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[]
Gemæhlde
von
St. Petersburg

Erster Theil

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Riga,: 1794.
bei Johann Friedrich Hartknoch.

[][[I]]

Ihrer
Kaiſerlichen Majeſtaͤt
Katharina der Zweyten
Selbſtherrſcherinn
von ganz Rußland.


[[II]][[III]]

Allergnaͤdigſte Kaiſerinn!
Ich habe es gewagt, das Gemaͤlde
einer Reſidenz zu entwerfen, die Ew.
Majeſtaͤt
ihr zweytes verſchoͤnertes
Daſeyn und ihre erhoͤhete buͤrgerliche
Gluͤckſeligkeit verdankt. Ich habe das
ſuͤße Vergnuͤgen gehabt, Thatſachen zu-
ſammenzuſtellen, die den milden Glanz
Mark Aurels verherrlichen, den Schim-
mer des Weltbeherrſchers Auguſtus uͤber-
ſtralen und Stoff fuͤr die Geſchichte
eines Jahrhunderts hergeben koͤnnten.
Meine Belohnung iſt das Bewußtſeyn,
einzelne Zuͤge aus dem Bilde einer
großen und guten Fuͤrſtinn fuͤr die
[[IV]] Bewunderung meiner Zeitgenoſſen aus-
geſtellt und der Nachahmung kommen-
der Geſchlechter uͤberliefert zu haben.


Schuͤchtern lege ich Ew. Majeſtaͤt
dieſe Erſtlinge einer von Vaterlands-
liebe befruchteten Muſe zu Fuͤßen;
gluͤcklich, wenn ich es wagen darf, bey
dieſer Gelegenheit die ehrfurchtsvolle
Bewunderung laut werden zu laſſen, mit
welcher ich bin
Ew. Kaiſerlichen Majeſtaͤt
allerunterthaͤnigſter
Heinrich Storch
Kollegie[n]aſſeſſor beym Kabinett, in
der Kanzelley S. E. des Grafen
Besborodko.


[[V]]

Vorerinnerung.


Es ſcheint ein gewagtes Unternehmen, die
Sittengeſchichte der Menſchen zu ſchreiben,
in deren Mitte man lebt. So unzertrenn-
auch immer Licht und Schatten in jedem
Gemaͤlde ſind, ſo unausbleiblich gewiß macht
doch jedes Publikum die Forderung, in ſei-
nem
Gemaͤlde keinen Schatten zu finden.


Der Verfaſſer dieſes Buchs ſah dieſe
Schwierigkeit voraus, und — gieng ihr ge-
troſt entgegen. Der ernſte Vorſatz, ſich
keines, auch noch ſo verzeihlichen Muth-
willens ſchuldig zu machen; das Ideal ſei-
nes Gegenſtandes ſelbſt, der an ſchoͤnen,
lichten und glaͤnzenden Zuͤgen ſo reich iſt;
* 3
[VI] endlich ein gewiſſes dunkles Gefuͤhl von der
Billigkeit ſeines Publikums gaben ihm den
Muth, ein ſo ſchweres, aber in ſich ſo be-
lohnendes Geſchaͤft zu uͤbernehmen.


Thatſachen und Raiſonnements ſind der
Stoff dieſes Gemaͤldes. Ueber beydes iſt der
Verfaſſer dem Leſer einige Rechenſchaft
ſchuldig.


Wenn ſich unter einer ſo großen, auf
ſo wenige Bogen zuſammengedraͤngten An-
zahl von Thatſachen einzelne Irrthuͤmer
finden ſollten, ſo duͤrfte dies wol weniger
der Traͤgheit oder Leichtglaͤubigkeit des Ver-
faſſers, als dem allgemeinen Schickſal menſch-
licher Unternehmungen zuzuſchreiben ſeyn.
Nur hin und wieder war es moͤglich und
ſchicklich ſich auf Quellen und Gewaͤhrs-
maͤnner zu beziehen. Ein großer Theil der
angefuͤhrten Thatſachen gruͤndet ſich auf
eigne Beobachtung, und fuͤr dieſe giebt es
keine andere Autoritaͤt, als die hiſtoriſche
Glaubwuͤrdigkeit, oder das Zutrauen, wel-
ches der Schriftſteller ſeinem Leſer in hoͤ-
[VII] herm oder geringerm Grade einzufloͤßen weiß.
Mehrere Angaben ſind aus hier gedruck-
ten Anzeigen, Planen und fliegenden Blaͤt-
tern genommen, die nicht leicht außer der
Sphaͤre ihrer Beſtimmung bekannt werden,
und deren Anfuͤhrung alſo dem deutſchen
Leſer unnuͤtz geweſen ſeyn wuͤrde. Die
Hauptquelle endlich, an welche der Verfaſ-
ſer ſich uͤberall gehalten hat, wo die Huͤlfs-
mittel ſeiner eigenen Nachforſchungen ihn
verließen, die Beſchreibung des Herrn Aka-
demikus Georgi*), iſt nur deswegen ſo
ſelten genannt, weil ſie ſonſt zu oft haͤtte
genannt werden muͤſſen, und weil von der
Kritik ohnehin die Vergleichung zweyer,
in einiger Hinſicht ſo aͤhnlichen Arbeiten
* 4
[VIII] zu erwarten ſieht. In den mehreſten Zahl-
angaben iſt der Verfaſſer dieſem ſeinem
Vorgaͤnger ohne Abweichung gefolgt, theils
weil ihm oft die Mittel zur Pruͤfung der-
ſelben verſagt waren, theils auch weil er
da, wo er pruͤfen und vergleichen konnte,
eine Genauigkeit und Uebereinſtimmung fand,
die ſein Zutrauen zu dieſem Schriftſteller
um vieles erhoͤhten. Einzelne Abſchnitte
haben durch die Kritik einſichtsvoller Maͤn-
ner, deren Gewerbe und Aemter ihnen ei-
ne richtigere Kenntniß der Dinge gewaͤh-
ren, an Vollkommenheit und Beſtimmtheit
gewonnen.


Alles was Raiſonnement in dieſem Bu-
che iſt, gehoͤrt dem Verfaſſer; der Werth
oder Unwerth dieſer Parthie darf alſo nur
auf ſeine Rechnung geſchrieben werden.
Seine Sorgfalt, ſich von keinem fremden
Urtheil leiten zu laſſen, bewog ihn zu dem
Entſchluß, uͤberall keins zu leſen; ein Ent-
ſchluß, den er durch eine jahrelange Auf-
merkſamkeit, und vielleicht durch eine klei-
[IX] ne Gabe zu beobachten, aufzuwiegen ſuchte.
So entſtand ein fruͤherer Verſuch, der auf
ſeiner Reiſe zum Druckorte verloren gieng,
und den die berichtigte Einſicht des Ver-
faſſers ſeinem unbekannten Schickſale mit
einer Gelaſſenheit uͤberließ, die ſich an den
rege gewordnen Wunſch kettete, etwas beſ-
ſers zu leiſten. Drey Jahre unausgeſetz-
ter Beobachtung waren dem erſten Verſuch
gewidmet geweſen; ein aͤhnlicher Zeitraum
iſt jetzt uͤber der Vollendung des zweyten
verſtrichen; und wenn die Horaziſche For-
derung bey der Erſcheinung dieſes Werks
noch nicht erfuͤllt wird, ſo iſt das Uebel
weniger dem guten Willen des Verfaſſers,
als dem Ueberdruß zuzuſchreiben, welcher
ihm natuͤrlich aus einer ſo einfoͤrmigen Be-
ſchaͤfftigung entſtehen mußte.


Der Verfaſſer koͤnnte hier ſchweigen
und das Schickſal ſeines Buchs der alles
richtenden Zeit uͤberlaſſen, die fruͤh oder
ſpaͤt ihr immer gerechtes Urtheil faͤllt.
Aber unter allen Vorwuͤrfen die man den
* 5
[X] Buͤchermachern auf den Hals werfen kann,
ohne daß ſie daruͤber unwillig zu werden
oder zu erroͤthen brauchen, giebt es den-
noch einen, gegen den ſich das Gefuͤhl je-
des ehrlichen Mannes empoͤrt. Dieſer
Vorwurf, den der Verfaſſer von einer ge-
wiſſen Klaſſe von Leſern ſchon bey der
bloßen Anſicht des Titelblattes erwartet,
iſt nichts geringers als — die goͤttliche
Wahrheit in der geſchloßnen Hand
behalten zuhaben
.


Wahrheit und Unwahrheit ſtehen be-
kanntlich ſehr weit auseinander. Gefliſ-
ſentlich Unwahrheit verbreiten, iſt das ſchaͤnd-
lichſte und fuͤr die Menſchheit ſchaͤdlichſte
Geſchaͤfte, welchem ſich ein Schriftſteller
preis geben kann; aber Wahrheit zuruͤckbe-
halten wo es Noth thut (und daß es je-
zuweilen Noth thut, darf hier wol nicht
bewieſen werden) iſt ein Verdienſt, welches
zwar nur undankbare Fruͤchte traͤgt, zu deſ-
ſen Erwerbung aber ein ſehr aufgeklaͤrter
und durch praktiſche Welt und Menſchen-
[XI] kenntniß gelaͤuterter Kopf und ein ſehr ge-
fuͤhlvolles, fuͤr Menſchengluͤck und Men-
ſchenelend empfaͤngliches Herz gehoͤren.
Ohne ſich eigenmaͤchtig in dieſe Kathegorie
draͤngen zu wollen, uͤberlaͤßt es der Ver-
faſſer der Leſewelt oder vielmehr den Op-
timaten in derſelben, den Ausſpruch zu
thun, in wie weit er, mit Ruͤckſicht auf ſei-
ne buͤrgerlichen und moraliſchen Verhaͤlt-
niſſe, die haarfeine Linie zwiſchen dem Zu-
viel und Zuwenig gehalten, oder diſſeits und
jenſeits uͤberſchritten habe.


Unter der großen Menge von Thatſa-
chen die in dieſem Buche aufgefuͤhrt ſind,
gehoͤrt ein betraͤchtlicher Theil zu der Gat-
tung derer, welche die Nachwelt aufleſen
und die Geſchichte dereinſt in einen Kranz
flechten wird, um ihn im Tempel der Un-
ſterblichkeit um Katharinens Denkmal
zu winden. Selbſt ein Buͤrger Ihres
Staats, ein Zeitgenoſſe dieſer Begebenhei-
ten, iſt der Verfaſſer vielleicht durch ſeine
allzuinnige Theilnahme hie und da aus der
[XII] Bahn des kalten Beobachters in den ma-
giſchen Kreis ſtaunender Bewunderung fort-
gerißen worden; aber nie hat er wiſſent-
lich die Wahrheit verkauft, um erborgten
Enthuſiasmus dafuͤr einzutauſchen. Ein
Mann, der ein Buch dieſer Art an den
Fuß dieſes Thrones niederlegt, darf den
Vorwurf der Schmeicheley nicht befuͤrchten,
und wuͤrde ihn verachten, wenn er ihn zu
befuͤrchten haͤtte. St. Petersburg im No-
vember 1792.


[[XIII]]

Anmerkung.


Die Beſtimmung dieſes Buchs, welches ſein
Publikum weniger unter eigentlichen Gelehrten,
als in der großen Leſewelt ſuchen muß, macht
folgende Erlaͤuterungen nothwendig. Wo uͤber-
all von Maaßen und Gewichten die Rede iſt,
da werden Ruſſiſche verſtanden, wenn nicht aus-
druͤcklich das Gegentheil bemerkt iſt. Der ruſſi-
ſche Fuß iſt dem engliſchen voͤllig gleich. Eine
Klafter (Saſhen’) haͤlt 7 Fuß, und eine Werſt
500 Klafter. Auf eine geographiſche (deutſche)
Meile gehen alſo ungefaͤhr 6 Werſt und 475 Klafter.
Die Arſhin hat 28 engliſche Zoll. Ein Tſyetwe-
rik (Getreidemaaß) haͤlt an getrocknetem Roggen
1 Pud. Das Pud hat 40 Pfund, 45 ſolcher ruſ-
ſiſchen Pfunde ſind 38 hamburgiſchen gleich. —
Es bedarf wol kaum der Anzeige, daß der Rubel
aus hundert Kopeken beſteht, und daß im ganzen
Reiche der Julianiſche Kalender oder der alte Stil
gebraͤuchlich iſt.


Die Rechtſchreibung ruſſiſcher Wor-
te
im deutſchen iſt noch ſo unbeſtimmt, daß es
jedem Schriftſteller verziehen werden kann, wenn
er ſich ſeine eigne waͤhlt. Man hat ſich in dieſem
Buche durchgehends ſo genau als moͤglich an die
[XIV] Ausſprache gehalten, ſo weit es ſich ohne Affek-
tation thun ließ. Einzelne ruſſiſche Mitlauter,
fuͤr die wir kein entſprechendes Zeichen haben,
ſind auf eine willkuͤhrliche Art erſetzt. Dahin ge-
hoͤrt das Shiwete, welches dem franzoͤſiſchen g
vor e und i entſpricht, und durch ſh bezeichnet
iſt, z. B. Saſhen’. Statt des kleinen Jev’s,
welche den Sylben, hinter welche es geſetzt wird,
eine eigenthuͤmliche Dehnung in der Ausſprache
giebt, iſt uͤberall das Auslaſſungszeichen gebraucht,
z. B. Sbiten’.


Die Kupfer, mit welchen der Herr Verleger
dem Publikum hoffentlich ein eben ſo willkomm-
nes als intereſſantes Geſchenk macht, erklaͤren
ſich wahrſcheinlich jedem Leſer von ſelbſt. Nur
uͤber die Suͤjets der Titelvignetten ſcheint
eine kurze Erlaͤuterung nicht uͤberfluͤßig zu ſeyn.
Um ihre Bedeutung zu fuͤhlen, muß man ſich an
die Betrachtungen (Th. 1. S. 72. folg.) erin-
nern, zu welchen ſich der Verfaſſer bey dem Ue-
berblick uͤber dieſe prachtvolle Reſidenz und von
dem Gedanken an ihre wunderbar ſchnelle Ent-
ſtehung
und Vollendung hinreiſſen ließ.
Dieſe beyden ſo nahen und durch die Geiſtesver-
wandſchaft Peter’s und Katharinens ſo
merkwuͤrdigen Epoken auf eine ſinnliche Art in
Parallele zu bringen, iſt der Zweck des Kuͤnſtlers.
Auf dem erſten Blatte ſehen wir den Stifter der
Kaiſerſtadt mit dem Entwurf zu ihrer Erbauung
beſchaͤftigt. Es war am 16 May 1703 als der
Grund zur Feſtung gelegt wurde; in eben dieſem
Jahr landete das erſte Schiff, vom Zufall gefuͤhrt,
[XV] in der Neva. Peter hatte Anfangs dieſe Stelle
nur zur Errichtung einer Schanze beſtimmt, um
die Muͤndung des Fluſſes zu decken; das Schick-
ſal ſchien ihm einen Wink uͤber die kuͤnftige hoͤ-
here und nuͤtzlichere Beſtimmung derſelben zu ge-
ben, und Peter verſtand dieſen Wink. Er eil-
te den Fuͤhrer des Schiffs, einem Hollaͤnder, ent-
gegen, bewillkommte ihn freundlich, kaufte ihm
ſeine Ladung ab und ermunterte ihn, jaͤhrlich ein-
mal wieder zu kommen, um ſich eine Belohnung
zu holen, die ihm auch bis auf ſeine letzte Reiſe
ausgezahlt ward.


Von dieſem Zeitpunkt bis zu der Epoke der
glaͤnzendſten Vollendung durch Katharina die
Zweyte
iſt nur ein Zeitraum von achtzig Jahren,
die Dauer eines Menſchenlebens, verfloſſen. Im
Jahr 1782 errichtete dieſe Fuͤrſtinn ihrem Vor-
gaͤnger das beruͤhmte Monument, deſſen Darſtel-
lung wir auf dem Titelblatte des zweyten Theils
erblicken. Alle die unzaͤhligen Denkmahle, mit
welchen Katharina ſich und ihrem Ahnherrn
die Unſterblichkeit ſicherte, auf einem ſo begrenz-
ten Umfange auch nur ſymboliſch andeuten zu
wollen, hieße die Kunſt und ihren Gegenſtand her-
abwuͤrdigen; dieſes große Suͤjet faßt ſie alle.
Der außerordentlichſte Mann ſeines Volks mußte
auf eine außerordentliche Art verewigt werden.
Ein ſeltner Kuͤnſtler, eine ſublime Idee, ungeheu-
re Anſtrengungen und die Schaͤtze der freygebig-
ſten Monarchinn vereinigten ſich zu dieſem End-
zweck, ſelbſt die Natur ſchafte aus ihrer geheimen
Werkſtatt eine rieſenmaͤßige Maſſe herbey. Am
[XVI] 7 Auguſt 1782 ward das Denkmal in Gegenwart
der Kaiſerinn, unter dem Donner der Kanonen
und dem Jubelgeſchrey eines unermeßlichen Volks
eroͤffnet. Dies iſt der Moment, welchen der Kuͤnſt-
ler in der Darſtellung gefaßt hat. Die Kaiſerinn
ſtand auf dem Balkon des Senatspallaſtes und
unter den Zuſchauern befand ſich ein Greis der
ſchon im Jahr 1715 bey der Flotte in Dienſt ge-
treten und zehn Jahre hindurch ein Augenzeuge
von Peters Thaten geweſen war. Das Anden-
ken dieſes merkwuͤrdigen Tages ward nicht bloß
durch koſtbare Medaillen geſichert. Eine Gnaden-
ukaſe — durch welche alle mehr als zehnjaͤhrige
Prozeſſe aufgehober, alle fuͤnf Jahr in Verhaft
geweſene Schuldner frey gegeben, und alle Forde-
rungen der Krone unter 500 Rubel erlaſſen wur-
den — erhaͤlt die Ruͤckerinnerung an dieſen Tag
noch in den Herzen aller gefuͤhlvollen Menſchen.


[[I]]

Inhalt des erſten Theils.


Erſter Abſchnitt.
Lokale der Stadt


  • Politiſche Lage von St. Petersburg. — Phyſikali-
    ſche. Klima. Eigenthümlichkeiten jeder Jahrszeit.
    — Phyſiognomie der Stadt. Situation. Um-
    fang. Begrenzung. Rigiſches Thor. — Die Ne-
    wa, ihre Einfaſſung, ihre Brücken, und ihre Eis-
    decke im Winter. Kanäle. — Anzahl und Be-
    ſchaffenheit der Häuſer. Gaſſen. — Stadttheile.
    Lokale und Eigenthümlichkeiten derſelben. Erſter
    Admiralitätstheil. Winterpallaſt. Eremitage. Hof-
    theater. Marmorpallaſt. Amphitheater. Admira-
    *
    [II] lität. Marmorne Iſaakskirche. Sommergarten.
    Oeffentliche Plätze. Die newskiſche Perſpektivgaſſe.
    Karakteriſtik dieſes Stadttheils. — Zweyter
    Admiralitätstheil. Opernhaus. Kaſaniſche und
    Nikolaikirche. — Dritter Admiralitätstheil. Neue
    Bank. — Stückhof. Arſenal. Tautiſcher Pal-
    laſt. — Roſheſtwenskiſcher Stadttheil. Woskre-
    ſenskiſches Nonnenkloſter. Kloſter des heil. Alex-
    ander Newski. — Moskowiſcher Stadttheil.
    Jägerhof. — [Waſſili Oſtrow]. Akademie der
    Künſte. Landkadettenkorps. Akademie der [Wiſ-
    ſenſchaften]
    . Neue und alte Börſe. — Peters-
    burgiſcher Stadttheil[.] Ländliche Inſeln und Som-
    merpalläſte. Feſtung. — Wiburgiſcher Stadt-
    theil. Landhäuſer. — Ruhepunkt und Rückblick
    auf das Ganze. Seite 3

Zweyter Abſchnitt.
Umliegende Gegend.


  • Der peterhoffſche Weg. Seine Beſchaffenheit. Rei-
    zende Anſichten von demſelben. — Strelna. Rui-
    nen. — Peterhof. Lage. Waſſerkünſte. Bad.
    Prächtige Bauerhütte. — Oranienbaum. Ein-
    ſiedeley. Rutſchberg. Künſtlicher See. Kleine Fe-
    ſtung. — Kronſtadt. Anblick des Hafens. Gra-
    [III] niteinfaſſug. Peterskanal. Docken. Neuer Kanal.
    Magazin. Einwohner. — Der zarskojeſeloiſche
    Weg. — Jägerhof. — Tſchesme Fürſtengal-
    lerie. — [Zarskoje Selo]. Gegend und Umfang.
    Anblick. Schloßplatz. Pallaſt. Garten. Denk-
    mäler. — Pawlowsk. — Marienthal. —
    Gatſchina. — Der ſchlüſſelburgiſche Weg. —
    Alexandrowsk. — Pella. Seite 75

Dritter Abſchnitt.
Einwohner.


  • Volksmenge. — Urſprüngliche Einwohner. Ingrier
    und Finnen. Hauptſtamm der Bevölkerung. Ruſ-
    ſen. Fremde Einwohner. — Fruchtbarkeit,
    Sterblichkeit und Geſundheitszuſtand. Fortſchritt
    der Bevölkerung. — Phyſiſcher Karakter der
    Einwohner. — Bürgerliche Verfaſſung. Hof
    und Stadt. Bürgerbuch. Gilden. Stadtgemeine.
    — Kirchliche Verfaſſung. Seite 104

* 2
[IV]

Vierter Abſchnitt.
Konſumtion.


  • Einheimiſche Bedürfniſſe der Reſidenz. Brod; öf-
    fentliches Mehlmagazin. Waſſer. Salz. Fleiſch.
    Fiſche. Vegatibilien. Getränke. — Brennholz.
    Holzmagazin. — Lebensart und Bedürfniſſe der
    unterſten Volksklaſſe. — Märkte für Lebens-
    mittel. Rasnoſchtſchiki. Seite 139

Fuͤnfter Abſchnitt.
Oeffentliche Sicherheit.


  • Polizey. Wichtigkeit dieſes Gegenſtandes. Perſönliche
    Sicherheit, durch Katharina die Zweyte geſetzmä-
    ßig [konſtituirt]. Das Gewiſſensgericht, ein für
    die perſönliche Sicherheit errichtetes Tribunal. —
    Oeffentliche Sicherheit, zum Theil aus dem Volks-
    karakter entſpringend. Anekdote hierüber. Orga-
    niſation der Polizey. Aufſicht auf Ankommende,
    Abreiſende und verdächtige Leute. Beyſpiele der
    [V] Wachſamkelt und Mäßigung der Regierung bey
    Staatsverbrechern und Abentheurern. Aufſicht
    auf geheime Geſellſchaften. Spielhäuſer. Anſtal-
    ten gegen Unfugmacher und Händelſüchtige. Das
    mündliche Gericht. Bettler. Geſindemäkler. Das
    Arbeitshaus. Das Zuchthaus. Das Stadtge-
    fängniß, eine nach Howard’s Vorſchlägen ein-
    gerichtete Anſtalt. Das Polizeygefängniß; Schil-
    derung deſſelben. Edelmüthige Aufopferung eines
    Luſtmädchens für ihren gefangenen Liebhaber. —
    Liſt und Betrug im Handel und Wandel. Erzäh-
    lung einzelner Vorfälle dieſer Art. — Anſtalten
    gegen natürliche und zufällige Verletzungen der
    öffentlichen Sicherheit. Verminderte Feuer und
    Waſſergefahr. Schnelles Fahren, unſchädlich ge-
    macht durch Volksſitten. Wachſamkeit der Polizey
    bey großen Verſammlungen, bey Volksfeſten,
    beym Eisgange der Newa. Vorſicht bey der Ver-
    ſendung der Arzneyen. — Merkwürdige Form
    bey der Bekanntmachung der Geſetze. Seite 156

Sechster Abſchnitt.
Oeffentliche Bequemlichkeit.


  • Pflaſter. Unterirdiſche Reinigungskanäle. Trottoirs.
    Erleuchtung. Straßenöfen. Droſchken und Schlit-
    ten, ſtatt der Fiakres. Waſſerkommunikationen.
    * 3
    [VI] Diligencen für die umliegende Gegend. — Be-
    quemlichkeiten für Fremde. Mängel der Gaſt-
    höfe, durch die Gaſtfreyheit aufgewogen. Be-
    dürfniſſe und Koſten eines beſtimmten Aufenthalts
    für Fremde. Möblirte Zimmer. — Garküchen.
    Trakteurs. Chartſchewni. Speiſetiſche auf den
    Gaſſen für den Pöbel. — Märkte für Be-
    dürfniß und Luxus. Goſtinnoi Dwor. Eng-
    liſche, franzöſiſche und andre Magazine. Markt
    in der Jämskoi für fertige Equipagen. Markt
    in Newski für gemeine Bedürfniſſe. Kramlä-
    den, Lawken. — Privateinrichtungen für die
    öffentliche Bequemlichkeit. Podrjätſchiki, Unter-
    nehmer. Artels, geſchloſſene Geſellſchaften von
    Arbeitern. Dworniki. Thorhüter. Seite 213

Siebenter Abſchnitt.
Kranken- und Armenanſtalten.


  • Allgemeine Vortheile und Nachtheile derſelben, in der
    Lokalverfaſſung begründet. Das Kollegium der
    allgemeinen Fürſorge, ein Tribunal zur Min-
    derung des menſchlichen Elends. Merkwürdige
    Theilnahme des Publikums an der Stiftung
    deſſelben. — Oeffentliche Krankenhäuſer. Hos-
    [VII] pitäler für Land und Seetruppen. Stadthospital,
    Irrenhaus. Geheime Anſtalt für veneriſche Kranke.
    Kliniſches Hospital und Entbindungshaus des
    mediziniſchchirurgiſchen Inſtituts. Pockenhaus.
    Entbindungsanſtalt des Findelhauſes. Wohlthä-
    tige Krankenanſtalt, ein Privatunternehmen. —
    Armenanſtalten. Findelhaus. Erziehungsanſtalt
    für Waiſen und uneheliche Kinder. Armenhaus.
    Invalidenhaus des Großfürſten. Wittwenkaſſe.
    Privatſterbekaſſen. — Oeffentliche Anſtalten
    zur Unterſtützung des Publikums. Lombard. Lei-
    hebank für den Adel und die Städte. Seite 248

Achter Abſchnitt.
Erziehungs- und Unterrichtsanſtalten.


  • Militairiſche Erziehungshäuſer. Das Landkadetten-
    korps. Phyſiſche, moraliſche, wiſſenſchaftliche
    und militairiſche Bildung in demſelben. Seekadet-
    tenkorps. Ingenieur- und Artilleriekadettenkorps.
    Griechiſches Korps. Pagenkorps. — Wiſſen-
    ſchaftliche Lehranſtalten. Mediziniſchchirurgiſche
    Schule. Schulen beym Land- und Seehospital.
    Bergkadettenkorps. Prieſterſeminarium. Gym-
    naſium der Akademie der Wiſſenſchaften. —
    [VIII] Bildungsanſtalten für Künſtler. Erziehungsan-
    ſtalt der Akademie der Künſte. Theaterſchule. —
    Gewerbſchule für Navigation. — Weibliche
    Erziehungsanſtalt im Fräulein- und Jungfern-
    ſtift des woskreſenskiſchen Kloſters. — Nor-
    mal und Volksſchulen. — Allgemeine Ueber-
    ſicht. Anzahl der Zöglinge und Einkünfte aller
    dieſer Inſtitute. — Privaterziehung. Penſionsan-
    ſtalten. Utſchitel. Seite 276

Berlin,
gedruckt bei Johann Georg Langhoff
.

[[1]]

Gemaͤhlde von St. Petersburg.
Erſter Theil.


A
[[2]][[3]]

Erſter Abſchnitt.
Lokale der Stadt.


Politiſche Lage von St. Petersburg. — Phyſikaliſche.
Klima. Eigenthümlichkeiten jeder Jahrszeit. — Phy-
ſiognomie der Stadt. Umfang. Situation. Begren-
zung. Rigiſches Thor. — Die Newa, ihre Einfaſ-
ſung, ihre Brücken und ihre Eisdecke im Winter. Ka-
näle. — Anzahl und Beſchaffenheit der Häuſer. Gaſ-
ſen. — Stadttheile. Lokale und Eigenthümlichkeiten
derſelben. Erſter Admiralitätstheil. Winterpallaſt.
Eremitage. Hoftheater. Marmorpallaſt. Amphithea-
ter. Admiralität. Marmorne Iſaakskirche. Sommer-
garten. Oeffentliche Plätze. Die newskiſche Perſpek-
tivgaſſe. Karakteriſtik dieſes Stadttheils. — Zweyter
Admiralitätstheil. Opernhaus. Kaſaniſche und Niko-
laikirche. — Dritter Admiralitätstheil. Neue Bank.
— Stückhof. Arſenal. Tauriſcher Pallaſt. — Roſ-
heſtwenskiſcher Stadttheil. Woskreſenskiſches Nonnen-
kloſter. Kloſter des h. Alexander Newski. — Mos-
kowitiſcher Stadttheil. Jägerhof. — Waſſili-Oſtrow.
Akademie der Künſte. Landkadettenkorps. Akademie
der Wiſſenſchaften. Neue und alte Börſe. — Peters-
burgiſcher Stadttheil. Ländliche Inſeln und Sommer-
palläſte. Feſtung. — Wiburgiſcher Stadttheil. Land-
häuſer. — Ruhepunkt und Rückblick auf das Ganze.


A 2
[4]

Die doppelte Beſtimmung, die Peter der
Große
ſeiner neuerbauten Stadt gab, als er
ſie zum Handelsplatz und zur Reſidenz erſchuf,
veranlaßt natuͤrlich bey der Betrachtung ihrer
Lage eine doppelte Ruͤckſicht. Daß die Wahl
des Kaiſers fuͤr die erſtere Beſtimmung gut
ausgefallen ſey, iſt, ſo viel ich weiß, noch von
keinem Schriftſteller bezweifelt worden, aber
deſto mehr Stimmen haben ſich gegen die po-
litiſche Lage
von St. Petersburg, als Re-
ſidenz, erhoben.


Peter der Große hatte unſtreitig ſehr
viele Gruͤnde, ſeinen Wohnſitz hier zu waͤhlen.
Außerdem, daß ſeine ſchwediſchen Kriege ihn
noͤthigten, ſich in einer Gegend aufzuhalten,
von welcher aus er alles leichter uͤberſehen,
anordnen und zur Ausfuͤhrung bringen konnte:
war es ihm weſentlich darum zu thun, ſeine
neuen Beſitzungen ſo viel als moͤglich ſeinem
Reich einzuverleiben, und die Nation ein ge-
wiſſes Intereſſe fuͤr die eroberten Provinzen
beyzubringen. Das erſtere ward durch man-
cherley bekannte Einrichtungen und durch die
perſoͤnliche Gegenwart des Monarchen erreicht;
[5] das letztere konnte nicht fuͤglicher geſchehen, als
wenn er den Großen des Landes Beſitzungen
in dieſen Gegenden gab und ſie veranlaßte ſich
hier anzubauen.


Ein zweyter eben ſo wichtiger Grund war
dieſer. Die Abſicht Peters des Großen,
Fremde in ſeine Staaten zu ziehen, um durch
ſie eine ſchnellere Verbreitung der Kultur zu
befoͤrdern, wurde dadurch ungemein beguͤnſtigt,
daß die Auslaͤnder, nach einer kurzen, nicht
ſehr koſtbaren Seereiſe ſogleich in der Reſidenz
eintreffen konnten, wo ſie natuͤrlich weit mehr
Gelegenheit als irgendwo zu ihrem Fortkom-
men hoffen durften. Waͤre Moskau die Reſi-
denz geblieben, ſo wuͤrden unter hundert hier
anſaͤſſigen Fremdlingen vielleicht nicht fuͤnfe
Luſt und hinlaͤnglichen Geldvorrath gehabt ha-
ben, die weite Landreiſe zu unternehmen, und
der Staat wuͤrde des Gewinns von ſo viel
neuen und arbeitſamen Buͤrgern verluſtig ge-
gangen ſeyn. Der Einwurf, daß durch die
eingewanderten Fremden von der Mitte des
Reichs aus die Kultur ſchneller und allgemeiner
haͤtte verbreitet werden koͤnnen, faͤllt hiedurch
zum Theil von ſelbſt weg. Ueberdem lehrt die
A 3
[6] Erfahrung, daß die Auslaͤnder ſich von hier
ſehr leicht im Lande vertheilen, wodurch der
eben erwaͤhnte Vortheil eben ſo gut und viel-
leicht noch zweckmaͤßiger erreicht wird.


Es war endlich dem Kaiſer daran gelegen,
in naͤhere Verbindung mit den uͤbrigen euro-
paͤiſchen Staaten zu treten, die Staatskorre-
ſpondenz zu befoͤrdern, und den Kurierwechſel
zu erleichtern. Man koͤnnte zwar einwenden,
daß, unter den vorhandenen Umſtaͤnden, die
Vertheilung der Befehle und Nachrichten im
Reich deſto langſamer von Statten gehen muͤſ-
ſe; aber eines Theils betraͤgt der Unterſchied
der Entfernung immer nur ſehr wenig im
Verhaͤltniß zu der Groͤße des Reichs: und
andern Theils ſind im Lande ſelbſt die Rei-
ſeanſtalten ſo gut und die auſſerordentliche
Schnelligkeit etwas ſo gewoͤhnliches, daß
hiebey kein Theil der Staatsverfaſſung lei-
den kann.


Die Nachfolger Peters des Großen
ſind wahrſcheinlich durch eben dieſe und andere
Gruͤnde bewogen worden, ſeinen Plan nicht zu
verlaſſen. Wenn man bedenkt, welche uner-
meßliche Schaͤtze bis dahin zur Verſchoͤnerung
[7] dieſes Platzes und zur Abhelfung der natuͤrli-
chen Unbequemlichkeiten ſeiner Lage aufgewen-
det ſind; wenn man einen Blick auf die Waſ-
ſerkommunikation wirft, welche Petersburg mit
den innerſten und entlegenſten Provinzen des
Reichs in Verbindung ſetzt; auf den Handel,
der dieſe Reſidenz zur Stapelſtadt der ruſſiſchen
Produkte macht; auf die Vortheile der Lage
an der Muͤndung eines vielarmigen Fluſſes,
der die ganze Stadt in ihren entfernteſten Thei-
len mit reinem geſunden Waſſer verſorgt — ſo
wird man den Entſchluß, dieſe Reſidenz beyzu-
behalten, nicht minder weiſe finden, als die
erſte Idee ihrer Erbauung.


Zu bedauren iſts, daß die phyſiſche La-
ge
und das Klima von St. Petersburg die-
ſen großen Vorzuͤgen nicht entſprechen. Die
Lage der Reſidenz an der Muͤndung und auf
den Inſeln der Newa iſt niedrig und ſumpfig.
Die Gegend umher iſt Moraſt und Wald, bis
auf die einzelnen Stellen, welche Menſchenfleiß
und Kunſt, trotz der kargen Natur, zu reizen-
den Gefilden umgeſchaffen haben. Welch ein
Abſtand von der gluͤcklichen Lage von Moskau!
wo die Jahrhunderte durch einheimiſche Kultur
A 4
[8] Hand in Hand mit der ſchoͤnen Natur geht,
wo der Segen des Landmanns dem Staͤdter
aus dem Fenſter ſeines Hauſes entgegen lacht.


Nach der Berechnung des Akademikus
Krafft hat St. Petersburg in einem Durch-
ſchnitt von zehn Jahren nur 97 heitere, dage-
gen aber 104 Regen- 72 Schnee- und 93 truͤ-
be Tage. Jaͤhrlich entſtehen 12 bis 67 Stuͤr-
me; die zum Theil, wenn ſie weſtlich ſind,
Ueberſchwemmungen verurſachen. Nach einer
Erfahrung von mehr als ſechzig Jahren bricht
das Eis der Newa nie vor dem 25. Maͤrz,
und nie nach dem 27. April; ſie friert am
fruͤheſten den 20. Oktober und am ſpaͤteſten den
1. Dezember zu. Seit 1741 war die groͤßte
Hitze 27 und die groͤßte Kaͤlte 33 Grad.


Dieſe Ueberſicht beweiſt, wie wenige Tage
unter dieſen Himmelsſtrich in freyer Luft ge-
nießbar, und wie eingeſchraͤnkt die Freuden
unſers Sommers ſind. Der Winter iſt un-
ſere beſte Jahrszeit und hat große Vorzuͤge
vor ſeinen feuͤchten und neblichen Bruͤdern in
ſuͤdlichen Laͤndern. Eine ausdaurende gleiche
Kaͤlte ſtaͤrkt und erfriſcht den Koͤrper. Die
vortreffliche Schlittenbahn erleichtert das Rei-
[9] ſen und macht es angenehm; eine Winterreiſe
bey maͤßiger Kaͤlte in mondhellen Naͤchten iſt
ein Genuß den man nur unter dieſen Himmels-
ſtrich kennt. Das rußiſche Volk, an Ausdauer
gewoͤhnt, lebt beym Einbruch des Winters
gleichſam auf; ſelbſt Fremde ſind hier unem-
pfindlicher gegen die Kaͤlte als in ihrem Vater-
lande. Wahr iſt es aber auch, daß man ſich
nirgends beſſer gegen ihre Wirkungen zu ſchuͤ-
tzen weiß, als hier. Bey der Annaͤherung des
Winters ſetzt man in allen Haͤuſern doppelte Fen-
ſter ein, deren Zwiſchenraͤume mit Werg verſtopft
und mit Papier uͤberklebt werden. Dieſe Vor-
ſicht ſchuͤtzt nicht nur gegen Kaͤlte und Wind,
ſondern gewaͤhrt auch mitten im Winter eine
freye Ausſicht, da die Glasſcheiben auf dieſe
Art nie mit Eiſe belegt werden. Die Auſſen-
thuͤren, oft auch die Fußboͤden in den Zimmern,
bekleidet man mit Filz. Unſere Oefen, deren
Groͤße und Bauart freylich viel Holz erfordern,
bewirken in den weitlaͤuftigſten Wohnungen
und oͤffentlichen Saͤlen eine Temperatur, die
das Andenken an den Winter vertilgt.


Wenn man die Stube verlaͤßt, bewaffnet
man ſich noch ernſthafter gegen die Kaͤlte.
A 5
[10] Muͤtze, Pelz, gefuͤtterte Ueberſtiefel und Muff
gehoͤren zur Winterbekleidung. Ein luſtiger An-
blick iſts, die koloſſaliſchen Huͤllen im Vorzim-
mer zu ſehen, aus denen ſich nach wenigen
Minuten die eleganteſten Stutzer entwickeln.
Der gemeine Ruſſe ſorgt nur fuͤr warme Be-
kleidung der Fuͤße. Mit einem einfachen Pelz
verſehen, mit unbedecktem Halſe und einem zu
Eiſe gefrornem Bart halten Fuhrleute und
Kleinverkaͤufer den ganzen Tag auf offner
Straße. Bey einer Kaͤlte von 25 Graden ſte-
hen Weiber ſtundenlang auf den Kanaͤlen und
ſpuͤlen Waͤſche.


Der Winter vermehrt die Lebensnothwen-
digkeiten und der Luxus vergroͤßert ſie. Die
Winterkleidung, das Holz und die Lichte gehoͤ-
ren in dieſe Rubrik. Daß hier in Pelzen ein
großer Aufwand herrſcht, iſt vorauszuſetzen;
die Mode wechſelt oft ſo ſchnell, daß man mehr
als wohlhabend ſeyn muß, um ihr allemal
folgen zu koͤnnen. Der Holzverbrauch iſt unge-
heuer. In den Kuͤchen, Baͤdern und Bedienten-
zimmern, die wie Baͤder geheizt werden, geht eine
unglaubliche Menge dieſes erſten Beduͤrfniſſes
fuͤr unſer Klima verloren. Nach einem maͤßigen
[11] Anſchlage werden hier jaͤhrlich uͤber 200,000
Klafter verbraucht, deren Geldwerth gegen
eine halbe Million Rubel betraͤgt. Dieſe fuͤrch-
terliche Konſumtion und der ſteigende Preis
des Holzes ſind der Aufmerkſamkeit des Patri-
oten werth. Der Aufwand in Lichten und
Wachskerzen iſt verhaͤltnißmaͤßig eben ſo groß.
Den langen Winter hindurch lebt man beynah in
einer ewigen Nacht, da unſer kuͤrzeſter Tag
nur ſechstehalb Stunden waͤhrt. In Haͤuſern
von gutem Ton werden die Kerzen angezuͤndet,
ehe man ſich zur Mittagstafel ſetzt.


Der Fruͤhling iſt ſo kurz, daß er kaum
unter die Jahrszeiten gerechnet werden darf.
Der Maͤrz und April werden gewoͤhnlich durch
heitere Tage angenehm, aber die Luft iſt noch
rauh, und die Newa traͤgt oft noch ihren Eis-
ruͤcken. Im May veraͤndert ſich ploͤtzlich die
Scene: die Wintertracht verſchwindet ganz,
aber den balſamduftenden Fruͤhling verjagen
kalte noͤrdliche Winde. Durch einen raſchen
Uebergang werden wir in den Sommer ver-
ſetzt. Auch ſein Daſeyn iſt von kurzer Dauer;
kaum erwacht, kaum genoſſen, eilt er voruͤber —
er mox bruma recurrit iners.


[12]

So kurz indeſſen unſer Sommer iſt, ſo
fehlt es ihm doch nicht an Annehmlichkeiten,
und vielleicht wird er hier um deſto beſſer ge-
noſſen, weil er ſo kurz iſt. Bey dem erſten
Laͤcheln der wiederkehrenden Sonne begiebt man
ſich auf die nahe gelegenen Landſitze, wo die
beſſere Jahrszeit im Genuß gaſtfreundſchaftli-
cher Geſelligkeit nur allzubald verfließt. Zu
den eigenthuͤmlichen Vorzuͤgen des hieſigen Som-
mers gehoͤren die hellen und zum Theil war-
men Naͤchte. Der ſanfte Schimmer der kaum
untergetauchten Sonne roͤthet den Horizont
und verſchoͤnert die Gegenſtaͤnde; die geraͤuſch-
volle Thaͤtigkeit in den Gaſſen verliert ſich,
aber nicht zu einer todten Stille, ſondern zu
jener muͤßigen Geſchaͤftigkeit, die wolluͤſtiger
als die Ruhe ſelbſt iſt; uͤberall trifft man auf
Spaziergaͤnger, die ſich zuweilen von Muſik
begleiten laſſen; auf der Newa und auf allen
Kanaͤlen ſchwimmen Schaluppen, von denen der
einfache melodiſche Volksgeſang der Matroſen
ertoͤnt — durch die Neuheit der Scene und
ihren Reiz verfuͤhrt und in der Erwartung der
kommenden Nacht ſieht man ſich durch eine an-
nehme Ueberraſchung um ſeinen Schlaf betro-
[13] gen, wenn die erſten Stralen der Sonne die
Spitzen der Haͤuſer vergolden. Noch habe ich
keinen Fremdling gekannt, der bey dem erſten
Genuß einer ſolchen Sommernacht unempfindlich
geblieben waͤre.


Aber ach zu welchen Scenen bereiten dieſe
wolluͤſtigen Augenblicke vor! dem kurzen Som-
mer folgt ein Herbſt, der durch ſeine tauſend-
fachen Unannehmlichkeiten das Andenken an die
wenigen ſchoͤnen Tage verloͤſcht. Um dieſe Jahrs-
zeit verwandelt ſich Petersburg in den haͤßlichſten
Winkel der Erde. Der Horizont bedeckt ſich
auf mehrere Wochen mit dicken ſchwarzgrauen
Wolken, durch die kein Stral der Sonne bricht;
die ohnehin ſchon kurzen Tage werden zu einer
melankoliſchen Daͤmmerung; der unaufhoͤrliche
Regen macht die Gaſſen, trotz der koſtbaren un-
terirrdiſchen Kanaͤle, ſo kothig, daß es jedem
wohlgekleideten Menſchen unmoͤglich iſt, zu Fuße
zu gehn; und um das haͤßliche Ideal eines
Herbſtabends vollkommen zu machen, geſellen
ſich haͤufige Stuͤrme dazu.


So iſt der Boden und der Himmel beſchaf-
fen, auf und unter welchem St. Petersburg liegt.
Jetzt wollen wir einen Blick auf die Stadt ſelbſt
[14] werfen, aber nur einen fluͤchtigen Blick: denn
um alles auf einmal zu ſehen, wuͤrden wir wahr-
ſcheinlich nichts ſehen.


Die Phyſiognomie der Reſidenz iſt la-
chend. Gerade, breite und zum Theil ſehr lan-
ge Straßen, die ſich haͤufig in ſtumpfen und ſpi-
tzen Winkeln durchſchneiden — große freye
Plaͤtze — Mannigfaltigkeit in der Bauart der
Haͤuſer — endlich die vielen Kanaͤle und der
ſchoͤne Newafluß mit ihren dauerhaften und ge-
ſchmackvollen Einfaſſungen, machen den großen
Anblick heiter und angenehm. In Anſehung der
Regelmaͤßigkeit und Anlage zur Schoͤnheit laͤßt
Petersburg ſich nur mit wenigen großen Staͤdten
in Europa vergleichen. Paris, trotz der Menge
ſeiner Pallaͤſte und der fortdaurenden Aufmerk-
ſamkeit auf die Verbeſſerung ſeiner fehlerhaften
Anlage, kann nie eine ſchoͤne Stadt werden, und
London iſt es nur in ſeinen neuerbauten Theilen.
Berlin wetteifert mit jeder andern Stadt in Ruͤck-
ſicht auf ſchoͤne Regelmaͤßigkeit, aber Petersburg
hat mehr große Anlagen. Dort ſtoͤßt das Auge
ſeltner auf leere unbebaute Plaͤtze oder hoͤlzerne
Huͤtten; hier findet man mehrere Palaͤſte und
große Privatgebaͤude, breitere Straßen und eine
[15] Menge ſchoͤner Kanaͤle. Der Anblick von Pe-
tersburg vergnuͤgt weniger durch das was da iſt,
als durch die Idee des nach einer ſo großen und
ſchoͤnen Anlage zu vollendenden Ganzen; eine
Idee die ſehr natuͤrlich durch das ſtete auſſeror-
dentlich ſchnelle Bauen erweckt wird. In kurzer
Zeit ſieht man weitlaͤuftige wuͤſte Felder mit Haͤu-
ſern bedeckt, und wer einige Jahre hindurch ge-
wiſſe Gegenden nicht beſucht hat, wie dies in
großen Staͤdten leicht der Fall iſt, findet ſich oft
mit Ueberraſchung in unbekannte Gaſſen verſetzt.
Der Admiralitaͤtstheil, jetzt die ſchoͤnſte Gegend
der Stadt, war noch vor wenigen Jahren ſo
wuͤſte, daß viele Einwohner ſchon itzt die Pallaͤſte
bemerken, an deren Stelle ſie Moraſt oder Vieh-
triften geſehen haben. Der Fontanka-Kanal,
vor zehn Jahren noch ein ſumpfiger Bach, der
die umliegende Gegend ungeſund machte und deſ-
ſen Ufer mit hoͤlzernen Huͤtten bebaut waren, iſt
itzt in ſeiner prachtvollen Einfaſſung die ſchoͤnſte
Zierde der Reſidenz, ſo wie die Haͤuſerreihe zu
beyden Seiten des Ufers in zwanzig Jahren eine
der ſchoͤnſten Gaſſen in Europa ſeyn wird, wenn
man fortfaͤhrt, ſo viel und ſo geſchmackvoll in
derſelben zu bauen. — Indeſſen iſt nicht zu
[16] leugnen, daß die zum Theil ſchlecht, zum Theil
gar nicht bebauten Plaͤtze, ſelbſt in den beſſern
Gegenden der Stadt, oft einen widrigen Anblick
erregen; ein Umſtand, dem, wegen der unge-
heuren Ausdehnung der Reſidenz, ſelbſt durch
die Bauwuth des hieſigen Publikums, nicht leicht
abgeholfen werden kann.


Zur Phyſiognomie einer Stadt gehoͤrt das
Leben, die Thaͤtigkeit, das Gewuͤhl das in ihren
Gaſſen herrſcht. St. Petersburg gehoͤrt in die-
ſer Ruͤckſicht unter die großen Staͤdte von der
zweyten Klaſſe. Die Hauptſtraßen ausgenom-
men, in denen es zum Theil von Wagen und
Fußgaͤngern wimmelt, ſind die uͤbrigen faſt ohne
Leben. Dies liegt ſowol an der großen Ausdeh-
nung und Weitlaͤuftigkeit der Stadt, als an dem
unguͤnſtigen Klima. Des Abends werden die
Gaſſen fruͤh von Menſchen leer; die Thaͤtigkeit
des gemeinen Mannes hoͤrt gewoͤhnlich mit dem
Einbruch der Dunkelheit auf, und die Stille der
Nacht wird nur zuweilen durch das Geraſſel
einzelner Wagen geſtoͤrt.


Um ſich einen deutlichen Begriff von der
Situation einer Stadt zu verſchaffen, giebt
es freylich kein beſſeres Mittel, als Thuͤrme zu
beſtei-
[17] beſteigen, die eine große Ueberſicht des Ganzen
gewaͤhren. Da uns dieſes Huͤlfsmittel fehlt, ſo
wollen wir durch eine moͤglichſt anſchauliche Dar-
ſtellung dieſe Luͤcke zu ergaͤnzen verſuchen.


St. Petersburg liegt an den Ufern und auf
den Inſeln der Newa, die hier einen Winkel
macht, weil ihr Lauf erſt nordlich und dann weſt-
lich geht. In dieſem Winkel, und alſo auf der
linken Seite der Newa, liegt in einer Form
die einem Dreyeck nahe koͤmmt, der anſehnlich-
ſte, bebauteſte und bewohnteſte Theil der Re-
ſidenz. Das Kloſter des h. Alexander Newski
macht bey der nordlichen Richtung des Fluſſes
den Anfang der Stadt; folgt man dieſer Rich-
tung, ſo gelangt man in das woskreſenskiſche
Kloſter, bey welchem die Newa ihren Lauf aͤn-
dert, der von hier bis zu ihrem Ausfluß in
den kronſtaͤdtiſchen Buſen in weſtlicher Rich-
tung die zweyte Seite des Dreyecks bildet,
wodurch die dritte Seite oder die Ausdehnung
von dem Ausfluß der Newa bis zum Alexan-
der-Newski Kloſter theils von ſelbſt, theils
auch durch einen Stadtgraben und durch den
ligowiſchen Kanal beſtimmt wird. Man ver-
geſſe nicht, daß wir bis hieher nur dem linken
Erſter Theil. B
[18] Newaufer gefolgt ſind, welches durch keine
Arme unterbrochen iſt.


Nun beginnen wir unſere Reiſe laͤngs dem
rechten Ufer des Fluſſes. Hier finden wir bey
der Biegung deſſelben, dem woskreſenskiſchen
Kloſter gegenuͤber, die Slobode Ochta, die
thren Namen von dem kleinen Fluſſe Ochta
hat, der hier in die Newa faͤllt. Von hier
an wird, wie wir wiſſen, der Lauf der Newa
weſtlich. In dieſer Richtung theilt ſie an ih-
rem rechten Ufer zwey breite Arme ab; der
erſtere heißt die Newka, und der folgende
weſtlichere die kleine Newa. Alles was
zwiſchen dem rechten Ufer der Newa und an
der Oſtſeite der Newka liegt, wird der wi-
burgiſche Stadttheil
genannt. Jetzt
bleiben uns natuͤrlich noch zwey große Inſeln
uͤbrig. Die erſtere, die von der Newa, New-
ka, und kleinen Newa eingeſchloſſen wird, heißt
die Petersinſel, und macht nebſt mehreren
kleinen Inſeln die durch die ferneren Theilun-
gen der Newka gebildet werden, den peters-
burgiſchen Stadttheil
aus. Die zweyte
Inſel, die durch die kleine Newa und den
[19] Hauptſtrom entſteht, heißt Waſſili-Oſtrow
und iſt ein beſonderer Stadttheil.


Aus dieſer Darſtellung ergiebt ſich, daß
der Umfang der Reſidenz ſehr groß ſeyn
muß. Er betraͤgt, zufolge einer Angabe des
Akademikus Georgi, vier und zwanzig Werſt,
oder viertehalb deutſche Meilen. Nach eben
dieſer Quelle nimmt der eigentlich bebaute
Theil nur etwa das Viertheil dieſes Flaͤchen-
raums ein.


In dieſer ungeheuren Ausdehnung liegt
der Grund, warum St. Petersburg nicht ſo
bald ſeiner Vollendung nahe gebracht werden
kann. Noch immer trifft man in den beſten
Gegenden der Stadt auf leere Plaͤtze, weil
dieſe in den entfernteren Theilen wohlfeiler
ſind und daher eher bebaut werden. An der
Landſeite hat Petersburg nun zwar eine Gren-
ze durch den Stadtgraben, aber auch die-
ſer iſt ſo weit uͤber die bebaute Gegend hin-
ausgeruͤckt, daß der große Zwiſchenraum fuͤr
eine neue Stadt hinreichend waͤre.


Außer dieſem eben angefuͤhrten Graben
hat die Reſidenz ſonſt keine Begrenzung
und nur ein einziges Thor, durch welches
B 2
[20] die Heerſtraße nach Riga fuͤhrt. Es hat die
Form eines Wuͤrfels, iſt durchaus von Granit
und auf jeder Ecke mit einer großen Urne von
Marmor geziert. Die koloſſaliſche Groͤße, die
Simplicitaͤt und die Schoͤnheit des Steins ma-
chen dieſes Monument ſeiner Beſtimmung werth,
und ſtimmen den Reiſenden bey ſeinem Eintritt
zu der Empfindung die der Anblick ſo vieler
Pracht und Groͤße in dem Innern dieſer Re-
ſidenz erregen muß.


Ehe ich meine Leſer in die Gaſſen und
Pallaͤſte fuͤhren kann, die der vorzuͤgliche Ge-
genſtand dieſes Abſchnitts ſind, muͤſſen wir
noch einmal zu dem Terrain zuruͤckkehren. Die
Newa und ihre Kanaͤle ſind ein ſo merkwuͤr-
diger Theil des Lokale, daß meine Leſer nur
einen ſehr unvollſtaͤndigen Begriff von dem
Ganzen haben wuͤrden, wenn ſie von der Lage,
der Beſchaffenheit und den Verbindungen der-
ſelben nicht hinlaͤnglich unterrichtet waͤren.


Zuerſt alſo von der Newa. Dieſer Fluß,
deſſen Vorzuͤge allein die Lage von St. Peters-
burg unſchaͤtzbar machen, fließt in oben beſchrie-
bener Richtung durch die Stadt in den kron-
ſtaͤdtiſchen Buſen, und bildet durch zwey von
[21] ſeinem rechten Ufer ausgehende Arme und de-
ren Theilungen die vorhin erwaͤhnten Inſeln.
Der Hauptſtrom, der zum Unterſchiede die
große Newa
genannt wird, hat eine Breite
von 150 bis 200 Klafter und traͤgt Schiffe
von mittlerer Groͤße. Das linke Ufer deſſelben,
welches, wie meine Leſer ſich erinnern werden,
ununterbrochen fortlaͤuft, iſt vom Gießhauſe bis
an die Ecke des Galeerenhofes (die Stelle aus-
genommen, welche der Admiralitaͤtswerft ein-
nimmt) alſo ungefaͤhr eine Strecke von 1650
Klaftern, mit einem Kay von Granitqua-
dern
verſehen. Dieſes große Monument, wel-
ches in Ruͤckſicht auf Nutzbarkeit und Pracht
ſeine Parallele nur unter den Ruinen des al-
ten Roms ſuchen darf, iſt ſein Daſeyn der
jetzigen Kaiſerinn ſchuldig. Die Hoͤhe des pi-
lotirten Ufers uͤber der Waſſerflaͤche betraͤgt
zehn Fuß; das Ufer ſelbſt iſt mit einem Trot-
toir von der Breite eines Klafters verſehen,
und hat eine Wand oder Lehne, die drittehalb
Fuß hoch und fuͤnf viertel Fuß breit iſt. Dieſe
Einfaſſung iſt ſtellenweiſe von Auffahrten und
Ruhebaͤnken unterbrochen, die in regelmaͤßigen
Entfernungen abwechſeln. Letztere haben die
B 3
[22] Form eines halben Zirkels und ſind von beyden
Seiten mit Stiegen umgeben, die vom Kay
herunter zu bequemen Landungsplaͤtzen fuͤhren.
Alles was ich hier genannt und beſchrieben ha-
be, iſt durchaus von gehauenem Granit.


Man kann ſich leicht vorſtellen, daß das
linke Ufer der Newa durch dieſe Einfaſſung
eine der glaͤnzendſten Gegenden der Stadt wer-
den mußte. Und in der That, wenn der große
Geiſt Katharinens hier ein Denkmal ge-
meinnuͤtziger Pracht ſtiftete, ſo hat der Wett-
eifer reicher Privatleute alles gethan, die Nach-
barſchaft deſſelben zu einem Denkmal des ge-
ſchmackvollſten Aufwands zu machen. Die Haͤu-
ſerreihe laͤngs dem Kay darf keine Verglei-
chung mit irgend einer Gaſſe in Europa ſcheu-
en. — Ich wuͤrde meinem Plan vorgreifen,
wenn ich meine Leſer auf die maleriſchen Schoͤn-
heiten aufmerkſam machen wollte, die ein Spa-
ziergang an dieſem Ufer darbietet. Genug,
daß ſie den Standpunkt kennen, zu welchem ich
ſie kuͤnftig einmal, aber nicht als trockner To-
pograph, begleiten werde.


Jetzt gehen wir zu dem rechten Ufer der
großen Newa uͤber, welches, wegen der ſchlech-
[23] ter bebauten Stadttheile, keine eigentlichen
Merkwuͤrdigkeiten hat. Laͤngs der wiburgiſchen
Seite iſt es mit keiner Einfaſſung verſehen; aber
am Ufer der Petersinſel beſpuͤlen die Wellen der
Newa die praͤchtigen mit Granitquadern beklei-
deten Mauern der Feſtung. Das Ufer von
Waſſili-Oſtrow hat zum Theil ein hoͤlzernes
Bollwerk, das aber wahrſcheinlich mit einem
Granitkay vertauſcht werden wird, da dieſe
durchaus gut und zum Theil praͤchtig bebaute
Gegend zu einer ſolchen Verſchoͤnerung reif iſt.


Die Ufer der großen Newa ſind durch zwey
Schiffbruͤcken
mit einander verbunden, deren
eine den Stuͤckhof mit der wiburgiſchen Seite,
und die andere den erſten Admiralitaͤtstheil mit
Waſſili-Oſtrow verbindet. Da alle Bruͤk-
ken, die uͤber die Newa und ihre Arme fuͤhren,
einerley Einrichtung und Bauart haben, ſo will
ich nur die letztere beſchreiben, die wegen ihrer
Lage die merkwuͤrdigſte iſt, da ſie die Hauptver-
bindung der volkreichſten und beſten Gegenden
der Stadt bewirkt. Dieſe Bruͤcke hat eine Laͤnge
von 130 Klafter und ruht auf ein und zwanzig
Barken, die beſonders zu dieſem Zweck erbaut
ſind, und durch zwey Anker auf ihrer Stelle er-
B 4
[24] halten werden. Zum Behuf des Durchgangs
der Schiffe ſind zwey Zugbruͤcken angebracht,
die nur des Nachts geoͤfnet werden. Der Me-
chanismus dieſer Bruͤcke iſt ſo einfach, daß ſie
im Herbſt bey der Ankunft des Treibeiſes in we-
niger als zwey Stunden aus einander genommen
werden kann, daher das Publikum ihrer auch
nur wenige Zeit vor dem Zufrieren der Newa
entbehrt. Sobald das Eis ſteht, wird ſie wie-
der aufgeſetzt und bleibt zur Sicherheit und Be-
quemlichkeit der Einwohner bis in das Fruͤhjahr
ſtehen. Wenn in dieſer Jahrszeit das Eis der
Newa bricht, wird ſie zum zweytenmal aus ein-
ander genommen und nicht eher wieder herge-
ſtellt, als bis das Treibeis aus dem Ladogaſee
voruͤber iſt, welches oft vier bis ſechs Wochen
dauert.


Der Standpunkt auf dieſer Bruͤcke gewaͤhrt
eine der intereſſanteſten Ausſichten. Die anſehn-
liche Breite des Fluſſes, der praͤchtige Kay an
dem linken Ufer deſſelben, die ſchoͤnen Haͤuſerrei-
hen zu beyden Seiten, der Anblick der Feſtung,
die vergoldeten Thuͤrme, das Denkmal Peters
des Großen
, die hin und wieder ſchwimmen-
den, oder in Gruppen verſammelten, oder ſe-
[25] gelnden Schiffe — und dann wieder das Gewuͤhl
von vorbeyrollenden Wagen, ſchwerbeladenen
Karren, geſchaͤftigen und muͤßigen genießenden
Fußgaͤngern — alle dieſe einzelnen Zuͤge verſam-
meln ſich hier zu einem Ganzen, das wol geſe-
hen und empfunden, aber nicht gemalt und be-
ſchrieben werden kann.


Da wir uns einmal mit den Kommunika-
tionen der Newa beſchaͤftigen, ſo duͤrfen wir auch
der großen Eisdecke nicht vergeſſen, welche
die Natur im Winter uͤber dieſen Fluß breitet,
und wodurch ſie einen betraͤchtlichen Theil des
Jahrs hindurch alle Bruͤcken entbehrlich macht.
Der Zeitpunkt dieſer merkwuͤrdigen Veraͤnderung
iſt oben ſchon angemerkt: hier etwas von den
Erſcheinungen, die dieſelbe begleiten. Das Ge-
frieren der Newa kuͤndigt ſich durch kleine Eis-
ſchollen an, die einen oder mehrere Tage auf
dem Waſſer treiben, ſich allmaͤlig vergroͤßern,
dann ſtocken und zuſammenfrieren. Dieſe Ver-
aͤnderungen erfolgen oft ſo ſchnell hinter einan-
der, daß man zu Waſſer uͤber den Fluß und ei-
nige Stunden nachher trocknen Fußes zuruͤckkom-
men kann. Sobald das Eis ſteht, werden Fuß-
ſteige und Fahrwege gebahnt und durch Tannen-
B 5
[26] zweige bezeichnet. Dieſe ſonderbaren Straßen,
die nur unter dieſem Himmelsſtrich ſo gefahrlos
werden koͤnnen, daß man bey ihrer Benutzung
auch ſogar den Gedanken an den ſchiffbaren Fluß
verliert uͤber welchen ſie hinlaufen, werden dem
Publikum wegen der Verkuͤrzung der Wege ſehr
nuͤtzlich. Durch das Fahren und Gehen erhal-
ten ſie eine ſolche Kondenſitaͤt, daß ſie auch dann
noch ohne Gefahr ſind wenn uͤberall das Eis
ſchon locker wird. Aber nicht bloß in der Stadt
oder auf kleine Strecken bereitet man ſolche Win-
terſtraßen. Der gewoͤhnliche Fahrweg von Pe-
tersburg nach Kronſtadt geht aus der Newa in
gerader Linie uͤber den Meerbuſen hin; er wird
ebenfalls mit Geſtraͤuchen bezeichnet, und auf
demſelben ſind mehrere Wachthaͤuſer und eine
Schenke befindlich. — Wenn im Fruͤhjahr die
Sonne ihre Wirkungen aͤußert, ſammelt ſich
Schneewaſſer auf dem Eiſe. So lange dieſes
ſichtbar bleibt, iſt keine Gefahr; aber wenn das
Waſſer verſchwindet und die Oberflaͤche grau
wird, iſt der Eisbruch nahe, der gewoͤhnlich bey
einem weſtlichen Winde erfolgt. Die Wege hal-
ten am laͤngſten; oft ſieht man noch Leute hinuͤ-
ber gehn, wenn einige Schritte davon Schalup-
[27] pen fahren. Der gemeine Ruſſe achtet dieſe
Gefahr wenig und begiebt ſich oft um der elen-
deſten Kleinigkeit in dieſelbe. Die Polizey ſucht
dieſen zweckloſen Muth durch Befehle und Stock-
pruͤgel zu kuͤhlen, indeſſen die Englaͤnder ihn oft
durch Wetten und Praͤmien ermuntern.


Die Arme der Newa ſind weiter durch
nichts merkwuͤrdig, als daß ſie zum Theil Schiff-
bruͤcken haben, die eine freye Kommunikation
unter allen, auch den entfernteſten, Stadtthei-
len erhalten. Wir kehren alſo zum linken Ufer
der Newa zuruͤck, wo Gegenſtaͤnde hoͤherer Art
unſere Aufmerkſamkeit beſchaͤftigen werden.


Das große Dreyeck von Haͤuſern, welches
an dieſer Seite des Fluſſes liegt, wird von drey
Hauptkanaͤlen durchſchnitten, die eben ſo
viele, freylich nicht ſehr regelmaͤßige, Halbzirkel
bilden, deren einer immer den andern einſchließt.
Wenn man ſeinen Standpunkt ſo nimmt, daß
man die Newa im Ruͤcken hat, und nun in eine
der großen Perſpektivgaſſen hineingeht, ſo ſtoͤßt
man zuerſt auf die Moika, die den kleinſten
Halbzirkel macht, alsdann auf den Kathari-
nenkanal
, der die Moika einſchließt, und zu-
letzt auf die Fontanka, die mit ihrem regel-
[28] maͤßigern Halbzirkel beyde umgiebt. Die Fon-
tanka wird eigentlich von einem groͤßern Bogen
eingeſchloſſen, den der Stadtgraben und der li-
gowſche Kanal machen, aber dieſe letztere ſind
von keiner Bedeutung.


Eine genaue Beſchreibung der Richtung und
Verbindung dieſer Kanaͤle wuͤrde ſehr langweilig
und unnoͤthig fuͤr den groͤßten Theil meiner Leſer
ſeyn. Ich laſſe es bey der anſchaulichen Dar-
ſtellung bewenden, die ich hievon habe geben
koͤnnen, und will jetzt verſuchen, das Karakte-
riſtiſche und Merkwuͤrdige derſelben zu zeichnen.


Die Moika war ehedem ein Moraſtbach
und ward unter der vorigen Regierung ausgegra-
ben. Ihr Bette iſt ſeicht und an vielen Orten ver-
ſchlammt, ihre Einfaſſung von Holz und in ih-
rem Lauf macht ſie viele Kruͤmmungen. Auch
die Gaſſen zu beyden Seiten des Kanals ſind
groͤßtentheils ſchmal; eine Unbequemlichkeit, die
hier um ſo laͤſtiger wird, da man der geraden,
breiten und mit Trottoirs verſehenen Straßen
gewohnt iſt. Was aber dieſe Maͤngel in das
uͤbelſte Licht ſtellt, iſt der Umſtand, daß dieſer
Kanal gerade durch den Kern der Stadt, durch
die bebauteſten und bewohnteſten Gegenden laͤuft.
[29] Doch, vielleicht iſt der Grund zu dieſen Klagen
nicht mehr vorhanden, wenn das auswaͤrtige
Publikum ſie lieſt. — Die Moika hat mehrere
hoͤlzerne Bruͤcken, die nach den Farben genannt
werden, mit welchen ſie beſtrichen ſind.


Der Katharinenkanal war ebenfalls
ein Moraſtbach; Katharina die Zweyte
gab ihm ſeine jetzige Geſtalt. Er iſt vier Werſte
lang, ſieben bis acht Klafter breit und einen
Klafter tief. Seine Ufer ſind mit Granitqua-
dern bekleidet und bilden ein Trottoir, welches
mit einer geſchmackvollen, eiſernen, durch Gra-
nitpfeiler verbundenen Lehne verſehen iſt. In
regelmaͤßigen Entfernungen ſind Abfahrten und
Treppen angebracht, die immer mit einander ab-
wechſeln. — Der Nikolaikanal, der den
Katharinenkanal mit der Newa verbindet, iſt
auf eben dieſe Art eingefaßt. — Die Bruͤcken
ſind theils gewoͤlbt, theils niedlich geformte Zug-
bruͤcken.


Die Fontanka gehoͤrt zu den groͤßten
Merkwuͤrdigkeiten von Petersburg. Auch dieſer
Kanal, der ehemals ein kleiner Bach war und die
umliegende Gegend verpeſtete, hat ſeine glaͤnzen-
de Regeneration der jetzigen Kaiſerinn zu danken.
[30] Seine Laͤnge betraͤgt dreytauſend Klafter oder
ungefaͤhr ſechs Werſt, ſeine Breite zehn bis
zwoͤlf, und die Tiefe ſeines Waſſerbettes uͤber
eine Klafter. Er hat Ufer, Einfaſſung und Trot-
toir wie der Katharinenkanal, nur daß letzteres
hier breiter iſt. Dieſe Vorzuͤge, das vortreff-
liche Waſſer und die Breite der Gaſſen zu bey-
den Seiten ſind dem Baugeiſt der beguͤterten
Einwohner ein maͤchtiger Sporn. Schon reihen
ſich Pallaͤſte an geſchmackvolle Buͤrgerhaͤuſer,
ganze Strecken ſind in wenigen Jahren bebaut,
uͤberall ſieht man Materialien zu neuen Schoͤp-
fungen liegen. Dieſe Gaſſe wird ſicherlich ſo
einzig in ihrer Art, als die Idee ihrer Anlage
kuͤhn und die Ausfuͤhrung groß war. *) — Die
Fontanka hat fuͤnf Bruͤcken, ſaͤmtlich aus Gra-
nit. Sie ruhen, eine ausgenommen, auf zwey
Boͤgen, zwiſchen welchen Zugbruͤcken angebracht
ſind. Jede derſelben iſt mit vier Granitthuͤr-
[31] men, welche die Gewinde enthalten, und mit
eben ſo vielen zylinderfoͤrmigen Granitſaͤulen
umgeben, deren jede auf eiſernen Armen zwey
Kugellampen traͤgt.


Der kleine, mit Holz eingefaßte Krukow-
kanal
wird durch eine ſchoͤne Zugbruͤcke merk-
wuͤrdig, die bey ſeiner Vereinigung mit der Ne-
wa auf dem Galeerenhofe ſteht. Sie iſt mit vier
einfachen Granitſaͤulen umgeben, die drittehalb
Klafter hoch ſind und vier Fuß im Durchmeſſer
haben. Jede derſelben ruht auf einem Granit-
wuͤrfel von vier Kubikfuß. Die Saͤulen und ih-
re Stuͤhle ſind ausgehoͤhlt und enthalten Win-
den vermittelſt welcher die Zugbruͤcke, wie die
Uhr, aufgezogen wird. —


Jetzt kennen wir das Terrain von St. Pe-
tersburg. Wenn es mir gelungen iſt, der Ein-
bildungskraft meiner Leſer bey dieſem trocknen
Gegenſtande ein Bild unterzulegen, ſo werden
ſie einen hinlaͤnglichen Begriff von den Vorthei-
len und Eigenthuͤmlichkeiten deſſelben haben.


An und zwiſchen dieſen Fluͤſſen und Kanaͤlen
alſo liegt die große Haͤuſermaſſe, mit deren
naͤherer Betrachtung wir uns itzt beſchaͤftigen
werden. Nach dem Kataſter von 1787 zaͤhlte
[32] man 3431 Haͤuſer, unter denen 1291 von Stein,
die uͤbrigen aber von Holz waren. Dieſe Zahl
iſt nur anſcheinend klein, weil die Haͤuſerplaͤtze,
im Ganzen genommen, von außerordentlicher
Groͤße ſind, und faſt jedes ſteinerne Haus ins
Gevierte gebaut wird. Das Verhaͤltniß der ſtei-
nernen Gebaͤude zu den hoͤlzernen ſcheint ebenfalls
gering; da aber die erſtern durchgehends bey wei-
tem groͤßer und hoͤher ſind, ſo kann man anneh-
men, daß mehr als die Haͤlfte der Bevoͤlkerung
von Petersburg in ſteinernen Haͤuſern wohnt,
oder doch wohnen koͤnnte, wenn in denſelben nicht
der Bequemlichkeit und Prachtliebe ſo vieler
Wohnraum aufgeopfert wuͤrde. Das Nachthei-
lige dieſes Verhaͤltniſſes mindert ſich von Jahr
zu Jahr, theils durch die Verwuͤſtungen des Feu-
ers, die immer vorzuͤglich die hoͤlzernen Gebaͤude
treffen, theils durch die Wirkſamkeit des herr-
ſchenden Baugeiſtes, und theils durch die obrig-
keitliche Befehle und Verordnungen. Kein hoͤl-
zernes Haus darf ausgebeſſert, oder wenn es
abgebrannt iſt, von neuem aufgefuͤhrt werden;
nur in den entfernteſten Stadttheilen wird hievon
zuweilen eine Ausnahme gemacht. Der gute
Erfolg dieſer Huͤlfsmittel zur Verſchoͤnerung
beweiſt
[33] beweiſt ſich aus der Vergleichung zweyer Zeit-
punkte der jetzigen Regierung. Im Jahr 1762
zaͤhlte man 460 ſteinerne und 4094 hoͤlzerne Haͤu-
ſer; im Jahr 1787 hatten ſich die erſtern ſchon
zu 1291 vermehrt, und die letztern zu 2140 ver-
mindert. Dieſe wirklich erſtaunenswuͤrdige That-
ſache iſt der Grund eines Sprichworts geworden:
Katharina die Zweyte, ſagt man, hat
Petersburg hoͤlzern empfangen, und wird es
ſteinern zuruͤcklaſſen.


Die hoͤlzernen Haͤuſer werden gewoͤhn-
lich aus runden uͤber einander gelegten Balken
erbaut, deren Zwiſchenraͤume man mit Moos
und Werg ausfuͤllt. Um ihnen ein beſſeres An-
ſehn zu geben, bekleidet man ihre Auſſenſeite
haͤufig mit Brettern und giebt dieſen eine belie-
bige Farbe. Ein hoͤlzernes Haus hat gewoͤhnlich
ein vier bis ſieben Fuß hohes Kellergeſchoß und
ſelten mehr als Ein Stockwerk. Dieſe leichten,
im Norden einheimiſchen Wohnungen haben
mehrere nicht unbedeutende Vorzuͤge. Sie ſind
im Winter ſehr warm; ihre Erbauung koſtet
ſehr wenig; auf ſteinernem Fundament dauern
ſie ſechzig und mehrere Jahre; ihre einfache
Konſtruktion erlaubt alle nur erdenkliche Veraͤn-
Erſter Theil. C
[34] derungen der Form; ſie ſind endlich auch ſogar
transportabel. In Moskau findet man auf ge-
wiſſen Maͤrkten fertige Haͤuſer zum Verkauf;
die nur zuſammengeſetzt werden duͤrfen. Ein
Eigenthuͤmer, der ſich in einer andern Gegend
der Stadt niederlaſſen will, fuͤhrt mit ſeinen
Mobilien auch ſein Haus mit ſich, und laͤßt es
auf ſeinem neuen Wohnplatz wieder aufſtellen.
Dieſe und andere Vortheile rechtfertigen die Vor-
liebe der Nation fuͤr hoͤlzerne Gebaͤude, die ſo
weit geht, daß beguͤterte Leute, vorzuͤglich in
Moskau, oft neben ihrem ſteinernen Hauſe ein
hoͤlzernes Wohngebaͤude zu ihrer eignen Benuz-
zung erbauen.


Die ſteinernen Haͤuſer in St. Peters-
burg werden im Allgemeinen mit ſehr viel Ge-
ſchmack und Bequemlichkeit, aber nicht mit eben
ſo viel Soliditaͤt gebaut. Sie ſind durchgehends
ganz von Stein, nie von Fachwerk und haben
gewoͤhnlich uͤber dem Erdgeſchoß nur zwey, ſelten
weniger, und noch ſeltner mehr Stockwerke.
Es giebt zwar auch Haͤuſer von außerordentli-
cher Hoͤhe, da man hier aber in Ruͤckſicht auf
Wohnung mit mehr Luxus lebt, als an irgend
einem Ort den ich kenne, ſo iſt die naͤmliche
[35] Hoͤhe, die z. B. in Paris zu fuͤnf Stockwerken
hinreichen wuͤrde, hier nur zu zweyen benutzt.
Die meiſten Haͤuſer haben nach italiaͤniſcher Bau-
art ein Erdgeſchoß, deſſen Fenſter nur wenig
uͤber dem Pflaſter hervorragen und welches zu
Bedientenzimmern und Lawken (kleinen Kram-
laͤden) eingerichtet iſt. Dieſer Erdgeſchoß wird
jetzt haͤufig mit Granit bekleidet. Die Faſſaden
der Haͤuſer ſind groͤßtentheils geſchmackvoll und
in gutem Stil, zuweilen aber auch mit Zierra-
then uͤberladen, die der Herrſchaft der Mode ſo
gut unterworfen ſind als die Form der Kleider.
Jetzt iſt der Geſchmack an Saͤulenverzierungen
herrſchend, und ſo lange dieſer dauert, wird
hierinn ſo gut uͤbertrieben wie in jeder andern
Mode. Da man hier durchgehends von Back-
ſteinen baut, ſo werden die aͤußern Mauern mit
mancherley Farben uͤbertuͤncht, unter denen jetzt
die gruͤne und café au lait die beliebteſten ſind.
Die Daͤcher werden theils mit Ziegeln, theils
mit Kupfer- und Eiſenblech gedeckt, welche letz-
tere, außer ihrer Dauerhaftigkeit und Sicher-
heit, einen angenehmen Anblick gewaͤhren, wenn
ſie, wie jetzt haͤufig geſchieht, mit gruͤner oder
rother Farbe uͤberzogen werden. Die Form der
C 2
[36] Daͤcher, iſt nach den Regeln der ſchoͤnen Bau-
kunſt, platt; daß hier nirgend ein Giebel zu ſe-
hen iſt, verſteht ſich bey einer Stadt von ſo neu-
er Anlage von ſelbſt.


In der innern Bauart und Einrichtung der
Haͤuſer (ich ſpreche nicht von Pallaͤſten) iſt fuͤr
die Bequemlichkeit und den Luxus ſo ſehr geſorgt
als in irgend einer Stadt in Europa; eine Sorg-
falt, die das unfreundliche Klima hier freylich
nothwendiger macht als anderswo. Faſt alle
gute Privathaͤuſer haben gewoͤlbte Thorwege,
unter welchen man, fuͤr jede Witterung geſchuͤtzt,
aus und in den Wagen ſteigen kann; geraͤumige
Hofplaͤtze, die viele hundert Klafter Holz faſſen,
und dennoch Raum genug fuͤr wartende Equipa-
gen enthalten; breite ſteinerne Treppen, Vor-
zimmer fuͤr die Bedienten der beſuchenden Herr-
ſchaften, abgeſonderte Speiſeſaͤle, Balkons, u.
ſ. w.. Eine naͤhere Beſchreibung der innern Be-
ſchaffenheit der Haͤuſer werden wir in einem der
folgenden Abſchnitte finden.


Die Anzahl der Gaſſen geht ſicherlich uͤber
hundert und funfzig hinaus, wenn man alle Ver-
[37] bindungsgaſſen (Pereulki *) und die Linien von
Waſſili-Oſtrow mit in Anſchlag bringt. Ihre
groͤßten Vorzuͤge ſind Regelmaͤßigkeit und Breite.
Sie laufen faſt alle in geraden Linien hin und
durchſchneiden ſich in rechten, ſtumpfen und
ſpitzen Winkeln. Dieſe Abwechſelung und die
Mannigfaltigkeit der Bauart gewaͤhrt dem Auge
weit mehr Vergnuͤgen, als die monotoniſche Sym-
metrie der Straßen, die man z. B. in Mann-
heim findet. Waſſili-Oſtrow macht eine Aus-
nahme von dieſer allgemeinen Bemerkung; drey
lange Perſpektivſtraßen werden dort in rechten
Winkeln von zwoͤlf Gaſſen durchſchnitten, die
man Linien nennt und nach den Haͤuſerreihen
nennt, ſo daß jede Gaſſe zwey Linien hat. Die
Breite der petersburgiſchen Gaſſen iſt von ſechs
bis funfzehn Klafter; aber die breiteſte unter al-
len iſt die große Perſpektive auf Waſſili-Oſtrow:
C 3
[38] ſie hat dreyßig Klafter. Auch durch ihre Laͤnge
werden mehrere Gaſſen merkwuͤrdig, wie z. B.
die newskiſche Perſpektive, die bey der Admira-
litaͤt anfaͤngt und beym Alexander-Newski Klo-
ſter, nach einem Lauf von mehr als vier Werſten
endigt.


So wenig ich dieſen Abſchnitt zu einer trock-
nen Topographie machen moͤchte, ſo nothwendig
finde ich es doch, meine Leſer mit der buͤrgerli-
chen Eintheilung der Reſidenz bekannt zu machen.
Sie iſt, zufolge der Polizeyordnung vom Jahr
1782, in zehn Stadttheile getheilt, deren
jedes mehrere Quartiere hat, die man hier, nach
der ruſſiſchen Benennung, Quartale nennt.
Die Lage dieſer Stadttheile wird groͤßtentheils
durch die natuͤrlichen Grenzen beſtimmt, welche
der Fluß und die Kanaͤle bilden, und es iſt mir
daher leicht, meinen Leſern, auch ohne Plan,
einen ſinnlichen Begriff von derſelben zu geben.
Sie werden ſich erinnern, daß die Reſidenz zur
Linken der Newa ein unregelmaͤßiges, von dieſem
Fluß und dem Stadtgraben begrenztes, Drey-
eck bildet, welches von drey Hauptkanaͤlen durch-
ſchnitten wird. Der Raum zwiſchen dieſem Ufer
der Newa und der Moika heißt der erſte Admi-
[39] ralitaͤtstheil
— zwiſchen der Moika und dem
Katharinenkanal, der zweyte — und zwiſchen
dem Katharinenkanal und der Fontanka, der
dritte Admiralitaͤtstheil. Was jenſeits
der Fontanka an der Newa liegt, heißt der
Stuͤckhof; unter dem Stuͤckhof, laͤngs der
Fontanka, liegt der moskowiſche, und laͤngs
dem ligowſchen Kanal, der roſheſtwenski-
ſche
, an welchen der Jaͤmskoi-Stadttheil
ſtoͤßt. Den waſſilioſtrowſchen, peters-
burgiſchen
und wiburgiſchen kennen meine
Leſer ſchon aus dem vorhin Geſagten. — Jeder
dieſer Theile enthaͤlt, im Durchſchnitt gerechnet,
uͤber zwanzigtauſend Menſchen, und kann daher,
ſowohl in Ruͤckſicht ſeiner Bevoͤlkerung als auch
ſeiner Lage und Eigenthuͤmlichkeiten, als eine
beſondere Stadt angeſehen werden.


Der erſte Admiralitaͤtstheil liegt im
Mittelpunkte der Reſidenz. Er iſt der kleinſte,
aber auch der ſchoͤnſte und vollendeteſte unter al-
len. Was das Quartier du palais royal fuͤr
Paris iſt, das iſt dieſer Stadttheil fuͤr St. Pe-
tersburg: der Kern der Stadt, in welchem
Luxus und Reichthum zu Hauſe ſind, die ſich von
hier aus mit immer abnehmender Kraft bis an
C 4
[40] die aͤußerſten Grenzen der Reſidenz verbreiten;
der Mittelpunkt des Gewuͤhls und der Geſchaͤfte;
der glaͤnzendſte Sammelplatz aller Vergnuͤgungen
von der hoͤhern Art. — In ſeinem Bezirk lie-
gen drey und zwanzig der vorzuͤglichſten Pallaͤſte,
unter welchen der kaiſerliche Winterpal-
laſt
der merkwuͤrdigſte iſt.


Die koloſſaliſche Groͤße dieſes Gebaͤudes, *)
die Pracht die in und um daſſelbe herrſcht, die
Schaͤtze von Koſtbarkeiten und Seltenheiten die
hier aufgeſammelt ſind, machen es allerdings zu
einem der ſehenswertheſten Gegenſtaͤnde der Re-
ſidenz. Unendlich intereſſanter aber wird es durch
den Gedanken, daß in demſelben Katharina
die Zweyte
wohnt, daß dies der Schauplatz
einer der laͤngſten, gluͤcklichſten und thatenreich-
ſten Regierungen iſt, deren Wirkungen ſich uͤber
dreyßig Millionen Menſchen, uͤber Europa und
die Welt ergießen.


Das Aeußere dieſes Pallaſtes, welcher in
Verbindung mit der Eremitage den Umfang einer
kleinen Stadt begreift, iſt durch ſeine Groͤße im-
poſant, aber ſonſt durch ſeine Bauart nicht ſehr
[41] merkwuͤrdig. Der Stil und die Ueberladung
mit Verzierungen verrathen das Zeitalter in wel-
chem er ſein Daſeyn erhielt. Die ganze Hoͤhe,
welche 70 Fuß betraͤgt, hat nur ein Erdgeſchoß,
ein Hauptſtockwerk und ein Entreſol. Die Lage
dieſes Pallaſtes iſt herrlich. An die Vorderſeite
ſchließt ſich der mit praͤchtigen und ſchoͤnen Ge-
baͤuden umgebene Schloßplatz, der groͤßte den ich
je geſehen habe, und an der Hinterſeite fließt die
Newa in ihren mit Granit bekleideten Ufern
vorbey. Der linke Fluͤgel, an welchen die Ere-
mitage ſtoͤßt, gewaͤhrt durch einen Vorſprung
die Ausſicht in die große Million, eine der ſchoͤn-
ſten Gaſſen; zur Rechten liegt die Admiralitaͤt.


Der untere Stock wird durch eine Menge
ſich durchkreuzender Gewoͤlbe und Saͤulenreihen
dem Pallaſt des Daͤdalus aͤhnlich; man muß
mehrere Male in demſelben geweſen ſeyn, um
ſich ohne Fuͤhrer wieder hinaus zu finden. Eini-
ge dieſer Gaͤnge ſind dunkel, und faſt alle geben,
durch den Mangel zureichender Erleuchtung, ei-
nen melankoliſchen Anblick. Unter den vielen
Treppen, die aus dieſem Erdgeſchoß in das
Hauptſtockwerk fuͤhren, iſt die marmorne Pa-
C 5
[42] radetreppe durch ihre Pracht und ſchoͤne Bauart
merkwuͤrdig.


Der zweyte Stock enthaͤlt die Hofkirche, den
Audienzſaal, das Kleinodienzimmer, mehrere
Maskeraden- und Geſellſchaftsſaͤle und die ſaͤmt-
lichen Wohnzimmer der Kaiſerinn und der kaiſer-
lichen Familie. So ſehr ſich die erſtern durch
die ausgeſuchteſte Pracht und durch den uner-
meßlichen Werth der darinn enthaltenen Koſtbar-
keiten auszeichnen, ſo uͤberraſchend iſt die edle
Simplicitaͤt, die in den eigentlichen Wohnzim-
mern der Kaiſerinn herrſcht, wo die Verſchwen-
dung nirgend, der Reichthum aber nur unter
dem Gepraͤge der Nuͤtzlichkeit und des Geſchmacks
eine Stelle behauptet. Den Geldwerth der Ge-
maͤlde und Kunſtſachen abgerechnet, welche hier
zur Befriedigung des geiſtigen Luxus aufgeſtellt
ſind, iſt Katharina die Zweyte nicht beſſer
mit Hausgeraͤthe verſehen, als ſo viele ihrer
wohlhabenden und reichen Unterthanen. Ein un-
willkuͤhrliches Gefuͤhl, die Huldigung die ſich
moraliſche Groͤße immer zu erzwingen weiß, be-
meiſtert ſich des Beobachters, wenn ihm der An-
blick dieſer Gegenſtaͤnde das Bild der großen
Fuͤrſtinn ſinnlicher und gegenwaͤrtiger macht, fuͤr
[43] deren Gebrauch ſie da ſind. — Doch was iſt
merkwuͤrdig, wenn es an Sie erinnert! Wer
kann ſeinen Blick auf die Gegenſtaͤnde heften, die
Katharina umgeben, ohne Sie zu denken, und
wer kann Sie denken, ohne zu fuͤhlen was ſie
fuͤr ihr Volk und fuͤr die Unſterblichkeit that! —


An die linke oder oͤſtliche Seite des Win-
terpallaſtes ſtoͤßt die Eremitage, ein aus zwey
abgeſonderten, praͤchtigen Gebaͤuden beſtehendes
Ganze, welche durch bedeckte Gaͤnge unter ſich
und mit dem Winterpallaſt verbunden ſind.
Dieſer Tempel, den Katharina der geſell-
ſchaftlichen Erholung und dem zwangloſen Ver-
gnuͤgen erbaute, iſt vielleicht unter allen, welche
dieſem Zweck von Koͤnigen gewidmet worden ſind,
einzig in ſeiner Art. Jeder geiſtige Genuß hat
hier ſeinen Altar, auf welchem die erhabne Prie-
ſterinn dieſes Tempels mit weiſer Wahl und
Maͤßigung das heilige Feuer unterhaͤlt, um wel-
ches ſich die Auserwaͤhlten ihres vertrauten Zir-
kels verſammeln. Die Schaͤtze der Kunſt und
des geſellſchaftlichen Fleißes gehoͤren zwar nicht
in dieſes Kapitel, aber eine kurze Anzeige der
einzelnen Merkwuͤrdigkeiten dieſes Pallaſts kann
ich hier nicht uͤbergehen. Hier iſt die Privatbi-
[44] bliothek der Kaiſerinn, die Gemaͤldegallerie, die ſo-
genannte Loge des Raphael (eine Kopie der vatika-
niſchen) eine Kupferſtichſammlung, ein Medaillen-
und Muͤnzkabinett, eine naturhiſtoriſche, vorzuͤg-
lich mineralogiſche Sammlung, eine Kunſt- und
Modellenſammlung, ein Kabinett von antiken
und modernen Koſtbarkeiten befindlich, der ſchoͤ-
nen Kunſtwerke nicht zu erwaͤhnen, die ſich dem Au-
ge uͤberall darbieten. Hin und wieder ſind die Buͤ-
ſten großer Menſchen, wie in einem Tempel des
Verdienſtes, aufgeſtellt. Einige Zimmer ſind zu
muſikaliſchen Beluſtigungen, andere zum Bil-
liard oder zu anderen Spielen beſtimmt. In
einem der Hoͤfe iſt ein Luſtgarten angebracht,
deſſen gewoͤlbter Boden im Winter geheizt wird.
Ein kleines mit Drath uͤberzogenes Geſtraͤuch
dieſes Gartens iſt der Sammelplatz ſchoͤner
und ſeltner Voͤgel, denen Katharina oft mit
eigner Hand das Futter reicht. — Ein bedeck-
ter Gang fuͤhrt aus dieſem Zaubertempel in
das Hoftheater, in welchem ebenfalls bey
den Vorſtellungen nur eine ſelbſtgewaͤhlte Ge-
ſellſchaft erſcheint. Die Auſſenſeite dieſes pal-
laſtartigen Gebaͤudes iſt mit Saͤulen und ko-
loſſaliſchen Statuͤen griechiſcher, roͤmiſcher und
[45] ruſſiſcher Theaterdichter verziert; in der innern
Einrichtung herrſcht eine geſchmackvolle Sim-
plicitaͤt. Die Buͤhne iſt nur von maͤßigem Um-
fange, daher die großen Opern, zu denen viel
Maſchinenwerk gehoͤrt, hier nicht vollſtaͤndig
vorgeſtellt werden koͤnnen. Der Saal fuͤr die
Zuſchauer hat keine Logen, ſondern bildet in
einem ſich immer verengernden Halbzirkel Stu-
fen, die uͤberall mit Tuch bezogen und eine um
die andere mit Polſtern belegt ſind, auf wel-
che ſich die Zuſchauer ſetzen.


Die zweyte Merkwuͤrdigkeit dieſes Stadt-
theils iſt der Marmorpallaſt. Dieſes, durch
ſeine Pracht vielleicht einzige, Gebaͤude bildet
ein laͤngliches Viereck, deſſen eine ſchmalere
Seite durch zwey hervorſpringende Fluͤgel ei-
nen Hofplatz erhaͤlt. Die beyden Fluͤgelſeiten
ſtehen nach der Newa und nach der Million;
die Hinterſeite iſt durch eine Quergaſſe von
den daneben ſtehenden Haͤuſern getrennt,
und die Vorderſeite hat einen zweyten geraͤu-
migen Hof, der an den Fluͤgelſeiten mit einem
eiſernen, zum Theil vergoldeten Gegitter ein-
geſchloſſen iſt, vorne aber durch die Manege
des Pallaſts begrenzt wird. So ſchoͤn die Lage
[46] deſſelben auch iſt, ſo ſehr iſt es doch zu be-
dauren, daß die Hauptfaſſade nicht nach der
Newa ſieht, wo ſie einen ungleich praͤchtigern
Eindruck gemacht haben wuͤrde. Da die Fluͤ-
gel, deren Breite nicht vollkommen gleich iſt,
an der ſchmalen Seite des Gebaͤudes angebracht
ſind, ſo iſt der innere Hofraum nur klein, und
wegen der Farbe des Marmors auch weniger
hell, als es fuͤr die Wirkung des Anblicks zu
wuͤnſchen waͤre. Doch die ſolide Pracht, die
uͤberall an dieſem Pallaſte blendet und in Er-
ſtaunen ſetzt, laͤßt dem Zuſchauer keinen Blick
fuͤr dieſe Maͤngel uͤbrig. Seine rieſenhafte
Maſſe thuͤrmt ſich in drey Stockwerke empor,
von denen die Auſſenſeite des untern mit Gra-
nit, der obere aber mit grauem Marmor be-
kleidet und mit Pfeilern von roͤthlichem Mar-
mor verziert iſt. Alles was das Auge erblickt,
iſt Stein und Metall. Die Fenſterrahmen ſind
von gegoſſenem Meſſing und ſtark vergoldet,
die Scheiben facettirtes Spiegelglas. Die
Balkons an den Fluͤgelſeiten haben metallene
vergoldete Gelaͤnder. Selbſt das Dach ruht
auf eiſernen Sparren und iſt mit Kupfer ge-
deckt. — Eine Beſchreibung des Innern wird
[47] hoffentlich keiner meiner Leſer erwarten. Die
Wunder der Geiſterwelt, mit welchen die rei-
che und uͤppige Fantaſie unſers Wielands
uns bekannt gemacht hat, ſind hier zur Wirk-
lichkeit hervorgerufen; ſeine Feentempel, die
er dem geiſtigen Auge vorgezaubert, ſind das
Gemaͤhlde des Marmorpallaſtes, der es wol
werth iſt,
— daß Zevs, wenn ihn der Sorgen Laſt
vom Himmel treibt, hier ſeine Wohnung mache.


Das Kollegium der auswaͤrtigen
Geſchaͤfte
, die Poſtgebaͤude, der Se-
nat
, und die Leihbank gehoͤren zu den oͤf-
fentlichen Gebaͤuden, die ihrer Pracht oder der
Baukunſt wegen zu den groͤßten Merkwuͤrdig-
keiten dieſes Stadttheils gerechnet zu werden
verdienen, und deren Anzahl durch dreyzehn
Privatpallaͤſte
und eine Menge ſchoͤner
und großer Haͤuſer vermehrt wird. Unter die-
ſen zeichnet ſich das aus drey zuſammenhaͤn-
genden Pallaͤſten beſtehende Amphitheater
vorzuͤglich aus, welches die jetzige Kaiſerinn
ihrem Wohnſitz gegen uͤber am Schloßplatz er-
baute. Die Vorzuͤge deſſelben ſind die koloſſa-
liſche Groͤße, der einfache edle Stil, der nur
[48] durch zwey ungeheure Marmorſaͤulen an jedem
der drey Thore gehoben wird, und endlich die
Lage dieſes Gebaͤudes, welches wechſelsweiſe
den Schloßplatz verſchoͤnert und durch ihn ver-
ſchoͤnert wird.


Einen ſehr wichtigen Rang in dem Lokale
dieſes Stadttheils behauptet ferner die Admi-
ralitaͤt
, ob ſie gleich durch ihr Aeußeres der
Nachbarſchaft unwerth ſcheint in welcher ſie
ſteht. Rundum von Pallaͤſten und Tempeln
umgeben, an denen Gold und Marmor prangt,
muͤßte ſie ſich ihres Erdwalls ſchaͤmen, wenn
ſie das verwoͤhnte Auge dafuͤr nicht durch ihren
ſchoͤnen, hohen, die Perſpektive von drey mei-
lenlangen Straßen bildenden, vergoldeten Thurm
entſchaͤdigte. Das Gebaͤude ſelbſt iſt ein lan-
ges Viereck, welches nur durch ſein haͤßliches
Anſehen merkwuͤrdig wird. Die Newaſeite der
Admiralitaͤt gewaͤhrt den Einwohnern der Re-
ſidenz zuweilen eins der praͤchtigſten Schauſpie-
le; hier iſt der Stapel, auf welchem Kriegs-
ſchiffe von ſechzig bis hundert Kanonen erbaut
werden und deren Ablaſſen eine der groͤßten
Feyerlichkeiten iſt. Die Landſeiten ſind mit ei-
nem Erdwall umgeben, der mit hundert Ka-
nonen
[49] nonen beſetzt iſt, die durch ihren Donner das
Publikum von merkwuͤrdigen Begebenheiten
unterrichten.


Die einzige oͤffentliche Kirche dieſes Stadt-
theils, die Iſaakskirche, die zugleich die
praͤchtigſte der Reſidenz werden wird, iſt noch
nicht vollendet. Sie ruht, wie der Marmor-
pallaſt, auf einer Grundlage von Granitqua-
dern, und wird von außen und innen mit
Marmor, Jaspis und Porphyr bekleidet.
Der Bau, der nun ſchon vier und zwanzig
Jahre waͤhrt, iſt bis unter das Dach vollfuͤhrt;
itzt, da ich dies ſchreibe, wird der Anfang mit
den Kuppeln gemacht.


Auch der erſte Sommergarten, *) oder
der vorzuͤglichſte oͤffentliche Spaziergang liegt
innerhalb den Grenzen dieſes Admiralitaͤts-
theils. Seiner eigentlichen Beſtimmung nach
gehoͤrt er zum kaiſerlichen Sommerpallaſt, wel-
Erſter Theil. D
[50] ches ein weitlaͤuftiges hoͤlzernes Gebaͤude iſt,
das ſeine Benennung nicht mehr verdient, und
welchen die Kaiſerinn nur zuweilen auf einzelne
Tage beſucht, wenn ſie von ihrem Sommer-
aufenthalte in Zarskoje Selo nach der Reſidenz
koͤmmt. Der Garten, der itzt gaͤnzlich dem
Publikum gewidmet iſt, wird ſeine Schilde-
rung in einem der folgenden Abſchnitte finden;
nur der Balluͤſtrade muß ich hier erwaͤhnen,
durch welche er ſeit kurzem eine der vorzuͤglich-
ſten Zierden dieſes Stadttheils geworden iſt.
Dieſes praͤchtige Kunſtwerk beſtimmt die Grenze
des Sommergartens, indem es in der Haͤuſer-
reihe laͤngs der Newa fortlaͤuft, und beſteht aus
ſechs und dreyßig zylinderfoͤrmigen Granitſaͤulen,
die durch ein eiſernes Gegitter verbunden ſind.
Die Hoͤhe der Saͤulen betraͤgt zwey Klafter und
ihr Durchmeſſer uͤber drey Fuß. Sie ruhen auf
Granitwuͤrfeln von ſechs Kubikfuß und ſind oben
in abwechſelnder Ordnung mit Urnen und Vaſen
verziert. Die großen Steinmaſſen, die treffli-
che Arbeit an dem Eiſengitter, deſſen Verzie-
rungen ſtark vergoldet ſind, die Verbindung des
Ganzen mit den praͤchtigen daneben ſtehenden
Gebaͤuden und der Anblick der Newa und ihres
[51] Granitufers geben dieſer Stelle in der Reſidenz
Vorzuͤge, die ihr vielleicht von keiner der Wunder-
ſtaͤdte Europens ſtreitig gemacht werden koͤnnen.


Der erſte Admiralitaͤtstheil hat vier oͤf-
fentliche Plaͤtze
, die bey aller Vollkommen-
heit einzelner Theile dennoch großer Verſchoͤne-
rungen beduͤrfen, um ihres Ranges werth zu ſeyn.
Eine Ausnahme von dieſer Bemerkung macht
der Schloßplatz, der zwar durchaus gut,
aber doch ſehr ungleich, bebaut iſt. Seine un-
geheure Groͤße iſt der weſentlichſte aber auch
nothwendigſte Vorzug, da ſich hier an Courta-
gen und bey oͤffentlichen Gelegenheiten mehrere
tauſend Equipagen verſammeln. Die Form die-
ſes Platzes iſt ein etwas unregelmaͤßiger halber
Zirkel, deſſen Grundlinie der Winterpallaſt bil-
det. Zur Rechten dieſes Pallaſts liegt die Admi-
ralitaͤt, gegen uͤber das Amphitheater, und zur
Linken eine gerade fortlaufende auf das Amphi-
theater zuſtoßende Reihe von Haͤuſern, die
ſaͤmtlich gut ins Auge fallen, aber durch ihre
ungleiche Hoͤhe mit den eben genannten Gebaͤu-
den kontraſtiren. — Der Platz neben den
Sommergaͤrten
iſt durch nichts merkwuͤr-
dig. Sein laͤndliches Anſehn (denn er iſt uͤber-
D 2
[52] all mit Gras bewachſen und zum Theil von
Baͤumen umgeben) wird durch die Nachbar-
ſchaft des marmornen und anderer Pallaͤſte ge-
hoben. — Der Iſaaksplatz, auf welchem
die Kirche dieſes Namens erbaut wird, hat die
Form eines verſchobenen Dreyecks; er iſt von
ſchoͤnen Haͤuſern eingeſchloßen und wird einer der
vorzuͤglichſten in ſeiner Gattung ſeyn, wenn die
hoͤlzernen Huͤtten, die zum Behuf des Baus an
der Iſaakskirche aufgeſchlagen ſind, ihn nicht
mehr verunzieren werden. — Der Peters-
platz
endlich iſt durch ſeine Schoͤnheit ſowol als
Haͤßlichkeit der merkwuͤrdigſte unter allen. Sei-
ne Form iſt nicht zu beſchreiben, denn er hat
wirklich noch keine; ſeine Grenzen ſind der
Iſaaksplatz, die Admiralitaͤt, die Newa und
der Senatspallaſt. Wenn man von dem Iſa-
aksplatz ausgeht, ſo ſtoͤßt man zuerſt auf einen
kleinen moraſtigen Kanal, deſſen hoͤlzerne Bruͤcke
eben nicht auf den großen Anblick vorbereitet,
welchem man entgegen geht: hier nimmt der
Petersplatz ſeinen Anfang, indem er ſich allmaͤ-
lig erweitert, bis er endlich mit ſeiner groͤßten
Breite auf die Newa ſtoͤßt. Zur rechten hat man
in dieſer Stellung die Admiralitaͤt, zur linken
[53] den Senat. So unangenehm der Eindruck iſt,
welchen dieſe zum Theil haͤßlichen, verfallenen
und durch Luͤcken unterbrochenen Begrenzungen
machen, ſo leicht vergißt man ihn doch, wenn
ſich das uͤberraſchte Auge in die Ferne ſtuͤrzt und
auf dem großen lebendigen Gemaͤlde verweilt,
welches hier der Fluß, die herumſchwimmenden
Schiffe und Schaluppen, die gewuͤhlvolle Bruͤcke
und das mit Pallaͤſten und ſchoͤnen Haͤuſern be-
kraͤnzte Ufer von Waſſili-Oſtrow bilden. Auf
dieſem Platz nun ſteht das mit Recht beruͤhmte
Denkmal Peters des Großen, von wel-
chem ich nichts ſagen werde, weil ſchon ſo viel
daruͤber geſagt iſt. Das Gewuͤhl von Menſchen
und Pferden reißt hier nie ab, da die Bruͤcke
der Vereinigungspunkt mehrerer Stadttheile iſt.
Man kann mit Zuverlaͤßigkeit behaupten, daß
dieſer Platz ſchlechterdings einzig in ſeiner Art
werden wird, wenn die Verſchoͤnerungen zu
Stande kommen, von welchen man jetzt im
Publikum ſpricht. *)


D 3
[54]

In dieſem Stadttheil nehmen drey gerade,
lange und ſchoͤne Gaſſen ihren Anfang, die man
Perſpektive nennt, weil ſie aus allen Stand-
punkten die Ausſicht auf den vergoldeten Admi-
ralitaͤtsthurm gewaͤhren. Die newskiſche
Perſpektive
iſt unter dieſen die vorzuͤglichſte.
Ihre Laͤnge geht, eine kleine Beugung ausge-
nommen, in gerader Richtung von der Admira-
litaͤt bis zum Alexander-Newski Kloſter, ihre
Breite wetteifert mit den praͤchtigſten Straßen
in Europa. Die vielen Hotels und die Kramlaͤ-
den, die hauptſaͤchlich in dieſe Gaſſe zuſammen-
gedraͤngt ſind, verurſachen einen Zuſammenfluß
von Menſchen und ein Gewuͤhl, wodurch ſie ein
Intereſſe erhaͤlt, welches den meiſten Gegenden
von St. Petersburg fehlt. So merkwuͤrdig die
newskiſche Perſpektive durch alle dieſe Vorzuͤge
wird, ſo iſt ſie es in den Augen des philoſophi-
ſchen Beobachters doch unendlich mehr als Denk-
mal einer weiſen und aufgeklaͤrten Toleranz
*)
[55] Ein Tempel kettet ſich hier an den andern: Re-
formirte, Katholiken, Armenier und Griechen
haben in dieſer Gaſſe ihre Kirchen neben und ge-
genuͤber einander.


Daß dieſer Stadttheil vorzuͤglich von Gro-
ßen und Reichen bewohnt iſt, wird man aus
dem Geſagten leicht einſehen. Der Kay des
Galeerenhofes und der vom Winterpallaſt gehoͤ-
ren zu den beſten und geſuchteſten Gegenden und
ſind mit praͤchtigen Haͤuſern beſetzt, die den Gro-
ßen des Hofes oder Kaufleuten gehoͤren. Die
Miethe iſt in dieſen Gegenden um die Haͤlfte
theurer als anderswo, und auch die Lebensmittel
und uͤbrigen Beduͤrfniſſe werden durch die Bereit-
willigkeit geſteigert, mit welcher der Luxus der
Einwohner die ausſchweifendſten Preiſe derſel-
ben bezahlt.


So wie man ſich weiter von dieſem Mit-
telpunkte entfernt, erhaͤlt die Stadt ein ſtille-
res, buͤrgerlicheres Anſehen, die laͤngſten und
breiteſten Gaſſen ausgenommen, in welchen
das Gewuͤhl ſich bis an die aͤußerſten Grenzen
der Stadt erſtreckt. — Die vorzuͤglichſten oͤf-
fentlichen Gebaͤude des zweyten Admirali-
taͤtstheils
ſind der neue Stallhof, das
D 4
[56]mediziniſche Kollegium und das Opern-
haus
. Dieſes letztere iſt ein großes maſſives
Gebaͤude in edlem einfachem Stil, bey deſſen
Erbauung auf alle Erforderniſſe ſeiner Beſtim-
mung Ruͤckſicht genommen iſt. Es ſteht auf
einem ſehr großen, freyen, gutumbauten und
durch ſeine Regelmaͤßigkeit in die Augen fal-
lenden Platz, der von dem Nikolaikanal durch-
ſchnitten wird. Da dieſes Theater zunaͤchſt
fuͤr große Opern beſtimmt iſt, ſo ſind die in-
nern Einrichtungen dieſem Zweck entſprechend,
und es iſt mit allen Maſchinerien hinlaͤnglich
verſehen. Der Saal fuͤr die Zuſchauer hat
vier Reihen Logen, die aber zum Theil nicht
vortheilhaft angelegt ſind; das Parterre wird
durch die kaiſerliche Loge in die Haͤlfte getheilt,
wodurch ein zweytes uͤber derſelben befindliches
Parterre entſteht. Der ganze Saal kann uͤber
dreytauſend Menſchen faſſen. Fuͤr den moͤgli-
chen Fall einer Feuersgefahr ſind acht Treppen
und ſechzehn Ausgaͤnge vorhanden und unter
dem Dach ſind vier große Waſſerbehaͤlter und
mehrere Schlaͤuche und Pumpen angebracht.


In dem Bezirk dieſes Stadttheils liegen
zwey der merkwuͤrdigſten griechiſchen Kirchen.
[57] In der Kirche der Kaſaniſchen Mut-
ter Gottes
, deren Marienbild in großer
Achtung ſteht, werden gewoͤhnlich die feyerlichen
Dankopfer fuͤr die gluͤckliche oͤffentliche Bege-
benheiten verrichtet, bey welchen die Kaiſerinn
zuweilen perſoͤnlich zugegen iſt. Die Niko-
laikirche
behauptet, ſo lange die Iſaakskir-
che noch unvollendet iſt, den Rang als die
ſchoͤnſte der Reſidenz. Sie beſteht aus zwey
Stockwerken, von denen das untere im Win-
ter geheizt werden kann. Ihre fuͤnf Kuppeln
ſind ſchoͤn vergoldet.


Die groͤßte Merkwuͤrdigkeit des dritten
Admiralitaͤtstheils
iſt die neue Wech-
ſelbank
, vielleicht das ſchoͤnſte Gebaͤude in
St. Petersburg. Es beſteht aus drey abge-
ſonderten Pallaͤſten, von denen das mittlere,
als das Hauptgebaͤude, zuruͤckſteht, wodurch
ein Hofplatz gebildet wird, der an der Gaſſe
von einem gut ins Auge fallenden Gegitter
eingeſchloſſen iſt. Zwey bedeckte Kolonnaden
verbinden das Hauptgebaͤude mit den Seiten-
gebaͤuden. Jenes ſowol als dieſe haben zwey
Stockwerke uͤber dem Erdgeſchoß und praͤchti-
ge Periſtyle. Die edle Einfalt des Stils und
D 5
[58] die impoſante Maſſe des Ganzen ſind von der
trefflichſten Arbeit.


Unter den Kirchen dieſes Stadttheils
verdienen nur die katholiſche und arme-
niſche
einer Erwaͤhnung; beyde zeichnen ſich
mehr durch ihre geſchmackvolle Bauart als
durch ihre Groͤße aus.


Der zweyte und dritte Admiralitaͤtstheil
zaͤhlen acht zum Theil ſehr bemerkenswerthe
Privatpallaͤſte. Im Ganzen gehoͤren die
Einwohner dieſer Gegend mehr zu den gewerb-
treibenden Klaſſen. Hier liegen die groͤßten
und meiſten Handelshoͤfe und Kramlaͤden, die
Banken und die Statthalterſchaftstribunale.
Wenn man hier alſo weniger Pallaͤſte und
glaͤnzende Equipagen ſieht, ſo iſt das Gewuͤhl
beſchaͤftigter Menſchen um ſo groͤßer.


Der Stuͤckhof iſt weitlaͤuftiger bebaut
und einſamer. Stiller Fleiß, eingeſchraͤnktere
Verfaſſung und militairiſche Sloboden bevoͤl-
kern dieſen Stadttheil hauptſaͤchlich mit arbeit-
ſamen Kuͤnſtlern, ruhigen Verzehrern und
Soldaten. Eine Ausnahme hievon machen
zwey bis drey der groͤßern Gaſſen, in denen
ſich ſchoͤne Haͤuſer und Pallaͤſte an einander
[59] reihen und das Gewuͤhl ſo groß als irgend wo
iſt. Hieher gehoͤrt die große Stuͤckhofsgaſſe,
welche durch die Nachbarſchaft der Garden
vorzuͤglich lebhaft wird. Auch dies iſt karak-
teriſtiſch, daß man in den ſchon genannten und
mehreren andern Stadttheilen faſt gar keine
militairiſche Aufzuͤge zu ſehen bekoͤmmt, welche
auf dem Stuͤckhofe taͤglich vorfallen. — Un-
ter den oͤffentlichen Gebaͤuden deſſelben iſt das
Arſenal das merkwuͤrdigſte. Es bildet in
drey Gaſſen ein freyſtehendes Viereck von drey
Stockwerken, iſt in großer Manier gebaut und
hat ein Anſehn von Wuͤrde, das ſeinem Zweck
entſpricht. An der Stuͤckhofsſtraße hat es ein
praͤchtiges Portal und das Dach iſt mit Ar-
maturen und allegoriſchen Figuren von treffli-
cher Bildhauerarbeit verziert. Gegenuͤber der
Hauptfaſſade auf der andern Seite der Gaſſe
iſt ein großer Platz mit Kugeln und Bomben
angefuͤllt.


Merkwuͤrdig an ſich und durch ſeine jetzi-
ge Beſtimmung iſt das ehemalige Pantheon
des Fuͤrſten Potemkin, welches die Kaiſerinn
gekauft und zu ihrer Herbſtwohnung beſtimmt
hat. Dieſes praͤchtige Gebaͤude, welches jetzt
[60] der tauriſche Pallaſt heißt, beſteht ei-
gentlich nur aus Einem Stockwerk; aber
das Hauptgebaͤude, deſſen Fluͤgel bis an die
Gaſſe reichen, hat uͤber dem von Saͤulen ge-
tragenen Portal zwey Stockwerke, die oben
mit einer großen Kuppel gedeckt ſind. Der
linke Fluͤgel iſt in dieſem Jahr durch eine lan-
ge Reihe neuer Gebaͤude verlaͤngert, welche
eine ganze Gaſſe einnehmen, die zu Wohnhaͤu-
ſern, Orangerien und dergl. eingerichtet wer-
den. Auch das Innere des Hauptgebaͤudes iſt
veraͤndert und mit einem Theater vermehrt.
Ueber funfzehnhundert Menſchen waren mit
dieſer Arbeit beſchaͤftigt, die auch des Nachts
bey Fackeln fortgeſetzt wurde, weil die Kaiſe-
rinn den vollendeten Pallaſt im Herbſt zu ſei-
ner neuen Beſtimmung einweihen wollte. Da
ich dieſe Veraͤnderungen noch nicht geſehen ha-
be, ſo werde ich hier nur das anfuͤhren, was
er nach ſeiner ehemaligen Einrichtung enthielt.


Bey dem Eintritt in das Hauptgebaͤude
findet man ſich in einem offnen Gemach, an
welches zu beyden Seiten die Wohnzimmer
ſtoßen. Vor ſich hat man einen von Saͤulen
umgebenen Eingang in ein Veſtibuͤle von auſ-
[61] ſerordentlicher Groͤße, welches die Form eines
Vierecks hat, und von oben herab durch die
Fenſter des zweyten Stocks erleuchtet wird.
Ringsum iſt es in einer betraͤchtlichen Hoͤhe
mit einer Gallerie umgeben, die fuͤr das Or-
cheſter beſtimmt iſt und auf welcher ſich auch
eine Orgel befindet. Aus dieſem Veſtibuͤle geht
man mitten durch eine doppelte Saͤulenreihe
hindurch in den Hauptſaal. Wenn es moͤglich
iſt, den Eindruck den der Anblick dieſes archi-
tektoniſchen Rieſentempels hervorbringt, durch
Schriftmalerey fuͤr das geiſtige Auge zu bewir-
ken, ſo kann dies nur durch die einfachſte und
kunſtloſeſte Darſtellung geſchehen. Man denke
ſich alſo einen uͤber hundert Schritte langen,
verhaͤltnißmaͤßig breiten, von einer doppelten
Kolonnade koloſſaliſcher Saͤulen getragenen
Saal. Ungefaͤhr in der halben Hoͤhe ſind zwi-
ſchen dieſen Saͤulen Logen befindlich, die mit
ſeidenen Vorhaͤngen und Feſtons aufgeputzt
ſind. In dem Gange den die doppelten Saͤu-
lenreihen bilden, haͤngen in beſtimmten Ent-
fernungen kryſtallene Glaskugeln, deren Er-
leuchtung durch zwey an jedem Ende angebrach-
te Spiegel von ſeltner Groͤße zuruͤckgeworfen
[62] wird. Der Saal ſelbſt hat ſonſt weder Ver-
zierungen noch Moͤbeln, da er zu großen Fe-
ſten beſtimmt iſt; aber in den beyden von
Waͤnden umgebenen Halbzirkeln, in welche ſich
die Kolonnaden verlieren, ſtehen zwey Vaſen
von karrariſchem Marmor, die durch ihre auſ-
ſerordentliche Groͤße und den Werth der Kunſt,
der Groͤße und Pracht des Ganzen entſpre-
chen. — Der Seite des Veſtibuͤle gegenuͤber
liegt der Wintergarten, ein ungeheueres, zu
einem Garten eingerichtetes Gebaͤude, welches
nur durch die eben beſchriebene Kolonnade vom
Saal getrennt iſt. Da die Groͤße deſſelben
nicht ohne Pfeiler zu erhalten war, ſo hat man
dieſe als Palmbaͤume maskirt. Die Waͤrme
wird durch zahlreiche in den Waͤnden und Pfei-
lern verborgene Oefen erhalten, und ſelbſt un-
ter dem Boden ſind blecherne Roͤhren vorhan-
den, die unaufhoͤrlich mit kochendem Waſſer
angefuͤllt werden. Die Gaͤnge dieſes Gartens
winden ſich zwiſchen bluͤhenden oder fruchttra-
genden Hecken in Kruͤmmungen uͤber kleine Huͤ-
gel hin und geben bey jedem Schritt Gelegen-
heit zu einer neuen Ueberraſchung. Bald trifft
das Auge, von dem uͤppigen Gemiſch der
[63] Pflanzenwelt ermuͤdet, auf die erleſenſten Pro-
dukte der Kunſt; hier ladet ein griechiſcher
Kopf zur Bewunderung ein, dort feſſelt eine
bunte Sammlung ſeltner Fiſche in kryſtallenen
Becken unſere Aufmerkſamkeit auf einen Mo-
ment. Man reißt ſich von dieſen Gegenſtaͤnden
los, um in eine Spiegelgrotte zu gehen, die
alle dieſe Wunder vervielfacht zuruͤckwirft, oder
in den Facetten eines Spiegelobelisks das ſelt-
ſamſte Farbengemiſch anzuſtaunen. Die milde
Waͤrme, der Bluͤthenduft edler Pflanzen, das
wolluͤſtige Schweigen, die in dieſem Zauber-
garten herrſchen, wiegen die Fantaſie in ſuͤße,
romantiſche Traͤume; man glaubt ſich in den
Haynen Italiens, indeſſen die erſtorbene Na-
tur durch die Fenſtern dieſes Pavillons den
herbſten Winter predigt. — Mitten unter
dieſen kuͤhnen Schoͤpfungen ſteht auf einem ho-
hen Piedeſtal das Bildniß Katharinens der
Zweyten
aus karrariſchem Marmor. —


Unter den Kirchen des Stuͤckhofs iſt die
Lutheriſche Annenkirche durch ihre gute
Bauartbemerkenswerth. — An der Fontanka,
deren eine Seite dem dritten Admiralitaͤtstheil
und die andere dem Stuͤckhof gehoͤrt, entſtehen
[64] jaͤhrlich immer ſchoͤnere Haͤuſer und Pallaͤſte.
Da man jetzt mit mehr Geſchmack und Ele-
ganz baut, als ehemals, ſo iſt es abzuſehen,
daß die Haͤuſerreihe an dieſem Kanal in kurzer
Zeit eine der glaͤnzendſten Parthien der Reſi-
denz werden wird.


So klein und unbedeutend der roſheſt-
wenskiſche Stadttheil
auch iſt, ſo ent-
haͤlt er doch zwey große Merkwuͤrdigkeiten, ein
Moͤnchs- und ein Nonnenkloſter; beyde die
einzigen die es in der Reſidenz giebt, und
beyde durch ihre koſtbaren Depots beruͤhmt.


Das woskreſenskiſche Nonnenklo-
ſter
war urſpruͤnglich ein der Kaiſerinn Eli-
ſabeth
gehoͤriger und von ihr ehemals be-
wohnter Pallaſt. Jetzt iſt die unter dem Na-
men des Fraͤulein und Jungfernſtifts bekannte
weibliche Erziehungsanſtalt mit jener frommen
Stiftung verbunden, und die Gebaͤude ſind zu
dieſer Abſicht verhaͤltnißmaͤßig vermehrt. Sie
bilden ſaͤmtlich ein großes Viereck, das von ei-
ner hohen Mauer umgeben iſt und in deſſen
Mittelpunkt die Hauptkirche ſteht.


Das Kloſter des heiligen Alexan-
der-Newski
enthaͤlt in ſeinem großen Um-
fange
[65] fange den Wohnſitz des Mitropoliten, ein Klo-
ſter fuͤr ſechzig Moͤnche, fuͤnf Kirchen, ein
Seminarium, u. ſ. w. Das beruͤhmte Grab-
mal des heiligen Alexanders, welches aus lau-
ter geſchlagenem und getriebenem Silber beſteht,
iſt unlaͤngſt in die zu dieſem Zweck neuerbau-
te, aͤußerſt geſchmackvolle Kirche niedergelegt.


Unter den oͤffentlichen Gebaͤuden des mos-
kowiſchen Stadttheils
verdient der kai-
ſerliche Jaͤgerhof vorzuͤglich eine Bemerkung.
Er ſteht auf freyem Felde, auſſerhalb dem be-
bauten Theil der Stadt, und wird nach ſeiner
Vollendung einer der groͤßten und praͤchtigſten
Pallaͤſte ſeyn. Seine Form iſt ein Viereck,
deſſen Seiten nach innen zu halbe Zirkel bil-
den, und durch Saͤulenverzierungen erhoben
werden. — Auch das Stadthoſpital iſt
durch ſeine edle Bauart bemerkenswerth.


Dieſe beyden Stadttheile ſind noch nicht
uͤberall bebaut, haben viele Gartenplaͤtze, hin
und wieder auch ungepflaſterte Gaſſen, und
werden wenig von Auslaͤndern bewohnt. Eben
dies gilt auch vom Jaͤmskoi Stadttheil,
der keine Merkwuͤrdigkeiten enthaͤlt, die hier
angefuͤhrt zu werden verdienten.


Erſter Theil. E
[66]

Waſſili-Oſtrow iſt der Sitz des Han-
dels und des erſten Tribunals fuͤr die Gelehr-
ſamkeit in Rußland. Die Boͤrſe und die Aka-
demie der Wiſſenſchaften liegen auf dieſer In-
ſel. Kaufleute und Gelehrte bewohnen hier,
letztere nur zum Theil, die beſſern Gegenden,
auch nimmt das Landkadettenkorps mit ſeiner
anſehnlichen Bevoͤlkerung einen vorzuͤglichen
Rang in der Karakteriſtik von Waſſili-Oſtrow
ein. Die entferntern Linien ſind groͤßtentheils
mit hoͤlzernen Haͤuſern bebaut, die um ſo ſchlech-
ter und unanſehnlicher ſind, jemehr man ſich der
Grenze des bebauten Theils der Inſel naͤhert.
Hier lebt man wie auf dem Lande; in den gro-
ßen Gaͤrten und bey den laͤndlichen Ausſichten
wuͤrde man oft vergeſſen, daß man ſich in einer
großen und praͤchtigen Reſidenz befindet, wenn
das entfernte Raſſeln der Wagen und das Laͤu-
ten der Glocken dieſe Taͤuſchung nicht ſtoͤrte. In
der That giebt dieſe Inſel das lebendigſte Bild
von dem ſchnellen Anwachs der Stadt. Hier
iſt Wuͤſte und Moraſt, Dorf und Flecken, Stadt
und Reſidenz. Das letztere iſt Waſſili-Oſtrow
vorzuͤglich am Ufer der Newa, gegenuͤber dem
Admiralitaͤtstheil.


[67]

Hier liegt die Akademie der Kuͤnſte,
einer der praͤchtigſten, und vielleicht der edelſte
und geſchmackvollſte Pallaſt in St. Petersburg.
Weiter hinauf iſt das Ufer mit den weitlaͤuftigen
Gebaͤuden des Landkadettenkorps beſetzt
und die oͤſtlichſte Spitze der Inſel wird durch
drey große, gut ins Auge fallende und zum Theil
mit Saͤulen verzierte Haͤuſer der Akademie
der Wiſſenſchaften
, und durch die neue
Boͤrſe
, verſchoͤnert. Dieſe letztere, deren
Vollendung nahe iſt, wird, nach der Anlage und
dem Modell zu urtheilen, eins der ſchoͤnſten Ge-
baͤude ſeiner Art werden. Bis itzt verſammeln
ſich die Kaufleute in der alten, von Holz erbau-
ten Boͤrſe, die durch nichts merkwuͤrdig iſt. In
dieſer Gegend iſt auch der Packhof, das uner-
meßliche Waarenlager des petersburgiſchen Han-
dels, befindlich. Laͤngs dem Ufer, welches mit
Brettern belegt iſt, liegt ein Theil der hier an-
kommenden Schiffe vor Anker, wodurch dieſe
Stelle eine auſſerordentliche Lebhaftigkeit erhaͤlt
und als eine angenehme Promenade benutzt wird.
— Unter den vielen auf Waſſili-Oſtrow befind-
lichen Kirchen zeichnet ſich die lutheriſche Katha-
rinenkirche
durch ihre gute Bauart aus.


E 2
[68]

Der petersburgiſche Stadttheil
beſteht aus mehreren Inſeln, die nur zum Theil
zur Stadt gerechnet werden koͤnnen, weil viele
derſelben wenig bebaut und mit Wald bedeckt
ſind. — Die petersburgiſche Inſel
hat zwar keine Pallaͤſte, aber ſie bewahrt die
Mutter aller jetzt vorhandenen, das erſte hoͤl-
zerne Haͤuschen Peters des Großen
,
in einem ſteinernen Schoppen. Dieſe Inſel iſt
groͤßtentheils, doch nur von Holz bebaut; ihre
Straßen ſind aber nicht alle gepflaſtert. — Pe-
trowskoi Oſtrow
hat auſſer einem kleinen
hoͤlzernen Sommerhauſe des Großfuͤrſten keine
Merkwuͤrdigkeit und iſt zum Theil mit Gehoͤlze
bedeckt. — Von eben dieſer Beſchaffenheit iſt
die Apothekerinſel, die ihren Namen von
dem hier befindlichen Garten des mediziniſchen
Kollegiums hat. Auf dieſen Inſeln ſind viele
kleine Landhaͤuſer vorhanden, die den Einwoh-
nern der Reſidenz zum Sommeraufenthalt die-
nen. — Eine andere kleine Inſel, die keinen
Namen hat, iſt mit Hanfmagazinen bebaut,
wodurch ſie im Sommer ſtets eine Flotte von
Barken und Schiffen um ſich her verſammelt. —
Kammenoi Oſtrow, welches dem Groß-
[69] fuͤrſten gehoͤrt, hat einen geſchmackvollen Som-
merpallaſt, ein Invalidenhaus und eine Menge
allerliebſter Landhaͤuſer. — Die Inſel Jela-
gin
, welche nach ihrem Beſitzer ſo heißt, iſt
durch Kunſt verſchoͤnert und einem großen engli-
ſchen Garten aͤhnlich gemacht. Hier iſt ein Som-
merpallaſt, ein kleiner Tempel, ein Wintergar-
ten u. ſ. w. — Kreſtowskoi Oſtrow,
die groͤßte dieſer Inſeln, welche dem Grafen
Raſumowski gehoͤrt, iſt zwar weniger durch
Kunſt veraͤndert, wird aber wegen der ſchoͤnen
Anſichten, welche die herrlichen Alleen und die
Ufer der umliegenden Inſeln gewaͤhren, ſehr
haͤufig von den Stadteinwohnern beſucht. —
Die letzte und groͤßte Merkwuͤrdigkeit dieſes
Stadttheils iſt die Feſtung, welche in der Ne-
wa, auf einer vierhundert Klafter langen und
halb ſo breiten Inſel, neben der petersburgiſchen
und kurz oberhalb Waſſili-Oſtrow, alſo unge-
faͤhr dem Marmorpallaſt gegenuͤber, liegt. In
der Geſchichte der Reſidenz iſt das Jahr ihrer
Erbauung merkwuͤrdig, weil es zugleich das
Entſtehungsiahr der Stadt ſelbſt iſt. Als Pe-
ter der Große
im Jahr 1703 hier einen
Erdwall aufwerfen ließ, ahndete er wol, daß
E 3
[70] dieſer Flecken, vor Ablauf eines Jahrhunderts,
von marmornen Tempeln und Pallaͤſten umkraͤnzt
ſeyn wuͤrde? Auch ſeinen Erdwall hat ein glaͤn-
zendes Schickſal getroffen, er iſt an der Newa-
ſeite mit Granitquadern bekleidet worden.


Die Feſtung hat zwey Thore: eins nach der
petersburgiſchen Inſel, zu welcher eine Zug-
bruͤcke fuͤhrt, und eins nach der Admiralitaͤtsſeite,
an welchem man nur zu Waſſer landen kann.
Die regelmaͤßigen Gebaͤude, die Alleen und die
einſame Lage geben dem Innern der Feſtung ei-
nige Aehnlichkeit mit einem Kloſter. Das merk-
wuͤrdigſte Gebaͤude hier iſt die Peterpauls-
kirche
, die ihren Urſprung auch dem großen
Kaiſer verdankt. Sie ſteht auf einem freyen
Platz, faſt im Mittelpunkt der Feſtung; ihr
Kirchendach hat nur Eine hohe Kuppel, und ei-
nen funfzig Klafter hohen Thurm, der mit einem
Glockenſpiel verſehen iſt, welches Peter der
Große
fuͤr 45,000 Rubel kaufte. Die Spitze
deſſelben iſt, in einer Hoͤhe von zwoͤlf Klaftern,
vergoldet, und giebt von mehreren Seiten einen
ſchoͤnen Geſichtspunkt. Dieſe Kirche enthaͤlt die
Koͤrperreſte ihres unvergeßlichen Erbauers und
mehrerer ſeiner Nachfolger. — Zu den uͤbrigen
[71] Merkwuͤrdigkeiten der Feſtung gehoͤren vorzuͤg-
lich die kaiſerlichen Gold- und Siberſcheidefabri-
ken und der Muͤnzhof.


Der wiburgiſche Stadttheil endlich
hat unter allen das laͤndlichſte Anſehn, denn
außer der Ufergaſſe an der Newa iſt er nur mit
Bauerhaͤuſern beſetzt; auch beſchaͤftigt ſich ſeine
geringe Bevoͤlkerung vorzuͤglich mit laͤndlicher
Induſtrie. Trotz dieſer Karakteriſtik zaͤhlt er
zwey Pallaͤſte unter ſeinen Gebaͤuden. Einer
derſelben gehoͤrt dem Grafen Besborodko,
liegt an der Newa, iſt von beyden Seiten mit
Kolonnaden umgeben, welche ein Amphiteater
bilden, und hat einen ſchoͤnen engliſchen Garten.
Ein zweyter durch ſeine ſonderbare Bauart auf-
fallender Sommerpallaſt gehoͤrt dem Grafen
Stroganow und iſt ebenfalls mit einem gro-
ßen Garten verbunden. — Eine Merkwuͤrdig-
keit dieſes Stadttheils, die wir hier doch wenig-
ſtens nennen muͤſſen, iſt der Schiffswerft
fuͤr Kauffartheyfahrer.


Hier iſt unſere fluͤchtige Muſterung geen-
digt. Wir ſind die einzelnen Theile dieſes unge-
heuren Ganzen nach einem ſehr eingeſchraͤnkten
Beobachtungsplan durchlaufen; die Merkwuͤr-
E 4
[72] digkeiten, die wir auf dieſem Wege fanden, ſind
nur die Blumen eines großen Gartens, die man
ohne Beſchwerde pfluͤckt und mit ſich nimmt.
Die groͤßere und nuͤtzlichere Parthie deſſelben
traͤgt einen unermeßlichen Vorrath von Fruͤchten,
deren Reichthum und Fuͤlle wir aus der Ferne
bewundern, weil unſere Scheuren, ſie aufzu-
nehmen, zu klein ſind. Ein neues nicht minder
ergoͤtzendes Feld zieht jetzt unſere Blicke an ſich;
aber muͤde von der Reiſe die wir ſo eben vollen-
det haben, ruhen wir einen Augenblick an den
Marmorſaͤulen aus, unter welchen wir ſtehen.


Die Wunder der Kunſt, welche um uns her
verſammelt ſind, koͤnnen aus der Phyſiognomie
des Ganzen die Zuͤge der Kindheit nicht verwi-
ſchen: uͤberall Luͤcken, uͤberall neue Entſtehun-
gen. — Dieſe ungeheure Maſſe von Steinen,
dieſe Tempel und Pallaͤſte, dieſe Kanaͤle, dieſe
Bruͤcken ſind das Werk unſers Zeitalters, un-
ſerer
Generation, und zugleich der ſprechendſte
Beweis der Allmacht menſchlicher Kraͤfte.


Auf der ſumpfigen Kuͤſte des finniſchen
Meerbuſens, unter einem unfreundlichen Him-
mel, in Nebel und Schnee vergraben, liegt ein
armſeliges Dorf, von Fiſchern bewohnt, die
[73] ihren duͤrftigen Unterhalt dem Meere abgewin-
nen. Das Machtwort eines Fuͤrſten erhebt den
rauhen, wilden, von Natur und Menſchen ver-
laſſenen Platz zur Werkſtaͤtte der Kuͤnſte, zum
Wohnſitz ſeiner Groͤße, zur Wiege der Kultur ſei-
nes ſich bildenden Volks. Menſchlicher Fleiß und
menſchliche Kraͤfte trotzen der Natur ihre verwei-
gerten Gaben ab, ſchaͤdliche Suͤmpfe verbluten
ſich zu wohlthaͤtigen Kanaͤlen, die Felſen der
nachbarlichen Wildniß thuͤrmen ſich zu Pallaͤſten
und Denkmaͤlern auf, Schiffe aus den entle-
genſten Laͤndern beſuchen das unbefahrne Meer,
die Pflanzſtadt des beeiſten Nordens wird der
Sitz des Luxus, die Quelle des Lichts, die Sta-
pelſtadt des Handels fuͤr den Welttheil des ruſſi-
ſchen Reichs, und — der Zeitraum Eines
Menſchenlebens
iſt hinreichend dieſe Wun-
der zu Stande zu bringen. Mehr als Ein gluͤck-
licher Greis war Zeitgenoſſe von Peters kuͤh-
nem Entwurf und Katharinens großer Vol-
lendung.


Freylich iſt dieſes koloſſaliſche Denkmal
menſchlicher Kraft nicht ohne Beyſpiel. Adria-
nopel, Palmyra und Stambul verewigen die
Namen ihrer Stifter und ſind die Aufſchriften
E 5
[74] ihrer Jahrhunderte. Aber von der Natur be-
guͤnſtigt und unter dem gluͤcklichen Einfluß einer
allgemein verbreiteten Kultur war es weniger
erſtaunenswerth, dieſe ſtolze Fuͤrſtenſitze zu der
Groͤße gelangen zu ſehn, die das Andenken der-
ſelben in der Geſchichte unſterblich macht und die
Kenner des Schoͤnen noch itzt zu ihren Ruinen
lockt.


Ach, zu ihren Ruinen! Sie ſind dahin die
ſtolzen Denkmaͤler der Vorwelt: duͤrfen wir ein
beſſeres Schickſal erwarten? — Nach zehn
Jahrhunderten ſchreibt vielleicht ein Irokeſe
uͤber die Ruinen des nordiſchen Palmyra und
citirt Autoritaͤten aus den Fragmenten meines
Buchs.


[75]

Zweyter Abſchnitt.
Umliegende Gegend.


Der peterhofſche Weg. Seine Beſchaffenheit. Reizen-
de Anſichten von demſelben. — Strelna. Ruinen.
— Peterhof. Lage. Waſſerkünſte. Bad. Prächtige
Bauerhütte. — Oranienbaum. Einſiedeley. Rutſch-
berg. Künſtlicher See. Kleine Feſiung. — Kronſtadt.
Anblick des Hafens. Graniteinfaſſung. Peterskanal.
Docken. Neuer Kanal. Magazine. Einwohner. — Der
zarskojeſeloiſche Weg. — Jägerhof. —
Tſchesme. Fürſtengallerie. — ZarskoieSelo. Gegend
und Umfang. Anblick. Schloßplatz. Pallaſt. Garten.
Denkmäler. — Pawlowsk. — Merienthal. —
[Gatſchina]. — Der ſchlüſſelburgiſche Weg.
Alexandrowsk. — Pella.


Wenn die Merkwuͤrdigkeiten der Stadt unſere
Aufmerkſamkeit und Bewunderung in nicht ge-
woͤhnlichem Grade geſpannt und unterhalten ha-
ben, ſo duͤrfen wir uns bey der Reiſe in die um-
[76] liegende Gegend keine geringere Befriedigung ver-
ſprechen. Immer die naͤmlichen Gruppen, aber
immer auf veraͤndertem Grunde; eben dieſe Be-
ſiegung natuͤrlicher Hinderniſſe, aber zu einem
andern Zweck; eben dieſer erſtaunenswuͤrdige
Aufwand menſchlicher Kraft, aber mit andern
Reſultaten. Dort feſſelt unſern Blick der Sieg
der Kunſt uͤber die Schwierigkeiten ihres Gebiets,
hier uͤber die widerſtrebende Natur. Bey einem
ſo ungleichartigen Kampf kann der Ausgang
nicht einerley ſeyn; alle Forderungen ſind erfuͤllt,
wenn die Kunſt, unuͤberwunden von der ſtaͤrkern
Natur, mit ihr zugleich den Kampfplatz be-
hauptet.


Mit dieſem Maaßſtabe in der Hand, wer-
den wir dem Gegenſtande Gerechtigkeit wieder-
fahren laſſen, deſſen Unterſuchung uns jetzt be-
ſchaͤftigen ſoll. Was die Kunſt beſiegen konnte,
hat ſie beſiegt: wo der Natur aufgeholfen wer-
den konnte, iſt ihr aufgeholfen; aber freylich
vermißt man unter dieſen erkuͤnſtelten Wundern
jene Fuͤlle, jenes Streben und Draͤngen der or-
ganiſirten Schoͤpfung, welche nur eine mildere
Sonne zu erzeugen vermag. Immer fehlt den
kaͤrglich ausgeſpendeten Gaben die friſche Farbe,
[77] das Leben, die Bluͤthe, der Stempel des Indi-
genats; durch die Kunſt unter fremden Himmel
und auf fremden Boden gefeſſelt, ſcheinen ſie nur
ihr gluͤcklicheres Vaterland zu betrauren.


Unſer Reiſeplan fuͤr die Gegend um St.
Petersburg iſt ſehr einfach. Die Merkwuͤrdig-
keiten derſelben reihen ſich zu unſerer Bequem-
lichkeit an drey große Heerſtraßen, die wir von
der Reſidenz aus ſo lange verfolgen wollen, als
ſie uns Gegenſtaͤnde darbieten werden, die unſe-
rer Aufmerkſamkeit werth ſind.


Wir machen mit dem peterhofſchen
Wege
, oder der rigiſchen Heerſtraße, den An-
fang; ehe wir aber einen Blick auf die umher-
liegenden Gegenſtaͤnde werfen, wollen wir der
Beſchaffenheit deſſelben eine kleine Unterſuchung
widmen. Dieſer Weg hat eine Breite von acht
Klaftern; zu beyden Seiten laufen erhoͤhete
Fußſteige und neben dieſen tiefe, mit Steinen aus-
gefutterte Graben hin, die durch gewoͤlbte und
bedeckte Quergraben verbunden ſind. Ueberall
wo er durch Kanaͤle oder Gewaͤſſer unterbrochen
wird, iſt er mit gewoͤlbten ſteinernen Bruͤcken
verſehen, deren Lehne aus Granitquadern zuſam-
mengeſetzt ſind. Die Entfernung der Werſte
[78] wird durch geſchmackvolle Granitſaͤulen bezeich-
net, die auf hohen marmornen Geſtellen ſtehn.
Die Konſtruktion dieſes merkwuͤrdigen Weges
ward durch den General Bauer auf folgende
Weiſe zu Stande gebracht. Der zu dieſem Zweck
uͤberall geebnete und erhoͤhete Boden erhielt eine
dreyfache Grundlage: zuerſt von Griesſand,
dann von Granitbrocken und endlich von Ziegel-
ſteinen. Dieſe letzte wurde abermals mit Gries-
ſand uͤberſchuͤttet, und hierauf mit Feldſteinen
uͤberpflaſtert. Um den Weg ebner zu machen
und das Fahren zu erleichtern, wurde auch dieſes
Pflaſter mit Gries und zerklopften Steinen uͤber-
deckt. — Die Koſten einer ſo auſſerordentlichen
Unternehmung mußten natuͤrlich ſehr groß ſeyn;
jede Werſt kam, ohne Saͤulen und Bruͤcken,
auf 25,000 Rubel zu ſtehen.


Dieſer in ſeiner Art einzige Weg nimmt ſei-
nen Anfang bey dem praͤchtigen rigiſchen Thor,
welches wir ſchon aus dem vorigen Abſchnitte
kennen. Von hier bis zur ſiebenten Werſt gleicht
er eher einem Luſtgarten als einer Heerſtraße.
Eine ununterbrochene Kette von Landhaͤuſern
reiht ſich hier an einander. Pracht und Ge-
ſchmack, Aufwand und Kunſt haben ſich hier
[79] vereinigt eine Wuͤſte zu einem Paradieſe umzu-
ſchaffen, deſſen Reiz durch die abſtechende Man-
nigfaltigktit der Anlagen und Ideen erhoͤht wird.
Praͤchtige Landſitze, hollaͤndiſche Doͤrfer, Ein-
ſiedeleyen, Teiche, Inſeln, laͤndliche Ausſichten
wechſeln unaufhoͤrlich ab. Der uͤberraſchte Rei-
ſende, der ſich aus den moraſtigen Waͤldern In-
germannlands ploͤtzlich auf dieſe Heerſtraße ver-
ſetzt ſieht, glaubt ſich in den Regionen einer Fe-
enwelt, wo Natur und Kunſt einen zauberiſchen
Reihentanz um ſeinen Wagen tanzen.


Von der ſiebenten Werſt behalten wir dieſe
Kette von Landhaͤuſern nur zur Linken, da ſich
hier der Weg dem Geſtade naͤhert, und dadurch
auf der rechten Seite den Anblick des finniſchen
Buſens gewaͤhrt. So langen wir unter den
mannigfaltigſten Abwechslungen der Ausſicht,
nach einer uͤberaus unterhaltenden Reiſe von ſie-
benzehn Werſten, bey dem kaiſerlichen Luſtſchloß
Strelna und auf der erſten Poſtſtation vor
Petersburg an. Wir wuͤnſchen den Reiſenden,
deren Weg hier ab nach Riga geht und von de-
nen die Heerſtraße wimmelt, eine hinreichende
Einbildungskraft, um ſich die bevorſtehenden
Muͤhſeligkeiten ihrer Reiſe durch die Ruͤckerin-
[80] nerung dieſer zauberiſchen Scenen zu verſuͤßen —
und verweilen hier noch ein wenig, um uns mit
den praͤchtigen Truͤmmern bekannt zu machen,
die wir in einer ſehr romantiſchen Gegend vor
uns liegen ſehn.


Strelna verdankt ſeine Entſtehung dem
Stifter der Reſidenz; was es unter ihm ward,
iſt es noch bis auf dieſe Stunde, die Zerſtoͤrun-
gen abgerechnet, die es durch die Zeit erlitten
hat. Durch nichts merkwuͤrdig, als durch ſeine
unerfuͤllte Beſtimmung, wollen wir uns nicht
der Gefahr ausſetzen, unter ſeinen Truͤmmern
begraben zu werden, ſo wahrſcheinlich es auch
iſt, daß von der Zinne dieſes verfallenen Palla-
ſtes eine herrliche Ausſicht unſere Wanderſchaft
belohnen wuͤrde. Seine Lage an dem ſteilen
Ufer des Meerbuſens, in einer durch Wald und
Huͤgel romantiſchen Gegend, die Naͤhe eines
großen wohlgebauten Dorfs und das Leben auf
der dicht vorbeylaufenden Heerſtraße, waͤren
immer Gruͤnde genug, dieſem in Vergeſſenheit
gerathenen Landſitz einen Theil ſeines ehemaligen
Glanzes wiederzugeben.


Von hier bis Peterhof haben wir einen
an abwechſelnden Ausſichten reichen Weg von
acht
[81] acht Werſten. Urſprung und Lage hat dieſes
kaiſerliche Luſtſchloß mit Strelna gemein, aber
das Schickſal dieſer beyden Schoͤpfungen Pe-
ters des Großen
war bis itzt ſehr verſchie-
den. Unter jeder neuen Regierung mit neuen
Verſchoͤnerungen bereichert, behauptet Peter-
hof jetzt durch ſeine natuͤrlichen Vortheile den
erſten, und durch ſeine kunſtmaͤßigen Anlagen
den zweyten Rang unter allen kaͤiſerlichen Land-
ſitzen.


Die Lage von Peterhof iſt vielleicht ein-
zig. Ungefaͤhr fuͤnfhundert Klafter von dem
Geſtade des Meers hat dieſe Gegend ein zwey-
tes ſehr ſteiles, etwa zwoͤlf Klafter hohes Ufer.
Hart an dieſem Abſprunge liegt das Schloß,
welches dadurch eine gewiß ſeltne Ausſicht uͤber
die Gaͤrten und den Meerbuſen, nach der ka-
reliſchen Kuͤſte, nach Petersburg und Kron-
ſtadt erhaͤlt. Es ward unter Peter dem
Großen
durch le Blond erbaut, hat aber
unter den nachfolgenden Regierungen ſo man-
nigfaltige Verſchoͤnerungen erhalten, daß es
dadurch zu einer Muſterkarte des Geſchmacks
jeder dieſer Epoken geworden iſt. Der Einfluß
deſſelben zeigt ſich in der Menge architektoni-
Erſter Theil. F
[82] ſcher Verzierungen, die alle reichlich vergoldet
ſind. Das Innere iſt der Beſtimmung dieſes
Pallaſtes angemeſſen; uͤberall ſind die Spuren
antiker Pracht ſichtbar, denen der beſſere Ge-
ſchmack unſerer Zeit zur Vergleichung dient.


Intereſſanter durch ihre eigenthuͤmlichen
Schoͤnheiten ſind die Gaͤrten. Der obere Theil
derſelben, vor der Landſeite des Schloſſes, iſt
in Gaͤnge, Waldparthieen und Blumenplaͤtze
geformt, die durch die Nachbarſchaft eines
großen, mit Waſſerkuͤnſten verſehenen Baſſins
belebt und gehoben werden. Der Abſprung,
vor der Hinterſeite des Schloſſes, nach der
See zu, hat zwey praͤchtige Kaskaden, die ſich
uͤber die Terraſſen hin in große Becken ſtuͤr-
zen, und unter welchen man, wie unter einem
Gewoͤlbe, in eine ſchoͤne Grotte geht. Der
ganze Flaͤchenraum vor dieſem Abſprunge bis
an das Meerufer iſt ein großer Prachtgarten
in alter Manier, und durch ſeine auſſerordent-
lichen Waſſerkuͤnſte beruͤhmt. Einige derſelben
ſpruͤtzen Waſſerſaͤulen von anderthalb Fuß im
Durchmeſſer in einer Hoͤhe von drittehalb bis
drey Klafter. Ein ſchoͤn gefutterter, zehn Klaf-
ter breiter Kanal, der von der Mitte des
[83] Schloſſes bis in den Meerbuſen geht, theilt
dieſen Garten in zwey Haͤlften. In einer ein-
ſamen Waldparthie deſſelben liegt das artige
Gartenhaus Monplaiſir, welches unter andern
durch eine praͤchtige Kuͤche merkwuͤrdig iſt, in
welcher die Kaiſerinn Eliſabeth ſich zuwei-
len das Vergnuͤgen gemacht haben ſoll, ſelbſt
fuͤr ihre Tafel zu ſorgen. In einer andern
Gegend des Gartens, hart am Ufer des Bu-
ſens ſteht ein niedliches hoͤlzernes Gebaͤude,
der ehemalige Lieblingsort Peters des Gro-
ßen
, weil er von hier aus Kronſtadt und die
Flotte uͤberſehen konnte. Merkwuͤrdig iſt auch
das Badehaus, welches in einer kleinen Wal-
dung liegt. Man tritt in einen großen, ova-
len, von einer hoͤlzernen Wand umgebenen
Platz, der oben nicht bedeckt iſt, ſondern den
Himmel uͤber ſich hat und von den umherſte-
henden Baͤumen beſchattet wird. In dieſer
Wand ſind Zimmer und Niſchen befindlich, die
mit allem Hausgeraͤth verſorgt ſind, welche
Luxus und Bequemlichkeit zu dieſem Zweck er-
heiſchen. Mitten in dieſem Platz iſt ein großes
Baſſin, von einer Gallerie umgeben und mit
Treppen, Floͤſſen und Gondeln verſehen. Das
F 2
[84] Waſſer wird durch Roͤhren hieher geleitet, die
das Becken nur bis zu einer gewiſſen Hoͤhe
fuͤllen. Der Thiergarten dieſes Luſtſchloſſes ent-
haͤlt nichts was unſere Aufmerkſamkeit verdien-
te; aber deſto intereſſanter iſt der noch nicht
vollendete engliſche Garten. Wer dieſe Manier
kennt, der bedarf keiner Beſchreibung, und
fuͤr diejenigen welche ſie nicht kennen, wuͤrde
jede Schilderung langweilig ſeyn. Daß es auch
hier nicht an Pallaͤſten und Tempeln fehlt,
wird Jeder leicht vermuthen; uͤberraſchender
iſt eine kleine Bauerhuͤtte, welche von auſſen
die Behauſung des Elends verkuͤndet und in-
wendig auf das praͤchtigſte und geſchmackvollſte
eingerichtet iſt. Das Erſtaunen, welches dieſer
unerwartete Anblick hervorbringt, wird durch
die ſcheinbare Groͤße und Entfernung der Ka-
binette vermehrt, die ſich in kuͤnſtlich verborge-
nen Spiegeln verdoppeln. — In der Naͤhe
von Peterhof liegt eine Slobode von hoͤlzernen
aber gut gebauten Haͤuſern, die einem artigen
Flecken gleicht.


Jetzt ſetzen wir unſere Reiſe nach dem
acht Werſt entfernten Luſtſchloß Oranien-
baum
fort. Dieſer Weg, der nun nicht mehr
[85] Chauſſee iſt, wird durch mancherley Abwechſe-
lungen ſehr unterhaltend. Die Lage von Ora-
nienbaum iſt im Ganzen der von Peterhof und
Strelna aͤhnlich, aber die erſtere erhaͤlt durch
den Reichthum pittoresker Anſichten und durch
die angenehme laͤndliche Gegend den Vorzug.
Der Boden, der bis Strelna flach, und von hier
bis Peterhof wellig war, erhebt und ſenkt ſich
hier in kleine romantiſche Huͤgel und Thaͤler.


Das Luſtſchloß Oranienbaum ſteht eben-
falls auf einem hohen, in Terraſſen geformten
Abhange des obern Geſtades, und bildet drey
abgeſonderte Gebaͤude, von denen das mittlere
durch Kolonnaden mit den zur Seite ſtehenden
verbunden iſt. Ich uͤbergehe die innere, nicht
ſehr praͤchtige aber geſchmackvolle Einrichtung,
um Wiederholungen zu vermeiden. Dieſes
Schloß iſt jetzt dem Seekadettenkorps uͤberge-
ben, welches in dieſem Jahr von Kronſtadt
hierher verſetzt worden iſt.


Der Garten theilt ſich hier, wie in Pe-
terhof, in den obern und untern. Der letztere
iſt nur durch den ſchoͤnen uͤber eine Werſt lan-
gen Kanal merkwuͤrdig, durch welchen man in
den Meerbuſen und nach Kronſtadt faͤhrt. Der
F 3
[86] obere Garten iſt in hollaͤndiſcher Manier. Sei-
ne groͤßte Sehenswuͤrdigkeit iſt die Einſiedeley,
welche Katharina die Zweyte als Groß-
fuͤrſtinn erbaute. Sie liegt mitten in einem,
den Sonnenſtralen unzugaͤnglichen, melankoli-
ſchen Waͤldchen, und beſteht etwa aus zwoͤlf
Zimmern, die mit dem auserleſenſten Geſchmack
eingerichtet und moͤblirt ſind. Eins derſelben
iſt von Moſaik von Paſten und Glasfluͤſſen
ausgelegt, in einem andern ſind die Waͤnde
mit Schmelzwerk und Korallen bedeckt, einige
ſind in griechiſcher, perſiſcher und chineſiſcher
Manier aufgeſchmuͤckt, und mehrere dieſer Ver-
zierungen ſollen von der Kaiſerinn mit eigner
Hand verfertigt ſeyn. — Die zweyte Merk-
wuͤrdigkeit dieſes Gartens iſt der Rutſchberg,
wahrſcheinlich der groͤßte unter allen vorhande-
nen. Er beſteht aus einer ſchiefliegenden Flaͤ-
che, deren erhabenes Ende etwa zehn Klafter
uͤber dem Boden durch ein Gewoͤlbe getragen
wird, und welche durch mehrere kleine Huͤgel
in abnehmender Groͤße unterbrochen iſt. Ueber
dieſe Flaͤche gleitet man in kleinen Wagen hin,
deren Raͤder in ihre Gleiſe paſſen, und die
durch die Gewalt mit welcher ſie von jedem
[87] Huͤgel herunter rollen, Kraft genug bekommen
uͤber den folgenden wegzulaufen, bis ſie endlich
auf der horizontalen Flaͤche ſtille ſtehn. Laͤngs
dieſer Bahn iſt an jeder Seite eine bedeckte
Kolonnade von hundert Saͤulen befindlich, de-
ren Enſemble einen unbeſchreiblich praͤchtigen
Eindruck macht. — An den Garten ſtoͤßt ein
kleiner ausgegrabener See, auf welchem eini-
ge Fahrzeuge ſchwimmen, die als Kriegsſchiffe,
Jagden und Galeeren gebaut ſind, und die
Ausſicht aus den Fenſtern des Pallaſts ver-
ſchoͤnern helfen. Neben dieſem See ſteht eine
kleine regelmaͤßige Feſtung, deren Inneres or-
dentliche Wohnungen enthaͤlt. — Der Flecken
Oranienbaum, der ſeit einigen Jahren zur
Kreisſtadt erklaͤrt iſt, giebt der umliegenden
Gegend ein Leben, welches die natuͤrlichen Rei-
ze derſelben erhoͤht. Peterhof ſowol als Ora-
nienbaum werden, trotz der Vorzuͤge ihrer un-
vergleichlichen Lage, nur ſelten vom Hofe be-
ſucht, aber dennoch ſorgfaͤltig unterhalten. In
dem erſtern dieſer Luſtſchloͤſſer pflegt die Kaiſe-
rinn gewoͤhnlich das Feſt des Peterpaulstages
durch eine Maskerade und Illumination zu
feyern, an welchen das ganze Publikum Theil
F 4
[88] nimmt. Eine Schilderung dieſes ſeltnen und
außerordentlichen Feſtes werden wir unter der
Rubrik der oͤffentlichen Vergnuͤgungen finden.


Die Naͤhe von Kronſtadt, welches wir
vor uns liegen ſehn, iſt zu verfuͤhreriſch, als
daß wir nicht die kleine Seereiſe dahin antreten
ſollten. Eine Menge Fahrzeuge liegen zu die-
ſem Behuf am Fuß des Luſtſchloſſes fertig. Von
hier bis an das Meerufer machen wir eine Reiſe
auf dem Kanal und unſer Boot wird von den
Matroſen gezogen. Die Entfernung von Kron-
ſtadt betraͤgt ſieben Werſt, die man bey ſtillem
Wetter durch Rudern in einer Stunde zuruͤck-
legt.


Die Inſel, auf welcher Kronſtadt liegt,
hatte ehemals einen andern Namen, und wird
jetzt nach dieſer Stadt benannt. Sie iſt etwa
ſieben Werſt lang und eine Werſt breit; ihre
einzige Merkwuͤrdigkeit iſt die Stadt, die auf
dem oͤſtlichſten Ende derſelben erbaut iſt. Ganz
in ihrer Nachbarſchaft liegen zwey kleinere In-
ſeln, die durch ihre Verſchanzungen unter dem
Namen Kronslot bekannt ſind.


Je mehr man ſich dem kronſtaͤdtiſchen Ha-
fen naͤhert, deſto praͤchtiger wird ſein Anblick.
[89] Die Kriegsſchiffe, Fregatten und Kauffarthey-
fahrer, deren Maſten einen undurchdringlichen
Wald bilden — die mit Granitquadern bekleide-
ten Verſchanzungen, deren kuͤhne Maſſen aus
dem unruhigen Meer hervorragen — die hohen
Magazine und Gebaͤude welche das entferntere
Ufer bekraͤnzen — bilden ein großes und pitto-
reskes Ganze, welches durch das Gewuͤhl be-
ſchaͤftigter Seeleute und durch die ewige Bewe-
gung ab- und zuſegelnder Schiffe belebt wird.


Der Eintritt in die Stadt entſpricht der ge-
ſpannten Erwartung nicht, welche dieſer Anblick
erregt. Die ungeheuren Magazine und Werke
und die wenigen gut gebauten Haͤuſer ſtehen un-
ter dem Schutt unvollendeter Unternehmungen
wie die Denkmaͤler eines Rieſengeſchlechts unter
den Ruinen eines Erdbebens da. Wirklich gehoͤ-
ren alle Merkwuͤrdigkeiten dieſer ſonderbaren
Stadt in die koloſſaliſche Gattung. Dieſe aus
dem Meere ſteigenden Veſten, deren muͤhſam
polirte Oberflaͤche den wuͤthenden Wellen trotzt,
dieſe Kanaͤle, dieſe Maſchinen ſcheinen nicht das
Werk unſerer kraftloſen Generationen zu ſeyn.


Der Peterskanal, der ſeinen Namen und
Urſprung dem unſterblichen Stifter Kronſtadts
F 5
[90] dankt, hat eine Laͤnge von 1050 Klafter, mit
welcher er 358 Klafter weit ins Meer hinaus
geht. Seine Breite betraͤgt oben 100, und unten
60, ſeine Tiefe 24 Klafter. Neben dieſem Kanal,
deſſen Unternehmung und Ausfuͤhrung durch
zwey Denkſaͤulen angezeigt wird, ſind die Docken
befindlich, in welchen zehn und mehrere Schiffe
zugleich ausgebeſſert werden koͤnnen. Sie wer-
den durch Schleuſen eingelaſſen, und die Docken
alsdann vom Waſſer befreyt, welches ein großes
ausgemauertes Baſſin aufnimmt. Das Aus-
pumpen wird jetzt durch die bekannte Feuerma-
ſchine bewirkt, welche die Stempel vermittelſt
der Elaſtizitaͤt der Daͤmpfe in Bewegung ſetzt.


Um ſich von der Beſchaffenheit des Kriegs-
hafens einen deutlichen Begriff zu machen, iſt
weder der wirkliche Anblick noch die vollſtaͤndigſte
Beſchreibung hinreichend; die Ueberſicht uͤber
ein ſo weitlaͤuftiges Ganze kann nur ein Plan
geben.


Ein neues großes Unternehmen geht jetzt
feiner Vollendung entgegen: ein Kanal, durch
welchen die Schiffe in den Stand geſetzt werden,
ihre Vorraͤthe fuͤr die Flotte ſogleich an den Ma-
gazinen abzuladen. Auch dieſer Kanal wird,
[91] wie alle hier vorhandene, mit Werkſtuͤcken aus-
gefuttert, und in eben dem Maaße in welchem
die Arbeit an demſelben fortruͤckt, thuͤrmen ſich
rieſenmaͤßige Waarenlager an ſeinen Ufern auf.
Es iſt wol moͤglich die ſinnlichen Verhaͤltniſſe die-
ſer außerordentlichen Unternehmung anzugeben,
aber der Eindruck den das Reſultat menſchlicher
Kraͤfte unter dieſen Beſtimmungen macht,
kann nur durch das Auge in die Seele uͤbergehen.


Die Volksmenge von Kronſtadt laͤßt ſich we-
gen der beſtaͤndig Ab- und Zureiſenden nicht ge-
nau beſtimmen; im Durchſchnitt aber ſchaͤtzt
man ſie auf 30,000 Menſchen, von denen ein
ſehr betraͤchtlicher Theil zur Flotte gehoͤrt. Die
ſonderbare Lage der Stadt, welche, iſolirt im
Meerbuſen, den Sommer hindurch nur zu Waſ-
ſer eine Verbindung mit den umliegenden Gegen-
den hat; die daher entſtehende Abhaͤngigkeit von
der Zufuhr der Lebensmittel; die Miſchung ſo
mannigfaltiger Nationen und Menſchenklaſſen,
unter welchen die roheſte die zahlreichſte iſt, der
herrſchende Ton, der ſich, wenigſtens zum Theil
nach dieſen Beſtimmungen modifizirt — alle die-
ſe Umſtaͤnde zuſammengenommen, ſind hinrei-
chend, die Erſcheinung zu erklaͤren, daß ſo we-
[92] nige Menſchen freywillig und gerne ihren Au-
fenthalt in dieſer Inſelſtadt waͤhlen.


Wir eilen nach der Reſidenz zuruͤck, um von
dort aus eine zweyte Wanderung zu beginnen. —
Der Weg den wir vor uns haben heißt der zars-
kojeſeloiſche
. Er iſt in ſeiner Beſchaffenheit
dem peterhofſchen voͤllig gleich und hat ebenfalls
Werſtſaͤulen aus Marmor, Jaspis und Granit.
An den Seiten dieſes Weges hin ſtehen eilfhun-
dert Kugellampen, die bey oͤffentlichen Gelegen-
heiten, wenn der Hof in Zarskoje Selo iſt, er-
leuchtet werden. Auch hier hat man die Ausſicht
auf einige Privatgaͤrten; die aber weder an An-
zahl noch Schoͤnheit und Mannigfaltigkeit mit
denen am peterhofſchen Wege verglichen werden
koͤnnen.


Die erſte Merkwuͤrdigkeit, die ſich uns auf
unſerer jetzigen Wanderung darbietet, iſt der
kaiſerliche Jaͤgerhof, der zwar noch im mos-
kowiſchen Stadttheil, aber im offnen Felde zur
Linken der Heerſtraße liegt, und welchen wir
ſchon aus dem vorigen Abſchnitte kennen. —
Etwas weiter hin, zwiſchen der ſechsten und ſie-
benten Werſt, ragen die Mauern von Tſches-
me
aus einer moraſtigen mit Geſtraͤuch bedeckten
[93] Flaͤche hervor. Das Luſtſchloß, welches eine
dreyeckige Form hat, iſt durchaus in gothiſchem
Geſchmack gebaut, mit alten gothiſchen Verzie-
rungen, hohen Fenſtern, bemalten Scheiben,
kleinen Thuͤrnen. Das Innere deſſelben wird
durch eine aͤußerſt vortreffliche Gemaͤldeſamm-
lung aller um das Jahr 1775 in Europa herr-
ſchenden Fuͤrſtenfamilien merkwuͤrdig, die groͤß-
tentheils von den Hoͤfen ſelbſt hieher geſchenkt iſt
und unter welchen ſich Meiſterſtuͤcke vom erſten
Range befinden. Der Schloßplatz iſt mit den
Wohnungen der Schloßbedienten umgeben und
hat eine kleine gothiſche Kirche. Die umliegende
Gegend, ſo weit ſie zum Gebiet gehoͤrt, iſt
großentheils wie ein engliſcher Garten einge-
richtet.


Auf dem Verfolg unſers Weges kommen wir
durch ein deutſches Dorf, welches, nach der
Zahl ſeiner Haͤuſer, die Kolonie der Zwey
und Zwanziger
genannt wird; und nun
ſetzen wir unſere Reiſe, ohne weiter auf einen
intereſſanten Gegenſtand zu ſtoßen, zwey und
zwanzig Werſte bis an das erſte aller kaiſerlichen
Luſtſchloͤſſer fort.


[94]

Zarskoje Selo, der beſtimmte Sommer-
aufenthalt Katharinens der Zweyten,
liegt in einer offnen, anmuthigen, durch kleine
Huͤgel und Waldparthien abwechſelnden Gegend.
Der Flaͤchenraum des ganzen Schloßgebiets be-
traͤgt 420,000 Quadratklafter. Seine Entſte-
hung iſt dieſer Fuͤrſtenſitz der Kaiſerinn Katha-
rina der Erſten
und ſeine Erweiterung und
Verſchoͤnerung der Kaiſerinn Eliſabeth ſchul-
dig; aber ſeine geſchmackvolle Vollendung und
den groͤßten Theil ſeiner jetzigen Pracht verdankt
er der ſchoͤpferiſchen Regierung Katharinens
der Zweyten
.


Wir befinden uns jetzt im Angeſicht dieſes
Schloſſes, in einem kleinen Walde. Zur Linken
haben wir die Mauer des Thiergartens und vor
uns den Eingang von der petersburgiſchen Seite.
Er beſteht aus zwey von Moostufſtein in der
Form von Ruinen aufgefuͤhrten Portalen, deren
eines ein chineſiſches Wachthaus hat. Wir tre-
ten durch dieſen Eingang in den Schloßplatz und
ſehen zur Rechten den Garten und zur Linken
ein chineſiſches Dorf, durch welches der Weg
uͤber eine chineſiſche Bruͤcke in den Thiergarten
fuͤhrt. Vor uns haben wir die Straße nach der
[95] kleinen nachbarlichen Kreisſtadt Sophia, welche
durch ein koloſſaliſches eiſernes Thor geht. Der
Schloßplatz ſelbſt bildet ein Amphitheater von
Gebaͤuden der Hauptfaſſade des Schloſſes gegen-
uͤber, und wird durch zwey eiſerne Gitter an je-
der Seite geſchloſſen. Laͤngs der Oſtſeite des
Gartens liegt eine Slobode von zwey gut gebau-
ten Haͤuſerreihen, die zu Wohn- und Wirth-
ſchaftsgebaͤuden beſtimmt iſt.


Das Aeußere des Pallaſtes iſt durch ſeine
Groͤße impoſant und durch ſeine zum Theil ver-
goldeten Verzierungen blendend. Er hat drey
Stockwerke und an beyden Seiten zuruͤckſprin-
gende Fluͤgel, von denen der eine die Schloßka-
pelle und der andere Badezimmer enthaͤlt. Der
mittlere Theil iſt die Wohnung der Kaiſerinn.
Eine marmorne Treppe fuͤhrt hier in den zwey-
ten Stock, in welchem die Prachtzimmer nach
der Seite des Schloßhofs und die eigentlichen
Wohnzimmer nach dem Garten zu liegen. Unter
den erſtern ſind die meiſten durch den ſeltenſten
Reichthum an Koſtbarkeiten aller Art und durch
die geſchmackvollſte Pracht ſo weit uͤber alles er-
haben, was ich in dieſer Gattung in andern Laͤn-
dern geſehen habe, daß es mir ſchlechterdings an
[96] Vergleichungen fehlt. Eine Muſterung dieſer
Gegenſtaͤnde wird man hier nicht erwarten, da
dieſe, wenn ſie ihrem Zweck entſprechen ſollte,
ein eigenes Werk von mehreren Baͤnden anfuͤl-
len wuͤrde. Nur dies kann hier nicht uͤbergangen
werden, daß Katharina die Zweyte, mit-
ten unter Schoͤpfungen ihres großen Geiſtes,
dem einſamen Genuß und dem ruhigen Nachden-
ken einen kleinen einfachen Tempel gewidmet hat,
in welchem ſie, von Buͤchern und der ſchoͤnen
Natur umgeben, zuweilen des unermeßlichen
Kreiſes ihrer Wirkſamkeit vergißt, um ſich den
ſtillen Freuden der Menſchheit zu ſchenken.


An den ſuͤdlichen Schloßfluͤgel ſtoͤßt eine
funfzig Klafter lange Arkade, uͤber welcher eine
bedeckte Kolonnade von Marmorſaͤulen ſteht. —
Der Garten iſt in engliſcher Manier; ſeine
Vollkommenheit laͤßt ſich nach der Groͤße ſeines
Flaͤchenraums und nach dem Maaßſtabe leicht be-
rechnen, den der Inhalt dieſes und des vorigen
Abſchnittes geben.


Unter die beſchreibbaren Merkwuͤrdigkeiten
dieſes Gartens gehoͤren vorzuͤglich folgende Ge-
genſtaͤnde. Ein kleiner Tempel, der eine ausge-
ſuchte Sammlung antiker und moderner Statuͤen
enthaͤlt;
[97] enthaͤlt; eine Einſiedeley zum Speiſen, wie die
in der Eremitage; ein praͤchtiges Bad; ein
Rutſchberg, wie der in Oranienbaum; maleri-
ſche Ruinen; eine kleine Stadt, das Anden-
ken der Beſitznehmung Tauriens, u. ſ. w. Zwey
kuͤnſtliche Seen werden durch einen Bach ver-
bunden, uͤber welchen eine gewoͤlbte Bruͤcke
fuͤhrt, die mit marmornen Saͤulenreihen uͤber-
baut iſt. Auf einer der Inſeln dieſer Seen
iſt ein tuͤrkiſcher Tempel, auf einer andern ein
großer Saal fuͤr muſikaliſche Beluſtigungen
vorhanden. In einem Gebuͤſch ſtoͤßt man auf
eine Pyramide in egyptiſcher Form, in deren
Nachbarſchaft zwey Spitzſaͤulen ſtehen. —


Zarskoje Selo, das praͤchtigſte Heiligthum
der Natur und der Kunſt, iſt zugleich der
ſchoͤnſte Tempel des Verdienſtes. Aus den
Grundgebirgen unſerer Erde geformt, thuͤrmen
ſich hier die Denkmaͤler großer Thaten him-
melan, ohne den zerſtoͤrenden Wechſel der Zeit
zu befuͤrchten. Ein marmorner Obelisk erin-
nert an den Sieg beym Kagul und an den
Sieger Rumaͤnzow-Sadunaiskoi. Dem
Tag bey Tſchesme und dem Helden Orlow-
Tſchesmenskoi
iſt eine marmorne Saͤule
Erſter Theil. G
[98] auf einem Fußgeſtelle von Granit gewidmet.
Ein praͤchtiger Triumfbogen verkuͤndet den pa-
triotiſchen Muth des Fuͤrſten Orlow, mit
welchem er ſich dem Aufruhr und der Peſt in
der Hauptſtadt entgegenwarf und beyde be-
ſiegte. Den Sieg bey Morea und den Namen
Feodor Orlow verewigt eine Schnabel-
ſaͤule. — Einfach und rieſenhaft, wie die Ge-
danken der Helden, deren Andenken in dieſen
Felsmaſſen lebt, ſtehen ſie da, von der freund-
lichen Natur umgeben, die ihre Majeſtaͤt durch
den Schleyer kunſtloſer Grazie mildert. Die
heilige Stille, welche in dem Bezirk dieſes
Thatentempels wohnt, erhebt den Fluͤgelſchlag
der Fantaſie, die ſich hier von den ſinnlichen
Erinnerungen moraliſcher Groͤße zu dem Ideal
der Vollkommenheit emporſchwingt.


Dies iſt der Eindruck, mit welchem man
den Sommerſitz Katharinens verlaͤßt. —
Ueberall ſind die hoͤchſten Beſtrebungen der
Kunſt ſichtbar, denen ſich die ſproͤde Natur
nach einer hartnaͤckigen Weigerung nur um ſo
willfaͤhriger uͤberlaſſen zu haben ſcheint; uͤberall
die Spuren dieſer idealen Gemeinſchaft, deren
Zeugungen den Adel ihres Stammes verra-
[99] then. Dieſe ganze Schoͤpfung iſt Ein ſchoͤner
Gedanke, der ſich in die Vollkommenheit ſei-
ner einzelnen Beſtandtheile aufloͤſt. —


Der Weg von Zarskoje Selo bis Paw-
lowsk
, dem erſten großfuͤrſtlichen Luſtſchloſſe,
betraͤgt fuͤnf Werſt, und geht durch anmuthige
belebte Gefilde. Dem Wanderer, deſſen Seele
fuͤr den Eindruck der Gegenſtaͤnde empfaͤnglich
iſt, kann der Austauſch der Empfindungen
nicht entgehen, welcher hier durch den Ueber-
gang aus den Regionen der Pracht und der
Groͤße in den Kreis des heitern Geſchmacks
und der kunſtlosſchemenden Einfalt hervorge-
bracht wird. Wenn die Fantaſie ſich dort von
Weſen hoͤherer Art begleitet glaubte, ſo waͤhnt
ſie hier unter den Goͤtterchen der Freude zu
ſeyn, welche die nachbarlichen Fluren und Hayne
bewohnen. Nichts ſtoͤrt den ſuͤßen Irrthum,
nicht einmal der Anblick des Schloſſes. Mit-
ten unter den Schoͤpfungen der Blumenkoͤni-
ginn, in einem der reizendſten Standpunkte
dieſer ſchoͤnen Wildniß, ſteht es in ſeiner edlen
Einfalt, ein Denkmal des feinſten Geſchmacks,
da, nicht um die Wirkung des Ganzen zu
ſtoͤren, ſondern um ſie durch das Gefuͤhl zu
G 2
[100] erhoͤhen, daß Natur und Kunſt in dieſem Ely-
ſium auf Einen Zweck berechnet ſind. Eben
dieſe Uebereinſtimmung iſt in dem Innern des
Pallaſtes ſichtbar. — Der Garten, deſſen kuͤhne
Regelloſigkeit durch die groͤßere Mannigfaltig-
keit der Natur unterſtuͤtzt wird, hat, außer
einer Eremitenwohnung und einem verfallenen
Tempel, keine kuͤnſtliche Anlage, die hier der
ſchoͤnen Wirkung nur hinderlich waͤre. — In
der Naͤhe von Pawlowsk hat die Großfuͤrſtinn
ſich eine kleine Einſiedeley geſchaffen, wo die
ruͤhrende Simplicitaͤt der Natur durch keinen
Schleyer verhuͤllt wird. Das geſchmackvolle
Wohnhaus iſt mit einer Meyerey umgeben, in
welcher dieſe liebenswuͤrdige Fuͤrſtinn ſich an
dem Anblick laͤndlicher Beſchaͤftigungen ver-
gnuͤgt. Marienthal iſt der Name dieſer
kleinen romantiſchen Schoͤpfung.


Zwanzig Werſte von Zarskoje Selo liegt
Gatſchina, der Herbſtwohnſitz des Groß-
fuͤrſten. Das Schloß, ein ſchoͤnes Gebaͤude in
einfachem edlem Stil, iſt durch eine Arkade
von Marmorſaͤulen mit einem Fluͤgel verbun-
den. Rings umher ſind mehrere geſchmack-
volle Haͤuſer befindlich, die den Anblick des
[101] Ganzen geſelliger machen. Auch hier iſt im
Aeußern und Innern der ausgeſuchteſte Ge-
ſchmack Karakter. Die reizende Gegend wird
mit jedem Jahr durch neue Ideen verſchoͤnert,
welche dieſes Luſtſchloß allmaͤlig zu dem Range
eines der geſchmackvollſten Landſitze in Europa
erheben. Die Wunder von Chantilly, die un-
ter dem zerſtoͤrenden Einfluß der Zeitbegeben-
heiten im Suͤden verloren gehen, werden hier
im Norden erneuert.


Wir haben jezt die Muſterung der merk-
wuͤrdigſten Gegenſtaͤnde beendigt, die ſich an
den beyden großen Heerſtraßen finden. Es
bleibt uns noch eine kleine Wanderung auf dem
ſchluͤſſelburgiſchen Wege uͤbrig, wo eine
neue praͤchtige Schoͤpfung ihr Daſeyn em-
pfaͤngt.


Die Heerſtraße, die nach Schluͤſſelburg
fuͤhrt, beginnt beym Alexander-Newski-Klo-
ſter und laͤuft laͤngs dem linken Newaufer
hinan. An Dauerhaftigkeit und Pracht ſteht
ſie zwar bey weitem hinter den beyden Wegen,
die wir ſchon aus dieſem Abſchnitte kennen;
aber an Mannigfaltigkeit und Schoͤnheit der
Ausſichten giebt ſie, wenigſtens dem letztern,
G 3
[102] nichts nach. Eine Reihe wohlgebauter Haͤuſer,
die ſich mit kleinen Unterbrechungen an dieſen
Weg ſchließt, giebt ihm eine angenehme Leb-
haftigkeit und ein gewiſſes ſtaͤdtiſches Anſehn.
Hier ſind einige der beruͤhmteſten Werkſtaͤtten
und Fabrikanlagen der Reſidenz befindlich. Wei-
terhin, in einer ſehr romantiſchen Gegend, liegt
der Landſitz des Fuͤrſten Waͤſemskoi, Alex-
androwsk
. Ein ſchoͤnes Dorf von ſteinernen
Haͤuſern begrenzt hier zu beyden Seiten die
Landſtraße, an welcher auch einige gutgebaute
Fabriken und eine Kirche liegen, die durch ihre
edle Form auffaͤllt. Der Anblick dieſer Ge-
baͤude, des Pallaſts, des Schloßgartens und
einer kleinen Meyerey bildet ein ſehr gefaͤlliges
und pittoreskes Ganze. Wir eilen bey den ge-
ringeren Merkwuͤrdigkeiten dieſes Weges vor-
uͤber, um das Ziel unſerer Reiſe, das kaiſer-
liche Luſtſchloß Pella, zu erreichen, welches
fuͤnf und dreißig Werſt von der Reſidenz, zwi-
ſchen dem linken Newaufer und der Muͤndung
des kleinen Fluſſes Tosna liegt. Nichts iſt
uͤberraſchender als der Anblick dieſer großen
Haͤuſermaſſen, die durch die Wirkung der Bau-
kunſt in der Ferne Ein großes Ganze ſcheinen.
[103] Mehrere Pallaͤſte und Pavillons reihen ſich
hier in berechneter Unordnung an einander und
ſind durch Arkaden und Saͤulenreihen verbun-
den. Der Garten und die innere Einrichtung
ſehen i[h]rer Vollendung entgegen; ein Zeitpunkt,
der dieſer neuen Schoͤpfung ihren Rang unter
den uͤbrigen Luſtſchloͤſſern anweiſen wird.


G 4
[104]

Dritter Abſchnitt.
Einwohner.


Volksmenge. — Urſprüngliche Einwohner, Ingrier und
Finnen. Hauptſtamm der Bevölkerung, Ruſſen. Frem-
de Einwohner. — Fruchtbarkeit, Sterblichkeit und
Geſundheitszuſtand. Fortſchritt der Bevölkerung. —
Phyſiſcher Karakter der Einwohner. — Bürgerliche
Verfaſſung. Hof und Stadt. Bürgerbuch. Gilden.
Stadtgemeine. — Kirchliche Verfaſſung.


Bis hierher habe ich verſucht, meinen Leſern
eine Darſtellung des Aeußern dieſer Reſidenz
zu geben. Wir ſind dem Plan eines Reiſen-
den gefolgt, der bey ſeiner Ankunft in einer
großen unbekannten Stadt zuerſt die Außen-
linien der Gegenſtaͤnde zu faſſen ſucht, und waͤh-
rend der erſten Tage ſeines Aufenthalts nur
Gaſſen mißt, um Haͤuſer zu ſehen. Um ſo
weit mit Petersburg bekannt zu werden, als
[105] wir es bis jezt ſind, bedurfte es nur geſunder
Augen; von nun an naͤhern wir uns dem
vorzuͤglichern Gegenſtande unſerer Betrachtung,
dem Menſchen. Die Modifikationen ſeiner
Exiſtenz, ſeine Beduͤrfniſſe, ſein Lebensgenuß,
ſein Karakter und ſeine Individualitaͤt ſind die
reichhaltigen Zuͤge, aus denen das Gemaͤlde
ſeiner Gattung zuſammengeſetzt werden muß.
— Wenn kein Studium groͤßeres Intereſſe fuͤr
den Menſchen hat, als das Studium des Men-
ſchen, ſo hat auch keins groͤßere Schwierig-
keiten. Gluͤcklich, wem der Blick und die Ga-
be ward, das Wahre vom Falſchen zu ſondern,
allgemeine Zuͤge fallen zu laſſen, Eigenthuͤm-
lichkeiten zu greifen, und aus tauſend einzelnen
Bemerkungen ein großes, wahres und anzie-
hendes Ganze zu bilden!


Die große Haͤuſermaſſe, mit deren Anblick
wir uns bis jezt beſchaͤftigt haben, wird von
einer ſo zahlreichen, und, in religioͤſer und po-
litiſcher Hinſicht ſo verſchiedenartigen, Men-
ſchenmenge bewohnt, daß ohne die naͤhere
Kenntniß dieſer Verhaͤltniſſe ein großer Theil
der nachfolgenden Unterſuchungen und Schil-
derungen unzulaͤnglich und unverſtaͤndlich ſeyn
G 5
[106] wuͤrde. Ehe wir uns mit dem geiſtigen Zu-
ſtand der Menſchen beſchaͤftigen die hier leben,
muͤſſen wir ihren koͤrperlichen Zuſtand ken-
nen: ſo wie die Thatſachen, die wir hier und
in der Folge uͤber die buͤrgerlichen Ver-
haͤltniſſe derſelben einſammeln, uns den Weg
zu der Darſtellung ihrer moraliſchen Ver-
haͤltniſſe bahnen.


Die Volksmenge von St. Petersburg
iſt nur erſt ſeit kurzem ein aufgeloͤſtes Pro-
blem. Die Kenntniß dieſes Gegenſtandes dankt
das Publikum der aufgeklaͤrten Vorſorge der
jetzigen Regierung, waͤhrend welcher zuerſt
zweckmaͤßige Liſten und Zaͤhlungen anbefohlen
und ausgefuͤhrt wurden. Die Reſultate der-
ſelben, welche zum Theil von einſichtsvollen
Gelehrten kommentirt worden ſind, werden mich
bey der Unterſuchung dieſer wichtigen That-
ſache leiten.


Nach den Berechnungen und Schluͤſſen
des Akademikus Krafft*) betrug in dem
Zeitraum von 1764 bis 1780 die Mittelzahl
[107] aller Lebenden 164,000. Die letzten fuͤnf Jahre
von 1775 bis 1780 allein genommen, laͤßt ſich
die Menſchenmenge auf 174,778 ſchaͤtzen. Nach
den letztern Zaͤhlungen belief ſie ſich im Jahr
1784 auf 192,846, und im Jahr 1789 auf
217,948. *) Es waren naͤmlich in dieſem Jahr


  • Maͤnner Weiber Zuſammen
  • Garden, Artille-
    rie, u. ſ. w. 30,635 5,792 36,427
  • Flotte _ _ 710,160 3,717 13,877
  • Ueberhaupt Mi-
    litaire _ _ 40,795 9,509 50,304
  • Uebrige regiſtrir-
    te Einwohner 107,725 59,919 167,644
  • Zuſammen _ _ 148,520 69,428 217,948.

Da aber in dieſen Angaben noch der Hof-
ſtaat, die Akademieen, das in Friedenszeiten
hier liegende Militaire, (welches in zwey In-
fanterie- und einem Kavallerieregimente beſteht)
ferner alle Fremde, Reiſende, Schiffer, perio-
diſche Arbeiter, fehlen; da endlich auch der Zu-
[108] wachs der Bevoͤlkerung, welcher, nach der Ana-
logie der obigen Angaben zu ſchließen, ſehr be-
traͤchtlich ſeyn muß, in Anſchlag gebracht wer-
den darf *), ſo glaube ich der Wahrheit am
naͤchſten zu kommen, wenn ich fuͤr die izt (1792)
beſtehende Volkmenge von St. Peters-
burg 225,000 Menſchen
annehme. In
der Bevoͤlkerungsſtufe der großen europaͤiſchen
Staͤdte nimmt dieſe Reſidenz alſo den ſechsten
Rang ein, denn ſie ſteht in dieſer Ruͤckſicht nur
unter Konſtantinopel, London, Paris, Neapel
und Wien; am naͤchſten kommt ihr Amſterdam,
welches, nach Peſtel und andern, ungefaͤhr
212,000 Einwohner zaͤhlt; dann folgen, nach
der Groͤße ihrer Bevoͤlkerung, Rom, Venedig,
Berlin, Madrit, Liſſabon.


[109]

Der Hauptſtamm dieſer Bevoͤlkerung, die
im Ganzen aus der mannigfaltigſten Miſchung
aller Nationen beſteht, ſind die Ruſſen, welche
jetzt den bey weitem uͤberwiegenden Theil der
Volkmenge ausmachen, ob ſie gleich nicht die
urſpruͤnglichen Bewohner der Gegend ſind, in
welcher die Beherrſcher des ruſſiſchen Reichs
jezt ihren Wohnſitz aufgeſchlagen haben. St.
Petersburg iſt alſo eine Kolonialſtadt, und die
ganze Bevoͤlkerung derſelben zerfaͤllt natuͤrlich
in folgende, zum Theil wieder zuſammengeſetzte
Beſtandtheile: urſpruͤngliche Einwohner, Haupt-
ſtamm der Bevoͤlkerung, Fremde.


Die urſpruͤnglichen Bewohner der
Gegend, und ſelbſt des Gebiets, auf welchem
jezt die Reſidenz ſteht, ſind Ingrier und
Finnen. Von ihren Ueberwindern verdraͤngt,
und durch Nationalkarakter und Verfaſſung in
dem Fortſchritt ihrer Kultur gehemmt, machen
die ſparſamen Nachkoͤmmlinge der alten Ein-
wohner dieſes Landes nur einen der unbetraͤcht-
lichſten Theile der jetzigen Bevoͤlkerung. Sie
leben theils in einiger Verbindung in den ſo-
genannten finniſchen Doͤrfern in und um Pe-
tersburg, theils, als Dienſtboten, zerſtreut und
[110] vermiſcht in der großen Menſchenmaſſe. Die
Anzahl aller in der Reſidenz befindlichen Men-
ſchen dieſer Nation betraͤgt gegen viertauſend.


Den Hauptſtamm der jetzigen Bevoͤlke-
rung bilden die Ruſſen. Nach der Berech-
nung des Akademikus Krafft, der das Ver-
haͤltniß dieſer Nation zu den fremden Einwoh-
nern wie ſieben zu eins annimmt, wuͤrde die
Anzahl der Ruſſen, wenn wir der Zaͤhlung von
1789 folgen, 190,700 ſeyn. Da ich aber Gruͤn-
de habe, dieſes Verhaͤltniß jezt fuͤr zu groß zu
halten, und es eher auf ſechs Sieben-
theile
der ganzen Volkmenge zu berechnen *),
ſo nehme ich mit der uͤberwiegendſten Wahr-
ſcheinlichkeit, und nach der oben ausgezeichne-
ten Angabe, die Anzahl der Ruſſen in St. Pe-
tersburg auf 193,000 an.


Die Menge der auf eine Zeitlang oder
auf immer angeſeſſenen Fremden ergiebt ſich
nach dieſen Beſtimmungen von ſelbſt. Sie
machen den ſiebenten Theil der Bevoͤlke-
rung aus und ihrer ſind alſo 32,000. Das
[111] Verhaͤltniß der einzelnen Nationen zu einan-
der genau zu beſtimmen, iſt unmoͤglich; es
faͤllt jedoch bey dem leichteſten Ueberblick in
die Augen, daß die Deutſchen ohne allen
Vergleich die zahlreichſten ſind, und daß,
naͤchſt ihnen, die Franzoſen und Schwe-
den den groͤßten Antheil an der exotiſchen Be-
voͤlkerung haben. Um indeſſen zu einer etwas
anſchaulicheren Kenntniß dieſer fuͤr auswaͤrtige
Leſer ſo intereſſanten Verhaͤltniſſe zu gelangen,
habe ich nach den Kirchenliſten der nicht grie-
chiſchen Religionsverwandten die mittlern Sum-
men der Getauften mit 31, als dem allgemei-
nen Verhaͤltniß der hieſigen Fruchtbarkeit, mul-
tiplicirt. Die Reſultate dieſer Berechnung ſind
folgende. Es leben in St. Petersburg


  • 17,660 Deutſche,
  • 3,720 Finnen,
  • 2,290 Franzoſen,
  • 1,860 Schweden,
  • 930 Englaͤnder,
  • 50 Hollaͤnder, und
  • 2,490 Katholiken, die nicht Franzoſen
    und Deutſche ſind, alſo Po-
    len, Italiener, Spa-
    nier, Portugieſen
    , u. ſ. w.
  • 29,000.

[112]

Es fehlen alſo noch 3,000 Menſchen, unter
denen die Letten und Eſthen wol den be-
traͤchtlichſten Theil ausmachen. Der Arme-
nier
ſind etwa hundert, und eben ſo viele
kann man fuͤr die Gruſiner und Tarta-
ren
annehmen. Der Reſt erklaͤrt ſich durch
die Zunahme der Bevoͤlkerung, durch die pe-
riodiſchen Fremdlinge und Reiſenden, und durch
die hier angeſeſſenen Glaubensverwandten, die
keine eigentliche Kirchenverfaſſung haben; der-
gleichen ſind die Mohammedaner, Mohren,
u. ſ. w.


Es iſt dem aufgeklaͤrten Welt- und Staats-
buͤrger nicht genug, die wirklich vorhandene
Bevoͤlkerung zu wiſſen: er will auch ihre Ten-
denz zur Vergroͤßerung oder Verringerung,
und die Urſachen kennen, durch welche die Ver-
mehrung derſelben befoͤrdert oder gehemmt
wird. Dieſe Kenntniß, zu welcher man durch
die Anwendung der Grundſaͤtze der politiſchen
Arithmetik gelangt, gruͤndet ſich auf die Un-
terſuchung der Fruchtbarkeit, der Sterblichkeit
und des Geſundheitszuſtandes der Menſchen.
Um dieſe ſo nothwendigen und intereſſanten
Verhaͤltniſſe, in Ruͤckſicht auf die Menſchen,
die
[113] die in St. Petersburg leben, durch eine leichte
Ueberſicht anſchaulich zu machen, wird folgen-
der Auszug aus der angefuͤhrten vortrefflichen
Abhandlung des Akademikus Krafft hinlaͤng-
lich ſeyn *).


Um die Fruchtbarkeit der Einwohner
dieſer Reſidenz zu erfahren, muͤſſen wir wiſſen:
wie viel Ehen geſchloſſen werden — wie viel
Kinder jede Ehe giebt — und wie viel Men-
ſchen im Verhaͤltniß zu allen Lebenden geboren
werden.


Die Reſultate der Kirchenliſten unſers Zeit-
raums beweiſen, daß hier jaͤhrlich unter 126
Menſchen Eine Ehe geſchloſſen wird, oder daß
von 63 Menſchen Einer heyrathet. Dieſes
Verhaͤltniß, welches in Vergleichung mit andern
großen Staͤdten nur mittelmaͤßig iſt, beweiſ’t,
daß es hier ſehr viele freywillige Celibataires
geben muͤſſe. Sonderbar iſt es, daß gegen
Erſter Theil. H
[114] ſieben Wittwen nur fuͤnf Wittwer zur zweyten
Heyrath uͤbergehen.


Auf 100 Ehen rechnet man 408 Kinder.
Dieſes Verhaͤltniß, welches im Allgemeinen
ſehr vortheilhaft iſt, war in der dritten Pe-
riode noch guͤnſtiger, denn in dieſer gaben 100
Ehen 420 Kinder, welches ſehr viel iſt, da
man ſonſt in großen Staͤdten gewoͤhnlich nur
330 bis 380 annehmen darf. Auch hier beſtaͤ-
tigt ſich das, in allen Laͤndern zutreffende, Ver-
haͤltniß des maͤnnlichen Geſchlechts zu dem weib-
lichen. Es werden 105 Knaben gegen 100
Maͤdchen geboren.


Nun bleibt uns, um alle Verhaͤltniſſe der
Fruchtbarkeit zu kennen, nur noch zu wiſſen
uͤbrig, wie viele Menſchen jaͤhrlich in Verglei-
chung mit allen Lebenden geboren werden. Die
Reſultate unſers Zeitraums ergeben, daß man
auf 31 Menſchen Einen Gebornen rechnen kann.
Eben dieſes Verhaͤltniß trifft faſt in allen gro-
ßen Staͤdten zu.


Jetzt wollen wir die Sterblichkeit
muſtern. — Im Allgemeinen ſtirbt jaͤhrlich von
35 Menſchen Einer; wenn alſo die Bevoͤlke-
rung der Reſidenz mit jedem Jahrswechſel einen
[115] Zuwachs von einem Einunddreißigtheil ſeiner
Volkmenge erhaͤlt, ſo verliert ſie auch jaͤhrlich
ein Fuͤnfunddreißigtheil derſelben. Dieſe Sterb-
lichkeit iſt indeſſen außerordentlich gering; ge-
woͤhnlich ſterben in großen Staͤdten von tau-
ſend Menſchen 42, in mittlern 36, in kleinern
31; hier aber nur 28.


Das Verhaͤltniß der Gebornen zu den Ge-
ſtorbenen ergiebt ſich hieraus von ſelbſt; es iſt
wie 114 zu 100. In der letzten Periode war
es wie 130 zu 100. Die Bevoͤlkerung gewann
alſo in dieſem Zeitraum bey dem Tauſch zwi-
ſchen Lebenden und Todten. Indeſſen aͤußert
ſich hier eine ſonderbare Erſcheinung. Der
Ueberſchuß der Gebornen uͤber die Geſtorbenen
ruͤhrt beynahe gaͤnzlich vom weiblichen Ge-
ſchlechte her; ein auf jeden Fall ſehr nachthei-
liger Umſtand, der ſich jedoch in der letzten
Periode ſchon betraͤchtlich gemindert hatte. Aus
dem ganzen Zeitraum ergiebt ſich die Anzahl
der maͤnnlichen Geſtorbenen zu den weiblichen
wie 184 zu 100.


Wichtiger noch fuͤr den Forſcher iſt die
Unterſuchung der Sterblichkeit eines jeden Al-
ters. Hier werden wir Abweichungen von der
H 2
[116] allgemeinen Regel der Natur finden, die ihre
Quelle theils in der feſtern Organiſation, oder
mit einem Kunſtausdruck, in der ſtaͤrkern Vi-
talitaͤt, theils auch in der Lebensart und in
den Sitten haben.


Die Bevoͤlkerung aller Staͤdte und Laͤnder
leidet dadurch einen großen Verluſt, daß viele
zur Exiſtenz beſtimmte Menſchen ſchon bey ih-
rer Geburt fuͤr dieſen Zweck und den Staat
verloren gehn. Die Reſultate unſers ganzen
Zeitraums ergeben, daß hier unter tauſend neu-
gebornen Kindern 7 todt zur Welt gebracht
werden. Dieſe Anzahl, die in Vergleichung
mit andern Arten aͤußerſt gering iſt, (ſelbſt
unter den fremden Einwohnern von St. Pe-
tersburg werden unter tauſend Kindern 25 todt-
geboren) hat dennoch in den auf einander fol-
genden Perioden immer mehr abgenommen.
In der erſten finden ſich unter tauſend Gebor-
nen 10, in der zweyten 7 und in der dritten
3 Todtgeborne. Dieſes unerhoͤrt kleine Ver-
haͤltniß hat ſeinen Grund in dem ſtarken und
abgehaͤrteten Koͤrperbau der ruſſiſchen Muͤtter.
Unter tauſend Ruſſinnen ſterben nur 7 im Wo-
chenbette; unter eben ſo vielen hieſigen Aus-
[117] laͤnderinnen 15. — Von tauſend neugeborneu
Knaben werden 9, von eben ſo vielen Maͤd-
chen 5 todt zur Welt gebracht.


In dem erſten Lebensjahr ſterben von tau-
ſend Kindern 279. Dieſes Verhaͤltniß iſt zwar
ſtaͤrker, als es nach dem gewoͤhnlichen unge-
ſtoͤrten Gange der Natur ſeyn ſollte, aber doch
immer noch ſchwaͤcher, als in andern großen
Staͤdten und ſelbſt unter den fremden Einwoh-
nern von St. Petersburg, unter welchen 309
Kinder von tauſend im erſten Jahre ſterben.
In dieſem Zeitraum des Lebens gehen mehr
Knaben als Maͤdchen verloren. Von den er-
ſtern ſterben 370 und von den letztern nur
227 von tauſend.


Vom erſten bis zum funfzehnten Jahre
ſterben von tauſend Kindern 215. Die Sterb-
lichkeit in dieſem Zeitraum von vierzehn Jah-
ren iſt alſo geringer als die in dem einzigen
erſten Jahre. Auch dieſes Verhaͤltniß zeigt,
wie muͤtterlich die Natur fuͤr die Bewohner
Rußlands geſorgt hat. Von tauſend Kindern
ſterben bis zum funfzehnten Jahr in Schwe-
den 279, in Stockholm 258, in London 435,
und unter den hieſigen Auslaͤndern 346. —
H 3
[118] Die Sterblichkeit, die in dem erſten Lebens-
jahr fuͤr die Maͤdchen groͤßer war als fuͤr die
Knaben, iſt es auch hier. Unter tauſend Kna-
ben ſterben in dieſem Alter 174, unter eben ſo
vielen Maͤdchen aber 305. Hieraus folgt, daß
unter tauſend Kindern von funfzehn Jahren,
die in St. Petersburg leben, 602 Knaben und
398 Maͤdchen ſeyn muͤſſen.


Vom zwanzigſten bis zum ſechzigſten Jahr
endlich ſterben von tauſend Menſchen 813.
Bis zum zwanzigſten Jahr iſt die Sterblich-
keit in Petersburg geringer als in allen großen
Staͤdten; nach dieſem Zeitpunkt aber nimmt
ſie in ſo außerordentlichem Maaße zu, daß man
die Quelle dieſer traurigen Erfahrung nur in
einer der wohlthaͤtigen Natur entgegenſtreben-
den Wirkung ſuchen kann. Weder durch die
koͤrperliche Beſchaffenheit noch das Klima laͤßt
ſich dieſe große Sterblichkeit erklaͤren: beyde
ſind der Lebensdauer guͤnſtig, wie die Perioden
bis zum funfzehnten Jahre beweiſen. Nichts
als die Lebensart kann alſo an dieſem Staats-
uͤbel ſchuld ſeyn, und da auch hier die allge-
meinen Nachtheile derſelben allen großen Staͤd-
ten eigen ſind, ſo bleibt keine Urſache uͤbrig,
[119] die wir dieſer ſchrecklichen Wirkung wegen an-
klagen koͤnnten, als — der Brantewein. Naͤ-
here Gruͤnde zu dieſer Vermuthung wird die
unten folgende Bemerkung uͤber die herrſchen-
den Krankheiten geben. Um die Groͤße des
Verluſts anſchaulich zu machen, den die Be-
voͤlkerung der Reſidenz in dieſem Zeitraum
leidet, wollen wir nur noch anfuͤhren, daß von
tauſend Menſchen in eben dieſer Lebensperiode
in Schweden nur 516, in Stockholm 712, in
London 720, und in Petersburg ſelbſt, unter
den Auslaͤndern, nur 764 weggerafft werden.
— Die Sterblichkeit, die bis zum zwanzigſten
Jahr das weibliche Geſchlecht immer ſtaͤrker
als das maͤnnliche getroffen hatte, aͤndert hier
ploͤtzlich ihren Gang. Von tauſend Maͤnnern
ſterben 856, von eben ſo vielen Weibern nur
702.


Aus dieſer Berechnung folgt, daß es nur
wenige ſehr alte Leute in St. Petersburg ge-
ben koͤnne. Von 332 Gebornen erreicht nur
Einer das neunzigſte Jahr, da nach dem ge-
woͤhnlichen Lauf der Natur mehr als drey zu
dieſem ehrwuͤrdigen Lebensalter gelangen ſoll-
ten. In dem Zeitraum von ſiebzehn Jahren,
H 4
[120] den unſer Kalkul umfaßt, finden ſich dennoch
39 Menſchen, die uͤber hundert Jahre alt ge-
worden ſind; drey unter dieſen hatten es bis
zu einem Alter von 120 bis 130 Jahren ge-
bracht.


Jezt iſt uns noch die Unterſuchung des
oͤffentlichen Geſundheitszuſtandes
und der Staͤrke der Krankheiten uͤbrig.
Ein langes Regiſter aller Gattungen derſelben
wuͤrde fuͤr unſern Zweck unnoͤthig ſeyn; wich-
tig aber iſt die Bemerkung, daß mehr als drey
Fuͤnftheile aller Geſtorbenen bloß durch folgen-
de Krankheiten weggerafft wurden. Die Mit-
telzahl aller Geſtorbenen war 4616, und es
ſtarben jaͤhrlich 1348 Menſchen an der Pleu-
reſie, 1007 an der Auszehrung, und 671 an
hitzigen Fiebern. — Die natuͤrlichen Pocken,
die uͤberall von 14 Gebornen Einen toͤdten,
nehmen hier nur von 31, und, ſeit der Ein-
fuͤhrung der Inokulation, nur von 35 Einen
weg.


Das Maaß fuͤr den Fortſchritt der
Bevoͤlkerung
iſt das endliche Reſultat aller
dieſer Verhaͤltniſſe. Es erhellt aus dem Ueber-
ſchuß der Gebornen uͤber die Geſtorbenen, wel-
[121] cher, um ein Beyſpiel zu geben, in der erſten
Periode unſers Zeitraums 445, in der zweyten
194, und in der dritten 1327 betrug. Die
Bevoͤlkerung ſelbſt hatte ſich in dieſer letzten
Periode wahrſcheinlich nur um ein Zehntheil
vermehrt, aber ihre Staͤrke, ihre Tendenz zur
Vergroͤßerung war in der dritten Periode mehr
als dreymal ſtaͤrker wie in der erſten und bey-
nahe ſiebenmal ſtaͤrker als in der zweyten. Wie
ſehr uͤbrigens die Volkmenge von St. Peters-
burg ſeit dem Jahr 1775 wirklich zugenom-
men hat, iſt aus der Vergleichung der oben
angefuͤhrten Berechnungen und Zaͤhlungen ſicht-
bar. Wenn dieſe Zunahme bis zu Ende des
Jahrhunderts gleichen Schritt haͤlt, ſo wird
die Reſidenz im Jahr 1800 mehr als 250,000
Einwohner haben. —


Der phyſiſche Karakter dieſer Men-
ſchenmaſſe iſt ſo verſchieden, als die Miſchung
ihrer einzelnen Beſtandtheile. Von der koͤr-
perlichen Beſchaffenheit des Ruſſen bis zu
der des aſiatiſchen Fremdlings — und hinwie-
derum von der durch Nationalſitte abgehaͤrte-
ten Konſtitution des gemeinen Ruſſen bis
zu dem durch auslaͤndiſche Verfeinerung ge-
H 5
[122] ſchwaͤchten Koͤrperbau des vornehmen, welch
ein Abſtand! So mannigfaltig aber auch die
Schattirungen ſind, welche hier durch Erzie-
hung, Lebensart und Sitten verurſacht werden,
ſo koͤnnen ſie es doch nie ſo ſehr ſeyn, daß die
großen Umriſſe und Grundzuͤge gaͤnzlich ver-
loren giengen, aus welchen die Individualitaͤt
einer zahlreichen, auf einen Fleck zuſammen-
gedraͤngten Menſchenmenge hervorſpringt. We-
ſentlicher ſind die Verſchiedenheiten die aus der
Abſtammung fließen. So ſehr ſich auch zu-
weilen das Gepraͤge des geiſtigen Karakters
verwiſcht, ſo bleibend ſind die unterſcheidenden
Eigenthuͤmlichkeiten des koͤrperlichen; und wenn
der hieſige Deutſche, um ein Beyſpiel zu ge-
ben, in Sprache, Denkungsart und Sitten
dem Ruſſen gleicht, ſo kann er doch den Stamm-
baum nicht verleugnen, den die Natur in ſeine
koͤrperliche Bildung verwebt hat.


Die Petersburger ſind im Ganzen (ſo
weit eine ſo allgemeine Karakteriſtik Wahrheit
haben kann) ein großer, derber, fleiſchiger
Schlag von Leuten. Der Einfluß des Him-
melsſtrichs auf Umriß und Organiſation, der,
wie feinere Beobachter ſchon bemerkt haben,
[123] im ganzen Norden ſtatt haben ſoll, laͤßt ſich
auch hier ohne phyſiognomiſche Seherey wahr-
nehmen. So ſchoͤn die Formen auch ſeyn
moͤgen, in welche die hieſigen Menſchengeſtal-
ten gegoſſen ſind, ſo fehlt ihnen doch jener
ſcharfe beſtimmte Kontour, welchen die bilden-
de Natur nur unter mildern Himmelsſtrichen
mit ſo ſichrer Hand zu zeichnen ſcheint. Auch
die edelſten Grundlinien daͤmmern nur aus uͤp-
pigen Fleiſchmaſſen hervor, in deren elaſtiſchen
Woͤlbungen ſich die feinern Umriſſe und das
ſanfte Spiel der Muskeln verlieren. Wenn
dieſe Vorzuͤge fuͤr dieſe Maͤngel entſchaͤdi-
gen koͤnnen, ſo ſind wir entſchaͤdigt: denn
ſchoͤneres Fleiſch, blendendere Haut und ver-
fuͤhreriſcheres Inkarnat ſieht man wol nirgend.
Auch der Geſchmack, der hier, wie uͤberall,
die Geſetze des Schoͤnen von den Modellen
ſeiner Natur abſtrahirt, ſcheint dieſe Eigen-
ſchaften als die weſentlichſten Erforderniſſe der
Schoͤnheit anzuerkennen, und wahrſcheinlich
wuͤrde das vollkommenſte griechiſche Ideal in
unſern Zirkeln kein Gluͤck machen, wenn es
ungluͤcklicher Weiſe keine rothe Backen haͤtte,
und ſich gerade nicht getrauen duͤrfte, gewiſſer
[124] Vorzuͤge wegen, einen Wettſtreit mit den He-
ben des Alterthums zu beginnen. Dieſer Ge-
ſchmack iſt ſo feſtgeſetzt und ſo allgemein, daß
in der ruſſiſchen Sprache die Begriffe roth,
ſchoͤn
und Farbe nur Eine Bezeichnung ha-
ben, und es iſt daher auch unſern Damen
von hohem und niederm Range nicht zu ver-
uͤbeln, wenn ſie der Natur nachzuhelfen ſu-
chen, wo ſie etwa in der Austheilung dieſer
Gaben kaͤrglich gegen ſie verfahren ſeyn ſollte.
In allen großen Staͤdten, die ich kenne, ge-
hoͤrt die Schminke zum guten Ton; hier aber
iſt ſie mehr, denn hier ſchminkt ſich das Bau-
ernmaͤdchen ſo gut als die Graͤfinn, nicht um
die Mode mitzumachen, ſondern um ſchoͤn zu
ſeyn. Wer ſie ſo malen koͤnnte die ruſſiſchen
Kaufmannsweiber, wie ſie die Laſt ihrer wohl-
gepflegten, blendendweißen und getuſchten Fleiſch-
maſſen langſam fortwaͤlzen —! doch


man kennt aus Gabalis glaubwuͤrdigen Verichten

die Reize der Ondinen ſchon:

auch Rubens liebte ſie um Amphitritens Thron

in großen Gruppen aufzuſchichten,

ſo wohlgenaͤhrt, ſo uͤppig und, mit Zuͤchten,

ſo nackt, daß einem Mann davon

die Augen uͤbergehn. Wir ſollten alſo denken,

ihr koͤnntet uns die Muͤh, ihn zu kopiren, ſchenken.

[125]

Das maͤnnliche Geſchlecht iſt nicht nur im
Ganzen ſchoͤner als das weibliche, ſondern je-
nes naͤhert ſich in einzelnen Bildungen mehr
dem Ideal der ſchoͤnen Menſchenform. Unter
den Offizieren der Garden, [haͤuſiger] aber noch
unter dem Landvolk, welches aus den Provin-
zen hierher koͤmmt, giebt es manchen Kopf,
der das Gegenſtuͤck zum Antinous machen
koͤnnte. In Deutſchland, wo das allgemeine
Urtheil uͤber koͤrperliche Schoͤnheit nicht ſehr
von dem hieſigen abweicht, bin ich oft Zeuge
von dem Beyfall geweſen, welchen die Damen
reiſenden Ruſſen in dieſer Hinſicht bewilligten.
Ueberhaupt aber verlieren ſich die ſchoͤnen Um-
riſſe hier ſehr fruͤh, weil Maͤnner ſowol als
Weiber aus mehreren Urſachen zum Fettwer-
den geneigt ſind. — Bemerkungen uͤber die
Phyſiognomie werden meine Leſer hier
nicht erwarten; denn wenn es ausgezeichnete
eigenthuͤmliche Zuͤge in der menſchlichen Ge-
ſichtsbildung giebt, ſo ſind die allgemeinen
Uebereinſtimmungen derſelben doch wol nur bey
ganzen Nationen zu ſuchen, und es wuͤrde zum
mindeſten pedantiſch ſeyn, unter einer ſo klei-
nen und ſo aͤußerſt vermiſchten Menſchenge-
[126] ſellſchaft eine Lokalphyſiognomie ausſpuͤren zu
wollen.


So waͤre denn die Darſtellung der phyſi-
ſchen Exiſtenz dieſer Menſchengeſellſchaft geen-
digt. Wir gehen jezt zur Schilderung ihrer
moraliſchen Verhaͤltniſſe uͤber, unter welchen
uns die politiſchen und religioͤſen auf dem Wege
unſerer Unterſuchung am naͤchſten liegen.


Um uns von der buͤrgerlichen Ver-
faſſung
der Reſidenz einen richtigen Begriff
zu machen, duͤrfen wir nie vergeſſen, daß St.
Petersburg als eine große gewerbtreibende
Stadt und als der Sitz des Hofes aus zwey
ſehr verſchiedenartigen Theilen beſteht. Als
Stadt betrachtet iſt ſie der naͤmlichen Norm
unterworfen, die jezt alle Staͤdte dieſes Reichs
haben; als Reſidenz iſt ſie eines theils der
Wohnſitz des Monarchen und des Hofes, und
andern theils der periodiſche Aufenthalt der
Großen und einer Menge reicher und armer,
gluͤcklicher und gluͤckſuchender, beſchaͤftigter und
muͤßiger Menſchen, die groͤßtentheils ohne Ver-
bindung, ohne beſtimmte Thaͤtigkeit, oft ſelbſt
[127] ohne Zweck fuͤr ihr politiſches Daſeyn, ſich in
dem allgemeinen Wirbel dieſer zahlreichen Men-
ſchenmaſſe herumdrehen. Wenn man zu dieſer
zweyten Haͤlfte auch noch das Militaire hinzu-
rechnet, ſo iſt ſie die bey weitem ſtaͤrkere an
Zahl, wie ſie es ohnehin an Wichtigkeit und
Einfluß iſt.


Der Hof, oder die zahlreiche und in Ruͤck-
ſicht auf ihre buͤrgerliche Rangordnung ſo un-
endlich verſchiedene Menſchenklaſſe, die dieſes
Wort begreift, ragt zwar in dem zuſammen-
geſetzten Begriff, den wir mit dem Gedanken
an die Reſidenz verbinden, eben ſo ſehr her-
vor, als er in der That einen der weſentlich-
ſten Theile der Bevoͤlkerung ausmacht; aber
ſeine Verfaſſung iſt zu allgemein, und auch zu
ſehr gekannt und beſchrieben, als daß ſie ein
Gegenſtand dieſer Schilderung ſeyn koͤnnte.
Die Organiſation des Militaire liegt gaͤnzlich
außerhalb den Grenzen derſelben, und der große
Haufe der Einwohner, der eigentlich keine Ru-
brik hat, ſchmiegt ſich an die oͤffentliche Ver-
faſſung wo er muß und entbehrt ihrer gern
wo er kann. Es bleibt uns alſo nur noch die
gewerbtreibende Klaſſe uͤbrig, welche die einzig
[128] beſtaͤndige, von der Reſidenz unabhaͤngige, aber
mit der Stadtverfaſſung innig verbun-
dene Bevoͤlkerung ausmacht.


Der Vereinigungspunkt aller Einwohner,
die zu den gewerbtreibenden Klaſſen gehoͤren,
iſt der Stand als Buͤrger, und das ſicht-
bare Dokument deſſelben iſt das Buͤrger-
buch
, oder das unter oͤffentlicher Autoritaͤt ge-
fuͤhrte Verzeichniß aller Stadteinwohner, die
Grundeigenthum beſitzen oder buͤrgerliche Ge-
werbe treiben. Die Rechte dieſes Standes
beſtehen (außer mehreren allgemeinen, welche
die bekannte kaiſerliche Stadtordnung namhaft
macht) in einer gaͤnzlichen uneingeſchraͤnkten
Gewerbfreyheit; die Pflichten deſſelben
in der Unterwuͤrfigkeit gegen die Landesgeſetze,
und in der Leiſtung beſtimmter Abgaben und
der Rekrutenlieferung; ſeine Organiſation
endlich beruht im Weſentlichen auf folgenden
Einrichtungen.


Alle im Buͤrgerbuch verzeichnete Menſchen
ſind entweder bloße Stadteinwohner, die
nur wegen ihrer Beſitzungen im Stadtgebiet
hierher gerechnet werden, oder Gildever-
wandte
, oder endlich Zunftgenoſſen.


Es
[129]

Es giebt drey Gilden. Zu der erſten
gehoͤren alle Menſchen von jedem Alter, Stan-
de und Geſchlecht, welche ein Kapital von zehn-
tauſend bis funfzigtauſend Rubeln zu beſitzen
angeben. Dieſe Klaſſe iſt zum Seehandel und
zur Anlage von Huͤtten und Fabriken berech-
tigt, darf Seeſchiffe beſitzen, iſt keiner Leibes-
ſtrafe unterworfen, und kann in der Stadt in
einem mit zwey Pferden beſpannten Wagen
fahren. — Zur zweyten Gilde werden alle
diejenigen gerechnet, welche ſich zu einem Ka-
pital von fuͤnf bis zehntauſend Rubeln beken-
nen. Sie ſind auf den innlaͤndiſchen Handel
eingeſchraͤnkt, duͤrfen Huͤttenwerke und Fabri-
ken anlegen, Flußſchiffe beſitzen, innerhalb der
Stadt in einem Halbwagen mit zwey Pferden
fahren, und ſind von Leibesſtrafen befreyt. —
Das Kapital der dritten Gilde iſt tauſend
bis fuͤnſtauſend Rubel. Sie iſt fuͤr Kraͤmerey
und den Kleinhandel beſtimmt, darf nur Werk-
ſtuͤhle und Manufakturen anlegen, Gaſthoͤfe
und Badeſtuben halten, und in der Stadt nur
mit Einem Pferde fahren.


Die Abgabe dieſer Gilden beſteht in
Eins vom Hundert des angegebenen Kapitals.
Erſter Theil. J
[130] Die Angabe deſſelben „iſt dem Gewiſſen eines
„jeden uͤberlaſſen, weshalb auch nirgend und
„unter keinem Vorwand, wegen Verheimlichung
„eines Kapitals irgend ein Angeber gehoͤrt,
„noch eine Unterſuchung angeſtellt werden
„ſoll.“ *) Die Rekrutenlieferung wird
nicht in natura gefordert, ſondern kann, nach
einem von der Regierung bekannt gemachten
Anſchlage, durch eine Geldſumme geleiſtet wer-
den. Wenn aber ein Buͤrger oder der Sohn
eines Buͤrgers freywillig in den Dienſt treten
will, ſo ſteht ihm dieſes frey, und ſein Ein-
tritt wird der Stadt bey der naͤchſten Aushe-
bung angerechnet.


Noch gehoͤren zu den Gildeverwandten die
namhaften Buͤrger und die Gaͤſte. —
Zu den erſtern werden alle diejenigen gerechnet,
welche ein Kapital uͤber funfzigtauſend Rubel,
oder Bankiers, die zu ihren Wechſelgeſchaͤften
hundert bis zweymalhunderttauſend Rubel an-
geben; ferner Gelehrte und Kuͤnſtler, die mit
Diplomen verſehen ſind; Buͤrger, die mehr-
mals Stadtdienſten vorgeſtanden haben, u. ſ. w.
[131] Die Rechte dieſer Klaſſe ſind ungefaͤhr gleich
mit denen der erſten Gilde; außerdem duͤrfen
ſie mir vier Pferden fahren. — Unter der
Benennung: Gaͤſte, verſteht man ſolche Leute
aus andern Staͤdten und Provinzen oder aus
fremden Laͤndern, die ſich ihrer buͤrgerlichen
Geſchaͤfte wegen in das Stadtbuch einſchrei-
ben laſſen.


Zu den Zunftgenoſſen gehoͤren alle
Handwerker, die in dem Buͤrgerbuch verzeich-
net ſind. — Alle uͤbrige Einwohner der Stadt,
die zu keiner dieſer Abtheilungen gerechnet wer-
den, ſind unter der Rubrik Beyſaſſen be-
griffen.


Das geſammte Perſonale aller dieſer Klaſ-
ſen bildet die Stadtgemeine, welche ein
fuͤr ſich beſtehendes, reſpektables und mit kai-
ſerlichen Verordnungen und Privilegien ver-
ſehenes Korps iſt. Sie verſammelt ſich alle
drey Jahre im Winter in ihren oͤffentlichen
Angelegenheiten, und um die Aemter und Stel-
len, die der Buͤrgerſchaft anvertraut ſind, durch
Wahlen zu beſetzen. In dieſen Verſammlun-
gen haben alle Buͤrger Sitz und Stimme und
alle ſind wahlfaͤhig, diejenigen ausgenommen,
J 2
[132] welche noch nicht fuͤnfundzwanzig Jahre er-
reicht haben, oder weniger als funfzig Rubel
von ihrem Kapital entrichten. Die Aemter
welche durch Buͤrger beſetzt werden, ſind vor-
zuͤglich folgende. Das Haupt der Buͤrger-
ſchaft, die Buͤrgermeiſter und Rathmaͤnner,
werden alle drey Jahre, die Stadtaͤlteſten und
Richter des muͤndlichen Gerichts aber jaͤhrlich
gewaͤhlt. Da die Reſidenz zugleich die Gou-
vernementsſtadt der St. Petersburgiſchen Stadt-
halterſchaft iſt, ſo geſchehen aus der hieſigen
Stadtgemeine auch die Wahlen fuͤr den Gou-
vernementsmagiſtrat und das Gewiſſensgericht,
zu welchen ſie Beyſitzer hergiebt. Auch fuͤr das
Polizeyamt waͤhlt ſie zwey Rathmaͤnner, und
das Waiſengericht wird aus ihrem Mittel be-
ſetzt. — Bey allgemeinen Angelegenheiten oder
Beduͤrfniſſen wendet ſie ſich an den Gouver-
neur, und bey gerichtlichen Vorfaͤllen wird ſie
durch einen Anwald vertreten *).


[133]

Die Regiſter vom Jahr 1789 fuͤhren nur
1747 Gildeverwandte an, unter denen ſich 12
namhafte und 169 Buͤrger und Gaͤſte der erſten
Gilde befanden. In eben dieſem Jahr waren
3583 Meiſter bey den Zunftgenoſſen verzeich-
net. Dieſe geringen Angaben beweiſen, daß
der bey weitem groͤßere Theil der gewerbtrei-
benden Einwohner außer dieſen Verbindungen
lebt, und ſind ein auffallendes Beyſpiel von
der ſeltnen politiſchen Toleranz der Regierung.


So billig und ſogar unbetraͤchtlich die Ab-
gaben in Vergleichung mit den Hauptſtaͤdten
anderer Laͤnder ſind, ſo wichtig ſind dennoch
die Einkuͤnfte, welche der Staat aus den
Gewerben der Reſidenz erhebt. Im Jahr
1790 betrug die Vermoͤgenſteuer der Gilden
43,104 R. — Im Jahr 1787 belief ſich die
J 3
*)
[134] Einnahme des Zolls auf 3,910,006 R. — Der
Betrag der Prozente fuͤr die Schulen und der
Strafgelder fuͤr Zollbetrug war in eben dieſem
Jahr 84,955 R. — Dieſe drey Zweige der
oͤffentlichen Einkuͤnfte geben alſo allein ſchon
eine Summe von 4,038,065 Rubel. Wenn
man die Abgabe vom Verkauf der Haͤuſer, die
Verpachtungen, u. ſ. w. nur nach dem kleinſten
wahrſcheinlichen Ertrage hinzu rechnen wollte,
ſo ließe ſich dieſe Summe vielleicht um die
Haͤlfte verdoppeln. — So groß ſind die Huͤlfs-
quellen dieſes maͤchtigen Staats, daß blos das
Gewerbe ſeiner Reſidenz, ohne die mindeſte
Bedruͤckung und bey einer Finanznachgiebigkeit,
die in allen Laͤndern ohne Beyſpiel iſt, eine
Einnahme hergiebt, deren ſich manche europaͤi-
ſche Koͤnigreiche nicht erfreuen *).


Wenn die buͤrgerliche Verfaſſung der Re-
ſidenz mit einer der Aufklaͤrung unſers Zeit-
alters angemeſſenen Weisheit auf das Gluͤck
und das Wohlſeyn ihrer Einwohner berechnet
[135] iſt, ſo hat die kirchliche Verfaſſung der-
ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh-
men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt —
Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde
gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung;
die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede
deſſelben.


Das Haupt der griechiſchen Kirchen-
verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende
Synod, der ſeinen Sitz in St. Petersburg
hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch-
lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil-
derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel-
che die Nachtheile deſſelben vermieden werden,
ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch
die Protokolle dieſes ehrwuͤrdigen Tribunals
athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier
vom Throne herab durch alle Zweige der Staats-
verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von
der kirchlichen Freyheit der nicht griechiſchen
Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber
den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die grie-
chiſche
Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un-
eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den
man noch vor kurzem in den Annalen aller
J 4
[136] Religionspartheyen vergeblich ſuchte. — Die
Reſidenz hat in ihrem Umfange ſechs und funf-
zig griechiſche Kirchen, aber nur Ein Moͤnchs-
und Ein Nonnenkloſter.


Unter den geduldeten Religionsver-
wandten ſind die Proteſtanten die zahl-
reichſten, und unter dieſen ſind es die Luthe-
raner
. Sie bilden acht Gemeinen, unter de-
nen fuͤnf deutſche, eine ſchwediſche, eine finni-
ſche und eine lettiſche ſind, und beſitzen in den
verſchiedenen Theilen der Stadt ſieben zum
Theil ſchoͤn gebaute Kircheu, von denen zwey
der Krone gehoͤren. Die Reformirten thei-
len ſich in die deutſche, franzoͤſiſche, engliſche
und hollaͤndiſche Gemeine, von denen die er-
ſtern beyden eine gemeinſchaftliche Kirche, aber
beſondere Prediger, die beyden letztern aber
jede einen eigenen Betſaal haben. Die evan-
geliſchmaͤhriſchen Bruͤder
ſind nur in
geringer Anzahl; ſie haben indeſſen ſonntaͤgli-
chen Gottesdienſt in ihrem Betſaal. — Saͤmmt-
liche proteſtantiſche Gemeinen beſtreiten die Ko-
ſten ihres Gottesdienſtes aus den Einkuͤnften
der Kirchen, von Kollekten und durch eine Ab-
gabe von fuͤnf Rubel, die jedes an einen aus-
[137] laͤndiſchen Kaufmann adreſſirte Schiff entrich-
tet. Hievon ſind jedoch die beyden lutheriſchen
Gemeinen ausgenommen, welche mit dem Land-
und Artilleriekadettenkorps verbunden ſind und
deren oͤffentliche Koſten von der Krone beſtrit-
ten werden. Die oͤkonomiſchen Angelegenhei-
ten jeder Gemeine werden von einem Konvent
beſorgt, die Prediger aber von der Gemeine
erwaͤhlt und berufen. Ihre aͤußere Verfaſſung
iſt uͤbrigens der Aufſicht des ſogenannten Ju-
ſtizkollegiums untergeordnet, welches ſeit der
Errichtung der Statthalterſchaften auf dieſen
Wirkungskreis begrenzt iſt, nun aber, wie man
glaubt, in ein eigentliches Konſiſtorium um-
geaͤndert werden ſoll. Die große Religions-
freyheit dieſer Gemeinen iſt nur durch das
Verbot eingeſchraͤnkt, daß ſie keine Glocken auf
den Thuͤrmen haben, und keine Proſelyten aus
der griechiſchen Kirche machen duͤrfen. — Die
katholiſche Gemeine iſt aus den mehreſten
Nationen zuſammengeſetzt; ſie hat aber nur
Eine, jedoch vorzuͤglich ſchoͤne, Kirche. Sie
genießt der naͤmlichen geſetzmaͤßigen Freyheit,
deren ſich die Proteſtanten erfreuen, und ſteht
in Kirchenſachen unter dem Erzbiſchof von Mo-
J 5
[138] hilow, der bekanntlich das Oberhaupt der ka-
tholiſchen Hierarchie in Rußland iſt. — Die
armeniſche Gemeine iſt klein; beſitzt aber
eine geſchmackvolle Kirche. — Die Moham-
medaner
haben Geiſtliche unter den Ge-
werbleuten ihres Glaubens. — Der oͤffentli-
che Gottesdienſt in St. Petersburg wird unter
acht verſchiedenen Formen und in vier-
zehn Sprachen
verrichtet.


[139]

Vierter Abſchnitt.
Konſumtion.


Einheimiſche Bedürfniſſe der Reſidenz. Brod; öffentliches
Mehlmagazin. Waſſer. Salz. Fleiſch. Fiſche. Ve-
getabilien. Getränke. — Brennholz; Holzmagazin.
— Lebensart und Bedürfniſſe der unterſten Volks-
klaſſe. — Märkte für Lebensmittel. Rasnoſchtſchicki.


Alle große und volkreiche Staͤdte erhalten
ihre Lebensbeduͤrfniſſe mehr oder weniger aus
der Ferne; auch die reichſte und ergiebigſte Pro-
vinz iſt nicht hinreichend, Produkte in ſolcher
Menge und Mannigfaltigkeit zu liefern, als
die Bevoͤlkerung und der Luxus dieſer unge-
heuren Steinmaſſen erheiſchen: aber ihre ge-
meinern Konſumtionsartikel pflegen ſie doch aus
der Nachbarſchaft zu beziehen. Die Gegend
um St. Petersburg iſt ſo weit in Anbau und
[140] Kultur zuruͤck, daß ſie ihr ganzes Beduͤrf-
niß aus der Ferne herbeyholen muß. Nicht
nur die Gegenſtaͤnde der Schwelgerey, ſondern
ſogar die einfachſten Lebensnothwendigkeiten
von mehr als zweymalhunderttauſend Menſchen,
werden unter fremden, zum Theil ſehr ent-
fernten, Himmelsſtrichen erzeugt. Ohne die
großen und unſchaͤtzbaren Waſſerverbindungen
wuͤrde die einheimiſche Verſorgung von St.
Petersburg unmoͤglich ſeyn; in ihrer jetzigen
Beſchaffenheit wird ſie eine Quelle der Indu-
ſtrie fuͤr eine zahlreiche Klaſſe von Menſchen,
deren einziges Gewerbe ſie iſt; und der Um-
tauſch der Produkte gegen Geld und verarbei-
tete Waaren vertheilt den aufgeſammelten
Reichthum der Reſidenz durch tauſend kleine
Kanaͤle in die entlegenſten Statthalterſchaften.


Das Brod, dieſes erſte und allgemeinſte
Beduͤrfniß, erhaͤlt St. Petersburg aus den
Provinzen an der Wolga. Man ißt hier Rog-
gen- und Weizenbrod: das letztere iſt ſelbſt un-
ter den niedrigſten und aͤrmſten Volksklaſſen
eine gewoͤhnliche Speiſe. Die Guͤte deſſelben
haͤngt natuͤrlich großentheils von der Art der
Zubereitung ab, und iſt alſo ſehr verſchieden.
[141] Im Ganzen baͤckt man hier ſehr gut und zum
Theil vortrefflich; ich habe nirgend, ſelbſt in
Paris nicht, beſſeres Brod gegeſſen, als hier.
An den Tafeln der Großen und in den ſoge-
nannten guten Haͤuſern ißt man nur Weizen-
brod; wie betraͤchtlich dieſer Artikel zuweilen
werden kann, iſt aus der Haushaltung des
Grafen Raſumowski erweislich, in welcher,
bey viel wohlfeileren Zeiten, jaͤhrlich fuͤr mehr
als tauſend Rubel dieſer einzigen Brodgattung
verbraucht wurde. Das Roggenbrod iſt ſchmack-
haft und giebt mehr Nahrung. Es wird all-
gemein, und ſelbſt in den Haͤuſern wohlha-
bender Leute gegeſſen, wo man jedoch immer
die Wahl zwiſchen dieſer und der eben genann-
ten Gattung hat. Aermere Leute eſſen das
ſogenannte ſchwarze Brod, welches aus unge-
beuteltem Roggenmehl bereitet wird und unge-
mein nahrhaft iſt. Der ruſſiſche gemeine Mann
ißt neben dieſem ſchwarzen Brode auch haͤufig
Semmel von groͤberm Weizen, die man Ka-
latſch nennt und die auf allen Gaſſen feilge-
boten werden.


Die Konſumtion dieſes Beduͤrfniſſes laͤßt
ſich nach der Angabe der Barken ziemlich ge-
[142] nau beſtimmen. Es werden jaͤhrlich an Mehl,
Gerſten, u. ſ. w. uͤber 4,800,000 Pud hierher
gebracht. Der Preis des gebeutelten Weizen-
mehls iſt jezt 2 Rubel 20 Kopeken fuͤr das
Pud. Ein Pfund Roggenbrod koſtet jezt bei
den Baͤckern 4 Kopeken; ein Pfund ſchwarzes
Brod anderthalb Kopeken.


Da die Mehlpreiſe durch zufaͤllige Um-
ſtaͤnde und die ſtaͤrkere oder geringere Zufuhre
oft wechſeln und zuweilen lange in der Hoͤhe
erhalten werden, ſo hat die menſchenfreundliche
Kaiſerinn, um den minder beguͤterten Theil der
Einwohner ihrer Reſidenz dem Druck der Ge-
treidehaͤndler zu entziehen, im Jahr 1780 ein
großes Mehlmagazin errichtet, in welchem ſich
jedermann zu einem billigen Mittelpreiſe mit
dieſem unentbehrlichen Beduͤrfniß, jedoch nur
in kleinen Quantitaͤten, verſorgen kann.


Mit Waſſer iſt wol nicht leicht eine
Stadt von dem Umfange ſo gut verſorgt, als
dieſe Reſidenz. Die vielarmige Newa und
ihre Kanaͤle vertheilen dieſes weſentlichſte aller
Beduͤrfniſſe durch die ganze Stadt, ſo daß
kein Theil ganz davon entbloͤßt iſt, oder es aus
der Ferne herbey holen muͤßte. Die Haͤuſer,
[143] welche an den Kanaͤlen liegen, laſſen ſich durch
ihre Traͤger mit Waſſer verſehen; weiter ent-
legene aber muͤſſen es in großen Tonnen durch
Pferde herbeyfuͤhren laſſen, in einigen derſel-
ben uͤbernimmt der Eigenthuͤmer die Verſor-
gung des ganzen Hauſes. Die Beſchaffenheit
des hieſigen Flußwaſſers iſt vortrefflich, man
wird es ſelten ſo hell und rein finden, als hier.
Nach Georgi’s chemiſcher Unterſuchung ent-
hielten funfzig Pfund deſſelben, welche inner-
halb der Stadt geſchoͤpft waren, nur 40 Gran
Kalkerde und 5 Gran vegetabiliſchen Extrakt.
Die kleinen Unbequemlichkeiten, welchen ſich
Fremde kurz nach ihrer Ankunft ausgeſetzt ſe-
hen, und die man gewoͤhnlich dem hieſigen
Waſſer Schuld giebt, ſcheinen alſo von der ver-
aͤnderten Lebensart oder von andern Urſachen
herzuruͤhren. Nicht uͤberall iſt jedoch das Waſ-
ſer der Newa von gleicher Guͤte; an den Ufern,
welche nicht mit Granitquadern eingefaßt ſind,
iſt es truͤbe und mit fremdartigen Theilen ver-
miſcht, weshalb auch mehrere Einwohner die-
ſer Gegenden es aus der Mitte der Newa
ſchoͤpfen laſſen. Das Waſſer der Fontanka iſt
eben ſo gut als das der Newa, ſchlechter iſt
[144] es ſchon im Katharinenkanal, und beynahe
nicht trinkbar in der Moika. Aus dieſer und
andern Urſachen iſt es ſehr zu wuͤnſchen, daß
der letztere Kanal auch eine ſteinerne Einfaſſung
erhalten und ausgetieft werden moͤchte.


Das Salz iſt hier kein ſo theurer Kon-
ſumtionsartikel als in andern großen Staͤdten.
Es wird aus Solikamsk und vom Jeltonſee
hierher gebracht: das erſtere iſt geſottenes Kuͤ-
chenſalz. Von beyden Gattungen erhaͤlt die
Reſidenz jaͤhrlich gegen 600,000 Pud, die gro-
ßentheils hier verbraucht werden. Das Pud
Salz wird uͤberall im Reiche zu 35 Kopeken
verkauft; das Pfund deſſelben kommt alſo nicht
einmal einen Kopek zu ſtehen.


Eine uͤberaus wichtige Rubrik unter den
hieſigen Lebensnothwendigkeiten macht das
Fleiſch. Nirgend wird vielleicht, London aus-
genommen, außer den Faſtenzeiten mehr Fleiſch
gegeſſen, als hier. In einer Entfernung von
mehr als zweytauſend Werſten ſorgt der Ukrai-
ner und der Kalmuͤcke fuͤr dieſes Beduͤrfniß
der petersburgiſchen Tafeln; aber dieſe Muͤhe
und dieſer weite Weg bezahlen ſich gut. Das
Rindfleiſch war noch vor kurzem ein theurer
Artikel;
[145] Artikel; ein Pfund deſſelben von der beſten
Gattung galt 10 bis 12 Kopeken. Jezt iſt
der Preis wieder gefallen, und man kauft fuͤr
4 Kopeken ſehr gutes Fleiſch. Die Beſchaffen-
heit deſſelben iſt natuͤrlich im Allgemeinen ſehr
verſchieden, aber es iſt nicht zuviel geſagt,
wenn man behauptet, daß es hier von der
vortrefflichſten Art und in der groͤßten Voll-
kommenheit zu erhalten iſt. — Kaͤlber werden
aus einigen Gegenden der Wolga hierher ge-
bracht, aber die groͤßten und wohlſchmeckend-
ſten kommen aus Archangel. Schaafe, Schwei-
ne, zahmes und wildes Gefluͤgel und Wildpret
erhaͤlt man gewoͤhnlich im Winter gefroren.
Die Guͤte, die Zufuhre und der Preis dieſer
Artikel werden großentheils durch die Witte-
urng und die Beſchaffenheit der Schlittenbahn
beſtimmt.


Die Fiſche gehoͤren, wegen der vielen
Faſten zu den Beduͤrfniſſen, wegen ihrer Man-
nigfaltigkeit und des Wohlgeſchmacks einiger
Gattungen, zu den Leckereyen, und wegen der
Wohlfeilheit mehrerer derſelben zu den gemein-
ſten Konſumtionsartikeln. Eine der koͤſtlichſten
Erſter Theil. K
[146] und theuerſten Fiſcharten iſt der Sterlet, von
welchen St. Petersburg jaͤhrlich gegen 25,000
Stuͤck lebendig aus der Wolga erhaͤlt, die uͤber-
dem von andern Fiſchgattungen uͤber eine Mil-
lion Stuͤck hierher liefert. Der Ladogaſee ver-
ſorgt die Reſidenz mit den gewoͤhnlichſten Gat-
tungen lebendiger Fiſche; unter den geſalzenen
ſind der Hauſen (Beluga) und der Stoͤr (Oſetr)
die wohlſchmeckendſten und theuerſten. Die
gefrornen und an der Luft getrockneten Fiſche
ſind groͤßtentheils die Speiſe der aͤrmern Volks-
klaſſen; zu einer Schuͤſſel, die Einen Mann
ſaͤttigen ſoll, werden tauſende ſolcher kleinen
getrockneten Fiſche genommen, die man Snetki
nennt. Die Newa iſt reich an Laͤchſen, die
aber an Wohlgeſchmack den rigiſchen weichen.
Krebſe werden auch in der Newa gefangen;
außerdem liefert die Wolga deren jaͤhrlich ge-
gen eine Million.


Die Vegetabilien ſind der einzige Kon-
ſumtionsartikel, den die Reſidenz zum großen
Theil aus ihrer Naͤhe bezieht. Die Kultur
der Gartengewaͤchſe iſt hier ſo weit getrieben,
daß man die feinſten exotiſchen Produkte faſt
[147] zu allen Jahrzeiten und in ſeltner Vollkom-
menheit erhalten kann. Mehrere derſelben,
z. B. Blumenkohl, Spargel, waren hier noch
vor zwanzig Jahren ſo unbekannt, daß man
ſie nur durch Schiffe aus dem Auslande er-
hielt, und ſind jezt eine allgemeine und eben
nicht ſehr theure Speiſe. Unter den Kuͤchen-
gewaͤchſen ſind Kohl und Gurken eine vorzuͤg-
lich beliebte und ſo allgemeine Nahrung, daß
ſie hier als ſolche angefuͤhrt zu werden verdie-
nen. Der Sauerkohl, den die Ruſſen Schtſchi
nennen und deſſen heilſame antiſkorbutiſche
Kraͤfte ihm auch in andern Laͤndern eine gute
Aufnahme verſchafft haben, iſt die taͤgliche
Schuͤſſel des gemeinen Mannes. Die ruſſiſche
Zubereitung weicht jedoch von der auslaͤndiſchen
ein wenig ab; ſelbſt an großen Tafeln wird er
oft als Nationalgericht und Leckerey aufgetra-
gen. Die Gurken werden eben ſo haͤufig ge-
geſſen; in allen Gaſſen und auf oͤffentlichen
Plaͤtzen bietet man ſie feil. Der Poͤbel genießt
ſie roh; in den Haͤuſern werden ſie mit eini-
ger Zubereitung, als ein ſchmackhafter Sallat,
gegeſſen.


K 2
[148]

Das Obſt, welches in den Gaͤrten und
Treibhaͤuſern in und um Petersburg gezogen
wird, iſt bey weitem nicht hinreichend die For-
derungen der Liebhaberey und des Luxus zu
befriedigen. Einheimiſches Obſt kommt aus
der Ukraine und von der Wolga und Ocka;
fremdes jaͤhrlich fuͤr etwa 100,000 Rubel aus
Roſtock und Stettin. Die erſten Schiffe, die
im Fruͤhjahr hier ankommen, bringen Aepfel-
ſinen, Zitronen und Pomeranzen in ſolcher
Menge mit, daß der Verkauf dieſer Waare
oft kaum die Fracht derſelben bezahlt. Ein
Kaſten, der 400 Stuͤck Zitronen enthaͤlt, wird
um dieſe Zeit gewoͤhnlich fuͤr zwey bis drey
Rubel gekauft. Dieſe wohlſchmeckenden und
heilſamen Fruͤchte koͤnnen alſo an den Ufern
der Newa haͤufiger und wohlfeiler genoſſen
werden, als an den Ufern der Seine, Dank
ſey es der Schiffahrt und dem Handel, die
entfernte Welttheile mit einander verbinden
und die Produkte der ungleichartigſten Klimate
uͤberall verſammeln, wo Verzehrer bezahlen.


Von den hier uͤblichen Getraͤnken nenne
ich zuerſt den Quas, weil ſein Verbrauch der
[149] allgemeinſte und ſeine Erfindung durchaus na-
tional iſt. Es iſt ein ſaͤuerliches, kuͤhlendes und
geſundes Getraͤnk, deſſen Zubereitung man in
allen Reiſebeſchreibungen finden kann, und wel-
ches an den Ecken der Gaſſen in großen Faͤſ-
ſern feil geboten wird. Im Sommer pflegen
die Verkaͤufer es mit Eis zu kuͤhlen. Der aus-
gepreßte Saft der Moosbeeren giebt ein vor-
treffliches Getraͤnk, welches unter dem Namen
Kljukwa ſehr haͤufig genoſſen wird und hier
die Stelle der Zitronen erſetzt. Man verbeſſert
durch die Kljukwa nicht nur den Quas und
andere Getraͤnke, ſondern man bedient ſich
ihrer, ſelbſt in guten Haͤuſern, zum Punſch,
wenn die Zitronen theuer oder nicht zu haben
ſind. Der Sbiten’ wird aus Honig und Pfef-
fer mit Waſſer gekocht, und von Leuten, die
ſich von deſſen Verkaufe naͤhren und Sbiten’-
ſchicki heißen, auf den Gaſſen feil geboten.
In den Trinkhaͤuſern ſind mehrere Gattungen
Bier, Meth und Brantewein zu haben.


Zu den feinern einheimiſchen Getraͤnken
gehoͤrt die Wiſhnewka und Malinowka, ein
aus Kirſchenſaft bereiteter und durch Zucker
K 3
[150] und Wein in Gaͤhrung geſetzter Fruchtwein;
der Kisliſchtſchi, eine Art Quas von beſſerer
Zubereitung, und dergl. Ihr Verbrauch iſt
indeſſen ſehr eingeſchraͤnkt im Verhaͤltniß zu
der ſtarken Konſumtion auslaͤndiſcher Getraͤnke.
Man trinkt uͤberall Wein, Porter, engliſches
Bier. Von dem erſtern werden jaͤhrlich uͤber
250,000 Oxhoft, und von dem letztern fuͤr mehr
als 260,000 Rubel zur See eingefuͤhrt, von
denen ein ſehr betraͤchtlicher Theil hier ver-
braucht wird. Seit einigen Jahren braut man
ein vortreffliches und wohlfeiles engliſches Halb-
bier. Ein großer Theil des Porters, der un-
ter dieſem Namen verkauft wird, iſt ebenfalls
hier gebraut.


Ich beſchließe dieſe kurze Rubrik mit einem
der wichtigſten Lebensbeduͤrfniſſe fuͤr unſer Kli-
ma. Das Brennholz, welches die Gegend
um Petersburg liefert, iſt fuͤr die ungeheure
Konſumtion nicht zureichend; jaͤhrlich werden
gegen 150,000 Klafter, groͤßtentheils Birken-
holz, hierher gebracht. Man kennt noch kein
anderes Material zur Feurung, und mit die-
ſem geht man, trotz der zunehmenden Theu-
[151] rung (eine Klafter Birkenholz gilt izt zwey
bis drittehalb Rubel) unglaublich verſchwende-
riſch um. Die hieſige oͤkonomiſche Geſellſchaft
hat zwar verſchiedene Preisſchriften uͤber die
beſſere Struktur der Oefen und uͤber die Mit-
tel Holz zu ſparen, bekannt gemacht: aber vor-
laͤufig iſt es mit dieſem Gegenſtande noch beym
Alten geblieben. Die Barken, welche aus dem
Innern des Reichs kommen, gehen nicht wie-
der zuruͤck, ſondern werden hier verkauft und
theils zum Aufbau hoͤlzerner Haͤuſer, theils
zum Verbrennen von armen Leuten verbraucht.
— Auch fuͤr dieſes Beduͤrfniß iſt ein oͤffentli-
ches Magazin vorhanden, aus welchem ſich das
aͤrmere Publikum unter eben den Bedingun-
gen mit Holz verſorgen kann, die wir vorhin
bey dem Mehlmagazin angegeben haben.


Da in dieſem Abſchnitt einmal von Be-
duͤrfniſſen die Rede iſt, ſo gehoͤrt eine kleine
Schilderung der Lebensart des gemeinen
Mannes
hierher, weil dieſe in keinem Stuͤck
uͤber die erſten Lebensnothwendigkeiten hinaus
geht. Selbſt ſein Brantewein iſt nur, im Ue-
bermaaß genoſſen, Luxus; denn die vielen ſtren-
K 4
[152] gen Faſten und die Beſchaffenheit ſeiner Spei-
ſen machen ihm ſtarke Getraͤnke unentbehrlich.
Die Klaſſe von Menſchen, die ich hier meyne,
beſteht gaͤnzlich aus Ruſſen, denn auch der
aͤrmſte hieſige Deutſche oder Franzoſe genießt
eine beſſere Nahrung; aber ſelbſt unter den
gemeinen Ruſſen iſt es nur der niedrigſte Poͤ-
bel, der ſich an dieſe Tafel haͤlt, periodiſch
hierher kommende Arbeiter, Tagloͤhner, Fuhr-
leute, u. ſ. w.


Ihre taͤglichen Gerichte ſind der Schtſchi
oder die Kohlſuppe, deren vorhin ſchon erwaͤhnt
worden iſt; Kaſcha, ein dicker Gruͤtzbrey;
Botwinja, eine kalte Schaale von Quas, mit
Fiſchen oder Fleiſch und Gurken; Snetki, klei-
ne an der Luft getrocknete Fiſche; Piroghi,
Kuchen mit Fleiſch oder Eyern und rothen Ruͤ-
ben gefuͤllt und in Butter oder Lein- und
Hanfoͤl gebacken; Twarock, gekaͤſete Milch;
gebratene Schwaͤmme, u. ſ. w. Alle dieſe Spei-
ſen ſind ruſſiſcher Erfindung und ſeit langer
Zeit bey der Nation gebraͤuchlich. Sie wer-
den auch in den groͤßten ruſſiſchen und vielen
auslaͤndiſchen Haͤuſern, aber freylich mit einer
[153] feinern Zubereitung und in einer ziemlich ver-
aͤnderten Geſtalt aufgetragen, und mehrere der-
ſelben gewinnen den Beyfall der verwoͤhnteſten
Gaumen.


Alles zuſammengenommen, iſt die Nah-
rung des Poͤbels in Petersburg nicht einmal
ſo armſelig als die des Poͤbels in Paris.
Dieſer kann hoͤchſtens nur Brod, Salz und
Kaͤſe kaufen; jener hat die Wahl unter vielen
Speiſen, die ihm durch Gewohnheit und An-
haͤnglichkeit an vaterlaͤndiſche Sitten wohl-
ſchmeckend werden. Der geringſte Tagelohn
eines Arbeiters in St. Petersburg iſt 15 bis
20 Kopeken *). Um auf die ſchlechteſte Art
ſatt zu werden, koſtet es ihn nur 5 bis 7 Ko-
peken. Er behaͤlt alſo einen Ueberſchuß, und
den hat der Pariſer Tageloͤhner nicht. — Auch
iſt es nur die armſeligſte, nicht ſehr zahlreiche
Klaſſe des Poͤbels, die ſo wenig gewinnt; alle
Arbeiter, deren Beſchaͤftigung einige Kunſtfer-
K 5
[154] tigkeit erfordert, Maurer, Steinmetzen, Zim-
merleute, Bediente, Friſeurs, u. dergl. werden
beſſer und zum Theil uͤbermaͤßig bezahlt. Dieſe
Leute ſammeln ſich in der Reſidenz gewoͤhnlich
ein kleines Kapital, und ziehen nach einigen
Jahren damit in ihre Heimath.


Faſt jeder Stadttheil hat einen oder meh-
rere Maͤrkte fuͤr Lebensmittel; ſie ſind faſt
durchgehends von Stein in großen Vierecken,
mit Arkaden, erbaut. Aber ein eigenthuͤmli-
cher Vorzug von Petersburg iſt dieſer, daß
man alle Lebensnothwendigkeiten in den Haͤu-
ſern ſelbſt kaufen kann, weil ſie von Leuten
umhergetragen werden, die den Einzelverkauf
zu ihrem Gewerbe machen. Man nennt dieſe
Leute Rasnoſchtſchiki; ſie gewoͤhnen ſich
an die Haͤuſer, bringen taͤglich alle Beduͤrf-
niſſe, die man fordert, und in ſolcher Menge
und Guͤte als man ſie beſtellt. Sie halten
auch monatliche oder halbjaͤhrige Rechnung
mit Leuten, die ſie einmal kennen, wobey ſie
zuweilen ihre Forderung verlieren, wenn der
Hausherr ſtirbt, oder die Familie verarmt oder
verwaiſ’t. — Ich erinnere mich bey dieſer
[155] Gelegenheit der ſeltnen Großmuth eines Men-
ſchen dieſer Art, welcher einer Familie, deren
Fiſchlieferant er in ihrem ehemaligen Wohl-
ſtande geweſen war, auch nach mehreren Un-
gluͤcksfaͤllen, die ſie außer Stand ſetzten, ihn
zu bezahlen, noch immer mit dem Gegenſtande
ſeines Handels verſorgte und ſchlechterdings
nicht eher Geld annehmen wollte, als bis er
erfuhr, daß der Herr des Hauſes wieder eine
eintraͤgliche Stelle erhalten hatte. — Zuͤge
dieſer Art, aus dieſer Klaſſe von Men-
ſchen, verdienen in einem Sittengemaͤlde doch
wol ihr Plaͤtzchen.


[156]

Fuͤnfter Abſchnitt.
Oeffentliche Sicherheit.


Polizey. Wichtigkeit dieſes Gegenſtandes. Perſönliche Si-
cherheit, durch Katharina die Zweyte geſetzmäßig kon-
ſtituirt. Das Gewiſſensgericht, ein für die perſönliche
Sicherheit errichtetes Tribunal. — Oeffentliche Si-
cherheit, zum Theil aus dem Volkskarakter entſprin-
gend. Anekdote hierüber. Organiſation der Polizey.
Aufſicht auf Ankommende, Abreiſende und verdächtige
Leute. Beyſpiele der Wachſamkeit und Mäßigung der
Regierung bey Staatsverbrechern und Abentheurern.
Aufſicht auf geheime Geſellſchaften. Spielhäuſer. An-
ſtalten gegen Unfugmacher und Händelſüchtige. Das
mündliche Gericht. Bettler. Geſindemäkler. Das Ar-
beitshaus. Das Zuchthaus. Das Stadtgefängniß,
eine nach Howard’s Vorſchlägen eingerichtete Anſtalt.
Das Polizeygefängniß; Schilderung deſſelben. Edel-
müthige Aufopferung eines Luſtmädchens für ihren
gefangenen Liebhaber. — Liſt und Vetrug im Han-
del und Wandel. Erzählung einzelner Vorfälle dieſer
Art. — Anſtalten gegen natürliche und zufällige
Verletzungen der öffentlichen Sicherheit. Verminderte
Feuer- und Waſſergefahr. Schnelles Fahren, unſchäd-
lich gemacht durch Volksſitten. Wachſamkeit der Po-
[157] lizey bey großen Verſammlungen, bey Volksfeſten,
beym Eisgange der Newa. Vorſicht bey der Verſen-
dung der Arzneyen. — Merkwürdige Form bey der
Bekanntmachung der Geſetze.


Unter allen politiſchen Einrichtungen und Ver-
faſſungen hat keine naͤhern Bezug auf das
Wohlſeyn und die Zufriedenheit jedes Einzel-
nen, als die Polizey. Die ehrwuͤrdigen
Zwecke dieſes Theils der Staatsverwaltung:
Sicherheit und Bequemlichkeit, vereinigen ſich
in dem großen Begriff von buͤrgerlicher Gluͤck-
ſeligkeit, ohne welche ſich keine Staatsgluͤckſe-
ligkeit denken laͤßt. Die Verhaͤltniſſe der aus-
waͤrtigen Macht, des Staatsreichthums, ja
ſelbſt der politiſchen Freyheit haben einen weit
entferntern Bezug auf die Gluͤckſeligkeit der In-
dividuen, weil ſie mehr die ganze Maſſe der
Nation treffen, da die Ausuͤbung der Polizey
es gerade mit ſolchen Pflichten zu thun hat,
die den Menſchen in ſeinen feinſten und zarte-
ſten Verhaͤltniſſen, als Buͤrger, Geſchaͤftsmann,
Gatten und Vater, beruͤhren. Es giebt Laͤn-
der, in denen der Buͤrger bey der groͤßten
[158] Schwaͤche und Nullitaͤt des Staatskoͤrpers,
zu welchem er gehoͤrt, oder bey den auffallend-
ſten Kraͤnkungen der politiſchen Freyheit deſ-
ſelben, gluͤcklich iſt, weil ſeine buͤrgerliche Si-
cherheit und Freyheit geſchuͤtzt ſind; ſo wie es
Staaten giebt, in denen die groͤßte oͤffentliche
Macht und die vollkommenſte politiſche Orga-
niſation den einzelnen Buͤrger nicht fuͤr den
Mangel oder den Verluſt einer wohlgeordne-
ten Polizey ſchadlos halten koͤnnen.


Buͤrgerliche Sicherheit ſetzt buͤrgerliche
Freyheit voraus. Ohne dieſe wuͤrde jene frey-
lich eine Ruhe bewirken, die aber der Ruhe
im Grabe aͤhnlich waͤre, deren Folgen Faͤulniß
und Verweſung ſind. Jene iſt das Reſultat
ſehr zuſammengeſetzter und kuͤnſtlich verbunde-
ner Zwecke: dieſe hingegen die Wirkung Eines
einfachen Grundſatzes. Mit einem Wort: Si-
cherheit muß von der machthabenden Gewalt
erzwungen, Freyheit vergoͤnnt werden.


Der Zuſtand der buͤrgerlichen Sicherheit
in jedem Staat iſt ein aufgeloͤſtes Problem;
die Geſetze und die Mittel zur Handhabung
derſelben ſind Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen Kennt-
niß. Der Zuſtand der buͤrgerlichen Freyheit
[159] kann, in ſolchen Laͤndern, die keine eigentliche
Konſtitution haben, nur aus der Zuſammen-
ſtellung einer großen Menge einzelner Thatſa-
chen, aus dem Geiſt der Regierungen, aus
der Stimmung des Volks erkannt werden.
Jene iſt eine beſtimmte Rubrik der Statiſtik:
dieſe gehoͤrt in das Kapitel der Denkungsart,
Meynungen und Sitten. —


In einem Lande, welches keinen Schatten
von Verfaſſung hatte, in welchem alle die
verwickelten Verhaͤltniſſe einer großen buͤrger-
lichen Geſellſchaft durch einzelne, deutungsfaͤ-
hige, ſich oft widerſprechende Verordnungen
beſtimmt, und dieſe der willkuͤhrlichen Ausle-
gung einzelner Gerichtsſtellen uͤberlaſſen waren,
in einem ſolchen Lande konnte die perſoͤnliche
und buͤrgerliche Sicherheit ſich weder einer
rechtmaͤßig begruͤndeten noch geſicherten Exiſtenz
erfreuen. In dieſem Fall befand ſich Rußland
vor Peter dem Großen. Die mannigfal-
tigen Anordnungen dieſes weit uͤber ſein Zeit-
alter erhabenen Fuͤrſten beweiſen, daß er den
Mangel einer buͤrgerlichen Verfaſſung und die
Nothwendigkeit einer feſten Beſtimmung der
geſetzmaͤßigen perſoͤnlichen Sicherheit fuͤhlte.
[160] So viel er auch fuͤr dieſen großen Gegenſtand
gethan hatte, ſo viel blieb ihm noch zu thun
uͤbrig; „ein fruͤhzeitiger Tod noͤthigte ihn, dieſe
„wohlthaͤtigen Einrichtungen, als ein kaum an-
„gefangenes Werk zu verlaſſen. Die hierauf
„erfolgten haͤufigen Veraͤnderungen, die Ver-
„ſchiedenheit der Grundſaͤtze und der Denkungs-
„art, und die oͤftern Kriege ſchwaͤchten zwar
„keinesweges die Macht und das Anſehn des
„Reichs; ſie veranlaßten aber in den Anord-
„nungen dieſes großen Kaiſers entweder Ver-
„aͤnderungen, oder ſie entfernten den Gedan-
„ken von der Fortſetzung ſeines angefangenen
„Werks, oder fuͤhrten andere Regeln ein, die
„ſich theils nach den von der Sache gefaßten
„Begriffen, theils nach den veraͤnderten Um-
„ſtaͤnden und dem natuͤrlichen Lauf der Dinge
„richteten.“ *)


Endlich uͤbergab der Genius Rußlands das
Schickſal dieſes großen Reichs in die Haͤnde
Ka-
[161]Katharina der Zweyten. Der weitum-
faſſende Geiſt dieſer Monarchinn, der ſich ſchon
mit der Erweiterung und Befeſtigung der aus-
waͤrtigen Macht, mit der Gruͤndung einer phi-
loſophiſchen Geſetzgebung, mit der Verbeſſe-
rung der Erziehung, mit der Verbreitung der
Aufklaͤrung und des Geſchmacks, und mit der
Abſtellung unzaͤhliger Mißbraͤuche beſchaͤftigt,
und an dieſen großen Gegenſtaͤnden ſeine Kraft
geuͤbt aber nicht erſchoͤpft hatte — ſchuf nun
auch eine Verfaſſung fuͤr Rußland *).


Die Sammlung von Verordnungen, aus
welchen dieſe Verfaſſung entſtand, athmet uͤberall
den freyen philoſophiſchen Geiſt, die Achtung
Erſter Theil. L
[162] fuͤr die Menſchen und ihre Rechte, und den
milden, gleichweit von Strenge und Nachgie-
bigkeit entfernten Karakter, womit die Indivi-
dualitaͤt des Geſetzgebers ſie ſtempelte, und der
ihre ehrwuͤrdigſte Sanktion iſt.


Die Erhaltung und Befoͤrderung der per-
ſoͤnlichen Sicherheit
konnte in einem Ge-
ſetzbuche dieſer Art nicht der letzte Gegenſtand
ſeyn. Sie erhielt ein eigenes Tribunal in dem
Gewiſſensgericht, oder dem Gericht der
Billigkeit, welches in jeder Statthalterſchaft
errichtet wurde, und deſſen Zweck, nach den
eignen Worten der Verordnung, die Erhaltung
der perſoͤnlichen Sicherheit, die Milderung des
Schickſals ungluͤcklicher Verbrecher, und die
guͤtliche Beylegung buͤrgerlicher Streitigkeiten
iſt. Die Verfaſſung dieſes hoͤchſt merkwuͤrdi-
gen Inſtituts iſt zu neu, zu wohlthaͤtig und zu
wenig bekannt, als daß ich meinen Leſern nicht
einen kurzen Auszug aus der Stiftungsakte
deſſelben mittheilen ſollte *).


Das Gewiſſensgericht beſteht aus einem
Richter, der den Vorſitz fuͤhrt, und aus ſechs
[163] Gliedern, von denen, alle drey Jahre, zwey
aus der Buͤrgerſchaft und eben ſo viele aus
dem Bauerſtande gewaͤhlt werden. Jeder Stand
hat es nur mit den Klaͤgern und Beklagten
ſeines Standes zu thun. Das Gewiſſensge-
richt richtet uͤberhaupt, wie alle andere Tribu-
nale, nach den Geſetzen; da es aber zu einer
Schutzwehre der beſondern oder perſoͤnlichen
Sicherheit angeordnet wird, ſo ſollen ſeine Re-
geln in allen Faͤllen folgende ſeyn: allgemeine
Menſchenliebe, Achtung fuͤr den Menſchen als
ſolchen, und Abneigung von aller Bedraͤngniß
und Kraͤnkung der Menſchheit. Aus dieſer
Urſache ſoll das Gewiſſensgericht nie das Schick-
ſal irgend eines Menſchen erſchweren, ſondern
vielmehr die ihm anvertraute gewiſſenhafte Er-
oͤrterung und mitleidige Beendigung der ihm
uͤbertragenen Sachen ſich angelegen ſeyn laſ-
ſen. Es miſcht ſich nie aus eigener Bewegung
in irgend eine Sache, ſondern nimmt ſich der-
ſelben nur auf Befehl der Regierung, auf Kom-
munikation eines andern Gerichtshofes oder
auf Bitte und Klage an. Die Sachen ſolcher
Verbrecher, die durch einen ungluͤcklichen Zu-
fall oder durch den Lauf verſchiedener Umſtaͤnde
L 2
[164] in Verſchuldungen gefallen ſind, die ihr Schick-
ſal weit uͤber das Verhaͤngniß ihrer Thaten
erſchweren, die Verbrechen der Unſinnigen oder
Minderjaͤhrigen, und alle Zaubergeſchichten,
mit denen Dummheit, Betrug und Unwiſſen-
heit verknuͤpft ſind, gehoͤren fuͤr dieſes Tribu-
nal. Die Pflicht deſſelben in buͤrgerlichen Rechts-
ſachen iſt, diejenigen ſtreitenden Parteien zu
vergleichen, die bey demſelben deswegen Anſu-
chung thun. Der Vergleich geſchieht entweder
durch das Gericht allein, oder gemeinſchaftlich
mit Schiedsrichtern, die von beyden Parteien
gewaͤhlt werden. Wenn die Schiedsrichter un-
ter ſich nicht einig werden koͤnnen, ſo legt das
Gericht ihnen ſein Gutachten vor, wie der
Klaͤger und Beklagte, ohne ihren Ruin, ohne
Prozeß, Streit, gegenſeitige Vorwuͤrfe und
Chikane zu vergleichen ſind. Wenn die Schieds-
maͤnner ſich dennoch nicht vergleichen koͤnnen,
ſo laͤßt das Gericht den Klaͤger und Beklagten
vor ſich kommen, und legt ihnen die Mittel
zum Vergleich vor. Nehmen ſie ſolche an, ſo
beſtaͤtigt es ihren Vergleich durch das Gerichts-
ſiegel; im gegenſeitigen Fall deutet es beyden
an, daß es mit ihrem Streit weiter nichts zu
[165] thun habe, und daß ſie ſich deshalb an die in
den Geſetzen beſtimmten Gerichte wenden moͤgen.


Die wichtigſte Befugniß des Gewiſſensge-
richts aber, wodurch es auf gewiſſe Weiſe das
ehrwuͤrdigſte Tribunal der Nation, und im ei-
gentlichſten Verſtande das Palladium der per-
ſoͤnlichen Sicherheit wird, beſteht in folgendem.
Wenn jemand eine Bittſchrift ins Gewiſſens-
gericht einſchickt, daß er uͤber drey Tage im
Gefaͤngniß gehalten werde, und daß man ihm
in dieſen drey Tagen nicht angezeigt habe,
warum er im Gefaͤngniß gehalten werde, oder
daß er in dieſen drey Tagen nicht befragt wor-
den, ſo iſt das Gewiſſensgericht verpflichtet,
ſobald es eine ſolche Bittſchrift erhalten und
ehe die Verſammlung auseinander geht, Be-
fehl zu ertheilen, daß dieſer im Gefaͤngniß
ſitzende Menſch (wenn er nicht wegen Beleidi-
gung der Perſon Kaiſerlicher Majeſtaͤt, nicht
wegen Verrath, Mord, Diebſtahl oder Raub
gefangen ſitzt) an das Gewiſſensgericht abge-
ſchickt und ſelbigem vorgeſtellt werde, mit Bey-
fuͤgung der Urſachen, warum er unter Arreſt
gehalten werde, oder warum er nicht befragt
worden. Die Befehle des Gewiſſensgerichts
L 3
[166] ſollen in dieſem Fall an dem Ort, an welchem
ſie anlangen, ohne eine Stunde zu ſaͤumen,
vollzogen werden; wenn aber der Befehl inner-
halb vierundzwanzig Stunden nicht in Erfuͤl-
lung gebracht worden, ſo ſollen die Vorſitzer
des Gerichts in eine Geldſtrafe von fuͤnfhun-
dert, die Beyſitzer aber in eine Geldſtrafe von
hundert Rubeln verfallen ſeyn. In Abſicht
des Weges werden 25 Werſt auf einen Tag
gerechnet. — Wenn dann das Gewiſſensge-
richt findet, daß der Arreſtant wegen keines
der vorhin bezeichneten Verbrechen in Verhaft
gehalten wird, ſo befiehlt es, ihn, auf erhaltene
Buͤrgſchaft ſowol fuͤr ſeine Auffuͤhrung als
auch fuͤr ſeine Stellung vor dasjenige Gericht
der Statthalterſchaft, welches er ſelbſt waͤhlt
und wohin alsdann ſeine Sache abgeſchickt
wird, auf freyen Fuß zu ſtellen. Es ſoll ſich
darauf niemand unterſtehen, einen ſolchen, durch
die Befugniß des Gewiſſensgerichts aus dem
Gefaͤngniß befreyten Menſchen, derſelben Sache
wegen, vor deren Entſcheidung, wieder ins Ge-
faͤngniß zu ſetzen; ſeine Sache aber ſoll nach
der Vorſchrift der Geſetze entſchieden werden.
In den Faͤllen aber, wenn der Supplikant we-
[167] gen der oben bezeichneten Verbrechen ſitzt, oder
das Gewiſſensgericht hintergangen hat, oder
keine Buͤrgſchaft ſtellt, ſoll ihn das Gewiſſens-
gericht wieder in das Gefaͤngniß abliefern, um
daſelbſt haͤrter als vorhin gehalten zu werden.


Die oͤffentliche Sicherheit unter-
ſcheidet ſich von der perſoͤnlichen durch einen
allgemeinern Zweck. Jene iſt der eigentliche
Gegenſtand der Polizey; dieſe iſt in den meh-
reſten Laͤndern der Juſtizverwaltung uͤbertragen.


Nach dem Verhaͤltniß der Groͤße, Weit-
laͤuftigkeit und Bevoͤlkerung iſt die oͤffentliche
Sicherheit hier ſo groß als irgendwo. Man
hoͤrt ſo ſelten von Beraubungen oder Mord-
thaten, daß der Gedanke an Gefahren dieſer
Art fremd iſt. Daher ſieht man taͤglich ein-
zelne Leute, ohne Stock und ohne Begleitung,
zu allen Stunden der Nacht, uͤber die Straße
und ſelbſt in die entlegenſten und unbebaute-
ſten Gegenden gehn. Dieſe, unter ſolchen Um-
ſtaͤnden, ſeltne Erſcheinung iſt weniger das
Werk der wohlorganiſirten, wachſamen Polizey,
als die Wirkung des gutmuͤthigen Volkskarak-
ters. Der gemeine Ruſſe, wenn er nicht durch
langen Aufenthalt in der Reſidenz verderbt,
L 4
[168] durch den Hang zur Voͤllerey verfuͤhrt, oder
durch den aͤußerſten Mangel gedruͤckt wird, iſt
ſelten zu Ausſchweifungen dieſer Art geneigt.
Hiezu kommt eine gewiſſe Ehrfurcht gegen die
hoͤhern Staͤnde, die dem Volk durch das Ge-
fuͤhl der Leibeigenſchaft und durch die Art ſei-
ner Erziehung (wenn man dies uͤberall Erzie-
hung nennen darf) eigenthuͤmlich wird, und
die — ſollte man es glauben! — auch bey
einem naͤchtlichen Tete a Tete auf offner Straße
ihre Wirkungen aͤußert. Die Erfahrung hie-
von iſt ſo allgemein, daß man eine Offizier-
ſchleife am Hut als ein ſicheres Mittel ge-
braucht, ſich zu ſolchen Zeiten gegen Angriffe
zu ſchuͤtzen, in welchen das Volk ſich zur Voͤl-
lerey privilegirt glaubt, und folglich zu Aus-
ſchweifungen vorzuͤglich geneigt iſt. Ein gebie-
tendes Wort, im Ton des Herrn geſprochen,
wirkt oft mehr als die beherzteſte Gegenwehr.
Um dieſe Mittel mit Nachdruck gebrauchen zu
koͤnnen, muß man freylich die Landesſprache
mit einiger Fertigkeit ſprechen; wer aber die-
ſen Vortheil beſitzt, und mit den Sitten und
dem Karakter der Nation vertraut iſt, kann
zuweilen durch eine kuͤnſtliche Wendung die na-
[169] tuͤrliche Gutmuͤthigkeit des Poͤbels erwecken,
und ſeinen Beutel oder ſein Leben vor den An-
griffen deſſelben ſichern. Unter mehreren auf-
fallenden Beyſpielen, welche dieſe Verfahrungs-
art bewaͤhren, nur eins zur Probe.


Eine Dame von meiner Bekanntſchaft
reiſte vor einigen Jahren im Innern des Reichs.
Ihr Weg gieng durch ein Dorf, das ſich ſeit
kurzem durch Raͤubereyen und Mordthaten in
der ganzen Gegend furchtbar gemacht hatte.
Durch unvorhergeſehene Umſtaͤnde verzoͤgert ſich
ihre Ankunft bis in die Nacht, und da die
Poſtbauern ſich ſchlechterdings weigern, ſie wei-
ter zu fuͤhren, ſieht ſie ſich genoͤthigt, in einer
Huͤtte abzuſteigen. Eine Unterredung ihres
Fuͤhrers mit einigen Leuten des Dorfs, der ſie
unter der Beguͤnſtigung der Dunkelheit bey-
wohnt, floͤßt ihr die gerechteſten und ſchreck-
lichſten Beſorgniſſe ein. Bey ihrem Eintritt
in die Huͤtte wird ſie mehrere Kerle gewahr,
die ſich nach Landesſitte auf dem Ofen gela-
gert haben. Ein altes Weib, deren Phyſio-
gnomie eben nicht geſchickt war, Zutrauen ein-
zufloͤßen, beginnt ihren Empfang mit der Frage:
warum ſie ſich geweigert habe, die Nacht im
L 5
[170] Dorfe zu verweilen, ob ſie etwa glaube, daß
es in ihrem Hauſe nicht ſicher ſey? und be-
theuert zugleich, daß ſich keine Mannsperſon
in demſelben befinde. Die Reiſende, mit dem
Karakter der Nation aus langen Erfahrungen
bekannt, huͤtet ſich wohl, dieſe Luͤge zu wider-
legen; ſie aͤußert im Gegentheil das vollkom-
menſte Zutrauen, ſetzt ſich mit der groͤßten
Ruhe zu ihrem Abendeſſen, langt eine Brant-
weinsbouteille aus ihrem Flaſchenfutter hervor,
noͤthigt die auf dem Ofen gelagerten Kerle
herunter und theilt ihren Vorrath unter ſie
aus. Dieſes Betragen, die Branteweinsflaſche
und die freundliche Mine der Geberinn thun
ihre Wirkung; das eingeſchlummerte aber nicht
erſtickte Gefuͤhl der Menſchlichkeit erwacht, und
die originelle gutmuͤthige, ſorgenloſe und froͤli-
che Laune, die dem gemeinen Ruſſen ſo eigen-
thuͤmlich iſt, ergießt ſich bald in lermende Ge-
ſaͤnge. Als die Reiſende ſieht, daß ſie ihren
Zweck erreicht hat, legt ſie ſich in einem dar-
anſtoßenden Zimmer, dem Anſchein nach ohne
Unruhe, zu Bette, verbietet ihrem Bedienten
Gepaͤck und Gewehr in die Stube zu bringen,
und loͤſcht endlich ſogar das Licht aus. Beym
[171] Anbruch des Tages findet ſie ein ruſſiſches
Fruͤhſtuͤck bereit, und ihren Wagen zur Abreiſe
fertig. Ihr Abſchied von dieſem Raͤubervolk
war eine der ſonderbarſten moraliſchen Karri-
katuren. Mit dem Eingeſtaͤndniß ihrer ſtraf-
baren Handlung erhaͤlt ſie von dieſen Menſchen
zugleich die Verſicherung, daß ſie und alle
Durchreiſende, die ihren Namen nennen wuͤr-
den, gut aufgenommen und mit Sicherheit be-
herbergt werden ſollten; ein Verſprechen, wel-
ches mit den rohen aber unverſtellten Beweiſen
einer herzlichen Zuneigung vergeſellſchaftet war.


Die Polizey von St. Petersburg hat
eine ſehr einfache und zweckmaͤßige Organiſa-
tion. Außer dem Gouverneur, deſſen Wirk-
ſamkeit ſich natuͤrlich auch in Ruͤckſicht der Re-
ſidenz auf alle Gegenſtaͤnde des oͤffentlichen
Wohls erſtreckt, iſt der Oberpolizeymei-
ſter
der eigentliche Chef der ganzen Polizey-
verfaſſung. Seine Thaͤtigkeit iſt, bey dem gro-
ßen Umfange dieſer Beſtimmung, doch nur auf
die allgemeinen Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen
Sicherheit und Ordnung begrenzt. Er iſt hier
nicht, wie in andern großen Staͤdten, der fuͤrch-
terliche Mitwiſſer der Familiengeheimniſſe und
[172] der ungeſehene Zeuge der Handlungen des Pri-
vatmannes. Wir haben hier keine Spione,
und muͤſſen keine haben, wenn Montesquieu
Recht hat *).


Unter dem Oberpolizeymeiſter ſteht das
Polizeyamt, in welchem ein Polizeymeiſter,
zwey Vorſteher, einer fuͤr peinliche, der an-
dere fuͤr buͤrgerliche Sachen, und zwey aus
der Buͤrgerſchaft gewaͤhlte Rathmaͤnner ſitzen.
Dieſer Stelle iſt die Sorge fuͤr Wohlanſtaͤn-
digkeit, gute Ordnung und Sitten; die Auf-
ſicht uͤber die Beobachtung der Geſetze, und
die Vollſtreckung der Befehle der Regierung
und der Entſcheidungen der Gerichtshoͤfe uͤber-
tragen **). Die Ausfuͤhrung dieſer Zwecke
wird durch folgenden Mechanismus bewirkt.


Die Reſidenz iſt, wie ſchon oben bemerkt
worden, in zehn Stadttheile getheilt.
Jeder derſelben hat einen Vorſteher, der
zum Waͤchter der Geſetze, der Sicherheit und
der Ordnung in ſeinem Bezirke beſtellt iſt.
[173] Die Pflichten und Rechte dieſes Poſtens ſind
ſo ausgedehnt als wichtig. Ein Vorſteher muß
genaue Kenntniß von den Einwohnern ſeines
Stadttheils haben, uͤber welche ihm eine Art
von vaͤterlichrichterlicher Gewalt vertraut iſt;
er iſt der Sittenaufſeher ſeines Stadttheils;
ſein Haus darf weder bey Tage noch bey Nacht
verſchloſſen werden, ſondern ſoll ein beſtaͤndiger
Zufluchtsort’ fuͤr jeden Gefahr- und Nothlei-
denden ſeyn; er ſelbſt darf ſich nicht auf zwey
Stunden aus der Stadt entfernen, ohne ſeinen
Dienſt einem andern zu uͤbertragen. Das Po-
lizeykommando und die Wachtpoſten des Stadt-
theils ſtehen unter ſeinem Befehl, und er wird,
in Geſchaͤften ſeines Dienſtes, von zwey Ser-
geanten begleitet. Ueber ein widerrechtliches
Verfahren des Vorſtehers kann man ſich beym
Polizeyamt beſchweren *).


Jeder Stadttheil iſt wieder in drey bis
fuͤnf Quartiere abgetheilt, deren in der Re-
ſidenz in allem zwey und vierzig ſind. Jedes
derſelben hat einen Quartieraufſeher,
dem ein Quartierlieutenant untergeord-
[174] net iſt. Die Pflichten dieſer Polizeybeamten
ſtimmen mit denen der Vorſteher uͤberein, nur
daß ſie in ihrer Wirkſamkeit auf einen kleine-
ren Bezirk eingeſchraͤnkt ſind. Sie ſchlichten
geringe Haͤndel und Streitigkeiten auf der
Stelle und haben uͤberall ein wachſames Auge.
Die Nachtwaͤchter eines jeden Quartiers ſtehen
unter dem Aufſeher deſſelben, und ſind auf
jeden Wink zu ſeinem Befehle bereit.


Die Anzahl der Nachtwaͤchter in der
Stadt belaͤuft ſich auf fuͤnfhundert. Sie ha-
ben ihre angewieſenen Plaͤtze in kleinen, an den
Ecken der Gaſſen erbauten Wachthaͤuſern, und
dienen, außer ihrer eigentlichen Beſtimmung,
auch zum Verhaftnehmen und zu jedem Dienſt,
der ihnen bey Tage oder bey Nacht von ihren
Befehlshabern aufgelegt wird. Außerdem iſt
zur Ausfuͤhrung der Polizeybefehle und zum
Patroulliren noch ein Kommando von 120
Mann vorhanden, welches in vorkommenden
Faͤllen von einem Kaſackenpulk oder Huſaren-
regiment unterſtuͤtzt wird.


Dieſe aus ſo vielen untergeordneten Thei-
len beſtehende Maſchine erhaͤlt in ihrem regel-
maͤßigen Gange jene Sicherheit und Ruhe, die
[175] die Bewunderung aller Fremden erregt. Die
Thaͤtigkeit jedes einzelnen Gliedes loͤſ’t ſich auf
in die Thaͤtigkeit des Ganzen, und nur durch
dieſe Vertheilung wird die Erreichung eines ſo
vielſeitigen Zwecks moͤglich. — Alle Quartier-
aufſeher eines Stadttheils finden ſich des Mor-
gens um ſieben Uhr bey ihrem Vorſteher ein,
um ihm den Rapport von allem abzuſtatten,
was innerhalb vierundzwanzig Stunden in ih-
ren Quartieren vorgefallen iſt, und um acht
Uhr bringen ſaͤmmtliche Stadttheilsvorſteher
dieſe geſammelten Berichte ins Polizeyamt,
worauf dieſes ſogleich und zuerſt die Sachen
der uͤber Nacht Verhafteten unterſuchen muß.
In dringenden Faͤllen verſammelt ſich das Po-
lizeyamt zu jeder Stunde.


Dieſe Organiſation und die außerordentliche
Wachſamkeit der Polizey, die auch fuͤr ein zahl-
reicheres und unruhigeres Volk hinreichen wuͤrde,
machen die geheimen Kundſchafter entbehrlich
Die Polizey hat Kenntniß von allen in der Re-
ſidenz vorhandenen Menſchen; Ankommende und
Abreiſende ſind gewiſſen Formalitaͤten unterwor-
fen, die eine Verheimlichung des Aufenthalts
oder Entweichung erſchweren. Zu dieſem End-
[176] zweck iſt jeder Hausbeſitzer und Gaſtwirth ver-
pflichtet, der Polizey anzuzeigen, wer bey ihm
wohnt, oder welche Fremde bey ihm eingekehrt
ſind. Wenn ein Fremder oder Miethsmann
uͤber Nacht aus dem Hauſe bleibt, ſo muß der
Wirth die Polizey hievon ſpaͤtſtens am dritten
Tage des Außenbleibens benachrichtigen. Stren-
ger noch ſind die Vorſichtsmaaßregeln bey Ab-
reiſenden. Dieſe muͤſſen ihren Namen, ihren
Stand und ihre Wohnung dreymal in die hie-
ſigen Zeitungen ſetzen laſſen, und dieſe Blaͤtter
als eine Beglaubigung im Gouvernement vor-
zeigen, worauf ſie alsdann ihren Paß erhal-
ten, ohne welchen es beynah unmoͤglich iſt,
aus dem Reiche zu kommen. Dieſe Einrich-
tung ſichert nicht nur die Glaͤubiger der Ab-
reiſenden, ſondern macht der Polizey auch eine
naͤhere Aufſicht uͤber alle verdaͤchtige Einwoh-
ner moͤglich.


Die große Miſchung von fremden Einwoh-
nern aller Nationen macht dieſe Aufſicht jeder-
zeit, beſonders aber in gewiſſen kritiſchen Zeit-
punkten, nothwendig. Immer finden ſich in
großen volkreichen Staͤdten unruhige Leute,
Gluͤcksritter und Betruͤger, die durch kuͤhne
Pro-
[177] Projekte, durch eine ſchaͤndliche Induſtrie, oder
durch ſtraͤfliche Gaukeleyen die Ruhe der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft zu ſtoͤren, oder den Beutel
des Publikums zu pluͤndern ſuchen. Die Milde
der Regierung, die gaſtfreye Aufnahme die jeder
rechtliche Fremde hier genießt, die leichten und
vielfaͤltigen Mittel zum Erwerb und die unein-
geſchraͤnkte in allen Laͤndern ſo ſehr erſchwerte
Erlaubniß, dieſe ohne Unterſchied der Nation
und des Glaubensbekenntniſſes auf eine recht-
maͤßige Art zu benutzen — alle dieſe und andere
Vortheile ſind dennoch nicht zureichend, ſelbſt
ſolche Leute, denen das Gluͤck einen betraͤchtli-
chen Theil derſelben zuwarf, von der Undank-
barkeit gegen das Land zuruͤckzuhalten, in wel-
chem ſie dieſe Vortheile fanden. — Der Zeit-
punkt des letzten ſchwediſchen Krieges hat meh-
rere Beyſpiele dieſer traurigen Wahrheit aufzu-
weiſen. Unter den zahlreichen hier angeſellenen
Schweden, die entweder als Gewerbleute oder
auch im Dienſt des Staats ein ruhiges Loos
und eine gute Verſorgung hatten, ließen ſich
manche durch einen mißverſtandenen Patriotis-
mus, durch Intriguengeiſt, oder durch die Hof-
nung ihr Gluͤck zu machen, zur ſchaͤndlichſten
Erſter Theil. M
[178] Undankbarkeit gegen ihr zweytes Vaterland ver-
leiten; gegen ein Land, das ihnen Brod und
Anſehn gab, und ſie, beym Ausbruch und waͤh-
rend der ganzen Fortſetzung eines ſo unrechtmaͤ-
ßig angefangenen als mit Erbitterung gefuͤhr-
ten Krieges, in dem vollen und ungeſtoͤrten
Genuß ihrer hier erworbenen buͤrgerlichen Vor-
theile ſchuͤtzte. Die Wachſamkeit, die ſchnelle
Entdeckung, und mehr als dieß, die Maͤßigung
und Großmuth, mit welcher die Regierung ge-
gen dieſe Staatsverbrecher verfuhr, ſind eine
allzuauffallende und merkwuͤrdige Widerlegung
des auswaͤrtigen Vorurtheils und der partheyi-
ſchen Stimmen einzelner Schriftſteller, als daß
ich den Raum bedauern ſollte, den eine unge-
ſchmuͤckte und wahre Erzaͤhlung eines der inter-
eſſanteſten Vorfaͤlle dieſer Art hier einnehmen
duͤrfte.


Die Eilfertigkeit, mit welcher die hier be-
findlich geweſene ſchwediſche Geſandtſchaft ſich
beym Ausbruch des Krieges aus dieſer Reſidenz
entfernte, hatte die Folge, daß ein Theil des
Geſandtſchaftsarchivs in guter Verwahrung zu-
ruͤckbleiben mußte. Ein beherzter und verſchla-
gener Menſch, der bey dem ſchwediſchen Lega-
[179] tionsſekretair als Kammerdiener geſtanden hat-
te, uͤbernahm einige Zeit nachher den gefaͤhrli-
chen Auftrag, nicht nur dieſe Papiere nach
Schweden hinuͤber zu bringen, ſondern auch Er-
kundigungen uͤber gewiſſe Dinge einzuziehen, die
in allen Laͤndern als Staatsgeheimniſſe betrachtet
werden, und es zur Zeit des Krieges wirklich in
mehr als Einer Ruͤckſicht ſeyn muͤſſen. Mit
Geld und allen Talenten zu einer ſolchen Unter-
nehmung hinlaͤnglich verſehen, erſchien er hier
in Petersburg unter dem Namen eines Kauf-
manns und dem Vorwande Getreide einzuhan-
deln, und hatte das Gluͤck, nicht nur ſeinen
Endzweck zum Theil zu erreichen, ſondern auch
mit ſeinen geretteten Papieren und Briefſchaften
bis Riga zu kommen. Hier, auf der Grenze
des Reichs, ereilte ihn die Wachſamkeit der pe-
tersburgiſchen Polizey; er ward in Verhaft ge-
nommen, nach der Reſidenz zuruͤckgebracht, und
in dem Hauſe des Generalprokureurs in Ver-
wahrung geſetzt. Sein Prozeß war kurz, da
die Beweiſe ſeiner Unternehmung jede Entſchul-
digung unmoͤglich machten; er hielt es daher fuͤr
das zutraͤglichſte, unter dieſen Umſtaͤnden alles
freymuͤthig zu geſtehen. Nach einigen Verhoͤren
M 2
[180] ward ihm ſein Urtheil mit folgenden Worten an-
gekuͤndigt: „Sie haben ein Verbrechen began-
gen, fuͤr welches Sie in jedem andern Lande mit
dem Leben wuͤrden buͤßen muͤſſen; die Gnade
der Kaiſerinn ſchenkt Ihnen, in Ruͤckſicht auf
Ihr offenherziges Geſtaͤndniß, nicht nur dieſes,
ſondern mildert Ihre Strafe in eine Entfernung
nach einem abgelegenen Grenzort, wo Sie ſo
lange bleiben werden, bis der Krieg geendigt
ſeyn wird. Alsdann ſteht es Ihnen frey, dieſes
Land zu verlaſſen.“ Der uͤberraſchte und be-
taͤubte Inquiſit hatte noch nicht Zeit, ſich von
ſeiner angenehmen Beſtuͤrzung zu erholen, als
ihm eine Banknote von hundert Rubeln mit der
Aeußerung eingehaͤndigt wurde, daß er dieſes
Geſchenk einem erhabenen Wohlthaͤter zu danken
habe, der ſein Schickſal durch dieſe Kleinigkeit
zu erleichtern wuͤnſche. Der Verbannungsort
des Gefangenen lag im aͤußerſten Sibirien. Er
ſollte hier taͤglich eine beſtimmte Summe zu ſei-
nem Unterhalt empfangen, die ihm aber durch
zufaͤllige Umſtaͤnde nicht ausgezahlt ward; doch
fand er unter den dortigen Einwohnern gutmuͤ-
thige Menſchen, die ſichs recht herzlich angelegen
ſeyn ließen, fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe zu ſorgen. —
[181] Kaum war der Friede geſchloſſen, als mit der
Nachricht deſſelben auch der Befehl an dem Orte
ſeiner Verbannung ankam, ihm die Freyheit
wiederzugeben. Er kehrte nach St. Petersburg
zuruͤck, meldete ſich hier bey der Behoͤrde, er-
hielt die ganze Summe ſeiner Tagegelder bis auf
den Tag ſeiner Befreyung ausgezahlt, legte mit
dieſem kleinen Kapital einen Handel an, heyra-
thete eine Ruſſinn, und lebt jetzt hier, zufrieden
und gluͤcklich, als ein merkwuͤrdiger Beweis der
politiſchen Toleranz unter der Regierung Ka-
tharinens der Zweyten
.


Dieſes Beyſpiel, ſo auffallend es iſt, iſt
nicht das einzige ſeiner Art. Alle diejenigen, die
ſich waͤhrend des ſchwediſchen Krieges verdaͤchtig
gemacht hatten und ihres Verbrechens uͤberfuͤhrt
waren, ſind auf eine aͤhnliche glimpfliche Art be-
handelt worden. Die mehreſten unter ihnen
wurden in die Provinzen verſchickt, wo ſie ent-
weder ein geringes Jahrgeld bekamen, oder nach
Maaßgabe ihrer Brauchbarkeit angeſtellt wur-
den. Einer derſelben, der als Lehrer beym Land-
kadettenkorps geſtanden hatte, ward Schuldirek-
tor in der Provinz mit Beybehaltung ſeines voͤl-
ligen Gehalts. Die gewoͤhnliche Strafe fremder
M 3
[182] Gluͤcksritter die ſich durch unerlaubte Wege fort-
zuhelfen ſuchen, iſt dieſe, daß ſie ſchleunigſt uͤber
die Grenze gebracht werden, wobey ſie oft noch
etwas an Gelde erhalten. Ein Beyſpiel dieſer
Gattung war der ſogenannte Graf Palatin,
der die Geſchichte ſeiner Abentheuer ſelbſt be-
kannt gemacht hat *). Dieſer Gluͤcksritter ließ
ſichs einfallen, einen Vorſchlag zur Ver-
beſſerung Rußlands
auf der Poſt an die
Kaiſerinn zu ſenden und eine perſoͤnliche Unterre-
dung mit dieſer Monarchinn zu verlangen, bey
welcher, außer dem Großfuͤrſten, niemand zu-
gegen ſeyn duͤrfte. Als er hierauf keine Ant-
wort erhielt, ſchrieb er einen Brief voll Grob-
heiten an den Staatsrath Kusmin, und hatte
ſogar die Unverſchaͤmtheit, dem Feldmarſchall,
Fuͤrſten Gallizin, bey ſeiner Unterredung mit
demſelben zu ſagen, ſeine Abſicht ſey, die Kaiſe-
rinn die Kunſt zu lehren, ihre Hofleute kennen
zu lernen. Ein Benehmen dieſer Art ließ keinen
Zweifel uͤber die Perſon und die Abſichten dieſes
Menſchen; er ward uͤber die Grenze gebracht,
[183] nachdem er zuvor, waͤhrend eines kurzen Ver-
hafts, ſeinen fuͤr die Verbeſſerung Rußlands er-
ſonnenen Plan aufgegeben hatte, erhielt
hundert Rubel und eine Winterkleidung, und
mußte eine ſchriftliche Verſicherung geben, daß
er ſich nie mehr wolle auf ruſſiſchem Gebiet be-
treffen laſſen. „Eine Verſicherung, ſetzt der
Abentheurer hinzu, die ich mit Freuden gab,
weil ich das fand, was ich eigentlich ſuchte.“


Wenn einzelne Menſchen dem Staate ver-
daͤchtig ſeyn muͤſſen, deren Lebensart, Umgang,
Erwerb und Thaͤtigkeit unbekannt ſind, ſo koͤn-
nen ganze Geſellſchaften demſelben um ſo
weniger gleichguͤltig ſeyn, wenn dieſe die Zwecke
ihrer Verbindung oder gar ihre Exiſtenz ſelbſt
den Augen des Publikums entziehen. Die Po-
lizey wacht hier mit einer lobenswuͤrdigen Sorg-
falt uͤber geheime Geſellſchaften aller Art, und
ſo oft ſich auch der Schwindelgeiſt religioͤſer und
politiſcher Sektirer oder die Schwaͤrmerey vor-
geblicher Myſtagogen hier einzuniſten verſucht
haben, ſo iſt es ihnen dennoch niemals oder nur
auf eine kurze Zeit gelungen. Magnetismus,
Martinismus, Roſenkreuzerey und wie die Na-
M 4
[184] men aller aͤhnlichen Verirrungen des menſchlichen
Verſtandes heißen moͤgen, haben ihr Gluͤck mit
einerley ſchlechtem Erfolg auf dieſer Buͤhne ver-
ſucht.


Mit gleicher Sorgfalt iſt die Polizey be-
muͤht, die dunkeln Schlupfwinkel zu zerſtoͤren,
in welche die Begierde zum Gewinn arbeitſcheue
Muͤßiggaͤnger verſammelt. Wenn die Grenzen
der buͤrgerlichen Freyheit der Polizey die Anwen-
dung der aͤußerſten Mittel zur Vertilgung der
Spielwuth verwehren, ſo iſt die Fortpflan-
zung und Ausbreitung dieſes ſchrecklichen politi-
ſchen Uebels doch wenigſtens erſchwert und ge-
hindert. Nach der Polizeyordnung *) ſind nur
ſolche Spiele erlaubt, die ſich auf Staͤrke und
Gewandheit des Koͤrpers oder auf erlaubten Zu-
fall und Geſchicklichkeit gruͤnden. Die naͤhere
Erklaͤrung dieſer Beſtimmungen iſt dem Geſetz
vorbehalten. Bey verbotnem Spiel ſoll das
Polizeyamt auf die Abſicht der Spielenden ſe-
hen. Alle Klagen und Forderungen wegen
Spielſchulden und deren Bezahlung ſind fuͤr
nichtig erklaͤrt. Daß hier, wie im ganzen
[185] ruſſiſchen Reiche, kein Lotto geduldet wird, iſt
bekannt.


Nach dieſer Schilderung wird man leicht
erwarten, daß die Zahl der Unfugmacher
und Stoͤrer der oͤffentlichen Ruhe nicht
ſehr groß ſeyn kann. Zank und Schlaͤgereyen
auf der Straße oder in den Schenken ſieht
man ſelten. Der Angreifende ruft dem naͤchſt-
ſtehenden Wachtkerl, und im Augenblick ſind
Klaͤger und Beklagter verhaftet und werden in
die naͤchſte Sjeſha (Polizeywachthaus) gefuͤhrt,
wo die Urſache ihres Streits unterſucht und
beſtraft wird. — Fuͤr Haͤndel von einiger
Bedeutung beſteht ein eigenes Tribunal unter
der Benennung des muͤndlichen Gerichts,
welches wegen ſeiner Individualitaͤt eine kleine
Schilderung verdient.


In jedem Stadttheil ſind ein oder meh-
rere Richter des muͤndlichen Gerichts verord-
net, die aus der Buͤrgerſchaft erwaͤhlt und
denen einige Geſchworne zugegeben werden.
Dieſes Gericht verſammelt ſich taͤglich Vormit-
tags, und ſchlichtet alle ihm vorgetragene
Streitigkeiten muͤndlich, wobey jedoch ein Ta-
gebuch uͤber die Klagen und Entſcheidungen
M 5
[186] gefuͤhrt wird, welches woͤchentlich dem Ma-
giſtrat vorgelegt werden muß. Sobald eine
Klage angebracht wird, zeigt das Gericht es
dem Vorſteher des Stadttheils muͤndlich an,
worauf der Beklagte nicht ſpaͤter als den Tag
nach geſchehener Ladung vor der Polizey er-
ſcheinen darf. Jede Sache muß in Einem,
oder wenn Erkundigungen einzuziehen ſind, in
dreyen Tagen entſchieden werden. Die Ent-
ſcheidung theilt das muͤndliche Gericht dem
Vorſteher des Stadttheils vermittelſt ſeines
Tagebuchs mit, um ſie in Erfuͤllung zu ſetzen.
Wer mit dem geſprochenen Urtheil nicht zufrie-
den iſt, kann ſich an die in den Verordnun-
gen beſtimmten Gerichtshoͤfe wenden. *)


Die unermeßliche Cirkulation welche der
Luxus und die Beduͤrfniſſe der Reſidenz veran-
laſſen, wuͤrde einer groͤßern Volksmenge die
Mittel zu ihrer Exiſtenz hergeben koͤnnen. Der
zunehmende Anwachs der Stadt und die gro-
ßen Unternehmungen der Regierung, die ſich
hier wie in einem großen Mittelpunkt vereini-
[187] gen, beſchaͤftigen ſo viele Haͤnde als zur Ar-
beit vorhanden ſind, und wuͤrden mehr be-
ſchaͤftigen koͤnnen; die leichten Erwerbmittel
und der hohe Arbeitslohn laſſen daher der
Faulheit und dem Muͤßiggange keine Entſchul-
digung uͤbrig. Wirklich ſieht man hier keinen
Bettler, wenn man nicht etwa die kleinen
Kinder hierher rechnen wollte, die den Vor-
uͤbergehenden zuweilen um eine Gabe anſpre-
chen. Alten, mit Krankheiten behafteten Men-
ſchen, Kruͤppeln und andern ſolchen Gegen-
ſtaͤnden des Ekels wird das Betteln ſchlechter-
dings nicht geſtattet. Fuͤr die wirklich Armen
und zu jeder Art des Erwerbs unfaͤhigen Per-
ſonen iſt ein wohleingerichtetes Armenhaus vor-
handen, deſſen naͤhere Anzeige einer der fol-
genden Abſchnitte enthaͤlt; fuͤr arbeitſuchen-
de Fleißige und arbeitsfaͤhige Muͤßiggaͤnger
aber beſtehen folgende nuͤtzliche und heilſame
Anſtalten.


Zufolge der Polizeyordnung vom Jahr
1782 ſind in der Reſidenz Geſindemaͤkler
angeordnet, bey welchen ſich taͤglich zu gewiſ-
ſen Stunden ſowohl dienſt- und arbeitſuchende
Leute, als auch Herrſchaften melden koͤnnen,
[188] denen es an Geſinde fehlt. Der Maͤkler iſt
gehalten, den Namen, die Zeit und die For-
derungen oder Antraͤge eines jeden der ſich bey
ihm meldet, in ſein Maͤklerbuch einzutragen,
in welchem auch die Dienſtkontrakte aufgezeich-
net werden und welches bey vorfallenden Strei-
tigkeiten zum Beweiſe dient. Um das Publi-
kum zur Benutzung dieſer gemeinnuͤtzigen An-
ſtalt aufzumuntern; iſt zugleich verordnet, daß
das muͤndliche Gericht und das Polizeyamt
keine Klage zwiſchen Dienſthalter und Geſinde
annehmen ſollen, wenn der Kontrakt nicht
durch durch das Maͤklerbuch beſcheinigt werden
kann; Dienſt- und Arbeitsleute aber, welche
ſich beym Maͤkler zu melden unterlaſſen, wer-
den aus der Stadt und dem Kreiſe verwieſen.


Das Arbeitshaus der Reſidenz nimmt
nicht nur ſolche Leute auf, welche gerne arbei-
ten wollen, aber keine Beſchaͤftigung finden,
ſondern iſt zum groͤßten Theil mit aufgegriffe-
nen Muͤßiggaͤngern, Unfugmachern, geſunden
Bettlern und Dieben angefuͤllt, welche nicht
uͤber den Werth von zwanzig Rubeln geſtohlen
haben. Da eine ſolche Vereinigung der Ver-
[189] brechen mit huͤlfloſer Arbeitſamkeit gegen die
Grundſaͤtze einer aufgeklaͤrten Polizey iſt, ſo
war dies Inſtitut, ſeiner urſpruͤnglichen Be-
ſtimmung nach, nur der letztern gewidmet. *)
Weil ſich aber von dieſer Klaſſe, entweder
aus Vorurtheil gegen die Anſtalt, oder weil
es, wie ich glaube, einen Ueberfluß von Er-
werbmitteln giebt, nur ſehr wenige Menſchen
einfanden, ſo ward dies Inſtitut beynahe
gaͤnzlich fuͤr Zwangarbeiter beſtimmt. Die
Oberaufſicht uͤber daſſelbe fuͤhrt das Kollegium
der allgemeinen Fuͤrſorge, welches daher auch
die Art und das Maaß der Beſchaͤftigung nach
den Beſtimmungen des Geſchlechts, des Al-
ters und der koͤrperlichen Beſchaffenheit aus-
theilt. Es iſt auch Privatleuten erlaubt, ihr
Geſinde zur Beſtrafung in dieſe Anſtalt zu
ſchicken; doch muͤſſen ſie fuͤr jeden Menſchen
taͤglich drey Kopeken Koſtgeld entrichten, wo-
bey der Vortheil der Arbeit der Anſtalt zu-
faͤllt. Im Durchſchnitt werden hier jaͤhrlich
gegen achthundert Menſchen aufbehalten. Ein
kleines Hospital, welches mit dieſem Hauſe
[190] verbunden iſt, hatte am erſten Januar 1790,
107 Kranke beyder Geſchlechter.


Fuͤr Verbrecher, die nach den Geſetzen
zur Arbeit verurtheilt ſind, iſt das Zucht-
haus
. Auch dieſes ſteht unter dem Kollegi-
um der allgemeinen Fuͤrſorge, welches die
Strafarbeit dieſer Leute dem Staat, beſonders
in Ruͤckſicht auf Fabriken, nuͤtzlich zu machen
ſucht. Den Gouvernementsverordnungen zu-
folge *) iſt das Zuchthaus fuͤr folgende Gat-
tungen von buͤrgerlichen und ſittlichen Verbre-
chern beſtimmt; fuͤr Kinder, die ihren Eltern
ungehorſam ſind oder ein anhaltendes boͤſes
Leben fuͤhren, fuͤr Leute die ihr Vermoͤgen
durchbringen, doppelt ſo viel Schulden auf-
haͤufen als ihr Vermoͤgen betraͤgt, oder ſchaͤnd-
licher Vergehungen gegen die Ehrbarkeit ſchul-
dig ſind, fuͤr Menſchen die offenbar eine Auf-
fuͤhrung annehmen welche guten Sitten und
guter Polizey zuwider iſt, fuͤr unnuͤtze und
faule Knechte und Landſtreicher, fuͤr vorſetzli-
che und muthwillige Muͤßiggaͤnger und Bettler,
endlich fuͤr Weibsperſonen die ein ſchaͤndliches,
[191] freches und aͤrgerliches Leben fuͤhren. — Ver-
brecher dieſer Art werden entweder auf das
Urtheil eines Gerichtshofes, oder auf die Bit-
te der Eltern, Vorgeſetzten oder Hausherren,
wiewol nicht ohne Zeugniß, warum? ins
Zuchthaus geſetzt. Auch hier muͤſſen Privat-
leute, wie im Arbeitshauſe, ein geringes
Koſtgeld bezahlen. Das maͤnnliche Geſchlecht
iſt vom weiblichen abgeſondert und jeder Zuͤcht-
ling darf nur bey ſeinem Taufnamen genannt
werden. Die Widerſpenſtigen kann der Ober-
aufſeher zur Zeit mit Ruthen, oder mit Ein-
ſperrung auf Waſſer und Brod beſtrafen. Die
jaͤhrliche Anzahl der Zuͤchtlinge iſt zwiſchen ſie-
ben und neunhundert.


Dieſe Anſtalten, in welchen ſich die Re-
ſidenz, wie in einem Behaͤlter, aller faulen,
unreinen und anſteckenden Theile entledigt, ſte-
hen in ſo genauer Verbindung mit den Ver-
wahrungsoͤrtern der Gerechtigkeit, daß ich es
am ſchicklichſten finde, ihrer hier ſogleich zu
erwaͤhnen.


Das neue Stadtgefaͤngniß, welches,
ſo viel es thunlich war, nach Howard’s
[192] Vorſchlaͤgen erbaut und eingerichtet iſt, beſteht
aus einem großen, maſſivgebauten, zwey Stock
hohen, fuͤnfeckigen Gebaͤude. Von außen hat
es keine Fenſter und nur Eine eiſerne Pforte;
das Dach iſt auf jeder der fuͤnf Ecken mit ei-
ner hohen großen Kuppel verſehen, die zu
Magazinen beſtimmt ſind. Jeder Stock hat
nur Eine Reihe Zimmer, und vor derſelben
einen Gang. Die Zimmer ſind ungleich an
Groͤße, aber haben voͤllig einerley Einrichtung.
Ueberall ſind die Fenſter hoch; jeder Kerker
hat einen kubiſchen Ofen, einen kleinen ge-
mauerten Tiſch und Seſſel, eine eiſerne Au-
ßenthuͤre, und in der Thuͤrwand die Bequem-
lichkeit. Auf dem freyen Platz den dies Ge-
baͤude einſchließt, ſteht ein gleichfoͤrmiges klei-
neres Gefaͤngniß, welches nebſt aͤhnlich einge-
richteten Kerkern, auch eine Kapelle, ein
Komtoir, eine Wachtſtube und ein Zuͤchtigungs-
zimmer enthaͤlt. — Der uͤbrigbleibende Hof-
raum, deſſen Breite etwa ſechs Klafter iſt,
hat die Beſtimmung den Gefangenen den Ge-
nuß der freyen Luft zu verſchaffen. Bis itzt
ſteht dies Gebaͤude noch voͤllig leer.


Unter
[193]

Unter den uͤbrigen Gefaͤngniſſen, deren uͤber-
haupt nur drey ſind, iſt das Polizeygefaͤng-
niß
das merkwuͤrdigſte. Dieſes Haus, welches
man gewoͤhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe-
mals die Kanzelley derſelben war, iſt ſeiner
jetzigen Beſtimmung nach, der vorzuͤglichſte
Verwahrungsort fuͤr alle Straffaͤllige mit de-
nen es die Polizey zu thun hat. Man findet
hier alſo ungerichtete Verbrecher aller Art, boͤ-
ſe Schuldner, Bankerotteurs, falſche Spie-
ler, Haͤndelmacher, Betruͤger, Diebe, Nacht-
ſchwaͤrmer von allen Glaubensſekten und von
allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un-
ter einander. Dieſes Beyſammenſeyn einer ſo
ſonderbaren Menſchengattung iſt die Quelle
ſehr ſonderbarer Wirkungen. Der Reichere
erkauft ſich Bequemlichkeiten vom Aermern; der
Verſchmitzte uͤberliſtet den Einfaͤltigen; ausge-
ſondert von der menſchlichen Geſellſchaft bildet
ſich innerhalb dieſer Mauern eine kleine Repu-
blik, in welcher die beyden großen Hebel der
menſchlichen Thaͤtigkeit, Beduͤrfniß und Lei-
denſchaft, ihre Rolle ſo gut als auſſerhalb
ſpielen. So wucherte vor einigen Jahren ein
Bewohner dieſes Hauſes mit den Geheimniſſen
Erſter Theil. N
[194] eines bekannten Ordens, deſſen Mitglied er
war, er machte gegen ſehr geringe Rezepti-
onsgebuͤhren eine Menge wuͤrdiger Proſelyten.
Ein anderer hatte die Verguͤnſtigung erhalten,
ſeine Schlafſtaͤtte durch eine Scheidewand ab-
zuſondern, wo er in Geſellſchaft ſeines Be-
dienten lebte, der durch die Leibeigenſchaft ge-
zwungen war, ihm in dieſen Aufenthalt zu
folgen. Hier nahm er die Ankoͤmmlinge, de-
ren Mine und Anzug etwas zu verſprechen
ſchienen, freundlich auf, und lockte ihnen ihre
Baarſchaft entweder im Spiel oder bey einem
Glaſe Punſch mit ſolcher Schlauigkeit ab, daß
ſelten einer ohne Verluſt ſeiner Habſeligkeiten
den gefaͤhrlichen Schutzwinkel verließ. — Die-
ſes Haus, deſſen Mauern nur Laſter und
Verbrechen zu beherbergen ſcheinen, wird zu-
weilen auch der Schauplatz einer ſchoͤnen menſch-
lichen Handlung, wie ſich einzelne Lichtſtralen
in die dunkeln Farben eines Nachtgemaͤldes mi-
ſchen. Nicht um die Schatten zu heben, ſon-
dern als ein kleines Denkmal fuͤr eine unbe-
kannte edle That, mag folgende Anekdote hier
ihren Platz finden.


[195]

Ein junger Deutſcher Edelmann, der ſich
in dieſer Reſidenz eine Zeitlang den gewoͤhnli-
chen Ausſchweifungen ſeines Alters mit dem
groͤßten Leichtſinn preis gegeben hatte, war
endlich ſo ungluͤcklich, von ſeinen Glaͤubigern
in die Polizey geſetzt zu werden. In dieſer
ſchrecklichen Lage, von allen ſeinen ehemaligen
Bekannten verlaſſen, bleibt ihm ein Maͤdchen
von der feilen Klaſſe treu, das einſt in guten
Tagen einen Antheil an ſeiner Boͤrſe gehabt
hatte. Sie folgt ihm in das Gefaͤngniß, wird
bey einer ſchweren Krankheit ſeine unermuͤdete
Pflegerinn, ſorgt fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe,
verkauft, da ihre Baarſchaft nicht zureichend
iſt, alle ihre Habſeligkeiten, und bettelt end-
lich fuͤr ihren ungluͤcklichen Freund. Als dieſen
nach eilf Monaten der Tod aus ſeiner trauri-
gen Lage befreyte, ließ ihn das Maͤdchen von
ihrem erbettelten Gelde anſtaͤndig begraben und
— willigte nun erſt in den laͤngſt geſchehenen
Antrag eines wohlhabenden Mannes, durch
welchen ſie ſich Bequemlichkeit und Vergnuͤgen
verſchaffen konnte, und den ſie bis dahin aus
dem Grunde ausgeſchlagen hatte, weil ſie es
N 2
[196] ſchaͤndlich fand, ihren erſten Liebhaber in ſei-
nem Ungluͤck zu verlaſſen. —


So groß die Sicherheit in Ruͤckſicht auf
oͤffentliche Gewaltthaͤtigkeiten iſt, ſo ſehr muß
man gegen liſtige Betruͤgereyen und feine
Streiche auf ſeiner Hut ſeyn. Die haͤufigen
Beyſpiele dieſer Art machen jeden Ruſſen ge-
gen den andern wachſam, und es gelingt ih-
nen daher nicht ſo leicht ein Betrug gegen ih-
re eigene Landsleute; aber deſto mehr halten
ſie ſich an Fremden und Auslaͤndern ſchadlos,
beſonders wenn ſie die Landesſprache nicht ver-
ſtehen. Die Kraͤmer und Kaufleute fordern ge-
woͤhnlich drey und zuweilen auch fuͤnfmal ſo
viel als die Waare werth iſt; der Unkundige
bietet die Haͤlfte, und glaubt einen guten
Kauf gethan zu haben, da er doch betrogen
iſt. Schlechter Waare ein gutes Anſehen zu
geben, im Maaß und Gewicht auf eine un-
merkliche Weiſe zu uͤbervortheilen, die ſchlech-
tere Waare der gekauften beſſeren unterzuſchie-
ben, alle dieſe und eine Menge anderer Kuͤn-
ſte verſteht kein Kaufmann beſſer als der ruſ-
ſiſche. Da die Ruſſen im Ganzen viel Witz
und einen lebhaften Verſtand haben, ſo ſind
[197] ſie zu dieſer Art von Induſtrie vorzuͤglich auf-
gelegt, und die Pickpockets von Petersburg
und Moskau koͤnnen ſicherlich jeden Wettſtreit
mit denen zu London und Paris eingehen.


Vor einiger Zeit trug ſich in Moskau fol-
gende Geſchichte zu, die dort ſowol als hier
Aufſehen erregte und ihrer Originalitaͤt wegen
in dieſer Rubrik eine Stelle verdient. Ein
reicher Edelmann, der wegen ſeiner Liebhaberey
fuͤr koſtbare Steine bekannt war, trifft zufaͤlli-
ger Weiſe in einer Geſellſchaft einen Unbe-
kannten an, der einen Ring von ſehr großer
Schoͤnheit und hohem Werth am Finger trug.
Nach einer langen Unterredung uͤber den ei-
gentlichen Werth deſſelben, bietet der Edelmann
dem Beſitzer eine anſehnliche Summe dafuͤr,
die dieſer anfangs aus dem Grunde ausſchlaͤgt,
weil er keine Luſt habe, den Ring zu verkau-
ſen, endlich aber, um den fortgeſetzten Zu-
dringlichkeiten des Edelmanns auszuweichen,
erklaͤrt, daß er ihn nicht verkaufen koͤnne, weil
— die Steine nicht aͤcht ſeyen. Dieſe Erklaͤ-
rung ſetzt alle Anweſende, unter denen ſich
Kenner befanden, in Erſtaunen. Der Edel-
mann, um ſeiner Sache gewiß zu werden,
N 3
[198] bittet ſich den Ring auf einige Tage gegen
Sicherheit aus, erhaͤlt ihn, und eilt damit zu
allen Juwelirern, die ihn ſaͤmmtlich fuͤr aͤcht
und von großem Werth erklaͤren. Mit dieſer
Gewißheit und der Hofnung eines guten Kaufs
bringt er den Ring ſeinem Beſitzer zuruͤck, der
ihn, beym Empfange, gleichguͤltig in ſeine
Weſttaſche ſteckt. Man faͤngt von neuem an
zu handeln; der Unbekannte beharrt auf ſei-
nem Entſchluß, bis endlich der Edelmann eine
Summe bietet, die dem eigentlichen Werth
ziemlich nahe kam. „Dieſer Ring, erwiedert
der Unbekannte, iſt ein Geſchenk der Freund-
ſchaft, aber ich bin nicht reich genug, eine ſo
große Summe auszuſchlagen, als Sie dafuͤr
bieten. Doch eben dieſes hohe Gebot iſt die
Urſache meiner Unentſchluͤſſigkeit. Wie koͤnnen
Sie, wenn Sie Sich deſſen voͤllig bewußt
ſind, was Sie thun, ſo viel Geld fuͤr einen
Ring geben, von welchem der Beſitzer ſelbſt
eingeſteht, daß er unaͤcht ſey?“ — Wenn
Ihr Entſchluß nur davon abhaͤngt, verſetzt
der Kaͤufer, ſo empfangen Sie hier ſogleich
die Summe (er legte ſie in Banknoten auf
den Tiſch) und ich nehme die Herren, die hier
[199] zugegen ſind, zu Zeugen, daß ich ſie freywil-
lig und mit Ueberlegung zahle. — Der Ver-
kaͤufer nahm das Geld und uͤbergab dem Edel-
mann den Ring, mit der abermaligen Erklaͤ-
rung, daß er unaͤcht ſey, und daß es noch Zeit
waͤre, den Handel unguͤltig zu machen. Die-
ſer beharrte auf ſeinem Entſchluß, eilte voller
Freude nach Hauſe, und fand — was meine
Leſer ſchon errathen haben — daß der Unbe-
kannte nur zu wahr geſagt hatte. Statt des
aͤchten Ringes hatte er einen falſchen von der
hoͤchſten Aehnlichkeit mit jenem erhalten. Die
Sache ward gerichtlich; da aber der Verkaͤu-
fer bewies, daß in dem ganzen Handel von
aͤchten Steinen gar nicht die Rede geweſen ſey;
daß der Kaͤufer ausdruͤcklich nur auf einen fal-
ſchen Ring geboten, und er hinwiederum auch
nur einen falſchen Ring verkauft habe: ſo muß-
ten die Richter zum Vortheil des letztern
ſprechen.


Man verſteht ſich hier ſo gut wie in Pa-
ris darauf, Lebensmittel zu verfaͤlſchen und
ihnen ein beſſeres Anſehn zu geben. Alltaͤgli-
che Betruͤgereyen dieſer Art tragen ſich uͤberall
zu; aber wenn man Huͤhner ſieht, die wohl-
N 4
[200] gemaͤſtet ſcheinen, weil ſie mit Luft angefuͤllt
ſind, oder Spargel, die ihres eßbaren Theils
beraubt, zugeſpitzt und gefaͤrbt ſind; ſo wird
man dies doch nicht alltaͤglich nennen.


Eine Dame, die erſt ſeit kurzem aus Deutſch-
land gekommen war, und von ihren hieſigen
Bekannten vieles von dergleichen liſtigen Be-
truͤgereyen gehoͤrt hatte, faßte den Vorſatz,
bey jedem Handel die aͤußerſte Vorſicht zu ge-
brauchen, um die allgemeine Meynung zu wi-
derlegen, daß jeder Fremde ein kleines Lehr-
geld bezahlen muͤſſe. Mehrere Tage gieng es
gut; einsmals aber tritt ein Rasnoſchtſchick
ins Zimmer, und bietet ihr ein Pfund Thee,
den letzten Reſt ſeines Verkaufs, an. Sie
waͤgt die Waare, und findet das Gewicht rich-
tig; ſie verſucht eine Probe, der Thee war
unverfaͤlſcht und wohlſchmeckend; ſie ſchuͤttet
den ganzen Vorrath aus, auch hier war kein
Betrug zu merken. Sie fraͤgt nach dem Preiſe,
und bietet ein Drittheil des Geforderten; der
Verkaͤufer iſt natuͤrlich mit dieſem Gebot nicht
zufrieden, ſchuͤttet ſeinen Thee wieder in die
Buͤchſe, wickelt ein Tuch um dieſelbe, und
ſteckt ſie in den Buſen. Endlich wird der Han-
[201] del geſchloſſen und die Waare ausgeliefert.
Tuch und Buͤchſe waren die naͤmlichen; indeſ-
ſen, Vorſicht ſchadet nicht; die Dame oͤffnet
die Buͤchſe und findet den gekauften Thee.
Sie ſchließt ihn ein, zur großen Beluſtigung
des Verkaͤufers, der unterdeſſen uͤber ihre aͤngſt-
liche Behutſamkeit gelacht und ſie gefragt hatte,
woher ſie denn eine ſo gar uͤble Meynung von
ſeiner Ehrlichkeit habe. Das Geld wird be-
zahlt, der Rasnoſchtſchik entfernt ſich — und
Tags darauf findet man die Buͤchſe voll Sand
und Graus, die Oberflaͤche ausgenommen, die
freylich mit Thee bedeckt war.


Dinge dieſer Art ſind uͤbrigens in allen
großen Staͤdten zu Hauſe, wo die ſtarke Be-
voͤlkerung jede Entdeckung ſchwieriger macht,
und der Abſtand und die Verſchiedenheit der
Gluͤcksumſtaͤnde die Leidenſchaften weckt und
den menſchlichen Geiſt zur Induſtrie aller Art
reizt. Die hoͤchſte Kultur und Verfeinerung
ſo wie die hoͤchſte Sittenloſigkeit und Verderb-
niß, muß man nur in Stadten vom erſten
Range ſuchen. Die Mittel gegen dieſe Uebel
ſind nicht in den Haͤnden der Polizey; keine
menſchliche Erfindung wird eine Wirkung ver-
N 5
[202] hindern koͤnnen, wo eine natuͤrliche Urſache iſt;
und dieſe zu heben, muͤßten wir dem Vorſchlage
der Philoſophen folgen, die das Menſchenge-
ſchlecht in Waͤlder und Gebirge verweiſen, wo
die hoͤchſte Unverdorbenheit neben der hoͤchſten
Brutalitaͤt wohnt. —


Die oͤffentliche Sicherheit wird nicht nur
durch Gewalt und Betrug der Menſchen be-
faͤhrdet; auch die Natur ſcheint ſich zuweilen
gegen dieſelbe verſchworen zu haben. Die Re-
ſultate der großen, ewigen und wohlthaͤtigen
Geſetze, nach welchen ſie auf das Ganze wirkt,
ſind nichts deſtoweniger ſehr oft zerſtoͤrend fuͤr
das Einzelne; und der Menſch iſt, ſeiner un-
entraͤthſelten Beſtimmung nach, gezwungen,
ſich gegen eben die Natur wie gegen einen
Meuchelmoͤrder zu bewaffnen, aus deren Haͤn-
den er ſein Daſeyn, ſeine Erhaltung und ſei-
nen Genuß empfaͤngt. Die natuͤrlichen
und zufaͤlligen Verletzungen der oͤf-
fentlichen Sicherheit
ſind daher nicht
minder ein wichtiger Gegenſtand der Polizey.
Ein genaues Detail aller einzelnen Anſtalten
zu dieſem Zweck wuͤrde außerhalb den Grenzen
dieſes Buches liegen; folgende aus dem Gan-
[203] zen herausgehobene Zuͤge werden zur Karakte-
riſtik dieſes Theils der hieſigen Polizeyverfaſ-
ſung hinlaͤnglich ſeyn.


St. Petersburg iſt wegen ſeiner Lage an
der Muͤndung eines großen ſchiffbaren Stro-
mes ſehr oft Ueberſchwemmungen aus-
geſetzt. Bey anhaltendem Weſtwinde ſteigt das
Waſſer bis und uͤber zehn Fuß uͤber die Mit-
telhoͤhe deſſelben. Mit fuͤnf Fuß uͤberſchwemmt
es nur die weſtlichſten Gegenden der Stadt,
an den Stellen, wo die Newa kein Bollwerk
hat; aber bey einer Waſſerhoͤhe von zehn Fuß
bleibt nur der oͤſtlichſte Theil von einer allge-
meinen Ueberſchwemmung verſchont. Im Jahr
1777 am 10. September, Vormittags 10 Uhr
war das Waſſer bis auf 10 Fuß 7 Zoll uͤber
ſeinen Mittelſtand geſtiegen, und ob es gleich
zwey Stunden nachher ſchon wieder in ſeinen
Ufern war, ſo hatte dieſe kurze Ueberſchwem-
mung doch außerordentliche Wirkungen. Ein
luͤbeckiſches Schiff ward in den Wald von
Waſſili Oſtrow getrieben, viele hoͤlzerne Haͤuſer
waren verſchoben und mehrere Menſchen hat-
ten waͤhrend der Dunkelheit der Nacht ihr
Leben verloren.


[204]

Seit dieſer merkwuͤrdigen Ueberſchwem-
mung hat man Vorſichts- und Warnungsan-
ſtalten gegen aͤhnliche Faͤlle getroffen. Schon
viele Jahre hindurch war der Waſſerſtand an
der Feſtung bemerkt worden. Jezt verordnete
die Admiralitaͤt Signale zur Wachſamkeit bey
ſteigendem Waſſer. Wenn dieſes in der Muͤn-
dung der großen Newa uͤber ſeine Ufer hin-
austritt, ſo geſchehen daſelbſt drey Schuͤſſe,
die bey ſteigender Gefahr wiederholt werden.
Innerhalb der Stadt werden in dieſem Fall
fuͤnf Kanonen von dem Admiralitaͤtswall ge-
loͤſet, und auf dem Thurm derſelben bey Tage
vier weiſſe Fahnen, bey Nacht aber vier La-
ternen ausgehaͤngt; zugleich werden die Glo-
cken langſam gelaͤutet. An den Stellen, die
der Ueberſchwemmung am meiſten ausgeſetzt
ſind, werden Fahrzeuge zur Rettung der Men-
ſchen in Bereitſchaft gehalten. — Dieſe An-
ſtalten, der zunehmende Anbau und die Erhoͤ-
hung der meiſten Gegenden, die Einfaſſungen
und Bollwerke der Newa, und die Vergroͤße-
rung des Waſſerſpiegels durch die Kanaͤle ma-
chen den Cinwohnern von Petersburg die weſt-
lichen Stuͤrme immer weniger fuͤrchterlich, ſo
[205] daß man bey einem Anwachs von fuͤnf Fuß
uͤber die Mittelhoͤhe wenig oder gar keine Be-
ſorgniß aͤußert.


Auch die Gefahr der Fenerverwuͤſtun-
gen
iſt nicht mehr ſo groß als ehedem, da die
Zahl der hoͤlzernen Haͤuſer ſich vermindert und
die Einrichtungen zur Loͤſchung und Rettung
beſſer und vollkommner ſind. Die Polizey be-
ſoldet zu dieſem Behuf zehn Brandmeiſter und
1622 Menſchen, die bloß zu dieſer Abſicht ge-
braucht werden. Man hoͤrt jezt uͤberhaupt
ſelten von Ungluͤcksfaͤllen dieſer Art; am haͤu-
figſten tragen ſie ſich noch in den entlegenen,
mit Holz bebauten Stadttheilen zu. Waͤhrend
der letzten ſechs Jahre iſt in den beſſern Ge-
genden nie mehr als Ein Haus niedergebrannt,
aber auch dieſe waren groͤßtentheils von Holz.
Bey einem der letztern Vorfaͤlle, dem ich ſelbſt
beywohnte, ward ein dicht daneben ſtehendes
kleines hoͤlzernes Haͤus ſo vollkommen gerettet,
daß es auch nicht die mindeſte Beſchaͤdigung
erlitt. — Mit der kaiſerlichen Leihbank iſt
eine Aſſekuranzanſtalt fuͤr Feuerſchaͤden verbun-
den, in welcher man von drey Vierteln des
[206] taxirten Werths der Haͤuſer und Fabriken jaͤhr-
lich anderthalb vom Hundert bezahlt.


Das ſchnelle Fahren auf den Gaſſen
iſt zwar verboten, allein wegen unzaͤhliger
Schwierigkeiten iſt es nicht gut moͤglich, dem-
ſelben voͤllig Einhalt zu thun; auch iſt es, aus
folgenden Urſachen, nirgend weniger gefaͤhrlich
als hier. Alle Straßen in Petersburg haben
durchgehends eine betraͤchtliche Breite; ihre
gerade Richtung ſetzt die Kutſcher in den Stand,
jedes Hinderniß in großer Entfernung zu ſehen;
in vielen Gaſſen ſichern die bequemen Trot-
toirs die Fußgaͤnger fuͤr jede Gefahr. Ueber-
dem ſind die Ruſſen uͤberaus gute Kutſcher,
und da ſie fuͤr jedes durch ihre Schuld verur-
ſachte Ungluͤck verantwortlich werden, ſo rufen
ſie den Fußgaͤngern nicht nur in der Entfer-
nung zu, ſondern beugen ihnen ſogar im Noth-
fall aus. Die Art dieſes Zurufs iſt faſt jedes-
mal bezeichnend, z. B. „Alter! Muͤtterchen!
Soldat! Fiſchtraͤger!“ Nicht nur hier, ſon-
dern in ganz Rußland iſt die Sitte allgemein,
im Fahren beſtaͤndig die rechte Hand zu hal-
ten, daher das unaufhoͤrliche Geſchrey auf den
Gaſſen: „na prawa!“ d. i. rechts. Wer ge-
[207] gen dieſe Sitte fehlt, iſt in Gefahr, auf der
Stelle uͤbel behandelt, oder wenigſtens tuͤchtig
ausgeſchimpft zu werden.


Bey allen Gelegenheiten, wo viele Men-
ſchen oder Equipagen ſich verſammeln, ſind
Polizeybeamte gegenwaͤrtig, die mit Huͤlfe rei-
tender Soldaten oder Kaſacken eine ſolche Ord-
nung erhalten, daß man ſelten oder niemals
von Ungluͤcksfaͤllen und Beſchaͤdigungen hoͤrt.
Bey den Schauſpielhaͤuſern, bey Hofe, bey
den Klubben, vorzuͤglich aber bey Hofsbeluſti-
gungen und bey den Promenaden, die das
Publikum an gewiſſen Tagen nach den nahe-
gelegenen Vergnuͤgungsoͤrtern macht, finden ſich
oft mehrere tauſend Wagen und eine unzaͤhlige
Menge Fußgaͤnger ein, wobey die erſtern in
ihrer vorgeſchriebenen, genau bewachten Ord-
nung fortfahren, und die letztern ohne die
mindeſte Gefahr, ſelbſt fuͤr den berauſchten
Poͤbel gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnen. Man muͤßte
wirklich aͤußerſt partheyiſch ſeyn, wenn man
dieſe, von jedem Fremden bewunderte Vorſicht
und Wachſamkeit nicht anerkennen wollte. Bey
jedem Gaſtmal in der Stadt, bey jeder Ge-
legenheit, wo die Zahl der Equipagen einiger-
[208] maͤßen anwaͤchſt, finden ſich ſogleich Polizey-
bediente ein, um Ordnung zu halten und Un-
gluͤck zu verhuͤten. Auf den Bruͤcken uͤber die
Newa ſind ſtets einige derſelben gegenwaͤrtig,
weil hier das Gedraͤnge vorzuͤglich groß iſt.
Eben dieſe Sorgfalt wird auch bey gefaͤhrlichen
Geruͤſten, beym Bauen und bey Volksvergnuͤ-
gungen angewendet. Die Eisberge, die Schau-
keln und andere Nationalſpiele wuͤrden gewiß
jedesmal das Leben mehrerer Menſchen koſten,
wenn dieſe guten Anſtalten nicht waͤren, durch
welche dennoch nicht allemal Ungluͤck verhuͤtet
werden kann, daher die Regierung ſie auch
allmaͤlig einzuſchraͤnken und abzuſchaffen ſucht.
Da das Zufrieren und Aufgehen der Newa
der oͤffentlichen Sicherheit gefaͤhrlich werden
kann, ſo ſind auch hier die noͤthigen War-
nungsanſtalten nicht vergeſſen. Die Auf- und
Abfahrten werden, ſobald das Eis locker wird,
abgebrochen, und das Publikum durch an den
Ufern angeſchlagene Zettel gewarnt. Ueberdem
ſind um dieſe Zeit beſtaͤndig Polizeyſoldaten
gegenwaͤrtig, welche den tollkuͤhnen, oft um
eine Kleinigkeit ſein Leben wagenden Poͤbel zu-
ruͤckhalten muͤſſen. Ich war einsmals Zeuge,
wie
[209] wie ein ſolcher Menſch mit der aͤußerſten Ge-
fahr uͤber das lockere, ſchwarzgraue, zum Theil
ſchon losgebrochene Eis gieng, indem er ein
bey ſich habendes Brett uͤber ſeinen Weg legte,
und wenn er bis zum Ende deſſelben gekom-
men war, behutſam auf das Eis trat, und ſich
alsdann aufs neue ein Stuͤckchen ſichern Weges
bahnte. Auf dieſe Weiſe war er bis nahe an
das gegenuͤber ſtehende Ufer gelangt, als er
auf demſelben einen Polizeybeamten anſichtig
ward, der ihn mit ſeinem Stock zu bewillkom-
men drohte. Die Furcht fuͤr dieſe kleine Zuͤch-
tigung uͤberwog die Furcht fuͤr ſein Leben; er
vergaß ſeine ebengebrauchte Vorſicht, ſein Brett
und ſeine Gefahr; eilte ſo ſchnell er konnte,
zuruͤck, und kam gluͤcklich am andern Ufer an.


Die Austheilung der Arzney in den Apo-
theken, und die Verſendung derſelben durch
unvorſichtige oder boshafte Bediente kann ſo
leicht zu den ſchrecklichſten Ungluͤcksfaͤllen oder
Verbrechen Anlaß geben, daß man hier des-
wegen beſondere Vorſichtsanſtalten eingefuͤhrt
hat. Jedes Rezept muß nicht nur mit dem
Namen des Arztes, ſondern auch des Kranken
fuͤr welchen es verſchrieben wird, und mit der
Erſter Theil. O
[210] Angabe des Tages verſehen ſeyn. Der Medi-
zin wird eine Etikette beygefuͤgt, auf welcher,
außer dieſen Angaben, auch der Preis und der
Name des Apothekers und der Apotheke ange-
zeigt ſind. Die beſte Einrichtung aber iſt dieſe,
daß jede, auch die gleichguͤltigſte Arzney ver-
ſiegelt ſeyn muß. — Alle Aerzte, Wundaͤrzte
und Hebammen, die im ruſſiſchen Reich ihre
Wiſſenſchaft oder Kunſt ausuͤben wollen, ſind
der Pruͤfung des mediziniſchen Kollegiums un-
terworfen, welches ihnen, auf vorhergegangene
Unterſuchung, dieſe Erlaubniß ertheilt, und
alsdann durch die Zeitungen bekannt machen
laͤßt.


Die Anſtalten und Geſetze zur Verhuͤ-
tung gefaͤhrlicher und anſteckender Krankheiten,
die Aufſicht uͤber verdorbene Lebensmittel und
eine Menge Anordnungen dieſer Art, treffen
mit denen in andern Laͤndern ſo ſehr zuſam-
men, daß ich fuͤrchten muͤßte, bekannte oder
alltaͤgliche Dinge zu ſagen, wenn ich den gan-
zen Vorrath von Nachrichten und Bemerkun-
gen erſchoͤpfen wollte, der mir uͤber dieſe Ge-
genſtaͤnde zur Hand liegt. — Ich beſchließe
daher dieſe Rubrik mit der Anzeige einer der
[211] wichtigſten und intereſſanteſten, zur allgemeinen
Polizeyverfaſſung gehoͤrigen Einrichtungen.


Meine Leſer werden ſich erinnern, daß die
Bekanntmachung und Vollſtreckung der obrig-
keitlichen Befehle, nach der oben mitgetheilten
Inſtruktion, eine der weſentlichſten Pflichten
des Polizeyamts iſt. Die Ausuͤbung derſelben
hat durch die jetztregierende Kaiſerinn folgende
merkwuͤrdige Form bekommen *). Wenn ein
von der Alleinherrſchenden Macht ausgegebe-
nes und von Kaiſerlicher Majeſtaͤt eigenhaͤndig
unterſchriebenes Geſetz, oder eine von den dazu
befugten Stellen gegebene Verordnung dem
Polizeyamt zugeſandt wird, ſo ſoll dieſes in
beſonders dazu beſtimmte Buͤcher einzeichnen,
wann, woher und wie es dieſes Geſetz erhal-
ten habe. Iſt es zur Bekanntmachung zuge-
ſandt, ſo ſoll man den Kronsanwald des Po-
lizeyamts rufen und ſeine Rechtsmeynung ver-
langen; zeigt ſich alsdann irgend ein Zweifel,
ſo ſoll man deshalb gehoͤrigen Orts Vorſtel-
lung thun; findet ſich aber kein Zweifel, ſo
O 2
[212] wird ein Schluß wegen der Publikation ge-
macht, das Geſetz erſt in der Verſammlung
der Glieder des Polizeyamts, dann bey offnen
Thuͤren den Vorſtehern der Stadttheile und
den Quartieraufſehern vorgeleſen, und hierauf
die Bekanntmachung verrichtet. — Die oben
beſchriebene Organiſation der Polizey macht die
groͤßte Schnelligkeit der Verbreitung moͤglich.
Alle Befehle und Verordnungen werden in
den verſchiedenen Quartieren an den Wacht-
haͤuſern angeſchlagen.


Die in dieſem Abſchnitt angefuͤhrten That-
ſachen werden wahrſcheinlich hinreichend ſeyn,
ein Bild von dem Zuſtande der hieſigen Poli-
zeyverfaſſung zu geben, und den Geiſt zu be-
zeichnen, der in den Stiftungen lebt, die ihr
Daſeyn Katharina der Zweyten zu danken ha-
ben. Wenn die Schilderung der Beduͤrfniſſe
einer großen und merkwuͤrdigen Stadt meinen
Leſern keine Langeweile gemacht hat, ſo darf
ich ihnen bey dem Gemaͤlde der Bequemlich-
keiten und des Luxus derſelben um ſo eher
einige Unterhaltung verſprechen.


[213]

Sechster Abſchnitt.
Oeffentliche Bequemlichkeit.


Pflaſter. Unterirdiſche Reinigungskanäle. Trottoirs. Er-
leuchtung. Straßenöfen. Droſchken und Schlitten,
ſtatt der Fiakres. Waſſerkommunikationen. Diligen-
cen für die umliegende Gegend. — Bequemlichkeiten
für Fremde. Mängel der Gaſthöfe, durch die Gaſt-
freyheit aufgewogen. Bedürfniſſe und Koſten eines
beſtimmten Aufenthalts für Fremde. Möblirte Zim-
mer. — Garküchen. Trakteurs. Chartſchewni.
Speiſetiſche auf den Gaſſen für den Pöbel. —
Märkte für Bedürfniß und Luxus. Goſtinnoi Dwor.
Engliſche, franzöſiſche und andre Magazine. Markt
in der Jämskoi für fertige Equipagen. Markt in
Newski für gemeine Bedürfniſſe. Kramläden, Law-
ken. — Privateinrichtungen für die öffentliche Be-
quemlichkeit. Podrjätſchiki, Unternehmer. Artels,
geſchloſſene Geſellſchaften von Arbeitern. Dworniki,
Thorhüter.


Fuͤr die Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen Be-
quemlichkeit iſt nach Verhaͤltniß aller Lokalum-
ſtaͤnde ſo gut geſorgt, daß St. Petersburg in
O 3
[214] dieſer Ruͤckſicht bey der Vergleichung mit den
mehreſten großen Staͤdten in Europa eher ge-
winnen als verlieren wird. Das Studium
der Polizey, und dieſer Rubrik insbeſondere,
iſt noch ſo neu, und die Ausfuͤhrung ihrer
Grundſaͤtze ſo abhaͤngig von der Erfahrung
und von dem lokalen und individuellen Zuſtan-
de eines Orts, daß uͤberhaupt noch ſehr wenig
Großes und nichts durchaus Vollkommnes in
dieſer Gattung menſchlicher Beſtrebungen ge-
leiſtet iſt. Der raiſonnirende Beobachter, der
den ganzen Umfang dieſes Gegenſtandes kennt,
und die Ausfuͤhrung deſſelben nicht nur nach
der Groͤße des Ideals, ſondern auch nach den
Schwierigkeiten mißt, die der Wirklichkeit im
Wege ſtehen, wird im Ganzen und Einzelnen
mehr Vollendetes finden, als er nach dieſem
Maaßſtabe zu erwarten berechtiget war.


Das Pflaſter der Reſidenz iſt, aus
mehreren Urſachen, nicht ſo gut, als es fuͤr
den Glanz einer praͤchtigen Kaiſerſtadt und fuͤr
die Bequemlichkeit des Publikums zu wuͤnſchen
waͤre. Wenn es uͤberall in den Plan dieſes
Werks paßte, nicht nur das wie? ſondern auch
das warum? jedes einzelnen Dinges zu unter-
[215] ſuchen, ſo wuͤrde ich den weichen moraſtigen
Boden als eine Haupturſache dieſes Uebelſtan-
des anfuͤhren. Das unaufhoͤrliche und ſchnelle
Fahren in den beſſern Gegenden, und die Nach-
laͤſſigkeit der Pflaſterer ſind freylich auch Schuld;
aber dem erſtern Umſtande iſt auf keine ſchick-
liche Weiſe abzuhelfen, und der Nachtheil des
letztern faͤllt auf die Hauseigenthuͤmer zuruͤck,
weil ſie gezwungen ſind, ihr ſchlechtes Pflaſter
deſto oͤfter verbeſſern zu laſſen. Die Methode
des hieſigen Pflaſterns iſt dieſe. Man legt
gewoͤhnlich die groͤßern Steine in die Form
eines Vierecks, fuͤllt dieſes mit kleinern Stei-
nen aus und ſtampft ſie nur leicht in den Bo-
den. In die Zwiſchenraͤume ſtopft man Zie-
gelſcherben, und das Ganze wird ſo ſtark mit
Gries uͤberſchuͤttet, daß es eher einer Chauſſee,
als einem Gaſſenpflaſter aͤhnlich ſieht. So
lange es neu iſt, faͤhrt ſichs ſehr ſanft darauf;
aber der Regen und das unaufhoͤrliche Rollen
der Wagen und Karren verdirbt es ſehr bald.
Der viele Sand macht die Gaſſen im Fruͤh-
jahr und Herbſt ſo kothig, daß es Fußgaͤngern
ſchlechterdings unmoͤglich iſt, gut gekleidet zu
gehn, und verurſacht im Sommer einen un-
O 4
[216] ausſtehlichen, und wegen der Ziegelſcherben,
der Geſundheit nachtheiligen Staub. Selten
werden die Gaſſen gereinigt; denn nur im
Fruͤhjahr, wenn der Schnee ſchmilzt, laͤßt man
den Koth in große Haufen zuſammenkehren,
die aber, wie ich bemerkt habe, nicht allemal
weggefuͤhrt werden, und den Staub bey trock-
ner Witterung vermehren helfen. — Eine Aus-
nahme von dieſer Schilderung machen die oͤf-
fentlichen Plaͤtze, die zum Theil vortrefflich
gepflaſtert ſind.


Unter der jetzigen Regierung hat man
eine große und koſtbare Unternehmung ange-
fangen, um die Reinigung der Straßen zu
erleichtern. In den beſten Gegenden der Stadt
ſind die Gaſſen mit gemauerten Kanaͤ-
len
verſehen, die etwa zwey Fuß unter dem
Pflaſter mit einer ſanften Neigung in die Ne-
wa fuͤhren. Der Koth fließt durch Oefnungen
ab, die mit eiſernen Roſten belegt ſind. We-
gen des ſanften Abhangs der Kanaͤle bleibt
der Schlamm in denſelben zuruͤck, daher ſie
ein Jahr um das andere gereinigt werden
muͤſſen. Im Newaufer ſind Gitter angebracht,
die den groͤbern Unrath zuruͤckhalten. Dieſe
[217] gemeinnuͤtzige Anſtalt leiſtet auch bey Ueber-
ſchwemmungen Nutzen, da das Waſſer ſchnel-
ler ablaufen kann.


Es giebt viele Gaſſen, in denen Trot-
toirs
vorhanden ſind; aber nur ſehr wenige
erreichen ihre Beſtimmung, den Fußgaͤngern
einen trocknen und gefahrloſen Weg zu ſichern.
Faſt jedes Haus hat einen Thorweg (porte
cochere
) wodurch das Trottoir unterbrochen
wird, und Kellerbuden (Lawken) die gewoͤhnlich
mit Treppen verſehen ſind. In der Newski-
ſchen Perſpektivgaſſe iſt dieſe Unbequemlichkeit
dadurch vermieden, daß die Trottoirs zu bey-
den Seiten in einiger Entfernung von den Haͤu-
ſern angebracht ſind, welches hier wegen der
außerordentlichen Breite der Gaſſe moͤglich
war; aber der Fußweg iſt nur ſo wenig uͤber
dem Pflaſter erhoͤht, daß er bey kothigem
Wetter keinen Vortheil gewaͤhrt. So wenig
indeſſen dieſe Anſtalten ihrer Beſtimmung ent-
ſprechen, ſo ganz vorzuͤglich erfuͤllen ſie die
Trottoirs an der Newa und den Kanaͤlen,
deren Beſchreibung im erſten Abſchnitt vorge-
kommen iſt. — Trotz aller dieſer Vortheile
haben es die Fußgaͤnger doch immer ſehr uͤbel;
O 5
[218] ein Nachtheil, der, London ausgenommen, allen
großen Staͤdten eigen iſt.


Die Erleuchtung der Gaſſen iſt in den
beſſern Gegenden gut, in den entferntern Stadt-
theilen aber nur mittelmaͤßig. Dies beweiſ’t
ſchon die geringe Anzahl der Laternen, deren
uͤberall nur 3500 ſind. Sie haben eine kugel-
runde Form und werden von hoͤlzernen Saͤu-
len getragen. Die Erleuchtung koſtet der Stadt-
kaſſe jaͤhrlich 17,000 Rubel.


Eine ganz beſondere und hoͤchſt eigenthuͤm-
liche Einrichtung in dieſer Reſidenz ſind die
Straßenoͤfen, die hier nicht nur wegen
dieſer Eigenthuͤmlichkeit, ſondern auch wegen
ihres menſchenfreundlichen, auf das Beduͤrfniß
der aͤrmſten und niedrigſten Volksklaſſe berech-
neten Zwecks, eine kurze Schilderung verdie-
nen. Ein ſolcher Ofen beſteht eigentlich aus
einem mit Granitgelaͤndern umgebenen Platz,
der zuweilen mit Baͤnken, jederzeit aber mit
einem auf eiſernen Stangen ruhendem Dach
verſehen iſt, und in deſſen Mitte ein großes
Feuer angezuͤndet wird, an welchem ſich zwan-
zig bis dreyßig Menſchen bequem waͤrmen koͤn-
nen. Auf allen großen Plaͤtzen, wo ſich viele
[219] Equipagen verſammeln und die Kutſcher und
Bedienten mehrere Stunden hindurch der Kaͤlte
ausgeſetzt ſind, hat man ſolche Feuerbehaͤlter
angebracht. Da ſie ſaͤmmtlich aus Granit er-
baut ſind und eiſerne bemalte Daͤcher haben,
ſo dienen ſie auch zur Verſchoͤnerung der Plaͤtze
auf welchen ſie ſtehen.


In allen großen Staͤdten von Europa
giebt es Fiakres oder Lehnkutſchen, die be-
ſtaͤndig auf den Straßen halten und fuͤr ein-
zelne Wege gemiethet werden koͤnnen. Hier,
wo die Weitlaͤuftigkeit der Stadt, das Klima
und das Pflaſter eine ſolche Einrichtung dop-
pelt nothwendig machen, fehlt ſie bis izt. Statt
bedeckter zwey- oder vierſitziger Wagen halten
Iswoſchtſchiki (die allgemeine Benennung
fuͤr Fuhrleute, Kutſcher, Fiakres, Poſtillions,
Kaͤrrner) auf den Straßen, die im Sommer
mit Droſchken, und im Winter mit Schlitten
fahren. Die Droſchka beſteht aus einer ge-
polſterten Bank auf vier Raͤdern, und hat,
nach den Launen eines jeden, ſehr mannigfal-
tige Formen. So ſieht man z. B. einige mit
Lehnen, die entweder nur auf einer Seite oder
auf beyden dergeſtalt angebracht ſind, daß Eine
[220] der darauf ſitzenden Perſonen rechts und die
Andere links ſieht; mehrere haben Fußtritte
und Kothfluͤgel; noch andere ſind mit einem
Himmel bedeckt, u. ſ. w. Die oͤffentlichen, zum
Dienſt des Publikums beſtimmten Droſchken
haben die oben beſchriebene einfachſte Form;
ſind aber großentheils ſehr ſauber und leicht
gearbeitet und uͤberaus bunt bemalt. Auf einer
ſolchen koͤnnen hoͤchſtens zwey Perſonen, außer
dem Iswoſchtſchik, ziemlich unbequem ſitzen.
Ihr groͤßter Vortheil iſt die außerordentliche
Leichtigkeit des Fuhrwerks, aber dieſer wiegt
die Maͤngel und Unbequemlichkeiten nicht auf.
Da ſie keine Bedeckung und oft auch keine
Kothfluͤgel haben, ſo iſt man der Witterung
und dem Gaſſenkoth voͤllig preis gegeben. Der
Mangel einer Lehne, und die Erſchuͤtterung
die man im Fahren empfindet, und die den
Droſchken ihren Namen gegeben hat, kann
eine Spazierfahrt auf denſelben ſehr zutraͤglich
fuͤr die Geſundheit machen; aber fuͤr Leute,
die dies Fuhrwerk nicht als Kur benutzen wol-
len, iſt die Bewegung peinlich. Zu allen die-
ſen Unannehmlichkeiten geſellt ſich die haͤßliche
Nachbarſchaft des Iswoſchtſchiks, die, beſon-
[221] ders in Faſtenzeiten, der Naſe ſehr beſchwer-
lich wird. — Die Lehnſchlitten ſind nicht
viel bequemer; aber die Schnelligkeit mit wel-
cher man die weiteſten Wege zuruͤcklegen kann,
und der geringe Preis dieſes Fuhrwerks, ſind
uͤberwiegende Vorzuͤge. Um die Zeit der erſten
Schlittenbahn finden ſich eine große Menge
Bauern aus den umliegenden Gegenden ein,
die den Winter uͤber als Iswoſchtſchiks Geld
verdienen, und wegen der ſchlechtern Beſchaf-
fenheit ihrer Pferde und Schlitten unter dem
Zunamen Iwannuſchka (Johannchen) be-
kannt ſind. Die Anzahl aller Lehnſchlitten, die
in der Stadt auf den Gaſſen halten, ſoll uͤber
3,000 betragen. — In den beſuchtern Ge-
genden findet man ſchoͤne Rennſchlitten mit
ſtarken Laͤufern; es giebt unter dieſen welche
die vierzehn bis funfzehnhundert Rubel koſten.
Das ſchnelle Fahren gehoͤrt zu den vorzuͤglich-
ſten Winterbeluſtigungen der Ruſſen. Faſt taͤg-
lich ſieht man in den laͤngſten und breiteſten
Gaſſen Wettrennen von zwey bis ſechs und
mehreren Schlitten. Wer nicht Augenzeuge
geweſen iſt, kann ſich ſchwerlich einen Begriff
von der Schnelligkeit machen, mit welcher man
[222] hier uͤber den ſpiegelblanken, gefrornen Schnee
hingleitet. Auch die Geſchicklichkeit der Is-
woſchtſchiks ſetzt jeden Fremden in Erſtaunen.
In den lebhafteſten Gaſſen durchkreuzen ſich
eine ungeheure Menge Schlitten, faſt alle fah-
ren ſehr ſchnell, und doch geſchieht ſeiten ein
Ungluͤck. Jeder muß im Fahren die rechte
Seite halten, da die meiſten Gaſſen aber ſehr
breit ſind, ſo hindert dies niemand, ſo geſchwinde
zu fahren, als es ihm beliebt. Der Preis
dieſer Lehnſchlitten iſt ſehr verſchieden, da ſie
keiner Taxe unterworfen ſind; der naͤmliche
Weg, den man einem Iwannuſchka mit fuͤnf
Kopeken bezahlt, wuͤrde mit einem Rennſchlit-
ten anderthalb bis zwey Rubel koſten. Jeder
Iswoſchtſchik traͤgt ein Stuͤck Blech auf dem
Ruͤcken, worauf der Stadttheil in welchem er
ſteht und ſeine Nummer bezeichnet ſind.


Da die Bruͤcken uͤber die Newa und die
Kanaͤle fuͤr die Kommunikation der verſchiede-
denen Stadttheile nicht hinreichen, ſo hat man
an mehreren Orten Ueberfahrten errichtet, bey
welchen beſtaͤndig Schaluppen in Bereitſchaft
ſind, die einen einzelnen Menſchen fuͤr einen
bis zwey Kopeken aufnehmen. Im Herbſt und
[223] Fruͤhlinge, wenn die Schiffbruͤcken auseinander
genommen werden, wimmelt es auf der Rewa
von kleinern und groͤßern Fahrzeugen. Um
mit einigem Anſtande zu fahren, miethet man
eine Schaluppe fuͤr ſich oder ſeine Geſellſchaft;
wer aber darauf ausgeht, Beobachtungen zu
machen, und hin und wieder Zuͤge aus dem
Karakter der untern Volksklaſſen zu ſammeln,
kann zuweilen in der gemiſchten und zahlreichen
Geſellſchaft einer großen Schaluppe reichhalti-
gen Stoff dazu finden.


Die außerordentliche Weitlaͤuftigkeit der
Stadt macht alle dieſe Kommunikationen noth-
wendig. Da nicht leicht ein Ort in Europa
mehr große Plaͤtze, breitere Gaſſen und zahl-
reichere Luͤcken enthaͤlt, ſo iſt es natuͤrlich, daß
man hier zerſtreuter wohnt, als anderswo. Es
iſt etwas ſehr alltaͤgliches, daß man einen Freund
beſucht, deſſen Wohnung uͤber eine deutſche
Meile entfernt iſt; und es traͤgt ſich daher
auch nicht ſelten zu, daß man dieſe Reiſen auf
eine ſehr abwechſelnde Art zuruͤcklegt. So
geht man zuweilen eine Strecke zu Fuß, bis
man an den Fluß koͤmmt; hier kann man ſich
den Weg ſehr verkuͤrzen, wenn man eine Scha-
[224] luppe miethet, und den Reſt der Reiſe ſetzt man
ſich vielleicht auf eine Droſchka. Alle dieſe
Huͤlfsmittel ſind jedoch, wie ſichs von ſelbſt ver-
ſteht, nicht im bon Ton; Leute die zu dieſer
Klaſſe gehoͤren, halten Equipage, und ihnen
ſind daher alle hier genannten oͤffentlichen Be-
quemlichkeiten entbehrlich.


Um auf eine wohlfeile Art in die umliegen-
den Gegenden zu kommen, giebt es mehrere
Anſtalten. Nach Kronſtadt, Peterhof und
Zarskoje Selo gehen taͤglich Poſten und Dili-
gencen, wenn der Hof an den beyden letztern
Orten iſt. Man fuͤhlt hier uͤbrigens das Be-
duͤrfniß fahrender Poſten nicht ſehr, da das
Poſtgeld ſehr geringe iſt (jedes Pferd koſtet auf
die Werſt zwey Kopeken) und da man faſt nicht
anders als auf Vorſpannpaͤße, oder mit Extra-
poſt, reiſ[ſ]t.


Die Lage von St. Petersburg, in einem
der noͤrdlichſten Theile von Europa, iſt die na-
tuͤrliche Urſache, daß ſich hier nicht ein ſolcher
Zuſammenfluß von Reiſenden findet, als in den
großen Staͤdten in Deutſchland, Frankreich und
andern Laͤndern. Durchreiſende ſieht man faſt
gar nicht; wer hierher koͤmmt, hat hier faſt
immer
[225] immer den Beſtimmungsort ſeiner Reiſe. Fuͤr
die bloße Befriedigung der Wißbegierde liegt
Petersburg mit allen ſeinen Merkwuͤrdigkeiten
zu weit von dem Mittelpunkt des kultivirten
Europa. Die mehreſten Reiſenden haben die
Abſicht, dieſe Reſidenz zu ihrem Aufenthalt
zu waͤhlen, und halten ſich daher nur kurze
Zeit in Gaſthoͤfen auf. Eigentliche Fremde
wenden ſich an ihre Adreſſen oder Bekannt-
ſchaften, und miethen ſich auch oft in Buͤr-
gerhaͤuſer ein. Hierinn liegt der Grund, wes-
wegen die hieſigen Gaſthoͤfe in Einrichtung,
Bequemlichkeit und Vollkommeit noch ſo weit
hinter denen in andern Laͤndern zuruͤckſtehen.


In den beſſern [Stadttheilen] giebt es zwar
einige große Hotels, in welchen man geraͤu-
mige moͤblirte Zimmer, eine Table d’ Hote
und andere Bequemlichkeiten, z. B. Mieth-
equipage, Lohnlakeyen, und dergleichen, fin-
det; aber ſie halten dennoch keinen Vergleich
mit den Gaſthoͤfen der zweyten Klaſſe in Pa-
ris, Berlin, und Frankfurt aus. Die Zim-
mer und Moͤbels ſind hoͤchſtens mittelmaͤßig;
der Tiſch einfach, und an der Table d’ Hote
oft nicht zureichend; Aufwaͤrter fuͤr die Bedie-
Erſter Theil. P
[226] nung der Fremden findet man nirgend; Jeder-
mann ſieht ſich gezwungen, ſogleich einen Lohn-
lakay zu miethen, weil er ohne dieſen kein
Glas Waſſer erhalten wuͤrde, und ſeine Schu-
he ſelbſt putzen muͤßte.


Um billig zu ſeyn, muß man, außer den
angefuͤhrten Urſachen, noch zur Entſchuldi-
gung der ſchlechten Tafel bemerken, daß hier
die Gaſthoͤfe nicht, wie in Deutſchland und
Frankreich, von den Eingebornen zugleich als
Speiſehaͤuſer benutzt werden. Faſt jeder Pe-
tersburger der keine eigne Kuͤche haͤlt, iſt
Mitglied von einer oder mehreren Klubben,
wo er fuͤr ſehr maͤßige Bezahlung einen aus-
geſuchten Tiſch findet und in einem ſelbſtge-
waͤhlten Zirkel ſpeiſt. Auch Fremde eſſen ſel-
ten im Gaſthofe; ihre Adreſſen oder Geſchaͤfte
oder auch der Zufall verſchaffen ihnen bald Be-
kanntſchaften, bey denen ſie, nach dem Ton
und den Regeln der hieſigen Gaſtfreyheit, zu
Mittage und zu Abend eingeladen werden, und
einige Tage nach ihrer Ankunft ſind ſie der
Sorge fuͤr dieſes Beduͤrfniß uͤberhoben. Um
dieſe gefaͤllige und in Petersburg einheimiſche
Tugend mit Anſtand benutzen zu koͤnnen, iſt
[227] die Equipage faſt unentbehrlich; wenigſtens
wuͤrde der Fremde, wenn er, beſonders bey
kothigem Wetter, zu Fuß kaͤme, ſich dem
Vorwurf der Knauſerey, oder des Mangels
an Welt, oder — der Armuth ausſetzen muͤſ-
ſen. Daß das letzte beynah noch ſchimpflicher
iſt, als das erſte, brauche ich meinen Leſern
aus der feinen und großen Welt wol nicht erſt
zu ſagen.


Die Fremden haben alſo die Wahl, ent-
weder in ihrem Gaſthofe einſam, oder in un-
bekannter, gemiſchter Geſellſchaft, und ſchlecht
zu ſpeiſen; oder in vertraulichen, angenehmen
und glaͤnzenden Zirkeln an dem Wohlleben der
ſogenannten guten Haͤuſer Theil zu nehmen.
Doch die Equipage iſt nicht das einzige Erfor-
derniß, hier zugelaſſen und — gerne geſehen
zu werden. Iſt es dem Fremden auch um das
letztere zu thun, ſo muß er ſpielen, und
nicht erſchrecken, wenn ihm ein Spielchen
angeboten wird, wie er es in Deutſchland
ſeinen Herzog ſpielen ſah. Das Gluͤck kann
er freylich fuͤr und wider ſich haben, aber
den Vortheil hat er wahrſcheinlich wider
P 2
[228] ſich: denn alle Fremde geſtehen ein, daß man
hier uͤberaus gut ſpiele.


Um alles zuſammenzunehmen was zu die-
ſer Rubrik gehoͤrt, wollen wir nach obigen
Angaben berechnen, wie hoch ſich die Koſten
eines monatlichen Aufenthalts fuͤr
einen Fremden
belaufen, der mit einigem
Anſtande in Geſellſchaften erſcheinen, und die
Gegenſtaͤnde der Wißbegierde nicht unbenutzt
laſſen will, die ſich ihm, innerhalb der Re-
ſidenz, darbieten.


  • Ein Zimmer in den beſten Gaſthoͤfen
    des Admiralitaͤtstheils, etwa _ _ 10 R.
  • Der Lohnlakey, etwa _ _ 18 —
  • Wagen und zwey Pferde, nebſt Trink-
    geldern _ _ 75 —
  • Friſeur, Puder und Pomade _ _ 5 —
  • Barbier _ _ 1 —
  • Kaffe, nebſt Semmel oder dergl. zum
    Fruͤhſtuͤck _ _ 8 —
  • Eine Mittagsmahlzeit (mit dem
    Schaͤlchen, einer halben Bouteille
    Wein oder Porter und einer Taſſe
  • 117 R.

[229]
  • 117 R.
  • Kaffee) koſtet im Demuthſchen
    Gaſthofe 1 R. Angenommen daß
    der Fremde einmal die Woche zu
    Hauſe ſpeiſt, und ein paar Fruͤh-
    ſtuͤcke und Abendeſſen dazu gerechnet _ _ 8 —
  • Trinkgelder, wenn man die Sehens-
    wuͤrdigkeiten beſucht _ _ 15 —
  • Theater. Ein Platz auf dem Par-
    terre koſtet 1 R. Etwa _ _ 4 —
  • Unbeſtimmbare Ausgaben, Ankauf ein-
    zelner unbetraͤchtlicher Kleidungs-
    ſtuͤcke, Parthieen denen nicht aus-
    zuweichen iſt, Verluſt im Spiel _ _ 50 —
  • 194 R.

Man glaube ja nicht, daß dieſer Anſchlag
uͤbertrieben iſt; im Gegentheil iſt alles auf die
maͤßigſte Summe und die groͤßte Erſparniß
berechnet, wie man aus folgenden Anmerkun-
gen uͤber dieſe Liſte ſehen kann. — Wenn
man nur Ein Zimmer miethet, muß man ſich
die Geſellſchaft des Bedienten gefallen laſſen,
oder ſich der Unbequemlichkeit ausſetzen, ihn
uͤber den Hof in dem allgemeinen Bedienten-
P 3
[230] zimmer zu ſuchen, wenn man ſeiner bedarf.
Der angegebene Preis iſt nur in einigen deut-
ſchen Gaſthoͤfen gebraͤuchlich; in den franzoͤſi-
ſchen iſt er hoͤher. — Der Lohnlakay erhaͤlt
taͤglich einen Rubel; monatlich bedungen iſt
er etwas wohlfeiler. — Der Preis der Equi-
page iſt nach den Jahrszeiten und andern Um-
ſtaͤnden verſchieden, und ſteigt zuweilen auf
80 bis 85 Rubel. Dieſer Artikel iſt dem Frem-
den, auch außer den angefuͤhrten Urſachen,
unentbehrlich, weil er bey der großen Weit-
laͤuftigkeit der Stadt und der Veraͤnderlichkeit
der Witterung weder ſeine Bekanntſchaften be-
nutzen noch die Abſicht ſeines Reiſeplans ver-
folgen koͤnnte, dieſer letztere mag nun buͤrger-
liche Geſchaͤfte oder bloße Befriedigung der
Wißbegierde zum Gegenſtande haben. — Der
ganze Anſchlag iſt auf die berechneteſte Spar-
ſamkeit eingerichtet, und noch fehlt eine große
Rubrik, die wol ſchwerlich ein Fremder von
einiger Kultur ganz außer ſeinem Geſichtskreiſe
laſſen duͤrfte: der Beſuch der umliegenden Ge-
genden und der kaiſerlichen Luſtſchloͤſſer. Wer
ſich zu dieſen kleinen Reiſen ſeiner einmal ge-
mietheten Equipage bedienen will, muß fuͤr
[231] die Zeit ſeiner Abweſenheit einen neuen Kon-
trakt mit dem Iswoſchtſchik machen und ein
oder zwey Pferde mehr miethen; die Koſten
der Zehrung, der Trinkgelder, u. ſ. w. laſſen
ſich nie genau beſtimmen und haͤngen von Um-
ſtaͤnden ab. Je groͤßer die Geſellſchaft fuͤr
eine ſolche Tour iſt, deſto maͤßiger wird der
Beytrag eines Jeden.


Die moͤblirten Zimmer oder ſogenann-
ten chambres garnies, die man faſt in allen
großen Staͤdten findet, ſind eine vortrefliche
Einrichtung fuͤr Fremde, die die Zeit ihres
Aufenthalts nicht beſtimmen koͤnnen und die
Ausgaben im Gaſthofe zu vermeiden ſuchen.
Noch vor wenigen Jahren fehlte es gaͤnzlich an
dieſer oͤffentlichen Bequemlichkeit. Jeder Frem-
de der fuͤr ſich Zimmer in einem Privathauſe
miethete, ſah ſich auch gezwungen, ſie auf
ſeine Koſten zu moͤbliren. Seit kurzem aber
ſind einzelne Haͤuſer zu dieſem Behuf einge-
richtet, wie z. B. das Haus der Generalinn
von Borosdin, (newsk. Perſpekt. gegen-
uͤber der Buden) in welchem man ſehr nied-
lich moͤblirte Zimmer, und bey einem daſelbſt
P 4
[232] wohnenden Kaffeſchenken, auch die gewoͤhnli-
chen Getraͤnke erhalten kann.


Die Garkuͤchen, deren es eine ſehr
große Menge in und außerhalb der Reſidenz
giebt, ſind von zweyerley Art. Die beſſern
und anſtaͤndigern, die faſt darchgehends von
Deutſchen oder doch von Auslaͤndern gehalten
werden, heißen Trakteurs. In dieſen Haͤu-
ſern kann man, oft um einen ziemlich billigen
Preis, ſpeiſen, oder auch einzelne Portionen
nebſt Getraͤnke abholen laſſen. Die Geſellſchaft
und der Ton in denſelben iſt aber ſo gemiſcht,
daß ſie faſt gar nicht von Leuten aus den fei-
nern Klaſſen beſucht werden, die ſich lieber
auf den Klubbs oder in den großen Gaſthoͤfen
verſammeln, wo der hoͤhere Preis Gaͤſte ſol-
cher Art verſcheucht. Faſt in allen Trakteurs
ſind auch Billiards zu finden. — Die zwey-
te Gattung von Speiſehaͤuſern ſind die Chart-
ſchewni
oder rusiſche Garkuͤchen, in welchen
den ganzen Tag uͤber fuͤr den gemeinen Mann
der Tiſch gedeckt iſt. Hier findet man alle
rußiſche Nationalgerichte und Faſtenſpeiſen, oft
ſchmackhaft genug zubereitet, in ſolchen Por-
tionen zum Verkauf, daß auch der Aermſte,
[233] nach dem Verhaͤltniß ſeiner Baarſchaft, etwas
erhalten kann.


Doch, der gemeine Ruſſe darf nicht erſt
eine Chartſchewna aufſuchen, um ſatt zu wer-
den. Ueberall, in jeder Gegend der Stadt
und zu jeder Jahrszeit kann er ſeine Mahlzeit
unter freyem Himmel halten. An den Ecken
der Straßen ſind Tiſche und Huͤtten aufgeſchla-
gen, in welchen Quas und Sbiten’ verkauft
wird. Neben denſelben ſitzen gewoͤhnlich Wei-
ber, die mit Brod, Kalatſch, u. dergl. han-
deln. Die Piroghi werden von Kerlen umher-
getragen, die uͤberall wo ſie Kaͤufer finden,
einen bey ſich habenden Feldtiſch aufſchlagen
und ihre Waare ausbieten. — Dieſe Ein-
richtung iſt ſehr nothwendig, da man wegen
der weiten Entfernungen, ſeinen Wagen und
Bedienten gewoͤhnlich bey ſich behaͤlt, wenn
man irgend wohin faͤhrt.


Das ungeheure Beduͤrfniß einer ſo volk-
reichen und luxurioͤſen Stadt, fordert unge-
heure Vorraͤthe. Daher die große Menge von
Magazinen, Buden und Waarenlagern aller
Art, die ſich hauptſaͤchlich in den Mittelpunkt
der Reſidenz zuſammendraͤngen. Nach der ruſ-
P 5
[234] ſiſchen Sitte werden die Kramlaͤden alle in Ei-
nem großen Gebaͤude neben einander angelegt;
ein ſolcher Handelshof, deren es in allen ruſ-
ſiſchen Staͤdten giebt, heißt Goſtinnoi
Dwor
. Dieſer Gebrauch, den die neuere
Polizey auch in andern Laͤndern einzufuͤhren
ſucht, gewaͤhrt den Vortheil, daß die Kaͤufer
nicht nur ſogleich wiſſen wo ſie die Gegenſtaͤn-
de ihrer Beduͤrfniſſe zu ſuchen haben, ſondern
dieſe auch in der groͤßten Mannigfaltigkeit vor-
finden, und durch die Konkurrenz und den
Wetteifer der Kaufleute, auch gewoͤhnlich wohl-
feiler einkaufen. — Einer der groͤßten Han-
delshoͤfe dieſer Art iſt der in der newskiſchen
Perſpektive, durch ſeine treffliche Lage und
den Reichthum ſeines Vorraths der beſuchteſte
und merkwuͤrdigſte. Die Laͤnge des ganzen Ge-
baͤudes betraͤgt hundert und funfzig Klafter;
in der großen Perſpektive iſt es hundert und
an der entgegengeſetzten Seite funfzig Klafter
breit. Es hat die Geſtalt eines unregelmaͤßigen
Vierecks und iſt von allen Seiten mit breiten
Gaſſen umgeben. Die Buden, deren Anzahl
ſich auf dreyhundert und vierzig belaͤuft, ſind
in zwey uͤbereinander ſtehenden Reihen ange-
[]

[figure]

[][235] bracht, und vor denſelben laufen Arkaden hin,
unter welchen man bey jeder Witterung trocken
und angenehm gehen kann. Alle Kramlaͤden,
in denen einerley Waare verkauft wird, ſind
nebeneinander. Der große Umfang und das
Gewuͤhl von Menſchen und Wagen giebt die-
ſem Handelshofe das Anſehen einer kleinen
Stadt. Aus dem ganzen Gebiet der Noth-
durft und der Bequemlichkeit, zum Theil auch
des Luxus, wird man hier nicht leicht verge-
bens nach einem Artikel fragen. Ohne durch
eine genaue Herzaͤhlung aller Gegenſtaͤnde die
hier fuͤr Geld zu haben ſind, meinen Leſern
Langeweile zu verurſachen, wollen wir die vor-
zuͤglichſten und auffallendſten derſelben nur mit
einem fluͤchtigen Blicke muſtern. — Die Laͤ-
den fuͤr die Kleidung und den Putz beyder Ge-
ſchlechter nehmen den erſten Rang ein. Auf
dieſe folgen die Moͤbelbuden, in welchen man
alle die mannigfaltigen Artikel dieſer Gattung
in den abwechſelndſten und modigſten Formen
findet. Dann die Linnenbuden; dann eine
Reihe von Laͤden, mit allem verſehen was zum
Tiſchgeraͤthe gehoͤrt; dann die Eiſenbuden, die
wieder theils nur Kuͤchengeraͤthe, theils Meſ-
[236] ſingwaaren, theils andere [Verarbeitungen] ent-
halten; Pelzbuden; Laͤden in welchen fertige
Kleidungsſtuͤcke aller Art verkauft werden;
andere in denen nur Schuhe, oder Schnallen
und Knoͤpfe, oder Huͤte zu finden ſind — ich
uͤberlaſſe es der Einbildungskraft und dem Ge-
daͤchtniß meiner Leſer, dieſes Regiſter vollſtaͤn-
dig zu machen, und ſchließe mit den Lumpen-
buden, als dem letzten und geringfuͤgigſten
Gegenſtande dieſes bunten Gemaͤhldes.


Die Gegend von Goſtinnoi Dwor ſcheint
der eigentliche Sitz alles Handels und Wandels
zu ſeyn. Rund um daſſelbe ſind nach und nach
ſo viele neue aber kleinere Kaufhoͤfe entſtanden,
daß dieſer Bezirk dadurch Ein großer Markt
geworden iſt.


In der großen Gartenſtraße, an der weſt-
lichen Seite von Goſtinnoi Dwor ſind ebenfalls
Buden mit Arkaden erbaut worden. In den
untern Stockwerken der Haͤuſer in dieſer Gaſ-
ſe ſind die Laͤden fuͤr Troͤdelwaaren. Der
ſchmalſten Seite gegenuͤber ſind hoͤlzerne Buden
fuͤr Zwirn, Struͤmpfe, und ſolche Kleinigkei-
ten. Der dritten Seite gegenuͤber ſteht eine
Linie von hundert Gewoͤlben, mit Waaren man-
[237] cherley Art. Hier kann man fertige Betten,
Decken, Matratzen, mit allem was dazu
gehoͤrt, bekommen. Neben Goſtinnoi Dwor
in der Perſpektive, ſind vierzehn Silberlaͤden,
und dieſen gegenuͤber haben einige Nuͤrnberger
und Schweizer ihre Gewoͤlbe mit Arkaden in
den Haͤuſern der katholiſchen Kirche. Auch
der Vogel- und Troͤdelmarkt ſind hier in der
Naͤhe und vermehren das Leben und Gewuͤhl
dieſer Gegend. Wer die untern Volksklaſſen
ſtudiren will, der ſuche ſie hier auf ihrem
großen Theater.


Bey der Aufzaͤhlung der Einrichtungen
fuͤr die oͤffentliche Bequemlichkeit darf ich der
ſogenannten engliſchen, franzoͤſiſchen
und anderer Magazine nicht vergeſſen. —
Bekanntlich giebt es hier, wie im ganzen ruſ-
ſiſchen Reiche, keinen Gewerbzwang. Jeder
Auslaͤnder, der St. Petersburgiſcher Buͤrger
wird und ſich nach dem Verhaͤltniß ſeines Ver-
moͤgens in eine der Gilden einſchreiben laͤßt,
kann alle Zweige der Induſtrie kultiviren; und
folglich auch Gewoͤlbe anlegen und Waaren im
Detail verkaufen. Dies haben viele derſelben,
beſonders Englaͤnder und Franzoſen, gethan;
[238] und daher ſind eine große Menge Laͤden fuͤr
fremde Luxuswaaren entſtanden, die man Ma-
gazine nennt. Dieſe Gewoͤlbe ſind gewoͤhnlich
nur mit den Kunſtprodukten derjenigen Natio-
nen verſehen, von welchen ſie den Namen
fuͤhren, und ſo findet man z. B. in einem
engliſchen Magazin groͤßtentheils nur engliſche
Waaren, aber von der mannigfaltigſten Art
und Beſtimmung. Einer der merkwuͤrdigſten
Laͤden dieſer Gattung iſt der Hawksford’ſche,
der an Vorrath, Reichthum und Werth ſelbſt
in London nur wenige ſeines Gleichen haben
ſoll. Alles was die Moͤbelwuth des reichſten,
uͤppigſten und erfinderiſchſten Volks ſeltnes,
ſchoͤnes und koſtbares aufzuweiſen hat, kann
man hier in verfuͤhreriſch ausgelegten Proben
anſtaunen und bewundern. Glas, Kryſtall,
Stahl, mit Silberplatten belegte Metallwaa-
ren, Moͤbeln aus den feinſten Holzarten, mu-
ſikaliſche Inſtrumente, Tuͤcher, Zeuge, u. ſ. w.
ſind in zwoͤlf großen Saͤlen in der bunteſten
und anziehendſten Mannigfaltigkeit vertheilt
und geordnet. Ein Einkauf von zwanzig und
mehreren tauſend Rubeln macht keine große
Luͤcke in dieſem koſtbaren Vorrath, wie ich
[239] ſelbſt Zeuge davon geweſen bin. — In den
uͤbrigen engliſchen Magazinen findet man zum
Theil eben dieſe und andere Waaren, z. B.
engliſche Tuͤcher, Zeuge, Linnen, Huͤte,
Stiefeln und Schuhe, Fußteppiche, mathe-
matiſche und chirurgiſche Inſtrumente, Ka-
mine von der ſchoͤnſten Stahlarbeit, Pferde-
geſchirr, Reitzeug, u. ſ. w. alles im auser-
leſenſten Geſchmack, von der trefflichſten Ar-
beit und in den modigſten Formen.


Die franzoͤſiſchen Magazine ſind nicht voͤl-
lig ſo gut verſehen, weil der Geſchmack an
engliſchen Waaren der herrſchende iſt. Unter-
deſſen giebt es einige vorzuͤgliche Laͤden, in de-
nen Seidenwaaren, Huͤte, Struͤmpfe, ge-
ſtickte Weſten; andern, in denen bloß Papier-
tapeten, aber von der ſchoͤnſten Erfindung und
Arbeit zu haben ſind. Geſuchter und eintraͤg-
licher ſind die franzoͤſiſchen Mode- und Putz-
haͤndlergewoͤlbe, die ebenfalls Magazine ge-
nannt werden. Seit wenigen Jahren hat ſich
ihre Anzahl ſo ſehr vermehrt, daß man in der
newskiſchen Perſpektive und andern Gaſſen faſt
bey jedem Schritt auf ein magazin de modes
oder de nouveautés ſtoͤßt. Es beſteht auch
[240] ein deutſches Moͤbelmagazin, das zwar nicht
Waaren von dem Werth wie das vorhin ge-
nannte engliſche, aber doch in großen Vorraͤ-
then von der beſten Arbeit und nach den neu-
eſten Erfindungen enthaͤlt. Dieſes Gewoͤlbe
iſt unter allen das unſchaͤdlichſte fuͤr den Reich-
thum des Landes; denn alles was hier feil ge-
boten wird, iſt in Petersburg verfertigt.


Dieſe Vorrathshaͤuſer des Luxus und der
Beduͤrfniſſe ſind keiner der geringſten Vorzuͤge
der Reſidenz. Es iſt ein nothwendiger Karak-
ter einer großen und praͤchtigen Stadt, daß
jedermann in derſelben ohne Muͤhe und Weit-
laͤuftigkeit ſeine Launen befriedigen und fuͤr ſein
Geld alles haben koͤnne, wofuͤr er es wegzu-
geben fuͤr gut findet. Durch die eben beſchrie-
benen Einrichtungen iſt ein Fremder im Stan-
de, ſich gleich am erſten Tage ſeiner Ankunft
auf das praͤchtigſte und geſchmackvollſte zu meu-
bliren und zu kleiden, und ſein Haus und
ſeine Kuͤche mit allen Nothwendigkeiten zu ver-
ſorgen. Nichts wuͤrde der vollſtaͤndigſten haͤus-
lichen Einrichtung fehlen, als Equipage.
Doch auch fuͤr dieſe iſt ein eigener Marktplatz
vorhanden. In dem Jaͤmskoi Stadttheil iſt
ein
[241] ein großes Revier mit Remiſen bebaut, in
welchen fertige Wagen, Halbwagen, Droſchken
und Schlitten von der mannigfaltigſten Gat-
tung zum Verkauf ſtehen.


Wir ſind jetzt die Vorrathshaͤuſer und
Maͤrkte der Reſidenz nach allen Klaſſen und
Abſtuffungen des Luxus und der Beduͤrfniſſe
durchgegangen. Die Schilderung dieſer reichen
und bunten Gallerie mag ſich hier mit der
Karakteriſtik eines armſeligen, aber fuͤr die Be-
duͤrfniſſe des groͤßten Theils der Einwohner,
hoͤchſtnothwendigen Marktplatzes ſchließen.


Nicht weit vom Kloſter des heiligen Alex-
ander Newski, und alſo nahe an der Grenze
der Stadt, hat die newskiſche Perſpektivſtraße
einen ſeltſamen Markt, auf welchem Waaren
von der mannigfaltigſten Art feil geboten wer-
den. In zwanzig großen freyſtehenden Haͤu-
ſerrn findet man hier alles fuͤr Kuͤche und
Wirthſchaft noͤthige Holzgeraͤthe, Frachtwagen,
Schlitten, Pferdegeſchirre, Seile, Toͤpfer-
waaren, und eine Menge kleiner Nothwendig-
keiten, deren Namen man zuweilen nicht kennt,
und an deren Gebrauch man nicht denkt. Es
giebt, wie geſagt, kein Beduͤrfniß der haͤus-
Erſter Theil. Q
[242] lichen Einrichtung, welches in Petersburg nicht
ſogleich fertig zu haben waͤre. Hier braucht
man kein langes Regiſter der unzaͤhligen klei-
nen Geraͤthſchaften fuͤr die Kuͤche und das Haus;
man darf nur vor einer Bude ſtehen bleiben,
und in wenigen Minuten iſt die halbe Gaſſe
mit den groͤßten und kleinſten Beduͤrfniſſen die-
ſer Art beſetzt, unter denen man die Wahl
hat. — Auch dieſer Markt iſt ein Verſamm-
lungsort des Volks, von welchem es an ge-
wiſſen Tagszeiten wimmelt.


Trotz aller der großen Marktplaͤtze und
Waarenlager, deren Muſterung wir eben ge-
endigt haben, wuͤrde dem Publikum, und
beſonders dem aͤrmern Theile deſſelben, doch
eine große Bequemlichkeit fehlen, wenn es
keine Kramlaͤden gaͤbe, in denen man die
nothwendigſten und allgemeinſten Lebens- und
Hausbeduͤrfniſſe im kleinſten Detail zu Kauf
haben koͤnnte. Solcher Kramlaͤden giebt es
eine außerordentliche Menge in St. Peters-
burg; ſie heißen Lawken*) und werden ge-
woͤnlich in den Kellergeſchoſſen der Haͤuſer an-
[243] gelegt. In einer ſolchen Lawka iſt alles zu
haben: Kaffee, Thee, Zucker, Eſſig, Zwirn,
Siegellack, Naͤgel, Papier, Lichte, und alles
wird in den kleinſten Quantitaͤten verkauft.
Dieſer Umſtand, der das arme und geringe
Publikum an die Lawken bindet, der große
Vortheil den die Verkaͤufer nehmen, der Be-
trug in Maaß und Gewicht und das Agio
beym Geldwechſeln, machen dieſe Kraͤmer,
die groͤßtentheils aus dem Poͤbel ſind, in kur-
zer Zeit reich. —


So gewiß die Sorge fuͤr die oͤffentliche
Bequemlichkeit hier kein vernachlaͤßigter Zweig
der Staatsverwaltung iſt, ſo wahr iſt es
auch, daß es ſelbſt der weiſeſten und thaͤtig-
ſten Regierung nicht gelingen kann, demſelben
ohne Mitwirken des Volks einen hohen Grad
von Vollkommenheit zu verſchaffen. Sehr oft
laſſen ſich gewiſſe Einrichtungen weder durch
Befehle noch Zwangsmittel, ſondern bloß durch
den eigenen Trieb der Nation zur Verfeinerung
und Verbeſſerung ihres geſellſchaftlichen Zuſtan-
des erhalten. Unter gebildeten und aufgeklaͤr-
ten Voͤlkern wird der Erfindungsgeiſt bald die
Mittel zu dieſem Zweck aufſuchen, und wenn
Q 2
[244] dieſe einmal bekannt ſind, fuͤhrt das Intereſ-
ſe immer Leute herbey, die ſich der Ausfuͤh-
rung unterziehen. — Folgende Einrichtungen
die ich fuͤr den Plan dieſes Werks aus vielen
ihrer Gattung heraushebe, gehoͤren zu dieſer
Rubrik.


Es giebt hier Leute, welche jede oͤffentli-
che oder Privatunternehmung, die von eini-
gem Umfange oder mit einigen Schwierigkei-
ten verknuͤpft iſt, gegen eine verhaͤltnißmaͤßige
Summe, uͤbernehmen und ausfuͤhren. Dieſe
Leute werden Podrjaͤdſchiki, und ein ſol-
cher Kontrakt Podrjaͤd genannt. Wenn Je-
mand ein Haus bauen, ſich aber nicht den
Verdruͤßlichkeiten und Beſchwerden unterziehen
will, die hier vorzuͤglich groß ſind, wenn
man die Sprache nicht verſteht, ſo laͤßt er
mehrere Podrjaͤdſchiki kommen, denen er ſei-
nen Plan und die Idee ſeiner Ausfuͤhrung
vorlegt. Man wird mit dem billigſten einig,
und hat nun weiter keine Sorge, als die be-
ſtimmten Termine zu halten. Da die Unternehmer
ſich mit allen Materialien in der gelegenſten Zeit
verſehen, alles im Großen einkaufen und je-
den Vortheil kennen und benutzen, ſo ſind ſie
[245] im Stande wohlfeiler und geſchwinder zu bau-
en, als es andern moͤglich iſt. Daß ſie ſchlech-
tere Arbeit liefern, als man bey eigner Auf-
ſicht erhalten wuͤrde, liegt in der Natur der
Sache. — Auf dieſe oder aͤhnliche Weiſe
werden faſt alle große und ſchwierige Unter-
nehmungen in Rußland ausgefuͤhrt, als weit-
laͤuftige Transporte, große und koſtſpielige
Lieferungen, oͤffentliche Bauten, Ausbeſſe-
rungen des Pflaſters und der Bruͤcken, ſogar
zuweilen Schiffbau, und dergleichen.


Eine andere Einrichtung, die zwar nur
den Kaufleuten nuͤtzlich wird, aber hier doch
nicht uͤbergangen werden kann, ſind die Ar-
tels
oder geſchloſſenen Geſellſchaften von Ar-
beitsleuten, zum Behuf der Handarbeiten an
der Boͤrſe, in den Magazinen, Gewoͤlben und
Kellern. Ein Artel beſteht aus vierzig bis
ſechzig ſtarken, gewandten und ehrlichen Leu-
ten, die unter ſich einen Aelteſten waͤhlen, nach
welchem die Geſellſchaft gewoͤhnlich benannt
wird. Jeder Artelſchtſchik muß zu ſeiner Auf-
nahme von den uͤbrigen vorgeſchlagen und ge-
waͤhlt ſeyn, und eine hinlaͤngliche Sicherheit
fuͤr fuͤnf bis ſiebenhundert Rubel ſtellen, wo-
Q 3
[246] gegen der Artel fuͤr alle Verwahrloſungen und
Veruntreuungen ſeiner Glieder ſteht. Durch
dieſe Einrichtung ſehen ſich die Kaufleute im
Stande, dieſen Leuten nicht nur Arbeiten die
bloß Staͤrke und Gewandheit erfordern, ſon-
dern auch Geldgeſchaͤfte und andere Dinge von
Wichtigkeit anzuvertrauen. Ich habe mehrmals
Artelſchtſchiki geſehen, die viele tauſend Rubel
in Bankaſſignationen in dem Buſen trugen,
wo ſie gewoͤhnlich Sachen von Werth aufbe-
wahren. Ihrer Gewandheit gebuͤhrt eben ſo
viel Lob als ihrer Ehrlichkeit. Sie wiſſen mit
den feinſten, zerbrechlichſten und koſtbarſten
Waaren, trotz den beruͤhmten porte-faix in
Paris, umzugehen, die man aus Merciers
intereſſanter Schilderung kennt.


Ein jedes Haus in Petersburg (die klei-
nen Huͤtten in den aͤußerſten Theilen der Stadt
ausgenommen) haͤlt einen Dwornik oder
Thuͤrhuͤter, der ein Mittelding zwiſchen dem
deutſchen Hausknecht und dem franzoͤſiſchen
Portier iſt, ſich aber ſehr vom eigentlichen
Schweizer unterſcheidet, deren es hier auch in
allen großen und vornehmen Haͤuſern giebt.
Ein ſolcher Dwornik iſt der allgemeine Bediente
[247] des Hauſes, er ſorgt fuͤr die Reinigung des Ho-
fes, ſchafft Waſſer herbey, und oͤffnet das Haus-
thor zu jeder Stunde des Nachts, ſobald ge-
klingelt wird; denn jedes ordentliche Haus iſt
hier mit einer Klingel verſehen, die in der Stu-
be des Dworniks angebracht iſt, und außerhalb
dem Hauſe durch einen an der Mauer befeſtigten
Drath in Bewegung geſetzt wird. Dieſes muͤh-
ſelige Amt, bey welchem keine Nacht auf eine
Stunde ununterbrochnen Schlafs zu rechnen iſt,
findet doch ſeine Liebhaber, weil es zuweilen ſehr
eintraͤglich wird. — Vor einiger Zeit fand
man bey dem ploͤtzlich verſtorbenen Dwornik ei-
nes großen Hauſes, in welchem auch oͤffentliche
Maͤdchen wohnten, eine Baarſchaft von mehre-
ren tauſend Rubeln in kleinen Silbermuͤnzen, die
er ſich durch ſeine Dienſtfertigkeit bey Nacht er-
worben hatte. Kaum ward dies ruchbar, als ſich
eine Menge Kompetenten um den Platz des Ver-
ſtorbenen bewarben, und dieſer Dienſt, der ſonſt
dem Eigenthuͤmer des Hauſes eine Ausgabe von
hundert Rubeln verurſacht hatte, ward nun an
den Meiſtbietenden verpachtet.


Q 4
[248]

Siebenter Abſchnitt.
Kranken- und Armenanſtalten.


Allgemeine Vortheile und Nachtheile derſelben, in der Lo-
kalverfaſſung begründet. Das Kollegium der allgemei-
nen Fürſorge, ein Tribunal zur Minderung des
menſchlichen Elends. Merkwürdige Theilnahme des
Publikums an der Stiftung deſſelben. — Oeffent-
liche Krankenhäuſer. Hospitäler für Land und See-
truppen. Stadthospital. Irrhaus. Geheime Anſtalt
für veneriſche Kranke. Kliniſches Hospital und Ent-
bindungshaus des mediziniſchchirurgiſchen Inſtituts.
Pockenhaus. Entbindungsanſtalt des Findelhauſes.
Wohlthätige Krankenanſtalt, ein Privatunternehmen.
— Armenanſtalten. Findelhaus. Erziehungsanſtalt
für Waiſen und unetzeliche Kinder. Armenhaus. In-
validenhaus des Großfürſten. Wittwenkaſſe. Privat-
ſterbekaſſen. — Oeffentliche Anſtalten zur Unterſtü-
tzung des Publikums. Lombard. Leihebank für den
Adel und die Städte.


Ich fuͤhre jetzt meine Leſer von den Gegenſtaͤn-
den der Pracht und der Bequemlichkeit in die
[249] Anſtalten fuͤr die kranke und leidende Menſchheit.
Wem dieſer Uebergang auffaͤllt, der kennt die
Verkettung der Extreme und die wunderbare
Miſchung von Licht und Schatten in der mora-
liſchen Welt nicht. Kein gewiſſeres Kennzei-
chen der Armuth — als Luxus; beyde ſind
durch unaufloͤsliche Bande verbunden. Die
Verfeinerung und zunehmende Kultur unſerer
Zeiten treibt alle Voͤlker zu beyden Extremen
hinan, und die goldne Mittelſtraße iſt das
Problem der Staatswirthe, wie die Quadra-
tur des Zirkels das Problem der Mathemati-
ker iſt; beyde werden immer geſucht und nie-
mals gefunden.


So gewiß ohne raͤſonnirte Theorie keine
zweckmaͤßige Ausuͤbung ſtatt findet, ſo wahr
iſt es auch, daß Theorien Ideale ſind, und
daß kein Ideal, als ſolches, Wirklichkeit er-
halten kann. Der Umriß des Ideals iſt die
Grenzlinie der Vollkommenheit; in der wirk-
lichen Welt iſt es die Linie auf welcher ſich
Maͤngel und Vollkommenheiten im Gleichge-
wichte begegnen, und das Reſultat der voll-
kommenſten dieſer Kombinationen iſt — ein
leidlicher Zuſtand.


Q 5
[250]
„Die Red’ iſt, ſprecht ihr, wie es ſollte

nicht wie es iſt —“

So? wie es ſollt? — Ihr alſo wißt

es beſſer? So, ſo ſollt’ es — wenn es wollte!

Allein es will nun nicht! All der Ideenkram

der Weltenflicker, ſagt, was hat er je gebeſſert?

Verſchoben hat er viel! und weſſen iſt die Schaam?

Es ſollte“ — Nein, ihr Herrn! verkleinert

und vergrößert

nur nicht was iſt, in eurer Fantaſie,

ſo iſts juſt recht, und euch erſparts die Müh

dem lieben Gott in ſeine Kunſt zu pfuſchen.

Es geht ja manchmal wol ein wenig konterbunt

und garſtig zu auf dieſem Erdenrund,

das läßt ſich freylich nicht vertuſchen;

allein, dann gehts juſt wie es kann,

und dafür iſt geſorgt, daß doch nichts

überwieget.

Um den Maaßſtab fuͤr die Vollkommen-
heit buͤrgerlicher Einrichtungen zu finden und
ſich gegen ein allzuſtrenges oder glimpfliches
Urtheil zu verwahren, iſt es ſchlechterdings
nothwendig, die Individual- und Lokalver-
haͤltniſſe jedes Landes zu kennen, weil dieſe
allen auf das Ganze gehenden Anſtalten eine
entſcheidende, eigenthuͤmliche Richtung geben.
[251] Ein und derſelbe politiſche Zweck, nach einer
ley Grundſaͤtzen und durch einerley Mittel zur
Ausfuͤhrung gebracht, wird in zwey verſchiede-
nen Laͤndern einen ſehr ungleichen Ausgang ge-
winnen, und der unterrichtete Beobachter wird
im Stande ſeyn, die Modifikationen des Er-
folgs mit der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit zu be-
rechnen. — Folgende kurze Einleitung mag
dazu dienen, meine Leſer in den rechten Ge-
ſichtspunkt zu ſtellen, um die unter dieſer
Rubrik aufgefuͤhrten Thatſachen wuͤrdigen zu
koͤnnen.


Der uneingeſchraͤnkte Wille eines weiſen
und fuͤr das Wohl ſeines Volks thaͤtigen Fuͤr-
ſten kann hier Dinge moͤglich machen, die in
vielen Laͤndern unausfuͤhrbar bleiben wuͤrden. Der
Wille des Souverains iſt Geſetz; ſein Befehl
laͤhmt jeden Widerſtand, den Vorurtheil, Aber-
glauben oder Privatintereſſe ſeinen gemeinnuͤtzi-
gen Abſichten entgegen ſetzen moͤchten. Dieſer
Vortheil, deſſen Wichtigkeit in einem Lande, wo
Licht und Finſterniß noch in regem Streite,
wo Anhaͤnglichkeit an das Alte, Gewohnte,
und Furcht und Abneigung fuͤr Neuerungen
wenigſtens beym niedern Volk noch herrſchend
[252] ſind — unglaublich groß iſt, verdient mit
Recht die erſte Stelle der guten Seite. Die
Abneigung oder die Kaͤlte, mit welcher faſt
alle große und gemeinnuͤtzige Unternehmungen
bey ihrem Anfange aufgenommen ſind, iſt der
zuverlaͤßigſte Beweis, daß ſie, ohne dieſen
wohlthaͤtigen Despotismus, nie zu Stande
gekommen ſeyn wuͤrden. Jetzt iſt das Vorur-
theil verſchwunden; die Zeitgenoſſen laſſen der
Weisheit ihrer Beherrſcherinn Gerechtigkeit
wiederfahren; die Nachwelt wird ihr Altaͤre
bauen.


Aber wie eingeſchraͤnkt wuͤrde dieſe Macht
in ihren Wirkungen ſeyn, wenn die Mittel
zur Ausfuͤhrung ihrer Plane nicht der Groͤße
derſelben entſpraͤchen. Die Reſſourcen welche
ein von der Natur ſo freygebig ausgeſteuerter
Welttheil und eine Bevoͤlkerung von dreyßig
Millionen Menſchen darbieten, geben die
Moͤglichkeit zu den kuͤhnſten und auſſerordent-
lichſten Entwuͤrfen her. Die leidige Frage:
„woher der Fonds?“ die in allen Laͤndern,
England ausgenommen, der Wirklichkeit der
nuͤtzlichſten Vorſchlaͤge Schwierigkeiten erregt,
iſt hier voͤllig unbekannt.


[253]

Mit dieſem gluͤcklichen Umſtande vereinigt
ſich die allgemeine Stimmung des hoͤhern und
reichen Publikums zur Theilnahme an großen
auffallenden Unternehmungen. Dieſe Stim-
mung, die bey einigen aus Gemeingeiſt und
Patriotismus, bey vielen aus dem eigenthuͤm-
lichen, nationalen Hang zur Freygebigkeit, und
bey den meiſten aus Nachahmungsſucht und
Ehrgeiz entſpringt, wird, bey ſo verſchiedenen
Quellen die Mutter Einer großen und wohl-
thaͤtigen Wirkung fuͤr den Staat. Die Bey-
ſpiele, die das Zeitalter Katharinens hie-
von gegeben hat, werden in den Annalen der
ruſſiſchen Geſchichte nicht verloren gehn.


Der denkende Beobachter, der dieſe gute
Seite des Gegenſtandes kennt, wird das Land
gluͤcklich preiſen, in welchem ſich ſo viele und
wichtige Vorzuͤge zum Vortheil oͤffentlicher An-
ſtalten vereinigen; aber ſeine Forderungen an
daſſelbe werden auch um deſto ſtrenger ſeyn.
Doch jedes Ding unter dem Monde hat zwey
Seiten. Die natuͤrlichen, unausweichlichen
Schwierigkeiten und Hinderniſſe abgerechnet,
die in dem Weſen ſolcher Einrichtungen liegen,
iſt es hauptſaͤchlich das praktiſche Detail, wel-
[254] ches hier die dunkle Seite macht. Wenn das
ſchoͤne Ideal, welches der Seele des Erfin-
ders vorſchwebt, ſchon bey ſeinem Entwurf
zur Ausfuͤhrung ſo viel von ſeiner urſpruͤngli-
chen Vollkommenheit verliert, wie unendlich
mehr muß es nicht bey der Ausfuͤhrung ſelbſt
leiden, wenn dieſe zum Theil der Sorgfalt
ungeuͤbter oder gar widriggeſinnter Menſchen
uͤberlaſſen iſt. Das Loos einer kleinen einfa-
chen Anſtalt iſt bald entſchieden: der Kopf und
das Herz des Mannes der ihr vorgeſetzt iſt,
geben den Ausſchlag. Bey großen, zuſam-
mengeſetzten Maſchinen haͤngt der Erfolg von
der Summe der Kraͤfte und Anſtrengungen
aller Einzelnen ab. Dieſe Maͤngel, deren
groͤßerer oder geringerer Einfluß der wachſa-
men Regierung nicht entgangen iſt, werden
durch mehrere treffliche Anſtalten gemindert,
die dieſen oͤffentlich bekannt gemachten Zweck
haben. — Es waͤre laͤcherlich, in buͤrgerli-
chen Einrichtungen uͤberall nur Vollkommenheit
finden zu wollen, da ſelbſt die Natur ihre
Anomalien nicht verleugnet. Es fraͤgt ſich nur,
ob die gute Seite das Uebergewicht hat. Dies
iſt, wie jeder unpartheyiſche Beobachter einge-
[255] ſtehen wird und muß, bey den hier anzufuͤh-
renden Anſtalten ſo gewiß der Fall, daß die
Nation, ohne dieſelben, einen großen Theil
ihrer Staatsgluͤckſeligkeit entbehren wuͤrde. —
Unabhaͤngig von den Maͤngeln der Ausfuͤhrung
aber bleibt der Plan des Stifters; und die-
ſer wird dem großen und erleuchteten Geiſt
und dem mutterliebenden Herzen, aus welchen
dieſe patriotiſchen und wohlthaͤtigen Ideen ent-
ſprangen, nach Jahrhunderten noch ein dau-
erndes Denkmal ſeyn.


In jeder Statthalterſchaft des ruſſiſchen
Reichs iſt ein Tribunal, unter dem Namen
des Kollegiums der allgemeinen Fuͤr-
ſorge
, errichtet, welchem die Sorge fuͤr
alle Anſtalten uͤbergeben iſt, welche die Min-
derung des menſchlichen Elends zum Zweck ha-
ben, diejenigen ausgenommen, die mit beſon-
dern Privilegien oder Gnadenbriefen verſehen,
oder einer beſondern Direktion anvertraut ſind.
Zu dieſen Anſtalten gehoͤren, nach dem Stif-
tungsbefehl, namentlich folgende: Volksſchu-
len, Waiſenhaͤuſer, Hospitaͤler und Kranken-
haͤuſer, Armenanſtalten, Haͤuſer fuͤr unheil-
bare Kranke, Irrenhaͤuſer, Arbeitshaͤuſer und
[256] Zuchthaͤuſer *). Das Kollegium eines jeden
Gouvernements erhielt bey ſeiner Stiftung von
der Kaiſerinn 15,000 Rubel, welche nebſt den
angewieſenen Einkuͤnften und den Beyſteuern
patriotiſcher Menſchenfreunde, auf Zinſen aus-
gethan werden, um eine fortdauernde Quelle
fuͤr die Errichtung neuer, oder fuͤr die Ver-
beſſerung ſchon vorhandener Anſtalten zu ſichern.
Die Bereitwilligkeit, mit welcher das Publi-
kum zur Befoͤrderung dieſer wohlthaͤtigen und
gemeinnuͤtzigen Abſichten mitwirkte, war ſo
allgemein, und die Freygebigkeit einzelner Glie-
der deſſelben ſo ausgezeichnet, daß man wol
nicht leicht ein Land anfuͤhren koͤnnte, in wel-
chem einzelne Privatperſonen aͤhnliche Sum-
men zu einem aͤhnlichen Zweck hergegeben haͤt-
ten. Außer den 15,000 Rubeln welche die Kai-
ſerinn jedem Gouvernement zur Errichtung ei-
nes Kollegiums der allgemeinen Fuͤrſorge gab,
ſchenkte ſie dem St. Petersburgiſchen insbe-
ſondere eine Summe von 52,659 Rubeln, wel-
che der Adel der Statthalterſchaft und die Buͤr-
ger-
[257] gerſchaft der Reſidenz zu einem Monument
Katharinens der Zweyten beſtimmt
hatten. Der ſchoͤne Gedanke, dieſer mit Recht
bewunderten Fuͤrſtinn, das Denkmal ihrer
Thaten lieber in den Herzen ihrer duͤrftigen
und leidenden Unterthanen als auf dem Pfla-
ſter von Petersburg errichtet zu ſehen, hat
zwar die Exiſtenz eines großen Kunſtwerks ver-
hindert; aber dafuͤr eine nuͤtzliche Anſtalt erzeugt;
und an der Stelle, wo ſich vielleicht die Be-
wunderung der Kenner in Worte ergoſſen haͤt-
te, ergießt ſich jetzt der Dank geretteter Un-
gluͤcklichen in ſtille Gebete fuͤr das Wohl einer
Monarchinn, deren Herz Gefuͤhl fuͤr die edelſte und
ſuͤßeſte Pflicht ihrer erhabenen Beſtimmung hat.


Dieſe großen Beyſpiele waren das Sig-
nal zum Wetteifer des Publikums. Der Staats-
rath Demidow gab 20,000 Rubel, der Aſ-
ſeſſor Twerdiſchew 14,000, der Geheime-
rath Betzkoi 5,000, der Aſſeſſor Saiva
Jakowlew
eben ſo viel, der Kaufmann
Wolodimerow 4,000; eine Menge Privat-
leute, der Adel, die Kaufmannſchaft und
mehrere Unbekannte kamen mit groͤßern oder
kleinern Summen ein, und der ganze Betrag
Erſter Theil. R
[258] aller Beytraͤge, die angewieſenen Einkuͤnfte
mitgerechnet, belief ſich in den erſten zwey
Jahren nach der Stiftung auf 303,173 Rubel.


Jetzt wollen wir uns mit den vorzuͤglich-
ſten hier beſtehenden Anſtalten bekannt machen.
Nicht alle von denen die in dieſem Abſchnitte
angefuͤhrt werden, ſind der Auſſicht des Kol-
legiums der allgemeinen Fuͤrſorge unterworfen,
und nur die wenigſten haben demſelben ihre
Entſtehung, viele aber eine beſſere, ihrem
Zweck angemeßnere Verfaſſung zu danken.


Wir machen mit den oͤffentlichen Kran-
kenhaͤuſern
den Anfang. — Die beyden
großen Hospitaͤler fuͤr die Land- und
Seetruppen
beduͤrfen hier nur einer blo-
ßen Anzeige, da ſie nicht fuͤr das ganze Pu-
blikum, ſondern zum Behuf eines einzelnen
Standes eingerichtet ſind. Das Hospital fuͤr
Landtruppen hat gewoͤhnlich tauſend, zuweilen
aber auch mehr und bis auf zweytauſend Bet-
ten. Die Koſten deſſelben betragen, die Un-
terhaltung der Kranken abgerechnet, im Durch-
ſchnitt gegen 10,000 Rubel. Das Hospital
fuͤr Seetruppen koſtet ebenfalls, ohne Unter-
haltung der Kranken und ohne Arzneyen, ge-
[259] gen 7,000 Rubel. In den Jahren 1788 und
1789 hatte es 16,733 Kranke, von welchen
13,998 genaſen.


Das Stadthospital verdient ſowol
wegen ſeines allgemeinern Zwecks, als ſeiner
trefflichen Einrichtung eine naͤhere Anzeige. Die
Lage deſſelben, an der Fontanka, in einer
nicht ſehr bewohnten Gegend, iſt zweckmaͤßig
gewaͤhlt. Das Gebaͤude ſelbſt iſt freyſtehend
und hat zwey Stockwerke; an die Mitte der
Hinterſeite ſtoͤßt ein Fluͤgel, in welchem ein
Haus fuͤr Wahnſinnige angelegt iſt. Zu bey-
den Seiten des Hauptgebaͤudes ſind zwey
Wohnhaͤuſer fuͤr die Aerzte und Bedienten des
Inſtituts, welche noch durch drey Fluͤgel ver-
groͤßert werden ſollen. Die Faſſade des Haupt-
gebaͤudes iſt mit Saͤulen verziert, welche,
nebſt der einfachen und geſchmackvollen Archi-
tektur und der Groͤße des Ganzen, dieſer
wohlthaͤtigen Stiftung einen Rang unter den
ſchoͤnern Gebaͤuden der Reſidenz geben. Auf
dem ſehr geraͤumigen Hofplatz ſind ſechs hoͤl-
zerne Haͤuſer auf ſteinernen Grundlagen fuͤr
den Sommeraufenthalt der Kranken erbaut;
ein Garten, der zum Spazierengehn fuͤr Ge-
R 2
[260] neſende beſtimmt werden ſoll, iſt noch in der
Anlage.


Der untere Stock dieſes großen und ſchoͤ-
nen Gebaͤudes iſt fuͤr die Haushaltung, und
der obere fuͤr die Kranken eingerichtet, deſſen
eine Haͤlfte den Mannsperſonen und die an-
dere den Weibern gewidmet iſt. Die Kranken-
ſtuben ſind hoch und geraͤumig; die Winter-
waͤrme darf nie uͤber 10 bis 12 R. Grade ſeyn.
Reinlichkeit und geſunde Luft ſind hier in ſol-
chem Maaße vorhanden, als ich ſie nur bey
aͤußerſt wenigen Anſtalten dieſer Art in Deutſch-
land und Frankreich gefunden habe. Selbſt
in den Zimmern der Kranken, deren Ausduͤn-
ſtungen die Luft verpeſten, iſt die Veraͤnde-
rung derſelben beynah unmerklich. Die Bet-
ten ſind ringsum, aber nicht oben, mit Vor-
haͤngen verſehen und ſtehen in geraͤumiger Ent-
fernung von einander. In den Baͤdern, Kuͤ-
chen und Vorzimmern herrſcht uͤberall die naͤm-
liche Sorgfalt fuͤr Reinlichkeit, die man in
den Krankenſtuben bewundert. Die Geneſen-
den haben einen großen und zweckmaͤßig einge-
richteten Saal zum Spazieren.


[261]

Dieſes Hospital enthaͤlt dreyhundert Bet-
ten, die in vorkommenden Faͤllen bis auf vier-
hundert vermehrt werden koͤnnen. Es werden
in demſelben Kranke aller Art, nur veneriſche
nicht, aufgenommen, die Armen unentgeld-
lich, herrſchaftliche Leute, Handwerker, und
dergleichen aber gegen eine monatliche Bezah-
lung von vier Rubeln. Die ankommenden
Kranken werden ſogleich geſchoren und geba-
det, und erhalten eine reinliche Kleidung.


Eine eigenthuͤmliche Einrichtung dieſes In-
ſtituts iſt die Anſtellung eines Profeſſors der
Elektrizitaͤt fuͤr die Heilung ſolcher Krankhei-
ten die durch die Wirkung derſelben gehoben
werden koͤnnen.


In fuͤnf Jahren, von 1785 bis 1789
wurden hier 9895 Kranke aufgenommen, von
welchen 2075 ſtarben, und 237 am Ende des
letzten Jahrs noch im Hospital waren. Daß
die Sterblichkeit, trotz der anerkannten Vor-
zuͤge dieſes Inſtituts, dennoch ſo groß iſt,
ruͤhrt wol mehr von dem Umſtande her, daß
ſehr viele Kranke ſich nur im aͤußerſten Noth-
fall hieher bringen laſſen, wenn es zu ſpaͤt iſt,
ihnen wirkſame Huͤlfe zu leiſten.


R 3
[262]

Das Haus fuͤr Wahnſinnige beſteht aus
vier und vierzig Kammern in zwey gegenuͤber-
ſtehenden Reihen, deren eine fuͤr maͤnnliche
und die andere fuͤr weibliche Ungluͤckliche dieſer
Art beſtimmt iſt. Auch hier herrſcht die moͤg-
lichſte Reinlichkeit; hierdurch und durch die
ſanfte Behandlung der Kranken werden viele
der menſchlichen Geſellſchaft wieder geſchenkt.
Die Wuͤthenden ſind nicht mit Ketten, ſondern
mit Riemen an ihre Betten gefeſſelt, und
man bedient ſich uͤberhaupt nur gelinder Mit-
tel, einer ſtrengen Diaͤt, u. ſ. w. Das Ver-
haͤltniß der Ruſſen zu den Auslaͤndern iſt hier
nur gering; die Zahl der Mannsperſonen iſt
faſt um ein Viertel ſtaͤrker als die des weibli-
chen Geſchlechts; Schwermuth, Liebe und
Stolz ſind hier wie uͤberall die gewoͤhnlichen
Quellen des Wahnſinns, aber die Trunken-
heit iſt hier die ergiebigſte. Von 229 Kranken,
die in drey Jahren in dieſes Haus aufgenom-
men wurden, ſind 161 geneſen, 11 als Un-
heilbare ins Armenhaus geſchickt, und 47 ge-
ſtorben. Das Stadthospital ſteht unter dem
Kollegium der allgemeinen Fuͤrſorge.


[263]

Von eben ſo allgemeiner Beſtimmung als
dies vortreffliche Inſtitut iſt das veneriſche
Hospital
, welches dreyßig Betten fuͤr Maͤn-
ner, und eben ſo viele fuͤr Weiber hat, und
jeden ſich Meldenden unentgeldlich aufnimmt,
aber nicht eher als nach der voͤlligen Wieder-
herſtellung entlaͤßt. Kein Ankoͤmmling darf
um ſeinen Namen befragt werden und Jeder
erhaͤlt bey ſeinem Eintritt eine reinliche Klei-
dung und eine Muͤtze, auf welcher das Wort
„Verſchwiegenheit“ ſteht.


Auch die mediciniſchchirurgiſche
Schule
*) wird durch ihre kliniſchen An-
ſtalten
duͤrftigen und huͤlfloſen Kranken nuͤtz-
lich. In dem kleinen aus zwanzig Betten be-
ſtehenden Hospital, welches zur praktiſchen
Bildung junger Wundaͤrzte beſtimmt iſt, werden
jaͤhrlich mehr als hundert Arme unentgeldlich
verpflegt und geheilt. — Das mit eben dieſem
Inſtitut verbundene Entbindungshaus,
welches acht bis zehn Schwangere zu gleicher
Zeit aufnehmen kann, verpflegt und beſorgt
R 4
[264] die ſich Einfindenden mit der groͤßten Ver-
ſchwiegenheit und ohne irgend eine Bezahlung.
Es ſteht den jungen Muͤttern frey, ob ſie ihre
Kinder mit ſich nehmen, oder fuͤr das Findel-
haus hinterlaſſen wollen. Die Lehrlinge der
Entbindungskunſt ſind zugleich Krankenwaͤrte-
rinnen und koͤnnen ſich zu dieſem Behuf auch
in der Stadt vermiethen.


Das Pockenhaus, welches die Kaiſe-
rinn 1768 zur wirkſamern Verbreitung der
Einimpfung ſtiftete, ſteht unter dem Kollegi-
um der allgemeinen Fuͤrſorge, und nimmt
jaͤhrlich zweymal Kinder unentgeldlich auf. Im
Jahr 1789 wurden 135 Knaben und 55 Maͤd-
chen die Pocken eingeimpft. Dieſe gemeinnuͤ-
tzige Anſtalt koſtet jaͤhrlich etwa 6000 Rubel.


Das mit dem Findelhauſe verbundene
Entbindungshaus nimmt alle Schwangere
die ſich melden ohne Ausnahme, ohne Unter-
ſachung und Bezahlung auf. Bey dieſem In-
ſtitut iſt ein Geburtshelfer angeſtellt, der zu-
gleich Lehrer der Entbindungskunſt iſt.


Außer dieſen oͤffentlichen Einrichtungen be-
ſteht ſeit dem Jahr 1788 eine Privatanſtalt
zur Verpflegung und Heilung duͤrftiger Kran-
[265] ken in ihren Haͤuſern, die unter dem Namen
der wohlthaͤtigen Krankenanſtalt be-
kannt iſt. Die Koſten derſelben werden durch
geſammelte Beytraͤge des Publikums beſtritten;
die Aerzte und Wundaͤrzte, die dieſer Anſtalt
beygetreten ſind, leiſten den in ihrer Gegend
wohnenden Kranken unentgeldlichen Beyſtand,
und die Apotheker nehmen ihre Waaren mit
einem Abzug von zwanzig vom Hundert be-
zahlt. Ganz Arme erhalten aus der Kaſſe des
Inſtituts von Zeit zu Zeit eine kleine Geldſum-
me zu ihrer Erquickung, in noͤthigen Faͤllen
werden auch Krankenwaͤrter angeſtellt. Die
Beſorgung des Ganzen hat der Prediger der
lutheriſchen Petrigemeine, Lampe, uͤber-
nommen, dem auch das Verdienſt gehoͤrt, dieſe
gemeinnuͤtzige Anſtalt zu Stande gebracht zu
haben.


Unter den oͤffentlichen Armenanſtalten
ſteht das Findelhaus mit Recht oben an.
Es wurde im Jahr 1770 als eine Abtheilung
des großen moskowiſchen errichtet, und iſt, auſ-
ſer ſeiner eigentlichen Beſtimmung, zugleich
ein Entbindungs- und Erziehungshaus, daher
es im Rußiſchen nur mit dieſer letztern Benen-
R 5
[266] nung belegt wird. Die Einrichtung dieſer An-
ſtalt iſt die uͤberall gewoͤhnliche. Auf das Zei-
chen mit der Klingel wird ſogleich ein Korb
herunter gelaſſen, welcher die gebrachten Kin-
der aufnimmt; findet ſich kein Zettel bey den-
ſelben, ſo wird bloß angefragt, ob das Kind
getauft ſey und wie es heiße. Die Kinder
werden zum Theil an Ammen und Bauerwei-
ber außer der Stadt abgegeben. Ihre Erzie-
hung wird nach den verſchiedenen Beſtimmun-
gen eingerichtet, die ſie ſich, bey reiferm Al-
ter, waͤhlen; diejenigen, welche vorzuͤgliche
Anlagen zeigen, werden in die Akademie der
Kuͤnſte, in die Theaterſchule, ins Gymnaſi-
um der Akademie der Wiſſenſchaften, u. ſ. w.
abgegeben; der groͤßere Theil aber wird zu
Handwerkern und fuͤr Gewerbe erzogen. Rein-
lichkeit und Ordnung ſind uͤberall herrſchend,
und es iſt Jedermann erlaubt, dieſes Haus
zu jeder Zeit zu beſuchen. Die Knaben wer-
den mit dem vier und zwanzigſten, und die
Maͤdchen im zwanzigſten Jahr, ohne alle Ver-
pflichtungen gegen das Inſtitut entlaſſen. Ueber
die Mortalitaͤt des Hauſes ſind keine Liſten
[267] bekannt geworden; im Jahr 1788 befanden
ſich 300 Kinder in demſelben.


Die oͤffentliche Erziehungsanſtalt
fuͤr Waiſen und uneheliche Kinder

ſteht unter dem Kollegium der allgemeinen
Fuͤrſorge, und gehoͤrt nicht nur der Reſidenz
ſondern auch dem Kreiſe an. Sie nimmt ge-
gen hundert Kinder beyder Geſchlechter auf,
die nach vollendeter Erziehung als freye unab-
haͤngige Leute entlaſſen werden. — Ein klei-
nes Waiſenhaus fuͤr acht Knaben, welches ein
wohlhabender Buͤrger vor einigen Jahren ſtif-
tete (der ehrwuͤrdige Mann heißt Keſtner
und iſt ein Deutſcher) iſt mit der Schule der
lutheriſchen Annenkirche auf dem Stuͤckhofe
verbunden. Die Kinder werden in allem gaͤnz-
lich frey gehalten, zu Handwerkern erzogen,
und hernach an Meiſter abgegeben, wobey
dieſes Inſtitut ſie noch waͤhrend der Lehrlings-
jahre unterſtuͤtzt.


Seit dem Jahr 1781 hat die Reſidenz ein
großes Armenhaus, welches unter der
Aufſicht des Kollegiums der allgemeinen Fuͤr-
ſorge ſieht, alle Armen beyder Geſchlechter
aufnimmt und ſie mit allen Lebensnothwendig-
[268] keiten verſorgt. Sie werden in drey Klaſſen
getheilt. Die erſte enthaͤlt ſolche, die unheil-
bare Krankheiten oder Schaͤden haben; im
Jahr 1789 waren deren 149 maͤnnliche und
328 weibliche vorhanden. Zur zweyten Klaſſe
gehoͤren die voͤllig Unvermoͤgenden, und zu
der dritten ſolche, die noch einige Arbeit ver-
richten koͤnnen; dieſe letztern muͤſſen der zwey-
ten Klaſſe Handreichungen leiſten, wofuͤr ſie
aber eine Verguͤtung erhalten. Im Jahr 1789
waren von dieſen beyden Klaſſen 227 maͤnnli-
che und 759 weibliche vorhanden; im ganzen
Armenhauſe alſo 1463 Perſonen beyder Ge-
ſchlechter. — Reinlichkeit, Pflege und Sorg-
falt ſind in dieſem Hauſe ſo gut, als es den
Umſtaͤnden nach moͤglich iſt; alle Bewohner
deſſelben ſind in einheimiſches, weiſſes Tuch
gekleidet und tragen auf dem Arm die An-
fangsbuchſtaben der ruſſiſchen Worte: „St.
Petersburgiſche Armenhaͤusler.“


Kleiner in ſeiner Anlage, aber merkwuͤr-
dig durch ſeine zweckmaͤßige Einrichtung iſt das
Invalidenhaus, welches der Großfuͤrſt
Paul Petrowitſch neben ſeinem Sommer-
pallaſt auf Kammenoi Oſtrow angelegt hat.
[269] Die Idee, in der Naͤhe ſeines Wohnſitzes ei-
nen Zufluchtsort fuͤr alte und duͤrftige Krieger
zu erbauen, macht dem Herzen dieſes menſch-
lichen und liebenswuͤrdigen Fuͤrſten unendliche
Ehre, und die Ausfuͤhrung derſelben entſpricht
der Vorſtellung, die man ſich nach dieſer Vor-
ausſetzung macht. Achtzig alte Matroſen wer-
den hier aufgenommen und bis zur Vollendung
ihrer Laufbahn verpflegt.


Unter den hier anzufuͤhrenden Armenan-
ſtalten verdient auch die Wittwenkaſſe be-
merkt zu werden, die mit dem Findelhauſe
verbunden iſt und im Jahr 1772 kaiſerliche
Sanktion erhielt. Sie hat vier Klaſſen, in
welchen nach Verhaͤltniß des Alters jaͤhrlich ei-
ne Summe entrichtet wird, welche die Witt-
wen nach dem Tode ihrer Maͤnner ebenfalls
jaͤhrlich erhalten. In dem entgegengeſetzten
Fall bekoͤmmt der Mann drey Viertheile ſeines
Einſatzes zuruͤck. — Unter den mehreren
Privatſterbekaſſen zeichnet ſich die vor-
zuͤglich aus, welche der Paſtor Grot bey
der lutheriſchen Katharinenkirche auf Waſſili
Oſtrow geſtiftet hat. Sie beſteht aus 550
Gliedern, die zum Einſatz 10 Rubel und bey
[270] jedem Sterbefall 2 Rubel zahlen, wogegen
die Erben eine Summe von 1000 Rubeln er-
halten.


Ich beſchließe dieſe Rubrik mit der An-
zeige zweyer der wichtigſten Anſtalten zur
Unterſtuͤtzung und Bequemlchkeit des
Publikums
. Dieſe ſind der Lombard
und die Leihebank fuͤr den Adel und
die Staͤdte
.


Der Lombard iſt eine mit dem Findel-
hauſe verbundene und von der Kaiſerinn ga-
rantirte Einrichtung, deren Verfaſſung im
Weſentlichen mit denen in andern Laͤndern uͤber-
einkommt. Dieſe Anſtalt leiht auf Gold und
Silber drey Viertheile des Werths, auf un-
edle Metalle die Haͤlfte, und auf aͤchte Stei-
ne, Kleider, Pelzereyen, u. ſ. w. ſo viel
als nach Maaßgabe der Umſtaͤnde gut gefunden
wird, doch nie unter zehn und uͤber tauſend
Rubel. Der Werth der eingebrachten Sachen
wird durch beeidigte Taxatoren beſtimmt. Die
Gelder werden auf drey, ſechs oder neun Mo-
nate, hoͤchſtens auf ein Jahr, aber nie auf
eine laͤngere Zeit ausgegeben. Den Verpfaͤn-
dern wird zur Einloͤſung nur eine dreywoͤchent-
[271] liche Friſt nach Verlauf des Termins, gegen Er-
legung der Zinſen fuͤr einen ganzen Monat zuge-
ſtanden. Nach dieſer Zeit werden ſie durch oͤf-
fentlichen Ausruf verkauft, wobey die Eigenthuͤ-
mer alles, was uͤber die Anleihe, Zinſen und
Unkoſten einkoͤmmt, gewiſſenhaft zuruͤckerhalten.
Die Zinſen betragen, fuͤr jeden auf drey Mona-
te laufenden Schein, einen halben Kopeken fuͤr
jeden Rubel, einen ganzen Kopeken aber, wenn
Diamanten oder aͤhnliche Koſtbarkeiten verpfaͤn-
det werden. — Der Lombard gewaͤhrt dem
Publikum auch die Bequemlichkeit, daß man
Gelder in demſelben auf eine unbeſtimmte Zeit
niederlegen, oder auch jahrweiſe auf Zinſen
geben kann. Im letztern Fall erhaͤlt man die
geſetzmaͤßigen Zinſen in der Muͤnze des Kapi-
tals *).


Von ausgedehnterer Beſtimmung und groͤ-
ßerer Wichtigkeit iſt die Leihebank fuͤr den
[272] Adel und die Staͤdte. Dieſes ſehr merkwuͤrdige
Inſtitut erhielt ſein Daſeyn durch eine ebenfalls
ſehr merkwuͤrdige Ukaſe, die ſo reichhaltig an
ſtatiſtiſchen Factis, und ſo unterſcheidend durch
ihren Zweck und durch die Behandlung deſſelben
iſt, daß ein fruchtbarer Auszug dem groͤßten
Theil meiner Leſer hier gewiß willkommen ſeyn
wuͤrde, wenn der Gegenſtand und der Plan dieſer
Blaͤtter eine Abweichung von dem Umſang ge-
ſtattete. Wir werden uns alſo, um unſerm
Zweck getreu zu bleiben, nur auf die Kenntniß
der weſentlichſten Einrichtungen der Leihbank be-
ſchraͤnken.


Katharina die Zweyte legte im Jahr
1786 zwey und zwanzig Millionen Rubel zu
Darlehnen fuͤr den Adel, eilf Millionen fuͤr die
Staͤdte, und drey Millionen fuͤr die tauriſche
Provinz nieder, die zur Befoͤrderung der Land-
wirthſchaft, der ſtaͤdtiſchen Induſtrie und der
Kultur uͤberhaupt ausgeliehen werden ſollten.
Die Bedingungen, unter welchen dies geſchieht,
ſind im Weſentlichen folgende *).


Die
[273]

Die Bank leiht nur auf unbewegliche Guͤ-
ter. Da der Werth eines ruſſiſchen Landguts
nach der Anzahl der Bauern beſtimmt wird,
ſo ſetzt die Bank die letzte Reviſion als Richt-
ſchnur feſt, und nimmt den Bauer zu vierzig
Rubel an; ſo daß ein Gutsbeſitzer, der tau-
ſend Rubel verlangt, fuͤnf und zwanzig Bau-
ern als Unterpfand ſtellen muß. Das Darlehn
wird auf zwanzig Jahre gegeben; der Ver-
pfaͤnder zahlt naͤmlich alle Jahre fuͤnf vom
Hundert Zinſen, und drey vom Hundert vom
Kapital ab, ſo daß er nach zwanzig Jahren
ſein ganzes Darlehn zuruͤckbezahlt hat.


Die Anlehne werden fuͤr Niemand und
durch nichts, als durch den Werth und die
Zuverlaͤßigkeit des Unterpfandes beſchraͤnkt;
Jeder kann daher ſo viel Geld verlangen und
erhalten, als er dafuͤr geſetzliches Unterpfand
zu geben im Stande iſt. Doch leiht die Bank
nicht unter tauſend, und nur zu tauſend Ru-
beln, letzteres um den Verwirrungen einer
weitlaͤuftigen und ſchwierigen Berechnung zu
entgehn. Man kann alſo nur 25, oder 75,
oder 100 u. ſ. w. Bauern verpfaͤnden.


Erſter Theil. S
[274]

Das verpfaͤndete Vermoͤgen iſt keinem Be-
ſchlage, keiner Konfiskation, keiner Krons-
oder Privatforderung unterworfen. — Alle
vier Jahre wird ein, dem ſchon bezahlten
Theile des Kapitals, an Werthe gleicher,
Theil des Pfandes freygegeben. — Die
Bank kann anderwaͤrts verpfaͤndete oder zur
Bezahlung der Schulden angewieſene Guͤter
einloͤſen; auch verpfaͤndete Guͤter koͤnnen ver-
kauft werden, aber alsdann uͤbernimmt der
Kaͤufer alle Verpflichtungen des Verkaͤufers
gegen die Bank.


Den Werth des Pfandes beſcheinigt der
buͤrgerliche Gerichtshof des Gouvernements und
muß dafuͤr haften. Die Zinſen werden nach
Verlauf eines Jahres entrichtet. Die Bank
giebt zehn Tage Friſt; wer einen Monat
ſaͤumt, zahlt ein Prozent Strafe; eben dies
gilt auch vom zweyten und dritten Monat.
Wenn aber Jemand uͤber drey Monate zoͤgert,
ſo nimmt das adliche Vormundſchaftsamt das
verpfaͤndete Gut in Verwaltung. Von den
Einkuͤnften werden die Zinſen und Strafgelder
abbezahlt und der Reſt wird dem Gutsherrn
zugeſtellt.


[275]

Die Einwohner der Staͤdte erhalten Dar-
lehen auf ihr unbewegliches Vermoͤgen, und
zahlen jaͤhrlich vier vom Hundert Zinſen und
drey vom Hundert Kapital; ſind alſo in zwey
und zwanzig Jahren von ihrer Schuld befreyt.


Mit der Bank iſt eine Depoſitokaſſe
verbunden, welche Gelder zu vier und ein hal-
bes vom Hundert annimmt. Die niedergeleg-
ten Summen koͤnnen zu jeder Zeit zuruͤckgefor-
dert werden. Bey ſehr großen Summen iſt
eine vorhergehende Aufkuͤndigung noͤthig.


Die Verſicherungsanſtalt fuͤr ſtei-
nerne Gebaͤude, die zu dieſer Bank gehoͤrt,
kennen wir ſchon aus dem fuͤnften Abſchnitt. —


Alle die Thatſachen, welche dieſe und die
vorhergehende Rubriken enthalten, ſind eben
ſo viele Beweiſe fuͤr das große Wort, welches
Katharina die Zweyte in der Stiftungs-
ukaſe der Leihebank ſagt: „Das Wohl der
Menſchheit, beſonders aber Unſerer
Unterthanen
, iſt Geſetz fuͤr Unſere
Gedanken und fuͤr die Empfindun-
gen Unſers Herzens
.“


S 2
[276]

Achter Abſchnitt.
Erziehungs- und Unterrichtsanſtalten.


Militairiſche Erziehungshaͤuſer. Das Landkadettenkorps.
Phyſiſche, moraliſche, wiſſenſchaftliche und militai-
riſche Bildung in demſelben. Seekadettenkorps. In-
genieur- und Artilleriekadettenkorps. Griechiſches
Korps. Pagenkorps. — Wiſſenſchaftliche Lehran-
ſtalten. Mediziniſchchirurgiſche Schule. Schulen beym
Land- und Seehospital. Bergkadettenkorps. Prie-
ſterſeminarium. Gymnaſium der Akademie der [Wiſ-
ſenſchaften]
. — Bildungsanſtalten fuͤr Kuͤnſtler.
Erziehungsanſtalt der Akademie der Kuͤnſte. Theater-
ſchule. — Gewerbſchule fuͤr Navigation. — Weib-
liche Erziehungsanſtalt im Fraͤulein- und Jungfernſtift
des woskreſenskiſchen Kloſters. — Normal und
Volksſchulen. — Allgemeine Ueberſicht. Anzahl
der Zoͤglinge und Einkuͤnfte aller dieſer Inſtitute. —
Privaterziehung. Penſionsanſtalten. Utſchitel.


So wie St. Petersburg der Mittelpunkt
der verfeinerten Induſtrie und der Aufklaͤrung
iſt, ſo iſt es auch der vorzuͤglichſte Sitz der
[277] großen oͤffentlichen Anſtalten fuͤr Nationalbil-
dung. Wenn dieſe gleich nicht auf den Vor-
theil und die Beduͤrfniſſe de[r] Reſidenz allein
berechnet ſind, ſo werden ihre naͤhern und
entferntern Wirkungen doch nirgend merklicher
als hier, und ſie verdienen daher mit Recht
ihren Platz in dieſem Gemaͤhlde.


Seit der Regeneration die Peter der
Große
mit ſeinem Volke begann, war Na-
tionalbildung ein Gegenſtand der oͤffentlichen
Sorge. Dieſer große Fuͤrſt machte ſelbſt den
Anfang zu einem, des Schoͤpfers der ruſſi-
ſchen Nation ſo wuͤrdigen Unternehmen: ihm
verdanken das akademiſche Gymnaſium und das
Seekadettenkorps ihren Urſprung. Unter ſei-
nen Nachfolgern zeichneten ſich die Kaiſerinnen
Anna und Eliſabeth durch die Befolgung
dieſes ſeines wichtigſten Planes aus. Unter
der Regierung der erſtern ward der Grund zu
der groͤßten Erziehungsanſtalt des ruſſiſchen
Reichs, zum Landkadettenkorps, gelegt; und
Eliſabeth gab der Akademie der Kuͤnſte ihr
Daſeyn, und dem von Petern geſtifteten See-
kadettenkorps eine neue, erweiterte Verfaſ-
ſung.


S 3
[278]

Aber ſo glaͤnzend auch dieſe wohlthaͤtigen
Stiftungen in den Annalen des Jahrhunderts
hervorſchimmern, ſo ſehr werden ſie doch von
den ſpaͤtern Entſtehungen verdunkelt, wenn
wir die Geſchichte der ruſſiſchen Volksbildung
bis in die Zeiten Katharinens der Zwey-
ten
verfolgen. Dieſe Fuͤrſtinn, unſterblich
in den Jahrbuͤchern der Welt durch alles was
ſie gethan hat, aber unvergeßlich in den Her-
zen aller Menſchenfreunde und Philoſophen
durch Geſetzgebung und Schulen, hat den
Plan ihres großen Vorgaͤngers zur Aufklaͤrung
und Bildung der Nation nach ſolchen Grund-
ſaͤtzen und in einem ſolchen Umfange vollendet,
als Er ſelbſt, bey aller Rieſengroͤße ſeines
Geiſtes, in einem ſo nahen Zeitalter nicht ge-
ahndet haben kann. Von ihrer wohlthaͤtigen
Hand geleitet, hat ſich die Maſſe gemeinnuͤ-
tziger Aufklaͤrung, die bisher in den Haupt-
ſtaͤdten, wie in einem Behaͤlter, mehr zum
Prunk als zum Nutzen, zuſammengehalten
war, in viele tauſend kleine Kanaͤle vertheilt,
die ſich uͤber das ganze Land verbreiten und den
Boden uͤberall fuͤr den Saamen einer hoͤheren
Kultur empfaͤnglich machen. Ihr weiht der
[279] Patriot und der Weltbuͤrger ſeinen Dank,
wenn er jetzt in den oͤffentlichen Blaͤttern lieſt,
wie der Geiſt der Aufklaͤrung und nuͤtzlicher
Kenntniſſe neue Gebiete erobert, deren Be-
wohner bisher dem eiſernen Himmel glichen,
unter welchem ſie ihr pflanzenaͤhnliches Daſeyn
vertraͤumten.


Die oͤffentlichen Anſtalten fuͤr National-
bildung, die jetzt in der Reſidenz bluͤhen, ſind
ihre Entſtehung zum groͤßern Theil — ihre
Erweiterung und zweckmaͤßige Verbeſſerung
aber alle ohne Ausnahme der jetzigen Kaiſerinn
ſchuldig. Um dieſe fuͤr das Reich ſo wichtigen
und fuͤr den Philoſophen ſo intereſſanten Ge-
genſtaͤnde in einer gewiſſen nicht ganz willkuͤhr-
lichen Ordnung zur Muſterung aufzufuͤhren,
wollen wir ſie, nach ihren weſentlichſten Zwe-
cken, in ſechs Klaſſen theilen.


Die erſte begreift fuͤnf der militairi-
ſchen
Bildung vorzuͤglich gewidmete Anſtalten,
und unter dieſen behauptet das Landkadet-
tenkorps
, wegen ſeines allgemeinern Zwecks
und ſeiner Groͤße und Wichtigkeit, den erſten
Rang. Aus dieſer Urſache, und weil die Ein-
richtung dieſes Inſtituts faſt bey allen militai-
S 4
[280] riſchen Erziehungskorps zum Grunde liegt, wer-
de ich bey der Schilderung deſſelben ſo aus-
fuͤhrlich ſeyn, als es der Plan dieſes Ge-
maͤhldes geſtattet.


Zuerſt alſo von dem Lokale dieſer merk-
wuͤrdigen Anſtalt. Der Umfang ihres Gebiets,
welcher drittehalb Werſt betraͤgt, iſt theils
mit den noͤthigen Gebaͤuden beſetzt, und theils
zu einem großen Garten und Lagerplatz einge-
richtet. Die vorzuͤglichſten Gebaͤude des Korps
ſind der ehemalige Mentſchikowiſche Pal-
laſt, in welchem es geſtiftet ward, und das
eigentliche Hauptgebaͤude, welches, außer dem
Erdſchoß, nur zwey Stockwerke hat, und
in einer Linie von 366 Klaftern fortlaͤuft. Die
aͤußere und innere Einrichtung dieſes letztern
iſt, ſeinem Zweck gemaͤß, ſehr einfach; uͤber-
all iſt der Prunk der Bequemlichkeit aufge-
opfert. Es enthaͤlt, außer den noͤthigen Woh-
nungen, Schlafgemaͤchern, Lehr- und Kran-
kenzimmern, auch drey große, fuͤr ihre Ab-
ſicht gut ausgeſchmuͤckte Erholungsſaͤle. In
dem erſtgenannten Pallaſt ſind die mit mehr
Aufwand eingerichteten Saͤle fuͤr die Aſſem-
bleen befindlich. Dieſe und die uͤbrigen Ge-
[281] baͤude enthalten ferner die Kanzelley, eine
Reitbahn, eine Schriftgießerey und Druckerey,
ein naturhiſtoriſches und phyſikaliſches Kabinett,
eine Bibliothek, einen Schauſpielſaal, eine
ruſſiſche Kirche, und eine lutheriſche und ka-
tholiſche Kapelle. — So viel von dem Lokale
dieſes großen und vielumfaſſenden Inſtituts,
das in vieler Ruͤckſicht das einzige ſeiner Art
iſt; und nun einige Zuͤge, um die Organi-
ſation
deſſelben zu karakteriſiren.


Das Landkadettenkorps iſt, wenigſtens ſei-
nem Hauptzweck nach, eine Militairſchule;
das Syſtem der Erziehung, und folglich auch
die Leitung und Aufſicht derſelben, ſind mili-
tairiſch. Die Direktion der ganzen Anſtalt
wurde bey ihrer erneuerten Stiftung im Jahr
1766, einem Generaldirektor uͤbertragen, wel-
chem ein Adminiſtrationsrath zugeordnet war,
der aus vier, von der Kaiſerinn ernannten
Perſonen beſtand. Itzt iſt dieſer Rath einge-
gangen, und der Graf zu Anhalt bekleidet
die Stelle eines Oberaufſehers ohne alle Ein-
ſchraͤnkung. In der allgemeinen Sorge fuͤr
das Ganze iſt der Obriſtlieutenant des Korps
S 5
[282] ſein Gehuͤlfe; das ſaͤmmtliche uͤbrige Perſo-
nale iſt zu untergeordneten Zwecken beſtimmt.


Immer um das dritte Jahr nimmt das
Korps hundert und zwanzig, fuͤnf- bis ſechs-
jaͤhrige Knaben auf. Zu den Erforderniſſen
der Aufnahme gehoͤrt, daß die Vaͤter von
Adel ſeyn, d. h. in buͤrgerlichen oder Kriegs-
dienſten den Rang als Stabsoffiziere haben, und
daß die Kinder vollkommen geſund ſeyn muͤſſen,
weshalb ſie auch der Beſichtigung des Arztes
unterworfen werden. Vorzuͤgliche Anſpruͤche
an die Aufnahme haben die Kinder, deren
Vaͤter arm ſind, oder in Schlachten fuͤr das
Vaterland ihr Leben verloren haben, oder die
aus ſehr entfernten Provinzen hierher geſchickt
ſind. Alle einmal Aufgenommene koͤnnen unter
keinerley Vorwand wieder weggenommen wer-
den, ſondern muͤſſen, bis zur Vollendung
ihrer Erziehung im Inſtitute bleiben. Außer
dieſen hundert und zwanzig Knaben, werden,
nach einer Stiftung des wirklichen Geheimen-
raths Bezkoi, noch fuͤnfe unter eben dieſen
Bedingungen aufgenommen; und im Jahr
1772 legte die Kaiſerinn eine Summe von
100,000 Rubeln nieder, deren Zinſen dazu
[283] beſtimmt ſind, bey jeder Aufnahme funfzehn
und mehrere Knaben, deren Vaͤter nicht in
dem Range eines Stabsoffiziers ſtehen, die
Erziehung im Korps genießen zu laſſen. Die
Summe aller Aufzunehmenden iſt alſo 140
und druͤber, und die Anzahl aller Kadets
uͤber 700.


Bey ihrer Aufnahme treten die Kadets
in das erſte Alter, tragen eine braune Ma-
troſenkleidung mit blauen Guͤrteln, und ſte-
hen unter weiblicher Aufſicht, zu welchem Be-
huf eine Direktrice, nebſt zehn Gouvernanten
und mehreren Aufwaͤrterinnen angeſtellt ſind.
Nach drey Jahren ruͤcken ſie in das zweyte
Alter
, wo ſie eine der vorigen aͤhnliche Klei-
dung von blauer Farbe bekommen, und der
Aufſicht von acht Gouverneurs anvertraut wer-
den, denen ein Inſpektor vorgeſetzt iſt. Der
Bedienten ſind hier ſchon wenigere, als im
erſten Alter. Nach Verlauf eines ebenmaͤßigen
Zeitraums von drey Jahren gehen die Zoͤglin-
ge in das dritte Alter uͤber, welches eine
graue Kleidung hat, und in welchem die Auf-
ſicht Feldoffizieren uͤbergeben iſt. Wenn die
Kadets hier ebenfalls drey Jahre zugebracht
[284] haben, welches auch bey den folgenden Altern
der beſtimmte Zeitraum iſt, ſo treten ſie in
das vierte, oder erſte militairiſche
Alter
, in welchem ſie ihre bisherige Kleidung
gegen eine einfache und zweckmaͤßige Uniform
vertauſchen. In dieſem und dem fuͤnften
Alter
ſtehen ſie unter der Aufſicht der Offi-
ziere des Korps, welche im Rang eine Stufe
vor die Feldarmee voraus haben. Der Etat
derſelben beſteht, außer dem Obriſtlieutenant,
in zwey Majors, ſechs Kapitains, zwoͤlf
Lieutenants und ſechs Faͤhnrichs. — Zu dem
uͤbrigen Perſonale des Korps gehoͤren: ein
Polizeymeiſter, ein Stallmeiſter, (izt) fuͤnf
und ſechzig Lehrer, von denen einige das Praͤ-
dikat als Profeſſoren haben, mehrere Zeichen-
Fecht- und Tanzmeiſter, ein Arzt, ein Staab-
und zwey Unterwundaͤrzte, ein Apotheker,
ein Ober- und zwey Unteroͤkonomen, und, auſ-
ſer den Kanzelleybedienten und allen zur innern
Wirthſchaft des Korps gehoͤrigen Leuten, auch
ein griechiſcher, ein lutheriſcher und ein katho-
liſcher Geiſtlicher.


Der allgemeine Zweck dieſer Anſtalt zer-
faͤllt, ſeiner Natur nach, in folgende unter-
[285] geordnete Zwecke: phyſiſche, moraliſche, wiſ-
ſenſchaftliche und militairiſche Bildung. Die
Wichtigkeit eines Inſtituts, in welchem ein
großer, maͤchtiger, zur Kultur hinanſtreben-
der Staat, ein fuͤr das Wohl des Ganzen ſo
wichtiges Ziel, an einer ſolchen Anzahl junger
Buͤrger aus den erſten Staͤnden des Volks zu
erreichen ſucht, iſt ein allzumerkwuͤrdiger Ge-
genſtand der Unterſuchung, als daß eine un-
partheyiſche Schilderung deſſelben hier an der
unrechten Stelle ſeyn koͤnnte.


Wenn die einzelnen Theile dieſes großen
Ganzen hin und wieder gerechtem Tadel aus-
geſetzt ſind, (und welche menſchliche Anſtalt
iſt das nicht?) ſo kann dieſer die phyſiſche
Erziehung
am wenigſten treffen. Das Sy-
ſtem derſelben iſt Abhaͤrtung; aber ohne in
Barbarey auszuarten, oder das Leben der
jungen Zoͤglinge paͤdagogiſchen Verſuchen preis
zu geben. Die wichtigſte Grundlage der phyſi-
ſchen Bildung in großen Inſtituten, Reinlich-
keit, iſt durchaus und uͤberall in ſo hohem
Grade vorhanden, als ſie ſelten in aͤhnlichen
Anſtalten ſtatt finden wird. Die Kleidung iſt zu-
reichend und bequem; aber ſelbſt im haͤrteſten
[286] Winter wird weder Pelz noch Mantel geſtat-
tet. Die Nahrung der Kadets iſt einfach und
gut zubereitet; Mittags erhalten ſie Fleiſch,
des Abends nur gekochte Fruͤchte, und dergl.
Ihr Fruͤhſtuͤck iſt eine Semmel, ihre Vesper-
koſt eine Schnitte ſchwarzes Brod, ihr Ge-
traͤnk Waſſer. Jedes Alter hat einen großen
Schlafſaal, der des Winters nur ſehr wenig
geheizt wird, und jeder Kadet ſein eigenes
reinliches Bette. Die Tageordnung, in Ruͤck-
ſicht auf koͤrperliche Erziehung iſt dieſe. Mor-
gens, nach fuͤnf Uhr ſtehen ſie auf; die Zeit
bis ſieben iſt der Reinlichkeit, dem Fruͤhſtuͤck,
u. ſ. w. gewidmet. Von ſieben bis eilf genie-
ßen ſie den Unterricht, wobey jedoch eine kleine
Pauſe einfaͤllt, waͤhrend welcher ſie die Lehr-
ſaͤle verlaſſen duͤrfen. Die letzte Stunde des
Vormittags iſt koͤrperlichen Uebungen beſtimmt.
Um zwoͤlf wird gegeſſen; bis zwey Uhr iſt
Erholungszeit. Von zwey bis ſechs ſind Lehr-
ſtunden; dann wieder eine Pauſe zur Erho-
lung. Um ſieben Uhr Abendtafel; der Reſt
des Tages iſt der Vorbereitung, Wiederho-
lung, u. ſ. w. gewidmet. Nach neun Uhr iſt
alles zu Bette. — Die Zeit von einem Ta-
[287] ge zum andern iſt alſo in drey gleiche Theile
getheilt: acht Stunden Schlaf, acht Stun-
den ſitzende Beſchaͤftigung, und acht Stunden
Bewegung und Erholung; ein Verhaͤltniß
welches fuͤr den menſchlichen Koͤrper das zu-
traͤglichſte iſt. Die Art, wie dieſer letzte Zeit-
raum ausgefuͤllt wird, iſt nicht weniger zweck-
maͤßig. Drey große Rekreationsſaͤle ſind haupt-
ſaͤchlich zu dieſer Abſicht beſtimmt. Hier koͤn-
nen ſich die Kadets im Fechten, Voltigiren
und andern koͤrperlichen Geſchicklichkeiten uͤben,
und fuͤr Unterhaltungen edlerer Art iſt auch
geſorgt. Buͤcher, Zeitungen, Journale, Erd-
und Himmelskugeln bieten ihnen den mannig-
faltigſten Zeitvertreib dar; ſelbſt die Verzie-
rungen, mit denen dieſe Saͤle geſchmuͤckt ſind,
laden zum Unterricht ein, indem ſie nur zu
vergnuͤgen ſcheinen. In dem Saal des vierten
und fuͤnften Alters ſind die Buͤſten großer
Maͤnner des Alterthums und die Bildniſſe
merkwuͤrdiger Menſchen unſerer Zeit aufgeſtellt;
die Erholungsſaͤle der uͤbrigen Alter ſind ſtatt
der Wandtapeten mit den Abbildungen der ver-
ſchiedenen Nationen des ruſſiſchen Reichs in
ihren eigenthuͤmlichen Trachten bemalt. Im
[288] Sommer, waͤhrend welchem die militairiſchen
Alter einige Wochen hindurch im Lager ſtehen,
wird der Garten des Korps eine Quelle man-
nigfaltiger Unterhaltung fuͤr die juͤngern Zoͤg-
linge. Hier ſind kleine Felder und Gaͤrten von
ihrer eigenen Anlage, wo ſie die Arbeiten des
Feldbaus in kleinen praktiſchen Verſuchen ken-
nen lernen. Bey allen dieſen Erholungen wer-
den ſie von den Aufſehern begleitet, die uͤber
ihre koͤrperlichen und geiſtigen Beſchaͤftigungen
wachen muͤſſen. —


Das Syſtem der phyſiſchen Erziehung
iſt Strenge: das der moraliſchen, Gelin-
digkeit. Man ſucht die Unſittlichkeit zu verhuͤ-
ten, um ſie nicht beſtrafen zu duͤrfen. Das
erſte und wichtigſte Mittel, deſſen man ſich
zu dieſem Endzweck bedient, iſt ununter-
brochene Aufſicht. Dieſe, und folglich auch
die ganze moraliſche Ausbildung, iſt den Gou-
verneuren und Offizieren uͤbergeben. Jeder
derſelben hat eine beſtimmte Anzahl Kadets
unter ſeiner beſondern Aufſicht, fuͤr deren
Auffuͤhrung er haften muß. Selbſt in den
Lehrſtunden ſind beſtaͤndig welche zugegen, weil
die Lehrer es bloß mit dem Unterricht zu thun
haben;
[289] haben; eben ſo in den Rekreationsſaͤlen und
Schlafzimmern. Da der ſittliche Karakter des
Aufſehers hier alles entſcheidet, ſo iſt man
natuͤrlich in der Auswahl der Leute zu dieſen
Stellen ſehr behutſam; und nie vielleicht hat
das Kadettenkorps mehr Sorgfalt in dieſer
Ruͤckſicht bewieſen, als unter der Direktion
des Grafen zu Anhalt. Ehre und Schan-
de ſind die einzigen Motive, welche der vorge-
ſchriebene Plan zu gebrauchen erlaubt. Koͤr-
perliche Strafen ſind durchaus verbannt; bey
wichtigen Fehltritten werden kleine militairiſche
Zuͤchtigungen und Ehrenſtrafen angewandt;
man ſetzt die Kadets auf Waſſer und Brod,
man nimmt ihnen die Erlaubniß, ihre Eltern
oder Verwandte zu beſuchen, u. ſ. w. Das
Gefuͤhl der Ehre wird durch Auszeichnungen
und Belohnungen erweckt, die in kleinen Ge-
ſchenken und Preisaustheilungen von Buͤchern,
Inſtrumenten, oder in goldenen und ſilbernen
Medaillen, auf den Rock geſtickten Marken,
u. ſ. w. beſtehen. Dieſe ſanfte Erziehungsart,
welche bey gutartigen Kindern vortreffliche
Wirkung thut, ſcheint dennoch ein wenig zu
allgemein berechnet zu ſeyn; denn nach dieſen
Erſter Theil. T
[290] Grundſaͤtzen, die ſehr genau befolgt werden,
giebt es faſt kein Mittel, die Faulen, Wider-
ſpenſtigen, Unempfindlichen zur Beſſerung zu
zwingen, deren doch unter einer ſo großen An-
zahl nicht wenige ſeyn koͤnnen. Da die Auf-
ſeher, wie geſagt, ſaͤmmtlich Leute von gutem
moraliſchen Karakter und einer gewiſſen Aus-
bildung ſind, ſo bleibt den Kadets faſt keine
Gelegenheit zur Verfuͤhrung uͤbrig. Sie wer-
den nur ſelten, auf die beſondere Erlaubniß
des Chefs, nie ohne Begleitung, und nur auf
wenige Stunden des Sonntags aus dem Hau-
ſe gelaſſen, um ihre Eltern und Verwandten
zu beſuchen, die ſie jedoch im Korps ſelbſt zu
ſehen und zu ſprechen oͤftere Gelegenheit haben.
Den Winter hindurch iſt monatlich an einem
Sonntage oͤffentliche Aſſemblee, wobey das
ganze anſtaͤndige Publikum zugelaſſen wird.
Die Kadets treten nach der Ordnung der Al-
ter paarweiſe unter kriegeriſcher Muſik in den
Saal, wo ſie durch Schranken von den Zu-
ſchauern abgeſondert ſind, mit welchen ſie ſich
zwar unterhalten duͤrfen, aber ohne Geld
oder Geſchenke anzunehmen. Um ihnen eine
anſtaͤndige Dreiſtigkeit einzufloͤßen, werden ſie
[291] hier zum Tanzen aufgefordert, und in eben
dieſer Abſicht iſt es ihnen auch erlaubt, jaͤhr-
lich einmal auf ihrem ſehr ſchoͤn eingerichteten
Theater zu ſpielen. Zuweilen, aber ſehr ſel-
ten, wird ein oͤffentlicher Ball gegeben, wobey
die Kinder aus dem Fraͤuleinſtift zugegen ſind.
— So lange die Kadets im Korps erzogen
werden, duͤrfen ſie weder Geld noch irgend
etwas beſitzen, was ihnen nicht nach dem
Plan zugeſtanden iſt; es wird daher dem
Sohn des reichſten Fuͤrſten nicht erlaubt, fei-
nere Waͤſche oder Kleider, als der aͤrmſte ſei-
ner Mitzoͤglinge zu tragen.


Das Reſultat dieſer Erziehungsart iſt,
nach allen vorhandenen Umſtaͤnden, immer ſehr
vortheilhaft. Bosheit, Intrigue, Unſittlich-
keit, und alle die Laſter, die gewoͤhnlich in
großen Erziehungsanſtalten zu Hauſe ſind,
werden hier nicht gefunden; im Gegentheil
iſt eine gewiſſe Gutmuͤthigkeit und Lenkſam-
keit, wenigſtens bey dem groͤßern Theile, herr-
ſchend. Nach denen ſeit kurzen entlaſſenen
Zoͤglingen zu urtheilen, iſt kein hervorſtechen-
der Karakter ſichtbar, den man der Erziehungs-
methode zuzuſchreiben Grund haͤtte; im Gegen-
T 2
[292] theil fallen die Proben, nach den mannigfal-
tigen Anlagen und innern Beſtimmungen, auch
ſehr mannigfaltig aus. Immer genug, und
mehr als genug, wenn die zufaͤlligen Kombina-
tionen einer funfzehnjaͤhrigen, ſehr zuſammen-
geſetzten, auf ſiebenhundert Koͤpfe und Herzen
gerichteten, und dennoch auf Einen Plan be-
rechneten Erziehung die Gegenſtaͤnde ihrer Ver-
arbeitung nicht ſchlechter an Gehalt und beſſer
an Form zuruͤckliefern, als ſie ſie aus den Haͤn-
den der ſchaffenden Natur empfingen.


So wie die ſittliche Bildung den Aufſe-
hern allein uͤbergeben iſt, ſo haben die Lehrer
es nur mit der wiſſenſchaftlichen zu thun;
man ſieht alſo, daß dieſe Gegenſtaͤnde voͤllig
von einander abgeſondert ſind. Der Unterricht
theilt ſich in den militairiſchen und buͤrgerli-
chen; jener iſt nur fuͤr das vierte und fuͤnfte
Alter und fuͤr die adlichen Zoͤglinge, die ſich
dem Kriegsdienſte widmen, beſtimmt. Die
geſammten Gegenſtaͤnde des Unterrichts, die
gegenwaͤrtig gelehrt werden, ſind, außer den
allgemeinen Elementarkenntniſſen und der Reli-
gion: die ruſſiſche, deutſche und franzoͤſiſche
Sprache, Erdbeſchreibung, Statiſtik, Ge-
[293] ſchichte, Phyſik und Naturgeſchichte, ſchoͤne
Wiſſenſchaften, Logik, buͤrgerliche und Kriegs-
baukunſt, Geometrie und Algebra. Auſſerdem
werden die Zoͤglinge des Korps, nach ihrem
Alter, im Zeichnen, Tanzen, Reiten, Fechten,
Voltigiren, Drechſeln, Recitiren und Dekla-
miren, Ausmeſſen und Aufnehmen eines Ter-
rains, u. ſ. w. unterwieſen. Jedes Alter iſt
in Ruͤckſicht auf den wiſſenſchaftlichen Unter-
richt in fuͤnf Klaſſen getheilt, ſo daß alſo in
Einer nicht mehr als etwa acht und zwanzig
Zoͤglinge im Durchſchnitt zugegen ſind. Die
Kenntniſſe die in jeder Klaſſe gelehrt werden,
ſind dem Alter vollkommen angemeſſen, und
uͤberhaupt iſt dieſe Einrichtung ohne Tadel.
Einem ſtrengern Urtheil aber iſt die Methode
des Unterrichts ſelbſt ausgeſetzt, denn hier wird
ſicherlich nicht alles geleiſtet, was doch nach
allen Verhaͤltniſſen noch immer fuͤglich geleiſtet
werden koͤnnte. Es iſt nicht zu leugnen, daß,
mit Ausnahme mehrerer ſehr gebildeter und
kenntnißreicher junger Maͤnner die das Korps
dem Staate geſchenkt hat, der groͤßere Theil
den Erwartungen nicht vollkommen entſpricht,
zu welchem das Publikum, nach der Groͤße
T 3
[294] der angewendeten Mittel, berechtiget iſt. Der
Fehler liegt weder in der Vernachlaͤßigung der
Direktion — denn wer kennt nicht die uner-
muͤdete Thaͤtigkeit und den redlichen Eifer des
Grafen zu Anhalt? — noch in dem
Mangel an geſchickten Leuten, denn das Korps
beſoldet deren fuͤnf und ſechzig, unter welchen
ſich Maͤnner von Talent, Ruf und paͤdago-
giſcher Erfahrung befinden: ſondern in dem
Plan und der Methode des Unterrichts ſelbſt.
Einmal iſt die gaͤnzliche Abſonderung der wiſ-
ſenſchaftlichen und moraliſchen Erziehung, und
der daraus folgende Mangel aller Autoritaͤt
bey den Lehrern, eines der weſentlichſten Ge-
brechen. Wenn der Lehrer, beſonders in den
untern Altern, nicht die Macht hat, Unacht-
ſamkeit, Faulheit und Ungehorſam auf der
Stelle und durch ſich ſelbſt zu beſtrafen, ſon-
dern ſich bey jedem einzelnen Fall an den, ge-
rade nicht immer anweſenden Gouverneur oder
Offizier wenden muß, der auch nicht ſtrafen
darf, ſondern erſt an ſeinen Obern, und ſo
hinauf an den hoͤchſten Chef rapportiren muß:
ſo iſt es unausbleiblich gewiß, daß unter hun-
dert Faͤllen kaum Einmal geklagt werden wird,
[295] und daß alſo der muthwillige Verbrecher die
Wahrſcheinlichkeit vor ſich hat, in neun und
neunzig Faͤllen unbeſtraft zu bleiben. Wenn
ferner in jenem Einen Fall der Chef, ſeiner
Inſtruktion und des Geiſts der Statuten ein-
gedenk, und durch die ſcheinbare Seltenheit
ſolcher Vorfaͤlle getaͤuſcht, immer geneigt iſt,
ſo gelinde als moͤglich zu verfahren, ſo iſt
leicht zu ermeſſen, wie ſehr hierdurch der
Geiſt der Inſubordination uͤberhand nehmen
muß, und wie wenig dem Lehrer, auch bey
dem beſten Willen, zu leiſten moͤglich iſt. —
Ein zweytes Gebrechen liegt in dem Mangel
eines zweck- und folgemaͤßigen Plans fuͤr den
Unterricht. Das Korps hat, vorzuͤglich durch
die Vorſorge ſeines itzigen Chefs, viele, und
zum Theil vortreffliche Lehrbuͤcher; aber es
fehlt an einem ſyſtematiſchen Zuſammenhange
derſelben. Die Lehrer haben keine Inſtruktion,
keine Beſtimmung des Umfangs fuͤr ihren Vor-
trag. Es iſt daher ſehr moͤglich, daß, um
ein Beyſpiel zu geben, in drey oder vier auf
einander folgenden Klaſſen, in einer Wiſſen-
ſchaft immer daſſelbe gelehrt, oder daß es in
der untern Klaſſe ſehr weitlaͤuftig und in der
T 4
[296] obern ſehr kurz vorgetragen wird. — Das
wichtigſte Hinderniß liegt endlich darinn, daß
nur ſehr wenige Wiſſenſchaften und Kenntniſſe
ruſſiſch vorgetragen werden. Die Folgen die-
ſes Mangels ſind ſo in die Augen ſpringend,
daß es uͤberfluͤßig waͤre, weiter etwas hieruͤ-
ber zu ſagen, da ſelbſt der von der Kaiſerinn
unterſchriebene Generalplan dieſes Uebel mit ei-
ner ſehr treffenden Bemerkung ruͤgt. — Ich
uͤbergehe mehrere kleine Maͤngel mit Still-
ſchweigen, weil ſie von geringerm Einfluß
ſind und leicht gehoben werden koͤnnten, wenn
dieſen weſentlichern Gebrechen abgeholfen waͤre.


Die Reſultate der wiſſenſchaftlichen Erzie-
hung laſſen ſich nach dieſer Schilderung leicht
berechnen. Das Talent ſchlaͤgt ſich auch durch
die groͤßten Hinderniſſe durch, und fuͤr den
gutgearteten, wißbegierigen Juͤngling ſind der
Quellen des Unterrichts immer genug. Wenn
hie und da ein Kadet entlaſſen wird, der nach
einem funfzehnjaͤhrigen Unterricht die franzoͤſi-
ſche Sprache, in welcher ihm die mehreſten
Wiſſenſchaften vorgetragen wurden, kaum lal-
len kann: ſo giebt es dagegen auch welche,
die ſchon als Zoͤglinge ihre Mutterſprache durch
[297] gutgerathene Ueberſetzungen aus fremden Spra-
chen bereichern, und dieſe ſowol als jene in
einer Vollkommenheit ſprechen und ſchreiben,
die ihrem Kopf und Fleiß Ehre macht und
die Lehrer des Inſtituts gegen einen Tadel ret-
tet, der nicht ſie, ondern die zufaͤllige Ver-
bindung der Dinge treffen muß, unter deren
Einfluß ſie wirken.


Die militairiſche Bildung ſoll, nach
dem Urtheil der Kenner, fuͤr den Zweck des
Inſtituts zureichend ſeyn. Der weſentlichere
Theil derſelben, der theoretiſche Unterricht in
den einzelnen Faͤchern die zur Kriegswiſſenſchaft
gehoͤren, wird durch geſchickte Lehrer und er-
fahrne Offiziere beſorgt. Im Sommer ſtehen
die Kadets etwa ſechs bis acht Wochen im La-
ger, wo ſie den Dienſt praktiſch kennen ler-
nen, und in den Manoͤvres und Evolutionen
unterwieſen werden. Ehe ſie das Lager verlaſ-
ſen, wird eine oͤffentliche Revuͤe gegeben, bey
welcher natuͤrlich ein Theil des Publikums als
Zuſchauer ſehr intereſſirt iſt, und die daher
vorzuͤglich gefaͤllt.


Nach einem Zeitraum von funfzehn Jah-
ren, waͤhrend welchem der Staat zweyhun-
T 5
[298] dert vierzig junge Buͤrger ernaͤhrt, gekleidet,
und zu ihrer allgemeinen und beſondern Be-
ſtimmung vorbereitet hat, werden dieſe als
Lieutenants (wenn ſie vorzuͤglich gute oder
ſchlechte Zeugniſſe erhalten, als Kapitains oder
Faͤhnrichs) oder wenn ſie ſich dem Civilſtande
widmen wollen, in gleichem buͤrgerlichen Ran-
ge, ohne alle Verpflichtung gegen das Inſti-
tut, entlaſſen. So groß die Wohlthat iſt,
die der Staat durch dieſe Erziehung dem aͤr-
mern Theil ſeiner Buͤrger zuwendet, ſo wich-
tig iſt auch der Vortheil, den er hinwiederum
aus derſelben erhaͤlt; denn wenn auch die Bi-
lanz fuͤr den Staat guͤnſtiger ſeyn koͤnnte, ſo
iſt es doch unwiderſprechlich gewiß, daß ſie
guͤnſtig iſt. — Die ganze Erziehung eines
Kadets, von der Aufnahme bis zur Entlaſ-
ſung, koſtet 4410 Rubel.


Nach dieſer Darſtellung glaube ich die
Ausfuͤhrlichkeit derſelben nicht rechtfertigen zu
duͤrfen. Durch ſie werde ich in den Stand
geſetzt, die hier folgenden Gegenſtaͤnde um ſo
kuͤrzer zu behandeln, da ſie ſaͤmmtlich auf den
naͤmlichen Grundſaͤtzen beruhen.


[299]

Das Seekadettenkorps nimmt 600
Zoͤglinge, unter den naͤmlichen Bedingungen
wie das Landkadettenkorps auf, die in fuͤnf
Kompagnien von 120 getheilt ſind, und fuͤr
den Seedienſt erzogen werden. Der Unterricht
erſtreckt ſich, außer den allgemeinen Kenntniſ-
ſen, vorzuͤglich auf die beſondern Erforderniſſe
dieſer Beſtimmung; es wird daher nautiſche
Geographie, Aſtronomie, Steuer- und Schiff-
baukunſt, engliſche Sprache; ſo wie unter
andern koͤrperlichen Uebungen, Klettern, Schwim-
men, und dergleichen gelehrt. Die Kadets
der erſten Kompagnie, welche Uniform tragen
und Mariniers heißen, werden in dem prak-
tiſchen Seedienſt unterwieſen und kreuzen jaͤhr-
lich auf dem baltiſchen Meer. Sie muͤſſen
wenigſtens drey ſolcher Seereiſen gemacht ha-
ben, ehe ſie aus dem Korps entlaſſen werden,
und alsdann treten ſie als Midſchipsmaͤnner
bey der Flotte in Dienſt. Dieſes Inſtitut,
welches ſeither in Kronſtadt befindlich war, izt
aber nach Oranienbaum verlegt iſt, ſteht un-
ter der Direktion eines Admirals; die Aufſe-
her ſind Offiziere von der Flotte.


[300]

Das Ingenieur- und Artillerieka-
dettenkorps
nimmt 360 adliche und 85
Soldatenknaben auf. Die Benennung dieſes
Inſtituts zeigt die Beſtimmung deſſelben an.
Die Kadets ſind in Kompagnien vertheilt, von
denen die juͤngſten Jaͤgerkleidung und die aͤlte-
ſten Artillerieuniform tragen. Die Soldaten-
knaben bilden eine eigene Kompagnie. Die
Direktion des Ganzen iſt einem General von
der Artillerie uͤbergeben, und die Stellen der
Aufſeher ſind mit Artillerieoffizieren beſetzt. Un-
terricht und Erziehung ſind hier vorzuͤglich mi-
litairiſch. Der erſtere erſtreckt ſich, außer den
drey gewoͤhnlichen Sprachen, hauptſaͤchlich auf
Phyſik, Mathematik, Artillerie, Fortifika-
tion, Taktik und militairiſche Zeichnungen,
und wird durch acht und funfzig Lehrer beſorgt,
denen ein Studiendirektor vorgeſetzt iſt. Die-
ſes Korps hat den Ruhm, daß der praktiſche
Unterricht in den Theilen der Kriegswiſſenſchaft,
die fuͤr den Zweck deſſelben gehoͤren, vortreff-
lich ſeyn ſoll. Die militairiſchen Uebungen im
Lager verſammeln hier im Sommer ein großes
Publikum, welches ſich vorzuͤglich an der Ge-
wandheit der kleinen Jaͤger und an der Fer-
[301] tigkeit der Ausfuͤhrung ergoͤtzt. — Bey ihrer
Entlaſſung werden die Kadets als Stuͤckjunker
bey der Artillerie, oder als Kondukteurs beym
Ingenieurkorps; die Soldatenknaben aber als
Unteroffiziere angeſtellt.


Das griechiſche Korps iſt ſeiner Stif-
tung nach zur Erziehung und Ausbildung ge-
borner Griechen, Albaner, u. ſ. w. beſtimmt,
und fuͤr 200 Zoͤglinge eingerichtet, von denen
aber ein großer Theil Einheimiſche ſind. Die
Knaben werden in einem Alter von zwoͤlf bis
ſechzehn Jahren angenommen, und duͤrfen
nur bey den ruſſiſchen Konſuls abgegeben wer-
den, die ſie auf Koſten der Kaiſerinn nach
St. Petersburg ſenden. Der Zweck dieſer An-
ſtalt iſt weniger militairiſch als der vorherge-
henden; doch wird die Direktion und Aufſicht
durch Offiziere beſorgt, und die Kadets tragen
Uniform. Der Unterricht, fuͤr welchen fuͤnf
und zwanzig Lehrer angeſtellt ſind, iſt dieſer
allgemeinen Beſtimmung angemeſſen; auch
werden hier die italiaͤniſche und andere Spra-
chen gelehrt. Wenn die Erziehung vollendet
iſt, haben die Kadets die Wahl, ob ſie als
Offiziere oder Translateurs in ruſſiſche Dienſte
[302] treten, oder nach ihrem Vaterlande entlaſſen
ſeyn wollen.


In dem Pagenkorps werden 60 bis 70
junge Edelleute, die zugleich bey Hofe den ge-
woͤhnlichen Dienſt verſehen, zu buͤrgerlichen und
militairiſchen Beſtimmungen gebildet. Bey
ihrer Entlaſſung erhalten ſie den Rang als Lieu-
tenants oder Kapitains.


Zu der zweyten Klaſſe der oͤffentlichen Er-
ziehungsanſtalten rechne ich ſolche, deren Haupt-
zweck wiſſenſchaftlich iſt.


Der Arzney- und Wundarzneykunde ſind
drey derſelben gewidmet. Die mediziniſch-
chirurgiſche Schule
nimmt 30 Zoͤglinge
auf, die durch Alter und Vorkenntniſſe in den
Stand geſetzt werden, den hoͤhern Unterricht
zu benutzen. Außer dieſer Anzahl, die gaͤnzlich
auf kaiſerliche Koſten unterhalten wird, ſteht
der Eintritt noch funfzig Juͤnglingen, gegen eine
maͤßige Bezahlung, offen. Sieben Profeſſoren
ertheilen hier den noͤthigen Unterricht, der ſich
auf die vorzuͤglichſten Zweige der mediziniſchen
Wiſſenſchaften erſtreckt. In dem kliniſchen
Hospital, deſſen im vorigen Abſchnitt erwaͤhnt
iſt, werden die aͤltern Zoͤglinge zur Praxis an-
[303] gefuͤhrt. Mit dieſem Inſtitut iſt zugleich eine
praktiſche Lehranſtalt fuͤr die Entbindungskunſt
verbunden. — Aehnliche Schulen ſind in
den beyden großen Hospitaͤlern fuͤr die Land-
und Seetruppen vorhanden; in jeder derſelben
werden 50 Zoͤglinge auf kaiſerliche Koſten ernaͤhrt
und unterwieſen. Beyde Inſtitute ſollen izt
vereinigt und nach einem ausgebreitetern und
verbeſſerten Plan eingerichtet werden.


Das Bergkadettenkorps nimmt 60
Zoͤglinge auf, die in allen Kenntniſſen des Berg-
baus Unterricht erhalten, und hernach als
Bergoffiziere angeſtellt werden. Zehn Knaben
aus den niedern Staͤnden werden nach vollende-
tem Kurſus mit einer jaͤhrlichen Unterſtuͤtzung
von 50 Rubel in fremde Laͤnder verſchickt, wo
ſie bis zu Unterſteigern dienen muͤſſen, um in ih-
rem Vaterlande als Oberſchichtmeiſter anzukom-
men. Dieſes Inſtitut, deſſen große Nutzbar-
keit allgemein anerkannt iſt, nimmt auch Pen-
ſionairs auf.


In dem Seminarium des Alexander
Newski Kloſters, welches unter der Aufſicht des
Mitropoliten ſteht, werden Prieſterſoͤhne zu
kuͤnftigen Geiſtlichen gebildet.


[304]

Das Gymnaſium der Akademie der
Wiſſenſchaften endlich, bereitet 60 bis 70 Kna-
ben zu allen Beſtimmungen vor. Sie haben
freyen Unterhalt, und die faͤhigſten und ge-
ſchickteſten unter ihnen werden auf kaiſerliche
Koſten nach auswaͤrtigen Univerſitaͤten verſendet.
Dieſe Anſtalt, die auch Koſtgaͤnger zulaͤßt, hat
dem Staat viele brauchbare und gelehrte Maͤn-
ner geliefert.


Auch die ſchoͤnen Kuͤnſte haben zwey ih-
rer Fortpflanzung und Ausbreitung gewidmete
Inſtitute. Das wichtigſte und vielumfaſſendſte
iſt die Akademie der Kuͤnſte, die den
doppelten Zweck einer eigentlichen Akademie und
einer Lehranſtalt hat. In jener Ruͤckſicht ver-
ſparen wir ihre Schilderung auf einen der fol-
genden Abſchnitte; als Schule iſt ihre Einrich-
tung dieſe. Die Anzahl der Lehrlinge, welche
aus den ſechsjaͤhrigen Knaben freyer Eltern der
untern Volksklaſſen genommen werden, iſt 325,
von denen 25 durch eine Stiftung des Gehei-
menraths Bezkoi unterhalten werden. Außer
dieſen nimmt das Inſtitut auch Penſionairs ge-
gen ein geringes Jahrgeld an. Saͤmmtliche
Zoͤglinge ſind in fuͤnf Klaſſen getheilt, und
werden
[305] werden bis ins vierzehnte Jahr in allen einem
jungen Kuͤnſtler nothwendigen Vorkenntniſſen
unterrichtet; alsdann aber muͤſſen ſie ſich fuͤr
eins der Faͤcher beſtimmen, welche in der Aka-
demie gelehrt werden. Dieſe ſind: die Male-
rey, die Kupferſtecherkunſt, die Bildhauer-
kunſt, die Muſik, die Baukunſt, und die
Verfertigung kuͤnſtlicher mechaniſcher Arbeiten.
Jaͤhrlich werden Pruͤfungen und oͤffentliche
Ausſtellungen veranſtaltet, welchen das Pu-
blikum beywohnt. Die talentvolleſten und flei-
ßigſten Zoͤglinge, welche viermal den Preis er-
halten haben, werden ſechs Jahre hindurch
auf Koſten der Akademie nach England, Ita-
lien und Frankreich auf Reiſen geſchickt. Wenn
ihre Ausbildung vollendet iſt, ſind ſie von
aller Verbindlichkeit gegen das Inſtitut entlaſ-
ſen. — Die Akademie hat ſchon manches große
Talent zur Vollkommenheit gefuͤhrt und man-
ches ſchlafende Genie erweckt, welches ohne dies
fuͤr die Kunſt verlohren gegangen waͤre; daß
dies bey allen der Fall ſeyn ſollte, wird nie-
mand erwarten. Aber zu bedauren iſts, daß
ſelbſt unter den gelungenen Zoͤglingen dieſer
Schule nur wenige in ihrem Vaterlande ein
Erſter Theil. U
[306] Gluͤck machen. In den Hauptſtaͤdten, wo die
Kunſt geſchaͤtzt und belohnt wird, unterdruͤckt
der Geſchmack und das Vorurtheil fuͤr aus-
waͤrtige Produkte die Strebſamkeit und den
Muth des ruſſiſchen Kuͤnſtlers, und in den
Provinzen ſuchen Talente dieſer Gattung ver-
gebens ihr Brod. Es iſt daher das gewoͤhn-
liche Schickſal junger Kuͤnſtler, daß ſie ge-
zwungen ſind, den Zweck ihrer Erziehung, der
oft zugleich der Gegenſtand ihrer feurigſten Lei-
denſchaft iſt, zu verlaſſen, um ſich durch das
erſte beſte Gewerbe Unterhalt zu verſchaffen —
gluͤcklich, wenn der Mangel anderer Kennt-
niſſe ſie nicht zwingt, in die niedere Abhaͤn-
gigkeit zuruͤckzukehren, die groͤßtentheils bey
der Geburt ihre Beſtimmung zu ſeyn ſchien,
und aus welcher die großmuͤthige Stiftung
Katharinens ſie geriſſen hatte.


Eine zweyte Lehranſtalt dieſer Gattung
ſchraͤnkt ſich einzig auf die Ausbildung zur the-
atraliſchen Kunſt
ein. Die Zoͤglinge ſind
von beyden Geſchlechtern und werden ebenfalls
aus den untern Volksklaſſen, aus den Findel-
haͤuſern, u. ſ. w. genommen. Der Unterricht
umfaßt alle Gegenſtaͤnde des Theaters: Mu-
[307] ſik, Tanz, Mimik, Schauſpielkunſt, und findet
hier einen empfaͤnglichen Boden, da die große na-
tuͤrliche Anlage der Nation zur Erreichung einer
fruͤhen Vollkommenheit mitwirkt. Mehrere Zoͤg-
linge dieſer Schule haben ſchon das Theater der
Reſidenz betreten, und einige derſelben den Bey-
fall des Publikums auf immer erobert.


Die buͤrgerlichen Gewerbe ſind bis izt
nur der Gegenſtand Einer Lehranſtalt, die ſich
auf eine beſtimmte Gattung derſelben einſchraͤnkt.
Die Navigationsſchule, eine Stiftung
der jetzigen Kaiſerinn, erhielt zugleich mit der
Anlage des petersburgiſchen Kauffartheywerfts
ihr Daſeyn. In derſelben werden die engliſche
Sprache, die Schiffbaukunſt, Aſtronomie,
Steuermannskunſt, u. ſ. w. gelehrt. Dieſe
Anſtalt hat 65 Zoͤglinge, die auf Koſten der
Kaiſerinn unterrichtet werden, und nimmt
fremde Lehrlinge gegen Erlegung eines gerin-
gen Schulgeldes an.


Auch die Erziehung des weiblichen Ge-
ſchlechts
iſt in dem großen Plan fuͤr die
Nationalbildung nicht vergeſſen, mit deſſen
einzelnen Theilen wir uns bisher beſchaͤftigt
haben. Eine der koſtbarſten und wichtigſten
U 2
[308] Anſtalten iſt dieſem Gegenſtande gewidmet:
das Fraͤulein- und Jungfernſtift im
woskreſenskiſchen Kloſter. Dieſe Benennung
ſtammt noch von der ehemaligen, durch die
Kaiſerinn Eliſabeth verordneten Beſtim-
mung her, welche Katharina die Zwey-
te
in die jetzige wohlthaͤtigere und gemeinnuͤtzi-
gere umgewandelt hat.


Die ganze innere Einrichtung des Stifts
beruht, mit einigen Modifikationen, auf den
naͤmlichen Grundſaͤtzen, nach welchen das Land-
kadettenkorps organiſirt iſt. Die Anzahl der
Zoͤglinge, die in einem Alter von ſechs Jah-
ren aufgenommen werden, iſt 480, deren eine
Haͤlfte von Adel, die andere buͤrgerlich iſt.
Die Direktion iſt einem Konvent, zunaͤchſt
aber einer Direktrice uͤbergeben; die Aufſicht
wird durch acht Inſpektricen und vierzig Klaſ-
ſendamen beſorgt. Das Perſonale aller ange-
ſtellten Leute iſt, in einem gewiſſen Verhaͤlt-
niß, dem des Landkadettenkorps gleich.


Die adlichen ſowol als buͤrgerlichen Maͤd-
chen ſind in vier Klaſſen vertheilt, die ſich
durch die Farbe ihrer Kleidung unterſcheiden.
In jeder derſelben bleiben ſie drey Jahre, und
[309] nach dieſer zwoͤlfjaͤhrigen Erziehung werden ſie
in einem Alter von achtzehn bis neunzehn Jah-
ren entlaſſen. — Die Grundſaͤtze der phyſi-
ſchen Erziehung ſind im allgemeinen eben die,
welche man bey dem Plan des Landkadetten-
korps zum Grunde gelegt hat. Ihre Guͤte
erweiſt ſich aus der geringen Sterblichkeit im
Inſtitute ſelbſt, und aus dem geſunden, bluͤ-
henden Zuſtande der entlaſſenen Maͤdchen.
Mehrere Jahre nach einander iſt keine derſel-
ben im Kloſter geſtorben, und die Sterblich-
keit der nachtheiligſten Jahre war nie uͤber ſie-
ben. — Das Urtheil, welches einige ſchlecht-
unterrichtete und leichtglaͤubige Reiſende uͤber
die moraliſche Erziehung im Stift gefaͤllt ha-
ben, iſt keiner Widerlegung werth, weil es
ſich taͤglich und ſtuͤndlich durch das allgemeine
Zutrauen widerlegt, in welchem dieſe Anſtalt
beym hoͤhern und niedern Publikum ſteht, und
wodurch die angeſehenſten und reichſten Fami-
lien bewogen werden, derſelben ihre Kinder
zu uͤbergeben. Die Erholungen und Zerſtreu-
ungen die man den Zoͤglingen erlaubt, beſte-
hen auch hier in anſtaͤndigen Ergoͤtzlichkeiten,
Aſſembleen, Tanz, und zuweilen in theatra-
U 3
[310] liſchen Vorſtellungen. Der Geiſt der Erzie-
hung iſt auch hier Gelindigkeit, auch hier ſind
Belohnungen, als das wirkſamſte Mittel be-
nutzt. Sie beſtehen vorzuͤglich in oͤffentlichen
Auszeichnungen durch Bandſchleifen und Medail-
lons, die im Stift getragen werden; bey der Ent-
laſſung aber erhalten ſechs von den Fraͤuleins,
die ihrer Sitten und Ausbildung wegen von
der Direktrice dazu vorgeſtellt ſind, den Chiffre
der Kaiſerinn in Golde, welchen ſie, ſo lange
ſie leben, auf der Bruſt tragen. Auch hier
findet noch eine Auszeichnung ſtatt, denn die
zwey vorzuͤglichſt Empfohlenen erhalten einen
durch ſeine Groͤße unterſchiedenen Chiffre. Fuͤr
die zwoͤlf, nach dieſem Maaßſtabe folgenden
Fraͤuleins, ſind ſechs goldene und eben ſo
viele ſilberne Medaillen beſtimmt. — Die
Kenntniſſe, die man den Zoͤglingen beyzubrin-
gen ſucht, ſind ihren kuͤnftigen Verhaͤltniſſen
angemeſſen. Sie erhalten Unterricht in meh-
reren Sprachen, vorzuͤglich in der franzoͤſiſchen
in der Religion, Erdbeſchreibung, Geſchichte,
Naturlehre, im Briefſchreiben, in der Mu-
ſik, im Tanz, im Deklamiren und in der
Schauſpielkunſt. Die buͤrgerlichen Maͤdchen,
[311] welche an dieſem Unterricht Theil nehmen,
werden auch beſonders zur Handarbeit ange-
fuͤhrt. Die entlaſſenen Zoͤglinge aus dieſer
Klaſſe werden der Verbreitung einer geſitteten
Lebensart in den untern Staͤnden ſehr nuͤtzlich;
ſie verdraͤngen auch hier und da ſchon die Aus-
laͤnderinnen, welche bisher einzig und allein
zur Erziehung in großen Haͤuſern herbeygeru-
fen wurden; aber ihr Schickſal iſt ihnen nicht
allemal guͤnſtig. Einer feinen Lebensart gewohnt,
und durch ihre Ausbildung weit uͤber ihre
Angehoͤrigen erhaben, koͤnnen ſie ſich in dem
Zirkel derſelben nicht allemal gluͤcklich fuͤhlen;
ein Umſtand, der jedoch dadurch gemildert
wird, daß ſie, eben dieſer Erziehung wegen,
leichter verheyrathet werden. In dieſem Fall
erhalten ſie von dem wohlthaͤtigen Inſtitut,
welchem ſie ihr moraliſches Daſeyn zu danken
haben, eine Mitgabe von 100 Rubeln.


Die ſechſte und letzte Klaſſe der oͤffentli-
chen Erziehungsanſtalten begreift die Normal-
und Volksſchulen, deren Beſtimmung
durchaus allgemein iſt. Die Reſidenz hatte
im Jahr 1790 eine Oberſchule, in wel-
cher Phyſik, Naturgeſchichte, Geometrie,
U 4
[312] Sprachen, u. ſ. w. gelehrt werden; und in
allen Stadttheilen dreyzehn mittlere und
niedere Schulen, in denen das Volk im
Leſen, Schreiben, Rechnen, in der ruſſi-
ſchen Geſchichte und Erdbeſchreibung, u. ſ. w.
unterrichtet wird, und welche zuſammen uͤber
3200 Schuͤler (unter dieſen etwa 550 Maͤd-
chen) hatten, die bey weitem zum groͤßeſten
Theil auf Koſten des Staats ihren Unterricht
und ſogar die noͤthigen Buͤcher erhielten. Die
Deutſche Schule bey St. Petri, das Haupt
der Deutſchen Normalſchulen im Reich, iſt
eine ſehr gemeinnuͤtzige und vortrefflich einge-
richtete Anſtalt, deren Zweck mehr darauf
geht, brauchbare Geſchaͤftsmaͤnner als eigent-
liche Gelehrte zu bilden.


Welcher unter meinen Leſern, die dieſe
Gegenſtaͤnde mit mir durchgegangen ſind, er-
ſtaunt nicht uͤber das, was geleiſtet iſt, wer
unter ihnen ſegnet nicht eine Fuͤrſtinn, die in
dem ungeheuren Plan fuͤr die Schoͤpfung ihres
unermeßlichen Reichs, einem einzelnen und in
den Augen der meiſten Fuͤrſten unbetraͤchtlichen
Theil deſſelben, eine ſo zaͤrtliche und beſtimm-
te Vorſorge zugewandt hat? Das Gold, wel-
[313] ches ſie mit freygebiger Hand zur Stiftung
dieſer Anſtalten hergab, die Summen, wel-
che ſie der Erhaltung derſelben zufließen laͤßt,
ſind zwar nur Eine Rubrik des großen ver-
dienſtvollen Unternehmens, wodurch Katha-
rina die Zweyte
das Gluͤck ihres Volks
auf immer gruͤndete — aber auch dieſe Eine
Rubrik iſt ein Maaßſtab fuͤr die Berechnung
des Ganzen. Folgende Liſte zeigt die Einkuͤnf-
te der oͤffentlichen Erziehungsanſtalten und die
Anzahl der in denſelben auf kaiſerliche Koſten
ernaͤhrten, gekleideten und unterwieſenen Zoͤg-
linge.


  • Das Land K. K. hat 700 Zoͤgl. u. 200,000 R.
  • See K. K. ‒ 600 ‒ ‒ 120,000 ‒
  • Artillerie K. K. ‒ 445 ‒ ‒ 121,722 ‒
  • Griechiſches K. ‒ 200 ‒ ‒ 41,613 ‒
  • Pagen K. ‒ 65 ‒
  • Med. chir. Schule 30 ‒
  • L. u. Seehosp. Sch. 100 ‒ ‒ 16,000 ‒
  • Berg K. K. ‒ 70 ‒ ‒ 15,000 ‒
  • Prieſterſeminarium
  • Akad. Gymnaſium 65 ‒
  • Akad. der Kuͤnſte 325 ‒ ‒ 60,000 ‒
  • Theaterſchule

U 5
[314]
  • Navigationsſchule 65 ‒
  • Fraͤuleinſtift ‒ 480 ‒ ‒ 180,000 R.
  • V. u. Normalſch. 3,200 ‒
  • Erziehungshaus 300 ‒
  • Waiſenanſtalt 100 ‒

Nach dieſer unvollſtaͤndigen Ueberſicht wer-
den alſo in den 31 hier benannten Erziehungs-
anſtalten und Schulen gegen 6,800 Kinder
beyder Geſchlechter in der Reſidenz auf Koſten
des Staats erzogen. Die hier angefuͤhrten
Summen betragen 754,335 Rubel.


Ungeachtet dieſer großen Anzahl oͤffentlicher
Erziehungshaͤuſer gedeihen hier dennoch eine
Menge Penſionsanſtalten. Sie ſtehen
ſaͤmmtlich unter dem Kollegium der allgemeinen
Fuͤrſorge, welches ſie alle halbe Jahre unter-
ſuchen laͤßt und den oͤffentlichen Pruͤfungen
durch einen Abgeordneten beywohnt. Alle Leh-
rer die in Penſionen Unterricht geben wollen,
muͤſſen ſich vorher bey der Deutſchen Ober-
ſchule einem Examen unterwerfen. Die inne-
re Einrichtung und die Guͤte dieſer Inſtitute
iſt ſehr verſchieden; in den mehreſten wird
deutſche, franzoͤſiſche und ruſſiſche Sprache,
[315] Religion, Geſchichte, Geographie, Muſik,
Zeichnen, Tanzen, gelehrt.


Doch auch dieſe Anſtalten reichen nicht
fuͤr das Beduͤrfniß des Publikums hin. Noch
giebt es eine zahlreiche Klaſſe von Menſchen,
die ſich mit dem Unterricht und der Erziehung
beſchaͤftigen, die Hofmeiſter und Privatlehrer.
Da der groͤßte Theil derſelben jetzt aus Deut-
ſchen beſteht, da viele junge Gelehrte dieſer
Nation einzig in der Abſicht nach St. Peters-
burg kommen, ſich auf dieſem Wege fortzu-
helfen, und da dieſe Einwanderungen von
Jahr zu Jahr betraͤchtlicher werden: ſo glau-
be ich, in einem Buche welches fuͤr Deutſche
Leſer beſtimmt iſt, eine kurze Schilderung des
Zuſtandes und der Verhaͤltniſſe nicht uͤberge-
hen zu duͤrfen, in welchen ſich dieſe Klaſſe
von Leuten befindet.


Der groͤßte Theil der fremden Ankoͤmm-
linge von denen dieſe Reſidenz jaͤhrlich uͤber-
ſtroͤmt wird, iſt in der feſten Ueberzeugung,
daß nirgend in der Welt leichter Gluͤck zu
machen ſey, als hier. Ein Aufenthalt von
[316] wenigen Wochen oͤffnet ihnen, und oft auf
eine fuͤr ſie ſehr traurige Art, die Augen.
Ohne Geld und ohne Empfehlung ſehen ſie
ſich dem ſchrecklichſten Schickſal preis gegeben.
Der Handwerker meldet ſich bey ſeinen Zunft-
genoſſen und findet Brod; der Homme de
lettres, der bankerottirte Kaufmann, der
Projekteur — wird Utſchitel.


Utſchitel heißt zu deutſch: Paͤdagog, aber
der Deutſche Paͤdagog iſt nicht Utſchitel Der
Ruſſe verbindet mit dieſem Wort einen unbe-
ſchreiblich erniedrigenden Begriff. Die Armuth
des groͤßern Theils der Auslaͤnder die ſich als
Paͤdagogen ankuͤndigen, die Unwiſſenheit,
das ſchlechte Betragen und die gaͤnzliche Un-
brauchbarkeit ſo vieler unter ihnen; der Um-
ſtand, daß dies das letzte Mittel iſt, zu wel-
chem Jeder greift, um den Hunger zu ſtillen,
haben ein Geſchaͤft in den Augen der Nation
veraͤchtlich gemacht, welches an ſich eins der
edelſten, und in Ruͤckſicht auf die Menſch-
heit eins der wohlthaͤtigſten und unbelohnbar-
ſten iſt.


[317]

Den groͤßten Theil dieſer Schuld tragen
die Franzoſen. Koͤche, Friſeurs und Kammer[-]
diener kamen hierher, um — Erzieher zu
werden; und wenn Beyſpiele dieſer Art jetzt
nicht mehr geſehen werden, ſo gebuͤhrt das
Verdienſt den Deutſchen. — Ein Franzoſe
der ſich zum Utſchitel anbietet, iſt der Inbe-
griff aller Wiſſenſchaften und Kuͤnſte. Juris-
prudenz, Mathematik, Geſchichte, Heral-
dik, Muſik, Fechten und jede ritterliche
Uebung gehoͤrt in ſein Fach, und in allen iſt
er Meiſter. Nicht ſelten beſitzt er Thaͤtigkeit
und Geſchicklichkeit genug, nebenher das Amt
eines Rechnungsfuͤhrers oder Haushofmeiſters
zu verwalten. Wenn ſich noch obendrein Ge-
legenheit findet, als Vorleſer bey der Frau
vom Hauſe in Dienſte zu kommen, ſo ſchlaͤgt
es dem Utſchitel ſelten fehl, ſein Gluͤck fuͤr
die Zukunft zu gruͤnden.


Das allgemeiner werdende Beduͤrfniß der
Erziehung, und der Mangel an Leuten von
Talent und Bildung die ſich unter den vorhan-
denen Umſtaͤnden zu Hofmeiſterſtellen entſchlie-
ßen, bringen eine große Menge untauglicher
[318] Leute zu dieſem Geſchaͤft. Der reichere und
aufgeklaͤrte Theil des Adels ſieht ſich daher ge-
noͤthigt, außerordentliche Bedingungen zu ma-
chen, um Maͤnner von Verdienſt zur Erzie-
hung ſeiner Kinder zu bekommen. Nirgend
vielleicht werden geſchickte Hofmeiſter freygebi-
ger belohnt als in Rußland. Tauſend bis
zwoͤlfhundert Rubel iſt ein ſehr gewoͤhnlicher
Gehalt; daß hiezu freye Lieferung aller Le-
bensbeduͤrfniſſe, Bedienung, Equipage, und
dies alles auf herrſchaftlichem Fuß, gehoͤre,
verſteht ſich von ſelbſt. Gemeiniglich iſt eine
Reiſe durch die merkwuͤrdigſten Laͤnder von Eu-
ropa in dem Erziehungsplan begriffen, und
wenn dieſer mehrere Jahre erfordert, erhaͤlt
der Hofmeiſter ein beſtimmtes Kapital oder
lebenslaͤngliche Renten *). Die haͤufigen Bey-
ſpiele dieſer Art moͤgen vielleicht ein Bewe-
gungsgrund fuͤr viele Auslaͤnder ſeyn, auf die
[319] Hofnung eines aͤhnlichen Schickſals nach Ruß-
land zu reiſen; da aber nur Maͤnner von an-
erkannter Brauchbarkeit, Weltkenntniß und
feiner Bildung einer ſolchen Beſtimmung ge-
wachſen ſind, und man mit ſolchen Anſpruͤ-
chen uͤberall in der Welt ſein Fortkommen fin-
den kann, ſo hebt ſich der anſcheinende Vor-
theil von ſelbſt: denn Leute von wenigem oder
keinem Verdienſt zu einem betraͤchtlichen Gluͤck
zu verhelfen, bedarf es hier ſo gut als irgend-
wo eines freundſchaftlichen Daͤmons.


[[320]][[321]]

Appendix A Nachſchrift.


Die weite Entfernung des Verfaſſers vom
Druckorte hat, ungeachtet der groͤßten Sorg-
falt, folgende Druckfehler veranlaßt, die man
vor dem Durchleſen zu verbeſſern bittet.


  • Vorerinnerung.
  • S. 1. Z. 3. lies unzertrennlich, ſtatt: unzertrenn-
  • Anmerkung.
  • S. XIII. Z. 12. lies Arſchin, ſt. Arſhin.
  • ebendaſ. – Tſchetwerik ſt. Tſhetwerik.
  • S. XIV. Z. 7 – Jer’s ſt. Jev’s.
  • Im Buche ſelbſt:
  • S. 3 Z. 6 von unten. Moskowiſcher ſt. Mosko-
    witiſcher.
  • – 4 – 5 v. u. der Nation ſt. die Nation.
  • – 6 – 9 v. u. außerordentlichſte ſt. außeror-
    dentliche.
  • – 6 – 7 v. u. Staatsverwaltung ſt. Staats-
    verfaſſung.
  • – 17 – 15 an ſt. in.
  • – 31 – 14 wie eine ſt. wie die.
  • – 32 – 7 v. u. muß das Wort: die, weg.
  • – 37 – 4 v. u. zaͤhlt ſt. nennt.

[[322]]
  • S. 43 Z. 4 v. u. wiſſenſchaftlichen ſt. geſell-
    ſchaftlichen.
  • – 46 – 10 v. u. der obern ſt. der obere.
  • – 55 – 1 muß vor dem Wort: Reformir-
    te
    , das Wort Lutheraner
    eingeſchoben werden.
  • – 57 – 4 muß das Wort: die, weg.
  • – 58 – 2 Wirkung ſt. Arbeit.
  • – 77 – 2 v. u. Lehnen ſt. Lehne.
  • – 86 – 9 iſt mit ſt. iſt von.
  • – 96 – 7 muß nach den Worten: mitten
    unter
    , das Wort: den, ein-
    geſchoben werden.
  • – 100 – 4 v. u. iſt an jeder Seite durch.
  • – 107 – 9 10,160 ſt. 710,160.
  • – 116 – 14 Orten ſt. Arten.
  • – 149 – 6 u. 7 Sbiten’ſchtſchiki ſt. Sbiten’ſchiki.
  • – 181 – 9 Petersburgerinn ſt. Ruſſinn.
  • – 183 – 3 aufgegeſſen ſt. aufgegeben.
  • – 186 – 6 von ſt. vor.
  • – 188 – 13 muß einmal durch weggeſtrichen
    werden.
  • – 194 – 2 Klubbs ſt. Klubben.
    Eben dieſe Verbeſſerung S. 226 Z. 13.
  • – 231 – 2 v. u. den ſt. der.
  • – 232 – 6 v. u. ruſſiſche ſt. rusiſche.
  • – 237 – 6 v. u. Sawa ſt. Saiva.
  • – 284 – 9 vor der ſt. vor die.
  • – 291 – 4 v. u. ſeit kurzem ſt. ſeit kurzen.
  • – 294 – 6 Lehrern ſt. Leuten.

[][][]
Notes
*)
[Versuch] einer Beſchreibung der Ruſſiſch-Kaiſerlichen
Refidenzſtadt St. Petersburg und der Merkwuͤrdigkeiten
der Gegend, von J. G. Georgi. St. Petersb. 1790. — Der
Titel verſpricht nur eine Topographie, aber es finden ſich in
dieſem Buche auch mehrere Kapitel uͤber Lebensart, Sit-
ten, und dergleichen.
*)
Um von dieſer Idee und ihrer Ausfuͤhrung einen
Maaßſtab zu geben, merke ich hier nur mit Georgi
an: daß jede Klafter dieſes Granitufers, ohne das Aus-
graben des Fluſſes, ohne das Pilotiren und ohne die koſt-
baren Bruͤcken, anfangs 182 Rubel, nachher immer mehr
und endlich 300 Rubel koſtete.
*)
Perenlok heißt eine jede Gaſſe, die zwey oder
mehrere Hauptſtraßen mit einander verbindet. Man denke
ſich aber nur keine enge, krumme, finſtere Gäßchen oder
impaſſes unter dieſer Benennung. Sie laufen ſämtlich eben
ſo gerade als alle andere Gaſſen und manche derſelben
haben die Breite der ſchönſten Straßen in Paris.
*)
Er iſt 450 engliſche Fuß lang und 350 Fuß breit.
*)
Dieſen ſonderbaren Namen ſcheint er wol nicht, wie
Georgi meynt, von ſeinen kühlen Gängen, oder im
Gegenſatz der hier vorhandenen Wintergärten erhalten zu
haben. Wahrſcheinlich ſoll es: der Garten des
Sommerpallaſts
heißen, woraus die obige Benen-
nung durch Korruption entſtanden iſt.
*)
Es heißt, daß die Admiralität nach Kronſtadt ver-
legt, und an ihrer Stelle ein großer Pallaſt für die Gou-
*)
vernementskollegien erbaut werden ſoll. Der Senat ſoll
erweitert, die kleine hölzerne Brücke in eine marmorne
verwandelt und durch eine Kolonnade von Granit mit
dem Senat verbunden werden.
*)
Nova acta Acad. ſcient. Imp. Petrop. p. a. 1782. pars
prior.
*)
Georgi, Th. 1. S. 135.
*)
St. Petersburg hat, nach dieſen Angaben, ſeit 1774
bis 1789 an Volkmenge zugenommen um 53,948 Menſchen,
alſo jährlich um 3596. Wenn man dieſes Verhaͤltniß auch
für die drey Jahre von 1789 bis 1792 annimmt, ſo giebt
dies eine Zunahme von 10,788 Menſchen, welche, mit der
Zählung von 1789, und mit Ausſchluß aller nicht regiſtrir-
ten Einwohner, ſchon eine Summe von 228,736 Menſchen
ausmacht.
*)
Georgi berechnet es gar nur auf vier Fünftheilt
oder fünf Sechstheile. Th. 1. S. 133.
*)
Alle hier angeführte Reſultate ſind Mittelzahlen aus
der Vergleichung eines vierzehnjährigen Zeitraums zwi-
ſchen 1764 und 1780. Wenn von Perioden die Rede iſt, ſo
verſteht man unter der erſten den Zeitraum von 1764 bis
1770, unter der zweyten den von 1770 bis 1775, und unter
der dritten den von 1775 bis 1780.
*)
Stadtordnung. 97.
*)
Wenn es Leſer geben ſollte, denen dieſes Detail
langweilig ſchiene, ſo erſuche ich ſie, zu bedenken, daß in
dieſem Detail die buͤrgerliche Verfaſſung und das buͤrger-
liche Glück einer Klaſſe von Einwohnern auseinander ge-
*)
ſetzt iſt, die ſchon im Jahr 1784 über hunderttauſend Men-
ſchen begriff; und ſich bis auf die folgenden Abſchnitte zu
gedulden, in denen die nähere Karakteriſtik einiger der
hier angeführten Tribunäte ihnen wahrſcheinlich durch ein
größeres Intereſſe die Trockenheit dieſer kurzen und zur
Vollſtändigkeit des Ganzen nothwendigen Darſtellung ver-
güten wird.
*)
Polen hatte von 1782 bis 1784 im Durchſchnitt
nicht mehr als etwas über 3 Millionen Thaler. Neapel
hat 4 bis 5, und der Kirchenſtaat etwa 2 Mill.
*)
Im Durchſchnitt kann man 75 bis 80 Kop. als den
Mittelpreis des Arbeitslohns annehmen.
*)
Worte Katharinens der Zweyten. S. die
Ukaſe vom 12. Nov. 1775. die den Verordnungen zur Ver-
waltung der Gouvernements zur Einleitung dient.
*)
Die auf einander folgenden Konſtitutionen, durch
welche Rußland eine gleiche und zweckmäßige Eintheilung
in Statthalterſchaften, eine gleiche bürgerliche Form-
gleiche Gerichtsſtellen und Tribunale, eine Polizey, eine
Stadtordnung, beſtimmte Rechte und Verhältniſſe des
Mittelſtandes und Adels — mit einem Wort, eine Ver-
faſſung
erhielt, ſind namentlich folgende: Verordnun-
gen zur Verwaltung des Gouvernements des ruſſiſchen
Reichs. — Ruſſiſch-kaiſerliche Ordnung der Handels-
ſchiffahrt auf Flüſſen, Seen und Meeren. — Vom Adel.
— Stadtordnung. — Polizeyordnung. Sie ſind ſämmt-
lich vom Hofrath Arndt ins Deutſche überſetzt.
*)
Verordnungen u. ſ. w. Hauptſt. 26 — 395. folg.
*)
Faut-il des espions dans la monarchie? — Cen’est
pas la pratique des bons princes. Esprit des loix. I. XII. Ch. 25.
**)
Polizeyordnung. 30.
*)
Polizeyordnung. 85 bis 131.
*)
Schlözers Staatsanzeigen. Heft 1. S. 109.
*)
Polizeyordnung. 67.
*)
Polizeyordnung. 161 bis 178.
*)
Verordnungen. Hauptſt. 25. — 390.
*)
Hptſtck. 25, — 391.
*)
Polizeyordnung. 51. 52.
*)
Die allgemeine Benennung für Buden.
*)
Verordnungen. 25 Hauptſt. 380.
*)
S. den folgenden Abſchnitt.
*)
Die vollſtändige Einrichtung des Findelhauſes und
der Entbindungsanſtalt, wie auch des Lombards und der
Wittwen- und Depoſitokaſſe finden Deutſche Leſer in dem
erſten Vande der Denkwürdigkeiten der Regierung Katha-
rina der Zweyten, daher hier nur das Weſentlichſte der-
ſelben kurz angezeigt iſt.
*)
Ukaſe vom 2ten Juli 1786.
*)
Ich kenne zwey Männer, die als Hofmeiſter in gro-
ßen Häuſern ſtehen, und von welchem der eine 25,000,
und der andere 30,000 Rubel für die Erziehung erhält.
Dieſe Beyſpiele ſind allgemein bekannt, und, obgleich
ſelten, doch nicht die einzigen.

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TextGrid Repository (2025). Storch, Heinrich Friedrich von. Gemählde von St. Petersburg. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bpcv.0