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Rahel.

Ein
Buch des Andenkens
für ihre
Freunde.

— — ſtill und bewegt.
(Hyperion.)

Dritter Theil.


Berlin,: 1834.
BeiDuncker und Humblot.
[]

Aus einem Tagebuch.



Fr. von S —: gelebt, geleſen, geſchliffen, klug, gehemmt,
krank erfahren, und artig. Die Tochter: artig angelebt, be-
redt. Mich dünkt aber, nicht aus ihrer Natur heraus gebil-
det. Der Grund dieſer Natur gefällt meiner nicht. Sie iſt
zu loben, und angenehm; und nicht affektirt, oder unnatürlich
in ihrer Äußerung. Nur kommt es mir vor, ihre eigenſte
Natur ausgebildet, wär’s ein ganz anderes Mädchen: ſo ſehen
die Grundzüge ihres Geſichts aus, und ihre ganze Komplexion,
die auch ſchon gelitten zu haben ſcheint. Nicht allein die größ-
ten Glücksumſtände gehören dazu, der Menſchen eigenſte An-
lagen hervorzubilden, und in Harmonie zu bilden: ſondern,
den meiſten Menſchen werden ganz faktice angebildet, und ſie
haben nicht ſo kräftige Eigenſchaften, auch nicht Einmal ein
paar in Harmonie thätige, um der Erziehung der Eltern oder
der Umſtände zu widerſtehen; ſondern ſie bleiben embryoniſch
monſterhaft mit den verkrüppelten, verweſten, ſparſam geſtreu-
ten ſchwächlichen Naturanlagen verwickelt zum Stoffe der
III. 1
[2] traurigſten widrigſten Betrachtung in der Welt. Mir eine
häufige Erſcheinung, und höchſt tragiſch, vielfältig tragiſch.



— Um 2 Uhr in die Kirche. Schleiermacher die magerſte,
nüchternſte, gezwungenſte Predigt: er ſelbſt ergeben, ſie auf
Bibeltexte à la fortune du pot zu machen. Vorher Geſinge.
Der Klingelbeutel. Hinter mir ein Menſch umgefallen. Ich
erſchrocken: krank davon den ganzen Tag. — Machiavelli’s
florentiniſche Geſchichten erquicken mich etwas, weil ſie mich
ſtärken: es ſind lauter faits, wie er’s erzählt. Das hab’ ich
jetzt nöthig. — Viele beurtheilen die G., die gar nicht fähig
ſind, zu wiſſen, daß es Perſonen giebt mit Gedanken wie ſie,
und im Zuſammenhang mit ihren Gedanken wie ſie. Sie ſind
ſtolz, daß ſie nie närriſch ſind. Das glaub’ ich wohl! dazu
gehören auch Mittel. —



Zu Hauſe bis Abends halb 9. Dann zu M. Dort Lud-
wig Liman, und Andre. Das Geſpräch über Thierſeelen.
Ohme ſich ſehr übernommen: in der Verwechslung unſerer
ethiſchen, und aller übrigen Anlagen. Weil ihm noch nie
eingefallen, daß dieſe, wenn auch mit dem höchſten Bezug
ausgeſtattete Fakultät doch kein Zweck an ſich iſt, nur eine
Beziehung darſtellt, und wie alle andere Stufen eine Anſtalt
bezeichnet; einfach ſcheint, und komplizirt iſt, wie alle unſere
Fähigkeiten; die insgeſammt wieder nur zu einer werden
können, und wie ich glaube, werden werden. Es iſt ſonder-
[3] bar, daß die Menſchen beinah alle ſo ſtolz auf das bischen
moraliſches Urtheil ſind, welches ein Urtheil wie ein anderes
iſt; und nur reichere Beziehungen trifft, andere Verhältniſſe:
warum fällt es ſo Wenigen ein, daß wir durch einen einzigen
Ruck, in noch viel reichere Beziehungen geſetzt werden können:
und daß dieſe, in welchen wir uns überhaupt befinden, ſo gut
zu unſerer Organiſation gehören, als unſer Körper. Der große
Stolz läßt es gar bei Vielen nicht zu, zu denken und ſich zu
beſinnen. Ich nenne unſer tiefſtes Gewiſſen doch nur ein Ur-
theil. Es iſt die Beurtheilung unſeres eigentlichſten Willens.
Denken iſt ſo Vielen unangenehm wegen der Reſultate; ſie
haben ſie in der größten Bequemlichkeit zu beliebigem Ge-
brauche ſchon in Vorrath. Es iſt gerad, als wäre der Denk-
ſtoff der ungeheuerſte Marmorfels, der unſere Welt begränzte;
ſo ein wenig kriecht ein jeder daran umher; und viele von
den guten Arbeitern bekommen ganze Stücke ab; doch dieſe
Stücke laſſen ſie unverarbeitet gelten, als brauchten ſie nicht
aufgelöſt zu werden; das ſind die rohen Axiome, die ange-
nommen werden; davon läßt ſich dann machen was man
will. Die ganze Materie ſoll aber weg; ſonſt geht ſolcher
Stein durch die Kräfte ſeiner eigenen Natur doch wieder zum
großen Fels, als Weltgränze, zurück. Der Geiſt muß fleißig
ſein; und die Rechenſchaft ehrlich. Es will keiner mit Re-
ſultaten zufrieden ſein, die der Menſchen Fähigkeiten konzentri-
ren; und ſie glauben ſie dann kleiner, weil ſie ſich beinah
vereinfachen; und uns zur einzig wahrhaften Demuth brin-
gen: uns zum Warten zwingen; und wicklich zu der Voraus-
ſetzung eines andern höheren Geiſtes, als der des Menſchen;
1 *
[4] eines ſich ſelbſt und alles verſtehenden. Die Religionen, die
ſie ſich erfunden haben, ſchmeicheln den Menſchen: daher
lieben ſie ſie. Wir ſind noch in dem Paradieſe, wo man
auf Erkenntniß, durch Denken Verzicht thun muß. Aber ſie
drücken noch gern Schlängelchen an die Bruſt! ſelbſtfabrizirte.
Wie es mit dem Menſchen iſt: ſoll eine höhere Lehre ihm
unwiderſprechlich darthun; nicht ihm mit einer allegoriſchen
Fabel ſchmeichlen.


Dann den Abend in dem größten Schnee zu Hauſe; mir
verging dreimal die Luft gänzlich, ich glaubte zu ſterben, und
rang wie im Waſſer. Varnh. glaubte, es ſei der Wind, und
hielt mir immer den Mantel vor: da wär’ ich faſt geſtorben.
Meine Geſundheit iſt ſehr erſchüttert. Keiner ſieht’s, und
will’s glauben. Ich war den andern Tag zittrig und krank
davon. —



Aßen Dr. Erhard und Koreff hier; blieben bis gegen 7.
K. erzählte ſehr viel Intereſſantes: vom Staatskanzler, von
Bonn, von vielem. Den Vormittag war ich bei Frau von
Humboldt, die ich in mehreren Wochen nicht geſehen hatte.
Dort traf ich Sch. und Koreff. Und merkte gar nicht, weil
ich es nicht ahndete, daß Sch. böſe auf K. iſt. Sch. hat lau-
ter vorgefaßte Meinungen bei all dem Scharfſinn, den er in
ſich anſprechen kann. Er hat ſich in Wirkungen, die er in
Kotterien haben kann, verliebt; und iſt von ſich ſelbſt abge-
kommen. So fand ich auch daß er gegen Frau von H. wohl
aufmerkſam unzerſtreut eine Art von Kour machte; welches
[5] Betragen ich nicht ſo nennen würde, wenn er es ſonſt nicht
verſäumte. Alles dies bildet keinen ſtillen ehrwürdigen Karak-
ter, iſt kein ehrwürdiges Betragen. Wenn es mir nur ſo ſcheint,
ſo ſoll es mir lieb ſein: weil ich ihn innerlich liebe: aber ich
glaube, die Andern irren ſich über ihn. Frau von H. lieb’
ich, wenn ich ſie ſehe. Sie iſt, wie ſie ausſieht: und mir iſt
unverſtändlich, was mich an ihr verdrießt. Ich blieb allein
mit ihr, und dieſe Zeit war angenehm. Ich beneide faſt allen
Menſchen, auch ganz untergeordneten ſonſt, ihr haltungsvol-
les, leidenſchaftloſes Betragen. Fr. von H. beſitzt das vorzüg-
lich. Es kleidet ſo gut! Ich komme darin immer mehr aus
dem Gleichgewicht, wenn ich auch noch ſo ruhig werde; und
mißfalle mir äußerſt; obgleich ich genau weiß, woher es kommt.
Ich bemühe mich die Wege zu zeigen, wie ich zu meinen Re-
ſultaten gekommen bin: und darauf hört man noch weniger,
als auf dieſe, oder Behauptungen. In einer beſſern Lage,
mit einer beſſern oder härtern Perſönlichkeit fällt einem das
nicht ein. So hat es viele Gründe, die ich kenne. Vielleicht
werde ich Einmal plötzlich über dieſe abſcheuliche Art zu ſein
Herr. Den Abend las ich in Mad. Necker-Sauſſure. Wir
blieben zu Hauſe. —



— Ich affektire nichts. Verberge mein Beſtes; und
meine Krankheit. Dore ſieht es nur; unſichtbare Geiſter;
Gott, mein ewiger Zeuge. Koloſſal zwinge ich mich, und
kann ich mich zwingen. Das Körperchen aber geht doch nun
in ſein Älterchen dahin, und immer dahin. Ich ließe es ge-
[6] hen, wenn es nicht ſchmerzte; und ſchweige, wenn’s nur mög-
lich iſt. Bin leicht vergnügt, und ſehr ruhig; aber — laßt
mich nur ruhig, oder gebt mir Arbeit: natürliche. Nur keine
Verlegenheit! Entbehrung gerne! — Als V. wiederkam, war
er mild und freundlich: ich gleich glücklich. Nettchen war da,
wir ſprachen, tranken Thee, und er las uns einiges aus Ma-
dame d’Orleans. Eine brave Frau: deutſch, vorjetzig-alt-
deutſch, tüchtig, derb. Aber bei ihr und ihren Erzählungen
wurde mir klarer, und ich ſagte es auch V., wie Ein Menſch
in einer Zeit nichts iſt: wie er gleich einzelnen Tropfen oder
Wellen bei einem Sturme ſich verhält: keine einzelne macht
den Aufruhr, nur alle machen den Zuſtand, der ein Gränzzu-
ſtand, eine Bedingung anderer Zuſtände iſt. Madame d’Or-
leans war ſittlich, was ſollte ſie aber allein gegen den Strom
von Unſittlichkeit machen? weggehen? dann lebt ſie nicht,
dann wartet ſie auf Abholen, den Tod, — wie Mad. Guion.
Gegen den Strom? der bringt ſie unter. Sie war mitbefleckt,
indem ſie’s duldete, und trug zu dem Unweſen bei, indem ſie
in dieſem Elemente lebte und handeln mußte. Nichts iſt zu
retten, als das Urtheil und die Intention: nämlich, durch
Selbſtthätigkeit allein, rein zu erhalten. — Als Nettchen weg
war, fielen wir uns zärtlich in die Arme: mit Blicken, worin
jeder ſah, das innerſte Verhältniß iſt unberührbar, bleibt wahr,
weil es wahr iſt. V. ſagte: „Wenn du dich mit mir brouil-
lirſt, fehlt mir der Boden, worauf ich lebe!“ Wie iſt es denn
möglich, den für unvernünftig zu halten, und daran zu rüt-
teln! Ich war aber ganz glücklich und ruhig. Nur keine
Verlegenheit. Sonſt, wie Gott will! In der kann man nicht
[7] bleiben, das weiß Gott: er kennt ja unſer Weſen. Mad.
Sauſſure beſchreibt die Frau von Staël in ihrem Umgang ſo,
daß ich große Ähnlichkeit zwiſchen ihr und mir finde: ganze
Äußerungen, Wort vor Wort. Sie war gutmüthig, und haßte
Affektation, oder vielmehr die ennuyirte ſie zu Tod, und En-
nui war ihr Ärgſtes: dies iſt auch mein Ärgſtes, ſonſt verge-
ben wir viel. Die armen Menſchen, ſag’ ich immer — pau-
vre nature humaine,
ſagt ſie. Aber wir ſind ſehr verſchieden;
ſie hat daher Talent, und ich nicht: aber wenn ich auch Bü-
cher machte, ſo ſchrieb’ ich nicht. Ich ſah aber gleich Anno
1804, daß ſie eine gutmüthige natürliche Frau war: und ſagte
es auch. Sie vergriff ſich ſonſt in Schätzung der sentiments;
und das ſah aus wie Affektation in ihren Büchern; ſo et-
was that ich auch in der frühſten Jugend nicht. —



Wie irrt ſich Frau von Staël über ſich ſelbſt, in ihren
Briefen über Rouſſeau! Welche Anſtrengung von verkehrter
Vertheidigung, gegen ganz unweſentliche Angriffe einer ganz
verirrten Anſicht, der Leidenſchaft, der Pflicht, der Moral, des
ganzen Lebens! Nicht ihre Anſicht, ſondern der Abweg, die
Lügenpfade der ganzen Franzoſenwelt, das heißt der ganzen
neuern. Frau von Staël liebt Rouſſeau’n, er ergreift ſie,
ſagt ihr zu; aber ſie fürchtet ſich, ihre guten Freunde werden
ſie für unmoraliſch halten, ſie beſchuldigen, dem Laſter, der
Leidenſchaft das Wort zu reden. Sie hat weder Rouſſeau’s
Ausſprüche in ſeinen Schriften, und durch ſein Werk die neue
Heloiſe, eine durch Gründe vorbereitete Denkungsart erfaſſen
[8] können; noch war ſie ſo ungründlich und fade, und viel zu
vollherzig, als daß es ihr möglich war, ſeinen gemeinen Tad-
lern und deren Ausſtellungen beizupflichten. Frau von Staël
war von einer andern Art von Furien, als denen, die das
Gewiſſen peitſchen, verfolgt; aber dieſe garſtigen Teufel waren
eben ſo fleißig, als jene zu ſein pflegen. Unaufhörlich verfolg-
ten ſie ſie aus den Sälen und Gemächern von Paris; und
dieſe Fratzen allein ſind es, meines Bedünkens, die ihr ganzes
Talent verwinzigt, getödtet und in Konvulſion gebracht haben.
Weil nur die Summe, die unſere ſittliche Anſicht von uns
ſelbſt und der Welt zuſammenzieht, unſere Gaben zu Talent
beleben kann. Wer nur für ſittlich hält, was Andere loben,
iſt nicht mehr keuſch; und ohne Unſchuld, immer neu wieder-
kehrende Unſchuld, die im reinen Willen beſteht, verwirrt ſich
jedes Talent, und gebärt Geſchöpfe ohne Proportion in ihren
Lebenselementen, d. h. der Tod, ein fremder Wille ſchleicht ſich
mit hinein. (Thut das die Natur, ſo ſchafft ſie monstres,
oder Krankheiten, die jeder erkennt, oder wenigſtens Gelehrte.
Bei Kunſtwerken, Romanen, Gedichten, iſt das ſchwerer zu
belegen.) Das das unvermuthet Harte, widerſpenſtig Herbe,
Fremde, aus der Bahn Gleitende in den Werken der Frau
von Staël, daher das ganz Inkohärente in ihren Kritiken und
Behauptungen; das Abwechſten der wahrhaftigſten Ausbrüche
von wirklichen Gedanken, und des ganz eitlen Nichtigen ne-
benan. Sie horchte nicht auf ſich ſelbſt: und dies, weil ſie
nach jedem Einfall und Gedanken gleich hinhörte, wie ihn das
geehrte, geiſtvolle Paris, ihr Publikum, ihre Welt, beurtheilen
würde: oder vielmehr mißverſtehen könnte. Es war nicht bloß
[9] Eitelkeit von ihr, und ſie mochte nicht um jeden Preis gelobt
ſein: aber ſie war zu empfindlich gegen Paris — dies hielt
ſie hoch! — ſie mochte um keinen Preis getadelt ſein. Ihre
Moralität, ihre Religioſität, ihre Tugend, ja zuletzt gar, ihre
amour d’une monarchie constitutionnelle, ſollte in nichts dem
Tadel ausgeſetzt ſein. Arme Philoſophie! ſolche reicht nicht
weit. Ich glaube doch, hätte ſie ſich mehr ſpekulative Kräfte
gefühlt, ſie wäre von ſolcher Nachgiebigkeit zurückgekommen.
Wer Gründen widerſpricht, muß es mit Gründen thun; und
jeder, der denken kann, wird für ſeine Gedanken doch nicht
ungedachte Ausſprüche der Geſellſchaft fürchten! Im Gegen-
theil; dieſe ändert ſich allmählig nach den Urtheilsausſprüchen,
welche die zuletzt ausgeſprochenen Gründe für ſich hatten, und
daher ſiegten. Faſt radotirt Frau von Staël über Rouſſeau
und man wundert ſich dieſes Herumfahrens, der Ausſprüche,
Behauptungen, und was ſie als feſt annimmt, nicht ſowohl:
als daß da drunter mit von dem Beſten zum Vorſchein kommt,
und ſie öfters auf den reinen Grund untertaucht. Dies allein
machte mich ſo aufmerkſam, ſo bös, und ſo gut auf ſie. So
beurtheilt ſie Rouſſeau’s discours sur l’inégalité des conditions,
sur les dangers des spectacles,
und andre Schriften ſolcher
Art, immer nur aus dem Standpunkt, was man darüber ſa-
gen wird, nie was man mit Gründen dagegen ſagen könnte;
kann alſo Rouſſeau’n auf gar keinem reinen oder abſtrakten
Wege folgen. Sie quält ihren armen ſchönen Verſtand: er
muß ihr immer unwürdige Dienſte leiſten. Wie ſie aber gar
auf die neue Heloiſe kommt, plumpt ſie ſich beugend in alle
alte dünkelhafte geheiligte Rohheiten. Ließe ſie doch Rouſ-
[10] ſeau’n lieber klagen, als ihn ſo zu vertheidigen! — Ihr in
allen ihren verwickelten Läufen zu folgen, iſt mir zu ſchwer;
wenn das Buch mir gehörte, ſchriebe ich alles am Rande. Sie
bleibt immer in derſelben Furcht für ſich, und auch für Rouſ-
ſeau, man möchte ihre Tugend, ihre Moral nicht für die äch-
ten halten; fürchtet ſich, der Leidenſchaft das Wort zu reden
— die ſie auch in ihrem Buch sur les passions mit Sucht
verwechſelt. — Was iſt Leidenſchaft? Erſtlich! Dann verläßt
ſie die Angſt nicht, daß Weiber von ſchriftſtelleriſchem Talent
nicht könnten weiblich gefunden werden: oder ihre Werke doch
nicht ſo hoch zu ſtellen ſeien, als die der Männer. Arme
Furcht! ein Buch muß gut ſein, und wenn es eine Maus ge-
ſchrieben hat, und wird dadurch nicht beſſer, wenn ſein Autor
Engelsflügel an den Schultern trägt. So viel für’s Buch
ſelbſt! Ob eine Frau ſchreiben ſoll? iſt eine andere Frage:
und ſo poſſierlich als ernſthaft zu beantworten. Wenn ſie Zeit
hat; wenn ſie Talent hat; wenn’s ihr Mann befiehlt —
wird’s ehliche Pflicht ſogar, — wenn er’s leidet, gerne ſicht;
wenn es ſie von Schlechterem abhält, wenn ſie Gutes thut
für den Sold, u. ſ. w. und ſie muß es, wenn ſie ein großer
Autor iſt. Wenn Fichte’s Werke Frau Fichte geſchrieben hätte,
wären ſie ſchlechter? Oder iſt es aus der Organiſation bewie-
ſen, daß eine Frau nicht denken und ihre Gedanken nicht aus-
drücken kann? Wäre dies, ſo blieb es doch noch Pflicht, oder
erlaubt, den Verſuch immer von neuem zu machen.


In Rouſſeau’s Heloiſe wäre ganz etwas anderes zu be-
urtheilen, als was Frau von Staël anzugreifen ſcheint: aber
das Werk in ſeiner Geſammtheit drückt dieſen Tadel ſelbſt aus,
[11] wenn auch durch kein Räſonnement; durch Juliens Unglück,
das ſie uns im Tod beſtätigt. Und ſo ſoll jedes Gedicht, jeder
Roman verfahren, keine einzelne Lehre der Tugend dramatiſi-
ren, keine Maxime der Klugheit; was gewöhnlich ſo begierig
und ſelbſtzufrieden aufgenommen wird. Mich dünkt ganz an-
ders. Solche Werke ſollen ein Stück Welt vortragen; was
da mit vor kommt, wird ſchön ſein: jedes Genie wird ein an-
der Theil ausheben, und es nach ſeiner Gemüthslage darſtellen
und färben, wie jedes Tages Licht uns die alte Erde neu zeigt,
ja jedes Tages Stunde. So ſind auch die großen Werke der
großen Meiſter; alles findet man darin, was man in der
Welt zu finden vermag; alle großen Betrachtungen: aber ich
glaube nicht, daß dieſe Meiſter ein Gedankengerüſt beklei-
det haben. —



Den letzten Sonntag vor acht Tagen wurd’ ich krank;
mußte Koreff holen laſſen, und zu Bette bleiben; und leiden.
So viel als wohl ſonſt litt ich nicht; aber das Übel war ganz
mit allem Fieber nach dem Kopf getreten. — Koreff behan-
delte mich ſehr gut, und mit großer Liebe; doch fühl’ ich mich
zerſtörter als je noch, von ſolcher kleinen, oder vielmehr kur-
zen Krankheit. Ärger beförderte ſie, die große Kälte kam da-
zu, und fand äußerſt geſtörte Nerven. — Vorgeſtern erfuhr
ich Oppenheims Tod: der mich wegen ſeiner Familie ſehr
ſchmerzt und beſchäftigt. Geſtern wieder eine unangenehme
Nachricht, eine abſchlägige Antwort. Und dann — Goethen
habe der Schlag getroffen. Darüber muß ich ganz ſchweigen.
[12] Es iſt ſonderbar, aber ich bin ſummariſch erniedrigt, beleidigt
dadurch. — O! Gott. Wäre nicht in mir ſelbſt ſo vieles her-
untergelebt, ich überlebte es nicht. Wie das ſonſt war!??? — —


— Ich las auch in den Tagen Florence Maccarthy von
Lady Morgan. Reich an talentvollen Zügen, tüchtig in ge-
meinen Karakteren, voller Verſtand; eine große Kraft in dem
Plane der Geſchichte, eingegeben von der liebe- und ehrenvollſten
Geſinnung, von der ehrwürdigſten Empörung, vom edelſten
Fleiß; für Spannung und Intereſſe geſorgt; ein bleibendes
Gemählde der Londner und aller großen Welt in unſerm mo-
dernen Sinn; (nach der Abtheilung der Länder auf der Erde,
wovon jede Gegenwart am Ende abhängt,) — das Ganze
aber mir nicht, wie ſonſt Lady Morgan’s Werke, genügend:
die beiden edelſten Karaktere, der eine zu leidend von dem
Augenblick an, wo wir ſeine Bekanntſchaft machen, der andre
gradzu zu thätig, zu liebhaberiſch am Staunen und Wun-
dern der Andern, und der Leſer. Nur mit einem Karakter
ſtreift ſie an das wahre Gehäge der Kunſt: mit Oleary; da
ſchafft reine Eingebung, oder, was ihr allein gehören könnte,
ein Bild, ein Gebiet, welches in jedem Augenblick auch von
der wirklichſten Begebenheit in Anſpruch genommen werden
könnte: und künſtleriſche Seelen müßten ſich dann von dieſer
einen Kunſtgegenſtand vorführen laſſen, den andere Seelen
nur für noch einen von ihren Kammeraden, oder ſonſt Be-
kannten hielten. Dieſer Roman hatte einen zu großen Zweck,
alſo war er eine Abſicht; dies, Lady! iſt ſeine ehrwürdige Recht-
fertigung gegen die Anklage der höchſten Poeſie.


[13]

Kératry, Deputirter von Finisterre, in der Sitzung vom
15. Januar 1820: — car il est rare que les mêmes illusious
fassent deux fois le tour du globe.
Erſchöpfend; wortſparend.
Äußerſt glücklich! Eine Eſſenz vieler Gedanken.



— Nachher lobte er Undine, und mehrere kleine Gedichte
von Fouqué: ich den Schlangentödter, beſonders das Vor-
ſpiel. Es iſt doch ganz unbegreiflich, daß grade Undine ſo
viel Aufſehen gemacht hat, und nun wieder Mlle. de Scudéry
von Hoffmann ſo viel erregt. Beide Piecen tragen ihren
Wurm von Haus aus in ſich: ihren eigenen Tod. Der Plan
iſt den Autoren nicht klar geworden. Undine werde ich über-
leſen: ſoviel weiß ich, daß ich, als ich’s las, drei verſchiedene
Pläne in dem Mährchen fand, die nicht in einander, ſondern
widerſprechend auf einander wirken. Wie kann Liebe mit-
ſprechen, und eine Rolle ſpielen wollen, wenn erſt von Seele
die Rede iſt; von dieſem wichtigſten, furchtbaren, metaphyſi-
ſchen Stück, vor welchem Gedanken alle Liebe zertrümmert!
Nach welchem Aufbau, Annahme oder Vorfinden ſie erſt mög-
lich wird. Das iſt wie Kinderzeugen, wenn der menſchliche
Körper noch in der chemiſchen Kammer der Natur producirt
werden ſollte. Das dritte Element dieſes Mährchens habe
ich vergeſſen: ich glaube, es war Vaterſorge, oder Kindesliebe.
Jedes von denen hätte allein Stoff zu einer berühmten Fiktion
werden müſſen; auch vergriff ſich Fouqué nur. — Hoffmanns
Scudéry iſt nun gar der Gerichtsſtube — um das Edlere vom
[14] Gericht zu nennen — nahe geblieben, und „ſoviel Worte, ſo-
viel Lügen!“ Da blühen die Unwahrſcheinlichkeiten und Wi-
derſprüche nur ſo, auf einem eignen Felde, das wenigſtens
voller Diktion ſtehen ſollte: die man aber ganz vermißt.
Ludwigs XIV. Zeit iſt ganz willkürlich gewählt, da nichts
als zwei Namen, die der Damen Maintenon und Scudéry,
beibehalten ſind; und die einiger Straßen. Die Leute ſpre-
chen bei St. Denys, und nicht bei dem König der Schicklich-
keit, deſſen Geſetze darüber noch gelten. Seine Polizei iſt,
in den wichtigſten Fällen von Raub und Mord, wovon der
erſte ſogar Henriette von England betrifft, die ſchlechteſte von
der Welt. Sie findet, trotz perſönlichem Schreck, und Keu-
chen bei der Unterſuchung des Hauſes und der Nachbarmauer
des Goldſchmidts, nichts; abgleich uns Hoffmann nachher ſehr
Handgreifliches finden läßt. Mlle. Scudéry behält geduldig
den reichſten Schmuck Frankreichs von einem toll ſich gebär-
denden Goldſchmidt: und dies, im Zimmer der Mad. Main-
tenon vorgegangen, bleibt auch in Paris ohne alle Nachrede
und Folgen, bei den größten Nachſpürungen über Gift und
Mord, und bei einem eigenen Tribunal zur Unterſuchung die-
ſer Gräuel. Der Pflegeſohn der Mlle. meldet ſich nie bei ihr,
als wenn es Hoffmann nöthig hat! — Bei Ludwig XIV.
geht man nur ſo in ſein Konſeil, wie an die Theaterkaſſe.
Der gepanzerte Offizier ſpielt ſein Stückchen allein; und mel-
det nur ſeinen gewonnenen Krieg der Dame, wenn es Zeit iſt:
keiner Polizei, keiner chambre ardente. Der Goldſchmidt iſt
der größte Künſtler, weil er ein Juwelenfreſſer ſchon im
Mutterleib werden mußte. Wie hideux, krankhaft, unnütz,
[15] und ohne allen ſittlichen Grund und Kampf eigentlich! wie
ein Waſſerſcheuer, dem man das Beißen verzeihen muß. Wie
die Mutter zu der fausse couche gekommen, iſt wieder ein
anderes Plaiſir. Tel est le bon plaisir — von Hoffmann.
Und vive l’auteur! ſchreit das deutſche Publikum. Nicht zum
Verſtehen. —



Schneeliches Thauwetter. Vormittag.


Anſtatt des Tagebuchs ſtehe lieber Folgendes hier: nur
dies noch! Vorgeſtern hatte ich einen Thee: der alle meine
Gedanken über Geſellſchaften, und Ausgaben und Einrichtun-
gen, und übelgebaute Häuſer, Lügen, Langeweile ꝛc. wieder an-
regte, und ſie mir immer ausführlicher macht. Geſtern wieder
mit Körte’s bei Stägemann. Auch ſah ich Alceſte; auch nur ſtär-
kere Beſtätigung alles Alten über unſer Berliner Theater.
Schlechte Plätze. Kreiſchendes Orcheſter. Fürchterliche Tanz-
kunſt, wo die Tänze nicht einmal zu der Muſik gehen wol-
len; ohne Sinn, ohne Verſtand, ohne Grazie, mit Seiltänzer-
Mühe, ohne ſie wie dieſe Tänzer unſchuldig uns anzurechnen.
Sänger vom Berliner Publikum gebildet. Das Publikum ſich
eine Art Beifall für Gluck auswendig gelernt, welchen zu wie-
derholen es keineswegs unterläßt, aber doch endlich nur ſehr
läſſig bezeigen kann: auch die Einzelnen in den Logen, Einer
gegen den Andern. Stümer ſehr gut geſpielt; wird ſich aber
die Bruſt angreifen. Weber läßt die Blasinſtrumente mit
den Sängern in die Wette forciren. Töne in Fresko darzu-
ſtellen, muß man von den großen italiäniſchen Sängern ge-
[16] hört, und es bemerkt haben. Man kann den Ton weit aus-
ſchicken, ohne zu ſchreien: wie die Farben klumpenweiſe für
die Ferne auftragen. Wenn Gluck nur Einmal ſolche Oper
aufführen könnte! ſchon in Paris, durch Tradition im Orche-
ſter, hört man wie es Gluck gemeint hat. Es iſt noch viel
zu ſagen. Neulich ſagte ich zu Koreff, alle Kunſt müſſe einer
Nation natürlich ſein: d. h. in den untern Volksklaſſen ent-
ſtehen: ſonſt vagirt ſie, hat keinen Boden, wird Krittelei, wenn
ſie vorher noch glücklich Nachahmung war. Erſt geſtern, als
Goethiſche Lieder ohne Begleitung geſungen wurden, drang
ſich mir von neuem auf, daß es nur verbeſſerter Wachtſtuben-
und Handwerksburſchen-Geſang im Wandern war. Hier ha-
ben
wir keinen andern Volksgeſang. Nun giebt’s noch Sol-
datenlieder aus dem Krieg. Alles andere Singen, auf den
Theatern, iſt bald italiäniſch, bald halb dieſer Geſang, halb
jener bezeichnete, auf Gluck, Mozart u. ſ. w. angewandt: und
meiſtens ſchon damit angefangen, die Singorgane ganz miß-
zuverſtehen. Dabei ein unendlicher Dünkel; auf dünkel-
haften ſogenannten Patriotismus gepflanzt. Man findet hier
mehr ſchöne Stimmen, als man nur irgend vermuthen ſollte;
aber gleich werden ſie verdorben: in die Kehle hineingezwun-
gen, die Bruſttöne bis zur Vernichtung forcirt, gequetſcht,
gekälbert. Leidenſchaft beſteht nur in Forte und Piano; Piano,
in Dehnen, etcetera! —



War ich unpaß zu Hauſe; erſt im Frühabend von G.
geſtört; dann kam Franz Ml.: und war ſo ſtumm, ſo uner-
reg-
[17] regſam, daß ich hinaus ging und weinte, und außer mir war.
Ich mußte ihn annehmen: er ging nicht; und als ich V. hatte
rufen laſſen, waren ſolche abgedroſchene Geſpräche, die mich
krank, und Alleinſeins oder Erfriſchung benöthigt dem Wahn-
ſinn nahe brachten. Erſt ſchwieg ich; dann ging ich hinaus,
da hört’ ich ſie doch: dann kam ich wieder hinein; wieder
hinaus: da weinte ich. Dann, als er gar nicht ging, ſprach
ich gewaltthätig und brachte zum Theil meine augenblickliche
Lage als Klage im Allgemeinen vor. Marter. Schrecklichſter
Abend. Ich litt unendlich. —


Nun etwas ganz anders!


Ein in unſerm ganzen Daſein gegründeter Mangel, und
alſo ſich immer wiederholendes Grundunglück, beſteht darin,
daß wir nur gleichſam die einzelnen Gaben des Zuſtandes der
Unſchuld zu genießen bekommen, den Zuſtand ſelbſt aber und
das köſtliche Glück, welches in Reinheit, in Ungeſtörtheit, be-
ſteht, nicht eher zu faſſen vermögen, als bis wir in dieſem
Zuſtande nicht mehr ſind, und er nur noch für unſere Betrach-
tung, aber nicht für unſer Wirken vorhanden iſt. Daher auch
unſer Geiſt immer unſchuldig bleibt; da wir aber hier nicht
nur als Betrachtung exiſtiren, und jeden Tag auf’s neue von
allen Lebenselementen berührt und ergriffen werden, und ſie
wieder behandlen müſſen, ſo erneuert ſich das Unbehagen, und
die Sehnſucht nach einem angemeſſenen, reinen Zuſtand für
unſere Seele, auch unaufhörlich wieder. Für dieſes eigentlich
unerträgliche Verhältniß iſt mir ein Troſt eingefallen; nämlich
ein Mittel, den Zuſtand der Unſchuld wirklich mit Bewußt-
ſein zu genießen. Mir iſt es ausgemacht, daß, wenn wir
III. 2
[18] nicht vergehen, und nach unſerm Tode noch uns perſönlich
fühlen, ſo werden wir verhältnißmäßig doch wieder in einem
großen Mangel ſein, und wenn auch geiſtreicher und im gan-
zen Daſein beziehungsreicher, ſo werden wir Größeres im gu-
ten und ſchlimmen Sinne für uns erfahren; dieſes unvermeid-
lich Schlimme noch gar nicht zu wiſſen, iſt ein Stand der
Unſchuld: ſich mit dieſer Unwiſſenheit begnügen, ſich ihrer
freuen, heißt dieſe Unſchuld mit Bewußtſein genießen. Dieſen
Genuß verſchafft die Thätigkeit des innren reinen Geiſtes.
Sollte unſer Zuſtand nach dem Tode bloß ſchlimmer ſein, als
hier, ſo gilt dieſelbe Betrachtung. —


Dies als einen guten Fund zum Troſt, theilte ich vor ein
paar Wochen der Frau von B. mit: ſie verſtand es total
nicht: und ich ſtand als neues Thor verlegen gegen ihr über;
ſie ſtellte auch keine weitere Frage an, um ſich den Gedanken
erklären zu laſſen. Ihr tiefer Irrthum beſtand darin: daß
ſie den künftigen Zuſtand, von welchem die Rede hier iſt,
nicht als etwas nothwendig zu Erfolgendes anzuſehen ver-
mochte, und der Vorausſetzung eines ſolchen nicht einmal zu
folgen vermochte, ſondern ſich ihn nur wie jedes andere Un-
glück, welches kommen, aber auch wegbleiben kann, zu denken
vermochte. Gräfin Walſh, der ich daſſelbe in Baden ſagte,
faßte es gleich, und lachte ganz erhellt wie in [...] neue Ge-
gend hinein: und die W. iſt fromm katholiſch. Die B. ver-
ſteht ſehr wenig. Gar keinen generellen Gedanken; oder ſeine
Anwendung. Ich habe ihr noch mehr über dergleichen vorge-
tragen, über Ehen, Völkervorurtheile ganzer Jahrhunderte,
ſie weiß nichts. Sie kann keinen Irrthum über die Dinge
[19] von der ſtillen Natur der Dinge unterſcheiden; der ſittliche
Antrieb fehlt ihr: ſie kommt gleich auf Approbation, oder
Abſtimmung der Menſchen: und das Scheidende in ihrem
Geiſt iſt auch nicht ſcharf.



Natürliche Kinder werden die genannt, welche keine
Staatskinder ſind; wie Naturrecht, und Staatsrecht. Kinder
ſollten nur Mütter haben; und deren Namen haben; und die
Mutter das Vermögen und die Macht der Familien: ſo be-
ſtellt es die Natur; man muß dieſe nur ſittlicher machen; ihr
zuwider zu handeln gelingt bis zur Löſung der Aufgabe doch
nie; fürchterlich iſt die Natur darin, daß eine Frau gemiß-
braucht werden kann, und wider Luſt und Willen einen Men-
ſchen erzeugen kann. Dieſe große Kränkung muß durch menſch-
liche Anſtalten und Einrichtungen wieder gut gemacht werden:
und zeigt an, wie ſehr das Kind der Frau gehört. Jeſus hat
nur eine Mutter. Allen Kindern ſollte ein ideeller Vater kon-
ſtituirt werden, und alle Mütter ſo unſchuldig und in Ehren
gehalten werden, wie Marie. —


Oelsner, in Paris.



— Von hier aus ſehe ich die Welt. Der Ort in ſeinem
geiſtigen und andern Zuſtande bedingt mir die Welt. Alſo bin
ich ganz eitel, ſie doch ſo anzuſehn, wie Sie: es läßt ſich meines
2 *
[20] Bedänkens nichts mehr über ſie ſagen, als was Sie ſchon im
Herbſte ſchrieben: „Beide Parthien — aus zweien beſteht ſie
einmal — ſagen nicht, was ſie eigentlich wollen.“ Sie nann-
ten auch dabei, was ſie wollen; ich ſetze hinzu: und ſie be-
trügen ſich nicht mehr einer den andern: und dieſen Punkt
Zeit halte ich für eine Reife, die uns jeden Augenblick eine
unbekannte Frucht aus der Schalendecke kann hervorbrechen
laſſen, welche die eine Hälfte der Leute als ſüß, die andere
wird als bitter verzehren müſſen. Es muß eine neue Erfin-
dung gemacht werden! Die alten ſind verbraucht. Prieſter,
Regierungen, waren ſonſt ihrer Zeit vor; brachten Geſetze von
Bergen, aus Wolken, von nicht bekannten Ländern; dieſe
Geſetze ſind durchdemonſtrirt; jeder Miethwohner des Erden-
rundes weiß ihren Grund, oder wenigſtens, er iſt ihm zu
Ohren gekommen: nun will keiner ſie mehr als einſeitiges
Gebot halten, ſondern ſie machen helfen: und eine geſetzliche
Weiſe in dieſen Zuſtand zu bringen, wird allein noch gar
nicht helfen. — Es iſt noch Phantaſie im Menſchen übrig
für idealiſche Zuſtände, und die will Stoff, Nahrung. Alle
gemeinſcheinende Anſprüche gründen ſich darauf; weil ſie auch
von denen, die ſie machen, nicht verſtanden werden; und dieſe
ſich in Mittel und Stoff vergreifen. Darum denk’ ich mir
einen Geſetzgeber, einen Regenten jetzt als einen ſolchen, der
eine hohe, allgemeingültige Anſicht des Lebens zu erfinden
wüßte. Etwa ein neues religiöſes Element, welches die Sitt-
lichkeit ſchärfer zu verſtehen gäbe, allen gebotenen Handlungen
eine andere Richtung, einen neuen Ehrgeiz. — Aber aller
Menſchen Geiſt, der Zufall, die Zeit, Gott wird ſo etwas
[21] ſchicken, das bin ich gewiß. Alles andere — wird ſchon etwas
clabaudage; und ging ſie nicht an Leib und Leben, ſo beküm-
merte man ſich nicht mehr drum, und ſie ennuyirte weniger.
Eines wundert mich aber immer ganz von neuem: wieſo grade
die faiseurs in der Welt, das Ganze ſo wenig aus dem Ganzen
anſehen. Bringt das die Verlegenheit des Handelns mit ſich?
— Von mir weiß ich Ihnen nichts zu ſagen. — Berlin ken-
nen Sie: es ſteht nicht ſtill: es läuft aber immer in derſelben
Richtung. —


An Frau von R., in Rom.



Wo ich ſeit dem 11. Oktober bin, und warte.


Tauſend Grüße! Unzählige bringt Ihnen, verehrte, liebe,
theure Freundin, dieſer Brief!! Möge er Ihnen all die Sehn-
ſucht nach Ihrem Umgang, nach dem ſtillen, ſichern, muntern
Zuſammenſein mit Ihnen, ausdrücken können; dem einzigen,
welches man ertragen kann, das einzige, welches man ſich
wünſchen muß. Wo Geiſt, Güte, Witz, Nachſicht, gute Laune,
Wahrhaftigkeit und prahlloſe Treue regieren, und beleben.
Das fand ich in Ihrer Familie: niemand kann dies leiden-
ſchaftlicher im Herzen tragen; niemand ſtäter, herber vermiſ-
ſen, als ich. Das muß ich Ihnen ſagen: wie ein Liebender
nicht ruht, bis er ſeine ſüße Wunde vertraute. Bald nach
dem harten Schlag, Ihrer Abreiſe, den 22. Juli erfuhr ich,
daß auch ich nicht in Karlsruhe bleiben dürfte, Sie dort wie-
der zu erwarten. Getroffen von dieſem Gewitterſchlag, fand
[22] ſich der gräuliche Schmerz erſt nach und nach, mit jedem Tage
ſtärker, mit allem was er vermiſſen ließ, und von Thätigkeit
forderte, die ſich auf keine erwünſchte Gegen- und Zuſtände
bezog, herber und zerſtörender ein. Ein liebes Leben hatte ich
verloren; und konnte mir das alte hieſige nicht wieder aneig-
nen, weil es nicht mehr da war, ich dem neuen fremd, das
Klima, die Kälte widerſprach mir, ich ward leidend. Weil ich
doch nicht zu bleiben hatte, fand ich mich auch nicht heimiſch:
kurz, unbehaglich: vollerregrets und souvenirs. So wollte
ich durchaus nicht ſchreiben, bis ich etwas beſſeres zu melden
hätte; wenigſtens eine neue Beſtimmung. Vergeblich: der
Kongreß hielt alles in beſchlußloſer Ungewißheit, und noch
heute — —, bloß damit ich auch mitten im Sommer noch
nicht wiſſen ſoll wohin! und ihn hier verpraſſen muß. Je-
doch iſt er ſchön hier bis jetzt. Unendlich viel Grün, und na-
menloſe Blumen in der Stadt: bis jetzt wegen paſſendem Re-
gen kein Staub. Auch muß ich der Stadt im Winter ihre
Gerechtigkeit widerfahren laſſen: es iſt gewiß die reichſte, viel-
fältigſte und vielhaltigſte deutſche Stadt, in Rückſicht des ge-
ſelligen Umgangs. Mehr Frauen, die häuslich empfangen,
findet man wohl außer in Paris nirgend; mehr Streben zum
Wiſſen und Sein wohl auch ſchwerlich, trotz der allgemeinen
Zerſtörung, und neuen Aufbauung der Geſellſchaft, die allent-
halben zu verſpüren, und auch hier nicht ohne Wirkung iſt,
Es war vieles hier ſehr ſchön. Ich aber mit meinem Sinn
auf’s Badener Land, auf Karlsruhe, auf meine Dortigen,
und die ganze Lage und Umgegend geſtellt! Und nur denn
ſproßt Glück in der Seele, wenn wir ſie nicht umzuſtellen ge-
[23] nöthigt ſind, und ſie grade für die Witterung, die uns um-
giebt, beſtellt iſt. Drum ſagt auch Goethens Taſſo ſo ſchön:
„O! Witterung des Glücks, begünſtige dieſe Pflanze!“ Den
Troſt hatte ich hier: und wahrlich es war ein heilendes, ſtär-
kendes Bewußtſein, daß Sie ſich insgeſammt in Rom wohl
fühlten, gut befanden: daß Ihnen, theure Frau von R., das
Klima bekam, daß Sie die herrliche Wohnung, den Garten
mit den Blumen hatten, zuſammen ſind!!! und Italien
obenein, Rom, für die Ewigkeit — mit Bequemlichkeit in Ih-
rer Seele aufnehmen können. Glück zu! Iſt es möglich —
welches ich immer glaube — daß wohlwollende Wünſche,
tiefherzliches Gönnen, Glück noch mehr anfachen kann, ſo helfe
ich Ihrem lodern! Jetzt, theure Freunde, ſind die Tage, wo
wir voriges Jahr anfingen im Schloßgarten zu hauſen. Präch-
tiges, theures, liebes Bild! In Italien freut es Sie noch!
Mich beſeligt es hier; und putzt mir die Mark auf! Wir ſe-
hen uns wieder! — für mich iſt das gewiß — wenn es der
Tod erlaubt: denn, dem Leben fahr’ ich vor — wie Kutſcher
— zwanzig, vierzig Meilen, Sie zu beſuchen! —


Ich habe mir vom 20. dieſes an mein Quartierchen in
Baden-Baden gemiethet: und gedenke für meine Perſon hin
zu reiſen, und zu ruhen. Dann wird ſich wohl ausweiſen,
ob ich meine Effekten in Karlsruhe verkaufen, oder ſie in der
Nähe wo hinſchicken ſoll. Zu beiden Geſchäften muß ich dort
ſein, weil ich alles dort zu Miethe ſtehen habe. Frau von
Humboldt iſt ſeit vierzehn Tagen in Dresden. Geht nach Tö-
plitz und ihrem Gute Burgörner: die liebt Sie ſehr, und von
der hab’ ich meine Nachrichten von Ihnen: und durch die
[24] Hofräthin Herz, die immer Briefe von Frau von Schlegel
hatte; welche meine R’s fand, wie ich es ſagte; ihre Schutz-
engel. Triumph! für mich. Meine Komplimente ſind alle
wahr. Das iſt der Unterſchied: Sie kennen mich: kann ich
ſchmeichlen? Frau von Tr. ſah ich auf einem Ball ſchöner,
jünger, heiterer als je! und tanzend wie das kleinſte Fräulein.
Sie ſcheint beruhigt, geſund, und ſehr vergnügt. Ich redete
ſie als eine Henrietten-Freundin an; und ſprach ihr von Ih-
nen, es war mir Bedürfniß; ſie klagte ſich in Hinſicht der
Korreſpondenz mit Ihnen, liebſte, freundlichſte, harmoniſchte
Henriette! an. Sie ſchien im Ganzen zerſtreut. Ein Ball!
thut dergleichen.


Sie ſprechen Alle wie die Profeſſoren und die Lazzaroni
italiäniſch! Fräulein E. ſingt wie Caffarelli: Papa hat den
ganzen Vatikan ausgeleſen, durchſucht und auswendig gelernt;
kurz, Italien iſt Ihnen Allen nur wie gemauſt; und doch iſt
alle Abend Deutſchland bei Ihnen! ich ſehe es. Auch ſtehen
Nähzeuge, Körbchen, Stickzeuge und Zeichnungen in der Fräu-
lein Zimmer, wie in Karlsruhe: Blumen, alles! Bei Herrn
von R. ſind Haufen von neuen und alten Büchern gethürmt,
mit ganz dunklem Einband, und pergamentnem, und mit ſol-
chen italiäniſchen Karakteren gedruckt, daß ſie kein andrer als
er im Hauſe leſen kann; wenn ſie ſie auch angucken. Wenn
es zu heiß iſt zur Terraſſe, hat er doch Abends eine Parthie,
und giebt dem Abend auch ſeinen deutſchen Kniff! Ach! ich
möchte mir gerne alles denken. Wir kommen wieder in Einer
Stadt zuſammen. Iſt es heftiger Wunſch? iſt es Ahndung?
Mir kommt es immer ſo vor. Herzlich umarme ich Sie ſehr,
[25] verehrte, liebe Freundinnen! Sie, liebſte Frau von R., Sie
Fräulein Henriette und Fräulein Eliſe! Dem Herrn von R.
meine treuſten Grüße! Nie vergeſſe ich wie ſchön aus ſeinem
lieben Herzen er bei der Kirche auf dem Markt von mir Ab-
ſchied nahm! Mögen wir uns dort wiederſehn! Varnhagen
empfiehlt ſich Ihrer Gnade; legt ſich den Damen zu Füßen,
und iſt mein Vertrauter und Zuſtimmer über R’s! Wünſcht
nie andre, nur ſolche Diplomaten zu finden: dieſe, dieſe,
ſage ich! Tauſend ſchöne Grüße an Fräulein Th.! Noch gra-
tulire ich ihr, mitgereiſt zu ſein. Es thut ihr gewiß wohl:
und bleibt für’s Leben, das reichſte, und durch Sie Alle, weichſte
Andenken. Gott laſſe Ihnen Ihr Glück! dann gönnt er auch
mir viel Freude, großen Troſt. Ihre treu ergebene wahre
Freundin

Fr. Varnhagen.


Darf ich mich unterſtehen Ihre Gouvernante zu grüßen,
deren Namen mir eben jetzt entgleitet? Unſre Uranie war
in Paris bei den Ihren. Wie gönnt’ ich’s ihr! Adieu! adieu!


Meine Nichte, die ſchon die Ehre hat von Ihnen gekannt
zu ſein, wird ſo glücklich ſein, Ihnen dieſen Brief zu über-
reichen. Sie reiſt jung vermählt mit ihrem Mann. Ich em-
pfehle ſie beide Ihnen. Beſſeres
kann ich nicht für
ſie thun; da ſie mein Kind iſt!


[26]

An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Kaltes, ungeſundes Wetter, wie überall, nach
den Zeitungen.


— Sehen Sie Mad. Huber, die das Morgenblatt her-
ausgiebt? Sahen Sie bei ihr eine Frau von Pobeheim, eine
Freundin von mir aus Berlin, auf die ich unendlich halte?
Sehen Sie Lindner? Sagen Sie ihm, erſt jetzt hätte ich mit
unendlichem Vergnügen ſeine Antwort auf A. W. Schlegels
Attake in der Allgemeinen Zeitung geleſen. Der Zorn ſtieg
mir bis an den Hals über A. W. S.’s Benehmen, daß er die
— ſonſt von mir ſo geſchätzten — franzöſiſchen Phraſen bis
in ſein innerſtes Blut dringen, und ſie im Deutſchen bis zur
Niedrigkeit werden ließ, und die Staël „Beſchützerin“ nennt!
Ein Freund iſt er ihr: iſt ſie reich, und theilte mit ihm, ſo
iſt das, weil er es nicht mehr als ſie war und nicht mit ihr
theilen konnte. Geſchützt muß er ſie auf Reiſen und im Le-
ben haben: genutzt hat er ihr mit ſeiner Nationalität hun-
derttauſendmal mehr, als ſie ihm: ihre iſt unſer altes Eigen-
thum, von unſerer Litteratur hätte ſie nie ohne dieſen Freund
faſeln können! Es mußte ihm endlich, und dieſer Staël An-
betung ſo aufgetrumpft werden. Ich danke Lindner innigſt
dafür; auch geſchickt machte er’s. Mir war das Balſam.
Ich kann ordentlich litterariſch leiden. Es gilt in allen
Fächern
, Handlungs- und Gedankenkreiſen, um dieſelbe Sitt-
lichkeit. Wahrheit oder nicht Wahrheit; die lieben, iſt ſitt-
[27] lich ſein; ſie zu finden wiſſen, Verſtand haben, der Vernunft
folgen! Und niemals darin ermüden: iſt der höchſte Bund. —


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Liebe Auguſte. Ich grüße und umarme Sie noch von
hier. „Maria Stuart heißt all mein Unglück“ heißt das!
Dieſe Zeilen überreicht Ihnen Mad. * Sein Sie gütig gegen
ſie: es iſt eine ſehr gute liebe Frau, die durch ihren Mann
viel Leid erlebt hat: der es ihr durch ſeine Geſchäfte zuge-
zogen hat. Jetzt folgt ſie ihm nach Stuttgart. Koreff
hat ihr Empfehlungen an die Miniſter Wintzingerode und
Zepelin mitgegeben, an Hrn. von Cotta und Uhland! an
keine Frau. Sie ſind die beſte. Sie ſind die wahre Ver-
ſüßerin; Sie ſind ſüß. Ich weiß noch, wie Sie mir in Prag
auf der Treppe entgegen kamen. Im grauen Überrock; ein
Häubchen, mit Puffen drauf; und Ihre Schönheit im Ge-
ſichte. Adieu! Theures Herz! Ehe es Winter wird, ſchließe
ich Sie in meine Arme, in Stuttgart oder gar in Dresden! —
Ich ſchreibe ſehr zerſtreut in Mad. * ihrem leeren Reiſezim-
mer voller Menſchen. Sie iſt eine vortreffliche Seele, aber
von ihrem Vortrag, z. B. über mich, rechnen Sie ab. Adieu!
Adieu!


[28]

An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden.



Theure Gräfin! Sichere Freundin. Die Lebenswellen ſchlei-
chen, laufen, ſtürmen, wallen vorüber, und ſitzen die Freunde
nicht in einem und demſelben Schiffe, nicht an demſelben
Ufer, ſo bleibt es vergeblich, jene für einander auffangen zu
wollen; erhaſcht ſind ſie todt, einzeln, ohne Strom, ohne Be-
deutung, Leben oder Beziehung. Darum iſt Trennung ſo
hart: weil für die am meiſten Gewitzigten dann auch,
wie für andere, die Mittheilung ſtarrt: nur dieſer große
Gewinn bleibt ihnen, daß der Lebensſtrom in einem jeden von
ihnen dieſelben Tiefen durcharbeitet hat, wenn ſie ſich
wiederſehen; und noch einen Vortheil müſſen wir uns nicht
entſchlüpfen laſſen! Dieſen nämlich, wenn uns ein wirklich
geiſtiger Fund entgegenſchwimmt, daß wir ihn nicht in Stumm-
heit für uns allein fiſchen, ſondern unvergeſſen und gleich ihn
den Geiſtesverwandten zuſchiffen. In dieſer ununterbrochenen
Geſinnung ſchicke ich Ihnen, geehrte Freundin, beikommendes
Büchlein: Angelus Sileſius. Ein Schatz von Gedanken, Klei-
node erhabenen Stolzes, der mich, bis zum Lächlen erfreut;
gedachte, und daher einzig wahre Demuth; einzig wahre Re-
ligion, da es Fragen an Gott ſind; getroſtes Verzweifeln;
Unſchuld in höchſter Kraft bewahrt! Dies alles in bereiter,
gebildeter, glücklicher Sprache, die ihr Beſtes und alles dem
Gedanken verdankt, und nicht wie ein Kleid des Gedankens,
ſondern wie deſſen lebendige aus ihm erwachſene Behautung
[29] lebt. Kurz, das Gegentheil der Zeitavortons; in Religioſität,
Denken, Geſinnung, und Ausdruck von allem dieſen! Darum,
theure Gräfin, ſchicke ich es Ihnen! Mir ſtärken dieſe Sprüche
den ganzen Geiſt und Kopf, wie Bergmorgenluft die zu we-
nig beachtete Natur des Körpers. Möge es Sie eben ſo er-
freuen, und Sie mich es wiſſen laſſen! Ich dachte dieſen Som-
mer gewiß nach dem Rhein zurückzugehen. Mein Beſtes,
meine Vernunft, muß einwilligen, hier zu bleiben. „Nur
Geiſter können gezwungen werden,“ ſagt Novalis. Machen
Sie von dieſen wenigen Worten Ihr Facit! Faſt fürcht’ ich
mich, noch etwas Höheres zu werden im Verlauf der Zeiten.
Welcher Zwang mag da erſt eintreten! Doch bin ich ſeit
heute getroſter: weil ich ein paar Zimmer im George’ſchen Gar-
ten, der an der Spree liegt, als Abſteigequartier habe. Und
Luft, Grünes, Waſſer, Leben, — welches auf dem Schiffbauer-
damm iſt, — mich gleich heilend berührt, und mir wirklich
ſo nöthig als Athemluft iſt. —



Julchen S. ſagt: „Man kommt ſo ſtückweiſe um ſich.“
Ich ſage: „Man trägt ſein Leben zu Grabe.“ Vielleicht lebt
es Keiner. —


Es giebt eine oberflächliche, und eine tiefe Jugend!


Wir verlieren alles, was wir lieben: am Ende das was
wir kennen, das Leben.


[30]

Allmächtiger Gott ſei uns gnädig! Lehr’ uns, wie wir
zu dir ſtehen!


An Adam von Müller, in Leipzig.



— Angelus tiefſte, erhabenſte, ſchönſte, kühnſte Sprüche
ſind und bleiben nur unſchuldige Fragen, und demüthiges
Verzichten. Die erſten bis zur kühnſten Keckheit eines geiſt-
vollen Kindes. Ich muß hier noch ſagen: es findet ſich ſchon
in Kindern dieſe Sitte, wie ich es nicht anders zu nennen
weiß: die ganze Anlage, der ganze Keim zur Moralität.
Wie ſollt’ ihnen auch ſonſt verſtändlich werden, was ſich
darauf bezieht? Aber verſchieden ſind die Kinder; grad nur
darin. —


Und ich möchte ſagen, was iſt am Ende der Menſch an-
ders, als eine Frage! Zum Fragen, nur zum Fragen, zum
ehrlich kühnen Fragen, und zum demüthigen Warten auf
Antwort, iſt er hier. Nicht kühn fragen, und ſich ſchmeichel-
hafte Antworten geben, iſt der tiefe Grund zu allem Irrthum:
und iſt man in dieſem auch ehrlich, und irrt nur, ſo iſt es
doch Verzärtelung und Mangel an Klarheit; und bei beiden
können wir nicht immer verweilen: Die große allgütige Ein-
richtung Gottes, das wirkliche Verhalten der Dinge unter-
einander, und der Gedanken zu den Dingen, wird uns doch
zum ſchwereren, demüthigern Werke mit fortreißen. Auf ſolche
Weiſe, glaub’ ich, ſind wir zum ganzen hieſigen Daſein ge-
[31] kommen. Wir mußten es durchmachen. Wie überhaupt
Menſchengeiſter lernen. Mit eigener Mühe; dabei fängt die
große Mitgift, Perſönlichkeit an. Dies iſt für mich „der
Gedanke aller Gedanken, die Menſchwerdung Gottes;“ die
Gnade, uns eine Perſon werden zu laſſen, und in dieſer
Gnade find’ ich auch gleich ihren eigenen Grund; ſie enthält
ihre Bedingung in ſich ſelbſt. — Den Urgeiſt beurtheile ich
nur nach meiner Mitgift von ihm, im Verhältniß von mir
zu ihm: nicht ungemeſſen, ungebührlich, was er ſein kann.
Der Gedanke Sein ſchwindet mir ſogar bei ſolchen Möglich-
keiten. Wie ein Adjektiv komme ich mir vor. —


— Sie glauben gar nicht, was ich alles untereinander
leſe. Kennen Sie Madame Guion? Deren Leben las ich
vorigen Winter, und noch vieles von ihr. Die hat den me-
taphyſiſcheſten Kopf. Mit welcher Kraftmacht — vigueur
ſpekulirt, mahlt die in’s Leere. Von dem großen Karakter
noch gar nicht zu ſprechen. Sie werden gewiß laut lachen:
aber für mich iſt ſie ein Gegenſtück zu Fichte’n. Beide laſſen
Welt und Natur ganz ausfallen, und ſenden den ſtarken
Geiſt in die Weite. Fichte verfolgt die Thätigkeit deſſelben
bis an die Gränze des Seins: die Guion ſchwingt ſich neben
ihren Vater in die Werkſtätte der Welt, wie die Bibel ſie
erzählt. Mit einer Gemüthskraft, und einer Ergebung voll
Zutrauen, die mich ſie mit Verwandſchafts-Zärtlichkeit lieben
macht. Mir äußerſt merkwürdig. Nur krankhaft; unſäglich
großartig aber. Darnach las ich Fenelon’s und Boſſuet’s
Leben von Beauſſet. Fenelon lieb’ ich: den muß jeder nach
ſeiner Art lieben. Boſſuet zwingt ſich ſelbſt: warum ſollte
[32] er nicht Andere zwingen wollen? Das iſt ſeine Ehrlichkeit.
In ſeinen Briefen an Freunde find’ ich ihn liebenswürdig.
Ich glaube, kein gebildeter Franzoſe damaliger Zeit konnte
in näherem vertraulichen Umgang der Liebenswürdigkeit ent-
gehen: ſonſt wäre er mit niemand dazu gekommen. Soviel
Ächtes enthielt ihre damalige Geſammtbildung, und das, was
in der Geſellſchaft herrſchte.



Geſtern lernte ich zum erſtenmale, daß man doch einen
Andern mehr liebt, als ſich; wir können die Eigenſchaften,
die wir für die weſentlich menſchlichſten halten, für die lie-
benswürdigſten, rührendſten, wenn wir ſie uns ſelbſt zugeſte-
hen müſſen, nicht in uns lieben, uns nicht ſelbſt dafür lieben.
Wohl aber in Andern. Mit einer Art leidenſchaftlicher An-
erkennung, mit der zärtlichſten Verehrung. So wie wir un-
ſere Phyſionomie nicht ſehen können; und doch unſer Geſicht
fühlen, wie kein anderes. Dieſe Entdeckung macht mir viel
Vergnügen: nicht, weil ich mich und uns nun nicht mehr für
ſo ſelbſtiſch halte, und für beſſer; aus Ehrgeiz möchte ich
nicht über die Menſchennatur hinaus, ſie darum nicht erhö-
hen: aber, daß wir dadurch reicher ſind, vielfältiger, das freut
mich; und auch darum, weil ich Wahres gefunden habe. Nur
der Tag iſt mir verſüßt, wo ich durch oder für meine Gedan-
ken etwas Neues erfahre. Dieſes Neue verdank’ ich der
B.’ſchen Jugendkorreſpondenz; die mich ganz belebt hat. Ich
möchte ihm wieder ein Vergnügen machen!


Man
[33]

Man wundert ſich ſo ſehr, und beweiſt ſo ſtark, daß dem
Adel die alten Vorzüge und Ehrerbietung nicht mehr wollen
geſtattet werden. Warum bemerkt niemand, daß es den Ge-
lehrten (les doctes), den Doktoren eben ſo geht? Sonſt war
ein ſolcher ein vornehmer, verehrter Herr; ihm ſchrieb man
Gelehrſamkeit wie Tauſendkünſte zu: man war überzeugt, es
ſei ein anderer Mann, als die, welche den Ehrentitel nicht
erhalten hatten, und es war eine Beglaubigung. Jetzt iſt es
zu bekannt, daß eine Menge Leute gelehrter ſind, als viele
Doktoren. Die Welt ſchreitet wirklich fort, und der Punkt,
worin dies Fortſchreiten beſteht, iſt auch gleich das Zeichen
davon. Kenntniſſe, Vermögen aller Art, Bildung, wird, iſt
allgemein. Breitet ſich aus: ſagt man ſo oft, ohne an den
buchſtäblichen Sinn dieſes Ausdrucks zu denken: der Ertrag
der Völker breitet ſich über die Erde. Das iſt der Zeit Kör-
per, möchte ich ſagen; anſtatt des ſchon mißlichen Wortes Zeit-
geiſt. Die Folgerungen mag man nun ferner machen. Es
glauben ja Viele und ich auch, die Geiſter machen ſich Körper.
Die Zeit iſt ein Geiſt, und ſchafft ſich ihren Körper.


An Oelsner, in Paris.



— Ich weiß, es giebt keinen Troſt, keinen in Worte zu
faſſenden. Lear ſagt zu einem, der ihm Unglück klagt: „O!
du würdeſt alles vergeſſen, wenn du meines hörteſt!“ Dies
III. 3
[34] iſt wenigſtens der Sinn ſeiner Schmerzensworte. So ging es
mir mit Ihnen! Wie Schatten, ohne Farbe noch feſte Ge-
ſtalt, entſchwand mir das eben kürzlich Erlebte. Uns hier
war eben eine Freundin und Nachbarin an einem unendlichen
Leiden von Krankheit geſtorben; und noch nicht begraben.
Meiner älteſten Freundin einziger Sohn und Hoffnung, ein
junger Architekt, der mit General Menu reiſte, in Alexandrien
geſtorben, und die Nachricht eben friſch angekommen. —
Alles ſchwand mir gegen Ihre Schilderung, armer Freund!
Wie haben Sie unvermuthet die tüchtige, edle, thätig geſunde
Freundin mitgeſchildert! Die liebe, treue, kluge, ſtarke Mut-
ter! Ich ſehe ſie, obgleich ich ſie nie ſah; und weine mit
Ihnen. Da iſt nichts zu ſagen; als Gott anzuſehen, ob er
uns nichts ſagen wird. Der ſpricht aber nur ein- für alle-
mal, wenn er uns in’s Leben ruft. Und richtig citiren Sie
den, der da ſagt: il y a des moments, où l’on ne peut rien
faire que de vivre.
Leben; iſt die große Ureſſenz, der tiefe
Urſtoff, woraus alles entquillt, mit und ohne unſer Zuthun.
Solchen Gemüthern, wie Sie eins ſind, kann man am wenig-
ſten arbeiten helfen, weil ſie alle Arbeit ſelbſt übernehmen:
denen mag ich nur zeigen, daß ich ihnen nachfühlte, und
nachdenken konnte; das iſt ihr einziger Troſt, weil dieſer Troſt
eine Art Umgang iſt. Am erſchütterndſten, lieber Freund, in
ihrem Schreiben war mir das, daß Sie für alle übrigen Le-
bensverhältniſſe ſo klar blieben, ſo voller Haltung und erfor-
derliche Thätigkeit. Dieſe Stärke und Macht über ſich ſelbſt
iſt mir der ſicherſte Bürge über durchgefühltes Leid, ich kenne
ſchon die, die ſich nicht faſſen können: die können ſich bloß
[35] nicht faſſen; und auch nicht allen Schmerz und Verluſt in
allen ſeinen Beziehungen. —



Wenn man behauptet, phyſiſcher Schmerz ſei der unleid-
lichſte, ſo widerſprechen einem beinah alle gebildete Leute, und
fühlen ſich wohl recht behaglich, und ihre Denkungsart groß-
artig. Man mag ihnen was auch immer für Gründe anfüh-
ren. Wie kommt es aber doch nun wohl, daß kein Mitleid,
ja, kein Gericht, für einen erwürgten Zuſtand einer ganzen
Seele vorhanden iſt; daß in den geſelligen, und noch engern
Verhältniſſen der Familie, gewöhnlich die eine Hälfte, oder
Einer, ganz erdroſſelt in allen ſeinen Regungen des Geiſtes,
des Herzens und allen Thätigkeiten ſeiner Anlagen umherlau-
fen muß, ohne irgend Klage anbringen zu können; oder, ohne
dieſe, Hülfe und Recht zu bekommen, während bei einem viel
leiſeren körperlichen Angriff alle Herzen auf offener Straße,
und alle Gerichte ohne Kläger zu Hülfe eilen würden? Weil
es da evident iſt, daß der Gefährdete nicht würde weiter leben
können, und die Natur ſchon da dieſe gütige Einrichtung ge-
troffen hat: bei der Seele Übel, und was der widerſpricht,
war ſie nicht ſo nah: und aus dieſem einzigen Grunde,
möchte ich dieſe Übel herber nennen; von der Seite be-
trachtet. —


3 *
[36]

An Mad. Domeier, in London.



Sind wir noch dieſelben?! Kann noch ein Zweifel ob-
walten, über unſere Vorexiſtenz? Daß man ganz aus- und
abgerieben wird, das iſt doch ausgemacht: daß wir keinen An-
fang, und kein Aufhören denken können, auch: wir haben alſo
unſer voriges Daſein rein vergeſſen. Es iſt eine ausgemachte
partie de plaisir, daß wir in vorgerückten Jahren uns unſere
Jugend noch zu erinnren vermögen; und zu dieſer, liebe Freun-
din, lade ich Sie ein! Es iſt auch nur einer von den opti-
ſchen Betrügen, woraus unſer hieſiges Leben zuſammengewitzt
iſt, daß wir meinen müſſen, wir verändern uns. Die alte,
nämlich ewig junge Seele muß nur durch ſo alte Kanäle; die
Witzkombination iſt doch nicht groß genug, und wiederholt
ſich zu ſehr: Sie ſollten ſonſt ſehen, wie jünglingsrege unſere
liebe Seele wäre, wenn ſie nur alle Tage etwas Neues er-
führe; durch eigne neue Gymnaſtik oder andere Organe, als
da ſind das Weltall! Eines der größten Witzereigniſſe iſt
nun, daß Sie nach Deutſchland kommen wollen. Nur bege-
hen Sie den großen Fehler nicht, nur ſieben Wochen dazu
anzuwenden, wie der Scholar, Ihr Sohn. Laſſen Sie dieſen
jungen Menſchen allein zurückreiſen; und übereilen Sie ſich
nicht! Eine ganz nützliche Reiſe über das deutſche Land kön-
nen Sie gewiß in dieſer Zeit ganz zu Stande bringen; Sie
[37] können unſern techniſchen, künſtleriſchen, geſelligen, und geſetz-
lichen Zuſtand gleich überſchauen: und gleich beſſer, als nach
und nach; und friſch aus dem altrevolutionirten England
beſſer, als lange von demſelben weg. Aber Ihre Freunde,
und Deutſchlands Gutes, werden Sie in ſieben Wochen nicht
finden; dies muß man ſuchen: kann es auch finden, auch häu-
fig, aber in keiner beſtimmten kurzen Zeit, noch einer ſolchen
Richtung. Kommen Sie nicht umſonſt über’s Meer! Nehmen
Sie nicht nur den erſten ſchlechten Eindruck mit zurück! Brin-
gen Sie Lord Byron und Sir Walter Scott beſſere Nachrich-
ten von uns mit. Ich ſehe alle unſere Fehler ein, ich mache
ſie ja mit, aber ich möchte doch gerne mit Wahrheiten gegen
Lady Morgan und die beiden Herrn prahlen. Laſſen Sie
keine deutſche Staël umſonſt zu uns herüber kommen! denn
ich ſehe ja Ihr Werk über Deutſchland ſchon! Was ſagen
Sie dazu, daß ich mich zum Publikum ſchlage? da alles ſich
adelt? daß ich feſt Volk bleibe; immer nur Leſer, und nie
ſchreibe? An Verſtand fehlt es mir nicht: aber der ſieht ein,
daß ich kein Talent habe, wofür ihn doch alle meine Freunde
in Ehren halten ſollten; denn die armen Leute ſind es doch,
denen man die Manuſkripte vorlieſt: Gedrucktes warnt vor
ſich ſelbſt. Was wollen Sie aber mit einem ſolchen Brief
anfangen; Sie leſen ihn aus, wie man ihn anfängt: aus
zehn, bis zwanzig Geduld-Eigenſchaften; Freundſchaft ge-
nannt, damit wir ſie auf eine honette Weiſe in Anſpruch
nehmen können. Dieſe Miſſive ſoll Ihnen aber nur kurz den
Vorſchlag machen: bleiben Sie etwas länger in Deutſchland!
Reiſen Sie wenigſtens nicht noch nach Schleſien: ſondern laſ-
[38] ſen Sie Ihren Bruder zu ſich nach Dresden, Berlin, Töplitz,
oder nach dem Rhein kommen. Laſſen Sie es ſich nicht neh-
men, über Calais und Paris zu kommen. Sehen Sie dort
geſchwind viel, und Mad. Genlis: grüßen Sie ſie, herzen Sie
ſie, küſſen Sie ſie! und ſagen Sie ihr, ihre brutalſten Vor-
urtheile ſind mir lieber als ihrer Rivalin — der Welt nach —
freiſinnigſte Papagai-Reden. Sie wäre ſo konſequent von
der Natur begabt, daß ſie von den Straßenlaternen zur Mor-
genröthe und Sonne gelangte; und jene, von der ſtrahlendſten
Sonne zu den Laternen, Lampen und Lüſtres der Salons. Ich
liebe die Genlis unendlich. Ihr Stil riecht gut; er verbreitet eine
Atmoſphäre; von wie tief kommt eine ſo genannte Äußerlichkeit
her! Laſſen Sie uns genau wiſſen, wann Sie nach Deutſchland
kommen, wann hierher: kurz, eine genaue Marſchroute; damit
Sie zu erhaſchen ſind. Wir wollen recht ſprechen! Über alles,
Viele ſind todt. Von denen wollen wir ſprechen, da wir noch
leben. Varnh, freut ſich ſehr, Sie kennen zu lernen: weil ich
unendlich viel von Ihnen ſpreche. Fragen Sie Doktor Boll-
mann — No. 139. Sloanesstrect — ob er uns nichts mitzu-
ſchicken hat. Tauſend Grüße an ihn! Reden Sie ihm zu,
mit ſeinen zwei Töchtern mitzukommen. Lebt Doktor Young
noch? Hat er ſich beibehalten? Iſt er kein Pedant gewor-
den? Dieſer Brief muß Ihnen ſehr lang dünken, da Sie
Mad. Herz ſchreiben, daß der an ſie Ihr längſter ſeit Jahren
iſt: ich im Gegentheil ſchreibe nur Briefe, dieſe äußerſt ſelten,
aber ſehr lang. Dieſer iſt ein Morgenbillet. Ich richtete mich
nach Ihnen, ſonſt hätte ich Ihnen alles von hier, von mir,
von Todten und Lebendigen geſchrieben: doch alles dies nun
[39] mündlich! In London kenne ich nur noch, außer denen, die
ich Ihnen nannte, Lady Caledon — Schweſter der Lady Stuart
— mit ihrem Mann, Mrs. Caulfield mit ihren zwei Töch-
tern, und Mad. Goldſchmidt aus Hamburg: können Sie dieſe
Damen grüßen laſſen: etwas von ihnen für mich erfahren,
ſo wird es mich ſehr freuen. Die jüngſte Caulf. iſt begabt,
die älteſte ſchön, die Mutter gut und brav. Lady Cale-
don eine heitere gereiſte Engländrin mit allen Vorzügen ih-
rer Nation. Mad. Goldſchmidt eine ächte Deutſche. Unend-
lich vielſeitig, alſo von der beſten Sorte. Adieu, Liebe! à
revoir.

Ihre
Friederike Varnhagen von Enſe.
Künftig R.



Mein Bruder Louis ſchien mich gar nicht zu verſtehen,
als ich ihm in Karlsruhe Einmal unter den Kaſtanienbäumen
beim Zeughauſe im Verlauf mehrerer Gedankenäußerungen
ſagte: der Menſch kann ſich eigentlich gar nicht beſſer machen;
und ſchien gar zu glauben, ich wollte Schlechtem das Wort
reden. Ich wollte aber ein altes tiefes Bewußtſein, welches
mir damals klarer erſchien, ausdrücken; nämlich, daß wir ein
Wille, ein beſtimmtes Streben ſind, an welchem wir nicht
ändern können; welches uns nur klarer, und verworrner wer-
den kann: durch Glück oder Arbeit. Nur Arbeit iſt Redlich-
keit, und eigenſte Sitte. Lüge iſt Faulheit-Aufſchieben. Von
der teufliſchen Lüge, die lügen will, hab’ ich keinen Begriff,
das iſt Unſinn, Phreneſie; Kopfſchüttlen, bis das Denken ver-
[40] geht. Ich kenne auch den Teufel nicht: aber ekle faule Lüge
auf jedem Wege. — Wir ſind gar nicht frei: wie unſinnig
wäre dies auch, und völlig unmöglich, da wir keinen Zweck
kennen: Zweck und Grund iſt Eins: und der iſt im Erſchaffer;
weil wir aus ſolchem Grunde kommen, fühlen wir uns frei:
der Zwang iſt ſüß: aber ſo wie wir einen eignen Zweck erfin-
den und die Freiheit nachahmen wollen, fühlen wir die eigent-
liche als Hemmung: unſer innerſtes Wollen nämlich; unſere
eigentlichſten Wünſche ſind richtig und frei: dies, Eltern und
Regierungen überhaupt, ſpähet nach! „Erlaubt iſt, was ge-
fällt.“ Goethe’s Taſſo.


Unſer innerſter Wille iſt wie eine Pflanze: einfach, be-
ſtimmt: aber ohne Wurzel in der Erde; unſer Geiſt das Be-
wußtſein drüber, wie eine in uns mitgegebene Sonne.



In Adams Geſchichte wird geſagt, daß ſeine Urſprache
verloren ging. — Nur ſehr ſchattenartige, oberflächliche, ſchwin-
dende Eigenſchaften der Dinge wiſſen wir mit unſerer Sprache
anzugeben; und haben doch in unſrer Seele kein ander Mit-
tel uns zu fragen, noch uns zu antworten. Es iſt kein leerer
Ausdruck wenn wir ſagen, „es will regnen, es will blitzen“
u. ſ. w. Es iſt, eigentlich gedacht, keine Regung möglich, als
durch Willen. Wenn wir auch nicht einmal von uns ſelbſt
wiſſen, wie wir zum Willen kommen, zum Grundwillen alles
unſern Wollens. Ein noch größeres Indiz, daß ein Urwille
exiſtirt, aus dem unſer Grundwille, wie alle Willen hervor-
[41] gehen. Eine einige große Muſik. So verſtand ich auch
Friedrich Schlegel, als er in Frankfurt ganz ernſt ſagte, das
Feuer ſei ein Geiſt. Das Feuer will etwas Beſtimmtes: es
hat gleichſam, oder es iſt ein Auftrag, des höchſten Willens:
und ſo alle Geiſter; und alles bis zur Geiſtigkeit Verfolgtes.
Unſres innerſten Strebens ſind wir uns bewußter, als deſſen
Beſchränkung, Bedingung und Beziehung: und es iſt einer
der irremachendſten und verbreitetſten Irrthümer, daß wir ge-
wöhnlich glauben, wir wüßten mehr vom Körper, als vom
Geiſt: wir leiden mehr vom Körper, weil wir in dem Verhält-
niſſe zu ihm noch weniger thätig zu ſein vermögen, und noch
weniger von ſeinen Eigenſchaften kennen, dieſe Unkenntniß allein
macht ihn illuſoriſch für uns zum Körper. So iſt’s auch ſchon
im menſchlichen Umgang. Je weniger wir Eines Geiſt kennen,
je mehr iſt er Sache, Unkenntliches, Zwingendes für uns. Er-
kenntniß iſt Fortſchreiten, Leben, höherer Auftrag, Willens-
verſtändniß, Anneigung, erhöhte Exiſtenz. —



Seit Kindheit an hatte ich eine Art von Furcht vor Uh-
ren und vor Waſſer in Teichen und Gefäßen, als Tonnen,
oder Fäſſer; kurz, vor gefangenem Waſſer. Heute fällt mir
erſt ein, daß dies nur zwei verſchiedene Richtungen derſelben
Scheu ſind, die auch nur einen und denſelben Gedanken zum
Grunde hat. — Iſt es nicht ſonderbar, daß man tiefer in ſich,
ohne Boleuchtung des Bewußtſeins, klüger ſein kann, als im
Hellen? — In den Teichen und Gefäßen iſt eine Willenskraft
des Elements gefangen und eine Thätigkeit gehemmt; bei der
[42] Uhr eine Thätigkeit gebraucht. Bei der iſt noch der weitere
Gedanke, daß die Federkraft ein Keimchen zu einer Organi-
ſation iſt, fürchterlich: wäre die Wechſelwirkung von Feder zu
Rad vielſeitiger, ſo ging’ es ſchon weiter. Das fiel mir heute
ein, daß eine Uhr der erſte Anfang von Organiſation iſt.
Witziger Gebrauch von Kräften. Die wir ſo nennen, weil wir
ſie nicht kennen.



Schon ſehr oft hab’ ich gar nicht ergründen können,
woher dem Menſchen ſeine Eitelkeit ſtammt. Was iſt das,
daß er ſich nicht allein ſchöner, beſſer, klüger, reicher, begabter
machen, ſondern auch für alles dies ausgeben mag, und nicht
allein für Andere, ſondern auch wohl für ſich ſelbſt? Der
Grund dieſes Beſtrebens iſt mir noch nicht klar. Es iſt viel-
leicht die Sehnſucht nach einem angemeſſeneren Zuſtande für
ſeine Fakultäten: er will ſich wenigſtens zur Erleichterung
vorſpiegeln — oder vorſpielen — daß er nicht in dem klem-
menden proviſoriſchen mehr iſt, oder zu bleiben braucht: alles
dies iſt nicht klar und hinreichend für die unvertilgbare An-
lage zur Prahlerei. Dies alles fällt mir immer von neuem
wieder bei Angelus Spruch ein:


„Des Weiſen Ahnen ſind Gott Vater, Sohn und Geiſt;

Von dieſen ſchreibt er ſich, wenn er ſein’ Abkunft preiſt.“

Der Grund der Eitelkeit kam mir nie ſo ſehr unedel vor;
aber die Lüge ſo dumm; und je dümmer, je richtiger ihr Grund.
Wie iſt mit Lüge ein Defizit auszugleichen!


[43]

Des erreurs et de la vérité. T. 1. p. 98. Im Ab-
ſchnitt de la végétation ſpricht Saint-Martin von den Prin-
zipien der Dinge: nämlich der materiellen. Tiefſinnig, geheim-
nißvoll, willkürlich, und ſehr ſchön; wie immer. Mir wird
dabei immer klarer, daß in allem zu Ergründenden wir nur
zweierlei — wie in uns ſelbſt — zu finden vermögen: den
Willen und das Wiſſen. Der innerſte Trieb der materiellen
Dinge iſt ein Wollen: und alles, was wir auch nicht dafür
erkennen, organiſch, für ſich und für anderes zugleich beſtimmt,
und hinlänglich; das heißt immer reicher in Thätigkeit, Da-
ſein und Entwickelung. Je mehr Bewußtſein, je heller, je rei-
cher, je mehr Daſein: und es giebt gewiß Geiſter, die alles
ſchon wiſſen, was wir fragen müſſen: die den ganzen Orga-
nismus dieſer Welt überſchauen. Organiſches, Lebendiges, iſt
eher zu verſtehen, als Todtes, Todtes iſt nur Unverſtandenes;
wir leben ſelbſt nur, inſofern wir Abſolutes in uns erkennen,
Hinlängliches. Nur mit unſrem bischen Leben ſuchen wir alles
zu erfaſſen. Wollen, Wiſſen; in Millionen Weiſen aus-
gedrückt. —




Eine Gerechtigkeit waltet ſchon hier auf Erden;

Daß die Geſichter all wie ihre Seelen werden.

Des erreurs et de la vérité. T. 2. p. 104. J’ai dit
en général que le mouvement n’était autre chose que l’effet
de l’action: ou plutôt l’action même, puisqu’ils sont insépara-
[44] bles.
— Zeit entſteht nur, wenn vor ihr nichts war. Für et-
was, das immer da war, giebt’s keine Zeit. Sie iſt alſo ent-
weder eine Illuſion, oder wir müſſen erfahren, wie wir nichts
waren: wodurch wir zum Bewußtſein kamen. Raum iſt Satz
der Zeit: iſt die für’s Geſchehene: iſt die zu Stamm gewor-
dene Illuſion. Zeit, werdende Blätter und Zweige davon.
Handlen, beider Prinzip. Handlen aber, iſt Exiſtenz bekom-
men: hieſige. Alles in den Bedingungen unſerer Konzeption. —



(Mündlich.)


„Ich mache zwar keine Prätenſionen, aber ich habe
darum nicht wenigere.“


Bei einem Streit über eine ganz unbedeutende Sache,
wo aber die auffallendſte Verkehrtheit ſich geltend machen
wollte: „Gott! rief Rahel leidenſchaftlich aus, haſt du denn
keinen Donner mehr? und wenn es auch nur um einer Klei-
nigkeit willen iſt, ſchick’ einen, zum Zeichen!“




Sehr kalt. Viele Leute heizen ein; ſtarker Regen.


Labruyere ſagt: Il n’y a rien qui rafraîchisse le sang
comme d’avoir su éviter une sottise.
Buchſtäblich wahr; in-
dem man eine Thorheit begeht, weiß man es ſchon; erhitzt
führt man ſie ſchon aus, und das Bewußtſein, es iſt eine
Thorheit, erhitzt noch mehr: und nachher die glückliche Erho-
[45] lung, ich bin ihr entgangen: „Eine auffallende Wahrheit“,
ſollte man denken. Sie iſt doch nur erſt Labruyere auf-
gefallen.



Wir machen keine neuen Erfahrungen. Aber es ſind im-
mer neue Menſchen, die alte Erfahrungen machen.


Noch nie hab’ ich bereut, was ich gerne that: nur immer
das, was ich ſchon mit Reue that.


Weißt du, warum wir hoffen? Wir können nicht ohne
Bild leben. Ohne Hoffen haben wir kein Bild in der Seele;
da iſt nichts.


Er muß es ja leiden; was willſt du ihn tröſten!


(Mündlich.)


Vom Shakſpeare:


„Er iſt Leben im Leben; er kann faſt nicht zur Betrach-
tung kommen, denn jede Betrachtung wird Leben; und doch
iſt er lauter Betrachtung.



[46]

An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Recht befriedigt, liebe Freundin, hat mich Ihr Brief!
Weil er mir ſagte, was ich gerne weiß. Daß es Ihnen gut
geht, daß Sie anerkannt ſind. Herr von Lehr hat mir das
wahr- und glaubhaft beſtätigt; und Ihr Leben etwas detaillirt:
ich freue mich deſſen, und der Achtung und Behaglichkeit, die
Sie genießen. Und bin Ihrer Geneſung froh! Das Beſte,
was ich Ihnen nun endlich jetzt von mir zu ſagen weiß, iſt,
daß kein Jahr vergehen wird, ohne daß ich Sie entweder
hier, oder in den Ländern Ihrer Nachbarſchaft werde geſehen
haben. Wenn bis dahin meine Augen noch ſehen! Dieſe Hy-
pochondrie entfährt mir, weil geſtern vor acht Tagen meine
intimſte, treuſte Freundin, die alles von mir kannte, und er-
lebt hatte, Krankheiten, Leid, Geſchichten, Inneres und Äu-
ßeres, der ich treu war und beiſtand, fünfundvierzig Jahr
alt begraben wurde. Von allen Lebenden dacht’ ich mir deren
Tod am wenigſten. Sieben Wochen lag ſie in einem Nerven-
und Schleimfieber; drei Wochen pflegte ich: dann fiel ich ein,
die ich ſchon zwei Jahr kranke, und litt das Unendliche, und
war, wie man ſagt, gefährlich. Koreff machte ein Meiſterſtück
von Fleiß, Umſicht, Glück und Weisheit. Den Tag, wo Nett-
chen Markuſe begraben wurde, fuhr ich ſchwankend und wan-
kend zum erſtenmal aus. Jede Blume erſchrak mich. Ich
wollte mich meiner Geneſung freuen; und konnte nicht, ich
mußte an der Freude, die mir die Vorſtellungen im Bette da-
[47] von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes
Beſchlüſſe: und bin ſeelenruhig jetzt. — Unſere eigentliche Seele
ſind die Wünſche, das Sehnen. Gebannt iſt ſie nur, in
Widerſpruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre geleſen?
dies apropos von allem! von Seele, Leben, Daſein; ſich
faſſen, es betrachten u. ſ. w. Mit der Geſelligkeit geht es
dabei ſeinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit
nur die Menſchen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir.
Sie finden ſich, erſtlich. Werden geſchmeichelt, bewirthet, ge-
pflegt, nicht perſönlich widerſprochen, umgangen, können nach
dem Theater kommen, finden Geſpräch, auch wenn ſie uns
allein treffen, die neuſten Bücher, immer willige Erfriſchung.
Und da iſt’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr
von Lehr erzählt. — Dieſer gefällt mir ſehr gut: er iſt Ihnen
ſehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das ſehr:
herzensgeliebte, alte, immer theure Auguſte! Es bleibt ganz
bei Prag! Wie dort, ſo immer. Varnhagen will abſolut von
Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf
unſern Gräbern wandern, wo unſer dortiges ſchönes, wenn
auch ſchreckenvolles Leben hingelegt iſt. Wir können daran
denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht
wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin!
Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch ſehen! Dann
wollen wir wieder lachen. Sie inſpiriren mich wie Keiner!
Immer dieſelbe und

Ihre R.


Den 7. September 1821. war bei Fürſt Clary in Töplitz
die Rede von Büchern und Leſen; da fragte Baron E. die
[48] Frau von Lubienska, ob ſie Goethens Wanderjahre ſchon ge-
leſen habe? Nein, ſagte ſie, ich habe ſie aber, und werde ſie
alsbald anfangen. Pourquoi lire de choses pareilles? ſprach
Fürſt S —, der General, drein; l’on voit tout de suite que
cet homme n’a jamais fréquenté la bonne société; et quel
monde il a vu.
E. erzählte mir es gleich nachher; und wollte
aus der Haut fahren; und ich ſchreibe es auf, weil ſo etwas
nicht verloren gehen muß. E. gab mir ſein Ehrenwort, daß
es buchſtäblich ſo übereinanderging, weil ich zweiflen wollte.
Auch hatte jener ſchon, als E. den Herzog von Weimar zu
kennen wünſchte, und hinzuſetzte, ſchon deßwegen, weil er ſo
große Talente um ſich geſammelt, und Goethen zum Freund
habe, — geſagt, der Herzog habe mauvais ton, et que l’on
voyait tout de suite qu’il fréquente, etc.



Der Leute Geſpräche ſind gefährlich, die nur erzählen,
nie ergründen, beurtheilen, erwägen und bemerken. Sie ſpre-
chen gleichſam ohne Linienblatt; gerathen in’s Klatſchen, da
ſie ſich und Andere unterhalten wollen; ſie haben weder Ziel
noch Damm, nur einen kleinen Zweck, und zu dieſem kleinen
Zweck noch kleinere Mittel.


Güte Dichter haben ein Bild in der Seele, und ſind ge-
trieben es darzuſtellen: andere treiben ſich, Bilder zu machen.


An
[49]

An Fanny Tarnow, in Dresden.



Schönes, helles, friſches Wetter. Man ſchreit hier Erd-
beeren in Töpfen, dieſe in große Körbe geſetzt, aus,
wie im Sommer.


— Vorigen Dienstag Mittag ſpeiſten wir hier, wohlbe-
halten, um 3 Uhr. Um 11 waren wir hier. Man wird jetzt
an der preußiſchen Gränze ein Patriot: ſo ſchön iſt Chauſſee,
Poſtbedienung, Einrichtung, und Betragen der Beamten. Man
fährt wie ein Kourier; aber bequem und ſicher auf den breiten
gutbeſorgten Wegen. Ich habe auch ſchon ein Volksſtück
geſtern hier geſehen: „der Stralauer Fiſchzug;“ das Volk
aber hatte mehr Geſchmack, als Julius von Voß, und ſchrie
jede Platitüde en masse an, die ihm gröblich ſchmeichlen ſollte;
trommelte gemeine Stellen mit lachender Wuth aus, pfiff bei
winzigen und etſchte bei gedehnten; das Haus war der ſchönſte
Anblick, ſo voll war es, von allen Klaſſen; der Lärm ſo voll-
ſtändig und anhaltend, daß ich meinen Kopf dem nicht zum
gänzlichen Opfer bringen mochte; und ein Drittel des Stücks
im Stich ließ; nach des Kaſtellans Zimmer ging, wo ich
meinen Wagen abwartete. König, Prinzen, alles war drin.
Wäre der raus gegangen, ſo hätte es zu viel Aufſehen ge-
macht, drum blieb er wohl. Dies theilen Sie gütigſt Tieck
mit. Wie ich dazu kam in’s Theater zu gehen? Ich, die
bergauf, bergab, ſich gratulirte, es nicht nöthig zu haben;
ſich einprägte, es nicht zu thun! Aus niedrer Feigheit —
lâcheté — weil meine Familie einen Logenplatz los ſein wollte.
III. 4
[50] Alles mißfiel mir: außer geſtern das Publikum. Plötzlich ganz
klug! Voller Urtheil und Takt. Mad. Esperſtedt ſpielte in
Vollkommenheit eine Berliner Schlächterin: und abgewo-
gen
in fresco gehalten; beſſer und anders als die hieſige
Landſchaftsdekorationen, die mich verzweifeln machen, weil ſie
eine längſt erfundene Kunſt aufgeben. Und Akademie und
Stadt es leidet!!! —



— Seit ich hier bin, war ich etwa viermal Abends aus.
Rheumatiſche Schmerzen, Unbehagen, völlige Niederlage bei
Feuchtigkeit u. ſ. w. alſo ich bleibe zu Hauſe, und es finden
ſich Abendgäſte ein: bleibt ein Abend leer, ſo gebrauch’ ich
ihn zur Einſamkeit, Ruhe, Erholung, Sammlung; Erinn-
rung
!!! — Ich habe alſo nicht Frau von Knorring (gebor-
nen Tieck) ihr Stück geſehen: kein Konzert, keine Canzi ge-
hört; habe mein Billet zum Requiem und Oratorium heute
bei Zelter zurückgeſandt, weil Menſchenluft für mich nicht zum
Ertragen iſt, und Straßenfeuchtigkeit gar nicht. So ſitze ich
denn und lebe; leſe, warte. Es geht auch recht gut. Wenn
ich nur Einmal ein Geſundheitsgefühl haben könnte! Aber
auch ohne dies bin ich poſitiv zufrieden; mit gefühlter Ein-
ſicht; wenn ich nur nicht Schmerzen habe und ſo krank
bin, wie ich ſchon oft war. Mein Herz — mein perſönliches
— iſt begraben; das iſt die Hauptſache. Das kann nicht mehr
zum Narren gehabt werden. Es muß kuſchen — ſtoßen Sie
ſich nicht an dieſen vulgaren Ausdruck! — Es hat keine Per-
ſon mehr zu verſorgen: wenn es angeſtoßen wird, iſt es für
Recht und Unrecht, für Mitleid; für ſeine Brüder: und für
[51] erlebte Mißhandlung ſehr rege: daher iſt es, und meine Augen,
ſo ſehr empfindlich. — Da haben Sie mein und meines Le-
bens Bild in großem Umriß ſkizzirt! Nachträglich noch, er-
warte ich Sie, und laß mir das nicht nehmen, daß Sie kom-
men! — Sein Sie ſo gut, Fräulein von Winkel recht herz-
lich von mir zu grüßen! Sagen Sie ihr, ſie ſelbſt wäre mir
ein tröſtlich Bild; in ihren Zimmern, mit ihren Bildern, ihrer
Harfe, ihrer Ruhe, ihrem Fleiß, ihrer Heiterkeit, und dem
Sonnenſchein von ſchöner Sonne, und Geſundheit. Gott ſoll’s
ihr laſſen, wie ich’s ihr gönne! —



„Einwilligen“ das ſublimſte Wort! die größte Bewilli-
gung für Menſchen. Durch Einſicht mit-wollen zu können,
begreift die Perſönlichkeit in ſich, die größte Gnadenverleihung.



Beim Leſen der Fichte’ſchen Staatslehre. Philoſophie;
Erkenntniß der Erkenntniß der Anſchauung; wie wir Gott in
der Welt nicht anſchauen, ſondren erkennen. Es wird immer
umgekehrt bewieſen; was wir nicht anſchauen, als Anſchau-
ung feſtzuſetzen. Weder fromm noch philoſophiſch; aber er-
ſchrecklich eingebildet auf Frommheit und Philoſophie. Reſul-
tate kann man nicht kaufen: noch durch Güte abgelaſſen be-
kommen: die muß man machen.


4 *
[52]

Handlen iſt an und für ſich ſittlich: da hebt es an.
Man kann gar nicht unſittlich handlen. Im Zuſtand der
größten Leidenſchaftlichkeit ſchieben wir uns Rechtsmotive un-
ter — alles andre iſt Leiden. — Bei Handlen iſt, im Hand-
len, Wählen, Richten, Wollen. Wollen iſt geiſtiges Handlen.
Klar ſein, oder es nicht ſein, iſt ein Zuſtand, iſt die unver-
ſtandene Welt. Wir verſtehen nichts, auch gar nichts, als
unſern Willen. Wir wollen es gut machen; richtig; konſe-
quent; uns ſelbſt verſtändlich. Boshafte Gemüther, wie es
denn wirklich welche giebt, ſind unklar; in einem unrichtigen
Zuſtand; durch die Saiten auf ihrem Herzen; die natürliche
Bewegung deſſelben haben ſie ſchwer; es bewegt ſich ſchwerer;
eine ſtärkere erſt macht ſie ihr Leben fühlen: ſie müſſen auf
Andere agiren wie wir, und müſſen ſehen, daß ſie Bewegung
hervorbringen; das zeigt ihnen der Andern Ärger, Scham,
Zorn leichter; dann glauben die Boshaften, ſie haben etwas
bewirkt: wie ſie anderes Zuſammenhängenderes, Sanftes be-
wirken konnten, iſt ihnen nicht klar, und nicht leicht; und ih-
rem ſchwerbeſaiteten Herzen nicht leicht vernehmlich: ſo ſagt
es ihnen wieder nichts. Aber jede Bosheit, jeder Boshafte,
kann klar gemacht werden: iſt die Bosheit erhellt, dargethan,
daß ſie eine Schiefheit iſt, einen Mangel zum Grunde hat,
ſo wählt kein Menſch — heißt kein vernunftbegabtes Weſen,
kein ſich fortentwicklendes Vernunftprinzip — ſie aus ganz
unzubegründender Liebhaberei. Und Fichte beweiſt es; und
mir iſt es lange bewieſen, man kann jedes verſtändige Ge-
[53] ſchöpf zur Verſtändigkeit zwingen. Größtes Konzert! Zwang,
zum Recht des Rechthabens! —


An Oelsner, in Paris.



Schlagsregen: ſchwimmende Straßen, grauer,
agitirter Himmel.


Ich ärger als alles dies! mir zittern die Beine; erfuhr
ich, im auf und ab gehen; womit ich mich von Nervenreiz,
und glühendem Geſicht, in meiner Schwäche erholen wollte!
C’est fini! Ich will kein Leſer ſein, ich will auch ein Schrei-
ber werden. In dieſem Zeitpunkt geht’s nicht anders! Ich
ſoll alles leſen: die Andern wollen alle ſchreiben. Ich er-
liege. Hab’ ich nicht ſo eben mit dem beſten Vorſatz, Ihnen
ein paar Worte zu ſchreiben, ein ellenlanges, weitläufiges,
unnützes, ſchöngeſchriebenes Memoire leſen müſſen, auf hohen
langen Bogen; Manuſkript! — langt mir nicht eben Varn-
hagen — mit dem Ermahnen Ihnen zu ſchreiben, mit der
Frage ob es fertig iſt, — wieder ein geſchriebnes Gedicht:
„Klagelied der Mutter Gottes“, von Friedrich Schlegel, ſechs-
unddreißig Seiten lang! Alles ſoll man leſen: alles Einer!
Ich bin der nicht: will, kann es nicht mehr ſein. Ihre Briefe
mag ich leſen! Ihnen für den letzten zu danken, Ihnen zu
applaudiren, darum wollte ich Ihnen ſchreiben. Reſpektirt’
ich Goethen doch nicht zu ſehr: ſo könnt’ ich ihm dieſen Brief
ſchicken: wie würd’ es ihn freuen, und erheitern, die Gewiß-
heit, ſolche Leſer zu haben. Begehen Sie ja den Irrthum
[54] nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu-
frieden: ich würde nie dieſen Meiſter vergöttern können, hätte
ich kein unſchuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und
auch als Geſchenk der Natur erhalten. Was Sie wider ſein
Buch ſagen, gefällt mir eben ſo, als was Sie dafür ſagen.
So munter (alerte, mein’ ich) aufgefaßt, angeſchaut, mit ſo
großem Vorrath kombinirt; und ſo hell überdacht dazugelegt;
ſo glücklich, natürlich, und kunſtgeübt, und kunſtvoll, und nur
wie im Fluge, ſich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen,
dem im Leſen — beſter Art — und Leben ganz durcharbeite-
ten, und gereiften, galliſch-deutſchen Menſchen möglich ſein.
Ich goutire ſolch reifes, ironiſches, lächlend-traurig-ruhiges
Weſen, als hätte ich es ſelbſt in meiner Gewalt: denn be-
ſitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele
Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie laſſen ſich mein
Applaudiſſement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit
ſich bringt: wie ich zu dieſer neben dem großen Kurfürſten
komme, frag’ ich die ganze. (Wiſſen Sie nicht mehr, welche?
die ganze Natur.) Gerne ſchrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan-
tes, Geiſtvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich
ſehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei-
ten Kanapé. Es geht ſchwach vor ſich hin, was man erfah-
ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar
nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann-
ten, müßt’ ich erſt etwas ſpinnen; aber es iſt nichts zurecht
gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal ſo einen ſchö-
nen Brief ſchicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen
haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch ſo etwas will ich wiſſen.
[55] Künftigen Sommer können Sie mich mit ihm im ſüdlichen
Deutſchland beſuchen.

Adieu bis dahin! Ihre Fr. V.


An Oelsner, in Paris.



Es iſt hier noch immer Thauwetter, ohne gefroren zu ha-
ben; Einmal den 8. dieſes fiel Schnee, der nicht liegen
blieb; alle Mittag giebt ſich die Sonne Mühe; die Sterne
des Abends; man ſieht ſie. „Italien!“ ſchreien die Leute:
ſie meinen das Wetter.


Sie haben mir geſagt, wie Sie meine Wetternotizen fin-
den: ich will Ihnen ſagen, warum ich ſie mache. Grad aus
dem entgegengeſetzten Grund, aus welchem die Chemiker es
thun, von denen Sie mir ſprechen. Dieſe wollen die Methode
mit daraus bilden, nach der ſie zu verfahren gedenken: ich
aber will, daß es mir helfe meine unmethodiſche Verfahrungs-
art zu entſchuldigen. Das Wetter hilft die ganze Situation
des Tages machen, ja ſie beſteht zum Theil daraus; und hat
nun mein Leſer die Phyſionomie — ich bilde mir ein, es phy-
ſionomiſch zu ſchildern — des Wetters in ſich aufgenommen,
ſo faßt er die ganze Unregelmäßigkeit meiner Reden leichter,
und ſie erſcheint ihm wenigſtens mit etwas im Zuſammenhang.
Ich ſchreibe nicht ganz ohne Wahl, in der Art wie ich es
thue. Ich will nämlich, ein Brief ſoll ein Portrait von dem
Augenblick ſein, in welchem er geſchrieben iſt; und getroffen
ſoll es hauptſächlich ſein, ſo hoch auch Kunſtanforderungen
an ideelle Veredlung lauten mögen: von denen man allerdings
wiſſen ſoll, aber nach denen ſich zu gebärden affektirt, und
[56] leer ausfällt. Glücklich die ſchönen Gebilde eines lächlenden
Naturmoments, die aller Menſchenerfindung weit entrückt der
kunſtreichſten zum Vorbilde dienen können! Aber erſieht man
ſich nicht als ein ſolches, ſo ziehe ich es vor, Einer zu ſein,
als Keiner. Es giebt methodiſche, gemeſſene Geiſter, denen
es an Fülle nicht gebricht, die ſich auch nur gehen zu laſſen
brauchen, und ſich doch nur immer im ſchönſten Maße zeigen.
Das ſind die beglückten Gebilde; die haben keine Laune, kein
Wetter! oder vielmehr: ihre Launen ſind eine Muſik der ſchön-
ſten Stimmung; und ihr Wetter iſt Sonne, die durch die
reinſte, mildeſte Luft ſcheint. Sie ſollen ſehen; das plät-
ſchernde Kind — Sie verglichen mich mit einem ſolchen — an
den Wogen der Zeit, haſcht mit Bedacht, in dieſen Wogen,
und unterſcheidet ſeinen Fund ſelbſt. Da es der Arbeit — der
mit Plan und Zweck — unfähig iſt, ſo wäre das Arbeiten
vergeblich: ja, das Kind bemerkt ſogar, daß dieſer Strom den
Fleißigſten und Geſchickteſten mit forthelfen muß, oder ſie
hemmt. Denn was gehörte nicht zu dieſem Strom, ſelbſt die
Philoſophieen über ihn, die ihn erklären ſollen! — Herr
von Brinckmann behauptete immer, Liebe mit einem Adjektiv
ſei ſchon nichts werth. Das möchte ich hier von der Weisheit
ſagen! Der Schulweisheit begiebt ſich das Kind; die kann nur
Weltweisheit lehren; ob es Weisheit an ſich giebt, fragt es.


Daß Ihr Knabe Boten ſpielen will, gefällt mir ungemein!
Da macht er Ihnen ja die halbe Erziehung ſelbſt; es iſt durch-
aus für Kinder nichts Beſſers als Geſchäfte: ſie wollen ſie
auch durchaus. Mit lauter Aufträgen kann man ſie zu gro-
ßen Leuten machen: dies beſchäftigt ſie, ſtärkt ſie in allen Thei-
[57] len ihres Weſens: und lehrt ſie am beſten kennen, was ſie zu
lernen haben: und ſehen ſie das ein, ſo thun ſie’s auch wil-
lig: willig heißt frei, und thätig. Für Sie weiß ich keinen
beſſern Rath, als geben Sie ſich zum Sommer Rendezvous
mit mir: bringen Sie Ihren Knaben mit. Für heute nichts
mehr. Künftig von der Stadt und Leuten.

Ihre F. V.


Zu einem ausgeſchnittenen Bildchen.


In milder Nacht, bei hellem Mond, und ſanfter Sterne
Licht, in Blumenmitten, die freier athmen, und zu einander
flüſtern, was ſie bei Tag verſchweigen, oder was verhört nur
werden mußte; wenn noch verſpätet Schmetterlinge jagen,
die Schnecke ihren Weg verfolgt; ſtill eine Biene einholt, was
ſie Tags im Kelche laſſen mußte; der Schlaf die Welt ge-
fangen hält, und befreit: Weſte nur leiſe ſich, und ſchmei-
chelnd, zu den Äſten wagen, Vögelchen nicht zu wecken; Grä-
ſer und Halme Abendthau auf ihren Häuptern wiegen; das
ganze Thal ein Feſt der Sehnſucht und der Ruh; ein Tag
für Elfen und für ihre Spiele: — fehlt nichts, als eines lie-
ben Mädchens Gegenwart, ihr Aug’ und ihre Bruſt, dies Feſt
zu überſchauen und zu empfinden! Und was dem ſchönen
Kinde nun noch mangelt, wird ſie in Liedeston uns nun
berichten. —



Man beachtet immer noch nicht genug, wie viel die Nei-
gungen der Menſchen untereinander in den größten und ge-
[58] heimſten Welthändeln bewirken, ſtören und erzeugen; noch
weniger aber beachtet man, wie Liebesverhältniſſe durch Ehr-
geiz, Staatsverhältniß, Stellung der Geſellſchaft überhaupt,
modifizirt, ſogar öfters nur allein begründet werden.


Zu ſtolz auf unſre Gemüthsſtimmungen, halten wir jede
davon ſich unmittelbar auf das Beſte in uns beziehend; auch
denken wir, die Welt und ihren Verkehr willentlich zu regie-
ren; und ſie regiert uns Alle: und die, welche am meiſten
von ihr verſtehen, am gewiſſeſten. Ungeſchickte, Blinde, die
nur zwei Augen haben, und nicht beſäet damit ſind, gehen
hren Weg ſeitwärts ab; und glauben, ſie ſind im Strom,
weil ſie ihn nie erkannten, und nicht wiſſen, wo er iſt. Un-
geheuer Fromme müſſen wohl kein Bild der Welt gebrauchen;
oder eins haben, welches ich nicht kenne; ſie ſehen grad nach
oben, wo ich nichts als Sterne ſehe, wenn’s hell iſt. Wiſ-
ſenſchaftliche Menſchen bearbeiten Einen Geiſtesſtrahl; hin-
geführt bis zur allgemeinen Sonne des Wiſſens. Die, welche
Natur, Leben, Welt, den Geiſt mit Gewalt verſtehen wollen,
und darin gar nicht nachgeben und ſich ergeben, oder Einem
Gegenſtande der Natur oder Welt nur leben wollen, ſind
die Tollen. — Ja, die ihrer Überzeugung, und wäre es auch
der edelſten, trotz des Stromes leben wollen, ſind ſchon von
den Andern für toll gehalten: J. J. Rouſſeau. Nicht umſonſt
iſt es ſo ſchwer, die Natur des Menſchengeiſtes, ſein noth-
gezwungenes Wollen, unſere leibliche und ſeeliſche Perſön-
lichkeit, ihre Stellung zur ganzen Natur und zu der Men-
ſchenwelt, zu unterſcheiden, und darin wieder der Andern Per-
[59] ſönlichkeit in beiden Weiſen und maſſenweiſe zu erkennen;
davon affizirt, und nicht verwirrt, ſondern ergeben zu werden,
und thätig zu bleiben; dies Vermögen iſt nicht umſonſt, ſehe
ich ein, ſo unendlich ſelten: ja, gar nicht einmal verſtanden,
wo es ſich findet; und obgleich alle Menſchen wenigſtens
ſich dieſe Klarheit geben könnten, ſo ſcheint es als ſollte
ſie, gleich einem Edelſtein der Natur, ihnen ſchwer werden,
und ſelten ſein: da ſie uns ja noch ſo viele Gaben vorenthal-
ten kann, die durch kein ethiſches Bemühen erreicht werden
können; und herrliche Geſchenke bleiben.


Zum Unterſcheiden kann ſich jedes vernunftbegabte Ge-
ſchöpf ſelbſt erziehen: Eingebungen, ſchnelle Kombinationen,
Witz u. ſ. w. ſind Gaben: wenigſtens erinnern wir uns des
Prozeſſes, der Bemühung, der Thätigkeit dazu nicht; und ge-
nießen ſie rein; wie Erbeutetes, in deſſen Beſitz der Krieg
auch am Ende vergeſſen wird.



Ich habe jetzt Wilhelm Meiſters Lehrjahre wieder geleſen.
Wie iſt es möglich, einen zweiten Don Quixote zu faſſen, zu
erfinden und darzuſtellen! Küßt euch, Cervantes und Goethe!
Beide ſahen mit ihren reinen Augen: vertheidigten das Men-
ſchengeſchlecht; ſahen den Ritter durch, durch ſeine Thorheiten
und Irrſale, konnten ihrer Augen edlen Blick bis in ſeine
tiefſte Seele tauchen, und dort ſeine eigentliche Geſtalt ſehen.
Wie jenem Don Quixote geht es Meiſtern; einen Narren nen-
nen ihn die Leute „ohne Tadel,“ einen Herumtreiber, der ſich
[60] mit nichts Wirklichem beſchäftigt, der ſich mit Bettlervolk ab-
giebt, nichts zuwege bringt; nicht einmal weiß, was er den-
ken ſoll; der für einen Helden in einem Roman nicht einmal
gut genug iſt; von welcher Sorte man ſchon tauſendmal beſ-
ſere, bei den Fieldings aller Länder, gehabt hat, die doch noch
ein Reſultat geben! Während unſer Weiſer die edelſte, reinſte,
ehrlichſte Seele in ununterbrochenem Bemühen und Kampfe
geſchildert hat mit der Welt, wie ſie leibt und lebt; ohne je
einen Moment in ihre unreine Verwirrung zu gerathen; immer
im Bemühen, ſich zu tadeln und zu beſſern; immer in der
Unſchuld, die Andern beſſer zu ſehen, als ſie ſind, und meiſt
ſie ſich vorzuziehen; immer aufgelegt zu lernen und nachzu-
geben, außer dem evident Unedlen: rührenderes, verehrungs-
würdigeres Benehmen, vortrefflichere Geſinnung, kann man
nicht erfinden; und je mehr man ihn ſich deutlich macht, je
mehr ehrt und liebt man ihn, und Goethe’n. Don Quixote
mußte mit eben ſolcher Seele eine — alſo eine einſeitige —
Eigenſchaft, die des Ritters, wählen, und mußte ſie in Aus-
übung bringen wollen. Meiſter mußte den ganzen Menſchen
ausbilden wollen; und mir iſt’s, als ob Goethe dem Cervantes
nur die Feder abgenommen hätte, weil die Menſchen ſich in
der Zeit folgen. Was die beiden Meiſter ſonſt noch in den
Werken gelehrt und gezeigt haben, iſt ihre Zeit: und das ſo
rein und wahr, daß ſich die künftigen gleich daran anſchlie-
ßen, für den Geſchichtsblick, für wahre Augen überhaupt. —


[61]

Das Herz iſt ganz im Dunklen, ganz allein, möchte
man ſagen, und weiß ganz allein alles beſſer. Nur wenn
man dahin ſieht, findet man Erkenntniß; weil die verwirren-
den Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie
ein Maß einer andern Welt in uns lebt; als ein Ja, oder
Nein: ſonſt nichts. —


Vernunft weiß nur, daß ſie Vernunft iſt, wenn ſie bis
zum Herzenswunſch, zum letzten Wollen hinführen kann: und
ſo iſt Zuſammenhang da für ein Meer von Daſein, vor und
hinter uns; und nicht kommt es auf unſer ſchwankendes, un-
glückſeliges Schiff an, in welches wir gebannt ſind, welches
uns vor den guten und ſchlechten Ufern vorbeiführt, über wel-
ches wir keine Leitung üben. So ſind auch die Ufer nur alles
für die, die das Element nicht kennen und ſehen, welches ſie
führt: nur die Orte, wo ſie vorbei geführt werden. Für die
Beſten iſt das Element nur Troſt und Leitung, in der har-
ten, ſchmeichelnden, unbeſiegten Fahrt. Die ſich umbringen,
ſtürzen ſich in das Element. Dies enthält aber für uns keine
Bilder: und bildergierig, bilderſchaffend, nachbildend, ſind wir
gemacht. Alles iſt Zwang; Zwang zur höchſten Freiheit und
Zuſammenſtimmung. —


[62]

An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Vormittag 12 Uhr. Duſchig, nach dem göttlichſten
Frühling, den ich genoß.


Heute nur ein Wort! und das iſt: „Nun hab’ ich mein
Sach nicht mehr auf nichts geſtellt!“ (Lies das neueſte Heft
Kunſt und Alterthum: „Geneigte Theilnahme an den Wan-
derjahren.“) Ich habe Friedrichs des Zweiten ſchwarzen Adler-
orden: er bedeckt mein belohntes Herz. Er iſt gemacht: aus
allen Thränen, die ich weinte und verſchluckte, aus allem was
ich litt; liebte; lebte; genoß im Böſen und Guten. Mein
Leben iſt an ſeine Adreſſe gelangt. Daß dieſer Mann er-
lebe
von ſeinen Zeitgenoſſen, daß er vergöttert, anerkannt,
ſtudirt, begriffen, mit dem einſichtigſten Herzen geliebt würde,
war der Gipfel all meiner Erdenwünſche und Kommiſſion!
Dieſer vollſtändigſte Menſch; dieſer Repräſentant, der alle
andern in ſich trägt; und ſo mächtig iſt, ſie uns zu zeigen.
Dieſer Prieſter, dieſer wahrhafte Geſandte! dieſer ſagt nun
befriedigt ſelbſt, er ſei verſtanden; das heißt: geliebt; geliebt
mit einer Liebe, die Er nur erſchaffen konnte. Dies hab’ ich
ihm verſchafft. Ich Ball in den Händen der Vorſehung, —
Mad. Guion will das ſein — und auf dies Glück, als Ball,
bin ich ſtolz; nämlich freudig: und das freut den lieben Gott.
Und der Triumph geht von Berlin aus: und das freut mich
noch beſonders, weil Er von Berlin häßlich berührt wurde,
weil ich ewig Friedrich dem Zweiten dankbar bleibe; und weil
es die beſte deutſche Stadt iſt. (So wird ſie auch mit Recht
[63] am beſten gehaßt). Alſo wir drei, du, Rike und ich, umar-
men uns hier. Im Brief. Und du biſt ſo gut, und ſchickſt
mir mit der fahrenden Poſt den Brief, den ich dir über den
jungen Staël ſchrieb.


Varnhagen, grüßt. Wie überraſcht’ ich ihn mit dem
Heft. Adieu.



— Eiferſucht iſt Beſchämung; darum iſt es eine einſame
Leidenſchaft — wie Sie ſagen; — Beſchämung, die Rech-
nung ohne den Wirth gemacht zu haben; das fühlt jeder.
Unſre Wünſche, unſre Neigung brachten wir in Anſchlag,
nicht die des Andern. Uns lieben wir, den Andern wünſchen
wir; darum fühlen wir uns allein. Dies iſt ſie rein, die Ei-
ferſucht. Nun kann noch Neid, und hundertfältige Lebens-
und Geſelligkeits-Elemente ſich hinein ſchleichen und miſchen;
bei jedem Fall anders. Aber der unſelige Mann fühlt ſie
wie das unſelige Weib: nämlich, den eigentlichen Inbegriff
davon; der Edelſte fühlt dieſe Scham am heftigſten, aber er
allein nur vermag ſie in ſich auszumerzen, wenn er ſich ſeinen
Irrthum ganz eingeſteht. Sollten hier Männer und Weiber
verſchieden ſein können? Verſchiedene Denkfähigkeiten, Kräfte,
Herzen, Schmerzen haben? —



Ich glaube, es giebt nur ſehr wenig Menſchen, die, wenn
ſie empfinden, die große und elegante Welt nur für das an-
zuſehen wiſſen, was ſie iſt. Gewöhnlich ſtreiten ſie ſich die-
[64] ſelbe ab, daß ſie nur irgend etwas ſei oder ſchaffe; ſind aber
ſehr von ihrer mindeſten Gunſt affizirt, und glauben von ihr
zu empfangen, was ſie nie leiſtet und giebt; erkennen und
würdigen die Leute darin durchaus nicht; und laſſen ſich,
wenn nicht jedesmal komplet, doch jedesmal von neuem, durch
deren Ausſprüche leiten und regieren, erſchrecken, ängſtigen,
beſtimmen, wider ihres Herzens Überzeugung. Unter all mei-
nen Bekannten war nur Prinz Louis Ferdinand, und L. R.,
welche die große Welt geliebt hatten, und wirklich von ihr
unabhängig waren, denen ſie nicht mehr ſchmeichelte, ſondern
ſie ennuyirte. — Louis Ferdinand, weil er ſie als ein Erſter
darin kannte: L. R., weil er klar wußte, was ſie einem ihrer
Letzten bietet.



Es iſt ein Glück, daß die rechtſchaffenſten Leute oft im
Umgang unausſtehlich ſind; ſonſt müßte man ſich die größten
Vorwürfe machen, minder bewährte Menſchen ſo ſehr liebens-
würdig zu finden.


Eigenthum? eigenthümlich? Unſer Eigenthum iſt nur
das, was uns keiner nachmachen kann. Dazu gehört noch
unſer Sein.


Alles andere Wiſſen, außer das, was in unſerm innerſten
Weſen konſtruirt iſt, ſind Materialien. Alle Wiſſenſchaften
eben ſo: ſie ſind ja nur eine zuſammengefaßte Lehre, noch un-
bezogener Wiſſensfähigkeiten im Menſchen.


Es
[65]

Es iſt ausgemacht, daß wenn wir keine Anlage — oder
wie man’s nennen will — von Sittlichkeit in uns hätten, wir
mit der größten Anſtrengung von Nachdenken nie auf ihre
Anforderungen gefallen wären. Könnte ein perſönliches We-
ſen je darauf kommen, daß es ſeine Perſönlichkeit aufgeben,
und die eines Andern höher ſtellen ſollte, als ſeine eigene?
Mich dünkt ſogar, es iſt ſchon eine hohe Stufe der Entwicke-
lung, Perſon und perſönlich zu ſein. Nun kommt mir vor,
wir können in einem andern Zuſtand von Daſein noch eine
ſchwerere Aufgabe in uns fühlen, die wir uns jetzt auch nicht
vorzuſtellen vermögen. Und nur, daß wir dergleichen zu er-
rathen vermögen, iſt ein Schimmer vom Abſoluten, allgemei-
nen, ſich ſelbſt begründenden Daſein; wovon die Stufen ſich
verlieren müſſen für einen Geiſt; einen abſoluten, der alles
zugleich erſchaut. —



Im Artikel 5. von Pascal, véritable religion prouvée par
les contrariétés qui sont dans l’homme et par le péché origi-
nel
betitelt, hofft’ ich irgend einen Aufſchluß über die Erbſünde
zu bekommen: aber keinen! Er ſagt ſehr gute Sachen über
den Zuſtand, worin wir Menſchen uns befinden, indem er
nämlich dieſen Zuſtand in ſeiner größten Tiefe klar darſtellt;
auch geſteht er ein für uns großes Geheimniß zu: aber er er-
giebt ſich dieſem Geheimniß nicht: ſondern erfindet eine Anek-
dote; wie er ſelbſt ſagt, der Vernunft widerſprechend, womit
er es nun erklärt. Mir von einem ſolchen Mann unerklär-
lich! Und eigentlich gar nicht ergeben.


III. 5
[66]

Er ſagt, die Größe und die Nichtigkeit im Menſchen ſeien
ſo ſichtbar, daß nothwendig die wahre Religion ihn unterrich-
ten müſſe, daß ein großes Prinzip von Größe — ein unver-
tilgbares meint er — und zu gleicher Zeit ein großes Prinzip
von Nichtigkeit in ihm ſein müſſe. Die wahre Religion müſſe
unſre ganze Natur kennen; und ſie müſſe Rechenſchaft geben,
über die erſtaunlichen Widerſprüche, die wir in ihr antref-
fen. „Wenn es Ein Prinzip für alles giebt, und nur Einen
Zweck, ſo muß die wahre Religion uns zeigen, daß wir nur
dieſes anbeten und lieben, da wir uns aber in der Un-
fähigkeit befinden, anzubeten was wir nicht ken-
nen
, und etwas anderes als uns zu lieben, ſo muß die Re-
ligion, die dieſe Pflichten lehrt, uns in dieſer Unfähigkeit un-
terrichten, und uns die Heilmittel dagegen lehren.“ Einmal!
Nun ſpricht er noch viel dazwiſchen, was nichts ſagen will;
dann fährt er fort; und Gott ſpricht: „Erwarte alſo nicht
Wahrheit noch Troſt von Menſchen. Ich bin ſie, die euch
gebildet hat, und der allein euch lehren kann, wer ihr ſeid.
Aber ihr ſeid nicht mehr in dem Zuſtand, in dem ich euch bil-
dete. Ich ſchuf den Menſchen heilig, unſchuldig, vollkommen.
Ich erfüllte ihn mit Licht und Erkenntniß. Ich theilte ihm
meine Herrlichkeit und Wunder mit. Das Auge des Menſchen
ſah damals die Majeſtät Gottes. Er war nicht in den ihn
verblindenden Finſterniſſen; nicht in Sterblichkeit und dem
Elend, welches ihn betrübt. Aber er konnte die Herrlichkeit
nicht ertragen, ohne in Vorwitz zu verfallen. Er wollte ſich
zum Centrum ſeiner ſelbſt machen, und von meiner Hülfe un-
abhängig. Er entzog ſich meiner Herrſchaft, ſich mir gleich-
[67] ſtellend, in dem Begehren ſeine Glückſeligkeit in ſich ſelbſt zu
finden. Ich hab’ ihn ſich ſelbſt überlaſſen.“ Dann ſagt Gott
noch weiter, „wie er alle Kreaturen gegen ihn empört hat und
feindlich gemacht, die ihm ſonſt unterthänig waren, dergeſtalt,
daß der Menſch den Thieren gleich, und in ſolcher Entfer-
nung von ihm, daß ihm kaum eine dunkle Erinnrung ſeines
Urhebers geblieben ſei,“ u. ſ. w. u. ſ. w.


Eine ſchöne Geſchichte! Dies Stück könnte ja in alle
Ewigkeit fortſpielen: wie kann der Menſch beſſer werden, als
Gott ſelbſt ſagt, daß er aus ſeinen Händen ging? „heilig,
unſchuldig, vollkommen:“ und doch wurde er vorwitzig, rebel-
liſch? Er iſt noch vorwitzig über das, was er nicht weiß;
rebelliſch gegen das, was er nicht kennt. Er ſoll es aber ſein:
denn er iſt ſo geſchaffen. Aus Gnade und Güte, nicht aus
Sündenfall. Er ſoll eine Perſönlichkeit haben, und hat ſie:
Gnade, Güte, iſt Exiſtenz. In dieſer uns bekannten Perſön-
lichkeit iſt uns nichts, was wir imaginiren oder wahrnehmen,
gewiß, noch bleibend — alſo keine Garantie, die wir brau-
chen, — ſo gehen wir Stufe vor Stufe nach dieſer Gewißheit
in uns ſelbſt hinab, bis wir einen kleinen Punkt der wahren
Unabhängigkeit entdecken, und der Gewißheit: Gewiſſen,
das innerſte Wiſſen, das Wollen und Thun, was wir für
recht, für richtig — übereinſtimmend mit dem Meiſten — hal-
ten. Und unſre höchſte Sittlichkeit iſt wieder ein ſich frei, ein
ſich unabhängig machen wollen. Nichts hängt von uns ab,
als dies. Und es iſt grad umgekehrt, wie man ſagt. Gott
können wir uns nur mit — durch — unſre Fähigkeiten den-
ken; was der beabſichtigte, nur mit der Intelligenz erdenken,
5 *
[68] die die größte Güte in uns legte; und unſere ahndende Ver-
nunft kann nur vermuthen, daß noch eine höhere erleuchten-
dere Aufgabe in uns aufgehen könne, als jetzt die unſerer
größten Sittlichkeit. Dies iſt kein Fall: ſondern ein Stei-
gen; und nicht wir ſtimmen mit Gott, das können wir nicht;
er ſtimmt mit uns ein; er regiert uns, und wir müſſen uns
darum frei und unabhängig glauben, — mühen, und irren:
aber ohne weitere Mährchen ergeben ſein. —



Wiſſen iſt eine Vorrathskammer, ein Vorrath; Wiſſen
iſt ein geiſtiges Haben. Durch Wiſſen iſt man überzeugt:
Liebe iſt Überzeugung. —


Richtig Eingeſehenes und Ausgedrücktes in der Gegen-
wart, paßt zur Vergangenheit und Zukunft: und iſt an die-
ſem Zeichen ſogar zu erkennen.



Was hier ich ſeh, getreu berichten,

Das hieße wahrlich dichten.

Geſtern den 22. September 1822. einen Sonnabend Abend
in Töplitz erzählte uns Herzogin von Cumberland von Goe-
the’s Haus in Frankfurt und von ſeiner Mutter, wie ſie und
die Königin als junge Prinzeſſinnen dort gewohnt haben, ſehr
einnehmend und mit einer ihr ſo gefälligen Erinnerung, als
[69] die Frau Rath Goethe nur immer thun mochte, wenn ſie ih-
rerſeits von den engliſchen Kindern erzählte.


Unſre Königin und die Herzogin waren gleich den vielen
andern während der Kaiſerkrönung zu beherbergenden Fürſt-
lichkeiten von Seiten der Stadt Frankfurt auf beſtimmte
Wohnungen angewieſen, beide mecklenburgiſche Prinzeßchen,
als Nichten der Königin von England, im ſogenannten han-
növerſchen Viertel, bei der Frau Rath Goethe; und das glück-
liche Haus hatte auch dies Glück. Frau Goethe empfand
dieſes Glück ganz, wie aus der Herzogin Erzählung zu ſehen
war; ſie that den Kindern ſo alles zu Liebe, zu Gefallen und
zur Unterhaltung, daß die Herzogin noch mit dem größten
Wohlgefallen, ja mit kindlicher Nachfreude erzählte, wie dieſe
prächtige Frau ganz jugendlich mit ihnen ſpielte und ſchaffte,
und ſie immer in ihre eignen Zimmer kommen ließ,
worauf die Herzogin noch einen nachträglichen Werth legte.
Wie ziert und ehrt dies Gaſt und Wirth! Auch blieben die
Damen mit Frau Goethe, ſo lange ſie lebte, in Verbindung,
und ſahen ſie jedesmal, wenn ſie ſpäterhin nach Frankfurt
oder in deſſen Nähe kamen.


Wie die beiden ſchönſten Fürſtinnen Deutſchlands, —
holde, blonde, liebe Engel, — als preußiſche Bräute mit un-
ſern Prinzen und dem hochſeligen König zu Frankfurt waren,
ſo hatte dieſer ſeine Loge im Theater dicht neben der, worin
die Frau Rath Goethe zeitlebens ihren Platz nahm. Das leb-
hafte Herz der vortrefflichen Frau triumphirte, daß ihre Prin-
zeßchen ſo ſchönen und vornehmen Prinzen vermählt werden
ſollten, und ſie konnte es nicht unterlaſſen, ihrem Logennach-
[70] bar, unſerm Könige, zu zeigen, wie wohl ſie den hohen Bräu-
ten befreundet ſei. Sie beſaß nämlich eine ſchöne Doſe mit
der Brillant-Chiffre des Herzogs von Mecklenburg zum An-
denken für die ſo ſehr freundliche Aufnahme ſeiner Kinder.
Und ſo gab die Herzogin die Worte wieder, mit denen Frau
Goethe ihr die Sache nachher ſelbſt erzählt hat: „Ich nehme
meine Doſe, geh’ in’s Theater, ſtelle ſie mit draufdrückender
Hand — feſt auf den Logenrand; der König ſieht nichts.
Ich nehme eine Priſe, ſetze die Doſe näher an den König,
und ſehe ihn an; er ſieht nicht auf die Doſe hin, er hat mehr
dergleichen geſehen! Ich nehme ſie abermals, ſetze ſie noch
näher, und ſehe wieder den König an: endlich blickt er auf
die Doſe, und wie er ſie geſehen hat, ſagt er ganz gütig:
„Ei! Madame Goethe, was haben Sie da für eine ſchöne
Doſe!“ Ja, Ihro Majeſtät, antworte ich, die hab’ ich auch
von meinen Prinzeſſinnen von Mecklenburg!“ Und ſo mußte
der König ihre Freude wiſſen, und die Sache war gelungen.
Herz hilft zu allem. —


Aber eine viel komiſchere Geſchichte fiel vor mit Frau
von Guttenhofen, gebornen Gräfin Hatzfeldt, berühmten Schön-
heit am Mainzer Hofe, wobei Frau Goethe auch wieder kräftig
auftritt. Als unſre Königin fünfzehn Jahr alt war, ſo wurde
wohl ſie, aber noch nicht die Herzogin, manchmal von der
Großmutter in Geſellſchaft mitgenommen: „Und ſo geſchah
es einmal, erzählte die Herzogin, daß meine Schweſter einen
Beſuch beim damaligen Kurfürſten von Mainz mitmachte;
kaum iſt ſie aber mit meiner Großmutter hinein getreten, ſo
ſtürzt Frau von Guttenhofen auf ſie zu, und ſagt: Wiſſen
[71] Sie wohl, Prinzeß, daß man hier nicht mit langen Ärmeln
herkommen kann? Die junge Fürſtin fußt ſich aber, und ſagt
gleich: Ich thue alles nach den Befehlen meiner Großmutter,
und ſo hab’ ich auch angezogen, was ſie mir befohlen. —
Ich ſehe meine Schweſter noch, — fuhr die Herzogin erzäh-
lend fort, — ſie hatte ein blauſeiden Kleid mit ſpitzen Är-
meln an, wie man ſie damals nannte“ — (Ich wußte
dieſes auch, und bejahte es mit einem Blick) — „mit ſchwar-
zen Perlen, wahrſcheinlich Schmelz — geſtickt. Aber es machte
doch einen Eindruck auf meine Schweſter, ſo jung ſie war!
Sie iſt auch nicht wieder dort geweſen.“ Frau Goethe ver-
nahm den Vorfall mit großem Unmuth, und ſprach lebhaft
für ihr Prinzeßchen. Frau von Guttenhofen war auch gar
nicht Oberhofmeiſterin, ſie fühlte ſich nur als ſolche. Ich
habe eine Dame, die am Hofe des Königs von Weſtphalen
eben ſo geſchaltet hatte, aber ſchon längſt aus dieſen Verhält-
niſſen geſchieden war, an ganz fremdem Orte ſich ähnliches
herausnehmen ſehen, und der obige Zug befremdete mich da-
her weniger, als ihn die Herzogin erzählte. Späterhin, ſo
fuhr die Erzählung fort, war unſre Königin mit der Herzogin
zuſammen in Wilhelmsbad, wohin auch Frau Rath Goethe
aus Frankfurt eingeladen wurde; die dann mit der Königin
in den Brunnenſaal hinabging, und dort neben ihr ſaß, wäh-
rend aller Welt Menſchen ſich einfanden, und ihre Huldigun-
gen darbrachten. Frau Goethe hörte nicht auf, nach den ihr
unbekannten Perſonen zu fragen: „Wer iſt die? Wer iſt
das?“ und wie ſie wieder nach dem Namen einer Dame fragt,
[72] die eben geſprochen hatte, antwortet die Königin: Frau von
Guttenhofen! — „Die Frau von Guttenhofen? fährt Frau
Goethe lebhaft auf, die ſo grob war? Laſſen Ihro Majeſtät
ihr nun gleich befehlen, ſie ſoll ſich ihre Ärmel abſchneiden!“
In der größten Wuth ſagte ſie das. Die Herzogin freute
ſich dieſes Ausfalls noch. Jetzt tragen alle Menſchen lange
weite Ärmel; alles iſt verändert: mit dieſer Bemerkung fing
auch die Herzogin ihre Erzählung an: „Wie man noch ſo
auf Koſtüme hielt.“ Jetzt iſt es beſſer. Jetzt halten viele
Fürſten auf Beſſeres. —



Das Wort „Geiſt der Zeit“ möchte ich außer Umlauf
ſetzen können; es verwirrt entſetzlich. „Die allgemeine Über-
zeugung,“ möchte ich es nennen, was man im Guten damit
zu bezeichnen denkt. Als man die vermeintlichen Hexen ver-
brannte; das war der Geiſt der Zeit: die allgemeine Über-
zeugung machte aber, daß dieſer alberne Gräuel aufhörte. —
Und ſo herrſchen dieſe beiden ſehr verſchiedenen Zuſtände oft
noch neben einander, wenn auch die allgemeine Überzeugung
den Geiſt der Zeit immer verdrängen muß.



Präſumption iſt ſchon, wenn man in der Meinung oder
Überzeugung, daß es einem gelingen würde, etwas unternimmt,
welches Andern mißlungen iſt. Demüthigkeit, wenn man trotz
einer ſolchen Überzeugung, und wenn ſie die evidenteſte iſt,
[73] ſolches unterläßt. Ich bin präſumptuös in Menſchenumgang
geweſen.



Franzoſen, Engländer, ſonſt die Spanier und Italiäner
— und natürlich auch die alten Nationen — haben National-
meinungen, ſolche Gefühle, Ehre, Ehrgeiz, und Strebungen,
die ſich auf theils bleibende, theils eine große Zeit lang ſich
wiederholende geſellige Zuſtände beziehen; ihre Kunſt, ihre
Künſtler und Dichter müſſen ſich auch darauf beziehen, wenn
ſie verſtanden werden wollen, wie ſie auch ſelbſt darin befan-
gen ſind. Wir Deutſchen klagen ſchon lange, und immer öf-
ter darüber, daß unter uns die Dichter nicht auf Autorität
verehrt werden. Dieſen Übelſtand können wir aber ertragen,
wenn wir betrachten wollen, was wir eigentlich ſind. Ein
Volk nicht zu einer Nation abgeformt und geſchliffen: der
Menſchheit, und alſo allen Nationen noch nahe; unſer Dich-
ter ſieht ſich in der ganzen menſchlichen Welt nach Zuſtänden
um; erhöht ſie, denkt ſie ſich wie ſie ſein könnten, müßten,
nicht nur wie ſie ſind, und ſein können in einem engen vor-
gefundenen Zuſtand, den er noch ändern will, gemein mit al-
len Geſetzgebern, und Erfindern; je größer ſolches Menſchen
Geiſt, je erhabener ſeine Seele, je belebter ſein Herz, je reich-
haltiger, vielfältiger, muß er wählen und darſtellen, und Zu-
ſtände kombiniren, und in dem Alten Neues ſehen und zeigen:
aber deſto weniger auch wird er begriffen, oder deſto häufiger
ihm nicht gefolgt werden können, er unverſtanden bleiben;
und alſo oft nicht anerkannt werden, und von Dreiſteren, die
[74] ſich vieles angelernt haben, ohne das zu ahnden, was nicht
angelernt werden kann, getadelt; grad’zu. Dies iſt eben der
Zuſtand, in dem ſich unſer Publikum mit ſeinen Autoren be-
findet. Bei weitem vorzuziehen einer nur in einer Zeit, und
auch da nur von den Verſtändnißreichen, wahr geweſenen,
jetzt zu einem Patentbeifall gewordenen, unverdauten Aner-
kennung; die eine gänzlich äußere wird; aber auch Anſehen,
Einkünfte und Orden giebt: bei uns iſt alles dies im Werden
und Wachſen; ganz lebendig mit allem andern Aufſtreben und
Gedeihen; in einer Art von Kriegszuſtand unter einander, der
dem Selbſt- und Doppelgeſpräch des Gewiſſens zu vergleichen
iſt; welches uns reinigt, fördert, immer beruhigen will, und
eigentlich allein nur belebt. Welchem einzelnen Menſchen
wäre es wohl erlaubt, ſich ſolche Komplimente zu ſchneiden,
wie es jede Nation gegen ſich ſelbſt gelaſſen und blind aus-
führen darf; und wovon wir unfaſſionirten Deutſchen bis vor
einiger Zeit frei waren. Wir können ja eine ganz andere
Nation werden; wenn wir nur wahr bleiben; und das Gute
nehmen, wo es nur zu finden ſein mag; andre nicht mit Na-
tionalhaß verunglimpfen, und uns nicht aus Nationalliebe
verhätſchlen. —


Wir hatten noch keinen Nationalkönig, dem wir Siege
zuſchoben, die ſeine Diener erfochten; mit dem wir galant
waren, und dann mit ihm und allen lebenden Sünden in
Reue verfielen, deſſen Verſchwendung wir wie uns von Gott
verliehene Gaben anſtaunten, zu erhaſchen ſuchten, und raub-
ten, wie es kam; deſſen Pedanterei und Hoffährtigkeit und
Selbſtverehrung uns nach langem Bürgerkrieg zu erretten
[75] ſchien; dem wir alle Künſte ſeines Jahrhunderts zuſchrieben,
weil er in’s Schauſpiel ging, und ſich ſeine Vergötterung ge-
fallen ließ, der auf den Thron kam, als eine Menge regie-
render Vaſallen gebändigt, und ihr Land ſeinem Reiche ein-
verleibt war, der, weil er nie allein ſein konnte, und alles
geſprächsweiſe abmachte, die Nationalgeſelligkeit auf den höch-
ſten Punkt trieb, wohin der Letzte im Volk mit hinan gezo-
gen, und geſchickt dazu ward; einen Mann, bei deſſen Re-
gierung die Welt gleichſam nach Luft ſchnappte, weil die kul-
tivirten Gräuel bis auf den äußerſten Gipfel gekommen wa-
ren; aber doch noch oft von neuem wütheten; der ſie ganz
gottſelig ſelbſt befahl: und ſie von Geiſtlichen und weltlichen
Gelehrten ſanktioniren, und rein waſchen ließ. Wir brauch-
ten auch keinen Helden, der ſein eigen Land beſiegen mußte,
wie Heinrich der Vierte: wir haben eine ganz andere Ge-
ſchichte; und ſtreben doch nach den Fehlern, die jene Geſchichte
der Nation aufprägen muß: könnten wir ihre Tugenden ohne
ihr Unglück uns eigen machen! — Montag den 5. Novem-
ber 1822, nachdem Mad. Boucher geſagt hatte, Goethens
Taſſo „c’est un hypochondre!“



Es kommt mir ſehr gelegen, an Roſſini’s tanti palpiti
und Karl Maria Webers Jungfernkranz eine alte Behauptung
bewähren zu können; daß nämlich nicht alle Melodieen, die
vom Volke leicht aufgefaßt und geſungen werden, dadurch
allein für ſchön erklärt werden können. Es giebt Melodieen
mit einem bequemen Rhythmus, die zu keiner beſondern, und
[76] zu keiner höheren, ja nicht einmal zu einer betrachtenden
Stimmung auffordern, wobei man im Hauſe, im Quickmarſch-
tritt umhergehen, Thüren ſchließen, ſpinnen, Taback rauchen,
nähen, einen Gang machen kann; zu denen gehört offenbar
die des Jungfernkranzes; wenn man ſich, ohne den Text zu
beachten, Rechenſchaft von ihr giebt, ſo iſt ſie eine vergnüg-
liche Melodie, durch einen kleinen Trotz erhöht: ſolche werden
dann aus imitativer Schwäche allgemein geſungen; eine Art
muſikaliſcher Strafe für höhere Muſiker, wie auch jeder, wel-
cher ein ſolches Lied, faſt unwillkürlich, ſingen muß, an ſich
ſelbſt erfahren kann. Ganz anderer Art iſt gleich das tanti
palpiti.
Es unterbricht ſchon jedes häusliche Geſchäft; es iſt
eine Empfindung, die in Betrachtung ausartet, die ihre Pau-
ſen macht, ſich in ſich ſelbſt variiren will, und ſich gezwun-
gen wiederholt, von ſtärkerem Schmerz unterbrochen, als ſie
ſich zugeſtehen will, in offenbare Muſik ausartend, die immer
allgemeiner in ihren Beziehungen wird. Ein ſolches Lied wird
in Deutſchland nicht ſo leicht allgemein werden, wo das Volk
Jungfernkränze haben will, und die Gebildetern tiefe Rechen-
exempel für den Geiſt verlangen, dem das Ohr erſt nachzu-
kommen lernen muß, — von denen, die ſich nur wollen im-
poniren laſſen, gar nicht zu reden! — während der Italiäner
z. B. ſchon lange die ſchönen Gondolierlieder hat, die Stim-
mungen fordern und hervorbringen, und zu Lande und zu
Waſſer vom ganzen Volke geſungen werden. —


[77]

Man mag das Wort Vaterland noch ſo oft, in die Ge-
wehre der Blätter, Zeitungen. Rezenſionen und Bücher gela-
den, abſchießen: kein Land wird dadurch eine National-Muſik
oder Mahlerei erhalten: noch irgend eine der Künſte! Kunſt
erfordert das geſündeſte, vollſtändigſte Naturgefühl, unge-
ſchwächte Sinne; einen unſchuldigen, von Einflüſterungen der
höheren Verbildung noch ungeſchwächten Sinn; ein reges,
bewegliches Gemüth: ſie iſt ein Behelf der höchſten Bedürf-
niſſe des Menſchen; ſie iſt eigentlich — am allgemeinſten ge-
ſehen — die Gabe, ich möchte ſagen die Kunſt, die Natur
und all unſre Zuſtände unſerm innerſten Bedürfniß am ange-
meſſenſten ſehen zu laſſen, und in Ermanglung, in der wir
leben, darzuſtellen, wie wir Menſchen ſie eigentlich alle wün-
ſchen müſſen, vermöge unſerer Beſchaffenheit; wenn uns nicht
Noth und Bedürfniß verkehrt haben. Nur die geſammten
Bemühungen der ganzen Erde in dieſer Rückſicht, und ſeit
allen Zeiten, können die Reſultate dieſer Aufgabe liefern, ſie
aber wohl nicht ganz löſen.


National werden alle Kunſterzeugniſſe der verſchiedenen
Völker ſein müſſen: von ihrem Aufenthalt und Zuſtand wie
von einem Element bedingt, in welchem ſie ſich befinden.
Dies aber eben kann nicht vorgeſchrieben werden, nicht erbe-
ten, nicht durch Beweiſe hervorgerufen werden. Uferleute
werden mit Schifferliedern anfangen, wo ſie ihre kleinen oder
großen Mühen und Freuden ausdrücken, die Elemente beſchrei-
ben und ihre Wirkungen werden angeben wollen; wo ſie ſich
die Orte ihrer Sehnſucht, von denen ſie ſich entfernen, und
[78] zu denen ſie hin wollen, vorſtellen und mahlen werden; und
ſo progreſſio nach Umſtänden alle menſchlichen Lagen und
Vorſtellungen da anknüpfen können. So auch ein Jagdvolk,
ein Hirtenvolk, ein kriegeriſches, ein landbauendes, ein Ge-
birgsvolk: jedes aus ſeinem Zuſtand heraus; und eben ſo mit
allen Künſten. Werden die Verhältniſſe komplizirter, gegen
andere Völker zu, und nach innen, ſo wird Stolz, Eitelkeit,
Muth, Konventionelles, ſich hinzumiſchen, zu dem, was ſie
ausdrücken wollen. Religion und ihren Gottesdienſt müſſen
wir auch dahin zählen, weil auch ſie unter allen Völkern
nicht ohne Zuſatz bleibt.


Wenn man alſo Nationalkünſte verlangt, ſo können ſie
nur in Nationalzuſtänden ihre Quelle finden; und weil nicht
jede Kunſt bei jeder Nation dieſe Nahrung findet, ſo hat von
jeher eine von der andern geborgt, und ſie haben ſich einan-
der nachgeahmt. Es kann mit als eine kriegfolgende Neuerungs-
luſt angeſehen werden, wenn poſſirlich und gewaltthätig von
einer Nation gefordert wird, was eine andere nur ihrem Zu-
ſtande angemeſſen längſt geliefert hat. La chasse de Henri IV,
von Schweden etwa, auf einen ihrer Monarchen angebracht
und modifizirt; große Heiligenbilder in Mecklenburg, die nur
unter Päpſten entſtehen konnten; eben ſo mit Gebäuden: jetzt
in Hamburg, was einſt Venedig hervorbringen konnte; Schwei-
zer Gebirgslieder in Holland. Wenn man auch antwortete:
Das wird nicht verlangt; jedes Volk ſoll nur ſeine Zuſtände
ſublimiren; das wollen wir! Dies möchte ich auch; aber alle
Zuſtände laſſen ſich nicht künſtleriſch ſublimiren: es giebt auch
Völker, die in Zuſtänden leben, die nur einer rechtlichen, ſitt-
[79] lichen Verbeſſerung fähig ſind; auch ſprungweiſe zu viel von
der Geſammtbildung der Erde bekommen haben, und die Pe-
riode ihrer Kunſt — die ich jedem Volke von der Natur zu-
geſtehe — überſchritten haben. Wie ich denn glaube, daß ſie
überhaupt für jetzt überſchritten iſt. Die Unterſuchung, welche
dieſe Behauptung vorausſetzt, kann jeder Einzelne in ſeinem
eignen Leben anſtellen: ob ſpätere Verhältniſſe, kombinirteres
Wiſſen, ſpäter ſich entwicklende Intereſſen, ausgedehuteres
Ordnunghalten, in all dieſen Dingen tieferes, vielfältigeres
Studiren, der Kampf mit der Welt in reifern Jahren, eine
traurigere und auch höhere Klarheit, ihn nicht von Kunſt-
erzeugniſſen und Kunſtvorſätzen abhalten!


Die Welt bewegt ſich aber immer; erzeugt immer neue
Menſchen und friſche Verhältniſſe; nichts urſprünglich Menſch-
liches wird vertilgt werden; ſo wenig wir Wild des Waldes
werden, oder als ein Mann in Amt zur Welt kommen wird;
und ſo braucht uns weder um unſre Liebe zur Kunſt oder
deren Werke bange zu ſein. Getrieben nur können ſie nicht
werden: nicht einmal vom beſten Willen; von Eitelkeit und
Liebhaberei an Nationalität gar nicht. Freien Lauf laſſe man
ihnen; gute Zuſtände aller Art bereite man; und das ein je-
der auf ſeiner Stelle; das iſt das herrlichſte Beförderungs-
mittel; und die Wahrheitsliebe pflege man zehnfach doppelt
bedacht in ſich! Alle Werke der Kunſt zeigen ſich gleich als
Karikatur ohne ſie. Das zeugt, wenn es noch nöthig wäre,
von ihrem hohen Urſprung, und ihrer hohen herrlichen Ver-
wandtſchaft: und ſo wären wir wieder zu dem Anfang, wo
wir ſie als höchſtes Bedürfniß des Menſchen anſahen, als
[80] das Bild, welches wir von unſerm hieſigen Leben uns vorhal-
ten; zum Erſatz, zur Luſt, zur Erhebung.


(Mündlich.)


Von einer muſikaliſchen Studie des jungen Felix Men-
delsſohn-Bartholdy:


„Sie iſt wie eine Maxime eines franzöſiſchen heitern be-
jahrten Landmanns, immer wiederholt und ſich ſteigernd, bis
zur abſtrakteſten Spekulation.“



Es giebt Zauberei aber keine Zauberer. Dieſe wenigen
Worte enthalten mehr, als man denken ſollte. —


R. iſt ein ſehr ignoranter Menſch, er weiß nur, was er
gelernt hat: und das iſt wenig, weil man nur lernen kann,
was man ſchon weiß.


Alt will keiner werden: jung ſoll keiner ſterben. Daran
kann man’s ſehen! —




Saint-Martin ſagt: Les hommes qui ne vivent qu’à
la surface, n’ont que de petites peines et de petits plaisirs;
ils sont aussitôt consolés qu’affligés, aussitôt affligés que
consolés. Ce ne sont que des figures d’hommes. Aussi
faudra-t-il que la vie de ces hommes-là recommence, lors-

qu’ils
[81]qu’ils auront quitté cette région visible et apparente, puis-
qu’ils n’auront pas vécu pendant le temps qu’ils l’auront
traversée, et c’est ce prolongement de temps qui fera
leur supplice,
wie jetzt, — parceque la combinaison de
leurs substances ne sera pas dans une mesure si douce et
si harmonieuse que dans ce monde, où tout est dans des
proportions de miséricorde et de salut.
Das denk’ ich
auch immer; und das iſt meine einzige Art von Todesfurcht;
daß Unverhältniſſe ſich einfinden, die ſchwerer zu durchbrechen
ſind mit dem tief-ordnenden Geiſt; ſowohl in dem — Haupt-
— Begriff der Zeit, als fonſt; und allerdings kann das ent-
ſtehen, wenn man nicht fleißig genug war; wie auch ſchon
hier: man muß nachholen. Der wahre Glaube, die wahre
Hoffnung, beſtehen aber darin, daß es noch ganz anders kom-
men und ſein kann, als wir es uns vorzuſtellen vermögen:
und dies iſt mein feſtlichſter Gedanke. Da iſt Religion. Kein
Bild; die leere Tafel; wo Bilder ſind, ſchuf Gott unſre Welt;
die für uns. —



Aus Saint-Martin’s oeuvres posthumes Vol. I. No. 635.
„Il y a pour la prière un degré encore plus élevé que celui du
No. 626. C’est de sentir que la seule prière que nous aurions
à faire, ce serait de travailler continuellement à ne pas empê-
cher de prier en nous celui qui ne peut cesser de prier pour
nous: car c’est en nous qu’il aime le mieux prier: puisque nous
sommes son oratoire; mais quand nous ne lui laissons pas l’ac-
cès libre, il va prier hors de nous, et il emporte sa paix avec

III. 6
[82]lui.“ — Welch ſchöner Gedanke, ſich als bewußter Altar, wor-
auf gebetet wird, vorzuſtellen! Eine ſchöne Vorſtellung! So
ſagt man von einem ſchönen theatraliſchen Gedicht. So nennt
man es gradezu. Ein Gedicht iſt eine halbe Schöpfung: und
darum ein Feſt, ein Spiel, keine Arbeit; halbe Freiheit: mehr
als man gewöhnlich denkt. So ſehe ich dieſen ganzen Gedan-
ken von Saint-Martin an.


Nr. 648. „Avant de nous livrer à des actes importans,
nous aurons trois conseils à consulter: 1) si nous pouvons;
2) si nous voulons; 3) si nous devons. Malheureusement
presque toujours ce sont les circonstances qui nous tiennent
lieu de volonté on de désir, et ce sont nos volontés et nos
désirs qui nous tiennent lieu de devoirs. Voilà pourquoi il
y a tant de déceptions et d’infortunes parmi les hommes.“

Man hält dies für ſehr einfach; aber es iſt ſtark und außer-
ordentlich geſehen. Mir fällt aber dabei ein: „Erlaubt iſt,
was gefällt.“ Sollen und Wollen iſt Eins; und ſollte nicht
geſtört ſein. —



Nr. 674. „Une de mes plus utiles voies a été de viser
constamment et opiniâtrement au tout à l’heure, au tout
entier
, au partout, et au perpétuellement.
Dahin zu zielen
iſt die Beſchaffenheit der menſchlichen Seele. Leider vergehen
uns die Kräfte im Weltverkehr ſo oft dazu; (mir, trotz der
klarſten Überzeugung: das iſt, weil man nicht nur ſich, ſon-
dern auch Andere zu zwingen hätte): für den Plan, den wir
[83] nicht machten und machen — iſt geſorgt, wir müſſen unwill-
kürlich nach dieſer Regel verfahren.



Wunderſchönes Wetter.


Saint-Martin, Nr. 684. „Parmi les douleurs spirituel-
les que j’ai si fréquemment éprouvées et qui semblent être
ma destination dans ce monde, il y a une qui est journalière
pour moi, c’est de voir les hommes si peu curieux de s’ex-
pliquer les choses. Cela me prouve ou qu’ils n’ont point en
eux le moindre désir au-dessus de ceux qui sont de la classe
de la bête, ou que s’ils ont déjà quelques apperçus des vé-
rités supérieures, ils faut qu’ils les jugent bien mal de croire
qu’elles s’arrêtent au point où ils sont parvenus, et qu’elles
ne procèdent pas à tous instants, et n’engendrent pas sans
cesse d’elles-mêmes des vérités nouvelles.“
— Die gefun-
denen Wahrheiten antworten aber nicht immer, und höchſt
ſelten; man mag fragen wie man will. Doch iſt ewiges
Fragen recht und nützlich; „der Menſch iſt eine Frage — ſagte
ich ſchon lange — wenn er unſchuldig iſt.“


Nr. 685. „On me dit toute la journée dans le monde:
telle opinion telle idée sont reçues. On ne sait pas qu’en
fait d’opinion et d’idées philosophiques j’aime beaucoup mieux
les choses qui sont rejettées, que celles, qui sont reçues.“

Alle Meinungen und alle Ideen ſind philoſophiſch: es giebt
gar keine andere: wenn man auch annimmt, ſie könnten ſich
manchmal auf Gegenſtände beziehen, die nicht philoſophiſch
wären. Grade den Umgang und das tägliche Leben betreffende
6 *
[84] Meinungen ſind verderbt, verderben ſich leicht; weil ſie nicht
philoſophiſch genug behandelt werden, und müſſen immer wie-
der an’s Sonnenlicht gezogen, und verworfen werden; eben
wie untauglich gewordene Nahrung: Speiſe und Trank.


An Oelsner, in Paris.



Donnerstag, 11 Uhr, in meinem Bette. Dunſtiges, feucht-
liches, graues Wetter: noch kein Froſt, noch kein Schnee.
Dies Letzte, damit Sie nicht denken, daß Sie auch dies in
Paris voraus hätten; das Erſte, um Ihnen gleich zu zeigen,
daß ich Rheumatism zu pflegen habe, und Sie mir ſowohl
mein Nichtſchreiben als mein Schreiben zu Gute halten! „Ich
wünſchte meine Schuld in Perſon abzutragen, ſchreiben Sie
mir in Ihrem letzten Briefe, denn die Empfindung bedarf der
Gebärde und der Stimme.“ Sie bedarf — und ſie allein —
der ganzen Welt, und vermißt am meiſten Gebärde und
Stimme. Wie ſoll es mir nun aber gehen, da ich ohne
weiteres ſtupid bin, wenn mich das Herz nicht aufrührt, was
ſoll ich nun mit tonloſer Feder und ſtiller ſchwarzer Dinte
anfangen, wenn ich einen Brief ſeit Juli habe liegen laſſen;
in welchem Monat ich ſchon leidend und geſtört auf manche
Weiſe war. Grau in grau kommt mir die Welt vor: hab’
ich recht, oder ſtecken ſie mir meine Haare bloß an? Mich
dünkt, die politiſchen Fragen und die den geſelligen Umgang
betreffenden, ſind abgeſprochen, abgewitzt und abgelebt. Die
[85] Führer und Verwalter der erſtgenannten ſuchen ſich zu ſichern
und zu ſchanzen, weil die heiligen Haine, hinter denen ſie
thronten, durchſchritten und gekannt ſind. Die Arbeit geht
nun an ein paar andere große Inſtitutionen — die man für
Religion ausgab, und hielt, und von ihr borgte — dünkt
mich. Es wird nichts helfen; man wird in allen Winkeln
des Geiſtes und des Herzens wahr ſein müſſen, und ſich das
große, allgemein herrſchende Defizit, des Nicht wiſſens, ein-
geſtehen müſſen. (Dies ahndet die größte Menge gar nicht;
Viele von den Andern wollen es nicht geſtehn; noch Wenigere
denken ſogar dagegen noch handeln und wirken zu können.
Unnützes Verſuchen! Erſtlich iſt man immer ſelbſt in der wah-
ren Schöpfung — Entwicklung — man drehe ſich Kopf vorne
Kopf hinten, mit einbegriffen; und Jeder mittendrin; und
Zweitens, wo ſollte es hinführen? Rückwärts? Wir müßten
wieder vorwärts.) Man wird aufhören müſſen, da für die
menſchliche Geſellſchaft bauen zu wollen, wo kein Grund, als
ſelbſtgemachte Fabeln, zu finden ſind, und ſich das Herbe ein-
geſtehen, daß man Mangel, für’s Erſte kennen muß, und ihm
nicht mit Verläugnen abhilft. Seinen Hinunel wird ſich jeder
Einzelne ausdenken müſſen zur Unterhaltung — wahre Poeſie
— ſchaffen wird er ihn ſich müſſen, in ſeinem Gewiſſen: und
daß er das muß, wird er wiſſen müſſen: Geſetze für den
Lebensverkehr werden klarer, intenſiver — mit dem innerſten
des menſchlichen Geiſtes, und ſeiner ganzen Natur — treffen-
der und wirkender ausgedacht werden; und das, daß niemand
einem Geſetze entgehen kann, ganz allgemein und herrſchend
werden. Dahin, dünkt mich, will die Welt, und die häus-
[86] liche Geſellſchaft: und vor dieſem großen Werke — groß nur
weil es endlich erkannt wird — ſteht ſie jetzt ſtockend ſtill:
und darum ennuyiren wir uns! Das nenn’ ich ausgeholt:
weit ausgeholt! Aber ſo iſt’s: will man nahe kommen, muß
man weit ausholen, mir geht’s immer ſo. Ich hoffe, Sie
ennuyiren ſich auch. Nämlich, man wird weder erſchüttert,
noch angenehm hingehalten; und muß auch dies für ſich al-
lein übernehmen. Sie thun es gewiß: ich auch. Ich leſe:
es fällt mir dabei etwas ein; das amüſirt mich. Ich gehe,
iſt’s möglich — nur irgend einträglich — in’s Theater; ſehe
wo möglich noch paſſable Menſchen; und liebe Gedanken,
Denken und Einfälle immer mehr: ich glaube, je weniger ich
habe; ſie ergötzen und ſtärken mich ungemein. Sie heilen
und flicken mich aus. Schreiben Sie uns alſo! Ohne alle
Hoffnung — weil das überhaupt am meiſten beruhigt —
vielleicht ſehen wir uns doch in dem erſten oder zweiten Jahr;
lieber in Paris, als in Berlin. Für die Fürſtin von Salm-
Kyrburg hab’ ich wahrlich gar nichts thun können, worüber
ich noch in Reue bin! Der ſchwülſte Sommer; Staubſtra-
ßen, leere, ganz leere Stadt; faſt keine Gegend; ich ohne
Pferde, ohne Muth; ſehr unwohl! hat die Fürſtin durch
alles dieſes meinen guten Willen durchgeſehen, und mich in
dieſem ungünſtigſten Zuſtand nicht ganz überſehen, ſo iſt ſie
noch klüger und beſſer, als ich ſie hier ſchon fand. Sie iſt
artig, klug, angenehm, voll Welt, die ihr nicht ſchadete: kurz,
ſehr gut. — Sein Sie gut gegen dieſen Unbrief! —


[87]

Es iſt nicht allein ſehr ſchwer, die Wahrheit hier in der
Welt zu finden; ſondern man muß ſie auch noch ver-
läugnen
!


Nur nicht denken, nur nicht denken!

Nur den Tag ſo ziemlich lenken!


Vormittag, nach großer Störung; graues Wetter,
welches Luſt hat ſchön zu werden.


Saint-Martin Nr. 29. „Renferme-toi dans ton cercle
atmosphérique spirituel, et demande sans cesse que l’on te
remette tes péchés, c’est-à-dire, que l’on te rende ce qui
te manque: car un péché n’est qu’un déficit ou un défaut!“

Dies ſchreib’ ich des Wortes Defizit willen ab; weil ich in
dieſem Sinne immer von einem großen Defizit ſpreche; in dem
wir uns befinden. Da muß man hungern, oder lügen, oder
man macht immer noch ſchlechtere Geſchäfte. Alle drei Fälle
werden angewandt.


Er ſagt Nr. 30. nach vielem andern, vom Menſchen:
„Il n’avait été émancipé que par la miséricorde. Il est de-
venu l’objet de la grâce, ayant cessé d’en être l’instrument.
L’univers matériel avoit été formé par la justice: il en con-
serve encore le caractère!“
Er ahndet Nothwendigkeit: und
will ſie mit Gewalt benennen. Nicht er, ſondern beinah Alle.
Aber dieſe Ausdrücke ſind vortrefflich-ſchön!


[88]

Nr. 66. Es iſt merkwürdig, was er da ſagt: „Toute la
vie de l’homme devrait se diviser en deux parties, et ne s’em-
ployer qu’à deux choses: la première de manger son pain
quotidien spirituel: la seconde de dormir. Hors ces deux
occupations, je ne vois pour l’homme que misère, péril et
iniquité.“ — Le pain quotidien spirituel n’arrive pas en es-
prit, mais sous l’enveloppe du pain ordinaire.



Saint-Martin Nr. 205. Vortrefflich! „Ne croyons pas
que les joies de l’âme ne soient qu’une chimère, et que ces
biens que nous lui acquérons dès cette vie, soient en pure
perte. L’âme ne change point de nature en quittant
ce corps mortel. Si elle s’est livrée au mal, elle en reçoit
la punition en s’y plongeant davantage. Si elle a aimé le
bien, et qu’elle ait éprouvé quelquefois les délices secrètes
que donne la vertu, elles les goûtera avec encore plus de
sensibilité, elle sent ici ‒ bas des ravissemens causés
par la contemplation des choses qui sont au-dessus
d’elle
. Il lui semble, que rien sur la terre ne peut lui
causer le même plaisir: il lui semble même que les plaisirs
terrestres n’existent pas. etc.“
Die Seele ändert ihre Na-
tur nicht, das bin ich überzeugt, das widerſpräche ihrem Ur-
ſprung, aber wenn ſie andere Geſchäfte hat, iſt das eben ſo
gut; die ſucht ſie auch unaufhörlich; und, wie Saint-Martin
ſagt, immer in Dingen über den Bedingungen, worin ſie ge-
halten iſt: die kleinſte Unterhaltung, die wir ſuchen, ſuchen
wir eben auf die Weiſe, und aus demſelben Grunde: darum
[89] vertheidige ich die Unbeſtändigkeit; ſie hat den beſtändigſten
Grund. Nur wer nicht erkennen kann, was er hat, und
nicht weiß, was er will, hat den Grund der Unbeſtändigkeit
verloren.


Nr. 206. „Quelque sublime que soit un génie, même
dans les choses de l’esprit, il ne pourra se soutenir qu’autant
qu’il se fondra sur la piété.“
— Die Spekulation muß bis
dahin gekommen ſein; ſie darf davon nicht ausgehen.



Mittags, helles ſchönes Wetter.



Bei Gelegenheit der Tieck’ſchen Novelle gegen die Heuchler:


H. Vernunft iſt doch nicht despotiſch!


R. „Allerdings. Der einzige wahrhafte Despot!“ Und
mir fiel nachher ein: daß ſie auch der größte Sklave iſt; ſie
kann nur verneinen und bejahen.



„Und in allen Stücken billig ſein, heißt ſein eigen Selbſt
zerſtören.“ Genau unſre Lage und Eigenſchaften kennen, ge-
hört dazu: nichts iſt hemmender. —



Thiers Buch über die Pyrenäen und das mittägliche
Frankreich. Ganz vortrefflich! Gar nicht wie ein Franzoſe:
es iſt unglaublich, daß dies ein ſo junger Menſch und ein
Franzoſe geſchrieben haben ſoll! Es iſt ein ordentliches Puls-
[90] fühlen, wie weit dieſe Nation fortgeſchritten iſt. — Wenn das
Rouſſeau von ſeinen Landsleuten erlebt hätte! —


Man ſollte ſich wirklich alles von ſeinen Landsleuten ge-
fallen laſſen! denn je mehr ſie uns tadlen und verfolgen, je
mehr man in Disharmonie mit ihnen iſt, je gewiſſer iſt es,
daß man auf ſie gewirkt hat.


Das Buch iſt voller Thatſachen, voller geſunder Anſich-
ten; über das ſpaniſche Gränzland erhält man die größten
Aufſchlüſſe; der Artikel Marſeille iſt vortrefflich. Thiers hat
Anlage zu einem Staatsmann. Er ſieht, was da iſt, und
mit der Sache ihren Grund zugleich: und Dichter iſt er nur
im Ausdruck; das heißt, er weiß, was er geſehen hat, nach-
zubilden in unendlichem Gebrauch ſeiner Sprache. —



Im Geſpräch über das Buch: Des hommes célèbres de
France au dix-huitième siècle etc. par M. Goethe,
ſagte


R. Franzoſen und Deutſche gehören doch eigentlich zu-
ſammen, wie zwei Hälften: Engländer kommen mir ſchon nicht
ſo vor: ſie ſind doch wie eine Abart Deutſcher.


A. Schweden und Dänen auch. Wie anders und eigen
ſind dagegen Spanier; eine herrliche Nation! ſo mäßig: ein
Volk, das mäßig iſt, iſt zu bewundern.


R. Ja, ihr großer Witz und ihre Senſibilität entzückt
mich: ich meine nicht, was man gewöhnlich Witz nennt: ſon-
dern den Witz in ihrer Poeſie. Ihre Litteratur. Man kann
doch ein Volk nur nach ſeiner Litteratur beurtheilen. Wie
gebildet müſſen ſie geweſen ſein und ihre Geſelligkeit! Und
[91] die größte Litteratur haben doch Franzoſen und Deutſche;
darum paſſen ſie zuſammen und halten ſich das Gegengewicht.


A. Nach Litteratur kann man die Völker nicht allein
beurtheilen; was haben ſie für einen Karakter? darauf kommt’s
auch an. Zum Beiſpiel: die Ruſſen. Welchen Karakter! und
die haben gar keine Litteratur.


R. Die ſind auch wie außereuropäiſch. Und ſie und
alle Völker wollen doch unſre Bildung, und ſtreben danach —;
ja, ich kann mir gebildete Völker ohne Litteratur denken;
aber die müſſen ganz anders ſein, da muß die Bildung in’s
Leben übergegangen ſein; Bewegung wie Tanz; und ganz
andere Inſtitute und Zwecke, und Lebenseinrichtungen: — aber
die Dänen, Schweden, Ruſſen, wollen doch alle nur was wir
wollen; und neuere Völker können nur nach ihrer Litteratur
beurtheilt werden.


A. Ja, wo ſich der Einzelne ganz in ſeine Nation
verliert!


R. Nein, wo die Nation in jedem Einzelnen lebt!


A. Auch gut! wie der Flohdoktor. —


R. Auch gut? Was iſt denn eine Nation? Eine An-
ſtalt — für den Einzelnen :/ eine Reiſe: wie Schwalben über
einen Sumpf ziehen, wenn ſie einzeln hinüber könnten, wär’s
nicht nöthig.


[92]

An Oelsner, in Paris.



Was können Sie von mir dem Schwefel eben Entſtiege-
nen verlangen! Auch ich ſollte nicht glauben, jetzt einen Brief
ſchreiben zu können; und ich will Sie nur vorbereiten, daß ſo
viel Zeilen Sie auch zu Geſichte bekommen mögen, es keiner
iſt, und auch keinen vorſtellen ſoll. Wie mit einem Stärkungs-
und Heilungsmittel lief ich vor einer Stunde zu Varnhagen
mit Ihrem Paket, weil ihn wenig ſo freut, vor ſein Bette;
wo er ſeinem Krampfhuſten Ruhe und Stille, als einzige Strei-
ter entgegenſtellt; ich ſelbſt war noch ganz irritirt von meinem
Schwefelbade; habe auch Ihren Brief noch nicht geleſen, nur
geſehen was Sie uns alles ſenden. Nun hätte ich ſehr gerne
mit einem Scherz begonnen, um Ihnen den Glauben an ein
ernſteres Unwohlſein Varnhagens zu benehmen; ich hatte auch
einen recht hübſchen ſchon fertig, aber ſie haben ihn mir weg-
geſtört. Billette, Boten, ein Beſuch; zwei zum Abweiſen, ein
paarmal V., noch einigemale meine Jungfer! Endlich zwi-
ſchen dem allen ein Ausgang; aus Karakterſchwäche! — Un-
ſer König nämlich läßt auf einem Bilde unſere zwei erſten
und ſchönſten Tänzerinnen, die Damen Lemière und Hoguet,
und Hrn. Rebenſtein in ihren Koſtümen des Ballets Aline
mahlen: der junge, ſchön ſehende, talentvolle Mahler, Herr
Henſel, beſteht gewiſſermaßen darauf, daß ich das Bild, ehe
er es ganz vollendet, ſehe, ob ich nicht mit meinen Augen eine
Unähnlichkeit entdecke, oder ihm eine Ähnlichkeit mehr angeben
kann. Eine angenehme, ehrenvolle Kommiſſion. Nur bin ich
[93] zu oft leidend, das Wetter zu nord öſtlich, und ich zu ſehr
mit Heilung grade jetzt beſchäftigt, und daher veranlaßt ge-
weſen, ihm ſchon einige Rendezvous abzuſchlagen. —


Es iſt gut, wenn einmal ein Freund uns ganz perſönlich
ſchaut, und auch unterhaltend für ihn: darum ſcheue ich mich
gar nicht, Ihnen mein Bild von einer Stunde zu ſchicken,
und dieſe Stunde als Rahmen. Dabei haben Sie ein Stück-
chen von unſerer Kunſt, Theater und anderem erfahren, und
wie ein Schnipfelchen des geſelligen Verkehrs dazwiſchen fliegt!
— Adieu denn! V. war wieder hier, und ſagt, es wird ſpät.
Eilender kann ich nicht. Er wollte erſt gar nicht ſchreiben,
darum bot ich mich an. Nur noch dies Wort über Thiers,
den Sie erwähnen. Ich vergaß Ihnen noch zu ſchreiben, daß
beſtimmt ein Finanzminiſter in ihm ſitzt. Mir bürgt ſein Ar-
tikel Marſeille dafür. Er ſieht die reinen faits: oder vielmehr
ſucht die nur: keine Parthei und Klaſſe hat Einfluß; nur das
was eigentlich ſein ſoll. Adieu für heute! Nächſtens mehr!


Fr. V.


Wenn Eltern oder Kinderpfleger etwa bis zum dritten
Jahre ihren Zöglingen ſo gerne Züge von Verſtand, Auf-
faſſungsvermögen, einer Art von Witz, kleiner Liſt oder auch
nur des Gedächtniſſes, nacherzählen, ſo iſt das nicht nur
aus Eitelkeit, oder Vorliebe für ein beſtimmtes Kind. Es
iſt weit mehr das mit Recht wiederkehrende Erſtaunen, der
unergründliche Zauber, das Wunder eines erwachenden Er-
kenntniſſes! Wo beginnt es, wo kommt es her? Das möchten
wir immer von neuem wiſſen, von neuem belauſchen; und nie
[94] kann das aufhören, unſre Aufmerkſamkeit in Anſpruch zu
nehmen, und uns in Kindergeſtalt, als Unſchuld, zu rühren,
zu erfreuen und zu gefallen; und in dieſem Fall ſcheint ſich
ein reineres Intereſſe in Eitelkeit zu kleiden, wie dieſe ſo oft
ſich das Anſehen höherer Motive giebt.




Felix ſpielte uns geſtern Abend vortrefflich vor; Études
von Kramer, und oft kamen mir die Thränen in die Augen:
als er mit einer Art Meiſterſtück von Spielen aufhörte, ſagte
ich leiſe zu Robert: Er iſt doch ſo glücklich, und ich möchte
ihm doch noch ſo gerne etwas anthun! — „Gar nicht!“
erwiedert Robert. — Wie ſo? ſage ich. — „Er müßte uns
noch um Verzeihung bitten!“ — Warum? frag’ ich wie-
der. — „Weil wir das nicht können, was er kann.“



Schubarth über Goethe. S. XIII. Über Leſſing ganz
falſch; ganz falſch und ohne Gründe behauptet, daß man
nicht in entgegengeſetzten Gebieten etwas hervorzubringen im
Stande ſei: und nichts damit geſagt. — S. XIV. Was er
von Friedrich Schlegel und deſſen Vergleich Goethens mit
Voltaire ſagt, nicht einmal zu verſtehen! —


S. 5. Verweilt er unendlich lang zu zeigen, bei was
man nicht verweilen ſollte. Und ſagt Falſches. Nämlich wie
nichts Tüchtiges könne hervorgebracht werden, wenn man
falſche Talente auseinanderſetze! Verwirrt. — S. 7. Freilich
[95] iſt das eine allgemeine, konzentrirte Menſchenſeele, ein ſolcher
Menſchengeiſt, der das in ſich aufnehmen kann, was das
ſchwache Geſchlecht nur in Einzelnen davon verſchlendert hat:
dies nennt man Genie: und kann ein ſolcher es Andern in
Bildern aufdrängen, ſo iſt’s ein Künſtler. Von außer-
menſchlichen Zuſtänden kann aber bei keinem Menſchen die
Rede ſein: ſelbſt wenn er faſelt, kann er nur Zuſammenge-
hörendes verwirren: Künſtler thun das oft ſcheinbar, ſind aber
Herren ihrer Ausflüge.


S. 118, Über Natur. So? Alles Liebliche vergißt er?
Alle Regelmäßigkeit? In der Natur iſt vielmehr alles, was
wir zu faſſen vermögen: geſehen in dem Spiegel unſers In-
nern. Eins nur iſt anders dort, und anders hier. Recht
braucht die Natur nicht zu haben. Und darum iſt ſie immer
erquickend; der Betrachtung nach gewiß. Paßt ſie ſchön zu
uns, ſo iſt ſie ſittlich in ihrer Art, lieblich. Sie iſt nur eine
große Perſönlichkeit in ihrer Art; wir kennen aber uns ähn-
liche; das iſt der Knoten! — Nehmen wir alle Menſchen —
wie wir müſſen — für Eine Perſon, und die Natur auch für
Eine: gleich iſt der Kampf, die Mühe da; ſie weiß nichts
davon: ich glaube als Menſchen erkennt ſie uns nicht an.
Zum Glück haben wir auch keine Pflichten gegen ſie; ſie
zwingt uns bloß. —


S. 191. Unter anderm falſch über Taſſo, und was er
über den Dichter ſagt, und deſſen Reichthum und Mangel
darſtellt. Taſſo’s Unglück iſt das Unglück eines gutbeſaiteten
Menſchen, ob er Lieder geſpielt hat, oder nicht; Geſetze, die
nicht für ihn gemacht ſind, tödten ihn. —


[96]

S. 222. Ich bin ganz betäubt und verwirrt, daß Goethe,
Kant, Fichte, ſo beſponnen werden können: mir iſt, als müſſe
man ihre Werke wieder reinigen für die Welt. S. 225. Falſch
über Gottes Geheimniſſe. Sie gehen uns allerdings an, da
wir eines davon ſind. —


S. 269. Bravo! Nun bin ich froh, nun tadelt er
Goethen. Nun wird’s richtig: er zieht Shakeſpeare vor, er
tadelt Raiſonniren, Klaſſifiziren, alle Handlungen in iren
bei Goethen, und thut nichts andres ſelbſt; nur thut er’s
ſchlecht. Nun iſt er bis in’s Klarſte in der Verwirrung ge-
kommen. —



Madam Guion konnte nicht ohne Bild leben — im glei-
chen Fall mit allen Menſchen — und wollte doch nichts mit
der Welt zu thun haben; hatte ein erregbares Gemüth und
philoſophiſchen Geiſt. Sie dachte mit großer Kraft in’s Leere
hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz
beſtimmte, erzählte Geſchichte von Chriſtus noch einmal nach.
Sie führte gleichſam ſein Leben in ſich auf: lebte es noch
Einmal, wurde zum Chriſtuskinde; weil ſie ſich nicht erlaubte
ein anderes Leben zu führen.


Franzöſiſche Muſik zwingt die Empfindung, ſich nach der
Wortbedeutung zu richten: italiäniſche bequemt ihren Wort-
vorrath nach den Empfindungen. Gluck litt beim franzöſi-
ſchen Text.


Der
[97]

Der meiſten Leute ihr Reden iſt nichtsnutziges Geſchwätz:
es iſt ihnen auch ſelbſt nichts daran gelegen; ſie hoffen nur,
es ſoll nur, es ſoll den Andern etwas daran gelegen ſein;
und dies iſt der wahre Probierſtein weſentlicher und unwe-
ſentlicher Behauptung und Erzählung. Nebenher, ein reicher
verbreiteter Quell der Langeweile, die da Menſchen auszuſtehen
haben, nämlich die, welche jeden Augenblick als einen ur-
ſprünglichen leben.



Ich finde den ganzen Unterſchied in der Menſchen Geiſter
nur bei’m Fragen: antworten können ſie alle nur auf die-
ſelbe Weiſe.


Wer ſich mit dummen Antworten begnügt, und keine
Fragen anzuknüpfen weiß, iſt dumm. Wer wiſſentlich, ver-
wickelte, verfängliche Antworten giebt, liſtig. Liſtigkeit iſt
aber verkleideter Bettel; auch geſteht man ſie nicht, und ſchämt
ſich: und immer bleibt dies ein Verdruß.


Verdammt ſein, ſich zu verdammen.


Die Welt iſt ſo ordinair, als man will: man kann ſie
anſehn, wie man will. Sich wundern, gar nicht wundern:
wie man’s ſtellt.



III. 7
[98]

Wenn wir in Lebenskonſtellationen kommen, in denen
die uns gegebenen Aufträge unſerm Karakter nicht entſprechen,
ſo haben wir ſchon Unglück, wenn wir auch dadurch noch
nicht unglücklich ſind. Dann können wir nicht thätig nach
Wahl und Einſicht wirken; und faſt immer fühlt man dann
Moment auf Moment als Leiden; wenn auch der erſte Fall
ſelten bedacht wird.


Des Menſchen Karakter iſt das Reſultat der einmaligen
Miſchung, und des daher beſtimmten Verhältniſſes ſeiner Ga-
ben und Beſchaffenheit.


Franzoſen nennen nur die Wahl eines beſtimmten Wol-
lens Karakter; wir thun gewöhnlich darin wie ſie.


Schleiermachers Reden über die Religion.
Ausgabe
1821. S. 58. Das Dialektiſche. — S. 60. ſagt
er: Religion habe mit dem Wiſſen der Wiſſenſchaft nichts zu
thun. Gut! Aber dieſes mit der Religion: und dies wird
auch nur behauptet. — S. 61. Was iſt hier — auf dieſer
Seite — Unendliches? heraus mit der Sprache! Wenn es
kein zu erkennendes Geſetz und kein Wahrnehmen eines er-
höhten Zuſtandes iſt. — S. 62. Alſo der Fromme weiß nicht
recht: das ſag’ ich auch; und ſolche Zuſtände hat jeder von
uns, und das Bedürfniß, in dem wir dann ſind, die Voraus-
ſetzung, die wir machen, iſt Religion. Wozu da ſo viel Re-
den? — S. 64. Wie Sittlichkeit, Wiſſenſchaft und Religion,
eine nicht ohne die andere beſtehen kann. Nun?! — S. 65.
[99] Eine unverſtändliche Stelle. — S. 66. Endlich Definition. —
S. 66. Geſchimpft ohne Grund. — S. 67. Schöne Defini-
tionsfrage! — S. 67. Sehr ſchön über die Gränzen des End-
lichen und Unendlichen. — S. 70. Schöne Lehre über das
Bewußtſein: wie man da ſuchen ſoll. — S. 73. Nach ſchö-
nen Vergleichen, die mir nicht gefallen, die Thätigkeit der
Seele ſchön definirt: wie ſie durch ihre Thätigkeit die Welt
durch einen Theil derſelben fühlt. — S. 75. Gottlob! Über
das Wiſſen endlich! — S. 79. Klar über Wiſſen und Reli-
gion. — S. 80. Sehr richtig und deutlich über das Werk
der Begriffe, und welches ihr Beſitz iſt. — S. 81. Sehr ſchön
falſche Religion beſchrieben. „Trägen Herzens“ genannt. —
S. 82. 83. Vortrefflich geſagt, was Religion iſt. Eigentlich
je beſſer beſchaffen, je mehr Religion: ſie iſt allerwärts zu
kriegen, ſag’ ich. — S. 82. Was das Univerſum thut. —
S. 83. 84. Wunderſchön über die Religion der Alten, und
beiläufig erſchöpfend bewieſen, was Myſtizismus iſt; wenn
die Gränzen der Wiſſenſchaft nicht rein gehalten werden, ſag’
ich. Vortrefflich! ſo einfach, klar, erſchöpfend. Unterſchied
von Religion und leerer Mythologie. —


S. 100. Herrlich definirt, was religiöſes Leben iſt! —
Das allein iſt Leben, ſage ich. — S. 136. Sehr ſchön ge-
ſagt: und ſchön, wenn man ſchon ſelbſt viel gedacht hat.
Aber dennoch hoff’ ich, weiß ich ſogar, in einer Zeit wird
dies wie Geſchwätz ſein. Ganz platt. Wer wird’s nicht
wiſſen? und wer wird nicht die Fragen gemacht und beant-
wortet haben, die ſich eben da anknüpfen laſſen? — Viel
geſagt. — S. 140. Iſt er trotz der Schönheit des Geſagten
7 *
[100] in ein anderes Gebiet gekommen; er ſcheint nicht mehr die
Religion in uns zu betrachten, ſondern die Weisheit des
Weltgeiſtes. Doch agirt der unter großen Hemmungen, von
deren Grund, oder unſerer Uneinſicht in denſelben, nicht ge-
redet wird. Herrlich ſagt er da, was das Geſchäft des Jahr-
hunderts und des Augenblicks iſt. — S. 146. Von Reue
ſpricht er. Darüber iſt viel zu ſagen. Er ſagt: Sittlichkeit
bereut nur die verlorne Zeit. Nicht doch! das Unwiederbring-
liche der That, die in ihren Folgen nicht mehr einzuholen iſt.
Reue, häßlich gehandelt zu haben, wenn ich die Möglichkeit
davon zugebe, reiniget gleich die Seele. Hier iſt viel zu
ſagen. — —


S. 154. ſagt er ſelbſt, Gnadenwirkung ſei der gemein-
ſchaftliche Ausdruck für Offenbarung und Eingebung. Über-
haupt, weiter kann die Philoſophie nicht gehen in Erklärung
der künſtlichen Ausdrücke! — S. 155. Spricht er über Glau-
ben endlich, wie von allen Kanzeln ſollte geſprochen werden.
Er zeigt, welcher verachtet werden ſollte, und welchen ich ver-
achte. — —


S. 163. Er beweiſt, das Bedürfniß für Religion ſei
welche: er ſagt dies aber nicht: ſondern nur, ſich Gott als
Perſon denken, ſei unzulänglich: ihn ſich als ſtarre Nothwen-
digkeit denken, wieder. Alſo wie ich: als höhern Geiſt, von
welchem ich nur das mir Zugetheilte faſſe. — Anmerkung
Nr. 19. Wie ganz vortrefflich geſagt: wie tief, und wie in
den verſchiedenen Menſchen geſchaut, wann ſie ſich Gott per-
ſönlich, wann anders denken müſſen. Wie wenige Lehrer
[101] wiſſen dergleichen! wie wenige Leſer verſtehen es! Wie kann
man ſich mit ſeinem Innern nicht abgeben!? —


S. 252. Sehr richtig, und lange nicht bekannt genug,
daß es krankhaft iſt, ſich nicht mitzutheilen. Wo man ein-
ſieht, daß Mittheilung nicht hilft, iſt Krankheit in den An-
dern, und ſteckt uns an; und Unvermögen doch in jedem
Fall in uns. Wer uns nicht Wahrheit erlaubt, iſt daher im
Unrecht; und der, welchem man Unwahrheit ſagt, immer et-
was gehaßt, wenigſtens während dem. — Wir ſind ja in
einem ſchwachen gehemmten Zuſtand wenn wir lügen müſſen.


S. 256. bin ich nicht ſeiner Meinung über religiöſe Ge-
ſpräche. Ferner will er „Pracht“ und „Fülle,“ wenn über
Religion geſprochen wird. Man muß über alles, wovon die
Rede iſt, ſo gut als möglich ſprechen: und eine wahrhaft gute
Rede ſoll kein Schmuck ſein irgend einer Sache; eine Rede
iſt eine Folge von Gedanken; eine Darſtellung unſerer ſelbſt
in einem gegebenen Fall; und ſind wir frei in dieſem, in die-
ſer Zeit, ſo wird ſie ſchön ſein und wahr. Was ſind das für
Umſchweife, für Ausnahmen für die Religion, die er doch nur
als einen Inbegriff und Ende aller Meditation und Rechen-
ſchaft definirte! Es iſt mehr, als wollte er die Redner kon-
ſtruiren, als ſie; und denen ihre Themata anweiſen. —



[102]

An Oelsner, in Paris.



Heißes, helles Wetter, mit dezidirtem Oſtwind.


Iſt dies unwahrſcheinlich, ſo iſt’s hingegen wahr. Ein
ſolch Datum ſetz’ ich gern vor den Briefen, als ihren Wetter-
ſtand, als Atmoſphäre, in welcher ſie wachſen; und dadurch
für den Verſtändigen, als Kommentar. Als Nachſchrift die-
ſes Datums ſei nur noch geſagt, daß mir heute mein Schwe-
felbad ſehr gelungen iſt; ich mich nicht erhitzt, nicht geſchwächt
fühle: und nun bin ich richtig bis an den Punkt, von dem
mein ganzer Brief ſich herſchreibt, welches Schreiben ich ohne
dieſes gelungene Schwefelexperiment gar nicht hätte unterneh-
men können. —


Wie iſt es möglich, in zwei Sprachen ſo vollkommen
zu ſchreiben, wie Sie in der Pariſer und Berliner! Sie kön-
nen wieder fragen: wie iſt das möglich zu beurtheilen, wenn
man in keiner es ſo weit gebracht hat, wie das mittelmäßigſt
geſchriebene Buch? Das iſt möglich, muß ich behaupten, und
will Ihnen den Beweis nicht aufdringen, bis Sie ihn durch-
aus wollen: demonſtriren kann ich ihn. Außerordentlich ſchön
iſt das Buch über Mahomet geſchrieben; der graziöſeſte Stil:
gereinigt und ſanft, wie ein angenehmer Bach. Jeder Fran-
zoſe läßt ihn auch gewiß ungehindert durch ſein Haus. Für
mich ein großes prestige — ich weiß es nicht auf Deutſch
geſchwind — und eine große Schmeichelei, daß wir ihnen
ſolche Landsleute liefern. Ganz darin eingegangen, wie man
zu der Nation zu ſprechen hat, damit ſie einen verſtehe,
[103] und wie man anredend zu Einzelnen zu ſprechen habe; im
Ganzen ihnen aber das ſage, was auf deutſcher Seelen Bo-
den gewachſen iſt, und in den Tauſchhandel — eigentlich nur
Tauſch — kommen ſoll. Daß Sie den Preis bekommen ha-
ben, ſchmeichelt meinem Berlinizism — ſo nenn’ ich Deutſchſinn
— ſo, als ob es heute geſchehen wäre. Das ſind friedlich
gewonnene Bataillen: das Exercitium dazu, Leſen, Denken,
Beobachten; ſchönſtes Leben: Lohn vorauf! Der Ausſpruch
der Akademie, Friedensſchluß, wo für beide Partheien Gewinn,
durch einen wahrlich neu entſtandenen Beſitz, hervorgeht!
Sagen Sie, wie iſt’s möglich, daß bei ſo viel Bildung, wie
ſchon auf der Erde da iſt, ſich ſo große Reſte der größten
Rohheit nebenan, dicht nebenan erhalten? Manchmal ſchein’
ich’s zu wiſſen, wie es zugeht, manchmal entſchlüpft’s mir
wieder. Krieg, und die größten Schriftſteller. Chriſtenprahle-
rei, und Chriſtentugend, und Sklaven. Die feinſten Werke
der Mechanik, und verwahrloſte Städte. Der tiefſinnigſte
Kalkül, und die wichtigſten Dinge und Angelegenheiten dem
Ungefähr überlaſſen. Luxus, Akademien, Galerien, und kraſſe,
ſchmutzige Armuth. Und das bis in’s Privateſte; z. B. ſchlech-
tes Hausweſen, und große Gaſtereien. Es ſcheint beinahe
leichter, hohe Gedanken und Geſinnungen zu haben, die ſchön-
ſten Erfindungen zu machen; als alte Übelſtände und Ruinen
loszuwerden; und die Liebhaber dieſes Schutts davon abzu-
bringen, und zu reinigen. Ich weiß gar nicht wie es iſt;
heute. Ihr Buch bringt mich wieder auf dieſe Gedanken. Ich
habe darin ſo viel Extrakte aus den wohlgerathenſten, reifſten,
edelſten Früchten der Beobachtung und des Nachdenkens ge-
[104] funden, die mir meinen ganzen Vorrath von Gedanken und
Betrachtung in Bewegung brachten. In einer gelaſſenen Zeile,
einer halben, geben Sie oft unwiderſprechlich an, wie es mit
den Welthändeln ſtand, ſtehen kann, und wie ſie ſich zur Na-
tur, und zur Menſchennatur verhalten: mir iſt dies nicht ent-
gangen. Und gefallen hat mir dieſe Art beſonders — die ich
nur, als die einzige, Geſchichtliches zu verfaſſen, geſtatte —
weil ich gar kein Raiſonnement für dumme Leute mehr ertra-
gen kann; das heißt, ein langes, breites, weitläufiges; ich
habe zu irritirte Nerven dazu, und zu viel gedacht! Dabei
bin ich ganz gehörig ignorant, und erfahre nun von Ihnen
ſo viel faits, die mich ungemein unterhalten. Ich bin Ihnen
alſo ſehr dankbar; und weiß meine Erkenntlichkeit nur dadurch
an den Tag zu legen, daß ich es ſage.


Ich habe auch dieſer Tage Hrn. Villers Buch über Uni-
verſitäten an den König von Weſtphalen geleſen: welches
wirklich eine ſtärkende Bekanntſchaft iſt: troſtreich. Das Buch
iſt durchaus ehrlich, und alſo edel: es macht uns viel Ehre,
und wir — Deutſche — können Villers nicht genug anthun.
Einfach, unterrichtet, anſpruchslos iſt dies Buch; voller edlen
Muth, wenn man die Zeit, und die Attitüde der Kronen
in ihr bedenkt. Ein edler Europäer war Villers; was wir
Alle werden ſollen! das wollen wir ihm nachſchreien. — Hal-
ten Sie Hrn. Thiers zum Deutſchen an!!!


— Nur noch dies Wort über Thiers! Ich vergaß Ihnen
noch zu ſchreiben, daß beſtimmt ein Finanzminiſter in ihm
ſitzt. Mir bürgt ſein Artikel Marſeille dafür. Er ſieht die
reinen faits: oder vielmehr ſucht die nur: keine Parthei und
[105] Klaſſe hat Einfluß; nur das was eigentlich ſein ſoll. Adieu
für heute. Nächſtens mehr! —


An Frau von Goethe, in Weimar.



„Und in allen Stücken billig ſein, heißt ſein eigen Selbſt
zerſtören.“ Dieſer Spruch wird von Wenigen zitirt, ſo ſehr
gerecht ſind doch mitunter die Vielen! Bitterer Reue voll
wend’ ich ihn hier auf mich ſelbſt an; da ſie mir nicht helfen
wird, mich künftig weniger beſcheiden zu machen: man trägt
die Beſcheidenheit, iſt ſie ein Fehler, wie ſein Geſicht, ohne
es je vertauſchen zu können, mit ſich herum, für’s Leben. Nur
allzu heilig hielt ich Ihre Morgenſtunden in Berlin, von de-
nen Sie mir Einmal ſagten, daß Sie ſie zu Sprachſtunden
und Ihrer Korreſpondenz nach Hauſe gebrauchten; da andre
Damen dieſe Ordnung brachen, und den Lohn Sie zu ſehen
dafür hatten! und wohl ſonſt es noch anzuſtellen wußten, daß
ſie Sie öfter ſahen. Ich blieb mit dem tiefen Wunſch, ſtill,
und ſitzen. Erlauben Sie mir wenigſtens jetzt Ihnen mein leb-
haftes Bedauren nachzurufen! da ein ſtummes Papier es Ih-
nen bringt, mit dem Sie nach Gefallen ſchalten können. Auch
dies würde nicht bis zu Ihnen gelangen, wenn ſogar auch
ſchon beſchrieben: wollt’ ich nicht, daß das beifolgende Blatt
von Ihnen und den Ihrigen durchgeſehen würde. Unſre ganze
Nation zeichnet zu wenig dergleichen auf, woraus ſich am
Ende Memoiren bilden, oder wenigſtens daraus beurtheilen
[106] und berichtigen laſſen. Was Ihr Haus betrifft, iſt zu wich-
tig: und der Geringſte kann, wenn davon die Rede iſt, ſol-
ches liefern. Was Sie hier erhalten, ſchrieb ich gleich, nach-
dem ich’s erfuhr, nieder. Es hatte das größte Intereſſe für
mich; und es muß überhaupt welches haben. Bei Ihnen wird
wohl unterſchieden werden, was dem Vorfall gehört, und was
meinem Bericht davon zu Gute gehalten werden muß: und
ſo ſchicke ich’s getroſt mit beſtem Willen. Ich bitte nur um
Eine Güte von Ihnen; mich nämlich den Empfang dieſer Sen-
dung wiſſen laſſen zu wollen: ein Wort an Hrn. Geheimr. N.
iſt dazu hinlänglich.



— Ja, ja. Hier iſt die Schrift. „Über Divinations- und
Glaubenskraft, von Franz von Baader.“ Jetzt iſt ſie glück-
licherweiſe dem Fürſten Gallizin, ruſſiſchem Kultusminiſter, de-
dizirt. Anfangs ſollte ſie es mir ſein; ich konnt’ es aber noch
verhindern. Du weißt, ich ſuche nicht genannt zu werden;
ich ſcheue es, wo es nicht ganz von ſelbſt kommt, oder durch-
aus nöthig iſt. Aber denk dir das Geſchrei, wenn bei dieſem
Inhalt mein Name mitgeſtanden hätte! Die Hauptſache aber
iſt, daß des Verfaſſers Artigkeit und Dank für mein Aufmer-
ken hier zu ſtark ausgedrückt worden wäre, ſo ſtark wie nur
die Befriedigung des vollkommnen Übereinſtimmens ausgedrückt
ſein darf, welche auch der Leſer vorausſetzen würde; voreilig
und unrecht, denn ich kann mich zu dieſen Sachen nicht eigent-
lich bekennen, von denen auch vieles, ich will nicht ſagen über
mich hinaus, aber mir abſeits liegt.


[107]

Baader hatte mir, als ich ihn eben perſönlich kennen
lernte, ein großes Intereſſe eingeflößt: und ich hörte ihn wirk-
lich erhellende Blitzworte ſagen; es nahm mich ungemein für
ihn ein, daß er ſich gedrungen fühlte, mit allen Menſchen zu
ſprechen: ich fand es ſchön, daß ihm jedes Menſchengebilde
ein Menſch war, und daß er mit den etwas Beſſern ſich zu
erörtern gedrungen fühlte, es zu lieben ſchien. —


(Mündlich.)


„Varnhagen! du mußt in den Garten! Nein, du glaubſt
es nicht, welche Roſen! Alle ſind ſie da, eilig und zugleich
hervorgetreten, wie wenn die Schildwacht heraus ruft!“



An Varnhagen, in Hamburg.



Regneriſches, graues, ſchwüles, dunſtiges Wetter.


Ich ſchreibe auf dem Bogen, den du gefaltet haſt, und
mit deiner Feder und deinem Tintfaß in der Mittelſtube.
Theurer lieber Freund! Es iſt gut, ſich einmal zu trennen.
Da erfährt man, wie lieb man hat: und wer man iſt. Alle
deine Gedanken, deine Senſationen, dein Sitzen, deinen Schlaf,
das Wetter, alles rechnete ich nach! Es iſt beſſer kein Son-
nenſchein. Haſt du wohl etwas geſchlafen? den geſtrigen
Abend genoß ich mit dir. Wie du es wollteſt fuhr ich aus.
Nach Schöneberg, bis über’s Dorf weg: ich wollte wahre
Reiſechauffée riechen: und dann umgekehrt. Göttlich grün,
[108] vielfach in Baum und Feld. Wunder-Prachthimmel von Bi-
zarrerie, Lichter- und Wolkenwirthſchaft; — jetzt regnet es
Platz! — das hatteſt du auch! — Nun mach’ ich Rechnun-
gen, und dann leſe ich: eſſe nur Suppe und Huhn. Habe
recht viel Vergnügen! regrettire mich in dem ſchlechten Ge-
ſundheitsmoment nicht zu ſehr, und genieße Baum und Strauch
und Luft äußerſt, dann iſt’s für mich mit. Geſtern hatten wir
ja einen Sonnenuntergang, und auch dieſelben Gedanken. —



— Ich habe ihn! deinen Brief. Armer lieber Auguſt!
alle Pulſe ſchlugen dir! Hätteſt du nur ganz wenig und nicht
ſo ſchön geſchrieben, dich ein wenig in der Stube nach dem
Garten niedergelegt. Genieße, was vor dir iſt; Düfte, Kinder,
Laub, Blumen, Anblick des Wohlſtands, alles, jedes: ich ge-
nieße es gewiß mit. Theuerſter lieber Freund! Dein Gärt-
chen freut mich. Es beruhigt Seele und Sinne. Ich gratu-
lire deiner Schweſter dazu. Täglich muß ich mehr einſehen,
daß ich auf eine gute Weiſe wohl nicht hätte reiſen können.
In meiner Lebensgeſchichte ſoll Wetter und meine Geſundheit
vorkommen. — Geſtern Morgen machte ich Geſchäftchen, Rech-
nungen, Billetchen, und fuhr dann mit den Andern nach Kö-
nigs Palais. Das gefiel mir unendlich in ſeinem Bau; auch
iſt’s, erfuhr ich des Abends, vom alten Schinkel, — von
Schlüter nämlich: das war noch ein Schinkel! So müſſen
Menſchen wohnen. „Menſchen“ kann man mit zehn Li-
nien unterſtreichen, und auf jede ſchreiben, worin es beſteht,
ein Menſch zu ſein. Henſels Bild hat unendlich gewonnen;
[109] mehr, als ich je glauben könnte; es war heilſam, daß man
ihm das viele Blaue tadelte, er hat das Gelb eines Abend-
himmels ganz am letzten Rande in dem Himmel ſeines Bildes
angebracht, welches das Ganze rettet; hält, und ſichtbar macht,
und den Köpfen, Haaren, und der Oberſtirn unberechenbar
gut that. Die Dimenſion der Figuren bleibt die unglücklichſte;
und ſieht kleinlicher aus, als wären ſie kleiner. Angezogen
ſind ſie vortrefflich: ſogar die Fußbekleidung witzigſt erfunden.
Schuhe ohne Strümpfe; vortrefflich! — Aus Beſcheidenheit
war ich die Rampe nicht hinaufgefahren — reine Dummheit;
du kennſt meine Königs-Ehrfurcht — das Palais war warm,
und kalter Wind beim Einſteigen. Ich Schal über den Kopf,
Wattenrock. — Ich ſchrieb nach drittehalb Jahren Frau
von Reden nach Rom einen ſechsſeitigen Brief, wie dieſe.
Doch war er kurz, und gar nicht ausführlich. Er gerieth
mir trotz einiger Irritation gut; beſonders das Datum; und
die Beſchreibung mehr als Kritik des Schleiermacherſchen Buchs,
welches ich doch ſende. Morgen um 4 reiſt Henſel. Der
Brief und das Buch iſt an die ganze Familie. — Mad. K.
hatte mich zu einer Lektüre einladen laſſen, und ihre Nichte
wollte mich abholen; ich mußte es aber abſchlagen. Nicht nur
weil ich unwohl war, ſondern weil mich Mad. K. noch nicht
beſucht hat; nicht geſchrieben hat, und der junge auteur nicht
ſelbſt gekommen war. Haben einen Leute — Freunde ſind
Gleichgeſinnte — wohlfeil, ſo denken ſie auch gewiß, man
iſt nichts werth; und dies mit Mühe und Komplaiſance zu
erkaufen, wäre zu unkundig. Eine Sévigné, eine du Deffand,
eine Staël, muß man kajoliren; auch wenn ſie nichts geſchrie-
[110] ben hat. Non seulement ma tête, mais mon caractère aussi
est une puissance; je ne m’ennuie pas moi — facilement —,
ce sont d’ordinaire les autres qui m’ennuient.
— Das Gärt-
chen und die Kinder deiner Schweſter, das wär’ was für mich!
Gott ſegne ihr den Frieden, die Ruhe, die Muße! Dir die
Reiſe! und mir die Kriſis! — Du fühlſt wie Flügel meine
Liebe, meine Wünſche! Kannſt dich drin einwicklen! Deine
alte R. Nun lege ich mich hin und leſe Lascaſes. Adieu,
lieber alter Auguſt. — Übereil dich nur aus Liebe nicht mit
Kommen; und laß dich von meiner nicht verführen; ich genire
mich ordentlich in Ausdrücken darum; denn eben wollt’ ich
ſchreiben: wie werd’ ich dich empfangen, da deine liebe Bo-
ten mir ſchon ſo lieb ſind! Deine Beſchreibung Hamburgs
leuchtet mir ein. Ich freue mich, daß du lebendig neues in
dir aufzunehmen haſt. Heine’n viele ſchöne Grüße. Ernſt hat
der nöthig, aber keinen Mund ihn zu verſchlucken.



Seit vier Tagen kann ich erſt in einem geſtalteten Ge-
danken ſagen, worin der Unterſchied des A’s der Italiäner in
der Singelehre, und dem der Deutſchen beſteht, obgleich mir
die Verſchiedenheit ſeit dreißig Jahren gewiß war, aber nur
wie eine Wolke, die nicht zu faſſen iſt in der Sphäre des
Wiſſens, vorwandelte. Der ſelige Muſikdirektor Lehmann,
und ſeine gelungenen Schüler und ſchaffenden Jünger, kön-
nen als Repräſentanten derjenigen Deutſchen gelten, die die
Regel der italiäniſchen Schule ganz mißverſtanden, und die-
ſen Mißverſtand auf’s höchſte ausgebildet haben: und mögen
[111] hier für die, welche ſie kannten, als lebendiges Exempel die-
nen; ſie haben unverſchuldet in hieſiger Stadt — Berlin —
einen großen Irrthum geſtiftet, der in den unerträglichſt alber-
nen Dünkel ausgeartet iſt, und ſtarke Wurzel gefaßt hat.
Ein größerer Theil des Publikums läßt ſich nur aus Man-
gel an geſundem Hören, an Unterſcheiden, mit fortſchleppen;
ohne weiter impertinent zu ſein. Die falſchen Kenner aber
tödten Einen faſt mit ihrem Gänſe-A, und ihrem ſtupiden
Stolz auf dies Gekrächze. „Auf den Vokal A ſoll geſungen
werden,“ heißt’s in der Schule. Das thut der Italiäner,
und meint der Deutſche zu thun. Der Erſte ſingt ein ne-
gatives A, der zweite ein poſitives. Dreißig Jahre wenig-
ſtens wollten mir dieſe zwei kleine Worte nicht hier dienen;
ſo lange konnte ich den ewig gehörten Unterſchied nicht zwiſchen
die Scheere, die hier aus den beiden Worten beſteht, treiben.
Man denke nicht, ſie ſeien geſagt als ein Witz zum Behelf,
weil ich noch nicht klar wiſſe, was ich zu zeigen habe; und
bedenke lieber, daß man es ohnerachtet des Witzes, doch
noch nicht weiß; man wird es aber gleich wiſſen! (Dieſe
Wendung nehme ich hier, weil R. und C. zu anmaßend über
Muſik heute gegen mich ſprachen; ohne im mindeſten etwas
ſagen zu können: und nun ſchreib’ ich meinen guten Gedan-
ken, als ſagte ich ihn ihnen. Schade!) Italiäner — und
alle guten Sänger — ſperren die Kehle auf, als ob ſie A
ſagen wollten, und laſſen ſo ihren Ton gemach hinaus:
deutſche ſchlechte Sänger — nicht italiäniſche ſchlechte —
ſchicken mit dem Ton, den ſie zu ſingen haben, ein wirkliches
A mit aus der Kehle; und nun muß der Quetſchton kommen.
[112] Dieſes iſt das poſitive, jenes das negative A. Die
Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom erſten) die
größte Repräſentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich
vielen andern Eigenſchaften, aus denen ihre Geſangkunſt be-
ſtand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was
unſchuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als
Einfall erſcheint, iſt nicht in vielen Jahren durch ehrliche
ſtrenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geſchieht
ſolchen Gröblingen recht; bei ihnen geht’s nicht ſo zu; und
darum glauben ſie, auch Andre ſprechen um zu frappiren, und
ihrer Seele ſeien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich-
gültig, wie ſie es ſelbſt treiben. Mit ſolchen Leuten ſollte
man nur Scherz treiben, worin ſie ſich wie in große Netze
verwickeln müſſen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich
heute gelernt. —



Wiſſen um unſer Wiſſen iſt Philoſophie. Ergebenheit
und Vorausſetzung, wo wir zu wiſſen aufhören, Religion.
Dies begreift in ſich, was alles nicht Religion iſt, und des
Wiſſens Gränze auf allen ſeinen Punkten; und erſpart viel
Reden. Beim Leſen der Schleiermacher’ſchen Reden über Re-
ligion S. 136. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Be-
ziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.



Bitter und Süß iſt: als ob ſie auf den Gemüthszuſtand
wirkten: Salzig und Sauer, als den Geiſt berührend. Ein
zu
[113] zu bittrer Geſchmack iſt eine wahre Kränkung; lange und
zu ſüß, ein beinah geiſtloſer nicht zu ertragender Affekt, eine
Art gedankenloſes Wohlbefinden durch die Zunge. Sauer
bringt zu Nachdenken; ſchreckt es auf. Salz hat man ſchon
lange zu Geiſt vergleichen; und es belebt auch, macht umſich-
tig, plötzlich. Die Miſchung dieſer viere bringt alle Ge-
ſchmäcke hervor; ſie iſt purer Witz. Mir kommt es vor, jeder
Geſchmack, das zu Schmeckende, iſt bedingt durch die Geſtalt
und Proportion der Theilchen überhaupt, welche die Mate-
rien von ſich laſſen: und man wird Geſchmäcke und Töne
auszählen und mahlen können, und immer mehr nachſpüren
können, wie Gemüth und Geiſt in letzter Thätigkeit nur eine
und dieſelbe That ausüben kann und ausübt; und daß Men-
ſchen überhaupt nur auf zwei Weiſen affizirt werden können.
Wir werden finden, daß der ganze Witz, wie im Kleinen, ſo
auch auf’s Größte angeſehen, nur ein Behelf iſt. Dumme
Leute ſollen aber doch wiſſen, daß er die größte Erdenmitgift
iſt; und daß, wenn ſie keinen haben, ihnen ein unendlich Gro-
ßes fehlt: nämlich die Handhabe zu dem Unendlichen; die er
in unſerer Beſchränktheit darſtellt. —



Kunſt iſt: das mit Talent darſtellen, was ſein könnte,
unſerer beſſeren Einſicht nach. Alſo eigentlich gutes Natur-
gefühl; und Sinn für Wahrheit, in der Ausübung. Dies wird,
wie geheime Kraft in Pflanzen ꝛc., immer walten, hervorbre-
chen, und auch herrſchen; heißt, verwandten Sinn finden, und
erregen. Dieſer iſt in der Maſſe der Leute zu ſehr verbreitet,
III. 8
[114] und hat wohl, als für Theater, jetzt ſcheinbar großen Schutz
von oben: braucht ihn aber um fortzuleben nicht mehr.



Wenn Saint-Martin ſagt, die Seligkeit werde darin
beſtehen, daß wir jeden Augenblick etwas Neues erfahren wer-
den: ſo glaube ich nicht, daß ihn viele Leute verſtehn. Denn
nicht Viele wiſſen, daß wir nichts Abſolutes kennen, und unſre
ganze Thätigkeit nur Variazionen auf ein und daſſelbe Thema
ſind. Wenn wir alſo in jedem Augenblick Urſachen erfahren
könnten, wäre unſer Glück wirklich unendlich, weil es ſich
immer neu ſteigerte; und in Erneuung unſers Selbſt. Der
brillanteſte Gedanke in unſerm Dunkel.



Man darf den Menſchen wie den Fürſten vorſchmeichlen,
wie ſie ſein ſollten; aber nicht wie ſie zu ſein wähnen, noch
ihrem Wahn von dem, was ſein ſoll. Wer dieſen Unterſchied
einmal kennt, wird ſchon wiſſen, welches Schmeichlen niedrig
und falſch iſt, und den Namen als Ekelnamen zu tragen hat:
da Schmeichlen an ſich eine liebliche Sache iſt.


Es muß ein jeder überſchätzt werden, ſonſt wird er gar
nicht geſchätzt: da das Schätzenswerthe von Menſchen und
Natur geheim gehalten wird; wie auch die größten Opfer
nur von dem gewußt werden, der ſie bringt: und ſonſt auch
keine ſind.


[115]

Ich glaube, ein großer Beſtandtheil des Kinderglückes iſt
der, daß ſie ſich kein Lebensbild, auch nur Eines Tag’s, ent-
werfen können: und eine große Hülfe wäre es für Alte, die
Jahres-, Monats- und Tagesbilder fahren zu laſſen, und
nicht zu glauben, wir könnten Lebensſtoff aufſuchen und ihn
uns zum Gebrauche vorlegen. Mir hilft es jetzt gleich zur
Beſinnung, wenn ich jeden Tag, jede Stunde denke: dieſe
Bedingungen ſind dir als Stoff gegeben; ſieh, was du daraus
arbeiten kannſt: und friſch, fleißig, thätig, arbeitsluſtig! Und
reißt man dir halbes Werk aus den Händen; der verliehene Tag,
die Stunde will es ſo; Beſitz giebt es nicht; das Wirken, das
Werk, das iſt uns zugetheilt. Man iſt ſehr verwöhnt, und
falſch erzogen; ich muß mir’s ſpät anders einlernen; aber es
hilft ſehr. —



Dieſe vorangegangenen drei Betrachtungen ſchrieb ich ge-
ſtern, Dienstag den 19. Auguſt 1823. Heute las ich im Kunſt-
blatte Frau von Helvig’s Beurtheilung der Wach’ſchen Bilder:
und fand gleich die volle Anwendung von dem, was ich über
Schmeichelei aufgezeichnet hatte. — Aus dieſem Punkt her,
und nach dieſer Richtung hin, darf man nicht ſtreichlen.
Und nicht nur, leider! daß derlei Schmeichelei nur allein wirkt,
und dies, wieder leider! nicht nur allgemein, ſondern auch
gemein iſt; ſondern auch, zum drittenmal leider! daß die
Schmeichler, die doch die Chorführer dieſer ganzen Heerde
ſind, und klüger ſein müßten, als die Geſchmeichelten und die
zu Schmeichlenden, noch immer nicht beſſer zu führen verſtehen!


8 *
[116]

Ganz in der Art dieſer zu verwerfenden Schmeichelei
ſcheint es mir, wenn eine Frau, îndem ſie ſchreibt, für den
Druck ſchreibt — alſo dann gewiß etwas Gedachtes aufzu-
zeichnen meint — ſich noch immer als ganz untergeordnet ge-
gen einen Mann oder gegen Männer ſtellt und verſtellt; und
bei ihrem Schreiben zu erwähnen ſucht, als halte ſie ſich für
einen liebenswürdigen, wegen doch nun Einmal unzufürchten-
der Schwäche zu duldenden, Uſurpator! Nicht ihre furchtſa-
men Reverenzen, das Fach, worin ſie ſchreibt, wird ſie ſchon
in die weiblichen Reihen ſtellen: es wird die allermeiſte Zeit
keines ſein, wo Univerſität und Studium dazu gehört. Hätte
aber Einmal ein Weib das Glück, bei allem andern, was ihr
vorbehalten iſt, von dieſen genährt und gepflegt worden zu
ſein, und den Geiſt und die Gaben, mit denen das Studium
allein Früchte trägt; und ſie brächte ſie wirklich auf den Markt
der Wiſſenſchaften: was ſollen wohl die langen ſeichten Ent-
ſchuldigungen, bei dem geiſtigſten, unpartheiiſchten Verkehr
und Austauſch, und altfränkiſche Koketterie? Oder ſoll eine
Frau läppiſch bleiben? Unter allen Bedingungen? So ſag’
ich mit Friedrich Schlegel, die Männer ſind eben ſo lange
roh. „So lange die Männer roh bleiben, ſagt er, müſſen
die Weiber kokett ſein.“ —


An Friedrich Auguſt Wolf.



Die unſchuldige, ſich in den Winter fügende Deutſchwalds-
beere, von uns Preißel genannt, die ſich Ihres Beifalls rüh-
[117] men kann, erlaub’ ich mir Ihnen zu Füßen zu legen, mit der
Bitte, ſie auch da, nämlich im Keller — oder ſonſt einem küh-
len Ort — bis Sie ſie an Ihren Tiſch nöthigen, laſſen zu
wollen! Sie iſt ſehr ſchön eingemacht; und gerne rühme ich
mich deſſen, ſeit unſerm geſtrigen Geſpräch: weil ich dieſen
Prozeß von einer Dame lernte, die in Muſik, in Engliſch und
Italiäniſch, Unterricht giebt; Deutſch und Franzöſiſch wie wir
und Franzoſen ſpricht und ſchreibt; die ſchönſten weiblichen
Arbeiten macht; eine vollkommene Köchin und Einmacherin iſt;
luſtig und verſtändig obenein. So wünſchen Sie ja die Mäd-
chen. Ich ſuche ihr alſo abzulernen. Nehmen Sie meine Drei-
ſtigkeit wegen ihrem Grund, des beſten Willens, daß Sie ein
wenig Sommer im Winter haben mögen, gütig auf!


Ihre ergebene Fr. V.



Mittag, bei großer heller Hitze.


Es iſt ein krankhafter, ſchwächlicher Geiſtes- und Karakter-
zuſtand, auf Lob, und nicht auf Inhalt des Lobes zu hal-
ten. Das thun die Menſchen, die auch von dem Lobe ge-
ſchmeichelt ſind, das ihnen von ſolchen Leuten, die ſie ver-
achten, gezollt wird; von Lob über Eigenſchaften, die ſie über-
zeugt ſind nicht zu beſitzen, oder die ſie ſelbſt verachten. —



„Geiſt haben“ kann doch nur bedeuten: unſern Verſtand
nicht nur auf nöthige und nächſte Dinge richten, ſondern den
Trieb, ihn dieſe immer von neuem auf entferntere wirken, und
[118] immer neue Vergleiche und Kombinationen machen zu laſſen.
Unſer Gemüthszuſtand giebt auch unſerm Verſtändniß neue
Aufträge; und es iſt nicht unrichtig Geiſt zu lieben, unab-
hängig von der Unterhaltung — im höchſten Sinne — die
er uns gewährt. „Leidenſchaft macht witzig,“ iſt eine alte
Bemerkung; daß aber Leidenſchaften durchaus mit Vernunft
verſetzt ſind, und nur in Vernunftbegabten entſtehen können,
iſt nicht ſo bekannt. Beweislich angeführt — iſt Frau von
Staël darüber, in ihrem Buche sur les passions, gar nicht
klar, und eben dies von Vielen bewundert. Verſtand haben
die allermeiſten Menſchen, ſie gebrauchen ihn nur ſo verſchie-
den; Unſchuld und guter Wille machen ausgezeichnete gute
Menſchen; alle Tage muß ich mich darin mehr beſtärken:
rechts und links drängt es ſich auf. Auch muß man gleich
verſtummen, wo der fehlt: da die letzte raison, die Kanonen,
nur zum größten Umgang vorhanden ſind: der geſellige iſt
durchaus den Unwürdigen, und dem Unwürdigſten überlaſſen.


Mit Unrecht bin ich verſtutzt, und wundert man ſich im-
mer von neuem darüber, daß in Gaben untergeordnete Men-
ſchen Begabte haſſen und denigriren: dies geſchieht aus dem
gerechteſten, aber unverſtändigen Neid. Weil ſie gar nicht
zu begreifen vermögen, warum denen Auszeichnung, Lob, Be-
achtung, und manches Wünſchenswerthe begegnet, und nicht
ihnen: ſie müſſen es für offenbare Willkür, Eigenſinn, blin-
des Glück halten, welches die Begünſtigten nur immer kühner,
ſeltſamer, ausgelaſſener, ſelbſtzufriedener macht; da ſie un-
fähig ſind, ſich einen geiſtvollen Zuſtand zu denken, noch
[119] Geiſtbegabten zu den Gegenſtänden je folgen können, die der
Geiſt ſich auswählt, für wichtig erachtet, liebt oder haßt.
Dies Gebiet iſt den Unbegabten rein verſchloſſen; und ſie mei-
nen zu thun wie die Andern, aber ohne Dank.


Tugend muß Unſchuld ſein: ſonſt ſind wir ein Schlacht-
feld. Viele Leute wollen nur auf einem Schlachtfeld ruhen.
Dabei fällt mir ein, was Goethe (vor fünf und zwanzig Jah-
ren) in Karlsbad ſagte: „Beſſer das ſchlechteſte Theater, als
die ſchönſte Langeweile!“ So die Tugendprätendenten: Ge-
tümmel für’s erſte! Und ſchlechter Stolz!


„Illuſion iſt Gnade.“ —


Wie paradox! —


„Nur was iſt, iſt Gott; alles was geſchieht, Illuſion;
und Illuſion iſt Gnade. Verliehenes.“




Bei Leſung des Buchs: „Goethe in den Zeugniſſen der
Mitlebenden.“ Wie ſchön iſt es, daß ſich in den Tagen um
Goethe’s Geburtstag her eine ganze leſende Welt mit ihm be-
ſchäftigt; über ſeine Werke zu denken angeregt wird; ſie wohl
nachlieſt; über ihn denkt und grübelt; von neuem erfährt,
oder erinnert wird, was alles über ihn geſagt iſt: und wir ſo
zu einer Gemüths- und Geiſtesſchau über uns ſelbſt veran-
laßt ſind: eine Art vielfältiger Beichte, und Unterſuchung da-
zu: und gewiß Antrieb neuer Liebe und verſtärkter Verehrung.
[120] Ich bin recht dankbar für das Buch; mich freut’s und unter-
richtet’s. Nur nachzuleſen, was Fichte geſchrieben hat, iſt
höchſter Gewinn; ein Quell neuer Verehrung der höchſten Bil-
dung, der vollendetſten Kritik, die wie beiläufig ihre Sprache
bis zu Sternenglanz erleuchtet und verſchönt, der wiederum
die billigſte, gerechteſte Seele hell beſcheint; in hellem Lichte
zeigt. Ein kleiner Abſchatten des Elyſiums, wo Menſchen-
ſöhne ſich verehren, verſtehen, verehrungswürdig ſind, ſich
freuen, Andere ſo zu finden, und es herrlich ausdrücken. —


An Auguſte Brede, in Stuttgart.



Kälteſter Nordweſtwind, bezogner Himmel; manchmal Son-
nenblicke. Nach unendlicher Hitze; zum Schaden der
Menſchen.


Hier, mein theures Auguſtchen, der verlangte Taufſchein!
Lange hat die Beſorgung gedauert! Mündlich könnte ich
mich entſchuldigen. Auch hätte ich ihn gewiß früher beſorgt,
hätte ich irgend gedacht, Sie brauchten ihn wirklich. Verhei-
rathen werden Sie ſich wohl nicht — weil ich es nicht leide
— und ſollten Sie eine Erbſchaft heben, ſo hätten Sie mir
befohlen ich ſoll ihn ſchicken. Bei jedem Wagen dacht’ ich,
Sie müßten es ſein: bis Ihr Brief aus Leipzig ankam. Oft
iſt mir ſchon unendlich Angenehmes begegnet — wiſſen Sie
noch, wie wir uns im goldnen Kreuz zu Karlsruhe trafen? —
aber erwarten muß man nichts: weil wir noch immer nicht
Einſicht genug haben, um zu ſehen, wie die Dinge kommen
[121] müſſen. Voltaire’s: „le vraisemblable n’arrive jamais.” Aber
ich ſage es falſch; er hat es unendlich geiſtreicher ausgedrückt.
Dennoch denk’ ich wieder, Sie könnten noch ankommen: und
bis Sie mir abſchreiben, hoffe ich’s von Zeit zu Zeit. Meine
Schweſter iſt ſeit dem 29. Juli hier, und reiſt den 26. dieſes.
Ich war ſehr beglückt ſie hier zu ſehen: und erzähle Ihnen
den Reſt wohl mündlich. Ein Reſt bleibt immer. Was geht
wohl grad’ auf. Sagen ja Prieſter und Philoſophen, man
ſei aus Irrthum und Fehltritt hier. Daß wir nur wenig und
Schattenhaftes wiſſen, haben, thun, ſehen, erfahren, muß je-
der wahrnehmen, der ſich nur im geringſten mit den Dingen
mehr als zum gewöhnlichſten Gebrauch abgiebt. Alles was
Sie mir von Ihrem Ort ſchreiben, ſehe ich, wie die Herzogin
von Parma in Brüſſel König Philipps Hof und Kabinet ſo
deutlich wie auf ihren Tapeten ſah. „Kunſt iſt, das mit Ta-
lent darſtellen, was ſein könnte, unſerer beſſeren Einſicht nach.
Alſo eigentlich gutes Naturgefühl; und Sinn für Wahrheit
in der Ausübung. Dies wird wie geheime Kraft in Pflan-
zen ꝛc. immer walten, hervorbrechen, und auch herrſchen: heißt,
verwandten Sinn finden, und anregen. Dieſer iſt in der Maſſe
der Leute zu ſehr verbreitet, und hat wohl, als Theater, jetzt
ſcheinbar großen Schutz von oben; braucht ihn aber um fort-
zuleben nicht mehr.“ Horchen Sie alſo nach Ihrem eigenen
Talent, und Ihrem Sinn für Ihre Kunſt hin; arbeiten Sie
nach dem: und Sie werden außen gefallen: nöthig und ge-
ſucht ſein. Hätte ich ein Talent und wäre auf der Bühne,
ich würde der entgegengeſetzten Richtung und Regel der jetzi-
gen Schule folgen. Ich würde mich bemühen, in verſchieden-
[122] ſten Fächern zu ſpielen: was mit Talent, Einſicht, Grazie,
Geſchicklichkeit und Geübtheit dargeſtellt wird, iſt ſchön. Es
iſt ein Irrthum, wenn wir uns einbilden, wir hätten klaſſiſche
Stücke wie die Franzoſen; und könnten die ein halbes oder
ganzes Jahrhundert hintereinander ſpielen ſehen. Uns fehlt
ein Nationalhof und König; das daher ſich ſchreibende Vor-
urtheil, und feſtſtehende Sitte und Meinung; und wir können
auch keine Schauſpieler gebrauchen, und ertragen, die nur
zehn, acht Rollen bis zu ihrem ſiebzigſten Jahre ſpielen. Es
iſt alſo gerathener, und ſchöner, wir folgen darin unſerer wirk-
lichen Nationalität: die im Suchen, Finden, Verſuchen, und
ſchreitender Ausbildung beſteht; und laſſen auch unſern Schau-
ſpielern die Freiheit ſich in mehreren Fächern zu bewegen,
und zu zeigen. Die Schröder iſt gewiß eine Große. Und
auch der würd’ ich daſſelbe rathen. Was würde es ihr ſcha-
den, Alte, ja Komiſche zu ſpielen, wenn ſie wie ein Gott nach-
her Medea, Merope, Chawansky u. ſ. w. ſpielt! That es
nicht Fleck? die Bethmann? das müßte ein ſauberes Publi-
kum ſein, welches ſich andere Rollen bei dieſen denken wollte:
ſolches muß endlich als Ausſchuß behandelt werden: und wird
ſich bald ſchämen lernen. Oder tadelt man nicht jetzt auch
die Schröder und alle Großen und Guten auf andere Weiſe?
Man will ſie ja nicht immer in den paar Rollen ſehen, wie
ſie’s nennen. Und doch ſich dabei einbilden, man habe ein
Hoftheater wie bei Racine unter Ludwig XIV. nöthig, und
wünſche es; mit großen nichten: man hielte es nicht aus.
Alſo müſſen unſre Talente zuerſt den Irrthum brechen, und
gemeinen Tadel überwinden. Spielen Sie alles unter-
[123] einander; Alt, Jung, Großes, Komiſches: und Sie werden
ſehen, daß der Deutſche das eigentlich braucht und will: und
das Anno 1823. Wenn er ſich auch noch ſo geleckt ſtellt und
vermeint. Dann werden Sie ſich kräftig und lebendig füh-
len; und Schutz erzwingen: auf den und Gunſt und Aner-
kennung muß man ohnehin nie warten: die kommen immer
zu ſpät. Bei ihnen iſt ſelten der Geiſt. Der geht von Phi-
loſophen und Künſtlern aus; die immer litten: es iſt meiſt
Maske, und Selbſtbetrug, wenn man ſie ſchützt und pronirt:
und beinah nie ſchätzt man das Rechte, Ächte an ihnen, bis
ſie todt, oder ihre Talente es ſchon ſind. Kurz, bis es vorbei
iſt, was ſie leiſteten, und nur als Vorurtheil noch lebt. Er-
mannen Sie ſich; und ſein Sie luſtig mit Ihren Gaben bis
an’s Ende! Sonſt bekümmerte ſich niemand um’s Theater,
als die, welche eben zuhörten, und es ging um ſo beſſer. Hö-
ren Sie nach oben, und nach den Kritiken auf Papier und
am Theetiſch gar nicht hin. — Am liebſten, theure Auguſte,
ſähe ich Sie ohne Rollen frei in Berlin! Aber in jedem Fall
mit erfreutem Herzen. Vielleicht kommen Sie noch! Ich um-
arme Sie von ganzer treuer Seele! Juni, Juli war ich ſehr
krank; Auguſt ging es beſſer, jetzt will es der plötzlichen Kälte
gemuthen mich zu ſchüttlen; noch ſtehe ich aber gut. Ich
war dieſen Sommer nicht weg. Reiſen müſſen accurat ſein
wie ich ſie will, wenn ich ſie nicht gemacht zu haben regretti-
ren ſoll. Doch bin ich noch mobil. Fürchten Sie nichts. Le-
ben Sie wohl und antworten Sie mit Hrn. von Wagner!
— ein artiger kluger Menſch, den wir viel ſehen! Empfehlen
Sie mich der Mad. Huber beſtens! und Mama!

Ihre R.


[124]

An Varnhagen, in Berlin.



In einem ſehr ſtillen aufgeräumten Zimmer. — Nie noch
wohl that ich von ungefähr etwas Zweckmäßigeres auch in
ſeiner Wirkung, als hieher gekommen zu ſein. Eine richtigere
Ahndung hatte ich wohl noch nie. Nichts konnte ſo gene-
ſen machen, als meine Ankunft: weil die Kranke hier wohl
keinen kennt, der ſie ſo liebt, den ſie ſo leiden mag, und der
mit ſo vieler Autorität und derſelben Nachſicht, Zärtlichkeit
und Einſicht ſie zu behandlen verſteht. Sie ſagt es öfters
ganz von ſelbſt. — Equilibre durch Ruhe, Ordnung, Stille,
und Vermeidung der Anſtrengung und Reize, thut das Beſte.
Und das ſehr bald; mit Siebenmeilenſtieflen; wenn man nur
nicht gleich damit rennt! Denſelben Tag, als ich ankam,
hatte ſie eben — erzählte ſie mir frei vor Allen — zur Kin-
derfrau konfidirt: „Ach! wenn man gar keine Verwandte in
einem Ort hat, kann man nicht beſſer werden: wenn Fr. von
Varnhagen hier wäre! die nähme mir den Knaben ab, und
alles!“ Und ein paar Stunden drauf komme ich wirklich!
Solcher Zauber gelingt ſelten! —


Ich ging an der Oder, dem Löwen vorbei, den Weg nach
Kunersdorf — der Weg nach Breslau —, alle Menſchen gin-
gen hin nach Kunersdorf, da Kirmeß; welches ich alles nicht
wußte, ich lief nur der Oder nach: und alle Menſchen kamen
mir entgegen vom Schießhauſe; lauter Knaben von eilf bis
fünfzehn, ſechszehn Jahren, mit Stolz und Befriedigung der
[125] Väter Flinten tragend, und halbe Stunden vorausſchreitend.
Erſt fürchtete ich mich vor den Flinten — Losgehen — und
begriff es nicht. Aber redender erfuhr ich alles: Damen, Kna-
ben, Frauen, junge Mädels, alles wurde angeredet; ſehr gerne
antworten ſie hier, mit einer Art freudigem Stolz höflich ge-
fragt zu werden. Große Spazirgänger ſind ſie hier. Mir
gefiel die Brücke, die Ausſicht, der Abend: ein grauer, mit
rothdurchſchoſſenen Wolken. Um 4 Uhr ging ich; dachte an
dich; und immerweg, wie du da mitgingeſt, — und was du
wohl thuſt. — Alles in deinen Briefen goutirte ich: nichts,
kein Scherz, keine Liebe, keine Mühe iſt verloren, alles einge-
pflanzt im Herzen, zur erſten Frühlingsſonne! — Eine vor-
treffliche Promenade habe ich durch die Stadt gemacht, die
wahrlich eine der hübſcheſten Provinzſtädte iſt; reinlich, tüch-
tig; ſicher, frei; herrliche Häuſer: und ein Spazirgang, wie
ihn wenige größere Orte aufzuweiſen haben: einen Park und
eine Linden in der Stadt. So heißen die Orte: ich verſtarrte
ganz. Ich war mit Doren allein. Mein Vergnügen. Alle
gute Bürger fahren ſpaziren, wie in Berlin. Die Stadt würde
dich ſehr freuen und erſtaunen, wie mich. —


— Ich leſe alſo Walter Scott. Bin im zweiten Theil,
und es geht mir in dieſem Buche, wie in ſeinen andern.
Große Ungeduld; wenn auch etwas Neugierde, von einer Art
Intereſſe erregt, ſo viel zuwege bringt, daß ich das Buch in
die Hand nehme. Welch ein Unterſchied! Peſtalozzi ſchildert
auch in Lienhard und Gertrud niedrige Zuſtände, Umſtände,
und niedrige Menſchen; und überhaupt Geringes, wenn man
will. Aber aus welchem Herzenspunkt, aus welcher Veranlaſ-
[126] ſung geht der aus! Nach welcher großen Menſchenangelegen-
heit ſtrebt und zielt der auf reinem Wege unaufhaltſam hin!
Auch er führt uns durch accentuirte, ſcharf gezeichnete Details,
ohne unnütz zu werden und ſich daher in’s Langweilige zu
verlieren: im genaueſten Sinne des Worts, verlieren. Nicht
als Meiſter, überläßt es Walter Scott dem Leſer, noch ſeine
beſſere Beabſichtigung feſt zu halten. Er ſchildert Winkel,
anſtatt die Welt. Es iſt wahr: daß wer einen Winkel ab-
ſolut kennte, begriffe und ſchildern könnte, der würde der ſein,
der die Natur verſtände wie ſie lebt und iſt; aber den Zuſam-
menhang dieſes Winkels mit ihr, darf er nicht aus den Augen
verlieren und ihn verbauen: mit je mehr Talent dieſe Verein-
zelung ausgeführt wird, je peinlicher wird ſie: und Walter
Scott peinigt mich. Er wird es mir verzeihen; da er ſo ſehr,
ſo Vielen gefällt, die Einen Geſchmack mit ihm haben, und
ihm daher lieber ſein müſſen. —


An Roſe, im Haag.



Sonnabend Vormittag 11 Uhr. Windig- ko-
thig Wetter, welches manchmal hell werden
will: auch die Sonne zeigte ſich Einmal.


— — Es freut mich nicht wenig, daß du wohl biſt, und
die Reiſe gut überſtanden haſt! Mich ſchlug ein einziger Vor-
mittag-Nebel zu Grunde. Ach! du kennſt meine Geſundheit
nicht! Grad zwei Monat im ganzen Jahr war ich ziemlich.
Nun! auch ein Glück. Die Stadt erwartet Feſte und Auf-
[127] züge mit unſerer neuen Prinzeß. Davon werden dir wohl die
Andern berichten: ich werde das alles zu Hauſe abwarten.
Die ſchöne liebe Prinzeß kenne ich ſchon, und werde ſie ſchon
noch ohne Zug und Wind ſehn. Einzüge ſah ich bei der Kö-
nigin, Prinzeß Louis und Prinzeß Wilhelm. Man muß An-
dern den Platz laſſen! — Ich bin ſehr betrübt, theure Roſe,
daß du Freunde durch den Tod verloren haſt; und durch den
halben Tod, durch Entfernung. Man bekommt ſie nicht ſo
ſchnell wieder; d. h. ſo leicht, wenn man über fünfzehn Jahr
hinaus iſt; oder vielmehr nur zu leicht, weil man nicht mehr
glaubt, einen Schatz für’s Leben zu finden. — Auch ich habe
eine Freundin verloren, und du wirſt vielleicht verwundert ſein,
wenn ich dir ſage, daß es die Prinzeſſin Amélie von Baden
iſt, von der ich dir vielleicht niemals geredet habe! — Eine
in vielem Betracht ſehr ausgezeichnete Perſon; ein tiefes Ge-
müth; eine Beſcheidenheit, die ihr Schaden that; ſehr unter-
richtet; ein frommes Herz; ein heller Geiſt; und ein unerſchöpf-
liches Verlangen zu wiſſen; ſehr wenige und nur liebenswürdige
Vorurtheile; immer bereit, ſich durch neue Unterſuchung zu
läutern; der Freundſchaft fähig; ſie habend und aufſuchend
in jedem Stande; gütig gegen ihre Dienerſchaft; ein Schatz
und ein Troſt für ihre Familie, beſonders ihrer Mutter und
ihrer Schweſter der Kaiſerin Eliſabeth innig ergeben. Ich ſah
ſie viel in Karlsruhe; und jetzt, da ich ſie unwiderruflich ver-
loren habe, fühl’ ich doppelt, was ſie geweſen iſt! —


[128]

An M. Th. Robert.



Am liebſten läſe ich mit dem Verfaſſer — wie bei jedem
Buche — die bewußten Briefe. Weil kleine Einwürfe oft ein
großer Damm ſind; und, hat man die nicht gemacht, der
Strom des Autors hinführt wo er eben will. Selbſt aber vom
Strom richtig nach des Verfaſſers Schlußmeinung geführt,
muß ich über die Gegenſtände, die er erörtert, das ſehen, vor-
finden, und wieder denken, welches mir Einer abnöthigen
würde, wenn er auch, und auch mit Gründen, das Gegentheil
behauptet hätte. Daß nämlich die zu machenden Einrichtun-
gen eines Staatswirthſchafters tiefer zu ſuchen ſind, als in
ſeinen ökonomiſchen Zuſtänden: zu welcher Tiefe der Verfaſſer
der Briefe auch richtig gelangt. Er ſpricht von der Perfekti-
bilität des menſchlichen Geiſtes; und von der ſeines Wohlle-
bens; welches ſich alle Wirthſchafter und Regierer müſſen ge-
fallen laſſen, wenn ſie nicht einſichtig genug ſind, von Hauſe
aus grad danach zu handlen. Man iſt nicht fromm, wenn
man dieſe Perfektibilität nicht einſieht; und weiß nicht, was
fromm iſt, wenn man dieſe Einſicht nicht für Frommheit hält.


Der Grund aller Wirthſchaft iſt: bedürfen, und haben.
Geld: ein Zeichen des Beſitzes, den wir nicht unmittelbar ver-
zehren müſſen. Haben wir nun zu viel Geld, ſo iſt das nur
ſcheinbar, und augenblicklich; da kein Land alles hat, was
es verbraucht, und es ſich alſo für Geld ſolches kann kommen
laſſen. Hat es zu viel Produkte, ſo kann es ſie verführen;
wollen
[129] wollen ſie die andern nicht, ſie nicht produziren, oder verder-
ben laſſen. Immer aber werden ſich dieſe ökonomiſchen Klem-
mungen bis zur fremden Gränze des Landes und zu des Nach-
barlandes Einrichtungen und Zuſtänden hinführen laſſen. Es
wird ein ewiges Laviren bleiben, und nichts Beſtimmtes im
Wirthſchaften feſtgeſetzt werden können. Will man aber etwas
feſt beſtimmen, ſo wird man zu Fichte’s verſchrienem „ge-
ſchloſſenen Handelsſtaat“ anlangen. Da ſolcher Staat nun
meines Bedünkens nur der Erdball iſt; und dieſer nur, weil
keine Schiffe und keine Straße zu andern Erdbällen führen;
ſo wird man nur nach den Bewegungen und Maßreglen der
andern Staaten wirthſchaften können, ohne nach den feſtzu-
ſetzenden Grundſätzen handlen zu können. Dieſe Grundſätze
aber, die auf Beſchaffenheiten beruhen, wie der Briefſteller
bemerkt, werden ſich trotz alles nicht gründlichen Verfahrens
Platz machen: und Friede wird, und muß eines ihrer Ergeb-
niſſe ſein, wie Vervollkommnung des Lebens, und größere
Klarheit der Sittlichkeit. Hierin bin ich ganz eins mit dem
Briefſteller. —



Es iſt dumm und ehrwürdig von mir, daß ich mit allen
Menſchen gründlich ſpreche. Ich ſehe es ein.


Die arbeitende Klaſſe iſt größer, als man denkt. Pflicht-
mäßig wollen ſie handeln (aber es muß ihnen ſehr ſauer wer-
den: und eine Art Feiertags-Akt ſein — das kann man nicht
täglich! —), pflichtmäßig, aber nicht ſchön.


III. 9
[130]

Vom körperlichen Tanz weiß man ſchon etwas: ſo ar-
beitslos nach ſchönſter Muſik will die Seele ſich bewegen;
von ihr lernen wir den Tanz. Muſik iſt Geiſtes- und Em-
pfindungsfreiheit. Melodie, unſre Empfindungsfähigkeit ohne
zwingende Beziehung nach eigner Luſt und Wahl bewegt.
Harmonie, fertige Rechnungsreſultate, unſerm Geiſt durch’s
Ohr zur genießenden Schau geliefert. — Welche Geiſtes- und
Seelenzuſtände der Vergangenheit, dem jetzigen Gedächtniß
entſchwunden, ſetzt dies voraus! Darum liebt der Menſch
Muſik. Je höher und reiner ſie iſt, je weniger liegen unſere
Zuſtände auf ihr: — oft muß ſie unſere mittragen; alle Lei-
den und Leidenſchaften — je weniger Publikum hat ſie dann:
und noch Einmal ſei es geſagt, „une pipe de tabac” und
jedes Lied, was zu gemeinern Zuſtänden paßt, wird Volkslied.
Vor der Hand.



Es kann nichts helfen ein großes Schickſal zu haben;
wenn man nicht weiß, das man eines hat. Es hat ein jeder
ein großes Schickſal, der da weiß, was er für eines hat.


An Friedrich Auguſt Wolf.



Die geflügelten Boten, die Sie ſo gütig waren mir zu
ſenden, können Sie zu wahren Liebestäubchen umwandlen,
wenn ſie uns die Freude machen wollen, guter Herr Geheime-
[131] rath, dieſen Abend bei uns zuzubringen! Punkto 7 ſoll Thee
kommen, und alles was folgt will ich ſo beſchleunigen, daß
Sie um halb 11 Uhr ſchon mit allen Sorten von Geiſt, und
ſtillen Geiſtern bei ſich ſollen konverſiren können.


Führen Sie den Zauberſtreich aus, aus Faſanen Tauben
zu machen: zum Lohn ſoll Ihnen der umgekehrte Schlag zu
Gebote ſtehn! Ergebenſt

Fr. V.


(Mündlich.)


„Der junge Graf X. iſt ganz unzufrieden gegen die Welt
geſtellt. Er fühlt überall höchſt unbequem das Bornirte, und
daß es in ihm liegt, weiß er noch nicht.“




Die Seele erſetzt gleich wieder, wie an Wurzeln; ſobald
ſie aus ihren Tiefen das Geheimſte an’s Tageslicht geſagt
hat, ſo bilden ſich gleich wieder in ihrem Grund neue Geheim-
niſſe. Der Vergleich iſt ganz richtig, und läßt ſich weiter
führen. Daher hat man wohl mit Unrecht die Scheu Lang-
verſchwiegenes, erſt ſpät und heimlich Fertiggewordenes mit-
zutheilen; fühlt man nur Boden und Sonne; behalten wir
nur Herz und Geiſt!



Sehr ſchwer iſt es über einen Irrthum zu ſprechen; bei-
nah gar nicht! Jeder Irrthum ſetzt viele andere voraus, und
hat Nachkommenſchaft; und allermeiſt geräth man auch im
9 *
[132] Verfolg eines einzigen auf immer neue, man müßte denn mit
einem gerechten Gegner bis zu einer von den Grundwahr-
heiten kommen können, die eine ganze Legion ſolcher Irr-
thumsanſchößlinge mit ihrem Erdreich aufhöben, und ſo die
ſchwachen Wurzeln der Dörre übergeben. Mit wie wenigen
Menſchen dies möglich iſt, wiſſen dieſe wenigen. Alſo muß
man ſchweigen, grade wo recht viel zu reden wäre; weil man
in Gegenwart der Meiſten allein iſt; je plumper aber Einer
iſt, jemehr er Abgetragenes, Hergebrachtes, rein Verbrauchtes,
nicht mehr Paſſendes zu Markte bringt, je breiter legt er’s
aus, und je reicher hält er ſich. Es gehört noch ein beſon-
ders Genie dazu, das Geniale an Mann zu bringen; dieſes
hatte Mirabeau. Solche Leute müſſen ſich aber zuerſt mit
ihren Nächſten brouilliren; auch das geſchah Mirabeau’n.
Es wäre Moliere’n, es wäre Lafontaine’n geſchehen, hätten
ſie nicht Komödien und Fabeln geſchrieben, hätten ſie ihre
Werke leben wollen. Große Litteratoren brouilliren ſich immer
mit ihren Zeitgenoſſen. Die Menge iſt geneigter, Bilder in
ſich aufzunehmen, als Gedanken; die oft inſofern Zerſtörendes
in ſich tragen, als ſie ſo vieles Falſchgeſtellte umſtoßen; das
iſt unbequem, weil es mühſam iſt, und wir für’s erſte dabei
etwas einbüßen. So laſſen ſie ſich lieber die ungereimteſten
Geſchichten gefallen, als ſich den beſten Beweis demonſtriren.
Alſo ſtellt ſich die Menge gleich feindlich gegen neue Beweiſe,
und der Beweiſer muß ein Krieger werden, und ſehr verſchie-
dene Talente in ſich vereinigen, z. B. die tiefſte Ruhe des
Denkens, und dann wieder die immer rege Laune des An-
greifens, die Geduld und Wachſamkeit des Vertheidigens, die
[133] Standhaftigkeit gegen Überdruß, Langeweile, und Ekel vor
Liſt, Stupidität, Dünkel, und Fliegen-Beharrlichkeit. Wieder
Mirabeau’s Gabe!



Wir haſſen eigentlich alles in einem Karakter, was wir
nicht verſtehn; und das Unſittliche iſt auch eigentlich unver-
ſtändlich. Es iſt nicht zu verſtehn, warum ein Menſch dem
andern unangenehme Empfindungen machen will: da er durch-
aus für ſich angenehme verlangen muß. Will Einer dem An-
dern Gutes zufügen, ſo iſt das immer ganz verſtändlich: er
will das für den Andern, was er für ſich will. Bosheit, die
nicht Rache iſt — dieſe ſtammt von Gerechtigkeit — iſt kom-
plet unverſtändlich.



Durch Rouſſeau’s Emile erfährt man, wie eine ganze
Welt dazu eingerichtet ſein müßte, um ein Kind zu einem —
in allem Sinn — geſunden Menſchen zu erziehn; wie weit
wir aber von dieſer Bedingung ſind, und alſo nur ſehr ſtück-
weiſe und wenig in Erziehung auszurichten vermögen.


Fichte zeigt uns in ſeinem geſchloſſenen Handelsſtaat,
eben ſo, durch eine nicht zu erfüllende Bedingung, was für
einen Staat zu thun wäre, könnte man alle andere mit
einrichten oder abſchließen. Großer Beweis von Konſequenz
in den beiden Büchern! ſie ſind beide bis zu dem erſt zu be-
ſeitigenden Punkt gekommen. Und es wird geirrt, wenn man
[134] den Autoren nicht dankt, und ſie durch die Darlegung des
Unmöglichen, das ſie klar gemacht haben, zu widerlegen meint.



Ich habe mich heut recht geſchämt, als ich es mit einem-
male einſah, daß die meiſten Menſchen, wie „all die andern
Thiere der Erde, wandeln und weiden im dunklen Genuß.“
Ohne einen Gedanken an höhere Möglichkeit; ohne Ehrfurcht
vor Erſchaffenem, und ohne wahre Ergebung in Unverſtänd-
liches, wahrhaft Unendliches. Ohne Herz für Geſchöpfe; ohne
Freud’ und Leid eigentlich; weder verabſcheuend, noch ent-
zückt. Wahrhaft nur den Schritt vor ſich wandelnd, und
weidegierig, und weideberuhigt; und beglückt, je nachdem Kü-
chenweide und Zimmerweide. Dürftig, oſtentativ; kalt, kalt!
dünkelvoll. Zum Todtſchämen, wenn man ſich ein wenig beſ-
ſer finden muß.


Wenn wir nur wiſſen, wie eingeſchränkt wir auf der Erde
ſind! Deſſen müſſen wir uns in allen Stücken im-
mer wieder erinnern
.


Ein Stein kann eine Geſchichte haben, aber nur eine Krea-
tur mit Bewußtſein ein Schickſal. Die meiſten Menſchen ha-
ben nur eine Geſchichte.


Was uns geſchieht, im Gegenſatz betrachtet von dem, was
wir thun können, iſt wieder nur geiſtige Thätigkeit; und den
Theil, den wir als nicht unſerer That anheimfallend in un-
ſerm Erlebten anſehen, nennen wir Schickſal. In einem hö-
hern Sinn müſſen wir uns dem ganz entziehen können. Für
[135] die Betrachtung iſt es beinah ſchon ſo. Und da tritt wieder
Goethens: „Iſt es nicht ſonderbar, daß uns nicht allein das
Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“
ein. Dieſer Knoten bedingt all unſer Leben: folglich, das be-
liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir dieſen Knoten
auflöſen, ſo wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir
leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies ſind
Gebete; dieſe ſind aber nur Aufflüge — élans —, die Erde
grünt, wir ſtehen darauf, die Sonne ſcheint: wir haben ſie
und nichts gemacht: und ſie genießen und betrachten iſt ein
anderes Beten. Alles iſt recht, wenn man nur ehrlich iſt; und
ſich Verwirrung abwehrt. Dieſe Stelle aus Jean Pauls Titan
hat mich ſehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“ — er hatte
ſie benannt, ſie waren tiefer als groß — „ſchlagen unter ge-
bildeten Menſchen nie zu offenen Fehden aus: aber ſie legen
heimlich dem inneren Menſchen ein Waffenſtück nach dem an-
dern an, bis er hartgepanzert daſteht und losſchlägt.“ Daß
er hartgepanzert mit einemmale daſteht, traf mich ſo ſehr.
Mild, und gepanzert, fand ich mich ſeit ganz kurzem. Ein-
ſehend, warum man nicht ſo viel fordern muß; und ſehr ge-
neigt zu leiſten, was nur gebraucht werden kann: das andere
aber nicht. Wenn ich milde ſage, ſo meine ich das wie von
einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich ſtimme mich
nicht milde gegen Menſchen; ich finde bloß gutes Wetter in
mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilſame Ge-
danken bereiten ein ſolches Gemüthswetter, ſie kommen wie
belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei-
teten Boden. Ich ſehe grade jetzt meine ganzen Lebensſchick-
[136] ſale als eine Bereitung zu andern an; und zur Ruhe. Wenn
auch nur zur Ausruhe. Je mehr ich ſage, je mehr ſehe ich
ein, daß ich das nicht ſage, was ich eigentlich mittheilen möchte.
Vielleicht ein andermal! In zwei Worten.



Was uns unſere Irrthümer bringen — was wir in ihnen
befangen wählen und thun, was ſich daraus entwickelt —
ſchickt uns Gott ohne uns; was wir mit Sinn, Verſtand wäh-
len, ſchaffen und behalten, ſchickt er uns durch uns. Beides
muß der Menſch mit Sinn annehmen; davon kommt ruhigſte
Ergebung, und Heiterkeit im Sehen.


Ancillon ſagt (Vom Glauben und Wiſſen in der Philo-
ſophie S. 82.): „Wenn man ſagt, daß die Seele für uns ein
bloßes Phänomen iſt“ u. ſ. w. Das könnte ſehr gut ſein,
daß ſie ein Auftrag für einen Geiſt wäre! Geben wir unſerm
Geiſt hier keine Aufträge? Wir wiſſen darum nur nicht, wer
wir ſind, weil wir ein parzielles Geſchäft haben, und von der
Sendung nichts mehr wiſſen: ich glaube, das ganze Geſchäft
iſt nur unter dieſer Bedingung des Vergeſſens möglich; und
alſo die große Frage über die Perſon aufgelöſt: wir ſollen
uns für eine halten. Die Gränze, die uns zu einer macht,
iſt darum undurchdringlich: und es wird richtig, daß die Per-
ſönlichkeit nur ein Phänomen für den Geiſt iſt. Durch den
Geiſt theilen wir uns unſre gegenſeitigen Perſönlichkeiten ein-
ander mit, und uns unſre eigne. Ich bin überzeugt, wir ſol-
len hier eine Fertigkeit gewinnen, eine Einſicht; die der Per-
ſönlichkeit wird wohl ſchwer ſein. Der Geiſt mag ſie ſich ſelbſt,
[137] oder mitgewählt haben. Iſt man nicht ſchon jetzt mehr, mehr
Perſon, umfaſſenderen Geiſtes, je mehr Perſönlichkeiten man
umfaßt und einſieht? Geiſt iſt nicht Seele, iſt nicht Perſon;
mit dem ſehen wir nur unſere Perſon.


Es iſt mir ganz unbegreiflich, wie Novalis über Wil-
helm Meiſter ſpricht. Hingegen erklärt mir dies mein ganzes
Mißfallen an ſeinem Ofterdingen. „Die Muſen im Meiſter
werden,“ nach Novalis, „zu Komödiantinnen gemacht;“ —
„Es läßt ſich fragen, wer am meiſten verliert, ob der Adel,
daß er zur Poeſie gerechnet, oder die Poeſie, daß ſie vom
Adel repräſentirt wird;“ — „Wilhelm Meiſter iſt eigentlich
ein Kandide, gegen die Poeſie gerichtet; das Buch iſt undich-
teriſch in einem hohen Grade, was den Geiſt betrifft, ſo poe-
tiſch auch die Darſtellung iſt.“ Es entſchlüpft ihm, unter dem
Guß von Reden, zu ſagen: „Die Ökonomie iſt merkwürdig,
wodurch es mit proſaiſchem wohlfeilen Stoff einen poetiſchen
Effekt erreicht.“


Im Ofterdingen und ähnlichen Unternehmungen herrſcht
das Bemühen zu zeigen, was Poeſie iſt: und daher werden
dieſe Anfertigungen grade höchſt unpoetiſch. Poeſie iſt in
der Natur: das will ſagen: da, wo unſer Geiſt ein Freies,
Bedeutungsvolles wahrzunehmen vermag; alſo auch in der
Natur der Begebenheiten und den Vorfällen des menſchlichen
Lebens, und folglich in der Schilderung derſelben. Dieſe täg-
lich zu ſchauenden Weltereigniſſe, in einem beliebigen Raum,
wie in Email, zwar klein und fein gemahlt, doch faßlichſt,
farbeglänzend, deutlichſt und klar dargeſtellt, in Weitblick er-
[138] faßt, aus langer, vielfältiger Beurtheilung ergriffen und er-
wählt, aus den tiefſten Betrachtungen hervorgegangen, und
mit ihnen geſchmückt, obgleich nur damit bekleidet, in gebil-
detſter, noch lange nachzuahmender — denn noch lange wird
die Nachahmung neu bleiben — Sprache vorgetragen: das
iſt ganz gewiß Dichterwerk und Poeſie; und mit dieſer Skizze
von Erörterung iſt es hier ſchon unwiderleglich, daß Wilhelm
Meiſter etwas anderes iſt, als wofür der größte Geiſt, No-
valis, ihn hält.


Er, Novalis, konnte das geſellige Leben ſeiner Zeit nicht
erfaſſen; und mochte es nicht, hauptſächlich. Ihre Denkmaſ-
ſen, ihre Wiſſenſchaft, ihr Naturzeitpunkt, ihre Hiſtorie, wie
ſie zu den andern ſtimmt und zu ſtellen iſt, alles dies war
ihm mehr als klar: er bewegte dies alles, und mehr, und ſei-
nen und aller Zeiten Geiſter, möchte man faſt ſagen, nach
Willkür beflügelt, als Hellſeher; ehrlich und in Unſchuld.
Aber ſein Geiſt war zu mächtig: er zu ſehr in ſeiner Jugend,
und von dieſem Geiſte getrieben und bewegt, um den geſelli-
gen Zuſtand anders als ſehr en gros zu erwägen: da ſchien
er ihm freilich klein, oder vielmehr, erſchien er ihm kleinlich
bis zum Ekel, zum Wegwerfen: und das wollt’ er denn auch
thun, in der poetiſchen Arbeit wenigſtens; und dies that er
im Ofterdingen: war aber doch vom Unternehmen ſelbſt be-
zwungen, und wählte, mußte eine andere, vergangene Zeit
wählen, die er ſich nach Willkür hochſtellen zu können glaubte.
Aber dieſe Zeit war in dem Falle, in der unſre iſt: mit un-
endlichem Unedlen, anſcheinend Unweſentlichem, zerſetzt; das
konnte er großherriſch, edel, jung, kühn, überſehn; als den
[139] Vorwurf eines Dichters aber, und wenn er ſelbſt dichten wollte,
es ſich nur zum Schaden anders zurechtſtellen. Er wollte über-
haupt nicht allein dichten, ſondern neue Gegenſtände für die
Poeſie erfinden, aus großem Geiſt!


Gar zu oft zeigen uns edle, hochfahrende dichteriſche Ge-
müther den Prozeß ihres ganzen Kopfs und Gemüths, wie ſie
zum Dichten kommen, anſtatt der Gegenſtände, die ſie darzu-
ſtellen meinten. Daß auch ſo etwas Novalis begegnen konnte,
bleibt mir unbegreiflich: ſo ſehr ſtell’ ich ihn hoch, ſehe ich ihn
hoch in allen Stücken. Eins nur tröſtet mich dabei, daß ſein
Urtheil über Meiſter und ſeine Ausführung des Ofterdingen
ganz aus Einem Stück ſind: nämlich aus eben und demſel-
ben Irrthum. Das Wort ſteht hier! von meinem verehrten,
unſäglich geliebten Hardenberg. Schade, daß er ſo Viele
darin noch verführen wird!



Um Novalis Aphorismen zu verſtehen, muß man außer-
ordentlich viel Einfälle gehabt haben: und ſie ſehr gehand-
habt haben. Sonſt iſt’s nicht möglich. Ich mag aber jetzt
leſen, was ich will; es mag mir noch ſo viel einfallen, wenn
es mir einleuchtend iſt und gefällt, ſo kommt es mir vor, als
würden nur ein paar Wahrheiten dargethan, und immer das-
ſelbe geſagt: das tritt beſonders bei dem Vielfältigen und
Geiſtreichen von Novalis ein. Variazionen auf nur wenig
Eingeſehenes, und auch gezwungen Vorausgeſetztes. Durchaus
Anweiſung auf Anderes, Unbekanntes, und doch — durch und
[140] mit großem Witz — hier in Armuth Erkanntes; wie gering-
ſtes Almoſen auf höchſten Reichthum kann ſchließen laſſen.
Novalis ſagt: „Wir ſind auf ein unbekanntes Kapital an-
gewieſen.“ Ich ſpreche von einem Defizit, welches wir hier
finden. Alle Geiſter haben nur Ein Thema bekommen. Fichte,
Goethe, Rouſſeau, Saint-Martin, Jean Paul, Alle, Alle, die
etwas Gutes ſagen, ſagen daſſelbe: lauter Variazionen auf
das einfache, im höchſten Witz erſonnene Thema. Ich fühle
mich und uns arm, wenn mir dies deutlich wird: es iſt wie
ein Spiel, von Karten, oder Schach: wenig feſte Bedingungen,
und die größten, unendlichſten Kombinationen. Nur wenn
wir uns irren: das heißt, eine gemachte oder uns von der
Natur vorgelegte Kombination für etwas Abſolutes, Unver-
änderliches halten, und uns darüber zufrieden geben, es näm-
lich lieben, dann fühlen wir uns reich; das iſt nichts, als uns
in einen Zuſtand finden und ſetzen, in dem wir hier nicht blei-
ben können: ein simulacre von Liebwerthheit vor uns zu ha-
ben meinen. Liebe, Zufriedenheit, Approbation, Wohlgefallen,
Zuſtimmung, muß frei aus uns ausſtrahlen können, nicht
gebrochen von Widerſpruch; dieſe Liebe in uns iſt ein Beſitz,
den wir gar nicht kennen, und eine Fertigkeit, die wir nicht,
wie die des verſtändigen Geiſtes, erſt hier machen: ſie iſt ge-
macht, und auch die Vollſtändigkeit ihres Beziehungsgegen-
ſtandes haben wir verloren. Dieſe müßte können ergründet
werden, die Liebe in uns; was ſie eigentlich ſucht. Verſtand
in allen Ableitungen ſucht auch nur Liebenswerthes, Ver-
nunft- Ordnung- Zuſammenhang-Gemäßes; kurz, Gegen-
ſtände der Liebe. Alſo lauter Anſtalt, Hinhalten. Noch hat
[141] unſre Philoſophie nicht in dieſen Körper hinein operirt. Da-
rum wird auch jede von der neuſten hart angegriffen. Was
der Geiſt vermag, und nicht vermag, kann ſie zeigen: vom
Andern wiſſen wir nichts, und kennen doch ſeine Exiſtenz;
heißt, ſein Wirken. So angeſehn, iſt Liebe der Inbegriff von
allem; aber nicht das bischen auf Nebenmenſchen aus Barm-
herzigkeit angewandte: ſondern jene vielſtimmigſte Zuſtimmung,
von der wir ein bewußtvoller, gefühlvoller Ton ſind; der ſich
ſelbſt nicht kennt.



Zu Novalis Aphorismen.


„Man verſteht das Künſtliche gewöhnlich beſſer als das
Natürliche. Es gehört mehr Geiſt zum Einfachen, als zum
Komplizirten, aber weniger Talent.“ (S. 395.) Es iſt nicht
ganz verſtändlich, von welchem Natürlichen hier die Rede iſt. —


„Jede Wiſſenſchaft hat ihren Gott“ ꝛc. Dann ſagt er
am Ende: „Jede immer getäuſchte und immer erneuerte Er-
wartung deutet auf ein Kapital in der Zukunftslehre hin. —
Wir ſuchen überall das Unbedingte, und finden immer nur
Dinge.“ (S. 396.) Ich finde auch nur überall, und am Ende,
ein Defizit — verlornes, zu ſuchendes Kapital: daher ſind
mir willkürliche Lügen und Fablen — wenn man ſie, wie in
der Poeſie, nicht dafür ausgiebt, und dadurch zu Wahrheit
erhebt, weil man dann zeigt, daß man dieſes Verfahrens be-
nöthigt iſt — womit man dies decken und beſchönigen will,
[142] als albern, und kindiſches Benehmen ſo ſehr zuwider: und
noch mehr zuwider, weil dies ein Frevelanſpruch an der Er-
denkinder Vernunft iſt, doch ja unvernünftig ſein zu wollen;
und zugleich muthlos, und zugleich begränzt und gepanzert
gegen wahrhaft göttliche, nicht zu erdenkende Möglichkeiten;
die in der Veränderung unſeres eigenen Verſtändniſſes beſtehen
können; und womit, ſoll davon die Rede ſein, wahre Offen-
barungen beginnen. —


S. 397. ſpricht er ſehr glücklich vom Wiſſen: und ſagt:
„Vollkommenes Wiſſen iſt Überzeugung, und ſie iſt es, die
uns glücklich macht und befriedigt, ſie verwandelt das
todte Wiſſen in ein lebendiges
.“ Da kann man lange
warten, eh einem ſolcher Unterſchied einfällt; wie lange denkt
man da umher, vor ſolchem tiefen Griff! So lange die Wiſſen
nicht zu uns ſelbſt werden, zu Überzeugung, wie die unſerer
Exiſtenz zum Beiſpiel; ſo ſind die Materialien zum Wiſſen,
Leitern, auf denen man zu ſich hinab ſteigt, und unten dann
nicht mehr gebraucht. Wie viel ſolche Leitern mögen wir ſchon
weggeworfen haben, ehe wir zu der jetzigen — jetzigen — Voll-
ſtändigkeit unſeres Ich’s kamen!


„Ich bin ein Berg in Gott, und muß mich ſelber ſteigen,

Daferne Gott mir ſoll ſein liebes Antlitz zeigen.“

Sagt Angelus. Immer daſſelbe! Wenn wir wahr ſein wol-
len, und bis zur Gränze kommen. Immer bietet ſich uns
dann der große Witz dar, in dem wir hier gefangen ſind:
das bischen, was uns bewilligt iſt, und womit wir die un-
endliche Ökonomie treiben müſſen; bis zu den größten Voraus-
ſetzungen hin. Das verlorne — oder zu gewinnende — Ka-
[143] pital. Das Stück „lebendiges Wiſſen“ iſt unſer Unterpfand. —
Das Ich muß immer vollſtändiger werden. Daß alle Ver-
gleiche hinken — wie man’s nennt — iſt auch voller Bedeu-
tung, und voll von Gründen; einer davon iſt, daß das zu
Vergleichende auch hinkt. Das „Kapital“ und der zu erſtei-
gende „Berg,“ ſo ſchön gefunden ſie ſind, ſtellen ein Gebre-
chen dar. Es gebricht uns ein großes Hauptſtück. —


„Die ganze Repräſentation beruht auf einem Gegenwär-
tigmachen des Nichtgegenwärtigen und ſo fort. (Wunderkraft
der Fiktion.) (Glauben und Liebe beruht auf repräſen-
tativen Glauben.) So die Annahme: der ewige Friede iſt
ſchon da, Gott iſt unter uns, hier iſt Amerika oder nirgend,“
u. ſ. w. (S. 401.) Glauben und Liebe ſind durchaus nicht
willkürlich, wir können nur Bilder fixiren, und auch das Bild
eines Zuſtandes, aber nicht die Gründe zu einem intellektuellen
Zuſtand. Ich verſtehe Novalis hier wohl nicht: ich werde
fragen. —


„Sittlichkeit und Philoſophie ſind Künſte. Erſtere iſt die
Kunſt, unter den Motiven zu Handlungen einer ſittlichen
Idee, einer Kunſtidee a priori, gemäß zu wählen“ u. ſ. w.
(S. 406.) Sittlichkeit iſt ein Zuſtand, aus dem heraus wir
ein Motiv zu Handlungen wählen; dieſer Zuſtand entſteht,
wenn wir in Beziehung mit der Idee von Sittlichkeit ſind;
und allemal dieſe Beziehung herausfinden zu können, das
allein kann eine Kunſt genannt werden. Philoſophie, Phi-
loſophiren: den Gebrauch unſeres Verſtandes bis zu unſe-
rer Vernunft zu führen; bis zum Unwiderleglichen, Abſoluten,
Vorgefundenen; und wieder eine Kunſt iſt es, den Weg dazu
[144] immer zu finden. Den Inbegriff aller Sittlichkeit aber hab’
ich nie anders verſtanden, als aus unſerer Perſönlichkeit hinaus
andere Perſönlichkeiten anzuerkennen, und ſie eben ſo zu be-
handlen als uns ſelbſt; das Beſte, Angemeſſenſte, Vernünf-
tigſte, was ſich auf unſer beſtes Daſein, auf das Fortſchrei-
tendſte in uns bezieht, für uns zu wollen; und in Freiheit zu
all dieſem zu laſſen und zu ſetzen. —


S. 442. ſpricht er vom Staate: „Der Staat iſt immer
ein Makroanthropos geweſen: die Zünfte die Glieder und
einzelnen Kräfte, die Stände das Vermögen. Der Adel war
das ſittliche Vermögen“ ꝛc. „Der König der Wille.“ Große
Konſequenz! Erſtlich, ſollen wir Alle zu einem ſittlichen Ver-
mögen werden; dann, zu einem einigen reinen ſittlichen Wil-
len! Aber Novalis geht’s wie allen Biblen, man explizirt das
aus ihm heraus, was man gebrauchen will. Er ſagt ſelbſt
vorher: „Der Weg zur Ruhe geht nur durch das Gebiet der
allumfaſſenden Thätigkeit.“ Alſo wird es noch viel geben!
Streit, ruhige Entwickelung; Abſterben, Drängen, große Er-
findungen, plötzliche Entdeckungen: die Partheien werden lange
todt ſein, wenn ihre Wünſche erfüllt werden. Auch ſehr na-
türlich: dann braucht’s keine. —


„Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Po-
litik. Auch hier ſind der Monarch, oder die Regierungsbeam-
ten, Staatsrepräſentanten, Staatsmittler.“ (S. 443.) Leuch-
tendes Bild! Schöner Punkt im Kontrakt! Eine wahre Er-
mahnung: ein geſprochenes Urtheil, in letzter Inſtanz: wenn
Zuſtände angeklagt werden, die ſich als krankhafte Thätigkeit
zeigten. „So iſt für das große Ich das gewöhnliche Ich nur
Supple-
[145] Supplement; jedes Du iſt ein Supplement zum großen Ich;
wir ſind gar nicht Ich, wir können und ſollen aber Ich wer-
den, wir ſind Keime zum Ich-Werden.“ „Wir ſollen uns
zum großen Ich erheben,“ ſagt er ferner. Längſt einmal dacht’
ich: wir ſind nur Adjektive, noch kein völliges Subſtantiv.
Auch kennen wir nur Eigenſchaften. Nichts durchaus: davon
fiel’s mir ein. — Auch ſagt er gleich weiter, ganz luſtig:
„Aus Ökonomie giebt es nur Einen König. Müßten wir
nicht haushälteriſch zu Werke gehen, ſo wären wir Alle Kö-
nige.“ Wir wären nur der eine ungetheilte Wille: jetzt, hier,
lauter geſpaltene. Unſer Witz beſteht bis jetzt darin, uns den
großen Witz entbehrlich zu machen. Der Menſchen Witz; und
Menſchen-Witz. —


S. 448. Ende eines Satzes: — „Der Mann iſt gewiſſer-
maßen auch Weib, ſo wie das Weib Mann; entſteht etwa
hieraus die verſchiedene Schamhaftigkeit?“ Das könnte keine
Schamhaftigkeit zu Wege bringen. Das wäre nur ein dop-
peltes Naturfaktum; und würde dadurch nichts Neues hervor-
bringen. Die Beſinnung verliert aber der Menſch nicht ohne
Scham, d. h. er wird nicht ohne Scham unmenſchlich, wenn
er ſich nicht mit den edelſten Motiven rechtfertigen kann. Er
ſchämt ſich einen Menſchen ganz als Sache anzuſehen in Be-
ſinnungsloſigkeit. Dieſe Beziehung mit ihren Beziehungen
erregt hier Scham. —


Was an Gedanken intereſſirt: (S. 449.) — „So läßt
ſich ein an ſich trivialer Gedanke ſehr intereſſant bearbeiten;
ein weitläuftiges Unternehmen der Art kann ſehr intereſſant
ſein, ungeachtet das Reſultat eine Armſeligkeit iſt“ ꝛc. Hier
III. 10
[146] kommt das wieder zum Vorſchein, was er über Wilhelm Mei-
ſter ſagt. Das ganze Reſultat iſt ihm zu trivial: er möchte
in einer neuen Natur arbeiten. Es würde aber immer wieder
dahin kommen, wenn wir nicht die Dinge, ſondern nur Ei-
genſchaften von ihnen erkennten. Novalis will, daß darin
die neue Natur beſtände: ich glaube aber, in der neuen Tiefe
würden ſich wieder tiefere Verhältniſſe zu ergründen aufthun.
Höheres Glück, und vollſtändigeres Unglück — wenn dieſe
Ausdrücke gelten ſollen — und doch vollſtändigere Zuſtimmung.
Jedoch! alles hieſige Vermuthungen! Die großartigſte freu-
digſte Hoffnung beſteht darin, daß wir’s nicht ahnden können.
Man kann auch ſo verzweiflen. Ich nicht. Mein Unterpfand
iſt zu unwiderleglich. Der kleinſte Strahl von Verſtändniß
erbaut das Univerſum. Neigung und Abneigung gar; Kern
des abſoluteſten Seins; der Unentbehrlichkeit des Verſtehns
ſchon entrückt. —


„Durch das Eigenthum wird der Beſitz veredelt, wie durch
die Ehe der körperliche Genuß.“ (S. 451.) Veredelt. Iſt
Eigenthum etwas Edles? Nothbehelf. Novalis führt ja ſelbſt
die vielfältigſten Verhältniſſe vor, wo das Eigenthum Gemein-
gut werden ſollte. Im Geiſtesverkehr iſt es ſchon ſo. —


S. 452. beſchreibt er, wie Eheleute ſein müſſen. Unver-
ſehns aber lehrt er da, wie Menſchen zum Umgang überhaupt
ſein müſſen: aber das iſt ſehr witzig: denn die Ehe iſt ein
konzentrirter Umgang; in Nähe, Beſtändigkeit der Zeit: eine
Eſſenz des Umgangs. —


S. 453. Über Liebe und Eiferſucht. Eiferſucht iſt Beſitz-
ſucht, Beſitzirrthum. Kurzweg. —


[147]

„Die Fröhlichkeit löſt allmählig alle Bande.“ (S. 454.)
Weil ſie ein Verhältniß, ein augenblickliches, angenehmes,
aus allen Lebensverhältniſſen gewählt, und für ein allein gül-
tiges angenommen hat, und ſich zur Zeit von ihm beherrſchen
läßt. Richtig. „Daher ſchickt ſie ſich nicht für die Jahre und
Stände, wo die Erhaltung und Befeſtigung jener Bande eine
heilige höhere Pflicht wird. Eheleute dürfen nicht mehr jenen
jugendlichen Feſten beiwohnen. Ein milder Ernſt iſt die ihnen
nöthige Stimmung, und eine klare Beſonnenheit, eine Hütung
ewiger Verhältniſſe ihr Beruf.“ — Pflicht iſt das, wozu unſre
Einſicht uns zwingt. Kein nächſter Vortheil. Wer wird den
Eheleuten weiß machen, daß eine Hütung ewiger Verhältniſſe
ihr Beruf iſt! „Hütung“! Schrecklich! Was heißt hier ewig?
Doch nicht die Extenſion der Zeit? Alſo das Einmal Wahre,
Wahrgeweſene, durch keine Zukunft zu Vertilgende. Dies iſt
grade, was nicht gehütet zu werden braucht. Worte muß
man immer von neuem ſichten. —


„Grade wegen der Einfachheit ihrer Verhältniſſe iſt die
Moral ſo ſchwierig in der Praxis.“ (S. 454.) Praxis iſt ih-
rem Weſen nach komplizirt: Anwendung; alſo Hinderung:
nichts als Hinderung, des einfachen Daſeins. Die alte Auf-
gabe: die eine in hunderttauſend Geſtalten. —


„Aller unbeſtimmte Reiz“ ꝛc. (S. 454.) Es giebt keinen
unbeſtimmten Reiz. —


„Ein Karakter iſt ein vollkommen gebildeter Wille.“ (S.
455.) Nur der vollkommen menſchlichſte iſt ſo. —


S. 455. Vom Gewöhnlichen: ſehr gut! Aller Fehler be-
ſteht darin, ſich nicht auf ſich ſelbſt beſinnen zu können.


10 *
[148]

S. 456. Vom Handlen wider Überzeugung. Weſen des
Zwangs! traurigſtes! Es kann höchſt moraliſch ſein: weit-
verkrochene Moral. —


„Wenn der Menſch nicht weiter kann, ſo hilft er ſich mit
einem Machtſpruche, oder einer Machthandlung: einem raſchen
Entſchluß.“ (S. 456.) Auch langſamer Entſchluß — wenn
es welchen giebt — iſt empiriſch: Machthandlung, Eingriff;
da wir nur Theile kennen, und keinen entfernten Einfluß noch
Zuſammenhang. —


„Die Erhebung iſt das vortrefflichſte Mittel, das ich
kenne, um auf Einmal aus fatalen Kolliſionen zu kommen.“
(S. 456.) „Fatale Kolliſion“ iſt hier ein tiefſinniges, ſchwe-
res Wort; in welchem Gebrauch es gewöhnlich nicht iſt: folg-
lich ſehr witzig, und daher weitfaſſend und brauchbar. —


„Neigungen ſind materiellen Urſprungs“ ꝛc. (S. 457.)
Neigungen ſind nicht materiellen Urſprungs, ſogar die nicht,
die ſich von den Sinnen herſchreiben: materielle Wirkungen
mögen ſie haben. Man verwechsle nur nicht abgeleitete Nei-
gungen aus Ehrgeiz, Prahlerei u. ſ. w. — und auch die, aus
dem Irrthum zurückgeführt, gehen bis zum Tiefſten, nicht wei-
ter zu Erklärenden zurück. Will er dies materiell nennen? —


„Das Ideal der Sittlichkeit hat keinen gefährlicheren Ne-
benbuhler, als das Ideal der höchſten Stärke, des kräftigſten
Lebens, was man auch das Ideal der äſthetiſchen Größe (im
Grunde ſehr richtig, der Meinung nach aber ſehr falſch) be-
nannt hat. Es iſt das Maximum des Barbaren“ ꝛc. (S. 458.)
Könnte man nicht ſagen: Das Leben des Barbaren iſt das
Maximum des Erdlebens? Wir wiſſen, was ſich auf nicht
[149] leben bezieht! — Es iſt barbariſch, leben zu wollen: — Fried-
rich Schlegel ſagt: „Es iſt die größte Anmaßung, eine Perſon
ſein zu wollen;“ — und auch darum ein Streit gegen alles
andere; nicht leben wollen: gleich Friede! das Höchſte aus einem
Standpunkt! in dem wir im Leben nie bleiben können. —


S. 458. Herrlich über Gewiſſen! Im weiteſten Sinn.
Mir meine Meinung ſehr beſtätigt: „Ein Zuſtand außer der
gemeinen Individualität.“ Alſo die Geſchichte mit der Perſön-
lichkeit! Dies auf Phyſik angewandt, höchſter Witzſchlag!
Und Rückſchlag des Witzes auf hieſige Moral. —


„Iſt unſre Unwiſſenheit etwa Bedingung unſrer Morali-
tät? Wollen wir unwiſſend ſein, weil wir es, bewandten
Umſtänden nach, wollen müſſen? Wir ſind nur unwiſſend,
weil wir es wollen.“ (S. 468.) Dies iſt ſehr ſchön zu ver-
ſtehn! und gewiß faſt Allen zu kühn. Ich glaube, er denkt
an freien Willen. Wir ſollen annehmen müſſen, daß wir ihn
haben. Wir fühlen dies Gelenk, und können es gebrauchen.
Denken wir aber an Weltordnung; an die Illuſion der Zeit;
an Gottes Geiſtigkeit, an aller Geiſter Göttlichkeit: ſo ſchwin-
det uns die vermeinte Wahl. Illuſion aber, iſt uns hier ganz
hinlänglich; es iſt Pflicht hier — heißt, in ihr — nach ihr zu
handlen. Sie iſt hier für uns veranſtaltet. So hoch, und
ſo klein denk’ ich von unſern Pflichten. —



Wir haben eine Freiheit, die hier nicht anwendbar iſt:
daraus entſtehen die Täuſchung und die Frage; Täuſchung
über Freiheit; Frage nach Freiheit. —


[150]

Wenn man lieben könnte, was man wollte, ſo könnte
man ſich ja immer glücklich machen! Die verkehrteſten Forde-
rungen werden gemacht: bloß weil ſie nicht geſtehen wollen,
daß ſich die Freiheit in den höchſten Zwang gerettet hat. Der
gefeſſelte Wille allein iſt frei: da iſt man frei: das iſt die Fe-
ſtung vom lieben Gott gebaut. —


Es giebt einen freien Weg, bis nach dem gefeſſelten Wil-
len — Wollen — zu gelangen; den der Vernunft, wo man
wahr ſein muß: und anſtatt den anzutreten, nennen ſie den
Willen frei.



Heute den 7. April 1824. freute ich mich ungeheuer, in
Jacobi von Spinoza zu finden: „Ich bin fern, alle Freiheit
zu läugnen, und weiß, daß der Menſch ſein Theil davon hat.
Aber dieſe Freiheit beſteht nicht in einem erträumten Vermö-
gen, wollen zu können: weil das Wollen nur in dem wirklich
vorhandenen beſtimmten Willen daſein kann. Einem Weſen
ein Vermögen, wollen zu können, zuſchreiben, iſt eben ſo, als
wenn man ihm ein Vermögen, daſein zu können, zuſchriebe,
kraft deſſen es von ihm abhinge, ſich das wirkliche Daſein
zu verſchaffen.“ u. ſ. w. — Ich verſtehe es. Einmal ſagt
Spinoza: „Kurz, wir wiſſen was wir thun; und weiter nichts.“


Spinoza ſagt: „Wir irren uns über den Willen. Wir
ſehen auch, daß ſich die Sonne um die Erde dreht. Laſſen
wir die Erſcheinung, und beſtreben uns, die Dinge zu erken-
nen, wie ſie ſind.“ Die Wahrheit kann nicht von außen
kommen; ſie iſt in uns. Aber wenige Köpfe ſind für voll-
[151] kommene Abſtraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk-
ſamkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet iſt. —



Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823.
ſteht von Doktor Börne ein Aufſatz: „Altes Wiſſen, neues
Leben
.“ Jean-Paul’ſcher Anfang; ohne Nachahmung, ſehr
ſchön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil
er viel getroffener iſt, von den wirklichen Vorfällen; berührter,
von den herrſchenden Einrichtungen; und ſchwingt er ſich ab
von dieſem Zuſtand zur Natur, ſo weiß er, daß die allein
nicht aushilft, verliert ſich nicht an ihrer Größe; nicht in ih-
ren Einzelheiten; bald iſt ſie ſchlagender Stahl bei ihm; bald
der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen,
hervorleuchten müſſen; die Fälle miteingerechnet, wo ſie der
Geſang wird, der die wehmüthigſten Töne aus den Saiten des
Buſens reißt; nicht ſo, als ob dann noch der Geiſt witzige
Manieren hinein akkompagnirte; ſondern die Wendung ſelbſt,
ſich dann an Natur zu verlieren, iſt da witzig.


Dieſer Aufſatz iſt voller Gedanken, und Gedankenanläſſe.
Mit ungeſtörtem Blick ſieht er nach Jetzt, und Sonſt. Mie
zwanzig ihm zuſtrömenden Vergleichen und Witzworten ſchil-
dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zuſtand der
Alten, giebt Definitionen, die allein ſchon einen Band zum
Buche machen könnten. „Um einer Wahrheit Daſein wird
ſelten geſtritten, auch nicht zwiſchen den feindlichſten Geſin-
nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr-
heit.“ Abſchluß der meiſten Verwirrung: Bezeichnung faſt
[152] aller Diskuſſionen. — Herrlich ſpricht er von Sittenlehre;
kurz, einleuchtend: wie klar vom Chriſtenthum; nur zur Sache
gehörig. (Man ruht bei ſolchem Vortrag, von den jetzt gang-
baren; wo die Verfaſſer wie in Wolken kämpfend, zu ihren
Wahrheiten gelangen wollen; oft deren Gebilde ſelbſt dafür
annehmen, und ausgeben wollen; und theils, hinter den Wol-
ken nicht unterſcheiden, was ſie greifen, und anderntheils nichts
zu gebrauchen wiſſen, was ſie hervorbringen; und eben daher,
ſo verworren als weitläufig ſind.) „Wir leben ohne Sitten-
lehre,“ ſagt er, „wenn auch nicht ohne Sittlichkeit;“ welches
er der Güte und Kraft der menſchlichen Natur durchdrungen
dankt! Vortrefflich ſchildert er unſern Chriſtenzuſtand. Mit
wenigen, großen Strichen. Unter andern: „Dort oben giebt
es keine Fiskale und Verräther, und keine andere Klage hört
der gnädige Richter an, als die der Kläger gegen ſich ſelbſt
gewendet. Sie haben einen Gott des Himmels und einen
Gott der Erde geſchaffen, die ſie als Partheihäupter betrach-
ten, und mit deren einem man es verderben müſſe, wolle man
mit dem andern es halten! Man müſſe unglücklich ſein, um
ſelig zu werden! Als wäre die Erde nicht auch ein Stück
des Himmels, als wäre die Zeit nicht auch ein Theil der Ewig-
keit, und Gott überall!“ So fährt er eindringlich fort, mit
den wenigſten Worten. Ich kann es beſtimmt wiſſen, wie
ſchwer das iſt, und wie leicht dies ihm werden muß; weil ich
eben ſo denke, und zu oft erfahren habe, daß ich es doch nicht
ſagen kann. „Jetzt iſt auch künftig,“ ſage ich oft. „Auf
den Vater warten wir, der den Sohn mit dem heiligen Geiſt
verſöhne.“ Fichte und Lichtenberg zuſammen im Ausdruck.
[153] Nur tief wahr: den kürzeſten Ausdruck gewählt; und der An-
ſchein entſteht, als habe Einer nur witzig ſein wollen, wenn
auch nur ſcherzhaft ſein können. „Beim dritten Teſtament
wird der Menſch zugleich Chriſt und Heide ſein, Früchte und
Blüthen tragen;“ und noch wunderſchön! Wie viele Gedan-
ken und Betrachtungen ſetzt ſolcher kurzer Ausſpruch voraus!
Welch unpartheiiſches Schauen. Das iſt Sinn für Geſchichte!
Wie ſchön ſpricht er weiterhin vom Schreiben derſelben. Wie
kurz und hinlänglich. Man kann beinah in einem ſo klei-
nen Aufſatz nicht mehr ſagen! hervorgegangen aus ernſter,
wohlmeinender, etwas verletzt- und geheilter Seele, und ehr-
lichſtem Unterſuchen. Keine ſchwerfälligen Stiefel angeſchnallt,
zur ſchweren Reiſe: jeder kleine Gang wird mit demſelben
Ernſt, in derſelben Geſinnung unternommen, und gewährt auch
reiche Ausbeute! Aus welchen guten, faſt neu gewordenen
Gründen empfiehlt er Lehrern für Schüler das Leſen der Al-
ten! Wie ganz anders die Aufgeregten beſchwichtigend, als
durch dumme Lügen; — dumm, da das Lügen der Klügſten
auch den Dümmſten nie verborgen bleibt. Schön ſagt er:
„Weil wir den Umlauf der Menſchheit nicht kennen, ver-
wechslen wir die Witterung mit den Jahreszeiten,“ und wei-
ter ausgeführt. Von den Alten redend, zeigt er uns unſere
Zeit wie ſie iſt: und Einſicht in das Nothwendige verſöhnt
einzig. Im Vorbeigehen karakteriſirt er mit einem Federſtrich
Jahrhunderte, und ihre Rädelsführer. So Richelieu, Alberoni:
und empfiehlt Großartigere; und empfiehlt Autoren. Der
Unterſchied des deutſchen und franzöſiſchen Wiſſens, und der
verſchiedene Gebrauch, den die Nationen davon machen, iſt
[154] hier wieder einmal unpartheiiſch und im klaren Umriß gege-
ben: „Der Franzoſe weiß freilich nicht mehr, als was er ge-
ſagt hat und geſchrieben; aber alles, was er weiß, ſagt und
ſchreibt er, und wiederholt es jeden Tag.“ Dies wird wohl
noch lange wahr bleiben: obgleich es ſchon lange wahr iſt.
Sehr ſchön fordert uns Börne zur Verbeugung gegen deutſche
und franzöſiſche Lehrer auf; und ihre Schriften nachzuleſen;
von zu langjährigen Anfällen, und Hintanſtellung, reinigt er,
ſo zu ſagen, ihre Bilder mit wenigen Worten vor unſern Au-
gen, und wir ſehen was ſie waren, und thaten. Herrlich
ſpricht er mit zwei Worten von Leſſing: größte Kunſt, nach
Goethen es zu können; von Voltaire, Mendelsſohn; von den
Engländern; Montaigne, und den Originalen der Franzoſen.
Mit Dankbarkeit; wie ſich’s gebührt. Von Jean Paul: von
noch Vielen. So wollen wir ihm wieder danken: und uns
freuen, ihn zu erkennen. Bücher in kleinen Heften zu geben,
iſt vortrefflich! und mir beſonders dankenswerth. —


An Guſtav von Brinckmann, in Stockholm.



Sonnenhelles, ſeit drei Tagen, warmes Wetter;
nur noch leichtes Knospengrün: die Straßen
immer breiter, immer heller. Jedoch heute
erfriſchender, und viel Morgenthau auf der
Erde.


Ich lebe noch. Nun wiſſen Sie alles. Da Sie doch auch
wiſſen, daß man ſich, umgekehrt wie geſagt wird, nicht än-
dert — garſtig werden u. dgl. abgerechnet —. Was aber
[155] ſchlimmer iſt, unſer Schickſal ändert ſich auch nicht: denn,
woraus beſteht es, als aus uns ſelbſt! Und nun wiſſen Sie
noch Einmal alles: und noch obenein, daß ſich unſer Stil
auch nicht ändert; dies zeigt uns das ſtill- und tiefere Stu-
dium Goethens, und aller andern Menſchen; und dann noch
Einmal, ich. Hab’ ich Ihnen wohl je andere Morgenbillets
geſchrieben, als das hier über Meer und über Zeit? Es wird
uns nach ihr (nach der Zeit) weiter gar nichts fehlen — zu
hier — als, daß wir wiſſen, daß Sie Brinckmann heißen,
und ich Rahel. Eines ſollen Sie nur noch wiſſen, weil Sie
es, glaube ich, ſonſt nicht genau wußten. Meine größte
Kränkung beſteht darin, daß ich in keinem Garten lebe; in
keiner Gegend; mit Einem Wort, auf keinem Ort, wo ich
aus der Thür’ in’s Grüne trete: aus dem Fenſter dahin ſehe.
Es liegt nicht in meinem Schickſal, mir das zu ſchaffen, was
mir das Wichtigſte iſt; nur das liegt drin; daß ich das bin,
was mir das Wichtigſte iſt. Verſtandum? (kein Witz auf
dumm, nur eine lateiniſche Frage, aus Spott und Verzweif-
lung:) dieſe Kränkung aber greift in alle Stunden ein; und
darum halte ich ſie für eine. Große Herzensſchläge, die man
nur mit ſich abmacht, exiſtiren für mich nicht mehr. Nur Un-
gemach; und Privationen — der „fünf nöthigen Dinge.“
Nie wird etwas geſprochen oder geleſen, was Sie hätten hö-
ren, oder ſagen müſſen, wo ich Sie nicht laut nenne: und
Varnhagen kennt ſie, und ſpricht von Ihnen, wie wir Andern.
(Ich bin Einmal treu gemacht: mir treu; und ſo auch allem.
Daran können Sie nun wiſſen, daß, geſchieht ein Loslaſſen,
es kam immer von den Andern; ihr Katholiſchwerden allein
[156] macht es bei mir nicht einmal: ſie müſſen noch aparte aus-
ſpannen *). So lieb’ ich Gentz als größten Publiziſten; — ich
würd’ ihn Privaten nennen — noch immer. Er trägt das
Kind noch in ſich, das liebe: und er mag ſagen was er will:
er liebt Wahrheit: und er — iſt nie eine Lüge. So iſt’s mit
vielen Andern, die ſich öffentlich über ihn ſtellen, bei weitem
nicht. Ich wohne von Humboldts nur ſechs Häuſer weit, und
meine Augen ſehen ſie nicht. Die Herz öfter: und alle Alten,
die nicht todt und weg ſind. Pauline iſt in Paris, und die
alte, nur älter: ich vermiſſe ſie täglich, und oft im Tag. Sie
liebt das Freie — die Natur nennen ſie’s — wie ich. Ich
habe Mad. Benedix bei Abraham Mendelsſohn geſehn; ich
beneide ſie; ſo gefällt ſie mir: ſo jung; ſo ſelbſtſtändig, ſo
frei im Ausdruck, und ſo ſanft und graziös dabei. Ich —
ewig lâche; oder ein Ausbruch wie Erdſturz; Gewitter iſt mir
zu gut. Ich gönne ſie Ihnen in Stockholm; aber ihr: air
natal:
und anderes! — Welches ſie nicht in Gedanken gefaßt
hat, alſo nicht wünſcht. Ich ſehe auch oft Frau von Helvig,
ſie iſt eine Nachbarin von uns (wir wohnen Friedrichs- und
Franzöſiſche Straßen-Ecke, ſehr nah wo die Bethmann wohnte;
Humboldts, wo O’Faril’s wohnten; Frau von Helvig vorne
in der Behrenſtraße), nur die andere Ecke. Und wir ſtehen
gut. Eine weſentliche Frau; ohne ihre bekannten Eigen-
ſchaften zu rechnen! Iſt Ihnen dieſe Parentheſe nicht zu la-
byrinthiſch: ich verlaſſe mich auf Ihren Faden!) Er, Varn-
hagen, grüßt Sie ſchön, und ſchickt Ihnen hier ein Buch, wel-
ches vorigen Auguſt erſchien, und wozu er erſt jetzt Gelegen-
heit findet, es Ihnen zukommen zu laſſen, mit der Bitte, Sie
[157] möchten ihn doch zum zweiten Band ſo bald als möglich mit
Beiträgen erfreuen: hauptſächlich in Ihren eigenen Papieren
ſtöbren, wo ſich gewiß noch Unendliches zu dieſem Behuf vor-
finden muß; von Ihnen und tauſend Andern. Schicken Sie
von Schweden, Deutſchen; von was Sie nur können: haupt-
ſächlich von ſich. In dem Band, der hierbei liegt, ſind die
Seiten von 207 bis 222 („Ungenannt.“ überſchrieben) von
mir. Aus meinen Briefen und Papieren genommen; die nie
anderes Tageslicht, als das, wo ſie geſchrieben waren, ver-
mutheten. Varnhagen ſtöbert aber alles durch: und ich bin
nicht heikel: ich finde Andern ihr Bereitetes nicht ſo ſehr viel
beſſer; und oft viel ſchlechter. Niemanden hat Goethe ſo
durchſtrömt, wie Herzensblut ſelbſt, als mich. Das finde ich
intereſſant dabei. Il n’existe point de plus franchement, que
ce franchement-ci!
Das Buch iſt amüſanter, als ich mir vor-
ſtellte, daß es werden würde. Wieland, Fichte: vortrefflich.
Und alles unterhaltend. Nun ſchicke ich Ihnen noch einen
kleinen Angelus, den ich vergöttre. Eine Kinderſeele voll
Muth. Der Menſch eine reine Frage; voll Witz, Menſchen-
witz, den er nicht los werden kann; die höchſte Art von Er-
gebung.


Nun muß ich ausgehn. Zu Ihrer Ergötzlichkeit ſollen Sie
hören, wohin. Zu meiner Nichte Fanny; das Kind, was
Sie kennen. Die iſt ſeit geſtern acht Tagen im Kindbett mit
einer hübſchen Tochter. Ihre Mutter, „die junge Madame,“
ſeit einem Jahr todt. Ich war viel und bis die letzte Minute
bei ihr. Nettchen iſt todt; im Juli wird’s drei Jahr. — Ja!
man wird einſam, trotz der neuen Kinder. „Und der Reſt iſt
[158] Schweigen.“ Shakeſpear wußte es; Hamlet mußt’ es ſagen.
(Melancholiſch geſagt!) Alſo weiter! Adieu lieber Freund.
Wenn ich treu bin, ſind Sie’s auch. Antworten Sie ja. Ge-
neralkonſul Dehn ſchickt mir gern den Brief.


(Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen.


Meine Namen ſind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem
letzen unterſchreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine
Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine ſehr ſchöne
Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür-
den: ſie iſt auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder.
Mein jüngſter Bruder hat eine hübſche talentvolle Polin,
und zwei Knaben; der älteſte eilf Jahr. Als riſſ’ ich Grä-
ber auf und mein Herz, und beſtürmte mit zwanzig neuen
Leben meinen Kopf, ſo iſt es mir, muß ich einem Alten
ſchreiben! Man muß bei einander bleiben: man iſt zu dumm,
man ſucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir ſind getrieben.
Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten!
Vieles iſt nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte,
Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was iſt dann?
Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu!




Schleiermachers Dogmatik. S. 242. „Denn es
müßte ſonſt mit der Vollendung unſerer Erkenntniß der Welt
die Aufforderung zur Entwickelung des frommen Bewußtſeins
aufhören, und alſo auch ſchon vorher jeder Weiſeſte am we-
nigſten fromm ſein, ganz gegen die Vorausſetzung, daß die
Frömmigkeit der menſchlichen Natur weſentlich iſt.“ Was iſt
Frömmigkeit? Der Trieb, ein reiner Wille, alles gut finden
zu mögen; entweder wir entdecken neue Gründe für dieſes
Reſultat, oder wir wünſchen ſie noch; gleich fromm. Die
höchſte Einſicht und Zuſtimmung kann alſo dieſen Fromm-
heitstrieb nicht aufheben. Im Gegentheil iſt er befriedigt und
wird er geſteigert durch Einſicht in Weisheit. Das Tiefſte
in uns iſt aber dieſer Trieb oder Wille. Dieſer Wille ſelbſt
aber iſt eine große Begränzung: obgleich jetzt unſer Höchſtes.
Ein Thier, unter ſeinen Masken wie wir unter den unſrigen,
will daſſelbe. Nur wiſſen wir ſchon von Wollen: und gene-
raliſiren die verſchiedenen maskirten Willen unter Einen: das
kann das Thier nicht. Und es kann abſolut nicht zu dieſem
Akt kommen: wir auch wiſſen vom Zweck unſres Willens
nichts, oder beſſer: von ſeiner ferneren Beziehung. Könnte
nicht unſer beſter Willen in einem andern Zuſtand etwas Un-
tergeordnetes werden, der ſich ſelbſt noch auf Abſoluteres, Ge-
nerelleres und von uns Empfundenes und Gewußtes bezieht?
[160] Dies nehm’ ich gewiß an: ſo kommt Leben und Vernünftig-
keit in unſre ſtarre Gränze, aus der und meiner Vorausſetzung
wir beſtehen. Warum der abgeſteckte Stolz, der uns verfin-
ſtert, im Finſtern läßt? —



Am Ende kann man gar kein Geſpräch mehr erdulden,
was ſich nur auf der Peripherie herum treibt; man muß aus
dem Centrum ſprechen.


Sie ſind nicht mehr zu erdulden, die nicht ſelbſtſtändig
und urſprünglich ſind; die ihre Bildung nicht ſelbſt produzi-
ren. Wenn es auch nur auf Einem Punkt in einem Men-
ſchen auf dieſe richtige Weiſe hergeht, ſo iſt er liebenswürdig,
erträglich und einträglich; kommt ihm aber die vielſeitigſte
Bildung ſchon ausgemünzt zu, welches auch eigentlich ergrün-
det nie geſchehen kann, ſo iſt er ſeicht, ſpielt mit Zahlpfenni-
gen, kann ſich nie als Wohlhabender fühlen, und muß ſich
als Eiteler und Leerer aufdringen; mehr und weniger, nach
zufälliger Miſchung ſeiner zerſtreuten Eigenſchaften und des
Erlebten. Gar nicht mehr zu ertragen!



Wir ſprechen nur ſo viel, weil wir uns nicht ausdrücken
können; könnten wir das, ſo würden wir nur Eins ſagen.


Viele
[161]

Viele Menſchen können einen recht ärgern, wenn ſie ei-
nem den Verſtand bewilligen, den man uns etwa vorzugs-
weiſe zugeſtehen muß. Sie machen, als wäre das ſo eine Art
von Narrheit und Extravaganz, der man nun einmal freien
Lauf laſſen müſſe; die man nicht ſtören kann! Aber wie ſchön
paßten ſie zur ganzen Welt; zu allem, was nun einmal
wimmelt, und benamt iſt; wie werden ſie gelobt, und wie
ſchön loben ſie?! und haben die wahre Vernunft, wie ſie
in die Welt gehört! — Mit welchem Geiſt ſollten ſie auch
höheren faſſen, als mit hohem? —



Es wird nicht Gerechtigkeit geübt, wenn einer beſtraft
wird, der ſein Unrecht nicht einſieht: das wußt’ ich immer,
wenn auch nur dunkel, wenn ich Strafe in ſolchem Fall nicht
liebte, und mir es dann jedesmal ſchien, als ſeien der Ver-
brecher und der zu Beſtrafende verſchiedene Perſonen. Heute
dachte ich an einen beſondern Fall, mußte ihn ſogar befürch-
ten; ich ſtellte mir eine beſtimmte Perſon in Noth und Ge-
fahr vor; wollte ihr gerne beiſtehn und helfen: und hatte
die tiefſte Konviktion, daß, wenn es geſchehn ſei und auch
vorher, dieſelbe Perſon mich in ähnlichem Fall, — ich wußte
ſogar einen beſtimmten — würde untergehen laſſen. Aus den
allerſchwächſten, kleinlichſten Gründen. Und dieſe tiefe klare
Überzeugung ſtimmte mich wieder nicht um. Ich dachte mich
in Streit darüber mit Varnhagen, weil wir ſchon oft über
dieſes Kapitel ſtritten. Aber mir ward endlich deutlich: daß
III. 11
[162] es wirklich zwei Perſonen ſind, und nicht dieſelbe: die zu ret-
tende, und die feige, nicht helfende. — Nur Bewußtſein über-
haupt konſtituirt Perſönlichkeit, — da wo der Feige nicht
hilft, weiß er nicht, daß er Hülfe bedarf; wo ihm geholfen
wird und er nur Noth fühlt, nicht, daß er nicht helfen würde.
Es ſind wirklich zwei verſchiedene Weſen. Solcher iſt in der
That nicht ſo weit wie eine Perſon: es iſt nur eine Kreatur.
Und nun u. ſ. w.! —


Zu einem Talent gehört Karakter; Gemüths- und Gei-
ſtesfertigkeiten, in Naturanlagen begründet, machen es nicht.
Was hilft die reinſte, klingendſte Stimme, die beweglichſte
Kehle, das ſchnellfaſſendſte Ohr, das beſte Gedächtniß, die
größte Nachahmungsgabe, wenn nicht eine einmalige tiefe
perſönliche Anſicht der Natur, eine ſolche Gemüthsſtimmung
mit ihren Varianten, ein helles, geiſtiges Auffaſſen hoher und
tiefer Zuſtände der menſchlichen Natur, die Seele und der
Diktator dieſer phyſiſch materiellen Gaben wird? Dieſe eben
genannten Gaben, noch ſo geübt und gut zuſammengeübt,
würden z. B. einen imitativen Sänger bilden, der bald in
Eines, bald in eines Andern Manier vorzutragen ſuchen wird,
bald wie eine Milder die Töne ziehen, bald wie die Catalani
wirbeln und ſchreien wird, Italiänern ihr parlando, furioso,
affannoso
und ihre Komik nachmachen, und ſogar den Fran-
zoſen etwas von dem geſtörten Tonweſen ihrer Deklamation
abſehn wird. Iſt dies ein Talent zu nennen? ein ausgebilde-
tes? Dies ſind ein paar Gaben, die, wie geſchäftige Tiſchge-
räthe, den Fremden oberflächlichen Beifall abſchöpfen! Dies
[163] iſt nicht ein Talent, wie es ſoll, welches an alle Kunſt erin-
nert und heran führt, die höchſten menſchlichen Zuſtände of-
fenbart und betrachten lehrt, uns wieder vor das Gemüth
führt, was uns nur je in Naturerſcheinung anregend und ver-
ſtändlich werden konnte, uns über elende Bedingungen und
noch elendere Prahlſucht und Eitelkeiten hinwegführt, uns er-
innert an Dinge, die wir nie ſahen und hörten, und von de-
nen wir doch Erinnerungen in uns tragen, mit Einem Wort:
uns zu dem Unausſprechlichen verſetzen; worunter alles Hohe,
alles was Ehrfurcht gebietet und Freude ſchafft, verſtanden
werden kann. Ein Komponiſt, der nur aus Eitelkeit und
Imitationstrieb arbeitet, beleidigt noch vollſtändiger und dauer-
hafter, wirkt noch verderblicher, da ſeine abgedruckten Mach-
werke alle unkundigen Nachredner und Nachahmende leicht
und ſchnell als Verderbnißförderndes immer weiter ab von
aller wahrhaft belebenden Kunſtausübung und Beurtheilung
führen. Ein abſcheuliches, prahleriſches, dünkelvolles Schein-
treiben ſetzt ſich in die Stelle der ächten Kunſtübung und
Liebe; welches, wie wirkliches Unkraut, den reichen genußſpen-
denden Pflanzen Ort, Kraft und Leben raubt; es iſt erſt ein
Krieg zu führen gegen dieſe Geſchlechter; ein Beweis, daß ſie
ausgerottet werden müſſen, ſo geſetzlich und alles Schutzes ſich
erfreuend, wie in einem Gehege, ſtehen ſie da; ſo wußte ein
Kunſtjargon ſie Fürſten, Regierungen, Vornehmen, Eleganten
und Geldbeſitzern unermüdlich vorzuſchreien! Das beſte Bild
für dieſen Zuſtand, der in den Künſten jetzt herrſcht, möchte
gar eine Galerie von den Werken der neuern Mahler liefern.
11 *
[164] Dieſe beſehen! und dann ſtumm! Welche unbefangene Leſſings-
natur wird wohl zuerſt ſprechen? Und wo? —



An Karl Grüneiſen, in Dresden.


(Durch Ludwig Tieck.)



So eben erfahre ich, lieber Herr Doktor, daß Ihnen Varn-
hagen zugeredet hat, in Weimar zu Goethen zu gehen. Thun
Sie’s ja! Bedenken Sie, was das heißt, daß Sie das Glück
haben, mit Goethen zugleich zu leben. Bedenken Sie’s ganz.
Sie kommen ja nicht mit leeren Händen. Sie können ihm ja
ſo ſchön deutſch vorſingen, wie es kein anderer Menſch ver-
mag; laſſen Sie den Mann dies nicht verſäumen aus einer
Beſcheidenheit, die nur eine falſche ſein kann. Folgen Sie
Einmal einer Freundin, die Sie nicht kennen, der Sie aber
gewiß in dieſer Angelegenheit trauten, wenn Sie ſie kennten.
Ich verſtehe ſehr viel Muſik und Theater. Sie ſingen und
ſprechen die Worte vortrefflich; wie kein Anderer. Was wol-
len Sie dazu thun, noch ſagen? Es iſt eine Gabe.


Möge Ihnen alles in der Welt eben ſo glücken; Ihre
Reiſen, Pläne und was Sie wünſchen.

Ihre ergebene
Friederike Varnhagen von Enſe.



Bei Louvet’s Memoiren fiel es mir auf, wie mitten im
Zuſammenſturz der bisherigen Welt, wo faſt jeder als Ein-
[165] zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böſes aus den dun-
keln Buſen der Menſchen eben ſo hervorgelaſſen war, dieſer
Mann, gleich unzähligen andern Franzoſen, ſo vielen Schutz
erhielt, ſo große Wohlthaten, ſo vielfältige Opfer; oft von
Unbekannten, und am öfterſten mit Gefahr ihres Lebens und
der eines gräuelhaften, ſchmachvollen Todes. Bei dem beſſern
Theil dieſer Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein
Geſetz Freundſchaft bei ihnen iſt; wie geſetzlich ſie ſie behan-
deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält-
niſſen bei ihnen feſtgeſtellt erſcheinen: wie ausgebildet ſie auch
die ernſtern Lebensformen beſitzen und behandeln. In dem
Ausbruch ihrer großen politiſchen Krankheit war das beſon-
ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe,
wie in ihrem Kampf. Wir andern aber ſtehen ihnen in
Güte, und der Überzeugung deſſen, was wir ſollen, nicht nach:
und doch finde ich uns ſo verſchieden von ihnen; auch in der
Ausübung, die man die moraliſche nennt. Faſt möchte ich
ſagen, der Deutſche verſteht ſeine Gedanken, der
Franzoſe ſeine Worte beſſer
. Dévoûment, sacrifice,
les sentimens de la nature,
das ſind Sturmglocken für ein
franzöſiſches Ohr; darauf kommt ſein Herz zu Hülfe. Alle
Franzoſen verſtehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies
in der Revolutionsgeſchichte zu bemerken, und zu bewundern!
— Wie könnte man wohl eine deutſche Volksmaſſe anreden,
um ſich verſtändlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von
nur ſtädtiſchen Verhältniſſen zum Beiſpiel, geben, wie ihr
eine zu zerſtörende Intrigue klar machen? Wie geſchwind
wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen
[166] doch eingänglich, bekannt. Sie ſind die durchlebteſten, abge-
lebteſten Europäer — was die ſind, iſt ein Zweites! — ein
Vorvolk; und haben unſer Aller Leben durchſprochen: daher
auch ihre Sprache ſolch geübtes Werkzeug. Dies iſt wahr;
wenn auch noch Unendliches anzuknüpfen. —



Der Unterſchied der antiken und der modernen Welt be-
ſteht bei mir in dem Einen Punkt, aus dem alle andern her-
vorgehn. In der antiken waren die Regierungen den Völkern
vor. Geſetzgeber, Propheten-Könige, halbe Zaubrer. Schutzhel-
den, Erfinder der erſten Elemente der Lebensgenüſſe. Ministres
des dieux,
— Himmelsvermittler. Religionsſtifter. In der
modernen, nicht geoffenbarten, ſondern offenbaren Welt, wol-
len die Regierungen mit den Ruinen der alten Mittel wirken;
die jeder aus dem ganzen Volke handhabt; und wovon jedes,
von einer andern Klaſſe aus dem Volke, zu ſeiner Kunſt und
Wiſſenſchaft gemacht iſt; und ſo gebraucht wird. Nun müſ-
ſen Regierer neue große Erfindungen machen. Der Geiſt muß
regiert werden: und exploitirt von größerm: „die Erde iſt
genommen.“! —


Das geſellige Daſein und Leben muß nun in Europa eine
andre Geſtalt annehmen; und ſei es noch ſo langſam: es wird
aber ſchnell genug gehn. Wie ſo das Wundern? obgleich ſich
nicht genug gewundert wird. Was hilft das Wundren! kann
man eben ſo gut ſagen!


Kann ein Hofleben, mit ſeinen einzigen, allſeitigen Wir-
[167] kungen auf alles Leben unter ihm, beſtehn ohne unbedingte
Ausgaben? Ein Budget, oder — was eben ſo viel — eine
willkürlich gütige Einſchränkung eines Monarchen iſt ein Schuß
mitten in das Herz dieſes Lebens. Ein Hofleben war ja nur
eine Kunſtdarſtellung, eines beſſern unbedingtern Lebens; aber
die alten Erdbedingungen ſtellen ſich früh oder ſpät ein. Viele
lebten: die Übrigen alle leiſteten; ſie ſollen jetzt Alle leben,
wird bewilligt; und dies Einmal geſagt, iſt kein Halt mehr. —



Im ganzen Leben, wie in Kunſt, deren Übung und An-
ſicht, müſſen ſich immer mehr Beziehungen darthun (dies allein
heißt weiterleben), und dies nicht, weil dadurch mehr gelebt
würde: das könnte keine Wiederholung ſchaffen. Aber in je-
der beſondern Beziehung wird etwas Neues erſchaffen; und
deßwegen iſt deren Vermehrung allein wünſchenswerth, bele-
bend, freudebringend, würdig, reel.


Saint-Martin ſagt, die Seligkeit würde darin beſtehen,
daß wir in jedem Moment etwas Neues erfahren werden.
Wer in muſikaliſchem Vortrag keine neuen Beziehungen hört
und zeigt, iſt nur ein Inſtrument. —


An Frau von Goethe, in Weimar.



Kann man ganz abkommen von dem, was man eigent-
lich iſt; ab, weit ab: wie ein ſchwaches kleines Schiff getrie-
[168] ben auf großem Meer weit hin von Wind und Sturm! Das
Einzige, was mich wahrhaft noch perſönlich angeht, was mir
tief in’s Herz geſunken iſt, unten granitſchwer und dunkel
liegt: da ſeh’ ich nicht hin, das laſſe ich liegen; wie ein armer
Arbeiter, der die ganze Woche ſich in Mitteln verliert, viel-
leicht den Sonntag ſeinen Lebenslichtern nahe kommen zu
können! Der arme Arbeiter ſtrebt doch einem beſtimmten
Zwecke nach, iſt noch von ſich ſelbſt getrieben; für ſich. Ich
nicht ſo. Ein Rechtſchaffenheitsgedanke im Ganzen, dann die
tauſendfach zerreißende und rein daniederſchlagende Erfahrung,
wie jeder den andern in Mißgeſchick verläßt; ja, nicht an-
hört; wie die menſchliche Natur dahin neigen muß; — machen
mich zum geneigten Vertrauten eines jeden; und Alle miß-
brauchen mich, und alle meine Stunden. Dieſer Raub ent-
wendet mich meinem eigenen Leben. Lokal; Stellung; alte
disappointments, Wurzelſchäden, mein eigner hochfahrender,
und darum biegſamer Karakter thun das Ihrige. Man ver-
geſſe nicht, daß ein biegſamer Baum im Boden feſt ſein kann.
Gleich als ich Ihren theuern Brief las, hatte ich eine Antwort
fertig. — Aber — ich mußte das Wichtigſte verſchieben, und
erſt alles obenaufliegende Leben ableben. — — Ich Arme
hatte Ihnen dieſen Sommer, ehe Sie in Embs waren, ein
Vergnügen zugedacht; und mit heimlichen Wünſchen und
Stolz dem Vater. Uns war ein junger, für den erſten Abord
ſchüchterner, fremder Mann, Dr. Grüneiſen von Stuttgart,
aus Bremen empfohlen. Dieſer hübſche junge Mann ſang
ſo ſchön deutſch, wie ich es auf allen unſern Theatern —
nur das Ihrige ſah ich nie, doch kenne ich Ihre Sänger —
[169] nie hörte, und überhaupt nie. Ich ſelbſt wagte nicht, Ihnen
deßhalb — eine von den abgetragenen Dummheiten — zu
ſchreiben, weil ich noch keine Antwort von Ihnen erhalten
hatte; bat aber Frau von B. ſtürmend, es zu thun; die eben
ſo eingenommen von dieſem neuen Geſang in unſrer Sprache
war, und die es mir feſt und heilig für den andern Tag ver-
ſprach: und viele Wochen hinterher ſagte, es ſei nicht ge-
ſchehn! Ein Strom von Zorn entfuhr mir; in dem Fall
hätte ich geſchrieben, das ſagte ich ganz hart. Genießen wol-
len ſie Alle. Verſchaffen muß man’s doch auch, wo man alles
Gute hinhaben möchte! — Solche Art auszuſprechen erahn-
dete ich nicht einmal. Der junge Mann war ſchüchtern; und
ganz unbefangen wenn man ihn zu ſingen bat, und wenn er
ſang: und doch zurückhaltend. Dabei ſah er einem Bilde aus
Leſſings Jugend ähnlich, das die Hofräthin Herz hat. Das
Bild hat eine blaue Rechts- und Feuerſeele. Nämlich, präch-
tige blaue Augen. —



— Ganz techniſch will er ſchon ſeine Stücke Philoſophie
gebrauchen — Philoſophie ſchlechtweg mag ich nicht ſagen. —
Er hat es vergeſſen, was er urſprünglich wollte: was einen
Geiſt anregen kann und ſoll, zu ſpähen und zu ergründen;
er iſt in einem Auswuchs Eitelkeit begriffen, gefangen, einge-
gewachſen, der ihn nichts mehr vernehmen läßt. — Das Uni-
verſum, und Gottes Geheimniß, ſind ihm eine große Apotheke,
und er, und noch ein paar ſchon Todte, die Famuluſſe: und
das in einer Konfuſion! — Nein! der iſt kein Lehrer für mich,
[170] in dem ich Gott verehre; den ich lieben muß, weil ihn Gott
begabte, und ihm in Klarheit überließ, was uns Alle aufklä-
ren ſoll; und der mit reinem, regen, ſtarken Willen bewußt-
voll ausführt, wozu er erſchaffen! das iſt kein Fichte, kein
Goethe, kein Leſſing, kein Saint-Martin! Solche vergöttre
ich. Und beuge mich freudig in Stolz: ſie ſind ja mein
Geiſt! Sie haben Recht in Ihrem Brief; es kommt am Ende
nicht drauf an, wie ſehr es zu gebrauchen iſt, was die gei-
ſtigen Entdecker und Erobrer erbeuten. Mehr, wie ſie das
thun; in welcher Übereinſtimmung alles Beſitzes von Wahr-
heit, und aller ihrer Seelen-, Geiſtes- und Herzenskräfte; und
ob ſie nie ihren Zweck in den Wegen der Mittel hinſtellen.
Das thun die großen Seelen nie; ſo wie wir noch Alle be-
ſchaffen ſind, kann ein Geiſt auf ſeine eigne Hand hier nicht
ſchaffen und hauſen. Wir müſſen uns betragen, wie uns
Gott erſchaffen hat; und alle unſre Fakultäten müſſen wir
einträchtlich machen, und ſo bearbeiten! Und hiermit iſt auch
ein anderer großer ſchöner Artikel Ihres Briefes beantwortet.
Wir ſind das „Centrum:“ ein uns gegebenes. Und nach
welchem Strahl aus dieſem hin wir Gott konzepiren, ſo iſt
es gleich; wenn es heimlich, ſtill, und urſprünglich vollbracht
iſt. Die ſtärkſten Konzeptionen ſind wohl die, wo die meiſten
Strahlen dieſer Art zuſammentreffen. Von beſſer aber kann
hier die Rede nicht ſein. Hier iſt wieder nur das Beſtreben
unſre intimſte, wichtigſte, befriedigendſte, beglückendſte Auf-
gabe, und unſer Nöthigſtes. Wenn wir uns nun erſt Gott
nach allen unſern Kräften vorſtellen, ſo iſt es doch nur nach
kleinem Muſter und Konzeption. Drum ſind alle redliche
[171] Vorſtellungen gleich: und auch eine „perſönliche“ nicht uner-
läßlich; eine Perſon wie Gott, das Bewußtſein des Alls,
welches wir nicht ſind, kann doch nicht Statt haben. Was
wollen Sie alſo? daß die Vorſtellung zu einer gegebenen
Zeit paſſe? zu einer? zu Zeit? Uns vor unſerm eignen Un-
vermögen beugen, an jeder Gränze von uns Gott finden, ihm
unbegriffen vertrauen; wegen der Pfänder, die wir in Recht,
Vernunft, und Mitgefühl in uns finden: ſolch Gutes! von
ihm erwarten, daß wir’s uns gar nicht vorſtellen können,
darum, weil wir uns etwas Gutes vorſtellen können; und
alle Tage von neuem fleißig unterſuchen: — das iſt Gottes-
furcht und Gottesliebe; auf Wahrhaftigkeit dringen: — Reli-
gion verbreiten. Aber Bildervorſtellungen dahingeſtellt ſein
laſſen! Wie Einer kann: aber nicht wie er will! — Künftig
mehr, jetzt bin ich müde: ich bin mit noch nicht fertig.


(Mündlich.)


J. Was ſiehſt du ſo grimmig aus? Sanft mußt du
ſein; ganz ſanft!


R. Ich bin nicht ſanft gemacht.


J. Nun, das läßt ſich verbeſſern. Du mußt umgeſchmolzen
werden. Ich laſſe dich ſchmelzen, in ganz neue Form gießen.


R. (Nach kleiner Pauſe, raſch:) Und wenn ich geſchmolzen
werde, weißt du, was ich dann thue?


J. Nun?


R. (Mit komiſcher Keckheit des Trotzbietens:) Dann — ſpritz’
ich aus der Pfanne!



[172]

Wenn nicht das Armſelige durchaus lächerlich und luſtig
dargeſtellt werden kann, ſo verlangen wir von einem Theater-
ſtück, daß es tragiſch endige, und ſind unbefriedigt, wenn wir
gegen Ende deſſelben vorherſehn, es werden die uns bekannt
gewordenen Perſonen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen.
Was iſt aber tragiſch? Nichts Trauriges; ſondern, Erhabenes.
Der Tod. Der unendlich iſt; den wir einem andern Geiſt,
als unſerm, überlaſſen müſſen.


Lies Goethe’s Verſe zur neuen Ausgabe Werthers. Wie
große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und
vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig,
wenn’s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na-
turerzeugniß biſt du Goethe. —



An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Muſiken von
Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff
nicht, wie auch nur drei Töne, für den Geſang von dieſem
Manne geſetzt, unausbleiblich dieſe Wirkung hervorbringen!
Buchſtäblich drei Töne. Er weiß ſie anfangen zu laſſen, in
eine Folge zu bringen, daß ſie uns jedesmal entheben und
auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung
verſetzen. Lagrime; möchte man ausſprechen! Was iſt das?
[173] frag’ ich mich ſeit einem Jahre, wodurch bewirkt er dies; mit
ſo kärglichen Mitteln! Welche ungeheure Eingebung, welcher
tiefe, reife Witz läßt ihn immer neue einzige Kombinationen
für die wenigen Töne, für die ſparſame Abweichung finden!
Ich begriff und begriff es nicht! beſonders nicht, daß kein
Komponiſt, nicht einmal der metaphyſiſche, gottesfürchtige,
mit höchſtem Witz begabte Sebaſtian Bach mir dieſe ge-
waltſam-ſanfte Verſetzung und Erhebung unmittelbar bewirke
Ich hörte vor wenigen Wochen wieder die Makkabäer von
ihm und empfand das alles wieder durch, ohne Aufſchluß.
Geſtern Abend ſang bei Fr. v. Redtel Fräulein Reichardt
eine Arie von ihm, (die du auch gehört haſt und die man
mir durch deinen Beifall empfehlen wollte,) vortrefflich. Die-
ſes Stück, ein Meiſterſtück von gehaltener, gelungener Vollen-
dung brachte mich auf die Spur, wie es mit Händel iſt, und
ich danke es Fräulein Reichardt unendlich. Nämlich, es iſt
diesmal wie mit uns Kreaturen immer, und wir irren über
uns ſelbſt immer von neuem, weil wir uns nicht recht, in
allem Sinne recht — betrachten. Witz: der Geiſt, den wir
haben, der wird nicht mehr, nicht minder, nicht ſtärker, nicht
ſchwächer. Nur ob wir ihn freilaſſen oder nicht; das iſt die
Frage. Freilaſſen iſt hier: in das Gebiet ſtellen, wo er wir-
ken ſoll: denn er wirkt ſtets. Händels Muſik ſtellt uns in
das Gebiet höherer Wehmuth: ſie weint, ſeine Muſik, aber
les larmes de la charité. Nicht Leidenſchaftsthränen über Zu-
ſtände hieſiger Lebensverhältniſſe, ſondern die großen Thrä-
nen der Kreatur überhaupt; die der unmittelbaren Sehnſucht
nach einem Urzuſtand; er führt uns in die Gefilde der Erge-
[174] bung, des ſtillen Nachſpürens, der höheren Hoffnung und
einer andern Ruhe, als die des Ausruhens: in eine Vorſelig-
keit, deren Atmoſphäre, — Lebensbedingung, — Unſchuld,
reinſtes Wollen und Streben, und dayer ſchon Ruhe iſt. Er
iſt mit ſeinem Talente auf das Gebiet des eigentlichen
Witzes hingeſchwungen, wo wenig viel iſt, alles immer
mehr Eins wird; er, Händel, braucht keinen Witz mehr; er
iſt erhaben.


Mag dies, was ich über Händel nun erdacht, ausgeführt
werden, oder nicht! So muß es angeſehen ſein: das iſt mir
gewiß.


Glaube nicht, daß ich das Wort: „der metaphyſiſche“
Sebaſtian Bach, nur à tout hazard gebraucht habe; es ſcheint
ſo und darum will ich mich deßhalb rechtfertigen. Manchmal
gebraucht man bei einer Gelegenheit einen exagerirten Aus-
druck aus einem heterogenen Gebiete mit Bedacht, um ſo-
wohl für ſich ſelbſt, als Andre verſtändlich zu werden; dies-
mal iſt das nicht der Fall. Metaphyſik iſt doch: Überphyſik;
wenn wir die handhaben, ſo iſt das doch nichts andres, als
die Natur unſrer Gedanken erwägen, ermeſſen, mit Gedan-
ken; und die Geſetze, die wir da entdecken, ſind reine Har-
monie und am Ende Beziehung auf ein Unbekanntes, Ge-
ſetzgebendes, — welches nicht nur allein Geſetzgebendes in die-
ſer Beſchränkung ſein wird. — So iſt es, wenn ein Meiſter,
ohne Gemüthsbeziehung in den Tönen untereinander ſelbſt,
wirkt und dichtet; ſo thut Sebaſtian Bach oft, und darum
nenn’ ich ihn den metaphyſiſchen. So ohne Gedanken geſchah
es nicht. Punktum!


[175]

Nichts in der Welt fatiguirt ſo, als nachlaſſen und im-
mer nachlaſſen: und unaufhörlich unſre Nachſicht ausüben zu
ſollen! Wir wollen in Erregung, in Erſtaunen geſetzt ſein,
im Guten oder Schlimmen. Ein Vorurtheil ſtolz und breit
ausſprechen zu hören, wird unerträglich, wenn nicht wenig-
ſtens die Perſon, die damit aufzutreten wagt, es ſelbſt erfun-
den hat. Aber wenn unaktive Köpfe, einer nach dem andern,
nichts andres thun, als bloß das Überkommene wiederholen,
dann fühlt man ſich auf’s äußerſte und bis zur Racheluſt
gebracht! —



Ich war irre, mit Vielen, bis jetzt über Freundſchaft, oder
vielmehr über Freunde. Nicht muß ein Freund dem andern ſo
viel leiſten, als dieſer ihm. Solches handelsmäßige Verfahren
mag in allen übrigen Verhältniſſen Statt finden! Unſre Freunde
ſind die Gleichgeſinnten, die wir, wie uns ſelbſt, müſſen ehren
können; Freunde ſind Menſchen, die von einander überzeugt
ſind; aber bald muß der eine, bald der andere alles leiſten,
ohne Kalkül anzuſtellen, und je etwas dafür zu erhalten, noch
zu erwarten, noch in ſich zu fordern. Und ſo iſt es auch in
der Welt; wir haben Freunde, denen wir leiſten, und Freunde,
die uns leiſten; und dies nach den verſchiedenen Naturen der
Menſchen und ihrer Lage gewähren zu laſſen, grade darin
beſteht die Freundſchaft. In allen andern Verhältniſſen herrſcht
ja ein offenbarer Handel Ein Freund kann nur ein verehrtes
[176] Weſen ſein, von dem wir, der Natur der Verehrung nach,
nichts verlangen. Was wäre er ſonſt?



Es wird faſt unglaublich, wenn man Belmonte und Kon-
ſtanze hört, daß es nicht an einem ſüdlichen Meeresufer und
üppigen Aufenthalt komponirt ſein ſollte! So durchaus herrſcht
nur ein und dieſelbe Eingebung und Stimmung darin, die
auf ſolche Lokalität bezogen ſein wollen. Dieſe haben ſo
mächtig gewirkt, und gleichſam eine organiſche Geburt zur
Welt gefördert, daß auch Mozart die wenigſten Mittel zur
Ausführung dieſes Werks vor allen ſeinen andern gebraucht
hat. Vollſaftig, möchte man ſagen, fließt ihm eine gleichſam
von Sonne gereifte üppige Sprache der Muſik zu! Hitze,
Liebe, das Wälzen in Pracht und Müſſigkeit, Luxus, Zorn,
Sklavenwohlſein, Waſſerfahrt, orientaliſche Hofunterwerfung,
Wetter, Freude, Liebesſtandhaftigkeit, die Ironie darüber, ein
ganzes Wühlen von Leben auf einen gewöhnlichen Text, er-
ſchuf ſich in dem Dichter, und ohne ſeine, ohne unſere An-
ſtrengung theilt er uns dies freudige Werk mit, ſein einge-
bungsvollſtes; Muſter von Heiterkeit, weil ſie voller Leben
ohne Suchen danach iſt. Nach den vielen durch Mozart
hergekommenen Nachahmungen eine wahre Erholung noch
obenein! —


An
[177]

An Frau von Grotthuß, in Oranienburg.



Trübes, graues, naſſes Herbſtwetter; wärmliche, unbe-
ſtimmte Temperatur. Sehr ſchwarze Straßen.


Seit vorgeſtern, oder vielmehr vorvorgeſtern Abend, als
ich deinen Brief erhielt, theure Grotta, will ich dir antworten,
und — iſt’s glaublich — bin ich daran verhindert! Ein gro-
ßer Beſtandtheil aller Verhinderung iſt meine poſſirliche Ge-
ſundheit. Mit kürzeſten Worten: nicht zweimal die Woche
mehr — ſo wechslen bizarre Übel, Kriſen, Nerven- und
Rheuma-Tollheit in mir ab — hab’ ich drei- bis vier-
minutenweiſe ein Erinnerungsgefühl — und gleich, und mir
alsdann nicht gleich erklärliche Munterkeit — von Ge-
ſundheitsgefühl! Auf Ehre und Gewiſſen, leider! buchſtäblich
wahr! Das Abgeſchmackteſte iſt aber, daß ich die Feder ohne
höchſtes Echauffement nicht führen kann. Welches mich in
meinem ganzen geiſtigen Wirken und Treiben ſtört, meine
Korreſpondenzen ſo gut wie aufhebt; alles, was ich ſonſt zu
Papier brächte, ſo gut wie getödtet hat; und ſchlimmſtens,
das, was ich dennoch ſchreibe, komplet entſtellt. Da ich nur
zu ſchreiben vermag, wenn eine gewiſſe Entzündung in mir
Statt hat, die Geiſt, Erinnerung, Kombination und Einfälle
hervorbringt, in Licht und Bewegung ſetzt; ſo ſtört ein kör-
perliches Hinderniß vollkommen dieſe ganze Operation; ich
habe keine fertige Gedankenpläne zur Ausarbeitung in mir
vorliegen: ſondern Einfall, Anregung, Gedanke, Ausdruck, iſt
alles eine und dieſelbe Exploſion und ein Fluß. Hab’ ich
III. 12
[178] nun eine ſchlechte Feder — die mich noch mehr irritirt — oder
bin nervenzitternd bis zur Bläue — welches nach der erſten
Seite Statt hat — erhitzt, ſo wird Phraſe, Wort, Ausdruck,
Form und Reihe der Gedanken, Periode, Ton des Ganzen,
davon affizirt; kurz, holprig, fließend, gelinde, ſtreng, ſcherz-
haft, ruhig: je nachdem! Und beinah immer brech’ ich mitten
im Erguß, ihn ſelbſt, oder ſeinen Ausdruck ab. Dieſes für
mich große Übel hat auch dir oft die ſchönſten Briefe vorent-
halten: und einmal, Freundin! wollte ich dir es doch vor-
ſkizziren. — So hätte ich dir vorgeſtern gewiß ſehr gut ge-
ſchrieben, denn ich war ganz voll von deinem Brief. Freund-
ſchaft iſt kein leeres Wort! Goethe definirt ſie in der Elegie
ſo: „Freunde, Gleichgeſinnte, nur herein!“ und ewig frap-
pirte mich dies Wort; und gleich, für ewig. Was ſind
Freunde? Gleichgeſinnte. Und wo kann der Menſch, die
Kreatur, am Ende aller Dinge hin, als zum Geiſt der Geiſter.
Über dieſe Gegenſtände müſſen Freunde — wie wir ſelbſt — ſich
beſprechen; der Tod, als das Aufhören alles Seins, welches
aufhören kann, muß uns an das Abſolute mahnen, und dies
an unſre höchſten Gedanken: und in und bei dieſen müſſen
wir Gleichgeſinnte haben; dies iſt der höchſte Punkt der Ge-
ſelligkeit, und der tiefſte: und daher der Quell und das Mobil
aller, noch ſo geringfähig ſcheinender. Alſo, Liebe, iſt es na-
türlich, und mit Recht, daß du an mich dachteſt, als du dein
Übel für ernſt halten mußteſt; und das iſt mir ein großer
Troſt. Dazu iſt Sprache, Mittheilung, und ihr Werkzeug
Vernunft — ohne ſie kein Verſtändigen, keine Bürgſchaft —
und das Herz, die große Uhr, die auf Wohl und Weh zeigt.
[179] Kurz, das höchſt-Menſchliche und das Höchſte für den Men-
ſchen. Pauvre humanité! ſagt Mad. Staël. Laß dieſe Män-
nerworte, wie ſie mir gerathen ſind, dir als Zärtlichkeiten die-
nen! Es geht! da du weißt, daß ich auch zärtlich bin.
Gewiß, liebe Sara, wäre ich gekommen; ſo wie du’s ernſtlich
wünſcheſt, und es dir wahrhaft Troſt iſt. Nur damals, als
du ſchreiben wollteſt, war ich ſelbſt ſehr übel. Doch iſt es
auch mir genug, daß du mich wollteſt. — Wir haben einen
ſehr originellen, verſtandvollen Fremden hier; Fürſt Kosloffsky,
Ruſſe, geweſener Geſandter in Turin, Stuttgart, Karlsruhe;
in Frankreich, England, Italien zu Hauſe; voller Leben und
Geiſt. Er iſt weit über die ſogenannte große Welt hinaus;
bedarf ihrer aber, ſo wie großer Konverſationen, und eines
großen Intereſſe’s. Seine Geburt öffnet ihm alle Salons, da
hat er die große Welt, die große Konverſation macht er dort
ſelbſt, und für ſich allein; und bei ſeinem ungeheuern geſell-
ſchaftlichen Ehrgeiz ſchafft er ſich, ebenſo für ſich allein, auch
ein großes Intereſſe, mit kleinen Mitteln. —


An Alfred Graffunder.



Morgen Abend kann ich Ihnen ſehr etwas Hübſches zei-
gen, wenn Sie zu mir kommen können. Ich rathe es Ihnen.
(Auch meinetwegen; denn es that mir vorgeſtern ſehr leid,
Sie verwaiſt bei mir gewußt zu haben; ich bin die Mutter
in meinem Hauſe: wenn ich nicht da bin, ſind die Kinder in
12 *
[180] den müßigen Stunden ganz irre.) Das Hübſche iſt ein Menſch;
und der Menſch ein Mädchen; und das Mädchen, Mlle.
Bauer.


Wenn Sie morgen kommen, ſo hält Sie das nicht ab,
auch übermorgen zu kommen; ich muß Sie vielleicht auch auf
übermorgen bitten: doch das entſcheidet ſich erſt morgen, wenn
Sie da ſind. Iſt das Freundſchaft? Kann nun nicht ohne
alle fernere Verſicherung mein Namen plumps daſtehen?


Friederike Varnhagen.



Beinah werden nur die Leute alt, die nichts als jung
waren.



Wahres Unglück iſt nicht das, welches einem Menſchen
als Unglücksfall überkommen muß, und welchem wir als ſolche
ſtets ausgeſetzt ſind. Unglück iſt das Unangenehme, in allen
Lebensmomenten Drückende und Hemmende, welches nothwen-
dig aus einer gegebenen Lage ſich entwicklen muß: aus Ge-
burtsſtellung, aus der Karaktermitgift — Konſtellation unſrer
Eigenſchaften in jedem Sinn, — Körperſchönheit und Geſund-
heit; oder deren Mangel u. ſ. w. Dagegen kann der Menſch
nicht ſelbſt an; ſondern ein Höherer; wir können nur dieſe
Fälle erkennen lernen, als Fakta, die uns als dieſen beſondren
Menſchen begegnen müſſen: und uns darein ergeben, als in
ein Unvermeidliches, und ein doch Troſt enthaltendes, als eben
ſo nothwendig auf Neues, Hohes und Unbekanntes ſich Be-
[181] ziehendes und darauf Begründetes. Und weil wir die Gründe
zu dieſen Fakta nicht kennen können, ſo muß da dann immer
das Gemüth eintreten; heißt: ſich aus Bedürfniß — welches
eigentlich wir ſelbſt ſind — einen Grund, eine Vorausſetzung
in einem andern Gebiete ſchaffen — faſt erſchaffen, — und
das mit Recht. Wo wir herſtammen, und wo wir hinſtrö-
men, das ſind ſo gut Glieder von uns, als die, welche wir
im zeitigen Gebrauch haben. „Wer nicht verzweiflen kann,
der muß nicht leben!“ ſagt auch der Mann, der — und auch
aus dieſem Geſichtspunkt mein’ ich — am vielfachſten, was
uns Menſchen betrifft, gehandhabt, erwogen, und ergründet
hat, mit Herzens- und Geiſteskräften, und der ein geſundes
Menſchenkind geblieben iſt, wie er anfing, mit allen derben
natürlichen Anſprüchen. Goethe ſagt’s. —



Es war mir ſchon lange zuwider, verheirathete Prieſter
zu ſehn; und ich konnte mir auch manchen Grund davon an-
geben, aber keinen vollſtändigen. Nun ſind mir aber die
Gründe dieſes Eindrucks plötzlich erhellt, durch einen Blick auf
die jüdiſchen Prieſter, deren Ehen mir nicht ſtörlich vorkommen.
Ein Prieſter Israels, Moſes vorauf, war ein prophetiſcher;
ein Geſandter, Auserwählter, ein Verkündiger; ohne ſein Zu-
thun, ohne ſeine Wahl. In einem Stamm pflanzten ſie ſich
fort. Moſes empfing und verkündete Geſetze: ſtrenge, ſcharfe,
bei Strafe: ohne Raiſonnement; von Gott aus, eine Religion
alſo, für Kindermenſchen. Der Chriſten Lehre iſt eine Phi-
[182] loſophie denkender Menſchen, (wenn auch Viele ſie nur vom
Herzen aus, ohne helle Gedanken befolgen, und in ihr leben
können), ſich gegen die Bilder und Intereſſen dieſes Lebens
wehrend, ſie nur immer zum Genuß für den Andren; und zum
ethiſchen Gebrauch ſeiner ſelbſt anwendend: deren Prieſter ſind
Lehrer und Prediger, und auslegende Bekenner: und müſſen
rein und einſam, wie ein abgeſondertes klares Bild gegen
blauen Himmel geſehn werden! nicht in Luſt und Leid, in
Lebensplage, Verwirrung, unter leidenſchaftlichem Einfluß von
einem Weibe und Kindern, und nothwendigen Rückſichten auf
dieſe. Solcher Prieſter iſt nicht auch Kämpfer, Geſetzgeber,
liſtbedürfender Führer kämpfenden, kindiſchen, unartigen, Gott
fürchtenden Volkes; er iſt ein weiſer Philoſoph, dem alle
Möglichkeiten erſchloſſen ſind, und der ſie erſchließt; ein Rei-
ner beſonders, der im vollen Wiſſen durch reines Wollen
unſchuldig bleibt. Solcher kann nur das eine Verhältniß des
Lehrers, Ermahners, und des Exempels erfüllen.


Nur wenn man in die chriſtlichen Lehren, und in ein
chriſtliches Daſein, die alten Lehren, die nur Religion waren,
an die Chriſtus ſich noch ſchloß, noch miſchen will, entſtehn
all die Widerſprüche, mit denen wir noch kämpfen müſſen:
und die die allverbreitetſte Philoſophie erſt vertilgen wird; die,
welche durch und ſeit Chriſtus in die Stelle unverſtandener
Religion geſtellt wurde.


„Un homme croit avoir tout fait quand il a épousé une
femme; et cela n’est que le commencement de l’oeuvre; il“
[183] doit lui faire oublier qu’il l’a épousée!”
Hört’ ich einmal im
Streit ſagen; wer’s geſagt hat, ſag’ ich nicht.


(Mündlich.)


„Die Reſultate der Weltweisheit ſtehen bei mir immer
aufgeſchirrt, die müſſen ſich vorſpannen, und mich fortziehen;
ich ſitze bequem im Wagen. Sie haben mich wahrhaftig ge-
nug anzuſchaffen gekoſtet, jetzt müſſen ſie dafür auch Dienſt
thun.“




Unſre Handlungen ſind die Kinder unſres Geiſtes. Ein-
mal empfangen, gezeugt, wiſſen wir nicht mehr, was aus
ihnen wird; und wie ſie auch werden, müſſen wir ſie uns ge-
fallen laſſen: ſie haben ein ſo ſelbſtſtändiges Leben, daß ſie
uns auch umbringen können. Unſelig machen ſie oft unſer
ganzes Leben. Sie haben wieder Kinder, und werden zu gan-
zen Geſchlechtern.


Ob ich weiß, was Naturwiſſenſchaft iſt.



Naturwiſſenſchaft iſt derjenige Erkenntnißweg unſeres
Geiſtes, wo wir das Weltall im Großen betrachtet und der
Natur unſrer Gedanken gemäß entwickelt, als Ausgangspunkt
[184] anſehn und annehmen. Die ganze, große, für uns vorhan-
dene Welt muß ſich für unſere Gedanken beleben und leben-
dig werden; nicht hier und da nur, und ohne unſer Zuthun
auf uns wirken. Eben ſo wie wir den Begriff von Organi-
ſation einmal auf irgend einen Gegenſtand in der Natur bezo-
gen, aufgefaßt haben (als ein ſowohl ſich ſelbſt, als eines Zwei-
ten benöthigtes und ihm genügendes — gleichſam ein erkenn-
bares reservoir von niedergelegter Intelligenz, welches auch
wieder intelligent wirkt — Organiſation:) eben ſo muß ſich
Erde, Himmel, Atmoſphäre, Sterndecke, die ganze vernehm-
bare Natur für uns zu Einer großen aus Organiſationen be-
ſtehenden Organiſation hervorthun; die höchſte Blüthe dieſes
großen Werkes ſich als Bewußtſein ergeben; deren höchſte
Blüthe wieder die Vorausſetzung über ihnen ſelbſt ſtehender
Organiſation iſt (und ſie ſelbſt bedingt). Alſo: göttliche Ge-
danken und Hoffnung. Alſo: mehr als das Weltall, weiter-
getrieben Analogieen. Der Geiſt findet ſein eignes Verfahren
wieder in den Spuren des Verfahrens der Natur, der er nach-
ſpürt; dieſelbe Zwangsregel, die bei ihm durch Einſicht und
Zuſtimmung zur Freiheit wird, welche bei uns Menſchen ſich
nur als Zuſtimmung äußern, ja geſtalten kann.


Es iſt nicht Unrecht, wenn der Menſch dieſen Weg des
Erkenntniſſes wählt, weil er ſich gleich von Gott ſelbſt auf
den Punkt geſtellt findet. Der Menſch überhaupt, wie wir
ihn von je kennen, hat es auch immer gethan: Einzelne aber
können gar bald von der äußerlich vernehmbaren Welt mit
ihren Gedanken abkommen, und mit einem kleinen Vorrath
davon bald nach innen unmittelbarere Fragen aufſtellen; weil
[185] ſie bald ſehen, daß ſie dahin doch kommen müſſen. Mit un-
ſerem eigenen Geiſt erkennen wir ja doch nur den, der in der
Natur niedergelegt iſt, und nur nach Maß dieſes unſeres
Geiſtes. Erfreulich und tröſtend iſt es alles übereinſtimmend,
und dies immer mehr ſo zu finden: die Details davon kurios und
lebensnützlich; die Entdeckungen darin aufſchlußreich; halbe
Offenbarungen; aber nie noch eine ganze. Weil unſer Höch-
ſtes, eigentlich Lebendiges, Einziges, wo auch wir eine Schöp-
ferſtimme, wo wir eine Wahl haben, wo wir richten; noch
nicht in der Natur gefunden worden iſt: Recht und Unrecht
nämlich. Das einzige Gebiet, wo von Traum nicht mehr
die Rede ſein kann; weil wir auch in ſolchem Traum dennoch
leben würden. Hier nur ſind wir gewiß: und das iſt jene
Welt in uns: mitgebracht, konſervirt, erhalten. Pfand für
Daſein. Ein Ewiges, ohne alle Zeit. Dies iſt unſer Weg.
Auf dieſem werden wir Neues, immer Göttlicheres, Herrli-
cheres, Glänzenderes, Unterhaltenderes finden. Dieſer große
Schatz für jetzt; vielleicht für ferner, ein geringer Anfang!
aber reel.


Will uns Steffens zeigen genau und durchgängig, wie
und wozu Gott die Natur in uns gebraucht. Was die Erde
vorſtellt? Schöne Lehre, aber keine abſolute.



Es giebt ganz gewiß eine Kombination, in welcher man
auch hier als Menſch noch ganz glücklich ſein kann. Auch
nach dieſer ſchmachten wir; und mit Recht. Ich laß es mir
nicht ausreden. Glückſeligkeit iſt in, außer, neben uns, durch
[186] uns und ohne uns zu finden. Wer dagegen ſtreitet, vergißt
bloß die Bedingungen dazu: und denkt, ich habe ſie auch ver-
geſſen. Die Bedingungen ſind ethiſche, und auch andere.



Alſo Nordoſtwind. Im Winter war wärmliches Wetter.


— Sie kennen mein Leben durch früheres Mitleben. Es
koſtet mich, de ne vivre — d’une certaine manière — que
de privations;
wenn auch die Andern meinen, ich hätte
nur nicht ſolchen erhabenen gusto! zum elegant und vor-
nehm leben, wie ſie, die ſich armſelig aufſpreizen für gewiſſe
Tage, um an den übrigen hinter dem doch nur elenden Schein
ſich noch armſeliger zu verkriechen! — Wem ſoll ich es ab-
ſparen? Nur mir. Almoſen, Geſchenke, Generoſitäten, gehen
ihren Gang, mit den obliquen Ausgaben! — les imprévues,
les incalculables
nenne ich ſo. — Aber, all dies iſt mir lieber
als falſche Aufſpannung, und Schulden. Ich habe keine.
Alſo Privation, und Ruhe. Und dafür noch große Dankbar-
keit. Für Hoffnungen bin ich ſchon ſtumm im Innren. Aus-
ſaat
in meinem Alter? (mit meinem Schickſal?) da muß
man ärnten! Aber auch ich ärnte. Goethe ſagt; und ich
weiß lange: „Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht
leben!“ Ich bin ein Meiſter im Verzweiflen, und nun leb’
ich erſt ruhig. Wenn man mir den Tag, die Stunden, die
Muße nicht vergiftet, mich, ohne Vergnügen, ohne erfüllte Ei-
telkeit, ohne Herzensnahrung, ohne Augenweide, ohne Genuß
irgend einer Art zufrieden läßt, ſo bin ich vergnügt. Mein
jetziges Leben iſt ein Ausruhen, wenn man mir Ruhe läßt.
[187] Verſtehen Sie? Auch braucht mein geſchwächter lieber Körper
viel Ruhe. Der arme treue, hat alles ausſtehen müſſen. Er
iſt ſehr hin. Und doch noch brav: er will noch immer ge-
ſund ſein. Auch er war vortrefflich. Ich bin mit meinen
eigenen Gedanken, Einfällen, Anſichten vergnügt — wenn
man mich nur zufrieden läßt; aber — und kann keine Re-
chenſchaft darüber geben. Ein wogendes großes Meer, mit
ſchlechtem und gutem Wetter; mit, ohne Sonne, mit tiefen
Farben, Spiegelungen, Geheimniſſen, Produktionen, Dünſten,
Gewölk; Empörung, Himmelsruhe! — Mit keinem Menſchen
denk’ ich über gewiſſe Dinge gleich: beſpreche mich mit Vielen
über vieles. Viel mit Varnhagen, und doch wie verſchieden.
Daß ich mit dem Wetter in unſerm Klima nicht mehr zuſam-
men ſein kann, keinen Garten habe, iſt ein ſich über alle
Stunden erſtreckender Verluſt. Doch freue ich mich alte
Übel los zu ſein, als unſinnige Liebe; die wir Unſeligen in
Andern ſuchen, anſtatt uns an der, die wir für Andre ha-
ben, zu ergötzen. Nur um dies recht zu machen, möcht’ ich
noch Einmal jung ſein. Jung möcht’ ich ſchweigen wie
jetzt: das muß herrlich ſein. Auch dumm. Ich könnte noch
eine Stunde dafür und dagegen ſprechen. — Lebten wir im
Grünen dieſen Sommer zuſammen, ehe wir nach dem ſtum-
men finſtern Tod kommen! Ein anderes Leben, iſt für dies
hier: der ſtumme finſtre Tod. — Alle Tage leſe ich zwei Pa-
riſer Zeitungen; das unterhält mich ſehr. Im Ganzen ge-
nommen, geht es überall ziemlich gleich. In Amerika nur
geſtaltet ſich in etwas eine neue Art Leben. Es kann auf
den alten Mauern kein anderes, als das alte Gebäude entſte-
[188] hen, ohne immer wieder umzufallen. Eitelkeit, Prahlerei, mehr
Ausgeben als man hat, Lügen: was ſoll ſich daraus ergeben,
als der alte vergoldete Quark. „Entweder auf einem Bal-
dachin getragen, oder ein Sklav! alles andre, ein bischen
rauf, ein bischen runter, ein bischen gedrängt, das iſt nichts.“
Entweder das: oder die höchſte Poeſie, d. h. Philoſophie: oder
wenn man will die freundliche Religion in wahrer Ausübung.
Die Welt heilt ſich, ſo nach und nach! Aber zu heilen
iſt ſie nicht! —



„Avoir de l’esprit! l’esprit, c’est peu de chose!” disait
hier M. Cousin. C’est vrai, c’est peu de chose: mais ce qui
constitue l’esprit n’est pas peu de chose: l’harmonie des dons
de l’âme, l’accord et la proportion de ces dons, qui permet
d’agir à l’esprit que vous avez; voilà ce qui donne de l’esprit
ou qui en prive.



Schnee und Kälte.


Steffens Anthropologie. Zweiter Band, S. 310.
Von Sprache: „Hier iſt es, wo wir dem Räthſel der enthüll-
ten Freiheit näher treten.“ — „Allerdings war die Sprache
ſchon da, eh ſie laut ward.“ Alle Dinge reden, thun ſich
dar. Menſchen aber ſprechen andere Dinge aus, als hier zu
finden ſind; daher allein ſprechen ſie. Sie beziehen das hier
Vorgefundene auf etwas Unſichtbares, nicht zu Faſſendes, auf
eine dunkle, aber zwingende Erinnerung; und da dieſe abſo-
[189] lut-wirkender, als alles hier Anzutreffende iſt, ſo regiert ſie
uns: und wir fehlen jedesmal, wenn wir dies verkennen, oder
nicht beachten. Daher iſt es, daß wir den Urſprung der Sprache
nicht ergründen können. Wir erheben alles hier Wahrgenom-
mene zu ihr; aber nicht ſie entſteht daher. Daher iſt ſie ar-
tikulirt: heißt, mit Willkür (Wahl, zu einem Zweck) verſetzt.
Ein Spiel iſt ſie; eine Kunſt, an und für ſich: etwas, was
ein anderes vorſtellen ſoll; zu welcher ſich wiederholenden That
wir ein Zwingendes in uns haben, einen Wiederherſteller ei-
nes Zuſtandes, der in den Bedingungen, unter welchen wir
da ſind, nur als eine Idee ſich darthun kann, die wir immer
von neuem wieder ausdrücken wollen. (Dieſen auszudrücken-
den Zuſtand haben wir durch keinen Sündenfall verſcherzt.
Da liegt ein anderes Myſterium, als was wir erfinden kön-
nen. Dem ſich unerklärt unterworfen, iſt Demuth, und Glau-
ben an den höchſten Geiſt.) Thiere drücken nur ihre Zuſtände
aus: artikuliren auch nicht. Menſchen drücken das Verhält-
niß der Verhältniſſe aus. Erſte neue große Stufe. Ganz
neues Gebiet. So macht auch der Menſch Muſik, er läßt
ſie nicht bloß hören. Er ſtellt in ihr durch Töne und Folge
derſelben hieſige und andere Zuſtände dar: und zeigt auch das
Tonverhältniß an ſich: und gebraucht die Töne durch allerlei
Nachahmung zur Muſik: aber bei allem, was er geiſtig leiſtet,
kommt das große Unhieſige immer wieder vor. Der Menſch
hat das bischen „Wahl“ (Goethe): was iſt ſie aber? Der
kleine Raum, in welchem er Mitgebrachtes und hier Vorge-
fundenes vergleichen kann. Sein ganzes menſchliches Gebiet
iſt nur dies: und ein klein bischen Witz macht es zur unend-
[190] lichen Beſchäftigung! Wie wäre ein wirklich ſchaffender
Witz erſt anzuſehen! Warten. Unterwerfung. —


Iſt wohl je ein ſchöneres Wort gegen die Lüge ausge-
ſprochen worden, ein gründlicheres, naiveres zur Natur ſtimmen-
deres Wort für die Wahrheit — immer gefunden von der Wahr-
haftigkeit — als das: „Die Lüge befreit nicht die Bruſt, wie
jedes andre wahrgeſprochene Wort!“ von Goethe’s Iphigenia.
Ehre alſo der deutſchen groben Redensart, die daſſelbe aus-
drückt: „Das lügſt du in deinen Hals hinein!“



An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Regenwetter, mit Aprilſchauer von Wind und
Hagel, mit öfterm Trocknen des Pflaſters;
nach bedeutender, hellen Staubhitze. Wetter
wie bei euch; und allerwärts.


Fieber hab’ ich, aus Sorge dir noch immer nicht ge-
ſchrieben zu haben! Du glaubſt es. Immer mehr häuft ſich
auf, was mitzutheilen, zu ſagen iſt: ein Brief von euch ſogar
liegt ſchon mehr als vierzehn Tage vor mir, und doch konnte
ich vor Schwefelbäder-Echauffement, Menſchen, Ereigniſſen,
Beſuchen, Fremden, kurz, vor Lebenswellen, die zum Strom
wurden, nicht; durch alle aber wär’ ich ſiegreich durchgeſchwom-
men, einen Brief an dich hoch in der Hand haltend! Aber
meine Unfähigkeit, grade zum Schreiben, iſt zu bedeutend,
war es in der letzten Zeit zu beſtimmt: und grade wenn ich
[191] vollgepfropft von Antheil, Liebe und Mittheilung bin, wie
zu einem Schreiben an dich, ſo wird aus einem rethen Echauf-
fement ein blaues. Um „die Macht der Verhältniſſe“ ſehn
zu können, blieb ich ſieben Tage vorher komplet zu Hauſe:
damit mich keine Erkältung attrapire, die ſtündlich, und
von jeder Luft provozirt wurde. Es iſt mir gelungen, und
ich bin völligſt belohnt worden. Ein ſolches ſchönes Stück
iſt mir lange nicht vorgekommen
. (Ich weiß grade
zu ſchätzen, was ich nie vermöchte.) Es iſt nämlich ſo vor-
trefflich gemacht; (gedrechſelt und kombinirt in Überlegung.)
Ein unüberſpannter und doch ſpannender Ton des Geſprächs,
der die Ereigniſſe herbei führt und auf die richtigſte Art von
ihnen herbeigeführt wird, wäre hier ſchon ganz kunſtvoll, wenn
er auch nicht ſo ſelten wäre, daß er beinah nie anzutreffen,
und es daher eine Kunſt iſt, ihn irgendwo zu finden! Die
Scenen ſind vortrefflichſt geſtellt in ihrer Folge und Symme-
trie: und manches daher hat auf mich eine Wirkung gemacht,
wie noch nie etwas auf der Bühne — ſo überlobend wir ſeit
Jahrereihen auch manches zu ſetzen belieben: wo mein Reſt,
immer Schweigen war. — Nur zwei Züge — coups — zum
Beiſpiel. Wie Weiß den Abend allein im Zimmer den Major
erwartet, und die Sterne anredet, und den Major anſichtig
wird, der ihn unterbricht. Von größerm Effekt hab’ ich nie
etwas erlebt. Das iſt Illuſion. Es war ſo, daß ich dachte,
Devrient ſieht Rebenſtein; den Menſchen Rebenſtein. So
vortrefflich iſt es; und ſo vortrefflich machte es der arme
kranke, zittrende Devrient! Wie richtig, wie glücklich, den
Weiß hier unterbrechen zu laſſen: das iſt ein coup de théâtre,
[192] parce que c’est un coup de vérité;
in Handlung mit Wor-
ten bewerkſtelligt und ausgeführt. Der zweite trait iſt der:
wie die Gemahlin in das Gräuelunglück mit der Begnadigung
herein tritt, und ihr Glück nicht in die Vernichteten Eingang
finden kann; und ſie erſtaunt, gehorſam, ſittig, artig, weib-
lich — hier weiblich — fragt: „Hab’ ich Unrecht gehabt,
ohne Ihre Erlaubniß nach dem Schloſſe zu fahren!“ ꝛc.
Wenn die Nichtigkeit bis in’s tiefſte Elend, in die Auflöſung
hineinreicht, der Zwang, das Äußere, die hohle Form, die
ſchlechte, immer gewährte Anforderung, das Bequemen des
Beſſern; und wenn gezeigt wird, — und nicht geſagt —, daß
dies alles den Gräuel ſelbſt bereitete! das iſt wundertra-
giſch! Nicht Betrachtungen vom „Schönen auf der Erde.“
Gott verzeih mir meine Sünde! Es lebe Schiller! den mein
Herz ehrt. Ich meine ſeine Nachbeller; und ſtupiden Logiſten
und Parterriſten. Die Schröck ſagte dies göttlich. Wie
wirklich. Dieſer Zug iſt als würde eine Decke aufgehoben,
wo die ganze Vergangenheit dieſer Leute gezeigt würde; und
der ganze nichtige Urſprung der großen Tragik! Das iſt Tra-
gik. Unſre Nichtigkeit; wenn wir nicht aus dem Grund
leben. Die Devrient-Komitſch ſpielte nicht, war das Mäd-
chen: es iſt nicht möglich, den Brief über den Prediger beſſer
zu leſen: die Freude, daß er lebt, konnte in dem erſchrockenen
Körper nicht hervorbrechen; die Seele nur nahm ſie auf, mei-
ſterhaft! Die ganze Scene vollkommen, von beiden. Nach-
her hätte ich Kleinigkeiten von ihr noch anders gemacht.
Mlle. Bauer die Comteſſe ſehr gut. Völliger Adel: komplet
edel und jung. Und — Wunder! Lemm, der mich auf dem
Zettel
[193] Zettel erſchrak: äußerſt gut?!? Welchen pour le mérite ſoll
ich aber Beſchort geben?! — nicht, daß er die großen Haupt-
koups wie ein Erſter ſpielte, ein ganz Erſter. Aber welche
Kunſt, welche Gewalt in den unſcheinendſten Momenten ganz
zu zeigen, welcher Mann der Miniſter, ſeine Zeit, ſeine Ver-
hältniſſe, ſeine Denkungsart über alle Dinge iſt! mir ein
Räthſel. Er war es. Wirklich! Nichts empört mich ſo, wie
ein Akteur, nichts bewundre, verehr’ ich ſo, als einen guten.
Die ganze Aufführung ein Gelungenes. Devrient frappirte
mich unangenehm beim Auftreten; Holzſtimme, Perſon, alles.
Aber wie benahm er mir das. Ich war ganz zufrieden. Aber
ſeit der Sitzung der zweiten badiſchen Kammer (1819.), wo
man (Winter) dem Adel alles in’s Geſicht ſagte; habe ich
ſolche Emotion, ſolches Herzpuffen, ſolches konvulſiviſches
Schluckſen nicht erlebt. Und nur die zweimal im Leben. Schul-
ter an Schulter ſaß ich mit einem Offizier: das erhöhte alles.
Dies einmal mündlich, oder künftig: heute bin ich ſchon zu
blau. Das Publikum war ganz erſchüttert: es war voll; und
das beſte drin. Daß das Stück ſelbſt aus unſerm geprügelten
Herzen erwachſen iſt, muß mich tief berühren: beſticht mich aber
beim großen Gott nicht. Schlechter würd’ ich’s nur empfinden,
wäre es nicht vortrefflichſt gemacht. Bravo donc! du plus
profond du coeur!
— Varnhagen ſetzt zu allem hier Stehen-
den ſeinen Namen.


Euer Glück entzückt und tröſtet mich über alles an-
dere!
Gott geleite Mama ſanft! innigſter Wunſch. In
acht Tagen reiſt Dr. Gans nach Paris über euch. Der bringt
große Briefſchaften über alles mit: woran ich nach und nach
III. 13
[194] ſchreiben will. All Ihre Briefe, theure Rike, ſind an Ort
und Stelle. Sonnabend tranken wir bei Edelings mit Prof.
Witte aus Breslau, Maliſzewski’s, einer Menge Offiziere,
Müllers aus Deſſau — Dichter, Griechenlieder, und ſehr ſchöne
Frau, en profil ſo ſchön als Sie — Ihre Geſundheit. Aus
Fülle des Gefühls trank ich Roberts leiſe: Gott laſſe ihn glück-
lich. Emil war vier Tage über Oſtern bei mir. Ich bin
zu echauffirt! Geſtern wurden „die Überbildeten“ mit großem
Beifall im Poetenklub geleſen. Von Holtei; Varnhagen war
da; und grüßt. Alles iſt geſund. Alles künftig; ich umarme
euch. Alle Welt grüßt. Ich kann nicht genug antworten auf
Fragen nach euch. Ich küſſe jetzt noch Einmal euren Brief,
in dem ihr mir ſchreibt, daß ihr glücklich ſeid! und küſſe Gott
mit Thränenaugen die Vaterhand; und weine. Adieu! —


Geſtern erhielten wir einen langen, geſchwätzigen, göttli-
chen Brief von Goethen. Gans bringt die Abſchrift mit. Ein
Horn wüchſe mir vor der Stirn, hätte ich’s nicht weggeweint.
Er ſchickte nämlich Varnhagen einen Kupferſtich von der Bild-
ſäule des General Schulenburg in Corfu; und hat mich ge-
adelt, durch eine Anrede.


(Mündlich.)


Im kleinen Garten, am Sonntag Vormittag, bei wärm-
ſter Frühlingsluft, als eben die Sträucher im Begriff waren
zu ergrünen; wir hatten davon geſprochen, wie einem das
Leben vorkommt, daß einem das eigne fremd erſcheint, daß
man es in ſeiner Vergangenheit nicht faßt, nur weiß: von
größerer Erinnerung, die noch als verhüllte Vergangenheit
[195] vor dem Anfange dieſes Lebens zurückliegt; da rief Rahel in
ſchwermüthiger Trauer ſchmerzlich: „Ach, wir ſind nur ein
Tropfen Bewußtſein! Ich will auch ja ſo gern wieder zurück
in’s Meer, will gar nichts beſonders ſein!“



„Freilich bin ich ein Egoiſt! Ich bin ja ein ego zu ei-
nem Ich geſchaffen!“


Abſcheuliches Bekenntniß! und darauf ſind Sie noch ſtolz?


„Es kommt auf die Auslegung an: darauf, heißt das,
was wir verſtehn. Je enger Sie Ihr Ich einſchließen, je
plumper Sie es beſchränken, je ungelenker im groben direkten
Genuß Sie es laſſen, je unausſtehlicher wird es den andern
Ich’s werden, und ſich ſelbſt am meiſten zur Laſt (im tiefſten
Sinne des Worts): aber allen Ich’s mehr einräumen, als
dem eignen, iſt Verdrehung oder Lüge, wenigſtens gegen uns
ſelbſt. Haben Sie meine Abſcheulichkeit nun beſſer verſtanden?“



Wenn man auf der Straße nach der Vorübergehenden
Geſprächen horcht: ſo wird man ſehr ſelten etwas andres hö-
ren, als Klagen; oder Prahlereien. Alle Menſchen ſtreben
überhaupt nach einem würdigern, angemeſſenern Daſein: in
Wahrheit; dann klagen ſie: oder unterdeſſen in Lüge; dann
prahlen ſie. Vieles Prahlen entſteht auch aus Mangel an
Gerechtigkeit: widerführe uns Gerechtigkeit in Anerkennung
aller Art; niemand prahlte; ſo aber füllt jeder Lücken mit
13 *
[196] Prahlerei aus; und ſchiebt einen wahren Anſpruch von einem
Ort, wo er nicht gelten ſoll, auf einen andern.



An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Ein Wort vom Wetter und dann dein Brief. Kälte ſeit
geſtern Nachmittag. Heute kalt mit Fenſter zu. Der Him-
mel grau verſchloſſen. Himmelfahrtstag auf den Straßen,
geſtern die Zauberflöte als Konzert bei Schleiermachers: wun-
derſchön. Der Meiſter! dieſer Zauber in dem Kopf!
Tauſendmal angenehmer, als mit Tuten und Koſtümen auf
den Theatern! Schade! wie oft ſpreche ich dreiviertel Stunden
lang über Spontini: und nun du mich danach fragſt, weiß
ich grade nichts; oder äußerſt wenig. Lichtenberg hat Recht:
man ſollte unaufhörlich aufſchreiben (ein Sonnenkuk), ſo rückt
man, ſagt er, die Lücken zuſammen, in denen einem nichts
einfällt: u. ſ. w. ſehr ſchön. Lies einmal wieder ſeine Apho-
rismen. Sie lagen in der Gartenſtube; ich habe einen Theil
durch. — Zwei Akte von Alridvr hörte ich. Große Schön-
heiten. Die Inſtrumente vortrefflich behandelt. Nebeneinan-
der gebraucht er ſie wie keiner; immerweg klingt es wie Ein
großes Orgelinſtrument: wenn er es nicht durchaus anders
haben will: daß ſich eines los reißt oder windet, wie ein
klagender, tobender, ſuchender Geiſt, oder daß er ganze Muſik-
ſätze übereinander ſtürzen läßt; wo der alte den neuen, oder
[197] mehrere neue mit fortreißt; aber ſie dann mit einander ein
neues Ganzes bilden, welches beſtätigend, und vollſtändiger
fortwühlt; wie ein großer Strom, der zum immenſen allge-
meinen Muſikmeer führt. Mit eben ſolcher Meiſterſchaft
ſind auch ſeine Sätze, bis auf die kleinſten Phraſen und Aus-
drücke, behandelt: er wiederholt auch den kleinſten nicht: wie
alle Muſiker bisher nicht ganz unterließen; und die ſchlechten
und ſchlechteſten nie — aus Müſſigkeit, Verlegenheit oder
Verführung des Ohrs, im leeren Moment: ſondern, wenn er
etwas wiederholt, ſo geſchieht’s durch neue Eingebung, die
man oft nicht von ſeinen kunſtreichen und kunſtgehörigen
Überlegungen unterſcheiden kann: er gebraucht ſolche Tongeuppe
zum Weiterſchreiten, in einem neuen Rapport, und ſie muß
ihm andere Gefühls- und Gedankengefilde erſchließen und
Neues bedeuten; — wie alle ſchöpferiſche Autoren; in Rede,
und Muſik: wie auch Mozart Andre und ſich gebrauchte; im
höchſten Witz und reinſter Eingebung. Sieben Töne giebt
es ja nur: auch nur eine gezählte Wortanzahl; der wahre
Gedanke, der Seelenzuſtand geht vorher; und Töne und Worte
dienen dem Schöpfer zum Ausdruck ſeiner Konzeption. —
Daher kommt’s, daß Spontini nie ennuyirt; wenn wir nur
aufmerkſam ſind: daß wir das aber immer nur mit Vorſatz
bleiben können, iſt ſein Fehler. Aber ein Fehler, den er ver-
meiden kann, wenn er will; weil er darin liegt, daß er ſich
nur zu ſehr ſelbſt zwingt: und ich möchte wohl ſagen, ſeine
wahren Eingebungen bezwingt. Dies, glaub’ ich, hat er lei-
der in Frankreich mit großer Mühe gelernt, wo Sujet, Text,
Gluck, den ſie ſich dort ſowohl, als er ſie erzog, eine ſo
[198] große Rolle ſpielen; und wo ſie — und wir jetzt mit! —
grade in der Muſik das dramatiſch nennen, was es nicht iſt:
nämlich, Worten ihren Redewerth zu laſſen, und nicht viel-
mehr nur die Empfindung, welche die Worte eben gebrauchen
will, zu bedenken; oder vielmehr walten zu laſſen. Man
höre nur mit Aufmerkſamkeit, wie viele Lieblichkeiten in ſei-
nen Muſiken wider ſeinen Willen hervorſproſſen: ganz italiä-
niſche, freie, üppige, liebliche, reiche, graziöſe Gewächſe. Alle
Tanzmuſik: Einzelnes nicht zu rechnen; und nur Olympia’s
Wunderouverture! Er überlegt zu viel; und das will doch
nur ſagen, da wo er nicht ſollte: er ſollte überlegen, daß er
ſich gehen laſſen, und nicht ſo ſehr influenziren laſſen muß!
Alle zu häufige militäriſche Muſik iſt nun wieder von hier
u. m. dgl. Sein eigener tiefer Irrthum — von Frankreich
geboren; und von Eitelkeit erzogen — der, daß er’s mit Lärm
und Inſtrumentenzahl zwingen muß: und was? Beifall von
Leuten, die ſein wahres Weſen nicht faßten! Überließ er ſich
je ſeinem eigenen Genius: könnte er ihn noch finden, ſo wäre
er gewiß im Stande, Liebliches, Tiefes, Neues und Abſtraktes,
und immer Meiſterhaftes, zu liefern. Er beſitzt eine Melan-
cholie, er iſt melancholiſch; die müßte er einmal frei dar-
ſtellen. Seine komiſchen Opern ſollen vortrefflich ſein. Er
zwingt ſeinen eigenen Genius in allerlei Wahn, das iſt wahr:
aber welchen von all den ſich zwingenden Komponiſten,
die jetzt notiren, und oben an „Oper“ ſetzen, bleibt ſo viel
Reichthum und Schönheit in ihrem Zwang! Er nimmt uns
ganz in Anſpruch, wenn wir ihn hören: wenn wir ihn unter-
ſuchen, wozu er auch zwingt — durch Bedächtigkeiten und
[199] Vorſätze aller Art, die er nicht genug verbirgt — ſtellt ſich
Tadel ein; wenn wir darin fortfahren in größerer Dimenſion
und größerem Detail, große Bewunderung. Hier wird er
ganz verkannt — von den prôneurs; und von der Heerde,
die den Tadlern nachſpringt — und das iſt faſt gerecht: da
Righini wenig erkannt war, und vergeſſen iſt; obgleich ich
bei jeder Schönheit in Spontini’s Muſik gleich Righini an-
rufe, und mir ſage: wie würde der das ſchön finden! Spon-
tini iſt ihm ſehr unähnlich; und oft höre ich doch Righini in
ihm. „Es winken ſich die Weiſen aller Zeiten!“ über die
weg, von denen ſie nicht erkannt werden. Liebe, wie ſie
Righini dichtete, hat er noch nie geſchildert. Auch den Olymp
in ſeiner Sonnenklarheit und wähligen reinen Höhe nicht:
auch gli infernali nicht mit poetiſcher Ahndung des Schreckens
und wühlenden Grauſens. Auch daß er Liebe ſchildern kann,
glaub’ ich; hätte ſie ihm nur nicht zu oft in Frankreich ge-
ſeſſen! wo ſie, wie auf der ganzen Erde, empfunden wird;
wo aber die Nation ſie ſich erzogen hat, daß ſie ſoll in Ge-
ſellſchaft gehen können, und noch wohlerzogner auf den Thea-
tern zu erſcheinen hat. Aber eine Artigkeit tragiſch und leiden-
ſchaftlich darſtellen, muß monſtrös oder lächerlich ausfallen.
Alſo große réparation de talent an maitre Spontini. Heute
bin ich nun zu echauffirt, Alſo Adieu! V. findet das hier
über Spontini ſehr gut.



Heute Nacht träumte mir, ich ſei auf einem ganz ge-
wöhnlichen Ort mit vielen nahen Bekannten zuſammen; von
[200] Ludwig Robert aber nur weiß ich deutlich, daß er dabei war.
Plötzlich wird ein Unwetter mit Blitz und Sturm; doch gar
bald blitzt es nicht mehr, ſogar erinnre ich mich nicht deutlich
eines Blitzes. Aber eine Röthe entſtand am Himmel, und
bald umfloß die den ganzen Raum, dick war er davon er-
füllt; kein Gegenſtand mehr zu ſehn; meine Freunde waren
in dieſem herrlichen Abendroth — mit Staub oder vielmehr
Dunſt untermiſcht — verſchwunden, obgleich mir ganz nah,
eine Stubenweite nur entfernt. Die Erde ſchwankt, das Roth
immer ſchöner, allgemeiner. „Wo ſeid Ihr?“ ſchrei ich; „das
iſt ein Untergang,“ denk’ ich; „oder Tod!“ Ich will aufpaſ-
ſen, wie er kommt, wo meine Seele bleibt! „Robert, wo biſt
du?“ ſchrei ich; greife mit der Hand nach ihm: vergeblich.
„Wir wollen Alle zuſammen bleiben; kommt zu mir; wir
wollen zuſammen ſterben.“ Die Erde ſchwankt noch mehr.
Robert, komm her! denk’ an Gott. Denk’ nur an Gott;
ich denke an Gott.“ Und ſo paſſe ich auf meine Seele,
und ſchreie das immer, weil ich weiß, Robert iſt ganz nah.
Vom Geſchrei erwache ich. — Iſt das nicht ein troſtvoller
göttlicher Traum? Ich hatte mir geſtern Abend einen bedeu-
tungsvollen erbeten, — — weil ich ſehr am Rande war.
Solcher Traum iſt mir ſo lieb als Leben, und ſolche Gnade
nach dem Gebet, daß ich mich ſchäme und ſcheue. Gott
weiß es. —



Wir leſen und hören von jeher: „Der Menſch kennt ſich
nicht ſelbſt, der Dümmſte kennt ihn beſſer, als er ſich; will
[201] er wiſſen wie er iſt, ſo muß er Andere über ſich hören, die
ſehen ihn wie er eigentlich iſt.“ Mir kommt es ganz anders
vor. Was wir für einen Eindruck machen; das können wir
nur von Andern erfahren: und das auch von dem Dümmſten
und Närriſchten; aber wie wir ſind, weiß kein Menſch beſſer,
als wir ſelbſt: und ſei dieſes Wiſſen auch noch ſo dunkel
durch Verwirrung. Wir ſehen uns konkav; und die Andern
ſehen uns konvex: wiederhole ich hier. Es heißt auch: in ei-
nen Menſchen hinein gehn, um ihn zu beurtheilen. Aber
jeder ſitzt in ſich ſelbſt. Wir ſind zwar Alle gleich: aber nur
an unſern Gränzen: innen iſt eine Unendlichkeit von Schöp-
fungen auf das Eine Exempel angewandt erfunden, erſonnen
(conçu). Hier iſt der größte Witz; ſogar ſein Urſprung, für
unſer Bewußtſein, zu finden; die Perſönlichkeiten; nämlich,
die verſchiedenen Perſonen. —



Doktor Erhard hatte uns von afrikaniſchen Völkern und
Königen erzählt, deren Grauſamkeiten ich gar nicht vergeſſen
konnte; von Kinderſchlachten, aufgehäuften Menſchenköpfen
zum Staat bei Audienzen u. ſ. w. Den andern Tag fing ich
immer wieder davon an; und ſagte noch: vieles, was wir
noch thun, wird in künftigen Zeiten den dann Lebenden eben
ſo vorkommen; unglaublich! So ſprachen wir hin und her;
endlich ſagt Varnh. von deutſchen Soldaten, die bei jedem
Strafhieb um ſich zu bedanken mit der Hand an den Helm
gegriffen hätten. Ich bekam Thränen in die Augen.


V. Du weinſt?! Worüber?


[202]

R. Über die Soldaten: ich kann keine Beleidigun-
gen ertragen
.


Sie lachen Beide; denn dies war ein ſchon alter Ausruf
von mir. Ich ſah mit Frau von Br. zu Töplitz im Jahr 1822
den Prinzen von Heſſen-Homburg aufführen. Und als der
Prinz dem alten Kottwitz Muthloſigkeit vorwirft, wie der des
Kurfürſten Ordre nicht übertreten will, giebt der alte Brave
nach, ſich zornig vertheidigend. Kottwitz ſpielte ſehr gut. Ich
fing heftig an zu weinen: meine Nachbarin ſieht mich lang
und verwundert an: ich wußte wohl, daß kein Menſch da
weinte: und will mich vertheidigen. Vor Weinen konnte ich
nicht zur Stimme kommen. „Ich will Ihnen ſagen, bring’
ich endlich hervor, warum ich weine;“ ich denke, ich werde
eine lange Rede halten, ſtoße aber nur die Worte mit zerbor-
ſtenem Herzen in vollen Thränen heraus: „Ich kann keine
Beleidigungen ertragen!“ In demſelben Augenblick lachen
wir beide laut auf: ich konnte vor Lachen und Weinen gar
nicht aufhören. Und noch hab’ ich mir die Scene nie wieder-
gedacht ohne zu lachen.


So lachten wir denn auch diesmal. Ich ſage dann: „Meine
hübſchte Geſchichte iſt doch die! Die gefällt mir am beſten
von mir.“


V. Und das jemand, der nicht grade zum erſtenmal in
ſeinem Leben im Theater iſt! Ein alter Komödiengänger, und
läßt ſich affiziren wie ein Neuling!


R. Ja! — das iſt die Illuſion; (mit der Hand auf’s Herz
klopfend) die muß ich in mir tragen; — aber nicht von außen
bekommen, daß ich mich als Ochſe betrügen laſſen ſoll!


[203]

V. (Nach einer Pauſe, lachend) „Daß ich mich als Ochſe
betrügen
laſſen ſoll!“ Auch gut!


R. (Einſtimmend) Sehr gut, was ich da geſagt! Das
hatt’ ich erſt ganz überhört! —



Wir ſind eigentlich, wie wir ſein möchten, und nicht ſo,
wie wir ſind.


Widerſprechen iſt nicht widerlegen! Möcht’ ich oft erwie-
dern; aber ich ſchweige dann ganz, weil das Widerſprechen
kein Ende nähme.


Ich habe ſchon manchmal eine Vorſtellung von Heilig
gehabt; ſchon Augenblicke, in denen ich wußte, was das iſt:
Heilig. Erhaben über allen Wandel, rein abſolut, uner-
reichbar.


Unterpfand.


Da mir durch den dunklen Mutterleib geholfen ward,
ſo habe ich alle Hoffnung.


Unſer ganzes Lebenselement iſt verwirrt.


Wir machen die Jugend klug, das heißt alt. Wir rau-
ben ihr den Genuß; vertilgen die Hoffnungen; was ſchadet
es, wenn ſie falſch ſind? die man gar nicht hat, ſind gewiß
[204] todt! und eigentlich wollen wir ſie ihr nur geringer laſſen.
Hoffen ſoll ſie, aber Elendes, was ſie nie wünſchen kann. —



Wer ſich ganz aufgiebt, der wird gelobt: ſo wollen ſie
uns. So wird es J. gehn. Wenn ſie nur wird ahnden laſ-
ſen, daß es doch noch eine J. giebt, ſo iſt die Herrlichkeit
vorbei. —


„II a vraiment de l’esprit à lui,” heißt auf Deutſch: Er
hat eigne Wege, Gedanken zu finden: wenn ſie auch ſchon
alle längſt von den vielen Vorfahren ausgeſprochen ſind. Die
Hauptſache iſt Selbſtthätigkeit; Leben. —


Es ſagte jemand: „Ich will gar nichts im Himmel, als
mich von der Erde ausruhen.“ Ein Wort, welches aus einer
Tiefe kommt, wo Menſchen nicht hinkommen; und wo er es
auch nicht hergeholt hat; es iſt eins von denen, die von ſelbſt
aus der Tiefe kommen, und ihren Witz mitführen.


(Mündlich.)


Den 26. Mai 1825. wurde Rahel plötzlich ſehr krank;
die heftigſten Zufälle traten ein, ſie konnte glauben, es ginge
zu einer großen Entſcheidung. In dieſem Gedanken erhob
ſich ihr Gemüth inmitten aller Schmerzen und angſtvollen
Spannungen des Körpers zu begeiſterten Ausbrüchen. Sie
bat Gott um einen nicht allzu ſchweren Kampf; ſie verſicherte,
ganz ruhig und gefaßt zu ſein, wie immer. Dann ſagte ſie:
[205] „O, ich liebe alle Menſchen; ſie ſind alle wie von meinem
Fleiſch und Blut; ſo zuckt es mir, wenn einem von ihnen
was iſt.“ Über ihre Schmerzen: „Ich verſtehe ſie nicht; aber
ein Andrer. Schmerz iſt Gottes Geheimniß; der verſteht ihn.“
Ferner: „Könnte man ſich nur recht zu Gott wenden, ſo
wär’ einem gleich geholfen. Mit ſeiner Hand hebt der einen
heraus; ich habe ſie ſchon an mir gefühlt, ſeine Hand. Aber
ſo recht, wie man kann und ſoll, ſich ſo ganz mit dem
Auge an ihn anſaugen, das gelingt nicht immer, man will
und kann nicht immer ſtark genug.“ Und dann: „Höhere
Geiſter ſehen und hören jetzt meinen Jammer. Gott ſelbſt
hört und ſieht mich, er weiß um mich, und um jeden Schmerz
in mir; er iſt nicht zu groß dazu.“ Später äußerte ſie:
„Solche Krankheit, ich fühl’ es, iſt jedesmal eine Gnade. Es
wird einem ein Ruck gegeben, ich fühl’ es, zum Beſſern, zur
Entwicklung. Man muß dafür danken, und gute Gelübde
thun.“


Ich wollte noch vieles der Art feſthalten und bewahren,
aber das Gedächtniß konnte in der vielfachen Bewegung des
Gemüths der einzelnen Gegenſtände nicht Meiſter bleiben.
Der innig ſüße und zugleich ſchauerlich kräftige Ton der
Stimme ergriff mehr noch als die Worte ſelbſt, ihr ganzer
Inhalt lag ſchon in ihm. —



Beten iſt ein ſich Faſſen, ein Zuſammenſammlen mit
anderm Willen; mit vereinfachtem allgemeinen ſoll geſchehn,
[206] gedacht, empfunden, eingeſehn werden. Wir fliehen in’s Cen-
trum. —


An Auguſte Brandt von Lindau, in Schmerwitz.



Eben hatten wir vorgeſtern Abend von Fräulein von
Brandt geſprochen, und noch Einmal die gediegenſte Liebens-
würdigkeit auseinandergeſetzt; als auch geſtern Mittag die
liebe Botſchaft von Ihnen kommt! — Genug, unſre Bekannt-
ſchaft ſoll gepflegt werden (wir ſchätzen und lieben Sie ganz
beſonders; ich ſage es doppelt gerne, weil es unſerm Sinn
Ehre macht): eine ſolche edle ſchöne Pflanze ſoll gedeihen auf
der Erde, wo man doch ſo viel Unkraut zu bekämpfen hat!
Ihr lieber, theurer, beſcheidener Brief freute mich unendlich,
obgleich ich nicht nach Ihrem und meinem innigſten Wunſch
antworten kann! — Den Winter war ich unwohl, wie das
Wetter; und mein Nervenſyſtem faſt ſo toll, als das Wetter
im Herbſte war: im Sommer nun war ich vor vierzehn Ta-
gen ernſtlicher krank. Ich bin geneſen; und wir werden künf-
tigen Monat eine Reiſe über Wittenberg, Weimar u. ſ. w.
machen. Reiſte ich allein, käme ich grade zu Ihnen. Ich
reiſe mit Mann, Bruder und Mädchen. — Gott geſegne Ihnen
Ihre ſchöne Reiſe! Mit den theuren Schweſtern und den edlen
Aufſprößlingen! Den 6. Juli in Wittenberg in der Traube
ſchrei’ ich Ihnen glückliche Reiſe nach. — Glücklich würde
mich eine mit Ihnen, theure Auguſte, machen. Ihr leiſes,
[207] redliches, feines Weſen ſagt mir ganz zu. Wir wollen dieſe
Sache für unſer ferneres Leben nicht verloren ſein laſſen. —

Weit öfter halten ſich die Leute untereinander für das,
was ſie ſein möchten und vorſtellen wollen, als für das, was
ſie wirklich ſind. Mir iſt das mit einemmale ganz klar ge-
worden, als mir einfiel, wie ſehr ich Kinder liebe; wie ich
mich mit ihnen abgeben kann; zeitlebens welche zu beſorgen
hatte, und ſie mir ſchaffte. In allen Häuſern, in allen Städ-
ten: Geſchwiſter, Nichten, Fremde, Nachbarn; alle Sorten.
Nie iſt es Einem eingefallen, mir den Titel Kinderfreundin
zu geben, oder mich dafür anzuſehen; mir ſelbſt iſt es nicht
eingefallen.




Es kann uns nie in Verlegenheit ſetzen, wenn wir nur
wir ſein ſollen; aber wohl, wenn wir unſre Maske vorſtellen
müſſen! Mit andern umfaſſendern Worten: wir müßten im-
mer wahr ſein dürfen. Das fiel mir von neuem bei der Vor-
ſtellung ein, wie ich mich in einem Orte, z. B. in einem frem-
den Bade ganz getroſt befinden könnte, mit dem geringſten
Anzuge, ausgeſchloſſen aus der Geſellſchaft; nur auf den Um-
gang der Leute beſchränkt, mit denen man wahrhaft zu thun
hat, oder Bauersleute, u. dgl. Man müßte aber nicht wiſſen,
wer ich bin; oder vielmehr, es müßte kein Bekannter dort
ſein. Der wollte doch ſchon, daß ich ferner nach meiner vo-
rigen ihm bekannten Maske leben ſoll; was ich war, wie ich
[208] war, wie ich nicht mehr bin, iſt nicht mein lebendiges Weſen,
iſt eine Maske.


Unbedeutende Perſönchen, ſolche mit geringen Gemüths-
anlagen, bilden ſich — wenn es geſchieht — zu Härte und
kleinen Bosheiten aus; bedeutende Menſchen, zu Milde, Güte,
Nachſicht. Nichts macht ſo nachdenkend, ſo einſichtig, als ſtäte
Bewegung im Gemüth, großer Verkehr darin.




Nur wenn wir nicht entwandlen, wandelt alles um
uns her.



Da die Maſſe ein Hinderniß iſt, ſich nicht von ſelbſt zer-
ſtört, ſondern wuchernd anwächſt, ſo kann der Geiſt nicht ge-
nug davon verbrennen, gleichſam. Eine Überzeugung gewinnt
Raum unter den Menſchen: was heißt das? In Einem iſt
ſie aufgegangen, er ſpricht ſie aus: Andere verſtehen ſie, müſſen
ſie in ſich aufnehmen: bei Manchen darf ſie ſogar in Hand-
lung übergehn; die Maſſe aber der Menſchen, kann dieſe
Überzeugung nicht auffaſſen, ſie kann ihr nur nicht widerſpre-
chen, läßt ſie ſich gefallen, prahlt auch wohl mit ihr, und
bringt ſie ſo herum, weiter in Umlauf; und nach und nach
wird ſie Bewegungsgrund des Handlens. So iſt die elende
Maſſe der Körper und Träger einer edlen Überzeugung, und
macht
[209] macht ſie unedel ſo viel an ihr iſt. So mit dem Schönſten
bis jetzt. Drum weiter!



Freiheit haben, iſt nur das, was wir nothwendig gebrau-
chen, um das ſein zu können, was wir eigentlich ſein ſollten;
und zu haben, was wir eigentlich haben ſollten. Dies iſt
daran genau zu wiſſen, wenn wir uns beſinnen, was wir uns
ganz im Grunde wünſchen; und bedenken, woran, und wo-
durch wir verhindert ſind. An dieſe Betrachtung ſchließt ſich
gleich die über den Grund aller Lüge an. Der erſte Mangel
an Freiheit beſteht darin, daß wir nicht ſagen dürfen, was
wir wünſchen, und was uns fehlt. Im heimlichen Gebet ſa-
gen wir es unſerm Gott: oder er weiß es ohnedies; in der
Welt aber lügen, oder wenigſtens verheimlichen wir. Daran
ſchließt ſich wieder der Gedanke: daß nur der unſer Freund
ſein kann, dem wir uns ganz zeigen dürfen: und, daß, wenn
einer belogen wird, er ſelbſt daran ſchuld iſt: verdient einer
auch jedes Zutrauen, ſo muß er auch noch die Gabe haben,
es einzuflößen, es hervorzulocken. Lieben können wir nur
den, der dies vermag. Er verbirgt, er verdoppelt unſre Exi-
ſtenz. Tiefſtes Bedürfniß aller Geſelligkeit. Zweck und Grund
der Sprache. —


III. 14
[210]

An Eduard Gans, in Paris.



Regenwetter; Wolkenſpiel, große Regenſchauer, minder
beträchtliche, aber der Anblick immer ſchön und ununterbrochen
unterhaltend. Ich bin ein Liebhaber der Natur! Ich ſehe
hier, daß ich beinah nichts, als ihren freien Anblick brauche.
Sollte ſolch ein Durchdrungener nicht die Gabe obenein haben,
„zu ſagen, wie er fühlt?“ (Taſſo) — und der Dichter wäre
da! Sehen Sie aber ganz in mein halbes Dichterherz! dies
beklag’ und bedaure ich nur für Andre; gar nicht für mich;
ich fühle, und habe darin genug. — Meine Handſchrift iſt
beſonders heute noch ſchlecht, weil ich mir Sonntag, im Zer-
brechen einer Schüſſel, den rechten Zeigefinger auf den beiden
obern Gliedern weit aufgeſchnitten habe; er iſt ganz gut in
der Heilung; aber da hartgewordener Schwamm drauf iſt,
will er nicht ſchreiben. Seit ich aus Berlin bin, ſeit dem
6. Juli, ſind Sie der Zweite, dem ich ſchreibe. Fürſt Kos-
loffsky hatte einige Grußzeilen vor meinem Schnitt. Auch iſt
unſre Univerſität Schuld an meinem griffonnage — Klauerei
wollte mir nicht gleich einfallen, und Gekritzel paßte mir hier
nicht — Dore hat dieſe meine Feder, mit zwölf oder vierzehn
andren, für ſechs Dreier Münze im Univerſitätshof gekauft! —
und was könnte ich hinzufügen, für was eine Univerſität alles
[211] ſorgen ſollte, wenn ſie eine rechtſchaffene, und univerſal wäre.
Machen Sie den Witz, beſter G.! Sie ſollen all dergleichen
Aufträge haben: ſolch einen allerliebſten, ich könnte auch ſa-
gen vortrefflichen Brief haben Sie uns geſchickt. Sie verſte-
hen mich, wenn ich das Wort „Kleinigkeiten“ ausſpreche.
Sie haben mir in leichter Form die ernſteſten, ſcharfgeſehenſten
Dinge berichtet: und mit dem natürlichſten abandon; in völlig-
ſter Unſchuld; die ſchöne Ausſaat wuchert bei mir im geſün-
deſten Boden, und mein Geiſt ſoll deren Sonne, die Seele
deren Atmoſphäre ſein. Unter Ludwig XIV. war es unter
den Geiſtreichen Mode, Karakteriſtiken zu machen von Freun-
den und Bekannten, des portraits écrits; auch ſpäter haben
ſich welche verſucht. Die gedruckten hab’ ich wohl meiſt gele-
ſen: ich ziehe ihnen allen weit vor einige, welche Mirabeau
in ſeinen Briefen gab; und Ihre, die Sie uns ſchenkten. Erſt
geſtern laſen wir Ihren Brief, lieber Doktor. Zehn Tage lag
er bei meinem Bruder Louis, der mit ſeiner Frau und meinem
älteſten Bruder eine Spazirreiſe nach Konſtanz, dem Rhein-
fall u. ſ. w. gemacht hat, die zwölf Tage währte: und eine
größere Dankbarkeit, größere Anerkennung kann ich Ihnen
nicht beweiſen, als mich gleich hinſetzen, um zu antworten.
Gleich nach Ankunft der Reiſenden laſen wir zweimal Ihren
Brief. Den lieben nenn’ ich ihn. Und wiſſen Sie warum?
wiſſen Sie warum! weil er voll der ſchärfſten, genauſten,
treffendſten, flüchtigſten, erſchöpfendſten Zeichnungen; die aber
ihre Richtigkeit und Schärfe nur aus Talent und Gründlich-
keit haben, ohne ein Gräuchen jener Ungerechtigkeit, Aufge-
brachtheit, aigreur — nicht Bitterkeit — der ſonſtigen ſcharfen
14 *
[212] Urtheile! Ihr ganzes vergebungsvolles Gemüth beſeelt und
durchdringt dieſe Bildſäulchen von Urtheilen; und das iſt
Waſſer, was meine Herzensmühle brauchen kann! Dieſen
ſchönen Zuſtand einer Seele find’ ich ſo ſelten, ob er gleich
der natürlichſte in ihrem Geſundheitszuſtande iſt, und immer
vorhanden ſein ſollte, daß er mich entzückt, wo ich ihn Ein-
mal ſehe, und befreit, von ewiger und — wehe! — bei-
nah ſchon bewußtloſer Pein. Eben ſo ſelten wird dieſe Ge-
ſundheit einer lieben Seele anerkannt; und darum thue ich
es hiermit laut; und, bei beſſerer Überlegung, nicht zu
laut
. Vortrefflich iſt Ihrer Feder Humboldt entfahren! und
Eins hab’ ich doch zu erinnren: „er iſt gutmüthig,“ ſagen
Sie: er beträgt ſich dabei gutmüthig, ſag’ ich. Ein Räthſel
iſt es mir, daß Benjamin Conſtant ſoll Wolf ähnlich ſein;
Wolf mit ſeiner Königsnaſe: und Benjamin erinnre ich mich
mit einer kurzen Art von Stumpfnaſe? Können Naſen wach-
ſen nach dreißig Jahren? — Grüßen Sie Hrn. Couſin freund-
lichſt von mir: ſagen Sie ihm, daß es mich in die Seele freut,
daß ihm Berlin wohlgefiel; dies für Berlin und mich: aber
für ihn und von ihm freut es mich, ſeinen reinen Sinn —
bon esprit — noch Einmal bewährt zu finden; der da ſieht,
was da iſt: und nicht ſich ein gepacktes Urtheil von Paris,
nach dem Herzen Deutſchlands zum Beiſpiel, mitbringt, und
es unausgepackt und wohlverwahrt den Freunden nach Paris
zurückbringt, wie ſie’s wünſchen. Solcher Sinn und Geiſt
voll Unbefangenheit, wie er hier zeigt, iſt der, den alle Wiſſen-
ſchaft braucht: und ich wünſche alſo ſeinen Freunden ſowohl,
als allen ſeinen Landsleuten Glück zu ihm. Die Wiſſenſchaft
[213] iſt’s, die ein Kommen, Sehen und Siegen bedarf. Es weiche
der rohe Kampf der armen Völker! Profeſſoren ſeien ihre
Sieger! Wir waren einen langen Abend bei Goethe, der
freundlichſt war, weil er wohl war. Wir ſprachen ihm aus-
führlichſt über Couſins wiſſenſchaftliche Anliegen an ihn: er
bedauerte, ihn nicht mehr geſehen zu haben. Herr Couſin
muß noch hin, ſo lange der lebt! Mir hat Goethe eine Feder
ſchenken müſſen, und gerne geſchenkt, womit er den Morgen
des 8. Juli geſchrieben hatte. „Ich kann drauf ſchwören, daß
ich noch dieſen Morgen damit ſchrieb,“ waren ſeine Worte.
Nun muß ich noch ein Halstuch von ihm haben! Übrigens
fließt er wahr und wahrhaftig in mein Blut. Sonntag gehen
wir nach Straßburg, Mlle. Mars ſpielen zu ſehn. Dann ein
paar Beſuch- und geſchäftliche Tage in Karlsruhe — Wagen,
Geräthe — und ſo fort über Frankfurt und Kaſſel nach un-
ſerm großen, alten, weiten, vielfältig guten Neſte Berlin!
wo Sie im November ſchönſtens willkommen ſein ſollen. Ge-
hen Sie in London zu meiner Freundin Adelheid Goldſchmidt.
Zeigen Sie ihr dieſe Zeilen, und ſie wird Sie, ſchon eh ſie
Sie kennt, vortrefflich aufnehmen. Die beſte, originalſte,
wahrhaft liebenswürdige Frau. Der Verſtand, der ſpontanée,
iſt hier wie obenein. Herrliche Töchter! die ganze Familie
zuſammengehörig. Mad. Goldſchmidt wird Ihnen ſagen kön-
nen, wo Mad. Domeier wohnt. Meine Jugendfreundin;
viele Bekanntſchaften; voller Güte; verſäumen Sie ſie nicht!
Sie war dieſen Sommer in Berlin. Millionen ſchöne Grüße
beiden Damen. — Kein Heil ohne Zähne! Sie werden ſchon
noch eitel werden. — Ihr ſchöner Fleiß entzückt mich. Wenn
[214] er nur wahr iſt; wahr bleibt! Il n’y a rien tel; croyez
le, si vous ne le savez pas encore!
Halten Sie ſich grade;
und unſerer elterlichen, brüderlichen Freundſchaft gewiß! Schrei-
ben Sie! Ende des Monats ſind wir zu Hauſe. Mille bonnes
et belles choses à M. Oelsner!


An Henrich Steffens, in Breslau.



Kühles Regenwetter nach ſchmachvoller Verdor-
rung. Vormittag 12 Uhr.


Liebes Kind! So ſollte man Sie nennen, wenn Sie Ex-
rellenz werden, und Ihren wahren Titel bekommen. Wie
ſchön, wie frei, wie aus dem wahrſten Steffens haben Sie
über das Thema „Briefſchreiben“ phantaſirt! In welche lieb-
liche Seele ließen Sie ſchauen! Welche ehrliche Wanderung
nahmen Sie in ſich vor! Auf ſolcher würde jeder Geſell Mei-
ſter. Bei ehrlichen Menſchen bringt ein bischen Qual immer
etwas Gutes zu Tage; ich kenne die Leiden, die mir den Brief
erſchufen: Sie hatten welche, bevor Sie ihn beginnen konn-
ten. Da er geboren iſt, vergöttre ich ihn, wie jedes Geſchaffene:
und bilde mir noch obenein ein, ich würdige ihn: denn, da ich
aus allen meinen Kräften liebe, ſo kann ich mir über dieſe
Liebe, und dieſe Kräfte nur nichts denken: und dennoch bitte
ich Sie, ſchreiben Sie mir nie nur deßwegen, weil Sie glau-
ben, Sie hätten mir ſchreiben müſſen. Ich weiß, es kommt,
da Sie mich kennen, ein Moment, wo Sie mich wirklich zu
ſehen verlangen, und da werden Sie ſchon ſprechen; machen
[215] Sie mir keinen Beſuch, weil Sie mir lange einen ſchuldig
ſind. Sie ſchreiben mir ja auch, wenn ſie Bücher ſchreiben.
Verſtorbenen großen Männern danke ich ihre Bücher, ihre
Ausſprüche, ihre hinterlaſſenen Schätze und ihren Anbau mit
thränendem Dank, als Briefe an mich! „Es winken ſich die
Weiſen aller Zeiten;“ und daß ich ſie erkenne, und über-
ſchwänglich liebe, iſt der Segen, die Mitgift, die ich genieße.
Ich vergeſſe es nie; eben ſo wenig, als wenn ich ſchön wäre.
Aber auch ich bin in dem Fall, Ihnen heute nur ſchreiben zu
können, wie ſo ich nicht kann. Sonſt hätten Sie ſich vor
dem Rauſchquell meiner Geſchwätzigkeit in Acht zu nehmen.
Ich war in Weimar, Frankfurt, Baden, Heidelberg, Straß-
burg. Habe Goethe, Voß, Mlle. Mars, die Franzöſin, ſpie-
len ſehn; den gut gewordenen Sänger Wild gehört: Berg
und Thal, Buſch, Gras, Wald, Wolken, Schein; Sonne in
aller Art Thätigkeit geſehen; Luftarten gerochen, Pflanzen
aller Art, das liebe Korn, den ſtärkenden Hanf; den Rhein
erboßt geſehn; Quellen, Waldflüßchen, Waſſerfälle, Fußſtege,
Wälder, Kaſtanien, alles. Und wie würde Steffens das alles
finden; dacht’ ich täglich. Iſt das ein Brief? Von dem
allen könnte ich mit der Zunge Wunder erzählen; auch mit
der Feder. Aber ich habe nach einer Augenblendung, die ich
den Sonntag hatte, und die drei Viertelſtunden aus ſilber-
nen, zuckenden Blitzrändern beſtand, und während deſſen ich
nur den oberſten Theil der Gegenſtände ſah, und nur deren
Farbe, nicht Form, — Kopfweh übrig, und kann weder ſchrei-
ben noch leſen, ohne es zu vermehren. Gehe aber aus, Heute
Mlle. Sontag in einem Konzert zu hören; aber wie die
[216] Jungfrau dies: „es iſt nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber
Schafe. Mad. Beer iſt in Mlle. Sontag, und etwas in mich
verliebt; und nimmt mich mit. — Von unſerm Williſen hatte
ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig
und ſeine ſchöne Frau viel ſah: ſie fuhren mit ihm und dem
Grafen Yorck ſpaziren, loben den ſehr, und auch Williſens
Munterkeit und mittheilungsvolles Weſen. Der Menſch muß
reiſen; „da wird es ihm angeſtrichen,“ ſagen ſie bei uns;
heißt: nichts nachgegeben! „Der Menſch“ hat aber doch Recht;
nur in der Fremde iſt er er; zu Hauſe muß er ſeine Ver-
gangenheit repräſentiren: und die wird in der Gegenwart eine
Maske; ſchwer zu tragen und das Geſicht verdeckend. — Be-
ſchämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen
Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geiſtreich.
Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu ſein; und Klär-
chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue
Anhänglichkeit beweiſen zu dürfen: dann muß ich Ihnen
danken. —


An Ludwig Robert, in Paris.



Die vorige Woche ſah’ ich, wie alle hieſigen Einwohner,
die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün-
ſtigſten Meinung hin: für Roſſini, für die Mimen, und Sän-
ger; ganz unbefangen wenigſtens. Solche reine Langeweile,
bloß mit höchſter Ungeduld bis zum Aufſpringen — (wenn
[217] dies in den ſtuhlloſen Hühnerbehältniſſen ginge), habe ich
meines Erinnerns beinahe noch nicht erduldet. Dies, bei oft
mir laute Bewunderung entlockenden, vollkommenen Geſang-
theilen. Fangen wir bei Dem. Sontag der Italiänerin un-
ter den Barbaren an: Engländer erfinden gewiß nächſtens
eine Maſchine, die ſo vortrefflich ſingt. Kein Fehlerchen!
Überlegung des Effekts, wie nur bei Moſcheles gefunden wer-
den kann! Höchſte Leiſtung des Kehlchens! Aber („die Aber
koſten Überlegung, ich ſage: ſie ſind auch deren Ertrag“) —
auch nicht die leiſeſte Überraſchung, nicht das ſanfteſte Fort-
reißen, oder auch nur Mitziehen des geringſten — auch nur
von der Kunſtausübung ſelbſt hervorgebrachten Affekts. Glück-
lichſtes Intoniren, immer fertig bereiter Ton der Kehle, ta-
delloſeſte Ausübung, glücklichſte Reminiſcenz der Lehrer und
Vorbilder, mit Intelligenz aufgefaßt, mit künſtleriſcher Ruhe
bewundernswerth wiedergegeben! Leiſes Gehör! richtiges Hor-
chen eigner Leiſtung. Aber, die Seele, die Leidenſchaft, die
wechſelnde Gemüthsſtimmung nicht mit aufgenommen, nicht
mit angebracht. Alſo, der tiefbelebende Herzpuls fehlt: und
ſo das, was leicht angebende bewegliche Kehle, lobenswerthe
Überlegung, richtiger Unterricht, im Nothfall, erſetzt; oder
vielmehr dies alles erſt recht werth und wünſchenswerth
macht. Aber welcher Held wäre wohl der, der in unſrer gro-
ßen Stadt, auf unſern großen Plätzen, bei unſern großen
Thees, dies, unſerm großen Publikum ſagte! „Schweigen iſt
der Reſt“ und ſchreiben: drum ich’s dir mein Freund — nach
Frankreich. Es drängt die Bruſt das auszuſprechen, was wir
für wahr halten müſſen, und worüber prachtvoller Wahn
[218]herrſcht. Auch bin ich nicht ganz einſam in meinem Urtheil:
drei Herren und eine Dame hab’ ich ſogar auf meiner Seite.
Es iſt aber genug für mich, wenn ſie nicht wie ich ſo gequält
ſind, bis ſie in Worte gebracht, was ſie meinen, um daß ich
es thue, welches ich eigentlich gerne — je mehr je beſſer —
Andern überließe. Auch mit dem Spiel der jungen Schönen
war es nicht ſo, wie ich aus den paar Bewegungen und Mie-
nen, die ſie ſehr ſchön im komiſchen Duett eines früheren Kon-
zerts anbrachte, ſchließen mußte. Es blieb in der Rolle der
Italiänerin in Algier bei dieſen paar Bewegungen und Mie-
nen, und das war durchaus gar zu wenig. Hätte ſich das
Körperchen ein Exempel an den Augen genommen, ſo wär’
es ſchon beſſer gegangen; die waren allen ſeinen Theilen und
dem Ganzen im Spiel weit voraus; die ganze Perſon aber
durchaus angenehm, und hätte ſie noch weniger, das heißt;
gar nicht, geſpielt. Angezogen war unſre Schöne allerliebſt:
ganz exakt wie Franzöſinnen, als ſie noch in dieſer Tracht
gingen, welches nun unſer Publikum wieder nicht goutiren
wollte: es wäre nicht reiſemäßig; ſo ſtiege kein Menſch aus
dem Schiff — ſie ſind zu weit vom Meere! — Warum nicht?
kann man fragen, und ich frage es mit. Ein blauer, von
ſtarkem Seidenzeug ſchön gemachter Überrock, ein weißer, voll-
kommen modiſcher Hut, mit wohlangebrachten Maraboux;
Schuhe von der Farbe des Kleides auf dem wohlgebauteſten
Fuß: welches Lob man den Schuhen ſelbſt auch geben kann;
die weißen Hände in weißem Handſchuh hielten das ſchnee-
farbige Batiſttuch. Das Ganze vollkommen Dame. Nicht
vortheilhaft war ihre Kleidung als Türkin. Zu viel Silber
[219] darauf verſtreut, welches kein Ganzes bilden wollte: dies noch
dazu auf roth und weiß, welches ſich zu oft abſchnitt und
unterbrach: von der Fußſpitze bis zum zweifarbigen Turban,
immerweg ſo; keine Fresko-Maſſe für’s Auge kam zum Vor-
ſchein, der Kaftan von einem ſteifen Zeuge kurz geſchnitten
und dabei nach jetziger Mode, mit vielen Falten auf dem
Kreuze, anſtatt graziös flach, wie ein türkiſcher Schnitt exi-
ſtirt, den man zur Abwechſelung lieber hätte beibehalten kön-
nen. Nichts weiter Aſiatiſches, ein wenig nur von uns Weg-
verſetzendes beibehalten! Das Ganze ein kleiner verwirrender
Anblick. Das Letzte empfand ich ſelbſt; die auseinandergeſetz-
ten Details, die du hier findeſt, gab mir eine Frau, die vor
drei Wochen aus Italien hier ankam und Theater ſtudirte,
möchte man ſagen. Dies nun, was hier ſteht, hätte mich nicht
in die Ungeduld verſetzen können, die ich dir äußerte; wohl
aber das Ganze der verfehlten Aufführung. Man läßt es
Italiäner-Opern nach, daß ſie ein lockeres Gerüſt für Scherz
und Muſik ſind, welches Muſiker und Schauſpieler mit Luſt
und Liebe und ununterbrochener Befliſſenheit ausfüllen. Wo
ſoll man aber das Gleichgewicht finden, welches zum Anhören
und Sitzenbleiben gehört, wenn ein ſolch loſeſtes Machwerk
von Deutſchen in ihrem Idiom ſo aufgeführt wird, daß man
jedesmal, wenn ein Muſikſtück anhebt, ſich verwundert, wo
das jetzt herkommt! So wenig wußten ſie Alle — außer
Spitzeder — einen Einfall des Komponiſten vorzubereiten.
Weder Ironie der Muſik noch Munterkeit, noch eine der Per-
ſon angemeſſene Schwerfälligkeit oder Leichtigkeit, Leichtfer-
tigkeit; kurz nichts, nichts! Als ob ſie’s gar nicht merkten,
[220] als ob dergleichen gar nicht exiſtirte, als ob ſie ſich deſſen
ſchämten! als ob es nicht ſchon genug wäre, daß die Rezi-
tative wegbleiben, und nur geſprochen wird; worauf Roſſini
gewiß doch keinen Anfang eingerichtet hat. Es ging ſo weit,
daß ſich viele Zuſchauer wunderten, als gegen das Ende ein
ſonſt ernſter Dei eine mitgeſpielte komiſche Perſonage wird.
Von einer Dame, die aus übler Laune, oder Nichtbeachtung
gar nicht ſpielte, mag ich eben ſo wenig reden, als ſie ſich
bemühte. Jedoch war dies in ſeiner Art komplett, wie wir
Berliner ſagen; und wenn man wieder zu Hauſe iſt, werth,
es geſehen zu haben. Die Herren Wächter und Jäger ſangen
gut. Der arme Spitzeder ſpielte ganz allein (und erinnerte
ſehr an Elleviou im Irato). Eine ſo völlig auseinander
gehende Vorſtellung, bei meiſt ſo gutem Geſange, kann man
wohl ſelten zu ſehen bekommen. Was die Ungeduld darüber
ſteigern mußte, war der, ich möchte ſagen Wiener Beifall des
Publikums, welches mit der Schönheit, die der Geſang be-
ſtimmt enthielt, alles mit hinunter ſchluckte und, in unver-
dautem Beifalle ſich ſelbſt betäubend, wiedergab. Dem. Son-
tag, wird behauptet, und ſehr gerne glaub’ ich es, ſoll noch
in ganz anderem Genre vortrefflich ſingen. Ich freue mich
darauf.



Wieſo grade ſeit einer kurzen Zeit ertrag’ ich’s gar nicht
mehr, in Geſellſchaft zu ſitzen, und das Nichts zu hören und
zu behandlen? Wieſo dies plötzlich? Aber wie alle Entwicke-
lung: nur ſcheinbar plötzlich. Zu lange legte ich mein eigent-
[221] liches Intereſſe, mein wahres Ich beiſeite: nun gebrechen mir
die Kräfte dazu: und die Gründe, es zu thun: der Ertrag iſt
keiner; und da will man endlich die ungeheure Anſtrengung
ſparen. Freundlich kann ich noch immer ſein, wenn ich in
der Lage des Zuhörens bin; aber da hinein zu gehen, wird
mir zu ſauer. Wieder, noch Einmal, aufhören ich zu ſein:
und beläſtigt zu ſein, wird mir unendlich ſchwer. Alles ſchlecht
ausgedrückt.



Mémoires de Madame de Genlis. Vol. VI.
S. 344. vertheidigt ſie die Autorſchaft der Frauen ſehr gut:
und macht auch dabei die Bemerkung, wie viel Talent über-
haupt in der Welt verloren geht, und nur im tiefſten Keim
bleibt. — Weiterhin fragt ſie endlich: „Und die Frauen, ſo
verſchieden bei uns von denen der Wilden: ſind ſie wirklich
das, was die Natur wollte, daß ſie ſein ſollen?“ Ja, ſagt
ſie: „parceque les sauvages ne sont que dans un état de dé-
gradation et d’anarchie”,
vortrefflich das Wort hier — „Dieu
qui n’a rien fait en vain, n’a pas donné à l’homme tant de
facultés intellectuelles pour que ces facultés admirables res-
tassent enfouies; les développer; les étendre, c’est remplir le
voeu de la nature: l’homme est évidemment fait pour vivre
en société, pour avoir un culte, des lois, et pour cultiver
les sciences et les arts. Chez les sauvages toutes les lois
de la nature sont outragées, tous les droits usurpés au
hazard, parcequ’ils y sont méconnus:
wie einfach, pro-
fund, glücklich geſehen und glücklich ausgedrückt. Sage man
[222] nicht, es ſei oft geſagt! Welch ein großer Streitpunkt war
das zu J. J. Rouſſeau’s Zeit und lange nachher: und wie
oft noch jetzt alle Tage in allen Blättern wird dies noch im-
mer beſprochen, bloß weil es nicht ſo deutlich, kurz und faß-
lich geſagt wird. „De profondes réflexions, l’expérience des
siècles, l’accord unanime de tous les peuples civilisés, ont
fixé les idées sur la véritable destination des femmes, et par
conséquent leur état dans la société.”
Wenn man für die
Autorſchaft behaupten könnte: man ſolle eine gute Schrift
ehren und ſich ihrer freuen, und käme ſie aus einem Thiere
oder einem Felſen; ſo könnte dagegen geantwortet werden:
eine Frau aber, hätte die Welt noch ſo großen Gewinn von
ihren Schriften, verfehlte nichtsdeſtoweniger ihre weibliche
Beſtimmung, und die Zeit, ſie zu erfüllen. Zugegeben! und
nicht einmal geſtritten über dieſe Beſtimmung: es verfehlen
ſo viele Weiber ihre Beſtimmung, daß es wohl wird mit ein-
gerechnet werden können, wenn einige ſie durch Schreiben
verfehlen: und es wird noch Vortheil herauskommen, und
viel von dem ſonſt nicht vergendeten Mitleid mit ihnen er-
ſpart werden.“ —


An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Lieb Röberchen! Hotho’s Ramiro kommt mir, wie ich
dir ſchon Einmal ſchrieb, darum talentvoll vor, weil er, auf
dem ſchlechtgewählten breitgetretenen Wege, doch immer, in
[223] Sprache, Gedanken und Wendung der Anſicht ſo aufduckt,
daß er immer noch wieder unterhaltend und neu in dem ar-
gen Genre wird; und dazu, glaube ich, gehört Talent. Da-
gegen gefällt mir „Dichterleben“ von Tieck, in dem Almanach
Urania, gar nicht, (und par hasard nannte ich ſie hier neben-
einander — weil es mit dieſer Novelle gerade die umgekehrte
Bewandtniß hat. Nichts von Religion, nichts von Jetztleben:
alſo die Wahl höchſt vortheilhaft; und gemacht, höchſt ſchlecht).
Wie kann ein ſo alter Kritiker und Würdiger ſo leichthin ar-
beiten? In ſolchem Grade, daß ich das auf der erſten Seite
merke. Der unſchuldig ſein ſollende Page ſpricht in ungeſchickt
gewählten Ausdrücken des Dichters, riecht Genies wie Fouqué’s
Pferde Heiden, in dem Zauberring. Der Wirth nennt den ar-
men — hier armen — Shakeſpear eine ſtille Seele?! („Liebe
Seele.“) Dirnen betragen ſich polizeiwidrig, was die am er-
ſten vermeiden, und dadurch denkt er ſie zu karakteriſiren.
Wie würde man ohne ihren Namen, den er ewig wiederholen
läßt, ahnden, daß das Stück unter Königin Eliſabeth ſpielt,
denn bis auf Burgsdorfs Zeiten herab haben die Dichter wohl
nie ſo geſprochen als hier. Auch nicht ein Zug iſt ſo, daß
er Shakeſpear’n angehören müßte; nur die, welche Tieck gut
kennen, erkennen ſein Bemühen, ihn ſchildern zu wollen. Vor-
züglich Eine Art ſchwebt mir vor, wie ich mir Shakeſpear oft
denken mußte, und müßte. Er müßte ihn in kurzen ſehr leb-
haften Hin- und Herreden ſchildern, und die Andern müßten
wider Shakeſpear’s Willen ſich ſo ſtellen, daß er endlich aus
purer Luſt und Richtigkeit ſie zum Narren haben müßte. Haſt
du das nicht oft bei geiſtreichen, und geiſtvollen, gütigen, aber
[224] alles ſehenden Menſchen bemerkt? und dergleichen hätte er
anbringen müſſen. Ein tiefes, endlich hervorbrechendes Gefühl
und Einſicht für Recht, bei einem Vorfall, wo Andere
lange matt ſchwatzten, und Hergebrachtes vertheidigen woll-
ten; wo es aus alter Sitte unſittlich herging! He? Muß
man ſich einen Geſchichtsbetrachter wie Shakeſpear nicht in
ſeiner Jugend unter Bekannten ſo denken? Die Milde, die
Ruhe, das Offne, und gewiß das Beſcheidne, das von Un-
ſchuld kommt, hätte er ihm laſſen, und ihn ausdrücken laſſen
ſollen. So iſt die Novelle bis jetzt noch nichts; aber es ſind
ſo vortreffliche Stellen darin, beſonders gegen das Ende, daß
ſie ganz von ſelbſt redneriſch werden, was ſonſt bei mir ein
ſchlechtes Lob iſt, da ich keine Dialektik ohne Inhalt zugebe;
weil jene keinen ſchaffen kann; was gewöhnlich angenommen
wird, wogegen ich ein gewaffneter Feind bin! Die Dichter
ſprechen das, was ich meine: wenn auch unzeitig, ſo iſt es
doch an ſich tief und vortrefflich. Das Ganze iſt Tiecks alte
Krankhaftigkeit; daß er die Welt nicht friſch in ſich aufneh-
men kann, und da er nun darſtellen will, nur grübelt, wie
Dichter und Litteratoren ſie wohl geſehen haben; daher auch
ſein Ganz-ſich-verlieren in Shakeſpear; und grübelt er wei-
ter — daß ihm ſo leicht das Wirkliche auch zu einer Vor-
ſtellung wird, die er überſpringen könnte, und ſo ſich alsbald
unter Geſpenſtern findet; die aber auch nicht die Geſpenſter-
Realität haben, weil auch deren Daſein nur von ihm ab-
hängt. Mir iſt er deutlich. — Börne iſt mir auch, im beſten
Sinne, kein „Hoffmann;“ ſondern einer unſerer vornehmſten
Geiſter,
[225] Geiſter, weil er eine unſerer vornehmſten Seelen iſt, und daher
ſein ſchöner Geiſt frei. —



Alter iſt immer ungerecht gegen Jugend; weil Alter wohl
wiſſen kann, wie Jugend zu Muthe iſt, aber Jugend nicht,
wie dem Alter; und dies verlangt immer, ſie ſoll das ſcharfe
Tröpfchen Wahrheitseſſenz ſchon deſtillirt beſitzen, ohne je den
Baum des Lebens, weder in Laub, noch in Blüthe, oder in
Frucht erlebt zu haben. Dümmer und jünger kann kein Wik-
kelkind ſein! Glauben ſoll ihm die Jugend: eben das kann
ſie nicht: ſeine Falten ſind ihr an und für ſich keine Be-
glaubigung.


Das Alter thut ſich auch dadurch kund, daß wir nicht
mehr glauben, daß wir etwas bewirken, oder in der Welt
ändern können. Dieſe Einſicht macht unthätig; und wir ſind
eigentlich viel länger fähig, als wir unſre Fähigkeiten ge-
brauchen: es fehlt im Leben durchaus an neuen Einſichten und
Entdeckungen: wir machen ſie meiſt alle auf eine unverhält-
nißmäßige Weiſe bis zum dritten Lebensjahre. Die Jugend
hat auch darin einen Vorzug, daß ſie umgekehrt meint, viel
bewirken, und beſonders, verändern zu können; und es iſt ſo
wahr, daß That nur wirkt, daß auch Jugend wirklich nur die
Welt modifizirt; in ihr ſind die erworbenen Einſichten der
vorigen Generationen niedergelegt und angebaut; die ge-
braucht ſie friſch, und macht neue Umkehrungen darin. Bis
vierzig allenfalls wirkt der Menſch ſelbſt: nachher, wenn’s
III. 15
[226] Glück gut iſt, ſeine Einſichten: d. h. Andre mit ſeinen Ein-
ſichten. —



Saint-Martin beſſert mich immer: er macht mich nicht
beſſer, als ich bin, aber ſo gut, als ich ſein kann. Ja, wenn
ich nur an ihn denke. —


Leute mit noch ſo geringem Grade von Witz und Einſicht
wären ſehr gut zu leiden, wenn ſie nur nie etwas Uneinge-
ſehenes nachſagten: dies aber iſt Prätenſion, Narrheit, Lüge;
und die ſind nicht zu ertragen. Angelus ſagt:


Die Einfalt ſchätz’ ich hoch, der Gott hat Witz beſchcert;

Die aber den nicht hat, iſt nicht des Namens werth.

Ich möchte gerne ſagen:


Die Dummheit ſchätz’ ich noch, die rein für ſich beſteht;

Die aber Narrheit hegt, mit Recht zu Grunde geht.


A. Ich weiß gar nicht, warum X. ſich vor einigen Jah-
ren ſo zeigte, wie er that: eine Übereilung! Bei der beſten
Denkungsart, die er hat, hätte er dieſe Dummheit nicht nö-
thig gehabt.


R. „So iſt es immer. Darin beſtehen alle Dummheiten,
die wir begehen; ſie ſind immer dümmer als wir.“


Waſhington Irwing ſagt in einer Erzählung: „Mit mei-
nem Vater war ſehr ſchlecht ſtreiten: er wußte nie, wenn er
[227] widerlegt war.“ Das iſt wie mein: „Er hält eine Ausrede
für einen Grund.“


Als ich eine Schönſprecherei des ſpaniſchen Miniſters las:
„Das iſt accurat, als ob ich Graf Tilly hörte! Die ſchönſten
Redensarten auf dem ſchwärzeſten Abgrund: der kann damit
nicht ausgefüllt werden!“ Alle Ausdrücke, die ihre Gegner
gebrauchen könnten, wenden ſie an, wie Waffen, die in ver-
brecheriſchen Händen geſchwungen werden; der Rechtmäßige
muß ſie doch erſt niederſchlagen, und ihnen ausweichen.


Der beſte Wille, die höchſte Pflicht, die größte Kreatu-
renliebe, wird in Anſpruch genommen, wenn ein Armer das
Wort ſagt: „um Gotteswillen!“ Das ſoll uns immer er-
ſchüttern.



Le Constitutionnel. Jeudi 27. Octobre 1825.


Paris, 26. Octobre. Il est maintenant bien décidé
que la société est en poussière: on nous le répète sous toutes
les formes dans les journaux de l’aristocratie, dans les feuilles
du clergé et du ministère. La vile poussière, c’est aussi le
nom que l’on donne en Orient à la tourbe des esclaves. Les
congréganistes de la trésorerie, les mains pleines de notre
argent
, nous disent avec un fier dédain, que nous ne te-
nons plus qu’ à des intérêts matériels
: que nous
produisons trop. Il leur faut une France plus pauvre et plus
aristocratique. La fortune ne va bien qu’ à eux, et,

15 *
[228]dans leur amour des richesses, il n’y a que du spiritua-
lisme pur
.”
Dieſer kleine Abſatz iſt wirklich die reine Wie-
derholung deſſen, was oft im Ernſt geſagt zu werden pflegt.
Die Einen ſollen ſich als gute Chriſten bezeigen; auf die Gü-
ter dieſer Welt verzichten: nichts wollen, als was die höchſte
ſittliche Anforderung ſelbſt will; Gottes Welt in Ehrfurcht da-
hin nehmen; und die iſt die, welche durch Gewalt und Gier
den Andern zu Theil ward. Erfindungen, Studium, Fleiß
aller Art, Arbeit und Bemühung, ſollen ohne Emporſtreben
dienend verbleiben. Und das Menſchengeſchlecht ſoll ſein wie
Gartengewächſe. Spargel bleibt ewig Spargel: und ſo wei-
ter mit Rüben, Kohl und aller Art von Wurzel und Kraut.
Dahin bringt es aber kein Krieg, kein Friede! Alle Menſchen
ſtreben zu ſein, wie es den Beſten möglich iſt: geiſtig und ma-
teriell. Auch gelingt es dem Geſchlecht, wenn es nicht ver-
brennt oder verſchwemmt, ganz gewiß, und die großen Fort-
ſchritte darin ſind bei jedesmaliger Civiliſation zu ſehen; bis
ein Unglück kommt: dieſes Unglück aber, käme es in aller
Ewigkeit wieder, muß nie als ein Beweis angenommen wer-
den, als müßten wir nun beitragen, daß nur ein Tauſends-
tel der Menſchen leben, ſein, und genießen ſolle; ſondern
umgekehrt! Wir müſſen der unverſtandenen Natur, die wider
die menſchliche agirt, entgegenarbeiten: dieſe unverſtandene,
weit entfernt, einen Beweis wider unſre Bemühungen abzu-
geben, iſt vielmehr ein Beweis, daß, wenn ſie bis jetzt noch
nicht beherrſcht werden kann, unſer innerſtes, abſoluteſtes
Streben eben ſo wenig ausgetilgt werden kann. — Dies muß
man denen antworten, die damit beginnen (weil ſie in die
[229] Enge getrieben ſind), daß die Geburt die erſte That des
Menſchen iſt. Aber auch dieſen myſtiſchen Satz zugegeben:
iſt ſie eine That, ſo ſoll ſie wie viele andere bekämpft werden,
wenn dabei Unrecht und Nachtheil für die Andern iſt. —




Religion kann nur ſein: Bedürfniß, Frage; Bedürfniß
uns zu reliiren; Antwort giebt Vernunft; die immer nur ent-
ſcheidet, was Thatſache iſt; ſie iſt Eins mit Thatſache: ſie
nur ſieht ſie ein. Welche Verwechslung! Nach ſo vielen Jahr-
hunderten Sprachſtudiums!


An Wilhelm von Williſen, in Paris.



Eben weil ich Ihnen gar keine Antwort ſchuldig bin, iſt
es möglich, daß ich Ihnen einen Gruß ſchreibe, — andre
Briefe laſſ’ ich unbeantwortet; mein Bedürfniß nach freiem
Handlen, aus wahrhaft mir angehörigen Motiven, nimmt
zu: wie ſoll das werden? da mit jedem Tag Älterwerden
die fatalen Bedingungen des geſelligen Lebens zunehmen! —
Seit einigen Tagen beſitz’ ich Ihre beiden Briefe aus Nürn-
berg und aus der Schweiz. Sie haben mir überaus wohl-
gefallen. Voller Wahrheit: unſchuldig geſehen. Die haben
[230] Sie für mich geſchrieben. O! lieber Freund, ſo fahren Sie
fort, ſo beſtreiten Sie Ihre ganze Reiſe! Nur ſo iſt ſie
werth, daß Sie ſie machen. Streifen Sie alle angewöhnte,
vorgefaßte Luxusmeinungen — der in der ganzen Welt jetzt
ohne wahre Wohlhabenheit wuchert, wie ſchlechte verderbliche
Pflanzen — Landesgeſellſchafts-Kunſtzunftmeinung, Reli-
gionsmeinung — vom Blaſebalg des Dünkels und der Unſi-
cherheit aufgeſchwollen — ab; werfen Sie ſie weit weg. O!
dann werden Sie alles ſo richtig ſehen, ſo vortrefflich beſchrei-
ben können, wie den lieben verkannten Eſel. Ohne allen Scherz,
Von jeher hatte ich nur noch bei unſern ordinairen Vögeln
ein ſolch Vergnügen, als ich eins empfand, wenn ich einen
Eſel ſah: aber den Eſel liebt’ ich mehr, er rührte mich: Vögel
ergötzten mich nur, und ich wollt’ ihnen wohlthun, wie allen
Thieren: ſie gerne freilaſſen; gerne beobachten. Der aber
emotionirte mich. Dieſen Sommer hab’ ich in Baden-Baden
ſeine perſönliche Bekanntſchaft gemacht, und bin viel mit ihm
im Gebirge umhergeritten. Tauſendmal beſſer als fahren.
Er verſtand mich gleich; ich ihn auch, Sie müſſen wiſſen,
ich bin der größte und ungeſchickteſte Poltron — und darum
froh eine Frau zu ſein —, als ich zuerſt mich auf das Thier
ſetzen ſollte, und nun drauf war, mußte ich fragen, was ich
nun thun müßte, um rechts oder links zu kommen?! Bald
aber waren wir einig: er merkte mir alles, ich ihm alles ab:
ja mir kam’s vor, er liebe mich. Wenn ich im waldigen duf-
tenden Gebirge ſo etwas voraus ritt, war ich ganz tief in-
nen überzeugt, ſo hätte ich ſonſt in Spanien unter ſchönen
Umſtänden, ſchöner Begleitung, in guter Lage, geritten, und
[231] erinnerte mich jetzt nur daran! Sind Sie wohl ſolchem un-
abweisbaren Wahnſinn unterworfen? Bei dieſer Gelegenheit
muß ich Ihnen auch noch ſagen, daß ich überhaupt als Re-
ſultat, und letzten Punkt aller Anweiſung meiner Unterſuchung,
endlich und immer nur gefunden, daß all unſer — meines
gewiß — Suchen nur ein Wiederfinden iſt von dem, was
wir ſchon wußten, waren, hatten. (Hier ſind zwei Kinder
gekommen mich zu ſtören: ich liebe ſie zu ſehr: ſie ſind herr-
lich.) Ich nehme mit Saint-Martin an, oder vielmehr, mir
iſt einleuchtend: „daß wir einen entſetzlichen Fall thaten bis
auf die Erde, die uns aufnahm; von dem wir uns aber gar
nicht erholen, von deſſen Zertrümmerung und Zerſchmetterung
wir uns nicht wieder zuſammenfinden können: aber es ſollen.“
Ein Sündenfall iſt es bei mir aber doch nicht: ein Emanci-
pirungsfall vielmehr: wie auch das Koſten vom Baume der
Erkenntniß. Schrecklich! und alle Tage zu wiederholen. Iſt
ein Kind nicht unſchuldig, wenn es etwas wiſſen will?
Nur Unſchuld darf gefordert werden: Heiligkeit iſt glücklicher.
Aber heilig iſt nur Gott: darum unerreichbar; enthoben.
Manchmal weiß ich einen Augenblick, was heilig iſt:
dann wieder nicht. Das, was gar nicht unheilig werden
kann; ich habe ſchon ein paarmal ein Wiſſen, ein momenta-
nes, ein Gefühl darüber gehabt, als wär’ ich für eine Sekunde
dahin geſchwungen worden. So viel von dem Eſel: möchte
ich ſagen, wenn es nicht zu Jean-Pauliſch wäre: und doch
weiß ich — wie er — keine andre Wendung hier zu finden
in der Geſchwindigkeit. Wir beiden, er und ich, pfleg’ ich zu
behaupten, können nicht ſchreiben. Von Peter Viſcher bin
[232] ich auch ſo eingenommen; ich ſah ſein Werk in Magdeburg
und das in Wittenberg: aber dieſe großen haben mich nicht
ſo in die Seele gefreut, als ein Basrelief hinter dem Altar,
in einem ſchmalen doch hellen Gang der Hauptkirche im letz-
tern Ort. Gott und Chriſtus krönen die Muttergottes. Die
Wahrhaftigkeit, die Reinheit, das Menſchliche da hineinge-
bracht! Man möchte ſagen, in Menſch überſetzt. Andere
Übernatürlichkeit erkenne ich auch gar nicht an: denn ſie iſt
gelogen. Gelogen bis zur neuen Exiſtenz. Wenn die Künſt-
ler etwa mit dem hier zu leiſtenden Menſchlichen nicht be-
gnügt ſein wollen, ſo müſſen ſie bis zu einer neuen Zeit lü-
gen. Entweder: das eleganteſte Menſchendaſein ausgedrückt,
wie der Grieche: oder, ergebene, verſtändige Unſchuld, wie
dieſe Deutſchen! Alles andere ſind Nüancen, Stufen, Mittel-
bildungen, Irrthümerchen, kleine Nationalkoſtüme der Seelen-
regimenter (des âmes enrégimentées, daß Sie mich verſtehen!)
Adieu bis morgen! — Nun iſt morgen, Sonnabend. Trüb-
lich graues, feuchtlich wärmliches Wetter, 10 Uhr morgens.
Aber wie habe ich geweint! Dienstag wurde Goethens An-
kunfts-Jubiläum in Weimar, von Hof, Land und Stadt —
wahrhaft gefeiert. Das las ich heute ausführlich in der Spe-
ner’ſchen — thun Sie das ja auch — und alle Schleuſen
meines gelebten Lebens öffneten ſich, ſprangen auf; alle Ehr-
furcht in mir ſtand unterm Gewehr, alles was Dank in mir
ſein kann: gegen Gott, Fürſten, Erkenner, Menſchenfortſchritt,
Gutes auf Erden, Freude ſeines Gedeihens, Freude über Ein-
ſicht in mir alles deſſen, und über meine Nationalität, —
die nur ſo mir erſetzt werden kann, — über mein Uremigran-
[233] tenthum, welches nur ſo irdiſche Verſtändlichkeit in mir er-
langt. Aber auch brüllende — ich weinte mit Tönen, wie
Waſſer bei Schleuſen lärmt — Thränen des Neides weint’
ich, und der Zerknirſchung; und bat Gott, dies große Opfer
mir ja anzurechnen. Ich war fern, die Goethen am meiſten
liebt: ihn ſeit dreißig Jahren vergöttert; deren Hofmeiſter,
Freund, Vertrauter, Vermittler er iſt: mein Hochbild: an dem
ich meine Verkrüpplung meſſe; und durch den ich ſie doch
ſtolz ertragen gelernt habe. Welch’ elende, irreführende Worte
ſprech’ ich hier aus! Sie wiſſen es auch. Aber wie weiß ich
es! Dieſen Sommer wechſelte ich Pferde in Weimar,
als ich mit Geſchichte dort erleben konnte, den Tag
vor des Großherzogs Jubelfeſt, den ich perſönlich
kenne, welches Goethe feierte
. Weiter ſage ich nichts.
Ich mußte. Ich reiſte mit Varnh. und meinem Bruder. Ich
äußerte meinen Wunſch gar nicht. So habe ich auch — ich
hatte damals nichts mehr anzubieten — Gott in ſchwerer
Krankheit Anno 10, die ich nicht mehr ertragen konnte, an-
gelobt: „ich wolle auch Italien nicht ſehn! Er ſoll mich los-
laſſen!“ Ich genas alsbald; natürlich. Und die Luſt, Ita-
lien zu ſehn, war weg. Den Verluſt aber ermeſſe ich ſo gut,
als es einer kann, der Italien nicht geſehn hat. Hätten Sie
ſo etwas von mir geglaubt? Ich wollte, Sie hätten eine
Stelle geleſen, die ich einmal dem Grafen Cuſtine über Gebet
ſchrieb, — da würden Sie ſehen, daß ich doch nicht vernagelt
bin. Dieſen ganzen Thränen-Vorfall ſchrieb ich Ihnen aber
nur, weil ich ſie noch in den Augen hatte, und auf der Seele:
und Sie hätten Sie doch, in dem was ich geſchrieben, gemerkt,
[234] und unerkannt als Störung bemerkt; und ob ich dies oder
etwas anderes aus mir portofrei herausſchreibe, iſt ja gleich!
Dieſen ganzen Brief ſchreibe ich auf letzte Veranlaſſung, näm-
lich weil ich vorgeſtern bei dem hannöverſchen Geſandten Ba-
ron Reden den Hrn. von Wildermeth ſah; der mir ſagte, er
ſei an mich gewieſen wegen Ihrer zwei Briefe: ich ſagte ihm
ein wenig, wie ich ſie fand. Da ſagte er mir, neumodiſch
und ganz fertig: ja, er ſchreibt ſehr gut: er ſieht alles mit
dem Verſtand ꝛc. Meiner ſtand ſtill; weil er kein Inſtrument
bei der Hand hatte, einen Irrthum, ſo breit auf ſo verſchiede-
nen Fußgeſtellen ausgelegt, zu ergreifen; und ſein (Wilder-
meths) Menſchenleben dazu gehört hätte, dieſen Irrthum da-
von abzulöſen, und in alle vier Winde zu ſchicken. Vorher
hatte ich Ihre Wahrhaftigkeit geprieſen: und mich dagegen
präkavirt, daß es nicht, wie man es nennt, ſchöne Briefe
ſeien; nachher konnte ich nichts mehr ſagen, als: der Verſtand
ſchadet nicht; und thut dem nicht Schaden, was ſonſt ſchon
vorhanden iſt. Aber ſie haben eigenſt den T — im Leibe
jetzt. Das haben die Neuphiloſophen eingebrockt mit ihrer
„ſogenannten Vernunft,“ die ſie belächlen, und mit einem
neuen Organ, der Naſenſpitze, weit über Vernunft, ihre Re-
ligion riechen anſtatt wählen. (Das Bedürfniß dazu iſt
ganz etwas anderes.) Hat Einer keinen Verſtand, und ſie
müſſens geſtehen: ſo ſagen ſie gleich: er hat Phantaſie. Mit-
nichten! Es iſt mit der Phantaſie nicht wie mit Luft. Wo
das Waſſer weicht, dringt ſie hin. Schreiben ſie nur ferner:
iſt es für niemand; iſt’s für mich. Und meinesgleichen: wir
ſind ihrer noch viele. Dann ſchreibe ich Ihnen noch, um Sie
[235] zu ſchelten. Ein Böſewicht ſind Sie! Alle Menſchen erzäh-
len mir, und nun wieder Wildermeth, von Ihrer Munterkeit,
Ihrem Lachen: und ich ſehe immer nichts. Ich, die nur lebt
von Lachen. Sie ſollten ſehen, wie wir bei Redens lachen.
Hier? ſtill, ſtill, ſtill ſteht alles, wie Sie’s kennen. Eins
fürcht’ ich nur: Ihre Zurückkunft. Sie werden denken, es
müſſe fortgeſchritten ſein; werden Meeresländer, Nationen
vor den Augen haben; hoff’ ich wenigſtens; und werden al-
les Gewöhnliche, albernſte Frauen, gewiſſeſte Herren, und
lauter Binnen-Ideen, und Stolz auf all dies wiederfinden.
Reiſen Sie! reiſen Sie! Sein Sie ein glücklicher Fremder,
den das Gute freut, den das Schlechte nichts angeht! Sein
Sie ein freier Genießer, ein Gaſt, ein Unbekannter, ein Un-
terſucher, ein Vogel in der Luft! In Baden-Baden hat man
mir Sie, Ihre Munterkeit, Leutſeligkeit, Geſelligkeit,
und den Grafen Yorck ſehr gelobt. Meinem Bruder glaub’
ich. Adieu, lieber Freund! V. grüßt ſchönſtens. Gehen Sie
ja zu all meinen Freunden in und außer London: Mad. D.
ſoll Sie mit Doktor Young bekannt machen. — Ich habe in
Straßburg Mlle. Mars ihre beſte Stücke geſehen: im Esprit
Stube an Stube mit ihr gewohnt; und reizend ihre perſön-
liche Bekanntſchaft gemacht; grüßen, loben, vergöttren Sie ſie,
wenn Sie ſie ſprechen. Ich ſollte doch mit Ihnen reiſen.
In gewiſſer Art. — Steffens ſind wohl: reiſten in Schleſien,
waren munter. Er hat die Vorleſungen nicht herausgegeben.
Was nicht geſchieht! und die Schätze im Meer! —


[236]

Der iſt dumm in der Moral! Der rühmt ſich Schlech-
tigkeiten nach. Er hat einige große Grundſätze aufgeſchnappt,
die er dafür hält, und die er nie anzuwenden das Herz hat;
man möchte ſagen, nicht den Verſtand.



Es iſt ein Wiſſen, und ein Sein, und ein Fühlen, und
ein Haben, — welches ich manchmal ganz zugleich wie einen
Aufflug fühle.



Einſicht iſt frei: aber nicht der Wille. Das wird ver-
wechſelt. Was wir begehren müſſen, iſt ganz beſtimmt in
uns, das ſind wir gleichſam ſelbſt, davon ſind wir gemacht:
unſer Wollen iſt nur wie ein Gelenk, welches hierhin, oder
dorthin gedreht werden kann; Einſicht kann nur freie Zuſtim-
mung werden; Einſtimmung zum Zwang: und ſo iſt nur in
Einſicht Freiheit für uns.


An Fanny Tarnow, in Dresden.



Hier, liebe Fanny, haben Sie einen Brief, der Sie in
Frankfurt am Main bei der vortrefflichſten Familie einführt.
Die Familie Louis G. iſt tüchtig, gütig, unterrichtet, unaffek-
tirt, heiter, geſellig, freiſinnig; antheilnehmend an allem Wür-
[237] digen und Lebendigen; behaglich, wohlhabend; kurz, eine
ſolche müßte man ſuchen! Die Mutter eine edle Matrone.
Was ich mir unter einer Bürgerdame denken kann. Ordent-
lich weiſe; in ihrer einſichtsvollen Ruhe, in dem freiheitge-
währenden Regieren! Voller Weltkenntniß, wovon nie ge-
ſprochen, und wonach immer ohne Unterbrechung gehandelt
wird. Liebenswürdig in gediegenſter Selbſtſtändigkeit, weil
ſie auch alle andere Selbſtſtändigkeit neben ſich gedeihen läßt,
das beweiſen die lieben und doch ſehr verſchiedenen vier Töch-
ter. Hr. G. iſt in ſeinem reifen Alter ein guter junger Menſch
von einem geſetzten Mann. Eine liebe, geſellige, wohlthuende
Natur; ein engliſcher Mann, dem man es abmerken muß,
was er alles weiß, geſehen, erlebt, gelernt hat, weil er es
ſelbſt nicht achtet, und nur Schritt vor Schritt alles, was ihn
umgiebt, und ſich ſelbſt durch thätiges, aber ſtilles Wohl-
wollen und Wohlthun erheiternd beglückt. Empfehlen Sie
mich ja auch der ältern verheiratheten Tochter — auch eine
Frau von G. — die drei unverheiratheten Töchter heißen
Sophie, Roſalie, Klotilde. Eben werde ich geſtört. In
allen Fällen muß der Brief beſorgt werden. Gehen Sie
aber hin. —

(Mündlich.)


Man ſprach von der Begier des Menſchen nach Erkennt-
niß, und daß er von den verbotenen Früchten des Baumes
der Erkenntniß durchaus habe freſſen wollen. Rahel fuhr
mit Eifer fort: „Der Menſch iſt ein Geiſt; der ſoll nicht
vom Baum der Erkenntniß freſſen wollen! Wovon ſoll er
[238]denn freſſen? Das wäre noch ſchöner!“ Ein Anweſender
erinnerte zuſtimmend an den alten Spruch: felix culpa!




Der Unterſchied von Religion und poſitiver Religion be-
ſteht darin, daß die letztere ihr Prinzip in einer beſtimmten
Geſchichte hat, und ſich auf dieſe bezieht; und daß die erſtere
ihr Prinzip und ihre Beziehung aus aller Geſchichte, und al-
lem, was für Menſchen von Geſchehenem zur Erkenntniß
kommt, findet. Die erſte begränzt ſich ſogar in aller Zukunft.



Komiſch war er mir neulich in Mad. de Genlis Memoi-
ren zu leſen, daß ſie die Griechen tadelt, ihr Paradies beſtände
nur in einer abgeſchmackten Promenade in Elyſium. Sie könn-
ten ihr ſchön antworten! noch außerdem, daß eine Promenade
ſo gut, als jedes, alle Seligkeit enthalten kann.



Jede Wiſſenſchaft iſt ein abgeriſſener Strahl von der
Sonne alles Wiſſens und Seins: ein Behelf, bis zu ihr zu
gelangen, und unhinlänglich, nach ſeinem Ende zur Sonne,
und nach ſeinem Ende zur Welt, wo Wiſſenſchaft ſich mit
Wiſſenſchaft verwirrt; und gearbeitet wird: wie denn wiſſen-
ſchaftliches Arbeiten auf Ruhe abzielt, zu ſeiner Sonne, wo-
hin wir auch nicht gelangen. Dies iſt alles nicht zu läugnen.
Alle Wiſſenſchaften ſind Eine, und durch jeder gründlichſte
[239] Bearbeitung werden ſie zu Einer werden. Das Wiſſen fromm-
ſpekulativer Menſchen iſt, das alles in der Sonne, in Gott
finden. Das Finden iſt ſchon recht; aber das Erklären geht
nur, ich möchte ſagen, durch den Weg der Strahlen. Troſt
und Verlaß giebt die Sonne, wo wir an’s Unerklärliche
kommen.


An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



— Ich ſchicke dir einen Brief Adem Müllers über ſeinen
Freund Wieſel, deſſen Tod ich ihm gemeldet hatte. Ich finde
ſehr gut, was er über ihn ſagt, und wie er das Ereigniß
anſieht. Ich hatte ihm nämlich geſchrieben, daß ich dem un-
heilbar Kranken täglich labende und erwünſchte Speiſen aus
meiner Küche zuſchickte, vier Treppen hinauf, die ich leider
nicht ſteigen konnte, und wie er dafür ſich dankbar und ge-
rührt erwieſen. Auch daß ſeine dicke Haut mich ſchon längſt
nicht irre machte, ein doch gutes und gewöhnliches Menſchen-
kind in ihm zu ſehen. Sein ſogenannter Atheismus erſchien
mir von jeher eine Kinderei, erfunden, um andren Kindereien
Trotz zu bieten. Wenn er ſeine Gottheit ganz in wüſte All-
gemeinheit des Gedankens hinaus- oder in die Fülle der Na-
tur hinein-demonſtriren wollte, machte ich ihn gleich lachen,
wenn ich ihm nach meiner Art unbefangen einwandte: „Nun,
lieber Wieſel, zu dem Gedanken und zu den Gliedern wird
doch ein Kopf ſein müſſen!“ Hingegen zwang auch er mir
[240] noch in ſeinen letzten Tagen ein Lächeln ab, als er mir Dank-
worte auf einen Zettel ſchrieb, und darin ſagte: „Das Schick-
ſal vergelte es Ihnen!“ — weil er „das Schickſal“ ſagte;
als ob der liebe Gott nicht klüger wäre, und nicht auch un-
ter dieſem Namen ſeine Gebühr annähme! — Ich rechne
Müllern ſeine einſichtsvolle Milde und ſein hoffendes Ver-
trauen hoch an. —


Anmerkung. Dieſer ſehr mittheilenswerthe Brief lautet vollſtän-
dig alſo:



„Hochverehrteſie Freundin! Empfangen Sie meinen herzlichen Dank
für Ihr freundliches Andenken an mich, bei dem Tode des Unglücklichen.
Dieſe Rechenexempel ſind alſo abgeſchloſſen, dieſe Weiſſagungen verſtum-
men; ſonderbarerweiſe wurde der, der nach Wieſels Kalküls ſchon zur
Zeit des Kongreſſes zuerſt zu Grunde gehen mußte, der Kaiſer, grade
am Tage vor Wieſels Tode von einer wirklichen Todesgefahr gerettet.
Dennoch rührt mich dieſer Fall ſehr. Sie nennen ſein Unglück ſeine
dicke Haut
, und es iſt wahr, innerlich war viel Schönes und äußerlich
hat ihn viel Ausgezeichnetes berührt; doch hat beides nie zuſammenkom-
men können. Dazu waren auch ſeine Augen zu ſcharf, kein geringes
Unglück für den, der ſie hat. Farbe und Lichtton verſchwanden; er ſah
nur die Unterſchiede und Umriſſe der Dinge, und da war dann Rechnung
und Zahl bald zur Hand. — Ich verliere viel an ihm; er erſetzte und
repräſentirte mir nicht nur die ganze liberale und demokratiſche Welt,
und überhob mich nicht nur der Mühe die Journäle und Bücher meines
Gegenpart zu leſen, ſondern er trieb das alles auf die rechte deutſche
Höhe, bis zur Läugnung des perſönlichen Gottes, zur Behauptung, daß
alles Unglück in der ganzen Weltgeſchichte aus dem Glauben an eine
perſönliche Offenbarung herrühre. Drei Stunden hindurch habe ich ihn
einmal über letztern Punkt auf meinem Zimmer mit wirklich teufliſcher
Grazie und Sachkenntniß raſen hören. Und doch war in allem und un-
ter allem wieder lauter Selbſtüberredung, ſchwaches Liebesbedürfniß,
Advokatie der Armen, Entbehrungs- und Aufopferungsfähigkeit, ſieben-
monatliches Leben mit 80 Thalern und von bloßen ſelbſtgefangenen Hech-
ten und Kartoffeln, und die Unfähigkeit nicht bloß zum Verrath ſeiner
Freunde, ſondern ſelbſt der verhaßteſten unter den Ariſtokraten, wenn
nicht
[241] nicht etwa die Geldnoth allzu groß geworden wäre! Ich glaube, daß
die göttliche Barmherzigkeit ihre größten Wunder für die letzten Augen-
blicke des Menſchen vorbehält. Vielleicht iſt ein Strahl des ewigen Lich-
tes beſſer durch die halbgeſchloſſenen, als durch die noch offnen Augen
gedrungen. Wie die abſurden Räſonnements eins nach dem andern aus-
löſchten, mußte doch etwas übrig bleiben; vielleicht war es der Troſt
deſſen, den er ſich ſein ganzes Leben hindurch ein dummes point d’honneur
gemacht hatte nicht anzuerkennen, und der am beſten wußte, wie er zu
dieſer Albernheit gekommen war.


Doch zu den Lebenden. Sehn wir uns dieſen Sommer? Ich kann
noch nicht nach Berlin kommen, und fühle, wie ſehr mich erfreuen würde,
Sie und Varnhagen irgendwo zu begegnen. Nicht bloß weil Sie Beide
einen ſo ſchönen Nachruhm bei den Meinigen zurückgelaſſen, was freilich
eine weſentliche Mitbedingung aller Wünſche eines ſo eingewachſenen
Hausvaters iſt, wie ich bin; ſondern weil ich glaube, daß Varnhagen
einer der berufenſten Menſchen unſrer Zeit iſt, und der Sache nicht ent-
gehen wird, die ſeiner bedarf. Glauben Sie nicht, daß die Biographieen
und der vortreffliche Auſſatz über den Tod Alexanders mir viel Neues
über ihn beigebracht. Ich habe es längſt anerkannt, und nicht geſagt,
weil er mir perſönlich unangenehm d. h. zu ſchroff und zu ſteil war.
Nun, da es anders iſt, möchte ich ihn ganz leiden können. Darum
wäre es gut, ſich bei ſchöner Sommerszeit irgendwo im Grünen auf ei-
nige Tage zu treffen.


Leſen Sie doch einſtweilen die trefflichen Aufſätze von Görres in ei-
nem Journal, das der Katholik heißt und in Straßburg herauskommt;
in den letzten 13 Heften ſteht vieles glänzend und gründlich Schöne; nicht
Sie zu bekehren, aber um inne zu werden, wie mir zu Muth iſt. Ihr
ſenſitives und ſibylliniſches Weſen wird ſich in Görres leichter zu finden
wiſſen. Auch dient Ihnen zum Antrieb dieſer Lektüre, daß Gentz davon
bezaubert iſt.


Mit der Ihnen bekannten, langjährigen Verehrung Ihr gehorſamſter
Adam Müller.


Ich möchte wiſſen, was Ihr Herr Gemahl zu dem außerordentlichen
Phänomen von Lingards Geſchichte von England meinte.



Es iſt nicht nur das eine Idee zu nennen, wenn wir mit
unſerm Geiſte bis an die letzte Gränze unſeres Erſchauens ge-
langen; ſondern jedesmal das, was wir in einer verſtändniß-
III. 16
[242] vollen Geſammtheit erfaſſen; und dann erſt erſchaffen wir,
gleichſam durch unſre eigne Thätigkeit gott-ähnlich, Ideen;
die wir, wenn wir nur bis zu unſerm Ideen-Schema hinge-
langt, nach dem auffaſſen. Jedesmal wenn wir einer Gruppe
von Gedanken Zuſammenhang abgewinnen, haben wir eine
genialiſche — heißt ſchöpferiſche — Handlung verrichtet; und
je richtiger, und genauer dieſe war, je mehr wird ihr Ergeb-
niß zu allem, was wir ſchon wiſſen, paſſen; und dies iſt die
Probe von dem, was wir Wahrheit nennen.



Als Frau von Arnim bei uns war, und über vieles viel
und ſchön ſprach, ſagte ſie auch: Beim Einſchlafen könne man
dem Geiſt eine Art von Weg vorſchreiben und gleichſam Re-
gionen anweiſen; hätte ſie lange verſucht, und auch in Plato
beſtätigt gefunden: da erinnerte ich Varnhagen, was ich immer
ſagte: Im wahren feſten Schlaf ginge die Seele zu Hauſe;
ſich ſtärken; ſonſt hielte ſie’s nicht aus: das ſei ihr verſpro-
chen. Sie badete ſich in Gottes See.


Frau von Arnim hatte auch geklagt, daß ſo viel Talente
und Thätigkeiten im Menſchen wären, die nicht in Anſpruch
genommen würden, und nie zur That würden; man fühle das
deutlich; und oft ſchmerzhaft — freilich ſchwieg ich. — Als
ſie weg war, wiederholte V. das, und ſetzte hinzu: Das iſt
aber bei allen talentvollen Menſchen, ja auch bei den anſchei-
nend Unbegabteſten; was ſchlummert nicht alles in jedem! —
„Ja, ſagte ich, es muß ſo ſein; es iſt wie Öl auf der Lampe,
ſo wie es weg wäre, ginge das Licht aus; aber es muß mehr
[243] Öl da ſein, als die Flamme braucht; der letzte Tropfen am
Licht muß von den andern getragen ſein.“ Und nach einer
nachdenklichen, faſt Schmerzenspauſe: „A—ch! es iſt alles
richtig, wir verſtehn’s nur nicht!“ V. wollte das aufgeſchrie-
ben haben. Er hat Recht. Selten wohl iſt eine ſolch innige
Miſchung von intellektuellen, allgemein-tiefen Gedanken, und
tiefſter Trauer, mit ihrem wahren Grunde, zugleich ausge-
ſprochen worden. —


(Mündlich.)


Ein Muſikſtück, von Felix Mendelsſohn-Bartholdy groß-
artig geſetzt und meiſterhaft geſpielt, gefiel Rahel außerordent-
lich; ſie ergoß ſich in Lobſprüchen: „Ein gebildeter Sturm-
wind,“ ſagte ſie unter anderm.



An Leopold Ranke, in Berlin.



Sie haben mir ein großes Vergnügen verſchafft. Dies
möge Ihnen der beſte Dank ſein, den ich Ihnen geben kann.
Welch ſchönes Gedicht! Es bewegt ſich aber auch ſchon in
einem Gedichte, und kann nur Stoff ergreifen aus Dichtung
überhaupt. Iſt verliebte Liebe nicht ſchon ein Gedicht und
nur darum ewig wiederholt, weil wir ohne Dichtung nicht
leben können, mit dem Leben nicht auskämen? So ſind mir
auch die vielen Blumen und Edelſteine nicht zuwider, die
16 *
[244] ſchon in der hieſigen Natur wie aus einer andern Welt nie-
dergelegt ſind, und das richtigſte Spielwerk — dies Wort im
buchſtäblichſten und edelſten Sinn — für uns ſind und
bleiben: Werkeltagsnaturen geht der Sinn dafür ab: ja, er
iſt das Maß, wonach ſie auf- und abwärts geſchätzt werden
können. Mich entzücken, und beſchäftigen ſie ewig. Dieſes
indiſche Gedicht hat im genaueſten Sinn einen Gedanken in
mir erweckt, über dem nur noch ein Schlummer waltete; es
iſt einer über Geſchichte — und was wäre nicht Geſchichte
am Ende, — ich denke nämlich, es giebt zwei Arten Natio-
nen, vornehme und andere. Vornehm ſind alle die, deren
Entwickelung auf einem Wahn beruht; einem mythologiſchen,
religiöſen, ſelbſterfundenen, dichteriſchen. Seien auch ſolche
Nationen in noch ſo befeſtigten Kaſten abgetheilt; die letzte,
niedrigſte, ſchaut doch durch alle über ihr hindurch nach der
höchſten, und partizipirt davon in ihrem Unglück, in der nie-
drigſten geboren zu ſein. Das Leben ſolcher Nation bezieht
ſich nicht mehr auf die Nothdurft, deren vernünftiges Produkt
Nützlichkeit iſt; und auf Vernünftigkeit, die uns ergeben macht,
die Schranken anzuerkennen. Iſt es nicht beſſer, in Spiel
und Wahn hier zu leben, da wir keins und keinen zu erfin-
den vermögen, der ganz vernunftlos wäre, und ſo der Ver-
nunft näher zu kommen; als in lauter Nutzen und Zweck
uns zu bergen, und dadurch zum Wahn und Spiel zu ge-
langen? Das
darf man natürlich keinem Narren weiß
machen: aber die Nationen ſehe ich ſo an: die nie als ſolche
über ſich klar wiſſen, und ſich ihren Platz anweiſen können.
Welch herrlich Spiel in dem Gedicht! unter Blumen, Steinen,
[245] Liebe, Sternen. Was wollen wir denn am Ende? Erleuch-
tung: weil wir nicht erleuchtet ſind; und Fragen zu thun
haben: iſt nicht der Zuſtand, wo ſie beantwortet ſind, der
ſchönſte? und wo wir ſpielten und ſchafften: und, in Erman-
gelung deſſen, ſolchen vorausſetzen, iſt dichten.


Sehen Sie, ſo ſchrieb’ ich, wenn ich mich gehen ließe:
darum ſchreibe ich nicht. Ich denke ganz umgekehrt von allen
Leuten: und alle Tage umgekehrter. Aber ſo ſelten Sie mir
ein ſolches Gedicht mittheilen können, ſo oft darf ich Ihnen
auch ſo ſchreiben, und meine innerſten Gedanken zeigen.


Sie ſollen nächſtens indiſche Bilder ſehen; ganze Geſtalt,
aber nur wie dieſer Bogen groß; die werden Ihnen dies Ge-
dicht völlig ergänzen: ich verſtand es beſſer daher. Frau von
Helvig ihr Vater hat ſie aus Indien mitgebracht. Adieu.
Sie kommen bald, baldigſt.


V. will das Gedicht nun auch erſt leſen; ich gedachte es
Ihnen jetzt mitzuſchicken.


Ich hätte noch lauter Erläuterungen für meine Meinung,
aus des Beſten, Goethens Gedichte geben können. In ſeinem
erhabenſten, Iphigenia, mußte er in die Fabel gehen: ſein
nationalſtes, Hermann und Dorothea, können nur edle biedre
Geſinnungen ſein; und nur, als Schmuck, der drauf ſitzt:
ſchöne Naturbilder; und die ſind? Blumen, Pflanzen, Liebe,
Witterung. Und ſo könnte ich alle unſre Dichtungen durch-
gehn. Erzeigen Sie mir die Ehre, mit mir zu ſtreiten.


[246]

Eine Sache wiſſen, iſt mehr als ſie ſein. Darum können
wir Gott nicht wiſſen: und nur inſofern für uns ſein, als
wir von uns wiſſen.


An Roſa Maria Aſſing, in Hamburg.



Meine theure liebe Schwägerin! Liebe arme Roſa! Was
hilft es Ihnen, daß mein Herz, mein wirkliches auf der lin-
ken Seite, wie von einem Dolch getroffen iſt! Könnte ich
Ihren gerechten, herben, bittern Schmerz dadurch lindern!
Auguſt ſeinen! Und doch, liebe Frau, arme liebe Tochter,
waren Sie mein erſtes Wort. Nichts hat Ähnlichkeit mit dem
Verluſt von Eltern. Ohne alle Empfindſamkeit, ohne allen
Pakt noch Verſprechung, ſind ſie unſre erſten, gewiſſeſten
Freunde. Wir ſetzen voraus, daß ſie uns rathen, helfen, lie-
ben müſſen, und an ihrem Todestag nehmen wir dieſe große
ſtumme Vorausſetzung erſt zurück, und erfahren dadurch, daß
wir auf ſie gelebt hatten. Keiner kann dies Herbſte für den
Andern abmachen! Ich habe es ganz empfunden, als ich
meine theure Mutter verlor. Im Oktober 1809 war’s, und
täglich ſpreche ich mit ihr! — ich habe ihr aufgewartet bis
im letzten Augenblick. Was haben Sie jetzt ausgehalten,
liebe Roſa! Manchmal iſt dies ein Troſt: wiſſen Sie alſo,
Eine lebt, die all Ihren Schmerz, und ihn ganz kennt. Zu
ſagen iſt nichts über dies große allgemeine Geheimniß.
[247] Nur an Weiterleben trotz ihm iſt zu erinnren. Leben Sie
gleich weiter mit Ihren Kindern und Ihren Blumen und
Ihrem großen Freund. Das iſt Ihnen Aſſing: und auch mir
war er Troſt, daß Mama ihn zum Freund und Arzt hatte.
Leben Sie! das iſt Mama’ens beſtes Mauſoleum und Anden-
ken: und ihr beſter Wunſch! Und Ihrer, für Ihre Kinder.
Mein armer, tief betrübter, mehr als glaublich zerriſſener
Auguſt iſt bei dem wohlthuendſten Sommerwetter, nach Regen,
in’s Freie gegangen: ich konnte aus Anſtrengung nicht mit:
ich werde ihn und mich geſund erhalten. Thut das auch, liebe
Kinder! Ach! wie leid, wie weh thut einem jedes, was man
einem Geſtorbenen nicht anthat!! Wir wollen uns alles zu
Gefallen thun, alles verzeihen, ſo lange wir leben; und nicht
allein gut, ſondern auch mit Anſtrengung noch beſſer ſein!
Heute mußt’ ich einen Gang ausgehen; und da hab’ ich auf
der Straße alle alte Frauen beſchenkt, die mir begegneten:
in Mama’s Namen; und ich will es ferner thun. Das wird
Sie freuen, liebe Roſa; auch darum ſchreib’ ich es Ihnen.
Ich habe Varnhagens Brief noch nicht geleſen; nun will ich’s
thun, er ſieht dieſen meinen nicht mehr: er geht zur Poſt, ehe
er zurück iſt. Ach! ich hoffe gar nicht mehr, daß Mama lebt!
Gott ſegne ſie; und euch! Wir wollen immer beſſer werden:
ſei dieſes Unglück dieſe gute Veranlaſſung! Nicht wahr,
liebe Schweſter? Adieu. Ich weiß nichts Beſſeres. Ihre
treue

Fr. V.


Ach! wie traurig iſt meines Auguſts Brief: ſo iſt er.
Liebe Freundin Roſa, gehn Sie, fahren Sie nur gleich in’s
Freie. Ich lief auch auf’s Feld, wie meine Mutter todt war,
[248] und noch auf ihrem Bette lag. Gott wird Sie ſtärken: mit
ſeiner ganzen Welt: mit der Welt in Ihnen. Ich umarme
Sie mit weinenden Augen.



Niemand iſt gnädig gegen uns, als Gott und unſer Ge-
wiſſen. Weil kein Anderer uns und die Weiſe, wie etwas in
uns vorgeht, kennt. Auch wir lieben nur die, welche wir ken-
nen; und müſſen Alle lieben, die wir kennen. Gehäſſiges bleibt
uns immer fremd; und Tadel und Haß ſind nur eine gehäſſige
Bemühung und Probe zur Liebe; die dem leidenden ſowohl, als
dem thätigen Gegenſtand derſelben wehe thun; darum können
wir nicht zart und behutſam genug damit umgehen: und wir
lügen nicht, wenn wir ſie verbergen, und dieſe Verſuche ſo
zart anſtellen, als der weiſe Arzt die Werkzeuge ſeiner Kunſt
gebraucht. Überhaupt thäten wir gut, einander als erſt Ge-
neſende zu behandeln, da wir ja Alle erſt die völlige Geſund-
heit des geiſtigen Lebens zu erſtreben haben. Welches wir
immer vergeſſen. —


Es giebt nur Verwunderung, aber keine Wunder. Alles,
was endlich geſchieht, muß geſchehen können; alſo hört das
Wunder auf mit dem Faktum ſelbſt. —


Wer ſich recht beſinnt; ſtill und ehrlich in ſich; muß ge-
wahr werden: Es ſei mit dem Urſprung und dem Auftrag
der Seele wie es immer will, ihr ſind Gränzen zugemeſſen,
in denen ſie jetzt lebt. Es fehlen ihr mittenin Stücke heraus,
aus ihren Fähigkeiten; wie herausgebrochen. Beſchränkte
[249] Farben; beſchränkte Töne; beſchränktere Antworten auf ſchon
beſchränkte Fragen, die ſie ſich ſelbſt vorlegt, — und doch ein
ſchwaches Wiſſen eines klareren Seins, welches uns wie gleich-
ſam wieder aus dem Gehirn entfällt, — daher Wunder; Wun-
derbares; Vorausſetzung aller Art; und die höchſte: die eines
abſoluten Geiſtes, der Grund ſeines eigenen Daſeins und
Wirkens iſt; welches wir ſelbſt ſind. —


Das iſt keine Kleinigkeit, die wir erfahren werden!
Probe davon iſt: Bewußtſein, unabläugbares Bewußtſein
haben; wie ſchon jetzt.


Logau:


„Alten Freund für neuen wandeln,

Heißt für Früchte Blumen handeln.“

Antwort:


Kein Andrer kann mein Thun ermeſſen;

Ich liebe Riechen mehr als Eſſen.



Ich ſag’ es ja ſchon längſt, daß mich bei weitem die mei-
ſten Geſchichtſchreiber rein ennuyiren; zu leſen ſind faſt nur
kurze, ächte Chroniken, und ſchwatzhafte Memoiren. Solcher
Mann in ſeinem Bücherzimmer hat ſich nur mit dem bekannt
gemacht, was dieſe enthalten: und was enthält denn am Ende
ein Buch für den, der den Hergang des Geſchehenen ſich nur
zuſammen lieſt, und nicht ſieht und hört, und das Drängen
im Gedränge fühlen und ſich abwehren mußte! Im Leben
kommt wohl das vor, es iſt wahr, was in den guten Bü-
[250] chern der Geſchichte ſteht; aber in den beſten Büchern ſteht
nicht alles, was im Leben ſich ereignen muß. Und gleich fehlt
auch ein Mann, ſobald er nur deßwegen handelt, um in den
Geſchichtsbüchern vorzukommen; und ſo iſt auch das herrlichſte
Geſchichtsbuch komplet leer für den, der ſich nicht in der Welt
ſelbſt erſehn hat, was darin aufgezeichnet worden, und
beſprochen iſt. Die Wahrheit dieſer Behauptung wird ein
jeder an ſich ſelbſt erprobt haben, der ein ſolches Buch zwei-
mal lieſt; in der Jugend, und dann in vorgeſchrittenen Jah-
ren. Auch iſt als Thatſache nachzuweiſen, daß alle wahrhaft
große, weiterlebende, auf die Nachwelt gekommene Hiſtoriker
und Dichter mitwirkende Männer im Staate, und im Leben
mit Andern vielverflochtene Menſchen waren. Bloße Bücher-
leute werden immer nur wieder zum Büchermachen gebraucht
werden können; und am Ende iſt ihr beſtes Glück, einmal die
Nahrung lebendiger, lebenverbreitender Menſchen zu werden.
Ich glaube nicht, daß Einer das Daſein der Griechen, Rö-
mer, Indier, der Menſchen des alten Teſtaments, verſteht —
kennt er auch die Zahl der Kapitel, Namen, Jahreszahlen,
geographiſche Lage, Pſalmen, Lieder und Sprüche ohne zu
ſtocken auswendig — wenn er ſich nicht ihr Leben aus un-
ſerm überſetzt; und jene Schätze ganz in dem Schatz und Reich-
thum des unſern gefunden hat, zu finden weiß; wie er fremde
Sprachen auch nur durch ſeine jetzige lernt. Sprache und Le-
ben iſt nur Entwickelung der Mitgift; die alle Erdenkinder
bis jetzt gleich zuertheilt bekommen. Wir können nicht Fra-
gen genug an uns ſelbſt ſtellen; das Beantwortete immer wie-
der von neuem erwägen! Nur ſo ſchwinden alle vorgefaßten
[251] Meinungen, die ſich polypartig immer wieder von neuem an-
ſetzen; unverarbeitete Denkmaterie, unorganiſirt wie die andere,
aus Fleiſch und Blut; wildes Organiſiren, dem entgegenge-
arbeitet ſein muß. Nur gedruckte Geſchichte ſtudiren, iſt ein
ſolches wildes Gewächs! —


An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Frühlingswetter mit noch etwas Morgendunſt.


Levkoien, Stiefmütterchen, alles wächſt im Freien, Wein-
trauben ſtehn in Fäſſern auf allen Ladenſtufen zu verkaufen,
die ſchönſten! die Erde wie im Sommer grün: Bäume blü-
hen wieder; aber ſeit fünf, ſechs Tagen fiel das Laub plötzli-
cher; der Wind aber kommt nicht zwei Stunden von derſelben
Seite; iſt oft von Süden kalt: Menſchen, die krank waren,
erholen ſich ſchwer; ich an der Spitze. Gichtkranke Fäuſte
und Daumengelenke, beide Hände. Nervenirritation à outrance.
Dies ſoll mich, und mein Schreiben; und was ich nicht ſchreibe,
und meine Handſchrift entſchuldigen.


Vorgeſtern, theurer lieber Freund, als ich deinen Brief
erhielt, wollte ich auch eben ſchreiben: denn ich war den Tag
eigends auf der Ausſtellung geweſen — zum drittenmal; das
erſtemal ſehr krank geworden, acht Tage zu Bette, drei Wo-
chen zu Hauſe; das zweitemal einen empfindlichen Rückfall;
jetzt, das drittemal, einen kleinen unangenehmen; der wieder
geheilt iſt, durch Klugheit und Diät: meine Ärzte — um Ri-
kens Bild zu ſehen, wovon die ganze Stadt, jeder nach
[252] ſeiner Weiſe ſprach; höre nun die meinige. Es iſt in vieler
Hinſicht ein gelungenes, wünſchenswerthes Bild. Ein Mahler,
der eine ſo vollkommen ſchöne Perſon ſo ähnlich machen kann,
reißt ſich ſelber die Lorbeerzweige vom Baum, die man ihm
flechten muß. Augen, Stirn, Haare, vortrefflich; Haltung,
Miene! bei dieſer bleib’ ich ſtehn. Wer ſolch vollkommenen
Zügen die Miene abgewinnen kann, iſt ein halber Künſtler,
wer ſie wiedergeben kann, ein ganzer. Weil vollkommen ſchöne
Geſichter beinah keine Miene machen können, heißt, die Züge
bewegen, ohne der großen Harmonie zu ſchaden — erin-
nerſt du dich, wie Perregaux lächerlich ausſah, wenn er
lachte? bei ſeiner Antinous- und Meduſenſchönheit; ne riez
jamais!
ſagte ich ihm; — daher auch nur Büſten in ihrer
Schönheit ertragen werden können, und in der Natur hübſche
Menſchen vorgezogen werden. Rike aber hat eine Miene, die
das Glück hat, ihr beſtes Innere auszudrücken, es iſt die Feſt-
haltung mannigfacher Bewegung ihrer Gedanken, und ihres
Zumutheſeins. Es iſt der Moment, wenn ſie etwa einer gu-
ten, hübſchen, geehrten Frau vorgeſtellt wird, wo ſie auf-
merkſam, klug und unſchuldig ihren Gegner — der gegen-
über ſteht — betrachtet, zugleich weiß, daß ſie betrachtet wird,
und in kindiſcher Beſcheidenheit ihr Beſtes aus der Seele reicht,
und doch fürchtet zu mißfallen, welches eine leichte, menſchen-
freundliche Scham auf das ſchöne Geſichte führt: dann iſt ſie
ſchön, und äußerſt hübſch; und dieſe ſchöne Miene, dieſen
herrlichen Ausdruck hat der glückliche Magnus mit ſeinen Au-
gen abgeſchöpft, mit den Kunſthänden auf die Leinewand ge-
bannt. Heil ihm! das ſpricht für künftig. Sie hat noch ei-
[253] nen Moment zu Mahlen: den, wenn ſie ſibyllenartig aus-
ſieht, und mit keinem Menſchen, keinem „Gegner“ zu thun
hat, ganz allein ſteht mit ihrem angeborenen Muth —
von der beſten Sorte — zornfertig, nur fertig, er könnte
kommen, wenn er ſollte — und allein mit der Natur, die ſie
wohl zu ſchauen, und ihrem Weſen nach, zu faſſen weiß!
Dieſem Ausdruck ſtrebte der Mahler nach, der ſie hier früher
mahlte; und war nicht ſchlecht: nur konnte er den Thiermen-
ſchen, Haut, Haar, Knochen, Schatten, Licht, nicht ſo zu-
ſammenhalten, als ſchon Magnus. Mit der Naſe aber hätte
Magnus glücklicher verfahren können: ich weiß, auf die rich-
tigſten, ſchönſten, fallen oft Schatten und Lichter, die ihr ihre
Regelmäßigkeit rauben; das iſt wahr; und ſchadet ſolcher
Naſe in der Natur nicht; den Augenblick nachher wendet ſich
der Kopf, und ſie wird wieder vollkommen ſchön: weil aber
ein Bild gefeſſelt iſt, ſoll der Mahler auch lügen, um wahr
zu ſein: das iſt ſeine Sorge, wie; zu Gunſten der Wahrheit
im Nachbilden; er muß ſie ſchaffen die Wahrheit, und ließ
er einen, drei, vier wahre Schatten weg! auf die Gefahr,
Schattenmeſſer tadelten ihn; kurz, die ſchöne Naſe muß er
mir zeigen, mit dem Pinſel keck lügen; oder eine andre
Stellung wählen. Dies nur, obgleich hier mein Gegenſtand,
zum Exempel der Fälle überhaupt, wo gelogen werden muß,
wie es — mein altes Exempel! — in Fresko ſo offenbar ge-
ſchieht. So auch hat er Rikens Mund nicht ganz dargeſtellt,
und der dadurch ſehr an Feinheit verloren im Bilde: nicht
aus Unfähigkeit; bin ich für mein Theil überzeugt, ſondern
aus Verführung; aus dem Irrthum, aus dem das Ideal ge-
[254] mißbraucht wird: das Ideal iſt ein Maß, weiter nichts; jedes
Produkt aber ein Weſen, mehr oder weniger ſichtbar ſchön,
und nach dem Ideale beweislich abzumeſſen; das Maß ſelbſt
aber bleibt wiſſenſchaftlich-Lebendiges, hier aber als Todtes
aus dem Spiele. Vielleicht ſind Rikens Lippen nach dem
Maße zu dünn: gut! der Geiſt ihres Geſichts braucht ſie aber
ſo, und hat glücklich auch ſie ſich ſo bereitet: das ſchien Mag-
nus zu überſehn, und gab dieſen Lippen nach einem Ideal
etwas zu viel Fülle; und weg ſind unſerer Schönen ihre
wahren Lippen, und deren Feinheit; dies von der Unterlippe
hauptſächlich. Einem jungen Künſtler, von ſeinen Meiſtern
entzückt, kann das geſchehn. Wie vortrefflich hat er die
Haare gemacht; den Kopfputz behandelt! Wir ſind nicht ge-
wöhnt, die Perſon mit geſcheiteltem Haar zu ſehn: er hat es
ſo wundervoll ſchön geſcheitelt, und gelegt, und verziert, daß
er alles, was dieſes Haar leiſten kann, zugleich geleiſtet hat;
und wir ſind Alle befriedigt: auch die Verwöhnten: die ver-
gangene, jetzige, und künftige Mode. Die Miene aber dieſes
Bildes iſt ſo vortrefflich, daß ich’s beſitzen möchte — welches
ſo ſelten bei mir zum Wunſche wird —, weil ich dadurch unſre
Rike zehnmal des Tages lieben würde. Wenn ſie dieſe Miene
macht, berührt ſie gradzu mein Herz: dieſe Miene ſpricht um
einen Beifall an, den der innerſte Menſch nie verſagt; weil
der beſte innre ihn fordert. Bravo! Magnus! Schön geſehn.
Stirne, Augen, Augenbraunen, vortrefflich. Es hängt auch
Tizian’s Geliebte oben: die ſieht Rieken ſehr ähnlich: die hat
mehr Fülle
, mehr Weiches, aber weniger Geiſterartiges. Der
Geliebte, glaub’ ich, ganz im Dunklen, hält ihr den Spiegel.


[255]

Ich werde ſuchen das Bild außer dem Akademieſaal zu
beſchauen: dort erkälte, und erhitze ich mich: und geſtehe ich’s
nur, noch habe ich’s aus Angſt der Erkältung nur oberfläch-
lich geſehn. Ich wünſche, daß du dieſes mein Urtheil — aber
wie es da iſt, Magnus zukommen läßt. Es iſt gut: weil
alle andre ſo ſehr ſchlecht, ſo gar nichts enthaltend ſind.
Wenn du es etwa anderweitig zum Druck verwenden willſt,
iſt es mir auch recht lieb: nur bedinge ich, daß es Wort
vor Wort ſo gedruckt wird, wie es hier ſteht
. Ent-
ſchuldige lieber ſeine Rohheit hintennach, oder vorher; als an
einem dir zugekommenen kurioſen Produkte: nur laſſ’ es wie
es gewachſen iſt.


Ich habe, lieb Brüderchen, heute deinen Brief noch Ein-
mal geleſen, das zu Beantwortende angeſtrichen und numme-
rirt: nur das Bild wollt’ ich erſt zu Papier haben: leider aber,
bin ich ſchon ſo erhitzt, und ſo zittrig, daß ich wohl ohne
nachhaltigern Nachtheil nicht mehr lange werde ſchreiben kön-
nen, und Varnh., der eben wegging, euch ſchönſtens grüßt.
und auch ſchreiben wird, — mich ſchon um Gottes willen ge-
beten hat, nachzulaſſen. Noch etwas will ich ſchreiben, und
dann wahrſcheinlich dies mit noch einigen Artiklen morgen
ſchon abſchicken, und die andern je nachdem ſie in ein paar
Tagen fertig werden. —



Das kommt davon, wenn die Ausſprüche der Religions-
vorſteher in Vernünftigkeit der allgemeinen Überzeugung ſo
weit nachſtehn! Daß jeder Schritt des beſten Prieſters im
[256] Sinn ſeiner Kaſte ein falſcher ſein muß! So hat der Erzbi-
ſchof von Paris bei Talma Beſuche abgeſtattet, dem er doch
den Ausdruck der ſeiner Überzeugung nach höchſten Nothwen-
digkeit und gottbedürftigen Unterwerfung zu verweigern ein-
ſtimmte, und hat erfahren müſſen, wie der Sterbende und
ſeine Freunde laut darthaten, daß ſie das Verweigerte nicht
bedürfen, wie das Angebotene nicht mögen und brauchen kön-
nen. — Wenn nur ein Punkt Freiheit auf der Erde iſt, wo
Vernunft eingeſtanden wird, werden darf, ſo wird ſie ſich von
da aus ſchon Platz machen, wenn es auch langſam ginge,
und lange dauern ſollte. —



Dramaturgiſche Blätter, von Ludwig Tieck.
Vorrede S. 14. „Wo Natur und Wahrheit in der Dichtung
völlig mangeln, da kann der Schauſpieler zwar überkleiden
und verhüllen, um die Karikatur wieder zu einem Gemählde
zurecht zu rücken“ u. ſ. w. — Nur der Bethmann ſchadete
der ungezähmte Beifall, den ſie in der Gurly z. B. erwarb,
nicht. Die Rolle iſt ein Unſinn, weil ſolch Mädchen unmög-
lich iſt, und doch gelang es ihr; „es“ als ein Unbeſtimmtes
bezeichnend, iſt ihrem Leiſten beſonders angemeſſen. — Und
obgleich man ſagen könnte, eben dieſe Rolle ſei der wahre
Beweis ihrer vielfältigen Talente für die Bühne, die zuſam-
men genialiſche Eingebung bildeten, ſo hat Tieck doch ganz
Recht; ſolche Mißgeburten verführen die Darſteller, und ſind
ſehr verderblich für ein Publikum.


S. 15.
[257]

S. 15. Die großen Schauſpieler ahndeten nicht allein,
daß durch den neugebrauchten Vers die Freiheit, in der ſie
ſich bewegten, gehemmt werden würde, ſondern ſie fühlten, daß
es ſelten der richtige Vers war, den man ihnen bot. Es kann
beſtimmt ein ganz zur Situation erforderlicher, in ihr gegrün-
deter Vers nicht hindern. Allein zu leicht ſind wir Alle mit
einem dramatiſchen Vers aus Vorurtheil zufrieden. Das
Vorurtheil beſteht darin, daß eine Kunſtform da ſein ſoll, un-
ter jeder Bedingung; da doch einen Karakter darzuſtellen in
einer beſtimmten Lage die erſte vernünftige Bedingung zu ei-
ner Zuſammenſtellung von Karakteren, und deren Handlungen
zu Einer verſchlungen ein Theaterſtück ausmacht. Dies iſt ſo
wahr, daß die Bürleske auch darin mitbeſteht, daß die Rede
und der Vers öfters gezwungen erſcheinen, und ſo der Autor
willigend mitſpielt: welche Thatſache umgekehrt dies eben bei
ernſten Werken als ganz unſtatthaft darthut.


Wohl hat Schiller unſern Schauſpielern unendlich ge-
ſchadet; wenn er ihnen auch empor geholfen hat. Sage es
Tieck nur dreiſt! Aber man kann ſo etwas nicht dreiſt ſagen;
nicht weil man als Ketzer verſchrieen und angeſchrieen würde:
das wäre zu ertragen; nicht aber die Mißverſtändniſſe und
üblen Folgen, in den Heeren von ungehobelten Machwerken,
die der Erſte der Beſte, nicht nur ein anerkannter Tieck, durch
ſolch Wort hervorriefe. Schiller, wie geſagt, hat unſre Schau-
ſpieler erhoben, aber nicht immer auf rechter Bahn: und dies
eben gefiel dem Publikum und ihnen. Hätte doch Tieck dies
Wort vor fünfzehn, achtzehn Jahren geſagt. Möglich war’s,
denn ich dachte es; und vielfältig habe ich dies ſogar geäu-
III. 17
[258] ßert. Es wäre ſehr heilſam geweſen: wenn man auch ſagen
kann, es war ein Weg, den die Nation gehen mußte; ſie
wäre auch einen andern gegangen; und von dem hätte man
eben ſo geſagt; und mir ſcheint, er wäre ein richtigerer gewe-
ſen, und warum ſollte der nicht auch ein ergiebiger ſein? —


Ich las in einem aufgeſchlagenen Werke: Gründe, aus
welchen der Untergang der Römer hergeleitet werden ſollte.
Da fiel mir auf, was mir immer bei Ergründungen auffällt,
die nicht bis auf den Urgrund alles menſchlichen Strebens
gehn: und mein Autor kam mir vor, als Einer, der Bewe-
gung erklären wollte, und nun ſagte: „Der Herr ſchickt die
Bedienten; dadurch gehen ſie.“




Sprache iſt die Mitte und Höhe alles Wunderbaren. He-
gel ſagt: „Willſt du leben, mußt du dienen; willſt du frei
ſein, mußt du ſterben.“ Solche Worte lieb’ ich, die ein In-
begriff ſind: die ganze Gedankenfamilien enthalten; woraus
ſich, was noch geſagt werden möchte, von ſelbſt verſteht; wo-
zu man alles gedacht und gelebt haben muß, was noch nach-
her geſagt werden kann. Und dabei iſt mir eingefallen, daß
der, dem die wahre Kraft des Denkens oder Beſinnens gege-
ben wäre, auf ein Wort zurückkommen müßte, welches alles
Wiſſen enthält, und alles erklären könnte. Dies iſt gewiß
„das Wort“ aus der Bibel, wovon ſo viel geſprochen wird!
— Überhaupt — kann auch jeder an ſich ſelbſt ſehn — wird
[259] nur viel geſprochen, wenn man das nicht ſagen kann, was
man ſagen möchte. Deßhalb gefallen mir redneriſche ſich wie-
derholende Bücher nicht, wenn ſie beweiſen ſollen.


Über Ludwig Roberts Macht der Verhältniſſe.
— Wir haben in unſerer Sprache, in dieſer ganzen Art, kein
beſſeres Stück: und die Art iſt ächt deutſch, und dienlich und
richtig auf der Stufe, wo wir noch ſtehn — mit Europa zu-
ſammen; könnte man auch noch behaupten, — und es reicht
mit den Verhältniſſen, die es behandelt, bis an die äußerſten
hin, die die Geſellſchaft der Menſchen und ſie überhaupt zu
behandeln haben; und ſo iſt es wohl wichtig und erhaben
genug. Dabei hat es im Einzelnen ſogar große dramatiſche
Schönheiten. Als wo die Mutter zurückkommt; und end-
lich
, aus ihrer Verſchüchterung vor dem feſten Gemahl, und
aus ihrer tugendhaft gemauerten Sitte heraus, gehandelt hat;
und beim Fürſten war, zu ſpät das Herz gefaßt hatte!
— höchſt richtig und tief tragiſch, eben weil es Werkeltag
vor Werkeltag ſo geſchieht, und doch in der Tiefe des Mu-
thes, der alle Tugend iſt, ſeinen Sitz hat. Ebenſo, die Scene,
wo Weiß am Fenſter ſteht, den Oberſten zum Schuß und
zur Entſcheidung erwartet, und die Sterne feſt und lyriſch,
und höchſt natürlich, nur glücklich vom Dichter getroffen,
anredet. Und ſo iſt eigentlich der ganze Gang des Stücks
geſtellt: wie Räder greift’s auf die natürlichſte Weiſe inein-
ander: organiſch richtig, lebendig und fortwachſend in ſeiner
Geſchichte. Irrthum gebiert Irrthum, Gräuel Gräuel; und
17 *
[260] reißt die beſten Keime mit hin: muß ſie verderben. Eine
herrliche, ſittengebildete, gelobte Familie; gelungen in der
Weltlüge! würde nicht ein Zipfel verrückt von der geordne-
ten Lüge, und entdeckte und erhöbe ſich dadurch nicht die ge-
mordete Wahrheit, die geſtreckt als vermeinte Leiche ſchon
lange zum Schweigen gebracht dalag: aber nun ihrerſeits
mordet, um ſich Platz zu ſchaffen! Höchſte Tragödie! Wenn
auch „Schickſal,“ „Vergeltung,“ „Nemeſis“ u. ſ. w. nicht ge-
nannt werden, und kein Koſtüm noch Alterthum herhalten
und Reſpekt einflößen muß! Nicht zu gedenken, was der Dich-
ter Negatives leiſtete: welche Leiden er uns erſparte; durch
einfache, derbe, gute, geläuterte, faſſende, wirkliche Proſa.
Nichts Unnützes wird geſagt, nicht ellenlange Sentenzen; kein
lyriſches Zuckerwaſſer von leerer Luft zu hohen Wellen ge-
peitſcht: kein Goethe, kein Schiller zum hundert- und tau-
ſendſtenmal verkappt, und entſtellt hin- und hergeſchleppt,
von einem treuloſen Gedächtniß, welches der Dichter Werke
nicht einen Augenblick vergeſſen kann; aber in keinem Au-
genblick ſich dieſes Verfahrens erinnert! —




— Lies die Calderon’ſche Tochter der Luft! Ein duften-
des, regelmäßiges Phantaſiegebäude, von farbigen Edelſteinen
in unendlicher Himmelsbläue von Goldſonnenſtrahlen durch-
woben: von wo aus die dunkle Erde, mit Kampf, Krieg,
Mord, Liſt, Schwäche, Höhlen, Prieſter, Regierung, Ehrgeiz,
[261] Untergang — doch geſchaut wird; von denen der Blick aber
ſich wenden kann; in Kunſt und Götterſphäre. —


An Roſe, im Haag.



Eben die Lampe angezündet. Naſſes, ſchneriges Kothwetter.
Bücklings-Jungen ſchreien. Sehr windig.


Vor Tiſche, 3 Uhr, ſchickte mir Moritz deinen Brief: es
war höchſte Zeit: denn grad heute fing ich an zu denken, ob
du wohl krank ſeiſt, und dir wohl deßhalb Moritz Brief vor-
enthalten wird! — Gott gedankt! du biſt wohl: und auch ge-
faßt. Das bin ich auch. Aber mein Herz-Schmerz, und mein
Gram, und das Wiederholen aller Scenen, Mienen, Leiden,
Worte, bleibt daſſelbe. Mein einziger Troſt iſt, daß ich ihm
alles, ohne Ausnahme alles, that und opferte, was nur in
meinen Kräften ſtand: das Opfer beſtand, in dem Reſt meiner
wenigen Geſundheit: meine Satisfaktion, nicht in einer
Pflichterfüllung
, ſondern in der ſichtbaren Sicherheit, ihn
wirklich ſoulagirt, und ihm beigeſtanden zu haben. Mit Pflege
aller Art, und Troſt; und muthigem ſowohl, als zärtlich-
ſtem Betragen. Er, der nie demonſtrativ war, und immer
weniger es wurde; und immer wortkarger: nannte mich oft:
„treue Schweſter; treue Seele!“ das Äußerſte! Ewig werde
ich von ſeinen Leiden beleidigt bleiben; jedoch hatte er einen
edlen Tod am Ende: er war nur Einen Tag mit Ohnmachten
befallen: ſprach mich noch um halb 4, war um halb 9 ent-
ſchlafen. Alles, den ganzen Reſt, mündlich! Phyſiſch habe
[262] ich die Empfindung: als wäre ich eine Blume, eine Roſe,
und aus meiner Mitte ein Blatt gebrochen, und ein Stück
des Mittelſtücks: ſie riecht, die Roſe, ſie iſt roth; aber ſie
fühlt den Riß! So iſt’s wenn einem Geſchwiſter vorangehen.
Das wußt’ ich nicht. Ich nenne es jetzt: Faſerliebe. Es iſt
ein Geheimniß, welches wir von der Natur noch nicht wiſſen.
Auch war er mein Spiel-Bruder: mit dem ich die Kindheit
theilte; wirklich theilte. Damals war das ſo: wir mußten
ſie theilen; damit wir — in gewiſſer Art untheilbar würden;
und bei mir iſt es gelungen. Du haſt vielleicht überhaupt
keine Vorſtellung davon — ich wußte es auch nicht — wie
ich ſeit mehreren Jahren für ihn ſorgte; Vor- und Nachmit-
tag; und meinen Tag zum Theil auf ihn bezog. Mir ſelbſt
unbewußt. Ihm gewiß. Er nahm beinah nichts freundlich
auf: man wußte nie, merkt er’s, hört er’s, will er’s, weiß er’s.
Aber ich liebt’ ihn mehr, als ich’s noch wußte! — wenn ich
ihn auch nicht immer approuvirte. Er betrug ſich in der
Krankheit herrlich! Muthvoll, anſtändig, duldungsvoll! was
du willſt! Ich küßte ihm oft die Hände, die Backen: ich
rieb ihn. Alles! Ich ſchämte mich keiner Liebe. Ich war
bei allen Bädern: zwölf; oder vierzehn; ich weiß nicht; noch
den letzten Tag vor ſeinem Tod. Beneide mich doch nicht,
lieb Röschen! Vielleicht hätteſt du’s nicht ausgeſtanden; und
Eine iſt genug. Ich war grad hier. Gott wollte dies. Wie
oft hatte ich mich ſonſt weggewünſcht ‒ ‒ ‒. X. hat ſich wie
ein Gott betragen; und ihn beweint, und bejammert wie ich.
Er ſchrieb auch hinter meinem Rücken Moritz. Kurz, ſein
Herz hat eine Umſchaffung erlitten. Die Betrachtungen über
[263] jene Verſöhnung ſind unendlich: ſo hat’s kommen müſſen?
Nicht meine Schuld. Ich ſelbſt, kann ſeit dem Juni faſt
gar nicht ſchreiben. Rheuma in den Händen, Igel u. ſ. w.
Zweimal war ich in fünf Wochen, Ende Juli und im Sep-
tember, zu Bette: in der erſten Zeit Markus noch einen flie-
genden Beſuch bei mir: das zweitemal, ich aus dem Bette
zu ihm zurück; und ſodann nur ſparſam zu Hauſe. Nun war
ich auch ganz weg, nach ſeinem Tod. Jetzt fahr’ ich aus,
und lebe wie immer: heißt ſehr ſtill. Ich hörte vorgeſtern eine
Händel’ſche Muſik. Joſua. Sehr ſchön von der Milder. Ich
weinte auch da. Was thut’s! Ich bin in Weinen alt ge-
worden. Es wird ſchon recht ſein. Gott iſt klüger, als wir! —


— Den Schmerz des Andern kann man einſehen; fühlen
kann immer nur jeder auf ſeiner Stelle. Und ſo ſoll’s ja ſein,
bei der Perſoneneinrichtung! Ich bin aber ganz der Welt,
der Erde, dem Nachdenken, dem Leſen ꝛc. wiedergegeben: mit
dem neuen Riß in Herz und Geiſt. So ſoll es ſein! Meine
geringe Geſundheit hatte ſehr gelitten: und die wird auch mit
ihren Riſſen, ſo weiter taumeln. Mir ſcheint endlich das Re-
ſultat des ganzen hieſigen Lebens für den Geiſt nur dies: —
ich ſoll lernen, eine ganz andere Vorausſetzung für die Exi-
ſtenz überhaupt machen, als hier nur irgend eine zu ergrün-
den iſt. Und da ich ſie gar nicht zu machen im Stande bin,
ſo kann ſie das Hertlichſte, Göttlichſte ſein! Das iſt mein
Paradies, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Zuverſicht
auf den Geiſt, der meinen ſchaffen konnte und wollte! Lauter
irdiſche Worte indeſſen: bis wir das allerklärende geſunden
[264] haben! Bis dahin wundre ich mich über meine eignen Fähig-
keiten, Wünſche und Bedürfniſſe: das Bedürfniß zum Glücke
— iſt uns doch der höchſte Bürge für deſſen Exiſtenz: und ſo
auch mit unſerm Schimmerchen von Vernunft.



Spaniſch.
Wollte klüger ſein, als Träume;

Ach wie dumm war Rahlchen da,

Nur die Träume waren klug!

Außen iſt man nur verwirret,

Innen iſt man klar und deutlich,

O wie hatten Träume Recht!

Könnten wir nur recht erwachen,

Uns beſinnen, Trug verſcheuchen;

Zu dem wahren Traum hinab!

Alle Geiſter ſind nur Träume,

Träume Eines Geiſtes nur.

Uns zurück in dieſen finden,

Iſt Erwachen nur zu nennen;

Oder auch: der ſchönſte Traum.


An Ludwig Robert, in Karlsruhe.



Wenn es hülfe, möchte ich dir gar zu gern empfehlen:
ärgre dich nicht. Es iſt ja auch gar nichts. Nur das Ganze:
daß Einer die Andern durch vorgeſchobene Namen im Bocks-
[265] horn hat; was nun die vorgeſchobenen Namen hält?! — und
was für Glaubensmeinung, für Recht? — noch von Moſes
her, alſo von Ägypten her herrſcht: die Epiſode, die einge-
beizte, der Römer nicht mit eingerechnet. Die Jahrhunderte
ſind eine bittre harte Schale, in der das ſüße Thautröpfchen
Einſicht in das Recht, welches allein der Rückweg zur Un-
ſchuld iſt, reift: zur ſanften ſüßen Unſchuld! nämlich zum
Glück; zur Ruhe. Nicht weil die Unſchuld verloren iſt, iſt
das Glück verloren; ſondern umgekehrt. Die Hinderniſſe ſez-
zen in den Fall von Recht und Unrecht: der ganze Fall iſt
die Erde; das Hier; und muß ſich auf ganz unbekannte Dinge
beziehn! Es fehlt durchaus ein Stück in allen Stücken.
Daher Religion. Die Vorausſetzung aus Noth, ohne Gedan-
kenform: ein Wunſch! — im fertigen, für uns formloſen,
nicht mit unſerm Geiſte zu behandlendem Herzen; welches
den Geiſtes horizont belebt; daher ohne Geiſt und Herz
kein Gemüth, und nur mit beiden zuſammen eins.


Nun noch ein Wort über Duvals Taſſo. Du haſt zwei
Weſentlichkeiten von mir ausgelaſſen. Als du vom Goethe’-
ſchen Duell ſprichſt, haſt du nicht geſagt, daß es Antonio
ſelbſt iſt, der da ſagt: der Edelmann iſt nicht beleidigt, der
Menſch nur gekränkt. Welche Beſonnenheit bis zur Hämiſch-
keit zeigt das in dem bildungsvollen, edelmänniſchen, reifen,
nie ausgleitenden Benehmen; und wie das Gegenſpiel eines
Taſſo! Dann, als du Athalie nennſt, haſt du nicht dabei ge-
ſagt, warum grad’ die aus des Meiſters Werken genannt
wird zum Gegenſtück des genannten Werkes von Goethe.
Weil beide die weiſeſten Stücke der beiden Meiſter ſind.
[266] Mit Wohlbedacht gebrauchte ich dieſes Wort, welches du noch
etwas hätteſt erklären, aber nicht vergeſſen ſollen. Wie es
nun daſteht, weiß man nicht, warum man nicht eben ſo gut
die herrliche Phädra nannte. Darum haſt du wohl mein Epi-
thet „Friedensfürſt“ beibehalten: aber die vorhergehende Stei-
gerung weggelaſſen, die allein dieſen Gipfel nothwendig, alſo
nur vollkommen vollſtändig macht. Du warſt zu keuſch, woll-
teſt zu sobre ſein, und wärſt es nur erſt geworden, hätteſt du
den Muth gehabt weniger dezent zu ſein. Jemehr überhaupt
man ſich über Dinge, über die Sache einläßt und ereifert, je
weniger greift man ſeinen Gegner perſönlich an: was man,
von dem zu Sagenden über den Fehl in der Sache irgend
wegläßt, klettet ſich an die Perſonen. Jemehr Inhalt, und
mehr Grund zur Diskuſſion, je beſſer. Daß es Perſonen ſind,
die doch einmal diskutiren müſſen, tritt immer mehr hervor;
die Perſonen immer mehr zurück: und alsdann wird per-
ſönlichen Anreden z. B. ihr herbſter Stachel genommen; näm-
lich alles Stumpfe; und er wird immer feiner, immer ſpitzer,
und ſchmerzloſer. Dies überhaupt und vorläufig. —



Viele Menſchen, wenn ſie ein für ſie entſetzlich unglück-
bringendes Ereigniß erfahren, ſind nach dem erſten Schreck,
und den erſten Schmerzäußerungen, ganz geſaßt und zuſam-
mengenommen: und andere ſind ſehr verwundert, wenn ſie
dieſelben Perſonen ſpäter in Leidweſen, Traurigkeit, und Nach-
ſpürung ihres Elends finden. Aber es kann gar nicht anders
hergehn. Der Schreck und erſte Schmerz iſt nur Folge des
[267] Bewußtſeins, daß wir nun eine ganze Maſſe ſich folgender
Schmerzen und Entbehrungen, zu tragen, zu leiden haben
werden: wir können bei dem erſten Erfahren, daß dies jetzt
unvermeidlich ſein wird, nicht Einmal auffaſſen, was dies nun
im Einzelnen enthalten wird; nach und nach, in Tag und Stunde
ſtellt ſich jedes Übel, jedes Entbehren, Vermiſſen, jede Lücke,
Leere, jeder Verluſt, als eben ſo viele perſönliche Feinde ein,
die uns martern, verſpotten, unſerer nicht achten, — das thut
das Unglück, — uns aushungern, vernichten, zerſtören, und
wahrlich tödten; Leben abnehmen. Wer kann dies alles zu
Anfang eines Unglücks ermeſſen! Den Schlag des Donner-
ſteins fühlt man; nicht aber alle ſichere Folgen der Zerſtörung.



Es exiſtirt ein großes Defizit. Wir ſind abgeſchnitten,
und leiden Mangel. Und dieſer Mangel drückt ſich im irdi-
ſchen Bedarf und Beſitz noch Einmal aus. Es iſt nicht ge-
nug vorhanden für unſre Bedürfniſſe: langſam ſchaffen wir
es erſt uns ſelbſt, durch Anwendung des Gegebenen. Wir
handeln ſogar — möchte man ſagen — mit Raum und Zeit:
die Aufgabe eines Staats, ſagt Fichte daher, iſt die, den Bür-
gern Muße zu verſchaffen. — Im Denken nur ſind wir ſchon
von einander unabhängig; es kann Einer ſo viel denken, als
nur immer möglich, ohne den Andern dadurch daran zu hindern.
In allem übrigen aber muß Einer für den Andern leiden;
Einer ſo viel als der Andere. Darein willigen, iſt in’s Ganze
willigen und einſtimmen; das Leiden mindern; welches aus
Mangel beſteht. So können wir uns phyſiſche, und andere
[268] Schmerzen, deuten. Elemente und ihre Modifikationen kön-
nen nicht in’s Organiſche kommen: phyſiſche Schmerzen; die
Leiden, der Mangel, nicht richtig vertheilt werden: Seelen-
ſchmerzen. Sie mit dieſer Einſicht einwilligend tragen, mil-
dert ſie. Ich übernehme etwas in Gottes Natur, wenn ich
leide: es wird wohl richtig ſein; am beſten, mildeſten ſo: lin-
dert ſehr.


An Henrich Steffens, in Breslau.



Sonnenſchein; ja, aber melancholiſch iſt er, ſo hell er
auch macht: er erregt Vorſtellungen, Erinnerungen, die er
nicht erfüllt: durch die Scheiben die angedunkelten Dächer ge-
gen erhelltes Blau zu ſehen, iſt ſchön; und das Ganze der
Luft, der Helligkeit, zieht wie Lichter und Lüfte des erlöſten
Frühlings durchs Herz; denn, jede Jahr- Monat- und Ta-
geszeit hat ihre eigene Proportion von Licht und Luft. Aber
dies alles geht in unorganiſirtem, formloſen, krampfvollen
Wetter vor ſich, wo eine Art Wind, wie ein toller böſer Hund,
bis tief unten gekommen iſt, und die Erde mit ſeiner Schnauze
gepackt hat und zauſt. So iſt er — hat man ſo etwas er-
lebt
! — ſeit längerer Zeit, jetzt heftig kalt, wenn er aus
Süden kommt. Seit mehreren Jahren giebt es nur noch er-
löſte Augenblicke, wo eine Jahrszeit herrſcht, und frei iſt,
ohne bis in Minuten hinein mit — beinah allen — an-
dern gemiſcht da zu ſein, zu wirken und zu kämpfen. Ich
[269] bin der Kampfplatz, und meine ganze Lebensſaat iſt endlich
davon faſt aufgezehrt, zerſtört, und hin. Dies fühle ich viele
viele Jahre nun ſchon mit geſteigertem Bewußtſein! Und nun,
herrlicher „Arzt des Leibs und der Seele!“ werden Sie dies
lange Datum verſtehn und verzeihen. Auch wird es Ihnen
erklären, warum ich nicht gleich nach Empfang Ihrer Ant-
wort an uns ſchrieb, ſo nöthig ich dies auch hielt; ſo vorge-
ſetzt ich es mir auch zum nächſten Tage hatte! Ich leide, und
kämpfe mit allgeſtaltigem Rheuma, der in einem ſehr rich-
tig
und fein organiſirten Körper tobt und hauſt; wo er das
all- und anſtimmigſte Inſtrument für ſeine Phantaſieen fin-
det: die nicht er, aber ich begreife. Nichts iſt mir daher ſo
wichtig, ſo gegenwärtig, als Wetter: ja, ich habe die Über-
zeugung, daß dieſe Kunde bis zur Wiſſenſchaft ſteigen wird:
d. h. man wird ihren Zuſammenhang mit allem übrigen Wiſſen
rein darthun können: und ganz gewiß einſt Wetter machen
können, wie jetzt ſchon etwas Medizinen.


Nun will ich, wie ich es immer mache, lieber junger
Steffens, Ihren Brief Punkt vor Punkt beantworten, indem
ich ihn wieder dazu nach und nach leſe. Jung, iſt ein Lie-
bestitel hier. Wenn ich mir Sie im Ganzen, in Eins vor-
ſtellen will: ſo habe ich eigentlich ein Herz zu lieben; eines,
was jung, offen, lebendig da liegt; von keinem Gerümple der
Jahre, oder Klug- und Weisheitseinbildungen verſchüttet iſt!
— denn meines Bedünkens iſt das Herz und die Sphäre,
welche es belebt, bei Ihnen immer da, — frei iſt der Weg
von dieſem geſunden Herzen nach dem Gebiete der Gedanken!
keine Abſicht, kein Plan iſt gruft- und thurmartig dazwiſchen;
[270] und ſo muß ich Sie als einen jungen Freund lieben; da ich
Sie ſo ſehe.


Dies iſt ſchon die Antwort, auf das Wort, welches Sie
ausſprachen, daß Sie nie auf äußern Antrieb ſchrieben, daß
Sie alles innerlich erlebt haben. Ich bin ganz beleidigt —
verletzt, meine ich — daß irgend eine falſche Berührung Ihnen
eine ſolche Äußerung über Ihr Weſen auspreſſen mußte, das
nicht nur die freundlichen Seher von ewig her von Ihnen
kennen müßten; ſondern was gar nicht mehr in Frage geſtellt
ſein müßte. Varnhagen — und auch ich — kann es gar nicht
verſchmerzen, daß er Ihre Rede am Grabe Blüchers nicht
hatte, und nicht in ſeinem Buche hat. Welche Glorie, mit
ſo bewährten Männern wahre Geſchichtserzählung verbürgen
und verſchönen zu laſſen! Welch Vergnügen, wahrheitslieben-
den Nachkommen Zweifel zu erſparen, indem man ihnen ver-
wahrt, was wiſſenswerth iſt, und zur Klarheit beiträgt; und
ihnen in Einem noch mehrere geſchichtliche Geſchenke zu ma-
chen! (Ich habe Blüchers Leben noch nicht geleſen. Nur eini-
ges davon während dem Druck.) Welche ganz herrliche
Stelle ſteht von Ihnen da, in Ihrem Briefe, über Biogra-
phieen, über Helden und Männer, und deren Geſchichtsbehand-
lung! Sie iſt grundwahr: aber nicht wie mit Dinte, nicht
nur mit Worten ausgedrückt; ſondern wie Türken mit Blu-
men ſchreiben, iſt ſie auch in lebendigen Naturgegenſtänden
ausgedrückt. Sehr flüchtig, ſehr ſchön, ſehr gründlich! Ver-
zeihen Sie, daß ich Sie ſo loben will. Loben iſt mein drin-
gendſtes, innerſtes Bedürfniß: mein Lob iſt immer ein Beleg
des Verſtehns, und das halte ich für ſehr nöthig. Nöthig
[271] überhaupt: und noch nöthiger, da ihn ſo wenige gern geben:
da es faſt ſo ganz unterbleibt; und ein guter Autor — es
ſei welchen Wirkens und Schaffens es ſei — faſt ganz einſam
bleibt: und, wird er gelobt, nur von ſchuftiger Parthei; ohne
Grund, ohne von ihm erregte Liebe, oder Verſtändniß. —


Lieber, ehrlicher Steffens! Laſſen Sie ſich doch von keiner
Kritik anfechten! — Bei Ihnen, der Sie aus innrem Grund
ſchreiben, wie Sie ſelbſt ſo klar und wahr zu ſagen wiſſen,
einem ſolchen kann man nur eine unweſentliche Kritik machen,
eine, die nie dem innren Zuſammenhang, Grund und Kern
ſeiner Werke zu nahe kommen, nahe kommen kann; alles
was man ſolchen Produktionen, wie Ihren, zu- und abwün-
ſchen mag, iſt Ihnen und Ihrem Werke unbeſchadet, ab- und
zuzunehmen, je nachdem man Sie überführt haben wird. Mö-
gen die, die aus Plan und Abſicht, aus Eitelkeit, Ehrgeiz,
innrer Müſſigkeit ſchreiben, ſich ängſtigen, was Akademieen,
Gelehrten-Gruppen, Partheiſchwätzer von ihnen in den Blät-
tern für Volk abdrucken! Hat man denn in mancher Leute
Lobe nicht ſchon angefühlt, daß es gleichbedeutend mit Ta-
del iſt? Alles beides ohne Herzensblut, welches durch den gan-
zen Körper muß und will und ſoll; ihn bedingt, und von ihm
bedingt wird. — Sie haben nicht ein zu großes Thema, wie
Sie ſagen, in eine zu enge Form geſchnürt. Laß ſie brechen!
Auch ein ſchönes Schauſpiel! Sie können auch andre erfin-
den, andre Formen: aber kein „leider“ ſoll Ihnen entſchlü-
pfen! — Laſſen Sie ums Himmelswillen keinen Einfluß da-
durch auf die Vorhaben Ihrer Arbeiten einſchleichen! Auch
in jedem Freunde ſtoßen wir auf Maſſen, die ſich nie mit ihm,
[272] mit uns einigen wollen; die ſind ſchon die Glücklichen, die
Begünſtigten, die ſolche Maſſe nur erkennen: machen Sie
ſich dieſen Vortheil ganz zu Nutze! Umgehn, umfliegen
Sie
ſie; gehn Sie nie heran, als an ein ſchon verarbeitetes
belebtes Glied, welches mit dem Herzenskern in lebendiger
Verbindung ſteht, ſie umarmen zu wollen; wobei nur das
harte Anſtoßen die richtige Strafe des Irrthums, des Selbſt-
ſchmeichelns, zu gewinnen ſteht. Verzeihen, verzeihen Sie
verehrter Freund, daß ich Sie belehren will! — —



Alle andere Bewunderte ſagen freilich auch Wahrheiten;
aber Goethe giebt Wahrheit; ein Ganzes, einen Grund ha-
bendes Zuſammenhängendes durch die Wahrheiten, die er ſagt.
Bei Jean Pauls Titan. Bei Jakobi’s und Wielands Briefen.



Vernunft iſt das Vermögen — oder beſſer ausgedrückt —
die Regel in unſerm Geiſte, nach welcher wir jedesmal von
neuem die Regel zum Verſtehen erfinden können. —


Das iſt nun ſo zu verſtehen: Vernunft iſt eine Regel in
uns, nicht die wir machen, wir beſitzen ſie nur leidend, wir
finden ſie in uns vor; wir gebrauchen ſie nur thätig, als
Maß. Sie iſt außerperſönlich, ſie iſt ein Mitgift in uns,
die uns antwortet. Die Vernunft antwortet uns z. B. auf
die Frage: Was ſollen wir auf unverſtändliche Dinge, als
etwa zu einem Wunder, ſagen? Da antwortet die Vernunft:
Es muß eine mir unbekannte Regel geben, nach der auch die-
ſes
[273] ſes zu verſtehen iſt, oder nach welcher das Verſtehen unnöthig
wird; alſo der Sinn jener noch zu erfindenden Regel iſt ſchon
erfunden; nur die Materialien dazu fehlen noch. Daraus
folgt nun Demuth, Spekulation u. ſ. w. —


(Mündlich.)


Es war von Frau von Staël die Rede; Fürſt Kosloffsky
meinte, ſie ſei im Grunde auch eine recht gute Frau geweſen,
von ächter Herzensgüte; „Oh certainement, ſagte Rahel, c’est
là tout son esprit!“


Von Talleyrand wurde geſagt, auch er ſei eigentlich gut-
müthig; ſeine Eigenheiten abgerechnet, wie die Wechſelwir-
kung ſeines Weſens und der Welt ſie ihm auferlege, ſei er
gar nicht böſe; „Je le crois bien, ſagte Rahel, il n’a pas
besoin d’être méchant, la nature l’a été pour lui.”




Vetter ſagte einmal: Wen wir kennen, den lieben wir. Dies
iſt auch der Weg, wo das ſchwere Recht und Unrecht aufhört.
Auch was wir kennen, verſtehen wir; wir werden auch dies,
gleichſam, ſelbſt: und kennen ſeine Bedingungen des Seins.


Das was wir recht kennen, ſind wir ſelbſt: Geiſt iſt
Wiſſen; was der durchdringt, iſt er.


Wir ſind nur unvollſtändig, weil wir nicht alles von uns
wiſſen. Durch Organiſation weiß man; darum fürchte ich
ſo ſehr den unerganiſirten Zuſtand.


III. 18
[274]

Alles iſt zu verſtehn, und zu verzeihen, nur Bosheit nicht;
ſie iſt das Gift in dem Gebiete der Moral; ſich ſelbſt aufhe-
bend und zerſtörend; nicht zum Erkennen. Gehört auch ge-
wiß einer Welt an, von der wir gar nichts wiſſen, mit der
wir in gar keiner Gemeinſchaft ſein können. Es beſtehn ge-
wiß Organiſationen ganz im Großen, die noch nicht zuſam-
men-organiſirt ſind. Allmählige, richtige Übergänge in or-
ganiſirte — bereitete — Zuſtände, iſt Glück; das Gegentheil
Leid für den Geiſt, für die Seele.



Man ſpricht nur ſo viel, weil Reden nicht hilft! —
Sprechen wirkt langſam, wie ein Geiſt in dem Chaos; bis
er auf einen andern Geiſt wirken kann. Novalis ſagt: „Nur
Geiſter können gezwungen werden.“ Einer der tiefgegriffen-
ſten Ausſprüche, weitumfaſſendſten, kinderreichſten.



— Keine Schechner, keine Heinefetter hab’ ich gehört:
wohl aber einen Halbgott von neapolitaniſchem Tänzer ge-
ſehen; Samengo. Der wie ein Merkur herab zu fliegen
ſcheint, wie der ſich etwa in Öde und Stille eine Nymphe
haſcht. Er flattert mit den Beinen und Füßen; bei ihm
lernt man verſtehen, was das Drehen bedeutet. Ein Erden-
fliegen aus Freude der Überkräfte, des Wohlſeins. Welch
Biegen bei dem Drehen! Welcher Wuchs aus den Schul-
tern! Wie verliebt, wie rückſichtvoll gegen ſeine Partnerin;
wie ſtolz auf ſie, wie neckend! Verhältniſſe, Zuſtände werden
[275] ausgedrückt, nicht ſchwere Pas hergeſagt und mit Füßen
buchſtabirt! —


Hegels Encyclopädie. Ausgabe 1827. S. XXIX.
„Daß die philoſophiſche Wahrheit nicht etwas nur Einſames,
ſondern die Wirkſamkeit derſelben in allen Geſtaltungen (rei-
nern und trübern der Wahrheit) wenigſtens als Gährung
vorhanden geweſen.“ Die wird der Dümmſte nicht los; ja,
in den Dingen ſteckt ſie. Geiſter erobern ſie. — Ebendaſ.
Anmerk. letzte Zeilen: Hier auf dieſem Punkt paßt nur ein
Geſtändniß: keine Sorte Erklärung.


S. 13. „Theils ſind die Anfänge allenthalben Unmittel-
barkeiten, Gefundenes, Vorausſetzungen.“ Die Leiter des Ge-
dächtniſſes weggezogen. — S. 14. Da aber hier „das In-
ſtrument unterſuchen“ nichts anderes bedeutet, als erkennen,
wie wir zu erkennen vermögen; ſo wird doch nichts anderes
übrig bleiben, als das Erkenntnißvermögen unterſuchen. Friſch
drauf los zu denken, bevor wir dieſen Prozeß unternehmen,
dazu brauchen wir keinen zu ermahnen: das kann ſogar nie-
mand unterlaſſen. So bleibt doch nichts, als mit Fichte’n
anzufangen; nämlich mit der Frage: Wie find’ ich mein Ich
vor? — S. 31. „Ich iſt in ſofern das ganze Abſtrakte, das
abſtrake Freie.“ Reiht ſich hinauf, an das Gewiß-Freie, ſich
ſelbſt und ſeines Daſeins Grund Faſſende. —


18 *
[276]

Sprüche.

1.
Du ſollſt nicht rechten und richten;

Du wirſt es doch nicht ſchlichten.

2.
Die Welt iſt reizend, viel zu lieben drin.

Sich damit begnügen, ihr innerſter Sinn.

3.
Mit Liebe willſt du die Welt umfaſſen?

Du kannſt es nicht: ſie will ſich gar nicht lieben laſſen.

4.
Mögſt du dies nie verſtehn!

Dir heil’ger Jugend Irren nie vergehn!

5.
Vergeblich iſt der Wunſch, der Gegen!

Lebſt du, mußt du durch alle Welten dich bewegen.

6.
Von hohem fremden Geiſt ſind wir bewegt.

Und unſer ganzes Daſein ſo erregt.

7.
Wir können uns nicht ſelber faſſen:

Ergeben müſſen wir uns gehen laſſen.

8.
Wenn auch das Ganze wir nicht verſtehn;

Deſto mehr wollen wir auf nächſte Schritte ſehn.


[277]

An Fräulein von R., in Dresden.



Wolkiges Wetter; bald Sonne, bald nicht: nach vor-
geſtrigem heftigen Gewitter, mit größtem Regen,
nach elektriſcher Glühhitze. Stark-thauige Herbſt-
abende: ſtreng-kühle Nächte. Alle Menſchen
müſſen ſich ſehr in Acht nehmen.


Wie könnte ich anders für Ihren treuen Brief, wahrhaft
verehrte Freundin, danken, als mit allem was ich von Ih-
nen weiß, halte, und in mein Herz geſchloſſen habe! Ich
hatte Ihnen ſchon gedankt: für alles was von Ihnen kom-
men kann, ja, kommen muß. Es iſt keine Kleinigkeit! Nur
die beſten Menſchen ſind exakt. Nur die Beſten wiſſen, daß das
höchſte gereinigte Erdendaſein bedingt iſt; nicht beſtehn kann,
ohne höchſte Ordnung des Einrichtens der gewöhnlichſten Dinge,
und Umgebungen; und daß nur dadurch die uns ewig unbe-
greifliche wie unwiederbringliche Zeit ökonomiſirt wird: nur
die beſten Menſchen unterwerfen ſich dieſen Bedingungen: die
einzige Art, dieſe — Erdfeinde — zu umgehn; noch mehr!
wir können ſchon die, welche ſich dem unterwerfen, und ſonſt
nichts aufzuweiſen haben, zu den Guten rechnen. Schauen
Sie nur, wie ſelten Vernünftig-Praktiſches anzutreffen iſt!
Hiermit hört alles Schwerfällige dieſes Briefes auf: ver-
ſpreche
ich wenigſtens. Nur ganz in Ihrer Nähe wohnen
zu können, kränklich wie ich bin, kann mir Dresden verſüßen
und anlockend machen. Ich müßte in Ihrem Salon, in Ihrem
Garten, oder auf Ihrem grünen Hof ſtill und ſtumm wie ein
Hausgenoß ſitzen können, und meine Seele — der Reſt geht
[278] oben ein — auf Ihren Lorbeern ruhen können. Da nur wür-
den meine erblüht ſein. Allein kann ich mir jetzt diesmal
nicht helfen. Es muß mir nach langem Krankheits- (von
mir und Andern) Ungemach, Hülfe von außen kommen, als
Glück gedeihen; daß ich gedeihe! Es iſt mir ſehr zu lange
kein Glücksfall begegnet, der einige grüne Lebensblätter ent-
faltete: dies allein bedingt am Ende Krankheit. Diesmal,
meine edle Vertraute! kann ich nicht einſam in fremdem Hauſe,
in fremder Stadt iſolirt bleiben, oder die Aufgabe, die An-
ſtrengung haben, mir eine Geſellſchaft zu bilden, zu unterhal-
ten, zu bewirthen. — Krank — Abendthau-Erkältung — wir
ich heute bin, laſſe ich mich doch von Dresden nicht abſchrek-
ken. Wenn Varnh. reiſt: d. h. den Tag: den werd’ ich wohl
auch abreiſen: und dann gradezu nach dem Ihnen am näch-
ſten Wirthshauſe, in Dresden. Soll ich ſchon nicht dicht ne-
ben Ihnen wohnen, ſo iſt mir ein Wirthshaus das Schick-
lichſte was ich gebrauche. Illimitirte Zeit; wie ein Vogel
aus dem Neſte flieg’ ich davon! Komme ich ſo ſpät, daß
Sie nur noch einige Wochen bleiben, flieg’ ich noch etwas mit
Ihnen; ſo, daß ich mit einem Umweg quelconque, nach Hauſe
komme. Sehe ich, daß ſich dergleichen nicht für Alle gut
geſtaltet; laſſ’ ich es: und fahre etwas nach Weimar; nach
Töplitz, die Clary’ſche Familie beſuchen; oder was es ſei. Ich
habe Ihren Beifall, ich weiß es. Und Sie können ſich auf
meine Diskretion verlaſſen, was ſich nicht für Alle ſchickt, das
unternehme ich nicht: Sie kennen mich ja ſchon lange; unbe-
merkt Flügel einziehn, das verſtehe ich. Ihnen dies deutlich
ſagen, iſt nicht unnöthig: die liebſten Freunde und Menſchen
[279] können einem durch Stellung und Verhältniſſe zur Plage wer-
den, wenn ſie dieſe nicht einſehn; oder nicht geſchickt berück-
ſichtigen: ich gelobe Ihnen dies hier mit Bedacht ausführlich,
zu thun. Der Himmel geſegne Ihnen Dresden! beſonders mit
Ihrer Aller Geſundheit. Die Freunde ſind ja dort: die Er-
kenner und Bewunderer finden ſich nach dem Maße ihres eige-
nen Werthes und ihrer ganzen Brauchbarkeit unwiderſprechlich
ein. Mama aber bedaure ich äußerſt, daß ſie nicht dicht am
Hauſe
Grünes haben ſoll! Und gewiß noch eine große Treppe!
Auf vier Wochen müßte nur Einmal eine vornehme Fee alle
Hinderniſſe wegräumen! daß man ſich erholte, und erführe,
ob wir ein vollſtändiges — nur hieſiges — Leben anſtändig
ertrügen. Je vous laisse! ſagen die höflichen Franzoſen: ein-
ſehend wie nöthig das öfters iſt. Ich empfehle mich dem ver-
ehrten Vater und der glorreichen Schweſter. Weßwegen ſie
mir glorreich erſcheint, mündlich! Rein, und unangetaſtet:
und ſo geliebt. Im Element der Liebe lebend. —

Ihre ge-
treue Friederike Varnhagen.


Es ſtürmt heftig.


An Ludwig Robert, in Baden.


(In der Urſchrift mit jüdiſchen Lettern.)
Es iſt ein ſehr guter Brief.


Nun will ich ſehn, ob du wirklich mein Freund biſt. Ob
alles wahr iſt, was wir gelebt haben. Es war ein Todes-
[280] ſchlag für mich, als du dieſen Frühling ſchriebſt, du würdeſt
dieſen Winter nicht kommen. Jetzt aber wirſt du kommen.
Mein theures Röberken! Ich habe zweihundert Thaler in ei-
nem Sack zu liegen, auf welchem ſteht, daß das Geld dir
gehört. Von dieſer Summe weißt nur du und ich. Ich habe
ſie von kleinen Privatintereſſen zurückgelegt, um mir einmal!
ein perſönliches Vergnügen zu machen. Dieſe Zeit iſt nun
gekommen. Du mußt zu dieſem Winter kommen. Zweihun-
dert Thaler machen für zehn Monat jeden zwanzig Thaler.
Da iſt alſo dein Quartiergeld. Vierunddreißig Thaler liegen,
wie du weißt, noch bereit, die P. oder F. dir bringen ſollten.
Mit denen kannſt du kleine Einrichtungen für’s Haus machen.
Antworte mir auf der Stelle. — Dieſer Tage ſchreibe ich dir
über deine Oper. Für dieſe Lettern iſt mir das zu ſchwer.
Sogar mein Stil, wirſt du ſehn, leidet darunter. Auch Rike
ſoll von dem Gelde nichts wiſſen. Sehr gut könnt’ ich’s Au-
guſt ſagen. Ich will nur nicht, daß er erfahre, daß ich eine
Summe allein hatte. Sonſt denkt er, ich bin ein Millionair,
und habe ewig und immer Geld; und verlernt Ökonomie.
Daß ich’s dir gebe, würde ihn entzücken. Ich ſoll mir ja
Schals und Ketten dafür kaufen. Ich gebe aber immer ſo
viel weg. Und ſammle mir zum Glück, anſtatt zum Plaiſir.
Du ſchreibſt oſtenſibel, dir wäre unvermuthet eine Schuld ein-
gegangen; und nun kämſt du dieſen Winter. Du ſteigſt
wenige Häuſer von mir ab, in einem guten Wirthshaus, wo
ich dir Quartier mache: und ihr miethet euch hernach ſelber
eins. Zieht ihr es vor, miethe ich eines. Ihr eſſet bei mir,
natürlich. Mach mich glücklich! Wie lange lebt man denn,
[281] was begegnet denn Brillantes? Iſt Markus nicht geſtorben?
Wollteſt du — aus Wahnſinn — das Geld nicht annehmen;
ſo gieb es mir im neuen Jahr wieder. Ich nehme es. Nun
werd’ ich ſehn, ob es wahr iſt, daß du mir gäbeſt, wenn du
hätteſt! ob du wirklich Louis biſt. Antworte nur gleich! Im
Frühling reiſe ich gleich mit dir hin, wo du willſt. Lebe wohl
und mache mich glücklich.


Der Brief iſt von Bunim. Es iſt ein ſehr guter. Sage
Rike nicht von wem. Nicht daß er von mir, von Rahel iſt.
Mehr kann ich mit dieſen Lettern nicht zuwege bringen. Au-
guſt verreiſt etwas zum Vergnügen; gegen Weimar hin, vor-
erſt. Adieu.


An Ludwig Robert, in Baden.



Warmes, dunſtiges, ja heißes, weiches Gewitterwetter,
mit Sonne, kleine Wölkchen. Halb 2 Uhr.


Bis jetzt gehindert, geſtört! Alle Tage ſo; ich kann
nicht Rechnungen machen. Alle Sorten Durchreiſende, Fremde.
Gräfin Henckel und Tochter und Schweſter. Barnekow’s.
Graf Yorck. Williſens. Hegel, Humboldt, Ranke. Wozu
die vierzig Namen noch! Eins widerſpricht dem andern.
Varnhagen will eine Schnellpoſtreiſe nach München machen:
ich zu Hauſe bleiben: und meiner Ruhe und meinen Gäſten
leben. Und vielleicht — V. will’s heftig — noch ein Aus-
flügchen machen; etwa mit Schleiermacher, ſeine Frau aus
Schleſien abholen: oder zu Redens nach Dresden: oder, zur
[282] Fürſtin nach Carolath, oder nach Goethen. Oder — gewiß
nichts. Ich nehme mir noch mit Gewalt die Zeit — heute
Abends hab’ ich Henckels, Yorck, Williſen, und was noch
anſchifft — um dir zu ſagen, daß wir die ganze vorige Woche
bis vorgeſtern Hrn. Pirault des Chaumes bewirthet und ge-
leitet haben; mit ſeinem großen Siegersdorfer Kalckreuth, dem
Sohn. Würdig. Hr. P. ein alter Franzoſe, der ſehr ſchön
ſeine Fabeln rezitirt. Mir fehlen Franzoſen, nämlich ſolche,
wie Montigny. Bei euch ſind alle intereſſante. Man lieſt’s
in unſern Zeitungen. Canning weg. Caſtlereagh weg.
Alexander, die Kaiſerin weg! — Es gehn mehr, andre Wel-
ten, wie eben ſo viel Schiffe, auf dem Strom des Daſeins
zugleich, unbekümmert um einander. Nur Ein Geiſt, der
Geiſt — unſerer auch — bringt ſie zuſammen; durch Begrei-
fen! — Ein befreiter Geiſt, ein unbedingt waltender, was
bekäme der wohl zu ſehn? Dies merkt man ja an jedem neuen
Einfall: wahrhaft neuen, eine Welt; eine andere. Du
weißt, wie wenig ich Hegel’ſche Bücher, gegen Fichte, —
komparativ heißt hier gegen, — goutirte: wie wenig ſeine
Schreibart! Jetzt aber habe ich angefangen — man läßt
mich nicht leſen: die vielen Relationen: nicht das Zweiund-
dreißigtel nannt’ ich dir — ſeine „Encyklopädie der philoſo-
phiſchen Wiſſenſchaften im Grundriß,“ die er Varnhagen ver-
ehrt hat, zu leſen. Parlez-moi de ça! Vortrefflich. Beinah
jede Zeile eine unwiderlegliche Definition. Ich ſtreiche an und
ſchreibe nebenbei. Ich finde Fichte. Was ſonſt? Wer die
Silhouette des Geiſtes gemacht, wer ihn wie der Silhouetteur
feſtgeſchraubt hat, um die Dimenſionen zu nehmen, die er
[283] ſelbſt nimmt; der muß bei jeder neuen Ausmahlung wiederge-
funden werden. Alles Denken und Ergründen iſt ein Wieder-
finden eines Verfahrens; es ſei nun das unſres eignen Geiſtes:
einer Leiſtung ſeiner, oder eine der Natur, die wir in unſerer
Geiſtesart aufzufaſſen, zu nehmen, und zu behandeln im
Stande ſind. Ich finde immer nur Eins wieder; und uns ſo
zu ſagen in einer Figur beſchränkt. Als Unendliches iſt dem
Geiſt bloß armer Witz gelaſſen, um ſich reich in dieſer Armuth
zu geriren. Auch praktiſch, angewandt, iſt es ſo mit dem
Witze; wie Leſſing und Viele ſchon anders ausdrückten: er
wird rege bei Leidenſchaft: wo erzeugt ſich dieſe? bei Mangel
irgend einer Art. Nicht wo Befriedigung, Fülle, Harmonie,
Ordnung, Elyſium, — welches wir nicht einmal zu faſſen
verſtehen: daher die allée de peupliers, von der Tilly ſprach —,
da iſt. Etwas ſehr Schönes, alle Tage zu Gebrauchendes
ſagt Hegel. Er ſagt: eine Philoſophie müſſe alle bisherigen
in ſich einſchließen; auf ihren Standpunkt ſtellen und laſſen,
und mit ihnen Eine ausmachen. Mit andern Worten und
Beweiſen. Weil ich nie eine anders verſtand — wofern ſie
nur redlich durchgeführt war —, ſo iſt mir das ſehr einleuch-
tend, und erfreuend. Ein vortreffliches Buch, welches wir
Einmal mit einander leſen müſſen. Ich hatte neulich nicht
den Muth, als Hegel bei uns war, ihm zu ſagen, daß ich
ſein Buch leſe: obgleich mir die Überzeugung nicht fehlt, daß
ich einer der Studenten bin, der es mit am beſten liebt und
verſteht: oder vielmehr verſteht und liebt. — Zwanzigmal
Nachts und bei Tage ſorgte ich für Rike, und möchte ſie
warnen. Um Gottes willen keinen Abendthau! Nachher wie-
[284] der; wenn die Sterne da ſind. Montag erhältſt du Onkel
Bunims Brief: antworte ihm gleich; und gütig. Ich kann
es nicht erwarten! Theures: einziges Röbertchen! wenn ich
euch doch dieſen Winter ſchon ſehn könnte. Gott thut mir
gewiß dieſen Spezial-Gefallen. O! wie würde dir das fruch-
ten in dem immer regern Treiben hier und der ganzen Welt.
Wie würde dich Varnh. mit ſeinen vielen Büchern und litte-
rariſchem zunehmenden Verkehr enkouragiren und ermuthigen;
alle Tage ſpricht er mir von dir, und deinem Treiben; was
du ſollteſt, könnteſt; was dies, was jenes für dich wäre. Du
hieltſt dich ganz an unſern Kreis. Alles thät’ ich dir zu Liebe:
alles beſorgte ich dir, ſchaffte ich dir. Theuer Brüderken! Im
Frühling reiſten wir in zwei Wagen aus, wo du hin willſt. —
Kannſt du Lindner vorausgrüßen laſſen, ſo thue es, eh ich
zu ſchreiben vermag. Er hat mir einen vortrefflichen Brief,
ſo einen aus unſerer alten Gualtieri- und Prinz Louis-Zeit,
geſchrieben. Alte, begründete, breitgewurzelte, nur mit dem
eignen Leben zu zerſtörende Freundſchaft. „Gleichgeſinnte“
über die beſten Dinge. Liebe, Ehrfurcht, Wahrheitsliebe.
Weißt du, ich habe einen neuen Titel oder Namen erfunden:
„Die, welche ſich Überzeugungen wählen,“ der, die — hat
ſich eine Überzeugung gewählt; und dann weiß man! — Adieu,
lieben Freunde; nehmt nicht übel, wenn ich nicht mehr ſchreibe:
der Sommer war zu heiß, ich zu angegriffen. Nachmittag
fahr’ ich mit den Damen Henckel nach dem Blumengarten,
Potsdammer Thor. Sehr ſchön. Dann ſind ſie bei mir den
Abend. Thee, Kaltes; Braten, Kompotte. Adieu. Eure F. V.
Brava! Rikchen! Sein Sie fleißig! und ermüden Sie, weil
[285]ich ſchwach bin, nicht mir zu ſchreiben. Varnh. grüßt euch
als herzlicher Freund und Bruder: äußerſt anhänglich: das
erwirbt ihm neue Liebe von mir. —


An Fräulein von R., in Dresden.



Wieder ſehr ſtürmiſch, kühl, und ſchwül, nach vielem Regen,
der noch droht.


Geſtern in Charlottenburg, welches ich einer Gräfin
Henckel mit Schweſter und Tochter zeigte, große Strecken
im Garten verſumpft: ſo ſoll es dort vorgeſtern zweimal ge-
ſündfluthet haben, wovon hierher — wenigſtens zu mir —
keine Kunde kam. Jedoch war es prächtig, und ein phanta-
ſtiſcher Abendhimmel; die Damen, welche Berlin nie im Som-
mer geſehen hatten, und denen es, wie bekannt, ſehr ver-
ſchrieen war, fanden Thiergarten, Weg, Charlottenburg ſehr
ſchön: und das ſchmeichelte mein märkiſches Herz, welches ſich
hier bei Ihnen — der Ein- und Nachſichtigen Luft macht,
und das Datum in eine Chronik verwandelt. So ſoll ſie denn
auch noch enthalten, daß die H.’ſche Familie eine allerliebſte
iſt. Geborne von Br., Schwägerin des Generals H. von D.:
und Nichte der Oberhofmeiſterin. Vortreffliche Frauen: das
Töchterchen blumenhübſch, und ſechszehn Jahr; ganz beſchei-
den, und doch unbefangen, wann ſie ſpricht.


Den heiterſten beſten Dank für das Geburtstagſchreiben!
wenn guter Segen hilft — ich denke es — ſo hilft auch
meiner, dem braven lieben Bruder, den ich wohl kenne.
[286] Ich hätte gewiß noch einige Tage mit meiner Antwort gewar-
tet, wenn ich nicht Ihren treuen Antworten mich gezwungen
fühlte zu entſprechen (d’y répondre); weil ich erſt den Sonn-
abend einen Brief erhalten kann. Das wiſſen nur Sie: auch
Varnh, habe ich vorgeſtern nur mit dem Verſprechen abreiſen
laſſen, daß ich wahrſcheinlich Ihrer theuren Einladung folgen
würde. Sie glauben es gewiß nicht, können es auch nie mer-
ken, welchen Werth, welchen wichtigen, ja gerührten Werth
er darauf ſetzt. Alles müßt’ ich, nach ſeinem ewigen Zureden
und Ermahnen, ſtehen und liegen laſſen, und dieſem er-
wünſchten Leben und theuren Rufe gleich folgen: da mir Beſſe-
res nicht zukommen kann. Richtigſt! Sage auch ich. Ich
hatte aber vorher meinem Bruder Ludwig einen Vorſchlag
gemacht; worauf ich Antwort haben muß; deſſen Grund und
Umſtände ich Ihnen mündlich vertrauen werde. Sie ſelbſt,
theure verehrte Freundin, wiſſen ob ich Ihnen dankbar bin:
und ob ich einzuſehen weiß, welchen Werth das Wohlwollen
der Ihrigen für mich haben ſoll! „Freunde! Gleichgeſinnte!“
ruft Goethe die ſeinigen in einer Elegie an. Tiefer hat mich
nie ein Ausruf durchdrungen. Er iſt eine Definition: und ſie
war ſchon ganz fertig in meiner Seele. Wohlwollen — charité,
Liebe — haben wir und ſollen wir haben für jede Art von
Menſchen, und Kreaturen. Freundſchaft, Hochhaltung, Über-
einkunft, können wir nur haben für „Gleichgeſinnte.“ Von
denen wir wiſſen, daß ſie die großen Hauptpunkte unwandel-
bar mit uns wollen, daß nie eine Eitelkeit oder eine Gewinn-
luſt, auch keinen Augenblick, dieſe großen Punkte ſtört,
gefährdet, oder unterbricht. Dann iſt alles richtig. Geiſt.
[287] Talent, Witz, Laune, Kenntniſſe, Liebenswürdigkeiten, das
alles ſind Zugaben; ſehr liebenswürdige, wünſchenswerthe, von
mir leidenſchaftlich anerkannte, und applaudirte. Ich ſagte:
Liebenswürdigkeiten: weil Liebenswürdigkeit ſchon ganz
allein in der Unwandelbarkeit in den nicht benannten, und
von Ihnen ſo wohlgekannten großen Punkten enthalten iſt.
Die erfordern ein immer gegenwärtiges Herz, und einen feſten
ungetrübten Sinn, der bei Vernunft aufrägt. Selten genug;
weßwegen, weiß ich nicht; da dies grad das Natürlichſte iſt.
Ich bitte wegen meiner Hamletsneigung — der, nun ſeh’ ich’s,
unüberwindlichen — des ewigen Grüblens, und Raiſonirens,
nicht mehr um Vergebung: ich will nur anzeigen, daß ich
wohl fühle, ich ſollte es thun. Auch amüſirt Hamlet öfters;
wenn man grade nichts Preſſantes vorhat; und wenn er nur
ſchreibt — wo man ſeine Briefe bei Seite legen kann — geht
es an. Ich habe beſtimmt noch das Glück, Sie in Dresden
zu ſehen! Nur den Moment vermag ich noch nicht zu beſtim-
men — ſtimmt, und ſtimmen, dürft’ ich Varnh. nicht gut ſe-
hen laſſen —, Wenn ich wieder Nachricht von Ihnen haben
ſoll, bitte ich um Nachricht, wie lange Sie dort bleiben:
darnach richte ich mich ganz. Wenn ich auch nicht ſelbſt
den Wunſch, dort ein Stückchen mit Ihnen zu leben, lebendig
in mir trüge, ſo thät’ ich es doch; um einen guten Winter
zu haben: den mir Varnh. im Unterlaſſungsfall nicht ließe.
Er iſt beglückt, und ſtolz auf Ihre gütigen Vorſchläge! und
hat mir in dieſem Sinne die ergebenſten Grüße an die ganze
Familie, jeden einzeln, aufgetragen. Möge Ihnen ferner
Gutes und Freundliches zukommen, Sie umgeben, Ihre er-
[288] hellte Seele faßt es würdig auf. Gott geſegne es Ihnen und
den Ihrigen! Und geſegne Ihnen Ihre B.s! Gewiß Ihre
Sie ehrende treue Friederike Varnhagen.


Ich muß Ihnen auch noch ſagen, wie Varnh. Ihren Brief
bewundert hat! Weil Sie ihn ſo nicht kennen. Ihr Stil,
Sie, Ihre Handſchrift, alles was ſie ausdrücken: iſt mir nur
Eins. Glimpf, edel; rein, heiter, glücklich; richtig, harmoniſch.
Natürlich, wohlthuend!


An Varnhagen, in München.



Nach bedeutender Nachtkühle ſo eben ein Regen; vor-
her Sonne, wolkig, halb hell. Wie du’s verlaſſen
haſt. Es iſt bald halb 11.


Ich ſchlief wegen genoſſenem Kaffee — glaub’ ich — nur
ſehr ſpät ein; unterſuchte, weil ich wußte, daß du fuhrſt, oft
das Wetter: gegen 2 war es wahrlich winterkalt. Ich konnte
nicht berechnen, theurer Auguſt, wo du biſt, weil ich von Leip-
zig nach Nürnberg nicht kenne. Um 9 Uhr als ich aufgeſtan-
den war, nahm ich meine alte Kriegeskarte, die von Anno 13,
und ſah da nach, wo Nürnberg iſt; — daß du des Nachts
die ſchönſten Gegenden nicht ſiehſt, hatte man mir erſt geſtern
wieder in Erinnrung gebracht; das war mir fatal. Vielleicht
kommt heute ein Brief von dir.


Vorgeſtern war ich mit meinen Damen, die es noch nicht
geſehn hatten, in Charlottenburg, anſtatt in Friedrichsfelde;
auch mir war es des Steinpflaſters halber ganz recht. Wie
freuten
[289] freuten ſich die drei Frauen: wie ſchön fanden ſie Weg, Thier-
garten, Charlottenburg, Schloß, Garten, alles! Auch iſt es
ſehr ſchön. Vor der Wache und dem Schloß war ein See.
Von Regen, den wir hier nicht ſo ſehr gehabt hatten; dort
ſoll er zweimal geſündfluthet haben. Ganz ſatisfaiſirt kamen
ſie bei mir an, und ſprachen es immer aus. Nachdem wir
uns etwas erholt hatten, und ſchon Thee tranken, kamen Wil-
liſen und Graf Yorck: beide berauſcht von Mlle. Schechner;
berauſcht. Langes Geſpräch über Geſang, Spiel, Singe-
kunſt, ihre Technik, ihre Bedeutung. Keine Übereinkunft, als
die, daß wir jeder ganz etwas anders verlangten. Ich: die
Behandlungsweiſe des Inſtruments — in Bruſt, und Hals,
und Mund — der Italiäner, die ihre Beobachtungen als Re-
geln feſtgehalten haben; und dann, Eingebungen eines tief
und leicht bewegten Herzens, und den Witz und Geiſt, der
unendliche Rapports auf’s ſchnellſte zu errathen und aus-
zudrücken verſteht; und die hohe Seele, die das Erhabenſte
erfaßt, auf Einfaches und Großes immer zurückkommt, nach-
dem aller Übermuth, und indem aller Übermuth des glück-
lichſten Vermögens verſucht worden. Wovon meine Deutſch-
thümler in der Muſik nichts wußten. Mir iſt dabei klar ge-
worden, daß bei den Meiſten auch ihre höheren Berührungen
und Anklänge, die ihnen Muſik — eigentlich nur erſt Geſang
— gewährt, nur vermittelſt eines ganz ſinnlichen Behagens
Eingang haben. Der Ton der Stimme an ſich muß ihnen
ſchmeichlen. Sie können davon gar nicht abſtrahiren. Die
Natur ſelbſt, geſtehe ich am erſten zu, muß eigentlich mit ei-
nem einzelnen Ton, mit jedem aus der Skala, Muſik machen:
III. 19
[290] das iſt ſchön, vortrefflich, glücklich, angenehm; aber auch dazu
muß ſchon die Seele mitwirken — ſonſt iſt der Ton nur bild-
ſchön: wie manche Geſichter, — die wahre Muſik aber macht der
Menſch ſelbſt. Es kann die Natur einen ganz fertigen Sän-
ger hervorbringen, — wäre das nicht, ſo wäre nicht einmal ei-
ner zu bilden: und nie wird ſolcher, wozu nur ſie Mittel
hat, gebildet werden können: Natur iſt hier Univerſum, mit
allen ſeinen Fällen — durch Stimme, Seele, und alle Requiſite.
Aber mehr als ſelten! fallen die Fälle zuſammen; und auch
hier, wie in allen Künſten, iſt der menſchliche Geiſt ein er-
ſetzender, ſpielender, defizit-deckender, der Vernunft, Nachden-
ken, Mühe, Ernſt, und wer weiß was alles zu ſeinem Spiele
braucht: bedarf und gebraucht. Mit wie viel Menſchen kann
man auf die Weiſe über Kunſt ſprechen?! Mit Einem Men-
ſchen alle Jahrhundert, in jeder Nation: und mit den Freun-
den. „Gleichgeſinnte.“ Wir waren recht vergnügt: du kamſt
oft vor: bei mir heimlich durchweg: um 11 gingen ſie. (Das
göttlichſte Sonnen- und Wolkenſpiel iſt jetzt in unſerer Straße,
und herrlichſter Friede in meinem Zimmer, in unſerm Hauſe.
Angenehm windig.) — Geſtern Vormittag war ich bei unſerm
Kind. Schön im Thiergarten! Sie göttlich! Ich gab ihr
Chokoladenplätzchen von dir, und eine halbe Feige. „Bleib
doch hier! warum gehſt du weg, Tante!“ Göttlich! Ich ex-
plizirte ihr, du ſeiſt in München. Wo Baiern ſind; mit ih-
rem
König. Es kam ſo. Heute laſſe ich ſie holen. — Ehe
ich zu Eliſen fuhr, ſchrieb ich Redens, machte Rechnungen:
las Berliner Zeitung. Nachher blieb ich leſend bei mir: glück-
lich. Nicht lange. X. kam, bis 10 Geſpräch über Ehe. Ge-
[291] ſchichte. Was ſie iſt. Alles gedankenvoll. Er liebt ſie aber
nur als Einfall, die Gedanken; und zu kurzem Gebrauch;
nicht zu anhaltendem noch ſchärfſten Gebrauch; ward mir
geſtern ganz klar. —


An Varnhagen, in München.



Mondſchein hinter grauem Himmel. Bäckerrauch zum Er-
ſticken. Nach geſtrigem Himmelswetter.


— Ich gratuliere zu Benda’s; zu Schelling! zu dem
taxiſchen Haushofmeiſter! Freilich iſt das etwas für mich. —
Geſtern ſtand des Königs von Baiern Beſuch ſehr ſchön in
der Zeitung, der Geburtstagsbeſuch bei Goethen. Die ganze
Stadt ſpricht von nichts anderm. Lange zündete nichts ſo.
Ich, bin ſtolz drauf: gegen England und Frankreich: daß
ſie ſehen, was bei uns vorgeht! Bald wird man das von
einem König verlangen; ohne daß es ein Artikel der Charte
ſei. Parlez-moi des Allemands! ils galopent aussi! Hier iſt
ein ſolcher Zug — Ziehen — nach dem Lager, daß wirklich
die Stadt ſichtbar leer iſt. Die Leipziger Straße hingegen,
ſummt wie die Amſterdammer Börſe, wie es von den Linden
her ſummte, als die Koſacken einzogen: es muß ſtauben, wi-
der Willen.



— Drei Sachen muß ich dir vor dem Bade noch ſagen!
Einen Gutenmorgen-Nick! und daß Eliſe bei jedem Biſſen
— es war ſo geſchnitten von mir — Butterbrot, welches ſie
19 *
[292] ſtibitzte oder erflehte und nach dem Munde brachte, ganz
ängſtlich ſagte: „Werd’ ich auch nicht träumen!“ und im-
mer wieder; und auch: „Laß mich aber nicht träumen!“ und
ſo immerfort, bis ſie alles auf hatte, was ich nur irgend
nicht geſchwinder aß. Das liebe Unſchuldskind! glaubt
wirklich, wir, Große, ich, die treue Liebestante, können das
machen. So rührend; und es war ſo komiſch; grad in
ſeinem ängſtlichen Ernſt. Sie träumt ängſtlich, und das be-
nutzte die Mutter: auch kommt es von zu vielem Eſſen.
(In Friedrich Schlegels Philoſophie des Lebens iſt das eine
ſehr ſchöne Stelle, wo er vom Gewiſſen ſpricht, und von
dem, was wir von Gott wiſſen können, welches wir eigent-
lich in Zuſammenhang mit der Sprachfähigkeit erfahren; und
er ſagt: ein Kind verſtehe zuerſt ſeine Mutter nicht: und
verſtehe ſie doch; etwas davon. Wunderſchön. Saint-Mar-
tin’ſch: heiter-fromm; klar eingeſehen.) Drittens muß ich
dir ſagen, daß Williſen ganz eingenommen von deinem Blü-
cher iſt. Spricht oft und lange davon. — Ich habe Friedrich
Schlegel mit Ranke’n über ſeine Philoſophie des Lebens lang
geſchrieben; alles was er wiſſen mußte: freudigſtes Lob: und
offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zuſtimmende
mit größter Liebe, und auf das größte Geiſtergebiet hingeſtellt.
Siehſt du ihn, ſo grüße ihn. Auch mit Williſen ſprach ich
viel im höchſten alſo im beſten Sinn von ihm. —


[293]

An D. Aſſing, in Hamburg.



Wunderſchönes Wetter, nach ſolchem rauhen Wetter, wie es in
den Zeitungen von allen Orten ſteht.


Ein angenehmes Ereigniß habe ich Ihnen zu melden:
Varnh. iſt auf einer ſehr angenehmen Spazirreiſe begriffen:
und ich habe ſchon den vierten ſehr vergnügten Brief aus
München von ihm; einen von Leipzig, Nürnberg, Regensburg:
ſo nahm er ſeinen Weg. Wir beſchloſſen dieſe Reiſe mit einer
Art von Gewalt, für ihn allein: die Gewalt lag darin, liebe
Roſa! daß ich durchaus nicht mit wollte. Sonſt wäre es wie-
der eine Verweichlichungsreiſe geworden. Ich bin rheumatiſch
nervös, und muß mich, faſt unbewußt, durch den Tag durch-
laviren: das thut denn Auguſt mit: oder, wird einmal är-
gerlich, oder kann es nicht beachten: er ſollte durchaus Ein-
mal ohne Beziehung auf mich exiſtiren; ſich durchſtuckren
laſſen: und ſchnell, viel äußere Berührungen haben. Es
war ihm äußerſt nöthig, ſah er ſehr gut ein. Liebe Roſa!
ich wünſchte Ihnen die theuren Briefe zeigen zu können, die
mir mein einziger Freund, mein Geliebter ſchreibt: zu erfahren
was ſolche Trennung iſt, was ſie fruchtet, iſt allein ſchon
werth, ſich ihr auszuſetzen; ſie über ſich zu nehmen. Auch
ohne dieſe einzige Liebe und Freundſchaft ſind ſie ſo vortreff-
lich, daß ſich jedes Journal, wenn man ſie ihm gäbe, daran
erholen könnte. Er hat eine Menge alter und ganz neuer
bedeutenden Menſchen gefunden und geſehen: und herrlichſte
Kunſtſachen. Bleibt wohl noch vierzehn Tage aus. Es war
[294] ihm nöthig nach der Krankheit von vor zwei Jahren: — Sie
werden’s einſehen, lieber Aſſing! — nachdem er unaufhörlich
Arzneien nimmt: und ſeit dieſem Winter ruſſiſche Bäder, mein
Gräuel! wie alles was den Körper auf ein Äußerſtes
bringt; wenn er nicht wirklich ſchon agoniſirt, und man ihn
dadurch in’s Leben zurückſchleudern will (c’est ma confession
médicinale entière
). Auch hat es in den Jahren all — wie
in allen Menſchenjahren, — manches zu verſchlucken gegeben;
und je beſſer Auguſt von Tag zu Tag, und je grimaſſenloſer
er alles, was das Leben von harter bittrer Schale reicht, nimmt,
je mehr muß der Körper des Leibes, und der der Seele, Zu-
ſchuß und Erfriſchung haben. Zu dem allen rechnete ich noch
die ſtagnirende Ruhe des herrlichen Friedens nach den Jahren
9, 12, 13, 14, 15 und den nächſtfolgenden, wo man ſich noch,
auf den Eindrücken und Gedanken über dieſe Jahre, ſchauklen
ließ. Nach und nach ſtellten ſich dieſe feſt; und wir Alle mit
ihnen. Langſam iſt die wirkende Entwickelung ſolcher losge-
knallten Exploſionen; und nur mit den Gedanken iſt ſolche
ſchöne Wirkung zu erfaſſen — die Geſundheit aber, muß von
wirklichen Berührungen unterhalten werden. Nicht wahr,
Doktor! „Nikias! trefflicher Mann, du Arzt des Leibs und
der Seele!“ und ſo reiſte denn mein geliebter, einzig vor-
trefflicher Auguſt getroſt, und wehmüthig! ſo ließ ich ihn gerne
reiſen; und fürchte nur ſeine zu eilige Rückkunft. Ich blieb,
weil ich es wahrlich, nach vieler Anſtrengung, in lauter
Konvaleszenzen nöthig hatte. Krankheit und Tod meines äl-
teſten Bruders, den ich pflegte, und leiden ſah: Ausziehen,
mich Einrichten: bei ſchmachvoller Hitze, die ich ſeit mehreren
[295] Jahren am ſchlechteſten ertrage, weil es nie faſt reine, nur
immer Gewitterhitze iſt. Selbſt unſer ganz inniges Leben fa-
tiguirt mich: weil ich nie ganz ohne Rückſicht krank bin, noch
konvaleszent. Ein Kranker muß Einmal ganz ohne Rechen-
ſchaft, ohne Gutenachtſagen, Beſorgungen u. ſ. w. zu Bette,
wenn auch nur zur ſtillen ſichern Ruhe gehen können, und
ganz nach Körperbedürfniß, ſich allein fühlend, wiſſend,
aufſtehen können. Aſſing wird das fühlen, wiſſen. Sie, liebe
Roſa! ſchieben Sie hier keine Frage ein: ob es denn neben
Auguſt nicht ſo ſein könnte. Daran bin ich ſchuld: nein.
Und neben keinem der Namen im ganzen Kalender. Auch
iſt mir dies von anderer Seite wieder nöthig und heilſam:
denn ich fühle mein Glück! und Beſorgen (avoir des soins)
iſt Leidenſchaft bei mir: Leidenſchaft aber verzehrt viel; und
muß Gegenwirkung erfahren — Hierauf, lieben Freunde, keine
Antwort: Auguſt könnte ſich ſonſt Gedanken machen über
dieſe meine Äußerung. Könnten Sie nur ſeine Briefe an mich
leſen, ſo wüßten Sie, welch Feſt uns bevorſteht, wenn er
ankommt. Gott ſegne jeden Herzſchlag von ihm! dann ſeg-
net er das treueſte, großmüthigſte Menſchenherz. —


Die Veranlaſſung dieſes Briefs iſt ein Herr, den ich nicht
ſah, er kam vorgeſtern 9 Uhr Morgens und wollte auch
nicht herein, hinterließ einen Brief von Ihnen, liebe Roſa!
ungeheuer verſchmutzt, und in einem reinen Papier eingeſchla-
gen. Ich erbrach ihn, weil Auguſt es geheißen hatte. Potz
tauſend, wie kam der Empfohlene zu ſolchem Schmutz? Er
ſagte ſelbſt — zum Mädchen — er ſei ſchon acht Tage in
Berlin, und reiſe morgen. Neues Räthſel! Machen Sie
[296] ſich nichts draus, liebe Roſa, daß Ihr guter Wille nichts fruch-
tete: ich geben alle Monate unnütze Empfehlungsbriefe, die
mir ſchwer ſauer werden: ich thue es aber immer wieder; es
iſt Pflicht, und eine Frucht, eine ſchöne, des neuern Lebens. —


Ich nehme großen Antheil an Ihrem kurzen Landleben
mit den lieben Kinderchen: es war aber bei weitem zu kurz.
Konnten Sie da nicht länger bleiben? da ſie doch Aſſing alle
Tage ſahen. Ein wenig inkommodirt hätte er immer noch
bleiben können: ſonſt wird man zu früh alt: wenn einem
das nicht manchmal geboten wird. Haben Sie noch ſo viele
Blumentöpfe? ich habe einen artigen ſchönen Garten, in dem
ich ſpaziren gehen kann, hinter meinem Hauſe, aber nicht die
Erlaubniß mich mit Gäſten zu etabliren; und habe une pe-
tite nièce,
Nichtenkind, welches wir vergöttern! und wel-
ches ich viel bei mir habe, Elischen; drei Jahr und ein Vier-
tel. Varnh. ſchreibt ihr ganze Seiten lang. Ich führe ihr
die Hand, und laſſe ſie auf das Siegel drücken. Kindern ihre
Freude. Adieu lieben Freunde! Treu und anhänglich.


Fr. Varnhagen. Auch Rahel.


An Varnhagen, in München.



Im Beiſein der Geſellſchaft erhielt ich deinen fünften
Brief aus München. — Welch eine Bibliothek von lieben
[297] Gedanken und Anreden hätteſt du, wären ſie in Briefe ge-
faßt; die ich dir auf all deine lieben Briefe und Anreden zu-
rufe, und ſage, und denke. Theurer Freund, wo ſoll ich auf
dieſe Fülle antworten! — Bartholdy, Williſen, denen ich nur
mittheile, ſind ganz hingeriſſen. Sie, die Mutter — ich kenne
Menſchen beſſer, finde Herzen immer — lachte und weinte
darüber, und wie ſprach ſie! Williſen ſollteſt du hören! die
Bartholdy’ſchen Mädchen ſchreiben Felix davon! Treuer, theu-
rer Auguſt. Du würdeſt meine Liebe erobren, und eroberſt
ſie auch immer von neuem, wie es ſein muß. Komm nur
nicht zu früh! ich freue mich ſo! der vielen Berührungen, die
du erlebſt, der vielen Gegenſtände, Menſchen. Wie dank’ ich
dem Hrn. von Baader! für die herrliche Fahrt, für die Un-
terweiſung. Ich, theurer Herzensauguſt, werde nun nicht
mehr ausreiſen. Ich bin wahrlich hier ſehr gut; z. B. jetzt
riecht’s komplet vom Garten her nach Wald in allen Zim-
mern. Bei Tage waren die Fenſter der Hitze wegen zu. Ich
bin ſo ruhig, kann mich wegen der vielen Damen, die noch
weg ſind, der vielen Herren, die fehlen, ſo ſchön ruhig unge-
ſtört halten; die mich, genau genommen, bald hie bald da
ſtören, unterbrechen; ein bischen dem, ein wenig dem- und
weg iſt die Zeit, in der ich leben möchte. Es geht alles ſehr
gut
, während es in Freundlichkeit von beiden Seiten ge-
ſchieht. Unterbleibt’s aber, ſo ruht’s aus; dies merke ich eben
wieder bei *, die ſich bei mir vortrefflichſt amüſirten; aber es
peſirt mich doch, ihrer immer gewärtig zu ſein, und ſie zu
behandlen. Höre meinen Tag. Rechnungen: Eliſe um halb
11, vorher ſchon Guſtav mit dem Boten, den ich nach Erne-
[298] ſtinens Kopfweh fragen ließ; Line auch krank! Das Kind
bei mir; auf den Hängeboden; dann in den Garten, mit Ka-
ſtanien und Bauſteinen; ich die franzöſiſchen Zeitungen um-
ſonſt mit hinunter genommen: ſie ließen mich nicht, ich mußte
bauen, befehlen, ordnen. Hinauf; ſie wieder auf den Hänge-
boden. Gegeſſen. Erneſtine wollte mich um 5 mit den Kin-
dern zum Ausfahren abholen: ja! wir fuhren: ſehr ſchön,
kein Abendth[a]u, es war bewölkt. Um 7 bei Kranzler präch-
tiges Nußeis mit Johannesbeeren melirt. Profeſſor W. mit
Schweſter, und noch acht Damen, Kinder, und gewiß zehn bis
zwölf Offiziere. P. und W. ſchrieen immer: „Wie in Ita-
lien: und auch ſo gutes Eis!“ Braucht man auszureiſen?


Wie mich das freut, daß du des Baierkönigs Beſuch
grade ſo anſiehſt wie ich, iſt wirklich nicht zu ſagen. Eben,
ich die das nie thut, als Deutſche freute es mich ſo: nicht nur,
oder wenig für Goethe: qui regorge d’honneur et d’ Anerken-
nung. Aber da England und Frankreich auf vielen Bahnen
ſo viel Nationalſchritte vor uns voraus haben, ſo müſſen
Deutſchlands Könige vorſchreiten. Heil dir König Ludwig
von Baiern! „Bleib geſund!“ ſagen die Juden. Grüß mir
nur ja all die Herren, die ſo ſchön meiner gedenken. Ich bin
ja ordentlich Eine. — Gute Nacht, einziger Auguſt: ich wün-
ſche dich, wie du mich! Komme aber nicht zu früh. Sieh
Friedrich Schlegel, Goethe, alles, alles! Erfriſche, ſtärke, ſehne
dich! Das iſt auch gut. Wir lieben uns. Adieu. Ehe ich
ausfuhr, war Gen. Pfuel hier; er bleibt nach allen Manö-
vers noch vierzehn Tage hier, und beſucht mich noch nach der
[299] Wiederkunft vor den vierzehn Vakant-Tagen; grüßt, wie
alle Freunde! und ich. —



Guten Morgen, Auguſtchen! Halb 8. Sonnenſchein.
Gut geſchlafen; oft gewacht; Gaſſenhunde, Wärme; ſchöne
Mondnacht, übrigens iſt Donnerstag. Ich vergaß dir noch
von der Kinder-Gartenſcene zu ſagen, daß ich mir ein But-
terbrot geben ließ: ſie hatten dies eben oben gehabt, Feigen,
Birne, und ſollten nun endlich durchaus nichts mehr. „Ein
Stückchen!“ Ich gebe es jedem; geſchwind auf. „Noch ein
Stückchen!“ Ich ſchlag’ es ab: „Aber ich hab’s ſo gerne!“
Ich geb’s: der Junge immer auch. „Tante, liebes Tantche,
aber es ſchmeckt ſo gut!“ ſie laſſen mir in der That beinah
nichts; ſo bekamen ſie an ſechs kleine Portionen: das letzte
Stückchen nahm ich geſchwind in den Mund, Eliſe ſah dies
nicht. „Noch was!“ Ganz ſchnell. Es iſt nicht mehr da,
zeige ich ihr, kauend; „Ja! in deinem Mund!“ ſagt ſie,
„gieb mir!“ und will es daher. War aber ganz zufrieden,
als ſie nichts bekam, und mich lachen hörte. — Was ich leſe,
Auguſt? Schande! Nichts, als deine Briefe und die Zeitung.
Leſen und ſchreiben geht bei mir nicht mehr. Alle Tage will
ich Hegel weiter leſen, und komme nicht dazu. Von Schiller
hab’ ich einen Theil, den ich von Ferdinand geliehen, eine
Lebensſkizze dieſes lieben Mannes von Körners Vater entwor-
ſen, mit Auszügen von Schillers Briefen verherrlicht, und am
Ende deſſelben mit ſechszehn Zeilen von Goethen. Heiliger
Gott! Welche bronzene Worte! „Es glühte ſeine Wange
roth und röther von jener Jugend, die uns nie verfliegt.“
[300] Sie ſind aus dem Gedicht, mit dem er die Glocke aufführen
ließ. Ich vergötterte Schiller aus dieſem Theile, weil er eine
lehrſame Seele war, und all ſeinen Geiſt dazu gebrauchte;
vortrefflichen Treffer hatte, — darin beſtand für mich ſein
Talent: dies vergötterte ich z. B. in einem Gedicht: die Schlacht.
Feſt antik in modernſter Form, und Stoff: tief ergreifend,
weil die Sache in ihrer Einfachheit erfaßt, eben dadurch ihren
Graus, die Unabänderlichkeit zeigt. Undenklich ſchön! So
liebt’ ich „Melancholie an Laura,“ alle an Laura; eines,
wo er den Frühling „Lieber Jüngling“ anredete. Ich liebte
ihn ganz: war voller Freude, ihn ſo liebeswerth und wür-
dig
zu finden. Aber da kommt Goethe mit ſeiner Macht,
ſeinen Zeilen, ſeiner Vollendung und Vorſtellung, Denken,
Reife, Vollendung und Gewalt des Ausdrucks, kampfgekämpf-
ter Weisheit, beſchauender überſchauender Melancholie, weiſer
ausgerungener Heiterkeit, mit ſeiner vue d’oiseau, mit ſeinem
Sternenblick, auf deutſch — von einem Stern herab —, mit
der Götterbruſt, an der man nicht allein ruht, ſondern Ruhe
findet, — und allen andern Dichtern fehlt etwas; — Großes.
Kein Wunder, daß man noch täglich ihn expliziren muß:
nach Maß der Gaben jedes ſeiner Zeitgenoſſen wird er nur
gefaßt; wie die Welt ſelbſt: und doch kränkt, echauffirt’s je-
desmal. — Bartholdy ſetzte Shakeſpear’s Weiber, gegen mich
und ſeine tapfre tieffühlende Frau, über Goethens. Er ſprach
Hymnen über Shakeſpear: Gutes. Ich konnte Goethen nicht
loben: es gingen mir meine eignen Gedanken in das Herz.
Weil ein von allem Wiſſender (Profeſſor aus —), und dem
doch das Letzte und Erſte nicht in ſich Gefundenes war, da
[301] ſaß, und doch den redlichſten, bequemſten, alt aufgeſpeicherten,
ſchon fabrizirten Antheil nahm. Nichts war bei dem wieder
in die erſte Materie zurückzuführen: und da verſtummte ich
bald. Immer unrecht: immer falſch. Was habe ich nur
ſchon zu Tage geſprochen, zurecht geredet. Eigentlich menſch-
lichſte Pflicht. Geiſter haben kein Eigenthum: und ihr
Menſch gehört ihnen nicht mehr an, als alle andre Menſchen,
ſie müſſen immer arbeiten. Nun will ich Kaffee trinken. „Der
Onkel ſoll leben, hoch!“ Geſtern wurde ſie ſehr verdrießlich,
daß du noch nicht kommſt. Eile dich nur nicht, Augüſtle! —
Nach dem Kaffee. Ich freue mich, daß Lindner und Cotta
ſo ſchön wohnen. Das hübſche Fräulein Nichte kenne ich.
Grüße die Damen gütigſt: grüße den lieben Oken. Mit Freu-
den denke ich noch an das von mir glücklich erfundene Glas
Bier für ihn. Den ſähe ich gerne in äußerſt guter Lage.
Er iſt, im beſten Sinn, leidensfähig. Große Eloge bei mir.
Mittelpunktsanlage. Je me flatte moi-même, comme vous
voyez.
Was kann ich dafür?!


Denk dir! Gans war bei Goethen im Zimmer, als der
König von Baiern mit vier Pferden vorfuhr extra; hinein
trat, und ſagen mußte: „Ich bin der K. v. B.“ dann auf
und ab gehend zu Goethen ſagte: „Haben Sie noch ein Plätz-
chen an Ihrer Bruſt zu einem Orden?“ Ich gab Gans den
Brief an Frau von Goethe. In der größten Migraine gab
ich ihm den Glücksbrief! Mittags beim Eſſen; er wollte halb 6
reiſen. Er ſchrieb mir nicht einmal! ich weiß dies von An-
dern. —


[302]

An Varnhagen, in München.



— Von da zu Frau von Kalb; den geiſtvollſten Abend
voller Heiterkeit und Vorherſagen; nämlich: elle répétait mot
pour mot ce que j’allais dire;
ich konnte nicht aufkommen,
und brauchte es auch nicht: über Frau von Humboldt hat ſie mit
einer Milde, Nachläſſigkeit und Schärfe geſprochen, wie ein
ſeliger Geiſt ꝛc. ꝛc. Dich läßt ſie nachdrücklich grüßen: ſie
würde dir immer „güter,“ läßt ſie dir ſagen. Natürlich hat-
ten wir vorher von dir geſprochen; und ich ihr von Baader
und mehr dgl. geleſen was ihr frommte. Mit der Neunuhr-
Trommel ging ich nach Hauſe — das Gas brannte ſchlecht —
kaufte mir zwei Mandelherze und ein Stück Baumkuchen bei
Conradi für vier Silbergroſchen! — Kuchen muß man in
Hungersnoth eſſen, — und fand deinen theuren lieben Brief,
den, wo du Macbeth geſehen hatteſt. — — Ich denke mir
dich nun in Augsburg mit Schlegels. Eile nur nicht, Herzens-
freund, und gehe um Gotteswillen zu Goethen. Es freut ihn,
du überläufſt ihn ja nicht. Grüße den Gott. Er wird mir
zum Gott, ſo wie einer ihn nicht verſtehen kann oder will
(das fließt mir zuſammen), nicht aus Widerſpruch. Irrig
nennt man dies Widerſpruchsgeiſt. Mein Himmel! den hat
man ja gar nicht; geprügelt muß ja ein jeder nur dazu wer-
den! Aber wenn ſie mir ihn bezweiflen, ſtreitig machen wol-
len, einen andern Dichter vorziehn wollen; dann muß ich das
hochſtehende Bild! herabnehmen, antaſten, hie und da mit
[303] meinem Geiſt, meinem Verſtändniß, dann wird mir das im
Einzelnen, wozu ich das ganze Leben brauchte, zu ſchwer;
dann ſehe ich, daß er ein Gott iſt: von Gaben, Größe, Be-
herrſchung, Harmonie, Fülle, Weisheit, und ewigem Wachs-
thum
. Du ſiehſt, daß das noch das Ende meines letzten Ge-
ſprächs bei Bartholdy’s iſt, wo er die Shakeſpear’ſchen Frauen
höher als die Goethe’ſchen ſtellen wollte. Er ſprach übrigens
wie von einem Einzigen von ihm. Aber weil ſie ſein
Menſchliches, Menſchlichſtes, dies ſein Größtes nicht faſſen;
machen ſie lieber ein monstre der Vortrefflichkeit aus ihm:
und er hat grad’ die wahre Menſchengröße. Grad’ das
Zeichen für mich, daß Goethe ſo groß als irgend ein alter
Dichter, aber der neue, moderne par excellence iſt. Ver-
ſtehſt du? Die alten hatten das Weib: die Mutter, die Toch-
ter, die Schweſter. Wir haben dieſe Urgeſtalten im Lichte
der Frauen (Frauenlicht; ſollte es eigentlich heißen): wir ha-
ben Frauen
; und die hat Goethe beim Schopf gehalten,
und ihnen tief durch die Augen in’s Herz geſchaut, jedes kleinſte
Winkelchen im „Labyrinth der Bruſt.“ Erkundige dich doch,
ob Gans wirklich dort war, als der König von Baiern ein-
trat. Tauſend Segen auf dich! Ich küſſe dich. Morgen
mehr. —


— X. Beſuche ſind nicht ſo ſympathetiſch, als ich ſie
wohl durch falſchen Ausdruck habe erſcheinen laſſen. Er kam,
wenn er etwas wollte und brauchte: immer als ob er gar
keine Zeit habe: und immer bei Mad. * ſein müßte. Ganz
richtig. In dem Maße, wie er mich eigentlich nicht vertra-
gen kann, in demſelben iſt, und muß ſie ihm die Nahrung
[304] ſein, die er grade bedarf. Und aus demſelben intellektuellen
Urgrund, um den, und aus dem ſich ſein ganzer Karakter ge-
ſtaltet. Er liebt Geiſt, und bedarf Geiſt: er findet Gedanken,
und nimmt ſie auf: aber „zu kurzem, nicht ſtrengen Gebrauch.“
Dann, bedarf er, und iſt er gewöhnt von Einigen, und
von ſich, für einen Kourmacher — ſchlechteſtes Wort hier!
— angeſehen zu werden: und ſo auffahrend zimperlich auch
Mad. *, wenn wer, durch Wort oder That, ihr Hin- und
Herzerren, Minaudiren, ſo bezeichnen wollte, ſich gebärden
würde, ſo giebt ſie ihm doch zu dergleichen Veranlaſſung;
dieſes Üben hat er nöthig, ſeine Feierſtunden zu bewegen. So
ſehe ich das Ganze ein: mit allem Guten, Menſchlichen, wirk-
lichen Geiſtreichen, was es hat, und hervorbringt. Das Ver-
hältniß geht aber nicht aus ſolcher Wahrheit hervor, die nicht
einmal für ſie Beide eine beſſere, und alſo andre Einſicht über
ihre Verbindung, und ihren Umgang zuließe. Dies iſt der
Fehler daran; aber keiner für ihre jetzige Zeit: weil er nur
für den exiſtirt, der ihn einſieht. Nicht der Rede werth! Nur
für dich und mich, die wir gerne einander unſre Einſichten —
über welchen Gegenſtand es ſei — begründen. Hilf ihm nur
in allen Stücken! lieb Augüſtchen! Das Diner mit den El-
tern und beiden Töchtern in freier Luft, bei Bartholdy’s vor-
geſtern, nach Mittheilungen aus deinen Briefen und des höch-
ſten Beifalls, war ſehr angenehm: wobei ich auch die ſchön-
gewordene Marie vorſtellte mit größtem Erfolg. — Höre, was
geſtern geſchah. Als ich noch im Bette liege, vor dem Kaffee,
kommen beide Mädchen ſchreiend und mit Jubel, jede eine
von meinen großen Glasvaſen in den Händen, die überfüllt
mit
[305] mit Blumen ſind. „Geburtstag!“ ſchrieen ſie. Was iſt das?
was für ein Geburtstag? „Karolinens; Mine hat ſie be-
ſchenkt.“ Iſt das nicht rührend? Ein großes Kaffeebrett hat
ſie noch erhalten: ich ſchenke ihr Strümpfe, ſchöne; und be-
zahle einen Ankauf Blumen, den ſie heute machte. Heliotrop-
töpfe, alles! ihre Leidenſchaft: ſie kauft ſie immer erſt für
ihr Geld; und das iſt immer mein Geld; die Freiheit hat ſie
obenein. Prof. Lichtenſtein und Zelter ſind nach München,
ſeit Montag. Ich habe mir notirt, was ich dir ſchreiben will,
drum kommts bunt aber ohne Zuſammenhang heute, jetzt.
Henckels reiſen heute: nahmen geſtern zärtlich durchdrungenen
Abſchied, grüßen dich eben ſo; und Bartholdy Vater noch
ausführlicher; nun ſoll er erſt den geſtern erhaltenen Brief
von dir ſehen; wo ſo viel für ihn ſteht. Williſen iſt nun
fort, vier Meilen mit den Truppen. Lobte wieder deinen
Blücher ſo ſehr! und nur deßhalb unterſtände er ſich, die neuen
deutſchen Ausdrücke nicht gut zu heißen. Ich dachte eben ſo,
weißt du; aber jetzt denke ich: Einer muß doch anfangen: der
wird erſt getadelt; und dann rühmlich zitirt, und befolgt. —



— Hier war und iſt man berauſcht von Mlle. Schechner:
ich gar nicht: ihr fehlt in allen Stücken Grazie; in die ſie
auch eine ſtarke, aber ſehr einſeitige, nicht viel Rapports auf-
faſſende Empfindungsweiſe einzukleiden hätte! welcher Man-
gel hier für tiefſte Empfindung genommen wird, und ſo in
den Zeitungen — als Glaubensartikel für einen Klumpen
Menſchen — ſteht. Ihre Scala iſt ſchöner, als ihre Stimme:
III. 20
[306] damit meine ich: der Ton jeder Note iſt nicht ſo ausdrücklich
ſüß, oder wohllautsvoll, als vielmehr, daß alle Noten ihrer
Scala — der ſeltenſte Fall! — ohne Exercitium, von Natur
gleich gut, gleich ſtark ſind. Keine Stimme, weder die
Sprech- noch Singeſtimme darf anders, als al fresco gebraucht
werden: wie bei dem Mahler das nachdrücklichſte, noch ſo
mühevollſte Detail-Nüanziren nicht — von weitem geſehen —
ausdrücken würde, was ein gut applizirter Farbenklecks thut.
Spricht, ſingt, mahlt man für die Ferne nicht al fresco, ſo
verſchwendet man Stimme und Farben durchaus umſonſt.
Farben kauft man: Stimme muß blumenartig geſchont und
erhalten werden; ſie geht ſonſt häßlich werdend verloren. Dies
iſt einer der Sätze, die in den Pepinièren der Bühnen als Re-
gel feſtſtehen ſollten. Das junge Mädchen kann nicht ſtehn;
nicht gehn; keinen Mantel, keinen Schleier; weiß nichts von
Vornehm — im beſten Sinn. — Schaden Sie ihr, und allen
Publikums, nicht durch dies mein Urtheil: es geht mehr die
Direktionen und die Publikums unſerer Nation an, als die
junge gute Schechner: ſie bilden ſolche begabte Anfängerin
nicht, weil ſie all ihre Mängel gar nicht als ſolche empfinden,
ſondern meiſt einem Vorſchreier nachſchreien; der ſelbſt wieder
mit einigem Geſchrei, in jedem Sinn, zufrieden geſtellt iſt;
wenn’s nicht gar durch eine Art von Wimmern, welches Ge-
fühlvollheit vorſtellt, bewirkt wird. Leben Sie wohl! Laſſen
Sie ſich durch nichts in Ihrer Kunſt, in der Kunſt — par ex-
cellence;
jede faßt alle in ſich — ſtören: ſo denk’ ich auch,
daß Riga, Memel, Mannheim, München, Berlin, jeder Ort,
[307] wo Sie deutſch, und unſre beſten Stücke ſpielen können, für
die Entwickelung Ihrer Leiſtungen, Ihres Talents, gleich iſt. —



Wenn wir einen all unſern beſten Anforderungen entſpre-
chenden Gegenſtand fänden, würde nur Liebe, nie Leidenſchaft
entſtehn: die Anſtrengung, die uns übrige Liebe anzubringen,
iſt Leidenſchaft. Zergliedere man nur das Wort: ſo ergiebt
ſich’s ſchon.



Neulich ſah ich am Münzplatz den Kupferſtich von Mlle.
Mars aushängen. Für jemand, der die Perſon kennt, hat er
etwas Merkwürdiges. Das, was in ihrem merkwürdig jung-
gebliebenen Geſichte nur hie und da überreift erſcheint, und
ihr ihre ganze Ähnlichkeit mit ihrer Jugend läßt, wollte der
Künſtler nicht wiedergeben: konnte ſich aber deſſen Eindruck
nicht erwehren; dieſen hat er hingeſtellt, oder vielmehr das
was ihn bewirkte: aber als ein Ganzes: nämlich ſummariſch,
alles Alternde in der Mlle. Mars Geſicht zuſammengenom-
men: und dem nun, gab er ein gezwungenes Jugendlächlen,
und machte ſie ganz unähnlich: indem er nur das Alte, den
Eindruck davon in Summa, abſchrieb: ſehr komiſch! —


20 *
[308]

An Varnhagen, in Nürnberg.



— Die Damen gingen: und ich fand an Mad. M. eine
recht natürliche, gutgeſinnte, zu allem was ſie ſoll gefaßte
Frau: die ihr ganzes Schickſal, und die Aufgabe, die ſie von
ihm erhalten, verſteht. Es giebt immer mehr Menſchen, als
wir nur irgend vermuthen; und bei dem Beſten, was wir ge-
wöhnlich
vorausſetzen: es iſt gewiß; wir ſind Alle göttlich-
adlichen Urſprungs, und haben viel vom Vater. Das ſollen
wir uns bei guten, und ſchlechten Gelegenheiten immer von
neuem einſchärfen. Das thu’ ich hier, in deiner Gegenwart. —


Den ganzen Morgen war Elischen bei mir, oder vielmehr
in der Küche: ihr Belvedere. „Kommt Onkel heute?“ Nein.
„Warum nicht? Morgen?“ Den andern Montag — tout
par hasard
— „Wann iſt anderer Montag?“ Ich rechnete
ihr die Tage vor. „Ach!“ traurig und verdrießlich. Das
ſagt ſie ſeit acht Tagen jedesmal, wenn du noch nicht da biſt.
Sie wollte beſtändig eſſen. Dann holte die Amme ſie ab.


Als ich vorgeſtern zu Hauſe kam, ſaß Williſen todtmüde
bei mir — zur großen Freud! — und trank ſchon Thee, —
wir waren harmlos, vertrauensvoll; ſtill wie Freunde. Geſtern
Morgen ritt er wieder zum Lager. — Wie herrlich iſt die Ge-
ſchichte des Augsburger Setzers. Wie vollgültig. Und unſer
Präſentmenſch (Gottesgabe, Dieudonné) in Weimar. Er iſt
ein Fürſt. Er hat Orden zu vergeben; und in Klaſſen. Recht
ſo! Bravo! Was du aber alles erſpähſt, berichteſt! Herzens-
[309] freund! Geh nur nach Weimar; und verſäume das nicht,
wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Koſtet mich viel-
leicht eine halbe Reiſe nach Wien: halb mache ich ſie wegen
der italiäniſchen Oper, wenn eine gute Truppe dort iſt. Nous
verrons: je ne m’engage à rien; rien
iſt mein Wahlſpruch.
Du ſiehſt, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein
Treiben! — Williſen ſagte vorgeſtern — es entzückte mich —
„Sie ſind aber jetzt ſehr wohl; unbeſchrieen!“ Unbeſchrieen.
Das iſt als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter
ſetzen. Iſt das Herrſchſucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach
Liebesbeweiſen; die aus mir immer herausſtrömen. — Nun
werd’ ich wohl keinen Brief mehr auf die Poſt ſchicken; aber
doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, ſonſt eilſt du ohne
Weimar nach Hauſe. Ich freue mich wie du: aber du ſollſt
alles ſehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem
Sinn. — Sollſt alles ſchön finden. Adieu! Grüße in Weimar.



Durch Liebe erfährt man nur, daß man ſelbſt exiſtirt,
ſonſt wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir
machen unſer Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver-
gangenheit betrachten, wenn auch in der nächſten; als Ganzes ſe-
hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.


Der größte Philoſoph kann nicht anders antworten, als
der geringſte nicht tolle Menſch: die Fragen richtig zu ſtellen,
auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu-
räumen, keine falſche Frage beantworten laſſen zu wollen, iſt
[310] das Geſchäft der Philoſophie. Daß ſie grad und unbefangen
bis zu den letzten nicht zu beantwortenden kommt, das haſſen
die meiſten Leute.


An Fräulein von R., in Dresden.



Nach hesperidiſchen Tagen ein Sonnenducken, umzogener Him-
mel, der nur wie durch Fenſter das Blaue ſehn läßt.


All mein Glück von der Dresdener Reiſe war darin ent-
halten, daß Sie, geehrte theure Freundin, ſie wünſchten und
wollten. Wahr, wahrlich! das Beſte davon hab’ ich alſo
hier genoſſen; und es bleibt mir zum ſtäten Genuß und tiefer
Freude! Faſt ſchäme ich mich, ausgeblieben zu ſein; und doch
konnte ich nicht kommen. Wenn mir die Umſtände ſo recht
expreß etwas verſagen, wozu ſie ordentlich wie Anſtalt treffen
müſſen, ſo halte ich es jedesmal für einen himmliſchen Avis! —
wie, wenn wir unterwürfige Aufmerkſamkeit darauf richten,
es ſich uns auch nachher immer zeigt. Diesmal führte, wel-
ches nie noch bei mir eintraf
, der Himmel mir ein peku-
niäres Ereigniß, ein Erbſchaftsgeſchäft von meinem Väter-
lichen
(!!! dreißig Jahr alt) herbei, wo ich natürlich nicht
gewann, nur nicht verlieren durfte: und das in V.s Abweſen-
heit, die ich auch noch faſt nicht erlebt habe, als jetzt. Es
ſollte alſo nicht geſchehn. Alle unintereſſante Details münd-
lich, nur mündlich; weil es doch intereſſant bleibt, wie ſich
auch niedere Geſchichten, allem Urtheil ausweichend geſtalten
können; und uns das lehren kann, Geſchichte zu beurtheilen:
[311] aufgeſchriebene, und erlebte, da ſie doch aus Geſchichten be-
ſteht: und wiederum doch nur durch Urtheil zu Hiſtorie wer-
den kann. — Ich bin doch froh, da ich die erheiterndſten
Nachrichten faſt täglich von Varnh. über ſeine Reiſe erhalte;
Briefe, die ich mir ein Feſt mache Ihnen mitzutheilen: und
wie gedruckt in der Handſchrift zu leſen. —


Haben Sie nur die Gnade für mich! mich (wenn auch
nur durch Ihres Herrn Vaters Kanzelliſten) wiſſen zu laſſen,
wann Sie eintreffen, hier; den Tag. Ich bitte! Den 25.
dieſes erwarte ich Varnh. Eins muß mich auch noch für
jetzt — es wird ſich auch wohl zu Beſſerem auflöſen! — krän-
ken. Das iſt, die Familie B. nicht unter Ihrem Schutz geſe-
hen zu haben. Das empfinde ich vollſtändig. Ich verfolgte
alle Tagesſtunden in meinen Gedanken, wie Sie Alle ſie dort
in den goldenen Herbſttagen verleben könnten; und ſah wie
ſich die zwölf Stunden für Henriette zu zwanzig und noch
mehr vermehren, in Vergnügensmomenten, Arbeiten aller Art,
und geſelligen Leiſtungen! Das kenne ich. Meine Nichte hatte
die Ehre Sie auf der Galerie zu ſehen; ich ſah Sie allent-
halben. Nun geht’s in vier Tagen nach H.; da geht’s über
Jena? Weimar? da könnte Varnh. das Glück haben, Ihnen
zu begegnen! Glückliche Reiſe! Schönſtes Wetter: prächtige
Geſundheit für die verehrten Eltern und Sie Alle! Genießen
Sie Luft, Lichter, Sonne, Wolken, Grünes, Berg, Thal,
Dorfſchaften; alles, ich nehme Theil daran; ſo, daß ich’s
habe. Kommen Sie Alle gekräftigt, erfriſcht wieder! Das
glückliche Ereigniß in H. errath’ ich auch: und gratulire herz-
lich. Hier iſt es, wie Sie’s kennen, nur daß Militair und
[312] Civil in den reiſenden Lagern lebt, von Staub lebt, ohn-
erachtet des Staubs; nur ein Komödien-Publikum iſt doch
noch zurückgeblieben; findet ſich vor, um alle Tage eine auf-
tretende Sängerin zu hören. Mlls. Tibaldi und Bamberger;
heute, — ich mit, — Mad. Kraus-Wranitzky, Schweſter der
Mad. Seidler, aus Wien. Geſtern — ſehn Sie meine Aus-
ſchweifungen! — habe ich wahrlich „nach der Kunſt gelebt;“
wie A. W. Schlegel ſich Schakeſpeare’s Julie ausdrücken läßt,
über einen Kuß. Goethe ſagt, man ſollte alle Tage etwas
von ihr, der Kunſt, Bereitetes anſehen, hören, oder leſen.
Ich ſetze hinzu: um vom Himmel zu koſten, nicht nur da-
für zu arbeiten. So habe ich geſtern Königin Eliſabeth, in
Kenilworth, von Mad. Wolff auf die Bewunderung verdie-
nendſte Weiſe geſehn! Eine Perſon ſich ſo vorzuſtellen, als
dieſe Eliſabeth, iſt ſchon vom Dichter, und vom vollkommen-
ſten Künſtler: ſie dann darnach ſo vorzuſtellen, ſtupend! und
weit über meine Faſſung. Durchaus wahr, ganz, erhaben,
pittoresk; ſo gelungen, daß es natürlich ward, nicht blieb.
Vortrefflich: das müſſen Sie ſehn: ich bereite dann Mad. Wolff
vor. Sie ſpielte, ſie ſtrengte ſich meinetwegen! geſtern an.
Gott befohlen! Ihre ergebene

F. V.


Die treueſten, ergebenſten Grüße Ihren liebenswürdigen
Eltern! der theuren Schweſter! —



Alle Menſchen waren dereinſt Ein Menſch. Die ärgſte
Folge des begangenen Irrthums iſt, dies vergeſſen zu ha-
ben; und glauben zu müſſen, wir leiden ungerecht willkürlich.
[313] Den tiefern Urſprung aber, den der Möglichkeit des Irrens,
müſſen wir einer höheren Einſicht anheim ſtellen. — — Mitt-
woch, den 26. September 1827. Längſt ſchon erdacht. —


Alle begabten Geiſter und denkende Menſchen haben von
je an nur immer daſſelbe ausdrücken können, ſo verſchiedener
Bilder ſie ſich bedient; von ſo verſchiedener Weiſe ſie die Welt,
oder was ſich in ihr bewegen kann, durch Einfälle darzuſtellen
vermochten; und ſo lange nicht anders organiſirte Geiſter er-
ſcheinen, wird das ſo bleiben müſſen. Ein Syſtem erfinden, kann
doch nun nichts anders heißen, als die Fähigkeiten des menſch-
lichen Geiſtes ſelbſt ergründen, benennen, klaſſifiziren, und ihm
die Ordnungen anweiſen, nach denen er handeln muß, und
worunter auch alle Einfälle (oder Eingebungen), die er haben
kann, zu ſtellen ſind. Dies thut Fichte. Wie der Menſch
aber ſich das vorſtellen mag, worin er gar keine Thätigkeit
ausüben kann, nämlich das Vorgefundene; ſeine Fähigkeiten,
die Natur, ſein unwillkürliches Handeln: gehört nicht mehr
zu ſeiner Philoſophie und Thätigkeit, zu dem, was ſein Kopf
ſich zu ſeinem eigenen Genügen auseinanderſetzen, zum Ver-
ſtehn darlegen kann. Das ſind lauter parties de plaisir im
höhern Sinn: generöſe Vorausſetzungen; Dichtungen. Alles
im höchſten Sinn: wie denn in dem überhaupt nur gelebt
ſein ſoll. — Donnerstag, den 27. September 1827. Bei
Franz von Baaders religiöſer Philoſophie.


[314]

Auf der Erde kann einem nichts ſchrecklicher genommen
werden, als die Erde, oder dieſe ſtückweiſe; und das iſt auch
genug.


An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden.



Leichter Schnee auf den Dachern: endlich ohne Wind; nicht zu
kalt; ich, ſeit geſtern nur, aus einem erleichternden Fluß-
fieber erſtanden. Sonſt wären Sie mir nicht zuvorgekommen.


Theure Gräfin! Alſo glauben Sie mir danken zu müſſen,
wenn ich Virginia einſehe, und erkenne? meine ſtrenge Schul-
digkeit thue; wenn mir auch das Fräulein nicht einleuchtete?
Und doch weiß ich, wie ein ſolcher Dank entſtehn kann; wir
ſchieben ihn nur vom eigentlichen Orte. Dem Schickſal dan-
ken wir in ſolchem Fall; daß es uns endlich Einmal einen
erleben läßt, wo ein Menſch menſchlich, nicht wider- und
ſtumpfſinnig, leer und hohl, handelte. So ſelten iſt dem zu
begegnen! und darüber, daß es ſo iſt, kein Wort! — weil
alles, was geſagt werden kann, nur dies begründete; denn
es hat den tiefſten, und alle Gründe. Ich will Ihnen, treue
verehrte Frau, etwas Angenehmes ſagen, woraus Sie auch
zugleich den Punkt entnehmen können, auf dem wir in Bil-
dung, Lebens-, Welt- und Menſchenkenntniß ſtehn. Virginia
gefiel uns gleich ſo, daß wir uns ſogar gleiches Alters mit
ihr dünkten, und uns gleich ſo mitten Verkehrs mit ihr fühl-
ten, und erkannten, als hätten wir von den vielen Jahren
[315] her ohne Trennung mit einander fortgelebt. Sie iſt wahrhaft
gewandt; im Verſtehn, Auffaſſen, richtig Handhaben, und Be-
kanntſein mit allem, was edel iſt, verſtändig und geiſtvoll.
Alle edle Vorausſetzungen findet man mit ihr fertig vor; und
ſo iſt es leicht, ein feines tieferes Leben weiter leben. Sie hat
ein komplet, gebildetes Betragen, welches nicht auf modiſchen
Manieren, oder ſolchen Putz ankommt; bei welchen ein Vier-
teljahr in Einſamkeit zurück, eine Dame oder einen Menſchen
arrierirt, veraltet, altfränkiſch, unbeholfen, und unbeholfener
aus Verlegenheit, macht. Sie hat in ſich wirklich gelebt; und
daher mit ihren Gedanken begleitet, was in der Welt vorge-
hen kann; alſo, das was vorgeht. Noch einen unumſtößli-
chern Beweis wahren Fortſchreitens giebt ſie aber durch ihre
zur wahren Güte ausgebildete Nachſichtigkeit, und leichtes
Nehmen, freundliches, der Vorfallenheiten, und Dinge. Sie
hat davon eine ganz feine Phyſionomie; und was ihr dieſe
ungeſtört erhält, iſt eine vollkommene Eitelkeitloſigkeit, auf
geſellſchaftlichen Stufen, irgend nur etwas ringen zu mögen!
Das allein — wie die Treppe nun Einmal gebaut iſt! —
giebt Adel. So erſchien ſie mir: und ich gratulirte ihr laut
im Geſpräch mit Varnhagen; der beſonders viel — ſeltenſter
Fall! — mit ihr ſprach, und ganz und gar ihr applaudirte;
wie ich. Wir gratuliren auch Ihnen, theure Gräfin; weil
ſolch gelungene Tochter von innrem Glück zeugt; und dafür
bürgt; es iſt zu ächt, um noch Stolz Raum zu laſſen, ſonſt
könnten Sie auch ſtolz ſein, ſo etwas neben ſich wachſen zu
laſſen. Bedeutende Mütter hindern oft.


Sie wollten nun doch gewiß, gute großmüthige Gräfin,
[316] dieſem Kinde freundliches Leben; Freundesberührung aller Art;
was Künſte, Litteratur, und geſellige Bewegung mit ſich bringt,
durch die Seele rinnen laſſen! Hier ſind Sie von all dem er-
wartet. — Sie ſind alt, und würdig, und — auch mate-
riell
— frei genug, um ſich zu zeigen, wie Sie eben grad
ſind, eben grad ſein wollen. Leben Sie doch — was faſt
Schuldigkeit iſt — in Ihnen angemeſſener Mittheilung und
Bewegung Ihr Leben ab! Wir ſind die Geſchöpfe mit Sprache
geſchaffen; zur Erörterung, zur Vernunftdarlegung bis in die
kleinſten Dinge hinab: Mittheilung iſt unſer Weſen: daher
unſre Pflicht. Durch ſie nur werden wir urbar. Kommen
Sie, liebe gute Freundin. Ihr Neffe Kalckreuth denkt dar-
über wie ich: wir haben ſchon alles erörtert. Er wünſcht es;
er bittet wie ich; doch zweifelt er mehr als ich. Er war
geſtern Abend mit ein paar Leuten, erſt allein bei mir, alles
zufällig. Die große Welt kann Sie gar nicht ſtören: die
lebt ſehr eingeſchränkt. Fragen Sie Einmal Graf Kalckreuth,
Ihren Neffen von Siegersdorf — ich ſpreche immer nur von
dem. — Und für die ſind Sie nur die Gräfin Schlabren-
dorf. Schicken Sie alſo keine Karten mit dem Worte drauf,
ſo exiſtiren Sie nicht für ſie. Sie exiſtirt doch nun auch
nicht für Sie. Zu Hofe wollen Sie nicht; Ämter auch nicht:
Amüſement iſt nicht da. Alſo; ſie kommen an, ſchicken Kar-
ten zu denen, die Sie wollen, mögen, ſie ſeien aus wel-
chem Kreiſe Sie wollen. Es macht ſich in dem großen Orte
alles. Sie kommen Ihrer Geſundheit wegen: einiger Freunde,
heißt es, wegen Vorleſungen; was Sie wollen. — Zeigen ſich
unerſchütterlich über caquet, verbieten es, verbitten ſich es-
[317] und leben hier etwas heiter, und Virginien zur Freude! Ich
will Ihnen für Ihr Geld gutes geſundes Eſſen auf meinem
Heerd preiswürdig kochen laſſen; Sie laſſen es holen: Sie
wohnen mir nah. Das alles iſt zu haben. Ich lebe in einem
Ihnen angemeſſenen Kreiſe. Ich habe eine gute, billige, nahe
Waſchfrau; weiß die beſten, billigſten denrées. Bin vollkom-
menſte Hausfrau. Werde Sie pflegen, und pflegen laſſen.
Kommen Sie. — Es bleibt uns unbenommen, im Sommer
eine Reiſe mit einander zu machen. Denn ich will ausreiſen,
wir verabreden wohin. Varnhagen legt ſich Ihnen ehr-
furchtsvoll zu Füßen, geehrte Freundin! Er und ich haben nie
an Ihrer Billigkeit, und Einſicht über uns gezweifelt: kleine
neckende Äußerungen, oder Mißverſtehn; oder was es ſonſt
in dieſem Fache ſei, worüber man ſich von weitem nicht aus-
verſtändigen kann, ſollen den Freunden auch für künftig zu
Gebote bleiben: wer ächt iſt, weiß ſich doch in Ihrer Seele
ſicher und feſt: und ſo war es mit uns; wahr und wahrhaf-
tig. Meine theure Gräfin! wie haben Sie nur noch geglaubt,
ein Wort darüber verlieren zu müſſen! Wie reif, und gut,
und ſanft bin ich geprügelt! Ein kleines Engelchen. Ein ſol-
ches, wie aus einem Thierchen wie ich, werden kann. Ganz
artig, und ſtill. Es iſt zu matt dazu, und ſieht: Schreien
hilft nichts. Muße, Muße! innre Muße ſchafft ſich das alte
Menſchthier, das neue Engelchen, ſoviel als möglich: und ach!
wie kärglich die, wegen Zeit. Aber ruhig iſt der ausgebrü-
tete Engel. Nun wiſſen Sie alles. Und kommen, und ſehn!
Ihre Sie erkennende, alſo treu ergebene Fr. v. Varnhagen.


[318]

Die Gewißheit, daß andre intenſiv reichere Geiſter exiſti-
ren müſſen; aus dem unläugbaren Bewußtſein einer Zerſtücke-
lung in uns, eines Abgeſchnittenen — nicht nur Begränzten —
welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes
kommen zu können, hervorgeht, dieſe Gewißheit begnügt uns
durchaus nicht: und wir ſind rein iſolict, Mir aber zum Be-
weis und Troſt iſt die Betrachtung unſeres Verhältniſſes zu
den Thieren: auch ſie ſind abſolut durch ihre Beſchaffenheit
von unſerm Geiſt geſchieden — nicht in Raum und Zeit.
Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das
Vermögen dazu, ſondern dem Vollführen ſtellt ſich nichts ent-
gegen, wenn ſie nur vernunft- und gutartig genug dazu ſind.
Auch, finde ich, haben ſie einen Vortheil vor uns voraus.
Wenn ſie auch ihren Gott, den Menſchen, nicht verſtehn, ſo
ſehn ſie ihn doch; ihr gröberer Geiſt muß mehr unterſtützt
werden; kann man ſagen. Ein mich ſehr aufklärender Ge-
danke iſt der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die
Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir
ſie nicht in uns vorfänden — und die der eben ſo kunſtvollen
Beſchaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für
wieder nicht zu imaginirende höhere Zuſtände, und Beſchaf-
fenheiten: und gelangte ich nie dazu.


Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgſchaft, Bürge
auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgſchaft dazu iſt
ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver-
nunft; und das ſinnloſe, nur Einen Sinn beſitzende, alles be-
lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: „Es
[319] iſt wie es ſein ſoll; oder wie es nicht ſein ſoll.“ Es nimmt
nur blind die Summe auf und giebt die an. Es beſtimmt,
was wir ſollen ertragen können.


Immer Gerechtigkeit für Andre: Muth für uns ſelbſt.
Das ſind die zwei Tugenden, worin alle andern beſtehn.



An Friederike Robert.



Ich danke Ihnen recht ſehr, liebe Rika, für Ihren klugen,
guten, beruhigenden Bericht von heute Morgen! — Ich wäre
gewiß zu einem geſellſchaftleiſtenden Beſuch zu Robert gekom-
men, wenn ich nicht noch zu ausgeſprochene Luftſcheu empfun-
den hätte: welche ich immer ſehr zu beachten habe. Auch
fürchtete ich ein für mich zu heißes Zimmer, welches ich kurz
nach Bruſtbeſchwerden nicht hätte überwinden können. Wohl
aber hatte ich zu überwinden: die größte Luſt, Robert zu ſe-
hen; weil mein Hauptleid, bei einer Trennung von Robert,
für mich in dem Gedanken beſteht, daß er ohne mich krank
ſein könnte! Der Menſch iſt ein Narr; und ich bin ein Menſch.
Ich habe meinen Abend mit Leſen, und Varnhagen, zuge-
bracht; und von halb 8 bis etwa 9 war Profeſſor Hegel bei
uns: nachher las ich erſt. Ich wollte eben ſeine vortreffliche
merkwürdige Rezenſion Hamanns leſen. Friedrich Schlegel
haben wir nicht mehr. Wie ſchätzte ich nun den großen Mann
[320] doppelt, der da ſaß! — Lernt’ ich nur gleich wieder einen
großen Deutſchen an Schlegels Stelle kennen! Es klingt wie
Platitüden, was ich von dieſem vornehmen Geiſt ſage, deſſen
Freundin ich war: und dem ich unendlich viel ſagen durfte.
Frau von Humboldt iſt ſterbend: lebt. Und Friedrich müſſen
wir erſt miſſen. Was ſagen Bartholdy’s zu der unſeligen
Schweſter? Nichts. Hamlets Reſt: Schweigen. Ophelia’s
tiefſtes metaphyſiſches Wort: „Es wird ſchon alles gut wer-
den: wir müſſen nur Geduld haben.“ Platitüde; wenn nicht
Shakeſpeare’s Gedanken es hervorbringen: Platitüde, wie alles
Poſitive, flach genommen, von Flachen. Ich freue mich, Louis,
daß dein Kopf ſo klar von den Iglen geworden iſt: höchſtes
Genießen! Wundre dich nur nicht, wenn du dich ſchwach da-
von fühlſt: ich war es lange, von zwei Stück. Es iſt nicht
die Maſſe Blut, die es macht; ſondern der Igel Art. Darf
Robert alles eſſen? Morgen hoff’ ich ihn zu ſehn. Gute
Nacht!

F. V.


Varnh. will auch morgen aus; ich weiß noch nicht, ob
ich’s leide.


Unſer Willen iſt der Gang,

Nach dem Zwang.

Immerhin, es ſei!

Einſicht macht uns frei.



Als mich die gewaltſamen und ſchamloſen Wahlen zu der
franzöſiſchen Kammer ſehr ärgerten, und gänzlich unbegreiflich
ſchienen;
[321] ſchienen; dacht’ ich: es muß zu einem Äußerſten kommen.
Kompakte Irrthümer, die gar nicht aus den Köpfen hinaus-
kommen wollen; fallen am Ende mit den Köpfen. Das iſt
nicht nur ſo geſagt: ſondren, einfach, ſo geſchieht’s. Wahr-
heit ſiegt, wenn auch noch ſo ſpät: dacht’ ich. Aber was iſt
Wahrheit? — fragen übelgeſinnte, unphiloſophiſche Menſchen.
— Wahrheit iſt, die immer genauere Einſicht, in die wahre
Beſchaffenheit der Dinge. Daher: je genauer, je zuſammen-
gezogener, je kleiner, je weniger davon zu ſagen: je einiger,
und zu allem, was der menſchliche Geiſt zu behandlen hat,
paſſender. Daher die, welche Geiſt haben, Verſtand, Urtheil,
ungeſtörte Einſicht, dieſe geſchwind in allen Fächern der menſch-
lichen Beſchäftigungen zu gebrauchen vermögen. So iſt es auch
in der geordneten menſchlichen Geſellſchaft; dem Staat. Welche
drückende, kampfbringende Verſuche wurden erſt gemacht, ehe
die Völker gelehrt wurde, daß Gleichheit die einzig möglich
zu erlangende Freiheit ſei; d. h. daß Allen nur dieſelbe Por-
tion Freiheit zu Theil werden kann und ſoll.


Dieſe einfache, vereinfachte Wahrheit — die wahre Be-
ſchaffenheit des Verhältniſſes der Menſchen zu einander —
bekämpfen — man kann nicht ſagen beſtreiten — ſie in den
franzöſiſchen Kammern noch zur Stunde. Sie iſt aber von
ſo vielen Einzelnen ſchon gewußt und begriffen, in ſo vielfa-
cher Weiſe angewandt, und in’s Leben gegangen, daß die Wi-
derkämpfer nun bald als Einzelne daſtehen werden, ſobald
ſich nur die Einzelnen einen Geſammtnamen werden gegeben
haben: und dann wird jenen der Irrthum gewaltſam entriſ-
ſen. Das nennt man Geſchichte. Vielleicht — wenn die Erde
III. 21
[322] hält — wird ſie Einmal in etwas anderm beſtehn. Pöbel ſelbſt
wird geläuterte Anſprüche haben; weil keine ſo unmenſchliche
pöbelhafte Einſprüche von Rechts wegen mehr werden ge-
macht werden.



Geſtern den 25. Februar dachte ich morgens in meinem
Bette an Frau von *, weil ich ſie nur approbiren kann, und
ich doch ſo ſonderbare Eindrücke von ihr erhalten hatte; ſo,
daß ich nicht einſchlafen konnte, nachdem ich ſie geſehen hatte.
Immer ſtand mir ihr Geſicht vor meinen geſchloſſenen Augen;
ja, ich verſuchte mir anderer Menſchen Geſicht vorzuſtellen,
und es ging nicht: immer kam ihres wieder. (Par parenthèse!
iſt mir dies nie mit einem Geliebten geſchehn: was doch ſo
häufig erzählt und als ſo bekannt angenommen wird. Äuße-
rungen, Arten, Unarten, die konnten mich wohl halbe Nächte
und Tage beſchäftigen.) Ich will mir den Eindruck hier auf-
ſchreiben, um ihn in Zukunft an meiner Kenntniß ihrer zu
prüfen. Jetzt gefällt mir alles, was ſie ſagt und äußert, ſehr
wohl: ſie hat durchaus einen bearbeiteten Kopf — ſeltenſtes
Begegniß! — iſt geübt in Dialogen mit ſich ſelbſt; und noch
obenein ſehr gebildet und gewandt im Ausdruck, ohne im
mindeſten affektirt dadurch zu ſein, oder an Nachdruck verloren
zu haben; zeigt im Geſpräch ſich reich in Beziehungen, und
Wendung von einem Gegenſtand des Denkens auf den an-
dern. Iſt gerne wahr; denn ſie iſt es leicht, wo ſie ſieht,
daß es angebracht iſt; belebt und belebend, und gewiß noch
fähiger, als ſchon ausgebildet. Mit Einem Wort! ich weiß
[323] in mir ſelbſt nur Lobendes von ihr; und fand ſie weit, weit
beſſer, als ich ſie mir nur irgend, nach allen Erzählungen von
ihr, denken konnte. Ihr Geſicht aber iſt ſonderbar: und noch
find’ ich in ihr nichts von dem: und deßwegen will ich es
hier feſthalten. Im Profil kann ſie faſt wie garſtig ſein:
fixirt man ſie en face von dem Haar herab — engelhaft
ſchön! Das aber iſt das Sonderbare nicht: es liegt in der
Formation der Geſichtsknochen, die ſich eben im Profil nicht
ſchön zeigen; an den an ſich ſchönen Augen, die den ſüßeſten,
vortrefflichſten, freudigſten, unſchuldigſten Ausdruck von ihr
annehmen; und an den zu ſchönen Farben für den Bau des
Geſichts — welches jedesmal eine grelle Beleidigung zuwege
bringt. — Was mir aber ſonderbar vorkommt, weil es mir
noch unerklärt iſt, und ſogleich wahrnehmlich war, iſt der
wechſelnde Ausdruck ihres Geſichts von drei, vier, verſchiede-
nen Perſonen, die ungemiſcht hintereinander erſcheinen; (das
hab’ ich in ihrem Weſen nicht finden können, obgleich ſchon
geſucht, eben nach dem Geſichte;) bald ganz hart, leiden-
ſchaftlich, unharmoniſch, nicht von Bildung — innrer — ge-
mildert, zerzerrt faſt; bald himmelkundig, kinderhaft, ſanft,
freudig, vollkommen gebildet. Sollte das doch von den ſchö-
nen Farben, und den minder ſchönen Formen, von face und
Profil, von Kopfwendung, und der Richtung unſerer eigenen
Augen auf all dieſes kommen? Eins iſt ausgemacht: ihr
Mund iſt nicht gebildet — was oft ein faſt unförmlicher doch
ſein kann, — aber in ihr habe ich noch nichts geſehn, was
dem entſpräche. Es iſt eine ungemeine Frau: und kann auch
21 *
[324] eine liebliche Kreatur ſein. Es ſoll ihr wohlgehn! ſie verdient
es gewiß noch beſonders. —


An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Ihr Geburtstag!


Geliebte Freundin! Unter allen Segen, Wünſchen und
Gebeten, ſind Sie auch von den meinigen überzeugt; ſie er-
ſtrecken ſich auf das ganze Jahr und auf Alle, die Sie lie-
ben! Das wiſſen Sie. Koſtbare Eigenſchaften, die Sie vor
mir voraus haben, und die den lebendigſten Liebespunkt in
meinem Herzen eben deßwegen in entſchiedenen Anſpruch neh-
men, möchte ich hegen, und mit Einer, die ich voraus habe,
bewachen; hüten, beſchützen. Mit bändigender Wachſamkeit,
la force de la prudence, auf Deutſch — mit der leidigen
prudence; ſie macht leiden, wenn wir noch etwas Beſſeres
beſitzen und ſind, als ſie. Sie tödtet: und vieles in uns ab-
tödten, iſt unſre leidige Aufgabe: iſt die Bedingung, wenig-
ſtens die Hälfte davon zu genießen. Wer aber kann dies
Grauſame anrathen! ich nicht! Darum wünſche ich: meine
Eigenſchaft möge Ihre Gaben, Ihr Sein bewachen können:
wie denn menſchliches Wohlwollen, Freundſchaft, nichts ande-
res, als Vertrauen, und Ergänzen ſein kann. So viel
iſt gewiß: das Schöne, das Gute in Ihnen hat ſeine Ruhe-
ſtätte in meinen Augen, in meinem Herzen: und wie Sie ſich
äußern mögen; ich weiß es daher zu leiten, und muß es als
[325] von daher fließend anſehn: und nicht ich allein; Sie
haben noch andre Freunde; wenn auch jeder das Schöne nach
ſeiner Herzensweiſe ſieht. Ich gebe meiner den Vorzug, weil
ich ſie eben fühle; das thun die Andern wohl auch. Sehn
Sie, theure Fürſtin, dieſe gewichtigen, ſüßen Worte als mein
Angebinde an! Sie enthalten Frühlingsblumen; und Früchte
— durch innigſte, entſchiedene Wahrhaftigkeit. —


Geben Sie ſich in dem gewühl- und gefühlvollen Tag
keine Mühe mir zu antworten! Wenn es angeht, komme ich
noch einen Moment: ſehe Ihnen in die guten Augen; und
küſſe Ihnen, wie ich Kindern thue, die Hand.


An Frau Generalin von Zielinski, in Frankfurt an
der Oder.



Graues, Südweſtwindwetter, ſeuchtlich, und doch nach
dem Frühling hinneigend, ohne für Wetterempfind-
liche zum Spazirengehn zu ſein. Tauben fliegen,
blaue Fenſter brechen in den Himmel, und laſſen hie
und da, wie jetzt, Helle durch.


Sie werden nicht bei mir wohnen wollen.


Das hab’ ich mir zugezogen mit der Pauſe ehe ich Ihnen
antwortete. „Wird der Kluge klug genug ſein, nicht klug zu
ſein,“ ſagt Oranien (Alba) — glaub ich — in Egmont. Wer-
den Sie wiſſen, daß alle meine Äußerungen gegen Sie wahr,
und dauernd waren, trotz des unpaſſenden Schweigens? Ja:
und das dacht’ ich alle Tage heimlich, wenn ich immer ant-
worten wollte, und doch nicht antwortete; denn das Schreck-
[326] bild, die lähmende Wirkung meiner Verſäumniß hielt ich mir
gleich in den erſten Tagen derſelben vor den Augen. Ich bin
eine Frau ohne Kinder; die nicht mahlt, nicht ſingt, nicht
ſtickt, nichts verfertigt: und alle meine Stunden werden mir
geraubt — mit Gewalt — geſtohlen, zerriſſen, entwandt, ver-
ſtümmelt, verdorben. Dies iſt ganz mein Fehler; ich ver-
hehle es mir nicht, und keinem. Aber dieſer Fehler iſt ſo
gründlich, ſo aus meinen beſten Kräften, und Säften, und
aus meinen ſchlechteſten gewurzelt, daß ich nichts dran ändern
kann; nur daran rütteln, und ſchütteln; und alles noch mehr
verderben kann. Der Tagesanfang iſt Krankheit: die ſich je-
desmal nach dem Schlaf äußert. Mehr, als oft, müſſen die
Morgenſtunden erſt, den Schlaf liefern; und, dann ihn ver-
dauen, ſo zu ſagen. Iſt das geſchehen; iſt bei Jung und Alt
ſchon Ausruheſtunde. Kinder, Große, Nichten, Neffen, Herren,
Damen, Rechnungen, Briefe, Bitten, Billets, Einladungen —
ſich widerſprechende — Wirthſchaft; alles tobt und wogt —
wulgt, ſagt das Volk hier ausdrucksvoll — unter einander,
und macht mich krank für den folgenden Tag! — Dies
wäre etwas für Frau von Wißmann!!!! — deren Sinn und
Gemüth bildet eine andere! eine entgegengeſetzte Ordnung
um ſich her! Die Erzählung davon muß ihr ſchon haſſens-
werth, und verwirrend ſein; denk’ ich mir. — Jeder will nur
einen kleinen Moment, eine Viertelſtunde, einen Abend: und
ich?! enkouragire Alle dazu. Wie, und wieſo: das einmal in
einer luſtigen Viertelſtunde mündlich. Liebe Ver-
nunft! was habe ich gemacht! Sie werden in mein ſo geſchil-
dertes Hausweſen nicht eintreten wollen! aber Sie haben es
[327] geſehn; und ich verſichere Ihnen, es iſt ſtill, und ruhig darin:
ich bin es eben, die allen Trouble übernimmt; und die die
ewige Ordnung darin macht; und daher nicht hat. Laſſen Sie
ſich nicht abſchrecken! Meine Nichte freut ſich noch, zehn Tage
in einem kleinen Häuschen in Baden bei mir gewohnt zu ha-
ben; bloß, weil es ſo ruhig, und behaglich war, ſo bequem,
und amüſant. Ich rühme mich, als ob ich ein Gaſtwirth
wäre: ich will es gerne ſein. „Sie ſind wirklich klug genug“ ꝛc.
Zum Exempel! Varnhagen ſitzt jetzt in einer Ruhe, und ar-
beitet, wie Friedrich der Zweite auf Sansſouci. Und ſo wer-
den Sie ſitzen. In einem geräumigen Zimmer, wo keine Klin-
gel zu hören iſt. (Bei mir war während dieſem Brief: Herr
Paſſalacqua, dann ein Schneider, dem ich Kinderkleider be-
zahlte: ein Billet um Bücher von der Gener. von Hünerbein:
verſchiedentlich meine Jungfer, ich ſoll ausgehn; will ſie:)



Graues Windwetter.


Iſt es glaublich, daß dieſer Brief liegen blieb! Ich mag
Ihnen nicht erzählen, — es wären nur Variazionen auf das
Thema, welches ſchon nicht hier ſtehn ſollte: Sie ſollen nur
wiſſen, daß eben jetzt mein Nichtchen bei mir ſteht und ſpricht:
aber mit Gewalt will ich dieſen Brief, von dem Varnhagen
nichts weiß — er iſt im ruſſiſchen Bad — endigen, damit er
Ihnen zukomme, roh wie er iſt. Ja, roh. Ich ſelbſt könnte
ihn tauſendmal beſſer machen. Auch ſoll Varnh. ihn nicht zu
Geſichte bekommen. Geſtern erhielten wir einen Brief von
Ranke aus Wien; ziemlich geſchäftlich — er will nach Italien,
vielleicht iſt es noch ein Geheimniß, und könnte nur zu ſei-
[283[328]] nem Schaden aufhören eines zu ſein. Warnung!!! — nur
ſo viel Anderes, daß das Erſte nicht zu behaupten wäre:
aber ſo vortrefflich, ſo rein vornehm geſchrieben, wie alles von
ihm. Und als ich jetzt wieder Ihren Brief durchſah, und den
reinen gebildet fließenden Stil fand, dacht ich: daß Sie eine
würdige Schülerin Rankens ſind. Gelernt können Sie das
von ihm nicht haben: aber dies Talent hängt mit den andern
Gaben zuſammen, wegen derer Sie ſeine applaudirte Schü-
lerin werden konnten: und es auch ſchon wollten. Ich denke
an das, was Sie mir ſagten daß Sie unternehmen müſſen,
um unordentliche — dies Wort ganz verſtanden wie Sie es
ſagten: kein andres kann’s erſetzen, darum gebrauch’ auch ich
es — Thränen, Gedanken, Empfindſamkeiten, Wünſche gleich-
weg zu tödten. Sein Sie alſo nicht beſcheiden, laſſen Sie
ſich einſehen wo Sie zu loben ſind: ich finde vielleicht ande-
res zu tadeln, wenngleich nicht das, was Sie nannten. Adieu,
liebe neue Freundin! Eine ganz alte ſitzt und wartet, die ich
ſeit dem fünften Jahre kenne. Lächerlich! „Es ſoll anders
werden!“ Sag’ ich wie Lilli’s Bär. Aber es ſoll doch. Ihre
ergebene F. V. Darf ich Frau von Redtel hier freundlichſt
grüßen? und Fräulein Anna.


Es iſt ſchon wieder der 21. geworden. Abends 7 Uhr.
Aber morgen ſoll dieſer unförmliche Brief, an Leib und Seele,
auf die Poſt. Was er für eine Façon hat! Es regnet, und
riecht etwas nach Mai. Ich bin disguſtirt: ich wollte ins
Königsſtädter gehen und eine Freundin — ſchöne Freundin! —
lies mich ſitzen. Ein Freund muß mit ſeiner Mutter Boſton
ſpielen; Varnh. iſt in einer Donnerstagsgeſellſchaft, die heute
[329] Statt hat! — Es wird ein ſehr hübſches Stück von meinem
Bruder gegeben — ich ſah es ſchon. Kommen Sie zum Mon-
tag
, da wird das Stück wiederholt; wenn auch nur auf zwei
Tage. Steigen Sie bei mir ab. Adieu, der Brief iſt ein
Rondeau, er hört auf, wie er anfängt. Das geſchieht mir
oft mit Briefen.


Während ich ſchrieb, bekam ich wieder ein Billet, wegen
eines blinden Schneiderburſchen; von einer wohlthätigen Freun-
din. Ich miſche mich aber auch in alles: (ich miſche mich juſt
nicht: ich laſſe mich gebrauchen: bin willfährig. Aber zur Un-
zeit.) in Arme, Litteratur, Theaterbillete, Bälle, Toiletten,
Narrheiten, Geſchäfte, Spielſachen. Das iſt des Räthſels
Auflöſung: da ſteht’s leibhaftig. Adieu! Kommen Sie zum
Montag!!!



Frau von Kalb iſt von allen Frauen, die ich je gekannt
habe, die geiſtvollſte; ihr Geiſt hat wirklich wie Flügel, mit
denen ſie ſich in jedem beliebigen Augenblick, unter allen Umſtän-
den, in alle Höhen ſchwingen kann; dies iſt ein abſolutes Glück,
und ſie fühlt ſich dadurch ſo frei, daß ſie nach dem erhabenſten
oder tiefſten Geiſtesblick öfters lacht, wo es gar nicht hinzu-
gehören ſcheint: gleichſam, in dem Gedanken, daß es etwas
Komiſches hätte, nur in der eben erblickten Sphäre verweilen,
oder gar bleiben zu wollen: flugs nimmt ihr Geiſt eine andre,
öfters entgegengeſetzte Richtung, und thut da wieder Wunder.
Auf dieſe Weiſe giebt ſie ſich auch getroſt, und eben ſo frei,
[330] hergebrachten Meinungen. Vorurtheilen, beliebten, herrſchen-
den Formen des Seins und Denkens hin: ſie kann doch
lachen und vergnügt ſein. Ein wenig lüftet ſie die Flügel:
und die leere Laſt ſinkt zu ihren Füßen, an den Boden: und
die edlen Gedanken nehmen ihren Flug.


Frau von Arnim iſt von allen, die ich kannte, die geiſtreichſte
Frau. Man möchte ſagen: ihr Geiſt hat die meiſten Wen-
dungen. Ihr Geiſt hat ſie, nicht ſie ihn. Was wir Ich
nennen können, iſt nur der Zuſammenhang unſrer Gaben,
und die Regierung derſelben, die Direktion darüber. So
wie Frau von K. jeden Geſichtskreis als ſolchen verlaſſen
und in der Gewißheit, einen neuen zu finden, freudig ſein
kann; ſo leuchtet, oder blitzt wenigſtens, bei Frau von A.
Mißvergnügen gegen das eben Gefundene hervor, und dieſes
ſpornt ſie an, um jeden Preis Neues hervorzufinden; — dies
Verfahren aber kann nicht immer ohne Störung vorgehen.


Den größten weiblichen Karakter, den ich je gekannt, hat
Gräfin Joſephine Pachta. Nichts hat ſie abgehalten, nach
ihrer Überzeugung zu handeln; und nie war ſie darin geſtört.
Auch die iſt freudig: und durchaus ehrwürdig.


Der einzige metaphyſiſche Kopf, den ich je unter Wei-
bern kennen lernte, iſt die Großherzogin Stephanie von Ba-
den. Unter allen Umſtänden zum Denken aufgelegt, und fähig.
Unwillkürlich in jedem Geſpräch darauf hinarbeitend. Und
auch, wie die andern Hoheu, nur ſtörungsweiſe nicht immer
in den höchſten, heiterſten Geiſtesregionen; in jedem Augen-
blick aber dahin zu verſetzen.


Alle dieſe Frauen haben noch tauſend angenehme, liebe
[331] Eigenſchaften: jede nach ihrer Art modifizirt; Talent, Ver-
ſtand, alles. —


An Ludwig Robert.



Unſern Willen frei machen, iſt unſer Geſchäft. Können
wir wohl einen willkürlichen Willen vorausſetzen? Was ſollte
uns in dieſer Kur beſtimmen? Unſern Willen befreien von
Hinderniſſen, kann hier nur freimachen heißen. Wir ſind ja
nur ein Geſetz; begeiſtigt durch Einſicht und Übereinſtimmung.


Schachſpieler wollen, nach von ihnen ſelbſt beſtimmten
Geſetzen einen auch von ihnen beſtimmten Zweck ausführen;
und kombiniren ſich ſo nach dieſem durch allerlei ihm fremde
Kombinationen durch. Sie treffen, und irren; wollen aber
immer daſſelbe. Wir bewegen uns nach einem vorgefundenen,
und endlich auch erkannten Geſetz. Dies iſt unſer nicht mehr
zu trennender einfacher Wille; oder beſſer, Wollen. Je viel-
ſtimmiger, harmoniſcher wir den machen, je geſchickter, je ge-
ſchwinder wir zu dem herabkommen in uns, deſto fertiger.
Spielen aber ſollen wir, nämlich leben. Wir finden das
Spiel vollkommen aufgeſtellt. „Das iſt ein Faktum.“
Nicht der Sündenfall. Es iſt eine Sünde, ein tiefſter belei-
digender Irrthum, Sünde anzunehmen im Aufbau der Welt!!!
in des höchſten Geiſtes Spiel. Darin liegt Wohlthat, Feſt —
fête —. Und nicht elender Sündenfall. Solche Voraus-
ſetzung müſſen Geiſter, edle Weſen, machen. Und wie Schach
Geſetze hat, ſo hat das Leben unbedingte. Mit denen ſich
[332] nicht handlen läßt. Aber das Daſein ſpielt aus einem an-
dern Ton. Die Spekulation: nämlich, das Ergründen
höheren Zuſammenhangs, als den wir kennen können.


Dies glaub’ ich. R.


(Mündlich.)


Ein geiſtreiches Fräulein, in ihrem Kreiſe ſeit langen Jah-
ren wegen ihrer unerſchöpflichen Witzworte und ſcharfen Wort-
ſpiele berühmt, heirathete endlich einen ſehr wackeren jungen
Mann, den ihre Lebhaftigkeit ſehr angezogen hatte. Nach
einiger Zeit ſprach man gelegentlich von dieſem Paare man-
ches Günſtige. „Aber ſie iſt gar nicht witzig mehr!“ bemerkte
jemand. — „Was hat ſie noch nöthig, witzig zu ſein, fiel
Rahel lebhaft ein, ſie iſt ja glücklich!“



An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Dichter, großflockiger Schnee, von Nordoſt getrieben.


Theures, liebes, herzvolles, hier geliebtes Adelheidchen!
Sehen Sie, liebe Fürſtin, an dieſer überſtrömenden Anrede,
wie es bei uns ſteht. Gleich geſtern hätte ich Ihnen geſchrie-
ben: ich konnte die Gewißheit, Ihnen nichts mehr ſagen zu
können, nicht ertragen, und hätte das leidige Erſetzungsmittel
gleich gebraucht; aber bis 9 Uhr glaubt’ ich, jeder Wagen
ſei der Ihrige. — Bald kam V. zu mir, dann ich zu ihm:
immer Adelheid und Adelheid. Wie Sie ſind, was Sie werth
[333] ſind; was wir verlieren, wie einſam wir ſein werden, wie be-
ſeelt ſie war, iſt. Dieſe große Freude hatt’ ich in meiner
Wehmuth (ja, Wehmuth erfind’ ich hier, das iſt der Zuſtand;
Wehmuth des Verluſtes), daß V. ſeine noch weniger verber-
gen konnte als ich. — Wir beſtärken uns alſo in der reinen
Liebe für die lebendige, zarte, liebe, menſchenfreundliche, gott-
geſinnte Adelheid. Das freut mich für Sie und mich! Blei-
ben Sie ſo, geliebte Fürſtin: bilden Sie das Beſſere immer
ſtärker, reiner in ſich aus: pflegen Sie es halsſtarrig, möchte
ich ſagen: die Welt überhaupt, die vornehmere beſonders, hin-
dert uns daran, ſtört uns darin. Generaliſiren Sie Ihre
Zeit, möchte ich wieder ſagen: ſehen Sie nicht auf einen
Abend, eine Stunde, ein Erſcheinen, ein Rechtbehalten, eine
Zuſtimmung, einen Sieg. Fragen Sie beſonders ſich: in
uns iſt die wahre, die einzige Antwort, auf die wir hören
ſollen. Nie hab’ ich eigentlich einen Andern beleidigt, oder
ihm Wort gebrochen, (antworten Sie mir auf dieſen Punkt
nicht!), aber mir ſelbſt: und mit harter, langer Strafe; d. h.
mit nothwendiger, unausbleiblicher Folge. Sei Ihr Leben ein
Ganzes, wo Ein Augenblick dem andern in richtigſter Folge
entſpricht! das wünſcht die Freundin, das möchte ſie Ihnen
ſchaffen helfen! und dies allein verführt ſie zu dieſer Ermah-
nung. Sie ſind ſo vielbegabt; ich möchte dieſe ſo herrlich-
köſtlichen Geſchenke pflegen helfen! und Ihnen erſparen, was
ich durchmachen mußte, und wohl verſäumte. Pardon!


[334]

An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Heute, theure Fürſtin, nur zwei Worte! Nur einen Dank
für Ihren zweiten Brief! den lieben. Stillen Freitag bekam
ich ihn; noch denſelben Tag ſchickte ich nach dem Tüll, um
ihn Ihnen baldmöglichſt zu ſenden. Aber in meinem Leben
ſchicke ich nicht wieder nach dieſem Laden! — Können Sie den
Tüll, ſo wie er iſt, gebrauchen? Macht Ihnen eine Naht
mehr im Rock nichts? ſie ſagen, es ſeien engliſche Ellen —
die Lüge, er wird hier gemacht, glaub’ ich, — und die ſeien
ein Viertel kürzer. —


Hätten Sie nur ſchönern ſtäteren Frühling! Sie können
ihn ganz gebrauchen; im kleinen Paradieſe. Hier ringt Früh-
ling mit Winter; auch war ich ſeit zehn Tagen nur in Ri-
chard dem Dritten (wegen einem rheumatiſchen Knie, von
einem Fehltritt gereizt.) — Welch Meiſterſtück, und wie ge-
ſpielt, von der Mad. Krickeberg — alte Herzogin von York,
des Böſewichts Mutter — und Mad. Schröck — verbannte
Margaretha. Über meine Vorſtellung. Wie weh that es
mir, daß Sie ſo Großes nicht ſahen! Weh. Den ganzen
Winter kam dergleichen nicht vor. Die Krickeberg wie eine
ſymboliſche Perſon: das Alter. Das hat immer Gram; und
größern als alle Jüngern. Die drei Königinnen — Töchter
und Mütter von Königen, — ſaßen wie drei Parzen, und be-
ſprachen der Welt Unheil im eignen Gefühl, der eignen Lei-
den. Leſen Sie das Stück in Schlegels Überſetzung nach.
[335] Ich that’s. Nächſtens mehr davon, heute nur alles Skizze.
Ich habe übermorgen zweiunddreißig Perſonen zum Thee; und
heute ſchon Domeſtiken möchte ich ſagen. Weßhalb, fragen
Sie: weßhalb, frag’ ich; ich muß. Dabei bin ich wegen des
Knie’s nervig. Voyez mon griffonnage! von griffe kommt
es her. Mlle. Ebers wird ſingen. Ruſts und Redens muß
ich haben, die ſind die Elektrizität, die das Gewitter zuſam-
menziehn. Nächſtens referire ich. — Elischen will nach Caro-
lath, wenn wie ihr ſagen müſſen, die Prinzeßchen ſind nicht
hier: die denkt noch Carolath iſt eine Straße! — Segne
Sie Gott! und die lieben Kinder! Nächſtens Antwort, or-
dentliche, von Ihrer treuen

Fr. V.


An Friederike Robert.



Alle Gründe, meine Liebe, die Sie anführen, eine Abhal-
tung des zu mir Kommens begründend, ſind grade die, welche
es hätten bewirken ſollen. Bis drei Viertel auf 10 Uhr ſaß
ich krank und erwartungsvoll!!! — mit einem Souper,
und wartete. Der Augenblick nachher war noch unange-
nehmer. Ich hätte grade die Kranke, Eingeſperrte, nicht ſitzen
laſſen. Wie oft hab’ ich das Herz voll, oder zerriſſen,
und erfülle dann grade geſellige Pflichten. — Geſtern erſt!
— Aber in meiner Familie herrſcht das Axiom: Rahel kann
man dergleichen bieten: die verſteht unſre Leidenſchaften; und
verzeiht Formen. Mit nichten; umgekehrt: mit derſelben Zärt-
[336] lichkeit meines Leiſtens, verlange ich, und mein Herz, Erwie-
derung, und Reſpektiren meines Weſens. — So war es mir
geſtern unmöglich, Sie gleich zu empfangen! jedoch Sie
können mein Boudiren nicht wohl ertragen, und ſo ſei es
mit Ihrem Billet aufgehoben!


Ich werde Ihnen einige ähnliche Stückchen aus der Fa-
milie erzählen, die mir ſeit kurzem, und dieſer Tage begegnet;
und Sie werden ſich wundern.


Wie immer Ihre F. V.



— Varnhagen lieſt in ſeiner Krankheit mit wahrer Be-
gier und zu genußreichem Troſt in Humboldts Reiſe; viele
Bände! Er iſt ganz entzückt und geſtärkt davon, und ſagt
zu mir: „Weißt du, was Humboldt eigentlich iſt? Man lernt
ihn hier ganz kennen: ein Held, — ein Menſchenfreund, —
und dazu noch ein Wiſſer; was man zuerſt und zuletzt nen-
nen kann, da er durch dieſe Eigenſchaft überall voranſteht,
ohne daß man ſie in ihm voranzuſtellen braucht.“ — Wie
mich das freut! —



Es iſt löblich, daß Lob dir gefalle;

Doch ſei es der Inhalt des Lobes,

Und nicht ſein Gelalle!


Laß es! dein liebes Herz, laß es geſunden!

Der erkennende Freund, er iſt gefunden.

Von
[337]

(Mündlich.)


Von einer gezierten Dame: „Sie ſieht aus, wie ein in
Weingeiſt aufbewahrtes Rieſen einer ſchöner Frau.“


E. Was ſagen Sie dazu? R. heirathet die junge B!


R. Es geſchieht Beiden Recht!


Man ſagte von einem Fräulein, ſie ſei gemüthskrank,
und zwar aus Liebe zu einem alten General: „Da iſt ſie ja
nicht toll aus Liebe, ſondern liebt ſchon aus Tollheit.“



Frei ſein kann gar nichts anders heißen, als ſeiner in-
nerſten Natur ſklaviſch folgen zu dürfen. Abſolute Freiheit,
abſoluter Wille iſt etwas Unmenſchliches. Eine Wahl ohne
Bewegungsgrund iſt Unſinn. —



Heute Mittwoch den 18. Juni 1828 fragte Elischen ganz
unſchuldig und naiv, mitten unter Spiel und anderer Beſchäf-
tigung, nachdem ſie ſchon Vormittag zum erſtenmal de but
en blanc
aufgeſagt hatte: Thiere haben Schnauzen, Poten,
Mäuler; Menſchen haben einen Mund, Hände, Füße; Vögel
Schnäbel; und ſo untereinander — die Mutter hatte es ſie
gelehrt — und nachdem ſie es Nachmittag im kurzen wieder-
holt hatte: „Bin ich auch ein Menſch?“ Rührend, ſublime.
III. 22
[338] Paradieſes Unſchuld. Den Tag fühlt’ ich großes Leid. Es
war ein Mittwoch. Ich ging in Geſellſchaft. Immer zu!


In einem Stammbuch.


Möcht’ ich doch ſchier verkehrten Rath dir geben,

Der paßt für das verdrehte Leben;

fand ich vor langer Zeit in einem Buche: es fiel mir auf,
weil ich es nicht ganz verſtehen konnte. Aber: wird dem Eit-
len nicht willfahren? Werden große leere Anſprüche nicht
meiſt erfüllt? Gelingen nicht die dümmſten Pläne? wird Be-
ſcheidenheit nicht vergeſſen; bleibt ſie nicht unbeachtet? Iſt ir-
gend ein Ereigniß zu berechnen? Herrſcht nicht der Hartherzige,
der Strenge? Rechnet Einer in der ganzen Natur unſre Leiden,
unſre Opfer? Behalten wir ſie nur ſelbſt im Gedächtniß?
Scheint nicht alles verdreht, bis wir es umgekehrt?


Jetzt las ich wieder in einem Buche:


Es iſt nichts zu verändern hier auf Erden,

Wir ſelber nur, wir müſſen anders werden.

Dieſer Spruch half mir den erſten verſtehn: und vielfältigen
Gewinn erlangt’ ich dadurch in mir: an dieſem wünſch’ ich
Ihnen Antheil, darum erhalten Sie dieſe Zeilen von mir. —



An Ludwig Robert.



— Ich muß dir doch ſagen, daß Varnhagen von Graf
B. ein Exemplar kleiner Gedichte geſchenkt bekommen hat,
[339] die zwar gedruckt, aber nicht für’s Publikum beſtimmt ſind.
Ich ſchreibe dir einige ab. Sinnige, zarte Überſchriften für
Gräber, ſowohl der Heiden als der Chriſten; im ſchönſten
menſchlichen Gefühl gedacht; in reiner Klarheit anſpruchslos
ausgedrückt. Der edle Geiſt ſpricht überall daraus an, wenn
auch der Dichter es damit nicht auf Uberſchwängliches ange-
legt hat. Soviel weiß ich, auch als Dichter möcht’ ich dieſe
ſchmuckloſen, aber gediegenen Sprüche noch immer lieber ge-
macht haben, als die meiſten der künſtlichen, in der Treib-
haushitze gezogenen Gedichte, die man mir jetzt zu bewundern
geben will. —



— Haben Sie die vollendete Rede Humboldts geleſen,
zur Eröffnung der Geſellſchaft der Naturforſcher? Ein gelun-
genes Meiſterwerk; eine Ehre; erſtlich für unſre Sprache;
dann für unſre Nation, dann für uns Preußen. Vive le Roi!
Vive notre constitution!
wo ſolche Früchte wachſen. O!
wie ſtolz, wie glücklich könnte man durch und für Andre ſein,
wenn das Ganze immer ein Ganzes wäre: berechnet wie eine
Organiſation, für alle Theile; weiſe, gütig, glücklich. Nun,
es rückt ja! Machen Sie ja, daß Mama, und auch Fürſt
P., die gehaltene, elegante, gediegene, abgepaßte Rede lieſt! —


22 *
[340]

An Ludwig Robert.



Ich warte auf deinen Boten, der einen Topf zu Pfeffer-
gurken bringen ſoll, die nun ſchon etwas beſſer ſein werden;
und immer beſſer werden. Der Bote wird dir vier Flaſchen
Wein bringen. Du wirſt mir gelegentlich ſagen, ob er dir
ſchmeckt: und dich dann, bis alles blühet, um keinen Wein
kümmern; und dich auch dann mit mir beſprechen.


Als ich laut werden ließ, daß mir die Überſetzungen alle,
jede auf eine Art, von Manzoni’s Gedicht, nicht gefielen
antwortete man mir, daß es auch ſchwer wäre, in demſelben
Silbenmaß, und anderer Sprache, auszudrücken, was in einer
urſprünglich gedichtet ſei. Dies Verfahren nehm’ ich nun ſchon
von je nicht als Bedingung an, der ich irgend etwas auf-
opfern ließ; — obgleich ich unter ihr ſchon Meiſterſtücke ge-
ſehn habe: — das iſt mir ganz gleichgeltend mit ſolchem Ver-
fahren, als wollte Einer aus irgend einer beliebigen Sprache
etwas in unſere überſetzen, und verlangte, ich ſoll zufrieden
ſein, und die Überſetzung für richtig halten, wenn etwa ſo
viel R vorkämen, als im Original; oder die Zeilen für’s Aug’
eben ſo lang, kurz, oder kräuſelig ausſehn. Ich will, daß
mein Geiſt gezwungen ſei, ſich in denſelben Richtungen zu
bewegen, wie im Original; daß mein Gemüth auf eben die
Weiſe affizirt wird, wie dort. Die Mittel hiezu nehme der
Dichterüberſetzer aus dem Vermögen unſerer Sprache: keine
andre Ähnlichkeit darf ich, und kann ich fordern. Aller Reſt
iſt ein Kunſtluxus, und darf nur, und erſt eintreten, wenn
[341] das Nothwendige befriedigt iſt. Akademie, und ſchlechtes Pfla-
ſter. Finſtre Straßen, und Illumination. Schmutz, und gol-
dene, bemahlte Gitter u. ſ. w. Steffens hat ſehr ſchön über
Unreinlichkeit geſprochen in ſeinen vier Norwegern. Ich ſag’s
ja immer: es wird ſchon Einer ein Buch ſchreiben über das,
wovon ich oft früh ſpreche.

Adieu. F. V.


An Friederike Robert.



Ich bin durchaus mißverſtanden. Ein Gekräuſele für’s
Ohr — oder ſogar auch könnten ſie’s für’s Aug’ hinläng-
lich finden — macht mir nichts. Und ich habe deutlich die
Bedingung geſetzt, „daß eine Überſetzung meinen Geiſt zwin-
gen muß, ſich zu bewegen wie beim Original, und mein Ge-
müth auf dieſelbe Weiſe affizirt zu ſein, wie bei dieſem.“
Verſtanden? Das andere alles verſteht ſich von ſelbſt; wäre
es auch trübe ausgedrückt. — Ich glaube, es iſt unnatürlich
ein Domeſtik zu ſein; und wir alle wären und thäten wie ſie,
wenn wir dienten. Seit 7 Uhr hat meiner die vier Flaſchen,
um ſie zu Ihnen zu bringen. — Was iſt das für ein Vor-
ſchlag, daß Rob. den Wein allein trinken ſoll, wenn ich wi-
derrufe? Ich wiederhole ſogar, daß man ſo viel Werth auf
äußere Ähnlichkeit beim Überſetzen ſetzt, daß ſie ſchon zufrieden
ſind, wenn die Zeilen für’s Aug ausſehen, wie beim Original.
Laſſen Sie gütigſt Robert dies alles leſen.

F. V.


Ich „beneide“ Sie nicht wegen der Beſuche. Ich liege
im Bette nach einem gelungenen Bad mit Kamillen und Kleie.
Ihr Diner war gut. Geſegnete Mahlzeit.


[342]

An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Regenwetter; grau ſtöberig.


Noch mehr geliebte Freundin!


Weil ich vorgeſtern den liebenswürdigſten, einen vortreff-
lichen Brief von Ihnen ſah; völlig urban; durchaus gebildet.
Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men-
ſchenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürſtin, daß ich ein We-
ſen daraus machen will, und Sie nun herausloben will.
Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in
allen Menſchen iſt, was ich ehre und liebe. Das iſt: die ge-
rechte
, fromme, reinſeelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich-
ſtellung der Menſchen: der Kreaturen, die allein, und Alle
einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit.
Dieſe Gleichſtellung, ſchöne Freundin, zeigte ſich auf das
liebenswürdigſte in unbewußter Unſchuld, in einem Briefe, an
eine — arme! — Karoline Fiſcher (ſo, glaub’ ich, iſt ihr Name:
ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addreſſe nicht
abzuſchreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle-
gen war), der Sie eine Geldſumme vorläufige Hülfe mit der
Poſt hieherſchicken; und in welchem Sie mich ſo ehrend und
herzerhebend erwähnen: für welches und ſolches der Menſch
nur mit ſeinem ganzen Weſen, aber nicht mit Worten dan-
ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch ſo ſehr möchte!


Mit dieſem Briefe und deſſen Inhalt, verkehrt vorgetra-
gen, wurde ein Poſtbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor
mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil dieſe
Mad. Fiſcher richtig in der angegebenen Straße und Haus-
[343] nummer geſucht wurde, aber ausgezogen war, in ihrem neuen
Quartier gefunden ward; aber, als ſie den Brief erbrochen
hatte, erklärte, ſie ſei die Perſon nicht, an die der Brief und
das Geld gerichtet wäre; der Brief war nun offen; die rechte
Perſon noch vergeblich geſucht; und darauf ſchickte der Herr
Poſtmeiſter den Boten zu mir, ob ich keine Auskunft wüßte.
Ich wußte keine, als das Verſprechen, Ihnen um welche zu
ſchreiben; und die Bitte, er möchte Brief und Geld bis zu
Ihrer Antwort verwahren. Haben Sie nun die Gnade, mir
ſchleunigſt ein oſtenſibles Wort zu antworten. Ich will —
und wo ſoll ich — die Perſon ſuchen laſſen? Können Sie
mir das Gewerb ihres Mannes nennen? Soll ich das Geld in
Empfang nehmen? Ich bitte um ſchnelle Antwort.


Die ganze Urbanität Ihres Briefes beſtand in der abſo-
luten Gleichſtellung dieſer Perſon mit Ihren vornehmſten
Freunden: in dem Auseinanderſetzen, weßhalb Sie nicht mehr
für ſie thun könnten; in der Empfehlung an Ihre beſte Freun-
din; in dem Troſt auf das Höchſte — beinah ohne Worte —
angewieſen: auf die Hoffnung, ſie zu ſehn und zu ſprechen;
in dem ganzen Ton und Art: und daß Sie für eine Unterge-
ordnete in Bildung, und leider auch in Anſpruch, keine andre
Sprache beſitzen, als für Ihre höchſten Freunde, und Ihre
höchſten Stimmungen.


Sie ſind auch recht geliebt, liebe Adelheid. Von Allen,
die Ächtes und Herzlebendes zu ſehn vermögen. Und vermö-
gen nicht Viele viel von ſolchem zu ſehn, ſo vermag doch je-
der einiges wahrzunehmen; und ſo müſſen ſich Alle, die Ihnen
nur näher waren, nach und nach günſtig und anerkennend
[344] über Sie äußern. Das Vergnügen hab’ ich jetzt oft; be-
ſonders von Frauen. Aber dies, theure Freundin, liebe Für-
ſtin, mache Sie nur noch aufmerkſamer, kleine Übereilungen
zu vermeiden, die Anlaß zu großem Gerede geben! Ich ver-
ſichere Ihnen auf Ehre, daß ich in dieſem Augenblicke nichts
Beſtimmtes, oder Neues weiß, was mir Veranlaſſung zu die-
ſer innigſten Bitte geben kann. Ich will, daß auch Dumme
verſtummten Reſpekt vor Ihnen haben ſollen! Sie wiſſen, daß
ich mich nicht nach Gemeinem leicht richte, und Vorurtheilen
mich beuge; aber einen feſten Grund müſſen wir in der Welt
gefaßt haben: unſre beſten Eigenſchaften ſich kompakten Ruf
gewonnen haben, wir müſſen lange, Andre als uns, ver-
theidigt, und für die frondirt haben; ehe uns erlaubt wird,
frei nach beſter Überzeugung für uns ſelbſt zu agiren. Sie
haben nicht allein das weichſte Herz; ſondern ich möchte ſa-
gen, auch nach mancher Richtung hin, das weichſte Betra-
gen; das verträgt die abgefeimte Welt nicht! und in
dieſem müſſen Ihnen Freunde, Mutter, und die, die Sie wie
ſolche lieben, als Hülfe aller Art zur Seite treten. Dies, edle
Adelheid, werden Sie verzeihen, ja erlauben!


Alle Stägemann’ſche Damen, — alles freut ſich, daß
Sie kommen, wie man ſagt —, Frau von Crayen, meine
Schwägerinnen, Ernſt und Albert Schlippenbach, alles will
empfohlen ſein, die letztern noch geſtern Abend. Kein Lob
freute mich ſo, als Graf Ernſt ſeines. Ganz unſchuldig, ganz
wahrhaft, ganz unaccentuirt. Ein ſolcher Springinsfeld, von
dem ich mir’s nicht vermuthete, am meiſten. Varnh. ſchickt
Grüße voll zärtlichſtem Reſpekt, und wahrhafter Bruderliebe,
[345] Anhänglichkeit und Eingenommenheit. Antworten Sie gleich,
theure Fürſtin!

Ihre wohlgefundene treue Fr. v. V.


An Antonie von Horn.



Den beſten Dank, liebſte Frau von Horn, für die Mühe,
die Sie ſo gütig ſind, ſich für mich und Frau von Z. zu ge-
ben! Wenn ſie nur eine Zeile ſchreiben wollte, der es doch ſo
leicht ankommt! ſie iſt mir wahrlich eine Antwort ſchuldig,
auf einen ſehr guten Brief, den ich ihr etwa vor fünf oder
mehreren Wochen ſchickte. Welche Hypochondrie iſt ihr über-
fallen; wie ſo glaubt ſie nur, krank zu werden? Ich fange
an, ſtark zu glauben, daß ſie gewiß nicht kommt. Ich ſehe
ſchon den Brief, der es abſchreibt. Jedoch ſoll zu ihrem Em-
pfang alles bereit ſein, und ſie es ſo bequem haben, als ſie
mir angenehm iſt, wenn ſie ja noch bei mir eintreffen ſollte.
Ich habe ihr auch anheim geſtellt, getroſt irgend wo anders
zu wohnen, wenn es ſie bei mir zu ſein geniren könnte. Ich
bin alſo kein Hinderniß. Sie haben Recht, ungeduldig zu
werden; wenn man angeſagte Freunde gewiß erwartet, und
ihre Ankunft verſchiebt und verſchiebt ſich, ſo vergeht einem,
wie Sie ſagen, der Hunger; und die Schmerzen ſtellen ſich
ein, ſage ich. Mir aber war die Ankunft der Frau von Z.
noch nie ganz gewiß: alſo iſt mein Hunger noch da, und die
Schmerzen noch nicht.


Ich habe ein Überſchüßchen von Geſundheit gehabt, und
[346] brachte es auch heute gleich auf der Kunſtausſtellung an.
Jetzt bin ich erhitzt, und habe Schmerzen: auch iſt das Wet-
ter zu ſehr feuchte Wolke. Und faſt habe ich den Muth nicht,
Sie zu fragen, ob Sie mich morgen Abend mit Ihrem Be-
ſuch erfreuen wollen. Ich werde einige Menſchen zitiren. Auch
ändert ſich die Wolke vielleicht bis dahin!


Mir iſt es doch unbegreiflich, warum Frau von Z. nicht
ein Wort ſchreibt! mir fällt es nur wieder ein; weil ich Sie
eben bitten wollte, daß, wenn Sie etwas hörten, Sie es mich
möchten wiſſen laſſen. Pardon! So wie Einer nicht thut, was
er müßte, ſo müſſen Zwei, Drei, Vier dies für ihn thun; und
nie ſo gut, als er es könnte. Mille, mille pardons!


Ergebenſt Fr. V.


An Leopold Ranke, in Venedig.



Guten Morgen, in Italien! In Venedig iſt es in den
Zimmern unleidlich kalt, weiß ich von einer Freundin; wegen
Ofen- und Kaminloſigkeit. Hier, jetzt, Sonnabend, Dreivier-
tel auf 12, haben wir, nach unleidlichem Nord oft Wind,
Schnee, Trübe, Glätte. Mich zerwühlt dies, wie ſchlappe
Gewitterhitze; unſer täglich Sommer- und Winterbrot. Nichts
war gut als Muskau. De plain pied aus einer Glasthüre
in für mich gebraute Luft: erquickende: liebe Freunde, keine
gêne; meine Kind Elischen mit mir: viel Fahren: genug allein:
hinlänglich Zerſtreuung. Viel für’s Aug; und, da das Ganze
[347] von Fleiß und Gedanken herrührt, Nahrung für die. Alſo
Erholung, von der mein Körper, den ich dort erſt wieder als
ſolchen kennen lernte, noch lebt. — Ich freue mich, daß Sie
ſo vergnügt ſind: genießen Sie ja die Luftſorten recht! Ich
weiß nichts Beſſeres. Lernen Sie recht ſchön Italiäniſch ſpre-
chen! Daß Sie Menſchen und Dinge gehörig ſehn, das weiß
ich. Ich konnte bei all meinem Geiz Ihnen doch vom Mini-
ſter von Reden keine dünneren Briefe ſchaffen: ich ſagte es,
und ſchrieb’s den andern Tag: vergeblich. Schleiermacher
war ſchon gewitzigter, alſo auch weichöhriger. Nicht wahr,
ich bin expeditiv? Ritſch ratſch; in zwei Tagen hatte ich meine
Briefe: eine Migraine dazwiſchen von einem in Roſenöl ge-
tränkten Brief von Frau von Zielinski; die mir definitiv ab-
ſchreiben mußte. Ein Feſt war es für mich, ſie wie in Abra-
hams Schooß Einmal ohne Wirthshaus, Lärm, Koſten, mit
Bequemlichkeit bei mir ruhen zu laſſen. Alles ſtand drei
Wochen eingerichtet: heute wird es demolirt. Ich habe die
reiche Gabe vom Himmel zur Mitgift: daß ich Menſchen
durchſchaue; und da liebe ich vor Vielen, auch Viele. Die
Z. hat an mir ihren Mann gefunden. Ein verſatiler, vege-
tation- und kombinationsreicher Kopf. Wahrhaft in Selbſt-
unterſuchung; noch zu viel Meinung von Andern. Sie iſt
beſſer und eben ſo gut: das müßte ſie wiſſen; und im ſich
Gleichſtellen, würde ſie mit Eins feſter, und feſt ſtehn. Sie
iſt eine intellektuelle Büßerin; ganz ohne Sünde: d. h. nur
mit unſer Aller. — Bettine verführt mich, ſo wie ich ſie
ſehe: ich ſehe ſie jetzt nicht. — Viel Glück! und meinen be-
ſten Segen! —


[348]

An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Wie Recht haben Ihro Durchlaucht, den Zufall „den Ge-
bieter menſchlicher Schickſale“ zu nennen! Wenn wir nämlich
das um uns bewegte All ſo nennen, auf deſſen Strom wir
getrieben, von deſſen Wellen wir verſchlungen, und gereckt,
die nur durch ſeltene, große Geſchicklichkeit, oder einen ſolchen
Karakter, durchſchifft, und bezwungen werden. Mich bezwin-
gen ſie ganz. Jeden Tag mehr: meine Einſicht ſteigt; mein
Karakter ſinkt: die Kräfte, die Detail-Muth beleben, aus de-
nen er beſteht. Und ſo iſt es möglich geworden, ſo viele Tage
Ihren mich überraſchenden, lieben, geehrten, mich beſchämen-
den Brief nicht zu beantworten. Ich hätte Ihnen ſchon
längſt ſchreiben ſollen, verehrte Frau Fürſtin! wenn Recht vor
Unrecht ginge: das heißt, wenn wir unſerm Innern folgten,
anſtatt auf jenem Meere uns treiben zu laſſen. Ich mag
Ihnen nicht Welle vor Welle nennen; es waren auch nicht
immer ſonnenbeſchienene reizende, die mich aus meinem Meere
führten! Meine drei Domeſtiken waren einer nach dem an-
dern krank; faſt zugleich; Gäſte, und Fremde häuften ſich zu
der Zeit: mein Kind, Elischen, hatte den Keichhuſten, und war
öfters in Penſion bei mir. Muſiken — obligées — bei mir;
drei Stück, wo Fürſt Radziwill Dilettantinnen hören mochte,
und auch ſie mit Kompoſitionen und Geſang belohnen wollte.
Zwei neue Stücke von meinem Bruder Ludwig, der viel dar-
auf giebt, wenn ſie mir gefallen, oder nicht: viele Damen,
[349] die ſcheel von mir denken, weil ich ſie nicht mit Beſuchen ab-
warten kann, andere, denen ich das doch leiſtete. Und ich
todtkrank an Nerven; an du rhumatisme délayé sur les nerfs.
Ein leidender Barometer! Sonnabend eine Migraine, nach
der ich bis heute nicht ſchreiben konnte. Dies die nur zu
nennenden Hinderniſſe! Mit dieſen allen hinter mir, wage
ich um Vergebung zu bitten! Aber auch zugleich darum, daß
mir Ihro Durchlaucht nun nicht — aus dem beſcheidenen Ge-
müthe, wie ich es geſehen habe — ſagen: ich ſoll künftig nicht
ſchreiben, mich nicht geniren. Ich bitte im Gegentheil, ſchrei-
ben zu dürfen: auch Einmal zur Unzeit; wenn ich etwas für
Sie weiß, was ich geleſen, geſehn, gedacht habe; und dieſer
Bitte ſchließt ſich die an, daß Sie mir das grobe Papier,
worauf ich zu ſchreiben gezwungen bin, einer Nervenverſtim-
mung wegen zu Gnaden halten mögen; die kein feineres mir
erlaubt.


Gewiß kann ein ſolches Zuſammentreffen, wie dies in
Muskau dieſen Sommer; ein ſolcher Blick in ſolches Gemüth,
wie Sie mich eines erſchauen ließen, nicht ohne fruchtreiche Fol-
gen bleiben, und hätten Sie mich nie, mit keinem Worte be-
ehrt. Aber Ihro Durchlaucht haben Recht; ſolch ſchöner Fund
muß auch willentlich zum Fortleben unterhalten werden; und
in Folge dieſes belebenden Willens erlauben Sie mir auch
wohl, hier meinen wohlgefühlten Dank für Ihre wohlthätige
Aufnahme in Muskau keck auszuſprechen. Nicht ein Wort,
nicht ein Blick, keine Nüance iſt zerſtäubt davon; alle liegen,
als Samen in meinem Herzen aufgefangen! Das ſag’ ich in
höchſter Wahrheit, alſo mit etwas Dreiſtigkeit. Sie haben
[350] Ihr ſchönes edles Vertrauen einem Virtuoſen in Herz- und
Menſchenerkenntniß geſchenkt: und das fühlten Sie auch ge-
wiß; darum waren nur feine unmerkliche Äußerungen nöthig;
ohne welche das namhafte Vertrauen, des edlen Freundes
Briefe zu leſen, wohl nicht hätte erfolgen können. Hier möchte
ich ausrufen: Genießen Sie Ihr eignes Herz! Das einzige
wahre Geſchenk des Himmels; und auch das Einzige, was
wir eigentlich hier finden können; zu ſuchen haben: denn wahr-
lich, auch geſucht muß dies werden. Aller Weltbeifall iſt ei-
tel; wenn er auch manchmal nöthig ſein kann. Nehmen Sie
meinen Glückwunſch gnädig auf! und verzeihen Sie mir
meinen Muthzuſpruch!


Varnhagen legt ſich Ihro Durchlaucht zu Füßen, und
fragt ergebenſt an, ob Sie die folgenden Theile der Contem-
poraine
befehlen? und ſchickt vorläufig die mémoires des duc
de Rovigo.
Ich werde mich eilen, Fürſten und Völker von
Südeuropa im ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhundert von
Ranke auszuleſen — wunderſchön — um es Ihnen zu ſchik-
ken. V. iſt Ihr größter Verehrer, liebe Frau Fürſtin; er wird
ſo frei ſein Ihnen zu ſchreiben, und ihm kann es beſſer ge-
lingen, Ihnen zu ſagen, welche Freunde Sie an uns haben,
und wie die von Ihnen denken. Er hat einen himmliſchen
Brief vom Fürſten Pückler aus Dublin.


Seit acht Tagen haben wir das Glück, die Fürſtin Ca-
rolath hier zu beſitzen; nach Umſtänden wohl, ſehr ruhig, und
beruhigt; von allen Freunden erwünſcht, geliebt, geehrt; und
durchaus nach meinem beſten Wunſch. Nur die edle Mutter
fehlt: wir hofften Alle, Sie gewiß hier zu ſehn: ich hatte ſo
[351] ein bequemes Quartier ermittelt: gleichererde. Alles, al-
les! Dürfen wir nicht mehr hoffen? Geſtern ſprach ich Frau
von Hünerbein auf einer großen Muſikfête bei Mad. Beer,
wo die Frau Fürſtin und die halbe Welt war; aber auch die
konnte mir keinen erwünſchten Beſcheid geben. Laſſen Sie
mich ihr einen ſolchen bringen!


Faſt möchte ich mich ſehr dieſes langen Schreibens wegen
entſchuldigen. Aber ich konnte nicht finden, was darin weg-
zulaſſen ſei. —


An Gentz, in Wien.



Seit zu langer Zeit, Sonne auf unſerer Erde: ſeit der,
und noch länger her, ich zum erſtenmale nicht erdrückt, und
fähig eine Feder kritzen zu laſſen. Auch war geſtern der kür-
zeſte Tag; und dann geht Leben und Jahr aufwärts; — bis
man in die Todesgrube fällt. — Und zum ſeltenſten Fall ge-
hörig, ich allein: d. h: ſicher, es eine Stunde zu bleiben:
Varnh. iſt in einer litterariſchen Geſellſchaft. (Dies alles iſt
noch als Datum dieſes Briefes: aber fürchten Sie nichts; ich
weiß noch nicht einmal, ob ich ihn abſchicke.)


Als Varnhagen dieſen Mittag nach Hauſe kommt, reicht
er mir einen Brief mit den Worten: von Gentz! Still nehm’
ich ihn, und leſe; er will etwas; dacht’ ich gleich: es kommt
etwas nach; dacht’ ich noch, als ich ſchon in der Mitte war.
Nichts! dacht’ ich; als der Brief ſich ſeinem Ende nahte.
[352] Aber was dachte ich bei ſeinem wirklichen Ende, als Sie die
„Frau Gemahlin“ grüßten; und hinzufügen: ſie werde Sie,
ohnerachtet Sie ſich mit ihr nicht mehr in Briefen verſtändi-
gen — ſo war ja wohl das Wort — können, nicht aufgege-
ben haben. Ich verſtummte tief in mich hinein. Mein gan-
zes inneres Leben wehte, wie mit abertauſend großen Flügeln,
grau an mir vorüber: alles was ich je gedacht haben mochte:
jedes Reſultat, was ich gefunden, flog namenlos an mir vor-
bei. Alles wollte ich antworten; nichts kann ich antworten.
Der ganze Triumphbrief, an dem ich gewiß Theil nehme, den
Sie Varnh. geſchrieben, iſt mir zu nichts geworden: ich ſehe
nur mich. Und habe, wie bei jedem ſchlagenden événement,
gelernt. In mir, heißt das: eine neue Möglichkeit entdeckt.
Ich wundre mich nämlich, daß noch irgend ein Menſch —
außer mich zu ſtören, durch Ennui, Ärger, Ungeduld, in die
er mich verſetzen kann — noch auf mich im Böſen wirken
kann. Menſchen können mir gefallen, als Eindruck im Gan-
zen; durch einzelne Eigenſchaften und Züge; ich kann ſie be-
mitleiden, ſie können mich empören. Aber mein Herz in gra-
der Beziehung nicht mehr unglücklich machen; noch es für
mich beſchäftigen. Liebt mich: liebt mich nicht. Findet das,
weßwegen ich mich lieben könnte; oder findet es nicht. So
auch ſtanden Sie mir. Sie hatten mir ja ſelbſt geſchrieben,
was ich heute in Varnhagens Brief las. Woher frappirte es
mich ſo? frage ich. Sie frage ich nicht: mich frage ich. Weil
ich in meiner tiefſten Seele dachte: er hat dich doch verſtan-
den; wenn er nur je deinen Brief noch Einmal lieſt; er muß
jeden einzelnen Ausruf, jeden Satz, jeden Ausdruck verſtehn;
und
[353] und ſo ihren Zuſammenhang, ihren Sinn, ihre Melodie, die
ſie im Ganzen bilden, verſtehn, empfinden. Verſtand doch ich
Ihren
Aufkündigungsbrief; der ſich auf Nichtverſtehn berief.
Weiß ich doch; Sie wollen, Sie verlangen, auf die höchſten
Fragen, die der Menſchengeiſt anſtellen kann, welche die be-
drückte Seele machen muß, eine blanke baare Antwort; ſtem-
pelbedrückt, gültig, und deutlich in jedem Reich: und wollen
nichts annehmen, was dieſe blanke baare Auszahlung nicht
iſt; weil Sie Gold, Edelſtein, Schein, Licht, Schimmer, Glanz,
und alles was ſie nicht iſt, in reichſter, längſt verworfener
Fülle ſelbſt haben. Und ich, wiederhole nochmals; hier beim
großen Defizit, in welchem wir uns finden, und haben: Unſre
Exiſtenz iſt noch keine abſolute; aber der Schimmer, das
Flimmerchen, das wir davon haben, daß wir ſind, iſt mir
Bürge für undenkbar Hohes, Großes. Wie meine Frage,
Bürge für Antwort; wie meine Qual, Bürge für die Exiſtenz
der Wonne. Und ſind Menſchen bis zu allen Fragen, bis zu
dieſen Antworten gekommen: ſo ſind ſie Freunde in der
Noth. Noth gebe ich Ihnen zu: vielleicht müſſen Sie mei-
ner
Anſicht noch welche zu geben: und ich bin trauriger, als
Ihr Dichter. Ernſter. Pauvre humanité! iſt das Beſte, was
Madame de Staël ſagte. Ich liebe die Kreaturen: d. h. die
leidenfähigen Weſen. Das wünſche ich Ihnen auch. Ich habe
auch in meinem letzten Brief nicht geprahlt; und nicht
anderes, als hier, geſagt; geſagt, daß ich in der Seele eine
Art von phyſiſchem Wohlgefühl hätte; und zu ſchwach bin,
mir immer die ſchrecklichen Möglichkeiten zu denken. Ich
ſchwimme auf weich- und hartem Element des Tages; das
III. 23
[354] Gefühl des Daſeins trägt mich meiſt: und linde, wie ein An-
drer, wie jeder Andre! Gern ſähe ich ſie. Aber auch das iſt
ein Bild, welches hinter mir im Tageslicht meiner Jugend
ſteht. Nach hinten erreicht man nichts. Selten ſieht man ſich
nur um; und es gehört Fähigkeit dazu, es zu können, die ei-
nem vergeht. Eins weiß ich: vorwärts brauche ich die Augen
nicht aufzuſchlagen: es begegnet mir kein Zweiter; und flöge
ich als Hebe durch die Welt. Sie tragen eine in ſich: die
keine Maske des Alters verſtecken kann: die ungetrübte blu-
menreine Wahrhaftigkeit; die ewig Naivetät gebiert; zum
Lächlen, und zum Lieben. So auch iſt eigentlich Ihr letzter
Brief an mich; ſo ſehe ich ihn eigentlich, ſo ſieht ihn mein
Geiſteslicht, wenn der Dunſt fällt, wonach das Herz immer
ſchmachtet. Sie würden erſtaunen, wenn Sie zwei Tage mit
mir lebten: bloß, wie weit, und reif ich in allen Kleinigkeiten
bin; und ſich ſehr behaglich fühlen. Wenn es nicht ganz thö-
richt wäre, ſchriebe ich Ihnen ſchon jetzt, was ich den Som-
mer zu thun gedenke. Sie reiſen aber keinen Schritt meint-
wegen. — Sein Sie geſund! Das iſt das Nöthigſte hier. Ich
fühle es; weil ich es ſelten bin. Wetter, Nerven. Das In-
ſtrument litt zu viel. Heute geht’s mir wieder menſchlich.
Ihr Brief an Varnh. war ein ſchöner élan. Deſſen freute ich
mich für Sie mit. Alſo Sie ſpeiſen noch manchmal bei Frau
von Eskeles? und der arme Adam Müller wohnt da, drei
Treppen hoch! nach dem Götterquartier in Leipzig. Könnten
Sie ihn wohl grüßen? Ich will ihm ſchon längſt ſchreiben;
und werde es auch thun. Friedrich Schlegel gefällt der Ge-
ſellſchaft in Dresden; erzählten mir Geſandtſchaftsdamen hier,
[355] die die lebendigſten Verbindungen dort haben; erſt wollten ihn
les dames bégueules, noch wegen Lucinde ſtrafend, meiden;
aber — ja ja, ja ja! ſie ſind beehrt! Er ſoll beſonders vor-
trefflich ſprechen; finden alle Saloniſten.

Adieu, adieu!
Friedrike Varnhagen.


Anmerk. Gentz hatte nach vielem andern Überſchwänglichen noch
dieſes zum Schluß geſchrieben:


„Und gleichwohl kann ich mich des geheimen Wunſches nicht erweh-
ren, daß Ihnen möglichſt viel Zeit zu freien Ausarbeitungen bleibe, weil
ich in Deutſchland Wenige, ſehr Wenige kenne, die gediegnere Werke zu
liefern vermöchten, und weil mir ſelbſt Ihre kleinſten Aufſatze lieber ſind,
als die meiſten Depeſchen, die ich zu leſen verdammt ſind.


Haben Sie die Güte, mich Ihrer liebenswürdigen Gemahlin zu em-
pfehlen. Ich weiß gewiß, daß ſie mich nie aufgegeben hat, wenn
wir uns gleich durch Briefe nicht mehr mit einander verſtändigen können.
Sagen Sie ihr, daß ich mich ziemlich wohl befinde, daß mir aber häufig
(welches ſie ohne Zweifel ſehr mißbilligen wird) gewiſſe Verſe des alten
Haller vor der Seele ſchweben, die ich, um dieſen Brief nicht ſo melan-
choliſch zu ſchließen, auf ein abgeſondertes Blatt ſchreiben will. —



„Jetzt fühlet ſchon mein Leib die Näherung des Nichts;

Des Lebens lange Laſt erdrückt die müden Glieder;

Die Freude flieht von mir mit flatterndem Gefieder

Der ſorgenfreien Jugend zu.

Mein Ekel, der ſich mehrt, verſtellt den Reiz des Lichs,

Und ſtreuet auf die Welt den hoffnungsloſen Schattent;

Ich fühle meinen Geiſt in jeder Zeil’ ermatten,

Und keinen Trieb, als nach der Ruhr

Hallers Gedicht über die Ewigkeit.“


23 *
[356]

Der Kunſt Beſtreben iſt, alle Bedingungen, unter welchen
die Forderungen der menſchlich-geiſtigen Natur befriedigt
werden, zu erfüllen; vornämlich durch Vorſtellungen eines
beſſern Zuſtandes, als der iſt, in welchem wir uns befinden
können, — wenn auch nur durch ſolche Bilder gezeigt, die
uns an dem Zuſtand, den wir ewig erſtreben müſſen, verhin-
dern. Dies geſchehe nun durch Bilder — jeder Art — oder
durch die Rede — jeder Art, — durch Vorſtellungen, die ſich
auf leibliches Daſein, oder auf das von unſern Gedanken
hervorgebrachte beziehen. Kunſt iſt nichts als das Kinderſpiel
der Erwachſenen. Sie ſind bemüht, ſich ein Daſein vorzu-
ſpielen, welches ſie nicht erreichen können, über welches ſie
keine Herrſchaft haben. Dieſer große Trieb, dies unabweis-
bare Beſtreben, dieſes Suchen nach einem Surrogat, dies Neu-
bilden — iſt auch ſchon in Kindern höchſt ehrwürdig, gar
nicht ſcherzhaft, ſondern tiefer Ernſt.


An Varnhagen, in Kaſſel.



Dicker Schnee, Nordwind. Haſt du ihn rechts, faſt
im Rücken.


Geſtern Abend um 8 mit den beiden Kindern auf’m So-
pha, kam dein lieber unerwarteter Brief. Wie ein Frühlings-
regen mit großen Tropfen erweichte und beruhigte und er-
quickte er mich. Nun bin ich über dich ganz ruhig; ja ver-
gnügt. Höre von mir. Die vorige Nacht war nicht ſo ſchön,
[357] doch mit zweiſtündigem Schlaf als mehrmalige Unterbrechung.
— Nachmittag legte ich mich dann in meinem Zimmer ein
wenig, und entſchlief einen Moment. Dann kam Bettine:
ich nahm ſie gerne an; und hatte Recht. Liebender, vernünf-
tiger habe ich ſie nie geſehen. Aufwartend, leiſe, voller Ein-
ſicht. Jeden Augenblick wollte ſie gehen: ich wollte nicht.
Sie freute ſich z. B. ſo innig, natürlich, deiner ehrenvollen
Sendung; und fügte hinzu: es freut mich nur, daß man mal
wieder ſieht, daß ſie an einen vernünftigen Menſchen denken;
u. dgl. Nach drei Viertelſtunden kamen die Kinder. Da war
ſie erſt göttlich. Sie hielt mich wahrhaft für eine Glückliche,
und verehrte mich ordentlich, daß dies mein Glück war; be-
trug ſich wie eine mythologiſche Bonne mit ihnen. Kurz,
wir waren darin ganz eins. So müſſen Menſchen ſein:
ſo iſt Freundſchaft; Menſchenliebe; Einſicht; geöffneter Sinn.
Sie ſagte auch ſehr ſchöne Dinge: beſonders aber einverſtan-
den über Kinderbehandlung. Unſer Kind war mux-ſtill: aber
bibliſch-raphaeliſch ſchön: und Frau von Arnim rief es immer
aus; du warſt nicht da, es ging alles ſtill zu, die fremde
Dame; ihre verſtimmte Nervchen! Karpfen hatte ſie eben ge-
geſſen, welches ich auch an ihren Händchen roch! — bin ich
nur erſt wieder auf! — Endlich aber kam die Zinnſchachtel;
woraus ſie Frau von Arnim alles wies, und die im Ernſt
wie ein Kind, die Sachen komplet ergötzlich fand, und wie
ein anderes Kind ernſt mitſpielte; ich gab ihnen Schwarzbee-
ren-Kompotte mit warmem Waſſer und viel Zucker, anſtatt
Kaffee. Als ich aber nach 7 Thee trank, wollte ſie Kaf-
ſee: mitnichten, und leicht ausgeredet. Mit dem letzten Tages-
[358] ſchimmer ging Frau von Arnim, es war nicht ſo früh. Sie
ging nur, weil ſie keinen Bedienten hatte. Mir ließ man
die Kinder bis gegen halb 9. Ich habe ſie hin und her fah-
ren laſſen. Ich machte ihnen Torte aus Apfel, Mandelherz
und Zucker: als noch drei Löffel voll in der Taſſe lagen, ſagte
ſie: was ſoll ich daran eſſen! Es wurde erzählt. Gelegen,
gewälzt, gefragt: nach dir, nach Kaſſel u. ſ. w. Mit einem-
male kommt dein Brief! Ich denke es iſt ein anderer. Das
Glück! Nun Schreibzeug. Sie ſchrieb dein ganzes Kouvert
voll, ſiegelte es ein, ſchrieb eine Adreſſe neben deiner an
mich. Und doch ſtand in dem großen Brief nichts, als du
ſollſt kommen. Der Engelskerl. Eine Geſchichte amüſirte
ſie ſehr; wo ein Hund den Namen Menſch bekam, weil er ſo
klug und gut war, dem Herrn, einem Bauer, die Leiter an
den Baum zu ſchleppen, die ſein unvorſichtiges Töchterchen
umgeworfen, und dieſe nun acht Tage Hund heißen mußte.
Mit tauſend Grüßen, Verſprechungen, Händeküſſen gingen die
Lumperle’s. Ich war ſchon ſehr leidend: dann kam Ludwig.
— Freitag Morgen ſchickte Williſen. Es wäre ſchlecht von
mir krank zu ſein, ich ſoll befehlen, wann er kommen ſoll,
oder was er irgend ſonſt thun ſoll, da du nun weg biſt. Er
ſchickt täglich. Alle Leute, alle Damen, ſchreiben, alle, alle,
bieten alles an, Dienſte, Geſellſchaft, Hülfe. Bettine hat mir
heute ein Rebhuhn geſchickt. Ludwig kann mir gar nicht zu
erzählen aufhören, welchen Antheil Bartholdy an deiner Reiſe
nimmt. „Das wäre ein Freund!“ wenn Louis ſpricht! und
von ſelbſt! — Pflege dich, dann pflegſt du mich. Ich thue
beim Himmel auch alles deinetwegen. Ich muß und werde
[359] mich ſehr ſchonen, und die Harmonie wird ſich wieder her-
ſtellen. Ich fühle es ſchon. Gott ſegne dein redliches Unter-
nehmen! Iſt es nicht komiſch, daß ich in ganz Kaſſel keinen
Menſchen perſönlich, als den Kurfürſten kenne? — Ach ja!
auch Gräfin Heſſenſtein. —


An Varnhagen, in Kaſſel.



Dicker Schnee. Nordwind; oft 9 Uhr Abends 11 Grad,
und um 11 Uhr 9!


Ich will mir den Moment vor dem Bade mit Schreiben
zu Nutze machen. Nachher will ich mich nicht erhitzen. Gebe
der Himmel, daß du ſo zwei glückliche Tage verlebteſt, wie
ich! Vorgeſtern kam wieder Bettine von 5 bis 8 zu mir.
Vortrefflichſt! wie es ſich nicht beſchreiben läßt. Voller
Antheil. Freute ſich unſchuldig innig deiner Reiſe. Las dei-
nen lieben unſchuldigen Kinderbrief. Sagte mir: „Sie ſind
glücklich. Ich danke Ihnen. Ich habe keinen Brief geleſen,
der mir ſo Freud gemacht hätte. Aber ſo Liebe und Zärtlich-
keit iſt auch nur Anerkennung, das kommt nit von ſelbſt.“
Dann ſprach ſie übrigens die herrlichſten Dinge. Und dann
meinte ſie wieder; deine Biographieen ꝛc. — die Geſellſchaft,
die ſo ſtrohern, ſo nichts würde, ſo verginge (die große). —


— Geſtern Vormittag im himmliſchten Februarwetter um
11 Uhr mein Kind. Funklend von Geſundheit, und funklend
von Grazie, Freude, Singen, guter Laune. Alles aus Ge-
ſundheit. Wir waren in Dorens Stube; helle Sonne. Alle
[360] Blumentöpfe, an dreißig, begoß ſie, bis hoch am Hängeboden;
nicht ohne Bärenſchauer: ich lachte, Dore mußte in blitzender
Sonne mit hinauf. Dann in die blaue Stube, dann mit dem
Schlafrock in die Küche. Nur etwas. Dann mit Bauſteinen,
mußte ich ihr bauen, wo und wie Löwen und Bären zu ſehen
ſind: ich that’s. Die kleinen Carolaths, ſtellte es vor, ſahen
aus Logen zu. Dann aßen wir Reisſuppe mit Taube, u. ſ. w.
Bei Tiſche kam Fürſtin Carolath, und aß mit. Nach drei ließ ich
das Kind äußerſt glücklich nach Hauſe tragen. —


— Vorgeſtern war Kour. Fräulein von S. ward vor-
geſtellt. Aber nicht dem Könige, der war klüger: er war Gott-
lob! nicht da. Er will ſich nicht erkälten, oben erhitzt er ſich
mit Sprechen, und dann muß er durch den Zug. Vorgeſtern
ſorgte ich, als ſelbſt krank, doppelt für ihn: geſtern freut’ ich
mich unendlich, daß er weggeblieben war. Sein theures Leben
iſt beſſer als alle Kour.


Nachträglich vom Kinde. Wir haben ſechs blühende
Hyazinthen-Töpfe: einen ganz kleinen: den wollte ſie ganz
für ſich haben: bekam ihn gleich. Und nun ſtrahlte ſie
vor unvermuthetem Glück. Dann: „Was iſt alles in Kaſ-
ſel?“ — „was noch?“ — „Wie macht man Gold, Silber,
alles?“ — Wie von deinem Zimmer die Rede war: „Ach
da muß ich hin! Wie ſieht’s da aus!“ Mit einem Ac-
cent
! —


[361]

An Roſa Maria Aſſing, in Hamburg.



Thauwetter nach größlicher Kälte auf unſchmelzbarem Schnee.


Ich habe Ihnen etwas ſehr Angenehmes zu melden, ſehr
werthgeſchätzte Roſa! Varnhagen iſt ſehr ehrenvoll und un-
verhofft, und unter den günſtigſten Äußerungen, in Königli-
chen Aufträgen verſendet. Den letzten Donnerstag ſind es
vierzehn Tage, daß er beim König ſpeiſte, und zwei Stunden
drauf nach Kaſſel abreiſte. Alles was ein Menſch nur zur
Wärme und Bequemlichkeit mit haben kann, beſorgte ich ihm
aus meinem Krankenbette. Er wußte nicht, wie krank ich
war, — wie nie, — und ich verbarg ihm, was zu wiſſen un-
nütz war. Acht Tage nach ſeiner Abreiſe, als ich vierzehn ge-
litten hatte, fing ich zu geneſen an; und ſo geht’s gut und
langſam fort. Ich habe ihm ſchon zehn Briefe geſchrieben,
und eben ſo viele erhalten; es geht ihm vortrefflichſt. Geſtern
ſchrieb ich von Ihrem Packet und Brief, von den prächtigen
Kindern; und daß ich Ihnen antworten würde. Er kann es
nicht; denn ich darf ihm auf dieſer Reiſe nichts ſchicken;
beſonders dürfte nicht „Roſa Maria“ unterzeichnet werden;
da ich mich Einmal der Liſt, als ich von ihm, zu ihm in ei-
nem Briefe reden wollte, bediente, zu ſagen, „Roſa Maria’s
Bruder.“ Wie findet eine geborne Varnhagen dieſe ungeborne
Phraſe! Zeigen Sie ſie wohl dem Gemahl, den ich darin gar
nicht ſcheue: aber keiner Ottilie und Ludmilla. Auguſt kann
ſechs, acht, zehn Wochen wegbleiben. Niemand kann dies be-
ſtimmen, außer die Geſchäfte ſelbſt. Wollen Sie etwas wiſſen,
[362] ſo fragen Sie mich. Schreiben wird mir ſauer: darum dieſes
ſkizzenhafte Monſtrum von Brief. Doktor Aſſing könnte ich
Unterricht geben, über meine Krankheit. Altesciatique, die
nach den Rippen gegangen iſt. Katarrhaliſches Hals-, Schnu-
pfen- und Bruſtübel. Milzkrampf von einem großen
Schreck
, den ich vierzehn Tage vor dem Ausbruch der Krank-
heit hatte; welcher Schreck mir das Herz ſo klein wie eine
Bohne zuſammenzog; es wollte gar nicht wieder auseinander,
und war wie in die Rippen verkrochen; nie ſo ſtark; aber
Ähnliches kenne ich an mir. In der Krankheit kam der
Krampf von ſelbſt wieder. Alſo aus drei Gründen luftlos.
— Ich litt das Unendliche. Fünf Nächte waren hart. So
viele ich auch ſolcher habe kennen lernen. Meine Seele war
aber gut beſtellt: und alles war gut. Ich kenne auch das
Gegentheil von andern Krankheiten her. Nun wißt ihr alles
von mir. Ich habe jetzt viele, und gute Geſellſchaft. Auguſts
Freude: auch melde ich’s ihm täglich. Sie, geehrte Roſa,
möchte ich haben: Sie, die ich in Ottilien und Ludmilla ehre,
und liebe. Solche Frucht wächſt auf ſolchem Baum. Ich
kenne die glücklichen Kinder ganz durch Ihre, und ihre Briefe.
Gott ſegne euch ferner. Was doch der Aſſing und der Au-
guſt für vortreffliche Frauen haben! Ich bin nur zu alt. Aber
um Gottes willen, daß das Auguſt nicht hört. Unſre Ehe iſt
ſonſt verdorben. Auch bin ich’s in moraliſchem Sinne nicht,
gegen ihn grade, ſondern ehr noch jünger. Aber die Erden-
ſchwere beſiegt kein Sterblicher. „Der Reſt iſt ſchweigen!“
ſagt Hamlet; und ich: „Genießen, empfinden, durchſchätzen,
was wir — wie jeder, wenn er’s weiß, — Beſonderes beſitzen.“
[363] Und bei uns beiden, theure Roſa, iſt das viel, und auch vie-
les. Heute ſchickte ich Elischen ihre Briefe und Buchſtaben:
mit dem Beſcheid, ich müßte ſie dem Onkel ſchicken: ſonſt muß
ich’s ewig zeigen: er kann das beſſer. Wie recht in allem,
was Sie über Kinder ſagen! Adieu, ich kann nicht mehr! Sie
ſehen’s. Küſſen Sie meine lieben Kinder und ſprechen Sie von
mir.

Ihre, und Aſſings, treue Fr. Varnhagen.


An Varnhagen in Kaſſel.



Straßen ſchwemmen, Nachtregen, Thauwetter trüblich.


Glück auf! mein geliebter Auguſt! Alle heilbringende
Mächte und Kräfte bringen dir, guten Tag, gute Tage, Jahre,
bis jene Zukunft hinauf, die ohne Zeit iſt! — Der Bediente
iſt mit Droſchke hin, das Kind, und Marie und Emil abho-
len; Paulinchen iſt unpaß (unbedeutend); — mit denen werde
ich den Geburtstag feiern. Reisſuppe von Huhn. Höchſtdaſ-
ſelbe mit Murchlen; Milchnudeln mit Zucker und Zimmt für
ſie — Karbonaden mit Kompott; Baiſees, mit Champagner —
jeder einen Tropfen. — Hochhhch! werden ſie ſchreien. Gott
ſegne uns. Geſundheit meine ich. Freilich ſagt der Tageskü-
chenzettel mehr, als Akademiker von ihm meinen. Ohhh! Es
kommt eine Zeit! wo meine Thorheiten Kours haben wer-
den; man muß ſie als Staatspapiere aufheben: und da wird
man ſehr gewinnen! Ich weiß nur ihren Vertrieb nicht zu för-
dern: bei dem Mangel iſt kein Kredit; wie immer. Ich
weiß gar nicht, warum ich mich jetzt lobe: da du es ſo über-
[364] ſchwänglich thuſt. Sonſt ſag’ ich immer: Es thut’s kein An-
derer. Theurer Freund! Du beſchämſt mich; und bürdeſt mir
zu viel auf! Ich werde nun wahrlich die ſein wollen, die du
ſchilderſt und liebſt: und ich weiß ſchon gar nicht, wie mich
drehen, was zu erſt, ſo recht Schönes machen, leiſten, ſein?
Aber ſei ruhig! Natürlich werd’ ich nur zu geſchwind wieder.
Geſtern Abend kam unſer Freund noch: liebenswürdig, geſprä-
chig. Er hat eine neue Wendung genommen: er ſpricht vor
Allen, und zu Allen grade das, was ihn beſchäftigt. Nun
lieſt er jetzt die engliſchen Blätter — und ich weiß nicht, mit
wem er ſich auch darüber unterhalten muß, muß ſage ich —
und iſt durchaus von der Schwierigkeit der Emanzipation der
Katholiken erfüllt. Sieht aber jetzt, alle Probleme des Le-
bens
, und des Staatsmanns, nur als ſolche: alſo, als un-
zulöſende, mit einer Art Vergnügen zweiflend an; angebend,
man könne ja doch nie wiſſen, welche Folgen eine Beſchlie-
ßung haben würde; und dieſe Unberechenborkeit verſtutzt, und
vergnügt ihn, als ein neuer Gedanke! — Das dauert ſchon
eine Zeit her: bis jetzt replizirte ich leiſe und abgebrochen: ge-
ſtern aber nahm ich ſein Geſagtes vor. Er mußte Stich hal-
ten. Und die einfache redliche Behauptung ſiegte; daß eben,
weil plumpe unzuregierende Folgen unberechenbar ſchienen, ſo
müſſen die ganz außer dem Spiel bleiben, wo von Recht die
Rede iſt: und eine Geſammtheit ſowohl, als ein einzelner
Menſch, müſſe Schaden leiden lernen. Wirft nicht die halbe
Welt ſchon den Engländern das Gegentheil vor? Verloren
ſagte er ſpäter, wieder problemſpielend, wie es nicht ausge-
macht wäre, daß wir fortſchritten: die Maſſe des Unglücks
[365] bleibe ſich gleich u. ſ. w. Solches, Bekanntes, Durchge-
ſprochenes! Da ſchrie ich: Wir wären nicht beſſer dran, als
unter Kardinal Richelieu? Stehlen auf dem Pontneuf als gen-
tillesse;
Duelle an den Ecken zu fünfzehn, ſechszehn Paaren;
Vergiftung bei Bällen; Morde aller Art; Auflehnung gegen
König und Obrigkeit als Adelsbenehmen; Bartholomäusnacht
vorher, Dragonaden nachher; Unrecht, Gewalt in Blüthe;
Judenaustilgung, wenn ihr Vermögen Appetit machte; kör-
perliche Schmachbehandlung für ganze Klaſſen; jeter par la
fenêtre,
nicht allein als Drohung, ſondern als That. — Jetzt,
geliebtes, geehrtes Jetzt; Europa im Aufruhr, wenn in ir-
gend einem Winkel Unrecht oder gar Mord vorkommt; Alle
müſſen beſſer werden, beſſer leben: Monarchen, die die größte
Gewalt haben, tugendhaft! Nein, par exemple,ſo dumm
bin ich nicht, daß ich das nicht täglich ſähe, und einſähe, und
einläſe. Die Wege, die Erfindungen, die Sanitätsanſtalten,
Pflaſter, Beleuchtung, Kanäle ꝛc. ꝛc. Das Hauptwort un-
geſprochen! „Unſer Freund gab auch hierauf nicht eine Ant-
wort. Du kennſt ſeine Milde, Wahrhaftigkeit, Uneigennützig-
keit. Er liebt, will, thut nur Gutes. Hat aber eine Fähig-
keit, frappirt zu ſein, die ihn hindert; denn ſie fördert ihn
nicht; weil er’s zu lange bleibt, anſtatt von ſolchem Anſchlag
nur zu friſcher Unterſuchung getrieben zu werden. Und da
will ich nun künftig ihn auch frappiren; aber weiter fort
Sich wie geſchwätzig! Du verführſt mich durch Lob dazu; und
durch dein Geſpräch in den Briefen. Warum ſollten wir
dies Poſtgeld nicht anſtatt Komödiengeld ausgeben? Das iſt
es auch nicht allein. —


[366]

An Antonie von Horn.



Ich bitte Sie, liebe Frau von Horn, meinen verbindlich-
ſten Dank für Ihre graziöſe Gefälligkeit noch heute annehmen
zu wollen! Geſtern traf mich Ihr Bote erſchöpft, erhitzt; zwei
Kinder und einen Bruder auf dem Hals, die amüſirt, der un-
terhalten ſein wollte, ohne Rückſicht, daß mir ein Leinewand-
händler vier verſchiedene Leinewande zu einer Art von Haus-
ausſteuer abmaß, die man endlich ſelbſt beſorgen muß, wenn
man nie eine erhalten hat. Eine der Anomalien meines
darin genialen Lebens! So wälzen ſich frühe Verſäumniſſe
bis in unſer ſpätes Leben hinein; und zerreißen ſtrafend die
Tage, welche wir zu genießen, und meiſt nachzuholen, dann
erſt fähig, und am bedürftigſten werden. Eine von den ſtren-
gen Folgen; Vergeltung, Strafe genannt: und auch hier,
büßen die Kinder die Fehler der Eltern. Hätte ich nicht ſonſt
geſtern gleich gebührend geantwortet, anſtatt Linnen, nöthiges
Linnenzeug, beſorgen zu müſſen! Heute iſt wieder heiliger Mitt-
woch: morgen Prinzenball; aber auch das bloße Wetter würde
mir den Muth Sie einzuladen rauben; vielleicht erhellt es ſich
in ein paar Tagen; und Sie können mich erfreuen.


Ergebenſt Fr. V.


[367]

An Varnhagen, in Bonn.



Windloſes, duſchiges Wetter; an den Thürmen Nebel.
Kein Wetter möchte ich das nennen.


Unendlich habe ich mich gefreut, mein theurer Auguſt, als
ich geſtern Morgen deinen Brief aus Düſſeldorf, den munteren
erhielt. Singe du nur! dann tanze ich. Der Frühling muß
ja auch kommen; und trifft dich in den ſchönen Gefilden. Ich
kenne Schwelm, Elberfeld, die Spiegelſcheiben, alles. Und
wie muß das in achtundzwanzig induſtriellen Jahren zuge-
nommen haben. Spanien ſogar (wie unter einem tollen Gärt-
ner Gottes Vegetation) proſperirt ja mit uns Übrigen, und
ſeine Kaufleute ſtiften allerlei Vereine, Anſtalten; Barcelona
will proſperiren u. ſ. w. — Wie haben wir unſerm König
zu danken! du haſt Recht: aber ich verſäume dies bei keiner
Gelegenheit! naßäugig. Du weißt es: ich küſſe ja Frie-
drich dem Großen, unſerm großen Kurfürſten, noch mit auf-
ſchlagendem Herzen den Saum des Mantels. Schönes, herr-
liches Gefühl: Verdanken! Reſpekt! — Ich ſage nicht: wo bin
ich hingerathen; ſondern fahre fort. —



— Was man jetzt von unſrem König für himmliſche
Geſchichten hat! Und keine kommt — für die Fremden;
wir Alle wiſſen ſie; und wiſſen ſie auch im voraus — in ein
Blatt! Will es der König nicht? Höre die engliſchſte! Des
berühmten Sansſouci-Müller jetziger Nachkommbeſitzer dieſer
[368] Mühle iſt in der größten Detreſſe, und hat mehrere tauſend
Thaler Schulden. Er redet den König an: und ſtottert und
fleht, Majeſtät möchte ihn von Verzweiflung retten, ſeinen
Kindern aus der Noth helfen, und die Gnade haben, die
Mühle zu kaufen! Der König ſagt, das geht nicht. Der
Müller kommt ſchriftlich ein, und giebt noch nähere Details
über ſeine Lage. Er bekommt den ſchriftlichen Beſcheid ab-
ſeiten des Königs: Dieſe Mühle hätte Friedrich II., ſein ho-
her Ahnherr, ſchon nicht haben können, und er ſelbſt könne
ſie auch nicht kaufen, weil ſie der Geſchichte gehöre; aus ſei-
ner Noth wolle er ihm aber helfen, damit er in ſeiner Mühle
bleiben könne; und ſchickte ihm dazu die nöthige Geldſumme.
He!? Geſtern, als bei meiner Abendgeſellſchaft die Rede da-
von war, ſagte ich, was du auch wiſſen ſollſt. Als unſer
großer Friedrich ſo ſchön die Mühle aufgab, mußte man glau-
ben, Schöneres könne nun mit dieſer Mühle nicht vorgehn:
nun aber müſſen wir glauben, jeder künftige König könne eben ſo
etwas Unerwartetes, wieder Neues, aus dem Herzen erfin-
den. Ich weine. Höre noch eine liebenswürdige Anekdote!
Nach Beendigung der Königlichen Tafel ertappt ein Tafel-
aufſeher — den Titel weiß ich nicht: Fourier? — einen La-
kaien, der eine Flaſche Burgunder vor dem Kopf hat, und ſie
einklucken läßt, und ſich aus Schreck ganz begießt; der Mann
will ſich etwas zeigen, und beginnt einen zu ſtarken, und über-
lauten, ſchimpfenden Lärm; „gleich wegjagen,“ „unerhört“
u. ſ. w. Längere Zeit hört der König den Lärm, als es aber
gar nicht aufhören will und nur immer ſtärker wird, tritt er
in’s Tafelzimmer, der Lakai will zu Füßen fallen, der Uner-
bittliche
[369] bittliche erzählt alles, und: — „Livree zu Grunde richten.“
„Nicht unglücklich machen!“ ſagt der König; und lächelt noch
hinzu: „Ein andermal weißen Wein trinken.“ Händeküſſen!
Ein Fähnrich aus fremder Garniſon, den der König, in Por-
tici, glaub’ ich, mit einem Offizierrock und wider Anbefehl
aufgeknöpft ſah, veranlaßte ihn hinüber zu ſchicken, und nach
ſeinem Namen fragen zu laſſen. Der arme Knabe ließ ſich
das nicht zweimal ſagen: und reißt aus. Unſer König be-
merkt, daß er fehlt; und erfährt, daß er auch nicht nach hin-
ten getreten iſt. Aus der Kommandantenliſte erfährt der Kö-
nig Garniſon, und Regiment, und Wohnung: läßt ihm ſagen,
bis zur nächſten Vorſtellung der Oper zu bleiben, wozu er ein
Billet erhält; der Fähnrich antwortet, den Urlaub habe er
nicht: Majeſtät giebt ihm einen; nun hat er auch kein Geld
zu bleiben: der gute liebe König läßt ihm ſo viel verabreichen.
Und das Kind ſieht die Oper. Und wir: bravo! bravo!
den Accent auf der letzten Silbe wie in Paris, damit man’s
bis dort hin hört! Das war das Apropos! Nun von geſtern
Abend. Arnim’s, Cotta’s, Ludwig’s, Moritzens, Williſen, Heine.
Sich Alle ſehr, ſehr amüſirt. Alle öfters dafür gedankt. Bet-
tine dreimal mit Phraſen wie Reden. Frau von Cotta vor-
trefflich zu allem und in allem; Achim viel mit Cotta und
Ludwig und Heine. Bettine dann expreß zu Moritz und Er-
neſtine, welche drei ſehr eingenommen von einander ſind.
Baron Cotta ſo liebenswürdig, redſelig, erzählend und herz-
lich
lachend, daß Mann, und Frau, als er weg war, jeder
ſein Lob ver- und bewundernd ausſprach. Mich ſchmeichelte
ſein Lachen, und Aller Behagen. Jedes war zufrieden; und
III. 24
[370]dankte dafür: ja! Moritz dankte; aber nicht nur aus Ce-
remonie; ganz ſatisfaiſirt, aus Ernſt. Williſen übertraf ſich
mit Sprechen, Heiterkeit und Biegſamkeit. Erneſtinens Schwei-
gen ängſtigt nicht: man ſieht Theilnahme und Beſcheidenheit;
und zum Sinn gewordenen bon goût möchte man faſt fälſch-
lich ſagen; da es doch eigentlich nur umgekehrt hergehn kann.
Rika führte ſich ſehr gut auf; und war ſchön. (Jetzt ſteht
das Kind auf einer Hütſche, und ſchreibt an dich: „Ich ſchreibe
ihm ſeinen ſelben Brief.“ — Was denn? — Lächelnd: „Er
ſoll Bombom mitbringen. Kann er’s auch leſen?“ — Ich
werd’s dabeiſchreiben. — „Nein, nein, ich will’s dabeiſchrei-
ben. Du ſollſt mir Äpfel ſchrapen mit Dore.“ — Ich muß
ſchreiben. — Lächelnd: „Dore ſoll ſchreiben.“ — Ich habe doch
den Apfel geſchrapt! Eliſe tobend und lachend auf meinem
Schrank, ſpielt Ball mit Doren; ſo vergnügt! „Er ſoll bald
wieder kommen!“ ſchreit ſie mir zu.) Ich ordnete alle Sitze.
— Denk dir, daß Bettine beim Weggehen zu uns ſagte, an
mich gerichtet: „Bei Ihnen muß es ſo ſchön geweſen ſein in Ih-
rem Haus; mit den witzigen, geſcheidten Brüdern, Sie müſ-
ſen ſich da ſehr gut unterhalten haben;“ „Sie ſind recht
glücklich,“ fing es an. Und das im benigneſten, unſchuldig-
ſten Ton. — Du weißt, daß ich, in faſt umgekehrtem Sinn,
Clemens nach ihrer Kinderſtube fragte. Bettine (der Merk-
würdigkeit wegen!) behandelt mich komplet mit der Zartheit,
und Zuthunlichkeit, als hätte ſie Reſpekt vor mir; nicht weil
ich dergleichen heiſche, noch gewohnt bin, ſondern umgekehrt,
bemerke ich es dir; und mir, weil es ſich mir aufdringt. —
Du weißt, wie ich ſie liebe; und überheben thue ich mich in
[371] nichts. — Verzeihe, daß ich das Papier falſch nahm! contra
natura Varnhagi!
Lebe wohl! Adieu! Deine F. V. Eliſe
grüßt.


An Varnhagen, in Bonn.



Duſchiges Wetter: alles grau; Wind zu hören.
Auch der März wird nichts. Aber in Finnland
und Italien iſt es auch ſo.


— — Deine Briefe aus Bonn erquicken mich; da du es
darin zu ſein ſcheinſt — eine Phraſe, die dir nicht aus der
Feder gefahren wäre: erquicken, und erquickt, unter Einer
Kappe: ſiehſt du, ich lerne was; „haben mich erquickt,“
hätte ich ſetzen ſollen. Habe Vergnügen, freue dich, lebe:
Sonnenſchein komme dir zu, und friſches Leben! Dann habe
ich Vergnügen; und wir werden das alles zuſammen haben!
Ich habe Mittwoch Paganini gehört. Lies womöglich was
geſtern in der Spener’ſchen Zeitung darüber ſteht. Ich kann
gar nicht errathen von wem: und das iſt ein Troſt. In
nichts könnte ich dieſer Beurtheilung widerſprechen: manches
noch hinzufügen; alles anders ausdrücken (ich werde es auch
aufſetzen). Ein Weſentliches hat der Verfaſſer, wie noch alle
Beurtheiler, nicht bemerkt, und ein ſehr auffallendes, befrem-
dendes! Paganini ſpielt durchaus auf einer einzigen Saite
beſſer, als auf allen. Richtiger, ſicherer, reiner, heimathlicher,
kühner: und daher mit der meiſten Laune, mit dem dra-
matiſcheſten Ausdruck. Seine Geſchichte mag ſein, welche
24 *
[372] ſie wolle, ſo iſt mir gewiß: er befand ſich längere Zeit nur
im Beſitz einer einſaitigen Geige. Er ſpielt auf dieſem In-
ſtrument eigentlich nicht Geige. Er hat nicht Rode’s, nicht
Durand’s, nicht Haake’s, nicht Gionorvich’s Ton, noch Töne.
Aber er ſpricht, gradezu; er wimmert; er ahmt Meereswet-
ter nach; Nachtſtille; Vögel, die vom Himmel kommen, nicht
die zum Himmel fliegen; kurz, Poeſie. Er ſpielt die Preghiera
aus Moſes von Roſſini; alle Stimmen, wie ſie nach und
nach einfallen, und dann zuſammen. In Himmelsſphären.
Und ich ſchwöre dir! daß ich gezwungen war, immer des
Harfenſpielers Lied: „Wer nie ſein Brot“ dabei zu wieder-
holen, zu ſchaudern, zu weinen. Es war es ganz. Und
nun genug. Das Parterre im Saal war nicht geneigt zu
applaudiren. Aber mußte. Ich habe die, die ich, als er
empfangen wurde, vor mir ziſchen ſah und hörte, in Applaus
ausbrechen ſehn: der Hof, alles hieb in die Hände, der in
„les autres aussi,“ wie l’avare von Molière. — Er liefert
jedem Bewunderung: und ſollte es auch nur Verwunderung
ſein. Er ſieht alt aus, betrübt, verhungert, und luſtig. Eine
Miſchung vom ſeligen B., Oken und Wieſel, und meinem
Leinewandsjuden, dem alten Mann; das Ganze neigt mehr
zu dem letzten. Dieners wie aus der Urwelt: alles lachte;
er auch. Pantomime dabei; im Ganzen beſcheiden. —


— Wie ſchön beſchreibſt du die Herren Gelehrten und
alles aus Bonn! Wenn Hr. von Schlegel denkt, daß er mir
nicht zu antworten nöthig hat, irrt er: ich nehme dergleichen
übel, und nehme meine Rache. Exempel R. —


Das arme liebe Kind! Geſtern, als ſie kam, ſagte Dore,
[373] du ſeiſt da: hat ſie ſich ordentlich erſchrocken. Ich leide den
häßlichen Spaß nicht mehr. Adieu, mein lieber einziger
Freund! Weißt du, ich komme mir ordentlich wichtig vor, ſeit
du mich ſo lobſt, ſo miſſeſt, mich deinem Glück ſo nöthig
preiſeſt. Ich will auch recht artig ſein; und immer beſſer wer-
den. Geſtern Morgen war erſt Heine, dann Gans bei mir.
Erſterer, wie er war. G. komplet liebenswürdig. Bloß um
mich Lügen zu ſtrafen: nun wird er wieder unleidlich ſein.
Er grüßt ſchönſtens. —


An Varnhagen, in Bonn.



Duſchiges Wetter, trockne Straße.


— X. iſt in franzöſiſchen Blättern wegen ſeines Gedichts
gelobt, das überſetzt iſt: da ſagte Heine: „So lange er lebt,
wird der unſterblich ſein.“ Von der Bach’ſchen Muſik, die
er vorgeſtern auch hörte, ſagte er — ſagte er, iſt hier zu viel, —
er hätte acht Groſchen Profit dabei; einen Gulden koſtete ſie,
und für einen Thaler hätte er ſich ennuyirt. Sehr gut: das
Erſte auch. Voilà ce que vous me demandez; de ses bonmots!
Auch ich hatte Langeweile in dieſer Muſik. Chöre gehn in
Berlin — wo ſie ſo ſtolz drauf ſind — immer beleidigend
ſchlecht; kompletes Blaffen: ſie iſt voller Chöre. Erſtlich. Dann
der bizarrſte ergiebigſte Text. Chriſtus letzte Tage und Tod,
rein aus der Bibel. Aber wie hätte der behandelt werden
müſſen! Da hätte der große Mann nicht längſterfundenes —
auch von ihm nicht — Geſangsweſen gebrauchen müſſen, und
[374] was nun jetzt ſchon als ganz abgegriffene Münzſtücke längſt
eingeſchmolzen, und anders gebraucht und abgebraucht, und
von ſchlechtern Künſtlern, aber ſchöner geprägt in Um-
lauf iſt. — Mad. Liman hat Recht, die mir geſtern ſagte:
„Es iſt wichtig es zu hören, wie man die Nibelungen und
dergleichen lieſt, und den Überſetzern danken muß: aber die
Poeſie iſt mit unſerm ganzen Leben weitergeſchritten; wir müſſen
weder Einhalt thun, noch rückwärts verweilen, nur das Rück-
wärts kennen: Gluck und Mozart haben Sebaſtian ſtudirt;
das Beſte von ihm benutzt, und ſind weiter.“ — Sebaſtian,
ſage ich lange, iſt durchaus Kant: mit großer Dichtungsgabe,
Phantaſie; ein Stück Saint-Martin in ſich; ein großer Archi-
tekt in Urproportionen; eine reine, ſich zu Gottesgedanken
ſchwingende Seele. Immer ſublim, und unterhaltend, wenn
er dem Impuls ſeiner Eingebungen, und ſogar Meinungen
und Vorſätze, folgt. Nicht aber, wenn er Texte, Worte be-
muſikt. Da iſt es ihm noch nicht eingefallen, alles Herge-
brachte mit Eins zurückzulaſſen; bloß nicht eingefallen; und
ich glaube, aus großer Muſikfülle. Er hat ſo viel Großes,
Reiches, Üppiges, Erhabenes, Richtiges, Neues gemacht, daß
er ein Feld ganz vergaß zu überarbeiten; weil es auch nicht
ſein eigentliches war. Denn, mir iſt es ausgemacht, daß Vo-
kalmuſik nicht ſo rein, ſo himmelverwandt, ſo erhaben iſt, und
ſein kann, als Inſtrumentalmuſik. (Ich weiß; jetzt, contra
Welt: aber es wird ſchon ein Mann kommen, der es beweiſt
in einem breiten ſich Platz machenden Buche.) Und auch da-
her muß erſt komponirt werden, und dann der Text gemacht:
erſt iſt die Empfindung, die Meinung, der Eindruck aller
[375] Dinge vague da; und alsdann erſt kommt Grammatik, Logik;
und alles das Gerüſte, und die willkürlichen Zeichen; wovon
die Sprachen noch nicht frei ſind. So haben dem Gluck, der re-
volutionairer mit den Texten umging, die Franzoſen ſo ſehr
geſchadet und eingeengt; ſo groß, ſo keuſch, ſo weiſe, ſo er-
findungsreich er war. Die, mit ihrer Sprechſprache! die de-
rentwegen in weltlichen Dingen ſo voraus ſind, und auf deren
Sprache wieder die Welt ſo eingewirkt hat; wie weit ab dies
von Geſang, hat ihnen ihr Rouſſeau auf ewig geſagt. Cet
original;
heißt auf Deutſch: der Tolle. Richtig, daß er ihnen
toll erſcheint. Er geht in allen Dingen auf’s Singen zurück;
und ſie ſprechen ſo ſchön! Singen iſt bei ihnen ein Scherz:
und ſoll es Ernſt ſein, ein Spaß, für uns, für mich, für
Rouſſeau: und ein Leid, weil es nicht dafür angeſehen wird.
Und wir Deutſchen nun gar auch deklamirende Opern hören,
ſehn, und ſchreiben! Das heißt Empfindungen auf Gramma-
tik und Silbenzahlen ſpannen; und je weniger das geht, und
Muſik ausbleibt, je gelungener, richtig-deklamirter es hal-
ten! — Mozart, der neuſte Revolutionair, zertrat das alles
wieder; zwang aber den Geſang zu ſehr unter die Inſtru-
mente; war aber ſo muſiktrunken, ſo von Fluth der Eingebung
gehoben, daß er immer ein Ganzes bildete; und in einem
ſolchen muß, und kann manches unterliegen; um ſo größer!
Da er Bach, und Gluck ſtudirt, und benutzt hat, mit dem
größten Witz, und ſich unabhängig von ihnen gehalten. Dann
kommt Spontini, den auch die Franzoſen erdrückt; der aber
in Nebeneinanderſtellung der Inſtrumente neu, und im Beſin-
nen neu iſt: nämlich, er beſinnt ſich nicht etwa, wie Maria
[376] Weber, was er machen ſoll: ſondern, auf alles was er weg-
laſſen muß. Alle Andern können die Reminiszenzen nicht los
werden; und haben nicht ſo viel Urſprüngliches um es nicht
verſchwemmen zu laſſen. Mein Muſikunterricht beſtand in
lauter Muſik von Sebaſtian, und allen Bächen, und der gan-
zen Schule, alſo wir, von der Zeit, kennen das alles genau.
Wie das Publikum, das frömmlende, war, mündlich. — Sie
laſen das Stück Bibel als Text, nicht etwa gerührt! nein, ſie
ſtudirten es mit Lügenmienen, als wäre es ſchwer: und Kants
Kritik der reinen Vernunft etwa. —


An Varnhagen, in Bonn.



Ich war zu erhitzt, um im Briefe heute alles ordentlicher
zu ſagen. Alſo nachträglich: Mozart iſt mir Shakeſpear;
Gluck: Ähnlichkeit mit Klopſtock; das nur oberflächlich: ſchon
weil Gluck mehr von Leidenſchaftlichkeit und Leiden weiß.
Righini allein weiß von Liebe, verliebter Liebe; verſteht den
Olymp, — was der ſagen will — den Tartarus; welchem
Dichter vergleich ich den? Heiteres lichtes Wetter auf Bergen
weiß er auszuſprechen, herzuzaubern; olympiſches; Zauber,
Nymphen, Liebesgötter, Liebesrauſch. Zerriſſenes Herz. Mei-
nes Wiſſens im letzten einzig daſtehend. Für den Sänger
der Größte; noch ſo Bizarres für Ohr und Gewohnheit, in
bequemen, einfach zu findenden Tönen, ſo wie man’s verſucht.
Händel weißt du ſchon. Alle dieſe Meiſter haben, wie alle
[377] Großen, ſchreckliche Nachahmer zu hundertjähriger Plage, für
den der’s verſteht. — Frau von Cotta iſt ein rechtes Publikum
von mir: über alles lacht ſie, was ich ſage. Solche hätte ſie
nie geſehen. Eine Aktrize war in Alcidor eine Sylphide.
Trikot, Flügel am Rücken, Flügel am Haupt. Aber wie!
Sie ſtand kerze-auswärts. „Hat man je im Olymp Einen
auswärts ſtehen ſehen!“ lispele ich empört Frau von Cotta zu.
Sie lacht befremdet, und einverſtanden. „Ich meine: im
Museé Napoléon;“ korrigire ich beinah. Sie konnte es gar
nicht vergeſſen! Und ſo alles was ich ſage.



Schnee auf den Dächern und Straßen. Er verdunſtet
aber ſchon; die dicken Wolken ſpalten ſich: Hellig-
keit, wenn auch nicht Sonne, dringt hervor.


Ich erwarte halb einen Brief von dir dieſen Morgen,
und weiß nicht recht, ob, wenn er nicht kommt, ich dieſen
wegſchicke: da iſt er! Es iſt wieder Liebesbalſam auf mich
wie ein Mairegen geträufelt; gegoſſen. Ich nicke dir! —
Eliſe ſitzt ganz ſicher auf dem Schrank; iſt auch furchtſam
und vorſichtig, ich und Dore ſtehen unten: ſie wirft uns die
Bälle in Schürzen, wir ſie ihr auf den Schrank. Auch wenn
wir entfernt ſind, bleibt ſie behutſam ſitzen; er iſt ganz breit.
Mit mehr Furcht, als ich!!! läßt ſie ſich hinauf und herab
heben. — Von Heine’n — wollte ich dir eben ſchreiben. Das
Reſumé, was ich heraus habe, iſt und bleibt ſein großes Talent:
welches aber auch in ihm reiſen muß, ſonſt wird’s inhaltleer, und
höhlt zur Manier aus; — er denkt überhaupt, was ihm ent-
ſchlüpft, was er ſagen mag, iſt für die Menſchen gut genug. —


[378]

— Wir ſprachen Alle viel. Einer oft à tout hasard: wel-
ches er aber doch noch anders meinen muß; ich nur, wenn es
mit mir durchlief, wegen damaligem Huſtenkrampf. Die Rede
kam auf Auswärtsſtehen. Rike erwähnte die ägyptiſchen Bild-
werke. Ich nahm ihre ſteifen Haltungen in größten Schutz:
ein Strom ergoß ſich aus mir — ein längſt zurückgedämm-
ter — ich erwies, die Natur im Vaguen, und alles, was die
verſucht und zu thun gezwungen iſt, aus lauter nur für ſie
geltenden Gründen, nachahmen zu wollen, ſei durchaus falſch,
und daher unthunlich; in eine menſchliche Schranke müſſen
Künſte ſich engen; in einen ſolchen, für den höchſten gehalte-
nen Menſchenzuſtand, in Beſchränkung, in Gränze ihre Ein-
willigung geben, das allein ſei ihre Freiheit; und ſo ſeien der
Ägyptier Stellungen eine Art Bild ihres geſelligen Daſeins;
nicht arbeitend, nicht ſtrebend, nicht noch bewegt. Der Ge-
genſatz davon ſei der Wiener Walzer; der oft ſo unſinnig
angebracht ſchiene, nach jedem ernſten Kampf oft; mir aber
immer guten Eindruck mache und gefalle — ohne daß ich lange
den Grund deutlich gewußt — ſo wie ein Leid, ein Kampf,
eine Verwirrung, ein Vollbrachtes geſchehen ſei: gewalzt! Was
will der Menſch mehr. Schweben, Leben, Sein, Fertigſein!
Heine ſchlug über die Fauteuil-Lehne, blutroth, ganz weg vor
Lachen; er brach wider Willen aus. „Tollheit! ſchrie er, toll,
ganz toll; o wie toll! Tollheit, nein, das iſt raſend: ſolcher
Unſinn ward noch nicht geſagt:“ und ſo blieb er lachend. So
wie er wieder zu ſich war, war es reinſter, lichter Neid. Ich
ſagte ihm auch: „Den Unſinn möchten Sie gemacht haben.“
Ich lachte auch. Die letzte Hälfte, die vom Walzer, mußte
[379] ich ihm erklären: er frug ganz ernſthaft; und fand es dann
ſehr gut. Aber dies Lachen! So natürlich ſah ich ihn nie.
Das wollte ich dir erzählen, ehe dein Liebesbrief kam. Um
9 Uhr ging Heine. Moritzens kamen: wir aßen Sardellenfiſche,
und waren beredt und vergnügt. —


— Frau von Cotta läßt dich grüßen, und dir ſagen, es
ginge alles gut. Mir ſagte ſie: „Nun können Sie mir das
ſchönſte Seidenzeug frei und frank nach München ſchicken,
und ich Ihnen auch was ich will.“ Es iſt mir lieb, daß
Deutſchland le bas-ventre libre hat. So kommt es mir vor.
Ich war vorgeſtern krank, und doch noch bei Stägemanns.
Die Nacht war arg. Huſten, Bruſt; aber gleich geſtern Mor-
gen nahm ich ein herrliches Mittel; das ſprach mit dem
Übel; und hemmte es. Jetzt ſchwitze ich nur, und erhalte mir
Zollfreiheit durch Embſer. Geſtern unterhielt ich mich ſehr
gut. Vormittag das Kind: brillant geſund: und dann auch
ſingend nähend, in die Küche; ſich ſo verſteckt, daß wir Alle
ſie nicht fanden und unten glaubten; dreht ſich, wie ein Luft-
ſpringer, daß ich immer ſchreie; es hilft nichts! Sie tröſtete
mich ordentlich, wie ein Großer. Auf den Abend Ludwig’s
und Andre. Sehr gute Geſpräche. Millionen ſchöne Grüße;
ich las deine Stelle von Goethe: doch deine, wegen des
Vortrags. —


[380]

An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.



Ich habe ſeit acht oder ſechs Tagen all unſre Umgegend
in und außer der Stadt hindurch mit Ausfahren im geſchloſ-
ſenen Wagen durchprobirt. Nur im Bouché’ſchen Garten iſt
Mittags bei Weſt- oder Südwind Weile. Ich war wieder
krank, beſte Minna, und bin noch auf grauſame Weiſe
leidend. Oft weine ich Gott etwas vor; es bricht mir aus; und
rede laut zu ihm. Sie wiſſen es, in dieſer Rubrik exagerire ich
nicht: ich bin leicht wieder wohlauf, und vergeſſe das Leid;
aber das geht über meine geweſenen Kräfte. Jetzt wie ich
hier ſitze; habe ich mich nur zurecht gewaſchen und frottirt;
und doch Unbehagen; und Schmerz auf allen Muskeln. Aber
ich bin voller Hoffnung: ich hoffe auf einen gern geathmeten
Frühling: auf leidlichere Geſundheit; auf unſer Beiſammen-
ſein! Sie kommen, ſo wie das Wetter ſich nur ein wenig
geſetzt hat; daß man nur des Einheizens entledigt iſt! Ich
weiß es nur einen Tag voraus; das iſt genug. — Wir leben
ſehr ſchön in Frühlingsluft miteinander, und ohne einander!
— So lange ich noch für meine Schmerzen geheizte Zimmer
haben muß, die meine Nerven, und mein Athmen nicht ver-
tragen können, bin ich mir, und Andern unleidlich.


Fragen Sie Dore aus, wenn Sie kommen. Ich weine
täglich bitterlich, wenn ich an Varnhagens Ankunft denke,
der mich ſo finden ſoll!


[381]

Nun ich Ihnen ſo beſchwerlich, und beſchwerend, und ſo
aufrichtig geſchrieben habe; antworten Sie mir nun nicht ſo
kränkend, daß Sie gar nicht kommen wollen!!! Sie werden
ſehen, Sie werden in einer gewiſſen Art einen köſtlichen, ein-
zigen Aufenthalt bei mir machen! wenn wir meine geräumi-
gen Sonnen- und Schattenzimmer alle werden zu Nutz und
Vergnügen haben. Luft, Raum, Ruhe, Frieden, Stille, ohne
Einſamkeit, ſorgen- und beſorgungsfrei, frei, vergnüglich, und
das im Frühling, im dann rein ſchönen Berlin; darin
Freundſchaft, Wohlwollen, Einſicht in Ihr Weſen und Be-
dürfniß. — Paganini reiſt nun früher: er iſt einzig. Aber
ich habe ihn doch nur Einmal gehört, und das tröſte Sie.
Mündlich ganz genau darüber. — Bringen Sie ja Ihr run-
des Kiſſen mit, Fürſtin Carolath hat mir meines für Sie,
frauduleusement mitgenommen. Sie haben mir ein ſo gründ-
liches kindliches Vergnügen mit den Flakons gemacht, daß
Ebers, und mehrere, die dabei waren, über mich lachten; und
meinten, mich könne man leicht erfreuen. Gar nicht. Man
muß mir grade etwas Hübſches, Nützliches ſchenken; was ich
mir wünſche, mir nicht gebe, und ich nicht kriegen kann. Mit
einem kleinen Wort: Herz und Intelligenz, nicht Prahlerei
und Gedankenloſigkeit, muß wählen. Danke, Liebe! Kaufen
Sie ſich keinen neuen Hut, und ſchleppen ihn her: ich weiß
hier ſehr gute.


Ich umarme Sie herzlich: und ſehe Sie gewiß bald,
meine liebe Minna. Und freue mich für uns beide. Gott
wird Frühling und Geſundheit herunterlaſſen! ſage ich mit
thränenden Augen. Ihre Fr. V. Mama und Frau von
[382] Wißmann ſchöne Grüße; den größten Antheil an der
letztern Geneſen!


An Varnhagen, in Kaſſel.



Bald 11 Uhr. Helles Wetter, welches eben bei dieſem
Worte dunkelt. Wieder hell. Südoſtwind.


Pauvre humanité. Niemanden wird etwas gereicht,
der nicht herzhaft den bittern Kelch vor die feine Zunge nimmt;
und herunter, herunter; alles hinein! Unverhofft wird’s veil-
chenartig, aromiſch, ſüß genug; und hell um uns her, und
ruhig: und das nur, weil mir das Bittere abgetrunken, was
wir ſelbſt hinaufgehäuft; Ungeſehenes, Unwahres, Falſches ſo-
gar; nach dem herben, muthverlangenden Abtrinken iſt reiner
Grund und Wahrheit da; und in uns; und dieſe iſt Him-
melselement: weil ihr Weſen darin beſteht und zu erkennen
iſt, daß ſie zu den nächſten Gliedern paſſen muß; und da-
durch bis zum Himmel hinauf paſſen kann. Alles was wir
thun können, beſteht in einem richtigen Erſchauen, nach innen
und außen hin; daß wir uns wiederfinden in neuem berei-
chernden Erfaſſen! Der Faule muß alles nachholen, noch Ein-
mal beginnen, bei harter Strafe und Schmerz; bei hartem
Befinden. Wir verſuchen Alle, und oft, faul zu ſein; aber
wir müſſen es nicht bleiben: Clemens ruht ſich wieder zu ſehr
beim Katholizism aus; vorwärts, armer Clemens! je eher je
lieber. So viel Klügere auch wollen das große Defizit nicht
ertragen: und mit Goethe’n nicht „verzweiflen, wenn ſie leben
[383] wollen.“ Beugt euch, Menſchen, tief: dann könnt ihr euch
erheben. Auguſt, ich prahle hier nicht: ich ſträube mich alle
Tage unartigſt
im Einzelnen. Was heißt das aber? Ich
ſträube mich in den Momenten des Lebens, wo aus Zorn oder
Einzelwunſch mein Auge, erhitzt, oder verblindert, das Ganze
nicht erfaßt; aber — wenn wir an’s Ganze denken, das vor
unſern Sinn gebracht haben, und dann uns nicht beugen,
nicht rein werden, nicht verzweiflen wollen, nicht unterwürfig
ſind; in der eigenen Bruſt, und in dem Drang nach Vernunft,
Recht, und Richtigkeit, keine Bürgen finden, dann müſſen wir
erſt noch recht leiden — und werden. (Jetzt war Frau von
Cotta eine ſehr intime, intereſſante Stunde bei mir. —)
Nun bin ich au pied de la lettre aus meinem Konzept. —
Frau von Humboldt war Sonntag ſchon ſterbend; ſchlug die
Augen auf, ſagte zum Mann: „Es iſt ein Menſch fertig!“
ſelbſt den Tod erwartend. Vergebens; ſie lebt wieder; nimmt
Antheil. Alexander erzählte dies. Schönes Wort. Gott ſei
bei ihr! Sie ſoll viel gebetet haben. Ganz recht. Das heißt
mit Gott ſprechen. Anderes haben wir ihm nicht zu ſagen.
Wie die Kinder uns, müſſen wir ihn ennuyiren. —


Unſer König begegnet vor ein paar Tagen einem Mann
im Thiergarten, ſteht vor ihm ſtill: „Ich kenne Sie! wie hei-
ßen Sie?“ — Ja, Ew. Majeſtät! ich heiße S. aus Königs-
berg. — „Ganz recht, da wohnt’ ich bei Ihnen.“ Kurz, es
war grade den Abend franzöſiſch Theater, Ballet und Ball
im kleinen Palais; der König lud den Mann mit Frau, Toch-
ter und einer Verwandtin ein. „Sie werden abgeholt werden.“
Er wurde es. Frau von Cotta, der ich die Geſchichte erzählte,
[384] wußte endlich wer die Leute mit der ſehr hübſchen, anſtändig
einfach gekleideten Tochter waren: ſie hatte ſie dort geſehen.
Größte Diſtinktion. Bravo, König! Auch der Griechen Gaſt-
freundſchaft bringſt du wieder in’s Leben. Herrlich, König! —


Ludwig iſt gekommen, lieſt das über Schlegel, und grüßt
ſchön. Als ich von Koblenz las, ſah ich, ich ſchwöre es, alles;
ja ich roch es. Glück zu: ſei froh. Lieber Gott! Laß es
ſein; erlaube es! —



Nur durch Liebe und wahre Gottesfurcht können die Men-
ſchen in das Herzenselement zurückgeführt werden. Gottes-
furcht beſteht in der Einſicht, daß wir Alle von ihm herkom-
men und gleich ſind, und gleich gut und ſchlecht behandelt
werden ſollen! Täglich bekomme ich mehr und mehr Belege
dafür; ein empfindlich Herz iſt eine Gottesgabe: das öffnet
die Pforten dieſer Einſicht; das brachte ich mit. Dies iſt
aber auch mein ganzes Talent; für alle andre, die ich nicht
habe. O welch Surrogat!



Roſen wurden Brücken, ſie führten mich in’s Leben,

Roſen waren Wunder, Heine hat ſie mir gegeben.

(In großer Krankheit, wo die unaufhörliche Erfriſchung
des Geſichts und der Hände mit befeuchteten Roſen,
welche der Genannte in ſchönſter Pracht und Fülle ge-
ſendet hatte, die erſten Empfindungen eines heilvollen
übergangs bewirkte.)


Un
[385]

Un des grands dangers de l’homme est de se croire aban-
donné, quand il souffre. N’oublions jamais qu’on veut ici
notre purification, et non pas notre perte. Nos fautes mêmes
doivent n’opérer en nous que le remords et le sentiment de
notre profond abaissement, mais jamais le désespoir. La pitié
suprême s’intéresse à nous dans nos douleurs; la miséricorde
dans nos fautes et dans nos égaremens. C’est ne pas connaître
Dieu que de croire qu’il ne puisse nous régénérer, quand
nous retournons à lui avec un coeur sincèrement contrit et
humilié. (Saint-Martin.) „N’oublions jamais qu’on veut
ici notre purification, et non pas notre perte
.“

Amen! Den 28. April 1829.


An Frau von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.



Ich war vor Gericht, liebe Minna; ich ward frei ge-
ſprochen. Das große Leiden; meine innren Zuſtände; münd-
lich. Ich grüße Sie aus beſtem Herzen! Ich dachte an Sie.
Aus dem Frühling iſt nichts geworden: aus unſerm gar
nichts. Gott will es ſo: und ſomit ich auch. Ganz ſtill
und ergeben. Für Sie mit; Menſchentochter! Ich habe
wahrlich gelernt ergeben ſein, und alles Gewünſchte Gott —
mehr vertrauender, als meinen Herzensſtrömen — zu Füßen
zu legen. Grünes ſehen (!!!) — auch. Mehr hab’ ich
nicht; mehr kann ich nicht. Aber Athem holen, das muß ich.
Der war weg. Sagen Sie ja niemanden, daß ich dies
III. 25
[386] ſchrieb! Vor einigen Tagen konnte ich Redtels noch nicht ant-
worten. Adieu. Im Laufe des Sommers führt uns Gott
wohl zuſammen. Von mir kein Plan mehr! Adieu Minna!
Ich denke Ihrer, wie Sie ſind. — Grüßen Sie Mama und
Frau von Wißmann. Ihre

Fr. V.


Der Profeſſor Witte, Wittwer meiner petite-petite-cou-
sine,
den ich ſehr gut finde; bringt Ihnen dieſen Brief. Ich
beſtand darauf, daß Sie ſich einander kennen lernen. Spre-
chen Sie nicht nur von mir mit ihm, ſondern von allem. Und
ganz natürlich; als kennten Sie ihn zehn Jahr. Er entrirt.
Laſſen Sie ihn wieder kommen: er bleibt auf mein Geheiß
wegen Ihrer in Frankfurt. Laſſen Sie ihn dies alles leſen.



Wilhelm Meiſters Wanderjahre. Zweites Buch.
Neuntes Kapitel, gegen Ende. (S. 170. der kleinen Ausgabe).
„Solche Gaukeleien fanden wir durchaus gefährlich, und
konnten ſie mit unſerm ernſten Zweck nicht vereinen.“ Darum
ſag’ ich immer: Ein Europäer kann nur zur Erholung in’s
Theater gehn. Weil Europa noch nicht eingerichtet, wie dieſe
Provinzen, ſonſt, wirklich, fiele Theater aus. Und, dennoch
nicht: hätten die Provinzen auf’s gewünſchteſte gewirkt, ſo
bliebe doch noch Raum für Wünſchenswerthes, und Drang zu
Bewegung der Seele: und wo dieſes beſſer finden, als in Dar-
ſtellung, im lebendigſten Stoff — des Menſchen ſelbſt — in
Anſchauung der bewegten Menſchenſeele ſelbſt; welches An-
ſchauen zu bewirken alle Künſte und Handwerke Unterſtützung
[387] bieten müſſen. Theater kann ſehr ſchön ſein, wenn es ſich
auch jetzt ſo verkehrt zeigt. —


S. 172. „Denn ſo wunderlich iſt der Menſch geſinnt,
daß er von dem Unwerth irgend eines geliebten Gegenſtandes
zwar überzeugt ſein, — aber ihn doch nicht von Andern auf
gleiche Weiſe behandelt wiſſen will; und vielleicht regt ſich
der Geiſt des Widerſpruchs, der in allen Menſchen wohnt, nie
lebendiger und wirkſamer, als in ſolchem Falle.“ Nicht aus
Widerſpruch möchten wir in ſolchem Fall widerſprechen, ſon-
dern weil wir einen — oder viele — nicht leicht auszuſpre-
chenden, oder leicht angehörten Grund haben, die gründlich
verworfene Sache, wovon die Rede iſt, auch zu lieben, zu
wünſchen, zu ſchätzen. Oder kann leicht ein Zuſtand gefunden
werden, in welchem unſre Gerechtigkeit, Neigung und Über-
zeugung mehr in’s Herz zurückgeſcheucht wird, als in ſolchem
Fall? Daher der falſche Schein des „Widerſpruchs-Geiſtes,“
der „in uns Menſchen wohnen“ ſoll. Wir thun uns oft Un-
recht. Wie lange ſchon möchte ich ſolche anſcheinende Fehler
der Menſchen wie ein franzöſiſcher Advokat die Verbrecher
vertheidigen; aber nichts verkehren, wie die oft müſſen.


An Roſe, im Haag.



Alle Blätter und Blüthen heraus: aber kein Gefühl von
Frühling. Nordoſtwind, oder reiner Nord; Starrkälte. Mir
nicht unlieb, da ich doch noch — achtundfünfzig — kei-
25 *
[388] nen Garten habe: nicht leben kann, wo ich es mag. Will-
kommen! auf der alten Erde, die mich wieder aufgefangen
hat. Mehr gelitten hat man wohl nicht: dies iſt ein Ge-
heimniß zwiſchen mir und Gott. Kein Arzt, keine Umgebung
kann dies rathen, ſehn oder glauben: ich nun ſelbſt, faſſe es
nicht mehr: nur wiedermachen will ich es nicht mehr. Wohl
dem, der eine höchſte Überzeugung im bittern Leben gewonnen,
errungen, erdacht, geſchenkt bekommen hat! auf dieſe führten
mich Martern zurück — für Gefahr habe ich keinen Sinn:
in der, aufzuhören, ſind wir immer, und ſtets. — „Gott
hat Recht: und es iſt am beſten ſo; ich bin ja ſeine Kreatur:
und, da ich, ich, ich, einen Begriff von einer Anforderung
an Vernunft und Recht habe; ſo exiſtirt’s; und noch vollkom-
mener, als ich mir’s denken kann.“ Dann frug ich mich, was
ich von den Martern lernen ſoll?! beſſer ſein: mehr Mitleid
haben; nicht zerſtreut ſein über Leidende, und Arme u. ſ. w.
Nun ring’ ich ſacht wieder gegen das Leben an: oder das Le-
ben vielmehr gegen mich: ſeine Kontradiktionen!! „Gott! es
iſt ja nur eine Kleinigkeit!“ ſagt Dore. Ja, ſeufzt Goethens
Adler, in der Fabel Adler und Taube. Ja! ſeufze ich. Aber
vierhundert Kleinigkeiten bilden meinen Tag: einen ne-
benan habe
ich nicht zu leben; wie Keiner. Sechs Monat
vor der Erkenntniß meiner Krankheit hatte ich Fieber und Be-
klemmung. Zwölf Jahre harte Beſchwerden; und alles dabei
geleiſtet, anſtatt mich zu heilen. Mündlich könnte ich’s
erzählen. Nun das Gute. Alle Bequemlichkeit und Hülfe,
und Ausgabe, ohne die geringſte pekuniaire Sorge oder gêne!!!!
Alles was Kunſt, und Liebe, in dieſer Zeit, in unſerer,
[389] hervorzubringen vermag, erfahren und genoſſen. Von Arzt,
Mann, und Geſchwiſter, und Domeſtiken. Das balſamte
mein Herz: und half mich ganz gewiß retten. Von der Ach-
tung, die ich von der Stadt genoß, wäre faſt lächerlich zu
ſprechen: ich höchſt befremdet: denn wahrlich, und du wirſt
es glauben; ich hielt mich zeitlebens für Rahel; und ſonſt
nichts. Ohne alle Geſtalt und Phyſionomie für mich. Die
Andern aber empfanden, daß ſie die Gute, Neidloſe, Theil-
nehmende, verlieren ſollten; und reiche Intereſſen, Inter-
eſſe’s, ſtrömten mir zu! Und nun du meine theure Roſenſchwe-
ſter! Sei ganz ruhig: ſo gut es einem Menſchen gehen
kann, geht es mir. Könnten wir uns nur ſehen! da wir doch
in verſchiedenen Ländern leben. Eine Sommerwohnung — ich
wollte ſie — kann ich für un argent fou, welches ich gern ge-
ben wollte, wie ich ſie für meine Bedürfniſſe, und Varnh.
Verhältniſſe brauche, nicht erlangen: ich ſitze alſo in ſchloß-
artigen Zimmern in einem bequemen Quartier, — die Hinter-
fenſter auf Nachbargärten, wie in einem Forſthaus Luft und
Geruch; — und konvaleszire. Später will ich irgend wohin
reiſen: könnteſt du mir irgendwo Rendezvous geben, in Ba-
den-Baden? Frankfurt am Main? oder nenne einen Ort.
Nicht Aachen; ennuyant; theuer. Doch laſſe dich den Vor-
ſchlag nicht ängſtigen: er iſt nur ſo in’s Blaue hinein gemacht:
d. g. geht nicht. Ohne die größten Revenüen: und ich wundre
mich todt, daß ich meine habe. Dein ſchönes Haus, theures
Kind, freut mich! haſt du eine Idee von Garten dabei? Fährſt
du oft? ich jetzt täglich: und ſchon ſehr viel vor dem letzten
Ausbruch. Je ne vis point du tout pour la montre. Alles
[390] inwendig, bequem, behaglich, zweckmäßig. Die „Dachſtube“
(wie die armen litterariſchen Franzöſinnen unter Louis XIV.
und XV, die doch die Geſellſchaft ſahen) im Größern fortge-
ſponnen. Das Andre gelänge doch nicht: und gelänge es,
hätte ich eine Klaſſe Geſellſchaft: und ſchrecklicher giebt’s
nichts. Ich habe es aus den Zeitungen ſchon gewußt, daß
Karl Verdruß haben muß; ſchon wie du hier warſt, und mir
ſagteſt, wie er über Volksunterricht denkt — du mit — wußt’
ich das Reſultat: und bliebe es noch Jahrzehnte aus. Grüße
Karl herzlich! ne fera-t-il point de voyage; ne voudra-t-il
me donner un rendez-vous? que j’aimerais le voir! Adieu,
mon amie. Portez-vous bien, c’est l’essentiel!
Deine alte
treue

R.


Mille belles choses à Louis. Varnh. vous embrasse dans
la joie de ma guérison.



Zu Börne’s Schriften, Theil 2. S. 198. Bei Hamlet hat
ſich Börne am meiſten geirrt. Den hat er nicht gefaßt. Deß-
halb redete er ſo viel, und ſagte ſo wenig: faſt nichts. Da,
wo er endigt, hätte er anfangen ſollen. Von dem Zu-
ſtand eines deutſchen Menſchen von Geiſt hätte er ſprechen
ſollen; von der modernen Abtheilung der Welt.


Es ſcheint noch gar nicht bekannt, daß zum Verliebtſein
ein immerwährendes Verlieben erfordert iſt; ſo wie dies nicht
mehr Statt finden kann, geht der Zuſtand ein. Liebesleute
— verehlicht oder nicht — verlangen meiſt eine unbedingte
[391] Liebe; ſie mögen ſein und machen was ſie wollen; der Andre
ſoll vor Empfindung krepiren. Angelus Sileſius ſagt: „Gott
ſchafft die Welt annoch,“ und ſo thut Amor der Bube.



An Fouqué, in Nennhauſen.



Gott grüße Sie, lieber Baron Fouqué. Haben Sie ja
rechten Muth, nämlich rechte Geduld in Ihrem Unwohlſein!
meines iſt mir noch ſo friſch gegenwärtig, daß ich noch ſehr
wohl weiß, wie das allein durchhilft. Und wie krank, wie
mit Erd’ und Atmoſphäre uneins war ich: und wie leidend!
Zwei wußten das nur; der große Gott, und ich: jetzt weiß es
nur Einer; Er. Leiden kann man dies; aber nicht in der
Seele behalten. Meine Geduld beſtand darin, nie mein Übel
ſummariſch zu faſſen; ſondern, Leid vor Leid; Weh vor Weh;
Minute nach Minute. Eine Art thieriſch-kindiſcher Unſchuld
befiel mich hierin: und die wird Ihnen nicht fehlen! Das
wollte ich Ihnen ſagen: und darum grüße ich Sie hier mit
herzlichſtem Antheil. Sie ſind ja wohlauf in Herz, Seele und
Sinn: und mitten im Sommer, auf dem ſchönen eigenen Land-
ſitz; umgeben von den Ihrigen: beſchäftigt: gewiß ſind Sie
ſchon beſſer. Ich leide noch an zu beweglichen Nerven, und
Rheuma; ſonſt muß ich mich loben. Und Ihnen wird es noch
beſſer, und ſchneller beſſer gehn: bei Soldaten bleibt derglei-
chen nicht gern.


[392]

Nennen Sie ja meinen Namen nicht! Nicht, daß ich
nicht willig, ja gerne, eine Schriftſtellerin wäre. Ich ſchämte
mich nicht, ein Neutoniſches Werk über Sternkunde, oder Ma-
thematik zu ſchreiben: aber kein Werk hervorbringen zu
können, und doch drucken zu laſſen, da wandelt mich Scheu
an. Leben Sie wohl, guter Baron! Aber künftigen Winter
ſein Sie doch beſſer; und haben Sie auch eine kleine Zeit
für uns. Mich Frau von Fouqué beſtens empfehlend wünſche
ich Ihnen den beſten fleißigſten Sommer.

Ihre ergebene
Fr. V.


An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Schönes, dunkles und helles Wetter, nach
einem geſtrigen Gewitter erkühlt.


Theuerſte Fürſtin! Liebe Freundin! Ich finde es frevel-
haft, auf einen ſo lieben Brief, als der Ihrige, nicht eher
geantwortet zu haben; nicht grade von mir frevelhaft, aber
daß es geſchehen mußte. Wie in eine ſchöne Landſchaft, in
ein gerettetes Still-Leben darin, mitten in Frühlingsarbeit
der Atmoſphäre, ließ mich Ihr erwünſchter Brief hineinſchauen,
und mitleben — faſt mein ganzer Frühling — dankens-
werthes und erkanntes Gemählde: doppelt müſſen wir dem
Himmel danken, der Ihnen dieſe Inſel von Glück verleiht,
und auch das Anerkennen dieſes großen Looſes in die Bruſt
gepflanzt, und Ihnen die Einſicht dazu geſchenkt! Möge dies
ſo bleiben! Gerne hätte ich das mitgenoſſen! Aber ich war
[393] noch zu hülfbedürftig nach meiner großen Krankheit. — —
Amüſant iſt’s jetzt nicht bei mir: bloß ſehr gute, gut gepflegte
Luft, offene Zimmer, Blumen. Menſchen ſehe ich wenig: ſie
haben ſich’s während meiner Krankheit und Konvaleszenz ab-
gewöhnen müſſen; und leicht geſchieht ſolches. Doch hatte ich
acht Tage eine Freundin vom Lande, Fräulein von Brandt,
aus unſerm Sachſen, aus Schmerwitz bei Kroppſtädt, bei mir.
Sie blieb acht Tage — zu Pfingſten — und es war mir ganz
bange, als ſie weg war; komplet gebildet — nicht nachſpre-
chend, eingelernt, verſtändig, vernünftig, leſend, urtheilend,
praktiſch auf dem Lande bei dem begüterten Bruder thätig;
die Güte, Ein- und Nachſicht ſelbſt; zu ſchweigſam für den
innern Vorrath. Sanft, nicht ganz jung; war ſehr hübſch.
Generalin Zielinski iſt auch zur Brunnenkur hier: ich ſehe
ſie viel: ſie fährt öfters mit uns aus: ich alle Tage, da ich
nicht weit gehen kann, aus muß, ſoll, und will. Auch werde
ich wohl noch eine Reiſe machen müſſen nach einem Bade.
Nicht Muskau iſt mir verordnet! — So lenkt Gott alles
nach ſeinem Willen, und gewiß am beſten. So denken Sie
ja feſt, und fromm. Ich habe ſehr dem Himmel zu danken,
nicht nur für mein Geneſen, ſondern für die guten Gedanken,
die mir Gott erlaubte in meiner höchſten Noth: in unleid-
lichen
Zuſtänden; ſechszehn Tage und Nächte ohne Luft. V.
und Dore ſtehend mich gehalten. Jetzt weiß nur Gott, was
ich litt: in der Krankheit nur zwei; Er, und ich, die einzige
Kreatur; kein Arzt, kein Pfleger, trotz daß ſie vergehen
wollten! meine Seele iſt zu klein und ſchwach, dergleichen
zu behalten. Auch iſt es unnatürlich: unſer Organismus iſt
[394] für einen beſtimmten Zuſtand; ſinnvoll, zum Sinnvollen ein-
gerichtet; der auseinandergeriſſen — iſt Unſinn; den zu fühlen,
Schmerz. Genug! — Ich bin etwas im Innern verändert
nach dieſer Krankheit, benennen und bezeichnen kann ich die
Veränderung noch nicht. Ich fühle mich wie beleidigt;
und bedarf einer Satisfaktion durch ein événement: und doch
bin ich bis zum Tod reſignirt und gefaßt: mitteninne ſehr
munter, alſo ſchwankend, und unausſtehlich. So etwas wie
ein Geiſt, der ſich noch ſeinen Reſt leben ſieht. Kurz, nicht
zum beſchreiben: noch nicht wenigſtens. — Gerne möchte ich
Ihnen würdig für Ihr Schreiben, Ihren Antheil danken: und
doch kann ich’s nicht: es preßt ſich im Herzen und will nicht
heraus, glimpf und ſchön, wie bei Ihnen. Dafür will ich
Ihnen unterdeß ein Vergnügen ſchaffen: leſen Sie die Gedichte
des Königs von Baiern, die haben in der Konvaleszenz meine
Seele erfreut. Nicht Eine Flauſe, nichts Nachgeſagtes. Alles
ſelbſt gefunden, erfunden, durchaus edel, voller Herz und Le-
ben. Liebe iſt eine wichtige, die wichtigſte Angelegenheit für
dies Herz: Menſchenliebe ſteht ihr nicht nach. In den Jahr-
büchern der Litteratur iſt er würdig rezenſirt (von Wilhelm
Neumann), wie jeder andere Litterator; dieſe Ehre verdient er
ganz. Ich nahm die Gedichte mit dem größten Vorurtheil
zur Hand; ich dachte: neueres Geſchwätz, wie alle: aber das
iſt an ihm herabgefloſſen, wie Regen und Wetter an einem
hohen, feſten Fels. Ihr Landsmann wird Sie freuen. — —


[395]

An Wilhelm Henſel.
Zum 3. Oktober 1829.


Die Sterne die begehrteſt du;

Du freuſt dich ihrer Pracht!

Zwei Sterne ſcheinen Liebe dir,

Aus ihrer ſchwarzen Nacht;

Sie ſcheinen meiſt hinweg die Ruh’,

Dir geben ſie die wahre Ruh’;

Die Ruh’ durch Liebesnacht.

Von Treue ich nicht ſprechen mag,

Sie liegt in Liebe an dem Tag.

Am heutigen Tage darf ſie’s zeigen;

Die ganze Gunſt, der Herzen Neigen.

Wie glücklich iſt das Glück, darf es ſich zeigen!

Trifft es auf allen ſeinen Wegen

Geſchwiſterfreud’ und Elternſegen!

Genießt dies alles mit Bedenken:

Und mein ſollt ihr dabei gedenken. —

Ich, Mahler, zeigte dir der ſchwarzen Sterne Pracht!

Und darum mir, wie dir, die ſchönſte Gutenacht!


Mit einer Lampe.
Holde Lampe, liebe Vertraute!

Wie du Lichter ſanfter wiedergiebſt,

So verſtumme nicht; ſo ſpend’ auch Laute!

Witzig-Paſſendes — hier ſo leicht! — beſcheiden ſage:

Aber hell, und doch verhüllt, wie du es liebſt! —

Wenn’s aber fragt: „Wer ſchickt dich denn?“

Antworte nicht auf dieſe Frage.


[396]

An Antonie von Horn.



Meine wohlgeneigte und wohlbegabte Freundin! Sie ſol-
len ſelbſt ermeſſen, wie lieb mir Ihr Schreiben ſein mußte,
wenn ich Ihnen eine kurze Rechenſchaft gegeben habe, wie
das, was Sie laſen, entſtanden iſt. Obgleich ich ſeit einer
Anzahl Jahre beinah nicht mehr ſchreibe, ſo hat wohl Vol-
taire und ſeines Gleichen nicht mehr Briefe und Billete
ausgehn laſſen, als ich in früherer Zeit. In dieſer Zeit aber
wußte ich nicht, was ich that: und hätte ich darüber etwas
gemeint, ſo wär’ es wohl dies geweſen, zu glauben: ſo ſchrie-
ben alle Menſchen, ſo viel, und was ihnen einfiele. In die-
ſem, vom Himmel verliehenen Unſchuldswetter lebt’ ich bis
auf den kleinſten Reſt meine Jugend durch; obgleich ganz im
Anfang derſelben, zum zwölften und dreizehnten Jahr, meine
Handbilletchen und Geſchwiſterbriefe Lachen und Redens genug
erregten: ich glaubte firm — welch Glück! — dies läge nur
an den andern Leuten: die wären ſo ſonderbar; und ver-
ſtänden nicht recht was ich ſagen wollte; auch weil ich’s
nicht ſehr gut ſagen könnte; übrigens wären ſie und dächten
ſie wie ich. Dabei blieb ich — bis zur Schande lange —,
nur jeden Fall ſah ich einzeln ein, wo das anders war. Mein
Glück! einziges, größtes. Von Jugend an, ging es reich,
und der Wahrheit gemäß in mir her; Natur wirkte ſcharf
und richtig auf ſcharfe Organe; ein felſenfeſtes, empfindliches
Herz hatte ſie mir mitgegeben, das alle andre Organe immerzu,
[397] und redlich belebte; — der Kopf war für tieferes Bedenken
und Auffaſſen gut; — beinah keine Grazie nach außen. Da
konnte es denn nicht fehlen, daß ich alle Kelchchen und Kelche,
bitter und ſcharf gefüllt, austrinken mußte; kein Keulenſchlag,
kein Nadelſtich, kein Nagel, kein Haken, wurde mir erſpart;
nichts Verkehrtes verſäumt mir zu reichen; doppelt verkehrt,
weil ich’s nicht immer dafür nahm; und erkannt’ ich es, nicht
immer abwies. Kurz, ich machte die Univerſität durch; und
dieſe Sprüche, aus einer Unzahl Briefen genommen, und aus
wenig Merkbüchern — von Varnh. geſammelt — ſind der
Ertrag von ſtummen, langjährigen, ignorirten Schmerzen,
Thränen, Leiden, Denken; Freuden der Einſamkeit, und Lange-
weile der Störung. Perlen, die ein halbes Jahrhundert aus
einer ſturmbewegten Menſchenſeele warf, Schätze, die ſie wie
das große Meer enthält: wenn ſie ſich nicht zum affektirten
Gartenteich einſperrt, wo ihr Schickſal Stagniren wird:
unfehlbar: wenn auch nicht bald bemerkt, und von Unkun-
digen bewundert, (wie ſo viele Figura zeigen!) Das Meer
iſt oft ſtürmiſch, graulich, häßlich; beſonders fügt ſich’s nicht.
— Und lang wurde ich geſcholten, und getadelt: ich meint’
es müßt’ ſo ſein. Konnt’s nicht beachten; nur geſtreichelt
fühlt’ ich mich nicht: obgleich viele auf mir herumfuhren; zur
Luſt, und Bequemlichkeit, wie auf einem wirklichen Meere;
auch ohne Dank. —


Als die Sprüche und Auszüge nun geſammelt waren,
freute es mich, daß doch etwas Sichtbares, Faßbares, zur
Mittheilung Taugliches, außer ich ſelbſt, von ſo reicher, ein-
träglicher Zeit übrig geblieben ſei; ich ermaß die Freude, den
[398] Genuß, den es ſchaffen kann, an dem, den mir Ähnliches
gewährt, wenn ich’s finde. Das ſind die Brüder, die wir
auf der Erde haben, und hatten; dieſe Brüder, dieſe „Gleich-
geſinnten“ (Freunde, ruft Goethe in der Elegie „Gleichgeſinnte,
herein!“) ſind einer dem andern der Magnetkompaß, der Bürge,
daß er recht ſegelt: der Troſt, in Leiden ohne Troſt; und der
iſt ſo erhabenen Urſprungs, und Wirkung, daß er ſchon über
die Zeit hinaus wirkt! „Es winken ſich die Weiſen aller Zei-
ten“ ſagt wieder Goethe. Und Sie geben mir nun auch das
Glück, bei meinem Leben, zu erkennen, und zu ſagen:
„Hier hat ein Menſch geſprochen, und gelebt: ich Menſch
erkenne das, und ſage dir es gern und freudig.“ Das
freut meine Seele: und ich ſage es Ihnen gerne; darum
dankbar.


Wohl, meine Liebe, iſt es, wie ſie ſagen, „Eitelkeit und
Beſchränkheit, wenn Leute ſich in eines Menſchen Geſell-
ſchaft gedrückt fühlen.“ Aber noch eigentlicher: Lüge. Sie
wollen nicht ſein, wie ſie ſind: und davon werden ſie Leute;
gemachte
Fabrikweſen. Jeder Menſch iſt ein Original; ſonſt
wär’ er nicht geſchaffen: iſt es noch immer in der Tiefe, wo
der Wahrheitsquell wogt; er verſchütte ſie noch ſo ſehr mit
Lug und Trug, und Fälſchlichkeit, die gegen ihn ſelbſt ge-
kehrt Irrthum wird. Am Ende iſt’s eine Tugend, eine Ge-
müthseigenſchaft, der Muth, der uns erſchafft: uns ſelbſt iſt
es überlaſſen, Menſchen aus uns zu machen; oder vielmehr,
uns gegen die immer vernichtend-anſtrebende ganze Welt —
nicht nur Leute — dazu zu laſſen. Dies erfordert Muth;
unendlichen Muth; Vernunftmuth (nicht den, gegen Unver-
[399] nunft zu handeln; der wird abkommen): denn die Unvernünf-
tigſten geben vor, in Vernunft zu handeln.


So lautet mein Dank! Auch ſchweres Geſchütz: in Ihrem
Zeughaus paßt es: drum laſſe ich mich gehn. Nichts kajolirt
mich mehr, liebe Frau von Horn, als daß Sie ſich behaglich
bei mir fühlen; und mich gutmüthig finden. Dazu gehört
Vorurtheilsloſigkeit — das ſo Seltene! — Auf guten Glau-
ben halten mich die Beſſern für ein Wunderthier von ich weiß
nicht welch unbegreiflichem Zeuge! Ich aber bin zufrieden,
wenn die Andern zufrieden ſind!


Hätten Sie gehört, was ich V. von Ihnen ſagte, als
wir allein waren: „So unbefangen! ſo bequemend! ſo theil-
nahmvoll. So empfänglich! der ſchönſte Umgang!“ Und das
war gewiß vor Ihrem Brief: es war geſtern Abend.


Vor dem Dienstag kann ich nicht die Freude haben Sie
zu ſprechen. Dienstag ſchicke ich zu Ihnen. Ihrer Frau
Mutter will ich mich gerne mit Gegenwart und Vergangen-
heit empfohlen wiſſen! Ich umarme Sie herzlich, liebe Frau
von Horn! —


Vorgeſtern war die Rede vom Gewiſſen bei uns. Frau
von Arnim fing ſo an: „Neulich ſagte Einer, das Gewiſſen
ſei wie ein Vorpoſten auf einer hohen Zinne, der umherſchaue,
ob Recht geſchähe;“ ſo, glaube ich, erzählte ſie. Varnhagen,
Hr. Bartholdy, Robert, alle ſagten etwas: ich konnte gar
nichts ſagen. Denn mir däucht, des Gewiſſens Thätigkeit
wird bis jetzt zu ſehr beſchränkt, und mit ſeiner Tiefe und
Einfachheit verwechſelt. Das Gewiſſen ſagt uns nicht allein,
[400] ob wir recht oder unrecht thun, ſondern auch, ob uns unrecht
oder recht geſchieht; ob wir eine Behauptung, ein Ereigniß,
einen Zuſtand, der Wahrheit gemäß finden, oder nicht. Es
iſt das letzte, einfache Wollen in uns; welches wir eingepflanzt
in uns vorfinden, von einem höheren, uns unbekannten Prin-
zip; es iſt eine von den Vernunftswurzeln der Intelligenz über-
haupt. So ſchien mir; es iſt wie Vernunft, ein letztes Ja
oder Nein: man kann ihm vorſchwatzen, was man will; es
antwortet auch auf einen Lügenvortrag, aber von ſeiner Seite
immer ehrlich. Nur auf Einem Punkt iſt es in unſerm —
überhaupt künſtlichem — Daſein mit unſerer leiblichen, indi-
viduellen Perſon zum höchſten Organismus, zu Eins erſchaf-
fen, verwachſen. Wir können über alles betrügeriſch ſein, oder
über alles uns irren, und dem innerſten Wollen, dem Gewiſ-
ſen, einen falſchen Bericht erſtatten: nur nicht über Leiden des
Körpers; für deſſen Wohl iſt noch eine andere, ſchon in un-
ſern Körper übergegangene Wache geſtellt: das Zucken unſe-
rer Nerven, das Zuſammenziehen unſeres Herzens bei Lei-
den, die wir einer Kreatur anthun, oder anzuthun ſuchen. —
Strafen müſſen, iſt hier Vernunft; alſo gewiſſengemäß, und
tilgt dieſes Zucken und Beklemmen — hier kann kein „ſo
oder anders denken wollen“ mehr wirken; und hier wird unſre
ganze Perſon Gewiſſen, Bewußtſein: hier auch tritt das un-
mittelbare Recht weltlicher Strafe ein. Weil keine Frage
mehr obwaltet; und, wer Menſch iſt, richten kann: der Pro-
zeß von hin und her, und für und wider, iſt aus. Und Milde
im weltlichen Richteramt, iſt die That klar, muß da ganz
aufhören; das einmalige Geſetz vollzogen ſein. Der Thäter
trat
[401] trat ſelbſt aus der Menſchheit. — Dies alles iſt lange noch
nichts Klares und Beſtimmtes: aber auf dieſem Wege wird
es gewiß gefunden werden, was das Gewiſſen iſt. Eigentlich,
wir ſelbſt: unſre Nabelſchnur an einer hohen Mutter, von
der das Kind nichts weiß. Da allein fängt Perſönlichkeit an.
Miteinſicht. —



An Frau von ☉ ☉ ☉.



Mit einer kleinen Variation könnte ich Ihnen ſchreiben,
womit Sie Ihren Brief anfangen: „Ich habe ſo lange ge-
ſchwiegen, daß ich mir faſt das Recht aus den Händen gege-
ben, endlich ſprechen zu dürfen.“ Ich möchte ſchweigen.
Weil ich zu viel, und beſonders zu gründlich zu ſprechen
hätte; und doch würd’ ich die Schwierigkeit des Federhaltens
überwinden, und dann bald in die Tiefe mich konzentrirt fin-
den, die mir, die Feder in der Hand, eigentlich natürlich iſt;
könnt’ ich nur irgend glauben, daß dies Sie mit in dieſe Tiefe
führte, oder vielmehr, darin erhielte. Aber nur zu bald läch-
len und ſprechen Sie ſich daraus wieder empor; wo verführ-
liche Liebenswürdigkeit gilt, wie eine Münze; und verſchmähen
es nicht, ſich ſelbſt damit auszuzahlen. Dieſe Worte, Liebe,
ſtehen nun Einmal hier: ſtünden aber nicht, ohne die Veran-
laſſungen, die Sie ſelbſt in Ihrem Briefe, wie willentlich da-
zu ausſpielten (wie im Kartenſpiel). Ich hätte ſonſt meine
III. 26
[402] Freundlichkeit im Glanz der Ihrigen gegen Sie in ſchönen
Springbrunnenbögen ſteigen, und herabfallen laſſen können;
den innern Born unberührt; den Wahrheitsquell, wo alles
her kommt, und alles hin muß; in dem ſich alles ſpiegelt,
grad wie es iſt; nicht wie es ſcheinen, und ſein möchte. Aber
Sie ſelbſt diesmal neigen ſich zur Tiefe; und beinah grob er-
ſchiene es mir, ſie zu umgehn, ſie zu bedecken; unfreundlich,
nicht menſchenliebig; ganz außer meiner Art. Sie ſagen ſich
„beſchäftigt; das Herz faſt noch voller, als die Hände.“ Und,
„weder heiter noch froh?“ Sie ſind ja nun bei Ihrer Mut-
ter, die Sie mit ſo viel Thränen vermißten; ſo laut bei dem
kleinſten Unfall anriefen? beziehen, in größter Freiheit, und
Studirruhe, das ſelbſtgewählte, und eingerichtete, und wirklich
ſchöne Haus! Warum „fürchten Sie eine trübe Zukunft?“
Das können wir Alle: ohne beſtimmte Ausſicht dazu. Hierauf
antworte ich eigentlich. Es muß etwas anderes ſein, was Sie
drückt, und beunruhigt. Sie wünſchten ſich das Haus, das
zu führende Leben darin, nicht. Willigten nur ein, daß man
dies von Ihnen glaubte: aus Güte, altem Schweigen, al-
tem
Vorgeben. Schlimm. Aber ſagen Sie wenigſtens, dies
ſich ſelbſt; und es wird Ihnen ſchon beſſer werden. Sie be-
ſchreiben mir ſelbſt die Lage Ihres Hauſes, als ſo ſchön —
auch kenne ich ſie ſo — genießen Sie die! Studiren, den-
ken, leben, leſen Sie da! Es giebt nicht viel Beſſeres. Und,
vermiſſen, unſer Schickſal betrachten, und einſehn, iſt ein Ge-
nuß; Gemüthsnahrung möcht’ ich’s nennen. Es giebt nicht
viel mehr! oder — eine große Exaltation — deckt uns Ab-
gründe auf, und Widerſpruch, Widerſtand; wie alles, wozu
[403] wir noch Andre gebrauchen wollen: wir haben nur uns; und
können nur Andre lieben. Wollen wir aber Andre haben,
und uns lieben — dafür haben Sie ſich am meiſten
zu hüten
. Und dies muß nicht ein bloßes Diktum, artig
ausgeſprochen, werden: Sie müſſen das Diktum verſchweigen;
und müſſen es leben: wenn Sie können. Dann wird Ihnen
Ihr ſchönes Haus nicht drückend, und als erfüllter Wunſch
drückend daſtehn. Das Haus iſt hier nur ein Exempel, gro-
ßer, langjähriger, vielfältiger Lebensfiguren. Wenn Sie nicht
Acht geben, wird immer wieder eine ſolche daſtehn. Erſtlich,
müſſen Sie ſich dreiſt ſagen, was Sie wollen; und dann, das
nicht oder verkehrt Erhaltene in’s Auge faſſen; und ſich ganz,
völlig bedauren; und klar ſagen, was da fehlt, und weßwegen.
Auch ein Genuß! im Wahrheitsdaſein. „Menſch! werde we-
ſentlich!“ fängt ein Diſtichon von Angelus Sileſius an. O!
hülfe ſo ein weſentliches Wort; wäre uns da nicht Allen ge-
holfen? Wenn dann nur ein Menſch es ſpräche! — Gegen-
ſeitiger Unterricht! — Darum ſagte ich zu Anfang: „ich möchte
ſchweigen.“ Aber ich werde weiter ſprechen. Wenn ich nicht
ganz ſchweigen will, reizt mich Ihr Brief dazu. Es iſt durch-
aus verboten, daß „uns unſer Naturell unbequem ſein darf;“
und gar noch „Andern.“ Welches doch nur heißt: ich mag’s
nicht beſſern; welches wieder auch gar nicht nöthig iſt: nur
gezwungen muß ein jedes werden — und das iſt die ganze
ethiſche Aufgabe unſeres Lebens, lebendigſten Lebens, —
treu, wahr, redlich zu ſein; und das bei der größten Kleinig-
keit, und in jedem Augenblick; immer auf Sein, und
nicht nur auf Schein auszugehn. Ein Naturell, ſo ge-
26 *
[404] halten, iſt nie „unbequem;“ nicht uns, nicht Andern. Wie
kommen Sie darauf, daß Sie es mir waren? Wenn Sie ge-
noſſen haben, was ich ſein, und leiſten konnte, ſo haben Sie
mir vollkommen, überſchwänglich gedankt. Ich habe Ihnen
eben ſo zu danken! Ich habe es mir ſogar vermuthet, daß
Sie an die Reiſe mit Genuß denken werden. Alles tritt aus
der Vergangenheit gereinigt empor, wie in höhere Räume; die
edle Seele will nur Gutes bewahren, und iſt gequält, wenn
ſie anderes aufnehmen muß. Auch mir geht es mit dieſer
Reiſe wieder ſo. „Fördern wird ſie Sie“ gewiß in dem Maße,
als Sie es nur mögen! — ſo ſtreng und wahr Sie mit ſich
ſelbſt ſein wollen. (Dieſe Anmahnungen beziehen ſich beſon-
ders auf ſolche Momente, wo Sie durch Anderer Worte auf
Beſſeres zurückgeführt ſind: es fühlen, und wiſſen: und doch
noch eine kleine, ſcheinbare liebenswürdige — kokette — Re-
plike nicht verſchmähn! anſtatt etwas ganz anderes.) O!
wären wir immer wahr: wäre eine durchſichtige Scheibe vor
unſerm Herzen: ſchwiegen wir kein erſtesmal, wenn uns et-
was mißfällt! entweder, der Andre kann ſich rechtfertigen,
oder, er muß erliegen: ſo ſollte es ſein. Vorgeben aber, wir
finden etwas gut, was wir nicht ſo finden, engagirt uns zu
künftiger Lüge: und ſie bricht.


Ich bin Ihres Antheils gewiß! Varnhagen grüßt ſchön!
Auch Dore. Leſen Sie, wo möglich, oeuvres de Victor Hugo.
Unglaublich.


Im größten Ernſt! Setzen Sie ſich nicht ſo weit hinter
mich: ich kann das nicht vertragen: weil es nicht mit der
Wahrheit beſtehen kann. Hab’ ich viel gedacht: ſo können
[405] Sie auch viel denken. Ein Kopf wie der andre! Was geht
mir nicht alles ſonſt ab! und das Einzige, wo ich etwas vor-
aus haben möchte vor Vielen, können mir all die Vielen nach-
machen. Ich finde es ganz allein in der Redlichkeit des Den-
kens, und Seins in allen Augenblicken. Und im nicht Ver-
weichlichen, und mir Vorſchmeichlen. Unterſuchen wir meine
beſtſcheinenden Vorzüge, und ſie beſtehen alle darin. Und
das hängt doch nur von uns ab. Mir iſt dies Verfahren
Vergnügen. Und das iſt es auch. Grüßen Sie gütigſt Mama!
Iſt ſie wohl? vergnügt? freut ſie ſich? Frau von — liebe
ich gar ſehr, und bitte ſie zu grüßen. Ich liebte ſie a prima
vista,
das iſt das Beſte. —



Wo zwei oder drei im Namen des Herrn verſammelt
ſind — verheißt er — er wolle mitten unter ihnen ſein.
Der gute Geiſt iſt da ſchon mit ihnen. Da kann ſchon Liebe
und Gerechtigkeit wirken. Menſchen gehören zuſammen; um
das Maß, Vernunft, anzulegen; um lieben zu können, Ge-
rechtigkeit empfinden zu können. Das Herz iſt die Zunge,
womit wir die Nahrung unſeres Geiſtes gleichſam ſchmecken.
Welche große, geiſtreiche Anſtalt! Aus dieſem Punkt her iſt
zu hoffen. —



Er iſt nicht zu finden: ich kann eigentlich nichts über ihn
ſagen. Es geht nichts Rechtſchaffenes und nichts rechtſchaffen
[406] in ihm her. Er iſt unbeſchämbar. Und ſollte er auch nur
lachen, wo die Augen herabſehen, das Blut die Wangen be-
ſuchen ſollte. Beſſerung ſeiner ſelbſt iſt bei ihm eine neue
Koketterie, ein Stickarbeiten auf dem Rahmen einer dummen
Dame, zum Prahlen; der Begriff iſt ſeiner Seele fremd, wie
dem Thier das Gewiſſen. Dumpfe Ahndung hetzt ihn in faſt
beſtändige Verlegenheit, die er mit dummer gelogener Hei-
terkeit ſich abläugnet: nicht mir. —


An Frau von Cotta, in München.



Das iſt eine ſchöne Erholung, die der Herr von Cotta da
vorgenommen hat! Nach Lüttich zu reiſen. Nach dem ſchwar-
zen Lüttich, wo hineinzufahren ſchon die größte Fatigue iſt.
Dieſes Bergauf in einen Thorweg, wo die größte Gefahr mit
entgegenkommenden Frachtwagen herrſcht. (Hier an dieſer
Stelle trat mein Bruder Ludwig Robert in mein Zimmer und
ich mußte geſtern Abend zu ſchreiben aufhören. Heute iſt Frei-
tag: käm’ ich nur wieder auf denſelben Punkt! ich erlebe wahr-
lich zu viel Störungen: ein Herr, der alles, was er nur thut,
zu Geſchäften ſtempeln kann, hat es beim Himmel beſſer, als
wir Alle.) Der glatte gepflaſterte Boden, meiſt modrig, un-
ten, bleibt in meiner Erfahrung, mit der — oder ohne mit
ärgſte Reiſepunkt, den ich kenne! Ce n’est qu’un mauvais
pas!
ſagen die franzöſiſchen Poſtillione; mauvais genug. Alles,
das Unwohlſein und die Reiſe, dagegen hab’ ich ſehr glücklich,
[407] erſt nachdem es ausgeſtanden war, durch des Hrn. von Cotta’s
Schreiben ſelbſt erfahren: und ſo, möchte ich ſagen, ärgert es
mich nur, Sie mir in einem ſolchen Leidensgang vorſtellen zu
müſſen! — wie tief kränkend nach einer Erholungskur einen
geliebten Angehörigen wieder einfallen zu ſehen! In einer
Art, leiden da die Pfleger mehr noch, als die Kranken! Alles
das macht’ ich ſchnell mit Ihnen durch, in wehen Gedanken;
nicht einmal einen Rath kann man da vorzubringen glauben
von beſſerem Ausruhen, längerem Badeaufenthalt: ꝛc. — Es
iſt ja nicht eine Sache allein zu ändern: ſondern ihre Eltern,
Verwandte, und die ſchon hervorgewachſene Nachkommenſchaft
dieſer Sache müßte mitgezwungen werden; und die bezwingen
uns: ja, wir werden es ſchon, durch die Thaten, und Einrich-
tungen unſerer Vorältern. Schon lange ſage ich: jeder ſtirbt
an ſeinem Karakter. Der iſt das Einzige, was eigentlich wir
ſind: und nachdem wir das Bischen Selbſtthat, was uns noch
gelaſſen iſt, (oft uns ſelbſt) heimlich einrichten. „Verbiete du
dem Seidenwurm zu ſpinnen,“ iſt das eigentlich. Und wird
unſerem Geſpinnſt Einhalt gethan, ſo thut man’s unſerem
Leben; und eigentlich daran ſterben noch mehr, — der
Kultivirten. Wie ſehr pedantiſch dehn’ ich mich hier aus:
ohne auf das zu kommen, was ich eigentlich ſagen will: aber
bei allem, was heilig iſt; nicht aus Pedantism. Nicht aus
Prahlerei; ſondern aus Drang meine wenigen Reſultate aus-
zuſtoßen; das bischen Ärnte; nach dem langen Ackern mit
Händen; ohne erfundenen Pflug, der großen Arbeit in der
Hitze der Ärnte, deni großen Wetter, und Kriegesſchaden;
und allen Schäden! und dies Bischen auf Ihren Schooß zu
[408] legen: die Sie, auch das Ärgſte der Erde kennend, aber das,
wie alles Übrige, ſo freundlich, und troſtgewährend handhaben.


Immer wollte ich Ihnen Einmal ſchreiben: beſonders noch
in Baden; einen herzlichen Nachruf wegen unſeres zu plötzli-
chen Scheidens. Dann wollte ich wieder hier ſchreiben: aber
wie die Tageswellen alle, mich verſchwemmen, ſo geſchah
es mir auch mit meinem Vorſatz für Sie: und noch jetzt würde
ich nicht genug Energie zuſammen haben, dieſe Wellen zu be-
ſeitigen — piperig wie ich doch die meiſten Stunden mich
fühle — beträf’ es nicht oder faſt einen Dritten, was ich vor-
zutragen habe. Im Frühſommer, während meiner ſchweren
Konvaleszenz erſchienen des Königs von Baiern Gedichte.
Mißtrauiſch, wie aller Neueren Gedichte, nahm ich ſie aus gro-
ßen mir hingelegten Bücherpäcken von meinem Tiſch. Und ein
König erfriſchte mir Sinn, und Herz: verſetzte mich, wohin er
wollte: vergewiſſerte mir einen denkenden Geiſt, ein menſchen-
liebend Herz, und gute, liebe, hörende und ſehende Sinne.
Weit entfernt von aller neueren, faſ’ligen Nachahmung, über
Religion und Kunſt, und Natur, und Italien, redet er dieſe
Gegenſtände alle ſelbſt ergriffen an: und ergreift jeden geſund
Gebliebenen mit! Voller Güte, und der beſtmenſchlichen Ge-
ſinnung. Im glücklichen Talent, dies alles auszudrücken!
Keine Spur nur irgend einer Affektazion. Unterhaltend durch
Vielfältigkeit. Freilich, freue ich mich doppelt, daß dies
von einem König kommt. Von einem ſo vielvermögenden
Sterblichen. Die dummen Leute denken; man wird dies
läugnen, oder nicht mit in Rechnung bringen wollen. Welch
ein Wogen von Lob, Streit, Diskuſſion, hoher Anerkennung,
[409] und niedrer, war hier. Nehmen Sie die Kritik in den Jahr-
büchern, als eine Art von Reſultat davon an. Ich war mit-
ten in der Bataille; und blieb leben, mit meiner weißen Fahne
in der Hand. Ich möchte einen blauen Stern darin ſticken!
wie immer dem Schöpfer eines Kunſtwerks perſönlich dan-
ken: oft habe ich Kleine es ſchon gethan. Ich könnte zum
König ſagen: Bravo König: Sie ſind ein lieber Menſch:
in hundert Gedichten ſteht’s. Bravo! daß Sie König ſind.
Wir haben hier eine Lieder-Kompoſitrice, die ich allen jetzigen
Liedermuſikern vorziehe, Mad. Bürde; Frau des Mahler Bürde,
und Schweſter der Milder; die für ihre Schweſter die origi-
nalſten, ſchönſten Geſänge nach Goethe, und anderen Beſſe-
ren, komponirt hat. Unter den vielen der geſangfähigen Lie-
der, die ich in des Königs Sammlung traf, fiel mir dies dazu
am meiſten auf. Es fordert gleichſam Melodie. Ich ließ es
ihr ſchon durch die Schweſter vor meiner Badener Reiſe geben:
und vor mehreren Wochen ſang ſie’s endlich bei mir in ge-
wählter Geſellſchaft mit großem Beifall. Ich bat es mir aus;
und ſende es Ihnen; ob Sie’s nicht Ihrem König können zu-
kommen laſſen. Von keinem Menſchen; ganz nur von
Ihnen, die Sie es bekommen haben. Bloß, als échantillon;
ob ihm die Art gefällt. Warum ſoll er nicht wie andre Dich-
ter das Vergnügen haben, zu ſehen, wie ſeine Gedichte kom-
ponirt werden? Es kann ihm nicht fehlen, es ſich ſingen zu
laſſen. Mad. Bürde wird noch viel mehr davon in Arbeit
nehmen: ich ſuche ſie ihr aus. Jedoch, wiſſen Sie nur, iſt
dies Überſandte nicht von ihren allerſchönſten: vielleicht war
ſie befangen. Von mir!!! und dem König; ohne Scherz:
[410] und doch voller Scherz. Dieſe ganze Bitte iſt kein Auftrag,
ſondern ein Vorſchlag. Aber um eine Antwort bitte ich! Auch
darum, mir ſie unter der Adreſſe von Ludwig Robert zu ſen-
den: weil Varnh. von dieſem Brief nichts weiß; den ich kei-
nem etwanigen Tadel auszuſetzen Luſt empfand. Leben Sie
geſund! Mein beſter Wunſch. Für innre Geſundheit müſſen
wir ſelbſt ſorgen, und davon kann nur in uns die Rede ſein.
Die ſchönſten Grüße meinem lieben Hrn. von Cotta. Ihnen
empfehle ich mich treulichſt.

Fr. Varnhagen.


Fräulein von Reden beſorgt mir dieſen Brief: Sie ſind
dort ſehr geliebt; natürlich! prächtige Leute! pardon du gros
papier! mes nerfs ne souffrent point de plus fin.


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Paris.



Dieſen Morgen, mein beſter Freund, hab’ ich Ihren Brief
erhalten: ich hatte viel zu thun; Kinder, Ankäufe, Geſell-
ſchaftspflichten, Rechnungen durchzuſehen; Beſuche zu machen;
alles das geſtickt auf einem Grunde von ſehr ſchlechter Ge-
ſundheit; einer ſo kleinen, daß eine der Sachen, die ich nannte,
und denen ich erliege, mich auf mehrere Tage ſo ſehr ſchwächt,
(und deßhalb grade geſchieht es:) daß ich ſie alle zugleich ab-
mache, an Einem Tage, ſo ſehr ſchieb’ ich ſie auf. Wohlan
denn! und nun hab’ ich Ihnen in dieſem Augenblick eine ge-
naue Liſte gemacht von allem, was mir in Aloys aufgefallen
iſt, und ich mit einem Nagelſtrich angemerkt habe. Welche
[411] Schwierigkeit für una povretta wie ich, einen ſolchen Strich
bei Licht zu ſuchen, zu ſehen; die Seite und Zeile jedesmal
davon zu bemerken, und da iſt nun das Vollbrachte. Ich
ſage Ihnen das alles, weil ich mir ſelbſt ſage, daß nichts auf
der Welt — außer ein Unglück etwa — mir dieſe Kraft geben
könnte, als ein Brief von Aſtolf. Und dies wieder ſag’ ich
Ihnen, weil Sie mich gefragt haben: ob unſer Wiederſehen
auch Epoche in meinem Leben gemacht hat? So ſehr: daß
ich, meinerſeits, Ihnen dieſe Frage gar nicht gemacht haben
würde: weil ich die Antwort, die ich Ihnen aus Grund mei-
nes Herzens gebe, nicht erwartet hätte; und Ihre Frage, dieſe
ſchöne Frage, vollendet nur das Glück dieſes Wiederſehens.
Glück macht gewiß Epoche; man findet es nicht; und es ſuch
uns ſo ſelten! Alle Wunder ſind noch da; die der Bibel,
und die der Mythologie. Das Glück kommt noch unter Men-
ſchen- oder Engelgeſtalt vom Himmel; und ſo iſt es mir zu
Frankfurt erſchienen, in einem proſaiſchen Wirthshauſe; im
Weidenbuſch. In höheren Stimmungen erleben wir heute,
wie den erſten Tag der Schöpfung, noch immer Wunder. O!
was hätte ich Ihnen zu erzählen; wären wir länger zuſam-
men. Sie ſprechen mir von einem in Berlin zuzubringenden
Winter. Guter Gott! wenn das doch geſchehen könnte vor
dem, wo Ihr Haus frei ſein wird! Drei Jahre warten, iſt
zu lange: das geht nicht: ich habe warten gelernt, auf alles
was ich nöthig habe, bis in eine andere Welt hinein: aber
ich bin zu alt für drei Jahre warten, hier unten. Wenn Sie
es doch abkürzen könnten durch einen Winter zu Berlin!
Nicht daß ich wünſchte grade hier Sie zu ſehen; (in dieſer
[412]merkwürdigen Stadt Deutſchlands; ich bin hier in ei-
ner Art falſchen Stellung, und jemehr ich mit einem Freunde
zu leben wünſchte, deſto weniger möchte ich es hier an meiner
Seite. Ich bin hier geboren, ich habe Freunde, eine abſtrakte
Konſideration u. ſ. w. u. ſ. w. aber nicht das, was ich grade
bedarf, und was ich nur Ihnen benennen könnte; weil Sie
es alsbald wiſſen würden, ohne daß ich ein Wort ſagte!)
aber auch in Berlin würde ich Sie äußerſt gern ſehen, nach-
dem ich Ihnen geſagt hätte, was mir hier für mich mißfällt:
und ich lebe viel zu Hauſe; und viel allein: im Grunde,
ſoviel ich will. Aber in Baden, da möcht’ ich Sie gerne ſe-
hen, vor den drei Jahren! Sorgen Sie wenigſtens, daß ich
immer weiß, wo Sie ſind. Zwingen Sie ſich, mir es zu
ſchreiben. Sie ſind mein einziger Freund: von allen, die ich
lieben könnte: der einzige, der mich wiederliebt: der mich er-
kennt; und der weiß, wer vor ihm ſteht. Die Apoſtaten!
machen mich nicht mehr unglücklich; — „on ne peut pas par-
venir à me rendre malheureux?!“
ich umarme Sie aufs neue! —
aber ein Wunder kann mich noch das Glück empfinden laſſen.
Wiſſen Sie was unter uns Beiden ſo ſchön iſt? daß wir gar
kein Verhältniß zu einander haben: keine Forderung einer an
den andern; daß ich alt bin; und Sie jung; Sie doch ein
Mann; und ich eine Frau; Sie ein Franzoſe; ich eine Deutſche.
Unſre Trennung, in Einer Art — die geweſene — alles iſt
gut. Alles ein Bürge, daß wir es ſelbſt ſind, die ſich einan-
der konveniren: nicht unſer Alter, unſer Geſchlecht, unſer
Land. — Ich hatte viel hin und her gedacht, für Ihr Buch
einen Überſetzer zu ſchaffen; und Varnhagen auch; als er vor-
[413] geſtern im Meßkatalog es als überſetzt angekündigt findet: er
läßt Sie verbindlichſt grüßen; und wird in einem Journal
von La Motte-Fouqué, welches wöchentlich erſcheint, eine ange-
meſſene Anzeige von dieſem Buche machen. Ich werde Ihnen
morgen hier ſagen, wie ich es ſelbſt fand. Heute muß ich
ruhen, ich bin zu erhitzt; mein Übel. Varnh. und ich haben
Fouqué’n auch von uns etwas gegeben. Ich Aphorismen,
Reſultate à la Chamfort: aber ich dachte an ihn nicht. Ich
werde Ihnen dieſes Heft durch Gelegenheit ſchicken; vielleicht
vor Ihrer Reiſe. Adieu! bis morgen! Apropos! ich bin ent-
zückt von den „Orientales“ von Victor Hugo; ich kenne nur
das von dieſem Autor. Ich fall’ in Ohnmacht, wenn Sie ihn
nicht lieben.



Nun von Ihrem Buche! Es iſt voll von dem, was ich
am meiſten an einem Werke ſchätze; voller Innerlichkeit; voll
von innen Erſchautem; von Gedanken und ungemeinen Em-
pfindungen, und Anſchauungsweſen: und die alle, dieſe Zu-
ſtände ſind äußerſt geſchickt dargeſtellt. — Talent, und große
Kunſt! — und dadurch zu einem nach des Autors Willen wir-
kenden Ganzen gemacht; welchem ein großer Reiz durch ori-
ginale, ſelbſterfundene Sprache, im anſcheinend größten Ge-
henlaſſen, verliehen iſt; wie auch öfters durch feinſte Beobach-
tung der Welt; und ich möchte ſagen, durch deren Ertappen
auf der That. Er iſt auf der That ertappt, dieſer Regent, ſo
mächtig und ſo klein! Welche Perſonen grade gemeint ſind,
muß uns Ausländern wohl verborgen bleiben; aber, daß es
Portraits ſind, kann keinem mittelmäßig Geſcheidten entgehn;
[414] und, wie alle vortrefflich gemachten, nicht nur einen Einzel-
nen darſtellend, ſondern mit ihm auch das Allgemeine ſeiner
Klaſſe bezeichnend: denn in welchem Einzelnen müßte ein
Kunſtblick die nicht finden; und ein Griff der Kunſt die nicht
faſſen? Mad. de M. iſt vortrefflich; man ſieht ſie: ich kenne
ſie: den jungen Mann, kenne ich wirklich. Der Mann, der
Graf; ſie leben. Und ſomit haben wir einen bedeutenden
Roman — unſer Leben recht geſehn, iſt immer der beſte, und
gewiß reichſte — faſt verſteckt unter neuem, leichten, angeneh-
men Vortrag.


Und dennoch wünſche ich zu dieſem Roman noch etwas
hinzu: nämlich bewegteren, reicheren Welthintergrund. Der
junge Mann ſelbſt kann wohl geſchildert werden, durch Ka-
rakteranlagen, und Familienleben, in dem er ſich Einmal be-
findet, als von der Welt getrennt, und zurückgehalten; er iſt
ein Produkt ſeines Autors: der Autor ſelbſt aber, kann ihr
nicht ausweichen; und muß in einem Roman ſie immer als
große, größte Bedingung — derjenigen, die er ſchildert —
groß und voller Bewegung darlegen; als den Stoff, und
Raum, in welchem ſeine Gebilde nun Einmal zu leben haben:
und nur um ſo hervortretender, pikanter werden ſeine Bilder,
wenn etwa Ein Weſen geſchildert iſt, oder mehrere, die von
dieſer Welt keine Notiz nehmen können, oder noch nicht ge-
nug genommen haben. Die Exempel dieſes großen nöthigen
Verfahrens findet man auch jedesmal bei den Großen. Bei
Schakeſpeare, Cervantes, Goethe; bei Moliere, Lafontaine —
lachen Sie nicht! — ihre Staffage iſt immer die ganze Welt:
freilich nur in gezählten, und zählbaren Künſtlerzügen hervor-
[415] gerufen. Ich will alſo mehr Darſtellung, woraus wir den
wiſſentlichen, geſelligen, politiſchen Zuſtand erſehn, worin unſre
Perſonen zu leben haben. Und hiemit habe ich auch meine
ganze Kritik erſchöpft. Und erwarte die Ihre, hierüber.


Mir iſt während dem Schreiben klar geworden, daß ein
Aufenthalt in Berlin Ihnen von unendlichem Nutzen werden
könnte: eine reiche doch neue Litteratur auf die leichteſte ge-
ſellige Weiſe mitgetheilt — und verſteht ſich auch ein neues
Leben — grad in meinem Hauſe. Ganz in ihrer Mitte ſteht
Varnh. durch ſein Leben und Wirken: alles kommt ihm da-
von zu: er giebt mir mehr Bücher und Hefte in die Hände,
als der Fleißigſte nur verbrauchen kann: erfahren ſchon Ein-
mal thue ich von allem; und ewige Diskuſſionen, und Unter-
ſuchungen, veranlaſſe ich ſchon ſelbſt. Ein einziges Haus
darin: Sie wären mitten in Deutſchland; sauf le pédantisme,
que je tue à trente lieues à la ronde;
durch bloßes Exiſtiren,
ſolcher Feind, ſolcher Giftbaum bin ich für ihn. Leſen Sie
wo möglich — in Paris hat man alles — des Königs von
Baiern Gedichte. Mir gefallen ſie, daß ſei Ihnen genug: ich,
die gegen alle Gedichte das größte Vorurtheil hat, mit wel-
chem ich ſie auch zur Hand nahm. Schöne Geſinnung; gu-
tes Naturgefühl: keine Affektation; keine neuere Nachahmung
von Gefühl, Kunſt, Religion. Sehr gut! Und der König —
der Vielvermögende — obenein! —


Alles was Sie von Paris ſchreiben, haben wir bewun-
dert; ſo wahr iſt’s. Tauſend ſchönſte Sachen an Hrn. Bär-
ſtecher und an Sie, den ich im Grund Ihrer Seele ſehe, wie
[416] man in einen kleinen Bach ſieht; und ſo lieb’ ich Sie denn.
Schreiben Sie mir ſchnell!

Fr. Varnhagen.


Meine Nerven erlauben kein feineres Papier. Pardon.


Bei dem Vorfall in Wilhelm Meiſter, wo Lothario die
Pächterstochter wiederſieht, und der Stelle, wo es heißt: „Ich
gab dem ehemals geliebten Geſchöpfe die Hand, und ſagte
zu ihr: Ich habe eine rechte Freude, Sie wieder zu ſehen. —
Sie ſind ſehr gut, mir das zu ſagen, verſetzte ſie: aber auch
ich kann Ihnen verſichern, daß ich mir gewünſcht, Sie nur
noch Einmal im Leben wiederzuſehen: ich habe es in Augen-
blicken gewünſcht, die ich für meine letzten hielt.“ Welch ein
Vorfall, wenn unſre ganze erſte Natur zerriſſen wird: und
mit einer zweiten fortgelebt wird! Die wenigen Worte dieſer
Pächterstochter enthalten Rouſſeau’s ganzen Brief, den St.
Preux nach Julie’s Tod erhält. —



Wenn wir irgend ein Ding benennen, ſo bezeichnen wir
mit ſeinem Namen irgend eine oder mehrere Eigenſchaften
deſſelben, oder wohl gar keine davon: wir beſinnen uns aber
vermittelſt des kategoriſchen Gedächtniſſes des ganzen Dinges
durch ſeinen Namen. Was heißt aber hier: des ganzen Din-
ges? Auch nur: das Bild einiger Eigenſchaften dieſes Din-
ges. Wir haben keine Sprache, die das wirkliche Weſen eines
Dinges beſagen könnte: und wenn wir uns bedenken, ſo
haben
[417] haben wir ſelbſt keine Vorſtellung von irgend einer Central-
eigenſchaft: ja, wir müſſen Centraleigenſchaft ſagen, um
ein Annäherndes eines Abſoluten, Eigenſchaft gebenden zu
denken. Und deßhalb wird ſo viel um den Begriff Leben
herum geſprochen, weil er der einzige iſt, in dem wir uns als
uns ſelbſt fühlen, aber in Thätigkeit zerſplittert, und [...][o] Zeit-
augenblicken begriffen. Zerſplittert ſind wir: in einer Arbeit
begriffen: in eine Arbeit, in eine Zerſplitterung gegangen —
aus dem Paradies; zum Verſtändniß; — in eine Arbeit
vertieft, in einen Theil unſeres Vermögens: wie hier, wenn
wir uns in einer Wiſſenſchaft augenblicklich verlieren. Deſſen
bin ich gewiß: bis Zauberſchlag — des Denkens, zum Bei-
ſpiel — uns nicht rettet, hilft nichts als Ergebung, — oder
Spiel, im weiteſten Sinne dieſes Wortes, — die Gewiß-
heit aber, daß wir nur mit einem Theil des Verſtändniſſes
hier hauſen, die habe ich: und dies iſt Troſt und Religion.
Umſonſt ſind wir auch ſo nicht abgegangen, ſo zerſplittert.
Es iſt ſchlimm: aber hat gewiß einen guten Grund; wie all
unſre Thorheiten noch immer. — Dieſer Gedanke war vor-
geſtern Nacht der Anfang meiner vielen mir wie zuſtrömen-
den; erleuchteten, hätte ich ſie ihrer Hellheit und Umriſſe we-
gen nennen können, — inmitten welcher mich ein Krampf und
eine Unfähigkeit überfiel.



III. 27
[418]

An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Heftiger Nordoſtwind auf dicken hellen Schnee.


Sie ſelbſt, liebe Freundin, theure Adelheid, holde Fürſtin!
[ſſ] [...] mir es ſagen, daß Sie nicht kommen, ſonſt glaub’ ich
es nicht. Keinem Waſſerſchaden, keinem Froſte; dem Für-
ſten nicht!


Sollte wirklich, in der That, wahrhaft, der Winter ver-
gehn ohne Sie, wie es der Sommer mußte? Sie leben unter
uns: nur hereintreten thun Sie nicht — Leben verbreitend,
das Zimmer erfüllend, — nur der Wagen rollt nicht vor;
und endet die Geſpräche über Sie, von Ihnen; alle Abend,
ich ſei mit Varnh. allein, oder mit dem kleinen Freundeskreis:
immer Fürſtin Carolath! Wie ſie iſt; was ſie kann; ob ſie
kommt, ob ſie ſchreibt, was ich geſchrieben habe. Noch macht
man mir Hoffnung. Nicht der Fürſt; den ſah ich nur Ein-
mal; (dann war ich unwohl; dazu konnt’ ich den Fürſten
nicht einladen. Nun die heiligen Feiertage. Aber während
denen, oder gleich nachher; und dieſesmal machte er mir keine
Hoffnung; aber ich behielt ſie: nur Sie, und das völlige Ende
des Winters kann ſie mir ganz ausrotten. Meine gewöhnli-
chere Geſellſchaft ſind meine Nichten, Mad. Wilhelm Beer,
Frau von Arnim, Henriette Solmar — meine Schwägerinnen
jetzt wegen Maſern, die bei der einen herrſchen, und Weite
des Wegs bei der andern, ſeltener, — Frau von Bardeleben.
Herren, fremde: ein junger nicht hübſcher, aber geſcheidter
Amerikaner Brisbane, Graf Mocenigo, Graf Raczynski; die
[419] letztern oft. Mit Mocenigo iſt leicht und heiter leben; und
wir haben viel geſellige Rapports, aus Öſterreich, und hier:
auch iſt es angenehm einen öſterreichiſchen Venetianer, mit
drei ihm natürlichen Sprachen, und Muſikliebe, zu haben, der
da lieſt, und an den meiſten Dingen guten natürlichen Antheil
nimmt. Williſen hat eine allerliebſte Frau; mit der, und Grä-
fin Yorck, ich auch einen ſehr guten Anfang gemacht habe.
Vortreffliche Frauenzimmer. Geſcheidt, natürlich, frei, un-
terrichtet, ſingen z. B. beide wie die Engel. Williſen, wie
Sie ihn kennen: Graf Yorck, auch unveränderlich: oder viel-
mehr unverändert. Mit Graf Naczynski fühlt’ ich gleich, als
ich ihn das erſtemal ſah vorigen Winter, einen innren Rap-
port; auch er beſuchte mich bald nachher, und ich wüßte doch
nichts, was ihn dazu beſtimmen konnte, als auch eben der-
gleichen. Nicht, daß wir nicht ſehr verſchieden dächten, über
ſehr viele und wichtige Dinge! — für mich iſt das aber nur
anſcheinend. Seine Poſition, Nationalität, und die Weiſe,
wie er zu ſeinem Meinen gekommen iſt, ſind gewiß ſehr ver-
ſchieden von denen, wodurch ich zu dem meinigen gebracht
bin; wie das Meinen ſelbſt: aber er hat eine Zartheit in ſich,
ja ich möchte es ein Wundes nennen, welches meine Zartheit,
meine Feinheit, mein Wundes auf der Stelle heraus
fühlte: und ſo auch mag’s ihm ergangen ſein; denn ich bin
gewiß, ſo wie mir ſeine gentleman’ſche, leiſe Urbanität gefällt,
und er meinen originalisme, der gar keine Erziehung anneh-
men will, und ihn öfters zu derb (wenn auch mit meinem
Bewußtſein) berührt, nicht kann unbemerkt gelaſſen haben, ſo
fand er doch einen innen feinen Anklang verborgen, der ihn
27 *
[420] verſöhnte, und anreizte. Wir können beide abwerfen, was
uns trennt — wie Schuppen, — und wiſſen das beide, aus
dem Punkt her, wo alle Gewißheit kommt. (Wir haben aber
beide noch nie dies Betreffendes geſprochen.) Geſtern Abend
wollte er mich mit ſeiner liebenswürdigen Frau beſuchen: lei-
der kam ich erſt eine halbe Stunde ſpäter mit Mad. Beer,
Mlle. Solmar und Graf Mocenigo aus dem Theater, wo ich
wohl zehn oder eilf Wochen nicht hinkonnte; wegen Treppen-
ſteigen. — Ich werde ſehn. —


Wir ſprachen von Ihnen, theure Fürſtin, und man drängte
mich wieder, Ihnen zu ſchreiben. Ich kann nicht oft ſchreiben,
ich bin es nicht oft fähig. Seit vorgeſtern athme ich erſt
wieder: au pied de la lettre, dies konnte ich nicht. Und ſechs
Zeilen ſchreiben bringt mich für Wochen zurück. Heute, wo
ich mich nicht echauffirt fühle, wird das nicht eintreten. Den
Sommer konnte ich zu keiner Freundin in’s Haus kommen.
Ich war zu ſchwer konvaleszent, und nur eben die Freundin
allein hätte dieſe Anſtalten alle ertragen können, die ich nöthig
hatte; aber keine mehrgliedrige Familie. Ich konnte nicht
ſteigen ꝛc. ꝛc. Die Reiſe bekam mir gut: einige Verdrüſſe
äußerſt ſchlecht und ſchädlich, wodurch ich noch leide. Mes
dragons, dit madame de Sévigné; mes dragons, dis-je moi.


Und nun ſollten Sie auch nicht kommen? Beruhigen, be-
richten Sie mich darüber. Sprechen Sie überhaupt zu mir.
Was machen die ſüßen, lieben, herrlichen Kinder? Sagen
Sie’s mir. Wir reden täglich mit meinen von ihnen; und
mit Doren und Varnhagen. —


[421]

An Roſe, im Haag.



Ich will doch nicht deinen ganzen Geburtstags-Monat
dahin gehn laſſen, liebe Schweſter, ohne dir herzlichſt zu gru-
tuliren! und das mit vollem Recht. Das vollſte dazu haben
wir ja wohl, da ich erfahre, daß du dich komplet verjüngt
haſt; im Ausſehen, humeur, und Geſundheit. Fahre ſo fort,
liebe Roſe! und laß mich dann und wann erfahren, daß du
vergnügt biſt und dich amüſirſt. Dies ſoll mir ein Ergötzen
ſein; welches mir öfters mangelt. Eben jetzt, war ich in ſechs
dicken Wochen nicht aus, und gewiß über vierzehn Tage zu
Bette, mit wenigen Stunden Ausnahme auf dem Sopha.
Solchen Ausſchnaube Schnupfen hatte ich zu leiden; mit Ner-
venleiden aller Art. Ohne leſen zu können: ohne Geſellſchaft
ertragen zu können, die dann auch nicht kam; und zum er-
ſtenmal empfand ich gemeine Langeweile: und hatte mit
den gemeinſten Gedanken zu kämpfen. Ein mir fremder, er-
ſtickender Zuſtand, da mich Krankheit, in Herz und Geiſt bis
jetzt ſteigerte. — Varnh. liegt noch ſeit dem 1. Januar, ein
Zimmer zwiſchen uns, an einem zur Furcht anzuhörenden
Huſten eben ſo darnieder. Mahle dir das aus: und wo ich
fehle, alles fehlt. Eigentlich dauert meine Konvaleszenz vom
vorigen Jahr noch — geſtört, aus tauſend Winklen (!) —
fort. Jedoch bin ich ſeit acht Tagen wieder heiterer: meine
Nervenſtimmung iſt reiner, obgleich ich ſehr an Dröhnen
leide. Von Natur bin ich aber lebendig, und gewöhnlich un-
[422] terhalte ich mich mit mir: aber auch leſen kann ich leider
nicht hintereinander, und nicht ohne Nachtheil. Den 26. De-
cember war Mendelsſohn-Bartholdy’s ſilberne Hochzeit, wo
ich und Varnh. ſchon krank hinfuhren; wo hundertundfünfzig
Perſonen waren; und da wollte der Tod Hand an uns legen;
und hat uns beſchädigt. Es war in der großen Kälte. Am
ſchönſten war die Gutmüthigkeit, die Geſinnung der Gäſte und
Wirthe; und ein himmliſches Gedicht, welches ihnen Ludwig
Robert gemacht hatte. Von allen Theatern und Wintergeſel-
ligkeiten weiß ich nichts: Zerſtreuung möchte ich; aber kaum
regrettire ich Einzelnes verſäumt zu haben, was ich auch da-
von höre; und wie ich es mir auch vorzuſtellen habe. Das
Alter thut ſich bei mir vorzüglich dadurch kund, daß ich im-
mer delikater, exigeanter werde. Meine Kritik ſteigert ſich;
nämlich, ich dulde noch alles! — aber nicht als Vergnügen.
Bücher, Gedichte, Muſik, Darſtellungen, Betragen; iſt mir al-
les bei weitem nicht ſchön genug. Ich ſelbſt leiſte weit, weit,
weit weniger, als ſonſt; und finde mich iſolirt: alſo alt. Auch
die Krankheiten, und die ſchlechten Sommer, und Winter, und
die zunehmend große Stadt unterſtützen mich nicht in Genuß
und Bequemlichkeit, die ein altes Weib immer mehr bedarf.
Nun weißt du das Schlechteſte: und zugleich weßwegen ich
nicht ſchreibe. Mein Haus iſt noch immer wie ein Zollhaus,
wo ſich mitten in Krankheiten ununterbrochen Männer und
Frauen einführen laſſen; und Verkehr und Verbindungen ge-
hen ihren Gang: aber eine mir liebe genügende Kotterie wüßte
ich nicht. — —


Du glaubſt es nicht! Wie unſre Mutter mich immer
[423] mehr und mehr beſchäftigt: und wenn ich ſehr leide, iſt es
mein ſtillender Troſt, zu denken, daß ich Mama nicht mehr
geleiſtet, ihrem Zuſtand nicht einſah, und nun Strafe leide.
Kein Gewiſſenleiden empfinde ich dabei: aber regrets! daß ich’s
nicht ändern kann. „Ach wer ruft nicht ſo gern Unwiederbring-
liches an!“ ſagt Goethe in der Elegie Euphroſyne. Die Un-
ſern ſind wohl.


Varnhagen grüßt euch! Und ich ſage tauſend Liebes an
Karl. Was leſt ihr? Ich, viel; und die Blätter alle Tage.
Leſet poésies détachées de Victor Hugo, les Orientales. Wer-
den wir uns nicht ſehen?

Rahel.


Einſicht macht uns Menſchen zum Sklaven der Pflicht;
wie zum Statthalter auf der Erde. Wir dürfen uns nicht
da mit tröſten: „Wollte es der liebe Gott anders haben, würde
er’s anders machen;“ wir ſollen es anders machen. Wir ha-
ben Miteinſicht.




Welch ein Wort ſprechen die ſchamvergeſſenen Damen
aus, wenn ſie ſagen: „Mich wundert nur, daß man davon
ſo viel ſpricht! Wie kann von einer Aktrice ewig die Rede
ſein; ob ſie ein Kind habe, ob ſie keines habe!“ Alſo ihre
hochgeprieſene Weibertugend, im Zielpunkt aller Sittlichkeit
als Adler zum Treffen aufgeſtellt, gehört ihnen auch nur zu einem
Vorrecht adlicher Damen? ſoll eine andre Art eleganter Aus-
ſtaffirung ihrer vornehmen Empfangszimmer ſein; die ein
[424] arm, bürgerliches Mädchen gar nicht braucht; bei der ſie ſie
gar nicht vorausſetzen wollen? Nach ihnen giebt es Stände,
wo Tugend nicht nöthig iſt; und folglich die ihrige nur die,
die von ihrem Stande abhängt! Sie kennen ſo wenig das
Weſen von dem, was ſie zu lieben vorgeben, daß ſie noch
nie gewußt haben, daß grade der Tugend Weſen in der Un-
abhängigkeit von gegebenen Umſtänden beſteht. Den Vor-
zug, ſittlich ſein zu müſſen, wollen ſie auch an ſich reißen;
und Pöbel, roher, in der höchſten Sphäre ſein! — Eine ſolche
Behauptung in Betreff einer Aktrice erfrechte ſich vorigen
Winter eine fremde Dame (Gott habe ſie ſelig, ſie iſt nun
todt) gegen mich, meiner Zuſtimmung gewiß, alſo faſt in
Prahlerei; daß ſie in ihrem ſelbſtangefachten Eifer vergaß,
daß ihre eigne Mutter Schauſpielerin war, was niemand hier
weiß, aber ich grade wußte. Die Arme; ehre-, ſchande- und
liebe- und tugendvergeſſene Dame. — Verſtocktes Lumpen-
volk, welches ſich unterſteht Chriſtus Namen zu läſtern: in-
dem es ihn ausſpricht! Möge Gott ſie erleuchten! und mir
verzeihen
! fällt mir ein.


Schönes Wetter, nimm mich auf,

Bring mich in die Heimath!

Mach’ ein Ende meiner Qual,

Führe zu dem Tod mich hin;

In Verändrung leiſe!

Du biſt Heimath, fühl’ ich wohl,

Laß mich hier nicht ſchmachten.

Athem, Seele machſt du frei;

Frei von Schlechtem, Laſten.

[425]
Was ich hier erlernen ſoll,

Weiß ich ja ſchon längſtens.

Schönes Wetter nimm mich auf,

Oder bleibe bei uns!


An Adelheid Fürſtin von Carolath.



Warmes Regenwetter.


Warum iſt es möglich, einen ſolchen Frevel zu begehn!
(Sechsmal hab’ ich nun ſchon eine nicht ſchreibende Feder!!!
das begründet bei meinen Nerven die Möglichkeit; ſonſt hätte
ich ihn gar nicht begehn können:) auf einen Brief wie der
Ihrige nicht zu antworten: auf ſolch Geſchenk nicht! Wel-
ches mir mein Haus beliebt macht, verſchönt. Unzähligemal,
zwanzig-dreißigmal ſehe ich es des Tages an, und betrachte
es; und liebe es. Alle Menſchen bewundern es. Geſtern Abend
Gräfin Yorck, Mlle. Solmar, die ſchöne Robert, General Pfuel,
Williſen. Alle Abend Andere. All Ihr Liebes, all Ihre Grazie,
all Ihr Gutes, alle weibliche und menſchliche Empfindungen,
finde ich darin; die Frau, das Mädchen, die Dame, welche
ihre große Welt kennt, und von ihr erzogen iſt, finde ich
darin; Taille, Anzug, alles. Und endlich vermiſſe ich, durch
das lange und viele Betrachten — à force de le regarder
doch etwas. Einen großen hervorſtechenden Beſtandtheil der
ganzen Adelheid; einen, der allem andern Reiz — für
[426] mich —, aller Weichheit, des ganzen Karakters erſt ſeinen be-
ſonderen eigenthümlichſten Werth giebt: die helle Klugheit,
und das militairiſche, ich möchte es vornehmes Wollen
nennen, welches bei dem für das Beſte Gehaltenen bleibt, und
nie verzweifelt, Mittel zu ſeiner Ausführung zu finden; ſie
deßhalb immer erhält; und ſie, unerachtet der größten Weich-
heit und kinderartigen Nachgiebigkeit, richtig und beharr-
lich
anwendet: mit Einemmale, das Kind, und das Weib
weit bei Seite gelaſſen! Dieſe Eigenſchaften drücken ſich mit-
ten
im ſanfteſten Auge aus; öffnen es mehr, als im Bilde,
und machen es zu einem ſehendern. Es iſt mehr als möglich,
wahrſcheinlich ſogar, daß Sie während der Sitzung den Mah-
ler nur ſo anſahn, wie er ſie dargeſtellt: aber er muß auch
andre Momente in ein Konterfei hineindrängen, als nur die
der Sitzung. Dies abgerechnet, hat er ein Meiſterwerk ge-
liefert. Weil er wirklich das Vielfältigſte, wie es in Ihrem
Geſicht und Weſen vereinigt iſt, hineinpreßte, und mit Lieb-
lichkeit und größter Wahrheit zu beleben wußte. Dieſes liebe
Bild der lieben, theuren, tief erkannten Freundin iſt ſeit vier-
zehn Tagen gefaßt, und ſteht auf einer Kommode, die nun
im Wohnzimmer da ſteht, wo ſonſt der Sopha geſtanden.
So hat es herrliches Licht. Auch iſt es gut umgeben; mit
Gläſern, Vaſen und Blumen. Dort, wo Sie es hin wollten, —
und auch ich —, hatte es kein Licht. Als ich Ihren Brief,
und dies Geſchenk erhielt, war ich ſehr krank zu Bette; zwei-
mal ſah ich den Fürſten: ich konnte ihn nicht einladen! —
V. lag noch zwei Wochen länger, als ich. Seit vierzehn
Tagen fahre ich wieder aus. Meine erſte Fahrt nach einem
[427] Rahmen; den ich von keinem Andern beſorgen ließ. Eher das
Bild unter Fach war, wollte ich nicht dafür danken; und
dann war es vierzehn Tage ſchon im Rahmen, und ich dankte
doch noch nicht! Die Tageswogen; viele ſehr leidende Stun-
den auch in meinen beſten Tagen: aufgehäufte Lektüren, Rech-
nungen, Geldgeſchäfte, Geſelligkeitspflichten, die Kinder: meine
Nervenreizung beim Schreiben — und doch Briefe in Ge-
ſchäften — Anderer —, und Tagesbillette, und Beſuche, und
Anforderungen ohne Zahl, und ohne allen Zuſammenhang:
denn zu welcher Klaſſe gehöre ich nicht? wenigſtens ſo lange
ſie etwas von mir wollen
. Und wer giebt ſich, mit der
hellſten Einſicht darüber, mehr dafür her, als eben ich: und
in der Schwäche der Konvaleszenz nur noch unwiderſtreben-
der. Wie müßte mein Bild ausſehen, wo alles dies ausge-
drückt wäre! —


Theure Fürſtin! Sie zweifelten nicht an mir?! Nein.
Nein. Alle Tage ſuchte ich in den Zeitungen nach der Auf-
führung der Oder: immer Carolaths wegen: heute wieder,
und da finde ich das Elend von Muskau. Eine Betrübniß
für mich und Varnh. als träf es uns ſelbſt. Und noch an-
ders! Der Verdruß der theuren Freunde: die Zerſtörung des
menſchengeſchaffenen Paradieſes; die Armen dort. Ihr An-
theil, noch zu dem Leid von Ihren Beſitzungen! Die Hülf-
unfähigkeit wird zur Angſt. Auch dies ein Grund, der mich
oft hinderte, einen Brief anzufangen. Was ich nur irgend
miſſen konnte, war weggegeben. — Ich hatte keinen Winter-
hut; noch Mantel: alles weggegeben, was ich gebraucht hätte;
Noth von allen Seiten. Alte Ammen meiner Familie; Stu-
[428] denten ohne Feuerung. Kurz, alles war weg. Mündlich
könnte ich es Ihnen ſagen, und zeigen. —


An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Saarburg.



Ich bin nur in Berlin, und doch zerſplittert ſich meine
Zeit; die Geſellſchaft, und was daraus folgt, und was jedem
Abend vorangeht, reißt mich wie ein Strom fort; ich konnte
ſeit acht Tagen nicht den Augenblick finden, um Ihnen, wie
ich es wollte, gleich zu antworten: und damit Sie eine Art
von Bild des Lebens haben, das ich führe, ſo ſag’ ich Ih-
nen — mit Bedauern: weil es häßlich iſt, und ich über alles
Häßliche, für mich und für meine Freunde, blaſirt bin — daß
ich viele Stunden im Morgen brauche, um meiner Geſundheit
zu ſchmeicheln, oder vielmehr, meiner Krankheit: die in Rheu-
matismus beſteht — geerbtem —, der ſich über die Nerven
verbreitet, und von dem tollen Wetter, das ſich auf unſrem
Erdball feſtgeſetzt hat, unterſtützt wird. Die moraliſchen Wi-
derwärtigkeiten waren ſo groß während meines ganzen Lebens,
daß ich lächle, wenn ich verſucht bin, davon zu reden. Wenn
ich Sie mit Muße ſehen werde, ſo könnt’ ich Ihnen den groß-
artigſt erfundenen, den reichſten Roman erzählen; der einen
[429] größern Meiſter, als Cervantes, Goethe und Shakeſpeare,
zum Verfaſſer hat, und den ich Ihnen nach Maßgabe, daß
ſeine Ereigniſſe meinem geſchwächten Gedächtniſſe gegenwärtig
würden, vertrauen könnte; — Gott weiß es; ich weiß es nicht
mehr: pflege ich zu ſagen; — da ich Ihnen alles vertrauen
kann: weil Sie alles begreifen. Heute hab’ ich mit Gewalt
alles entfernt, ſelbſt meine Nichtenkinder, um Ihnen ſchreiben
zu können. Und ich beginne mit Viktor Hugo. Derſelbe
Grund, der Sie beſtimmt, über dieſen Gegenſtand ſchweigen
zu wollen, der grade zwingt mich, über meinen Beifall mich
näher auszulaſſen. Zuerſt, ſetz’ ich es als eine Unmöglich-
keit
, daß wir über einen Autor, über einen Dichter, über
ein Werk der Kunſt verſchiedener Meinung ſein können. Ich
habe nur die „Orientales“ gelobt; und die ſind vortrefflich!
Leſen Sie ſie wieder. Die Sultanin, das feſte Schloß, der
Derwiſch und Ali-Paſcha, die Schweſter und die Brüder —
der Schleier heißt es, Sie ſehn, ich weiß die Titel nicht recht —
die Badende u. ſ. w. u. ſ. w. Er glaubt nicht „que le na-
turel est rebattu,“
er hat ſo ſehr„le sentiment du vrai,“
daß er die Wahrheit in Situationen, die unſren Sitten fremd
ſind, zu erſehen weiß, er ſieht, er überſetzt ſie ſich; er glaubt
nicht „que le faux est du neuf,“ weil er zu reich in der Wahr-
heit iſt; nicht falſch faßt er die Natur auf, aber er ſucht ſie
für ſeine Schilderung außerhalb der europäiſchen Geſellſchaft,
von der bis jetzt noch Paris der Mittelpunkt iſt; er ſchickt
ſeine Empfindung in andres Klima, in einen andern Kreis
von Vorurtheilen und Sitten aus. Er iſt voller Einſamkeit,
und Empfänglichkeit für das, was er hat ſehen können, und
[430] ſich ausgedacht, und in der Einbildungskraft geſehen hat; er
trägt es vor mit dem Kalkül des Künſtlers, mit dem geheimen
Kalkül, der dem Dichter angehörig iſt, und dem Künſtler je-
der Art. Mein „entourage“ hat nichts mit meinem Urtheil
zu thun; unſer „point de vue“ über eine ſo weſentliche Sache
ſoll nicht, darf nicht verſchieden, noch entgegengeſetzt ſein;
aber die Verſchiedenheit unſrer Länder, das heißt unſre beiden
Sprachen und Lektüren, kann uns über die Orientales von
einander abweichen machen: und grade aus dieſem Grunde,
aus dieſem einzigen Grunde, der dieſes Wunder zwiſchen
uns bewirken kann, ſchweige ich nicht, ſondern fordere Sie
auf, das Buch, als wäre es eines von Goethe, oder ein von
mir geſchriebenes, nochmal zu leſen. Es iſt unmöglich, daß
Sie, mit ſich ſelbſt allein, nicht alle Schönheiten und Seuf-
zer, die es enthält, empfinden ſollten. Was Cromwell betrifft,
den muß er umdichten. Hier iſt er in denſelben tiefen Irr-
thum gefallen, worin ſich alle neueren franzöſiſchen Schrift-
ſteller befinden, die jetzt nach Shakeſpeare dialogiſiren, und
alle gemeinen Leute ſchildern, ohne die Mitte, das Prinzip
zu erfaſſen, woraus dieſe handeln und reden: anſtatt daß
Shakeſpeare nur das Prinzip ihres Weſens, unter einer leich-
ten und geiſtreich gewählten Maske darſtellt, und ſie alle
für die Ewigkeit mahlt; ich z. B. begegne alle Tage ſolchen,
die nach ſeiner Erfindung ſprechen, nicht mehr, nicht minder!
Die „États de Blois“ und die „Barricades“ ſündigen durch
denſelben Irrthum; als ob die Geſchichte in den Schenken und
bei den Schilderhäuſern ſich machte: und nur da. Dies Volk
ſpricht ein wenig von den bedeutenden Perſonen; das iſt
[431] alles: anſtatt daß es nur der maſſenhafte Hintergrund ſein
darf, auf dem wir die wirklich Handlenden ſehen müſſen, und
von Zeit zu Zeit einige Figuren, die ſich von dem dunklen
und oft unreinen Grunde ablöſen. Soviel über Herrn Hugo.


Ich bin entzückt, daß Sie die Reiſe gemacht haben,
um Ihre alte Bonne zu ſehen. Wenn man nicht Venus in
Perſon ſieht, das heißt eine Frau, die man liebt, und von
der man wiedergeliebt iſt, ſo kann man nichts ſehn, was grö-
ßere Befriedigung gäbe! und es ſcheint faſt, daß ein ſo häß-
liches Dorf zu einer ſolchen Liebeshandlung erforderlich iſt.
Auch bin ich auf dem Punkt angelangt, mir ſolche Vergnü-
gungen zu machen, und zu den andern nur mitfortgezogen
zu werden. Doch ſehe ich genug Leute und Fremde; bei mir
meiſtens. Mlle. Sontag habe ich dreimal gehört: und ich
finde ſie ſehr Paſta und ſehr gut in Othello; und freue mich,
ſie morgen in einer geputzten Geſellſchaft, auf einem Ball zu
ſehen. Sie iſt hier ſehr fêtirt, bei Hof, von den Diplomaten,
und von der Stadt; ſie hat alle Damen für ſich; ſie verdient
es wegen ihrer Gutmüthigkeit und Beſcheidenheit, die ihrem
großen und geſchmeidigen Talent noch erhöhten Glanz geben.


„Détestable Paris“ ſagen Sie. Richtig. Jede ville-monstre
iſt es. Berlin ſchon. (Ganz Berlin iſt bedeckt mit den
ſchönſten Blumen; Fenſter, Straßen, Plätze, die Keller; alles
iſt voll damit beſetzt. V. giebt mir eben ein ungeheures Bou-
quet von einem neuen Blumenmarkt: alles grünt; durch die
ganze Stadt hin giebt es hier Grünes; Überbleibſel der preis-
würdigen Barbarei, von kleiner Stadt her!)


Aber ich vergöttre Sie! aus Entzücken darüber, daß Sie
[432] das Geld, ſo jung Sie auch ſind an Jahren und gan-
zem Weſen, richtig anſehn, wie es anzuſehn iſt! „L’ima-
gination“
iſt es, wie Sie ſagen: alſo das Weſentliche; und
darüber richtig zu denken, rettet uns, und ſtellt uns in Si-
cherheit über alles. Das Geld iſt das Erzeugniß alles ver-
gangenen Mouvements, — ſelbſt das der Sonne — und die
Anregung des zukünftigen; wohl muß dies das phyſiſche Reſ-
ſort des wirklichen Lebens ſein, und dieſes Reſſort erkannt
zu ſehen in dem erforderlichen Alter, in dem Alter, wo man
noch fähig iſt zu leben, heißt wahrlich ein Fund, der alle
möglichen Beglückwünſchungen verdient; und doppelt, wenn
man erwägt, welche Richtigkeit des Urtheils dieſe Überzeugung
in einer feinen und von den gemeinen weltlichen und irdiſchen
Intereſſen befreiten Seele vorausſetzen muß!


Was ich machen werde? das frag’ ich mich ſelbſt: Ihre
Einladung iſt wenigſtens die vierte, die ich nach Schleſien
habe. — Fünf Meilen von Breslau hab’ ich einen Engel,
die Gräfin von Yorck, Schwiegertochter des Feldmarſchalls,
ganz jung, die mich liebt, und mich zu ſich eingeladen hat;
dann Adelheid Carolath, der ich ſeit vier Sommern einen
verſprochenen Beſuch ſchuldig bin. — Aber wie das alles
einrichten! — Und dann hab’ ich ein Kind hier, von dem
ich mich nur mit einem an tauſend Stellen blutenden Herzen
losreiße. Kombiniren Sie mir das. Kommen Sie wenigſtens
hierher mich abzuholen; ich habe meinen Wagen, und wir
fahren zuſammen. Wenigſtens ſchreiben Sie mir genau, und
ſchnell; und immer wenn es noch Zeit iſt. Glauben Sie, daß
ich immer leben werde? wo werden Sie eine Zweite finden wie
mich
[433] mich! Sie ſind reich und frei, laſſen Sie dieſen Theil des Le-
bens nicht entſchlüpfen. Ich bin eine Art Mutter, und ein
Gefährte, und nichts von dem allen, und mehr. — Sieht
Ihr Freund die Bäume, wie ich: ſchreit er Aſtolf, wie ich,
wenn er einen ſchönen, reichen, einen bizarren, einen ſehr
grünen ſieht? Findet er es gut, wenn Sie ihm nicht ſchrei-
ben, wie ich? —


Varnh. nimmt den größten Antheil an unſrer Freund-
ſchaft, und grüßt Sie. Und ich verlange eine Antwort. Fr. V.


Als ich vor eilf oder zwölf Jahren Tancredi in Karlsruhe
hörte, fiel es mir gleich auf, daß das Recitativ von tanti pal-
piti
nicht zu der Kavatine paßte; und ich ſagte es. Mehrere
Jahre nachher hörte ich, daß Roſſini dieſes Recitativ zu einem
andern Muſikſtück gemacht habe, und daß eine Sängerin
dies nicht ſingen mochte, oder konnte, und er ihr dieſestanti
palpiti
ſetzte. —


Karl Finkenſtein ſah ich zuerſt in der italiäniſchen Oper,
wo die Marchetti in einer Righini’ſchen Oper ſang: ich war
in der Loge der Geſandtſchaftsſekretaire, er neben mir in der
Geſandtenloge. Weil die Logen ziemlich leer waren, fiel er
mir auf, wegen ſeiner Blondheit; noch mehr wegen der Art,
wie er zuhörte. Ich ſah ihm an, daß er ein Menſch ſei, der
ſich einbilde, all dergleichen viel beſſer gehört zu haben: der
Muſikdirektor Anſelm Weber war auch neben mir; dem machte
ich die Bemerkung, und fragte, ob er den Menſchen kenne.
Da erfuhr ich ſeinen Namen; aber nicht, daß alle ſeine Ge-
ſchwiſter und auch er das Singen ſo ernſt und nachhaltig
III. 28
[434] trieben, und er wirklich meinte, in der Welt würde nicht
beſſer geſungen, als in Madlitz. —


Als der Muſikdirektor Anſelm Weber hier angeſtellt wurde,
— nach Weſſely, der zuerſt hier die Mozart’ſchen Opern mit
ſparſamen Orcheſtermitteln auf die Berliner Bühne brachte,
und ſehr gut aufführen ließ, — und ich mehrere der von ihm
dirigirten Opern hörte, fand ich, daß er alles in dem Sinne
der Ouvertüre der Zauberflöte, — die damals eine Revolution
zu nennen war, und die Weber vortrefflichſt geben ließ, —
vortragen ließ; und ich ſagte es, erſtaunten Leuten, die nur
höflich genug waren, mir nicht zu antworten: warum nicht
gar! — Bedeutend lange nachher lernte ich Weber perſönlich
kennen, und er kam ſehr gerne, und alſo viel zu mir, ſpielte
mir vor, — er war nächſt Kalkbrenner der Feinſte im Vor-
trag des Pianoſpiels, — und ich war in Muſikangelegenhei-
ten ſein Konfident. So erzählte er mir einen Tag ſeine ganze
[Entwicklung] in muſikaliſcher Hinſicht: und ſchüttete mir ſein
Herz aus, wie er die Komponiſten liebe, was er an ihnen
liebe, wie er zu ſeinen Erkenntniſſen gekommen ſei; er endigte
ſo: „Ich kam zu Vogler (dem Abt, ich glaube es war in
Köln), unter dem mußt’ ich ſtreng ſtudiren,“ und er lobte ihn
als verehrten Meiſter viel; auch konnte man ſehr deutlich
hören, daß deſſen Manier in Vortrag und Kompoſition un-
verkennbar und []unvertilgbar in ihn eingedrungen war:
„dann reiſte ich aber nach München; und ging unbefangen
in die Zauberflöte; und wie ich die Ouvertüre hörte, glaubte
ich umzuſinken, zu ſchweben; ich war nicht mehr im Schau-
ſpielhaus, nicht auf der Erde mehr: das iſt die Muſik! ſchrie
[435] ich, nun weiß ich, was Muſik iſt, was Muſik will: und ich
fand mich völlig umgewandelt!“ — Dieſe Erzählung von
Weber ſchmeichelte mir ſehr. —


M. war in ſeiner Jugend ſehr verliebt in eine Demoi-
ſelle aus Köthen; junge, hübſche Tochter eines Pferdehändlers,
die er in Leipzig zur Meſſe hatte kennen lernen, wo er mir
ſie immer zeigen wollte, welches nicht gelang; ich konnte ihr
nie begegnen. Zwei Jahre ſpäter kam ſie hierher nach Ber-
lin; er war noch ziemlich verliebt, und ſehr befliſſen, mich
die Schöne ſehen zu laſſen, von der er eine Menge guter Mei-
nungen hatte. Hier gelang dies Vorhaben beſſer; wir begeg-
neten ihr in einem ſchönen Wetter Vormittag auf dem Opern-
platz. „Da iſt ſie! da geht ſie! da drüben mit dem Roſa-
hut!“ — Ich ſehe hin. — „Nun? wie finden Sie ſie?“ —
Recht hübſch; aber wiſſen Sie, wie ſie ausſieht? —
„Nun?“ — Als ob ſie eine Liebſchaft mit ihrem Friſeur ha-
ben könnte. „St!“ ſchnalzte er mit der Zunge; „Einfälle!“
ſollte das heißen. — Die Woche drauf echappirte ſie mit
ihrem Friſeur. So gut ich auch geſehen hatte, ſo ſchmeichelte
mir doch das Ereigniß zu ſehr, en détail; und ich wäre eben
ſo ſtolz mit weniger Pünktlichkeit von ihr geweſen. Wir
müſſen aber zu ſehr geſchmeichelt werden, um es genug zu
ſein. —


Dieſe Geſchichten wollte ich doch nicht untergehen laſſen.


28 *
[436]

An Frau Hofräthin Herz.



Einen Fehler haben Sie, und hatten Sie von je, liebſte
Freundin: Ihre zu große Beſcheidenheit, die Ihnen nicht alle
Selbſtthätigkeit erlaubt, deren Sie durchaus fähig ſind. Aber
Ihnen ſchadet das weniger bei Ihren hohen Tugenden, denen
Sie mit dem größten Talente Folge leiſten. Haben Sie die
Gnade, ſich die Blätter von unſrer Lotte geben zu laſſen.
Dann kommen ſie mir ohnehin näher. — Verwahren Sie
dieſe Karakteriſtik.


An Ludwig Robert, in Berlin.



Geht denn das kindiſche und nun bereits auch ſchon ganz
veraltete Vorurtheil, oder vielmehr Irrurtheil über die Rich-
tigkeit der Theaterkoſtüme immer noch ſeinen verdumpften
Gang; ohne auch der neuen Direktion hier aufzufallen, ohne
auch nur Eine laute Stimme im Publikum zu finden, die für
die geſündere Einſicht zu ihr ſpräche, es ſei direkt oder ver-
mittelſt eines gedruckten Blattes! Kannſt auch du nichts an
die Direktion gelangen laſſen, was nicht eine banale Billi-
gung, Beſchönigung, Beſchmeichlung — um Freibillets oder
ſonſt eine Belohnung — wäre! Kann ſich eine geſcheidte
[437] Theaterverwaltung von ſolchem Lob beruhigt, und befriedigt
finden wollen?


Wie ſah die arme Dlle. Hoffmann geſtern aus! Ein
hübſches, nicht großes, eher korpulentes, blondes Mädchen,
mit lieblichen, nicht ſtark geprägten Geſichtszügen; der das
Loos zufällt, einen jungen Königlichen Helden zu ſpielen:
was beginnt man mit der, um ſie dieſem am ähnlichſten zu
machen? — Sie ziehen ſie im Ganzen an, daß ſie einer Kar-
tenfigur — von ſonſt, noch obenein — oder einer Konditor-
figur — auch von ſonſt — am ähnlichſten wird. Dunkelroth
und weiß geſchichtet: ſo dick als möglich. Was gebrauchen
ſie für Einzelnheiten dazu? Eine Pudelperücke, nicht von
dunklen, — von blonden Haaren, wie die Aktrice ſie ſelbſt
hat, — fängt das Haupt an; der dickſte Stoff, der um kei-
nen Preis fallen will, bildet das Gewand; Treſſen, wie ſie
Kirchen und Altäre ſchmücken, ſind der ſtarke Beſatz auf die-
ſem zu ſtarken Kleide, welches ſich, halb als Kleid, halb als
Gewand, aufbauſchen muß; der Mantel, worin es nach vielen
Windungen und Biegungen nach hinten fällt, ja nicht zu
lang! — daß er das Ganze der Geſtalt ja nicht verlängre!
— Die breiten blanken Treſſen ja nicht in die Länge herab
geſetzt; ſondern ſo

[figure]

in die Quer: horizontal, damit ſie die
Geſtalt durchſchneidend verkleineren, und verdicken; und das
vorne, vom Hals herab, ſiebenmal; ehrlich gezählt; in
ſchmäleren und breiteren Streifen. Ein Feind der Dlle. Hoff-
mann hat ihr das gethan, wie in Almaviva’s Pagen; von
welchem nachher. —


[438]

Die Koſtümeurs werden antworten, das ſei das Koſtüm
von Anno ſo und ſo. Gelehrte, mit denen ich noch geſtern
nach der Vorſtellung der Semiramis zuſammenkam, bewieſen,
daß ihre Zeit durchaus eine fabelhafte, unzuermittlende ſei,
und Koſtüme erſt ſechshundert Jahre nach dieſer vorgeblichen
Zeit erwähnt gefunden werden könnten. Geſetzt aber auch,
wir hätten ſogar Portraite aus dieſer Zeit: bliebe es nicht
immer ein kindiſcher Grund, unſern Sinn, Auge, und unſer
Urtheil deßhalb peinigen zu wollen? Uns Dlle. Hoffmann
z. B., ſo wie man ſie geſtern erſcheinen ließ, als einen jungen
Helden aufdringen zu wollen, der eine Semiramis, die nicht
allein ſeine Mutter ſein könnte, ſondern es zum Beweis auch
iſt, zur Liebe reizen kann. Eine minder pudelartige Perücke —
wie man ſie vollkommen ſchön in jeder Art verfertigt — von
dunklerem Haar, als das der jungen Aktrice; den Fall des
Haars veranſtaltet, daß es eine Art von Backenbart zu bilden
ſcheint, wenn man einen ausdrücklichen glaubt vermeiden zu
müſſen; einen Schnurrbart, einen kleinen Jünglingsbart ſo-
gar — die andern Männer in dem Stücke tragen ja welche,
— eine kleidendere, dunkle Mütze, und nicht einen drapd’or’nen
Blumentopf auf dem Kopf, wenn auch zu irgend einer Zeit,
irgend ein Volk dergleichen trug! — oder ſteht die Kunſt,
ſolche Epoche, wo ſolcherlei vorging, herauszufinden, über al-
ler ſchönen Kunſt, Geſchicklichkeit in ihr, und Wohlgefälligkeit
von ihr; ſtehn über alles dies Wiſſenſchaft und Studium?
Kann dieſer kindiſche und abgetragene Irrthum noch immer
vorhalten? Und wollen die Theater darin noch immer wett-
eifern? Warum hat Dlle. Hoffmann nicht die Fuß- und
[439] Beinbekleidung, die ſo ſchlank und groß macht, welche die
Männer, Hr. Stümer und Alle, in der Belagerung von Ko-
rinth tragen? Soll ich noch von den feuerfarbenen oder zie-
gelfarbenen Koſacken mit den ſchwarzen Mützen ſprechen, die
diesmal die Prieſter vorſtellten, — alles andere weglaſſend, —
oder gleich von Dlle. Hoffmanns Pagenkleid in Figaro reden?
Wo man ſogar das ſonſt ſo vielbeſprochene Unanſtändige
nicht achtete, und Trikot gebrauchte, bei einem Pagen, der
ganz nach des Grafen Almaviva Geſchmack gekleidet ſein
kann; und wo man hätte befliſſen ſein müſſen, die junge Schöne
zu ſo einem ſchlanken Pagen als möglich zu machen; ihr nicht
die ganze Geſtalt, auch mit einem dicken, ſich drängenden
Lockenſchmuck, woraus drei richtige zu machen wären, auch
von obenher herabzudrücken; und ſie nicht noch mehr als eine
Viertel-Elle überm Knie noch ſo gut als nackt zu zeigen, wie
die Heldenfiſcher in der Stummen von Portici zu ihrem Nach-
theil ſchon viel zu korpulent umhergehn.


Wird immer nur leere Eitelkeit dergleichen anordnen;
und werden wir nicht auch hierin ein Vorbild von Solidität,
Sitte, wahrer Gründlichkeit, und alſo Beſcheidenheit ſein wol-
len? Das kann nicht ausbleiben. Es muß bald kommen.
So viele richtige Überzeugungen müſſen dieſe eine herbeifüh-
ren; ſcheue man nur kein gutes Wort; welches manchmal in
einem derben beſtehen muß. —


[440]

An Roſe, im Haag.



Sonnenſchein nach Regen; Wind, Wolken; prächti-
ges Grün; Blumen, Früchte, alles in Fülle. Das
Wetter iſt nach Zeitungen und Briefen allenthalben
ganz gleich.


So gratulire ich dir denn aus vollem Herzen zu der
prächtigen Anna. Welch Glück, immer jemanden vor Augen
zu haben, deſſen Inneres und Äußeres einem gefällt! Eigent-
lich brauchte ich nur das letztere zu ſagen. Weil wir uns,
wenn wir richtig zuhorchen, nie irren, wenn uns ein Äußeres
wirklich gefällt. Anna gefällt mir durchaus. Augen, Au-
genbraunen, Haare, Zähne, Hals, Wuchs, alles dies ſchön;
die etwas großen Hände — kleine haſſe ich — ſchön, Teint,
ſchön und reizend. Nymphenartig, fein, elegant, tüchtig, in-
nig, empfindungsvoll und geſcheidt: ſo ſieht ſie aus; und ſo
iſt ſie. Spricht deutſch und franzöſiſch ſo reizend wie ein En-
gel; voller feiner Lebensart, und die Natürlichkeit ſelbſt!
(Auch zieht ſie ſich gut an; und du weißt, was das bei mir
gilt! Ich kenne ſolch Mädchen jetzt nur durchaus in ihr.
Hier iſt kein’s ohne eine Beilage von Dünkel, Narrheit,
Fadheit, und Begränztheit; weil, ſich all dieſe böſen Dinge,
auf Religioſität, Sittlichkeit, und Bildung des Innren, und
der hergebrachten Talente, und genoſſenen Unterricht beziehen
wollen: und ich daher nur ſtolze, ſteife, brummige, leere, un-
taugliche Gänſe ſehe. Ich nehme in meiner Bekannt-
ſchaft, in Norddeutſchland
, nur aus: ............ —
Anna glaubt gewiß nicht, daß ich ſo von ihr denke, noch daß
[441] ich ſie ſo durchſchaut habe — das verſtehe ich, — ſagte ein
Hamburger Jude, — in dem Fach bin ich ein Ignorant —,
ſogar geht eine leiſe Wolke, der Unzufriedenheit mit mir,
durch das Gemüth unſerer geliebten Anna: und ſie hat Recht,
liebe Roſe. Ihr mußte es erſcheinen, als hätte ich mich faſt
gar nicht um die Familie bekümmert. Und dieſe Unzufrieden-
heit erſchien mir, ſo innig, ſo ſchön-ſtolz, ſo leiſe, ſo wohl-
erzogen, ſo fein, und doch tief, daß ich das Mädchen erſt da-
durch, recht in Tiefe und Stärke ihrer Affekte kennen lernte!
Der alte Ignorant. — Meine Entſchuldigung. Als die Damen
ſchon weit über acht Tage hier waren, erfuhr ich es erſt; dann
beſuchten ſie mich; ich bat ſie acht Tage voraus, und es
wurde mir wegen eines Onkels Abreiſe abgeſchlagen. Nun
war Varnh. darüber, den ich in nichts zwingen kann, un-
gehalten. Ich hatte ihm die Damen ſehr gelobt, wir wollten
ſie möglichſt viel ſehn; das knapſte ab: nun hatte Erneſtine
einen Wagen, und ich wollte mit ihr zu ihnen hinaus nach
Charlottenburg: da fuhr ſie dreimal! ohne es mich wiſſen zu
laſſen. Inzwiſchen ſah ich die Damen allein bei mir, leider
ohne weitre Geſellſchaft für ſie. Ich, immer krank: ein Be-
kannter, Dönhofsplatz; einer, Leipziger Thor; einer, am
Ephraimſchen Garten. Viele weg, verreiſt: auf dem Lande:
ich zwinge es weder mit Kräften, Geld, noch Domeſtiken!
Sonſt konnte ich ſelbſt laufen; jetzt nichts mehr. Keiner,
kein Arzt, keiner als Dore weiß, was ich leide: die ſieht’s:
und weiß es aber auch nicht. (Schreiben kann ich auch nur
mit größter Noth, und Nachtheil. Zittern, Echauffement.) —
Die Damen immer par chemin et par voie; alles beſehn, fê-
[442] tirt von allen Seiten. Dann erfuhr ich, daß ſie plötzlich rei-
ſen, anſtatt Auguſt auszubleiben, wie mich Erneſtine vertrö-
ſtete. Geſtern kamen ſie Abſchied nehmen, weil ſie Dienstag
reiſen. — Nun iſt’s aus. Sage, erkläre dies Anna’n. Alles,
Umſtände, Kränklichkeit, ſtanden zwiſchen uns: ich kann nicht
mehr alles bezwingen, Roſe! Ich bezwang mein Leben durch,
zu viel: ohne Reſultate, als daß ich mich zwang. — Auch
Mad. A. gefiel mir ſehr wohl. Recht gut ausſehend, ſchön
angezogen; redſelig, freundlich, unbefangen, nachſichtig, voller
Empfindung — ohne alle Affektation — für Vaterland, alte
Stätten, Freunde, Verwandte, empfänglich, vernünftig. Man
möchte ſagen: ſehr zum Vortheil ausgebildet.


Dieſen Sommer bin ich ſehr beſetzt. Den ganzen Juni
war Varnhagens Schweſter, Frau Doktorin Aſſing aus Ham-
burg hier mit zwei allerliebſten Kindern- von eilf und zwölf
Jahren. Eine liebe, gute, tief gebildete Frau und Mutter.
Ich hatte ſie nie geſehen; und dann ganz vertraut den Tag
durchbringen, ſtrengte mich an. Sie hatte, voller Einſicht,
keine Prätenſion: aber ich hatte ſie. Mittwoch nehme ich
die drei Kinder meiner Nichte zu mir, da die Eltern auf zwei
Monat verreiſen; und ich die älteſte verabgöttre; und alle
drei niemanden vertrauen würde. Alſo kann ich vor Oktober
nichts, als die Pflege der Kinder und keine Sorte Reiſe un-
ternehmen. Mein Körper bedürfte eine außerhäusliche Reiſe,
wo ich ein unbeſorgender Fremder wäre; ohne alle Rückſicht
für jede andre Geſundheit, und jedes andre Wohl, als mei-
nes. Das Gegentheil minirt. Doch: jeder ſtirbt an ſeinem
Karakter. Sag’ ich immer. Ich freue mich die Kinder zu
[443] bekommen, und Tag und Nacht unbeſtritten für ihre Geſund-
heit und Freude zu ſorgen. Ich fahre ſchon den ganzen Som-
mer täglich mit ihnen aus. Das ſtärkt ſie; und erhält mich,
ſo ſo. Es ſind genaturte Engel! Und meine Älteſte!! Gott
ſoll mich nur noch für ſie leben laſſen! Ich traue ſie nieman-
den an, als ihm und mir. Wenn ich eine Reiſe mache, müſſen
die Eltern ſie mir mitgeben. Ich muß auch leben, Einmal.
Beſuchſt du uns nicht? Komme zum Winter! Wo nicht:
nur zum Frühling, Mai. Ein Rendezvous! Gott ſegne dir
dein ſchönes Haus, Promenade, Theater, Geſundheit, Mann
und Kinder, und fixen Aufenthalt! Ludwig und Frau, wohl.
Erneſtine und Kinder auch. Moritz kömmt heute von War-
ſchau. —


An Heinrich Heine, in Hamburg.



5 Uhr Nachmittag. Sonnentag, nach einer kleinen
Ausfahrt, einem kleinen Diner, einem kleinen
Nachmittagsſchlaf.


Vielleicht zerſtreut es Sie, in dem jetzigen Leben, und
bringt Sie zu ſehr hohen allgemeinen Betrachtungen, indem
es Ihnen die Befriedigung unſeres kleinen Herzens, als das
Wichtigſte zeigt, wenn ich Ihnen ſage, klage, erzähle, daß ich
ein zerſchlagenes Herz im Buſen habe, weil ich heute meine
Kinder den Eltern wieder abgeben mußte. Rein abgeben, als
wenn es ihre wären; und ich liebe ſie. Ich lebte endlich acht
Wochen, von Morgens 7 bis 9 — und auch des Nachts mit
[444] zwei- drei- viermal nach ihnen ſehen — Abends, mit, für, und
nur durch ſie. Ich machte ihnen Fleiſch durch Pflege; und
ließ ihre Seelen wachſen; ihren Geiſt ſich heben und regen.
Den ganzen Tag hatten die Drei, wovon Sie meine älteſte.
Eliſe, gewiß kennen, Prätenſionen an mich; den halben war
ich mit ihnen in Wald, und Feld, und Gärten. Nun iſt’s
aus. Alles aus; und ich in Eiferſucht allein; daß Andre ha-
ben
, was ich beſitzen ſollte; — und daß kein Deſpot, keine
Armee, kein Gericht exiſtirt, welches mir dies Gut zuſpräche:
und der liebe Gott wohl weiß was mir gebührt; und ich
leide. Sehr gut. Und ich ſoll wieder elend warten, bis ich
denken muß: er hatte Recht; ſonſt wär’ es ärger gekommen.
Es hilft mir nichts, aus der Zeit der verliebten Liebe zu
ſein; ich leide doch. Und Sie mit; denn ich mag nicht —
ſo ſehr kann ich nicht — ſchweigen; und Ihnen will ich
grade heute ſchreiben. Auch ſcheint es mir verſtockt, ein Ver-
rath und freundlos Benehmen, einen ſchweren, ſchwarzen Klum-
pen Leid im Herzen zu tragen, es in Schmerzen überſchwemmt
zu fühlen, und dies — ſchriftlich — zu verheimlichen, ganz
zu übergehn; und vom Tag, oder anderm Ernſt und Scherz
zu ſprechen. Wiſſen Sie, daß ich einen Todſchreck von den
Schneidergeſellen — wegen falſcher Berichte eines erſchrockenen
Domeſtiken, der während des Tumults, wie Roller vom Galgen,
zu mir ſtürzte, um mir die Stadt als ſaccagirt vorzu ſtottern
— hatte, einen Tag, wo ich wegen Nervenaffekt und Rheuma
ein Schwefelbad mit all den Üblen in dem Körper hatte; und
nur aus ungefähr nicht davon todt blieb; gleich nachher be-
kam ich den Brief, der mir die Ankunft, durch die ich die
[445] Kinder wieder miſſen ſollte, zum surlendemain ankündigte! —
gemelkt fühlt’ ich mein Herz. Unfähig meinen Körper. Seit-
dem hab’ ich gelacht, geredet, gedacht, die Honneurs der Tage
gemacht, wie immer. Und bin durch nichts in meinen Anſich-
ten und Meinungen geſtört. Hepp iſt mir ſo wenig unver-
muthet, als alle andre Unducht. Kein großer Trumeau, kein
„Jungfernkranz,“ kein Elephant über Theaterbrücken; keine
Wohlthätigkeitsliſte, kein Vivat, keine Herablaſſung; keine
gemiſchte Geſellſchaft, kein neues Geſangbuch, kein bürgerlicher
Stern, nichts, nichts konnte mich je beſchwichtigen. Die Pok-
kenmaterie muß raus; Schminke hilft nichts; und wäre ſie
mit Hausanſtreichpinſeln aufgeklext! Nur Deſpoten können
uns helfen; die Einſicht haben: oder — ſo geſagt, ſo ge-
ſchehn! Unverſehens hab’ ich Sie hier gegrüßt, mit allem was
ich jetzt, über jetzt zu ſagen weiß. Sie werden dies herrlich,
elegiſch, fantaſtiſch, einſchneidend, äußerſt ſcherzhaft, immer ge-
ſangvoll, anreizend, oft hinreißend ſagen; nächſtens ſagen.
Aber der Text aus meinem alten beleidigten Herzen wird doch
dabei der Ihrige bleiben müſſen. Und auch hier wiederhole
ich: Gott weiß das alles; ſieht was uns fehlt; und ſchickt ge-
wiß den trefflichen Deſpoten mit Bedacht aus weiſem Grunde
nicht. Dieſer Grund iſt Geſchichte; und das mindeſte bischen
Einſicht davon ſchon genug zu Geſchichtserzählung. Unſre
Krankengeſchichte iſt allein unſre Geſchichte. Alle haben wir
mit gefreſſen; und das muß wieder heraus. Kommen Sie
bald; ſchreiben Sie noch früher! Ich leide ſchrecklich an Un-
gewaſchenem, was jetzt auch ſonſt Geſcheidtere und Gewaſch-
[446] nere hervorlaſſen. Wie wenig wird ächt geſehn und gedacht.
Adieu. Geſundheit und heitre Tage. —


An Gentz, in Wien.



Das ſchönſte Sonn- und Mondwetter.


Der Himmel hat Sie geſegnet, ſah ich völlig ein, als
Fluthen von Segen aus meinem Herzen für Sie ſtrömten,
nachdem ich Ihren paradieſiſchen Brief eben geleſen noch in
Händen hielt. Ich fühle eine ewige Fortdauer, köſtlicher rei-
ner Freund
, in dieſer Übereinſtimmung: die iſt tiefer gegrün-
det, bezieht ſich auf Höheres, Unerſchütterlicheres, als auf die-
ſen Weltwirrwarr — im höheren Sinne dieſes Wort! — keine
unſerer Strebungen ſind hier rein; das heißt, können unmit-
telbar ſein; als die freie, von uns ſelbſt nicht zu bändigende
Liebe, zu Gegenſtänden, die ſie in’s Leben zu reizen vermö-
gen. Dieſes Leben des Herzens iſt allein wahr, reell. Das
wußt’ ich, als ich ein Kind war, ein wirkliches Kind dem Al-
ter nach: und, Triumph! ich weiß es noch. Höchſter Triumph!
— Triumph iſt nicht Sieg; Triumph iſt Glück — mein beſter
Freund weiß das nun auch; beſtätigt’s ſich und mir, durch
glückliches Erleben.


Gutbeſtellte Herzen können immer verliebt ſein, wollen es
immer ſein. Nur richtige Gegenſtände dazu finden ſie ſelten:
daher das Liebesunglück all. Auch iſt das Herz aus einem
andern Daſein, und für ein anderes: und ſchafft ſich auch in
ſeinem Dunkel immer ein anderes; wie urſprünglich ein jeder
[447] Menſch ein kompletes Original ſein könnte, und, unverdorben,
dies auch in Geſtalt und Weſen zu zeigen vermöchte; und
alſo gediehen, ein vollkommener Gegenſtand der individuellſten
Liebe zu ſein fähig wäre. Aber alles iſt unter dicker Rinde
der höchſten Verwirrung, in einem Aufruhr von Gemengſel
und Verfehlung: ſonſt müßten alle Menſchen lieben können,
nur lieben wollen; und auch in unſerm Alter lieben. Glück
auf, köſtlicher Freund! und auch dazu dieſer Zuruf; weil die-
ſer Lebenszuſtand Ihre Tage erfüllt, erhellt; reich macht,
ihnen Bedeutung, Grund giebt; alle Augenblicke darin Bezie-
hung und Zweck erhalten: nicht allein alſo, des koſtbaren
Urgrunds dieſes Zuſtandes wegen; der das reinſte höchſte Ge-
ſchenk des Himmels iſt; ja, ein Stück von ihm ſelbſt, auf
der Irr- und Probebahn mitgegangen. —


Und welch ein Glück haben Sie mir noch verkündet!
Wie fehlte mir dieſes Glück. — Sie ſagen mir: Sie haben
nun meinen letzten Brief verſtanden, der die Antwort auf
die großen Urfragen enthielt; der eigentlich ausſprach, daß
wir nur ſo viel Gottheit erkennen könnten, als uns im Bu-
ſen mitg
egeben iſt; daß unſre Vernunft, oder vielmehr der
Durſt danach, der einzige Bürge für Urvernunft überhaupt
ſei. Das, geliebter Freund, wollten Sie mir zur Zeit etwas
verübeln: und jetzt getraue ich mir Ihnen zu ſagen, daß kein
Syſtem der Philoſophen — ich kenne ſie — kein Urpunkt
einer Religion zu einem andern Ergebniß hingelangen kann.
Philoſophie kann nur den Zuſtand und die Fähigkeit unſeres
Geiſtes klar darlegen (und, wie Goethe ſagt: „den düſtern
Wegen unſeres Geiſtes nachſpüren,“ dies iſt wenigſtens der
[448] Sinn ſeiner Worte —): die Religion ſich nur am Ende die-
ſer Unterſuchung einfinden, und mit — aus uns ſelbſt ge-
ſchöpftem — Vertrauen gnädigſt, gütigſt, und durch inneres
Gefühl zuverſichtlich, weiter verweiſen; sauf neuer Offenba-
rungen, die ich nicht hier den alten entgegenſetze, ſondern —
wünſche. Tief abgeſchnitten hielt mich Ihre letzte Antwort
an Varnhagen auf dieſen meinen hier erwähnten Brief: was
konnte ich ſagen, weiter ſagen, wenn Sie dieſe Worte, tief
aus Herz und Geiſt geſchöpft, nicht verſtanden! Gelöſt iſt
die Welt, die da zwiſchen uns lag; und auch von der Seite
ſind Sie mir gewonnen: wie nichts je mich von Ihnen tren-
nen kann, und konnte; fehlten Sie auch (fehlen heißt hier
nicht, einen Fehler begehen, ſondern nicht da ſein); ich über-
ſah uns; und wußte, daß in jeder Zukunft Sie zu mir mußten.


Welche Ehre, daß Sie in dem Zuſtand, in dem Vorneh-
men, beſten, mir ſchreiben mußten! Keine Zweite exiſtirt, ich
weiß es ſelbſt; und läugne es Würdigen nicht. Aber woher
das? Jeder könnte ſo ſein; einzig ſein. Wenn er den Muth,
den Sinn hätte, „original,“ er ſelbſt zu ſein: wenn ihm an
fremder Zuſtimmung nicht mehr läge, als an ſeiner: wenn er
ſein tiefſtes Wollen abfrüge. Wie einem aber dieſer Muth,
dieſer Sinn abgehen kann, iſt mir eigentlich durchaus unver-
ſtändlich: geſtehe ich’s nur! Menſchen, denen dieſe bedeutend
fehlen, ſind mir eigentlich vortreffliche Marionetten; zur Ver-
wunderung aus Fleiſch und Blut. — Nochmal Glück auf, zu
unſerer Friſche! Unſre Jugend war kein Blendwerk. Wir
lieferten ihr Grüne und Leben: ſie beſtand nicht nur aus Un-
kunde, und ungekränkter Haut; ſondern aus Fülle, Tiefe,
Leben,
[449] Leben, und Keimdrang; zum ewigen Weiterleben ſind wir
aufgelegt; vermögen zu lieben; und begründeter nur wird
unſre alte Freundſchaft, die nicht altern kann. Einen Tempel
möchte ich in ewiggrünem Hain ſtiften, um für Ihre erneute
Geſundheit zu danken; ja, mit Ruhe und Ungeſtörtheit (Grund-
lage aller Pflege) kann man ſie wieder erlangen; ſogar die
verlorne.


Auch ich habe noch ein Liebeherz. Ich liebe mit neuer,
niegekannter Zärtlichkeit einen reinen Thautropfen des Him-
mels, ein ſechsjähriges Nichten-Kind. Aber auch in dieſer
Liebe erfahre ich Störung, Kontradiktion. Und muß meinen
Gegenſtand oft leiden ſehen!! Das Mädchen gehört mir
nicht. — Aber das Kind gehört, höheren Ortes her, mir.
Mein Blut, meine Nerven: meine Schnelligkeit: herzweich,
und herzſtark. Vernunftkind nenne ich es; fromme Tochter.
Aber ſie iſt hübſch, graziös: reizend, leichtſinnig: und ganz
anders, als ich, Vor Gott und Menſchen angenehm. Sechs
Jahre ſegne und pfleg’ ich ſie mit allen meinen Kräften.
Ich denke in meiner tiefen Überzeugung und Religion: daß
das Kind und ich immer wieder zuſammenkommen werden.
Wie Schönes wußte ich Ihnen geſtern darüber zu ſagen; aber
leider hatte ich keine Feder in der Hand.


Nur ſoviel in dieſem Brief. Den Ihrigen erhielt ich
geſtern Abend. Von Heine, von allem andern künftig. Sie
ſollten nur geſchwind Antwort haben. Wie ganz kindiſch,
lieblich Ihre Furcht, Ihre Zweifel! Von mir könnte ich Ihnen
nur mündlich Rechenſchaft geben: wie ich bin, hab’ ich Ihnen
geſagt: wie es mir geht, könnte ich nur erzählen. Wiſſen
III. 29
[450] Sie ſoviel: noch ſind’ ich mich immer wieder; und bin ich
nur einigermaßen ungeſtört, ſind’ ich auch einen ſtillen See
in der Seele: Natur, Luft und Wetter fühl’ ich wie zu
fünfzehn Jahren; und Menſchenſeelen auch; wenn ich ſie
finde. — Ich eile, daß Sie dieſen Brief erhalten, und umarme
Sie auf’s zärtlichſte! Welche große ſchöne Urſach muß der
Himmel haben, uns getrennt zu halten! Ich beuge mich.
Nochmals Dank, daß Sie mir ſchrieben! Ewigen Dank, wie
ewige Liebe.

Fr. V.



Erbrecht von Ed. Gans. Dritter Band. S. 17. Ei!
das freut mich, daß es geſagt wird; nämlich gedruckt; was
ich immer ſage; nämlich ſtumm: „Daß es nicht wahr iſt,
daß das Reich Chriſti nicht von dieſer Welt ſei.“ Wohl!
dieſes lügenhafte, jetzt allgemein wiederholte Geſtändniß iſt
Folge lügenhafter Verſchweigungen von den Meiſten derer,
die es ablegen. Die Forderungen der vorgeblichen Religion
ſind nicht rein, fromm und wahrheitsvoll; und darum ver-
weiſt man ſie lieber von unſerer nach einer andern Welt.
Aber, nur hier, und gleich, ſoll Religion herrſchen.


S. 153. Gemeinſchaft der Güter iſt ein Unſinn. Unſre
Güter ſind nichts anders, als eine Erweiterung unſrer Perſon
überhaupt. So wenig nun unſre Perſon gänzlich weggeſchenkt
oder abgegeben werden kann, ohne Sklave zu werden, eben
ſo wenig können wir unſer Vermögen eines Andern Willkür
überlaſſen, ohne ſie verloren zu haben. Zwei können keine
Summe beſitzen, wenn ſie nicht getheilt wird. Verſchenken
[451] können wir jede. Dies eben wird beinah immer verwechſelt
mit Gemeinſchaft der Güter. So, und eben ſo, kann von
unſrer Perſon, wenn es ein- für allemal heißen ſoll, nur
zwangweiſe, äußerlich Beſitz genommen werden. Durch un-
ſern Willen und Neigung können wir nur in einzelnen Mo-
menten und Gelegenheiten „ſie verſchwenden.“


An Gentz, in Wien.



Trübes Regen-Nebelwetter.


— Nun werd’ ich Ihnen ein dummes — hier nur dumm-
klingendes Anerbieten machen. Mit dem erſten Kourier erhal-
ten Sie zwei gedruckte Hefte von mir; worin alle die Apho-
rismen von mir ſind; genannt: aus Denkblättern einer Ber-
linerin. Auf dieſen Blättern ſteht nicht, bei weitem nicht das
Meiſte, von dem, was ich litt und dachte: aus vielen meiner
Lebensjahre genommen: für mich deſtillirte Eſſenzen meiſt aus
Lebensſchmerzen. Intereſſant auch für einen, der mich nicht
kennt; wenn es nur ein mit einem höhern Verſtändniß Be-
gabter iſt. Die erſte Frage aber von Ihnen muß die ſein:
wie ſo iſt das gedruckt? die zweite dieſe: wie ſo hier? Nach
einer ſchweren, und gefährlichen, langen, leidenvollen
Krankheit im Frühling 29, an der ich noch konvaleszent lag,
kam F. deſolirt zu Varnh. er möchte ihm irgend etwas zu
ſeinem Journal geben; V. hatte nichts: und fragte mich, ob
er das geben dürfe. Mir war es — wie noch — ganz
gleich: ja, war die Antwort. Varnh. hat eine Unzahl Sprüche,
29 *
[452] Axiome, Stellen aus meinen Briefen all, die er habhaft wer-
den kann und konnte, aus meinen Denkbüchern, fein abge-
ſchrieben, und verabreichte F. dieſe. Sie können ſie nicht
ohne Intereſſe leſen; es geht mir ſelbſt ſo. Jetzt haben Sie
Zeit; (wie komiſch, bezöge man das Wort auf die politiſche
Zeit) ja Lücken; füllen Sie ein paar damit aus. Es ſind
innre Bilder von mir: zuſammen, ein Bild. Und ohne alle
Affektation: aus tiefem Herzensleben, aus ſtillem Denken ge-
ſchöpft: und gewiß anregend.


— Als ein unerwartetes, nie erhofftes Benefiz erſchien
mir Ihre Erwähnung Heine’s. Ich denke grade wie Sie
über alle Punkte, deren Sie erwähnen; finde aber viele vor-
trefflich; und ihm noch obenein eine große Gabe des Styls;
mit Bedacht ſage ich Gabe. Eine von dieſer Art hatte Fried-
rich Schlegel (ohne ſeine Kunſt und Gedanken); ich nannte
das immer: ein Sieb im Ohr haben, welches nichts Schlech-
tes durchläßt. Außer dieſem hat Heine noch viele Gaben.
Auch Varnhagen will, ich ſoll Ihnen von ihm ſagen, er fände
ſeine Verſe nicht ſchlecht, mit noch etwas, was mir jetzt nicht
klar iſt. V. wird’s Ihnen wohl ſelbſt in beſſern Zeiten ſchrei-
ben. — Heine wurde uns vor mehreren Jahren zugeführt,
wie ſo Viele, und immer zu Viele; da er fein und abſonder-
lich iſt, verſtand ich ihn oft, und er mich, wo ihn Andre nicht
vernahmen, das gewann ihn mir; und er nahm mich als
Patronin. Ich lobte ihn wie Alle, gern; und ließ ihm nichts
durch, ſah ich’s vor dem Druck: doch das geſchah kaum; und
ich tadelte dann ſcharf. Mit einemmale bekam ich ſein ferti-
ges, eingebundenes Buch von Hamburg, wo er war, die Zu-
[453] eignung an mich drin. Der Schlag war geſchehn: und nur
darin konnte ich mich faſſen, daß ich ſchon damals wußte,
daß alles Geiſtige vergeht (nicht ſo ein zerſchlagenes Bein);
und ſogar bald von Neuem der Art verſchlungen wird, ja,
das Meiſte faſt unbeachtet bleibt; thun konnte ich nach voll-
brachtem Attentat nichts, als ihm ſchreiben: nun ſähe ich es
völlig ein, weßhalb man bei Fürſtinnen erſt die Erlaubniß er-
bittet, ihnen ein Buch zueignen zu dürfen ꝛc. Wir blieben
uns aber hold nach wie vor: und Sie haben mir jetzt durch
ihn ein großes Kompliment gemacht. Mir gefällt von ihm
beſonders das eine Seebild, wo er in den Wolken die alten
Götter zu ſehen glaubt; wunderſchön. Leben Sie wohl! ſo
gut Sie jetzt können. — Nun glaub’ ich unveränderlich, da
ich noch ſo jung bin!

F. V.


Anmerk. Gentz hatte nämlich geſchrieben:


— „Wie weit ich es in dieſer Lieblingsbeſchäftigung, Dichter zu leſen,
gebracht habe, werde ich Ihnen an einem Beiſpiel zeigen, welches na-
mentlich für Sie nicht ohne Intereſſe ſein kann. — Im vergangenen
Jahre fielen mir die Reiſebilder von Heine in die Hände. Sie können
ſich leicht vorſtellen, daß ich in der politiſchen Geſinnung des Verfaſ-
ſers die meinige nicht wiederfand; und daß mir überdies manches Un-
korrekte, Ultra-Originelle, in dieſer Schrift zuwider ſein mußte. Nichts-
deſtoweniger las ich die drei Bände mit vielem Vergnügen, weil ein
großer Theil der eingeſtreuten Gedichte (nicht alle!) mich im höchſten
Grade anzogen. Erſt vor einigen Tagen entdeckte ich ſein bereits im
Jahr 27. gedrucktes, mir aber bisher unbekannt gebliebenes Buch der
Lieder
, wovon ein Abſchnitt Ihnen gewidmet iſt; und früher ſchon
hatte mir jemand — ich weiß wirklich nicht mehr wer? — geſagt oder
geſchrieben, daß Heine bei Ihnen in beſonderer Gnade ſtehe. Ich ent-
ſchloß mich daher auch ſogleich, dieſe Lieder zu leſen. — Eine gewiſſe An-
zahl wirkte auf mich mit einem unbeſchreiblichen Zauber; und an
dieſen ergötze ich mich fortwährend, Morgens und Abends; ſie ſind mei-
ner heutigen Gemüthsſtimmung dergeſtalt homogen, daß ich mich ganz
[454] darein vertiefen und verſenken kann. — Wenn ich erſt wiſſen werde, wie
Sie den gegenwärtigen Brief aufgenommen haben, und ob Sie mich
nicht etwa zum Tollhauſe reif erklären, will ich Ihnen alle die Nummern
bezeichnen, von denen das hier Ausgeſprochene gilt. Vor der Hand be-
gnüge ich mich, auf ein einziges zu deuten; es ſteht S. 136.“



[Nachher ſchrieb er noch:]


„Noch immer labe ich mich an dem Buch der Lieder. In Wien
iſt nur Ein Menſch, der mit mir über dieſe Gedichte völlig ſympathiſirt,
der Major Pr., V. kennt ihn gewiß. Mit dieſem bade ich mich Stun-
den lang in dieſen melancholiſchen ſüßen Gewäſſern. Das Gedicht, wel-
ches Sie loben, iſt mir ſogar lieber, als das von Schiller über denſelben
Gegenſtand, ſo ſehr ich dies auch immer bewundert habe. Selbſt die, welche
an wirkliche Gottesläſterung ſtreifen (wie Götter-Dammerung,
Fragen
u. ſ. w.) leſe ich doch nicht ohne die tiefſte Emotion, und klage
mich manchmal ſelbſt darüber an, daß ich ſie ſo oft und ſo gern leſe.
Solche, wie in dem lyriſchen Intermezzo: No. XXXII. und XXXVII.
möchte ich den ganzen Tag wiederholen hören. In meiner friſcheſten
Jugend war ich nie ſo auf die Poeſie verſeſſen, als heute. Nie würden
wir uns beſſer verſtanden haben, und aus vollem Herzen rufe ich mit
Ihnen aus: Welche große ſchöne Urſach muß der Himmel haben, Uns
getrennt zu halten?“ —




Geſtern iſt mir klar geworden (Frau von * wollte das
Ballet das Milchmädchen nicht ſehen, wohl aber das Stück
„Lokalpoſſe“!!! bis 8 Uhr, und dann in eine Geſellſchaft,
wo ſie nichts zu holen hatte, als daß vielleicht irgend Einer
von ihr beſchäftigt ſcheinen würde; welches um 9 Uhr auch
noch Statt gefunden haben würde), daß nur ein generöſes
Gemüth Theil an Kunſt nehmen und Sinn dafür haben kann.
Beides entſpringt aus einem Quell. Generös iſt nur der, den
allgemeine Gedanken zu rühren vermögen: wo nicht ſeine Per-
[455] ſon nur allein in ihm wirkt, und was ſich nur nothdürftig
auf die zu beziehen hat. Großmüthiger kann nur der ſein,
der Allgemeines ergreift, und Größeres; und dies iſt auch das
Weſen der Kunſt ſelbſt; wenn ſie noch ſo ſehr zu individua-
liſiren ſcheinen darf; ſie hört auf, ſie ſelbſt zu ſein, ſobald ſie
uns nicht mehr aus genereller Anregung, zuletzt zu genereller
Betrachtung führen kann.


Heute iſt mir klar geworden, daß keine Stadt eigentlich
groß zu nennen iſt, und wäre ihr Umfang der von Neapel,
Paris und London zuſammen; Leben und Weben dieſer Städte
konzentrirt in der Einen; Kunſt, Vergnügen und Nützlichkeits-
Anſtalten noch ſo reich! Wenn ſie nicht Fremde zuläßt, und,
als Vorbild, einladet, ſo muß ſie mesquin bleiben, und thürm-
ten ſich ihre Häuſer zu zwanzig Stockwerken, und ſtiege die
Einwohnerzahl zu einer nie gehörten. Alle Bewegung muß
auf ein Menſchliches bezogen werden können; das heißt hier,
auf Allgemeines, alle Menſchen Betreffendes: ſonſt wird alles
Bewegen am Ende pagodiſch, kinderhaft, lächerlich, bedeu-
tungslos. Das, woran nicht alle Menſchen am Ende Theil
haben können: iſt nicht gut: das, woran ſie nicht Theil ha-
ben ſollen: ſchlecht.


Paris und Rom ſind die größten Städte wegen ihrer
Fremden, und des allgemeinen Intereſſe’s wegen, welches ſie
ihnen zuführt. Sie ſind nicht vollkommen; faſt in nichts:
aber bis jetzt noch Vorbild. Eine, für Kunſt, geweſene Macht,
und Politik; die andere, für neueuropäiſches Leben.



[456]

An Gentz, in Wien.



Feiner Regen in dunſtigem Wetter.


Geſtern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren
großen Brief aus Preßburg, — mir aber keineswegs groß ge-
nug. Schnell las ich ihn; weil ich ſeine Einlage gern auf
der Stelle abgeſchickt hätte; behielt aber doch noch ſo viel
Beſinnung, meinen Brief erſt zu endigen, da er doch Bedin-
gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur
abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging
ſelbſt; — und ich ging geſtern triumphirend ſeit einigen Jah-
ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. — Ich ließ
ſie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; — ſie war
nicht da —, ich ließ ſie das Nöthige wiſſen. — Da ich ſie
nun nicht geſehn habe, ſo will ich von Kleinigkeiten ſprechen,
das heißt, von andrem.


Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums
nicht vergeſſen, und wiederhole ſie wohl täglich — O! welch
amüſanten Buſen führ’ ich in mir. Das Lebenstheater darin
wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her iſt! —
Mein Schreiben gliche öfters friſchen aromatiſchen Erdbeeren,
an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: ſagten Sie
einmal; dem bin ich eingeſtändig. Und nichtsdeſtoweniger halte
ich mich für einen der erſten Kritiker Deutſchlands. — Schauen
Sie doch auch in meinen tiefſten Buſen; ich ſcheue mich nicht,
die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchſtens iſt ſie ein Irr-
thum; und dem kann widerſprochen werden. — Eins muß ich
[457] doch noch von meiner Art zu ſchreiben ausſprechen: über das
Allermeiſte, was darin endlich ausgebildet ſein ſollte, kann
ich — aus innren, und viel äußren Gründen — nicht Herr
werden; über eines aber, was man gewiß auch dazu rechnet,
mag ich nicht Herr werden. Nämlich, ich mag nie eine Rede
ſchreiben, ſondern will Geſpräche ſchreiben, wie ſie lebendig
im Menſchen vorgehn, und erſt durch Willen, und Kunſt
wenn Sie wollen — wie ein Herbarium, nach einer immer
todten Ordnung hingelegt werden. Aber auch meine Geſpräche
ſind nicht ohne Kunſt; d. h. ohne Beurtheilung meiner ſelbſt,
ohne Anordnung. Iſt ein Schreiben, es ſei Buch, Memoire,
oder Brief eines Andern nur vollſtändig gehaltene Rede, ſo
hat es für mich immer einen Beiſchmack von Mißfallen.
Die Ausnahmen, wo es Rede ſein ſoll, geſtatte ich, wie ein
Anderer.


Das „Sieb im Ohr“ laſſe ich mir durch den edlen Aus-
druck „klaſſiſchen Stil“ noch nicht nehmen. Solche Natur-
gaben exiſtirten vor dem klaſſiſchen Stil. (Ich ſehe eben, Sie
ſagten: klaſſiſches Ohr.) Ich glaube noch, das, was ich
Sieb nenne, iſt nur die Bedingung zum klaſſiſchen Ohr. Übri-
gens muß ich mich verſtändigen — wie die größten Philoſo-
phen über die Bedeutung ihrer Ausdrücke —. Unter Stil ver-
ſtehe ich niemals den Inhalt, ſondern nur die minder oder
mehr gebildete, geſchickte, angenehme Weiſe, wie der zu Tage
gefördert wird. Schon nicht den Plan, oder die Klarheit des
zu Sagenden. Daher lobte ich das fein, und ſchnell urthei-
lende Ohr von Friedrich Schlegel und Heine. Odiöſe, ſchlechte,
falſche, grobe Dinge ſagen ſie beide. Theilen Sie gütigſt
[458] dieſe Epithetons unter ihnen gebührend aus! Schön und gut
ſchreiben, iſt ganz etwas anders. Das hängt vom Inhalt;
vom Bewieſenen oder Ausgeſprochenen ab. Von der Seele;
was ſie will, und hat; vom Geiſt, und Verſtand; was der
findet, und jener kann. Vom Urtheil, und ſeiner Macht,
dies alles zu einem Ganzen zu machen. Das iſt Ihr Schrei-
ben; welches ich wohl kenne; und oft nenne. Gentz, ſagte
ich vor langer Zeit, und wiederhole es genug, bedarf keines
Bildes — welches wir Alle — Jean Paul, und ich an der
Spitze — aus Mangel an Sprache gebrauchen; er arbeitet
mit klarſtem Verſtand — Einſicht in ſeinen Vorwurf — mit
größter Sprachmacht: denn, der Stoff, in dem er ſchreibt,
iſt nur Grammatik, und Wörterbuch. Nun verdammen Sie
mich; aber belehrend; und ich danke passionnément. Adieu!
Jetzt fahr’ ich aus. Es war ſpäter als 10. jetzt iſt es 12. —


Heute iſt Donnerstag. Wie Sie daraus ſehen werden,
hab’ ich Ihnen geſtern nicht geſchrieben; ich dachte Vor-, ich
dachte Nachmittag, Fanny ſollte kommen. Nichts! — Mor-
gen werde ich ſie tanzen ſehn. Dieſer Brief aber wird wohl
vorher fertig ſein. Graf Mocenigo ſagte mir geſtern, bis 4
hätte er nur Zeit. Jetzt will ich Ihren Brief nachſehn, und
Ihnen noch ein wenig antworten; und dann wahrſcheinlich
morgen oder übermorgen einen neuen Brief anfangen. Sie
haben ſie jetzt gerne; und Graf Mocenigo macht ſich ein
wahres Feſt daraus, einen Brief für Sie zu erhalten; wie er
denn die Freundlichkeit und Artigkeit ſelbſt iſt; und wahrlich,
de l’ancien régime, welche Lebensart man ſo ſehr, und immer
mehr zu vermiſſen hat. Es iſt ein boutonnement eingekehrt,
[459] welches durch nichts, was man auch auffinden mag, zu er-
klären wäre, als durch die unendliche Tiefe der Leere, die
dies nicht allein erlaubt, ſondern erfordert. Ich ſpreche natür-
lich nur von den Mitgliedern der großen Welt: die andern
zählen gar nicht: und da hat ein jeder eine andre Original-
Unart; die hauptſächlich darin beſteht, keine Art zu haben.
Aus dieſem Geſichtspunkt haben wir durch die Abberufung des
jungen Grafen Rechberg einen wahren Verluſt erlitten. In
dieſem Kreiſe faſt ein Phänomen zu nennen: wir lernten ihn
nur ſeine ganz letzte Zeit in Berlin kennen: ich fand ihn aber
einen feinen, und keinen oberflächlichen Menſchen; kräftig,
und doch mit all der Zurückhaltung, die ſeine Stellung er-
heiſcht; körperlichen Übungen gewachſen, und ihrer benöthigt,
ohne im geringſten die ſedentaire Beſcheidenheit verletzend;
Haltung mit jungem Blut; der Karakter eines Diplomaten,
ohne den des Menſchen zu beeinträchtigen; und, wie Moce-
nigo ſagt, ein ſtarker fleißiger Arbeiter. Son chemin est fait:
si tant est, qu’il y a un chemin.


Mit dieſer langen Parentheſe, die ich heute ſchrieb, will
ich ſuchen meinen Brief da, wo ich ihn ließ, wieder aufzu-
nehmen. „Der Stoff, in dem er ſchreibt, iſt nur Grammatik
und Wörterbuch,“ ſagte ich: und von da an will ich fort-
fahren. Unter Stoff verſtehe ich hier Marmor, oder Palette,
Kanevas und Pinſel; dies iſt der Stoff für jene Künſtler, wie
die abſtrakteſten Worte der zu Ihren Kunſtwerken ſind. Wohl
habe ich Sie geleſen; und werde Sie noch leſen; und mit je-
ner Vorrede, die Sie erwähnten, anfangen; und alles von
neuem ſtudiren. Sie ſcheinen keine Vorſtellung davon zu ha-
[460] ben, was ich mir in meinem langen Leben alles zuſammenge-
leſen habe! Wenn auch ohne Studienplan; aber mit mehr,
beſonders anderm Kopf, als Sie mir nur irgend zutrauen
können. Weil mein ſogenanntes rohes Weſen grade Sie,
zu ſehr frappiren muß. Für miniatür-geſellige-Verhältniſſe,
für dunkle Leidenſchaften, und Labyrinthe des Buſens, hat ſie
Sinn, und Scharfſinn; denken Sie: ſie hat ihn auch für noch
viele andre, anſcheinend ihr hetenogene Dinge. Und ſcheut ſich
nicht, das Ihnen zu ſagen. Ich kann Ihnen hier in der
Geſchwindigkeit nicht mit einemmale ausdrücken, welche Be-
wunderung Sie hier im Hauſe, als auteur genießen, wie wir
ſolches ununterbrochen, überhaupt bewundern, und wie vielen
Antheil ich an all ſolchem habe; ſo wenig Titel ich dazu habe,
welches aber meinen großen Einfluß in meinem großen Kreiſe
keineswegs ausſchließt; wohl aber begünſtigt. Wir ſehen un-
endlich verſchiedene Klaſſen: aber die Glieder einer jeden be-
quemen-ſich gern, ja gefliſſentlich, Antheil an Geiſtigem und
Litterariſchem zu nehmen. (Denken Sie ſich ja kein bureau
d’esprit!
oder ewige Kunſtgeſpräche!!! oder irgend etwas
Feſtſtehendes; wohl aber Ausgeſchloſſenes.) Wenn ich Sie je
ſprechen könnte, würde es Sie ergötzen, wenn ich Ihnen das
Bild meines äußern Lebens gäbe: dergleichen hat wohl noch
nie exiſtirt. Zum Schreiben iſt es nicht: wenigſtens heute nicht.
Varnhagen empfiehlt ſich Ihnen mit wahrer Ergebenheit, kann
ich’s wohl nennen; wenn nur ein wenig Raum entſtehen wird,
ſo wird er es wohl in Perſon thun; mit ſeiner Feder. Auch
er arbeitet unendlich gerne, und ich kann wohl ſagen, von
allem zu Thuenden dies am liebſten. — Er iſt es nicht, den
[461] ein Kourier erſchreckt; ich bin es: weil ich das viele Schreiben
für ſchädlich halten muß; und das beſonders, weil er ſich bei
ſeinen aufgetragenen Arbeiten ſo eilt, wie kein Anderer. —
Cela me rapelle un grand travail que vous avez été obligé de
faire à Prague,
und von dem Sie mir ſagten, nie hätte eine
Arbeit Ihnen mehr Mühe gemacht. Welch Meiſterſtück fand
ich’s! Keiner hätte dies ſo geſagt. Ein Krönchen iſt Ih-
nen Ihr Kaiſer dafür ſchuldig: wenn auch nur von Lorbeer.
Vorgeſtern mußte mir Varnh. die Nummern in Heine’s Buch
aufſchlagen, die Sie mir angezeigt hatten. Wie heiter muß-
ten wir lachen! Ich mit tiefſter Rührung und ernſteſtem
Ernſt. — Aber Sie wiſſen ja, wie ein Anatom, wie Sie mit
Fanny ſtehn. Apropos! Sie wollen uns — ihr und mir —
unſre große Diplomatie abſtreiten. Geſetzt, mit Europa ſtände
es anders, als Fanny und ich vorausſetzten: mit der Ausübung
von dem, was wir für nöthig hielten, iſt es daſſelbe: wir
haben es ohne nur mögliche, Verabredung vortrefflich exeku-
tirt. Aber, Sie ſchilderten mir Europa — wie ich es nennen
mag — in Ihrem erſten Brief anders, als Sie es in Ihrem
zweiten thaten. Aus dem erſten mußte ich das Verhältniß
für ein Geheimniß halten, und bewahren; im zweiten weiß,
und ehrt es die Welt, — in der Sie leben. In jedem Fall
wußte ich nicht, ob ich mich inſtruirt zeigen ſollte: Sie woll-
ten ſogar nur verlangen, daß ich ſie nur ſollte tanzen ſehn.
Genug, mein Stolz auf unſer Betragen iſt nicht gebrochen,
und lebt fort in mir. Daß aber Fürſt M. ſolchen edlen An-
theil an dem Leben Ihres Herzens zu nehmen weiß, beſtätigt
mir nur, was ich von ihm dachte; und die herzliche Theil-
[462] nahme, die ich an ſeiner Heirath und an ſeinem Verluſt nahm.
Einen wahren Gram ſtand ich aus, als ich das boshafte Un-
glück vernahm. Denn welchen freudigen Antheil nahm ich
an ſeinem jungen Glücke! Dergleichen — was hölzerne Tho-
ren lächerlich finden möchten! — ſind die wahren Himmels-
pflanzen auf der Erde. An was ſollte ich ſonſt Antheil
nehmen? —


Ich möchte Ihnen zwei belletriſtiſche Bücher, die ich Pen-
dants nennen möchte, empfehlen: Briefe eines Verſtorbenen,
heißt das eine kurzweg, oder ein fragementariſches Tagebuch
aus England, Wales, Irland und Frankreich; und dann ein
franzöſiſches vom Marquis de Cuſtine, einem Freunde von
mir: Mémoires et voyages, ou lettres à diverses époques pen-
dant des courses en Suisse, au Calabre, en Angleterre et
Écosse.
Cuſtine müſſen Sie den Kongreß-Winter in Wien
geſehen haben: er war bei Talleyrand. Der Duc de Sabran
iſt ſeiner Mutter Bruder: die herrliche Frau iſt nun todt.
Wir liebten uns ſehr: ich habe den Sohn geerbt; war immer
aparte mit ihm liirt. — —


Nächſtens ſchicke ich Ihnen ein Gedicht, von dem Sie denken
werden, Sie haben es für ſich und das Kind gemacht. Es iſt
von Ludwig Robert, der es für, und von ſich, und ſeiner
ſchönen Frau vor mehreren Jahren machte.


Dies iſt ein trockener, ſchlechter, prahleriſcher Brief; der
nur von mir ſelbſt ſpricht. Aber Sie können daran, daß ich
mich ſo etwas unterſtehe, ſehn, wie ernſt ich das andre meine,
was ich Ihnen ſage. Mein künftiger, wenn ich F. werde ge-
ſehen haben, wird beſſer ſein. (Il pleut à verse; auch eine
[463] Abhaltung.) Sie aber haben mir nicht erzählt, wo Sie ſie
zuerſt ſahen, und wie Sie ihre Bekanntſchaft machten: worum
ich Sie ſo ſehr bat. Adieu! Glücklicher Freund! Bleiben
Sie geſund! enthält für dies Leben alle Bedingung für alles
Gute. Sie denken wohl, weil ich davon ſchweige, die großen
Ereigniſſe gehen wie an einer Krähe, oder Taube an mir vor-
über? „Weh mir, daß ich geboren ward, ſie wieder einzuren-
ken!“ ſagt Hamlet. Die débâcle zu ſehn! ſag’ ich. Adieu!
à tantôt! Laſſen Sie nur nicht nach! Freilich! „Vor-
wärts.“

Fr. V.


An Gentz, in Wien.



Sanftes, ſchlappes, ſtraßennaſſes, himmelgraues Wetter.
Wovon ich wohl abhange: Sie — ich möchte in Hai-
nen opfren! — ſind geſund: ich nur mit dem rein-
ſten unhieſigen Wetter befreundet.


— Das Publikum lernt erſt ſie goutiren; ich konnte es
gleich. Nicht weil ſie Ihr Liebling iſt; denn ſelbſt meine
Liebe machte mich nur clairvoyante; und die Binde des Amors
ſoll heißen: auch ohne Augen, ganz ohne Augen ſieht er;
weiß er; und lehrt die Augen ſehn. Il est des sympathies,
il est des noeud secrets
- - das iſt das.


Dann habe ich noch eine Ehre gehabt. Nämlich meine
mit mir aufgewachſene Menſchenkenntniß, die noch bei mir
aushält. In meinem Billet an die Schöne lobte ich ihren
Anzug, und nannte ihn einen „perſönlichen.“ Und — wie ich
[464] hinkomme — ſitzt ſie noch, und bereitet der Schweſter und ſich
mit höchſten Händen Ballaufſätze, von Blonden, Draht und
Band; geſchickt wie eine Fee, graziös als käme es eben aus
Paris; und intelligent, wie nur der individuellſte Karakter ſie
erfinden kann. Auch friſirt ſie ſich ſelbſt, und richtig hatte
ich ihren Anzug einen perſönlichen genannt. Ich halte ent-
ſetzlich viel auf Anzug: aber gehe ſchlecht einher; verſteh’ es,
wie niemand beſſer. Kann auch ſchön Rath geben, und wäh-
len; im höchſten Sinn; mit genauſter Kenntniß der Mode,
die öfters losgelaſſen werden muß, — mise de côté, mais pas
ignorée!
— Es wird für mich ganz finſter in Berlin ſein,
wenn die Schweſtern weg ſind; mir gefällt hier kein Menſch!
und mit dem Theater iſt’s dann für mich aus.


Aber Sie, mein Herr, müſſen mir nun bald ſchreiben;
ſonſt ſchreib’ ich Ihnen auch nicht. Auch ich habe unendliche
Geſchäfte, und Sie ſind geſund, und ich nicht. Bekomme ich
einen Brief, ſo erfahren Sie, was ich über das beifolgende
Gedicht denke: und noch viel über Fanny. Aber auch ich
trage eine Perſon im Herzen, wie ihr Andern — mich, — und
will wiſſen, wie Sie dieſe Perſon aufgenommen; durch Worte;
nicht durch Ausrufungen. In meinen Heften ſtehn all in mir
aufgegangene, und zerſchmetterte Frühlinge: wenn auch auf-
getrocknet zwiſchen Blättern; oder als ein Tropfen Eſſenz, von
weitem Feld, und Thal erpreßt! Stimmen Sie ein; und wi-
derſprechen Sie: doch in einiges, wenn auch nicht alles Äuße-
rungen verdient. — Ich bin ſtolz, nämlich ſehr freudig, daß
Ihnen die Hefte gefallen: und ging’ es, wär’ ich noch ſtolzer
auf Ihre Treuloſigkeit, die dem Fürſten und der Gräfin von
mei-
[465] meinem Schreiben mittheilte. — Ich freue mich ihrer fünfund-
zwanzig Jahre; jung, zur Liebe; und alt genug, zu Entſchluß
und Einſicht; ich gönne es ihm, wie ein Gott es ihm gönnen
mag! Dieſe Zeilen ſchreib’ ich in fortwährendem Geſpräch
mit meinen drei Kindern, die gefrühſtückt haben, mit tauſend
Prätenſionen. Wenigſtens mußt’ ich achtmal aufſtehn. —


Götter! was hätte ich Ihnen zu ſagen. Doch Neues.
Es wogt in mir, von Gedanken, Meinungen, Anſichten, Ent-
deckungen. Goethens Arzt hat mir geantwortet; als er ihm
die Nachricht vom Sohn hinterbrachte, antwortete er nur: „Ich
wußte, daß ich einen ſterblichen Sohn gezeugt habe.“ Er iſt
wohl. Aber er unterdrückte ſeine Thränen.

Adieu F. V.


An Roſe, im Haag.



Halb-helles, nicht gefrornes Wetter. Es hat noch nicht
gefroren.


Was machſt du? das möchte ich gerne fragen: und gleich
Antwort darauf haben; die Unmöglichkeit davon iſt auch eine
Urſache, die mich vom Schreiben abhält. Da aber niemand
ſchreibt, ſo muß am Ende doch ich es thun. Die, welche am
wenigſten es kann. Liebe Roſe! weßwegen ſchreibſt du gar
nicht. Bin ich in irgend einer Kalamität, die zur öffentlichen
Kenntniß kommen kann; ſo ſchreib’ ich immer zuerſt. Jedoch,
das iſt kein Vorwurf: manchmal kann man nicht ſchreiben.
Mit welcher Anxietät verfolg’ ich Zeitungen und öffentliche
Blätter! Frieden wird werden; bin ich ſeit mehreren Wochen
III. 30
[466] gewiß: aber wie haſt du die bisherigen Kalamitäten ertragen?
Gut in einer Art: denn wir ſind auf alles gefaßt; auf je-
den
perſönlichen Verluſt: das weiß ich auch von dir. Und
erfuhr es beſtätigend in der Erzählung, die du machteſt von
deinem Verlaſſen Brüſſels. — So iſt’s auch mit mir — denn,
ich habe ſchon ertragen, worauf ich nicht gefaßt war — nur
Eins muß ich dir ſagen: phyſiſche Gräuel zu ſehn, darauf
ſind meine Nerven nicht gefaßt. Denke alſo, wie unaus-
ſprechlich glücklich ich es finde, daß ihr, daß du aus Brüſſel
warſt. Schreib mir ein Wort, in wiefern du beruhigt oder
ruhig lebſt. Vom Ganzen weiß ich hinlänglich: von deinem
perſönlichen Leben mag ich wiſſen. — Mich kann niemand
über nichts beruhigen, als meine eigne Einſicht. Leider find’
ich keine beſſere: und ich war von Dingen nicht frappirt, die
Herren in Erſtaunen brachten; weil ich ſie kommen ſah, wie
jemanden, den man an ſeinem Fenſter die Straße herauf kom-
men ſieht. Lieſt du die franzöſiſchen Blätter? Ich. Die Po-
litik muß jetzt eine rechtliche werden; darf keine ambitiöſe
mehr ſein; das, dünkt mich, iſt der Barometer, nach dem das
Wetter geht: umgekehrt: nach dem man es kennen kann. Wir
leiden; aber klar und klarer wird der Menſchheit Bedürfuiß
— und auch öffentlich ausgeſprochen. Sogar Nationalſtolz
ſoll aufhören: ſagte Herr Brougham dieſen Sommer, in der
engliſchen Kammer. Ach! wollten doch alle Menſchen ſich das
harte Erdenleben verſüßen! wir ſind ja Alle in der Klemme
und dem Ärgſten ausgeſetzt; und müßten uns helfen. Thä-
ten’s nur die Einzelnen! und die Staaten wären geheilt. —
Wir Alle ſind wohl — ich, zu öfters unwohl! — obgleich
[467] von dem Zeitereigniß jeder auf ſeine Weiſe geſtört war. Grüße
die Deinigen und auch die Amſterdammer freundlichſt von
mir. Hätteſt du alle meine mit dir beſchäftigte Gedanken:
welche Briefſammlung. Kommſt du nicht nach Berlin? Je
eher je lieber, dächt’ ich. Hier bei mir könnteſt du dich aus-
ruhen: und viel und vieles finden, was dich beruhigt und er-
götzt. Sei meiner treuen regen Liebe gewiß! und nehme den
Augenblick wahr, wo du wenn auch nur zwei Worte ſchreiben
kannſt. Ludwig Roberts ſind auch wohl.

Deine alte R.


An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Soll ich Klagen führen, theure Frau Fürſtin, als Dank
für alle huldvolle Güte, die Sie mir zukommen laſſen, um
nur einigermaßen mein Betragen zu rechtfertigen! Zweimal
ſchon war ich vor Ihrer Thüre; geſtern und heute, ohne Ihro
Durchlaucht nur wiſſen laſſen zu wollen, daß ich unten ſei,
ſo völlig unmöglich war es mir hinaufzuſteigen. In einem
an Tollheit gleichenden Nervenreiz ſetzte ich mich in den Wa-
gen, ohne nur abzuſehen, wie ich meine Treppe wieder hin-
aufkommen ſoll; ſo verbitterte dieſer Gedanke meine Kranken-
fahrt. In der Art wie jetzt, glaube ich noch nicht gelitten
zu haben. Alle Stunde nehme ich ein Glas Champagner wie
Medizin um nicht ohnmächtig zu ſein, beim ſtillſten Still-lie-
gen; zum zweitenmal ſteht mein Platz zum vielgeliebten Bal-
let leer. Keiner Freundin kann ich dienen, helfen, ja gebüh-
30 *
[468] rend begegnen; die Kinder laſſe ich bei Mlle. Wilhelmine,
und ſehe ſie nur Viertelſtunden lang. Laſſen Ihro Durch-
laucht Gnade für Recht ergehn; es iſt ſo ſchon ſo arg, daß
ich Sie auch nicht ein bischen pflegen, unterhalten, oder Ih-
nen etwas Erquickliches erzeigen kann, wie Sie mir; die
Fremde der Hieſigen! Ich müßte Ihnen Faſanen und Ana-
nas ſchicken; vorſchneiden, reichen, bereiten laſſen! Eine
Gnade bitte ich mir aus!! Beſtellen ſich Ihro Durchlaucht
etwas in meiner Bürgerküche! Suppe. Sie ſoll gut ſein.
Nennen Sie ſie nur. Fiſche: die Dore ſehr gut bereitet.
Schüſſelfiſche — zum Beiſpiel — mit Sardellen; vortreff-
lich
. Nennen Sie mir etwas! oder ich erkundige mich nach
Ihrer Speiſeſtunde, und ſchicke ganz allein etwas. Bitte, bitte!


Gewiß will, werde ich mich erholen; und klimme dann
langſam Ihre Treppe hinauf. In einem großen, korridorrei-
chen, ſchloßähnlichen, ſinnigen Gebäude müßten Kolonieen fei-
ner Leute zuſammen wohnen: alles geheizt, und erleuchtet;
jedes Appartement mit einem Portier, das Ganze voller Be-
ſcheidenheit und Wohlwollen, präparirter Luſt, und herrlich-
ſter Pflanzen. Bücher, Inſtrumente; kluge Freiheit; und
höchſtens unpaß; nie krank. Dann wäre die Erde eine
Station; wo ſich’s auf Beförderung warten ließe. Aber ſo
— bekömmt man für ſchönſte Sendungen, beſtes Behandlen,
feinſtes Wohlwollen, — roſa Antworten, auf’s höchſte! Auch
ich ſehe das Elend ein; und damit will ich noch prahlen:
wenigſtens zeigen, daß ich’s beſſer möchte, wie hätte!


Befehlen Ihro Durchlaucht über Mlle. Wilhelmine, über
Dore, über mich, wenn Sie irgend etwas von uns brauchen
[469] können! Alle Menſchen ſind leidend. Der arme Fürſt! Varn-
hagen auch wieder zu Hauſe. Ihre Leute; meine Bekannten:
alles, alles. Ich muß bald geneſen! Geſund, oder krank,
immer Ihre ergebne. Ich ſchmeichle mir: Sie wiſſen es!


Fr. V.

Anmerk. Auf roſa Papier geſchrieben.

In dem heute angekommenen Courrier français, vom
Donnerstag den 9. December datirt, leſe ich die Anzeige von
Benjamin Conſtant’s Tod. Ich war nicht aufgelegt, und
eingerichtet ſolches in mir aufzunehmen: am wenigſten, daß
er nach heftigen Leiden — après de vives souffrances — ſtarb.
Er wird ſehr gelobt; und richtig, nach ſeiner Thätigkeit und
Wirkung. Eine ſeiner liebenswürdigen Eigenſchaften iſt ſehr
glücklich in dieſer Anzeige benannt; ſchade, daß ſie nicht als
vollendeter Hochpunkt all ſeiner andern hier bezeichnet ward!
„L’enjouement ironique qui donnait un grand charmo à sa con-
versation,“
— welches ihn aber tiefere Gemüthsbewegungen,
wie gerechten Zorn, nicht entbehren ließ u. ſ. w. Alles ge-
recht und wahr. Wie oft hat er mich mit dieſem enjoue-
ment ironiquo
erfreut, ergötzt und unterhalten; wie tauſend
kleine Rinnen floß es durch den ganzen Umgang, den man
mit ihm haben konnte. Er brachte ſich ſtets dem ſelbſt zum
Opfer: ſeinen Geſchmack, ſeine Wahl der Abendbeluſtigung,
all dergleichen kleinere Beſtimmungen, und auch Meinungen,
ſeine ganze Perſönlichkeit und deren Angewöhnungen: und
das auf die anſcheinend trockenſte Weiſe; aus Laune, Witz,
[470] und Komik, mit den kürzeſten Worten. Sein Nachgeben war
das Komiſcheſte, was er hervorbrachte: er wußte mit dem klein-
ſten Worte immer mit Miene und Ton, darzuthun, und auf —
ſogar großer, Breite zu zeigen, wie das Gegentheil des Be-
ſchloſſenen, Beliebten, Gewählten, wohl leicht viel beſſer ſein
und beſſer vertheidigt werden könnte! — er zeigte ſich durch-
aus gut; gütig: gänzlich arglos, vollkommen liebenswürdig,
— aber daß an allem nicht viel läge; und daß, bequemlich,
geſchliffen und einſichtig neben einander zu leben, die zu be-
abſichtigende und zu erreichende Hauptſache ſei. Leider kamen
ihm die wichtigſten Punkte der Unterſuchung eben ſo vor!
dies zeigte er immer: und ſagte es mir oft: „les questions
vitales de toute notre existence.“
Welch liebenswürdiges
Gemüth! bei ſolchen Reſultaten aller Unterſuchung ſo gütig
und wohlwollend zu ſein, und zu bleiben. Er war dabei ſte-
hen geblieben, daß ihm ſein guter Verſtand aus allen ſeinen
einzelnen Einſichten das Reſultat und die Bürgſchaft für die
Richtigkeit und Güte des Ganzen ſchaffen müßte. Das thut
kein Verſtand, und keine Einſicht, in alles, was wir außer
uns wahrzunehmen im Stande ſind. Da iſt Bruch auf Bruch,
Elend, Leid, und Unrecht, und Unverſtändliches zu ſehn: und
dies iſt allerdings zu ironiſiren. Aber in uns tragen wir den
Bürgen alles Vernünftigen, Guten, Gerechten, Glücklichen:
das Bedürfniß zu allem dieſen iſt es, das iſt der Bürge; der
iſt nicht zu ironiſiren. Von dieſem fand ich in dem liebens-
werthen Benjamin keinen bewußten Anklang; von dem
innern Gott ſprach er nie; alles, jede Meinung, alles Mei-
nen, ſtellte er in gleichſam urbar gewordenen Zweifel, dem
[471] die Verzweiflung ſchon wie abgeſchliffen war. „Je n’en sais
rien, absolument rien,“
ſagte er von den wichtigſten metaphy-
ſiſchen Angelegenheiten, mit der ironiſchen Hilarität, mit der
man in tollen Zeiten Tagesneuigkeiten aufnimmt; nicht mit
der erhabenen Gewißheit, womit wir die „décrets du ciel“
zu erwarten haben. Ewig werde ich es bereuen, daß ich nicht
in ein ernſteres, längeres Geſpräch mit ihm kam; ich hätte
ihm dies alles ſagen ſollen!


Schade, daß ſein enjouement ironique aus ſo tiefer
Quelle kam; und daß er da nicht tiefer ſchöpfte. Wo iſt
er nun? —



An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Ströme vom neuen Jahreshimmel heitere, ſtärkende, friſche
Geſundheit auf Sie herab, verehrte Frau Fürſtin! Mit der
genießt man alles; mit der ertragen wir alles, wie wir ſollen:
leicht, und gelenk, uns immer nach Friſchem, Neuem wendend.
Dieſer gründliche Wunſch, den ich auf große, und neuſte Koſten
gelernt, enthält alle andre guten; und iſt für Sie, und was
Sie lieben! Ich habe keinen einzigen Menſchen auf der Erde,
dem ich gewöhnt wäre zum 1. Januar zu gratuliren; da ich
aber Ihro Durchlaucht die Zeitungen zu ſchicken habe, ſo
dachte ich, vielleicht iſt die Fürſtin auf Gütern lebend gewöhnt,
daß alles ihr laute Wünſche darbringt, und könnte ſie ver-
[472] miſſen: und da ließ ich meine laut werden: nehmen Sie al-
les, liebe Frau Fürſtin, wie es hier ſteht, dann iſt es ſehr gut.
Den geſtrigen Abend brachte ich mit einem Theil meiner Fa-
milie ſehr heiter zu — die Andern waren es; und dies war
mein Theil davon, — luſtiges Marionettenſpiel, gute Zim-
mer, gute Leute, die Kinder, beſter Wille: ich aber war hé-
bétée
von Angegriffenheit; und die Nacht mußte ich heftig
leiden: nun komme ich aus einem ſelbſtverordneten Malzbad;
und bin wieder in dem Salon, wo ich gewöhnlich die Leiden
erwarte. Meine Gedanken ſind ernſt, aber hoch; meine Stim-
mung gut, meine Einſicht über’s Leben nicht beſtochen: ſo
fang’ ich noch gut genug, das Jahr 31. an. Verſtehn Ihro
Durchlaucht nun meine kurzen Wünſche? Geſtern Abend
wünſchte ich Ihnen auch immer, eine heitere, zerſtreuende Un-
terhaltung. Der gute Wille iſt auch erfreulich von Freun-
den: darum unterſtehe ich mich hier dieſe Geſchwätzigkeit, Ih-
nen meine Ergebenheit hochachtungsvoll verſichernd!

Fr. V.


An Frau von Conſtant, in Paris.



Wenn Sie, verehrte Traurende, in der Entfernung mein
Schweigen nicht auch anders deuten könnten, als daß Scham
mich abhält, unter den großen Reigen Ihrer Freunde zu Ih-
nen zu treten, und Sie gewiſſermaßen zu zwingen, auch auf
mich die Entfernte zu blicken, ſo hätte ich jetzt noch nicht zu
Ihnen
geſprochen. Aber, auch eben, daß ich nicht in Ihrem
[473] Lande lebe, beſtimmt mich, Ihnen unſer Beileid zeigen zu
wollen. Schmerzlich getroffen waren wir auch hier von die-
ſem Schlag: da wir hier nicht einmal ſeine kurze Krankheit
vermuthen konnten, weil er noch ſechs Tage vorher geſpro-
chen
hatte! Daß er viel litt, hat mich am meiſten gekränkt.
Den Tod überhaupt müſſen wir ja mit dem Leben herunter
ſchlucken. Der iſt ein Stein in der Mauer der Unbegreiflich-
keit, die uns umringt. Aber Leiden, und beſonders Körper-
ſchmerzen, fordern faſt Rechenſchaft! Nicht ein Wort, was
Troſt ähnlich ſehen kann, theure Traurende, mag ich Ihnen
ſagen; Sie werden Ihren Schmerz an’s Herz drücken: er wird
Ihnen Geſellſchaft ſein; und vertrauteſter Freund; mit
demſelben Recht, und derſelben Tiefe, werden Sie empfinden,
daß Ihrem Mann ein vollſtändiges Leben gelungen iſt; nach
Willen und Überzeugung; und daß dies die anerkennen, die
ihm die Liebſten ſein müſſen; und deren ſich in dieſer Zeit
eine Großzahl geſellt. Ein größeres Monument, als Mei-
nung, kann niemanden geſetzt werden; ſchneller kann kein
Rundſchreiben in der civiliſirten Welt umhergehen! Seinen
Umgang, ſeinen aus lauter Gütigkeit reizenden, und alle
Strenge des Geiſtes geſchmeidigenden, werden Sie vermiſſen,
ſich ihn ſtündlich wiederholen; und ihn ſo fortſetzen. Könnte
es helfen, Eingang finden, würde ich, verehrte Frau von Con-
ſtant, ſagen: Schonen Sie Ihre Geſundheit! wo möglich:
man ſtirbt nicht: man muß krank leben, wenn man alles
in ſich famentirt. Ich habe es an mir ſelbſt erlebt. — Ver-
zeihen Sie mir, meiner Talentloſigkeit wegen, dies lange
Schreiben: ich kann nicht kurze Briefe ſchreiben; deren Schön-
[474] heit Sie uns jetzt bewundern ließen, in denen an den Prési-
dent de la Chambre
und an den Préfet de la Seine. Nichts
fehlte darin; die ganze Organiſation Ihres Zuſtandes war
darin: wie in einer Blume, klein und vollſtändig. Geſtern
Abend laſen wir ſie, Ihre Kouſine und ich; ſie zeigte ſich vol-
ler Antheil, liebt ſie ſehr: und wird Ihnen ſchreiben. Wir
ſahen uns mehrere Tage nicht: Varnh. und dann ich waren
krank; man hört jetzt zu viel Erſchütterndes. Der Nebelwin-
ter: und Kranke in meiner Familie; und dies alles bei meiner
immer kleinen Geſundheit. Ihre Kouſine, ich, meine ſchöne
Schwägerin, wir Alle empfehlen uns Ihnen einſtweilen herz-
lich und antheilvoll! — Ich bitte Sie, dem erſten beſten
Freund ein Wort für mich aufzutragen; nur ob Sie wohl
ſind, und einigermaßen einen ruhigen Tag leben. — Keine
neue Verſicherung! erinnern Sie ſich meiner alten, und der
Anerkennung, die bleiben muß, ſo lange ich lebe. —


An Sabina Heinefetter, in Wien.



Nein, meine liebenswürdige Dlle. Heinefetter, ich wundre
mich nicht, daß Sie noch in Wien ſind: wohl aber möchte
ich mich wundern, daß Sie nicht noch hier ſind, ließe das
Geſammtwunder über unſer Singeweſen irgend noch ein ein-
zelnes zu! Ich gratulire dem Direktor und dem Publikum
in Wien, daß Sie noch nicht in Italien ſind; bin auch damit
zufrieden, daß Sie noch nicht dort ſind; da ich Sie doch
[475] noch feſt entſchloſſen finde, dorthin zu gehn. Laſſen Sie ſich
das nicht ausreden: weder durch Worte, noch durch das größte
Applaudiſſement! Ich weiß, daß dies, je näher dem Lande
der Singekunſt, deſto ſtärker, und inniger, und lärmender,
und in Wien ſchon ſehr bedeutend ausgedrückt wird. Sie ſind
ſchon eine erſte Sängerin, das haben Sie in den größten
Opern, und Hauptſtädten, bewieſen, und genoſſen. Aber in
Italien, unter lauter ſingverſtändigen Menſchen, erſchließt
ſich, in Ihnen ſelbſt, noch ein anderes Singegebiet. Sie fin-
den irgend einen großen, alten, faſt unbekannten Meiſter, der
Ihnen eine kurze Lehre, eine ſchnelle tiefe Einſicht über Aus-
druck, Ausſprache, Rezitativ und Deklamation giebt, auf die
man in Deutſchland ſchwerlich, in Frankreich nie käme; der
Ihnen etwas unterſagt, welches Sie in der Ausübung zwan-
zig, dreißig Stufen erhebt; auf einen enormen Berg hebt, von
welchem Sie dann als Sängerkönigin regieren. Große italiä-
niſche Sängerinnen erzählten mir naiv von ihrem genoſſenen
Unterricht, in welchem ich dergleichen erkannte! In unſerm
Lande aber gänzlich vermiſſe! — Jedoch Sie wiſſen das alles:
und Sie ſind die, welche, eines großen Talents und eben ſol-
chen Rufs unerachtet, naiv geblieben iſt, um alle Tage Neues
zu erlernen, ſo lange es ſolche gäbe! Mit dem größten An-
theil habe ich geleſen, daß es Ihnen in Wien gut geht; und
danke Ihnen wahrhaft, daß Sie ſo gut waren an mich zu
denken, und es mir zu ſchreiben! Alle unſre Freunde nehmen
den lebhafteſten Antheil daran. Wir Alle, unſer ganzer Kreis,
gehn nicht mehr in’s Theater. Nur die Dlles. Elslers ſahen
wir mit Freuden. Nun mußt’ ich die Tochter meiner Freun-
[476] din ſehn, Mad. Schröder-Devrient. Euryanthe ſah ich von
ihr. Gerne wäre ich von ihr eingenommen geweſen; ich konnte
ihr aber nur Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Eine ſchöne,
karnationsſchöne Frau; mit ſchönen Augen: und beſonders rei-
zendem Profil; nicht ſchlecht angezogen: den Kopf ſehr gut
arrangirt; hatte aber zum Kleide Aprikoſenfarbe, zu dem
blondlichen Teint — das erſtemal — an. Spielt innig und
gut, für mich aber zu ſehr im eigenen Spiel befangen, und
mit zu wenig Herrſchaft darüber: dies bedingt aber Vortheile,
die man bei Andern gar vermißt; als innigen Blick, und gar
keine Acht auf Logen, Parterre und Souffleur. Sie macht
auch Koups, wie man’s nennt: aber ſie kommen zu gehetzt,
und doch wie mit zu vielem Bewußtſein; und dann das Ganze,
mit dem geſteigerten, ſturmgeborenen Nachdruck, den die Fran-
zoſen gern dulden; ſonſt forderten, und der das Nüchternſte
von der Welt iſt. Dieſe Gründe zum Tadel zerriſſen mir das
Ganze ihres lobenswerthen Spiels, welches ihr Natur erlaubt,
und fleißiges Studium einbrachte. Vor dem Urtheil ihres Ge-
ſangs ſchicke ich die Erklärung voraus, daß ich gar keine
deutſche Geſangmethode anerkenne; ſondern nur Eine: die
italiäniſche, die den beſten Gebrauch der Organe lehrt; und
dann den beſten Gebrauch des Geſanges; welcher wieder ſeine
Gränzen in Schönheit, und in dem hat, was er auszudrücken
vermag: welches von Franzoſen nicht erahndet, von Deutſchen
dünkelhaft verdreht wird. Mad. Devrient ſingt nicht in ita-
liäniſcher Art; etwas franzöſirt im Geſchrei; aber auch nicht
brutal-deutſch: ſondern — nun kommt ihr wahrer Ruhm —
ſie ſingt zuweilen beim höchſten Ausdruck in einer ſelbſtge-
[477] ſchaffenen Manier; und dieſe grade möchte ich eine deutſche
nennen. Die poſitive — was man gewöhnlich ſo nennt, iſt
eine Gruppe Fehler, und Verneinungen des wirklichen Ge-
ſangs — ſie iſt neu darin; ſie drückt das Gefühl der De-
vrient, ihr individuelles Empfinden aus; in langen, geſchliffe-
nen, ineinanderfließenden, in ſolchem Augenblick klarwer-
denden Tönen aus. Sehr ſchöne Momente: die unapplaudirt
vorübergingen, aber nicht ihr in Frankreich gelerntes Los-
ſchreien! — Dieſer ſchönen Momente wegen will ich ſie mor-
gen in Fidelio hören. Ihre Stimme hat Umfang, Tiefe, und
Höhe, aber keinen Klang; iſt aber lang hinlänglich: ſie macht
alles, was mit der Kehle gefordert wird, aber es iſt nur ge-
lungen, wenn es eben erreicht worden; vorher, bin ich nie
froh: es gemahnte mich, wie eine Stahlkugel, die ein Künſt-
ler immer den Berg hinaufzurollen vermag; aber man ſieht
zu, ob es gelingt: er fehlt nie. Sie hat großen Beifall;
und verdient ihn; ſingt aber zu hideuſe Weber'ſche, und der-
gleichen Dinge bis jetzt. Ich würde an den Pranger geſtellt,
wenn dies meine deutſchen Berliner läſen!!!


Wir leben hier in meinem Haufe wie Sie’s kennen, lie-
bes Fräulein! Viel zu Hauſe, viel mit unſren Freunden, die
Sie alle grüßen wollen. F. will ſich Ihnen beſonders em-
pfohlen wiſſen! oft ſehe ich ihn viel, oft längere Zeit nicht:
er bindet ſich in nichts gerne! — Vielleicht ſchreibt er Ihnen
einige Zeilen. Fräulein S. will, daß ich ſie Ihnen beſonders
nenne. Wir lieben Sie Alle! Schreiben Sie mir auch ja
wieder
! — Meine Kinder toben bei mir: und wollen auch
die ſchöne Heinefetter grüßen: ſo nennt Sie Elischen. Ich
[478] empfehle mich Ihrer Frau Mutter ergebenſt! und der Schwe-
ſter: und wünſche Ihnen tauſend und tauſend Glück! Sie
gutes Mädchen, Sie Schöne! Daß Sie mir ja ſchreiben:
und ich immer von Ihnen weiß.


An Mad. Vallentin, in Paris.



Dicker Schnee, dicker Nebel: nicht kalt.


Meiner Handſchrift erinnern Sie ſich gewiß nicht mehr;
aber noch meiner Perſon. Noch lebe ich, liebe Mad. Vallen-
tin, und bin alſo nicht verändert — ich glaube nicht an Ver-
änderung — außer für’s Aug. Von Ihnen hör’ ich oft; und
daß Sie auch ſo ſind wie ſonſt. Geſellig. Feſt in ſich; gut,
klug, menſchlich, geſchickt, nachſichtig, angenehm. Das kann
nur zunehmen. Erſt geſtern Abend erſcholl mein Zimmer von
Freundes Lob für Sie: der Präſident war ich; bei mir waren
Verſchiedene: die Sie kannten, waren Mendelsſohn-Barthol-
dy’s, Mann und Frau; Henriette Solmar, und Varnhagen.
Bis in’s größte Detail wurde mir Ihr Haus, und deſſen We-
ſen — Hausweſen — ausgemahlt; ich liebe Details, weiß
alles aus Details, was ich weiß: von unten auf dienen, nenn’
ich das; und, Ihnen ſei’s geſtanden, ich finde keinen Einen
großen Autor, der ſie nicht kennt, und nicht davon zeigt; nur
mit Urtheil; nicht wie Walter Scott; — bin ich nun vor
Ihren Füßen in einen Abgrund geplumpſt? — Wenn ich nach
Paris komme, freue ich mich recht zu Ihnen zu kommen! und
genau zu ſehn, wie Sie in Frankreich leben. Erinnren Sie
[479] ſich noch, Liebe! wie wir hier geſellig immer beiſammen lebten?
mit ſo geringem Aufwand, ſo angenehm, neidlos, und immer
neuer Luſt wieder zuſammen zu ſein?! alles zerſtoben! — lau-
ter neue Menſchen: ich liebe die alten zu behalten: und neue
zu beſehn. Aber Eins liebt man, und das Andre hat man.
Jedoch konſervire ich mir faſt mit Gewalt meine alten Be-
kannten: durch Gedächtniß, Liebe, Zuſammenhang im Innren,
Behandlung, Freundſchaft. Als Tugend ſehe ich das nicht an,
aber als Vergnügen. Und noch eine bizarre Behauptung
ſchließt ſich dieſer Handlungsweiſe, dieſem Geſchmacke, dieſer
Behauptung an: nämlich die, daß nur treue Gemüthsarten
des wahren Wankelmuths fähig ſind: nur die, welche Men-
ſchen und Gegenſtände ſtark, beziehungs- und bewußtſeinvoll
aufzufaſſen vermögen, können auch leicht Neues aufnehmen,
und begreifen. Die Andern leben zwiſchen Alten und Neuen,
in dürrer Treue; oder in ſtrohflammendem Wankelmuth. Wir
wollen machen, als hätten wir uns geſtern geſehn. Auch
iſt wenig dazwiſchen; was abgelebt iſt, iſt wie abgeſtorben;
nur was wir wollten war ſein Inhalt: und das wollen wir
noch: alſo können wir gleich weiter leben; und ſchon ehe wir
uns nur anſichtig werden; ſchon in einem Briefe. Und alſo
bitte ich Sie hier um eine Gefälligkeit! Antworten Sie mir!
Und auch recht kindiſch: recht detaillirt. Und bald: und danu
ſagen Sie mir, was Mad. B. Conſtant macht: ich ſchrieb ihr
bald nach des Mannes Tod; bat ſie, mich durch Hrn. von Hum-
boldt oder Sie etwas von ſich erfahren zu laſſen. Ich habe
nichts erfahren. Auch ihrer Kouſine, der Fürſtin Pückler, hat
ſie nicht geantwortet. Gar zu gerne wüßte ich wie ſie ſich
[480] befindet: ob ihre Geſundheit nicht gelitten. Antworten ſoll ſie
mir gar nicht, bei ihren Geſchäften, und ihrer Gemüthsſtim-
mung. Wenn ſie nur nicht voreilig Frankreich verläßt: in
Deutſchland kann es ihr nicht gefallen: darüber möchte ich
nur gerne mit ihr ſprechen. Nicht wahr? Sie ſehn ſie. Sa-
gen Sie ihr das Freundſchaftlichſte von mir! Wiſſen Sie gar
nichts von Mad. Lercaro? Ich bin ihr noch freundlich gewo-
gen. Wenn Sie Hrn. von Humboldt fragen könnten, ob er
meinen Brief an den Geſchäftsmann des Grafen Aſtolf Cuſtine
abgegeben, leiſteten Sie mir einen großen Dienſt. Ich habe
keine Sorte von Nachricht von Cuſtine; und ſollte längſt ſein
Buch erhalten: Mémoires et voyages en Italie et en Angleterre.
Schafften Sie mir von dem Nachricht!!!! (Nämlich vom
Grafen: Marquis nennt er ſich jetzt.) Sie denken wohl, ich
thäte Ihnen nicht gerne etwas Liebes? Ohne allen Eigennutz!
Ich weiß, wie deutſche Damen in Paris nach deutſchen Bü-
chern ſchmachten: hier, Liebe, haben Sie eines: „Die Sterner
und die Pſitticher,“ es gefällt mir ſehr: und das iſt ſehr viel,
weil ich im Deutſchen dergleichen gar nicht vertragen
kann. Haben Sie die Gnade, und theilen Sie es auch gü-
tigſt den Damen Goldſchmidt und deren Tochter Mad. Fould
mit! die ich tauſendmal und erinnrungsvoll grüße! Iſt Frau
von Conſtant im Stande zu leſen, ſo geben Sie es auch ihr.
Sind Sie geſund? Ich kränklich comme tout; und ſolchen
Moment zum Schreiben habe ich alle drei, vier Monat Ein-
mal. Je souffre beaucoup: et quand c’est passé, je l’oublie:
reste de santé; mais c’est par trop fort.
Nichts als Ge-
ſundheit erflehe ich für meine Freunde. Varnh. hat auch oft
gelit-
[481] gelitten; jetzt wieder: alle mögliche ſchöne Grüße hab’ ich Ih-
nen, und all den Damen, und Hrn. Vallentin, meinem Freund,
zu beſtellen. Iſt er’s noch? Ich bin es überzeugt. Sehn Sie
Hrn. Champy: est-il guéri de cette Allemagne, de ce Ber-
lin? qu’il l’oublie, mais pas tous ses habitants.
Herr Frank,
der Ihnen gewiß von allen Seiten empfohlen iſt, wird Ihnen
dieſen Brief bringen. Ich bin ihm auch gut. Vom ange-
nehmſten Umgang. Unterrichtet, ſanft, Diskuteur. Kurz, ſehr
gut. Schleſier, Gelehrter. Roberts, Bartholdy’s, Henriette
Solmar’s Freund.


Leben Sie wohl, geſund, vergnügt, ungeſtört! Ihre alte
Freundin Friederike Varnhagen.


An Gentz, in Wien.



Feuchtes Thauwetter.


Geküßt hab’ ich Ihren Brief; nach tiefer Verſtummung,
regungslos in meinem Bette aufrecht bleibend; aus Rührung,
Liebe, Zärtlichkeit für Sie, Drang und Plan zum Helfen,
Staunen, Betroffenheit. Liebes, theures — wie es ſein
muß — ewiges Kind! So wirft ſich nur Goethens Taſſo
Andern hin in die Hände, an den Buſen, nur Sie, und die
Beſten, und ich, wenn ich einen beſſern Buſen wüßte, als den
meinen! (Großes, hartes, ein noch nie ausgeſprochenes
Wort.) Sie ſind nicht unglücklich; glauben Sie es mir,
bis Sie dieſen Brief ausgeleſen haben. Laſſen Sie mich mit
dem Unabweislichſten, Wunderbarſten, Schwärzeſten anfan-
III. 31
[482] gen, mit dem Tod. Sind wir es nicht ſchon? Iſt er wun-
derbarer, als das Leben? Dies Leben, mit den innern, gei-
ſtigen
Lücken? Dieſes zerriſſene Bruchſtück? Wo er am Ende
doch ſteht? Wer mir durch den dunklen Mutterleib
half, bringt mich auch durch dunkle Erde
! Ich
will leben; alſo muß ich auch leben. Mein Lebensgefühl,
mein Glücks-, Ordnungs-, Vernunftbedürfniß, ſind mir
auch die Bürgen für dies alles; wie käm’ ich ſonſt darauf?
dieſe ſind mein Gott in mir und außer mir; mein letzter Win-
kel, wo auch mein Tempel und meine Religion iſt. Wenn
ich jeden Augenblick ſterben kann, ſo bin ich ſchon todt; d. h.
ich lebe todt weiter. Und ich fühle ja mein Leben, und
nicht den Tod; wie ſträubt ſich unſer Innerſtes bei jeder
Probe, wo ihm nur Einhalt, Hemmung gethan werden ſoll;
jeden Widerſpruch eines gerechten Anſpruchs von uns fühlen
wir nur darum ſo empfindlich, ja eigentlich ſo unleidlich!
— Gewiß werden wir wieder jung. Herrliches phyſiſches
Gefühl: nämlich ganz fertiges, nicht erſt zuſammengedacht,
gemacht, von uns ſelbſt erſt bereitet, ſondern gleich paſſend,
gehörend zu dem Ort, wo wir zu ſein haben: das iſt Jugend;
darin beſteht ſie: einſchlürfend das Daſein, ausſtrömend, er-
regend wieder ausſtrömend: und eine neue viel geſteigertere
Jugend müſſen wir wiederkriegen: in ihr fortleben: und in
einer, in einer innern, leben wir ſchon fort! Und nur viel-
behäutete Köpfe können es lächerlich finden, wenn Alte noch
wollen, wie Junge. Wollen ſollten ſie auch nicht? Iſt es
nicht Erde genug, daß ſie nicht können? Soll im Leben ein
Oberceremonienmeiſter wie an Höfen herrſchen? Wahrhaftig,
[483] das Volk aller Klaſſen verſiegelt ſein Leben, und alle Pulſe,
und ergiebt ſich darein; noch ganz voll Sittlichkeitsſtolz. Wie
ſtupid ſehen Sie auch Alle aus! Über vierzig nicht mehr zu
ertragen. Ich will ſie auch nicht ſehen, nicht kennen. —


Sie ſind jung, lieber Freund; lieben, ſind glücklich, haben
eine reizende Geliebte; einen Freund — mich, — das herr-
lichſte Kindergemüth: alle Ihre Jugendſchwächen; wollen Rath
und finden Rath; wie vor dreißig Jahren auf meinem Kana-
pee, ehe Sie zu Ihrem Vater gingen, um aus Berlin zu ge-
hen. Nichts iſt verloren; Einkünfte kommen wieder; andre.
Die Welt — die olle politiſche — ſchwingt ſich um: und Sie
ſtehen ihr wiederen face. Nur mißkennen Sie ihre Ent-
wickelung nicht ſo, daß Sie ſelbſt ſagen, Sie kennten ſie nicht
mehr. „Dieſer paradoxe Satz wird bald ein Gemeinplatz
werden,“ muß man von Hamlet nie vergeſſen. Es ſind jetzt
andere Gemeinplätze in Umlauf; nie wird man die wieder für
Paradoxe halten wollen. Der Geiſt der Zeit iſt nichts als die
jedesmal allgemein gewordene Überzeugung. Horchen Sie da-
hin: agiren Sie mit der, durch die! —



Ich Ihnen Politik! — Sie, die allgemeine Überzeugung
muß Ihnen dienen, ſie ſei Ihnen ein Inſtrument. Überwin-
den Sie den Abſcheu; kommen Sie ihr zuvor: Lenker bedarf
eine jede. — Machen Sie face; laſſen Sie das Heft nicht
aus den Händen, ſenken Sie Kopf, Feder, — wie Krieger
das Schwert — nicht als überwunden: ſprechen Sie ſich das
beſonders nicht ſelbſt aus!! und ſehen Sie nicht nur die
31 *
[484] Unordnung, ſondern — eben nach „den vierzig Jahren Ar-
beit“ — was die in der Zeit ſich folgenden Menſchen
nun jetzt zu wollen haben. Denken Sie nicht an das, was
Menſchen ewig wollen ſollten: ſondern faſſen Sie in’s Auge,
was Weltwirrwar, alte Sünden, längſt Verfehltes nun
erlaubt, und wohin eben dies drängt. Im ganzen gewiß
auch nach dem, was der Menſch ſoll: aber maskirt. Scheuen
Sie dieſe Maske wie jede andere nicht! Behalten Sie das
Heft in Händen! Sein Sie großartig. „Vous en parlez
bien à votre aise!”
werden Sie denken. Fanny lebt noch,
fragen Sie die; ſie war zugegen, als ich aus blauem Him-
mel Warſchau’s Revolution erfuhr, — Graf Mocenigo kam,
und nach halbſtündiger Tagesunterhaltung ſagte er uns das, —
ich glaubte zu ſterben. Ein Bruſtkrampf befiel mich, auf-
ſpringen mußte ich, noch bin ich nächtlich krank davon. — —
In der Welt fürchte ich nichts ſo, als Pöbel, Hornvieh,
Unvernunft, bis zur Beſinnungsloſigkeit, und Krämpfen, —
ich will nichts mehr als Ruhe. Ich habe längſt meinen
„Bankrutt“ gemacht; ich könnte nur noch gemartert und blut-
arm werden; und hoffe doch. Und nun Sie! — Ein Len-
ker, wenn Sie wollen. Wem gehören denn die Länder, wer
ſind denn die Regierungen, als ſolche? O könnte ich mit dem
Munde zu Ihnen reden! — Nur eine Frau! Keine Main-
tenon, und keine des Urſins, und doch nähmen Sie einen
Rath von mir in Gebrauch. Wie viel ſah ich früh ein! wie
viel ſagt’ ich vorher von den Dingen, mit denen Sie han-
thieren. Aber verweſen mußte meine gute Einſicht. Erinnern
Sie ſich noch, wie Sie mir in Prag erzählten, Sie hätten
[485] ſolchen göttlichen Plan erfunden, ſolchen herrlichen Gedanken,
und, wie Sie ihn dem Fürſten Metternich mitgetheilt, wäre
er an ſein Bureau getreten, und hätte aufgeſchrieben heraus-
gelangt, was Sie ihm geſagt? Sie wollten nie ſagen, was
es war. Es war der deutſche Bund, dachte ich nachher. Da-
mals war der gut. Erfinden Sie wieder etwas. Ich zweifle
nicht. Verzweifeln Sie nicht: und alles iſt noch gut.


Lieben Sie denn Ihre Blumen nicht mehr? Nicht Luft,
Wetter? Das Gefühl Ihrer ſelbſt, das Wetter in Ihnen?
Wie krank bin ich! Wie geſtört! welche Deboires habe ich
Dezennien lang verſchlucken müſſen, welche Leiden! Und Phö-
nix nach Phönix ſtieg empor! Nicht, daß es mir ſo gefällt;
nicht, daß ich’s annehme: Nein! Nein! Nein! und ewig
Nein! Aber ehrlich verarbeitet hab’ ich’s. Ich mag wohl in
zwanzig Jahren keine perſönliche Satisfaktion gehabt haben.
Und weiß es wohl. Und ſchaffe mir menſchliche: durch Theil-
nahme, durch Meditation, Einſicht, Schwung, Fröhlichkeit,
Güte, Unſchuld — je ne parle pas à mon aise. — Und Sie
ſprechen von vierzig Jahr Arbeit. Genuß war die: und
was brachte ſie Ihnen ein! Allen Lebensgenuß und Wohlha-
benheitsfülle, Geſelligkeitsgenuß; Reiſen, Garten, Pferde, Anre-
gung, Leben jeder Art. (Ich ſollte Ihnen erzählen!!) Wie
beſcheiden gucke ich aus meinem Winkel hervor und hinauf!
Wie tief- und frohſinnig: aber welche Abgaben bekam der
Teufel durch meine nun für mich nicht mehr zu faſſenden
Leiden aller Art! Me voilà. Ich tröſte mich und Sie. Und
bin überzeugt, daß es mit zum Erdenleben gehört, daß jeder
in dem gekränkt werde, was ihm das Empfindlichſte, das
[486] Unleidlichſte iſt: wie er da herauskomme, iſt das Weſentliche.
Das ſind die neuen Eigenſchaften, die er ſich anarbieten, an-
leben kann. Darin, geliebtes Kind und Freund, möchte ich
Ihnen helfen. Dies iſt diesmal mein Schmeicheln: tiefe Wahr-
heit, wie ich ſie mir ſelbſt vorſetze. Daß Ihr Herz ſie nur
erkennt! als aus meinem liebevollſten fließend! Glauben
Sie mir noch für’s erſte; es wird gut für Sie. Shakeſpeare
ſagt ſehr klar, klug und erfahren: „Oft iſt ein Fall das Mit-
tel, deſto glücklicher wieder aufzuſtehn;“ deſſen ſeien Sie ein-
gedenk. Ich hab’s öfter geſehen, kürzlich erfahren. Glück
auf, lieber Freund! Muth oben! Einſicht frei! Sie können
alles zu allem überreden. Wagen Sie das Neuſte, die neuſte
Behauptung. Sie ſollen einmal ſehen! — —


An Friederike Robert.



Etſch aus! — Das kommt von Geburtstagsfeiern: das
iſt die gerechte Strafe, wenn man ſich um Geburtstagsda-
tums bekümmert. Da haben Sie’s!


Dann wird man angeführt; und wird in einem Jahr
zwei älter und wird zweimal angebunden.


Es macht mir ein großes Vergnügen, Ihnen dieſes Tiſch-
zeug zu Füßen zu legen; ich konnte ſeit unſrem letzten tête ‒
à ‒ tête
nicht die Zeit erwarten, es Ihnen einzuhändigen, und
doch wollte ich die Freude haben, dies grad’ an Varnhagens
Geburtstag zu thun, weil Sie ſich nach deſſen Datum erkun-
[487] digt hatten. Aber es hat mich etwas gekoſtet: auch darum
iſt mir Weihnachten ſo zuwider — wie alle Geburtstage —
weil man ſich der Geſchenke ſo lange enthalten muß; und
der Beſchenkte ſich ſo dumm ſtellen muß.


Es ſind, damit Sie nicht meſſen und zählen, drei Tiſch-
tücher, jedes mit ſechs Servietten. Ich ſchäme und freue mich
zuſammen; daß es nicht mehr iſt; und dann wieder, daß ich
doch das darreichen kann! Wer hat mir das verſprochen!
Wenn Sie aber nur den geringſten Theil von dem Vergnü-
gen es anzunehmen haben, mit welchem ich es Ihnen verehre,
ſo kommt es Ihnen doch ſo ſchön vor, als ein Geſpinnſt von
Pallas-Athene. Die Blumen darauf ſind mir aber zu ſchnee-
artig; darum ſprach ich auch Flora an für das Doppelfeſt!
Liebe Rika! ich umarme Sie! Aber laſſen Sie ſich nicht af-
fiziren: ich kenne Sie. Und iſt es nicht zu ſchlechtes Wetter,
und Sie ganz geſund, ſo kommen Sie noch Vormittag.


Ihre Fr. V.


An Karl Schall.



Glück auf! zum ſchönen Wetter und zur Genefung. Seit
geſtern weiß ich von unſerm Arzt, daß Sie litten; aber zu-
gleich; daß es im Abnehmen — bei mir geht’s ab und zu!
jedoch fahr ich’ dieſen Mittag in einer Art verzweifelter Ver-
wegenheit aus. — Daß Sie gern allein ſind, weiß ich, und
goutire ich: aber Blumen ſind keine Menſchen; unterhalten,
[488] und erfreuen ohne die Beilage von Ennui und Mühe, den
uns jene, ohne weitre Schuld, immer geben müſſen; und
welches krank nicht gut zu ertragen. Ich ſchildre hier mich
ganz, und krank: aber da wird wohl ein Nüancechen für alle
übrige Leidenskinder mit dabei ſein.


Ich möchte Ihnen gern etwas Angenehmes erzeigen!
Wählen Sie in meiner eingerichteten Küche, unter ſehr guter
Suppe
, Kompott von Kirſchen — wie friſche — in Bou-
teillen eingemacht, eben ſolche ſchwarze Beeren. Äpfel-
kompott. Birren. Schönen Milchreis, den Sie lieben.
Ein ſchön gekochtes Huhn mit Sauce. Oder was Sie
ſonſt
appetiten. Schreiben Sie das Wort auf: aber ſonſt
nichts. Mündlich den Reſt. Adieu, lieber Schall! Wenn
Einer krank iſt, lieb ich ihn gleich doppelt. Fr. Varnhagen.


An G ....



Wo nimmſt du den Muth zu ſo viel Feigheit,

Solch verbrecheriſcher Schlaffheit her? —

Könnte eine Freundin fragen,

Wäre Freundin dir ſie noch.

Dein zerronnen Herze liebte niemand als dich ſelbſt;

Und ſo haſt du niemand denn geliebet.

Wie ein Kind zum Munde alles führet,

So biſt du geblieben kindiſch;

Ganz im Anfang, dich erfühlend nur geblieben.

Überrindet, ausgehöhlet von den Jahren,

Die du hinter mit Genüſſen ſchlürfteſt;

Fürchtend immer mehr des Überganges Dunkel.

[489]
Und mit Recht, möcht’ ich faſt ſagen;

Weil du keine Beute machteſt,

Zu dem Einſatz neuen Lebens. —

Haſt das alte auch nur vor dir,

Bis du fleißiger geworden.

Böſes altes Kind! —

An Fräulein von R.



Heute war der letzte Termin, und der Tag wo ich un-
fehlbar verſuchen wollte, ob Sie annehmen. Aber ein neuer
Huſten hält mich ab. Zwei Tage ſchien es beſſer werden zu
wollen: vorgeſtern begleitete ich eine Dame bis an meine
zweite, nicht letzte Thüre, und da ſchlich die böſe Schlange
mich von neuem an. So viel von mir; damit ich darauf
nicht wieder zurückkommen muß.


Hoffentlich haben B.’s und andre Freunde Ihnen beſtellt,
wie es mit mir war! Sie ſind meines Antheils gewiß; wie
Sie meine Verehrung und Liebe zu dem Seligen kannten;
er war es ſchon hier: denn wahrlich, ſein Element, das Ele-
ment dieſer Seele war hier ſchon Liebe und Güte. Lauter
gute Empfindungen hat er Ihnen zurückgelaſſen, keine Art
von Sorge; Gott verzeihe mir, wenn ich frevle! er war hier
ſchon ſelig, und beſorgt; wenn irgend jemand uns von dort
zuſprechen kann, ſo iſt er’s: und heiter, und troſtvoll. Was
müſſen Sie Alle nicht darüber empfinden, wenn ich es ſchon
durchaus ſo und nicht anders fühle. Der ganz allgemeine
[490] Antheil, die große Anerkennung des lieben Vaters, iſt für den
hieſigen Verluſt und Schmerz doch ein großer Balſam. Reich-
licher wurde er wohl nie geſpendet! Wenn wir uns in den
Schmerz des trennenden Todes verſenken wollen, betrachten
wir lieber das ewige große Wunder des Lebens, welches
beides Eins ausmacht; und uns zur tiefſten Unterwürfig-
keit leitet, und auf die größte Liebe anweiſt! Jedes
Wort, was ich Ihnen ſage, iſt zu viel! Auch will ich Ihnen
auch nur mein Gemüth bei dieſem großen Schmerzensereig-
niß zeigen.


Die halbe Stadt hat Ihnen ihre Dienſte angeboten; ich
weiß es. Aber doch könnte es ſo kommen, daß Sie grade in
einem Falle uns brauchten; vergeſſen Sie nicht, mit welcher
Ergebenheit wir Ihnen gern dienten!


Gehn Sie ſchon aus? Ich halte in Noth und Schmerz
bei mir immer mit Erfolg darauf, andre Wände zu ſehn.
Gerne empfange ich Sie bei mir: ſo ſtill Sie wollen, mit wem
Sie mögen. Andre Menſchen bleiben lieber gerne zu Hauſe;
ich weiß es. Sie laſſen mich gelegentlich wiſſen, ob, und
wann ich Sie ſehn darf. Grüßen Sie gnädigſt Ihre Frau
Mutter, und Fräulein Schweſter, denen ich hier Allen mit ge-
ſchrieben. Zweiflen Sie nie an meiner überzeugungsvollen Er-
gebenheit.

Fr. Varnhagen.


Haben Sie vom lieben Bruder ſchon Nachricht? Der
Arme; dem es ein Brief lehren mußte!


[491]

An Erneſtine G., in Paris.



Sonne will aus leichtumzogenem Himmel hervorbrechen,
und mich dünkt — ich weiß es nur aus dem Fen-
ſter — heute herrſcht zum erſtenmale nicht Oſtnordwind.
Dies haben Sie doch in Paris nicht; nicht wahr?


Geſtern, meine liebe Erneſtine, überreichte man mir einen
Brief von einem Herrn, der ſchon weggegangen war, und es
war Ihrer. Dieſer Brief hat kein Datum (ein Kapitalfehler).
Glück auf, liebe Freundin! Glück auf, daß Ihnen noch etwas
reell Poſitives zur Freude geſchehn kann. — Wenn nur die
liebe M. ein gutes Leben haben wird! Das Wort glücklich
zieht ein Lächlen auf meine Lippen: ſo weit, ſehe ich, bin ich
gekommen, in Einſicht deß, was ſein kann. Sonſt hätte ich
geſchrieben: wenn ſie nur glücklich ſein wird! Ich liebe
ſie, ſchon weil ich ſie gekannt habe, weil es ein Kind iſt, weil
es Ihres iſt. — Sie kennen mich freilich, meine liebe Freun-
din. In meinem hohen Alter bin ich noch die Detail-
Liebhaberin
. Ich habe mich von unten hinaufgedacht: und
arbeite noch immer ſo. Abſoluteſte Natur: denn, ich kann
nicht anders: und dieſe Anlage in mir danke ich dem Schick-
ſal; da es eine Methode iſt, der ich meine höchſte Zuſtimmung
gebe. Alſo haben mich die Details der beſchriebenen Pariſer
Anzüge ſehr intereſſirt. Ich ſehr für’s erſte daraus, in wel-
cher Ökonomie wir hier verfallen bleiben; und wie ewig ſchöpfe-
riſch, exakt und neu ſie dort ſind — und wie dies jene ver-
bietet; — und wie dies ſogar ewig neue Benennungen er-
[492] zeugt, die auch ſchon unterhaltend zu lernen ſind. Ich bin
der größte Franzoſenleben-Schätzer. Wir gehn, wir Deut-
ſchen, in lauter Mitteln, in Zukunft, unter. Ich fühle
es heftig; weil ich ſehr deutſch darin bin; der geſellige, nur
auf Geſelligkeit angewieſene, und nach ihr und ihrer Ausbil-
dung ſtrebende Franzoſe will im Augenblick ſcheinen und ſein:
ſcheinen was er iſt, und ſein möchte. Dringendſte Anforde-
rung des nun auf Erden einmal gehemmten Menſchenthums!
Ich verſtehe das hohe Prinzip, was in dieſer Nation unun-
terbrochen, unter allen Geſtalten und in allen Augenblicken,
fortwirkt: wie ein heftiger Strom, der aus einer Himmels-
quelle erſpringt, geht dies Prinzip — der dringendſte, tiefſte
Geſelligkeitstrieb; wenn man es bedenkt, höchſte Menſchenauf-
gabe — heftig, betriebſam, und manchmal ſogar anſcheinend
liſtig, ſeinen ewigen Weg; hell, breit, gemach, edel, klar, ſonn-
erhellt, über ſchöne Ebnen: aber auch durch Klüfte, Moraſt,
Höhlen, Geſtein, Ruinen, und durch jeden andern Fluß, dem
es begegnet. Wer mag die Hemmungen tadeln, und das
Anfärben davon, — außer die, die nichts zu ſehn verſtehen,
und ihre Unfähigkeit Nationalität nennen, Patriotismus. —
Es ſind die der Menſchheit. Wenn Sie dieſen Inbegriff,
den ich Ihnen hier ausgeſprochen, bedenken mögen, ſo wiſſen
Sie alles, was ich von Franzoſen und all ihrem Beginnen
halte und denke. Theilen Sie es Ihrem Sohn mit. Er weiß
doch noch Deutſch? Er kann es ſeinen Freunden überſetzen.
Den jungen Herrn Lascaſes kann er von mir grüßen: ich habe
die Ehre von ihm gekannt zu ſein: von Baden her. — Alſo
auch Sie, meine Liebe, haben eine geſchwächte Geſundheit!!!
[493] Höchſtes Leid, höchſtes Miſſen, höchſte Gelegenheit zum Be-
griff ſeiner ſelbſt und zu dem Werth des ganzen Lebens zu
kommen. Cruel apprentissage! cruel maître que le ciel nous
permet!
— Aber ich bin beruhigt (und nicht mehr cuisant-un-
glücklich wie ſonſt), ſo lange ich noch etwas lerne. Nur et-
was
, nur nicht umſonſt: wenn auch nur anſcheinend um-
ſonſt — nämlich es kann nur anſcheinend umſonſt ſein:
immer aber von oben richtig. Meine Geſundheit iſt ganz zer-
ſtört ſeit dieſem Sommer: erſchüttert war ſie zuletzt von vor
zwei Jahren, von einer Schreckenskrankheit; wo mein Helden-
körper ſichtliche Wunder that: mancher Schreck, und beſon-
ders Ärger hat mich ganz zerſtört, dieſen Herbſt. Da ich es
nicht vermied, war es unvermeidlich. Überhaupt, ſtirbt jeder
an ſeinem Karakter. Ich ziehe noch immer einen Blitz, wie
von Kindheit an, vor. — Ich leſe, habe mes petites-nièces
um mich, liebe was ich ſonſt liebte — finde es nur ſchwer —
Luft, Blumen, Feld, Muſik, Theater, Tanz, Diskuſſion, alſo
Geſellſchaft; Ordnung, Reinlichkeit, Eleganz, Moden, Witz;
Konſequenz, in allem Denken. Sie ſehn alſo, was da
zu miſſen iſt! Kurz, wie Sie mich kennen. Sehn Sie mich
dieſen Sommer, ſo werden Sie es finden. — Mir iſt es auch
ſehr angenehm, daß Sie in artigen Verhältniſſen der Geſellig-
keit leben. Sind Sie aber auch dabei ökonomiſch? Ich ſehr.
Aber kein Plöter, kein Hartherz. Ich bin im Winter äußerſt
ſelten aus: ſehe nur Menſchen bei mir: oft häufig, dann we-
niger: immer etwas. — Leben Sie wohl; und in der Luft: und
ſehn Sie Veilchen, ſo grüßen Sie ſie von mir. Wir haben auch
jetzt welche im Winter.

Adieu! Ihre alte Fr. V.


[494]

A Victor Hugo, à Paris.



Sûrement, Monsieur, le sentiment de gratitude envers un
beau génie, qui a élevé votre âme, touché votre coeur, étonné
votre imagination, et satisfait ee sentiment moral, inné au fond
de notre être, ne vous est pas inconnu; de beaux génies vous
ont aussi ravi — vous les avez aimés — vous savez que dans
cette disposition d’âme on voudrait voir ceux, qu’on admire,
admirés et applaudis des autres comme ils le sont de nous-
mêmes, ou voudrait surtout leur prouver, qu’ils ont été com-
pris, goûtés, par une intelligence qui les a saisis ou devinés.
C’est ce sentiment d’admiration presque tourmentant, qui ef-
face en moi, dans ce moment, le sentiment de ma personna-
lité inférieure et chétive. C’est une femme allemande, qui
vous écrit, Monsieur, après avoir lu Notre-Dame de Paris.
Quelle conception toute nouvelle! quel démon d’inspiration est
allé loger dans votre âme! comme vous avez pris possession
de ce chef-d’oeuvre d’architecture! car vous vous êtes fait
l’âme de Notre-Dame de Paris; et c’est selon moi, le grand
mérite de votre ouvrage, le point de conception tout-nouveau.
Aussi ne comprenais-je rien dans le premier volume: je me
fachais contre vous, ne voyant paraître aucun personnage! et
c’est ce que j’admire le plus aujourd’hui. Votre ouvrage est
lui-même comme un grand chef-d’oeuvre d’architecture go-
thique, que notre petite imagination ne comprend pas tout de
suite, — gâtée comme elle l’est, par toute une atmosphère de
préjugés dans laquelle elle vit. — Aussi votre poème, comme
[495] ces poèmes architecturaux, est une véritable organisation, dans
laquelle la plus grande partie suppose la plus petite, et la plus
petite suppose la plus grande, ce n’est qu’une seule et même
vie. Telle est l’impression, qui m’est restée à la fin du livre.
C’est alors que j’ai pu voir le tout; admirer l’ensemble; le
plus petit ornement nous devient alors nécessaire, lorsque nous
poursuivons l’idée du tout; les choses les plus essentielles dans
cette conception ne se présentent que comme des beautés; et
tel est l’effet de tout ce qui est vrai, conçu dans l’innocence
et l’intégrité de notre esprit. Tout ceux qui ont encore cette
innocence, et qui sont seuls avec leur jugement vis - à - vis
d’un livre, aimeront Notre-Dame, et son auteur. Il y a en
Allemagne plus de ces heureux que vous ne soupçonnez peut-
être, et il faut qu’un de nous sacrifie sa vanité et se donne
l’air d’en avoir beaucoup pour vous faire connaître cette pos-
térité qui vit à côté de vous: car les étrangers sont à peu
près comme ceux qui viendront après nous. Les véritables
grands hommes mettent sûrement peu de prix à cette posté-
rité tant prônée: mais ils aiment à faire du bien à tout le
genre humain. J’aime donc à vous dire que vous en faites
beaucoup en Allemagne, qu’ici l’on vous révère et vous ap-
précie. L’Allemagne est un pays qui n’a point de centre,
point de Paris, qui timbre les gloires; mais sur tous les points
de cette Allemagne il se trouve des âmes ouvertes aux beau-
tés de tous les genres, qui épient ce qui mérite l’admiration;
sans toutefois posséder la grâce qui rend un culte agréable
aux dieux. — —


Anmerk. Der Brief blieb unbeendigt, und unabgeſendet.


[496]

Weh dem, der mit ſeinen Einſichten und Gedanken dem
Allgemeinen vor iſt! Für den kann dies Allgemeine nichts
thun: für den wird das nie ein gutes Schickſal. Wie wohl
für den, welcher gleich mit ihm ſteht, oder gar nach! —


Der Denkende, in Wahrheit Erwägende erhält ein anderes
Glück, muß es wo anders her ſich ſchaffen; nicht durch ein
Allgemeines, Vorhandenes. Aber ſein Glück ſelbſt iſt etwas
Allgemeines; nämlich auf das Höchſte ſich Beziehendes, von
dieſem Geſpendetes, und darum generell in der Anwendung.
Hauptſächlich beſteht dies Glück der Forſcher und Erwäger
darin, daß ſie einer ganzen Art von Unglück enthoben wer-
den: die Erde nicht als etwas Vereinzeltes anzuſehn brauchen;
und deren Leben und Empfinden mit — wenn auch unbe-
kannter — Vergangenheit und Zukunft ſich in Zuſammenhang
vorſtellen können: heißt eigentlich, als ein Ganzes. Und die
größten Momente des Lebens ſind die, wo es auch ſo empfun-
den wird. Solche Momente müſſen ſich gewiß bis zum hei-
ligſten Daſein, dem unantaſtbaren, immer gleich hohen, ſtei-
gern! —


Beſchränkt zu ſein, das iſt nicht genug; wenn wir uns
nicht beſchränkt machen können. In Ermanglung deß aber,
iſt ſich beſchränkt wiſſen ſchon ein großer Beſitz. Abends dank’
ich Gott, daß ich nicht mehr Arges, Verwirrtes weiß, und
für jedes bischen Kinderunſchuld; die kein Defizit einſehn,
nach allem wie nach einem Ganzen greifen, und es glücklich
ſo ſehen und zum Genuß gebrauchen kann. — Höhere Ge-
ſchöpfe,
[497] ſchöpfe, Weſen, leiden gewiß noch mehr, vermiſſen mehr; und
müſſen ihr Glück immer mehr ſelbſt machen. Ja ich kann
mir Regionen denken, wo die Weſen nur Andrer Glück be-
reiten und Unglück abwenden. Iſt es nicht hier ſchon ſo?
Das reinſte geht in etwas über, was für uns Nichts wird.
Daher in allen Philoſophieen der Punkt, den die unphiloſo-
phiſchen, nicht denkfähigen Menſchen ſo leicht lächerlich finden.
Leicht iſt dies allerdings; aber nicht ſo, den Philoſophen bis
dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies
Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu iſt kein Inſtrument
im Kopf vorhanden.



(Mündlich.)


„Ich habe mir nun auch eine Grabſchrift erdacht. Sie
ſoll heißen:


Gute Menſchen, wenn etwas Gutes für die Menſch-
heit geſchieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch
meiner.“ —



Eine groß-bedenkliche Geſchichtsanſicht habe ich heute
Gelegenheit gehabt mir vorzuſtellen; — als ich in Familien-
angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä-
gen hatte.


Als Chriſtus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge-
halten wurde, waren ſeine Ankläger und Verfolger die Herr-
ſchenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem ſiegenden großen
III. 32
[498] Volke Alliirten. Deren Nachkommen aber, die Juden, ſind
bis heute, durch ihren bloßen Namen, noch aller Schmach
Ausgeſetzte; und die Nachkommen der Anhänger Chriſti ſind
die ſiegenden Verächter geworden. Der Reſt gläubiger Juden
hält ſich aber noch für alte Ariſtokraten, und verachtet die
ganze Chriſtenheit: auf dieſe Weiſe gehen die Juden als
warnendes Beiſpiel umher.




Geſtern war Abends mit andrer Geſellſchaft der Vicomte
Montalivet bei mir. Ein ſchöner Jüngling; in dem noch
ganz die Jugend herrſcht, und vor Feinheit und Schüchtern-
heit noch die Gewandtheit nicht heraustreten kann, zu der die
Anlagen doch ſichtbar ſind. Seine Äußerungen, dem Inhalt
nach ganz gewöhnlich und mitunter noch faſt kindiſch, haben
etwas Edles, das mehr auf Tiefe des Herzens als des Geiſtes
beruht. Mir fiel das ſehr auf, und ich habe das ſo noch an
keinem Franzoſen bemerkt. Er wird viel zu leiden haben,
wenn er mit dieſer Eigenſchaft in ſeiner Welt fortkommen
ſoll; ob es nun darauf hinaus läuft, daß er ſie, oder ſie ihn
zwingt: zu leiden immer. —


Anmerk. Der junge Mann endete ſein Leben das Jahr darauf
zu Neapel durch einen Piſtolenſchuß, wegen einer Neigung, die während
ſeiner Abweſenheit von Paris jeder Hoffnung beraubt worden war.


[499]

An Auguſte Brede, in Wien.



Bezogener Himmel, träuflender Regenanfang. Drei Vier-
tel auf Eins: Ich ziemlich beſſer. Nach einem zweiten Spritz-
bad, wozu die Vorkehrung ein Schrank iſt, der wie eine
Schlafbanke aufgeſchlagen wird, worauf man ſich ſtellt anſtatt
legt, und mit dem feinſten Regen begoſſen wird. Ich nehme
es mehr als lau; und werde es morgen ſitzend nehmen. Eine
Wonne, eine Stärkung! — Ich nehme es klug, nämlich be-
hutſam. Nehmen Sie es nie, ohne mir vorher zu ſchreiben:
dann werde ich Ihnen genau, trotz des Büchels darüber, die
nöthigen Bedingungen ſchreiben: ſonſt hat man leichtlich Au-
genentzündung davon; was hier ſich häufig zutrug. Aber
bloß von falſchem Gebrauch. Mir aber können Sie glauben.
Dies alles iſt Datum des Briefes.


Von mir, theuerſte Auguſte, ſpreche ich, weil ich mich
krank, wie ich war, ſo ſehr hinderte; hinderte zu leben: und
zu wirken, wie ich mich gewöhnt habe, mich zu gebrauchen
und anzuſehen. Fragen Sie Mad. Liman; ich war lange,
und längſt ſehr leidend; und im März bekam ich die Influ-
enza dazu, die mich bis vor acht Tagen ganz und gar zum
Gehen unfähig erhielt. Kurz, bei mir war ſie ſchrecklich,
Fieber, Erbrechen, Huſten, Bruſtkrampf; Ärger, Schreck dabei.
Erinnre ich’s mir: ein Wunder, daß ich lebe. Gewiß ſoll ich.
Noch vor acht Tagen dacht’ ich nie wieder gehen zu können:
nämlich auf der Gaſſe. Jetzt fühl’ ich mich wieder dem Sonſt
32 *
[500]ähnlich. Vorgeſtern war ich auf der Potsdammer Chauſſée
ausgeſtiegen: und V. ſchrie mir zu: Nicht ſo geſchwind! Und
ich antwortete in Eil: „Ich bin nicht mehr ſo alt!“ Alles
lachte. Aber — das Unendliche habe ich gelitten: auch Lan-
geweile. Alles
!! Schreiben konnte ich gar nicht; gewiß
ein Jahr. Eben ſchrie mir V. zu: Nur wenig! ruhe dich!
Und er wußte, es iſt an Auguſte. Geſtern, theuerſte Auguſte,
war das liebe Mädchen Mlle. Gley bei mir — den Morgen
— Gott im Himmel! was ſoll ich mit ihr anfangen! Ich
fahre alle Tage aus; empfange jetzt nie: wegen Hitze, Fati-
gue, Menſchenluft. Seit Elslers weg ſind, war ich in keinem
Theater; jetzt ging’ ich nur wegen dem ſeligen Fleck, glaub’
ich. Treppen kann ich nicht ſteigen, Menſchenluft nicht ath-
men. Nun will ich die Liebe nach einem Garten einladen mit
dem Vater. Ich freue mich, daß Sie dieſen weichen, erhei-
ternden Umgang haben! O! hätten Sie meinen! Und ich
denke nicht bei allem an Sie, wie Sie an mich?! Ich
freue mich, jetzt zu leben; weil wirklich, reell, die Welt
ſchreitet; weil Ideen, gute Träume in’s Leben treten. Technik,
Gewerbe, Erfindungen, Aſſociationen ſie auszuführen, die Über-
zeugung ſelbſt der Gouvernements, daß das endlich ſo ſein
muß, — alles dies erlaubt nicht, ſo dumm zu ſein; die Dumm-
heit noch ferner in Spiritus zu erhalten: anders wollte ſie
ſchon längſt nicht dauren. Allen Vorſchub, den legitimen,
hatte ſie: vergeblich! Einſicht iſt eine Pflanze, von hoch
her eingeſetzt, und eine Witterung muß kommen, ſie gedeihen
zu laſſen; denn ſie wartet Tauſende von Jahren auf ſolche,
ſich — wenn auch nicht uns Menſchen — unbeſchadet. Wer
[501] das nicht mit einſieht, wird ſubmergirt. Sei ihm Gott
gnädig!


Alſo — n iſt wider die Polen. Gott ſei ihm gnädig.
Wunder ſchreiben Sie mir, Wunder aber iſt jetzt die Tages-
ordnung. — Auch ich, Guſte, habe hin und her gefragt, ge-
ſchrieben, wegen Ihrer. Und doch hoffe ich noch. Hier pen-
ſioniren ſie die Menſchen, und dann gebrauchen ſie ſie recht.
Ich kann nicht mehr. Adieu! Ewig Ihre treue F. V.


Der Brief iſt ein bloßer Gruß. Varnh., Roberts, alles
grüßt und liebt Sie. Elischen vergöttre ich noch. Von
Alexander ſchrieben Sie mir in zwei Worten göttlich. Alles.
Auch ihm ſei Gott gnädig! und uns. —



Es iſt mir von den verſchiedenſten Menſchenarten begeg-
net, daß unerwartet die ſchönſte Liebesfreundlichkeit von ih-
nen zu mir hervordrang, indem ſie meine Herzenswärme er-
kannten, und ihr gern eine Innigkeit erſchloſſen, der man
dieſe Richtung vorher kaum zugetraut hätte. Mit am merk-
würdigſten ſind mir in dieſer Art die Äußerungen des Fürſten
Kosloffsky, der den meiſten Menſchen nur für einen genuß-
frohen Weltmann gilt, aber ein ächtes Herz im Buſen trägt,
und mich aus innerſter Seelentheilnahme katholiſch machen
wollte; und dann die einer frommen Herrnhuterin, gegen die
ich wieder als zu weltlich gelten ſollte. Ich ſchreibe mir die
Worte von Beiden hier der Merkwürdigkeit wegen zuſam-
men. Der Fürſt ließ mir bei ſeinem verfehlten Abſchiedsbe-
ſuch folgenden flüchtig hingeſchriebenen Zettel zurück:


[502]

„Je suis bien aise de ne vous avoir pas trouvée. J’évite
des sensations pénibles, et cela en aurait été une pour moi
que de prendre congé de vous. Que les bénédictions du ciel
reposent sur vous, qu’elles vous soutiennent, qu’elles vous
éclairent, qu’elles vous donnent la force de traverser douce-
ment le chemin qu’il y a à faire! — Quant à moi, si je n’a-
vais pas des devoirs sur la terre, je vous jure, que je n’y
tiendrai guère. — Faites que j’entende parler de vous. — Ne
cherchez pas le bonheur, car il n’y en a pas; continuez à faire
tout le bien que vous faites, continuez à pardonner, comme
vous avez toujours fait, et les prières du pauvre comme celles
de l’amitié penètrent droit au ciel. — Adien. — K.”



Von der herrnhutiſchen Schweſter, die mir bis an ihren Tod
eine liebe Freundin blieb, bekam ich einſt dieſe Zuſchrift:


— „Statt alles was ich Ihnen ſagen möchte, erinnere ich
Sie, meine Theure, an etwas in Ihren Zeilen im vorigen
Herbſt: „Warum wir nicht auch in der Ferne hören“ u. ſ. w.
Ich erwiederte mancherlei darauf, — unter andern, daß, wenn
Sie durch den Wirrwarr und das Gekreiſch mancherlei ver-
worrener Töne auch einige einfache vernehmen könnten, — ſo
würden Sie bald wiſſen, woher dieſe kämen. Das bezog ſich
auf einige Verſe, die ich damals auf eine leichte Melodie,
welche ich ſehr liebe, in Bezug auf Sie und im innigſten An-
denken an Sie, innigſt Geliebte, gemacht, und ſeitdem oft in
meiner Einſamkeit in erträglichen Stunden geſpielt und ge-
ſungen habe. Ich konnte mich immer noch nicht entſchließen,
[503] etwas darüber klar zu Ihnen zu ſprechen, noch viel weniger
ſie Ihnen zu geben, — aber jetzt iſt es Drang meines In-
nern.

Lotte Schleiermacher.


„Deiner Liebe, Freundin, deiner Güte,

Deiner Huld und Freundlichkeit,

Deinem Ernſt, und redlichen Gemüthe,

Sei das kurze Lied geweiht!

Hör mein Flehen, bitte, lieber Vater.

Bleib’ auf ihrem Pilgerpfad

Stets ihr höchſter Freund, und ihr Berather,

Wo ſie Hülfe nöthig hat.

Deine Nähe ſtärk’ ſie, wenn ſie müde

Sich der Lebensquelle naht,

Dort umweh ſie Troſt und heil’ger Friede,

Den die Liebe ihr erbat!“

Im Oktober 1823.


Der Ernſt und die Lieblichkeit der guten Meinung in
beiden Blättern haben mich immer tief gerührt, und mir viel
zu denken gegeben, und wenn irgendwo Menſchenzeugniſſe
meines hieſigen Daſeins verlangt werden ſollten, möcht’ ich
am liebſten ſolche Eindrücke vorzeigen.


[504]

An Auguſte Brede, in Wien.



Graues drückendes Wetter; meiſt mit kühlem Winde; nie
nahrhaft, ſtärkend, wie es ſoll; wenn auch auf ein paar
Stunden: gleich ſchlägt’s um.


Ich höre von allen Orten her das Gleiche: dabei prospe-
riren Blumen, Früchte, Gemüſe, Bäume. Menſchen ſollen
gelichtet werden; denen thut es nicht gut. Ich habe, und
hatte viel zu leiden davon; ich fühlte es den Andern weit vor-
aus. So habe ich auch die allerliebſte Julie — ſo nenn’ ich
Mlle. Gley — nicht bei mir geſehn, als auf flüchtige zwei
Morgenbeſuche; und vorgeſtern eine Soirée bei Ludwig Ro-
bert. Ein liebes natürliches Mädchen, mit edlem großartigen
Antlitz. Ich, die ich ſeit Elslers hier nicht im Theater war,
will ſie heute im Stern von Sevilla ſehn; wenn es mir ge-
lingt, im Ifflands-Theater Plätze — bei größter Leerheit zu
erlangen; — von dem Seligen und ſeinen eitlen Luxusein-
richtungen leiden wir noch. Und, wie Goethens Taſſo, „ver-
lieh mir die Natur Worte, zu ſagen was ich leide!“ und ſo
ſagte ich denn, wie dieſer Mann noch unſelig war, und
lebte; dieſer! — verdirbt uns die deutſchen Theater auf
fünfzig Jahre hinaus; der Geruch, den der nachließ, iſt
für Publikum, Fürſten, und Höfe, und Intendanten, beneblend,
betäubend, todbringend; und nur die Künſtler gedeihen dabei,
die auch Hiſtrionen, Pedanten, Lügner in der Kunſt, und
im Leben ſind; wie der Schöpfer dieſer Affektation, in Kunſt,
ihren Einrichtungen; und in Sitte! Dieſen Nachruf erlauben
[505] Sie mir meiner Bühnenleidenſchaft nachzuſenden; was dem
Bühnengeheimerath davon gebührt, nehme er hin.


Theure Auguſte: was ſoll man wohl jetzt anders ſagen,
als was wir immer denken müſſen: daß der Tod ein Moment,
ein Hauptmoment des Lebens iſt: daß dies ein Räthſelgeſchenk
iſt; Gottes tiefſtes Geheimniß; weil es auch den Grund un-
ſerer Erſchaffniß enthält; ſeiner Tiefe nach, auch die größte
Beruhigung. Bin ich doch gut, und vernunftbedürftig: wie
muß ſich das bei höhern Geiſtern ſteigern: ich unterwerfe mich
in Neugierde — im höchſten Sinne — und im Mangel des
Vorſtellungsvermögens. Welcher Mangel, bei unſern andern,
eine ſchöne gnädige Gabe iſt. Sonſt wär’ ich lange vor Cho-
lera-Furcht in Krämpfen todt. Dieſer Tod, an ſich, iſt nur
der Eine, und der ſelbe: aber die Anſtalten, die Leiden, der
Unglücks aufruhr! — Feſt war ich entſchloſſen hier zu blei-
ben, gab jede Reiſe auf, und tauchte in Gedankenloſigkeit,
und des Tags Gewöhnlichkeit — Wellen genug! — unter.
Aber da ſie rückt und rückt; und ſo auch die Vorkehrungen;
und mein Arzt ſie wird behandlen müſſen: und alle Leidende
abgeſperrt werden ſollen; nur die Ärzte nicht von ihren Fa-
milien: ſo weiß ich doch nicht: ob ich nicht in wenigen Tagen
mit meiner Nichte und den Kindern nach Baden gehe. Varnh.
will nicht mit: er kann nicht. — Nun denken Sie ſich mich.
Ich hoffe auf Wunder; habe ich doch ſchon welche erlebt. Ja,
theure Auguſte! „Ruhe“ tritt im äußern Leben nicht ein: und
wie kindiſch von uns, dies nicht durch einen gründlichen Ge-
danken einzuſehn, und bis ſechszig — ich — auf ein Aparte’chen
für ſich zu hoffen, arbeiten, denken! Ruhe können wir nur
[506] innen gewinnen. Leben und Tod iſt daſſelbe: hier iſt nicht
zu bleiben; ſehen Sie nur die Deteriorirung an! Ambition
muß man gar nicht haben: wie leicht reiſet man dann! Durch-
aus muß man nicht denken: ich bin der und der. Nichts
bin ich. Ein Athem und Gewiſſensruhe bedürftiger Wurm.
Hunger geſtillt, und geſund! das hab’ ich in großen Krank-
heiten gelernt; wo mir Luft fehlte; und Eſſen und Trinken
umſonſt da war. Liebe für Andre, inkommodirt noch: und
einen Punkt in der politiſchen Welt behaupten wollen. Dies
weg: und wir ſind rein Gott gegenüber: dies noch da: un-
rein. Ich grüße Sie von Grund der Seele. Und bleibe ich
dies Jahr leben, ſehen wir uns künftiges. Wie kann ich
jetzt noch nicht ſagen. Schreiben Sie mir dann und wann.
Schicken Sie Ihren Brief nur immer Hrn. von Gentz, der
ſchickt ihn mir immer. Sie thun mir einen Gefallen, theures
Kind! wenn Sie dieſen, ſo wie er hier iſt, einſieglen, und
ihn Hrn. von Gentz zuſchicken. — Dem Grafen Mocenigo habe
ich alles klüglich beſtellt: grüße meinen theuren, immer gelieb-
ten Freund für’s erſte hierdurch: und werde ihm mit erſter
Muße, und Stimmung antworten. Ich kann heute nicht dop-
pelt ſchreiben, und er ſieht wenigſtens daraus wie es mit mir
iſt. Ihre treue Freundin R. — Mlle. Gley will durchaus ei-
nen Brief. Ludwig Robert reiſt Sonnabend mit der Schönen,
und auch Guten, nach Baden für’s erſte Jahr. Betrübt mich. —


[507]

An Frau von V., in Baden.



Warmes ängſtigendes Wetter mit Feuchtigkeit, und jetzt
Sonne. Ich ſage, die Krankheiten kommen rein da-
her
. Es iſt ſeit Jahren, die ich fühle, und leide,
die größte Wetterrevolution.


Wer giebt Ihnen dieſen Brief, theure Einzige? Ludwig,
Rike. Ja, die kommen nach Baden: die bleiben dort. Ich
gratulire euch Allen. Und — unmöglich iſt es nicht, daß wir
uns dieſen Herbſt noch ſehen. Kommt die Cholera nicht her,
ſo mache ich noch eine Reiſe. Fragen Sie Robert, Rike, aus,
die werden Ihnen alles von der armen Rahel ſagen. Unglück-
lich iſt ſie nicht. Die Zeit iſt vorbei. Sie glaubt und hofft
nicht mehr auf Glück: kennt die Erde, und was ſie beut, und
bieten kann; ſie iſt aber glücklich, glückſelig, wenn ſie nicht
grade gequält wird. Und flammend glücklich, ſich in dem
Zuſtand zu befinden, Sie alle Jahre beſuchen zu können;
wenn vom Himmel herabſtrömende Seuchen es nicht verhin-
dern wollen. Denkt meiner; ich bin bei euch. So auch noch
nach meinem Begräbniß. Ein Traum; ein Schwindel: keine
Hand hält die Vergangenheit, ſie rinnt durch; keine greift die
Zukunft; ſie iſt nicht da. Aber die Ewigkeit iſt da: in den
wirklichen Lebensmomenten, in Leidenſchaft, in Zorn, Liebe, in
edler Überzeugung, und ihren Wirkungen, haben wir ſie ganz;
darum handeln und wollen wir auch in ſolchen Momenten
ohne Rückſicht auf Zeit; darum Glück und Leid der Liebe un-
endlich. Verſtanden? Ja. Leſen Sie’s Robert. Meine Ein-
[508] verſtandene! Naturfreundin. Wahrheitstochter, die auch mich
dafür erkannt hat. Adieu. Bei allen Gelegenheiten denke
ich an Sie: rufe Sie laut in Gärten, bei Blumen und Stau-
den, Wipfeln, Himmel und Scheinen. Solche Gebete hört
Gott; — ſie kommen bis zu ihm. Die Wahrheit und Natur
erkennen, ſind ſeine anerkannten Kinder; ſind Geſchwiſter: und,
ich denke, bleiben zuſammen. Adieu! Adieu!


An Ludwig Robert, in Baden.



Eben Sonne durch Wolken und Reſt von Dunſt, nach
unendlichem Regen; von 7 bis wieder 7; als ſollte
er das Pflaſter aufreißen.


Und dieſer iſt die letzte Veranlaſſung, daß ich heute
ſchreibe. Nämlich; es kommt gewiß dies Jahr Waſſer von
den Bergen, und dies früh: miethet alſo ja hoch. Daß man
die Angſt nicht noch hat. Ihr habet in Fulda, oder wo ihr
auch ſeid, gewiß denſelben Regen, jetzt iſt in unſerm Welttheil
allenthalben daſſelbe Wetter. Was ſagſt du zu dem Auflauf
in Königsberg? Wie ich vor acht Tagen ſagte: ſie leſen’s in
der Zeitung und machen’s nach. Mir abgeſtritten. Richtig
geſchehen. Lies die Staats- und Spener’ſche von geſtern da-
tirt. Kein Spaß! das geht nun weiter, wie Hepp, Hepp. Aber
unſre Verbrecher ſind es wirklich, und verdienen zur Beſinnung
bringende körperliche Strafe. Denn, ich behaupte in unſerm
Lande iſt kein Einziger ſo zurück, daß er glaubt, man wolle
ihn von einer Behörde aus vergiften, oder dgl. Alſo iſt es
[509] Lug, Bosheit, Ausgelaſſenheit: und das nach dieſen Warnun-
gen, und gütigen Anſtalten, bei Gefahr ſolcher Noth! —


— Laſſe dich nur nie wieder mit einem hieſigen Theater-
direktor ein. Dieſer Abſchied beim Komödien-Chef ſei der letzte,
dann wird er mich ewig freuen. Ich werde verſuchen, wegen
meinem König, heute das Schwere zu vollbringen! in’s Gen-
darmenmarkt-Theater zu gehen. Die Schwüle iſt zum Er-
ſticken. —


Die Stadt, la ville et la cour, ou plutôt la cour et (donc)
la ville,
iſt in Bewegung über — — — Das iſt das Schlimmſte
nicht: aber die Gräſer, die Waſſerpflanzen, alles ſchreit mit,
und nach. Täglich wächſt der alte Unfug in ſolchem Maße,
daß ich mich doch noch wundern muß!!!! Und alles gelangt
an meine Ohren. Alle ſpreche ich: alle reden zu mir. Alle
Klaſſen
! Wenn ich ſterben muß, denke: ſie hat alles ge-
wußt: weil ſie alles kannte; nie etwas war, nichts beabſich-
tigte, und alles durch Nachdenken ſiebte, und in Zuſammen-
hang brachte; ſie verſtand Fichte; liebte Grünes, Kinder; ver-
ſtand Künſte, der Menſchen Behelf. Wollte Gott helfen in
ſeinen Kreaturen. Immerdar; ununterbrochen; und dankte
ihm für dieſe ihre Beſchaffenheit. „Das war dem alten Dra-
chen ſeine gute Seite.“


[510]

An Ludwig Robert, in Baden.



Windiges warmes Sonnenwetter nach einem Gewitter,
von welchem ich geſtern die Zeit unmittelbar nachher
benutzte, und um halb 7 nach Schöneberg fuhr.


Sehr ſchöne Fahrt; die Kinder waren nicht mit; ſie fuh-
ren mit den Eltern — ſo hieß es — oder auch nicht; denn,
andre Leute fahren nicht im Regen ab, wie ich: obgleich ich
den unendlichſten Spazirgängern und Fahrern begegnete: und
eine Unzahl wunderſchöner Mädchen rückwärts. Mit uns war
Hr. Poley. Wir tranken den ſchönſten mitgenommenen Kaffee
mit Pretzel im letzten Wirthshaus in Schöneberg; und fuhren,
nach einer Fußpromenade gegen Steglitz, — göttlich! —
zu Henriette Solmar. — Auf dem Steglitzer Weg fuhr auch
Mad. Spontini mit dem großen Meiſter ohne Bedienten klug
ſpaziren: ſie ließen halten; ich trat an den Wagen: ſie be-
dauerten unendlich, daß ſie mir zu des Königs Geburtstag
keinen Platz mehr in ihrer Loge zu geben hatten; ſie hatte
mir geſchrieben, daß ſie dem Grafen ſchriebe: aber es war
vergeblich: nie — ſo hörte ich ſchon, ſoll es ſo voll geweſen
ſein. Ich aber hatte das Glück, Spontini’s Feſtmarſch und
Chöre im Blumengarten den Tag nachher vollkommenſt zu
hören, ſo — daß applaudirt und bravo von achthundert
Menſchen geſchrieen wurde, Viertelſtunden applaudirt: bravo
Spontini. Das erzähle ich ihm: zum Lohn, daß er mir von
Roberts Rede erzählte, — was ich ſchon wußte, — daß ſie
mittendrin — nie geſchehn — applaudirt ward, und einen
[511]Jubel hervorrief: auch ſoll ſie der Redner vortrefflich geſpro-
chen haben. Spontini erzählte mir dies alles mit enthou-
siasme
dreimal. Ich ihm wieder ſeinen Triumph: auch nie
geſehn: in einem Garten unter freiem Himmel. Winteropern-
Applaus! Wie ſpielten aber die Menſchen! Alle Geigen
glaubte man zu hören, und doch waren es nur Blasinſtru-
mente, die Militairmuſik. Wäre der Taback nicht: ſo hätte
Paris nichts Schöneres aufzuweiſen: ein Gedränge ſchöner
Damen: olympiſches Wetter: Meere von Blumen! Wir und
Horns bis 10 Uhr dort: und ich dann zu Fuß nach meiner
Mauerſtraße. Bartholdy’s und Henſels waren auch dort:
enchantirt: N. ſah meinen Bedienten ſtehen, und da kamen
ſie herein: er, der zu Biere gehen wollte, wenn die Frau
noch Einmal mit mir dahin wollte!!! brachte ſie nur ſelber
hin! Zum Glück war der engliſche Geſandte, und auch Da-
men ſolches Schlags da; ſolche, die ſie nicht kennen, nicht
anreden dürfen, aber nennen, müſſen ihnen den Ort erſt
legitimiren!


Ich hörte den Triumph deiner Rede ſchon von allen andren
Seiten erzählen. Euer Brief aus Weimar hat großes Ver-
gnügen gemacht. Von der Bouillon ſchreiben Sie mir nichts:
die hab’ ich Ihnen aus meinem Herzen geſchnitten: habt ihr
ſie genoſſen? zum Verwahren gab ich ſie nicht: nur zu un-
terwegs mit einem Setzei. Die Traube in Wittenberg mit den
ledernen Matratzen empfahl ich; und nun ſollte ich „das ge-
ſehen haben.“ Den Zander, den vollkommenen, kenne ich
auch, und ſehr vortreffliches Bier. Auch daß Sie um 5 Uhr
ankämen, ſagte ich Allen. Ihre Zahlungen werde ich leiſten,
[512] und ſie mir erſtatten laſſen. Nun gratulire ich nochmal zur
Reiſe, zu Baden; und empfehle mich.


Varnh. grüßt ſchön. Wir ſprachen immer von euch —
ich ſehe ſo oft euer Haus — und ausgemacht blieb ihm,
und durch ihn, daß du ja jeden Augenblick wiederkommen
kannſt, und ſollſt. Es ſei kein Dementi; es ſei ein Glück,
Orte nach Belieben wechſeln; ganz ohne Rechenſchaft an An-
dre. Scheue nur die Koſten nicht: es ſind keine. Beim Jo-
chid. Du weißt ſchon. —


Ich ſchreibe im Salon, wo wir immer Thee trinken. Alle
Meubel ſtehn ganz ruhig, und weinen nicht. — Wenn man
mich nicht grade ärgert, bin ich ganz vergnügt.


An Frau von ☉ ☉.



Theure Frau von **! Ich brauche zu dem freudigen ge-
nußreichen „Anerkenntniß Ihrer“ keine „ſelbſtverlängnende
Großmuth!“ Wenn ich Sie aber zur Entwickelung Ihrer
Anlagen, und Ideen gereizt habe, ſo iſt mir nur immer wenn
dies ausbleibt verwunderlich, und der immer neu unerwartete
Beweis, daß der, mit dem ich umgehe, keine Anlagen, keine
Ideen zum Leben hat: bei Ihnen erwartete ich aber das, was
Sie mir ſagen: für welche Äußerung ich erfreut danke! —
und war deſſen gewiß. Im wirklichen Umgang iſt dies ge-
genſeitig; und für dieſe Seltenheit, die es ſo leicht nicht ſein
könnte, hielt ich den unſren. Daß Sie mich aber nicht mehr
ſehn
[513] ſehn wollen, bleibt mir ein Räthſel. Ich glaube feſt, Sie
könnten in meiner Gegenwart ſo unſchuldig bleiben, und ſein,
als in Schl.s: höher wenigſtens kann er die Unſchuld nicht
ſchätzen; verwandter ihr nicht ſein; ich halte ſie für die ein-
zige Tugend: ja, noch mehr! Ein denkender, wahrhaft den-
kender Menſch, kann ſie gar nicht verlieren; Beſinnen ſchafft
ſie immer wieder. Was wäre das auch für eine Unſchuld,
für eine Gabe, die ſich verlöre! Sie waren ſchon oft ein
„Spatz,“ ein „Kind“ in meiner Gegenwart, warum ſollten
Sie es nicht noch ſein können? Junge unbefangene Herzen,
von Schl. erzogen, die Ihnen die Mittheilung nicht verſa-
gen, können Sie bei mir nicht finden: auch nicht Schl.s
hohe, milde Gaben, Einwirkung und Mittheilung: das weiß
ich, tief, hinlänglich, und beſtimmt; und längſt, längſt. Alles dies
aber müßte Sie nicht dispenſiren, auch mich ferner zu ſehn.
Müſſen Sie denn nur allein Vortheil von einem Umgang,
wie der unſrige ſein könnte, haben? Und gehen Sie wie
Schmarotzer nach dem beſten Diné, und verſäumen gleich die
Menſchen, die Ihnen nur ein mindergutes bieten können?
Warum wollen Sie mir nicht auch ein Gebündchen mitbrin-
gen, und Freude an meinem Genuß, an meinem Gedeihen
haben?


Sie thaten es ſonſt, und gaben reichlich, reichlich! wie
nur allein Sie zu geben vermögen: und gewiß, angenehme
Freundin, es kann der Begabteſte Ihre reichen, hohen Ei-
genſchaften nicht höher anſehn, und ſchätzen, als ich es
ſtumm, und auch beredt, thue; Sie nicht ſo hoch aus aller
vulgaren Beurtheilung hinaus ſtellen; größeres Ergötzen, im
III. 33
[514] höchſten Sinn, an den Thaten, an dem Strom Ihres Geiſtes
haben. Muß auch bei Ihnen, dennoch ein allgemein gel-
tender Titel die Güter ſtemplen, die Sie auf der Erde ge-
funden haben? Muß ich berühmt ſein? Geſchrieben haben,
zu einer Sekte gehören, gepredigt haben, einen geiſtlichen Ti-
tel
beſitzen? Von der Welt genehmigt ſein, um Ihre Freun-
din, Ihr Umgang zu bleiben? Was hat Schl. — um den
höchſten zum Exempel zu ziehn — ſonſt als Freund vor mir
voraus! Er wird ſagen: nichts. Außer Kleinigkeiten, Nüan-
cen, die ich auch wieder voraus habe. Warum ſoll ich grade
lügen, wenn ich mich ſelbſt beurtheile? Ich fände dies un-
würdig: und ſolches muß in der geſitteten Welt aufhören.
Irren kann ich mich gröblich: und dann, fordre ich von mei-
ner Freundin, mir Gutgeſinnten, Berichtigung. „Was konnte
alſo wohl dies plötzliche Auseinanderreißen unſres Verkehrs
veranlaſſen?“ — Das fragen Sie? Das iſt, verſchüchterte
Freundin, was ich frage; und zu fragen habe. Ich bleibe
überzeugt, Sie kommen wieder, und kehren ſich ab von dem
falſchen Vorhaben, von falſcher Scham erzeugt; und alſo
von lauter falſchen Gründen geſtützt; die ich nie anerkenne!
Was hätte wohl unſerm Umgang die Unſchuld geraubt, rau-
ben können? Sie ſind lange nicht gekommen: ich freue mich
ja Ihrer Freiheit; die ich begehre, die Sie ſich ſchaffen, die
Ihnen — könnte dies ſein! — mehr als jedem Menſchen
gebührt: kämpfen würd’ ich für dies Ihr Gut: aber ganz ſein
Opfer mag ich nicht werden; und noch dazu, zu Ihrem eige-
nen Schaden. Sie verlieren ſo viel an mir, als ich an Ih-
nen; wenn wir uns nie wieder ſehn wie vormals. Einem
[515] Irrthum mag ich nicht mit dem Beſten, was ich habe, die-
nen: weder aus Trotz, noch heuchlender Scham; ſei es meine
eigene — wenn ich ſchweige — oder Ihre, wenn Sie weg-
bleiben. Schl. kann mich nicht erſetzen: eben ſo toll wäre
es, wenn ich ihn zu erſetzen vermeinte: Können Sie zwei
ſolche Freunde nicht ertragen? Laſſen Sie ſich von ihm be-
leben! anfachen, bezaubern, erhöhen, ſtärken, ergänzen! Glück
auf! für beide: dazu hat der Menſch Sprache, Mittheilung:
das iſt der Muſterumgang. Der, den wir Alle, unter den
hideuſeſten Masken ſogar, ſuchen; nach dem alle Kreaturen
ſchmachten; mit dunklerem, oder hellerem Bewußtſein; der,
den ich Allen bereiten möchte, und Freunden — in meiner
Schwäche noch — am meiſten gönne: ſchwelgen Sie in die-
ſem Glück, in dieſem Fund: aber laſſen Sie ſich nicht über-
wältigen; nicht vernichten; entäußern Sie ſich Ihres Ur-
theils
nicht. Wenn Sie thun, wie Sie mir ſchreiben: ſo
machen Sie ſich gewiſſermaßen ſomnambül, und kennen nicht
mehr Ihren Beſitz; ſind wie krankhaft auf einer Weide, die
Ihnen ſchmeckte. Fragen Sie den Freund ſelbſt, ob er nur
ſo zu wirken wünſcht; oder an höhere Aufnahmfähigkeit nicht
auch höhere Anſprüche haben muß, und hat.



— So lieb’ ich von Staatsgeſchäften reden zu hören,
wie Hr. von Henning ſprach, und ich es zufällig mit anhörte.
Ich dachte gleich an den wackern Holländer, der mir vor vie-
len Jahren einmal ſo gut gefiel, weil er, nach vielen Phraſen
der Andern über damals beliebte Streitpunkte, ſo die Ver-
33 *
[516] ſammlung anredete: „Meine Herren, ich überlaſſe Ihnen dieſe
wichtigen Gegenſtände ferner in’s Reine zu bringen; ich mei-
nestheils muß ihre Aufmerkſamkeit nach einer ganz andern
Richtung erbitten; ich werde Ihnen nicht von der Verant-
wortlichkeit der Miniſter, nicht von der Preßfreiheit, nicht von
monarchiſchen oder republikaniſchen Prinzipien ſprechen, aber
ich muß Ihnen von Schiffen ſprechen!“ So redete Hr. von
Henning ohne weiteres von den Sachen, und ich verſtand
es gleich; ſein Bericht war klar, bündig, nichts überflüſſig,
und ganz hinreichend. So zeigt ſich der ächte Beruf immer,
ganz unbefangen und ungeſucht; und ich begreife nicht, wie
man den oft ſo lange vor Augen haben, und nicht erkennen
kann. Bei ſo großem Bedürfniß und eingeſtandenem Man-
gel, grade in dieſem Fach!


An Roſe, im Haag.



Bewölktes Wetter; bald Sonne, bald keine.
Nordweſtwind; contra choléra!


Laſſe dich grüßen, liebe Roſenſchweſter! Meine Angſt
wegen der Seuche geht noch an. Unſer ganzes Daſein iſt ein
ununterbrochenes Wunder; wir ſind immer, und Alle, à la dis-
crétion du bon Dieu.
Todesnöthe habe ich ſchon oft ausge-
ſtanden: erſt dieſen Frühling an der Influenza. Bis tief in
den Sommer hatte ich keine Kräfte zu reiſen: ſpäter näherte ſich
das aſiatiſche Übel: all mein Reiſegeld muß ich zu Vorberei-
tung für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die
[517] Hälfte habe ich hier ſchon für Miethswagen ausgegeben; und
Gott muß man noch, ſich freuend, danken, daß man das
kann. Er hat uns durch den dunklen Mutterleib geholfen,
auch durch dies Dunkel werden wir kommen: todt oder leben-
dig. Sterben muß man ja doch. Leiden gebären ſich auf der
Erde immer von neuem. Gott gebe uns gute Gedanken!!!
Meiſt habe ich ſie. Heute ſchrieb ich Erneſtinen, ob ſie keine
Nachricht von dir habe: und ob Louis im Krieg war; da kam
Ferdinand Abſchied zu nehmen, weil er morgen Abend zu dir
reiſet. Nimm dieſe Zeilen als tauſend freundliche an! Viel
Zeit habe ich nicht: Decken, Medizinen, Speiſevorräthe, alles
beſorge ich; Holz, Kohlen ꝛc. Ich bin Mann und Frau in
meinem Hauſe. Männer ſind Prinze: wir die Haushofmei-
ſter, Kammerdiener, Treſoriers, und Mägde. Auch, à la bonne
heure!
je mehreres man ſich annimmt, je weniger thun die
Andern; ſo auch die Domeſtiken: habe man ſie auch: man
muß für ſie ſorgen, und ſtatt ihrer ſelbſt. Ich weiß, daß du
in demſelben Fall biſt. Aber deine liebenswürdige Schwieger-
tochter wird dich unterſtützen. Ich wünſche dir Glück deßhalb aus
ganzem Herzen: ſie iſt eine Grazie, eine Grazie mit den we-
ſentlichſten Eigenſchaften. Ich bin verliebt in ſie: und ich
gönne dir dies Glück! Wenn Ferdinand ſchreibt, ſchreibe mir
auf ein dünnes Zettelchen ein Wort. Theure Roſe! Zu
ſechszig geht’s mir noch wie immer: was ich mir eigentlich
wünſche, auch in Tagesſachen, und häuslichem Beſitz, habe
ich nicht: immer Andre befriedigt — nicht aus Güte: ihre
infame Geſichter nicht zu ſehn! — Aber ich hoffe auch nicht
[518] mehr: alſo viel ruhiger, als ſonſt. Nur Ärger kann ich nicht
ertragen: keine Bosheiten.


Ludwig Robert iſt Gott Lob! nach Baden abgereiſt: da-
hin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! — !!!
Nun ſitz’ ich hier im Elendsmuß. Gott iſt klüger als wir.
Vielleicht geht’s auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, thea-
tert, dinirt. muſizirt hier wie immer: ich auch. Du ſollſt jetzt
Nachrichten bekommen: ſei auch unbeſorgt! Grüße Charles,
Louis, deine Tochter. Varnh. grüßt euch Alle herzlich! Und
wenn wir uns ſehn künftigen Sommer, wollen wir recht la-
chen. Und noch mehr an die Armen geben. Gott befohlen.
Theure Roſe! Wiſſe, daß man zu ſechszig auch noch wie
zu dreißig und zwanzig iſt: und ſo gewiß auch nach dem
Tod. Adieu! adieu! Haſt du mich gekannt, ſo kennſt du
mich.

Deine alte Rahel.


An Ludwig Robert, in Baden.



Schönes Wetter. 11 Morgens. In meiner Wohnſtube.
Zehnter Tag der großen Krankheit.


Beſinnungskrankheit nenn’ ich’s. — Ich will mich wenig-
ſtens beſinnen — beſinnen ſollen wir uns: dazu will ich ſie
anwenden; die dummen Phraſen immer mehr auszurotten: „Ich
muß doch nach meinem Stande leben,“ und ſolche unſinnige
Sünde mehr: „Der hat mich ſo traktirt, nun muß ich ihm auch
ſo und ſo viel Gerichte und den und den Wein geben.“ Das
ſag’ ich Ihnen, liebe Rike, die Sie dieſe Tendenz, theils aus
[519] Generoſität, theils aus ſchlechter Ambition haben. Laſſen Sie
ſich im Badiſchen nicht von der Wohlfeilheit verleiten
zu traktiren, und die Sitte Berlins dorthin zu verpflanzen;
ich weiß, es iſt ſchön ſo aufzutreten; aber man muß es ſich
verbeißen; um nicht in Sorgen zu verfallen, — die wir nicht
ertragen können, Roberts, — um ein Reſtchen zu großen Üblen
zu haben. Ich darf mit dieſer Lehre auftreten: ich habe ſie
geübt: ich lebe hinter meinen Bekannten gleichen Vermögens:
und recht gern! bin aber jetzt ſo glückſelig beiſtehen zu kön-
nen, wie die meines Vermögens, mit Weinkellern, Diné’s,
Vaſen, Bronze, und Blonden, Livreen ꝛc. nicht können, und
nicht thun; und bin für uns ſelbſt auch in keiner pekuniä-
ren Sorge. Plötzlich kann freilich jeder Vermögensverluſt ein-
treten: dann aber iſt’s ein großer Schlag; der Hülfe oder
Tod mit ſich führt: oder langſames Erholen in gutem Beneh-
men und richtiger Geſinnung. Vielleicht mache ich mich ſehr
verhaßt durch dieſe Worte; ich habe ſie lange überlegt und
erwogen: und ſie doch hierher geſetzt: jetzt oder nie, muß Wahr-
heit hervor; die immer vor ſollte, wären wir Alle, und ich
an der ſpitzeſten Spitze, nicht ſtrafbare Verzagte, Poltrons.
Erſt wollte ich das über Ökonomie in einem nur Ihnen zu-
kommenden Brief allein ſchreiben: aber dadurch hätte es ein
ernſteres Anſehn erhalten: Sie hätten nicht gewußt, zeigen
Sie ihn, zeigen Sie ihn nicht: hätten ſich agitirt, hätten viel-
leicht Krämpfe bekommen, und Robert hätte mein Meinen erſt
dadurch erfahren. So werdet ihr meine Herzensmeinung
wohl glimpf, und wohlgeſehn aufnehmen, wie Gott mir durch
hohe Übel die Erkenntniß, wie für mich, ſo für euch giebt.
[520] Mögen euch die Plagen erſpart ſein! die mich jetzt es von
neuem, und tiefer lehrten: ja ihr möget ſogar eine Alte be-
lächlen, ihr grollen, wenn ihr nur verſchont bleibt!!!


Jetzt nun lauter Diätreglen! Die Oder ward von ihr
überſprungen, und die große Krankheit ſenkte ſich auf unſre
Spreeſtadt. Mache ſich alſo jeder gefaßt! Obgleich ich das
Konverſationshaus in Baden für göttlich halte, und zwan-
zigmal Tags Gott danke, mich einzig freue, daß ihr weg ſeid.
Diät iſt die Hauptſache. Nur, daß man nicht hungert, eſſen
— du lobſt dies immer ſo — nur Fleiſch. Suppe, ſtärkeren
Kaffee, Ingwer eingemachten, und rohen gerieben an Brühe.
Kein Obſt. Da es nur in Luftſchichten liegt: — ſich Luft
präparirt! Sonne in’s Zimmer ſcheinen laſſen; dann zu!
Wenn ſie Abends noch ganz verführeriſch ſcheint, die Fenſtern
zu! Will man ſpäter noch Luft, Sternenluft: — die mit
Bernſteinrauch gemildert! Behutſam beim An- und Auszie-
hen, keine Sorte Schweiß unterdrückt: ſich verhalten, als
wäre man krank: möglichſt für ſeine Leute eben ſo ſorgen,
ihnen Eſſen zumeſſen; ſich bei Gott alles von ihnen ſchwören
laſſen; ihnen Flanell auf den ganzen Vorderleib, Löſchpapier
auf Rücken und Fußſohlen geben. Ich allen Armen, die ich
erreichen kann. Haben ſie nichts anders, Schnäpſe Wein mit
geſtoßenem Ingwer, eine Stunde nach dem Kaffee: nicht in
Abend- und Morgenthau nüchtern ausgehen laſſen. Tuch mit
Eſſig vor Naſe und Mund. Abends nur Suppe, ſei ſie von
Brot, und etwas Ingwer. Kein friſches noch grobes Brot.
Sauer Bier, Eſſig, Säuren — der Tod. Nicht Schäuern er-
lauben; ein Mädchen ſtarb eine Stunde drauf. Nicht früh
[521] Waſſer holen, vom Abend verwahren. Nachts warmes ha-
ben. Gleich reiben, reiben, reiben; ehe der Arzt kommt; ge-
füllte Säcke mit Kleie, und Flanelle bereit liegen haben. Gott
ergeben ſein, hoffen: den Kopf behalten: ſich nicht fürchten:
ſondern in Acht nehmen. Die Binden im Bette umbehal-
ten; Hauptſache. Hierbei ein gedrucktes, ſehr kluges Verhal-
tungsedikt. Casper iſt ſehr gutes Muths. Die Menſchen
im Ganzen brav: wie immer bei großen Kalamitäten. Die
dritte, vierte Volksklaſſe verſtändig, vorſichtig, folgſam: Kut-
ſcher, Waſchfrau, Ladenleute, Bediente, Schauerfrauen, — in
allen Laden Räucheranſtalten ſeit dem erſten Tag. Schütz’
uns Gott, und gebe uns erhellte Gedanken! jetzt weine ich.
Seid ganz ruhig. — Apotheker Riedel giebt ſeit heute alle
Mittel für Arme umſonſt. Juden geben viel. Und dir, Bru-
der, wiederhole ich das heilige Wort unter uns abgeredet,
„beim Jochid!“ du läßt mich nicht ſitzen, wenn du die ent-
fernteſte Sorge haſt. Ich leſe; die Kinder kommen zu mir,
Fanny. Casper führt ſich vortrefflich auf; war ſchon muthig
und vergnügt zweimal am Finnowkanal zu Hülfe. — Ko-
miſch waren die Berliner wie immer; die erſten ſechs Tage
wollten ſie’s nicht glauben: und wallfahrteten zu den Kran-
ken nach Charlottenburg, wie nach dem Stralauer Fiſchzug.
Wachen mußten ſie von den Spreeſchiffen abhalten.


Schütze, Kreaturen-Vater, Schöpfer! Ich denke, auch
das iſt gut. Gewiß werde ich’s einſehn. Schreiben aber
kann ich nicht mehr; zu präokkupirt. Komödie, Muſiken,
alles geht ſeinen Gang. Die Zeitungen ſind der Erfindungen
wegen merkwürdig, dieſe Anerbietungen! Gute drunter;
[522] als: Steinkohlentheer aus der Gasanſtalt, aber in der Stadt
zu Kaufe, ein Quart drei Silbergroſchen. Ich will all mei-
nen Bedürftigen welchen ſchicken. Alle haben ſie Binden,
Eſſig des quatre voleurs, Kaffee, Wein, Ingwer, Geld; B.’s
Binden, Holzvorrath, Medizinen, alles wie ich; N. Geld und
gute Nahrung. Gott, Gott! Gott dank’ ich in Staub ge-
kehrt! —


Alle Nachbarn gut geſinnt. Lebt wohl, lebt wohl! Gott
erlaube dereinſt die Erzählung. Und dann nie wieder! Barn-
hagen grüßt noch Einmal; er iſt ſpaziren. Der Vogel gäl-
lert, Sonne ſcheint! Baumwipfel ihr entgegen, wie ich zum
höchſten Geiſt, zur großen Einſicht mich zu ſchwingen ſuche!


Mein Ehrenwort! unſre ganze Familie geſund! Be-
ſuchen mich alle. Ich gehe nicht aus, weil mir das Ausgehen
bei dem erſten Anfall von Influenza ſo ſchlecht bekam. Gott
beſohlen! —


An Ludwig Robert, in Baden.



Bis jetzt ſchönes Wetter; jetzt zuerſt die Sonne hinter Wol-
ken. Ich in der Wohnſtube an meinem engliſchen Tiſch.
Alles gelüftet. Varnh. ſchon aus.


Mehr als zwanzigmal Tages denk’ ich: wäre doch das
Perſpektiv ſchon erfunden, wodurch Louis hierherſehen könnte!
und unſre guten, ruhigen, heitren Stunden mit anſähe! Vor-
geſtern ſogar lachten wir bis zu Seitenſchmerz: Varnh., der
nicht beſonders gerne applaudirt, noch ſchwerer lacht, ſchrie
[523] ordentlich. Ich lag krank ſeit fünf Tagen zu Bette — meine
Übel: Nerven, Brechen u. ſ. w. Welchen Effekt dies jetzt
macht: ſoll niemand erfahren! Doch ward mir Abends leid-
lich: und die Kinder alle drei auf meinem Bette. Varnh. da-
vor. Ich war ein böhmiſcher Mann, der Thiere zeigt: Eliſe
war ein Schweinchen, — welches reden gelernt hatte — Pau-
line ein Papagai, Bertha ein Haſe. Ich excellirte ſo in
Sprache, Witz, und Erfindung, Erzählung: vom König ꝛc.
von Ablernen, Reiſen, Leben, daß wir Alle vor Lachen ſchrieen.
Und ich dich anrief! So iſt der Menſch. Eingerichtet von
Gott. Von den ſchlechten Augenblicken rede ich nicht: es ſind
meiſt gute. Mich unterhält, tröſtet, und ſtärkt allein, Gutes
thun, Sorgen, Beſorgen. Täglich gebe ich: Kamiſöler, Pa-
kete Sachen; zwei, drei, vier, fünf, auch ſechs Thaler, Kaffee
allen Menſchen; dem Zeitungsmann, Allen die kommen; mei-
nen Domeſtiken (Könige!), der Schauerfrau; allen Einſamm-
lungen: allen ärmeren Bekannten: den Kindern, Nahrung,
Binden, Ermel; meinen Leuten jede Bekleidung ꝛc. ꝛc. Alle
Menſchen ſporne ich an. Gott weiß, ob ich prahlen will:
ich bitte ihn um Erleuchtung, wie ich künftig ſein ſoll.
Verſchweigen will ich aber mein Thun jetzt nicht: ich will
ſie anſpornen: vielleicht hilft’s. Leider ſchämen ſich Viele
nicht; und ſchenken ihren armen Domeſtiken nicht Erquickung; —
— aber ich bin übertrieben — und ſie — vernünftig!
Dies dereinſt mündlich. O! könnteſt du nur alle Tage die
Spener’ſche leſen! Dieſe Induſtrie, dieſer ſchnelle Fleiß: auch
wird Gott erlauben, daß der Krankheit beſſer begegnet werden
kann. Die Wohlthaten ſind noch nicht allgemein genug; doch
[524] ſchon ſtark. Juden geben in jeder Liſte mit größerm Muthe.
Eines iſt gewiß gut: daß nämlich jetzt von Seiten der Stadt,
des Gouvernements, der Kommiſſionen, richtig und ſtreng auf
die Reinlichkeit, die Lüftung, und Bekleidung der armen
Klaſſe geſehn wird: es kommen täglich Leute, und ſehen nach.
Die Wirthe ſind auch dazu verpflichtet. Bliebe dies auch in
geſunden Tagen ſo! Es iſt nicht wahr, daß die Wohlhaben-
dern dazu nicht Zeit haben, tauſend und tauſend Frauen, und
Männer, haben nichts anderes zu thun: und nicht nur ſeit
jetzt denk’ ich ſo. Aber ſie ſterben lieber vor langer Weile;
und Unart aller Art, der Verſchwendung, des Klatſches, und
der Prahlerei. Überhaupt ſollten Frauen das Armendirekto-
rium ſein; tauſend Wittwen, und brave Frauen giebt’s dazu:
männliche Sergeanten dazu, zu Zwang, und Hülfe. Könnte
man nicht, theurer Louis, dazu beitragen, daß es ſo würde:
wenn man z. B. in der Allgemeinen Zeitung einen Artikel aus
Berlin ſchriebe, daß es beſchloſſen iſt; daß es ſo werden ſoll?
Nicht das mit den Frauen vorerſt: nur daß für der Ärmern
Reinlichkeit, Beſchäftigung und Kleidung auch in geſunden
Tagen fortgeſorgt werden würde, und dies der Ertrag, menſch-
licherweiſe geſehen, von der ſchweren Prüfung ſein ſoll! Mit
Lob für die Berliner: einzige Weiſe, ſie und andre anzufeu-
ren. Du ſiehſt, Gott iſt uns gnädig, die Krankheit nimmt
nicht ſehr zu; mehrere, als bis jetzt, geneſen. Geſtern ſtand
ein ſchöner Artikel in der Staatszeitung, aus Baden bei Wien,
über das Übel. — Da das Miasma in der Luſt umherſchleicht,
ſo muß man ſich welche präpariren; Fenſter öffnen, wo
man nicht iſt: iſt heiße Sonne, mit Eſſig ſprengen von
[525] hoch her mit einem Gießkännchen; iſt feuchte Luft, mit
Bernſtein räuchern, force! die Fenſter zu; und das ſo fort.
Oft. — — — —.


Mein theurer Louis! ich war recht krank; aber auch recht
glücklich: ich bekam grade deinen geſcheidten, liebenden Brief:
vorigen Mittwoch; und Gott öffnete Schleuſen in meinem
Herzen; Liebe ſtrömte rein, und raus. Millionen hätte ich
für dich gegeben, aber laute Lobgeſänge ſang ich, daß du
nicht hier biſt!!!! Denn, kommt auch das Übel hin, ſo ſeid
ihr doch anders bereitet, als wir. In Gottes ewiger Hand
ſind wir immer. Komm es wie es wolle! ſo wiſſe, du biſt
mein gleichdenkender Freund; und daß ich weiß, daß wir eine
Religion haben; dieſelbe. Erinnre dich deiner Marternacht
vor zwanzig Jahren: je ärger es war, je mehr hielteſt du an
Gott. Ewig theurer Bruder, Einziger, von dem ich dies wie
in meiner eigenen Seele weiß, ſei es ſo! Amen, Amen, Amen!
Wie wollen wir uns drücken! Affizire dich nicht, wir ſind ge-
muthet. Künftig mehr! Du weißt, ewig kann ich nicht ſchrei-
ben. Alles iſt wohl. Varnh. grüßt. Moritz tobt, im Guten.
Ferdinand iſt in Amſterdam. Alle Tage kommen die Kinder.
Sonſt ſehe ich niemand; als Dr. Becker. Ich leſe viel. —


[526]

An [Frau] von Zielinski, in Frankfurt an der Oder.



Halbes Sonnenwetter; ſie iſt hinter einem grauwol-
kigen Himmel; bald da, bald nicht; nach einer idea-
liſchen Mondnacht, die ordentlich nahrhaftes Wetter
in ſich hatte: aber dies bringt bei uns jedesmal Re-
gen in den erſten zwölf Stunden.


Wie muß dieſe Nacht erſt bei Ihnen geweſen ſein! —
wenn die Oder etwa nicht zu ſtark dunſtet, und man nicht
ſchlechte Luftklumpen zu befürchten hätte, welche die Atmo-
ſphäre nicht verdauen kann, und wir Erdwürmer es für ſie
müſſen, aber nicht können; (meine Theorie dieſer Krank-
heit) —. Wie gönne ich Ihnen Ihr Zuhauſe! Ihre Muße,
Stille, Aufgeräumtheit der Zimmer, Möglichkeit zum Fleiß,
den Horizont, die Lichter, den Umriß der Bäume, den Him-
mel, das Wolkenſpiel, die freie Luft, den Geruch, die Farben,
das Schwanken der Bäume und Gewächſe, des Windes Töne,
das Waſſer, den Garten, alles, alles! Es iſt eine Erholung,
wenn ich mir Sie in dieſem Rettungs-Aſyl denke! Genie-
ßen
Sie es in Ermanglung von etwas andrem! und —
glauben Sie, liebe Minna, es giebt nichts anderes; es giebt
es wohl, aber man bekommt es nicht: oder vielmehr man
kann es nicht haben; heißt, nicht behalten, nicht anwenden.
Ein Gefühl, ein Wohlgefallen, ein Augenglück muß keine
Situation, kein Verhältniß, kein Bedingniß werden: nicht in
Ökonomie — in jedem Sinn Ökonomie — gemiſcht werden:
der wir es im Tageslauf nicht vorenthalten, ihm nicht ab-
wehren können. „Die Menſchen kennen einander nicht,“ ſagt
[527] Werther: ich ſetze hinzu, „und lieben ſich zu verſchiedenen
Stunden.“ Und, und, und: es geht nicht. Schönes Lokal,
und ungeſtandene Liebe, und uneigennützige Freundſchaft, das
geht; weil es ſteht: geht’s, ſo geht’s über ſeine Schranke:
denn noch iſt die Welt ein Chaos, und alles rinnt unterein-
ander. Soll ich noch mehr ſagen? Sie wiſſen es eben ſo gut;
und es wäre doch nur Variationen auf das tiefe, große, alte
Thema: unſern Erdenaufenthalt; den wir nur im Geiſte rich-
tig machen können; dadurch, daß wir ſehen, daß er nicht
richtig iſt, und ſich auf großes Richtiges beziehn muß: denn
wie kämen wir zu dieſem ewigen Bedürfniß dazu? Alſo, recht
gründlich innig freute ich mich, als ich hörte, Sie ſeien ab-
gefahren: und auch nicht einen einzigen Moment war es
mir eingefallen, daß Sie hätten Abſchied von mir nehmen
ſollen: ich dankte Gott, je geſchwinder Sie wegkommen konn-
ten!!! Denn, konnte ich Sie nicht während der ganzen Dauer
des großen Übels — ich nenne nie den Krankheitsnamen —
wie ich mich bei mir habe, aufnehmen, hüten, pflegen: ſo will
ich Sie nur in Ihrem Hauſe, bei Mama wiſſen. Wie
gerne ich Sie aber eine Zeit lang hintereinander geſehn hätte,
werden Sie mir gewiß nicht glauben; weil ein Winkel in
mir Ihnen unbekannt iſt. Zwanzigmal wollt’ ich dieſen Som-
mer eine Zeit lang zu Ihnen: war es ganz gewiß zu thun;
von Zehdenik aus. Aber nirgends kam ich hin: ſo hatte mich
die Influenza darnieder gebracht: gleich nachher die große
Furcht: und nun das Übel ſelbſt. Ich wollte Sie bei Ihnen
überreden, eine Reiſe mit mir zu machen: ich ſollte allein rei-
ſen. Alles nichts! Aber ſagen will ich’s Ihnen doch, damit
[528] Sie mir über mich, und keinen Andern glauben. Je länger
Sie leben, je mehr werden Sie mir glauben. Sagen Sie,
liebe Tochter, was ſind das für Leute, die Sie irre über mein
Übelnehmen oder Nichtübelnehmen wegen Abſchied und Abreiſe
machen konnten? Daß mich mein ganzer Kreis nicht kennt,
iſt eine alte, herbe, verhärtete Privation. Alle Tage ſehe
ich es mehr. O! und dürft’ ich’s ſagen, ſo würde ich Ihnen
ſagen: es weiß keiner aus ihm, daß es eine ſolche Perſon
giebt, wie ich eine bin. Nicht von Geiſt, oder Güte; oder
Talenten, und Verſtand: aber von ſolchem Zuſammenhange
in Gemüth und Überzeugung. Das entgeht ihnen Allen ſo,
daß ich ſie ennuyire; ennuyire; (denn ſie vernehmen mich
nicht; und hören in meinen Äußerungen loſe Worte, in denen
nicht Einmal ſo viel ſitzt, als in ihren; denn ihres ſitzt wirk-
lich
nicht darin; alſo für ſie nichts;) ſonſt ließen ſie mich
— bei meiner Nachſicht, die ich übe, und nie übelnehme! —
nicht rein ſitzen. Sie denken, meine Eitelkeit iſt ſo kom-
pakt geworden, daß ſich ein Horn vor meiner Stirn gebildet
haben muß — wie ich immer ſage —; ich gebe mich preis;
unterſuchen Sie, richten Sie; fragen Sie mich jede Frage;
ich will antworten, berichten, erzählen, geſtehn: und wir wol-
len ſehn, was herauskommt: wäre hier ein jüngſter Tag
nicht zu wichtig, beſonders für einen Andern, als mich. Aber
auch mein Herz iſt ganz unverletzt; nur indignirt bin
ich noch, in gänzlicher Verachtung, Anerkennung deſſen, was
ich kenne. Könnten Sie mir glauben: oder, wäre eine
durchſichtige Scheibe auf meiner Bruſt!


Nehmen Sie ſich auch recht in Acht? Abendthau iſt
die
[529] die Cholera — da ſteht das Wort: es muß hier ſtehn —
wenn die Sonne noch ganz da iſt, müſſen die Fenſter zu:
und mit Bernſtein alles geräuchert; Nachts die Binden
umbehalten: keine Sorte Tranſpiration unterbrochen:
nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur
bei wirklichem Durſt; mehr Kaffee als ſonſt; kein kaltes
Fleiſch; nie; etwa beim Thee. Hat man leiſes Abweichen,
ordinairen Thee; ſchon Vormittag. Kein Fenſter geöffnet,
bis die Sonne hell ſcheint, und aller Morgenthau weg iſt;
iſt flaue Luft, mit Bernſtein geräuchert, force! iſt es ſonnen-
heiß — ſie iſt jetzt trügeriſch, immerfort — mit Eſſig ge-
ſprengt. Nie
ganz ſatt gegeſſen. Vormittag einen Schluck
Biſchof; nie bloßes Waſſer; dies abgekocht. Privation!
Ja, ja, ja: dies iſt die Abwehr. Knoblauch auf den Magen,
oder Kampher; abſolut. Und Gottes Segen von mir an-
gerufen immerdar! Meine Furcht, mein Schrecken wären grän-
zenlos, ſich infizirt zu wiſſen u. ſ. w. u. ſ. w. Ich litt das
wiedervergeſſene Gränzenloſe, war auch krank, lag fünf Tage
an Nerven, Fieber, Erbrechen — wie immer — zu Bette, als
Ihr Brief kam. Und doch: ich habe ſchöne Stunden gehabt:
mir wird bei Leiden das Herz offen; und, wie eine Schleuſe,
ſtrömt Liebe ein, Liebe aus: und viele, die beſten Gedanken
werden rege. Wär’s nicht Sünde, würde ich ſagen: ich weiß
dann mehr von Gott; dem ich knieendſt danke. Auch thut
mir die Einſamkeit, in der man mir keine falſche Vergnügungs-
vorſchläge machen und geben kann, wohl. Ich ſehe niemand,
als die Kinder, und dann und wann Morgens die Nichten;
leſe; ſorge für alle meine Leute den ganzen Tag, für deren
III. 34
[530] Kinder; Nachbarn, Kutſcher, Waſchfrauen, arme Leute: das
nur macht mich wohl. Dreimal bin ich nach meinem Unwohl-
ſein in Schöneberg geweſen; vorher nicht aus: göttlich iſt’s
dort, und dahin! Geſtern auch: mit den Kindern. Roſen,
alles, alles in Fülle. Dort iſt keine Krankheit. Ich genieße,
empfinde, bedenke alles; und bin nach meiner Art wieder wohl.
Leſe viel. Notre-Dame von Viktor Hugo: das Merkwürdigſte
als franzöſiſcher Roman, was exiſtirt. Das Erbe, von Frau
von Woltmann, ſuchen Sie auch zu leſen: und laſſen Sie
ſich den erſten Theil nicht verdrießen: eine ſchöne Religion iſt
in dem Buche. — Fichtens Leben, von ſeinem Sohn heraus-
gegeben, müſſen Sie ja leſen. — Adieu, Cherina! Schreiben
Sie mir; aus Ihrem Ruhetempel! V. grüßt gewiß mehr als
Sie denken: ich weiß es. Adieu. Zweifeln Sie nie an mir;
und grüßen Sie Mama!


An Roſa Maria Aſſing, in Hamburg.



Meine theure Freundin, Ihre Briefe waren eine wahre
Erquickung und Erheiterung hier bei uns! Das Bild eines
gehörigen, vernünftigen, liebevollen Lebens; gehörig mit Geiſt
beſprengt; vor der Welt nicht verſchloſſen, die höhere als Un-
tergrund und im Aug behalten. Mutter, Vater, Kinder, wie
ſie ſein ſollen; jedes als Ingredienz der wahren Familie. Ich
will Ihnen nur beweiſen, dies entgeht mir auch für die Ge-
danken nicht: und als Dank, dieſen Gruß! Seit ich Ihren
[531] Brief las, wollte ich Ihnen und Aſſing einen ſchreiben; deſſen
Anſicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich
werde ihm noch ſchreiben: und das über die große Krankheit:
wie lange ich die roch, ſpürte, kommen fühlte. Immer ſagte
ich: könnte ich einem wiſſenſchaftlichen Manne meine Empfin-
dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Aſſing
iſt der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham-
burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Roſa, lebe
ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter
mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich
haſſe ihren Namen zu ſchreiben) vergnügt leben kann: ſo wird
es gewiß mit dem Tod ſelbſt ſein. Wichtigſte Hälfte hieſigen
Lebens. Verſtände man nur alles: nur das Unverſtandene
thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verſtänd-
niſſes: deſto mehr Glimpf, deſto mehr Erleuchtung, und neue
Thätigkeit. So wird es ſich ſteigren: faule Ruhe nie!
Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloſes Zweiflen. Be-
dürfniß
zu Vernünftigem, iſt Bürge für Vernünftiges. Nicht
wahr? — Wir ſehn die üppigſten höchſten Roſenſtämme, häu-
fig
; Georginen, ſchönſte Bäume und Laub: in und nach Schöne-
berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R.


An den Fürſten von Pückler-Muskau, in Muskau.



Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beſchienene
Wolken, bald nicht. Friſcher Südweſt?!


Auf der Stelle will ich ſchreiben, nachſichtiger, vielerfahr-
ner, in Freundſchaft ſtandhafteſter Fürſt; ſo trifft Ihr ſo
34 *
[532] eben angekommener Brief „die ſchadhafte Hälfte meines Her-
zens,“ — wie Hamlet zur Mutter ſpricht, — ich werf ſie weg;
wie er anrathet; da ſie mich gegen Sie in Sünde verſetzte.
Was verdarb aber dieſes Herz! Elend. Influenza, harte, mit
Nachwehen: Influenza auch von mancher andern, als Krank-
heitsſeite. Stockiges Berlinerleben: und dann die grauel-
machende, dumpfe, unbekannte, verſchrieene Annäherung des
großen Übels — ich nenn ſie nicht, die infamirende Krank-
heit; ſich angeſteckt zu fühlen, zu meinen: nicht mehr fliehen
wollen, könnte man es auch noch: dies iſt mir, was mir
ein neues, lähmendes, nie bedachtes, ganz verworfen frem-
des Bewußtſein. Und was hab’ ich alles entdeckt! Daß ich
der größte Ariſtokrat bin, der lebt. Ich verlange ein beſon-
deres, perſönliches Schickſal. Ich kann an keiner Seuche
ſterben; wie ein Halm unter andern Ähren auf weitem Felde,
von Sumpfluft verſengt. Ich will allein, an meinen
Übeln ſterben; das bin ich; mein Karakter, meine Perſon,
mein Phyſiſches, mein Schickſal. — Nie bleibe ich mehr in
ſolcher Peſt, wenn ich fliehen kann. — Jetzt iſt alles gut;
bloß noch ennuyanter. Viele Wohlthaten — richtig: ſogar
klug, — alſo viele Ökonomie; ſogar eingeſtandene. Stille
Stagnation. Straßenleere. Theater geht: dieſe große Ma-
ſchine. — Kommen Sie ja bald, lieber Fürſt! Der Brief ſollte
noch groß werden: aber ich kann einen Krampf auf dem lin-
ken Auge nicht bezwingen; er wird ſtärker, und zwingt mich.
— Wir leben faſt eingemauert in unſerer Mauerſtraße; außer
Fahrten nach Schöneberg. Pardon der vielen Nebentinten:
[533] mein Auge erhitzte mich bis zur Unfähigkeit. Schade für den
Brief, den ich ſchreiben wollte!


(Diktirt.)


Montag, den 10. Oktober. Eben ſolches Wetter wie
geſtern, nur noch leichter Nebel zu überwältigen, erfriſchte
Luft und baldige Sonne. Nach 10 Uhr Morgens. In mei-
nem Leben bin ich noch nicht ſo verliebt in einen Brief ge-
weſen, als in den, welchen ich Ihnen hätte ſchreiben können,
wenn meine Augen nicht noch tückiſcher geworden wären: ſie
verſagen mir alles, Billete und Zeitungen, und haben wirk-
lich etwas Verrücktes an ſich, denn im Winde beſſern ſie ſich,
und den ſollen ſie auch heute wie geſtern genießen. Goethe
iſt nicht allein des Schreibens wegen zu beneiden, ſondern
auch um ſeine Diktirkunſt, welche ich jetzt als ſolche kennen
lerne: mein Geiſt wird ſtätiſch vor einer fremden Feder: und
bekömmt, nicht von der Seite, ſondern grade vor den Au-
gen Scheuklappen.


Jedoch müſſen Sie noch eines von mir wiſſen: ich bin
unheilbar überzeugt, daß nur die Unart Stettins uns vor
einem gräuelhaften Aufruhr ſchützte; dem eingefleiſchten Ab-
ſcheu vor dieſer allein verdanken wir die weiſen Maßregeln,
in denen wir athmen. Muth gegen Unvernünftiges hielt ich
von jeher für Tollheit, und endlich geben mir hohe Regierun-
gen Recht: und ich ſehe, bald kommt die reife Zeit, wo man
in großen Ehren ein Poltron ſein darf. Ernſter gemeint, als
ein alterthümlicher Held nur irgend glauben kann. Apropos
vom Fortſchreiten! Sie dürfen Victor Hugo’s Notre-Dame
[534] nicht ungeleſen laſſen; ein Meiſterwerk der Natur im Men-
ſchen, wenn auch nicht des Menſchen, der es ſchrieb, und auch
dies Geſagte möchte ich gleich wieder zurücknehmen, weil man
viel darüber ſprechen kann und doch nicht ausdrücken, wie
vortrefflich es iſt; Ihnen muß es beſonders gefallen mit Ihrem
ausgebildeten Sinn für Gebäude. Mir Laien gefiel es im
erſten Augenblick, wie ſonſt ſchon bedeutende gothiſche Ge-
bäude, nur nach und nach wurde ich entzückt von dem klei-
nen und großen Zuſammenhang des Kunſtwerkes. Jedenfalls
iſt es mir ein lauter Beweis, wie ſehr die franzöſiſche Nation
umgemiſcht worden iſt. (Wieder eigenhändig:) Adieu, adieu,
lieber Fürſt! Nicht eine Phraſe wurde natürlich beim Dik-
tiren. Auch ſoll hier der Brief aus ſein. Aber Sie kommen
gewiß bald. Alle Freunde warten darauf!


An Frau Generalin von C.



Den größten, herzlichſten Antheil an ſolchem Glück, wel-
ches ſolche Erhebung bewirkt. Heil für immer dem 13. Ok-
tober!


Ihren ſchönen Brief, wahrlich ſchönen Brief, vermag ich
auch nicht materiell zu beantworten: ich muß meinem Auge
ſchmeichlen. Morgen hoffe ich Sie zu ſehen! Um 12 fahre
ich nach Schöneberg: Schwefelbäder nehme ich, und das
mit Erfolg. Sahen Sie denn geſtern nicht die Franzoſen
ſpielen! Apropos! ich bin auf Thiers und Royer-Collard
[535] aufgebracht: nicht wegen changement de casaque; aber wegen
ihrer ſchlechten Gründe. Gentz müſſen dieſe Herren ſtudiren,
der hat vor drei Poſttagen ein Meiſterwerk! in die Allge-
meine Zeitung einrücken laſſen: Sie ſollen es hier leſen, bei
mir. Auch ich, liebe Freundin, viel älter als Sie, möchte für
den Reſt Lebens Ruhe: aber meine Einſicht zeigt mir das Ge-
gentheil; jedoch nicht allein es kann, es wird ſich über un-
ſer Leben hinaus hinziehn. Eins iſt gewiß. Erobren will
Europa nicht mehr Stücke Erde; aber ernſter! Stücke Gleich-
heit
: Freiheit iſt nur Ausrede, und Mißverſtand. Die Rede
iſt vom Rechte, und nicht mehr vom Herkommen: ganz ein-
fach. Mais nous deux nous voulons causer, et vivre douce-
ment; et moi je voudrais savoir si vous voulez le bas com-
mencé? mille belles choses au prince de la journée, et à son
aimable fille, et à vous, aimable Marie! A demain donc!


F. V.



Das Herz — der Wille — begreift keine Zukunft: der
Geiſt — das Urtheil — hebt ſie auf, macht ſie zur Gegen-
wart. Nur er iſt frei, ſelbſtthätig, auf Unbekanntes gerichtet;
jenes gebunden an ein feſt ſchon Gegebenes.


[536]

An P.



(Mit einem Schreibzeug.)


Wenn du dieſes Schreibzeug ſiehſt,

Warn’ es dich vor falſch Beginnen,

Wo du eigentlich nichts wünſcheſt;

Nur den Anfang enden mußt!

Das ſchon Strafe dieſes Anfangs!

Schreib beſonders keine Worte,

Die du ungeſagt gern hätteſt.

Denk’ an mich und meine Warnung,

Wie du dies Geſchenk nur ſiehſt.

Schreib’ aus keinem andern Tintfaß,

Wenn zu Haus du dich befindeſt!

Haſt du aber mal gefehlt,

So verzeih’ es dir, wie Andern;

Nur verſpende ein’ge Tinte;

Merk’ es auf; vor dieſem Käſtchen!

Dies gethan, biſt du vor ſchneller

Wiederkehr des Fehls gehütet:

Glaub’ das altem Irrthumsdiener!

Und ſei frohen guten Muthes!

Nur beſinne dich recht oft;

Frag’ dich, was du wirklich wolleſt:

Und zum Zeugen nehme mich.

[537]

An Frau von Zielinski, in Frankfurt a. d. Oder.


(Diktirt.)


Graues Wetter, feuchter Boden, die Sonne ſchiebt die
Wolken ein bischen zurück; der Herr Poley will sous
la dictée
ſchreiben.


Ich aber kann nicht diktiren, Sie gewiß auch nicht, das
kann gewiß nur Goethe. Anſtatt ein bewegtes, organiſches,
blutadriges Kind wird mein Brief eine lederne Puppe wer-
den, der man nach und nach die Gedärme einſtopft. Ich
habe nie gewußt, daß mein Kopf eigentlich das Dintenfaß iſt,
worin ich meine Feder eintauchen muß, und daß keine fremde
Hand dazwiſchen ſein darf. Alſo nur das Wichtigſte, theure
Minna, liebe Tochter, wie Sie es gern hören.


Auch ich leide an den Augen, und habe ſeit vierzehn Ta-
gen, oder länger, Dr. Jüngken. Nervenverſtimmung, Rheu-
matismen, alte und neue Choleraluft, krankhafter Druck auf
dem Auge, der durchaus kein Schreiben erlaubt; Leſen kann
ich Abends, wenn ich mich zwinge; mouche volante obenein.
Alſo verordne ich, was ich ſeit drei Tagen mit größtem Er-
folg thue. — — Dann und wann, vielleicht die Woche zwei-
mal, nehme ich ein Malzbad mit Schwefel, aber vor meinem
Bette. Denn es iſt Rheuma, Rheuma. Die Atmoſphäre will
keinen Menſchen mehr dulden, und ſo viel möglich muß eine
geſchaffen werden. Nun kommt der zweite wichtige Punkt.
Sie kommen, und müſſen nach Berlin kommen. Soll ich
Ihnen in meiner Nähe ein Quartier miethen. Gerne ſorge
[538] ich für alles: was ſo überflüſſig und nöthig iſt. Auch ich
komme gern, gern, zu Ihnen; und gewiß. Ich denke es mir
ſo ſchön! Auch V. iſt von Ihrer Einladung geſchmeichelt.
Auf mich und Dore können Sie rechnen. Zuerſt aber müſſen
Sie hierher kommen, und wir reden alles ab; auch für den Som-
mer. — Glauben Sie niemals jemanden über mich, als mir und
Ihnen, ja ſogar hören Sie niemanden an, denn wie oft muß
ich lügen, und wie oft, ſehe ich, wird meine tiefſte Wahrheit
dafür angenommen; und das liebe Leutevolk ſollte beſſer wiſſen,
wie es iſt, als Sie, die Sie mich kennen? In jedem Falle
aber bin ich zu jeder vernünftigen Rechenſchaft zeitlebens be-
reit, welches ich hiermt als Wechſel gebe. Ihr Brief war
vortrefflich, wie alles, was Sie ſchreiben, und beſonders wenn
Sie nur ſo ſich und mir gegenüber ſchreiben. Er ſoll ſchon
nach und nach durch Leben und Schreiben beantwortet wer-
den. — Der Herr Poley iſt von Ihrem Anblicke ſo vergnügt,
erſtaunt, verwundert, entzückt und erfreut geweſen, als wenn
ein ſechsundzwanzigjähriger Menſch zum erſtenmale eine Roſe
ſähe, und bis dahin alle andern Blumen geſehn und geliebt
hätte. Mehr will ich ihm doch nicht diktiren. Er ſoll das
Glück haben, ſelber die Roſe zu pflegen. — Dore ſteht auch
grüßend da, und ich werde dieſen Brief eigenhändig endigen.


Adieu, liebes Kind! Haben Sie klare Augen für mich! —
und klar wird Ihnen meine Werthſchätzung und Zuneigung
zu Ihnen ſein! Kommen Sie nur bald. Ihre treue Antheil-
volle; für Haus, Garten, Ruhe und alle Gaben, die Sie ſelbſt
ſind und haben. Gott laſſe Ihnen Mama. Ranke ſehe ich
ſehr ſelten. Einmal allein ſehr gut. Schlippenbach dann und
[539] wann. Sein Sie ja vergnügt, und heilen Sie Ihr Auge.


Adieu. Fr. V.


— Noch hat mir keiner die Ähnlichkeit des Bildes abge-
ſtritten; ich erwarte aber auch ſolche Geſchöpfe, denn was iſt
leider evident, als Idealismus! Mit dieſer Melancholie will
ich enden, die für Plebejer nur ein Scherz iſt, wovon alle My-
ſtiker aber entſtehen. Sur ça Dieu vous bénisse!


An Gentz, in Wien.



Dunſtiges, trübes, feuchtes, nebliges November-
wetter; hinter welchem, wirklich wie hinter
einem weiten Schleier, die Sonne kiekelt.


Und ſo iſt es mit allen uns bewußten Dingen: das Schöne
will hervor, das Gute, das Reine, das Freie, Glück (unver-
letztes
), Heiligkeit! Alles iſt geſtört: Chaos lebt noch. So
ſehe ich endlich im Alter unſern Zuſtand, in intellektueller,
naturhiſtoriſcher, ethiſcher, politiſcher Hinſicht an. Das Wort
ſteht da: Alter. Aber nicht unglücklicher bin ich, als in der
Jugend. Keinen heftigeren Herzenszuſtand giebt es in dieſer
Welt, als den, glücklich ſein zu wollen; dies zu erhoffen;
noch zu glauben, daß ſolche Zuſtände für irgend jemand exi-
ſtiren: der ganz feinſinnig, tief, und blühend intelligent iſt,
und ein ſtarkes, und zartes Herz hat; — darunter verſtehe ich
das ganze Faſer- und Nervenſyſtem, mit allen ſeinen Depen-
denzen: findet kein Ganzes in irgend einer Kombination von
Umſtänden, zu Einem Zuſtand geſtaltet, der ſeinen gerechten
[540] Forderungen allen genügte: und nicht ſogar, quälte; oder
auch nur: mir war dies nicht beſchieden: (wie denn jeder
Menſch, der nur Beſinnung hat, ein ganz einziges Schickſal
hat: ein Moment des Ganzen iſt, — Gottes, wenn Sie wol-
len, — der nur Einmal exiſtiren kann). Einſamer iſt man
nicht, als ich nun in allen Stücken. Ich ſehe noch hie und
da Menſchen; leſe, höre. Aber lebe ohne Pairs. Und denke
an Vergangenes wie ein Verſtorbener. Aber wenn ich mich
bedenke, war es zu ſechszehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jah-
ren nicht anders mit mir: auch wußte ich es in der Tiefe im-
mer: nur überſchrieen meine neuen Wahrnehmungen, Empfin-
dungen, den Himmel, Natur und Welt belagernde Forderun-
gen an all dieſe, die in der Tiefe immer zu findende Evidenz:
und, Stück vor Stück mußte mir das Ganze genommen wer-
den, ehe ich den Muth, die Kraft, die Möglichkeit faßte, daß
ich nichts haben ſollte. Nur mich ſelbſt. Auch darauf bin
ich nicht ſtolz: wie weiß ich, daß ſchon Krankheit uns uns
ſelbſt entreißt, zerſtört! Es giebt nur Einen großen Lehnherrn:
und wir alle Kreaturen ſind Vaſallen. Nur durch Miteinſicht
erahnden wir Freiheit, — von der denke ich anders, als die
Kämpfenden, als je ein Publiciſt! —


Unſer innerſtes Weſen iſt ſogar gezwungen: unſer Wunſch
nach einem heiligen, freien, unverletzten Zuſtand. Müſſen
wir das nicht wünſchen? Sind wir dieſer Wunſch nicht ſelbſt?
Adieu! à demain! un mal d’yeux qu’il faut ménager, me fait
quitter la plume. Bon jour!


Heute iſt Freitag; und noch trübes Nebelwetter. Ich
will fortzufahren ſuchen. Nun denn; ich bin verarmt; und
[541] vermiſſe den Reichthum nicht, wie ich wohl in meiner reicheren
Zeit, und in damaligem Mangelgefühl hätte denken können.
Auch an mein Alter würde ich nicht erinnert werden, wäre ich
nicht leidend; auch das wäre ich erträglich, wäre ich geſchont
worden. Enfin es iſt ſo geworden wie es iſt. Ich habe alle
meine Empfänglichkeit noch — für Gut- und Schlechtes, und
freute mich auf Fanny’s und Thereſens Kommen, wie zu ſechs-
zehn Jahren; nur verdoppelt, vielfach verdoppelt, und aus
allen Sphären her begründet, und beſtätigt, hat ſich mein
Haß und meine Liebe. — Aber faux-frais zu Vergnügen und
Glück kann ich nun durchaus nicht mehr machen; überhaupt
keine frais; da ich Glück und Vergnügen miſſen kann, ſo
müſſen die beiden mir die Kour machen, wenn ſie etwas mit
mir zu thun haben wollen — es ſei unter welcher Men-
ſchenmaske es wolle — Sie wollen aber nicht: und ich bin
einſam!!! Aber nicht aus dieſem Grund allein: in der höch-
ſten aktiven, und paſſiven Aktivität konnte mir das geſchehn:
meine Einſicht, meine Gedanken ſind zu abwärts: und in den
größten Details noch mehr. Wie drücke ich das nur Ihnen
verſtändlich aus! Sie haben mich jung gekannt, und kennen
meine Ignoranz: aber ich weiß alles: durch Selbſtthätigkeit.
Mit den größten Schriftſtellern finde ich mich überein. Komme
zu ihnen auf ihren hohen Sternen; aber auf meinem Weg:
oder, durch Einen glücklichen Aufſchwung. Und ſo iſt es
noch wie in der Kindheit: in der ſchlechteſten Komödie, in
der geringſten Geſellſchaft, oder bei ſolchen Behauptungen,
wird mir die höchſte Tragödie, das höchſte Beiſammenſein mit
all ſeinen Bedingungen klar; Polemik bis an ihren Ziel- und
[542] Zweckpunkt. Und das in einer Thätigkeit, in einer Schnellig-
keit, die mir noch nie vorkam. Dabei den kühnſten Denk-
muth, und jedes Reſultat davon willig — wenn auch verzwei-
felt — angenommen. Nun denken Sie ſich eine ſolche unter
Leuten. Unter reinen Menſchen müßte ich wenigſtens ſein,
Nur ein Punkt Menſch im Menſchen, und ich hebe uns
wie mit dem berühmten Hebel nach allen Welten. Spre-
chen müßte ich Sie können: und in zwei Worten kennten
Sie auch meine politiſch-geſellige Lage. Ich rücke und rühre
an nichts mehr: ſeit vielen Jahren; und ab fällt, was nicht
hält: wie Blätter von einem gegendbeherrſchenden Baum;
den ich immer, im Reiſen, einen Fürſten nenne; oft mit
Familie, Volk; oft allein. Der große Todesgedanke — das
viele Sterben aller Bekannten, das man im Alter erlebt —
iſt das ganze vollſtändige Gegengewicht dieſer Phantasmago-
rie, dieſer gezwungenen Anleihe von Illuſion. Dieſer, der
Tod, iſt Eins mit dem Leben; wir werden’s in dieſem nicht
los. Dieſes Räthſel, dieſe Aufgabe des Denkens und des künf-
tigen Seins, löſcht mir alle Vorfallenheiten des Lebens, außer
Blindheit, Kerker, Martern, überhaupt Schmerzen, ganz aus.
Ich verachte nicht das Leben; das Gefühl von Daſein, die
Denk- die Fühlfähigkeit, das große, heilige, amüſante Räthſel:
dieſe Zerſtückelung iſt zu koloſſal, zu augenſcheinlich: auch für
ſolche Augen, mit denen wir hier hauſen und unſern Verkehr
treiben. Ich habe Momente von wahrem Erſchauen, wo mir
blitzlang alles klar iſt; wo ich weiß, was das iſt, heilig. Eins
iſt gewiß, und das kann man hier mit den Jahren ſchon er-
gründen und finden. Es ſteigert ſich das Schlechte und Gute:
[543] und da das Schlechte doch nur eine Negation iſt: ſo tritt es
zurück: und ſelbſt wählen würden wir ſo die Steigerung.
Ganz gut kann nichts werden: warum — da es eigentlich
keine Zeit giebt — wäre es nicht jetzt ſchon ganz gut? —
Das alles humainement vu. Wir können ja ein neues Be-
greifungsvermögen bekommen, oder werden! — Schon längſt
bin ich ſo durchdrungen, ſo überſättigt von Geduld und Ab-
ſcheu: daß ich Abends dem Himmel danke für das, was ich
nicht weiß: und ſo mich auf die einzig mögliche Weiſe der
Unſchuld freue. (All ſich hierauf Beziehendes habe ich längſt
aufgeſchrieben.) So ſteht’s mit mir: ſo hatte ich die Influ-
enza, wie nur fünf in Berlin; acht Wochen ſchwach und
elend davon: dann die Cholera-Furcht!!! Die Sperre, die
Diät: dann ein Augenübel bei all meinen andern. Und doch
nicht unglücklicher als ſonſt. Mein Augenübel iſt nervös, und
leidet wohl Leſen, aber nicht Schreiben. Deßhalb aber ſchwieg
ich nicht. Sondern weil Sie nie antworten, wenn Sie
auch Einmal ſo gnädig ſind zu ſchreiben. Ich bedarf Ant-
wort. Aber „Ich mache mir wohl noch was aus Ihnen!“
Liebe iſt Überzeugung, wie Abſcheu: unvertilgbar. Aber was
thut’s! Ich kann Sie ja lieben; ohne daß Sie danach Nach-
frage thun: noch ich ſelbſt in mir. Was Menſchen lernen
können, habe ich gelernt: und Großes durch Sie. Ich habe
auch Sie miſſen gelernt: ſeit Prag. Getrennt ſind wir ohne-
hin. Kindiſch habe ich mich vorvorgeſtern mit Fanny gefreut;
und mit dem Schwan. Armer Freund. Armer Glücklicher;
dem noch ſolch Glück entzogen werden kann. Sehn Sie,
daß Wunder möglich ſind; noch in dieſem Erdengefängniß. —
[544] Und was kann noch kommen. Waren Sie je in der Ju-
gend ſo beglückt: ſo glücklich in der Seele? —


An Ludwig Robert, in Baden.



Wetter wie bei euch.


(Mit jüdiſchen Lettern:)


Mein einzigſter Bruder! Mache mich glücklich! So ſehr
ich es ſein kann, kannſt du es machen. Nimm, wie ich
ſie ſchicke
, die zweihundert rheiniſche Gulden zum Weih-
nachten, die morgen für dich abgehen. Du ſollſt ſie allein
für dein Gutdünken haben. Ich küſſe dich. Küſſe du mich
auch. Es iſt wieder eine alte Schuld eingegangen, davon
kriegſt du noch mehr von mir ab! Laß mir während meinem
Leben das Glück! Und kein Wort weiter darüber, bis auf
Wiederſehen! Banquier Haber wird dir das Geld ſchicken.


(Mit deutſchen Lettern:)


Nun deutſch. Vorgeſtern als unſerer an Hrn. Braun
weg war, erhielt ich deinen Brief. Du biſt nun längſt beſſer.
Ich leide oft; aber, die große Krankheit iſt ſo gut als vorbei
Künftig mehr. Rike, der Spinnerin meinen Gruß. Geſtern war
Braun bei mir. Vergnügt: er lernt Tanzen und Engliſch.
Adieu.


(Wieder mit jüdiſchen Lettern:)


Ich will nur, daß du Herr ſein kannſt von dem, was ich
dir ſende: und nur ſoviel verabreichſt, als dir gut dünkt: und
deiner
[545] deiner Perſon, nach meinem Wunſch etwas zu Gute thuſt!
Übrigens: nach deinem Herzen, deiner Wahl!



An Adolph von Williſen.



Ich habe dieſe Blätter (deutſche Denkwürdigkeiten von
Rumohr) ſehr bewundert. Geſpickt mit lauter Gedanken, und
Geſehenes; äußerſt geſchickt gearbeitet; daher amüſant, im
gebildeten Stil zu leſen. Es iſt ja ein Troſt für Deutſchland,
daß immer noch ſolche auftauchen können, die verborgen wa-
ren. Mich hat es ſehr unterhalten; nur die Arkadia fürcht’
ich etwas — ich bin ſo ennuyable — doch verlaſſe ich mich
auf den Autor. Bleiben Sie nicht aus!


An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Vierſträhnige Leiden möchte ich nennen, was mich jetzt
bannt, und plagt: faſt bin ich in dem Fall mich noch ent-
ſchuldigen zu müſſen! In dem Sinne möchte ich auch hier
zu Ihro Durchlaucht ſprechen. Keine Stunde bin ich ſicher,
daß ſie ohne Anfall vorüber gehe; keine Treppe kann ich ohne
größte Nachwehen ſteigen: keinen Freund — à mes risques et
dépens
keine Freundin zu mir bitten: was ſollen ſie daran
III. 35
[546] ſehn! Dabei empfinde ich doch Gewiſſen, daß ich alle geſellige
Pflichten beleidige. Sie aber, ſind mir gewiß gnädig: und
überraſchen mich auch Einmal! alsdann bin ich nicht verant-
wortlich, und doch glücklich. Vielleicht überraſcht der Him-
mel
mich; und ich kann Sie, verehrte Fürſtin, überraſchen.
Noch halte ich alles für möglich; überhaupt kann ich bis jetzt,
für gute Gedanken und Einfälle danken: ich thue es tief erken-
nend, weil ich auch ſchon das verzweiflungsvolle Gegentheil
in mir erlebt habe; und mich nie ſtolz dafür ſicher glaube.


Ich freue mich wahrhaftig Ihres Wohlſeins: mögen auch
harmoniſche Gedanken es begleiten! Die wahre Unterſtützung.
Einen Moment ſah ich Fürſt Pückler; er berichtete mir Gu-
tes; ſah auch gut aus: nur etwas ſchlafbedürftig; ich ſagte
es ihm; zu ſeiner Warnung. Hochachtungsvoll ergeben Fr. V.


An Karl Schall.



… Inſomniſten

Werden durch der langen Nächte Qual

Artiſten;

Im Erfinden, im Beſinnen, in der Wahl.

Vermiſſen

Schlafes Balſam, grades Ruhn der armen Glieder,

Finden müder, als am Abend, ſo den andern Morgen wieder.

Nun erdacht’ ich uns die kurze Schonung,

Momentane Haupteswohnung,

Dieſes Kiſſen.

[547]

An Erneſtine Robert.
Mit einem Strauß und einem Schleier,
zum 1. Januar 1832.



Auf der Höhe Januars

Sehn wir ſchon nach Mai hinab;

Sehen ſeiner Lüfte Klarheit,

Sehen ſeine Blumenwieſen,

Trinken nahrhaft-gute Lüfte,

Fühlen die Bewegung lauer Winde;

Aber auch der Sonne Blendung,

Und das Nahen ihrer Hitze.

Darum ſend’ ich dir den Schleier,

Deßhalb kommen auch die Blumen;

Daß du Maies Freuden wirklich ſeheſt,

Daß du Maies Schutz ſchon habeſt,

In dem hochgelegenen Jänner,

Dem du überliefert wurdeſt,

Als die Mutter dich gebar.

Mög’ das Leben alle Januare dir

Auch als Mai erſcheinen laſſen!

Von Kindheit an hab’ ich die Viſion über die Monate,
als läge abwechslend einer hoch, und der andere tiefer; mit
Januar, der hoch liegt, fängt’s an. Ich bitte Sie, dieſen
Artikel nachträglicher Mythologie einen Augenblick mit mir
anzunehmen: nachſichtig, wie alles Übrige!


35 *
[548]

An Gentz, in Wien.



Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor-
ten
, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet!
N’importe; hier iſt die Antwort, die Sie verlangen. — Frau
von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, —
weil die Lebensplagen — mes dragons nennt dies Madame
de Sevigné — ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß
man nach dreißig werden. Sie war auf falſchen Boden ge-
bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen
konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an ſich ſelbſt,
dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera-
riſches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz
bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta-
gen! — — noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigſter
Troſt. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo-
chen vor ihrem Tode etwa, habe ich ſie noch, unter den Lin-
den, im Saldernſchen Hauſe, in einer Prachtwohnung, die ſie
eben eingenommen hatte, beſucht. Sie ſprach viel und heftig,
und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht
geſehen; wir ſchrieben uns; dann wurden wir beide kränker;
ich ſchickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was ſonſt
man ſich nicht ſelbſt kauft: hauptſächlich als Liebeszeichen;
was ſie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich
ein Billet, von dem ich wußte, es ſei das letzte. Dies Wort
und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über
[549]alles. Wen ſie geliebt hatte, kam nie vor: überhaupt Ihr
Name nicht. Aber ſeit vier Jahren weiß ich es: Frau von —
ſagte es mir damals, ihre Intimſte, noch von Stockholm her:
Generalsfrauen, deutſche, aus einem Kreiſe. So geht das
Lotterierad der Welt! — Welche dumme Waiſenkinder drehen
uns ſcheinbar, wie die Papierrollen auch nur ſcheinbar gedreht
werden! — Die iſt glücklos todt. Sie, geliebt, und lie-
bend
, von einer zwanzigjährigen Tanzgrazie, zum erſtenmal
ganz glücklich; endlich hochſtehend genug, um frei, ihr leben
zu können! Dies ſage ich Ihnen, damit Sie ſich auch den
äußern Glücksfall ganz auf’s Herz drücken! savourer. Haben
Sie wohl ſolch Gedächtniß, daß Sie ſich erinnern, wie vor
vielen Jahren Sie mir Briefe von Fräulein J., die ich nicht
kannte, zeigten? und die ich nicht ſo ſchön finden konnte, weil
ſie mir zu hergebracht und unweſentlich ſchienen? Es iſt eine
brave Frau geworden; die ich immer einen braven Mann
nannte. Nicht, daß ſie Männliches hatte, außer das Recht-
ſchaffene, welches man von einem Mann fordert. Nun habe
ich ſchon Bruſtſchmerzen: thäten Sie das auch für mich?
Viele Seiten liegen für Sie ſeit Fannychens Ankunft fertig;
wollen Sie ſie etwa, ſo vollende ich ſie. Eins möchte ich
wiſſen! Sie werden erſtaunen: warum wird Prinz W.’s Polier ſo
bei Ihnen befördert? Man iſt doch ſonſt krumm, wenn man
ſich bückt; wie der Brandenburger ſagt. Dieſen Punkt nicht
zu beantworten, wird Ihnen beſonderes Vergnügen machen!
Viel zu ſehr

Ihre F. V.


[550]

An Leopold Ranke.



Nachträglich muß ich ſagen: daß das ganze Waſſer, Un-
ter- und Ober-Waſſer, auch krank iſt: nicht die Luft allein:
und viele wichtige Details habe ich Ihnen noch zu geben.


Wenn Sie dieſen Abend, wo — kein Einziger der
Menſchen, die geſtern bei uns waren, kommen kann — ein
paar artige Damen kommen, mich beſuchen wollen: ſo belohne
ich ſie mit italiäniſcher Bewirthung; und morgen, mit le-
bendiger
Kunſt.


Ich bin der Einzige, außer den Saint-Simons, die Wort
hält, und nicht lügt. Es iſt nicht meine Schuld: es könnten’s
Alle auch ſo machen.

Fr. Varnhagen.


Heute Freitag den 20. Januar 1832. kam A. mit dem
Globe vom 12. zu mir herein: „Sie müſſen den Artikel sur
les femmes
leſen; über die Ehe ganz neue Gedanken: aber
zuletzt ganz myſtiſch.“ — Sagen Sie mir nur den Inhalt!
— „Es ſoll eine Ehe Statt haben; und bei der auch Freiheit.
Man ſoll in und außer der Ehe leben können. Eine Muſter-
ehe ſoll exiſtiren, die das durch die That beweiſt.“ — Vorei-
lig! ſchrie ich: ich verſtehe das! Wie von einem kurzen Blitz
war meine alte Gedankenmaſſe auf einen einzigen Augen-
blick beleuchtet. — „Leſen Sie nur; es iſt ganz myſtiſch;
wer weiß, was noch für Gedanken zur Weiterbildung dieſer
[551] Ideen entſtehn: ſie fordern Frauen auf, ihre Inſpirationen
mitzutheilen u. ſ. w.“ — Ich verſtehe; ſagte ich: es iſt ſchon
in den Ehen ſo, wie ſie ſagen, die Saint-Simoniſten, in den
ſchlechten ſchon: ſie fügen ſich, und wollen auch frei ſein; der
ganze menſchliche Zuſtand iſt ſo: unbedingt — von innen, —
und bedingt — von außen. So iſt auch, und kann nicht
anders ſein, die Ehe: aber mit Bewußtſein ſoll dies geſchehn;
und ich ſetze jetzt hinzu: daß dies überhaupt der Inbegriff
höchſter Bildung, religiöſer, iſt: Einwilligung, durch Einſicht
und Herzensübung, in das Gegebene, Vorgefundene, Mög-
liche. Anſchließen an das, was wir Höchſtes kennen. Nun
will ich den Globe leſen. —


Abends. Ich haben nichts hinzuzuſetzen. —


An Erneſtine Robert.



Je suis très-sensible à la part que vous prenez à ma
santé!
So unverſtändig ich mich gerade geſtern bei Ihnen
befinden mußte, ſo war doch meine Nacht unverhältnißmäßig
beſſer, als ſeit längerer Zeit. Das wird Sie freuen: und dar-
um erzähle ich es gerne. Aber ſchreiben kann ich nicht; wie
ich ſehe! Sonſt ſchrieb’ ich Ferdinand heute nach Bonn un-
wiederruflich. Sagen Sie ihm dies gütigſt. Und, daß ich
mich höchſt freue, daß er den „vaterländiſchen Roſt“ abreibt:
und ſich durch neue Sprachkenntniß, neue Lebenspforten öff-
net! Unſern Geiſt frei zu machen ſind wir hier; der hier ein
[552] Gefangener iſt: in Leib, Natur, Erde, und engerem Vater-
land
. Unſerm Urtheil, unſerm Ermeſſen neue Horizonte öff-
nen; das heißt, iſt künftiges Leben. Und die Geiſteswege
aufgeräumt; geben allein Raum, und Möglichkeit zu wir-
ken; dies aber will immer Gutes und Liebes für Alle! So
gut denke ich von unſerm inneren Wollen. Und hiermit grüße
ich Ferdinand; und auch Sie.

F. Varnhagen.


Wie ſonderbar iſt es: daß die Menſchen im Einzelnen
weiter ſind, als ihre Geſammtheiten, die Staaten, die uns
regiren ſollten, und uns wirklich beherrſchen! Wenn ſich zwei
ſchlagen, ſo werden ſie ſchon ganz allgemein für roh, un-
menſchlich, ſittenlos, und dem Geſetz verfallen, gehalten: und
derſelbe Staat, der Heere ausſendet, bringt ſie zur Ruhe und
Haft. Und dieſen Zuſtand laſſen wir uns gefallen: und nur
Wenigen fällt er auf! Dieſer aber ſcheint mir der wahre
Maßſtab, an welchem wir, wie wir ſind, gemeſſen werden
müſſen: dann haben wir, wie die Franzoſen ſagen, notre vraie
mesure.
Vor vieler Zeit ſchrieb ich ſchon: „Sie haben noch
Sklaven und Krieg; und wundern ſich noch.“ Wundern ſich
über Verſuche! —



Man kann es gleich merken, ob Einer zu ſeinen Gedan-
ken zuerſt aus einem Buche — Schwarz auf Weiß — oder
unmittelbar aus der Welt, in allen Farben und Formen der
[553] Natur, gekommen iſt; nie korrigirt ſich das. (Für nichts
ſollte ein Kind ſo gehütet werden, als viele Dinge zu lernen,
wenn man ihm nicht die Fragen nach dieſen Dingen einzu-
geben weiß). Noch ſchlimmer iſt es aber, wenn Einer ein
ganzes Gedankengebäude in ſich aufgenommen hat, wo viele
hohe Fragen beantwortet werden, die er ſich nicht ſelbſt würde
vorgelegt haben. Trauriges Exempel! welches ich oft vor mir
habe. Kommen ſolche Fragen vor, ſo werden ſie von ſolchem
Schüler nicht erkannt; ſie und ihre vielfältigen Beziehungen
ſchneiden bei ihm nicht ein: als äußere Zeichen regen ſie nur
die langen — hier leeren — Antworten, Deduktionen des
Lehrers auf; von dem man nur ein Wort brauchte, welches
aber ſolche Schüler nicht auszuwählen wiſſen, weil ſie’s nicht
erkennen, und aus den großen Reden — die der Lehrer, ohne
Geſpräche halten mußte, — nicht auszuſcheiden wiſſen. Trau-
riges Spektakel erſtickter Köpfe! Langweiliges Aushalten für
ignorante Selbſtdenker!



(Mündlich.)



„Sagt mir nichts von dieſen Leuten! Kann ich ihnen
worin helfen, Gutes erweiſen, Schaden abwenden; gern!
aber in Betreff ihrer Meinungen, ihrer Urtheile, ihres Lobes
oder Tadels, ſind ſie mir eben ſo gleichgültig, und exiſtiren
für mich nicht mehr, als die Fliegen vom vorigen Jahr!“


[554]

An den Fürſten von Pückler-Muskau.



Sie ſind jetzt, lieber Fürſt, mein wahrer Troſt (ein Freund,
Gleichgeſinnter, wie dies Goethe in der Elegie Hermann und
Dorothea bezeichnet) in der gebildet-unverſtändigen Welt,
der das geſunde, unſchuldige Verſtändniß ganz abhänden ge-
kommen iſt! Erſcheint ein großes neues, auf neue Beziehun-
gen ſich richtendes Kunſtwerk, von welchem ich den Gram
haben muß zu ſehn, zu hören, daß es auf das Publikum
wie Regen auf Marmor herabfällt, der den nährenden Tropfen
widerſteht, anſtatt ſich neues Leben aus ihnen zu ſaugen; und
welches Publikum zu beurtheilen vorgiebt, was es erſt zu be-
greifen erlernen müßte; wenn ich dieſe Menſchen fein und
dummdreiſt ſchnattern höre, und verzweifelt in Schweigen ver-
fallen muß: ſo kommt ein Brief aus Görlitz, der mich tröſtet,
erheitert: der Victor Hugo’n und mich rechtfertigt; mich aus
der Einſiedelei errettet. So kam heute Ihr Billet an V., und
Troſt ſprach es in meine Seele. Für welchen ich Ihnen hier
danke. Danken möcht’ ich Ihnen für das, wofür Sie zu
danken haben: für Unſchuld. Es iſt Verderbtheit, und nicht
Mangel an Verſtand, wenn der Menſch keine neue, ihm un-
bequeme Gedanken in ſich aufnehmen will: Stupidität, wenn
ſie vor ihn treten, und er nicht merkt, daß es neue ſind,
höchſte Infamie, erkennt er ſie, und läugnet ſie doch. Erfreu-
lich, der ganzen Seele wohlthuend ſind Sie; der, mit wahrer
Kinderart, Neues merkt, aufnimmt, anerkennt: — wo ich noch
[555] das herrliche Schauſpiel habe, zu ſehn, wie es ſich all der
vorbereiteten, großen Gedankenmaſſe willig und ſchnell nur
anzuſchließen hat! Wir vergeſſen immer: mich meine ich;
daß dieſe ſchwere, mühſame, ehrliche Vorbereitung durchaus
nöthig iſt; und daß deßwegen das, wofür ich Ihnen danken
möchte, ſo ſehr ſelten gefunden werden kann.


Kommen Sie nächſtens: heute, wenn Sie können, daß
wir über „Spandau“ ein wenig ſprechen: mir iſt es ein großes
Bedürfniß; und mich dünkt immer, ich hätte viel darüber zu
ſagen: Sie wiſſen gewiß viel. Kommen Sie alſo wo möglich.



Sein Geiſt, ſeine Seele und ſein Herz haben keine Ge-
ſpräche mit einander. Der einzig amüſante Umgang.


Mein Körper iſt vergnügt, wenn ich mich wohlbefinde;
ich bin unterhalten, wenn man mich nicht ärgert. Ein Feſt
wird geſtört, wenn man dies thut! —



Vor mehr als acht Tagen behauptete ich, alles von den
Saint-Simoniſten möchte ſein, wie es wollte, nur Religion
könnten ſie’s nicht nennen; das wurde mir hart abgeſtritten,
und geſagt: dies habe man früher auch behauptet, und es
wurde ſo viel dabei geredet, daß ich als Ignorant ſchweigen
mußte: da ich ſah, daß ich nicht verſtanden ward. Geſtern
getraute ich mich zu ſagen: ſie nennten ſich wohl nur Reli-
[556] gion, um unantaſtbar zu ſein: das fand beſſern Eingang, da
es praktiſcher zu verſtehen war. Aber meine eigne Meinung
ward mich gelehrt: und wahrſcheinlich überhört, daß ich ſagte:
eine Religion könne nicht deduzirt werden; (ſie muß offenbart
als Gebot werden: oder bewieſen durch Wunder, wozu ſich
Chriſtus fremde große Lehre noch bequemen mußte;) ſonſt iſt
ſie eine Lehre der vorhandenen Vernunft angereiht.


Das iſt aber das Schöne unſeres jetzigen Zuſtandes, daß
das Gute und Heilſame bewieſen werden kann, — und alſo
bewieſen werden muß, — und daß das für Recht Anerkannte
uns zum Höchſten in uns führt, und ſo von uns geehrt
wird, wie die unerwartetſte Offenbarung, von Chören von
Engeln aus den Wolken gereicht! Dieſe unumſtößliche Aner-
kennung des Rechten, dieſe heilig gewordene Verehrung da-
für, iſt jetzt religiös, aber nicht mehr Religion. Das iſt jetzt
das heilige Antlitz Gottes, welches wir erkennen: eine Evi-
denz, der nichts widerſtehen kann, die alle Geſichte nach und
nach ausſchließt. Jeder muß ſeine bildlichen Privatvorſtellun-
gen ſeines Verhältniſſes zum großen Gott aus den Mitteln
ſeiner eignen Phantaſie nehmen.


An den Fürſten von Pückler-Muskau.



Küßt man doch eine gelungene Pflanze — zartere in
Gedanken — lobt, grüßt man ſie! Wie ſelten iſt mir in
der Welt ein Kern des Menſchen, ſein Herz, ſo gelungen
[557] und rein erhalten vorgekommen, daß er, willig und freudig,
ihm perſönliche und momentane Vortheile fahren ließe, wenn
ſeine Überzeugung eine andre werden muß. Ihnen, geehrter
Herr, danke ich das tröſtliche Schauſpiel, und will mich des
Danks der Erkenntlichkeit nicht ſchämen: ich muß und will
ſie Ihnen laut zurufen. Welche Stärkung — ja, ein groß-
tropfiger Mairegen auf dorr-dürſtigem Boden — waren mir
geſtern Ihre edlen, reinen, unſchuldigen, milden, ſtillen und
feſten Vorſätze! Welcher Troſt, welche Bürgſchaft! Auf der
verwirrten Erde ſolch edle Freunde zu hinterlaſſen! Bürgſchaft,
daß mehrere ſo ſich finden werden; Ihnen wieder zum Troſt
und zur Nacheiferung.


Auch ich bin hier unperſönlich: meiner Perſon kann nicht
viel mehr durch die neu gewonnene Einſicht anheim fallen.
Das weiß ich ſo gut, und beſſer, als ein Zwanzigjähriger,
der mich anſieht. Aber Glück auf! Die alte Erde muß ſich
erhellen; und die kommenden Menſchen beſſer und glücklicher
ſein. Dies Billet wird, wenn Sie’s aufheben, mit der Zeit
Werth für Sie bekommen, in der ich nicht mehr werde ſchrei-
ben können. Adieu lieber Fürſt! Für Varnhagen iſt’s ein
Geheimniß!!!



Enseignement par le Père suprême. S. 8. Un-
gründliche, nicht tiefgeſchiedene Annahme: „Il y a des êtres
à affections profondes etc. il y en a d’autres à affections vives,
rapides, passagères etc.”
Das ſind keine Grundunterſchiede,
und beſonders gar nicht ſo geſchiedene Anlagen bei den Men-
[558] ſchen. Ich glaube vielmehr: daß für jeden Menſchen ein an-
derer exiſtirt, in welchem er allen ſeinen Forderungen entſpro-
chen fände; und daß die, welche der Père als die tiefen Na-
turen bezeichnet, im Laufe der jetzigen Welt, ſich darin irren
und obſtiniren, daß ſie eine, zwei, drei Eigenſchaften im ge-
liebten Gegenſtand für alle annehmen, und, vorurtheilsvoll
und entzündet, vor dieſem Gegenſtand wie vor einer zu neh-
menden Feſtung, tapfer, ſtandhaft, treu u. ſ. w. bleiben; und
daß die Naturen, die der Père für die wankelmüthigen hält,
nur noch ungebildeter ſind, und bewußtlos gar nur eine oder
zwei Eigenſchaften vom Gegenſtand ihrer Neigung fordern;
ſich aber auch anſtellen, als hätten ſie den Inbegriff ihres
Lebens vor ſich, und deſſen vollſtändige lebendige Förderung.
Dieſe Konfuſion avancirt ſich in’s Unendliche, und wird reich-
lich genährt von alten, groben, verehrten Irrthümern. In-
begriffe zu finden für Herz, Sinn, Förderung aller Art; für
Haus, Leben, Ökonomie, Freiheit, woran europäiſche Liebe
und Ehe Anſpruch macht, iſt ein ſo vielſeitiges Glück, erfor-
dert ſolche Glücksfälle, daß ich einen jeden frage, ob es ge-
hofft werden kann, wie wir jetzt noch alle ſind. Nicht ſo viel
Werth auf Wahlen der Neigung muß gelegt werden; nicht
ſo viel anderes ihr von Gewicht beigelegt: nicht ſo viel Ro-
hes und Künftiges beigemiſcht werden. Dies öffentlich und
rechtlich unterlaſſen zu dürfen, iſt, dünkt mich, der erſte Schritt,
den alten Mißſchritten Einhalt zu thun; an dieſen leidet die
Welt. Wem es gut geht, braucht gegen den Andern Gewalt
— der Reſt der Welt iſt ſeine maréchaussée —. Wem es
ſchlecht geht, der lügt; er muß. Denken thun nicht drei. —


[559]

S. 16. Der Prieſter ſoll die zwei Naturen, von denen
hier ausgegangen wird, leiten, berichtigen, beſtimmen. Unnütz:
und unthunlich: bloß weil nicht nach dem rechten Punkt des
Irrthums hingekommen iſt. Iſt die große, alte, ſchadhafte
Mauer des verjährten Vorurtheils umgeriſſen, geſtürzt, ſo
wird der geringſte, nur nicht geſtörte Verſtand dieſe kompli-
zirt ſcheinende, aber nur verwirrte Sache klar ſehn. Kann
eine Neigung ohne Anreiz exiſtiren? Giebt es eine gerichtliche
äußere Garantie für geſchloſſene oder bekannte Freundſchaften?
Iſt nur ein Hausſtand heilig? Iſt es nur Kindererziehung,
oder deren Behandlung? Haben dieſe irgend eine Garantie?
Können nicht grade Eltern die bis zum Tod martern, phy-
ſiſch oder moraliſch? Iſt intimes Zuſammenleben, ohne Zauber
und Entzücken, nicht unanſtändiger, als Extaſe irgend einer
Art? Iſt Aufrichtigkeit möglich, wo Unnatürliches gewaltſam
gefordert werden kann? Iſt ein Zuſtand, wo jene, alſo die
Wahrheit, alſo die Grazie, alſo die Unſchuld, nicht möglich
iſt, nicht dadurch allein verwerflich? Weg mit der Mauer!
Weg mit ihrem Schutt! Der Erde gleich ſei dies Unweſen
gemacht! und alles wird auf ihr erblühn, was leben ſoll.
Eine Vegetation! —


An Karl Friedrich von Rumohr.



Gleich den Tag nachher, als ich die Ehre gehabt hatte,
Sie bei uns zu ſehn, hätte ich Ihnen, geehrter Herr Baron,
[560] ein Wort ſchreiben ſollen; ich dachte auch feſt dazu entſchloſſen
zu ſein, und unterließ es doch. Der beſſere Theil der Unter-
laſſungsgründe war eine Art von Scheu; die Sie gewiß zu
deuten wiſſen werden. Ich mochte nicht ſo poſitiv auftreten,
mich nicht ſo kompakt, als Perſon darſtellen, oder aufdrängen;
und wollte warten, bis ich die Ehre Sie wiederzuſehn haben
würde. Da aber Ihr Beſuch ſich verzögern muß, und Varn-
hagen mir nun ſchon zweimal beſtellte, daß es Ihnen leid iſt,
ſich mir gleich zornig gezeigt zu haben; ſo finde ich mich ge-
drungen Ihnen zu ſagen, daß ich den Zorn überhaupt liebe,
— tiefe Äußerung unſerer Gerechtigkeitsliebe; Recht, welches
wir nur mit dem Leben aufgeben können: und, dies Recht
unterdrückt, wirklicher Tod, in allem Sinn —, und die Art
ihn zu äußern der wahre tiefe Punkt iſt, der mir den Menſchen
als ſolchen zeigt, oder als eine verirrte, verwirrte Abart.


Ich bin ſo frei Ihnen zu ſagen: Ihr Zorn gefiel mir —
ich fühlte ihn gleich mit — und ich erkannte meine Art Zorn
auf Ihren zuckenden Mienen; wie ein leuchtendes Blitzen,
welches mich etwas in Ihr Inneres ſchauen ließ. Das war
ſogar beſſer — wie ich ſchon ſagte — als eine Zeichnung von
Ihnen! Sehn Sie den Zufall gefälligſt auch ſo an: und ge-
nehmigen Sie, daß unſre Bekanntſchaft von einem Blitz er-
leuchtet ward!


Auch ich hätte mich zu entſchuldigen; wären mir Ihre
ſchmeichelhaften Äußerungen nicht zu Ohren gekommen. Ein
in Kiſſen eingewickelter Leidender muß ſich nicht allein mauſ-
ſade fühlen, er muß es auch ſein! und doppelt, zehnfach
Dank
[561] Dank wiſſen, wenn man ihm unter ſolcher Hülle nur noch
nachforſcht!


Mögen Sie ſich bald ſo fühlen, daß Sie mir noch eine
Unterſuchung gönnen möchten; ich will dann mein Beſtes
thun! Hochachtungsvoll und ergebenſt


Friederike Varnhagen.


An den Fürſten von Pückler-Muskau.



Kluger Fürſt! der Notre-Dame würdigt; und im Gegen-
theil derer, die auch für klug gehalten werden, alles Neue als
ſolches erkennt, und in ſich zurecht ſtellt. Verſäumen Sie ja
nicht
! dieſe neuſten Hefte! Gründlicheres, Rechtſchaffeneres,
Klareres, Einfacheres, Unwiderſprechlicheres iſt wohl nicht ge-
druckt. Sie geht, die Welt; wie die Erde. Wir Menſchen
merken’s nicht; nur die Denker, die Gelehrten erſpähten es;
wir laſſen’s uns beweiſen, und glauben’s. Ginge ſie doch
ſichtbarer, ſchneller! Unſer Leben iſt mir nicht lang genug;
ich zu alt ſchon: und möchte noch gerne mitſchmauſen. — Ich
bin krank; wie der Frühling; Reminiszenzen von Blüthen,
Blättern, ſonſtigen Frühlingen, rauher Wind, Flughitze,
Schauer, Sonnenſchein, Unbehagen. — Sie ſind ein Schöpfer:
ein Hirte im Thal, ein Autor da dort; und ſo iſt auch Ihr
Frühling ſogar beſſer. Geſegne es Ihnen der Höchſte! Ich thue
es auch; V. hat Recht: ich denke es immer: Segen hilft. —


III. 36
[562]

— Ein Erdbändiger ſind Sie, und thun es in Muskau
zur größten Evidenz dar. Welcher Geiſt der Einſicht, und
Kraft der Ordnung und Ausführung webt und lebt da in den
lieblichſten Bildern und Erſchaffniſſen! Reich gezeigt einem
jeden — grade nach dem Maße was er aufzufaſſen fähig iſt:
ich fühle ein Bedürfniß, es dem Schöpfer zu bezeigen, daß ich
es in großem Maße genieße und bewundre!


An Ludwig Robert, in Baden.



Rauhes, graues, nordlandſches Frühlingswetter, mit
Regenwillen, und weichere Luft darunter, welches
Blumen, Blätter, und Blüthen nicht zurückhält.
Biermal bin ich nun ſeit April ausgefahren. Vor-
her krank zu Bette, zu Hauſe.


Auf dieſen Brief wünſche ich, wenn auch nur zwei
Worte, geantwortet!!! den Tag nach dem Empfang: wie ich
es, wirklich agoniſirend bewerkſtellige. Ich ſchreibe nun hier
zum zweitenmal: daß ich ſehr gerne die von euch angebotenen
Zimmer bei euch nehme. In jedem Fall kann ich alſo bei euch
dann abtreten; wann ich komme. — Du kannſt auf die
Miethe rechnen: und ſie haben wann du willſt. Schreibe
mir, wie viel Thaler es macht, und ich ſchicke ſie. Nur ant-
worte ſchnell: zwei Worte, wie ich.


Nun noch Eins. Heute ſteht’s beſtimmt in der Spener’-
ſchen Zeitung, daß die Cholera in Paris iſt: und mit allen
Umſtänden. Kommt ſie in eure Nähe: wandelt dich die min-
deſte Furcht an: reiſe ab. Komme zu uns zurück; laſſe Scham
[563] und Schande, und der Leute Wunder und Tadel! (Ich weiß,
welche Krankheit ich ohne Cholera, von ihrer Luft, ein Jahr
ausgeſtanden. Gott ſelbſt kann das nicht verlangen.) Die
Koſten habe ich für dich zu liegen: es erfährt es kein
Menſch
: mein einzig Glück! für alle meine Leiden, die
nun wirkliche Beklemmungen!!!! geworden waren: laß
mir das.


Ich bin noch ſo hinfällig, daß aus eignen, meinen per-
ſönlichen Mittlen kein baldiger Entſchluß zur Reiſe mit Tha-
ten und ſelbſtgemachten Anſtalten von mir herkommen kann.
Kommt die Cholera nicht, ſo komme ich. Eliſe nur macht,
daß ich nicht gleich komme; den Schmerz erträgt mein Krampf
links noch nicht. Die Barbaren alle. Keiner weiß was ich be-
darf. Schelten können ſie mich: und Gott leidet es. Korri-
giren
will man in meinem Hauſe einen Erſtickenden! Amen!
dies in einer andern Welt, unter andern Lebensbedingungen.
Ich kann nichts berichten; ich ſehe nur die paar Leute, die
mich noch Abends beſuchen wollen: und das auch erſt ſeit drei
Wochen: ich litt unendlich Aber das iſt ſo unnatürlich, daß
man’s vergißt. Adieu liebe Freunde! —


Fürchteſt du dich in Baden, ſo können wir uns auch
außer hier Rendezvous geben: es ſoll zwiſchen Dresden und
Meißen ein reizendes, unbeſuchtes, wohlfeiles Bad mit gutem
Eſſen geben.


36 *
[564]

An Ludwig Robert, in Baden.



Helles, heißes Nordoſtwetter. Schönſter Mondſchein
Abends: dann gutes Wetter. Um 6 größter, mir
ſchädlicher Nebel. Alles grün. Mandelbäume blü-
hen bei Bartholdy’s. Blau von Veilchen.


Den 4. März bekam ich deinen Brief, worin du mir das
Quartier bei dir zuerſt anboteſt. Ich war ſehr krank damals,
und anwortete den 6. März, daß ich es in jedem Fall, wenn
auch nicht für mich, doch für dich nehme. Darauf erhielt ich
keine Antwort: und ſchrieb alſo, den letzten Donnerstag vor
acht Tagen, dringend um eine. Darauf erhielt ich auch ſehr
richtig, geſtern die eurige. Es freut mich, daß du dich nicht
ängſtigſt. Und wo man iſt, iſt gut bleiben, wenn ſolches
Thier von Krankheit wüthet. Jedoch gedenk’ ich noch zu kom-
men, zu reiſen. Es ſieht ſo aus: auch äußere ich oft, als ob’s
ſo wäre: ich bin aber nicht mein eigener Herr: darf das nicht
ſagen; und muß in krümmendſter Vernunft noch das Anſehn
haben, und mir ſagen laſſen, daß ich verrückt in Plänen,
Wünſchen, und Leben bin. Amen! Gott ſchickt es mir: ich
will es hinnehmen, in’s Herz ſchlucken. Alſo es bleibt dabei;
wie ich neulich ſchrieb. Komme ich; iſt es gut. Komme ich
nicht: muß es auch gut ſein. Jetzt bin ich ſehr affizirt: ich
habe mich müſſen ſchelten laſſen; à soixante ans, et malade.
Ich gehe in mein Bad, und hätte euch nichts ſollen merken
laſſen!! Aber ich kann es auch nicht immer verbergen. Je-
doch iſt es anders, wenn ihr dieſen Brief leſet: und ſchon
[565] bald
. Gott ſchütze uns! Geſtern Abend war Geſellſchaft hier:
ein ziemlich munterer Abend für Alle: ich, hatte dabei nichts
zu holen: bin aber mit der Andern Zufriedenheit zufrieden.
Jetzt habe ich geſchrieben, weil nach dem Baden es nicht
geht. Sonſt wäre es auch anders ausgefallen. Braun iſt
ſehr wohl und vergnügt, und beſucht mich: erſt ganz kürzlich:
geſtern aß er bei Moritz. — Alſo Börne in Straßburg! Gräß-
lich behandelt er Goethe. Mir gleichgültig. Schelling ſprach
ſchön über ihn in der Allgemeinen Zeitung. Adieu.

Eure F. V.


An Adolph von Williſen.



Leſen Sie ja — wie dumm ausgedrückt! — in der Revue
encyclopédique
Seite 17, 18 bis 20, 21 bis 31. Auf dieſen
Seiten ſtehn die gelungenſten, derbſten, lebendigſten Wahrhei-
ten. Wie geſunde Jungen, im beſten Moment erzeugt: ſtreite
man ihnen ihr Leben ab. Schlagen muß man ſich mit ihnen:
getödtet wird man, wenn man ſie tödtet. Welch Tableau! —
der Zuſtände! Wie nur geſagt, was wahr iſt: kein Raum,
zu keiner Widerrede, als zur dümmſten: die auch der Frecheſte
nicht mehr bei der Hand haben wird. — Wie ein großer nai-
ver Arzt: der da am Körper, am geöffneten, zeigt: „Hier, an
der Leber z. B., iſt das Übel, ſo theilt es ſich den übrigen
Theilen und Funktionen mit; bis zum Herzen. Dies muß
dagegen geſchehn: hier hilft kein Läugnen mehr, jeder Lebens-
theil leidet, ſo und ſo, mit.“ So zeigt er auch ihnen die
[566] Dummheit, daß ſie ſagen: „Ja, leidet die Leber, ſo kommt’s
auch an’s Herz zuletzt.“ — „Ja; ſagt er, das iſt nicht der
große Witz: befreit die Leber; das iſt euer Geſchäft, Herren
Eſels!“


Wie vortrefflich alles Angeführte der Schriftſteller! Wie
vortrefflich die Geſchichte — die arme, ſtillhaltende Geſchichte!
— angeſehn. Wie der den Cato und Cäſar ſtellt: und die alten
Zuſtände. Wie klar, wie gelaſſen, wie ohne Geſchrei. Wie
beſcheiden, wie dringend; unabweisbar. Es iſt nicht möglich,
daß alle Tage ſolches in die Welt hinausgeſchickt wird, ohne
allgemeine Überzeugung zu werden. Nur wiederholt, Men-
ſchenfreunde! wiederholt! Wie ſie, jene, ihr Elendes wieder-
holen. China ſind mir dieſe Schriften, dieſe Worte; dieſes
Behaupten; in der Wüſte, in meiner Schwäche, die ich
als poſitive Ohnmächtigkeit fühle. China: Riecheſſig! Adieu!


F. V.


An Adolph von Williſen.



Sie ſind mir nicht zugedacht; ich nehme auch das auf
meinen Nacken; da ich mein Haupt ganz beuge; aber nur
gegen den Allerſtärkſten, und Einzigen, der alles iſt. Nicht
gegen einzelne Armeekorps, oder gar Kapitaine — ich meine
auf Ehre nicht Sie — noch gegen die größte ſchönſte Fürſtin,
anders, als in nachgebender Liebe. Geben Sie gütigſt die
Tieck’ſche Novelle unſerer holden Gräfin mit meinem Dank
[567] zurück. Welche loſe, bequeme Erfindung: wie gar die Ver-
hältniſſe darin nicht auf dem Piedeſtal, woraus die Bürger-
welt beſteht, die wir Alle kennen, die uns Alle hemmt; in der,
und auf der alles, was Weltleben iſt, vorgehen muß (wenn
es nicht leer und willkürlich erſcheinen ſoll), und uns einzig
zu Betrachtungen anreizt, die alle große Autoren uns zu ma-
chen zwingen, weil ſie ſich wahren Boden nehmen; auf dem
genug zu phantaſiren iſt; er ſelbſt aber muß nicht phantaſirt
werden; außer ab ſichtlich, etwa um uns ernſt ein Vorbild zu
zeigen, wie es zugehn ſollte; oder uns lächlen zu laſſen, oder
uns zu empören; wie es zugeht. Hier konfundiren ſich On-
kel und Neffe, die in der erſten und zweiten Generation nicht
aus dem Reiſen, dem Mondſchein, der Verhältnißloſigkeit,
und dem Geldüberfluß kommen; und aus dem Raiſonniren
über Goethe, und dem unerfüllten Beſtreben die Natur zu
empfinden, und dem Leſer dies mit Bröckelchen darzuthun,
wovon nicht Eines die Macht hat, uns ſolchen herrlichen
Gegenſtänden einen Moment näher zu bringen: dieſe Ohn-
macht erinnert ihn wohl an Goethen! Stumm hätte ihn das
kleinſte Lied von dem angeführt machen ſollen. Packt und
ſchüttelt ihn denn ſolches gar nicht? Nur abführen thut es
ihn? (Abführen, iſt hier glücklich! — in den ſchwachen
Gedärmen.) — Von der Liebe, und ihren Gegenſtänden den
Mädchen, gar nicht zu ſprechen! Und der arme Mondſchein,
der da Monate lang eingefangen iſt; und der gar keinen
Süchtigen ſchafft; nur Tieck einen Buchtitel gnädigſt lie-
fern muß. O! Lob’ er nur Goethe nicht nachträglich; und
dann novellire er ſo viel man ihn nur immer leſen mag! Die
[568] kleinen Schönheiten mag ich ihm nicht beſonders nach- und
anrechnen. Die hat er mit allen jetzt gemein: Einer ſo, der
Andre anders: und bei ihm liegt ſo etwas noch beim Tint-
faß umher.


Hier aber haben Sie Globes. Le pain quotidien, welches
man haben muß. Sie werden durch meine Striche und Worte
ſehn, was ich für ſchön, ſchön geſagt, und wichtig finde; aber
nicht, wie erſchütternd, auch zerreißend, auch beglückend es auf
mich wirkt: es trifft einen ganz lebendigen, geordneten Vor-
rath in mir an. Ich litt nicht allein, aber mit allen Men-
ſchen: und unendlich: vielleicht einzig. Jeden Menſchen hat
Gott zum Virtuoſen beſtimmt: ich habe — ganz gewiß —
meine Kunſt völlig geübt. Auch intereſſirt mich nichts ganz,
als was die Erde für uns beſſern kann: ſie und unſre Hand-
lungen darauf.


Heute bin ich gewiß zu Hauſe: morgen auch. Freitag
im Königsſtädter. Vertreten Sie mich bei Gräfin Y., der die
Novelle gefällt!


Ich muß noch einen Globe endigen: bald ſollen Sie ihn
erhalten. Meine ganze Nahrung. Aber welchen Durſt und
Hunger hatte ich auch: und wußte genau, wer und was mir
die Lebensmittel vorenthielt: aus bloßem Hunger; wie ich al-
les erfahre. Aber Sie: ſtrotzen von Undank, und bleiben
weg. Nun will ich Einmal heute ſehn! Emilie ſoll ich auch
nicht ſehn. Dabei laſſe ich es nicht.

F. V.


[569]

An Ludwig Robert, in Baden.


(Ludwig Robert verlangte ſein in Berlin zurückgebliebenes Exemplar
der Kämpfe der Zeit nach Baden nachgeſchickt. Rahel ſandte es,
und ſchrieb unter die Zueignung an Fichte’s Geiſt vorher noch
dieſe Grußworte ein:)


Mit großer Erſchütterung, und tiefſter Zuſtimmung las
ich eben jetzt — 10 Morgens — dieſe Zueignung: du weißt,
welches Blatt ich dir neulich mit den Worten „es ſei eine
Amplifikation Fichtens“ empfahl. Täglich gedenke ich alſo
dieſes Helden von Gemüth, und Forſchung. Er lebt; in je-
dem Fall doch ſchon in uns beiden. Ein wahrer Vermittler.
Wie mir, auch St. Simon. In Noth wende ich mich an ſie:
und komme zu mir. Zu Ergebenheit: und dann iſt’s, daß ich
ſage: „Gott iſt klüger.“ Auch habe ich dieſe Nacht ausführ-
lich von Goethen geträumt. Wofür ich ſehr danke. Lange
ſchon träumte mir auch nichts Schönes!!! Dieſen Gruß
ſchreib ich: Sonnabend den 28. April 1832. Ein erneuerter
Bund.

Rahel.


An Karl Schall.



„Riskiren“ Sie nur! Ich bin zu Hauſe: auch heute.
Unverhofft liebe ich ſehr. Übrigens konſervirt uns ja Frühling
und Sommer immer Winterabende; es hat ſein Gutes; wenn
die Freunde nämlich kommen wollen. Im ſchönſten Sommer
[570] können meine Zimmer durch Luft und Duft von Bäumen und
Blumen — ganz gartenartig bereitet werden; Mond, alles
ſcheint hinein. Auch ich ſchwöre bei den Göttern — nein!
Gott — Abrahams, daß uns die Revue encyclopédique nicht
gehört, und daß ich ſie noch nicht beendigt habe: aber, daß
ich gewiß dafür ſorgen werde, daß Sie ſie erhalten! Nichts
iſt mir ſo wichtig, als Einpflanzungen auf bereitetem Boden;
das giebt neuen Samen! Ich bin die tiefſte Saint-Simoni-
ſtin. Nämlich; mein ganzer Glaube iſt die Überzeugung des
Fortſchreitens, der Perfektibilität, der Ausbildung des Uni-
verſums, zu immer mehr Verſtändniß, und Wohlſtand im
höchſten Sinn; Glück, und Glückbereitung. Sein Sie alſo
meiner Befliſſenheit gewiß, Ihnen alle Lektüre, die ich für
weſentlich halte, zu ſchaffen: und kommen Sie je nächſtens
je beſſer.

Fr. Varnhagen.


An Frau von Ephraim, in Wien.



Sie werden ſich freuen, herzliche, treue Freundin, meine
Handſchrift zu ſehen, wie ich mich vorgeſtern freute, als mir
Mariane ſchrieb, daß Sie ausgefahren waren. Wir können
uns alſo noch ſehn; noch ſprechen, noch ſchreiben, noch von
einander wiſſen. Ich triumphire. Wir waren Beide ſehr
krank; ich bin noch nicht wohl; und ſchreibe mit Nachtheil,
aber jetzt mit Vergnügen. Thun Sie ſich nur recht viel zu
Gute! Leben Sie nahe den ſchönſten Bäumen. Seit mehre-
[571] ren Jahren fahre ich nur nach Schöneberg ſpaziren: und je-
desmal begrüße ich laut Ihr Haus. Meine Klein-Nichtchen
kennen es ſchon. „Frau von Ephraim ihr Haus“ ſage ich,
vielleicht zum Erſtaunen der Andern. Es iſt ein Gruß, ein
Segen, ein Andenken! Nie ſehe ich einen ausgezeichneten
Baum allein; immer laut mit Ihnen. Welcher Verluſt, von
ſeinen eigenſchaftsvollen Freunden getrennt zu ſein! Wo iſt
Dienſtfertigkeit, Kinderbeſcheidenheit, Einſicht, ewige ſonnen-
blickende, alles belebende, ermunternde Laune, die keines Witzes
bedürfte, und ihn nur ewig bei Ihnen von ſich zu werfen
hat; wo iſt Feinheit, altadlige Artigkeit, Betragen zu und
für alle Menſchengattungen, Wirthlichkeit in größter Eleganz?
Wo iſt eine Ephraim, ſeit Sie weg ſind? und tauſend Ge-
ſpräche, die ich nur mit Ihnen haben konnte: dieſer Blick-
und Wortwechſel! Ach mit jedem entfernten Freund geht ein
Stück Leben von uns ſelbſt weg! Ich habe zu viele, zu
herrliche
, durch Tod und Trennung verloren! Faſt ſtehe ich,
rauhem, fremdem Wind ausgeſetzt, entblättert da. Gott ſoll
aber meine Klagen nicht heimſuchen; und mir den Reſt laſſen!!!!
Ich hörte genau von Marianen, wie ſchön es in Wien bei
Ihnen iſt: und dies verſüßte mir mein Leben hier. Es iſt
ein Glück, mit einer vortrefflichen Tochter als Mann und
Frau zu leben! Mögen Sie’s Beide allſeitig erwägen, und
ſchätzen! Dabei, daß Sie es tief und glücklichſt empfinden.
Aber wie machen wir’s, daß wir uns ſehn? ein Stück zu-
ſammenleben? Haben die witzigen Dämonen nicht nun die
Cholera erfunden; als Contrecoup gegen Chauſſee, Dampf
und Eiſenbahn? Konnte man vorigen Sommer weg, kann
[572] man es dieſen? Nicht aus Beſorglichkeit: aus Schwäche und
Krankheit muß ich bleiben, ſo hat mich die Einwirkung dieſer
Krankheit, ihre Luft, dahingenommen. Paix là-dessus! Ich
käme nach Wien zu meinen Freunden; zu Ihnen. Das ſind
meine Vatikans, meine Bildergalerien, meine Schweizerberge,
die ich beſteigen will. Vielleicht lebe ich künftigen Som-
mer noch. Vielleicht bringt auch dieſer mich noch hin. Jetzt
nur bin ich noch nicht recht reiſefähig. Ich bin ſtolz darauf,
daß wir Beide geneſen ſind: wenn ich mich freue, fühle ich
mich immer ſtolz. Iſt das unnatürlich? unrecht? Ich weiß
nicht recht. Wie lange hatte ich dieſen Liebesbrief ſchon auf
dem Herzen! Und doch wohl läge er ohne eine äußere Ver-
anlaſſung noch wohl darauf. Mlle. F., eine angehende Sän-
gerin, bringt ihn Ihnen. Beſchützen Sie ſie, à la Ephraim!
Sie iſt voller Talent, nur noch nicht das, ſich geltend zu ma-
chen. — Ihnen ſteht in Wien alles Gute zu Gebot, obenan
Ihre Schweſter, Ihre Nichten! Bitte, bitte! dieſe Damen
alle!!! auch meine Freundin Fr., die ich hier tauſendmal herz-
lich umarme: auch ſie kommt nicht hierher, ich muß hin! Auch
Sie, liebe Henriette, nehmen Sie ſich der jungen unſchuldigen
Fremden an: wie Sie es können, und ſie iſt für Wien und
für weiter geborgen. —


Nun, theure Freundin, erlauben Sie mir, Ihnen eine
Anekdote zu erzählen. Vor mehr als zwanzig Jahren ſollte ein
Akteur in Nürnberg den Marinelli als Gaſtrolle ſpielen. Es
ſchlägt ſechs; das Publikum pocht, es ſoll angehen: ein Vier-
tel, es geht noch nicht an: halb! der Mann tritt in habit
habillé,
den Degen an der Seite, heraus, ein Paar Schuhe
[573] in der Hand. Es wird ſtill. „Sehen Sie, meine Herren, ich
habe Schuh; aber jetzt hab’ ich ſie erſt bekommen, und nun
kann ich ſie nicht anziehen, ſie ſind zu eng!“ Applaudirt.
Das Stück geht an. Nun komme ich. „Ich habe fein Pa-
pier, aber ich kann nicht darauf ſchreiben.“ Applaudiren Sie
mich: ich habe die Schuh in der Hand: ich ſchicke Ihnen das
feine Papier; hier iſt’s! Sur cela je vous dis le bon jour;
je vous embrasse!
Mit der alten Liebe!

Ihre treue alte
Fr. V.


Milder als Mairegen ſind Kinderküſſe. Roſenduft, Nach-
tigallton, Lerchenwirbel, — Goethe hört’s nicht mehr. Ein
großer Zeuge fehlt. —



An Karl Schall.



Da unſre Urtheile über Kunſtleiſtungen ſo oft übereinſtim-
men; und dem ſittliche Motive und Einſichten immer zu Grunde
liegen, ſo ſchicke ich Ihnen die zwei Hefte. Leſen Sie darin
„aus den Denkblättern einer Berlinerin.“ Als Fouqué dies
Journälchen anfing, drang er ſehr in V., ihm etwas dafür
zu geben: der fragte mich, ob ich wohl dieſe Sprüche dazu
benutzen laſſen wollte: ich fand nichts dagegen; manches da-
für. Sie werden ſehn, in wie verſchiedenen Zeiten ſie aufge-
zeichnet ſind: dicke große Hefte exiſtiren noch ſo, das Meiſte
[574] aus wirklichen Briefen; manches gedruckt — ſteht zu Be-
fehl. — Daß all dieſem eine ununterbrochene, junge, und alt-
gewordene Selbſtthätigkeit zum Grunde liegt, kann Ihnen
nicht entgehn; der Sie auch ein fleißiger Bauer — cultiva-
teur
— ſind; nur ermeſſen Sie, wie es mir bei meinen Näch-
ſten vorkommen muß, die von je her, bei jeder einzelnen Äu-
ßerung machen, als hätte ich rein nichts, oder Willkürliches,
oder Unſinn, oder nur Mißwilliges geſagt: die gar nicht mer-
ken, wenn ihnen etwas Neues entgegen kommt; ſich in Er-
ziehung, Sittlichkeit, Kunſt, und Leben aller Art, lächelnd
mir voraus glauben; und nur im leeren Ganzen nicht
abläugnen
, ich ſei eine kluge Frau, oder geiſtvoll. Wäre
das hier perſönlich gemeint; nämlich, daß ich mehr geſchätzt
ſein will; ſo werden Sie glauben, daß ich klug genug wäre,
mich deſſen Äußerung hier, ſchriftlich, und überlegt, enthalten
zu können. Daß aber Gedanken, Behauptungen, Beweiſe
keinen Eingang finden, wenn man ſich doch Einmal auf die
Bahn ſtellt, wo ſie geführt werden, iſt nicht zeitslebens
auszuhalten
: noch ſich zu ſtellen, als ob abgedroſchenſte
Trivialitäten uns unterrichteten. Dies diene zum Verſtänd-
niß, und zur Entſchuldigung manches Zorns, wo er nicht er-
ſcheinen ſollte! Antworten Sie mir ja nicht! während Ih-
rer Arbeitſtunden! Und geben Sie dieſe Hefte nicht aus den
Händen! Ich habe keine andre. Und ſehen Sie die Taglioni
wieder, ſo geben Sie Acht: comme elle fait main; et même
doigts. — Sans rancune quelconque.

Adieu. F. V.


[575]

An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Voller Beſchämung erhalte ich die huldvollen Zeilen, das
aromatiſche Geſchenk! In tiefſter, ſehe ich Ihre geduldige
gnädige Einladung an, verehrte Frau Fürſtin! Längſt wäre
ich in Muskau, wäre ich nur irgend apt und brauchbar! —
abwarten muß ich mich, und meine verrückten Übel, die nicht
Stunde nicht Regel halten! Auch Sie ſind leidend, auch der
Fürſt. Unzählige Bekannte. Die Atmoſphäre iſt krank: dies
bezeugen die Zeitungen über Wien, Madrid, Neapel, Rom,
London, Paris. Allenthalben Schnee, Wind, Kälte, Abwechs-
lung! Um die Erlaubniß werde ich bitten, Ihro Durchlaucht
beſuchen zu dürfen, und nicht Einladungen abwarten: es iſt
ja ein brillanter Wunſch von mir, im idealiſchen Muskau un-
ter Ihrer Protektion zu athmen. Ich athme eben nicht: au
pied de la lettre.
Geſtern war ich zum Spott bei Ruſt im
Thiergarten: ich ganz allein in einem Salon, während Alle
draußen waren; und als die Andren kamen, war ich dem Er-
ſticken nah; weil ich mit Spontini’s war, und nicht gleich al-
lein weg konnte; weil er noch eine Arie hören mußte unver-
muthet. Zu keiner Geſellſchaft, zu keiner Fahrt bin ich brauch-
bar: meinen Freunden zur Laſt. Bin ich nur wieder menſch-
lich: ſo melde ich mich gleich bei meiner beſten Gönnerin!
Geſtern hatte Varnhagen eben dem Fürſten geſchrieben, als
Ihre Sendungen ankamen. Freilich habe ich in der Beer’ſchen
Loge Mlle. Taglioni geſehen, eine Sylphide. Sanft, weich,
[576] intelligent, liebend, liebend, liebend! die Mienen, dies An-
ſchmeichlen aus Zärtlichkeit! vortrefflich! mais elle fait main;
même doigts;
wozu hat ſolche Künſtlerin das nöthig!
Franzöſiſche Schule; Salons-Nähe: Entfernung der Antike,
heißt: gereinigter Natur. Italiäniſche Schule verſtößt dage-
gen nicht. Aber eine Kleinigkeit! Wüßte ſie es nur. Den-
ken Sie ſich, Frau Fürſtin, ich ſehe heute wieder die Sylphide:
bloß um die Billets, wegen ein anderesmal, nicht zurückwei-
ſen zu wollen. Aber gleicher Erde, zweite Loge vom Theater.
Sonſt unmöglich!


C’est jouer de malheur, daß Fürſtin Adelheid herkommen
ſoll, wenn Sie weg ſind!!! Ich ſelbſt mit allen meinen Wün-
ſchen kann nicht zur Wiederherreiſe rathen. Aber wären Sie
da! Göttlich. Mit einemmale da! Bei allem Mißlingen
hofft meine ewig närriſche Seele doch immer das Unglaub-
lichſte. Wir laſſen nicht vom Glück! Es iſt unſer Element,
und auch der Wechſel auf das ſelige Leben ausgeſtellt: ein
Stück Religion: Zuſammenhang mit dem Höchſten. Kröne
uns Erfüllung für’s erſte, mit ſchönen Tagen, noch dieſen
Sommer, in Muskau! Ihre wahrhaft ergebene, und vereh-
rende

Fr. Varnhagen.


An Leopold Ranke, in Berlin.



Ich kann, ich darf dieſen Tag nicht vorbei laſſen, ohne
Ihnen zu ſchreiben.


Wie
[577]

Wie falſch, wie ſchief ſagen wir alles, was wir aus-
drücken wollen; nichts kann auch verſtanden werden, wenn es
der Andre nicht vorher weiß. So können Sie nicht wiſſen,
daß ich meinen verſchwundenen Freund nur dann, nur deß-
halb liebte, wenn er recht etwas Kindiſches ſagte, oder that.
Da liebt’ ich ihn; deßhalb wiederholte ich es, daß er ſagte:
er ſei ſo glücklich in Prag der Erſte zu ſein, daß alle oberſte
Behörden, große Damen, und Herren zu ihm ſchicken müßten!
etc. mit entzücktem Lächlen, und in die Augen Sehn! So
klug, dies zu verſchweigen, iſt jedes erzogene, verlogne Vieh:
aber wer hat die hingebungsvolle Seele, das liebe Kinderherz, es
zu ſagen? Seine Perfidien — er übte ſie reichlich, gegen
mich
— ſind anders, als der Andern ihre: er gleitete wie in
einem Glücksſchlitten fliegend auf einer Bahn, auf der er
allein war; und niemand darf ſich ihm vergleichen; auf die-
ſem Wege dann, ſah er, nicht mehr wie auf der Erde, weder
rechts, noch links: hatte er Schmerz, litt er Widerſpruch, dann
war er nicht mehr auf dieſer Bahn; und dann verlangte er
Hülfe und Troſt; die er nie gab. Keiner aber darf dies wa-
gen, und doch liebenswürdig, und liebenswerth ſein. Unge-
ſtraft ließ ich’s ſo lange er lebte, nicht hingehn. Nun aber,
beim Facit, bleibt mir nur reine, lebendige Liebe. Dies ſei
ſein Epitaph! Er reizte mich immer zur Liebe: er war immer
zu dem aufgelegt, was er als wahr faſſen konnte. Er ergriff
das Unwahre mit Wahrheitsleidenſchaft. Viele Menſchen muß
man Stück vor Stück loben: und ſie gehn nicht in unſer
Herz mit Liebe ein; andre, wenige, kann man viel tadlen,
III. 37
[578] aber ſie öffnen immer unſer Herz, bewegen es zur Liebe. Das
that Gentz für mich: und nie wird er bei mir ſterben.


Übrigens glaube ich jetzt, wir werden nach dem Sterben
von einander wiſſen: oder vielmehr, uns zuſammen finden.
Dies geſagt, grüße ich Sie, und bin überzeugt, mein Schrei-
ben freut ſie.

Fr. Varnhagen.


An Michael Beer, in Berlin.



Sehr gerne, lieber Herr Beer, hätte ich Sie über „Hand
und Schwert“ geſprochen! Ich habe, wie bei Varnhagen und
Robert, wenn ich von ihnen etwas nachſehe, Kreuzchen ge-
macht; bei allen ſchönen Stellen: + ſolches; bei zu ändern-
den ≠ ſolches. Eine muß geändert werden: da ſteht ſolch
≢ Zeichen.


Ich bin für das Stück: ſchon daß es innerlich, und un-
ter Wenigen; und ohne Volk und Lärm — großes Bedürf-
niß, dringendes jetzt — in Opern und Stücken! — Die
Portici iſt mir ein Gräuel: mit dem ambulanten Fiſch-
markt; und den legitimen Krämpfen zuletzt; und der willkür-
lich-unnützen Stummen; und den inspirations préméditées!
und mit ſeinem auf Effekt Arbeiten. — Und nicht, wie mir
erzählt ward, nur zuletzt kommt Anno 15 in Ihrem Stück
vor; ſondern, es iſt das Element, in dem das Stück ſich be-
wegt. Geweint habe ich ganz zuletzt, bitterlich: über das,
was der General ſagt. Und nicht überflüſſig iſt der fünfte
[579] Akt: höchſt nothwendiges Haupt des Stücks: als edel-
ſtes Organ zuletzt gemacht. Wie verkehrt ſehen doch die Leute
ein Kunſtwerk an! — Mehr appüyirt, hätte ich gewünſcht,
wäre auf der Ehre Irrthümer, in der Liebe, geworden! für’s
Volk. — Ich finde es ein edles reines Werk. Vielleicht ſpreche
ich Sie noch im Theater: ich bin neben Heinrichs Loge. Er-
gebenſt und dankend Fr. Varnhagen. Glücklichſte Reiſe! Ver-
geſſen Sie mein Schlößchen, meine Briefe nicht! Nächſtens
leſen Sie eine lautere Kritik! Gedruckt.


An Ludwig Robert, in Baden.



Schlagsregen, nach anderm vielen und ſchlechten Wetter.


Es iſt meine Pflicht, theurer Religionsbruder, dir zu ſchrei-
ben. Ihnen! Freundin Rike! Es ſchicken zu viel Menſchen zu
mir; ihr könntet eine falſche, eine halbe Nachricht hören. Von
der Nacht des Freitags zum Sonnabend rettete mich ein Ader-
laß. Was ich vorher litt, bleibt ein ewiges Geheimniß zwi-
ſchen Gott und mir. Auch kann ich es jetzt ſchon lange nicht
mehr im Kopf zuſammenkriegen. Schlechtes iſt ſcheinbar:
unnatürlich. Gott war mir in Gedanken gnädig. Dank ihm:
mit Einſehn. Arbeite immer an dir: ſo ſchaffen wir uns wei-
ter; erſchaffen meine ich. (Es gießt nur ſo!) Es freut mich,
daß ich leben geblieben bin: mit euch Allen. Ich habe ſchon
ſeit der Zeit unendliches Vergnügen gehabt. Ich fühlte
wahres Glück. Wenn Varnh. freundlich ſein kann, bin ich
37 *
[580] völlig glücklich. Meine Freundin iſt mir ein Segen! „Der
Gott und die Bajadere“ iſt nur darum ſo ſchön, weil er lehrt,
wie wir ſehn ſollten. Ich kenne die andern Damen: und
ſehe jetzt dieſe wieder. Seit vierzehn Tagen ſchlafen Eliſe und
Pauline bei mir, weil das Wetter ſie Alle aus dem Garten
trieb, und ſie nicht alle Betten herein nahmen, um wieder
hinaus zu ziehen. —


— Mich unterrichtete Gott durch fünfzehnmonatliche Lei-
den: ſeit dem März vorigen Jahrs!!! Ich bin glücklich: und
wir ſehen uns wieder. Grüßt meine Nichte, und Henriette
vielemale; und Marie und den Menſchenfreund. L. iſt ſehr
ſehr freundlich gegen mich: unterſtützte mich ſehr mit den ſchön-
ſten Erdbeeren, (alles gedeihet: nur nicht der Menſch) —
(Eben kommt Eliſe in mein Bette zu Füßen. Glück, Glück,
Glück!) und ſchickt mir Emil Mittwochs und Sonnabends
zum Diné und den ſchönſten Ausflügen. Blumengarten, ꝛc.
Ein Prachtjunge! wie vier und wie achtzehn Jahr. Lebt wohl,
ſeid vergnügt! Wenn ich nur nicht zu ſtolz werde! Faſt hätte
ich geſagt: ein guter Dämon iſt mir beigegeben: bei meinen
nie geleſenen Leiden in der Welt. Jetzt hatte ich einen Zeu-
gen
: meine Freundin. Höchſtes Bedürfniß. Adieu, Kinder!
Wir wollen gut ſein; und immer beſſer werden. Eure Rahel.


Grüßt alle Beers; Herren, und Damen. Und Wilhelms.
Keiner weiß, daß ich ſchreibe: wegen Schelte. Eliſe will ab-
ſolut, daß ich ſchreibe: die Kinder waren geſtern bei Nernſt’s.
Moritzens und Fanny ſind ſehr wohl. Schreibe mir ein Wort:
nicht Rike! —


[581]

Von allen Autoren, die ich kenne, hat keiner einen grö-
ßeren, reicheren, inhaltvolleren Gedanken ausgeſprochen, als
Saint-Martin; durch die Worte: „Unſere künftige Glückſe-
ligkeit wird darin beſtehen, daß wir jeden Augenblick et-
was Neues erfahren werden.“ Dann auch nur werden
wir befreit ſein, und am Erſchaffen Theil haben. Jetzt
müſſen wir nur wiederholen, in Variationen auf derſelben
Beſchränkung: gewiß Folge einer Wahl; und Bedingung;
dieſe aber ſchließt Vollkommenheit, alſo wirkliches, nothwen-
diges Glück aus. Sonntag, noch in meinem Krankenbett, den
29. Juli 1832. 10 Uhr Morgens, Saint-Martin iſt mein
größter révélateur.


An Mariane Saaling.



Fürchten Sie nichts, gute Freundin! Sie können mich
ſehn: aber niemand muß davon wiſſen; ſonſt kommen Prä-
tenſionen. Sie liebes Mädchen will ich wegen der Perſon ſpre-
chen, die ich zu Michaelis nehmen wollte, aber nicht neh-
men werde; ihr Schade wird es nicht ſein.


Auch habe ich Appetit Sie zu ſehn. Liebe Religions-
ſchweſter! Ewig in Gottes Güte zuſammen! Rahel. Um
6 Uhr iſt eine ſchöne Stunde.


[582]

An Henriette Solmar, in Baden.



Noch mit Pflaſter und Verband auf dem Rücken, aber
doch im Begriff auszufahren. Zweideutiges Wetter. Ich grüße
dich, als Auferſtandene, liebſte Henriette! Dich und die mei-
nigen: Roberts antworten mir weder auf Briefe durch B.’s
noch auf einen mit der Poſt. Ich ängſtige mich aber doch
nicht: ſie werden wohl Recht haben! Eine Gelegenheit ab-
warten; oder dergleichen. Gerne hörte ich Spontini’s Feſt-
marſch übermorgen! oder machte ſonſt das mir wichtige liebe
Feſt mit. Ein König, unter dem wir leben, iſt gradzu ein
Blutsverwandter. Von je war ſein Glück und Unglück unſe-
res: ſeine Ambition, unſre. Und ein braver König fühlt ge-
wiß auch ſo für uns Landsleute alle. Man giebt ihm Vor-
ſchub und Reſpekt wie einem Vater: und er uns Allen, Liebe,
Sorge, Nachſicht, wie an Kindern. Wenn die einmalige
Situation richtig
wirkt. Sei ſo gütig, liebe Freundin,
inliegenden Brief ſicher ſchleunig zu beſorgen. Die Deinigen
ſind wohl.

Deine Rahel.


An Auguſte Brandt von Lindau, in Volkſtädt.



Endlich ſchönes Wetter.


Dienstag den 6. überreichte man mir Ihren Brief, liebe
Freundin, mit vielen andern: die man mir in vier Wochen
[583] nicht geben konnte. Ich war in Todesrachen; er käute mich
ſchon, er hat mich zurückgeſpien. Jahrelange Beklemmung —
ich kann ſagen vernachläſſigte, — ward den 7. Nachts ſo,
daß ich von Bett auf Stuhl, von dem auf die Erde ſank
und in Agonie lag. Um 3 Uhr Nachts ein Aderlaß. Zu mir
gekommen. Noch ſehr krank. Und alsbald bildete ſich ein
andres Übel auf den Rückenwirbeln. Geſchnitten; gefährlich:
das erſte wußte ich nicht vorher, das zweite erfuhr ich her-
nach. — Große, lange Leiden: mit noch andern dazu. Seit
acht Tagen fahr’ ich aus. Mein Bruder Ludwig Robert ant-
wortete mir nicht, dem ich nach Baden-Baden, wo er wohnte,
hingeſchrieben hatte! Fragen; Zweifel: ſie, wußte ich, war
ſehr kränklich; und Dienstag endlich ſagt man mir, er ſei
todt. An einem Nervenfieber; den 5. Juli. Worte ſind blaß.
Schweigen heißt Reden. Mein Religionsbruder. Jede Über-
zeugung theilten wir. Jeden Gegenſtand der Intelligenz und
des Lebens haben wir durchgemacht. Erzogen habe ich ihn,
gepflegt; in allen Stücken. Ein beſſeres Stück Jugend-
leben liegt auch von mir in Badener Erde. Gott wollte es:
er iſt klüger. Das war meine Konvaleszenz. Ich ſage, Gott
hat Recht; und weiß es. Ich bin ſehr gefaßt, und denke über
alles wie immer. Je ne suis pas gâtée. Wie ſchön ſind die
Worte von Goethe, die Sie ſchrieben: die einfachen. Wo ſind
all die Todten? — Mehr, theure Freundin, kann ich nicht
ſchreiben. Die beſten Grüße Ihrer ganzen Familie. Gott
ſchütze Sie für Krankheit; und laſſe Sie bei einander! —


[584]

An Roſe, im Haag.



Endlich, meine gute Schweſter, kann ich dir ſchreiben.
Der Tod, der mich ſchon käute — nach langem minder offen-
barem und ſichtbarem Krankſein für Andre — hat mich wie-
der weggeſpien — ſchrecklichſt! — und beim Erwachen iſt
Robert weg. —


Keine Worte ſollen gebraucht werden: jeder mit ſeinen
Gedanken kämpfen, und ſich mit denen und durch ſie verſöh-
nen. Ich habe ein großes Stück Leben, und von dem jüngern
dadurch verloren. Viel dachte ich, viel lebte ich mit ihm in
der Welt: hin iſt es; mit Keinem kann ich dies ſprechen,
behandlen. Und ein Gegenſtand meiner innigſten zärtlichſten
Liebe iſt mir entſchwunden! nicht mehr weiß ich, wie es ihm
geht. Kurz, es iſt der Tod, den wir nicht verſtehn, nächſt
dem Leben. Wenn es dir nur nicht ſchadet! Wenn du dich
nur nicht vor der Cholera fürchteſt! Ich hatte ein hartes
Jahr davon: nicht grad aus Furcht: aber aus Beſorgniß —
der Anſtalten, des Pöbels — und des Lufteinfluſſes. Laß uns
leben bleiben: wir wollen ſuchen uns zu ſehn; unſre Liebe zu
pflegen; ſo lange wir noch oben ſind; auf der Erde. Vier
ganze Wochen verſchwieg man mir den Verluſt. Ich bin beſ-
ſer in der Seele, als man, und ich denken ſollte. Ich dachte
meinen Tod nahe; und habe alles dies ſchon ſo lange be-
dacht: heißt vergeblich! Ich halte mich am Wunder der Exi-
[585] ſtenz überhaupt: iſt das möglich, wird das Unbegreifliche
noch begriffen werden. Man muß beſſer werden, gut ſein,
das iſt die Aufgabe.


Du wohnſt ſpazirartig, das iſt mein Troſt: haſt die rei-
zende Tochter vor Augen; und liebſt dein Land: Gott laſſe
dir das mit unerſchütterlicher Geſundheit für dich und
alle Deinen! Gott wird mich ſchon weiter ſchieben. Ich bin
in der tiefen Seele auch zufrieden. Robert fehlt. Ich fahre
alle Tage aus; auch ſchön und viel; lieber ſäße ich ſpaziren;
ſchätze aber unendlich, was ich dennoch habe. Ich ſehe die Kin-
der wenig. Aus ſchlechten Gründen; niemand pflegt ſie beſſer,
als ich. — Auch ein Tod für mich; man muß jeden hinnehmen.
Jede Treuloſigkeit der Freunde. Dies aber kann ich ſchon ſeit
Anno 13. Da hauchte ich in Prag den letzten Schmerz über ſol-
ches aus. Zweimal kann mir nicht dieſelbe Lehre gegeben
werden; wenn ich ſie Einmal faßte. Unſre hieſige Familie
iſt, dem Himmel ſehr Dank, wohl. Varnhagen grüßt euch
Alle herzlich! hat durch mich und Robert ſehr gelitten; und
muß arbeiten; ſonſt ſchrieb’ er auch: ſeine Stimmung dazu
iſt ganz hin. Ich bin elaſtiſcher. Grüße herzlich Karl, Louis
und ſeine Frau. Und ihre Mutter. Gott ſegne euch mit
Vergnügen und Geſundheit.

Deine treue Rahel.


Dore vous salue.


[586]

An Roſa Maria Aſſing, in Hamburg.



Meine theure Roſa! Sie werden es glauben, bloß ſchon
weil ich es ſage. Ich ſehne mich oft nach Ihnen; und hielte
es für ein großes Glück, wenn Sie in Berlin lebten. Ich
bedarf der edlen friſchen Freunde; die Ärnte, die Entblätterung,
war zu ſtark. Eine ganze Ärnte der beſten Freunde, der be-
ſten Menſchen, habe ich in anderthalb Jahren verloren. Par-
don
! daß ich dies ſchreibe: Verſtellung iſt jetzt am Ende, ich
bin zu ſchwach. Doch hoffe ich wieder, und auch auf meine
alten Kräfte. Ihr edles, ſtilles, konſequentes Weſen und Leben
bewundre ich immer; und auch darum möchte ich Sie in der
Nähe haben. Es erquickt und ſteckt an. Könnte mir nicht
ſolch Glück zukommen, nach ſolch beſonderm Unglück? Doch,
liebe Roſa, glauben Sie nicht, daß ich vergeſſe, daß der
Menſch nicht erkennen kann, was ihm frommt oder nicht:
aber ich wünſche Sie doch. Adieu! Der Platz mangelt.


Ich glaube Varnhagen hat mir mit Bedacht nur kleinen
Raum gelaſſen: er hat Recht; Schreiben erhitzt mich. Er-
freuen Sie uns, Liebe, mit Bildern Ihres Idyllenlebens! Ich
grüße Aſſing herzlich, und die lieben Kinder.

Ihre Rahel.


Nach Beendigung unſeres Schickſals haben wir gleiche
Gefühle wie vor Anfang deſſelben. Eine Art von vaguem
neugierigen Jugenddaſein, ein zum All gehöriges Daſein. Wenn
man ſich nun einmal hat verlieren müſſen, ſo iſt es ſchön,
[587] dieſe kleine Seligkeit, dieſe zweite Jugend noch auf der Erde
abzuleben, ſie auch nur zu koſten. Welch ruhevolles, genuß-
ergiebiges Daſeinsgefühl iſt es, gleichſam nur zur Atmoſphäre
gehörig, mit ihr und durch ſie zu leben; mit einem Geiſt ge-
krönt, der dies betrachtet; mit einem Herzen im Buſen, wel-
ches dies allen Mitgeſchöpfen verſchaffen möchte! Dann iſt
nur Geſundheit nöthig, die uns nicht trennt von der Atmoſphäre!
Ich erwarte mir in aller Ewigkeit, wie Saint-Martin, im-
mer neue Offenbarungen. Wie ſchwer aber gelangt man zu
ihnen! Wie lange bleiben ſie aus! Welche Schmerzen müſſen
wir durchmachen! Aber ich danke für das Schimmer-Tag!



Wieder nach einer, in einer harten Krankheit


An Erneſtine Robert.



Obgleich meine Nacht leidlich war, ſo wachte ich doch
öfters und bekam die größten Skrupel über Moritz Geſund-
heit. Ich bin ſo mißtrauiſch geworden! — Zwei Jahr ſelbſt
nicht mehr kränklich, ſondern ernſtlich krank: und —!!!! Es
kam mir mit einemmale unwahrſcheinlich vor, daß Sie in’s
Theater gingen, und ich glaubte Moritz krank, und Sie woll-
ten mich nur ſchonen. Ich bitte Sie, ſagen Sie mir auf
Ehrenwort, daß alles geſund iſt, und ich will es glauben.
„Das Alter macht mich ſchwächlich, ich bin gar ſehr ge-
brechlich
!“ Alſo pardon! Vergeſſen Sie, liebe Erneſtine, meine
Leinwand nicht!!! Ich möchte gerne für 15 Rtl. haben. Der
[588] feindliche Weihnachten naht. — Wäre es nicht ſo dunſtig
und ma santé si chancelante, ſo beſuchte ich Sie dieſen Mor-
gen. Ich habe Fanny noch nicht geſehen. —


An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Als ich geſtern vor dem Hauſe Ihrer Durchlaucht war,
um meinen ſtäten ergebenen Willen zu zeigen, mußte ich einen
ſchönen Schreck einnehmen! — Ich bin ſehr über Fürſt Caro-
laths ernſteres Unwohlſein betreten! und bitte, mich wiſſen
zu laſſen, wie es ihm heute geht. — Ich — habe, ohne einen
Fehler begangen zu haben, eine Höllennacht durchlebt. — Als
ich geſtern Mittag zu Hauſe kam, fand ich die gütigen Zei-
len von Ihnen, liebe Fürſtin; warum geht’s uns denn ſo!
Varnh. liegt auch krank zu Bette. Aber wir ſind verdammt
— wir beſonders, die wir nicht darin geboren waren — in
einer Nebelwolke zu leben: und dazu ſind wirklich unſre Or-
gane nicht eingerichtet. Ich will doch ausfahren: meine Ne[-]
ven bedürfen es: ich könnte überhaupt komplette Fabeln vo[n]
meinen Zuſtänden erzählen. Fahren Sie auch aus, liebe Für-
ſtin! und ſo bald es geht, zu mir. Abends ſind doch jedes-
mal bei mir einige anzuhörende Menſchen zu finden. Vor-
geſtern ſogar Mad. Milder ſehr ſchön! Fein organiſirte
Menſchen müſſen Zerſtreuung haben; andre Occupation als
ſich ſelbſt, für ihre Nerven. — Ich bin nicht mehr allein. —
Gott ſchütze Sie! —


[589]

„Il est assez puni celui qui est coupable: souffrir, c’est
être innocent.”
So unendlich wichtig mir dieſer Spruch iſt,
ſo vergaß ich ihn doch immer und Robert mußte mir ihn
immer ſagen und ſchreiben. Nun iſt er todt; der Spruch iſt
mir zum Glück eingefallen, und da will ich ihn zum zehnten-
male niederſchreiben: nun gilt er für Robert und mich. — Tod.
Fremder Tod. Noch fremder als das Leben. Lauter Wun-
der; nicht ein paar Wunder. — Aber eine Zeile fehlt hier
aus dem Spruch: ich werde ihn wohl in einem anderen Buch
noch wieder finden. Sonntag Morgen, höchſter Nebel, am
9. December 1832.


[„Il est assez puni par le sort rigoureux,

Et e’est être innocent que d’ètre malheureux.“]

An Frau Stadträthin Mendelsſohn-Bartholdy.



Erlauben Sie, liebe Freundin, daß ich den hohen Ge-
[b]urtstag heute, auch als den Ihrigen feiere! und mit einem
[...]einen Angebinde Ihnen alle Erdenfreuden anwünſchen darf!
[...]eſund, wie dieſe Stämmchen, ſeien Sie immer, und nur
freudig-Erblühendes begegne Ihrem Auge immerhin, den De-
cember durch, bis zum künftigen! Ihren Datums-Geburts-
tag habe ich verſäumt: verzeihen Sie das einer Perſon, die
keinen Geburtstag haben durfte; nämlich unter einem Vater
lebte, der ſo ſtreng dies nicht litt, daß wir nicht einmal das
Datum von den unſern wußten. Ich weiß noch immer nicht
[590] das des meinigen, noch das meiner Geſchwiſter, noch das mei-
ner Eltern ihrem nicht; und nur im feſtgeſtampften Alter,
habe ich mit der andern Jugend, Geburtstage kennen gelernt,
aber nie ihre Datums zu behalten, — außer Goethens und
unſerm König ſeines. — Alſo Nachſicht und Verzeihung mit
der Altfränkiſchen! Sie werden doch geſtehen, daß ſelbſt noch
in Ihrer Jugend, weder Weihnachten noch andre Geburtstage
herrſchten, wie ſie es jetzt thun. Luftballons, Telegraphen,
Eiſenbahnen, Gedanken-Perſpektive werden noch kommen
(mit denen man Gedanken durch die Köpfe ſieht), Wetter-
macher, und ganz neue, uns unbekannte Feſte. Ich lade
Sie und mich ſchon jetzt darauf ein: denn an Sterben wird
nicht mehr zu denken ſein: das iſt eine inadvertance, und da-
gegen wird zuerſt gewirkt werden. Aber plötzlich Adieu!
Heute iſt ein Tag, wo Sie anderes und mehr zu thun haben,
als ſich von mir umherführen zu laſſen. Heil und Segen
zu dem Feſte, und jeder Tag ſei Ihnen und den Ihrigen eins!
Die alte Freundin Friederike Varnhagen.


Was man Leben nennt, und was es auch iſt, heißt eigent-
lich nicht an ſeinen Anfang noch an ſein Ende denken; dar-
über durch Senſationen und Geiſteskombinationen zerſtreut
ſein. Kinder leben wirklich: oder Andre, die eben ſo das Le-
ben an ſich vorbei gehen laſſen können, — nicht Eitle und
Prahler, die leben gar nicht, — oder Solche, die ein feſtes
Bild für ein Leben nach dem Begraben haben; oder Solche,
die aufrichtig das Wunder des Daſeins betrachten, dies ohne
vorgefaßte Meinung immer wieder von neuem ſtudiren; und
noch
[591] noch glücklicher, wenn denen ihre Kinderſenſationen bewahrt
geblieben ſind: denn ſie haben ein ſchweres Theil! — Und
doch jammert man ſo, wenn ein Kinderengel ſtirbt! — Ach!
wie glücklich muß man Kinder machen; laſſen!!!!!! wie für
ihre Geſundheit ſorgen! Welche harte Sünden muß ich an
Kindern ausüben ſehn!!! — Gott allein kennt dieſe Leiden.
Sie ſind gradezu der zweite härtere Theil der Schmerzen der
falſchen Liebe: der falſchgefaßten.



An Erneſtine Robert.



Ich denke, wünſchen hilft.


Bewegen doch eben ſo zauberhaft Gedanken und Willen
Hände, Maſchinen; Welten möchte man ſagen.


Und ſo wünſche ich Ihnen denn dieſes Jahr, als Chef vie-
ler und all Ihrer Jahre, gute, feſte Geſundheit; Erſtes, Be-
ſtes, Unentbehrliches! Harmonie mit der Atmoſphäre, und
allen Begegniſſen. Und noch eine Menge allerlei unerwartete
angenehme Begegniſſe; außer dem Gelingen aller Wünſche!
Zum Geburtstag angenehme, klugerdachte Geſchenke; auch
ſchöne Gedichte! Wem Hygea den Rücken kehret, der ſieht
Apoll auch nur abwärts gewendet: und ſo vermag ich nicht
einmal ſo viel, als voriges Jahr; und bringe Ihnen meine
Wünſche nur in Hausmannskoſt diesmal dar; und den Wunſch,
daß mein kleines Angebinde Gnade vor Ihren Augen finde!
III. 38
[592] Ich erhielt zu meinem größten Beifall eine ſolche Taſſe, und
ruhte nicht, bis ich eine zweite fand. Unmöglich war es, eine
Kanne und Topf dazu zu finden. Trinken Sie daraus; Sie
ſind elegant genug dazu, (von mir verlangte man daſſelbe).
Nehmen Sie mit meinem Willen vorlieb, Ihnen etwas Zier-
liches anbieten zu wollen! Mir war es verſagt, es in der
Stadt zu ſuchen. Erlaubt es irgend mein Befinden, ſo gra-
tulire ich Ihnen morgen ſelbſt. Varnhagen, der in keinem
Fall aus kann, beauftragt mich, Ihnen ſeine herzlichſten Glück-
wünſche darzubringen!


An Erneſtine G., in Paris.



Vorvorgeſtern grade erhielt ich Ihren Brief; ich kann
aber nicht antworten, liebe Erneſtine! Aus Krankheit. Seit
drei Monaten habe ich einen Rückfall. Beklemmungen. Zu
Bette; einſam. Empfindlich. Kurz, die ganz alte Frau iſt
fertig. Im Sommer war ich auf den Tod. Unter andern ein
Karbunkel auf dem Rücken. Operirt. Alles! Während dieſes
Übels mußte ich den Tod meines Bruders Ludwig, und den
ſeiner Frau erfahren. Wie bliebe mir da noch Luſt zu Thor-
heiten
?!! Es wäre eine, wenn ich frankirte Briefe übelneh-
men wollte: im Gegentheil: unfrankirte. Koreff fehlt mir:
und Geſundheit; ſonſt nichts. So mürbe hat mich langes
Leiden gemacht. Ich bin zufrieden, ganz: wenn ich nur mit
der Atmoſphäre in Harmonie bin. Längſt ehe man das Wort
[593] Cholera hörte, empfand ich ſie: bezeichnete den Zuſtand der
Luft, ohne den Namen; und litt, litt, litt davon! Adieu
Liebe; ſchreiben kann ich nicht. Ich wünſche Ihnen alles mög-
liche Gute. Und grüße Ihre Kinder. Ich erfahre viel Liebe
und Theilnahme, und wäre jetzt geborgen, hätte ich Geſund-
heit. — Leben Sie wohl! halten Sie ſich geſund! wie immer
bleib’ ich Ihnen wie Sie mich kennen.

Fr. Varnhagen.


Ich kann nicht mehr ſchreiben.


An die Fürſtin von Pückler-Muskau.



Mit einer wahren Paſſion ſchicke ich Ihro Durchlaucht
beikommende vortreffliche, von mir gekoſtete Birnen — zweier-
lei Sorten — ſo überzeugt bin ich durch langjähriges Er-
proben von ihrer efficacen Wirkung gegen den Huſten. Das
einzige Mittel, welches ich, bei den verſchiedenſten Ärzten,
und Mittlen, efficace gefunden habe. In jedem Fall ſchmecken
ſie vortrefflich, und ſind durchaus unſchädlich. Jetzt nur am
Kölniſchen Waſſer zu haben. Man muß ſie aber ſehr aus-
probiren, und eine Probe mitſchicken: ſind ſie nicht gleich ganz
weich, ſo werden ſie’s in zwei, drei Tagen; nur die Sorte
muß es ſein. Ich bin ganz ſtolz; daß ich Ihnen Einmal
etwas ſchicken kann! das heißt, ich freue mich wahrhaft da-
mit! Könnte ich Ihnen auch Abende ſo verſüßen, wie Sie
geſtern den meinigen: mich dünkt, und gewiß war es ſchon
öfter, nie hätte ich Sie ſo liebenswürdig, thätig und belebend
38 *
[594] geſehn. Erhellen Sie bald wieder mein jetzt ſonnenloſes Haus!
Das haben Sie davon: wie die Sonne, die alle Menſchen
inkommodiren und haben wollen.


Darf ich hier meine Fürſtin Carolath grüßen! und ſie
bitten, mir morgen die herrlichen Kinder wieder zum Abend
zu gönnen? Meine Augen bewachen ſie; und nur Geſundes
kommt ihnen, in jedem Sinne, zu. Die Fürſtin ſelbſt ſicht
mich gewiß wenn ſie kann: ich bin in beides einverſtanden,
es halten ſie Pflichten, oder Unterhaltungen ab: oft wird das
zweite zur Pflicht, wenn das erſte gefliſſend geübt wird. An
allem nehm’ und hab’ ich meinen Antheil, was ſie betrifft
und thut. —


An Guſtav Robert.



Guten Morgen, lieber Guſtav! Dies Billet ſoll dich bit-
ten, daß du mich heute Abend beſucheſt; aber nicht ſo ſpät
kommeſt! — „Biſt du auch nicht ſo gelehrt, biſt du doch dop-
pelt vergnügt!“ heißt es in einer von Goethens römiſchen
Elegieen: dies lehr’ ich dich heute zum Erſatz: ſag’ das Hrn.
Werner; da wird er dich gleich früher freilaſſen. Mutter,
hoff’ ich, iſt ganz hergeſtellt; und ich ſehe ſie auch den Abend,
oder ganz nächſtens: ich muß meiner Geneſung Raum laſſen,
der in Zeit beſteht; ſonſt hätte ich ſie längſt beſucht; ich bin
aber zu lange krank, und verſuche nichts mehr. Ferdinand
verzeihe ich es, daß er nicht weiß wie alten Leuten zu Muthe
[595] iſt; ſonſt hätte er mir über ſeinen Ball Rapport gebracht.


Deine treue Tante F. V.


An den Fürſten von Pückler-Muskau.



Welchen vortrefflichen, freundſchaftlichen, ſchmeichlenden,
natürlichen Brief haben Sie — nicht umſonſt, aber ohne ſich
auf Wirkliches begründende Veranlaſſung, ſchreiben müſſen!
Ein Glück, daß wir ihn zu leſen bekamen; ſo iſt er doch in
den Hafen der tiefſten, und freudigſten Würdigung eingelau-
fen! Kann ich wenigſtens verbürgen! Wie konnte die Frau
Fürſtin einen nicht zu verkennenden Scherz, da er obenein in
Geſellſchaft ausgeſprochen wurde, nur ſo verkennen; eine
Klage, vor der ſchon viele Briefe an Sie abgegangen, ſo auf-
nehmen, als ſollte ein ſchmollendes Schweigen ihr folgen! Und
wie konnten Sie, beſter Fürſt, vergeſſen, daß wir Sie von ei-
nem Tag zum andern zu erwarten hatten? Wie die Fürſtin
eine herbe ſechswöchentliche Krankheit V.’s, die ihm Reden
und Schreiben gleich ſchwer, ja faſt unmöglich machte! Und doch
danke ich faſt dem Irrthum, wenn auch nicht der Fürſtin.
Denn einen liebenswürdigern Brief haben Sie wohl kaum
je ſchreiben können, als dieſes Kind des Irrthums iſt. Ich
könnte ihn küſſen, ſo viel candeur und laisser-aller finde ich
darin; und was iſt küſſenswürdiger, als dieſe Kindereigen-
ſchaften; unter Glas und Rahm von Geiſt? Dies wollte ich
Ihnen, mußte ich Ihnen ſagen; mein Herz iſt ſo eitel, daß
[596] es denkt, es iſt dazu geſchaffen, und verſteht es allein, auf ſo
ein Herzensprodukt zu antworten. Kommen Sie nur bald!
Sein ſie liebenswürdig, kindiſch, und aller Liebe, ja elterlicher
gewiß; und ohne Argwohn, wie ein Kind.

Fr. Varnhagen.


An Alexander von Humboldt.



Ew. Excellenz um eine kleine Audienz von einer Viertel-
ſtunde zu bitten, wag’ ich hiermit, als, von Ihnen ſelbſt, Ver-
wöhnte. Es betrifft eine Kunſtangelegenheit, bei der Ihr weiſer
Rath allein mir beiſtehn kann; daß Sie den eben ſo gut als
gern ertheilen, weiß die Welt; und nicht allein die Jugend-
genoſſen haben ſich deſſen, wie aller Wohlthätigkeit, mehr und
mehr von Ihnen zu erfreuen. Noch immer leidend, muß ich
die Stunden nennen, in welchen ich ſo glücklich ſein kann,
Sie zu empfangen. Morgens von 12 bis 3 Uhr. Abends
von 7 bis 10. Auch Varnh. iſt ſeit vier großen Wochen nur
zu Bette und zu Hauſe geweſen. Noch geht er nicht aus.
Er weiß von meinem Vorhaben nichts; und könnte er, würde
er aus Beſcheidenheit befehlen, daß ich mein Anliegen Ihnen
nicht vortrüge; ich habe aber eine andre Ahndung, und ein
von Jugend her genährtes Zutrauen: auch zu [meinem] Ge-
lingen, wenn ich eine Sache ſtillſchweigend allein vornehme!
Mit alter und noch immer ſteigender Verehrung und Erge-
benheit

Fr. V.


[597]

An Erneſtine Robert.



Ihre Muſik hat mich geſtern in’s Leben zurückgerufen:
und ich bin voller Sehnſucht danach! Nun hat mir Graf Blan-
kenſee ſagen laſſen, er käme heute Abend mit Noten und Lie-
dern: ſeine Frau höchſt wahrſcheinlich, ſie war krank von den
Fêten. Ich bitte Sie, Erneſta! kommen Sie! erfreuen Sie
mich: machen Sie mir Ehre! Singen Sie ſchön wie geſtern.
Ich habe Blut geleckt; ich muß mehr haben. Parole d’hon-
neur
! ich wollte Sie ohne Blankenſee’s ſchon bitten. —



Wilhelm Meiſters Wanderjahre. Zweites Buch.
Neuntes Kapitel, gegen das Ende hin (S. 174.) Es iſt nicht
„der Geiſt des Widerſpruchs“ — den ich abſolut angeſehen nie
erkenne, außer als Tollheit, — „der ſich hier regt.“ Daß aber
Wilhelm hier mit halber Überzeugung hörte, das iſt richtig.
Oft dozirt man uns etwas vor, was ſo zuſammengebaut iſt,
daß eben in dieſem unorganiſchen Zuſammenfügen das mit
eingehämmert und eingekittet iſt, was unſern ganzen Wider-
ſpruch lebendig begründet: wir können es aber aus dem feſt-
gefügten, auch wohl wohlgefügten Gebäude nicht gleich her-
vorkriegen, beſonders nicht, ohne dies ganz umzureißen: und
da bleibt uns denn ſogar eine Art von Schmerz übrig, ein
Lebendiges ganz mit uns Lebendes, zu uns Gehöriges, als
[598] Todtes, Getödtetes, ohne baldige Rettung mit eingekittet zu
finden, und ſehr ungern laſſen wir es da erſticken: aber nicht
aus Widerſpruch ſind wir unwillig, ſondern bloß, den nicht
auch als ein Syſtem hervortreten laſſen zu können; je mehr
Leben aber einer Überzeugung inwohnt, je tiefere und reichere
Beziehungen ſie hat, je mehr ſie all unſern Anlagen zuſagt
und entſpricht, je ſchwerer iſt das grad als eine Maſchine
zuſammenzufaſſen und ſo darzuſtellen: jedes Syſtem aber will
zur Maſchine werden: nur Ein groß und lebendig Organi-
ſirtes giebt es: die erſchaffene, ſich noch erſchaffende Welt.

Ende des dritten und letzten Bandes.

Appendix A

Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.


[][][]
Notes
*)
Das Wort Ausſpannen drückt einzig den fruſtrirten
Zuſtand aus; die Pferde, der Knecht, die langſam, unwieder-
bringlich weiter gehn! das ſtehende Fuhrwerk, was zu nichts
mehr nützt, ſondern hindert; der Embarras; das Todte darin;
das Nachſehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat
das herrlichſt benutzt in der Schilderung im Meiſter, wie die
armen Akteurs, ſo ausgeſpannt, im alten Theil des Schloſſes
[159] bleiben: eindrücklicher giebt es nichts! Ein herrlicher Ausdruck:
ausſpannen. Das Triviale verliert ſich ganz bei näherer Be-
trachtung.

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TextGrid Repository (2025). Varnhagen, Rahel. Rahel. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpfz.0