[][][][][][][]
CATECHJSMUS
MJLCH/

Oder
Der Erklaͤrung des Chriſt-
lichen
Catechiſmi

Zehender und letſter Theil/

Begreiffend das Sechſte Haupt-Stuck
von
dem Gewalt der Schluͤſſel.
Zu Straßburg im Muͤnſter der Gemein-
de GOttes erklaͤret



Straßburg/:
Jn Verlegung Johann Friderich Spoor.

M DC LXXIII.

[][]

Dem Hochgebohrnen Graffen
und Herꝛn/
HERRN
Philipp Albrecht/
Herꝛn zu Limburg/ des Heil. Roͤm.

Reichs Erbſchencken und ſemper
Freyen/ ꝛc. ꝛc.
Meinem Gnaͤdigen Graffen und Herꝛn.

Hochgebohrner Graff/
Gnaͤdiger Herꝛ



GRoſſe Koͤnige/ Fuͤrſten und Herren
haben auch gemeiniglich groſſe Schaͤtze/ wie
ſolches nicht allein die taͤgliche Erfahrung/
ſondern auch die H. Schrifft ſelbſten gnug-
ſam bezeuget: Die Koͤnige in Juda und
)?( ijJſrael
[]DEDICATIO.
Jſrael hatten ihre herꝛliche Schaͤtze; David der maͤchtige
Koͤnig hatte in ſeiner Armuth verſchafft zum Hauſe
des HErꝛn hundert tauſend Centner Golds/ und
tauſendmahl tauſend Centner Silbers/ darzu
Ertz und Eiſen ohne Zahl.
1. Paral. XXIII, 14. Er hat-
te ſeine Schaͤtze auff den Laͤndern/ in Staͤdten/ Doͤrffern/
und Schloͤſſern; Seine Wein-Keller/ und darinnen die
Schaͤtze des Weins; Seine Oel-Gaͤrten und Maulbeer-
Baͤume/ und neben dieſen ſeine Oel-Schaͤtze; Seine Weid-
Rinder zu Saron; Seine Rinder in Gruͤnden/ ſeine Ka-
meel/ Eſel und Schaafe/ und alſo ſeinen Vieh-Schatz. 1. Par.
XXVIII,
25. Seinen Edelgeſtein-Schatz; denn er ver-
ſchaffte zum Hauſe des HErꝛn Onych-Steine/ und Mar-
mel die Menge. c. XXX, 2. ſeqq. Noch hoͤher iſt geſtiegen der
Schatz ſeines Sohns Salomons/ als welcher des Sil-
bers und des Goldes zu Jeruſalem ſo viel gemacht/
wie die Steine/ und der Cedern wie die Maul-
beer-Baͤume in Gruͤnden
2. Paral. I, 15.


Solche Schaͤtze hatten ſie in veſten Staͤdten/ Schloͤſ-
ſern/ Haͤuſern/ und anderen verſicherten Orten verwahret.
David wie gehoͤret/ hatte ſeine Schaͤtze in Staͤdten/ Doͤrf-
fern/ und Schloͤſſern; Aſſa der Koͤnig in Juda hatte ſeinen
Schatz in ſeinem Koͤniglichen Hauſe 1. Reg. XV, 18. Hiski-
as hatte ſein Schatz-Hauß; dann er zeigete den Abge-
ſandten von Babel das gantze Schatz-Hauß/ Silber/
Gold/ Specerey/ und das beſte Oel/ und die Har-
niſch-Kammer:
2. Reg. XX, 13. Sie haben alles geſe-
hen/ was in meinem Hauſe iſt/ und iſt nichts in mei-
nen Schaͤtzen/ das ich nicht ihnen gezeiget haͤtte:

ſpricht obgedachter Koͤnig zum Propheten Jeſaia v. 15.
Die Geiſtliche Guͤter und Schaͤtze waren beygelegt in
dem Tabernackel und Tempel; Das Silber und
Gold/
[]DEDICATIO.
Gold/ und ehrin und eiſern Geraͤth (von Jericho er-
obert) thaͤten ſie (die Kinder Jſrael zum Schatz in
das Hauß des HErꝛn.
Joſuæ VI, 24. Als Salomo den
Tempel außgebauet hatte/ bracht er hinein/ was ſein
Vater David geheiliget hatte/ von Silber und
Golde/ und Gefaͤſſen/ und legts in den Schatz des
Haußes des HErꝛn.
2. Paral V, verſ. 1. Vier hundert
Centner Silbers/ und zwey hundert Centner Goldes lag
in dem Tempel zur Zeit der Maccabeer/ als Heliodorus
kam den Schatz zu rauben. 2. Maccab. IV, 11.


Uber ſolche Koͤnigliche Schaͤtze und Schatz-Haͤuſer
waren verſicherte Leute verordnet/ welche man Schatz-
oder Rentmeiſter hieſſe. Aßmaveth der Sohn Abdiel
war uͤber den Schatz des Koͤnigs/ welcher zu Hauß war;
Jonathan der Sohn Uſia uͤber die Schaͤtze auff dem Lande;
Sabdi der Siphimiter uͤber die Wein-Keller und Schaͤtze
des Weins; Jaas uͤber den Oel-Schatz: Andere uͤber
den Vieh-Schatz. 1. Paral. XXVIII, 25. Cores der Koͤnig in
Perſien hatte ſeinen Schatzmeiſter/ welcher Mithredath
hieſſe. Eſr. I, 8. Deßgleichen hatte auch Arthahſaſtha ein an-
derer Koͤnig in Perſien jenſeit des Waſſers. c. VII, 21. Sol-
cher Schatzmeiſter Ampt war/ die Guͤter nach Belieben
und Befehl ihrer Herren außzutheilen: wie dann Arthah-
ſaſtha dem Schatzmeiſter jenſeit des Waſſers befohlen/
Eſra dem Schrifftgelehrten auß den Koͤniglichen Schatz-
Kammern folgen zu laſſen/ biß auff hundert Centner
Silbers/ und auff hundert Cor Weitzen/ und
auff hundert Bath Weins/ und Saltzes ohne
Maaß.
v. 22. Zu dem Ende hatten ſie ihre anvertraute
Schluͤſſel/ damit die Thuͤren der Schatz-Kammern auff-
oder zu zuſchlieſſen/ den Schatz zu behalten/ und zu be-
wahren/ oder außzutheilen; und ſcheinet/ ſie haben ſolche
):( iijSchluͤſ-
[]DEDICATIO.
Schluͤſſel/ oder doch eine Copey davon/ auff den Achſeln
und Schultern getragen; dann Jeſai. XXII, 22. verſpricht
GOtt der HERR Eliakim dem Sohn Hilkia; Jch
wil die Schluͤſſel zum Hauſe David auff ſeine
Schulter legen/ daß er auffthue/ und niemand
zuſchlieſſe; daß erzuſchlieſſe und niemand auffthue.

Warum aber auff den Achſeln und Schultern? Ohne
zweiffel deßwegen/ weil Schatz- und Rentmeiſter Ampt
ein muͤhſam Ampt iſt/ welches/ wann es recht ſoll verwal-
tet werden/ den Gewiſſen als eine ſchwere Laſt auff dem
Hals und Schultern ligt.


Jſt ein ſchoͤnes Bild und Beyſpiel geweſen der geiſtli-
chen Schaͤtze/ Schatz-Haͤuſer und Schatzmeiſter. GOtt
der groſſe HERR/ und Koͤnig aller Koͤnige/ welcher reich
iſt uͤber alle die ihn anruffen/ hat auch ſeine Schaͤtze/ nicht
allein ſeine leibliche/ als geweſen die/ ſo im Tabernackel und
Tempel beygelegt waren/ ſondern auch ſeine geiſtliche;
Seynd ſein Wort in H. Schrifft geoffenbahret; welches
Paulus 2. Cor. IV, 7. einen Schatz nennet/ und billich;
dann es iſt koͤſtlicher denn Gold und viel feines Gold/ und
ſuͤſſer als Honig und Honigſeim; Pſalm. XIX, 11. Verbor-
gen in Heil. Schrifft/ als die Metall-Adern in Bergwer-
cken. Joh. V, 39. Es iſt die koͤſtliche Perle/ welche Chriſtliche
Kauffleute ſuchen/ und erkauffen. Matth XIII, 45. Es iſt die
Ruͤſt-Kammer/ darinnen die πα οπλία und Ruͤſtung in aller-
ley Wehren fuͤr einen tapffern Streiter JEſu Chriſti anzu-
treffen/ Epheſ. VI Schaͤtze ziehen die Hertzen nach ſich: wo
euer Schatz iſt/ da iſt auch euer Hertz/
ſpricht Chri-
ſtus Matth. VI, 21. Alſo auch GOttes Wort die Hertzen
der Frommen: HERR/ ich gedencke des Nachts an
deinen Nahmen/ und halte dein Geſaͤtz: das iſt
mein Schatz/ daß ich deinen Befehl halte:
ſpricht
das
[]DEDICATIO.
das fromme Hertz David/ Pſal. CXIX, 55. 56. Und das
nicht nur etwan eine Zeitlang/ ſondern ewig: Es iſt
ewiglich mein Schatz/
ſagt er ferner v. 98. Dergleichen
Schaͤtze ſeynd auch die heilige Sacramenten/ welche Pau-
lus 1. Corinth. IV, 1. Geheimnuͤſſe nennet den Dienern
Chriſti/ als Haußhaltern anvertrauet; Ja freylich ſeynd
es Schaͤtze/ dann ſie theilen uns GOtt/ das hoͤchſte Gut/
mit; Jn der H Tauff GOtt den H. Geiſt/ den koſtbah-
ren Schatz des Freuden-Oels/ Pſalm. XLV. als welcher
durch/ in/ und mit dem Tauff-Waſſer in groſſem uñ gnaden-
reichem Geheimnuͤß uͤber den Taͤuffling außgegoſſen wird/
Tit III, 5. Durch Jeſum Chriſtum unſern Heyland/ auff
daß wir durch deſſelben Gnade gerecht und Erben ſeyen
des ewigen Lebens; und alſo eines unvergaͤnglichen/ unbe-
fleckten/ und unverwelckten Erbs und Schatzes im Him-
mel beygelegt/ 1. Pet. l. 4. theilhafftig. Wird beſtaͤttigt im
Heiligen Abendmahl mit dem erwuͤnſchten Brod- und
Wein-Schatz/ als in welchem uns gar der allerheiligſte
Leib und Blut JEſu Chriſti/ wormit Er uns ſo theur er-
kaufft und erloͤſet/ im Brod und Wein/ nicht allein ange-
botten/ ſondern auch mitgetheilet werden/ derſelben Nu-
tzen ewig zu genieſſen.


Nun dieſe Geiſtliche/ Goͤttliche/ himmliſche Schaͤtze
haben auch ihre Schatz-Haͤuſer/ darinn ſie beygeleget. Jſt
die Chriſtliche Kirche/ als die rechte Hauß-Ehre/ welche
den Raub außtheilet/Pſ. LXVIII, 13 und das Hertze und
Mund rechtſchaffener Lehrer und Prediger/ als welche die-
ſen theuren Schatz bey ſich/ wiewohl in denen irꝛdiſchen
Gefaͤſſen
ihres Leibes tragen. 2. Cor. IV, 7. Seind aber
auch zugleich der geiſtlichen Schaͤtze Verwalter/ als Die-
ner Chriſti/ und Haußhalter uͤber GOttes Geheimnuͤſſe.
1. Cor. IV, 1. verſehen mit Schluͤſſeln/ welche der allerhoͤch-
ſte
[]DEDICATIO.
ſte Schatzmeiſter JEſus Chriſtus ihnen durch ordentlichen
Beruff eingehaͤndiget/ wann er zu Petro Matth. XVI, 19.
ſagt: Jch wil dir des Himmelreichs Schluͤſſel ge-
ben/ alles was du auff Erden binden wirſt/ ſoll
auch im Himmel gebunden ſeyn/ und alles/ was
du auff Erden loͤſen wirſt/ ſoͤll auch im Himmel
loß ſeyn.
Dergleichen Wort Er hernach auch zu den
uͤbrigen Juͤngern geredet/ als Er ihnen und ihren Nachfol-
gern ſo wohl als Petro die Schluͤſſel zu ſeinen Schaͤtzen
uͤberreichet/ Joh. XX, 23. Seynd die treuen und klugen
Knechte. GOttes/ die der HERR geſetzt hat uͤber ſein
Geſinde/ daß ſie ihnen zu rechter Zeit Speiſe geben. O
ſelig iſt der Knecht/ wann ſein Herꝛ kom̃t/ und
findet ihn alſo thun!
ſpricht Chriſtus der HERR
ſelbſten Matth. XXIV. verſ. 46.


Ein ſolcher getreuer/ kluger/ und demnach ſeliger
Knecht GOttes iſt auch geweſen und erfunden worden
der weyland Hoch-Ehrwuͤrdige/ Großachtbare/
und Hochgelehrte Herꝛ Johann Cunrad Dann-
hauer/
der H. Schrifft Doctor, und weitberuͤhmter
Profeſſor auff der Straßburgiſchen Vniverſitaͤt/
auch eines Wol-Ehrwuͤrdigen Kirchen-Convents da-
ſelbſten Præſes, und Dechant zu St. Thomaͤ/ mein
getreuer Præceptor, eyferiger Befoͤrderer/ Hertzgelieb-
ter Vater in Chriſto/ Collega, Schwager und Gevat-
ter. Dieſem ſeinem getreuen Knecht hatte der groſſe
HERR Himmels und der Erden zweyerley Schluͤſſel an-
vertrauet; Erſtlich den Schluͤſſel des Erkaͤntnuͤß/
Luc. XI, 52. bey einer loͤblichen Univerſitaͤt/ hernach auch
die Schluͤſſel des Himmelreichs/ bey ſeiner Kirchen;
Wann vor Zeiten bey den Hebraͤern einer zum Schrifftge-
lehrten
[]DEDICATIO.
lehrten und Schul-Lehrer geweihet wurde/ uͤbergab man
ihm einen Schluͤſſel/ ſamt einer Schreib-Tafel/ hiemit an-
zudeuten/ daß er die Weißheit/ als einen Schatz in Buͤ-
chern beygelegt/ durch fleiſſige Leſung und Erklaͤrung an-
dern auffſchlieſſen ſolle; Das Gegenbild dieſes Schluͤſſels
iſt auch unſerm Seligen Dannhauer uͤbergeben worden/
als GOTT durch ordentliche Vocation, Jhne zu einem
Profeſſore erſtlich Eloquentiæ, hernach Theologiæ als einen
Schrifftgelehrten zum Himmelreich gelehrt Matth. XIII, 52.
beruffen. O wie manchen herꝛlichen Schatz der weltli-
chen und Goͤttlichen Weißheit hat Er ſeinen Zuhoͤrern er-
oͤffnet/ daß ſie JEſum/ und mit Jhme das Ewige Leben
darinnen gefunden! Und/ O wie manches verdraͤhetes
Schloß widerwaͤrtiger Sophiſtereyen/ hat Er durch den
Schluͤſſel ſeiner ſcharffſinnigen Weißheit auffgeſchloßen/
daß man die betruͤglichen Schluͤſſel/ und heilloſe Wahr der
Widerſacher hat koͤnnen erkennen und meiden! Mir zweif-
felt auch nicht/ daß viel hundert ſelige Seelen im Himmel
jetzund ſich ſchon erfreuen der himmliſchen Schaͤtze/ welche
er ihnen Zeit ſeines im Muͤnſter getragenen Predig- und
Pfarꝛ-Amts durch ſeine Himmel-Schluͤſſel auffgethan/
und durch die kraͤfftige Vergebung ihrer Suͤnden reichlich
mitgetheilet.


Was Er/ der Selige Mann/ von dieſer Schluͤſſel
Gewalt geglaubet/ gelehret/ und geprediget/ ſolches
bezeugen dieſe ſeine hier vor Augen liegende Predigten/ als
in welchen Er das Sechſte Haupt-Stuͤck unſers Chriſtli-
chen Straßburgiſchen Catechiſmi/ vom Gewalt
der Schluͤſſel/ und der Chriſtlichen Buß-Zucht

reichlich erklaͤret/ und angezeiget dero Geheimnuß-reichen
Nahmen/ Goͤttlichen Urſprung/ getreue Verwalter/ uͤber-
Zehender Theil. ):( ):(natuͤr-
[]DEDICATIO.
natuͤrliche Krafft/ unaußſprechlichen Nutzen/ und was
der Herꝛlichkeiten mehr ſeynd. Darzu kommen die Ein-
gangs-Predigten/ von dem verlohrnen Sohn/ unter deſſen
anmuhtigen Bilde der Greuel der Suͤnden/ und die Freu-
de des Himmels uͤber ein bußfertig reuendes Hertz/ ſon-
derlich der Jugend zum Nachricht/ abgemahlet wird.
Wuͤrdig und werth/ daß man ſolche in acht nehme/ ans
Liecht bringe/ und fleiſſig leſe/ ſich je mehr und mehr in die-
ſem Geheimnuͤße zu gruͤnden/ zu verwahren/ zu erbauen/
zu troͤſten und auffzurichten.


Zwar bey den alten hebraͤern war es uͤblich/ wann ein
Rabbi oder Schrifftgelehrter ohne Kinder verſtorben/
daß man ſeinen Schluͤſſel/ und ſeine Schreib-Tafel mit ihm
in einen Sarck gelegt/ und begraben: Dergleichen Exem-
pel man in Juͤdiſchen Hiſtorien findet von einem Rabbi/
Samuel
genant/ als der verſtorben/ und keinen Sohn
hinterlaſſen/ hat man ihme ſeinen Ampts-Ring und uͤbliche
Schreib-Tafel mit ins Grab gegeben: [...]
[...]i. e. Poſtquam mortuus eſt,
poſuerunt clavem \& pugillare ejus in loculo ejus, eo quod
non habuerit filium:
das iſt: Nach dem er geſtorben/
haben ſie ſeinen Schluͤſſel und Schreib-Tafel in
ſeinen Sarck gelegt/ darum/ dieweil er keinen
Sohn hat hinterlaſſen.
Ob nun wol unſer Seliger
D. Dannhauer auch keinen leiblichen Sohn hinterlaſſen/
wollen wir doch darum ſeine Schluͤſſel und Schreib-Tafel/
das iſt/ dieſe ſeine Predigten nicht vergraben/ daß ſie der
Verweßlichkeit zu theil werden; ſondern behalten zu Nutz
und Troſt/ und hertzlichem Vergnuͤgen ſeiner geiſtlichen
Soͤhne und Toͤchter/ deren dieſer Evangeliſche Schrifft-
gelehrte eine nicht geringe Anzahl durch ſeine Lehr und
Schrifften gezeuget/ und zu ſeinem unſterblichen Ruhm
nach ſich gelaſſen.


Damit
[]DEDICATIO.

Damit aber deſſen Schluͤſſel wohl und maͤchtig
moͤchte verwahret ſeyn/ habe ich mich erkuͤhnet/ Euer
Hochgraͤfl. Gnaden
durch wohlgemeinte Dedication
ſolche mit unterthaͤniger Obſervantz hiemit zu uͤbergeben.
Es iſt mir noch in friſchem Andencken/ was maſſen Jhre
Genaden
waͤhrender Zeit Sie auff der Straßburgi-
ſchen Vniverſitaͤt
zu dero ſtattlichem Ruhm ſich auff-
gehalten/ mir Unwuͤrdigen ſonderbahre groſſe Gnade er-
wieſen; So gar/ daß Jhr Gnaden/ ſamt Dero damah-
lichem Hoffmeiſter/ dem Wohl-Edeln/ Veſten/ und Hoch-
gelehrten Herꝛn Joh. Heinrich Hippen/ meinen groß-
guͤnſtigen Herꝛn/ und werthen Goͤnner/ in meinem Hauſe
etlich mal mich gnaͤdig zu beſuchen/ auch bey andern Gele-
genheiten Jhr Gnaͤdiges Angeſicht gegen mir auff vieler-
ley weiſe helle leuchten zulaſſen mich gewuͤrdiget; Ja/ da-
mit ich auch in Abweſenheit ſolcher Gnade verſichert waͤre/
Jhren gnaͤdigen Gruß durch Jhren Herꝛn Hoff-Predi-
ger/ den Woh-Ehrwuͤrdigen/ Großachtbaren und Wol-
gelehrten Herꝛn M. Joh. Guilh. Gratianum, meinen Hoch-
geehrten Goͤnner/ ſehr werthen Freund/ und hertzgeliebten
Bruder in Chriſto/ zum oͤfftern gnaͤdig mir zu entbieten
laſſen: Will die hertzlichen Worte/ mir zuentbotten/ an-
jetzo mit Stillſchweigen uͤbergehen/ damit es nicht ſcheine/
als wann ich mich deßwegen uͤberhebe. Darzu komt Jhr
Gn. gruͤndliche Erkantnuß Evangeliſcher Religion/ un-
gefaͤrbte Liebe gegen GOttes Wort/ und deſſen Diener/ in-
bruͤnſtiger Eyfer in der wahren Gottſeligkeit/ und derer
Fortpflantzung bey dero Land und Leuten. Dafuͤr dero
gehorſame Unterthanen/ dem groſſen GOTT/ welcher
ſich alſo ſelbſt erhoͤhet bey den Schilden auff Erden Pſal.
XLVII.
billich und hertzlich zu dancken haben. Jch aber
habe dieſe und dergleichen Hoch Graͤfliche Gnaden und
Tugenden mir einen kraͤfftigen Antrieb ſeyn laſſen/ mich
deſſen/
[]DEDICATIO.
deſſen/ was ich bereits gemeldet/ zu unterfangen/ nicht
zweifflend/ es werde Jhr Gnaden Dero gnaͤdige Hand
außſtrecken/ und dieſe Schluͤſſel von Jhres unterthaͤnigen
Dieners Hand gnaͤdig annehmen/ und maͤchtig verwah-
ren/ warum ich dann mit unterthaͤnigem Reſpect will ge-
betten haben.


GOtt ſegne Jhr Gnaden/ und dero Hoch-Graͤff-
liche Frau Gemahlin/
ſamt dem gantzen Hoch Graͤfl.
Hauß/
und hohen nahen Anverwandten zu Leib und Seel.
Erhalte ſie in beſtaͤndigem Eyffer reiner Religion/ ungeaͤn-
derter Augſpurgiſcher Confeſſion/ und verleihe fried-
liche Regierung/ biß der groſſe Schluͤſſel-HErꝛ Chriſtus/
wann Jhr Gnaden wird alt und Lebens-ſatt ſeyn/ Jhr
durch ein ſeliges Ende den Him̃el ſamt allen ſeinen Schaͤ-
tzen allergnaͤdigſt auffſchlieſſe!


Euer Hoch Graͤffl. Gnaden
Unterthaͤniger Diener und Fuͤrbitter
bey GOTT
Straßburg den 16. Februar.
Anno 1673.
Baltaſar Bebelius,
der H. Schrifft
Doctor und Profeſſor.


Catechiſmus[1]

Catechiſmus-Milch/
Zehender Theil.


Eingangs-Predigten.
uͤber das Sechſte Haupt-Stuͤck unſers

Chriſtlichen Catechiſmi.


TEXTUS.


Luc. Cap. XV. verſ. 11. biß 32.
  • Und Jeſus ſprach: Ein Menſch hatte zween Soͤhne.
    Und der Juͤngſte unter ihnen ſprach zu dem Vater:
    Gib mir/ Vater/ das Theil der Guͤter/ das mir
    gehoͤret. Und er theilet ihnen das Gut. Und
    nicht lang darnach ſamlet der juͤngſte Sohn alles
    zuſammen/ und zog ferne uͤber Land/ und daſelbſt
    bracht er ſein Gut umb mit praſſen. Da er nun
    alle das ſeine verzehret hatte/ ward eine groſſe
    Theurung durch daſſelbige gantze Land/ und er
    fieng an zu darben. Und gieng hin/ und haͤnget
    ſich an einen Buͤrger deſſelbigen Landes/ der ſchick-
    et ihn auff ſeinen Acker der Saͤu zu huͤten. Und
    er begehrte ſeinen Bauch zu fuͤllen mit Trebern/ die
    die Saͤu aſſen/ und niemand gab ſie ihm. Da
    ſchlug er in ſich/ und ſprach: Wie viel Tagloͤhner
    hat mein Vater/ die Brod die Fuͤlle haben/ und ich
    Zehender Theil. Averderbe
    [2]Die Erſte Predigt
    verderbe im Hunger. Jch wil mich auffmachen/
    und zu meinem Vater gehen/ und zu ihm ſagen:
    Vater/ ich habe geſuͤndiget in Himmel und fuͤr dir:
    Und bin fort nicht mehr werth/ daß ich dein Sohn
    heiſſe/ mache mich als einen deiner Tagloͤhner.
    Und er machet ſich auff und kam zu ſeinem Vater.
    Da er aber noch ferne von dannen war/ ſahe ihn
    ſein Vater/ und jammerte ihn/ lieff und fiel ihm
    um ſeinen Hals/ und kuͤſſet ihn. Der Sohn
    aber ſprach zu ihm: Vater/ ich habe geſuͤndiget in
    den Himmel und fuͤr dir/ ich bin fort nicht mehr
    werth/ daß ich dein Sohn heiſſe. Aber der Vater
    ſprach zu ſeinen Knechten: Bringet das beſte Kleid
    herfuͤr/ und thut ihn an/ und gebet ihm ein Finger-
    reiff an ſeine Hand/ und Schuch an ſeine Fuͤſſe.
    Und bringet ein gemaͤſtet Kalb her/ und ſchlach-
    tets/ laſſet uns eſſen und froͤlich ſeyn. Denn die-
    ſer mein Sohn war todt/ und iſt wieder lebendig
    worden/ er war verlohren/ und iſt funden wor-
    den/ und fiengen an froͤlich zu ſeyn. Aber der aͤl-
    teſte Sohn war auff dem Felde/ und als er nahe
    zum Hauſe kam/ hoͤret er das Geſänge/ und den
    Reihen. Und rieff zu ſich der Knechte einen/ und
    fraget was das waͤre? Der aber ſaget ihm: Dein
    Bruder iſt kommen/ und dein Vater hat ein ge-
    maͤſtet Kalb geſchlachtet/ daß er ihn geſund wie-
    der hat. Da ward er zornig/ und wolt nicht hin-
    ein gehen. Da gieng ſein Vater herauß/ und bat
    ihn.
    [3]Vom verlohrnen Sohn.
    ihn. Er antwortet aber/ und ſprach zum Vater:
    Sihe/ ſo viel Jahr diene ich dir/ und habe deine
    Gebott noch nie uͤbertretten/ und du haſt mir nie
    einen Bock gegeben/ daß ich mit meinen Freunden
    froͤlich waͤre. Nun aber dieſer dein Sohn kom-
    men iſt/ der ſein Gut mit Huren verſchlungen hat/
    haſt du ihm ein gemaͤſtet Kalb geſchlachtet. Er
    aber ſprach zu ihm: Mein Sohn/ du biſt allezeit
    bey mir/ und alles was mein iſt/ das iſt dein. Du
    ſolſt aber froͤlich und gutes Muths ſeyn/ denn
    dieſer dein Bruder war todt/ und iſt wieder leben-
    dig worden/ er war verlohren/ und iſt wieder
    funden.

Erſte Predigt/
Von dieſer Parabel/ Natur Zweck und Art.


GEliebte in Chriſto: Jch wil meinen Mund
auffthun in Spruͤchen: Ephtecha be-maſchal
pi,
ſagt der eingebohrne Sohn Gottes unter der Per-
ſon Aſſaphs/ Pſal. 78, 2. Wie das auß der collation
und Vergleichung Matth. 13, 34. zu vernehmen; da
der Evangeliſt meldet/ wie JEſus alles durch
Gleichnuß zum Volck/ und ohne Gleichnuß
nichts geredet habe/ auff daß erfuͤllet wuͤrde/ das geſagt iſt durch
den Propheten/ der da ſpricht: Jch wil meinen Mund auff-
thun in Gleichnuſſen. Jn welchen Worten er zu verſtehen gibt/
I. Affectum \& παῤῥησίαν dicendi, die Freymuͤndigkeit und das uner-
ſchrockene Hertz im Reden/ er wolle kein Maͤmme ſeyn/ der Paͤpp im Maul
hat/ er wolle kein Blatt fuͤrs Maul nehmen/ ſondern redlich herauß ſag-
en/ wie es ihm um das Hertz iſt. Wie dann auch geſchehen/ als ihm
Marcus das Zeugnuß gibt c. 8, 32. Er redete das Wort frey offen-
bar; deßgleichen ſeine Juͤnger Joh. 16, 29. Sihe/ nun redeſt du frey
herauß. Und Chriſtus ſelbſt ſagt c. 18, 20. Jch hab frey offentlich
geredt fuͤr der Welt/ und nichts im verborgenen/ als Jhn die Hohe-
A ijprieſter
[4]Die Erſte Predigt
prieſter um ſeine Juͤnger und ſeine Lehre gefragt. II. Zeiget er an mate-
riam dicendi: be-maſchal,
in Spruͤchen/ oder/ wie es die LXX. Dol-
merſchen und Matthaͤus gibt/ in Gleichnuſſen/ Er wolle ſich bedienen
parabolico dicendi modo, der Art durch Gleichnuͤſſe zu predigen/ das iſt/
Er wolle ratione materiæ nicht ſchlechte/ geringe/ irdiſche/ weltliche Sach-
en/ heydniſche Hiſtorien/ oder ohne das bekante moralia, die Ohren damit
zu fuͤllen/ auff die Bahn bringen/ ſondern meſchalim, ἀξιώματα, κυρίας
γνώμας, myſteria \& magnalia DEI, guldene Aepffel/ hohe/ wichtige/ uͤber-
natuͤrliche/ der Vernunfft unbegreiffliche himmliſche Geheimnuſſen vor-
legen. Jn welchem Verſtand das Prophetiſche Geheimnuß Bileams
Num. 24, 3. Maſchal genennet wird/ deßgleichen nennet auch Hiob ſeine
Spruͤche Meſchalim, c. 27, 1. III. Modum docendi parabolicum, diewei-
len ſolche himmliſche Sachen uns Menſchen allzuſchwer/ ſo waͤre vonnoͤ-
then/ daß Er/ der λόγος, das Wort auch eine him̃liſche Eloquentz brauche/
und ſich zu dem menſchlichen Unverſtand herab laſſe/ welches/ wie Mar-
cus bezeuget/ c. 4, 33. wuͤrcklich geſchehen/ durch viel ſolche Gleich-
nuͤſſe ſaget Er ihnen das Wort/ καθὼς ἠδυή´αντο ἀκούειν, nach dem ſie
es hoͤren kunten. Er legte es parabolicè, Gleichnuß-weiſe fuͤr/ nach
Art eines guten Redners/ damit die Hertzen zu gewinnen. Und 1. die
attention zu erhalten/ als der etwas neues/ ſeltzames und wunderſames
fuͤrzubringen hatte. Die Erfahrung bezeugets/ daß/ wann man mit blo-
ſen klaren Worten die Predigt verrichtet/ die attention und das Auff-
mercken nicht ſo groß und aifferig/ als wann man ſchoͤne Gleichnuͤſſe/ Ex-
empel und Hiſtorien einſtreuet/ dann wir ſeind alle von Natur alſo geſin-
net/ wie die Athenienſer/ immer gern etwas neues zu hoͤren. Alſo/ ſpricht
der Meſſias wolle er auch thun/ aber nicht die Ohren zu braͤuen/ ſondern
2. zu erlangen docilitatem, die Gelehrſamkeit/ ihren Verſtand zu ſchaͤrffen/
daß ſie begierig ſeyen/ je laͤnger je mehr zu forſchen und nachzufragen/ zu
bitten/ daß Er ihnen auch die Außlegung ſagen wolle. Es hat eine Be-
ſchaffenheit wie mit einem Raͤtzel/ ſo bald man es hoͤret/ verlanget man auch
nach der Außlegung. Darum der HerrMarc. 4, 10. 11. als Jhn die
Juͤnger/ die um Jhn allein waren/ gefragt: Warum redeſt du zu ih-
nen durch Gleichnuͤſſe? geantwortet und geſagt: Euch/ als mei-
nen fleiſſigen Zuhoͤrern/ die dem Verſtand nachdencken/ und
fleiſſig forſchen/ euch iſts gegeben/ das Geheimnuß des Reichs
GOttes zu wiſſen/ denen aber drauſſen wiederfaͤhret es alles
durch Gleichnuͤſſe. 3. Benevolentiam, das Hertz zu gewinnen/ in
dem Er keine fremde Art zu lehren auff die Bahn gebracht/ ſondern/ wie
ers
[5]Vom verlohrnen Sohn.
ers gefunden/ an ſich genommen. Familiare namque Syris, (wie Hie-
ron.
bezeugt in cap. 18. Matth.) \& maximè Palæſtinis, ad omnem ſermo-
nem parabolas jungere, ut quod per ſimplex præceptum teneri ab au-
ditoribus non poteſt, per ſimilitudines \& exempla teneatur.
Dann
es hatten die Syrer/ und ſonderlich die Palaͤſtiner im Ge-
brauch/ was man etwa mit einfaͤltiger Vorlegung nicht faſſen
kunte/ mit Gleichnuſſen und Exempeln einzubilden. 4. Ad ef-
ficaciam \& energian,
deſto baß damit durchzudringen/ und die Gemuͤther
gefangen zu nehmen/ wie Nathan der Prophet den Koͤnig David ſeines
Mords und Ehebruchs durch eine Parabel von einem Mann/ der ſeiner
Schaafe und Rinder geſchont/ und des armen Mannes Schaaf genom-
men/ ſeinen fremden Gaſt damit zu ſpeiſen/ uͤberzeugt 2. Sam. 12. Alſo
da Chriſtus Matth. 21. den Hohenprieſtern und Schrifftgelehrten mit
gutem Glimpff die Parabel von zween Soͤhnen erzehlet/ deren der eine
geſagt/ er wolle nicht in den Weinberg gehen/ und hat es doch hernach ge-
than/ der andere aber hats verſprochen/ und ſich groſſer Streich außge-
than/ und ſeye nicht hingegangen/ hat Er gefragt/ welcher unter den
zweyen hat des Vaters Willen gethan? da ſie nun geantwortet/
der Erſte; ſprach er: warlich ich ſage euch/ die Zoͤllner und Hu-
rer moͤgen wol ehe ins Himmelreich kommen/ dann ihr. Und
eben dahin ſiehet auch Chriſtus in den drey Parabeln vom verlohrnen
Schaaf/ Groſchen und Sohn/ Luc. 15. nachdem Er geſehen/ wie ſcheel die
Phariſaͤer und Schrifft gelehrten dazu gefehen/ daß Er ſich der zu ihm na-
henden Zoͤllner und Suͤnder angenommen/ daruͤber gemurret und ge-
ſprochen/: Dieſer nimmet die Suͤnder an/ und iſſet mit ihnen:
novum ac antea inauditum crimen! Dergleichen man niemals zuvor
gehoͤrt. Fuͤhret eben darauff drey Parabeln ein/ ſie zu uͤberweiſen/ daß
Gott groͤſſers Gefallen hab an einem bußfertigen Suͤnder/ als an einem
hoffaͤrtigen Heuchler; unter welchen Parabeln die letſte wir erwehlet/ an
ſtatt eines Eingangs uͤber das Sechſte Stuck unſers Chriſt-
lichen Glaubens/ darinnen die Art der wahren Buß gantz ſcheinbar/
hell und lieblich beſchrieben/ und illuminirt wird/ auff daß wir alſo der
Lehr vom Bind- und Loͤß-Schluͤſſel den Weg præpariren. Dißmal
bleiben wir allein bey den Generalibus, und nehmen vor uns die promul-
ſidem,
oder Vorſchmack/ anzuzeigen/ welches dieſer Parabel Natur/
Zweck und Art ſeye/ und wie wir ſie prima fronte, im erſten Blick anzu-
ſehen haben: Gott gebe ſeine Gnad und Segen/ Amen.


A iijGeliebte
[6]Die Erſte Predigt

GEliebte im HErꝛn: Jn fuͤnff Stucken beſtehet der Vortrag
unſers paraboliſchen Textes/ da uns zu allerforderſt vorkom̃t
I. Parabolæ Cortex, die Rinde gleichſam an dieſem paraboli-
ſchen Baum/ die Schelet/ die Schaal/ darinnen ſie fuͤrgetragen worden/
dieſelbe iſt nun die narratio, die gantze Comoͤdi in unterſchiedlichen acti-
bus,
darinnen erzehlet wird von einem Vater/ der zween Soͤhne
hatte/ deren einer dem Vater das Erb abgetrotzet/ damit uͤber
Land gezogen/ und alles verpancketieret. Da er nun ange-
fangen Mangel zu leiden/ und ſich elend behelffen muͤſſen/ ge-
dachte er zuruck an ſeines Vaters Hauß/ wie gut es daſelbſt
die Tagloͤhner haͤtten/ und er muͤßte in ſolchem Mangel leben.
Deßwegen er umgekehret/ ſeine vorige Heimath wieder beſucht/
und von ſeinem Vater/ auch wider ſeines aͤltern Bruders
Wiſſen und Willen/ freundlich bewillkommet und auffge-
nommen worden. Das iſt alſo kuͤrtzlich die Hiſtori an ihr ſelbſt. Ob
aber dergleichen jemalen geſchehen/ und ἐν ὑϖοθέσει, im Wercke ſelbſten
fuͤrgangen/ daher der Herr Chriſtus das Exempel genommen/ ab ὑϖο-
ϑέσει ad ϑέσιν zugehen/ oder ob Er ex fictione rei poſſibilis, auß Satz ei-
ner moͤglichen Sache gegangen/ und dieſe Parabel ſelbſten erdichtet/ iſt
nicht gnugſam offenbar/ ligt uns auch daran gar wenig. Jſts alſo ge-
ſchehen/ ſo iſts parabola exemplar, ein Exempel-Gleichnuß/ von Chriſto
fuͤrgeſtellet/ daß man ſich/ jung und alt/ daran ſpiegle. Jſts nicht ge-
ſchehen/ ſo hat es doch wol geſchehen koͤnnen/ und iſt eine Comoͤdi/ die von
Anbegin der Welt geſpielet worden. Niemand laſſe ſich deßwegen irꝛ
machen/ wanns gleich alſo in ſolchen Umſtaͤnden nicht geſchehen waͤre.
Dann zu gleicher weiß/ wie in einer Comoͤdi/ wann eine Perſon in einem
Koͤniglichen Habit aufftritt/ und ſich darſtellet als ein Koͤnig/ niemand
deßwegen verfuͤhret oder betrogen wird: Alſo/ wann der Evangeliſt ſagt/
der Herr habe dieſe Gleichnuß geſprochen/ und ſie eben in der That mit
ſolchen Umſtaͤnden nicht geſchehen/ kan darum Chriſto kein Betrug oder
crimen falſi auff gebuͤrdet werden.


II. Radix, die Wurtzel und Schluͤſſel des Verſtands/ iſt der ſco-
pus
und Zweck/ warum der Herr dieſe Parabel angefuͤhret/ und wohin
ſie gemeynet iſt. Urſach hat dem Herrn dazu gegeben/ das Pariſaͤiſche/
heuchleriſche/ neidiſche Schalcks-Aug; dann dieſe murreten/ daß Chriſtus
der Zoͤllner und Suͤnder ſich annimmet/ ſie aͤrgerten ſich darab/ und ge-
dachten/ gleich und gleich geſelle ſich gern/ ſie lieſſen ſich beduncken/ das
Himmelreich ſeye allein ihr/ als die ein ſolch ſtreng und heiliges Leben
fuͤhre-
[7]Vom verlohrnen Sohn.
fuͤhreten/ Zoͤllner und Suͤnder aber waͤren Außwerfflinge. Dieſelbe nun
zubeſchlagen/ fuͤhret der Herr dieſe Parabel ein/ und verſtehet unter der
Perſon des verlohrnen Sohns die bußfertigen Zoͤllner und Suͤnder/ um
dero willen Chriſtus in die Welt gekommen; unter der Perſon des Va-
ters ſeinen himmliſchen Vater/ ja auch ſich ſelbs; unter der Perſon des
aͤltern Bruders die Heuchler und Werck-Heiligen/ und iſt der gantzen
Parabel Meynung dieſe: So dieſer irdiſche Vater ſeines boͤſen Kinds/
aber bußfertigen Suͤnders/ ſich ſo hertzlich angenommen. Und (ich frag
euch) wann euerer einem/ die ihr doch ſo arg und boͤß ſeyd/ dergleichen
Hertzenleid begegnet/ wuͤrdet ihr auch euere Kinder außſchlagen? ich glaub
es nicht; alſo ſolt ihr mich auch nicht verdencken/ daß ich mich der armen
Suͤnder ſo hertzlich annemme/ als um dero willen ich in die Welt kom-
men bin/ zu ſuchen/ das verlohren iſt. Jhr aber ſeyd die feindſelige Bruͤ-
der des verlohrnen Sohns/ die leidigen Schaden-Fro/ meynet ihr/ der
Himmel ſeye allein fuͤr euch erbauet? nimmermehr. Jſt alſo dieſe Pa-
rabel in Summa/ ein Commentarius, ein Schluͤſſel des himmliſchen
Vater-Hertzens/ ein Liecht und illuminatio der Goͤttlichen Verheiſſung/
Ezech. 18, 31. So wahr ich lebe/ ich begehre nicht den Tod des
Suͤnders und Gottloſen; Matth. 11. Kom̃t her zu mir alle/ die
ihr muͤhſelig und beladen ſeyd/ ich wil euch erauicken; Luc. 5.
Die Geſunden bedoͤrffen keines Artzts/ ſondern die Krancken/
ich bin kommen zu ruffen den Suͤndern zur Buß/ und nicht
den Gerechten. Sie iſt eine rechte promulſis und Vorſchmack der
Lehr vom Loͤß- und Bind-Schluͤſſel.


III. Nucleus, der Kern/ Marck/ Safft und Frucht dieſer Parabel
(nam parabolæ aliud in medulla habent, aliud in radice pollicentur, ait
Hieron. in cap. 12. Ezech.
die Gleichnuͤſſe haben etwas anders in ſich/ als
ſie aͤuſſerlich bedeuten.) iſt/ der hoͤchſt-nothwendige Articul unſers
Chriſtlichen Glaubens von der wahren Buß/ und folgender
Rechtfertigung eines armen Suͤnders fuͤr Gott/ (da zugleich mit
einlauffen die Articul vom freyen Willen und deſſen Kraͤfften/ von der
Suͤnd/ von Gottes Gnad und dero Krafft/ von beyderley Gerechtigkeit des
Geſetzes und Evangelii/) als von welchen Articuln des Glaubens biß dato
außfuͤhrlich zu handeln/ ſich die Gelegenheit nit wollen præſentiren Reimet
ſich gar wol hieher/ dieweil wir naͤchſt darauff die Lehr von der Abſolution
und excommunication antretten werden/ alles uns zur Lehre und Troſt.


IV. Rami, die Aeſte an ſolcher Gleichnuß/ die ſeind nun die jenige
Stuͤcke/ oder Theile/ in welche ſich dieſe Parabel abtheilet/ und ſeind dero
ſonderlich
[8]Die Erſte Predigt
ſonderlich drey/ der ungerathene/ verlohrne aber bußfertige Sohn/
der repræſentiret dich/ mich/ und einen jeden unter uns/ es beredt ſich ja
niemand/ ob ſeye er um viel Haar beſſer/ wir haben leider alle mit Gott
den verlohrnen Sohn geſpielt/ wiewol einer ſein Perſon beſſer oder viel-
mehr aͤrger vertretten/ als der andere; ah perditè vixi, ich habe ſchlimm
gelebt! muͤſſen wir alle ſagen. 2. Der Vater des verlohrnen
Sohns præſentiret den himmliſchen Vater/ der agirt daſelbs ſeine Per-
ſon/ oͤffnet ſein Vater-Hertz faſt nirgend in der gantzen Bibel ſo klar/ ſo be-
weglich als allhie/ indem er ſeinem Sohn/ als er noch ferne geweßt/ entge-
gen gangen/ ihm um den Hals gefallen und gekuͤſſet/ ſeiner ſich erbarmet/
und befohlen/ ihme das beſte Kleid/ einen Fingerreiff und Schuch zu
bringen/ und ein gemaͤſtet Kalb zu ſchlachten. 3. Der Bruder des
verlohrnen Sohns ſeind die jenige groſſe Heiligen/ die ihrer Einbildung
nach nie kein Waſſer betruͤbet/ die nicht noth haben zu betten auß Pſal. 25.
Gedencke nicht HErꝛ der Suͤnde meiner Jugend und meiner
Ubertrettung; Werffens auch bußfertigen Suͤndern fuͤr/ nachdem
ſie mit Gott ſich außgeſoͤhnet. Seind eine rechte idea und Muſter der
alten Pelagianer und Novatianer/ und der heutigen paͤpſtiſchen Semi-
Pelagianer: die meynen/ ſie bedoͤrffen keiner Buß/ und wollen durch
und durch recht haben. Ein lebendiges Controfet und Bildnuß der geiſt-
lichen Hoffart und des ſchnoͤden Phariſaiſmi, davon aber zu ſeiner Zeit
gruͤndlich wird gehandelt werden.


V. Kommen endlich dazu die folia und Emblemata, die Bey- und
Neben-Perſonen/ die Neben-Gemaͤhld/ die zwar zum eigentlichen Weſen
und Zweck nicht gehoͤren/ werden aber ad complendam parabolam,
die Gleichnuß zu ergaͤntzen mit eingefuͤhret/ derſelben eine Geſtalt zu geben/
darinnen man eben nicht alles außeckeln muß/ wie bißweilen muͤſſige Leute
zu thun pflegen. Als da iſt die condition des fremden Landes/ dahin er
gezogen/ die Huren/ mit denen er ſein Gut verthan/ der Burger des Lands/
an den er ſich gehaͤnget/ die Tagloͤhner/ die Brod die Fuͤlle haben/ die Spiel-
leut/ die er bey der Mahlzeit gehalten/ die Knechte/ Kleid/ Finggerreiff
und Schuch/ und dergleichen.


Hier ſtehet nun/ M.L. der herꝛliche Paraboliſt/ Ach welch ein Meiſter
zu lehren! allen Predigern/ ſonderlich aber Theologiæ Studioſis zu einem
dapffern Lehrmeiſter/ und weiſet den rechten Hand-Griff/ wie man nach
ſeinem Exempel lehren ſoll. Quid I. docendum, was man fuͤrtragen
ſoll/ nicht Menſchen-Tand/ nicht weltliche/ heydniſche Hiſtorien/ die Ohr-
en damit zu grauen/ nicht lauter moralia und legalia, vom Geitz/ Wucher/
Un-
[9]vom verlohrenen Sohn.
Unkeuſchheit/ ꝛc. damit man offtmal mehr nicht erlangt als den Phari-
ſaiſmum
und aͤuſſerliche Erbarkeit; ſondern die Meſchalim, ſublimia
magnalia DEI,
hohe/ himmliſche/ uͤbernatuͤrliche Geheimnuͤſſe/ von der
Perſon Chriſti/ Gnaden-Wahl/ den Kraͤfften des freyen Willens/ von der
Tauff-Krafft der Kinder/ davon die Zwinglianer nichts hoͤren wollen/ ꝛc.
und daſſelbe ſoll vollkommen geſchehen/ ſoviel davon in Gottes Wort ge-
offenbahret iſt; es wird doch wohl in dieſer Welt ein ænigma, ein Spie-
gel/ dunckele Lehr und Stuck-Werck verbleiben/ aber ſo viel geoffenbaret/
ſoll man auch nicht verſchweigen. Solte darum ein Knab in der untern
Schul ſein Elementale nicht recht lernen wollen/ dieweil daſſelbe in der
obern deutlicher erklaͤret wird? alſo laͤßt ſichs auch nicht thun/ wann einer
die Milch-Speiß wegen der harten Speiß in unterſchiedlichen Glaubens-
Articuln nicht verſtehen lernen/ ſondern verneinen wolte/ wann man
die ſchweren Sachen verſtehet/ wuͤrde das leichtere ſich auch ergeben/ wie
es Auguſt, tract. 97. erklaͤret. 2. Quomodo? ſie ſollen Chriſto ab-
lernen modum parabolicum, daß ſie auch Gleichnuß-Tichter ſeyen/ wie
Ezechiel dieſen loͤblichen Nahmen gehabt/ daß er memaſchel meſchalim
genennet worden/ als der eitel verdeckte Wort geredet/ c. 21. Und
das heiſſet Knechten und Maͤgden/ und Einfaͤltigen predigen. Dahin
ſeind die Wort Lutheri in colloq. zu verſtehen/ daß man ſchlecht
und einfaͤltig predige/ nur gedencke Knechten und Maͤgden zu predigen/
um D. Jonæ, Philippi, oder der gantzen Univerſitaͤt willen nicht einmal auff-
trette. Verſtehe aber nicht abſolutè, ſchlechter dings dahin/ dann Er
wußte wol/ ſe debitorem eſſe omnium, daß er aller Schuldner ſeye/ Rom.
1, 14. ſondern comparatè, Vergleichungs-weiß/ in oppoſitione und Ge-
genſatz wider die jenige/ die lauter Rabbinos und Meiſterſtuck herauß
werffen/ mit Hebraͤiſch/ Grichiſch es ſo krauß machen/ daß das gemeine
Volck da ſtehet/ und zuhoͤret/ wie ein Kuh ein neu Thor anplart. Mit
wenig Worten viel anzeigen/ das iſt groſſe Kunſt/ Thorheit aber iſts mit
vielen Worten nichts reden; Jch predige/ ſpricht Luther. einfaͤltig
den Ungelehrten/ und es gefaͤllet allen wol. Man leſe ſeine
Poſtill/ ſo wird mans finden.


3. Qu id in parabola quærendum? Was in der Gleichnuß zu
ſuchen? Eine jede Parabol hat ihren Kern/ da hat man ſich nun wol
zu huͤten vor dem Zweck-Fehler/ daß man nicht neben dem Zweck hin-
ſchieſſe/ mit den Rinden und der Schelet die Zuhoͤrer abſpeiſe/ ſondern
das Marck recht herauß grabe. ᾽Ερευνᾶτε, οὐ συκοφαντει῀τε καὶ πολυπραγμο-
νει῀τε ſchreibt Damaſcen. l. 4. D. O. F. 12. Chriſtus ſpricht/ ſuchet/ for-
ſchet in der Schrifft/ nicht/ treibet Allefaͤntzerey/ oder beleget euch mit
Zehender Theil. BSachen
[10]Die Erſte Predigt.
Sachen/ die euch nicht gebuͤhren/ bringet keine Sachen bey/ die ſich daher
eigentlich nicht ſchicken. Da trucke man nun die Poſtillen nicht zu wohl/
dann ſie vagiren bißweilen allzuweit herum/ und uͤberſchielen den Kern/
ſie thun keine ſatisfaction, gehet eben mit ihnen/ wie mit dem Geld/ je we-
niger man hat/ je groͤſſern Fleiß legt man an/ biß mans bekomt/ je mehr
man aber Geld hat/ je weniger achtet man es; Es laßt ſich zwar mit den
Poſtillen vor der Welt auffgezogen kom̃en/ die eben die fremden Federn/
(darinn ſich mancher ſpiegelt) nicht erkennen/ aber vor Gott und dem
Gewiſſen nicht. Was Gott der Herr dem Propheten Ezechiel geſagt
c. 40, 4. Du Menſchen-Kind/ ſiehe und hoͤre fleiſſig zu/ und
mercke eben drauff/ was ich dir zeigen will. Dann darum biſt
du hergebracht/ daß ich dir ſolches zeige/ auff daß du ſolches al-
les/ was du hie ſieheſt/ verkuͤndigeſt dem Hauſe Jſrael; Das
ſagen wir auch allen Theologiæ Studioſis, du Menſchen-Kind/ ſiehe und
hoͤre zu/ was dir geſagt wird/ und mercke eben drauff/ was dir fuͤrkomt/
auff daß du ſolches dem Hauſe Jſrael/ deiner Gemeinde/ die dir anver-
trauet werden ſoll/ treulich ohn alle Gefaͤhrde vortrageſt.


Es ſtehet aber Chriſtus auch hie/ und rufft allen Zuhoͤrern zu/ Matth.
13. Wer Ohren hat zu hoͤren/ der hoͤre. Er verheißt; Wer da
hat/ dem wird gegeben/ daß er die Fuͤlle habe: Dann wo das
Wort Gottes verſtanden wird/ da mehret es ſich/ es beſſert den Menſchen/
und macht ihn auffwachſen zur Chriſtlichen Vollkommenheit. Er draͤuet
aber auch: wer aber nicht hat/ von dem wird auch genommen/
das er hat. Gleich wie in der Schul einem ungehorſamen Diſcipul/
der alle Unterweiſung in Wind ſchlaͤgt/ und keinen Unterricht mit Danck
annehmen will/ letſtlich ſolches benè rechtmaͤßiger weiſe entzogen wird;
Ja wann die præmia werden auß getheilet werden/ wirds heiſſen: du
Schalcks-Knecht haſt das Gute in der Welt verachtet/ nim nun auch
mit der Straff vorlieb. Chriſtus der Herr begehret von uns cupidi-
nem \& promulſidem,
eine Begierde nicht nur der Geſetz-maͤſſigen/ ſon-
dern auch Evangeliſcher Stuck und Geheinmuͤſſe/ darum legte ers ſeinen
Juͤngern κατ᾽ ἰδίαν, in ſonderheit auß/ daß ſie deſto begieriger und eifferi-
ger zur Nachforſchung werden ſolten. So hoͤret nun/ M. L. dieſe Gleich-
nuß: Chriſtus ladet die Alten ein/ daß ſie in ſich ſelbſt gehen/ und das γνῶϑι
σεαυτὸν die ſelbs-Erkantnuß fleiſſig practiciren lernen/ in ihrer Jugend
hinderſich ſpatziren und auffs genaueſte alles pruͤffen ſollen. Sonder-
lich aber agiret er dieſe Comœdi vor den jungen Geſellen und Jung-
frauen/ ſich daran zu ſpieglen/ nicht zur Nachfolg/ ſondern zur Flucht und
Abſcheu. Terentii Epitaphium iſt in den Schulen bekant:


De-
[11]vom verlohrnen Sohn.
Deſcripſi mores hominum, juvenumque ſenumque,

Qualiter à ſervis decipiantur heri.

Quid meretrix, quid Leno dolis confingat avarus,

Hæc quicunque fugit, ſic, puto, cautus erit.

Die Sitten lehrte ich/ der Jungen und der Alten/

Wie Knecht und Maͤgde thun ihr Herꝛſchaft zubetriegen/

Wie ſich der Unkeuſch pflegt/ der geitz'ge Filtz zu halten/

Wer dieſes alles flieht/ der wird wol ſicher liegen.

Dieſem verlohrnen Sohn iſts gelungen/ daß er zur Buß kommen/
aber tauſenden ſeines gleichen gelingt es nicht/ denen am allerwenigſten/
die es auff die Gnade Gottes wagen wollen. Gott gebe/ daß wir in
dieſer fuͤrhabender Buß-Comoͤdi nicht bloſſe Seher und Hoͤrer/ ſondern
Thaͤter werden/ daß wir uns nicht erkuͤhnen vom Thurn in dieſe boͤſe
Welt freventlich herab zu ſpringen/ dieweil nicht irgend einer mit dem
Leben darvon komt/ um ſein ſelbſt willen/ Amen.



Die Andere Predigt.
Von des verlohrnen Sohns

Undanckbarkeit.


GEliebte in Chriſto. Wann Hug. de S. Victore, einer
von den alten Lehrern/ l. 2. de arca morali c. 4. eine artige
und ſchoͤne proſopopœiam unter andern einfuͤhret/ uns
Menſchen-Kinder zu ſchuldiger Danckbarkeit gegen Gott
im Himmel auffzumuntern/ und ſchreibet: Audimus crea-
turam tribus vocibus nobis loquentem; prima vox dicit,
accipe; ſecunda, redde; tertia, fuge; accipe beneficium, redde de-
bitum, fuge ſupplicium,
das iſt: Wir hoͤren die Creatur mit drey Stim-
men reden/ die erſte ſagt/ Nim̃; die andere/ Gib; die dritte/ Fleuch;
Nim̃ die Gutthat an/ leg deine Schuldigkeit ab/ und fleuch die Straff.
So præſentiret ſich die Creatur I. in der erſten Stimm tanquam fa-
mulam,
als eine Dienerin; Sihe Menſch/ ſpricht ſie gleichſam/ ich
bin deine Dienerin/ darzu erſchaffen/ daß ich dir dienen ſoll/ die Sonn/
Mond und Sternen ſprechen/ ich leuchte dir/ der Wein/ ich erquicke dich/
die Fruͤchten/ ich ſpeiſe dich; Seiden/ Flachs/ Hanff/ Woll/ ich kleide dich;
B ijSilber
[12]Die Andere Predigt
Silber und Gold/ ich diene dir in allerhand Contracten; die Blumen
des Feldes/ die froͤliche Fruͤhlings-Zeit/ ich lache dich an/ nim̃ hin/ brich ab/
iß/ trinck/ kleide dich/ brauche mich/ ich bin bereit/ dir zur Freud und Nutz zu
dienen. II. Jn der andern Stimm/ præſentiret ſich die Creatur
tanquam magiſtram, als eine Lehrmeiſterin/ und ſpricht: redde 1.
debitum gloriæ,
gib mir die Ehren-Schuld/ wiſſe/ daß ich mich dir
nicht vergebens zum Dienſt untergebe/ ſondern daß du mich brauchen ſolt
meinem Schoͤpffer zu Ehren/ und dem Naͤchſten zu dienen/ aſpice me,
ſed oculis columbinis,
ſihe mich an/ aber vergiß Gottes des Schoͤpffers
daruͤber nicht/ amplexu Joſephico, wie Joſeph mich angenommen; ge-
brauche meiner als ein Wandersmann und Pilgrim/ uͤber Tiſch als ein
Knecht und Diener/ mach keinen Goͤtzen auß mir meinem Schoͤpffer zu
Unehren. 2. Debitum juſtitiæ \& exercendæ charitatis in proximum,
die Liebes-Schuld/ brauche mich als einen Brunnen/ der jederman
Waſſer gibt/ verſtopffe mich nicht/ und laß meine Baͤchlein auff die Gaſ-
ſen flieſſen. Gott der Schoͤpffer iſt das Meer aller Guͤtigkeit/ die Men-
ſchen ſeind die Canaͤle und Roͤhre/ durch welche alles Gute dem Naͤchſten
zu gut wieder in Gott hinein flieſſen muß. 3. Debitum gratiæ, die
Danck-Schuld/ ſeyd nicht wie Roß und Maͤuler/ die nicht verſtaͤndig
ſeind/ die den Habern freſſen/ und dencken nicht einmal/ wo er herkomt/
oder wie die Schweine/ ſo die Eychlen freſſen/ ſehen aber niemals uͤber ſich
auff den Baum/ von dem ſie herab fallen/ ſondern ſprich: Ach Gott/
es iſt ja dein Geſchenck und Gab/ mein Leib und Seel/ und was ich hab.
III. Jn der dritten Stimm præſentirt ſich die Creatur tanquam ar-
borem vetitam,
als einen verbottenen Baum/ und ſpricht: fuge
ſupplicium,
meide die Straff/ wegen des ſchaͤndlichen Muͤſſiggangs und
Mißbrauchs/ du kanſt an mir gar wol die Hoͤlle verdienen/ wirſt du mich
martern/ und mit ſchaͤndlichem Mißbrauch quaͤlen/ ſo klag ichs meinem
Schoͤpffer/ der uns Creaturen auch zur Rach erſchaffen/ wie Bileams
Eſelin geſagt Num. 22. Was hab ich dir gethan/ daß du mich geſchlagen
haſt nun dreymal; ſo ſagen auch in ihrer Maß alle andere Creaturen.
Jſt M. L. eben das jenige/ was uns Chriſtus in drey Parabeln ſchoͤn fuͤr-
gebildet/ und zu verſtehen gegeben; Matth. 25. an dem Exempel deſſen/
der einen Centner zum Wucher empfangen/ bey ihm war das accipe,
aber vom redde wolt er nichts wiſſen. Luc. 16. am ungerechten Hauß-
halter/ der ſeinem Herrn die Guͤter umgebracht/ bey welchem ſich das
accipe auch befunden/ aber nicht das redde und fuge; alſo auch ſonder-
lich Luc. 15. in der ſchoͤnen Parabel vom verlohrnen Sohn/ als bey wel-
chem
[13]vom verlohrnen Sohn.
chem das accipe gar annehmlich war/ aber das redde blieb auſſen/ dar-
um dann auch das ſupplicium, die Straff darauff gefolget/ wie gerun-
gen/ ſo gelungen.


Wann wir nun heut acht Tag daran den Anfang gemacht/ und von
der Parabel ins gemein gehandelt/ ſo folget nun nach gemachter Abthei-
lung in Dramate parabolico die erſte Perſon/ der verlohrne Sohn tan-
quam peccator,
in ſeiner Untugend/ und zwar in drey Umſtaͤnden/ 1. ut
in DEUM ingratus. 2. in parentem impius. 3. in ſe
ἄσωτος, als ein
Undanckbarer/ Gottloſer/ unmaͤſſiger Geſell/ da er grad umkeh-
ret/ was Paulus ſagt Tit. 2. daß wir ſollen σωφρόνως, δικαίως, καὶ ἐυσε-
βῶς, zuͤchtig/ gerecht/ und Gottſelig leben/ ſo heiſſet es bey ihm/
ἀσωφρόνως, ἀδίκως, καὶ ἀσεβῶς, unzuͤchtig/ ungerecht und gottloß. Diß-
mal nehmen wir allein vor uns/ Filium ingratum, ſeine Undanckbarkeit:
darvon nun nutzlich und aufferbaulich zu reden/ wolle uns Gott mit
der Gnad/ Liecht und Beyſtand des Heil. Geiſtes um Jeſu Chriſti willen
mildiglich erſcheinen/ Amen.


ZWey Stuͤck haben wir bey unſerm Vortrag zu mercken/ des
verlohrnen Sohns Gluͤckſelig- und Undanckbarkeit an
ihr ſelbſt.


Belangend nun I. ſeinen geſegneten gluͤckſeligen Stand/
ſo geben die Umſtaͤnde der Parabel zu verſtehen/ es ſeye derſelbe geweßt 1.
Felix Eccleſiæ communione, in dem Schoß der Kirchen. Dann
iſts eine warhafftige Geſchicht geweſen/ (welches wir heut acht Tag dahin
geſtellt gelaſſen) ſo iſts von einem Juͤdiſchen Mann/ und ſeinem Juͤdi-
ſchen Sohn/ der ſich ins Heydenthum hinauß begeben/ zuverſtehen: Jſts
aber eine bloße Parabel/ ſo hat doch Chriſtus auff das Judenthum geſe-
hen/ und gleich wie der aͤltere Sohn ein Bild der Juden/ alſo iſt der juͤnge-
re ein Bild der Heyden geweßt. Ja unter anderm Elend/ das er auß-
geſtanden/ wird auch vermeldet/ daß er im fremden Land der Schwein
hab huͤten muͤſſen. War ein gedoppeltes Elend/ erſtlich das Schwein
huͤten ſelbſt/ und dann daß er als ein juͤdiſcher Menſch ſolches thun muͤſ-
ſen/ davor ſonſt die Juden ein Abſcheuen hatten. Wie nun Plato vor
zeiten der Natur gedancket/ daß er ein Menſch/ keine beſtia, ein Manns-
Bild/ nicht ein Weibs-Bild/ ein Griech/ kein Barbarer/ ein Athenienſer/
kein Thebaner gebohren/ alſo war das ein uͤberauß groſſes Gluͤck/ daß er
unter dem Volck Gottes/ dem außerwehlten Geſchlecht geboren/ das
Sacrament der Beſchneidung empfangen/ die Hoffnung der Seligkeit
gehabt: Summa/ ein Kind Gottes geweſen.


B iij2. Felix
[14]Die Andere Predigt

2. Felix nativitate temporali, gluͤckſelig ſeiner Ankunfft nach/
daß er gleich in den freyen adelichen Stand geſetzet worden. Dann die
Umſtaͤnde gebens/ daß er nicht von geringen/ ſchlechten Eltern/ nicht von
einem Bauren oder Leibeigenen/ ſondern frey gebohren: iſt etlicher maſ-
ſen abzunehmen ex inſigni annuli \& ſtolæ, auß dem ſtattlichen Finger-
Reiff und Kleid/ das ihm der Vater bringen und anziehen ſaſſen/ ςόλην
τὴν ϖρώτην, das erſte/ edelſte nnd beſte Kleid. Das waren inſignia
nobilitatis,
und wie vermuthlich/ hat er es zuvor auch getragen. Alſo
iſt der Unterſcheid zwiſchen den Soͤhnen/ und dann den Knechten und
Tagloͤhnern im Text fundiret.


3. Felix ingenio \& indole, gluͤckſelig ſeinem Verſtand und
Gaben nach/ adeliches Gebluͤt und adeliches Gemuͤth war bey
einander/ iſt auß der guten freymuͤthigen Luſt zu reiſen abzunehmen/ er
wolt kein Stuben-Huͤter oder Mutter-Kind ſeyn/ immer hinder dem
Ofen ſitzen/ ſondern ſich auch verſuchen in der Welt. Die Intention
war bey ihm gar gut/ und der Zweck nicht boͤß/ aber der Schuß war nicht
juſt/ der des Zwecks verfehlet. Darauß abzunehmen/ was noch fuͤr an-
dere ſemina, virtutes \& talenta darunter verborgen gelegen. Sonder
Zweiffel wird er zum Schutz der Synagog angezogen worden ſeyn/ dann
damals hielten die Edel-Leute die Studia fuͤr eine Ehr.


4. Felix corpore \& valetudine, er war guter Geſundheit:
Dann ſo er nicht friſch/ geſund/ ſtarck und ſchoͤn von Leib geweſen/ und
irgends einen Breſten/ Bruch/ Hoffer/ lames Glied/ oder dergleichen
Wehbengel einen am Halß gehabt/ der Reyß-Kuͤtzel wird ihn nicht an-
kommen ſeyn.


5. Felix opibus, reich an Guͤtern; Er begehret von ſeinem Va-
ter das Theil ſeiner Guͤter/ und erlangts/ ſamlet alles zuſammen/ und zie-
het mit davon. Er erinnert ſich hernach in ſeiner Buß/ daß die Tagloͤh-
ner Brods die Fuͤlle haben: ſo muß der Vater auch nicht uͤbel geſtanden
ſeyn/ die reichen Gaben/ der guͤldene Finger-Ring/ das koͤſtliche Kleid/
das gemaͤſte Kalb in parato, und die ſtattliche Mahlzeit/ die Tagloͤhner
und Knechte ſeind lauter Zeugen des Reichthums. Dazu komt die
monadelphia, daß er nur einen einigen Bruder gehabt/ da waͤre dann
das Gut bald getheilet.


6. Felix favore, er hat gute Gunſt. Dann er war der juͤngſte/
conſequenter der liebſte/ wie Benjamin und Joſeph/ Gen. 37. Das
wußt ihm wol der aͤltere Bruder auffs Brod zu ſchmieren; Nun aber
dieſer
[15]vom verlohrnen Sohn.
dieſer dein Sohn kommet/ das ſchoͤne liebe Juͤnckerlein/ der ehrbare Ge-
ſell/ ꝛc. Darum auch Jacob ehe alle ſeine zehen Soͤhne in Egypten laͤßt/
biß auff den eintzigen Benjamin.


Folget nun II. Ingratitudo, die Undanckbarkeit. Wie hat ſich
aber dieſer ſchoͤne Juncker erzeiget? als wie ein undanckbarer Geſell ge-
gen Gott zuforderſt im Himmel/ und gegen ſeinem lieben frommen Va-
ter/ wie er ſelbs bekennet/ ich hab geſuͤndiget im Himmel und fuͤr dir.
Und zwar war er undanckbar


1. Per gratiarum intermiſſionem, in dem er des Dancks ver-
geſſen; Wie ſolte doch dieſer Menſch Gott gedancket haben/ ſeinen
gluͤckſeligen Stand gegen andern ſeines Alters Juͤnglinge und Jung-
frauen verglichen und gedacht haben? ſihe/ Gttt hat dich zum Junckern
gemacht/ du haͤtteſt wohl auch eines Bauren Sohn werden koͤnnen; du
biſt reich/ haͤtteſt aber auch gar wohl ein armes Wayſen- und Bettel-
Kind ſeyn koͤnnen; du haſt eine ſchoͤne geſunde und grade Leibes pro-
portion,
da ein anderer ein Krippel/ blind und lahm; Gott hat dir ein
faͤhig ing [...]nium gegeben ſchoͤne Kuͤnſte zu lernen/ deſſen ein anderer ent-
rathen muß. Der jenige Gott/ der dir diß alles gegeben/ kan dirs auch
bald wieder nehmen/ fortunam rev[er]enter habe, haſt du ein groſſes
Gluͤck/ wiſſe/ es hat auch ſein Tuͤck. Das alles hat er gedencken und
fuͤr Lieb gegen Gott brennen ſollen, aber er achtet alles nicht/ und mey-
net/ es muͤſſe eben ſo ſeyn/ Gott ſeye es ihm ſchuldig/ macht deswegen
ſein computum bey Zeit auff ſeines Vaters Guͤter/ dencket/ da kan es
ihm nicht fehlen.


2. Per ſuperbiam \& inobedientiam, die Hoffart blieb nicht
auß bey ſo hohen Gaben/ ſeine Natur iſt gantz verderbt; er trotzet
Gott nicht nur/ ſondern ſpiegelt ſich auch in ſeinen Gaben/ er wußt zeit-
lich/ daß er einen reichen Vater hatte/ und machte ſeinen Concept fein bey
zeiten auff ſeines Vaters Gut; es hats ihm ein Schalck geſagt/ daß er
einen guten Kopff habe/ ſchoͤn von Leib ſeye/ und ihm alles wohl anſtehe.
Deſſen uͤberhebt er ſich. Divitiarum morbus eſt ſuperbia, ſagt Auguſt.
grandis animus, qui inter divitias illo morbo non laborat. Omne
pomum, omne gramen, omne frumentum, omnelignum habet ver-
mem ſuum, alius vermismali, alius pyri, alius fabæ, alius tritici, ver-
mis divitiarum ſuperbia;
das iſt: Der Reichen Kranckheit iſt
Hochmuth/ es iſt ein ſeltzames Wildpret/ wer bey groſſem
Reichthum daran nicht danieder liget; ein jedes Obs/ Graß/
Frucht/ Holtz hat ſeinen Wurm in ſich/ ein anderer Wurm
ſteckt
[16]Die Ander Predigt
ſteckt im Apffel/ ein anderer in der Birn/ ein anderer in ei-
ner Bonen/ des Reichthums Wurm iſt Hochmuth/ darum je
ſchoͤner Blum/ je ſchaͤdlicher Ungeziffer. Summa: er hatte einen
Wurm/ der hieß φιλαυτία \& contemptus proximi, ſelbſt-Lieb und Ver-
achtung des Naͤchſten/ da iſt an ihm/ was ſonſt die Heyden von Narciſſo
gedichtet/ alles wahr worden.


3. Ingratus per otium, matrem nugarum \& novercam vir-
tutum,
der Muͤſſiggang/ eine Muter der Allefaͤntzerey und
Stieffmutter aller Tugenden/ ſteckte ihm in dem Rucken/ er
mocht nicht gern dicke Brettlein boren/ ließ ſich duncken/ er haͤtte Gelds
genug/ die Bauren-Kinder moͤchtens ihnen laſſen ſaur werden/ warum
ſolte er ſich außmaͤrglen. Sein Thun war zweiffels ohn ſchlaffen/ biß
ihm die Sonne ins Bett geſchienen/ er hat nicht viel nach dem Haber-
mann/ nach den Buͤchern und der Kirchen gefragt/ ſondern nach dem
Kellermann/ nach dem Fruͤhſtuͤck/ darauff die Gaſſen getrett/ enſpatzieren
gegangen/ Muſicen angeſtellet/ iunckerirt/ geloͤffelt/ graſſatum gangen/
und mit. Schlinglen die liebe Zeit zugebracht. Jſt alles darauß abzu-
nehmen/ daß er/ da es ihm hernach an den Bund-Riemen gangen/ kein
ehrlich Handwerck ergriffen. Dann weil er die Bluͤht ſeiner Jugend
dem Teuffel auffgeopffert/ hat er nichts rechtſchaffenes ſtudieret/ damit
er ſich haͤtte moͤgen durchbringen/ mußte des wegen der Schwein huͤten/
und ſich mit den Saͤuen luſtig machen. War alſo in Summa ingra-
tus hoſpes in DEI aula,
ein undanckbarer Koſtgaͤnger an GOttes Taf-
fel/ ihm war re ipſa in der That auff ſein Hertz und in ſein Gewiſſen ge-
brant das ſtigma, ingratus homo, danckeſt du alſo deinem Gott?
Gleich wie vor zeiten der Koͤnig Philippus einem Soldaten/ der ſeinem
Koſt-Wirth/ von dem er viel Gutes empfangen/ einen rothen Hahn
auffs Hauß geſetzt/ ein ſtigma laſſen auff die Haut brennen/ ingratus
hoſpes,
undanckbarer Gaſt/ auff daß/ wer ihn anſihet/ ſich an ihm ſpieglen
moͤchte; alſo ſtellet uns auch Chriſtus dieſen Juͤngling ut ingratum
ſtigmate hoſpitem,
als einen undanckbaren Geſellen vor/ an dem wir
uns allzumal wohl beſpieglen und ſchamroth werden ſollen.


Nun/ M. L. der verlohrne Sohn iſts nicht allein/ wir alle ſind in ge-
wiſſen Stucken auch ſolcher Art und Haar gegen Gott/ wir wollen die Deu-
tung deſſen nit weit auß dem Paradiß her holen/ da wir alle das Brand-
mal/ ingratus hoſpes, in unſern Hertzen erholt. Wieviel verlohrner
Soͤhn gibts noch unter uns/ bey denen das accipe, die Geb-Hand Gottes
gar
[17]Vom verlohrnen Sohn.
gar angenehm/ aber das redde, und die ſchuldige Wieder-Erſtattung auß-
bleibet? Keiner iſt unter uns/ der nicht ſonderbare Gutthaten von Gott
hat; ſeinds nicht Gemuͤths-Gaben/ ſo iſts geſunder/ friſcher/ ſtarcker
Leib; iſts nicht Reichthum/ ſo ſeinds Gemuͤths-Gaben/ oder anders der-
gleichen. Ja wir alle ſeind Kinder GOttes worden/ die da hoͤchſt ge-
adelt ſeind: Aber ô des ſchnoͤden Mißbrauchs! ach wie viel Falliten und
Banckerotierer gibt es/ die mehr eingenommen als außgegeben/ die neben
dem Zweck hinſchieſſen/ und ſich ſelbs treffen. O der ſchaͤdlichen Traͤg-
heit! Eine Dienſtmagd wann ſie nur eine Suppe beſſer kochen kan als die
andere/ wie groß duncket ſie ſich zu ſeyn. Ein jeder zielet jetzt auff ſich
ſelbs/ und erſchießt ſich ſelbs; Was wollen wir von hoͤhern Gaben ſagen?
wie duncket ſich der Adel ſo groß/ wer einen Pfenning mehr hat als der
ander/ der meynet/ daß er nicht um ein Haar weichen darff/ und wil gleich
allenthalben oben ſchwimmen/ wie das Fett auff der Supp. Jhr alten
Jani ſehet doch zuruck in euere vorige Zeiten vor der allgemeinen teutſchen
blutigen Suͤndfluth/ wie habt ihr da haußgehalten? gedencket/ was ihr
vor Gaben von Gott gehabt? nemlich ihr hattets wie die zu Sodoma/
Hoffart und alles vollauff/ und guten Fried/ wolfeile Zeiten/ einen edlen
Sitz und Paradiß GOttes/ ein rechtes Schlauraffen-Land. Aber ô
der ſchnoͤden Undanckbarkeit! ich wil nicht ſagen von dem groben un-
danckbaren Baurs-Volck/ das mitten in der Cron des Goͤttlichen Se-
gens geſeſſen/ mit deme aber Gott den Kehrauß gemacht; Von uns/
die es beſſer haben verſtehen koͤnnen/ rede ich/ wo ſeind die fœnora? wo iſt
geblieben die Danckbarkeit gegen Gott/ in Erkanntnuß GOttes/ Lieb/
Forcht/ Gebet/ Lob/ Heiligung des Sabbaths/ Demut und dergleichen?
Da hat man ſich verlaſſen auff Proviant/ Feſtungen/ Waͤhl/ Geſchuͤtz/
Mannſchafft/ und getrotzt/ wann ſchon drey Kriegs-Heer fuͤr die Stadt
kaͤmen/ koͤnten ſie ſie doch nicht gewinnen; man hat/ mit einem Wort/
gelebet wie Schweine/ gefreſſen/ geſoffen/ pancketieret/ geſprungen/ ge-
tantzt/ und alſo haußgehalten/ daß die Creaturen daruͤber geſeufftzet und
geaͤchtzet. Daß aber jetzt dergleichen nicht geſchicht/ mangelt nicht am
guten Willen/ ſondern an Mitteln. Jſts dann Wunder/ wann Schwein-
Suͤnden mit Schwein-Straffen bezahlet werden/ und was mancher ein-
gebrockt/ anjetzo außfreſſen muß?


Es ſtehet aber dieſer ingratus hoſpes, und undanckbare Gaſt auch fuͤr
Augen als ein Schreck- und Warnungs-Spiegel/ allen jungen Leuten/
Studenten und Unſtudenten/ Edeln und Unedeln/ Soͤhnen und Toͤch-
tern/ Knechten und Maͤgden. I. Den Handwercks-Knechten
Zehender Theil. Cund
[18]Die Andere Predigt
und Maͤgden/ die ſich beduncken laſſen/ das Junckern-Handwerck ſeye
das beſte/ ſie muͤßten wol Narren ſeyn/ daß ſie ſich von ihren Meiſtern
ſolten hudlen laſſen/ ſie wollen lieber in Krieg ziehen/ da ſeye es um ein
Stund Schildwacht zu thun/ ſo laßt man ſie im uͤbrigen zu frieden.
Gehets nun ſolchen wie dem verlohrnen Sohn/ ſo moͤgen ſie hernach den
Werth daran haben; ja werden ſie mit Leib und Seel verdam̃t/ ſo dencken
ſie nur nicht anders/ als es ſey ihres Undancks Schuld. 2. Den Ed-
len von Adelichem Gebluͤt/ die ſich beduncken laſſen/ der Schul-
Rauch moͤchte den Glantz ihrer Schild und Helm verdunckeln/ duͤncken
ſich beſſer als Moſes/ Salomo/ Alexander M. lernen nichts rechts/ bring-
en die edle Zeit mit Raßlen/ Spielen/ Freſſen/ Schlinglen/ und muͤſſig
gehen zu. Gehets ihnen alsdann wie dem verlohrnen Sohn/ ſo muͤſſen
und moͤgen ſie es haben. Sprichſtu: es wird eben mir nicht ſo ergehen/
ich traue gutes Gluͤck zu haben. Antwort: quod cuiquam potuit ac-
cidere, poteſt etiam cuivis,
was einem begegnet/ das kan auch dir und
allen andern wiederfahren. Es ſeind wol Edlere Geſchlechter in den
Staub gefallen/ darauß ſie erhebt worden/ wil man dergleichen wiſſen/
ſo wird man ſie in der Tuͤrckey/ wie Busbequius bezeugt/ antreffen: Die
Nachkommende der Bulgariſchen Fuͤrſten und Griechiſchen Kayſer/ die
anjetzo hinter dem Pflug gehen/ Habern-Brod eſſen/ und mit Zwilchenen
Kleidern fuͤr lieb nehmen muͤſſen. 3. Unſere Studenten/ ſonderlich
die von Mitteln ſeind/ ſollen ſich auch daran ſpieglen/ und gedencken/
man habe ſie nicht hergeſchickt zu tantzen/ zu ſpielen/ ſchlinglen/ freſſen/
fechten/ rauffen/ junckerieren/ ſtutzieren/ allamodiſiren/ Ballen ſchlagen/
graſſatum gehen/ loͤfflen und dergleichen/ ſondern etwas rechtſchaffenes
zu lernen/ damit ſie zu ſeiner Zeit dem gemeinen Weſen/ Kirchen und
Schulen bedienet ſeyn. Unſere Straßburger/ die es wol haben/ ſollen
an ihre condiſcipulos, commilitones gedencken/ an die Wayſen- und
Gutleut-Kinder/ an Wilhelmiten und Marciten/ und die reſolution
faſſen/ etwas rechtes zu lernen/ und den Ehren-Grad mit Ruhm zu er-
langen. Wo ſie es nicht thun/ ſo moͤchte wol der Reimen des verlohrnen
Sohns an ihnen wahr werden: Studierſtu uͤbel/ ſo muſtu eſſen mit den
Saͤuen auß dem Kuͤbel. Es iſt aber 4. den Toͤchtern geſagt/ denen
es ein Schalck eingeblaſen/ ſie ſeyen wunder-ſchoͤn/ Adelichen hohen
Standes/ reich und nahrhafft/ ſie muͤßten ſich herfuͤr thun/ ſeye nicht von
noͤthen/ daß ſie/ wie die Maͤgde/ die Arbeit angreiffen/ ſondern bey zeiten
ſpieglen/ Pracht treiben/ und es andern gleich- oder auch gar vor machen.
Solche ſollen hoͤren/ wie der verlohrne Sohn hinter den Schweinen her-
fuͤr
[19]Vom verlohrnen Sohn.
fuͤr ihnen zurufft/ und ſagt: Diſce meo exemplo ſapere, mein Sohn/
meine Tochter/ lerne an meinem Schaden witzig werden/ nondum
omnium dierum Sol occidit,
es iſt noch nicht alle Tag Abend/ es kan uͤber
20. Jahr geſchehen/ was ſie ihnen jetzt nicht eingebildet/ es hat wol mehr-
mal manche ſtoltze Dirne das ihre verthan/ und mit Schaden erfahren
muͤſſen/ woran ſie niemal gedacht. Die Armen troͤſten ſich mit dem
Exempel Joſephs/ und Mariaͤ/ ergeben ſich Goͤttlicher Providentz/ denck-
en/ es ſeye beſſer/ arm ſeyn/ als ſich mit Reichthum verwunden/ contenti-
ren ſich mit dem/ was ſie haben; doch alſo/ daß ſie auch fromm ſeyn und
demuͤtig/ dann manche Dienſt-Magd iſt in ihrem Hertzen ſo ſtoltz/ ſolte
ſie die Mittel haben/ ſie wuͤrde ſich ſehen laſſen/ und keinem Menſchen kein
gut Wort geben. Aber from̃e und demuͤtige Hertzen dencken anders/ in
Betrachtung/ daß ſie deſtoweniger zu verantworten/ da iſt die geringſte
Vieh-Magd bey ihrem geringen Lohn und truckenen ſtuͤck Brod viel
gluͤckſeliger/ als der/ welcher der gantzen Welt Reichthum beſitzet. Das
Magnificat der Gottſeligen Mariaͤ iſt ihr Symbolum/ mit welcher ſie
taͤglich ſprechen:


Wer Demut/ Gedult und Hunger hat/

Die wil GOtt gaͤntzlich ſpeiſen/

Hoch ſetzen ſie/ und machen ſatt/

Damit ſein Gewalt beweiſen/

Die Reichen ſchon laͤßt leer hingohn/

Thut ſie in Trauren ſetzen:

Doch was arm iſt/ dem hie gebriſt/

Wil Er mit Freud ergoͤtzen.

Si non eſſe potes, quod te fore ſorte putabas,

Tum benè contentus, quod potes, eſſe velis.

Gehts dir nicht allzeit nach deim Will.

Sey zu frieden/ GOtt heißt dich ſchweigen ſtill.

AMEN.


C ijDie
[20]Die Dritte Predigt

Die Dritte Predigt/
Von des verlohrnen Sohns Gottloſigkeit.


GEliebte in Chriſto. Ob wol die ἀτεκνία, der Kinder-
Mangel oder die Erbloſigkeit kuͤmmerlich und beſchwer-
lich/ bey Gottloſen Leuten eine Goͤttliche gerechte Straff/
und ein Zeichen Goͤttlicher Ungnad/ als bey Abſalon/
2. Sam. 18. der ſeinen eigenen Vater durchaͤchtet und ver-
folget; bey From̃en und Gottsfoͤrchtigen aber ein ſchmirtz-
endes und weh-thuendes Creutz/ als wann Abraham/ Hanna eine lange
Zeit ohne Kinder hingehen/ Job dieſelbe in einer Nacht verlieret/ Hißkias
ohne Kinder geſtorben waͤre/ wo ihm nicht durch ein extraordinari mira-
cul
ein Sohn/ wiewol ein boͤſer Sohn/ waͤre beſchehret worden/ dann
darum wars ihm zu thun/ in ſeinem ernſtlichen Gebet/ 2. Reg. 20. daß er
einen Stul-Erben haben moͤchte; ſintemal Manaſſes erſt im dritten
Jahr nach ſeiner Kranckheit gezeuget worden. Ob wol/ ſag ich/ die
ἀτεκνία, die Erbloſigkeit ein kuͤmmerlicher und faſt unſeliger Zuſtand/ ſo
iſt er doch nicht ohn allen Troſt/ wann wir bedencken die groſſe Gefahr/
ſo Eltern mit ihnen zu beſorgen/ und zwar 1. die gemeine Gefahr/
wann allgemeine Straffen und Noth fuͤrhanden/ und es ſonderlich an
dem ſeyn wil/ daß der erzoͤrnte Gott ſein Wort und Kirch wendet/ da
dann die Kinder mit eingeflochten ſeind; darum Luc. 23. die Unfrucht-
baren/ und die Leibe/ die nicht gebohren/ und die Bruͤſte/ die nicht geſaͤuget
haben/ ſelig geprieſen werden. 2. Wegen der ſpecial- und ſonder-
baren Gefahr; es moͤchte irgend das Kind des Vaters Namenſtinck-
end machen/ nach den alten Sprich-Woͤrtern/ Chomez ben jajin, He-
roum filii noxæ,
fuͤrnehmer Leut Kinder gerathen ſelten wol. Die Ex-
empel beweiſens/ was hat Noah an Cham/ Jſaac an Eſau/ Jacob an
Simeon/ Levi/ Ruben erlebet? Die Soͤhne Eli und Samuels/ Davids
Abſalon machten eitel Hertzenleid; Von M. Antonino, einem tugendſa-
men Kaiſer ſchreibet ein H[i]ſtoricus, felix Imperator, niſi filios habuiſſet,
haͤtte unſer Kayſer keine Kinder gehabt/ er waͤre ein gluͤckſeliger Mann
geweſen. Sonderlich aber 3. wegen der ewigen Seelen Gefahr/
wann ein mancher frommer Vater ſich beſorgen muͤßte/ es werde ſein un-
gerathener Sohn/ oder ungerathene Tochter der Hoͤllen dermal eins zu
theil werden/ und im Außgang erfahren muͤſſen/ er hab ein Hoͤllen-Brand
und
[21]Vom verlohrnen Sohn.
und Kind des Verderbens gezeuget; wie dann freylich David die Tag
ſeines Lebens ſich gekraͤncket und bekuͤmmert/ daß ſein Sohn Abſalon in
ſeinen Suͤnden geſtorben und umkommen! wuͤrde er nicht manchmal
gewuͤnſchet haben/ ô daß das boͤſe Kind nie gebohren waͤre/ welches
Hertzenleid/ wie Philipp Melanchthon davor haͤlt/ groͤſſer als keines in
der Welt/ und nechſt dem hoͤlliſchen Feur am allermeiſten ſchmirtzet. Al-
lermaſſen wie auch zweiffels frey der Vater des verlohrnen Sohns in ſol-
cher groſſen Gefahr geſtanden/ da er ſein ungerathenes Kind fuͤr Augen
geſehen/ und ſich der Verfuͤhrung befahret/ wann er ihm einen Sprung in
die Welt vergoͤnnen wuͤrde; wann er auch erfahren muͤſſen/ daß an ſei-
nem Sohn das Sprichwort wahr worden/ Heroum filii noxæ, fuͤrneh-
mer Leuth Kinder gerathen ſelten wol; Ja wann er ſich der Verdamnuß
befahren muͤſſen/ nachdem er ſich hinauß gewagt/ und der Vater ihn all-
bereit fuͤr todt und verlohren gehalten. Wird er nicht manchmal ge-
wuͤnſchet haben; O daß der ungerathene Boͤßwicht nie waͤre gebohren
worden/ und haͤtte von ihm nicht auch moͤgen geſagt werden/ was man
wie oben erzehlet/ von M. Antonino vor Zeiten geſagt/ er waͤre gluͤckſelig
geweſen/ wann er nur keine Kinder gehabt.


Wann wir nun annoch auff dem Theatro in der Schau des verlohr-
nen Sohns ſtehen/ und heut acht Tag vernommen/ wie er ſich mit Un-
danck an Gott im Himmel vergriffen/ ſo folget anjetzo in der Ordnung
Impietas \& iniquitas in parentem, ſeine Untreu und Gottloſigkeit gegen
ſeinem Vater. Daß wir nun hievon aufferbaulich reden moͤgen/ wolle
Gott ſeine Gnad und Segen verleihen. Amen.


SO erſcheinet nun der verlohrne Sohn abermal und praͤſentiret
ſich I. ut Filius perditus inobediens, als ein ungehorſames
Kind/ darauff deutet ſein aͤlterer Bruder/ dann wann er vom
Feld heimkomt/ und vernimt/ daß die ſchoͤne Zucht/ das verlohrne Kind/
wieder gekommen/ ſo fuͤhret er unter andern ſeinen Verweiſungs-Worten
ſeinem Vater auch zu Gemuͤth ſeinen Gehorſam/ ꝟ. 29. Jch habe dein
Gebott noch nie uͤbertretten/ als wolt er ſprechen: aber dieſer dein
Sohn/ das ehrbare Buͤrſchlein/ das dir allezeit zuwider geweſen/ und dir
in der Jugend groß Hertzenleid gemacht/ wie vielmal hat er dein Gebott
veracht/ und ſeinem Kopff nachgelebet. Auſſer zweiffel/ wie es pflegt zu
geſchehen/ wann der Vater ihm befohlen in die Kirch und Schulen zu
gehen/ hat er ſich bey ſeiner Geſellſchafft in Spiel- und Wuͤrths-Haͤuſern
antreffen laſſen. Wann der Vater gemeynt/ der Sohn ligt im Bett/ iſt
C iijer
[22]Die Dritte Predigt
er irgend graſſatum gegangen. Dazu dann Geld vonnoͤthen war; da
wird er heimliche Muten gemacht haben/ und dem Vater uͤber den Seckel
gekommen ſeyn/ Schulden eingenommen oder gemacht haben/ die er her-
nach quittiren und bezahlen muͤſſen. Es wolte der Juncker nach ſeinem
Plaiſir leben/ ließ ihm nicht gern einreden/ ſolte er zu Hauß bleiben/ ſo
wars ihm wie einem Vogel im Kaͤffig. Er wolte ſich nach ſeiner Ma-
nier in alle neue Gattung kleiden/ hieng boͤſe Geſellſchafft an ſich; Was/
gedachte er/ ſolte ich mich laſſen in ein Bockshorn treiben/ ſolte ich mich
von dem oder jenem Schulfuchſen viel foppen laſſen/ das laß ich wol blei-
ben/ diſrumpamus vincula eorum, wir wollen ſie ſchoͤn finden/ es muß
gehen/ oder muß brechen.


II. Ut audacter \& ferociter ſuperbus, als ein freches/ hoffaͤr-
tiges Kind. Bey dem bloſen Ungehorſam und Halsſtarrigkeit blieb
es nicht/ ſondern es kam dazu die contumacia, der Frevel/ Trotz und Hof-
fart/ wie auß ſeiner eigenen Beicht abzunemmen/ da er bekante/ ἥμαρτον
ἐνώϖιὀν σου, das heißt/ ich habe geſuͤndiget fuͤr deinen Augen/ mit auffge-
habener Hand/ trotziglich/ ohne Stirn und Scheu; anders als die Soͤhne
Jacobs/ die ihre Boßheit noch verdutſchet; Und/ welches das aͤrgſte/
hat er den Vater laſſen reden/ er ſeinen Kopff auffgeſetzet und geſchuͤttelt/
fuͤr die Naß geſchnellt und gedacht/ er thue doch/ wie es ihm gefaͤllt.


III. Ut extremè iniquus, als ein gar gottloſes und ungerechtes
Kind. Dann durffte ers einmal dem Vater zumuthen/ ſo iſt er ihm ge-
wiß oͤffters unter die Angen getretten/ und hat zu ihm geſagt: Vater/ gib
mir das Theil der Guͤter/ das mir gehoͤrt. Er bittet den Vater nicht/ ſon-
dern expoſtulirt mit ihm/ trotzts ihm herauß/ δός μοι, gib mirs her/ grad als
waͤre ers ihm ſchuldig/ als gebuͤhrte es ihm von Gott und Rechts wegen.
Er begehret nicht irgend ſein Muͤtterliches/ das ihm von Rechts wegen ge-
buͤhrte/ wie ſonſt dem Rechten nach mit Beſcheidenheit den Kindern zu
begehren wol erlaubet. Jſt abzunehmen auß des Bruders Klag/ wann
er v. 30. ſagt: er habe τὸν βίον σου, all ſein Gut mit Huren verſchlungen.
Er begehret nicht bloß die Legitimam, was ihm eigentlich gehoͤrte/ oder
einen ehrlichen Wechſel/ ſondern τὸ ἐπι [...]άλλον, q. d. βάλλον ἐϖ᾽ ἐμὲ, ſo viel
ihn auff dem Fall im Erb treffen moͤchte. War wol facinus im-
pium,
ein leichtfertiges Begehren/ daß er ſich geluͤſten laſſen/ den
Vater bey lebendigem Leib zu erben. Es wolte ihm der Vater faſt zu alt
werden/ er wolte nicht einmal ſterben; er gedachte/ ſit divus, dummodo
non vivus,
wann er nur einmal tod waͤre/ wie dorten Antoninus Cara-
calla
pflegte zu ſagen; ich mag ihm das ewige Leben wol goͤnnen/ wann er
nur
[23]Vom verlohrnen Sohn.
nur einmal gieng. Und nachdem ers ihm zu lang machen wil/ ſo reſol-
v
irt er ſich erſt-erzehlter maſſen; Er gedachte/ wer wolte ſo lang warten/
biß der Vater ſtirbt/ er moͤcht noch wol zwantzig Jahr leben/ indeſſen muß
ich mich immer fretten laſſen. Es war facinus iniquum, ein ungerech-
tes Begehren/ indem er das geſucht/ was ihm nicht gebuͤhret. Es war
facinus deſperatum, ein verzweiffelt boͤß Begehren. Er dacht bey
ſich/ ich wil mein Heil anderwerts verſuchen/ ich kom̃ doch nicht mehr wie-
der/ ich wil mit meinem Gutſchalten und walten/ wie ich wil/ anders wo
iſt auch gut Brod eſſen. Summa: er gibt ſeinem Vater den Abſag-
Brieff/ Ade Vater. Er verkaufft alles um einen wolfeilen Preiß/ nur
daß er bald davon komt/ er wolte ſeinem Vater angſt und bang machen/
als ſolte er ihn ſo bald nimmer wieder ſehen. Dannhaͤtte er Hoffnung ge-
habt wieder zu kommen/ ſo wuͤrde er mit einem ehrlichen viatico und
Wechſel vorlieb genommen haben. Ey/ moͤchte jemand ſagen/ das muß
gleichwol ein thoͤrichter Vater geweſen ſeyn/ der ſich ſo bald hat bereden laſ-
ſen; ein unverſtaͤndiger Mann/ der ſeinem jungen unerfahrnen Sohn
das Schwerd in die Hand gegeben/ ſich ſelbs zu beſchaͤdigen? Solte mir
ein Sohn das thun/ ſolte mir einer ſo kommen/ ich wolte ihm den Weg wei-
ſen/ es ſeye dann kein Farrenwadel mehr in der Welt? Antwort: Ja frey-
lich/ wann wir allein in cortice hiſtoriæ, an der Schelet der bloſen Erzehl-
ung bleiben/ ſo ſcheinets faſt thoͤricht gehandelt ſeyn. Wir muͤſſen aber auf
den nucleum und den Kern gehen/ und ſehen/ was Chriſtus damit gemey-
net/ und was er unter des verlohrnen Sohns Vater verſtanden/ nemlich
den him̃liſchen Vater/ ſein uͤber-gutes und uͤberflieſſendes Vater-Hertz zu
erkennen zu geben/ als der uns allen mehr gutes thut/ als wir werth ſeind.
Er vertraͤgt den Mißbrauch ſeiner Guͤter und Gaben mit groſſer Lang-
muth/ aber hernach ſtrafft Er um ſo viel ſchroͤcklicher/ als herꝛlicher die Gab-
en ſeind. Zu gleicher weiſe wie ein Ehemann/ dem ſein Ehegatt zum
Kirſchbaum worden/ dieſelbe nicht ſchuldig iſt wieder anzunemmen/ auch
nach Goͤttlichen und weltlichen Rechten nicht annemmen ſoll; aber der
him̃liſche Braͤutigam/ damit er ſeine uͤberflieſſende Liebe bezeugte/ thut mehr
als einem Menſchen zu thun waͤre/ und rufft uns zu/ Jerem. 3/ 1. Du haſt
mit vielen Bulern gehuret/ doch komme wieder zu mir. Alſo wil
auch Chriſtus hier zu erkennen geben/ daß Gott auch den Gottloſen mehr
gebe/ als Er ſchuldig geweßt. Zum Exempel/ es wird manchmal gefragt:
Warum Gott der Herr den Saul zum Koͤnig gemacht/ da er doch wol
gewußt/ daß er es mißbrauchen wuͤrde/ und in ſeinen Suͤnden ſterben?
Warum hat Er Judam zum Juͤnger angenommen/ da Er doch wol ge-
wußt/
[24]Die Dritte Predigt
wußt/ daß er Jhn wuͤrde verrathen? alſo noch heutigs Tags gibt Gott
der Herr manchem Ehre/ Schoͤnheit/ Reichthum/ ꝛc. der es doch miß-
braucht. Hieron. l. 3. contra Pelag. c. 2. gibt die Antwort: DEUS præſen-
tia judicat, non futura, nec condemnat ex præſcientia, quem noverit
talem fore, qui ſibi poſtea diſpliceat; ſed tantæ bonitatis eſt \& ineffa-
bilis clementiæ, ut eligat eum, quem interim bonum cernit \& ſcit ma-
lum futurum, dans ei poteſtatem converſionis \& pœnitentiæ,
das iſt:
GOtt richtet gegenwaͤrtige/ nicht zukuͤnfftige Dinge/ er ver-
dammet auch niemand nach ſeiner Allwiſſenheit/ ob er wol
wußte/ daß der/ ſo ihm nachgehends mißfallen/ ſo werden wuͤr-
de; ſondern er iſt von ſo groſſer und unaußſprechlicher Guͤtig-
keit/ daß Er den erwehlet/ welchen Er zur Zeit fromm befindet/
weiß aber/ daß er Gottloß werden wird/ nur daß Er ihm Ge-
legenheit gebe ſich zu bekehren und Buße zu thun. Die beſte
Antwort ſtehet Rom. 11. O welch eine Tieffe des Reichthums bey-
de der Weißheit und des Erkantnuß GOttes/ wie gar unbe-
greifflich ſeind ſeine Gerichte/ und unerforſchlich ſeine Wege!
Jſt eine von den Fragen/ die unter die ἀνεξιχνίαςα, oder unerforſchliche
Dinge gehoͤrt. Gnug iſts/ zu wiſſen/ daß Gott manchmal auß heiligen
Urſachen ſeinen Segen unter boͤſe Buben außſtreuet/ da gemeiniglich die
aͤrgſten die beſten Beuten davon tragen/ wie wir in der vierten Bitt un-
ſers Vater Unſers bekennen; aber denen/ die es Jhm herauß bochen/ be-
komt es ex accidenti, wie dem Hund das Graß. Num. 11, 20.


Nun es hat ſich/ M. L. der verlohrne Sohn abermal præſentiret/
1. Uns alleſamt ſchamroth zu machen/ dann wir ja alle Gott dem
himmliſchen Vater den ſchuldigen Gehorſam nie geleiſtet/ ſondern clar
das Widerſpiel gethan/ die Goͤttliche Diſciplin veracht/ nach dem Wort/
das auß GOttes Munde gegangen/ uns nicht gehalten/ mit auffgehabe-
ner Hand manche ſchwere Suͤnde begangen/ uns trotziglich der fuͤrge-
ſchriebenen Ordnung GOttes/ die da heiffet/ ora \& labora, bete und
arbeite/ widerſetzet. Ja viel haben auch wol Gott ſeine Gaben herauß
getrotzet/ das ſind die/ ſo durch unordentliche Mittel entweder Geſundheit/
oder ſonſten ein Stuͤck Brod bekommen/ da es auch manchmal geheiſſen/
δός μοι, gib mirs; denenes oͤffters Gott gibt/ folget aber darum gar nicht/
daß/ wann einem ſein Bubenſtuͤck abgegangen/ es mit GOttes Willen
geſchehen. 2. Machet er in ſpecie ſchamroth die Alten Erlebten/
die/ wann ſie hinder ſich gedencken an die Suͤnde ihrer Jugend/ wie
ſie manchmal mit ihren Eltern/ Vormuͤndern/ Lehrern/ Praͤceptoren/
Obrig-
[25]Vom verlohrnen Sohn.
Obrigkeiten/ Herren und Frauen umgegangen/ das Gelt abgetrotzt/ ſie
belogen/ betrogen/ beſtohlen/ die Ubertrettung des erſten Gebotts in der an-
dern Taffel auff ihrem Gewiſſen ſchwer befinden. Ja wann ſie auch Kin-
der haben/ dieſelbe mit dem Mutter-Pfenning verzaͤrtlen/ da es hernach ſo
ſchoͤne Fruͤchtlein gibt. Er machet ſchamroth 3. alle ungehorſame
Kinder/ Soͤhn und Toͤchter ins gemein/ die ihren Eltern Hertzenleyd
machen/ ihnen widerbefftzen/ oder wol gar fluchen. Sonderlich die jenige/
denen die Eltern zu lang leben wollen/ die auch gedencken/ wann ſie nur
einmal todt waͤren/ ſie wolten ihnen gern ein langes Leben goͤnnen: Sind
ſolche Kraͤutlein wie der verlohrne Sohn auch: preſſen das Geld von ih-
nen herauß zum Pracht/ nehmen ihr Erb vorauß/ oder lehnen darauff/
ihren eigenen Kindern zum Nachtheil/ wann ſie gehofft noch etwas zu er-
ben. 4. Machet er ſchamroth alle junge Studenten/ die ihren Eltern die
Ducaten wechslen/ die Chymiſten/ ſo das aurum potabile machen/ ihrer
Eltern ſauren Schweiß und Blut verzehren/ pochen das Geld herauß/ oder
machen Schulden/ und dencken/ wils der Vater nicht zahlen/ ſo mag ers
ſtehen laſſen. Die aͤrgſte ſeind die jenige/ die ihre Muͤtter und albere Eltern
bereden/ ſie ſtudieren fleiſſig/ ſaugenihnen das Marck auß den Beinen/ be-
ſtehlen ihre arme Geſchwiſtrige; ja/ wie man wol dergleichen Geſellen fin-
det/ machen falſche Rechnungen/ ſchreiben ein X. fuͤr ein V. wann der
Vater meynet/ es gehe auff Collegia und Buͤcher/ ſo gehets auff Pancke-
ten/ Paſteten-Haͤuſer und dergleichen Lumpereyen. Er machet 5. ſcham-
roth alle Handwercks-Burſche/ Knecht und Maͤgde/ welche die Frey-
heit ſuchen/ wie ein Vogel/ der nicht im Keffich bleiben wil. Die ſeind et-
wan an einem guten ehrlichen Ort/ da ſie zur Kirchen/ Gottesdienſt/ Ar-
beit/ Haußhaltung angehalten/ auch mit Worten/ im Fall der Nachlaͤſſig-
keit/ geſtrafft werden/ da ſchmecket es ihnen nicht/ ſeind trotzig/ ſetzen ihre
Koͤpffe auff/ und blitzen davon; da heißt es/ man laßt mich am Sontag
mit keinem ehrlichen Menſchen ſchwaͤtzen/ ich werd auff ſolche weiſe keinen
Mann bekommen. Darum ſeind ſie lieber an Orten/ da es drunter und
druͤber hergehet/ da heißt es auch bey ihnen/ δός μοι, gib mir meinen Lohn/
ſo kan ich einen andern Herꝛn ſuchen. Daß es ihnen nun offt eben nicht
gehet/ wie dem verlohrnen Sohn/ iſt an der Urſach kein Mangel/ ſondern
nur an dem zufaͤlligen Außgang/ daß es ihnen eben beſſer gelungen/ es
ſolte ſonſt einem manchen truͤbſelig gnugergehen.


Nun das ſeind lauter verlohrne Soͤhn und Toͤchter/ ungehorſame
Kinder/ die trifft alle fulmen Moſaicum, der Moſaiſche Fluch/ Deut.
21, 18. Wann jemand einen eigenwilligen und ungehorſamen
Zehender Theil. DSohn
[26]Die Dritte Predigt
Sohn hat/ der ſeines Vaters und Mutter Stimme nicht ge-
horchet/ iſt ein Schlemmer/ ein Trunckenbold/ den ſoll man
ſteinigen/ daß er ſterbe. Und Prov. 30, 17. Ein Aug/ das den
Vater verſpottet/ und verachtet/ der Mutter zu gehorchen/
das muͤſſen die Raben am Bach außhacken/ und die jungen
Adler freſſen. Ja/ Gott ſtrafft manchmal ſchroͤcklich/ ſonderlich ju-
re talionis,
wann die Kinder die Eltern außziehen/ vertreiben/ bey leben-
digem Leib erben/ ſo verhaͤnget Gott dergleichen auch uͤber ihre Kinder/
die muͤſſen hernach ihre Groß-Eltern raͤchen. Wollen nun ſolche Leute
ſich nicht am verlohrnen Sohn ſpieglen/ ſo erſchrecken ſie doch an Cham/
den Soͤhnen Eli/ an Abſalon und ihres gleichen/ oder ſie werdens mit
ihrem Exempel erfahren muͤſſen.


Fromme Kinder/ ſo quaſi ſacerdotes in fano domeſtico, ſacrati pa-
rentibus, ut Diis latibus,
als Hauß-Prieſter und Heilige ſeyn/ haben zum
Exempel fuͤr ſich den Bruder des verlohrnen Sohns/ ſie ſtrecken ſich nach
der Decke/ ſparen wo zu ſparen iſt/ ſie troͤſten ſich Goͤttlicher Verheiſſung/
dann ihnen iſt verheiſſen langes Leben im Lande/ das ihnen der Herr
geben wird/ Gluͤck und Heyl in ihrem Stand/ Handel und Wandel.
Dann es iſt ja billig/ daß der lang lebet/ der ſeines Lebens Urſprung recht
verehret. Aber gnug fuͤr dißmal/ Gott dem himmliſchen Vater/ dem
Vater aller Barmhertzigkeit/ der der rechte Vater iſt uͤber alles das Kin-
der heiſſet/ ſey Ehre und Preiß jetzt und in Ewigkeit. Amen.



Die Vierte Predigt/
Von der
Ἀσωτίᾳ und Ruchloſigkeit des
verlohrnen Sohns.


GEliebte in Chriſto. Obwol peregriniren und reißen fuͤr
und an ſich ſelbs ein adiaphorum und Mittel-Ding/ wann
man es recht braucht und anlegt/ nutzlich und heilſam 1. ad
Anagogen ſpiritualem,
dabey wir uns unſerer geiſtlichen
Wallfarth/ in deren wir begriffen/ und als Pilgram dem
himmliſchen Vaterland zuwandern und wallen/ erinneren
koͤnnen: Nutzlich und heilſam 2. ad propagandam religionem, zu Fort-
pflantzung der Religion/ wie dann diß der vornemſte Zweck ſeyn ſoll/ wann
wir von fremden Nationen zeitlichen Segen abholen/ wie wir denſelben
den
[27]Vom verlohrnen Sohn.
den geiſtlichen Segen kramen und mitbringen moͤgen. 3. Ad mercis
communicationem,
einander das ſeine zu uͤberbringen und mitzutheilen;
quia non omnis fert omnia tellus, es waͤchſet nicht alles in einem Land.
Zu welchem End auch Salomo das Ophiriſche Gold abzuholen Schif-
farten angericht/ 1. Reg. 9. wie hernach Joſaphat auch thun wollen.
1. Reg. 22. 4. Ad prudentiam politicam comparandam, etwas zu ler-
nen/ ſo fern junge Leute/ nicht als wie die Schrepffhoͤrnlein das boͤſe un-
geſunde Gebluͤt an ſich ziehen/ ſondern als wie die Jmmen und Bienen
den guten Honig-Safft ſaugen und ſamlen. 5. Ad linguas exteras
addiſcendas,
fremde Sprachen zu begreiffen; wie es dann bey einem
Regiment loͤblich/ bey Koͤniglichen Cantzleyen ruͤhmlich/ wann Eliakim
der Hoffmeiſter/ Sebna der Cantzler/ und Joah der Schreiber ſich ver-
nehmen laſſen/ Rabſacke/ der Aſſyriſche Ertz-Schenck ſoll auff Syriſch
und nicht Juͤdiſch mit ihnen reden/ dann ſie verſtuͤnden es wol. Eſa. 36/ 11.
Dannenhero die jenige Voͤlcker/ die ihre Leut nicht reißen laſſen/ ſonderlich
die Chineſer/ die niemand auß ihrem Reich zuruck laſſen/ ihre Kuͤnſte
nicht zu vertragen/ rechte monſtra naturæ zu nennen/ als welche die na-
tuͤrliche κοινωνίας und eingepflantzte Zuneigung daͤmpffen und verſtecken.


Ob nun wol das peregriniren erſt-erzehlter maſſen/ wanns recht ge-
braucht und angelegt wird/ loͤblich/ gut/ heilſam und nutzlich; ſo iſt doch
im Gegentheil nichts ſchaͤdlichers/ nichts verdamlichers/ als ſolche ra-
ſende Reiß-Sucht/ wann ſie ohne Forcht GOttes und Chriſtliche Klug-
heit gefuͤhret wird. Wann junge Leut unvorſichtig ſich hinauß in die
Fremde wagen/ ſine viatico fidei, geben ſich bloß/ und nemmen den beſten
Zehrpfenning des wahren Glaubens nicht mit ſich/ verwahren ſich nicht
recht wider alle Verfuͤhrung/ gerathen anderswo in den Atheiſmum oder
Anti-Chriſtianiſmum, geben der Babyloniſchen Huren irgends auch ei-
nen Kuß/ heuchlen mit/ und verſehren ihr Gewiſſen. Sine viatico pru-
dentiæ,
befleiſſen ſich nicht der recht loͤblichen Klugheit/ begeben ſich an
ſolche Ort/ da Tugend/ Gottesforcht und Ehrbarkeit ein Ende/ in fremde
Lande/ da Frau Mundus in gloria ſitzet/ da das liſtige/ unbaͤndige wilde
Weib/ Fleiſches-Luſt an allen Ecken lauret/ Proverb. 7. Wann ein un-
vorſichtiger Juͤngling komt/ demſelben rufft ſie zu/ und ſagt: Jch hab
mein Bett ſchoͤn geſchmuͤckt mit bunten Teppichen auß Egy-
pten. Jch habe mein Lager mit Myrrhen/ Aloes und Cinna-
men beſprenget/ komm/ laß uns gnug buhlen biß an den Mor-
gen/ und laß uns der Liebe pflegen. Da folget dann der albere
Juͤngling/ wie ein Ochs/ der zur Fleiſch-Banck gefuͤhret wird/
D ijwie
[28]Die Vierte Predigt
wie zum Feſſel/ damit man die Narren zuͤchtiget. Da ſolte man
doch ſolcher Ort/ als der allergefaͤhrlichſten Syrten/ muͤſſig gehen/ wie
ein mancher gehet von Jeruſalem gen Jericho/ und faͤllt unter die Moͤrder.
Sicut ſaltus infamantur latrociniis, ita mundus propter peccata mun-
di,
ſpricht Hieronym. Gleichwie die Waͤlder wegen der Moͤrder ver-
ſchreyt werden/ alſo auch die Welt wegen ihrer Suͤnden. Sine viatico
abſtinentiæ,
ohne Behutſamkeit. Es gibt leyder gar wenig unter un-
ſern jungen reyfenden Leuten/ die/ wie Ulyſſes, die Ohren verſtopffen vor
den Syrenen. Darum es auch hernach ſo ſchoͤn bey manchem Hoff-
Regiment und Gemeinen Weſen hergehet/ daß der Atheiſmus, Epicu-
reiſmus,
Welſche Untreu/ Frantzoͤſiſche Leichtfertigkeit/ Allemoderey und
anderer Wuſt und Unflath gleichſam als eine Suͤndflut alles uͤber-
ſchwemmet. Und ein ſolcher raſender unſinniger Reiſer war auch der
verlohrne Sohn/ nachdem er dem Vater den Seckel mit dem Geld herauß
gebocht/ und ſein uͤbrige Nahrung verſilbert/ macht er ſich είς χώραν
μακρὰν, in ein fernes Land/ daß der Vater nicht ſo leichtlich nachfragen/
oder etwas von ihm erfahren kan/ er macht ſich in die Heydenſchafft hin-
auß auſſer dem Volck GOttes; iſt darauß abzunehmen/ daß in demſelben
Land Schwein geweßt/ die er hernach einem Buͤrger huͤten muͤſſen/ wie
er nun da ſeine Zeit verfuͤhrt/ wie er nicht nur ἀσε [...]ῶς, ἀδίκως, ſondern auch
ἀσωφρόνως gelebt/ wie er ſeine Seel verunreiniget/ ſein Gewiſſen beſchwaͤ-
ret/ den Leib befudelt/ und den Saͤckel gelaͤhrt/ davon ſoll dißmal unſere
Betrachtung ſeyn/ Gott gebe ſeine Gnad und Segen/ daß es fruchtbar-
lich geſchehe; Amen.


WJe nun der verlohrne Sohn in der Fremde ſein Leben zuge-
bracht/ das zeiget der Evangeliſt ins gemein an mit zweyen
Woͤrtern/ wann er ſpricht: ζῶν ἀσώτως, er bracht ſein Gut
um mit Praſſen/ er lebte als ein Filius belial und beſtia, unordentlich/
ungezogen/ unflaͤtig/ wuͤſt/ wild und frech/ in Schwelgen und Pancketie-
ren/ achtet weder GOttes im Himmel/ noch der weltlichen Erbarkeit/ er
war homo deſperatæ ſalutis, ein verzweiffelt boͤſer Menſch; allermaſſen
wie in ſolchem Verſtand das Wort ἀσώτως, nicht nur in H. Schrifft ge-
braucht wird/ Eph. 5. Sauffet euch nicht voll Weins/ darauß
ἀσωτια ein unordentliches Weſen folget. Tit. 1, 6. da Paulus an-
zeiget/ wie die Elteſten ſollen beſchaffen ſeyn/ nicht ἐν κατηγορίᾳ ἀσωτίας,
nicht beruͤchtiget/ daß ſie Schwelger. 1. Petr. 4, 4. da Petrus al-
lerhand heydniſche Laſter erzehlet und ſpricht: Es iſt genug/ daß wir
die
[29]Vom verlohrnen Sohn.
die vergangene Zeit des Lebens zubracht haben nach heydni-
ſchem Willen/ da wir wandelten in Unzucht/ Luͤſten/ Truncken-
heit/ Freſſerey/ Saͤufferey und greulichen Abgoͤtterey. Das
befremdet ſie/ daß ihr nicht mit ihnen lauffet/ in daſſelbige
wuͤſte unordentliche Weſen. εἰς την ἀυτὴν τῆς ἀσωτίας ἀνάχυσιν;
Sondern es brauchen auch in ſolchem Verſtand dieſes Wort die weltlich-
en Autores; Ariſtoteli in moralibus heiſſet ἄσωτος ſo viel/ als der nichts
behaͤlt/ alles wegſchencket und verthut. Cicero l. 2. de fin. nennet die je-
nige aſotos, die/ nachdem ſie ſich voll geſoffen/ wider ergeben/ und hernach
widerkommen/ und von neuem ſich anfuͤllen. Jſt alſo ſein Leben geweßt/
wie geſagt/ ein ſicheres/ beſtialiſches Leben/ und war er eine rechte beſtia,
Schwein/ und filius Belial. Da dann unter ſolchen Laſtern den Fahnen
getragen/ und das præ gehabt/ Frau Securitas, die rohe Gott- und Ehrloſe
Sicherheit. Es gieng dem verlohrnen Sohn/ wie einem Voͤgelein/ das
im Keffig geſteckt/ nachdem es loß worden/ wer war alsdann froͤlicher?
da ſchlug er alle traurig-machende Gedancken auß dem Sinn/ GOttes
allſehendes Rach-Aug achtet er nicht/ GOttes Gebott waren ihm fulgura
ex pelvi,
Lufft-Streiche/ die Hoͤlle war ihm als ein Schatten/; er wußte
von keinem Sabbath nichts mehr/ das Beten unterließ er/ fluchen und
ſchwoͤren war ſein taͤglich Brod; er vergaß ſeines Catechiſmi/ gedachte
nicht mehr an die ſchoͤnen Lehren/ die er in den Schulen auß den Spruͤch-
en Salomonis/ Syrach und andern gehoͤrt. Er ließ ſich beduncken/ er
haͤtte mit dem Tod einen Bund/ und mit der Hoͤllen einen Verſtand ge-
macht/ er ſprach ſeinem Hertzen zu ex Eccl. 12. So freue dich/ Juͤng-
ling/ in deiner Jugend/ und laß dein Hertz guter Ding ſeyn/
thue/ was dein Hertz luſtet/ und deinen Augen wol gefaͤllet;
er laßt aber auß/ was folget; Wiſſe/ daß dich GOtt um diß alles
wird fuͤr Gericht fuͤhren. Summa: er war gantz loß von Gott
und aller Ehr/ und ſang das Epicuriſche Liedlein:


Jch bin noch friſch/ jung und geſund/

Kan noch haben manche froͤliche Stund/

Biß daß das traurig Alter komt/

Wil unterdeß ſpielen/ trincken/ tantzen/

Und es tapffer wagen auff die Schantzen.

Nachdem nun Frau Securitas eingeniſt/ war ihm keine Untugend
zu viel/ als der ſchier alle Laſter folgen. Da fand ſich II. ihre Schweſter/
Prodigalitas, διεσκόρϖισε, ſagt Chriſtus/ er ſtreuet das Gelt auß ohne dau-
ren/ legt ihm keinen Pantzer an/ grad als haͤtte er fortunam im Seckel ge-
D iijhabt/
[30]Die Vierte Predigt
habt/ er wechſelt ſeinem Vater die alten Ducaten/ und ließ es dapffer ge-
hen: er ſpendirt auff Kleidung/ ςόλα πρώτη, die er daheim getragen/ war
ihm nimmer gut genug/ er mußt allamodiſch hergehen/ daß er gar fuͤr ei-
nen Graafen moͤchte angeſehen und geehret werden. Er ſpendierte auff
Diener und Laqueyen/ auff allerhand Exercitia und Ritter-Spiel/ Fechten
und Tantzen/ auff Pferd und Hund/ auff Muſicken/ Taͤntz/ ſchoͤne Weibs-
Bilder und Damen/ auff convivia und Mahlzeiten/ auff Compagnien
und Geſellſchafften/ ſonderlich auff Karten- und Doppel-Spiel/ und war
ihm nicht zuviel/ auff einen Satz ein groß Stuck Geld zu verdoppeln und
zu verſpielen/ und kratzet nicht einmal am Kopff. Alles dieſes begreifft
der διασκοϖισμὸς in ſich.


Dazu kam III. Luxuria, die wuͤtende crapula und Fraß/ dann er war
καταφαγὼν, ꝟ. 30. da gieng das Pancketieren/ das ſchwelgen/ praſſen und
ſauffen an/ er lebte als der reiche Schlemmer taͤglich im Sauß/ da muß-
ten die Geſundheiten herum fliegen; Wol her/ (hat es geheiſſen/ wie bey
jener gottloſen Burſch/ Sap. 2.) laßt uns wol leben/ weils da iſt/
und unſers Leibs gebrauchen/ weil er noch jung iſt/ wir wollen
uns mit dem beſten Wein und Salben fuͤllen/ laßt uns die
Meyen-Blumen nicht verſaumen/ laßt uns Kraͤntze tragen
von jungen Roſen/ ehe ſie welck werden/ unſer keiner laß ihm
fehlen mit Prangen/ daß man allenthalben ſpuͤren mag/ wo
wir froͤlich geweßt ſeind/ wir haben doch nichts mehr davon/
dann das. Manchmal giengs auch wol nicht ohne Stoͤße ab/ es gab
Stein-Regen/ provocationes, duella, Rauff-Haͤndel/ Nacht-Geſchrey.
Summa: es gieng ἀσώτως her.


IV. Blieb nicht auß Libido, er gerieth gar ins Huren-Leben/ war
ein templum Veneris, wann der Wein vom Baccho entzuͤnd/ Frau Ve-
nus
ſich bald auch einſind; das Venus-Spiel mußte nicht außbleiben;
in den Lupanaribus Huren-Haͤuſern war er vielleicht auch wol bekant.
Es bleibt alſo ja dabey/ was Hieron ſchreibet ep. 83. ad Ocean. Venter
mero æſtuans cito deſpumat in libidines \&c. \& in c. 1. ad Tit. 7. Nun-
quam ebrium caſtum putabo, ſpecta ventrem \& genitalia, qualis ordo
membrorum, talis \& vitiorum.
Wann der Bauch voller Moſt/ bleibet
die Geilheit nicht auß ꝛc. geſtalt dann ihm ſein Bruder ſolches vorwirfft/ er
habe ſein Geld mit den Huren verſchlungen/ q. d. Ey das ſchoͤne Venus-
Kind/ daß man ihn nit auch ſo bewillkom̃et von ſeinem wuͤſten Hurenleben.


Sehet/ M. L. ein ſolch ehrbares Fruͤchtlein war der verlohrne Sohn/
das war die κατηγορία ἀσωτίας, ein ſolches Belials-Kind war er/ ſo hielt er
hauß/
[31]Vom verlohrnen Sohn.
hauß/ er ſtehet da/ als auff dem Pranger mit den Augen/ damit er her-
nach in der Buß ſich ſelbs angeſehen. Zu wuͤnſchen were abermal/ er
were es allein/ aber es gehet ihm eben/ wie einem/ den man an den Pranger
ſtellet/ da ſtehen manchmal ſolche Perſonen um ihn herum/ die keines
Haars beſſer. Solte er noch reden koͤnnen/ er wuͤrde mit Fingern auff
uns deuten/ uns ſchamroth machen/ und ſagen: was ſehet ihr mich an/
was lacht ihr meiner/ γνῶϑι σεαυτὸν, ein jeder ſehe in ſeinen Spiegel/ und
fege fuͤr ſeiner Thuͤr. Und zwar I. uns alleſamt. Durch den traurigen
Suͤndenfall haben wir ja eine gefaͤhrliche Reiſe gethan/ vom Vaterland
in die Fremde: von Jeruſalem gen Jericho/ vom Himmel in die Hoͤll/
vom Paradiß in die groſſe Welt und Moͤrder-Grub. Was iſt unſer
Leben als ἀσωτίᾳ? Wir bringen noch/ wie die ungerechte Haußhalter/
Gott ſeine Gaben um? πρώτη ςόλη war uns auch nicht gut genug/ des
Teuffels Alamoderey verblendete uns die Augen. Und was iſt Teutſch-
land bißher geweßt als manipulus hominum perditiſſimorum, ein Hand
und Land voll boͤſer Buben? welche Religion iſt die groͤſſeſte? atheiſmus.
Wer war der groͤſte und geehrteſte Heilige? Bachhus. Es muß ein jeg-
liches Land ſeinen eigenen Teuffel haben/ Welſchland ſeinen/ Franckreich
ſeinen. Unſer Teutſcher Teuffel wird ein guter Weinſchlauch ſeyn/ und
muß Sauff heiſſen/ der ſo durſtig und hellig/ daß er nicht anderſt als mit
ſo groſſen Suffen Weins und Viers kan gebuͤhnet werden; dem opffern
die aſotes, die den Wein/ wie Hunde/ wieder von ſich ſpeyen. Welche
Goͤttin war biß dato die liebſte? Frau Venus, davon zeugen die Kinder
in der Wiegen; ja am Juͤngſten Tag werden die Stein und Balcken re-
den. Summa: wie es gieng zur Zeit Noaͤ/ ſie aſſen/ ſie truncken/ ſie
freyeten/ und lieſſen ſich freyen/ biß daß Noah in die Arche gieng/ und die
Suͤndflut uͤber alle kam. Seind alſo um ſo viel aͤrger als der verlohrne
Sohn/ der in ſich gieng/ und nachließ vor ſeinem Ende; aber hie liegen
die gottloſen Kinder und laſſen doch nicht ab.


Es ziehet der verlohrne Sohn in die κατηγορίαν ἀσωτίας, in ſein Regi-
ſter/ 2. auch die jenigen adultiores, die dergleichen in ihren juͤngern Jahr-
en auch gethan; ja die Alten/ Herren und Frauen/ die jetzt ſprechen: O
thut man das noch/ da man es vielleicht auß Mangel der Gelegenheit
nicht ſo arg machet/ als ſie zu ihren Zeiten. Wann ſie ihrem Gewiſſen
keinen Maul-Korb vorhaͤngeten/ es wuͤrde gewiß reden/ wie man manch-
mal bey Spatzieren-Fahrten/ bey Burgerlichen Schieß-Feſten/ bey Hoch-
zeiten und Taͤntzen/ haußgehalten: Solche ſollen wiſſen/ Gott ſeye ein
Wuͤrth/ der die Zech lang borget/ aber es heißt auch bey ihm/ lang geborgt
iſt
[32]Die Erſte Predigt
iſt nicht geſchenckt. Was wollen wir ſagen von den prodigis und
Schwelgern/ die bey guten Zeiten nichts geſparet/ laſſen es noch wacker
hergehen/ und die kleinen Wald-Voͤgelein ſorgen/ beſchweren aber eine
gantze Stadt und Freundſchafft/ gedencken/ das Waiſenhauß ſeye nicht
vergebens gebauet. Hieher gehoͤret auch der uͤbermachte/ unverantwort-
liche Weiber-Pracht/ auch offt bey denen/ denen es nicht gebuͤhret den hal-
ben Theil zu tragen/ die in ihrem Schanddeckel/ ſtattlichen Hauben daher
prangen/ in ihren breiten Hauben-Strichen auffziehen/ davor man gar
wol in ehrbarer Kleidung es doppelt haben koͤnte; welche in koͤſtlichen
groſſen Leinwad-Kroͤßen ſich ſperren/ davon einer gnug zu einem Hembd
haͤtte/ und ſich darein einwicklen koͤnte/ die mehr von einem Kroͤß zu
waͤſchen geben/ als ein anderer zu einem gantz neuen brauchete. Sum-
ma/ es bleibet dabey/ was Luther ſagt in c. 24. Gen. Es iſt ſolches
Thier um ein Weib/ das mit Schmuck nicht zu ſaͤttigen/ es ſeind heutigs
Tages faſt keine Evaͤ/ ſondern lauter Adaͤ und Zillaͤ.


Es bringet 3, der verlohrne Sohn in ſeine Geſellſchafft alle die junge
Leute/ die unvorſichtig/ toll und naͤrriſch in die Fremde/ Franckreich und
Jtalien reißen/ bringen aber nichts mit ſich zuruck als ein verſehrt Ge-
wiſſen/ unredliches Hertz/ naͤrriſche Phantaſien und Ceremonien/ un-
geheure/ abſcheuliche Kleidung/ und ein Dutzet Welſche Phraſes, damit
pralen ſie/ als wann ſie ihrer Mutter-Sprach daruͤber vergeſſen haͤtten.
Alle die junge Soͤhne/ die ihrer Eltern ſauren Schweiß verzehren/ oder
in den Krieg ziehen. Alle die Handwercks-Burſche/ welche/ was ſie
am Werck-Tag verdienen/ am Sontag dem Wuͤrth auffzuheben geben/
der ihnen aber hernach nichts mehr geſtehet. Die Maͤgde/ welche allen
ihren Lohn auff den ſtinckenden Pracht wenden/ deren mancher es an
dem guten Willen nicht mangelt/ wann ſie nur durch gute Ordnung
nicht davon abgehalten wuͤrden. Sonderlich aber gehoͤren 4. hieher
in dieſes Regiſter die jenige Studioſi, Edle und Unedle/ die zwar auff
Hohe Schulen reißen/ aber wie Cicetonis Sohn nach Athen/ ſchaͤ-
men ſich der Federn/ ihre Dinten iſt der rothe Wein/ ihre Federn Ta-
back-Pfeiffen/ ihr Papier die Karten/ ihre auditoria, die Reit- und
Fecht-Schulen/ lernen aber nichts dabey/ als Freſſen/ Sauffen/ Spie-
len/ reiten/ fechten/ tantzen/ und mit dem Venus Spiel umgehen. Stu-
dieren ſie etwas/ ſo iſts nur pro forma, einen Diſcurs zu formiren/ einen
blauen Dunſt fuͤr die Augen zu machen/ verlaſſen ſich auff ein gut
Mundſtuͤck. Solche thun hernach zu Hoff/ im Regiment/ bey Fuͤrſten
und Herren unſaͤglichen Schaden: bereden die junge Herꝛſchafft/ ſie
muͤſſen
[33]Vom verlohrnen Sohn.
muͤſſen eben vom Schul-Rauch nicht ſchwartz werden/ auff daß ſie ihnen
hernach nicht in die Karten ſehen/ machens wie jener Fuchs/ der keinen
Schweiff hatte/ und wolte andere Thiere bereden/ es ſtuͤnde alſo beſſer.
Andere Hohe Schulen haben dergleichen monſtra viel gehabt/ die auß
Tugend-Tempeln Moͤrder-Gruben und ſchroͤckliche Schau-Plaͤtz aller
Laſter gemacht. Straßburg iſt aber auch nicht allerdings befreyet/ da
mancher wol mehr auff die Reit-Schul/ des Monats/ als auff Collegia
ſpendiret. Wem uͤber zwantzig Jahr gedencket/ der wird ſich ſonderlich
zweyer verlohrner Soͤhn erinnern koͤnnen/ die den verlohrnen Sohn un-
geſcheut/ ſo dapffer agieret/ als weren ſie dazu gedingt geweſen. Wer
eine rechte Ideam und Muſter des verlohrnen Sohns wil ſehen/ der ge-
dencke/ wie es noch bißweilen hergehet/ Gott weiß es/ und der Außgang
bezeugets. Aber Gott verzeihe es und gebe es zu erkennen allen den jeni-
gen Hoffmeiſtern/ Exercitienmeiſtern/ Handwercksleuten/ und ſonder-
lich Koſt-Wuͤrthen/ und Koſt-Wuͤrthinnen/ die dapffer hin und wieder
dazu helffen/ ein X fuͤr ein V anſchreiben/ und welches ſchroͤcklich zu hoͤ-
ren/ ein groß Faß anſtechen/ das extra auffgeſchrieben/ nicht ſo viel einem
beliebt zu nehmen/ ſondern nach der proportion des Faſſes. Wann
das Faß ein Fuder gehalten/ ſo hat mans unter die Koſtgaͤnger außge-
theilet/ da hat einem ein Ohmen oder mehr getroffen/ hat ers nicht/ ſo
hats der ander geſoffen/ und hat es doch jener bezahlen muͤſſen/ da hats ge-
heiſſen/ ſauffſt du nicht/ ſo helff dir Gott nicht. Da gehen die jungen
Leut gern zu Koſt/ moͤgen nicht in der Pferch ſeyn/ und calmeiſen. Aber
was fuͤr Segen dabey/ das bezeuget der Außgang/ der Juͤngſte Tag wird
das meiſte offenbaren/ und werden ſolche Koſt-Wuͤrthe von ſolchen jung-
en Bluͤtern ſchwere Rechenſchafft zu geben haben.


So ſeyd nun gewarnet alleſamt ihr junge Leute/ ſo raſet nicht/ dencket
was ihr vor euch habt/ Lupanaria, Lazareth, Jericho, \&c. machets wie
Ulyſſes, ihr ſtehet auff dem bivio Herculeo, habt zween Wege vor euch/
ſehet nun zu/ welchen ihr erwehlet zu gehen; oder vielmehr wie Joſeph/
der geſagt/ wie ſolt ich ein ſo groß Ubel thun/ und wider Gott ſuͤndigen/
humilis fuit, ſchreibt Ambroſius l. 1. offic. 17. von ihm/ uſque ad ſervitu-
tem, verecundus uſque ad fugam, patiens uſque ad carcerem,
er war
demuͤtig biß zur Knechtſchafft/ ſchamhafftig biß zur Flucht/ gedultig biß
in den Kercker; wie Daniel/ Sadrach/ Meſach und Abed Nego/ die ſich
mit keiner Abgoͤtterey beflecken wolten/ ſondern ihren Kuͤnſten und
Sprachen zu lernen abgewartet. So ſollen es junge Studenten wider
alle Verfuͤhrungen auch machen/ wann man zu ihnen ſagt; Du biſt wol
Zehender Theil. Eein
[34]Die Fuͤnffte Predigt
ein Narꝛ/ was wilt jetzt in der Kirchen thun; oder was laßſt du dich viel
pochen/ du haſts doch zu bezahlen/ es iſt jetzt der Welt Lauff alſo; ſo ſollen
ſie antworten: Nein/ das iſt wider Gott/ ſeine Ehr/ Wort und Gebott/
es laufft Chriſtlicher Zucht zuwider/ darum laßt ſichs nicht thun. Als-
dann werdet ihr Cantzeln und Catheder wol zieren mit euerer Weißheit/
Cantzleyen und Rath-Stuben werden mit euerer Klugheit und Eloquentz
prangen; ihr werdet ehrlichen Stellen wol anſtehen/ Segen und Gluͤck
haben/ hie zeitlich und dort ewig/ dann ja auch euere Gottſeligkeit zu allen
Dingen nutz ſeyn wird/ und die Verheiſſungen dieſes und des zukuͤnff-
tigen Lebens haben. Gott ſpreche das kraͤfftige Amen dazu. AMEN.



Die Fuͤnffte Predigt/
Von demtodten und verlohrnen Sohn.


GEliebte im HErꝛn. Es vergleichet ſo wol Zophar von
Naema/ Job 20/6. als auch Aſſaph/ Pſalm. 73. der Welt
Gluͤck und gluͤckſeligen Stand der Gottloſen einem ſuͤſſen
Traum. Wie ein Traum vergehet und ein Ge-
ſicht in der Nacht verſchwindet/ ſo wird auch der
Gottloß/ wann gleich ſeine Hoͤhe an den Himmel
reichet/ und ſein Haupt an die Wolcken ruͤhret/ nicht funden
werden/ ſagt Zophar von Naema. Wie ein Traum/ wann einer
erwacht/ ſo macheſt du/ HErꝛ/ der Gottloſen Bild in der
Stadt verſchmaͤcht/ ſagt Aſſaph.


Es beſtehet aber die Gleichnuß in folgenden Stuͤcken/ 1. in phan-
taſmatum ſuavitate,
in der Einbildung der Lieblichkeit; Einem Menſch-
en/ wann er ſich zur Ruhe begeben/ die aͤuſſerliche Sinne ihre Werckſtatt
beſchloſſen/ die Phantaſi allein Meiſter iſt/ ſo hat dieſelbe ihre abentheur-
liche Comoͤdien und Spiel/ fangt allerhand Kurtzweil an/ bald erzeigen
ſich ihr koͤſtliche Pancketen und liebliche Muſicken/ einem andern praͤ-
ſentirt ſich ein Sack mit Geld/ der dritte nim̃t Koͤnigreich und Herꝛ-
ſchafften ein; alldieweil der Traum waͤhret/ iſt ihm uͤber die maſſen wol/
er iſt froͤlich und gutthaͤtig. So hat es auch eine Beſchaffenheit mit dem
Gluͤck/ Reichthum/ Gelt/ Gut/ Hoffart/ Wolluͤſten des Gottloſen/ all
ſein
[35]Vom verlohrnen Sohn.
ſein Leben/ ſo er damit zubringt/ ſeind ſolche ſuavia ſomnia, es iſt ihm gar
wol/ er meynt/ er ſey es/ es werde keine Noth haben; Jederman applau-
di
ret ihm/ und ſagt: Wol denen/ denen ihre Soͤhne auffwachſen
in ihrer Jugend/ wie die Pflantzen/ und ihre Toͤchter/ wie die
außgehauene Ercker/ gleichwie die Pallaͤſte. Deren Kam-
mern voll ſeyn/ die herauß geben koͤnnen einen Vorrath nach
dem andern/ daß ihre Schaafe tragen tauſend und hundert
tauſend auff ihren Doͤrffern. Derer Ochſen viel erarbeiten
daß kein Schade/ kein Verluſt noch Klage auff ihren Gaſſen
ſey/ wol dem Volck/ dem es alſo gehet. Pſal. 144. 2. In Phan-
taſmatum van tate,
in der Eitel- und Nichtigkeit; Wie ein Traum
nichts mehr iſt als ein Schatten; Narren verlaſſen ſich auff Traͤum/
ſagt Syrach c. 34. Wer auff Traͤume haͤlt/ der greifft nach dem Schat-
ten/ und wil den Wind haſchen/ Traͤume ſeind nichts anders als Bilde
ohne Weſen. So iſt auch die gantze Welt ein ſolches Schema, ein
Puppen-Spiel/ der Satan hats ἐν ςιγμῇ, in einem Augenblick praͤſen-
tirt/ Matth. 4. 3. In Phantaſmatum fallacia, Jn der Betriegerey;
Traͤume betriegen den Menſchen/ nicht allein non præſtando, wann ſie
nicht geben/ was ſie einem einbilden/ ſondern contrarium potius confe-
rendo,
das Gegentheil bedeuten. Einem Hungerigen traͤumet/ er eſſe/
wann er aber auffſtehet/ iſt ſeine Seele noch laͤr/ und wie ein Durſtiger/
iſt er matt und durſtig. Eſa. 29. Quem ſomnium divitem fecit, evigi-
latio facit pauperem; tenuit illum ſomnus fortaſſe in terra, dormien-
tem \& in duro jacentem pauperem \& forte mendicum. In ſomnio
vidit ſe jacere in lecto eburneo, \& in plumis aureis,
ſagt Auguſtin. in
Pſalm.
73. Welchen die Traͤume reich gemacht/ der iſt arm/
wann er auffſteht. Er hat vielleicht auff dem harten Boden
gelegen und geſchlaffen/ iſt dazu arm und wol gar ein Bettler;
im Traum aber meynet er/ er liege in einem helffenbeinern
Bette/ und auff guldenen Federn. Wann der gantze Welt-Schlaff
auß ſeyn/ und wir am Juͤngſten Tag aufferſtehen werden/ dann wird ſich
der Gottloſe ſchaͤndlich betrogen finden. Ein Traͤumender achtet und
fuͤhlet ſeinen elenden Zuſtand nicht; ein Gefangener fuͤhlet ſeine Feſſel
im Schlaff nicht; Es kan einem wol traͤumen er ſeye bey einer ſtattlichen
Mahlzeit/ und iſt irgend mit einer Feurs-Brunſt umgeben; die von den
Syrenen eingeſchlaͤffert werden/ hoͤren der Muſick zu/ unterdeß fallen ſie
ins Waſſer. Alſo betreugt ſich auch der Gottloſe mit ſeinem Welt-Gluͤck/
er preiſet ſich in ſeinem Hertzen gluͤckſelig/ aber fuͤr GOttes Gericht iſt er
E ijder
[36]Die Fuͤnffte Predigt
der unſeligſte. Da Haman in ſeinem groͤſten Gluͤck ſchwebete/ und bey
Eſther an der Taffel war/ wird ihm der Keſſel uͤbergehengt/ und er bald
darauff zum Galgen erkant/ auß hoͤchſter Ungnaden des Koͤniges und der
Koͤnigin. Und eben alſo gieng es auch dem verlohrnen Sohn/ als er
bißher in der Categoria aſotias, in der Sicherheit dahin gelebet/ da er die
Ducaten gewechſelt/ auff Pracht ſpendiret/ auff Lackeyen/ Pancketen/
Muſicken/ Hunde/ Pferde/ Karten/ ſchoͤne Damen/ das Runda dinellula
geſungen/ das Venus-Spiel geuͤbet/ an ſtatt des Morgen-Segens das
Liedlein geſungen:


Jch bin noch friſch/ jung und geſund/

Kan noch haben manche froͤliche Stund/

Biß daß das traurig Alter komt/

Wil unterdeß ſpielen/ trincken/ tantzen/

Und es tapffer wagen auff die Schantzen.

Das applaudite mangelte auch nicht; ey iſt das nicht ein dapfferer
Menſch/ wie nim̃t er ſein reputation ſo wol in acht. Da war er im
Traum/ da fand ſich ſuavitas \& vanitas phantaſmatum, da ſaß er dem
Gluͤck im Schoß/ es fuͤgte ſich ſo zu ihm/ daß er meynte/ es wuͤrde ſich mit
ihm vermaͤhlen. Aber er ward heßlich betrogen/ da er wachte/ befand ers
viel anders/ er meynte/ die Welt waͤre eitel Gelt/ nun war es aber viel
anders. Ja ſonderlich war er gleichſam obſtupefactus, gantz thumm
und unempfindlich: er ward nicht nur betrogen/ ſondern ſein offenbar
Welt-Gluͤck war bey ihm ein Vorbott des Zorns GOttes. Haͤtte er
nicht geſchlaffen/ ſondern gewacht/ er wuͤrde ſich in ſeinem Stand wol be-
trogen gefunden haben. Es gieng ihm wie Damocli, der uͤber der Koͤ-
niglichen Taffel Dionyſii geſeſſen/ und den Koͤnig verweßt/ aber ein bloß
ſcharpffes Schwerdt uͤber dem Haupt an einem Roßhaar hangend gehabt/
als wolte es alle Augenblick ihm auff den Kopff fallen; da ſchmeckte ihm
weder Eſſen noch Trincken.


Wann wir dann biß dato den verlohrnen Sohn auffs Theatrum ge-
bracht tanquam ingratum, iniquum \& ἄσωτον, als einen undanckbaren/
gottloſen/ und unmaͤſſigen Geſellen/ ſo folget nun/ daß wir beſehen/ was
derſelbe fuͤr ein Anſehen fuͤr GOttes Augen gehabt/ und wie die Divina
Nemeſis,
Goͤttliche Rach ihm auff dem Fuß nachgefolget/ und alſo diß-
mal ins gemein de Αϖωλείᾳ, von dem Verderben des verlohrnen
Sohns/ Gott gebe Gnad und Segen/ Amen.


So
[37]Vom verlohrnen Sohn.

SO deutet nun Chriſtus auff den elenden Zuſtand/ in welchem der
verlohrne Sohn fuͤr Gott begriffen geweſen/ in zweyen Worten/
die der Vater hernach zweymal wiederholet/ und ſagt: Dieſer
mein Sohn war νεκρὸς καὶ ἀϖολωλὼς, todt und verlohren/ ja κατ
ἐξοχηὺ, ein verlohrner Sohn. Nicht wie Joſeph/ der auch in den
Augen und Hertzen ſeines Vaters todt und verlohren war/ aber unſchul-
diger weiß; ſondern dieſer war verlohren um und von wegen ſeines Un-
gehorſams/ Boßheit und eigenthaͤtlichen Suͤnden. Jſt alſo der Zuſtand
des verlohrnen Sohns geweßt 1. Status deſperatæ ſalutis, \& reatus da-
mnationis,
ein verdam̃ter Zuſtand/ ἀϖολωλως ηὖ, er war verdam̃t/ dann
das heiſſet eigentlich in H. Schrifft verlohren ſeyn/ Joh. 3. Alſo hat
GOtt die Welt geliebet/ daß Er ſeinen eingebohrnen Sohn
gab/ auff daß alle/ die an ihn glauben/ nicht verlohren werden.
2. Cor. 4. 3. Jſt unſer Evangelium verdeckt/ ſo iſts in denen/ die
verlohren werden/ verdeckt. Er war in der Zunfft Judaͤ begriffen/
der ιἱὸς τῆς ἀϖωλείας, i.e. dignus perditione, das verlohrne Kind genen-
net worden/ Joh. 17/ 12. Er ſteckte der Hoͤllen ſchon im Rachen/ war nur
um ein Augenblick zu thun/ um ein einiges Stoͤßel/ ſo waͤre er in Abgrund
der Hoͤllen gefallen. Nicht aber hat es die Meynung/ als waͤre er ſine
ſpe veniæ,
ohne Hoffnung der Gnad verlohren geweßt/ ſondern der Buß-
Weg ſtund ihm noch fuͤr. Der Vater ſchloß ihn ſo fernauß dem Hertzen/
weil er ihn fuͤr verlohren hielt/ und nicht wußte/ wo er hin gekommen;
doch aber blieb die Vaͤtterliche ςοργὴ, Blut-Lieb und wuͤnſchete: Ach daß
er doch wieder kaͤme/ und wieder umkehrete. Alſo auch Gott/ der nicht
wil/ daß jemand ſoll verlohren werden/ hat deß wegen ſeinen Sohn geſandt/
σῶσαι τὸ ἀϖολωλὸς, ſelig zu machen das verlohren iſt/ Luc. 19. War alſo
der verlohrne Sohn damnatus nondum quoad actum, ſed reatum, die
Axt war ſchon dem Baum an die Wurtzel gelegt/ haͤtte er nicht Buße ge-
than/ ſo waͤre er abgehauen worden.


II. Status Excommunicationis, er war ein geiſtlicher Bandit/ ein
verlohrner Menſch/ von deme Gott/ auß gerechtem Gericht/ die Hand
abgezogen/ und ihn auff ſeinen Beinen tantzen laſſen. Ein Schaaf/
wann es verlohren iſt/ welches niemand huͤtet oder verwahret/ verirret und
verlauffet ſich/ das gerathet dem Wolff in den Rachen/ und wird ihm zur
Außbeut: Alſo wurde auch dieſer gottloſe Menſch von Gott verlaſſen/
gehet irꝛ/ und geraͤth dem hoͤlliſchen Raub-Wolff in die Klauen. Der
iſt der Αϖολλύων, Apoc. 9. Dem wird er uͤbergeben/ als ein Wildpret dem
Jag-Hund/ Rom. 1. als ein Sclav einem unbarmhertzigen Tyrannen.
E iij2. Chron.
[38]Die Fuͤnffte Predigt
2. Chron. 12. ſchickt Gott der Herr den Siſack uͤber Rehabeam mit
1200. Waͤgen und 60000. Reutern/ und ließ ihm durch den Propheten
Semaja ſagen: Jhr habt mich verlaſſen/ darum hab ich euch
auch verlaſſen/ in Siſacks Hand/ dem ſollen ſie unterthan ſeyn/
daß ſie innen werden/ was es ſey mir dienen/ und den Koͤnigen
in Landen dienen. Alſo ſchickte auch Gott noch den hoͤlliſchen Si-
ſack/ der mißbrauchte des verlohrnen Sohns nicht nur zur Verrichtung
allerhand Bubenſtuͤck und Leichtfertigkeit/ ſeines Leibes zur Uppigkeit/
ſeiner Gliedmaſſen zum Dienſt der Ungerechtigkeit/ ſeines Seckels mit
Geld zur Verſchwendung; Er war verkaufft nur Ubels zu thun/
wie Achab/ 1. Reg. 20. Er war ein rechter Sclav ſo vieler Herren/ als viel
Laſter er an ſich hatte; ein rechter vom Teuffel beſeſſener Menſch/ gleichwie
jener leiblich beſeſſene Marc. 5/ 2. der ſeine Wohnung in den Graͤb-
ern hatte/ der ſich nicht binden ließ/ die Ketten zuriß/ und ſich ſelbs mit
Steinen ſchlug; Ein filius Belial, und Teuffels-Kind/ war mehr nicht
uͤbrig/ als der Suͤnden-Sold/ der ewige Tod. Dann er war auch


III. In ſtatu mortis, im Stand des Tods; Zwar dem natuͤrlichen Le-
ben nach war er friſch und geſund/ aber das Leben/ das auß Gott iſt/ man-
gelte ihm/ er war todt morte gratiæ, war nur noch uͤbrig/ daß die Seele vom
Leib abſcheidete/ der reatus lag ihm auff dem Hals/ das Urtheil und Blut-
Gericht war ſchon in der Schrifft uͤber ihn gefaͤllet/ und das Weh uͤber ihn
geſchrien/ Eſai. 1. Hoͤret ihr Him̃el/ und du Erde nim̃ zu Ohren/
ich habe ein Kind aufferzogen/ und erhoͤhet/ und es iſt von mir
abgefallen/ O wehe des ſuͤndigen Menſchen/ des Menſchen von
groſſer Miſſethat/ des boßhafftigen Saamens/ des ſchaͤdlichen
Kindes/ das ſeinen Herꝛn verlaſſen/ gelaͤſtert/ und von ihm zu-
ruck gewichen iſt. Der Stab war uͤber ihn gebrochen/ daß er ſolte ge-
ſteiniget werden/ Deut. 21. Prov. 30 17. die ἀσωτία, hat ihre Straff in der
Goͤttlichen Halsgerichts-Ordnung/ 1. Cor. 9. Laſſet euch nicht ver-
fuͤhren/ weder die Hurer/ noch die Abgoͤtter/ noch die Truncken-
bold werden das Reich GOttes ererben/ Gal. 5, 21. Der Hurer
Theil wird ſeyn in dem Pfuhl/ der mit Feur und Schwefel
brennet/ welches iſt der ander Tod. War alſo nichts mehr uͤbrig/
als die Execution, dazu er ſchon reiff genug war/ weil die Straff vor der
Thuͤr/ die Axt dem Baum an die Wurtzel gelegt/ das Schwerdt ge-
ſchaͤrpfft/ daß es ſchneiden ſoll/ der Bogen geſpannt/ daß er loß gehen ſoll.


Dazu kam nun IV. auff dieſen Tod Status ἀναισϑησίας miſerrimus, die
Fuͤhl-Loſigkeit. Er dunckte ſich ein groſſer Juncker ſeyn/ war aber in der
That
[39]Vom verlohrnen Sohn.
That der elendeſte Sclav/ excæcatus, induratus, verblendt/ verſtockt/ und
Eiß-hart gefroren/ hatte cauteriatam conſcientiam, Brandmal im Ge-
wiſſen/ das aber noch ruhete/ unterdeſſen war er ſtinckend worden nicht
nur vor ehrlichen Leuten/ gleichwie zu Hoff/ wenn ſich zwey Augen wen-
den/ ſo wendet ſich der gantze Hoff, ſondern auch vor ſeinen eigenen Luſt-
Freunden/ die von ihm geloffen/ wie die Laͤuſe von ſterbenden und lebloſen
Leibern/ und nachdem ſie ihm das Blut außgeſogen/ ihn nicht mehr ken-
nen wollen. Er war impotens ad ſui converſionem, er iſt gefallen/ kun-
te ihm aber ſelber nicht wieder auffhelffen. Alſo war das weyland liebe
Schoß-Kind verlohren/ todt/ in Bann gethan/ ein Sclav/ und gantz
ſtinckend vor jederman.


Hie ſtehet nun abermal der verlohrne Sohn am Pranger/ und hat ei-
ne dreyfache Ruthe/ ein dreyfaches Schwerdt uͤber ihm hangen. Wir ha-
ben ihm biß dato ſein Wapen hoͤren viſiren/ laßt uns nun auch die Ruthe
uͤber ſeinem Haupt beſchauen/ und ſehen/ was Suͤnde fuͤr ein Trinck-Geld
hinter ſich laſſe/ was des Teuffels Danck ſey/ wann man ihm gedienet?
nemlich ſie iſt eine Schlang/ komſtu ihr zu nah/ ſo ſticht ſie dich/
ſie hat Loͤwen-Zaͤhn/ und toͤdtet den Menſchen. Syr. 21. Wie
Cleopatra eine gifftige Schlang in einem Korb voll Blumen ins Gemach
verbergen laſſen/ ſich an den Arm geſetzt/ und ſich toͤdten laſſen. Eine jeg-
liche Suͤnde/ ſpricht Syrach/ iſt wie ein ſcharpff Schwerdt/ und
verwundet/ daß niemand heilen kan. Jſt ein anders Urtheil/ als die
ſichere Welt von den Suͤnden hat/ die gedencket/ man muß junge Leut eben
nicht in ein Bocks-Horn treiben/ man muß ſie nur verraſen laſſen/ ſie wer-
den hernach ſchon gut thun. Aber hieher alle Menſchen/ ſehet an den ver-
lohrnen Sohn 1. als euer Schroͤck-Bild; Wir ſeind ja alle verlohrne
Schaafe/ Kinder des Todes/ hoſpites ingrati, undanckbare Gaͤſte/ die ihr
Gott/ der euch ſo viel ſchoͤne/ Gemuͤths-Leibs-Gluͤcks-Gaben gegeben/
mit Undanck bezahlet; Danckeſtu alſo deinem Gott? Wer dencket an ſei-
ne Ampts-Pflicht? niemand boret gern dicke Brettlein/ das Junckern-
Handwerck wil das beſte ſeyn/ bey Edel und Unedel/ Jung und Alt/ Mann
und Weib/ Soͤhnen und Toͤchtern/ Knechten und Maͤgden wil der Muͤſſig-
gang und das Herren-Handwerck getrieben ſeyn; Wolte Gott/ daß alle
verlohrne Soͤhne/ die auß Ungedult davon in Krieg gezogen; alle praͤch-
tiſche Toͤchter/ denen der Schalck der Einbildung allerhand Concepten von
ſich ſelbſt einblaſet; alles trotzige/ ungehorſame Geſind/ die ihren Lohn her-
auß pochen/ den Stul fuͤr die Thuͤr ſetzen/ wann man ſie nicht machen laſ-
ſen wil/ wie es ihnen gefaͤllt/ zur Erkantnuß ihres Unrechts kaͤmen! Hieher
ihr
[40]Die Fuͤnffte Predigt
ihr Atheiſten/ Schwelger/ Abendzehrer/ Bacchus- und Venus-Knecht/
hoffaͤrtige Puppen/ und alle die ihr dazu helffet/ per conniventiam \& oc-
caſionem,
durch Stillſchwigen oder gegebene Gelegenheit/ ihr Koſtwuͤrth/
ihr Extra-Schreiber/ ſehet an den Zuſtand des verlohrnen Sohns/ welchem
ihr es nachmachet. Was ſeyd ihr/ die ihr euch einbildet/ groſſe Leute/ freye
Junckern/ dapffere Leute/ vornehme reiche Toͤchter zu ſeyn/ anders als ιἱοὶ
ἀϖωλείας, Kinder des Verderbens? ihr laßt euch von hohen Dingen traͤu-
men/ und ſeyd dem Sturtz ſo nah. Das alles ſolt ihr anſehen/ είς τὸ γνῶϑι
σ [...]αυτὸν, die Selbſt-Erkantnuß zu lernen. Es gibt Leute/ die um Prachts
willen hinten und vornen Spiegel ſtehen haben/ ſich darinnen zu beſchau-
en. Hier haſtu einen zwiefachen Spiegel/ der praͤſentiret dir vornen her
monſtrum peccati, wer du biſt deiner Natur nach/ von hinden aber mon-
ſtrum iræ \& pœnarum,
was du mit deinen Suͤnden verdienet.


Dafuͤr erſchrecke nun/ und laß dirs 2. auch ſeyn einen Warnungs-
Spiegel/ daß wir GOttes Langmuth recht lernen kennen/ die Er an dem
verlohrnen Sohn erwieſen/ wie Er ſeinen Bogen geſpannet/ gezie-
let/ und darauff gelegt toͤdtliche Geſchoß/ wie Er ſeine Pfeile
zugericht zum Verderben/ wann man ſich nicht bekehren wil.
Pſalm. 7. aber nicht gleich zugeſchoſſen/ ſondern gewartet/ biß er zur Buße
gekommen. Jſt groſſe Langmuth GOttes/ deren libera menſura, Maß
und Laͤnge auch zu mercken; dem verlohrnen Sohn ſahe er lang zu/ wie er
ſich in der Welt herum getummelt/ und noch manchem/ wie den Amori-
tern/ Gen. 15. andere aber kommen ploͤtzlich um/ wie Belſazer/ Simri/
Abſalon/ laßts ſich derowegen darauff nicht wagen; ein Baum iſt jeher
auffrecht als der andere/ eine Frucht eher zeitig zur Ernde als die andere:
ſo verhaͤlt es ſich auch mit GOttes Langmuth/ bey deren Beweiſung Er
nicht mehr auff uns als ſich ſelbſten ſiehet. Der Zweck und Abſehen ge-
het dahin/ nicht zur Pharaoniſchen Verſtockung/ der/ wann er Lufft ge-
kriegt/ es eben ſo ſchlimm gemacht als zuvor/ ſondern zur Buß und Be-
kanntnuß der Suͤnden. Verachteſtu den Reichthum der Guͤte/
Gedult und Langmuth GOttes? weiſſeſtu nicht/ daß dich
GOttes Guͤte zur Buße leitet? Rom. 1.


Es ſoll aber 3. auch ſeyn ein Anmahnungs-Bild/ Gottes Gnade
wol auffzuheben. Jn Bezæ Schul wird zwar gelehret/ es koͤnne ein
Rechtglaubiger ſeinen Glauben/ den Heiligen Geiſt und GOttes Gnade
nicht verlieren. Auff dem Colloquio zu Moͤmpelgard hat er alſo gelehrt:
Jch ſage/ daß David/ da er den Ehebruch begangen/ den Glaub-
en und Heiligen Geiſt behalten/ und nicht verlohren habe.
Welches
[41]Vom verlohrnen Sohn.
Welches ich dir mit einer Gleichnuß erklaͤren wil. Ein vol-
ler Mann verleurt ſeinen Verſtand oder Vernunfft nicht/ ob
ſich wol dieſelbe/ ſo lang er voll iſt/ und der Wein ſein Haupt
eingenommen/ nicht erzeiget/ ſondern als ein unvernuͤnfftiges
Thier iſt/ und wie ein Feur/ das mit Aſchen bedecket/ nicht
außgeloͤſchet/ ſondern ein verborgen Feur iſt: Alſo auch/ wann
die Außerwehlte GOttes in Suͤnde fallen/ werden die Gnade
GOttes/ der Glaub/ und Heiliger Geiſt eine Zeitlang ver-
deckt/ und von ſolchen ſuͤndigen Menſchen nicht empfunden/
biß ſie wiederum zu ſich ſelbſt kommen/ ihre Suͤnde erkennen/
und Buße thun/ welches auch in Davids Ehebruch geſchehen
iſt/ in dem die Gnade GOttes eine Zeitlang bedecket/ aber nicht
verlohren geweßt iſt. Biß hieher Beza. Andreas Rivetus ſchreibet
in medit. ad Pſal. 51. Spiritum tuum, quamvis triſtitia affecerim, à me
non recepiſti.
Darum nennen ſie es auch nur eine λειϖοθυμίαν, oder
ſyncopen, eine geiſtliche Ohnmacht. Chriſtus aber urtheilet anders
davon/ der verlohrne Sohn war todt/ nemlich in Suͤnden. E. ſo hatte er
ja GOttes Gnade verlohren. Zwar iſts wahr/ daß die Gnade GOttes
von einem Außerwehlten nicht endlich kan weggenommen werden/ jedoch
kan ſie gaͤntzlich ihm entzogen werden. Sprichſtu: die Gaben GOttes
ſeind ἀμεταμέλητα, ſie laſſen ſich nicht bereuen oder wieder wegnemmen.
Aber man muß wiſſen/ daß ſolches gelte/ was den Bund und Verſpruch
betrifft; nicht aber was die Goͤttliche Ordnung und Beſchaffenheit des
Menſchen/ ſo GOtt von ibm fordert/ anbelangt. Dienet demnach alles
zur Anmahnung/ dieſen Schatz wol in acht zu nemmen; dann ja kein
groͤſſerer Schatz iſt/ als die Gnade Gottes/ mit Gottes Gnad auffſtehen
und ſchlaffen gehen. Wie bemuͤhet ſich der Menſch um Menſchen-Huld/
ad ἀποθέωσιν uſque, daß er ja niemand erzuͤrne/ er kraͤncket ſich darum/
wann er ſie nicht haben kan. GOttes Zorn/ o Menſch/ iſt ein Bott zum
Tode/ der Glaub/ ohne welchen ohnmoͤglich iſt GOtt zu gefallen/ iſt das
Liecht der fuͤnff klugen Jungfrauen/ und der Heilige Geiſt iſt der einige
rechte Weg-Leiter/ der uns wider die Verfuͤhrung des Satans ſchuͤtzen
kan. Ach ſo laßt uns dann die Reſolution faſſen/ von GOtt nicht zu laſ-
ſen/ laßt uns beten auß dem 51. Pſalm. Verſtoß mich nicht von dei-
nem Angeſicht/ (wie Cain/ der von GOtt fluͤchtig worden) und nim̃
deinen Heiligen Geiſt nicht von mir. Auß dem 119. Pſalm. Jch
bin wie ein verirret und verlohren Schaaf/ ſuche HErꝛ deinen
Knecht. Laſſet uns der raudigen Schaafe muͤſſig gehen/ die Stimme
Zehender Theil. Funſers
[42]Die Sechſte Predigt
unſers Ertz-Hirten hoͤren/ Jhme folgen/ ſo wird uns niemand auß ſeiner
Hand reiſſen/ und wir werden Kinder ſeyn des ewigen Lebens. Nun
GOtt gebe/ daß niemand unter uns allen verlohren/ ſondern alle zur
ewigen Seligkeit erhalten werden. Amen.



Die Sechste Predigt/
Von den Straff-Flagellen zur Buße.


GEliebte im HErꝛn. Obwol die Comoͤdien und Tragoͤ-
dien/ die auff offentlichen Theatris und Schau-Plaͤtzen ge-
ſpielet werden/ in Heiliger Schrifft und bey den Patribus
einen ſchlechten Namen und Ruhm fuͤhren/ und uͤbel hoͤ-
ren muͤſſen. Dann es werden von ihnen geſcholten ludi
idololatrici,
die Abgoͤttiſche Spiele/ Exod. 32. Davon
Paulus ſagt 1. Cor. 10. Werdet auch nicht Abgoͤttiſche/ gleichwie
jener etliche worden/ als geſchrieben ſtehet/ das Volck ſatzte
ſich nieder zu eſſen/ und zu trincken/ und ſtunde auff zu ſpie-
len. Denen es heutigs Tages nachthun die Sabbath-Schaͤnder/ die
alle ihre Kurtzweil und Spiele auff den Sontag verlegen. Es werden
verworffen die Blut-Spiele/ 2. Sam. 2. Da Abner im Laͤger den
Vorſchlag thut gegen Joab/ und ſagt: Laß ſich die Knaben auff-
machen/ und fuͤr uns ſpielen; Da machten ſich auff zwoͤlff auß Ben-
jamin auff Jſboſeths Seiten/ und zwoͤlff auß den Knechten Davids/ die
ſpieleten mit einander/ das ihnen das Blut uͤber die Koͤpffe herab lieff/
einer ergrieff den andern beym Kopff/ und ſtieß ihm ſein Schwerdt in ſei-
ne Seite/ und fielen mit einander. Denen es die Heyden nachgethan
auff ihren Amphitheatris die ſolche Fechter auff der Straͤu gehalten/ und
hat ſich ſolcher Unflath auch unter die Chriſten in dero Fecht-Spiele gezo-
gen. Es werden geſcholten ludi levitatis, Huren-Spiele/ wie der-
gleichen von Weibs-Bildern mit nackenden Leibern geſpielet worden/ in
Gymnaſiis Græcorum,
als Lactantius bezeuget l. 1. de falſ. relig. c. 30.
Dergleichen Spiel-Haͤuſer hernach der Hoheprieſter Jaſon unter der
Burg zu Jeruſalem gebauet/ daß ſich nach Griechiſcher weiſe die ſtaͤrckſten
Junge Geſellen darinnen uͤben mußten; es ſtehet aber dabey/ ſie muß-
tens auch wol bezahlen/ dann Gott ſchickte uͤber ſie eben die/ welchen
ſie
[43]Vom verlohrnen Sohn.
ſie ſolche Spiele wolten nachthun/ daß ſie ſie mußten ſtraffen. Eben wie
es uns Teutſchen auch ergangen/ nachdem wir die Engliſche/ die Welſche/
die Frantzoͤſiſche Maſcarada/ Taͤntze/ Mummereyen und Faßnacht-
Spiel nachgeaͤfft.


Jedoch aber/ wann Comoͤdien und Spiele nach der Chriſtlichen Pru-
den
tz/ ohne Aergernuß/ zu ſeiner Zeit/ mit gebuͤhrender Beſcheidenheit
angeſtellet werden/ ſo werden ſie in H. Schrifft gar nicht verdammet/ ſon-
dern ſeind 1. conſecrati à Spiritu S. von dem H. Geiſt geweihet/ und gut
geheiſſen/ exemplis, mit Exempeln/ als da iſt das Weiber- und Sing-
Spiel/ welches die Weiber David zu Ehren angeſtellet 1. Sam. 18/ 7. das
Kinder-Spiel auff den Gaſſen/ Zach. 8/ 5. Similitudinibus, mit Gleich-
nuſſen/ Prov. 8/ 30. da die Himmliſche Weißheit ſpricht/ ſie habe fuͤr
GOtt geſpielet. Matth. 11/ 17. da ſich Chriſtus den Kindlein ver-
gleicht/ die auff dem Marckt ſitzen und gegen ihre Geſellen ruffen: Wir
haben euch gepfiffen/ und ihr wolt nicht tantzen/ wir haben euch
geklagt/ und ihr wolt nicht weinen. Ja was wollen wir ſagen
von der gantzen Offenbarung Johannis/ die wird anderſt nicht als eine
Comoͤdie praͤſentirt? 2. Uſitati in populo DEI, unter dem Volck GOt-
tes geuͤbet. Wie dann Lutherus in der Meynung begriffen/ es ſeye das
Buch Judith keine warhafftige Geſchicht/ ſondern ein politiſch Gedicht
geweßt/ das ſie geſpielet/ und darinnen den Zuſtand der Juͤdiſchen Kirch-
en entworffen/ und der Jugend fuͤrgehalten/ Judith ſeye eine Tragoͤdi/
Tobias aber eine Comoͤdi. 3. Seind ſie ornamenta pacis \& otii negotia,
die zum Frieden wol ſtehen/ und fuͤr den Muͤſſiggang ſeyn. Zu Kriegs-
Zeiten/ wann man mit Canonen ſpielt/ laßt ſichs nicht thun/ da muß das
Theatrum feyren. Nun Gott mit uns die Tragoͤdi angefangen zu
ſpielen/ ſo noch nicht außgeſpielt/ muͤſſen wir inhalten; Und wer weiß/
ob nicht das letſte Feurwerck bald nachfolgen und der Welt abdancken
wird. 4. Seind ſie ſalutares in Republica, nutzlich/ nicht nur die Ge-
muͤther auffzumuntern/ ſchoͤne Hiſtorien ad vivum zu praͤſentiren/ ſon-
dern auch ſonderlich die affecten zu erwecken und zu gewinnen/ nach dem
eines jeden Stands und Handels/ Sitten und Eigenſchafften moͤgen
gar artig gewieſen werden. Und eben zu ſolchem Ende haben wir neulich
auffs Theatrum producirt den verlohrnen Sohn/ und bißher in der Hi-
ſtori den erſten Actum geendet/ der geheiſſen/ Filius impius, iniquus, pro-
digus, perditus \& mortuus;
folget nun der andere Actus, der uns præ-
ſent
irt Filium peccatorem pœnitentiarum, den reuenden Sohn; nicht
die Ohren dadurch kuͤtzlend zu machen/ ſondern die hohe Lehr von der
F ijBuß
[44]Die Sechste Predigt
Buß und Rechtfertigung fuͤr GOtt/ E. L. recht einzubilden in ei-
nem lebendigen Exempel/ daß es beſſer zu Hertzen dringe/ und feſter be-
halten werde. So man nun dem Puppen-Spieler manche gute Stun-
de ſchencket/ auch nicht leichtlich einem dabey der Schlaff ankommet/ wel-
ches wol zu erbarmen/ ſo laßt uns auch dem ſchoͤnen Geiſtreichen Spiel/
welches der Himmliſche Prophet Chriſtus auff die Bahn gebracht/ ferner
ohne Verdruß/ ohne Schlaff/ alldieweil unſere Seligkeit daran hafftet/
zuhoͤren und zuſehen. Dieſes mal wollen wir allein erzehlen/ von der
erſten Cataſtrophe des Gluͤcks/ von den Straff-Flagellen/ Buß-Glocken/
Gewiſſens-Wecker und Zucht-Ruthen/ die Gott gebraucht. Gott
erſcheine uns mit dem Liecht des Heiligen Geiſtes/ Amen.


GEliebte in Chriſto. Die Geißlen und dero Zweck/ womit der
verlohrne Sohn gezuͤchtiget worden/ werden uns fuͤr dieſes mal
praͤſentiret.


Was nun I. die Flagella Geißlen betrifft/ ſo iſt die erſte Haupt-Geißel
und gleichſam der Preß-Reuter Fames, λιμὸς ἰσχυρὸς, die groſſe Theurung
durch daſſelbe gantze Land; iſt einer von den vier Reutern/ die Johannes
in ſeiner Offenbarung geſehen/ nemlich der ſchwartz-hungerige Reuter/
der eine Waag in der Hand gehabt. Vor dem außgeruffen worden/ ein
Maß Weitzen um einen Groſchen/ und drey Maß Gerſten um
einen Groſchen. Wird einem ſchwartzen Reuter verglichen/ weil der
Hunger ſchwartz machet/ Thren. 4, 8. Das Maß bedeutet ein Gewicht-
Maß/ und ſolche Theurung/ da man die Fruͤchten nicht mit Seſtern/ ſon-
dern mit Wurtz-Waagen außmeſſet/ und um ein ſtuͤck Brod ein groß
Geld geben muß. Dieſer Reuter zog ein in daſſelbige Land/ auß was Ur-
ſachen wird nicht gemeldet. Da geriethen alle Victualien in groſſen Auff-
ſchlag/ Juncker Wucher wird ſich dapffer dabey getum̃elt und nichts ver-
ſaumet haben. Wer damal in Rohren geſeſſen/ der hat Pfeiffen geſchnit-
ten. Dieſer hungerige/ magere Reuter hatte nun ſeine unterſchiedliche
Ruthen/ damit er auff den verlohrnen Sohn getroffen. 1. Ein laͤhrer
Seckel/ dann er hatte alles verzehrt/ der ſaure Schweiß ſeines Vaters
war dahin/ es war durch/ was er mit ſich genommen hatte. Waͤre der
Seckel noch geſpickt geweßt/ haͤtte er wenig nach der Theurung gefragt/
es haͤtte doch alles muͤſſen vorhanden ſeyn/ es koſte auch was es wolle;
aber der laͤhre Seckel that ihm wehe/ er mußte den Cornelium ſpielen.
2. Der Hunger/ ἀυτὸς ἤρξατο ὑςερ ει̃οϑαι, er fieng an zu darben/ er hat nir-
[g]end kein Credit/ keinen Wechſel zu hoffen/ ſeine Lauß-Freunde haben von
ihm
[45]Vom verlohrnen Sohn.
ihm außgeſetzt/ die Huren haben ihn zum Hauß hinauß geſchlagen/ ſo hat-
te der arme Tropff nichts redliches gelernet/ daß er einem Herrn dienen
und auffwarten/ und nur das Maul-Futter davon bringen moͤchte.
Nichts deſtoweniger wolte der Magen ſeine Nothdurfft und ſatisfaction
haben. Aber er fieng an zu darben/ und miſeriam zu ſchmeltzen. 3. Servi-
tus ignominioſa,
ſchaͤndliche ſchimpffliche Dienſtbarkeit/ ἐκολλήϑη, er
gieng und hieng ſich an einen Burger deſſelbigen Landes/ der
ſchicket ihn auff ſeinen Acker/ der Saͤue zu huͤten. O des ſchlech-
ten Dienſts! wie ſaur muß es dem Junckern fuͤrkom̃en ſeyn. Der Text
ſagt: ἐκολλήθη/ bedeutet ein aͤngſtiges Nachlauffen/ Flehen und Bitten/ er
wolle ſich doch ſeiner erbarmen; eine gewiſſe Verdingung/ wie Matth. 19/ 5.
Der Mann wird ſeinem Weib anhangen/ ex pacto ſcil. wegen
des Verſpruchs: Alſo auch dieſer hat ſich zweiffels frey auff gewiſſe Zeit
verſprechen muͤſſen/ iſt eben nicht ſo bald loß worden/ er mußte recht buͤſ-
ſen. Was erlangt er aber fuͤr ein officium? macht er ihn irgend zu einem
Lackeyen/ oder Trabanten/ Keller oder Koch? Nein/ dann er kunte nichts/
er hatte nichts gelernet; ſondern hinauß auff den Acker mußte er. Was
thun? pfluͤgen/ zu Acker fahren? nein/ das waͤre noch traͤglicher geweſen;
Solte er irgend Schaffe oder Kuͤhe huͤten? nein/ ſondern/ welches das
allerunertraͤglichſte/ er/ als ein Jud/ mußte der Schwein huͤten. Und
das war noch nicht alles/ welches ihm nicht nur ſchimpfflich/ ſeiner Ade-
lichen Reputation zuwider/ ſondern es war ihm auch ein Greuel.


Dazu kam 4. Cibus abjectiſſimus ac inſufficiens, die veraͤchtliche/
elende Speiß/ deren er doch nicht gnug haben kunte. Dann er begehr-
te ſeinen Bauch zu fuͤllen mit Traͤbern/ die die Saͤue aſſen/
und niemand gab ſie ihm. Traͤbern waren es/ wie es Lutherus gibt/
das Griechiſche κεράτια, was es eigentlich geweßt/ ſeind die Dolmetſchen
nicht eins/ gewiß iſts eine Sau-Speiß/ Spulet/ Eicheln/ Kleyen oder der-
gleichen/ das man ſonſt den Schweinen fuͤrwirfft/ geweſen. Bedencklich
ſagt Chriſtus/ er habe den Bauch fuͤllen wollen/ es ſeye womit es wolle/
damit der Magen nur etwas habe/ und ſich zur Ruhe begebe: er habe be-
gehrt/ und niemand habs ihm gegeben/ wann man zu gewiſſen Zeiten den
Schweinen zu eſſen gebracht/ und dargeſchuͤttet/ ſo ſolt er mit ihnen eſſen/
man gab ihm ſonſt nichs mehr; aber er hatte gar unhoͤffliche commenſa-
les,
und Tiſch-Genoſſen/ die Schwein waren ihm viel zu hurtig/ ehe er ſei-
nen Hunger geſtillt/ waren die Traͤbern ſchon hin. Jſt alſo durch Got-
tes heilige und gerechte Gericht auß dem weyland reichen und wolhaͤbigen
Sohn ein armer Halunck und Bettler worden; auß einem wolluͤſtigen
F iijEpicurer/
[46]Die Sechste Predigt
Epicurer/ der in Malvaſier gebadet/ und das Brod mit Fuͤſſen getretten/
ein Hungerleider; auß einem freyen Herꝛn ein Sclav und elender
Knecht; auß einem Junckern ein Saͤu-Hirt/ auß einem Hirten der
Schwein ein Schwein/ als der zuvor als ein Schwein gelebt/ ja der
als ein Schwein worden/ und nicht einmal ſo gut geachtet wurde/ daß er
der Traͤbern genug gehabt haͤtte. O des elenden Wechſels/ des armſe-
ligen Lebens! an ihm iſt wahr worden/ womit einer ſuͤndiget/ damit
wird er auch geplaget. Sap. 2. Folget nun


II. Finis \& Scopus. Was hat der gerechte Gott mit dieſer ſeiner
ſcharpffen und harten Ruthen gemeynet? wohin hat er gezielet und ſein
Abſehen gehabt? Warum wars ihm zu thun? keinen andern Zweck hat-
te er/ als ein Vater/ der ſeinen Sohn zuͤchtiget/ daß er nicht gar verderbe;
das/ was hernach auch ſelbs gefolget/ nemlich Buß und Bekehrung.
Es war dieſe groſſe Blut-Armut und elender Stand 1. Gottes Straff-
Peitſche/ er ſolte es fuͤhlen/ es ſolte ihm wehe thun/ er ſolte ſein Hertz
nicht verhaͤrten/ wie Pharao/ und ſich gleichſam faͤſt machen. 2. GOt-
tes Buß- und Weck-Gloͤcklein/ er ſolte in ſich ſelbs gehen/ ſolte ge-
dencken/ ſihe/ wo komt mir das her/ hab ichs nicht ex talione nach dem
Recht der Widervergeltung verdienet/ daß/ womit ich geſuͤndiget/ ich auch
geſtrafft werde? die Augen ſolten ihm auffgehen/ daß er das unbeſtaͤndige
Gluͤck verfluchte/ und gedaͤchte/ es ſeye ſeiner Boßheit Schuld/ daß er ſo
geſtraffet werde; und darnach gutem Rath folgen.


3. Waren ſie als lictores, Haͤſcher/ die ihn in Goͤttliche Hafft ge-
zogen/ und fuͤr Gericht citiret/ zur Tortur/ daß er da lernte ſchwaͤtzen/ ſie
haben das compelle mit ihm geſpielet/ er war beſchloſſen gleichſam unter
der Suͤnden reatum, in den Bann gethan/ und in die Acht GOttes er-
klaͤrt/ Gal. 3/ 22. wie Manaſſes in den Ketten und Banden. 4. Solte er
es anſehen als ein Zeichen des ewigen Jammers/ da ſolte er gedencken/
wann er nicht Buße thun wuͤrde/ ſo werds damit noch nicht außgericht
ſeyn/ er habe noch fuͤr ihm den ewigen Hunger und Durſt/ wie der reiche
Schlemmer/ Luc. 16. Summa/ es meynte es Gott gut mit ihm; den
reichen Schlemmer und ſeine Bruͤder weiſet GOtt in folgendem Capitel
auff Moſen und die Proph[et]en/ aber das war eine extraordinari Gna-
de/ ſo gut wirds ihnen nicht/ den naſſen Bruͤdern/ die mit dem verlohrnen
Sohn unten und oben gelegen/ geſchicht der gleichen nicht; wie dann Gott
ihm hierinnen ſeine Weiſe vorbehalten. Er zuͤchtiget ihn/ daß er ſich nicht
fuͤr unſchuldig hielt/ und mit der Welt verdamt wuͤrde/ er ſolte die Ruthe
kuͤſſen und ſprechen; O eine gute Ruth/ wie machſtu boͤſe Buben ſo gut.


Wie
[47]Vom verlohrnen Sohn.

Wie nun junge Leute ſich abermal hier ſpieglen ſollen/ ſonderlich un-
ſere Stutzer/ die nichts ſtudieren/ und das ihrige mit muͤſſig gehen verthun/
bey denen es gewiß heiſſen wird/ wie die Ameyß in den Fabeln Æſopi zu der
Haͤuſchrecke geſagt: æſtate ceciniſti, hyeme ſalta, haſtu im Sommer ge-
pfiffen/ ſo tantze im Winter/ daß dir der Hunger vergehet; Das ſtoltze
Weiber-Volck/ bey denen es mehrmalen geſchehen/ daß ſie jetzt das Brod
nicht zu eſſen haben/ die vor dieſem alle Schleck- und niedlichſte Bißlein ge-
koſtet/ da muͤſſen ſie mit guten Zaͤhnen uͤbel eſſen; Alſo/ wann wir die Aug-
en auffthun wollen/ werden wir befinden/ daß auff gleiche Suͤnde gleiche
Straffe folge/ und daß Gott auch mit uns biß dato den verlohrnen Sohn
geſpielt/ weil wir den verlohrnen Sohn mit ihm geſpielt/ und da man auff
Moſen und die Propheten nichts mehr geben wollen/ ein neuen Text fuͤr-
gelegt/ nemlich/ ſeine vier boͤſe Straffen/ die vier Reuter; und ſonderlich
auch bey uns allhie den ſchwartzen Reuter der Theurung einloſirt/ der
Kiſten und Kaͤſten/ Seckel und Beutel gelaͤhrt/ und manches Mutter-
Kind in das Kriegs-weſen geiagt/ da ſie fremden Herren dienen muͤſſen/
anderer Particular-Straffen zu geſchweigen. Ja es iſt dahin gekom̃en/
daß mancher vor dieſem in der Nachbarſchafft gern mit den Schweinen
Traͤbern eſſen wolte/ aber ſie haben ihm nicht werden moͤgen; Eychel- und
Kleyen-Brod/ ja unmenſchliche/ unnatuͤrliche Speiſen mußten fuͤr den
Hunger dienen.


Felix, quem faciunt allena pericula cautum.

Und wann wir die Augen auffthun wollen/ haben wir auch bißhero
Urſach/ den λιμὸν ἰσχυρὸν zu beklagen; Und obwol der liebe Gott die Theur-
ungetwas gemiltert/ und verhoffentlich/ darum wir ihn flehentlich bitten/
noch ferner miltern moͤchte/ wiewol wir noch nicht juh ſchreyen doͤrffen;
Multa caduntintra lances \& pocla diſerta:


So iſt doch der Saͤckel laͤhr/ und die Mittel ſind verſchwunden. Was
wuͤrde es dich nutzen/ wann du gleich das Viertel Frucht um einen Batzen
oder Schilling kauffen koͤnteſt/ du haͤtteſt aber denſelben nicht; Brod-
Mangel und Hunger heißt auch der Mittel-Mangel. Wann einem
Kauffmann ſein Gewerb geſteckt iſt/ daß er mehr einbuͤſſen und Verluſt
leiden muß/ als Gewinn haben/ wann ihm die Wahren liegen bleiben.
Wann ein Handwercks-Mann gern arbeitete/ niemand aber gibt ihm zu
thun/ daß ſie einander in ihrer Kunſt neiden/ und ſehen/ wie je einer dem
andern ſein ſtuck Brod vor dem Maul abſchneiden mag; Wann dem
Gelehrten ſeine Beſoldung/ davon er leben muß/ nicht einkomt/ wann
Wittwen und Waiſen ihrer Penſionen nicht koͤnnen faͤhig werden;
wann
[48]Die Sechste Predigt
wann der papierne Goͤtz im Trog ligt/ und mancher daruͤber panckerotirt;
Wann man ſchon Mittel hat/ davon man Geld machen koͤnte/ und ſie
aber nichts gelten wollen/ iſt das nicht λιμὸς ἰσχυρὸς, Hungers genug? Es
hat freylich der HerrJus Talionis, das Recht der Widervergeltung mit
uns geſpielt/ da Er Wolluſt und Uberfluß mit Mangel und Armut/ frey-
en Stand mit Sclaverey/ Sau-Leben mit Sau-Speiße geſtrafft. Ja/
ſprichſtu/ das trifft zwar etliche/ und den meiſten Theil/ aber wie kommen
davon 1. fœneratores, die Wucherer/ die beym Kriegs-weſen profiti-
ren und gewinnen/ die von dem Außgeliehenen einen unchriſtlichen Zinß
nemmen/ die nicht allein alles vollauff haben/ ſondern auch anderer Leute
Mittel durch unbarmhertzigen Wucher an ſich erkauffen/ durch ungerech-
te Kaͤuffe/ und andere contractus innominatos, ſed ad extremum diem
reſervatos,
des armen Naͤchſten Ubriges an ſich ziehen/ ſonderlich wo man
weiß/ daß man geſteckt iſt/ die mit dem Getreyd Wucher treiben? Wie
kommen davon 2. Voluptuoſi, die Wolluͤſtler/ denen man nichts an-
ſiehet/ und leben in der Fuͤlle/ die es machen/ wie der Jud Aaron zu
Franckfurt/ und gedencken/ je theurer/ je wolluͤſtiger/ es muß dieſer oder
jener Biſſen auff der Taffel ſtehen/ und ſolte er auch weiß nicht was koſten?
Und was wollen wir ſagen 3. de Superbis, von dem ſchnoͤden uͤber-
teuffelten Pracht/ ſonderlich des Weiber-Volcks? Welches/ wann
Haußrath wolfeil iſt/ mit Schmertzen zuſchen. Unter die auch 4. die im-
miſericordes \&
ἀσυμϖαθοῦντες gehoͤren/ die auß Unbarmhertzigkeit Augen
und Hertzen vor dem nothleidenden Naͤchſten zuſchlieſſen. Solche alle/
weil ſie es noch nicht trifft/ fuͤhlen ſie es auch nicht. Aber/ Antwort/ ſie
ſoltens dennoch wol fuͤhlen ex Chriſtiana συμϖαθείᾳ, auß Chriſtlichem
Mitleiden/ und gedencken/ hat mir Gott noch einen Segen beſchehret/
ſo wil ich ihn auffheben/ vielleicht werde ich meinem Naͤchſten noch koͤn-
nen damit zu Huͤlff kommen. Weil ſie es aber nicht fuͤhlen/ ſeind und
bleiben ſie die unſeligſte Leute/ es wird ſich finden/ wann der Schnee ihres
Uberfluſſes vergehet: Gott laͤßt ſie noch eine weile/ als Maſtvieh in der
Weyde/ gehen/ aber Er wird ſie endlich zur Schlachtbanck fuͤhren/ und
auff den Kopff ſchlagen. Sie ſeynd unſeliger als der verlohrne Sohn/
der Sohn/ den der Vater nicht ſtaͤupet/ ſtehet uͤbel: O wie wol gieng es
manchem verlohrnen Sohn/ der nicht gut thun wil/ wann er die Straff
bey Zeiten fuͤhlete.


Multi perpetrant, qualia Sodomorum cives, ſed ignis pluvia non
deſcendit:
Viel begehen/ was die Buͤrger zu Sodom/ aber dir feurige Re-
gen fallt nicht auff ſie. Chryſoſt. hom. 27. ad pop. Apud ſuos filios
clemen-
[49]Vom verlohrnen Sohn.
mentiſſimus DEUS carnoſa vulnera adurit cauterio, non parcit, ut
parcat, non miſeretur, ut miſereatur, Hieronym. in c. 7. Ezech.
Bey
ſeinen Kindern brennet der allguͤtige Gott die gefaͤhrliche Wunden mit
einem Brand-Eyſen/ und ſchonet nicht/ damit er ſchone/ und erbarmet
ſich nicht/ damit er ſich erbarme. Origenes in c. 20. Exod. wann er die
Wort Oſe. 4/ 14. widerholet: \& propter hoc non viſitabo ſuper filios
veſtros,
ruffet er auß: hoc eſt terribile, hoc eſt extremum, cum jam non
corripimur pro peccatis. i. e.
Das iſt erſchroͤcklich/ das iſt die aͤuſſerſte
Gefahr/ wann wir auch nicht einmal geſtrafft werden.


Gedencke derowegen/ mein lieber Menſch/ hats die Meynung/ ſo wil
ich ſagen/ hîc ure, hîc ſeca, ich wils mit dem verlohrnen Sohn halten/
und lieber mit den Schweinen eſſen/ daß meine Seel erhalten werde/ als
in der Theurung wol leben/ und mit Leib und Seele verderben. Wo aber
ſolche Straffe ſich erzeigen/ ſo lernen wir hiebey/ wie und wofuͤr wir ſie ſol-
len anſehen/ wie wir ſie empfahen und annemmen ſollen/ nemlich als
Straff-Ruthen/ die wir wol fuͤhlen und kuͤſſen ſollen/ nicht wie Pha-
rao der ſein Hertz verhaͤrtet/ bevorab wann er Lufft bekommen/ oder wie
die Zuhoͤrer Jeremtaͤ/ von denen er ſagt c. 5. Du HErꝛ/ ſchlaͤgeſt ſie/
aber ſie fuͤhlens nicht/ du plageſt ſie/ aber ſie beſſern ſich nicht/
ſie haben ein haͤrter Angeſicht/ dann ein Felß/ und wollen ſich
nicht bekehren. Gehet noch heutiges Tages alſo/ wann man ein wenig
gute Zeitung vom Frieden oder Wolfeile hoͤret/ wird man ſicher und ſuͤn-
diget wieder auff das vorige Kerbholtz. Sondern wie ein Vater ſein
Kind zuͤchtiget/ auß Hoffnung/ daß es ſich beſſern/ und die ſtraffbare Un-
tugenden fahren laſſen wird; ſo gehet auch Gott mit uns um/ da iſt nun
unſere kindliche Schuldigkeit/ ihn in ſeiner Hoffnung und gutem Abſehen
nicht zu verhindern oder zu erfaͤhren. 2. Als Buß-Gloͤcklein/ und
Citanten; Gott hat viel Wege/ dadurch Er die Suͤnder fuͤr Gericht ci-
tiret/ 1. per conciones legales, durch ſeine Goͤttliche Geſetz-Stimme/ wie
er alſo Adam und Cain/ Vater und Sohn/ Gen. 3. Adam wo biſt du?
haſtu nicht gegeſſen ꝛc.? und c. 4, 10. Cain was haſtu gethan/ die Stim-
me deines Bruders ꝛc. fuͤrberuffen hat. Wollen nun dieſe nichts helf-
fen/ ſo gebraucht er 2. die innere Gewiſſens-Schlaͤge/ daß/ zum Exempel/
das Hertz David ſchlagen/ und er ſelbſt bekennen muß/ er habe
ſchwerlich geſuͤndiget/ 2. Sam. 24/ 10. Er citirt 3. per pœnas epi-
demicas,
durch Krieg und andere graſſirende Straffen/ die uns allen auß
Mitleiden zu Hertzen ſchneiden/ und wir ſagen ſollen: Jch habs ja ſo wol
verdienet/ als andere Leute/ ich bin kein Haar beſſer als der Baursmann/
Zehender Theil. Gder
[50]Die Sechste Predigt
der des Tages ſchneidet und des Abends droͤſchet/ aber augenblicklich in
Gefahr ſeiner Pferde/ Viehes und Nahrung ſchweben muß. 4. Per pœ-
nas talionis,
mit dem Recht der Widervergeltung/ wie Manaſſen/ der
von dem Aſſyriſchen Koͤnig im Triumph gen Babel gebracht/ und mit
Ketten angeſchmiedet wird; alſo auch den Schaͤcher am Creutz/ der ſelbſt
bekennet/ er verdiene was ſeine Straffen werth ſeynd. Komt nun
dergleichen auch an dich/ ſo dencke/ nun wolan/ jetzt iſt es Zeit/ jetzt eitiret
mich Gott fuͤr Gericht/ berede dich nicht faͤlſchlich/ als waͤrs ein unſchul-
diges Creutz/ keine wolverdiente Straff. Und das iſt citatio perempto-
ria,
wer dieſe verſaumt/ wer dieſen Botten verachtet/ der hat vor ſich den
Tag des ſchroͤcklichen Gerichts/ und wiſſe/ daß ihme ſolches alles prælu-
dium æternæ pœnæ
ſeye/ ein Vorſchmack der ewigen Hoͤllen-Pein/ es
wird ihm gehen/ wie einem Ubelthaͤter/ der dem Hencker entgehet/ der zeit-
lichen Straff entfliehet/ und der ewigen entgegen lauffet. Gott gebe/
daß wir nicht auß Gewonheit/ ſondern von Hertzen die tieffe Stimm an-
ſtimmen:


Auß tieffer Noth ſchrey ich zu dir/

HErꝛ GOtt erhoͤr mein Ruffen:

Dein gnaͤdig Ohren kehr zu mir/

Und meiner Bitt ſie oͤffen.

Dann ſo du wilt das ſehen an/

Was Suͤnd und Unrecht iſt gethan.

Wer kan HErꝛ vor dir bleiben.

Weil nun Buße thun kein Menſchen-Werck/ ſo laßt uns zuvor recht
præpariren/ und ſprechen: Bekehre du uns HErꝛ/ ſo werden wir
bekehret/ hilff du uns/ ſo wird uns geholffen/ Jerem. 31. O
HErꝛ/ wer kan das boͤſe Hertz aͤndern/ und ein neues ſchaffen/
du kanſt es dem alles muͤglich/ das ſteinerne Hertz von mir nem-
men/ und ein fleiſchernes geben:


So ſchaff/ O HErꝛ/ daß ichs recht fuͤhl/

Wann du mich hier wirſt ſchlagen/

Daß ich dar auß nicht mach ein Spiel/

Wann kommen deine Plagen/

Mach mich nur wuͤrdig in der Zeit

Zu ſchmecken deine Himmels-Freud

Bey allen Außerwehlten.

AMEN.


Die
[51]Vom verlohrnen Sohn.

Die Siebende Predigt/
Von dem Rath des verlohrnen Sohns/

und drey unterſchiedlichen Rathſchlaͤgen/
die an ihn geſetzt.


GEliebte in Chriſto. Es war die jenige Frag/ welche Chriſti
Juͤnger Marc. 8. ihrem Herrn und Meiſter fuͤrgelegt
und geſagt: Woher nemmen wir Brod hie in der
Wuͤſten? (nach dem Er ſeiner Zuhoͤrer/ die nun drey
Tag ungegeſſen bey ihm verharret/ ſich gejammert und be-
ſorget/ wo Er ſie ungeſſen von ſich ließ/ ſie moͤchten auff
dem Wege verſchmachten/ ſo tretten ſeine Juͤnger auff/ und ſprechen:
Woher nemmen wir Bord hie in der Wuͤſten? oder wie es Matt-
haͤus c. 15. beſchreibet/ Woher moͤgen wir ſo viel Brods nemmen
hie in der Wuͤſten/ daß wir ſo viel Volck ſaͤttigen?) I. Zwar
Quæſtio diffidentiæ, eine mißtrauiſche Frag/ herkommend von der
unverſtaͤndigen Naͤrrin/ der fladerenden/ zagenden und unglaubigen
Bauch-Sorg. Es hatten zuvor die Juͤnger das Wunderwerck geſehen
von den fuͤnff Gerſten-Broden/ Joh. 6/ 11. noch gleichwol ſprechen ſie:
ϖ [...]θεν δυνήσεταί τις τούτους ᾧδε σχορτάσαι ἄρτων ἐϖ᾽ ἐρημίας; Woher nem-
men wir ꝛc. Jſt eben die Frag/ welche die Kinder Jſrael in der Wuͤſten
auff die Bahn gebracht/ Pſalm 78/ 20. Ja ſolte wol GOtt koͤnnen
einen Tiſch bereiten in der Wuͤſten? wie kan Er Brod geben/
und ſeinem Volck Fleiſch verſchaffen? Und der Ritter zu Sama-
ria 2. Reg. 7. Dann als Eliſa geſagt: Morgen um dieſe Zeit wird
ein Scheffel Semmel-Meel einen Seckel/ und zwey Scheffel
Gerſten einen Seckel gelten unter dem Thor zu Samaria:
Da antwortet der Ritter: Und wann der HErꝛ Fenſter am Him-
mel machet/ wie koͤnte ſolches geſchehen? Es iſt aber dieſe Frag
II. quæſtio fidei \& informationis, eine Glaubens- und Lehr-Frag/
wann ſie auß glaubigem Hertzen gehet/ duo cum quærunt idem, ſæpè
non eſt idem,
es koͤnnen wol oͤffters ihrer zween einerley fragen/ aber nicht
mit einerley Sinn und Gedancken. Auß einem andern Hertzen kam das
Quomodo Nicodemicum, Joh. 3. auß einem andern das Quomodo
Marianum, Luc.
1. alſo auch/ wann ein Menſch in ſchweren Land-Plag-
en/ wann Gott den Vorrath des Brods wegnim̃t/ und muͤſſige Zaͤhne
gibt/ wann ein mancher Hauß-Vater auch eine Wuͤſte findet in ſeinem
G ijBrod-
[52]Die Siebende Predigt
Brod-Korb/ auff ſeinem Acker/ in ſeiner Werckſtatt/ wolte gern arbeiten/
hat aber die Mittel nicht/ kan er ſich auß GOttes Wort/ das unſer Rath-
geber iſt/ Raths erholen und fragen/ woher nim̃ ich Brod? III. Quæſtio
neceſſitatis \& opportunitatis,
eine Zeit- und Noth-Frag/ dann ob
zwar wol der Vater des Liechts/ von dem alle gute und vollkommene
Gaben von oben herab kommen/ ſeinen Himmels-Schatz auffge-
than/ und den Himmel/ der Himmel aber die Erde erhoͤret/ und eine reiche
und wolgebige Ernde beſchehret/ ſo iſts doch noch nicht außgetheilet/ der
unerſaͤttliche Geitz-Wolff bloͤckt ſchon die Zaͤhn darnach/ und wetzet die
Klauen; es mangelt etwan manchem duͤrfftigen Hauß-Vater an Geld-
Mitteln zu kauffen; Und wañ gleich das Viertel Frucht auff einen Schil-
ling kaͤm/ ſo hat doch mancher denſelben nicht/ wo wil er denn Brod her/
nemmen? Vom Lufft kan ja niemand leben/ und das Stehlen iſt ihm bey
Hencken verbotten. So heiſſet demnach allhie Brod ins gemein alles das
jenige/ was zur Leibes-Nahrung und Nothdurfft gehoͤret. Der Nackende
fragt/ woher nemme ich Kleider auff den Winter fuͤr mich und die meini-
gen? der Krancke ſagt/ wodurch werd ich geſund? Ja woher nehmen wir
den Frieden in dieſer allgemeinen Land-Wuͤſten/ da alles eroͤdet und ver-
wuͤſtet? in dieſer allgemeinen Reich-Wuͤſten/ da alles von Kriegs-Flam-
men brennet? in dieſer Kirchen-Wuͤſten/ da aller Gottes dienſt ligt/ und
das Wort GOttes Noth leidet? in der Wuͤſten alles Vorraths/ in der
Seckel-Wuͤſten? wo ſpare ich einen Pfenning auffs Alter? wo kan ich
im Sommer mit den Ameiſen ſamlen/ daß ich auch im Winter mit ihnen
zu eſſen habe? Jſt jemals eine Zeit geweſen/ da man ſich auff Mittel und
Wege einen Vorrath zu ſamlen zu bedencken gehabt/ ſo iſts gewißlich die-
ſe/ da die Voͤgel außgeflogen/ wie man Zinß abſtatten/ die Salaria und
Beſoldungen bezahlen/ Zinß und Guͤlden einbringen moͤchte. Aber es
heißt: ſera in fundo parſimonia, es iſt zu ſpat: Wo nemme ich Brod
bey meinen Zinß- und Guͤlt-Brieffen/ ſie ſeind zu Mam̃elucken worden/
haben panckerotirt/ ſie ſeind nicht giebig/ niemand gebe mir ein ſtuͤck Brod
auff ein manchen Brieff/ der von etlich hunderten ſagt.


Und dieſes iſt eben die Frage/ die den verlohrnen Sohn auch geplagt
und gequaͤlt/ da die Ruthen GOttes uͤber ihm zuſammen geſchlagen/ und
unbarmhertzig auff ihn geſchmiſſen/ daß ers empfunden/ der laͤhre Seckel/
das darben/ die ſchimpffliche Dienſtbarkeit/ und der greuliche Hunger/
alles zu dem Ende/ daß er die Ruthe kuͤſſen/ zum Creutz kriechen/ und das
Pater peccavi, Vater ich habe geſuͤndiget/ das miſerere mei, er-
barme dich mein/ ſprechen ſolte. Ja da er mitten unter den Schwei-
nen/
[53]Vom verlohrnen Sohn.
nen/ wie Orpheus unter den wilden Thieren geſeſſen/ nicht mit der Harpf-
fen/ ſondern mit einem Hirten-Stecken/ und mit den Schweinen fuͤr lieb
nemmen muͤſſen/ die als gar unhoͤffliche Tiſch-Genoſſen mit ihme umge-
gangen. Da hat es freylich auch geheiſſen: ach wo nim̃ ich zu eſſen in
dieſer Wuͤſten? ach welch gut Brod genieſſen meines Vaters Tagloͤh-
ner/ und ich muß darben; Sein Wald-Liedlein/ das er geſungen/ war
dieſes/ ἐγὼ λιμῷ ἀϖόλλυμαι, ich verderbe fuͤr Hunger/ ach daß ich vor mei-
nem Tod nur noch einmal gnug eſſen moͤchte! ach der guten Zeit/ die ich
daheim hatte/ und nicht erkandte! es ſchmeckte mir in meinem vorigen
Leben/ da es alles herꝛlich und koͤſtlich hergegangen/ kein rauhes und
ſchwartzes Brod/ Semmel und Weiß-Brod mußte man mir vorlegen.
Da ſchmeckte mir kein gemeiner Hauß-Koſten/ es mußte das niedlichſte
ſeyn/ ſolte es mein Maul koſten. Ach ſaͤße ich nur eine Stunde unter
meines Vaters Tagloͤhnern! O Hunger/ wie bitter biſtu; jetzt weiß ich/
was Hunger iſt/ haͤtte ich nur die Speiſen/ die ich manchmal mit Fuͤſſen
trat; den Wein/ den ich außgeſchuͤttet; ja die Speiß/ die ich Unflat wie-
der außgeſpyen! aber was hilffts? λιμῷ ἀϖόλλυμαι, ich weiß keinen Rath/
wo nemme ich Brod? Drey Rathgeber fanden ſich damalen/ die ihm
(aber ungleiche) Raͤthe ertheilt/ nemlich der Satan/ die Vernunfft/
und der gute Geiſt GOttes/ deren Oracula und Vorſchlaͤge wir fuͤr
dieſes mal anhoͤren/ und was wir dadurch gebeſſert ſeyn moͤgen/ kuͤrtzlich
anzeigen wollen. GOtt der H. Geiſt laß uns kraͤfftiglich lehren/ erbau-
lich hoͤren/ alles zu ſeinen Ehren/ Amen.


SO iſt nun/ Geliebte im Herrn/ das I. Oraculum Satanicum,
der Satan meldet ſich bey ihm zum erſten an/ der in ſolchen Faͤl-
len von Anbegin geſchaͤfftig und beyraͤthig iſt/ der feyret und ſaͤu-
met ſich nun hier auch nicht. Wie er ſich dann eben in ſolchem Fall an
den Sohn GOttes ſelbſten gemacht/ Matth. 4. ſo macht er ſich auch an
den Menſchen; es ſtehet zwar in unſerm Text nicht klar außgedruckt/ iſt
aber auß den faſt verzweiffelten Worten wol abzunem̃en/ wann er ſpricht:
ἐγὼ λιμῷ ἀϖόλλυμαι, ich verderbe im Hunger; das war nicht Gott/ als
der nicht wil/ daß jemand verlohren werde. Dann der Satan iſt ein
Geiſt/ ex affectibus, tanquam unguibus leo, agnoſcendus, den man an
ſeinen Wercken/ gleich als einen Loͤwen an ſeinen Klauen/ erkennen kan:
als wolte er ſagen: Jch muß verzweiffeln und vergehen/ da hilfft nichts
fuͤr. Zweiffels frey wird er ihm auch das dilemma fuͤrgelelegt haben/
welches er Chriſto fuͤrgelegt; da er ſagt: Biſtu GOttes Sohn/ ſo ſprich/
G iijdaß
[54]Die Siebende Predigt
daß dieſe Steine Brod werden/ das iſt/ entweders biſt du GOttes Sohn/
und das muſt du mit einem Wunder beweiſen/ ſoll man es glauben/ wo
nicht/ ſo muſt du verzweiffeln. Alſo hat es auch hier geheiſſen; fac pa-
nes, ſi non miraculosè, ſaltem inordinatè,
ſihe/ daß du Brod bekommeſt/
wil dir keines vom Himmel fallen/ ey ſo greiffe zu/ wo du zukom̃en kanſt/
auch wann es ſchon durch unrechte Fug/ und unordentliche Mittel geſche-
hen muß/ ſtihl/ raub/ mach Beuten/ zwings auß einem Stein herauß/
im Fall der Noth/ wann man ſich des Hungers anderſt nicht erwehren
kan/ wird ſich ſolches wol entſchuldigen laſſen. Es mag auch wol der
liſtige Geiſt die Schrifft angezogen/ und auß Proverb. 6/ 30. geſagt haben:
Es iſt einem Dieb nicht ſo groſſe Schmach/ ob er ſtielet/ ſeine
Seele zu ſaͤttigen/ weil ihn hungert.


Weil nun irgend ein gutes Fuͤncklein in dem Schwein-Hirten ge-
weßt/ und der erſte Griff nicht angehen wil/ greiffet er zu dem andern ex-
tremo,
und ſpricht: wann dir das nicht angehen wil/ ſo wird dich nie-
mand verdencken koͤnnen/ wann du wider Gott murreſt/ ungedultig
wirſt/ verzweiffelſt/ und dir etwas am Leben thuſt: ſiehe da/ hie iſt der
Strick/ nim̃ ihn hin/ und erhencke dich/ oder hie iſt das Waſſer/ ertraͤncke
dich/ hie haſtu ein Meſſer/ ſchneide dir die Gurgel ab/ ſo komſtu deines
Elends ab. Deine Suͤnde ſeind doch groͤſſer/ als daß ſie dir koͤnnen ver-
geben werden/ du biſt verlohren. Das war eine Art der Sataniſchen
Verſuchung/ haͤtte er nun dieſem Rath gefolget/ ſo waͤre er freylich ſein
eigener Prophet geweſen/ ἐγὼ λιμῷ ἀπόλλυμαι, ich verderbe im Hunger/
haͤtte er dem hoͤlliſchen Apoliyon und Verderber gefolget/ ſo waͤre er zwar
dem zeitlichen Hunger entgangen/ aber dem ewigen entgegen geloffen/
da er unauffhoͤrlich haͤtte ſchreyen muͤſſen/ ἐγὼ ἀϖόλλυμαι, ach ich bin ver-
lohren und verdamt!


II. Meldete ſich bey ihm an Ratio, die Vernunfft/ mit ihren
hoͤltzernen Anſchlaͤgen/ ſie traͤgt auch ihren Rath bey/ und ſagt/ was ihrer
Meynung nach zu thun waͤre. Es gedencket zwar die Parabel und Gleich-
nuß nur eines Vernunfft-Raths/ nemlich/ labora, arbeite/ ſuche dir
einen Herꝛn/ haͤnge dich an einen reichen Burger/ und diene ihm. Dann
es war doch noch ein Fuͤncklein eines redlichen Gemuͤths in ihm/ daß er
gedachte/ biſtu gleich arm/ ſo haſtu doch einen geſunden Leib/ daß du dich
mit arbeiten ernehren kanſt. Aber es iſt auch kein Zweiffel/ es werde die
Vernunfft/ da es ſo uͤbel um ihn geſtanden/ andere Gedancken erſonnen
und geſponnen haben: Was plageſt du dich lang? wil dir dein Herꝛ nicht
recht zu eſſen geben/ ſo biſtu ihm auch nicht ſchuldig zu dienen/ zeuch davon/
reiß
[55]Vom verlohrnen Sohn.
reiß auß/ gib Verſe-Gelt/ ziehe bettlen herum/ oder ſuche dein Gluͤck an-
derswo/ gehe in den Krieg/ wirſtu erſchoſſen/ ſo kommeſtu des Jammers
ab/ komſtu aber davon/ ſo kan dir irgend eine gute Beute beſchehret ſeyn/
und kanſt es wieder anfangen/ wo du es gelaſſen; wo nicht/ und gehets
dir uͤbel/ ſo kan es dir doch nicht aͤrger gehen/ als auff dieſe Weiſe. Ach
wieviel tauſend haben biß dato dieſem Rath gefolget/ aber die Pferd ſchaͤnd-
lich hinter den Wagen geſpannet/ und ſeind/ bevorab zu dieſen Zeiten/ in
GOttes Zorn umkommen.


Es komt aber auch III. Spiritus DEI ex excelſis, der Geiſt GOt-
tes mit ſeinem Goͤttlichen Oraculo, der Mund des Herrn that ſich ge-
gen ihm auff/ und bließ ihm zwey heilſame conſilia und Huͤlffs-Mittel
ein/ deren das eine heiſſet/ revertere in te, kehre wieder du abtruͤn-
niger Sohn/ Jerem. 3. ſo wil ich mein Antlitz nicht gegen dich
verſtellen/ dann ich bin barmhertzig/ und wil nicht ewiglich zuͤr-
nen/ allein erkenne deine Miſſethat/ daß du wider den HErꝛn
deinen GOtt geſuͤndiget haſt. Gehe in dich ſelbs/ in domum inte-
riorem,
kehre wieder um/ biß dato biſt du ein exul und auſſer dir ſelber ge-
weßt/ haſt deiner ſelbs vergeſſen/ gehe in dich ſelbs/ zuͤnde ein Liecht an/
das Liecht des Worts GOttes/ und des Catechiſmi/ den du in deiner Ju-
gend gelernet haſt. Das iſt das Wort/ davon Chriſtus ſagt/ Matth. 4.
Der Menſch lebet nicht allein vom Brod/ ſondern von einem
jeglichen Wort/ das auß dem Munde GOttes gehet. Ge-
dencke/ wo ſolche Straffen herkommen/ nemlich von dem eifferigen
Gott/ der da ſagt/ ich ſuche heim/ die Miſſethat der Vaͤtter biß
in das dritte und vierte Glied/ wieviel mehr dann peccata propria,
eigene Suͤnden. Mercke wol/ was Gott damit gemeynet/ nemlich
Buß/ Bekehrung/ Rechtfertigung/ oſcula virgæ, du ſolleſt die Ruthe
kuͤſſen.


Der 2. Rath iſt reverſio ad domum Patris, kehre wieder um zu
deinem Vater/ und demuͤthige dich fuͤr ihm/ wie dorten der Engel des
Herrn zu Hagar ſagt/ Gen 16, 9. Alſo gehe du auch zu deinem Va-
ter/ und ſprich: Vater/ ich habe geſuͤndiget im Himmel und fuͤr
dir: Und da der verlohrne Sohn haͤtte koͤnnen außnemmen und ſagen:
Ja/ aber mein Vater hat geſagt/ ich ſolle nicht mehr widerkommen/ ich
ſolle ihm nicht fuͤr Augen tretten/ ich ſoll nicht mehr ſein Kind ſeyn; Zu
dem habe ich mein Vaͤtterliches Erbtheil dahin/ und nichts mehr daheim
zu holen. Da antwortet der Geiſt GOttes: Ach nein! es jammert deinen
Vater/ du daureſt ihn/ es wird ihn gewiß reuen/ ſo du dich nur wieder ein-
ſtelleſt/
[56]Die Siebende Predigt
ſtelleſt/ ſey verſichert/ er dencket offt und mehr an dich/ als an deinen Bru-
der/ den er allezeit fuͤr Augen hat; koͤnte er dich mit groſſem Geld rantzio-
niren/ er unterließ es nicht. Er beweiſet ihm ſolches/ à minori ad ma-
jus;
dein Vater hat ſo viel Tagloͤhner/ die ihm weder von Haut noch
Haar zugehoͤren/ und thut ihnen ſo viel gutes; du biſt ihm ja naͤher ver-
wandt/ du biſt gleichwol ſein Kind/ ſein Fleiſch und Blut/ die natuͤrliche
ςοργὴ und Blut-Liebe leidets nicht/ daß er dich verſtoſſen oder ſein Hertz
vor dir verſchlieſſen ſolte. Wil er dich aber nicht tractiren als einen
Sohn/ ey ſo wird er dich doch beſſer tractiren/ als dieſer harte Herꝛ/ beſſer
als die Tagloͤhner; er wird eben keinen Sauhirten auß dir machen/ und
wann ſchon/ ſo wird er dir doch gnug Brod zu eſſen geben. Das waren
die heimliche Bewegungen und Zuſpruch in ihm/ wie ſolche auß dem Auß-
gang koͤnnen abgenommen werden.


Was thut nun der verlohrne Sohn; er folget gutem Rath/ laſſet die
andere boͤſe und ſchlimme Raͤthe fahren/ und widerſtehet dem H. Geiſt
nicht/ er gehet in ſich ſelbs/ ſchlug nicht hinauff gen Himmel wider Gott/
ſondern in ſich/ und ſagt bey ſich ſelbs: Wieviel Tagloͤhner hat
mein Vater/ die Brods die Fuͤlle haben/ und ich verderbe im
Hunger; ich wil mich auffmachen/ und zu meinem Vater ge-
hen/ und er machte ſich auff. Wie aber in ſpecie ſolche Bekehrung
geſchehen/ darinnen der gantze Buß-Handel beſtehet/ werden wir mit
nechſtem vernemmen.


Alſo haben wir nun die 3. Conſilia und Raͤthe/ des Satans/ der Ver-
nunfft/ und GOttes/ ligt aber das beſte an der Wahl/ daß man nach dem
rechten greiffe. Wir lernen hiebey in dieſer Raths-Schul I. Conſilio-
rum diverſitatem,
daß es vielerley Raͤthe gibt/ wie es in der Welt hergehet/
da der eine ſo/ der andere anders rathet/ ſo gehets auch in den innerlichen
tentationibus und Anfechtungen/ in Mangel des Brods/ Geſundheit und
Friedens ꝛc. Wann auch der Menſch anſtehet/ und bey ſich ſelbs fraget/
woher nemme ich Brod/ Geſundheit und andere Noth durfft? da iſt nun
der Hunger maleſuada, es finden ſich freylich auch conſilia Satanica Sa-
taniſche Rathſchlaͤge/ mache auß Steinen Brod/ ſiehe/ wo du etwas be-
komſt/ Noth bricht Eiſen: Und wann ſchon Brod vorhanden/ und Gott
ſeinen Segen reichlich gibet/ ſo ſeind doch Leute/ die auß Brod Steine ma-
chen/ nicht phyſicè, ſondern moraliter, wann man armen Leuten die
Arbeit ſchwer machet/ ſie nicht bezahlet/ daß ihnen ihr ſaurer Schweiß noch
ſaurer wird/ wann man die liebe Fruͤchten auffſchuͤttet/ einſperret/ und zu
groſſem Auffſchlag ſparet/ daß der Arme zu nichts kommen kan. Wann
nun
[57]Vom verlohrnen Sohn.
nun/ ſag ich/ dergleichen geſchicht/ da iſt der Satan geſchaͤfftig/ er ſaget
auch/ mache Brod/ greiff zu/ wo und wie du kanſt/ durch Dieberey/ Be-
trug/ Allefaͤntzerey/ laß deinen ordentlichen Beruff fahren/ Weib und
Kinder ſitzen/ und ziehe davon/ murre wider Gott/ kratze/ ſchinde und
ſchabe per fas \& nefas, wann es nur Brod gibt; fluche GOtt und
dem Koͤnig/ welches eines von den gerechten Straffen GOttes iſt/
Eſa. 8, 21. wie die Kinder Jſrael gethan/ Exod. 16. und geſprochen: Jhr
habt uns darum außgefuͤhret auß Egypten/ in dieſe Wuͤſten/
daß ihr dieſe gantze Gemeine Hungers ſterben laſſet. Das iſt
Teuffels-Rath/ wer ihme folget/ traͤgt des Teuffels Danck davon.


Die Vernunfft hat auch ihre Anſchlaͤge/ ſiehet auff cauſas ſecun-
das,
die eben nicht alle zu verwerffen/ und heiſſet; labora, renne/ lauffe/
laß dirs ſaur werden; wil das nicht helffen/ urge debita, bring Schulden
ein/ erzwings/ thue den Heimgang/ wie 2. Reg. 4. der armen Wittwen zu
Sarepta geſchehen; verſetze/ verkauffe alles/ was du haſt/ wie die Egyptier/
Gen. 47. Haußrath/ Vieh/ Feld/ hernach dich ſelbs/ wie den Juden wider-
fahren/ Nehem. 5. Thren. 1, 11. Schreye den Koͤnig an/ hilff mir mein
Herꝛ Koͤnig. 2. Reg. 6, 26. Nim̃ mein Kind ins Wayſenhauß/ in
Spittal/ zu St. Marx. Wil das nicht helffen/ oder dergleichen/ mendi-
ca,
ſo bettele/ liege andern Leuten uͤber den Hals/ wandere fort/ zeuch auß
dem Land/ wie Abraham und Jſaac gethan. Seind alle gute Anſchlaͤge/
aber weil ſie das ὕςερον πρότερον ſpielen/ und die Pferde hinter den Wagen
ſpannen/ ſo taugen ſie nicht; Arbeit ohne Gebet iſt Lufft-Fiſcherey/ und
Nacht-Arbeit/ vergebens iſt es/ wann man fruͤh auffſtehet. Wer ver-
ſetzet/ iſt bald fertig/ und bleibet endlich im Reſt numero nichts/ o von o
gehet auff; wo nichts iſt/ da hat der Kayſer ſein Recht verlohren: Bet-
teln bringet Gott helff auff dem Rucken mit/ hilfft dir der Herr nicht/
woher ſoll ich dir helffen? in fremdem Land iſt man nicht angenehm und
willkomm/ man wird gedruckt und geneidet.


Jſt noch uͤbrig 2. Conſilii electio, welches iſt der beſte Rath? den der
verlohrne Sohn ergriffen/ nemlich/ converſio in ſe per contritionem,
daß man in ſich ſelbſt ſchlage/ nicht in Gott/ oder in die Ruthe/ nicht nach
den Menſchen/ die einem Unrecht thun/ ſondern in ſich ſelbs/ nicht dem
blinden Gluͤck es zuſchreibe/ wann es uͤbel gehet/ ſondern der Suͤnde/ zu-
ruck gedencke/ wie man in vorigen Zeiten haußgehalten/ und Buße thue/
ihme zu allerforderſt einen gnaͤdigen GOtt zu wegen bringe/ auß GOttes
Befehl/ thut Buß/ und bekehret euch zu mir/ ſo werdet ihr ſelig
aller Welt Ende/ Eſ. 54, 22. Jch ſage euch/ werdet ihr euch nicht
Zehender Theil. Hbeſſern/
[58]Die Siebende Predigt
beſſern/ ſo werdet ihr alle umkommen/ Luc. 13. Es iſt aber dieſes
eine ſchwere Kunſt: Ambroſius ſchreibet l. 2. de pœnit. Facilius ſe inve-
niſſe, qui ſervaverit innocentiam, quàm qui congruè egerit pœniten-
tiam,
er habe eher einen gefunden/ der ſich in ſeinem Leben un-
ſtraͤfflich gehalten/ als einen/ der rechtſchaffene Buße gethan/
wie ſichs gebuͤhret.


Das andere Stuck iſt reverſio ad Patrem Cœleſtem per fidem,
die glaubige Zunahung zu GOTT/ Er iſt der reiche Herr/ der
Raben-Vater/ der Brod beſchehret/ nicht nur aber beſchehret/ ſondern
auch wachſen laſſet/ und in die Tenne lieffert/ von dem wir ſingen:


Weil du mein GOtt und Vater biſt/

Dein Kind wirſtu verlaſſen nicht/

Du Vaͤtterliches Hertz.

Er iſt der Allmaͤchtige GOtt/ der Himmel und Erden erſchaffen/ und
noch erhaͤlt; Kom̃t nun/ laßt uns zum HErꝛn gehen/ Er hat
uns geſchlagen/ und wird uns wieder verbinden/ Er hat uns
verwundet/ und wird uns auch wieder heylen. Oſe. 6, 2. Er iſt
der barmhertzige Herr/ σϖλαγχνιζομαι, ſpricht Er/ Marc. 8. Mich
jammert des Volcks/ das Hertz in ſeinem Leib kehrte ſich um/ wie die
Bruͤder Joſephs ihrem Bruder nachgeloffen/ ſo ſollen wir unſerm GOtt
auch nachlauffen/ Er iſt ja noch heut ſo reich/ als er geweſen ewiglich.
Da/ da/ vor ſeiner Thuͤr muͤſſen wir anklopffen durchs Gebet/ ſo wird uns
auffgethan/ Luc. 11. und nicht nachlaſſen/ wie das Cananeiſche Weiblein/
biß er uns erhoͤret. So nun ein irdiſcher Vater ſeinem Sohn/ ſo er ihn
darum bittet/ alles Gute gibt/ warum wird nicht vielmehr unſer Himm-
liſcher Vater ſeinen Kindern geben/ was ihnen nutzlich iſt.


Endlich und 3. iſt zu mercken Conſiliorum ordo,Gott iſt ein Gott
der Ordnung/ der ſagt/ Trachtet am erſten nach dem Reich GOt-
tes/ Matth. 6. hoc elige, darnach folgen die obige Vernunffts-Mittel/
die alsdann durchs Wort und Gebet werden geſegnet ſeyn. Hierauff
nun fahre auff die Hoͤhe/ und wirff dein Ampt-Netz auß/ greiff an das
Werck mit Freuden/ dazu dich Gott hat beſcheiden/ in deinem Beruff
und Stand/ ſo wird das Gedeyen nicht mangeln. Schaͤme dich keiner
Arbeit/ wie der verlohrne Sohn auch fuͤr lieb genommen haͤtte/ wann er
nur als ein Tagloͤhner waͤre gehalten worden/ nicht wie jener ungerechte
Haußhalter/ der geſagt/ graben mag ich nicht/ Luc. 16. Es ſchadet
niemand nichts/ wann man gleich den Kragen-Rock ableget/ und die nied-
lichen
[59]Vom verlohrnen Sohn.
lichen Bißlein meidet/ und die Haͤnde arbeiten laͤſſet. Jener Koͤnig in
Sicilia, Dionyſius, (apud Gottfried pag. 132.) der vorhin 400. Gallee-
ren ſamt Land und Leuten beſeſſen hatte/ dem iſt kaum ein klein Schiff zu
theil worden/ daß er darauff gen Corinthum kommen/ da hat er ſein we-
niges/ das er mit ſich auß Sicilia gebracht/ bald verzehret/ und damit er
nicht bittern Hunger leiden muͤßte/ hat er eine Schul zu Corintho auffge-
richtet/ und Kinder gelehret/ iſt alſo auß einem maͤchtigen Koͤnig ein ar-
mer Schulmeiſter worden. Welches Exempel groſſe Herren billig ſich
zu Gemuͤth fuͤhren ſolten. Da er alſo zu Corintho im Elend ſaß/ hoͤnet
ihn einer/ und ſprach/ was hilfft dichs nun/ daß du den Philoſophum
Platonem
an deinem Hoffe gehabt/ und was haſtu fuͤr Nutzen an ſeiner
Lehr? Antwortet Dionyſius, das hab ich von ihm/ daß ich diß mein Un-
gluͤck und Widerwaͤrtigkeit mit Gedult ertragen kan/ und mich darein zu
ſchicken weiß. Wil nun Arbeit nicht von ſtatten gehen/ ſo brauche man
2. andere erlaubte Mittel/ die Gott und Gelegenheit an die Hand gibt/
wie jener Wittwen geſchehen/ der von Gott gebotten worden/ ſie ſolle
Eliam ſpeiſen/ er wolle ihren Oel-Krug und Brod-Korb ſegnen 1. Reg. 17.
Seye aber 3. zu frieden mit dem/ was Gott beſchehret/ und meiſtere den
Heiligen in Jſrael nicht/ Pſalm 78/ 41. Er hat das σιτομέτριον und Maß
in ſeiner Hand/ damit Er einem jeglichen zumiſſet/ ſo viel er bedarff.
Solte aber auch das nicht geſchehen/ und du muͤßteſt 4. auch gar bettlen/
wie Lazarus/ troͤſte dich mit ihm; Und wann du auch ſchon durch die or-
dinari
Unmuͤglichkeit ſolteſt Hungers ſterben muͤſſen/ Jerem. 15/ 2. ey ſo
wiſſe/ daß dich doch weder Truͤbſal noch Angſt/ oder Verfolg-
ung/ oder Hunger/ oder Bloͤße und dergleichen/ von der Liebe
GOttes ſcheiden mag/ Rom. 8, 35. Chriſtus ſagt Luc. 6, 21. Se-
lig ſeyd ihr/ die ihr hie hungert/ dann ihr ſollt ſatt werden.


Nun dieſes alles wird geprediget zu Troſt der lieben Armuth/ deren/
die in Noͤthen/ Schulden/ Kummer und Mangel ſtehen/ und iſt auch
kuͤrtzlich die Antwort auff die Frag/ Woher nemmen wir Brod? Es
laßt ſich aber auch gar wol auff alle andere leibliche Noͤthen ziehen/ zum
Exempel Kranckheiten/ ꝛc. Teuffels Rath iſt/ brauch unordentliche/
Zauberiſche Mittel/ oder gar nichts/ du muſt doch ſterben/ iſt dir dein
Stuͤndlein beſtim̃t/ ſo kanſtu es durch Artzney weder auffziehen/ noch zu-
ruck treiben. Die Vernunfft gibt auch ihren verkehrten Rath/ und
ſpricht/ ja gebrauche Artzney/ wollen die nichts helffen/ ſo laß es gehen/ wie
es gehet. Aber das beſte iſt der Goͤttlichen Ordnung nachgeleben/ Jhn
zu allerforderſt anruffen nach ſeinem Willen/ und das ſeinige verrichten/
H ijſo
[60]Die Achte Predigt
ſo iſt kein Zweiffel/ es wird wol gerathen. Alſo in gegenwaͤrtigen Frie-
dens-Tractaten geben ſich auch drey Conſulenten an; der jenige ſchoͤne
Geſell/ der auch am Perſianiſchen Hoff beyraͤthig/ und am Koͤniglichen
Hoff in Perſenland einer der vornemſten Raͤthe geweſen/ Dan. 10. Die-
ſer Hoff-Teuffel lebet noch/ ſeine moͤrderiſche Loͤwen-Klauen ſeind ſince-
rationes,
betruͤgliche Hoffnung/ Blutdurſtigkeit/ und allerhand Extre-
mi
taͤten. Der Vernunfft Rath iſt/ ſo ſie zu Athen vom Thraſybulo
ſtudiert/ die ἀμνηςεία, und Vergeſſenheit aller Injurien; Der dritte Rath
iſt der beſte/ nemlich Buß und Gebet/ die Bekehrung zu GOtt/ und ſehn-
liche hertzliche Seufftzer zu GOtt um den lieben/ edlen und guldenen Frie-
den. Nun GOtt erleuchte unſere Augen/ daß wir ja nicht ohne den
Mund des Herrn rathſchlagen/ und ſein Wort allezeit unfern Rath-
geber ſeyn laſſen. Dem aber der uͤberſchwenglich thun kan/ uͤber alles
das wir bitten oder verſtehen/ nach der Krafft/ die in uns wuͤrcket/ dem ſey
Ehre in der Gemein/ die in Chriſto JEſu iſt/ nun und zu allen Zeiten/
von Ewigkeit zu Ewigkeit/ Amen.



Die Achte Predigt/
Von dem Selbs-Gericht oder Selbs-Verdam-
nuß des verlohrnen Sohns/ wie er in ſich
geſchlagen.


GEliebte im HErꝛn. Es hat/ gleich wie in H. Schrifft
alſo auch bey Kirchen-Lehrern und profan Scribenten
das menſchliche Gewiſſen/ das unbegreifflich groſſe Ge-
heimnuß/ viel und unterſchiedliche Nahmen/ deſſen Art und
Natur etlicher maſſen außzuſpaͤen und zu erkennen. Jns
gemein wird es genennet DEI Theatrum, GOttes
Schau-Platz/ darauff Er/ als ein Hertzenkuͤndiger/ gar genaue Achtung
gibet/ und ſichet was fuͤr Geſchichten da geſpielet werden: Lumen mentis,
des Gemuͤths Liecht/ durch welches nicht allein offenbar wird/ was
verborgen ligt/ ſondern auch der Weg gezeiget/ was zu thun. Ante pec-
catum,
vor dem Suͤnden-Fall wurde das Gewiſſen genennet Legis
præco,
des Geſetzes Herold/ animæ pædagogus, ein Zuchtmeiſter
der
[61]Vom verlohrnen Sohn.
der Seelen. Jn dem Fall und Suͤnden-Stand iſt es worden Nota-
rius cordis,
ein Hertzens-Schreiber und Auffmercker/ der trefflich
gut Protocoll haͤlt. Nach dem Suͤnden-Fall macht es bleiche Naſen/
und rothe Backen/ iſt ein brennende Fackel/ Geiſel und ſcharffe Ruth/
es wuͤtet wie furjen/ deren Haupt an ſtatt des Haars mit Schlangen um-
geben. Die Poeten haben ein ſolches boͤſes Gewiſſen Titii im Hertzen
ſchoͤn verglichen/ wann ſie fuͤrgegeben; es habe ein Geyer in ihm gewoh-
net/ der immer mit ſeinem ungeheuren Schnabel an ihm genagt/ und hab
ihm das Hertz doch nicht abnagen koͤnnen/ ſondern ſeye immer wieder ge-
wachſen.


Wie dann die jenige Gleichnuß/ die Bernhardus gefuͤhret/ vor allen
ſehr ſchoͤn und anmuthig/ wann er in einer ſonderbaren meditation de do-
mo interiori,
das Gewiſſen ein inneres Hauß nennet/ und ſagt: Sicut
corpus noſtrum tabernaculum noſtrum, in quo militamus, ſic conſci-
entia noſtra domus, in qua poſt militiam acquieſcimus. Idcirco quia
domus illa in brevi eſt caſura, alia nobis eſt ædificanda, quæ \& domus
perpetua eſt, inſeparabilis vel gloria, vel confufio. Redeamus igitur
ad nos, \& diſcutiamus conſcientiam noſtram.
Wie unſer Leib eine
Zelt iſt/ in welcher wir kriegen/ alſo iſt unſer Gewiſſen das
Hauß/ in welchem wir nach dem Krieg ruhen. Deßwegen
weil jenes Hauß kurtz waͤhret/ und bald zufaͤllet/ ſollen wir uns
ein anders bauen/ welches ewig iſt; dergleichen von ungetrenn-
ter Ehre oder Schand iſt. Laſſet uns demnach wieder in uns
ſelbſt kehren/ und unſer Gewiſſen pruͤffen. Es iſt ja freylich das
menſchliche Gewiſſen ein rechtes inneres Hauß/ und iſt die Gleichnuß ge-
nommen 1. à domo vulgari, von einem gemeinen Hauß/ ein manches
Hauß ſihet von auſſen ſchoͤn/ herꝛlich/ magnific, inwendig aber iſt es faul/
wurmſtichig/ caduc, halb eingefallen/ alt/ außwendig ein getuͤnchtes Grab/
inwendig voll Todtenbein; im gegentheil hat manches Hauß von auſſen
ein ſchlecht Anſehen/ inwendig aber iſt es wol verwahret; Alſo ſcheinet ein
mancher Menſch von auſſen der allerfroͤmſte/ der ſein Lebtag kein Waſſer
betruͤbet/ darff ſich auch wol kuͤhner weiſe dafuͤr außgeben/ und die Leute
bereden/ wie man ihn von auſſen befindet/ ſo ſeye und meyne er es auch
im Hertzen/ aber er iſt doch ein Schalck in der Haut/ hat ein brandmaͤliges/
boͤſes und beiſſendes Gewiſſen; das nimmer ruhet: Jm gegentheil muß
ein mancher in foro exteriori politico, nach dem aͤuſſerlichen Schein
unrecht haben/ und ein Suͤnder ſeyn/ dem man aber Gewalt und unrecht
thut/ wie die Exempel der H. Maͤrtyrer ſolches außweiſen. 2. à domo
H iijſacra
[62]Die Achte Predigt
ſacra, von einem Gottes-Hauß. Das Gewiſſen iſt ein Hauß und Tem-
pel/ da entweder Gott oder dem Teuffel ſeine Opffer verrichtet werden;
gleichwie der Salomoniſche Tempel zuforderſt eine Wohnung der Ehre
GOttes ſeyn ſolte/ nachmals aber ſchandlicher weiſe mißbrauchet/ und
den fremden Goͤtzen ihre Opffer darin verrichtet wurden: Alſo ſolte des
Menſchen Gewiſſen das Sanctum Sanctorum, das Allerheiligſte ſeyn/
welches Gott allein zu ſeinem Sitz einhaben und bewohnen ſoll/ aber
man ſtoͤſſet Jhn oͤffters darauß/ und laßt einen andern einniſten. Der
Gottloſen Hertz iſt gleich jenem innern Hoff/ davon zu leſen Ezech. 8. da der
Prophet/ als er in den Tempel gegangen/ erſtlich durch ein Loch der Wand
hinein geſchauet/ und hernach gar in den innern Vorhoff hinein gegang-
en. Da ſahe er die Greuel und allerley Goͤtzen des Hauſes Jſrael/ Weiber/
die uͤber den Thamus weineten/ Maͤnner/ die Wein-Reben an die Naſen
hielten/ und allerhand verdrießliche Abgoͤtterey trieben: Ein ſolcher Greuel
iſt auch ein boͤſes Gewiſſen vor Gott. 3. à domo fori, vom Gericht-
Hauß/ von dem innern Hauß der gar geheimen Rath-Stuben/ die nicht
zulaͤßt/ daß man unter dem Huͤtel ſpiele. Vor Zeiten wurden die Blut-
Gerichte gehalten ad portas unter den Thoren/ damit maͤnniglich denſel-
ben beywohnen und zuſehen moͤchte/ obs recht oder unrecht hergieng/ gleich
wie man noch auff den heutigen Tag an manchem Ort unter dem freyen
Himmel Gericht haͤlt. Hernach aber werden die Malefiz Perſonen in
domum interiorem
gezogen/ wie auß der Paſſions-Hiſtori abzunemmen/
da Pilatus Chriſtum den Herrn bald herauß/ bald wieder hinein ge-
fuͤhret; Petrus mußte drauſſen ſtehen bleiben/ und durffte nicht in des
Hohenprieſters Pallaſt hinein kommen. Alſo hat auch GOtt zweyerley
judicia geordnet/ judicium ſoli \& poli, von jenem an dieſes zu appelli-
ren/ kan keinem gewehret werden/ manche Sach wird dort gewonnen/
und da verlohren; hingegen auch manche dort verlohren/ und hie gewon-
nen/ da geſchicht keinem um ein Haar unrecht.


Und dieſes iſt das jenige Hauß/ in welches der verlohrne Sohn ſpa-
ziert/ nach dem er/ wie wir bereits in voriger Predigt vernommen/ drey un-
terſchiedliche Conſulenten gehoͤrt/ die als Buß-Wecker an ſeiner Hertzens-
Thuͤr angeklopfft/ und ihme gewieſen was zu thun/ wann er wieder zuruck
wil/ davon der Text ſagt: εἰς ἑαυτὸν ἑλθὼν, er gieng in ſich ſelbs/ und fieng
gleichſam mit und in ſich ſelbs einen Rechts-Handel an/ er nam articu-
lum juſtificationis
den Articul von der Rechtfertigung fuͤr ſich/ er gieng
erſtlich in das innere Hauß ſeines Gewiſſens/ darnach in domum patris,
in das Hauß ſeines Vaters. Mit welchen zweyen Haͤußern gar ſchoͤn
repræ-
[63]Vom verlohrnen Sohn.
repræſentiret werden duæ partes contritionis, \& duæ actus pœnitentiæ;
die zwey Stuͤcke der Reu und der Buß. Auff Art und Weiſe/ wie E. L.
mit mehrerm ſoll berichtet werden; Dieſes mal machen wir den Anfang
am erſten Stuck/ und ſtehen allein ſtill bey dem innern Gewiſſens-
Gericht. Gott der Herr regiere und ruͤhre unſer aller Hertzen/ daß
wir theils heilſam lehren/ theils fruchtbarlich hoͤren/ und lernen/ was zu
Befoͤrderung hertzlicher Buß uns dienen mag. Amen.


ΕΙς ἑαυτὸν δὲ ἐλθὼν, ſpricht der Evangeliſt/ er ſchlug oder gieng in
ſich ſelbſt. Seind wenig Wort/ aber von ſehr weitem Begriff/ dann
ſie begreiffen in ſich den gantzen ambitum juſtificationis, der Buß und
zween actus oder Handlungen/ die zur Rechtfertigung gehoͤren. So gehet
er nun in ſich ſelbs tanquam pœnitentiarius \& ſuimet judicialis accuſa-
tor,
ἀυτοκατάκριτος, als ſein Selbſt-Richter/ und bußfertiger Selbſt-
Verdammer/ als ein reuender Buͤſſer; allermaſſen wie nicht nur die Um-
ſtaͤnde es geben/ ſondern auch dieſe phraſis von dem H. Geiſt ſelbs alſo er-
klaͤret wird/ wann Salomo in ſeinem Weyh-G[e]bet 1. Reg 8, 47. GOtt
dem Herrn den Fall fuͤrlegt; wann ſich die Kinder Jſrael an Jhm ver-
ſuͤndigen werden/ und deßwegen ihren Feinden uͤbergeben/ und in fremde
Lande weg gefuͤhret wuͤrden/ ſo wolle Er ihr Flehen erhoͤren/ und ihnen
wieder gnaͤdig ſeyn/ wann ſie in ihr Hertz ſchlagen/ in dem Land/ da
ſie gefangen ſind/ und bekehren ſich/ und Flehen in ihrer Gefaͤngnuß. Da
ſtehet die phraſis clar. Deßgleichen Eſ. 46/ 8. Gehet in euer Hertz
ihr Ubertretter. Jſt eine Gleichnuß genommen von einem Traͤumen-
den/ der im Schlaff uͤber Feld geweſen/ und wieder heim gekommen/ wann
er erwacht/ weiß er nicht wie ihm geſchehen/ Act 12, 11. Da Petrus zu
ihm ſelber kam/ und gedacht/ was ihm getraͤumet. So war der
verlohrne Sohn auch auß dem Traum der Sicherheit erwacht/ und ange-
fangen mit ſich ſelbs zu reden in ſeinem Hertzen/ wie GOtt der Herr
uͤber das Juͤdiſche Volck geklaget/ daß es nicht einmal in ſeinem Hertzen
ſpricht: Laßt uns doch den Herrn unſern GOtt foͤrchten/ Jerem. 5/ 24.
Er hatte guten Raum und Weyl/ da er unter den Schweinen geſeſſen/
allda corneliſirt/ auff- und abgegangen/ und gedacht: Ach wie ein groſſer
Narꝛ bin ich doch geweßt/ warum hab ich das und das gethan? Jſt ferner
eine Gleichnuß genommen von einem trunckenen Nacht-Schwaͤrmer
und Staͤncker/ der in die Stein gehauen/ ſich unnuͤtz gemacht/ und denen
Schaarwaͤchtern in die Haͤnde gerathen/ die ihn ins Keffich geſetzt/ biß er
nuͤchtern worden; da ihm aber der Rauſch vergangen/ und der Wein auß
dem
[64]Die Achte Predigt
dem Kopff gekommen/ fangt er an zu grilliſiren/ und Calender zu machen.
Ja es iſt ein Gleichnuß genommen von einem aberwitzigen Menſchen/ von
einem Hundstags-Narren/ den eine Weil die Narren-weiß ankomt/ ſich
aber bald wieder beſinnet/ und ſelbs ſeiner Thorheit entweder lachen oder
ſich ſchaͤmen muß. Ariſtoteles l. de moral. auſcult. gedencket eines ſol-
chen Phantaſten/ der zur Zeit ſeines paroxyſmi auff das Thea[t]rum ge-
gangen/ allda agiret und phantaſiret/ da er aber zu ſich ſelbs gekommen/
geſagt/ es waͤre ihm niemals beſſer geweßt. Gleichfals gedencket Athe-
næus l.
12, 32. eines/ nahmens Thraſylai, der ſich an der Athenienſer Py-
reum
oder Seeport gemacht/ und daſelbſt die Schiffe commandirt/ und
angefangen abgehen zu laſſen/ grad als waͤren ſie ſein eigen. Da er nun
wieder zu ſich ſelber gekommen/ bekante er/ er waͤre nie froͤlicher noch ihme
beſſer geweßt. Aber ſo wars dem verlohrnen Sohn nicht/ ſondern es
folget ein ſchroͤckliches Blut-Gericht in ſeinem Hertzen/ das macht ihm
angſt und bang/ er muß bekennen/ perditè vixi, ich habe uͤbel gelebet/ es
gieng auff ein lami bey ihm auß/ das forum conſcientiæ gieng an/ die
Gewiſſens-Marter fieng an zu foltern. Wie nun bey weltlichen
Blut-Gerichten/ ſonderlich an andern Orten/ oder auch hier/ wann ein
Stand-Gericht gehalten worden/ ſich erſtlich der Richter/ der Blut-Rich-
ter/ der Regiments-Schultz/ der Oberſte ſamt ſeinen Aſſeſſoren und Bey-
ſitzern niederſetzet/ und das Stand-Recht haltet/ haben die Bibel und die
Peinliche Hals-Gerichts-Ordnung vor ſich liegen/ den Regiments-Sce-
pter oder Stab in der Hand: Alſo hat ſich auch bey dem verlohrnen Sohn
herfuͤr gethan mens \& intellectus, ſein Gemuͤth/ Sinn und Verſtand.
In hac curia mens ad thronum conſcientiæ conſcendit regalem, ſchrei-
bet Chryſoſt. homil. 1. de Lazaro, i. e. in dieſem Gericht ſteiget des Men-
ſchen Gemuͤth auff den Koͤniglichen Gewiſſens-Thron/ hat vor ſich liegen
das Geſes Moſis/ nach welchem es den Beſchuldigten verurtheilet; Und
vor dieſem muß der arme Suͤnder erſcheinen/ und ſich richten laſſen.


II. Der Anwald und Blut-Schreiber/ der ſchlaͤgt das Protocoll auff/
liſet die Articul nacheinander herab/ fanget an zu receſſiren/ beſchreibet die
groſſe begangene Laſter/ wie ſie es verdienet. Wer vertritt nun dieſe Stelle
beym verlohrnen Sohn? Paulus ſagt Rom. 2. die verklagende Ge-
dancken/ ſonderlich GOttes Dienerin/ die memo[r]ia und Gedaͤchtnuß/
die Gott als ein characterem indelebilem, unaußloͤſchliches Merckzeichen
in das Hertz gelegt/ das nicht ſchweiget/ noch ihm das Maul verbinden
laßt/ der legt nun ſein libell ſamt beyliegender Handſchrifft ſeiner eigenen
Bekantnuß vor/ wann er es etwa laͤugnen wolte/ Col. 3. Und das iſt
eigentlich
[65]Vom verlohrnen Sohn.
eigentlich libellus conſcientiæ, ſo dermal eins am Juͤngſten Gericht ſoll
auffgethan werden/ Apoc. 20, 11. darinnen ſtunden ſeine delicta, Verbrech-
en nachemander geſchrieben/ und hieß: Jtem war er ſeinen Eltern und
Praͤceptoren in ſeiner Jugend ungehorſam/ und trug ihnen heimlich ab;
Jtem hieng er ſich an boͤſe Geſellſchafft; Jtem ſpiegelte er ſich in ſeinen
Gaben; Jtem war er ein Schlingel/ Gaſſen-Tretter/ Doppler/ Loͤffler/ ꝛc.
Jtem brauchte er ſeine Talenta nicht recht/ und war Gott undanckbar;
Jtem trotzte und pochte er ſeinen Vater/ ohne Scheu und Stirn/ er
ſchnellte ihm vor die Naſen/ und wolte ihn bey lebendigem Leib erben;
Jtem lebte er ἀσώτως, unmaͤſſig/ in Hoffart wie ein Pfau/ in Unzucht
wie ein Hund/ in Saͤufferey und Fuͤllerey wie ein Schwein; Jtem er war
ein Sabbath-Schaͤnder/ Flucher/ Schwoͤrer/ ein Staͤncker und Venus-
Kind; Summa/ er war ein boͤſer Bub. Es praͤſentiret ihm aber dieſes
Buch gleichſam als in einer mappa, in gantz greßlicher Geſtalt/ und zeig-
te ihm/ wie man ſonſt pflegt zu ſagen/ den Teuffel im Glaß/ als ein feind-
ſeliges Kriegs- ja ſchaͤndliches/ greuliches Laſter-Heer.


III. Sitzen auch dabey perſonæ offenſæ, wann Stand-Recht ge-
halten wird/ befinden ſich irgends auch dabey die Perſonen/ ſo beleidiget
worden/ als der Baur/ dem das Pferd geſtohlen/ der Handwercks-Geſell
ſo gepluͤndert/ oder das Weibs-Bild ſo geſchaͤndet und genothzuͤchtiget
worden. Alſo auch allhie iſt I. der beleidigte Gott/ der Allmaͤchtige/ der
laßt ſich per συγκατά [...]ασιν gleichſam von ſeinem Thron herunter/ fangt an
zu klagen und zu ſagen auß Eſa. 1/ 18. Komm/ laß uns mit einander
rechten; was haſtu doch Fehls an mir gebabt/ daß du von mir
gewichen/ und dich an die Huren gehaͤnget/ du undanckbarer
Menſch? Jer. 2/ 5. Was hab ich dir gethan? und womit hab ich dich
beleidiget? das ſage mir/ Mich. 6/ 3. Hab ich dich nicht von ehrlichen El-
tern laſſen gebohren werden/ und in Adelichen Stamme geſetzt? Du haͤt-
teſt auch wol ein Bauren Sohn werden koͤnnen? Hab ich dir nicht Leib
und Seel/ ſchoͤne/ grade und geſunde Glieder gegeben/ da du auch wol ein
Krippel haͤtteſt werden koͤnnen? Hab ich dir nicht reiche Eltern beſchehret/
da du eines blut-armeu Bettlers Kind haͤtteſt werden moͤgen? Hab ich
nicht durch die Beſchneidung dich in meinen Bund/ Kirche und zu mei-
nem Gnaden-Kind auffgenommen/ da du ein Fremdling auß der Vor-
haut haͤtteſt werden koͤnnen? Danckeſtu nun alſo deinem Gott/ O du
undanckbarer Geſell? Ein Ochs kennet ja ſeinen Herꝛn/ und ein
Eſel die Krippe ſeines Herꝛn/ aber du wilt nicht kennen noch
vernehmen/ was ich dir Gutes gethan/ Eſa. 1. Das haſtu eine
Zehender Theil. JZeit-
[66]Die Achte Predigt
Zeitlang gethan/ und ich habe geſchwiegen/ da haſt du gemey-
net/ ich werde ſeyn gleich wie du/ aber ich wil dich ſtraffen/ und
wil dirs unter die Augen ſtellen/ Pſalm. 50. O wehe nun des
ſuͤndigen Menſchen/ des boßhafftigen Saamens/ der ſchaͤd-
lichen Kinder! Der 2. Offenſus iſt der Vater/ der komt ihm fuͤr/
und ſchilt ihn unter Augen: du ſchoͤner Juncker/ unartiger Boͤßwicht/
hab ichs dir nicht vielmal geſagt/ es werde dir alſo ergehen. Du haſt
mich manchmal getrutzt/ jetzt haſtu deinen verdienten Lohn; Schad iſt es/
daß es dir nicht aͤrger ergangen. Da wir gar wol errathen koͤnnen/ wie
der Vater des verlohrnen Sohns unterdeſſen manches Klag-libell wird
gen Himmel haben abgehen laſſen. Wie manchmal/ meynen wir/ wird
ihme der Vater im Traum fuͤrkommen ſeyn/ und ihn erſchroͤckt haben/
wie Neroni ſeine ermordete Mutter. Der 3. Offenſus waren die Crea-
turen/ ſo er mißbraucht/ und zu ſeinem Suͤnden-Dienſt genoͤthiget/
welche dawider geaͤchtzet/ und ſich geaͤngſtiget; die Glider ſeines Leibes/
auß welchen er garſtige Huren-Glieder gemacht/ der Wein/ ſo er ohne
maß in ſich geſchuͤttet/ das Brod/ ſo er vielleicht mit Fuͤſſen getretten/ oder
ſonſt verderben laſſen/ Silber und Gold/ welches er ſchnoͤder unnuͤtzer
weiſe außgegeben. Das alles waren ſeufftzende Creaturen/ welche in
dieſem Gerichtlichen Gewiſſens-Proceß wider ihn geklaget/ und ihm ſeine
Suͤnde/ wie Bileams Eſelin/ ins Angeſicht verwieſen.


IV. Finden wir auch Teſtes, die Zeugen/ dann im Fall der Be-
klagte es laͤugnen ſolt/ weſſen er beſchuldiget wird/ ſo ſtellet man ihm Zeug-
en unter die Augen/ zween oder drey. Nun allhie befand ſich ein unum-
ſtoßliches/ undiſputirliches Zeugnuß/ welches gibt das allſehende Aug
GOttes/ das nicht irren; die Engel/ die nicht liegen; das Hertz ſelbſt/
welches nicht triegen/ und ſo viel gilt als ſonſt tauſend Zeugen; die eigene
Handſchrifft/ ſo niemand außloͤſchen oder zerreiſſen kan. Dieſe alle nem-
men kein Blat fuͤrs Maul/ ſie laſſen ſich nicht beſtechen/ oder mit Affecten
einnemmen/ und ſagen trucken herauß: ja/ ja/ du haſt es gethan/ da und
da/ ſo und ſo/ ſo offt und ſo offt/ ꝛc.


V. Da ſtehet nun der arme Reus, er muß es geſtehen/ und kan es
nicht laͤugnen. Sonſt bey weltlichen Gerichten geſchichts/ daß der Reus
ſeinen contrari Anwald begehrt/ der laͤugnets entweder/ oder entſchuldigt
es/ ſo gut er kan/ legt die Schuld auff andere/ oder macht die Sach ge-
ringer als ſie iſt. Aber bey dem verlohrnen Sohn findet ſich dergleichen
nicht/ er ſtehet da/ und gibt Gott die Ehre/ wie Achan/ und ſagt/ ja/ ſo
und ſo hab ich geſuͤndiget/ es iſt wahr/ ich kan es nicht laͤugnen. Er
machts
[67]Vom verlohrnen Sohn.
machts nicht/ wie jener Wolff/ der kein Waſſer wolte truͤb gemacht haben/
oder wie ein mancher/ der/ wann er ſchon die Wort des Fluchs hoͤret/ ſich
in ſeinem Hertzen ſegnet/ Deut. 20, 19. und ſagen darff: Botz/ es iſt wol
ein greulicher Handel/ daß man ſo viel Maulwaͤſchens davon haben mag/
man macht ja auß einer Mucken einen Elephanten. Andere deckens
mit Feigen-Blaͤttern zu/ ſagen/ es ſeyen delicta juventutis, man habe es
in der Jugend gethan/ da man es wol verzeihen oder zu gut halten kan;
oder ſie ſchiebens auff andere/ wie Adam und Eva. Alſo machets der
verlohrne Sohn nicht/ ſondern er erkennets/ und wie er hernach in ſeiner
Confeſſion ſich vernem̃en laſſen/ ſpricht er: Vater/ ich habe geſuͤndiget/ ꝛc.


Was folgt nun confitente reo, wann die Bekanntnuß richtig?
V. Sententia condemnatoria, das Verdamnuß- und Todes-Ur-
theil/ der Tod iſt der Suͤnden-Sold. Alſo wußte der verlohrne Sohn
ſeinen Sententz wol/ der ſtehet Exod. 20. und Deut. 21. Er ſoll verflucht
ſeyn. Welcher Fluch unter die jenige mit eingeruckt worden/ die laut
Deut. 27. auff dem Berg Ebal geſchehen/ und heiſſet: Verflucht ſey/
wer ſeinem Vater und Mutter flucht/ makle, vilipendens, wer ſie
verachtet/ und gebuͤhrenden Reſpect nicht gibet/ und alles Volck ſoll
ſagen/ Amen. Da iſt er nun worden ἀυτοκατάκριτος, ſein Hertz hat
ihn verdamt; wie wir ſolche ἀυτοκατάκρισιν und Selbſt-Verdammung
in terminis terminantibus haben/ wann er ſpricht: ich bin fort nicht
mehr werth/ daß ich dein Sohn heiſſe/ ich habe das Erb-Recht
der Kindſchafft verlohren. Das iſt das Facit in dieſer δοκιμασίᾳ und
Rechnung/ die concluſio in dieſem Syllogiſmo practico, das End-Urtheil
und Malefitz-Sententz; darauff folgte alſobald die Ubergab dem Pro-
foßen/ der Stab wurde gebrochen/ das Urtheil abgeſprochen/ und er dem
Scharffrichter uͤbergeben/ iſt nicht mehr uͤbrig als das Supplicium, daß
man das Urtheil ſollte vollziehen.


Dieſe waren M. L. des verlohrnen Sohns Gedancken/ da er unter
den Schweinen im Wald herum ſpatzirete. Jſt auch zugleich primus
actus juſtificationis,
die erſte Handlung in dem hohen Werck der Recht-
fertigung fuͤr Gott/ und fuͤrwar kein Spiegel-fechten/ keine Idea noch
bloße Einbildung/ ſondern ein groſſes Goͤttliches Geheimnus des Gewiſ-
ſens/ wann es recht auffwacht/ und reg wird. Sichere Leute/ die in den
Tag hinein leben/ die da hoͤren die Wort dieſes Fluchs/ und ſegnen ſich
doch/ ſchlagen nicht in ſich ſelbs/ ſondern uͤber und neben ſich/ die machen
brandmaͤhlige und boͤſe Gewiſſen.


J ijWir
[68]Die Achte Predigt

Wir nemmen ſolches alles an ad Theotiam Juſtificationis, die ei-
gentliche Natur der Rechtfertigung zu lernen/ was ſie ſeye/ nemlich nicht
juſtitia infuſa, eine eingegoſſene/ eingeſchuͤttete/ eingezwungene Gerechtig-
keit/ ſondern/ wie die Schrifft durch und durch davon handelt/ und die
Gleichnuͤſſe es allenthalben außweiſen/ ein ſolcher Rechts-Handel/ der
zween actus in ſich begreifft/ actum condemnationis \& abſolutionis; iſt
ein juriſtiſch Werck und Loß-Zehlung/ wie zu ſehen auß Eſa. 5/ 23. Wehe
euch/ die ihr den Gottloſen Recht ſprechet oder rechtfertiget
um Geſchencke willen. Prov. 17. Wer den Gottloſen Recht
ſpricht oder rechtfertiget/ und den Gerechten verdamt/ die ſind
beyde dem Herꝛn ein Greuel. Luc. 10. Der Zoͤllner gieng ge-
rechtfertiget hinab in ſein Hauß vor dem Phariſaͤer. Rom. 8.
Wer wil die Außerwehlten GOttes beſchuldigen? GOtt iſt
hie/ der gerecht macht. Allwo clar zu ſehen/ was Rechtfertigen
heiſſe/ und worinnen es beſtehe.


2. Haben wir zu mercken neceſſitatem ἀυτοκατακρίσεως, wie noth-
wendig es ſeye/ daß ein Menſch ſich ſelbſt richte und verdamme. Einmal
wollen wir nicht am Juͤngſten Tag gerichtet ſeyn/ und ins Gericht kom-
men/ ſo muͤſſen wir uns hier ſelbſt richten/ uns ſelbs und unſern alten
Adam auff Leib und Leben verklagen/ es muß uns zuvor heiß werden/ und
das Gewiſſen gereget ſeyn/ ehe wir ad Thronum gratiæ, an den Thron
der Gnaden appelliren; Der Menſch muß zuvor in die Hoͤlle/ ehe er ge-
dencket in den Himmel zu kommen/ prius deſperare quàm aſpirare, ehe
an ſich ſelbſten verzweifflen/ als ſich hinauffwerts Hoffnung und Ge-
dancken machen. Es iſt Gottes klarer Befelch/ mit angehaͤngter Draͤu-
ung und Verheiſſung/ auff den Fall/ ſo wir es thun/ oder nicht thun wer-
den. Paulus ſpricht 1. Cor. 11/ 31. So wir uns ſelber richten/ ſo
werden wir nicht gerichtet. Die Kirch GOttes vermahnet dazu
Thren. 3, 40. Laſſet uns forſchen und ſuchen unſer Weſen/ und
uns zum HErꝛn bekehren. Syr. 18, 20. Straffe dich vor ſelber/
ehe du andere urtheileſt/ ſo wirſtu Gnade finden/ wann andere
geſtrafft werden. Es iſt GOttes weiſe Ordnung alſo/ Rom. 2/ 15.
daß die Gewiſſen und Gedancken die Menſchen uͤberzeugen ſollen 1. Cor-
2/ 11. Deut. 6/ 8. Es gehet dahin die Vermahnung der H. Kirchen-Vaͤter/
Hieron. l. 3. apolog. Rufin. Duorum temporum quam maxime ha-
benda cura, manè \& veſperi, manè ad præteritæ noctis exactionem,

(wie Bernhard. redet I. de vit. ſolit) \& venturæ diei cautionem, veſperi
ad rationis exactionem.
das iſt: Auff zwo Zeiten ſolle man ſonder-
lich
[69]Vom verlohrnen Sohn.
lich fleiſſige Achtung geben/ nemlich morgens und abends/ des
Morgens zwar/ daß man bedencke/ wie man die vergangene
Nacht zugebracht/ und den angehenden Tag uͤber ſich zu ver-
halten; des Abends aber/ weil man um alles muß Rechenſchafft
geben. Die Vernunfft gibts doch; Ein Knecht muß fuͤr ſeinen Herꝛn
ſtehen/ wann ihm etwas leyds geſchehen/ alſo das Gewiſſen fuͤr Gott/
wann Er beleydiget worden. Die Exempel der Heyden ſolten uns be-
ſchaͤmen. Der Gymnoſophiſten dißmal zu geſchweigen/ faciebat hoc
Sextius,
ſchreibet Seneca l. 3. de Ira, cumſe ad nocturnam quietem rece-
piſſet, interrogavit animum, \&c.
Das that Sextius, wann er ſich ſchlaf-
fen legte/ fraget er ſein Gewiſſen/ ꝛc. Richtige Rechnung behalt gute
Freunde.


3. Jſt zu mercken Ordo, die Ordnung/ ſo bereits oben zum theil
angedeutet/ zuvor in die Hoͤlle/ hernach in den Himmel/ zuvor ſoll man
auß Schamhafftigkeit unter ſich ſehen/ ehe man auß gutem Vertrauen
die Augen uͤber ſich hebt. Man ſoll nicht das hinderſte zum foͤrderſten
angreiffen/ à foro gratiæ ad thronum Juſtitiæ appelliren; von dem
Thron der Gnaden an den Richter-Stul appelliren. Gleichwie es nicht
recht gethan waͤre/ wann man eine Sache/ ſo fuͤr den groſſen Rath gehoͤ-
ret/ wolte bey dem kleinen Rath anbringen. Man ſoll aber auch nicht
bey dem foro juſtitiæ ſtehen bleiben/ wie Judas gethan/ den hernach die
Verzweifflung zur Hoͤllen geſtuͤrtzet.


4. Proceſſus ἀυτοκατακρίσεως, den Proceß/ welchen Gott wil
obſervirt haben/ es heißt/ ſis tibi ipſi accuſator \& judex, nec indulgeas,
verklage und richte dich ſelbs/ ſchone deiner ſelbs nicht. Wahr
iſt es/ der alte Adam ruͤmpfft ſich/ wann man ihn irgends auff der Cantzel
trifft/ und wil doch keiner in ſich ſelbs gehen/ und ſprechen/ was mach ich
doch? Aber man ſoll ſich eben deßwegen auch nicht wundern/ wann wenig
ſelig werden/ Luc. 13. Lege die Schuld nicht auff andere/ oder behilff dich
nicht mit anderer boͤſem Exempel/ daß du wolteſt ſagen/ der und der machts
doch auch alſo/ und es gehet ihm ab; dann es iſt mißlich und gefaͤhrlich
darauff zu wagen; es gehet hier viel in foro ſoli, fuͤr menſchlichem Gericht
vor/ das dort in foro poli, fuͤr dem himmliſchen Gericht nicht gut geheiſ-
ſen wird. Gleichwie nun der Menſch ihme ſelbs immer gnaͤdiger iſt als
andern Leuten/ wie zu ſehen auß Gen. 38, 24. 2. Sam. 12. Matth. 7. und die
taͤgliche Erfahrung ligt vor Augen/ da viel dergleichen geſchicht/ darauff
man aber wenig Achtung gibt: Alſo ſoll ein Menſch in Gewiſſens-Sachen
fuͤr GOtt ihme ſelbſt viel haͤrter und herber ſeyn als andern Leuten/ ein
J iijanderer
[70]Die Neunte Predigt
anderer wags auff ſein Abentheur/ es iſt beſſer ihme ſelbs hier weh thun/
als dort in Ewigkeit weh leiden/ ich wil lieber hier das ite in conſcientiam,
gehet in euer Gewiſſen/ als dorten das ite in ignem, gehet hin in das ewige
Feur hoͤren und practiciren. Wer das thut/ der hat den Troſt/ daß er
nicht ſoll gerichtet werden/ und wird Gnade finden zur Zeit/ wann ihme
Huͤlffe von noͤthen ſeyn wird. Nun GOtt gebe/ daß wir alle ein rein Ge-
wiſſen zur Außbeut davon tragen/ und nicht in das endliche letſte Verdam-
nuß-Gericht kommen. Amen.



Die Neunte Predigt/
Von der Wiederkunfft und Zuruck-Kehr
des verlohrnen Sohns.


GEliebte im HERRN. Was ſollen wir thun?
ſprechen Act. 2. die Maͤnner zu Jeruſalem/ Petri Zuhoͤ-
rer/ nachdem ſie derſelbe offentlich des Gottes-Mords/ als
der allergreulichſten Suͤnde uͤberzeuget und angezeigt/ daß
dieſer JEſus/ den ſie gecreutziget/ zu einem Herrn und
Chriſt gemacht ſey/ dabey ſie ihnen leichtlich die Rechnung
machen kunten/ weſſen ſie ſich zu befahren oder zu verſehen/ darum ihr
Maͤnner/ lieben Bruͤder/ ſprechen ſie/ was ſollen wir thun? Jſt
ein Gleichnuß genommen von einem Schlaffenden und Schlummeren-
den/ der nicht erwachen wil/ wann man ihm gleich lang zuruffet/ biß man
ihn mit der Spitz-Ruthen zwickt/ oder wol gar/ wie zu Kriegs-Zeiten zu
geſchehen pflegt/ mit einem Spieß durchſticht. Alſo/ nachdem der
Apoſtel Petrus den Juden den Eyſſen geruͤhrt/ und es ihnen durchs
Hertz gegangen/ κατενύγησαν, da er Spieß und Naͤgel gebraucht/ wie die
Wort der Weiſen genennet werden/ Eccl 12, 11. ſo mundern ſie ſich auff/
und ſprechen: Was ſollen wir thun? Jſt eben die Frage/ welche
Paulus auch dem Herrn fuͤrgelegt/ Act. 9. als er die Goͤttliche Stim-
me gehoͤret: Saul/ Saul/ was verfolgeſtu mich? Jch bin JEſus/ den
du verfolgeſt/ es wird dir ſchwer werden wider den Stachel lecken; nach
dem ihn ploͤtzlich ein Liecht vom Himmel umleuchtet/ daß er auff die Erden
darnieder gefallen/ ſo rufft er auch mit Zittern und Zagen: HErꝛ/ was
wilt du/ das ich thun ſoll? Jſt eine Gleichnuß genommen von zween
Duellanten da einer dem andern den Fuß untergeſchlagen und zu Boden
gebracht/
[71]Vom verlohrnen Sohn.
gebracht/ da der unten ligende perdon begehret/ und um Friſtung ſeines
Lebens bittet/ mit Verſprechen zu thun/ was der Uberwinder begehren
wuͤrde/ wie dort Turnus l. 12. Æn. equidem \&c. Alſo ergibt ſich Paulus
auch/ da er nimmer weiter gekunt/ und ſpricht: Was wiltu/ das ich
thun ſoll?Jam ſe parat ad obediendum, qui prius ſæviebat ad perſe-
quendum: jam formatur ex perſecutore prædicator, ex lupo ovis, ex
hoſte miles,
ſchreibet Auguſtin. ſerm. 14. de Sanctis. Jetzt ſchickt er ſich
zum Gehorſam/ da er zuvor wuͤtete/ andere zu verfolgen. Jetzt wird auß
einem Verfolger ein Prediger/ auß einem Wolff ein Schaff/ auß einem
Feind ein Verfechter. Jſt eben auch die jenige Frag/ die wir in unſerm
Chriſtlichen Leich-Lied fuͤhren:


Mitten in der Hoͤllen-Angſt

Unſer Suͤnd uns treiben.

Wo ſollen wir dann fliehen hin/

Da wir moͤgen bleiben?

Zu dir HErꝛ Chriſt alleine/ ꝛc.

Jſt auſſer zweiffel auch die Frage geweßt/ ſo der verlohrne Sohn da-
mals gefuͤhret/ nachdem er auß ſeinem Suͤnden-Schlaff erwacht/ und
durch die Spiß-Ruthen der Theurung auffgewecket worden/ nachdem
ihm der Spengler auß den Augen gekommen/ und ihn der Strahl des
Geſetzes zu Boden geſchlagen/ da er ſeine Suͤnde erkant/ und GOttes
Zorn gefuͤhlet/ hat er auch unter dem Winſeln und Kirren/ mit Hand-
ringen/ und Bruſt-ſchlagen dieſe Weh-Klag gefuͤhret: Ach wo ſoll ich
hin? was ſoll ich doch thun? lieff ich gleich weit herum/ ſo finde ichs viel-
leicht doch nicht beſſer. Die Antwort hierauff haben wir bereits droben
vernommen/ was ihm der himmliſche Conſulent fuͤr einen Anſchlag ge-
geben/ er ſoll ſich auff machen/ ſoll hin zu ſeinem Vater gehen/ ſoll argu-
menti
ren à minori ad majus, ernehret mein Vater ſo viel Tagloͤhner
reichlich/ ey ſo wirſt du vielleicht auch noch einen guten Willen finden/
und wieder zu Gnaden angenommen werden. Jſt eben das jenige was
wir ſonſt zu ſingen pflegen:


Es wird die Suͤnd durchs Gſatz erkandt/

Und ſchlaͤgt das Gewiſſen nider/

Das Evangelium komt zu Hand/

Und troͤſt den Suͤnder wieder.

Es ſpricht: nur kreuch zum Creutz herzu/

Jm Gſatz iſt weder Raſt noch Ruh

Mit allen ſeinen Wercken.

Jſt
[72]Die Neunte Predigt

Jſt Conſilium reditus, die gethane Wahl des verlohrnen Sohns/
und ſeine Ruckfahrt zum Vater/ conſilium appellationis à Throno ju-
ſtitiæ ad thronum gratiæ; conſilium reconciliationis \& juſtificationis
Evangelicæ,
davon Eſa. 1. Komt laßt uns mit einander rechten/
wann eure Suͤnde gleich blutroth iſt/ ſoll ſie doch ſchnceweiß
werden/ ꝛc. Wie nun der verlohrne Sohn dieſem Rath nach gekom-
men/ werden wir ins kuͤnfftig zu vernehmen haben/ dißmal bleiben wir al-
lein bey den præparatoriis, und der Vorbereitung. Gott eroͤffne
unſer aller Mund/ Hertzen und Ohren/ kraͤfftig zu lehren/ und nutzlich zu
hoͤren/ Amen.


WAs nun/ Geliebte in Chriſto dem Herrn/ die vorhabende
præparation des verlohrnen Sohns betrifft/ ſo ſpricht er davon
alſo: Jch wil mich auffmachen/ und zu meinem Va-
ter gehen. Jſt peregrinatio reconciliatoria, juſtificatoria \& appel-
latocia,
eine verſoͤhnliche/ nach der Rechtfertigung ſtrebende und
appellirende Reiſe; da wir zu mercken I. Terminum ad quem, wo-
hin? iſt patria Eccleſiæ, das himmliſche Vaterland/ ich wil rectà
zu meinem Vater gehen/ als offenſum, iratum, juſtum, den ich beleidi-
get/ erzoͤrnet/ und zu Straffen gereitzet/ dem ich in ſeine gerechte
Straffe gefallen; aber auch miſericordem, der wiederum barmhertzig
iſt. Zu dem nun wil ich gehen/ mich fuͤr ihm demuͤtigen/ und ſprechen:
Vater ich habe geſuͤndiget ꝛc.Columbæ requies in arca, aviculæ
in nido,
ſpricht ein andaͤchtiger Lehrer/ Die Dauberuhet in dem Ka-
ſten Noaͤ/ und ein jedes Voͤgelein iſt gern in ſeinem Neſt. Wie
ihm nun der verlohrne Sohn fuͤrgenommen/ ſo hat er auch gethan. Jſt
aller armer Suͤnder Wegweiſer/ wo ſie hingehen ſollen: nicht ſollen ſie zu
den Heiligen lauffen/ dem Strick oder Waſſer zueilen: Nicht vor Gott
fliehen/ wie Adam und Cain/ wie ein Dieb vor dem Hencker/ wie ein Hund
vor dem/ der ihn ſchlaͤgt. Nicht alſo/ ſondern wie ein Kind die Ruthe in
die Hand nim̃t/ ſie kuͤſſet/ und zum Vater gehet/ ihn um Verzeihung bit-
tet/ und kuͤnfftige Beſſerung verſpricht; Ein tugendſames Huͤndlein
liebet ſich wieder: Alſo ſollen wir auch zu dem gehen/ der uns geſchlagen:
Wo ſoll ich hingehen fuͤr deinem Geiſt/ und wo ſoll ich hinflie-
hen vor deinem Angeſicht? Fuͤhre ich gen Himmel/ ſo biſt du
da/ betet ich in die Hoͤlle/ ſo biſt du auch da/ ꝛc.Pſalm. 139.
Dieſer iſt zwar Offenſus, der Beleidigte/ aber Paulus ſagt: καταλλά-
γητε τῷ Θεῷ, laßt euch wieder verſoͤhnen mit GOtt. 2. Cor. 5/ 20.
Er
[73]Vom verlohrnen Sohn.
Er iſt zwar iratus, erzoͤrnt/ und in ſeinem Zorn wie ein verzehrendes Feur/
Er iſt gerecht/ und ſtraffet nach Verdienſt; aber Cr iſt auch wieder
barmhertzig/ gnaͤdig/ gedultig/ und von groſſer Guͤte/ und
reuet ihn bald der Straffe/ Joel. 2/ 13.


II. Scopum, ſeinen Zweck/ warum? der iſt nun nicht mit ſeinem
Vater zu bochen/ zu trotzen/ ſondern ſich demuͤtig zu erzeigen/ und zu ſpre-
chen: Vater ich habe geſuͤndiget in Himmel und fuͤr dir/ und
bin nicht mehr werth/ daß ich hinfort dein Kind heiſſe/ mache
mich nur wie einen deiner Tagloͤhner; tantum gratia, gratia, re-
conciliatio,
ach nur Gnad/ Gnad/ und Vergebung! ſonſten
duͤrffte es bald heiſſen/ fuͤr der Thuͤr iſt drauß. Alſo iſt auch der
ſcopus noſtræ appellationis, das Abſehen unſerer Appellirung nicht/ re-
vocatio prioris judicii,
daß man auffs neue wolte anfangen mit Gott zu
rechten/ wiein der Welt von einem Richter zum andern appelliret wird/
da es heißt/ uͤbel geſprochen/ wol appellirt. Nein/ ſondern GOttes
Gericht iſt gerecht/ unwandelbar/ gleichwie der Perſer und Meder Recht.
Dan. 6. Es iſt appellatio ad reconciliationem, der Friede mit Gott/
den wir ſuchen/ wie die arme Buͤrger zu Cremona/ welche Stricke an
ihren Haͤlſen habend um Verzeihung gebetten: Jm Pabſtthum reiſet man
zu St. Jacob gen Compoſtell/ was bringen ſie aber mit davon? ihrer
Meynung nach Jndulgentz und Ablaß/ aber in der Warheit nichts als
Menſchen-Tand. Oder zum H. Grab; was bringt man da mit ſich?
Weltliche Ehr/ den Ritter-Orden/ oder Heiligthum/ Todten-Bein. Vor
Zeiten brachten die blinden Leute blutige Koͤpffe zuruck; gemahnet mich
eben an Cajum Caligulam, der einsmals einen Zug in Franckreich ge-
than. Da er dahin gekommen/ ſtellet er das Volck an das Ufer des
Meers in eine Schlacht-Ordnung/ als wolte er einen Zug in Britannien
thun. Da nun jederman wartet/ was es doch endlich geben wird/ ließ er
viel Muſcheln und Schnecken-Haͤuſer auffheben/ und marſchieret damit
wieder gen Rom/ als mit vielen ſtattlichen Beuten.


III. Scopi fundamentum, ſein Fundament und Grund/ das
iſt nun keine gerechte Sache/ er kunte den Appellations-Eyd nicht præſti-
ren/ brachte nichts mit ſich als Suͤnde/ Unluſt/ Elend/ zerriſſene Lumpen/
Unziffer/ Hunger und Mangel; ſondern er gruͤndet ſich 1. auff ſein Kinds-
Recht: er ſchlieſſet alſo: ſo viel Tagloͤhner hat mein Vater/ die
Brods die Fuͤlle haben/ und ich verderbe im Hunger/ als wolt
er ſagen/ Wahr iſts/ ich bin nicht werth/ daß ich ſein Sohn heiſſe/ unterdeß
bin ichs doch re ipſa, vinculum eſt naturale, das Band zwiſchen mir
Zehender Theil. Kund
[74]Die Neunte Predigt
und meinem Vater hat die Natur gemacht/ das kan nicht ſo leicht-
lich auff gehaben werden/ andere Freunde mag er beurlauben/ ich aber bin
ſein Fleiſch und Blut/ ſein neceſſarius, er wird ja mich nicht haſſen oder
heiſſen fortgehen. 2. Gruͤndet er ſich auff paternam ςοργην, des Va-
ters natuͤrliche Liebe/ ich wil ſagen/ Vater/ damit wil ich ihm das
Hertz ruͤhren/ und die Liebes-Fuͤncklein auffblaſen/ das Schwartz in der
Scheiben treffen. Es ſihet der verlohrne Sohn 1. auff die natuͤrliche
συμπάθειαν, des Gebluͤts/ wie ſich das Vater-Hertz nicht kan vrrlaͤug-
nen; ſolte ein Vater ſein Kind im Feur ſehen/ oder in Waſſers-Noth/
und ihm nicht helffen? das iſt nicht glaublich/ er wagt das Leben fuͤr es/
darnach auff die Exempel/ vornemlich Abſalons/ dann unangeſehen/ daß
er ein ungerathener Sohn war/ und in flagrantiſſimo perſecutionis cur-
ſu,
zu der Zeit/ da er ſeinen Vater auffs hefftigſte verfolgte/ er-
ſtochen worden/ beklaget ihn doch ſein Vater David auß Vaͤtterlicher Liebe.
Drittens auff die Exempel der wilden Thier/ nicht nur des Adlers und der
Hennen/ ſondern auch der Loͤwen/ Woͤlff/ Pantherthier. Quæ fera pro
catulis non ipſa ſe offert morti? ingruat licet telorum ſeges, fera ta-
men parvulos ſuo corporum muro ſeptos immunes præſtat periculi,

fraget und antwortet Ambroſ. l. 6. hexaem. c. 4. Welches wildes
Thier ſetzet ſich nicht in Todes-Gefahr fuͤr ſeine Jungen? laſ-
ſe die toͤdtliche Pfeile daher ſchneyen/ ſo ſchuͤtzet doch ein wildes
und unvernuͤnfftiges Vieh ſeine Jungen fuͤr Gefahr. Der
Exempel finden ſich bey barbariſchen Unmenſchen/ die das Gegentheil
gethan. Erixonem equitem Rom. memoriâ noſtrâ, quia Filium ſuum
flagellis occiderat, populus in foro graphiis confodit; vix illum Au-
guſti Cæſaris autoritas infeſtis tàm patrum quàm filiorum manibus eri-
puit. Seneca l. 1. de clem.
14. Es iſt noch zu unſerer Zeit geſchehen/
daß das Volck einen Ritter/ Erixon genennet/ weil er ſeinen
Sohn peitſchen laſſen/ auff dem Marckt mit Schreib-Meſſer-
lein wollen erſtechen; Alſo daß die Hoheit des Kayſers Auguſti
ihn kaum den Haͤnden der verbitterten Eltern und Kindern
entreiſſen koͤnnen. Man ſiehets doch unter uns/ wann ein Vater
ſein Kind allzuhart tractirt/ es gehet den Nachbarn zu Hertzen.


Nun alſo macht auch hiemit der verlohrne Sohn allen armen Suͤn-
dern ein Hertz/ er zeigt ihnen die rechte anchoram poſt naufragium. Ancker
nach dem Schiffbruch/ woran ſie ſich im Glauben halten ſollen/ nemlich
nicht an eigene Gerechtigkeit/ die vor Gott iſt wie ein beflecktes Tuch/ ein
verwuͤſtes Kleid voller Unziffer der boͤſen Luͤſten/ und daß um ſo viel we-
niger
[75]Vom verlohrnen Sohn.
niger/ als feſter unſere Gerechtigkeit verwahret ſeyn ſoll. Der verlohrne
Sohn verlaſſet ſich auff ſein Kindes-Recht/ wie vielmehr ſollen wir uns
darauff gruͤnden/ die wir auß Gott gebohren ſeynd/ und die Macht be-
kommen haben/ GOttes Kinder zu werden in der H. Tauff. Joh. 1. So
wir nun mit GOtt verſoͤhnet ſind dur den Tod ſeines Sohns/
da wir noch Feinde waren/ wieviel mehr werden wir ſelig wer-
den durch ſein Leben/ ſo wir nun verſoͤhnet ſeind. Rom. 5/ 10. Jſt
unſer Kindes Recht gleich nicht gegruͤndet in der Natur/ ſo iſts doch ge-
gruͤndet in dem feſten Bund Gottes/ Eſa. 54/ 10. Es ſollen wol Berge
weichen/ und Huͤgel hinfallen/ aber meine Gnade ſoll nicht
von dir weichen/ und der Bund meines Friedens ſoll nicht hin-
fallen/ ſpricht der HErꝛ dein Erbarmer. Jch bin ja doch dein
liebes Kind/ trotz Tod/ Teuffel und der Suͤnd/ doͤrffen wir kuͤhnlich ſagen.
Er verlaßt ſich auff ſeines Vaters Hertz/ wieviel mehr wir/ dann hier iſt
unendlich/ unvergleichlich mehr als ein irdiſcher Vater/ der vertroͤſtet uns
ja/ daß/ wann auch eine Mutter ihres Kindes vergeſſen ſolte/
daß ſie ſich nicht erbarmen wolte uͤber den Sohn ihres Leibes/
und ob ſie gleich deſſelben vergeſſe/ ſo wolle Er doch unſer nicht
vergeſſen/ dann in ſeine Haͤnde habe Er uns gezeichnet/ Eſa. 49.
Er iſt weder der Raben noch junger Strauſſen Vater/ der ſeine Eyer
auff die Erden fallen laͤſſet/ und laͤſſet ſie die heiſſe Sonne auß-
bruͤten/ der vergiſſet/ daß ſie moͤchten zutretten werden/ und
ein wild Thier ſie zubrechen; der ſo hart gegenſeine Jungen
wird/ als waͤren ſie nicht ſeyn. Hiob 39. ſondern ein liebreicher
Vater/ der ſich uͤber die/ ſo ihn foͤrchten/ erbarmet/ wie ein Va-
ter uͤber ſeine Kinder/ Pſalm. 103. Uber das haben wir noch nechſt
dem Gnaden-Thron die Verheiſſung/ Eſa. 1. Wann euere Suͤnde
gleich blutroth iſt/ ſoll ſie doch ſchneeweiß werden/ und wann
ſie gleich iſt wie Roſinfarbe/ ſoll ſie doch wie Wolle werden.
Jer. 3/ 12. Kehre wieder du abtruͤnnige Jſrael/ ſpricht der HErꝛ/
ſo wil ich mein Antlitz nicht gegen euch verſtellen/ dann ich bin
barmhertzig/ ꝛc.Ezech. 18. \& 33. So wahr ich lebe/ ich habe
kein Gefallen am Tode des Sterbenden und Gottloſen/ ſon-
dern wil/ daß er ſich bekehre und lebe. Mal. 3, 7. Bekehret euch
zu mir/ ſo wil ich mich auch zu euch kehren. 2. Pet. 3. GOtt
wil nicht/ daß jemand verlohren werde/ ſondern daß ſich jeder-
man zur Buße kehre. Um wieviel hoͤher nun GOttes Vater-Lieb/
um ſo viel troͤſtlicher ſeind auch ſeine Verheiſſungen/ und um ſo viel ſtaͤr-
K ijckere
[76]Die Neunte Predigt
ckere Gruͤnde und Pfeiler hat man. Deßwegen hat Er auch das Evan-
gelium predigen laſſen/ und daſſelbe mit dem Tod ſeines lieben Sohns/
mit einem Eyd-Schwur/ und Sacramenten befeſtiget/ viel feſter als das
Wort des Geſetzes/ welches/ als auß der Natur bekandt/ den Menſchen
in den Anfechtungen hefftig zuſetzet/ und ihn aͤngſtiget.


Es lehret uns der verlohrne Sohn mit ſeinem Exempel 2. reconci-
liationis poſſibilitatem,
die Moͤglichkeit der Vorſoͤhnung/ daß
wahr ſey/ was wir im dritten Articul bekennen/ ich glaube Ablaß der
Suͤnden/ und zwar nicht nur der Suͤnden/ die vor der Tauff begangen/
wie Novatus, hoſtis gratiæ, interfector pœnitentiæ, der Gnaden-
Feind/ und Buß-Moͤrder vor Zeiten geſchwaͤrmet; dann der ver-
lohrne Sohn war ja beſchnitten/ und ſtunde zuvor mit Gott im Bund
der Gnaden; er hat aber ſeinen Vater nicht nur einmal erzoͤrnet/ und doch/
ſo offt ers ihme leyd ſeyn laſſen/ ihn wieder verſoͤhnet. Abſalon hat viel
boͤſes veruͤbet/ ſo offt er aber wieder kam/ und um Vergebung bat/ wurde
er wieder zu Gnaden angenommen. Nicht nur der geringen/ kleinen/
Sand- oder Staub- und Splitter-Suͤnden/ wie der verlogene Cain in
dem Wahn geſtanden/ ſondern auch der groſſen baum-ſtarcken Berg-
und Balcken-Suͤnden. Chriſtus der Herr antwortet Matth. 18/ 22.
auff die vorgelegte Frag Petri: HErꝛ/ wie offt muß ich dann/ mei-
nem Bruder/ der an mir ſuͤndiget/ vergeben? iſts gnug ſieben
mal? alſo/ und ſpricht: Jch ſage dir/ nicht ſieben mal/ ſondern
ſiebentzig mal ſieben mal. χιλιάκις μετανοήσας εἰσέλθε, Chryſoſt.
Moͤchte hier jemand einwenden/ warum redet dann der Prophet Joel alſo
zweiffelhafftig davon/ als ſtuͤnde es noch dahin/ und waͤre ein Menſch
nicht gewiß/ ob ihn Gott wiederum zu Gnaden annemmen werde? wann
er c. 2. ſpricht: Zureiſſet eure Hertzen/ und nicht eure Kleider/
nnd bekehret euch zu dem HErꝛn euerm GOtt/? Wer weiß/
es mag ihn wiederum gereuen/ und einen Segen hinter ſich laſ-
ſen? Da iſt aber zu wiſſen/ daß ſolche Prophetiſche Wort keine zweiffel-
haffte oder Zweiffel erweckende/ ſondern Wunſch- und Hoffnungs-
Worte feind/ wie ſie Luth. Tom. 3. Lat. erklaͤret: eſt vox perterrefactæ
conſcientiæ, quæ incipit reſpirare ad ſpem \& DEI bonitatem.
Es iſt
die Stimme eines zaghafften Gewiſſens/ welches anfahet nach
der Hoffnung und Guͤte GOttes zu ſchnappen. Und ſeind zu
verſtehen/ wie etwan einer/ der in der Ohnmacht ligt/ doch aber ſich allge-
mach wieder erholet/ und ſpricht: Es wird/ ob Gott wil/ ſich ſchon wen-
den/ und wieder beſſer werden. Darnach gilt allhier die Regul: duo
cum
[77]Vom verlohrnen Sohn.
cum faciunt idem, ſæpè non eſt idem: Wann zween ein Ding
thun/ iſt es darum nicht gleich ein Ding. Dann ein unglaubiger
Menſch ſpricht ſolche Wort auß Mißtrauen/ weil er mit Cain meynet/
Gott koͤnne oder wolle ihm ſeine Suͤnde nicht verzeihen. Ein Glaubiger
aber redet ſie auß freudigem Geiſt und guter Zuverſicht/ der bey ihm die
Goͤttliche Verheiſſungen Ja und Amen ſeyn laͤßt/ und gewiß weiß/ Gott
koͤnne und wolle alle bußfertige Suͤnder zu Gnaden annemmen. Des
theuren Apoſtels Pauli Wort/ Hebr. 6/ 4. 5. Unmuͤglich iſts/ daß die
ſo einmal erleuchtet ſind/ ꝛc. wo ſie abfallen/ ſolten wiederum
erneuert werden zur Buß/ wird und kan niemand anders annem-
men/ als von den Suͤnden in den H. Geiſt/ welche fuͤr ihre Suͤnde
kein ander Opffer forthin mehr haben/ Hebr. 10/ 26. Gleichwie/
zum Exempel/ die Soͤhne Eli ſolche Geſellen waren/ die ſich an den Mitt-
len der Verſoͤhnung mit Gott vergriffen/ das wußte ihr Vater wol/ dar-
um ſagt er zu ihnen: Wann jemand wider einen Menſchen ſuͤn-
diget/ ſo kans der Richter ſchlichten. Wann aber jemand wi-
der den HErꝛn ſuͤndiget/ wer kan fuͤr ihn bitten? 1. Sam. 2, 25.


Das iſt ja freylich eine Milch- und Honig-ſuͤſſe Lehre/ ein Geruch des
Lebens zum Leben/ ein herꝛlicher Troſt in allen Anfechtungen/ und ſonder-
lich in den letſten Zuͤgen/ wann wir zum Vater gehen. Wolan nun/
moͤchte hier ein ſicheres Welt-Kind gedencken/ das iſt eine gute Predigt
fuͤr mich: dergleichen haͤtte ich laͤngſt gern gehoͤret. Dann alſo wird es
nichts zu bedeuten haben/ wann ich ſchon im̃er hin ſuͤndige/ meinem Fleiſch
und Blut zu gefallen thue/ wornach es immer geluͤſtet/ weilen ich allezeit
wiederum zu Gnaden kommen/ und Vergebung erlangen kan? Ant-
wort: Jrre dich nicht/ Gott laͤßt ſich nicht ſpotten; das iſt eben das
rechte Schwerdt/ das ſchon viel tauſend erſchlagen/ das Meſſer/ damit
ſich ſchon ihrer viel ſelbs erwuͤrget/ und ums Leben gebracht; iſt eine rech-
te teuffeliſche Verſuchung/ da der leidige Geiſt den armen Menſchen è dif-
fidentia in profidentiam,
von dem Zweiffel und Mißtrauen in die
gottloſe Sicherheit/ und alſo von einem Garn ins ander treibet/ biß er
ihn verſtricken und knicken mag. Da ſolle der Menſch bedencken 1. con-
tritionis neceſſitatem,
die hohe Nothwendigkeit einer wahren
Reu und Buße/ und zuſehen/ daß er auch beſchaffen ſeye/ wie der ver-
lohrne Sohn. 2, Divinæ juſtitiæ libertatem, der Goͤttlichen Ge-
rechtigkeit Freyheit/ GOtt hat nicht einem jeden Menſchen verſproch-
en allezeit die Gnade Buß zu geben; niemand/ der dieſelbe einmal muth-
willig verachtet/ kan oder foll ihm die gewiſſe Rechnung machen/ daß er
K iijeben
[78]Die Zehende Predigt
eben grad wieder darzu kommen werde. Dann da gehets als dann oͤff-
ters/ wie Eſai c. 6. ſtehet: daß die Hertzen verſtocket/ die Ohren
dick/ und die Augen geblendet werden/ daß ſie nicht ſehen mit
ihren Augen/ noch hoͤren mit ihren Ohren/ noch verſtehen mit
ihrem Hertzen/ und ſich bekehren und geneſen. Derer Urtheil
und Verdamnuß iſt gantz recht. Dann wer mich verachtet/ ſpricht
Chriſtus Joh. am 12. und nimt meine Wort nicht auff/ der hat
ſchon/ der ihn richtet/ das Wort/ welches ich geredt habe/ das
wird ihn richten am Juͤngſten Tag. 3. Mor is incertitudinem
\& velocitatem,
die ungewiſſe und ſchnelle Todes-Stunde. Man
dencke nur an Abſalon/ an dem ſich alle freche/ frevele Suͤnder ſpieglen
ſollen; dann ehe er ſichs verſah/ kam er in den Abgrund der Hoͤllen/ und
da er gedachte noch ſo lang zu leben/ uͤberfiel ihn die Rach GOttes in ei-
nem Augenblick. Darum ſo wachet in taͤglicher Buß/ dann ihr
wiſſet nicht/ wann es Zeit iſt/ Marc. 13/ 33. Chriſtianus nulli rei, niſi pœ-
nitentiæ natus,
ſagt Tertullianus, ein Chriſt iſt zu nichts/ als zur
Buße gebohren. Buße thun iſt eines rechtſchaffenen Chriſten ἔργον,
und eigentliche Arbeit/ alles andere ſeind πάρεργα und Nebens-Wercke.
Wachet nun alle/ daß es uns nicht gehe/ wie dorten den thoͤrichten Jung-
frauen/ welche die Ankunfft des Braͤutigams verſchlaffen/ mit denen es
nachmals geheiſſen/ vor der Thuͤr iſt drauſſen. Sondern wachet;
O ſelige Knechte/ die der HErꝛ/ ſo Er komt/ wachend findet/
warlich/ ich ſage euch/ er wird ſich auffſchuͤrtzen/ und wird ſie
zu Tiſche ſetzen/ und fuͤr ihnen gehen/ und ihnen dienen/
Amen.



Die Zehende Predigt/
Von der Reue und Buß des verlohrnen
Sohns.


GEliebte im HErꝛn. Zu gleicher weiſe wie allezeit zwo wie-
drige Seeten in der Welt geweßt/ die ſichere Epicurer und aber-
glaubiſche Phariſaͤer/ alſo ſeind auch zweyerley remedia, Mit-
tel erdacht worden dem nagenden und wuͤtenden Gewiſſens-Wurm zu
begeg-
[79]Vom verlohrnen Sohn.
begegnen. 1. Sag ich/ waren die ſichere Epicureer/ ſo ſich den wuͤ-
tenden Gewiſſens-Wurm mit fleiſchlichen Wolluͤſten zu daͤmpffen un-
terſtanden. Vom Koͤnig Demetrio in Aſia ſchreibet der Hiſtoricus, als
er von Seleuco in Verhafftung gezogen worden/ habe er luſu \& ebrieta-
te acriores de infortuniis cogitationes
begraben/ geſpielt und geſoffen/
damit er ſeines Ungluͤcks vergeſſen/ und alſo der wuͤtenden Schlang
gleichſam Milch zu trincken gegeben/ die Wunden mit anodynis cutirt/
aber nicht allerdings geheilet. 2. Superſtitioſi Phariſæi, die aberglau-
biſche Phariſaͤer/ die zwar dafuͤr gehalten/ es muͤſſe GOtt mit etwas
verſoͤhnet werden/ aber mit ihren eigenen erwehlten Wercken/ Verdienſt
und Satisfaction ſolches verrichten wolten: Gleichwie die Philiſter
1. Sam. 5. gethan. Dann als ſie die Lade des Bundes des GOttes Jſrael
gen Aſdod gebracht/ und entheiliget/ darum ſie der Herr an heimli-
chen Oertern geſchlagen/ und ſonſten ihr Land verderbet/ ſo gaben ihre
Prieſter und Weiſſager den Rath/ ſie ſolten die Lade GOttes nicht leer
zuruck ſenden/ ſondern ein Schuld-Opffer beylegen/ nemlich 5. guldene
Erſe/ und 5. guldene Maͤuſe/ den GOtt Jſrael zu verſoͤhnen c. 7. Als
es vor Zeiten ohngefaͤhr 1200. und etliche Jahr in der Chriſtenheit bund
und uͤbel genug hergieng/ entſtunden die Flagellanten/ die bey viel tauſend
ſich zuſammen gerottet/ auff den Gaſſen und Straſſen herum geloffen/
und ſich ſelbs gantz unbarmhertzig gegeiſſelt. Denen vor Zeiten die
Baals-Pfaffen vorgangen/ und die heutige Flagellanten im Pabſtthum
es nachthun. Dabey hat es aber der hoͤlliſche Blut-Hund nicht bleiben
laſſen/ ſondern die ἀνθρωϖοθυσίαν und Menſchen-Opffer auff die Bahn ge-
bracht/ wie bey den Maſſilienſern und andern/ ꝛc. ſo gar/ daß ſie auch ihre
eigene Kinder dem Moloch auffgeopffert. Geſtalt dann auch Meſa der
Moabiter Koͤnig gethan/ als ihme die drey Koͤnige zu nahe auff den Hals
gekommen/ und ſeinen eigenen Sohn geopffert/ 2. Reg. 3. Dieſes iſt
nicht der rechte Weg/ GOtt der H. Geiſt ſchreibet ein anderes Mittel
fuͤr/ das heißt μετάνοια, Theſchubha, Buß und Widerkehr Eſa. 1. Wa-
ſchet und reiniget euch/ ꝛc. ſo komt dann und laßt uns mit
einanden rechten. Jſt ein bewaͤhrtes Mittel/ in vielen Exempeln der
Juͤdiſchen Kirchen practicirt/ und heylſam befunden worden/ der Kinder
Jſrael/ Niniviten/ Davids/ Manaſſis/ Petri/ der armen Suͤnder und
Zoͤllner; ſonderlich aber wurde daſſelbe Jaͤhrlich an dem Verſoͤhnungs-
Feſt ſolenniſſimè hochfeyrlich widerholet/ Lev. 16. Es ligt aber ſehr viel
an der rechten Buß/ Ambroſius ſchreibet l. 2. de pœn. c. 10. ſe facilius
inveniſſe, qui ſervaverit innocentiam, quàm qui congruè egerit pœni-

tentiam.
[80]Die Zehende Predigt
tentiam. Er habe leichtlicher einen gefunden/ der unſtraͤfflich
gelebet/ als der rechtſchaffene Buße gethan. Cain und Judas
erkanten auch ihre Suͤnden/ aber es halff keinen nichts. Bey den Kin-
dern Jſrael ſcheinete es auch/ ſie thaͤten Buß/ als ihnen Moſes Num. 14.
einen harten Beſcheid gegeben/ dann da ſtund das Volck und traurete
ſehr/ daß es aber Heucheley geweßt/ hat der Außgang bezeuget/ und das
eigenthaͤtliche hinauff ziehen. Achab ſtellete ſich auch klaͤglich/ als ihm
Elias ein harter Botte geweßt/ und die tragica fata, bevorſtehende trau-
rige Faͤlle ſeines Hauſes ihme angez iget/ er zuriß ſeine Kleider/ legte ei-
nen Sack an ſeinen Leib/ faſtete/ und ſchlieff im Sack/ und gieng jaͤmmer-
lich einher; aber es gieng nicht von Hertzen/ wie ſeine Propheten-Schin-
derey an Micha ſolches bezeuget 1. Reg. 21. Der Koͤnig Saul that
zwar eine ſchoͤne Bekanntnuß/ und ſprach: Jch habe geſuͤndiget/
daß ich des HErꝛn Befehl und deine Wort uͤbergangen hab.
Aber es mangelte ihm an der Demuth/ das Hertz war ihm nicht recht zer-
ſchlagen. Jch habe geſuͤndiget/ ſpricht er/ aber ehre mich doch
jetzt fuͤr den Elteſten meines Volcks/ und fuͤr Jſrael. Er war
ὀφ [...]αλμόδουλος, ein Augendiener/ wann er nur ſeine Reputation be-
hielte/ wuͤrde es ſeiner Meynung nach ſchon gut ſeyn. Judas Jſcha-
rioth that eine gantz vollkommene Paͤbſtiſche Buß/ aber es war pœniten-
tia caſſa,
wie es die Alten genennet/ eine Buß ohne Kern und Marck/
das beſte mangelte ihr. GOtt wil/ wie geliebt/ alſo auch gebuͤſſet haben/
toto corde, von gantzem Hertzen/ Joel 2/ 12. So ſpricht der HErꝛ:
Bekehret euch zu mir von gantzem Hertzen/ mit Faſten/ mit
Weinen/ mit Klagen/ zureiſſet euere Hertzen/ und nicht euere
Kleider. GOtt begehret es aber nicht von uns appreciativè, ver-
dienſtlicher weiſe/ dann wer kan mercken/ wie offt er ſuͤndiget?
Pſalm. 19. wil geſchweigen/ daß er ſeine Suͤnde alle recht vollkommen
bereuen ſolte; ſondern ſeriò \& ſincerè, ein auffrichtiges/ Evangeliſch-
redliches Hertz/ das ohne falſch iſt. Allermaſſen wie uns eine ſolche Idea
und Muſter eines Buͤſſers am verlohrnen Sohn fuͤrgeſtellet wird; dem
ſollen wir die rechte Buß-Kunſt ablernen. Er lieget da auff der Erden
unter den Schweinen/ welches darauß abzunemmen/ wann er ſagt:
ἀναςὰς πορ [...]σουαι ich wil mich auffmachen oder auffſtehen. E. lag
er zuvor auff der Erden; und zwar als conſcientiæ flagellantis obje-
ctum,
wie dort Heliodorus 2. Maccab. 3. auff welchen zween Eng-
liſche Junge Geſellen getroſt geſchlagen/ daß er fuͤr Ohn-
macht zur Erden geſuncken/ und ihm das Geſicht vergangen.
Voller
[81]Vom verlohrnen Sohn.
Voller Schrecken/ Forcht/ Scham und Verzweiffelung an ihm ſelbs.
Da hieß es auch bey ihm: Ach HErꝛ/ wann du wilt Suͤnde zu-
rechnen/ wer kan fuͤr dir beſtehen? Er lag da als damnatus \& reus,
als ein Malefitz-Perſon und armer Suͤnder/ dem das Leben ab-
geſprochen worden/ deren etliche/ wie die Exempel es bezeugen/ einen Fuß-
fall gethan/ oder auch gar auß Forcht geſtorben. Er ligt da in pulvere,
im Staub/ tanquam victima \& holocauſtum, als der ſich ſelbs
als ein Brand-Opffer darwirfft/ und das Opffer eines durchs
Geſetz zerknirſchten und zerſchlagenen/ wie Wachs zerſchmoltzenen Hertz-
ens Gott dem Herrn dargibt/ auß guter glaubiger Hoffnung auff
Goͤttliche Gnade und heiligem Verlangen nach der Vergebung/ mit
thaͤtlicher Befleiſſigung des neuen Gehorſams. Wir wollen M. L. zu
ihm in die Schule gehen/ und die Art rechter Buße ihm ablernen.
Gott gebe ſeines Heiligen Geiſtes Gnad/ daß es nutzlich und fruchtbar-
lich Jhme zur Ehre/ uns zur Lehre geſchehen mag/ Amen.


SO erzeiget ſich nun/ Geliebte im Herrn/ bey dem’ verlohrnen
Sohn I. in intellectu agnitio \& ſenſus doloris, eine hertzliche
Erkantnuß und ſchmertzliche Bereuung ſeiner Suͤnd-
en. Ein Malefitz Perſon/ ehe man ihr das Leben abkuͤndet/ meynet nicht/
daß ihr Verbrechen ſo groß/ und des Todes wuͤrdig/ aber wann der Her-
renknecht des Todes Urtheil ihr anzeiget/ und die Pfarrer zu ihr geſchicket
werden/ da gehet ihr das Gewiſſen auff/ und wird reg gemacht: Alſo da
der verlohrne Sohn ſich fuͤr den Feur-Spiegel des Geſetzes ſtellet/ der
ihne mit ſeinem Fluch ins Hertz gebrennet/ da erkante er allererſt ſein Un-
recht/ und ſagt: peccavi, Jch habe geſuͤndiget. O HErꝛ/ deine
Pfeile ſtecken in mir/ und deine Hand drucket mich/ ich empfin-
de/ daß nichts geſundes in meinem Leibe fuͤr deinem Draͤuen/
und iſt kein Friede in meinen Gebeinen fuͤr meiner Suͤnde.
Meine Suͤnde gehen uͤber mein Haupt/ wie eine ſchwere Laſt
ſind ſie mir zu ſchwer worden. Meine Wunden ſtincken und
eytern/ ꝛc. ich gehe krum̃ und ſehr gebuckt/ den gantzen Tag
gehe ich traurig ꝛc. Pſalm. 38. Zahnweh iſt ein groſſes Wehe/ aber
das Gewiſſens-Wehe iſt noch daruͤber: Der Stachel der Suͤnden/ wann
er recht angehet/ iſt unertraͤglich. Schroͤcklich iſt es/ wann ein groſſes
Kriegs-Heer auff eine Stadt zuzeucht/ aber viel ſchroͤcklicher/ wann die
Suͤnden nach einander in der Schlacht-Ordnung auffziehen/ wie in
dem 50. Pſalm der Gottloſen Suͤnden nacheinander erzehlet werden.
Zehender Theil. LDas
[82]Die Zehende Predigt
Das Zahnwehe thut der aͤuſſerlichen Empfindlichkeit weher als ein lang-
wieriges Fieber/ und wird doch dieſes bey einem vernuͤnfftigen Mann
groͤſſer gehalten/ dann es gehet zum Tod. Alſo thut zeitlicher Schaden
ſchmertzlich wehe/ aber noch weher der innerliche Seelen-Schaden einem
zarten Buͤſſer. Schimpff/ Undanck/ abgegangene gute Freunde/ Jn-
jurien/ ungerechter Gewalt/ thun wehe/ aber die Suͤnde bey einem buͤſſen-
den Suͤnder vielmehr. II. In affectibus, 1. triſtitia, in ſeinen Affeeten:
Traurigkeit/ die auffrechte Erkantnuß folget; nicht die Tod-
wuͤrckende Traurigkeit der Welt/ dann er trauret nicht uͤber ſeinen
Seckel und Geld/ das er verloren/ nicht auß Ungedult uͤber GOttes
Straff/ weil er ſelber ſagt/ er habe alles wol und noch aͤrger verdienet; er
ſagt nicht wie Cain/ nun verſtoſſeſt du mich/ und treibeſt mich heute
auß dem Lande/ und ich muß mich fuͤr deinem Angeſicht ver-
bergen/ und muß unſtaͤt und fluͤchtig ſeyn auff Erden/ ſo wird
mirs gehen/ daß mich todt ſchlage/ wer mich findet/ Genel. 4.
Sondern iſt triſtitia, ϑεικὴ, die Goͤttliche Traurigkeit/ die eine
Reue wuͤrcket zur Seligkeit/ die niemand gereuet. 2. Corinth. 7.
entſtehet uͤber dem abſcheulichen Suͤnden-Greuel/ uͤber dem Verluſt des
hoͤchſten Gutes/ und der Furcht des erzoͤrnten GOttes; welche/ weil der
innerliche Troſt des H. Geiſtes ſich erzeiget/ der da wohnet bey denen/
ſo zuſchlagenes und demuͤthiges Geiſtes ſeind/ auff daß er den
Geiſt der Gedemuͤtigten/ und das Hertz der Zerſchlagenen er-
quicke/ Eſa. 57/ 15. und mit zuflieſſet/ ſo wuͤrckete ſie eine heilſame Reue
zur Seligkeit/ nicht eine Cains/ ſondern Thamar-Reu/ welche/ als ſie von
Ammon geſchwaͤcht worden/ Aſchen auff ihr Haupt geworffen/ ihren
bunten Rock zerriſſen/ ihre Hand auff das Haupt geleget/ daher gegangen
und geſchryen/ und in Abſalons ihres Bruders Hauß ledig geblieben/
das iſt/ nicht mehr wie eine Jungfrau im Krantz unter die Leute gegangen.
Es war bey ihm 2. Odium non ſolum actus, ſed \& effectus ein laute-
rer/ beſtaͤndiger/ unverſoͤhnleher und hefftiger Haß wider die
Suͤnde. Die Karten/ damit er geſpielet/ die Weiber/ damit er gebuh-
let; die Geſellſchafften/ mit denen er umgegangen; verſpeyet und verma-
ledeyet er in ſeinem Hertzen/ und ſagt gleichſam: O du unſelige Stund/
als ich da und da hingekommen/ als ich dieſe oder jene Gelegenheit gehabt/
mich alſo zu verſuͤndigen! 3. Timor, eine Furcht/ aber nicht eine knecht-
iſche ſondern abermal mit dem Glau[b]en verbundene Furcht/ er furchte ſich
fuͤr ſeinem Vater/ als fuͤr einem Vater/ nicht als fuͤr einem Hencker/ er
fleucht nicht wie Cain/ ſondern ſagt/ ich wil mich auffmachen/ auff Gnad
und
[83]Vom verlohrnen Sohn.
und Ungnad ergeben. 4. Pudor, eine Scham/ er ſpricht gleichſam:
Jch bin zu ſchanden worden/ und ſtehe ſchamroth/ Jer. 31, 19.
Jetzt muß ich leiden den Hohn meiner Jugend/ Num. 12, 14. mein
Vater hat mich ins Angeſicht geſpien/ ich muß mich fuͤr ihm
verkriechen und ſchaͤmen. Hæc eſt reſurrectio prima, das war bey
ihm die erſte Aufferſtehung/ auß dem Schlaff der Sicherheit zum
Fuͤrſatz des neuen Gehorſams/ und deſſen beſtaͤndige Ubung. Surgam,
ſprach er/ è peccato, ſurgam voto conſtanti, è peccati cloaca, è vinculis
conſuetudinis, è ſervitio \& compedibus, ex occaſionibus peccandi,
nun
wil ich mich verſprechen fuͤr Suͤnden zu huͤten/ boͤſe Gewonheiten ablegen/
und ſuͤndlicher Gelegenheit muͤſſig gehen/ das Aug/ Hand und Fuß/ das
mich hinfuͤro aͤrgern wird/ wil ich außreiſſen/ und von mir werffen/
Matth. 18.


III. In voluntate ſubjectio ad pœnam, er erbietet ſich freywil-
lig zur Straff/ und ſpricht: Jch bin nicht werth/ daß ich dein
Sohn heiſſe/ mache mich nur gleich einem deiner Tagloͤhner.
Luam in corpore, quod non habeo in ære, ich wil an meinem Leibe buͤſ-
ſen/ was ich mit Gelt nicht gut machen kan. Nim̃ mich nur wieder zu
Gnaden an/ und laß mich fuͤr deine Augen kommen/ ich wil gern buͤſſen/
und dein Tagloͤhner ſeyn/ Jch wil dir die Schuld mit der Haupt-
Summa verſuͤhnen/ und daruͤber das fuͤnffte Theil dazu thun/
nach GOttes Befehl. Num. 5, 7. Nam, cum res aliena (fama, pe-
cunia,) quæ reddi poteſt, non redditur, non agitur ſed fingitur pœui-
tentia,
ſpricht Auguſt. Wann eine fremde Sach/ die wiedergebig
iſt/ (als ein guter Nahm/ Gelt/) und aber nicht wieder gegeben
wird/ ſo iſt es keine rechte/ ſondern eine heuchleriſche Buße.
Kan mans aber nicht den Menſchen wieder geben/ ſo ſoll mans dem
Herrn geben/ nach dem Exempel Zachaͤi/ Luc. 19, 8.


IV. In Locomotiva, in denen Bewegungs-Kraͤfften/ haben
ſich auch erzeiget ſigna pœnitentiæ, die Zeichen der wahren Buße/
jejunium ſaccus, pulvis, Faſten/ ein Sack und Staub; daß er 1. ge-
dultig und willig gefaſtet/ er haltet ſich nicht werth anderer Speiſen/ als
der Traͤberen/ die er genoſſen/ er begehret keine niedliche Speiſen/ ſondern
nur das ſchwartze harte Tagloͤhner-Brod. 2. Humicubatio, daß er
ſich auff die Erden gelegt/ und die Augen nieder geſchlagen/ und ſich
nicht werh haltet/ den Himmel anzuſchauen. 3. Schlaͤgt er in ſich/ wie
es Lutherus gedolmetſchet/ an die Bruſt/ dabey uns Chriſtus zu bedencken
gibt das Kurren/ das lamentiren/ weheklagen/ aͤchtzen/ ſeufftzen und hand-
L ijringen;
[84]Die Zehende Predigt
ringen; ſonderlich aber die heiſſen Thraͤnen/ die ihm uͤber die Wangen
herab gefloſſen. Es ſeind zwar manchmal die groſſen Schmertzen ſtum̃/
und die Thraͤnen-Quellen verſtopfft/ man muß offt ſein Leyd in ſich freſſen/
die temperamen a ſeind unterſchiedlich; aber gewiß/ wer ſonſten leichtlich
zu bewegen/ der bewegt ſich da/ iſt anderſt die Buße recht. Wer ſeinen
zeitlichen Schaden beweinen kan/ und weinet nicht um die Suͤnde/ bey
dem ſcheinet die Buß nicht rechtſchaffen. Quid illis o[c]ulis formoſius,
ſchreibet Chryſoſt. hom. 30. in Geneſ. perpetuo lachrymorum imbre
\& quaſi margatitarum decore.
Was iſt ſchoͤner als die jenigen
Augen/ welche von unauff hoͤrlichen Thraͤnen Regen flieſſen/
und mit denen Troͤpfflein als mit Perlein gezieret?


Und das iſt/ M. L. die rechte Suͤnden-Reu/ ſo muß das Hertz zer-
knirſcht ſeyn. Soll ein metallin Gefaͤß/ das roſtig iſt/ wuͤſt/ alt und un-
formlich worden/ wieder huͤbſch werden/ ſo muß mans zerſchlagen/ zer-
brechen/ umſchmeltzen/ und in einen neuen Model gieſſen. Soll ein ar-
mer Suͤnder begnadet werden/ ſo muß er einen Fußfall thun; ſoll der
Wurm des Gewiſſens ruhen/ ſo muß man ihn fuͤhlen/ in die Wunden
ſcharffen Eſſig oder Wein gieſſen; ſoll man ſich zu Gott kehren/ ſo muß
man von der Welt und Suͤnden ſich abkehren. Alſo muß dann die
Buße geartet ſeyn/ ſoll ſie rechtſchaffen ſeyn/ nicht zwar meritoriè daß wir
etwas damit verdienen wolten/ ſondern iſt pars ordinis, ein Theil der
Ordnung/ alſo hat es Gott geordnet/ wann jemand zu ihm kommen
wil. Jſt demnach Contritio, die Reu anders nichts/ als eine ſolche von
dem H. Geiſt erweckte/ hertz-brechende und zuknirſchende Bewegung/ da
der Menſch in allen ſeinen Kraͤfften veraͤndert wird/ die Augen auffthut/
ſein Unrecht erkennet/ haſſet und laſſet/ alles zu GOttes Ehre/ damit ſein
geraubtes Gut wieder erſtattet/ er GOtt/ und der Menſch Staub und
Aſche bleibet.


Wo wollen wir aber ſolche Buß finden? der jenigen gibts wol viel/
die den Wurm des Gewiſſens mit Wein erſaͤuffen/ oder mit Wolluſt
daͤmpffen/ bey denen aber der kleine Wurm zu einem groſſen feurigen
Drachen wird. Fuͤr den Spiegel ſtellet man ſich wol/ ſtellet denſelben
hinden und vornen/ zu ſchauen wie der Pracht anſtehet; aber niemand
ſtehet fuͤr den Spiegel des Geſetzes/ man ſchauet wol/ aber niemand uͤbet
das παρακύψαι, und durchſchauen; ſo genau follen wir in den Spiegel
des Geſetzes ſchauen/ als fleiſſig die Maria ins Grab gegucket/ Joh.
20/ 11. hinden und fornen/ durch und durch/ alle Flecken und Runtzeln
beſchauen. Domitianus hatte in dem Palatio oder Gang/ da er
ſpatzier-
[85]Vom verlohrnen Sohn.
ſpatzierte/ allenthalben die Waͤnde mit dem Edelgeſtein ſphengite behaͤngt/
das er hinden und fornen alles ſehen/ und ihm niemand zukom̃en moͤchte.
Aber da hat bey uns der Phariſaiſinus allenthalben uͤberhand genommen/
daß niemand ſich recht beſchauet/ nur die groben Fehler und Balcken-
Suͤnden nim̃t man wahr/ die andern uͤberſiehet man/ und bildet ſich offt
viel ſchoͤner ein/ als der Spiegel præſentiret/ iſt man in foro ſoli, fuͤr dem
weltlichen Gericht abſolvirt/ wie Saul/ ſo laßt man ſich beduncken/ es
habe in foro poli, fuͤr GOttes Gericht auch keine Noth mehr. Und
wann man die Fehler ſchon ſiehet/ ſo ſchaͤmet man ſich doch derſelben nicht/
man empfindets nicht/ und erſchrickt nicht daruͤber/ gehet von ſtund an
davon/ und vergiſſet/ wie man geſtalt war/ niemand komt mit dem Buß-
Schwammen darhinder ſie abzuwiſchen. Man trauret wol/ aber um
das Zeitliche/ nicht um die Suͤnde: Mancher Menſch ſtecket in Schulden-
Laſt/ er aͤchtzet und kraͤchtzet/ ſeufftzet und klaget daruͤber; aber es iſt nur
eine Galgen-Buß/ geſchicht nicht um der Suͤnden willen. Was wollen
wir von den Joſephs-Bruͤder ſagen/ die ſich um den Schaden ihres Bru-
ders gar nichts bekuͤmmern? von den Herodianiſchen Taͤntzern/ die laſſen
Johannem im Blut liegen/ unterdeſſen ſpielen und jubiliren ſie? Wann
Gott irgend eine gute Zeitung hoͤren laͤßt/ dancken ſie ihm mit Suͤnden/
machens wie Pharao/ wann er Lufft kriegte; wie ein Wuͤrtshauß voller
trunckener Bauren/ welche zwar/ wann das Wetter einſchlaͤgt/ erſchrecken/
wann es aber fuͤruͤber/ fangen ſie es wieder an/ wo ſie es zuvor gelaſſen.
An ſtatt des Haſſes und der Scham/ uͤber die begangene Suͤnden/ an
ſtatt der Forcht ruͤhmet ſich noch mancher der Suͤnde ſeiner Jugend/ an
ſtatt der Traurigkeit lachet er daruͤber/ erzehlets andern/ und kuͤtzelt ſich
damit/ tanquam re benè geſtâ, als haͤtte er gar recht gethan. Die mei-
ſten fuͤhren zwar guten Fuͤrſatz auff der Zung/ aber machens wie Achab/
der bald darauff den Propheten Micham gefaͤnglich einſetzen/ und mit
Brod und Waſſer der Truͤbſal abſpeiſen laſſen; ſie beurlauben ihre alte
lang geuͤbte Suͤnden nicht/ ſondern herbergen ſie noch immer/ da iſt keine
Veraͤnderung/ bleiben fort und fort auff den alten Suͤnden-Hefen liegen.
Wer erſtattet dem/ dem er unrecht gethan? noch bleibet das unrecht Gut
in des Gottloſen Hauß/ und muß man manchem auff den Tod warten/
ſonſt bringt man nichts auß ſeinen Wolffs-Klauen herauß. Wo iſt
Faſten? vielmehr wuͤrgen/ Ochſen ſchlachten/ wie zur Zeit Noaͤ/ eitel
Feud und Wonne/ Fleiſch eſſen/ Wein trincken/ da heißt es: Laßt uns
eſſen und trincken/ dann Morgen ſeind wir doch todt/ und ha-
ben nichts mehr davon/ dann das: Wo gehet man im Sack? aber
L iijHoffart
[86]Die Zehende Predigt
Hoffart treiben kan jederman/ in den Leinwad-Laͤden und bey den Waͤſchen
ſiehet man es: Manche Maden-Saͤcke haben Saͤcke an/ die/ wann mans
zuſammen rechnet/ wol etlich hundert Gulden antreffen. Wo ſind die
Thraͤnen? Es iſt die heutige Welt aͤrger als die Juden/ die beweinen ihr
Vaterland Jaͤhrlich auff den Tag/ als Jeruſalem eingenommen worden.
Uſque ad præſentem diem, perfidi coloni, poſt interfectionem ſervo-
rum, \& ad extremum Filii DEI, excepto planctu prohibentur ingredi
Hieruſalem; \& ut ruinam ſuæ eis flere liceat civitatis, precio redimunt;
ut qui quondam emerant ſanguinem Chriſti, emant lachrymas ſuas.
Et ne fletus quidem eis gratuitus ſit; videas in die, quo capta eſt à Ro-
manis, \& diruta Hieruſalem venire populum lugubrem; conflnere
decrepitas mulierculas, \& ſenes pannis anniſque obſitos, in corporibus
\& in habitu ſuo, iram domini demonſtrantes, \&c.
Das iſt: Die un-
treuen Reebleute/ nach dem ſie die Knechte (GOttes/) und
endlich gar ſeinen Sohn ermordet/ doͤrffen biß auff den heutig-
en Tag in Jeruſalem nicht kommen/ als mit Thraͤnen; und
muͤſſens mit Gelt bezahlen/ daß ſie den Untergang ihrer Stadt/
und Steinhauffen beweinen moͤgen; Alſo daß ſie auch die
Thraͤnen nicht umſonſt haben; Man ſiehet auff den Tag/ da
Jeruſalem von den Roͤmern iſt eingenommen und verſtohret
worden/ wie das betruͤbte Volck daher kommet/ die alten Wei-
ber herzu ſchneyen/ die von ſchlechter Kleidung und Jahren
verſchimmelte alten Greiſe herzu kriechen/ und auch mit ihren
Leibern und Kleidern von GOttes Zorn predigen: das elende
Volck komt zu Hauff/ und nach dem das Creutz des HErꝛn
von ſeiner Aufferſtehung ſchimmert und ſtrahlet/ und als ein
Sieges-Faͤhnlein auff dem Oelberg glaͤntzet/ beweinen die
elenden Leute den Untergang ihrer Stadt/ und iſt niemand der
Mitleiden mit ihnen hat; Wann die Thraͤnen noch auff de-
nen Wangen ſtehen/ und die Arme noch voller Streich-Maͤ-
ler/ und das Haar noch zerſtreuet/ iſt ſchon der Soldat da/ und
fordert Geld/ daß ſie nur mehr weinen doͤrffen. So ſchreibet
Hieronym. uͤber das Erſte Cap. Sophoniæ.


Nun unſer Vaterland ligt in der Aſchen/ wo iſt ein Jeremias/ der
Thraͤnen vergießt? Der Thraͤnen-Brunn iſt allenthalben verſtopfft/ nie-
mand iſt/ der es ihme zu Hertzen gehen laͤßt: Solte der verlohrne Sohn
ſich alſo erzeigt haben/ er wuͤrde nimmer keine Gnad haben zu hoffen ge-
habt; ſolte er fuͤr ſeinen Vater gekommen ſeyn mit Spielleuten/ und ge-
tantzet
[87]Vom verlohrnen Sohn.
tantzet haben/ wuͤrde er wol Gnade erlanget haben? ja einen Strick an den
Hals. Nun man ſagts genug/ wer ihme nicht wil rathen laſſen/ der
mag den Werth daran nehmen/ es wird eine μετάνοια folgen ſine miſeri-
cordia,
eine Reu ohne Barmhertzigkeit/ die Nachwitz wird als dann
zu ſpat ſeyn. Nun der hohe und erhabene GOtt/ der ewiglich
wohnet/ deſſen Name heilig iſt/ der in der Hoͤhe und Heiligthum
wohnet/ und bey denen/ ſo zuſchlagenes und demuͤtiges Geiſtes
ſind: Gott der H. Geiſt wolle unſere eiß-kalte Hertzen anhauchen/
daß ſie zerſchmeltzen/ und anwehen die Berge/ daß es thaue. Chriſtus
wolle uns anſchauen/ daß wir mit Petro bitterlich weinen/ und mit Au-
guſtino
beten: Domine da mihi irriguum ſuperius \& irriguum infe-
rius, ut ſint mihi lacrymæ meæ panes die ac nocte,
HErꝛ gib mir
ein waͤſſeriges Unten und Oben/ daß meine Thraͤnen ſeyen
meine Speiſe Tag und Nacht. Daß wir hie mit Thraͤnen ſaͤen/
und dort mit Freuden ernden/ auff das Ejulate das himmliſche Jubilate,
auff das Kyrie eleiſon das himmliſche Alleluja anſtimmen moͤgen.
Amen.



Die Eilffte Predigt/
Von der Beicht des verlohrnen Sohns.


GEliebte im HErꝛn. Ein klares Exempel menſchlicher
Unart und Vergleiſterung des Boͤſen ſtellet uns Moſes
der uhralte Hiſtoricus fuͤr Augen/ Gen. 37. da er meldet/
welcher maſſen die treuloſe und leichtfertige Bruͤder Jo-
ſephs- nach dem ſie denſelben den Midianitern um 20. Sil-
berling verkaufft/ ihre Boßheit vor ihrem Vater bemaͤn-
telt; ſie nahmen/ berichtet Moſes/ Joſephs Rock/ und tunckten ihn
in eines geſchlachteten Ziegenbocks Blut/ ſchickten den bunten
Rock hin/ und lieſſen ihn ihrem Vater bringen/ und ſagen: die-
ſen haben wir funden/ ſiehe/ obs deines Sohns Rock ſey oder
nicht?


Hierauß erſcheinet 1. Conſcientiæ morſus, ihr beiſſendes boͤſes
Gewiſſen/ das verwundet war. Dann warum bringen ſie den Rock
nicht ſelbs? warum ſchicken ſie ihn durch fremde Haͤnd? Es war ihnen
nicht
[88]Die Eilffte Predigt
nicht geheur bey der Sach/ ſie hatten ein boͤſes verwundetes Gewiſſen/ ſie
gedachten/ wie wollen wirs verantworten bey unſerm Vater/ daß wir Jo-
ſeph nicht mitbringen? Machen es eben/ wie unſere erſte Eltern/ die ſich/
nachdem ſie ſich verſuͤndiget/ ihr Gewiſſen verwundet/ und die Stimme
GOttes des Herrn gehoͤret/ fuͤr dem Angeſicht GOttes des Herrn
unter die Baͤume im Garten verſtecket/ und durfften Gott nicht unter
die Augen kommen. 2. Cura palliativa, die Vermaͤntelung; ſie
ſchlachten einen Ziegenbock/ duncken den Rock Joſeps ins Blut/ und wie
Joſephus bezeuget/ ſo zerreiſſen ſie ihn/ auff daß der Vater deſto eher glaub-
en moͤchte/ es waͤre Joſeph von einem wilden Thier zerriſſen worden. Wie
er dann alsbald außgeruffen: es iſt meines Sohnes Rock/ ein boͤſes
Thier hat ihn gefreſſen/ ein reiſſend Thier hat Joſeph zuriſſen.
Das war wol cura palliativa, ein liſtige Bemaͤntelung/ dem alten guten
Vater machen ſie unaußſprechlich Hertzenleyd/ laſſen ihn uͤber die 22. Jahr
auff dem falſchen Wahn/ martern ihn/ hoͤren ihn offt ſeufftzen/ nicht aber
nur ihn/ ſondern auch ihren Großvater Jſaac/ daß er ſich (illud decus
mundi)
daruͤber zu todt weinen mußte. Sie verkleiben ihm die Augen/
und gedencken nicht einmal an GOttes allſehendes/ Hertzen-forſchendes
Aug. Jſt je und allezeit der Menſchen Art/ (vielmehr Unart) geweſen/
da ſie ſich vor der Welt ihrer Gebrechen geſchaͤmet/ und nicht wollen zu
Schanden werden/ und offt viel Eyd uͤbereinander geſchworen/ aber nicht
einmal an das ſtrenge Gericht GOttes gedacht. Dazu dann 3. geſchla-
gen/ cauteriatio, daß ſie auff die 22. Jahr ohne Buß/ ohne Erkanntnuß/
ohne Gnad/ ohne geiſtliche Ubung geweßt/ gantz entſchmertzet: waͤren auch
gewißlich darinnen verdorben/ wo nicht endlich der Gewiſſens-Wurm in
ihnen auffgewacht/ und die Straff ihnen die Augen geoͤffnet/ ſo uͤber dieſe
Suͤnde beſchloſſen geweßt/ Gen. 42. daß ſie ſich ſelber angeklagt: das ha-
ben wir an unſerm Bruder verſchuldet/ da wir ſahen die Angſt
ſeiner Seelen/ da er uns flehet/ und wir wolten ihn nicht erhoͤ-
ren/ darum komt nun dieſe Truͤbſal uͤber uns. Nun die Bruͤder
Joſephs haben dieſe Unweiſe nicht geſtohlen/ ſondern ererbt von unſern
erſten Eltern/ wie auch David/ der es eben alſo gemacht. Dann da er
vernommen/ daß Bathſeba von ihm ſchwanger worden/ ſo ſchicket er nach
Uria ins Lager/ der ſolte kommen/ und das Ey außbruͤtlen. Machet ihn
truncken/ und vermeinet/ er ſolte nun heim gehen/ bey ſeinem Weibe
ſchlaffen/ und der Liebe pflegen. Da aber der Poß nicht wolte angehen/
laͤßt er ihn an die Spitze des ſtuͤrmenden Heers ſtellen/ daß er umkaͤme.
Alles zu dem Ende/ daß David unſchuldig gehalten/ und das Kind/
ſo
[89]Vom verlohrnen Sohn.
ſo Bathſeba gebaͤhren wuͤrde/ fuͤr Uriæ Kind erkennet werden ſolte.


So macht es der verlohrne Sohn nit/ ſondern ſo bald ſich das Gewiſſen
in ihm gereget/ ſo ergreiffet er die rechte edelſte Medicin/ verhaͤrtet ſein
Hertz nicht/ ſagt/ er wolle das Scham-Huͤtlein ablegen/ der Untugend kei-
ne tinctur anziehen/ ſeinem Hertzen recht raumen/ und ſeinem Vater kein
Aug verkleiben/ ſondern frey und rund bekennen; er habe geſuͤndiget
im Himmel und fuͤr ihm/ ach mache mich nur gleich einem dei-
ner Tagloͤhner. Zwar hat er die letztere Wort nicht außgeſprochen/ iſt
aber Zweiffels frey daher geſchehen/ dieweil ihm der Vater in die Rede
gefallen/ und ihn nicht hat außreden laſſen. Nun wir haben biß dato in der
Schul des verlohrnen Sohns viel ſchoͤne lectiones ſtudirt und gelernet/
anjetzo wollen wir demſelben die edle Beicht-Kunſt ablernen/ und an-
zeigen/ wie man beichten muß/ daß es auch Gott gefaͤllig. GOtt der
H. Geiſt erwecke auffmerckſame Ohren und Hertzen/ daß viel dadurch auff-
gemuntert und zum ewigen Leben erhalten werden/ Amen.


SO haben wir/ Geliebte im Herrn/ zu betrachten I. Confeſſio-
nem,
die Beicht an ſich ſelbs/ wann der verlohrne Sohn ſpricht:
Vater/ ich habe geſuͤndiget im Himmel und fuͤr dir/ ꝛc.
Er theilet ſeinen Suͤnden-Catalogum und Suͤnden-Regiſter ab nach den
zwo Taffeln des Geſetzes/ in peccata cœli, in Himmel-Suͤnden/ ich habe
geſuͤndiget in Himmel. Himmel heißt hier ſoviel als GOtt ſelbs/
wie dann das Hebraͤiſche Wort Schamajim, cœli, von GOtt gebraucht
wird/ Dan. 4, 23. Wann du erkennet haſt die Gewalt im Himmel;
Matth. 21, 25. Woher war die Tauffe Johannis? war ſie vom
Himmel/ oder von den Menſchen. Daher die Juden Cœlicolæ,
Himmels-Buͤrger/ Einwohner des Himmels genennet worden. Das
ſeind nun die Suͤnden wider das erſte Gebott/ als wolt er ſagen/ ich habe
GOtt im Himmel nicht geehret/ und gelebet als ein ἄθεος, ohne Gott/
wie ein Schwein; Undanckbar fuͤr ſeine Goͤttliche Wolthaten/ ich habe
nicht ihm/ ſondern auff meinen Seckel und geſunde Jugend getrauet/ ſei-
ne Gaben verſchwendet/ verdoppelt/ verſpielt und verzehrt: ich hab ihn nicht
gefoͤrchtet noch geliebet/ was er mir verbotten/ das hab ich gethan/ und ſeine
Gebott verachtet; ich habe gelebet ἀθέως, ἐθνικῶς, ἀσεϐῶς, ἀδίκως, und ἀσώτως,
Gottloß/ Heydniſch/ frech/ unzuͤchtig/ ungerecht und unheilig/ beſttaliſch/
als ein Pfau in Hoffart/ als ein Schwein in Saͤufferey/ als ein Hund
in Unzucht; Karten waren mein Bett-Buch/ fluchen/ ſchweren mein Ge-
wonheit/ Wuͤrths-Spiel- und Tantzhauß meine Kirchen/ Summa:
Zehender Theil. Mperditè
[90]Die Eilffte Predigt
Perditè vixi, ich habe uͤbel gnug gelebet/ und kunte es nicht aͤrger ma-
chen. Hernach in peccata patris, ἐνώϖιόν σου ſpricht er und fuͤr dir/ fuͤr
deinen Augen; wider die andere Taffel/ ohne Scheu/ ohne Forcht/ ich
habe dir das patrimonium herauß gepocht/ und mich unterſtanden dich bey
lebendigem Leib zu erben/ habe deinen ſauren Schweiß mit Huren ver-
praßt/ manch ſchoͤnes Geld/ das du auffgehoben/ durchgejagt/ ich bin/ mit
einem Wort/ ein boͤſer Bub geweßt/ da ligt der gantze Plunder fuͤr deinen
Augen. Alſo ſpeyet er eben alles herauß/ wie der jenige/ der etwa eine giff-
tige/ unreine/ und ſonſt ungeſunde Speiße zu ſich genommen/ keine Ruh
hat/ biß ers alles herauß gewurgt.


II. Haben wir zu mercken Confeſſionis modum, die Art zu beich-
ten: Er berichtet 1. ingenuè, redlich/ teutſch herauß/ laͤugnet nichts/ be-
ſchoͤnet ſeinen Suͤnden-Greuel nicht/ verringert oder vergleiſtert nichts/
viel weniger legt er die Schuld auff andere. 2. Plenè, er ſchuͤttet ſein gan-
tzes Hertz auß/ wie einer/ der Gifft zu ſich genommen/ alles von ſich geben
muß/ biß daß der gantze Plunder da vor Augen ligt. 3. παῤῥησιαςικῶς,
freymuͤndig/ und ungeſcheut; er ſagt/ Vater/ beichtets nicht dem
Scharffrichter an der Tortur oder Folter/ in der Schwaͤtz-Schul/ da man
auch beichtet/ aber je mehr man beichtet/ je ſchwerere Straffe man zu ge-
warten hat; Sondern gantz vertraulich/ ohne Zwang/ ſeinem Vater/ je
mehr er da beichtete/ je mehrere und groͤſſere Gnad er erlangte. Sonderlich
aber 4. humiliter, gantz demuͤtig/ dann ohne die Demuth iſt die Beicht
keine confeſſio und Bekantnuß/ ſondern profeſſio mali, ein offentlicher
Ruhm der Suͤnden. Er ſpricht: Jch bin forthin nicht mehr werth/
daß ich dein Sohn heiſſe; halte mich werth der Enterbung/ ich habe
das Erb-Recht verlohren. Auſſer zweiffel haͤtte er fortgefahren/ und ſich
als einen Tagloͤhner angegeben/ wann ihm der Vater nicht in die Rede
gefallen waͤre/ wie auch der Keyſer Mauritius gethan und geſagt: Juſtus
es Domine, \&c.
HErꝛ du biſt gerecht/ und alle deine Gerichte ſind
recht. 5. Apertè, er hat ſeine Bekantnuß offentlich/ gleich wie er zu-
vor ενώϖιον του῀ πατρὸς, vor dem Vater gefrevelt/ ſo beichtete er ihm anjetzo
unter dem freyen Himmel/ wie es dann auch offentlich auffgezeichnet wor-
den/ daß wir es ihm alle nachthun ſollen. Gleich wie auch David gethan/
der ſeine Suͤnde offentlich ſingen laſſen/ und dem Vorſaͤnger zu ſingen
uͤbergeben/ Pſ. 51. Jch erkenne meine Miſſethat/ an dir allein hab
ich geſuͤndiget/ und uͤbels fuͤr dir gethan. Paulus 1 Tim. 1. nennet
ſich den groͤſten Suͤnder/ ſchreyet ſich offentlich auß/ er ſeye der fuͤrnem-
ſte unter allen Suͤndern/ aber mir/ ſpricht er/ iſt Barmhertzigkeit
wieder-
[91]Vom verlohrnen Sohn.
wiederfahren/ auff daß an mir fuͤrnemlich JEſus Chriſtus er-
zeigete alle Gedult/ zum Exempel denen/ die an Jhne gkauben
ſollen zum ewigen Leben. Er machet es/ wie einer der Zahnweh hat/
dann der meynet/ ſein Schmertz ſeye der groͤſte/ weil er ihn auß der Erfah-
rung hat/ andern aber nur glaubet auß ihren Worten. Auguſtinus hat
13. Buͤcher von ſeinen eygenen Suͤnden geſchrieben/ und in denſelben ge-
beichtet peccata infantiæ, inhiabam uberibus plorans, l. 7. die Suͤn-
den ſeiner unmuͤndigen Kindheit/ wie er auß Boßheit gewei-
net/ wann er ſeiner Mutter Bruͤſte geſogen; peccata pueritiæ, da
er ein wenig aͤlter worden/ wie er ungern in der Schule gelernet/ lieber ge-
ſpielt und gedockt/ ſonderlich aber die Griechiſche Sprache nicht lernen
wollen/ ſeye lieber mit politiſchen Fabeln umgegangen/ habe ſich mehr ge-
ſchaͤmet uͤber einen ſolœciſmum linguæ, einen Sprach- fehler/ als vitæ,
Lebens fehler/ wann er nicht ſchoͤn geredet/ als wanner nicht ſchoͤn gelebet.
In adoleſcentia, in ſeinen Juͤnglings-Jahren habe Fleiſch und Blut und
die unziemlichen Begierden mit ihm den Meiſter geſpielet; er wolte nicht
zu frieden ſeyn/ daß er ein Vater waͤre/ er ſahe mehr darauff/ wie er beredt
als keuſch und zuͤchtig waͤre. Seinem Nachbarn hat er die Birn abge-
macht/ und ſagt/ er habe geſtohlen/ gar nicht auß Armut/ ſondern nur/
weil ich nicht gern ſahe/ daß es recht ſolte hergehen/ und mich die boͤſe Luſt
kuͤtzelte; wann ich nun daran gedencke/ ſchaͤme ich mich von Hertzen/ an-
derſt/ als mancher/ der die Suͤnde ſeiner Jugend noch ruͤhmet. Jn ſeinem
mannlichen Alter eckelte ihm vor der Heiligen Schrifft/ er achtete ſie nicht
werth/ daß er ſie mit des Ciceronis Wohlredenheit vergleichen ſolte; Er
bekennet l. 6. c. 15. daß er eine Concubin und unehlichen Sohn gehabt/
non amator conjugii, ſed libidinis ſervus eram, ich war kein Lieb ha-
ber des ehelichen Standes/ ſondern ein Sclav meiner ſchaͤnd-
lichen Luͤſten. Wo ich nun dieſes nicht bekennen wolte/ ſo verbirgte ich
dich vor mir/ und nicht mich vor dir. l. 10. c. 2.


Wir lernen hiebey 1. Confeſſionis neceſſitatem, die Nothwendig-
keit der rechten wahren Beicht/ vor dem/ welchen wir mit unſern
Suͤnden beleidiget/ ſie ſtehet gar nicht in unſerer freyen Willkur. Und
zwar 1. Confeſſionis coram DEO abſolutè, daß wirs vor Gott ſchlechter
dings/ ohne Bedingung oder geſuchte Durchſchleiffe bekennen/ ſo wills
Gott haben/ und wills alſo haben. Num. 5, 7. Er hat Gnade verheiſſen
denen/ die es alſo thun/ 1. Joh. 1, 9. So wir ſagen/ wir haben keine
Suͤnde/ ſo verfuͤhren wir uns ſelbſt/ und die Warheit iſt nicht
in uns. So wir aber unſere Suͤnde bekennen/ ſo iſt GOtt treu
M ijund
[92]Die Eilffte Predigt
und gerecht/ daß Er uns die Suͤnde vergibt/ und reiniget uns
von aller Untugend. Es ſtehet auch groſſe Gefahr darauff allen/ die
es unterlaſſen/ Pſalm. 32., 5. wie es David erfahren/ darum ſaget er:
Da ichs wolte verſchweigen/ verſchmachten mir meine Ge-
beine. Und da ſollen abgelegt werden ſonderlich die bekandte und ſchwe-
re Suͤnden/ wie die Jſraeliten darinnen vorgegangen/ und zu Samuel ge-
ſprochen: Bitte fuͤr deine Knechte den HErꝛn deinen GOtt/
daß wir nicht ſterben. Dann uͤber alle unſere Suͤnde haben
wir auch das Ubel gethan/ daß wir uns einen Koͤnig gebetten
haben/ 1. Sam. 12, 19. Und damit niemand einwende/ Gott wiſſe vor-
hin alles wohl/ ſo gibt darauff Auguſtinus die Antwort l. 11. conf. 1. Num-
quid Domine, cum tua ſit æternitas, ignoras, quæ tibi dico, aut ante tem-
pus vides, quod fit in tempore? cur ego tot tibi narrationes digero? \&c.

Wie/ mein HErꝛ und GOtt/ weil du ewig biſt/ wuſteſtu nicht/
was ich dir ſage: oder ſieheſtu nicht vor der Zeit/ was geſchicht
in der Zeit? Warum hab ich dir ſo viel zu erzehlen? 2. Coram
proximo,
vor dem Naͤchſten/ den wir beleidiget/ und zwar zu allerforderſt
vor der Kirchen/ als unſerer Mutter/ die man geaͤrgert/ welches eigentlich
die Kirchen-Buß heiſſet/ Matth. 18. wie Achan/ Joſ. 7. Die Suͤnderin/
Luc. 7. der unzuͤchtige Blut-Schaͤnder/ 1. Cor. 5, 5. 2. Cor. 2, 6, 7. ſolche
Buße thun muͤſſen. Dahin auch zu ziehen confeſſio juſta \& politica, die
politiſche Beicht/ davon Jac. 5, 16. Bekenne einer dem andern ſeine
Suͤnde/ Matth. 5, 23. Wann du deine Gabe auff den Altar
opfferſt/ und wirſt allda eingedenck/ daß dein Bruder etwas
wider dich/ oder du wider ihn/ ſo laß allda fuͤr dem Altar deine
Gabe/ und gehe zuvor hin/ und verſoͤhne dich mit deinem Bru-
der. Was/ ſprichſtu/ iſt aber von der Beicht/ die man vor dem Kirchendie-
ner/ als ſeinem Beicht-Vater/ inſonderheit und in geheim ableget/ zuhaltẽ?
Antwort: Da muß man zwiſchen zweyen extremis durchſeglen/ daß man
theils nicht zu hart darauff treibe/ und ſie den Gewiſſen als ſchlechter dings
nothwendig aufftringe, theils aber ſie nicht mit Calvino gar verwerffe/
und das Kind ſampt dem Bad außſchuͤtte/ welcher defenſ. 2. contra
Weſtphal.
ſagt: ſie ſeye von dem Teuffel auß den ſtinckenden
Pfuͤtzen des Roͤmiſchen Anti Chriſts in die Kirch eingefuͤhret
worden. Nicht ſo ſtreng und blind-eyfferig/ Calvine, moͤgen wir wohl
ſagen; dann iſt dieſe privat-Beicht/ wie wir ſelbſt geſtehen/ eben nicht bloß
von noͤhten/ weil davon kein eigentlicher und deutlicher Befehl außtruck-
entlich geſetzt worden; doch gleichwol/ weil wir die Exempel in der Schrifft
2. Sam.
[93]Vom verlohrnen Sohn.
2. Sam. 12, 13. Matth. 3, 6. und der alten Chriſtlichen Kirchen haben/
und weil ſie zu mehrerem Troſt der forchtſamen Gewiſſen und mehrerem
Unterricht dienet/ ſo ſoll mans nicht unterwegen laſſen/ wo ſie kan auffkom-
men. Zu dem End/ ſchreibet B. Rhenanus uͤber Tertull. de pœnit. ſeye
vor zeiten die Beicht auffkommen/ ubi horulæ ſpatio plus proficit laicus,
quàm triduana, \&c.
weil da in einer Stund ein gemeiner Lay
mehr außrichten und erbauet werden kan/ als ſonſten in drey-
en Tagen Daher die Augſpurgiſche Confeſſion artic. 11. ſagt: von
der Beicht wird alſo gelehret/ daß man in der Kirchen privatam
abſolutionem
erhalten/ und nicht fallen laſſen ſoll/ wiewol in
der Beicht nicht noth iſt alle Miſſethat und Suͤnden zu erzeh-
len/ dieweil doch ſolches nicht muͤglich. Pſ. 19. Wer kennet die
Miſſethat? Und in den Schmalkaldiſchen Articulen: Die Beicht
ſoll nimmer abgeſchaffet werden wegen der zarten und ſchwa-
chen Gewiſſen/ und wegen der Jugend/ damit ſie in der Chriſt-
lichen Lehre unterrichtet werde. Darum auch dieſelbe auß Chriſt-
licher Freyheit behalten wird/ und ſollen die Diener des Worts treulich
gewarnet ſeyn/ in ſolchen Faͤllen reinen Mund zuhalten; nicht zwar wie im
Pabſtthum/ da ohne einige exception alles verſchwiegen wird/ auch die
Verraͤhterey ſub ſigillo Confeſſionis, außgenommen/ wann man etwas
wider den Papſt fuͤr hat; Sondern wann offentliche Gefahr darauff ſtuͤn-
de/ als da iſt Verraͤtherey/ Mord-Brand/ Brunnen-Vergifftung/ ſo mag
man die Sache wol offenbaren/ aber die Perſon unvermeldet laſſen; ſonſt
heiſſet es/ ich hab es nicht gehoͤret/ er hat es Chriſto gebeichtet/ es iſt ein de-
poſitum Divinum,
eine Goͤttliche Beylag; wil es GOtt offenbahren/ ſo
werdenſich ſchon Mittel finden. Der Kirchendiener ſitzet da an Chriſtus
ſtatt/ nicht aber an ſtatt der Obrigkeit/ als ein Blutſchreiber. So ſtehet
es auch einem jeden frey/ ſeine Suͤnde vertraulich zu beichten oder nicht/
ſonderlich die ihm anliegen zu eroͤffnen.


2. Sehen wir auch hierauß Confeſſionis auricularis abſurditatem,
wie ungereimt die Ohren-Beicht ſeye. Der verlohrne Sohn erzehlet nicht
alle Suͤnden in particulari, ein jede abſonderlich/ ſondern bleibet bey der ge-
neralit
aͤt/ und beichtet alle ſeine Suͤnde ins gemein. Jſt zu mercken wi-
der das Paͤpſtiſche Beicht-Weh/ da alle Suͤnden muͤſſen bekant werden/
alles/ deſſen man ſich erinnern mag/ alle Tod-Suͤnde mit allen ihren Um-
ſtaͤnden der Zeit/ des Orts/ wie/ womit/ ꝛc. ſie halten gar Regiſter druͤber/
damit ihnen nichts außfalle/ ja die allerheiligſten beichten auch ihre Gedan-
M iijcken/
[94]Die Eilffte Predigt
cken/ und laſſen ſich bereden/ die ungebeichte Suͤnden werden nicht verziehẽ.
Jſt aber 1. ἀγραφος, eine Schrifft-Loſe Lehr/ die mit keinem einigen
bewaͤhrten Zeugnuß mag bewieſen werden. 2. Impoſſibilis, unmuͤglich
zu halten/ dann entweder kan man alle und jede/ oder aber nur etliche Suͤn-
den erzehlen und beichten: Jenes iſt unmuͤglich/ laut des 19. Pſ. wer kan
mercken/ conſequenter beichten/ erzehlen/ wie offt er fehlet?E.
muß dieſes wahr ſeyn. Nun fraget ſichs weiter: Entweder werden die
nicht bekandte und nicht gebeichtete Suͤnden vergeben oder nicht vergeben?
Werden ſie vergeben/ wann ſie ſchon nicht erzehlet worden/ ey warum nit
auch andere/ die man weiß/ ob man ſie ſchon nicht beichtet? Werden ſie aber
nicht vergeben/ ſo iſt und bleibet ſolche Beicht eine carnificina, ein Zweif-
fels-Strick/ damit die Menſchen in Verzweifflung und folgens in die ewi-
ge Verdamnuß gezogen werden. 3. Jſt ſie nova in primitiva Eccleſia da-
mnata,
eine in der erſten Chriſtlichen Kirchen ſchon verdammte/
jetzt aber wieder erneuerte Lehre. Nectarius, Biſchoff zu Conſtantinopel/
hat dergleichen Beicht wegen einer mit einer edlen Frauen von einem Ca-
plan in der Kirchen begangenen Unzucht abgeſchafft/ und hat es ſein Suc-
ceſſor Chryſoſtomus
gebilliget; ſolus te DEUS confitentem videat, DE-
US, qui non exprobrat peccata tua, ſed ſolvit peccata propter confuſio-
nem,
das iſt: Beichte allein GOtt/ GOtt/ der keinem ſeine
Suͤnden vorwirfft/ ſondern ſie erlaſſet um der Schande wil-
len. Dabey laſſen wir es auch bleiben/ und dancken Gott/ der uns von
ſolcher Gewiſſens-Tortur erloͤſet hat.


3. Sehen wir auch hierauß Confeſſionis ingenuæ, plenæ, parriſia-
ſticæ humilis \& apertæ fructuoſitatem,
den Nutzen einer auffrichti-
gen/ voͤlligen/ freudigen/ demuͤhtigen und offentlichen Beicht.
Gleich wie der Vater des verlohrnen Sohns ſeinem Sohn mit dem oſculo
Kuß/ und alſo mit der Abſolution vorgekommen/ und denſelben nicht auß-
reden laſſen/ votum confeſſionis erat inſtar confeſſionis, der gute Will
und Vorhaben zu beichten/ war ſo viel als die Beicht ſelbſt.
Daß er geſagt/ er wolle zum Vater gehen/ das war ihm genug: So ſollen
wir uns auch unſern himmliſchen Vater einbilden/ ehe dann wir ruf-
fen/ will Er uns hoͤren/ und ehe wir zu ihm ſchreyen/ will Er
uns antworten.


‘Im Geiſtlichen Rechten findet ſich ein ſchoͤner locus cauſ. 33. q. 3. de pœnit. diſt. 3.
Omnis qui \&c. Non ergò in confeſſione peccatum remittitur, ſed iam re-
miſſum eſſe probatur. Fit itaque confeſſio ad oſtenſionem pœnitentiæ,
non ad impetrationem gratiæ \& veniæ. Et ſicut circumciſiodata Abrahæ
in ſignum
[95]Vom verlohrnen Sohn.
in ſignum Iuſtitiæ, non in cauſam juſtificationis: ita confeſſio Sacerdoti
offertur in ſignum veniæ acceptæ, non in cauſam temiſſionis accipiendæ.
()

Laſſet uns unſere Suͤnden recht erkennen/ und fuͤr Gott unſer
Hertz außſchuͤtten/ ſo wird uns Gnade wiederfahren. Was iſt wohl die Ur-
ſach ſo vieler ſchuͤchtern/ erſchrockenen und zaghafften Gemuͤhter/ als
vielleicht eben dieſe/ weil niemand nicht einmahl redlich beichtet/ und ſeine
Suͤnde auffrichtig bekennet. Es gibt Prediger/ die mehr auff ihr und der
Zuhoͤrer Meel als ihr Seel ſehen; Obrigkeiten/ die den Eigen-Nutz mehr/
als die gemeine Wohlfahrt bedencken. Wer iſt unter uns allen/ der ſagen
kan/ er habe GOtt jemahlen gebeichtet/ wie Daniel c. 9. Ja HErꝛ/
wir/ unſere Koͤnige/ unſere Fuͤrſten und unſere Vater muͤſſen
uns ſchaͤmen/ daß wir uns an dir verſuͤndiget haben. Sondern
wir machens alle/ wie der ungerechte Haußhalter/ und ſchreiben gern fuͤr
100. Pfund 50. an/ wir reden uns auß/ und verglimpffens ſo gut wir
koͤnnen/ oder troͤſten uns mit andern Exempeln. Wann man je einmahl
recht beichtete/ ſo doͤrffte Gott nicht ſolche ſchroͤckliche Torturen gebrauch-
en. Sum̃a: Si tu ipſe fueris accuſator, \& DEUS liberator, quid erit
diabolus niſi calumniator?
ſagt Auguſtin. ſerm. 48. das iſt: Wann
du dich ſelber als einen Suͤnder darſtelleſt/ und dich GOtt von
der Suͤnd erloͤſet/ was wird der Teuffel alsdann ſeyn als ein
Verleumder? Nun wolan/ der Allerhoͤchſte regiere unſere Hertzen/
und oͤffne uns unſern Mund/ daß wir uns nicht ſcheuen noch ſchaͤmen/
unſere Suͤnde zu beichten und zu bekennen/ ſo wird es recht heiſſen:


Der Menſch fuͤr GOtt wohl ſelig iſt/

Dem die Suͤnd iſt vergeben/

Auß lauter Gnad durch JEſum Chriſt/

Der uns erwarb das Leben/

Deckt zu all unſer Miſſethat/

Zahlt/ was er nicht verſchuldet hat

Durch ſein Blut/ Tod und Wunden/ ꝛc.

AMEN.


Die
[96]Die Zwoͤlffte Predigt

Die Zwoͤlffte Predigt.
Von dem Gnaden-Thron JESU
Chriſto.


GEliebte in Chriſto. Drey unterſchiedliche appellatio-
nen und Gnaden-Throͤne hat der Aberglaub im Papſtthum̃
erfunden/ dabey man in Noͤthen Huͤlff/ Ablaß und Verge-
bung der Suͤnden hoffet zu erlangen. Der 1. iſt Thronus
Matris Miſericordiatum,
der Marien-Thron/ den ſie
als das ultimum appellationis forum als das allerletzte
und beſte Mittel ihren Leuten anbefehlen; ſonderlich Jacobus de Vo-
ragine Archiepiſcopus Januenſis
ſchreibet: ad Mariam ab omni grava-
mine appellandum eſſe, tanquam ad Dominam \& Auguſtam, ſive
quis gravetur ab ipſo DEO \& à juſtitia;
Man muͤſſe in allen Truͤb-
ſalen an Mariam appelliren/ ſolte auch gleich ein Menſch von
GOtt ſelbs und ſeiner Gerechtigkeit heimgeſucht werden. Das
heiſſet ja viel anders gelehret/ als Chriſtus der HErr uns vorgelegt/
welcher Matth. 11. ſagt: Kommt her zu MJR/ alle die ihr
muͤhſelig und beladen ſeyd/ JCH will euch erquicken. Anders/
als der H. Apoſtel Paulus ſich vernehmen laſſen/ Hebr. 4, 16. Wir
haben nicht einen ſolchen Hohenprieſter/ der nicht koͤnte Mit-
leiden haben mit unſerer Schwachheit/ ſondern der verſucht
iſt allenthalben/ gleich wie wir/ doch ohne Suͤnde. Hat doch
Maria ſelber ſolche Ehre nicht begehret/ ſondern ihrem Sohn/ dem
Herrn Chriſto anheim gewieſen/ Johan. 2. Was Er/ nicht ich/ euch
ſaget/ das thut. 2. Thronus indulgentiarum, der Ablaß-Thron/
der im Gegentheil weiſet auff einen groſſen/ unerſchoͤpfflichen/ auß Chri-
ſti/ Mariæ und der Heiligen Verdienſt zuſammen gefloſſenen und geſpaͤt-
telten Ablaß-Schatz und Kaſten/ der zu Rom in St. Peters/ Pauli/
Johannis Lateranenſis und S. Mariæ Kirchen hinderlegt/ und dem
Papſt die Schluͤſſel darzu vertrauet ſeyn ſollen. Welcher denſelben
ſonderlich im Jubel-Jahr mit einem guldenen oder verguldeten Ham-
mer eroͤffnet. Anders lehret die Schrifft abermahls/ die uns allein
weiſet auff pretioſum ſanguinem, das theure Blut Chriſti/ als eines
unſchuldigen und unbefleckten Laͤmmleins/ 1. Pet. 1. davon zu diſpen-
ſir
en allen getreuen Haußhaltern GOttes befohlen worden/ welches
der
[97]Vom verlohrnen Sohn.
der Herr im Himmel zu ratificiren verſprochen. 3. Thronus imagi-
num \& reliquiarum,
der Bilder- und Heiligthuͤmmer Thron/ als
das Hauß der Empfaͤngnuß Chriſti zu St. Loretto/ die Hoͤhle zu Bethle-
hem/ da Er gebohren worden/ ſeine Krippen/ Wiege/ Gebaͤnde/ Creutz/
Cron/ Naͤgel/ Grab/ ꝛc. Der Mutter Gottes Haußrath/ Guͤrtel/ Haube/
Handſchuh/ Milch/ Haar/ Spindel/ Rock/ Ring/ Sohlen/ und andere
Reliquien von den Leibern der Heiligen. Da ſoll man ſich im Ablaß
erholen/ wann man dafuͤr niderfaͤllt/ ſie kuͤſſet/ die Pater noſter daran oder
außwendig ans Glaß reibet/ damit das Gebet zu demſelben deſto ſtaͤrcker
ſeye. Da doch die Schrifft uns weiſet auff das Wort des Evange-
lij/ welches iſt eine Krafft GOttes ſelig zu machen/ alle die da-
ran glauben/ Rom. 1. Auff die Abſolution, welchen man da die
Suͤnde vergibt/ denen ſollen ſie vergeben ſeyn; Auff die Tauff
und Abendmahl. Dieſes ſeind ſo die Throni appellationum in dem
Papſtthum/ welche der Roͤmiſche Ἀντίϑεος fuͤrgeſtellet zu Gnaden-
Stuͤhlen; das ſeind die Kaͤlber zu Dan und Bethel/ die man anbetet und
verehret. Gleichwie Gott im Alten Teſtament den Gnaden-Thron
nach ſeinem Model machen laſſen/ und zu Moſi geſagt: Wie ich dir ein
Fuͤrbild zeigen werde/ ſo ſoltu es machen: Alſo wil es der Pabſt zu
Rom von ſeinen Creaturen auch haben/ daß ſie es machen muͤſſen nach
ſeinem Kopff und Abriß/ wie es ihm wolgefaͤllet.


Allein/ es wil in Summa die gantze heilige Schrifft von keinem an-
dern Gnaden-Thron und Fuͤrſprecher/ durch den wir Heyl erlangen muͤſ-
ſen/ etwas wiſſen/ ohn JEſum Chriſtum. Dann wir werden ohne
Verdienſt gerecht/ auß der Gnade GOttes/ durch die Erloͤß-
ung/ ſo durch JEſum Chriſtum geſchehen iſt/ welchen GOtt
hat fuͤrgeſtellet zu einem Gnaden-Stuhl durch den Glauben
in ſeinem Blut/ ſchreibet Paulus Rom. 3. und Hebr. 4. Wir haben
nicht einen Hohen-Prieſter der nicht konte Mitleiden haben/
mit unſerer Schwachheit/ ſondern der verſucht iſt allenthalben/
gleich wie wir/ doch ohne Suͤnde. Darum laſſet uns hinzu
tretten mit Freudigkeit zu dem Gnaden-Stuhl/ auff daß wir
Barmhertzigkeit empfahen/ und Gnade finden/ auff die Zeit/
wann uns Huͤlffe noth ſeyn wird. Und der iſt auch der jenige
Gnaden-Thron/ Mittler und Reconciliator, den wir in unſerm Verſoͤhn-
Werck/ und Lehre der Rechtfertigung fuͤr Gott/ bey abgeleſener Para-
bel/ fuͤr dißmal fuͤrtragen werden. Unſer Intent und Meynung iſt/
Meine Liebſten/ gar nicht in cortice zu verbleiben/ und gleichſam den
Zehender Theil. NApffel
[98]Die Zwoͤlffte Predigt
Apffel nur zu ſchaͤlen/ die Hiſtori bloß dahin zu erklaͤren/ dann da haͤtten
wir ſchon laͤngſt koͤnnen fertig werden/ und waͤre freylich nicht von noͤthen
geweßt/ ſich ſo lang in dieſer Parabel zu verweilen; Sondern unſere
Meynung iſt/ die hohe Lehr von der Buß und Rechtfertigung zu erklaͤren/
das laßt ſich aber ſo bald nicht außmachen/ wie zwar albere/ unverſtaͤndige
Leute ihnen einbilden. Wer nur um der Hiſtori Willen des verlohrnen
Sohns in die Kirche gehet/ der iſt gleich einem/ der Krebs fuͤr ſich hat/
die Schaalen und Scheeren ablegt/ aber das Fleiſch nicht koſtet/ der Aepffel
und Birn ſchelet aber keinen Geſchmack davon hat. Wir ſuchen das Korn-
lein in den Aehren/ den Kern in der Schelet/ den Dotter in der Schaal/
und die quintam eſſentiam, das beſte im Kraut. Es iſt zwar immer
einerley Text/ aber wann E. L. hat Achtung darauff gegeben/ ſo finden ſich
immer neue Lehren/ ja unſer gantzes Chriſtenthum iſt darinnen begriffen.
Wir haben in voriger Predigt von der guten Sache gehandelt/ gleichwie
Paulus/ wann er ſagt: ich beruffe mich auff den Kayſer/ confi-
dentiam bonæ cauſæ,
ein Vertrauen auff ſelne gute Sache hatte: Alſo
weil wir/ zwar nicht ex lege, auß dem Geſetz/ ſondern auß dem Evangelio
wiſſen/ daß wir einen gnaͤdigen Gott um Chriſti willen haben/ ſo beruf-
fen wir uns darauff/ auff unſer Kindes-Recht und Vaters Namen/
und wiſſen/ wohin wir appelliren ſollen/ daß wir eine gute Sache behalt-
en/ nemlich/ auff den Gnaden-Thron/ JEſum Chriſtum/ davon anjetzo
weiter ſoll gehandelt werden. Nun Chriſtus JEſus/ unſer außerwehl-
te Gnaden-Thron gebe dazu Segen und Gedeyen um ſein ſelbſt willen/
Amen.


WAhr iſt es/ Geliebte im Herrn/ es wird in dieſer Parabel
Chriſti als des Mittlers und Verſohners zwiſchen Gott
und Menſchen und des Gnaden-Throns clar und außtruck-
lich mit keinem Wort gedacht/ ſcheinet deßwegen/ als zoͤgen wirs mit
Haaren herzu/ und legten dem Text Gewalt an; Ja es ſcheinet/ es habe
Chriſtus gleichſam in 3. Parabeln die Gutthaten der hoch-gebenedeyten
Drey-Einigkeit unterſchiedlich erzehlen wollen. Jn der erſten von dem
verlohrnen Schaaf ſtellet er ſich ſ[e]lbſten als den Hirten dar/ welcher das
verlohrne Schaaf geſucht/ das gefundene auff die Achſel genommen/ und
wieder zu der Heerde getragen. Jn der andern Parabel leget er die Gut-
that des H. Geiſtes vor/ der den verlohrnen Groſchen durch Frau Eccle-
ſiam
wiederum ſuchet/ das Liecht des Glaubens anzuͤndet/ und das Hauß
mit dem Buß-Baͤſen kehret. Jn der dritten deutet er ſonderlich an die
Barm-
[99]Vom verlohrnen Sohn.
Barmhertzigkeit ſeines himmliſchen Vaters/ und habe deßwegen ſeiner
als der mittlern Perſon ſonderlich nicht gedencken wollen.


Wann wir aber die Augen recht auffthun/ und der Sache eigentlich
recht und fleiſſig nachdencken/ ſo befinden wir/ daß/ wie ſonſten die opera
ad extra indiviſa \& inexcluſa,
die aͤuſſerlichen Werck in der Gottheit
gemein ſeyn/ und allen dreyen Perſonen koͤnnen beygelegt werden/ alſo ge-
ſchicht auch Chriſti/ als des Mittlers/ in unſerer Parabel genugſam Mel-
dung/ welches wir beweiſen 1. ex ore recitantis, dieweil er die Parabel
ſelbſten erzehlet/ der uns gemacht iſt/ von Gott zur Weißheit/ Gerechtig-
keit/ Heiligung und Erloͤſung/ 1. Cor. 1. Gleichwie er der Hirt geweſen/
der das verlohrne Schaaf geſucht/ ſo iſt Er nun auch der Mittler/ der den
verlohrnen Sohn außgeſoͤhnet. 2. In vitulo ſaginato, in dem geſchlach-
teten Kalb geſchicht ſeiner auch Meldung; dann ob zwar der Herr des
gemaͤſteten Kalbs anderſt nicht gedenckt/ als doni, einer Gab/ (δώρου non
λύτρου) ſo hat Er doch ſubintellectivè das Abſehen auff ſich ſelbſt/ weil Er
nicht nur das Speiß-Kalb/ ſondern auch das Opffer-Kalb fuͤr uns ge-
ſchlachtet iſt/ der Antitypus und das Gegen-Bild aller Opffer-Kaͤlber
im Alten Teſtament. 3. In fundamento reconciliationis, in dem
Verſoͤhnungs-Grund. Dann wie E. L. heut acht Tag gehoͤrt/ ſo verlaßt
ſich der verlohrne Sohn auff zwey Fundamenten/ ſeines Kindes-
Recht/ und den Vaters-Namen. Wir haben aber noch zwey mehr/
nemlich GOttes Eyd und Himmel-feſte Verheiſſung/ und den
Mittler und Gnaden-Thron Chriſtum. Ja daß wir auffs
Kinds-Recht und Vaters-Namen uns verlaſſen doͤrffen/ das haben wir
in Chriſto/ Joh. 1. Dann wieviel Jhn auffnemmen/ denen gibt
Er Macht GOttes Kinder zu werden/ die an ſeinen Namen
glauben. Sonderlich aber erſcheinets 4. ex ſcopo parabolæ, auß
dem Zweck der Parabel; Chriſtus wil uns ja lehren die Art unſerer Recht-
fertigung und Verſoͤhnung mit Gott. Nun iſt ordinariè keine Ver-
ſoͤhnung ohne Mittel-Mann; Soll Abſalon bey ſeinem Vater außgeſoͤh-
net werden/ ſo mußte Joab und das kluge Weib zu Thekoa das beſte thun/
2. Sam. 14. Alſo iſt GOttes Barmhertzigkeit zwar infinita, unendlich/
aber temperata cum juſtitia, mit der Gerechtigkeit temperirt/ welches wi-
der die Photinianer wol zu mercken. Gehoͤret alſo Chriſtus in dieſes
Spiel als der Mittler/ Fuͤrſprech und Gnaden-Thron/ durch welchen wir
alle und der verlohrne Sohn verſoͤhnet worden.


Damit wir aber die Wort Pauli Rom. 3. und Hebr. 5. recht verſtehen
moͤgen/ muͤſſen wir nothwendig einen Blick thun ins Alte Teſtament/
N ijund
[100]Die Zwoͤlffte Predigt
und zwar in c. 25. Exod. und Num. 7, 89. alwo der Gnaden-Stuhl be-
ſchrieben wird/ und unſere geiſtliche Appellations-Kunſt daſelbſt ſtudi-
ren; Da wir zu beobachten


1. Subſtantiam \& materiam, das Weſen und die Materi.
Der Gnaden-Deckel des Alten Teſtaments war der Materi nach von
feinem Gold/ lamina aurea, ein Goldſtuck/ an beyden Enden war
ein Cherub/ das iſt/ ein Bild eines gefluͤgelten Juͤnglings/ 2. Chron. 3/ 13.
die ihre Fluͤgel oben her uͤber dem Gnaden-Stuhl gegen einan-
der außbreiteten/ und den Gnaden-Stuhl damit bedeckten/ daß
eines jeglichen Antlitz gegen dem andern ſtunde/ und ihre Ant-
litz ſolten auff den Gnaden-Stuhl ſehen. Waren alſo die Fluͤgel
formirt wie ein Seſſel/ Thron oder Wagen/ 1. Chron. 29/ 18. darauff
Gott geſeſſen/ der Gnaden-Stuhl ſelbſt war der Fuß-Schemel/ wie ab-
zunemmen auß Pſalm. 99/ 1. 5. Der HErꝛ ſitzet auff dem Cherubim/
betet an zu ſeinem Fuß-Schemmel; und Thren. 2/ 1. 2. Dadurch
wird nun anders nichts bedeutet als Chriſtus/ deſſen heilige und vollkom-
mene Menſchheit aber durch den Deckel/ in deren die Gottheit leib-
hafftig wohnet/ Col. 2. 2. Cor. 5/ 19. GOtt war in Chriſto/ und
verſoͤhnet die Welt mit ihm ſelber. Die Engel als dienſtbare
Geiſter warten Jhm auff/ und ſchauen mit Freuden in dieſes Ge-
heimnuß/ 1. Pet. 1/ 2. Sie bezeugen mit ihrer Gegenwart/ daß durch
Chriſtum Engel und Menſchen wieder mit einander verſoͤhnet/ Col. 1/ 20.
Es iſt alles durch Jhn verſoͤhnet zu Jhm ſelbſt/ es ſey auff Erd-
en oder im Himmel/ ꝛc.


2. Figuram, Die Geſtalt und Form/ Dritthalb Ehlen ſolte die
Laͤnge/ und anderhalb Ehlen die Breite ſeyn/ nemlich ſo lang und breit/
als ein Menſch ſeyn kan/ nicht laͤnger oder breiter/ wann derſelbe ſeine
Hand außſtrecket/ gleichſam nach dem Menſchen ab emeſſen/ auff daß
ſich der Menſch daran wieder abmeſſe/ und die Haͤnde dagegen außſtrecke.
Bedeutet gar ſchoͤn die am Creutz Chriſti außgedaͤhnte Arme/ und juſti
tiæ imputationem,
daß die guldene Hetligkeit Chriſti uns ſoll applicirt/
zugeeignet und zugemeſſen werden/ maſſen uns Chriſtus gemacht iſt zur
Weißheit/ Gerechtigkeit/ Heiligung und Erloͤſung 1. Cor. 1.


3. Officium/ ſein Ampt/ das war ins gemein mediatorium \&
imputatortum,
das Mittler- und Verſoͤhnungs-Ampt. Der
Gnaden-Deckel oder Gnaden-Stuhl lag gleichſam zwiſchen Himmel
und Erden/ zwiſchen dem Richter-Stuhl und dem Schwerdt/ das zur
Schlacht gewetzet iſt/ Pſalm. 11. Gen. 3. zwiſchen dem Richter und dem
Klaͤger/
[101]Vom verlohrnen Sohn.
Klaͤger/ der in der Bunds-Lade verborgen war/ und wider uns zeugete.
Wie aber ein Mittler und Verſoͤhner zwiſchen zwo Partheyen/ wo eine
rechte vollkommene Verſoͤhnung Platz hat/ erſtlich fuͤr die Perſon ſtehet/
daß ſie nicht geſehen werde; Zum andern dem Richter ins Schwerdt faͤl-
let/ und/ wie gemeiniglich/ der Friede machen wil/ die beſten Stoͤße bekomt/
und alsdann bittet/ er wolle doch das Schwerdt einſtecken/ und nicht ſo
grimmig ſeyn. An Moſe haben wir etlicher maſſen ein Exempel/ Exod. 32.
Dann da Gott der Herr die ſchroͤckliche Abgoͤtterey Aarons und der
Kinder Jſrael geſehen/ iſt er ſehr erzuͤrnet worden/ und ſprach zu Moſe:
Laß mich/ daß mein Zorn uͤber ſie ergrimme und ſie aufffreſſe.
Aber Moſes faͤllet Jhm gleichſam in den Arm/ ſtellet ſich fuͤr ſie alle dar/
und ſpricht: Nun vergib ihnen ihre Suͤnde/ wo nicht/ ſo tilge
mich auß deinem Buch/ das du geſchrieben haſt. Er bittet fuͤr ſie
flehentlich/ und erweichet Gott dem Herrr das Hertz. Was Paulus
zwiſchen Philemone und Oneſimo gethan/ in dem er ſich auch als einen
Schiedmann zwiſchen ſie hinein gelegt/ und begehret/ Philemon wolle
ihm ſeines unnuͤtzen Knechtes Schaden/ ſeinem Knecht aber die Gunſt
und Gnade/ die er bey ihm habe/ zurechnen/ laͤßt ſich gar fein auff vorha-
bende materiam appliciren/ wie uͤber das Evangelium am 6. Sontag
nach Trin. gewieſen worden/ Memor. p. 577. So muͤſſen wir uns auch
einen armen Suͤnder einbilden/ der in foro legali, vor dem Thron der
Gerechtigkeit geſtanden/ da vindicta, oder die Rache geruffen; Laß mich/
daß ich mich raͤche/ und den Ehren-Raub bezahlt mache. Aber Chriſtus
der Gnaden-Stuhl ſtehet im Weg/ 1. tegendo, mit zudecken/ gleich-
wie im Alten Teſtament der Gnaden-Stuhl operculum ein Deckel war/
ſo unmittelbar auff der Lade des Bundes/ darinnen das Zeugnuß ge-
weßt/ gelegen/ coaptatum arcæ, nulla ex parte prominens, der ſich juſt
auff die Lade ſchickte/ und nirgends daruͤber hinauß gieng/ wie
Joſephus redet l. 3. antiq. c. 6. Er decket aber zu Erſtlich die Strahlen des
Geſetzes; gleichwie Moſes ſein glaͤntzendes Angeſicht/ das den Glantz und
Feur-Spiegel des Geſetzes repræſentirte/ welches unſere Suͤnde illumi-
nirt/ und ans Liecht ſtellet/ mit einer Decke bedecket/ alſo decket Chriſtus
die verdammende verfluchende Strahlen des Geſetzes/ fanget ſie auff/ daß
ſie uns nicht treffen. Darnach decket er zu Calendarium noſtrorum
peccatorum memoriæ divinæ inſoriptorum,
unſern GOtt wolbe-
kanten Laſter-Calender und Suͤnden-Regiſter. Es iſt die Menſch-
heit Chriſti in ſuo merito conſiderata, in ihrem Verdienſt gleichſam
operculum divinitatis, wie Theophyl. redet/ ſie bedecket unſere Suͤnden-
N iijFlecken/
[102]Die Zwoͤlffte Predigt
Flecken/ Geſtanck und abſcheulichen Anblick vor Gott/ er iſt gleichſam
die Decke GOttes/ als des verzehrenden Feurs/ Pſ. 32. Rom. 4. 2. Pla-
cando,
mit Verſoͤhnen/ wird deßwegen außtrucklich ἱλαςήριον genen-
net/ Hebr. 9/ 5. aber in ſanguine victimali, in dem Opffer-Blut/
dann der Gnaden-Stuhl mußte vom Hohenprieſter mit Opffer-Blut be-
ſprenget werden ſiebenmal/ Lev. 16/ 14. Dahin er auch ſein Abſehen hatte/
und wer nach dem Gnaden-Stul ſich wenden wolte/ der mußte zuvor opf-
fern; Alſo iſt Chriſtus auch als ein Gnaden-Stuhl von Gott fuͤrgeſtel-
let worden in ſeinem Blut/ mit welchem er einmal in das Allerheiligſte
eingegangen/ und eine ewige Erloͤſung erfunden/ dieweil unmuͤglich/ daß
ohne Blutvergieſſen ſolten die Suͤnden vergeben werden/ Rom. 3. Hebr. 9.
darum mußte er ſein Rantzion-Blut dargeben. 3. Intercedendo. mit
Fuͤrbitt/ Gott der Herr ſpricht: Von dem Ort wil ich dir zeu-
gen/ und mit dir reden/ nemlich von dem Gnaden-Stuhl zwi-
ſchen den zween Cherubim/ der auff der Laden des Zeugnuß iſt/
alles was ich dir gebieten wil an die Kinder Jſrael. Exod. 25.
Das war GOttes oraculum, da Er nicht nur predigen/ ſondern auch
Gebet erhoͤren wollen. Wann die Lade zog/ ſprach Moſe: HErꝛ/
ſtehe auff/ laß deine Feinde zerſtreuet/ und die dich haſſen/ fluͤch-
tig werden fuͤr dir. Und wann ſie ruhete/ ſprach er: Komme
wieder HErꝛ zu der Menge der Tauſenden Jſrael/ Num. 10.
Salomo bittet 1. Reg. 8. GOtt wolle das Flehen und Gebet derer/
die gegen dem Weg zur Stadt/ die er erwehlet/ und zum Hauſe/
das er ſeinem Namen gebauet/ beten werden/ erhoͤren vom
Himmel/ vom Sitz ſeiner Wohnung/ und ihnen Recht ſchaf-
fen. Durch den Gnaden-Stuhl iſt all ihr Gebet erhoͤrlich angefangen
worden/ wie zu ſehen auß Pſ. 99. und auß der Ubung der Jaͤhrlichen
Wallfarthen nach dem Tempel/ und an den Exempeln warzunehmen/
ſonderlich derer/ die im Gefaͤngnuß waren/ als Daniels/ der oben an
ſeinem Sommer-Hauß offene Fenſter gen Jeruſalem hatte/
und daſelbſt taͤglich betete/ Dan. 6, 10. Alſo iſt auch Chriſtus unſer
Fuͤrſprech/ der uns bey Gott vertritt/ und mit ſeinem Blut verſoͤhnet/
1. Joh. 2. Rom. 8. Hebr. 9. So verſtehet E. L. was Paulus mit dem
Gnaden-Stuhl meyne/ was er ſeye/ durch was fuͤr einen Mittler und
Fuͤrſprech wir fuͤr GOttes Angeſicht tretten im Glauben/ Gebet/ und
deſſen gnaͤdige Erhoͤrung erlangen.


So wiſſen und haben wir auch unſern Gnaden-Thron JEſum
Chriſtum. Es mache ſich ja niemand an den bloſen Gott/ dann er iſt
ein
[103]Vom verlohrnen Sohn.
ein verzehrendes Feur/ darinnen die Muͤcklein ſich verbrennen: Er hat
ſein Schwerdt gewetzet/ und ſeinen Bogen geſpannet/ und darauff gelegt
toͤdliche Geſchoß gegen die Suͤnder/ ſo boͤſes im Sinn haben/ Pſalm. 11.
Man ſihets etlicher maſſen/ an ſchweren groſſen Wettern/ wie ſchwer und
ſchroͤcklich GOttes Zorn ſeye. Das iſt nur ein kleines Bild deſſelben/
und der Menſch weiß dabey nicht wo er hinauß ſoll/ wie wird es dann de-
nen ergehen/ die ohne Mittler fuͤr Gott kommen wollen? Nun Chriſtus
iſt unſer Gnaden-Stuhl/ welchen 1. Gott ſelbſt neben den Thron ſeiner
Gerechtigkeit geſetzet hat/ und ſeinen Zorn daruͤber fahren laͤßt. 2. Jſt es
thronus apertus, ein offentlicher Gnaden-Stuhl/ dann Gott hat
ihn geſetzet oder fuͤrgeſtellet/ Rom. 3. Er ſtehet nicht mehr hinter dem
Fuͤrhang und Fuͤrbildern/ ſondern wir haben nunmehr alle/ nicht nur der
Hoheprieſter/ einen Zugang und Zutritt zu Jhm. 3. Jſt er thronus ve-
rus,
ein warhafftiger/ nicht eingebildeter falſcher Gnaden-Stuhl/ nicht
wie die Kaͤlber zu Bethel und Dan. Wir laſſen den Heyden ihre ſtum-
me Goͤtzen/ denen ſie nachlauffen; den Juden ihre Wallfarthen/ denen ſie
wie eine Camelin in der Brunſt nachlauffen/ Jer. 2/ 24. Den Tuͤrcken
ihres Mahomets Grab zu Mecha; Die Papiſten laſſen wir lauffen zum
H. Grab/ nach Compoſtel/ Loretto/ Einſidel/ ꝛc. Wir bleiben an Chriſto/
ſo fehlet es uns nicht. 4. Thronus omniſcius \& omnipræſens, ein
allgegenwaͤrtiger und allwiſſender Gnaden-Stuhl/ nicht nur zu
Samaria/ oder Jeruſalem/ ſondern allenthalben/ wo man Jhn im Geiſt
und in der Warheit anbetet/ Joh. 4. Zwiſchen Gott und allen Menſch-
en/ 1. Tim 2. 5. Thronus unicus, ein einiger/ alleiniger Gnaden-
Thron/ ſtellet man ihm Dagon oder einen andern an die Seite/ ſo
wird er zu Schanden/ 1. Sam. 4. 6. Thronus mediatorius, tectorius,
pla atorius, oratorius,
ein Mittler-Schutz-Verſoͤhn- und Bet-
Thron/ dabey man der Goͤttlichen Fuͤrbitt/ Schutzes/ Gnade und Er-
hoͤrung gewiß verſichert iſt. Dahin laßt uns nun fliehen/ und mit Paulo
ſprechen; ich beruffe mich darauff/ der iſt uͤber den Kayſer.
Wann von oben her der Zorn GOttes/ innerhalb das verletzte Gewiſſen
wuͤtet/ ſo laßt uns dahin ſehen/ auff dieſem Thron reichet Gott ſeinen
guͤldenen Abſolutions-Scepter gegen uns/ da finden wir den rechten Mitt-
ler und Fuͤrſprech/ zu dem laßt uns mit der Chriſtlichen Kirchen ruffen:


Allein zu dir HErꝛ JEſu Chriſt/

Mein Hoffnung ſteht auff Erden/

Jch weiß/ daß du mein Heyland biſt/

Kein Troſt mag mir ſonſt werden/ ꝛc.

Und:
[104]Die Zwoͤlffte Predigt

Und:

HErꝛ JEſu Chriſt du hoͤchſtes Gut/

Du Brunnquell aller Gnaden/

Sieh doch wie ich in meinem Muth

Mit Schmertzen bin beladen/

Und in mir hab der Pfeile viel/

Die im Gewiſſen ohne Ziel/

Mich armen Suͤnder druͤcken.

Erbarm dich mein in ſolcher Laſt/

Nim̃ ſie auß meinem Hertzen/

Dieweil du ſie gebuͤſſet haſt/

Am Creutz mit Todes-Schmertzen/

Auff daß ich nicht in groſſem Weh

Jn meinen Suͤnden untergeh/

Noch ewiglich verzage.

Hinauß nun/ ihr unglaubige Philiſtaͤer/ euch bekomt dieſer Gnaden-
Stuhl/ wie dem Hund das Graß/ 1. Sam. 5. Hinauß ihr Widerſpenſtige
und Halsſtarrige/ die ihr in euern Hertzen ſaget/ wir wollen nicht/ daß
dieſer uͤber uns herꝛſche; Wiſſet ihr nicht/ daß er ſanfftmuͤtig iſt/ Matth. 11.
Hinauß mit euch/ ihr Werckheilige und Verdienſtler/ die ihr wie die Kin-
der Jſrael 1. Sam. 4. euch geſchickt und wuͤrdig genug achtet/ ohne dieſen
Gnaden-Thron alles wol außmachen. Aber hieher alle rechtſchaffene
bußfertige und glaubige Suͤnder/ trettet hieher mit aller Freudigkeit
zu dieſem Gnaden-Stuhl/ auff daß ihr Barmhertzigkeit em-
pfahet und Gnade findet/ auff die Zeit/ wann euch Huͤlffe
noth ſeyn wird. Hebr. 5. O ſelig iſt der Mann/ dem die Suͤnde alſo
bedecket iſt/ Pſalm 32. Geſegnet werdet ihr ſeyn/ wie das Hauſe Obed-
Edom/ 1. Sam. 6, 11. der allerley geiſtliche Segen in himmliſchen Guͤtern
iſt uͤber euch/ Epheſ. 1. Die Goͤttliche Gnaden-Wahl/ Kindſchafft/ Erloͤß-
ung/ und Vergebung der Suͤnden/ das Pfand des H. Geiſtes: Sum-
ma/ die ewige Seligkeit. Nun


Uns ſegne Vater und der Sohn/

Uns ſegne GOtt der H. Geiſt/

Dem alle Welt die Ehre thut/

Fuͤr Jhm ſich foͤrchte allermeiſt/

Nun ſprecht von Hertzen/ Amen.

Die
[105]Vom verlohrnen Sohn.

Die Dreyzehende Predigt/
Von dem Hingang des verlohrnen Sohns
zu ſeinem Vater.


WAs koͤnte/ Geliebte in Chriſto/ troͤſtlichers geſagt wer-
den/ was haͤtte Chriſtus ſeinen Juͤngern fuͤr eine ſchoͤnere
Letze hinterlaſſen koͤnnen/ als daß er eben dazumal/ da Er
in procinctu geſtanden/ und auff dem Wege war/ ſeinen
Blut- und Creutz-Gang fuͤrzunehmen/ und alſo in ſeine
Herꝛligkeit eingehen wolte/ geſagt/ Joh. 14. Jch bin der
Weg/ die Warheit und das Leben. Dann als der Herr kurtz
zuvor geſagt: Wo ich hingehe/ das wiſſet ihr/ und den Weg wiſ-
ſet ihr auch; und aber Thomas daruͤber geſtutzt/ und geſagt: HErꝛ/
wir wiſſen nicht/ wo du hingeheſt/ und wie koͤnnen wir den Weg
wiſſen/ ſo ſagt Er: Jch bin der Weg die Warheit und das Leben.
Der wahre lebendige und lebendig-machende Weg und Wegweiſer/ ja der
terminus ſelbs mit meinem Exempel/ die Warheit in meinen Verheiſ-
ſungen/ und das Leben in meinem Verdienſt.


I. Ego ſum via, Jch bin der Weg; ey wie der Weg? ſagt er doch
kurtz zuvor/ und hernach/ Er gehe zum Vater? Er ſeye der Viator oder
Wandersmann/ und Prodromus, der Vorgaͤnger? Antwort: Gleich-
wie Er ſonſt iſt der Prieſter und das Opffer/ der Wuͤrth und die Speiß/
in ſeinem Sacrament zugleich/ alſo iſt Er auch der Wandersmann und
der Weg. Und zwar via ſola, allein/ dann niemand kom̃t zum
Vater ohne durch ihn. Was martern ſich doch die Leute im Pabſt-
thum/ daß ſie andere Wege ſuchen/ Kloſter-Geluͤbde/ Wallfarthen/ An-
ruffung der Heiligen/ koſtbare Reißen/ ꝛc. Gleichwie Pharao ſeine Leute
allein zu Joſeph gewieſen/ zu dem gehet/ alſo ſollen und muͤſſen arme
Suͤnder allein zu Chriſto gewieſen werden. 2. Ego ſum via vera, Jch
bin der wahre Weg/ nicht nur/ in oppoſitione viæ præfiguratæ, im
Gegenſatz auff die fuͤrgebildete Wege/ zum Exempel der Jacobs-
Letter/ die Chriſtus clar auff ſich gezogen/ als durch welchen wir hinauff
zu GOtt ſteigen/ und Gott zu uns mit ſeinen H. Engeln herab komt/
durch welchen Gott und Menſchen/ Himmel und Erden vereiniget wer-
den; ſondern auch viæ falſæ, des falſchen Lugen-Wegs/ wer von ihm
weicht/ der gerath auff Holtz-Wege/ und tappet in der Jrre. Chriſtus
iſt der Weißheits-Weg/ Sap. 4, 11. der uns gemacht iſt zur Weißheit/
Zehender Theil. O1. Cor.
[106]Die Dreyzehende Predigt
1. Cor. 1. Viæ nebuloſæ \& lubricæ, eines nebelichten/ finſtern und
ſchluͤpfferigen Wegs/ darauff man Hals und Bein abfallen kan;
Chriſtus iſt via lucida \& ſerena, ein ſchoͤner/ heller/ wolgebahnter
Weg/ wie die Wolcken-Saͤule in der Wuͤſten den Kindern Jſrael ein
Weg-Liecht geweſen/ alſo iſts auch Chriſtus mit ſeiner Lehr und Exempel
allen Glaubigen. 3. Ego ſum via viva, vivifica, Jch bin der leben-
dige/ lebendig-machende Lebens- und Heyl-Weg/ Act. 16, 17.
dann Er iſt unſer Heyl/ Eſa. 49/ 6. Via meritoria, regia, vitæ col-
latoria, \& Paradiſi reparatrix,
Er iſt der verdienſtliche Lebens- und
Paradiß-Weg/ davon die Epiſtel an die Hebraͤer redet/ cap. 10/ 19.
So wir dann nun haben/ lieben Bruͤder/ die Freudigkeit zum
Eingang in das Heilige/ durch das Blut Jeſu/ welchen Er uns
zubereitet hat/ zum neuen und lebendigen Weg/ durch den Vor-
hang/ das iſt/ durch ſein Fleiſch. So laſſet uns hinzu gehen/
mit warhafftigem Hertzen/ in voͤlligem Glauben/ beſprengt
in unſern Hertzen/ und loß von dem boͤſen Gewiſſen. Jſt eine
Gleichnuß genommen vom Hohenprieſterlichen Eingang durch das neu-
vergoſſene Blut in das Allerheiligſte; Gleichwie man den Gang des
Hohen-Prieſters an den Bluts-Tropffen ſpuͤren koͤnnen/ daß er hinein
gegangen in das Allerheiligſte; alſo auch wir an dem Blut JEſu Chriſti/
und ſollen uns daruͤber freuen/ mehr als jene im Alten Teſtament.


Jſt demnach der Weg/ den alle arme bußfertige Suͤnder gehen ſol-
len/ zum Gnaden-Thron/ und von dannen zum Vater. Gleichwie Er
der Prodromus, Fuͤrlaͤuffer/ durch ſeinen Blut-Gang zum Vater ge-
gangen meritoriè, verdienſtlicher Weiſe/ ſo ſollen wir Jhme nachgehen
auff dem Weg und Gang des Glaubens/ als deſſen Geheimnuß wie in
andern Stellen H. Schrifft einem Aug/ Geſchmack/ Geruch/ Gehoͤr/ Er-
greiffung/ Kuß/ Eſſen/ Trincken/ ꝛc. alſo auch einem Fuß-Pfad und
Gang verglichen wird/ Hebr. 11/ 1. der Glaub iſt ὑπόςασις, ein feſter
Stand/ einer Zukunfft zu Gott/ v. 6. Wer zu GOtt kommen wil/
der muß glauben. Durch Chriſtum haben wir Freudigkeit
und Zugang in aller Zuverſicht durch den Glauben an Jhn/
Rom. 5/ 2. Eph. 3/ 12. Und in ſolcher Gleichnuß wird uns auch in vorha-
bender Parabel das Geheimnuß des Glaubens praͤſentirt in denen Wort-
en/ und er machte ſich auff/ und kam zu ſeinem Vater. Wann
wir nun biß dato in actu primo ihn beſehen Filium prodigum peccato-
rem,
als einen reuenden Buͤſſer/ wie hertzlich/ ernſtlich/ und willig er
Buße gethan/ nicht auß Zwang oder Mangel der Mittel/ wie heutiges
Tages
[107]Vom verlohrnen Sohn.
Tages ein mancher nicht mehr ſaufft/ weil er die Mittel nicht mehr hat;
nicht mehr geitzet/ weil die inſtrumenta zerſtoben. Das naͤchſte mal aber
das conſilium appellationis, den gefaßten Rath zu appelliren geendet/
und biß auff den Gnaden-Thron Chriſtum gekommen ſeind/ den wir ge-
funden in ore, in vitulo, in parabolæ ſcopo, \& reconciliationis funda-
mento,
darauff unſer Kindes-Recht und die Zuverſicht des Vater-
Hertzens beſtehet; ſo erzeiget er ſich jetzt in idea viæ, auff dem Weg zu
ſeinem Vater/ wie allbereit angefuͤhret worden/ ligt nur daran/ daß
wir dieſen Weg des Glaubens recht tretten/ gehen/ wandern/ lauffen/ und
ankommen/ und folgends im dritten actu abſolutionis unſere Perſon
auch recht vertretten. Nun Chriſtus JEſus unſer einige/ wahre und
lebendige Lebens-Weg/ verleihe Geiſt und Gnade/ von dem ſeligen
Glaubens-Weg aufferbaulich zu reden/ damit wir auff demſelben ler-
nen moͤgen ſein Ende/ der Seelen Seligkeit/ zu erreichen/ Amen.


SO lauten nun/ Geliebte im Herrn/ unſere Wort alſo: Und
er machte ſich auff und kam zu ſeinem Vater. Seind
verba terminantia \& initiantia, Schluß- und Anfangs-
Wort/ und moͤgen deßwegen ſo wol zum erſten als andern Haupt-Stuck
der Parabel gezogen werden. Es werden uns aber darinnen die gradus
des ſeligmachenden Glaubens gar artig adumbrirt und entworffen/ und
zwar 1. Ανάςασις καταληϖτικὴ καὶ ἐλϖιςικὴ, die freudige/ Hoffnung-
volle Aufferſtehung: Dann nachdem er den Suͤnden-Laſt von ſich
abgelegt/ und Chriſto dem Gnaden-Thron auff gebunden/ ſtund er auff
gleichſam als ein Todter oder Lahmer/ oder als einer/ der von einer groſ-
ſen Laſt zur Erden geſchlagen worden/ einen Stab ergreifft/ und ſich dar-
mit auffrichtet. Ein leiblich todter Menſch/ wann er wieder erwachen
ſoll/ thut zu erſt die Augen auff/ ſchnappet nach der Lufft/ darnach richtet
er ſich auff die Fuͤſſe/ Ezech. 37. Alſo ein geiſtlich todter ſiehet zu erſt das
Liecht der ſeligmachenden Erkantnuß/ darnach ſchnappet er nach der aura
gratiæ,
nach dem erfriſchenden Gnaden-Lufft/ und richtet ſich im Glauben
auff/ und das iſt ἀναςασις prima, die erſte Aufferſtehung. Ein lahmer
Krippel muß fremde Huͤlffe haben/ ſoll er fortkommen/ wie auß Act. 3, 7.
zu ſehen/ als Petrus den lahmen Menſchen bey der Hand ergriffen/ und
auffgerichtet/ da ſprang er auff/ und ſeine Schenckel und Knoͤchel ſtun-
den feſt. Alſo auch/ wen Gott durch ſeinen Geiſt ziehet/ der haltet ſich
an die Verheiſſungen/ und ergreifft dieſelbe per κατάληψ [...], durch eine
glaubige Auffnahm/ Joh 1. Hebr. 13. er kuͤſſet die Geb-Hand GOttes/ und
O ijlaßt
[108]Die Dreyzehende Predigt
laßt ſie nimmer gehen. Ein zu Boden geſchlagener Laſt-Traͤger muß
entweder den Laſt von ſich werffen/ oder nach einem Stock greiffen/ da-
ran er ſich auffrichtet. So macht es ein glaubiger Menſch/ er wirfft den
Suͤnden-Laſt von ſich/ und greiffet nach dem Stab der Grund-Himmel-
und Eyd-feſten Verheiſſungen GOttes/ den ihm der H. Geiſt darreichet.
Darauß wachſet die Hoffnung/ die nicht laßt zu Schanden werden.
Gleichwie Saulus/ ſo bald er die Stimme gehoͤret/ ſtehe auff/ ſich auff-
gerichtet/ Act. 9. Gott der Herr entdeckt uns ſein gantzes Hertz/ auß
welchem Er ſeines Hertzens Crone und Wonne uns geſchencket/ wie ſolte
Er mit ſeinem lieben Sohn uns nicht zugleich alles mit ſchencken. Er
reichet uns die Hand vom Himmel/ da klettert dann ein armer gefallener
und nidergeſchlagener Suͤnder/ an dem Gnaden-Thron Chriſto JEſu
hinauff/ biß er ſie erreichet. Es bleibet dabey/ was/ und wie Chriſtus
ſaget/ Joh. 6. Niemand kommet zu mir/ es ſey dann/ daß ihn
der Vater ziehe. Der einige Spruch/ daran ſich Paulus der Chriſten-
Moͤrder gehalten/ kan nicht mit Gold bezahlet werden/ und wann die Welt
voll guldener Berge waͤr; er iſt aber uns vielmehr geſchrieben/ und nicht
ihm/ zum Exempel/ denen die an Chriſtum glauben ſollen/ wann er
1. Tim. 1. ſpricht: das iſt je gewißlich wahr/ λ [...]γος πάσης ἀϖοδοχῆς
ἄξιος, gewiſſer als aller Menſchen/ ja als GOttes Wort/ als das Ge-
ſetz/ ein Himmel- und Eyd-feſtes Wort/ daß JEſus Chriſtus/ als
unſer Mittler/ Buͤſſer zu unſerer Gerechtigkeit/ in die Welt kommen
iſt/ die Suͤnder/ nicht die Gerechten/ ſelig zu machen. 1. Reg. 1. leſen
wir die ſchoͤne Hiſtori: Nachdem Salomo auff den Koͤniglichen Stuhl an
ſeines Vaters ſtatt geſetzet worden/ Adonia aber ſeiner argliſtigen Pra-
cticken und Auffruhr halber ihme uͤbel bewußt/ weil er ſich ſelbſt zum Koͤ-
nig gemacht/ den Tod fuͤr Augen geſehen/ ſo machte er ſich auff/ gieng hin/
und faſſete die Hoͤrner des Altars/ appellirte an ſeinen Bruder Salo-
mon/ und ſpricht: der Koͤnig ſchwoͤre mir/ daß er ſeinen Knecht nicht
toͤdte mit dem Schwerdt. Salomo laßt ihm ſagen: wird er Ben Chail,
filius fortitudinis,
redlich ſeyn/ ſo ſoll kein Haar von ihm auff die Erden
fallen. Alſo ſollen wir auch/ die wir uns alle nichts guts bewußt/ den
Gnaden-Thron Chriſtum ergreiffen/ als unſere Freyheit/ damit wir nicht
in dem ſtrengen Malefitz-Gericht GOttes verdamt werden/ wir ſollen
Bene Chail, ſtarcke Helden im Glauben und guter Zuverſicht ſeyn/ ſo wird
die Loßſprechung erfolgen.


2. Ὑϖόςασις ἀσάλ [...]υτος, ἀγκυρικὴ, ἀντιςατικὴ, ἰσχυρὰ, ϑαῤῥοϖοιητικὴ,
καυχητικὴ, die unbewegliche/ unumſtoßliche/ feſte/ getroſte und
ruͤhmen-
[109]Vom verlohrnen Sohn.
ruͤhmende Stand-Feſte. Der verlohrne Sohn ſtehet feſt/ halt ſich an
ſeinen Stab/ und unter deſſelben Gleichnuß/ an ſein Kindes-Recht/ und
Vaters-Namen. Er widerſtehet allen ungleichen Gedancken/ wancket
nicht/ iſt ſtockfeſt in ſeinem Hertzen/ ja ruͤhmet ſich noch und ſpricht: ich
weiß/ es wird meine fuͤrhabende Reiß wol abgehen. Das iſt die ὑϖόςασις
fidei ſalvificæ, Hebr. 11. die Standfeſte des ſeligmachenden Glaubens/
da der Menſch/ wann er ſich an den Goͤttlichen Verheiſſungen da Gott
verſprochen/ Er begehre nicht den Tod des Suͤnders/ ꝛc. Chri-
ſtus iſt in die Welt kommen/ die armen Suͤnder ſelig zu mach-
en/ und der H. Geiſt das Pfand unſers Erbes unſere Hertzen verſiegelt/
auffgericht und daran haͤlt/ feſt ſtehet/ wie dorten der lahme Menſch/
Act. 3, 7. als ein Schiff an einem Ancker. Gleichwie daſſelbe/ wann es
mit Wellen umfangen/ feſt ſtehet an dem Ancker/ der in den Abgrund des
Meers verſencket iſt; alſo verſencket ſich der Glaube in den Abgrund des
Meers Goͤttlicher Barmhertzigkeit/ daran ſich des glaubigen Menſchen
Hertz feſt und unbeweglich haͤlt/ wie Abrahams Hertz feſt geweßt/ Sap. 10, 5.
Er faſſet ein Hertz/ wann der Herr ſagt: Jn der Welt habt ihr
Angſt/ aber ϑαρσει῀τε, ſeyd getroſt/ ich habe die Welt uͤberwun-
den/ ſo erzeiget ſich ϑάρσος, eine feſte Staͤrcke und Zuverſicht/ Joh. 17,
ult.
Ja wir ruͤhmen uns der Hoffnung der zukuͤnfftigen Herꝛligkeit/
die Gott geben ſoll/ Rom. 5/ 2. des ſchoͤnen Erbes/ das uns beygeleget iſt
im Himmel/ und ſagen Rom. 8. Wer wil mich beſchuldigen? mein
Gewiſſen nicht/ dann das iſt ja gereiniget durch das Blut Chriſti/ Hebr.
9/ 4. Die Goͤttliche Gerechtigkeit nicht/ dann ſie iſt durch Chriſtum auß-
geſoͤhnet/ und ihr fuͤr mich ein uͤberguͤltiges Genuͤgen geſchehen. Der
Satan auch nicht/ ja laͤſtern kan er wol/ aber mich nichts beſchuldigen/
er muß vom Recht ſchweigen. Wer wil mich verdammen? Das
Geſetz nicht/ dann es iſt durch Chriſtum an meine ſtatt erfuͤllet; Der
Richter nicht/ dann Chriſtus hat mich bey ihm vertretten und außgebet-
ten. Wer wil mich dann ſcheiden von der Liebe GOttes die da
iſt in Chriſto JEſu? Gar nichts/ weder Truͤbſal/ noch Angſt/ weder
Verfolgung/ weder Tod noch Leben/ ꝛc.


3. Πόρ [...]υσις ἀϖοςατικὴ, ſeine fortgeſetzte Reiſe/ er ſihet nicht zu-
ruck/ wie Loths Weib/ nach den Wolluͤſten/ nach den Traͤbern/ als die
ihm zimlich verſaͤuert worden. War πόρ [...]υσις κατερητικὴ, eine Glaub-feſte
Reiß/ wie Moſis/ Hebr. 11/ 27. Er gehet σϖουδαίως, ſeinen Weg ſtracks
fort; ἀκλινῶς, unabgewandt/ er warff ſein Vertrauen nicht weg/ Hebr.
10/ 35. Laͤßt ſich nicht irꝛ machen/ weder zur Rechten noch zur Lincken/ ob
O iijer
[110]Die Dreyzehende Predigt
er ſchon arm/ blutt und bloß/ und manches ſtuͤck Brod unterwegs heiſchen
muͤſſen/ ob es ſchon auff ihn geſchneyet und geregnet/ und boͤſe Geſell-
ſchafften unterwegs ſich befunden/ die ihn in ihre Compagnie und Karten-
Spiel ziehen wollen/ ſo laßt er ſich doch nicht erſchroͤcken/ wandert fort/
nahet je laͤnger je naͤher an ſeine Heimath/ es mag auch der curſ [...]s dazu
gekommen ſeyn/ daß er geloffen/ und ſich ſelbs uͤber Macht getrieben/ da-
mit er nur bald heim kaͤme. Wann ihm ſchon ein Dornen in den Fuß
kommen/ achtete er es nicht/ und gieng immer fort. Er zog zwar/ wie
vermuthlich/ zu Pferd auß/ aber/ leider/ zu Fuß wieder heim. Auff
gleiche weiſe laufft ein mancher dem Teuffel ſporenſtreich zu/ aber der Weg
zur Seligkeit komt uns kuͤmmerlich und bitter ſaur an/ und heiſſet/ der
ſchmale Weg iſt Truͤbſal voll/ den ich zum Himmel wandern ſoll. Aber
laßt nur unſern Glauben geartet ſeyn/ wie des verlohrnen Sohns/ laſ-
ſet uns nur abtretten von der Ungerechtigkeit/ wer den Namen
Chriſti nennet/ ἕκαςος ἀϖοςήτω, ein jeglicher trette davon ab/
2. Tim. 2/ 19. Wie Paulus gethan Phil. 3/ 13. Jch vergeſſe was da-
hinten/ und ſtrecke mich nach dem/ das da fornen iſt. Er gedencket/
es iſt boͤß genug/ daß ich die vorige Zeit in Unbußfertigkeit und wuͤſtem
Suͤnden-Leben zugebracht/ nun iſt es auch einmal Zeit umzukehren/ und
Buße zu thun. So muß ein geiſtlicher Wandersmann je laͤnger je mehr
ſeinem himmliſchen Vaterland zugehen/ in allerhand Ubungen des
Glaubens zunemmen/ durch Erkanntnuß/ Verlangen und Nachforſchen/
in dem himmliſchen Reiß-Buch nachfragen/ wo der Weg hinauß gehet.
Durch geiſtliche Ritterſchafft im Gebet und Gedult/ zur Rechten und zur
Lincken/ zwiſchen der Freyheit und Verzweifflung durchgehen/ wie ein
Seyl-Taͤntzer im Gewicht und Waag ſtehen; Er muß allezeit bey ſich
recolligiren und wiederholen die oben angezeigte Fundamenten/ das
Kindes-Recht/ Vater-Hertz/ theuren Verheiſſungen GOttes/ den Gna-
den-Thron/ der da iſt der Weg und das Leben/ Chriſtum JEſum. Ja er
muß jagen nach dem fuͤrgeſteckten Kleinod/ wie ein durſtiger und lechzen-
der Hirſch/ der in der Brunſt lauffet; Wie ein Hirſch ſchreyet nach
friſchem Waſſer/ ſo ſchreyet meine Seele GOtt zu dir/ ꝛc.
Pſalm. 42.


4. Προσ [...]λευσις πληροφορικὴ [...] παῤῥησιαςικὴ, die erfreuliche und
Freuden-volle Ankunfft. Da er noch ferne war/ ſahe ihn ſein Va-
ter/ und er zweiffels frey ihn auch/ je naͤher er zu ihm gekommen/ je mehr
brandte das Hertz gegen ihm/ und je mehr lauffet er; es war eine voͤllige
πληροφορία da/ er ſchiffete gleichſam mit vollen Seglen auff ihn zu; es war
da
[111]Vom verlohrnen Sohn.
da die παῤῥησία, und Freymuͤndigkeit/ er gedachte; jetzt wil ich mein Hertz
außſchuͤtten/ und alles ſagen/ wie mirs um das Hertz ſeye: Vater/ ich
habe geſuͤndiget im Himmel und fuͤr dir/ ꝛc. Eben alſo ſoll es
auch bey uns ſeyn/ je aͤlter wir werden/ je mehr wir ſollen zunemmen in un-
ſerm Chriſtenthum/ je mehr uns ſtrecken/ nahen/ wann uns Gott noch
von ferne ſiehet/ wanns zum Hauſe des Herrn gehet/ daß wir mit David
ſagen auß dem 122. Pſalm. v. 1. Jch freue mich deß/ das mir geredt
iſt/ daß wir werden ins Hauß des HErꝛn gehen. Sonderlich
aber/ wanns an den Port des Lebens gehet/ da ſoll Freude ſeyn/ wie auff
einem gluͤcklich anfahrenden Schiff/ mit vollen Segeln anzulenden in
den inſulis fortunatis des ewigen Lebens/ da ſoll die παῤῥησία im Gebet er-
ſchallen:


Mit Fried und Freud ich fahr dahin/

Nach GOttes Willen/

Getroſt iſt mir mein Hertz und Sinn/

Sanfft und ſtille/

Wie GOtt mir verheiſſen hat/

Der Tod iſt mein Schlaff worden.

Es iſt ja der Tod doch nichts anders/ als ein ἔξοδος und ε [...]σοδος,
ein Außgang auß dieſem Leben/ und ein Eingang/ ein Lauff und
Sprung zum Vater ins himmliſche Paradiß.


Das iſt nun/ M. L. der ſeligmachende Glaube/ nicht ein Traum/
Einbildung/ ſchema, ſondern eine Goͤttliche Bewegung/ und ε [...]οδος,
Hingang und Eingang zu Gott. Es wird der Glaube nicht vergebens
vom H. Geiſt in vielen Figuren und Gleichnuſſen beſchrieben/ auff daß/
wer es nicht in einem verſtehet/ in der andern faſſe. Auß dem holdſeligen
Gleichnuß unſers Texts lernen wir auch die Natur des ſeligmachenden
Glaubens/ ſo richtet er ſich auff/ ſo wachſet er/ ſo laͤndet er an/ das iſt ſeine
Art/ und ſo ſtehet er in circo juſtificationis, in dem Handel der Rechtfer-
tigung/ wider alle Anklag/ wie wir auß dem Bilde des verlohrnen Sohns
abzunemmen. Er ſpricht getroſt: Wer wil die (mich) Außerwehl-
ten GOttes beſchuldigen? GOtt iſt hie/ der gerecht machet;
Wer wil ſie (mich) verdammen? Chriſtus iſt hie der geſtorben
iſt/ ꝛc. Er fordert Teuffel/ Hoͤll/ Welt/ und alles herauß/ und ſagt:
Hie iſt der Gnaden-Thron/ Trutz dem/ der mir da etwas ſolte oder wolte
abgewinnen. Eben alſo gehet der Glaub auch fort auff dem Weg/ den
Chriſtus mit ſeinem Blut conſecrirt/ ins Allerheiligſte zum Gnaden-
Thron/
[112]Die Dreyzehende Predigt
Thron/ Chriſto JEſu/ und ſpricht mit St. Paulo: Wir werden ohne
Verdienſt gerecht/ auß der Gnade GOttes/ durch die Erloͤß-
ung/ ſo durch JEſum Chriſtum geſchehen iſt/ welchen GOtt
hat fuͤrgeſtellet zu einem Gnaden-Stuhl durch den Glauben
in ſeinem Blut. Alſo machet der Glaube auch ſelig/ nicht meritoriè,
verdienſtlicher weiſe/ ſondern organicè, als ein Mittel und Werckzeug.
So wenig der Gang des verlohrnen Sohns die Huld ſeines Vaters ver-
dienet/ ſondern nur das Mittel dazu war; eben ſo wenig verdienen wir
mit unſerm Glauben/ daß uns Gott gnaͤdig ſeyn muß. Das iſt der
ſola fides, der allein ſeligmachende Glaube/ davon das Papſtthum
nichts wiſſen noch hoͤren wil/ machet auß der ignorantia, auß der thum-
men unverantwortlichen Unwiſſenheit ein Heiligthum/ eine heilige Gott
wolgefaͤllige Einfalt/ confundiren die fiduciam das glaubige Vertrauen
mit der ſpe und Chriſtlichen Hoffnung. Die es ihnen hierinnen begeh-
ren nachzuthun/ die wird ihre Unwiſſenheit gar nicht entſchuldigen.


Das iſt die geiſtliche Pilgrims-Kunſt/ ligt nur an der praxi und
Ubung/ daß wir demſelben begehren nachzuarten. Wolte Gott/ daß/
wie lieblich dieſes Geheimnuß in der Schrifft uns vorgetragen/ und wie
freundlich/ wie ernſtlich wir darzu vermahnet werden/ wir auch einen
gleichen Eyffer/ demſelben nicht zu widerſtreben/ bey uns ſehen lieſſen.
Soll uns demnach dienen zur Nachfolge/ ςήκετε τῇ ϖίςει, γρηγορει῀-
τε, \&c. Wachet/ ſtehet im Glauben/ ſeyd mannlich und ſeyd
ſtarck/ 1. Cor. 16, 13. 2. Cor. 1, 24. ruͤhmet Paulus die Corinthier/
daß ſie im Glauben ſtehen/ und darum begehre er kein Herꝛ
uͤber ſie zu ſeyn/ ſondern ein Gehuͤlffe ihrer Freude. Wir ſol-
len in unſerer Pilgrim- und Wanderſchafft jederzeit und allenthalben
einkehren zur heiligen Hoſtia, und zum rothen Blut. Zur Warnung
aber ſoll es dienen allen/ die ſich verſaͤumen/ und auff dieſer Reiße dahin-
den bleiben/ welchen Gott geſchworen/ ſie ſollen nicht zu ſeiner
Ruhe kommen; als da ſeind 1. onere peccati adhuc preſſi, die
noch in Suͤnden todte und von dem Suͤnden-Laſt getruckte
Menſchen/ die nicht ablegen die Suͤnde/ ſo ihnen anklebet/ und ſie
traͤge macht/ und ſie verhindert zu lauffen/ durch Gedult in dem Kampff/
der ihnen verordnet iſt/ Hebr. 12, 1. Dann wo dieſe depoſitio nicht
iſt/ da iſt kein Glaube. Die nicht abtretten von der Ungerechtigkeit/
2. Tim. 2. 2. Falſo fundamento nixi, die ihrer Sachen nicht
gewiß ſeynd/ ſich halten an einen ſchwachen Rohr-Stab ihres ei-
genen Verdienſtes/ gehen auff das ſchluͤpffrige/ und ſincken endlich
daruͤber
[113]Vom verlohrnen Sohn.
daruͤber zu Boden/ wie die Waghaͤlſe/ die ſich auff das glatte Eyß wagen/
endlich aber ein Bein brechen/ oder unterſincken. 3. Cadentes, die einen
Suͤnden-Sturtz nach dem andern thun/ apoſtatæ fidei \& vitæ, die
am Glauben und Leben Schiffbruch leiden/ wie die abgoͤttiſche Jſraeliten
in der Wuͤſten/ welche noch auff dem Weg dem gelobten Land und edlen
Canaan zu ſich verſuͤndiget; denen gilt es/ was Paulus 1. Cor. 10. ſaget:
Wer ſich laͤßt duncken/ er ſtehe/ der ſehe wohl zu/ daß er nicht
falle. Man laſſe nur ein haͤrter Creutz an ſolche ſetzen/ ſo wird mans ſe-
hen/ wie ſtandhafftig ſie ſeyen. Es gehoͤren hieher 4. Stationarii, Retro-
gradi,
die entweder immer ſtille ſtehen/ und nicht fortſchreiten/
oder gar wider zuruck begehren/ wie Loths Weib/ Gen. 19. oder wie
die Kinder Jſrael/ die ihnen einen Haupt-Mann erwehlet/ und wieder zu-
ruck ziehen wolten/ Num. 14, 4. 5. Deſperantes \& impatientes, die auß
Ungedult Stab und Stecken fallen/ und allen Muth ſincken
laſſen/ machens wie die/ ſo mit Joſua und Caleb das gelobte Land be-
ſchauet/ da ſie aber wieder zuruck kamen/ geſagt: Wir vermoͤgen nicht hin-
auff zu ziehen gegen diß Volck/ dann ſie ſeind uns zu ſtarck/ ꝛc. das ſeind
die jenige/ welche in ihrem Chriſtenthum faul ſeind/ und eine geringe dem
Anſehen nach ſcheinbare Truͤbſal ſich ſchroͤcken laſſen. Alle die gehet an der
Goͤttliche Schwur/ Pſ. 95. ſie ſollen nicht zu ſeiner Ruhe kom̃en.


Ach/ ſprichſtu/ wie komm aber ich fort/ ich befinde mich einmahl zu
ſchwach? ich komme viel zu ſpaͤth? Antwort: daran ligt nichts/ GOTT
erfreuet ſich auch uͤber die letzten/ wann ſie nur gehen/ ſo viel und weit ſie
durch GOttes Gnad koͤnnen/ er verſpricht/ ſie bey den Armen zu neh-
men/ zu leiten/ zu gaͤnglen/ wie ein Mutter ihr Kind gehen lch-
ret/ nnd bey den Armen fuͤhret/ Oſ. 11, 3. Deut. 25. wird gedacht der
Schwachen/ die dem Heer der Kinder Jſrael hinten nach gezogen/ weil ſie
muͤd und ſchwach waren/ und von denen Amalekitern geſchlagen worden
ſeind. Aber es heiſſets Gott der Herr nicht gut/ ſondern befihlt/ ſie ſol-
len/ ſo ſie zur Ruhe kommen ſind/ das Gedaͤchtnuß der Amalekiter unter
dem Himmel vertilgen. Wir haben einen Vor- und Nachgaͤnger Chri-
ſtum/ der uns nicht dahinden laßt/ Hebr. 12, 2. Er laßt ſich auch damit
begnuͤgen/ wann man nur wuͤnſchet fort zukommen/ und ſeine Begierde ſe-
hen laͤſſet/ wie abzunehmen auß Marc. 9, 23. Luc. 17, 6. c. 19, 5. 2. Cor. 2, 9.
Das Exempel Petri iſt bekant/ Matth. 14. 25. da er auff dem Meer ge-
hend einen ſtarcken Wind ſahe/ erſchrack er/ hub an zu ſincken/ und ſprach:
Herr hilff mir! JEſus aber recket bald die Hand auß/ ergriff ihn und
ſprach: O du kleinglaubiger/ warum zweiffelſtu?


Zehender Theil. PLaſſet
[114]Die Dreyzehende Predigt

Laſſet nun/ M. L. uns lauffen den Weg des Glaubens/ zu erlangen
des Glaubens Ende/ und zu kommen in unſers Vaters Hauß/ da viel
Wohnungen ſeynd. Wir haben ja den beſten Vorgaͤnger/ Weg-Leiter
und Weg-Liecht/ von dem wir ſingen:


Du biſt der Weg/ das Liecht/ die Pfort/

Die Warheit und das Leben/

Des Vaters Rath und ewiges Wort/

Den er uns hat gegeben/

Zu einem Schutz/

Daß wir mit Trutz/

An Jhn feſt ſollen glauben/

Darum uns bald

Kein Macht noch Gwalt

Auß ſeiner Hand wird rauben.

Dieſem laßt uns nachwandern/ ſo wird die Ankunfft und der Ein-
gang in den ſichern Himmels-Pfort deſto freudiger ſeyn. Nun Gott der
H. Geiſt erleuchte unſere Hertzen mit ſeinem Goͤttlichen Wort/ und ent-
zuͤnde ſie mit dem Liecht des wahren Glaubens/ Er ziehe uns nach ihm/
ſo lauffen wir. Amen.



Die Vierzehende Predigt.
Von des Vaters und GOttes
Barmhertzigkeit.


GEliebte in Chriſto dem HErꝛn. Jn dem ſehr bekan-
ten/ offt widerholten/ aber niemal gnug außſtudierten Troſt-
Spruch des lieben GOttes/ in welchem Er ſein Lieb-flam-
mendes Mutter-Hertz gleichſam außſchuͤttet/ und dem trauri-
gen/ wehmuͤtigen und klagenden Zion zuſpricht und ſagt/
Eſ. 49. Kan auch ein Weib ihres Kindleins vergeſ-
ſen/ daß ſie ſich nicht erbarme uͤber den Sohn ihres Leibes?
Und ob ſie deſſelben vergeſſe/ ſo will ich doch dein nicht vergeſſen/
ſiehe/ in die Haͤnde hab ich dich gezeichnet/ werden uns drey fuͤr-
nehme
[115]Vom verlohrnen Sohn.
nehme Stuck fuͤrgehalten. I. Impoſſibile ordinarium, ein natuͤrlicher
weiſe unmuͤgliches Ding/ die Verlaͤugnung und Vergeſſenheit der
muͤtterlichen ςοργῆς und Blut-Liebe/ nicht nur bey den Menſchen/ ſondern
auch den wilden Thieren. So wenig das Feur ſein brennen/ und Waſſer
das Flieſſen laſſen kan/ eben ſo wenig koͤnne auch die Mutter-Liebe ſich ver-
ſtellen/ daß ſie ſich nicht erbarmen ſolte uͤber den Sohn ihres Leibes.
Zwey ſchoͤne und beruͤhmte Exempel deſſen haben wir in Heil. Schrifft/
ſonderlich an dem Weib/ das vor dem Koͤnig Salomon mit einem an-
dern Weib um das lebendige Kind geſtritten. Da ihr Kind geweinet/
und ſie das gefaͤlte Koͤnigliche Urtheil gehoͤret/ ſo moͤchte ihr das Hertz
in tauſend Stuͤcke zerſpringen; Jhr muͤtterliches Hertz/ ſagt die
Hiſtori/ entbrand uͤber ihren Sohn/ daß ſie es ehe dem andern Weib
laſſen/ als todt haben will/ ſpricht deswegen: Ach mein Herꝛ/ gebet
ihr das Kind lebendig/ und toͤdtet es nicht Desgleichen an
Rizpa/ einem zarten Weib/ das ſonſten der Pflaum-Federn gewohnet/2. Sam. 21
10.

zu ſehen/ dieſe legte ſich auff den harten Boden/ wachet ihren erhenckten
Soͤhnen/ und wehrete/ daß des Tages die Voͤgel ſie nicht beruͤhrt/ noch
ihnen des Nachts die wilden Thiere ſchadeten/ allen Spott noch Geſtanck
achtete ſie nicht/ die Mutter-Liebe trang bey ihr hindurch. Wieviel mehr
liebreicher/ meynen wir/ und weichhertziger daß Gott ſey/ der ſolche
ςοργὴν den Menſchen eingepflantzet/ und gegen der Goͤttlichen Liebe nur
wie ein Staͤublein oder Troͤpfflein zu achten iſt.


II. Poſſibile extraordinarium, ein auſſerordentlicher weiße
muͤgliches Ding/ daß nemlich die Vergeſſenheit der muͤtterlichen Liebe
bißweilen geſchehe/ und geſchehen koͤnne. Dann daher fuͤhret der Herr
das Argument à minori ad majus an/ und beweiſet das Groͤſſere auß dem
geringern. Es geſchicht die Verlaͤugnung der muͤtterlichen Blut-Liebe
theils ex barbara monſtroſitate, auß barbariſcher unmenſchlicher
Raſerey und Wuth/ wie die wilden Leuthe/ wann wahr iſt/ was die
Hiſtori-Schreiber erzehlen/ die ihre eygene Kinder ſchlachten/ und verzeh-
ren; theils ex affectu, auß ſuͤndlichen Affecten/ wie Athalia auß eyteler
Regier-Sucht ihre eygene Enckel umgebracht/ 2. Reg. 11. da doch ſonſten
Groß-Muͤtterliche Liebe viel zarter und feuriger zu ſeyn pflegt; theils auß
Unwiſſenheit/ allermaſſen wie ſich allererſt vor 23. Jahren eine ſolche
traurige Geſchichte zu Leipzig begeben/ da ein Soldat/ der etlich und zwantzig
Jahr außgeweſen/ nach Hauß gekommen/ und ſich niemand als ſeiner
Schweſter/ ſo an einem andern Ort gewohnt/ zu erkennen gegeben/ bey ſei-
nem Vater und Mutter aber/ ſo die Wuͤrthſchafft getrieben/ eingekehret/
P ijund
[116]Die Vierzehende Predigt
und ſich als ein gantz Land-fremder Gaſt geſtellet. Da er aber ſeinem
Vater ein Paquet mit Geld/ 300. Thaler werth/ auffzuheben gegeben/ in
Meynung/ morgenden Tages zu ſagen/ wer er ſeye/ und ſich mit ihnen lu-
ſtig zu machen/ ſo geſchichts/ daß der Teuffel Vater und Mutter durch den
Geitz die Augen verblendet/ daß ſie ihren eygenen leiblichen Sohn zu Nacht
im Beth erwuͤrgen und ermorden. Am morgens/ da die Schweſter ge-
kommen/ nach dem Bruder gefragt/ und den Eltern zu verſtehen gegeben/
es waͤre ihr verlohrner Sohn wieder gekommen/ er habe ſich bey ihr geſtern
angemeldet/ und geſagt/ er wolle dieſe Nacht bey ihnen herbergen/ da wachet
ihnen das Gewiſſen auff/ gerathen in ſolche Verzweiffelung/ daß der Vat-
ter ſich ſelbs erhencket/ die Mutter ſich ſelbs erſtochen/ und die Schweſter/
nach dem ſie es gehoͤret/ ſich ſelbs in einen Brunnen geſtuͤrtzet und erſaͤuffet.
Theils auß Aberglauben/ wie die Eltern gethan/ ſo ihre Kinder dem
Moloch auffgeopffert und verbrandt haben/ und wie Meſa ſeinen Sohn
auff der Mauren geſchlachtet/ vor den Augen der Kinder Jſrael/ daß ſie
von der Belaͤgerung ablieſſen/ 2 Reg. 3, 4, 27.


III. Impoſſibile Divinum, ein Goͤttlicher weiſe unmuͤgliches
Ding. Wann/ ſpricht Gott der Herr/ es gleich geſchehen ſolte/ daß
eine Mutter ihres leiblichen Kindleins vergeſſe/ ſo wolle Er doch ſeines
Zions/ Bund- und Gnaden-Kindes nicht vergeſſen/ Er wolle ſeine Va-
ter-Liebe nicht wenden/ Er habe nicht Strauſſen-Art an ſich; davon
Hiob 39, 16. der ſeine Eyer auff die Erde fallen/ und ſie die heiſſe Erde auß-
bruͤten laßt/ er vergiſſet aber/ daß ſie moͤchten zutretten werden/ und ein wil-
des Thier ſie zubrechen; nicht Katzen-Art/ die ihre eygene Jungen freſ-
ſen. Er ſeye nicht geſinnet wie Jonas/ der nichts darnach gefraget/ wann
ſchon Gott die Statt Ninive mit Jung und Alt haͤtte untergehen laſſen/
und ſelbſt lieber todt ſeyn wolte/ als leben/ Jon. 4, 1. \& 8. Er habe Sion
in ſeine Hand gezeichnet/ daß Er ſeiner nimmer vergeſſen koͤnne. Jſt ein
Gleichnuß hergenommen von den Juden/ welche deſſen Bildnuß/ ſo ſie
lieb gehabt/ an ihren Finger-Ringen getragen/ daher ſprechen die gefangene
Juden Pſalm. 137, 5. Vergeſſe ich dein Jeruſalem/ ſo werde mei-
ner Rechten vergeſſen. Eben ſo wenig/ ſpricht GOtt/ will Er auch
Sions vergeſſen/ dann ſeine Barmhertzigkeit gehet uͤber alle Welt/ Syr. 18.


Und eben dieſen Affect hat der Allerhoͤchſte GOtt gegen einem ar-
men bußfertigen Suͤnder und Sions-Burger/ abgeriſſen und entworffen
in dem Vater des verlohrnen Sohns. Eine groſſe Emphaſin und Nach-
truck haben die erſte Wort unſerer Parabel: Es war ein Menſch/ der
hatte zween Soͤhne/ ꝛc. So nun ein Menſchein ſolch Hertz hat gegen
ſeinem
[117]Vom verlohrnen Sohn.
ſeinem verlohrnen Sohn/ wieviel mehr traͤgt GOtt gegen bußfertigen
Suͤndern unendlich groͤſſern Affect/ der ein Vater iſt aller Barmhertzig-
keit/ grund-gut/ deſſen eygentliches Werck die Barmhertzigkeit/ ja der die
weſentliche Barmhertzigkeit ſelber iſt/ der ſich ſo hoch obligiret und verbin-
det/ wann ein Weib ihres Kindes nicht vergeſſen kan/ ſo wolle er unſer
viel weniger vergeſſen. Darum ſpricht Chriſtus Luc. 11. So ihr/ die
ihr doch arg ſeyd/ koͤnnet dennoch euern Kindern gute Gaben
geben/ wievielmehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben
denen/ die ihn darum bitten. Dieſen ſo groſſen Troſt recht zu
behalten/ und wohl einzubilden/ nehmen wir dißmahl fuͤr uns/ miſeri-
cordem Patris affectum \& geſtum,
den barmhertzigen Affect und
Geberde des Vaters/ wie ſich derſelbige gegen ſeinem verloffenen/ ver-
lohrnen und verirꝛten/ aber nunmehr wiederum ankommenden/ demuͤ-
thigen Sohn erzeiget. Der Gott alles Troſtes und Vater aller Barm-
hertzigkeit wolle uns hierzu mit dem Liecht und Krafft ſeines Heil. Geiſtes
mildiglich erſcheinen. Amen.


BElangend nun das ſchoͤne Contrafet der Goͤttlichen Barmhertzig-
keit/ die uns der Sohn GOttes durch das Vater-Hertz des Vat-
ters des verlohrnen Sohns abbildet/ durch ein Perſpectiv durch-
ſchauen laßt/ ſo befinden ſich bey demſelben 5. unterſchiedliche gradus, Ra-
rit
aͤten und Kunſt-Stuͤcke/ unter welchen das I. Viſio, der Blick: Da
er aber noch fern von dannen war/ ſpricht der Text/ ſahe ihn ſein
Vater. Welcher maſſen der verlohrne Sohn zuruck gekommen/ ſeine
Aufferſtehung/ Standfeſt/ Reiß und Ankunfft/ hat E. L. neulich vernom-
men. Seinen Auffzug/ wie er zu Pferd weg gezogen/ zu Fuß aber wieder
gekommen/ und zwar barfuß/ dann der Vater laßt ihm Schuh geben;
nackend und blutt/ dann der Vater laßt ihm ein Kleid bringen; hungerig
und durſtig/ dann er laßt ihn ſpeiſen; Jaͤmmerlich/ aber ein Hertz voll Reu
und Leyd/ gekraͤnckt/ und durch gutes Vertrauen wider auffgericht. Die-
ſes alles ſiehet nun der Vater mit Augen/ πόῤῥωθεν, von ferne/ da er noch
ein gutes ſtuck wegs von ihme war/ dauchte ihn/ confuſè, er ſolle dieſen
Menſchen kennen/ und ſagt: das iſt einmahl gewiß mein juͤngſter/ ver-
lohrner Sohn/ biß er ihm naͤher gekommen/ und er ihn diſtinctè, eygentlich
hat erkennen moͤgen. Jſt ein holdſeliges Kunſt-Stuͤck/ darinnen der
Sohne GOttes die πρόγνωσιν, die Vorſchau ſeines himmliſchen Vat-
ters uns fuͤr die Augen ſtellet. Dann es hat auch der allſehende GOtt
das gantze menſchliche Geſchlecht geſehen von ferne/ in der Ewigkeit/ ehe
P iijes
[118]Die Vierzehende Predigt
es erſchaffen worden; Er hat nachmals geſehen die gantze maſſam, unſere
verderbte und grund-boͤſe Natur/ unſern elenden Stand/ unſere Bloͤße
und groſſen Mangel/ da wir ruffen mußten:


Dem Teuffel ich gefangen lag/

Jm Tod war ich verlohren/

Mein Suͤnd mich quaͤlet Nacht und Tag/

Darinn ich bin gebohren/

Jch fall auch immer tieffer drein/

Es iſt kein Guts am Leben mein/

Die Suͤnd hat mich beſeſſen.

Da hat es geheiſſen: Ecce Adam, ſiehe Adam iſt worden als unſer
Einer! Ja hinderſich nauß! Ach wie iſt doch der Menſch/ die edle Creatur/
das ſchoͤne Bild/ ſo ſchaͤndlich verderbet/ wie iſt es ſo haͤßlich zugericht!
Aber es ſahe uns Gott an nicht oculo nequam \& maligno, mit einem
Schalcks-Aug/ als ein Schaden-Froh/ wie die Feinde Chriſti/ Pſalm. 40.
\& 41. und Matth. 27. Nicht otioſo, mit einem muͤſſigen Schau-Aug/
wie dorten Luc. 10. der Prieſter und Levit den armen Menſchen in ſeinem
Blut ligend geſehen/ die aber voruͤber gegangen/ und ihn liegen laſſen;
ſondern oculo ἐγγυτέρῳ, mit einem nahen Gnaden-Aug/ Er hat uns
gleichſam in die Wunden hinein geſchauet/ und ſie ihm recht vaͤtterlich zu
Hertzen gehen laſſen/ Er hat auff Mittel ſich bedacht/ wie uns wiederum
moͤchte geholffen werden. Jſt


II. Motio affectus, die hertzliche Bewegung und Erbarmen
gegen ihm; es jammerte ihn. Es ſiehet der Vater ſeinen Sohn von
ferne kommen/ cordis commotione mit ſonderbarer Bewegung des Hertz-
ens/ mit Samariters Augen/ Luc. 10. Zweiffels frey hat er ihn eben alſo-
bald nicht gekennet/ er ſiehet einen armen elenden Menſchen daher kom̃en/
das gieng ihm zu Hertzen/ je naͤher er aber zu ihm gekommen/ je mehr dun-
cket ihn/ er ſoll den Menſchen kennen/ er ſiehet ihn auch je laͤnger je friſcher
darauff tretten/ biß er ihn endlich eygentlich in das Geſicht gefaßt und er-
kant/ daß er es ſeye. Da wird er bey ſich geſagt haben: Ey/ behuͤte Gott/ iſt
das mein Sohn? O des elenden Anblicks! das heißt hinauß reißen/ mit
ſo ſchoͤnem Gut wegziehen/ und ſo elend wieder heimkommen? Nun was
ſoll ich thun? ſoll ich ihn wiederum heiſſen fortziehen/ wo er hergekommen?
ſoll ich ihn auch laſſen fuͤr meine Augen kommen? da gieng die lucta,
der Streit des vaͤtterlichen Hertzens und Gerichts an/ endlich aber
behielte
[119]Vom verlohrnen Sohn.
behielte die ςοργὴ die vaͤtterliche Liebe die Oberhand/ nein/ er iſt mein Kind/
mein Fleiſch und Bein/ ich will ihn wieder auff- und annehmen; da ruͤh-
mete ſich die Barmhertzigkeit wider das Gericht. Alſo hat auch GOtt/
nach dem Er von Ewigkeit ſeine Creatur/ den verderbten Menſchen/ ange-
ſehen/ ſich ſeiner erbarmet/ 1. miſericordiâ generali, ins gemein/ wenn
wir ſingen:


Da jammerts GOtt in Ewigkeit/

Unſer Elend uͤber die maſſen/

Er dacht an ſein Barmhertzigkeit/

Er wolt uns helffen laſſen/

Er wand zu uns ſein Vater-Hertz/

Es war bey ihm fuͤrwar kein Schertz/

Er ließ ſein Beſtes koſten.

Und davon iſt auch eygentlich zu verſtehen das Gulden Kleinod
Johannis cap. 3. Alſo hat GOtt die Welt geliebet/ daß Er ſei-
nen Eingebohrnen Sohn gab/ auff daß alle/ die an Jhn glau-
ben/ nicht ſollen verlohren werden/ ſondern das ewige Leben
haben. Alſo hat GOtt/ nicht ein ſterblicher/ wandelbarer Menſch/
deſſen Gunſt leichter als ein Pflaum-Federlein: Er hat geliebet die
Welt/ das iſt/ ein Spittal voller Krancken/ Außſaͤtzigen und Tollen/
den Kercker voll boͤſer Buben/ das lupanar, das garſtige Hauß voll Un-
flaͤter/ die Gottloſe Sodomam/ Glaubige und Unglaubige/ nicht nur die
Außerwehlten/ ſondern omnes illos, qui periére primò, die alle/ ſo zu an-
fang durch die Suͤnde verdorben. Dann waͤren ſie alle bloß-Außerwehlte/
ſo haͤtte es die Gefahr nicht/ daß jemand verlohren wuͤrde. Was hat er
ihnen gegeben? Nicht einen Engel/ angelum ſi dediſſet, non res parva
fuiſſet, eò quod Angelus miniſter Dei fidelis \& ſervus, nos autem inimici
\& Apoſtatæ:
Wann Er ihnen einen Engel gegeben haͤtte/ waͤre
es keine geringe Sache geweſen; darum/ dieweil die Engel
GOttes getreue Diener ſeynd/ wir aber Feinde und Mamme-
lucken. Theophyl. Sondern Filium, ſeinen Sohn/ non unum ex
muliere, ſed unigenitum, deditum in pretium \& mortem.


Es hat ſich aber 2. Gott auch unſer erbarmet miſericodia ſpeciali,
inſonderheit/ nach einer ſonderlichen Barmhertzigkeit/ davon Eph. 1. v. 6.
Durch ſeine Gnade hat uns GOtt ihme angenehm gemacht
in dem Geliebten. Dann nach dem der Menſch naͤher herzu gekom-
men/ durch Buß und Glauben dem himmliſchen Vater entgegen gegan-
gen/
[120]Die Vierzehende Predigt
gen/ ſo brennet dem Allerhoͤchſten ſein Hertz. Und ob zwar wol auch lu-
cta juſtitiæ \& miſericordiæ,
ein Streit zwiſchen der Gerechtigkeit und
Barmhertzigkeit GOttes ſich erzeiget/ welcher Oſe. 11. gar ſchoͤn beſchrie-
ben ſtehet: Was ſoll ich auß dir machen Ephraim? ſoll ich dich
ſchuͤtzen Jſrael? ſoll ich nicht billich ein Adama auß dir ma-
chen/ und dich wie Zeboim zurichten? Aber mein Hertz iſt
anders Sinnes/ meine Barmhertzigkeit iſt zu bruͤnſtig/ daß
ich nicht thun will nach meinem grimmigen Zorn/ noch mich
kehren Ephraim gar zu verderben/ dann ich bin GOtt/ und
nicht ein Menſch. Und Jerem. 31. Jſt nicht Ephraim mein
theurer Sohn/ und mein trautes Kind? dann ich dencke noch
wohl daran/ was ich ihm geredt habe/ darum bricht mir mein
Hertz gegen ihm/ daß ich mich ſeiner erbarmen muß.


III. Schlaͤgt dem Vater das Feur in ſeine Geberde/ daß er das
dritte Kunſt-Stuͤck beweiſet/ nemlich præcurſionem, den Vorlauff. Der
Vater lieff/ und zwar alſo/ daß er dem Sohn vor und ſtaͤrcker geloffen.
Vermuthlich iſt zwar/ der Sohn ſeye dem Vater alsdann auch entgegen
geloffen/ gleichwol aber deutet die Parabel auff den Præcurſum und Vor-
lauff des Vaters/ er ſeye auß feuriger Liebe dem Sohn fuͤrgekommen.
Das that David nicht/ ſondern per gradus nach und nach ließ er ſeinen
Sohn fuͤr ſich kommen/ 2. Sam. 14, 24. Zwey Jahr mußte Abſolon zu
Jeruſalem ſich halten/ ehe er des Koͤnigs/ ſeines Vaters Angeſicht ſehen
durffte. Aber hier vergißt gleichſam der Vater ſeiner vaͤtterlichen Au-
toritaͤt und ſeines Rechten/ nach welchem er den verlohrnen Sohn gar wol
haͤtte verſtoſſen koͤnnen/ und nicht fuͤr ſich doͤrffen kommen laſſen. Ach wie
troͤſtlich iſt das/ M. L. wann wir bedencken/ wie auch der himmliſche Va-
ter ſeines ſtrengen Rechten uͤber uns ſich begeben/ uns mit ſeiner fuͤrgehen-
den Gnade zuvor kommt. Wie die Sonne am morgens eher ſcheinet/ als
mancher Menſch erwachet/ alſo iſt auch Gottes Barmhertzigkeit alle mor-
gen neu/ Thren. 3, 23. Der Vater ziehet uns zu ſich/ und wir nicht Jhn
zu uns. Wann Gott warten ſolte/ biß wir zu Jhme kaͤmen/ muͤßte Er
lang warten/ darum hat Er ſeine Apoſtel/ d[r]omeda[r]ios und Laͤuffer auß-
geſandt zu holen die/ ſo noch in der Ferne ſeind.


Das IV. Kunſt-Stuͤck iſt Amplexio, Umfahung/ er fiel ihm um
den Halß. Was fuͤr Wort da gefallen/ koͤnnen wir leichtlich ermeſſen:
Ach/ biß willkom̃/ mein lieber Sohn/ welche Freude iſt es mir/ daß ich dich
noch lebendig wiederum fuͤr meinen Augen ſehe/ du ſolt mir hinfuͤhro
lieber ſeyn als zuvor jemals. Auguſtinus leget dieſen Arm von dem
Sohn
[121]Vom verlohrnen Sohn.
Sohn GOttes auß l. 2. qq. Evang. c. 33. Quid eſt ſuper collum ejus ca-
dere? niſi inclinare \& humiliare in amplexum ejus brach[i]um ſuum, \&
brachium Domini, cui revelatum eſt? Quod eſt utique Dominus nolter
Jeſus Chriſtus.
Was iſt um den Hals fallen? als neigen und buͤck-
en ſeinen Arme ihn zu umfahen? und wem iſt der Arm des
HErꝛn ſo offenbahret? das iſt unſer Heyland JEſus Chri-
ſtus. Wir haben aber droben angezeiget/ warum man nicht viel ſcrupo-
lieren ſoll; Wir laſſens dabey verbleiben/ daß es eine Anzeigung groſſer
brennender Liebe und Barmhertzigkeit ſeye/ und damit geſehen werde auff
die Goͤttliche συγκατά [...]ασιν, wie GOtt ſo nahe ſich zu uns gethan/ wie noth
es Jhm nach uns geweſen/ als wolte ihm ſein Goͤttlichs Weſen daruͤber
zerrinnen. Alſo laſſen wirs auch dahin geſtellet ſeyn/ was


V. Andere von dem oſculo und Kuß fuͤr Gedancken haben/ wann
es heiſſet: und kuͤſſete ihn. So nun durch den Arm der Sohne Gottes
verſtanden wird/ mag auch durch den Kuß des Vaters der Heil. Geiſt ver-
ſtanden werden; Qui enim ſe oſculantur, non ſunt libatione labiorum
contenti, ſed ſpiritum ſuum ſibi invicem videntur infundere, Ambroſ.
l. de Iſaac. c.
3. Welche ſich kuͤſſen/ ſeind mit Beruͤhrung der Lip-
pen nicht zu frieden/ ſondern es ſcheinet/ als wolten ſie einander
die Seelen mittheilen. Jns gemein aber verſtehen wirs de oſculo
pacis,
von dem Friedens-Kuß/ mit welchem er ſeinem Sohn Frieden zu-
ſagte/ und bezeugete/ daß alles/ ſo vorgegangen/ todt und ab ſeyn/ und deſ-
ſelben nimmer gedacht werden ſolte. Gleich wie Eſau/ da ihm ſein Bruder
Jacob begegnet/ ihm entgegen geloffen/ und ihn gehertzet/ um den Hals
gefallen/ und ihn gekuͤſſet/ Geneſ. 33, 4. Gleich wie Joſeph ſeinem Bru-
der Benjamin und den uͤbrigen um den Hals gefallen/ und ſie gekuͤſſet.
Gen. 45, 14. Oder wie David ſeinen Abſolon/ da er wieder fuͤr ihn gekom-
men/ gekuͤſſet hat/ 2. Sam. 14, 33. Alles zu Bezeugung hertzlicher Liebe
und Ablegung aller Feindſchafft. Wie nun ein Kuß ein Zeug/ ja Grund/
der Liebe/ alſo haben wir uns auch alle zu unſerm lieben GOtt nicht anders
zu verſehen/ als zu unſerm beſten Freund/ das hat Er bezeuget mit dem
Kuß ſeines lieblichen und honig-ſuͤſſen Evangelii/ mit dem Wort der Ver-
ſoͤhnung/ und des Friedens mit GOtt/ davon der weiſe Salomo ſein Lied
anſtim̃et/ und ſagt: Er kuͤſſe mich mit dem Kuß ſeines Mundes/
mit dem heiligen Kuß ſeiner Evangeliſchen Zuſage/ da Er uns den Frie-
den verſprochen/ und auch wuͤrcklich verkuͤndigen laſſen.


Alſo haben wir nun hier den beſten Kern dieſer Parabel/ die eygentli-
che Abbildung und Contrafeit der Barmhertzigkeit GOttes. An dieſem
Zehender Theil. QGemaͤhld
[122]Die Vierzehende Predigt
Gemaͤhld laſſet uns unſere Gemuͤther beluſtigen/ es iſt uͤber alle Raritaͤten
und Kunſt-Stuͤcke Apelles mahlete vorzeiten eine Stutte oder Mutter-
Pferd ſo artig/ daß die Hengſte/ ſo man darbey gefuͤhret/ daſſelbe angewie-
hert. Zeuxis mahlte eine Traube ſo eygentlich/ das die Voͤgel herzu geflo-
gen/ und davon freſſen wollen. Parrhafius mahlte einen Fuͤrhang an die
Taffel ſo ſchoͤn/ zierlich und kuͤnſtlich/ gleich als ob es ein Gemaͤhld bedeckte.
Darum Zeuxis hinzu gieng/ und wolte den Vorhang wegnehmen. Da
er ſich aber betrogen fand/ gab er Parrhaſio den Vorzug/ weil er ſelbſt nur die
Voͤgel/ dieſer aber die Menſchen betrogen. Aber es iſt und bleibet dieſes
Gemaͤhlde der Barmhertzigkeit GOttes uͤber alles; wie nun niemand den
Vater geſehen/ als allein der Eingebohrne Sohn GOttes/ der in des Vat-
ters Schooß iſt/ ſo mahlet er ihn auch am beſten. Herr zeige uns den
Vater/ ſpricht Philippus dorten Joh. 14. hier zeiget ihn Chriſtus/ als ei-
nen ſolchen GOtt/ der da iſt der Vater aller Barmhertzigkeit/ kein Blut-
hund/ kein harter Mann/ der uns anſchnauet/ ſondern ein verſoͤhnlicher
GOtt/ Nehem. 9. Solte einem manchen Menſchen der Spott und Trutz
begegnen/ den GOtt manchmal leiden muß/ er ſchluͤge mit Donner und
Blitz darein. Jſt der typus und das Bild ſo troͤſtlich/ moͤgen wir recht und
wohl ſchlieſſen/ ey wie ſchoͤner/ anmuthiger/ und bruͤnſtiger wird dann der
prototypus und Gegenbild ſeyn. Ja/ ſo unendlich groͤſſer GOtt iſt als
ein Menſch/ ſo unendlich groͤſſer iſt auch ſeine Barmhertzigkeit. Gleich
wie ein Sand-Koͤrnlein gegen der gantzen Welt/ wie ein Staͤublein gegen
der groſſen Erden/ wie ein Troͤpfflein gegen dem breiten und tieffen Meer/ ſo
iſt auch unſere Barmhertzigkeit zu rechnen gegen GOttes Barmhertzigkeit/
der die rechte weſentliche Barmhertzigkeit ſelber iſt. Sprichſtu auch in dei-
nem Hertzen mit Zion: der HErꝛ hat mein vergeſſen/ Gott kennet mich nit
mehr/ Er hat ſeine Barmhertzigkeit fuͤr mir verſchloſſen/ er haltet ſich hart
gegen mir/ ich kan nicht mehr zu Jhm kommen/ meine Suͤnde ſcheiden
mich und Jhn von einander; ſo hoͤre/ mein leiber Chriſt/ ſiehe nur zu/ daß
du dich in die Poſitur des verlohrnen Sohns ſtelleſt/ nicht nur miſer und
elend/ ſondern auch miſerabel, Erbarmens wuͤrdig ſeyeſt/ ſo wird ſich Gott
auch deiner wieder annehmen/ und gewiß erbarmen/ du muſt nicht zweif-
feln an GOttes gnaͤdigem Willen/ und mit feſtem Vertrauen dich auff
Jhn verlaſſen/ ſo wirds nicht fehlen. Jm gegentheil haben ſichere Leute
dieſes in acht zu nehmen/ daß ſie GOtt nicht verſuchen/ mit Heuchlers-Poſ-
ſen/ ſondern in der jenigen Poſitur erſcheinen/ in welcher der verlohrne
Sohn erſchienen iſt und in GOttes Ordnung ſich ſchicken. Einmahl/
waͤre der verlohrne Sohn hochmuͤtig herein gegangen/ haͤtte den Vater
anfangen
[123]Vom verlohrnen Sohn.
anfangen zu trutzen/ oder ihm irgends eine Schand-Pehck und Hure mit-
gebracht/ ich meyne/ er wuͤrde ſchlecht willkom̃ geweßt/ und wie eine Sau
ins Juden Hauß kommen ſeyn. Nein/ das thut er nicht/ ſondern er er-
ſcheinet in wahrer hertzlicher Buße und glaubigem Vertrauen. Ach ſo
wage es ja niemand auff GOttes Barmhertzigkeit zu ſuͤndigen. Dann
ſo barmhertzig Er iſt gegen den Frommen und Bußfertigen/ ſo zornig iſt Er
auch uͤber die Gott- und ruchloſen Suͤnder/ Syr. 16. 12. Er iſt zwar die
Liebe ſelbſt/ aber wie der Jmmen Koͤnig Stachel-Jmmen um ſich her hat/
ſo hat ſeine Majeſtaͤt Feuer/ Schwerdt/ Hunger/ Theurung/ Peſtilentz und
den Teuffel ſelbs/ damit Er ſtraffet. Derohalben wann man zu ihm ſich
nahen will/ muß es geſchehen 1. contritione, mit wahrer Reue/ Warum̃
wilt du/ O Menſch/ den Reichthum der Guͤte/ Gedult und
Langmuth GOttes verachten? weiſtu nicht/ daß dich GOt-
tes Guͤte zur Buße leitet. Rom. 2, 4. Dann eben darum ſcheinet die
hertzliche Barmhertzigkeit Gottes gegen uns in Teutſchland hart zu halten/
und will die unerſaͤttliche/ unbarmhertzige Kriegs-Furi nicht nachlaſſen/
daß wir dadurch ſollen zur Buße kommen. Wer da nicht will/ uͤber den
wird dies Juſtitiæ, der Tag der ſtrengen Gerechtigkeit Gottes ploͤtzlich kom-
men/ damit dann auch die Barmhertzigkeit ein Ende nim̃t. Jetzt zwar
hat ſie noch kein Ende/ aber alsdann werden ihrer viel an jenem Tag bey
Jhme anklopffen/ und nicht hinein gelaſſen werden/ weil die Thuͤr bereits
verſchloſſen. 2. Jm Glauben; Ariſtoteles ſoll auch geruffen haben: ô Ens
entium miſerere mei,
O du Ding aller Dinge erbarme dich mein;
deßgleichen Servetus, als er Anno 1553. zu Genff wegen ſeiner Gottslaͤſte-
rung verbrandt worden/ ô miſericordia, miſericordia, O Barmher-
tzigkeit/ Barmhertzigkeit! Chemnit. LL. de DEO edit. in fol. p. 34.
aber es hat ſie wenig geholffen/ weil jener als ein blinder Heyd/ dieſer aber
als ein Ertz-Ketzer im Unglauben geſtorben. Kommen wir aber im Glau-
ben/ ſo ſollen wir willkom̃ ſeyn/ mit den Armen der Goͤttlichen Barmher-
tzigkeit umfaſſet/ von der gantzen Hoch-Heiligen Drey-Einigkeit und allen
heiligen Engeln umarmet und gekuͤſſet werden/ da wird uns Gutes und
Barmhertzigkeit in jenem Leben nachlauffen/ wie ſie uns in dieſem Leben
vorgeloffen/ was wir hie Troͤpffleins weiß/ das werden wir dorten
Stroms-weiß genieſſen; was wir hie nur erblicket/ das werden wir dort
von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen bekommen; hier iſt die ποόγευσις und
der Vorſchmack/ dort aber der voͤllige Genuß und Guß. GOtt erhalte
uns alle mit ſeiner Gnade zum Ewigen Leben/ daß wir hie ſchmecken die
Suͤſſigkeit ſeiner Gnade/ dort aber davon trincken/ und mit Wolluſt als
mit einem Strom getraͤncket werden/ Amen.


Q ijDie
[124]Die Fuͤnffzehende Predigt

Die Fuͤnffzehende Predigt.
Von der Abſolution des verlohrnen Sohns.


GEliebte in Chriſto. Menſchliche reconciliationes und
Verſoͤhnungen ſind offtmahlen 1. ta[r]dæ \& moroſæ, es ge-
het langſam damit her/ werden auff die lange Banck geſcho-
ben. David laͤßt ſich zwar 2. Samuel. 14. auff Unterhand-
lung Joab/ und die kluge Fuͤrbitt/ ſo das Weib von Thekoa
eingelegt/ mit ſeinem Sohn Abſalon beguͤtigen/ er erlanget
zwar Gnad/ aber mit langer Hand/ alſo/ daß er ihm nicht durffte alsbald
fuͤr Augen tretten; dann zwey Jahr blieb er zu Jeruſalem/ ehe er ſeines
Vaters Angeſicht anſchauen durffte. So will oder muß noch ein mancher
lange Zeit haben/ biß der alte grollen verſchwindet/ und man ſich wieder zu
frieden begibt. 2. Fallaces \& moleſtæ, was die zeitliche Reputation betrifft/
betrieglich und beſchwerlich/ da eine Parthey auff ihren Nutzen/ Ehr/ Vor-
theil und Reputation ſiehet/ daß demſelben kein Abbruch geſchehe. Als im
Jahr 1276. Kayſer Rudolph der Erſte wider den Koͤnig Ottocar in Boͤh-
men zu Felde gezogen/ dieſer aber befunden/ er waͤre jenem zu ſchwach/ und
deßwegen ſich zur guͤtlichen Handlung anerbotten/ da ward die Sache
durch Pfaltz-Graffen Ludwig/ Churfuͤrſten/ und etliche Geiſtliche alſo ge-
mittelt/ daß Ottocar die Oeſterreichiſche Lande dem Reich abtretten/ Maͤhrẽ
und Boͤhmen von Kayſer Rudolphen zu Lehen empfahen ſolte. Als aber
die Zeit der Huldigung und Inveſtitu[r] vorhanden/ der Kayſer in ſeinem Ge-
zelt in ſeiner Majeſtaͤt geſeſſen/ die Curfuͤrſten und Fuͤrſten um ihn her ge-
ſtanden/ der Koͤnig Ottocar aber vor dem Kayſer auff den Knien lag/ fiel
das Gezelt/ welches mit fleiß alſo gemacht war/ vrploͤtzlich rings umher auff
den Boden/ daß jederman ſehen kunte/ wie Ottocar der ſtoltze Koͤnig mit
bloſem Haupt vor dem Kayſer auff den Knien gelegen; welche Schmach
hernach einen blut-trieffenden Krieg verurſacht. Jch geſchweige der jenigen
fallaciarum, Luͤſte/ Betruͤg und Raͤncke/ die taͤglich vorgehen. 3. Emptæ
\& mercenariæ,
erkaufft oder auch nur gelehnet/ da man zwar Friede ma-
chet/ aber mit hoͤchſter Beſchwehrung der andern Parthey. Wolte Me-
nahem der Koͤnig in Jſrael Frieden haben vor Phul dem Koͤnig von Aſ-
ſyrien/ ſo mußte er ihn mit 1000. Centn Silbers erkauffen/ dadurch eine
ſchwere Contribution verurſacht worden/ dann 50. Seckel Silbers ſetzt er
auff einen jeden Mann unter den Reicheſten in Jſrael/ 2. Reg. 15, 19.
Anderer
[125]Vom verlohrnen Sohn.
Anderer Dienſtbarkeiten zu geſchweigen. 4. Imperfectæ, unvollkom̃en/
da man ſich zwar verſoͤhnet/ aber mit gewiſſen Reſervaten und Beding-
ungen/ Tribut und Dienſtbarkeit/ dergleichen die Tuͤrcken auffzulegen
pflegen, eine und die andere Servitut zu tragen/ oder andere Beſchwerde
auff ſich zu nehmen/ Unvernunfft zu buͤſſen/ dergleichen in Hiſtorien und
Exempeln zu leſen/ und iſt in der taͤglichen Erfahrung nichts gemeiner/
daß zwar das Feur etlicher maſſen geloͤſchet/ aber die Funcken gluntzen noch/
da heiſſet es/ ich will wohl vergeben/ aber nicht vergeſſen.


Viel anders iſt die Goͤttliche καταλλαγὴ und Verſoͤhnung geartet/
wem deñ der himmliſche Vater perdonirt und vergibt/ dem vergibt er citò,
gar bald/ ja prævenienter, Er laufft mit ſeiner Vergebung vor/ wie Er ſol-
ches an dem Vater des verlohrnen Sohns abgebildet. Er vergibt ſincerè,
hertzlich/ ohne Falſchheit/ will nit nur alſo bereden/ voluntate ſigni, als
ſeye es ihm alſo ums Hertz/ und iſt doch nit/ ſondern es iſt voluntas bene-
placiti,
ſein ernſtlicher Will/ und Goͤttliches Wohlgefallen uns zu ver-
geben. Gratuitò \& perfectè, auß Gnaden/ umſonſt/ ohne einige Entgel-
tung oder Buß/ vollkommen/ Er verſencket alle Suͤnde in die Tieffe des
Meers/ und gedencket unſerer Ubertrettung nicht mehr. Geſtalt dann ſol-
che Goͤttliche Abſolution, und alſo juſtificatio Evangelica, die Evange-
liſche Rechtfertigung in unſerer Parabel fuͤrgeſtellet iſt. Dann nach
dem der verlohrne Sohn appellirt/ in gutem Vertrauen zu ſeinem Vater
gegangen/ ſeine Confeſſion und Beichte abgelegt/ ſo verweißt ihm der Va-
ter ſein uͤbel verhalten nicht/ wie ſein Bruder/ er hat keinen Grollen und
Widerwillen wider ihn/ ſondern der Vater umfaſſet ihn nicht allein/ ziehet
ihn zu ſich/ umhalſet und kuͤſſet ihn/ ſondern er kleidet ihn auch/ gibt ihm
einen Ring an den Finger/ Schuh an die Fuͤſſe/ ſchlachtet ein Kalb/ hal-
tet eine Mahlzeit/ und machet ſich froͤlich mit ihm. Seind lauter offen-
bahre ſymbola pleniſſimæ reconciliationis, Zeichen der vollkommenſten
Verſoͤhnung; Jſt die Geiſtliche Inveſtitur eines armen Suͤnders/ darauß
die vollkommene Abſolution abzunehmen/ davon wir fuͤr dißmahl zu hand-
len uns vorgenommen. GOTT gebe Gnad und Segen/ daß es frucht-
barlich geſchehe/ Amen.


BElangend nun I. die geiſtliche Jnveſtitur des verlohrnen
Sohns/ die auß unterſchiedlichen Zeichen abzunehmen: à poſte-
riori,
ſo ſeind derſelben zweyerley/ etliche antecedentes confeſ-
ſionẽ,
die vor der gethanen Beicht hergegangen/ als die Umfaſſung
und der Kuß/ davon in voriger Predigt Meldung geſchehen; etliche con-
Q iijſequentes,
[126]Die Fuͤnffzehende Predigt
ſequentes, die darauff gefolget/ und zwar I. veſtis indumentum, ἡ ςόλη
ἡ πρώτη, das beſte vornehmſte Kleid: Aber der Vater ſprach zu ſeinen
Knechten: bringet das beſte Kleid herfuͤr/ und thut ihn an. τὴν
ςόλην τ [...]ν πρ [...]ην, iſt eine gar bedenckliche Rede/ mit zween articul[i]s gleichſam
verbremt; er nennet es τὴν πρώτην, das beſte Kleid/ 1. ratione coloris,
wegen der Farb/ weil es vielleicht weiß geweßt/ ſolte es das beſte Kleid
ſeyn/ hatte es gewißlich auch die beſte ſc. weiße/ Farb/ welche die gnaͤdige
Abſolution bedeuten ſoll. Ein ſchwartz und Traur-Kleid war vor zei-
ten bey den Roͤmern veſtis reatus, ein Zeichen der Schuld und des Ver-
brechens/ daher bey Joſepho l. 14. cap. 17. der alten Geſchichten/ Sameas der
Juͤdiſche Redner/ da Herodes/ als der Beklagte/ vor Gericht erſchienen/
ſich zum hoͤchſten beſchweret/ daß er ſich erkuͤhnen doͤrffte/ mit bewehrter
Hand/ und einem Purpur-Kleid zu erſcheinen/ er ſagt/ ſolchen Frevel
habe er niemahls geſehen/ daß eine Malefitz-Perſon ſolte fuͤr Gericht ge-
tretten ſeyn/ wie Herodes/ in einem Purpur-Kleid/ um den Kopff mit
zuſammen gelegtem Haar geſchmuͤcket/ es gebuͤhre ihm anders zu erſchei-
nen/ in einem ſchwartzen Kleid und laugem Haar. Wie nun ſchwartze
Kleider ein Zeichen der Betruͤbnuß und Traurigkeit/ alſo [i]ſt ein weiſſes
Kleid eine Anzeigung der troͤſtlichen Abſolution/ und gegebenen oder be-
zeugten Unſchuld/ Luc. 23. 2. Jſt es das beſte Kleid ratione excell[e]ntiæ,
pretioſitatis, \& dignitatis,
was die Wuͤrde/ Zierde und Koſtbar-
keit antrift/ ein uͤberaußkoͤſtliches Kleid/ das beſte edelſte Feyer-Kleid/
das Hoheprieſterliche adeliche Kleid des erſtgebohrnen im Hauſe/ derglei-
chen Eſau auch gehabt/ die aber Jacob auß Angebung ſeiner Mutter zum
Betrug ſeines Vaters angezogen/ Gen. 27, 5. Joſeph/ als der juͤngſte
und liebſte Sohn/ trug auch derglechen/ die ihm ſein Vater auß ſonder-
bahrer Liebe machen laſſen/ c. 37. 3. Wird es genennet ἡ πρώτη, das beſte
oder erſte Kleid/ ratione temporis, der Zeit nach/ weil ers/ wie vermuht-
lich/ zuvor auch getragen/ welches ihm aber der Vater bey ſeiner eygen-
willigen Abreiß außgezogen/ und unterdeſſen im Kleider-Kaſten auffge-
hoben. Was mag nun wohl der Sohn GOttes hiedurch verſtanden
haben? anders nichts/ als ſich ſelbs/ den wir in der H. Tauff angezogen/
zur Erſetzung deſſen/ was wir durch die Suͤnde wider das Gewiſſen ver-
lohren. Es wird damit gemeynet veſtis innocentiæ, das weiße Kleid
ſeiner Unſchuld/ das Er in der Paſſion angezogen/ fuͤr uns zu buͤſſen/
und uns zu abſolviren. Veſtis juſtitiæ imputatæ, das Kleid der zu-
gerechneten Gerechtigkeit JEſu Chriſti/ davon Eſ. 61, 10. Jch
freue mich im HErrn/ und meine Scele iſt froͤlich in meinem
GOtt.
[127]Vom verlohrnen Sohn.
GOtt. Dann er hat mich angezogen mit den Kleidern des
Heyls/ und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet. Wie
einen Braͤutigam mit Prieſterlichem Schmuck gezieret/ und
wie eine Braut in ihrem Geſchmeide berdet. Veſtis imaginis
divinæ amiſſæ,
das Kleid des verlohrnen Goͤttlichen Ebenbilds/
das muͤſſen uns die Knechte/ das miniſterium, vermittelſt glaubiger
Auffnahm der anerbottenen Gnaden-Mittel/ anziehen/ und uns damit
zieren/ daß wir fuͤr GOtt wieder ein Anſehen bekommen. 2. Annuli
ornamentum,
ὁ δακτύλιος, und gebt ihm einen Finger-Reiff an
ſeine Hand. Der Finger-Ring hat ſonſt viel und mancherley Be-
deutung/ ſo wohl in H. Schrifft/ als auch Profan-Buͤchern. Die
vornemſte und hieher ſonderlich gehoͤrige Bedeutung iſt ſignificatio pi-
gnoratoria,
Pfands-Bedeutung. Als Gen. 38. Judas der Thamar
einen Zigenbock von der Heerde verſprochen/ daß ſie ihn bey ihr liegen
laſſen/ ſo wil ſie ſich damit nicht begnuͤgen laſſen/ und ſprach: gib mir
ein Pfand/ biß daß du mir ihn ſendeſt/ unter andern aber begehrte ſie
auch ſeinen Ring zum Pfand. Alſo wurde Eſth. 8. der Koͤnigliche Wi-
derruff/ daß die Juden nicht ſolten getoͤdet werden/ mit des Koͤnigs
Ring verſiegelt und guͤltig gemacht. Auff ſolche weiſe war damahls dem
verlohrnen Sohn der Finger-Reiff auch an ſtatt arrhæ filiationis \&
hæreditatis,
eines Pfands/ daß ſein Kind- und Erb-Recht/ die Kind- und
Erbſchafft bey ſeinem Vater wieder richtig ſeye/ und er ſich keiner Enterb-
ung oder Außſtoſſung zu befahren haͤtte/ er ſolte wiederum ſein Kind und
Erbe ſeyn. Geiſtlicher weiſe wird dadurch anders nichts verſtanden/
als GOtt der H. Geiſt/ der da iſt die arrha, das Pfand unſers Erbs/
mit welchem uns GOtt in unſern Hertzen verſiegelt/ 2. Cor. 1, 22. c. 5, 5.
Eph. 1, 14. c. 4. 30. Dieſes heilige Pfand-Siegel/ GOtt den H. Geiſt
wil uns GOtt abermahls und immerdar offeriren und darbieten/ durch
ſeine Knechte und Diener mittheilen laſſen/ ligt nur an der Glaubigen
Auffnahm und Verwahrung. 3. Pedum calceamentum, ὑποδήματα,
und gebet ihm Schuh an ſeine Fuͤſſe. Gleich wie baarfuß-gehen
bey den Morgen-Laͤndern ein Zeichen geweßt der Dienſtbarkeit und elenden
Servitut/ wie zuſehen Eſ. 20. 2. ſeqq. da GOtt der Herr dem Propheten
befohlen/ er ſolle den Sack von ſeinen Lenden ab- und die Schuch
von ſeinen Fuͤſſen auß ziehen/ und er thaͤt alſo/ gieng nacket und
baarfuß. Da ſprach der HERR: Gleich wie mein Knecht
Jeſaia nacket und baarfuß gehet zum Zeichen und Wunder
dreyer Jahr/ uͤber Egypten und Morgenland/ alſo wird der Koͤ-
nig
[128]Die Fuͤnffzehende Predigt
nig zu Aſſyrien hintreiben das gefangene Egypten/ und ver-
triebene Morgenland/ beyde jung und alt/ nacket und darfuß/
mit bloſſer Scham/ zur Schande Egypten. Alſo bedeuten im
gegentheil die Schuh eine erfreuliche cataſtrophen und Wechſel des be-
truͤbten Standes mit einem ſeligen/ gluͤcklichen und froͤlichen/ ja mit der
edlen Freyheit. Hat demnach der Vater damit wollen andeuten/ nun
ſeye der verlohrne Sohn wiederum auß einem Bettler ein Herꝛ/ auß ei-
nem Knecht frey/ auß einem Sau-Hirten ein Juncker worden/ er ſoll
nicht als ein Tagloͤhner/ ſondern als ein Sohn gehalten werden. Geiſt-
licher weiſe wird auch durch die Diener und Knechte GOttes/ durch die
Botten/ derer Fuͤſſe lieblich ſeind auff den Bergen/ die da Friede verkuͤn-
digen/ Gutes predigen/ und Heyl verkuͤndigen/ Eſ. 52, 7. das Evangeliſche
Jubilæum und Erlaß-Jahr außgeblaſen/ daß wir von der Knechtſchafft
des Geſetzes/ der Suͤnden/ und des Teuffels erloͤſet/ allerſeits in die Evan-
geliſche Freyheit der Kinder GOttes geſetzet worden ſeind. 4. Vituli
ſacramentum,
das geſchlachtete Kalb/ bringet τὸν μόσχοντὸν σιτευτὸν, ein
gemaͤſtet Kalb her/ und ſchlachtets/ ein ſonderlich koͤſtlich guts
Kalb/ den Sohn zu erquicken/ und ein Feſt anzuſtellen. Dadurch ver-
ſtehen die Lehrer meiſtentheils anders nichts/ als das Opffer Chriſti:
Vitulus ſaginatus ipſe eſt Salvator, cuius quotidie carne paſcimur,
ctuore potamur,
ſchreibet Hieronymus, das geſchlachtete Kalb iſt der
Heyland ſelber/ deſſen Fleiſch wir taͤglich eſſen/ und ſein Blut
trincken. Occiditur \& vitulus ſaginatus, ut Domini ſpirituali opi-
mum vircute per gratiam Sacramenti myſteriorum conſortio reſtitu-
tus, epuletur,
ſpricht Ambroſius: Es wird auch ein gemaͤſtet
Kalb geſchlachtet/ daß das Fleiſch unſers HERRN (Chriſti)/
welches voller geiſtlicher Tugenden iſt/ durch das Sacra-
ment der/ ſo wieder zur Gemeinſchafft der Geheimnuͤß ge-
kommen/ eſſe und genieſſe. Hier ligt alſo Chriſtus ut λύτρον
\& δῶρον, als ein Loͤß-Geld und Opffer/ als ein Geſchenck und Gabe/
ut Sacrificium \& Sacramentum, als ein blutiges Schlacht-Opffer
und Geheimnuß-reiches Liebes- und Gnaden-Band/ von ſeinem himm-
liſchen Vater fuͤr uns dargegeben. 5. Epularum oblectamentum, die
koͤſtliche Mahlzeit: Laſſet uns eſſen und froͤlich ſeyn/ dann
dieſer mein Sohn war todt/ und iſt wieder lebendig worden/
er war verlohren/ und iſt funden worden/ und fieng an froͤ-
lich zu ſeyn. Das war ein froͤliches Mahl ob intenſionem gau-
dii,
wegen der groſſen Freuden/ ſo Vater und Sohn bey ſich befunden.
Dann
[129]Vom verlohrnen Sohn.
Dann gemeiniglich freuet man ſich daruͤber/ wann man etwas verlohren/
und daſſelbe wieder bekom̃t/ mehr als uͤber alles/ das man noch hat/ wann
es auch ſchon viel beſſer oder koͤſtlicher iſt. Wer kranck geweſen/ und wie-
der geſund worden/ der freuet ſich uͤber die wieder erlangte Geſundheit viel-
mehr/ als zuvor jemahlen. Ein Wittwer oder Wittwe freuet ſich oͤffters
mehr uͤber die andere Ehe als uͤber die erſte/ ſonderlich wann jene beſſer ſchei-
net zu gerahten als dieſe. Dannenhero ſagt auch Chriſtus/ Luc. 15, 7.
Es wird Freude ſeyn im Him̃el uͤber einen Suͤnder/ der Buße
thut/ mehr dann uͤber neun und neuntzig Gerechten/ die der
Buße nicht bedoͤrffen. Gregorius M. ſtimmet mit zu/ wann er ſagt:
Fit plerumque gratior Deo amore ardens poſt culpam vita, quàm ſecu-
ritate torpens innocentia, in paſtoral. c.
29. Gemeiniglich wird das
Leben eines Menſchen GOtt dem HErꝛn/ wann es nach dem
Fall vor Liebe gegen Jhm gleichſam brennet/ viel angeneh-
mer/ als ein unſtraͤfflicher Wandel bey groſſer Sicherheit.
Summa: Es freuet ſich Gott der Vater uͤber einen neuen Sohn/ gleich
wie ſich Jacob uͤber ſeinen gefundenen Sohn Joſeph gefreuet/ und geſagt:
Jch wil nun gerne ſterben/ nach dem ich dein Angeſicht geſe-
hen habe/ daß du noch lebeſt/ Gen. 46, 30. Gott der Sohn freuet
ſich uͤber einen neuen Bruder/ an dem ſein Leyden und Serben nicht ver-
lohren iſt. GOtt der H. Geiſt freuet ſich uͤber einen neuen Tempel/ in dem
er zu wohnen Luſt hat. Es gieng auch froͤlich her ob congratulationem
amicorum \& vicinorum,
wegen des Gluͤck-Wunſches/ den die Be-
kandte/ Freunde und Nachbaren gegen ihm abgelegt. Dann
eben darum hat er ein gemaͤſtet Kalb ſchlachten laſſen/ dieweil er ihm fuͤr-
genommen/ Nachbaren und Freunde zu Gaſt zu laden. Daß iſt die Chriſt-
liche Mit-Freude/ die ein Chriſt gegen dem andern tragen und bezeugen
ſoll; Ein recht Engliſches Werck/ weil es groſſe Freude iſt auch bey den
Englen GOttes uͤber einen Suͤnder/ der Buße thut. Endlich
gieng es froͤlich her ob Muſicam, Symphoniam \& Chorum, wegen des
Geſangs und Reyens/ das angeſtellet worden/ da je einer dem an-
dern durch freundlichen Zuſpruch ein gut Hertz gemacht/ und zur Mit-
Freude auffgemuntert. Jſt das jenige/ welches wir auch in unſern Chriſt-
lichen Gemeinden zu thun pflegen/ wann die gantze Kirch/ als auß einem
Munde/ zuſamen ſtimmet:


Nun freut euch lieben Chriſten g’mein/

Und laßt uns froͤlich ſpringen/

Zehender Theil. RDaß
[130]Die Fuͤnffzehende Predigt
Daß wir getroſt und all in ein

Mit Luſt und Liebe ſingen/

Was GOtt an uns gewendet hat/

Und ſeine groſſe Wunderthat/

Gar theur hat Ers erworben/

Und eine jede glaubige Seele ſpricht ihr ſelbs im Geiſt einen Muth zu/ daß
ſie ſingt:


Nun lob mein Seel den HErꝛn/

Was in mir iſt den Nahmen ſein/

Sein Wolthat thut Er mehren/

Vergiß es nicht O Hertze mein/

Hat dir dein Suͤnd vergeben/

Und heylt dein Schwachheit groß/

Errett dein armes Leben/

Nim̃t dich in ſeinen Schoß/

Mit reichem Troſt beſchuͤttet/ ꝛc.

Wie ſich ein Vater erbarmet/

Uber ſein junge Kindlein klein/

So thut der HErꝛ uns armen/

So wir Jhn kindlich foͤrchten rein/ ꝛc.

Das ſeynd/ M. L. die Zeichen/ darauß die vollkommene Abſolution
kraͤfftiglich mag geſchloſſen werden; Folget nun


II. Abſolutio ipſa, die Loßſprechung oder Loßzehlung an ſich
ſelbs. Welcher maſſen der verlohrne Sohn todt und verlohren geweßt/
haben wir ſchon in vorigen Predigten vernommen. Todt war er in
corde Patris,
in dem Hertzen ſeines Vaters/ der zwar wohl oͤffters
wird an ihn gedacht haben/ aber ihme nicht einbilden koͤnnen/ daß er ſeinen
Sohn wieder lebendig ſehen ſolte/ er ſchlug ihn zweiffels ohn ſo viel auß dem
Sinn und Gedancken/ ſo viel er kunte/ damit er ſich nicht ſelbs nur quaͤlete/
und betruͤbete. Er war todt morte gratiæ, geiſtlicher weiß/ auſſer
der Gnaden GOttes/ deren ſich kein muthwilliger/ in Suͤnden erſoffener
Suͤnder in ſeinem Suͤnden-Stand zu getroͤſten hat/ er war außgethan zur
ſelbigen Zeit auß dem Buch des Lebens. Todt war er reatu, in den
Suͤnden und Suͤnden-Straffen/ das ewige Todes-Urtheil des uͤber-
gangenen Geſetzes hat ihm gegolten/ und waͤre unfehlbar vollzogen wor-
den wo er nicht umgekehret/ und ſich eines beſſern bedacht haͤtte. Er war
todt in ſeculo, politicè, weltlicher weiß/ niemand hielt mehr etwas
auff
[131]Vom verlohrnen Sohn.
auff ihn/ jedermann ſcheuete ſich mit ihm umzugehen/ ſein guter Nahme/
der ſonſt eben ſo gut gehalten wird als das Leben/ war dahin/ er hatte ſich
ſelbs vor der Welt ſtinckend und zu einem Scheu-Saal gemacht. Nun
aber iſt er wieder lebendig/ friſch und geſund/ er lebet im Hertzen ſeines
Vaters/ durch einen froͤlichen Anblick/ er lebet in Unſchuld/ loß von
Suͤnden und Sraffen/ ſeine Suͤnde ſind todt/ er durffte ehrlichen Leu-
ten auch wiederum unter die Augen ſehen/ mit ihnen reden und umge-
hen. Da dann in effectu der Vater anders nichts ſagen wollen/ als:
Sey getroſt mein Sohn/ dir ſeynd deine Suͤnde vergeben/
du biſt mein Sohn/ mein angenehmes Kind/ und Erb/
ſo ſey nun froͤlich und guter dinge. Eben alſo leben wir/
die wir todt waren/ durch Ubertrettung und Suͤnde/ Eph. 2. in Chriſto/
in dem Leben der Gnade GOttes/ und der Unſchuld JEſu Chriſti/ fuͤr
allen heiligen Englen/ die ſich uͤber und mit uns freuen/ und gleich-
ſam Gluͤck wuͤnſchen. Jch gienge fuͤr dir fuͤruͤber/ ſpricht Gott
der HErr Ezech. c. 16, 6. und ſahe dich in deinem Blut liegen/
und ſprach zu dir/ da du ſo in deinem Blut lageſt/ du ſolt
leben/ ja zu dir ſprach ich/ da du ſo in deinem Blut lageſt/
du ſolt leben/ ꝛc. Und c. 18, 21. Wo ſich aber der Gottloſe
bekehret von allen ſeinen Suͤnden/ die er gethan hat/ und
haͤlt alle meine Rechte/ und thut recht und wohl/ ſo ſoll er le-
ben/ und nicht ſterben. Es ſoll aller ſeiner Ubertrettung/ die
er begangen hat/ nicht gedacht werden/ ſondern ſoll leben um
der Gerechtigkeit willen/ die er thut. Meyneſtu/ daß ich Ge-
fallen habe am Tode des Gottloſen/ (ſpricht der HErꝛ HErꝛ)
und nicht vielmehr/ daß er ſich bekehre von ſeinem Weſen/
und lebe?


Er war aber 2. auch ein verlohrner Sohn/ geiſtlicher weiſe/
er ſteckte/ dem Verdienſt nach/ obwohl noch nicht wuͤrcklich/ der Hoͤllen
ſchon im Rachen/ und dem hoͤlliſchen Wolff in den Zaͤhnen. Er war
verlohren auß dem Hauſe ſeines Vaters/ auß ſeinem Teſtament
außgethan/ excommuniciret und verbannet/ wo er nicht gebuͤhrender maß
ſich wieder einſtellen wuͤrde. Aber er iſt worden ein wieder gefundener
Sohn/ der ſich auß dem Verderben erholet/ und wieder zuruck gewendet.
Alſo waren wir weyland todt und verlohren geweßt/ ohne CHri-
ſto/ Fremdlinge/ und auſſer der Burgerſchafft Jſraelis/ und
fremde von den Teſtamenten der Verheiſſung/ daher wir
keine Hoffnung hatten/ und ohne GOtt in der Welt waren.
R ijAber
[132]Die Fuͤnffzehende Predigt
Aber GOtt ſey Danck/ der auß uns als Gaͤſten und Fremd-
lingen/ Buͤrger mit den Heiligen/ und GOttes Haußgenoſ-
ſen gemacht/ Eph. 2. Daß wir wieder angenehme Gnaden-Kinder
und Erben GOttes worden ſeynd. Wann derowegen ein Prediger
ſagt: ſo verkuͤndige ich euch Vergebung aller euerer Suͤnden/ ꝛc. iſt es
eben ſo viel/ als wann ein Hirt ſein verlohrenes und verirꝛtes Schaͤfflein
durch die Evangeliſche Lock-Pfeiffe wieder zur Heerde lockete; oder als
ſpreche er: ſtehet auff ihr todte und verlohrne/ wachet auff/ die ihr ſchlaffet/
auff daß euch JEſus Chriſtus erleuchte/ Eph. 5. v. 14.


Sehet/ M. L. das iſt Juſtificatio Evangelica, die Evangeliſche
Rechtfertigung/ iſt nicht actus phyſicus per infuſionem, eine natuͤr-
liche Handlung/ die durch eine Eingieſſung verrichtet wird/ ſondern
eine ſolche Handlung der Goͤttlichen Barmhertzigkeit/ da ein reuender
und glaubiger Suͤnder/ der bloß und arm/ von dem Thron der Goͤttlichen
Gerechtigkeit appelliert an den Gnaden-Thron Chriſtum/ ſich im Glau-
ben auffmacht/ und auff GOttes Eydfeſte Verheiſſung fuſſet/ gehet
hin zu der H. Abſolution/ thut ſeine Confeſſion und Beicht/ und em-
pfaͤhet alsdann durch den Mund und Hand des Dieners ſtolam
juſtitiæ,
den Rock der Gerechtigkeit Chriſti/ das Kleid des Heyls/
den Ring und Pfand des H. Geiſtes/ die Schuh der Freyheit/ und
geneußt des Leibes und Blutes des geſchlachteten Laͤmleins JEſu
Chriſti; Alles GOtt im Himmel und den H. Englen zur Freude.
Da wird der Menſch auß dem Stand des Todes ins Leben/ auß dem
Fluch in den Segen/ auß dem Rachen der Hoͤllen in den Gnaden-
Schoß GOttes/ auß der Jrꝛ und Exilio ins Paradiß verſetzet/ ein
Kind und Erbe des ewigen Lebens/ und mit GOtt unverzuͤglich auß
Gnaden/ gantz vollkommen außgeſoͤhnet. Das iſt die beſſere/ Geheim-
nuß-reiche Gerechtigkeit/ die allein im Glauben muß ergriffen werden/
das froͤliche Sions-Evangelium/ und die gute Bottſchafft von dem Alle-
mans-Heyden-Troſt.


Welches/ wie wir es nicht mißbrauchen ſollen wider die weltliche
Rechts-Ordnung/ dann da folget gar nicht/ es iſt vor GOtt verziehen/
darum darffs die Obrigkeit nicht ſtraffen/ andern zum Exempel und Ab-
ſcheu; der Schaͤcher am Creutz hat die Abſolution von Chriſto ſelbs em-
pfangen/ die politiſche Straff aber wurde darum nicht auffgehoben/ Ev-
angelium non abolet politias,
das Evangelium hebt das weltliche Recht
nicht auff. Alſo haben wirs entgegen zu ſetzen I. Cacangelio Papiſtico,
der Paͤpſtiſchen Gerechtigkeit/ die ihre eigene Genugthuung/ Buſ-
ſen
[133]Vom verlohrnen Sohn.
ſen und Wercke mit einmiſchen/ nach der proportion der begangenen
Suͤnden/ mit Roſen-Kraͤntzen/ Wallfahrten/ Kertzen/ Stifftern/ Moͤnchs-
kutten/ Saͤcken und Aſchen das gemaͤſtete Kalb gleichſam ſpicken/ vorge-
bend/ ob wohl durch Chriſtum die Suͤnde und ewige Straff weggenom-
men worden/ ſo bleibe doch noch reatus pœnæ temporalis, die zeitliche
Straff auff dem Menſchen liegen/ fuͤr die er ſelbſt buͤſſen muͤſſe. Jch ge-
ſchweige nun/ daß ſolches dem Verdienſt Chriſti uͤberauß ſchmaͤhlerlich
und wider GOttes Wort/ wie zu andern Zeiten außgefuͤhret worden/ ſo
ſage nur kuͤrtzlich dieſes: Es ſeynd ſolche Wercke entweder gut/ und ſeynd
alſo keine Stuͤck/ ſondern Fruͤchten der Buß/ die man als neue gute Wer-
cke zu leiſten ſchuldig/ damit aber fuͤr die begangene Suͤnden nichts abge-
tragen werden mag; oder es ſind Menſchen-Wercke und Menſchen-Tand/
als einen oder mehr Roſen-Kraͤntz betten/ da und dorthin wallfahrten/ in
Moͤnchs-Kutten ſchlieffen/ ſich aͤſchern laſſen/ haͤrinne Hemder anziehen/
faſten/ Kertzen ſtifften/ und alſo ſeynd es Greuel fuͤr Gott. Und was
Ambroſius von Petro ſagt: Lacrymas Petri lego, ſatisfactionem non
lego,
ich leſe wohl/ daß Petrus geweinet/ aber nicht/ daß er damit
fuͤr ſeine Suͤnde gnug gethan; Das moͤgen wir hier auch ſagen: Re-
ditum in ſe \& ad Patrem lego, ſatisfactionem non lego,
ich leſe wohl/
daß der verlohrne in ſich ſelbs und zu ſeinem Vater gegangen/
aber daß er damit etwas verdienet/ oder genug gethan/ das finde
ich nicht. Das Gegentheil iſt auß der Hiſtori ſelbs clar genug/ und
darff nicht viel beweiſens. 2. Setzen wir es entgegen Cacangelio cor-
dis noſtri,
dem boͤſen Fuͤrgeben unſers Hertzens/ das uns immer
verdammt/ und die alte getoͤdtete Suͤnden wiederum herfuͤr grabt; will
GOtt nicht recht vertrauen/ zaget und zappelt/ ſonderlich wann die Straf-
fen nicht auffhoͤren wollen. Zwar ein frecher und vermeſſener Menſch
waͤre der/ der ſeiner Suͤnden allerdings nicht wolte gedencken/ ob ſie ſchon
vergeben, der verlohrne Sohn hats gewiß auch nicht allerdings vergeſſen.
David gedenckt der Suͤnden ſeiner Jugend/ Pſ. 25. GOtt der Herr
ſagt ſelbs Deut. 9, 7. Gedencke und vergiß nicht/ wie du den
HErꝛn deinen GOtt erzuͤrneteſt in der Wuͤſten/ ſo ſollen wir
auch der unſerigen Suͤnden nimmer vergeſſen/ es dienet zur Demuth fuͤr
GOtt/ wie Paulo ein Stachel ins Fleiſch gegeben worden/ nem-
lich des Satans Engel/ der ihn mit Faͤuſten geſchlagen/ auff
daß er ſich nicht der hohen Offenbahrung uͤber hebe/ 2. Cor. 12, 7.
Darum ſpricht er 1. Cor. 15, 9. Jch bin nicht werth/ daß ich ein
Apoſtel heiſſe/ darum daß ich die Gemeine GOttes verfolget
R iijhabe.
[134]Die Fuͤnffzehende Predigt
habe. Es dienet zum Mitleiden gegen dem Naͤchſten/ dann wir wa-
ren auch weyland unweiſe/ ungehorſame/ irꝛige/ dienende den
Luͤſten und mancherley Wolluͤſten/ und wandelten in Boßheit
und Neid/ und haſſeten uns unter einander. Tit. 3, 3. ſo machets
der Schenck Pharaonis/ und ſpricht Gen 41 9. 10. Jch gedencke heute
an meine Suͤnde/ da Pharao zornig ward uͤber ſeine Knechte/ ꝛc.
Es iſt nutzlich zur Gedult/ wann GOtt auch noch nach der Bekehrung
zuͤchtiget/ dann die cicatrix, das Wundmahl bleibet/ und die Mackeln kan
man nicht allerdings außloͤſchen; dem verlohrnen Sohn iſt der gleichen
begegnet/ er mußte es von ſeinem Bruder hoͤren/ und ihm auffs Brod
ſtreichen laſſen: dieſer Juncker/ das ſchoͤne Fruͤchtlein/ welches ſich ſo
ehrbar ſc. gehalten/ daß es nicht ſo herꝛlich bewillkommet wird/ ey ja wohl/
daß man ihm nicht ſo groſſe Ehr anthut/ quo merito, womit hat ers ver-
dienet? hinauß mit ihm/ wir haben doch nur Schande von ihm/ ꝛc. Die
liebe Gedult aber vertraͤgt alles dergleichen/ und machet behutſame Chri-
ſten/ daß ſie ſich ins kuͤnfftige vor Suͤnden huͤten. Es ſoll aber ſolche re[c]or-
dation
und Erinnerung nicht geſchehen ad dubicationem vel deſperatio-
nem,
zum Zweiffel und zur Verzweifflung; Man ſoll auß ſolchem kein
pabulum infidelitatis, Nahrung des Unglaubens machen/ ſeinen
Unglauben damit zu haͤgen. Dann das hieß GOtt zu einem Lugner ma-
chen/ der ſagt/ dieſer mein Sohn war todt/ jetzt lebet er/ darum ſeind ſeine
Suͤnden getoͤdtet/ und in die Tieffe des Meers verſencket. Ja/ wie jener hertz-
haffte Theologus, der mit einem Beſeſſenen zuthun hatte/ aber von dem-
ſelben hoͤren mußte/ daß er ihm ein Stuͤckel ſeiner Jugend/ um welches
willen er den 25. Pſalm beten muͤſſen/ fuͤrgeworffen/ geantwortet: O
Teuffel/ du kom̃ſt jetzt viel zu ſpaht/ es iſt mir ſchon vergeben
worden/ dabey wirs auch verbleiben laſſen. Ach daß wir dieſe
Wort/ ſchreibet Lyſerus Harm. p. 81. ſonderlich in den letzten Noͤthen (da
die tentationes und Verſuchungen am haͤrteſten anhalten/ da die Hertz-
Stoͤße und Puͤffe am ſtaͤrckſten gehen/ wann wir uns auffmachen/ und
zum Vater gehen muͤſſen) uns eriñerten/ und an dieſe Parabel gedaͤchten/
auff daß/ wann wir heimfahren auß dieſem Elende/ wir alsdann froͤlich
ſeyen/ in den Engliſchen Chor und den Reyen der Außerwehlten auffge-
nommen/ in him̃liſcher Herꝛlichkeit GOtt ewig preiſen und loben moͤgen.
Nun der GOTT alles Troſtes verſiegle dieſen Troſt in unſern Hertzen
hier in der Zeit/ biß wir zu Jhm kom̃en in die ſelige Ewigkeit.


AMEN.


Die
[135]Vom verlohrnen Sohn.

Die Sechzehende Predigt.
Von den Fruͤchten der Buße.


GEliebte in Chriſto. Wann Johannes der Taͤuffer/
nach dem er geſehen die Phariſaͤer und Sadducaͤer zu ſeiner
Tauffe kommen/ unter andern mit dieſen Worten ſie an-
redet/ und ſagt: Sehet zu/ thut rechtſchaffene
Fruͤchte der Buße; So fuͤhret er zwar dieſelbe ἐν
ὑποϑέσει, gleichſam in die Schul/ ſtellet ſie ins Examen/
fuͤhret ſie auff den Augenſchein/ begehret von ihnen/ ſo es anderſt ihnen
mit der Buß ein Ernſt/ ſie wolten derſelben ſpecimina und Proben thun/
und rechtſchaffene Fruͤchte der Buſſe bringen. Er wil ſo viel ſagen: Jhr
ſeyd Otter-Gezuͤchte und Schlangen-Art/ Schlangen-Gifft iſt unter eu-
eren Zungen/ Pſ. 140, 4. Dencket nur nicht/ daß ihr bey euch wolt ſagen/
wir haben Abraham zum Vater; Jhr ſeyd Otter-Gezuͤchte in der War-
heit. Jch zweiffle ſehr/ obs euch Ernſt ſey/ dem zukuͤnfftigen Zorn zu ent-
rinnen? Dann Art laͤßt von Art nicht/ kan auch ein Mohr ſeine Haut
wandlen/ oder ein Parder ſeine Flecken? Jer. 13 23. Eben ſo wenig
koͤnnet auch ihr enere boͤſe Unart laſſen. Aber nun wolan/ ich bin kein
Hertzen-Kuͤndiger/ iſts euch ein Ernſt/ ſo beweiſets im Werck/ zeiget eu-
ern Glauben in den Wercken. Wie auch Jacobus eben ein ſolch Ge-
ſpraͤch mit den ſcheinglaubigen Heuchlern angeſtellet/ c. 2. Es moͤchte
jemand ſagen: du haſt den Glauben/ und ich habe die Wercke:
zeige mir deinen Glauben mit deinen Wercken/ ſo will ich auch
meinen Glauben dir zeigen mit meinen Wercken.


Εν ϑέσει aber und ins gemein zeiget Johannes an/ welches die cha-
racteres
und Merckzeichen der rechten/ wahren/ und unverfaͤlſchten Kern-
Buße ſeyen/ nemlich 1. fructus, Fruͤchten/ nicht als wie der Dorn-Buſch
oder Dorn-Strauch/ davon Feuer außgehet/ und die Cedern in Libanon
verbrennet/ das iſt/ ſchaͤdliche Fruͤchten/ von denen man unverletzt und un-
beſtochen nicht wohl kommen kan/ dadurch alles verderbet wird/ wie dor-
ten Jud. 9. Jotham den Abimelech vergleichet. 2. καρποὺς ἀξίους τῆς μετα-
νοίας, rechtſchaffene Fruͤchte der Buße/ die der Buße werth ſeynd/ ra-
tione efficientis,
ihrem Urſprung nach/ verſtehet dadurch fructus ci-
cures.
zahme/ und nicht wilde Fruͤchten/ die von einem Wildfang her-
kommen/ ſondern als von einem neu-gepfantzten Garten-Baum zeugen/
nicht
[136]Die Sechzehende Predigt
nicht harte/ ſaure/ unmuhtige Fruͤchten/ wilde Birn/ Holtzaͤpffel/ Ey-
cheln/ die den Mund verderben dem/ der darein beiſſet/ geſtalt dann ſolche
Fruͤchten ſeind die Wercke der Heyden; ſondern gute/ ſuͤſſe/ liebliche/ geſun-
de und nutzliche Fruͤchten/ die in den Garten GOttes transplantirt und
verſetzet worden ſeynd; Καρποὺς ἀξίους, rechtſchaffene Fruͤchte/ ratione
materiæ \& formæ,
ihrem Weſen und Eigenſchafft nach/ nicht be-
triegliche/ vergifftete Schein-Fruͤchten/ wie die Aepffel zu Sodom am rothen
Meer/ die außwendig ſchoͤn/ inwendig aber Aſchen ſeyn ſollen/ Sap. 10, 7.
oder wie die Blaͤtter des Feigenbaums/ Matth. 21, 19. welchen der Herꝛ ver-
flucht/ daß er als bald verdorret iſt/ und damit erwieſen/ daß er alle Heucheley
verfluchen und verdammen wolle/ wann es heiſſet/ die Stimme iſt Jacobs
Stimme/ aber die Haͤnde ſeind Eſaus Haͤnde. Καρποὐς ἀξίους, recht-
ſchaffene Fruͤchten/ ratione ſinis, der End-Urſach und ihrem
Zweck nach/ Fruͤchten der Gerechtigkeit/ die nicht zu eigenem Lob und
eiteler ſelbſt-pralerey/ ſondern Gott zu Ehren und allem Gefallen geſche-
hen durch JEſum Chriſtum/ Philip. 1, 11. wie die Trauben von Natur
Gott zum Lob/ und dem Menſchen zu Nutze wachſen.


Ein Exemplar einer ſolchen fruchtbaren Buß ſtellet uns abermal
unſer Herr und Seligmacher Chriſtus fuͤr die Augen/ an dem verlohrnen
Sohn/ in dem er denſelben durch den Vater als einen biß dato erſtorbenen
und verdorꝛten/ nunmehr aber wieder lebendigen und geſunden Baum ſei-
nen Nachbauren und Freunden fuͤrſtellet/ und ſagt mit Frolocken/ und
hertzlicher Freude zum zweyten mahl/ dieſer mein Sohn war todt/ und iſt
wieder lebendig worden/ er war verlohren/ und iſt funden worden. Gleich
wie der Juͤngling zu Nain todt geweſen/ und das Leben verlohren hatte/
daß er ſchon geſtuncken/ da man ihn hinauß getragen; alſo hatte der ver-
lohrne Sohn das Leben auß Gott nicht mehr in ſich/ er war vor Gott
und der ehrbaren/ tugend-liebenden Welt ſtinckend gemacht. Wie jener
ſeine Seele und damit das Leben wieder erlangt auß der extraordinari
Gnade und Macht GOttes; alſo hatte es auch dieſer der widerruffenden
und ziehenden Gnade GOttes ſeine Bekehrung einig und allein zu dan-
cken. So froh die betruͤbte Mutter des verſtorbenen Juͤnglings geweſen/
daß ihr lieber Sohn wieder geleibt und gelebet/ ſo froh war auch der Va-
ter des verlohrnen Sohns/ daß er wieder umgewandt/ und die Ruck-kehr
auß dem Verderben vorgenommen. Wir wollen/ M. L. damit wir ja keine
gute Lehre uͤberhupffen/ in der Gleichnuß fortfahren/ und die renovationem
vitæ \& ſtatum novæ obedientiæ,
das neue Leben/ welches auff
die Buße folgen ſoll/ zu dieſem mahl fuͤrtragen/ und alſo noch anjetzo
den
[137]Vom verlohrnen Sohn.
den verlohrnen Sohn zu einem Lehrmeiſter fuͤr uns nehmen/ und ſo es
Gott beliebet/ uͤber acht Tage den Phariſaiſmum an ſeinem Bruder angreif-
fen. Daß es aber Gott zu Lob und Ehre/ uns zu Nutz und Lehr geſchehe/
gebe der Vater aller Gnaden ſeines H. Geiſtes Beyſtand um Jeſu Chriſti/
willen/ Amen.


ES zeiget/ Geliebte im Herrn/ anfangs der Vater des verlohr-
nen Sohns den Zuſtand ſeines Sohns in und nach der Buß/ fuͤr-
nemlich in dreyen Worten an; ἀνέζησε, ὑγιαίνει, ἑυρέϑη, er iſt le-
bendig/ er iſt geſund/ er iſt funden worden. Jſt alles nicht nur
dem Buchſtaben nach leiblich/ ſondern auch geiſtlicher weiſe zu verſtehen/
und wird mit einem Wort ſo viel geſagt/ als juſtificatus eſt, er iſt gerecht ge-
macht/ er ligt nicht mehr unter den Todten/ ſondern iſt geiſtlicher weiſe auff-
geſtanden; er iſt nicht mehr kranck und ſchwach an ſeiner Seelen/ ſondern
heyl und geſund; er gehet nicht mehr in der irre/ ſondern iſt gefunden. Ha-
ben alſo hiebey ideam juſtificati, ein Muſter oder Bild eines gerecht-
fertigten oder gerecht gemachten Menſchen/ an dem wir ex ſignis
\& ſpeciminibus,
auß den Zeichen und Proben abnehmen koͤnnen/ daß er
gelebet; und damit auch wir von uns und andern ſagen moͤgen/ wir leben
in Gott/ ſeind geſund an der Seel/ und gefunden worden/ ſo ſollen wir
von dieſem Baum Fruͤchten abbrechen/ und die Kernen davon in unſern
Garten verſetzen. Es deutet aber Chriſtus auff dreyerley Fruͤchten/
die ſich bey einem rechten Buͤſſer erzeigen muͤſſen/ und ſeynd I. fructus vitæ
novæ ſpiritualis,
des geiſtlichen und neuen Lebens Fruͤchten:
Wann ein todter Menſch wieder lebendig worden/ ſo erzeigen ſich folgende
characteres und Merckzeichen: I. Calor vitalis, die Lebens-Waͤrme.
Gleich wie dorten der Sunamitin Kind zu erſt wiederum warm worden/
die natuͤrliche Hitze wiederum in ſein Hertz zum Leben gekommen/ und das
Gebluͤt ſich wieder gereget/ 2. Reg. 4. Alſo wurde auch der verlohrne
Sohn wiederum zu allerforderſt warmhertzig/ das Liebes-Feur gienge in
ihm auff/ daß/ ſo ſehr er zuvor ſeinen Vater gehaſſet/ ſo hertzlich liebte er ihn
hernach. Jſt nun die Buß eines Menſchen recht/ ſo folget die Liebe gewiß
darauff/ ἄνω καὶ κάτω, uͤber ſich gegen Gott/ und unter oden neben ſich ge-
gen dem Naͤchſten; Dann je mehr Suͤnde verziehen worden/ je bruͤnſtiger
die Liebe ſich erzeigen ſoll. Daher ſagt Joh. 1. Ep. 3, r4. Wir wiſſen/
daß wir auß dem Tod in das Leben kommen ſeynd/ dann wir
lieben die Bruͤder/ wer den Bruder nicht liebet/ der bleibet im
Tode. Darum ſagt Chriſtus Luc. 7, 47. von der armen reuenden Suͤn-
Zehender Theil. Sderin:
[138]Die Sechzehende Predigt
derin: Jhr ſind viel Suͤnde vergeben/ dann ſie hat viel geliebet:
als wolte Chriſtus ſagen: daß ihr viel Suͤnde vergeben ſeind/ das beweiß
ich darauß; wem viel geſchencket wird/ der hat auch Urſach mehr zu lie-
ben/ welchem aber wenig vergeben wird/ der liebet auch wenig/ wie das an-
gezogene Exempel des Schuldners außweiſet. v. 41. Es hatte ein Wu-
cherer zween Schuldner/ einer war ſchuldig 500. Groſchen/ der
ander 50. da ſie aber nicht hatten zu bezahlen/ ſchencket ers bey-
den. Sage an/ welcher unter dieſen beyden wird ihn am mei-
ſten lieben? Simon antwortet und ſprach: Jch achte/ dem er
am meiſten geſchencket hat. Er aber ſprach zu ihm: Du haſt
recht gerichtet. Jch bin kommen in dein Hauß/ du haſt mir
nicht Waſſer gegeben zu meinen Fuͤſſen. Dieſe aber hat meine
Fuͤſſe mit Thraͤnen genetzet/ und mit den Haaren ihres Haupts
getruͤcknet. Du haſt mir keinen Kuß gegeben/ dieſe aber hat
nicht abgelaſſen meine Fuͤſſe zu kuͤſſen. Du haſt mein Haupt
nicht mit Oel geſalbet/ ſie aber hat meine Fuͤſſe mit Salben ge-
ſalbet. Derohalben ſag ich dir: Jhr ſind viel Suͤnde verge-
ben/ dann ſie hat viel geliebet/ welchem aber wenig vergeben
wird/ der liebet wenig. Man erfahrets noch heutiges Tages/ wie eyf-
ferig die jenige werden/ die zuvor in Jrꝛthum geſtecket/ den Teuffel kennen
gelernet/ und ſeinen Verfuͤhrungs-Netzen entgangen. Das achten aber
unſere Leute nicht/ dann ſie gehen wie die Kuͤhe im Graß biß an die Wei-
che/ niemand wills glauben/ biß ihm die leidige Erfahrung nicht ohne groſſe
Seelen-Gefahr den allzuſpaͤthen Glauben in die Hand gibt. 2. Vigor cor-
dis \& lætitia,
die Ermunterung und Freude des Hertzens. Der
Geiſt Jacob ward wieder lebendig/ ſtehet Gen. 45/ 27. das iſt/ er ward
froͤlich und gutes Muths/ als er vernommen/ daß ſein Sohn Joſeph noch
lebet. Alſo bekam der verlohrne Sohn/ nach dem er wieder zu Gnaden
angenommen ward/ und mit ihm ein jeder rechtſchaffener Buͤſſer und
bußfertiger Suͤnder/ ein neues Hertz und Muth/ er ſihet wieder um
ſich/ und dencket/ nun weil Gott mir verziehen/ ſo darff ich mich wieder-
um ſehen laſſen/ ſo hab ich alle Creaturen zu Freunden; hat mir Gott ver-
ziehen/ und iſt Er fuͤr mich/ ey was wollen mir dann Menſchen thun.
Jſt die Apoſtoliſche Lehre Pauli/ Rom. 5, 1. Nun wir dann gerecht
ſeynd worden durch den Glauben/ ſo haben wir Friede mit
GOtt/ durch unſern HErꝛn JEſum Chriſtum/ Eph. 3, 12. Hebr.
4, 16. 3. Reſpiratio, die Erholung/ wann man wieder zu Athem kom̃t.
Das
[139]Vom verlohrnen Sohn.
Das Kind der Sunamitin ſchnaubete ſiebenmahl/ ehe es recht wieder
zu leben anfieng. Das ſeynd bey Gottſeligen Buͤſſern die ſancti gemitus
\& deſideria,
die heilige Seufftzer und Wuͤnſche nach der vollkom-
menen Erloͤſung/ nach dem Leben/ das auß Gott iſt; der beſtaͤndige Fuͤr-
ſatz/ die hinderſtellige Zeit im Fleiſch/ heilig/ gerecht und unſtraͤfflich zu
leben/ das bußfertige Gedaͤchtnuß/ daß es boͤß genug/ daß man die vori-
gen Zeiten zubracht nach heydniſchem Willen/ in Unzucht/ Luͤſten/ Trun-
ckenheit/ Freſſerey/ Saͤufferey/ ꝛc. 1. Pet. 4/ 2. \& 3. 4. Apertio oculo-
rum
die Augen-Oeffnung; gleich wie der Koͤnigliche Printz Jona-
than/ der von der Philiſter Schlacht ermuͤdete Held/ nach dem er ein we-
nig Honig gekoſtet/ wiederum wacker worden/ 1. Sam. 14, 27. Alſo trieb
die bußfertige Widerkehr in ſich ſelbs dem verlohrnen Sohn die Schlaff-
ſucht auß den Augen/ er gab den Traͤumen gute Nacht/ daß er uͤber ſich
geſehen/ nach dem Zweck deß Goͤttlichen Zugs; vor ſich/ nach dem
Liecht des Goͤttlichen Willens; Zuruck hinder ſich/ auff das vergan-
gene Leben; weit hinauß/ auff die quatuor noviſſima, die vier zukuͤnffti-
ge ſchroͤckliche Dinge; in ſich/ durch wahre Buß; um ſich/ auff den
Naͤchſten/ den er beleidiget/ und geaͤrgert; auff den Teuffel/ der ihn
verfuͤhret/ und deſſen Trieb er gefolget. 5. Remotio funeralium \&
foetoris,
die Ablegung ſeiner lumpichten Kleidung/ und garſti-
gen Geſtancks. Lazarus ſtancke/ da er ſchon vier Tag im Grab gele-
gen mit Grab-Tuͤchern an Haͤnden und Fuͤſſen gebunden/ und das Ange-
ſicht mit einem Schweiß-Tuch verhuͤllet war; Joh. 11. aber er ließ ſich auff-
loͤſen/ und gieng zweiffels frey/ als er den Todten-Geſtanck verlohren/
unter die Leute: Alſo ſtanck der verlohrne Sohn auch nicht mehr/ er gieng
mit und unter den Leuten als ein anderer ehrlicher Menſch wieder herum.
Darmit die taͤgliche mortificatio carnis, Toͤdtung unſers ſuͤndli-
chen Fleiſches abgebildet worden; dann wir haben noch viel todtes/
faules und ſtinckendes Fleiſch im Buſen/ welches wir immer ablegen muͤſ-
ſen. Das iſt das Abſterben der Suͤnden/ davon St. Paulus Rom.
6, 11. redet: Haltet euch dafuͤr/ daß ihr der Suͤnden geſtorben/
ſeyd und lebet GOTT in Chriſto JEſu unſerm HErꝛn.
Und geſchicht ſolch ſterben per deſuetudinem vitiorum conſuetudina-
riorum, quæ tanquam vinculum mortis nos ligant,
durch Ablegung
oder Abgewoͤhnung der in die Gewonheit gebrachter Suͤnden/
die uns wie ein Todten-Band verknuͤpffen. Das iſt ein harter
Knotten/ wer den auffhauet und erzwinget/ der hat gewonnen. Dazu 6.
S ijnoch
[140]Die Sechzehende Predigt
noch kommen muß erectio corporis, locutio \& ambulatio, die Auff-
richtung des Leibes/ Rede und Fortgang. Gleich wie der vom
Tod erweckte Juͤngling zu Nain ſich auffgerichtet/ zu reden angefangen/
und ſeiner Mutter entgegen gegangen/ Luc. 7/ 15. wie Lazarus friſch
wieder davon gegangen/ Joh. 11/ 44. Alſo ſollen wir auffſtehen vom
Schlaff der Suͤnden/ und unſere Glieder GOtt zu Waffen der Ge-
rechtigkeit begeben/ als die wir auß den Todten lebendig worden/ Rom.
6/ 13. und gleich wie Chriſtus iſt aufferwecket von den Todten/
alſo ſollen wir auch in einem neuen Leben wandlen/ Rom. 6/ 4.


Die II. Fruͤchten ſeind characteres ſanitatis, Geſundheits-Fruͤch-
ten/ als da ſeynd 1. vires, gute Kraͤfften/ zuvorderſt der Sinnen und
Affecten/ und des gantzen geiſtlichen Leibes/ gern ſehen was recht iſt/ Got-
tes Wort gern hoͤren/ vom Baum des Lebens eſſen/ vom friſchen Waſſer
trincken/ die Speiſſen wohl verdauen/ nicht wie die Hunde wieder von ſich
geben/ oder wie ein undaͤuender Magen darab ecklen/ und von ſich ſchuͤt-
ten; arbeitſame Haͤnde haben/ etwas redliches zu arbeiten/ auff daß man
habe zu geben dem Duͤrfftigen; ſchnelle Fuͤſſe/ nicht Schaden zu thun/ ſon-
dern dem Duͤrfftigen zuhelffen; froͤliche Zunge zum Lob und Preiß Got-
tes. 2. Colores, gute/ ſchoͤne/ rohte und lebhaffte Farb/ eine
froͤliche Stirn/ color conſcientiæ, beſtaͤndige Gewiſſens-Farb/ der
Chriſtlichen Schamhafftigkeit/ weiß und roht iſt der Tugend Leib-Farb;
Wann man an ſeinen und anderer Fall gedencket/ ſo ſchaͤmet man ſich/ es
erwecket Demuht und Gedult/ und macht geſchlachte Hertzen. Manet
cicatrix, etſi vulnus ſanatum,
wann ſchon etwa die Wunde gehey-
tet/ ſo bleibet doch das Wundmal/ die Narb/ welche mit ihrem An-
blick immer zur Buß-Ubung antreibet. 3. Diœta, geſunde Diet. Jſt
der Menſch ungeſund/ ſo iſt die Diet bey ihme nichts nutz/ zuviel oder zuwe-
nig/ wann man morgens fruͤh trincket/ unordentlich iſſet/ oder bey verderb-
tem Magen nicht eſſen mag/ wie Timotheus 1. Ep. 5/ 23. Die Geiſtliche
Diet wird erhalten durchs Gebett/ und rechten Gebrauch der H. Sacra-
menten/ durch ordentliche Verrichtung ſeiner Ampts- und Beruffs-Ge-
ſchaͤfften/ dadurch dem Muͤſſiggang geſteuret/ und das Kleinod der Gna-
de GOttes bewahret wird. Ein mancher Menſch halt gute Diet ſein zeit-
lich Leben zu erhalten/ und hoch zu bringen; aber um die geiſtliche Diet iſt
man wenig oder gar nit bekuͤmmert/ fuͤr welche man doch am meiſten ſorgen
ſolte/ und ſagen: Ach HErr/ zeige mirden rechten Weg/ zu wandlen gute
Straſſen/ leite mich auff deinem Tugend-Steg/ wolleſt mich nicht irren
laſſen/ ꝛc.


III. Jſt
[141]Vom verlohrnen Sohn.

III. Jſt noch uͤbrig Character inventionis factæ, Fund-Fruͤch-
ten/ iſt vigilans prudentia, die wachſame Klugheit/ oder kluge
Wachſamkeit; vulpes non iterum capitur laqueo, quo ſemel ſe exuit,
man fangt nicht leichtlich einen Fuchſen wiederum/ wann er
dem Strick einmahl entgangen.


‘— — quæ bellua ruptis,
Quum ſemel effugit, reddit ſe prava catenis?
()

ſagt Horatius l. 2. ſerm. Sat. 7. Wo iſt ein Thier/ das ſich wieder-
um anlegen laͤßt/ wann es ein mahl loß worden? Gebrandte Kin-
der foͤrchten das Feur: wer dem Teuffel einmahl in den Klauen geweßt/
und ihn recht kennen lernen/ der kom̃t ihm nicht mehr. Darum ſoll man
ſich fuͤr ihme huͤten/ und auff alle ſeine Schritt und Tritt/ auff alle Gaͤnge
und Raͤncke/ ſo viel muͤglich/ gute Achtung geben. Die boͤſe Gelegen-
heiten und den Muͤſſiggang fliehen:


Otia ſi perdas, periêre cupidinis arcus: ()

Boͤſer Geſellſchafften muͤſſig gehen/ den uͤberfluͤſſigen Trunck meiden/ wie
der verlohrne Sohn/ der mit ſeinen Augen/ Zunge und uͤbrigen Glied-
maſſen einen Bund gemacht/ auff alle ſeine Gaͤnge und Wege geſehen/ da-
mit er nicht wiederum̃ in die Jrre gerahten. Componamus nos ipſos
undique; quemadmodum ſuper funem extenſum ambulantibus non
licet vel parum negligentibus eſſe; ita neque nobis pigreſcere licet;
viam enim incedimus anguſtam, \& utrinque præcipitiis obnoxiam,
pedumque duorum ſimul non capacem;
ſpricht Chryſoſtomus hom. 9.
ad Theſſal.
Das iſt: Laßt uns allenthalben unſer ſelbſt wohl wahr-
nehmen/ gleich wie die Seyl-Taͤntzer nit unachtſam ſeyn/ und
das geringſte verſehen doͤrffen: alſo laſſet ſichs auff unſerer
Seiten auch nicht faullentzen/ dann wir gehen auff einem en-
gen/ beyderſeits gaͤhen und ſchmalen Weg/ der nicht zwey
Schuch breit. Siehe deßwegen/ lieber Menſch/ welchen Fleiß wir
anzulegen haben. Summa/ wir ſollen uns huͤten à recidivatu, daß wir
nicht wieder umſchlagen/ und in das alte Suͤnden-Weſen gerahten.
Siehe zu/ ſpricht Chriſtus Joh. 5 zu dem geſund-gemachten 38. jaͤhrigen
Bett-Rießen/ du biſt geſund worden/ ſuͤndige forthin nicht mehr/
daß dir nicht etwas aͤrgers wiederfahre. Damit nicht das
letztere aͤrger werde als das erſte geweſen iſt/ Matth. 12/ 45. Der
Hund riechet daran/ und friſſet wieder/ was er geſpeyet/ und die
Sau waͤltzet ſich nach der Schwaͤmme wieder im Koth. 2. Pet.
S iij2/ 22.
[142]Die Sechzehende Predigt
2/ 22. Aber du/ O lieber Chriſt/ nicht alſo/ lerne an fremdem Schaden
witzig werden; Abſalon iſt deſſen ein lebendiges Exempel/ der ward von
ſeinem Vater/ dem Koͤnige David/ wieder begnadet/ daß er ſein Angeſicht
wieder ſehen/ und vor ihn kommen dorffte/ aber er ſchlaͤgt um/ geraͤht in
vorige Suͤnde/ und kom̃t endlich mit Leib und Seel um/ O Zetter/ Feu-
rio/ Mordio!


Jſt alſo in einer Sum̃a die Frucht des neuen Gehorſams der Buß/
inbruͤnſtige Liebe/ hertzliche Freude/ ſehnliche Begierde/ geiſtliche Klugheit
und Wackerheit/ taͤgliche Buße und Toͤdtung des Fleiſches/ demuͤhtiger
Dienſt aller Kraͤfften Leibes und der Seelen. So dann auch neue Kraͤff-
ten/ rechter Gebrauch der Augen/ Ohren/ Haͤnde und Fuͤſſe/ geſunde Ver-
dauung und rechte application der geiſtlichen Speiſe/ angelegener Fleiß
in ſeinem Ampt und Beruff/ ungefaͤrbter Glaube/ rein und weiſſes Gewiſ-
ſen/ rohte Tugend-Tinctur, gute Diœt/ und kluge Wachſamkeit.


Wie nun dieſe Lehre uns dienet zur Wiederlegung der Paͤpſtiſchen ca-
lumni
en/ die von uns außſchreyen/ als verbieteten wir die gute Wercke/
und wollen den atheiſmum ein fuͤhren/ wie ſolches Bellarminus l. 4. de juſtif.
1. einiger Noth wider der Augſpurgiſchen Confeſſion proteſtation unter-
ſtehet zu erweiſen; Wider alle unſere Predigten/ und auch dieſe gegenwaͤr-
tige/ da wir ſagen/ opera non eſſe merita, ſed fructus, fructuum abſen-
tiam damnare;
die Wercke ſeyen keine Verdienſt/ ſondern Fruͤch-
ten der Buße/ ihre Abweſenheit oder Mangel ſeye verdamm-
lich; dann ſo wenig Leben ohne reſpiration, oder Athem/ Geſundheit oh-
ne Farb/ ein guter Baum ohne Fruͤchten ſeyn kan/ ſo wenig kan auch eine
rechtſchaffene Buße ſeyn ohne gute Wercke: Wir ſeynd ja nit nur Oſtern-
ſondern auch Pfingſten-Prediger/ ſo wohl Sinaiſche Geſetz- und Laͤrmen-
als Sioniſche Friedens-Blaͤſer; wir treiben nicht nur auff die Rechtfertig-
ung/ ſondern auch auff die Heiligung/ ſo auff jene folgen ſoll; nicht nur
auff den Glauben/ ſondern auch auff die Glaubens-Fruͤchten/ die guten
Wercke/ ſo auß dem Glauben herkommen ſollen. Wir ſagen und lehren/
wie der Menſch vor der Rechtfertigung nichts Gutes thun koͤnne/ es ſeyen
lauter ſaure Holtz- oder Sodomiſche Aſchen-Aepffel; alſo habe er nach der
Rechtfertigung durch das Geſetz des lebendig-machenden Geiſtes die
Krafft und Fruchtbarkeit von GOtt mit zu wuͤrcken/ und Frucht zu brin-
gen/ wiewol nicht ad perfectionem gradus, doch ſinceritatis, ob ſchon nicht
in hoͤchſter Vollkommenheit/ doch mit auffrichtigem redlichem Hertzen.
Die Fruchtbarkeit ſelbs iſt und bleibet ein Geſchoͤpff GOttes; dann ſo we-
nig ein wilder Baum Pomerantzen tragen kan/ ſo wenig koͤnnen wir ohne
Chriſto
[143]Vom verlohrnen Sohn.
Chriſto etwas Gutes thun/ Joh. 15/ 5. Ohne Jhn moͤgen wir nichts
Gutes gedencken/ 2. Cor. 3/ 5. aber in Chriſto und durch Chriſtum
koͤnnen wir alles/ und bringen unſere eygene Fruͤchten/ Pſ. 1. Ein Todter/
wann er lebendig, ein Krancker/ wann er geſund; ein Jrꝛender/ wann
er gefunden wird/ hat es niemand als Chriſto dem Herrn zu dancken/
die anklebende Unvollkom̃enheit will er uns zu gut halten/ gleich wie ein
Vater mit ſeinem krancken Kind/ ein Herꝛ mit ſeinem Knecht/ der erſt
auß dem Siech-Bett auffgeſtanden/ Gedult traͤgt; oder gleich wie man
mit Trauben fuͤr lieb nimmt/ wann ſie gleich nicht gar reiff ſeynd.


Wie wir nun lernen/ was unſere gute Wercke ſeynd/ nemlich kein
Verdienſt/ wie wir mit naͤchſtem zu vernehmen/ ſondern Fruͤchten der
Buße/ alſo fuͤhret uns Chriſtus in dieſer Erklaͤrung in die Schul und auff
den Augenſchein/ die wir uns pruͤffen und erkennen ſollen/ ob wir auch ſol-
che Fruͤchte der Buße an uns haben. Sonderlich aber ſiehet er auff die/
ſo zum Tiſch des Herrn gehen/ und den Nahmen haben wollen/ daß ſie
from̃ worden. Ey wolan nun/ ſo zeiget euere Fromkeit mit euern gu-
ten Wercken/ thut rechtſchaffene Fruͤchten der Buße. Chriſtus gehet un-
ter uns herum/ und ſuchet ſie/ wie man jetzt die Trauben und die Fruͤchten
des Feldes ſuchet/ wie er Matth. 21/ 19. Feigen am Feigenbaum geſucht/ aber
er findet Haͤrlinge/ Eſ. 5. Dornſtraͤuche/ Holtzaͤpffel/ die andern neben ſich
das Leben ſaur machen; er findet todte Leute/ die gantze Welt iſt ein Tod-
ten-Gerner/ ein lauterer Spital/ und Wildnuß/ die Suͤnde lebt in den
Menſchen/ niemand begehret der Suͤnden abzuſterben/ es heiſet mit ihnen/
wie mit einem leiblichen Todten: Es iſt alles Eyß-kalt/ die warme Lieb iſt
erfroren/ es iſt nirgend keine Freude im H. Geiſt; wo iſt Begierde/ Klug-
heit/ Toͤdtung des Fleiſches/ rechte Bereitſchafft/ neue Kraͤfften/ Tugend-
Farb/ geſunde Diœt und Wachſamkeit? es iſt alles verblichen und verlo-
ſchen. Wo ſolte man einen finden/ der ſo begierig und eyfferig uͤber ſein
Chriſtenthum waͤre/ wie Archimedes uͤber ſeiner Matheinatiſchen Kunſt?
Johannes der Taͤuffer ruffet noch: thut rechtſchaffene Fruͤchten der Buße
ihr Sadducaͤer/ die ihr keine Aufferſtehung der Todten glaubet; dann
wann ihrs glaubetet/ ſo wuͤrdet ihr auch nach dem neuen Leben der renova-
tion
trachten/ und euch begehren zu erneuren im Geiſt euers Gemuͤths.
Niemand wird dort aufferſtehen auß dem Grab der Erden zum Leben/ er
ſeye dann hie aufferſtanden durch wahre Buße. Wollen wir aber mit
Chriſto aufferſtehen/ ſo muͤſſen wir auch mit ihm der Suͤnden abſterben/
Rom. 6. Thut Buß ihr ſichere Epicuraͤer und Welt-Kinder/ die
Axt iſt ſchon dem Baum an die Wurtzel gelegt/ wird er nicht gute Fruͤchte
bringen/
[144]Die Sechzehende Predigt
bringen/ ſo ſoll er abgehauen und ins Feur geworffen werden/ Luc. 3. Der
Weingaͤrtner hat euch ſchon lang verbetten/ endlich wird es ſeyn muͤſſen/
Luc. 13. Jhr werdet verflucht werden/ wie der unfruchtbare Feigenbaum/
Matth. 21. in euern Suͤnden ſterben/ wie Saul/ 1. Chron. 11. und ob ihr
ſchon hier eine ſchoͤne Leich-Predigt bekom̃t/ dañoch werdet ihr dort einen er-
ſchroͤcklichen Gerichts-Sententz anhoͤren muͤſſen. Thut Fruͤchten der
Buße ihr Phariſaͤer. Mit euern Schein-Fruͤchten iſt es nit außgericht/
die Heyden ſeynd zehenmahl froͤmmer geweßt als ihr. Dencket nicht/ wir
ſeynd Abrahams Kinder/ Gott kan dem Abraham auch auß den Stei-
nen Kinder erwecken/ Luc. 3. und den wilden Oelzweig in den zahmen
Oelbaum einpfropffen/ Rom. 11. Qui ſtat, videat, ne cadat, wer ſich
laͤßt duncken/ er ſtehe/ der ſehe ja wohl zu/ daß er nicht falle/
2. Cor. 10. Darum haben wir niemand ſeinen Fall vor zurucken; Biſt
du nie gefallen zur Rechten auff ſolche weiſe/ ſo kanſtu zur Lincken ſincken
auff eine andere weiſe/ durch rothe Fuͤchſe/ geharniſchte Maͤnner/ Pocal/
durch Weiber-Lieb/ wie Salomo/ ꝛc. DEUS quos ſcit in bono perman-
ſuros, frequenter prius ſunt mali, \& quos ſcit malos permanſuros, fre-
quenter ſunt boni,
ſchreibet Ambroſ. in cap. 9. Rom. Das iſt/ welche
GOtt erſiehet/ daß ſie im Guten werden verharren/ die ſeynd
gemeiniglich zuvor boͤß/ und von welchen er weiß/ daß ſie wer-
den Gottloß verbleiben/ die ſeynd zuvor oͤffters fromm. Wir
ſprechen mit Johan. auß 1. Ep. 2/ 29. Wer recht thut/ der iſt von
GOtt gebohren. Darum wer Buße thut/ der fahre immer darinn
fort/ qui juſtus, juſtificetur adhuc, wer gerecht iſt/ der bleibe gerecht/ und
verſichere ſich/ daß er nach der Buß GOtt dem Herrn viel lieber ſeye/
wann er Jhn hertzlich liebet/ als wann er zuvor niemahl nichts Boͤſes be-
gangen/ und aber dabey ſicher lebet. Fit plerumque DEO gratior amore
ardens poſt culpam vita, quàm ſecuritate torpens innocentia, Greg. M.

das iſt: Ein Leben/ welches nach begangener Suͤnde/ GOtt in-
bruͤnſtig liebet/ iſt Jhme gemeiniglich angenehmer/ als die Un-
ſchuld/ welche in Sicherheit todt und erſtorben; Er wird es
auch vor der ehrbaren Welt zu genieſſen haben/ und am Juͤngſten Tag den
himmliſchen Gnaden-Lohn/ das Ende ſeines Glaubens/ der Seelen Se-
ligkeit zur Außbeut auß Gnaden davon tragen.


Und das iſt alſo/ M. L. auch der andere Theil unſerer vorhabenden
Parabel/ in welchem wir durch die Gnade GOttes ἐν ϑέσει die Aufferſte-
hung/ das hertzliche Vertrauen/ die Fort-Reiß und den Eingang des ver-
lohrnen
[145]Vom verlohrnen Sohn.
lohrnen Sohns in ſeines Vaters Hauß; den inbruͤnſtigen affect und
Vaters Liebe gegen ſeinem Sohn/ und die vorlauffende Gnade GOttes;
die Beicht und Abſolution/ neben den Gnaden-Zeichen und Buß-Fruͤch-
ten gluͤcklich abſolvirt; ins kuͤnfftige wird folgen ἀντίϑεσις, die Jrꝛ-
thumme/ ſo der rechten Buß-Lehre zu wider lauffen/ und wie wir
ſie an dem aͤltern Bruder befinden. Nun Gott gebe/ daß wir
durch ſolche Arbeit und den Segen Gottes zur wahren ungeheuchelten
Buße moͤgen erbauet/ und endlich ewig ſelig werden:


O GOtt du Hoͤchſter Gnaden-Hort/

Verleyh/ daß uns dein Goͤttlich Wort/

Von Ohren ſo zu Hertzen dring

Daß es ſein Krafft und Schein verbring.

AMEN.



Die Siebenzehende Predigt.
Von der Phariſaͤiſchen Blind- und Unwiſſen-
heit des aͤltern Bruders.


GEliebte in Chriſto dem HErꝛn. Es gibt ſo wohl
Johannes der Taͤuffer/ als auch Chriſtus unſer Heyland/
Matth. 3, 7. \& 23, 33. den Phariſaͤern einen ſehr bedencklichen
Nahmen: Jhr Schlangen- und Ottergezuͤcht;
und ſihet damit 1. auff originem Sectæ, der Phariſaͤer
Urſprung und Herkommen. Sie prangeten zwar mit der Antiqui-
taͤt/ wolten Abrahams Kinder ſeyn und heiſſen/ Johan. 8. Moſis Juͤn-
ger/ c. 9. Propheten-Kinder/ als die deroſelben Graͤber ſchmuͤckten/
Matth. 23. branten ſich weiß/ und machten ſich glaß-rein; Aber Chriſtus
und Johannes ſagen Nein dazu/ ſie thun den Deckel vom Hafen/ und
ſprechen: Jhr ſeyd von dem Vater dem Teuffel/ Joh. 8. der al-
ten Schlangen Saamen/ Otter-Gezuͤchte. Jhr ſeyd nicht weit her/ es
ſeind noch nicht viel hundert Jahr/ daß euer Orden auß geheckt und auß-
gebruͤtet worden/ von Antigono Sochæo, wie etliche wollen/ oder wie Joſe-
phus Scaliger
meynet/ von den alten Haſidæis zur Zeit der Maccabeer
entſtanden/ wie bey Joſepho l. 13. c. 9. der alten Geſchichten zuſehen.
Zehender Theil. THaben
[146]Die Siebenzehende Predigt
Haben einen ἑκουσιασμὸν, und freywilligen Gottesdienſt erdacht/ außge-
heckt und außgebruͤtelt/ κακοῦ κόρακος κακὸν ὦον ein boͤſes Ey von einem
boͤſen Vogel. II. Indolem anguino- vipetinam, auff die Schlan-
gen- und Ottern-Art/ welche iſt 1. homiridialis, moͤrderiſch zu wuͤr-
gen und zu toͤdten durch ſcharffe und brennende Zungen/ Pſalm 140, 3.
Num. 21, 6. durch Drachen-Gifft und wuͤtender Ottern-Gall/ Deut. 32, 33.
alſo/ wie der blut-rohte/ blut-durſtige Hoͤllen-Drach ein Moͤrder von An-
begin geweſen/ waren ſie Seelen-Moͤrder/ die ſich zwar ſehr bemuͤhet/
Waſſer und Land umzogen/ daß ſie einen Juden-genoſſen machten/ und
wann ers worden/ machten ſie auß ihm ein Kind der Hoͤllen/ zwiefaltig
mehr dann ſie waren/ Matth. 23, 15. 2. Malitioſè contumax, halßſtarrig
und widerſpenſtig zu widerſtreben/ unbaͤndig ſich erzeigen/ wie die
taube Otter/ die ihre Ohren zuſtopfft/ daß ſie nicht hoͤren die Stimme des
Zauberers/ des Beſchwerers/ der wol beſchweren kan/ Pſ. 58 5. Die Pha-
riſaͤer lieſſen Johannem den Taͤuffer und Chriſtum ruffen und ſchreyen/
aber ſie waren blind und taub/ und wolten nicht hoͤren. 3. Hypocritica,
heuchleriſch/ ſich anders zu ſtellen als mans meinet; ſerpentis facies
blandiens, cauda mordens,
die Schlangen ſchmeichlen/ und ſtellen
ſich freundlich mit dem Geſicht/ aber in deſſen ſtechen ſie mit
dem Schwantz; Die Paradiß-Schlang war ein ſchoͤnes liebliches
Thier/ aber auch ſtachelicht/ ſie hat einen ſtimulum und Stich hinter ſich
gelaſſen/ den wir noch fuͤhlen. Der Satan verſtellet ſich auch in einen
Engel des Liechts/ daß man ihn nicht ſo leichtlich erkennen kan. Alſo
machtens die Phariſaͤer auch/ ſie waren Ertz-Schaͤlcke in der Haut/ Ehr-
und Geld-geitzige Leute/ ſtoltze/ auffgeblaſene/ neidiſche/ rachgierige Men-
ſchen/ die den Schalck meiſterlich verbergen kunten/ das außwendige ihres
Leibes war rein und ſauber/ aber inwendig ſteckte ein groſſer Unflath;
Becher und Schuͤſſeln hielten ſie außwendig reinlich/ aber das
inwendige war voll Raubes und Fraßes/ Matth. 23/ 25.


Wie nun Chriſtus der Herr erſterzehlter maſſen den Phariſaͤern
das Wappen viſiret/ und mit einem Wort angezeiget/ was ſie im Schilde
fuͤhren; alſo hat er auch indolem Phariſaicam, die Phariſaͤiſche Art/
oder vielmehr Unart/ in vorhabender Gleichnuͤß/ (weil eben damahls
die Zoͤllner und Suͤnder ſich zum Herrn genahet/ daß ſie Jhn hoͤreten/
die Phariſaͤer und Schrifftgelehrten aber daruͤber gemurret und geſpro-
chen: dieſer nimmet die Suͤnder an/ und iſſet mit ihnen) abgemah-
let/ und ſtellet uns dieſelbe vor an dem Bruder des verlohrnen Sohns/
welcher eine rechte idea und Spiegel eines werckheiligen Phariſaͤers/ ja
des
[147]Vom verlohrnen Sohn.
des gantzen Phariſaiſmi iſt/ den wir/ als die ἀντίϑεσιν doctrinæ de Juſtifica-
tione,
den Gegenſatz der Lehre von der Rechtfertigung E. L. an-
jetzo und ins kuͤnfftige auß dem dritten Theil oder actu unſerer parabo-
liſchen Comœdi fuͤrtragen wollen. Wir haben bißhero gehabt noviſſi-
mum \& Epicureum, ſed pœnitentem,
einen letſten und ſicheren Epicu-
rer/ aber bußfertigen Suͤnder/ jetzt folget primus \& Phariſæus, der der
erſte ſeyn wolte/ ein Phariſaͤer/ auff daß wir an ihme lernen/ was
weiß oder ſchwartz/ Liecht oder Finſternuß/ grad oder ſchlimm ſeye. Dann
gleich wie die gantze Welt ſich in drey Hauffen abtheilet: der groͤſte iſt der
Epicuraͤer/ der mindere aber doch groſſe der Phariſaͤer/ der kleineſte der
glaubigen Buͤſſer und rechten Kern-Chriſten; alſo hat der verlohrne
Sohn bißhero zwo Perſonen vertretten/ jetzt kommt im letſten actu ſein
Bruder auffs Theatrum, an welchem uns ſonderlich vier groſſe Untu-
genden fuͤr Augen geſtellet werden: nemlich cœcitas \& ignorantia,
Blind- und Unwiſſenheit; ex cœcitate juſtitiæ perſuaſio, ſelbſt
eingebildete Gerechtigkeit; ex perſuaſione juſtitiæ ſuperbia, ange-
maßter Hochmuth; exſuperbia hypocriſis, angenommene Heu-
cheley. Dißmal bleiben wir allein bey dem erſten/ dieweil es je beſſer/ ein
wenig Speiß wohl verdauen/ als den Magen und Kopff uͤberfuͤllen/ und
ob wir uns zwar ſchon lang auffgehalten/ ſo hat man doch allezeit etwas
gelernet/ das man zuvor nicht gewußt/ oder nicht geachtet. Gott gebe
zu fernerer Betrachtung ſeines Heiligen Geiſtes Gnad und Segen/ daß
es alles aufferbaulich geſchehen moͤge/ Amen.


BElangend nun Phariſaicam cœcitatem, die Phariſaͤiſche
Blindheit des aͤlteſten Sohns/ ſo iſt es zwar an dem/ der
Bruder des verlohrnen Sohns war in weltlichen und haͤußlichen
Sachen klug/ fuͤrſichtig und geſchickt genug/ er hatte ſcientiam œconomi-
cam,
eine Wiſſenſchafft vom guten Hauß-weſen. Dann er be-
findet ſich drauſſen auff dem Acker/ arbeitet fleiſſig/ wartet ſeinem Ampt
ab/ halt ſeinem Vater wohl hauß/ er gedencket/ je mehr er werde zu Rath
halten und gewinnen/ je beſſer und fetter werde hernach das Erbe ſeyn.
Aber in andern und hoͤhern Sachen war er ignorans, ein unwiſſender
Thor; es meldet die Parabel/ er ſeye auff dem Felde geweſen/ und habe
nicht gewußt/ was ſich daheim zugetragen. Darum als er nach Hauß
gekommen/ das Geſang und Reyen gehoͤrt/ ſo ruffet er zu ſich der Knechte
einen/ und fraget/ was das waͤre? Die Umſtaͤnde gebens/ daß bey ihme
geweßt 1. ignorantia remiſſibilitatis, er hat nichts gewußt von Ver-
T ijgebung
[148]Die Siebenzehende Predigt
gebung der Suͤnden. Er gedachte/ nun iſt mein Bruder davon/ ich
bin jetzt allein/ er hat ſich ſo ſchwartz beym Vater gemacht/ daß er ihm wol
nimmer wird verzeihen/ er iſt auß dem Teſtament außgeloͤſcht die Suͤnde
iſt zu groß/ als daß ſie ihm mag vergeben werden. 2. Pœnitentiæ factæ,
er wußte nicht/ daß/ und wie/ ſein Bruder gebuͤßt/ wie ihn die
Schweine haben mores gelehrt/ wie hefftig er ſeine Suͤnde bereuet/ wie er
ſeinem Vater einen Fußfall gethan/ und zum Creutz gekrochen iſt. 3. War
bey ihm ignorantia cordis paterni, er wußte nicht/ was Vaters-
Hertz und Vaters-Liebe vermag/ er gedachte bey ſich/ ich bin der
aͤlteſte/ der erſtgebohrne/ und conſequenter der Liebſte. 4. Ignorantia
medii conſequendi hæreditatem,
er wußte das Erb nicht recht zu
bekommen/ und meynte/ der Vater ſeye ihm das Erb triplici nomine,
auff dreyfache weiſe ſchuldig. Erſtlich jure primogenituræ, weil er
der Erſtgeborne/ der Oberſte im Opffer und Recht/ ſeines Vaters erſte
Krafft/ deme von Rechts wegen zween Theil in der Erbſchafft gebuͤhren/
Deut. 21, 16. 17. Darnach jure obedientiæ, dieweil er dem Vater
jederzeit gehorſam geweßt/ und ſeine Gebott noch nie uͤbertretten.
Endlich auch jure operum \& ſervitutis, dieweil er dem Vater gedie-
net/ Knechts-Arbeit gethan/ den Meiſter-Knecht verweßt/ und daſſelbe
viel Jahr lang. 5. Ignorantia ſui, er kante ſich ſelbſt nicht mehr/
er vergaß wer er waͤre/ der ſelbſt-Betrug verblendete ihn; er gedachte
nit/ daß ihm ſein Vater nichts ſchuldig/ daß es ein lauter Gnaden-Werck
mit ihm ſeye; er erinnerte ſich nicht ſeiner anderer heimlichen Fehler und
Maͤngel/ und dann ſonderlich ſeiner Unvermoͤglichkeit; Was Vater und
Mutter an ihm gethan/ da gedacht er nicht an. Darzu endlich gekom-
men 6. Ignorantia compoſita, eine gedoppelte muthwillige Un-
ſinnigkeit. Dann unangeſehen der Vater ihn berichtet/ wie es herge-
gangen/ ihn vermahnet/ er ſolle froͤlich und gutes Muhts ſeyn/ dann dieſer
ſein Bruder war todt/ und iſt wieder lebendig worden/ er war verlohren/
und iſt wieder funden; ſo bleibet er doch auff ſeinem Kopff/ es will ihm
nicht ein/ er kan es nicht verſtehen.


Alſo/ will Chriſtus ſagen/ ſeyd ihr Phariſaͤer und Schrifft gelehrten
geartet und beſchaffen. Zwar Welt-verſtaͤndige Leute ſeyd ihr/ in groſſem
Anſehen bey allem Volck; Alſo daß Alexander der Juͤdiſche Koͤnig/ auß
der Maccabeer Gebluͤt/ ſeinem Weibe befohlen/ ſie ſolle nach ſeinem Tod
ſich nur zu der Secte der Phariſaͤer halten/ ſo werde ſie alles koͤnnen durch-
bringen/ und in ihrem Regiment ſicher ſeyn; dann er habs auß der Erfah-
rung/ was es ſchadet/ wann ſie einem nicht guͤnſtig ſeynd/ wie zu leſen bey
Joſe-
[149]Vom verlohrnen Sohn.
Joſepho l. 13. der alten Geſchichten c. 23. darum ſie auch auff dem Ca-
theder Moſis geſeſſen/ und in groſſen Ehren geſchwebt; ſie lieſſen ſich dun-
cken/ ſie haͤtten den Schluͤſſel der Weißheit/ und aller Erkantnuß/ Luc. 11.
die Schluͤſſel des Himmelreichs; ohne ſie komme niemand in den Him-
mel und wen ſie nicht hinein lieſſen/ der muͤſſe wohl drauſſen bleiben. Aber
unterdeſſen waren ſie ſtarꝛ- und ſtock-blind in Goͤttlichen Sachen/ Jo-
han. 9. deßwegen ſie nicht allein cœci \& ſtulti, blinde Thoren/ ſondern
auch gar duces cœcorum, blinde Leiter/ genennet werden/ Matth. 23.


Blind waren ſie/ wie in andern Jrꝛthummen/ die ſie defendirt/ alſo
ſonderlich in defenſione fati \& μετεμψυχώσεως, daß ſie das nothzwingen-
de blinde Geſchick/ und die Außziehung der Seelen von einem Leib in den
andern behauptet/ ſie verkehrten das Geſetz Moſis/ daß dannenhero Chri-
ſtus mit einer ſcharffen Feyel darhinder her gemuͤßt/ Matth. 5, 10. ſeqq.
ſonderlich aber irreten ſie im Fundament und Grund der Seligkeit. Sie
wußten viel vom Geſatz/ aber nichts vom Evangelio/ ſie ſprachen den
Heyden/ Zoͤllnern und Suͤndern den Himmel glatt ab/ die waren noviſſi-
mi,
die letſten bey ihnen. Sie wußten nichts von der Buß/ noch von
der Barmhertzigkeit GOttes/ und auß derſelben flieſſenden Schenckung
des Meſſiæ; nichts von ſeinen Kenn-Zeichen und Ampts-Wercken/ wel-
ches ihnen Chriſtus vorgeworffen: Jhr Heuchler/ des Himmels
Geſtalt koͤnnet ihr urtheilen/ koͤnnet ihr dann nicht auch die
Zeichen dieſer Zeit urtheilen? Matth. 16, 3. Sie hielten dafuͤr/ der
Meſſias werde ein Welt-Reich anrichten/ und weil ſie dergleichen an
Chriſto nicht gefunden/ wolten ſie ihn nicht annehmen. Sie bochten auch
auff ihre Primogenitur und Erſte Geburt/ daß ſie GOttes Erb-Volck/
ſein Eigenthum/ ſein Außerwehltes Volck ſeyen/ denen das Goͤttliche Ge-
ſetz zu verwahren anvertrauet worden/ darum koͤnne es ihnen nicht fehlen.
Sie trotzen auff ihre ſtrenge obedienz und hartes Orden-Leben; auff ihre
gute Wercke und Bußen/ die ſie ihnen ſelbs gauffleten/ wie wir uͤber acht
tag vernehmen werden. Sie wußten nichts/ welches erſchroͤcklich/ von
der Widergeburt/ daß der Menſch Fleiſch vom Fleiſch/ und wann er gleich
alles thue/ ſo gefalle es doch Gott nicht ohne die Widergēburt. Alſo daß
Nicodemus der Meiſter in Jſrael in dieſem Stuck ein pur lauteres Kind
geweßt/ Joh. 3. und davon nicht das geringſte verſtanden. Dazu dann
auch gekommen die Verblendung und die Verſtockung; unangeſehen der
himmliſche Vater ihnen ſeinen Sohn geſchicket/ ſeine Vocation, Beruff
mit himmliſcher Stimme und kraͤfftigen Wundern verſiegelt und be-
kraͤfftiget/ ſie auch ſelbs ἀυτοκατάκριτοι in ihrem Gewiſſen uͤberzeuͤgt ge-
T iijweßt/
[150]Die Siebenzehende Predigt
weßt/ Matth. 22, 16. und Joh. 8. ſo verfolgten ſie dennoch Chriſtum/ und
durchaͤchten ihn in ſeinen Gliedern. Waren alſo wohl rechte Otter-Ge-
zuͤchte und Schlangen-Art/ denen Chriſtus der Herr das Wappen bil-
licher maſſen viſieret.


Nun/ M. L. dieſe warens nicht allein/ ſondern ſie haben von Anbegin
biß hieher viel Bruͤder hinderlaſſen/ die den Phariſaͤer meiſterlich geſpielt.
Das gantze werckheilige Papſtthum/ und ſonderlich die Secten und Or-
dens-Leute/ Moͤnche/ Nonnen/ Benedictiner/ Carthaͤuſer und dergleichen
thuns den Phariſaͤern redlich nach. Allermaſſen/ wie zween beruͤhmte Pa-
* Genebr.
und Corn.
à Lapide.
piſten * es ſelbſt geſtehen/ id fuiſſe inter Judæos Phariſæos, quod ſunt re-
ligioſi inter Chriſtianos,
das ſeyen vorzeiten die Phariſaͤer unter
den Juden geweßt/ was heutiges tages die Geiſtlichen unter
den Chriſten ſeind. Und wann ſie es gleich nicht geſtehen wollen/ ſo iſt
es doch am Tag/ der Augenſchein gibt es. Zwar an weltlicher Klugheit/
Verſchlagenheit/ und dannenhero an groſſem Anſehen und Autoritaͤt iſt
bey ihnen auch kein Mangel. Wo bey uns ein gelehrter Mann iſt/ haben
ſie zehen dagegen; ſie ſchreiben groſſe Volumina, und erfuͤllen die Welt
mit Buͤchern/ urſach: Man ſpendiert allezeit mehr auff den falſchen Got-
tesdienſt/ als auff die rechte Religion/ nach dem Exempel Achabs/ der
uͤber vierhundert Baals-Pfaffen auff der Streue hielt/ und beſoldete ſie/
aber die zween einige Propheten des Herrn waren ihm zuwider/ und be-
ſchwerlich zu erhalten. Es iſt auch bey ihnen ſcientia, die Wiſſenſchafft/
wie beym Teuffel der Glaube; ſie ſitzen in cathedra Petri, auff Petri
Stuhl ihrer Meinung nach: maſſen ihnen ſelbſt den Schluͤſſel der Wiſ-
ſenſchafft und des Himmelreichs zu/ aber in der Warheit ſeind ſie blind/
und der Blinden Leiter. Sie ſeind gute moraliſten und oratores, aber
Trotz ſey ihnen gebotten/ daß ſie das Evangelium recht verſtehen ſolten!
Sie wiſſen nichts von der allgemeinen unbedingten Vergebung bey Gott/
halbieren dieſelbe/ und verdammen uns Lutheraner daruͤber. Laſſen in
Beſchreibung der rechten Buße das vornehmſte und beſte Stuck/ den
Glauben/ auß/ und den Kohlers-Glauben halten ſie fuͤr den beſten. Sie
verſtehen ſich nichts auff das vaͤtterliche Hertz Gottes/ und auff den
Herrn Meſſiam. Dann was ſie von demſelben halten/ das erhellet
auß ihrem Vicatio, den ſie zu einem Welt-Koͤnig machen/ und ſchroͤckliche
Fundamental-Jrꝛthum von ihme foviren. Sie verfehlen des Wegs
der Seligkeit/ ſetzen ihn auff eigene Gerechtigkeit/ wie oben gehoͤret/ auff ih-
re Antiquitaͤt/ Obedienz und gute Wercke: Sie kennen ſich ſelbs nicht/
und bilden ihnen ein/ die Luſt-Seuche ſeye keine Suͤnde/ die Liebe GOttes
muͤſſe
[151]Vom verlohrnen Sohn.
muͤſſe eben nicht in ſo hohem Grad beſtehen/ und die Seyten ſo hoch geſpan-
net werden; vermeinen auß eigenen Kraͤfften das Geſetz voll kom̃lich zu er-
fuͤllen. Dazu dann ſchlaͤgt ſumma excœcatio, die hoͤchſte Verblen-
dung; Unangeſehen das Heyl uns iſt kommen her/ von Gnad und lauter
Gute/ und ihnen das Liecht des Evangelij/ eben ſo wohl als uns/ hell ge-
nug geſchienen/ ſo bleiben ſie als Liecht-ſcheuende doch in ihrer Finſternuß
ſtecken. Dienet alles zur Warnung/ daß man ſich vor ſolchen blinden Lei-
tern huͤte/ und weder an ihren aͤuſſerlichen Gaben/ noch Predigten/ ſich ver-
gaffe.


Es ſeind es aber auch dieſe nicht allein/ die Phariſeer haben auch un-
ter uns geleichet/ und ſeind ſolche alle unſere Welt-weiſe und Hauß-kluge
Leute/ alle Bethlehemiten/ und geſchaͤfftige Marthanen/ die zwar in weltli-
chen Sachenuͤberauß klug/ abgefuͤhrt und verſchlagen/ wiſſen auch wohl
von der aͤuſſerlichen From̃keit und guten Wercken viel zu ruͤhmen/ unter-
deſſen aber wiſſen ſie von dem beſten Theil/ von der Frucht und Nutzen des
Evangelij nichts/ wie die Schaͤfer zu Bethlehem. Sie wiſſen nichts von
der Buß und dero Ubung/ von der Perſon Chriſti/ von dem Weg der Se-
ligkeit/ und fremder Gerechtigkeit. Haben Lux-Augen/ wann ſie anderer
Leute Fehler ſehen ſehen aber ſich ſelbs nicht/ und wiſſen jenen gnug Kletten
anzuhencken. Da moͤgen wir auch wohl auß Joh. 3. mit Chriſto ſprechen:
Jhr ſoltet ſchon laͤngſt Meiſter in Jſrael ſeyn/ und wiſſet das noch nicht;
Jtem: O waͤret ihr blind/ ſo haͤttet ihr keine Suͤnde. Daß aber dem alſo
ſeye/ bezeugt die Erfahrenheit/ ein Hauß-Vater probiere es/ er frage ſeine
Kinder und Geſinde/ was es auß der Predigt behalten? da wird er hoͤren/
daß moralia und Hiſtorien leicht bleiben/ aber das Evangelium/ das doch
allein ſelig machet/ das allein Krafft gibt gute Wercke zu thun/ will nicht
in das Gedaͤchtnuß. Jſt I. peccaminoſa igrorantia, eine unverant-
wortliche Unwiſſenheit; Die Blindheit der Leute auſſer der Kirchen
iſt erbaͤrmlich/ aber dieſe muhtwillige/ davon es heiſſet/ muhtwillens
wollen ſie es nicht wiſſen/ iſt unverantwortlich; gleich wie Democri-
tus Abderites,
der ihme ſelbs die Augen außgeſtochen/ nicht zu entſchuldi-
gen war/ weil er nicht ſehen kunte. Am juͤngſten Tag wird dieſe Folge nicht
gelten; ich hab es nicht gewußt/ darum bin ich entſchuldiget; Sprichſtu/
ich bin ein armer Lay/ ich hab mit meinem Brod und Pflug gnug zu thun/
daß ich mich eben außbringe; wer wolte mir thun/ wann ich ſo viel lernen
ſolte/ ich mũßte alles andere ligen laſſen/ und daruͤber verderben? So ſprich
ich/ ſagt Lutherus Tom. 3, Jen. fol. 147. Was kan ich dazu/ Unwiſ-
ſenheit wird nicht entſchuldigen. Soll ein Chriſt nicht wiſſen/
was
[152]Die Siebenzehende Predigt
was ihm zu wiſſen noͤthig iſt? warum lernet mans nicht? war-
um haltet man nicht gute Prediger? man will unwiſſend ſeyn.
Das Evangelium iſt in Teutſchland kommen/ viel verfolgens/
wenig begehrens/ viel weniger nehmens an/ und die es anneh-
men/ ſtellen ſich ſo laß und faul dazu/ laſſen die Schulen ver-
gehen/ Pfarꝛen und Predigt-Stuͤhl fallẽ/ niemand dencket dar-
an/ daß mans erhalte/ und Leute aufferziehe/ und laſſen uns al-
len thalben ſtehen/ als waͤre es uns leyd/ daß wir etwas lerneten/
und gern nichts wiſſen wolten/ ꝛc. Man ſchuͤtzet keine Einfalt noch
die natuͤrliche Unvermoͤglichkeit vor; man beklagt ſich nicht/ daß es zu
ſchwer zu lernen; man unterſcheidet nit die Ampts- und Nebens-Wercke/
welche wohl beyſammen ſtehen. Wie machte es David/ und der Kaͤm-
merer der Koͤnigin in Morenland/ Act. 8. die warteten ihres Beruffs/
und lerneten doch auch dabey ihren Gott und Heyland erkennẽ. Was thun
die Widertaͤuffer? ſie handlen und wandlen in weltlichen dingen/ und die
Religion oder Gottesdienſt leidet bey ihnen doch keinen Abbruch. Dieſe ſol-
ten uns ſchamroth machen/ und eines beſſern erinnern. 2. Jſt dieſe
Blindheit damnoſa \& cauſa ſuperbiæ, eine verdammliche Mutter
des Phariſaͤiſchen Hochmuths. Dann/ lieber Menſch/ wiltu ſelig
werden/ ſo muſtu auch wiſſen/ wie? meyneſtu/ GOtt werde dich unmittel-
bar in Himmel nehmen/ du glaubeſt was du wolleſt? O wehe nein! Er
hat dirs nirgend verſprochen/ ſonſt koͤnten auch Tuͤrcken/ Tartaren und
Barbaren ſelig werden. Wiſſen ſoltu/ daß Gott eine gantz vollkommene
und Engel-reine Gerechtigkeit von dir fordert; quod malâ voluntate
perditum, juſtâ voluntate repetit,
was der Menſch muthwillig ver-
lohren/ das begehret GOtt rechtmaͤßiger weiſe wieder von ihm.
Eine ſolche Gerechtigkeit aber haſtu nicht/ dein Hertz verdammet dich/ dein
Leben uͤberzeuget dich/ eine einige auch die geringſte Suͤnde verdammet
dich. Wo dann nun hinauß? da zeigt dir das Evangelium die Gerech-
tigkeit JEſu Chriſti/ die er durch Thun und Leyden erworben/ und mit ſei-
ner Erhoͤhung beſtaͤtiget. Wer iſt aber Chriſtus? wie wird man ſeiner
faͤhig? iſt ſeine Gerechtigkeit auch allgemein? welches ſeind die Mittel/ daß
ich dazu gelange? was iſt Wort und Sacramentẽ? womit ergreiffe ichs?
was iſt der Glaub? was iſt [d]er ſeligmachende/ oder hiſtoriſche/ oder
Tugend-Glaub? wo wird mir ſolches alles geoffenbahret? nit im Geſetz/
dann das iſt nur ein Feur-Spiegel/ ein toͤdender Buchſtab/ ſondern im
Evangelio/ einer gantz neuen und der Vernunfft unbekandten Lehre. Da
lehret man glauben/ da empfaͤngt man den kindlichen Geiſt/ nicht gezwun-
gen
[153]Vom verlohrnen Sohn.
gen/ ſondern auß lauter Liebe. Wer das nicht weiß/ der iſt ein unglaubi-
ger Menſch; es iſt aber nicht genug/ daß mans weiß/ es muß auch Schrifft
da/ und auffs wenigſte ein Zeugnuß derſelben in bereitſchafft ſeyn/ deſſen
man ſich wider alle Anfechtungen bedienen kan. Wer das nicht hat und
weiß/ der muß entweder verzweifflen/ oder ohne Wort GOttes freveln/
und es auff GOttes Barmhertzigkeit wagen/ da es ihm aber gehen wird/
wie einem Traͤumenden/ der ihme im Schlaff wunder-groſſe Dinge einbil-
det/ wann er aber erwachet/ war es alles nichts. 3. Jſt dieſe Blindheit
propudioſa, ſchandlich; es iſt ja freylich einem Chriſten eine Schande/
ſeine Beruffs-Kunſt nicht wiſſen/ die Stuͤmpler ſeind bey allen Hand-
werckern veracht/ und halt man nichts auff ſie. Nun aber biſtu/ mein
lieber Chriſt/ nicht in die Welt gekommen/ allein der Nahrung/ dem Reich-
thum/ und anderem vergaͤnglichem Weſen nachzudencken/ ſondern auch
ſonderlich deiner Seelen Seligkeit warzunehmen. Schand iſt es deſto-
mehr einem Evangeliſchen Chriſten/ wann ers unterlaͤßt. Wir wollen
ja Kinder des Liechts ſeyn/ und dancken GOtt fuͤr das Liecht des Evange-
lij/ und nehmens doch nicht an. Das Hertz iſt und bleibt ſtock-blind/ und
handgreifflich finſter. Aber viel groͤſſere Schande iſt es/ wann wir die Jrꝛ-
glaubigen/ Calviniſten/ Wiedertaͤuffer anſehen/ wie begierig ſeind ſie in
ihrem falſchen Chriſtenthum? wie eyfferig diſputieren und behaupten ſie
doch ihre Jrꝛthum/ daß man nicht meynen ſolle/ wir Lutheriſche und die
Calviniſten ſeyen im Fundament des Glaubens mit einander uneins?
Sprichſtu nun: quid faciendum? wie komm ich dann dazu/ daß ichs ler-
ne? Antw. abi ad Ananiam, gehe hin zu Anania/ Act. 9. das iſt/ zu deinem
Prediger/ der wird dirs ſagen/ und ſtopffe die Ohren nicht fuͤr ſeiner Lehre
zu/ dencke nicht/ es ſeye dir zu hoch/ es gehe dich nicht an/ mache das velum,
den Umhang fleiſchlicher Welt-Gedancken hinweg/ und laß alle uͤbrige
uͤppige Phantaſien fahren; betrachte fleiſſig GOttes Wort/ ſo werden dir
die Augen auff gehen/ frage nach/ man hu, was iſt das? ſprich: HErꝛ
rede/ dein Knecht hoͤret/ ſo wirſtu deiner Augen Luſt ſehen/ daß dir kei-
ne groͤſſere Freude in der Welt uͤber dieſe ſeyn wird/ da wirſtu ſtehen/ wie
ein gepflantzter Baum an den Waſſerbaͤchen/ Pſ. 1. Du wirſt dich nicht
ſatt ſehen/ und wird heiſſen/ quò plus ſunt potæ, plus ſitiuntur aquæ, je
mehr man ſiehet/ je mehr man ſehen moͤchte; wer von dieſer geiſt-
lichen Speiſe eſſen wird/ den wird nimmer darnach hungern/ Syr. 24/ 29.
Wer Gott nicht hier im Glauben ſiehet/ der wird ihn auch dort nicht ſe-
hen in der Herꝛligkeit. Dann wie die leibliche Finſternuß ein Bild iſt der
ewigen Finſternuß; alſo iſt dieſes Licht ein Bild des ewigen Liechts und
Zehender Theil. VWohl-
[154]Die Achtzehende Predigt
Wohl-lebens. Da wir als Durchleuchtige Printzen und Himmels-
Fuͤrſten fuͤr dem himmliſchen Salomone ſtehen und ſeine Weißheit hoͤren
werden. Nun ſo ſehet ihn an hie im Glauben/ ſo wird er euch durchleuchten
dort im ſchauen/ in der himmliſchen Herꝛlichkeit/ darzu helff uns die Hei-
lige Dreyfaltigkeit. Amen.



Die Achtzehende Predigt.
Von der Phariſaͤiſchen Gerechtigkeit.


GEliebte in CHriſto. Es iſt in alle wege der vaͤtterliche
Erbfall/ die hæreditaͤt und patrimonium, res gratuita ein
gantz frey geſchencktes/ unverdientes ja unverdienliches
Werck/ und zwar 1. donum ἄπρακτον proprio labore, ein
Geſchenck/ das nicht kan und ſoll mit rennen/ lauffen und
arbeiten erlanget werden. Dann auff ſolche weiſe wuͤrde
manches Kind/ dem ſein Vater als dann ſtirbt/ wann es noch in der Witt-
wen Mutterleib ligt/ zuruck ſtehen muͤſſen/ als welches nichts ſchaffen
noch arbeiten kan. So thun ja freylich auch die Alten nichts auß eygener
Krafft/ wie Tagloͤhner/ ſondern daß ſie etwas thun koͤnnen/ das haben ſie
naͤchſt GOtt von ihren Eltern/ die ihnen das Leben und alſo alle Kraͤfften
zu thun gegeben. Das waͤre ein ſeltzamer Handel/ wann einer auß eines
andern Seckel wolte freygebig ſeyn/ und/ wie man pflegt zu ſagen/ auß
anderer Leute Haͤuten Leder ſchneiden/ wann er wolte damit pralen/ als
haͤtte er ein groß Werck gethan. Eben alſo ſeltzam iſt es/ wann ein Kind
ihme auß fremden Kraͤfften das Erbe zu verdienen/ wolte traͤumen laſſen/
dann daß es tuͤchtig iſt etwas zu thun/ das hat es bloß von Gott und ſei-
nen Eltern/ auch ohne einiges Verdienſt. 2. Jſt es donum indebitum,
eine freywillige Gab. Es iſt zwar ein Vater ſeinem Kind ſchuldig zu ge-
ben/ oder doch zu Raht zu halten/ was demſelben von ſeinem muͤtterlichen
Gut gebuͤhret cæteris paribus, wann es ſich im uͤbrigen haltet/ wie Kin-
dern gebuͤhret zu thun. Ja wil er ein Chriſtlicher Vater ſeyn und heiſſen/
ſo iſt er ſchuldig/ die Seinen zu verſorgen/ ihnen auß vaͤtterlicher Liebe/ und
nicht auß Gerechtigkeit/ Schaͤtze zu ſamlen/ verwahrſam beyzulegen/ und
nicht zu verthun; Daß auch die Kinder nach ſeinem Tod ihn ruͤhmen
und
[155]Vom verlohrnen Sohn.
und ſagen moͤgen: das hab ich von meinem Vater. Aber wann mans
mit Gewalt und Recht an ihn ſuchen wolte/ ſo wuͤrde er ſagen: ey hoͤrt/ ich
bin euch nichts ſchuldig; ſeyd ihr mir gehorſam geweßt/ ſo habt ihr erſt ge-
than/ was recht iſt/ und wann ihr gleich alles/ was euch zu thun befohlen
iſt/ gethan habt/ ſo ſolt ihr ſprechen: wir ſeynd unnuͤtze Knecht/ wir haben
allererſt gethan/ was wir zu thun ſchuldig waren/ Luc. 17. Jhr ſeyd es
ſchuldig geweßt/ ich weiß von keinem groſſen Danck nichts/ euch zu geben.
3. Jſt es donum improportionatum, dieweil kein Vergleich und Propor-
tion
unter dem/ was Vater und Mutter an den Kindern thun/ und dem/
was die Kinder hinwiederum̃ ihnen thun/ davon Ambroſius ſehr ſchoͤn
ſchreibet ad c. 18. Luc. Paſce patrem tuum, paſce matrem tuam, etiamſi
paveris matrem, adhuc non reddidiſti dolores, non cruciatus, quos pro
te paſſa eſt, non alimenta, quæ tribuit tenero pietatis affectu, immul-
gens labiis tuis ubera; non famem, quam pro te toleravit, ne quid, quod
tibi noxium eſſet, ederet, ne quid, quod lacti noceret, hauriret; illa
tibi jejunavit, tibi manducavit, vigila vit, flevit, \&c. illi des, quod habes,
cui debes, quod es:
das iſt: Nehre deinen Vater und Mutter/ und
wann du ſchon deine Mutter ernehreteſt/ ſo bezahleteſt du ihr
doch die Schmertzen und Wehe nicht/ die ſie fuͤr dich außge-
ſtanden; nicht die Speiſen/ die ſie dir auß zarter Mutter-Lieb
beygebracht/ da ſie dir ihre Bruͤſte an den Mund gethan/ und
mit ihrer Milch getraͤncket; nicht den Hunger/ den ſie um dei-
net willen erlitten/ damit ſie ja nichts eſſe/ was ihr ſchaͤdlich waͤ-
re/ oder trincke/ was die Milch verderbete. Dir zu gut hat ſie ge-
faſtet und gegeſſen/ gewacht/ den Schlaff gebrochen/ und ge-
weinet/ ꝛc. Summa: Jhr haſt du es zu dancken/ was du haſt/
von welcher du haſt/ was du biſt.


Wie nun ein leibliches Erb gantz ein geſchencktes/ unverdientes Gut
iſt/ ſo ſtellet uns auch der H. Geiſt in ſeinen Worten das ewige Leben fuͤr in
der Gleichnuß eines Erbes/ Matth. 25. wann er anzeiget/ daß des Men-
ſchen Sohn am Juͤngſten Tag zwar nach den Wercken/ aber nicht um der
Wercke willen richten werde. Und 1. Pet. 1/ 4. nennet er es ein unver-
gaͤngliches/ unbeflecktes und unverwelckliches Erbe/ anzudeu-
ten/ daß es niemand erwerben noch ererben koͤnne/ als ἄπρακτον, indebitum
\& improportionatum,
ein unverdienliches/ auß Gnaden geſchencktes
und unvergleichliches Erb. Welches er auch mit leiblichen Exempeln er-
klaͤret/ ſonderlich an Jacob und Eſau; Dieſer lauffet und rennet/ vermei-
nend/ er wolle des Vaters leiblichen Seegen errennen/ aber es fehlet ihm/
V ijjenem
[156]Die Achtzehende Predigt
jenem aber wirds gleichſam im Schlaff/ da er nicht daran gedacht/ Rom.
9. Urſach/ es ligt nicht an jemands wollen und lauffen/ ſondern
an GOttes Erbarmen; Groſſe Potentaten theilen ihre Lehen-Guͤter
auß nach dem Churman und Paßporten. An den Kindern Jſrael/ de-
nen er das Land Canaan eingegeben/ nicht auß eygenem Verdienſt/ ſie
kunten nicht ſagen in ihrem Hertzen/ meine Krafft und meiner
Haͤnde Staͤrcke haben mir dieſes Vermoͤgen außgerichtet/
Deut. 8/ 17. ſie ſeind nicht in das Land kommen um ihrer Ge-
rechtigkeit und um ihres auffrichtigen Hertzens willen/ Deut.
9/ 5. Und dann ſonderlich auch in dieſer unſerer vorhabenden ſchoͤnen
Parabel/ da tritt auff ein armer Suͤnder/ bringt nichts mit ſich als Bloͤße/
Elend/ und etliche Regimenter Ungeziffer/ dabey ein reuendes bußferti-
ges Hertz; auff der andern ſcena tritt herein ein ſtoltzer auffgeblaſſener
Werckheiliger/ er ſchmincket ſeine Federn wie ein Pfau/ und ſtehet da als
idea Phariſaiſmi antiqui, als ein lebendiges Muſter des alten Phariſaͤi-
ſchen Unweſens. Heut acht Tag haben wir an demſelben wargenom-
men phariſaicam cœcitatem, die Phariſaͤiſche Blindheit/ folget an-
jetzo phariſaica juſtitia, die Phariſaͤiſche Gerechtigkeit. Hievon
nun nutzlich und aufferbaulich zu reden und zu handlen/ wolle uns der Va-
ter des Liechts mit dem Liecht ſeines Heiligen Geiſtes von oben herab
mildiglich erſcheinen. Amen.


SO wird uns nun/ Geliebte im Herrn/ die Phariſaͤiſche
Gerechtigkeit gar ſchoͤn an dem aͤltern Bruder des verlohrnen
Sohns præſentiret/ und zwar I. Juſtitia ex majoratu, was den
Vorzug des Alters betrifft/ er wird clar ὁ πρεσ [...]ύτερος, der aͤltere
genennet. Nun hatte der aͤlteſte und erſtgebohrne Sohn ſo wohl in der
Natur und Voͤlcker-Recht/ als auch in dem Goͤttlichen Recht einen
groſſen Vortheil vor andern/ als der Oberſte im Opffer und im
Reich/ Gen. 49/ 3. er hatte uͤber ſeinen Bruder zu herꝛſchen/ Gen.
47. hatte zween Vortheil oder Vorauß fuͤr demſelbigen/ Deut. 21/ 7.
Daher noch heutiges Tages bey hohen Geſchlechtern und Stamm-Haͤu-
ſern geſchicht/ was dorten Joſaphat gethan/ der ſeinen andern Soͤhnen
Gaben gab von Silber/ Gold und Kleinodien/ ſammt feſten Staͤtten in
Juda/ und ſie damit außwieſe; aber das Koͤnigreich gab er ſeinem erſt-
gebohrnen Sohn Joram/ 2. Chron. 21/ 3. Nun war dieſer Bruder
der erſtgebohrne/ dazu hatte er allbereit ſeinen Bruder auß dem Sattel
gehebt/ als der verlohren/ todt und außgethan war bey dem Vater; dar-
auff
[157]Vom verlohrnen Sohn.
auff trotzte er/ und gedachte/ ich bin der erſte und der einige Sohn. II.
Juſtitia ex obedientia legali,
weil er ſeinem Vater nach dem Geſetz je-
derzeit gehorſam geweſen/ ich habe/ ſpricht er/ dein Gebott nie uͤber-
tretten/ weder committendo, noch omittendo weder mit Veruͤbung
des Boͤſen/ noch mit Unterlaſſung des Guten. Jſt viel geredt/ wers
glauben kan. Jſt man nun einem gehorſamen Knecht/ will er ſagen/
ſeinen Lohn zu geben ſchuldig/ den man ſo werth haͤlt/ daß er kaum ſeinem
Herrn um ſo viel Gold feyl/ als ſchwer er iſt? wieviel mehr mir mein
Vater; was thut nicht ein Herꝛ ſeinem getreuen Knecht oder Magd/ will
geſchweigen/ ſeinem gehorſamen Kind? Jm gegentheil mein Bruder/
dieſer mein Sohn/ hat ſein Gut mit den Huren verſchlungen/ dich gepocht
und getrutzt/ biß du ihm ſein Theil herauß gegeben. III. ex Servitute du-
ra,
auß der ſchweren Dienſtbarkeit; ſiehe/ ſo viel Jahr diene ich dir/
verſiehe dir eine Knechts-Stell/ ich arbeite Tag und Nacht/ wie ein Tagloͤh-
ner/ ja wie ein Roß/ und habe bitter uͤbel Zeit. Er trotzet auff die ſuperero-
gativ;
ich thue mehr als ich ſchuldig bin. ἰδοὺ, ſagt er/ ſiehe Vater/ wo
thut das mein Bruder? andere Kinder thun dergleichen Arbeit nicht/ wie
ich/ ich renne und lauffe fruͤh und ſpaht/ und ſoll doch keinen Danck haben/
redde mihi, quod debes, gib mir/ was du mir ſchuldig biſt. Du
biſt zumahl ein ungerechter Vater/ dem boͤſen Buben/ der ſein Gut ver-
ſchlungen/ halteſt du eine Mahlzeit/ aber mir haſtu nie einen Bock gege-
ben/ daß ich mit meinen Freunden froͤlich waͤre.


Hieher nun/ will der Herr Chriſtus ſagen/ ihr Phariſaͤer und
Schrifftgelehrte/ beſchauet euch in dieſem Spiegel/ kein Ey kan abermahl
dem andern ſo gleich ſeyn/ als ihr und dieſer Sohn/ ihr ſeyd die Bruͤder
des verlohrnen Sohns/ ihr pocht auch mit allen Juden ins gemein auff
eueren Adel und majoritaͤt/ daß ihr Abrahams Kinder ſeyd; das blaßt
euch auff/ und macht ſolche inflatos Unflaͤhter auß euch. Jhr pocht auff
euere Primogenitur und Erſte Geburt/ daß ich weyland Jſrael meinen
erſtgebohrnen Sohn und außerkohrnen vor allen Voͤlckern genant habe/
Exod 4/ 22. Jhr duͤncket euch deßwegen viel beſſer zu ſeyn als die Zoͤllner
und Suͤnder. Jhr pochet auff euere Gerechtigkeit/ geſtalt dann Luc. 18.
der Herr ein Exempel eines ſolchen Werckheiligen fuͤrſtellet/ der mit
ſeinem vollkommenen Gehorſam pranget/ und auch ſagen will/ er habe
GOttes Gebott niemahlen uͤbertretten. Jch bin kein Raͤub er/ kein
ungerechter/ kein Ehebrecher/ oder auch nicht wie dieſer Zoͤllner/
ich faſte zwier in der Wochen/ und gebe den Zehenden von al-
lem/ das ich habe. Ja ihr ſeyds/ die ihr mit den operibus ſuperero-
V iijgationis
[158]Die Achtzehende Predigt
gationis pralet/ und euere uͤbrige Wercke ruͤhmet/ die ihr euch ſpiegelt
in ἀκρι [...]είᾳ religionis, in der Strenge euers Ordens/ als der ſtreng-
ſten Sect euers GOttesdienſts/ Act. 26/ 5. und in der abundantia Ju-
ſtitiæ,
in euerer uͤberfluͤſſigen Gerechtigkeit/ Matth. 5/ 20. Jhr laſſet euch
beduncken/ ihr haltet das Geſetz ſchaͤrffer/ ſtrenger/ beſſer/ mehr als euch
befohlen. Jch habe befohlen meine Gebott zuhalten/ und ihrer nicht zu
vergeſſen/ deßwegen ich euch gebotten/ ihr ſolt Laͤplein machen an die Fit-
tich euerer Kleider/ und gelbe Schnuͤrlein auff die Laͤplein/ auff daß ihr/
wann ihr ſie anſehet/ gedencket aller Gebott des Herꝛn/ Num. 15/ 38. So
machet ihr die Denck-Zedel breit/ und die Laͤplein groͤſſer als andere/ Matth.
23/ 5. Jch habe befohlen/ ihr ſolt betten und wachen/ und euch nicht mit bloſ-
ſen Lippen zu mir nahen/ ſo bettet ihr in den Ecken auff den Gaſſen/ πρὸς
τὸ ϑεαϑῆναι, auff daß ihr von den Leuthen geſehen werdet/ Matth. 6/ 5.
Jſts wahr/ was Epiphanius ſchreibet hæreſ. 16. ſo lagen ſie des Nachts an
ſtatt des Beths/ auff einer Latten einer Spannen breit/ auff daß/ wann ſie
im Gebett der Schlaff uͤbereylet/ ſie herunder fielen und erwachten/ ja ſie
legten ſich wohl gar auff Kiß- und ſtachelichte Dorn-Buͤſche oder Dorn-
Wellen. Jch habe befohlen den Sabbath zu halten/ ſo haltet ihr ihn ſo ſtreng/
daß ihr euch auch Gewiſſen machet/ nur Aehren abzubrechen/ uñ außzurauf-
fen/ auch die Krancken zu heylen/ Matth. 12. Jch habe befohlen dem Pre-
dig-Ampt zu reichen von allem/ ihr verzehendet die Muͤntz/ Till und Kuͤm-
mel; Jſt zwar recht gethan/ aber unterdeſſen laſſet ihr das ſchwerſte im
Geſetz dahinden/ dieſes ſolte man thun/ und jenes nicht laſſen. Jch habe
befohlen/ die Alten in Ehren zu halten/ das laßt ihr euch ſo genau angelegen
ſeyn/ daß ihr auch der Maͤrtyrer Graͤber ſchmuͤcket/ Matth. 23. Jch habe be-
fohlen Allmoſen zu geben/ das thut ihr offentlich fuͤr den Leuten. Jch ha-
be befohlen/ ihr ſolt faſten/ ſo ſehet ihr ſaur/ und verſtellet euere Angeſichter/
auff daß ihr fuͤr den Leuten ſcheinet/ Matth. 6. Jhr faſtet zwier in der Wo-
chen/ Luc. 18. ja offt/ Luc. 5. Bannus Joſephi Præceptor aß keine Speiß/
als die (ἀυτομάτως) auß der Erden waͤchſet. Jch habe befohlen/ ihr ſolt hei-
lig ſeyn/ ſo reiniget ihr euch auch aͤuſſerlich/ und macht euch ein Gewiſſen/
mit ungewaſchenen Haͤnden zu Tiſch zu kommen/ Matth. 15. Marc. 7. Luc.
11. Jſt alles recht/ wann man nur kein Heiligthum darauß machet/ wie
ihr thut. Solche Leuthe ſeyd ihr/ das ſeind euere ſervitia und opera ſupere-
rogationis,
euere Gerechtigkeits Werck; iſt eine beſſere Gerechtigkeit als
der gemeinen Juden. Seyd ihr nun der Vernunfft nicht beraubet/ ſo
werdet ihr mercken/ wie uͤbel es dem Bruder des verlohrnen Sohns ange-
ſtanden/ daß er mit ſeinem Vater expoſtulirt, und wie ſchlechte Funda-
menta
[159]Vom verlohrnen Sohn.
menta er dazu gehabt. Wie ihr nun deßwegen einen Greuel an ihme habt/
alſo hat auch GOtt der himmliſche Vater ein Abſcheuen an euch/ die ihr
ihm in allen Stucken gleich ſeyd. Das iſt die Phariſaͤiſche Gerechtigkeit.


Wie tieff nun/ M. L. ſtecket dieſer Phariſaiſmus auch uns allen in
dem Buſen! dann dieweil der Menſch das Geheimnuß des Evangelij mit
der Vernunfft nicht begreiffen kan/ und es ihm eine Thorheit iſt/ ſo verlaßt
er ſich auff ſeine Fromkeit/ und eygene Gerechtigkeit. Das war Cains Ge-
rechtigkeit/ Eliphas/ der Heyden/ des Mahomets/ und der Pelagianer.
Man gehe auff die Doͤrffer/ examinire die Leute/ die von Chriſto nichts
wiſſen/ ſo wird mans finden/ und Antworten bekommen/ wie jener Baur
eine gegeben/ welcher/ als er vom Paſſion gehoͤret/ und gefraget worden/
warum Chriſtus gelitten habe? geantwortet: er dencke wohl/ Chriſtus
habe es auch verdienet. Dahero rohe Dienſt-Botten ihnen einbilden/
GOtt werde und muͤſſe ihre ſaure Arbeit belohnen/ wie die Wehmuͤtter in
Egypten. Lutherus ad c. 2. Gal. nennets juſtitiam ſervilem, merce-
nariam, externam, mundanam, humanam, quæ in hac vita mercedem
expectat \& recipit, ad futuram gloriam nihil prodeſt, ſimilem actibus
ſimiæ,
eine knechtiſche/ gedingte/ aͤuſſerliche/ menſchliche Ge-
rechtigkeit/ welche in dieſer Zeit die Belohnung hoffet und em-
pfanget/ aber zu dem Himmel nichts nutzet/ und den Af-
fen-Handlungen gleich iſt. Ein jedes bedencke es nur ſelber/
wann es vom Evangelio niemahlen nichts gehoͤret/ ob es nicht gleich
auff dieſe Phariſaͤiſche Gerechtigkeit plumpet/ und hinein fallet.


Und um ſo viel mehr hat man ſich zu erbarmen uͤber das Papſt-
thumm/ als in welchem dieſe Gerechtigkeit biß dato das Scepter-Regi-
ment erhalten. Es pochet auch I. auff majoritatem \& antiquitatem,
auff ſeine Aelte und Vorzug; dann da wird gelehret/ die Gerechtigkeit
ſeye geartet/ wie die Geſundheit. Soll nun der Menſch gerecht werden/
ſo muͤſſe durch die Gnade des himmliſchen Artztes dieſelbe zuvor diſpo-
ni
rt werden mit Glauben/ Liebe/ Forcht und Fuͤrſatz. Durch den di-
ſpoſitivè,
nicht organicè, Vorbereitungs-nicht mittels-weiſe/ radicaliter
nicht principaliter. Darauff werde alsdann die Gerechtigkeit/ als
eine Quelle aller Tugenden eingegoſſen; die vertilge alle Suͤnden/ und ma-
che den Menſchen gerecht. Und dieſelbe ſeye nun auch die Wurtzel und
Quell/ krafft welcher der gerechte Menſch nicht nur dem Geſetz ein Genuͤ-
gen thue/ die Suͤnde buͤſſe/ ſondern auch verdiene ſo wohl augmentum
gratiæ,
die Vermehrung der Gnade/ als die Seligkeit ſelbs/ und der ge-
rechte/ nicht allein barmhertzige Richter werde den Lohn nach den Wercken
abmeſſen.
[160]Die Achtzehende Predigt
abmeſſen. Und ſeyen die adultiores die aͤltere viel gluͤckſeliger als
die jungen Kinder. Sonderlich aber ſeind die Ordens-Leut die Al-
lerheiligſten/ die haben eine viel beſſere Gerechtigkeit als der arme
Lay/ ſie thun opera ſupererogationis in Faſten/ Geluͤbden/ Keuſch-
heit/ Armuth/ Gehorſam/ in ſtrengen Ordens-Regulen/ damit ſie
als uͤbereintzigen guten Wercken/ auch andern etwas verdienen. Und
je ſtrenger ein Orden lebet als der ander/ je heiliger er iſt/ als die
Capuciner ſeind heiliger dann die Benedictiner/ die Cartheuſer wel-
che kein Fleiſch eſſen/ und nicht mit einander reden/ heiliger als die Ca-
puciner. Die Jeſuiten verdienten mehr agendo quàm patiendo durch
Thun und gute Ubungen/ als durch Leyden und Gedult. Summa:
wer an die Ort des Papſtthum̃s kommet/ der verwundert ſich uͤber ihr
ſtrenges Leben.


Aber hoͤre/ was ſagt unſer Heyland Chriſtus dazu? Es ſeye dann
euere Gerechtigkeit beſſer/ dann der Phariſaͤer und Schrifft-
gelehrten/ ſo werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen/
Matth. 5/ 20. Beſſer ſoll ſie ſeyn/ und alſo 1. perfectior, vollkommener;
Gott wil ſich nicht mit Hafen-Scherben/ Rechen-Pfenningen/ leichtem
ungewigtem Geld/ mit allzuwenigem abbezahlen laſſen. Was er Adam
eingethan/ das wil er wieder haben/ nemlich perfectionem ſummam, die
hoͤchſte Vollkommenheit. Will man ſie verdienen/ ſo muß ſie noch hoͤher
und unendlich ſeyn/ da wir doch/ wann wir alles gethan/ was uns befohlen
iſt/ bekennen und ſagen muͤſſen/ wir ſeynd unnuͤtze/ ja noch nicht ſo gut als
unnuͤtze Knecht/ Luc. 17. Es muͤſſen ja alle Heilige das Vater unſer
betten/ und doͤrffen ſich mit ihrer Gerechtigkeit nicht ſehen laſſen. Jhre
Loſung iſt: Ach HERR/ gehe nicht ins Gericht mit deinem
Knecht/ Pſ. 143. Wann du wilt Suͤnde zurechnen/ ach HErꝛ/
wer wird beſtehen? Pſal. 130. All unſere Gerechtigkeit iſt wie ein
beflecktes Tuch. Væ etiam laudabili vitæ, ſi remota miſericordia
diſcutiatur,
ſpricht Auguſt. Wehe auch dem/ der ruhmwuͤrdig und
heilig lebet/ wann er ohne Barmhertzigkeit ſolte gepruͤfet und
gerichtet werden. Es muͤſſen ja die Paͤpſtler ſelbſt geſtehen/ daß der habi-
tus juſtitiæ,
ihre Gerechtigkeit nit vollkommen ſey/ daß er zu- und abnehme/
gemehret und gemindert werden koͤnne. 2. Solidior, feſter/ auff einem
beſſern Grund beſtehen/ daß man ſich darauff verlaſſen koͤnne. Stulta \& pe-
riculoſa habitatio in meritis, quid enim ſtultius quàm habitare in domo
vix inchoata? ruinoſa eſt noſtra habitatio, quæ ſuſtentari magis opus
habeat quàm habitari,
ſchreibet Bernhardus, das iſt: Es iſt thoͤricht
und
[161]Vom verlohrnen Sohn.
und gefaͤhrlich auff Verdienſte trauen/ dann was iſt thoͤrich-
ter als in einem kaum angefangenen Hauſe wohnen? Un-
ſere Behauſung iſt gar baufaͤllig/ die mehr unterbauens als
bewohnens bedarff. Cornel. à Lapid. p. 218. ad Corinth. vergleichet
dieſe Gerechtigkeit einem Seidenwurms-Hauß. Allein wann das Feur
der Anfechtung darzu kommt/ ſo verbrennet ſie/ wie es die Exempel der je-
nigen/ die daruͤber zu grund gegangen/ beweiſen. Jeſabel/ ob ſie ſchon ihr
Angeſicht ſchoͤn geſchmincket/ und ihr Haupt zierlich geſchmuͤcket/ wurde
gleichwohl von dem Fenſter herab geſtuͤrtzet; alſo gehets und wird ergehen
allen Ruhm- und Ehr-ſuͤchtigen Werck-Heiligen fuͤr Gott. 3. Certior,
gewiſſer/ in GOttes Wort/ nicht auff einer inwohnenden Gnade ge-
gruͤndet/ auſſer dem Menſchen/ Act. 4. 1. Cor. 1. dann es iſt nicht die
Frag/ wie ſchoͤn man die Braut butze/ ſondern ob ſie auch GOtt wohl ge-
falle/ und annehmlich ſeye? da ſagt nun die Schrifft clar Nein dazu/ Rom.
3/ 24. Wir werden ohne Verdienſt gerecht/ auß der Gnade Got-
tes/ ꝛc.Gal. 11, 16. Der Menſch wird nicht gerecht durch des Ge-
ſetzes Werck/ ſondern durch den Glauben an Jeſum Chriſt/ ꝛc.
Beſtehet alſo unſere Gerechtigkeit fuͤr Gott mehr im nehmen/ als im ge-
ben/ und wird auch der Glaube außgeſchloſſen/ ſo fern er eine Tugend iſt.
Dann/ ſagt der Apoſtel/ iſts auß Gnaden/ ſo iſts nicht auß Ver-
dienſt/ Rom. 11. mit angehaͤngter Urſach/ Eph. 2. Auß Gnaden ſeyd
ihr ſelig worden/ durch den Glauben/ und daſſelbe nicht auß
euch. GOttes Gabe iſt es/ nicht auß den Wercken/ auff daß
ſich nicht jemand ruͤhme; daß niemand aufftrette und ſage: Siehe
Vater/ ſo viel Jahr diene ich dir/ und habe deine Gebott noch nie uͤbertret-
ten/ gib mir/ was du mir ſchuldig biſt.


Ey ſprechen die Papiſten/ der Apoſtel ſchlieſſe allein die Wercke vor
der Gnade von der Rechtfertigung auß/ dieſe helffen nichts zur Rechtferti-
gung? Antwort: der Apoſtel ſchlieſſet auch ἔργα ἐν δικαιοσύνη, die Wer-
cke in der Gerechtigkeit auß/ Tit. 3/ 5. Er ſchlieſſet auß die Wercke die
gut ſeynd/ vor der Gnade aber ſeynd keine Wercke gut/ wie auß dem Exem-
pel Abrahams Rom. 4. und der falſchen Apoſtel Act. 15. zu erſehen/ wel-
che den Juden etwas zu gefallen lehren wollen; aber eben damit haben ſie
Chriſtum verlohren/ weil ſie durch das Geſetz gerecht werden wolten/ Gal.
5/ 4. Jſt doch/ ſprechen ſie weiter/ Abraham durch die Wercke gerecht wor-
den/ Jac. 2. Der Glaube iſt ja ohne Wercke todt? Antwort: Abraham wur-
de durch die Wercke gerecht/ tanquam ſignis, non cauſis, als durch Zei-
chen/ und nit wuͤrckende Urſachen. Vor GOtt gilt allein der Glaube/ und
Zehender Theil. Xnich
[162]Die Achtzehende Predigt
nicht die Wercke. Der liebloſe Glaub iſt ohne die Wercke todt/ aber doch
machet der Glaub ohne Wercke/ auch/ ohne die Liebe/ gerecht. Ein wohl-
geſchmackter Apffel iſt niemahl ohne Farb/ und doch fuͤhlet der die Farbe
nicht/ ſondern den Geſchmack/ wer ihn iſſet. Ferner wenden ſie ein: Es
werde ja das Ewige Leben ein Lohn genennet/ Matth 5/ 12. eine Beloh-
nung/ Col. 3/ 24. eine Crone/ 2. Tim. 4/ 8. Antwort: Es iſt das ewige Leben
kein Pflicht-ſondern ein Gnaden-Lohn; dem der mit Wercken um-
gehet/ wird der Lohn nicht auß Gnaden zugerechnet/ ſondern
auß Pflicht. Dem aber/ der nicht mit Wercken umgehet/ glau-
bet aber an den/ der die Gottloſen gerecht machet/ dem wird ſein
Glaube zugerechnet zur Gerechtigkeit/ Rom. 4/ 4. Ein anders iſt
ein verdienter Lohn/ ein anders eine Gnadenreiche Ergoͤtzung
der gehabten Muͤhe und Arbeit/ und außgeſtandenen Truͤb-
ſahl/ eine ἀνταπόδοσις τῆς κληρον [...]μίας, eine Vergeltung des Erbes/ die
geſchicht nach den Wercken/ nicht um der Wercke/ ſondern um Chriſti
willen/ auß Gnaden; gleich wie etwa einem Kind ein Vorauß vor dem
andern vermacht wird/ auß lauter Liebe und affection. Sie werffen
uns auch vor die Wort in unſerer Parabel; Alles was mein iſt/ das
iſt dein. Antwort: Es ſeind ſolche Wort conditionatè, bedingungs-
weiß zu verſtehen/ wann er nemlich auch wird hinein gehen/ und ſich mit
freuen/ ſo ſoll auch alles ſein ſeyn/ aber nicht auß Verdienſt/ ſondern auß
Gnaden/ vermoͤg der Kindſchafft.


Ob nun wohl unſere Leute keinen Articul feſter glauben/ und darauff
halten/ als dieſen/ und ſich ſo erzeigen/ daß man wohl ſiehet/ ſie begehren nit
auß den Wercken ſelig zu werden/ ſo muß doch die Warheit geſagt werden
ad evitationem I. Phariſaiſmi, zu Meidung des Phariſaͤiſchen Jrꝛ-
thums/ daß man ſich an der Paͤpſtler Ordens-Leuthen/ und an ihrem
ſtrengen Leben nit vergaffe/ ſondern ſage/ wir achten es alles fuͤr Scha-
den/ und Dreck/ nur daß wir Chriſtum gewinnen/ Philip. 3/ 8.
Es iſt einmahl eine kuͤhne und frevele Lehre/ welche ſie fuͤhren/ dann ſie moͤ-
gen die Gebotte nicht halten/ will geſchweigen/ daß ſie noch mehr daruͤber
thun ſolten. 2. Epicureiſmi, des Epicuriſchen wuͤſten Sau-Le-
bens/ dann ob man ſchon mit den guten Wercken das himmliſche Erbe
nicht verdienet/ ſo verdienet man doch mit den Suͤnden die Enterbung und
Verdamnuß; die guten Wercke ſeind zwar nicht verdienſtliche/ aber doch
der Weg zum Himmel; nicht Himmel-Schluͤſſel/ ſondern Kennzei-
chen der himmliſchen Pilgrim. Chriſtus hat nicht nur gelitten
fuͤr uns/ ſondern uns auch ein Fuͤrbilde gelaſſen/ daß wir ſollen
nachfol-
[163]Vom verlohrnen Sohn.
nachfolgen ſeinen Fußſtapffen. 1. Pet. 2. Sie ſeynd nicht die Wur-
tzel/ ſondern die Frucht/ nicht Mittel/ ſondern der Schmuck eines Chriſten/
Tit. 2. 3. ad Conſolationem, zu unſerm Troſt/ wider die anklebende
Unvollkommenheit/ ein jedes unter uns kan ſagen; ich bin ein Kind und
Erbe GOttes/ ob ich gleich den vollkommenen Gehorſam nicht leiſten kan/
aber an Chriſtum halte ich mich/ der fuͤr mich bezahlet. Wer in dieſem al-
ſo fortgehet/ der wird auch endlich das Erbe erlangen/ welches weder durch
die Menge der Beſitzer/ noch durch die Viele der himmliſchen Einwohner
wird gemindert werden. Das gebe GOtt mir und dir/ ſo kommen wir
beyde dahin/ da Freude die Fuͤlle/ und liebliches Weſen zur Rechten GOt-
tes immer und ewiglich/ Amen.



Die Neunzehende Predigt.
Von dem Phariſaͤiſchen Hochmuht.


GEliebte in Chriſto. Armer Leuthe Hoffarth ſtin-
cket/ pfleget man im Sprichwort zu ſagen/ hat nicht die
Meinung/ als waͤre reicher Leute Pracht lauter Biſem.
Es war freylich eine wuͤſte Stinckerey/ wann David mit
ſeiner groſſen Mannſchafft/ in Jſrael 800000. und in Ju-
da 500000. 2. Sam. 24. Hiskias mit ſeinen Schaͤtzen/
2. Reg. 20. Nebucadnezar mit ſeiner Koͤniglichen Burg zu Babel/
Dan. 4. Herodes in ſeiner Pomp/ Act. c. 12. Berenice in ihrer Phan-
taſi pranget. c. 25. Aber vor der Welt ſcheinet es ſich etwas mehr zu
verantworten/ ſie koͤnnen den Narren beſſer verbergen/ ſie koͤnnens mehr
verbieſamen/ und entſchuldigen/ mit ihren Ehren-Stellen/ Stand und
dergleichen/ damit ſie ihnen ſelbs/ und andern die Augen verblenden/
daß mancher meynet/ es muß alſo ſeyn. Aber armer Leute Hoffart ſtin-
cket/ jederman hat ein Greuel daran/ es ſtincket nach einer groſſen Thor-
heit; wie dann in H. Sprach Holelim, die Narren/ und ruͤhmeriſche/
Stoltz/ und Stultus ſynonyma, einerley ſeynd/ Pſ. 5. Laͤcherlich iſt es/ wann
einer pranget/ 1. in re vili, mit einer ſchlechten Sache: Manche Dienſt-
magd pranget in ihrer Kappe/ Kroͤß/ Schuh/ Ubermuͤder/ Beltz/ mehr als
ein Tuͤrckiſcher Kayſer mit ſeinem Keyſerthum/ ſolte ein ſolcher Menſch
X ij300. fl.
[164]Die Neunzehende Predigt
300. fl. vermoͤgen/ wer wolte mit ihr zurecht kommen? das iſt armer Leute
Hoffart. Ein manches Baͤurlein iſt ſtoͤltzer in ſeinem Huͤttlein/ als der
Roͤmiſche Kayſer in ſeinem Pallaſt. Mancher hat etwas vom Schul-
ſack gefreſſen/ da wirfft er mit Latein/ wie mit gantzen Quater-Stuͤcken/ um
ſich/ wie Lutherus redet. Manche Tochter hat ein paar Zinß-Briefflein/
wie thut ſie ſich herfuͤr/ da iſt kein ſchlechter Werber gut genug. Manche
Bettler ſchlagen ſich um den Vorſitz Mancher hoͤret ſich ſelbs gern reden/
erhebt ſeine Stimme wie ein Marckt-Schreyer, iſt alles armer Leute Hof-
fart. Es ſtincket auch nach Thorheit/ wann andere prangen. 2. in re inva-
lida,
in ſolchen Sachen/ die nicht vielmehr gelten/ als wie falſche
Kipper/ die wunder meynen/ wie reich ſie ſeyen/ aber wie ſie es außgeben/
muͤſſen ſie es auch wieder einnehmen; wuchern im Sinn/ wie ein armer
Jud. Mancher pocht auff ſeinen Adel/ iſt aber darbey blut-arm/ oder voll
Laſter. Gleich wie nun jener ohne Gelt bey der Welt nichts gilt/ alſo auch
dieſer nichts bey ehrlichen Leuten. 3. In re mendicata \& aliena, in frem-
den Federn/ wie jener Raab beym Æſopo. Wie manchmal hat ein ar-
mer Betler Hochzeit/ iſſet/ trincket/ tantzet/ und macht ſich luſtig und guter
ding? ein mancher pranget in einem gelehnten Kleid/ hat etwa ein paar
Lackeyen nach gehen/ daß er nur in der Leute Augen groß ſcheine. 4. In re
planè nihili,
der groͤſte und hoͤchſte Grad der Narꝛheit iſt/ wann
einer ſtoltz iſt ohne einiges Fundament/ nur auß bloßer Einbildung/
wie jener/ deſſen Euphormio lcon. anim. c. 7. gedencket/ der/ als er ſterben
wolte/ und von ſeinem Sohn gefraget worden/ was ſein letzter Will/
und Befehl/ die Antwort gegeben; memineris, ut in majeſtatem aſſurgas
familiâ tuâ dignam,
ſey eingedenck/ daß du nach Hoheit trachteſt/
die deinem Geſchlecht wohl anſtehet.


So nun die weltliche Hoffart fuͤr unſern Augen ein ſolcher Greuel iſt/
ein Geſtaͤnck/ und Gelaͤchter verurſacht/ was fuͤr ein unaußſprechlicher
Greuel muß dann vor Gott/ und allen H. Englen die geiſtliche Hoffart
ſeyn/ wann der Menſch/ quo nihil miſerius, nullum ſimul ſuperbius,
uͤber welchen nichs elenders und auch nichts hoffaͤrtigers iſt/
in ſeiner Fromkeit/ Heiligkeit und Gerechtigkeit fuͤr Gott pranget. Das
iſt ja freylich armer Leute Hoffart/ es ſtincket. Dann es iſt dieſelbe vilis,
wie ein beflecktes Tuch/ Cento ein Bettlers-Mantel und Flickwerck/ Eſa.
64, 6. Invalida, ſie gilt vor GOttes Gericht nicht/ ſie zerſchmeltzet/ wie
Butter an der Sonnen; mendicata, eytel Betteley/ dann was haſt du/
Menſch/ das du nicht empfangen/ ſo du es aber empfangen/
was ruͤhmeſt du dich dann/ als der es nicht empfangen haͤtte?
1. Cor.
[165]Vom verlohrnen Sohn.
1. Cor. 47. ja wann mans offtmahls beym Liecht beſiehet/ ſo iſts nichts
als ein Einbildung; darff mancher meynen/ es ſeye Biſam oder Chriſam/
ſo iſts ein Saur-Teig der Phariſaͤer/ ein σκύβαλον, ζημία, Unflaht/
Dreck und Schaden/ Phil. 3. aller maſſen wie heut acht Tag gehoͤret
worden. Nun denſelben Greuel recht zu verſtehen/ ſtehet uns abermahl fuͤr
Augen der Groß-Sprecher und Schwappenhauer/ der aͤltere Bruder des
verlohrnen Sohns/ der ſchneidet auff mit dem groſſen Meſſer/ und daſſelbe
ex ignorantia ſui, \& juſtitiæ perſuaſione, auß eygener Unerkantnuß und
Einbildung. Wir wollen ihm zu unſerer Beſſerung/ zur Verleitung der
Hoffart/ und Anfriſchung der Demuht/ ein kleines auffhorchen. Chri-
ſtus JEſus/ der die Demuht ſelbſten iſt/ gebe ſeine Gnade und Segen dazu/
Amen.


DRey ſonderbahre Stuͤcke der unertraͤglichen ſchnoͤden Hoffart fin-
den ſich bey dem Bruder des verlohrnen Sohns/ I. φιλαυτία, die
Eigen-Lieb/ und ſelbs-Bulerey/ die Himmel-breite ima-
gination
und Einbildung von ſich ſelbs/ die Affen-Liebe ſeiner Wercke und
Fruͤchten. Er ſetzet die unrechte Brill auffs Aug/ und ein Perſpectiv/
das zehenmahl groͤſſer præſentirt, als es in der Warheit war/ ſiehet ein
Schaͤrfflein fuͤr einen Schatz an/ ein Sprieſen fuͤr einen Balcken/ ein Gold-
Kuͤgelein fuͤr einen Gold-Verg/ machet auß der Mucken einen Elephan-
ten. Er hat irgends ſeinem Vater gefolget/ und treulich haußgehalten; aber
das war zuviel geredet: Vater/ ich habe dein Gebott NOCH
NJE uͤbertretten. Holla/ moͤchte jemand ſagen/ die Fenſter auff/
daß die Lugen hinauß kan. Dann wo lebt das Kind/ das von anbe-
gin ſeine Eltern niemahls erzuͤrnet hat. Stellet darauff eine collation
in ſeinem Hertzen an zwiſchen ſich und ſeinem Bruder/ da heiſſet es/ mein
Bruder iſt impius in DEUM, Gottloß/ ich aber bin gantz fromm und
heilig/ jener iniquus in Parentem, ἄσωτος, trotzig wider den Vater/
und hat ſein Gut mit Huren verſchlungen; ich aber habe nie kein Waſſer
betruͤbt; ach welch ein ſchoͤner Engel bin ich! II. Gloriatio \& oſtentatio
coram Patre,
die Ruhm-Sucht/ er war gern geſehen/ darum ſagt er
auch herauß/ was er gedencket/ weſſen das Hertz bey ihm voll/ deſſen gehet
der Mund uͤber/ er ſchnellt gleichſam dem Vater fuͤr die Augen/ ίδ [...], ſie-
he/ Vater/ wer ich bin/ du ſolteſt dich billich uͤber mich verwundern und
erfreuen; mit angehaͤngter hochmuͤhtiger exprobration, und Vorwerff-
ung; Jch habe dir ſo viel Jahr gedienet/ habe deine Gebott nie
uͤbertretten/ und du haſt mir nie einen Bock gegeben/ daß ich mit
X iijmeinen
[166]Die Neunzehende Predigt
meinen Freunden froͤlich waͤre. Da ſchwingt er ſeine Federn wie
ein Pfau/ und legt ſich gewaltig an den Laden. III. Contemptus fratris,
die ſchnoͤde Verachtung ſeines armen und bußfertigen Bru-
ders/ der doch bey Gott und Menſchen lieber und froͤmmer worden/ als
er jemahls geweßt. Der Veraͤchter ſagt: ὁυἱός σου οὗτος, dieſer dein Sohn/
das ſchoͤne Fruͤchtlein/ der ehrbare Geſell/ der groſſe Hanß und Juncker/
mag ihn nicht mit Nahmen nennen/ und laßt ſich beduncken/ ſein Bruder
ſeye kaum eines Bocks werth/ ihm aber/ als dem Froͤmmern/ gebuͤhrt das
gemaͤſtete Kalb. Gibt endlich IV. ſeine Hoffart auch zu erkennen ſepa-
ratione,
er wil nicht hinein gehen/ duncket ſich zu gut ſeyn/ als wolt er ſagen/
was/ ich wolte den Vaganten/ den Landfahrer/ den Lumpen nicht ſo gut
achten/ daß ich ihm einen Tritt unter das Geſicht gehen wolte. Jhr mey-
net gewiß/ ſimilis ſimili gaudet, ich ſeye auch ein ſolcher Gaſt/ nein/ wer
ſich unter die Kleyen maͤngt/ den freſſen die Saͤu/ er muß eine weile war-
ten/ biß ich hinein gehe. Unangeſehen der Vater ihn geladen/ und freund-
lich zugeſprochen/ wolte er doch nicht.


Trettet nun abermahl hieher fuͤr dieſen Spiegel ihr Phariſaͤer und
Schrifftgelehrten/ ſehet euer Controfet/ ſolche Geſellen ſeyd ihr/ um kein
Haar beſſer. Dann wer ſeynd die groſſe ϕίλαυτοι, die ſo hoch und viel von
ſich halten/ ſo wohl abſolutè, die ihr euch ſchlechter dings fuͤr lebendige
Heilige und Engel preiſet/ und ſelbs rechtfertiget/ als auch comparatè, die
ſich beſſer duncken zu ſeyn als andere Leute/ als eben ihr. Chriſtus zeiget
ihnen ſolche ihre Unart an dem Phariſaͤer im Tempel/ Luc. 18. der tritt da-
ſelbſt auff und ſpricht: Jch dancke dir GOTT/ daß ich nicht bin
wie andere Leute/ Raͤuber/ Ungerechte/ Ehebrecher/ oder auch
wie dieſer Zoͤllner/ ꝛc. Seyd ihr nicht die jactatores, und groſſe Bril-
lenmeiſter/ die ihr auch fuͤr Gott tretten doͤrfft mit unverſchaͤmter Stirn/
und auffgehabenen Augen/ und dieſes DEO gratias intoniren/ ihr laſſet
eure Heiligkeit auff der Trommel herum ſchlagen/ mit den Poſaunen auß-
blaſen/ wann ihr Allmoſen gebt/ ihr bettet offentlich an den Ecken der Gaſ-
ſen/ nur daß ihr von den Leuten geſehen werdet. Ja ihr doͤrfft auch wohl
Gott dem Herrn fuͤr die Naſen ſchnellen/ wie dorten die Juden/ Rom.
9/ 19. was beſchuldiget er uns/ wer kan ſeinem Willen wider-
ſtehen? Jhr ſeyd die Contemptores und Veraͤchter/ nicht nur der armen
Suͤnder/ ſondern auch meiner/ des Meſſiæ/ den Raht GOttes verachtet
ihr wider euch ſelbs. Jhr wolt das gemaͤſtete Kalb/ den Meſſiam/ allein
haben/ und goͤnnet den armen Heyden nicht einen Bock; ob ich euch ſchon
gepfiffen/ ſo wolt ihr nicht tantzen. Jhr ſeyd die rechte ἀσύμβολοι, ſingula-
res,
[167]Vom verlohrnen Sohn.
res, Sonderling/ daher habt ihr auch den Nahmen Phariſæi, oder in
ſeiner Sprach/ Periſchim, darum verweißt ihr meinen Juͤngern/ Matth.
9/ 11. Warum iſſet euer Meiſter mit den Zoͤllnern und Suͤn-
dern? und Luc. 7/ 39. Wann dieſer ein Prophet waͤre/ ſo wuͤßte
er/ wer und welch ein Weib das iſt/ die ihn anruͤhret/ dann ſie
iſt eine Suͤnderin. Ja am allernaͤchſten zielet der Herr auff dieſen
Zweck; dann dieweil eben dazumahl ihme es die Phariſaͤer fuͤr ungut hiel-
ten/ daß er die Suͤnder annim̃t/ und mit ihnen iſſet/ Luc. 15/ 2. ſo wil Er
ihren Unverſtand damit ruͤhmen/ und ſagen: Solche Bruͤder ſeyd ihr
auch/ die ihr nicht leiden koͤnnet/ daß man mit armen Suͤndern umgehet/
und ſich ihrer annimmt. Nun bedencket ihr ſelbs/ ſtunde es dieſem Bru-
der wohl an? lehret euch nicht die Vernunfft anders? haͤtte er nicht beſſer
gethan/ er waͤre mit ihnen gegangen/ und haͤtte ſich mit gefreuet? Ey wol-
an/ ſo lernet daran/ ihr Herren Phariſaͤer/ gleichen Hochmuhts muͤſſig zu
gehen/ und euch dafuͤr zu huͤten.


Zu wuͤnſchen waͤre nun abermahl/ daß auch die Werckheiligen Or-
dens-Leute im Papſtthum̃ fuͤr dieſen Spiegel ſtuͤnden/ und ſich darinnen
befchaueten. Dann bey ihnen herꝛſchet die ϕιλαυτία im hoͤchſten Grad/
und kan ſich deren keiner erwehren/ wie faſt er wil. Da ſtincket allen das
Maul nach der Apotheoſi, Canoniſation und Vergoͤtterung/ da gloriret
man mit den Catalogis Sanctorum, und Heiligen-Regiſtern/ und gloriâ
miraculorum,
mit dem Wunder-Ruhm. Oſtendant, ſchreibet Thom.
Bzov.
der dem Zeug Jſraelis Hohn ſpricht: l. 7. c. 1. Proteſtantes, an in-
ter eos, ex quo nobiſcum ſocietatem diviſerunt, talis ſit ſeties Sancto-
rum? quod attinet ad populum, ſunt quidem in Eccleſia Catholica plu-
rimi mali, ſed ex hæreticis nullus eſt bonus.
Das iſt; Es weiſen uns
die Proteſtirende/ ob unter ihnen/ ſeit ſie ſich von uns getren-
net/ auch eine ſolche Reyh der Heiligen ſeye? was das gemeine
Volck anbelanget/ ſeynd zwar in der Catholiſchen Kirchen
viel Boͤſe/ aber unter den Ketzern iſt keiner gut. So iſt ihre
ſeparatio und Entfernung von der Welt offenbahr/ daß ſie den Weib-
ern nachfegen/ laſſen ſie nicht in ihre Kloͤſter/ ſeind gute Soldaten hinter
dem Ofen. Wir ſeynd in die Welt/ als in einen Kampff-Platz getret-
ten/ ſo lauffen ſie auß der Welt/ und verkriechen ſich in die Kloͤſter; heiſſet
das gekaͤmpffet/ Glauben gehalten/ daß man die Crone der Gerechtigkeit
erlange? Paulus gibt es nicht zu/ und nennet es eine ſelbſt-erwehlte Geiſt-
lichkeit und Gottesdienſt.


Wann
[168]Die Neunzehende Predigt

Wann ſich dann dieſe Phariſaͤer gnug in dieſem Spiegel beſehen/ ſo
moͤgen auch wohl unſere ſtoltze Phariſaͤer herzu tretten/ die wir leyder alle im
Bußen tragen. Daruͤber Luthertis hefftig klaget Tom 6. Jch habe es
ſelbs ſchier 20. Jahr geprediget/ und getrieben/ ꝛc. Waͤre die geiſtliche Hof-
fart nicht ſo groß/ es wuͤrde beſſere Buͤſſer geben. Es iſt ein Kraut/ ja Un-
kraut/ das heiſſet ϕιλαυτία, Selbſt-Lieb/ das waͤchſet in unſern Hertzen/
die alte Schlang hats darein geſaͤet. Jſt die quinta eſſentia des Schlan-
gen-Giffts/ des Satans Tinctur/ die ſchaͤdliche hectica, da der Menſch/
wann er etwas gutes thut/ alſobald ſich verliebt in ſich ſelbs/ buhlet mit ſich
ſelber/ verwundert ſich uͤber ſich ſelbs/ klebet am Gebett/ an der Anhoͤrung
Goͤttlichen Worts/ ja an der Demuht ſelbs; Alſo hoͤret ſich mancher gern
reden/ wie ihm ſein Hertz in die Wort außbricht; von denen es heiſſet: ein
witziger Mann gibt nicht Klugheit fuͤr/ aber das Hertz der Nar-
ren ruffet ſeine Narꝛheit auß/ Prov. 12/ 23. Noch ein mancher ruͤh-
met ſich ſeiner Heiligkeit/ ſeiner Thraͤnen/ ſeines Kniebiegens ohne Noth.
Ja es ruͤhmet wohl der Menſch ſeine Demuht ſelbs/ und die/ welche von
Verachtung eytler Welt-Ehre Buͤcher ſchreiben/ ſetzen ihre Nahmen for-
nen an/ daß ſie deßwegen moͤgen Ruhm erlangen. Darauff folget nun
Contemptus, die Verachtung/ andere muͤſſen bey ihnen Suͤnder ſeyn/
werffen ihnen ihre Fehler und Maͤngel fuͤr/ auch nach der Buß/ und kuͤtz-
len ſich damit/ gedencken nicht/ was einem widerfahren/ das koͤnne allen be-
gegnen. Dann ob zwar wohl fuͤr der Buß ſolche Leute zu ſcheuen/ und man
der raͤudigen Schaafe muͤſſig zu gehen/ jedoch ſoll man ſich nach der Buß
(wann ſie rechtſchaffen geweßt) ihrer wiederum erbarmen/ cœteris pari-
bus,
den weltlichen Rechten und Ordnungen nichts benommen/ Evange-
lium enim non abolet politias.


Nach ſolchem allem iſt die Beſchreibung der geiſtlichen Hoffart dieſe:
Gleich wie die weltliche Hoffart in der Selbſt-Lieb/ Ruhmſucht und Ver-
achtung des andern beſtehet. Dann wer da einen Batzen mehr vermag/
der verachtet den andern/ ſpiegelt ſich an ſich ſelbs/ beduncket ſich ein Liecht
der Welt zu ſeyn/ und achtet andere nur fuͤr einen Wand-Schatten: Alſo
iſt die geiſtliche Hoffart ein ſolcher Stand/ da ein Menſch ſeine gute Wer-
cke/ Tugenden/ Gebett/ Almoſen/ Buße/ Creutz und Leyden/ ſeine Thraͤnen/
Demuht/ Armuht/ ꝛc. als einen Kram fuͤr Gott außleget/ damit pran-
get und pralet/ und ein idolum, einen Goͤtzen darauß machet/ und es gleich-
ſam anbettet/ vermeinend/ Gott muͤſſe ihm darum gnaͤdig ſeyn/ und ſeye
ſeines gleichen nirgend mehr zu finden. Dabeneben verachtet man andere/
die muͤſſen alle Suͤnder ſeyn/ und laͤßt ſich beduncken/ es ſtehe alles auff
eygenem
[169]Vom verlohrnen Sohn.
eigenem Vermoͤgen/ man muͤſſe fuͤr ſich Achtung geben/ daß man ſeinen
Credit erhalte/ und ſich nicht mit anderer verachteter Leute Gemeinſchafft
beſudele. Welches alles aber endlich auff die Ehr- und Gunſt-Sucht
hinauß laufft/ und die ἀποϑἑωσιν oder ſelbſt-Vergoͤtterung zum Zweck vor
ſich hat.


Was ſagt aber Chriſtus von dieſem Phariſaiſmo und Heiligen-Stoltz?
Antwort: Luc. 16, 15. GOtt kennet ihre Hertzen/ dann was hoch
iſt unter den Menſchen/ das iſt ein Greuel fuͤr GOtt. 1. Pet. 5.
GOtt widerſtrebet den Hoffaͤrtigen. Er hat ja ein gantzes Heer
wider die hoffaͤrtige Stadt Jeruſalem geſchickt/ und ihr den Garauß ge-
macht. Hochmuht iſt die rechte Lueifers Art/ welche die H. Engel vom
Himmel geſtuͤrtzet/ und zu leidigen Teuffeln gemacht. Wie ſo; moͤchte je-
mand ſagen/ iſts dann allerdings unrecht ſich freuen uͤber ſeine wohl ver-
richtete Arbeit? darff ein Menſch nicht ſeine Tugenden/ ſonderlich ſeine
Patienten ruͤhmen? Man ſoll ja das Liecht guter Wercke leuchten laſſen
fuͤr den Menſchen/ Allmoſen geben offentlich/ und mit gutem Exempel vor-
gehen. Sagt doch Samuel 1. Sam. 12. antwortet wider mich fuͤr
dem HErꝛn und ſeinem Geſalbten/ ob ich jemands Ochſen oder
Eſel genommen habe? ob ich jemand habe Gewalt und Un-
recht gethan? ob ich von jemands Hand hab ein Geſchenck ge-
nommen/ und mir die Augen blenden laſſen? und Hiskias
2. Reg. 3, 3. Ach HErꝛ/ gedencke doch/ daß ich fuͤr dir treulich
gewandelt habe/ und mit rechtſchaffenem Hertzen/ und habe
gethan/ das dir wohlgefaͤllet. Paulus ſagt 2. Cor. 1/ 12. Unſer
Ruhm iſt der/ nemlich das Zeugnuß unſers Gewiſſens/ daß wir
in Einfaͤltigkeit und Goͤttlicher Lauterkeit auff der Welt ge-
wandelt haben. Antwort: Man muß einen Unterſcheid machen in-
ter fora \& corda,
unter den weltlichen Gerichten/ und unter dem
Gericht des Hertzens fuͤr GOtt. Fuͤr Gott ruͤhme ſich ja nie-
mand in circo juſtificationis, in dem Handel der Rechtfertigung/ dann
da heißt es: Jch armer Menſch gar nichts bin/ Gottes Sohn iſt worden
mein Gewinn; aber fuͤr den Menſchen iſt es erlaubet/ nicht Ruhm ſuchen/
und damit pralen/ ſondern wanns noth iſt/ ſich damit vertheidigen. Fuͤr
Gott mag man ſich auch wohl ruͤhmen/ aber nicht bey Gott und wider
Gott/ zwiſchen ihm und mir allein. Da ſehe ein jeder wohl zu/ daß er ſich
nicht darauff verlaſſe/ als muͤßte ihm Gott deßwegen den Himmel geben.
Dann da gehoͤret ein anderer Ruhm zu/ welchen ich bey mir nicht finde/
ſondern allein bey Chriſto. Darnach muß man auch die Hertzen un
Zehender Theil. Yter-
[170]Die Neunzehende Predigt
terſcheiden/ dann wann ſchon offt zwey ein Ding thun/ iſt es darum
nicht gleich einerley. Judas und die arme Suͤnderin kuͤſſeten Chriſtum
aber ein jedes mit einem andern/ jener mit verraͤtheriſchem/ dieſe mit buß-
fertigem Hertzen. Salomo und Herodes baueten dem Herrn einen
Tempel; Moſes und David lieſſen die Kinder Jſrael zaͤhlen; Salomo
und Hiskias zeigeten ihre Schaͤtze; aber je einer mit hochmuͤhtigem/ der
andere aber mit demuͤhtigem Hertzen/ Gott zu Ehren. Da ſihet nun
Gott/ was menſchliche Augen nicht ſehen: derowegen Er ſich nicht be-
triegen laͤſſet.


Chriſtliche Hertzen ſprechen mit Paulo/ 1. Cor. 4. Jch bin mir
nichts bewußt/ aber darum bin ich nicht gerechtfertiget. O wie
gut iſt es/ wann einer ſeine Gaben nicht weiß/ wie Moſes/ der als eine irꝛdi-
ſche Sonne vom Berg herab gieng/ aber er wußte nicht/ daß die Haut
ſeines Angeſichts glaͤntzete/ Exod. 34. Laßt uns nachfolgen dem Exem-
pel Chriſti/ der ſich unter Engel und Menſchen gedemuͤhtiget/ und ſeiner
Vermahnung gehorchet/ Matth. 6. Wann du betten wilt/ ſo gehe
in dein Kaͤmmerlein/ und ſchleuß die Thuͤr zu/ und bette zu dei-
nem Vater im verborgenen/ und dein Vater/ der in das verbor-
gene ſihet/ wird dirs vergelten offentlich.


Man muß aber auch fuͤr den Menſchen betten/ nach der Regul Au-
guſtini tract. 8. in Ep. Johan. Si times ſpectatores, non habebis imitato-
res, debes videri, ſed non facere, ut videaris, opus ſit publicum, intentio
ſecreta.
Das iſt: Wann du dich ſcheueſt ſehen zu laſſen/ ſo kan
dirs niemand nachthun/ du ſolt geſehen werden/ aber dich nicht
ſelbs gern ſehen laſſen/ verrichte dein Werck offentlich/ aber
dein Zweck und Abſehen halte heimlich. Gedencke lieber Menſch/
daß es nichts mit dir ſeye/ daß du nur eine Hand voll Erd/ ein Sack voll
Unraht und elende Mißgeburt/ ja ein zerbrechliches Gefaͤß ſeyeſt/ daß du
nur uͤber alles/ was du biſt und haſt/ ein Schaffner ſeyeſt/ der die Allmoſen-
Guͤter außtheilen ſoll. Das groͤſſeſte Werck das wir thun koͤnnen/ iſt das
geringſte davon/ das wir thun ſollen. Nun Chriſtus wolle die Wellen
unſerer Hertzen ſtillen/ und die geſchwulſtige Waſſerſucht des geiſtlichen
Hochmuhts in uns heylen/ daß wir ſagen; Nicht uns HErꝛ/ nicht
uns/ ſondern deinem Nahmen ſey die Ehre; und mit den 24. Elte-
ſten Apoc. 4. die Cronen fuͤr den Stuhl werffen/ und ſprechen: HErꝛ
du biſt wuͤrdig zu nehmen Ehre/ Preiß und Krafft/ dann du
haſt alle Dinge geſchaffen/ und durch deinen Willen haben ſie
das Weſen/ und ſeind geſchaffen. Darum


Allein
[171]Vom verlohrnen Sohn.
Allein GOtt in der Hoͤh ſey Ehr/

Und Danck fuͤr ſeine Gnade/

Darum daß nun und nimmermehr

Uns ruͤhren kan kein Schade/

Ein Wohlgefallen GOtt an uns hat/

Nun iſt groß Fried ohn unterlaß/

All Fehde hat nun ein Ende/

AMEN.



Die Zwantzigſte Predigt.
Von der Phariſaͤiſchen Heucheley.


GEliebte in CHriſto dem HEꝛrn. Billich ſtehet der
Heiligen-Teuffel/ der Engliſche Satan/ der ſchoͤne Rieſe
und glaͤntzende Lugen-Geiſt in theatro diabolorum, auff
dem Schau-Platz der Teuffel fornen an/ der jenige Geiſt/ der
ſich in einen Engel des Liechts verſtellen kan/ und Engliſchen
Schein von ſich leuchten laßt/ der Meiſter aller Heucheley/ der jentge/ der
ſich im Paradiß in eine damals holdſelige Schlange verkleidet/ und En-
gliſche Worte von ſich gegeben; darum auch Eva geglaubet/ es waͤre ein
Engel/ der mit ihr redete/ dann das wußte ſie wohl/ daß keine Schlange re-
den koͤnne. Der ſich Matth. 4. herfuͤr gethan/ und es mit Chriſto gewagt/
groſſes Mitleiden fuͤrgegeben/ Gottes Wort angezogen/ und groſſe pro-
meſſ
en gethan. Zweiffels frey wird er eben nicht in ſo ſchroͤcklicher Geſtalt
auffgezogen ſeyn/ wie man ihn mahlet/ mit Hoͤrnern und Klauen/ ſon-
dern als ein Engel des Liechts. Jſt der jenige ſchoͤne Geiſt/ vor dem ſich
der Apoſtel Paulus mehr befahret/ als vor keinem/ 2. Cor. 11/ 4. Jch foͤrch-
te aber/ daß nicht wie die Schlang Hevam verfuͤhrete mit ihrer
Schalckheit/ alſo auch euere Sinne verrucket werden von der
Einfaͤltigkeit in Chriſto. Jſt der jenige Geiſt/ der in foro lauter
prætextus boni publici \& affectionis fuͤhret/ ſagt wunder/ wie ers ſo gut
meynet; wie Ahitophel und Jerobeam; jenes Raͤthe fielen alle vom Him-
mel herab/ er war allein lux mundi das Liecht der Welt; dieſer gab fuͤr/ er
Y ijmeyne
[172]Die Zwantzigſte Predigt
meyne es recht gut mit dem Volck/ gibt Gottesdienſt fuͤr/ wie Abſolon
2. Sam. 15. ſaget/ man koͤnne Gott allenthalben dienen/ wann ſie jaͤhrlich
gen Jeruſalem gehen/ wuͤrden ſie muͤde Beine machen/ darum wolle ers
naͤher begreiffen/ und einen Gottesdienſt zu Dan und Bethel anrichten/
da ſie ihrem Gott eben ſo wohl dienen koͤnten/ als zu Jeruſalem/ 1. Reg. 12.
Herodes der Kinder-Moͤrder wolte auch nicht der lerſte ſeyn/ und dahin-
den bleiben/ den neu-gebohrnen Koͤnig der Juden anzubetten/ Matth. 2.
Jn Choro iſt er ein Prediger/ wie er dort kein falſcher Geiſt ſeyn wolte in
der falſchen Propheten Munde/ daruͤber der vom Teuffel gerittene Zede-
kia dem Propheten einen Backen-ſtreich gegeben/ und geſagt: Wie/ iſt
der Geiſt des HErꝛn von mir gewichen/ daß er mit dir redet?
ja er gibt ſich fuͤr einen Buß-Prediger und Fuͤrbitter auß/ wie dann die
Poltergeiſter im Papſtthum gebetten fuͤr die armen Seelen/ man ſolle
Seel-Meſſen halten/ Buße thun/ kleine Kraͤgen tragen/ mit Freſſen und
Sauffen einhalten/ ꝛc. aber er bleibet nur in der andern Taffel. Er iſt
ein ϑαυματ [...]ργος, ein Wunderthaͤter/ 2. Theſſ. 2. Wuͤrcket aller-
ley lugenhafftige Kraͤfften/ Zeichen und Wunder. Ein hoch-
gelehrter Doctor, der auff Moſis Stuhl ſich ſetzet/ er hat ſeine Maͤrtyrer/
pranget mit ſchoͤnen Ceremonien/ Kirchen-Ornat und Zierath/ ſonder-
lich aber fuͤhret er einen Schein der Gottſeligkeit/ des heiligen Lebens und
Wandels/ das Hertz feiner Diener iſt in heiſſer Andacht wie ein Back-
Offen/ Oſe. 7. Wie dañ die meiſten Ketzer durch ſolchen Schein auffkom-
men/ ſonderlich kan ſich Chryſoſt. ep. 4. ad Olympiades, uͤber Pelagium
nicht genugſam verwundern/ er zaͤhlet ihn unter die Maͤnner [...]ν ὡσάυτῃ
ἀσκήσει. Wer iſt heiliger/ wer iſt froͤmmer/ als die Wiedertaͤuffer und
Photinianer/ die neuen Weigelianer/ die niemahl ſchweren/ fluchen/ kein
unnuͤtzes Wort von ſich hoͤren laſſen/ ꝛc. wie der Phariſaͤer/ Luc. 18. Jm
gemeinen Leben iſt dieſes Teuffels Mund glaͤtter dann Butter/ und
hat doch Krieg im Sinn/ ſeine Wort ſeind gelinder dann Oel/
und ſeind doch bloſſe Schwerter/ Pſal. 55. Viel Menſchen wer-
den fromm geruͤhmet/ aber wer will einen finden/ der recht-
ſchaffen fromm ſey?Proverb. 20, 6. Dann/ wie Lutherus gloſſiret/
die Heucheley iſt groß auch unter guten Wercken/ manchen haͤlt man fuͤr
boͤß/ und manchen fuͤr gut/ da man beyden unrecht thut.


Es ſpricht der Unweiſen Mund wohl/

Den rechten GOtt wir meynen.

Doch iſt ihr Hertz Unglaubens voll/

Mit That ſie ihn verneinen.

Jhr
[173]Vom verlohrnen Sohn.
Jhr Weſen iſt verderbet zwar/

Fuͤr GOtt iſt es ein Greuel gar/

Es thut ihr keiner doch kein Gut.

Billich/ fag ich noch einmal/ ſtehet dieſer Teuffel oben an/ und fuͤh-
ret gleichſam das Regiment/ 1. ob ſummam ſubtilitatem, wegen ſonder-
licher Verſchlagenheit/ er gehet ſo facht/ ſo leiße/ daß man ihn nicht
leichtlich mercket/ die andern plumben Abc-Teuffel hoͤret man bald gehen/
der Sauff-Pracht- und Geitz- Teuffel iſt gar plumb. 2. ob verſutiam,
wegen der Argliſtigkeit/ er iſt verſchlagen/ und ſo geſchwind als keine
Garnwind; er iſt ein ſolcher Gauckler/ der/ wann man ihn zur vorderen
Thuͤrhinauß treibet/ zur Hinderthuͤr in einem andern Habit wieder hinein
ſchleichet. Bauet man an der andern Taffel/ fuͤhret ein aͤuſſerlich/ fein/
und ehrbar Leben/ ſo macht er ſich an die erſte Taffel/ wie er vor Luthero ge-
than; Bauet man aber an der erſten Taffel/ ſo gehet er auff die andere/
und ſuchet/ wie er den Leuthen zukommen moͤchte. Heutiges tages ſuchet
ers durch den vermummten Religion-Frieden/ durch ſeine Syncretiſten.
3. ob imitandi artem, wegen kuͤnſtlicher Nachartung/ er iſt ein treff-
licher imitator und Aff der Goͤttlichen Wercke/ da mans fuͤr einander
ſchwerlich erkennen kan. Der Koͤnig Hiskias bettet/ und ſagt: HErꝛ
gedencke/ wie ich fuͤr dir treulich gewandelt habe/ und mit
rechtſchaffenem Hertzen/ und habe gethan/ das dir wolgefaͤl-
let. 2. Reg. 20, 3. der Phariſaͤer brauchet faſt gleichfoͤrmige Wort: Jch
dancke dir GOtt/ ꝛc. Luc. 18. die Suͤnderin/ Luc. 7. kuͤſſet den Herrn
Chriſtum/ Judas auch; Zacheus begehret Jeſum zu ſehen/ Herodes
auch/ aber mit viel anderem Sinn. Ob er nun wohl den Schalck meiſter-
lich weiß zu verbergen/ und hinder dem Berg zuhalten/ ſo laßt er doch im-
mer die Klauen ſehen. Damit wir nun dieſen heiligen Satan recht er-
kennen/ als ſtellet uns Chriſtus abermal ein lebendiges Exempel fuͤr/ an
dem aͤltern Bruder des verlohrnen Sohns/ und zwar phariſaicam hypo-
criſin,
Phariſaͤiſche Heucheley/ und weiſet uns auff die rechte ana-
tomiam
und denudation oder Entdeckung des Schaafs-Beltz/ des ge-
tuͤnchten Grabes/ der Jacobs-Stimm/ und der Eſaus Haͤnde. Davon
auch dißmal fruchtbarlich zu handlen/ wolle der Vater des Liechts mit ſei-
nes H. Geiſtes Gnade uns mildiglich erſcheinen/ Amen.


GEliebte im HErꝛn: So erzeiget ſich nun bey dem Bruder
des verlohrnen Sohns als der Schaaf-Beltz I. bonæ intentio-
nis ſpes,
ſeine gute Meinung/ er fuͤhret einen trefflichen und
Y iijlob-
[174]Die Zwantzigſte Predigt
lobwuͤrdigen Schein/ darauff deutet Chriſtus mit einem Woͤrtlein/
DJR/ ſo viel Jahr diene ich DJR. Nicht MJR/ O lieber
Vater/ ſondern DJR zu Ehren/ Nutz/ Dienſt/ Genieß/ Vortheil/ Auff-
kommen/ Luſt und Gefallen/ wie koͤnteſt du einen beſſern Sohn haben als
mich? Mein Bruder hat nicht DJR/ ſondern ſeinem Bauch gedie-
net/ der ſchaͤndlichen Wolluſt gepflogen/ ſeinen Vortheil geſucht/ dich bey
lebendigem Leib erben wollen/ aber ich armer Narꝛ lauffe/ renne/ und laſſe
mirs blut-ſaur werden. Das war ein ſchoͤner Schaaf-Beltz/ dieſer Præ-
text
lautete wohl/ und hatte ſchoͤne Wort in ſich; aber ſolte man ihm ins
Hertz haben ſehen koͤnnen/ da war es viel anders gemeinet/ er ſteckte voll
Eigennutz/ er war ein Narꝛ in ſeinen Sack; er gedachte/ nun mein Bru-
der außgethan iſt/ weß wird das Gut alsdann ſeyn als mein/ tibi ſeritur,
mihi metitur,
ich will meinem Vater ſaͤen/ aber mir ſchneiden; finis [...],
warum/ und wem zu gefallen/ ers gethan/ war der Vater; aber finis ᾧ,
wem zu gut/ war er ſelbs. II. Conſcientia in minimis, er machet ihm
ein enges Gewiſſen uͤber die geringſte Sachen/ ja ſolte er dem Vater ei-
nen Bock angegriffen/ und ſich mit ſeinen Leuten froͤlich gemacht haben?
er will ſagen: du haſt mir nie keinen Bock gegeben/ ſo hab ich auch nie kei-
nen begehrt/ ich haͤtte mich ehe zehenmal in die Finger gebiſſen. Da wolte
er an einer Mucke erſticken/ und unterdeſſen verſchlucket er ein gantzes Ca-
meel/ er hatte einen ſtinckenden Bock/ ja ſchaͤndlichen Wolff/ in ſeinem
Bußen/ er wolte keinen Bock verzehren/ und verſchlang dieweil den Wolff.
III. Operis operati ſanctimonia; es erzeigte ſich bey ihm ein ehrbarer
Wandel/ und ſchoͤne Tugenden der andern Taffel/ Gehorſam/ De-
muht in ſeinem Dienſt/ Freundlich- und Leutſeligkeit/ dann er
hatte gute Freunde/ und ſagt/ daß ich mit meinen Freunden froͤlich
waͤre. Caſtitas, die Keuſchheit/ dann ſonſt wuͤrde er die Unkeuſch-
heit/ das Huren-Leben ſeinem Bruder nicht fuͤrgeworffen haben/ daß er
ſein Gut mit den Huren verſchlungen; Abſtinentia voluptatum, er
enthielte ſich der Wolluͤſten/ das Geſang und Reyen kam ihm fremd
fuͤr/ er wars nicht gewohnt; ἀυτάρκεια, die Vergnuͤgſamkeit/ er ließe
ſich mit wenigem begnuͤgen; Laborioſitas, die Arbeitſamkeit/ dann
er war auff dem Felde kein Muͤſſiggaͤnger. Seind lauter ſchoͤne politi-
ſche Tugenden/ wann Glaub und Hertz dabey/ ſo ſeinds Chriſtliche Wercke:
Aber o des ſchroͤcklichen Wolffs/ der ſich unter dieſem Schaafs-Beltz
verborgen/ da war Superbiaſpiritualis, der ſtinckende geiſtliche Hoch-
muth/ die Verachtung ſeines Bruders/ [...]πιχαιρεκακία, Scha-
den-Freud/ der Eyffer mit Unverſtand/ Rom. 11. Immiſericordia,
Un-
[175]Vom verlohrnen Sohn.
Unbarmhertzigkeit/ er freuete ſich/ daß ſein Bruder fort war/ bat nicht
fuͤr ihn/ wuͤnſchet/ daß er auſſen blieb; dann ſonſt haͤtte er ſich gefreuet
uͤber ſeiner Wiederkunfft; Odium \& ira Cainica, Haß und Zorn/
Cains Art/ er nennet ſeinen Bruder keinen Bruder/ dieſer dein Sohn/
ſpricht er/ agieret damit den Vater/ und gibt ihm einen Stich/ der nicht
blutet/ grad als haͤtte der Vater Schuld daran/ daß er ihn verzaͤrtelt; In-
vidia,
Neid und Mißgunſt/ er mißgoͤnnet ſeinem Bruder das Leben/
Gluͤck und Freude/ er gebe gern ein Glied von ſeinem Leib dafuͤr/ daß ſein
Bruder todt waͤre; Injuria \& ingratitudo, Undanckbarkeit/ du haſt
mir nie einen Bock gegeben/ da ich viel ein mehrers und groͤſſeres
verdienet/ wann wir mit einander abrechnen ſolten. Darauff deutet der
Vater/ wann er ſpricht: Mein Sohn/ du biſt allezeit bey mir/ und
alles/ was mein iſt/ das iſt dein. Endlich kommt dazu avaritia, ho-
rum omnium mater,
der Geitz/ die Wurtzel und Mutter alles Ubels/ ja
daß er ſeinen guten Freunden/ will geſchweigen andern/ einmal eine Freu-
de gemachet haͤtte; ſo ein zaͤher/ harter und geitziger Filtz war er/ er hat
gefoͤrchtet/ was da bey dieſer Mahlzeit angewendet wird/ das gehe ihm
von dem Seinigen ab/ und ſeye er es nicht ſchuldig zu leiden.


Noch einen Haar-Rupff gibt hiemit der Herr Chriſtus den Pha-
riſaͤern/ er fuͤhret ſie noch einmal zu dieſem Probier-Feur/ und will ſagen:
Wohlan ihr Phariſaͤer und Schrifftgelehrten/ laßts ſehen/ ob ihr Farb hal-
tet/ ob ihr die Probe außſtehet. Seyd ihr nicht die außwendig ſchoͤne
Schaͤfflein/ inwendig aber reiſende Woͤlffe? ſeyd ihr nicht die getuͤnchte
Graͤber? ſeyd ihr nicht die rechten Heuchler? Bey euch erzeiget ſich frey-
lich bona intentio, eine gute Meinung und Abſehen; Jch dancke
dir Gott/ daß ich nicht bin wie andere Leute/ Ungerechte/ Raͤuber/ Ehe-
brecher/ ꝛc. ſo bettet ihr/ Luc. 8. Jhr treibet auff die erſte Taffel/ wendet
lange Gebett fuͤr/ Matth. 6. Jhr haltet uͤber dem Sabbath/ ihr haltet mehr
auff Opffer/ als auff Barmhertzigkeit/ Matth. 9. nach der Regul/ ſecun-
da tabula cedit primæ,
die Gebott der andern Taffel ſollen der erſten Taf-
fel nicht vorgezogen werden. Jhr beredet die Leute/ Wer da ſchweret
bey dem Tempel/ das ſeye nichts/ wer aber ſchweret bey dem
Gold am Tempel/ der ſeyeſchuldig/ Matth. 23. Und ihr lehret:
Wer zum Vater und Mutter ſpricht/ Corban/ wann ichs
opffere/ ſo iſts dir viel nuͤtzer/ der thut wohl/ Matth. 15/ 5. Summa:
O GOTT der theure Nahme dein/ muß ihrer Schalckheit Deckel ſeyn!
Aber ihr ſeyd Woͤlffe/ Bauch-Diener/ euer inwendiges iſt voll Fraß und
Raub/
[176]Die Zwantzigſte Predigt
Raub/ Rips Raps in meinen Sack/ GOTT geb/ was mein Naͤch-
ſter hat/ Luc. 16/ 14. cum potui, rapui, \&c. Jhr ſeyd voll Eigenſucht/
niemand kan euch gnug Ehre anthun; Jhr ſuchet die ἀποϑέωσιν πρωτο-
κλησίαν, die ſelbſt-Vergoͤtterung/ und den obern Sitz/ Luc. 14/ 7. Jhr
vid. Gerh.
Harm. p.
141. 148.
150. 156.
Chemnit.
Harm. p.

721. 2022.
ſeyd reiſende Woͤlffe und Ketzer/ ja rechte Gottes-Laͤſterer/ gebt von mir
auß/ ich treibe die Teuffel auß durch Beelzebub/ den Oberſten der Teuffel/
da ichs doch durch den Finger GOttes thue/ Matth. 9/ 34. c. 12/ 24. Jhr
ſeyds/ die ihr Mucken ſeuget/ und Cameel verſchlinget; Jhr machet
euch Gewiſſen/ wann ihr nicht von allem den Zehenden gebet/ die Haͤnde
nicht waͤſchet/ am Sabbath Aehren außrauffet; Blut-Geld in GOttes
Kaſten legen/ iſt bey euch Suͤnde/ aber das unſchuldige Blut auff dem
Gewiſſen ligen laſſen/ das achtet ihr gering; auff den Ruͤſt-Tag ins Ge-
richt-Hauß gehen iſt bey euch nicht recht/ aber unſchuldig Blut verdam-
men/ laßt ſich bey euch wohl thun/ Johan. 18. Jhr ſeyd/ die ihr in der
andern Taffel einen trefflichen Schein fuͤhret/ ihr ſtellet euch demuͤhtig/
gebt Allmoſen/ caſteyet euern Leib/ ſeyd gaſtfrey/ wie ihr mich dann offt
geladen/ Luc. 7/ 36. c. 11/ 38. c. 14/ 1. Jhr ſtellet euch/ als meynet ihrs
trefflich gut mit mir/ warnet mich fuͤr Herode/ Luc. 13/ 31. aber unter deſ-
ſen ſeyd ihr voll Hoffart/ Neides und Haſſes gegen mir/ koͤntet ihr mich
mit einem Loͤffel voll Waſſers erſaͤuffen/ ihr gebrauchtet keine Buͤtte voll
darzu; Jhr gebtet zwey Augen darum/ daß ich keines haͤtte; Meine
Wunder und Anhang ſticht euch in die Augen; Jhr verſuchet mich auff
allerhand Weiſe und Wege/ wer mir anhanget/ den thut ihr in den
Bann/ Matth. 23. Jhr ſeyd Seelen-Moͤrder/ und reiſſende Woͤlffe.
Jſt es nun dem Bruder des verlohrnen Sohns uͤbel angeſtanden/ daß
er auff vorbeſagte Weiſe gegen ſeinen Vater und Bruder ſich erzeiget/ wie
uͤbel/ meynet jhr dann/ ſtehet es euch an? Jhr Heuchler/ iſt es recht/
daß er einen Splitter in ſeines Bruders Auge geſehen/ und des Balcken
in ſeinem Auge nicht gewahr worden iſt? alſo feget ihr auch zuvor vor
euerer Thuͤr/ ehe jhr andere tadlen/ richten und urtheilen wollet/ ihr wer-
det genug zu fegen und zu ſaͤubern finden.


Wir wuͤnſchen abermal/ daß die Ordens-Leuthe im Papſtthum
ſich allhier ſpiegelten/ die alles ad majorem gloriam, zu ihrem eigenem
Ruhm/ thun/ haben Hoͤrner wie das Lamm/ aber reden wie der Drach/
Apoc. 13, 11. ſeynd Heuſchrecken mit Menſchen-Haͤuptern/ Woͤlffe in
Schaafs-Kleidern/ die meynen/ wann ſie uns verfolgen/ thun ſie Gott
einen
[177]Vom verlohrnen Sohn.
einen Dienſt daran. Fuͤhren einen trefflichen Schein in externa ſancti-
monia primæ tabulæ,
in dem aͤuſſerlichen Gottesdienſt; Sie prangen mit
Geluͤbden der Armut/ und ſeind die reichſten; des Gehorſams/ und ſeind der
Goͤtzen Knecht; der Keuſchheit/ und brennen fuͤr boͤſen Begierden; leiden/
haͤgen/ und wollen behaupten offentliche lupanaria und Huren-Haͤuſer.
Bernhardus wuͤnſchet/ man moͤchte die Waͤnde der Clauſen auffbrechen/ ſo
wuͤrde man aͤrgere Greuel finden/ als dorten Ezech. 9. was und wieviel
ſtumme Suͤnden gehen da vor/ Concubinen halten iſt bey ihnen ehrlicher/
dann ein Eheweib haben. Wie vor zeiten die Phariſaͤer die Eltern ſpo-
lirt/ ſo haben dieſe die Kinder ſpolirt. Jhr machet euch Gewiſſen uͤber
Fleiſch eſſen/ ſaufft euch unterdeſſen bodenvoll Weins/ grad als wann der
Wein und andere gemeine Speiſen nicht ſo wohl die Luſt reitzten als das
Fleiſch. Jn der andern Taffel fuͤhret ihr abermahl einen Schein cæcæ
obedientiæ, humilitatis, caſtitatis,
des blinden Gehorſams/ Demuth
und Keuſchheit/ ihr laßt keine Weiber zu euch; diligentiæ \& œconomiæ,
des ſonderbaren Fleißes und guter Haußhaltung: unter deſſen regieret
Hochmuht/ Geitz und Triegerey mit hellem Hauffen bey euch. Von der
Moͤnchen Leben bedoͤrffen wir nicht die alte Klagen in onere \& planctu
Eccleſiæ, Gerſonis, Caſſandri,
und anderer redlicher Papiſten. Wir ha-
ben neue Klagen von den Jeſuiten ſelbs: Man leſe Alphonſum de Vargas
c. 24. Joh. Marianam de Regimine Societatis Jeſu, \&c.
Wie ſie vor der
Leute Augen Allmoſen geben/ iſt bekant. Und das ſeind nicht ſo wohl per-
ſonal
Untugenden/ daß man ſagen moͤchte/ es gebe allenthalben boͤſe Leu-
te/ ſondern es ſeind peccata genialia, die der gantzen Geſellſchafft gemein/
wer ſich zu ihnen begibt/ muß von dergleichen eine Profeſſion machen.
Wir uͤberlaſſen aber dieſe dem Gericht GOttes/ und bitten fuͤr die verfuͤhr-
ten/ daß GOtt ſich ihrer in Gnaden erbarmen wolle.


Es ſeind aber auch unter uns nicht alle Schaͤfflein/ nach dem ſie
Wolle tragen. Ach Gott der theure Nahme dein/ wie muß er manches
Schalcks Deckel ſeyn! Wer ſagt nicht de gloria DEI, von der Ehre
GOttes? Nicht uns Herr/ nicht uns/ ſondern deinem Nahmen ſey
die Ehre; Allein Gott in der Hoͤhe ſey Ehr/ ꝛc. Man prediget/ aber ein
mancher ihm ſelbs/ es gibt offt mehr Meel-Sorger als Seel-Sorger/ der
ſacer denarius und Beicht-Pfenning machet manchem blinde Augen.
Man gehet in die Kirche/ gebrauchet die Sacramenta/ verehret das Pre-
dig-Ampt mit neuem Jahr und Martinalien/ gibt Allmoſen/ vermachet/
etwas ad pias cauſas; aber ein mancher machet es auch/ wie Herodes/
welcher/ nach dem er aͤrger dann kein Teuffel gelebet/ hernach den Tempel
Zehender Theil. Zgebauet/
[178]Die Zwantzigſte Predigt
gebauet/ in Meynung alle Suͤnden damit zu buͤſſen/ vid. Cluver. pag. 248.
Oder wie Conſtantius, der dem Biſchoff Liberio 500. Goldgulden vereh-
ret/ aber Liberius ſchenckts ihm wieder/ und fagt: Tu Eccleſias orbis ex-
pilaſti,
du haſt dich an geiſtlichen Guͤtern vergriffen/ und ſchi-
ckeſt mir jetzt ein Hoͤllen-Kuͤchlein davon/ gehe zuvor hin/
und gib den Chriſten wieder/ was du ihnen entzogen: Man-
cher machet ihm ein groſſes Gewiſſen uͤber ein Kleidung/ und verſchlucket
indeſſen ein hoffaͤrtiges Camelthier. Der Wucher muß anjetzo bey den
meiſten eine Gerechtigkeit ſeyn/ vid. Luth. Tom. 7. fol. 410. Die avaritia
der Geitz laufft in der gantzen Welt herum/ und muß der Welt Lauff viel
gut machen; die Practicken und Raͤncke/ ſo man brauchet/ ſeind unauß-
dencklich; ein mancher ziehet die Ochſen ruͤcklings ins Loch/ ſo hats her-
nach den Schein/ und gibt Fußſtapffen/ als weren ſie herauß gegangen.
Man fuͤhret irgend einen ſchoͤnen aͤuſſerlichen Wandel/ daß die Welt nichts
zu tadlen weiß/ aber das Hertz iſt voll Hoffart/ und Schaden-Freud/ da
ſpricht man uͤber den armen Naͤchſten/ O es iſt ihm recht geſchehen/ er
hats an mir verdienet/ iſt Schad/ daß es ihm nicht uͤbler gehet/ da/ da/ ſo
haͤtte ichs laͤngſt gern geſehen. Da weiß man mit hoͤniſchen Worten
einander auffzuziehen; dieſer dein Sohn/ deine Schweſter/ dein Bruder/ ꝛc.
was iſt er fuͤr ein Geſell/ ja du haſt dich ſeiner zu ruͤhmen? Frau Invidia,
Mißgunſt und Neidhard bleibet auch nicht dahinden. Mancher mißgoͤn-
nets dem andern/ wann ihn die Sonne anſcheinet/ er moͤcht ihn gerne todt
ſehen/ ſo irgend einem ſein Stat zuwider/ da eyffert man/ mißgoͤnnet einan-
der die Gaben; hat ein anderer ein gemaͤſtetes Kalb/ ſo ſtichts jenem in die
Augen/ wann er gleich einen Bock hat. Ungerechtigkeit und Undanck
laßt ſich auch ſchen/ und wil man nichts anders als von Schuldigkeit
und Verdienſt hoͤren. Summa/ Hoffart und Geitz iſt unerſaͤttlich/ Geld-
Sucht/ Ehr-Sucht/ Luſt-Sucht/ Gunſt-Sucht iſt nicht außzuſprechen.
Unbarmhertzigkeit gegen dem duͤrfftigen Naͤchſten niſtet auch ein/ da doch
Gott uns ſo viel Suͤnden ſchencket/ ſonderlich ſiehet man es in Schuld-
Forderungen/ da muß es bezahlet ſeyn/ ſolt mans auch auß Steinen
hauen. Wie wehe aber das thut/ das erfahret mancher armer Baurs-
mann zu dieſen Zeiten.


Alſo verſtehet nun Eu. L. was Heucheley ſey/ nemlich ein Wolff
unter dem Schaff-Beltz/ ein greulicher Unflath unter einem ſchoͤnen Kleid/
Jacobs-Stimme/ aber Eſaus Haͤnde; und iſt ſie von der Fromkeit un-
terſchieden/ wie die Natur von der Kunſt; die Natur faͤngt vom Hertzen
an/ aber die Mahlerey-Kunſt mahlet nicht mehr als das Geſicht. Und
dieſes
[179]Vom verlohrnen Sohn.
dieſes ſoll uns dienen I. ad γνῶθι σεαυτὸν, zu der ſelbſt-Erkandtnuß/
daß wir unſern Balcken zuvor auß dem Auge ziehen/ ehe wir andere tadlen
wollen. Wann wir die Heucheley verwerffen/ ſteiffen darum die ſiche-
ren Hertzen nicht/ dann dieſe haben ſchon droben ihre lectiones gehoͤret.
Es ſchicket uns Gott viel Proben zu/ Er fuͤhret uns in die Schul/ daß
wir gepruͤfet werden/ wie das Gold durchs Feur/ wie Conſtantinus M. ſei-
ne Hoͤfflinge gepruͤfet hat/ davon in der Kirchen-Hiſtori zu leſen. Eshat
Gott der Herrignem veritatis, das Liecht der Warheit; auff-
richtige Hertzen/ wann ihre Laſter geſtrafft werden/ ſcheuen das Liecht nicht/
ſie gedencken vielmehr/ ja ich bins/ ich bin getroffen. Aber die Heuchler
wollen nicht ans Liecht/ daß ihre Wercke nicht offenbar werden/ ſie haſſen
den/ der ſie ſtraffet im Thor; Es iſt Feur im Dach/ wann man ihnen ih-
re Untugenden fuͤrhaͤlt/ ſie wollen lieber ewige Pein leiden/ als den Eyſſen
ruͤhren und auffthun laſſen. Es hat GOTT ignem crucis, flagella,
Creutz-Flagellen/ er verhaͤnget Feinde/ die einem auff den Fuß tretten/
da regt ſich als dann der Wurm. Dieſe Probe haben außgeſtanden Abra-
ham/ Job/ David und ihres gleichen. Zu Gluͤcks-Zeiten ſeind ſie Engel/
zu Ungluͤcks-Zeiten Teuffel. 2. ad rectum judicium de aliis, daß wir
von andern recht lernen zu urtheilen/ und uns in dem Urtheil zu
maͤſſigen. Da wirs nicht alles allein der Famæ oder gemeinem Geſchrey
zumeſſen/ wie Eli 1. Sam. 2. oder Joſeph wegen der Mariæ/ Matth. 1/ 18.
19. nicht ſchwartz fuͤr weiß anſehen/ nach den Worten Chriſti/ Joh. 7/ 24.
Richtet nicht nach dem Anſchen/ ſondern richtet ein recht Ge-
richt. Wir ſollen den Naͤchſten nicht gleich verſchreyen/ wann er einmal
einen krummen Tritt gethan/ der Unſchuldige muß manchmal ein Suͤn-
der ſeyn/ da ein anderer/ der beſſer mit dem Fuchsſchwantz umgehen kan/
und weiß dem Stat zur Hand zu gehen/ durchkomt// und ihm alles recht iſt.
Wer alſo dem Anſehen nach richtet/ der iſt ein Splitter-Richter. Theo-
phyl.
brauchet denckwuͤrdige Wort uͤber dieſe Parabel/ ad Luc. 15. p. 119.
und ſchlieſſet damit: Nullus ergò judicia DEI gravatim ferat, ſed gra-
tum ſit ei, ſi ij, qui peccatores videntur, feliciter agant, \& ſalventur.
Quî enim ſcis, ſi is, quem tu peccatorem cenſes, pœnitentiam egerit, \&
gratus factus ſit? Quî item, ſi occultas habet virtutes, \& propterea à
DEO benignè reſpicitur?
das iſt: Niemand beſchwere ſich uͤber
die Gerichte GOttes/ ſondern laſſe ſichs vielmehr lieb ſeyn/
wann es denen vermeinten Suͤndern wohl gehet/ daß ſie ſelig
werden. Dann wie kanſtu wiſſen/ ob nicht der/ welchen du
fuͤr einen Suͤnder halteſt/ Buß gethan habe/ und von GOtt
Z ijwieder
[180]Die Zwantzigſte Predigt
wieder zu Gnaden ſeye angenommen worden? Ob er nicht/
nach dem er heimlich fromm iſt/ von GOTT mit gnaͤdigen
Augen angeſehen werde? Darum richtet nicht vor der zeit/
biß der HERR komme/ welcher auch wird ans Liecht bringen/
was im finſtern verborgen iſt/ und den Rath der Hertzen offen-
bahren/ alsdann wird einem jeglichen von GOTT Lob wi-
derfahren. Da wird der ſtoltze Phariſaͤer zur Lincken ſtehen/ und mit
ihm heiſſen: Du biſt lau/ und weder kalt noch warm geweſen/
darum hab ich dich aaßgeſpyen auß meinem Munde/ Apoc.
3/ 16. Aber Nathanael zur Rechten/ zu dem der HErr ſagen wird:
Siehe ein rechter Jſraeliter/ in welchem kein falſch iſt/ Joh.
1/ 47. Und ſolch Gericht wird in der Ewigkeit erſchallen. Das geb uns
JEſus Chriſtus allen in Gnaden zu hoͤren; Amen.



Die Ein und zwantzigſte Predigt.
Von der Summa und Haupt-Lehre
dieſer Parabel.


GEliebte in Chriſto dem HERRN: Meine Lehre
trieffe wie der Regen/ und meine Rede flieſſe wie
der Thau. Wie der Regen auff das Graß/
und wie die Tropffen auff das Kraut. Seind
Worte Moſts Deut. 32/ 2. in ſeinem geiſtreichen Valet-
Lied/ damit er feinem Volck valedicieret und gute Nacht
gegeben. Das fangt er nun unter andern mit dieſen Worten an:
Meine Lehre trieffe wie der Regen/ ꝛc. Seind verba exemplaria,
Muſter-Wort/ darinnen er die ideam concionatoris, ein Bild eines
guten Predigers/ und methodum docendi, die Art zu lehren anzeiget/
wie man recht nutzlich lehren ſoll/ nemlich nicht nur graviter, hart und
ſcharff/ fondern auch I. ſuaviter, lieblich und anmuthig. Sturm-Winde
Donner-Wetter/ Hagel/ Stralen die ſchrecken zwar/ ſie erſchuͤttern den
Erdboden/ ſie erregen die Hindin/ und entbloͤſen die Waͤlde/ ſie
zubrechen die Cedern/ Pſalm. 29. aber davon kommt noch nicht die
heylſame
[181]Vom verlohrnen Sohn.
heylſame Frucht/ es ſeye dann/ daß ein lieblicher/ ſuͤſſer und erquickender
Regen darauff falle/ der da ſacht/ langſam/ tropffenweiß herab flieſſe von
den Wolcken/ und laub und Graß erquicke. Alſo ſoll man freylich auch
vom Geſetz anfangen/ und donnern/ aber damit iſts noch nicht außgericht;
dem menſchlichen Hertzen wird zwar ein Schrecken eingejagt/ aber ſoll auch
erwuͤnſchte Frucht hervor wachſen/ ſo muß es regnen/ es muß treufflen/
Amos 7/ 16. Mich. 2/ 6. 2. Conſtanter, beſtaͤndig/ unauffhoͤrlich/
gutta cavat lapidem non vi, ſed ſæpè cadendo, ſoll ein harter Stein er-
weichen/ ſo muß der Regen tropffenweiß ſchleichen. Es iſt das menſch-
liche Hertz von Natur ein ſteinern Hertz/ man ſolte wohl ehe auß einem
Stein Oel preſſen/ und Blut trotten/ als auß dem menſchlichen Hertzen
rechte Buß-Thraͤnen/ bevorab wanns wohl gehet/ da iſt es ein trotziges
Ding/ ſoll es erweichet werden/ ſo thu[t]s der Platzregen nicht/ es muß all-
gemaͤhlich troͤpfflen und anhalten. 3. Concisè \& divisè, langſam/
gemaͤhlich/ unvermerckt/ ein Tropffen nach dem andern/ wie die koͤſtliche
Waſſer im Diſtillier-Geſchirꝛ herab tropffen. Wolcken-Bruͤche/ Platz-
Regen thun es nicht/ der Thau macht fruchtbar. Gleich wie Anno 1540.
im heiſſen Sommer von Oſtern an biß Michaelis alle Tag ſo viel Thau
gefallen/ daß die Furchen alle morgen voll Waſſer geſtanden/ daß der
edle Saame hat wachſen koͤnnen. Auff ſolche Weiſe empfaͤngt die Meer-
Schneck die Perlen in ſich/ und wird gleichſam geſchwaͤngert. Dieſe
Art nun zu lehren/ haben/ Oceano Prophetarum, dem lieben Moſt die
uͤbrigen Propheten alleſampt abgelernet/ daher ſie κατ᾽ ἐξοχὴν, Treuff-
ler genennet worden/ Ezech. 21/ 2. Treuffe gegen dem Mittag/ treuffe wi-
der die Heiligthumme/ Amos 7/ 16. und Mich. 2/ 6. klagen uͤber die Ju
den/ die geſagt: Weiſſage nicht wider Jſrael/ und treuffel nicht
wider das Hauß Jſaac; Jtem: Sie ſagen/ man ſolle nicht
treuffen/ dann ſolche Treuffe trifft uns nicht.


Und eben dieſem Exemplar haben wir uns biß dato auch accom-
mo
dirt und befliſſen/ die Lehre von der Buß und Rechtfertigung als
einen Prodromum und Vortrab des Sechſten Haupt-Stucks
unſers Catechiſmi auch roranter und Tropffen-Weiß fuͤrzutragen. Mir
zweiffelt nicht/ vielen unter uns ſeye die Zeit zu lang worden/ haben bey
ſich gedacht und auch wohl geſagt: Wann hat der verlohrne Sohn
einmahl ein Ende? ich hoͤre nichts als nur immer von dem
verlohrnen Sohn/ ich bin des verlohrnen Sohns muͤd. Dann/
der Predigten/ die biß dato davon gehalten worden/ ſeind zwantzig/
dieſe gegenwaͤrtige und letzte iſt die Ein und zwantzigſte. Nun geſtehe ich
Z iijgern
[182]Die Ein und Zwantzigſte Predigt
gern/ es haͤtte kuͤrtzer koͤnnen begriffen/ in zwo/ dreyen/ oder wohl gar nur
in einer fuͤrgetragen werden/ aber die waͤre gefallen als ein Platz-Regen
und Wolcken-Bruch/ und haͤtte den Nutzen nimmermehr gehabt/ die ſie
verhoffentlich alſo haben wird. Man pflegt ja einem Patienten das
Perlin-Waſſer nicht Schoppen-Weiß einzuſchuͤtten wie einer Kuhe/ ſon-
dern Tropffen-Weiß; Den Augſtein-Balſam und andere koͤſtliche Oele
gieſſet man nicht hauffen-Weiß uͤber/ ſondern roranter, Troͤpffleins-
Weiß; Ein Biſſen nach dem andern/ den man wohl verbeiſſet und ver-
kaͤuet/ der ſchmecket und wird verdauet viel beſſer/ als wann man den Ma-
gen mit Speiß und Tranck einmahl uͤberſchuͤttet. Es ſeind aber die
Wort Woſis auch Wunſch-Wort/ und damit dieſer Wunſch wahr werde/
wollen wir mit einem Memorial ſchlieſſen/ dahin dann dieſe Schluß-Pre-
digt angeſehen iſt/ und daß Eu. L. gleichwol die Summa aller Lehren/ die
wir bißhero gefaßt/ auff einmahl wiſſe und behalte. Nun GOtt der
HERR/ der den Regen und Schnee vom Himmel fallen/ und
nicht wieder dahin kommen laßt/ ſondern feuchtet damit die Er-
de/ und machet ſie fruchtbar und wachſend/ daß ſie gibt Saamen
zu ſaͤen/ und Brod zu eſſen/ der wolle ſein Wort/ ſo bißhero
auß meinem Munde gegangen iſt/ auch alſo ſeyn/ und nicht
wieder leer zu Jhme kommen laſſen/ ſondern thun/ das ihme ge-
faͤllet/ und ihm gelingen laſſen/ dazu ers geſendet/ Amen.


SO iſt nun/ Geliebte in Chriſto/ dieſe gantze Parabel/ das ſchoͤne
Spiel und drama, welches Chriſtus/ das Spiel-Kind Gottes/
angeſtellet/ und gleichſam auff einem theatro præſentirt/ biß da-
to anders nichts geweßt/ als I. Apocalypſis arcani curiæ cœleſtis \&
παραδόξου, eine Entdeckung/ Offenbahrung und Erklaͤrung eines himmli-
ſchen/ widerſinnigen Geheimnuſſes/ welches heiſſet: die erſten werden
die letzten/ und die letzten die erſten ſeyn/ Matth. 20. Es waren die
Juden ins gemein ein ſtoltzes hochangeſtim̃tes Volck/ um und von wegen
der herꝛlichen Verheiſſungen/ die ihnen von dem Meſſia geſchehen ſeind;
um und von wegen des Fuͤrzugs fuͤr allen Nationen/ Exod. 19. Deut. 4/ 7.
c. 26. \& 33. Pſ.
147. Sie waren in der feſten perſuaſion und Einbildung/
ſie gehoͤrten allein zum Reich Chriſti und Gottes; der Himmel ſeye ihnen
allein gebauet. Die Heyden hielten ſie als Hunde und Suͤnder/ die ge-
hoͤrten nicht in das Reich GOttes. Solten die Juden wiſſen/ daß die
Gojim und Heyden Theil und Gemeinſchafft am Meſſia haben ſollen/
ſie wuͤrden eher noch zehen Meſſias toͤdten und erwuͤrgen/ ehe ſie dieſes
zulieſſen.
[183]Vom verlohrnen Sohn.
zulieſſen. In ſpecie und inſonderheit die Phariſaͤer und Schrifftgelehr-
ten/ als der Außſchuß des heiligen Volcks/ rechte prodromi und Vor-
laͤuffer der Novatianer/ die bildeten ihnen nicht nur fuͤr den Heyden/
fuͤr Zoͤllnern und Suͤndern ein groſſes præ ein/ lieſſen ſich beduncken/
ſie/ als die Laſt-Traͤger/ die des Tages Laſt und Hitze getragen/ ſeyen
die primi, die Erſten fornen dran/ ſie ſeyen die recht gerechte und heilige
Leute. Was ſollen die Heyden/ die Gottloſen Zoͤllner und Suͤnder
ins Himmelreich kommen? das ſey ferne/ GOtt muͤßte nicht gerecht
ſeyen. Derowegen hielten ſie nichts auff Chriſtum/ argumentirten
und ſchloſſen alſo: Wer ſich der Zoͤllner und Suͤnder annimmt/ der iſt
nicht der rechte Meſſias; Chriſtus thut ſolches/ darum iſt er nicht der
rechte Meſſias. Euer Lieb faſſe es in Gleichnuͤſſen: Num. 12. leſen wir/
daß Aaron und Miriam wider Moſen geredet um ſeines Weibes willen/
darum daß er eine Moͤrin zum Weib genommen hatte/ nemlich eine frem-
de und ſchwartze/ das ſolte ihrer Meinung nach nicht ſeyn: So mur-
reten auch die Juden und Phariſaͤer wider Chriſtum/ daß er ſich der Hey-
den und der ſchwartzen Suͤnder angenommen. Wann im alten Teſtam.
ein polygamus zwey Weiber genommen/ ſo hat gemeiniglich die erſte die
andere gehaſſet und angefeindet; alſo feindeten die Juden die Heyden an/
da ſich Chriſtus ihrer annahm. Die Zoͤllner und Suͤnder naheten ſich
zu ihm/ ἦσαν ἐγγίζοντες, ſie trangen auff ihn zu/ ein jeder wolte der naͤchſte
und liebſte ſeyn/ aber die Schrifftgelehrten und Phariſaͤer kunten es nicht
leyden/ murreten deßwegen daruͤber. Das war eben dazumal die Ur-
ſach und Gelegenheit auff die Parabel.


Aber was lehret Chriſtus ex arcano Patris ſinu, auß dem Schoß
ſeines himmliſchen Vaters? παραδοξώτατα, ſeltzame/ wiederſinnige Dinge;
Die letzten werden die erſten ſeyn/ und die erſten die letzten.
Er ſagets mit klaren Worten die letzten werden die liebſten werden/ Matth.
8/ 11. Jch ſage euch: viel werden kommen vom Morgen und
vom Abend/ und mit Abraham/ Jſaac und Jacob im Him-
melreich ſitzen. Aber die Kinder des Reichs werden außge-
ſtoſſen in das Finſternuß hinauß. Zoͤllner und Hurer moͤgen
wohl eher ins Himmelreich kommen dann ihr/ Matth. 21/ 31.
Die gantze Epiſtel an die Roͤmer/ ſonderlich das neundte Capitel/ iſt ein
clarer Commentarius uͤber dieſe Worte/ da Paulus unter den typis und
Bilden Jſmaels/ Jſaacs/ Jacobs/ und Eſaus dieſes Geheimnuß tractiret.
Und was der Herr clar gelehret/ das hat er auch in Parabeln vorgetra-
gen
[184]Die Ein und zwantzigſte Predigt
gen/ Matth. 20. an den murrenden Laſt-Traͤgern und willigen Gnaden-
Dienern/ und hier am verlohrnen Sohn und ſeinem Bruder. Deren der
eine ein typus und Bild der Bußfertigen Suͤnder/ die nach menſchlicher
Meynung die letzten/ aber nach dem Rath GOttes die erſten ſeind; Der
andere aber ein Bild der verworffenen unbußfertigen Suͤnder. Sprich-
ſtu: ſagt doch der Vater zu dem murrenden und zornigen Bruder; alles/
was ich habe/ iſt dein. Antwort: er redet von dem vorhergehenden
Willen/ und mit Beding/ wann er auch wird hinein gehen/ und ſich mit
freuen/ wann er dem Beruff und der Einladung folgen wird; wo nicht/
ſo ſoll er das Erb-Recht verlohren haben/ und als ein Kind des Reichs
außgeſtoſſen werden. Das iſt der Blick/ den uns Chriſtus in GOttes
Rath-Stub thun laßt/ und uns lehret/ welches die Außerwehlten/ und wel-
ches die Verworffenen ſeind: nemlich/ jene die letzten/ dieſe die erſten. Die
verlohrne Soͤhne/ die Buße thun/ und im Glauben verharren/ ſeind primi,
die erſten und Außerwehlten. Die groſſe Heiligen aber/ die der Buße nicht
bedoͤrffen/ ihre unſaͤgliche Fehler nicht erkennen/ ſeind blind/ gerecht in
ihrem Sinn/ ſtoltz und hochmuͤthig/ die ſeind reprobi, die verworffene und
letzte. Wie ein mancher wird noch heutiges tages koͤſtlich zur Erde beſtat-
tet/ bekommt/ ex judicio charitatis, nach dem Urtheil und Regul der Liebe/
eine ſtattliche Leich-Predigt und parentation, aber er iſt noviſſimus, der
letzten einer. Ein anderer wird mit Spott nnd Schande zum Galgen hin-
auß gefuͤhret/ thut aber Buße/ und erkennet ſeine Suͤnde/ der gehoͤret unter
die primos und Erſten. Die alten Kirchen-Lehrer fuͤhren von dieſem
Geheimnuß ſehrſchoͤne Gedancken/ die wohl werth zu proponiren. Quàm
multæ oves foris, quàm multi lupi intus?
ſpricht Auguſt. tract. 45. in Joh,
Wievielſeynd von auſſen Schaaffe/ und wieviel ſeynd inwen-
dig Woͤlffe?Quos ſcit DEUS in bono manſuros, frequenter ſunt
mali; \& quos ſcit malos permanſuros, aliquando ſunt boni, Ambroſ.
in c. 9. Rom.
das iſt. Die GOtt weiß/ daß ſie im guten verharren
werden/ ſeind offt Gottloß; und die im Boͤſen verharren wer-
den/ ſeind bißweilen fromm. Gregor. M. l. 34, moral. 8. Quicun-
que boni in æternum futuri ſunt, etſi ad tempus mali ſint, non zizania
ſed triticum ſunt in præſcientia DEI; \& qui ante humanos oculos quaſi
aurum ſingularitate Juſtitiæ ſplendere videbantur, ſed ſic cadunt, ut non
pœniteat, ante DEI oculos nunquam aurum ſed lutum fuerunt.
das iſt/
Welche immer werden fromm bleiben/ ob ſie ſchon zuweilen
Gottloß ſeyn/ die ſeynd vor GOttes Augen kein Unkraut/
ſondern
[185]Vom verlohrnen Sohn.
ſondern guter Weitzen; Und hingegen/ welche vor menſch-
lichen Augen/ wegen ihrer ſonderbaren Gerechtigkeit ſcheinen
wie Gold zu glaͤntzen/ fallen aber alſo in Suͤnden/ daß ſie nicht
Buße thun/ die ſeynd fuͤr GOtt niemalen Gold/ ſondern eitel
Koth und Unflath. Auguſtinus kom̃t noch weiter in dieſen Ge-
dancken/ die aber cum grano ſalis, in gutem Verſtand anzunemmen/
l. 1. de C. D. c. 13. Audeo dicere, ſuperbis eſſe utile, \&c. Das iſt:
Jch doͤrffte ſchier ſagen/ es ſeye ſtoltzen Heiligen gut/ in eine
offentliche und bekandte Suͤnde zu fallen/ daruͤber ſich ſelbſt
miſ fielen die/ welche/ indem ſie ſich gefallen/ ſuͤndigen. Dann
es iſt das Mißfallen Petro viel beſſer bekommen/ da er gewei-
net/ als das Gefallen/ da er ſich zu viel vermeſſen. Das ſaget
auch der heilige Pſalm: Mache ihr Angeſicht voller Schande/
daß ſie deinen Namen/ HErꝛ/ ſuchen/ das iſt/ damit du ihnen
gefalleſt/ wann ſie deinen Namen ſuchen/ die zuvor ſich gefal-
len/ indem ſie ihre Ehre geſucht.


Damit aber niemand gedencke/ es ſeye dieſes Geheimnuß ex abſo-
luto decreto,
mit dem unbedingten Goͤttlichen Rathſchluß vermacht/ ſo
kom̃t Chriſtus der Herr/ und weiſet uns II. primatum conſequendi
methodum,
wie wir die Erſten werden koͤnnen. Jn der Welt reißt
man ſich um die Narren-Kapp/ wer den Vorzug habe/ das præ ſchmirtzt
einen manchen/ wann ers nicht haben kan/ da es doch ein Greuel fuͤr Gott
iſt/ in der Welt alſo hoch zu ſeyn. Luc. 16. Hier bedarff es keines reiſſens
und eyfferens/ der Weg ſtehet allen offen dazu zu gelangen: Nemlich/
wann wir mit dem verlohrnen Sohn den Jrꝛ-Weg gegangen/ daß wir
hernach auch den Buß-Weg ergreiffen/ und beſtehet derſelbe in folgenden
Regulen: I. Pulſum Divinum admitte, laß GOtt an deinem Hertz-
en nicht vergebens klopffen/ laß die Buß-Glock in dir erſchallen.
Eu. L. hat in der fuͤnfften Predigt gehoͤret/ daß/ zu gleicher weiß/ wie ein
Richter/ eine Obrigkeit/ wann ein Frevel begangen/ der Thaͤter ruͤchtig
worden/ ſo ſchicket er alsbald ſeine Diener auß/ ſeine Preß-Reuter/ hat
ſeine Zwangs-Mittel/ laſſet ihn arreſtiren/ oder gefaͤnglich im Keffig an-
halten: alſo gebrauchet Gott zwar ſeine citationem legalem durchs
Wort/ ſeinen Gewiſſens-Wecker/ Buß-Glocke. Will man da nicht
drauff geben/ ſo folgen die lictores, faſces und flagella, die Haͤſcher/
Schwerd und Geiſſeln. So giengs dem verlohrnen Sohn/ den bracht
zur Buße der laͤre Saͤckel/ der Hunger/ der harte und faſt tyranniſche
Dienſt/ die Traͤbern und unhoͤffliche Tiſch-Geſellen/ damit ſuchet Gott
Zehender Theil. A anichts
[186]Die Ein und Zwantzigſte Predigt
nichts anders/ als den Ruth-Kuß/ O du gute Ruth/ wie machſtu mich boͤ-
ſen Buben ſo gut! Alſo alles widrige/ was dem Menſchen begegnet/
Kranckheit/ Verfolgung/ Unrecht/ Ungluͤck ꝛc. und ſonderlich die Ar-
muth ſollen wir anſehen als GOttes Cantzley-Botten/ die einen perem-
ptoriè citi
ren zur Rechnung von dem Haußhalten/ nicht daß man das
Hertz ſoll verhaͤrten wie Pharao.


2. Γνῶϑι σεαυτὸν, erkenne dich ſelbs/ gehe in dich. Wer in
Verhafftung kom̃t/ der fanget an/ und machet Calender/ iſt ein redlicher
Bluts-Tropffen in ihm/ ſo dencket er nicht/ wie er davon komme/ ſeine
Ubelthat laͤugne/ oder auff andere die Schuld lege/ ſondern er gehet in
ſich/ und wie Carolus V. ſeine res geſtas, ſeine Thaten in ſeinem Kloſter
auff einer mappa oder Tafel geſehen/ erinnert ſich ſeiner Suͤnden und
Verbrechen mit Reue. Wirſtu dir/ lieber Menſch/ ohne ſelbs-Buhlerey
recht in den Buſen greiffen/ ſo wirſtu finden/ daß du von Natur ein ver-
lohren Kind biſt/ und das Erb-Gifft in dir haſt/ in welchem die radices
und Wurtzeln aller Suͤnden liegen/ die boͤſe Fruͤchten tragen; die Un-
danckbarkeit gegen Gott/ die Suͤnde in Himmel/ haſt demſelben fuͤr ſei-
ne Gaben nicht gedancket/ ſondern ſie mißbrauchet; die alten Suͤnden
auß der alten Sodoma wieder hervor geſucht/ dapffer mitgemacht. Da
heißt es/ thut mans noch? Ja die Jungen thuns noch/ ſpielen den ver-
lohrnen Sohn meiſterlich/ die Handwercker laſſen ihnen das Junckern-
Handwerck belieben; die Edele laſſen ſich beduncken/ der Schul-Rauch
moͤchte ihnen ihre Helin verduncklen; die Studenten/ ſo von Mitteln/
alamodiſiren/ diſtilliren das Gold/ daß es ihnen nicht roſtig wird;
Knechte und Maͤgde ſeind ſtoltz/ wenden alles an den Pracht/ und ſolte
es manche haben/ wie es nicht iſt/ man muͤßte ihnen flehen/ und fuͤr ihnen
niderfallen. Es ſeynd auch unter uns geweßt impii in parentes, ruch-
loſe gegen den Eltern/ ſie getrutzet/ mit ihnen gepochet/ und geſagt: [...]ός
μοι, gib mir das meine/ ſo wil ich dir auß den Augen gehen/ wollen die
Eltern bey lebendigem Leibe erben/ und gedencken/ wann nur zwey Augen
zu waͤren/ ſie wolten ihnen den Himmel gern goͤnnen/ wann ſie nur gieng-
en. Fuͤllerey/ Sicherheit/ Verſchwendung/ Uberfluß in Speiß und
Tranck/ Kleidung und Pracht/ das Bacchus. und Venus-Spiel treibet
man ja noch ungeſcheuet. Der verlohrne Sohn iſt in dieſem Stuck vor
Zeiten auch dapffer geſpielet worden/ da man 10. Thaler auff Reiten/
Fechten/ Tantzen/ aber kaum einen auff die Collegia ſpendiret/ hat Hauß-
gehalten wie Ciceronis Sohn zu Athen. Dazu dann Koſt-Wirthe/
Schneider/ und andere Handwercker dapffer geholffen. Gott verzeihe
ihnen
[187]Vom verlohrnen Sohn.
ihnen das groſſe Aergernuß und Verfuͤhrung der Jugend. Wann man
die Suͤnde erkant/ ſo kommet die αὐτοκατάκρισις, das Selbſt-Gericht/ die
Selbs-Verdamnuß/ das Gewiſſens-Gericht/ da wird Stand-Recht ge-
halten/ und iſt der Regiments-Schultz das Gewiſſen/ der Anwald die
Gedaͤchtnuß/ die Klaͤger/ der beleydigte Gott und die mißbrauchte Crea-
turen/ der Zeug iſt die Handſchrifft unſers Gewiſſens und Hertzens/ der
reus der arme Suͤnder/ der ihm ſelbſt die Rechnung und Concluſion
machet/ ich bin verlohren/ es iſt auß mit mir/ ich bin todt/ und forthin
nicht mehr werth/ daß ich GOttes Kind heiſſe. Alſo gehets mit uns
allen in dem Gerichte GOttes/ und wo es recht angehet/ ſo erfolget darauff
eine Goͤttliche Traurigkeit/ nicht uͤber den laͤhren Saͤckel/ ſondern uͤber
die Suͤnde/ da bekomt man ein Abſcheu und Greuel davor/ man foͤrchtet
und ſchaͤmet ſich kindlich/ man demuͤthiget und ergibt ſich willig unter die
Straff. Und dieſes beweißt ein verlohrner Sohn und Kind mit Faſten/
im Sack und in der Aſchen/ und auch mit Thraͤnen. Nam quid illis
oculis formoſius, perpetuo lacrymarum imbre \& quaſi margaritarum
imbre ornatis?
ſchreibt Chryſoſt. hom. 30. in Gen. das iſt: Was iſt
ſchoͤners als die Augen/ die mit einem ſtaͤtigen Thraͤnen-Guß
als wie mit ſchoͤnen Perlen gezieret ſind.


3. Πόρ [...]σον πρ [...]ς πατέρα, du ſolt zum Vater gehen. Dieſen
Rath hat der verlohrne Sohn ergriffen: Jch wil mich auffmachen/
und zu meinem Vater gehen. Drey Conſulenten funden ſich bey
ihm ein/ der Satan mit ſeinen Zumuthungen: du muſt verderben im
Hunger/ verzweifflen/ oder ſehen wo du Brod bekommeſt/ greiff um dich/
man kan dirs wol verzeihen; Die Vernunfft mit ihren Gedancken/ haͤnge
dich an einen reichen Burger/ ſuch einen Herꝛn/ oder wil er dich nicht an-
derſt tractiren/ ſo zeuch in den Krieg/ wirſtu erſchoſſen/ ſo komſt du des
Jammers ab; bleibſtu lebendig/ ſo bekommeſt du etwa reiche Beuthen;
Und der H. Geiſt mit dieſem kraͤfftigen Argument: Kehre um/ ſiehe dein
Vater hat ſo viel Diener/ die Brods die Fuͤlle haben/ und du verdirbeſt
im Hunger. Die erſten Conſulenten ſpanneten das Pferd hinter den
Wagen/ darum folget er dem dritten/ und appelliret zu dem Gnaden-
Thron Chriſto JEſu/ legt ſich da nieder/ und begehret Gnade fuͤr Recht/
Segen fuͤr Fluch/ Leben fuͤr Tod. Nach erlangter Gnade/ deren ſein
Hertz verſichert war/ gehet er getroſt zu ſeinem Vater/ haltet ſich mit ſtar-
ckem Glauben an die Vater-Liebe und an ſein Kindes-Recht/ legt ſeine
Beicht ab/ und unterwirfft ſich ſeinem Urtheil. Das iſt der gantze Weg/
dadurch er dem Vater das Hertz erweichet/ daß er ihn von fernen freund-
A a ijlich
[188]Die Ein und Zwantzigſte Predigt
lich angeſehen/ ſein Hertz gegen ihm geneigt/ ihm entgegen geloffen/ um-
faſſet und gekuͤſſet/ da er doch voller Unflath gehangen. Erlanget darauff
die Inveſtitur und Einweihung/ wird mit dem koͤſtlichen Kleid der Un-
ſchuld JEſu Chriſti angezogen/ bekomt den Ring/ den H. Geiſt/ und die
Schuh der Freyheit. Wird auch mit einem gemaͤſten Kalb bewillkom-
met/ herꝛlich tractiret/ und gaͤntzlich loß geſprochen. Bleibt darauff ein
gehorſamer Sohn/ mit Fruͤchten der Gerechtigkeit gezieret/ in Geſund-
heit und Wachſamkeit. Das iſt der Weg ad primatum, wann man
der Erſten einer werden wil.


Hingegen iſt dieſes der verdamliche Weg der Letſten und Verworffe-
nen/ den wir an dem Bruder des verlohrnen Sohns warnehmen. Der
Weg der Sicherheit/ Epicureiſchen Unweſens/ da befindet ſich Phariſaͤi-
ſche Blindheit/ Unerkanntnuß ſeiner ſelbs/ GOttes und Chriſti. Pha-
riſaͤiſche Gerechtig- und Heiligkeit; Phariſaͤiſcher Hochmuth/ Selbs-
Lieb/ Ehrgeitz und Verachtung des Naͤchſten/ Phariſaͤiſche Heucheley/ mit
Geitz und Wucher/ Schaden-Freud und Mißgunſt.


Hier iſt nun Litera Pythagoræ, das Griechiſche Y, ein zwiefacher
Tugend- und Laſter-Schmertz- und Wolluſt-Warheit- und Lugen-rech-
ter und lincker-Liechts- und Finſternuß- Himmels- und Hoͤllen-Weg.
Da laßt uns die Kinder der Finſternuß und dieſer Welt imitiren/ die ſich
um die Narren-Kappe reiſſen/ einen Præcedenz-Streit anfangen/ und
wie die Bettler drauſſen zu Gutleuten um die erſte Stelle zancken; wie die
Kriegs-Leute/ ringen im Gebet/ in der Buß/ und im Kirchen-gehen nach
dem Himmel-Kleinod; wie die Zoͤllner und Suͤnder/ Luc. 15. auff einan-
der tringen/ werder naͤchſte bey Chriſto ſeyn kan/ und in gutem Verſtand
dem Himmelreich Gewalt anlegen/ daß wir es zu uns reiſſen/ und unter
den erſten moͤgen erfunden werden.


Schließlich ſo lehret auch Chriſtus allhie/ welches die objecta ſeyen
des Loͤß-Schluͤſſels/ nemlich die bußfertige verlohrne Soͤhne/ die
noviſſimi, welche in der Welt und ihren Augen die Letſten ſeynd; des
Bind-Schluͤſſels aber die Epicurer und ſtoltze Heilige/ die cauteriati,
ſo die Warheit gefangen halten in der Ungerechtigkeit/ ſeyn fuͤhl-loß.
Und das iſt die Lehre vom verlohrnen Sohn.


Wann Comoͤdien und Dramata vor dieſem außgeweßt/ iſt ein Epi-
logus
daran gehaͤngt worden/ und hat man geruffen/ plaudite, darauff
ein kunſtreiches Feurwerck gefolget iſt/ zu bezeugen damit/ wann das
Spiel dieſes Lebens werde auß ſeyn/ ſo wird ein ſchroͤckliches Feurwerck
folgen/ da die groſſe Welt-Puppe vergehen/ und der prodromus des
hoͤlliſchen
[189]vom verlohrnen Sohn.
hoͤlliſchen Feurs angehen wird. Wir ſprechen auch uͤber dem verlohrnen
Sohn/ und alle die in ſeine Fußſtapffen tretten/ plaudite. Dann ſo die
heiligen Engel ſich freuen uͤber einen armen Suͤnder der Buſſe thut/ war-
um nicht auch glaubige Hertzen? Frolocket mit Haͤnden alle Voͤl-
cker/ und jauchtzet GOtt mit froͤlichem Schall. Pſalm. 47.
Frolocket uͤber die Barmhertzigkeit GOttes des Vaters/ der Liebe des
Sohns/ und der Gnade des Heiligen Geiſtes. Den Unbußfertigen
aber ſtellen wir vor Augen das Feurwerck/ darinnen Teutſchland noch
brennet/ darin ein Ort nach dem andern in die Hoͤhe faͤhret. Wer ſich
daran nicht kehren wil/ der erwarte ein anders Feur/ vom Athem des
Herrn angezuͤndet/ nicht eine Glut/ dabey man ſich waͤrmet/ oder ein
Feur/ da man herum ſitzen mag/ ſondern ein unaußloͤſchliches ewiges
Feur/ darinnen alle Unbußfertige ohne Gnade liegen/ brennen/ und doch
nicht verbrennen werden;


O du ſuͤſſer JEſu Chriſt/

Der du Menſch gebohren biſt/

Behuͤt uns vor der Hoͤllen.

AMEN.



A a iijCatechiſmus
[190]Die Erſte Predigt

Catechiſmus-Milch/
Oder
Der Erklaͤrung des Chriſtlichen
Catechiſmi


Zehender Theil/
Begreiffend das Sechſte Hauptſtuͤck Chriſtlicher

Lehre/ die Wort vom Gewalt der Schluͤſſel/
und der Chriſtlichen Bußzucht.


TEXTUS.


Johann. im XX. Capitel.
Gleichwie mich (ſpricht Chriſtus zu ſeinen Juͤngern)
mein Vater geſandt hat/ alſo ſende ich euch
auch. Und da Er das geſagt/ bließ er ſie an/
und ſprach zu ihnen: Nehmet hin den Heiligen
Geiſt/ welchen ihr die Suͤnde verzeihet/ denen
ſind ſie verziehen/ und welchen ihr ſie behaltet/
denen ſeynd ſie behalten. Und

Matthaͤi im XVIII. Capitel.
Suͤndiget aber dein Bruder an dir/ ſo gehe hin/
und ſtraffe ihn zwiſchen dir und ihm alleine.
Hoͤret er dich/ ſo haſtu deinen Bruder gewon-

nen/
[191]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
nen/ hoͤret er dich nicht/ ſo nim̃ noch einen oder
zween zu dir/ auff daß alle Sach beſtehe auff
zweyer oder dreyer Zeugen Munde: Hoͤret er
die nicht/ ſo ſage es der Gemeine/ hoͤret er die
Gemeine nicht/ ſo halte ihn als einen Heyden
und Unchriſten. Warlich ich ſage euch/ was
ihr auff Erden binden werdet/ ſoll auch im
Himmel gebunden ſeyn/ und was ihr auff Erd-
en loͤſen werdet/ ſoll auch im Himmel loß ſeyn.
Jch ſage euch/ wo zween unter euch eins wer-
den/ auff Erden/ warum es iſt das ſie bitten
wollen/ das ſoll ihnen widerfahren von meinem
Vater im Himmel. Dann wo zween oder
drey verſamlet ſeynd in meinem Namen da bin
ich mitten unter ihnen.


Die Erſte Predigt.
Von
Der Quell des Schluͤſſel-Gewalts.


GEliebte in Chriſto. Wann der treue Zeug und Erſt-
gebohrne von den Todten/ der Fuͤrſt und Koͤnig auff
Erden/ JEſus Chriſtus/ Apoc. I, v. 8. von ſich ruͤhmet:
Jch bin das A und das O/ der Anfang und das
Ende/ ſo redet er zwar fuͤrnemlich von ſich/ und von ſeiner
unwandelbaren ewigen Gottheit; geſtalt dann Er der
Herr ſelbs ſolches v. 17. und c. 22/ 13. alſo gloſſiret: Jch bin der Erſte
und der Letſte. Und dieſen Glauben zu bekennen/ haben die Chriſten
zur Zeit der Arianiſchen Ketzerey/ in ihre Grab-Steine dieſe zween Buch-
ſtaben Α. Ω. laſſen ſchneiden/ zu bezeugen/ ſie ſeyen auff den Glauben ge-
ſtorben/ der da glaubet/ Chriſtus ſeye das A und O. Es wird aber da-
mit die erſte und dritte Perſon keines wegs außgeſchloſſen/ ſondern was
von
[192]Die Erſte Predigt
von der Gottheit ins gemein wahr/ das eignet ihme der Sohn GOttes in
ſeiner Perſon zu. Darum dann auch durch dieſe zwey Kennzeichen gar
kurtz/ rund und eigentlich der Geiſt GOttes die gantze Θεογιωσίαν, was
und wer der unbekandte Gott ſeye/ zu erkennen gibt. Nemlich 1. Ens
æternum \& independens,
ein ewiger Circul/ daß/ gleichwie das Α und Ω
der erſte und letſte Buchſtab: ſo ſeye Er auch der Erſte/ und ehe dann die
Welt war/ vor mir iſt kein Gott gemacht/ ſo wird auch nach mir
keiner ſeyn. Eſa. 43/ 10. und abermal v. 13. Auch bin ich/ ehe dann nie
kein Tag war/ der Letſte/ wann Himmel und Erden/ und alles wird ein-
brechen: Ehe dann die Berge worden/ und die Erde und die Welt
geſchaffen worden/ biſt du GOtt von Ewigkeit in Ewigkeit.
Pſ. 90/ 3. Die Himmel werden vergehen/ aber du bleibeſt. Sie
werden alle veralten wie ein Gewand/ ſie werden verwandelt
wie ein Kleid/ wann du ſie verwandeln wirſt; Aber du bleibeſt
wie du biſt/ und deine Jahre nemmen kein Ende. Pſ. 102/ 27. 28.
Er iſt ein Circul ohne Anfang und Ende/ der Anfang und Ende ſelbs.
2. Ens nobiliſſimum, das edelſte Ding/ daher Alluph bey den Hebraͤ-
ern iſt Dux, ein Fuͤrſt/ Jerein. 13/ 21. Alſo iſt Gott das alleredelſte Weſen/
gegen dem alle Creaturen geacht/ als ein Tropff ſo im Eymer blei-
bet/ und wie ein Schaͤrfflein in der Waag/ ſiehe die Jnſulen
ſeind wie ein Staͤublein/ Eſa. 40/ 15. 3. Ens clariſſimum \& p[r]inci-
pium cognitionis,
das allerklareſte Weſen und Quelle aller Wiſ-
ſenſchafft. Alpha komt vom Hebraͤiſchen Aleph, das hetſſet ſo viel als
diſce, lerne. A iſt der erſte Buchſtab den man lernet; So iſt Gott der
Urſprung aller Goͤttlichen und himmliſchen Wiſſenſchafft/ ohne Gott
weiß man nicht/ wer und was Gott ſeye. Deſine cur videat nemo ſine
Numine Numen. 4. Ens ſimpliciſſimum,
von dem alles komt/ und wo-
hin alles zielet. Gleichwie im Griechiſchen Alphabet die Buchſtaben vom
α anfangen/ und bey dem ω ſich enden: Alſo von ihm/ und durch jhn/
und in jhm ſeind alle Ding. Rom. 11/ 36. Er iſt der αρχηγ [...]ς καὶ
τελειωτὴς, der Anfaͤnger und Vollender/ wie in dem Werck der Schoͤpf-
fung/ Erloͤſung und Heiligung/ alſo auch in ſacro clavium officio, in
dem heiligen Schluͤſſel-Ampt. Gott hat den Loͤß- und Bind-Schluͤſ-
ſel in der Ewigkeit geſchmiedet/ formiret/ bereitet/ außpoliret/ haͤtte Er es
nicht gethan/ ſo waͤren wir mit allen Teuffeln in Ewigkeit verlohren. Den-
en hat Er zwar auch einen Schluͤſſel bereitet/ aber einen Bind-Schluͤſ-
ſel/ mit Ketten der Finſternuß/ Apoc. 20, 1. Jch ſahe einen Engel
vom Himmel fahren/ der hatte den Schluͤſſel zum Abgrund/
und
[193]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
und eine groſſe Kette in ſeiner Hand/ und er greiff den Dra-
chen/ die alte Schlange/ welche iſt der Teuffel und der Sa-
than/ und band ihn tauſend Jahr/ und warff ihn in den Ab-
grund/ und verſchloß ihn. Uns aber einen Loͤß- und Bind-Schluͤſ-
ſel/ denſelben hat Er in der Zeit geoffenbahret/ durch ſeinen Sohn fuͤrtra-
gen/ und der Chriſtlichen Kirchen/ als ſeiner Braut/ uͤberantworten laſ-
ſen. Jſt alſo Gott ſelbs das α, Clavium Dominus \& Fons, der Schluͤſ-
ſel-HErꝛ/ die Quelle des Gewalts der Schluͤſſel/ und ω, dem es gereicht zu
Ehren ſeiner Gerechtigkeit und Barmhertzigkeit. Beede haben wir nun
zu expoliren und fuͤrzutragen/ auß der Schatz-Kammer Goͤttlichen
Worts herfuͤr genommen. Zu welchem unſerm Fuͤrhaben uns kraͤfftig
und gnaͤdig wolle beyſtehen JEſus Chriſtus/ der da iſt das Α und Ω, daß
wir von Jhm und auß Jhm lernen/ und zu ſeiner Ehre lehren/ von Jhm
anfangen/ durch Jhn mittlen/ und in ihm ſchlieſſen. Amen.


GEliebte in Chriſto. Belangend nun Principium \& Aucto-
rem clavium,
den Urheber und Urſprung des Gewalts
der Schluͤſſel/ ſo ſtellet uns Chriſtus denſelben fuͤr/ I. ut divi-
num \& cœleſte,
als einen Goͤttlichen und him̃liſchen Urſprung/
Er ſetzet den ſendenden Vater/ ſich ſelbs/ als den geſendeten Sohn/ und
den H. Geiſt vorher/ und ſagt darauff/ tanquam effectum, welchen ihr
die Suͤnde vergebet/ denen ſeynd ſie vergeben/ was ihr auff Er-
den loͤſen werdet/ ſoll auch im Himmel loß ſeyn/ das iſt/ es ſoll fuͤr
GOttes Angeſicht loß ſeyn und heiſſen/ als der ſolche Gewalt den Men-
ſchen gegeben. Jch/ ich der HErꝛ tilge deine Ubertrettung um
meinent willen/ und gedencke deiner Suͤnde nit. Eſa. 43/ 25. Dar-
um dann auch Matth. 9. die Schrifftgelehrten/ als der HErr zu dem
Gichtbruͤchtigen geſagt: Sey getroſt mein Sohn/ dir ſind deine
Suͤnde vergeben/ bey ſich ſelbs gedacht/ dieſer laͤſtert Gott/ è com-
muni ſenſu,
wer kan Suͤnde vergeben/ denn allein GOTT?
Marc. 2/ 7. Das anweſende Volck verwundert ſich daruͤber/ und preiſete
Gott/ der ſolche Macht dem Menſchen gegeben hat. Dann wie das
wahr/ daß der Menſch an GOtt allein ſuͤndige/ Pſ. 51. verſtehe immedia-
tè,
unmittelbahr und Ziels-weiß/ Jtem/ daß ein jede Suͤnde eine Rebel-
lion und Auffruhr wider Gott/ dadurch der unendliche GOtt unermeß-
lich beleidiget wird/ und alſo die unendliche Suͤnde durch die unendliche
Barmhertzigkeit GOttes muß auffgehaben werden: ſo kan auch niemand
Suͤnde vergeben/ dann allein GOtt im Himmel/ der iſt origo veniæ, der
Zehender Theil. B bUrſprung
[194]Die Erſte Predigt
Urſprung aller Vergebung. Jſt gar ſchoͤn entworffen in der Parabel
Matth. 18. vom Koͤnig/ der mit ſeinen Knechten eine Rechnung beſitzet.
Die alten Hebraͤer pflegten vor zeiten zu ſagen/ GOtt habe vier Schluͤſſel/
die Er keinem Engel noch Seraphim gegeben/ clavem pluviæ, den Regen-
Schluͤſſel/ davon Deut. 28/ 12. ſteht: Der HErꝛ wird dir ſeinen gu-
ten Schatz auffthun/ den Him̃el/ daß Er deinem Lande Regen
gebe zu ſeiner Zeit. 2. Clavem alimoniæ, den Brod-Schluͤſſel/
den David ruͤhmet in dem 145. Pſalm. v. 15. Aller Augen warten auf
dich HErꝛ/ und du gibeſt ihnen ihre Speiſe zu ſeiner Zeit/ du
thuſt deine milde Hand auff/ und erfuͤlleſt alles was lebet mit
Wolgefallen. 3. Clavem ſepulchri, den Grab-Schluͤſſel/ Ezech.
37/ 12. Jch will euere Graͤber auffthun/ und will euch mein
Volck auß denſelbigen herauß holen/ und ſolt erfahren/ daß ich
der HErꝛ bin/ wenn ich eure Graͤber geoͤffnet/ und euch mein
Volck auß denſelbigen bracht habe. 4. Clavem matricis, den
Geburts-Schluͤſſel/ der HErꝛ machet die Rachel fruchtbar/
Gen. 30, 22. vayphtach eth rachma, Er that die Mutter auff/ das wußte
Jacob wol/ darum als ihm Rachel hart anlag: Schaffe mir Kinder/
wo nicht ſo ſterbe ich/ war er ſehr zornig/ und ſprach: Bin ich doch
nicht Gott/ der dir deines Leibes Frucht nicht geben will. Thoͤ-
richt hat im gegentheil jener Roͤmiſche Kayſer gethan/ der auß ſeiner Ge-
mahl Zoe mit Gewalt Kinder erzwingen wollen/ und mit ihr allerhand ge-
kuͤnſtelt uud gezaubert. Dieſen vier Schluͤſſeln ſetzen wir nun ferner zu
clavem Regni cœlorum, den Schluͤſſel des Himmelreichs. Jſt
alles ſano ſenſu zuverſtehen/ nicht excluſivè, als wann GOtt keinem
Menſchen dieſen Schluͤſſel com̃uniciren wolte/ dann dawider ſtreitet unſer
Sechſtes Hauptſtuͤck: ſondern originaliter, dieweil dieſer Gewalt ur-
ſpruͤnglich von GOtt entſtehet/ gleichwie auch GOtt dem Elia den ſonſt
ihm reſervirten Regen-Schluͤſſel gegeben; Durch das Wort des
HErꝛn ſchloß er den Himmel zu/ ſagt Syrach c. 48, 3.


II. Principium Trinum, eine dreyfache Quell und Ur-
ſprung/ dann es wird der dreyen Perſonen in der Gottheit elar gedacht/
wie mich mein Vater geſand hat/ ſo ſende Jch euch auch/ und da er das
geſagt/ bließ Er ſie an/ (mit ſonderbarer Solennitaͤt) und ſprach: Nehmet
hin den H. Geiſt: Jſt holdſeelig fuͤrgebildet in der dreyfachen Parabel/
Luc. 15. Jn der erſten wird dargeſtellet der Sohn GOttes/ als ein Hirt/
in der andern der H. Geiſt/ der durch ſein getreues Haußmuͤtterlein den
Groſchen ſuchet/ und dann der Vater/ im Vaters-Bild des verlohrnen
Sohns.
[195]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Sohns. Das gantze Geheimnuß der Drey-Einigkeit wird zugleich ange-
deutet/ und zwar perſonarum realis differentia, der warhaffte und wuͤrck-
liche Unterſcheid der dreyen Perſonen/ dann ein anderer iſt der Vater/ der
ſendet/ ein anderer der Sohn/ der geſendet wird/ ein anderer der H. Geiſt/
der von dem Mund des Sohns unter und mit dem leiblichen Anhauchen
außgeblaſen und den Juͤngern angeblaſen worden. Originatio, der Ur-
ſprung und Außgang der beeden Perſonen des Sohns und H. Gei-
ſtes; der Vater ſendet den Sohn/ der Sohn blaßt den H. Geiſt auß/ wie
nun der Sohn GOttes in der Zeit blaßt/ der Vater in der Zeit ſendet/ ſo
wird der H. Geiſt vom Vater und Sohn/ in und von Ewigkeit her außge-
blaſen. Der Sohn vom Vater in und von Ewigkeit her gebohren. Ab
illo mittitur, à quo emanat.
Er wird von dem geſand/ von dem erAuguſtin.
lib. 4. de
Trin. c. 20.
\& lib. 2. de
Trin. c.
5.

außgehet. Pater ſolus nuſpiam legitur miſſus, vom Vater allein
wird nirgend geleſen/ daß er geſendet worden. Eſſentiæ unitas,
die Einigkeit der Perſonen im Weſen. Dieweil es unum, Ein
opus ad extra, und ligt nichts daran/ daß der Sohn vom Vater geſandt
worden/ dann das benim̃t der Gleichheit nichts. Gleichwie wann Trium-
viri,
etliche auß ihrem Mittel ſenden/ ein Fuͤrſt den andern um ein Edel-
Manns Tochter zu werben verſchicket/ keinem an ſeiner Reputation das ge-
ringſte abgehet/ dann es gehet nicht ex Imperio und Befehl/ ſondern ex li-
bertima condeſcenſione
und freyer Willkuhr/ wie Chriſtus eben daher ſei-
ne gleiche Ehre mit dem Vater erweiſet/ daß er von Jhme geſand ſey/ wañ
er geſagt: Joh. 5/ 23. Wer den Sohn nicht ehret/ der ehret den
Vater auch nicht/ der ihn geſandt hat. Auguſtinus Tract. 36. in
Joh.
verwundert ſich uͤber das Geheimnuß: Si tecum eſt Pater, quomodo
te miſit? \& te miſit, \& tecum eſt? Jtane \& miſſus \& non receſſiſti? Jtane
ad nos veniſti, \& ibi manſiſti? Quomodo iſtud creditur, quomodo capi-
tur?
das iſt: Wann der Vater bey dir/ wie hat er dich geſand?
hat er dich dann geſand/ und iſt zugleich bey dir? So biſt du
(vom Vater) geſendet worden/ und biſt (von ihm) nicht wegge-
wichen? Biſtu dann zu uns kommen/ und dort (beym Vater)
geblieben? wie kan man das glauben/ wie kan man es begreif-
fen? Antworet darauff: Quomodo capitur? rectè dicis: quomodo cre-
ditur? non rectè dicis. Imò ideò benè creditur, quia citò non capitur.
ideò credis, quia non capis, ſed credendo fis idoneus, ut capias.
das iſt:
Wie kan man es faſſen? du ſageſt recht davon: Wie kan man
es glauben? du frageſt nicht wohl: Dann eben darum kan
man es wohl glauben/ dieweil man es ſo bald nicht begreiffet.
B b ijDarum
[196]Die Erſte Predigt
Darum glaubeſtu/ weil du es nicht begreiffeſt/ ſondern durch
den Glauben wirſtu tuͤchtig ſolches zu faſſen. Und eben die Be-
wandnuß hat es auch mit der dritten Perſon/ doch daß alle Unvollkom-
menheit abgeſchieden/ und die Majeſtaͤt der Perſon erlaͤutert werden muß.


III. Principium primum ordinis, ſo niemand anders als der Va-
ter/ die Quell der Gottheit/ oder wie Athanaſius ſaget/ Orat. contra greg.
Sabell.
ἡ ῥίζα καὶ πηγὴ του῀, καὶ του῀ πνεύματος, die Wurtzel und Quell des
Sohns und des H. Geiſtes. Wie demnach der Sohn vom Vater das
Weſen empfangen/ alſo auch die Gewalt der Schluͤſſel. Darum ſagt er:
Wie mich mein Vater geſendet/ ſo ſende ich euch auch: Das
Wie aber iſt ferner zu erklaͤren vonnoͤthen. Wie hat er ihn geſand? Ad
Redemtionis officium,
ſeinem Ampt nach zum Werck der Erloͤſung.
Des Menſchen Sohn iſt nicht kommen/ daß Er ihm dienen
laſſe/ ſondern daß Er diene/ und gebe ſein Leben zu einer Erloͤ-
ſung fuͤr viel. Matth. 20/ 28. Und auff dieſe Weiſe iſt das Wie den
Juͤngern und Apoſtlen Chriſti incommunicabel, es gehet ſie dieſes Wie
nicht an. Chriſto bleibet dieſes allein. Aber ferner hat er ſeinen Sohn
auch geſand/ ratione vocationis, zu einem heiligen Beruff/ nach wel-
chem er kein ἀυτόκλητος, und ſelbs angemeldeter Schleicher/ als welcher of-
fentlich aufftretten und ſagen koͤnnen: Jch bin kommen in meines
Vaters Nahmen. Joh. 5/ 43. Alſo auch ihr/ keiner unter euch ſoll
ſich eintringen/ ſondern ſeinen Beruff von GOtt erwarten. Ratione ſco-
pi,
was den Zweck und Ziel anlangt/ hat er ihn geſendet/ nicht als
einen Welt-Herꝛn/ ſondern als einen Propheten/ zu predigen den Armen.
Eſa. 61/ 11. Alſo auch ihr/ Jhr wiſſet/ daß die weltliche Fuͤrſten
herꝛſchen/ und die Ober-Herren haben Gewalt/ ſo ſoll es nicht
unter euch ſeyn. Matth. 20/ 25. Ratione doctrinæ, die Lehre ſeines
himmliſchen Vaters fortzupflantzen: Die Wort/ die ich zu
euch rede/ die rede ich nicht von mir ſelbſt. Joh. 14/ 10. und aber-
mal v. 24. Das Wort/ das ihr hoͤret/ iſt nicht mein/ ſondern des
Vaters/ der mich geſand hat. Wie mich mein Vater gelehret
hat/ ſo rede ich. Joh. 8/ 28. Was ich von meinem Vater gehoͤret
habe/ habe ich euch kund gethan. Alſo ſende ich euch auch: So je-
mand redet/ ſo rede ers als GOttes Wort. 1. Petr. 4/ 11. Wie
weit von dieſem Zweck abgeſprungen der Roͤmiſche Papſt/ in dem er durch
ſelbs eigenen Beruff in die Kirch eingeſchlichen/ ſeinen Gewalt in eine
Tyranney verwandelt/ und nicht die Lehre des Vaters/ ſondern was er
in ſeinem eygenen Hirn geſchmiedet/ vortraͤgt/ und deßwegen offenbarlich
ſich
[197]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
ſich nicht als einen Geſandten GOttes/ ſondern als einen Geſandten auß
dem Abgrund abgibt/ wird zu andern zeiten Meldung geſchehen.


Dienei uns zur Lehre/ daß wir das Werck der Abſolution und Bañs
anſehen/ nit mit groben Kalbs-Augen/ auch nicht mit bloß leiblichen Ver-
nunffts-Augen; dann da hats keinen Glantz noch Schein fuͤr der Welt/
darum auch der Pabſt allerhand Unrath angehencket/ und vermeinet mit
Ceremonien eine Geſtalt zu geben; Jſt aber unvonnoͤthen. Sondern
mit eroͤffneten Augen/ tanquam actum majeſtaticum, eine Majeſtaͤtiſche
Handlung/ die Chriſtus anfangs mit einer ſonderbaren Solennitaͤt des
Anhauchens und anblaſens inaugurirt. Zu gleicher weiß wie bey der Tauff
Chriſti am Jordan alle drey Ptrſonen ſich præſentirt und eingeſtellet/ der
Vater in einer holdſeligen/ vernehmlichen Stimme/ der Sohn GOttes
in ſeinem angenommenen Feiſch/ und der H. Geiſt in Taubens-Geſtalt/
voce Pater, Natus corpore, Flamen ave. Alles zu dem Zweck und Ende/
der heiligen Tauff/ als einer himmliſchen/ Goͤttlichen Handlung/ ein Anſe-
hen zu machen/ ſelbige damit zu conſecriren und zu weyhen/ als das aller-
heiligſte Weyh-Waſſer/ den Suͤnden-Unflath dadurch weg zu aͤtzen und zu
floͤtzen: Alſo wird auch allhie aller dreyen Meldung gethan/ des Vaters/
der ſeinen Sohn geſand/ Chriſti/ der ſeine Juͤnger angehaucht/ des H. Gei-
ſtes/ der ihnen durch das anblaſen mitgetheilet worden. Tanquam actum
ordinatiſſimum \& dependentem à DEO,
eine Gewalt/ die nicht auß irꝛdi-
ſchen Conſilien und Angeben entſtanden/ ſondern die ſich von Uranien
von Himmels-Burg herſchreibet/ den kein Prediger nach ſeinem Willen
brauchen mag. Dann es gehet die Abſolution des Predig-Ampts/ ordine
naturæ,
nach der Abſolution/ die im Himmlel geſchehen. Wer Buße thut
und glaubet/ dem ſeind die Suͤnde ſchon vergeben/ der Herr hat ſeine
Suͤnden von ihme genommen/ 2. Sam. 12/ 13. Und wer nicht glaubet/ iſt
ſchon gerichtet/ Joh. 3/ 8. Es wird zwar die Solution und Loͤſung/ die im
Himmel geſchicht/ allhie der andern/ die auff Erden geſchicht/ nachgeſetzt/
und hat das Anſehen/ als wann GOttes Gewalt von der Menſchen Ge-
walt dependiret: iſt aber nur declarativè zu verſtehen/ und per demon-
ſtrationem à poſteriori,
gleichwie 1. Reg. 18, 24. Welcher GOtt
durch das Feur antworten wird/ der ſeye GOtt. Nicht als ob
das Goͤttliche Weſen vom Feuer herruͤhrete/ ſondern daß Gott durch das
Feuer ſich geoffenbahret/ und kraͤfftig erwieſen: Alſo auch hie. Jſt wider
den Hoffart des Papſts zu mercken/ dem der Spruch Hieronymi gilt/ in
cap. 16. Matth. Iſtum locum quidam Epiſcopi \& Presbyteri non intel-
ligentes aliquid ſibi de Phariſæorum ſumunt ſupercilio, ut vel damnent

B b iijinno-
[198]Die Erſte Predigt
innocentes, vel ſolvere ſe noxios arbitrentur, cum apud DEUM non
ſententia ſacerdotum, ſed reorum vita quæratur.
das iſt: Dieſen
Spruch verſtehen etliche Biſchoͤffe und Pfarrer nicht recht/ und
maſſen ihnen etwas von der Phariſaͤer Hoffart an/ daß ſie ſich
vermeſſen/ und ihnen einbilden/ ſie koͤnnen entweder die Un-
ſchuldigen verdammen/ oder die ſchuldigen abſolviren/ da doch
GOtt nicht gehet nach dem Urtheil der Prieſter/ ſondern nach
dem Leben und Wandel der Menſchen/ ſo fern ſie ſchuldig oder
unſchuldig ſeynd. Tanquam actum dulciſſimum, als ein hoch-
troͤſtliche Handlung/ die entgegen zu ſetzen des Teuffels Zweiffel-Strick.
Es geſchicht zwar offt durch allerhand Anfechtungen/ daß ein armer Suͤn-
der die Abſolution hoͤrt/ aber gedencket/ iſt auch GOtt mit zu frieden? was
ſagt der dazu? vielleicht hat man die Zech ohne den Wirth gemacht? der
ſoll alsdann zuruck ſehen auff Chriſti Verheiſſung/ mit einem Eyd betheu-
ret/ warlich/ ich ſage euch/ was ihr auff Erden loͤſen werdet ſoll
auch im Himmel loß ſeyn. Weiter ſage ich euch: wo zween
unter euch eins werden auff Erden/ warum es iſt/ daß ſie bitten
wollen/ das ſoll ihnen widerfahren von meinem Vater im Him-
mel. Matth. 18/ 18. 19. Geſchicht alſo ſchon die Abſolution nicht imme-
diatè
auß GOttes Mund/ wie bey dem Gichtbruͤchtigen: Sey getroſt
mein Sohn/ dir ſeynd deine Suͤnde vergeben/ ſo geſchicht ſie doch
warhafftig/ und mit dieſer teſſera mag man kecklich erſcheinen am Juͤng-
ſten Tag. Maßen nach dieſem ſeinem Wort wird der Sohn Gottes rich-
ten. Dann ſo der Vater ſeinen Sohn darum in die Welt geſand/ der
Sohn ſelbs/ der κλειδοφόρος und Schluͤſſel-Traͤger ſelbs den Schluͤſſel her-
ab vom Himmel mit gebracht: und der H. Geiſt zu ſolchem End den
Juͤngern angehaucht und angeblaſen worden. Was wil dann ein ar-
mer Suͤnder zweiffeln/ daß er nicht mit Freudigkeit außruffe: Strick iſt
entzwey/ und ich bin frey: Demſelben Dreyeinigen GOtt/ von wel-
chem/ und durch welchen/ und in welchem alle dinge/
ſey Ehre in Ewigkeit.


AMEN.


Die
[199]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

Die Andere Predigt.
Vom
Schluͤſſel-HErꝛn/ JEſu Chriſto.


GEliebte in Chriſto. Zu gleicher weiß wie Chriſtus JE-
ſus/ der ewige Sohn GOttes/ im erſten Hauptſtuck des Ca-
techiſmi erſcheinet/ als ein Cancellarius in einer wolbeſtellten
Hoffhaltung/ der das Geſetz ſelbs promulgirt, tanquam os
\&
λόγος Patris, des himmliſchen Vaters Mund und Red-
ner. Jn dem andern Hauptſtuck/ als ein Secretarius,
Conſiliarius
und geheimer Rath/ der auß dem Hertzen des Vaters/ als
der himmliſchen und Goͤttlichen Archiv, alles herfuͤr gebracht/ was zu des
Menſchen Heyl und Seligkeit vonnoͤthen. Jm dritten als ein Advocatus
und Fuͤrſprech/ als Libellorum magiſter, und Hoff-Prediger/ der uns vor-
bettet und verbettet. Jm vierdten/ als ein Dux und oberſte Feld-Haupt-
mann/ der ſeine Apoſtel außgeſandt/ ein ſtreitende Kirch zu ſamlen/ und die-
ſelbe durch das Sacrament der H. Tauff ihme zu verbinden. Jm fuͤnfften/
als ein Archidapifer und Ertztruchſeß/ der die edelſte Speiß ſeines aller-
heiligſten Leibs und Bluts/ vermittelſt des geſegneten Brods und Weins/
fuͤrſtellet und aufftraͤgt. Alſo in unſerm Sechſten Hauptſtuck/ tanquam
Camerarius regni cœleſtis \& præfectus Palatii,
als der Hoffmeiſter/ dem
nicht nur alle Schaͤtze des Himmelreichs vertrauet/ tanquam λειτουργῷ
ἁγίων, als einem Pfleger der Heiligen Guͤter/ wie dem Kaͤmmerer der Koͤ-
nigin Candaces im Moren-Land/ Act. 8. Sondern auch den Thurn-
Schluͤſſel. Potiphar wird genennet Sar hatabachim, der Regiments-
Schultz/ oberſter Thurn-Herꝛ und Richter/ der uͤber die Gefangene geſetzt/
Gen. 40, 3. Alſo iſt Chriſtus claviger theſauri cœleſtis, der Herr des
Himmel-Schatzes/ der Macht hat die Gefangene zu loͤſen und zu binden/
der auch ſolch ſein Schluͤſſel-Ampt in unſern verleſenen Worten auff man-
cherley weiß erwieſen/ mit Geberden/ Worten und Wercken/ und zwar
ipsâ apparitione, in ſeiner holdſeligen Erſcheinung/ da Er als ein Geiſt
ohne Material-Schluͤſſel/ bey verſchloſſenem Gemach/ ſich bey ſeinen
Juͤngern eingeſtellet/ da ſie auß Forcht fuͤr den Juden ihre Thuͤren ver-
ſchloſſen/ zu bezeugen/ daß ihm kein Schloß den Weg und Paß koͤnne ver-
ſperren/ und daß Er ſeye der Liberator, der ſie auß der Gefaͤngnuß erloͤſen
wolle/
[200]Die Andere Predigt
wolle/ wie der jenige Engel/ der Petro im Gefaͤngnuß erſchienen/ ihn auff
freyen Fuß geſtellet/ Act. 12. Theils aber auch ſitu medio, da Er mitten
unter ſie getretten/ als der rechte Mediator und Mittler zwiſchen der verletz-
ten und beleidigten Goͤttlichen Majeſtaͤt und den ſtraff-wuͤrdigen Suͤndern.
Sonderlich aber mit ſeinen ſuͤſſen und troͤſtlichen Wor[t]en/ und doppelten
Friedens-Gruß und Wunſch: Friede ſey mit euch: Friede ſey mit
euch. Friede von der Suͤnde/ von der Hoͤll/ und von der Welt/ Suͤnd/
Tod/ Teuffel/ Leben und Gnad/ alles in Haͤnden Er hat. Endlich durch
Einſetzung des Ampts der Verſoͤhnung/ des heiligen Predig-Ampts/ da Er
ſie mit dem H. Geiſt ſymbolicè in einem Athem bedeutet/ und organicè
uͤbergeben/ inaugurirt, und geſagt: Nehmet hin den H. Geiſt/ wel-
chen ihr die Suͤnde erlaſſet/ denen ſeind ſie erlaſſen/ ꝛc. Darum
wir fuͤr dißmal dieſen himmliſchen Camerarium und Clavigerum wollen
beſehen/ und Eu. Lieb zur Unterricht und Vermahnung wohl einbilden/ wie
er uns in fuͤrgeleſenem Text fuͤrgemahlet worden. Dazu Jeſus Chriſtus
wolle oͤffnen das Band unſerer Zungen/ und auffthun die Riegel unſerer
Hertzen und Ohren/ fruchtbarlich hievon zu lehren und zu hoͤren. Amen.


GEliebte in Chriſto. So iſt nun der triumphirende Oſter-
Fuͤrſt und Hertzog des Lebens Chriſtus Jeſus Claviger Regni
cœlorum,
der rechte Schluͤſſel-HErꝛ des Himmelreichs/ der den
Loͤß- und Bind-Schluͤſſel in ſeiner Hand warhafftig hat zu loͤſen die Buß-
fertigen und Glaubigen/ zu binden die unbußfertigen/ halsſtarrigen und
bannigen Suͤnder. Welches Er allhie bezeuget verbis claris, wie mich
mein Vater geſandt hat/ ſo ſende ich euch auch. Wie hat Er
ſie aber geſandt? Antwort/ mit dieſer Inſtruction: Welchen ihr die
Suͤnde/ und dero Reat/ Straff und Pflicht/ verzeihet/ denen ſeind
ſie verziehen/ und welchen ihr die Suͤnde behaltet/ denen ſeind
ſie behalten. Ergò hat mich mein Vater auch geſandt/ Suͤnde zu ver-
zeihen und zu behalten. Jch habe die ἐξουσίαν, Macht und Gewalt/ nie-
mand wird mir ſie nehmen/ und auß meinen Haͤnden rauben. Verbis
figuratis,
was ihr auff Erden binden werdet/ ſoll auch im Him-
mel gebunden ſeyn/ und was ihr auff Erden loͤſen werdet/ ſoll
auch im Himmel loß ſeyn. Da der Herr freylich zuruck ſiehet auff
das Sechzehende Capitul Matthæi/ und darinn enthaltene Verheiſſung
an Petrum abgegangen: Dir will ich des Himmelreichs Schluͤſ-
ſel geben. Alles was du auff Erden binden wirſt/ ſoll auch im
Himmel gebunden ſeyn/ und alles was du auff Erden loͤſen
wirſt/
[201]Vom Gewalt der Schluͤſſel
wirſt/ ſoll auch im Himmel loß ſeyn. Matth. 16/ 19. Was nun
der Herr Petro dazumal uͤbergeben/ das hat Er hie allen ins geſampt
uͤberreicht. Er iſt der Dominus, der herꝛſchende Schluͤſſel Herꝛ/ Apoc. 3, 7.
Das ſagt der heilige/ der warhafftige/ der da hat den Schluͤſ-
ſel David/ der auffthut und niemand zuſchlieſſet/ der zuſchlieſ-
ſet/ und niemand auffthut. Die Apoſtel ſeind nur die D[i]aconi und
Oeconomi, die Kirch iſt nur die Beſchlieſſerin/ und nicht die Meiſterin/ ſie
theilet den Raub auß/ die Apoſtel ſeind Diener/ und gleichſam nur die
Thurnhuͤter/ ſo die gefangene behalten/ und auff Befehl des Principals
wiederum herauß laſſen/ und ſie in Regiam divinam einlaſſen/ daß ſie alle
Schaͤtze genieſſen. Und was hie figuratè angedeutet wird/ das zeiget der
Herrgeſtu triumphatorio \& trophæi oſtenſione. Jch habe die
Schluͤſſel der Hoͤllen und des Todes. Apoc. 1, 18. Jſt ein hold-
ſeliges Gleichnuß genommen von einem Raub-Schloß. e. g. Maximilia-
nus
that einsmahls einen Zug in Hiſpanien/ ſeinen Vater Carolum zu be-
ſuchen/ und verirret auff der Hirſch-Hatz in einer Wildnuß/ bey eytler
Nacht kommt er in ein Hirten-Hauß/ ladet ſich da zu Gaſt/ wußte nicht/
daß der Wuͤrth ein Moͤrder/ der zu ſolchem End etliche ſtarcke Hirten-
Knecht auff der ſtreue gehalten. Was geſchicht? die Sohns-Frau legt
Erbarmnuß an diß junge Blut/ entdecket ihm wo er ſey/ Maximilianus
unerſchrocken/ laßt ſich zu Bett in die Kammer fuͤhren/ verwahret ſich auff
das beſt er mocht/ verſperret die Thuͤr/ ſpannet den Hanen auff/ leget ſein
Rapier bloß neben ſich/ und ruffet GOtt um Huͤlff an. Zu Mitternacht
machet ſich der Wuͤrth auff mit ſeinen Knechten/ pochet an/ und arbeitet
die Thuͤr auffzuſprengen. Da machet ſich der Held auff/ ſchießt auff den
Moͤrder zu/ daß er alſobald todt da gelegen; mit dem Rapier erſticht er den
Sohn/ verfolgt die uͤbrigen/ und ſchlaͤgt ſie zum Hauß hinauß/ ſpielet den
Meiſter/ und bekom̃t den Schluͤſſel zum Raub-Schloß: Alſo iſt Chriſtus
dem Ertz-Moͤrder und Freybeuter dem Sathan in ſein Raub-Schloß kom-
men/ und in ſeine Klauen gerathen/ ihme iſt angſt worden im Garten am
Oelberg. Wer war froͤher uͤber diß Wildpret/ als das hoͤlliſche Heer;
Aber ich habe/ will Chriſtus ſagen/ ihn in ſeinem eygenen Neſt gefangen/
die Pforten geoͤffnet/ und dermaſſen rumorirt/ daß ers nicht zu gelachen/
das gantze hoͤlliſche Heer habe ich diſarmirt, ſeine Gerechtigkeit genommen/
der Tod hat ſeinen Stachel verlohren. Ecce hîc clavis, hie iſt der Schluͤſ-
ſel/ den ich erworben mit meinem Blut/ damit ſchlieſſe ich den Teuffel ſelbs
in den Abgrund. Apoc. 20. Es iſt aber Chriſtus JEſus der rechte
Schluͤſſel-HErꝛ uͤber die Schluͤſſel des Himmelreichs.


Zehender Theil. C cI. Clavi
[202]Die Andere Predigt

I. Claviger miſſus, Ein geſendeter Schluͤſſel-Herꝛ. Wie mich
mein Vater geſandt hat/ ſpricht der Herr: Jch habe keinen geraub-
ten und verkuͤnſtelten Diebs-Schluͤſſel/ ſondern ich habe ihn juſto titulo:
durch den Goͤttlichen Beruff. Welche Sendung unterſchiedliche denck-
wuͤrdige actus in ſich begreiffet. 1. Deſignationem in æternitate, die Be-
namſung in der Ewigkeit. Da iſt gleichſam dieſer Schluͤſſel geſchmie-
det/ bereitet und expoliret worden/ davon wir ſingen:


Es jammert GOtt in Ewigkeit/

Mein Elend uͤber die maſſen/

Er gedacht an ſein Barmhertzigkeit/

Und wolt mir helffen laſſen.

Er wand zu mir ſein Vater-Hertz/

Es war bey Jhm fuͤrwar kein Schertz/

Er ließ ſein Beſtes koſten.

Er ſprach zu ſeinem lieben Sohn/

Die Zeit iſt hie zuerbarmen/

Fahr hin meins Hertzens werthe Kron/

Und ſey das Heyl der Armen/

Und hilff ihn’n auß der Suͤnden Noth/

Erwuͤrg fuͤr ſie den bittern Tod/

Und laß ſie mit dir leben.

2. Promiſſionem in Paradiſo, die Verheiſſung und Zuſage deſ-
ſen/ im Paradiß albereit geſchehen/ Gen. 3. da der Sohn GOttes
den Loͤß-Schluͤſſel gebrauchet/ und der gantzen Poſteritaͤt zugeſagt: Er
wolle die Wercke des Teuffels zerſtoͤren/ ſeine vincula und Band auff-
loͤſen. 3. Prædictionem, die Weiſſagung und Verkuͤndigung/
Eſa. 42/ 6. Jch habe dir geruffen mit Gerechtigkeit/ und habe
dich zum Bund unter das Volck gegeben/ zum Liecht der Hey-
den/ daß du ſolt oͤffnen die Augen der Blinden/ und die Gefan-
genen auß dem Gefaͤngnuß fuͤhren/ und die da ſitzen im Finſter-
nuß auß dem Kercker. Chriſtus ſelbs ſagt Eſa. 61/ 1. Der Geiſt
des HErꝛn HErꝛn iſt uͤber mir/ darum hat mich der HErꝛ ge-
ſalbet/ Er hat mich geſand den Elenden zu predigen/ die zu-
brochene Hertzen zu verbinden/ zu predigen den Gefangenen
eine Erledigung/ den Gebundenen eine Oeffnung. 4. Præfi-
gurationem,
[203]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
gurationem, die Vorbildung. Wie Joſeph im Gefaͤngnuß mitten un-
ter zween Gefangenen in Außlegung ihrer Traͤume/ einem den Tod/ dem
andern das Leben/ Abſolution und Freyheit angekuͤndet; Alſo haͤnget
Chriſtus am Creutz unter zween Ubelthaͤtern/ einem verſpricht Er das
Paradiß/ dem andern verkuͤndiget er durch den Schaͤcher die Hoͤll.
5. Manifeſtationem in tempore die wuͤrckliche Darſtellung und
Erweiſung in der Zeit. Luc. 4/ 21. Heute iſt dieſe Schrifft er-
fuͤllet fuͤr eueren Ohren. Matth. 9/ 2. Sey getroſt mein Sohn/
deine Suͤnde ſeind dir vergeben.


II. Claviger unicus, der einige Schluͤſſel-Herꝛ. Von Eliakim
wird geſagt: Er habe auffgethan/ und niemand habe zugeſchloſ-
ſen/ er habe zugeſchloſſen/ und niemand habe auffgethan. Eſa.
22/ 22. Haͤtte er aber den Schluͤſſel nicht allein gehabt/ haͤtte nicht von ihm
koͤnnen geſagt werden: Er ſchlieſſet auff/ und niemand ſchlieſſet zu/ denn es
haͤtte ein anderer neben ihm koͤnnen das Gemach auffſchlieſſen/ das er aller-
erſt zugemacht: Alſo iſt Chriſtus auch allein/ niemand ſoll ihme dieſe
Ehre nehmen. Jſt vor ihm keiner geweßt/ ſo wird auch nach ihm keiner
ſeyn. Er ſchlieſſet auff mit groſſem Pracht/ vorhin wars alles verſchloſſen/
ante non temporis, ſed virtutis, nicht der Zeit/ ſonderen der Krafft und
Macht nach. Gleich wie wann ein Buͤrg caution zugeſagt/ auff eine
Perſon/ ſo glaubet der creditor, und gehet auff ſeine Parolen/ wann
ſchon die Rantzion nicht erlegt: Alſo ſeind alle und jede Glaubige und
bußfertige im Alten Teſtament Krafft des Bluts und Verdienſtes Chri-
ſti/ von Suͤnden loß und ledig geſprochen worden/ ob ſchon Chriſtus
wuͤrcklich noch nicht geſtorben/ und ſein Blut vergoſſen. GOTT
hats angenommen/ als wann es allbereit geſchehen und vollbracht/
als wann die Rantzion wuͤrcklich erlegt waͤre. Er hat im Himmel
ein Strich im Goͤttlichen Schuld-Buch durch ihre Suͤnden gemacht.
Haͤtten das die blinden Leute im Papſtthum verſtanden/ wuͤrden ſie den
Alt-Vaͤttern keinen ſonderbaren limbum haben doͤrffen bauen.


III. Claviger omnipræſens, \& adhuc hodie efficax, ein allge-
genwaͤrtiger/ und noch heut zu tag geſchaͤfftiger und thaͤtiger
Schluͤſſel-Herꝛ. Dann damit niemand gedaͤchte/ es haͤtte ſich Chri-
ſtus durch die Himmel-Fahrt dieſes Schluͤſſel-Ampts begeben/ denſelben
an einen fremden Nagel gehencket/ und ſeinem vermeinten Stuhl-Erben
Petro die ἐξουσίαν und Vollmacht eingeraumet; So bezeuget er mit gar
nachdencklichen Worten: Wo zween oder drey verſamlet ſeind in
C c ijmeinem
[204]Die Andere Predigt
meinem Namen/ da bin ich mitten unter ihnen. Seind lauter
maͤchtige Worte. Wo zween oder drey (verſtehe collegialiter) verſamlet
ſind; ſchließt aber dadurch mehr oder weniger nicht auß. Er borgt den
Hebraͤern ihr Sprichwort ab/ cum duo ſedent, \& colloquia de lege ha-
Heinſ. ex-
erc. ad
Matth. 18.
p.
57.
bent, quieſcit ſuper cos ſchechina, divinitas, damit anzudeuten/ wieviel
er auff die bruͤderliche Einigkeit halte/ und ſo Er ſeine gnaͤdige Gegenwart
verſpricht/ wo zween oder drey verſamlet ſeind/ wieviel mehr/ wo mehr zu-
ſammen kommen. ἐὰν συμφωνήσωσι, verſtehe im Beten/ wo es eine ſchoͤne
Harmoni und conſonanz gibt/ wie in der Muſic/ wo ein συμφωνία, und
Zuſammenſtimmung in choro, foro, \& thoro, im Lehr-Wehr-und Nehr-
ſtand. Wann ein reicher Mann fuͤr den Schuld-Thurn kommt/ und die
Gefangene alle zuſammen heulen/ laßt er ſich ehe bewegen/ als wann einer
allein eine Steuer begehret. Und alſo nicht wo in collegiis blutdurſtige
conſilia geſchmiedet/ und rebelliſche Gedancken gefuͤhret werden/ wo man
in der Haußhaltung ſich zweyt/ wo Ehegatten im Streit leben/ wo
Knechte und Maͤgde Hader und Zanck erregen/ wo man fluchet und
ſchwoͤret. Jn meinem Nahmen/ auff mein Geheiß/ Befehl/ nach
meiner verordneten Regul/ und Richtſchnur/ zum rechten Zweck/ zur Ehre
meines Nahmens. Wer anders die Sach angreifft/ der verdraͤht den
Schluͤſſel/ er brauchet ihn in des Teuffels Nahmen. Da bin ich/ (ver-
ſtehe nach meiner Subſtantz und Weſen) nicht allein nach der Gnaden-
Wuͤrckung/ auch nicht allein nach der Gottheit/ wie es Piſcator gloſſirt,
(nicht mit dem Leib/ der jetzt allein im Himmel iſt/ ſondern mit
der Gnade des H. Geiſtes) ſondern auch nach meiner angenommenen
Menſchheit; maſſen das Wort Jch nomen officiale \& mediatorium,
ein Ampts-Nahme/ der ſich beziehet in ſein Mittler-Ampt/ dann er ſagt
v. 19. wo zween unter euch eins werden/ warum es iſt das ſie bit-
ten wollen/ das ſoll ihnen wiederfahren. Woher das? dann wo
zween oder drey verſamlet ſind in meinem Nahmen/ da bin ich
mitten unter ihnen. Jſt alſo Chriſti Gegenwart die Urſach der Er-
hoͤrung des Gebetts/ die aber ruͤhret her von dem Mittler-Ampt Chriſti.
Nun geſtehet das Gegentheil ſelbs/ daß Chriſtus nach beeden Naturen
das Mittler-Ampt verrichte. In medio, mitten unter ihnen. Gleich
wie ich jetzt æqualiter mitten unter euch ſtehe/ und keinem naͤher bin als
dem andern/ ob ſich ſchon Petrus ſchwerlich verſuͤndiget/ ſo abſentire ich
mich doch nicht von ihm/ ſtehe nicht ferner von ihme als von Johanne/
mediatoriè, als ein Schieds-Mann/ und den Frieden-Mitbringer/ hoſpi-
taliter \& quietoriè,
als ein Gaſt-Herꝛ in einem Hauß unter guten Freun-
den/
[205]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
den/ efficaciter, nicht unkraͤfftig und unmaͤchtig/ ſondern mit reichem
Seegen/ dann wo Chriſtus hinkommen/ hat er Wunder gethan. So
bald er in Zachariæ Hauß kommen/ wurden Zacharias und Eliſabeth voll
des H. Geiſtes; da er bey Zachæo eingekehret/ iſt ſeinem Hauß Heyl wie-
derfahren. Das heiſſet ja reichlich getroͤſtet/ und uͤber die maſſen hoch
geehret/ ſagt Lutherus Tom. 7. Jen. p. 114. Denn was kan fuͤr groͤſſere
Herꝛligkeit genennet werden/ denn daß wir arme elende Leute auff Erden
ſollen der Goͤttlichen Majeſtaͤt Wohnung/ Luſt-Garten/ Paradiß/ ja Him-
melreich ſeyn. Jſt nun Gott in und mit uns/ wer kan wider uns ſeyn?
Niemand wird dich freſſen/ er habe dann zuvor ihn verſchlungen/ Trutz der
dir ein Haar kruͤmme/ er habe es dann zuvor ihm gethan. Cooperativè,
Er will mit wuͤrcken/ mit Hand anlegen als ein Perſon hinder der Lar-
ven/ als ein Richter hinder den Trabanten/ als die Sonn hinder den
Wolcken/ als ein Brunn hinder dem Geroͤhr. Summa/ es ſoll Ein Thun
ſeyn/ Ein Ordnung/ aber alles inviſibiliter, unſichtbarer weiſe/ ἐν ἑτέρᾳ
μορφῇ, in einer andern Geſtalt/ wie dort Luc. 24. So und auff dieſe weiß
will Er allezeit bey ſeiner Kirchen ſeyn/ ja wo zween oder drey in ſeinem
Namen verſamlet ſind.


VI. Claviger ἔυτακτος, \& ordinatiſſimus, der ſolchen Schluͤſſel-Ge-
walt braucht in einer holdſeligen und ſchoͤnen Ordnung. Er will ihn
nicht gebrauchen immediatè, und unmittelbar/ ſondern durch das Predig-
Ampt/ Er wil ſeine Juͤnger außſenden als Trabanten/ die ſollen binden/
die ſollen loͤſen. Stellet derowegen eine ſonderbare Solennitaͤt an/ blaſet
ſie an/ und ſagt: Nehmet hin den H. Geiſt. Welchen actum wir
wohl nennen moͤgen der Juͤnger ordination. Sie hatten allbereit den
H. Geiſt empfangen im Tauff-Waſſer als Chriſten/ ſie ſolten ihn empfan-
gen in und mit dem Feuer am H. Pfingſt-Tag/ als Apoſtel und gemeine
Welt-Lehrer/ jetzt empfangen ſie Jhn in dem Athem und durch das Anhau-
chen/ als Diener des H. Geiſtes. Weil aber ſeine Juͤnger ſterbliche Men-
ſchen/ und der HErꝛ wohl gewußt/ daß ein jeder zu ſeiner Zeit/ die ihme be-
ſtim̃t/ durch den Tod wuͤrde dahin gehen/ und aber dieſer Schluͤſſel-Gewalt
ſolte waͤhren biß an das Ende der Welt/ wil Chriſtus ſolche Gewalt uͤben/
durch dero treue Nachfolger/ ordentliche Lehrer und Prediger.


Wollen wir nun dieſen Oſter-Segen auch genieſſen/ und deſſen theil-
hafftig werden/ ſo wird von uns erfordert I. Pœnitens miſeriæ agnitio, ein
bußfertige Erkantnuß unſers Elends. Clavis \& captivitas, Schluͤſſel und
Thurn ſeind correlata, und gehoͤren zuſammen/ wo eines iſt/ muß noth-
wendiger weiß das andere auch ſeyn. Nun aber muß es ja eine harte und
C c iijſchwere
[206]Die Andere Predigt
ſchwere Gefaͤngnuß geweßt ſeyn/ zu dero Erledigung ſolche hohe und hei-
lige Perſon vonnoͤthen geweßt/ Ach Gott! wir muͤſſen alle auß dem
Schuld-Thurn ſchreyen/ ruffen und klagen:


Dem Teuffel ich gefangen lag/

Jm Tod war ich verlohren/ ꝛc.

Da klaget der arme Suͤnder uͤber ein Malefitz-Gefaͤngnuß/ uͤber eine Ge-
fangenſchafft im Stock-Hauß/ nicht nur auff Leib und Leben/ ſondern auff
den ewigen Tod/ uͤber eine tyranniſche Gefangenſchafft/ da der Kercker-
Meiſter iſt der Teuffel/ der grauſame Ertz-Tyrann/ fuͤr welchem der Menſch
keine Gnade findet/ wie Joſeph Gnade funden hat fuͤr dem Ampt-Mann
uͤber das Gefaͤngnuß. Gen. 39/ 21. der lacht noch des Menſchen/ und fuͤh-
ret ihn in ſeinen Stricken zur Schau herum/ wie der Tamerlanes dem
Tuͤrckiſchen Sultan Bajazeth gethan. Es iſt captivitas laborioſa, eine
beſchwerliche Gefangenſchafft. Mein Suͤnd mich quaͤlet Nacht und
Tag/ ꝛc. So beſchwerlich war Simſon ſeine Hafft nicht/ da er mit
zwo ehrnen Ketten gebunden mußte mahlen im Gefaͤngnuß/ wie ein Roß
an der Roß-Muͤhlen. Viel tauſendmal beſchwerlicher iſt die geiſtliche
Gefaͤngnuß des armen ſuͤndlichen Menſchen/ da er alle Gliedmaſſen dem
Teuffel zu ſeinem Dienſt muß darleihen. Es iſt captivitas infinita \& im-
pedita,
ein unendliches Gefaͤngnuß/ ich fiel auch im̃er tieffer drein/
wie Jeremias in den Schlam̃/ Jer. 38. Und wehe dem/ der nicht hie ſo heulet/
der wird dort ſo heulen/ Zetter und Mordio ſchreyen muͤſſen. Aber man-
che machen es eben/ wie die jenige/ die im Gefaͤngnuß luſtig und guter ding
ſeynd/ ſpielen/ karten/ dencken nit/ daß der Tod ſo nahe ſey; wie die phrene-
tici
und unſinnige Leute/ die ihnen bey ihren Feſſeln und Banden noch groſſe
Freyheit einbilden/ alſo beluſtigen ſich dieſe mit des Sathans Stricken/
den guͤldenen Geitz-Ketten/ den Wolluſt-Ketten/ ja ſchlagen noch wohl
nach denen/ die ſie wollen auffloͤſen. Kein Thier iſt doch ſo thumm/ eine
Katz/ wann ſie eingeſperret/ wie wuͤtet ſie? Ein Vogel/ wann er gefangen/
wie ſchnappet er nach der Freyheit? wie ſeuffzeten die Kinder Jſrael in E-
gypten? da ſie doch den Troſt hatten mortem eſſe finem laborum, durch den
Tod komme ihr Jammer/ Truͤbſal und Elend zu einem erwuͤnſchten und
ſeeligen End? aber in dieſer Gefaͤngnuß iſt der Tod initium æternarum
pœnarum,
ein Anfang der ewigen Straffen. Wann wir das gedaͤchten/
wie ſolten uns die Predigten von der Freyheit ſo lieblich fuͤrkommen/ wie ſol-
ten wir ſie ſo gern hoͤren? Wie ſolten wir Chriſto ſo hertzlich dafuͤr dancken?


II. Clavis
[207]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

II. Clavis aureæ indago. Der Vogel im Kaͤffig ſchnappet nach
der Freyheit/ warum nicht auch der Menſch? Die Vernunfft hat zwar
viel Schluͤſſel erdacht/ die Superſtitio und Aberglaub noch mehr/ als Sa-
tisfactiones,
Bußen/ Geluͤbde/ horas canonicas, gewiſſe Bett-Stunden/
Meſſen/ Ablaß/ ſonderlich im Jubel-Jahr/ da die Leute nacher Rom lauf-
fen/ als wann ſie unſinnig waͤren. Anno 1450. unter Nicolao V. auff
der Brucke Adriani ſeind 200. Menſchen gequetſchet worden. Es gehet
ihnen aber wie denen/ die auß dem Gefaͤngnuß außbrechen wollen/ und
Hals und Bein entzwey fallen. Ein einiger Schluͤſſel aber iſts/ der in
die Freyheit fuͤhret/ der Loͤß Schluͤſſel/ hie alle Suͤnde vergeben werden.
Auff unſerer Seiten wird nichts anders erfordert/ als der Glaub/ daß wir
dieſen Schatz/ wie die Knaben in der Schul den pacem, ergreiffen/ das
bußfertige Nimmer-thun/ ſonſt bringt das Widerthun den recidivatum,
und Umſchlag/ und der iſt nachmahlen gar gefaͤhrlich/ und gehet/ wie Chri-
ſtus ſagt: Matth. 12/ 43. Wann der unſaubere Geiſt vom Men-
ſchen außgefahren iſt/ ſo durchwandert er duͤrre Staͤtte/ ſuchet
Ruhe/ und findet ſie nicht. Da ſpricht er denn/ ich wil wieder
umkehren in mein Hauß/ darauß ich gegangen bin/ und wenn
er kommt/ ſo findet ers muͤſſig/ gekehret und geſchmuͤcket. So
gehet er hin/ und nimmet zu ſich ſieben andere Geiſter/ die aͤrger
ſind/ dann er ſelbſt. Und wann ſie hinein kommen/ wohnen ſie
allda/ und wird mit demſelben Menſchen hernach aͤrger/ dann
es vorhin war. Der gute Vorſatz/ dann ſonſt wann der Geitzige wie-
der geitzt/ der Hurer wieder huret/ die Magd wieder rebellirt/ ſo iſt keine
Buße/ ſondern eine Verhaͤrtung/ Verſuchung/ Gottslaͤſterung. Dieſes
iſt die Goͤttliche Ordnung/ wer dieſer folget/ der hat


III. Solatium, einen kraͤfftigen Troſt. Dann wie dorten Pilatus
geſagt: quod ſcriptum, ſcriptum, was ich geſchrieben hab/ das hab ich ge-
ſchrieben/ ſo heiſſets auch hie/ quod ſolutum, ſolutum, was einmal geloͤßt/
das iſt geloͤßt/ und wird geloͤßt bleiben. Zwar Frau Ratio, die Vernunfft/
aͤrgert ſich am Predig-Ampt/ dencket/ ja wann Chriſtus ſelbs unmittelbar
mit mir redete/ ſo wolt ichs glauben! Frau experientia die Erfahrung/
ſtimmet mit zu/ zu gleicher weiß/ wie/ wann Pharao das Volck trucket mit
doppelter Arbeit/ wann das Volck geſchlagen wird/ und muß Suͤnder
ſeyn/ die Kinder Jſrael endlich Moſen nicht mehr wollen hoͤren/ fuͤr Seuff-
tzen und Angſt und harter Arbeit. Alſo/ wann der aculeus, der Suͤnden-
Stachel wieder kommet/ das Gewiſſen die vorigen Suͤnden-Greuel fuͤr
Augen ſtellet/ da gehets ſchwach her/ das Geſetz-Wort/ du ſolt des Todes
ſterben/
[208]Die Dritte Predigt
ſterben/ dringet beſſer durch/ als das Wort des Evangelij/ dir ſind dei-
ne Suͤnde vergeben; der Glaube wird ſchwach/ und ſincket in eine Ohn-
macht. Aber eben darum verſigelt Chriſtus ſein Wort und Abſolution/ mit
Blut/ mit Sacramenten/ mit Worten/ mit Verheiſſungen/ und nach dieſem
wil er ſein Juͤngſtes Gericht halten. Wer nun nach dieſem Wort nicht
verdammet wird/ den wird Chriſtus auch nicht verdammen/ wer durch das
Wort hie abſolvirt worden/ an dem wird nichts verdam̃liches ſeyn. Laßt
uns demnach alleſampt Gott loben und dancken/ der ſolche Macht (nicht
den Seraphim und Englen/ ſondern) den Menſchen gegeben hat/ zuvor-
derſt Chriſto/ nachmahlen dem Predig-Ampt/ und den Glaubigen/ und bit-
ten/ Er wolle ſolch Ampt noch mehr unter uns erhalten/ biß wir è προϑυρί [...]
und auß dem Vorhoff in Regiam und in den Koͤnigl. Pallaſt eingelaſſen
werden/ alle himmliſche Schaͤtze und Guͤter reichlich und ewig genieſſen moͤ-
gen. Das helff uns Chriſtus unſer Herꝛ/ und laß uns in Schanden nim-
mermehr. Amen.



Die Dritte Predigt.
Vom
Schluͤſſel-Gewalt ins gemein


GEliebte in Chriſto. Unter andern ſonderbahren Vi-
ſionibus,
Goͤttlichen und Prophetiſchen Geſichten/ in wel-
chen der Sohn Gottes/ ſeinem lieben Schooß-Juͤnger Jo-
hanni die fata und Zuſtaͤnde der Chriſtlichen ſtreitenden
Kirchen N. Teſtaments fuͤrgebildet/ beſchreibet er auch
cap. 9. v. 1. ſeq. welcher maſſen Er auff den fuͤnfften Po-
ſaunen-Schall geſehen einen Stern/ der vom Himmel gefallen
auff die Erden/ und ihm ward der Schluͤſſel zum Brunnen des
Abgrunds gegeben/ und er that den Brunnen des Abgrunds
auff/ da gieng auff ein Rauch auß dem Brunnen/ wie ein Rauch
eines groſſen Ofens/ und es war verfinſtert die Sonne und die
Lufft von dem Rauch des Brunnens/ und auß dem Rauch kamen
die Heuſchrecken auff die Erden. Jn welcher viſion Johanni gezei-
get worden ſonderlich drey denckwuͤrdige Phænomena:


I. Stella
[209]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

I. Stella cadens, ein fallender Stern/ ein Stern bedeutet nichts
anders/ als einen Engel der Gemeine/ einen fuͤrnehmen Biſchoff. Sie
ben Sternen ſind Engel der ſieben Gemeinen. Apoc. 1, 20. Fallen
bedeutet nichts anders/ als eine groſſe Apoſtaſi und Abfall vom Kirchen-
Himmel/ (dann vom Glori-Himmel gibts keinen Abfall/) auff die Erde/
auff irediſche/ weltliche Ehre/ Reichthum/ Macht/ ſplendor. Wann wir
die Hiſtorien auffſchlagen/ ſo koͤnnen wir niemand anders finden/ auff
welchen dieſes Phœnomenon eigentlicher und beſſer zu ziehen/ als auff den
Roͤmiſchen Biſchoff/ und namentlich Bonifacium III. bey welchem ſonder-
lich die groſſe Apoſtaſia angefangen Anno 606. als welcher der erſte ge-
weßt/ der offentlich ohne Stirn und Scheu die jenige Welt-Reich ange-
nommen/ die Chriſtus abgeſchlagen/ Matth. 4. der rechte Apollyon, μ᾽ὸς
τῆς ἀπωλείας, der Engel des Abgrunds/ der Heuſchrecken Koͤnig/ der An-
ti-Chriſt/ wie Gregorius kurtz zuvor von ihme geweiſſaget: dann ſo ſchreibet
Gregorius M. lib. 6. ep. 30. Quicunque ſe univerſalem Sacerdotem
vocat, vel vocari deſiderat, in elatione ſuâ AntiChriſto præcurrit.

Wer ſich einen allgemeinen Biſchoff nennet/ oder begehret ge-
nennet zu werden/ der iſt wegen ſeines Stoltzes und Hochmuths
des Antichriſts Vorlaͤuffer.


II. Das ander Phœnomenon iſt effectus Apoſtaſiæ, was darauff
erfolget? ein erſchroͤcklicher Rauch und grauſame Finſternuß/ der die
Sonne geblendet/ und eine groſſe Anzahl gifftiger/ moͤrderiſcher Heuſchre-
cken außgebruͤtet. Was iſt das anders/ als die gantze Bruth der eingeriſ-
ſenen Traditionen/ und greulicher Abgoͤtterey? Solcher Lehren/ dadurch
die Augen geblendet/ und die Sonne der Gerechtigkeit verfinſtert/ anders
ſcheinet/ als ſie in der Warheit iſt. Summa/ ſolcher Lehren/ davon we-
der in der Schrifft/ noch in der Antiquitaͤt einiges Fundament/ ſo auß der
Finſtere und Barbarey/ und darauff erfolgenden Schul-Lehren entſtan-
den; dann eben um dieſelbe Zeit Anno 529. hat ſich Benedictus mit ſeiner
Regul herfuͤr gethan.


Das III. iſt Poteſtas fontis abyſſi, die Gewalt des Brunnens des
Abgrunds/ figurirt und vorgebildet in einem Schluͤſſel/ der ihme nicht von
Gott/ ſondern vom Sathan/ der des Papſtthums Stiffter iſt/ durch Goͤtt-
liche Verhaͤngnus/ vermittelſt des Kayſer-Moͤrders Phocæ/ uͤberreichet
worden/ damit er den Abgrund der Hoͤllen und aller hoͤlliſchen Greuel auff-
geſchloſſen. Jſt der jenige guldene Schluͤſſel/ damit heutiges Tages un-
ter dem Schein/ als waͤre er der Petriniſche Himmel-Schluͤſſel/ das
Papſtthum pranget. Ein rechter Hoͤllen-Schluͤſſel/ ein Diebs-Schluͤſſel/
Zehender Theil. D dein
[210]Die Dritte Predigt
ein letzer Schluͤſſel/ der auff thut/ was Chriſtus beſchloſſen/ und beſchlieſſet/
was Chriſtus auffgethan. Summa/ ein Greuel-Schluͤſſel. Von wel-
chem falſchen/ und im gegentheil rechten Schluͤſſel wir fuͤr dißmahl etwas
weiters zu reden haben. Dann nachdem wir bißher [c]lavis originem,
und Clavigerum erwogen/ ſo folget der Schluͤſſel ſelbſt/ iſt zwar in un-
ſerm Text nicht benamſet/ ſondern wir muͤſſen ihn entlehnen und herholen
auß dem 16. Cap. Matthæi/ da der Herr zu Petro ſagt: Dir will ich
des Himmelreichs Schluͤſſel geben. Jſt aber gnugſam in unſern
Worten ex effectibus beſchrieben/ nemlich dem Binden und Loͤſen. Hie-
von zu reden zu GOttes Ehre/ und unſerer Erbauung/ wolle Jeſus Chri-
ſtus ſelbs kraͤfftiglich mitwuͤrcken/ ſampt dem Vater und H. Geiſt. Amen!


GEliebte in Chriſto. Quid clavis? Was iſt nun dieſer
Schluͤſſel-Gewalt? was wird dadurch verſtanden und angedeu-
tet? Jn richtiger Beantwortung nun dieſer Frag/ wollen wir
per ἄρσιν \& ϑέσιν gehen. Und zwar per ἀρσιν; So iſt nun 1. dieſer
Schluͤſſel-Gewalt nicht clavis poteſtatis terrenæ, ein Welt-Geld-Reich-
Macht- und Gewalt-Schluͤſſel/ wie er zwar im Papſtthum dahin getraͤhet
wird. Pontificem habere poteſtatem in temporalibus, licet non tem-
poralem,
ſchreibet Bellarm. contra Barclai. c. 12. Der Roͤmiſche
Papſt habe Gewalt in zeitlichen Sachen/ wiewol keinen zeitli-
chen Gewalt. Zwar/ wie Bellarminus gewolt; aber deßwegen am
Roͤmiſchen Hoff uͤbel angeſehen worden/ poteſtatem indirectam, einen
ungraden Gewalt. Gleichwie der Kayſer keinem ſein Haab und Nah-
rung nemmen/ oder davon diſponiren kan/ directè, aber im fall ſalus Rei-
publicæ
es erfordert/ kan er wohl/ verſtehe indirectè. Kein Obrigkeit
kan keinem/ zum Exempel ſeinen Garten oder Hauß nehmen/ aber indirectè,
wann es der Stadt Werck/ Paſteyen und Bollwerck erfordern. Alſo
verhaͤlt es ſich auch mit dem Papſt. Gedachter Bellarminus erklaͤret es
alſo: Si nolit Imperator (contrà Barclai. cap. 19.) ad nutum Sacerdotis
gladium ſtringere, vel ſi contra nutum ejus ſtrinxerit, \& ſi res ſit ad bo-
num ſpirituale, neceſſariò coget illum Pontifex gladio ſpirituali, h. e,
cenſuris.
Wann der Kayſer nicht nach des Papſts willen das
Schwerdt fuͤhren will/ oder wider ſeinen Willen gefuͤhret hat/
kan ihn der Papſt/ ſo fern es zu der Kirchen Beſtem gereichet/
mit dem Schwerdt des Geiſtes/ dem Bann zwingen. Jſt aber
ſo breit als lang/ das iſt eben Gewalts gnug/ und nur zuviel.


Nicht
[211]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

Nicht 2. Poteſtas Catholica, der allgemeine Gewalt/ Voll- und All-
macht uͤber die Chriſtliche Kirche/ wie abermal dieſer Schluͤſſel-Gewalt
vom Gegentheil außgeleget wird/ daß er ſeye poteſtas Eccleſiaſtica directa,
creatoria, depoſitoria,
eine Gewalt uͤber die gantze Cleriſey/ ſolche ein- und
abzuſetzen/ zu ſenden/ ꝛc. Wehr- und Nehrſtand habe mit ſolcher Wahl
allerdings nichts zu thun. Conciliorum vocatoria \& præſidiaria, ohne
ſeine Gegenwart ſeye in offentlichen Kirchen-Verſamlungen alles todt.
Poteſtas ſuper omnem Eccleſiam triumphantem: Des Papſts Gewalt
gehe uͤber die gantze triumphirende Kirche/ geſchicht/ in dem er die Heiligen
canoniſirt und vergoͤttert. Was weyland Alexandar Magnus praleri-
ſcher weiße von ſich außgegeben/ er ſeye nicht nur von Goͤttern gebohren/
ſondern er koͤnne auch andere zu Goͤttern machen/ das ruͤhmet in ſeiner
Maaß der Roͤmiſche Papſt auch. Deßgleichen koͤnne er den Englen ge-
bieten/ wie die Bulla Clementis VI. vermag/ die Anno 1250. außgangen.


His autem verbis eam deſcripſit Joh. Balæus cent. 4. Script. Britann. pag. 375.
Quicunque peregrinandi cauſa ad ſanctam civitatem accedere propoſuerit,
illâ die, quâ de hoſpitio ſuo viam arripere voluerit, eligere poſſit confeſſo-
rem, ſeu confeſſores, \& in via, \& in locis aliis quibuscunque. Quibus qui-
dem confeſſoribus auctoritate noſtrâ concedimus plenam poteſtatem abſol-
vendi omnes caſus papales, ac ſi perſona noſtra ibi eſſet. Item concedi-
mus, quod ſi verè confeſſus in via moriatur, quod ab omnibus peccatis ſuis
penitus immunis ſit \& abſolutus. Et nihilominus prorſus mandamus An-
gelis Paradiſi, quatenus animam à purgatorio penitus abſolutam in Paradiſi
gloriam introducant.
()

Summa/ Poteſtas ſumma, die hoͤchſte Gewalt/ ſo hoch man ſie ſpannen
mag. Er habe clavem ſcientiæ, den Schrifft-Schluͤſſel/ wie Gretſerus fol-
gert defenſ. Bellarm. p. 126. Er iſt der Weiſen Kind/ Eſa. 19. Clavem
ligandi \& ſolvendi leges.
Und heiſſet in des Papſts Grammatic ligare ſo
viel als obligare, binden ſo viel als verbinden/ und Geſetze machen/ und loͤ-
ſen ſo viel als in verbottenen Graden und Eyd-Geluͤbden diſpenſiren: Alſo
hat Papſt Paſchalis, Anno 1110. Henrico IV. mit Eydfeſtem und mit dem
Sacrament confirmirtem Bund die prieſterliche Inveſtitur uͤberlaſſen/
hernach ſolchen in Concilio Lateranenſi gebrochen/ mit fuͤrgeben/ es ſeye
ein gezwungener Eyd geweßt/ der auß Forcht außgepreßt worden. Com-
poſitio pacis
vertroͤſtet uns zwar/ es werde der Papſt ſich dieſes Rechten
nicht gebrauchen ſi gravius inde detrimentum met [...]tur, quàm ſperetur
utilitas Eccleſiæ:
So fern durch deſſen Gebrauch die Kirche groͤſſern
Schaden zu befoͤrchten/ als Nutzen zu hoffen. Wie wann ſich aber das
D d ijBlat
[212]Die Dritte Predigt
Blat wendete? wer will trauen? Bellarm. contra Barclai. c. 3. fchreibet/
der Papſt koͤnne auß dem/ was keine Suͤnde/ Suͤnden machen/ und auß
Suͤnden/ keine Suͤnden. Zum Exempel/ im verbottenen Grad zu heura-
then/ ſeye Suͤnde/ wann aber des Papſts diſpenſation darzu kom̃t/ ſeye es
keine Suͤnde mehr. Und wiederum/ ſo habe der Papſt Gewalt/ ein neuen
verbottenen Grad auffzurichten/ wider welchen man ſich koͤnne verſuͤndi-
gen. Alſo ſeye es unrecht/ wann Unterthanen ihrem Koͤnig nicht gehor-
chen/ wann er aber zum Ketzer wird/ ſeye es keine Suͤnde.


Nicht 3. Poteſtas parricidialis, da man auff Paͤpſtifcher Seiten den
Schluͤſſel in ein blutiges Raach-Schwerdt verwandelt hat. Pontificum
mos eſt, (ita Bellarm. contra Barclai. c. 7.) primùm paternè corripere
Principes, deinde per cenſuram Eccleſiaſticam Sacramentorum commu-
nione privare, denique ſubditos eorum à juramento fidelitatis abſol-
vere, atque authoritate Regiâ, ſi r [...]s ita poſtulat, privare, executio ad
alios pertinet.
Das iſt: Der Paͤpſte Gewonheit iſt/ erſtlich groſſe
Fuͤrſten und Herren vaͤtterlich zu zuͤchtigen/ nachmahlen durch
die Bußzucht vom Abendmahl außzuſchlieſſen. Endlich die
Unterthanen Eyd-und Bund-Loß zu machen/ und des Koͤnigli-
chen Gewalts und Anſehens zu entſetzen/ ſo es die Sach erfor-
dert/ die Vollziehung deſſen ſtehet andern zu. Die Exempel ſol-
cher Bann-Strahlen haben wir an Henrico Koͤnig in Engelland/ an
Henrico Koͤnig in Franckreich/ und andern mehr. Das laß mir ein
Schluͤſſel ſeyn/ ein rechter Greuel-Schluͤſſel/ dadurch an ſtatt der War-
heit kraͤfftige Lugen und Fabeln zu Kraͤfften kommen/ ein rechter Teuffels-
Schluͤſſel/ den Chriſtus abgeſchlagen/ Matth. 4. nach dem aberſein Vi-
carius
mit aller Macht gegriffen/ wie dorten Giezi nach zween Centnern
Silbers/ und zweyen Feyer-Kleidern. Ein rechter Dietrich und Diebs-
Schluͤſſel/ gleich einem Keller oder Beſchlieſſer/ dem der Herꝛ die Schluͤſſel
zum Keller vertrauet/ der aber greiffet nach dem Schatz-Schluͤſſel/ laſſet
den in Wachs abdrucken/ und einen dem gleich machen/ den der Herꝛ nicht
befohlen: Alſo hat ja der Herr ſeinen Juͤngern und Apoſteln nicht uͤber-
geben und anbefohlen einen herꝛſchenden Schluͤſſel/ ſondern einen gemeſ-
ſenen Knecht-Schluͤſſel; nicht einen irꝛdiſchen Reichs-Schluͤſſel/ ſondern
des Gnaden-Reichs; nicht einen Geſetz- oder Schrifft-Schluͤſſel/ ſondern
ein Suͤnden-Schluͤſſel. Petrus hats ſelbs nicht anders verſtanden:
Seyd unterthan aller Menſchen Ordnung um des HErꝛn wil-
len/ es ſeye dem Koͤnig als dem Oberſten. 1. Petr. 2/ 13. Weydet
die Heerde Chriſti/ ſo euch befohlen iſt/ nicht als die uͤber das
Volck
[213]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Volck herꝛſchen/ ſonderen werdet Fuͤrbilde der Heerde. cap. 5/ 3.
Er zehlet unter die Ungerechten/ die zur Peinigung zum Tage des Gerichts
behalten werden/ die nicht erzittern die Mayeſtaͤten zu laͤſtern.
2. ep. 2, 10.


Dieweil aber die Herren Cardinaͤle und Prælaten/ als des Papſts
Janitſcharen/ ingleichem die Herren der Societaͤt/ nicht bloß und wehrloß
da ſtehen wollen/ ſondern zu ihrem Behuͤlff ein und andere ration einfuͤh-
ren/ ſo muͤſſen wir dieſelbe beantworten. Erſtlich ziehen ſie mit Haaren
herzu die Hiſtori des Kaͤmmerlings Eliakim/ Eſa. 22. geben fuͤr/ es ſeye
dieſer Eliakun Hoherprieſter geweſen/ dem ſeye der Schluͤſſel Davids ge-
geben worden/ auffzuthun/ daß niemand zuſchluͤſſe/ und zu zuſchlieſſen/ das
niemand auffthue/ und dieſes bedeute eine ſolche Plenipotenz und durch-
gehende Vollmacht. Antwort: Es iſt nicht wahr/ daß Eliakim Hoher-
prieſter geweßt/ wie zwar die Geheimnuß-reiche Latiniſche Verſion ſie
betreugt/ ſondern er war Theſaurarius, Oeconomus, dazumahl war Ho-
herprieſter Aſarias/ 2. Chron. 31/ 10. So heiſſet auff- und zuſchlieſſen nicht
Gewalt uͤben/ ſondern Prudentz und Klugheit ſpielen/ und wird ſoviel ge-
ſagt/ daß Eliakim mit Beſcheidenheit wußte den Schluͤſſel zu fuͤhren/ daß
wie er ihn angewendet/ alles fuͤr juſt und gut gehalten wurde; und wann
ſchon! ſo gehet es doch den Papſt nicht an/ den Antitypum finden wir
Apoc. 3. v. 7. Maldonatus kommt auffgezogen mit den Worten: Wie
mich mein Vater geſandt hat/ ſo ſende ich euch auch/ das iſt/ wel-
che Macht und Gewalt mir der Vater gegeben/ eben die uͤbergebe ich euch
auch; Da doch die Worte zu verſtehen 1. de Identitate ſcopi, von einerley
Zweck der Sendung/ Chriſtus iſt geſendet worden/ nicht daß Er ihm die-
nen laſſe/ nicht Koͤnigreich einzuſetzen/ nicht Cronen außzutheilen/ oder
Koͤnigen ihre Seepter und Cron zu nehmen/ ſondern zu predigen/ Eſa.
61. 2. De identitate vocationis, gleich wie Chriſtus nicht von ſich ſelbs
kommen/ ſondern geſandt worden vom Vater/ ſo ſollen ſie in die Welt nicht
außlauffen/ als ἀυτόκλητοι, und hergeloffene falſche Apoſtel; ſondern den
Beruff von GOtt erwarten und annehmen. 3. Identitate ordinis, daß
gleichwie der mich ehret/ meinen Vater ehret/ alſo wer euch hoͤret/ der hoͤ-
ret mich/ wer euch verachtet/ der verachtet mich. Luc. 10/ 16. Noch
eines bringen ſie auff die Bahn/ hergenommen von der gemeinen Sitt.
Gleich wie wann man einem Konig oder Fuͤrſten eine Stadt uͤbergibt/
ſo præfentirt man ihm die Schluͤſſel/ zum Zeichen der Unterthaͤnigkeit.
So habe Chriſtus ſeinen Juͤngern die Schluͤſſel uͤberreichet/ zum anzei-
gen/ daß ihnen die Vollmacht auch zu gleich eingehaͤndiget ſey. Antwort:
D d iijChriſtus
[214]Die Dritte Predigt
Chriſtus hat ſeinen Juͤngern die Schluͤſſel uͤbergeben/ nicht als ein Uber-
wundener/ ſondern als ein Siegs-Herꝛ und Uberwinder/ nicht als ein
Unterthan ſeinem Herꝛn/ ſondern als ein Herꝛ ſeinem Knecht. Die
Hauß-Mutter/ wann ſie der Beſchlieſſerin die Schluͤſſel gibt/ ſo behaͤlt ſie
das Hefft in der Hand/ ſie gibts nicht weg.


Nun wollen wir auch im andern Umſtand per ϑέσιν anzeigen/ was
Schrifftmaͤſſig durch dieſen Schluͤſſel und Schluͤſſel-Gewalt verſtanden
werde? Nemlich 1. Clavis carceraria, ein Kercker-und Thurn-Schluͤſ-
ſel/ oder Loͤß-und Bind-Schluͤſſel. Jſt eine Gleichnuß genom-
men von einem Kercker-Meiſter/ der den Gefangenen bindet mit Ketten/
Springern und ſtarcken Mahlſchloſſen/ und hernach auff den Befehl des
Richters wiederum loß laßt/ auff gleiche weiße wie die Hauptleute zu
Philippis dem Kercker-Meiſter befohlen/ er ſolle Paulum und Silam
wol bewahren/ Act. 16, 23. \& ſeq. der ſie auch genommen/ ins innerſte
Gefaͤngnuß geworffen/ und ihre Fuͤſſe in den Stock gelegt; den andern
Tag aber bekam er Befehl/ er ſolle die Menſchen gehen laſſen: der auch
dieſe Rede Paulo verkuͤndiget/ die Hauptleute haben hergeſandt/ daß ihr
loß ſeyn ſolt/ und gehet hin mit Frieden. Daher bey Joſepho lib. 1. bell.
Jud. c.
4. von dem Stock-Meiſter geſagt wird/ ſein Ampt ſeye διώκειν
καὶ κατάγειν, λύειν τε καὶ δέειν. Alſo ſollen die Apoſtel binden und loß laſ-
ſen/ conſequenter den Himmel auffſchlieſſen. 2. Clavis debitoria,
ein Schuld-Thurn-Schluͤſſel/ es wird hie nichts anders gedacht/
als der Schulden und Suͤnden/ ſuͤndiget dein Bruder an dir/ ꝛc.
und in folgenden Worten: Wie offt muß ich dann meinem Bru-
der vergeben? Jſt es gnug ſiebenmal? Nicht ſiebenmal/ ꝛc.
Matth. 18/ 21. und auff keine andere weiße haben auch die Apoſtel dieſen
Schluͤſſel gebraucht/ wie erhellet auß dem Exempel des Blutſchaͤnders/
1. Cor. 5/ 3. 3. Clavis theſauraria, ein Schatz-Schluͤſſel/ wann
nun das Mahl-Schloß weg/ die Ketten loß/ ſo ſchlieſſet conſequenter
dieſer Schluͤſſel auff theſaurum in dulgentiæ, den Ablaß-Schatz
im Gnaden-Himmel/ und den Erb-Schatz im Reich der Ehren
und Herꝛlichkeit. Gleich wie der jenige Kercker-Meiſter/ der Joſeph
auß dem Stock genommen/ nicht nur ihme die Feſſel und Ketten auff-
geſchloſſen/ ſondern auch das Thor zu des Koͤniges Pallaſt geoͤffnet.
Aber welches am allermeiſten zu mercken/ Clavis Diaconica \& œcono-
mica,
kein herꝛſchender Herren-Schluͤſſel/ den behalt Chriſtus allein fuͤr
ſich incommunicabiliter, Apoc. 3, 7. den gibt er keinem Menſchen/ wie
Er auch ſeine Ehre keinem andern geben will; ſondern ein knechtiſcher
Keller-
[215]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Keller-und Dienſt-Schluͤſſel/ die Kirche iſt nicht Meiſterin/ ſondern
nur Beſchlieſſerin/ dann ſo weit und nicht weit er erſtrecket ſich das Predig-
Ampt. Die Apoſtel und dero Succeſſores ſeind nicht mehr als Oeconomi,
Haußhalter/ Dafuͤr halte uns jederman/ fuͤr Chriſtus Diener
und Haußhalter uͤber GOttes Geheimnuͤße. 1. Cor. 4/ 1. Legati,
Bottſchaffter/ So ſeind wir nun Bottſchafften an Chriſtus ſtatt/
denn GOtt vermahnet durch uns. So bitten wir nun an Chri-
ſtus ſtatt/ laſſet euch verſoͤhnen mit GOtt. 2. Cor. 5/ 20. Solte
dadurch eine ſolche Monarchi gemeynet worden ſeyn/ ſo muͤßte Chriſtus ſo
viel Monarchen eingeſetzet haben/ als Apoſtel/ dann welchen Gewalt Er
einem gegeben/ den hat Er allen gegeben. Summa/ Clavis ſpiritualis
prædicta,
davon David zuvor geweiſſaget/ Pſal. 149/ 8. Sie (die Apoſtel)
ſollen Raach uͤben unter den Heyden/ Straffe unter den Voͤl-
ckern/ ihre Koͤnige zu binden mit Ketten/ und ihre Edelen mit
eyſſern Feſſeln. Davon es heiſſet/ Evangelium non abolet, diß Evan-
gelium hebt wletlich Regiment nicht auff/ man hat ſichkeines Abgangs der
Nahrung/ Ehr/ ꝛc. zu befahren/ es wird durch den Bind-Schluͤſſel kein
Laſter-Stein auffgerichtet/ wie auch durch den Loͤß-Schluͤſſel der Laſter-
Stein und Hoch-Gericht nicht uͤbr einen Hauffen geworffen.


Wozu/ ſprichſtu abermal/ dienet uns das? Was hat der gemeine
Mann davon? das iſt allein den Gelehrten geprediget/ es iſt zu hoch fuͤr
Knechte und Maͤgde/ denen ſolte man predigen/ wie ſie leben ſollen. Ant-
wort: Alles hat ſeine Zeit/ Hauß-Taffel hat ſeine Zeit/ Catechiſmus hat
ſeine Zeit. So iſt auch nicht Welſch was fuͤrgebracht worden/ ſondern
Teutſch. Dienet uns/ meine Liebſten/ 1. den Catechiſmum recht gruͤnd-
lich zu verſtehen/ und das Fundament wohl zu legen/ das A b c. recht zu
faſſen/ ohne deſſen gruͤndlichen Verſtand ſonſt alles/ was in Schrifft-
maͤſſigen Predigten vorgetragen wird/ lauter Boͤhmiſche Doͤrffer ſeynd.
2. Zur Demuth zu erkennen/ wer wir feind fuͤr GOttes und aller Engeln
Augen. Zwar fuͤr unſern Augen groſſe Herren/ freye Junckern/ und
Monſieurs, aber fuͤr GOtt rechte Gefangene/ die/ wie der Teuffel die
Hoͤll/ den Thurn allezeit mit uns tragen. E. L. erinnere ſich der armen
Gefangenen/ mit Ketten und ſtarcken Mahlſchloſſen beſchwerten ſtigma-
ticorum,
die auß der Tuͤrckey zu uns kommen/ und Rantzion einſamlen/
durch Goͤttliche Providentz werden uns ſolche leibliche Selaven fuͤr Au-
gen geſtellet/ daß wir unſere geiſtliche Dienſtbarkeit und Elend erkennen.
Waͤre dem nicht alſo/ wuͤrde der Herr nicht ſo einen ſtarcken Schluͤſſel-
Gewalt verordnet haben. Zu wuͤnſchen waͤre es/ daß ſich allhie ſpiegelten
alle
[216]Die Dritte Predigt
alle die praven Cavallier, die ſich von keinem Menſchen wollen commen-
di
ren laſſen/ zerreiſſen alle Bande der Gerechtigkeit/ fragen nichts nach
GOtt und ſeinem Wort/ ſie wuͤrden ſehen/ wer ſie in der Warheit ſeyen/
ihrer Einbildung nach zwar Edel/ aber fuͤr GOttes Augen wilde un-
bendige Wald-Eſel: Jhrer Meinung nach zwar ſemper-frey/ aber fuͤr
GOttes Augen Sclaven und Gefangene des boͤſen Geiſtes/ ſervi tot
Dominorum, quot vitiorum,
Sclaven ſo vieler Herren/ als Suͤnden
und Untugenden ſie an ſich haben/ wie vor zeiten die Jndianiſche Weiſen/
die Brachmaner genennt/ Alexandrum M. beſchlagen und abgefertiget.
Dann als dieſelbe groſſe Teuffels-beſtia Alexander der groſſe/ einer von
den maͤchtigſten Potentaten/ den jemahlen die Sonne beſchienen/ der
den gantzen Erdboden erſchreckt/ dem alle Laͤnder und Staͤtte die Schluͤſ-
ſel entgegen getragen/ einsmahls einen Zug fuͤrgenommen in Jndien/
gedacht/ es werden vorermeldte Jndianiſche Weißen fuͤr ſeiner Macht
erzittern/ und ihn als einen Gott/ fuͤr den er wolte gehalten ſeyn/ auff-
nehmen und verehren/ ſo ſchreiben ſie unter andern moralien auch dieſes
zu/ malus etſi regnet, ſervus tamen eſt tot dominorum, quot vitiorum.
d. i. Ein boͤſer und der Untugend ergebener Menſch/ wann er
gleich ein Seepter in der Hand und ein Cron auff dem Haupt
traͤgt/ ſo iſt er doch ein Sclav ſo vieler Herren/ als Laſter
er an ihm hat. Sie wollen ſagen/ du bildeſt dir ein/ du ſeyeſt der maͤch-
tigſte Herꝛ in der gantzen Welt/ aber unterdes biſtu ein rechter Sauff-
und Zorn-Sclav/ ein rechter Pracht-Sclav/ der ſich ſeines Vaters/ des
Koͤnigs Philippi geſchaͤmet/ gedacht Herculis Saͤulen zu uͤberſchrieten/
dem die Welt zu eng wolt werden: Außwendig biſtu ein groſſer Mann/
inwendig ein elender Zwerch: Außwendig verbrenneſtu Staͤtte und Laͤn-
der/ inwendig verbrennet und verzehret dich dein eigen Ehrgeitz. Mit
welcher ſinnreichen Antwort wir auch hiemit alle Welt-Praler wollen
abgewieſen haben.


Dienet 3. zur Danckbarkeit/ die Kinder Jſrael mußten ſich oft oft oft
ihres unſaͤglichen Elends/ Trangſalen und Dienſtbarkeit erinnern/ und
dardurch zur Danckbarkeit angefriſchet und auffgemundert werden. Be-
kandt ſeynd die Worte Davids: Dancket dem HErꝛn/ dann Er
iſt freundlich/ und ſeine Guͤte waͤret ewiglich: Saget die ihr
erloͤſet ſeyd durch den HErꝛn/ die Er auß der Noth erloͤſet hat.
Die da ſitzen mußten im Fiſternuß und dunckeln/ gefangen
im Zwang und Eiſen. Und ſie zum HErꝛn rieffen in ihrer
Noth/
[217]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Noth/ und er ihnen halff auß ihren Aengſten/ und ſie auß dem
Finſternuß und dunckeln fuͤhrete/ und ihre Bande zureiß/ die
ſollen dem HErꝛn dancken um ſeine Guͤte/ und um ſeine Wun-
der/ die Er an den Menſchen-Kindern thut/ daß Er zubricht
ehrene Thuͤren/ und zuſchlaͤgt eiſerne Riegel. Pſalm. 107/ 1. 10/ 13.
14. 15. 16. Solche Leuthe waren weyland unſere Voreltern und wir in
ihnen/ aber erloͤßt durch den Helden-Geiſt des Teutſchen Simſons Lutheri/
der die Bande zerriſſen. Danck ſeind wir derowegen auch ſchuldig/
1. Agnoſcendo, daß wir erkennen/ was und wer wir geweſen und was
Lutherus/ oder Gott durch ihn/ gethan: ſtuͤnde unſern Burgers-Leuten
gar wol an/ daß ſie neben der Bibel auch die Kirchen-Hiſtorien leſeten/ und
vernehmen wie das Papſtthum geſpielet was unter dem Schein dieſes
Schluͤſſels fuͤr Muthwill veruͤbet worden/ ſonderlich an hohen Haͤuptern/
Stegreif halten/ Fuͤſſe kuͤſſen/ Stuhl tragen/ und andere Dienſte leiſten/
war das geringſte. Dann wie das Roͤmiſche Ceremonien-Buch auß-
weiſet/ muß der Kayſer dem Papſt Stegreif halten/ wann er Mahlzeit hal-
tet/ die erſte Tracht aufftragen/ ihne auff der Achſel tragen. Wer kan oh-
ne Wunder-Thraͤnen leſen die Buß-Hiſtori Henrici? Anno 1077. citiret
Gregorius VII. Kayſer Henricum IV. gen Rom/ er ſchicket Legaten/ die
weiſet man mit Schimpff ab/ der Papſt thut ihn in Bann; wolte er deſſen
ſich loß wuͤrcken/ mußte er gen Rom/ machet ſich derowegen mit ſeiner Ge-
mahlin und wenig Dienern im kalten Winter uͤber die Alpen-Gebuͤrg in
Jtalien biß gen Rom/ als er nun drey Tag baarfuß im ſchlechten haͤrinen
Kleid auffgewartet/ ward er endlich den 28. Januarij abſolvirt/ mit dem
Beding/ daß er ſich dem Papſt in allem unterwerffen/ und ſich des Kayſer-
thums nicht gebrauchen ſolt/ machet Rudolphum zum Roͤmiſchen Koͤnig/
deme der Papſt eine Crone geſchicket/ daran dieſer Vers ſtund:


Petra dedit Petro, Petrus diadema Rudolpho. ()

Wir zu Straßburg haben uns ſonderlich wohl zubedancken/ wo man hin-
gehet/ ſo gibt es Stiffter und Kloͤſter/ da gedencket/ wie unſere Vorfahren
gepreßt geweſen? wie ſie der Schluͤſſel getrucket? wie ſie manchem unge-
ſchickten Bachanten haben die groͤſte Ehre muͤſſen anthun? wie ſie die
Schluͤſſel-Forcht zur Ohren-Beicht gebracht und getrieben? wie ſie in re-
medium animarum
haben opffern und ſpendiren muͤſſen? Erkennen wer
wir jetzt ſeyen/ nemlich freye Leute/ nach dem durch das Liecht des Goͤttli-
chen Worts der Schluͤſſel-Betrug offenbar worden/ und wieviel leichter
es nun ſeye zum Beicht-Stuhl zu gehen/ als in caſibus reſervatis uͤber die
Zehender Theil. E eAlpen
[218]Die Dritte Predigt
Alpen ſtampen/ und ſich durch Wallfahrten des Ablaß erholen. 2. Cele-
brando \& annunciando,
daß wir unſern Mund auffthun/ und die alten
Geſchichten Kindern und Kinds-Kindern erzehlen/ die wir gehoͤret haben/
und unſere Vaͤtter uns erzehlet haben/ daß wirs nicht verhalten ſollen un-
ſern Kindern/ die hernach kommen/ und verkuͤndigen den Ruhm des
Herrn und ſeine Macht und Wunder. Pſ. 78. 3 Læcando, daß wir uns
inniglich daruͤber erfreuen/ ſo wohl als die Kinder Jſrael/ da ſie auß Egy-
ptenland gezogen/ und auß der Babyloniſchen Dienſtbarkeit erloͤſet worden/
davon ſtehet Pſalm. 126/ 1. Wann der HErꝛ die Gefangenen Zion
erloͤſen wird/ ſo werden wir ſeyn wie die Traͤumende. Denn
wird unſer Zung voll Lachens und unſer Mund voll ruͤhmens
ſeyn/ da wird man ſagen unter den Heyden; der HErꝛ hat groſ-
ſes an ihnen gethan/ der HErꝛ hat groſſes an uns gethan/ des
ſind wir froͤlich.


Laßt uns aber dabey vorſehen/ daß wir nicht des Teuffels Strick an-
legen/ nach dem wir des Papſts Seyle und Bande zerriſſen/ und uns da-
von loß gewuͤrcket/ damit uns nicht begegne/ was Simſon dem Edeln Na-
zarener/ Judic. 16. der kundte wohl von den Philiſtern nicht gebunden wer-
den/ aber da er ſich ſelbs loß geriſſen/ und ſein Nazarener Geluͤbd gebrochen/
da hat es geheiſſen/ Philiſter uͤber dir Simſon/ die haben ihm nachmahlen
die Augen außgeſtochen/ und mit ehrinen Ketten gebunden/ er mußte mah-
len im Gefaͤngnuß. Wir ſeynd alle Nazarener worden in der H. Tauff/
und als verlobte des Herrn/ da unſer Bund-Geluͤbd abgelegt/ wann
ſich nun der Menſch die Welt die huriſche und verfuͤhriſche Delilam laßt
verblenden und bereden/ ſein Tauff-Geluͤbd bricht/ ſo weichet der gute Geiſt
von ihm/ er wird vom Satan verblendet/ es heiſſet/ Philiſter uͤber dir
Simſon/ und gehet ein ſolcher Menſch in den Stricken des boͤſen Geiſtes/
2. Timoth. 2/ 26. Ein jegliche boͤſe Gewonheit iſt eine eyſerne Kette; wird
ein ſolcher Menſch gleich nicht von Petro gebunden/ ſo haͤngt doch der
Strick am Hertzen/ an dem er endlich muß erwurgen. So ſchroͤcklich aber
der Bind-Schluͤſſel iſt allen Gottloſen/ ſo troͤſtlich iſt der Loͤß-Schluͤſſel
allen armen Suͤndern. Es iſt eine herꝛliche und ſtattliche Berheiſſung/
die GOtt ſeinem Volck gethan/ Deut. 28/ 12. Der HErꝛ wird dir ſei-
nen guten Schatz auffthun/ den Himmel/ daß er deinem Land
Regen gebe zu ſeiner Zeit/ und daß Er ſegne alle Wercke deiner
Haͤnde. Jſt geſchehen zur Zeit Eliæ. Hie ein groͤſſerer Schatz/ die Ver-
gebung der Suͤnden/ Gottes Gnad/ ein offener Himmel/ den Gott in ſei-
ner Kirchen eroͤffnet. Hie alle Sunden vergeben werden. Wer iſt nun
der/
[219]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
der/ dem ein groſſer Schatz verſprochen/ und der Schluͤſſel gegeben/ der
nicht folte zulauffen uͤber Stauden und Stoͤcke/ und ringen/ daß er den
Schatz moͤchte davon bringen.


Ey ſo laßt uns auch ringen einzugehen durch die enge Pfort/

Daß uns wohl ſey hie und dort.

Hie in ruhigem Gewiſſen/

Dort in vollkommenem ſatten genieſſen!

AMEN.



Die Vierdte Predigt.
Von
Denen Perſonen/ welchen Chriſtus die
Schluͤſſel uͤberreichet/ und
anvertrauet.


GEliebte in Chriſto. Unter andern fatis, Geſchichten
und Begebenheiten/ Gluͤck und Geſchick/ ſo ſich mit Jo-
ſeph im Stand ſeiner Erniedrigung/ ſonderlich in ſeinem
Gefaͤngnuß/ begeben und zugetragen/ iſt auch denckwuͤrdig
das jenige/ ſo zwiſchen ihm und ſeinen ween Mitgefange-
nen und Creutz-Bruͤdern vorgeloffen/ Gen. 40. Dann da
wird erzehlet


I. Status \& conditio, der Zuſtand/ in welchem ſie begriffen/ ſie
waren alle drey in Hafft kommen/ und Potiphar/ dem oberſten Profoßen
uͤbergeben/ und in die Eyſen geſchlagen worden/ wie im 105. Pſalm zu leſen.
Die zween Diener zwar empfingen/ was ihre Thaten werth/ was die Ur-
ſach ihrer Hafft geweßt/ kan man nicht eygentlich wiſſen: die Rabbinen ge-
ben fuͤr/ es habe der Schenck dem Koͤnig ex incuria eine Muck im Trincken
gereicht; der Beck ein Steinlein im Brod. Lutherus muhtmaſſet/ ſie ha-
ben dem Koͤnig mit Gifft vergeben wollen/ und ſeyen deßwegen auff Leib
und Leben gelegen/ der Kopff hab ihnen beeden gewackelt. Der dritte war
gantz unſchuldig/ geſtalt er ſich ſelbs apologiſiret und verthaͤdiget/ ich bin/
ſagt er/ auß dem Land der Ebraͤer heimlich geſtohlen/ dazu hab
E e ijich
[220]Die Vierdte Predigt
ich auch allhie nichts gethan/ daß ſie mich eingeſetzet haben.
Gen. 40, 15.


II. Somnia diverſa utriusque fontis, die zween unterſchiedliche
Traͤume eines jeden Maleficanten; Jenem hat getraͤumet im Ge-
faͤngnuß/ es waͤre ein Weinſtock fuͤr ihm/ der haͤtte drey Reben/ und er gru-
nete/ wuchs und bluͤhete/ und ſeine Trauben wurden reiff/ und er hatte den
Becher Pharao in feiner Hand/ und nahm die Beer und zutrucket ſie in
den Becher/ und gab den Becher Pharao in die Hand. Dem andern
traͤumet von drey weiſſen Koͤrben auff ſeinem Haupt/ und im oberſten
Korb allerhand gebackene Speiſe dem Pharao/ und die Voͤgel aſſen auß
dem Korb auff ſeinem Haupt. Dieſes waren ſomnia divina, Goͤttliche
Traͤume/ als welche ſie gantz hefftig afficirt, und ſchwermuͤhtig gemacht/
die/ wie von Gott dem H. Geiſt durch Joſephs Mund/ gedeutet/ (betref-
fend ſolche Raͤth und Gedancken/ die noch in Pharaonis Hertzen verſchloſ-
ſen geweſen.) Alſo auch von ihme eingegeben.


III. Somniorum interpretatio, die Deutung ſolcher Traͤume.
Dann da Joſeph ſie beſuchet/ und in Schwermuht angetroffen/ ſo unter-
fangt er ſich ihnen beeden auß dem Traum zu helffen/ und ſolche durch Goͤtt-
liche Erleuchtung zu offenbahren; Jenem weiſſaget er Gutes: Drey
Reben ſind drey Tage/ und uͤber drey Tage wird Pharao dein
Haupt erheben/ und dich wieder in dein Ampt ſtellen/ daß du
ihme den Becher in die Hand gebeſt/ nach der vorigen weiſe/ da
du ſein Schenck wareſt. Gen. 40, 12. 13. Dieſem aber Boͤſes: Drey
Koͤrbe ſeynd drey Tage/ und nach dreyen Tagen wird dir Pha-
rao dein Haupt erheben/ und dich an den Galgen hencken/ und
die Voͤgel werden dein Fleiſch von dir eſſen. v. 18. 19. Jſt alles
in eventu geſchehen und wahr worden.


Chriſti Leben und Wandel iſt der rechte Antitypus und Gegen-Bild.
Joſeph war ein lebendiger Spiegel Chriſti/ beydes im Stand ſeiner Ernie-
drigung und Erhoͤhung/ wie davon E. L. zu andern zeiten hoͤret/ ſonderlich
was dieſe Geſchicht anlanget/ am Stamm des Creutzes/ da wir auch drey
gefangene und gebundene Perſonen beyſamen ſehen/ zween ſchuldige und
ein unſchuldiger/ Chriſtus mitten unter zween Moͤrdern. Es traͤumet
beeden vom Teuffel/ wiewol bey einem obſcurius dunckler als bey dem an-
dern/ ihr Gewiſſen hat ihnen nichts Gutes predigen koͤnnen: Chriſtus
deutet ihnen den Traum/ dem einen zwar mit dieſen Worten: Heut
wirſt du mit mir im Paradiß ſeyn. Und gibt ex oppoſito und im
gegentheil zu verſtehen/ was dem andern begegnen werde. Wir koͤnnen
aber
[221]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
aber auch nicht ungereimt dieſe gantze Hiſtori deuten auff das Werck der
Abſolution und Schluͤſſel-Gewalt. Dann da finden ſich auch 1. dreyer-
ley gefangene Suͤnder/ Bußfertige/ Unbußfertige/ und dann das Predig-
Ampt gleichſam in der mitten/ wiewol mit dem Unterſcheid/ daß der Pre-
diger nicht unſchuldig/ wie Chriſtus. 2. Es finden ſich auch ſomnia con-
ſcientiæ,
wird das Gewiſſen reg/ ſchlaͤgt der Zorn GOttes unter Augen/ ſo
traͤumets dem Menſchen vom Teuffel/ er ſchmaͤcket Feur/ es wird ihme
wimpel/ angſt und bang. 3. Aber dem Predig-Ampt iſt der Loͤß- und Bind-
Schluͤſſel uͤbergeben/ damit ſollen ſie den Leuten auß dem Traum helffen/
und ſie verſichern/ wo ſie rechte Buße thun/ ſoll ihnen an der Seelen die
Suͤnde nicht ſchaden/ wo nicht/ ſo werden ſie des ewigen Todes ſterben.
Wie wir dann auch hievon fuͤr dißmahl zu reden und zu handlen. Gott
gebe ſeines H. Geiſtes Beyſtand um JEſu Chriſti willen. Amen!


GEliebte in Chriſto. Cui data clavis? Wem iſt dann der
Loͤß- und Bind-Schluͤſſel uͤbergeben und eingehaͤndi-
get? Hie ſindet ſich ein doppelte; aber widerwertige Antwort/
und zwar erſtlich auff Seiten der Papiſten/ deren Meinung kuͤrtzlich dahin
gehet/ es ſeye der Schluͤſſel-Gewalt offerirt und uͤbergeben worden


I. Petro, als einem Herꝛn/ Monarchen und allgemeinen Obrigkeitli-
chen Richter/ und zwar Petro allein/ den andern Apoſteln aber nicht. Fo-
rer. part. 3. Antiq. Papatus l. 7. c. 2. p.
666. ſchreibet davon alſo: Petro/
als dem Oberhaupt der Kirchen/ der uͤber andere Apoſtel gewe-
ſen/ ſeynd die Schluͤſſel allein und abſonderlich verſprochen
worden; den andern Apoſteln aber hat Chriſtus nicht geſagt/
Joh. 20/ 23. Euch gebe ich die Schluͤſſel/ ſondern/ welchen ihr
die Suͤnde vergebet/ ꝛc.Maldonatus in cap. 16. Matth. geſtehet
gern/ daß die andern Apoſtel auch den Schluͤſſel gehabt/ aber nicht dieſen
Schluͤſſel/ der Petro gegeben worden/ gleich wie in einem Hauß viel Schluͤſ-
ſel haben/ der Herꝛ aber allein hat alle/ auch zu den allergeheimſten Sachen/
mit welchen er/ wann er wil/ alſo zuſchlieſſet/ daß niemand auffthun kan.
Tanner. Tom. 4. diſp. 6. q. 10. dub. 1. ſchreibet: Es ſeye den andern
Apoſteln allein der Gebrauch der Schluͤſſel unter dem hoͤchſten
Schluͤſſel-Herꝛn Petro zugelaſſen. Seind lauter Martyria, Tor-
tu
ren und Noth-Zwaͤnge damit ſie dieſes Geheimnus vertraͤhen und
verkruͤmmen. Dann/ cui definitio competit, eidem \& definitum.
Wer einen Ordens-Mann beſchreibet von ſeiner Kutten und Kappen/ ob
er ihn gleich keinen Ordens-Mañ oder Jeſuiten nennet/ ſo bringets doch auff
E e iijdem
[222]Die Vierdte Predigt
dem Rucken mit ſich/ daß er einer ſeye: Alſo/ wann Chriſtus ſeinen Juͤn-
gern die Macht gibt zu loͤſen und zu binden/ Suͤnde zu vergeben und zu be-
halten/ eben damit gibt Er ihnen den Schluͤſſel-Gewalt/ das kan ein Kind
an den Fingern zaͤhlen; Daß ſie aber Petro eine Eminentz uͤber die andere
Apoſtel zuſchrelben/ und auß dieſen lauter dependenten machen/ dazu hat
ſchon laͤngſten Paulus der ἐλάχιςος, der kleineſte/ und gleichſam der Ben-
jamin unter den Apoſteln/ Nein geſagt: Jch ſolte von euch gelobet
werden/ ſintemal ich nichts weniger bin denn die hohen Apo-
ſtel. 2. Cor. 12/ 11. und 1. Cor. 12/ 28. GOtt hat geſetzt in der Ge-
meine auffs erſte die Apoſtel/ auffs ander die Propheten/ auffs
dritte die Lehrer/ darnach die Wunderthaͤter/ darnach die Ga-
ben geſund zu machen/ Helffer/ Regierer/ mancherley Spra-
chen. Da er alle gradus in einer ſchoͤnen Ordnung erzehlet/ aber von kei-
ner hoͤheren Gewalt weiß/ als der Apoſtoliſchen Gewalt/ die bey allen gleich
geweßt: waͤre ein hoͤhere Petro anvertrauet worden/ haͤtte er es nicht ver-
ſchwiegen/ auffs wenigſte nicht verſchweigen ſollen.


II. Ferner Petro und ſeinen Succeſſoribus auff dem Roͤmiſchen
Stuhl/ alle andere cathedras außgeſchloſſen/ davon Bellarm. l. 2. de Rom.
Pontif. c. 12. Quod Petri Succeſſor ſit Romanus Pontifex, facilè pro-
bari poteſt. Nullus enim eſt, nec fuit unquam, qui ſe Petri ſucceſſorem
ullo modo aſſeruerit, vel pro tali ſit habitus, præter Romanum \& An-
tiochenum Epiſcopum: Atqui Antiochenus non ſucceſſit Petro in Pon-
tificatu Eccleſiæ totius, nam non ſucceditur, niſi cedenti locum, vel per
mortem naturalem, vel per mortem legitimam, id eſt, depoſitionem vel
renunciationem; Petrus autem adhuc vivens, \& Pontificatum ad huc
gerens, Antiochenam Eccleſiam reliquit, \& Romæ ſedem ſuam fixit.
Reſtat igitur, ut Romanus Epiſcopus, qui Petro in Urbe Roma mori-
enti ſucceſſit, eidem in tota ipſius dignitate \& poteſtate ſucceſſerit.

Das iſt: Daß der Roͤmiſche Papſt ſeye des Petri Nachfolger/
kan daher leichtlich erwieſen werden. Dann es iſt keiner/ iſt auch
niemal keiner geweßt/ der ſich auff einige weiſe fuͤr Petri Nach-
folger außgegeben/ oder fuͤr einen ſolchen gehalten worden/ ohne
der Roͤmiſche und Antiocheniſche Biſchoff. Nun aber hat der
Antiocheniſche Biſchoff Petro im Paͤpſtlichen Gewalt uͤber
die gantze Kirch nicht ſuccedirt/ dann keiner kan in des andern
Stelle tretten/ es ſeye dann daß ſie der andere quittirt/ entweder
durch natuͤrlichen Tod/ oder durch rechtmaͤſſigen Tod das
iſt/ Abſetzung/ oder freywillige Auffgab und Abſagung. Nun
aber
[223]Vom Gewalt der Schluͤſſel
aber hat Petrus/ da er noch gelebet/ und ſein Papſts-Ampt
getragen/ die Antiocheniſche Kirch verlaſſen/ und zu Rom ſei-
nen Stuhl auffgerichtet. Jſt alſo klar/ daß der Roͤmiſche
Biſchoff/ der nach dem Tod Petri an ſeine Stelle gekommen/
auch zugleich ſeine Ehre und Gewalt geerbet. Tannerus part.
3. Theolog. ditpu [...] 1. q. 4. dub. 3. n.
147. faſſet die Sach in dieſen Syl-
logiſmum. Infallibilis Petri poteſtas \& auctoritas regendi univerſam
Eccleſiam fuit ordinaria, ac in Eccleſia permanens, adeoque non in
ſolo Petro, ſed \& in ejus poſt mortem legitimis ſucceſſoribus perpetuò
ad finem usque mundi perdurans. Sed nulli alii præter Rom. Pontifi-
ces fuerunt Petri poſt mortem ejus legitimi ſucceſſores. Ergò poteſtas
illa infallibilis Petri, regendi univerſam Eccleſiam, perdurat uſque ad
finem mundi in Pontificibus Romanis.
das iſt: Petri unfehlbare
Gewalt und Anſehen die gantze Kirch zu regieren iſt ordent-
lich und beſtaͤndig in der Kirch anzutreffen/ und dauret alſo
nicht nur in Petro/ ſondern auch in ſeinen rechtmaͤſſigen Nach-
folgern/ nach ſeinem Tod/ biß an das Ende der Welt. Nun
aber ſeind ohne die Roͤmiſche Paͤpſte keine andere Nachfolger
St. Petri. Derowegen dauret dieſe unfehlbare Gewalt/ die
gantze Kirche zu regieren/ biß ans Ende der Welt/ in der Roͤ-
miſchen Paͤpſten. Aber wo Siegel und Brieff? wo Teſtament und
Vermaͤchnuß? Was haben die Biſchoͤffe zu Antiochia Petro Leyds ge-
than/ daß er ſie nicht zu Succeſſoren geordnet? da doch bekantlich Petrus
zu Antiochia geweßt/ daſelbs Cathedram Epiſcopalem fundirt, Evo-
dium
und Ignatium ordinirt, wie Euſebius und Theodoretus bezeugen.
Ob er zu Rom einen Biſchoffs-Stuhl auff gerichtet/ iſt nicht offenbar/
noch auſſer allem Streit/ oder doch ſo wohl dort als hie. Warum ſoll der
Ort/ da Petrus geſtorben/ mehr Krafft haben/ als da er in ſeinem Leben ge-
weßt? Wie kommts/ daß/ ſo die Paͤpſte zu Rom Petri Stuhl-Erben
ſich ſchreiben/ keiner unter ihnen niemahl Petri Nahmen gebrauchet? da
doch Chriſtus beydes geſagt: Du biſt Petrus/ und dir will ich des
Himmelreichs Schluͤſſel geben. Geſchichts ex modeſtia, ſolten
ſie vielmehr ſich des Nahmens Mariæ entaͤuſſern/ als die eine groͤſſere
Heilige/ und in dero Nahmen ſie mehr myſteria ſuchen. Vielleicht ge-
ſchichts nicht ohne ſonderbare Goͤttliche Vorſehung/ daß/ weil keiner un-
ter ihnen Petri rechtmaͤſſiger Succeſſor und Schluͤſſel-Erb/ alſo auch kei-
ner ſeinen Nahmen trage.


III. Cha-
[224]Die Vierdte Predigt

III. Characteriſatis clericis, der geoͤlten und getraͤnckten Cle-
riſey. Die habe auch den Schluͤſſel/ aber dependenter vom Papſt/ wie
auch mit Vorbehalt etlicher Faͤlle/ die allein von dem Papſt koͤnnen dijudi-
cirt und entſchieden werden. Jene aber ſeyen in ihrem Schluͤſſel-Ampt
nicht nur Botten und Geſandten GOttes/ die die Verſoͤhnung anbieten
und verkuͤndigen/ præcones pacis \& veniæ, Ehrenholden des Goͤttlichen
Friedens/ und Vergebung der Suͤnden; ſondern gar Gewalthabende
Obrigkeitliche Richter/ denen in der Ohren-Beicht alles haar-klein muß
angezeiget werden/ daß ſie hernach ihren Richterlichen Außſpruch daruͤber
ergehen laſſen/ und die Straffen und Bußen aufflegen koͤnnen.


Die Schrifftmaͤßige Antwort auff die vorgelegte Frag/ Cui data
clavis?
Wem der Schluͤſſel-Gewalt eingehaͤndiget und uͤberant-
wortet ſeye? iſt dieſe: Quoad Jus ipſum, was die Gerechtigkeit anlan-
get/ der gantzen Gemeine und Kirche: Jſt zu erweiſen 1. auß den
Worten Chriſti Matth. 18/ 18. da Er redet mit dem gantzen Umſtand
ſeiner Juͤnger/ und ſagt: Warlich/ ich ſage euch: was ihr auff
Erden binden werdet/ ꝛc. Und abermal: So ſage es der Ge-
meine. Und ferner: Wo zween oder drey verſamlet ſeynd in
meinem Nahmen/ da bin ich mitten unter ihnen. Ey warum
dann nicht/ wann eine gantze Kirche bey einander verſamlet? 2. Ex offi-
cio Eccleſiæ,
die Kirche iſt GOttes Braut und Hauß-Ehre/ die muß auch
den Raub außtheilen. Jhr ſeynd alle Schaͤtze der Kirchen/ unter welchen
der Indulgentz- und Ablaß-Schatz der fuͤrnemſte iſt/ vertrauet 3. Ex Ec-
cleſiæ duratione,
die Apoſtel wuͤrden nicht allezeit leben. Nun ſolte der
Schluͤſſel-Gewalt biß ans Ende der Welt waͤhren/ derowegen ſo muß das
Jus, die Gerechtigkeit biß ans Ende der Welt bleiben. 4. Ex analogia Ec-
cleſiæ Vet. Teſtamenti,
auß der Gleichheit der Kirchen des A. Teſtaments/
mit der Kirchen des N. Teſtaments/ als welche an jener Stelle kommen:
So nun jener vertrauet iſt/ was GOtt geredet hat/ Rom. 3/ 2.
Deßgleichen ſo ihro gehoͤret die Kindſchafft und die Herꝛlichkeit/
und der Bund/ und das Geſetz/ und der Gottesdienſt/ und die
Verheiſſung. Rom. 9/ 4. Warum ſolte dann dieſe davon außge-
ſchloſſen ſeyn? Ja bey allen Societaͤten und Zuſammenkunfften iſt das Jus
der Gemeine/ die Verordnung aber bey gewiſſen Deputirten. Dahero
auch in privat-Jnjurien je ein Chriſt dem andern verzeihen kan und ſoll/
und was als dann auff Erden vergeben/ ſoll auch Krafft im Himmel haben.
Jch ſage/ in privat-Aergernuſſen. Ja auch in caſu extraordinario, wann
einer keinen Beicht-Vater haben koͤnte/ moͤchte auch wol ein privat-Chriſt
dem
[225]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
dem andern die Abſolution ſprechen. Denn wir alle/ die getauffet/ und
in Chriſtum einverleibet worden/ ſeind von Chriſto zu Prieſtern gemacht/
Apoc. 1, 6. Dieweil aber GOtt ein GOtt der Ordnung iſt/ und Ordnung
will gehalten haben/ ſo iſt ſolcher Gewalt ratione exercitii ordinarii, was
die ordentliche Verwaltung und Gebrauch anlanget/ von Chriſto gegeben/
wie Petro inſonderheit/ Matth. 16. alſo ſeinen Juͤngern und Apoſteln all-
hie allen ins gemein/ und einem jeden inſonderheit/ die Er auch dazu durch
die inſufflation, Anhauchung und Mittheilung des H. Geiſtes ordiniret
und beſtellet. Ob auch Thomas allhie ſey ordiniret/ und mit dem Geiſt be-
gnadiget worden/ als der dazumal nicht anweſend geweſen/ iſt auß Ver-
gleichung der Hiſtori Eldad und Medad leicht zu beantworren/ von denen
ſtehet Num. 11, 26. Es waren aber noch zween Maͤnner im Lager
blieben/ der eine hieß Eldad/ der andere Medad/ und der Geiſt
ruhete auff ihnen/ denn ſie waren auch angeſchrieben/ und
doch nicht hinauß gegangen zu den Huͤtten/ und ſie weiſſa-
geten im Lager.


Nicht allein aber den Juͤngern/ ſondern auch allen deroſelben Suc-
ceſſor
en; dann weil die Juͤnger nicht wuͤrden unſterblich ſeyn/ und in der
Kirche bleiben biß ans Ende der Welt/ ſo hat Gott Hirten und Lehrer ver-
ordnet/ Epheſ. 4/ 11. Denen hat Er eben ſo wol als jenen die Schluͤſſel an-
vertrauet/ als œconomis und Haußhaltern uͤber Gottes Geheim-
nuͤſſe/ 1. Cor. 4/ 1. als Legaten und Bottſchafften an GOttes
Statt/ 2. Cor. 5. und zwar als œconomis vocatis \& ordinatis, die per
χειροτονίαν καὶ χειροϑεσίαν, durch Hand-Aufflegung beruffen/ und alſo
ordentlich und rechtmaͤſſig geſand werden/ wie Chriſtus. Oeconomis or-
ganicis,
die nichts auß eigener richterlicher Gewalt/ wie im Papſtthum ge-
lernet wird/ ſondern als Diener verrichten/ gleichwol aber auch nicht als
bloße præcones und ſigna præſentiæ ex pacto, wie zwar die Zwinglianer
lehren/ ſondern vaſa electa, außerwehlte Ruͤſt-Zeug/ Act. 9/ 15. Diener und
Zeugen/ auffzuthun die Augen der Heyden/ zu bekehren von der
Finſternuß zu dem Liecht/ und von der Gewalt des Satans
zu GOtt/ zu empfahen Vergebung der Suͤnden/ Act. 26, 18.
Weil ich der Heyden Apoſtel bin/ will ich mein Ampt preiſen/
ob ich mochte die/ ſo mein Fleiſch ſind/ zu eyferen reitzen/ und
ihrer etliche ſelig machen. Rom. 11 14. Apollo und Paulus ſeind
Diener/ durch welche ihr glaubig worden ſeyd/ 1. Cor. 3/ 5. Ge-
baͤhrende Muͤtter/ biß daß Chriſtus eine Geſtalt gewinne/ Gal. 4, 19.
Zehender Theil. F fDu
[226]Die Vierdte Predigt
Du wirſt dich ſelbs ſelig machen/ und die dich hoͤren. 1. Tim. 4/ 16.
Oeconomis diſcretis, die da wiſſen ein jedes einem jeden zu geben/ zu rech-
ter Zeit/ im Nahmen Chriſti/ das iſt/ nach ſeinem Befehl/ ἄνευ προπετείας
καὶ προκρίματ [...]ς, ohne eigen Gutduͤnckel/ und nicht nach Gunſt/
1. Tim. 5/ 21. Sonſt gibts claves etrantes, Fehl-Schluͤſſel/ ſol untur ex-
communicandi, excommunicantur ſolvendi.
Die unbußfertige wer-
den abſolvirt/ und von Suͤnden entbunden/ die Bußfertige
werden in Bann gethan. Luth. Tom. 5. p. 222. Oeconomis æquali
poteſtate præditis,
da der geringſte Caplan ſoviel thun kan/ als der hoͤchſte
Prælat; Sintemal Chriſtus allhie den geringſten Unterſcheid nicht ge-
macht; So hat die Abſolution ſo wenig ihre Krafft von dem Diener/ als
ein Koͤnigliches Mandat von der Feder des Schreibers. Hoc erant \&
cæteri Apoſtoli, quod fuit \& Petrus, pari conſortio præditi, \& hono-
ris \& poteſtatis. Cyprian. de ſimplic. prælat. p. m.
248. das iſt: Die
andere Apoſtel ſeynd eben geweßt was Petrus auch/ wie in glei-
cher Geſellſchafft/ alſo auch mit gleicher Ehre und Gewalt
begabt.


Wir/ meine Liebſten/ unſers orts/ 1. Miramur φιλανϑρωπίαν, ver-
wundern uns uͤber die ſonderbare Freundlichkeit und Leutſeligkeit unſers
Gottes/ auch hierinn erwieſen/ daß Er den Menſchen Gewalt gegeben/ Men-
ſchen zu loͤſen/ und zum Himmelreich einzulaſſen/ daß Er Himmels-Port-
ner auß ihnen gemacht/ gleich wie dorten auch geſchehen/ Matth. 9/ 8. Da
das Volck das ſahe/ verwunderte es ſich/ und preiſete GOtt/
der ſolche Macht den Menſchen gegeben hat. Engel und Cheru-
bim haben ſich fuͤr das Paradiß gelaͤgert/ wir ſeynd excluſiſſimi, Bandi-
ten/ unſere Suͤnden ſeynd die Himmels-Riegel und das Mahlſchloß:
Aber hie poteſtas angelica major contra gladium cherubicum, groͤſſere
als Engels-Gewalt/ die das Cherubs-Schwerdt zuruͤck treibet/ Menſchen
thun das Paradiß auff/ und fuͤhren zum Baum des Lebens. Hoc ſtu-
pendum.
Wer iſt/ der ſich daruͤber nicht entſetzen muß?


II. Laudamus grati, wir preiſen den lieben Gott/ der uns auß dem
Roͤmiſchen Dienſt-Hauß und der Seelen Tortur außgefuͤhret hat/ da er
uns/ die wir zuvor fremde Sprach hoͤren muͤßten/ nicht nur die Latiniſche/
ſondern auch die nicht bibliſche/ Pſalm. 81. wiederum ſein eigen Goͤttliches
Vater-Wort hat hoͤren laſſen; Unſere Schultern der Laſt entlediget/ und
unſere Haͤnde der Toͤpffen/ der Weyh-Keſſel und anderer Fron-Dienſte
loß worden. Darum ſinget froͤlich Gott/ der unſere Staͤrcke iſt/ jauch-
tzet dem Gott Jacob.


III. Opta-
[227]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

III. Optamus idem Evangelium adhuc inconverſis, wir wuͤnſchen/
daß dieſes Evangelium geprediget werde/ auch denen/ die noch in der Jrre
gehen/ und in der Finſtere tappen; Bey den Clavigeris im Papſtthum iſt
zwar wenig zu hoffen/ wie Hercules ſeine Keule/ ſo behalten ſie ihre Schluͤſ-
ſel/ ſie ſtopffen ihre Ohren zu/ wie die Schlangen: Aber unſern Dienſt-
botten/ Knechten und Maͤgden wuͤnſchen wir ſolche Freyheit/ wann ſie nur
wolten unſere Predigten hoͤren. Jhre eigene Beicht-Vaͤtter koͤnnen es
ihnen nicht verbieten.


IV. Deſideramus conjunctionem, wir tragen Verlangen/ daß dieſe
zween Schluͤſſel moͤchten vereiniget werden! wuͤrde das geſchehen/ wieviel
Laſter und Untugenden/ wieviel Seelen-moͤrderiſche Aergernuͤſſen wuͤr-
den vermitten bleiben und unterlaſſen werden/ zum beſten der armen See-
len. Wieviel ſitzen und ſchwitzen in der Hoͤllen/ die hie nicht ſchamroth
worden/ und nun mit unaußdencklichen Schmertzen feur-roth ſeynd/ und
bleiben muͤſſen in Ewigkeit.


V. Hortamur, wir ermahnen Junge/ geſchwulſtige und Schluͤſſel-
ſuͤchtige Prediger/ und Studioſos Theologiæ, die um des Hauß-Schluͤſ-
ſels willen den Kirchen-Schluͤſſel ſuchen/ ehe ſie den Schluͤſſel rechter
Wiſſenſchafft erlanget/ die durch allerhand Practiken/ um der Pfrund wil-
len ſich einbettlen/ einkauffen/ eintringen/ einheucheln/ und die Promotion
ſuchen/ wie jener Abt/ der den Schluͤſſel zum Kloſter geſucht. Daß ſie nicht
Bauch-ſondern Beicht-Vaͤtter/ nicht Meel-ſondern Seelſorger ſeyen/ daß
ſie darmit nicht ſchertzen/ den Schluͤſſel auff die leichte Achſel nehmen. Es
iſt candens ferrum, ein gluͤendes Eyſen/ daran man nicht nur die Finger/
ſondern Leib und Seel verbrennen kan. Mancher koͤnte ſeiner Suͤnden
halben/ d. i. ungehindert ſeiner Suͤnden/ ſelig werden/ der um fremder
Suͤnden willen neben den Himmel hin ſpatzieren muß. Non temerè di-
co
(ſaget Chryſoſt. homil. 3. in Acta.) ſed ut affectus ſum aſſentio, non
arbitror inter Sacerdotes multos eſſe, qui ſalvi fiant, ſed muitò plures,
qui pereant.
Das iſt: Jch ſage es rund herauß/ ich halte darfuͤr/
es werden mehr Prediger verdampt/ als ſelig.


VI. Dehortamur, wir warnen die Zuhoͤrer/ daß ſie ſolche Goͤttliche
Ordnung nicht verachten/ dann ob ſchon wahr/ daß/ wer ſeine Suͤnde be-
reuet/ und glaubet/ ſchon fuͤr GOtt abſolviert/ ſo hilfft doch die aͤuſſerliche
confirmation, Firmung und Beſtaͤttigung/ Verſiegelung und offentliche
Verkuͤndigung uͤber alle maſſen viel/ gleich wie in einem Doctoratu die of-
fentliche Solennitaͤt und renunciation, wie in einer Kayſerlichen oder Koͤ-
niglichen Kroͤnung/ die offentliche Inveſtitur. Daß ſich auch niemend
F f ijaͤrgere
[228]Die Vierdte Predigt
aͤrgere und gedencke/ unſere Prediger ſeyen nicht recht ordiniret/ denn ſie ha-
ben ihren Orden von Luthero/ Lutherus vom Papſtthum/ maſſen Johan-
nes der Taͤuffer die Subſtantz des prieſterlichen Ampts gehabt von ſeinen
Vorfahren/ denen Gott der Herr das Urtheil geſprochen/ Oſe. 2/ 2.
Sprecht das Urtheil uͤber euere Mutter/ ſie ſeye nicht mein
Weib/ und ich will ſie nicht haben. Doch war ſein Ampt juſt und
gut. Es wollen ja die Benedictiner der alten Benedictiner Nachkommen
ſeyn/ wann ſchon Ketzer unter deſſen eingeniſtet: Alſo dependiren wir
auch von Paulo und Auguſtino, obſchon unter deſſen Woͤlffe graſſiret ha-
ben. Daß ſie ſich nicht aͤrgern an ihren Schwachheiten. Es haben auch
die Auſſaͤtzige das Evangelium zu Samaria geprediget/ 2. Reg. 7, 9. 10.
Wann der Gartenmann pflantzet/ ligt nichts daran/ ob er es mit ſauberen
oder unflaͤthigen Haͤnden thut.


VII. Solamur, wir troͤſten uns wider das boͤſe Gewiſſen/ und deſſen
hartes Zeugnuß/ das von Tod/ Hoͤll und Verdamnuß prediget/ ja wider
die paralogiſmos deſſen: Die Suͤnde iſt groͤſſer/ als daß ſie kan vergeben
werden/ Ergò und darum verzweiffle/ du biſt zum ewigen Tod verdamt.
Dem entgegen haben wir es zu weiſen auff den Loͤß-Schluͤſſel/ hîc clavis!
Hie/ Teuffel/ iſt ein Schluͤſſel/ der iſt dir ein Dorn in den Augen. Wie
mit frohem und freudigem Hertzen dort jener Gichtbruͤchtige/ Matth. 9.
auß dem Munde Chriſti die Wort gehoͤret: Sey getroſt mein Sohn/
deine Suͤnde ſind dir vergeben. Eben eine ſolche Freude ſoll bey
uns entſtehen/ wann wir auß dem Munde des Predigers diß Evangelium
hoͤren: So verkuͤndige ich euch allen Vergebung euerer Suͤn-
den hie auff Erden/ daß ihr deren auch im Himmel ſolt loß ſeyn
in Ewigkeit. So freudig der Schenck geweſen/ Gen. 40. da ihme der
Traum nach Wunſch gedeutet war/ in bona ſpe, und guter Hofnung.
So freudig auch wir/ wann uns wil vom Feur des Zorns GOttes traͤu-
men/ wann die deliquia fidei kommen/ wann das Hertz verdammet.
Hie darwider ein unbetriegliches Zeugnuß auff Erden/ wir doͤrffen nicht
in den Himmel gaffen. Hie alle Suͤnde vergeben werden. Nach dem
Wort wil Chriſtus unſer Haupt erhoͤhen/ daß wir fuͤr ihm dem Himmels-
Koͤnig ſollen ſtehen immer und ewiglich. Das helff uns allen
der Vater Chriſti JEſu im H. Geiſt.


AMEN.


Die
[229]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

Die Fuͤnffte Predigt.
Vom
Loͤß-Schluͤſſel.


GEliebte in Chriſto. Wir leſen Act. 12. von einer wun-
derbaten und denckwuͤrdigen Erloͤſung/ ſo St. Petro wi-
derfahren/ als er von Herode Agrippa in Verhafft gezogen
und gefaͤnglich angehalten worden. Der Evangeliſt Lu-
cas beſchreibet


I. Captivitatis tyrannidem, die ſchroͤckliche und
grauſame Hafft. Er legt ihn ins Gefaͤngnuß/ und zwar/ wie ver-
muhtlich/ nicht in das gemeine burgerliche/ ſondern/ dieweil er ihn gedacht
nach Oſtern dem Volck zu ihrem Muthwillen fuͤrzuſtellen und zu toͤdten/
in das rechte barathrum, in den Diebs-Thurn/ oder Hexen-Keffig/ und
und wie etliche wollen/ warens eben die tenebræ exteriores, und aͤuſſerſte
Finſternuß/ darauff Chriſtus deutet in der Parabel. War ein Kercker vor
der Stadt und der Ringmaur/ nicht weit von der Schaͤdelſtatt gelegen;
dieweil er tieff und finſter/ hinc tenebræ exteriores daher entſtunde das
aͤuſſerſte Finſternuß; dieweil da nichts anders als Todes-Furcht und
Schande zu befahren/ ſo war da heulen/ und weil es feucht und kalt unter
der Erden/ ſo war da Zaͤnklappern. Das war nun noch nicht gnug/ ſon-
dern es kam noch darzu die ſtarcke Hafft/ daß er ihn verwahren und uͤberant-
worten laſſen vier viertheilen Kriegs-Knechten/ das iſt/ ihrer ſechzehen/ de-
ren je ein Theil um das andere Schildwacht gehalten/ damit er nicht entrin-
nete: Ja/ wie Chryſoſt. vermuthet/ hom 9. in cap. 2. Matth. waren die
zween Kriegs-Knechte/ unter denen er mit zwo Ketten gebunden gelegen/
zugleich mit angebunden/ alles zu dem Ende/ damit er nicht außreiſſe/ wie
zuvor mehrmahlen geſchehen. Act. 5.


II. Eccleſiæ ſolicitudinem, was die glaubige Gemeinde unter
deſſen bey der Sache gethan? Petrus war zwar im Gefaͤngnuß ge-
halten/ aber die Gemeinde/ ſonderlich die in dem Hauß Marci/ da ihrer viel
beyſammen waren/ bettet ohn auffhoͤren fuͤr ihn zu Gttt/ προσευχὴ [...]
ἐκτενὴς, es war ein gemeines und bruͤnſt-eyfferiges Gebet/ daß ihnen Gott
Petrum wieder ſchencken wolte. Was erlangen ſie damit? Wunder-
Hilff/ dann da hats geheiſſen: Wo zween unter euch eins werden
auff Erden/ warum es iſt/ daß ſie bitten wollen/ das ſoll ihnen
F f iijwider-
[230]Die Fuͤnffte Predigt
widerfahren von meinem Vater im Himmel. Matth. 18/ 19.
Es erfolgte darauff


III. Solutio miraculoſa, eine wunderſame Erloͤſung. Als
Petrus/ der ein gutes Gewiſſen hatte/ geſchlaffen/ kam der Engel des
Herrn/ ein himmliſcher Legat und Raths-Bott/ und ein Liecht ſchien in
dem Gemach/ der wecket ihn auff/ ſchlug ihn an die Seiten/ und ſprach:
Stehe behends auff/ guͤrte dich/ thue deine Schuh an/ wirff
deinen Mantel um dich/ und folge mir nach/ worauff die Ketten
von ſeinen Haͤnden fielen/ die aͤuſſere Thuͤr/ die zur Stadt fuͤhret/ thaͤt ſich
von ihr ſelber auff.


IV. Solutionis effectus, was auff dieſe Entbindung erfolget?
Freyer Paß/ er gehet durch die erſte und andere Hut/ kommt ſicher fuͤr das
Hauß Mariæ/ der Mutter Johannis/ der mit dem Zunahmen Marcus
hieß und klopffet an: da erzeiget ſich groſſe Freude/ ihm war eben/ als traͤu-
mete ihm von groſſer Freude und Freyheit/ es dauchte ihn/ er ſehe ein Ge-
ſicht/ biß er endlich ſeine Freyheit geſpuͤhret/ da er zu ſich ſelbs kam/ ſprach
er: Nun weiß ich warhafftig/ daß der HErꝛ ſeinen Engel ge-
ſand hat/ und mich errettet auß der Hand Herodis/ und von al-
lem Warten des Juͤdiſchen Volcks. Freude entſtund im gantzen
Hauße/ fuͤr groſſer Freude kunte die Magd Rode die Thuͤr nicht auffthun/
die Leute im Hauß meyneten/ die Magd waͤre unſinig/ oder es ſeye Petri
ſein Engel.


Was nun dazumal geſchehen/ geſchicht noch heutiges Tages geiſtli-
cher und unſichbarer weiſe bey allen armen/ bußfertigen und glaubigen
Suͤndern/ die ligen in Hafften des reats und Straff-Pflicht/ zum finſtern
Schuld-Thurn verdamt/ da iſt Forcht des Todes/ heulen und Zaͤhnklap-
pern/ ſie ſeynd gleichſam an die Hoͤlliſche Waͤchter angeſchmidet/ und ge-
hen in den Stricken des Satans/ der gute achtung auff ſie gibt. So feſt
hat Herodes Petrum nicht gefeſſelt/ noch feſter jene der ſtarck-gewapnete
Satan/ verſtuͤnde ein Suͤnden-Knecht ſeinen Jammer/ er wuͤrde win-
ſeln und heulen/ dem Teuffel ich gefangen lag/ ꝛc. Aber Chriſto
dem Herrn ſey ewiges Lob und Danck/ der auch unſere Litany erhoͤret/
Er wolle alle Jrrige und Verfuͤhrte wiederbringen/ daß die ſymphonia
durch die Wolcken dringet/ und den Loͤß-Schluͤſſel erzwinget. Er laßt ſei-
nen Engel erſcheinen/ das Predig-Ampt/ Apoc. 1. der muß blitzen/ ſtrahlen/
und Liecht machen durchs Geſetz/ und den Schlaffenden auffwecken. Er
laßt das Evangelium der Freyheit verkuͤndigen/ nicht nur verkuͤndigen/ ſon-
dern auch Krafft des Loͤß-Schluͤſſels appliciren und zueignen/ daß alle
com-
[231]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
compedes und ligamina, Feſſel und Banden von der Seiten des bußfer-
tigen Suͤnders fallen/ wie von Petri Haͤnden und Fuͤſſen. Darauff
dann entſtehet Freude uͤber alle Freude/ Freude im Hertzen des armen
Suͤnders/ Freude im Himmel fuͤr den Englen GOttes/ und der gantzen
triumphierenden Kirchen. Scheinet zwar fuͤr unſern Augen gering/ iſt
aber an ſich ſelbs ein groß und herꝛliches Werck/ dann was iſt die Abſolu-
tion anders/ als eine geiſtliche Aufferweckung und Erleuchtung? Wir
haben heut acht tag durch GOttes Gnad erwogen/ wem die Schluͤſſel an-
vertrauet und gleichſam an die Seiten gehaͤnget. Nun folget in richtiger
Ordnung/ daß wir die Schluͤſſel ſelbs/ einen nach dem andern beſchauen
und erwegen/ und zwar zu allervorderſt den Loͤß-Schluͤſſel/ verfaßt in denen
Worten: Was ihr auff Erden loͤſen werdet/ ſoll auch im Him-
mel loß ſeyn. Hievon zu reden zu GOttes Ehre/ und Troſt aller blo[ſſ]en
Gewiſſen/ wolle Chriſtus JEſus uns mildiglich erſcheinen mit der Krafft
auß der Hoͤhe. Amen!


GEliebte in Chriſto. Der gantze actus oder das Werck der
Abſolution/ ſo in dem Wort λύσις καὶ ἄφεσις ſtehet/ begreifft in ſich
unterſchiedliche actus und Handlungen. Der erſte actus heiſſet
I. Λύτρου annunciatio, die Verkuͤndigung der Rantzion und
Loͤß-Gelds. Wie mich mein Vater geſandt hat/ ſpricht Chri-
ſtus/ ſo ſende ich euch auch. Nun aber hat ihn der Geiſt des Herrn/
laut ſeiner eigenen Wort/ geſandt/ zu verkuͤndigen das Evangelium
den Armen/ zu heylen die zerſtoſſene Hertzen/ zu predigen den
Gefangenen/ daß ſie loß ſeyn ſollen. Luc. 4/ 18. Alſo hat auch Chri-
ſtus mit dieſer Inſtruction ſeine Juͤnger außgeſandt. Soll einem armen
Suͤnder das Leben geſchencket werden/ ſo muß ihm daſſelbe auch verkuͤn-
diget/ und das λύτρον oder Loͤß-Geld angezeiget werden/ dadurch ihm das
Leben geſchencket wird. Soll ein armer Sclav in der Tuͤrckey auß ſeiner
Gefangenſchafft/ Feſſel und Banden erloͤſet/ und auff freyen Fuß geſtellet
werden/ ſo muß man ihm auch ſagen/ dieſer oder jener Herꝛ wolle die Ran-
tzion fuͤr ihn erlegen/ er ſoll ſie annehmen/ und ſein Leben damit erkauffen.
Daſſelbe nun iſt nichts anders/ als das Wort des Evangelij/ darinnen
uns vermeldet wird/ welcher maſſen unſer Goel und Bluts-Freund Chri-
ſtus Jeſus/ alle Menſchen mit ſeinem Blut rantzioniret und erloͤſet von der
Dienſtbarkeit der Suͤnde/ und zur Kindſchafft GOttes gezogen. Dahin
dann gehoͤren alle die Evangeliſche Spruͤche/ wann der Prediger ſagt:
So hoͤret nun an den Troſt des H. Evangelij: Alſo ſpricht Chriſtus Matth.
20/ 28.
[232]Die Fuͤnffte Predigt
20/ 28. Des Menſchen Sohn iſt nicht kommen/ daß Er ihm
dienen laſſe/ ſondern daß er diene/ und gebe ſein Leben zu einer
Erloͤſung fuͤr viele. Alſo ſchreibet St. Paulus Rom. 3/ 24. Wir
werden ohne Verdienſt gerecht/ auß der Gnade GOttes/ durch
die Erloͤſung/ ſo durch Jeſum Chriſtum geſchehen iſt/ welchen
Gott hat fuͤrgeſtellet zu einem Gnaden-Stuhl/ durch den Glau-
ben in ſeinem Blut. 1. Johan. 1/ 8. Das Blut Jeſu Chriſti des
Sohns GOttes macht uns rein von allen Suͤnden. 1. Petr. 1,
18. Jhr ſeyd nicht mit vergaͤnglichem Silber oder Gold erloͤſet/
ſondern mit dem theuren Blut Chriſti/ als eines unſchuldigen
und unbefleckten Lamms. Das iſt die Verkuͤndigung/ aber dabey
bleibt es nicht/ es kommt dazu


II. Λύτρου individualis applicatio, die abſonderliche Zueig-
nung des Loͤß-Gelds. Welchen ihr die Suͤnde verziehet/ ſaget
Chriſtus. Derowegen muß die Zueignung auff einen jeden in ſeiner ey-
genen perſon gehen. Wann der Raths-Bott einem Maleficanten die Er-
loͤſung intimirt, und anzeiget/ ſo folget darauff die admotio clavis, daß der
Thurn-Huͤter den Schluͤſſel in das Mahlſchloß hineinthut/ und auffſchlieſ-
ſet/ gleichſam Hand anleget/ und den Gefangenen herauß fuͤhret. Alſo
auch/ wann der Prediger ſpricht: So verkuͤndige ich euch/ als ein
ordentlicher Kirchendiener/ Vergebung aller euerer Suͤnden
hie auff Erden/ ſo iſt es nicht nur zuverſtehen declarativè, und auff ſol-
che weiſe/ wie der Prieſter im Alten Teſtament die jenige/ die vom Außſatz
rein geweßt/ rein geſprochen/ ſondern de reali \& diaconicâ ſolutione, von
einer wuͤrcklichen/ thaͤtlichen/ dienſtlichen Auffloͤſung. Zu gleicher weiſe/
wie die Apoſtel mit ihrer Hand/ Stimme und Worten wuͤrcklich Wunder
gethan/ Marc. 16/ 17. Jn meinem Namen werden ſie Teuffel
außtreiben/ Schlangen vertreiben. Auff die Krancken wer-
den ſie die Haͤnde legen/ ſo wirds beſſer mit ihnen werden. Act.
3, 6. Petrus ſprach (zum Lahmen fuͤr des Tempels Thuͤr) im Nah-
men JEſu Chriſti von Nazareth ſtehe auff und wandele/ und
griff ihn bey der Hand/ und richtet ihn auff. Act. 9, 40. Da
Petrus ſie alle hinauß getrieben hatte/ kniet er nider/ bettet/
und wandte ſich zu dem Leichnam/ und ſprach: Tabea ſtehe
auff. Act. 14, 9. 10 Paulus ſahe ihn an/ und ſprach mit lauter
Stimme/ ſtehe auffrichtig auff deine Fuͤſſe/ und er ſprang auff
und wandelte. Und wie das Predig-Ampt warhafftig wuͤrcket per
eleva-
[233]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
elevationem inſtrumenti à cauſa principali, durch Erhebung des Werck-
zeugs von der Haupt-Urſach/ daher Paulus ein Ruͤſtzeug genennet wird
Act. 9, 15. confer. c. 26, 18. Rom. 11, 14. 1. Cor. 3, 5. Gal. 4, 19. 1.
Tim.
4, 16. ſo verhalt es ſich auch hie in der Abſolution.


III. Λύσις καὶ ἄφεσις, die Loͤſung und Vergebung. Wird ver-
glichen mit der Loͤſung des Bandes einer Kranckheit. Luc. 13, 10. kommet
fuͤr den Herrn ein Weib/ das hatte einen Geiſt der Kranckheit/ wol 18.
Jahr/ war krumm/ kunte nicht wol auffſtehen/ und wie Chriſtus redet/
hatte ſie der Satan gebunden mit dem Band der Kranckheit/ aber ſo bald
der Herr ſagt: Sey loß von deiner Kranckheit/ und die Hand
auff ſie leget/ alſobald richtet ſie ſich auff/ und preiſete Gott. Mit der
Erloͤſung Petri auß ſeinem Kercker/ Banden/ Hafft und Ketten;
Wann unſere Augen erleuchtet wuͤrden/ wuͤrden wir alſobald ſehen und
gewahr werden/ wie die Suͤnden-Ketten abfallen und der Satan ſich
trollen muß. Ja wir ſehen es augenſcheinlich an den Unholden und
Hexenmeiſtern/ ſo ſtarck iſt die Obrigkeitliche Hand und Hafftung nicht/
der Satan kom̃t in den Thurn/ und unterſtehet ſich ſie herauß zu fuͤhren/
wie vor etlichen Jahren auch ein Exempel ſich allhie begeben/ aber ſo bald
auff rechtſchaffene Buß der Loͤß-Schluͤſſel adhibirt und gebrauchet wird/
ſo trollet er ſich.


IV. Effecta, die herꝛliche Wuͤrckung/ Krafft und Nutzbar-
keit/ ſo herauß flieſſet/ und daher entſpringet/ iſt die Erloͤſung auß der
Dienſtbarkeit des Teuffels/ und Verſetzung in einen geiſtlichen Frey- und
Herꝛn-Stand/ beſtehend in der Freyheit von der Straff-Pflicht. Rom.
8, 1. So iſt nun nichts verdammliches an allen denen/ die da
ſeind in JEſu Chriſto. Von der Herꝛſchafft der Suͤnden/ Rom. 6,
11. Haltet euch dafuͤr/ daß ihr der Suͤnden abgeſtorben ſeyd/ und
lebet GOtt in Chriſto JEſu unſerm HErꝛn. Und v. 14. Die
Suͤnde wird nicht herꝛſchen koͤnnen uͤber euch/ ſintemal ihr
nicht unter dem Geſaͤtze ſeyd/ ſondern unter der Gnade. v. 18.
Denn nun ihr frey worden ſeyd von der Suͤnde/ ſeyd ihr
Knechte worden der Gerechtigkeit. Von der Forcht des boͤſen Ge-
wiſſens. Davon Zacharias in ſeinem Lob-Geſang ruͤhmet/ Luc. 1, 74. Er
hat uns erloͤſet auß der Hand unſerer Feinde/ daß wir ihm die-
neten ohne Forcht unſer Lebenlang. Summa/ die Verſetzung auß
dem Stand der Suͤnden in den Stand der Gerechtigkeit; auß dem
Dienſt des Teuffels in den Dienſt Chriſti; auß dem Gefaͤngnuß in das
Zehender Theil. G gReich
[234]Die Fuͤnffte Predigt
Reich GOttes; auß den Feſſeln in die Freyheit; auß der Hoͤlle in den
Himmel. Jſt wol der allergluͤckſeligſte Stand/ ein rechter Herꝛn-Stand/
und Triumph uͤber alle/ die uns gefangen hielten/ denn wen der Sohn
GOttes frey machet/ der iſt recht frey. Joh. 8, 36. Ja er wird
allererſt recht frey ſeyn im ewigen Leben/ hie tragen wir noch den Fron-
Vogt im Bußen/ den Diebs-Strick am Hals. Ex parte libertas eſt,
ex parte ſervitus, nondum tota, nondum pura, nondum plena libertas,
quia nondum plena æternitas. Auguſtin. tract. 41. in Johann.
Das
iſt: Es iſt hie halb Freyheit/ halb Dienſtbarkeit. Wir haben
keine gantze/ keine reine/ keine vollkommene Freyheit/ weil hie
noch nicht die voͤllige Ewigkeit. Wir haben Jus ad rem, den An-
ſpruch/ den Zutritt/ nondum Jus in re, aber noch nicht den vollkommenen
Genuß/ daher wir noch muͤſſen ſeufftzen/ klagen und ſagen:


Von allem Ubel uns erloͤß/

Es ſeind die Zeit und Tage boͤß/

Erloͤß uns von dem ewigen Tod.

Auß dieſem Effect der Befreyung folget ein anderer/ der da heiſſet
Ornatus, ein ſchoͤner Schmuck und Zierde. Als Pharao den ge-
fangenen Joſeph auß dem Thurn und Kercker herauß gelaſſen/ und auff
freyen Fuß geſtellet/ ſo that er ſeinen Ring von ſeiner Hand/ und
gab ihn Joſeph an ſeine Hand/ und kleidet ihn mit weiſſer
Seiden/ und hieng ihm eine guldene Kette an ſeinen Hals.
Gen. 41, 42. Alſo ſchmuͤcket Gott ſeine libertos und frey gelaſſene
auch: Das weiſſe ſeidene Kleid iſt die zugerechnete Gerechtigkeit JEſu
Chriſti/ die iſt das Kleid des Heyls/ und der Rock der Gerechtig-
keit. Eſa. 61, 11. Das beſte Kleid/ das der Vater in der Parabel ſei-
nem verlohrnen Sohn anlegen laſſen/ Luc. 15, 22. Der Ring iſt der H.
Geiſt/ die arrha und Pfand unſers Erbs/ die guldene Kette iſt der gul-
dene Spruch Pauli: Nun wir ſeynd gerecht worden durch den
Glauben/ ſo haben wir Frieden mit GOtt/ durch unſern
HErꝛn JEſum Chriſt/ durch welchen wir auch einen Zutritt
haben im Glauben zu dieſer Gnade/ darinnen wir ſtehen/ und
ruͤhmen uns der Hoffnung der zukuͤnfftigen Herꝛligkeit/ die
GOtt geben ſoll. Nicht allein aber das/ ſondern wir ruͤhmen
uns auch der Truͤbſalen/ dieweil wir wiſſen/ daß Truͤbſal Ge-
dult bringet/ Gedult aber bringet Erfahrung/ Erfahrung
bringet
[235]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
bringet Hoffnung/ Hoffnung aber laßt nicht zu Schanden
werden. Denn die Liebe Gottes iſt außgegoſſen in unſer Hertz/
durch den H. Geiſt/ welcher uns gegeben iſt. Rom. 5, 1, 2, 3. 4. 5.
Die Gleych an dieſer guldenen Kette ſeynd/ Friede mit GOtt/ der Zugang
zur Gnade/ die Hoffnung der kuͤnfftigen Herꝛlichkeit/ der Ruhm der Truͤb-
ſalen/ das Kleynod iſt das liebe Creutz/ haͤnget auch an einem kleinen
Kettlein. Kom̃t alles von der auß gegoſſenen Liebe GOttes.


Jſt alſo der Loͤß-Schluͤſſel ein ſolcher von dem dreyeinigen Gott ein-
geſetzter Dienſt und Kirchen-Gewalt/ krafft welches ein beruffener Die-
ner/ dem armen in Suͤnden gefangenen/ aber ſeine Suͤnde erkennenden
Suͤnder/ das λύτρον und Loͤß-Geld verkuͤndiget/ in individuo appliciret/
und alſo wuͤrcklich entbindet/ ihne in den Stand der vorigen Freyheit ſetzet/
croͤnet ihn mit geiſtlicher Freyheit/ Freud und Gaben der Erneurung.
Jſt 1. Clavis miraculoſa, ein Wunder-Schluͤſſel. Majus eſt mi-
raculum,
(ſchreibet Gregor, M. l. 3. dial. c. 17.) prædicationis verbo \&
orationis ſolatio peccatorem convertere, quàm carne mortuum reſuſci-
tare,
Das iſt: Es iſt ein groͤſſeres Wunder/ durch das gepre-
digte Wort/ Gebett und Troſt einen Suͤnder bekehren/ als ei-
nen leiblich geſtorbenen von den Todten aufferwecken. Die
Papiſten begehren Wunder von uns/ wir weiſen ſie aber fuͤr den Beicht-
Stuhl/ gehet hin/ und ſaget andern/ was ihr ſehet und hoͤret/ die (geiſtlich)
Blinden ſehen/ die Lahmen gehen/ die Auſſaͤtzigen werden rein/ und die
Todten ſtehen auff/ und den Armen wird das Evangelium geprediget.
2. Clavis exorciſtica, der rechte Teuffels-Banner/ das rechte geiſt-
liche Antimonium, ja vielmehr Antidæmonium, leibliche Wehr und
Waffen ſeynd viel zu ſchwach/ Job. 40, 13. Seine Knochen ſeynd wie
feſt Ertz/ ſeine Geheine ſeynd wie eiſerne Staͤbe. c. 41, 18. Er
achtet Eiſen wie Stroh/ und Ertz wie faul Holtz. Kein Pfeil
wird ihn verjagen/ die Schleuder-Stein ſeind ihm wie Stop-
peln. Den Hammer achtet er wie Stoppeln/ er ſpottet der
bebenden Lantzen. Der vermummete Engel Raphael zwar gibt dem
Jungen Tobias einen guten Rath/ wie man den Aſmodeum vertreiben
koͤnne/ Tob. 6, v. 9. Wenn du ein Stuͤcklein vom Hertzen (des
Fiſches) legeſt auff gluͤhende Kohlen/ ſo vertreibet ſolcher Rauch
allerley boͤſe Geſpenſt von Mann und von Frauen/ alſo daß ſie
nicht mehr ſchaden koͤnnen, und v. 20. Dieſelbige Nacht/ wann
du wirſt die Leber vom Fiſch auff die gluͤende Kohlen legen/ ſo
G g ijwird
[236]Die Fuͤnffte Predigt
wird der Teuffel vertrieben werden. Aber wie ſoll der den Rauch
foͤrchten/ der das Eiſen nicht foͤrchtet? die Wurtzel Baaras, deren Joſe-
phus gedencket/ lib. 7. bell. Jud. c. 23. thuts auch nicht.


An dem Ort (ita Joſeph. l. cit.) da die Kling um die Stadt gieng/ war ein Platz/
mit Nahmen Baaras/ daran eine Wurtzel/ auch alſo genant/ zu wachſen pflegt.
Dieſelbig iſt feur-farb/ und wenn man des Abends darzu gehet/ ſchimmert ſie
gleichſam wie der Blitz/ laßt ſich aber nicht bald außgraben/ ſondern weichet
hinder ſich/ und bleibet nicht an voriger ſtaͤtte/ ſo lang und viel/ biß man
Weiber-Harn/ oder ihre Kranckheit/ darauff gieſſet/ und wann ſie jemand
gleich darnach anreget/ ſo iſt er des Todes eygen/ er trage dann dieſelbe Wur-
tzel an der Hand alſo hangend hinweg. Sie iſt aber auch auff ein andern/ und
nemlich auff dieſen weg zu bekommen. Erſtlich muß man ſie gantz und gar um-
graben/ und nur ein wenig davon unten in dem Erdreich ſtecken laſſen/ dar-
nach einen Hund daran binden/ und wenn der Hund dem/ der ihn angebun-
den hat/ nach lauffen will/ ſo zeucht er die Wurtzel leichtlich herauß/ ſtirbt
auch alſobald darvon/ und wird an deſſen ſtatt/ der die Wurtzel gegraben hat/
dem Tod auffgeopffert. Ferner haben ſich die/ ſo ſie anregen/ oder zu ſich
nehmen/ keines fernern Schadens zu beſorgen. Und iſt gleichwol dieſe Gefahr
einer eintzigen Krafft oder Tugeud/ ſo dieſe Wurtzel hat/ wol zu beſtehen.
Dann der boͤſen Menſchen Geiſter (dæmonia oder Teuffel genant) welche in
die lebendige fahren/ und die/ ſo keine Huͤlffe darwider haben oder wiſſen/ um-
bringen/ werden durch mehrgedachte Wurtzel/ wann man ſie den Krancken al-
lein darreicht/ verjagt und außgetrieben.


His ſæpè pellitur Satan, ſed ut alat ſuperſtitionem, ſagt Auguſtinus
l. 2. de Civ. Dei. c.
6. Das iſt: Durch dieſe Mittel laßt ſich der
Satan offt außtreiben/ aber zu dem Ende/ daß er den Aberglau-
ben haͤge. Das Meß-Opffer/ Allmoſen/ Weyh waſſer/ Wachs-Ker-
tzen/ characteres, das Crucifix, davon Thyræus part. 3. de loc. infeſt.
zu leſen/ thut eben ſo wenig/ wie auß folgender Hiſtori erhellet. Als im
Jahr Chriſti 853. ein unrichtiger Geiſt zu Mayntz ſich herfuͤr gethan/ die
Leute mit Steinen geworffen/ und wunderliche Abentheur veruͤbet/ endlich
uͤber einen einigen Mann all ſein Gifft außgegoſſen/ und gemacht/ daß wo
derſelbe hinkommen/ und in welch Hauß er eingekehret/ daſſelbe alſobald
verbrunnen/ der aber ſeine Unſchuld durch ein gluͤendes Eiſen bezeuget:
So hat ſich darauff die Mayntziſche Cleriſey auffgemacht/ mit den Reli-
quien/ ſonderlich dem H. Creutz/ auff den boͤſen Feind zugegangen/ den-
ſelben zu vertreiben. Aber was geſchicht? der Satan laßt Creutz Creutz
ſeyn/ wirfft auff die Pfaffen mit Steinen zu/ treibet ſeinen Muthwillen
einen weg als den andern drey Jahr lang/ laßt nicht ab/ biß alle Haͤuſer
mit
[237]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
mit feurigen Fluͤgeln empor geflogen. So fleucht der Teuffel das Creutz.
Das beſte iſt der Loͤß-Schluͤſſel/ wann der fuͤrhanden/ ſo ruͤſtet man ſich
auß nach der Lehre Pauli/ Eph. 6, 13. mit dem Harniſch GOttes/ mit
dem Krebs der Gerechtigkeit/ mit dem Evangelio des Friedens/ mit dem
Schild des Glaubens/ damit kan man dem Teuffel unter Augen gehen;
dann dieſer Schluͤſſel iſt auch der Schluͤſſel zum Zeughauß GOttes.
Wir habens in der Erfahrenheit/ daß da vor dieſem und noch im Papſt-
thum alles voll Geſpenſter geweßt/ und der rechte Teuffels-Bann durch
Lutherum wieder in die Kirche gekommen/ haben ſie ſich von uns weg
getrollt. 3. Clavis bona, ein Schluͤſſel von unerſchoͤpfflicher Guͤ-
te/ Preiß und Wuͤrde/ nicht nur dieweil er die herꝛlichſte Gnaden-
Guͤter mit ſich bringet/ die wir nicht einmahl recht verſtehen. Aber O wie
wuͤrden die boͤſen Geiſter ſo froh ſeyn/ wann ſie ſich deſſen zu getroͤſten haͤt-
ten/ daß er ſie auch angieng! O wie wuͤrden die verdamten Seelen/ Cain/
Judas/ der reiche Schlemmer/ die Finger darnach ſchlecken/ ſolte es ihnen
ſo gut werden; Sondern auch dieweil er ἀπροσωπὀληπτος, \& in omnes
æqualis,
allen und jeden gemein/ allen gegoͤnnet/ alle angehet/ niemand auß-
geſchloſſen/ ein unparteyiſcher Allemans-Schluͤſſel: Dann hie ſtehet
verbum mandati \& promiſſionis, das Wort des Befehls und der Ver-
heiſſung/ welchen ihr die Suͤnde erlaſſet/ denen ſeynd ſie erlaſſen.
Warlich ich ſage euch/ was ihr auff Erden loͤſen werdet/ ſoll
auch im Himmel loß ſeyn. Welches ſeynd nun die welche? Alle die/
zu welchen ich euch/ als univerſales Legatos, und allgemeine Welt-Bot-
ten/ außſende/ zu predigen Vergebung der Suͤnden/ allen Creaturen/
Marc. 16, 15. allen Voͤlckern/ Luc. 24, 47. Urſach/ ihr ſeyd ja keine Hertzen-
kuͤndiger/ ihr wiſſet nicht/ wer erwehlet/ oder nicht erwehlet. Darum ſoll
er bey allen guͤltig und kraͤfftig ſeyn/ ob er ſchon etliche reprobos und zeit-
glaubige wuͤrde antreffen. 4. Clavis unica ac indiviſa, ein einiger
und untheilbarer Schluͤſſel. Es ſeynd nicht zween abſonderliche
Schluͤſſel/ deren einen Chriſtus allein in der Fauſt und droben im Himmel
behalten/ und einen andern bloſſen ohnmaͤchtigen Krafft- und Troſt-loſen
Wort-Schluͤſſel/ ſo er dem Predig-Ampt angehencket; ſondern ich wil/
ſagt Chriſtus/ dir/ dir Petro den Schluͤſſel des Himmelreichs geben/ eben
den Schluͤſſel/ den ich habe. Apoc. 1, 18. meinen Schluͤſſel. Gleich wie
deine Tauff meine Tauff/ dein Wort mein Wort/ dein Mund mein
Mund/ Matth. 10, 20. alſo auch dein Schluͤſſel mein Schluͤſſel. Wie-
wol der Unterſcheid wol zu beobachten/ daß derſelbige einige Schluͤſſel
auff Seiten Chriſti ein HErren-Schluͤſſel/ auff Seiten des Kirchen-
G g iijdieners
[238]Die Fuͤnffte Predigt
dieners ein Dienſt-Schluͤſſel. Gleich wie der Schluͤſſel eines Richters
und Kercker-Meiſters ein Schluͤſſel/ aber auff ſeiten jenes ein Herren-
Schluͤſſel/ auff ſeiten dieſes ein Dienſt-Schluͤſſel. 5. Clavis vera, ein
warhaffter Schluͤſſel/ fuͤr GOtt und Menſchen: ein papirner
Schluͤſſel/ der die Form eines Schluͤſſels hat/ iſt kein warhaffter Schluͤſ-
ſel/ wie auch ein gemahlter Schluͤſſel kein rechter Schluͤſſel kan genen-
net werden: Alſo clavis purè ſignificativa, ein bloß bedeutender Schluͤſ-
ſel iſt kein rechter Schluͤſſel/ ſondern clavis effectiva, ein thaͤtiger/ wuͤr-
ckender Schluͤſſel iſt ein rechter Schluͤſſel. Chriſtus ſagt/ was ihr
loͤſen und binden werdet/ ſoll im Himmel loß und gebunden
ſeyn. Qualis effectus, talis cauſa. Loͤſen und binden aber heißt nicht
nur anzeigen/ was geſchehen/ ſondern wuͤrcklich und thaͤtlich verrichten.
Prediger ſeind nicht bloße Botten/ ſondern auch organa und Werck-
zeuge/ was binden Apoc. 20, 2. heiſſet/ das heißt es auch am andern
Ort/ Joh. 20. Und gleichwie der Blut-Schaͤnder zu Corintho in der
Krafft JEſu Chriſti wuͤrcklich dem Satan uͤbergeben worden/ 1. Cor.
5, 4. zu einer gewiſſen leiblichen Straff/ wie Uſias nicht nur als auß-
ſaͤtzig erklaͤrt/ ſondern auch vom Hauſe des Herrn hinauß geſtoſſen
worden. 2. Chron. 26, 20. ſo iſt der Loͤß-Schluͤſſel auch ein wuͤrckender
und thaͤtiger Schluͤſſel/ ſo wol als Chriſti Schluͤſſel/ Urſach/ es iſt
ein einiger Schluͤſſel.


Dieſer Fuͤrtrag dienet uns nun 1. zur Lehre/ daß wir der Sachen
weder zuviel noch zu wenig thun/ dort liegen laſſen des Papſts Diebs-
Schluͤſſel/ dadurch alle Tyranney/ Gewiſſens-Tortur/ Beicht-Weh/
Suͤnden-Tax und Bußen veruͤbet und eingefuͤhret worden. Hie des
Schluͤſſels Schatten/ das iſt/ des uͤbel-reformirten Geiſtes falſchen/ ver-
traͤhten/ abentheurlichen/ troſtloſen Fehl-Schluͤſſel/ welcher clavis non
bona, inæqualis,
der gut auffſeiten der Außerwehlten/ die bloß verdammte
und verbannte Eſauiten aber im geringſten nichts angehet. Qui repro-
bus eſt, \& in æterno DEI judicio ligatus, non poteſt ſolvi ab homine.

das iſt: Wer verworffen und in GOttes unwandelbarem/
ewigem Gericht verbannet und gebunden/ kan von keinem
Menſchen ſeiner Suͤnden loß geſprochen werden. Clavis non
vera,
der Schluͤſſel ſeye nichts anders als GOttes Wort/ dadurch die
Bindung und Loͤſung nicht thaͤtlich geſchehe/ ſondern als geſchehen nur
angezeigt und angedeutet werde. Der Pfaͤltziſche Heydelbergiſche Cate-
chiſmus antwortet auff die 84. Frag (Wie wird das Himmelreich durch
die
[239]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
die Predigt des H. Evangelij auff und zugeſchloſſen?) Alſo/ daß nach
dem Befehl Chriſti allen und jeden Glaubigen verkuͤndiget
und offentlich bezeuget wird/ daß ihnen/ ſo offt ſie die Ver-
heiſſung des Evangelij mit wahrem Glauben annehmen/ war-
hafftig alle ihre Suͤnde von GOtt um des Verdienſts Chriſti
willen vergeben ſind/ und hinwiederum allen Unglaubigen
und Heuchleren/ daß der Zorn GOttes und die ewige Ve[r]-
damnuß auff ihnen ligt/ ſo lang ſie ſich nicht bekehren. Clavis
non unita, ſed ſeparata
es ſeye nicht ein vereinigter/ ſondern von Chriſti
Schluͤſſel abgeſonderter Schluͤſſel. Zvvingl. Tom. 2. reſp. ad confeſſ.
Luth. p.
430. ſchreibet alſo: Chriſti verba, quibus Joh. 20. inquit:
Quorumcunq; remiſeritis peccata, remittuntur eis, \&c. nequaquam
eum ſenſum obtinent, quaſi Chriſtus hæc dicendo diſcipulis Peccata
remittendi poteſtatem concedere voluerit: nec enim aliqua creatura
tàm præſtans \& excellens eſt, quæ peccata remittere poſſit,
das iſt:
Die Wort Chriſti/ wann Er ſagt Joh. 20. Welchen ihr die
Suͤnde verziehet/ denen ſind ſie verziehen/ haben nicht den
Verſtand/ als wann Chriſtus den Juͤngeren die Gewalt/
Suͤnde zu vergeben/ haͤtte wollen uͤberreichen und mittheilen:
dann keine Creatur iſt ſo maͤchtig und fuͤrtrefflich/ daß ſie
Suͤnde vergeben koͤnne. Daß Chriſtus (ita Piſcator ad Matth.
9. p.
46.) den Apoſteln/ und unter ihrem Nahmen allen Leh-
rern des Worts GOttes Macht gegeben hat/ den Menſchen
ihre Suͤnde zuvergeben/ Joh. 20, 23. daſſelbe hat nicht dieſe
Meinung/ daß ſie eigendlich zu reden/ die Suͤnde vergeben/
ſondern daß ſie auß Chriſti Beſelch die Vergebung der Suͤn-
den allen bußfertigen und Glaubigen verkuͤndigen und bezeu-
gen: Durch welches Zeugnuß und Dienſt der HErꝛ Chriſtus
kraͤfftiglich wuͤrcket/ und alſo die Suͤnde vergibt. Dadurch
ſie dann nichts anders thun/ als daß ſie den Schluͤſſel-Gewalt der Kir-
chen und allen Troſt/ ſo auß der Abſolution flieſſet/ auffheben/ umſtoſſen/
und zu boden werffen/ den Loͤß-Schluͤſſel zu einem troſtloſen/ keinnuͤtzen
und nichts ſollenden Schluͤſſel machen. Es gibt aber auch noch andere
extrema, dafuͤr wir uns huͤten/ und regiâ viâ, im mittlern Weg einher
gehen ſollen. Es ſeynd deren auch wol unter uns/ die dem Schluͤſſel
eine Krafft ex opere operato zumeſſen/ alſo daß ein Beicht-Kind/
wann es die Abſolution gehoͤret/ die Vergebung der Suͤnden empfahe/
GOtt
[240]Die Fuͤnffte Predigt
GOtt geb es mag glauben oder nicht. Nein nicht alſo: Buß und
Glaube iſt von noͤthen/ ohne welche niemand der Frucht der Abſolution
genieſſen kan. Thut Buße/ und laſſe ſich ein jeglicher tauffen
auff den Nahmen JEſu Chriſti/ zur Vergebung der Suͤn-
den. Act. 2, 38. Andere die meynen/ ſie bedoͤrffen keiner Abſolution/
wann ſie GOtt gebeichtet/ ſeye es genug/ halten gar ſchlecht vom Pre-
dig-Ampt/ daher entſpringen die errores practici, daß die Beicht-Vaͤt-
ter entweder gar hindan geſetzt/ oder vergoͤttert werden.


II. Zum Troſt allen armen aber bußfertigen Suͤndern/ daß ſie
ſich verſichern/ es ſeye keine Suͤnde ſo ſchwer und groß/ da nicht/ der Loͤß-
Schluͤſſel ſolte auffthun. Jſt eine ſchwere und unſerer Vernunfft nach
unvergebliche Suͤnde/ ſo iſts die Magia und Schwartzkunſt/ und Ver-
buͤndnuß mit dem Satan/ aber Trutz auch dieſer Suͤnde/ daß ſie dem Loͤß-
Schluͤſſel zu groß und ſchwer. Amphilochius in vita Baſilii erzehlet eine
Hiſtori/ ob ſie wahr oder falſch/ wollen wir dahin geſtellet ſeyn laſſen/ allzeit
iſt die Theſis wahr: Es verhaͤlt ſich aber die Hiſtori alſo:


  • Heliadus ein wunderbarlicher Mann/ aller Tugend voll/ der Baſtlium ſelbſt mit
    Augen geſehen/ und ſeinen Wunder-Wercken/ als ein Diener beygewohnet/ und
    nach ihm Biſchoff zu Caͤſarea worden/ hat bey mir erzehlet/ wie ein glaubiger
    Rathherꝛ/ Protherius genannt/ in das heylige Land zu dem heyligen Ort/ und
    Staͤdten gezogen/ ſein Tochter daſelbſten in ein Kloſter/ GOtt dem HErꝛn zu
    opffern. Es iſt aber ſeiner Diener einer/ vom Teuffel/ der von Anfang ein
    Moͤrder iſt/ auß Neid und Mißfallen des heiligen Fuͤrhabens/ zu unordentli-
    cher Liebe gegen dieſer Tochter entzuͤndet worden. Weil er aber wußte/ daß er
    ſeinem Stand nach derſelben ungleich und unwerth/ daß er ihr ſolches anmu-
    then ſolt/ kom̃t er zu einem verfluchten Zauberer/ verheiſſet ihm viel Geld und
    Gut/ ſo er mit ſeiner Huͤlff der Tochter Willen gewinnen moͤchte. Aber der
    Zauberer laͤßt ſich vernehmen/ er koͤnne nicht helffen/ wiltu aber/ ſo wil ich dich
    zu meinem Herꝛn Teuffel ſchicken/ der kan helffen/ daß deinem Willen ein Ge-
    nuͤgen geſchehen kan. Der Knecht ſagt: Alles was du mir befehlen wirſt/
    das wil ich thun. Der Zauberer ſpricht abermahl. Widerſageſt du Chriſto?
    Und er autwortet: Ja/ ich widerſage. Weil du dich/ ſpricht der Zauberer/
    hierinnen nicht gewidert/ ſo will ich dir helffen. Ja ſpricht der Knecht/ ich bins
    zu thun bereit und willig/ nur daß ich meines Willens geleben moͤge.

Darauff ſchreibet ihm der Zauberer einen Brieff an Teuffel/ dieſes Jnhalts:
Weil ich/ mein Herꝛ/ ohn unterlaß geſinnet/ wie ich viel Wenſchen vom Chriſten
Glauben abwenden/ und deinem Willen zueignen moͤge/ dadurch dein Hauffen
deſto groͤſſer werde/ ſihe/ ſo uͤberſchicke ich dir dieſen/ der dir dieſen Brieff zuſtel-
let/ der iſt mit Lieb gegen einem Maͤgdlein faſt entzuͤndet/ und ich bitte dich/ laſſe
ihn nach ſeinem Begehren erlangen/ damit ſeinem Willen ein Genuͤgen geſchehe/
ich ein Ruhm an ihm erlange/ und kuͤnfftiger Zeit mit groͤſſerer Freudigkeit/ an-
dere mehr zu deinem Gefallen ſamlen moͤge. Solchen Brieff gibt er ihm/ und
ſpricht/
[241]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
ſpricht: Gehe/ und um dieſe Stunde in der Nacht/ ſtehe auff eines Heydniſchen
Menſchen Grab/ halt den Brieff hoch in die Lufft auff/ ſo werden bald bey dir
ſeyn/ die dich zum Teuffel fuͤhren: Er thut mit groſſen Freuden/ wie ihm befoh-
len/ erhebt ſeine Stimme/ bittet und flehet jaͤmmerlich um des Teuffels Huͤlff:
Und da ſeynd alsbald die Fuͤrſten des Gewalts/ der Finſternuß/ und der Geiſtli-
chen Schalckheit fuͤrhanden/ greiffen den elenden Knecht mit groſſem Frolocken
an/ fuͤhren ihn fuͤr des Teuffels Angeſicht/ der auff einem hohen Stuhl geſeſſen/
und um ihn im Kreiß herum/ eine groſſe Maͤnge der boͤſen Geiſter.


Der Teuffel empfahet den Brieff vom Knecht/ den der Zauberer ihme zuge-
ſchickt/ undſpricht zum Armen: Glaubſtu an mich? Und er ſpricht: Jch glaube:
Der Teuffel wiederum: Verlaͤugueſt du auch deinen Chriſtum? Er antwor-
tet: Jch verlaͤugne. Und der Teuffel abermal? Jhr Chriſten ſeyd treuloſe Leut/
Wann ihr meiner Huͤlffe beduͤrfftig/ ſo kom̃t ihr zu mir/ wann ihr aber nach eu-
rem Begehren erlanget/ was ihr wollet/ da verlaͤugnet ihr mich wiederum/ und
bekehret euch zu euerem Chriſto/ der euch/ weil Er guͤtig und barmhertzig iſt/ zu
Gnaden wiederum an und auffnimmet? Darum muſt du mir deine eygene
Handſchrifft geben/ in welcher du deinem Chriſto/ und der empfangenen Tauff
williglich abſageſt/ und mich dargegen in Ewigkeit bekenneſt/ und daß du am
Juͤngſten Tage die vorbereite ewige Verdamnuß gern mit mir leyden wolleſt/
und darnach will ich dir helffen/ daß deinem Willen ein Genuͤgen geſchehen ſoll.
Er ſchreibet die begehrte Handſchrifft mit ſeiner eygenen Hand/ und uͤbergibt ſie.


Und der Seelen-Moͤrder der gifftige Drach/ ſchicket alsbald die Geiſter der
Unzucht auß/ die das Jungfcaͤuliche Hertz des Maͤgdleins zu unziemlicher Lie-
be des Kuechts entzuͤnden. Das Maͤgdlein faͤllt gaͤhling nieder/ fahet an des
Vaters Huͤlff anzuruffen: Ach Vater/ Vater/ laß dichs erbarmen/ wie wer-
de ich ſo uͤbel mit des Knechts Liebe angefochten/ bin ich dein Tochter/ dein eygen
Fleiſch und Blut/ ſo erzeige doch deine vaͤtterliche Treue gegen mir/ gib mir den
Kuecht/ der mich ſo hefftig liebet: Wilt du nicht/ ſo muſt du mich bald des bit-
tern Todes ſterben ſehen/ muſt Red und Antwort am Juͤngſten Tag darum ge-
ben. Der Vater hoͤret diß/ und ſpricht der Tochter zu mit Weinen: Ach mei-
nes Elends/ wie iſt meiner armen Tochter geſchehen/ wer hat mir dieſen werthen
Schatz entfremdet? Wer hat mein Tochter bethoͤret? Du mein Augen-Troſt/
meines Hertzens Freude/ wer hat dich verzuckt? Jch wolt dich dem himmli-
ſchen Braͤutigam Chriſto vermaͤhlen/ ein Mitburgerin der Engel machen/ da du
Pſalmen/ Lob-Geſaͤng und geiſtliche Lieder GOTT dem Allmaͤchtigen ſingen
moͤchteſt/ von deinet wegen verhoffet ich ſelig zu ſeyn/ und du ſehneſt dich nach
fleiſchlicher Wolluſt? nicht alſo mein Tochter/ ſondern laß mich dich Chriſto
dem HErꝛn verloben/ wie ich vorhabens bin: Nicht ſey du ein Urſach/ daß du
mich Alten mit Schmertzen unter die Erden bringeſt/ verſchone deiner Eltern
adelichen Gebluͤts/ thue deinem Geſchlecht kein ſolche Schand an. Aber die
Tochter ſchlaͤgt alles in Win[d]/ laſſet ihr nichts zu Hertzen gehen/ und ſchreyet
ohn unterlaß: Ach Vater mein/ gib meinem Willen ſtatt/ oder ich muß des To-
des ſterben. Der Vater ſeufftzet tieff vor groſſem Trauren und Hertzenleyd/
jedoch folget er der Freunde Rath/ die ihn ermahneten/ er ſollt der Tochter Wil-
len ſtatt geben/ laſſets geſchehen/ was ſie begehret/ allein/ daß ſie ihr ſelber kei-
nen Schaden thun ſolt. Beruffet den Knecht zu der Tochter/ laſſet es ein Ehe
ſeyn/ und uͤberlieffert ihm all ſein Haab und Guͤter: So gehe nun/ ſpricht er/
Zehender Theil. H hdu
[242]Die Fuͤnffte Predigt
du mein elende Tochter/ es wird die Zeit kommen/ daß dich gerenen ſoll/ was
du jetzt mir zu wider thuſt/ und da werdeſt du dir dennoch ſelbs nicht helffen
koͤnnen.


Da nun ſolcher ungleicher unbillicher Heurath/ durch des Teuffels Huͤlff/ be-
ſchloſſen/ nicht lang darnach/ hat man gemerckt/ daß der Kuecht nicht zur Kir-
chen gehe/ auch das hochheilig Sacrament des Altars nicht empfahe. Solches
war dem jungen unſeligen Eheweib gefagt: Weiſt du/ daß dein Mann/ den du
dir ſelbs wider deines Vaters Willen genommen/ kein Chriſt iſt/ ſondern viel
einer andern Religion/ dann du ſelbs? Sie fahet an hefftig zu trauren ob die-
ſen Worten/ faͤllet nieder zu boden/ zerreiſſet ihr Angeſicht mit ihren Naͤgeln/
ſchlaͤgt die Bruͤſt: Jſt es doch niemand je wol gegangen/ ſpricht ſie/ der ſeinen
Eltern ungehorſam geweßt. Wer darff meinem Vater dieſe meine Schand
offenbahren? Ach mir Armen/ in was tieff Elend hab ich mich ſelber geſtuͤrtzet?
Ach daß ich nie gebohren/ oder da ich geboren/ nicht alsbald geſtorben bin. Jhr
junger Mann hoͤret dieſes Wehklagen und Jammern/ wolt ſie gern getroͤſtet und
beredt haben/ daß ihm in der Warheit nicht alſo waͤre: Aber da ſie ein wenig
Troſt ſchoͤpffet auß ſeinen erdichten Worten/ ſprach ſie: Wilt du/ daß mir und
meiner armen Seelen ein Genuͤgen geſchehe/ ſo gehe morgen mit mir zur Kir-
chen/ und empfahe das hochheilig Sacrament/ daß ichs ſehe/ ſo kan ich zu fcie-
den ſeyn. Mit ſolchen Worten war er getrieben/ ihr die gantze Warheit zu be-
kennen.


Da laſſet ſie ſich an der weiblichen Bloͤdigkeit nichts verhindern/ gebrauchet
ſich heylſamen Raths/ eylet zum Biſchoff und Chriſti Nachfolger Baſilio/
ſchrye und beklagt ſich des Gottloſen Handels: Erbarme dich mein/ ſpricht ſie/
Erbarme dich/ du Nachfolger des HErꝛn/ ich hab mit den boͤſen Geiſtern Ge-
meinſchafft/ erbarme dich meiner/ die ich meinen Eltern ungehorſam geweſen
bin/ und ſie erzehlet ihm/ wie alles ergangen. Der heilige Biſchoff fordert ih-
ren Mann zu ſich/ und fraget/ ob ihm alſo waͤre? Ja/ ſprach er/ mit weynen/
du Heiliger GOttes/ wenn ichs laͤugnen wolt/ ſo werden es meine Werck wider
mich offenbahren. Und er fleng an/ ihm des boͤſen Feindes Argliſt von anfang
biß zum ende zu erzehlen. Und der Biſchoff fraget ihn: Wiltu dich aber nicht
zu unſerm HERRN kehren? Ja/ ſpricht er/ ich wolt gern/ aber ich kau nicht.
Warum kanſt du nicht/ ſpricht Baſilius? Er antwortet: Mit meiner Hand-
ſchrifft habe ich Chriſtum verlaͤugnet/ und den Tenffel bekennet. Baſilius
ſpricht: Laſſe dich das nicht kuͤmmeren/ unſer GOTT iſt gnaͤdig und barmher-
tzig/ und Er wird dich/ wann du Buß thuſt/ wiederum zu Gnaden auffnemmen/
dann Er traget ein Mitleiden mit unſern Miſſethaten. Und aber ſein Hauß-
frau faͤllt dem heiligen Mann zu Fuß/ und bittet ihn mit Worten auß dem Ev-
angelio/ und ſpricht: O du Nachfolger unſers GOttes/ hilff uns ſo du kanſt.
Und der Biſchoff ſprach zum Mann: Glaubſtu daß du ſelig koͤnneſt werden?
Er antwortet: Ja Herꝛ/ ich glaube/ hilff meinem Unglauben.


Und der Biſchoff greiffet ihn an alsbald bey der Hand/ zeichnet ihn mit dem
Creutz-Zeichen Chriſti/ und verſperret ihn inwendig im Umgang an ein beſon-
ders Ort/ ruffet GOtt an/ macht ihm ein Ordnung/ und ſchreibet ihm fuͤr/ was
er thun ſoll/ und er ſelbs nimt auch ein Theil der Muͤhe auff ſich/ drey Tag lang.
Nach denſelben Tagen ſucht er ihn heim/ und fraget wie er ſich gehabe: Mein
Sohn/ ſpricht er/ wie befindeſt du dich? Er antwortet- O mein Herꝛ/ groſſe
Angſt
[243]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Angſt und Ohnmacht bedrenget mich/ ich kan ihrer der boͤſen Geiſter Schrecken/
Schreyen und Schlagen laͤnger nicht dulden/ dann ſie halten mir in ihren Haͤn-
den fuͤr mein eygene Haudſchrifft/ ſchlagen mich mit Steinen/ und klagen mich
an mit dieſen Worten: Du biſt ſelbs zu uns kommen/ und wir ſind dir nicht
nachgegangen. Foͤrchte dich nicht mein Sohn/ ſpricht Baſilius/ glaube nur.
Und er gab ihm ein wenig Speiſe/ zeichnet ihn abermals mit dem Zeichen Chri-
ſti/ bettet und ſperret ihn wiederum ein/ und nach wenig Tagen beſuchet er ihn
abermahls/ und ſpricht zu ihm: Wie befindeſt du dich mein Sohn? Und er
ſprach: Heiliger Vater/ ich hoͤre ihr Geſchrey und Bedraͤuungen von fern/
aber ſie ſelbs ſiehe ich nicht. Und er gab ihm abermals Speiſe/ bettet/ und ver-
ſperret die Thuͤr/ und gieng von ihme. Darnach am viertzigſten Tage/ ſuchet
er jhn zum dritten mal heim/ und fraget: wie gehet es dir/ mein Bruder? Er
antwortet: Jch gehabe mich wol/ du Heiliger GOttes/ dann heut hab ich ein
Geſicht geſehen/ wie du fuͤr mich gekaͤmpffst/ und den Teuffel uͤberwunden haſt.
Alsbald bettet der heilige Mann/ wie er pfleget/ fuͤhret ihn herauß mit ſich in
ſein Kammer/ und des andern Tages fruͤh/ beruffet er die heilige Prieſterſchafft/
und die das Kloſter-Leben fuͤhreten/ ſampt der gantzen glaubigen Gemein/ und
ſprach zu ihnen: Meine liebe Kinder/ laſſet uns alleſampt GOtt loben/ und
danckſagen/ dann ſehet/ da wird der gute Hirt das verlohrne Schaͤfflein auff ſei-
ner Achſeln tragen/ und der heiligen Kirchen wiederum zuſtellen. Derhalben
iſt es billich/ daß auch wir dieſe Nacht wachend bleiben/ und GOttes Barm-
hrrtzigkeit bitten/ daß uns der Seelen-Moͤrder in dieſem Werck nicht oblige/
und den Sieg behalte.


Da nun das Volck gantz froͤlich bey einander verſamlet/ haben ſie die gantze
Nacht/ mit dem guten Hirten/ GOtt fuͤr den Armen angeruffen/ und geſchryen
mit weynenden Augen: HErꝛ erbarme dich unſer. Und der Mann GOttes
faſſet ihn bey der rechten Hand/ und fuͤhret ihn mit der gantzen Verſamlung fruͤh
zu der Kirchen mit Pſalmen und Lob-Geſang. Siche aber/ da ſaumet ſich der
Menſchen-Feind auch nicht lang/ ſondern iſt bald ſampt ſeiner hoͤlliſchen Macht
fuͤrhanden/ ergreiffet den armen Menſchen unſichtiglich/ wolt ihn gern auß des
heiligen Biſchoffs Haͤnden geriſſen haben/ aber der Arme ſchreye dem Biſchoff
zu; Hilff mir du Heiliger GOttes: dann der Feind haͤtt ihn ſo ſtarck angriffen/
daß er ihn auff der Erden ſchleiffet/ und gleich den Biſchoff auch beweget, Dar-
um ſetzet der Biſchoff dem Feind ſich entgegen/ und ſpricht: Du ſchaͤndlicher
Seelen-Moͤrder/ du Vater alles Verderbens und der Finſternuß/ haſt du kein
Genuͤgen an deiner ſelbs eygenen Verdamnuß/ in welche du dich und die dei-
nigen geſtuͤrtzet/ du wolteſt dich auch an dem Geſchoͤpff meines GOttes verſu-
chen? Und der Feind ſprach: Baſtli/ du greiffeſt mir vor. Welche Stimme
der Teuffel unſer viel gehoͤret haben: Und das Volck ſchreye ohn unterlaß:
HErꝛ erbarme dich unſer/ aber der Heilige Biſchoff antwortet dem Feind:
Der HErꝛ ſchelte dich Satan. Und der Satan ſchreye da wieder; Baſili du
greiffeſt mir vor: Jch bin ihm nicht nachgegangen/ ſondern er mir/ er hat Chri-
ſtum verlaͤugnet/ und mich bekennet/ ſiehe/ da hab ich ſeine Haudſchrifft/ am
Juͤngſten Gericht will ich ihn unſerm aller Richter fuͤrſtellen. Baſilius ſagt:
Gebenedeyet ſey mein GOtt und HErꝛ/ es wird diß glaubige Volck ſeine gen
Himmel außſtreckende Haͤnde nicht niederſincken laſſen/ ſo lang/ biß du die Hand-
ſchrifft wider von dir geben werdeſt. Und er kehret ſich zum Volck/ und ſprach:
H h ijHebt
[244]Die Fuͤoffte Predigt
Hebt auff euere Haͤnde gen Himmel/ ruffet mit Thraͤnen: HERR erbarme
dich/ Chriſte erbarme dich/ HERR erbarme dich. Da nun das Volck alſo mit
außgeſtreckten Haͤnden eine gute Zeit geſtanden/ ſiehe/ da faͤllt des Armen
Handſchrifft von oben herab/ in Angeſicht aller Gegenwaͤrtigen/ in die Haͤnd un-
ſers heiligen Vaters und Hirten Baſilij/ dieſer name dieſelbe zu ſich/ lobete
GOtt/ und war ſehr froh/ und ſprach vor maͤnniglich zu dem Menſehen: Bru-
der/ kenneſt du dieſe deine Handſchrifft? Ja/ Heiliger GOttes/ ſprach er/ ich
habe ſie mit meiner Hand geſchrieben: Derhalben Baſilius dieſelbe zu ſtuͤcken
zerriſſen/ und den Menſchen ferner zur Kirchen fuͤhret/ und machet ihn des heili-
gen Ampts wuͤrdig/ und der Geheimnuſſen und Gaben GOttes theilhafftig/ und
er empfing das gantze Volck/ und erquicket ſie. Folgend da er den Menſchen
unterwieſen/ und ihm ein nothwendige Ordnung ſeines Lebens fuͤrgeſchrieben/
hat er ihn ſeiner ehelichen Haußfrauen wiederum geben. Und er hat fuͤr und
fuͤr GOTT gelobet und geprieſen. Bißher dieſe Hiſtori.


III. Zur Warnung/ à recidivatu, daß man ihn nicht wieder ver-
lege und verliere. Herodes Agrippa, Caji Caligulæ Freund that einmal
einen unbedachtſamen Wunſch/ da er bey Cajo allein auff der Kutſchen
geſeſſen/ wolte Gott/ daß der alte (Tiberius) einmahl hinunder waͤre/ und
ich dich ſehen moͤchte auff dem Kaͤyſerlichen Thron ſitzen/ ſo wirds beſſer in
der Welt ſtehen/ und wird mir Armen auch geholffen werden. Der Kut-
ſcher war ein Schalck und Retſcher/ der ruͤget es/ Tiberius laßt Herodem
holen/ und an eißerne Ketten anſchmieden. Ein Teutſcher unter ſeinen
Mitgefangenen wird einer Nacht-Euͤlen gewahr/ die ihm auff den Kopff
geſeſſen/ und ex augurio propheceyet er ihm/ er ſolle gutes muths ſeyn/ es
wird bald beſſer werden/ er werde nicht lang nach dieſem ein groſſer Herꝛ
werden. Was geſchicht? Tiberius ſtirbt/ Cajus gedencket an ihn/ laßt
ihn herauß/ wechſelt und tauſchet die eißerne Kette mit einer guldenen glei-
ches Gewichts/ auß/ ſetzet ihm eine Cron auff/ machet ihn zum Koͤnig uͤber
zwey Fuͤrſtenthum in Judea/ der erhebet ſich der Ehre/ wird ſtoltz/ fanget
an zu dominiren/ verklagt Herodem Antipam faͤlſchlich/ ermordet Jaco-
bum/ legt Petrum ins Gefaͤngnuß/ ſpiegelt ſeine Majeſtaͤt und Schmuck
auff dem Theatro zu Caͤſarien. Die Eul erſcheinet abermal auff einem
außgeſpannenen Seil uͤber ſeinem Haupt/ GOttes Raach ſchlaͤgt ihn/
daß er fuͤnff Tag hernach mit Ach und Weh geſtorben. Lauter extrema,
das groͤſte Ungluͤck/ das groͤſte Gluͤck/ und Recidivat in das groͤſte Un-
gluͤck. So gehets auch einem Menſchen/ der ſich der Gutthat des Loͤß-
Schluͤſſels verluſtiget/ kom̃t die hoͤlliſche Nacht-Eul wieder/ ſo nimt ſie noch
andere ſieben Geiſter mit ſich/ und wird das letzte aͤrger/ als das erſte ge-
weſen. GOTT gebe/ daß wir den theuren Kirchen-Schatz/ den gulde-
nen Schluͤſſel zur Himmels-Pfort/ recht erkennen/ und brauchen/ und
deſſen
[245]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
deſſen in allen Anfechtungen uns troͤſten/ und wol bewahren/ behalten
was wir haben/ und uns huͤten vor der Menſchen Geſatz/ davon verdirbt
der edle Schatz/ das laß ich euch zur Letze. Amen.



Die Sechſte Predigt.
Von denen
Welche des Loͤß-Schluͤſſels faͤhig/ und
deſſen ſich zu erfreuen.


GEliebte in Chriſto. Kein menſchlicher Verſtand kan
erſchoͤpffen/ kein menſchliche Zunge außſprechen/ kein
menſchlicher Affect kan genugſam beklagen den abyſſum
und Abgrund des Jammers/ der in den ſehnlichen Klag-
Worten der Chriſtlichen Kirchen begriffen/ wann wir
ſingen:


Dem Teuffel ich gefangen lag/

Jm Tod war ich verlohren/

Mein Suͤnd mich quaͤlet Nacht und Tag/

Darinn ich war gebohren.

Jch fiel auch immer tieffer drein/

Es war kein guts am Leben mein/

Die Suͤnd hat mich beſeſſen.

Denſelben nur ein wenig/ als weit ſich unſer Verſtand erſtreckt/ nach-
zuſinnen/ ſo klagt die Chriſtliche Kirche 1. uͤber ein Malefitz-Captivitaͤt/
uͤber ein Gefaͤngnuß/ Stock-Hauß und Thurn/ ich lag gefangen/ und zwar
auff Leib und Leben/ ja auff Seel und Tod/ im Tod war ich verlohren/
das Leben war mir abgekuͤndet. Wie es einer Malefitz-Perſon zu muth/
die um ihrer Ubelthat willen ergriffen/ in Obrigkeitliche Verhafftung ge-
zogen/ koͤnnen wir uns wol etlicher maſſen einbilden. GOtt behuͤte maͤn-
niglich/ daß es niemand unter uns erfahren muͤſſe. Schwer muß einen ſol-
chen Menſchen ankommen der Ort/ die Fuß-Eiſſen/ das Loch und Keffig/
noch bekuͤmmerlicher die Forcht/ Schrecken/ Traͤume/ da laßt ſichs wenig
H h iijſchlaffen:
[246]Die Sechſte Predigt
ſchlaffen: Noch ſchwerer kom̃t es ihn an/ wann er auff den Daͤumel-Thurn
Schwaͤtz-Schul gefuͤhret/ mit ſchweren Steinen behaͤngt/ gemartert uñ ge-
plaget wird/ daß die Beine krachen/ und alle Gliedmaſſen auß einander ge-
hen/ und groſſe Schmertzen leyden: Am allerſchwerſten iſt zu vernehmen/
wann man ihm das Leben abkuͤndet/ da gehet der Schauder/ Zittern und
Zaͤhnklappen/ die Forcht erſt recht an/ ſonderlich/ wann er mit Spott und
Schand herfuͤr gehet/ jederman zum Exempel/ und den Raben-Stein fuͤr
Augen ſiehet: Ach ſo ſagt die Kirch/ unſer ſtoltze Adam glaubs oder glaub
es nicht/ ſey es ihr auch ergangen/ dem Teuffel ich gefangen lag/ und zwar
noch tauſendmal aͤrger/ dann ſie klagt II. uͤber Captivitatem tyrannicam
\& crudelem,
nicht eine geringe/ ſondern tyranniſche und unbarmhertzige
Gefangenſchafft/ dem Teuffel ich gefangen lag/ der Obrigkeit der Finſter-
nuß. Ein gefangener Menſch/ wann er von der Obrigkeit in Verhafft ge-
zogen wird/ verſiehet ſich noch irgend was guts/ iſt der Thurnhuͤtter mild
und guͤtig gegen ihm/ hat Mitleyden mit ihm/ verfahret nicht eben mit der
Schaͤrffe/ das iſt noch ein Troſt und Labſal. Alſo leſen wir von Joſeph/
daß er durch Goͤttliche Fuͤgung Gnade funden fuͤr dem Amptmann uͤber
das Gefaͤngnuß/ Gen. 39. Aber hie iſt der Stock-Meiſter der Teuffel/
der Executor der Goͤttlichen Gerechtigkeit/ ein ſubtiler und kunſtreicher
Stock-Meiſter/ der allenthalben Stricke legt/ reitzet zur Suͤnd/ darnach
ziehet er das Garn zu: die da wollen reich werden/ denen legt er gefaͤhrliche
Stricke/ fuͤhret ſie in viel thoͤrichte und ſchaͤdliche Luͤſte/ welche verſencken
die Menſchen in das Verderben und Verdamnuß. 1. Tim. 6, 9. Andern/
die nach Ehre und Wolluſt ſtreben/ legt er andere/ und zwar lauter unmerck-
ſame Stricke. Lictor tyrannicus, ergreifft er den Menſchen/ ſo halt er
ihn feſt/ laßt ihn nicht leichtlich lauffen/ fuͤhret ihn in ſeinen Stricken nach
ſeinem Willen/ 2. Tim. 2. v. ult. Peiniget und quaͤlet ihn auff allerhand
Weiß und Weg. Luc. 13. ſagt der Herꝛ von dem krancken und krummen
Weib/ daß ſie/ ohnangeſehen ſie Abrahams Tochter/ vom Satan gebunden
geweßt wol achtzehen Jahr. Lictor illuſorius, der mit den Gefangenen
noch ſein Geſpoͤtt treibet/ wie Tamerlan den Tuͤrckiſchen Sultan Baja-
zeth in einem eiſſern Keffig eingeſchloſſen/ und zum Schauſpiel und Spott
laſſen herum fuͤhren und tragen.


III. Captivitatem laborioſam \& doloroſam, uͤber eine beſchwerliche
und ſchmertzliche Gefaͤngnuß. Mein Suͤnd mich quaͤlet Nacht und Tag/
ja ſie hat mich beſeſſen. Suͤnde iſt des Satans Fron-Vogt/ das Geſaͤtz
der Suͤnden laßt dem Menſchen Tag und Nacht keine Ruh/ er muß dem
Satan ſein latriam und Dienſt leiſten/ eine Suͤnde uͤber die andere begehen:
So
[247]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
So beſchwerlich war es Simſon nicht/ da er muſte mahlen im Gefaͤngnuß
und Roß-Arbeit thun; den Kindern Jſrael ihr harter Stand/ da ſie zu un-
erſchwinglichen Frondienſten angehalten wurden/ und noch hentiges Ta-
ges denen/ die auff Galeen geſchmiedet und unbarmhertzig geſchlagen wer-
den/ es iſt dieſer geiſtliche Jammer noch druͤber. Marco der Arethuſier
Biſchoff/ wurde zur Zeit Juliani dieſe Marter angethan: Man ſchloß
ihn in ein eyſſern gegittert Keffig/ zog ihn nacket auß/ band ihm Haͤnde
und Fuͤße/ beſtreichet ihn mit Honig/ haͤngt ihn alſo im Keffig auff an die
Sonne/ daß Jmmen/ Hummeln/ Schnacken/ Kaͤffer in groſſer Maͤnge
zu geflogen/ und ihn jaͤmmerlich gemartert/ biß er daran geſtorben: Alſo
iſt unſer ſuͤndliches Leben ein ſolch Gefaͤngnuß/ da immer eines dem an-
dern die Hand bietet.


IV. Infinitam \& impeditam. Jch fiel auch immer tieffer drein/ ein
uͤbels Gefaͤngnuß war das Gefaͤngnuß Jeremiæ/ Jer. 38, 6. das war eine
Grube ohne Waſſer/ ein Schlamm/ und er ſanck in den Schlamm. Alſo
klaget die Kirch Zach. 9, 11. Du laͤſſeſt durchs Blut deines Bun-
des auß deine Gefangene/ auß der Gruben/ da kein Waſſer in-
nen iſt. Keine Hoffnung/ kein Troſt-Waſſer/ ſondern ein immerwaͤh-
render Labyrinth und Jrꝛgarten. Das iſt der Stand eines Menſchen
auſſer der Gande GOttes/ ſo ſind wir von Natur alleſampt arme Gefan-
gene Leute/ und laßt ſich damit nicht ſchertzen. Auß dieſem Labyrinth uns
zu erloͤſen/ iſt nicht nur Chriſtus vom Himmel herab kommen/ und hat die
Rantzion bezahlt/ ſondern hat auch den Schluͤſſel-Gewalt eingeſetzet/ und
den Loͤß-Schluͤſſel verordnet/ von dem wir heut acht Tag mit einander ge-
handelt. Nun wollen wir erwegen Objecta clavis ſolventis, und dem-
nach die Frag: Qui ſolvendi? Wer des Loͤß-Schluͤſſels faͤhig?
eroͤrtern. Gott gebe darzu Gnad und Segen! Amen.


GEliebte in Chriſto. Anfangs nun/ wann der Herr ſagt:
Welchen ihr die Suͤnde vergebet/ denen ſind ſie verge-
ben: So iſt das ein außgemachter Handel/ daß in des Predi-
gers Macht nicht ſtehet/ nach ſeinem Belieben Suͤnde zu vergeben/ ſondern
er iſt gewieſen auff gewiſſe condition und Bedingung/ die aber dem/ ſo
abſolviret wird/ am beſten bekom̃t. Es pfleget zwar der Prediger die Ab-
ſolution zu ſprechen allen die ſich anmelden/ auß Liebe/ die alles hoffet und
glaubet: Er iſt kein Hertzen-Kuͤndiger. Jſt nun die Buß rechtſchaffen/
ſtimmet Hertz und Mund uͤberein/ ſo iſt die Vergebung fuͤr GOtt kraͤfftig:
Jſt die Buß falſch/ ſo iſt die Abſolution nichts/ ſie gilt nicht/ Prediger ſind
nicht Herren/ ſondern Oeconomi, Haußhalter/ 1. Cor. 4, 1. Jſt derowegen
der
[248]Die Sechſte Predigt
der jenige/ dem die Suͤnden vergeben werden/ nicht 1. homo manifeſtè ſce-
leratus,
ein offentlicher/ beſchreyter/ hartnaͤckiger Suͤnder/ Atheiſt/ Gottes-
laͤſterer/ Geitzhals/ Trunckenbold/ ꝛc. wann der Prediger einen ſolchen
Menſchen abſolvirt, ſo bindet er ſeine Suͤnde. Es iſt ein falſches/ Zeug-
nuß und Suͤnde wider das achte Gebott/ wann man einen hartnaͤckigen
und unbußfertigen Suͤnder abſolvirt/ man wirfft das Heiligthum fuͤr die
Hunde. Unſer Catechiſmus macht einem ſolchen Geſellen ein anderes
Facit: Aber die hartnaͤckigen und unbußfertigen/ die die Kirch
zur Beſſerung nicht hoͤren wollen/ und die glaubige Gemein
mit den offentlichen ſchweren Suͤnden und bannigen Laſtern
veraͤrgert haben/ ſoll man offentlich ſtraffen/ auff daß ſie ſcham-
roth werden/ von Suͤnden abſtehen ſich bekehren und beſſeren.
Wie dann wol zu wuͤnſchen waͤre/ daß der verroſtete Bann-Schluͤſſel
wieder herfuͤr geſuchet/ und nicht geſchieden wuͤrde/ was GOtt zuſammen
gefuͤget. Nicht 2. contritor cordis, wie die Exempel Cains und Judæ
außweiſen/ bey welchen ihre Reue in eine Verzweiffelung verwandelt wird.
Nicht 3. Satisfactor operis, wie zwar im Papſtthum gelehret wird/ da ſie
fuͤrgeben/ durch Chriſti Verdienſt werde zwar auffgehaben die ewige
Straffe/ aber nicht die zeitliche/ es bleibe unter deſſen die Schuld/ die zeitli-
che Straffe zu buͤſſen entweder in dieſem/ oder in jenem Leben. Daher das
Purgatorium und Fegfeur/ Cloſter-Leben und andere Mißgeburten und
Greuel entſtanden. Es iſt aber dieſes dogma Antichriſtianum lauffet
wider Chriſti vollkommenes Verdienſt/ iſt eben/ als wann man Waſſer
wolt ins Meer tragen. Iniquum, iſt eben/ als wann einer Frucht ſchuldig
waͤre/ und wolts mit Stroh bezahlen. σιδηρόξυλ [...], wo keine Schuld nicht
mehr iſt/ da iſt auch kein reatus und Straff-Pflicht. Eine verzweiffelte
Lehre/ maſſen ein Wunder/ daß ein Papiſt jemal kan froͤlich ſeyn. Strei-
tet wider die Exempel des Zoͤllners/ Luc. 18. der Suͤnderin/ Luc. 7, 50. Pe-
tri/ Matth. 26, 75. des Schaͤchers/ Luc. 23, 43. Wie kom̃t es dann/ moͤch-
te jemand ſagen/ daß nach der Vergebung gleichwol Adam auß dem Pa-
radiß gemuͤßt/ David ſchroͤckliche Straffen außſtehen/ der Schaͤcher am
Creutz ſterben? Antwort/ es ſind keine Straffen/ dann ſie kommen vom
verſoͤhneten GOtt/ ſondern Vaͤtterliche Zuͤchtigungen/ μνημόσυνα lapſus,
wann Adam an den Paradiß-Garten gedacht/ iſt ihm ſein Fall wieder im
Gedaͤchtnuß neu worden/ Geiſtliche purgationes, damit der Menſch die
Gnade GOttes nicht wieder verliere. Nicht 4. Confeſſor oris, Dann
ob zwar die aͤuſſerliche Mund-Beicht ihren Nutzen hat/ daß einem in indi-
viduo
die Gnade zugeeignet/ und mehr deren verſichert werde; Jedoch ſo
iſt
[249]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
iſt ſie nicht abſolutè noͤthig/ dann David hats GOtt immediatè gebeicht/
Pſal. 32/ 5. deßgleichen der Zoͤllner/ Luc. 18. Waͤre die aͤuſſerliche Ohren-
und Mund-Beicht abſolut und ſchlechter dings noͤthig/ ſo muͤßte es den
Chriſten/ ſo unter den Heyden und Tuͤrcken wohnen/ und das offentliche
miniſterium und Kirchen-Dienſt nicht haben koͤnnen/ uͤbel geſagt ſeyn.


Sondern die/ welchen der Loͤß-Schluͤſſel gedeyet/ ſeynd nach der Glau-
bens-Regul 1. Captivi, arme/ gefangene/ nicht Teuffel und boͤſe Gei-
ſter/ die ſeynd mit Ketten der Finſternuß zur Hoͤllen verſtoſſen/ und uͤberge-
ben/ daß ſie zum Gericht behalten werden. 2. Petri. 2. Sondern Menſchen
und Adams-Kinder/ die Gott in der Ewigkeit ὀφϑαλμῷ ἐλεήμονι, mit Gna-
den-Augen angeſehen/ und zwar captivi naturaliter, die die Gefangenſchaft
mit auff die Welt gebracht/ fœtus ſequitur ventrem, weil unſere erſte Mut-
ter die Freyheit um einen Apffel verkaufft/ werden nun alle ihre Kinder und
Kinds-Kinder in dieſer Sclaverey gebohren/ mit welchem Band auch die
Widergebohrne behafftet/ und dieweil ſie taͤglich ſuͤndigen/ ſo haben ſie auch
des Loͤß-Schluͤſſels noth; haben zwar dem Sathan in der Tauff abgeſagt/
tragen aber den Diebs-Strick noch am Hals/ muͤſſen ſich damit ſchleppen
biß in den Tod/ und mit St. Paulo klagen/ ſie ſeyen verkaufft unter die
Suͤnde Rom. 7/ 14. feylen zwar die Suͤnden-Feſſel je laͤnger je mehr ab/
ſeynd in ſtatu coacto, gehet ihnen wie einem edlen Gemuͤth/ das von den
Tuͤrckiſchen See-Raͤubern an die Galeen geſpannen/ das Gemuͤth waͤre
gern frey/ aber der Leib iſt gefangen/ mit dem Gemuͤth dienen ſie dem Geſaͤtz
GOttes/ aber mit dem Fleiſch dem Geſaͤtz der Suͤnden. Captivi volun-
tarii,
die Mamelucken/ die ſich ſelbs muthwilliger weiß in des Sathans
Strick begeben durch Suͤnde wider das Gewiſſen/ von GOtt abfallen/ in
des Teuffels Schellen-Werck gehen/ verknuͤpfft mit Ungerechtigkeit/ wie
Simon/ Act. 8, 24. Ja auch gar Zauberer und Unholden/ GOttes ab-
geſagte Feinde/ die ſich dem Sathan leibhafftig ergeben/ und in groſſer
obligation ſtehen/ demſelben mit ſonderbaren Ceremonien/ Geluͤbden/
Verſchwoͤrungen/ mit Leib und Seel zu eygen verſprechen/ der hochgebe-
deyten Drey-Einigkeit abſagen/ greuliche/ uͤber-Sodomitiſche Unzucht pfle-
gen/ und mit ihrem eygenen Blut ſolche Verbuͤndnuß beſtaͤttigen. Dann
ſo weit ſich Chriſti λύτρον und Loͤß-Geld erſtrecket/ ſo weit auch dieſer Schluͤſ-
ſel. Nun reiniget das Blut Jeſu Chriſti von aller Suͤnde/ keine außge-
ſchloſſen. Das iſt je gewißlich waar und ein theures werthes
Wort/ daß Jeſus Chriſtus kom̃en iſt in die Welt/ die Suͤnder
ſelig zumachen/ unter welchen ich der fuͤrnemſte bin/ aber darum
iſt mir Barmhertzigkeit widerfahren/ auff daß an mir fuͤrnem-
Zehender Theil. J ilich
[250]Die Sechſte Predigt
lich Jeſus Chriſtus erzeigete alle Gedult/ zum Exempel denen/
die an ihn glauben ſollen zum ewigen Leben. 1. Tim. 1/ 15. 16. Aber
damit iſts noch nicht außgericht/ ſondern es folget ferner nach Erfriſchung
Goͤttlicher Ordnung und Glaubens-Analogi; die ſchmertzliche/ hertzliche/
und innigliche Erkantnuß/ und ſeind alſo des Loͤß-Schluͤſſels faͤhig.


II. Agnoſcentes captivitatem, die ihr Elend und Gefangen-
ſchafft erkennen/ der Teuffel/ als ein ſtarcker gewapneter/ der ihme das
Wildprett nicht gern laßt auß den Klauen ziehen/ verblendet die Hertzen/
daß ſie ihre Stricke nicht ſehen. Gleich wie die Phrenetici, die arme Tol-
len/ die im Kaͤffig ſitzen/ ſich noch groſſe Freyheit und Herꝛlichkeit einbilden:
Alſo ſind wir von Natur/ wie die Vernæ und heimgebohrne leibeygene
Knechte/ und verſtehen unſern Jammer nicht. Zum Exempel/ die Rei-
chen in der Welt/ die ihres eygenen Guts Sclaven und Gefangene ſeynd/
die wohnen in palatiis, haben Kiſten und Kaͤſten alles voll/ des Prachts
und Haußraths uͤberfluͤſſig/ tragen guldene Ketten am Hals/ das hat
kein Anſehen einer Gefaͤngnuß/ und ſeynd doch dieſes die rechte Stricke
und Kaͤffig/ auro alligati poſſidentur magis quàm poſſident, ſchreibt
Cyprian. lib. 2. epiſt. 2. das iſt: Sie ſeynd vom Gold verſtricket/
und werden von ihm mehr beſeſſen/ dann daß ſie es beſitzen.
Gehet ihnen eben wie gefangenen Koͤnigen/ davon Tertullian. ſchreibet/
l. 2. de habit. mulier. c. 7. Apud barbaros quosdam quia vernaculum
eſt aurum \& copioſum auro vinctos in ergaſtulis habent, \& divitiis ma-
los onerant, tantò locupletiores, quantò nocentiores. Accommodi
rt
daſſelbe auff das praͤchtige Weibs-Volck/ das gedencket nicht/ daß praͤch-
tige Kleider anders nichts ſeyen/ als praͤchtige Stricke ihrer Gefaͤngnuß.
Ein mancher Edelmann/ Freyherꝛ/ Graff/ Fuͤrſt/ bildet ihm groſſe Frey-
heit ein/ und iſt doch ein Sclav und Gefangener des boͤſen Geiſtes/ ſervus
tot dominorum quot vitiorum,
ein Knecht ſo vieler Herren/ ſo vielen
Laſtern er unterworffen/ wie vor zeiten die Brachmaner Alexandrum Ma-
gnum
beſchlagen. Und ſo gehets mit andern Suͤnden mehr/ je tieffer man-
cher drinnen ſtecket/ je weniger er will gefangen ſeyn/ lacht noch wol druͤber.
Ja welches das alleraͤrgſte/ ſo iſt der Menſch nicht nur blind/ ſondern
wann man ihm von ſeinem Elend ſagt/ ſo treibt er noch ein Geſpoͤtt dar-
auß/ ziehets noch wol in ein Gelaͤchter/ als wann man den Loͤß-Schluͤſſel ei-
nem Thurn-Schluͤſſel vergleicht/ das Predig-Ampt einem Stock-Meiſter/
analog [...], der Glaubens-Regul gemaͤß/ σαφὠς, evidenter, und gehofft/ es
ſolte maͤnniglich erzittern/ erſchrecken/ es zu Hertzen nehmen/ einen Schauder
laſſen
[251]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
laſſen durch Marck und Bein dringen/ finden ſich wol Leut/ ſonderlich un-
ter Maͤgden und Jungfrauen/ die es in ein aͤrgerlich Gelaͤchter ziehen/ wie
man deñ wol weiß/ daß es unlaͤngſt geſchehen/ doͤrffens noch wohl unrecht
verſtehen und heim bringen/ und es laͤcherlich fuͤrtragen. Redet man
ohne Gleichnuß ſo iſts den Leuten zu hoch/ bemuͤhet man ſich und medi-
tirt/ wie man auch hohe/ wichtige Geheimnuß (denn die gehoͤren auff die
Cantzel) leicht fuͤrtragen moͤge/ und zwar nicht auff ein neue Manier/
dann die Gleichnuß fuͤhret auch Chemnit. c. 85. harm. ſo hat man Spott
zum Danck; es heiſſet faſt wie Chriſtus ſagt: Wir haben euch ge-
pfiffen/ und ihr wolt nicht tantzen/ wir haben euch geklaget/
und ihr wolt nicht weynen. Man mache es wie man woll/ ſo iſts
nicht recht. Aber unterdeſſen ſollen ſolche Leute wiſſen/ ſie ſeyen GOt-
tes-Veraͤchter. Wer euch verachtet/ der verachtet mich. Luc. 10/
16. und in gewiſſer maaß Suͤnder wider den H. Geiſt/ gehoͤren unter
die Geſellſchafft der χλευαζόντων, und Spoͤtter/ Act. 2, 13. Sie ſchla-
gen ins Teuffels Art/ der ſpottet der Geheimnuß/ ſeynd die rechte Gebun-
dene des Sathans/ werden ſie ihr Elend nicht erkennen/ ſo werden ſie
einmahl Zetter und Mordio ſchreyen und weinen muͤſſen. Nun ſie
moͤgen lachen/ wir weinen uͤber ihre/ als der Phreneticorum und Tollen
Thorheit. Einmahl dieſe Gefaͤngnuß muß erkant ſeyn/ wie hefftig ſich
auch der ſtoltze und alte Adam ruͤmpfft/ der will kein Malefitz-Perſon ge-
ſcholten ſeyn; aber ohne dieſe Erkantnuß kan der Menſch nicht auff freyen
Fuß geſtellet werden. Wolten die Juͤden auß der Babyloniſchen Ge-
faͤngnuß ſeyn/ ſo mußten ſie Koͤnig David nach ſingen/ Pſ. 137.


An Waſſerfluͤſſen Babylon/

Da ſaſſen wir mit Schmertzen/

Als wir gedachten an Zion/

Da weynten wir von Hertzen/

Wir hiengen auff mit ſchwerem Muth/

Die Harpffen und die Orgeln gut/

An ihre Baͤum der Weyden/

Die drinnen ſind im ihrem Land/

Da mußten wir viel Schmach und Schand/

Taͤglich von ihnen leyden.

J i ijIII. Deſpe-
[252]Die Sechſte Predigt

III. Deſperantes omnia humana auxilia, die an aller menſchli-
chen Huͤlffe verzweifflen und verzagen. Vernunfft gibt manch-
mahl den Gefangenen ſolche abentheurliche Anſchlaͤg an die Hand/ dar-
durch ſie ſich loß wuͤrcken/ daß man ſich nicht gnug verwundern kan.
Jn der Apoſtel Geſchicht c. 9. hielten die Juden auff Paulum ihn zu toͤd-
ten/ huͤteten Tag und Nacht in der Stadt Damaſco an den Thoren/ ſie
gedachten/ ſie haͤtten ihn im Sack/ aber die Juͤnger nehmen ihn bey der
Nacht/ und lieſſen ihn in einem Korb von den Mauren herab. Jene
Graͤfin in Caſtilien begibt ſich in Pilgrims Geſtalt gen Compoſtell auff
Erlaubnuß zu ihrem Ehegemahl ins Gefaͤngnuß/ ſie unterdeß legt ihres
Manns Kleider an/ und erlanget Perdon und Gnade. Es iſt nicht viel
uͤber zwantzig Jahr/ daß ein beruͤhmter Mann in Niderland/ der auff
Leib und Leben gefangen gelegen/ durch folgende Liſt ſich loß gewuͤrcket.
Dieweil ihm/ als einem gelehrten Mann/ erlaubt geweßt Buͤcher zu ſich
zu nehmen/ hat ſein Ehe-Weib laſſen einen Trog machen/ ſo lang als der
Mann geweßt/ und Buͤcher hinein getragen/ und andere gebracht/ und
es etlich Monat getrieben/ daß es die Schildwacht nit mehr geacht/ endlich
legt ſie ihren Mann in den Trog/ ſie und ihre Magd tragen und bringen
ihn/ als waͤrens Buͤcher/ herauß an die See/ da ein Schiffer beſtellt ge-
weſen/ der ihn biß gen Gorcum ſicher gebracht/ und er alſo davon kommen:
Alſo hat auch die Vernunfft viel Weg und Mittel erfonnen/ ſatisfactio-
nes, Indulgen
tzen/ ꝛc. Jſt aber vergebene Arbeit/ der Poß will nicht ab-
gehen/ gehet ſolchen Leuten eben/ wie denen/ die ſich in die Freyheit begeben
wollen/ auß dem Gefaͤngnuß außbrechen/ und aber Hals und Bein ab-
fallen. Was nun dem Geſaͤtz unmuͤglich war/ das mußte der Sohn
GOttes thun.


IV. Liberationem captantes, die nach der Erloͤſung ſchnap-
pen/ ſeufftzen und ſich ſehnen/ mit Haͤnden und Fuͤſſen ergreiffen und
im Glauben annehmen. Glaub und Loͤß-Schluͤſſel ſeynd correlata,
dein Glaub hat dir geholffen/ gehe hin im Frieden/ Luc. 7. verſ.
ult.
Joſeph feufftzet/ und ſpricht den Schencken an/ Gedencke meiner/
wann dirs wohl gehet/ und thue Barmhertzigkeit an mir/ daß
du Pharao erinnerſt/ daß er mich auß dieſem Hauße fuͤhre.
Gen. 40, 14. Alſo muͤſſen wir Chriſtum/ der auch in den Banden geweßt/
anſprechen/ Er wolle das beſte bey der Sachen thun/ Barmhertzigkeit ein-
wenden/ und uns ſeiner Fuͤrbitt bey ſeinem himmliſchen Vater genieſſen
laſſen. Als Benhadad in der Stadt Apheck im Sack geweßt/ von einer
Kammer in die andere geflohen/ und nicht gewußt/ wo auß noch ein/ ſprach
ſein
[253]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
ſein Knecht zu ihm: Siehe/ wir haben gehoͤret/ daß die Koͤnige
des Haußes Jſrael barmhertzige Koͤnige ſind. So laſſet uns
Saͤcke um unſere Lenden thun/ und Stricke um unſere Haͤu-
pter/ und zum Koͤnige Jſrael hinauß gehen/ vielleicht laͤſſet er
deine Seele leben. Und ſie guͤrteten Saͤcke um ihre Lenden/
und Stricke um ihre Haͤupter/ und kamen zum Koͤnige Jſrael/
und ſprachen: Benhadad dein Knecht laͤſſet dir ſagen: Lieber
laß meine Seele leben. Er aber ſprach: Lebet er noch/ ſo iſt
er mein Bruder. 1. Reg. 20, 31. Alſo muß ein jeder/ der fuͤr dem geiſt-
lichen Malefltz-Gericht ſtehet/ und Abſolution/ Vergebung ſeiner Suͤnden
erlangen will/ in wahrer Reu/ ſein Suͤnd bekennen ohne Scheu/ und Hoff-
nung haben zur Gnade/ und das iſt die Meinung in der Beicht: All-
maͤchtiger/ barmhertziger GOtt und Vater/ wir bekennen und
verjaͤhen dir/ daß wir leyder in Suͤnden und Ungerechtigkeit
empfangen und gebohren/ voller Ubertrettung ſind in allem un-
ſerm Leben/ als die deinem heiligen Wort nicht vollkommen
glauben/ noch deinen Gebotten nach geleben. Das iſt uns
aber allen von Hertzen leyd/ und begehren deiner Gnade. So
erbarme dich nun uͤber uns/ du allerguͤtigſter GOtt und Va-
ter/ und um deines lieben Sohnes unſers Heylands JEſu
Chriſti willen ſeye gnaͤdig/ ꝛc.


V. Militiam \& odium captivitatis promittentes, die den Fuͤr-
ſatz faſſen/ daß ſie/ wann ſie loß worden/ und den Teuffel ler-
nen kennen/ dergleichen nicht mehr thun wollen. Die Roͤmer
vor zeiten pflegten die Gefangenen und ihre Huͤter mit einer Ketten anzu-
binden/ alſo daß des Gefangenen Rechte an ein Theil der Ketten/ und des
Huͤters lincke Hand an das ander Theil angebunden geweßt; Alſo iſt
Satan und der Menſch an einer Ketten gebunden/ aber ſo bald die Abſo-
lution folget/ muß er dem Satan abſagen/ ſich zur Wehr ſtellen/ und ſeine
Kindlein klein (hoc eſt motus primos) erfaſſen/ und ſchlagen an ein
Stein/ damit ihr werd vergeſſen.


Alles nun/ was bißher mit wenigem außgefuͤhret worden/ iſt gar ſchoͤn
verfaſſet im gemeinen und bereits beruͤhrten Beicht-Gebet: Allmaͤch-
tiger/ barmhertziger GOtt/ wir bekennen und verjaͤhen dir/ iſt
die Agnitio und Erkanmuß der Suͤnde. Das iſt uns aber allen
von Hertzen leyd/ und begehren deiner Gnade/ iſt deſperatio ſui,
die Verzweiffelung an eigener Krafft/ ſich von Suͤnden loß zu wuͤrcken/
ſo erbarme dich nun uͤber uns/ iſt liberationis deſiderium, das ſehn-
J i iijliche
[254]Die Sechſte Predigt
liche Verlangen nach dem Ablaß/ und verleyhe uns deine Goͤttliche
Gnade/ daß wir uns warhafftig beſſern/ iſt propoſitum, der Vor-
ſatz ſein Leben zu beſſern.


Wie nun ſchließlich Lehrer und Prediger achtung auff ſich zu geben/
daß ſie mit ihrem Schluͤſſel nicht irren/ und irgends monomachis, concu-
binariis, irreconciliatis,
und alſo Hunden und Saͤuen das Heiligthum
nicht fuͤrwerffen/ ſondern ſich verſichern/ daß/ wo ſie unbefugt den Loͤß-
Schluͤſſel brauchen/ ihre Suͤnden im Himmel ſollen gebunden werden.
Alſo haben wir alle/ in einer Idea, mit was Hertzen wir erſcheinen ſollen
bey der Aſolution/ nicht als ſtoltze Cavallier/ ſondern als arme Gefangene/
nicht als ein Blinder/ der die Warheit gefangen haͤlt. Zum Exempel/
ein Geitzhals faſſet ihm eine falſche Meinung/ 8. procento ſeye nicht un-
recht: ein Welt-Kind bildet ſich ein/ Sabbath-Entheiligung ſeye nicht
unrecht/ weil es kein Obrigkeit ſtraffet/ ein Vollhuͤgel Rauſch ſauffen/ ein
Laͤſterer dencket/ ſchelten und laͤſtern ſeye nicht unrecht/ nicht als Heuchler
und wie jener Schalcks-Knecht/ der/ da ihm 10000. Pfund erlaſſen
worden/ ſeinem Mitknecht nicht 100. Groſchen erlaſſen wollen. Alſo
ſuche niemand bey GOtt Ablaß ſeiner Suͤnden/ und brenne gegen ſeinem
Naͤchſten in bitterm Haß. Sondern mit erleuchteten Hertzen/ in rechter
Erkantnuß der groſſen Seelen-Gefahr/ darinn wir alle ſtecken/ und innig-
licher Sehn-Sucht/ darnach zutrachten/ wie wir wieder moͤchten liberirt
und befreyet werden/ bevorab weil es nichts koſtet. Ach was fuͤr ſaure
Arbeit war es vor zeiten im Papſtthum/ wie manche ſchwere Reiße mußten
ſie nach dem Ablaß uͤber ſich nehmen/ und haben doch den rechten Ablaß
nicht gefunden.


Wohl nun allen Geiſt-Armen und Geiſt-Hungerigen Hertzen/ denen
gilt das Wort Chriſti: Welchen ihr die Suͤnde vergebet/ denen
ſind ſie vergeben. Er ſagt nicht: was im Himmel geloͤßt wird/ das
ſoll auch auff Erden geloͤßt ſeyn/ dann koͤnte man nicht gewiß ſeyn/ ſondern
was ihr auff Erden loͤſen werdet/ ſoll auch im Himmel loß ſeyn.
O ein gewaltiger Troſt/ davon Luther. Tom. 6. Jen. fol. 148. Hat
mich der Prieſter abſolvirt/ ſo verlaſſe ich mich daruff/ als
auff Gottes Wort ſelber/ ſind es denn GOttes Wort/ ſo wird
es wahr ſeyn/ da bleib ich bey/ da ſterb ich auff. Denn du ſolt
ſo feſt trauen auff des Prieſters Abſolution/ als wann dir
GOTT einen beſonderen Engel oder Apoſtel ſendet/ ja ob dich
Chriſtus ſelbs abſolvirt. Deſſen hat ſich getroͤſtet Adam und Eva/
David/ die Suͤnderin Luc. 7. der Gichtbruͤchtige Matt. 9. Sey getroſt/
dir
[255]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
dir ſeind deine Suͤnden vergeben. Und mit dieſen Worten troͤſtet
ihr euch auch alle unter einander. Amen.



Die Siebende Predigt.
Vom
Bind-Schluͤſſel.


GEliebte in Chriſto. Was Judas Maccabeus/ der
Großmuͤthige kuͤhne Loͤw/ unuͤberwindliche Siegs-Held
und getreue Juͤdiſche Patriot/ nach erlangtem Sieg und
erhaltenem Land-Frieden/ aͤuſſerlich und leiblicher weiß ge-
than/ weſſen er ſich erklaͤret/ worzu er ſeine Voͤlcker ange-
friſchet/ auffgemuntert/ und geſagt: Laßt uns hinauff
ziehen nach Jeruſalem/ und das Heiligthum wieder reinigen.
1. Maccab. 4/ 36. Es hatte Antiochus, der groſſe Juden-Feind/ der
ſonſt genante [...]πιφαιὴς, aber in der Warheit [...]πιμαιὴς, der unedle/ und un-
ſinnige edle/ dem allerhoͤchſten zu Trutz/ dem Juͤdiſchen Volck zum Ver-
drieß/ in den Tempel zu Jeruſalem gebracht den Greuel der Verwuͤſtung/
und das Idolum Jovis Olympii auff den Altar ſetzen laſſen/ wie auch zu
Garizim den Tempel mit dem Goͤtzen Jovis Xenii beſudelt/ 2. Maccab. 6/ 2.
denen mußte man Saͤu-Fleiſch und andere unreine Thiere opffern/ wozu
man die Leute gezwungẽ/ alle Monat auf des Koͤnigs Geburts-Tag derglei-
chen zu thun: auff des Bacchi Feſt mußten ſie in Kraͤntzen von Ephaͤu dem
Baccho zu Ehren/ einher gehen. Summa/ er hat den Tempel GOttes
erbaͤrmlich entheiliget/ mißhandelt/ und ſchaͤndlich zugerichtet/ daß das
Heiligthum verwuͤſtet/ der Altar entheiliget/ die Pforten verbrant/ der Platz
umher mit Graß bewachſen/ wie ein Wald oder Gebuͤrg/ und der Prieſter
Zellen verfallen geweßt/ anderer unmenſchlichen/ tyranniſchen veruͤbten
Thaten zu geſchweigen. Nach dem aber der Herr maͤchtig im Streit/
der Herr Zebaoth/ Judæ Maccabæo einen Sieg uͤber den andern beſcheh-
ret/ und da er die Gorgias, die Lyſias, die Apollonios, und andere auffs
Haupt geſchlagen/ auch dem Juͤdiſchen Volck wiederum Ruhe und Friede
geſchafft/ ſo ſtellet er darauff die Encænia an/ er und ſeine Bruͤder rufften
dem gantzen hellen Hauffen und Voͤlckern zuſammen/ und ſagten: Die-
weil
[256]Die Siebende Predigt
weil unſere Feinde verjagt ſind/ und wir wieder friſchen Lufft
ſchoͤpffen koͤnnen/ ſo laßt diß unſer erſte angelegene Sorge ſeyn/
laßt uns hinauff ziehen/ und das Heiligthum wieder reinigen.
Wie dann auch geſchehen.


Was/ ſag ich/ Judas und ſeine Bruͤder gethan/ das ſolte nunmehr
auch/ nach/ durch GOttes unverdiente Gnade erhaltenem lieben/ edelen
Land-Frieden/ unſere erſte und fuͤrnemſte Gedancken/ Sorgfalt/ Bey-
tragung/ Muͤhe/ Reſolution und Anfriſchung ſeyn. Laßt uns hinauff
ziehen/ und das Heiligthum wieder reinigen. Nun der Herr alle un-
ſere Feinde verjagt/ nun er Huͤlffe geſchafft/ daß man wieder getroſt leh-
ren kan/ nun der liebe Frieden ſeine Strahlen blicken und leuchten laſſen/
ſo laßt uns fuͤr allen dingen den geiſtlichen Tempel GOttes/ welcher iſt
die Chriſtliche Kirch/ von denen im verwichenen Kriegsweſen eingeriſſe-
nen Aergernuͤſſen reinigen/ die Idola, βδελύγματα und Greuel außmu-
ſtern/ die Wildnußen und Wuͤſteneyen außfegen und ſaͤubern/ die aras
haras reformi
ren/ und alſo auch unſere Encænia celebriren/ und conſe-
quenter
auff eine rechte/ ernſt-eyffrige/ Chriſtliche Diſeiplin bedacht ſeyn/
dardurch das eingeriſſene Aergernuß außgeraͤumet/ das gefallene auff-
gerichtet/ und das ſchwache wieder geheylet werde. Chriſtus JEſus
unſer HErr iſt derſelbige geiſtliche Judas/ der zweyſtaͤmmige Held/ der
hat uns ſolche Encænia hoch befohlen mit Worten. Er iſt uns fuͤrge-
gangen mit einem zwar leiblichen/ aber wunderthaͤtigen Exempel. Dann
da er einsmahls in Tempel kommen/ und geſehen/ wie man ihm auß ſei-
nem GOttes-Hauß und Bet-Hauß/ ein Kauff-Hauß/ ein Raub-Neſt
und Moͤrder-Grub/ durch Marckententherey/ Kraͤmerey und Wechſel-
Banck gemacht/ ohne Zweiffel auch Platz- und Stuhl-Kraͤmerey/ aller-
hand Simoni und Fuggerey geuͤbet/ ſo ſiehet Er ſich genau um/ halt eine
ſcharffe Viſitation, (περιβλεψάμενος πάντα, Marc, 11, 11.) ergreiffet eine
Geiſſel/ und kein Fuchs-Schwantz und treibet ſie herauß ohne Wieder-
ſtand/ ſummo miraculo. Welche von Chriſto ſo hoch recommen dirte/
gelobte/ und exemplificirte Kirchen-Buß/ ſo vermittelſt des Bind-
Schluͤſſels geſchiehet/ fuͤr dißmahl unſere Lection ſeyn ſoll. Dann nach
dem wir allbereit dem Loͤß-Schluͤſſel ſein Recht angethan/ folget nun/ daß
wir in richtiger Ordnung den Bind-Schluͤſſel herfuͤr nehmen/ und beſe-
hen/ in denen Umſtaͤnden darinnen ihn uns Chriſtus beſchrieben/ in den
abgeleſenen Worten. Chriſtus Jeſus der großmaͤchtige Tempel-Herꝛ
und Sanctus Sanctorum, gebe Krafft und Gedeyen zu unſerm Vorhaben/
daß es nicht ohne Frucht und Nutzen abgehe. Amen.


Die
[257]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

GEliebte in Chriſto. Wann wir demnach den Bind-Schluͤſ-
ſel in ſeinen Qualitaͤten und Eigenſchafften beſchauen/ ſo kommt
er uns vor/ und wird beſchrieben/ als


I. Clavis Cœleſtis ein Himmel-Schluͤſſel. Dieweil ihn vom
Himmel herab der Vater geordnet/ der Sohn mit ſeinem Blut theur er-
kaufft/ der H. Geiſt geſchmiedet/ und der Braut Chriſti angehaͤnget. Weil
er entweder zum Himmel fuͤhret/ oder vom Himmel außſchlieſſet/ weil er
nach einer himmliſchen Richtſchnur abgemeſſen/ ein Schluͤſſel/ nicht wie
ihr die Vernunfft einbildet/ ſondern wie ihn die Schrifft beſchreibet/ clavis
diaconica \& œconomica,
ein Schaffner-Keller- und Knecht-
Schluͤſſel. Hinweg mit dem herꝛſchenden Regenten- und Siegs-
Schluͤſſel/ ſo nichts anders/ als die Hoͤchſte Gewalt uͤber die gantze Kirche/
ſo wol die ſtreitende/ als die leidende im Fegfeur/ und dann die triumphi-
rende im Himmel. Summa/ ein ungemeſſener Gewalt-Schluͤſſel/ ein
Schrifft-Schluͤſſel/ ein Geſetz-Schluͤſſel/ ein Reichs-Schluͤſſel/ der der
Koͤnige Cronen und Scepter eingeſchloſſen. Jſt aber ein unziemlicher
Schluͤſſel/ ein Diebs-Schluͤſſel und Dieterich/ den der Teuffel Gott ge-
ſtohlen/ Chriſto angebotten/ dem Anti Chriſt gegeben/ damit er dem Herꝛn
uͤber den Schatz und Cantzley einbricht/ gleich einem untreuen Knecht/ dem
der Keller vertrauet/ aber auch den Schatz-Schluͤſſel ins Wachs trucket.
Jſt der Hoͤllen-Schluͤſſel/ davon Apoc 9.


II. Clavis ligans \& retinens, ein Behalt- und Bind-Schluͤſ-
ſel/ dann ſo wird er genennet Matth. 16, 19. cap. 18, 18. Johan. 20, 23.
Eigentlich ein rechter Kercker-Schluͤſſel/ da eine Malefitz-Perſon ins Loch
oder in den Stock verſchloſſen/ mit Ketten angefeſſelt/ und mit einem Mahl-
ſchloß beleget wird/ daß er nicht herauß kan/ wie Paulo und Sila begegnet/
Act. 16. die der Kercker-Meiſter zu Philippis ins innerſte Gefaͤngnuß ge-
worffen/ und ihre Fuͤſſe in den Stock gelegt/ und demnach clavis incluſiva,
wie eines ſolchen Schluͤſſels gedacht wird Apoc, 20, 1. da der Engel vom
Himmel/ der den Schluͤſſel zum Abgrund hatte/ ein groſſe Kette in ſeiner
Hand gehabt/ und damit den Satan gebunden tauſend Jahr/ in den Ab-
grund geworffen/ und darin verſchloſſen: Alſo wird durch dieſen Schluͤſ-
ſel der ſuͤndige Menſch dem Satan uͤbergeben/ und in ſeine Gewalt gege-
ben/ wie eine Malefitz-Perſon dem Hencker und Peinigern uͤbergeben wird/
daß ſie mit ihm umgehen/ wie es ihnen von der Obrigkeit befohlen/ wie
dorten Matth. 8, 32. die Schwein dem Satan von Chriſto erlaubet wor-
den/ in ſie zu fahren. Clavis excluſiva à regno cœlorum, ein Schluͤſſel/
der dem Menſchen den Weg zum Reich GOttes verſperret/ und zwar zum
Zehender Theil. K kReich
[258]Die Siebende Predigt
Reich der Gnaden und Ehren/ daß er nicht anders gehalten wird/ als wie
im Alten Teſtament ein verbannter/ Lev. 27, 28. oder wie ein Zoͤllner/ dem
der Zutritt und Eingang in das Heilige verwehret/ Luc. 18, 13. Wie ein
Heyd/ mit dem ein Jud nichts zuſchicken noch zu ſchaffen haben wolte.
Jhr wiſſet/ ſagt Petrus zu Cornelio dem Roͤmiſchen Hauptmann/ wie
es ein ungewohnt ding iſt einem Juͤdiſchen Mann/ ſich zu thun/
oder kommen zu einem Fremdlinge. Act. 10, 28. Und diß iſt die ex-
communicatio minor,
der kleine Bann/ da ein ſolcher verbannter außge-
ſchloſſen wird von der Gevatterſchafft bey der H. Tauff/ und vom Gebrauch
des H. Abendmahls/ der groͤſſere/ Cherem genannt/ iſt/ wann er von ſei-
nem ordinari Sitz in offentlicher Kirch/ deßgleichen von aller converſation
und Geſellſchafft außgeſchloſſen wird. Jch habe euch geſchrieben/ ihr
ſolt nichts mit ihnen zu ſchaffen haben/ 2. Cor. 5, 11. Und ſo je-
mand nicht gehorſam iſt unſerm Wort/ den zeiget an durch ei-
nen Brieff/ und habt nichts mit ihm zu ſchaffen. 2. Theſſ. 3, 14. als
mit einem raͤudigen Schaaff. Das groͤſte iſt Maranatha, ſchamatta, da
man ihn ohne Geſang und Klang hinauß getragen/ und als ein Eſel nicht
auff den Gottes-Acker begraben. Clavis terribilis, kein brutum fulmen,
und Fehl-Streich/ ſondern er iſt fuͤr GOtt guͤltig und kraͤfftig gnug/ und
trifft alle/ die in aͤrgerlichen und beharꝛlichen Laſtern ſtecken/ und erſchroͤck-
liche Aergernuſſen geben. In ſpecie, die Atheiſten/ die GOTT und ſein
Wort nicht achten/ von der Chriſtlichen Lehre hoͤniſch und ſpoͤttiſch reden/
etliche Monat ſich der Kirchen und dero Communion enthalten: Die Apo-
ſtatas
und Mamelucken/ 1. Tim. 1, 20. Ketzer/ Tit. 3, 10. 1. Tim. 4, 1. Got-
tes-Laͤſterer/ Meineydige/ Segen-Sprecher/ Sabbath-Schaͤnder/ die Ra-
ben-Eltern/ die ihren Kindern boͤſe Exempel geben/ und boͤſe Kinder/ die
ihre Eltern ſchlagen/ die unverſoͤhnliche Neid-Haͤmmel/ ſonderlich Eheleut/
die wie Hund und Katzen leben/ die Hurer/ Ehebrecher/ Blut-Schaͤnder/
Hoffarts-Anfaͤnger/ die Vollhuͤgel/ die unordentlich wandeln/ nicht arbei-
ten/ ſpielen und raſſeln/ die Wucherer und Uberſetzer/ die Laͤſter-Maͤuler.
Summa/ alle und jede Suͤnder/ die entweder die Obrigkeit nicht ſtrafft:
Dann das iſt die Urſach/ daß Paulus ſolche ſcharffe Diſciplin mit dem
Blut-Schaͤnder fuͤrgenommen/ 1. Cor. 5. oder nicht genug ſtrafft/ in dem
es zwar der Saͤckel empfindet/ aber das Gewiſſen fuͤhl-loß bleibet.


III. Clavis per accidens ſalutaris, ein zufaͤlliger weiß heylſamer
Schluͤſſel/ wie die gantze Cenſur und Diſciplin dahin angeſehen/ nicht
zum Verderben der Seelen/ oder dadurch ihn aller Ehren zu entſetzen/ dar-
um auch der excommunicirte nicht allerdings zu verlaſſen/ (quoad actus
naturæ
[259]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
naturæ neceſſarios \& religioſæ admonitionis) doch haltet ihn nicht
als einen Feind/ ſondern vermahnet ihn/ als einen Bruder/
2. Theſſ. 3, 15. ſondern πρὸς ὀικοδομὴν, zur Beſſerung/ 2. Cor. 13, 10. daß
der Geiſt ſelig werde/ am Tage des HErꝛn JEſu. 1. Cor. 5, 5.
auff daß ſich die anderen foͤrchten. 1. Tim. 5, 20.


IV. Clavis neceſſaria, ein nothwendiger Schluͤſſel/ noͤthig
wegen des Goͤttlichen Gebotts/ was GOtt zuſammen gefuͤget hat/ ſoll der
Menſch nicht ſcheiden: Roͤthig wegen Abſchaffung des Aergernuß. Die
Papiſtenaͤrgern ſich ab unſerm Gottloſen Weſen/ die Kinder werden geaͤr-
gert/ Matth. 18, 7. Sprichſtu: auff dieſe weiß wird die Perſon mit zwo
Ruthen geſchlagen/ ſie wird von der Obrigkeit und dero Policey-Ordnung
abgeſtrafft/ und nachmahlen von der Kirche. Antwort: Es laufft nicht
wider ein ander/ dann gleichwie ein ſolcher Menſch nicht nur ein Menſch/
ſondern auch ein Chriſt/ und nicht nur einen Leib/ ſondern auch eine Seele
hat/ nicht nur pacem publicam violirt, ſondern auch Aergernuß der Kirch
gegeben; bevorab weil gemeiniglich die von der Obrigkeit abgeſtraffte Per-
ſon aͤrger wird/ und noch Recht haben will/ darum treibet Kirchen-Diſci-
plin zur Buß. Sprichſtu abermal: das waͤre gleichſam den Menſchen
auff den Pranger ſtellen/ oder einen Laſterſtein in der Kirchen auffrichten.
Antwort: Kirchen-Buß iſt nicht zur Straff/ ſondern zur Buß abgeſehen/
daß man ſolcher Leute nicht ſpotten/ ſondern uͤber derſelben Buße ſich freu-
en ſoll/ wann die Obrigkeit ſtrafft/ ſo iſts fuͤr der Welt eine Unehr/ wann
aber ein Menſch Buße thut/ ſo iſts ihm fuͤr GOtt und allen Chriſten
eine Ehre.


V. Clavis exercita, ein Schluͤſſel/ der auff ſolche weiß geuͤbet
worden in Eccleſia Apoſtolica, und erſten Apoſtoliſchen Kirchen. Es
hat zwar durch extraordinari, unnachthunliche Wunder-Gewalt Paulus
den Elimam geblendet. Act. 13, 11. Petrus Ananiam und Saphiram mit
dem Geiſt getoͤdtet. Act. 5, 5. 10. Aber ein ander ordinari Exempel ſtellet er
uns fuͤr/ 1. Cor. 5. dem kommt fuͤr ein grobe laſterhaffte Perſon/ ein Blut-
Schaͤnder/ da einer mit ſeines Vaters hinterlaſſenem Weib Unzucht und
Hurerey getrieben/ war ein uͤber-heydniſches Laſter/ davon die Heyden
nichts zu ſagen wußten/ ſcelus publicum, da durffte es keinen gradum nit/
er ſtraffet ihn ohne Eingriff der Obrigkeit/ die hat ihr Ampt nicht gethan/
als welche ihre ſchwere Hand haͤtte darauff legen ſollen/ und wann ſie es
auch gleich gethan/ waͤre darum die Execution nicht vermitten blieben. Er
ſtraffet ihn fuͤr der gantzen Kirche und Gemein. Jch zwar/ als der ich
mit dem Leibe nicht da bin/ doch mit dem Geiſt gegenwaͤrtig/
K k ijhabe
[260]Die Siebende Predigt
habe ſchon/ als gegenwaͤrtig beſchloſſen/ uͤber den/ der ſolches
alſo gethan hat. Jn dem Namen unſers HErꝛn JEſu Chri-
ſti/ in euer Verſamlung mit meinem Geiſt/ und mit der Krafft
unſers HErꝛn JEſu Chriſti/ ihn zu uͤbergeben dem Satan/
zum Verderben des Fleiſches/ auff daß der Geiſt ſelig werde/
am Tage des HErꝛn JEſu. 1. Cor. 5, 3. 4. 5. Und nach dem er alſo
geſtraffet worden/ und die Buß außgeſtanden/ die Stieffmutter von ſich
gelaſſen/ hat er befohlen demſelben zu vergeben/ ihne zu troͤſten/ und die Liebe
zu uͤben/ daß er nicht in der Traurigkeit verſincke.


Und wo es die erſte Apoſtoliſche Kirch gelaſſen/ da hats die erſte Mut-
ter-Kirch/ Eccleſia derivativa, und nachgepflantzte Kirch angefangen/ in
dem ſie die Apoſtatas excommunicirt. Euſebius ſchreibet lib. 5. c. 14.
Etenim fideles per Aſiam ſæpe numero \& multis Aſiæ locis, ob hanc
cauſam conveniebant, ac nuper natas doctrinas examinabant, \& pro-
phanas pronunciabant, hæreſim que iſtam reprobantes, Eccleſiâ ejicie-
bant \& excommunicabant.
Das iſt: Die Glaubige in Aſien ka-
men offt und in vielen Aſiatiſchen Orten um dieſer Urſach wil-
len zuſammen/ und pruͤfften die neulich allererſt entſtandene
neue Lehren/ und erkenneten ſie fuͤr ungoͤttlich/ und nach dem ſie
dieſelbe Ketzereyen verworffen/ haben ſie ſie auß der Kirch hin-
auß geſchafft und verbannet. Gleiche Bann-Strahlen hat ſie auß-
geſchoſſen und außgegoſſen uͤber die Sincretiſten/ die ſich mit den unglau-
bigen Heyden in Eheliche Verloͤbniß eingelaſſen. Tertull. ad uxorem.
Hos arcendos eſſe conſtat ab omni communicatione fraternitatis, ex
literis Apoſtoli, dicentis, cum ejusmodi nec cibum eſſe ſumendum.

Das iſt: Daß dieſe von aller bruͤderlichen Gemeinſchafft abzu-
halten/ erhellet auß der Epiſtel des Apoſtels/ welcher ſagt/ daß
man mit ſolchen auch nicht eſſen ſolle. Jtem uͤber die Aſtionomos
und Geſtirn-Narren/ dergleichen Aquila Ponticus geweſen/ der zuvor ein
Juden-genoß/ nachmalen aber ſich zum Chriſtenthum bekehret hatte. καϑ᾽
ἑκάςην ἡμέραν τὸ ϑέμα τῆς ἁυτο [...] γενέσεως σκεπτόμενος, Eccleſia ejectus.
Sonderlich gehoͤret hieher das bekante und offt wiederholte Exempel The-
odoſii,
welches Eraſmus Præfat. in Ambroſ. weitlaͤuffig beſchrieben.


Epiphan. I. 1. de menſur. Euſeb. lib. 5. 8. Ambroſius ſumma conſtantia
ſuam tuens autoritatem, ipſum etiam Cæſarem Chriſto lucrifecit, ac pulcher-
rimum exemplum omnibus Monarchis edidit, quanta ſit Epiſcoporum dignitas,
ſi modò verè ſint, quod au diunt. Nec dubito, quin tales ſimus habituri prin-
cipes aliquot, qualis fuit Theodoſius, ſi tales haberemus Epiſcopos, qualis fuit
Ambroſius: \& haberemus, opinor, niſi populi mores alienarent benigni Nu-

minis
[261]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
minis favorem. Quoque magis liqueat, quod dicimus, primùm rem, deinde
perſonas expendamus. Theſſalonicæ quidam è Comitatu Cæſaris per populi
tumultum fuit interfectus. Cæſar, ira diſſimulata, plebem ad ludos Circenſes
evocat. Ibi repentè circumfuſa militibus inermi multitudine, promiſcuè ſævi-
rum eſt in noxios juxta \& innoxios, pœnaque non meritis eſt data, ſed furori.
Id factum hodiè juſtum videri poſſet. Quoties enim in bello trucidantur, qui-
bus ex pacto deditionis prom[iſ]ſa incolumitas? Quoties oppido capto ſævitur
propemodum atrocius in immerentes quàm in nocentes? \& ſævitiam excuſat
odium criminis. Hæc de re. Jam mihi cogita Ambroſium unius civitatis Epi-
ſcopum, quæ tum, ut opinor, minus erat ampla minusq; frequens, quàm nunc
eſt, nullis aliis armarum præſidiis, quàm quæ decent Epiſcopum, linguâ, preci-
bus \& vitæ ſanctimonia. Ex adverlo conſidera Cæſarum illius temporis po-
tentiam: Cui ſi conferas horum temporum ditionem, eam duntaxat, quam
Cæſaris titulus addit electis. (Nam Carolus \& ſine Cæſaris titulo Principum
miximus eſt. Rem vix ſeriam eſſe dicas: Et tamen talis Epiſcopus talem Cæ-
ſarem ob præcipiratum vindictæ jus ab Eccleſiæ foribus ſummovit, exprobrans
crudelitatis immanitatem, docensque illum à conſortio Chriſtiani gregis alie-
num eſſe: Reverſus eſt in Regiam Cæſar, agnoſcens, æquiſſimum eſſe, ut Chri-
ſti legibus cedat humanæ potentiæ faſtigium. Ibi poſt ſex menſes mœrore la-
crimisque transactos. per Ruffinum aulæ Præfectum agit, ut anathematis vincu-
lo folveretur, quo ſaltem feriis natalitiis, nam inſtabant, liceret intereſſe. Nihil
agit Ruffinus. Ipſe Cæſar impatiens non viæ, ſed mœroris, adit Ambroſium,
non in templum, ne iterum repelleretur, ſed in locum, quem Græci domum ſa-
lutatoriam appellant. Nam ibi fortè tùm ſedebat Epiſcopus, expoſitus, ſi quis
quid vellet conſulere Patienter fert objurgantem; nec prius abſolvitur, quàm
præter ſolennem pœnitentibus ſatisfactionem etiam legum adverſus edictorum
Imperialium ſævitiam pollicetur. Illicò prodita lex, ut ſi qui per edictum Cæ-
ſaris juberentur occidi, in triceſimum uſque diem proferretur executio, quo ſpa-
cium eſſet cognofcendi, locusq; daretur, vel Chriſtianæ clementiæ vel neceſſa-
riæ ſeveritari. Mox poſito Regis diademate, Cæſaris perſonam exuit, pœniten-
tis ſuſcepit, humi proſtratus, ac lacry mis ubertim effuſis, rigans ſolum, ſupplici
voce precarus eſt Domini miſericordiam. Cui hæc non viderentur in Cæſare
plus quàm ſatis? Sed manè dum auditurus (quod \& invictam Epiſcopi con-
ſtantiam, \& Cæfaris non fucatam pietatem magis illuſtrat) quum ex more mu-
nus detuliſſet ad altare, rediens conſtitit intra cancellos. Id videns Ambroſius,
per Diaconum percontatur, cur ibi moraretur. Reſpondenti, ut videam pera-
gi myſteria: rurſum miſſo Diacono renunciavit, ut agnoſceret ſuum locum,
nam euni, in quo conſiſteret, eſſe ſacerdotibus deſignatum. Purpura, inquit,
Imperatorem facit, ſacerdotem nequaquam. Quid expectas, ut Cæſaris leni-
ras tandem excandeſcat? Nequaquam, verùm excuſat ſc, quod non in contem-
ptum loci reſtiterit illic, ſed quòd quoniam Conſtantinopoli reperiſſet hunc mo-
rem, at Cæſar intra cancellos videret peragi myſteria, credidifſet, idem receptum eſſe
Mediolani. His placidè dictis abiit in locum prædictum. Nec eo contentus, ubi
reverſus eſt Conſtantinopolim, etiam cùm invitaretur, ut intrà cancellos ex mo-
re conſiſteret, dum peraguntur myſteria, negavit ſe facturum, addens, ſe nemi-
nem noſſe, qui verè ſciret Epiſcopum gerere, præter unum Ambroſium.


K k iijNach
[262]Die Siebende Predigt

Nach dem aber der Roͤmiſche Papſt cuhninirt, und ſich fuͤr ein Haupt
auffgeworffen/ uͤber alles das/ was GOtt und GOttes iſt/ nach dem er
den Schluͤſſel des Abgrunds von Phoca erlangt/ ſo iſt der Schluͤſſel ver-
draͤhet/ auß der Diſciplin eine Carnificin worden/ da hat man anfangen
zu reiten auff den hohen Haͤuptern/ und wann ſie wider den Roͤmiſchen
Genium und Gott ſich nur mucken laſſen/ excommunicirt, und iſt gan-
gen/ wie jener Apologus außweißt/ der Koͤnig aller Baͤume/ der Eich-
baum irrete einmal eine Axt/ die klagt/ der Baum breite ſich zu weit auß/
er nehme mit ſeinem Schatten andern Baͤumen Safft und Krafft/ er
werde endlich gantz wild wachſen/ und dem Wald ſchaͤdlich ſeyn/ an etli-
chen beiſſe der Wurm ſchon an/ werde man nicht dazu thun/ ſo werden
die Baͤume verfaulen/ die Axt ſeye zwar bereit/ und moͤchte gern behauen/
es mangele ihr aber an der Handhab/ bittet derowegen den Baum um
die Handhab. So bald der Eichbaum die Handhab gegeben/ alsbald
darauff fanget die Axt an zu hauen/ zu hoblen/ bald da bald dort/ und das
kunte der Eichbaum wol geſchehen laſſen/ endlich kam ſie an den Eichbaum
ſelbs/ der bedurffte auch hoblens/ weil er krumm und hofferig/ macht ſich
an den Baum/ haut ſo lang/ biß kaum der Strumpff mehr uͤbrig blieben.
Was dieſe Axt vermocht/ das haben erfahren viel groſſe Herren/ Kaͤyſer
und Koͤnige. Exempel ſeind in der Kirchen-Hiſtori in groſſer Menge.
Henricus IV. auff daß er ſich auß des Papſts Bann loß wickelte/ hat er
ſich mit ſeiner Gemahlin und Sohn auffgemacht/ mit wenig Dienern
im kalten Winter uͤber das Alpen-Gebuͤrg in Italien gezogen/ im Anfang
des 1077. Jahr gen Canuſi kommen/ und nach dem er biß an den drit-
ten Tag baarfuß in einem ſchlechten haͤrinen Kleid/ ohne Speiß und
Tranck in groſſer Kaͤlte/ vor des Papſts Pallaſt auffgewartet/ wurde
er endlich den 28. Januarij abſolvirt, doch mit dem Beding/ daß er
ſich dem Papſt in allen dingen unterwerffen/ und ſich des Kaͤyſerlichen
Gewalts im Reich nicht gebrauchen ſolte. Gretſerus in ſeiner Alethea
ſpirituali,
und geiſtlichen Fecht-Schul l. 1. c. 7. p. 56. ſiehet ſatt Luſt
daran. Otto IV. der Anno 1218. geſtorben/ hat ſeinen Leib alle tag
den Prieſtern zu geiſſeln dargereicht. Henricus II. Imp. dem es der Ertz-
Biſchoff zu Coͤllen Anno 1056. nicht beſſer gekocht/ hat auch ein Lied wiſ-
ſen davon zu fingen. Dabey iſts nicht geblieben/ ſondern man hat ſich
auch an die Venam regiam gemacht/ und groſſen Potentaten nach der
Gurgel gegriffen. Suarez Buch iſt zwar verbrennet/ aber das Feur iſt
noch nicht verloſchen.


Sic
[263]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Sic enim Achilles Harlæus Senatus Princeps apud Auguſt. Thuan. l. 130.
ad ann. 1604. Ieſuit as docere retulit, Pontificem jus habere Reges extra com-
munionem Eccleſiæ ponendi, excommunicatum Regem Tyrannum eſſe, \& ſub-
ditos contra cum impunè inſurgere, ipſorum unumquemꝙ, qui vel minoribus
Eccleſiæ ordinibus ſit initiatus, quodcunꝙ crimen admiſerit, in læſæ Majeſtatis
crimen non poſſe incidere, quippe qui minimè ſint amplius Regis ſubditi, nec
jurisdictioni ejus ſubiecti: Ita Eccleſiaſticos per eorum doctrinam à ſeculari
poteſtate eximi, \& MANUS CRUENTAS LICERE IMPUNE SACROSAN-
CTIS REGIBUS AFFERRE.
)
()

O theurer Luther/ wie groß hat mans naͤchſt GOtt dir zu dancken/
daß du den krummen Hacken-Schluͤſſel geoffenbahret/ durch das Schwerdt
des Geiſtes denſelben beſchnitten/ und ſolcher uͤber-Egyptiſchen Buͤrden
die Chriſtenheit befreyet. Davon ſich Lutherus ſelbſt/ aber mit Warheit/
ruͤhmet in Apolog. contrà Duc. Georg. Sax. T. 6. Jen. conf. eund. ad
Jen. 21. fol.
183. Wann ich D. Luther ſonſt nichts guts gethan
noch gelehret haͤtte/ denn daß ich das weltliche Regiment oder
die Obrigkeit ſo erleuchtet und gezieret habe/ ſo ſolten ſie doch
dieſes einigen Stucks halben mir dancken und guͤnſtig ſeyn/ weil
ſie alleſammt/ auch meine aͤrgſte Feinde/ wol wiſſen/ daß ſolcher
Verſtand von weltlicher Obrigkeit unter dem Papſtthum nicht
allein unter der Banck gelegen/ ſondern auch unter allen ſtincken-
den laußigen Pfaffen/ und Muͤnch- und Bettler-Fuͤſſen ſich hat
muͤſſen trucken und tretten laſſen/ denn ſolchen Ruhm und Ehr
hab ich von GOttes Gnad davon/ es ſey dem Teuffel und
allen ſeinen Schuppen lieb oder leid/ daß ſeit der Apoſtel Zeit
kein Doctor noch Seribent/ kein Theologus noch Juriſt ſo
herꝛlich und klaͤrlich die Gewiſſen der weltlichen Suͤnde be-
ſtaͤttiget und unterrichtet und getroͤſtet hat/ als ich gethan hab/
durch ſonderliche Gnade GOttes/ das weiß ich fuͤrwahr/ dann
auch Auguſtinus und Ambroſius/ die doch die beſten ſind/ in
dieſem Stuck mir nicht gleich hier innen ſind/ das ruͤhme ich mich
GOtt Lob und Danck/ dem Teuffel und allen meinen Tyran-
nen zu leyd und Verdrieß/ und weiß/ daß ſolcher Ruhm beyde
GOtt und der Welt muß bekant ſeyn und bleiben/ ſolten ſie
auch toll und thoͤricht daruͤber werden.


VI. Clavis idealis \& infelix, er iſt laͤngſt ver loren/ verſchwun-
den/ und unter das alte Eyſen gerathen. Dann wann wir gleich wie eine
Hauß-Mutter ein Liecht anzuͤnden und ſuchen ſolten/ wo wuͤrden wir ihn
finden?
[264]Die Siebende Predigt
finden? zwar bey uns/ der Augſpurgiſchen Confeſſion zugethanen iſt noch
ein kleiner Schatten uͤbrig in der Vorſtellung/ aber es iſt nicht genug.
Wo ſind die Philippi, die ſich laſſen von der Communion in Paſchate ab-
ſchaffen/ und unter die pœnitentiatios und arme Suͤnder ſtellen? wo
ſeind die Theodoſii? Solte dergleichen/ ich will nicht ſagen einem Fuͤrſten/
ſondern Edelmann/ ja Bauren zugemuthet werden/ O was Jammer
und Noth wuͤrde darauß entſtehen? wo bleibt die Executio der alten be-
liebten/ geuͤbten und gebillichten Canonum? Wo bleibt die Exomologe-
ſis
und Buß-Beicht? welche Tertull. de pœnit. p. 442. definirt und
beſchreibet per proſternendi \& humilificandi hominis diſciplinam. Au-
guſt. epiſt.
64. klaget: Impudicitiam \& cubilia acerrimè puniti in Ec-
cleſia, ſed commeſſationes tolerabilia videntur.
das iſt: Die Un-
keuſchheit werde in der Kirche auffs hefftigſte und ſchaͤrffeſte
geſtrafft/ aber das Freſſen und Sauffen werden angeſehen als
Sachen/ die wol zu dulden. Ibid. de Eccleſia Africana: Quod
per dies ſo ennes ebrietates licitæ putentur, \& ſic paulatim fiet, ut nec
vitia putentur.
Das iſt: Jn den Feſt- und Feyr-Taͤgen wird
Trunckenheit fuͤr erlaubt gehalten/ aber ſo werde es in kurtzer
Zeit dahin kommen/ daß ſie nicht mehr fuͤr Suͤnde werde ge-
halten werden. O frommer Auguſt[i]ne, wann du heut leben ſolteſt/
wie ein warhafftiger Prophet waͤreſtu! Ja man ſteifft ſich noch wohl
wider GOttes Gebott/ und loͤßt auff/ was GOtt zuſammen gefuͤget/
und wil ihn nicht mehr auffkommen laſſen. Daher es ein Anſehen/
als wann die tauſend Jahr fuͤruͤber/ in welchen der Satan gebunden/
Apoc. 20 3. Und iſt kommen/ daß ſo greuliche Aergernuſſen/ als eine
Suͤnd-Fluth/ eingeriſſen/ allenthalben ſo ſchroͤckliche Unordnungen graſ-
ſiren/ und der Cyclopiſmus und Atheiſmus, allerhand Gottloſi keit
und viehiſches Weſen uͤberhand genommen/ daß nicht mehr zu wehren/
noch zu haͤmmen.


Jch widerhole billich die Wort Judæ des edlen Maccabeers/ dieweil
der Herr den Frieden ſcheinen laſſen/ ſo laßt uns hinauff gehen/ und das
Heiligthum reinigen/ durch Bann und Kirchen-Diſciplin. Materia adeſt,
der Wuſt und Greuel ligt fuͤr Augen/ daran mangelts nicht/ ich wil nicht
ſagen von den verjaͤhrten ſcandalis und Untugenden/ dem atheiſmo Syn-
cretiſmo,
und Verehligung ungleicher Religions-Perſonen/ der Entheili-
gung des Sabbaths/ dem Sonntaͤglichen tantzen/ das man wieder herfuͤr-
bringt von der Boßheit des Geſinds/ Muͤſſiggang/ raſſeln/ ſpielen/ wuͤh-
tenden Saͤuffereyen/ Pracht/ Ungerechtigkeit/ da der Richter ſpricht/
was
[265]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
was der Fuͤrſt will/ damit er ihm wieder einen Dienſt thue. Mich.
7, 3. Calumnten/ Verleumdungen/ allein zu gedencken der Laſter/ die
durch die Kriegs-Furi eingeſchlichen/ und in Stadt und Land eingeriſſen/
da alles in confuſion und Unordnung gerathen/ drunter und druͤber gan-
gen/ als der barbariſche Atheiſmus und Cyclopiſmus, das ungeheure Flu-
chen und Schwoͤren/ wer das nicht kan/ wird fuͤr keinen Soldaten gehal-
ten. Auch ſonſt Oberſte/ die gern fromm waͤren geweßt/ haben geklagt/
wann ſie nicht fluchen/ ſo wolle niemand pariren. Der unertraͤgliche Laſt
des gottloſen/ frechen und boßhafftigen Geſinds/ wann man daſſelbe ſaur
angeſehen/ iſt es in Krieg gezogen/ hat ſich an Soldaten gehaͤngt/ die un-
menſchliche Teuffeliſche Duelia, Theodoſianiſche Jaͤh-Hitz/ da mancher
Oberſter/ Capit[t]an/ ꝛc. einen armen Soldaten um einer Butten willen/ in
dem er dem Hunger mehr/ als dem Regiment entloffen/ auffhencken laſſen/
und gemeint/ es werde kein Hahn darnach kraͤhen. Der Mißbrauch des
Allmoſens/ den muthwillige Bettler getrieben/ in dem ſie ſich fuͤr Exulan-
ten/ Brand-ſchaͤdige/ verjagte/ gepluͤnderte Leut außgegeben. Die Illece-
bræ libidinum,
jungen Leuten von den undiſciplinirten Soldaten gegeben/
die unmenſchlichen Preſſuren und Schindereyen/ die man den Kriegs-
Leuten nicht ſolte ablernen/ ſondern verlernen und abſchaffen/ und andere
unerhoͤrte Juſtitien/ die durch den Frieden nicht ſolten laxirt/ ſondern taxirt
und geſtrafft werden. Wie dann auch Truͤb-Fiſchereyen/ libri famoſi,
Paßquillen/ laſterhafftige/ aͤrgerliche Gedicht/ und was dergleichen mon-
ſtra
mehr ſind/ davon man bißher hat geſchwiegen/ durch die Finger geſe-
hen/ und geſprochen: Es iſt Krieg: wie David dem Joab zugeſehen:
Jch bin noch zart/ und ein geſalbter Koͤnig. Aber die Kinder
Zeruja ſeind mir verdrießlich/ der HErꝛ vergelte dem der Boͤſes
thut nach ſeiner Boßheit. 2. Sam. 3, 39. Hæc materia, das iſt der Wuſt/
Greuel und Bann-wuͤrdige Suͤnden/ da laßt ſichs nun nicht zuſehen/ ſtill-
ſchweigen/ und dieſen Ungeheuren freyen Paß geben und goͤnnen/ Chriſtus
hat darwider den Bind-Schluͤſſel geordnet/ den ſoll man wieder herfuͤr ſu-
chen/ und damit dieſe Greuel auß der Kirch hinauß ſchaffen/ iſt in War-
heit kein Schertz und Kinder-Spiel/ es ſtehet nit in unſerm freyen Willen/
zu thun oder zu laſſen/ ſondern noͤthig/ exparte Dei reconciliandi. Alles
Ungluͤck das bißher uͤber uns verhaͤnget worden/ iſt kommen von Unter-
laſſung der Diſciplin/ Suͤnden fuͤr ſich ſelbſt/ wann ſie recht geſtrafft waͤ-
ren worden/ haben uns das Unheyl nicht gemacht/ ſondern weil man ſie
nicht geſtrafft/ und durch Gewonheit approbirt, das hat GOTT in Har-
niſch gejagt: Daher er realiter geſagt/ wie zu Joſua: Jch werde fort
Zehender Theil. L lnicht
[266]Die Siebende Predigt
nicht mit euch ſeyn/ wo ihr nicht den Bann auß euch vertilget.
Joſ. 16/ 12. Ja daher es auch kommen/ daß wir mit unſern Bet-Stun-
den in ſo langer Zeit ſo gar nichts erhalten koͤnnen/ es iſt uns gangen/ wie
den Kindern Jſrael in ihrem Krieg wider die Benjamiten/ den Verfech-
tern der Sodomitiſchen Belials-Kinder/ denen hat es an der gerechten
Sache nicht gemangelt/ und doch mußten ſie doppelte ſchwere Niderlag
außſtehen. Judic. 20. Was war dann die Urſach? Sie erſuchten Gott
nicht nur nicht im Gebett um Hilff/ ſondern ſchafften auch die Aergernuß
und bannige Laſter/ die von den Danitern begangene Abgoͤtterey und ande-
re Untugenden nicht ab/ ſo bey ihrer anarchiæ und Mangel der Obrigkeit
veruͤbt und unterlaſſen worden: weineten zwar fuͤr dem Herrn/ aber
nicht wegen hinterbliebenen Suͤnden/ ſondern wegen erlittenen Schadens/
darum wolte es ihnen auch nicht gelingen. Noͤthig ex parte poſterita-
tis,
wegen der armen Jugend/ die erbaͤrmlich geaͤrgert/ und dem Moloch
uͤbergeben wird. Ex parte Eccleſiæ, die der Diſciplin nicht entbehren kan/
ſoll ſie ſchroͤcklich ſeyn wie die Heer-Spitzen/ und ihren Feinden den Spitzen
bieten koͤnnen. Ex parte adverſariorum, wegen unſerer Widerſacher/
daß ihre Calumnien auffhoͤren/ ob wir ſchon nicht verbieten gute Werck zu
thun/ ſo verbieten wir doch dieſelbe zu ſtraffen/ und foͤrchtet mancher/ wann
er dem andern einen Splitter außziehen wolte/ man doͤrffte ſeines Bal-
cken gewahr werden/ es doͤrffte groſſe Herren treffen. Ex parte reorum,
wegen der jenigen/ die ſich ſchuldig wiſſen/ dann wann ſie ſchon hie durch-
ſchlupffen/ ſo werden ſie doch dort nicht entgehen/ hoͤren ſie hie nicht das
diſcedite, ſo werden ſie es dort hoͤren muͤſſen/ werden ſie hie nicht ſchamroth/
ſo werden ſie doch dort muͤſſen feur-roth werden/ bleiben ihre Suͤnden hie
ſchon durch Gunſt/ Geſchenck und Anſehen vertuſcht/ ſo ſeind ſie doch war-
hafftig im Bann/ und haben eine andere Vorſtellung zu befahren. Fehlet
nur an der Vigilanz und παῤῥησ [...]ᾳ, Muth/ Mund und Eyffer der Ehr-
wuͤrdigen/ die die Goͤttliche Ehre und Wuͤrde offt nicht bedencken/ auß
Bergen kleine Wartzen machen/ ſonderlich in Leichen-Predigten/ ſie ſehen
mit Ezechiel nit recht durch die Wand hinein/ wie mancher Herꝛ hat un-
ſchuldig Blut wie eine beſtia geſoffen/ wie ein Dorff-Hag gebrumt/ aber
da ſagt man Mum Mum/ und hat Brey im Maul/ Pfrund/ gantz und Geitz
iſt viel zu lieb. Es mangelt an der Hochgebornen und Durchleuchtigen
Aug und Liecht/ an der Ehrenveſten und Weiſen Geſtrengheit/ die ihr
Ober- und ſuperepiſcopen vergeſſen/ David hat zwar Joab muͤſſen durch
die Finger ſehen zur Zeit des Kriegs/ aber ein dapfferer Salomon hats
ihm darum nicht geſchenckt. Es fehlet an der Ehrenhafften Ehr/ und
der
[267]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
der Tugendreichen Tugend-Lieb/ ſie gehet gar zu ſaͤuberlich um mit dem
Knaben Abſolon/ biß ſie erfahren muͤſſen den ploͤtzlichen Untergang im
Zorn GOttes/ das o Abſalon/ Abſalon/ mein Sohn/ zu ſpath ejuliren
und anſtimmen/ und die Haͤnde uͤber dem Kopff zuſammen ſchlagen.


Nun zwey extrema ſeind fuͤr Augen/ da hat man die Wahl/ Κέρδος
[...] ἀπώλεια, Gewinn oder Verluſt/ ἀπώλεια auff den Fall der Unterlaſſung/
wer ſeinen Bruder verliert/ den er erhalten koͤnte/ der verlieret ſich ſelbs/
es wird ihm ſchwer werden am Juͤngſten Tag/ wie mancher wird frem-
der Schuld muͤſſen entgelten/ der eigener Suͤnden halben wol haͤtte loß
koͤnnen durchgehen. Jm gegentheil κέρδος, Gewinn der armen verlohr-
nen Seelen/ hoͤret er dich/ ſo haſt du deinen Bruder gewonnen/
der Gewinn des Land-Segens/ es wird GOtt neben dem Frieden-Schluͤſ-
ſel herfuͤr ſuchen ſeine vier Schluͤſſel/ den Regen-Fruchtbarkeit-Brod-
und Grab-Schluͤſſel: Es wird in unſerm Lande Ehre wohnen/
Guͤte und Treue einander begegnen/ Gerechtigkeit und Friede
ſich kuͤſſen/ Treu auff Erden wachſen/ und Gerechtigkekt vom
Himmel ſchauen. Der Gewinn Goͤttlicher Gnaden und eigener Se-
ligkeit/ wann die letzte Sodoma zum Feur reiff ſeyn wird/ wird das keuſche
und zuͤchtige Hauß Loths von den Englen bewahret bleiben. Κέρδος glo-
riæ cœleſtis,
der Gewinn der unzerſtoͤrlichen Ruhe/ des unveraͤnderlichen
Friedens/ der allerſeligſten aſyliæ und Sicherheit/ da die Kirche gantz rein
und ohne Flecken ſeyn/ und die Encænia Encæniorum celebriren wird.
Dazu helff uns der groſſe Friedens-Fuͤrſt JEſus Chriſtus/ Jhm ſey Lob
und Preiß in Ewigkeit/ Amen.



Die Achte Predigt.
Von
Der Bann-wuͤrdigen Suͤnde/
dem Aergernuß.


GEliebte in Chriſto. Es ſeynd die jenige vincula und Bande/
damit unſer hoͤchſtverdiente/ hertz-allerliebſte Herr und Heyland
JEſus Chriſtus/ in der blutigen Paſſions-Tragœdi gebunden
worden/ Band und Hafftung von groſſem Nachdencken. Und zwar


L l ijI. Seind
[268]Die Achte Predigt

I. Seind es Vincula παϑητικὰ, ignominioſa \& doloroſa, ſchmertz-
liche/ weh-thuende und ſchmaͤhliche Bande/ ſchmertzliche Bande/
dieweil ſie feſt an ſeine Hand gelegt/ und ſo tieff eingeſchnitten/ daß/ wie
Anshelmus davon redet/ ſeine wunderthaͤtige Haͤnde/ mit denen er aller-
erſt Malchi Ohr geheylet/ dermaſſen angeſtrengt geweßt/ daß das Blut
auß den Naͤgeln herauß gedruckt worden. Schmaͤlich/ dieweil ſie als
einen Moͤrder zu fahen außgegangen/ und demnach/ wie vermuthlich/ hin-
derwerts hinder dem Rucken gebunden geweßt/ ſampt einer eyſern ſchwe-
ren Ketten/ die er am Hals getragen/ dann ſie beſorgten ſich/ Er moͤchte
ihnen entwiſchen/ bevorab/ da Er ſie mit einem Wort zu Boden geſchlagen.


II. Vincula ϑαυμαςὰ, Wunder-Band/ dann da ſtehet der unge-
bundene freye GOtt gebunden: die zu Tyro hatten vor zeiten ihren Schatz-
Goͤtzen Apollinem angebunden/ daß er nicht entlieffe. Hie ſtehet nicht
Apollo, ſondern der Sohn GOttes/ der den Satan gebunden mit Ket-
ten der Finſternuß/ der ungefangene/ ja der Faͤnger ſelbs gefangen/ viel-
mehr durch die Liebes Seile/ damit Er vom Himmel herab gezogen wor-
den/ als durch die haͤnffine Seyl/ und eiſerne Ketten/ maſſen es ihm eine
geringe Kunſt geweßt/ ſolche Seyle zu zerreiſſen/ wie ſein typus und Fuͤr-
bild Simſon gethan/ von dem ſtehet/ die Stricke an ſeinen Armen
wurden wie Faden/ die das Feur verſenget hat/ daß die Bande
an ſeinen Haͤnden zuſchmoltzen. Jud. 15, 14.


III. Vincula ἱλαςικὰ καὶ λυτρωτηκὰ, Rantzion-Band/ nicht macht
es dieſer Herr/ wie Mauritius der Gottloſe Filtz/ der mit 12000. Gulden
12000. Chriſten haͤtte loͤſen und außkauffen koͤnnen von Cagano, ſondern
wie man lißt von Paulino Nulano, laßt Er ſich ſelbs fuͤr uns fangen/ auff
das er die Gefangene erloͤßt auß der Gruben/ da kein Waſſer innen war/
er laßt ſich binden/ auff daß Er Himmel und Erd/ Gott und Menſch wie-
der zuſammen knuͤpffen und binden moͤchte.


IV. Vincula ἁγιαςικὰ, heiligmachende Bande/ dadurch Er der
H. Maͤrtyrer ihre Bande conſecrirt und geweyhet/ die daher jenen Heili-
gen Maͤrtyrer Babylam erwecket/ daß er begehret/ man wolte ſeine Bande
(nicht herum tragen/ wie mit Petri Ketten ſoll geſchehen ſeyn/ daß deß-
wegen ein ſonderbar Ketten-Feyer angeſteller worden) mit ihm ins Grab
legen/ die ſollen am juͤngſten Tag ſein Ruhm und Ehre ſeyn. Jgnatius
nennet ſeine Ketten πνευματικὰς μαργαρήτας, geiſtliche Perlein/ nicht nur
aber das/ ſondern er hat auch damit geheiliget unſere Creutz-Band/ Ar-
muth/ Kranckheit/ Exilia, Schmach/ welche alle auch den Namen haben/
daß ſie Bande genennet werden.


V. Vincula
[269]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

V. Vincula κριτικὰ, minacia \& judiciaria, Gerichts- und Draͤu-
Bande/ dann hie ſtehet Er nicht nur als Salvator mundi, ſondern auch
Judex, ſo wohl als der Welt-Heyland/ als auch der Welt-Richter/ der nach
ſeinem gerechten Urtheil alle unglaubige Suͤnden-Knecht/ die ſich von
GOttes Hand nicht wollen binden laſſen/ unter deſſen aber in den Stri-
cken des Teuffels gefangen ligen nach ſeinem Willen/ wie jener Koͤnig
Matth. 18. binden laßt/ hie zeitlich mit der Bann-Bind/ dort ewig mit den
Ketten der Finſternuß. Wann wir dann biß dato Chriſti Salvatoris
Loͤß-Schluͤſſel/ betrachtet/ ſo folget nun auch fein/ als Judicis, Bann-
Schluͤſſel/ davon wir allbereit in der naͤchſten Predigt den Anfang ge-
macht/ und weilen wir da den Bind-Schluͤſſel in genere erwogen und
beſehen/ wollen wir nun das objectum, wie cenſuræ ins gemein/ alſo auch
in ſpecie, cenſuræ excommunicatoriæ betrachten/ das iſt/ vom hoch-
nothwendigen Stuck/ vom Scandalo und Aergernuß/ das wir offt hoͤ-
ren/ aber wenig verſtehen/ was es ſeye/ reden und handeln. Dazu wolle
GOtt ſeine Gnade und H. Geiſt von oben herab mildiglich verleyhen und
mittheilen/ Amen.


GEliebte in Chriſto. Dreyerley Umſtaͤnde fallen hie zu be-
dencken fuͤr: I. Deſignatio Scandali. 2. Quidditas. 3. Atrocitas.
Das erſte/ die Deſignation ſtehet in denen Worten: Welchen
ihr die Suͤnde behaltet/ denen ſind ſie behalten. Item, ſuͤndi-
get dein Bruder an dir/ wird dadurch nicht verſtanden alle Suͤnde oh-
ne Unterſcheid/ nicht ſtumme Suͤnden/ die GOTT weiß/ davon es heißt:
De ignotis non judicat Eccleſia, nicht Gedancken-Suͤnden/ dann die ſeind
ſo fern in foro externo zollfrey/ nicht errores mentis, ſo fern ſie niemand
anſtecken und verfuͤhren/ nicht menſchliche/ natuͤrliche Schwachheiten/
Unarten/ Unſitten/ Melancholien/ wie man offtmal eines Menſchen Un-
weiß ſiehet/ es verdrießt den Naͤchſten/ was will man aber drauß machen/
man kan es nicht aͤndern/ muß alſo vertragen/ und vielmehr nach dem Ex-
empel Chriſti die Fuͤſſe waſchen/ als abhauen/ die Augen reinigen und curi-
ren/ als außreiſſen/ da gehoͤret die Regul Pauli her/ Gal. 6/ 1. So ein
Menſch etwa von einem Fehl uͤbereylet wuͤrde/ ſo helffet ihm
wieder zu recht mit ſanfftmuͤthigem Geiſt/ die ihr geiſtlich ſeyd/
und ſiehe auff dich ſelbſt/ daß du nicht auch verſuchet werdeſt.
Einer trage des andern Laſt/ ſo werdet ihr das Geſaͤtz Chriſt er-
fuͤllen. Unſer Catechiſmus ſagt davon alſo: Die Schwachglaubi-
gen/ ſo etwa von einem Fehl uͤbereylet werden/ denen ihr Fehl
L l iijleyd
[270]Die Achte Predigt
leyd iſt/ und in Traurigkeit kommen/ ſoll man auffnehmen/
und ſie mit ſanfftmuͤthigem Geiſt unter weiſen und mit der Ver-
heiſſung dapffer troͤſten. Am allerwenigſten wird hie verſtanden ſcan-
dal[u]m acceptum,
wann ein Menſch durch eine unſuͤndliche action oder
That ſich ſelbs aͤrgert/ machts wie ein Spinn/ da er das beſte ſolte herauß
ſaugen/ ſauget er das Gifft/ wie alſo die Lehre vom gecreutzigten Chriſto/ die
gantze Creutz-Lehr iſt unſerer Vernunfft ein Aergernuß/ ſie laßt ſich bedun-
cken/ Liebes Kind und ſchweres Creutz ſeyen diffentanea. Sondern es
werden hie verſtanden ſcandala cauſalia, ſchaͤdliche/ verdrießliche/ unbillige
Injurien/ und wie unſer Catechiſmus redet/ bannige Laſter/ dann daß
durch dieſe Suͤnde/ an dir/ eigentlich ſolche Scandala und Aergernuſſen/
ſo wol publica, als privata zu verſtehen/ erhellet 1. ex phraſi, ἔις σε, con-
trà \& coràm te,
die entweders wider dich/ dir zum Leibs-Gluͤck- und See-
len-Schaden/ oder auch ſonſt zum offentlichen Aergernuß außbrechen/ die
vor deinen Augen unverholen/ geſchehen. 2. Ex ſcopo \& exemplo am-
bitionis.
Es hatten die Juͤnger Chriſti einen aͤrgerlichen Zanck ange-
richtet/ und dieſe Frage ventilirt, Wer doch der Groͤſte ſey im Him-
melreich? und daſſelbe/ wie vermuthlich/ in Gegenwart vieler Schwach-
glaubigen/ dannenhero der Herr Gelegenheit genommen/ von dem Aer-
gernuß ex profeſſo zu handlen/ als von der Quell dieſes Zancks und Staͤn-
ckerey/ ſtellet ihnen zum Exempel der Nachfolge dar ein Kind/ Matth. 18/
3. 4. Warlich ich ſage euch/ es ſeye dann daß ihr euch umkehret/
und werdet wie die Kinder/ ſo werdet ihr nicht in das Himmel-
reich kommen/ wer ſich ſelbs erniedriget wie diß Kind/ der iſt der
Groͤſſeſte im Himmelreich. Zum Schroͤck-Exempel/ daß ſie wol zu-
ſehen/ damit ſie einfaͤltige/ unſchuldige Hertzen nicht aͤrgern. Wer aͤr-
gert dieſer geringſten einen/ die an mich glauben/ dem waͤre beſ-
ſer/ daß ein Muͤhlſtein an ſeinen Hals gehaͤnget wuͤrde/ und er-
ſaͤuffet wuͤrde im Meer/ da es am tieffſten iſt. v. 6. Sie haben
ſtarcke Schutz-Engel/ die werdens klagen und raͤchen. Jhre Engel im
Himmel ſehen allezeit das Angeſicht meines Vaters im Him-
mel. v. 10. Der himmliſche Vater hat ein genaue Vorſorg auff ſie/ der
wil nicht/ daß jemand von dieſen kleinen verlohren werde/ v. 14.
Hierauff folget immediatè: Suͤndiget aber dein Bruder an dir/ ꝛc.


II. Quidditas Scandali, was iſt nun das Aergenuß eigentlich/
oder ein aͤrgerliche Suͤnde? Antwort: Nichts anders/ als eine
ſolche Suͤnde/ ſo mit Worten/ Wercken/ Geberden/ Kleidung/ unzeiti-
gem Gebrauch der Mittelding begangen/ dardurch der Naͤchſte zur Suͤnde
wuͤrcklich
[271]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
wuͤrcklich und urſaͤchlich gereitzet/ angefriſchet/ verfuͤhret/ und alſo aͤrger
gemacht wird/ als es ſonſt von Natur iſt. Euer Lieb verſtehe es am beſten
in Gleichnuſſen und Exempeln. Σκάνδαλον iſt anders nichts/ als ten-
dicula
und Fall auff dem Kaͤffig/ ein Aaß auff dem Garn/ das iſt tendi-
cula pellex,
es reitzet ein Voͤgelein/ daß es herzu fleugt: Kommt es und
beißt an/ und ſchnapt darnach/ ſo zeucht man das Garn oben zu: Alſo
hats eine Gelegenheit mit der Verfuͤhrung; zum Exempel/ der gantzen
Welt Augen-Luſt/ Fleiſches-Luſt/ und hoffaͤrtiges Leben iſt ein Fall; die
groſſe Ertz-Hur/ die Welt legt unſchuldigen Hertzen ein Specklein auff die
Fall/ ſchnappet der albere Juͤngluͤng darnach/ ſo iſt er verlohren. Scan-
dalum
heißt ſo viel als πρόσκομμα, ein Sein des Anſtoſſes.


Σκάνδαλον Grammatici quidam dicunt eſſe lignum incurvum, quo tendi-
cula ſeu decipula ſuſtinetur, \& in quod impingens animal ipſam ten-
diculam ſeu decipulam in ſe ſubita ruina evertit, aliàs dictum
σκαν-
δάλητρον, ut monent Heſychius \& Pollux. Quidam ſimpliciter acci-
piunt pro obſtaculo ſeu impedimento pedum, quod in via inſidiosè
ponitur, ut qui illud tranſeunt, in id impingant pedem \& offendant,
eò quo offendiculum ſive
πρόσκομμα vocatur, Judith. 5. v. 1. ἒϑηκαν
ἐν τοῖς πεδίοις σκάνδαλα. LXX. utuntur pro [...], quod ſignificat la-
queum, cui aliquis illaqueatur, ac proinde reſpondet priori ſignifica-
tioni, Joſ. 23. v. 13. Jud. 8. v. 27. 1. Reg. 18. v. 21. \&c. Item pro
[...] offendiculum, ad quod quis in via impingit. Levit 19. v. 14.
1. Reg. 25. v. 31. Pſal. 119. v. 164. ac proinde reſpondet poſteriori
ſignificationi. In Nov. Teſt.
σκάνδαλον \& πρόσκομμα ἐν παραλλήλου
ἐ ξηγητικῶς conjunguntur, Rom. 14. v. 33. 1. Petr. 2. v. 8. Hieron. l. 2.
adverſ. Pelag. niſi fallor
σκῶλον \& σκάνδαλον apud Græcos ex offen-
ſione \& ruina nomen accepit, in quem locum Eraſmus ſic annotat.
Utrumꝙ videtur ductum à
σκάζω, hoc ect, claudico, quod objectum offendicu-
lum cogat claudicare \& ad ruinam tendere. Ect autem
σκανδαλον viæ offendi-
culum, in quod incidentes impingunt \& cadunt, qui autem de eo admoniti ſunt,
cautè ambulant, nec facilè impingunt.
Lyranus in h. l. Scandalizari dici-
tur à
σκάνδαλον, quod ſignificat impactionem pedis, per quam homo ruit \&
ad ſimilitudinem hujus in ſpiritualibus dicitur quis ſcandalizari in tribula-
tione, quando ei occaſio ect cadendi per impatientiam.


Legt man einem Blinden oder uͤbel-ſehenden/ der ohne das leichtlich
fehlet/ einen Stein unter den Weg/ ſo faͤllet er ein Bein entzwey. Nun ſind
wir
[272]Die Achte Predigt
wir alle blind/ und zu den Mißtritten gar geneigt; erzeigt ſich aber ein boͤ-
ſes Exempel/ ſo ſtoſſen wir uns gar bald daran/ daß wir einen gefaͤhrlichen
Sturtz thun. Scandalum iſt ein Geiſtlicher Brand/ der um ſich greifft/
eine Kohl/ die andere anzuͤndet. Scandalum iſt anders nichts/ als eine
geiſtliche Seelen-Peſt/ eine ſchaͤdliche Kranckheit/ ein anſteckender Kraͤtz/
ein weit um ſich freſſender Krebs/ gleich wie ein einiges raͤudiges Schaaff
die gantze Heerde raͤudig machet. Exempel der Aergernuß wider das erſte
Gebott/ iſt die Verfuͤhrung Evæ durch die liſtige Schlang/ ſo ſie von Gott
abgezogen/ dergleichen Verfuͤhrungen heutiges tages noch viel vorgehen.

Es gibt ſcandala conſuetudinaria \& gentilitia, ungeachte/ lang geuͤbte/ verzweif-
felt boͤſe Aergernuß/ als das Reiſen an vergiffte Ort und angeſteckte Lazareth/
da das Reiſen und Sprachen fernen zwar recht iſt/ aber in indifferentibus, in
Mitteldingen in caſu ſcandali, im Fall der Aergernuß/ und ſo Gefahr vor-
handen/ ſolte man ſich enthalten. Fleiſch eſſen iſt an ſich ſelbſt keine Suͤnde/
ſo ſich aber mein Bruder daran aͤrgert/ will ich es lieber bleiben laſſen/ ſpricht
Paulus 1. Cor. 8/ 13 Urſach iſt/ weil es nicht laͤr abgehet/ die Babyloniſche
Hur ſtellet ſich gar devot/ es gibt Atheiſmos, und Wunden bey zarten Gewiſ-
ſen. Es ſeind ſcandala hæreditaria, in Pracht/ Fluchen/ Sabbath-Schaͤn-
den/ ꝛc. Scandala domeſtica, Scholaſtica, Perſonalia, Affection zur fremden
Religion/ ꝛc. Da muß das Hertz mit antidotis zuvor wol verwahret ſeyn/
ſoll es unangeſteckt durchkommen.


Wider das ander Gebott verſuͤndiget ſich Jerobeam/ der mit ſeinem Kaͤl-
ber-Dienſt und Abgoͤtterey Jſrael ſuͤndigen gemacht. Wider das dritte
Gebott Arius mit ſeinem Schwarm/ alle Kaͤtzereyen und Jrꝛthum/ ſo die
Goͤttliche Warheit verfaͤlſchen/ die Gewiſſen aͤngſtigen/ daß ſie auff Zweif-
fel oder Sicherheit ſich hinauß ſchlagen. Wider das vierte Gebott/ alle
Reitzungen/ Gebott/ Gewonheiten/ Gaſtereyen/ weltliche Ubungen/ Schieß-
Rein/ Armbruſt-Rein/ ſo vom Sabbath abhalten/ ſeind bannige Laſter. Wi-
der das fuͤnffte Gebott/ wann Eltern ihren Kindern/ Præceptores ihren
Schulern/ Obrigkeit ihren Unterthanen boͤſe Exempel geben. Wann der
Vater am Sontag im Brett ſpielt/ an ſtatt der Bibel das Kaͤrtel gebrau-
chet/ und das Kind es ſiehet/ ſo laßt ſichs nimmer berehen/ daß es unrecht
ſey. Was die Alten ſungen/ das lernen hernach die Jungen. Wider das
ſechſte Gebott/ wañ Hutſch-Weckerlein/ oder einer den andern mit Gewalt
zum Zorn reitzet/ wann Dienſtbotten ihrer Herꝛſchafft mit boͤſen und ſchnoͤ-
den Worten begegnen/ und damit ihre Hertzen verwunden. Wider das
ſiebende Gebott/ wann die Moabitiſche Weiber das Volck zum Opffer la-
den/ zur Unzucht reitzen. Geſchicht noch heutiges tages ſonderlich durch
aͤrgerliche
[273]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
aͤrgerliche Entbloͤſung der Bruͤſte/ durch leichtfertige Kleidung/ gefaͤhrliche
Gelegenheit und Zumuthungen/ durch Verfuͤhrung zur muͤſſigen boͤſen
Geſellſchafft/ zum ſauffen und freſſen/ ꝛc. Wider das Achte Gebott/ durch
allerhand Diebs-Griff/ verbottene Kuͤnſte/ ungerechte Vortheil/ ſo der
Lehrjung von ſeinem Meiſter erlernet. Wider das neunte Gebott/ durch
allerhand boͤſe Geſchwaͤtz/ Calumnien/ tadlen und laͤſtern. Laßt euch
nicht verfuͤhren/ boͤſe Geſchwaͤtz verderben gutte Sitten/ 1. Cor. 15/ 33. Es
gehoͤret auch hieher der Mißbrauch Chriſtlicher Freyheit/ wann einer/ der
ſonderlich dem andern gut Exempel geben ſolte/ ſich in Mitteldingen ent-
haͤlt/ oder thut et was/ dadurch der ander geaͤrgert wird/ wie Petrus/ Gal. 2.


III. Atrocitas ſcandali, die Abſcheulichkeit. Es iſt Aergernuß
1. peccatum diabolicum, des Teuffels eygene Suͤnd/ der war der erſte
ſcandalizator; alſo ſchlagen ſich gemeiniglich zu unſchuldigen Hertzen boͤ-
ſe Buben. Das ſolten bedencken bey hohen Haͤuſern/ an Koͤniglichen/
Fuͤrſtlichen Hoͤffen die Ahitopheles/ die Hoffmeiſter bey junger Herꝛſchafft
von Adel/ ſie ſeynd des Teuffels Botten. Alle Kupler und Penaͤl-Butzer/
alle Koſt-Herren und Koſt-Frauen/ die boͤſe Gelegenheit geben/ ſchoͤne
Damen laden/ zum Extra dapffer helffen/ ꝛc. Summa/ alle boͤſe Buben/
die andere zu uͤppigem Weſen bereden: Zum Exempel/ wan man ſagt/ du
biſt wohl ein Narꝛ/ daß du calmeiſeſt/ dich eingezogen halteſt/ daß du dich
nicht auch herfuͤr thuſt/ und ſehen laͤſſeſt/ wie andere deines gleichen; dieſe
alle/ ſag ich/ ſeynd rechte Teuffels-Kinder. 2. Peccatum damnoſiſſi-
mum,
eine ſchaͤdliche Suͤnde/ ein rechter Seelen-Tod/ ein Schwerdt/ das
die Seele verwundet/ 1. Corinth. 8/ 12. Um ſo viel wuͤrdiger/ edler und
koͤſtlicher die Seele als der Leib/ um ſo viel ſchaͤdlicher und gefaͤhrlicher
ſeynd auch die Wunden der Seelen als des Leibes. Stadt und Land wird
davon angeſtecket und verderbet/ laͤßt man ſolche Peſt einmahl einreiſſen/
ſo reißt ſie um ſich wie der Krebs. 3. Jſt es peccatum deploratiſſimum,
graviſſimis pœnis obnoxium,
ein verderbliches Straff-Laſter/ der
Herꝛ hat ein ſchroͤckliches Wehe daruͤber geſchryen/ Matth. 18. Wehe
der Welt/ der Aergernuß halben/ es muß ja Aergernuß kom-
men. Doch wehe dem Menſchen/ durch welchen Aergernuß
kommet/ es waͤre ihm beſſer/ daß ein Muͤhlſtein an ſeinen Hals
gehaͤnget/ und erſaͤufft wuͤrde im Meer/ da es am tieffſten iſt/ daß
ſeiner in Ewigkeit nimmer gedacht wuͤrde. GOttes Raach-Aug ſiehet ſon-
derlich darauff/ wann man unſchuldige Hertzen aͤrgert. Hie ſtehet ocu-
lus Patris,
das Aug des Himmliſchen Vaters/ der will nicht haben/ daß
man eines ſeiner Kinder verderbe. Oculus Chriſti, das Aug Chriſti/
Zehender Theil. M mder
[274]Die Achte Predigt
der kommen iſt zu ſuchen und ſelig zu machen/ das verlohren iſt/ und will
nicht haben/ daß man mit boͤſem Exempel verfuͤhre/ was Er ſo theur erloͤſet.
Oculus angelorum, das Aug der Heiligen Engel/ Huͤter und Waͤchter
der jungen Kinder/ die allezeit GOttes Angeſicht ſchauen/ ſeine Hoff-Die-
ner/ die klagens ihm/ wann gleich unſchuldige Hertzen ſchweigen/ und
ſeynd bereit zur Raach/ wann GOtt will: darauff endlich folget das ewige
Feur. Dieſes koͤnte alles mit vielen Exempeln erwieſen werden; Wir
haben aber genug an dem Exempel des erſten Verfuͤhrers/ des leidigen
Satans und der Evæ/ die wurden aͤrger und hefftiger geſtrafft/ als die ver-
fuͤhrte. Das heißt und iſt: Suͤndiget dein Bruder an dir.


Nun/ M. L. wann wir uns umſehen/ ſo bedoͤrffen wir keines Liechts/
Stadt und Land/ Haͤußer und Gaſſen ſeynd voll Exempel. Die gantze
Welt iſt nichts anders als ein lauteres ſcandalum, da aͤrgert und verfuͤhret
je eines das andere/ und gehet das ſcandalum an ohngefehr vom ſiebenden
Jahr in den Schulen/ Claſſen/ Gaſſen/ ꝛc. Es waͤchſet je laͤnger je mehr/
biß endlich ein groß Ungeheur darauß wird/ und iſt je ein Ort aͤrger als der
andere. Letztlich heißt es: Jung gewohnt Alt gethan; Art laßt von Art
nicht. Wie dem Vogel der Schnabel gewachſen/ ſo ſingt er. Einer hat
mehr Gelegenheit als der andere. Gluͤckſelig ſeynd die Kinder/ die von
frommen Eltern unter der Ruthen ſorgfaͤltig in der Gottſeligkeit aufferzo-
gen werden/ die man nichts Boͤſes ſehen laͤßt/ denen man nicht allen Muth-
willen und Pracht zulaͤßt. Wann man keinen Narren an den Kindern
frißt/ wie Eli/ dieſelbe nicht verzaͤrtelt/ reitzet ſie nicht mit eſſen/ trincken
Kleidern/ ꝛc. daran ſie als unſchuldige Hertzen/ vorhin nie gedacht. Gluͤck-
ſelig ſeynd die Studioſi und Koſtgaͤnger/ die an ſolche Ort gerathen/ da
man durch leichtfertig Geſchwaͤtz/ durch uͤberfluͤſſiges/ unzeitiges Extra,
und allerhand Anlaß junge Leute nicht verfuͤhret. Die Gluͤckſeligſten
ſeind Wilhelmiten/ und die/ ſo in den Cloͤſtern unter der ſcharffen Diſciplin
und guten Auffſicht gehalten werden. Gluͤckſelig ſeind die Dienſt-Bot-
ten/ die gern ſeynd wo es luſtig hergehet/ und aber an ſolche Ort kommen/
daß ſie offt mahl meynen/ es koͤnne ihnen nicht aͤrger gehen/ da es ihnen doch
am beſten iſt. Am aller ſeligſten ſeynd die Kinder/ die zeitig in ihres himm-
liſchen Vaters Hauß durch den Tod hingerafft werden. Dieſe Gluͤckſe-
ligkeit aber iſt gar rar. Die ſcandala ſchlagen fuͤr/ und ſeind ungluͤckſe-
lige Leute/ die in einem andern Stand begriffen. Jſt nun die Welt an-
ders nichts/ als ein ſcandalum, was iſt dann hie zuthun/ und wie hat
man ſich zu verhalten? Wann/ M. L. eine offentliche Brunſt außgehet/
laufft jederman herzu zu loͤſchen/ andere ſalvieren ſich und ihr Geraͤth/
andere
[275]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
andere tragen Feur-Eymer und Spritzen herzu. Bey einreiſſender Peſt
huͤtet und ſiehet ſich jederman vor. Alſo will Gott der Herr auch haben/
daß man dem Aergernuß wehre/ demſelben fuͤrkomme/ und ſich darfuͤr
huͤte/ welches geſchehen ſoll 1. per amputationem \& evitationem ſcandali,
daß man ſich wohl fuͤrſehe/ und alle Gelegenheit meide. Jſt
eben der Rath/ den der Herr Chriſtus gibt/ Matth. 5/ 30. So aber dei-
ne rechte Hand oder dein Fuß dich aͤrgert/ ſo haue ihn ab/ es iſt
dir beſſer/ daß eines deiner Glieder verderbe/ und nicht der gantzt
Leib in die Hoͤlle geworffen werde. Aergert dich dein Aug/ ſo
reiß es auß/ und wirff es von dir/ ꝛc. Jſt eine Gleichnuß/ genom-
men von einem Chiruigo oder Wund-Artzt/ bey welchem es heiſſet.


Enſe recidendum eſt, ne pars ſincera trahatur.


Man muß ein Glied abhauen/ daß nicht ein anders geſundes damit ange-
ſtecket werde. Welches aber nicht ſchlechter dings dem Buchſtaben nach
zu verſtehen/ ſondern eigentlich und ſonderlich von dem innerlichen Aerger-
nuß/ de mortificatione carnis, von der Toͤdtung des Fleiſches/ von wel-
cher der Anfang gemacht werden muß; aber auch von dem aͤuſſerlichen
Aergernuß: Aergert dich/ ſagt der Herr/ deine Hand/ das iſt/ dein
guter nutzlicher Freund/ amicus utilis, der oder die jenige/ ſo dir ſonſt zur
Hand gehen/ dir beytragen/ ſeynd aber mit Jrꝛthum und falſcher Lehr be-
hafft/ ſo haue ſie ab/ gehe ihrer muͤſſig. Wann einer von fremden Orten
kommt/ da die Peſt regiert/ ſo ſagt man unter dem Thor/ wo er herkomme?
Alſo ſollen wir auch falſche Religion nicht einladen/ weil es gemeiniglich
Gefahr damit hat. Ein Fuͤncklein iſt zwar klein/ aber es wird endlich eine
groſſe Brunſt darauß/ daß man nicht mehr wehren kan. Aergert dich
dein Aug/ das iſt/ dein Rath/ dein Freund/ den du ſo hoch liebeſt als dein
Aug/ dein Præceptor/ dein guter Geſell/ dein Neben-Magd/ ſo laß Freund
Freund/ Weib Weib ſeyn/ und liebe GOtt mehr. Ein beruͤhmter fuͤr-
nehmer Theologus, als er auff eine Zeit einem adelichen Studenten einen
Verweiß gethan/ wegen ſeines depouchirens/ und derſelbe ſich entſchuldi-
get/ er koͤnne nicht anderſt/ er muͤſſe zur Burſt/ ſie agirten ihn ſonſt/ er ſeye
wie ein ſprenglicht Voͤgelein/ ſingular, ein Leut-Scheu/ der mit niemand
umgehen mag; ſagte zu ihm: ey/ er laß ſie nur agiren/ es wird die Zeit
kommen/ daß ihr bey Fuͤrſten und Herren in groſſem Anſehen ſeyd/ jene
aber als Trabanten euch auffwarten muͤſſen. Ach wann das junge Leute
glaubten/ und irgend ein Spott-Wort uͤber ſich ergehen lieſſen/ wann ſie
gedaͤchten/ es ſeye beſſer/ hie Feind und ab/ als in Ewigkeit in der Hoͤllen
ein Geſell zu ſeyn/ es ſolte wohl manchmahl beſſer ſtehen und gehen/ als
M m ijleyder
[276]Die Neunte Predigt
leyder geſchicht. Dahin gehoͤret auch/ daß man ſich von fuͤrnehmen Leu-
ten nicht verfuͤhren laſſe/ dann es iſt nicht alles Biſam/ was wohl riechet/
David/ Salomon/ Petrus habens erfahren. Aergert dich dein Fuß/
amicus jucundus, in gefaͤhrliche Ort zu wandern/ durch boͤſe Geſellſchafft/
in Franckreich/ Jtalien/ ꝛc. zuziehen/ in patriam ſcandalorum, da alle
Aergernuß daheim iſt/ und an der Babyloniſchen Damen Bruſt ſaugen/
ſo haue ihn ab/ bleibe davon und zu hauß. Es iſt wohl mehrmahlen manch
unſchuldiges Hertz verfuͤhret/ auch noch nicht lang eine Fuͤrſtliche Perſon
zur Abgoͤtterey gezogen worden. 2. Per cenſuram medicinalem \& gra-
dualem,
durch ordentliche Zucht-Straff/ davon aber ins kuͤnfftige
mit mehrerm wird zu reden ſeyn. Wir laſſens anjetzo bey geſagtem ver-
bleiben/ und ſchlieſſen mit Weh und Wohl. Wehe der Welt um der Aer-
gernuß willen/ am Juͤngſten Tag/ da die verfuͤhrte uͤber ihre Verfuͤhrer
ſchreyen werden/ O unſeliger Vater/ Bruder/ Freund/ ꝛc. O daß ich
einen Muͤhl-Stein am Hals gehabt haͤtte/ und erſaͤuft worden waͤre im
Meer/ da es am tieffſten iſt/ ſo doͤrffte ich anjetzo nicht in die Hoͤlle geworf-
fen werden. Wohl aber hie zeitlich im Gewiſſen/ wohl dort in Ewigkeit
im Genieſſen/ allen denen/ die das Lob haben von denen/ welchen ſie gutes
Exempel gegeben/ ſie werden ſich deſſen erfreuen in unauffhoͤrliche Ewig-
keit mit ewiger Seligkeit/ Amen.



Die Neunte Predigt.
Von
Dem Erſten Grad der Chriſtlichen Bußzucht/
der Bruͤderlichen Beſtraffung.


GEliebte in dem HEꝛrn: Es gedencken die Frantzoͤſiſchen
Geſchichten einer ſehr denckwuͤrdigen und erſchroͤcklichen Hi-
ſtori/ die ſich begeben zur Zeit Caroli des VI. im Jahr 1394. in
einer Mummerey und Faßnacht-Spiel/ ſo etliche Frantzoͤſi-
ſche Herren auff den Tag Caroli auff die Bahn gebracht/
darin ſich ihrer ſechs vermummet und verkleidet wie wilde
Maͤnner oder Satyri, die Kleider ſo ſie anhatten/ waren eng/ und lagen glatt
am Leib an/ waren mit Pech und Hartz uͤberzogen/ daran Hanff oder Werck
hieng an ſtatt des Haars/ damit ſie rauh und wild auffgezogen kaͤmen.
Dem
[277]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Dem Koͤnig gefiel dieſer Auffzug ſo wohl/ daß er ſich ſelbs dazu ſchlug/ und
der ſiebende ſeyn wolte. Was geſchicht? man haͤtte den ſiebenden gern
gekennet/ derowegen als der Tantz angegangen/ nim̃t Hertzog von Orleans
einem Diener eine Fackel oder Wind-Liecht auß der Hand/ leuchtet damit
dem Koͤnig unter das Geſicht/ davon gieng der Hanff und Pech am Nar-
ren-Kleid an/ daß der Koͤnig davon anfieng zu brennen. Die andere
Faßnacht-Butzen lieffen herzu/ vergaſſen ihrer eygenen Narren-Kleider/
und wolten dem Koͤnig helffen. Aber in dem ſie loͤſchen wolten/ gerathen
ſie gleicher geſtalt in die Flamme/ und weil jederman dem Koͤnig zulieff/
verbranten vier Herren ſo jaͤmmerlich/ daß ſie daran ſterben mußten.
Der Koͤnig wurde zwar errettet/ gerieth aber in eine Tobſucht oder Tollheit/
deren er biß an ſein End nicht kunte ledig werden und abkommen.


Dieſe Hiſtori/ M. L. iſt wohl ein augenſcheinlich Exempel Goͤttlichen
Straff-Gerichts uͤber ſolche Faßnacht-Narrey/ daran ſich die jenige/ ſo zu
Hoff und anders wo mit ſolchen Mum̃ſchantzen umgehen/ wohl ſpieglen
ſolten. Sie iſt aber auch ein Bildnuß des menſchlichen Lebens-Lauffs/
wie derſelbe ins gemein durch und durch ſchaͤndlich gefuͤhret und vollbracht
wird. Dann was iſt derſelbe anders/ als 1. ein rechtes Faßnacht-Spiel/
da die vermumte und mit des Teuffels Larv nach dem Fall bekleidete ſuͤnd-
liche Welt anders nichts thut/ als Aergernus geben/ tanquam re præ-
clarè geſtâ,
als haͤtte ſie es gar wol getroffen/ und wills doch niemand ge-
than haben. Es gehet alles vermum̃t her: die Heucheley ſchmincket ſich
mit ſonderbahrem Eyffer und Heiligkeit/ der Geitz vermummet ſich unter
die Sparſamkeit/ die Trunckenheit unter die Froͤligkeit/ die Ungerechtig-
keit unter den Schein des Rechten/ Lugen unter die Warheit. Die poli-
tiſche Entſchuldigungen ſeind das Narren-Kleid/ darunter ſich mancher
Schalck verbirgt. Kommt nun 2. das Liecht der Warheit darzu/ wel-
ches die Welt nicht leidet/ da heißt es/ Veritas odium parit, Warheit brin-
get Feindſchafft/ wer die Warheit geiget/ dem ſchlaͤgt man den Fidel-Bo-
gen auff den Kopff/ da greift man dem Kaͤlblein ins Aug/ und es brennet
alsbald. Unſer alte Adam/ der hitzige Eſel-Reuter kans nicht leiden/ er
wird zu einem feurigen Mann ja gar zu einem feurigen Drachen. Dazu
ſchlagen ſich 3. unſelige Loͤſcher/ zum Exempel/ unzeitige und unvernuͤnff-
tige Correctores und Conſores, Silber- und Zanck-Suͤchtige Juriſten/
welche/ damit ſie auch eine Feder von der Ganß kriegen/ ehe ſie davon fleugt/
allerhand weit außſehende/ Beutel-laͤrende Rechts-Haͤndel anfangen.
Die Calumnia und Laͤſter-Zung thut auch ihr beſtes dabey/ ſonderlich wo
der Zaun am niedrigſten iſt/ und jederman daruͤber ſpringen wil. Sum̃a:
M m iilMan
[278]Die Neunte Predigt
Man ſchuͤttet Oel ins Feur/ da brennets als dann in allen Gaſſen loh-hell/
und iſt allenthalben Jammer und Noth/ folget auch wol gar das hoͤlliſche
Feur darauff. Gantz Teutſch-Land iſt deſſen ein augenſcheinliches Exem-
pel/ da freylich auch die Loͤſcher/ ſo die Flamme ohne Gott haben außloͤ-
ſchen wollen/ ſelber in die Flamme gerathen und verbronnen.


Das wußte nun unſer liebſte Heiland und Seligmacher/ der beſte
Phyſiognomus und Naturkuͤndiger/ der uns von innen und auſſen ken-
net/ gar wohl/ darum ſchreibet Er uns eine Cur/ Centur und Bußzucht/
eine edele/ bewehrte Feur-Spruͤtz fuͤr/ wie wir nemlich ſolchen ſcandalis
und Jnjurien wehren ſollen/ nicht in den Funcken blaſen/ oder Feur mit
Feur loͤſchen/ ſondern 4. unterſchiedliche gradus, Staffeln und Arten.
Dann entweder iſt es Injuria privata \& ſecreta, ein geheimes abſonder-
liches Aergernuß/ da ſoll man den Bruder allein ſtraffen. Gibt er drauff/
wol gut; wo nicht/ ſo ſoll man einen Richter ſuchen/ erſtlich arbitrarium
\& ordinarium,
als den ordentlichen Schieds-Mann/ ſo man ihn haben
kan. Gibt er abermahl nichts darauff/ oder iſt irgend das ſcandalum
publicum, \& manifeſtum,
ein bekantes offenbahres Aergernuß/ ſo ſoll
mans fuͤr das Conſiſtorium und Kirchen-Convent bringen. Will es
noch nicht helffen/ ſo folget die Excommunication und der Bann. So/
wil der HErr ſagen/ kan man den ſcandalis wehren/ das iſt das rechte
Kuͤhl-Waſſer/ damit man loͤſchen kan. Wir haben heut acht tag de ſcan-
dalo in genere,
von dem Aergernuß ins gemein geredet/ folget anjetzo
ſcandalum privatum, das geheime ſonderbahre Aergernuß/ privatireme-
dium,
wie man demſelben abhelffen koͤnne/ und dann remedii finis, der
Zweck und Abſehen/ in den Worten/ wann unſer liebſte Heyland ſpricht:
Suͤndiget dein Bruder an dir/ ſo ſtraffe ihn zwiſchen dir und
ihm allein. Hievon nun etwas nutzliches und aufferbauliches zu der
Ehre GOttes und unſerm Unterricht zu handlen/ wolle GOtt ſeine Gnad
und Segen mildiglich von oben herab verleyhen Amen.


SO iſt nun I. Morbus ipſe, der Fehler und Gebrechen/ ſo zu
ſtraffen/ nicht ſcandalum publicum, eine gemeine Aergernuß/
Ketzerey oder dergleichen/ dann fuͤr dieſen Grind gehoͤret eine an-
dere Lauge. Nicht peccatum infirmitatis \& naturale, Schwachheiten
oder natuͤrliche Unhoͤfflichkeit/ Temperaments Gewonheit, wie irgends
der ſanguineus, ein blut-reicher luſtiger Menſch dem Melancholico, trau-
rigen Grillen-macher zu wider; Viel weniger aber/ wanns geſchicht auß
bloſſem ungegruͤndetem/ erdichtetem Argwohn. Sondern es iſt ſcandalum
\&
[279]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
\& injuria privata ac occulia, eine geheime/ verborgene/ unbekan-
te Beleidigung/ die Suͤnde an dir oder fuͤr dir begangen. Zum
Exempel/ mit Fluchen/ Schwoͤren/ Sabbath-ſchaͤnden/ oder auch mit
Jnjurien. Wann man in choro, foro \& thoro, in allen Staͤnden ein-
ander in die Haar kommt. Wann dich der Naͤchſte durch ungerechte Wort
und Werck beleidiget/ dir zu nahe gehet/ und auff den Fuß tritt/ dich zum
Zorn reitzet und anhetzet. Wann zum Exempel dein Mit-Collega in
dem Rath/ in der Kirchen/ Schulen und anderswo dir einen Schimpff
erwieſen/ oder Abbruch der Authorttaͤt gethan. Wann dein Nachhar
ſein Mauel zuviel wider dich gebrauchet/ oder etwa auch ein convitium
und uͤbels nachreden fuͤrgangen/ daß er geſagt/ du leugſt. Wann dein
Dienſt-Bott etwas verwahrloſet/ und boͤſe Wort gibt. Wann dein
Bluts-Freund dir nicht widerfahren laͤßt/ was dir gebuͤhret. Wann
Ehegatten ſich nicht wohl mit einander ſtellen koͤnnen/ oder wann dich
ein anderer Chriſt zum Unwillen bewegte/ und dir Ubertrang thaͤte mit
Worten oder Wercken/ wie dergleichen unter uns taͤglich fuͤrgehet. Das
alles wird mit und durch die Suͤnde an dir gemeinet. Daß aber dieſelbe
allhier verſtanden werde/ iſt zu vernehmen auß der phraſi, εις σὲ, an dir/
hernach ex remedii ſolitate, weil ſie allein zwiſchen Beleidigern und Be-
leidigten ſoll geandet werden. Zwiſchen dir und ihm allein; und letzt-
lich auß der Frag Petri/ die er auff Chriſti Wort eingewendet: HErꝛ/
wie offt muß ich dann meinem Bruder/ der an mir ſuͤndiget/
vergeben? Jſts gnug ſiebenmahl?


II. Remedium das Zucht-Mittel iſt nun nicht retorſio verba-
lis,
Wort-Streit/ zancken/ balgen/ auß dem Wald herauß ſchreyen/
wie man hinein geſchryen. Jm Rechten mag es wol erlaubet ſeyn/ iſt aber
dem Chriſtenthum nicht gemaͤß/ wann man Haar auff Haar richtet/ wie-
der ſchilt/ du biſt der und die/ du biſt auch der und der ſo lang biß du etwas
auff mich bringeſt oder erweiſeſt. Gebuͤhrliche Entſchuldigung iſt wohl
erlaubet/ wie der Herr Chriſtus auch gethan/ Joh. 18 23. Hab ich uͤbel
geredt/ ſo beweiſe es/ hab ich aber recht geredet/ was ſchlaͤgſt du
mich. Es gehoͤret nicht dahin vindicta realis, thaͤtliche Raach/
rauffen/ ſchlagen/ darauff ſchmeiſſen/ das Fauſt-Recht brauchen/ (ich rede
nicht von der vaͤtterlichen Kinder-Zucht/ oder wie Præceptores ihre Diſci-
pulos corrigi
ren/ oder von erlaubter Noth-Wehr) mit Benglen drein
werffen. Jn der Welt mag es zwar erlaubet ſeyn/ auff die Lugen eine
Maulſchell zugeben/ aber nicht in foro conſcientiæ, im Gewiſſen. Da
heiſſet es: So dir jemand einen Streich gibt auff den rechten
Backen/
[280]Die Neunte Predigt
Backen/ dem biete den andern auch dar Matth. 5/ 39. Viel weni-
ger iſt es barbara Monomachia, das Fordern und Kugel wechſeln/
als welches ein ungerechtes Mittel/ weil keiner in ſeiner eygenen Sach
Richter ſeyn kan. Ein ſchimpfflicher Handel/ dum fugiunt infamiam
falſam, incidunt in veram,
ſaget recht und wohl Auguſtinus von ſolchen
Leuten/ das iſt/ in dem ſie dem vermeinten falſchen Schimpff
entgehen wollen/ fallen ſie allererſt in den rechten. Es iſt ein
barbariſches Mittel/ welches von den alten wilden Heyden herkommet/
und unter Chriſten nicht ſoll gehoͤret werden. Ein unmenſchliches/ un-
Chriſtliches/ ja teuffliſches Mittel/ dadurch der Menſch um Leib und Seel
gebracht wird. Sondern es iſt Elenchus, ein Straff- und Zucht-
Mittel/ ἔλεγξον, ſtraffe ihn/ elencho 1. præventaneo, komme ihm zu-
vor/ vade, ſagt Chriſtus der Herr/ gehe hin/ warte nicht/ biß er kommt
und ſich anmeldet/ arte dem himmliſchen [Vater] nach; ſolte Er uns Men-
ſchen nicht verzeihen biß wir ihm entgegen giengen/ es wuͤrde ſehr langſam
damit hergehen. 2. Elencho convictivo, uͤberweiſe ihn auß GOttes
Wort/ daß er einmahl unrecht gethan/ wider GOtt und die Liebe des
Naͤchſten gehandelt. Dann das heißt ἐλέγχειν: nicht ſuggillativo, gib
ihm unblutige Stich/ daß er es doch empfindet. Dann vielleicht hat er
ſeine redliche Entſchuldigung. 3. Elencho ſecreto, Straffe ihn zwi-
ſchen dir und ihm allein. Bleſinirs nicht alſobald auß/ ſchlags nicht
auff der Trommel herum/ lauffe nicht alſobald an die Groſſe Glock/ dif-
fami
re ihn nicht/ ne ſis proditor potiùs quàm corrector. wie Auguſtin.
ſerm. 16. de veribs Domini
redet/ damit du nicht mehr ein Verraͤther als
Beſſerer ſeyeſt/ dadurch nur greuliche Verbitterung entſtehet. 4. Elencho
manſueto \& reconciliationis cupido,
mit Sanfftmuth und verſoͤhnli-
chem Geiſt/ daß des Naͤchſten Leumden verſchonet werde/ und niemand
unbilliches geſchehe/ und an uns anders nichts geſpuͤhret werde/ dann daß
wir des Naͤchſten Beſſerung und Heyl ſuchen. Wie offt ſoll ich
meinem Bruder vergeben? ſollen wir auch fragen mit Petro/ dazu
ſoll es angeſehen ſeyn. Habenda ratio \& diligentia eſt primùm, ut
monitio acerbitate, deinde objurgatio contumelia careat.
Man muß
zuſehen und Fleiß anwenden zu allerforderſt/ daß die Vermah-
nung ohne Bitterkeit und Zorn/ die Straff ohne Schmach
und uͤbele Nachrede gefaſſet ſeye/ ſpricht Cicero der weiße Heyd.
Plus proficit amica correctio, quàm turbulenta accuſatio, ſaget Ambro-
ſius l. 8. in Luc.
Eine freundliche Correction hat mehr Nutzen/
als eine hefftige Beſchuldigung/ als eine rauhe und wuͤſte An-
klag.
[281]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Klag. Ein gut Wort findet eine gute ſtatt. 5. Elencho fraterno, bruͤ-
derlich/ ſuͤndiget dein Bruder an dir. Gedenck/ daß er dein Bru-
der iſt/ durch die natuͤrliche Geburt und geiſtliche Wiedergeburt/ durch Ge-
meinſchafft des Glaubens. Wegen des natuͤrlichen Gebluͤts/ in maſ-
ſen von einem Blut aller Menſchen Geſchlecht auff dem gan-
tzen Erdboden wohnen/ Act. 17. Durch das Blut JEſu Chriſti/
als der alle Menſchen damit erloͤſet. Nun aber begehret nicht leichtlich ein
Bruder den andern zu verſchreyen/ eben darum/ weil er ſein Bruder iſt.
Ein ſchoͤnes Exempel leſen wir Gen. 13. da ſich allerhand Mißverſtand we-
gen der Weid unter den Hirten Abrahams und Loths erhoben/ ſo ſagt Abra-
ham: Lieber/ laß nicht Zanck zwiſchen mir und dir/ zwiſchen
meinen und deinen Hirten ſeyn/ dann wir ſeynd Gebruͤdere.
Stehet dir nicht alles Land offen? Lieber ſcheide dich von mir.
Wilt du zur Lincken/ ſo will ich zur Rechten/ oder/ wilt du zur
Rechten/ ſo will ich zur Lincken? Alſo ſcheidete ſich ein Bruder
von dem andern. Hier komt 1. Abraham zuvor/ 2. uͤberweißt er den Loth
mit Argumenten. 3. Thut ers in geheim. 4. Suchet er Frieden. 5. Han-
delt er bruͤderlich. Si juvenem aliquem injuſtum vel ſuperſtitioſum The-
ologum adhibuiſſet in conſiliis, is eum exhortatus eſſet, ne cederet, ſed
potius urgeret jus ſuum, ſibi enim promiſſionem terræ eſſe factam,

ſpricht ein Außleger. Das iſt: Wann er einen ungerechten Juͤng-
ling oder aberglaubiſchen Theologum zu rath gefraget haͤtte/
haͤtte vielleicht derſelbe ihm zugeſprochen/ er ſolle nicht weichen/
auff ſein Recht trutzen/ dann ihm waͤre das Land verſprochen
worden. Er ſolle ihn nicht anſehen/ weder ihme ſelbs noch der Poſteritaͤt
kein beſchwerlich præjudicium auffbuͤrden. Aber Abraham gedencket/
ſummum jus ſumma injuria, das hoͤchſte Recht ſeye die hoͤchſte Unbillich-
keit/ gar zu haͤrtig machet ſchaͤrtig. Um des lieben Friedens willen cedit
avunculus nepoti, ſenior juniori, Propheta diſcipulo,
weichet der Mut-
ter Bruder ſeinem Enckel/ der aͤltere dem juͤngern/ der Prophet und Lehr-
Meiſter ſeinem Diſcipul. Prediger haben ſonderlich ihnen zum Exempel
fuͤrzuſtellen Chriſtum den Herrn/ wie Er mit Juda gehandelt. Es
ſtraffet Chriſtus der Herr nicht alſo bald die Perſonalia, ſeine eygene
Fehler an ihm/ ſondern Er verfahret ſanfft und ſaͤuberlich mit ihm/ Er
deutet nicht mit Fingern darauff/ ſondern ſagt allein in genere, ins gemein:
Jhr ſeyd nicht alle rein/ einer unter euch iſt ein Teuffel. Jtem:
Einer der mit uns in die Schuͤſſel eintaucht. Endlich/ da es gar
deſperat zu ſeyn angefangen/ ſagt er zu Juda: was du thuſt/ das thue
Zehender Theil. Nnbald.
[282]Die Neunte Predigt
bald. Maluit omnes terrere, quàm uni pœnitentiæ incitamenta dene-
gare,
ſchreibet Chryſoſtom. Er hat lieber ſie alle erſchrecken/ als ei-
nem den Trieb zur Buße verwegern wollen. Non deſignat
ſpecialia, ne manifeſtè coargutus impudentior fiat. Mittit crimen in
numerum, ut agat conſcius pœnitentiam,
ſpricht Hieronymus. Das iſt:
Er zeiget nicht alles ſonderlich an/ damit er/ wann Er ihn of-
fentlich ſtraffete/ nicht unverſchaͤmter wuͤrde. Er redet in den
gantzen Hauffen hinein/ daß der/ ſo ihm etwas Boͤſes bewußt/
Buße thun ſolte. Apoſtoli eum diſcerpſiſſent, Petrus interemiſſet.
Die Apoſtel haͤtten ihn zerriſſen/ Petrus haͤtte ihn erwuͤrget.


III. Remedii finis, der Zweck/ Ziel und Abſehen. Jſt nicht die
Muth-Kuͤhlung/ ſondern lucrum animæ, Seelen-Gewinn/ du haſt
deinen Bruder gewonnen/ ſagt unſer liebſte Heyland. Du haſt eine
herꝛliche und loͤbliche Victori erhalten/ victoriam pretioſam, du haſt ei-
ner Seelen vom Tode geholffen/ einen Bruder vom Tod erloͤſet/ Jac.
5, 20. Gleich wie Abraham den Loth gewonnen/ und auß der Gefangen-
ſchafft erloͤſet/ Gen. 14. Du haſt ein Schaͤfflein/ das Chriſtus ſo theur
erkaufft/ dem Teuffel auß dem Rachen gezogen. Victoriam juſtam, ei-
nen gerechten Sieg; Ein mancher dencket/ was gehets mich an/ ſoll ich
der Katzen die Schell anhencken. Aber/ weil alle Glaubige in Chri-
ſto JEſu unſerm HErꝛn/ als Glieder zu einem Leib im H.
Tauff eingeleibet/ Kinder und Erben GOttes und Burger
im Himmel worden ſeynd/ und auch am ewigen Gut eine Ge-
meinſchafft haben/ ſollen ſie auß wahrer Liebe unter einander
ſich vor der Hoͤllen und ewiger Verdamnuß durch Chriſtliche
Zucht behuͤten/ zum Himmel bringen/ und zum ewigen Leben
fuͤrdern. Victoriam DEO gratam, einen GOtt annehmlichen und
wohlgefaͤlligen Sieg/ als der dich zum Biſchoff deines Naͤchſten ge-
macht. Gleich dem Knecht/ der mit den Gaben/ die ihm Gott vertrauet/
andere gewonnen/ Matth. 25, 20. Victoriam jucundam einen anmuthi-
gen Sieg/ dann du macheſt auß einem Wolff ein zahmes Schaͤfflein/
auß dem Feind dir einen Freund. Wie dann offenbahr/ daß die die
beſten Freunde werden/ die zuvor auß allerley Mißverſtand einander er-
kennen lernen. Victoriam utilem \& honeſtam, einen nutzlichen und
ehrlichen Sieg. Dann was hilffts dich/ wann du gleich die gantze
Welt gewinneſt/ Matth. 16, 26. und braͤchteſt unterdeß deinen Naͤchſten
um ſeine Seligkeit? Gedencke an Chriſtum/ der ſich ſelbs verlaͤugnet und
alles begeben; an Paulum/ der ſich ſelbſt jederman zum Knecht
gemacht/
[283]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
gemacht/ auff daß er viel gewinne/ und jedermann allerley wor-
dden/ auff daß er allenthalben ja etliche ſelich mache. 1. Cor. 9.
Die Application und Zueignung dieſes Mittels beſtehet ſonderlich in dem
Hoͤren/ daß man mit ſich handlen und reden laßt/ die Motiven annimmt/
und ſich eines beſſern bedencket. Es gibt manchen ſtoͤrriſchen Kopff/ mit
dem nicht umzugehen iſt; Schnarcher/ die ſich nicht wollen berichten
laſſen. Mit welchen man es offt verſuchet/ die aber auff ihren Eylffen blei-
ben/ werffen mit ungezogenen/ groben und unleidlichen Worten um ſich/
ſeynd nicht zum Verſtand zu bringen. Da folget alsdann der andere
Grad/ nemlich der Richter/ davon mit naͤchſtem ein mehreres wird zu
reden ſeyn.


Wann nun dieſes Mittel allezeit verſucht und getrieben wuͤrde/ ſo
wuͤrden wir nicht manchmahl wie Cyclopes, wie Woͤlff und Baͤren unter
einander leben; das/ was auff bloſſem Argwohn beſtehet/ auß dem Sinn
ſchlagen; was geringe/ und vom Temperament herruͤhrende Fehler ſeynd/
(wie dann der ſanguineus den melancholicum, und dieſer jenen nicht
wol vertragen kan) doch nicht ſo hoch empfinden/ auß der Mucke einen
Elephanten machen/ und um eines jeden Dings willen/ das der Rede
nicht werth/ ein Feur anzuͤnden; ſondern ſolche injuriolas unter die Pillu-
len referiren/ welche man nicht lang im Mund herum werffen/ ſondern
bald verſchlucken muß. Waͤre es aber etwa der Rede werth/ ſo wuͤrde
man es doch in geheim collegialiſch und bruͤderlich mit einander auß-
machen/ und alſo allen Mißverſtand beylegen. Man wuͤrde mehr ſehen
auff den Seelen-Gewinn/ als auff Reputation und zeitliche Ehre. Ach
wie ein ſchoͤn Engliſches Leben wuͤrde das ſeyn/ wie der liebliche Balſam
des Haupts Aarons/ und wie der koͤſtliche Thau des Gebuͤrges Hermon/
Pſ. 133. Aber dieweil/ wie die Erfahrung bezeugt/ man ſich manchmahl
Feinde dichtet/ den Maͤhren-Tragern glaubet/ oder Oel ins Feur gieſſet/ mit
unbilligen Stich-Worten um ſich wirfft/ daß man nicht weiß/ obs gehauen
oder geſtochen. Oder weil man die rechte Ordnung nicht wahr nimmt/
keines mag dem andern das Maul goͤnnen/ iſt allenthalben ſchon außblaͤ-
ſinirt/ ehe und dann der Naͤchſte davon gehoͤret. Weil nicht ſeiner Seelen
Gewinn und Zuruckholung/ ſondern ſeine Verſchreyung/ Verkleinerung
und Verſchimpffung geſucht wird/ und die Calumnia, das Geſchwaͤtz-
Werck/ das Maͤhrlein-Tragen dazu kommt/ ſo brennets in allen Gaſſen/
und gehets wie in der Faßnacht. Sonderlich wann der corrigendus und
Zucht-wuͤrdige keine Privat-Zucht und Vermahnung annehmen wil/
wann niemand will gefehlet haben/ und nicht gedencket/ ut ſol quandoque
N n ijtenebris,
[284]Die Neunte Predigt
tenebris, ita ſapientis animum caligine obduci, gleich wie die Sonn
bißweilen mit Wolcken uͤberzogen wird/ alſo koͤnne auch des allerweiſeſten
Menſchen Gemuͤth mit einem Fehler verfinſtert werden. Wann man/
ſo der Eyßen geruͤhret wird/ mit ſchnarchen und pochen den Spitzen bietet:
was darffs des dings viel/ ich habe gute Obrigkeit/ haſtu Fehl und Man-
gels an mir/ ſo verklage mich/ ich will dir erſcheinen/ Red und Antwort
geben. Welches auch wol Dienſt-Botten zu thun ſich geluͤſten laſſen
doͤrffen/ die doch einßen Brod eſſen/ und an das Policey-Gericht appelliren.
Oder wann man mit ungezogenen groben Worten um ſich wirfft/ ſetzet
den Kopff auff/ und will ihm nicht helffen laſſen/ da gehet alsdann der
Laͤrmen an. Da wird eine Chriſtliche Obrigkeit bemuͤhet/ und unnoͤthige
Rechts-Haͤndel verurſacht. Da wird das gluntzende Fuͤncklein auffge-
blaſen/ und die es loͤſchen wollen oder ſollen/ zuͤnden es noch mehr an.
Da wird alle Vertrauligkeit geſchlagen/ alle Freundſchafft auffgehaben/
daß keiner dem andern mehr trauet. Da lebt man wie das Vieh/ wie
Hund und Katzen/ wie Daniel unter den Loͤwen/ und macht das Vorſpiel
auff kuͤnfftige ewige Straffen. Nun/ wer ungeſtrafft ſeyn will/ der
bleibet ein Narꝛ. Das iſt/ nach dem ſtylo der H. Schrifft/ ein unſeli-
ger Menſch/ er wird den Judas-Lohn davon kriegen. Quem non cor-
rigunt verba, corrigant verbera \& experimenta.
Wer ſich mit Wor-
ten nicht will ſtraffen laſſen/ der nehme mit dem Schaden vor-
lieb. ſagt Auguſt. in Pſ. 6. Narren muß man endlich mit Kolben lau-
ſen/ verlieren der Rechts-Haͤndel iſt ihr verdienter Lohn. Da werden ſie
mit ſpather Reu ihre Thorheit und Narꝛheit bekennen muͤſſen: Ach haͤtte
ich dem und dem/ meinen Eltern/ Vorgeſetzten/ Lehrmeiſtern/ Herꝛ-
ſchafft/ ꝛc. gefolget/ ſo waͤre ich nicht in ſolches Ungluͤck kommen. Wer
ſich aber gern ſtraffen laͤßt/ der wird klug werden/ er wird auff
ſeine Wort und Wercke fleiſſiger achtung geben. Ja


Es wird alsdann der milde GOtt

Sein Segen laſſen walten/

Mit Troſt und Huͤlff in aller Noth

Ob ſolchen tapffer halten.

Verheiſſen ferner auch dazu

Nach dieſem Elend gute Ruh/

Und dort das ewig Leben/

Durch Chriſtum ihn zugeben.

Wir
[285]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

Wir wuͤnſchen mit Paulo auß 2. Theſſ. 3, 5. Der HErꝛ richte
unſere Hertzen zu der Liebe Gottes/ und zu der Gedult Chriſti/
AMEN.



Die Zehende Predigt.
Von
Dem andern Grad der Chriſtlichen Buß-Zucht/
der Collegialiſchen Cenſur.


GEliebte in dem HErꝛn Chriſto. Unter andern ſinn-
reichen Parabeln/ Gleichnuͤſſen und Sprichwoͤrtern/ die
vor zeiten Pythagoras gefuͤhret/ war/ wie Cyrill. l. 9. contra
Julianum c.
2. bezeuget/ auch dieſes/ daß er ſagte/ ne ignem
gladio fodias,
huͤte dich/ daß du das verborgene Feur
nicht mit einem Schwerdt auffweckeſt. Jſt eben
das/ was wir auch Sprichworts-weiß zu ſagen pflegen: Blaſe den
gluntzenden Funcken nicht auff/ wecke nicht einen ſchlaffenden
Hund/ ruͤhre den Unflath nicht/ ſtich nicht in ein Weſpen-Neſt/
mache dir ſelber keinen Feind/ brings nicht an deinen Naͤch-
ſten/ mache ihn nicht auffruͤhriſch durch unblutige Stiche/
heimliche Verachtung/ ungegruͤndeten Argwohn. Gibt damit
zu verſtehen: 1. iræ humanæ indolem, die Natur menſchlichen
Zorns/ derſelbe ſeye gleich einem/ aber verborgenen/ Feur. Jederman
trage in ſeinem Buſen einen Mord-Brenner/ der ſich aber artlich verbir-
get/ bey einem eher als bey dem anderen ſich herfuͤr thut/ biß endlich die
Flamme zu allen Thuͤren außſchlaͤgt/ und Laͤrmen uͤber Laͤrmen machet.
Jn welchem Fall manchem zornigen Menſchen zu wuͤnſchen waͤre/ was
Plutarchus in dial. de coërcendâi râ gewuͤnſchet/ es moͤchte ihm ein fa-
mulus
mit einem Spiegel nachgehen/ und denſelben fuͤrhalten/ auff daß
er ſeiner eigenen monſtroſitaͤt darauß gewar wuͤrde.


2. Remedium inutile \& noxium, das keinnuͤtze und ſchaͤd-
liche Mittel/ das Feur zu daͤmpffen. Man ſoll den gluntzenden Fun-
cken nicht auffblaſen/ ihme nicht Lufft laſſen/ das iſt/ nicht reitzen einen
N n iijzornigen
[286]Die Zehende Predigt
zornigen Mann/ oder einen Menſchen/ der ohne das zum Zorn geneiget
iſt/ ſonderlich die jungen Kinder; wie ein mancher Menſch ſeine Luſt an
Fecht-Schulen oder einem Hoff-Narren hat. Dann gleich wie/ wer ei-
nen Funcken antrifft/ nicht darein blaͤßt/ und alſo das Hauß anſtecket/
ſondern er vertritt denſelben; alſo ſoll man einem erzoͤrnten nachgeben/ das
beſte zu allem reden/ und ſehen/ wie man die Sache ſchlichte und richte.
Paulus ſaget Eph. 6. Jhr Vaͤtter reitzet eure Kinder nicht zum
Zorn. Alſo iſt es zwar nicht recht/ wann Herren und Frauen allzuun-
wuͤrſch reitzen/ in Harniſch jagen/ und es an ſie bringen/ daß ſie ungebuͤhrli-
che Worte brauchen; aber viel aͤrger und unverantwortlicher iſt es/ wann
das Geſind mit boͤſem ſchnoͤdem Maul an die Herꝛſchafft ſetzet/ ſie zu er-
zuͤrnen. Zuͤrnen iſt der Herꝛſchafft erlaubt/ wiewol der exceſs nicht auß-
bleibet/ aber den Dienſt-Botten iſt es nicht erlaubt.


3. Remedium utile \& ſalutare, das nutzliche heilſame Mit-
tel/ loͤſche und daͤmpffe den Funcken 1. per bona verba, mit guten
Worten/ gleich wie Gideon gethan/ Jud. 8. Welcher/ da die Maͤnner
Ephraim hefftiglich mit ihm zancketen/ daß er ihnen nicht geruffen mit in
den Streit zu ziehen wider die Midianiter/ und ihn wolten todt haben/ ih-
nen die beſte Wort gegeben/ und geſagt: Was hab ich jetzt gethan/
das euerer That gleich ſey? Jſt nicht eine Rebe Ephraim beſſer/
dann die gantze Wein-Erde Abi Eſer? da er ſolches redet/ ließ
ihr Zorn von ihm ab. 2. Per beneficia, mit Gutthaten. So dei-
nen Feind hungert/ ſo ſpeiſe ihn/ duͤrſtet ihn/ ſo traͤncke ihn/
wañ du das thuſt/ ſo wirſtu feurige Kohlen auff ſein Haupt ſam-
len. Rom. 12. Wann man dem Wolff ein ſtuck Fleiſch darwirfft/ ſo iſt
er zu frieden/ gleich wie Androclus mit dem Loͤwen gethan. 3. per ſanctam
converſatioem,
durch frommes Leben/ wann man alſo lebet/ daß man
einem nicht zukommen kan/ wie Adam unter den wilden Thieren/ und
Daniel unter den Loͤwen. Will es aber gleichwol nit helffen/ und iſt doch
eine Flam̃e außgebrochen/ ſo brauche 4. ordinariam extinctionem, loͤſche
es auß/ nicht aber mit Oel/ ſondern mit Waſſer. Nicht ſoll man alsbald
an die groſſe Glock lauffen/ und Feurio ſchreyen/ ſondern fuͤr die Kirchen-
Cenſur. Jſt eben das Thema, davon wir zu dieſem mal mit mehrerm
zu reden haben. Dann weil wir verwichen er zeit miteinander beſehen cen-
ſuram fraternam,
die bruͤderliche geheime Zucht-Straff/ als den erſten
Grad der Chriſtlichen Bußzucht/ ſo folget anjetzo der andere/ nemlich Cen-
ſura Collegialis,
wann der Herr ſagt: Hoͤret er dich nicht/ ſo
nimm noch einen oder zween zu dir/ auff daß alle Sache beſtehe
auff
[287]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
auff zweyer oder dreyer Zeugen Munde. Hievon nun zu Gottes
Ehre/ und unſerer Lehre etwas weniges zu handlen/ wolle uns Chriſtus
JEſus der ſanfftmuͤthige mit der Gnade ſeines H. Geiſtes mildiglich
erſcheinen! Amen.


JN vorhabender Betrachtung haben wir/ M. L. drey Stuck zu
mercken: 1. Morbum, die Suͤnde und Fehler. Solche iſt
abermahl/ wie offt erwehnet worden/ nicht ſcandalum publicum,
eine gemeine offentliche Aergernuß. Dann auff denſelben Grind gehoͤ-
ret eine andere Lauge; nicht menſchliche Schwachheit/ ſondern mutua por-
tatio,
gutwillige Vertragung. Der melancholicus iſt dem ſanguineo
verdrießlich/ der unſittige und unartige dem ſittigen/ der ſtille dem red-
ſpraͤchigen/ der froͤliche dem traurigen/ der ſparſame dem Verthuner/ der
phlegmatiſche und faule dem muntern und arbei[t]ſamen. Da meinet
mancher/ es muͤſſe jederman ſeyn wie er iſt/ da es doch weder in ihm iſt/
noch auß ihm kommt. Da heißt es/ ein jeder trage des andern Laſt/ der
ſchnelle und zornwege den langſamen und traͤgen/ hingegen dieſer jenen/
ſchreibet Theophyl. in c. 6. Dahin gehoͤret das Exempel der Hirſche
bey Auguſtino in Pſ. 129. Qui non patiuntur naufragium, quia quaſi
navis eſt illis charitas,
die keinen Schiffbruch leiden/ weil ihnen die Liebe
an ſtatt eines Schiffs iſt. Welches ſonderlich denen zuthun/ ſo beyſam-
men wohnen muͤſſen/ miteinander heben und legen/ abſonderlich in der
Ehe. Socrates hatte ein boͤſes Weib/ Xantippe genant/ welche/ wann
er ſtudierte/ einen Hader anfieng/ und den Tiſch umwarff. Als ihn der
edle Alcibiades fragte/ wie ers doch ſo lang vertragen koͤnte? gab er zur
Antwort: Wer Eyer eſſen will/ muß ſich der Huͤner Gaxen nicht irꝛen
laſſen. Zu Hauß muß man Gedult lernen/ und ſich darauß uͤben. Jm
gegentheil war Monica/ Auguſtini Mutter/ eine edele Tugend-Cron/
wie ihr Sohn von ihr zenget l. 9. confeſſ. c. 9. die ihren erzuͤrnten Mann
auch nicht mit einem Wort beleidiget/ ſondern denſelben gelobet/ und an-
dere Weiber dergleichen zu thun angehalten.


Sondern es wird verſtanden ſcandalum privatum privatæ injuriæ,
non audientiæ \& ptimæ inſtantiæ
ein geheimes ſonderliches Aer-
gernuß/ auff deſſen Gegenwehr man nichts geben wil/ und ſich
halsſtarrig widerſetzt. Dahin dann ſonderlich gehoͤren 1. Scandala
religionis,
Lehr-Aergernuß und Jrꝛthum derer/ die mit irriger falſcher
Religion angeſtecket ſeynd/ und von welchen Gefahr vorhanden/ daß auch
noch andere dadurch moͤchten verfuͤhret werden/ wie dann der Krebs bald
um
[288]Die Zehende Predigt
umſich frißt. Welches zwar auch privatim geſchehen/ und je ein Chriſt den
andern warnen ſoll. Dann ſo man einen Eſel ſiehet in der Jrre gehen/
ſo bemuͤhet man ſich denſelben wieder auff den rechten Weg zu bringen/
nach dem Gebott Gottes/ Exod. 23 4. 2. Scandala ἀταξίας \& ἀθεότητος,
GOttes vergeſſene Aergernuß/ wider alle Zucht und Erbarkeit/ der jeni-
gen Leute/ die keiner Religion achten/ gehen ſelten in die Kirche/ zu den
H. Sacramenten/ ſeind ſo fuͤr ſich ſelbs wie kleine Reichs-Staͤdtlein/
achten keine Ordnung/ wie die Epieuriſche Schwein/ glauben weder Him-
mel noch Hoͤll/ leben ſonſt Cyclopiſch/ bekuͤmmern ſich wenig um die Reli-
gion und Schul-Gezaͤncke. Wie jener Nuntius Apoſtolicus, Carolus
Caraffa in Germ. reſtaur.
von den Lutheranern geſchrieben/ doctrinam
uti non valde profundè ſcrutantur, ita non multum curare videntur,

gleich wie ſie der Lehre und Religion nicht tieff nachforſchen/ alſo ſcheinen
ſie auch ſich nicht viel um dieſelbe zu bekuͤmmern. 3. Scandala profana-
tionis Sabbathi,
Schaͤnd-Aergernuß der lieben Feyr-und Feſt-
Taͤge/ dann dieweil deßwegen in foro externo niemand ſaur angeſehen
wird/ ſo gehoͤret ſolches zur Kirchen-Buß/ ſonderlich das Zechen/ Spie-
len/ ꝛc. davon zu leſen in unſerer Kirchen-Ordnung pag. 328. 4. Scan-
dala Conjugialia,
Ehe-Aergernuß/ wann es in der Ehe nicht recht her-
gehet/ wann der Mann als ein Loͤw/ das Weib als ein Drach ſich erzei-
get/ wann ſie leben wie Hund und Katz/ aͤrgern Kinder und Geſind/ ja
offt die gantze Nachbaurſchafft. 5. Scandala educationis, Zucht-Aer-
gernuß/ wann man die Kinder nicht recht ziehet/ ſonderen als die unge-
ſeilte Kuͤhe gehen/ und auff den Gaſſen wie die wilden Thier herum lauffen
laßt. Das iſt das Aergernuß/ folget


II. Remedium collegiale, das Mittel/ Cur und Artzney: So
nimm noch einen oder zween zu dir. Jſt nicht remedium litigioſum
ein Zanck- und Hader-Mittel/ daß man alsbald wolte zu dem Richter/ zu
einem oder anderm Advocaten lauffen/ und einen Rechts-Handel anfan-
gen/ dann ſo wuͤrde die Sach langſam geſchlichtet/ der Grollen bleibet im
Bußen ſitzen/ oder nur alſo außgemacht/ daß man die Ganß wann man
ſie genug geropfft/ wiederum fliegen laͤßt. Es iſt ſchon ein Fehl un-
ter euch/ die ihr mit einander rechtet/ ſpricht St. Paulus zu ſei-
nen Corinthern/ die dergleichen thaten/ 1. Cor. 6 7. da zwar der Apoſtel
von ungerechtem und heydniſchem Gericht redet/ weil es aber nur τὰ
βιοτικὰ, zeitliche Lebens-Mittel und Guͤter antrifft/ wil er alles Rechten uñ
richten bey Chriſto unterſagthaben. Es iſt nicht lene ac madidum, ein ge-
lindes/ naſſes Vergleich-Mittel/ wann man irgend ein paar Sauff-Geſellẽ
und
[289]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
und naſſe Bruͤder dazu nimmt/ die den Unflath wieder redlich machen/
und abwaſchen helffen. Nein/ ſolches Mittel iſt gar zu ſchluͤpfferig/ es
beſtehet nicht/ offt wann ſie ſich vergleichen/ fangen ſie wieder neue und
friſche Rauff-Haͤndel an/ wann ſie der Wein erhitzt/ ſteiget ihnen der Narꝛ
wieder in den Kopff/ daß ſie es auffs neu rittlen/ und keiner nachgeben
wil. Sondern es iſt remedium collegiale autoritativum, zween oder
drey von einem Collegio, Zunfft/ Handwerck/ von der Chriſtlichen Kir-
chen/ daß es auch eine Krafft und ein Anſehen hab/ daß man nicht mit
der Sache ſpiele. Und demnach 1. arbitrarium, ein freyes Wahl-Mit-
tel. Vor zeiten bey den Juden nahmen ſie zu Richtern an/ die ſie erwehl-
ten ad arbitrium, nach ihrem belieben/ wie abzunehmen auß dem Buͤchlein
Ruth/ c. 4. und 1 Cor. 6. da der Apoſtel klaget/ daß die Chriſten heydniſche
arbitros geſucht/ da ſie doch wol haͤtten koͤñen heilige und Chriſtliche Richter
haben. 2. Oeconomicum, ex lege naturæ ordinarium, die naͤchſte
Freunde und Verwandten/ die einem boͤſen Menſchen/ Kind/ Dienſt-
Botten/ Frau/ Mann ſollen zuſprechen. 3. Tribunale, ex lege civili,
auff Zuͤnfften/ bey Gericht oder Handwercken. 4. Academicum, der
Rector und die Decani, die Ephori und Viſitatores in der Schul/ derer
Gewalt ſo groß/ als der Eltern. 5. Eccleſiaſticum, erſtlich der Pfarrer
und Helffer allein/ und dann mit Zuziehung der verordneten Kirchen-
Pfleger einer ieden Gemeine.


III. Finis \& officium, der Zweck und End-Urſach iſt nicht ſauf-
fen und zechen/ auch nicht principaliter vornemlich und hauptſaͤchlich
Geld-Buß oder Geld-Straff aufflegen/ wie ein mancher Edelmann mit
den peccatis ruſticorum Bauren-Suͤnden die Hoſen verbraͤmt; ſondern
es iſt cenſura \& correctio diſciplinaris, ein freundliches/ aber doch kraͤff-
tiges zuſprechen/ ad lacrymas uſque, biß die Augen ſchwitzen; eine Wort-
Straff/ wann man einem ſeine Untugend/ Groͤſſe und Gefahr fuͤrmah-
let/ daß er dadurch ſchamroth gemacht wird. Plus proficit amica cor-
rectio, quàm turbulenta accuſatio,
eine freundliche Zuͤchtigung nutzet
mehr/ als eine harte Anklag/ ſpricht Ambroſius. Ein gut Wort findet
eine gute ſtatt. Der Menſch iſt von Natur gewehnt durchs Wort ſich
ziehen zu laſſen/ ſchnarchen oder Streiche verbeſſern denſelben nicht/ ſon-
dern machen ihn nur aͤrger. Darum auch GOtt der Herr ſein Wort
zu einem Mittel unſerer Bekehrung geordnet. 2. Teſtatio auctorita-
tiva,
auff daß es beſtehe/ daß der Thaͤter nicht leichtlich zuruck gehe/ und
geſtehe was er einmal geſtanden/ daß der unſchuldige ſagen koͤnne/ nun
ich habe das rechte Mittel gebraucht. Gleich wie nun/ was mit zweyer
Zehender Theil. O ooder
[290]Die Zehende Predigt
oder dreyer Zeugen Munde beſtaͤtiget iſt/ Krafft hat/ Deut. 19, 2. alſo
ſoll auch ſolches Zuſprechen Krafft haben/ es ſoll gelten/ und nicht ohne
Frucht auff die Erden fallen. So wenig in Gerichten dem widerſpro-
chen wird/ was durch zween oder drey Zeugen bejahet wird/ und der
Richter ſpricht darauff; alſo ſoll auch dieſes Krafft haben. 3. Lucrum
fratris,
der Seelen Gewinnn/ daß du deinen Bruder gewinneſt.
Welches das allgemeine Biſtum und Seelen-Sorg iſt; Ne dicas, (in-
quit Theophyl. ad. 1. Theſſ. 5.) non ſum Doctor, non ſum Præceptor,
alios docere \& ædificare non teneor; falleris. Doctores non ſuffici-
unt ad ſingulorum \& omnium admonitionem, ſed vult DEUS quem-
que alium inſtruere \& ædificare ſaltem exemplo ſuo \& bonâ vitâ.
das
iſt: Sprich nicht/ ich bin kein Doctor oder Lehrmeiſter/ ich
darff eben andere nicht lehren und erbauen/ du betriegeſt dich
ſelber. Dann die Lehrer und Doctores ſeynd nicht genug alle
und jede Menſchen zuermahnen/ ſondern GOtt will/ daß ein
jeder den andern unterrichte/ und erbaue auffs wenigſte mit gu-
tem Exempel und frommem Leben. Chryſoſtomus in homil. de
habenda cura proximi
erklaͤrets mit einem Schiffmann; Wann ein
Schiff/ das guten Wind hat/ ein anders ſtranden ſiehet/ ſo
halt es ſtill/ wirfft Dielen und Bretter hinauß/ ob villeicht etli-
che moͤchten davon kommen. Wann dir deines Feindes Och-
ſen oder Eſel begegnet/ daß er irret/ ſo ſoltu ihm denſelben wie-
der zufuͤhren/ lautet das Goͤttliche Geſaͤtz/ Exod. 23, 4. Wieviel mehr
dann deines Freundes von Chriſto theur erworbene Seele/ wann du gleich
kein bene zuverdienen haſt. Cadit aſina, \& eſt, qui ſublevet eam, perit
anima, \& nemo reputat,
ſagt Bernhardus conſid. 4. ad Eugen. Ein
Eſel faͤllet/ und man hilfft ihm auff/ aber eine Seele verdirbt/
und niemand nim̃ts zu Hertzen. Ex parte corrigendi \& cenſendi,
auff ſeiten deſſen/ dem da ſolle gepredigt und der Leviten geleſen werden/
wird erfordert auditio, das Hoͤren/ auditu externo, daß er gutwillig er-
ſcheine auff beſchehene Beſchickung vom Pfarrer/ nicht die Ohren verſtopf-
fe/ wie eine Otter fuͤr der Stimme des Beſchwoͤrers/ daß er nicht laſſe in
ſich reden wie in einen holen Hafen oder Ofen. Auditu interno, daß er
es zu Hertzen nehme/ in ſich ſelbs gehe/ nicht wie ein ſtaͤttiger Ochs wider
den Stachel lecke/ und gedencke/ ſihe/ man meynts gut mit mir. Auditu
obediente \& efficaci,
daß er auch folge/ nicht trotze oder boͤß werde/ nicht
uͤbel auffnehme/ als zoͤrnte man mit ihm; oder ſichs verdrieſſen laſſe und
gedencke/ man habe ja nichts darvon. Dann man ſuchet ja nichts anders/
als
[291]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
als ſeine Beſſerung/ auff daß er nicht einen andern (den Hencker) der-
mahlen eins hoͤren muͤſſe.


Wo/ ſprichſtu/ bleibt auff ſolche weiſe das Siebner-Gericht/ iſt dann
die Policey-Stub fuͤr die Gaͤnße gebauet? dieſe Lehre ſcheinet dem Anaba-
ptiimo
und Widertaͤufferey gleich? Antwort: Beſſer waͤre es/ man be-
doͤrffte ſo vieler Gerichter nicht. Auß boͤſen Sitten ſeynd gute Geſaͤtze
gewachſen; dieweil die Kirchen-Buß ſchon laͤngſt gefallen/ und doch der
gemeine Fried will turbiret werden. Je aͤrger die Welt wird/ je mehr ju-
dicia
und Gerichte muß man erdencken/ das grimmige Thier im Zaum
zu halten. Man kan dem guten nicht zuviel thun. Wann gleich Obrig-
keit und Kirch die Hand anlegt/ ſo bedarffs doch Gluͤck und ſchoͤn Wetter/
daß man es zurecht bringe. Darnach iſt zu wiſſen/ quod Evangelium non
aboleat politias,
GOttes Wort und Kirchen-Zucht iſt den politiſchen
Ordnungen nicht zuwider. Jn der erſten Kirchen kunte man nicht weiter/
man haͤtte dann wollen fuͤr die heydniſche Obrigkeit kommen/ und den
Chriſtlichen Namen proſtituiren. Aber wir koͤnnen weiter ſteigen/
wann das nicht helffen will.


Dieſer Unterricht geſchicht nun abermahl πρὸς ὀικοδομὴν Eccleſiæ \&
revocationem antiquitatis,
daß wir doch/ wie in der Lehr/ alſo auch im Le-
ben und Wandel in die Conſanguinitaͤt/ Verwandſchafft und Fußſtapf-
fen der erſten Kirchen tretten moͤchten/ und alſo recht Chriſt- und Bruͤder-
lich unter einander leben. Anfangs zur Zeit Lutheri und ſeiner Paraſtaten/
da man nach der Babyloniſchen Gefaͤngnuß wiederum angeſangen zu
bauen/ hat man Schwerdt und Bau-Zeug zugleich haben muͤſſen/ wie
Nehem. 4, 17. Mit der einen Hand thaten ſie die Arbeit/ und mit
der andern hielten ſie die Waffen. Anfangs kunte es nicht ſo ſeyn/
die Reformations Helden hatten ſo viel zuthun mit der Refutation, daß
ſie die ædification und Kirchen-Bau nicht ſo wol fortfuͤhren kunten.
Nun aber der Bau außgefuͤhret iſt/ ſo iſt von noͤthen der καταρτισμὸς, das
Flicken. Es waͤre ja ein liederlicher Haußhalter/ welchem ein ſchoͤnes
Hauß geſchencket worden/ der es nicht wolte im Bau erhalten/ ließ ihm al-
lenthalben ins Dach regnen/ beſſerts nicht/ und ließ es endlich gar einfallen.
Alſo iſt es ſchlim gehauſet/ wann man den eingeriſſenen Aergernuſſen
nicht wehren/ und die Kirche nicht durch gute Zucht erhalten wolte. Ae-
cker/ die lang wuͤſt gelegen/ bauet man/ warum ſolte man nicht auch die
gefallene Kirchen-Diſciplin wieder auffrichten?


2. Soll es dienen πρὸς τάξιν καὶ ἐυσχημοσύνην, zu guter Ordnung
und Ehrbarkeit/ daß doch ſolcher ſchoͤnen Ordnung GOttes jederman
O o ijnach-
[292]Die Zehende Predigt
nachkommen wolle. Jch weiß wol/ daß es der wenigſte Theil achtet/ und
fuͤrgibt/ man koͤnne es doch nicht haben/ was es ſoviel dicentes bedarff. Je-
derman ſetzt den Kopff auff/ und will ſich mit keiner correction ſaͤttigen laſ-
ſen. Das iſt eben des Teuffels Boßheit/ der uns ſolche Zucht-Ruthe nit
goͤnnet. Doch gleichwol ſollen ſie wiſſen/ daß es Chriſti Befehl ſey/ und kein
Conſilium Evangelicum, Evangeliſcher Rath. Er wird am juͤngſten Tag
nach dieſem Wort richten/ und ſolche ἀτάκτους zu finden wiſſen. Einmal
Gott iſt ein Gott der Ordnung/ er wil Ordnung gehalten haben. Wers
nicht thut/ der wird als ein ἄτακτος hier zu ſchanden werden/ und den Kopff
verſtoſſen/ dort aber in die ewige Unordnung und Confuſion gerathen.
Das Wehe uͤber die Hirten Jſrael/ das ſeynd alle Seelen-Biſchoͤffe/ iſt
geſchryen Ezech. 34, 2. Wehe den Hirten Jſrael/ die ſich ſelbs wey-
den! aber der Schwachen nicht warten/ das krancke nicht hey-
len/ das verwundte nicht verbinden/ das verirrete nicht holen/
und das verlohrne nicht ſuchen. Weh wird ſeyn uͤber allen ἀτάκτοις,
die ſich keiner Ordnung unterwerffen/ und nur ihrem Kopff ſolgen. 3. ad
conſolationem,
den Jrrenden zu ihrem groſſen Troſt; die Corre-
ction
ſelber geſchicht freundlich/ auß gutem Gemuͤth. Der Gerechte
ſchlage mich freundlich/ und ſtraffe mich/ das wird mir ſo wol
thun/ als Balſam auff meinem Haupt/ ſpricht David Pſ. 141.
Junge Leute meynen/ ſie ſeyen gar uͤbel dran/ denen in den Claſſen und
Schulen iſt es als ein Egyptiſcher Ziegel-Ofen. Denen im Wilhelmer Clo-
ſter kom̃ts fuͤr als ein Servitut im Zucht-Hauß zu wohnen. Studenten
nennen es Schulfuͤchſerey; Knechte und Maͤgde meynen/ wann ſie herbe
und ſtrenge Herꝛſchafft bekommen/ es ſeye ihnen nicht zu leyden/ und ſpre-
chen: das iſt ein wunderlicher Herꝛ/ eine boͤſe Frau. Meiſterſchafften laſ-
ſens auch oft gehen wie es gehet/ moͤgen die Muͤh nicht haben/ daß ſie ſich
daruͤber erzoͤrnen/ und heiſſen gut was boͤß iſt. Wol aber denen/ die ſich
weiſen laſſen/ ſie werden als irrende Schaͤflein vom Herrn Chriſto zur
Heerde getragen/ und dem Wolff genommen werden. Ja ſie werdens ſel-
ber am juͤngſten Tag ruͤhmen und ſagen: Haͤtte dieſer mein Vater/ mein
Præceptor/ mein Lehrmeiſter/ mein Herꝛ und Frau nicht gethan/ was ſie
gethan/ ſo waͤre ich ewig verlohren gegangen/ aber dem und dem hab ichs
zu dancken. O das wird herꝛlichen Ruhm und eine ſchoͤne Crone gebaͤh-
ren/ ſo groſſen Ruhm/ als wann man mit Alexandro gantz Aſien einge-
nommen/ oder mit Salomon alle Welt mit Weißheit erfuͤllet haͤtte. Da
werden nicht nur die Lehrer/ ſondern auch die lernenden leuchten/ wie des
Himmels Glantz/ und wie die Sternen immer und ewiglich. Amen.


Die
[293]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

Die Eilffte Predigt.
Von
Der Kirchen-Buß/ als dem dritten Grad
der Buß-Zucht.


GEliebte im HErꝛn. Ein groſſes Gluͤck und Vortheil
hat das Koͤnigreich Engelland vor allen Nationen in Eu-
ropa,
daß in demſelben kein Wolff ſoll anzutreffen ſeyn/ ſon-
dern die Schaaffe ihrer Weyde ungehindert pflegen koͤnnen/
wie hievon bey Camerario l. 1. op. ſubciſiv. c. 28. zu leſen.
Die Urſach komt nicht her von der Natur/ wie irgend etliche
Laͤnder auß natuͤrlicher Eygenſchafft keine Maͤuße/ Schlangen/ und an-
dere vergifftete Thiere nicht leyden koͤnnen/ ſondern zum theil von der Ge-
legenheit des Orts/ zum theil von der Koͤniglichen Fuͤrſichtigkeit. Von
der Gelegenheit des Orts zwar/ dieweil daſſelbe Koͤnigreich eine beſchloſ-
ſene Jnſul iſt/ daß dannenhero auß andern Foͤrſten/ Waͤldern und Laͤn-
dern keine Woͤlffe ankommen koͤnnen/ ſie muͤßten dann uͤber See und
Waſſer ſchwimmen gegen Schott-Land/ da das feſte Land in einem Win-
ckel ligt. Es iſt aber leicht zu verſtehen/ daß kein Wolff durch kommen
kan/ und ein ſolches Land mit Feſtungen und Hunden wol verwahret iſt.
Von der Klugheit aber der vorigen Koͤnige/ die zum theil durch die Engli-
ſche Hunde und Docken das Ungezieffer eroͤßen laſſen/ theils den Vortheil
gebraucht/ daß/ wann Ubelthaͤter vorhanden geweßt/ man ihnen mit der
condition das Leben geſchencket/ daß ſie 10. 20. oder mehr Wolffs-Koͤpff
oder Zungen bringen muͤſſen. Daher es gekommen/ daß ſie in den Waͤl-
den ihr Leben gewagt/ und alſo das Ungeziffer eroͤßt. Dieſes iſt/ M. L.
wol ein ſonderbares Kleinod/ Gluͤck und Vortheil eines Koͤnigreichs/
ſonderlich da man Schaaff und Weyde in groſſer Menge hat. Wuͤn-
ſchen moͤchten wir/ daß dergleichen Gluͤckſeligkeit auch die Chriſtliche
Kirch habe/ und fuͤr geiſtlichen Woͤlffen ſicher ſeyn moͤchte/ ſo wolten wir
in einem rechten Engelland/ ja Engliſchen Land wohnen. Aber es bleibt
beym Wuͤnſchen/ und iſt nicht zu hoffen/ der Satan/ der erſte Wolff goͤn-
net uns dieſes Gluͤck nicht. Der ſtreitenden Kirchen iſt propheceyet
worden/ ſie werde mit Woͤlffen zu thun haben/ in dem Evangelio/ Johan.
10. Jch bin ein guter Hirt/ ein guter Hirt laͤſſet ſein Leben fuͤr
O o iijdie
[294]Die Eylffte Predigt
die Schaaffe; ein Miedling aber/ der nicht Hirte iſt/ ſiehet
den Wolff kommen/ und verlaͤßt die Schaaffe/ und fleucht/
und der Wolff erhaſchet und zerſtreuet die Schaffe/ Act. 20.
So habt nun acht auff euch ſelbs/ und auff die gantze Heerde/
unter welche euch der Heilige Geiſt geſetzet hat zu Biſchoffen/
zu weyden die Gemeine GOttes/ welche er durch ſein eigen
Blut erworben hat. Dann das weiß ich/ daß nach meinem
Abſchied werden unter euch kommen greuliche Woͤlffe/ die der
Heerde nicht verſchonen werden. Das ſeynd nun fuͤrnemlich die
Ketzer und Jrꝛgeiſter/ die βαρει῀ς, greuliche Woͤlffe/ die das arme Schaͤff-
lein verfolgen/ und ſonderlich nach der Seelen graſen. Ἀυτόκλητοι, kom-
men unberuffen und ungepfiffen/ von denen Chriſtus ſagt/ Joh. 10. Alle
die vor mir kommen ſeynd/ (nicht ratione temporis, der Zeit nach/ dann
ſonſt waͤren auch Moſes und die Propheten vor Chriſto ſolche Geſellen
geweßt/ ſondern) ordine cauſæ, dem Beruff nach/ die ohn meinen Be-
ruff/ nicht durch die Thuͤre des Schaaff-Stalls/ ſonderen als ſelbs beruf-
fene durch die Thuͤre der Unwiſſen- und Freyheit eingeſchlichen/ und ſich
eingetrungen. Die ſubtile und liſtige Woͤlffe/ ſo im Finſternuß maußen/
wie ſie dann in der Nacht ſcharffe Augen haben/ Pſal. 104, 19. Du
macheſt Finſternuß/ daß Nacht wird/ da regen ſich die wilden
Thier. Alſo wann Barbarey einreiſſet/ die Schulen fallen/ gelehrte
Leute nicht mehr ſeynd/ ſo gibt es Ketzerey; da kommen die Woͤlffe in des
Hirten Stimm/ wie die Hyena/ und ſonderlich im Schaffs-Beltz/
Matth. 7.


Es ſeynd aber auch Woͤlff actu primo, in ihrer Natur alle Menſchen
nach dem Fall/ ob man ſie ſchon mit Schaaffs-Milch auffzieht/ werden ſie
doch nicht zahm/ dann Art laßt von Art nicht. Actu ſecundo, in wuͤrckli-
cher That aber alle Jnjurianten/ alle ſcandaloſi und aͤrgerliche Perſonen/
die Chriſto ſeine Schaͤflein ſtehlen/ ſein peculium, das ihm ans Hertz ge-
wachſen/ rauben/ einen Diebſtal und Kirchen-Raub begehen. Das ſeind
rechte Seelen-Moͤrder/ von welchen allen es heiſſet: Es muͤſſen Rotten
oder Secten unter euch ſeyn. Anders als die Cathari, die Donati-
ſten und Widertaͤuffer ihnen einbilden. Dahin auch gehoͤret das Gleich-
nuß von dem Unkraut/ ſo unter den guten Saamen geſtreuet worden/ und
geduldet werden muß biß zur Zeit der Ernde. Man darff nicht Feur vom
Himmel uͤber ſie erbetten. Damit aber iſt eine ordentliche Cur/ die geiſt-
liche Wolffs-Jagd nicht verbotten/ und ſeind ſonderlich als Jaͤger dazu
verordnet die Biſchoffe der Kirchen/ Lehrer und Prediger/ Act. 20. Habt
acht
[295]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
acht auff euch ſelbs/ und ꝛc. So wenig/ als wenig man ſich zur Zeit graſ-
ſirender peſtilentzialiſchen Kranckheiten/ oder waͤhrender Verfolgung nicht
vorſiehet. Solcher Remedien/ unterſchiedlicher Wolffs-Gruben oder
Wolffs-Gaͤrn haben wir bereits droben zwey erklaͤrt/ nemlich die gehei-
me bruͤderliche Beſtraffung/ und Collegialiſche Zuͤchtigung: Folget
nun in der Ordnung das dritte/ die offentliche Kirchen-Buß.
Wann unſer liebſte Heyland ſpricht: Hoͤret er die nicht/ ſo ſage es der
Gemein. Hievon nun in der Forcht des Herrn aufferbaulich zu re-
den/ gebe Gott ſeines H. Geiſtes Gnad und Segen/ Amen.


DRey Stuͤcke/ M. L. fallen bey fuͤrhabender Betrachtung der of-
fentlichen Kirchen-Buß zubedencken fuͤr/ Objectum, Remedi-
um \& Remedii finis,
die Sach/ Mittel und Zweck. Be-
langend nun I. Objectum, die Sach/ womit Kirchen-Buß umgehet/ iſt
abermahl contumax injuria, eine Beleidigung mit halsſtarriger Uner-
kandtnuß verknuͤpffet. Da ſeynd nun zu entſcheiden drey unterſchiedliche
Arten der Suͤnden und Aergernuͤſſen; etliche ſeynd 1. zwar originaliter
privata, ſed per contumaciam publica facta,
anfaͤnglich und urſpruͤng-
lich geheime und ſonderliche/ aber durch Hartnaͤckigkeit offentlich und ge-
mein gemachte Aergernuͤß. Dieſelbe gehoͤren hieher nicht unmittelbar/
ſondern mediantibus prioribus gradibus, vermittelſt der erſten Graden.
Und wann die andere Cenſuren nichts verfangen wollen/ ſo iſt noch dieſe
uͤbrig/ und werden dieſe Aergernuͤß wegen der Halsſtarrig- und Hart-
naͤckigkeit den gemeinen offentlichen Aergernuſſen gleich gehalten. 2.
Seind etliche Malefitz-Laſter/ als Ehebruch/ Mord/ Diebſtal/ Zau-
berey/ Blut-Schand und dergleichen peinliche Hals-Laſter/ bey wel-
chen die Obrigkeit ihres Ampts wahr nim̃t/ und dieſelbe abſtrafft. Da
hat nun die Gradual-Cenſur kein platz/ dann es zumahl abſurd waͤre/
mann man mit einem Moͤrder die gradus fuͤrnehmen wolte. Da ge-
hoͤret eine andere und ſchaͤrffere Lauge zu/ und hat die Excommunica-
tion
keinen Platz/ ſondern das Hencker-Schwerdt; es waͤre dann/ wel-
ches ſelten geſchicht/ daß ſich der Ubelthaͤter nicht wolte accommodiren/
ſeine Suͤnde nicht geſtehen noch bereuen. Darum auch der inceſtus
und die Blut-Schande/ derer Paulus 1. Cor. 5. gedencket/ vielmehr
mit dem Schwerdt/ als mit dem Bann haͤtte ſollen abgeſtrafft werden/
wann dama lseine Chriſtliche Obrigkeit waͤre fuͤrhanden geweßt.
Jn mangel aber derer/ hat die Kirch nicht mehr thun koͤnnen/ als ſie ge-
than hat. Wann auch noch heutiges tages die Obrigkeit ihr Ampt/
zum
[296]Die Eylffte Predigt
zum Epempel/ in Unterlaſſung der Straff des Ehebruchs nicht in acht
nehme/ ſo haͤtte als dann das Predig-Ampt zu bedencken was ihm obligt.
3. Etliche aber ſeynd zwar offentliche ſcandala und Laſter/ werden aber
von der Obrigkeit theils allerdings nicht/ oder doch nur mit Geld-Buß
und Seckel-Weh abgeſtrafft ohne Bekehrung der Gewiſſen/ es wird
nicht geruͤhrt/ noch die Seele errettet. Es gibt wol deren Leute/ wel-
che die Straff legen/ zum Exempel/ wegen des Prachts/ und fahren
doch immer fort ohne Beſſerung/ ſie werden oft nur mehr verhaͤrtet;
als da ſeynd der Atheiſmus, Unterlaſſung der Verſamlung/ Fluchen/
Schwoͤren/ beharꝛliche Feindſchafft in und auſſer der Ehe/ entſcheidete
Leute zu Tiſch und Bett/ in Unverſoͤhnlichkeit verharrende/ Schwel-
gerey/ Verſchwendung/ Muͤſſiggang/ raſſeln/ ſpielen/ unchriſtlichen
Uberſatz und Wucher treiben/ Meineyd/ aberglaubiſches Segen-ſpre-
chen/ Sabbath ſchaͤnden/ Verſchimpffung des Predig-Ampts/ Unge-
horſam der Kinder/ Stoͤrrigkeit gegen den Eltern/ Hoffart und Pracht/
offentliche/ langwierige Saumſeligkeit/ und ſonderlich auch die Fuͤllerey
und Trunckenheit. Dieſe Laſter ſeynd unmittelbar/ ohne grad und of-
fentlich zu ſtraffen/ nach Pauli Lehre/ 1. Tim. 5, 20. die da ſuͤndigen/
die ſtraffe fuͤr allen/ auff daß ſich auch die anderen foͤrchten;
und ſeinem Exempel/ Gal. 2, 14. Jch ſprach zu Petro fuͤr allen
offentlich: So du der du ein Jud biſt/ heydniſch lebeſt/ und
nicht Juͤdiſch/ warum zwingeſt du dann die Heyden Juͤdiſch
zu leben; wie auch des Apoſtels Petri/ Act. 5, 3. Petrus aber
ſprach: Anania/ warum hat der Satan dein Hertz erfuͤllet/
daß du dem Heil. Geiſt luͤgeſt/ und entwendeſt etwas vom
Geld des Ackers/ ꝛc.


II. Remedium, dic Eccleſiæ, ſage es der Gemeine. (iſt die Kirch
ſam̃t ihren verordneten Aelteſten und Kirchen-Dienern/ wie es unſer Chriſt-
liche Catechiſmus erklaͤret) das iſt/ πλείοσι, den vielen/ wie Paulus ſpricht
2. Cor. 6 [...] verſtehet aber dadurch erſtlich das Presbyterium, das Conſiſto-
rium,
Kirchen-Convent/ und die Kirchen-Pfleger in particulari Eccleſia,
in einer jeden abſonderlichen Gemein/ nach Beſchaffenheit des Verbre-
chens/ entweder aller 21. oder nur der drey in jedem Kirchſpiel/ nach unſerm
Brauch. Dann es bleibet der HErr bey der Juden Gewonheit/ und
aͤndert darinnen nichts/ wie er dann daher auch das Wort Publicanus
entlehnet. Nun pflegen die Juden ihre Presbyteria und Verſamlung der
Aelteſten ἐκκλησίας zu nennen/ gaben fuͤr/ zehen Menſchen machen ein [...],
Verſamlung. Will es nichts helffen/ und iſt die Sach wichtig/ verſtehet
ſich
[297]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
ſich dadurch das Vorſtellen in der gantzen Gemein/ ἐνώπιον πάντων, vor al-
len/ 1. Tim. 5, 20. συναχθέντων ὑμῶν, in der Verſamlung/ 1. Cor. 5, 4. Al-
ler maſſen wie ſolches Vorſtellen in der erſten Kirchen auch uͤblich geweſen,
Daher ſagt Tertullianus: Coimus in cœtum \& congregationem, \& ad
DEUM quaſi manu facta precationibus oramus, ibidem etiam ex horta-
tiones, caſtigationes \& cenſura Divina,
das iſt: Wir kommen zu-
ſammen in die Gemeine/ und betten zu GOtt gleichſam mit
geſamter Hand/ daſelbſt geſchehen alle Erinnerungen/ Zuͤch-
tigungen und Straffen. Wills noch nicht helffen/ oder trifft die
Sache gantze Gemeinden an/ und iſt das malum Epidemicum, ein anſte-
ckendes/ um ſich freſſendes aͤrgerliches Verbrechen/ ſo wird als dann durch
die Kirche verſtanden Legitimum Concilium, vel Synedrium Novi Teſta-
menti,
ein gantzes guͤltiges Concilium oder Kirchen-Verſamlung. Dann
zu gleicher weiß wie die ſchwerſten Sachen/ ſonderlich was die Veraͤnde-
rung der Religion betrifft/ die falſchen Propheten/ fuͤr das Synedrium ge-
bracht werden/ Johan. 12. in welchem auch Chriſtus verurtheilt worden.
Alſo ſeynd an deſſelben ſtatt die Concilia, Kirchen-Raͤth auffkommen/
welche hier ins gemein quoad genus, ihren Grund der Einſatzung haben/
und in praxi auch von den Apoſteln geuͤbet worden/ Act. 15. Sollen aber
ſolche Concilia juſt ſeyn/ ſo muͤſſen ſie im Nahmen Chriſti angeſtellet wer-
den/ als dann haben ſie allererſt die Verheiſſung/ Matth. 18. Wo zween
oder drey verſamlet ſeind in meinem Nahmen/ da bin ich mit-
ten unter ihnen. Das Concilium zu Jeruſalem war auch præſente
Chriſto,
in Gegenwart Chriſti/ aber nicht in ſeinem Nahmen/ ſondern
wider Jhn angeſtellet. Es heißt aber im Nahmen Chriſti nach
allen Urſachen/ daß es Chriſtus fuͤr ſein Concilium und Rath erkenne/
nach der Form und Norm/ Geſtalt und Anſtalt des erſten Apoſtoliſchen
Concilii. Welches 1. ratione cauſæ efficientis, der Haupt Urſach nach/
convocirt und zuſammen beruffen worden von der gantzen Gemeine/ die
ſich unterredeten/ wer πᾶν πλῆϑος, die gantze Gemeine ſeye. Die deci-
den
ten und Außſprecher waren alle Apoſtel und fratres ins gemein/ da
hat ſich keiner keines Vorſitzes angemaßt/ es heißt: Wir/ die Apoſtel
und Aelteſten und Bruͤder/ Act. 15, 23. Solte jemand die Præſiden-
tia,
der Vorſitz geſtattet worden ſeyn/ ſo gebuͤhrete ſie vielmehr Jacobo/ als
einem anderen. Die Materia, davon gehandelt ward/ wie das Aerger-
nuß in der Gemein zu Antiochia eingeriſſen/ der Streit zwiſchen Paulo
und Barnaba eins theils/ und den Phariſaͤiſchen Bruͤdern andern theils.
Die Norm war GOttes Wort/ davon Paulus ſagt Gal. 1. Wann
Zehender Theil. P pein
[298]Die Eylffte Predigt
ein Engel vom Himmel euch ein anders Evangelium predigen
wuͤrde/ dann das wir euch geprediget haben/ der ſey verflucht.
Sumamus hoſtili poſitâ diſcordia ex divinitùs inſpiratis ſermonibus ſo-
lutionem quæſtionum,
ſagte vor zeiten Kayſer Conſtantinus M. auff
dem Nicæniſchen Concilio bey Theodoreto l. 7. Laßt uns alles feind-
liche Gezaͤnck beyſeit ſetzen/ und auß dem von GOtt eingegebe-
nen Wort die Streit-Fragen eroͤrtern. Der Finis und Zweck war
nicht dominiren/ præſcribiren/ herꝛſchen und vorſchreiben/ Spanniſche
Inquiſition, wuͤrgen und toͤdten/ ſondern die Gewiſſen uͤberzeugen/ Jrꝛ-
thum und rechte Lehre zu unterſcheiden. Aller maſſen wie es in den nach-
folgenden Conciliis orthodoxis, rechtglaubigen Verſamlungen gehalten
worden/ als welche von den Chriſtlichen Kayſern beruffen/ beſeſſen/ die
Controverſien und Streittigkeiten nach Gottes Wort entſchieden/ und die
Schluͤſſe alſo formirt worden: Viſum eſt nobis, wir haben fuͤr gut angeſe-
hen/ es gefaͤllet uns/ ꝛc. wie Athanaſius davon ſchreibet und zeuget. Alles
ſo fern es GOttes Wort gemaͤß.


Hier finden ſich nun zwey gefaͤhrliche extrema, ſo auß unrechtem Ver-
ſtand der Wort Chriſti entſpringen. 1. [...]αποκαισαρία, das paͤpſtiſche
Kayſerthum: daß man im Papſtthum das Wort Eccleſia, Gemein/
anfangs zwar vor mehr als hundert Jahren allein auff die Concilia und
verſamleten Prælaten gedeutet/ hernach aber allein auff den Papſt/ dahin
die ultima λύσις, die letzte Erklaͤrung gegangen/ und dadurch die ungemeſ-
ſene Hoheit des Roͤmiſchen Papſts geſucht worden/ mit vorgeben/ Eccle-
ſia
heiſſet ſoviel/ als infallibile Papæ judicium, ſummum ac improvoca-
bile,
das unfehlbare/ hoͤchſte/ und unumſtoßliche Urtheil und Außſpruch
des Papſts; oder ſoviel als die Concilia, deren Außſpruch in Glaubens-
Sachen man gehorchen muͤſſe: Darum dann/ dieweil wir Lutheraner auff
dem Concilio zu Trident verdammet worden/ ſo ſeye nichts mehr uͤbrig/
als die Execution. Es woll uns aber ja der Papſt guͤnſtig verzeihen/
wann wir auff ſolche Gloß nicht viel geben. Dann Chriſtus redet I. de
Eccleſia Oecumenica,
von der gantzen gemeinen Kirchen/ ſo auß allen
Staͤnden beſtehet/ nicht nur auß Prælaten/ Biſchoffen/ ꝛc. Eine andere
Beſchaffenheit hat es mit Reichs-Taͤgen/ eine andere mit Concilien/ in
welchen von der Menſchen Heyl und Seligkeit gehandelt wird. 2. Redet
Chriſtus de Eccleſia ſancta Chriſtiana, von einer heiligen Chriſtlichen
Kirchen/ die im Nahmen Chriſti verſamlet iſt. 3. De dicto rationali,
von einem vernuͤnfftigen Außſpruch/ und alſo auch einem vernuͤnfftigen
Gehorſam/ der mit dem Wort GOttes bedinget iſt. Gleich wie man
einem
[299]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
einem Herolden nicht darum glauben ſoll/ weil er ein Herold/ ſondern
weil er ſeines Herꝛn Befehl vorlegt. Nun aber geſchicht nichts derglei-
chen bey den Paͤbſtlern/ da iſt der Vorſteher der Roͤmiſche Anti-Chriſt/ ipſe
reus,
welcher ſelbſt Schuld- und Straff-Wuͤrdig/ wie kan er dann Richter
in einer Sache ſeyn? Mit ſeinen verſtumten und vermumten/ gebundenen
und gefangenen Prælaten/ alſo daß es eine rechte Conjuratio, eine Buben-
Schul zu nennen/ vide Lutherum Tom. 7. fol. 220. Sie richten ſich nicht
nach der Schrifft/ ſondern nach des Papſts Geiſt im Sack. Es iſt bey ih-
nen nicht angeſehen zu der armen irrenden Schaͤflein Rath und ewigem
Heyl/ ſondern zu ihrem Verderben und Blutvergieſſen. Endlich wird von
ihnen in allem ein blinder Gehorſam erfordert/ daß man dem/ was der
Papſtund Concilium ſagt/ ohn alles Widerſprechen Glauben zuſtelle.


II. Das andere extremum iſt Καισαροπαπία, das Kayſerliche
Papſtthum/ derer Politicorum, die durch die Eccleſiam oder Gemeine/
Magiſtratum, die Obrigkeit verſtehen/ und dieweil es nunmehr eine andere
Bewandnuß hat als in der erſten Kirchen/ ſo ſeye ſolch Straff-Ampt der
Obrigkeit heimgefallen/ die mag hierinnen abſolutè dem Predig-Ampt ge-
bieten und vorſchreiben. Dann wozu/ ſprechen ſie/ iſt die Obrigkeit ſonſt
da? wafuͤr iſt die Policey-Ordnung anffgericht? ſie iſt ja nicht fuͤr die
Gaͤnße dahin geſetzet? Antwort: Obrigkeit hat ihren Bezirck/ ſie ſtraffet
um Geld/ dardurch die Leute nicht froͤmmer/ ſonderen offt aͤrger gemacht
werden. Die Obrigkeit haͤngt den Dieb an den Galgen/ er muß aber
gleichwol auch zuvor Buße thun; Gleichwie die Obrigkeit nicht vergnuͤgt
oder zu frieden waͤre mit der Kirchen-Buß. Zu dem iſt ſie in Conſiſto-
riis
nicht außgeſchloſſen/ ſie ſollen aber auch die Sach nicht allein fuͤhren
und außmachen. Sprichſtu: ſo bekomt ein Verbrecher zwo Ruthen auff
den Rucken? Antwort/ ja/ wie Levit. 6, 2. der das depoſitum, das zu
treuer Hand gethane Jnhalt/ mußte es wieder geben/ was er mit Gewalt
genommen/ oder mit Unrecht an ſich gebracht hat/ und noch darzu das
fuͤnffte Theil daruͤber/ aber fuͤr ſeine Schuld ſolte er dem Herrn zu dem
Prieſter einen Widder von der Heerde ohne Wandel bringen/ der eines
Schuld-Opffers werth iſt/ ſo wurde ihm vergeben/ was er gethan hat.


Jſt noch uͤbrig III. Finis, der Zweck und End-Urſach/ welche
nicht iſt diffamatio, das Vorrucken oder Vorwerffen/ nicht einen Laſter-
Stein in der Kirchen auffzurichten/ nicht ein Auffzug/ oder Gelaͤchter zu
erwecken/ wie vor etlich Jahren mit den Stroh-Kraͤntzen geſchehen/ ſon-
dern 1. ἔλεγχος Conſcientiæ, die Uberweiſung des Gewiſſens/ daß der
Thaͤter ſchamroth werde/ uͤber ſeinem Lehr-Jrꝛthum/ oder Lebens-Fehler.
P p ij2. Exo-
[300]Die Eylffte Predigt
2. Exomologeſis, die Kirchen-Buß/ offentliche Abbitt und Bekantnuß.
Irenæus l. 1. gedencket etlicher von dem Ketzer Marco verfuͤhrter Weiber/
welche mit heulen und klagen ihre Bekantnuß abgeleget. Deſſen ſoll ſich
niemand ſchaͤmen/ dieweil dadurch GOttes Gnade gewonnen/ die Engel
erfreuet/ und das Gewiſſen beruhiget wird. Maͤnniglich ſoll da Mitlei-
den haben/ und gedencken/ was dieſem begegnet/ kan einem andern auch
begegnen/ und habe ein jeder/ der da meynt er ſtehe/ wol zu zuſehen/ daß er
nicht falle. 3. Παράδειγμα, das Beyſpiel/ das ſich andere daran ſtoſſen/
und fuͤr Suͤnden huͤten. 4. Lucrum ovis, der Seelen Gewinn daß
man dem Ertz-Hirten ſein Schaͤfflein wieder zufuͤhre/ welches ihm ans
Hertz gewachſen iſt. Der Schaaff-Diebſtal war vor zeiten ein groſſes
Verbrechen/ weil es dem Hirten gleichſam ans Hertz gebacken/ wer ihm
ſein Schaaff angreifft/ der greifft ihm ans Hertz. Daher ſchreibet Jo-
ſephus l. 4. antiq. c. 8. Wer Gold oder Silber geſtohlen/ mußte es zwey-
fach/ wer aber ein Schaaff geſtohlen/ vierfach wieder erſtatten. Men-
ſchen- und Seelen-Diebſtahl iſt der groͤſte Diebſtahl. Um ſo viel groͤſſer
aber der Diebſtahl/ um ſo viel koͤſtlicher iſt die Errettung der Seelen vom
ewigen Tod.


Dieſes dienet uns allen 1. tanquam motiva oculorum ad ſympa-
thian,
daß wann wir von dergleichen Vorſtellung hoͤren/ wir dieſelbe mit
verſtaͤndigen mitleidenden Augen anſehen/ woher es kommet/ und wohin
es gemeinet ſeye/ und uns nicht damit kuͤtzlen. 2. Tanquam conſcientiæ
campana,
als ein Gewiſſens-Wecker. Dann dieweil ſolche Vorſtellungen
nicht genugſam/ nur allein auff die Unzucht/ Ehe-Haͤndel/ Fluchen und
Schwoͤren gehen/ ſoll ein jeder in ſich ſelbs zuruck ſchlagen und gedencken/
ſo ſolte es mir auch ergehen/ ich hab eben das verdienet. Ey ich habe/
moͤchte einer ſagen/ gemeynet/ es ſeye genug/ wann ich meine Beicht thue?
Antwort: Jn geheimen/ aber nicht offentlichen Aergernuſſen mag es
wol dabey bleiben. 3. Ad revocationem antiquitatis Chriſtianæ, zur
Wiedergedaͤchtnuß der alten Chriſtlichen Kirchen: Zeitlich hats in die-
ſem Stuck anfangen zu hincken. Auguſt. epiſt. 64. klaget von ſeiner
Zeit: Impudicitia \& cubilia acerrimè in Eccleſia vindicantur, ſed com-
meſſationes \& contentiones tolerabilia videntur hominibus, \& ſic pau-
latim fiet, ut nec vitia putentur.
Das iſt: Unkeuſchheit und Hure-
rey werden in der Kirch hefftig geandet/ aber zechen und balgen
komt den Leuten ertraͤglich vor/ und wird noch darzu kommen/
daß man es fuͤr kein Laſter mehr achten wird. Und eben daſelbſt
ſchreibet er von der Africaniſchen Kirchen: quod per dies ſolennes
ebrietates
[301]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
ebrietates licitæ putantur, quod ipſum quis non lugendum cenſeat;
quanquam ſi tantum flagitioſa, \& non etiam ſacrilega eſſent, quibus-
cumque tolerantiæ viribus ſuſtentanda putaremus;
Das iſt: Man
meynet/ Freſſen und Sauffen ſeye an Feyertaͤgen erlaubt/
wen ſolte dieſes nicht betruͤben? Welches/ wann es nur ſchlecht
unrecht/ und nicht auch wider GOtt/ ſo wuͤrde mans mit allen
Kraͤfften ſuchen zu erhalten und zu entſchuldigen. O lieber
Auguſtine, ſolteſtu heut unter uns leben/ und dieſen Sommer durch das
Sabbath-Schaͤnden/ des Satans Unflath und Aergernuß ſehen/ du wuͤr-
deſt ſagen: ich bin ein gewiſſer Prophet geweſen; aber gleichwol wenig
damit außrichten/ man wuͤrde dich als einen einfaͤltigen Pfaffenverlachen.
Es iſt aber ſolche Licentz und Unterlaſſung der Buß-Zucht nach Luthero
erſt recht angegangen/ da man von des Papſts Joch auffs andere extre-
mum
gefallen. Niemand wil recht dazu helffen; mancher foͤrchtet ſich/
wann er einem anderen einen Splitter wolte außziehen/ man moͤchte ihm
ſeinen eygenen Balcken vorweiſen; andere Schein bergen/ wann Aerger-
nuß einreiſſen/ und wollen den Wolff nicht anſchreyen. Es iſt aber da-
durch alle das Unheyl in Teutſchland verurſacht worden. Criminalia
maleficia,
peinliche/ halsſtraͤffliche Laſter haben eben GOtt nicht in Har-
niſch gebracht/ ſondern die ungeante/ von hohen und nidern Stands Per-
ſonen impunè, ohne ſcheu und Forcht begangene Suͤnden. Wieviel/
meynen wir/ ſeind in ſolchen Suͤnden geſtorben und verdammt worden?
Sprichſtu: die Gewonheit iſt allzuſtarck eingewurtzelt; Antwort: eben
darum wuͤnſchen wir ein allgemeines Concilium und Reformation in
allen Staͤnden/ wegen der einmahl kuͤnfftigen Vorſtellung fuͤr dem Juͤng-
ſten Gericht. Wer ihm hier nicht rathen laͤßt/ der hat eine andere Vor-
ſtellung zu gewarten/ deren er nicht gelachen noch entgehen wird. Wann
wir uns ſelber richteten/ und fuͤrſtelleten durch ernſtliche Bekantnuß und
Bereuung der Suͤnden/ ſo doͤrfften wir nicht von dem Herrn gerichtet
werden. 1. Cor. 11, 31. Dieweil aber Chriſtliche Hertzen zweifflen und ge-
dencken moͤchten; Wir ſeind nicht vorgeſtellet worden/ darum ſeind uns
unſere Suͤnden nicht vergeben/ ſo troͤſtet euch ihr betruͤbte Hertzen und reu-
ende Suͤnder/ der Vorſtellung JEſu Chriſti/ euers Heylands/ ſo werdet
ihr vor der Eccleſia und Gemeine aller H. Engel und Außerwehlten dro-
ben im Himmel nicht ſo ſchamroth werden oder erbleichen doͤrffen. Unde
timor judicii? quis enim veniet judicare te, niſi qui venit judicati pro
te?
ſpricht Auguſtin. in Pſalm. 147. Warum foͤrchteſtu dich vor
dem Gericht? dann wer iſt kommen dich zu richten/ ohne der da
P p iijgekom-
[302]Die Zwoͤlffte Predigt
gekommen iſt fuͤr dich gerichtet zu werden? daß Er ihm ſelbs
darſtellete eine Gemeine/ die herꝛlich ſeye/ die nicht habe einen
Flecken oder Runtzel/ oder des etwas/ ſondern daß ſie heilig
ſey und unſtraͤfflich. Mit dieſen Worten troͤſtet euch unter einan-
der/ Amen.



Die Zwoͤlffte Predigt.
Von
Der Excommunication oder Bann.


GEliebte im HErꝛn. Was Kirchen-Buß und Diſci-
plin ſeye/ in welcher Materi wir noch mit einander ſtehen/
kan nicht beſſer verſtanden und deutlicher erklaͤret werden/
als mit dem in die Augen leuchtenden Exempel der Kir-
chen-Zucht/ die Theodoſius, der maͤchtigſte Orientaliſche
Chriſtliche Kayſer Anno 390. außſtehen muͤſſen/ davon
Eu. L. offt und viel hoͤret/ aber nicht allezeit mit allen Umſtaͤnden/ ſo dabey
unterlauffen. Zu mercken iſt dabey I. peccatum, das Verbrechen/ das
war nun die unbarmhertzige laniena, das greuliche Blut-Bad zu Theſſa-
lonich. Es hielten die Buͤrger daſelbſt jaͤhrlich ein Feſt/ da ſie unter an-
deren heydniſchen Spielen und Ubungen auch das kuͤnſtliche Fahren
mit vier Pferden geuͤbet. Darzu ſie dann bedurfften einen vor andern
beruͤhmten kuͤnſtlichen Fuhrmann/ den die Kayſerliche Beamten wegen
Ehebruchs in Hafft gezogen/ den wolte der unbaͤndige Poͤbel mit Gewalt
herauß haben/ und weil die Ampt-Leute ſolchen verwaͤgerten/ ſchlugen ſie-
etliche von ihnen zu todt/ und lieſſen den Ehebrecher herauß. Dieſes wird
dem Kayſer verkundſchafftet/ der uͤber ſie ergrimmet/ ob ſchon Ambroſius
fuͤr ſie gebetten. Die Raͤthe ſtimmeten mit zu/ es waͤre wider Kayſer-
liche Reputation, er koͤnne es nicht ungeandet und ungeſtrafft laſſen.
Demnach befihlet er die Auffruͤhrer zu ſtraffen/ und brachten die Com-
miſſarii
Soldaten in die Stadt. Da nun die Buͤrger ihr Spiel gehal-
ten/ fallen ſie ein/ und erwuͤrgen ohne Inquiſition und Unterſcheid inner-
halb 3. Stunden auff die 7000. Perſonen. Das ahndete der Kayſer
nicht/ und ließ es alſo geſchehen. 2. Remedium, das Oſter-Feſt ruckte
herbey/ und wolte ſich der Kayſer beym Tiſch des Herrn einſtellen, Aber
Ambroſius
[303]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Ambroſius ließ ihn nicht zur Communion/ und weiſet ihn mit dieſen Wor-
ten ab: An neſcis Imperator, quæ ſit atrocitas à te commiſſi facinoris?
annon meminiſti, alium eſſe nobis Imperatorem, te ſuperiorem, Deum?
quæ eſt iſta tua feritas \& confidens impietas, ut nihil verearis, manus tu-
as adhuc cruore ſtillantes ad percipiendum ſacratiſſimum Domini cor-
pus extendere? atque os tuum, quo damnaſti innocentes, pretioſo Do-
mini ſangaini admovere?
das iſt: Weiſtu nicht Kayſer/ wie greu-
lich und abſcheulich deine begangene Mißhandlung ſeye?
weiſtu nicht/ daß wir noch einen hoͤhern Kayſer/ dann du biſt/
uͤber uns haben/ GOtt? wie darffſt du ſo frech und kuͤhn ſeyn/
daß du deine mit Blut noch beſudelte Haͤnde wilt außſtrecken/
den allerheiligſten Leib deines HErꝛn Chriſti zu empfahen?
und deinen Mund/ mit welchem du die Unſchuldigen verdam-
met haſt/ darreichen/ ſeines allertheureſten und koͤſtlichſten
Bluts zu genieſſen? Darauff machet ſich der Kayſer heim in ſein
Schloß/ erkennet mit Schmertzen ſein Unrecht/ und enthaͤlt ſich des of-
fentlichen Gottes-Dienſts und der Kirchen 8. Monat lang/ biß auff Weyh-
nachten. Als ihn aber Ruffinus gefragt: warum er ſo hefftig weyne?
und er geantwortet: es ſeye ihm der Spruch Chriſti in den Sinn gefal-
lkn: Welchen ihr die Suͤnde behaltet/ denen ſeind ſie behalten/
und was ihr auff Erden binden werdet/ das ſoll auch im Him-
mel gebunden ſeyn; Da laßt er durch ſeinen Hoffmeiſter bitten/ man
ſoll ihm doch erlauben/ zum Tiſch des Herrn zu gehen. O nein/ ſagte
Ambroſius, er muß zuvor die Kirchen-Diſciplin außſtehen/ und verſpre-
chen/ daß hinfort kein Kayſerlich Edict, Leib und Leben betreffend/ vor dem
dreyſſigſten Tag ſolle exequirt werden/ damit der Kayſer ſich nicht uͤber-
eyle. Das geſchicht nun/ er legt ſeine Crone beyſeit/ faͤllet zur Erden/ thut
offentliche Kirchen-Buß/ bekennet mit Thraͤnen ſeine Suͤnd/ rufft GOt-
tes Barmhertzigkeit an/ ſtehet nicht in ſeinem Kayſerlichen Stuhl/ ſon-
dern in loco peccatorum, an dem Ort der Unehren.


Dieſes iſt Hiſtoria admiranda, eine wunder-wuͤrdige Hiſtori/ daß
ein ſolch groſſer Potentat des Orient- und Occidentaliſchen Reichs/ gegen
welcher Majeſtaͤt das heutige Kayſerthum kaum wie ein Schatten zu
rechnen/ von einem armen wehrloſen Pfarrer zu Mayland ſich alſo tracti-
ren laſſen; daß er nicht den Ambroſium beym Kopff genommen/ und
Johannem den Taͤuffer mit ihm geſpielt. Man hat wol Exempel/ daß
mit manchem Edelmann noch nicht ſo ſtreng waͤre verfahren worden/
der aber eher ſeinen Pfarrer abgeſtrafft/ als ſich der Diſciplin unterwerffen
wollen.
[304]Die Zwoͤlffte Predigt
wollen. Was wil ich von Edel-Leuthen ſagen? Man hat Exempel/ daß
Bauren ehe in Krieg gezogen/ oder ſeind wol gar Atheiſten worden/ wie
Porphyrius bey dem Baronio ad an. 302. n. 53. Aber hier haben geſtritten
P[i]etas Regis \& fidelitas Epiſcpi, die Fromkeit des Koͤnigs und die Treu
des Predigers. Es iſt Hiſtoria exempli rariſſimi, eine gar rare Hiſtori
und Geſchicht. O ihr Ambroſii, wie ſeyd ihr ſo duͤnn geſaͤet bey groſſen
Herren! Da heißt es/ Mum Mum/ und hat man Brey im Maul.
Haͤtte man ſolchen Ernſt bey manchem groſſen Herꝛn/ der unſchuldig
Blut vergoſſen/ der wie ein Dorff-Stier im gantzen Land gewiehert/ der
ſein Leben mit ſauffen zugebracht; ja auch gegen ihre Raͤthe gebraucht/ ſo
wuͤrde es beſſer geſtanden ſeyn/ Kinder/ Land und Leuthe haͤttens nicht
entgelten muͤſſen. Aber Kopff und Pfrund war viel zu lieb/ Nathanes,
Johannes
und Ambroſii ſeind theure Leuthe. Tales habituri eſſemus
aliquot Principes, qualis fuit Theodoſius, ſi tales haberemus Epiſcopos,
qualis fuit Ambroſius,
ſchreibet Eraſmus in præfat. Ambroſii, das iſt:
Wir wuͤrden wol ſolche Fuͤrſten haben/ wie Theodoſius gewe-
ſen/ wann wir auch ſolche Biſchoffe haͤtten/ wie Ambroſius ei-
ner war. Es iſt aber Hiſtoria exemplaris, ein Lehr-Geſchicht. Unſer
Beyſpiel/ darauß wir ſehen/ wie es vor dieſem in der erſten Jungfrauen-
Kirchen her gegangen/ und wieweit wir davon abgewichen. Conſangui-
nitatem doctrinæ,
die Verwandſchafft in der Lehrehaben wir zwar behal-
ten/ aber nicht diſciplinæ in der Zucht. Darum wir uns mit aller
Macht bemuͤhen ſollen/ in allen Staͤnden Chriſto ſein Mandat zu be-
halten. Was GOTT zuſammen gefuͤget hat/ das ſoll der Menſch
nicht ſcheiden. Nun man hoͤre oder laſſe es/ ſo muß es doch geſagt
ſeyn/ auff daß am Juͤngſten Tag niemand mit einiger Entſchuldi-
gung auffkommen koͤnne. Nun/ M. L. Wir haben noch fuͤr uns den
letzten Grad der Kirchen-Diſciplin/ nemlich den Bann/ davon wir
zu dieſem mahl Eu. L. ein mehrers unterrichten wollen. GOTT gebe
Segen und Gedeyen/ daß es fruchtbarlich und aufferbaulich geſchehe/
Amen.


DRey Stuͤck ſeind abermahl zu beobachten/ 1. peccati reatus, das
Verbrechen/ Suͤnd und Fehler/ welches zwar wiederum
iſt peccatum contumaciæ in ſcandalo privato, ein hartnaͤckiger
Suͤnder/ der eine Aergernußbegangen/ wann die Kirchen-Buß nichts hat
verfangen/ oder die ſchuldige Parthey derſelben ſich nicht gehorſamlich un-
tergeben wollen. Es gehoͤren aber auch hieher alle ſcandala publica, enor-
mia,
[305]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
mia, barbara, offentliche/ grobe/ ſchandliche/ Aergernuß und Laſter/ als da
iſt Apoſtaſia, ſchnoͤder Abfall von der einmahl erkanten Warheit/ 1. Tim.
1, 20. Ketzerey/ Tit. 3, 10. 1. Tim. 4, 1. Ungehorſam/ ἀταξία, unordent-
licher Wandel/ 2. Theſſ. 3, 10. Laſter/ davon auch die Heyden nichts zu
ſagen wiſſen/ ſo fern dieſelbe ἀνίατα \& pertinacia, daß man keine Beſſerung
zu hoffen; Wann man den vorigen Weg verſucht/ und doch nichts erhal-
ten koͤnnen. Notoria \& convicta, bekannte und uͤberwieſene Aerger-
nuß; dann da laßt ſichs nicht thun/ wann irgend ein hitziger Kopff wolte
einen excommuniciren und in den Bann thun/ um einer Suͤnde willen/
die noch nicht lautbar worden. Chriſti exemplum noſtra inſtitutio,
Chriſti Beyſpiel iſt unſer Unterricht. Der hat Judam nicht alſobald ex-
communici
rt, ſondern auff die Notorietaͤt und Offenbarung gewartet/
biß er ſich ſelbs verrathen/ und ihm das roth außgegangen iſt. Er fuͤhret
Judam durch alle 4. gradus, ſtrafft ihn erſtlich ins gemein/ daß ers wol
mercken kunt/ wer damit gemeynet waͤre. Jhr ſeyd/ ſpricht der Herr/
nicht alle rein/ der mein Brod iſſet/ tritt mich mit Fuͤſſen/ einer
unter euch iſt ein Teuffel. 2. Thut Ers Johanni kund/ der iſts/
dem ich den Biſſen eintauche und gebe. 3. Dem gantzen Apoſtoli-
ſchen Collegio, da Er den Biſſen eintauchte/ und ihn dem Judæ gab.
4. Da Er zu ihm ſagte: Was du thuſt/ das thue bald. Quod fa-
cis, fac citius, quid illud? ut, quia in illum introierat Satan, ipſe abiret
à Chriſto; ejicitur \& excluditur eo, quod jam cum Domino Jeſu eſſe
non poſſit, qui cœperat eſſe cum diabolo,
ſchreibet Ambroſius l. 2. de
Cain \& Abel. cap.
4. Was du thuſt/ das thue bald; was iſt das?
nemlich/ weil der Satan in ihn gefahren/ ſolte er von Chriſto
weg gehen. Er wird verworffen und außgeſchloſſen/ darum/
weil der nimmer bey dem HErꝛn Chriſto ſeyn kan/ der ange-
fangen es mit dem Teuffel zu halten. Dabey gleich abzunehmen
der Unterſcheid zwiſchen Petro und Juda/ deren jener alsbald durch den
erſten Grad ſich gewinnen laſſen/ und darauff gegeben/ daß er der an-
dern nicht bedoͤrfft.


II. Remedium; das Mittel/ iſt nicht politicum, aͤuſerlich und
irꝛdiſch: der Herr Chriſtus ſagt nicht: Nehmet ihm Land und Leute/
fetzet ihn ab von Scepter und Cron/ wie der Papſt thut/ deſſen fulmen und
Bañ-Strahl Henricus Koͤnig in Engelland geſpuͤhret/ wie bey Petro Sua-
vi
zu leſen; und wie Achilles Harlæus bey Thuano l. 130. ſagt/ dahin ge-
het/ licere cruentas manus impunè Regibus afferre, es ſeye wol erlau-
bet/ ſeine Haͤnde an die Koͤnige zu legen ſie umzubringen. Alſo
Zehender Theil. Q qhat
[306]Die Zwoͤlffte Predigt
hat Sixtus V. wider den Koͤnig Navarræ und den Fuͤrſten Condæum ver-
fahren/ und ihre Unterthanen und Vaſallen ihrer Eyde befreyet. Das
iſt aber der rechte Weg nicht/ es heißt auch allhier: Evangelium non ſol-
vit vincula naturæ \& vincula politiæ, nec œconomiæ neceſſaria, ſed
vincula liberæ ſocietatis.
Sondern es iſt 1. Remedium excluſivum
converſationis publicæ \& privatæ,
ein Außſchluß-Mittel in den Wor-
ten: Halte ihn als einen Heyden und Unchriſten/ ἔςω σοι ὡσπερ ὁ
ἐϑνικὸς καὶ τελώνης. Heyden waren bey den Juden ſo veracht/ daß ſie aller-
dings ſich ihrer Gemeinſchafft enthalten/ wie Petrus Act. 10, 28. ſagt:
Jhr wiſſet/ wie es ein ungewohnt Ding iſt einem Juͤdiſchen
Mann ſich zuthun/ oder zukommen zu einem Fremdling. Was
Zoͤllner fuͤr Leute geweßt/ hoͤret Eu. L. offtmahl auß den Sonntaͤglichen
Evangelien/ unerſaͤttliche Geitz-Haͤlſe. Zwar ihrer Religion nach Ju-
den/ aber die den Roͤmern die Zoͤll uͤberhaupt abgekaufft/ hernach capita-
tim,
kopffs-weiß das Geld eingefordert/ die Leuthe getrieben/ geſchunden
und gepreßt/ wie zu unſeren zeiten von manchen Commiſſarien geſchehen.
Denen waren nun die Juden ſo feind/ daß ſie ſich ihrer allerdings ent-
ſchlugen/ mußte auch deßwegen Chriſtus der Herꝛ uͤbel hoͤren/ daß er ſich
ſolcher Burſche angenommen. Sie hatten ihr eygen attium und Stand
im Tempel/ dahin ſonſt niemand ſich begab/ wie abzunehmen auß Luc. 18.
an dem Zoͤllner/ der von ferne geſtanden, So/ ſagt nun Chriſtus/ ſoll
man auch einen ſolchen Menſchen/ einen hartnaͤckigen und unbußfertigen
Suͤnder halten/ und demnach/ welches darauff folget/ ihm das geiſtliche
Burger-Recht auffkuͤnden/ der Stadt GOttes verweiſen/ als eine un-
fruchtbare Rebe hinauß werffen/ als einen Banditen halten/ verbannen/
in den Bann thun/ Levit. 27, 28. Num. 21, 3. nichts mit ihm zu ſchaffen
haben/ 1. Cor. 5, 11. 2. Theſſ. 3, 13. verſtehe quoad liberam \& non legalem
aut neceſſariam converſationem,
was den freyen Handel/ und nicht das
burgerliche Weſen oder Noth-Werck anbetrifft. 2. Remedium incluſi-
vum,
ein Einſchluß-Mittel/ in dem Woͤrtlein κρατῶν, man ſoll ihn binden/
die Feſſel und Bande des reatus anlegen/ gleichwie Joſeph ſeinen Bruder
binden laſſen/ und der Engel den Satan/ Apoc. 20, 1. 3. Remedium
traditivum,
ein Ubergabs-Mittel/ man ſoll ihn dem Satan uͤbergeben in
ſein Reich/ da er vor der Tauff hergekommen. Ubergeben aber nicht ad
corporalem obſeſſionem,
zur leiblichen Beſitzung/ ſondern denuncia-
tivè ac permiſſivè,
daß man einen ſolchen Menſchen offentlich fuͤr ein
Teuffels-Kind erklaͤre/ der in ſolchem Stand kein Hoffnung des himmli-
ſchen Erbes haben ſoll. 4. Remedium graduale, ein ordentliches/ unter-
ſchiedliches
[307]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
ſchiedliches Mittel. Die Juden hatten vorzeiten in ihren Synagogen
oder Schulen drey unterſchiedliche gradus, der erſte hieß Excommunicatio
minor,
der kleinere Bann/ durch welchen ein Menſch von aller ſo wol hei-
liger und geiſtlicher/ als weltlicher Zuſammenkunfft auff 4. Schritt weit
und 30. Tag lang außgeſchloſſen wurde. Der Andere Grad hieß Ex-
communicatio major,
der groͤſſere Bann/ und geſchah ſolenniter, mit
harten Verfluchungen/ und war außgeſchloſſen von der gantzen Gemein/
ſonſten ἀποσυναγωγία genant. Der Dritte Grad hieß Dominus venit,
Maranatha, 1. Corinth.
16. Eben dieſe drey gradus hat auch die Chriſt-
liche Kirch vor alters obſervirt/ als 1. den kleinern Bann/ in Abhaltung
von dem Heiligen Abendmahl/ und dem ordentlichen Sitz. 2. Den groͤſ-
ſern Bann mit der Außſchlieſſung von allen Hochzeiten und freyem Leben.
Man ließ ihn zwar in die Kirch gehen/ aber er mußte an einen beſondern
Ort ſtehen/ und hernach fuͤhret ihn der Sigriſt wieder hinauß. Sonſt
gieng jederman ſeiner muͤſſig/ als eines raͤudigen Schaaffs/ als eines ge-
faͤhrlichen Saurteigs/ nach Apoſtoliſcher Vermahnung/ 1. Cor. 5, 11.
Jch habe euch geſchrieben/ ihr ſolt nichts mit ihnen zu ſchaffen
haben/ nemlich/ ſo jemand iſt/ der ſich laͤßt einen Bruder nen-
nen/ und iſt ein Hurer/ oder ein Geitziger/ oder ein Abgoͤtter/
oder ein Laͤſterer/ oder ein Trunckenbold/ oder ein Raͤuber/
mit demſelben ſolt ihr auch nicht eſſen. 2. Theſſ. 3, 14. So aber
jemand nicht gehorſam iſt unſerm Wort/ den zeiget an durch
einen Brieff/ und habt nichts mit ihm zu ſchaffen/ auff daß er
ſcham-roth werde. 3. Das Maranatha, da man ihn ohne Geſang
und Klang hinauß getragen/ und als ein Eſel nicht auff den Gotts-Acker
begraben. Dieſes iſt der Bann/ ein ſchroͤckliches Werck. Auguſt. l. 2.
contra Adverſar. legis \& Prophet. c.
9. ſchreibet/ Gravius eſſe ſupplicium,
quàm gladiis dilaniari, aut à beſtiis devorati, aut flammis exuri.
das iſt:
Es ſeye eine groͤſſere Straff/ als mit Degen zumetzelt/ oder
von den Thieren zuriſſen/ oder mit Feur verbrant werden.
Dann man gedencke/ dem Teuffel uͤbergeben werden/ alles Guten/ der
Vergebung der Suͤnden/ GOttes Gnade entrathen/ was das ſeye.
Abſolon wolte lieber todt ſeyn/ als des Koͤnigs ſeines Vaters Davids
Angeſicht nicht ſehen/ 1. Sam. 14. Um ſo viel ſchwerer aber iſt der See-
len als des Leibes Tod/ als viel und weit jene dieſem uͤberlegen iſt. Die
Krafft des Banns haben erfahren Cain/ da er erſtlich fuͤr das Angeſicht
GOttes/ und fuͤr ſeinem Vater fuͤrgeſtellet worden/ der ihm die Kirchen-
Diſciplin gehalten. Als er aber auff ſeinem Kopff geblieben/ und geſagt:
Q q ijSoll
[308]Die Zwoͤlffte Predigt
Soll ich meines Bruders Huͤter ſeyn? ſo folget die Excommuni-
cation
und der Bann darauff: alſo gieng Cain von dem Angeſicht
des HErꝛn/ ꝛc.Gen. 4. Judæ Exempel haben wir oben angezogen/
welcher/ weil er es biß auff die Excommunication kommen laſſen/ ſo war
er des Teuffels. Die heutigen Juden gehen uns noch/ als lebendige Ex-
empel des Goͤttlichen Banns/ vor den Augen herum.


III. Finis, der Zweck und Abſehen iſt nicht perditio animæ, der
Seelen Verderben/ dahin der Paͤpſtiſche Bann gehet/ daß/ wie ſie lehren/
und ſonderlich Toletus p. 17. der verbannte des gemeinen Gebetts und
der Chriſtlichen Converſation allerdings beraubet ſeyn ſolle. Der
H. Apoſtel Paulus lehret uns viel ein anders/ 2. Theſſ. 3. Doch haltet
ihn nicht als einen Feind/ ſondern vermahnet ihn als einen
Bruder. Habt nichts mit ihm zu ſchaffen quoad actus liberos \& in-
termiſſibiles ſed quoad actus neceſſarios \& Chriſtianos non item,

wann mans in freyen Stucken unterlaſſen kan/ nicht aber in nothwendi-
gen und Chriſtlichen Liebes-Wercken. Sondern es iſt alles angeſehen
zur Beſſerung/ und nicht zum Verderben/ 2. Cor. 13, 10. Zum Verder-
ben zwar des Fleiſches/ und bußfertiger Ertoͤdung des alten Adams/ Gal.
5, 24. daß der neue Menſch erhalten und der Geiſt ſelig werde auff den
Tag JEſu Chriſti. Und endlich πρὸς κέρδος, zum Gewinn des Naͤch-
ſten/ daß der Bruder gewunnen werde/ und davon die Kirch Freude und
Wonne hab. Summa/ confuſio \& converſio, auff daß er ſchamroth
werde; Jſt finis intentionis, das Abſehen/ aber nicht immer executionis,
die richtige Folg.


Nun/ M. L. das iſt die vierdte Vergebens-Predigt; Wie ſprichſtu/
Vergebens-Predigt/ iſts vergebens/ warum predigt mans dann? Ant-
wort auß Ezech. 2, v. 4. 5. Du ſolt zu den harten Koͤpffen und ver-
ſtockten Hertzen ſagen: So ſpricht der HErꝛ: Sie hoͤrens
oder laſſens/ es iſt wol ein ungehorſam Hauß/ dennoch ſollen
ſie wiſſen/ daß ein Prophet unter ihnen iſt. Jſt nicht abſolutè
\& ratione inſenſilis efficaciæ,
der unempfindlichen Wuͤrckung nach
ſchlechter dings dahin anzunehmen/ dann das waͤre wider GOttes Wort
geredet/ Eſ. 55. Gleich wie der Regen und Schnee vom Himmel
faͤllet/ und nicht wieder dahin kommet/ ſondern feuchtet die
Erde/ und machet ſie fruchtbar und wachſend/ daß ſie gibt
Saamen zu ſaͤen und Brod zu eſſen: Alſo ſoll das Wort/ ſo
auß meinem Munde gehet/ auch ſeyn/ es ſoll nicht wieder zu
mir leer kommen/ ſondern thun/ das mir gefaͤllet/ und ſoll ihm
gelingen/
[309]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
gelingen/ dazu ichs ſende. Sondern κατά τι, ratione eventus ſen-
ſilis,
dem Außgang nach; dieweil man dieſe 4. gradus in der Chriſtenheit
nicht wil laſſen auffkommen/ nach dem ſie einmal verſchwunden/ und der
Sprung von einem extremo auff das andere geſchehen/ von dem paͤpſti-
ſchen Joch zu aller Licentz. Welcher Sprung unſerm ſel. Luthero in dem
Reformations Werck hefftig mißfallen/ er wuͤnſchet die Auffrichtung des
Banns Tom. 8. fol. 190. Jhr thaͤtet wol daran/ und ich lieſſe mirs
gefallen/ ſo ihr den Bann wieder auffrichten koͤntet/ nach Weiß
und Exempel der erſten Kirchen. Aber es wird den Hoff-Jun-
ckern euer Vornehmen ſehr faul thun/ und ſie hart verdrieſſen/
als die nun des Zwangs entwehnet ſeind. Hoch waͤre ſolche
Diſciplin von noͤthen/ dann der Muthwill/ daß jederman thut/
was er wil/ nim̃t zuſehens uͤberhand/ ꝛc. Aber narratur fabula
ſurdo,
es werden die Laſter/ deren ſich auch die Heyden geſchaͤmet/ impunè
ohne ſcheu und Straff begangen; auß der Kirchen Chriſti macht man
eine Moͤrder-Grube/ GOttes Nahme wird ſtinckend gemacht/ falſchglau-
bige von unſerer Religion abgeſchroͤckt/ der Bann wird nicht weg gethan.
Sondern als die wilde Pferde wil man ſich nicht laſſen zaͤumen/ als die
unſinnige zureißt man alle Bande/ als die Cyclopen ſtuͤrmet man GOtt
ſeinen Himmel: Je mehr Gott geiſſelt/ je verhaͤrter ſeind die Menſchen/
je groͤſſer Feur/ je mehr Oel. Zum Exempel/ Gott hat ſeinen Zorn ſe-
hen laſſen in dem verderblichen Reiffen/ der alle Hoffnung zu guter Ernd
und Herbſt geſchlagen. Was ſolte man nun thun/ als mit Thraͤnen
loͤſchen; ſo freuet ſich mancher Wein-Verkaͤuffer/ und gedencket/ wann
ers gleich nicht ſagt: Mein Wein iſt mir nicht erfroren. Der andere den-
cket: O daß ich meine Frucht/ meinen Wein noch haͤtte/ jetzt koͤnte ich ei-
nen Pfenning daran loͤſen. Der dritte ſchlaͤgt auff/ und erwecket muth-
willige Theurung/ das Land-Volck wird ungedultig/ gruntzet und murret.
Seind das nicht bannige Laſter? Darum muß es auch das gantze Land
entgelten. Und wie mancher/ meynen wir/ iſt bann loß dahin geſtorben?
O was geb er darum/ daß er in der Welt waͤre verbannt geweßt/ daß er
anjetzo nicht ewig verbannt ſeyn muͤßte.


Noch gleichwol iſts nicht alles vergebens/ dann dieſe Betrachtung
erleuchtet uns/ 1. daß uns die Augen auffgehen und wir zuruck geden-
cken/ woher ſolch Ungluͤck komme. Wie ſolte der gerechte Gott ſolches
Cyclopiſches Weſen nicht ſtraffen/ dadurch ſein allerheiligſter Nahme ge-
ſchaͤndet und ſtinckend gemacht wird? Sie lehret uns 2. wie es vor die-
ſem zugegangen/ da die Kirche noch Jungfrau geweßt/ und von dem
Q q iijAnti-
[310]Die Zwoͤlffte Predigt
Anti-Chriſt noch nicht geſchwaͤchet worden: und wie es anjetzo zugehet/
nach dem dem Roͤmiſchen Reich die Fluͤgel außgeraufft/ und der Kirchen
ihre Schluͤſſel genommen worden. 3. Erſchroͤcket ſie die Gottloſen/
die aͤrgerliche Suͤnden begehen/ und nicht darum geſtrafft werden.
Dann ſie ſollen wiſſen/ daß ſie realiter, warhafftig im Bann ſeind/ ob
ſchon nicht pronunciativè daß mans ſagen darff. 4. Unter weiſet
ſie Lehrer und Prediger/ daß ſie thun und ſo weit gehen/ als und was
ſie koͤnnen. Vermoͤgen ſie nicht mehr/ ſollen ſie doch aͤrgerliche Suͤnder
von der Communion abhalten. Dann wer einen hartnaͤckigen/ von
deſſen Boßheit gnug Zeugnuß fuͤrhanden/ zulaͤßt/ und ihm das Pfand
der Vergebung der Suͤnden gibt/ der verſuͤndiget ſich dreyfach/ mendaci
teſtimonio,
mit einem lugenhafften Zeugnuß/ das er mittheilet/ augmen-
to damnationis,
mit Vermehrung der Verdamnuß/ und proditione cor-
poris \& ſanguinis Chriſti,
mit Verraͤtherey des Leibs und Bluts Chriſti.
5. Erwecket und ermuntert ſie den Wunſch Chriſtlicher Her-
tzen/ daß man doch an dieſem Stuck mehr als an einigem arbeite/ nicht
Oel ins Feur gieſſe/ je mehr GOTT ſtraffet/ je mehr ſuͤndige. Jn Er-
wegung und weil doch die Welt dem Teuffel zufahren will/ und ſich den
Geiſt GOttes nicht wil ſtraffen laſſen/ daß mans dem gerechten Juͤng-
ſten Tag uͤbergebe/ da eine ſchroͤckliche Excommunication vorgehen/ und
es heiſſen wird: Anathema, Mahoram Motha, wer den HErꝛn JE-
ſum nicht lieb hat/ das iſt/ ſeine Gebott nicht haͤlt/ [1]. Cor. 16. Aber
Friede ſeye uͤber den Jſrael GOttes/ und wieviel nach dieſer
Regul einher gehen. Muͤſſen ſie auch gleich excommunicirt werden
vom Papſt/ ſo troͤſten ſie ſich mit der Propheceyung Chriſti/ Joh. 16.
mit dem Exempel der unſchuldigen Bekenner Chriſti/ cap. 9, 22. mit dem
Segen Abrahæ/ Gen. 12. da GOtt der HErr ſpricht: Jch wil ſeg-
nen/ die dich ſegnen/ und verfluchen/ die dich verfluchen.
Nun der Herr ſegne und behuͤte uns/ und laß ſein
Angeſicht uͤber uns leuchten.


AMEN.


Die
[311]Vom Gewalt der Schluͤſſel.

Die Dreyzehende Predigt.
Von
Der Zuſammen-Stimmung des
Gebetts.


GEliebte in Chriſto. O wie herꝛlich biſtu geweßt/
Elias/ mit deinen Wunder-Zeichen/ wer iſt ſo herꝛ-
lich als du? Mit dieſer προσφω ήσει redet Syrach an den
groſſen Wunder-Mann Eliam/ c. 48, 4. Siehet denſel-
ben an/ und ſtellet ihn uns fuͤr als Heroëm incomparabi-
lem \& inimitabilem,
ein Wunder-Mann und Wunder-
Helden/ der mit Helden-Muth und Thaten von GOtt außſtaffiret gewe-
ſen/ ſeines gleichen nie gehabt/ dem es auch niemand nachthun koͤnnen
noch moͤgen. Betrachtet 1. Heroicum ſpiritum, ſeinen Heroiſchen
Geiſt/ den er bezeuget nicht nur in friſchem unverzagtem Anſpruch ſeines
Verfolgers Achabs/ der ihn auff den Todt ſuchen laſſen/ dem tritt er
unter die Augen/ und ſagt: Jch verwirre Jſrael nicht/ ſondern du
und deines Vaters Hauß/ damit daß ihr des Herꝛn Gebott
verlaſſen habt/ und wandelt Baalim nach/ ſondern auch an der
ſtrengen Execution, die er an den Baals-Pfaffen veruͤbet/ und ſie am
Bach Kiſon geſchlachtet. Jnſonderheit aber da er den beeden Haupt-
Leuthen Ahaſiæ mit Feur vom Himmel abgelohnet/ die zwey Hauptleute/
ſampt zweymal 50. Mann gefreſſen: war heroicus ſpiritus \& inimita-
bilis,
darum als die Juͤnger Chriſti Luc. 9. ſich erkuͤhnten ſolches nach-
zuthun/ ſagt der Herr/ wiſſet ihr nicht/ welches Geiſtes Kinder
ihr ſeyd? 2. Heroica Facta, Heroiſche Thaten/ ſo da ſeind ſeine Wun-
der-Wercke/ als daß durch ſeinen Segen und Gebett der Wittwen Meel
im Cad nicht verzehret worden/ und dem Oelkrug nichts gemangelt; daß
er ihren todten Sohn wieder lebendig gemacht/ und den Himmel beſchloſ-
ſen. 1. Reg. 17, 14. \& verſ. 21. 22. Es ſoll dieſe Jahr weder Thau
noch Regen kommen/ ich ſage es denn. 1. Reg. 17, 1. 3. Heroica
vita,
Heroiſches Leben/ er behilfft ſich an dem Bach Crith/ mit einem
ſchlechten Loſament/ und nim̃t bey einer Wittfrauen fuͤr lieb/ war arm/
veracht/ verfolgt/ ſein Kleid war ein rauhe Haut/ und ein lederner Guͤrtel
um ſeine Lenden. Jm Papſtthum wil man es ihm nachthun/ und ſolle
von
[312]Die Dreyzehende Predigt
von dem Berg Carmel der Carmeliter-Orden ſich herſchreiben. Die
Bettel-Moͤnche beſchoͤnen ſich auch mit dieſem Exempel/ deren taͤglich
viel tauſendmal tauſend vom Bettel ſich erhalten. Aber wir ſprechen
mit Syrach: Elia/ wer iſt ſo herꝛlich als du? Wann ſie Eliæ
ſein 40. taͤgig Faſten nachthun koͤnnen/ ſo wollen wir ſie als dann fuͤr
rechte Elianer paſſiren laſſen. 4. Heroica fata, Heroiſches Gluͤck und
Geſchick/ daß er wunderbar von den Raub-Voͤglen den Raben geſpeiſet/
vom Engel mit geroͤſtetem Brod und Waſſer erquickt worden. 5. He-
roicus vitæ exitus,
ſein heroiſches Lebens-Ende/ da er mit feurigen Roſ-
ſen und Wagen von der Erden in den Himmel abgeholet worden.


Es ſtellet aber der Apoſtel Jacobus im 5. Cap. v. 16. 17. Eliam uns
fuͤr als exemplar imitabile, ein Exempel der Nachfolg/ wann er ſagt:
Des gerechten Gebett vermag viel/ wann es ernſtlich iſt/
Elias war ein Menſch gleich wie wir/ und er bettet ein Gebett/
daß es nicht regnen ſolt/ und es regnet nicht auff Erden drey
Jahr und ſechs Monden. Und er bettet abermahl/ und der
Himmel gab den Regen/ und die Erde bracht ihre Frucht.
Gibt damit zuverſtehen imitationis poſſibilitatem, daß auch unſer Gebet
erhoͤrlich ſeye/ und gleichſam allmaͤchtig/ wann die Erde lechzet/ und der
rauhe Nord-Wind alles außtruͤcknet/ ſo koͤnnen wir auch den Regen/ wie
andere Gutthaten/ von GOtt erbetten. Zeigt aber auch an medium, cla-
vem cœli,
daß das Gebett das Mittel und der Schluͤſſel ſeye/ damit wir
den Himmel auffſchlieſſen/ bezeugt damit wahr ſeyn/ was Auguſt. ſchrei-
bet ſerm. 226. de temp. Oratio juſti eſt clavis cœli, aſcendit precatio \&
deſcendit DEI miſeratio.
das iſt: Das Gebett des Gerechten iſt
ein Schluͤſſel des Himmels/ das Gebett ſteigt hinauff/ und
GOttes Barmhertzigkeit herunder. Und iſt eben auch der rechte
Schluͤſſel zu Gottes Schatz-Kammer/ zu ſeinem Jndulgentz-Kaſten/ den-
ſelben zu ſchlieſſen und auff zu thun/ allermaſſen wie Chriſtus darauff deu-
tet in den Worten: Wo zween unter euch eins ſeynd auff Erden/
warum es iſt/ das ſie bitten werden/ das ſoll ihnen wiederfah-
ren von meinem Vater im Himmel. Wir haben dis Sechſte
Hauptſtuck nun in unterſchiedlichen Predigten tractirt. Dißmal wollen
wir die Symphoniam precum, das maͤchtige/ hertz-bewegende und Gott-
gewinnende Mittel erwegen/ und auff alle andere πράγματα (περὶ παντὸς
πράγματος) extendiren. Sonderlich weil wir noch im Anfang des
Neuen Jahrs begriffen/ da wir dieſe Symphoniam wol vonnoͤthen haben.
Der
[313]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Der Herr ſende uns hiezu ſeine Huͤlffe vom Heiligthum/ und ſtaͤrcke
uns auß Zion/ er gebe was unſer Hertz begehret/ und erfuͤlle alle unſere An-
ſchlaͤge. Amen.


GEliebte in Chriſto. So iſt nun das Mittel/ πᾶν πράγμα,
in ſpecie aber und ſonderlich ratione ſubjectæ materiæ, alles das
jenige/ was im Sechſten Haupt-Stuck zur Erbauung und Beſſe-
rung der Chriſtlichen Kirchen vonnoͤthen/ zu gewinnen. Symphonia pre-
cum,
die einhellige/ einmuͤthige/ einmuͤndige/ einhertzige Zuſammen-ſtim-
mung des Gebets. Jſt ein Gleichnuß genommen von einem allgemei-
nen zuſammen geſetzten Noth-Geſchrey/ da man um Huͤlffe rufft/ wie dort
das gantze Volck in Egypten um Brod. Gen. 41, 55. Das Volck Jſrael
um Abwendung des grimmigen Zorns GOttes/ Num. 11, 2. Derglei-
chen ſymphoniſche Gebet ſind von Alters her je und allezeit in der Chriſtli-
chen Kirchen die geuͤbte/ offentliche Litaniæ geweßt; ubi quaſi agmine
facto, \& manu factâ expoſtulamus, \& vim facimus DEO, quæ DEO
grata eſt:
da wir gleichſam hauffenweiß Hand anlegen/ expoſtuliren/ und
Gott Gewalt anthun/ welches ihm angenehm iſt. wie Tertull. in Apolog.
redet. Da man Gott den Herrn rings herum als mit einer Wagen-
burg umgibt/ in die mitte faſſet/ und gleichſam im Arreſt gefangen halt/
denſelben nicht laſſet/ er ſegne dann. Bey Joſepho liſet man von dem Juͤ-
diſchen Volck folgende Hiſtori: Als Pilatus bey ſeinem Auffzug das
Kriegs-Volck von Cæſarea gen Jeruſalem ins Winterlaͤger fuͤhrete/
brachte er zugleich die Zeichen/ darauff des Kaͤyſers Tiberij Bild/ Jtem
der Roͤmiſche Adler/ und andere geſchnitzte Bilder/ (deren ſich die Roͤmiſche
Soldaten/ wie wir der Fahnen oder Flecken/ bey den Compagnien gebrau-
chen) in die Stadt/ das der vorigen Land-Pfleger keiner ſich unterſtanden
hatte/ wiewol er doch/ Auffruhr zu vermeiden/ ſolches bey Nacht gethan hat.
Da die Burger zu Jeruſalem das erfahren/ lieffen ſie mit Hauffen zu Pi-
lato/ und baten ihn/ daß er dieſe Zeichen/ weil ſie wider ihre Geſaͤtze waren/
auß der Stadt an einen andern Ort ſchaffen wolte. Da er ihnen aber ſol-
ches abſchluge/ mit vermelden/ wie es dem Kaͤyſer zur Schmach ge-
reichte/ ſie aber ſich nicht abweiſen lieſſen/ draͤuet er ihnen den Tod/ wo ſie
nicht ablieſſen. Aber es halff nichts/ die Juden boten ihre Haͤlſe dar/ begehr-
ten lieber zu ſterben/ dann ſolchen Greuel in der heiligen Stadt zu leiden.
Da Pilatus ihre Beſtaͤndigkeit ſahe/ ließ er die Zeichen oder Fahnen/ auff
welchen Geſchnitzte Bilder waren/ von Jeruſalem wieder gen Cæſaream
bringen. Soviel vermochte das geſellete und hauffenweiß anlauffende
Zehender Theil. R rGebet
[314]Die Dreyzehende Predigt
Gebet bey Pilato. Alſo und vielmehr kan der guͤtige und barmhertzige
Gott auff ſolche weiſe bewogen werden. Sonderlich aber iſt das Gleich-
nuß entlehnet von einer Muſic/ dann gleichwie eine zuſammen-ſtimmende/
zuſammen wol gerichte/ proportionirte/ figuͤrliche und zierliche Muſic/ viel
anmuthiger/ lieblicher und angenehmer zu hoͤren/ als eine bloße einige/ oder
einzele Stimm: Alſo auch die ſymphonia precum, tinnit in aure DEI,
ſie klinget gar ſchoͤn und lieblich in GOttes allerheiligſten Ohren.


II. Symphonia terreſtris, wo zween unter euch eins werden/
[...]\&πὶ τῆς γῆς, auff Erden/ warum es iſt/ das ſie bitten wollen/ ꝛc.
Zeiget damit an den Unterſcheid inter ſymphoniam cœleſtem \& terre-
ſtrem,
zwiſchen der himmliſchen und irꝛdiſchen Zuſammen-ſtimmung. Jn
der triumphirenden Kirchen ſtimmet man zuſammen im hoͤhern Chor/ da
werden lauter ἀῤῥητα geſungen/ der Heiligen zwoͤlff Botten Zahl/ und die
lieben Propheten all/ die theuren Maͤrtyrer allzumal/ loben dich Herr
mit groſſem Schall. Hie aber iſt die ſtreittende Kirch/ die weiß noch von
ſolcher Symphoni nichts/ ſie iſt ihr verborgen. Und dieſe zwo Sympho-
nien laſſen ſich nicht confundiren und miſchen/ wie zwar Gregorius M.
ein ſolch Miſchmaſch in ſeiner Litania gemacht/ und die cœlites einge-
mengt. Forerus in Antiq. Pap. p. 53. unterſtehet es zu defendiren/ wann
fuͤr einem Koͤnig neben dem Supplicanten der gantze Hoff und alle Of-
ficianten erſcheineten/ und zugleich mit ihm intercedirten/ wuͤrde es nicht
kraͤfftiger ſeyn/ als wann er allein ſtuͤnde/ wer das laͤugnet/ muß aller ſei-
ner fuͤnff Sinnen beraubet ſeyn. Wie aber/ wann die aulici und Hoff-
Diener weyland Rebellen waͤren geweſen/ und hernach mit ihren meritis
und Dienſten wolten pralen und prangen/ wuͤrde es bey dem Koͤnig et-
was vermoͤgen und durchdringen? Wie wann ein Abſalon drunter/ der
dem Volck das Hertz abgeſtohlen/ wie wuͤrde das dem Koͤnig gefallen?
Wir haben gnug an Gott dem Vater/ der ἐυπρόσιτος, an Gott dem
Sohn/ der unſer Advocat/ an Gott dem H. Geiſt/ der uns vertritt mit
unaußſprechlichen Seufftzen/ Rom. 8. Quare alterius nomine aliquid
ab eo peteremus, ſi ſuo nomine omnia pollicetur? Auguſt.
Warum
ſollen wir in eines andern Namen etwas von ihme begehren/
wann er uns in ſeinem Namen alles verheißt?


III. Symphonia Quanta. Es gedencket zwar der Herr nur zween/
und redet de ſymphonia ſeparata, da zween gute Freunde zuſammen tret-
ten/ einander ihr Anligen klagen/ wie dann einer dem andern ſein Anli-
gen klagen/ und nicht in ſich freſſen ſoll/ und bittet/ er wolle ihm helffen bet-
ten/ dein Gebet iſt vielleicht ſtaͤrcker/ als das meine/ wir wollen zugleich mit
ein-
[315]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
einander betten/ ein ander mal bitt ich auch fuͤr dich. Ein trefflich Ex-
empel deſſen leſen wir Gen. 25, 21. wie Jſaac ſampt ſeiner Rebecca zugleich
mit einander um den Ehe-Segen betteten/ und Jſaac bettet fuͤr ſie.
Jn der H. Sprach lautet es etwas anders/ lenachach iſchto, è regione
uxoris ſuæ.
Er redet aber exemplariter, ja wann es auch nur zween waͤ-
ren/ vielmehr wann mehr zuſammen kommen/ und ſchlieſſet demnach
nicht auß/ ſondern ein/ ſymphoniam domeſticam, eine gantze Haußhal-
tung und Hauß-Kirch/ auß Kindern und Geſind verſamlet/ wie derglei-
chen einer Meldung geſchicht Act. 12. da auch der Magd Rhode gedacht
wird. Vornemlich ſymphoniam totius Eccleſiæ, wann die gantze Gemei-
ne zuſammen kom̃t und ihre Bett-Stunden und Bett-Taͤgehaltet. 2. Chron.
20, 13. Das gantze Juda ſtund fuͤr dem HErꝛn/ mit ihren Kin-
dern/ Weibern und Soͤhnen. Joel. 2, 16. Verſamlet das Volck/
heiliget die Gemeine/ ſamlet die Elteſten/ bringet zu hauff die
jungen Kinder und die Saͤuglinge. Die Juͤnger des Herrn ha-
ben die Wort wol in die Ohren gefaßt/ und tapffer practicirt in allen fuͤr-
fallenden Noͤthen. Sie waren alle ſtaͤts bey einander einmuͤthig/
mit betten und flehen/ Act. 1, 14. Als der Tag der Pfingſten
erfuͤllet war/ waren ſie alle einmuͤthig bey einander/ Act. 2, 1.
In ſpecie
zur Zeit der Verfolgung/ da ſie das hoͤreten/ huben ſie ihre
Stimme auff einmuͤthiglich zu GOtt. Act. 4, 24. Petrus war
zwar im Gefaͤngnuß gehalten/ aber die Gemeine bettet ohne
auffhoͤren fuͤr ihn zu GOtt. Act. 12, 5. Bey der Ordination Pauli
und Barnabæ/ da ſie aber dem HErꝛn dieneten und faſteten/
ſprach der H. Geiſt; ſondert mir auß Barnabam und Sau-
lum zu dem Werck/ dazu ich ſie beruffen habe. Da faſteten
ſie und betteten/ und legten die Haͤnde auff ſie/ und lieſſen ſie
gehen. Act. 13, 2. 3. Jn ſchweren und toͤdlichen Kranckheiten. Jſt
jemand kranck/ der ruffe zu ſich die Elteſten von der Gemeine/
und laſſe ſie uͤber ſich betten. Jac. 5, 14. Dergleichen hernach bey der
erſten Kirchen/ nach der Apoſtel zeiten/ in Litanien propagirt und fortge-
ſetzet worden/ und haben wir die veſtigia bey Juſtino Martyre, Tertullia-
no, Cypriano,
der ſonderlich vermeldet/ wann ſie in die Bett-Stunde
kommen/ ſo habe der Prediger geruffen/ ſurſum corda, erhebet euere Her-
tzen/ darauff das gantze Volck geantwortet: Habemus ad Dominum.
Gregorius M.
bezeuget/ wann der Prediger die Litaney vorgeſprochen/ ſo
habe das Volck nachgeruffen/ Κύριε ἐλέησον. Sozom. l. 2. 27. erzehlet/
welcher maſſen das Volck zu Antiochia/ weil es des Kayſers Theodoſij
R r ijZorn/
[316]Die Dreyzehende Predigt
Zorn/ wegen der angeſponnenen Auffruhr gefoͤrchtet/ einen offentlichen
Bet-Tag angeſtellet/ und mit traurigen Melodien angehalten/ daß GOtt
des Kaͤyſers Zorn wolte lindern/ und iſt alſo fort und fort getrieben wor-
den/ biß der Teuffel in der Kirchen Meiſter worden/ und der Anti-Chriſt
ſolchen ſchoͤnen GOttes-Dienſt und divina officia in die Cloͤſter gezogen/
und die groſſe Thum-Præbenden auffgebracht/ da die Canonici/ die in den
Schulen ihre horas Canonicas haͤtten halten ſollen/ die Pſalmen Davids
anfangen zu heulen/ dabey der arme Lay geſtanden wie eine Ganß/ und
verſtumt wie eine Kuh. Durch GOttes Gnad haben wir es wieder er-
langet/ daß die Symphonia precum, die allgemeine Zuſammenſtimmung
in unſern Bett-Stunden auffkommen.


IV. Qualis Symphonia? Welche Art/ wie muß ſie beſchaffen ſeyn?
Es muß ſeyn eine heilige Symphoni/ es muͤſſen die Cantores in dem Na-
men Chriſti verſamlet ſeyn/ Matth. 18, 20. ſie muß nach der Tabulatur
Chriſti/ als des Symphoniarchæ, angeſtimmet werden/ an Chriſtum ab-
gehen/ und Chriſtum ſelbs beſingen. Symphonia palinodica, ein Wider-
ruff. Symphonia pœnitentialis, ein Buß-Lied. Dan. 9. Sie muß ge-
hen auß hertzlicher Sympathi, auß brennender hertzlicher Liebe/ ſonſt iſts
eine klingende Schelle/ 1. Cor. 13. auß einmuͤthigem Hertzen und Sinn/
ſonſt iſts GOtt nicht angenehm/ ſondern ein Wolffs-Geheul/ ein Sau-
Gruntzen/ ein Katzen-Geſchrey/ ein Hunds-Bellen. Thue nur weg
von mir das Geplerꝛ deiner Lieder/ denn ich mag deines Pſal-
ter-Spiels nicht hoͤren. Amos. 5. 23.


V. Efficax Symphonia, ein kraͤfftiges und maͤchtiges Gebett/ es
ſoll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel/ ſagt der
Mund und Grund aller Warheit/ um und von wegen Chriſti/ in deſſen
Namen alle Verheiſſungen Ja und Amen ſeynd. Wie? hat dann das
eintzele Gebett keine Krafft? Sagt doch der Herr ſelbs Matth. 6. v. 6.
Wann du aber betteſt/ ſo gehe in dein Kaͤmmerlein/ und ſchleuß
die Thuͤr zu/ und bette zu deinem Vater im verborgenen/ und
dein Vater/ der in das verborgene ſiehet/ wird dirs vergelten
offentlich. Jch liſe ja/ daß Abraham allein fuͤr Sodom gebetten/ Gen.
18. und erhoͤrlich gebetten. Jſaac allein auff dem Feld/ Jonas im
Wallfiſch/ Chriſtus am Oel-Berg/ ꝛc. Ja freylich hat alles Gebett ſeine
Krafft/ aber groͤſſer iſt dieſelbe Krafft/ die cum agmine facto hauffenweiß
geſchicht/ groͤſſer und ſtaͤrcker ob vim unitam, da was einem in der
Schwachheit abgehet/ durch den andern erſetzet wird/ die Gedancken wer-
den diſtrahirt, eine Bitt bettet dieſer mit devotion, der ander ein andere/
und
[317]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
und genieſſet je einer des andern. Ob ſuavitatem harmonicam tonorum \&
graduum,
wann Cymbeln (h. e. ora infantium) und Poſaunen unter ein-
ander gehen. Pſ. 150. ob concordiam fraternam \& ſympathiam, es gehet
einem zu Hertzen/ wann er einen preſthafften Menſchen auff der Gaſſen
ſihet/ deßgleichen einen armen Waiſen/ der niemand hat/ der ſich ſeiner an-
nim̃t; kom̃t er aber in Spittal oder Waiſen-Hauß/ und hoͤret ſie alle zu-
ſammen ſchreyen und heulen/ da moͤchte einem das Hertz im Leib fuͤr erbar-
men brechen/ daher hat auch Chriſtus im Garten am Oelberg/ in ſeinen
groͤſten aͤngſten und Noͤthen/ drey ſeiner Juͤnger in ſocietatem precum,
zur Vermehrung des Gebetts zu ſich genommen. Man ſoll/ ſchreibet
Luth. Tom. 8 Jen. f. 216. wol uͤberal/ an allen Orten und Stunden/
betten. Aber das Gebett iſt nirgend ſo kraͤfftig und ſtarck/ als
wann der gantze Hauff eintraͤchtiglich mit einander bettet/ alſo
haben ſich die lieben Ertz-Vaͤtter mit ihrem Geſindlein/ und
was ſich ſonſt zu ihnen geſchlagen/ entweder zu einem Bruͤnn-
lein gefunden/ ein Huͤttlein auffgeſchlagen/ ein Altaͤrlein auff-
gerichtet/ da ſie von des Weibes Samen geprediget/ GOtt
angeruffen/ geopffert/ und gedancket. Die Exempel/ wie Chri-
ſtus ſeinem Wort Krafft gegeben/ ſeind in der Kirchen-Hiſtori beruͤhmt:
Von den erſten Chriſten ſtehet Act. 4, 31. Und da ſie gebettet hatten/
beweget ſich die Staͤtte/ da ſie verſamlet waren/ und wurden alle
des Heiligen Heiſtes voll[/ ]und redeten das Wort GOttes mit
Freudigkeit. Solche Erhoͤrung und Gewaͤhrung haͤtten wir noch zu
hoffen wann noch dergleichen Glaube waͤre. GOttes Arm iſt nicht
verkuͤrtzt/ der erhoͤret/ in dem Er entweder gibt/ was wir begehren/ oder ein
gleichguͤltige Gab/ oder ein beſſeres Gut/ oder Er lindert die Angſt mit ſol-
chem kraͤfftigen Troſt/ daß man ſie leichtlich uͤberwinden kan.


Nun/ M. L. wir haben fuͤr uns im angehenden Jahr πράγματα, die
ſchwer genug ſind/ pragmata cœli prænunciata, in den Practicken/ da von
der angedraͤuten Finſternuß/ ungeheuͤren Conſtellation und Gewitter
greuliche Ding prædicirt und vorgeſagt werden/ daß einer dafuͤr erſchroͤ-
cken ſoll/ wann er daran gedencket. Was iſt hier fuͤr eine kraͤfftige Præ-
ſervativ zu gebrauchen? die Symphonia precum,


Wann wir in hoͤchſten Noͤthen ſeyn/

Und wiſſen nicht wo auß noch ein/

Und finden weder Huͤlff noch Rath/

Ob wir gleich ſorgen fruͤh und ſpath.

R r iijSo
[318]Die Dreyzehende Predigt
So iſt das unſer Troſt allein/

Daß wir zuſammen ins gemein/

Dich anruffen O treuer GOtt/

Um Rettung auß der Angſt und Noth.

Πράγματα inferni, hoͤlliſche Fuͤndlein/ Liſt und Tuͤck/ conſilia ſyncretica,
Herodiana,
da iſt die Bett-Glock die beſte Glock/ die ſolche Ungewitter
vertreiben und wegleiten kan. Pragmata in terris comitialia, da von den
Feinden der Warheit Practicken vorgehen/ und heimlich ein Bad zuge-
richtet wird/ das Uhrwerck gehet noch in den Raͤdern/ biß jederman hoͤren
wird/ was die Glock geſchlagen. Scheinet als ob es uͤber die arme Kirch
wuͤrde gehen/ die muͤſſe das Bad außtrincken: Zwar man verdienet es
nicht beſſer/ Gluͤck/ wolfeile Zeiten gebaͤhren Sicherheit/ allerhand Untu-
genden und Laſter. Die Papiſten halten ihre aͤuſſerliche Battologiam
mit groſſer devotion und aͤuſſerlicher Andacht/ dadurch ſie viel Leute ver-
fuͤhren/ wir ſchlaffen auff beeden Ohren/ wie die Juͤnger/ die Chriſtus am
Oelberg zur Gebetts-Symphoni invitirt und auffmuntert. Aber jene
werden unſere Oelberger verdammen. Jm gegentheil und vielmehr hoͤ-
ret man unchriſtliches/ teuffeliſches Fluchen und Schwoͤren/ da oft eine
gantze Haußhaltung zu ſammen fluchet/ und wie die Alten ſungen/ zwitzern
hernach die Jungen. Wozu kom̃t der ſchnoͤde Mißbrauch der Weyhe-
nacht/ Schwoͤrtags/ und Ammeiſter Unifahrt/ da man ſich toll und voll
ſaufft/ uñ hernach die ſymphoniam diabolicam anſtim̃t/ anfangt zuſam̃en
jaͤhlen und ſchreyen. O Teuffels Muſic! darauff nichts anders folgen
kan/ als Zetter/ Mordio/ Feurio in der Hoͤllen! Pragmata œconomica,
da fallen taͤglich Sachen vor/ die entweder als ſuͤndlich abzubetten/ oder
als gut zu erbetten/ oder/ als fuͤr andere zur Fuͤrbitt. Da gehoͤret Gebett
zu/ ſoll es von ſtatten gehen. Wie dann ein Chriſt ohne Gebett nicht das ge-
Scheid-
und Abſag-
Brieff.
ringſte ſoll anfangen/ und anderer Leute mit-Gebett pflegen. Aber wo
bleibt das? wo zum Exempel die Krancken? das liebe Adeliche Toͤchter-
lein kom̃t alle Tag fuͤr die Cantzel/ klopffet an/ und bittet um die Sympho-
niam.
GOtt hat es uns vorgelegt zur Prob unſers Chriſtenthums/ aber
wer achtets? man hoͤrets auß Gewonheit. Wo bleiben die innerliche
Hertzens-Seufftzer und Stoß-Gebettlein? wo ſpricht einer den andern
um ſeine Fuͤrbitt an? Aber eben das verrahtet unſere ἀσέβειαν, und iſt ein
clar Argument/ daß alles erfroren/ Glaube/ Liebe/ Andacht/ Gebett. Nun
es mangelt an ſagen/ an lehren/ an erinnern nichts/ auch nicht an Anſtalt
und Ordnung der offentlichen Bett-Stunden. Der Mund der Lehrer
wird
[319]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
wird einmal ſchweigen/ und ſtum̃ werden/ aber eine ſchroͤckliche ſymphonia
categorica
wird im Gewiſſen und am Juͤngſten Gericht erfolgen. Gott
gebe zum ſeligen Neuen Jahr ſolche einmuͤthige Hertzen/ daß wir ſympho-
nicè
betten/ damit GOtt unſers Hertzens Wunſch erhoͤren/ und wir auch
in die him̃liſche [s]ymphoniam im hoͤhern Chor kommen/ unter die him̃liſche
Symphoniſten eingemengt/ ja eines mit ihnen werden moͤgen. Amen.



Die Vierzehende Predigt.
Von
Der Gegenwart Chriſti auff Erden.


GEliebte in Chriſto. Es war zwar eine groſſe/ uner-
hoͤrte Wunder-Gnad/ περιοσὸν, fuͤrtreffliches ornament
und hoher Adel/ damit das außerwehlte Volck GOttes/
die Kinder Jſrael begabet und gezieret geweſen/ die Wol-
cken- und Feur-Seule/ deren in unterſchiedlichen Orten
H. Schrifft gedacht wird. Dann es war dieſe gedachte
Wolcken- und Feur-Seule wol ein groſſes Wunder-Zeichen/ darinn der
unerſchaffene Engel/ der ewige Sohn GOttes/ als der Motor ſich ver-
huͤllet und verborgen/ und durch dieſelbe ſein Gnaden- und Huͤlff-reiche
Gegenwart bezeuget/ daß Er mitten/ unter/ uͤber und fuͤr ihnen geweßt
und hergegangen. Er der Sohn GOttes/ ſag ich/ war derſelbe Engel/
der die Kinder Jſrael gefuͤhret/ des Herrn Name war in ihm/ Exod.
23, 21. Er der HErꝛ ſelbs zog fuͤr ihnen her/ des Tages in einer
Wolcken-Seulen/ daß Er ſie den rechten Weg fuͤhret/ und
des Nachts in einer Feur-Seule/ daß Er ihnen leuchtet zu
reiſen Tag und Nacht. Nicht allein aber hat er ſeine bloße Gegen-
wart bezeuget/ ſondern auch ſeine Gnaden-Huͤlff-Schutz-Leit- und Troſt-
reiche Gegenwart/ und beweiſete/ daß Er ſeye Sonn und Schild/ Pſ.
84, 12. Sonn und Liecht/ dadurch ſie geleitet worden/ durch die rauhe/
ſandichte/ ungebahnte/ finſtere und wilde Wuͤſten/ ins gelobte Land/ die
Seule war ihr Cynoſur und Wegweiſer/ nach deren ſie ſich richten mu-
ſten/ ſie leuchtet als die Sonne/ zu Nacht ſcheinet ſie feurig/ und erleuchtet
die Laͤger. Sie leitet/ und zeiget den Weg Tag und Nacht. Wann ſie
auff-
[320]Die Vierzehende Predigt
auffbrechen ſolten und wolten/ ſo erſchien ſie/ und hub ſich auff fuͤr dem
Fahnen Juda/ ſo lang aber die Wolcken auff der Wohnung blieb/ ſo
lang lagen ſie ſtill/ Num. 19, 15.


Es war ein Schild- und Schutz-Seul; Schutz/ nicht nur wider die
ſtechende/ brennende Sonnen-Flammen/ ſondern auch wider ihre Feinde.
Sintemal als dorten Exod. 4, 20. der Heer geſchauet auff das Heer
der Egypter/ ſo war es ein ſchroͤckliche Schau/ es war ein finſtere Wolcken/
und erleuchtet die Nacht/ das iſt/ (wie Lutherus am Rand gloſſiret) es war
ein Wetter-Leuchten/ in der dicken Wolcken. So ſchroͤcklich anzuſehen
nun auff Seiten der Egypter/ ſo holdſelig und lieblich auff ſeiten der Jſrae-
liten/ ſie ſchiene gantz liecht hell/ daß ſie geſchwind durchziehen kunten.


Dieſe Seul war nun eine groſſe unerhoͤrte Wunder-Gnad/ ein herꝛ-
liches περιοσὸν, durchleuchten der Adel und ornament des Juͤdiſchen Volcks:
Aber viel troͤſtlicher/ viel groͤſſer/ viel koͤſtlicher iſt das περιοσὸν der theuren/
werthen Chriſtenheit/ damit dieſelbe berathen und beſeliget worden/ nem-
lich die Gegenwart des ewigen Sohns GOttes/ mitten und unter uns/
nicht mehr in einer fremden Geſtalt einer Wolcken/ auch nicht in bloßer/
fremder/ menſchlicher oder Engliſcher Geſtalt/ wie Er erſchienen im Chal-
deiſchen Feur-Offen: ſondern in ſeinem eygenen Fleiſch/ ſeiner zarten/
uns mit Blut-Freundſchafft zugethanen menſchlichen Natur/ in welcher
Er ſich erzeiget als Sonn und Schild/ Liecht und Schutz/ Pſalm. 121, 6.
Dort pflegten die Hebraͤer zu ſagen in Pirke abhoth: ubi ſunt duo, qui
legem tractant, cum illis eſt ſchechina;
hie das edelſte ſchechina, Chri-
ſtus ſelbs/ der ſagt: Wo zween oder drey verſamlet ſeind in mei-
nem Namen/ da bin ich mitten unter ihnen. Jſt der Beſchluß des
ſechſten Haupt-Stucks unſers Catechiſmi/ bey welchem wir jetzo bleiben
wollen/ weil die uͤbrigen Lehr-Puncten allbereit außgefuͤhret worden.
Wir ſeind anjetzo Herr JEſu auch in groſſer Menge in deinem Namen
verſamlet/ ſo ſeye du auch mit uns/ ſey Sonn und Schild/ erleuchte/ lehre/
leite/ erquicke zum ewigen Leben/ Amen.


GEliebte in dem HErꝛn. Jch/ ſagt der Herr/ bin bey
euch/ ꝛc. Jch/ der Inſpirator, Anhaucher und Anblaſſer des
H. Geiſtes/ der ich euch mit einem Geheimnuß-reichen/ lebendig-
machendem/ bewegendem/ heilig-machendem Einweyhungs-Athem ange-
blaſen. Jch/ der Schluͤſſel-Herꝛ/ der HErꝛ mit dem guͤldenen Himmel-
Schluͤſſel/ der auffſchlieſſet/ das niemand zuſchlieſſet/ und zuſchlieſſet/ das
niemand auſfthut. Jch der Richter/ der bindet und loͤſet/ der Himmels-
Koͤnig/
[321]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Koͤnig/ der Mittler und Fuͤrſprech/ Jch ſage euch/ wo zween unter
euch eins werden/ ꝛc. Dieweil aber Chriſtus nicht unterſchieden iſt
von ſeinen beeden Naturen/ als welcher ἐξ ὧν καὶ ἅπερ, ſo fragt ſichs nun
weiter/ nach welcher Natur es Chriſtus geredet und verſtanden/ wann er
geſagt: Jch; von der Goͤttlichen Natur iſt kein Zweiffel/ ob aber auch nach
der Menſchlichen? da will es ſich ſtoſſen. Aber Antwort: Ja freylich/ und
in alle wege/ und gruͤnden wir dieſe unſere Antwort nicht auff das bloße
Wort/ Jch/ gar wol wiſſende/ daß daſſelbe nicht allezeit Chriſtum nach
beeden Naturen bedeutet/ als wann zum Exempel der HErꝛ geſagt: Ehe
dann Abraham war/ bin ich/ Joh. 8, 58. als damit er allein ſiehet
auff ſeine ewige Gottheit. Jtem wann er Joh. 6, 38. zu den Juden ſagt:
Jch bin vom Himmel kommen/ da redet Er ja nicht von ſeiner Menſch-
heit/ als welche Er nicht vom Himmel herab gebracht; ſondern wir gruͤn-
den daſſelbe auff den Context, und die darin begriffene prædicata officia-
lia,
ſonderlich auff die vorhergehende Wort: Jch ſage euch/ wo zween
unter euch eins werden auff Erden/ warum es iſt/ das ſie bitten
wollen/ das ſoll ihnen widerfahren von meinem Vater im
Himmel. Jch als Advocat, will es ohnfehlbarlich bey meinem Vater
außbringen und erbetten. Ergò, wo zween oder drey verſamlet ſeind in
meinem Namen/ und reciprocè tanquam per regreſſum demonſtrati-
vum,
weil ich mitten unter ihnen/ wil ich es dahin vermittlen/ daß ſie ihrer
Bitt ſollen gewaͤhret werden. Nach welcher Natur nun Chriſtus der
Mittler iſt zwiſchen GOtt und den Menſchen/ unſer Advocat und Fuͤr-
ſprech/ nach derſelben iſt er auch mitten unter uns. Nun geſtehet Gegen-
theil ſelbs/ daß Chriſtus der Mittler ſeye nach beeden Naturen. Ergò iſt
der Schluß richtig. St. Paulus brauchet gar kraͤfftige Wort von die-
ſem Geheimnuß/ Hebr. 10, 19. So wir dann nun haben die Freu-
digkeit zum Eingang in das Heilige (das iſt/ in den Himmel/ da
unſer himmliſcher Vater wohnet) durch das Blut JEſu/ welchen
(Weg) Er (Chriſtus) uns zubereitet hat zum neuen und lebendi-
gen Weg/ durch den Fuͤrhang/ das iſt/ durch ſein Fleiſch. So
laßt uns hinzu gehen mit warhafftigem Hertzen und voͤlligem
Glauben. als wolt er ſagen: Gleich wie im Alten Teſtament ins Al-
lerheiligſte der Hoheprieſter allein eingehen durffte/ der durch den Fuͤrhang
eingegangen; Alſo iſt nun derſelbe Weg allen geiſtlichen Prieſtern berei-
tet/ hinzugehen fuͤr GOtt/ unſere Noth zu klagen/ und das Hertz außzu-
ſchuͤtten. Wie aber? immediatè? Nein/ ſondern durch einen Fuͤrhang/
Zehender Theil. S sdas
[322]Die Vierzehende Predigt
das iſt/ das Fleiſch Chriſti/ ohne welches wir nicht erſcheinen doͤrffen fuͤr
dem groſſen heiligen GOTT/ als einem verzehrenden Feur.


Jch bin mitten unter ihnen/ mit meiner warhafften/ weſentli-
chen/ allernaͤchſten Gegenwart/ und was eigentlich gegenwaͤrtig ſeyn iſt
und heißt: Es ſagt zwar auch St. Paulus von ſich/ er ſey bey ſeinen Co-
loſſern im Geiſt/ im Sinn/ nach den Affecten, im Gedaͤchtnuß: Ob ich
wol nach dem Fleiſch nicht da bin/ ſo bin ich aber im Geiſt bey
euch. Col. 2, 5. Gleicher weiße ſagt er auch 1. Cor. 5, 3. Jch zwar/ als
der ich mit dem Leibe nicht da bin/ doch mit dem Geiſt gegenwaͤr-
tig. Das iſt aber noch lang keine warhafftige/ ſondern nur figuͤrliche/ met-
ony
miſche Gegenwart; hie aber iſt keine determinatio in ſpiritu, oder
ſolche Gegenwart/ die allein im Geiſt geſchicht/ ſondern es ſagt der Herr
ſchlecht dahin/ εἰμὶ, Jch bin mitten unter ihnen. In medio, nicht von wei-
tem wie David/ 2. Sam. 18, 3. c. 21, 17. Nicht muͤſſig und ohnkraͤfftig/ ſon-
dern kraͤfftig/ thaͤtig und wuͤrckend/ maſſen dazumal auß ſolcher Gegenwart
gefloſſen das holdſelige und gnadenreiche Anhauchen des H. Geiſtes/ die
Gewalt Suͤnde zu vergeben und zu behalten/ zu binden und zu loͤſen/ zu troͤ-
ſten und zu ſtraffen/ den Himmel auff- und zu zuſchlieſſen. Bey wem aber?
bey zween oder dreyen. Welche Wort keines wegs excluſivè zu ver-
ſtehen/ als wann Chriſtus bey einer mehrern oder mindern Zahl nicht wol-
te beywohnen/ ſondern nur allein/ wo ihrer zween oder d[r]ey ſeynd. Nein! ſon-
dern es iſt eine proverbialis locutio, und Sprichworts weiß zu verſtehen
von ihrer wenigen/ auff ſolche Art und Weiß/ wie zween oder drey Zeugen
genugſam in einer ſtreittigen Sache die Warheit zu beſtaͤttigen; Nicht in
dem Verſtand/ daß/ wañ viel zuſammen ſtimmen/ und zeugen/ ſolche Zeug-
nuß unkraͤfftig/ ſondern vielmehr deſto kraͤfftiger: alſo auch hie. Auch
wird nicht außgeſchloſſen einer allein/ dann ja der Herr ſo wol bey Daniel
in der Loͤwen-Gruben/ als bey Sadrach/ Meſach und Abednego im Ba-
byloniſchen Feur-Ofen. Er war bey Jſaac auff dem Feld/ bey Joſeph im
Kercker/ bey Jona im Wallfiſch/ bey Gideon/ bey Paulo/ und andern
mehr/ ſondern ἐξοχικῶς, quoad ſuavius \& fortius, wo viel beyſammen/ da
iſt ſeine Gegenwart deſto ſtaͤrcker und troͤſtlicher. Und gibt der Herr
damit ſeine affection zu den Collegiis zu verſtehen/ wo gantze Collegia
und Zuſammenkunfften beyſammen ſeynd/ wo man etwas in Kirchen/
Schulen/ und auff der Pfaltz collegialiter tractirt und handelt. Eine
liebliche Stimm iſt zwar angenehm/ aber viel angenehmer/ wann viel Stim-
men zuſammen ſtimmen/ klingen/ ſingen/ und eine Muſic bringen; Doch
ſagt er auch/ ἐὰν συμφωνήσωσι, wann ein armes Kind auff der Gaſſen
bettelt/
[323]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
bettelt/ und um ein Allmoſen anhaͤlt/ ſo iſts nicht ſo beweglich und erbaͤrm-
lich/ als wann man im Waͤyſen-Hauß die armen Waͤyſen-Kinder hoͤret
zuſammen betten und ſchreyen.


In quà qualitate? Wie muͤſſen die Convent beſchaffen ſeyn? Es gibt
viel Zuſammenkunfften und Zunfften in der Welt/ viel Societaͤten und
Geſellſchafften/ aber Chriſtus iſt nicht bey allen/ ſondern bey etlichen viel-
mehr der boͤſe Geiſt/ darum ſagt Er: Wo zween oder drey verſamlet ſind in
meinem Namen/ das iſt/ auff mein Geheiß und Verheiß/ nach der Regul
und Norm meines Worts/ zu meines Namens Ehre/ daß es ſey ein Con-
vent von Chriſto/ zu Chriſto/ und nach der Art Chriſti. Sonſt pochen
auch die Prælaten in Conciliis auff dieſen Spruch. Bellarminus alle-
gi
ret ihn pro Conciliorum autoritate l. 2. de Concil. c. 2. Aber GOttes
theurer Name muß ihrer Schalckheit Deckel ſeyn. Dudithius hat auß
der Schul geſchwaͤtzt/ daß die Pfeiffen nit nach dem Wort Gottes/ ſondern
nach dem Blaßbalg zu Rom geſtimmet ſeyen/ und pfeiffen muͤſſen. Die
Exempla erlaͤutern dieſen Text gar fein/ Luc. 2, 46. ſitzet Chriſtus mitten
unter den Lehreren/ daß Er ihnen zuhoͤrete/ und ſie fragte/ zu Troſt der
Schul-Convent/ wann das Veni Sancte Spiritus vorher gehet. Luc. 24, 15.
da die zween Juͤnger ihr Geſpraͤch hatten von der Paſſions-Tragœdi/ und
von ſeinem Leyden/ nahet Jeſus zu ihnen/ und wandelte mit ihnen/ Johan.
20, 19. \& 26. Am Abend deſſelben Abends/ da die Thuͤren verſchloſſen wa-
ren/ auß Forcht fuͤr den Juden/ kam Jeſus/ und tratt mitten ein/ und ſpricht
zu ihnen/ Friede ſey mit euch. Alſo/ wo noch heut zu Tag wahre Buß/ da
kehret Chriſtus ein/ und ladet ſich zu Gaſt Luc. 19, 5. Deßgleichen wo der
Leuchter des Worts GOttes ſcheinet/ da iſt er gegenwaͤrtig/ wie Er dort
mitten unter den ſieben Leuchtern geweſen/ Apoc. 1, 13. Und dieſe kraͤff-
tige Gegenwart ſpuͤhret man wuͤrcklich in herꝛlichen Gaben/ 2. Cor. 13, 35.
in geſchwinden Conſiliis, in heiligen Bewegungen und Hertzens-Brunſt/
Luc. 24. In ϑείοις, da man anders nicht ſagen kan/ als/ das hat GOtt
gethan/ das kom̃t vom Herrn/ das iſt GOttes Finger: GOtt hat mirs
in Sinn gegeben/ GOtt hat Gluͤck dazu beſcheret.


Dieſer Fuͤrtrag lehret/ wehret/ und nehret reichlich/ und hochtroͤſt-
lich. Er lehret/ was wir von unſerm Haupt/ Koͤnig/ Advocaten und Jm-
manuel Chriſto glauben ſollen/ nemlich/ daß Er den Namen mit der That
traͤgt/ und ein rechter Jmmanuel ſeye/ und daß wir nicht geringer ver-
ſehen/ ſondern κρείττονα und viel herꝛlichere Guͤter haben/ als die Kirch
im Alten Teſtament. Jn dem Er nicht nur nach der GOttheit/ ſondern
auch nach ſeiner Menſchheit mitten/ unter/ und bey uns iſt: Sonderlich
S s ijin
[324]Die Vierzehende Predigt
in Collegiis, als darinn Er allezeit den Mittelmann geben will/ das ſollen
wir feſt glauben/ ob wir es gleich nicht ſehen; Gleichwie ein redlicher Sol-
dat im Streit/ wann er ſchon ſeinen Feld-Oberſten fuͤr Rauch und Staub
nicht ſehen kan/ hoͤret ihn aber und ſeinen freudigen Zuſpruch/ ſo iſt er ge-
troſt/ und fechtet ritterlich.


Es wehret aber auch dieſes Wort nicht nur dem Calviniſchen Jrꝛ-
Geiſt/ der andere phantaſmata, ihm traͤumen laͤßt von dieſem Geheimnuß/
dieſe Wort ſchaͤndlich verkehret/ und der ſo hoch regalirten Menſchheit
Chriſti Abbruch thut. Piſcator ad h. l. da bin ich ꝛc. zwar nicht mit dem
Leib/ ſondern mit der Gnade des H. Geiſtes. Maſſon. part. 1. anat. p. 471.
mit ſeiner Gottheit/ Geiſt und Gnade; Mißdeutet dazu den Geſang: Er
iſt bey uns wol auff dem Plan/ mit ſeinem Geiſt und Gaben.
Das widrige iſt aber allbereit droben erwieſen worden; Sondern er weh-
ret auch/ und verſtoͤret alle boͤſe/ verfuͤhriſche/ aͤrgerliche Geſellſchafften/ die
nicht im Namen Chriſti zuſammen geſchloſſen/ als da ſeind der Welt ihre
congregationes, die Laſter- und Fluch Collegia, die profanantia collegia,
die jetzt drauß auff dem Schieß- und Armbruſt-Rein/ in Wuͤrts-Haͤuſern
und Gaͤrten beyſammen ſeynd/ die unzuͤchtige/ garſtige Huren-Winckel/ da
junge Hertzen angeſteckt und verfuͤhret werden; die Sauff und- Spiel-
Collegia, darauß nichts anders folget/ als ein unordentliches Leben/ die
Schwaͤtz-Collegia, Zotten und Narrenthaͤdigung auff offentlichen Plaͤ-
tzen/ denen die Leute mit mehrerer Luſt und Anmuth abwarten/ als GOttes
Wort zu hoͤren/ und ihre Samſtaͤgige Vorbereitung an ſolchen Orten
halten; Die Lugen- und Verleumdungs-Collegia, bey denen allen kein
anderer Præſident/ als der Feind aller Goͤttlichen und Menſchlichen Ord-
nungen/ der leidige Satan; Zwar Chriſtus iſt da auch mitten drinnen/
aber nicht anders/ als ein ſtrenger Richter/ wie unter den Egyptern am
rothen Meer/ wie bey der Schaarwacht im Garten am Oelberg/ wie an
dem Juͤngſten Tag miten unter den Schafen und Boͤcken. GOtt ſtraf-
fet zwar nicht alſobald/ aber lang geborgt iſt nicht geſchenckt/ Exod. 23. v.
21. Huͤte dich fuͤr ſeinem Angeſicht/ und erbittere ihn nicht/ denn Er wird
euere fuͤrſaͤtzliche Ubertrettungen nicht vergeben/ ſondern in ſeinem Zorn
ploͤtzlich laſſen untergehen/ und die Buß-Gnade abſchneiden.


Es nehret aber auch dieſes Wort den Glauben/ unſer Geiſtlich Le-
ben in Chriſto/ unſere Hoffnung. St. Pauli Wort unſer Paß-Wort/
Jſt Chriſtus fuͤr uns/ wer mag wider uns ſeyn? Denn daher
flieſſet Troſt der Goͤttlichen Huͤlffe/ wann wir manchmal mitten im Chal-
daͤiſchen Feur-Ofen der Anfechtungen ſitzen/ und ſeind wie Schaafe mitten
unter
[325]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
unter den Woͤlffen/ in greulichen Verfolgungen/ da ſoll es heiſſen: ςῆτε,
Χριςὸς μεθ᾽ ἡμῶν, Stehet feſt/ Chriſtus iſt bey und mit uns. Jſt zu ge-
brauchen in groſſer Noth/ in ungeheuͤren Ungewittern/ dergleichen anders-
wo fuͤrgegangen/ die wir nicht anders anzuſehen haben/ als unſere Buß-
Wecker. Des Goͤttlichen Segens/ gleichwie/ da der Herr mit Joſeph
war/ war er ein gluͤckſeliger Mann/ in allem was er gethan/ Gen. 39, 2. 3.
Alſo wo Chriſtus/ der gebenedeyte Weibes-Saamen iſt/ kan es an Gluͤck
und Segen nicht fehlen/ noch mangeln an irgend einem Gut. Nun wir
ſchlieſſen auß 2. Cor. 13. 13. Die Gnade unſers HErꝛn JEſu Chri-
ſti/ und die Liebe GOttes/ und die Gemeinſchafft des H. Gei-
ſtes ſey mit euch allen. Amen.



Die Fuͤnffzehende und letſte Predigt.
uͤber die Wort Pauli 1. Cor. 3, 2.
Milch hab ich euch zu trincken gegeben.


GEliebte in Chriſto. Jm Buch der Richter im 4. Cap.
leſen wir von einem ſeltzamen und denckwuͤrdigen Schlaff-
und Milch-Tranck/ welchen die großmuͤthige Heldin und
Hebraͤiſche Amazon, dem Tyrannen Siſſera zugebracht.
Dann als derſelbe von Barak dem Hebraͤiſchen Fulmine
auffs Haupt geſchlagen/ ſich in die Huͤtte Jael ſalvirt/ ſo
hat ſie ihn nicht nur freundlich zu ſich gelocket/ und eingeladen/ und ſagte:
weiche mein Herꝛ/ weiche zu mir/ und foͤrchte dich nicht/ mit ei-
nem Mantel zugedecket/ ſondern auch ihm in ſeiner Mattigkeit/ den Durſt
zu loͤſchen/ einen Milch-Topff auffgethan/ und zu trincken gegeben/ wor-
auff als er ſich unmaͤſſig uͤberſoffen/ und dannenhero in einen tieffen
Schlaff geſuncken/ ſo hat ſie ihm einen Nagel mit einem Hammer in den
Schlaff geſchlagen/ daß er ohnmaͤchtig zur Erden geſuncken/ entſchlum-
mert und geſtorben. Sein Milch-Trunck war ſein letzter Schlaff-Trunck
geweſen/ davon er nicht mehr auffgeſtanden. War Calix iræ juſtus, ein
gerechter Zorn- und Raach-Milch-Tranck. Er der Canaanitiſche Tuͤrck
und Bluthund/ hat es nicht beſſer verdienet/ er war im Goͤttlichen Bann/
ein Bandit/ Debora hat auß GOttes Mund das Urtheil uͤber ihn geſpro-
S s iijchen.
[326]Die Fuͤnffzehende und letſie Predigt
chen. Darum Jael von Rechts wegen wol koͤnnen den Bund brechen
im Krieg des Herrn/ da GOttes Ehre uͤber allen Frieden und Freyheit
gehet/ ſie hats gethan in Heroiſchem Helden-Glauben/ der H. Geiſt hat
dieſe That ſelbſt gelobet durch Deboram/ Ju [...] 5, 24. Geſegnet ſey unter
den Weibern Jael das Weib Hebers des Keniters/ geſegnet
ſey ſie in der Huͤtten unter den Weibern. Calix hieroglyphicus,
dadurch angedeutet worden die Fata der Siſſeriten und Welt-Kinder/ die
ſtreiten wider GOtt/ ſein Wort und ſeine Kirche/ laſſen ſich von der Welt
und dero Wolluͤſten laden/ trincken ihre Milch der Wolluſt/ gerathen da-
durch in Sicherheit/ und wann ſie meynen/ ſie ſeyen am ſicherſten/ gerathen
ſie in ſpiritum ſoporis, gehen endlich mit Leib und Seel unter und zur
Hoͤlle/ alles auß gerechtem Gericht und Urtheil GOttes.


Gar einen andern Milch-Tranck hat der Vater aller Barmhertzig-
keit den Corinthern vom Himmel herab beſcheret/ nicht einen Schlaff- ſon-
dern Wach-Tranck/ davon ſie ſich ermuntert/ vom Schlaff der Suͤnden
auffwachen/ im neuen Leben erſtarcken/ und wachſen/ nicht ſterben/ ſondern
leben ſolten/ nemlich calicem gratiæ Evangelicum, den Kelch des Gna-
denreichen Evangelij/ welches lauter Milch und Honig/ das phil-
trum
und Liebes-Tranck des himmliſchen Vaters/ das Soterium und
Heyl-Tranck auß den Wunden und flammenden Hertzen des Sohns
GOttes/ den ollam lacteam, und Milch-Tranck des H. Geiſtes/ davon
Eſa. 55, v. 1. zu leſen: Wolan alle die ihr durſtig ſeyd/ kommet her
zum Waſſer/ die ihr nicht Geld habt/ kommet her/ und kauffet
ohne Geld und umſonſt/ beydes Wein und Milch. Cali[c]em
hieroglyphicum,
den Kelch des himmliſchen Milch-flieſſenden Landes
Canaans/ hie Vorſchmacks-dort Stroms-weiß. Jſt mit einem Wort
die ſuͤſſe/ hoch und einig nothwendige Catechiſmus-Milch/ mit deren wir
vor mehr als 19. Jahren/ nemlich den 6. Julij Anno 1634. in den ordent-
lich von mir gehaltenen Mittags-Predigten den Anfang gemacht/ mit
Abhandlung der Wort St. Pauli Hebr. 5, 1. und bißher dieſelbe Milch
proponirt. Wann dann nach eingeholtem Conſens/ Gehell/ und De-
cret meiner gnaͤdigen Herꝛn und Obern/ mit einmuͤthigem Zuſtimmen des
Kirchen-Convents/ auff mein Begehren/ auß gewiſſen und erheblichen
Urſachen eine mutation mit der wochentlichen Montags-Predigt der An-
fang uͤber acht Tag im Namen GOttes zu machen iſt/ als iſt dieſer Text
beliebt und erkohren worden/ mit der Figur und anmuthigen Wort-Blum
der Milch wieder zu beſchlieſſen. Chriſtus Jeſus/ der da iſt das A. und O.
der
[327]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
der Anfang und das Ende/ wolle auch noch zum Ende/ wie zum Anfang/
ſeines Heil. Geiſtes Gnad/ Liecht und Segen mildiglich verleyhen. Amen.


GEliebte in Chriſto. Milch hab ich euch zu trinckẽ gege-
ben: Seind wenig/ aber lauter wichtige Centner-ſchwere Wort/
von groſſem und reichem Nachdencken und Nachſinnen. Milch
ohne allen Zweiffel zierlich/ figuͤrlich/ in einer anmuthigen/ verſtaͤndigen
Wort-Blum/ und ſoll niemand ſo alber ſeyn/ der es nach dem Buchſtaben
verſtehen wolte. St. Petrus erklaͤret Paulum 1. Petr. 2. und nennet es
γάλα λογικὸν, vernuͤnfftige/ lautere Milch/ γάλαλογικὸν, h. e. γάλα λόγου,
gleichwie ἀνϑρωπίνη κτίσις, h. e. ἀνϑρώπου, ſicut σκεῦος γυναικει῀ον, h. e.
γυναικός. Jſt nichts anders/ als die Lehre des Catechiſmi in ſechs Haupt-
Stuͤcken verfaßt/ davon Paulus Hebr. 6, 1. 2. Darum wollen wir die
Lehre vom Anfang des Chriſtlichen Lebens jetzt laſſen/ und zur
Vollkommenheit fahren/ nicht abermal Grund legen von
Buße der todten Wercke/ vom Glauben an GOtt/ von der
Tauff/ von der Lehre/ von Haͤnde aufflegen/ von der Todten
Aufferſtehung/ und vom ewigen Gerichte. 2. Lac divinum,
Goͤttliche/ nicht menſchliche Milch/ weniger Wolffs-Milch/ ſondern
ſolche Milch/ die auß den Wunden Jeſu Chriſti gefloſſen/ davon Auguſt.
in Pſ. 30. Chriſtus ut ſapientiam ſuam nobis lac faceret, ideò carne indu-
tus ad nos venit.
Jhme werden Bruͤſte zugeeignet/ Cant. 1, 2. Deine
Bruͤſte ſeind lieblicher dann Wein! Geſchicht wegen der hoͤchſten
und geheimeſten ſympathi, ſo auß der conſanguinitaͤt oder Blut-Freund-
ſchafft herflieſſet/ in dem der Braͤutigam ſeiner Braut Gliedmaſſen ihme
appropriirt und zueignet; ſeind die ienige Bruͤſte/ die auß dem Mutter-
Hertzen Jeſu Chriſti Milch geben/ die Milch des Worts und der Heiligen
Sacramenten. 3. Lac infantile, zarte Kinder-Milch/ und nicht har-
te Speiſe. Milch iſt die erſte natuͤrliche Speiß/ damit der ſo wol unge-
bohrne Menſch in Mutter-Leib/ als auch der allbereit geborne eine Zeitlang/
biß er zu mehrern Kraͤfften gelanget/ pflegt ernehret und erhalten zu werden.
So iſt auch der Catechiſmus der Quaſimodogenitorum, der Neulinge/
oder neugebohrnen Kinder GOttes ihr erſte/ geſundeſte/ und gleichſam an-
gebohrne Speiſe/ die auch St. Petrus dahin deutet: Seyd gierig
nach der vernuͤnfftigen lautern Milch/ als die jetzt gebohrne
Kindlein/ daß ihr durch dieſelbe zunchmet. Milch iſt die uraͤlteſte/
und conſequenter einfaͤltigſte/ und biß dato uͤbliche Kinder-Speiße gewe-
ſen/ deren die erſtgebohrne Menſchen/ Cain und Abel/ ſich alſobald bedienet/
davon ſich auch die H. Patriarchen vor und nach der Suͤndfluth ſonderlich
erquicket/
[328]Die Fuͤnffzehende und letſte Predigt
erquicket/ ehe und dann man von braten/ ſieden/ von allerhand niedlichen
Schleck-Bißlein etwas gewußt: So iſt auch die Catechiſmus-Lehre die aͤl-
teſte Lehre/ aͤlter als alle neu-auffkommene Schwaͤrmereyen und Ketze-
reyen/ wie wolgeſchmackt und lieblich dieſelbige manchem fuͤrkommen moͤ-
gen. Der erſte Catechiſta war der Sohn GOttes ſelbs/ der in dem Pa-
radiß das gantze Evangelium in den kurtzen Paradiß-Catechiſmum zu-
ſammen gefaßt/ in denen Worten: Jch will Feindſchafft ſetzen/ ꝛc.
Milch die allergeſundeſte/ wolgeſchmackteſte/ anmuthigſte und lieblichſte
Speiſe/ davon der Menſch ſchoͤn und ſtarck und roͤſelicht wird/ und taͤglich
zunim̃t. Die Erfahrenheit bezeugts/ daß die jenige Nationen/ die viel
Milch-Tranck und viel Milch-Speiß brauchen/ gemeiniglich groͤſſer/ ſtaͤr-
cker und geſuͤnder ſeyen: Eben ſolch edel nutriment, ſolch erſprießliche
und gedeyliche Speiſe iſt auch der Catechiſmus/ davon wir erſtarcken/ biß
wir ein vollkommener Mann werden/ der da ſey in der Maaß des vollkom-
menen Alters Chriſti. Da gleichwol auch recht zu verſtehen/ was Milch
und harte Speiſe ſey. Die Papiſten ziehen die Milch auff den impli-
citam fidem,
und eingeflochtenen Glauben/ welchen die Roͤmiſche So-
phiſten in folgender Figur und Farben offentlich an Laden geſtellet/ und
feil gebotten. Der Haupt-Articul des Glaubens ſeyen ſieben/ welche
ein jedweder Chriſt wiſſen ſoll und muß; die Geiſtlichen deutlich/ clar
und außfuͤhrlich/ die Layen aber einfaͤltig/ und glauben/ wie die
Kirch davon haͤlt/ und ſeind dieſelbe: die Menſchwerdung oder
Geburt Chriſti/ die Tauffe/ Chriſti Leyden und Tod/ die
Hoͤllenfahrt/ die Aufferſtehung/ die Himmelfahrt/ und Zu-
kunfft zum Gerichte. Was aber ſey/ einfaͤltig glauben/ erklaͤret
Panormitanus uͤber dieſe Wort: Einfaͤltig wiſſen und verſtehen heiſſet
glauben das jenige/ was die Kirche glaubet/ alſo daß einer ſeinen Glau-
ben der Kirche ihrem Glauben untergebe. Jn geiſtlichen Rechten
(Decretal. Gregor. l. 5. tit. 7. c. 12.) ſtehet dieſe ehrbare Gloß uͤber
das 19. Cap des andern Buchs Moſe: Beſtia, quæ tetigerit montem,
lapidetur, h. e. ſimplex \& indoctus aliquis non præſumat ad ſubtilita-
tem Sacræ Scripturæ pertingere.
wann GOtt ſpricht: So ein Thier
den Berg Sinai anruͤhren wird/ ſoll es geſteiniget werden.
das leget Innocentius alſo auß: Ein einfaͤltiger und ungelehrter
Menſch ſoll ſich nicht unterfangen/ die Geheimnuͤſſe der H.
Schrifft zu forſchen. Jſt aber ein verdeckter Milch-Topff/ ein ver-
decktes Freſſen/ da Gifft unter ligt/ wie ſolches mit mehrerm droben
part. V. in Decal. außgefuͤhret worden. Die Lehrer auff dem Synodo zu
Dordrecht
[329]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Dordrecht verſtehen durch die Milch die einfaͤltigen Articul/ außgenom-
men den von der ewigen Gnaden-Wahl. Pareus in Iren. c. 7. p. 66. macht
einen Unterſcheid unter den Catholiſchen und Theologiſchen Articulen/ un-
ter den Glaubens-Puncten/ ſo auff die Cantzel/ und denen/ ſo auff die
Schul-Catheder gehoͤren; jene ſeyen Milch/ dieſe aber harte Speiß/ und
zehlet unter ſolche unnoͤthige Schul-Lehren/ und Schul-Gezaͤnck auch die
Lehre von der weſentlichen Gegenwart und muͤndlichen Nieſſung des Leibs
Chriſti/ von der mitgetheilten Majeſtaͤt der Allgegenwaͤrtigkeit der Menſch-
heit Chriſti/ die Lehre von der allgemeinen Krafft der H. Tauff/ die Lehre
von der Gnaden-Wahl und dergleichen. Aber St. Paulus weiß davon
nichts/ der hat allen Rath GOttes geoffenbahret; Chriſtus ſagt das Ge-
gentheil/ Matth. 11. und dancket ſeinem himmliſchen Vater/ daß er die Ev-
angeliſche Geheimnuß den Unmuͤndigen geoffenbahret. Auguſt. tract. 97.
in Joh.
iſt der Meynung: Es ſey ein jeder Articul des Glaubens zugleich
Milch und ſtarcke Speiß; eine Milch den Juͤngern/ die es bloß glauben/
eine ſtarcke Speiß den aͤltern und mehr faͤhigen. Er weiß von dem neuen
Unterſcheid/ als waͤren etliche Glaubens-Articul Milch/ etliche ſtarcke
Speiſen/ gar nichts. Nulla neceſſitas, inquit, videtur eſſe, ut aliqua
ſecreta Domini taceantur \& abſcondantur fidelibus parvulis, ſeorſim
dicenda majoribus. 4. Lac
ἄδολον, lautere/ unverkuͤnſtelte/ unver-
waͤſſerte Milch. Keine Religion iſt ſo ſchlim/ ſie hat ihren Catechiſ-
mum. Jm Papſtthum iſt beruͤhmt Catechiſmus Rom. und opus cate-
chiſticum Caniſii:
bey den Zwinglianern der Heydelbergiſche Catechiſ-
mus: die Photinianer haben Oſtorodi Unterrichtung. Jſt aber keine
lautere Milch/ ſonderen Milch mit Gifft vermiſcht/ wie Irenæus. l. 3, 19. die
falſche Lehre vergleichet/ iſt mit ungeſundem Waſſer/ Menſchen-Tand und
Menſchen-Lehr vermaͤnget/ es iſt/ wie man pflegt zu ſagen/ Marck-Milch/
es ſeynd die καπηλέυοντες τὸν λόγον τοῦ Θεου῀, 2. Cor. 2, 17. die boͤſen Marcke-
thaͤnder darhinder geweſen/ die das Wort GOttes verfaͤlſchet. Summa:
der Tod iſt in den Haͤfen.


Dieſe Milch/ ſagt der Apoſtel/ hab Jch euch gegeben; Nicht aber
Jch/ ſondern die Gnade GOttes/ die in mir iſt/ jch bin nicht der Principal/
nicht der Milch-Herꝛ/ der oberſte Speiß-Meiſter iſt Chriſtus/ ſondern ich
bin ſein Pocillator, ſein Mund-Schenck/ und Melcker. Wer iſt Pau-
lus/ wer iſt Apollo? Diener ſeynd ſie: 1. Cor. 3, 5. Euch/ euch
Corinthern/ und Einwohnern/ der ſtoltzen/ praͤchtigen/ hochmuͤthigen und
wolluͤſtigen Huren-Stadt/ maſſen auff dem Berg/ Acro-Corinthus ge-
nannt/ ein Venus-Tempel erbauet geſtanden/ da 1000. Schand-Weiber
Zehender Theil. T tauff
[330]Die Fuͤnffzehende und letſte Predigt
auff der Streu gehalten worden. Euch weyland Goͤtzen-Knechten/ Hurern/
Ehebrechern/ Weichlingen/ Knaben Schaͤndern/ Dieben/ Geitzigen/ Trun-
ckenbolden/ Raͤubern/ Welt-vollen/ aber Geiſt-Glaub- und Gottloſen
Hertzen/ denen GOtt an ſtatt dieſer Milch Schwefel und Bech im Hoͤllen-
Pful einzuſchencken und zu trincken zugeben befugt geweßt. Jch habs ge-
geben/ verſtehe/ einfaͤltig/ nach meiner eigenen Inſtruction, Rom. 12. v. 8.
Gibt jemand/ ſo gebe er einfaͤltiglich/ nach dem Exempel Gottes/
der jederman einfaͤltiglich gibt/ und ruͤckets niemand auff/ Jac.
1, 5. Ja nach euerm eygenen Exempel/ die ihr die Steur einfaͤltig gege-
ben/ 2. Cor. 9, 11. 13. Einfaͤltigkeit iſt der Freygebigkeit Schweſter und
Merckmahl. Einfaͤltig im Gebett/ im Zweck der Goͤttlichen Ehre und
euerer Seligkeit/ ohne eygene Ehr- und Gewinn-Sucht. Jch habe nicht
das euere/ ſondern euch geſucht. Ein faͤltig in der meditation, invention,
nachdencken/ nachſinnen/ da ichs auffs hoͤchſte getrieben/ als mir muͤglich
geweſen/ nach meiner eygenen Regul/ 1. Cor. 14, 1. Einfaͤltig in Wor-
ten/ nicht in Aſiatiſchem Pralen und Wort-Ruhm/ ſondern in Jung-
fraͤulicher Einfalt/ 2. Cor. 11. Davon zeugen ſeine Wort-Blumen im Pa-
radiß ſeiner Schrifften/ ſeine artificia rhetorica, und anders dergleichen.
Jch habs gegeben zu trincken/ Jch habs alſo bereitet/ daß mans trincken
koͤnnen/ und auch die ſonſt ſtarcke Speiße zu Milch gemacht/ und nach-
mahlen eingetraͤuffelt/ meine Lehre hat getrieffet wie der Regen/ und mei-
ne Rede iſt gefloſſen wie die Thau-Tropffen auff das Kraut/ und alſo in
das Hertz hinein gegoſſen/ und dadurch einen Appetit erweckt/ dann weil
der Welt nichts mundet was Goͤttlich iſt/ ſondern alle ihre Begierde nur
nach Gold und Geld/ Ehre und Wolluſt/ nach Wein und nicht nach
Milch gehet/ wie dann ſonderlich wir Teutſchen einen boͤſen Nahmen deß-
wegen in der gantzen Welt/ auch bey den Tuͤrcken haben/ ſo muß man den
Hirſch-Durſt erwecken/ und das hat St. Paulus auch gethan/ und da-
mit einen Vorſchmack angezuͤndet des himmliſchen Canaans/ da folgen
ſoll der voͤllige Strom/ daß man truncken wird von den reichen Guͤtern
des Hauſes GOttes.


Nun M. L. Jch bin zwar kein Paulus nicht/ kein Θεόπνευςος, bin
nicht werth/ ihm die Schuh-Riemen auffzuloͤſen/ ſondern an das geſchrie-
bene Wort GOttes gebunden; Aber doch Pauli Juͤnger/ und ſitze zu ſei-
nen Fuͤſſen/ wie er zu den Fuͤſſen Gamalielis geſeſſen/ ich bin St. Pauli
Nachfolger im Ampt eines Doctoris, in den Fußſtapffen ſeines Lebens/ in
Vortragung des Catechiſmi/ als welches Ampt ich nunmehr in das
zwantzigſte Jahr getragen/ nach dem es mir von einem Ehrwuͤrdigen
Kirchen-
[331]Vom Gewalt der Schluͤſſel.
Kirchen-Convent, auff confirmation eines Ehrſamen Raths anver-
trauet worden. Derowegen mag ich auch St. Paulo nachſprechen und
ſagen: Milch habe ich euch zu trincken gegeben/ Goͤttliche/ lau-
tere/ heylſame Milch/ auß den Bruͤſten des Alten und Neuen Teſtaments/
und dagegen die Wolffs-Milch verrathen. Euch Elſaͤſſiſchen Corin-
thern/ Fremdlingen/ Einheimiſchen/ Studioſis, Knechten und Maͤgden/
wie der Engel den Hirten/ und andere die GOtt hergefuͤhret hat/ deren
albereit eine groſſe Maͤnge ſchlaffen/ und im himmliſchen Canaan ankom-
men/ und nunmehr genieſſen/ was ſie hie vorſchmacksweiß geſchmecket/
wie dann deren wenig werden uͤbrig ſeyn/ die den Anfang gehoͤret. Euch
begierigen nach der lautern Milch/ denen weltliche Wolluſt und der
Schlaff nicht zu lieb geweßt/ ſondern in die Kirch geeylet/ denen Bekehrten/
welchen die Wolffs-Milch verleytet/ und die Mutter-Milch gemundet/ wie
Lydiæ der Purpur-Kraͤmerin. Jch/ doch nicht ich/ ſondern die vorherge-
hende/ begleitende und folgende Gnade GOttes/ Jch bin nur Pocillator
und Melcker geweßt/ ich unwuͤrdiger Diener GOttes/ der ich der letzte
aufferwacht/ wie einer/ der im Herbſt nachliſet/ und GOtt hat mir den
Seegen darzu gegeben/ daß ich meine Kelter auch voll gemacht habe/ wie
im vollen Herbſt/ und habe nicht fuͤr mich gearbeitet/ ſondern fuͤr alle die
gern lernen wollen. Syr. 33, 16. Jch habs gegeben/ und zwar auch einfaͤl-
tiglich/ einfaͤltiglich hab ichs gelernet/ mildiglich theile ich es mit. Sap. 7, 13.
Einfaͤltiglich in Sinnen/ inventionibus, meditationibus, einfaͤltiglich
zur Ehre GOttes und Vollkommenheit geziehlet/ nicht implicitè, nicht
ſyncreticè, nicht idioticè und Widertaͤufferiſch. Jſt ſolche Einfalt/ die
machen wird/ daß wir bald die Haͤnde uͤber dem Kopff zuſammen ſchlagen
wuͤrden/ und jederman ſich verwundern/ wie die Welt ſo bald Paͤpſtiſch/
Syneretiſtiſch oder gar Atheiſtiſch worden. Jch habs gegeben zu trincken/
alſo vorgetragen/ daß man es faſſen koͤnnen/ habs liecht und leicht ge-
macht/ eingetraͤuffelt/ und gegeben mit dem Mund/ mit der Feder/ und
mit der Buchtrucker-Preß.


Nun verſigle ich dieſe Predigt/ und ſchlieſſe mit den Worten S. Pauli
1. Cor. 4, 3. Mir iſt ein geringes/ daß ich von euch gerichtet wer-
de/ oder von einem menſchlichen Tage/ menſchlicher Tage iſt mit
Affecten obnubilirt und vermaͤntelt/ lobt offt wo es lobens wol mehr als
zuviel bedarff/ im gegentheil/ wer in eines Aug ein Eruca iſt/ deſſen muͤſſen
auch die ſchoͤne Farben entgelten/ wer in eines Aug ein æmulus iſt/ deſſen
ſchoͤne Geſtalt haſſet der Zelot. Darum richtet nicht vor der Zeit/
biß der HERR kom̃t/ der unpaſſionirte Richter/ der wird ans
T t ijLiecht
[332]Die Fuͤnffzehende und letſte Predigt
Liecht bringen/ was im finſtern verborgen iſt/ und den Rath der
Hertzen offenbahren. Hie muß man leyden/ was man nicht kan mei-
den/ und der penetrir-Sucht Raum geben. Alsdann wird einem jeg-
lichen von GOtt Lob wiederfahren. Mund- und real-Lob. Hie
muß man ſich mit dem Mund-Lob contentiren und begnuͤgen laſſen.
Aber wo bleibt das real-Lob? St. Pauli Regul iſt veraltet und vergeſſen:
τῷκατηχου῀ντι κοινωνία. Galat. 6, 6. Der da unterrichtet wird mit dem
Wort/ der theile mit allerley Gutes/ dem der ihn unterrichtet.
Der Botten-Lohn wird gereicht/ aber wo bleibt der Propheten-Lohn? Aber
ich wil gern unter denen bleiben/ die ihren Lohn nicht hie haben/ und kan
dennoch wol mit Samuel ſagen 1. Sam. 12, 3. Siehe/ hie bin ich/ ant-
wortet wider mich fuͤr dem HErꝛn und ſeinem Geſalbten: ob
ich jemands Ochſen oder Eſel genommen habe? ob ich jemand
habe Gewalt oder Unrecht gethan? ob ich von jemands Hand
ein Geſchenck genommen habe/ und mir die Augen binden laſ-
ſen? ſo wil ichs euch wieder geben. Jetzt lege ich die Cron zu den
Fuͤſſen JEſu Chriſti/ des gerechten Richters/ und ſage mit den 24. Elte-
ſten/ Apoc. 4, 11. HERR/ du biſt wuͤrdig zu nehmen Preiß und
Ehre/ und Krafft/ dann du haſt alle Dinge geſchaffen/ und
durch deinen Willen haben ſie das Weſen/ und ſind geſchaffen.
Jch beuge die Knie meines Hertzens zu dem Vater unſers Herrn JEſu
Chriſti/ und dancke fuͤr die Milch/ den Milch-Segen/ fuͤr alle Kraͤfften
und Gaben einfaͤltiglich zu traͤncken/ und bitte/ Er wolle die Milch nimmer
laſſen verſeigen/ den Milch-Topff nicht laſſen zerrinnen/ wie der Wittwen
Oel-Krug/ und traͤncken und ſaͤugen/ ſo lang der Mond ſcheinet/ und die
Tage des Himmels waͤhren/ daß wir hie moͤgen ſchmecken dein Suͤſſig-
keit im Hertzen/ und duͤrſten ſtaͤts nach dir/ biß wir den froͤhlichen Sprung
thun auß dieſer Welt-Wuͤſten in das Honig- und Milch-flieſſende
him̃liſche Canaan/ da Freude die Fuͤlle/ und liebliches Weſen
zur Rechten GOttes immer und ewiglich.


AMEN.


[[333]]

Appendix A Erſtes Regiſter/
Jn ſich begreiffend den Jnhalt aller Predigten
dieſes Zehenden Theils.


Appendix A.1 Eingangs-Predigten.
uͤber Luc. XV.


  • I. Von der Parabel des verlohrnen Sohns Natur/ Zweck
    und Art.
  • II. Von des verlohrnen Sohns Undanckbarkeit.
  • III. Von des verlohrnen Sohns Gottloſigkeit.
  • IV. Von der Ασωτίᾳ und Ruchloſigkeit des verlohrnen Sohns.
  • V. Von dem Verderben des verlohrnen Sohns.
  • VI. Von den Straff-Flagellen zur Buß.
  • VII. Von dem Rath des verlohrnen Sohns/ und drey un-
    terſchiedlichen Raͤthen/ ſo an ihn geſetzt.
  • VIII. Von dem ſelbs-Gericht oder ſelbs-Verdammung des
    verlohrnen Sohns/ wie er in ſich geſchlagen.
  • IX. Von der Widerkunfft und Zuruck-kehr des verl. Sohns.
  • X. Von der Reu und Buß des verlohrnen Sohns.
  • XI. Von der Beicht des verlohrnen Sohns.
  • XII. Von dem Gnaden-Thron/ JEſu Chriſto.
  • XIII. Von dem Hingang des verlohrnen Sohns zu ſeinem
    Vater.
  • XIV. Von des Vaters und GOttes Barmhertzigkeit.
  • XV. Von der Abſolution des verlohrnen Sohns.
  • XVI. Von den Fruͤchten ſeiner Buß.
  • XVII. Von der Phariſaͤiſchen Blind- und Unwiſſenheit des
    aͤltern Bruders.
  • XVIII. Von der Phariſaͤiſchen Gerechtigkeit.
  • XIX. Von dem Phariſaͤiſchen Hochmuth.
  • XX. Von der Phariſaͤiſchen Heucheley.
  • XXI. Von der Summa und Haupt-Lehre der Parabel.

T t iijUber
[[334]]Erſtes Regiſter.

Appendix A.2 Uber das Sechſte Haupt-Stuͤck
Chriſtlicher Lehre.


Joh. xx. und matth. xviii.


  • I. Von der Quell des Schluͤſſel-Gewalts.
  • II. Vom Schluͤſſel-HErꝛn/ Chriſto JEſu.
  • III. Vom Schluͤſſel-Gewalt ins gemein.
  • IV. Von den Schluͤſſel-Verwaltern/ oder denen Perſonen/
    welchen Chriſtus die Schluͤſſel uͤberreicht und anbefohlen.
  • V. Vom Loͤß-Schluͤſſel.
  • VI. Von denen/ welche des Loͤß-Schluͤſſels faͤhig/ und ſich
    deſſen zu erfreuen.
  • VII. Vom Bind-Schluͤſſel.
  • VIII. Von der Bann-wuͤrdigen Suͤnde/ dem Aergernuß.
  • IX. Vom erſten Grad der Chriſtlichen Buß-Zucht/ der bruͤ-
    derlichen Beſtraffung.
  • X. Von dem anderen Grad der Chriſtlichen Buß-Zucht/ der
    Collegialiſchen Cenſur.
  • XI. Von der Kirchen-Buß/ als dem dritten Grad der Buß-
    Zucht.
  • XII. Von der Excommunication oder Bann.
  • XIII. Von der Zuſammen-Stimmung des Gebetts.
  • XIV. Von der Gegenwart Chriſti auff Erden.
  • XV. Uber die Wort Pauli 1. Cor. 3, 2.


Appendix A.3 Das Andere Regiſter
Der Bibliſchen Spruͤche/ ſo erklaͤret oder
erlaͤutert worden.


  • _ _ Cap. _ _ v. _ _ pag.
  • Gen. _ _ 13. _ _ 5. _ _ 281
  • _ _ 37. _ _ 31, 32. _ _ 87
  • _ _ 40. _ _ 2. ſeqq. _ _ 219
  • _ _ _ _ 14. _ _ 252
  • _ _ 41 _ _ 9, 10. _ _ 134
  • _ _ _ _ 42. _ _ 234

  • _ _ Cap. _ _ v. _ _ pag.
  • Exod. _ _ 23. _ _ 21. _ _ 319
  • _ _ 32. _ _ 6. _ _ 42
  • Deut _ _ 8. _ _ 7. _ _ 156
  • _ _ 9. _ _ 5. _ _ 156
  • _ _ _ _ 7. _ _ 133
  • _ _ 32. _ _ 2. _ _ 181

Judic.
[[335]]Regiſter Bibliſcher Spruͤche.
  • _ _ Cap. _ _ verſ. _ _ pag.
  • Judic. _ _ 4. _ _ 18, 19. _ _ 325
  • _ _ 8. _ _ 2. _ _ 286
  • 1. Sam. _ _ 2. _ _ 25. _ _ 77
  • 2. Sam. _ _ 2. _ _ 14. _ _ 42
  • _ _ 3. _ _ 39. _ _ 265
  • 1. Reg. _ _ 8. _ _ 47. _ _ 63
  • _ _ 18. _ _ 24. _ _ 197
  • _ _ 20. _ _ 25. _ _ 38
  • 2. Reg. _ _ 7. _ _ 2. _ _ 51
  • Nehem. _ _ 4. _ _ 17. _ _ 291
  • Job. _ _ 20. _ _ 6. _ _ 34
  • Pſalm. _ _ 25. _ _ 7. _ _ 133
  • _ _ 51. _ _ 6. _ _ 193
  • _ _ 73. _ _ 20. _ _ 34
  • _ _ 78. _ _ 2. _ _ 3
  • _ _ _ _ 20. _ _ 51
  • _ _ 103. _ _ 13. _ _ 75
  • _ _ 122. _ _ 1. _ _ 111
  • _ _ 130. _ _ 3. _ _ 160
  • _ _ 141. _ _ 5. _ _ 292
  • _ _ 143. _ _ 3. _ _ 160
  • Prov. _ _ 12. _ _ 1. _ _ 284
  • _ _ 20. _ _ 6. _ _ 172
  • Eccleſ. _ _ 11. _ _ 9. _ _ 29
  • Eſai. _ _ 1. _ _ 18. _ _ 65, 79
  • _ _ 22. _ _ 20. ſeqq. _ _ 213
  • _ _ 42. _ _ 6. _ _ 202
  • _ _ 43. _ _ 25. _ _ 193
  • _ _ 46. _ _ 8. _ _ 63
  • _ _ 49. _ _ 25. _ _ 75, 114
  • _ _ 54. _ _ 10. _ _ 75
  • _ _ 61. _ _ 1. _ _ 202
  • _ _ _ _ 10. _ _ 127
  • Jer. _ _ 2. _ _ 5. _ _ 65
  • Thren. _ _ 3. _ _ 40. _ _ 68
  • _ _ 4. _ _ 8. _ _ 44

  • _ _ Cap. _ _ verſ. _ _ pag.
  • Ezech. _ _ 16. _ _ 6. _ _ 131
  • _ _ 18. _ _ 21. _ _ 131
  • _ _ 34. _ _ 2. _ _ 292
  • Joel. _ _ 2. _ _ 12. _ _ 80
  • _ _ _ _ 13. _ _ 76
  • Mich. _ _ 6. _ _ 3. _ _ 65
  • Zachar. _ _ 9. _ _ 11. _ _ 247
  • Syr. _ _ 18. _ _ 20. _ _ 68
  • _ _ 48. _ _ 4. _ _ 311
  • 1. Maccab. _ _ 4. _ _ 36. _ _ 255
  • Matth. _ _ 3. _ _ 7. _ _ 145
  • _ _ 5. _ _ 12. _ _ 162
  • _ _ _ _ 20. _ _ 158, 160
  • _ _ _ _ 30. _ _ 275
  • _ _ _ _ 39. _ _ 280
  • _ _ 6. _ _ 6. _ _ 316
  • _ _ 8. _ _ 11. _ _ 183
  • _ _ 9. _ _ 8. _ _ 193, 226
  • _ _ _ _ 11. _ _ 167
  • _ _ 12. _ _ 45. _ _ 141
  • _ _ 15. _ _ 33. _ _ 51
  • _ _ 16. _ _ 3. _ _ 149
  • _ _ _ _ 19. _ _ 200
  • _ _ 18. _ _ 22. _ _ 76
  • _ _ _ _ 6. _ _ 270
  • _ _ _ _ 7. _ _ 273
  • _ _ _ _ 20. _ _ 204
  • _ _ _ _ 22. _ _ 76
  • _ _ 19. _ _ 5. _ _ 45
  • _ _ 21. _ _ 31. _ _ 183
  • _ _ 23. _ _ 25. _ _ 146
  • _ _ _ _ 33. _ _ 145
  • Marc. _ _ 2. _ _ 7. _ _ 193
  • _ _ 8. _ _ 4. _ _ 51
  • Luc. _ _ 3. _ _ 8. _ _ 135
  • _ _ 7. _ _ 39. _ _ 167

Luc.
[[336]]Regiſter Bibliſcher Spruͤche.
  • _ _ Cap. _ _ verſ. _ _ pag.
  • Luc. _ _ 7. _ _ 47. _ _ 137
  • _ _ 15. _ _ 2. _ _ 167
  • _ _ _ _ 7. _ _ 129
  • _ _ 16. _ _ 15. _ _ 169
  • _ _ 19. _ _ 10. _ _ 37
  • Joh. _ _ 3. _ _ 16. _ _ 119
  • _ _ 5. _ _ 14. _ _ 141
  • _ _ 8. _ _ 36. _ _ 234
  • _ _ 8. _ _ 58. _ _ 321
  • _ _ 10. _ _ 8. _ _ 294
  • _ _ _ _ 12. _ _ 293
  • _ _ 14. _ _ 6. _ _ 105
  • _ _ 15. _ _ 5. _ _ 143
  • _ _ 17. _ _ 12. _ _ 37
  • _ _ 18. _ _ 23. _ _ 279
  • _ _ 20, _ _ 21. _ _ 196, 213
  • Act. _ _ 2. _ _ 37. _ _ 70
  • _ _ 5. _ _ 3. _ _ 296
  • _ _ 9. _ _ 6. _ _ 70
  • _ _ 12. _ _ 4. ſeqq. _ _ 229
  • _ _ _ _ 11. _ _ 63
  • _ _ 16. _ _ 30. _ _ 70
  • _ _ 20. _ _ 29. _ _ 294
  • Rom. _ _ 2. _ _ 4. _ _ 40
  • _ _ _ _ 15. _ _ 64
  • _ _ 3. _ _ 24. _ _ 161
  • _ _ _ _ 25. _ _ 97
  • _ _ 4. _ _ 2. _ _ 161
  • _ _ _ _ 4. _ _ 162
  • _ _ 5. _ _ 1. _ _ 138
  • _ _ _ _ 10. _ _ 75
  • _ _ 6. _ _ 4. _ _ 140
  • _ _ _ _ 11. ſeqq. _ _ 139, 233
  • _ _ 8. _ _ 33. _ _ 109
  • _ _ 9. _ _ 19. _ _ 166
  • _ _ 11. _ _ 36. _ _ 192

  • _ _ Cap. _ _ verſ. _ _ pag.
  • Rom. _ _ 12. _ _ 8. _ _ 330
  • 1. Cor. _ _ 3. _ _ 2. _ _ 328
  • _ _ 4. _ _ 3. _ _ 331
  • _ _ _ _ 4. _ _ 120
  • _ _ 5. _ _ 3. ſeqq. _ _ 259
  • _ _ 6. _ _ 7. _ _ 288
  • _ _ 10. _ _ 7. _ _ 42
  • _ _ 11. _ _ 31. _ _ 68
  • _ _ 12. _ _ 28. _ _ 222
  • _ _ 15. _ _ 9. _ _ 133
  • _ _ 16. _ _ 13. _ _ 112
  • 2. Cor. _ _ 1. _ _ 22 _ _ 117
  • _ _ _ _ 24. _ _ 112
  • _ _ 3. _ _ 5. _ _ 143
  • _ _ 5. _ _ 5. _ _ 127
  • _ _ _ _ 20. _ _ 72
  • _ _ 7. _ _ 10. _ _ 82
  • _ _ 9. _ _ 11, 13. _ _ 330
  • _ _ 11. _ _ 4. _ _ 171
  • _ _ 12. _ _ 11. _ _ 222
  • _ _ _ _ 7. _ _ 133
  • Gal. _ _ 2. _ _ 14. _ _ 296
  • _ _ 6. _ _ 6. _ _ 332
  • Eph. _ _ 1. _ _ 14. _ _ 127
  • _ _ 4. _ _ 30. _ _ 127
  • _ _ 5. _ _ 14. _ _ 132
  • _ _ _ _ 18. _ _ 28
  • Phil. _ _ 3. _ _ 13. _ _ 110
  • _ _ 3. _ _ 24. _ _ 162
  • 1. Tim. _ _ 1. _ _ 15, 16. _ _ 108
  • _ _ 5. _ _ 20. _ _ 296
  • 2. Tim. _ _ 2. _ _ 19. _ _ 110
  • _ _ _ _ ult. _ _ 246
  • _ _ 4. _ _ 8. _ _ 162
  • Tit. _ _ 1. _ _ 6. _ _ 28
  • _ _ 3. _ _ 3. _ _ 134

Tit. 3.
[[337]]Regiſter der Sachen und Materien.
  • _ _ Cap. _ _ verſ. _ _ pag.
  • Tit. _ _ 3. _ _ 5. _ _ 161
  • Heb. _ _ 4. _ _ 16. _ _ 96, 97
  • _ _ 6. _ _ 4. \& 5. _ _ 77
  • _ _ 10. _ _ 19. _ _ 321
  • _ _ _ _ 26. _ _ 77
  • _ _ 11. _ _ 1. _ _ 109
  • 1. Pet. _ _ 1. _ _ 4. _ _ 155
  • _ _ 4. _ _ 4. _ _ 28
  • _ _ 5. _ _ 5. _ _ 169
  • 2. Pet. _ _ 2. _ _ 22. _ _ 142

  • _ _ Cap. _ _ verſ. _ _ pag.
  • Jac. _ _ 1. _ _ 5. _ _ 330
  • _ _ 2. _ _ 21. _ _ 161
  • _ _ 5. _ _ 16, 17, 18. _ _ 312
  • 1. Joh. _ _ 3. _ _ 14. _ _ 137
  • Apoc. _ _ 1. _ _ 8. _ _ 191
  • _ _ _ _ 18. _ _ 201
  • _ _ 3. _ _ 7. _ _ 201, 213
  • _ _ 9. _ _ 2. ſeqq. _ _ 208
  • _ _ 20. _ _ 11. _ _ 65


Appendix A.4 Drittes Regiſter/
der Sachen und Materien.


Appendix A.4.1 A.


  • ABerglaub hat die Gnaden-Throͤn
    im Papſtthum erfunden/ _ _ 96
  • Vielerley Schluͤſſel erdacht _ _ 207
  • Ablaß-Thron der Papiſten _ _ 96
  • Abraham wie er durch Werck gerecht
    worden _ _ 161
  • Abſolution der Prediger iſt gewiß und
    warhafftig 198. iſt bedingt 247. eine
    Majeſtaͤtiſche/ Goͤttliche/ troͤſtliche
    Handlung _ _ 197. ſeqq.
  • Ambroſius von rechtſchaffenen wahren
    Buͤſſern 58, 79. von natuͤrlicher Liebe
    der Eltern 74. ſtatuirt ein Bann-Ex-
    empel an Theodoſio _ _ 260. ſeqq.
  • Antiochus der groſſe Juden-Feind _ _ 255
  • M. Antonini Kinder-Ungluͤck _ _ 20
  • Antonius Caracalla _ _ 22
  • ᾽Απολωλὼς, was es heiſſe _ _ 37
  • Aergernuß/ was? 269. ſeqq wie vieler-
    ley 272. ein abſcheuliches Laſter _ _ 273.
    Wie ihm abzuhelffen 275, 276. Ge-
    heimes Aergernuß welches 279. Zucht-
    mittel darwider l. c.ſeqq. Jn der Lehr/
    Ehrbarkeit/ Feyrtaͤgen/ Ehe und Kin-
    der-Zucht 287. ſeqq. Mittel darwider
    288. Zweck und End-Urſach 289. Aer-
    gernuß freye gluͤckſelige Leute _ _ 274
  • Ariſtoteles von einem Hunds-Tags-
    Narren 64. ſein End-Geſchrey _ _ 123
  • ᾽Ασωτία, was es heiſſet 28. ihre Straff _ _ 38
  • ᾽Ασώτες opffern dem Baccho _ _ 31
  • ᾽Ατεκνία kuͤmmerlich/ doch auch troͤſtlich/
    und warum _ _ 20
  • Atheiſmus die groͤſte Religion _ _ 31
  • Athenæus von einem aberwitzigen Men-
    ſchen _ _ 64
  • Auguſtinus von der reichen Kranckheit 15.
    von den Traͤumen 35. von Pauli Be-
    kehrung 71. von den Glaubens-Arti-
    Zehender Theil. U uculn
    [[338]]Regiſter der Sachen und Materien.
    culn 329. Auguſtini Beicht _ _ 91
  • ᾽Αυτοκατάκρισις _ _ 68

Appendix A.4.2 B


  • BAnn 304. Womit er umgehet l. c.
    ſeqq.
    Banns Schwere 307. Ab-
    ſehen 308. der kleine/ groſſe/ und groͤſ-
    ſeſte Bann bey den Juden 258. 307
    Bann-wuͤrdige Suͤnden welche 265
    267. ſeq.
  • Baarfuß gehen ein Zeichen der Dienſt-
    barkeit _ _ 127
  • Bacchus der groͤſte Heilige _ _ 31
  • Battologia der Papiſten _ _ 318
  • Bauch-Sorg machet mißtrauiſche Fra-
    gen _ _ 51
  • Behutſamkeit reiſender Zehrpfenning _ _ 28
  • Beicht-Kunſt welche 89. ſeqq. Beicht
    muß redlich/ voͤllig/ freymuͤndig/ demuͤ-
    tig/ und offentlich geſchehen 90. ihr
    Nutzen 94. unſerer Kirchen-Beicht
    Meinung und Verſtand 253. ſeqq.
    Beicht-Sachen ſoll man nicht offen-
    bahren welche und wie 93. Beicht
    Nothwendigkeit 91. Offentliche gemei-
    ne Beicht l. c. Was von der privat-
    Beicht zu halten 92. wird von den
    Calviniſten angefeindet. loc. cit.
  • Bernhardus vom Gewiſſen _ _ 61
  • Bezæ Lehre von Verlierung Goͤttlicher
    Gnade _ _ 40
  • Bilder-Thron im Papſtthum _ _ 97
  • Roͤmiſcher Biſchoff ein Himmel-fa[ll]en-
    der Stern _ _ 209
  • Bind-Schluͤſſel was 257. ſeqq. iſt zufaͤl-
    liger weiß heylſam 258. noͤthig 259, 265
    ſeqq. iſt verlohren _ _ 264
  • Boniſacius III. hat die groſſe Apoſtaſiam
    angefangen _ _ 209

  • Brodt was es heiſſe _ _ 52
  • Bruͤderliche Beſtraffung wohin ſie zielen
    ſoll _ _ 282
  • Boͤſe Buben genieſſen des Goͤttlichen
    Segens/ und warum _ _ 24
  • Buben-Stuck/ das abgehet/ iſt darum
    nicht recht _ _ 24
  • Buß/ rechte Art/ 81. was ſie erfordert 81
    ſeqq. iſt nothwendig 77. taͤglich/ war-
    um? _ _ l. c.
  • Bußfertiger Suͤnder Ancker 74. Freude
    bey GOtt _ _ 129
  • Buß-Fruͤchten rechtſchaffene 135. ſeqq.
    142.
  • Buß-Zeichen eigentliche _ _ 83, 135
  • Buß-Zucht iſt weltlichen Gerichten nicht
    zu wider 291, 299. ihre Grad ſeind ver-
    ſchwunden _ _ 309
  • Buß-Gloͤcklein _ _ 49

Appendix A.4.3 C


  • LAins Bann _ _ 307
  • Caji Caligulæ Krigs-Zug _ _ 73
  • Caroli V. Koͤnigs in Franckreich er-
    ſchroͤckliche Mummerey _ _ 276
  • Cenſura Collegialis _ _ 287
  • Chriſtus was und wie er gelehret 3. \&4.
    ein guter Paraboliſt l. c unſer Weg 105
    aller bußfertiger Suͤnder 106. Unſer
    Gnaden-Stuhl wie und waſſerley 101
    ſeqq.101. ſeqq. λύτρον \& δῶρον 128. der
    Schluͤſſel-Herꝛ 199. ſeqq. wie er in den
    ſechs Haupt-Stuͤcken erſcheinet 199
    ſeine Leidens-Band was ſie ſeyen 267
    ſeqq. Handel mit Juda _ _ 281, 305
  • Chriſtlicher Kirchen Klag uͤber ihre Ge-
    fangenſchafft _ _ 245. ſeqq.
  • Erſter Chriſten Gebetts Symphoni _ _ 315
  • Chryſoſtomus von der wunderlichen
    Weiſe
    [[339]]Regiſter der Sachen und Materien.
    Weiſe GOttes zu ſtraffen _ _ 49
  • Comœdien und Tragœdien haben bey
    den Alten einen ſchlechten Namen/ 42
    nach Chriſtlicher Prudentz angeſtellet/
    ſeind ſie nicht zu verdammen/ gut und
    nutzlich _ _ l. c.
  • Concilia wie ſie muͤſſen beſchaffen ſeyn
    297. ſeqq.
  • Creaturen ſeind unſere Diener/ Lehrmei-
    ſter 11, 12. was ſie von uns forderen l. c.

Appendix A.4.4 D


  • DAmaſcenus vom Schrifft leſen _ _ 9
  • Davids Hertzenleyd uͤber Abſolons
    Untergang 21. Gewiſſens Vergleiſte-
    rung _ _ 88
  • Demuth iſt beſſer als Reichthum 19. der
    demuͤthigen Symbolum _ _ l. c.
  • Geiſtliche Diæt welche _ _ 140
  • Dionyſius der Koͤnig ſcheuet die Arbeit
    nicht 59. iſt ein Bild groſſer Herren l. c.
  • Duellen und Kugel wechſeln ein Gottlo-
    ſes compoſitions Mittel _ _ 280
  • Duo cum faciunt idem, ſæpè non eſt
    idem
    _ _ 170

Appendix A.4.5 E


  • EDle ſollen am verlohrnen Sohn ler-
    nen ſich nicht auffs Gluͤck ver-
    laſſen 18. die ſich der Studien ſchaͤmen/
    ſeind ſchaͤdliche Leute _ _ 32
  • Edelleut ſeind oft unbaͤndige Wald-Eſel
    216.
  • Einbildung verfuͤhret und ſchadet viel 39,
    40.
  • Eliæ Lob/ und Gebett _ _ 311, 312.
  • ᾽Ελϑει῀ν εἰς ἑαυτὸν was es heiſſe _ _ 63
  • Engelland hat keine Woͤlffe/ woher _ _ 293
  • Epicureer Mittel wider das boͤſe Gewiſſen
    79.

  • Erkantnuß der Suͤnden allein machet kei-
    ne vollkommene Buß _ _ 80
  • Erb iſt unverdienlich/ ein Geſchenck 154
    ſq.
  • Evangeliſcher Schluͤſſel-Gewalt iſt recht/
    juſt und guͤltig _ _ 228
  • Ewiges Leben ein Lohn/ wie? 162. ein
    Erb/ wie? _ _ 155

Appendix A.4.6 F


  • FAßnacht-Spiel ſchroͤcklicher Auß-
    gang/ _ _ 276
  • Friedens-Kuß _ _ 121
  • Fruͤchten des geiſtlichen Lebens/ der Ge-
    ſundheit und Findung _ _ 137. ſeqq.
  • Fuͤhlloſigkeit bey einem Menſchen ein
    elender Zuſtand _ _ 38

Appendix A.4.7 G


  • GEbetts Zuſammenſtimmung _ _ 313
  • Was es vermag _ _ 316
  • Gedaͤchtnuß der Suͤnden gut/ wozu _ _ 134
  • Gefangenſchafft ein Bild unſers geiſtli-
    chen Elends 215. Geiſtliche Gefan-
    genſchafft allgemein _ _ 249
  • Gefangener Liſt ſich loß zu wuͤrcken _ _ 252
  • Geheimnuß von den erſten und letzten _ _ 182
    ſeqq.
  • Geitzige ſeind gefangene Sclaven _ _ 250
  • Geiſt GOttes wie er rathet _ _ 55, 56
  • Gerechtigkeit Evangeliſche welche _ _ 132
    wem ſie entgegen zu ſetzen 133. des
    Glaubens muß vollkommen/ feſt und
    gewiß ſeyn 160. ſeqq. Gottes iſt frey 77
    der Papiſten iſt dem Verdienſt Chriſti
    ſchmaͤhlerlich _ _ 133
  • Gerechtfertigter Bild und Kennzeichen
    _ _ 137. ſeqq.
  • Geſind ſoll ſich an dem verlohrnen Sohn
    ſpieglen _ _ 18

U u ijGeſundheit
[[340]]Regiſter der Sachen und Materien.
  • Geſundheit Fruͤchten und Zeichen _ _ 140
  • Gewalt der Schluͤſſel was und was er nit
    ſey 210. ſeqq. ſein Urſprung 193. wie
    er anzuſehen und zugebrauchen 197. iſt
    von Ewigkeit 202. ſeqq. im Paradiß
    verheiſſen/ l. c. gebuͤhret Chriſto allein
    203. gebraucht ihn noch mittelbar 205.
    wie man ſeiner zu genieſſen 205. ſeqq.
    Jſt danckens werth/ wie 217. ſeqq.
    Seine Lehre hat ihren Nutzen _ _ 215
    ſeqq.
  • Gewiſſen iſt ein inneres Hauß/ warum 61
    ſeine Schlaͤg 49. Nahmen 60. Prob/
    wie es damit zugehet 64. ſeqq. Troſt/
    auß der Abſolution _ _ 228
  • boͤſſen Gewiſſens falſche und wahre Mit-
    tel 79. ſeqq. Art 87. ſeqq. Vermaͤnte-
    lung und Brandmahl _ _ 88
  • wahrer Glaub reiſender Zehrpfenning 27
    Glaubens Weg/ Lob und Grad _ _ 107
    ſeq. Seligmachenden Glaubens Art
    111. Lehre von Gerechtigkeit des Glau-
    bens iſt noͤthig/ warum 162. Glaub er-
    greifft den Schluͤſſel-Schatz 207.
    Glaubens-Articul _ _ 329
  • Gnaden-Thron in der Schrifft/ welcher
    97. ſeqq.11. ſeqq. Gnaden-Throͤne
    im Papſtthum der Schrifft zu wider _ _ 96
  • Gnaden-Stuls im A. T. Weſen/ Geſtalt/
    Ampt _ _ 100. ſeqq.
  • Gottes Langmuth uͤberfluͤſſig 23. Uner-
    forſchlich 24. bricht endlich in Straffe
    auß 32. Gnade wol zu verwahren/ weil
    ſie verlierlich 40, 41. Gaben ἀμετα
    μέλητα 41. Vater-Hertz 75. Gerechtig-
    beit iſt frey 77. uͤbermuͤtterliche Lieb 116
    ſeqq. Liebreiche Vorſchau 117. ſeqq.
    Erbarmung 118. Streit zwiſchen ſei-
    ner Barmhertzig- und Gerechtigkeit 118
    120. Vorlauffende Gnade 120. Welche
    ſeiner Barmhertzigkeit faͤhig 122. wie
    man zu ihm kommen ſoll 123. was und
    wer er iſt 192 ſeine Leutſeligkeit _ _ 226
  • Gregorius M. von der Krafft des Loͤß-
    Schluͤſſels _ _ 235

Appendix A.4.8 H


  • HEbraͤer legen GOtt 4. Schluͤſſel zu
    194.
  • Heiligen Teuffel der aͤrgſte _ _ 106, 171. ſqq.
  • Heiligthums Thron im Papſtthum _ _ 97
  • Heiligthum/ was es ſey/ und wie es zu
    reinigen _ _ 256
  • Henricus IV. muß zu Rom Abſolution
    holen
  • Herodes Agrippa excedirt in allem _ _ 244
  • Heucheley/ was ſie ſeye/ und wie ſie heuti-
    ges Tages getrieben wird _ _ 127. ſeqq.
  • Hieronymus von den Gleichnuſſen 7. von
    dem Beruff Sauls und Judæ23, 24.
    Von den Vollſaͤuffern 30. Von Be-
    obachtung der Zeit 68. von den Juden-
    Thraͤnen uͤber das zerſtoͤrte Jeruſa-
    lem _ _ 86
  • Himmel/ was es heiſſe _ _ 89
  • Hoffart geiſtliche/ 165. ſeqq. Gott iſt ihr
    feind _ _ 169
  • Hoffart armer Leut ſtinckt/ wie es zu ver-
    ſtehen _ _ 163
  • Hoffmeiſter wie ſie mit ihren untergebe-
    nen zu verfahren _ _ 33
  • Hugo de S. Victore von den Creaturen _ _ 11
  • Hunger ein ſchwartzer Preß-Reuter/
    warum? _ _ 44

Appendix A.4.9 J


  • JAcobus de Voragine vom Marien-
    Thron _ _ 96

Joſephs
[[341]]Regiſter der Sachen und Materien.
  • Joſephs Bruͤder boͤſen Gewiſſens Ver-
    gleiſterung _ _ 88
  • Joſeph im Gefaͤngnuß Chriſti Fuͤrbild
    _ _ 203, 220
  • Judas falſche Buß iſt paͤpſtiſch vollkom-
    men _ _ 80
  • Juden ein hochmuͤthiges Volck _ _ 182.
    koͤnnen der Roͤmer Kriegs-Fahnen in
    der Stadt Jeruſalem nicht leiden _ _ 313
  • Junge Leute/ Studioſi, ſollen es machen
    wie Ulyſſes und Joſeph _ _ 33
  • Jſraeliten mußten ſich ihres Elends offt
    erinnern _ _ 216

Appendix A.4.10 K


  • ΚΕράτια was es heiſſe _ _ 45
  • Ketzer Woͤlff _ _ 294
  • Kinder/ ſo ungehorſam/ Straff 26. der
    Frommen Gnaden-Lohn _ _ l. c.
  • Kinder Gefahr iſt dreyerley 20. die groͤſte
    21.
  • Kinderloſigkeit beſchwerlich/ doch troͤſt-
    lich/ warum? _ _ 20
  • Kinds-Recht und Vater-Lieb halten feſt
    74, 75.
  • gantze Kirch hat den Schluͤſſel-Gewalt
    224.
  • Kirchen-Buß womit ſie umgehet _ _ 295
    wie ſie anzuſtellen 296. ſeqq. iſt weltli-
    chen Gerichten nicht zuwider/ 299. ihr
    End-Urſach und wozu ſie dienet _ _ 300
  • Klugheit der Reiſenden noͤthig 27. wach-
    ſame _ _ 141
  • Κολλει῀ν was es heiſſe _ _ 45
  • Koſt-Herren unverantwortliches proce-
    di
    ren im extra _ _ 33
  • Kuß des Friedens _ _ 121

Appendix A.4.11 L


  • LAngmuth Gottes unterſchiedlich 40
    uͤberfluͤſſig 23. unerforſchlich 24
    bricht endlich in Straffe auß _ _ 32
  • Lebens-Lauff des Menſchen ein Faßnacht-
    Spiel _ _ 277
  • Lebendigen Menſchens Merckzeichen _ _ 137
    ſeqq.
  • Leiblichen und geiſtlichen Lebens Fruͤchte
    137. ſeqq.
  • Liebe/ muͤtterliche Bluts-Liebe unvergeß-
    lich 115. ihre Verleugnung woher _ _ l. c.
  • Loͤß-Schluͤſſel/ was dabey vorgehe _ _ 231
    ſeqq. Nutz und Wuͤrckung 233. Be-
    ſchreibung 235. ſeqq. iſt allegmein 237
    nur einer l. c. kein opus operatum240,
    241. wer ſeiner faͤhig 247. ſeqq. Man
    muß kluͤglich damit umgehen 248, 254
  • Lutheri Meinung vom Buch Judith und
    Tobiæ43. Er hat den paͤpſtiſchen
    Bann-Schluͤſſel beſchnitten _ _ 263
  • Lutheriſche Phariſaͤer/ welche 151. Heuch-
    ler 177. ſeqq. ſtoltze Phariſaͤer _ _ 168

Appendix A.4.12 M


  • MAſchal was es heiſſe _ _ 4
  • Marien-Thron _ _ 96
  • Maximilianus verirret auff einer Hirſch-
    Jagt/ und kom̃t in Lebens-Gefahr _ _ 201
  • Menſchen von Natur Woͤlffe _ _ 294
  • Mittel-Mangel iſt auch Hunger _ _ 47
  • Muͤtterliche Blut-Liebe unvergeßlich 115
    ihre Verleugnung woher _ _ 115. ſeqq.

Appendix A.4.13 N


  • NOvatus ein Gnaden-Feind und
    Buß-Moͤrder _ _ 76

Appendix A.4.14 O


  • Offenbahrung Johannis iſt eine Co-
    mœdia
    _ _ 43

U u iijOhren-
[[342]]Regiſter der Sachen und Materien.
  • Ohren-Beicht iſt ungereumt _ _ 93
    Schrifftloß/ unmuͤglich/ verworffen
    94.
  • Origenes in cap.20. Exodi. _ _ 49
  • Ottonis IV. Bußzucht _ _ 262

Appendix A.4.15 P


  • PApſt wil den Engeln gebieten _ _ 211
    wird Eyd-bruͤchig l. c. hat unter dem
    Schluͤſſel-Schein mit groſſen Haͤup-
    tern geſpielet 217. warum keiner Petri
    Namen traͤgt _ _ 223
  • Papiſten machen Petrum allein zu einem
    Schluͤſſel-Verwalter 221. iſt es aber
    nicht 222. laͤſtern auff uns wegen der
    guten Werck 142. erklaͤren den Schluͤſ-
    ſel-Gewalt nicht recht/ und wie 210
    ſeqq. ihrer Wallfahrten Nichtigkeit
    73. Ohren-Beicht iſt nichts nutz 94
    Gnaden-Throͤn _ _ 96
  • Paͤpſtiſche Ordens-Leut den alten Pha-
    riſaͤern gleich 150. ſeqq. Gerechtigkeits-
    Ruhm/ Lehre uñ Strenge 159. ſeqq. ihr
    Hochmuth 167. φιλαυτία l. c. Heuche-
    ley und eygen Ruhm 176. ſeqq. ihre
    Straff-Buß widerlegt 248. Buß-
    carnificin262. Paͤpſtiſches Kaͤyſer-
    thum gilt nicht 298. Battologia _ _ 318
  • Parabeln was bey ihnen zu mercken und
    zu unterſcheiden 6. ſeqq. vom verlohr-
    nen Sohn ihre Summa und Gelegen-
    heit _ _ 182, 183
  • Pareus von Glaubens-Artieuln _ _ 329, 330
  • Perſonen Unterſcheid in der Gottheit _ _ 195
  • Petrus iſt nicht allein Schluͤſſel-Ver-
    walter 221, Petri Ketten-Feyer woher
    268.
  • Phariſaͤer Mittel wider das boͤſe Gewiſſen
    79.

  • Phariſaitmus ſteckt uns allen im Bu-
    ſen 85. 159, Phariſaͤer Urſprung 145
    Unart 146. ſeqq. heutige wer ſie ſeind
    150. der alten Phariſaͤer Jrꝛthum 149
    Gerechtigkeit 156. ſeqq. Ordens-
    Strenge 158. Hochmuth 166. Vor-
    laͤuffer der Novatianer l. c. ihre Heu-
    cheley _ _ 175. ſeqq.
  • Φιλαυτία 165. ein allgemeines Unkraut _ _ 168
  • Philippus laßt einem Soldaten ein Zei-
    chen auffbrennen/ warum? _ _ 16
  • Pilgrim rechte/ welche 113. welche nicht 112
    Pilgrims Kunſt geiſtliche _ _ l. c.
  • Poſtillen nicht zu hart zu trucken _ _ 10
  • Pracht-Hanſen was ſie in Theurung zu
    gedencken _ _ 48
  • Πράγματα vorfallende vielerley _ _ 317
  • Predigten wem ſie zu halten 9. wie ſie ſol-
    len beſchaffen ſeyn _ _ 180
  • Pythagoræ Y. _ _ 181

Appendix A.4.16 R


  • Raͤthe unterſchiedliche 56. des verlohr-
    nen Sohns 53. ſeqq. der beſte 57, 58
    ihre Ordnung _ _ l. c.
  • Rechtfertigung erſter Handel 63. ſeqq.
    was ſie ſey _ _ 68
  • Recidiv geiſtliche hoͤchſtſchaͤdlich _ _ 244
  • Reformirten haben den rechten Loͤß-
    Schluͤſſel nicht 238. vertraͤhen ihn _ _ 239
  • Reichthum fuͤhret Hochmuth mit ſich _ _ 15
  • Reiſen im rechten Gebrauch iſt nutzlich
    26. raſende Reiß-Sucht ſchaͤdlich 27
    Reiſen muß mit Gottesforcht ange-
    ſtellet werden l. c. Reiß-haͤſſige ſeind
    monſtra naturæ _ _ l. cit.
  • Reu der Suͤnden rechte _ _ 84
  • Ring am Finger was ſie bedeuten _ _ 127
  • Rizpa eine liebtragende Mutter _ _ 115

S.
[[343]]Regiſter der Sachen und Materien.

Appendix A.4.17 S


  • SAufftmuth in der Bußzucht und
    bruͤderlichen Beſtraffung _ _ 283
  • Sauls Buß mangelhafftig _ _ 80
  • Scandalum, quid, _ _ 271. ſeqq.
  • Schamajim, Cœli, was es heiſſe _ _ 89
  • Schlangen-Art _ _ 146
  • Schluͤſſel-Gewalt nicht zu verachten 227
    wird verſpottet _ _ 250, 251
  • Schluͤſſel-Verwalter _ _ 219. ſeqq224.
    ſeqq.
  • Schuh/ Zeichen der Freyheit _ _ 127
  • Schwartze Kunſt die ſchwerſte Suͤnde/
    doch vergeblich _ _ 240
  • Selbs-Lieb ſteckt in allen _ _ 17
  • Selbs-Gericht und Verdammnuß _ _ 187
    nothwendig 68. Ordnung und Pro-
    ceß _ _ 69
  • Selbs-Erkantnuß 179. nutzlich _ _ 186
  • Seelen-Gewinn der Bußzucht Zweck
    290.
  • Weg zur Seligkeit bitter ſaur _ _ 110
  • Sendung des Sohns GOttes benimt
    ſeiner Goͤttlichen Gleichheit nichts 195
    wie ſie geſchehen _ _ 196
  • Serveti Geſchrey an ſeinem End _ _ 123
  • Sicherheit aller Schandlaſter Mutter _ _ 29
  • Soͤhne und Toͤchter was ſie am verlohr-
    nen Sohn zumercken _ _ 18
  • verlohrnen Sohns Hiſtori ob ſie warhaff-
    tig 6, 13. Urſach 5. Jnhalt/ Theil 7. ſeqq.
    wer ſein Vater und Bruder 8, 23. ſeine
    Undanckbarkeit 11, 15. ſechsfaches
    Gluͤck 13, 14. Hochmuth und ſelbs-Lieb
    15. Ungehorſam und andere Laſter
    21. ſeqq. iſt ein unſinniger Reiſer 28
    Freſſer und Hurer 30. ſeine Reiß-Ge-
    ſellen 31, 32. ſtehet am Pranger/ rufft
    uns zu l. c. Verderben und elender Zu-
    ſtand 36. ſeqq. unſer Schroͤck- und
    Anmahnungs-Bild 39, 40. ſeine
    Buß-Glockẽ 44. ſeqq. Rathgeber uñ
    Raͤthe 53. Wald-Liedlein l. c. Gewiſ-
    ſens-Pruͤfung 62. ſelbs-Verdamnuß
    67. Ruck-Reiſe 71, 72. ſeqq. Beicht
    und Buß 81, 89. Glaubens-Weg 107
    geiſtliche Jnveſtitur 125. todt und ver-
    lohren/ wie 130, 131. Bild eines gerecht-
    fertigten 137. ſein Bruder ein Phari-
    ſaͤer 147. deſſen Blindheit l. cit. ver-
    meinte Gerechtigkeit 156. ſeqq. Hoch-
    muth 165. Heucheley _ _ 174. ſeqq.
  • Socrates vertraͤgt Xantippe Boßheit mit
    Gedult _ _ 287
  • Spiel/ Comœdien und Tragœdien haben
    bey den Alten einen ſchlechten Namen
    42. nach Chriſtlicher Klugheit ange-
    ſtellet ſeynd ſie nicht zu verdammen 43
    warum l. c.
  • Suͤnden zweyerley 89. Suͤnden-Sta-
    chel unertraͤglich 81. Suͤnden-Reu/
    Haß/ Furcht/ Scham 82. ſeqq. Suͤn-
    den-Fall niemand vorzurucken _ _ 144
  • womit einer ſuͤndiget/ damit wird er
    auch geſtrafft 46. Offentliche/ hart-
    naͤckige Suͤnder ſeynd nicht zu abſol-
    vi
    ren _ _ 248
  • ςόλη ἡ πρώτη, welche _ _ 126
  • ςοργὴ unvergeßlich _ _ 115
  • Straffen GOttes ſeynd Buß-Glocken
    46. ihr Zweck _ _ l. c.
  • Straff-Ruthen _ _ 49
  • Studioſorum fleiſſiger Lob und Lohn 34
    die ſich der Studien ſchaͤmen/ ſeind
    ſchaͤdliche Leute 32. beguͤterte ſollen ihre
    Mittel wol anwenden _ _ 18

Studioſi
[[344]]Regiſter der Sachen und Materien.
  • Studioſi Theologiæ haben an Chriſto zu
    lernen/ wie und was ſie lehren ſollen 8.
    ſollen die Poſtillen nicht ſo wol trucken
    10. nicht Schluͤſſel-ſuͤchtig ſeyn oder
    Practicken brauchen zur Promotion
    227.
  • Stutzer/ ſo verthuniſch/ ſollen ſich am ver-
    lohrnen Sohn ſpieglen _ _ 47
  • Συγκατάβασις Divina _ _ 121

Appendix A.4.18 T


  • TErentii Epitaphium _ _ 11
    der Teutſchen Teuffel heißt Sauff _ _ 31
  • Teuffel iſt verſchlagen/ argliſtig/ Gottes
    Aff 172, 173. ſein Rath/ dilemma, Ver-
    ſuchung 54, 56. Tranck-Gelt fuͤr ſeine
    Diener _ _ 39
  • Teuffels-Banner iſt der Loͤß-Schluͤſſel
    235.
  • Teutſchland ein Handvoll boͤſer Buben _ _ 31
  • Theodoſii Kirchen-Buß _ _ 302
  • Theophylactus von GOttes Gerichten
    179.
  • Toͤchter und Soͤhne ſollen am verlohrnen
    Sohn witzig werden _ _ 18
  • Todt politiſch 131. Todes-Stund ſchnell
    und ungewiß _ _ 78
  • Tugend-Ruhm iſt nicht verbotten/ wie
    und wo _ _ 169
  • goͤttliche Traurigkeit _ _ 82

Appendix A.4.19 V


  • VAters Lieb und Kinds-Recht ſtehen
    feſt _ _ 74, 75
  • Vergebung der Suͤnden ein pur Goͤttli-
    ches Werck _ _ 193. ſeqq.
  • Venus die liebſte Goͤttin _ _ 31
  • Vernunffts-Rath 54. iſt nichts nutz _ _ 57

  • Verſoͤhnung mit Gott iſt muͤglich 76. ihre
    Lehre honig-ſuͤß 77. wie ſie beſchaffen
    125. menſchliche Verſoͤhnung wie ſie
    zuweilen beſchaffen _ _ 124, 125
  • Unbarmhertzige was ſie zu gedencken _ _ 48
  • Undanckbarbeit ein gemeines Laſter _ _ 17
    ihre Straff _ _ 16
  • Unwiſſenheit in Glaubens-Articuln un-
    verantwortlich 151. verdamlich _ _ 152
    ſchaͤndlich _ _ 153
  • Vorſchau GOttes zur Liebe _ _ 117. ſeqq.
  • Vorſtellungen wie ſie anzuſehen _ _ 300
    ſeqq.

Appendix A.4.20 W


  • WEiber Pracht unverantwortlich _ _ 32
  • Welt-Gluͤck ein Traum 34, 35. ein
    Vorbott des Zorns GOttes _ _ 36
  • Welt-Urtheil von jungen Leuten _ _ 39
  • gute Werck werden von Lutheriſchen nit
    verbotten 142. machen nicht gerecht 161
    162. ſeynd nothwendig _ _ 142
  • Widervergeltungs Recht bey GOtt _ _ 50
  • Wiſſenſchafft des Glaubens wie dazu zu-
    kommen _ _ 153
  • Wolcken-Seul der Kinder Jſrael 163
    was _ _ 319
  • Wolffs-Jagt geiſtliche _ _ 294, 295
  • Wolluͤſtler was ſie in Theurung zu geden-
    cken/ wie auch die Wucherer _ _ 48

Appendix A.4.21 Z


  • ZOrns Natur 285. Mittel darwider
    286.
  • Zuchtpredigen vergebens wie 308. ſeqq.
    nicht vergebens _ _ 309
  • Zuhoͤrer ſollen lernen Chriſti Parabeln
    verſtehen _ _ 8

ENDE.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Catechismvs Milch/ Oder Der Erklärung des Christlichen Catechismi Zehender und letster Theil. Catechismvs Milch/ Oder Der Erklärung des Christlichen Catechismi Zehender und letster Theil. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpd7.0