziehen der acc. sing. refl. si und das bei Smith,
De loc. III, 11 (Note) belegte mi als acc. sing. I. (das entsprechende * ti der
II. pers. scheint dagegen nicht vorzukommen), vgl. Schleicher, Gr. p. 234.


Es ist auf den ersten Blick klar, dass die Declinationsweise nicht ursprüng-
lich sein kann:


    • mánei = ákei
    • manyjè = akyjè
    • manimì = akimì
    so auch in den andern Personen,

sind einfach Formen eines scheinbaren i-stammes mani-, tavi- u. s. f. Nimmt
man die andere Form des Locativ als manėjè,


  • mánei = żólei
  • manėjè = żolėjè,

so sind das Casus eines scheinbaren -stammes manjā-, contrahirt manė- (mánei
kann dat. sowohl vom i- als vom -stamm sein). Auf einen -stamm kann, ab-
gesehen vom Accent, auch der acc. bezogen werden:


    • manę̀
    • tavę̀
    • savę̀
    = żólę

Die Locativformen wie manimè sind die pronominalen Formen (tamè), aber das
Suffix ebenfalls an den Stamm mani- gefügt.


[142]b. Declination der Pronomina.

Auf diese Weise bekommen wir für die obliquen Casus des Singulars zwei
scheinbare Stämme


  • mani-, tavi-, savi-,
  • manė-, tavė-, savė-.

Dabei bleibt der gen. manę́s, tavę́s, savę́s unerklärt, denn er lässt sich auf keinen
dieser Stämme beziehen.


Für den Plural ergeben sich analog zunächst die Stämme


  • mūsi-, jūsi- (in musyjè),

hier wird aber die Sache viel bunter: dat. und instr.


  • mùmus, mumìs — jùmus, jumìs

sehen aus wie von Stämmen mu-, ju- mit den gewöhnlichen nominalen Casus-
endungen gebildet. Die Genitive mū́su, jū́su, d. i. munsu, junsu, würden, wenn
in nominaler Weise -u Suffix ist, auf muns-, juns- zu beruhen scheinen, wenn -su
in pronominaler (auf -sām beruhend), auf mun-, jun-. Die Accusative mùs, jùs
können sowohl acc. eines a- wie u-stammes sein (vilkus, sūnus), da wir aber im
nom. plur. I. més a-vocal finden, geht mùs auf * mans zurück und damit auch
der gen. plur. auf * mansu; und da im nom. plur. II. jús steht, so ist der acc.
= * juns anzusetzen. So erhalten wir die Stämme ma-, ju-, also alles zusammen-
gefasst für den Plural die scheinbaren Stämme:

dual. noch va-


Dass diese Stämme in der That den Formen nicht so zu Grunde liegen, d. h.
nicht ursprünglich so gestaltet waren, versteht sich von selbst, man muss aber
diese Analyse vornehmen, um herauszufinden, ob sich entsprechendes anderswo
findet und welche Analogien für etwaige Neubildungen massgebend gewesen sind.


Es ist nun höchst auffallend, ein wie ganz anderes Bild die preussischen
Formen liefern (der gen. sing. ist, wie schon oben ausgeführt, der des Possessiv-
pronomens):

In Betreff der Orthographie ist zu bemerken, dass ou (auch ) nur urspr. ū
bedeutet, es wird auch z. B. iǻmans geschrieben (vgl. soǻns = lit. sūnùs), und
[143]iii. Declination der Personalpronomina.
dass die Doppelconsonanten nur vorhergehenden kurzen Vocal anzeigen, also
richtig menei, tebei, sebei zu schreiben ist. Als dat. sing. I. kommt dreimal maim
vor III. Kat. 46, 48 sen mâim (maim) «mit mir», 74 maim ohne Präposition.


Stellt man nun ferner dazu die slavischen Formen

so ist auf den ersten Blick klar, dass abgesehen vom Genitiv die Declination des
sing. im Preussischen wie Slavischen vollkommen dieselbe ist:


  • mĭně = menei
  • , d. i. * mēn = mien, lies mīn oder mėn

und so in den andern Personen. An eine Entlehnung kann hier unmöglich ge-
dacht werden, und so repräsentirt uns also der preussisch-slavische Bestand der
Casus, so weit diese im Preussischen erhalten sind, die Grundgestalt der li-
tauisch-slavischen Declination, und diese ist höchst merkwürdig. Sie gibt den
Schlüssel zu den späteren litauischen Formen. Der slavisch-preussische dat. sing.
mĭně, menei findet in keiner indogermanischen Sprache eine Entsprechung. Auch
tebě — tebei, sebě — sebei entsprechen zwar nicht unmittelbar im Auslaut einem
* tva-bhjam u. s. w., gehen aber auf die Stämme tva-, sva- mit einem bh-Suffix
zurück und sind insofern die gleichen Formen wie tubhjam, tibī u. s. w. Sicher
aber ist mi im Slavischen = skrt. , gr. μοί, und steht dem ti, si = tvē, tē,
τοί, οἱ ganz gleich.


Ferner, wie gelegentlich schon bemerkt wurde, sind die slavischen Genitive
mene, tebe, sebe mit zend. mana, tava identisch, abgesehen von dem b der beiden
letzten Formen. Aus v kann dieses b im Slavischen nicht geworden sein. Für
das b vom dat. tebě haben wir die Erklärung im Suffix, es liegt also so nahe, tebe
nur durch den Anschluss an die Gewohnheit des tebě zu erklären, dass ich nicht
daran zweifle, diese Auffassung sei die richtige. Denken wir uns nun, wie es
durch die Uebereinstimmung der Sprachen doch höchst wahrscheinlich wird,
auch im Slavischen habe einst eine dem mahjam, maibja, mihī entsprechende
[144]b. Declination der Pronomina.
Form gegolten, so würde diese * mebě oder, um das erst secundäre ě unbestimmt zu
lassen, * meb … gelautet haben. Diese Form ist durch * meně (in Folge der Betonung
mit weiter geschwächtem Vocal mĭně́) ersetzt worden im Anschluss an den gen.
mene. Fragt man, warum nicht umgekehrt der dat. auf den gen. gewirkt habe,
wie in den andern Personen, so lässt sich darauf eine Antwort nicht geben. Bei
solchen Ausgleichungen kann der eine wie der andere Weg betreten werden,
und man muss zufrieden sein, wenn man beide als möglich erkannt hat.


Dass nun manei (menei) eine bereits in slavisch-litauischer Zeit eingetretene
gemeinsame aber einzige Neubildung ist, darauf führt folgende Betrachtung:
die Grundformen der Genitive sing. müssen für das Slavische und demgemäss
auch für das Litauische als * mana, * tava, * sava angesetzt werden. Nun sind
diese Formen sowohl im Preussischen wie im Litauisch-lettischen verloren und
durch Genitive msc. sing. von Possessivpronomina ersetzt. Diese Possessivpro-
nomina bringen uns weiter. Das Litauisch-lettische kennt nur die Form manas,
tavas, savas
, das Preussische nur mais, twais, swais, d. i. majas, tvajas, svajas
(vgl. die acc. plur. maians, twaians, swaians). Das letztere ist völlig identisch
mit slavischem mojĭ, tvojĭ, svojĭ (= * majas etc.), und das Slavische kennt nur
diese Form. Mehr als eine Wahrscheinlichkeit ist es nicht, aber eine grosse, dass
* majas u. s. w. die slavisch-litauische Form des Possessivpronomens war. Mög-
lich bleibt es freilich, dass daneben eine Form * tavas, * savas vorhanden war
(vgl. τεϝος, σεϝος, lat. tovos, sovos und etwa zend. hava neben hva und qa =
sva
; im Zend werden die einfachen Pronominalstämme ma, thwa, hva als adjec-
tivische Pronomina in possessivem Sinne gebraucht, vgl. denselben Gebrauch von
tva, sva im Sanskrit); aber nirgends sonst finden wir einen Stamm mana- für
das Possessivum verwendet, und müssen daraus den Schluss ziehen, manas sei
eine speciell litauische Erfindung. Als solche kann es aber nur von dem alten
gen. sing. mana ausgegangen sein, und man muss es wenigstens als möglich
gelten lassen, dass lit. tavas, savas ebenfalls erst aus den Genitiven * tava, * sava
entstanden sind, also mit lat. tovos u. s. w. historisch nichts zu thun haben. Im
Preussischen ist aus dem gen. plur. nouson, jouson ein neues Possessivum ge-
bildet, z. B. fem. sing. nousâ (die unsre). Ist die gegebene Aufstellung richtig,
so folgt daraus, dass die Genitive noch in der Sonderzeit des Litauischen * mana,
* tava, * sava
gelautet haben müssen, das b der slavischen Formen also (tebe,
sebe
) speciell slavisch, mithin manei die einzige gemeinsame Neubildung ist.


Demnach hätten wir uns die Declination des Singulars (abgesehen von loc.
und instr.) im Urlitauischen so zu denken:


Abgesehen vom gen. blieb so der Bestand im Preussischen erhalten. Es ist
aber sehr leicht begreiflich, dass die alten, ohnehin absonderlichen Genitive
[145]iii. Declination der Personalpronomina.
gegen die des Possessivpronomens aufgegeben wurden; wir finden diesen Vor-
gang ja sonst häufig genug, und im Litauischen ist er um so leichter, weil dessen
Possessivpronomen sich der Form nach unmittelbar dem alten Genitiv anschloss;
daher mano, tavo, savo. Im Litauischen wurden ferner die alten kurzen Accu-
sativformen ausser dem zur Reflexivbildung beim Verbum gebrauchten si un-
gebräuchlich, neue konnten nicht anders gebildet werden, als mit Anschluss
an die schon im Genitiv und Dativ vorhandenen Stämme, und zwar ist die Geni-
tivform massgebend gewesen, da man ihre Wirkung auf die andern Formen aus
dem Verdrängen des b im Dativ (távei) erkennt (also in umgekehrter Richtung,
wie im Slavischen). Wie die übrigen Casus (instr., Loc.) im Preussischen gelautet
haben, ist uns nicht überliefert (im Slavischen ist der loc. dem Dativ gleich, der
instr. mŭnoją u. s. w. eine vom Nomen entlehnte Form), jedenfalls haben sie
sich im Litauischen an die Stämme des gen. und dat. angelehnt.


Es ist nun im Litauischen fast selbstverständlich, dass ein i- oder -stamm
als zu Grunde liegend empfunden wurde. Der Auslaut des Dativs, preuss. -ei,
slav. ě, hat zu Grundlage -ai. Wenn ein auslautendes -ai im Litauischen über-
haupt einer Veränderung unterliegt, so wird es zu ë, verkürzt i (vgl. voc. sing.
akë, nom. acc. dual. ranki). Die Mittelstufe war aber immer ei, die im Preus-
sischen regelmässig, im Litauischen vereinzelt erhalten ist (vgl. preuss. deiws,
lit. dë́vas, aber fem. deivë́). Erhalten haben wir im Litauischen in diesem Falle
nur ei und i: manei, tavi, savi. Es kann nun manei als dat. sing eines i- und
eines -stammes empfunden werden (ákei, żólei) und beide Analogien sind be-
folgt, die der -stämme im acc. sing. durchgehends, daher manę̀, savę̀, savę̀
(wie żólę); ebenso in den älteren Formen des Locativs, wenn tawieje als tavėje
zu lesen ist (żolėjè); die Analogie der i-stämme dagegen im instr. manimì, ta-
vimì, savimì
, im loc. manyjè, tavyjè, savyjè (vgl. akimì, akyjè). Sind jene alten
Locativformen tavëje etc. zu lesen, so haben wir in ihnen eine Fortsetzung des
a-stammes vom gen. tavo etc. (s. beim nominalen loc. sing. die Erklärung des
-ëje). Locative wie manim(è) begreifen sich leicht aus der pronominalen Natur
der Worte, die hier vereinzelt der pronominalen Flexion gefolgt sind.


Unerklärt bleiben auf diese Weise immer noch die Genitive manę́s, tavę́s,
savę́s
, älter manens u. s. w. Aus * manines oder * manenes können sie nach li-
tauischen Auslautsgesetzen nicht gedeutet werden, da nie bei secundär zusam-
mengetretenen n-s sich ein Nasalvocal entwickelt; die Formen würden heutzu-
tage noch manens u. s. f. lauten, gerade so gut wie der gen. von akmů, akmèns
= * akmenes
nur so und nie * akmęs heisst. Sogar im Lettischen bleibt secun-
däres ns unangetastet, während ę vor s in Endsilben ausnahmslos zu i wird,
daher nom. sing. akmens = * akmenis, aber gen manis, tewis, sewis = lit
manę́s etc. Die Formen sind also viel älter als akmèns, mit andern Worten, es
bestand schon manens als es noch * akmenes gab. Vocalausfall hat demnach hier
nicht stattgefunden. Ich gebe die Erklärung dieser litauischen Neubildungen
hier kurz voraus, das nähere wird die Besprechung der Pluralformen ergeben:
das en der litauischen Genitive stammt aus dem Accusativ sing. und zwar durch
Vermittlung des Plurals, in einer Proportion ausgedrückt:


Leskien, slav.-lit. u. germ. Decl. 10
[146]b. Declination der Pronomina.
  • muns (mùs) : munsu (mū́su) = manen (manę̀) : manens (manę́s)

d. h. weil im Plural einem acc. muns ein Genitiv munsu entsprach, machte man
aus manę̀ (manen) in Folge scheinbarer Analogie manens, natürlich mit der Genitiv-
endung des Singulars.


Es bleibt mir nur noch übrig, zur Rechtfertigung meiner Erklärung den
inneren Grund aufzufinden, der die Sprechenden trieb, neben mano, tavo, savo
einen Genitiv manę́s u. s. w. zu schaffen, also possessive und andere Anwendung
des Genitivs im Singular formell zu trennen, während im Plural músu, júsu alle
Functionen vertreten. Nimmt man nur den heutigen Zustand des Litauischen,
so kann ein manęs neben mano recht überflüssig erscheinen, da z. B. ein * isz
mano
auch als «aus mir» verstanden werden könnte, weil eben heutzutage mano
gar nichts anderes sein kann, als der gen. sing. zu (ich); die alten Possessiv-
pronomina manas, tavas, savas hat die heutige Sprache wieder aufgegeben.
Dieser Zustand ist aber ein verhältnissmässig neuer, noch in den Drucken des
16. Jahrh. ist manas u. s. w. ganz gebräuchlich, mano also an sich zweideutig.
Im Plural herrscht eine solche Doppeldeutigkeit nicht, da es kein dem mū́su, jū́su
entsprechendes Possessivpronomen giebt, isz júsu kann seiner pluralischen Form
wegen immer nur heissen «aus euch». Um so begreiflicher wird es also, dass
der neue gen. sing. im Anschluss an pluralische Verhältnisse gebildet wurde.


Ueber die Singularformen des Slavischen bedarf es noch einiger Worte. Die
Entstehung des mĭně, das b in tebe, sebe ist oben erklärt. Die Accusativformen
können nur = * mēn etc. sein, da nur so lautgesetzlich auf etc. zu kommen
ist, entsprechen also skrt. mām, tvām, * svām im Vocal vollständig; ebenso sind
dat. mi, si, ti = skrt. etc. Nur die Dativformen tebě, sebě sind eigenthümlich.
Für das b bietet sich durchaus keine andere Erklärung dar, als aus einem Casus-
suffix mit bh (warum dieses nicht in m übergegangen, haben wir oben beim
Nomen zu erklären versucht). Somit ist anzunehmen, dass tebě und sebě wesent-
lich dem skrt. tu-bhjam, lat. sibī, sibei gleichzusetzen sind, es fragt sich nur,
welche Form des Suffixes oder vielmehr welcher Vocal im Auslaut als ursprüng-
lich anzunehmen sei? Mit Scherer (p. 247) -bhaja anzusetzen, ist nicht rathsam,
da diese Ansetzung keinen Grund in irgend einer vorhandenen Form hat. Sein
Ausdruck, «für die ursprünglichen Dative mabhaja, tvabhaja, svabhaja musste
lautgesetzlich mabaji, mabai, mabei u. s. w. eintreten», wenn damit gesagt sein
soll, dass innerhalb des Slavischen und Litauischen die Entwicklungsreihe mit
* mabhaja begann, und das muss man wohl aus der Heranziehung des * akaji
schliessen, zeigt, dass Scherer an die in Betracht kommenden Lautgesetze nicht
gedacht hat: ákei kann nicht = * akaji sein, sondern muss = akiai angesetzt
werden, weil es nakczei, d. i. naktiai vom Stamm nakti- heisst; und aja kann
im Slavischen nicht zu aji, noch viel weniger zu ě werden. Slavisches ě kann
nur sein entweder = ā (hier nicht, weil das Litauische -ei hat) oder = ei, ai,
welches so bereits ins Slavische überging. Soll aber die Reihe * -bhaja, *-bhaji,
-bhai
etwas bereits vorslavisch-litauisches sein, so hat man die Verpflichtung
nachzuweisen, dass irgendwo sonst für eine indogermanische Form * bhaja er-
fordert werde, sonst schwebt das ganze in der Luft. Die einzigen Formen, die
[147]iii. Declination der Personalpronomina.
sich mit den slavisch-litauischen wenigstens decken können, sind die Lateinischen
tibī, sibī (-ei), osk. sifei, umbr. tefe. Vereinigen wir sie, so würde sich als eine
Grundform (beide Sprachen haben das j nach bh verloren) * tva-bh(j)ai — * ta-
bh
(j)ai, * sva-bh(j)ai — *sa-bh(j)ai ergeben. Nun ist es aber bekanntlich mit dem
auslautenden ī, ei des Latein eine missliche Sache: Schleicher, Comp.3 567, 631
führt es in unserem Falle auf -bie, -bio aus -bhja zurück, vgl. vedisch tubhja =
tubhjam
; dann wäre die Schreibung ei der graphische Ausdruck für ī wie oft.
Ob diese Erklärung sich auch dem osk. sifei gegenüber halten lässt, wage ich
nicht zu entscheiden, da es leider ganz vereinzelt und noch dazu nicht regelrecht
geschrieben ist (sifei, statt sifei); umbr. mehe, tefe kann nichts entscheiden. Eine
auf Grundlage des Italischen und Slavischen erschlossene Grundform ist also
äusserst unsicher. Die Möglichkeit eines ursprachlichen Dativs auf -bhjā̆i, denn dar-
auf liefe die Sache hinaus, will ich nicht leugnen, nur ist dabei zu bemerken, dass
die Bildung ganz heterogen wäre, das Casussuffix -bhja- oder -bhi- wäre dann selbst
declinirt, wieder mit einem Casussuffix (ai oder i) versehen, was sonst nicht vor-
kommt. Es scheint mir daher wahrscheinlicher, dass die Formen auf einfachem
-bhja (ohne m) beruhen, also auf * tva-bhja, * ta-bhja, daraus wurde * taba, im
Auslaut also dem alten Genitiv * tava gleich, und bei der Ausgleichung zwischen
b und v (s. o.) wären die Formen ganz zusammengefallen. Schon darin konnte
also eine Veranlassung liegen zu deutlicher Ausprägung des Casus durch An-
nahme der nominalen Endung ě, lit. ei, beides = ai. Wir sahen, wie ein solches
ei im Litauischen nur als einem jā- oder i-stamm angehörig empfunden werden
kann, in der späteren Entwicklung des Slavischen dagegen kann es nur als dat.-
loc. eines ā-stammes erscheinen, und nach dieser Analogie ist der instr. mŭnoją,
toboją, soboją
gebildet (der Vocal als ŭ, o in der ersten Silbe statt e in tebě u. s. w.
durch Angleichung an die folgenden Silben) = ženoją.


Eine Form des Singulars ist bisher unbesprochen geblieben, das sonderbare
preussische maim, an der einen angeführten Stelle als selbständiger Dativ, an
den beiden anderen mit sen (mit) gebraucht. Es ist so nicht einmal auszumachen,
da sen den Instrumental regiert (vgl. sen ku «womit» = lit. sù ků́), welcher
Casus vorliegt. Als Dativ ist die Form neben den sonst aus dem Litauisch-sla-
vischen, auch dem Preussischen, überlieferten Dativen unerklärlich, als instr.
lässt sie sich allenfalls verstehen, wenn man vom skrt. majā als Grundform aus-
gehend secundäre Anfügung des Instrumentalsuffixes -mi (verkürzt -m) annimmt
(vgl. lit. tů-mi): aus * majāmi könnte maim geworden sein, wie dat. sing. twai-
smu
neben twaiâsmu. Indessen bei einer so vereinzelten Form in so schlecht über-
lieferter Sprache ist nichts auch nur wahrscheinliches auszumachen.


Gehen wir jetzt zu den Pluralformen des Slavischen und Litauischen über,
die ich der Uebersicht wegen noch einmal zusammenstelle:

10*
[148]b. Declination der Pronomina.

I. pers. Vergleichen wir zunächst das Slavische und Preussische; beide
Sprachen haben einen im Litauischen (und Lettischen) nicht vorhandenen Wechsel
des Anlauts zwischen m und n, im Slavischen erscheint das m nur im nom., im
Preussischen auch im acc. Welche Vertheilung der verschieden anlautenden
Stämme auf die Casus die ursprünglichere ist, kann man nur vermuthen. Sicher
ist es, dem Preussischen und Slavischen gegenüber, dass der mit m anlautende
im Litauischen weitere Ausdehnung erlangt hat, als ihm vor alters zukam. Da
nun das Preussische ihn wieder um einen Schritt weiter hat, als das Slavische,
dieses ferner im Dual denselben Gegensatz zweier Stämme zeigt und n im
Dual auf die obliquen Casus beschränkt ist, so dürfen wir wohl mit einiger
Sicherheit vermuthen, dass der slavische Stand der Sache der ursprüngliche ist,
der m-anlautende Stamm auf den Nominativ beschränkt war, der n-anlautende
den obliquen Casus zukam.


Wie aber sind die Stämme in ihrer weiteren Lautform anzusetzen? Im Sla-
vischen ist die Declination in den Formen

äusserlich ganz die eines femininalen ā-stammes, scheinbarer Stamm also na-.
Den loc. plur. nasŭ als na-sŭ zu theilen, hält aber schon sehr schwer; es geht
zwar žena-chŭ auf * genā-su zurück, allein das s des Locativsuffixes wird eben
überall sonst zu ch, also warum hier nicht auch * nachŭ? Ferner, wollte man den
Genitiv nasŭ ebenfalls in na-sŭ theilen, mit pronominalem Casussuffix, warum
nicht auch * nachŭ = těchŭ. Auch die Theilung nas-ŭ mit nominalem Suffix
hilft nicht weiter, denn es bleibt immer verwunderlich, wenn ein zwischen
Vocalen stehendes s = urspr. s nicht zu ch wird. Zu einer lautgesetzlich stim-
menden Erklärung kommt man nur, wenn man s = ss ansetzt, also den gen. =
* nassŭ, zu theilen * nas-sŭ (-sŭ = -sām), und dasselbe für den loc. annimmt,
* nas-sŭ (-sŭ = -su). Doppeltes ss wird zu einfachem, nicht zu ch (vgl. jesi =
* jessi, es). Man kann also den Stamm nas- aus den beiden Casus erschliessen,
[149]iii. Declination der Personalpronomina.
und sicher liegt er den Possessivpronomina našĭ = * nas-ja-s, vašĭ = * vas-ja-s
zu Grunde.


Von den beiden so erschlossenen Stämmen na-, nas- lässt sich aber noch
behaupten und zwar mit der grössten Wahrscheinlichkeit, dass ihr a lang war.
Es giebt keinen einzigen sicheren Fall ausser azŭ (ich), und selbst dieser giebt
zu Zweifel Veranlassung, wo slav. a = urspr. ă wäre, dagegen ist die Sprache
voll von Fällen, wo a = ā ist. Das urspr. ă, wenn es nicht dem allgemein euro-
päischen Zuge zu e gefolgt ist, wird im Slavischen zu o; also sind die Stämme
als nā-, nās- anzusetzen. Diese Formen erinnern sofort an Zend nāo = nās, lat.
nōs, gegenüber dem skrt. nas. Für das Nebeneinander von vocalischem Auslaut
und s (nā-, nās-) lässt sich das skrt. nāu des Duals, vgl. griech. νώ, neben dem
nas des Plurals vergleichen, denn wenn es auch nicht auszumachen ist, wie sich
nas- zu na- verhält, mit andern Worten, was das s eigentlich ist, so zeigt doch
die Verwendung des nas als acc., gen., dat. wohl ziemlich sicher, dass es
nicht casusbildend (wenigstens im späteren Sinne) ist, sondern der Stammbildung
angehört. Alles bisher gesagte gilt genau auch von den cas. obl. der II. pers. und
demnach sind hier vā- und vās- anzusetzen.


Wenn ich in der Erklärung der vorhandenen Formen des Slavischen weiter
gehe, um die eigenthümliche, sicher nicht ursprüngliche Declinationsweise in
ihrer historischen Entstehung nachzuweisen, so schicke ich voraus, dass ich das
folgende für nichts mehr halte, als für eine Vermuthung. Wir können natürlich
nicht wissen, ob das Slavisch-litauische je einen pluralischen Stamm asma- be-
sass, der im Sanskrit, Zend und Griechischen neben dem mit n anlautenden her-
geht und überwiegt, da eben in unsern beiden Sprachfamilien keine Spur davon
zu finden ist; denn dass z. B. més eine Abkürzung von * asmas sei, ist doch nur
ein Einfall, der mit nichts auch nur entfernt wahrscheinlich zu machen ist.
Stellen wir uns dagegen, indem wir auf dem Boden vorhandener Formen bleiben,
einmal vor, dass * nās in dieser gewissermassen undeclinirten Form als gen.,
dat. und acc. gebraucht sei. Aus dem Slavischen ist sogar für die Verwendung
als gen. und dat. eine Art Beleg zu finden: wir haben gesehen, in wie enger
Beziehung Possessivpronomen und Gen. im Singular stehen, im Preussischen ist
auch unmittelbar aus dem gen. plur. I nouson, II jouson ein Possessivpronomen
gebildet: nom. fem. nousâ, dat. msc. nousesmu, acc. plur. nousons u. s. w.,
und darnach auch für das Slavische annehmbar, dass našĭ auf der Genitivform
beruhe. Im Dativ ferner steht die Form ny neben der anderen namŭ, aus der
jene nicht entstanden sein kann; ny ist vielmehr eine Accusativform, und das
Zusammenfallen der beiden Casus, sonst im Slavischen nie vorkommend, in der
Form ny erklärt sich nur dann befriedigend, wenn man annimmt, sie seien in
einer früheren Sprachperiode ungeschieden gewesen, eben in * nās.


Fragen wir nun, was nach slavischen Lautgesetzen aus * nās werden musste,
so ist die Antwort: * ; es wurde dadurch der Sprache nahe gelegt, dies als
einen femininalen ā-stamm zu empfinden und den acc. ny (= ženy) zu bilden,
weil aber * nās-, * nā zugleich Dativ war, trat ny auch für diesen mit ein. Der
Dativ namŭ, instr. nami, dat. dual. nama erklären sich von selbst. Der Genitiv
[150]b. Declination der Pronomina.
würde nach der Analogie von ženŭ * nŭ, der gen. dual. nach ženu * nu gelautet
haben, diesen kurzen Formen zog die Sprache andre Analogien vor: naju ist prono-
minal gebildet wie gen. dual. toju, nur mit Beibehaltung des charakteristischen a.
Die Genitive und Locative nasŭ, vasŭ müssen aber durch Anfügung der Suffixe
-sām, -su bereits ältere Neubildungen von dem noch erhaltenen Stamme nās sein
(wie wir überhaupt solche Neuschöpfungen nicht mit einem Mal, sondern sehr all-
mählich entstanden zu denken haben), aus * nassŭ wurde dann nasŭ. Der acc.
dual.
scheint genau = griech. νά (abgesehen von der Vocalfärbung) und alt zu sein;
er verhält sich zu skrt. nāu, wie im Nomen slav. vlŭkā zu vrkāu (älter auch vrkā).


Die beiden Nominativformen dual. , plur. my sind natürlich mit den
litauischen ve- (du), més (so auch preussisch) zusammenzustellen. Ersteres be-
ruht auf dem Stamme vā̆- und hat die Casusform der nominalen ā-stämme. Der
Der Stamm liegt vor im skrt. va-j-am, got. veis. Das mḗs entspricht keiner an-
dern vorhandenen Pluralform des Litauischen. Dass zunächst die Dehnung nur
auf der Einsilbigkeit beruht, geht hervor aus der Qualität des Vocals als e, läge
ein altes ā (ē) zu Grunde, so würde es * mės heissen, also nächste Grundform ist
* mĕs, d. i. * mas. Irgend etwas mehr darüber auszusagen, scheint mir sehr ge-
wagt; ich meine nur, dass in dem Gedanken, es sei eine alte Pluralbildung des
Singularstammes ma- viel mehr Wahrscheinlichkeit liegt, als in dem einer Ver-
kürzung aus * asmas, oder wie Schleicher Comp.3 638 will, aus * masmas. — Ein
altes * mas, * mes musste im Slavischen zu * ma, * me werden, und es liegt in der
Natur der Sache, dass hier der gewöhnliche Weg zum Ersatz des Casus betreten,
die Accusativform, doch mit Belassung des Anlautes m, eingesetzt wurde, daher
my (vgl. acc. ženy als nom.)


Dieser ganzen Auseinandersetzung, die den im Slavischen vorliegenden
Formen eine speciell slavische Entwicklung zuschreibt, könnte man entgegen-
halten, dass die preuss. gen. nouson, d. i. nūson, dat. noumans, d. i. nūmans,
abgesehen von dem ū ebendieselbe Bildungsweise oder eine sehr ähnliche zeigen
wie die entsprechenden slavischen Formen, also die ganzen Neubildungen in die
Einheitsperiode des Slavischen und Litauischen gehören. Wenn man auch die
Möglichkeit einer gemeinsamen Entwicklung nicht absolut leugnen kann, so ist
sie doch keineswegs so sicher, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte, weil
in der II. pers. die beiden Sprachen sich nicht in derselben Weise nahe ver-
gleichen lassen. Ich habe mit dem obigen indess nur zeigen wollen, dass es bei
einer Voraussetzung der Gebrauchsweise des * nās (nas), wie sie in den arischen
Sprachen vorliegt, möglich ist, die im Slavischen vorhandenen Formen auf eine
wahrscheinliche Weise zu erklären. Wenden wir uns jetzt zu den litauischen
Formen.


Das Preussische zeigt den Anfang der Ausgleichungen des Anlauts, die im
Litauischen durchgedrungen sind, in seinem acc. I mans für * nans, aus dem
nom. mes. Das ū statt ā (a) in nouson, noumans lässt sich lautgesetzlich nicht
erklären, sondern, wenn hier nicht unerkannte Verhältnisse zu Grunde liegen,
nur als eine Anlehnung an die II. pers. auffassen (so auch Scherer). Das Li-
tauische mùs (acc.) ist = preuss. mans, wie vilkus = vilkans, steht also zunächst
[151]iii. Declination der Personalpronomina.
für * muns. Der daraus entnommene scheinbare Stamm mu- liegt dem dat. plur.
mù-mus, dem instr. mu-mìs, dem a. d. - (du), dat. d. mù-m- (dvëm) zu Grunde.
Der gen. mū́su könnte, verglichen mit preuss. nouson, die Länge von alter Zeit
her zu haben scheinen, da aber die dialektische Form munsu daneben steht, geht
diese voraus, und es bleibt kaum eine andere Annahme, als dass der acc. * muns
(mans) als Stamm gefasst ist. Dies ist der Punkt, auf den ich beim gen. sing.
manęs, neben acc. manę, hindeutete. Ueber loc. mūsyjè braucht nur bemerkt
zu werden, dass die singularische Casusendung eben auf der Analogie des singu-
larischen manyjè beruht, die Nebenform musůsè im Anschluss an die nominalen
a-stämme (vilkůse), musimè im Anschluss an das Pronomen (tamè) gebildet ist;
endlich ein dem vorhandenen loc. jusu gleichgebildetes * musu wäre loc. plur.
des Stammes mu. Bei dieser Fülle von Formen, bei der grossen Entfernung von
dem ursprünglichen Stand der Dinge wird es kaum möglich sein, im einzelnen
klar zu sehen, da sich hier Vorgänge durchkreuzen, deren Anfänge uns fast alle
dunkel sind. So ist der gen. dual. mùma eine höchst verwunderliche Form, bei der
man fast auf den Gedanken kommt, es liege hier nur eine Nachahmung der Singular-
genitive mano etc. vor mit Verkürzung des Auslauts, wie dieselbe auch in den gen.
plur. mū́sŭ, jū́sŭ gegenüber allen andern Genitivformen der Sprache vorkommt.


II. pers. Während im eigentlichen Litauischen (Litauisch-lettischen) und
im Slavischen in allen Casusformen je der gleiche Anlaut, dort j, hier v, herrscht,
hat das Preussische beide, demnach sind für die Einheitsperiode sicher zwei
Stämme anzusetzen. Um ihre ursprüngliche Vertheilung auf die Casus zu be-
stimmen, bleibt kaum ein anderer Masstab, als die Analogie der I. pers. Dem-
nach wäre ein Stamm ju- für den nom. plur., die Stämme - und vās- für die
obliquen Casus anzunehmen. Hier in ju- haben wir nun eine Berührung mit skrt.
iu-j-am, dem nom. plur. jūs des Zend. Mit Schleicher das lit. jū́s als aus * jusma-
entstanden zu fassen, liegt gar kein Grund vor. Halten wir uns an die nahen
Beziehungen der zweiten zur ersten Person, so ist vielleicht die Länge des ū im
Litauischen so gut secundäre Dehnung, wie sicher die des ē in més. Allein auch
wenn man jūs als alt festhält, müssen die Lautverhältnisse im Slavischen den
Verlust der Form begünstigen: * jŭs würde zu * jĭ, jūs zu * jy dafür * werden,
ersteres mit dem nom. sing. des Pronomens ja-, letzteres mit dessen Plural
zusammenfallen. Die Form ist daher, wie immer in solchen Fällen durch den
acc. vy ersetzt. Die Declinationsformen der Stämme - und vās sind genau so
zu erklären, wie die entsprechenden in der I. pers. Im Preussischen hat die
Analogie des Nominativs nicht wie in der I. pers. den acc., sondern die andern
Casus ergriffen, und wir können schwerlich anders als gen. jouson, dat. joumans
unmittelbar auf einen Stamm - beziehen. Der Genitiv ist mit pronominaler
Endung gebildet, weil eben von - sich kein nominaler Genitiv bilden liess, er
würde auch * (n) geworden sein. Die weitere Entwicklung der Casus läuft im
Litauischen dann der in der I. pers. ganz parallel.


Ziehen wir den Schluss aus der Vergleichung des Slavischen und Litauischen,
so ergibt sich für die meisten Casus des Singulars die Grundform (d. h. die sla-
visch-litauische) mit einiger Sicherheit:
[152]b. Declination der Pronomina.

ferner für die nom. plur I. mĕs, II. jŭs oder jūs, nom. dual. I. vă̄ (?); für die
übrigen Casus nur mit Wahrscheinlichkeit als Stämme I nā-, nās-, II vā-, vās-.
Dieser Stand der Dinge ist bei der Vergleichung mit dem Germanischen ins
Auge zu fassen.


2. Das Personalpronomen im Germanischen.

In neuerer Zeit sind zwei beachtenswerthe Versuche gemacht worden, die
vielfachen Räthsel, die gerade in den germanischen Sprachen die Formen des
Personalpronomens bieten, zu lösen: von Bugge (die Formen der geschlechtslosen
persönlichen Pronomina in den Germanischen Sprachen, KZ. IV, 241) und von
Scherer (ZGDS. 249 und sonst). Es kann für unsern Zweck zunächst nur
darauf ankommen, den Versuch zu machen, ob sich herausfinden lässt, was in
den Formen alt und ursprünglich ist, also nicht der besonderen germanischen
Entwicklung angehört, und wie weit Uebereinstimmung mit den slavisch-litaui-
schen Bildungen vorhanden ist.


Sehen wir von dem durch eine Form des Possessivpronomens ersetzten Ge-
nitiv ab, so scheint die Erklärung der Dativ- und Accusativform des Singulars zu
einem Abschluss gekommen zu sein: mik, þuk, sik werden allgemein aus der
fest gewordenen Verbindung des pronominalen Elements mit der Partikel -k =
griech. γε erklärt. Dabei ist nur zu beachten, dass das u der II. pers. im Goti-
schen, welches dem i, e aller andern Dialekte gegenübersteht, durch Anschluss
an den nom. þu entstanden ist (dasselbe gilt von þus für * þis). Somit blieben,
da -k ja nicht Casussuffix sein kann, als eigentliche Casusformen übrig: mi, þi,
si
, die als Accusative gefasst auf die Grundformen * men, * ten, * sen, auf ältester
Lautstufe * mam, * t(v)am, * s(v)am führen und sich mit den griechischen Formen
in der Kürze des Vocals decken, dagegen unterschieden sind von den litauisch-
slavischen mit langem Vocal. Zur Ansetzung eines auch im Germanischen ur-
sprünglich langen Vocals kann man dann kommen, wenn man annehmen will,
dass in den oft enclitisch stehenden Formen eine sonst in einsilbigen Worten
nicht gebräuchliche Kürzung, also eine stricte Durchführung des Auslautsgesetzes
stattgefunden habe.


Hier konnten wir jedenfalls noch mit grosser Wahrscheinlichkeit auf eine
alte Casusform schliessen. Viel misslicher steht die Sache in der Dativform.
Kuhn (KZ. 15, 430) erklärt mis u. s. w. aus * ma-sja u. s. w., also als ur-
sprünglichen Genitiv, und Scherer stimmt dem bei. Bugge denkt an einen Dativ
* masmāi, Schleicher (Comp.3 630) schlägt den loc. * masmin vor. Diese Er-
klärungen setzen nur ein Räthsel für ein anderes ein. Schleicher macht a. a. O.
[153]iii. Declination der Personalpronomina.
selbst die Bemerkung, aus dem Dativ * masmai würde * mamma geworden sein;
sicher, da die Form ja dem dat. tasmāi, got. þamma ganz gleich wäre. Ebenso
gut hätte aber aus * masmin * mam oder vielmehr mit Schwächung des Vocals
* mim werden müssen, wie aus * ismi = asmi, im (sum). Wenn nun Schleicher
an derselben Stelle nach Kuhn die Gleichung ansetzt: mis : * masja = þis (ejus):
tasja = vulfis : * varkasja, so wird dieser Ansatz sofort hinfällig, wenn man das
Altnordische hinzuzieht: wie es dort ulfs heisst, hätte es, wäre mis Genitiv, * més
und nicht mér heissen müssen. Mit andern Worten, das s muss hier ein ur-
sprünglich einfaches sein, und die Erklärung aus der Genitivform lässt sich nicht
halten. Sind aber mis u. s. w. des Singulars nicht Genitive, so können es auch
unsis, izvis, altn. yđr nicht sein.


Die Schwierigkeiten häufen sich, sobald man auf den Plural übergeht. Im
Dativ und Accusativ des Singulars decken sich alle Dialekte: mis, mik sind also
gemeingermanisch. Anders im Plural, hier scheiden sich Ost- und Westgerma-
nisch auffallend von einander. Die westgermanischen acc. plur. auf -ik (althd.
unsih, iuuih, ags. ǻsic, eóvic) fehlen dem Ostgermanischen gänzlich. Die ost-
germanischen Dativ-Accusative auf -is (got. unsis, izvis) fehlen dem Westgerma-
nischen. Ganz genau stimmen auch die beiden ostgermanischen Dialekte nicht
zu einander: das got. hat Dativ-Accusativformen auch ohne -is, uns neben unsis,
dual. ugk neben ugkis, während die nordischen Formen alle das -is haben: yðr
= * iđvis, ykkr = * inkvis, okkr = * unkis, und auch oss kann befriedigend nur
aus unsis erklärt werden, da die Entsprechung des got. uns nord. * ós wäre (vgl.
ás-ar = * ans-ar); in dem aus unsis entstandenen * unss (das auslautende s kann
wegen des vorhergehenden s nicht zu r werden) trat wegen des doppelten s keine
Ersatzdehnung ein. Welches Bild soll man sich auf Grundlage dieser Unterschiede
von der urgermanischen Form der beiden Casus des Plurals und Duals machen?
Wenn man überlegt, wie lose das -ik im acc. plur. im Westgermanischen anhängt
(das Altsächsische scheint gar keine Spur davon zu haben), wie ferner eine Ver-
stümmelung von älterem unsik zu uns lautgesetzlich unerklärbar ist und um so un-
erklärbarer wird durch den Umstand, dass eine Form auf -ik eine sehr bequeme
Unterscheidung des acc. vom dat. gab, so wird man kaum zu einem andern Schlusse
gelangen können, als dass die acc. plur. auf -ik überhaupt nur westgermanisch
sind. Und sind sie das, so können sie nur aus einer Nachahmung des acc. sing.
mik u. s. w. hervorgegangen sein. Damit würde auch die Ansetzung eines ur-
sprünglichen acc. * unsi, wie sie Scherer (S. 249) hat, hinfällig. Diese lässt sich
aber auch, wenn man seine Erklärung des ahd. acc. plur. («die Unterscheidung
des Accusativs nahm der letztgenannte Dialekt nach dem Muster des Singulars
durch Suffigirung der Partikel germ. * ke …» vor) nicht halten. Wenn auch
nach Scherer die Anfügung des -k erst im Westgermanischen stattgefunden haben
soll, so wäre der acc. * unsi schon die nach der Wirkung der Auslautsgesetze
übrig gebliebene Gestalt, und es ist nicht abzusehen, wie aus einem durch diese
Wirkung entstandenen * unsi im Gotischen uns werden konnte.


Ist es aber richtig, im Westgermanischen uns-ih, iuu-ih zu trennen und das
ganze -ih aus dem Singular herzuleiten, so liegt der Gedanke nahe, dass die dem
[154]b. Declination der Pronomina.
Westgermanischen fehlenden Pluralcasus auf -is erst innerhalb des Ostgerma-
nischen und zwar ebenfalls durch Anlehnung an den Singular mis u. s. w. ent-
standen sind: die eine Gruppe hat die Analogie des Accusativs, die andere des
Dativs sing. vorherrschen lassen; im Gotischen haben wir noch Formen ohne -is
erhalten, im Nordischen nicht mehr. Hier tritt nun freilich die Frage heran: wie
kommt es, dass bei der Anlehnung an den dat. sing. die Formen auf -is in den
ostgermanischen Dialekten accusativische Bedeutung haben können? Diese Frage
trifft einen der auffallendsten Punkte in der Flexion dieser Pronomina: die An-
wendung derselben Form als dat. und acc. plur. Aber diese Schwierigkeit steht
auch jeder anderen Erklärung des pluralischen -is im Wege: gesetzt, es wäre
möglich, mis als gen. aufzufassen, der in die Function des Dativs eingerückt
wäre, wie kann man es verstehen, dass dieselbe Form unsis im Plural zugleich
accusativische Bedeutung hat. Den Sprechenden musste beständig der Unter-
schied von mis — mik u. s. f. vorschweben, und der gleiche Unterschied zwischen
einem dat. unsis und einem acc. uns ist doch nicht weniger bezeichnend. Nimmt
man mit mir an, dass -ik des acc. plur. nur westgermanischer, -is nur ostgerma-
nischer Entstehung sei, also nach Abtrennung dieser Elemente gemeingerma-
nische Formen übrig bleiben, in denen Accusativ und Dativ zusammenfallen, in
der I. Pers. uns, so haben wir allerdings diese auffallende Erscheinung zu er-
klären, aber es wird bei dieser Voraussetzung begreiflich, warum unsis auch den
acc. bezeichnen konnte: diese Form ist aufzufassen als ein Versuch der Sprache,
im Anschluss an den Singular eine Dativform zu schaffen, ein Versuch, der des-
wegen nicht gelang, weil die daneben gebräuchlich bleibende Form uns zugleich
Accusativ war und die Sprechenden so zu sagen verführte, auch unsis u. s. w.
accusativisch zu gebrauchen. Wie nun aber Formen mit vollerem, stärkerem
Lautbestand leicht kürzere verdrängen, so ist schon im Gotischen in der II. Pers.
-is ganz durchgedrungen, im Nordischen überhaupt.


Versuchen wir mit der gegebenen Voraussetzung von den einzelnen Formen
zu erklären, was erklärbar scheint, ohne uns an die gewöhnlich aufgestellte
Casusfolge zu binden. Am einfachsten ergiebt sich nom. plur. I. got. veis als
* vijas für * va-j-as vom Stamm va- mit bekannter Pluralbildung, ebenso jus II.
als Plural eines Stammes ju-. Bei dem acc. plur. I. uns nöthigt uns kein Aus-
lautsgesetz, den Abfall eines Vocals anzunehmen, das -ns kann die ursprüngliche
Endung eines acc. plur. sein, und ich möchte die Hypothese aufstellen, dass die
Form weiter nichts sei, als der acc. plur. des von nom. plur. in die obliquen Casus
eingedrungenen Stammes va- (vgl. preuss. acc. mans neben nom. plur. mes,
während die andern Casus mit n anlauten). Die Verwandlung des a in u unter
Einwirkung des nachstehenden Nasals und des anlautenden v bedarf keiner
weiteren Begründung, wohl aber der Wegfall des v, oder will man die Sache
lieber so auffassen, das samprasaraṇa von va in u. Diese weiss ich nicht durch
einen völlig gleichen Fall zu belegen, aber wenn man sich nicht sträubt got. iz-
oder, lassen wir die Trennung der Elemente zweifelhaft, i- aus ju- zu erklären,
also auf den Stamm des Nominativs zu beziehen (vgl. hd. ir neben dat. iu, gen.
iuuar), so wird auch hier das Zusammengehen eines va-, vu- in u annehmbar
[155]iii. Declination der Personalpronomina.
sein. Ferner wird sich auf den Stamm va- unmittelbar der nordische gen. plur.
vár (Possessivpronomen várr) zurückführen lassen; er wäre von va- gebildet
wie ahd. iuuar aus dem Stamm iu- der II. pers. Bugge (Zeitschr. IV, 250)
nimmt an, vár sei aus unsar(a) entstanden, und zwar so, dass aus letzterem zu-
nächst úsar, aus diesem úrar, weiter durch Dissimilation úar, endlich vár ge-
worden sei. Abgesehen von den unwahrscheinlichen Lautveränderungen spricht
dagegen namentlich das Vorkommen von Casusformen eines Possessivpronomens
oss: ossa, ossar, ossum (s. Wimmer, Altn. Gr. übers. von Sievers, p. 76). Man
wird sich die Sache so vorstellen müssen, dass neben einem einst allgemeineren
gen. plur. * vara (und entsprechendem Possessivpronomen) aus den anderen
Casusformen eine Bildung unsara entstand, erstere überall verloren, ausser im
Nordischen. Wie die oben als acc. angesehene Form zu dativischer Bedeutung
gelangt sein kann, lässt sich nur im Zusammenhang mit den Formen der II. pers.
erörtern.


Bei dieser handelt es sich um eine doppelte Schwierigkeit, zuerst um das
Verhältniss des got. izvis zum nord. yđr = * iđvis. Bugge, der von einem
Stamme * jusva- = * jusma- (skrt. jušma-) ausgeht, also das got. z = s für ur-
sprünglich hält, denkt sich die Entstehung der nordischen Form folgendermassen
(a. a. O. 252): «aus izvis ward regelmässig irvir, daraus durch Dissimilation
iđvir (idvir), umgelautet yđvir, yđir zusammengezogen yđr; ebenso ging izvara
durch irvar in yđvar, yđar über. Auch sonst wird r durch Dissimilation in d,
đ
verwandelt: fređinn = frerinn (vgl. Gîslason, um frumparta îsl. tǻnga s 217);
hröđaz = hröraz (altern) wird Fâfnismâl v. 6. vom cod. reg. gegeben und darf
nicht geändert werden; Ragndîđr (Randîđr) = Ragnrîđr; norw. dial. Dordi,
wahrscheinlich þôrdîđr = þôrrîđr». Was dann aus ferner liegenden Sprachen
von ähnlichen Dissimilationen angeführt wird, kann hier übergangen werden, da
es doch nur die allgemeine Möglichkeit des Vorganges belegt, aber denselben
innerhalb des Nordischen nicht beweisen kann. Eine ganz andere Ansicht über
z und đ hat Paul (Zur Lautverschiebung, Paul und Braune, Beitr. I, 157) auf-
gestellt: * idvar(a) ist nach ihm die gotisch-nordische Grundform, das d ein Ein-
schub in die urgermanische Form * ivar; nach seiner Auffassung der Natur dieses
d kann dasselbe sowohl zu z (durch die Mittelstufe eines Spiranten) wie zu đ
werden. Diese Ansicht ist darum sehr misslich, weil z = đ = d nur in diesem
einzigen Falle angenommen wird, und überdies der Einschub eines d durch
nichts motivirt wird. Es scheint daher Bugges Aufstellung, wenn sie auch viel-
leicht durch die von ihm angeführten andern Beispiele eines đ für r nur schwach
gestützt wird, mehr Wahrscheinlichkeit zu haben. Der zweite Punkt betrifft das
Verhältniss der ostgermanischen zu den westgermanischen Formen; die letzteren
haben keine Spur von einem s oder d vor v (u), die Frage also ist, war von An-
fang an keiner dieser Laute vorhanden oder sind sie erst im Westgermanischen
(wie Bugge a. a. O. meint) wieder geschwunden. Setzen wir z. B. als Urform
des gen. plur. ein germanisches * jusvara oder * isvara an, so ist von dieser aus
durch keine belegbaren Lautvorgänge zum hochdeutschen iuuar zu gelangen.
Günstiger ist in dieser Beziehung die Annahme eines urgermanischen * idvara.
[156]b. Declination der Pronomina.
Der Uebergang dieser Bildung zu iuuar lässt sich wenigstens stützen durch den
Vergleich von got. fidvôr mit den westgermanischen Formen, z. B. alts. fiuuar,
ags. feóver, und man muss ihn als möglich gelten lassen. Die Sache steht dem-
nach so: gehen wir von einer Form * ivara u. s. f. als germanischer Grundform
aus, so ist got. z, nord. d (đ) für einen rein lautlichen Einschub zu halten, dem
jede weitere Analogie fehlt; setzen wir * idvara (oder, was auch möglich wäre,
* iþvara) als germanische Grundform an, so fehlt wieder einer solchen Form alle
weitere Beziehung. Es ist hier der Bequemlichkeit der Lautform wegen als Bei-
spiel der gen. plur. genommen worden, aber das gesagte lässt sich ebensowohl
auf den dat.-acc. iu anwenden; dieser muss am Ende einen Vocal eingebüsst
haben, steht also für * iv + x, und es kann daraus ebenfalls d weggefallen sein.
Wollte man bei der westgermanischen Form des dat.-acc. iu von einem einfachen
Stamm ju- ausgehen, so käme man vielleicht zu einer Art Erklärung, ich halte
den Versuch aber bei der eben dargestellten Sachlage für ganz unnütz, und gebe
es auf, mit Vermuthungen weiter zu gehen.


Zu einer Vorstellung über die Ursache des Zusammenfallens von dat. und
acc. plur. kommt man vielleicht, wenn man annimmt, dass die germanischen
Formen als Neubildungen ein altes, beide Functionen in sich vereinigendes nas,
dat.-acc. plur. I und vas, dat.-acc. plur. II ersetzen (vgl. oben das slav. ny, vy
als Dativ). Die ostgermanischen Formen auf -is wären dann ein nicht zur Per-
fection gekommener Versuch, eine Dativform nach Analogie des Singulars zu
bilden.


Ueber die wunderlichen Dualformen wird sich ebenfalls nichts bestimmtes
aussagen lassen: die Nominative dürften richtig aus Zusammensetzung mit einer
Form der Zweizahl erklärt sein, aus * vi-tva, * ju-tva, wenigstens ist mit dem
auslautenden t sonst nichts anzufangen. Da nach der oben gegebenen Ver-
muthung das -is von ugkis, igqis, nord. okkr, ykkr erst durch Anschluss an den
Singular entstanden ist, muss bei der Erklärung von unk, ink ausgegangen wer-
den, Formen, die, wie die entsprechenden pluralischen, zugleich Accusativ und
Dativ sind. Die Existenz eines besonderen acc. dual. gegenüber dem nom. findet
sich nur noch einmal innerhalb der indogermanischen Sprachen, und zwar nur
bei der I. pers. des Slavischen, nom. , acc. na, der Unterschied ist aber hier
secundär; in der II. pers. gilt für beide Casus va; na ist entstanden im Anschluss
an die beiden andern obliquen Casus naju, nama. Das Litauische hat in älterer
Zeit für beide Functionen ve-du, jetzt verdrängt durch das ebenfalls für beide
geltende neuere mu-du. Da es kaum glaublich ist, dass das Germanische hier aus
urältester Zeit besondere Accusativformen des Duals bewahrt haben könnte, die
allen verwandten Sprachen verloren gegangen wären, noch auch, dass eine
Accusativform innerhalb des Germanischen neu geschaffen und nun wieder zu-
gleich als Dativ verwendet worden sei, bleibt kaum eine andere Annahme, als
dass unk und ink auf Dativformen beruhen. In dem -k kann man nichts anderes
erblicken, als das -k von mi-k, also die angefügte Partikel, die hier zwar dem
Dativ angefügt ist, aber nur deshalb, weil diese Form eben auf den Accusativ
übertragen ist. Wenn es beim Singular fest steht, dass die Partikel erst nach
[157]iii. Declination der Personalpronomina.
der Wirkung der Auslautsgesetze, wenigstens des consonantischen, mit dem
Casus des Pronomens verwachsen sein kann, so haben wir keinen Grund, bei
den Dualformen etwas anderes anzunehmen. Wenn also getrennt werden muss
un-k, in-k, so müssen un-, in- das Resultat der Wirkung der Auslautsgesetze
sein, d. h. am Ende einen Vocal eingebüsst haben. Da das n keiner Dativendung
angehören kann, liegt es nahe, anzunehmen, dasselbe stehe für m (wegen des
folgenden angefügten Gutturals zu gutturalem n geworden), und man käme so
auf * um, * im; das letztere nun erinnert an die litauische Form des dat. dual. II
ju-m, und * um würde dann mit derselben Verwandlung des va, wie sie für den
Plural angenommen wurde, für * vam stehen. Dass auch in ugkara das k ent-
halten ist, wird sich aus einer verhältnissmässig späten Ausbildung dieser Ge-
nitiv- (der Possessiv-) form erklären, bei welcher wie im Plur. uns so auch im
Dual ugk als Stamm verwendet wurde; ebenso wie mir das v im igqis und ig-
qara
und den entsprechenden nordischen Formen aus der Analogie von izvis
und izvara herzurühren scheint.


Ich wollte diese Bemerkungen über die germanischen Personalpronomina,
obwohl sie zu keinem Resultat führen, nicht unterdrücken, um meiner Ueber-
zeugung Ausdruck zu geben, dass bei einer Formenreihe, die der Erklärung, d. h.
hier der Vergleichung solche Schwierigkeiten bietet, die grösste Wahrscheinlich-
keit vorhanden ist, dass fast alle alten Formen eingebüsst und durch Neubil-
dungen ersetzt sind. Bei solchen ist es immer sehr fraglich, ob wir überhaupt
ihre Entstehung begreifen können, da die Verbindung zwischen dem Ansatzpunkte
und dem letzt erreichten Ziele uns meist nicht überliefert ist. Bei diesen Prono-
mina, wenigstens den Pluralformen, kommt noch die besondere Schwierigkeit
hinzu, dass wir nicht einmal mit Sicherheit ursprüngliche indogermanische
Formen aufstellen können, denn dass, um nur eins anzuführen, die Stämme
asma- und jusma- einst allgemein gültig waren, lässt sich nicht beweisen, ja,
wie die Sachen liegen, nicht einmal wahrscheinlich machen. Die Möglichkeit mit
einer Erklärung der germanischen Formen weiter zu kommen, hängt wesentlich
daran, ob es gelingen wird, das s der dat. sing. zu deuten und den Ursprung
des got. z, nord. đ der Pluralcasus von II. aufzufinden. Nach dem bisher er-
reichten lässt sich keine engere Beziehung zum Slavisch-litauischen finden.


Ich kann zum Schlusse das Resultat der vorstehenden Abhandlung in wenig
Worten zusammenfassen; es ist nur negativ: eine eigenthümliche Entwicklung
der Declination als Gemeingut des Slavisch-litauischen und Germanischen lässt
sich ausser in einem längst bekannten Punkte, der Wandlung des bh von Casus-
endungen zu m, nicht mit Sicherheit nachweisen, und von dieser Seite her hat
sich mir nichts, was für eine besonders nahe Beziehung des Slavisch-litauischen
zum Germanischen spräche, ergeben. Die Fälle, wo man vermuthungsweise an
eine nähere Zusammengehörigkeit slavisch-litauischer und germanischer Formen
denken kann, sind bei den einzelnen Abschnitten hervorgehoben; ich unterlasse
[158]b. Declination der Pronomina.
es, sie hier noch einmal aufzuzählen, da sie eben nichts sicheres bieten. Das
ganze Gebiet der Declination ist also, abgesehen von der rein lautlichen Erschei-
nung des m = bh, für die Bestimmung des Verhältnisses der drei Familien zu
einander, wie es mir scheint, werthlos. Will jemand aus diesem Grunde meine
Arbeit eine überflüssige nennen, so darf ich gegen einen solchen Vorwurf an-
führen, dass die Neigung bisher sehr verbreitet war, zur Erklärung einer slavo-
litauischen Form die nächste Hülfe im Deutschen zu suchen und umgekehrt, dass
dies Verfahren, dem z. B. bei Schleicher die Deutung des deutschen Instrumen-
tals auf -u aus -ami zuzuschreiben ist, nicht auf einer genauen Betrachtung der
Formen selbst und der lautgesetzlichen Möglichkeiten, sondern auf einer allge-
meinen Vorstellung von sehr enger Beziehung des Slavisch-litauischen zum Ger-
manischen beruhte, dass es also immerhin einigen Werth hat, wenn man un-
beirrt von dieser Vorstellung nachweist, wie weit die vorliegenden Thatsachen
uns führen und führen dürfen. Meine Arbeit, die in ihrer Beschränkung auf die
Declination die Frage nach dem gesammten Verhältniss des Slavisch-litauischen
zum Germanischen nicht entscheiden kann noch soll, hat daher wesentlich nur
die Aufgabe, zur Berichtigung der Grenzen, in denen die vergleichenden Er-
klärungen sich bewegen dürfen, und zur Deutung der einzelnen Formen einen
Beitrag zu liefern.

Appendix A Druckfehler.


S. 91, Z. 3 v. unten und S. 96, Z. 22 v. unten lies Bahuvrîhi statt Bâhuvrhi.

Appendix B

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.


[][]
[][][]
Notes
*)
Scheinbare Differenz im Vocalismus, die aber die Grundform nicht berührt, findet
statt im altsächs. -as, aber dieses a, sowie das gelegentlich auch in anderen Dialekten er-
scheinende (s. Scherer a. a. O. S. 437) ist sicher erst secundär aus e entstanden.
*)
v für w der Quellen.
**)
n für nn der Quellen.
*)
Solche Annahmen können leicht denen, die diesen Studien ferner stehen, willkürlich
erscheinen, und es bedürfte einer besonderen Abhandlung, um die Ungeheuerlichkeit der
Uebersetzungsarbeit, wie die Katechismen sie bieten, nachzuweisen. Aber eine Notiz über
die Entstehungsgeschichte derselben wird genügen, um auch dem Gläubigsten einen Zweifel
an der Befähigung des Bearbeiters des Enchiridion, des ehrsamen Pfarrers Abel Will zu Pobeten
auf Samland, zu erwecken. Derselbe schreibt an einen Amtsbruder 1554: «.... Ehrwürdiger
lieber Herr Gevatter, es ist E. A. W. wohl wissentlich, was mir für eine Arbeit in Katechismo
von Euch anstatt und auf Befehl fürstl. Durchlaucht unsers gnädigsten Herrn ist auferlegt wor-
den. Nun hätte ich wohl verhofft, dass ich meinen Tolken (wie ich denn auch am nächsten
mit E. A. W. darum geredet) bei dieser Arbeit geruhlich hätte brauchen wollen, damit solche
Arbeit so viel schleuniger von Statten ginge, dieweil er sonderlich vor andern dieser Sprache
wohl kundig, und auch darin von Gott mit sondern Gaben begabt. Aber ich weiss E. A. W.
nicht zu bergen, dass der Weltfürst Satan (als ein sondrer Feind solcher heilsamen Werke)
mit seinem Werkzeuge solches zu hindern in keinem Wege ablassen will. Denn der Haupt-
mann in Grünhoff denselben Tolken vielfältig aufgeboten, dass er ins Schaarwerk hat ziehen
müssen und ihm auch solches Schaarwerk auferlegt, das seine Vorfahren und auch er zuvor
niemals haben thun dürfen. Nun hat er einige Schaarwerks-Tage versessen, insonderheit zu der
Zeit, wenn ich bei ihm gewesen und er mir im Dolmetschen hat corrigieren geholfen. Ueber
solchem hat ihm der Hauptmann Boten geschickt und zu sich in den Grünhoff diese ver-
gangene Woche fordern lassen, und als er nun hineingekommen, hat ihn der Hauptmann aufs
unglimpflichste angefertigt und übel abgefertigt mit Worten. Wie denn auch der arme Mann
ganz betrüblich am nächst verschienenen Sonntag geklagt und öffentlich gesagt, er törste und
konnte fort mehr in dieser Arbeit mir nicht helfen, wenn er solcher übeln Anfertigung vom
*)
Hauptmann viel dulden und tragen sollte. Dieweil aber mir (als einem einzelnen Manne)
solches unmöglich ist, solchen Katechismus in preussische Sprache zu bringen, und mir der
Hauptmann durch seine Bedrohungen und Tyrannei den Tolken abhändig gemacht, will ich
E. A. W. aufs dienstliche gebeten haben, mir doch hierin zu rathen, wessen ich mich ferner
halten soll in dieser Sache» u. s. w. (Notiz zur Geschichte der Uebersetzung des Luth. Katech.
in das Preuss. Mitgeth. von A. Meckelburg, N. Pr. Provinzialbl. Andr. F. VII). Eines Com-
mentars bedarf dieser Text wohl nicht: der Pfarrherr konnte gar nicht oder sehr schlecht
preussisch, und dass seinem Dolmetscher, der doch höchstens ordentlich plattdeutsch ver-
stehen konnte, die Sprache des Katechismus klar gewesen, wäre eine sehr kühne Annahme;
die beiden haben zusammen die Arbeit gemacht und das Resultat ist darnach.
*)
In Kat. I kommt einmal vor kodesnimma (II kudesnammi geschrieben) in der Bedeutung
„wie oft, so oft als“, ein Wort, für das die Herausgeber der preussischen Denkmäler keine
Erklärung haben. Sie ist ganz einfach: ko, ku ist dieselbe Partikel, wie in ku-ilgimai, und
desnimma (zu lesen deznima) genau dieselbe Weiterbildung von lit. dáżnas (oft) wie ilgimai
von ilgas (lange), in II. ist das Wort verschrieben entweder für desnimma oder desnimmi, die
Adverbialendungen -a, -i, -ai wechseln mit einander: ilga, ilgi, ilgimai, ilgimi.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bphk.0