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[figure]
[[1]]
Regeln und Maximen
der edlen
Reimſchmiede-Kunſt,
auch
kriechender Poeſie;

ſamt
buͤndigem Erweis
des hohen Vorzugs derſelben
vor der,
heut zu Tage geruͤhmten,
natuͤrlichen, maͤnnlichen und
erhabenen Dichterey:

ans Licht geſtellet



Altenburg,:
Auf Unkoſten des Autoris.1743.

[[2]][[3]]

Der
preiswuͤrdigen
privilegirten
Freymaͤurer-Geſellſchaft
in Berlin.


Etiam in hoste laudanda virtus!


[[4]]
Hochzuehrende Herren!

An wen ſoll ich beykommende geringe Blaͤt-
ter, die unſere armſelige Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft
Dero preiswuͤrdigen gewid-
met hat, uͤberſenden, da Jhre Namen vor
der Welt verborgen ſind? Jch vertraue
ſie alſo denen vier Winden des Himmels
an, und ſchmeichele mir, das Gluͤck zu erhalten,
daß wenigſtens ein einziges von unſern flad-
dernden Papieren in Dero Haͤnde fallen werde.
Es heiſſet bey uns: Der Perſon Freund, und
der Sache Feind! Wir wiſſen, und ſehen vor-
aus, daß Sie unſerer Bemuͤhung, der krie-
chenden Poeſie
aufzuhelfen, Feind ſeyn
muͤſſen. Aber dem ohngeachtet tragen wir
fuͤr Dero Geſellſchaft eine geheime Hoch-
achtung. Jch habe die Ehre, im Namen
meiner Mitgenoſſen, mich zu nennen


Meiner hochzuehrenden Herren



gehorſamſt ergebenſten
Diener
Philippi,
Secretair bey der Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft.


[[5]]

Jnhalt
nachſtehender Schriften.


Das Vorſpiel macht eine erbauliche Antritts-
Rede Herrn Toffel Reimfixens in die
Froſchmaͤuſeler- und Hans-Sachſen-Geſellſchaft,
nach den Regeln des homiletiſchen Schlendri-
ans
eingerichtet.


Hierauf folgen ſieben Probeſtuͤcken, ſo ein
jeder Candidat, vor ſeiner Aufnahme in ſolche
Geſellſchaft, erſt ablegen muß, als:


I. Die Reimſchmiede-Kunſt und kriechen-
de Poeſie,
in Form einer Wiſſenſchaft nach
mathematiſcher Lehr-Art vorgetragen.


II.Paralele, oder Vergleichung zwoͤlf krie-
chender Thiere
mit zwoͤlf Claſſen kriechender
Poeten;
wie auch ſechs Gattungen von Schmie-
den
mit ſechs Sorten Reim-Schmiede, in
Form einer Jnaugural-Disputation abgefaßt.


III.Funfzig Maximen, darinnen alle Kunſt-
griffe und Cautelen der kriechenden Poeſie in
allen Haupt-Arten von Gedichten, wie auch
der ganzen Reimſchmiede-Kunſt enthalten ſind.


IV.Dreyßig Frageſtuͤcke, ſo jedem Candi-
daten, der in die Froſchmaͤuſeler-Geſellſchaft ein-
treten will, zu richtiger Beantwortung vorgelegt
werden.


A 3V. Er-
[6]Jnhalt nachſtehender Schriften.

V. Erweis des hohen Vorzugs einer krie-
chenden
Poeſie vor der ſogenannten natuͤrlichen,
maͤnnlichen
und erhabenen Dichterey.


VI. Unumſtoͤßliche Widerlegung des Hora-
zens Buches de arte poëtica, oder der Dicht-
Kunſt.


VII. Etliche Knittel-Gedichte, von großen
Dichtern
aufgeſetzet, auch ein Lob-Gedichte des
Knoblochs, ſamt einer Hans-Sachſiſchen poeti-
ſchen Zuſchrift an den Tit. Hn. Krieges-Rath, D.
Knobloch.


Das Nachſpiel enthaͤlt eine Beſchreibung der
Formalitaͤten, bey wirklicher Aufnahme maͤnn-
licher
und weiblicher Perſonen unter die Mit-
glieder der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, nebſt
dem auf deren Oberhaͤupter gemachten Ehren-
Liedlein.



Antritts-
[[7]]

Antritts-Rede
in der
Hans-Sachſen- und Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft,

handelnd
von dem klaͤglichen Verfall
und
hoͤchnoͤthigen Wiederaufhelfung
der Reimſchmiede-Kunſt

und kriechenden Poeſie.



Meine Herren!

Endlich habe den gluͤcklichen Zeit-Punct er-
lebet, in ihre, vor den Augen der Stolzen
verborgene, aber an ſich hoͤchſtwichtige,
Geſellſchaft aufgenommen zu werden! Wir
wollen durchaus allen Vernuͤnftlern, Freyden-
kern und ſtarken Geiſtern Trotz bieten. Wir
ſind ſo ehrſuͤchtig nicht, uns praͤchtige Namen
von Geſellſchaften beyzulegen. Wir bleiben bey
der lieben Einfalt. Damit es keinen Rang-
Streit abgebe, ſoll der vormals beruͤhmte deut-
ſche Poete, Hans Sachſe, unſer Obermeiſter,
und der ehrliche Froſchmaͤuſeler unſer Anfuͤhrer
ſeyn. Was aus dieſer Helden Schriften kann
buchſtaͤblich dargethan werden, ſoll unſere Re-
gel und Richtſchnur verbleiben.


A 4Gewiß,
[8]Antritts-Rede

Gewiß, wir haͤtten zu den Abſichten unſerer
Geſellſchaft keine geſchicktere Oberhaͤupter erweh-
len koͤnnen, als eben dieſe. Denn die Reim-
ſchmiede-Kunſt
iſt der groͤßte Endzweck unſerer
Hans-Sachſen-Geſellſchaft, und die kriechen-
de Poeſie
iſt das vornehmſte Abſehen des unter
uns aufgerichteten Froſchmaͤusler-Ordens.
Wir reimen, ehe wir denken. Daher muß die
Reimkunſt der Dichterey vorangehen. Wir
bleiben gern bey der Erde; eben darum wollen
wir unſre Poeſie nicht hochtrabend, ſondern
lieber kriechend nennen. Zwar hat der bekannte
D. Schwift eine eigene Kunſt zu kriechen ans
Licht geſtellet; aber weil ers damit nicht ernſt-
lich meynet, ſondern allzumerklich ſpaßet, ge-
hoͤrt er auch unter die Bande der großen Dich-
ter,
deuen wir in der Taſche Schnipgen ſchla-
gen. Wir meynens in voͤlligem Ernſte, daß
die Reimſchmiederey eine beſondere Geſchick-
lichkeit erfordere, und es eine wahrhafte Kunſt
ſey, in der Poeſie zu kriechen.


Wir koͤnnen aufgepauſte Gedanken und ble-
hende Worte gar wol leiden. Aber der dahin-
ter verſteckte Gedanke muß niedrig, niedertraͤch-
tig und kriechend ſeyn. Ein Lahmer kriechet
wol ehe auf allen Vieren, in Ermangelung ei-
ner Kruͤcke. Wir aber geſtatten auch keine Kruͤk-
ken; ſondern, wenn unſere Gedichte erſt lahm
und hinkend ſind, muͤſſen ſie ſich ganz in den
Staub legen, und anfangen zu kriechen. Die
Schwulſt in unſern Ausdruͤckungen muß ſich
in
[9]in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
in eine duͤnne Luft verwandeln, die glatt uͤber
der Erde hinwegſtreichet.


Wann unſere Gedanken Luͤcken haben, wenn
ſie nicht recht klappen und an einander haͤngen:
So thut uns die Reimſchmiede-Kunſt treffliche
Dienſte, ſolche Luͤcken durch gute Flick-Woͤr-
ter
auszuſtopfen. Fallen wir von der Hoͤhe
unſrer Gedanken in einen tiefen Graben: So
fuͤllen wir ſolchen ſtracks durch gewiſſe Fuͤll-
Woͤrter
aus. Damit es der Taͤndeley mit
Vernunft-Schluͤſſen nicht beduͤrfe; geſtatten
wir allen falſchen Gedanken und unrecht ange-
brachten Touren eine Stelle. Wir geben un-
ſern Einfaͤllen einen ſolchen Schwang, daß dar-
aus Schwaͤnke und Schnaken erfolgen moͤgen.


Eben daher ſind wir keine Sclaven, alle Ge-
danken mit einander richtig zu verbinden. Wenn
wir beym Wetzſteine zu reimen angefangen:
So iſt es genug, daß wir die herrliche Wahr-
heit dran haͤngen, ein darauf geſchliffenes Meſſer
ſchneide. Aber wir tragen kein Bedenken, die
Gedanken durch Wortſpiele zu verdrehen, und ei-
nen ungeſchliffenen Menſchen den zu nennen,
der noch auf keinen Wetzſtein gekommen. Das
duͤnket uns aber erſt ein herrlicher Einfall zu ſeyn,
wenn wir hinzufuͤgen: Jeder von unſern Fein-
den ſey ein Wetzſtein unſerer Tugend, weil er
ſich an uns zu reiben ſuchet.


Wir dehnen auch gern etwas uͤber das Gleich-
niß hinaus. Ein ſcharfer Gedanke wird bey uns
ein ſcharf gewetzter Gedanke genennet; und
A 5wenn
[10]Antritts-Rede
wenn wir geſaget: Eine Satyre ſchneide durch
Mark und Bein: So thun wir einen Luft-
Sprung, um deſto tiefer zu fallen, und ſagen:
Eine Satyre ſey das allerſchaͤrfſte Scheermeſ-
ſer.
Ja wir wiſſen den Wetzſtein und unſer
Schneidemeſſer bey Dingen anzubringen, die
weder gewetzet noch geſchnitten werden. Wir
haben hierin einen beruͤhmten Vorgaͤnger, der
zwar ſonſt unſer Feind iſt. Aber deſto hoͤher iſt
das Zeugniß eines Feindes zu achten, wenn er
uns ſelber worinn beypflichtet. Jch habe nicht
noͤthig, die Stelle erſt herzuſetzen, weil unſere
Abſicht iſt, niemanden leicht zu nennen, und
doch viele zu treffen.


Meine Herren gelieben nicht daruͤber boͤſe zu
werden, daß ich ein langes und breites vom Wetz-
ſteine
geſchwatzet, da ich doch vom Verfall und
Wiederaufhelfung der kriechenden Poeſie reden
wollen. Auch das gehoͤrt unter die Grund-Ge-
ſetze unſerer Geſellſchaft: Wenn es uns an Ge-
danken
fehlet, ſtehet uns frey, ſo lange fortzu-
kriechen,
bis uns wieder ein friſcher Gedanke
einfaͤllet. Folglich machen wir viel Ausſchwei-
fungen,
und bleiben doch immer auf einem Fleck.
Wir tummeln uns im Kreiſe, reden einerley
vielmal,
und ſehen am Ende, daß wir wieder
zu unſerm Anfange gekommen. Wir ſuchen
der lieben Einfalt nachzuhelfen, die unſere Ge-
danken ſonſt vergeſſen moͤgte. Jedoch, ich eile
zum Vortrag, da ich ohne ferneren Eingang
euren
[11]in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
euren Liebden in aller moͤglichſten Kuͤrze und
Einfalt vorſtellen will:


  • Den klaͤglichen Verfall und die hoͤchſt-
    noͤthige Wiederauf helfung der
    Reimſchmiede-Kunſt und kriechen-
    den Poeſie.

Da mir denn
Jm erſten Theile
zu erweiſen oblieget, daß es wirklich einen ſo
klaͤglichen Verfall gebe. Aber was beduͤrfen
wir großes Beweiſes? Drehen ſie die Raͤder
ihres hiſtoriſchen Gedaͤchtniſſes
zuruͤck, und
denken an die Zeiten, da der beruͤhmte deutſche
Poete Hans Sachſe lebte, wie auch der Ver-
faſſer des Froſchmaͤuſelers. Jn welchem Anſe-
hen ſtunden nicht dieſe damalige poetiſche Hel-
den? Sahe man ſie nicht fuͤr Erzdichter und
gekroͤnte Dichter-Haͤupter an? Laſe man
nicht ihre vollkommene Muſter der Reimſchmie-
derey und kriechenden Poeſie mit groͤßtem Ver-
gnuͤgen? Wurden nicht Hans Sachſens Ge-
dichte
auf oͤffentlichen Maͤrkten abgeſungen?
War wol ein Gelehrter zu finden, der nicht ge-
wußt, daß ein Hans Sachſe in der Welt ſey?


Dagegen iſt jetzo ſein Andenken in Sand;
ja was ſage ich in Sand? gar in Staub; und
was ſage ich in Staub? endlich ſogar in Waſ-
ſer
geſchrieben, daß er ſo wenig kenntliche Fuß-
tapfen hinterlaſſen, als ein Schiff vom erſten
Range,
das auf der See einen Strich zuruͤck
gelegt,
[12]Antritts-Rede
gelegt, und man deſſen Spur nirgends ſiehet.
O Jammer! o Elend! daß ſo große Maͤnner,
als Hans Sachſe und der Froſchmaͤuſeler, in
ſolche Vergeſſenheit gekommen! O ekele Welt!
daß, durch die neuerlichen abentheuerliche Na-
men: Opiz, Lohenſtein, Simon Dach, Flem-
ming, Amaranthes, Menantes, Hofmans-
waldau, Beſſer, Canitz;
ja wenns noch bey
dieſen geblieben waͤre! durch noch viel neuere
Namen
ihre Ohren ſo verwoͤhnt worden, daß
ſie, leider! von ihrem Ahnherrn in der deutſchen
Dichtkunſt, dem unſterblichen Hans Sachſen
und Froſchmaͤuſeler, nichts mehr hoͤren moͤgen.
Moͤgte man hier nicht ausrufen, und ſagen: O
tempora, o mores!


Nicht nur ganze Orden, als die fruchtbrin-
gende Geſellſchaft,
der Pregnitzer-Orden, der
Palmbaum-Orden, ſondern auch ganze Ge-
ſellſchaften
ſind entſtanden, die ſich bald Red-
ner-Geſellſchaften,
bald geheime, bald deut-
ſche,
bald critiſche, und warum nicht gar na-
ſutiſche
und dolhoruckiſche, genennet haben.
Aber das iſt vollends bejammernswuͤrdig, daß
ſonderlich folgende Namen unſerm erkieſten Ober-
haupte in der Reimſchmiede-Kunſt und kriechen-
den Poeſie den letzten Druck gegeben; dagegen
aber die uns fatale natuͤrliche, maͤnnliche und
erhabene Poeſie in Schwang gebracht haben.
Halten ſie mich, meine Herren, daß ich nicht
einen Schwindel im Haupte bekomme, und rei-
chen ſie mir ſchleunig den diſtillirten Froſch-
maͤusler-
[13]in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
maͤusler-Spiritus, der ſo gut fuͤr alle Schlag-
fluͤſſe iſt, her, weil alles mit mir herumgehet,
wenn ich nur unſerer Haupt-Gegner Namen
nennen hoͤre. Es gehet mir bald, wie jener
Dame in der kurzweiligen Schrift: Die Pieti-
ſterey unterm Reifrocke,
welche in Ohnmacht
verſank, wenn ſie ohngefehr die Namen: D.
Fecht, Neumeiſter, D. Mayer ꝛc. nennen hoͤ-
ren. Jch aber wollte lieber wuͤnſchen, daß die
geſchwornen Feinde unſerer kriechenden Poeſie
gar nicht geboren waͤren. Welch ein Heer der-
ſelben ſtellet ſich nicht durch das ganze A, B, C
uns entgegen. Das A ſcheint uns eben nicht
ſonderlich fatal; aber deſto gefaͤhrlicher iſt uns
das B, darunter der gewaltige Gegner, Brocks
in Hamburg, vorkoͤmmt. Jch komme aus den
Schranken meiner Gedanken, daß ich nicht in
der Reihe fortbuchſtabiren kann. Wir erzittern
vor denen in niederſaͤchſiſchen Landen beruͤhm-
ten Namen: Neukirch, Richey, Mosheim,
Pietſch, Weichmann,
und dergleichen. Wir
beben vor den, unſerer kriechenden Poeſie ſo
gar ſehr ſich widerſetzenden, oberſaͤchſiſchen
Namen: Guͤnther, Koͤnig, Graf Zinzendorf,
Rambach, Gottſched, Piccander, Briontes
der Juͤngere,
ſamt andern fameuſen Namen
mehr. Ja ſogar vor weiblicher Erzdichterinnen
und Feindinnen unſerer kriechenden Poeſie lieb-
lichſten Namen, als: Zieglerin, Gersdorfin,
Gottſchedin, Brayne, Zaͤunemannin,
ꝛc. ꝛc.
erſtarret das Gebluͤte in unſern Adern!


Sollte
[14]Antritts-Rede

Sollte ich nun wol noch mehrere ausſprechen
und namhaft machen? Vielleicht koͤnnte ich
endlich gar Freund und Feind verwechſeln, oder
jemand fuͤr unſern Gegner halten, der doch wol
gute froſchmaͤusleriſche Dicht-Gedanken bis-
her gehabt, ob er gleich noch kein Mitglied un-
ſerer Geſellſchaft geweſen. Denen Regeln der-
ſelben nach ſoll ich zur Probe drey Namen vor-
ſchlagen, dadurch Dero edle Zunftgenoſſenſchaft
einen neuen Zuwachs bekomme; aber ich kann
in Wahrheit nicht gut dafuͤr ſeyn, ob ich mit
meinem Vorſchlage Freunde oder Feinde unſerer
Geſellſchaft treffen werde. Jndeß will ich lieber
unrichtig im Vorſchlagen, als ungehorſam in
meiner Probeleiſtung ſeyn. Daher ich den Hn.
D. Knobloch aus Zittau, Hn. D. R .. und
Hn. D. Pl .. drey Doctores Iuris und Poe-
ten, zu Candidaten vorſchlage, ſolche einzuladen,
in Dero loͤbl. Geſellſchaft mit einzutreten. Ue-
brigens verhoffe ich, meine Herren, den klaͤgli-
chen Verfall der Reimſchmiederey und kriechen-
den Poeſie dargethan zu haben. Die Sache
iſt aus zwey angebrachten Haupt-Beweiſen klar:
Einestheils aus dem erloſchenen Ruhm und
mit Graſe bewachſenen Andenken unſerer erkor-
nen Oberhaͤupter, Hans Sachſens und des
Froſchmaͤuslers, deren Andenken bey uns im
Segen
iſt; und ſodann hauptſaͤchlich auch durch
die ſeit etwa zwanzig Jahren aufgekommene
neuerliche, mithin ſchon in ſich verdaͤchtige und
nach poetiſcher Ketzerey, ja Dichter-Gifte,
ſchmeckende,
[15]in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
ſchmeckende, oder auch riechende, ſogenannte
natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Dichtkunſt,
welche, wie die Folge zeigen wird, ſchnurgerade
den Regeln unſerer Reimſchmiede-Kunſt und
kriechenden Poeſie entgegen ſtehet. Es ſind al-
ſo zwey feindſelige Heere gegen einander; aber
wir haben leider den Kuͤrzern gezogen! Unſere
haͤufigen Zunftgenoſſen werden verachtet und
verſpottet. Unſere poetiſchen Werke werden
nicht gut genug geachtet, fuͤr Makeltur gebraucht
zu werden. Man beſchimpft ſie noch viel empfind-
licher; welches ich mit wichtigen Zeugniſſen
darthun koͤnnte, wenn nicht das mir vor die Au-
gen geſetzte Stunden-Glas, ſamt einer auch vor
die Ohren dienlichen Erinnerungs-Uhr, naͤmlich
einem guten Wecker, mich bewegte, nunmehro
auch zum andern Theile unſerer Betrachtung
zu ſchreiten, und eurer Liebe, wegen meiſt
verfloſſener Zeit, nur noch mit wenigen,
da-
mit ſie nicht etwa einſchlafen, oder verdrießlich
werden, vorzuſtellen:


  • Die hohe Nothwendigkeit, dieſem klaͤgli-
    chen Verfalle der Reimſchmiede-Kunſt
    und kriechenden Poeſie wieder aufzu-
    helfen.

Waͤre ich den tauſenden Theil ſo geſchickt und
ſinnreich, als der Verfaſſer der uͤberaus luſtigen
und artigen Schrift: Die Nothwendigkeit der
elenden Scribenten;
ſo wuͤrde ſelbſt die Son-
ne, wenn ſie reden koͤnnte, meine Gruͤnde fuͤr
uͤberzeugend ausſprechen: ja ich wuͤrde Himmel
und
[16]Antritts-Rede
und Erden, wenn ſie nur reden gelernt, zu Zeu-
gen auffuͤhren koͤnnen. So aber will ich bloß
punktweiſe die Sache beruͤhren.


Es iſt nothwendig, erſtlich, weil durch ſol-
chen neuen poetiſchen Geſchmack ſelbſt der Re-
ligion
ein großer Schade und Eintrag geſchie-
het. Denn da muͤſſen nothwendig viele alte
Kern-Lieder, als zum Exempel das ſchoͤne: Ein
Kindelein ſo loͤbelich;
item: Amen, nun will
ich ſchlieſſen dies ſchlechte Liedelein;
desglei-
chen das geiſtreiche Lied: Hilf Gott, daß mirs
gelinge, daß ich die Sylben zwinge;
ſamt de-
nen darinn mehrmals vorkommenden herrlichen
Fuͤllwoͤrtern: Vernimms, ja wohl vernimms
und merks, mein Kind, vernimms;
denen
neuen poetiſchen Luͤſtlingen einen Ekel verurſa-
chen, wo nicht gar ihnen zum Geſpoͤtte dienen,
welches nicht genug mit Thraͤnen kann bedau-
ret werden!


So daß demnach, wenn ich Landes-Herr,
oder der naͤchſte nach ihm waͤre, ein Gebot
wollte ausgehen laſſen, daß die altdeutſche und
des Hans Sachſens Poeſie nahekommende
Dichterey an allen Orten, wo ſie in Kirchen
und Schulen Herkommens,
der neuen ausge-
kuͤnſtelten und ausgekernten, auch ſogenannten
reinen Poeſie, (wer will aber einen reinen Poe-
ten finden, da wol keiner ganz rein iſt?) weit
vorgezogen; die ekelen neuen Poeten durch ge-
buͤhrende Zwangs-Mittel zur Hochachtung der
Hans-Sachſen-Poeſie angehalten, die Stu-
denten
[17]in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
denten vor Beſuchung ſolcher hohen Schulen,
wo dergleichen poetiſches Gift und Ketzerey
ausgeſtreuet wird, fleißig verwarnet, und die
zarte Jugend in den Froſchmaͤusler- und Hans-
Sachſens-Gedichten
treulich unterwieſen, ſie
aber vor allen irrigen und verdaͤchtigenprin-
cipiis
einer ſogenannten natuͤrlichen, maͤnnli-
chen und erhabenen, ja wol gar vollkommnen
Poeſie,
da doch nichts vollkommnes auf der
Welt zu finden, alles Fleiſſes verwahret werden.


Die hohe Nothwendigkeit, der Reimſchmie-
derey wieder aufzuhelfen, erhellet ferner daraus
unter uns zur Gnuͤge: Weil wir einmal uns
veſt vorgenommen, in die Fußtapfen unſerer
Groß-Eltern und altdeutſchen poeſtiſchen Ahn-
Herren,
Hans Sachſens und des Froſchmaͤu-
ſelers, zu treten; dagegen die neue Poeſie von
ſolcher Bahn abweichet, und einer noch un-
mannbaren
Jungfer gleichet, von der es kein
Wunder, daß ſie ihre Keuſchheit unbeflecket er-
haͤlt, weil ſie noch keinen Verſuchungen aus-
geſetzet worden.


Ferner wuͤrde ja die Ehrfurcht, die wir fuͤr
unſere, aus freyer Wahl und mit einmuͤthiger
Einfalt erkieſte, Ober-Meiſter, Hans Sachſen
und den Froſchmaͤusler, tragen, merklich leiden,
und ihre Aſche uns ſo zu ſagen ins Geſichte vor-
werfen, wenn wir nicht eifrigſten Fleiſſes be-
dacht waͤren, ihren vormaligen Ruhm wieder
herzuſtellen.


BWo
[18]Antritts-Rede in der ꝛc.

Wo ſollten wol viertens alle Gratulanten,
Hochzeit-Reimer, Leichen-Reimer, Geburts-

und Namenstags-Reimer, nebſt Kindtaufs-
und Abendmahls-Reimern, bleiben, oder ihr
ehrliches Auskommen finden, wenn es nicht die
oͤberſte allgemeine Regel der Reimſchmiede-
Kunſt waͤre, und ſolche in ſteifer Obſervanz
erhalten werden muͤßte: Daß, wie ein Ora-
tor ſix calax
von ſchwarz und weiß, rechts und
links, Himmel und Hoͤlle ohne groß Beſinnen
muß aus dem Stegereif reden koͤnnen: Alſo
auch einem Poeten unſerer Geſellſchaft er-
laubt ſey, auf alles, ſollte es auch der Muffel,
oder gar ein Floh, oder der Nachtwaͤchter
ſeyn, Reime zu ſchmieden, die geſchmiedeten
zu drucken, die gedruckten zu uͤberreichen, fuͤr
die uͤberreichten Geld oder Geldes Werth, auch
anſehnliche Ehren-Titel, anzunehmen, und
kurzum dieſe unſere in Abnahme bishero gekom-
mene brodloſe Kunſt und verſchlagene Waare,
ja nicht einmal mehr auf den Jahr-Maͤrkten ge-
hende Meiſter-Geſaͤnge, wieder in Schwang
gebracht, und in eintraͤgliche Brod-Kuͤnſte,
oder doch wenigſtens in Credit, daß man was
darauf geborget kriege, geſetzet werden moͤgen;
dazu denn vielleicht beykommende ſieben Probe-
Stuͤcke,
die ich Jhnen, meine Herren, hiedurch
zu uͤberreichen die Gnade habe, nach Dero
vorhergaͤngigen hocherleuchteten Cenſur, etwas
beytragen werden. Dixi.

Erſtes
[19]

Erſtes Probeſtuͤck.
Die edle Reimſchmiede-Kunſt und kriechen-
de Poeſie, in Form einer Wiſſenſchaft,
nach mathematiſcher Lehr-Art abgefaſſet.


Erſte Erklaͤrung.


§ 1. Die Reimſchmiede-Kunſt iſt eine
Kunſt, auf alles und jedes, worauf nur ein Reim
zu erfinden moͤglich iſt, Reime zu machen, ſie
moͤgen auch beſchaffen ſeyn, wie ſie wollen.


2. Erklaͤrung.


§ 2. Die kriechende Poeſie iſt eine Kunſt,
ſo niedertraͤchtig und verwirrt zu denken und zu
dichten, daß man kaum tiefer kommen kann,
ſamt Verachtung alles deſſen, was nicht mit
ihren Regeln uͤbereinſtimmet.


1. Grundſatz.


§ 3. Sowol die Reimſchmiederey, als
kriechende Poeſie, iſt eine Kunſt.


1. Zuſatz.

§ 4. Da nun aber eine Kunſt ſo viel iſt,
als eine Fertigkeit des Gemuͤthes, die, nebſt ge-
wiſſen Regeln, hauptſaͤchlich durch beſondere
Handgriffe, Gebrauch und Uebung erlernet wird:
So finden ſich demnach auch bey der Reimſchmie-
derey und kriechenden Poeſie einige Grund-Re-
geln, gewiſſe Handgriffe und fleißige Uebung,
ehe man zu einer Fertigkeit darinn gelanget.


B 22. Zu-
[20]Die Reimſchmiede-Kunſt
2. Zuſatz.

§ 5. Alldieweil nun der Haupt-Begriff,
darinn die Reimſchmiederey und kriechende Poe-
ſie mit einander uͤbereinkommen, dieſer iſt, daß
beyde eine Kunſt ſind: So darf man wahrlich
weder einen Reimſchmied noch kriechenden Poe-
ten fuͤr einen ungeſchickten Menſchen halten.


2. Grundſatz.


§ 6. Die Reimſchmiederey hat mit Wor-
ten, Sylben und Reimen, die kriechende
Poeſie aber mit Gedanken und Begriffen zu
thun.


1. Zuſatz.

§ 7. Die gemeine Vernunft-Lehre be-
hauptet zwar, daß man, wenn man redet, vor-
her erſt richtig denken muͤſſe; aber bey der Reim-
ſchmiederey
kann man reimen, wenn auch gleich
gar kein Gedanke dahinter ſtecket.


Anmerkung.

§ 8. Ein Reim ohne Jdee klinget uns ſo
lieblich, als ein muſicaliſcher Ton einer Sack-
pfeife. Es iſt eine Miſchung des Rauhen und
Sanften. Daß der Gedanke fehlt, klingt et-
was rauh; aber die Zierlichkeit des Reims er-
ſetzt dieſen Mangel.


2. Zuſatz.

§ 9. Wenn der niedrige Gedanke ſich bald
in einen Reim zwingen laͤſſet, entſtehet daraus
eine liebliche vorherbeſtimmte Harmonie zwi-
ſchen der Reimſchmiederey und kriechenden Poeſie.


3. Zu-
[21]nach mathematiſcher Lehr-Art.
3. Zuſatz.

§ 10. Wenn aber entweder der Reim ſchon
vorhanden iſt, ehe noch der Gedanke veſtgeſetzet
worden; oder aber der Begriff im Kopfe zwar
ausgehecket, aber ſich nicht recht in Reime will
ausdruͤcken laſſen: heißt ſolches das Schwere
in der Reimſchmiederey und kriechenden Poeſie;
das Leichte aber, wenn beydes, ohne groß Nach-
ſinnen, einem flugs einfaͤllt.


3. Grundſatz.


§ 11. Bey der Reimſchmiederey hat man
vollkommene Freyheit, ſo gut zu reimen, als
der poetiſche Amboß und Schmiede-Hammer
den Reim heraustreiben kann.


1. Anmerkung.

§ 12. Die gekuͤnſtelte Poeſie will alle Rei-
me nach genauem Sylben-Maaſſe, Abſchnitt,
Ceſur, Scanſion, Fuͤßen
und Conſtruction,
oder richtiger Wortfuͤgung, abgemeſſen haben;
aber die Reimſchmiede-Kunſt nimmt ſich mehr
Freyheit heraus. Man darf ganze Sylben ver-
ſchlucken;
braucht die pedes nicht zu zehlen;
die Ceſur mag fallen, wie ſie will: der Reim-
ſchmied faͤllt nie aus dem Gleiſe; die Conſtru-
ction
mag verworfen werden, wie ſie will: es
ſchadet nichts. Die Hans-Sachſen-Poeſie iſt
alſo der menſchlichen Natur conformer, wel-
che die Freyheit und Ungebundenheit mehr lie-
bet, als ſo genaue Einſchraͤnkungen.


B 32. An-
[22]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
2. Anmerkung.

§ 13. Die die Poeſie in Zwangs-Regeln
eingefaßt, haben dadurch ihren Hochmuth ver-
rathen, indem ſie andern Geſetze vorgeſchrieben.
Ein Reimſchmied aber ſiehet nur auf ſeinen ei-
genen poetiſchen Amboß
und Schmiede-Ham-
mer,
dabey er andern die Freyheit laͤßt, ſich ſelber
Reime zu ſchmieden, ſo gut ſie koͤnnen.


3. Anmerkung.

§ 14. Damit ich keinen Begriff unbeſtim-
met
laſſe: So verſtehe ich durch den poetiſchen
Amboß
die Reim-Woͤrter-Buͤcher. Denn
aus ſolchen ſucht man ſich erſt ein paar huͤbſche
Reime
zuſammen, die einige Aehnlichkeit in dem
Laute haben; nachher bemuͤht man ſich, ſolche
Reime durch den poetiſchen Schmiede-Ham-
mer,
oder einen gluͤcklichen Einfall, zuſammen
zu ſchmieden, daß ſie auf einander paſſen.


Erſte Aufgabe.

§ 15. Wie man ſich helfen ſoll, wenn ein
Wort vorkoͤmmt, darauf entweder gar kein
Reim, oder doch ein ſehr ſchwerer und un-
bekannter iſt?


Aufloͤſung.

Wenn ein Wort ohne ein anders iſt, das
ſich drauf reimt: hat man Freyheit, entweder
ein anders zu erwehlen, oder aber einen Flick-
Reim
anzubringen. Z. E. Auf das Wort
Menſch will mir kein Reim einfallen: So rei-
me ich alſo: Nun ſagt, was reimet ſich auf enſch:
So
[23]nach mathematiſcher Lehr-Art.
So habe ich wirklich auf Menſch gereimt, oh-
ne es ſelber zu denken.


Jſt aber ein Reim vorhanden, der gleichwol
vielen unbekannt: So muß man ihm mit ein
paar drein gegebenen Reimen nachhelfen, bis
ſich die Leſer und Zuhoͤrer dran gewoͤhnen. Z. E.


  • Wenn der geſchwaͤrzte Flohr der Einbil-
    dung zerreißt,

klinget etwas hart und undeutlich: So hilft ihm
der Reimſchmied ohngefehr alſo nach:


  • Denn wie ein ſchwarzer Flohr uns das Ge-
    ſicht bedecket,
  • Jſt ein Hochmuͤthiger auch in ſich ſelbſt
    verſtecket.

Da ſiehet man hernach leicht, warum die Ein-
bildung
mit einem ſchwarzen Flohre verglichen
worden.


Anmerkung.

§ 16. Die Fuͤll-Woͤrtergen, z. E. lobeſan,
vernimms, ganz recht,
und tauſend andre, hel-
fen einem Reimſchmiede oft geſchwinde aus der
Noth, daß er ein paar Reime zuſammen loͤten
kann, die ſonſt gar nicht ſchienen mit einander
verknuͤpft werden zu koͤnnen. Weil ſie auch in
viel alten Kirchen-Geſaͤngen vorkommen, hat
man ſie billig in allen Gedichten fuͤr eine beſon-
dere Zierde zu ſchaͤtzen.


1. Lehrſatz.

§ 17. Ein Reim, den noch kein Dichter
vorher gebraucht, iſt eine entdeckte neue

B 4Wahr-
[24]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
Wahrheit in der Reimſchmiede-Kunſt, und
billig hochzuhalten.


Erweis.

Die Reimſchmiede-Kunſt geſtattet, auf alles
und jedes, darauf nur ein Reim moͤglich iſt,
ſolchen anzubringen (§ 1). Da nun die Erfin-
dung eines noch nie zuvor vorgekommenen Rei-
mes eine Entdeckung neuer Moͤglichkeiten iſt:
So wird dadurch der Reim-Woͤrter-Schatz
vermehret, mithin eine neue Wahrheit ans Licht
gebracht; welches das erſte war.


Da aber eine erfundene neue Wahrheit billig
dem Erfinder zu Ehren gereichet und ſeinen Ruhm
vergroͤßert: So hat man alſo ganz neue und zu-
vor nie erhoͤrte Reime allerdings hochzuſchaͤtzen;
welches das andere war.Q. E. D.


Zuſatz.

§ 18. Da nun aber die Reimſchmiede-Kunſt
eine große Verwandtſchaft mit der kriechenden
Poeſie hat (§ 5, 9): So folget, daß auch ein
ſolcher angebrachter neuer niedriger Gedanke,
dergleichen noch niemand vorher gehabt, un-
ter die neue kriechende Wahrheiten zu ſetzen
und hochzuhalten ſey.


Anmerkung.

§ 19. Als eine gute Cautel, dahinter zu kom-
men, muß man in Leſung der Poeten geuͤbt ſeyn,
damit man nicht etwas fuͤr einen neuen Reim
oder friſchen Einfall halte, den doch ſchon an-
dere vorher gehabt. Gewiß der Kuͤtzel und die
Freude
[25]nach mathematiſcher Lehr-Art.
Freude verringert ſich da um ein merkliches,
wenn man dieſes gewahr wird. Beſſer waͤre
es, andere unterlieſſen die fleißige Leſung poeti-
ſcher Schriften: So koͤnnte man oft trotzen und
braviren, als wenn man etwas aus eigenem
Kopfe erfunden,
da mans doch andern abge-
borget
hat.


Anderer Lehrſatz.

§ 20. Es gehoͤrt, bey Leſung der Poeten,
ein geſundes Nachdenken, damit man nicht
die edle Reimſchmiede-Kunſt mit der gezwun-
genen neuen Dichter-Kunſt vermenge.


Erweis.

Die edle Reimſchmiede-Kunſt iſt frey und
ungebunden (§ 11); die neue Poeſie aber bin-
det ſich genau an die Conſtruction, pedes, Ce-
ſur und Scanſion. Wenn demnach ein Reim-
ſchmied ſich zu ſehr an die pedes, Ceſur, Con-
ſtruction und Scanſion baͤnde: So ſchluͤge er
auf die Seite der neuen Poeten. Da nun aber
die neue Poeſie und Reimſchmiede-Kunſt einan-
der ſchnurſtracks entgegen (per experient.):
So hat man die Poeten genau zu examiniren,
auf welche Seite ſie geneigt, um zu erforſchen,
ob es neue Poeten oder edle Reim-Schmiede
ſind; welches das erſte war.


Da nun aber, bey Unterlaſſung ſolches Nach-
denkens, einer endlich ſelber nicht wiſſen wuͤrde,
ob er ein Reimſchmied oder neuer Poete waͤre:
So iſt die Ungebundenheit in Reimen das Au-
B 5genmerk,
[26]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
genmerk, damit nicht die edle Reimſchmiede-
Kunſt mit der gezwungenen neuen Poeſie ver-
menget werde; welches das andere war.Q.
E. D.


Andere Aufgabe.

§ 21. Wie man eine vorkommende poeti-
ſche Paſſage genau beurtheilen koͤnne, ob ſie
unter den Schatz der Reimſchmiede-Kunſt
und kriechenden Poeſie, oder aber unter die
neue Poeſie gehoͤre?


Aufloͤſung.

Wenn ein Gedanke oder ganzer Reim aus
einem ſolchen Autore entlehnt iſt, der ſchon uͤber-
all als ein neuer Poete beruͤhmt iſt, auch von
uns ſelbſt dafuͤr erkannt wird: So iſt die hoͤch-
ſte Vermuthung, daß er zur neuen Poeſie, und
nicht zur Reimſchmiede-Kunſt, gehoͤre. Z. E.
wenn er aus der Poeſie der Nieder- und O-
ber-Sachſen,
aus einem Brocks, Richey, Koͤ-
nig, Guͤnther, Canitz
u. d. m. entlehnet iſt.


Jſt es aber ein eigener Einfall des Verfaſſers:
So loͤſe man erſtlich den angebrachten Gedan-
ken in eine einzele Propoſition von ſubiecto
und praedicato auf. Steckt darinn was na-
tuͤrliches, maͤnnliches, erhabenes:
So iſt
das Gift der neuen ketzeriſchen Poeſie dahin-
ter. Steht er aber, in ſeiner Entkleidung, mit
dem Geſichte zur Erden, oder iſt fein nieder-
traͤchtig: So gehoͤrt ſolche Stelle, wenn auch
der Dichter ſonſt unter die neuen Poeten gehoͤrt,
in
[27]nach mathematiſcher Lehr-Art.
in Abſicht auf dieſe Paſſage, mit zu den Lieb-
habern einer kriechenden Poeſie.


Die neuen Poeten kuͤnſteln alles zu ſehr nach
der Vernunft und dem ſcharfen Witz aus. Sie
leiden keinen falſchen Gedanken, weder der in
ſich irrig, noch, in der angebrachten Tour, un-
recht geſetzet
iſt. Sie reden von einem poeti-
ſchen Geſchmack,
dadurch ſie gleich alles koſten,
riechen, ſchmecken und fuͤhlen koͤnnen, was ih-
rem ſogenannten bon ſens und bon goût ent-
gegen. Erraͤth man nun nur erſt ihre Maxi-
men:
So halte man die zweifelhafte Paſſage
damit zuſammen. Trifft ſolche mit ihren Ma-
ximen uͤberein: So muͤſſen wir es fuͤr eine poe-
tiſche Ketzerey
halten, ihnen nachzuahmen.
Denn je weiter unſere Gedanken von der ſo be-
titelten geſunden Vernunft abweichen; je naͤ-
her kommen ſie der kriechenden Poeſie und Reim-
ſchmiede-Kunſt.


Man muß endlich bey den Reimen und Ein-
faͤllen einen Unterſchied unter der ernſthaften und
ſcherzhaften oder burlesquen Poeſie machen.
Die neuen Poeten, wenn ſie badiniren, ſchei-
nen uns nachzuahmen; aber es iſt doch ein merk-
licher Unterſchied zwiſchen uns und ihnen. Denn
unſere Poeſie iſt ſchaͤkernd, kollernd, raſend;
auch wol plump, geil und leichtfertig. Wir
aber heiſſen es eine ſcherzende Poeſie, da ſie
doch nie ſo weit im Scherz gehen, als wir.


4. Grund-
[28]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.

4. Grundſatz.


§ 22. Der Reim mag ſo ſchlecht beſchaffen
ſeyn wie er will: So thut er doch manch-
mal bey der Reimſchmiede-Kunſt gute Dienſte.


Anmerkung.

§ 23. Es wuͤrden manche von unſerer Zunft
abgeſchroͤcket werden, wenn wir ihnen nicht ſol-
che Freyheit verſtatteten. Daher duͤrfen wir


  • 1) die Woͤrter theilen. Zum Exempel auf
    das Wort Jungfer iſt ſchwerlich ein Reim zu
    finden: So kann ich den Reim theilen; als:
    Meine liebe Jungfer,

    Will ſie mir einen Trunk ver-

    ſchaffen, den Durſt zu ſtillen, ꝛc.
  • 2) Wir duͤrfen die Woͤrter verſetzen, um
    deſto eher einen Reim heraus zu ſchmieden. Z. E.
    Trompeten und Krombhoͤrner reimen ſich nicht:
    So verſetzt man ſie etwa alſo:
    So blaſt auf Peten Tromp,

    (anſtatt Trompeten,)

    Und ſpielt auf Hoͤrnern-Kromb.

    Da reimt ſichs.
  • 3) Wir moͤgen nicht ſo genaue Horcher und
    leiſe Hoͤrer ſeyn, daß eben einerley Buchſtaben
    ſich reimen muͤßten; ſondern laſſen als gute Rei-
    me paßiren: Z. E. Creuz, reiz; Leid, Freud;
    Todes, Brodtes, ꝛc.
  • 4) Hilft dis noch nicht zur Zuſammenloͤtung
    zweyer Reim-Zeilen: So verſtatten wir, ganz
    andre Sylben
    als Reime anzuſehen, wenn ſie
    nur
    [29]nach mathematiſcher Lehr-Art.
    nur eine kleine Aehnlichkeit im Laute haben, als
    z. E. die Milz, das Wild; ein Menſch, ein
    Hengſt; bringt, vermengt; Hoſen, Zoten, ꝛc.
  • 5) Aus beſonderer Freygebigkeit erlauben wir
    auch, neue Reime zu machen, die fein trolligt
    herauskommen, als:
    Der goͤttingiſche Sammler

    Heißt wol mit Recht ein Stammler.

    Hans iſt ein guter Rammler. ꝛc.
  • 6) Die Conſtruction darf nach Gutduͤnken
    verſetzet und verworfen werden, wenn gleich die
    deutſche Sprache dabey genothzuͤchtiget wird.
    Z. E.
    Das hat alſo gefallen dir,

    Die Wahrheit anzuzeigen mir. ꝛc.

5. Grundſatz.


§ 23. Die kriechende Poeſie haͤlt mehr von
niedertraͤchtigen, als hochtrabenden, Ge-
danken.


1. Anmerkung.

§ 24. Das Wort und der Reim mag im-
mer hochtrabend und ſchwuͤlſtig ſeyn; aber der
darunter verſteckte Gedanke muß, nach beſche-
hener Aufloͤſung, oder Verwandlung in einen
einzigen Satz,
ſich in eine duͤnne Luft veraͤn-
dern, die, wie ein Nebel, auf die Erde faͤllet.
Der Haupt-Begriff(ſubiectum) muß entwe-
der mit dem Neben-Begriffe(praedicato) gar
einen Widerſpruch haben; oder doch, nach der
ſogenannten Vernunft-Lehre, ſich nicht recht
zuſam-
[30]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
zuſammen ſchicken; und wenn alſo gleich die
Woͤrter ſich reimen, mag doch wol ein unge-
reimter Gedanke
dahinter verborgen liegen.


2. Anmerkung.

§ 25. Ehe wir ſollten einen guten Reim fah-
ren laſſen, ehe muß ſich der Gedanke nach dem
Reime dehnen und zerren laſſen,
ſollte auch
ein falſcher Gedanke herauskommen. Jch ver-
ſtehe hier durch falſche Gedanken nicht ſowol
die logice irrig ſind, ſondern unrecht ange-
bracht
ſind. Z. E. eine Schleif-Muͤhle wetzet;
aber eine Floͤte auf die Schleif-Muͤhle zu brin-
gen, und ſolche drauf zu wetzen, wird von den
neuen Poeten fuͤr einen falſchen Gedanken ge-
halten. Wir aber duͤrfen ſicher alſo reimen:


Jch darf vor dir gar nicht erroͤthen,

Du biſt ein Wetzſtein meiner Floͤten.

3. Anmerkung.

§ 26. Wenn der Reim hochtrabend klingt,
der Gedanke aber abgeſchmackt iſt: So iſt
ſolches recht froſchmaͤusleriſch gereimt. Die
neuen Poeten nennen es: Phoͤbus und Gali-
mathias;
welche Woͤrter uns als kauderwelſch
vorkommen. Aber wie der Froſch einen Satz,
und die Maus einen Sprung thut: Alſo thut
ein poetiſcher Froſch gewaltige Saͤtze. Er
huͤpft vom Berge Libanon bis ins Thal Achor.
Eine poetiſche Maus aber macht treffliche
Spruͤnge, und faͤngt bey der Archa Noaͤh an;
ehe man ſichs aber verſieht, iſt ſie ſchon bey
dem
[31]nach mathematiſcher Lehr-Art.
dem vornehmen Patron, deſſen Zimmer ſie be-
ſchreibet.


4. Anmerkung.

§ 27. Der Unterſchied zwiſchen einem poeti-
ſchen Froſch und Maus iſt dieſer. Der Froſch
quaͤcket, und thut Satz vor Satz. Die Maus
aber ſpringt die Kreuz und die Quehre. Sie
quaͤcket auch nicht, ſondern fiſpelt. Ein quaͤc-
kender
Poete bleibt bey ſeiner alten Leyer; er
bringt einerley immer wieder vor. Eine poeti-
ſche Maus aber erſchnappt bald hie bald da ei-
nen andern Speck, und in Satyren bringt ſie
beiſſende Stiche an; jener aber plumpt von
der Erde in den Teich, oder mit der Thuͤre ins
Haus.


5. Anmerkung.

§ 28. Was die neuen Poeten einen Phoͤbus
und Galimathias nennen, gehoͤret unter die
groͤßten Zierlichkeiten der kriechenden Poeſie
und Reimſchmiede-Kunſt. Denn damit der
niedrige Gedanke verſtecket werde, blaͤſet man
die Worte auf, daß er fein groß und erhaben
ausſiehet. Jch geſtehe es, wir ſind hier Nach-
aͤffer
der neuen Poeten. Wir wollen gern ſo
hoch
dichten, als wie ſie. Weil uns aber die
Adlers-Fluͤgel mangeln: So borgen wir dem
Jcarus ſeine waͤchſerne ab, und denken bis an
die Sonne zu ſteigen. Rings um uns iſt lau-
ter Dunſt,
und der verſteckte Gedanke gleicht
einem geſchwollnen Coͤrper, der oft fuͤr eine
natuͤr-
[32]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
natuͤrliche Fettigkeit gehalten wird. Die Ga-
limathias
ſind ſolche verdeckte Reime, daraus
der Teufel ſelbſt nicht klug werden kan, was
fuͤr ein Gedanke dahinter ſtecke. Bey der Phoͤ-
bus-Poeſie
erraͤth man wol den angebrachten
Gedanken; aber wenn man ihm das umgewor-
fene hochtrabende Reim-Kleid abgenommen:
So ſteht er ganz nackigt da, wie ein Satyr,
und ſtreckt ſich auf der Erde die Laͤnge lang
aus. Wenn hingegen ſolche Begriffe in denen
Reimen zuſammen geloͤtet werden, da ohn-
moͤglich eine Paralele oder Aehnlichkeit heraus-
kommt: So iſt es ein Galimathias oder ver-
wirrter
Gedanke. Ein Verruͤckter redt manch-
mal was, das wir trefflich hernach anbringen
koͤnnen. Ein Beſoffener labbert ſeltſam Zeug
unter einander; wir aber koͤnnens in Reime
zwingen. Ein unlogiſcher Kopf, der zu con-
fuſen
Begriffen gewoͤhnt, taugt gut zu unſerer
Zunft. Denn ſo wird er manch Galimathias
vorbringen. Ein aufgeblaſener Kopf, der aber
nicht viel nachdenken kann, ſchickt ſich beſſer zum
Phoͤbus oder Froſch-Poeten. Denn, wenn
der Froſch unter der Luft-Pumpe ſitzt, iſt er
nicht ſo dumm, den Athem von ſich zu laſſen,
ſondern behaͤlt ihn ſo lange in ſich, bis ihm die
Backen zerplatzen. Als der Froſch in der Fabel
gern ſo dick ſich ausdehnen wollte, wie der Ele-
phante: So zerborſte er. Und wenn der Froſch-
Poete
ſeine dunſtige Einfaͤlle auslaͤſſet, mag
man nur die Ohren zuhalten. Denn wenn der
Dunſt
[33]nach mathematiſcher Lehr-Art.
Dunſt herausfaͤhrt, giebt es einen gewaltigen
Knall, und der herausgeſprungene Gedanke krie-
chet auf der Erde.


Erſte Erfahrung.

§ 29. Ein gewiſſer Poete, der ſich einen neu-
en großen Poeten
zu ſeyn duͤnkte, hielt ſich von
einem andern angeſtochen. Darauf ſpannte er
die Segel ſeiner Dichterey ſo weit auf, daß alle
vier Winde des Himmels hineinſtrichen. Sei-
ne Schutzſchrift war voller Phoͤbus und Gali-
mathias (§ 28, 27). Er that ſo aufgeblaſen,
wie der Froſch in der Fabel. Endlich erkannte
er, daß er ein wahrhaftes wuͤrdiges Mitglied
der Hans-Sachſen- und Froſchmaͤusler-Geſell-
ſchaft ſey. Seit der Zeit haben wir Friede vor
ihm in gebundener und ungebundener Rede ge-
habt.


6. Grundſatz.


§ 30. Die kriechende Poeſie iſt mit Ver-
achtung und Verlachung derer neuen Poeten
beſchaͤfftiget
(§ 2).


Dritter Lehrſatz.

§ 31. Ein ſolcher ſatyriſcher Poete, der
durch ſeine Stachel-Verſe eines guten Lei-
mund und ehrlichen Namen zu kraͤnken, ja
ihn durch falſche Auflagen um ſein zeitlich
Gluͤck zu bringen, und vor der Welt zu pro-
ſtituiren ſuchet, gehoͤrt bey aller ſeiner Raffi-
neſſe mit unter die kriechende Poeten.


CErweis.
[34]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
Erweis.

Wenn die Satyre eines wahrhafte Fehler
ſinnreich aufdecket, daß, wo er vernuͤnftig iſt,
er daruͤber ſchaamroth wird: So gehoͤrt ſolche
unter die Beſſerungs-Mittel und vernuͤnftige
Kunſtgriffe der neuen Poeten. Da nun aber
ein kriechender Poete nur andre aus Hochmuth
verachtet (§ 30, 2), mithin ſich allein groß duͤn-
ket, folglich aber es ihm um anderer Beſſerung
gar nicht, ſondern nur um ihre Beſchimpfung,
zu thun iſt: So handelt er dadurch ſeinem Cha-
racter gemaͤß; welches das erſte war.


Da nun aber ferner die falſchen Auflagen
oͤfters leichtglaͤubige Ohren finden, mithin durch
ſpoͤttiſche Satyren, darinn unerweisliche Be-
ſchuldigungen
ſtehen, einer vor der Welt pro-
ſtituiret werden, und an ſeiner Wohlfahrt Scha-
den leiden kann: So gleichet er hierinn einer
ſtechenden Otter und tuͤckiſchen Schlange,
wenn man ihr gleich nichts zu Leide gethan.
Alldieweil nun aber dis kriechende Thiere ſind,
mithin eine gewiſſe Aehnlichkeit mit kriechenden
Poeten
haben: So folget, daß ſolche heimliche
Anſtecher, Pasquillanten und Verleumder auch
unter kriechende Poeten zu rechnen. Q. E. D.


Vierter Lehrſatz.

§ 32. Ein ſchmeichelnder poetiſcher Fuchs-
ſchwaͤnzer verwandelt ſich oͤfters in einen
kriechenden Wurm.


Erweis.
[35]nach mathematiſcher Lehr-Art.
Erweis.

Ein kriechender Poete iſt zwar in ihm ſelber
ſtolz und ein Großduͤnkel (§ 30, 29); gleich-
wol wenn er hoͤhern Reſpect erzeigen muß, darf
er ſich ſolches nicht merken laſſen, er moͤgte ſonſt
verſpottet, oder auf die Finger geklopfet werden.
Dieſemnach nimmt er eine Schein-Demuth
an, und erniedriget ſich oͤfters wie ein Wuͤrm-
lein unter den Fuͤßen. Weil er aber doch in-
nerlich ein Veraͤchter anderer iſt (§ 2): So
kuͤtzelt er ſich heimlich, daß der Patron, gegen
den er ſich ſo erniedriget, ſo einfaͤltig iſt, und ſei-
ne Fuchsſchwaͤnzerey nicht merket. Da nun
ein kriechender Poete die Leute entweder oͤffent-
lich oder heimlich verlachet, und aber dis ein
Fuchsſchwaͤnzer thut, indem er entweder offen-
bar ironiſch lobet,
oder heimlich ſpottet: So
gehoͤrt ein fuchsſchwaͤnzender Dichter unter die
kriechende Poeten, W. Z. E.


Dritte Aufgabe.

§ 33. Einen wahrhaften aufrichtigen poe-
tiſchen Lob-Redner von einem verſtellten
Fuchsſchwaͤnzer zu unterſcheiden, mithin ab-
zunehmen, ob er zur Froſchmaͤusler-Geſell-
ſchaft von Rechtswegen gehoͤre, oder nicht?


Aufloͤſung.

Wenn ihr an einem aus langem Umgange
ſeine Gemuͤthsfaſſung abnehmen lernet, daß er
von andern hoͤher, als von ſich, haͤlt, wahrhaf-
tig demuͤthig und beſcheiden, auch ein Feind ei-
C 2gener
[36]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
gener Lobſpruͤche iſt: So koͤnnet ihr auch ſeine
auf andre verfertigte Lob-Gedichte fuͤr aufrichtig,
mithin ihn fuͤr einen Froſchmaͤusler-Feind hal-
ten. Laͤßt er aber ſonſt ſich deutlich blicken, daß
er viel von ſich haͤlt, von ſich ſelber gern redet
und hoͤret, auch andere verachtet: So koͤnnet
ihr bald auch auf ſeine poetiſche Lobes-Erhebun-
gen anderer Leute ſchlieſſen, daß ſie ihm nicht
von Herzen gehen, mithin er gut froſchmaͤus-
leriſch
oder antifreymaͤuriſch iſt. Denn die
Freymaͤurer erkennen wir fuͤr lauter heimliche
Feinde unſerer Geſellſchaft, weil wir ſie noch
auf keiner Tuͤcke haben antreffen koͤnnen.


Vierte Aufgabe.

§ 34. Ob es nicht moͤglich ſey, in der Reim-
ſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie den
hoͤchſten Gipfel der Vollkommenheit zu er-
reichen?


Aufloͤſung.

Wenn ihr, durch vieljaͤhrige Uebung, des
Hans Sachſens Reim-Arten und gewiſſer bit-
terer Poeten Stachel-Schriften euch genau ins
Gedaͤchtniß druͤcket, und moͤglichſt nachahmet:
So werdet ihr dem verlangten Gipfel ſehr nahe
kommen. Es wird, ſo zu ſagen, nur ein Stein-
Wurf
und eine einzige Bruſt-Wehr dazwiſchen
ſeyn, daß ihr den verlangten Berg und Veſtung
erſteiget; hingegen aber ſo vollkommen zu wer-
den, daß euch kein Reim-Schmied herunter
certirte, oder kein kriechender Poete an ernie-
drigten
[37]nach mathematiſcher Lehr-Art.
drigten Gedanken euch mit der Zeit noch uͤber-
traͤfe, kann ich zum voraus nicht wiſſen: es muͤß-
te denn ein neuer großer Poete kommen, der
ſo geſchickt Contre-Dame als rechte Dame in
Verſen zu ſpielen wuͤßte, ſo daß er die Regeln
der neuen Poeſie zum Spaße glatt umkehrte,
und ſich ſelbſt in einen Pantomimen verlarvte.


Andere Erfahrung.


§ 35. Eine gewiſſe beruͤhmte Comoͤdianten-
Bande ſtellte einsmal ein luſtiges Nachſpiel
vor, dadurch ſich ein anweſender Zuſchauer, ein
großer Dichter von der neueſtenFaçon, ſehr
touchirt befand. Er proteſtirte und appellirte
gegen die weitere Fortſpielung dergleichen Nach-
ſpiels, welches er auf ſich gemuͤnzet, und ſich,
ſelbſt darinn agirt zu ſeyn, einbildete. Seine
Appellationen aber wurden verworfen, und es
kam darauf ein Gedichte von ſechs Bogen von
Berlin, unterm Titel eines Vorſpieles, darinn
er gewaltig herumgenommen iſt. Da man nun
aus dem, was andern begegnet, billig Regeln
der Witzigung
ſich zu nehmen pfleget: So
will ich hiedurch alle loͤblichen Zunftgenoſſen der
edlen Hans-Sachſen- und Froſchmaͤusler-Ge-
ſellſchaft verwarnet haben, es nicht mit den Co-
moͤdianten
zu verderben, weil es nuͤtzliche Werk-
zeuge ſind, durch ſolche unſern Gegnern, den
neuen Poeten, eins anhaͤngen, und, wenn ſie
ſich daruͤber beleidigt befinden, durch Achtgro-
ſchen-Pasquille
noch beſſer abtrumpfen zu koͤn-
C 3nen.
[38]Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
nen. Dergleichen Kunſtgriffe ſind denen krie-
chenden Poeten unentbehrlich; weil ſie ſonſt zu
ohnmaͤchtig ſind, ſich an den großen Geiſtern
und Haupt-Dichtern zu reiben.


Zuſatz.


§ 40. Es wolle aber niemand hieraus ſchlieſ-
ſen, als wenn die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ei-
niges Antheil an dem herausgekommenen Vor-
ſpiel,
vielweniger dem Neuberiſchen Nachſpiel
habe. Sie iſt zu aufrichtig, als es wie gewiſſe
Perſonen zu machen, die ihre, gegen ihre Wi-
derſacher herausgegebene, Schriften unter dem
glorieuſen Namen der kleinen Geiſter verſtecket
haben, da doch dieſe vnanimi conſenſu bezei-
get, daß ſie daran nicht Theil haͤtten, ſondern
eine Bande großer Geiſter dahinter ſtecken
muͤſſe. Wir aber wollen nicht mit fremden
Federn prangen, ob wir wol nicht abgeneigt
ſind, allen denen mit Haͤndeklatſchen zu applau-
diren, die unſere Gegner, die erhabenen Poe-
ten,
wacker abtrumpfen; maßen wir ſodann die
Unkoſten erſparen, unſere unſatyriſche Satyren
der Druck-Preſſe anzuvertrauen.


Heiſchſatz.


§ 41. Jch hoffe nunmehr, die ganze Reim-
ſchmiede-Kunſt
und kriechende Poeſie nicht
nur in Form einer Wiſſenſchaft, ſondern auch,
mit Beybehaltung aller Grund-Begriffe, die
die ſtrengſte mathematiſche Lehr-Art von Er-
klaͤrungen, Grundſaͤtzen, Lehrſaͤtzen, Erfah-

rungen,
[39]nach mathematiſcher Lehr-Art.
rungen, Heiſchſaͤtzen, Anmerkungen, Zuſaͤz-
zen, Aufgaben
und Aufloͤſungen angiebet,
vorgetragen zu haben. Da mir nun nicht be-
kannt iſt, daß ſeit dem Urſprunge der Reimſchmie-
de-Kunſt und kriechenden Poeſie ſich jemand
bis Dato gefunden, der ſolche als eine gelehrte
Diſciplin tractirt, und noch dazu in die Schran-
ken des ſchweren methodi mathematicae ein-
geſchraͤnket haͤtte: So verhoffe, es werde eine
loͤbliche Hans-Sachſen- und Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft
mit dem Verſuche meines mathe-
matiſchen Beweiſes,
in Betracht, daß ich der
erſte bin, der dieſe Bahn gebrochen, vorlieb
nehmen, auch das Publicum, wenn dieſer Ver-
ſuch im Druck erſcheinen ſollte, mir einigen Dank
wiſſen. Wo aber nicht, iſt es mir genug, daß
mich mein gethaner Verſuch nicht reuet.


1. Anmerkung.

§ 42. Es duͤrfte manche große Poeten, die
unſere kriechende Poeſie und Reimſchmiede-Kunſt
fuͤr fantaſtiſch und unrichtig halten werden,
Wunder nehmen, wie wir uns erkuͤhnen moͤ-
gen, die mathematiſche Lehr-Art, ihrem Er-
achten nach, ſo zu misbrauchen. Gleichwol ſte-
he ich dafuͤr, daß ich keinen Fehl-Schluß in der
vorſtehenden Abhandlung begangen. Jch habe
alles aus zwo Erklaͤrungen hergeleitet. Es
folgt nur ſo viel, daß nach der mathematiſchen
Lehr-Art
alle Saͤtze mit der Definition zuſam-
men haͤngen, und bloß in der Definition das
πρῶτον ψεῦδος ſtecken koͤnne.


C 42. An-
[40]Vergleichung kriechender Thiere
2. Anmerkung.

§ 43. Die großen Poeten wuͤrden wohl
thun, wenn ſie ihre ſogenannte natuͤrliche, maͤnn-
liche und erhabene Poeſie auch nach mathema-
tiſcher Lehr-Art
vortruͤgen, ſonſt behalten wir
den Vorzug.


Anderes Probeſtuͤck
fuͤr einen Candidaten der Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft.

Vorſtellend eine Paralele, oder Vergleichung
unterſchiedener kriechenden Thiere mit der
kriechenden Poeſie, wie auch derer Reim-
ſchmiede mit verſchiedenen Arten von
Schmieden.


§ 1. Unter dem Speiſe-Ceremoniel der
Juͤden alten Teſtaments ſtand auch dieſe Regel:
Alles, was auf Erden kreucht, ſoll euch ein
Greuel und Scheuſal ſeyn. Jch bin zu wenig,
es leidet es auch mein Vorhaben nicht, in die Ab-
ſichten einzudringen, die den allerhoͤchſten Ge-
ſetzgeber
bewogen, denen Juͤden das Eſſen al-
ler kriechenden Thiere
zu verbieten. Vor ei-
nigen hat man gleichſam von Natur Abſcheu;
aber etliche, als z. E. Froſch-Kaͤulen, werden
heut zu Tage fuͤr ein delicates Gerichte gehal-
ten. Es iſt auch nunmehr dieſes ehemalige Ge-
ſetz dergeſtalt aufgehoben, daß, wenn einer Luſt
haͤtte, Schlangen und Ottern zu eſſen, er nicht
ſowol
[41]mit der kriechenden Poeſie.
ſowol eine Gefahr ſeiner Seele, als vielmehr
des Leibes, bedenken muͤßte. Koͤnnte aber ſein
Magen, wie jene Graͤfin, Spinnen und Ot-
tern vertragen, wuͤrde er keine Suͤnde begehen,
ſich damit, zumal in theurer Zeit, zu ſaͤttigen.


§ 2. Jch nehme aber aus dieſen Worten:
Alles, was auf Erden kreucht, ſoll euch ein
Greuel ſeyn; Gelegenheit, einem Haupt-Ein-
wurfe vorzukommen, und ſolchen in dieſer Ab-
handlung abzulehnen, daß die kriechende Poe-
ſie,
wenn ſie zumal eine Verwandtſchaft mit
kriechenden Thieren hat, in ihr ſelbſt was greu-
liches
ſey: alſo die edle Froſchmaͤusler-Geſell-
ſchaft
nicht wohl zu thun ſcheine, daß ſie jedem
Mitgliede eine beſondere Gattung eines kriechen-
den Thieres
zum Ordens-Zeichen und Merk-
mahl der beſchehenen Aufnahme in dem daruͤber
ausgeſtellten Signete zutheilet. Ein beruͤhm-
ter Naturkuͤndiger in Holland hat allein etliche
tauſend Arten kriechender Gewuͤrme durch ſei-
nen großen Fleiß ausfuͤndig gemacht; daß alſo
viele Jahre hingehen, ja die Sinnbilder wol bis
ans Ende der Welt reichen werden, ehe die loͤb-
liche Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ſich erſchoͤpfen
wird, jedem Mitgliede ein beſonderes kriechen-
des Thier
in ſeine Ordens-Kette anzuvertrau-
en und ihn darnach in vertrauten Briefen zu
benennen.


§ 3. So viel ich aber bereits das Gluͤck ha-
be, in die Geheimniſſe der edlen Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft
zu dringen, befinde ich, daß ſie
C 5ſonder-
[42]Vergleichung kriechender Thiere
ſonderlich fuͤr ein Gedrittes von kriechenden
Thieren ſtark portirt iſt, als den Froſch, die
Maus und die Schlange. Daß die Schlan-
ge
ein kriechend Thier ſey, iſt wol auſſer Zwei-
fel; von dem Froſch und der Maus aber koͤnn-
te noch ein Bedenken uͤbrig ſeyn, wenn nicht
der große Naturkuͤndiger Moſes ſolche mit unter
die auf Erden kriechende Thiere, meines Be-
halts, geſetzet haͤtte. Denn obgleich der Froſch
auch im Waſſer, ja meiſtens darinn iſt: So
wagt er ſich doch auch oͤfters aufs flache Land;
und weil er mit ſeinen Hinter-Pfoͤtgen ordent-
lich auf der Erde kauert, kann er ſchon fuͤr ein
kriechendes Thier paßiren. Jch bin dem Froſch,
ſowol wegen ſeines artlichen Quaͤkens, als der
Art ſich fortzupflanzen, ungemein gut. Jch ha-
be mir fuͤr gewiß ſagen laſſen, daß, wenn er
auf des Weibleins Ruͤcken ſitzet, er die Vor-
der-Pfoͤtgen um ſie herum ſchlage, und den Saa-
men durch ſolche in deren Bruſt gehen laſſe.
Waͤre es an dem, moͤgte man den Froſch faſt
beneiden, daß die Art, ſein Geſchlechte fortzu-
fuͤhren, ſo zuͤchtig und galant iſt, ſo daß die
weiſe Natur uns faſt herunter geſetzt.


§ 4. Die Maus iſt gewiß auch ein poßir-
lich Geſchoͤpf, in deſſen Bildung der hoͤchſte
Schoͤpfer viel Weisheit blicken laſſen, jedem
Geſchoͤpfe ſo viel zu geben, als ſein Character
erfordert hat. Die Maus iſt eben das unter
kriechenden Thieren, was der Fuchs unter den
vierfuͤßigen iſt. Es iſt ein naͤſchigtes, verſchla-
genes,
[43]mit der kriechenden Poeſie.
genes, gewandtes, beiſſendes Thierlein. Die
Geſchwindigkeit ſeiner Fuͤßlein ſchuͤtzet es vor
manchem Angriff, obwol die weiſe Natur ihm
zwey Haupt-Feinde geſetzet, den Menſchen und
die Katze. Die Katze ſpielt eine Weile mit der
Maus, als einem gegen ſie ohnmaͤchtigen Fein-
de, ſchlenkert ſolche in die Hoͤhe, tappet mit der
Pfote ſaͤuberlich nach ihr, um ſie zur Flucht zu
reizen. Wenn das Maͤusgen aber Reißaus
nehmen will, giebt ihr die Katze einen Trebs,
und wenn ſie des Spielens uͤberdruͤßig, zieht ſie
ihr die Haut uͤber die Ohren, und verſchluckt
ſie vom Haupte bis auf den Fuß, ausgenommen
das Schwaͤnzgen, welches ſie ſelten mitfrißt.
Die Menſchen ſtellen allerhand Fallen, die Maus
durch den Speck anzulocken, und das einfaͤltige
Thierlein, das ſich keines Betruges verſiehet,
ſondern ſeiner Nahrung bey Nachts-Zeit begie-
rig nachgehet, wird in der Falle lebendig oder
todt gefangen, auch wol noch dazu eines mar-
ternden Todes, durch Erſaͤufen, Spieſſen, Ver-
brennen, von Ergrimmten beleget!


§ 5. Die kriechende Poeſie hat gewißlich
mit der Schlange, dem Froſch und der Maus
eine große Aehnlichkeit. Die Schlange wird
fuͤr ein heimtuͤckiſches, giftiges und den Men-
ſchen feindſeliges Thier gehalten. Sie ſtehet
bey den Gottesgelehrten in uͤblem Ruf, und heiſ-
ſet die verfluchte Schlange, die unſere erſte all-
gemeine Mutter verfuͤhret habe. Derjenige, ſo
der Groͤßte unter denen heiſſet, die von Wei-
bern
[44]Vergleichung kriechender Thiere
bern geboren worden, nennet die Phariſaͤer
Schlangen- und Otter-Gezuͤchte, ſo ohnſtrei-
tig den ſchlechten Credit anzeiget, darinn ſie bey
ihm geſtanden. Dieſemnach ſcheinet es einem
unſerer Mitglieder
Haß und Verfolgung zu
erwecken, daß ihm das Bildniß einer Schlange
zum Wahrzeichen ſeines nun fuͤhrenden Senio-
rats
bey dieſer edlen Froſchmaͤusler-Geſellſchaft
zuerkannt worden. Wir heiſſen ihn den Schlan-
gen-Kopf,
den kleinen boͤſen Drachen, das loſe
Otter-Gezuͤchte, und was wir ihm nach unſe-
rer Froſchmaͤusler-Sprache fuͤr kurzweilige
Beynamen geben. Aber wir verſtehen uns ein-
ander ſchon; und ich hoffe klaͤrlich darzuthun,
daß die kriechende Poeſie, wenn ſie gleich mit
der Schlangen-Brut verglichen wird, in ſich
gar nichts ſchaͤdliches noch boͤſes ſey.


§ 6. Jſt nicht die Schlange, nach dem Zeug-
niſſe des alleraͤlteſten und allerehrwuͤrdigſten Bu-
ches, liſtiger, als alle Thiere auf dem Felde?
Folglich muß ſie auch, ihrem Range und ihrer
Liſt nach, allen kriechenden Thieren vorgehen,
mithin, wenn die kriechende Poeſie einer Schlan-
ge
verglichen wird, iſt ſolches kein Schimpf-
Wort,
ſondern zeiget diejenige Art der Dicht-
kunſt an, da man dem andern durch ſtechende
Verſe
ſolche Wunden verſetzet, daß er daruͤber
ſeinen ohnmaͤchtigen Geiſt aufgeben moͤgte.
Wie hat ſich nicht ein gewiſſes nunmehriges Mit-
glied dieſer edlen Geſellſchaft ehedem gewunden!
wie hat er nicht uͤber Ohnmachten, heftige
Kopf-
[45]mit der kriechenden Poeſie.
Kopf-Schmerzen und Todes-Angſt geklaget,
als er einen Verſen-Stich von einer unſerer
Schlangen, ich will ſagen, im Finſtern ſchlei-
chenden Poeten, uͤberkommen. Was wird
das herausgekommene Vorſpiel, welches auch
von einer liſtigen Schlangen-Brut ausgehecket
worden, nicht in der Bruſt des darinn Ange-
ſtochenen
fuͤr Bauchgrimmen und Magendruͤk-
ken erwecken? Wuͤrde dieſer beruͤhmte Mann
nicht am rathſamſten thun, wenn er ſich in un-
ſere Froſchmaͤusler-Geſellſchaft begaͤbe, weil
wir in ſolcher mit denen giftigſten Schlangen
ſcherzen und badiniren, ja ihnen alles Gift mit
ſo guter Manier benehmen, daß unter uns keine
Schlange die andere geſtochen hat?


§ 7. Der Froſch iſt von ſolchem Anſehen,
daß er auch, bey Stiftung der edlen Froſch-
maͤusler-Geſellſchaft,
namentlich ausgedrucket
iſt. Wenn die Schlange ihren Gift verſchoſ-
ſen: So haben wir unſere poetiſchen Froͤſche
zum Hinterhalt. Die fangen an zu quaͤken,
daß einem die Ohren gellen moͤgten. Jn denen
nach Froſch-Art ausgefertigten Gedichten thun
unſere kriechende Froſch-Poeten ſo gewaltige
Saͤtze, daß ſie ein Roß im Galop uͤbertreffen.
Denn unſre Froſch-Poeten koͤnnen in einer
einzigen Strophe einen Satz vom Hercules bis
auf Carln den Zwoͤlften, und vom Alexander
dem Großen
bis auf Ludewig den Vierzehn-
ten
thun. Laßt mich aber den Reuter ſehen,
der uͤber einen ſo weiten Graben, als zwiſchen
dieſen
[46]Vergleichung kriechender Thiere
dieſen vier Helden iſt, mit ſeinem Springer uͤber-
ſetzen koͤnnte? Unſere Froſch-Poeten wiſſen,
nach Art des beruͤhmten Zittauiſchen Erz-Dich-
ters, Herrn D. Knoblochs, denen Großen
bey Namens- und Geburts-Taͤgen ſo was an-
genehmes vorzuquaͤken, daß die Buchdrucke-
reyen von ſolchem Schalle erbeben! Wenn ſie
auch verliebte Verſe ſchreiben: So iſt es ſo
natuͤrlich, als wenn man den Froſch ſein Weib-
lein careßiren ſaͤhe!


§ 8. Die Mauſe-Poeten ſind bey uns in
beſonderem Werthe. Denn wie die Maus ſo
arg ſtiehlt, als ein Rabe: Alſo ſtehlen unſere
Mauſe-Poeten manchen Einfall aus andern Buͤ-
chern, und zwar ſo verdeckt, daß kein Teufel
dahinter koͤmmt. Jſt es nun nicht was geſchick-
tes, wenn man mit ſo guter Manier mauſen
kann, ohne daruͤber ertappet zu werden? Dem,
der alſo bemauſet wird, entgehet auch nichts.
Wir reiſſen nicht Blaͤtter aus ſeinen Buͤchern,
wie Schurzfleiſch im Vatican zu Rom gethan.
Wir mauſen niemanden ſeine Manuſcripte
weg, um ſie zu ſeinem Schaden zu verfaͤlſchen,
oder ſonſt zu mißbrauchen. Nein! wir warten
ab, bis er ſich zu ſeinen Vaͤtern verſammlet hat.
Alsdenn bemauſen wir ſeine hinterlaſſene Vor-
raͤthe. Wir fuͤttern uns damit aus, und den
Reſt laſſen wir denen Jungen. Lebt er aber
noch, und wir bemauſen ſeine herausgegebene
Schriften: So weiß er ſich oft ſo wenig zu beſin-
nen, daß wirs aus ihm genommen, als jener
halb-
[47]mit der kriechenden Poeſie.
halbtrunkene Kanzler auf einer gewiſſen Uni-
verſitaͤt, der da meynte, er laͤſe uͤber einen an-
dern Autor,
da es doch ſein eigenes Buch war,
daruͤber er las, und nach einer vorgeleſenen Paſ-
ſage ſagte: Hier raiſonnirt der Autor wie ein
Ochſe!


§ 9. Weil ich aber, vermoͤge der Verfaſ-
ſung der edlen Geſellſchaft, deren Mitglied ich
heute zu werden die Ehre haben ſoll, uͤber die
drey Haupt-Sinnbilder derſelben, der Schlan-
ge,
des Froſches und der Maus, annoch we-
nigſtens ſieben Arten kriechender Thiere ange-
ben, und ſolche mit denen kriechenden Poeten
in Vergleich ſtellen muß: So duͤnke mich keine
Katze
zu ſeyn, wenn ich ihnen zuerſt eine Art
kriechender Thiere namhaft mache, die ſie wol
ſchwerlich darunter bisher werden gerechnet ha-
ben. Was meynen ſie, meine Herren, ſollte
ein Hund wol ein kriechendes Thier ſeyn?
Sie werden ſagen: Das ſey der geſunden Ver-
nunft und Erfahrung entgegen; denn er laufe
uͤber der Erde auf vier Beinen. Jch ſage da-
gegen mit Gunſt: Es laͤufet der Holz-Wurm,
die Spinne, der Keller-Wurm und viel andere
Gewuͤrme mit wol mehr als vier Fuͤßen uͤber
der Erde, und gehoͤren doch unter das kriechen-
de
Gewuͤrme. Alſo ſcheint mir die Folge unſe-
rer Gegner, die ſo mit der geſunden Vernunft,
ihren fuͤnf Sinnen und der Erfahrung pralen,
ſo lahm zu ſeyn, als ein angeſchoſſenes Wild.
Zudem nehme ich nur zwey Faͤlle an, worinn
ich
[48]Vergleichung kriechender Thiere
ich die Hunde als kriechende Thiere anſehen,
mithin die kriechende Poeten mit Hunden ver-
gleichen werde; man laſſe mich nur ausreden!


§ 10. Als wir neulich auf der Haſen-Jagd
ohnweit Leipzig waren, hatten wir einige Wind-
ſpiele
bey uns, die ſo abgerichtet waren, daß ſie
auf dem Bauche hinkrochen, bis ſie den Haſen,
der ſie nicht gewahr wurde, ſondern fuͤr ſeines
gleichen hielte, in der Grube erwiſchten. Alſo
giebt es auch unter den kriechenden Poeten ſol-
che Windſpiele und Haſen-Faͤnger, die mit
ihrer kriechenden Poeſie bey guten treuherzigen
Gemuͤthern oft mehr ausrichten, als unſere poe-
tiſche Schlangen, Froͤſche und Maͤuſe. Ferner
iſt es nichts ungewoͤhnliches, wenn ein Hund
etwa was verſehen, und der Herr ſpricht: Cou-
chi!
So ſtreckt ſich der Hund auf allen Vie-
ren dahin, und kreucht auf dem Bauche zu ihm.
Dies thun auch unſere muckeriſche Poeten.
Denn wie dort, bey den Plagen Egypti, in
den Grenzen Jſraels kein Hund muckte, oder
ſich regte: Alſo laſſen auch unſere muckeriſche
Poeten ihre Seelen-Kraͤfte ruhen, und ſingen
nur ihren Vorfahren oder Oberaͤlteſten die alten
Geſaͤnge, nach der einmal beliebten Leyer, nach.
Sie haben aber auch ihre Mucken, wie manche
muckiſche Hunde, die zwar vor ihrem Herrn
kriechend auf der Erde liegen; aber wenn ſie ein
anderer angreift, flugs auf ihn losfahren. Und
gewiß, man darf keinen von unſern muckiſchen
poetiſchen Bullenbeiſſern
ſauer anſehen; er
wird
[49]mit der kriechenden Poeſie.
wird bald einen Satz in die Hoͤhe thun, und
ohne Discretion den andern anpacken, wo er
kann. Endlich hat man auf der Jagd wol eher
geſehen, daß, wenn ein Jagd-Hund an einen
wilden Eber gekommen, und ſich nicht inacht
genommen, dieſer ihm die Pfoten vorm Bauche
weggehauen, daß er hernach nolens volens
auf der Erde kriechen muͤſſen. Dies nennen
wir die verhauene und verſchoſſene Poeten.
Denn mancher kriechende Poete verliert ſo bald
ſeine Kraft, daß er nachher zu keiner Hetze wei-
ter taugt. Er hat ſich mit einmal verſchoſſen;
ſeine Kraft iſt weg. Oder es hat ihn ein ande-
rer Fleiſcher-Hund ſo herumgezauſet, daß er ſei-
nen poetiſchen Schwanz, ich will ſagen, ſeinen
Dichter-Kiel, zwiſchen die Beine nimmt und
Verſen-Geld giebet. Zur Zeit der Anfechtung
fallen ſie abe!


§ 11. Ein poetiſcher Jgel iſt gewiß auch
eine artliche Gattung kriechender Poeten. Der
Jgel iſt um und um mit Stacheln umgeben;
das ſind ſeine natuͤrliche Waffen. Er druckt
ſich auf die Erde, und wenn er ſich einmal her-
umdrehet, verwundet er den, ſo ihm zu nahe
kommt. Die Jgel-Poeten ſtechen aͤrger um
ſich herum, als die Stachel-Schweine. Sie
wagen ſich nicht unter die großen Bullenbeiſſer,
und halten nichts von ganzen Gedichten. Aber
in Geſellſchaften, wenn etwa, bey Auftragung
eines Hechtes Leber-Reime in der Reihe her-
umgehen, oder bey Ausbringung der Geſund-
Dheiten;
[50]Vergleichung kriechender Thiere
heiten; nicht minder bey Hochzeiten, Kindtau-
fen, Ausſchieſſen und andern Aſſembleen wiſſen
ſie ihre Nachbarn, ja auch, wenn ſie etliche Ta-
feln weit von ihnen ſaͤßen, ſo wacker anzuſtechen,
daß das Blut darnach laufen moͤgte. Solche
poetiſche Jgel ziehe ich dem Confect einer Ta-
fel weit vor. Sie machen der Geſellſchaft eine
ſolche Luſt, daß man auf deren Unkoſten, die
alſo angeſtochen werden, ſich einen Puckel la-
chen koͤnnte, da dieſe, wegen der blutigen Sti-
che, oft uͤberlaut ſchreyen moͤgten. Sie ſind
auch beynahe ſo befreybriefet, als die Hof-Ta-
ſchenſpieler, Harlequins in der Comoͤdie, und
Scaramuzen in der Oper. Wer mit ihnen Haͤn-
del uͤber einem beiſſenden Scherz und ſtachlich-
ten bon-mot anfangen will, dem widerſetzt ſich
die ganze Geſellſchaft. Man ſpricht, er ſolle
ihnen wieder einen Trumpf verſetzen, oder den
artigen Stich bis auf einen Tag der Rache
verſchmerzen.


§ 12. Wenn ich verzaͤrtelten Ohren von
Leſern oder Zuhoͤrern dieſe Diſſertation uͤber-
reichte, wuͤrde ich Bedenken tragen, zweyer krie-
chenden Thiere
allhier zu gedenken, die gleich-
wol einen beſondern Character gewiſſer krie-
chenden Poeten
abbilden. Jch meyne die Floh-
und Lauſe-Poeten. Ein Floh thut gewaltige
Spruͤnge; er hintergeht das ſchoͤne Geſchlechte,
zu dem er ſich am liebſten haͤlt, gar ofte. Jetzt,
denken ſie, haben ſie ihn ſchon zwiſchen den Fin-
gern, und wollen ihn auf die Folterbank legen,
oder
[51]mit der kriechenden Poeſie.
oder wirgeln; aber, ehe ſie ſichs verſehen, ent-
wiſcht er ihnen. Sie ſind daher genoͤthiget
worden, ſelbſt zwiſchen dem Altar, auf welchem
ihre Marmor-Kugeln als Goͤtzen-Bilder ru-
hen, Flohfallen anzulegen, ohne daß dadurch
ihr Heiligthum entweihet wuͤrde. Ein Floh-
Poete
alſo, oder poetiſcher Floh, iſt bey der
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ein gewandter Kopf,
der ſich mit ſeinen niedertraͤchtigen Einfaͤllen,
ſonderlich bey dem Frauenzimmer, einzuniſten
weiß, und ihnen nachher aus dem Garne ent-
gehet. Wie manche Jungfer hat den Verluſt
ihres Kraͤnzleins einem bloßen Gedichte oder
Nacht-Staͤndgen zuzuſchreiben, weil ſie ein
poetiſcher Floh uͤberliſtet hat!


§ 13. Ein Lauſe-Poete und poetiſche Laus,
mit Gunſt zu ſagen, iſt nicht etwa ein verlauſter
Kerl. Denn es folgt nicht, daß ſolcher eben
ein kriechender Poete ſeyn muͤſſe, ſondern es
ſteckt mancher unſerer groͤßten Feinde hinter ei-
nem ſchaͤbichten Kleide. Wie gieng es unſerm
ehemaligen großen Antagoniſten, dem Guͤnther,
deſſen vier Theile ſeiner Gedichte von denen Neu-
lingen fuͤr Meiſterſtuͤcke einer flieſſenden Poeſie
ausgegeben werden? Starb er nicht fuͤr Hun-
ger und Kummer zu Jena? War er nicht
ganz verarmet und verlauſet? Aber das verſte-
he ich nicht unter denen Lauſe-Poeten. Sie
koͤnnen unter einer ſchamerirten und mit golde-
nen Franzen bordirten Weſte ſtecken. Eine
poetiſche Laus iſt einer der allerniedrigſten
D 2Poeten,
[52]Vergleichung kriechender Thiere
Poeten, folglich bey der edlen Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft
in gar beſonderm Werthe. Denn
je tiefer einer ſich daſelbſt herunter ſetzet, und
ſich, ſo zu ſagen, an Nichtigkeit der Gedanken
ſelber uͤbertrifft,
je naͤher koͤmmt er den beyden
Ober-Meiſtern, Hans Sachſen und dem Froſch-
maͤuſeler. Eine ſolche poetiſche Laus war Are-
tinus
in ſeinen Zoddel-Gedichten. Denn wenn
er anfing Zoten zu reiſſen, konnte er ſo wenig
ſich wieder heraus finden, als eine Laus, die ſich
einmal in den Grind eingefreſſen.


§ 14. Beynahe in gleichem Range ſtehen
mit vorhergehenden die poetiſchen Miſt-Kaͤfer,
welche auch ſonſt, nach Art der Voͤgel, Miſt-
Finken
und Finken-Ritter genennet werden.
Sie wuͤhlen mit ihrer Poeſie in dem Schlam-
me; ſie nehmen das Maul fein voll, und reden
platt weg vom Hintertheil, vom Priapo, von
der weiblichen Schaam ꝛc. ſo deutſch, als ichs
nicht nachſagen darf, weil ich ſonſt aus der mir
zugedachten Stellage von kriechenden Thierlein
ſchreiten und in ein fremd Gehege gehen wuͤrde.
Sie ſteigen bis in die heimlichſten Gemaͤcher,
ja bis in die Schorſteine derer Frauenzimmer,
und bringen lauter ruſtige Faͤuſte mit zuruͤck.
Wie nun ein Feuereſſekehrer in die Eſſe kriechen
muß; alſo kriechen auch die poetiſchen Miſt-
Kaͤfer
an ſolche Oerter, wovon man ſonſt gerne
das Auge abwendet. Wagen ſich dieſe krie-
chende Poeten mit ihren dreiſten Einfaͤllen bis
in die Liebes-Cabinetter großer Herren: So
legen
[53]mit der kriechenden Poeſie.
legen ſie ihnen ſo ſaftige Reime in den Mund,
daß man glauben ſollte, ſie haͤtten ein Stuͤck
aus der Aloyſia Sigea uͤberſetzet, oder die Eco-
le de filles.
Ovidius, Catullus, Tibullus
und andere haben in vielen Gedichten gezeiget,
daß ſie ſich auch manchmal in poetiſche Miſt-Kaͤ-
for
verwandeln koͤnnten.


§ 15. Der Schmetterling oder Butter-
Vogel
iſt bekanntermaßen erſt eine Art Raupen
geweſen, und verwandelt ſich auch wieder in
ein kriechendes Gewuͤrm. Hiermit vergleiche
ich unſere Phoͤbus-Poeten, wie ſie von unſern
Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden.
Es ſind aber poetiſche Schmetterlinge. Sie
ſteigen in die Hoͤhe, und verwandeln ſich doch
bald wieder in kriechende Thiere. Sie ſind ſo
dreiſt, uͤber die Welt, uͤber alle Religion, ja
uͤber den Urſprung aller Dinge hinweg zu flad-
dern. Sie erkuͤhnen ſich, Himmel und Erde
mit ihren Fluͤgeln zu zerſchmettern; aber es iſt
ein Ungluͤck, daß ſie ſich meiſt die Fluͤgel ver-
brennen, oder ihnen ſolche zeitig beſchnitten wer-
den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des Leib-
Liedgens,
das nunmehr alle Candidaten in der
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft abſingen muͤſſen, ein
ſolcher poetiſcher Schmetterling geweſen?
Wenigſtens duͤrften manche muthmaßen, und
ſich ereifern, als habe er durch das Liedlein:
Hans Sachs ſo loͤblich ꝛc. einen gewiſſen alten
Kirchen-Geſang hoͤhniſch durchziehen wollen.
Weil aber die jetzige Herren Geſellſchafter mich
D 3ver-
[54]Vergleichung kriechender Thiere
verſichert, daß ſolches nur eine Parodie und ein
Modell der edlen Hans-Sachſen-Poeſie ſey,
hingegen es in der Religion weder auf einen gu-
ten noch ſchlechten Poeten ankomme, alſo einer
in der, bey verwoͤhnten Ohren faſt laͤcherlich
klingenden, Hans-Sachſiſchen Poeſie das hoͤch-
ſte Weſen vielleicht mit mehrerer Demuth und
Aufrichtigkeit anreden koͤnne, als mit hochtra-
benden phariſaͤiſchen
Geſaͤngen; folglich die
Abſicht nicht ſey, andaͤchtige Seelen zu ſpotten,
wenn ſie gleich alle Tage ſuͤngen: Ein Kinde-
lein ſo loͤbelich
iſt uns gebohren heute, ꝛc.:
So laſſe ichs hiebey bewenden, und werde in
dem Nachſpiele denen gegen uns Eingenomme-
nen alle weitere Scrupel benehmen, daß ſie eine
unſchuldige Parodie eines andern ehrwuͤrdigen
alten Liedes nicht fuͤr ein Geſpoͤtte deſſelben an-
ſehen werden. Wir muͤßten uns ja ſonſt ſelbſt
widerſprechen. Denn wir eifern ja in rechtem
Ernſte fuͤr die Beybehaltung der altdeutſchen
Poeſie. Alſo muͤßten eher unſere Gegner, die
neuen Poeten, ein Geſpoͤtte mit dieſem Geſan-
ge treiben, wenn ihnen unſer Gedaͤchtniß-Lied-
gen
auf Hans Sachſen und den Froſchmaͤusler,
das doch in denen vornehmſten Touren jenem
nachgeahmet iſt, laͤcherlich vorkommen ſollte:
Weil aber das mir zugedachte Wahrzeichen
kein Schmetterling iſt: So laſſe ich auch die
poetiſchen Schmetterlinge, wo ſie weiter we-
gen dieſes Luſt-Geſanges angefochten wuͤrden,
ſolches ſelbſt verantworten.


§ 16.
[55]mit der kriechenden Poeſie.

§ 16. Die Schnecke gehoͤret wol auſſer
Streit mit unter die kriechende Thiere. Eine
poetiſche Schnecke iſt alſo ein ſolcher Poete,
der uͤber ſeinen Einfaͤllen, ehe er ſie aushecken
kann, lange dichtet und nachſinnet, ſo daß ihn
ein gewandter Kopf im Vorrennen weit uͤber-
trifft. Jndeſſen traͤgt die Schnecke immer ihr
Haus bey ſich, und holet wol den Elephanten
endlich ein, wenn ſolcher zu lange ſich an einen
Baum lehnet, allda auszuſchnarchen. Die
poetiſche Schnecken ſind alſo unter denen krie-
chenden Poeten die bedachtſamſten. Sie plaz-
zen nicht flugs mit ihren Gedanken heraus, und
gehn mit den Reimen ſparſam um, ſolche auf
ein andermal anzuwenden, und nicht mit ein-
mal zu verſchwenden. Bey Ueberſetzungen laſ-
ſen ſie manchmal gar die reimende Verſe weg,
da denn ihre Poeſie wie ein Zwitter zwiſchen
Proſe und Dichtkunſt ausſiehet, oder einem
Caſtraten gleichet, der gern wollte und nicht
kann. Das macht ihre Commoditaͤt, die ſie
lieben. Daher der Ueberſetzer des verlohrnen
Paradieſes vom Milton
in dieſem Stuͤcke, und
weil das Original ſowol, als die deutſche Ueber-
ſetzung, nicht reimende Verſe hatte, unter die
poetiſche Schnecken zu rechnen, wenn ſie gleich,
in Anſehung der Erfindung und des Ausdrucks
der Gedanken, zu der uns fatalen Claſſe erha-
bener Poeten
gehoͤren.


§ 17. Jch ſchlieſſe meine Abhandlung, und
beſchreibe nur noch dasjenige Wuͤrmlein, das
D 4die
[56]Vergleichung kriechender Thiere
die preiswuͤrdige Froſchmaͤusler-Geſellſchaft mir
ſelbſt
zugedacht. Jch bin damit voͤllig zufrie-
den, und werde ſuchen, deſſen Character kuͤnftig
abzudruͤcken. Es haͤlt ſich meiſt auf Spergel-
Stengeln auf, hat ein roth Schildgen mit ſchwar-
zen Puͤnktgen, und wird bey uns ein Gottes-
kuͤbgen
oder Goldammergen genennet. Wenn
man es bey dem kleinen Sperr-Maule erwi-
ſchet, ſummet es, und liſpelt gleichſam, wie ein
Heemgen oder kleines Heuſchreckgen. Jch
weiß nicht Urſach zu geben, warum man es im
Deutſchen ein Gotteskuͤbgen heiſſet. Jndeß
ſoll der darinn voranſtehende große Name mir
ein Denkzettel ſeyn, mit meiner wenigen Poeſie
bey Gelegenheit auch in der Religion fortzu-
kriechen,
ob ich etwa durch mein gelindes Sum-
men, wenn ich angepacket wuͤrde, manche uͤber-
reden koͤnne, entweder Anti-Miltonianer oder
Froſchmaͤusler zu werden.


§ 18. Jch war ſchon im Begriffe, dieſe
Abhandlung zu ſchlieſſen. Aber ich darf dieje-
nige Art kriechender Poeten nicht zuruͤck laſſen,
die gewiß auch eine beſondere Aufmerkſamkeit
verdienen. Jch meyne die poetiſche Maulwuͤrfe.
Denn wie ein Maulwurf ſich tief in der Erde
vergraͤbet, und uͤber ſich große Berglein in die
Hoͤhe wirft: Alſo verſtecken die poetiſche Maul-
wuͤrfe
ihre Gedanken ſo tief, daß niemand da-
hinter kommen kann. Von auſſen aber ſind
ſolche mit Verſchanzungen umgeben, daß man
drauf ſchwoͤre, es waͤren Erfindungen der groͤß-
ten
[57]mit der kriechenden Poeſie.
ten Poeten von der neuen Sorte. Die Ga-
limathias-Poeten
und unſere poetiſche Maul-
wuͤrfe
ſind gerade einerley. Der Unterſchied
zwiſchen ihnen und den Phoͤbus-Poeten, oder,
wie wirs nennen, poetiſchen Schmetterlingen,
iſt klar. Denn ein Phoͤbus-Poete kleidet einen
einzigen kahlen Gedanken in ſchwuͤlſtige Wor-
te ein; ein Galimathias-Poete, oder poetiſcher
Maulwurf,
aber verſtecket viel verwirrte Ge-
danken
unter einander, und miſchet ſie wie Kar-
tenblaͤtter, daß man nicht weiß, ob ein Wenzel
oder Tauß darunter ſtecke. Ein poetiſcher
Schmetterling
oder Phoͤbus-Poete kleidet
gleichſam einen Bauch-Wind in einen ſpani-
ſchen Talar
ein; nimmt man den Talar weg,
ſo zerfladdert der leichte Gedanke, wie eine
duͤnne Luft. Einen poetiſchen Maulwurf hin-
gegen, oder Galimathias-Poeten, vergleiche
mit vier zuſammengewachſenen Zwergen, dar-
unter man nicht unterſcheiden kann, welches ein
Buͤbgen oder Maͤdgen iſt. Da auch ſonſt ein
Spruͤchwort iſt: Talpa eſt coecior, er iſt
blinder, als ein Maulwurf: So werden die
neuen Poeten unſern poetiſchen Maulwuͤrfen
zum Schimpf nachſagen wollen, ſie geſtuͤnden
ſelber, daß ſie blinder waͤren, als ein Maulwurf.
Es gewinnet auch das Anſehen, als ob ſie wirk-
lich ſehr bloͤden Geſichts waͤren, weil ſie die
Verwirrung ihrer zuſammengeloͤteten Begriffe
nicht einſehen koͤnnten. Aber ſie ſind nicht zu
verdenken. Denn ſie handeln nach dem Cha-
D 5racter,
[58]Vergleichung der Schmiede
racter, den ihnen die loͤbliche Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft
gegeben.


§ 19. Die Reimſchmiede-Kunſt, welche
von der kriechenden Poeſie, wie das Kleid von
der Perſon, die es anziehet, oder wie der Leib
von der Seele, unterſchieden iſt, hat ihren be-
ſondern Character,
der ſich beſſer aus der Aehn-
lichkeit mit denen Schmieden, als aus dem
Reiche der kriechenden Thiere, erlaͤutern laͤſſet.
Nun giebt es gar viele Arten von Schmieden,
naͤmlich Meſſer-Schmiede, Grob-Schmiede,
Klein-Schmiede, Gold-Schmiede, Kupfer-
Schmiede
und Nagel-Schmiede. Es koͤnnen
vielleicht noch mehr Arten von Schmieden ſeyn;
es mag aber bey den angefuͤhrten ſechs Gattun-
gen
ſein Bewenden haben. Dieſe insgeſamt
werden ſich kaum bereden laſſen, daß die Reim-
Schmiede
ſo nahe Verwandtſchaft, ja faſt ei-
nerley Zunft-Regeln und Jnnungs-Gebraͤuche
mit ihnen haben ſollten. Jch hoffe aber, klar
zu erweiſen, daß die Reim-Schmiede mit allen
dieſen Sorten in eine Paralele koͤnnen geſtellet
werden; und daß es alſo poetiſche Meſſer-
Schmiede, poetiſche Grob-Schmiede
und der-
gleichen mehr gebe.


§ 20. Was ein poetiſcher Grob-Schmied
ſey, faͤllt einem leicht in die Augen. Das Wort
grob giebt ſchon die Bedeutung an die Hand.
Wer weiß nicht, was ein grober Menſch ſey?
Die Grob-Schmieds-Poeſie iſt alſo eine Art
der Reimſchmiederey, da man fein maßiv und
plump,
[59]mit den Reim-Schmieden.
plump, oder, gelinder zu ſagen, derb weg einem
in Reimen ſein beſcheiden Theil, ja wol ein voll
gedruͤckt und uͤberfluͤßig Maaß in ſeinen Schooß
giebt. Sonderlich wenn ſich einer mit luſtigen
Narren-Koͤpfen,
die Profeßion von der Schaͤ-
kerey machen, auflehnet, und ſolche an Witz
zu uͤbertreffen ſuchet, verfallen dieſelbe leicht auf
grobe anzuͤgliche Reden, wie in gebundener, alſo
auch ungebundener Ausſprache. Ein poetiſcher
Grob-Schmied
iſt auch derjenige, der alles
Nackete
in Reimen deutſchweg bey Namen
nennet. Z. E. wenn er auf Klotz reimen ſoll:
So reimt er V ..; auf kurz reimt er F ..; auf
Zweck reimt er D ..; auf einen Parſch, eine Art
Fiſche, reimt er: Leck mich im A ..; auf much-
ſen
reimt er f ..; welches alles ich nicht ausſpre-
chen darf, weil ſonſt unſere poetiſche Grobſchmie-
de
bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ſich uͤber
mich beſchweren koͤnnten, daß ich ihnen Eingriff
thaͤte; weil ſie allein das Privilegium haben, der-
gleichen Woͤrter ſo gerade zu, und ohne Punkte,
auszuſprechen.


§ 21. Die poetiſchen Klein-Schmiede hin-
gegen ſind die ſonderlich, welche in Epigramma-
tibus,
oder kurzen Denk-Schriften, einem ein
Eiſen an den Hals zu ſchmieden pflegen. Die
Epigrammata ſtehen an ſich auch bey den neuern
Poeten in großem Anſehen, wenn man in we-
nig Zeilen artige bon-mots und ſcharfe Gedan-
ken anbringen kann. Aber unſere Klein-Schmie-
de fragen nichts nach dem bon-mot und ſchar-
fen
[60]Vergleichung der Schmiede
fen Witz, ſondern lieber, ob ſie einem eins ans
Bein, oder auf die Bruſt, verſetzen koͤnnen.
Z. E. die ekele Flavia wollte ihrem ſich angeben-
den Amanten Hirſuto nicht flugs die hoͤchſte
Gunſt erzeigen: So machte einer unſerer poeti-
ſchen Klein-Schmiede ſogleich das Epigramma
aus einer tuͤckiſchen Leichtfertigkeit auf ſie:


Es haͤtte Flavia die Beingen ausgeſtrecket,

Wenn nicht ein anderer ſie kurz vorher

belecket.

Die poetiſchen Grob-Schmiede unſerer Geſell-
ſchaft haben lange Zeit einen Proceß unter ſich
gehabt, ob dergleichen Reime, bloß der Kuͤrze
wegen, fuͤr die Klein-Schmiede, und nicht auch,
wegen des derben Jnhalts, fuͤr die Grob-
Schmiede gehoͤrten. Endlich hat die ehrbare
Geſellſchaft es alſo entſchieden: Sie ſollten ſich
gerade drein theilen. Die eine Haͤlfte des Epi-
grammatis
ſolle denen Grob-Schmieden, die
andere denen Klein-Schmieden zuſtehen. Da-
her, bey obſtehendem Epigrammate, unſere poe-
tiſchen Grob-Schmiede den erſten Vers zu ihrer
Zunft gezogen; den andern aber, weil das Be-
lecken
auch von Kuͤſſen und Herzen genommen
wird, denen Klein-Schmieden zuſtehen, ihn in
ihrer Lade verwahrlich aufzuheben.


§ 22. Ein Gold-Schmied ſuchet vornem-
lich von Gold und Silber die Schlacken abzu-
ſondern, und wenn etwa rein Silber in das
Gretz faͤllt, weiß ers ſchon wieder heraus zu
ſchmelzen. Unſere poetiſchen Gold-Schmiede
brau-
[61]mit den Reim-Schmieden.
brauchen nicht nur ihren poetiſchen Schmelz-
Tiegel, um anderer Poeten Schlacken zu un-
terſuchen, ſondern beſitzen auch die Kunſt, das
gediegenſte poetiſche Gold mit Zuſatz zu verfaͤl-
ſchen, und es fuͤr markloͤthigt Gold auszugeben.
Auch wiſſen ſie ſo viele gluͤckliche Einfaͤlle ande-
rer Poeten ins Gretz zu werfen, daß ſolche als
unnuͤtz angeſehen werden. Aber unſere poeti-
ſchen Markſcheider
gehen dies Gretz genau
durch, werfen es nochmals in den Schmelz-Tie-
gel, daß durch dieſe Veraͤnderung ſie die Geſtalt
des reinſten Silbers gewinnen, dafuͤr es auch
auf den Meſſen in denen Buchlaͤden oͤffentlich
verkauft wird, und merkt niemand, daß eben die
guten Einfaͤlle, die ſie bey andern niedergeſchla-
gen,
ihnen erſt auf die Spruͤnge geholfen haben.


§ 23. Ein Nagel- oder Hufen-Schmied
iſt bey der Reimſchmiederey eine unentbehrliche
Zunft. Denn unſere poetiſchen Huf-Schmie-
de
ſchlagen nicht nur manchem ein Huf-Eiſen
auf den Fuß, daß er Verſen-Geld geben und zum
Thore wandern muß; ſondern wiſſen auch ſogar
anderer Leute Naſen ein Huf-Eiſen kuͤnſtlich
aufzuſetzen. So ſaget man, wenn einer ſich
hat ein Maͤhrgen weißmachen laſſen: Dem iſt
ein rechter Huf aufgeſetzet. Die poetiſchen Na-
gel-Schmiede
koͤnnen ihren Gegnern ſolche Naͤ-
gel in die Lenden anbringen, daß ſie daruͤber
ohnmaͤchtig werden moͤgten. Ja manchem
ſchlagen ſie einen Nagel vor den Kopf, daß man
auch im Spruͤchwort ſaget: Der ſiehet aus,
als
[62]Vergleichung der Schmiede
als wenn er im Kopfe vernagelt waͤre. Das
thun ſonderlich unſere ſatyriſche Poeten (Erſt.
Probeſtuͤck,
§ 31).


§ 24. Es iſt ganz eine bekannte Redens-
Art, wenn einer von ſich oder andern großſpre-
cheriſche Worte fuͤhret, daß man alsdann ſaget:
Der kann recht aufſchneiden! Das war ein
großer Schnitt! Der fuͤhrt ein langes Meſſer!
So giebt es demnach auch poetiſche Meſſer-
Schmiede,
welche von unſern Gegnern Thra-
ſones,
Großprahler, poetiſche Windbeutel und
Großſprecher genennet werden. Es iſt Schade,
daß Cicero kein Poete geweſen, und ſeine Re-
den nicht in Reime geſetzet hat; ſonſt wuͤrde er
einer unſerer vornehmſten Meſſer-Schmiede zu
nennen ſeyn! Denn er thut manchmal von
ſich ſo gewaltige Schnitte, daß die Balken des
roͤmiſchen Rath-Hauſes haͤtten dadurch geſpal-
tet werden koͤnnen. Unſere kriechende Poeten
laſſen ebenfalls nicht leicht eine Gelegenheit vor-
beygehen, zu ihrem Eigenlobe das poetiſche
Meſſer
zu gebrauchen.


§ 25. Ein Kupfer-Schmied gehet haupt-
ſaͤchlich mit Zubereitung des Kupfers um; aber
auch oͤfters muß er einen Zuſatz von Erz und Meſ-
ſing nehmen. Unſere poetiſchen Kupfer-
Schmiede
ahmen ihnen in ſo weit nach, daß
ſie in ihren Gedichten, wenn das Haupt-Thema
nicht zureicht, vielen fremden Zuſatz anbringen.
So machte jener, ſonſt große Poete, einem
Miniſter einen Gluͤckwunſch auf ſeine Wieder-
geneſung.
[63]mit den Reim-Schmieden.
geneſung. Wer haͤtte nun wol in ſolchem Ge-
dichte ſuchen ſollen, daß er ſich mit den Tyran-
nen
herumkeifen, und dem Miniſter anmuthen
wuͤrde, da er ordentlich anhebet: Sagt, ihr
Tyrannen, ꝛc.
daß er ſeinem poetiſchen unzeiti-
gen Eifer und Geſchwaͤtze eine halbe Stunde zu-
hoͤren ſolle? Jn Proſe iſt Cicero, wegen ſei-
ner allotriſchen Ausſchweifung, einer der groͤß-
ten Kupfer-Schmiede
in der Redner-Kunſt ge-
weſen. Denn wer ſollte wol in deſſen Rede vor
dem Poeten Archius, da er zeigen will, er ſey
ein roͤmiſcher Buͤrger, eine ausfuͤhrliche Be-
ſchreibung der litterarum humaniarum, und
in der Rede pro Milone, daß ſolcher den Clo-
dium
nicht heimlich maſſacrirt, einen Beweis
der Exiſtenz Gottes
ſuchen? Doch genug
hievon, ein andermal ein mehrers! Tranſeant
haec, cum caeteris erroribus!


Drittes Probeſtuͤck.
Funfzig Maximen und Cautelen, enthaltend
alle Haupt-Kunſt-Griffe und Geheimniſſe
der kriechenden Poeſie auch Reimſchmiede-
Kunſt.


Erſte Maxime.


Sonſt heißt das Spruͤchwort: Poëta na-
ſcitur, non fit.
Ein Poete wird gebohren, nicht
durch die Kunſt gemacht. Wir kehrens um.
Ein kriechender Poete und Reim-Schmied aber
wird in unſerer Geſellſchaft nicht gebohren: denn
wir
[64]Funfzig Maximen
wir zeugen keine poetiſche Kinder; ſondern er
wird bey uns durch die Kunſt dreßiret.


2. Maxime.


Wir nehmen witzige und ſtupide Koͤpfe in
unſere Geſellſchaft. Jene ſind lernbegierig, und
faſſen alles leicht. Dieſen helfen wir durch fleiſ-
ſigen Unterricht nach, und ſtutzen ſie zu.


3. Maxime.


Auch die vom ſchoͤnen Geſchlechte werden
nicht ſchlechterdings von der Froſchmaͤusler-Ge-
ſellſchaft ausgeſchloſſen, ſie moͤgen Fraͤuleins,
Jungfern, Weiber, Witwen und noch ſonſt
was ſeyn. Sie duͤrfen aber nur fuͤnf Probe-
ſtuͤcke
ablegen, ehe ſie in das Froſchmaͤusler-
Buch
eingetragen werden.


4. Maxime.


Man verſperret auch unſern Gegnern, denen
großen Poeten von der neuen Sorte, nicht
den Zutritt zu der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft;
vielmehr ſiehet man ſie darinn hoͤchſt gerne.
Denn ſie ſind geſchickt, uns alle unſere Kuͤnſte
bald abzulernen, wenn ſie nur die Regeln ihrer
poetiſchen Wiſſenſchaft gerade umkehren; im-
maßen alsdenn die Regeln einer umgekehrten
Poeſie,
davon die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft
Profeßion macht, als wie aufgedecket liegen.


5. Maxime.


Denen zur Froſchmaͤusler-Geſellſchaft Ueber-
tretenden, wenn ſie einmal im Ruf ſind, daß
ſie natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene Poe-
ten
[65]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
ten, welches ſie durch ſieben Zeugen darthun
muͤſſen,
muthet die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft
kein Probeſtuͤck an, ſondern erſucht ſie nur, die
Regeln ihrer natuͤrlichen, maͤnnlichen und erha-
benen Poeſie in Gedanken gerade umzukehren,
und nach ſolchem Muſter, es ſey im Scherz
oder Ernſt,
jaͤhrlich ein einzig Gedichte nach
froſchmaͤusleriſchem Geſchmacke zu uͤberliefern.
Sie haben auch Freyheit, ſich ſelbſt ein Sinn-
bild zu wehlen, welches ſie wollen, es ſey aus
dem Reiche der Voͤgel oder vierfuͤßigen Thie-
re. Daher hat die E. Froſchmaͤusler-Ge-
ſellſchaft gewiſſe Mitglieder, die da freywillig
zum Signet einen Strauß, Kuckuk, Wiede-
hopf, Loͤwen, Baͤren, Elephanten,
ja ſogar
Eſel und Affen, ſich erwehlet haben. Wer
ſeinem angenommenen Character, z. E. eines
poetiſchen Strauſſes, am beſten ein Gnuͤge
thut, der wird am meiſten aͤſtimirt; keiner aber
aus der Geſellſchaft verachtet,
weil die ſtar-
ken Mitglieder die ſchwachen tragen und auf-
richten.


6. Maxime.


Denen in der Hans-Sachſen-Poeſie und poe-
tiſchen Kriech-Kunſt annoch Ungeuͤbten recom-
mandiren wir die fleißige Leſung der Schriften
unſerer beyden Ober-Meiſter, Hans Sachſens
und des Froſchmaͤuslers, wie auch im Gegen-
Satze die haͤufigen Gedichte etlicher hochſteigen-
der Poeten, als des Hn. D. R ... aus Er-
Efurt,
[66]Funfzig Maximen
furt, der das Rothe und Schwarze, ſamt art-
lichen Figuren,
ſo geſchickt in Reime zu brin-
gen weiß, z. E. poetiſche Trinkglaͤſer, Kannen,
Becher, Saͤulen, ꝛc. desgleichen Hn. D. Kno-
blochs
aus Zittau Gedichte. Denn wenn ſie
gleich oft mehr als zu erhaben, mithin der krie-
chenden Poeſie
entgegen ſind; darf man doch
nur jede Strophe in einzele Saͤtze, und dieſe
wieder in poetiſche Maximen aufloͤſen. Sind
ſolche denn unſern Maximen entgegen: So keh-
ren wir ſelbige nur gerade um, ſo verwandeln
ſich ſolche in gleichfoͤrmige Kunſt-Regeln mit de-
nen unſrigen.


7. Maxime.


Was ſehr witzige und lernbegierige Koͤpfe ſind,
denen geben wir die groͤßten Meiſter-Stuͤcke un-
ſerer Gegner, der poetiſchen Helden, in die
Haͤnde, rathen ihnen, auf die Spur zu kom-
men, dieſen und jenen Einfall anzubringen; und
wenn wir erſt hinter ihre Dicht-Maximen ge-
kommen, kehren wir ſolche nur um: So muͤſ-
ſen nothwendig Modelle einer Hans-Sachſi-
ſchen und kriechenden Poeſie herauskommen.


8. Maxime.


Eben dieſer Methode werde ich mich alhier
bedienen, und entweder das, wo unſere Gegner
ſelbſt manchmal auf unſere Seite unvermerkt
getreten
ſind, hier zum Grunde legen, weil die
Beypflichtung eines Feindes von großem Ge-
wichte iſt; oder aber ich werde die Gedichte ei-
nes
[67]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
nes Brocks und anderer uns fatalen erhabenen
Poeten anatomiren, ihre darinn verſteckte Kunſt-
Regeln herausdiſtilliren; und wenn ich ſolche
gerade umgekehret, werden nothwendig gar
ſichere Cautelen einer kriechenden Poeſie her-
auskommen.


9. Maxime.


Das erſte, woruͤber ein Hans-Sachſen- und
kriechender Poete ſich die Naͤgel oͤfters zu zer-
beiſſen pfleget, iſt die Erfindung des Thematis
oder auszufuͤhrenden Satzes. Die Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft aber geſtattet bey denen ihr uͤber-
reichten Gedichten alle nur erſinnliche Thema-
ta auf alle und jede Faͤlle zu appliciren.


10. Maxime.


Folglich kan einerley Thema ſowol bey einer
froͤhlichen als traurigen Begebenheit durchfuͤhren.
Der Held, der in einem Gedichte an einen groſ-
ſen Herrn aufgefuͤhrt wird, kann auch in einem
Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder
Buͤrgermeiſter kommen; man giebt ihm nur
eine kleine andere Tour, z. E. a contrario, a
ſimili, a diſſimili, etc.


11. Maxime.


Man darf aus allen Diſciplinen in der Welt
einen Satz herausnehmen, er ſey wahr oder
falſch, und ihn in allen Gedichten anbringen,
ſollte man auch einen Sprung von der Suͤnd-
fluth bis auf einen maͤßigen Platz-Regen thun,
den man poetiſch beſchreiben wollte.


E 212. Ma-
[68]Funfzig Maximen

12. Maxime.


Wer in der Phoͤbus-Poeſie Meiſter-Stuͤcke
bey uns verfertigen will, der darf nur die Goͤt-
ter aus des Heſiodi Goͤtter-Zeugung, und die
abentheuerlichen Verwandelungen aus dem O-
vidio,
desgleichen viele Helden-Namen aus dem
Homero, und VirgilsLibris Aeneidis, nicht
weniger aus des Horaz Epiſchen Oden heraus-
nehmen.


13. Maxime.


Will einer Galimathias-Poeſien bey der
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft uͤberreichen: So
nehme er nur die Touren aus den meiſten Ro-
mainen und Ritter-Buͤchern, wo die Helden
ſo gewaltige Saͤtze thun, auch oft ſo verwirrt
reden, daß kein Teufel daraus klug werden kann.
Die gemeinen Opern, Comoͤdien und Trauer-
Spiele werden ihm auch genug Materie an die
Hand geben, kauderwelſche Touren anzubrin-
gen, daruͤber doch der Poͤbel ganz erſtaunen
wird.


13. Maxime.


Die Phoͤbus- und Galimathias-Poeſie ſind
zwey ſolche Klippen, daran ſelbſt unſere aͤrgſten
Gegner, die erhabenen Poeten, manchmal ge-
ſtrandet, wenn ſie ſich in Gedanken zu hoch
verſtiegen,
und von einem Sturm-Winde an
dieſe Klippen verſchlagen worden. Das findet
man ſonderlich in manchen Lohenſteiniſchen
und Corviniſchen Gedichten.


14. Ma-
[69]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.

14. Maxime.


Wer einen poetiſchen Miſt-Kaͤfer in einem
Gedichte gern characteriſiren moͤgte, darf nur
alles ſo plattzu nennen, wie es die Staupen-
Bruͤder
und Hallorum zu Halle thun. Er
ziehe den Vorhang weg, den die Schamhaftig-
keit vor die Zeugungs-Glieder und andere ver-
deckte Theile vorgezogen, und nenne jedes ſo,
wie es der Anatomicus, wenn ers mit Namen
benennete, thun wuͤrde.


15. Maxime.


Jn verliebten Gedichten muͤſſen entweder
ſo natuͤrliche Schwaͤnke vorkommen, als in de-
nen gemeinen Schauſpielen und Romainen, z.
E. daß der Amant vor ſeiner Schoͤne flugs auf
die Knie faͤllt, vor ihren Augen ſich ums Leben
bringen, oder den naͤchſten den beſten, der ihm
aufſtoͤßt, ihr zu Ehren maſſacriren will; oder
ſo ausſtudirt, daß man eigen merke, der Amant
habe den Talander, Menantes und andere
vorher bemauſet, um ſeine Paßion nach ihrer
Vorſchrift einzurichten.


16. Maxime.


Jn Epiſchen Gedichten, oder da lauter Hel-
den und Heldinnen vorkommen, vergeſſe man
ja nicht, Deum ex machina herbey zu hohlen,
oder man bringe aus der tauſend und einen
Nacht
abentheuerliche Begebenheiten und ver-
wuͤnſchte Schloͤſſer vor; oder in Stein verwan-
delte ganze Staͤdte; oder Rieſen, die bis an
E 3den
[70]Funfzig Maximen
den Himmel gereicht; Helden, deren einer Zehn-
tauſend in die Flucht geſchlagen; richtig abge-
paßte Nothhelfer, da der entfernte Held, in
Zeit von wenig Tagen oder Stunden, einen
Luft-Sprung von etlichen hundert Meilen her
gethan, und gerade die rechte Zeit getroffen, ſei-
ner nothleidenden Schoͤne, vorhin abgeredter-
maßen, annoch zu Huͤlfe zu kommen, ꝛc. Je
unmoͤglicher und unnatuͤrlicher die Begeben-
heit ſcheinet, deſto mehr frappirt ſie die Einfaͤl-
tigen, und der kriechende Poete wird fuͤr einen
poetiſchen Hercules gehalten werden.


17. Maxime.


Jn Dramatiſchen Gedichten, da entweder
ganze Schauſpiele vorkommen, oder doch ge-
wiſſe Sinnbilder, z. E. eines Adlers, Loͤwen
ꝛc. auf hohe Haͤupter gedeutet werden, mag
man, nach denen Grund-Regeln der kriechenden
Poeſie, jeder Perſon, die zur Schau vorkoͤmmt,
einen ganz andern Character geben, als er
ſonſt in der Welt hat. Z. E. der aufgefuͤhrte
Sclave darf von Staats-Sachen ſeines Herrn
raiſonniren; der Harlequin giebt einen gehei-
men Rath
des Prinzen ab; der Fuͤrſt raiſon-
nirt, was das Korn auf dem Markte gelte.
Die Prinzeßinn zankt ſich mit einem Paar Hu-
ren
herum; der Amant greift der Prinzeßin
untern Rock, daruͤber ſie laͤchelt. Der Beicht-
Vater
ſagt dem Feld-Herrn ins Ohr, wie er
die Armee en ordre de bataille ſtellen ſolle;
und hundert andere poßirliche Touren mehr!


18. Ma-
[71]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.

18. Maxime.


Jn Trauer-Spielen ſtelle man jeden Affect
ſo gekuͤnſtelt vor, daß man offenbar merke, der
duellirende Rival habe z. E. den andern nur in
eine mit Blut gefuͤllte Rinds-Blaſe geſtochen;
die uͤberwaͤltigte Schoͤne habe nicht mehr Ler-
men gemacht, als wenn ſie ſich an einer Nadel
geritzt haͤtte; der ſterbende Cato habe, mitten
in der Todes-Angſt, noch politiſche Staats-
Diſcurſe
von Wiederaufhelfung des verfallnen
Roms
vorgebracht; der toͤdtlich erſtochene A-
mant
habe nach vier und zwanzig Stunden ſei-
ne Schoͤne wieder bedienet; nebſt tauſend an-
dern abentheuerlichen Abbildungen mehr.


19. Maxime.


Jn luſtigen Schau-Spielen pflegen die krie-
chende Poeten den Harlequin und Scharamuz
die Haupt-Perſon ſeyn zu laſſen; der aber nicht
eben ſonderlich die Leſer und Zuſchauer mit
ſcharfſinnigen Spaß-Reden, ſondern haupt-
ſaͤchlich mit Zoten, abgeſchmackten Fratzen, poͤ-
belhaften Ausdruͤcken und ungeſchliffenen Re-
den ergoͤtzen muß. Doch giebt es auch Sauer-
toͤpfe
unter denen kriechenden Poeten, die in
keiner Oper einen Harlequin, ja ſogar die Mu-
ſic nicht,
leiden wollen, weil es nicht natuͤrlich
ſey, nach der Muſic mit einem zu reden. Da-
fuͤr bringen ſie lieber weitgeholte und grillen-
faͤngeriſche Reflexionen
aufs Tapet, daruͤber
die Zuſchauer einſchlafen, und da ſie verhofft, die
E 4Lebens-
[72]Funfzig Maximen
Lebens-Geiſter durch eine angenehme Muſic und
aufgeweckte Luſt-Spiele zu erfriſchen, muͤſſen ſie
auf den Knoten der Oper genau Acht haben,
wie ſolcher endlich werde aufgeloͤſet werden; ſonſt,
wo ſie dieſes verſaͤumen, duͤnket ihnen alles, was
vorher aufgefuͤhret worden, als ein dunkles Raͤ-
zel und ein verwirrter Handel.


20. Maxime.


Hiſtoriſche Poeſien muͤſſen, nach dem Cha-
racter der kriechenden Poeſie, entweder fein fa-
belhaft,
oder ſchwuͤlſtig, oder ſo matt und
trocken, als wenn die Markt-Saͤnger ihre
traurige Mord-Geſchichten versweiſe abſin-
gen, eingerichtet werden. Es ſchadet auch nicht,
wenn ein kriechender Poete vorgefallene
Schlachten
beſchreibet, daß er denen Pulver
und Bley, Canonen und Feuer-Moͤrſer beyle-
get, die zu ſo einer Zeit gelebet, da man noch
vom Pulver und Schieß-Gewehr gar nichts ge-
wußt. Beſchreibt er die alten Belagerungen:
So giebt er ſolche Modelle von Veſtungen an,
als Vauban erfunden. Hat ſeinem Helden,
fuͤr großem Angſt-Schweiſſe, etwa die Naſe
geblutet: So ſpricht der poetiſche Fuchsſchwaͤn-
zer, er habe ſich im Blute ſeiner Feinde gebadet.
Er muß große Thaten koͤnnen klein, und kleine
groß
machen, u. ſ. w.


21. Maxime.


Es iſt denen Hohen in der Welt wol eher be-
gegnet, daß uͤber ihr geſalbtes Haupt ein Unge-
ziefer
[73]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
ziefer hinweggekrochen. So darf denn auch ein
kriechender Poete, wenn er Religions-Ge-
dichte
ſchreibet, ſelbſt uͤber das allerhoͤchſte We-
ſen, uͤber die natuͤrliche und geoffenbarte Reli-
gion, auch ſonderlich uͤber die heilige Schrift,
hinwegkriechen. Er laͤßt, nach dem Rechte der
Schmeiß-Fliegen, ſeinen ausgelaſſenen Unrath
uͤberall kleben. Er treibt mit den Spruͤchen der
heiligen Schrift ſein Geſpoͤtte. Er ſpricht von
denen darinn vorkommenden Begebenheiten ſo
kurzweilig, daß man daruͤber lachen muß. Er
macht es eben ſo in Verſen, als z. E. die an-
ſehnlichen kleinen Geiſter
es in der Satyre
Briontes
gemacht, da ſie unter andern ſagen:
Paulus habe ſeine weite Reiſe bis in den drit-
ten Himmel ſparen koͤnnen; er ſey ſo klug
wieder zuruͤck gekommen, als er hingereiſet.

Allen ſogenannten heiligen Wahrheiten weiß er
ein laͤcherlich Kleidgen umzuhaͤngen; gerade
als ob der, dem man mit Gewalt ein Narren-
Kleid
anleget, auch nothwendig ein Narr in
der Haut
wirklich ſeyn muͤſſe!


22. Maxime.


Die Affen ſind gewiß poßirliche Geſchoͤpfe,
die denen Menſchen manche Kurzweil machen,
daß man ſich oft daruͤber ſcheckigt lachen moͤgte.
Die kriechende Poeten wiſſen ſich auch oͤfters
in die poßirlichſten Affen zu verwandeln. Sie
affen andern Poeten nach, und wollen bald die-
ſem bald jenem poetiſchen Helden nachahmen,
E 5oder
[74]Funfzig Maximen
oder ihn gar uͤbertreffen. Wenn ſie nun auf
hohe Haͤupter Lob-Gedichte machen, ſchuͤtten
ſie den ganzen Krahm ihrer Gelehrſamkeit aus.
Sie laſſen es nicht genug ſeyn, große Herren
bey aller Gelegenheit mit Gedichten zu bombar-
diren, ſondern ſtopfen auch noch ganze Bogen,
nach Art des beruͤhmten Zittauiſchen Erz-Dich-
ters,
Hrn. D. Knoblochs, mit haͤufigen An-
merkungen aus; ſo daß es noth thaͤte, der groſ-
ſe Herr
beriefe einen Land-Tag, ſich die darinn
vorkommende tiefſinnige Wahrheiten vortragen
zu laſſen; oder aber er lieſſe die poetiſche Anmer-
kungen ſeinen Cabinets-Miniſtern vorlegen,
ihm daraus, wenn ſie nichts wichtigers zu thun
haͤtten, die Einfaͤlle eines poetiſchen Affen-Ge-
ſichts
zu referiren.


23. Maxime.


Die Gluͤckwuͤnſchungs-Gedichte an Stan-
des-Perſonen, Patrone und Goͤnner muͤſſen mit
lauter Mecaͤnaten und unerwarteten Anreden
ausſtaffiret ſeyn. Scheuß, großer Patron,
ſcheuß, ſcheuß deine holde Stralen,
fing jener
ſich keine Laus duͤnkender Poete an, dem ſein
Patron, der eben vom Abtritte kam, antwor-
tete: Mein Herr, ich wollte wuͤnſchen, vor der
Minute ſein Gedichte gehabt zu haben, vielleicht
haͤtte es meinem verſtopften Leibe Erleichterung
geſchaffet. Ein kriechender Poet weiß an ſei-
nem Patrone nichtswuͤrdige Dinge hoch zu
loben, oder ihm Wiſſenſchaften beyzulegen, de-
ren
[75]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
ren Namen ihm wie Boͤhmiſche Doͤrfer vor-
kommen. Zuweilen geht er auch mitten im
Gedichte von ſeinem Patron ab, und thut eine
Streiferey nach Oſten und Weſten; da denn
der Patron ſo lange paſſen muß, bis es dem
Poeten, nach einem langen Umſchweife, gefaͤllt,
ſeinen Patron zu Ende des Gedichtes wieder
anzuſprechen, auch ſich wol gar auszubitten, daß
er ihn, als ein geringes Wuͤrmlein, nicht zertre-
ten ſolle.


24. Maxime.


Jn Condolenz-Gedichten weiß ein kriechen-
der
Poete die Affecten der Traurigkeit alſo zu
unterdruͤcken und bey ſeinem Patron niederzu-
ſchlagen, daß er ſich in die Zunge beiſſen muß,
um nicht uͤberlaut zu lachen. Die Schlendri-
ans-Poeten
gehen von ihrer alten Leyer ſo we-
nig ab, als die, Jahr aus Jahr ein, hinter ein-
ander Lehre, Ermahnung, Strafe und Troſt
in unverruͤckter Ordnung der Gemeine vorpre-
digen. Der verſtorbene Anverwandte des Pa-
trons wird himmelhoch erhoben, wenn er gleich
kaum ein Fuͤllſteingen in der Republic geweſen.
Neugebackene Edelleute werden als Helden be-
ſchrieben, in denen das hochadliche Blut ihrer
Urahnen
walle. Alte abgelebte Matronen wer-
den mit der Venus; abgefeimte Coquetten mit
der Lucretia; ſchwarzbraune Geſichter mit der
Morgenroͤthe; rothharigte Koͤpfe der Frauen-
zimmer mit der Abendroͤthe ſehr artlich vergli-
chen, ꝛc.


25. Ma-
[76]Funfzig Maximen

25. Maxime.


Bey Hochzeit-Gedichten iſt ein weites Feld,
wo ſich die kriechende Poeten tapfer luſtig ma-
chen koͤnnen, zumal, wenn ſie Hoffnung haben,
auch ein fettes Maul mit von der Hochzeit zu
nehmen. Der arme Cupido muß ſich in tau-
ſend Geſtalten da verwandeln laſſen; die Berg-
werke
geben die artigſten Einfaͤlle ab, daß der
Braͤutigam werde bey ſeiner Braut in den
Schacht ſteigen, und darinn ein- und ausfah-
ren. Die vier Jahres-Zeiten geben einen ar-
tigen Schwank ab. Der Winter iſt gut zum
Heyrathen, damit die Braut einen Bettwaͤrmer
habe; der Sommer aber, daß ihr der Braͤuti-
gam in den Hundstagen das heiſſe Ober-Bette
abnehme, und ſich in ſolches verwandle. Die
Namen des Braͤutigams, oder der Braut, ge-
ben die poßirlichſten Wort-Spiele ab; nicht
minder die Profeßion, die der Braͤutigam, oder
der Braut Vater, treibet. Jſt der Braͤutigam
ein Schneider: So ſpricht der Poet: Er werde
mit ſeiner Nadel der Braut ſchon tuͤchtige Knopf-
Loͤcher zu machen wiſſen. Jſt er ein Glaſer:
So werde er ihr am rechten Oertgen Scheiben
einſetzen, ꝛc.


26. Maxime.


Bey Namens-Tagen weiß der kriechende
Poete hundert, und zur Noth mehr oder weni-
ger, Perſonen anzufuͤhren, die eben den Vor-
namen
gehabt, mit denen ſein Patron, dem er
gern den Beutel mit Manier fegen moͤgte, ver-
glichen
[77]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
glichen wird. Wollen ſolche nicht zureichen,
muß der Name: Auguſtus, Titus, Trajanus,
Carl der Große,
oder ein großer Heiliger,
oder eine große Schoͤne, herhalten, und ſich
wider Willen dahin zerren laſſen, wohin der
Poete will. Auch verſchlaͤgt es nichts, wenn
gleich verfaͤngliche Gedanken einem dabey ein-
kommen koͤnnen. Der Poet ſetzet voraus, daß
man darauf nicht falle. So redete jener eine
große Dichterinn alſo an: Du Sappho unſrer
Zeit!
ohne zu bedenken, daß die Sappho ſich
in der tribadiſchen Luſt-Seuche ſo hervorge-
than, daß auch ſolches in alten griechiſchen Muͤn-
zen noch deutlich abgeſchildert zu finden. Will
der Bogen nicht voll werden: So hat der krie-
chende Poete ſchon andere Beyhuͤlfen, die Stro-
phen-Luͤcken
vollends auszufuͤllen.


27. Maxime.


Jn Geburts-Tags-Gedichten, wenn etwa
auf vornehmer Herren Kinder gluͤckliche Geburt
eine Poeſie geſchmiedet wird, weiß ein Froſch-
maͤusler-Poet aus denen Windeln zu weiſſagen,
was fuͤr ein großer Held, Koͤnig, Prinz, Staats-
Miniſter, großer Kirchen-Lehrer ꝛc. dereinſt aus
ihm werden werde; das arme Kind aber, das
wenig Tage darauf verſtirbt, jagt dem Poeten
keine Schaamroͤthe ab: denn es war nur ein
Gedichte, und keine Prophezeyung. Keinem
Poeten kann angemuthet werden, fuͤr die Er-
fuͤllung ſeiner poetiſchen Weiſſagungen
zu ſte-
hen. Betrifft es aber den Geburts-Tag eines
Patrons,
[78]Funfzig Maximen
Patrons, oder Patroninn: So iſt kein merk-
wuͤrdigerer Tag im ganzen Calender, als eben
dieſer, da ſein Principal, oder Gebieterinn, zur
Welt gebohren wurde; ob ſie gleich niemand
wuͤrde ſonderlich vermiſſet haben, wenn ſie ſchon
gar nicht das Licht der Welt erblicket haͤtten.
Es muͤſſen auch wol noch die erſten Windeln
und die Boye, darinn der jetzige Held ehedem
gelegen, hervorgeſucht und herausgeſtrichen wer-
den, ꝛc.


28. Maxime.


Ein kriechender Poete wird ſich nicht leicht
ſo hoch verſteigen, die himmliſchen Coͤrper poe-
tiſch zu beſchreiben, er muͤßte denn durch ſein
poetiſches Fern-Glas etwa Einwohner im
Monden,
oder denen Fix-Sternen, oder neue
Sonnen-Flecken,
oder bedrohliche Cometen,
und andere auſſerordentliche Luft-Zeichen, be-
merket haben. Daß er auch, nach Art eines
Brockes in Hamburg, oder Weichmanns im
Patrioten, die Geſchoͤpfe Gottes auf der Erde
an Bluhmen, Baͤumen, Metallen, Stroͤhmen
ꝛc. poetiſch abſchildern ſollte, iſt dem Geſchmacke
eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch
die Kunſt-Stuͤcke beruͤhmter Kuͤnſtler wird
er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf-
brechens machen wuͤrde. Doch eine Statue
oder ein Gemaͤhlde zu beſchreiben, darinn alles
an Menſchen und Thieren nackend vorgeſtellet
iſt, wird ihm eben nicht ſauer ankommen, wenn
er
[79]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
er nur jedes Ding bey ſeinem rechten Namen
frey nennen darf.


29. Maxime.


Moraliſche Gedichte, ſonderlich die Beſchrei-
bung der Tugenden und Laſter, oder eine leb-
hafte Abſchilderung derer Genies, Gemuͤths-
Neigungen, Affecten
und Temperamente ſind
auch nicht nach dem Geſchmacke derer kriechen-
den Poeten. Sie koͤnnen ſich nicht in ſo ſub-
tile Wuͤrmergen
verwandeln, die denen Leuten
bis ins Gehirn kriechen koͤnnten. Wagt er ſich
aber ja, dieſes oder jenes Gemuͤths-Character
abzuſchildern: So wird er entweder, wie die
Katze uͤber die heiſſe Kohlen, fluͤchtig hinweg ei-
len, oder ganz widerwaͤrtige Begriffe, die
nicht bey ſolcher Gemuͤthsfaſſung zugleich beſte-
hen koͤnnen, zuſammen reimen; ſo daß er z. E.
eben dem, den er als großmuͤthig beſchreiben
wollen, die niedertraͤchtigſten Handlungen bey-
leget; einen Geizigen anders wo zum Verſchwen-
der
macht, oder gar die Namen umtaufet, und
die Laſter als Tugenden, die Tugenden aber als
Fehler und Laſter beſchreibet.


30. Maxime.


Wenn ein kriechender Poete ſich mit ſeines
gleichen, oder niedrigern, in poetiſchen Brief-
Wechſel
einlaͤſſet, bleiben es meiſtens Anecdo-
ten,
die kein Buchhaͤndler des Papiers und
Druckes werth achten will. Aber die loͤbliche
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft beſitzt eine Samm-
lung von etlichen tauſend poetiſchen Briefen, die
von
[80]Funfzig Maximen
von lauter kriechenden Poeten geſchrieben wor-
den. Sie haͤlt ſolche als einen geheimen Schatz
unerkannter Wahrheiten,
und iſt zu neidiſch,
ſolche public zu machen. Es iſt genug, daß ſol-
che nach denen, in dem erſten Probeſtuͤck auf
mathematiſche Art veſtgeſtellten, Grund-Re-
geln, desgleichen dem Character derer im an-
dern Probeſtuͤck
angegebenen zwoͤlf Arten krie-
chender Thiere
und ſechs Sorten von Schmie-
den
vollkommen gemaͤß ſind; und werde ich in
denen folgenden zwanzig Maximen die Sache,
wo nicht in voͤlliges Licht, doch wenigſtens in
Licht und Schatten, zu ſetzen, mir angelegen
ſeyn laſſen.


31. Maxime.


Ein poetiſcher Froſch quaͤket alle Voruͤber-
gehende, und wer ihm am erſten in den Wurf
koͤmmt, mit ſeinen Reim-Gedichten an; es mag
nun dem andern gefallen oder verdrieſſen. So
wenig der Froſch ſich daran kehrt, ob es dem
Vorbeygehenden gelegen ſey, ſeinem Gequaͤke
zuzuhoͤren: So wenig fragt auch ein poetiſcher
Froſch darnach.


32. Maxime.


Eine poetiſche Maus ſtenkert am liebſten die
Anecdoten oder unherausgegebene Poeſien an-
derer durch, oder auch ſolche Poeten, die durch
die Laͤnge der Zeit ſchon wieder in Vergeſſenheit
gekommen. Solche bemauſet er, wo er kann,
und giebt es fuͤr ſeine eigenen Einfaͤlle aus. Ver-
ſtehet
[81]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
ſtehet er Sprachen: So machet er die Unwiſ-
ſenden weiß, was er z. E. aus einem Moliere,
Taſſo,
ſonderlich aus den engliſchen und grie-
chiſchen
Poeten uͤberſetzet, als waͤre es auf ſei-
nem eigenen Bete gewachſen. Wer ihn ver-
raͤth,
an deſſen Ehren-Ruhm ſucht er was ab-
zunagen, wie die Maus am Brodte.


33. Maxime.


Eine poetiſche Schlange verſetzet entweder
dem, der ſie reizet, oder auch, wie es ihr ein-
koͤmmt, giftige Stiche. Sein Wahlſpruch iſt:
Calumniare audacter, ſemper aliquid haeret.


Bezuͤchtge einen hart, und red ihm Boͤſes

nach;

Der angehaͤngte Fleck iſt ihm ſchon eine

Schmach.

34. Maxime.


Ein poetiſcher Jgel paſſet die Gelegenheit
fleißig ab, durch kurze Stachel-Reime dem,
dem er uͤbel will, einen Trebs zu verſetzen.
Weiß er etliche laͤcherliche Hiſtoͤrgen von ihm,
wenn es auch noch Fehler einer laͤngſt verſtri-
chenen Jugend
waͤren, er wird ſie ihm im ho-
hen Alter,
da er ſie vorlaͤngſt abgelegt, noch
vorruͤcken. Weiß er keine: So richtet er an-
dere nach ſich,
und denkt, ſie ſtehen hinter der
Thuͤre, wohinter man ihn ſelber oͤfters noch
ſtehen ſiehet.


35. Maxime.


Ein poetiſcher Hund iſt entweder ein grim-
Fmiger
[82]Funfzig Maximen
miger Bullenbeiſſer, oder heimtuͤckiſcher Dachs-
Hund,
oder ein kurzweiliges Moͤppelgen. Die
letztere Art koͤnnen unſere Gegner noch am erſten
vertragen; denn ſie haben keine Zaͤhne zu beiſſen.


35. Maxime.


Ein poetiſcher Floh uͤberraſchelt einen mit
ſeinen angebrachten Stichen oft, ehe man ſichs
verſiehet; und wenn man im Begriff iſt, ihn zu
erhaſchen, huͤpft er davon, und laͤßt ſich nicht in
die geſtellte Floh-Falle locken.


36. Maxime.


Eine poetiſche Laus ſuchet ſich gern bey an-
geſehenen Familien, oder dem Poͤbel, einzuni-
ſten; und wenn ſie ſich einmal in den Grind
eingefreſſen, wird man ſie ſchwerlich wieder her-
ausbringen: man muͤßte ſich denn ſelber die Haa-
re knapp verſchneiden laſſen.


37. Maxime.


Ein poetiſcher Miſtkaͤfer kriechet, euch zu
gefallen, wenn ihr ihm die Muͤhe bezahlet, in
ein heimliches Gemach, oder wird ein Wahrſa-
ger aus dem Urin-Glaſe, oder verſinkt ſelber ſo
tief in den Schlamm, daß er ſich nicht wieder
heraushelfen kann.


38. Maxime.


Ein poetiſcher Schmetterling fleucht um ein
brennend Licht, gleich einer Muͤcke, ſo lange her-
um, bis er ſich die Fluͤgel verbrennet, oder ihm
ſolche in den Tollhaͤuſern beſchnitten werden.


39. Ma-
[83]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.

39. Maxime.


Eine poetiſche Schnecke laͤſſet ſich gern ſeine
Gedichte voraus bezahlen, nimmt ſich aber ge-
nug Zeit, ſolche auszuhecken. Setzet ihr von
ihm ab: So nimmt er ſein poetiſch Geraͤthe auf
den Ruͤcken, und kriecht zu eurem Feinde hin-
uͤber. Daher mancher Poete derjenigen Co-
moͤdianten-Bande,
welcher er noch etliche Jah-
re zuvor Schau-Spiele fuͤr ſchweres Geld ver-
fertiget, nach der Zeit heftig feind wird, und,
gleich der Schnecke, die Spuren ſeines verſchuͤt-
teten Schaums, ich meyne verſpruͤtzter Dinte
und Galle,
zuruͤck laͤſſet.


40. Maxime.


Ein poetiſches Heuſchreckgen huͤpfet bald da
bald dorthin; und wenn es gleich keine Zaͤhne
hat, ſcharf zu beiſſen: So gibt es doch gewands-
weiſe,
und an ſolchen Orten, wo mans gar
nicht vermuthen
ſollte, ſeine Fußtapfen zu er-
kennen. Es ſchonet auch weder Freund noch
Feind, ſondern huͤpft auf des Nachbars Feld,
wie die Heuſchrecke.


41. Maxime.


Ein poetiſcher Maulwurf weiß ſich in ſeinen
eigenen Gedanken ſo tief zu vergraben und zu
verſchanzen, daß ihr ihm ſchwerlich dahinter kom-
men koͤnnet.


42. Maxime.


Huͤtet euch, daß ihr nicht in die Haͤnde eines
poetiſchen Grob-Schmiedes verfallet; er wuͤr-
F 2de
[84]Funfzig Maximen
de euch ſonſt unter ſeinem harten Amboß, ver-
mittelſt ſeines eiſernen Schmiede-Hammers, ſo
breit ſchlagen, daß ihr wuͤnſchen wuͤrdet, euch
nie mit ihm aufgenommen zu haben.


43. Maxime.


Ein poetiſcher Klein-Schmied und poeti-
ſcher Jgel
ſind ſolche zwey gewaltige Hudler und
loſe Schaͤlke, daß ihrs ſelber drauf wagen koͤn-
net, welcher unter beyden der gewandteſte und
durchdringenſte ſey.


44. Maxime.


Wenn jemand, der in der Welt keine ſon-
derliche Figur gemacht, gern ſeinen Namen bey
der ſpaͤten Nachwelt in ruhmvollem Andenken
erhalten wiſſen wollte: So darf er nur denen
poetiſchen Meſſer-Schmieden (2. Probeſtuͤck,
§ 24,) etwas vermachen, die werden ihn ſchon
nach ſeinem Tode in einem Leichen-Gedichte ſo
herausſtreichen, daß die Nachkommen das Wah-
re und Falſche nicht werden unterſcheiden koͤnnen.


45. Maxime.


Kehret euch nicht daran, wenn unſere poeti-
ſche Gold-Schmiede
gleich anderer Gedichte ins
Kretz ſchlagen. Suchet das darunter ſteckende
Silber durch anderweitige Umſchmelzung heraus:
So werdet ihr noch damit prangen, und es auf
den Meſſen in den Buchlaͤden gut anwenden
koͤnnen.


46. Maxime.


Wenn ihr Luſt habt, jemanden ein Huf auf-
ſetzen
[85]bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
ſetzen zu laſſen: So gebt nur unſern poetiſchen
Huf-Schmieden ein gut Wort, und bezahlet
ihnen ihre Reimſchmiede-Arbeit, ſie werden euch
ein ſo gutes Huf-Eiſen ſchmieden, daß es auf
den andern genau paſſen wird.


47. Maxime.


Moͤgte jemand gern eines andern Arbeit ver-
faͤlſchen
laſſen, wie dem Briontes mit ſeinem
Schaͤfer-Gedichte in denen Sottiſes champê-
tres
begegnet iſt, dagegen er das richtige Ori-
ginal
in die Sottiſes galantes, nach der Edition
des Ciceronianiſchen Windbeutels zu rechnen,
ſetzen laſſen: So begruͤße er nur unſere poeti-
ſchen Kupfer-Schmiede, die werden ihm ſo viel
unaͤchten Zuſatz dazu thun, daß es fuͤr die Ar-
beit eines ganz andern Autoris durchgaͤngig paſ-
ſiren wird.


48. Maxime.


Jn der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft wird der
gewaltige Zwiſchenraum applaniret, den die
neuern Poeten zwiſchen dem Hypſos und Ba-
thos,
oder der Hoͤhe und Tiefe der Gedanken,
machen. Denn wir geſtatten, von der Hoͤhe
einen Sprung auf geraden Reim-Fuͤßen in die
Tiefe, und einen Voltigir-Sprung aus der
Tiefe wieder in die Hoͤhe zu thun. Damit
auch die poetiſchen Gedanken nicht daruͤber den
Hals brechen; haben wir eigne Strick-Leitern,
und andere Maſchinen, einem, der zum Schwei-
mel geneigt iſt, aus der Hoͤhe in die Tiefe ſtuf-
F 3fenweiſe
[86]Dreyßig Frageſtuͤcke
fenweiſe herabſteigen zu helfen. Aber die Luft-
Springer
haben doch bey uns den Vorzug.


49. Maxime.


Damit der poetiſche Woͤrter-Schatz reichlich
vermehret werde, nehmen wir in unſere Reim-
ſchmiede-Kunſt franzoͤſiſche, lateiniſche und ita-
liaͤniſche Reim-Endigungen
auf, ertheilen ih-
nen das Buͤrger-Recht, und achten ſie fuͤr eine
Zierlichkeit, z. E. incommodiren, accommodiren,
recommendiren, abouchiren, accompagniren, ꝛc.


50. Maxime.


Die Zunft-Meiſter der Froſchmaͤusler-Ge-
ſellſchaft werden nicht eiferſuͤchtig daruͤber, wenn
ſie von ihren Lehrlingen in der kriechenden Poe-
ſie uͤbertroffen werden.


Viertes Probeſtuͤck.
Beantwortung derjenigen dreyßig Frageſtuͤk-
ke, welche jedem Candidaten, vor ſeinem
Eintritt in die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft,
vorgeleget werden.


1. Frage.


Was verlanget der Herr Candidat?


Antwort.


Ein Froſchmaͤusler zu werden.


2. Frage.


Was heißt ein Froſchmaͤusler?


Antwort.


Ein Poete, der ſich alle Bemuͤhung giebet,
der
[87]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
der kriechenden Poeſie und Reimſchmiederey auf-
zuhelfen.


3. Frage.


  • Weiß der Herr Candidat, was ein Jambi-
    ſcher Vers heiſſet?

Antwort.


Wenn unter zwey Sylben der Accent auf
die andere Sylbe faͤllt, als z. E.


Es iſt- mein Herz- in dich,- o ſchoͤ-nes Kind,

verliebt.

4. Frage.


  • Binden ſich denn unſere Reimſchmiede dar-
    an, daß in Jambiſchen Verſen eben der
    Accent auf die andere Sylbe fallen muͤſſe?

Antwort.


Nein; es klingen die holpernde und ſtol-
pernde Verſe
manchmal recht artlich, ſonder-
lich, wenn man beſchreiben will, wie einer vom
Parnaſſo herunter gekollert, oder uͤber einen
Stein des Anſtoßes geſtolpert. Z. E.


Wenn Herr-Doctor-Knobloch-gleich hart-

gar oft-mals reimt:

So iſt- dennoch- ſein Vers- ganz veſt- zu-

ſammn-geleimt.

5. Frage.


  • Weiß der Herr Candidat, was ein Trochaͤi-
    ſcher Fuß in Verſen iſt?

Antwort.


Wenn unter zwey Sylben auf der erſten der
Accent liegt, und ſolche ſchwer, die andere leicht
und gleichſam nachgebend, ausgeſprochen wird,
als:


F 4Ach
[88]Dreyßig Frageſtuͤcke
Ach Cu-pido,- ach der- Loſe,- hat mich- jaͤm-

mer-lich ge-peitſcht.

6. Frage.


  • Sollten aber die Froſchmaͤusler nicht das
    Recht haben, auch in trochaͤiſchen Verſen
    den Accent, wie bey den jambiſchen, zu ver-
    ſetzen?

Antwort.


Ja, das ſtehet ihnen frey. So wuͤrde es bey
E. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft hoffentlich fuͤr ei-
nen guten trochaͤiſchen Vers paßiren:


Herr Gott-ſched, du-Erz-Po-ete!

Wetze-deine-muntre-Floͤte!

Mach dem-Pasquill-des Vor-ſpiels doch

Durch dein-Meſſer-ein groſ-ſes Loch!

7. Frage.


  • So wird dem Herrn Candidaten ohne Zwei-
    fel auch bewußt ſeyn, was dactyliſche oder
    ſpringende Verſe heiſſen?

Antwort.


Ja, ich weiß gar wohl, was ein Dactylus
ſey, naͤmlich, wo der Accent auf die erſte Sylbe
faͤllt, worauf zwey leichte Sylben angehaͤnget
werden, z. E.


Liebliche-freundliche-reizende-Augen,

Duͤrfte ich-Flammen aus-ſelbigen-ſaugen.

8. Frage.


  • Duͤrfen die dactyliſchen Verſe bey der Froſch-
    maͤusler-Geſellſchaft nicht manchmal ſtol-
    pern, als wenn ſie uͤberruͤcklings ſchluͤgen
    und die Treppe herunter purzelten?

Ant-
[89]fuͤr einen Froſchmaͤusler.

Antwort.


Warum das nicht? Es gibt was zu lachen,
wenn der Vers manchmal ſtolpert, ſonderlich,
wenn man aus dem Hypſos einen Sprung ins
Bathos thun will, als:


Herrſcher drey-Reiche, Be-ſieger der- Feinde!

Lege dich-ſanfte zur-Maitreſſe-heinte!

9. Frage.


  • Die Poeten ſchwatzen vieles von langen und
    kurzen, naͤmlich Vers-Arten; macht man
    nicht das Frauenzimmer roth, wenn man
    ihnen ſo vieles vom langen und kurzen vor-
    ſaget?

Antwort.


Sind es Weiber, oder Witwen, denen man
poetiſche Lectiones giebt: werden ſich ſolche an
den langen und kurzen Vers-Arten nicht ſtoßen;
die Jungfern aber verſtehen freylich nicht, was
das fuͤr Dinger ſind: Ein langes Vers-Genus,
ein kurzes Vers-Genus.


10. Frage.


  • Wie koͤnnte man es nun dem Frauenzimmer
    leicht machen, daß ſie bald verſtuͤnden, was
    ein langer, und hingegen ein kurzer Vers
    ſey?

Antwort.


Sie muß lernen genau zaͤhlen. Wenn viel
Sylben
auf einander folgen, wird es ein lan-
ger
Vers; ſind es aber weniger Sylben, heißt
es ein kurzer. Z. E.


F 51) Ein
[90]Dreyßig Frageſtuͤcke
  • 1) Ein langer jambiſcher, oder alexandri-
    niſcher, Vers iſt dieſer:

    Ach du- Cupi-do du- ſchaff mir- doch ei-nen

    Frey-er,

    Denn mei-ne Jung-ferſchaft- ſperrt ſich- in

    mei-nem Schley-er.

    Ein kurzer jambiſcher Vers iſt z. E.

    Liſett-gen, haſt- du bra-ves Geld;

    Nehm ich- als Frau- dich mit- ins Feld.

Aus Gegeneinanderhaltung dieſer beyderley
Arten Reime wird ja ein Frauenzimmer, ohne
großes Nachgruͤbeln, wol ſehen, welches ein
langer, und welches ein kurzer Reim ſey.


  • 2) Ein langer trochaͤiſcher Vers iſt dieſer:
    Ach Frau-Mutter-auf dem-Balle-hat ein- Frey-

    er- mich er-tappt,

    Und mir- mein jung-fraͤulich-Kraͤnzgen,- eh ichs-

    dachte,- wegge-ſchnappt.

Ein kurzer trochaͤiſcher Vers aber iſt:


Sproͤde- Schoͤne,- meine- Klagen

Werden,- wenn ich- ſterbe,- ſagen:

Dieſer- hat mich- treu ge-liebt.

Hier wird ein Frauenzimmer und Einfaͤltiger
ebenfalls ohne groß Kopfbrechen leicht begreifen,
daß die erſten beyden Verſe lang, die drey an-
dern kurze trochaͤiſche Verſe ſind.


  • 3) Ein langer dactyliſcher Vers iſt z. E.
    Engliſche-Stimme, du- laͤſſeſt dich- hoͤren;
    Willſt du, Si-rene, mein-Herze be-thoͤren:

    • Ein kurzer dactyliſcher Vers aber iſt dieſer:
      Niedliche- Kuͤſſe

      Schmecken gar- ſuͤße.

      Drucket auf- marmorne-Huͤgel,

      Weil ſie noch- veſte, das- Siegel.

      Sucht
      [91]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
      Sucht die Milch-Jnſel,

      Sonſt ſeyd- ihr ein Pin-ſel.

Hier giebt es abermals der Augenſchein und
die Sylben-Zahl, welches lange Dactyli, und
welches hingegen kurze heiſſen.


11. Frage.


  • Haͤlt es die Froſchmaͤusler-Geſellſchaft fuͤr ei-
    ne Schuldigkeit, ſich an die drey Vers-
    Arten, die jambiſche, trochaͤiſche und da-
    ctyliſche, zu binden, oder ſuchet ſie auch
    andere Arten in Schwang zu bringen?

Antwort.


Es laͤſſet ſich ſonderlich die ſapphiſche und he-
roiſche
Vers-Art der Lateiner gar wol bey der
deutſchen Poeſie anbringen, als z. E.


  • 1) Probe von ſapphiſchen Reimen:
    Willſt du- mich lie-ben,- ſage mirs- geſchwin-de,

    Oder- ich ge-he- heute zur- Selin-de,

    Dem ſo- galan-ten- angeneh-men Kin-de,

    Wo ich ſie- finde.
  • 2) Eine Probe nach Art lateiniſcher heroi-
    ſcher Verſe:

    Der Ja-cob ſcher-zet mit- ſeinem- Weibe Re-

    becke;

    Liebliche- Phillis- komm und- gehe mit- mir in

    die- Hecke,

    Oder auch- tritt mit- mir dort- an die- finſtere-

    Ecke.

Jch ſehe nicht, warum dergleichen Arten Ver-
ſe nicht zum Scherz und Zeitvertreibe angehen
ſollten. Die E. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft
wird wohl thun, wenn ſie, trotz denen neuen
Poeten, viel neue Vers-Arten bekannt machen,
und
[92]Dreyßig Frageſtuͤcke
und den Geſchmack der Leſer luͤſtern machen
wird.


12. Frage.


  • Jſt dem Herrn Candidaten bewußt, was ein
    Oden-Genus ſey; und wie will er ſolches
    unſern Froſchmaͤuslerinnen beybringen?

Antwort.


Jch will zu ihnen ſagen: Es ſey eine Abwech-
ſelung von acht bis zehn Zeilen einſylbigter und
zweyſylbigter Reime, die man nach eigenem Gut-
duͤnken verſetzen kann, als:


So iſt- dein Her-ze fel-ſenhart,

Du Aus-bund al-ler un-ſrer Schoͤ-nen!

Willſt du- denn mei-ne Lie-be hoͤh-nen:

Jch hat-te dir- mein Herz- geſpart.

Doch iſts- dein Ernſt- es zu- verſchmaͤ-hen:

So ſa-ge mirs- nur rund- heraus:

So will- ich zu- der Nach-barn ge-hen,

Und nen-ne dich- ein Schel-len-Tauß.

13. Frage.


  • Die andern Poeten aber reden nur von maͤnn-
    lichen und weiblichen Reimen; iſt das nicht
    abgeſchmackt geredet?

Antwort.


Was wir einen einſylbigten Reim nennen,
heiſſen ſie einen maͤnnlichen; vermuthlich da-
her, weil eine Mannsperſonen nur ein einziges
Appetits-Jnſtrument bey ſich fuͤhrt; die zwey-
ſylbigten
Reime aber heiſſen ſie gewiß darum
weibliche Reime, weil das Frauenzimmer ſon-
derlich zwey reizende Waffen beſitzet: Die
Bruͤſte, und den Jrrgarten der Liebe. Man
muß
[93]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
muß es ihnen durch Exempel erlaͤutern, was
maͤnnliche und weibliche Reime ſind: So ver-
ſtehen ſie es deſto leichter.


  • 1) Z. E. lauter maͤnnliche Reime, oder, da
    der End-Reim einſylbigt iſt:

    Du biſt- ein rech-ter Gro-bian,

    Sprach juͤngſt- ein Weib- zu ih-rem Mann,

    Jch ſeh,- du kannſt- die Kunſt- nicht recht,

    Du triffſt- das rech-te Fleck-gen ſchlecht.

    Jch geh- zum Nach-bar Ce-ridon,

    Der pfeift- aus ei-nem beſ-ſern Ton.
  • 2) Lauter weibliche Reime, oder, da der
    End-Reim allezeit zwey Sylben hat, als:

    Was re-deſt du,- du lo-ſe Vet-tel,

    Was ma-che ich- mit dei-nem Bet-tel:

    Es iſt- ein’ aus-gepauck-te Drum-mel,

    Meynſt du,- als wuͤßt- ich nicht- den Rum-mel:

    Du magſt- zum Co-ridon- nur ſchlen-dern,

    Jch wer-de mich- darum- nicht aͤn-dern.

Jn der erſten Probe ſind lauter einfache End-
Sylben, als: an, Mann; recht, ſchlecht;
don, Ton.
Jn der andern Probe lauter dop-
pelte oder zweyſylbige End-Reime, als: Vettel,
Bettel; Drummel, Rummel; ſchlendern, aͤn-
dern.
Jenes heiſſen maͤnnliche, dies weibliche
Reime.


14. Frage.


  • Schicken ſich die trochaͤiſchen oder jambiſchen
    Verſe beſſer zu Oden; oder gilt es gleich
    viel, man nehme, welche man wolle?

Antwort.


Man haͤlt dafuͤr, zu Trauer-Orden ſchickten
ſich die trochaͤiſchen Verſe beſſer; zu Freuden-
Oden
[94]Dreyßig Frageſtuͤcke
Oden aber die jambiſchen. Aber es trifft nicht
zu; man kann freudige trochaͤiſche Oden und
traurige jambiſche Oden machen, nachdem die
Umſtaͤnde vorfallen.


  • 1) Probe einer traurigen jambiſchen Ode:
    Jch armer Hahnrey ſitze nun!

    O haͤtte ich niemals gefreyet!

    Was ſoll ich nun im Alter thun,

    Weil man mir in die Ohren ſchreyet:

    Jch ſolle doch die Hoͤrner decken,

    Man koͤnne ſie am Haupte ſehn!

    Ach! wuͤßt ich ſolche zu verſtecken!

    Jch muß zu einem Doctor gehn.

Mich deucht, dieſer Anfang einer Ode klingt
traurig genug, und ſollte ganz beweglich klin-
gen, wenn Traverſen dazu geſpielt wuͤrden.


  • 2) Probe einer freudigen, luſtigen und
    aufgeweckten trochaͤiſchen Ode:

    O ihr alten ſchoͤnen Thaler,

    Seyd willkommen, ſeyd gekuͤßt!

    Mein alt Weibgen iſt der Zahler.

    Ja, wenn die Runkunkel wuͤßt,

    Wie ich ſie nur bloß gefreyet,

    Daß ich ihre Thaler haͤtt;

    Glaub ich, daß ſie mich anſpeyet,

    Und ſcheidt ſich vom Tiſch und Bett.

Jch glaube nicht, daß etwas trauriges in die-
ſer Ode ſey, es muͤßte ſie denn des Poeten al-
tes Weib
ohngefehr zu Geſichte kriegen, oder
abſingen hoͤren; ich glaube aber, ſie wuͤrde eher
daruͤber raſend, als traurig, werden.


15. Frage.


  • Schicken ſich dactyliſche Verſe nicht zu Oden;
    oder darf man nicht wenigſtens in einer

    Ode
    [95]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
    Ode mit jambiſchen und trochaͤiſchen Ver-
    ſen abwechſeln?

Antwort.


Es koͤmmt auf den Liebhaber an, und iſt an
ſich unverwehret. Denn wer hat die neuern
Poeten geheiſſen, ſo ſtrenge Reim-Geſetze vor-
zuſchreiben. Man kann alſo per licentiam
poëticam
nicht nur die Vers-Arten unter ein-
ander verſetzen, ſondern auch lange Fuͤße zu kur-
zen, und kurze zu langen machen; der Abſchnitt
des Verſes kann auch wegbleiben, wie es die
Lateiner bey elegiſchen Verſen oft thun; als:


  • 1) Probe einer dactyliſchen Ode:
    Jhr ſcheinet, ihr lieblichen Sterne,

    Zwar jetzo im Dunkeln von ferne:

    Doch gebt ihr genugſames Licht,

    Mein Liebgen am Fenſter zu ſehen,

    Jch ſeh ſie im Hemdgen da ſtehen,

    Und denket das Naͤrrgen, ich ſaͤhe ſie nicht.
  • 2) Probe verſetzter jambiſcher und trochaͤi-
    ſcher Verſe:

    Jamb. Jch ſterbe, wo du mich nicht liebeſt,

    Troch. Schaue doch mein banges Herz!

    Lindre, Schoͤne, meinen Schmerz.

    Jamb. Wenn du mich gleich in Stuͤcken hiebeſt,

    Wuͤnſch ich, daß ich dein Herz erweich.

    Troch. Doch nein, nein, der ſtirbt nicht gleich,

    Jamb. Den Liebes-Kuͤtzel plagt.

    Mein Leid hab ich dir gnug geklagt,

    Willſt du mich nicht anhoͤren?

    Troch. Nun ſo will ich auch verſchwoͤren,

    Daß mich je Cupidens Reich

    Jamb. Beſtricken ſoll,

    Drum lebe wohl!

    Trennt
    [96]Dreyßig Frageſtuͤcke
    Trennt uns ein himmliſches Geſchick:

    So wuͤnſch ich beyden Gluͤck!

    Troch. Fahre hin, mit deiner Tuͤck!
  • 3) Probe, da lange Fuͤße kurz, und kurze
    lang gemacht, auch die Abſchnitte, oder Ce-
    ſur uͤbergangen wird.

    Die Pudel-Koͤpfe finden manchen Freyer,

    Denn man gedenkt, Pommade iſt ja ziemlich

    theuer,

    Und Puder auf jeden Tag koſtet leicht vier Dreyer,

    Das macht woͤchentlich einen halben Gulden,

    Entweder macht die Jungfer Schulden,

    Oder es macht jaͤhrlich ein Capital,

    Nach 6 pro Cent aufs wenigſte nach unſrer Zahl,

    Als drey hundert Thaler, die Schuhe nicht drein

    gezaͤhlt,

    Noch Struͤmpf, Contuſchen, Roͤcke, Wam-

    ſter, Hauben,

    Lebt ſie von Jntereſſen, kann man glauben,

    Daß ihr an zehn tauſend kaum hundert Thaler

    fehlt.

Bey dergleichen Art Verſen muß man gar
nicht ſcandiren,
ſondern, wie die Franzoſen
in ihren Gedichten, ſich nicht ſo genau ans Syl-
ben-Maaß
binden, alſo da wir ſonſt ſo gern
alle franzoͤſiſche Moden nachahmen, warum
ſollten wir nicht auch unſere deutſche Verſe ſo
fluͤchtig weg leſen, als wir bey franzoͤſiſchen
Reimen thun.


16. Frage.


  • Was haͤlt der Herr Candidat von der poeti-
    ſchen Regel, daß man weder in einen Vers
    lauter einſylbigte Woͤrter, noch allzuſtar-

    ke
    [97]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
    ke Eliſiones, oder verſchluckte Sylben hin-
    einbringen ſolle?

Antwort.


Wenn man ſelbſt derer, die unſre Gegner ſind,
poetiſche Schriften genau durchgehet, wird man
oft ganze Zeilen einſylbigter Woͤrter darinn
finden, auch daß ihnen manche Sylben in der
Kehle
ſtecken bleiben. Es macht beydes oft ei-
nen Spaß. Z. E.


Den Mann, die Frau, den Knecht, die Magd,

den Sohn, die Schnur,

Die bitt ich heut zum Schmauß auf Bier,

Brodt und Kaͤs nur.

Desgleichen:


Jch, du, er, wir, ihr, ſie, wir gehn all in

den Vers.

Glaubt er das Ding noch nicht: Nun, nun,

mein Herr, laß ers!

17. Frage.


  • Was haͤlt der Herr Candidat von denBout-
    rimes,
    oder End-Reimen; machen nicht
    ſolche einen rechten Spaß, und zeigen an,
    wer ein fixer Reim-Schmied ſey, oder
    nicht?

Antwort.


Jch habe manchen tauſend Spaß, ſonderlich
mit witzigen Frauenzimmern, gehabt, wenn
wir uns einander ſo naͤckiſche End-Reime auf-
gegeben, als wir nur gekonnt, und hernach drauf
geſonnen, ſolche alle unter einen Huth zu brin-
gen. Z. E. ich gab einsmal folgende Reime aus:
Wurſt, Durſt; Kranz, Schwanz; Muͤtze,
GPfuͤtze;
[98]Dreyßig Frageſtuͤcke
Pfuͤtze; Haus, Maus; Sieb, Dieb: So
fuͤllte ich ſolche folgendergeſtalt aus:


Liſettgen iſſet gerne Wurſt;

Mit Brandtwein ſtillt ſie bloß den Durſt;

Sie weiß nichts mehr vom Jungfer-Kranz;

Sie lobet den Paruken-Schwanz;

Sie liebet eine rauche Muͤtze;

Ohnlaͤngſt trat ſie in eine Pfuͤtze;

Jhr Maͤulgen iſt als wie ein Sieb;

Die Liebe iſt ihr aͤrgſter Dieb.

Eine aus der Geſellſchaft aber reimte, großen-
theils auf gut grobſchmiediſch, alſo auf eben
ſolche vorſtehende Reime:


Mein Herr! ihr ſeyd als wie Hans Wurſt,

Jhr ſauft, und ſtillt nicht meinen Durſt;

Euch ſteht nicht der Magiſter-Kranz;

Jhr ſeyd ein Huͤndgen ohne Schwanz;

Jm Bett ſeyd ihr wie ein’ Schlaf-Muͤtze;

Jhr tretet gern in fremde Pfuͤtze;

Der Beutel iſt bey euch ein Sieb;

Jhr ſtehlt die Herzen, wie ein Dieb.

Das Thema war gluͤcklich durchgefuͤhrt; nur
etwas zu plump und zweydeutig, weil es der
Perſon, die es anging, ins Geſichte vorgeleſen
wurde.


18. Frage.


  • Was faͤllet der Herr Candidat fuͤr ein Ur-
    theil von quodlibetiſchen Gedichten; und
    wo ſind ſolche am beſten anzubringen?

Antwort.


Ein Quodlibet iſt entweder eine Miſchung
vieler Hiſtoriettgen, da alſo niemand das Ge-
dichte recht verſtehet, als wem die Geſchichten
bekannt
[99]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
bekannt ſind; oder es iſt ein Miſchmaſch aben-
theuerlicher verſtaͤndlicher
Begebenheiten,
wenn man z. E. beſchreiben will, wie toll es in
der Welt zugehe; oder endlich ein Miſchmaſch
verwirrter Phoͤbus-Ausdruͤcke
und Galima-
thias.
Die erſte Art wird fuͤr ſatyriſch, die
andere fuͤr zeitvertreibend, die letzte Art fuͤr
naͤrriſch gehalten. Jn allen Arten brauchet
man gemeiniglich das Hans-Sachſen-Genus,
oder da lauter weibliche Reime ſind, da ſich
immer zwey und zwey unmittelbar auf einan-
der reimen, als:


  • 1) Probe eines verdeckten Quodlibets, da-
    zu der Schluͤſſel derer angebrachten Hiſtoriet-
    ten fehlt:

    Ja freylich! wenns nur ein Paar Schuh, und nicht

    ein mehrers, koſtet:

    So waͤr bey Jungfer Marcipill mein Eiſen nicht ver-

    roſtet.

    Du guter Stax! betreug dich nicht! du wollteſt Pfirs-

    ken langen.

    Hans findet eine taube Nuß, der Kern iſt ihr entgan-

    gen.

    Du alter Beſen fegſt nicht mehr, geh, geh nur, du

    Runkunkel;

    Still, ſtill; die Mutter ſieht es nicht; der Mond

    ſcheint, es iſt dunkel.

    Ey ſeht mir doch die Großmuth an, der ſchenket mir

    ſechs Dreyer!

    Nun ja, wo nicht gar den Hans Wurſt, der waͤr ein

    beſſrer Freyer.
  • 2) Probe eines zeitvertreibenden Quodli-
    bets, das jeder verſtehen kann:

    G 2Jhr
    [100]Dreyßig Frageſtuͤcke
    Jhr Junggeſellen, hoͤrt mich an: Greift nicht nach

    tauben Nuͤſſen!

    Die Dorgen laͤßt ſich vom Galan bereits auf Abſchlag

    kuͤſſen.

    Die Fieckgen thut ſo zipperlich, als haͤtt ſie nie gena-

    ſchet;

    Ey, ey, die Jungfer Fiedlemich hab ich beym Knecht

    erhaſchet.

    Geh weg, du alter Ehe-Geck, ich mag nicht deine

    Poſſen!

    Mein alter Graubart iſt gewiß mit Haſen-Schrot ge-

    ſchoſſen.

    Jch bin ein junges muntres Weib, und habe keine

    Kinder,

    Macht mir doch einen Zeitvertreib. Pack dich, du ar-

    mer Suͤnder!
  • 3) Probe eines verwirrten Quodlibets,
    daraus kein Teufel den Zuſammenhang der
    Gedanken errathen kann:

    Potz Pliederwitz! Du Geckelmann! Ey Jungfer

    Marcipille!

    Wie theuer koſtet euer Latz? Was macht die mit der

    Spille?

    Geh, Gretſchelfuß! Mein Herr, mit Gunſt! ey ſchaut

    mir doch den Affen!

    Hans Wurſt, vergreif dich nicht an mir; ich weiſe

    dich zum Pfaffen.

    Du, altes Leder! taugſt nicht mehr zu Schuhen oder

    Struͤmpfen.

    Der Wenzel ſticht; mein kleiner ſchlaͤft; leiht mir von

    euren Truͤmpfen.

    Da ſtehet nun der alte Gaul! Frau, dein Mann iſt

    marode.

    Vor Liebe ſtirbt ein Jungfer-Ding. Sing, Liesgen,

    eine Ode.

19. Fra-
[101]fuͤr einen Froſchmaͤusler.

19. Frage.


  • Was ſind des Herrn Candidatens Gedanken
    von Teller-Reimen, oder da man einen
    Reim unter einen Teller ſchreibet, und alle
    die Reihe herum ſo lange fortreimen, bis
    kein Reim mehr darauf zu erfinden iſt?

Antwort.


Jch ziehe ſolche Luſt weit allen Helden-Liedern
vor. Denn es kommt Zeug zuſammen, da alle
Schmiede-Hammer E. loͤblichen Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft nicht zureichen wuͤrden, ſolche
Gedanken alle zuſammen zu loͤten. Es muß
aber jedem ein eigner Reim aufgegeben, und
ſolche hernach zuſammen abgeleſen werden: So
kommen oft recht poßirliche Einfaͤlle zuſammen.
Z. E. der Teller-Reim ſey: Freyer.


  • Ausfuͤhrung durch alle erfindliche
    Reime:

    Jch glaub es ſelbſt, die Dorilis haͤtt gerne einen

    Freyer.

    Der guten Fieckgen ihr Galan hat mehr nicht, als zwey

    Eyer.

    Ey! hoͤrt mir doch den Pfaffen an, das iſt ein rechter

    Schreyer!

    Fuͤr Liesgens ganze Jungferſchaft gaͤb ich nicht einen

    Dreyer.

    Die Weiber werden itzt wohlfeil, die Jungfern aber

    theuer.

    Charmirt denn unſer Witwigen ſogar auch unterm

    Schleyer:

    Jch geh, mein Braͤutel, auf dich los, als wie ein Falk

    und Reiher.

    Steht euch, mein Herr, das Weib nicht an, geht, ap-

    pellirt nach Speyer.

    G 3Da
    [102]Dreyßig Frageſtuͤcke
    Da geht ein alter Hahnrey hin; ſo hole mich der Geyer.

    Braucht ihr etwa ein friſches Pferd: So geht zum

    Pferde-Leiher.

    Es war ein großer Doctor einſt, der hieſſe Doctor

    Meyer.

    Ein Geizhals denkt nur an das Geld und ſein Korn in

    der Scheuer.

    Heut aͤß ich gerne einen Hecht, holt ihn aus jenem

    Weyher.

    Mein Herr! nur noch acht Groſchen her, ſonſt thu ichs

    nicht, verzeih er.

    Es ſchmeckt ein alter rheinſcher Wein wol beſſer, als

    ein neuer.

    Jch kenn ein artlich Dingelgen, ihr Vater hieſſe

    Beyer.

    Du biſt mir auch der rechte Kauz, Damon bleibt mir

    getreuer.

    Vorm Jahre golt die Jungferſchaft, wie viel gilt ſie

    denn hener:

    Mein altes garſtig runzlich Weib ſpielt ihre alte Leyer.

    Der geht im Degen recht galant, und iſt doch nur ein

    Braͤuer.

    Gewiß, ich haͤtt es nicht gedacht, Claringen hat viel

    Feuer.

    Was wett ich, Jungfer Liebeskind thut mirs fuͤr einen

    Zweyer!

    Jhr ſchicket euch auf jedes Pferd, mir aber wirds viel

    ſaͤuer.

20. Frage.


  • Geben nicht auch die Loſungs-Reime eine
    beſondere Kurzweil ab; und verſtehet der
    Herr Candidat, was wir dadurch meynen?

Antwort.


Meines Behalts nimmt man ein poetiſches
Spruch-Kaͤſtgen,
in deſſen erſten Fache die
Manns-
[103]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
Mannsperſon oder das Frauenzimmer einen
Vers herausziehet, darauf ſtehet, von was Stan-
de die Liebſte oder der Liebſte ſeyn werde, ob von
adlichem, buͤrgerlichem oder Bauern-Stande?
Aus dem andern Fache: Wie alt? Ob er ein
Junggeſell oder Witwer, und ob man eine Jung-
fer, Witwe oder Hure bekommen werde. Jm
dritten Fache ſtehen Reime: Ob die Liebſte oder
der Liebſte werde ſchoͤn oder garſtig ausſehen?
Jm vierten: Ob das Geliebte werde reich oder
arm feyn? Jm fuͤnften: Ob es geſchlanken
Leibes, oder puckligt, mit einer Kruͤcke, mit ei-
nem abgeſchoſſenen Beine, ohne Naſe, und oh-
ne ſonſt was ſeyn? Jm ſechſten Fache: Von
was Gemuͤths-Eigenſchaft? Ob das Geliebte
ehrgeizig, geldgeizig, oder wolluͤſtig ſeyn werde?
Ob es werde extra gehen? Ob es ſich im Ehe-
ſtande tapfer halten werde, oder nicht? Ob
Kinder werden kommen, oder einer ein Hahnrey
werden? Jm ſiebenten Fache: Wie das Ge-
liebte mit dem Vornamen heiſſen werde? Jm
achten Fache: Mit welchem Buchſtaben ſich
der Geliebten Geſchlechts-Name anheben wer-
de? Wenn nun viele in der Geſellſchaft ſind,
und einer aufſchreibt, was in jedem Fache ein
jedes gezogen, koͤmmt oft ein poßirlich Progno-
ſticon heraus. Z. E. einer zog durch alle acht
Faͤcher folgende Reime:


  • 1
    Bey einem Jaͤger werd ich einſt mein Lieb ausſpuͤ-

    ren;

    Nur gut, ich bins gewohnt, in Wald und Thal

    zu gehn;

    G 4Auch
    [104]Dreyßig Frageſtuͤcke
    Auch werd ich ihre Hand zu meiner Buͤchſe fuͤhren,

    Und ſagen: Liebes Kind, dir ſoll kein Leid geſchehn,

    Die Kugeln ſollen bloß vorm Loche liegen bleiben,

    Jch will in deiner Fluhr mir ſchon die Zeit ver-

    treiben.
  • 2
    Auf eine Jungfer hatt ich mich zwar ſehr geſpitzt,

    Doch ihre Jungferſchaft iſt ziemlich abgenuͤtzt;

    Das Schickſal winket mir, ich ſolle mich nicht graͤ-

    men,

    Und lieber eine Hur, als Mode-Jungfer, nehmen.
  • 3
    Ein haͤßlich Raben-Aas ſoll ich ins Ehbett fuͤhren,

    Und mir, man denke nur, noch disfalls gratuliren.
  • 4
    Mein Weib wird einſt nicht reich, vielmehr ſo blut-

    arm ſeyn,

    Daß ich mich faſt beſinn, ob ich ſie wolle freyn.
  • 5
    Ey was? ein puckligt Weib? Doch, hat ſie ſo viel

    Thaler,

    Als wie ihr Puckel wiegt: So mache ich ſie kahler.
  • 6
    Ein Brandtwein-Bluͤhmgen iſt mir einſt zur Eh

    beſtimmt,

    Wofern ich dieſes weiß, ein Schelm, der ſolche

    nimmt.
  • 7
    Ein Urſelgen ſoll mich einſt Schatz und Liebſten

    nennen,

    Komm, liebes Urſelgen, ich wuͤnſche dich zu kennen.
  • 8
    Vom X nennt ſich mein Weib: So heißt ſie wol

    Xantippe;

    Wenn ſie nun nach mir ſchmeißt, kriech ich in eine

    Klippe.

Jch halte dafuͤr, daß die meiſten von dieſen Rei-
men nach froſchmaͤusleriſchem Geſchmacke,
das iſt, fein ſaftig und zweydeutig eingerichtet,
mithin ſehr wohl geſetzet ſind.


21. Frage.


  • Wie ſind die Leber-Reime am beſten einzu-
    richten, weil zumal mancher druͤber lange

    ſchwitzt,
    [105]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
    ſchwitzt, ehe er deren etliche zu Markte
    bringen kann?

Antwort.


Der gewoͤhnliche Schlendrian von Leber-Rei-
men iſt dieſer, daß man den erſten Vers alſo
anfaͤngt: Die Leber iſt vom Hecht; hierauf
macht man einen Gegenſatz von andrer Thiere
Lebern, es ſey nun vierfuͤßiger oder kriechender
Thiere, oder Gevoͤgel. Alsdenn reimt man
was drauf, ſo iſt der Leber-Reim fix. Zur
Probe will ich etliche Dutzend Leber-Reime fuͤr
die Ungeuͤbten herſetzen, daß ſie einige Modelle
haben, als:


  • 1
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Kater:

    Sagt mir, Herr Nachbar, doch, ſeyd ihr zum Kinde

    Vater:
  • 2
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Hum-

    mer:

    Der Erden Phoͤbus wacht, der meine liegt im

    Schlummer.

    Oder auch:
  • 3
    Es macht der Liebes-Gott manchem ſehr vielen

    Kummer.
  • 4
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Otter:

    Ein Leipzger Maͤdgen iſt das Gelbe in dem Dotter.
  • 5
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Geyer:

    Mein liebes Dorigen, nehm ſie mich doch zum Freyer.
  • 6
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Katze:

    Jch ſtehle keinen Kuß, daß Fieckgen mich nicht kratze.

    Oder auch:
  • 7
    Herr Nachbar! ſeine Fauſt gleicht einer Baͤren-

    Tatze.

    Oder:
  • 8
    Ein Maͤulgen gebe ich itzt meinem Ehe-Schatze.

    G 5Oder:
    [106]Dreyßig Frageſtuͤcke
    Oder:
  • 9
    Jm Sommer brauch ich gern ein Maͤdgen zur Ma-

    dratze.
  • 10
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Finken:

    Herr Nachbar, bring ers zu, ich moͤgte gerne trin-

    ken.

    Oder:
  • 11
    Ein Pfal im Fleiſche haͤlt gar oftermals vier

    Schinken.
  • 12
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Heng-

    ſte:

    Es prahlet mancher gern, ſein Degen ſey der laͤngſte.
  • 13
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Gans:

    Wie manche kaufte ſich gern einen Jungfer-Kranz.

    Oder:
  • 14
    Stax ſchlendert wie ein Hund mit einem kurzen

    Schwanz.
  • 15
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem

    Schwein:

    Die Maͤdgen halten ſich am Obertheile rein.

    Oder:
  • 16
    Mein angenehmes Kind! ich bin nunmehro dein.

    Oder:
  • 17
    Ach! duͤrft ich, Dorilis, dein Oberbette ſeyn!
  • 18
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einem Staar:

    Viel Jungfern ſind verliebt, das iſt gewißlich wahr.

    Oder:
  • 19
    Die Jungferſchaft iſt itzt bey pfluͤcken Maͤdgen rar.

    Oder:
  • 20
    Nicht wahr, ich werde noch mit dir, mein Kind, ein

    Paar.

    Oder:
  • 21
    An alten Weibern iſt wol ſchwerlich ein gut Haar.
  • 22
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer Katz:

    Mit Gunſt, ich gebe ihr, Frau Nachbarn, einen

    Schmatz.
  • 23
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht vom Wiedehopf:

    Jch denke, wie ich itzt mir meinen Magen ſtopf.

24
[107]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
  • 24
    Die Leber iſt vom Hecht, und nicht von einer

    Schmerl:

    Ein ſchoͤnes Weib gilt mehr, als wie die ſchoͤnſte

    Perl.

22. Frage.


  • Es giebet auch Raͤthſel-Reime, wie ſind ſol-
    che auf gut froſchmaͤusleriſch einzurichten?

Antwort.


Sie muͤſſen fein zweydeutig geſetzet werden,
daß man ſie allemal auch aufs Liebes-Spiel,
und die dazu gehoͤrige Haupt-Theile, deuten kann.
Z. E. ein halb Dutzend Raͤthſel zur Probe:


  • 1
    Unten rund, und oben ſpitz,

    Jn der Mitte hat es einen Ritz.

    Jſt ein Kirch-Thurm, der in der Mitte

    ein Kaploch, oder Fenſtergen, hat.
  • 2
    Rath, rath: Es ſiehet ringsrum rauch,

    Und hat ein Loch, das ſehr im Brauch.

    Jſt eine Parucke.
  • 3
    Oben rauch, und unten rauch,

    Jn der Mitte laͤuft der Saft heraus.

    Jſt ein ſolches Auge, das ſtarke Haar-

    Wimpern hat.
  • 4
    Von Bergen ſteigt man in das Thal,

    Der Weg zum Pfoͤrtgen iſt gar ſchmal.

    Jſt eine Veſtung mit einem Einlaß-

    Pfoͤrtgen.
  • 5
    Vier Schinken an einem Stiel

    Machen das beſte Spiel.

    Jſt Spadille und noch vier Matadors,

    als Manille, Paſta, Ponto, Roy.
  • 6
    Es will gar oft gedrucket ſeyn,

    Sonſt dringt der Stempel nicht hinein.

    Jſt eine Preſſe, Formen abzudrucken.

23. Frage.
[108]Dreyßig Frageſtuͤcke

23. Frage.


  • Wie ſind die heute zu Tage uͤblichen Deviſen
    nach den Regeln der Hans-Sachſen- und
    kriechenden Poeſie am fuͤglichſten einzu-
    richten?

Antwort.


Es wird ein Zettelgen mit einem Paar deut-
ſchen oder franzoͤſiſchen Reimen in ein Gebacke-
nes von Kraft-Mehl verſtecket, das unterſchie-
dene Figuren vorſtellet, z. E. einer Thee-Taſſe,
Pflaume, Pfirſchken-Kerns, Stiefels, Schu-
hes, Birn, Apfels, Kirſche, und was die De-
viſen-Becker
alles angeben. Damit es nun
was zu lachen gebe, muͤſſen die Deviſen fein
leichtfertig, zweydeutig, oder auch ſtachlicht
eingerichtet ſeyn: So heiſſen es froſchmaͤusle-
riſche
Deviſen. Sind ſie aber ſo trocken weg,
daß kein Witz dahinter ſteckt: So heiſſen es
Hans-Sachſen-Deviſen. Z. E.


  • I.Probe von froſchmaͤusleriſchen, zwey-
    deutigen und ſtachlichten Deviſen, als:

    • 1
      Jch ſpitze mich auf einen Mann,

      Weil ich es nicht erwarten kann.
    • 2
      Jch freye bloß des Geldes wegen,

      Jch weiß das Geld ſchon anzulegen.
    • 3
      Jch halte, glaubt mirs, viel von Voͤgeln,

      Von Reiten, Fechten, Schacht und Segeln.
    • 4
      Von Huͤgeln ſteig ich gern ins Thal,

      Wenn gleich der Fußſteg ziemlich ſchmal.
    • 5
      Jch liebe mehr nicht, als nur eine,

      Doch frag ich, hat ſie eine reine,

      Jch meyne Liebe, gegen mich:
    • 6
      Jch treffe in das Schwarze gern,

      Jch ſchieß vorm Dorf, und in die Fern.
  • II.Probe von einem halben Dutzend Hans-
    Sachſen-Deviſen, als:

    • 1
      Erkenne doch die Liebe mein,

      Und raͤume mir dein Herzgen ein.
    • 2
      Mein herzallerliebſtes Maͤdgen,

      Frage nicht, ob ich was kann:

      Ach! bey deinen weiſſen Waͤdgen

      Koͤmmt mir flugs ein Luͤſtgen an.
    • 3
      Grieta, allerliebſtes Schaͤtzle,

      Du laͤßt mir gar keine Ruh,

      Hat dein Herze nicht ein Plaͤtzle

      Jrgend als wie zwey Paar Schuh:

      Je, ſo laß mich auf der Spitze

      Nur ein wing darnieder ſitze.
    • 4
      Liſettgen, nimm doch mich,

      Denn einzig lieb ich dich.

      Jch ſchwoͤr bey meiner Meeſen-Pfeife

      Jch will an keiner mich vergreife.
    • 5
      Ein Gruͤbgen im Backen,

      Ein Schelmgen im Nacken,

      Von Herzen getren,

      Es bleibe dabey.
    • 6
      Gib, Kind, mir entweder deine,

      Deine Liebe, die ich meyne,

      Oder ich mag ſonſten keine.

24. Frage.


  • Was haͤlt der Herr Candidat von Geſund-
    heits- oder Trink-Reimen, wie ſind ſolche
    auf gut froſchmaͤusleriſch abzufaſſen?

Antwort.


Wenn einem ein Glas Wein zugebracht wird,
daß, indem der andre einem den Pocal-Deckel
uͤberreichet, und den Pocal indeß austrinkt, man
ſich
[110]Dreyßig Frageſtuͤcke
ſich auf einen Vers gefaßt halten muß; iſt es
gut, daß man zum voraus auf einige Reime ſtu-
dire, weil ſie einem ſonſt nicht flugs einfallen
moͤgten. Die neuen Poeten aber verlangen,
daß man aus dem Stegereif reimen, und wol
noch dazu in der Jnwention, darinn der Nach-
bar angefangen, die Geſundheit weiter fortbrin-
gen ſolle. Aber da moͤgte es bey manchem ha-
pern, daß er ſich lange beſinnen muͤßte. Dar-
um reime er, ſo gut er kann, als:


  • 1
    Jch darfs nicht vor den andern wagen,

    Sonſt wollt ich dir, mein Kind, was ſagen.
  • 2
    Jch liebe eine Brunette,

    Ausgenommen eine Coquette.
  • 3
    Wofern der Tod mein Weib hinrafft,

    Kauf ich mir eine Jungferſchaft.
  • 4
    Von Kuͤſſen eil ich gern aufs Kiſſen,

    Jch halte nichts von tauben Nuͤſſen.
  • 5
    Ein jung Weib und ein treuer Freund,

    Nebſt Geld und Gut, mir lieblich ſcheint.
  • 6
    Es lebe der Wirth mit ſeinem Gemahl,

    Jch ſchmauſe drauf los, weil ich nichts bezahl.

25. Frage.


  • Koͤnnen nicht auch die Studenten- und an-
    dere Chemper-Liedgen auf gut froſchmaͤus-
    leriſch eingerichtet werden?

Antwort.


Ach ja! die meiſten Chemper-Lieder ſind mit
Hans-Sachſen-Reimen und kriechenden Ein-
faͤllen
ausgeſpickt, z. E. das Studenten-Liedgen:


Das iſt ein brav Student,

Der alles recht erkennt,

Was eitel, was eitel;

Hat er kein Geld im Beutel:

So
[111]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
So hat er doch ein Herz,

Das achtet allen Schmerz

Fuͤr eitel, fuͤr eitel.

Unter andern kommt folgende vollkommen froſch-
maͤusleriſche
oder ſchlammigte Paſſage in ſol-
chem Liedgen vor:


Denn bringt er auf die Bahn

Den großen Dulcian,

Und ſpielet, und ſpielet,

Bis ſie den Kuͤtzel fuͤhlet;

Er ſitzt im Sattel veſt,

Und ſtoͤhret in das Neſt,

Er zielet, er zielet.

Die E. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft beſitzet eine
wichtige Sammlung von aufgekauften Chem-
per-Liedern,
die auf oͤffentlichen Maͤrkten und
in Winkel-Laͤden bey kleinen Buͤcher-Kraͤmern
verkauft werden, welche als nuͤtzliche Modelle,
die Reimſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie
mehr zu perfectioniren, koͤnnen gebrauchet werden.


26. Frage.


  • Was verſtehet der Herr Candidat durch die
    Kyauiſche, oder lorkende, und Borkes-
    Poeſie?

Antwort.


Es wird erzehlet, daß der aufgeweckte ehe-
malige Graf Kyau einsmals in Vorſchlag ge-
bracht, eine Praͤmie darauf zu ſetzen, wer den
allerzotigſten Vers herausbringen koͤnne; da
er denn alle andre herunter certiret, und den
Preis bekommen, weil er alſo gereimet:


Zwiſchen dem A .. und der V .. iſt ein

Damm,

Jn
[112]Dreyßig Frageſtuͤcke
Jn beyden ſtecket vieler Schlamm:

Sollte nun dieſer Damm zerreiſſen,

Wie wuͤrde der A .. die V .. beſch ...[:]

Ein andermal hat eben dieſer Herr von Kyau
alſo den hoͤchſtſeligen Koͤnig bey einer gewiſſen
Tour angeredet:


Gegruͤßet ſeyſt du, Landes-Gott,

Jetzt treten herein mit Schimpf und Spott

Ein Narr, eine Hure und ein Hundsfot.

Eine dergleiche Art zu reimen aber, ſonderlich
die erſte ſaftige, iſt die hoͤchſte Stuffe der Grob-
ſchmieds-
und Miſtkaͤferiſchen Poeſie. (S.
anderes Probeſtuͤck, § 14.) Sie heiſſet auch
die lorkende Poeſie; denn, wenn einer mit der
ſogenannten Sau-Glocke laͤutet: So ſagt man:
Der kann recht lorken! Wie man auch ein
Maſt-Schweingen maͤnnlichen Geſchlechts pfle-
get einen Bork zu nennen: Alſo iſt die Borkes-
Poeſie
ſo viel als ein Miſchmaſch lauter Zo-
ten,
die denen zuͤchtigen Ohren als unflaͤtig vor-
kommen, jedoch genug Liebhaber bey gewiſſen
Perſonen vom Stande und dem Poͤbel finden.
Weil auch einer unſerer ſtaͤrkſten Gegner der
Brockes in Hamburg iſt: So iſt, mit einer
kleinen Verſetzung der Buchſtaben, die Bor-
kes-Poeſie
der Poeſie eines Brockes gerade ent-
gegen geſetzet; indem dieſe zwar auch in viel Ge-
heimniſſe der Natur
dringet; aber die Bor-
kes-Poeſie
wuͤhlet im Schlamme und heimli-
chen Gemaͤchern.
Man pfleget auch endlich
zu ſagen: Das war eine rechte Grumpe! das
war eine derbe Broke! alſo koͤnnte man hier-
nach
[113]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
nach der lorkenden Poeſie auch andre Beyna-
men
geben. Doch heiſſet ſie, zur Ehre des
Erfinders,
die Kyauiſche, ſonderlich, weil er
den Preis ehedem davon getragen, daß er in
hoc genere carminum
die andern Reim-
Schmiede und Poeten uͤbertroffen habe. Wir
uͤberlaſſen aber unſern poetiſchen Miſt-Kaͤfern
und Grob-Schmieden, ſich in der Kuͤhſaui-
ſchen
oder Kyauiſchen Borkes-Poeſie hervor-
zuthun.


27. Frage.


  • Was verſtehet der Herr Candidat wol durch
    den poetiſchen Koller?

Antwort.


Es iſt eine Spruͤchworts-Rede, wenn man
ſaget: Der hat den Koller! Man ſagt es ei-
gentlich von Pferden. Ein kollrigt Pferd iſt
entweder ſonnenſtutzig, daß es toll wird, wenn
es ſtark von der Sonnen-Hitze, oder in heiſſen
Tagen von den Stech-Fliegen geſtochen wird;
oder es iſt ſtoͤckiſch, und bleibt eine Weile auf
einem Flecke ſtehen, man mag es ſpornen wie
man will, ehe man ſichs aber verſiehet, reißt es
mit einem aus, und hebt einen aus dem Sattel;
oder endlich iſt es ſcheu, daß es ſich vor jedem
rauſchenden Blatte und am Wege liegenden
Steinhaufen ꝛc. entſetzet, da ihm der Koller
ankoͤmmt, daß es entweder einen weiten Satz
auf die Seite thut, oder ſich mit einem im Kreiſe
herum tummelt, daß man ſchwindlich werden
moͤgte. Nach dieſen drey Arten des Pferde-
HKollers
[114]Dreyßig Frageſtuͤcke
Kollers kann man auch den poetiſchen Koller
in drey Haupt-Claſſen eintheilen. Es giebt
1) ſonnenſtutzige Poeten, die in denen Hunds-
tagen zu reimen am aufgelegteſten ſind; 2) ſtoͤk-
kiſche,
oder tuckmaͤuſeriſche, die ſich mit ihrer
Poeſie eher nicht herauswagen, bis ſie den rech-
ten Mann, der ſie reizet, vor ſich ſehen. Zu
andrer Zeit wuͤrden ſie ſich poetiſche Schnipgen
ſchlagen laſſen. Aber, wenn man ihr empfind-
lich Puͤnktgen
trifft, kriegen ſie den Koller.
3) Die lichtſcheuen Poeten heiſſen bey unſern
Gegnern Pasquillanten, weil ſie mit ihren maſ-
ſiven Auflagen ſo in den Tag hinein kollern,
daß, wenn es nach der Zeit herausgekommen,
mancher ſolcher kollernden Poeten auf den Ve-
ſtungs-Bau,
oder in ein Tollhaus, gebracht
worden. Jch kenne einen guten Freund, der
das Malheur hatte, faͤlſchlich fuͤr einen melan-
choliſchen Kopf
ausgeſchryen, und ohne die
geringſte Unterſuchung in ein dergleichen Haus
gebracht zu werden. Es diente ihm aber dazu,
daß er alldort viele kollernde Poeten kennen
lernte, uͤber deren kollrigte Einfaͤlle er manch-
mal herzlich lachen muͤſſen. Unſere Gegner, die
großen Dichter, gerathen manchmal in ein ſol-
ches poetiſches Feuer, das vom poetiſchen Kol-
ler
nur ein Haar breit entfernet iſt. Jch be-
halte mir vor, mit der Zeit den andern Theil
dieſes ganzen Werkes herauszugeben, deſſen Ti-
tel
ſeyn duͤrfte: Aehnlichkeit vieler Stellen
in den groͤßten Poeten voriger und jetziger

Zeit
[115]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
Zeit, mit den Regeln der Reimſchmiede-Kunſt
und kriechenden Poeſie.
Voritzo aber will
nur ſoviel ſagen: Exempla ſunt odioſa!


28. Frage.


  • Gerathen nicht auch die Froſchmaͤusler-Poe-
    ten zuweilen ſo gut in eine
    Ecſtaſin poëticam
    undEnthuſiaſmum poëticum,oder poeti-
    ſche Entzuͤckung, als wie ihre Gegner;
    und wie differirt die poetiſche Enthuſiaſte-
    rey vom poetiſchen Koller?

Antwort.


Die poetiſchen Traͤumer, wenn ſie wachend
ſolche Dinge dichten, die einem kaum im Trau-
me einkommen, oder wenn ſie ſolche Traͤume in
Reime zwingen, davon man ganz deutlich mer-
ken kann, daß es ihnen nur ſo getraͤumet, ſchrei-
ben ordentlich in Ecſtaſi poëtica. Sie ſind
auf den Helicon und Parnaß entzuͤckt geweſen,
wo ihnen der Hypocrenen-Saft in den Kopf
geſtiegen, und der Goͤtter-Trank des Apollo
mit ſeinen neun Muſen ſie trunken gemacht.
Jn der poetiſchen Entzuͤckung pflegt man auch
wol, weil ein anderer Affect, z. E. der Traurig-
keit, praͤdominiret, die liebſten Schooß-Kinder
uͤbel anzulaſſen. So iſt ja die Poeſie ein Mi-
gnon
der Poeten; und doch ſchrieb jene poeti-
ſche Feder in einem gewiſſen Trauer-Gedichte:


Verwuͤnſchte Dichter-Kunſt! Verhaßte

Poeſie!

Das arme Schooß-Kind, die Poeſie, ſahe ihre
Mutter mit Beſtuͤrzung uͤber dieſen Ausdruck
H 2an;
[116]Dreyßig Frageſtuͤcke
an; befand aber, daß ſolche in einer poetiſchen
Entzuͤckung
lag, und eben in ſolcher ihres lie-
ben Schooß-Kindes vergeſſen, ja ſolches ver-
wuͤnſchet hatte. Wenn man die ehemalige
Promotions-Gedichte des Leipziger Profeſſors
Erneſti aus dem Lateiniſchen in deutſche Verſe
uͤberſetzte, wo er eines jeden Lebenslauf zugleich
in die Ausfuͤhrung eines moraliſchen Thematis
mit hineinbrachte, wuͤrde man ſehen, daß ſolche
groͤßtentheils in einem Enthuſiaſmo poëtico
geſchrieben worden. Z. E. er gratulirte einem
neugebackenen Magiſter, und wollte mit beruͤh-
ren, daß er bey dem ſel. D. Pfeiffer Collegia
gehoͤrt; ſein Haupt-Thema aber war, die vie-
lerley Arten des Kreuzes in der Welt zu be-
ſchreiben: So ſchmiedete er beydes alſo zuſam-
men:


Pfeiffero magno dorſi incuruatio crux eſt.

Dem großen Pfeiffer iſt ſein Puckel auch ein

Kreuz.

Haͤtte es ein anderer geſchrieben, wuͤrde man es
fuͤr eine Raillerie, daß der ehrliche Mann ſehr
klein und ſtark ausgewachſen geweſen, ange-
nommen haben; aber von dem Profeſſore poë-
ſeos
wußte man ſchon, daß es ihm nur zu thun
war, es mit hinein zu bringen, daß der Candi-
dat bey D. Pfeiffern hauptſaͤchlich Collegia ge-
hoͤrt habe.


Die poetiſche Enthuſiaſterey iſt von dem
poetiſchen Koller eben ſo unterſchieden, als
zwey widerwaͤrtige Affecten. Laͤuft es auf hoͤchſt-
getrie-
[117]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
getriebene anmuthige Fantaſeyen hinaus: So
hat der Poete in ecſtaſi oder Entzuͤckung gele-
gen. Faͤngt er aber an zu ſtrampeln, zu ſchnau-
ben, zu toben, und treibet die Ausdruͤckungen
unangenehmer Empfindungen aufs hoͤchſte:
So ſaget man, er habe den poetiſchen Koller
gehabt.


29. Frage.


  • Sind nicht die froſchmaͤusleriſchen Abend-
    Staͤndgen eine Miſchung der poetiſchen
    Entzuͤckung und des poetiſchen Kollers?

Antwort.


Es ſcheinet beym erſten Anblicke ſehr ſchwer,
ja ohnmoͤglich zu ſeyn, daß zwey ſo widerwaͤrti-
ge Affecten, als die Entzuͤckung und der Kol-
ler,
ſollten zugleich Statt finden. Aber weil
in ſolchen Faͤllen eine Miſchung des Angenehmen
und Unangenehmen oͤfters bey dem iſt, der das
Staͤndgen bringet; indem es ihm angenehm,
wenn er ſeine Schoͤne am Fenſter ſiehet; unan-
genehm,
daß er nicht in ihrer Schlaf-Kammer
iſt: So laſſen ſich alſo in ſolchen Faͤllen die poe-
tiſche Entzuͤckung und der poetiſche Koller ganz
wohl zuſammen reimen. Ja eines bietet dem
andern die Hand. Denn wenn dem Amanten
der Koller einkoͤmmt, daß er nicht bey ſeiner
Schoͤne im Bette ſeyn kann: So macht er ſich,
wenn ſolches geſchaͤhe, zum voraus die ſuͤßeſten
Vorſtellungen, und geraͤth alſo in eine poetiſche
Entzuͤckung. Erholt er ſich aber daraus, und
uͤberlegt, daß die kleine Gefaͤlligkeit, da ſeine
H 3Schoͤne
[118]Dreyßig Frageſtuͤcke
Schoͤne ſich aus dem Bette bemuͤhet, und an
das Fenſter getreten, nicht ſo viel Thaler werth
ſey, als das Staͤndgen gekoſtet; oder aber er
wird gar gewahr, daß ſie entweder ſein Staͤnd-
gen im Schlafe nicht hoͤret, alſo er es ihr ver-
gebens wuͤrde gebracht haben; oder wo ſie es
auch hoͤret, dennoch es ihm verdrießlich faͤllt,
wenn ſie ſo commode iſt, im Bette liegen zu
bleiben, und ihn vorm Fenſter paſſen zu laſſen:
So kann ſich natuͤrlicher Weiſe ſeine vorherige
Entzuͤckung in einen Koller verwandeln, daß
er mit den Jnſtrumenten zu raſen anfaͤngt, um
ſie aus dem Schlafe zu erwecken, oder ihr durch
den Jnſtrumenten-Laut zu verſtehen zu geben,
ſie ſolle ſich am Fenſter praͤſentiren.


30. Frage.


  • Was heiſſet wol endlich die poetiſche Schlaf-
    ſucht und Ohnmacht?

Antwort.


Wenn der Poete von gar vielen Reimen ſo
matt und entkraͤftet iſt, daß man aus ſeinen Ver-
ſen errathen kann, er ſey daruͤber eingeſchlafen,
oder habe andre mit ſeiner Poeſie eingeſchlaͤfert:
So ruͤhret ſolches von einer poetiſchen Schlaf-
ſucht
her. Wenn aber der kriechende Poete
alle ſeine Pfeile gegen ſeinen Gegner verſchoſſen,
und dennoch ſolcher ihm das Feld noch nicht
raͤumen will, ſondern ſo trotzig iſt, ihm ſeinen
poetiſchen Helm, darauf er ſich verließ, zu neh-
men, und ganz darnieder zu legen, oder in die
Flucht zu ſchlagen, daß er aus dem Athem koͤmmt,
wenn
[119]fuͤr einen Froſchmaͤusler.
wenn er weiter in Reimen mit ſeinem zu ſtarken
Gegner anbinden wollte: So verſinket er ganz
natuͤrlicher Weiſe in eine Ohnmacht, und man
ſagt: Er habe ſich nun ganz verſchoſſen!


Fuͤnftes Probeſtuͤck
eines Candidaten der Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft.


  • Beſtehend in einem buͤndigen Erweiſe des
    hohen Vorzugs der Reimſchmiede-Kunſt
    und kriechenden Poeſie vor der ſogenann-
    ten natuͤrlichen, maͤnnlichen und erhabe-
    nen Dichterey.

§ 1. Auf einen unbekannten Feind loszuge-
hen, moͤgte unhoͤflich und gefaͤhrlich ſeyn. Man
muß billig erſt ſeinen Gegner kennen, ehe man
ihn anpacket. Wollte man blindlings drauf
los ſtechen, ohne zu unterſuchen, ob derjenige,
den man vor ſich habe, Freund oder Feind ſey:
So koͤnnte es einem gehen, wie jenem unvor-
ſichtigen Liebhaber. Der wollte ſeine Schoͤne,
von Halle aus, zu Merſeburg beſuchen. Die-
ſe war indeſſen, nebſt ihrem Bruder und Vet-
ter, auf eine Kirmiß gefahren. Da hatte ſich
ihr Bruder einen Rauſch getrunken, und der
Kutſcher war auch beſoffen, daß er ohnweit
Skopa nahe am Waſſer umwirft, daruͤber der
Schoͤnen Bruder ſo en rage koͤmmt, daß er den
Kutſcher toͤdtlich verwundet. Die Schoͤne eilet
H 4in
[120]Vorzug der kriechenden Poeſie
in fliegenden Haaren bey dunklem Mondſcheine
zu Fuße nach Hauſe. Jhr Amant weiß nicht,
daß ſie es iſt; ſondern, weil ihm der Trunk und
der Mond die Augen blenden, ſiehet ers fuͤr ein
ſpuͤckend Geſpenſt an, und loͤſet, ohnweit dem
Gelender, wo es ſo abſchuͤfrig hinunter gehet,
eine Piſtol auf ſie. Zu gutem Gluͤcke ſtreift ihr
die Kugel beym Kopfe vorbey, und er erkennt ſie
an der Stimme. So koͤnnte mirs auch gehen,
wenn ich meine poetiſche Gegner in der Furie
flugs angreifen, und nicht erſt die Streit-Punk-
te,
nebſt den Kampf-Geſetzen des vorhabenden
Turniers mit meinen Gegnern ohne Bitterkeit
abreden wollte. Es ſoll auch hier heiſſen: Der
Perſon Freund, und der Sache Feind.
Jch
nehme auf mich, die Reimſchmiede und kriechen-
de Poeten zu vertheidigen. Wer hierinn nicht
mit mir iſt, der iſt wider mich.


§ 2. Was iſt denn nun wol die neue ſo be-
rufene natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene
Dichtkunſt? Es gehet mir beynahe ſo, wie vor
zehn Jahren dem Wittenbergiſchen Profeſſori
eloquentiae,
Rath Kromeyer. Der hatte
des damaligen Haͤlliſchen Profeſſors der deut-
ſchen Redner-Kunſt, D. Johann Ernſt Phi-
lippi,
Jnaugural-Programma von der heroi-
ſchen Beredſamkeit
zu Geſichte bekommen, und
ſchrieb nach der Zeit an dieſen Haͤlliſchen Red-
ner: Er moͤgte ihm doch ſagen, was die heroi-
ſche
Beredſamkeit fuͤr Regeln habe; er ſey nun
wol dreyßig Jahre Profeſſor eloquentiae, und
habe
[121]vor der erhabenen Dichterey.
habe noch nie hinter die eloquentiam heroicam,
ſo ſich an keine Regeln binde, kommen koͤnnen.
Dieſer verwieſe ihn auf die Aufloͤſung der Ge-
danken
in denjenigen Reden, die fuͤr Meiſter-
ſtuͤcke einer heroiſchen Beredſamkeit paßirten.
Er gab ſelbſt nach der Zeit ſechs deutſche Reden
heraus, und ſetzte auf das Titel-Blatt: Nach
den Regeln einer natuͤrlichen, maͤnnlichen und
heroiſchen Beredſamkeit ausgearbeitet. Das
war Waſſer auf die Muͤhle der Geſellſchaft der
kleinen Geiſter,
die dieſen Haͤlliſchen Redner
in der Lob-Rede: Briontes der Juͤngere, ar-
tig herum nahmen. Als dieſer hernach ſeinen
Cicero Windbeutel, ſamt einem Anhange
von acht Vertheidigungs-Schriften gegen ſo
viel Scarteken herausgab, erklaͤrte er ſich wol
etwas in der Schutz-Schrift: Gleiche Bruͤder,
gleiche Kappen,
was er durch die natuͤrliche,
maͤnnliche
und heroiſche Beredſamkeit ver-
ſtuͤnde; er behielt ſich aber vor, mit der Zeit ſei-
ne eigene Grund-Saͤtze davon ans Licht zu
ſtellen, welches aber zur Zeit nicht geſchehen.
Vielmehr iſt die ehemals angelegte neue Pro-
feſſur
in der deutſchen Beredſamkeit mit ihm
gleichſam gebohren und geſtorben. Auch hat
dieſer ehemalige Halliſche Redner ſo auſſeror-
dentliche Stuͤrme
eines widrigen Gluͤcks nach
der Zeit ausgeſtanden, daß er nicht Zeit gehabt,
an die Edirung ſeiner verſprochenen Grund-Saͤtze
einer natuͤrlichen, maͤnnlichen und heroiſchen
Beredſamkeit zu gedenken. Ja, ohnerachtet
H 5derſelbe
[122]Vorzug der kriechenden Poeſie
derſelbe nunmehro ſeinem Advocaten-Metier
wieder nachgehet, und anbey Secretair E. Loͤbl.
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft iſt, mithin ich, als
ein Candidate derſelben, nichts zu ſeiner Verun-
glimpfung beytragen werde, wird er doch ſelbſt
nicht in Abrede ſeyn, daß, wer den Zuſammen-
hang ſeiner erlebten Fatalitaͤten
nicht weiß,
ſich von ihm ein ſeltſam Portrait mache, wo
nicht gar ſein Name manchem verhaßt vorkoͤmmt.
Da nun aber obgenannter Haͤlliſche Redner
den Ausdruck von einer natuͤrlichen, maͤnnli-
chen
und heroiſchen Beredſamkeit am meiſten,
wo nicht am erſten, gebraucht hat; dieſer aber
noch unter die neuen Redner gehoͤrt, die denen
alten den Rang nicht ſtreitig machen koͤnnen:
So erhellet ſchon hieraus der Vorzug der alten
Reimſchmiede-Kunſt und uralten kriechenden
Poeſie
vor denen ſo neuen Woͤrtern einer na-
tuͤrlichen, maͤnnlichen
und erhabenen Dich-
terey.


§ 3. Ja, wenn es nicht ungewoͤhnlich, daß
man eine an ſich gute Diſtinction alsdenn ver-
wirft, wenn der Name deſſen, der ſie aufs Ta-
pet gebracht, oder ſich deren am meiſten bedie-
net, verhaßt wird: So darf ich nicht mich
weiter erſt herauslaſſen, warum, bey angefuͤhr-
ten Umſtaͤnden, die Diſtinction unter einer na-
tuͤrlichen, maͤnnlichen
und heroiſchen Poeſie
eine Sache ſey, die ſich kurzum fuͤr unſere Geg-
ner nicht ſchicke, ſich deren zu gebrauchen. Denn
der Hr. D. Philippi, der ſolche am meiſten ehe-
mals
[123]vor der erhabenen Dichterey.
mals als ein Haͤlliſcher Redner im Munde ge-
habt, iſt nun auf unſere Seite getreten, und
hat ſolche Diſtinction an unſre Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft
freywillig abgetreten; folglich koͤnn-
ten eher wir uns derſelben bedienen. Weil wir
ſie aber als eine Novitaͤt in das Archiv unſe-
rer Geſellſchaft geleget, bis mit der Zeit eine
Antiquitaͤt und edle Reliquie daraus werde:
So gehen alſo unſere Gegner in unſer Gehege,
wenn ſie ſich dieſer Benennung bedienen, und
ihre Dichtkunſt eine natuͤrliche, maͤnnliche und
erhabene benamſen.


§ 4. Jch will einen Verſuch thun, ob ich
hinter die Geheimniſſe kommen koͤnne, was die
neuern Poeten durch eine natuͤrliche, maͤnnliche
und erhabene Poeſie verſtehen. So viel die er-
habene
Dichterey betrifft, iſt es ſchon aus den
Worten klar, daß ſolche unſerer kriechenden
Poeſie ſchnurgerade entgegen geſetzet ſey. Denn
kriechen ſchickt ſich nicht zu dem, was erhaben
iſt; und dasjenige, was wirklich in die Hoͤhe
ſteiget, das ſtehet nicht in der Tiefe. Alſo ſind
hier zwey Extremitaͤten, die einander aufheben.
Ein erhabener Poete kann kein kriechender
Dichter, und ein kriechender Dichter kann kein
erhabener Poete ſeyn. Es ſind incompatibilia,
oder Dinge, die ſich mit einander nicht vertra-
gen, noch zuſammen verbinden laſſen. Noch
mehr, es iſt eine ſolche natuͤrliche Antipathie
und Feindſchaft zwiſchen erhabenen und krie-
chenden
Poeten, daß der kriechende ſich inacht
nehmen
[124]Vorzug der kriechenden Poeſie
nehmen muß, damit er nicht dem erhabenen un-
ter den Abſatz kommt, und ſolcher ihn, gleich ei-
nem kriechenden Wuͤrmlein, wo nicht vorſetz-
lich, doch wenigſtens ohngefehr, zertritt. Hin-
gegen iſt auch der erhabene Poet nicht geſichert,
daß nicht der kriechende uͤber ſein Haupt hinweg,
gleich gewiſſen Arten von Ungeziefer, kriechet.
Ja, die erhabenen und kriechenden Poeten ſtehen
gegen einander in terminis contradictoriis,
oder daß einer dem andern ins Geſicht wider-
ſpricht. Sie haben alſo jeder ſolche Grund-
Begriffe, die dem andern als verkehrt und falſch
vorkommen. Der erhabene Poete verwirft die
Maximen eines kriechenden Poeten eben daher,
weil ſie aufs Niedertraͤchtige abzielen; und hin-
gegen der kriechende Poet haͤlt die Regeln eines
erhabenen Poeten fuͤr eine poetiſche Ketzerey,
weil er glaubt, er muͤſſe fein auf der Erde blei-
ben, ſo koͤnne er nicht tief fallen; wer aber ſo
hoch klettre, ſtehe alle Augenblicke in Gefahr,
aus der Hoͤhe herab und in einen Abgrund zu
fallen. Denn zwiſchen der Hoͤhe und aͤuſſer-
ſten Niedrigkeit eines Gedanken
iſt eine ſolche
Kluft, die ſich nimmer ausfuͤllen laͤſſet. Ein
niedertraͤchtiger Gedanke kann nimmermehr
zu einem erhabenen werden; er faͤllt allezeit,
wenn man ihn auch wie einen Stein in die Luft
treibet, wieder nach dem Mittel-Punkte ſeiner
Schwere
zu. Der erhabene Gedanke kann
nie zu einem kriechenden werden; denn durch
ſeine Adlers-Natur ſchwingt er ſich allezeit wie-
der
[125]vor der erhabenen Dichterey.
der in die Hoͤhe, wie das gedaͤmpfte Feuer, wenn
es Luft bekoͤmmt.


§ 5. Aus dem angefuͤhrten erhellet nun ſo
viel bereits zur Gnuͤge, daß die erhabenen und
kriechenden Poeten gegen einander zwey
Schlacht-Heere
formiren, die ſtets mit einan-
der zu Felde liegen, einander ſcharmuziren, at-
taquiren und zu uͤberwaͤltigen ſuchen. Der er-
habene
Poet, wenn er ja den Kuͤrzern zoͤge, hat
die freye Luft vor ſich, ſich immer hoͤher zu
ſchwingen, daß ihm der kriechende poetiſche
Wurm
nicht nachkommen koͤnne. Der krie-
chende
Poete aber hat auch von der vorſichtigen
Natur ſeine Frey-Staͤdte und Retirade-Oerter
erhalten, naͤmlich die Fels-Loͤcher und Kluͤfte
der Erden,
ſich dahinein, gleich einer verſcheuch-
ten Maus, zu verbergen. Es iſt alſo auch an
keine Union oder Frieden zwiſchen erhabenen
und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn
bey andern Friedens-Geſchaͤften geben beyde
Theile nach,
und laſſen etwas von ihren An-
ſpruͤchen gegen einander ſchwinden; oder auch,
ſie verwechſeln die Gebiete, und tritt einer dem
andern was von ſeinem ab, dagegen er ſich in
ein ihm gelegeneres Stuͤck Land des andern ſetzet.
Aber der erhabene Poete kann ſo wenig von ſei-
nen Anſpruͤchen gegen den kriechenden was fal-
len laſſen, als ihm auch nichts von ſeinem Re-
vier
abtreten. Es wuͤrde ſonſt eben ſo heraus
kommen, als wenn die Maus mit dem Fiſche
accordiren wollte, der Fiſch ſolle auf der Erde,
und
[126]Vorzug der kriechenden Poeſie
und die Maus wolle im Waſſer leben. Beyder
Natur leidets nicht.
Wollte der kriechende
Poete ſich hoch verſteigen: So wuͤrde er in der
Luft nicht Athem holen koͤnnen, auch bald den
Schwindel bekommen. Wollte hingegen der
erhabene Poete anfangen zu kriechen: So wuͤr-
de ihn ſeine Leichtigkeit bald heben, und er der
dicken ausduͤnſtenden Erden-Luft nicht gewohnt
werden koͤnnen. Dieſemnach wird jeder Leſer
erkennen, daß, weil ich die Partie der kriechen-
den Poeten,
als ihr Sachwalter und Geſchaͤfts-
fuͤhrer, auf mich genommen, wenn die Sache
vor dem Berg-Gerichte des Apollo zum Pro-
ceß kommen ſollte, wir nicht alle beyde den Pro-
ceß gewinnen, ſondern eine Part ſolchen noth-
wendig verſpielen muͤſſe.


§ 6. Weil ich aber noch zur Zeit meinen
eigenen Mann
nicht habe, wie jener Schwabe
im Treffen ſagte, der das Gewehr niederſtreckte,
und meynte: Man ſolle ihm ſeinen Mann wei-
ſen, mit dem er anbilden ſolle, da er denn ſich
vielleicht in Guͤte mit ihm wuͤrde ſetzen koͤnnen,
daß es des Schieſſens, Hauens und Stechens
nicht beduͤrfe: So gleiche ich alſo einem Par-
theygaͤnger
oder Huſaren, der da eine Streife-
rey in des Feindes Avant-Garde, oder auch ei-
nen Satz in die Arriere-Garde thut, und, was
er geſchwinde niederſchlagen oder erbeuten kann,
fuͤr ſich ſelbſt behaͤlt. Sollte ich aber von vie-
len dieſerhalb angefochten werden: So iſt es
denen Kampf-Regeln gemaͤß, daß hoͤchſtens nur
ein
[127]vor der erhabenen Dichterey.
ein poetiſcher Goliath oder Rieſe gegen uns
auftrete, und einen von uns heraus fordere; da
ich denn vielleicht Herz genug habe, auf etliche
Schleuder-Steine, weil ich ihm ſonſt nicht an
den Kopf wuͤrde kommen koͤnnen, es mit ihm
anzunehmen. So wird auch wol nach mir ein
anderer kommen, der groͤßer iſt, als ich, und
deſſen Schuh-Riemen ich aufzuloͤſen nicht wuͤr-
dig bin. Denn unſere Froſchmaͤusler-Geſell-
ſchaft gehet ſtark darauf um, etliche wichtige
Deſerteurs
von der Gegen-Partie aufzufan-
gen, oder auch einige poetiſche Helden, als
Hn. Pr. G .. und Hn. D. Kn .. moͤglich-
ſten Fleiſſes zu perſuadiren, in unſere Geſellſchaft
uͤberzutreten. Daher will ich zwar nicht victo-
riam ante triumphum
ſingen; aber doch auch
nicht, vor Anfang der Schlacht, die Fahnen
weggeben,
als ob ich mich beſorgte, daß mir
ſolche moͤgten genommen werden.


§ 7. Doch da ich hin und her geſonnen, ob
denn gar kein Mittel ſey, mit denen erhabenen
Poeten, wo nicht in ein gutes Vernehmen und
voͤlliges Verſtaͤndniß zu kommen, doch wenig-
ſtens einen Waffen-Stillſtand zu treffen, und
dadurch zu verhuͤten, daß ſie nicht etwa, da un-
ſere Schlacht-Ordnung noch nicht recht regulirt
iſt, uns uͤberfallen, und unter die Fuͤße bringen:
So ſind mir drey Mittel eingefallen, damit
wir als ehrliche Buͤrger neben einander wohnen,
und unſere Sache ohne Schwerdtſtreich aus-
fuͤhren, mithin jeder in ſeinem Gebiete ruhig und
ſicher
[128]Vorzug der kriechenden Poeſie
ſicher wohnen koͤnne. Es trifft ſich ja oft zu,
daß ein Paar Feinde in einerley Hauſe wohnen.
Sie ſtellen ſich aber, als wuͤßten ſie nicht von
einander. Der eine wohnet im oͤberſten, der
andere im unterſten Stockwerke. Sie vermei-
den ſorgfaͤltig, daß ſie einander nicht in den
Wurf kommen. Gehet der oͤberſte bey des an-
dern Thuͤre vorbey: So ſtellt ſich ſolcher, als
ſey er nicht zu Hauſe, und hoͤre ihn nicht. Der
unten wohnt, hat nicht leicht etwas im oͤberſten
Stockwerke zu verrichten, alſo treibt ihn kein
Fuͤrwitz hinauf. Auf ſolche Art toleriren ſie
einander unter einerley Dach, ohne ſich an ein-
ander feindſelig zu vergreifen. Gießt aber ja
der von oben etwas herunter, das dem, der un-
ten wohnet, moleſtirt: So ruft der wol in die
Hoͤhe ein Paar derbe Worte, er ſolle es kuͤnftig
bleiben laſſen; aber die Nachbarn im mittlern
Stockwerke laſſen die beyden erhitzten Zins-
Haͤhne
nicht zuſammen: So bleibet Friede im
Hauſe. Auf dieſen Schlag bin ich geſonnen,
die erhabenen Poeten nicht in ihrem oͤberſten
Stockwerke anzugreifen. Wenn ich aber zei-
gen werde, es ſey beſſer, auf der Erde zu woh-
nen,
weil man da nicht ſo viel Treppen ſteigen
duͤrfe: So hat der, der hoch wohnet, dagegen
den Vortheil, daß er freyere Luft genieſſet,
und die Erden-Duͤnſte ihm nicht ſo in die Naſe
ſteigen, als dem andern.


§ 8. Der andere Weg, wie ſogar erhabe-
ne und kriechende Poeten mit einander friedlich
umgehen
[129]vor der erhabenen Dichterey.
umgehen koͤnnen, ob ſie gleich beyderſeits ganz
contraire Meynungen haben, iſt dieſer: Es
nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf
ſeinen Ruͤcken, ſackt ihn da auf, und faͤhret
mit ihm in die Hoͤhe,
nachher bringt er ihn
durch einen geſchwinden Flug wieder in die Tie-
fe, und ſetzet ihn ſanft auf die Erde. Wollte
der erhabene Poete gern wiſſen, wie es im Ab-
grunde
ausſehe: So klettert der kriechende Poe-
te ſo weit bergan, als er Luft holen kann; als-
dann leihet er dem erhabenen Poeten ſeinen Ruͤk-
ken zum Sattel, laͤßt ihn auf ſolchen veſt an-
ſchnuͤren, daß er nicht von der Luft, wegen ſei-
ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann
bringt ihn der kriechende Poete in die Tiefe.
Er zeiget ihm alle Gemaͤcher des Bathos. Er
fuͤhret ihn in die finſteren Keller derer Grob-
und Klein-Schmiede. Endlich kriecht er mit
ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgruͤn-
de der verſinkenden Dichter, ſie moͤgen nun in
einen Schlamm, oder in einen leeren Raum
verſinken. Wird dem erhabenen Poeten uͤbel:
So loͤſet der kriechende geſchwinde den Sattel-
gurt auf, und der erhabene Poete hebet ſich au-
genblicks aus der Tiefe in die Hoͤhe. Dieſes
iſt die Urſache, warum die kriechenden Poeten
manchmal einen hohen Gedanken einſtreuen,
der doch nicht auf ihrem Miſtbeete gewachſen,
ſondern ſie ihn bey obbeſchriebener Luftfahrt,
als einen erwiſchten Raub, mit herunter gebracht;
desgleichen, warum manchem erhabenen Poe-
Jten
[130]Vorzug der kriechenden Poeſie
ten zuweilen etwas vom Bathos anklebet, wel-
ches nirgends anders als daher koͤmmt, wenn
ſie zur Luſt in die Abgruͤnde geſtiegen, und all-
da ſich etwas angeleget, das ſie unvermerkt mit
in ihr erhabnes Revier gebracht, und es ver-
kannt
oder verwechſelt haben. Ja in der Bur-
lesquen-Poeſie
erniedriget ſich ein erhabener
Poete auf eben die Art ſo freywillig, als dort
der große Koͤnig Darius geſchehen ließ, daß
ſeine Maitreſſe ihm die Krone vom Haupte nahm,
ſich ſolche aufſetzte, und der Koͤnig ſie noch dazu
mit lachenden Augen, daß es ihr ſo wohl lieſſe,
oͤffentlich angaffte. Oder aber es kann auch von
einem, der menſchlichen Natur leicht anwan-
delnden, Schwindel
herruͤhren, wenn denen
erhabenen Poeten etwas ſchweimlich wird, auch
ſelbige wol gar, wenn ſie manchmal ſich gar zu
hoch
verſtiegen, endlich eccentriſch werden, oder
aus ihrem Gleichgewichte in einige Tiefe ver-
fallen, bis ſie ſich nach und nach wieder heben,
und in ihrem erhabenen Thier-Kreiſe in gera-
der Bewegung fortruͤcken.


§ 9. Die dritte Moͤglichkeit, eine Tole-
ranz
unter erhabenen und kriechenden Poeten
einzufuͤhren, und den Ausbruch in oͤffentliche
Feindſeligkeiten dadurch zu verhindern, iſt, wenn
jede Part ihre eigene Waare lobet, ohne des
andern namentlich herunter zu machen. Wie
es im Handel und Wandel taͤglich geſchiehet,
daß jeder Kramer ſeine Waare herausſtreichet,
dadurch er eben nicht ſaget, des andern ſey nichts
nuͤtze:
[131]vor der erhabenen Dichterey.
nuͤtze: Eben ſo kann ein kriechender Poete und
Reim-Schmied ſeine Kunſt erheben, und ihr
ein Faͤrbgen anzuſtreichen ſuchen, ohne dadurch
den erhabenen Poeten zu affrontiren. Wahr
iſt es, je tiefer unſere Poeten kriechen, je mehr
entfernen ſie ſich von der Hoͤhe, und ſehens alſo
leicht fuͤr einen Affront an, wenn einer die Hoͤ-
he der Gedanken
lobet; aber die erhabenen
Poeten ſind hierinn etwas großmuͤthiger, daß,
wenn auch wir ſie wegen ihres hohen Fluges
beneiden
ſollten, ſie uns doch wegen unſers Ba-
thos
nicht beneiden, ſondern goͤnnen, alle Kluͤfte
und Abgruͤnde zu unſerer Behauſung einzuneh-
men, wenn wir uns nur nicht erkuͤhnen, in ihr
Revier zu kriechen, und allda einzuniſten, oder,
gleich einer Schlange, unſere Eyer auf einem
hohen Felſen auszubruͤten,
oder an die Sonne
auf erhabenen Gebirgen zu legen, um von ſolcher
ausgebruͤtet zu werden. Denn ſie wollen gern
reine Luft behalten. Wuͤrden aber unſere Eyer
in der Hoͤhe ausgebruͤtet: So kaͤme doch nur
lauter Geſchmeiß von Butter-Voͤgeln und
Muͤcken heraus, das den freyen Durchſtrich der
Luft hemmte, alſo die erhabenen Poeten incom-
modirte, ſonſt ſie uns einen Theil Luft, den ſie
entbehren koͤnnten, wol allenfalls gutwillig ab-
treten wuͤrden, obzwar die ihnen aufſteigende
poetiſche Blaͤhungen
die beſondere Eigenſchaft
haben, daß ſie nicht aufwaͤrts ſteigen, ſondern,
weil ſie ſchwerer ſind, als ihre andere fluͤchtige
und feurige Gedanken, ſich nach dem Bathos
J 2herab
[132]Vorzug der kriechenden Poeſie
herab ſenken, mithin zu unſerer Atmoſphere, oder
dicken Luft-Kreiſe, herab ſteigen, folglich von
uns aufgefangen, und in unſeren Flaſchen auf-
gehobener poetiſcher Blaͤhungen
verwahrlich
beybehalten werden koͤnnen.


§ 10. Endlich habe ich vorlaͤufig mit eini-
gen unſerer muckiſchen Poeten conferirt, die mir
einen Anſchlag entdecket, der auf eine Hiuterliſt
und Conſpiration hinauslaͤuft. Nun bin ich
zu aufrichtig, ſolchen ſogleich anzubringen. Aber
es iſt großmuͤthig genug, wenn ein Feind ſeinen
Gegner verwarnen laͤſſet, ſich vor dieſen und
jenen Embuscaden inacht zu nehmen. Kehrt
ſich nun jener nicht dran, ſondern verachtet die
Warnung: So kann er ſich hernach nicht be-
ſchweren,
wenn man ihn uͤberrumpelt. Der
mir untern Fuß gegebene Anſchlag iſt dieſer:
Man ſolle ſuchen, einem erhabenen Poeten ei-
nen Schlaf-Trunk beyzubringen, alsdann auf
ſein Revier kriechen, und ihn an die Spitze eines
Felſen waͤlzen. Geſchaͤhe es nun, daß er in ſol-
cher Schlaf-Trunkenheit zu uns herab in unſer
Bathos-Revier kollere, ſolle man ihn ſogleich
mit ſchweren Feſſeln belegen, damit er nicht wie-
der ſich in die Hoͤhe ſchwinge. Wuͤrde er nun
bey den Seinen vermiſſet: So wuͤrden ſie ſich
nicht ſo tief erniedrigen koͤnnen, ihn mit Gewalt
unſern Haͤnden zu entreiſſen, auch eher glauben,
daß er hoͤher geſtiegen, als ſo tief zu uns herab
geſunken. Lieſſe er ſich nun bereden, auf unſere
Seite zu treten: So waͤre er ſo gut, wie ein
Janit-
[133]vor der erhabenen Dichterey.
Janitſcharen-Aga gegen die Chriſten, anzu-
ſehen. Verlange er aber ſeine Freyheit: So
muͤſſe er ſich entweder mit großen Koſten ran-
zioniren, oder aber wir behielten ihn in Ketten,
und entzoͤgen alſo den erhabenen Poeten einen
wichtigen Officier zu Fuß, oder zu Roß. Jch
habe ſie nun verwarnet! Sie nehmen ſich inacht!


§ 11. Nachdem ich mich nun ſolchergeſtalt
gegen die liſtigen Anlaͤufe der erhabenen Poeten,
als unſere ſtaͤrkſten und formidabelſten Wider-
ſacher, verwahret habe, um deſto ſicherer unſere
unterirdiſche Bollwerke durch Miniren bedecken,
und die ſich dran wagende in die Luft ſprengen
zu koͤnnen, weil ſie ohnedem gern in der Hoͤhe
ſeyn wollen, alſo nichts auf unſerm Sprenkel zu
thun, noch, ohne unſere Bewilligung, das Recht
haben, in die Tiefe zu fahren, immaßen! wir,
ſeit den Zeiten des Hans Sachſens und Froſch-
maͤuslers,
im Poſſeß ſind, daß das Bathos
uns zuſtehe, und wir befugt ſind, ſo tief unter
uns
zu graben, als die Bergleute in dem Schacht:
So hoffe, mit wenigem die Vorzuͤge unſerer
Tiefen vor den Hoͤhen der poetiſchen Highfliers,
oder Hochſteiger, zu zeigen. Alles hohe We-
ſen und Erhebung der Gedanken und Sinne
des Herzens iſt ſchon etwas, das der Religion
zu widerſtreiten ſcheinet. Wie ſehr ſind nicht
aber die erhabenen Poeten groͤßtentheils in ſich
ſelbſt verliebt, wenn ſie mit ihren Gedanken ſo
hoch fahren
koͤnnen. Sie ſetzen ſich gleichſam
in ihnen ſelber auf den Gipfel eines erhabenen
J 3Berges,
[134]Vorzug der kriechenden Poeſie
Berges, oder Thrones, und wenn ſie von da
in die tiefen Thaͤler herab ſchauen, koͤmmt ihnen
alles, was darinn iſt, wie kleines Gewuͤrme
vor. Die hohen Begriffe, die ſie ſich von den
Sachen machen, verleiten ſie leicht, auch von
ſich ſelbſt
und ihrer ausnehmenden Geſchicklich-
keit ſehr hohe Gedanken zu faſſen. Was wiſ-
ſen ſie ſich nicht gemeiniglich, wenn ſie zumal
eine große Leibes-Laͤnge, wie der erhabene
Poete zu Leipzig,
haben, fuͤr ein grand air zu
geben, wenn ſie auf der Straße gehen, daß man
auch ſie fuͤr wuͤrdige Modelle angeſehen, ſie
auf oͤffentlicher Schaubuͤhne, zur Nachahmung
eines großmuͤthigen Ganges und hochinto-
nirter Geberden,
aufzufuͤhren. Es ſind die
erhabenen Poeten großentheils ſtolze Geiſter,
und wenn ein Stein waͤre, der ihnen im Wurf
laͤge, ſie machten eher eine Capriole druͤber hin-
weg, als aus dem Tummelplatze ihrer hohen
Gedanken
zu ſchreiten.


§ 12. Von dieſen gefaͤhrlichen Verſuchun-
gen nun, ſich in der Hoͤhe ſeiner Gedanken zu
uͤberſteigen, und von derſelben, als auf der Spitze
eines jaͤhen Felſen,
auf die niedrigen mit Ver-
achtung
herab zu ſchauen, ſind die kriechenden
Poeten ſehr geſichert, mithin haben ſie vor den
erhabenen einen beſondern Vorzug. Denn
wie ſollte ſich einer, der auf der Erde kriechet,
einbilden, er ſchwebe hoch in der Luft? Er
muͤßte ſeines Verſtandes beraubet ſeyn, wenn
er die Tiefe fuͤr eine Hoͤhe, und den Abgrund
ſeines
[135]vor der erhabenen Dichterey.
ſeines Bathos fuͤr einen Longiniſchen Berg-
Pallaſt
anſehen wollte. Er kann wol eine in-
nige Zufriedenheit mit ſeinem niedrigen Stande
haben; er kann ſich ſelber gefallen, daß er ſo
poßirlich kriechet; aber er kann ſich doch und
wird ſich nicht einbilden, er ſtehe auf dem Gipfel
des Helicons,
und rufe von da herunter: Nun
ſehet alle auf mich!
Ein kriechender Poete hat
hiernaͤchſt dieſen Vortheil, daß er bey Gott und
Menſchen nicht leicht ſo verhaßt werden kann,
als ein erhabener, der ſich in ſeiner Groͤße, ſo
zu ſagen, nicht ſelber faſſen noch uͤberſchauen
kann. Die Religion iſt ihnen feind. Der
Schoͤpfer hat einen Graͤuel an ſolchen Ueber-
muͤthigen
und Aufgeblaſenen. Er laͤßt ſie an-
laufen, daß ſie von ihrer eingebildeten Hoͤhe in
eine wahrhafte Tiefe des Elendes verfallen.
Er uͤberlaͤſſet ſie manchmal dem Schwindel ih-
rer Gedanken, bis ſie ruͤcklings einen jaͤhlingen
Sturz in den Abgrund thun. Er laͤſſet geſche-
hen, daß ſie ſo offenbare Sottiſen manchmal
begehen, daß ſelbſt die kriechende Poeten ſie her-
nach nicht einmal unter ſich leiden wollen, weil
ſie vorher von dieſen Stolzen uͤber die Achſel an-
geſehen und fuͤr nichts gehalten worden. Ein
hochmuͤthiger Poete kann auch einen andern
hochmuͤthigen nicht einmal neben ſich, geſchwei-
ge uͤber ſich, vertragen. Daher iſt unter zwey
erhabenen Poeten
ordentlich heimliche Piquan-
terie. Einer macht den andern herunter, und
ſetzt ſich, wenigſtens in Gedanken, weit uͤber
J 4ihn.
[136]Vorzug der kriechenden Poeſie
ihn. Sie koͤnnen nicht wahre Freunde ſeyn,
ſondern einer wird den andern bey Gelegenheit
einhauen und verfuchsſchwaͤnzen. Keine Lobes-
Erhebung des andern wird ihm von Herzen ge-
hen; ſondern wo der andere hoͤher am Stande,
flattirt er ihm wol mit Worten, aber im Herzen
hat er das Lob-Gedichte auf ſich ſelbſt gemacht;
er hat ſich ſelber abgeſchildert, und kuͤtzelt ſich
heimlich, daß der andere, auf den die poetiſchen
Schmeicheleyen aͤuſſerlich gemuͤnzet ſind, ſolche
auf ſich deutet. Doch manchmal lobt ein Ehr-
geiziger den andern,
damit er von jenem deſto
mehr wieder herausgeſtrichen werde.


§ 13. Ein kriechender Poete iſt dem Haß
und Neide anderer nimmer ſo ausgeſetzet, als
ein erhabener. Denn eben das aͤrgert einen
Ehrgeizigen, wenn ſich ein anderer uͤber ihn er-
hebet, da er doch meynet, das Recht zu haben,
weit uͤber ihn zu ſitzen. Der Eigenduͤnkel al-
ſo, da jeder ſeine eigene Groͤße nach dem ver-
groͤßerten Maaß-Stabe,
des andern aber nach
dem verjuͤngten ausmiſſet, beweget ihn, daß er
gleichſam bey ſich ſpricht: Was willſt du,
Kerl, dich doch mit mir in Vergleichung ſtel-
len? Jch bin ja ein weit groͤßerer Poete,
und in allem weit qualificirter, als du! Her-
unter mit dir, laß mir die Oberſtelle; denn
ſolche gehoͤret mir von Rechtswegen.
Sei-
ne eigene Vollkommenheiten kommen ihm alſo
unter dem Vergroͤßerungs-Glaſe der Eigen-
liebe,
womit er ſolche betrachtet, nothwendig
groͤßer
[137]vor der erhabenen Dichterey.
groͤßer vor, als des andern, die er noch dazu
mit dem Fernglaſe der Verkleinerung uͤber-
ſchauet. Wie auch ein engliſch Microſcopium
die kleinſten Puͤnktgen groß vorſtellet: Alſo wird
ein Erforſcher ſeiner eigenen Groͤße nicht leicht
ein Puͤnktgen von ſich ſelber uͤbergehen, das
er nicht ſorgfaͤltig betrachtet, es hernach durch
einen optiſchen Reflexions-Spiegel nochmals
beſchauet, und, ſo zu reden, ſich ſelber in einem
Spiegel ſtehen ſiehet,
ſich vom Haupte bis auf
den Fuß ausmiſſet, und das Urtheil faͤllet, er
ſey um viel Zolle groͤßer, als der andere. Gleich-
wie aber ein Fernglas auch die merklichen Groͤſ-
ſen
wegen der Entfernung unkenntlich macht:
Alſo wird ein ehrgeiziger und ſich ſelbſt groß
duͤnkender Poete
uͤber des andern Geſchicklich-
keiten, die er nur als von weitem und mit einem
Ruck
anſiehet, geſchwind hinweg eilen, auch ſich
nicht die Muͤhe geben, jenen, wie ſich, punkts-
weiſe
und nach ſeiner wahren Groͤße auszu-
meſſen; daher er ſich nothwendig aͤrgern muß,
daß, da ihm der andere, den er ſo in der Ferne
und nur ganz legérement beſehen, ſo gar klein
gegen ſich vorkoͤmmt,
jener dennoch vorgeben
will, er ſey groͤßer. Da aber ein kriechender
Poet ſeine eigene Niedrigkeit geſtehet, und ſich
ſo tief herunter ſetzet, daß er ſich auch nur mit
kriechenden Thieren und Gewuͤrme vergleichet:
So ladet er nimmer ſo viel Haß auf ſich, als
jener. Man beneidet ihn auch nicht ſo, als die
erhabenen Poeten. Denn wenn deren Fuͤrtreff-
J 5lichkeiten
[138]Vorzug der kriechenden Poeſie
lichkeiten ſo hell in die Augen ſtrahlen, daß einer
ſolche an ſich nicht befindet, und er iſt gleichwol
hohen Muthes: So muß er ſich uͤber den an-
dern aͤrgern. Denn er ſchaͤmt ſich, daß der-
ſelbe ſolche Vorzuͤge beſitzet, die er ihm nicht
disputirlich machen kann. Dieſe Schaam ſez-
zet ihn in einen Eifer, es jenem nach oder zuvor
zu thun. Siehet er aber, daß ſeine Bemuͤhung
vergebens iſt: So verwandelt ſich der Gemuͤths-
Affect in eine Wut, und dieſe in einen giftigen
Neid.
Hingegen aber, wer wird wol einen
daruͤber beneiden, daß er auf der Erde kriechet?
Kein kriechender Poete wird auch den andern
beneiden. Denn ſie ſind auf gleicher Ebene.
Ein Gewuͤrm weichet dem andern aus, das ihm
begegnet; ſo auch ein kriechender Poete dem an-
dern. Sie beneiden auch nicht leicht die erha-
benen Poeten. Denn weil ſie ſich gluͤckſeliger
duͤnken, wenn ſie auf der Erde bleiben, als
wenn ſie hoch in die Luft ſteigen: So haben
die erhabenen Poeten vor ihnen wol Friede.
Doch wenn ſie ihnen nicht einmal das Bißgen
Erde
laſſen wollen, da ſie, die erhabenen Poe-
ten, die ganze Luft fuͤr ſich frey haben, ſich ſo
hoch zu ſchwingen, als ſie nur ſelbſt wollen: So
koͤnnen ſich die kriechenden Poeten doch nicht gar
ins vacuum verweiſen laſſen, weil ſie doch wiſ-
ſen, daß ſie ein Etwas ſind, das in einem ge-
wiſſen ποῦ ſich aufhalten muͤſſe.


§ 14. Ein beſonderer Vorzug, den die krie-
chende Poeten vor den erhabenen haben, iſt auch
dieſer:
[139]vor der erhabenen Dichterey.
dieſer: Daß die Reimſchmiede-Kunſt und krie-
chende Poeſie in ſich ganz leicht, wenigſtens
lange nicht ſo ſchwer iſt, als die erhabene Dicht-
Kunſt. Sie duͤrfen ſich nicht die Naͤgel zer-
kauen, den Angſtſchweiß zum Kopfe ausbrechen
laſſen, noch des Nachts ſtark lucubriren, um
einen hohen Gedanken heraus zu bringen, wie
jene thun muͤſſen. Denn weil das Niedrige
viel gemeiner,
als das Hohe, und das Hohe
ſehr ſeltſam
iſt, ſo daß man in allen Staͤnden
viel Kriechendes,
und ſelbſt in den Pallaͤſten
oft praͤchtige Niedertraͤchtigkeiten antrifft:
So wird es einem nicht zu ſauer, dasjenige in
Reime zu bringen, was einer immer vor Augen
hat, als ſich mit ſeinen Gedanken uͤber alles
hinweg zu ſchwingen,
und auch den Hazard zu
ſtehen, aus unſerer Atmoſphere in eine utopi-
ſche Welt-Kugel
zu verfallen. Man uͤberlege
nur, wenn ein erhabener Poet ſeinen Helden
herausſtreichet, was er ihm oft fuͤr Dinge bey-
leget,
die jenem nie in den Sinn gekommen,
und er die Namen ſolcher ausnehmenden Hel-
den-Tugenden
nicht einmal nennen hoͤren. So
iſt es auch in ſich muͤhſamer, viele Gedanken
unter einen einzigen ſcharfen Gedanken zu faſſen,
als einen magern Gedanken ſo auszuſtaffiren,
daß er wenigſtens wie ein ausgeſtopfter Mas-
darm
ausſiehet, da das Fuͤllſel oft eine andere
Art Fleiſches iſt, als die von einerley Daͤrmen
gemachte unterſchiedliche Wuͤrſte. Die krie-
chenden
Poeten halten alſo viel von Ausdeh-
nung
[140]Vorzug der kriechenden Poeſie
nung der Gedanken; die erhabenen aber von
deren Zuſammenfaſſung. Jene ſind handveſte
Platten-Hauer; dieſe kuͤnſtliche Pitſchier-Ste-
cher.
Jene ſind Kurken-Maler und Waͤnde-
Anſtreicher;
dieſe Portraits-Maler und Migna-
tuͤrer. So muͤhſamer es nun iſt, etwas en mi-
gnature
zu zeichnen, und hingegen etwa eine
Kirch-Mauer zu illuminiren: So viel Vor-
theile
haben die kriechenden Poeten vor den er-
habenen voraus. Wahr iſt es, ein kriechender
Poete ſtutzet, wenn er ſiehet, daß ein erhabener
Poete in einer Zeile mehr ſaget, als er, der
kriechende, in einem ganzen Bogen; aber ein
ganzer Bogen wird ihm doch, nach der heuti-
gen herunter geſetzten und ſtark moderirten
Vers-Taxe,
wol theurer bezahlt, als jenem ſein
einziger ſcharfer Gedanke, daraus man viel
Bogen Verſe machen koͤnnte, wenn man ihn
in ſeiner wahren étenduë ausdehnen wollte.


§ 15. Zur Erlaͤuterung des vorigen gebe
ein Exempel. Es ſchreibet ein gewiſſer großer
Dichter,
dem wir mit aller Hochachtung zuge-
than ſind, weil er auch manchmal artige Knit-
tel-Verſe
gemacht, mithin dadurch bezeiget hat,
daß er unſerer Hans-Sachſen-Poeſie nicht ganz
abgeneigt ſey; wie denn oben (im dritten Pro-
beſtuͤck,
§ 5,) ausdruͤcklich erinnert worden, daß
wir großen und erhabenen Dichtern alsdann
nicht feind ſind, wenn ſie nur, im Jahre wenig-
ſtens einmal, ein Knittel-Gedichte aufſetzen.
Dieſer erhabene Dichter nun, den ich in petto
habe,
[141]vor der erhabenen Dichterey.
habe, ſetzet in ſeinem fuͤrtrefflichen Anno 1726
bey Einweihung der Koͤnigl. Pohln. und Chur-
ſaͤchſ. Ritter-Academie zu Dresden abgeleſenen
Gedichte, unter andern magnifiquen Ausdruͤk-
kungen, ſonderlich der ſo lieblich dahin rau-
ſchenden unaffectirten Lobes-Erhebung
des
unſterblichen Friederich Auguſts des Großen,
glorwuͤrdigſter Gedaͤchtniß, von dem damaligen
Graf Wackerbarth, als dirigenden Miniſter
ſolcher neuangelegten Ritter-Academie, unter
andern ſchoͤnen Ausdruͤckungen, ihm zum Lobe:


Von dem es in der That, und ohne ſchmei-

cheln heißt:

Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath lau-

ter Geiſt!

Es ſind nur zwey Zeilen, die aber eine ſolche
Menge von Gedanken in ſich faſſen, wenn
man genau evolviret, was da ſagen wolle, im
Felde lauter Herz,
und im Staats-Rath lau-
ter Geiſt
zu ſeyn, daß z. E. das Thema: Ein
Held, der im Felde lauter Herz iſt;
wenigſtens
einen ganzen compreſſen Bogen erfordern wuͤr-
de, ſolches recht auszudruͤcken; und das andere
Thema: Ein Miniſter, der im Staats-Rath
lauter Geiſt iſt;
abermals von ſo weitem Um-
fange
iſt, daß ich wuͤnſchen moͤgte, es machte
ſich ein großer Dichter daran, und fuͤhrte es
aus. Denn wir kriechende Poeten koͤnnten wol
dieſe zwey ſchoͤnen Themata dem Erfinder ab-
ſtehlen,
und ſie zur Ueberſchrift von ein paar
Bogen Gedichte machen; aber der Titel wuͤrde
alsdann
[142]Vorzug der kriechenden Poeſie
alsdann nur geleſen und gelobet, die Ausfuͤhrung
aber fuͤr hoͤchſt mager gehalten werden.


§ 16. Doch, damit ich eine Probe gebe,
wie die kriechende Poeten meines gleichen es ma-
chen, wenn wir eine ſchoͤne verdeckte Quelle
entdecken,
und daraus verſtohlen ſchoͤpfen, her-
nach es fuͤr eine Ausgeburt unſers eigenen Kop-
fes
ausgeben: So koͤnnte man, in einem Lob-
Liede auf den ehemaligen großen Feld-Herrn Eu-
genium,
eine gluͤckliche Parodie in zwey Zeilen
machen, und dem ſinnreichen obigen Verfaſ-
ſer
alſo nachreimen:


Von dem es in der That auch nach dem

Tode heißt:

Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath

lauter Geiſt.

Denn mancher Feld-Herr und Staats-Rath
wuͤrde nicht wohl zurechte kommen, wenn er
nicht aus denen Lebens-Beſchreibungen dieſes
unvergeßlichen Helden und großen Staats-Man-
nes annoch erſehen koͤnnte, wie Eugenius im
Felde lauter Herz, und im Staats-Rath lau-
ter Geiſt
geweſen. Wollte man aber dieſe ſchoͤ-
ne Paſſage auf eine Perſon, die noch lebte, deu-
ten, und von der man ſagen koͤnne, daß ſie ein
Heros in ſago et toga, ein großer General
und zugleich großer Staats-Miniſter ſey: So
wuͤrde ich nicht weit im A B C buchſtabiren duͤr-
fen, um auf denjenigen hohen Namen zu kom-
men, da ſich obige Reime ſehr natuͤrlich alſo
parodiren lieſſen:


Von
[143]vor der erhabenen Dichterey.
Von dem es in der That und ohne Schmei-

cheln heißt:

Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath

lauter Geiſt.

Aber die niedrigen Poeten duͤrfen ſich nicht er-
kuͤhnen, ſo große Namen im Munde zu fuͤhren;
noch vielweniger aber wuͤrde es ihnen ungenoſſen
ausgehen, wenn ſie dergleichen unverbeſſerliche
Gedanken denen erhabenen Dichtern abborgen
und mit fremden Federn, gleich dem Vogel in
der Fabel, prangen wollten. Wollen wir krie-
chende Poeten aber aufrichtig ſeyn: So wuͤr-
de es uns ohnmoͤglich fallen, in einem geſtopf-
ten Bogen Verſe
ſo viel zu ſagen, als in der
einen Zeile enthalten iſt:


Jm Felde lauter Herz, im Staats-Rath

lauter Geiſt!

Folglich iſt es ja fuͤr die kriechende Poeten ein
ausnehmender Vortheil, wenn ſie die Kunſt,
in wenig Worten ſehr viel zu ſagen, als eine
in ſich hoͤchſt muͤhſame und beſchwerliche vorſtel-
len. Denn es ſtudire mancher Tag und Nacht,
ob er einen ſo gluͤcklichen Einfall herausbrin-
gen werde. Dagegen aber muͤſſen die kriechen-
de Poeten es als leicht vorſtellen und herausſtrei-
chen: Mit viel Worten wenig zu ſagen; wo-
durch ſie ſich von erhabenen Dichtern eben di-
ſtinguiren.


§ 17. Ein Großes voraus haben ferner die
kriechende Poeten vor den erhabenen in Erfin-
dung
und Ausfuͤhrung eines Thema. Es
wuͤrde
[144]Vorzug der kriechenden Poeſie
wuͤrde laͤcherlich klingen, und hoͤchſtens nur
fuͤr eine Burlesque paßiren, wenn man auf
niedrige Vorwuͤrfe ein erhaben Gedichte ma-
chen wollte. Die Sache muß in ſich hoch und
erhaben ſeyn,
ſonſt laͤſſet es, als wenn man ei-
nem Bauer wollte ein Staats-Kleid anlegen.
Da nun aber die Zahl der erhabenen Vorwuͤr-
fe
gegen die Anzahl der gemeinen ſehr geringe
iſt: So kann alſo ein erhabener Poete ſich mit
ſeiner Poeſie kaum den tauſenden Theil ſo weit
heraus wagen, als ein kriechender. Wie laͤ-
cherlich wuͤrde es klingen, wenn einer auf einen
Floh ein erhabenes Gedichte aufſetzte? Aber
ein kriechender Poete darf auf Ratten und
Maͤuſe Gedichte machen, wenn er was davon
hat. Ein erhabener Poete kann ſich nicht an
einen tyranniſchen Fuͤrſten, unerfahrnen
Staats-Rath, unvorſichtigen Feld-Herrn,
pedantiſchen Gelehrten, ſchlechten Kraͤmer
noch weiter herunter wagen. Denn alles dieſes
faͤllt, ſeiner Natur nach, ins Niedrige. Denn
ein Tyranne iſt die niedrigſte Claſſe der Regen-
ten, und ſo weiter. Wenn nun der erhabene
Poete arm iſt, wird er eine brodloſe Kunſt be-
ſitzen, und mit ſolcher betteln gehen muͤſſen.
Aber ein kriechender Poete und Reim-Schmied
hat das Recht, ſo weit in die Tiefe herabzuſtei-
gen, als er kann, und auf alles zu reimen, wor-
auf nur ein Reim erfindlich iſt (Erſtes Probe-
ſtuͤck,
§ 1, 2, 3, 6). Daher kann ſich dieſer,
wo nicht manchen Ducaten, doch wenigſtens
manchen
[145]vor der erhabenen Dichterey.
manchen Groſchen, eher verdienen, als jener.


§ 19. Ein erhabener Poete wird ſich ſchaͤ-
men, fuͤr ſeine Gedichte Geld zu nehmen, oder
in den Verdacht der Betteley zu verfallen. Er
macht auch ſeine Poeſie nicht ſo gemein, ſon-
dern hebt ſie nur fuͤr große Kenner und Lieb-
haber auf. Ein Reim-Schmied aber macht es,
wie Hr. D. Knobloch in Zittau, und reimt
auf alles, was ihm in den Wurf koͤmmt. Hat
er nicht noͤthig, ums Geld Verſe zu machen:
So wird er, der Reim-Schmied, deſto frey-
gebiger ſeyn, ſeinen poetiſchen Queerſack aus-
zuleeren. Er ſtopft ihn aus anderer Gedichten
ſchon wieder voll, und wird des Reimens we-
der ſatt noch muͤde.
Er fragt auch, wo er ein
Bißgen ruhmſuͤchtig iſt, nichts darnach, ob er
dem Patron oder Fuͤrſten, auf den er Reime
ſchmiedet, gelegen komme, oder nicht? Denn
er reimt nicht des Patrons oder Fuͤrſtens wegen,
ſondern ſein ſelbſt wegen, weil er mit der Reim-
ſucht
beſeſſen iſt. Er verlacht die undankbare
Welt, die an der Menge ſeiner Gedichte, wo-
mit man die Elbe endlich bedecken koͤnnte, einen
Ekel und Ueberdruß bekoͤmmt. Er flattirt ſich,
wenn ſeine itzige Patrone ſagen: Der Herr haͤt-
te mit ſeiner Poeſie zu Hauſe bleiben koͤnnen;

es werde die Nachkommenſchaft hierinn er-
kenntlicher ſeyn, und ſeiner Aſche annoch den
Tribut der Hochachtung abtragen, den ſie ihm
in ſeinem Leben verweigert. Wenigſtens wird
mancher Ballen Makeltur fuͤr die Nachwelt
Kauf-
[146]Vorzug der kriechenden Poeſie
aufgehoben, und dadurch ſein Name immer mit
fortgewelzet.


§ 20. Weiter iſt es kein Geringes voraus,
das der Reim-Schmied vor den erhabenen
Poeten
in Abſicht auf die Amplification oder
Erweiterung eines Thematis hat. Die erha-
benen Poeten haben ſich ſelber durch ihre ver-
drießlichen Einſchraͤnkungs-Regeln die Fluͤgel
um ein gut Theil beſchnitten. Sie verwerfen
manche Arten von Amplificationen ſchlechthin;
bey andern wollen ſie praeciſedieſe Tour der
Gedanken, und keine andere, angebracht wiſſen.
So verwerfen ſie durchaus die Amplificatio-
nem a contrario in terminis terminantibus,

daß ich ſo rede. Sie ſagen, es wuͤrde uͤbel ſte-
hen, und einen auf falſche Neben-Gedanken
verleiten, wenn man z. E. einen Buͤrgermeiſter
in Verſen loben, und den Anfang ab antitheſi
machen wolle, was ein boͤſer, fauler, tuͤcki-
ſcher, mit Gelde beſtochener Buͤrgermeiſter

ſey; darauf in applicatione a contrario mit
dem Aber hinten nach kommen, und ſagen wolle:
Das biſt du aber nicht. Sie meynen, es klin-
ge eben ſo, als wenn einer in proſa ſpraͤche:
Es giebt manchen Schlingel, Baͤrenheuter und
ꝛc.; aber das iſt der Herr nicht! Wuͤrde das,
ſagen ſie, wol eine ſonderliche Careſſe ſeyn?
Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles bey
der Erde
und vorm Maule weg. Nichts iſt
ſo weit hergeholt, es kann durch den poetiſchen
Schmiede-Hammer
zuſammengeſchlagen wer-
den,
[147]vor der erhabenen Dichterey.
den, daß es ſich auf einander reimt. Sollte
der Hammer nicht zureichen: So nehmen ſie
die Vortheile der Zuſammenloͤtung von Stahl
und Eiſen, Kupfer und Meßing, Zinn und Bley
dazu. Ja, wenn dis noch nicht zureichet, ei-
nen Gedanken recht abzudreſchen: So iſt ein
poetiſcher Dreſchflegel zur Reſerve; daher in
den Buchlaͤden ſo viel abgedroſchen Zeug zu
finden, das iſt, das ſchon unzehligmal durch alle
praedicamentadurchgereimt worden, und
dennoch ſich wieder ein neuer Reim-Dreſcher
findet, der es nochmals nachdriſchet. Spricht
man zu ihnen: Das ſey ein laͤngſt ausgepeitſch-
tes
Thema; eine ausgepeitſchte Amplification:
So kehren ſie ſich daran ſo wenig, als Ovidius
in ſeiner Jugend, da ihn ſein Lehrmeiſter daruͤ-
ber peitſchte, daß er, wo er ſtand und gieng,
poetiſirte, auch mitten unter den Schlaͤgen den
Vers ſagte:


Deſine, praeceptor, poſt haec non car-

mina dicam!

Lehrmeiſter, hoͤrt nur auf, ich will nicht

weiter reimen!

§ 21. Die Poeten von der hohen Claſſe
ſagen: Es kaͤme oͤfters viel auf den rechten
Ort
an, wo der poetiſche Gedanke zu ſtehen
komme. Er verliere alle grace und Gewicht,
wenn er an einer unrechten Stelle angebracht
worden. Auch muͤſſe der Einfall ſeine rechte
Tour, Schwang
oder Wendung haben, ſonſt
entſtehe eine Misdeutung oder falſcher Ge-
K 2danke.
[148]Vorzug der kriechenden Poeſie
danke. Der Reim-Schmied aber bekuͤmmert
ſich um ſolche Subtilitaͤt nicht. Er meynt, es
gelte gleichviel, ob ein gebratener Haſe in einer
thoͤnern oder zinnern Schuͤſſel liege. Das Bier
ſchmecke eben ſo gut, man moͤge es gleich vor
dem Zapfen wegtrinken, oder erſt in einen be-
ſchlagenen Krug gieſſen. Wenn man nur zur
Schuͤſſel kommen koͤnne: So moͤge ſie nahe oder
weit ab ſtehen, das verſchlage nichts. Dage-
gen behaupten die erhabenen Dichter, es ſey
z. E. ein Fehler, ſeinen Patron im Gedichte eine
Weile paſſen zu laſſen, und eine Streiferey da
und dorthin zu thun; vielmehr muͤſſe man ihn
immer im Augenmerke haben, und kaum
ſchrittsbreit von ihm weichen,
ſo lange man
mit ihm redet. Jn einem Epiſchen Gedichte,
wenn man Helden auffuͤhret, ſey es unrecht
angebracht,
wenn der Bauer oder Gaͤrtner ein
langes und breites daher ſchwatze, wie er ſein
Feld beſtelle, oder Baum-Schulen anlege.
Wenn es ſchoͤn Wetter ſey, muͤſſe man nicht
Donner und Blitz, Platzregen und Sturmwin-
de ins Gedichte bringen, und dadurch den Pa-
tron, der gern ausfahren wollte, nicht zu lan-
ge aufhalten, daß ihn etwa der Platzregen noch
uͤbereile; da ſonſt, wenn das Gedichte ſolche
Ausſchweifungen weggelaſſen, der Patron noch
trocknes Fußes haͤtte bis zum Rath-Hauſe kom-
men koͤnnen! Der erhabene Poete ſaget: Es
ſey eine falſche Tour, wenn einer im Gedichte
ſich ſtelle, als marſchire er ſchon ab; nachher
thue,
[149]vor der erhabenen Dichterey.
thue, als habe er noch was vergeſſen, das ihm
nun wieder erſt beyfalle, wie jenem Geſandten,
der den Kayſer ſo lange aufhielte, daß, als der
Redner eine neue Tour vom Alexander dem
Großen vorbrachte, der Kayſer ſagte: Er glau-
be, Alexander werde unterdeß wol geſpeiſet
haben, ehe er was weiters vorgenommen.

Aber kein Reim-Schmied bindet ſich an ſo enge
Schranken. Er reimt, wies ihm ins Maul faͤllt.
Er fragt nicht: Obs klappt? ob ſichs ſchickt?
ob der Gedanke nicht verfaͤnglich?
Es iſt
genug, wenn ſichs nur reimt, der Leſer moͤge
ſich das beſte herausnehmen, wie es jener Pfar-
rer
thun ſollte, der eine Leichen-Predigt im
Kopfe hatte, und des Bauren Sohn fragte:
Was ſeines Vaters letzte Worte geweſen?
Worauf dieſer lange herum ſanne, endlich her-
ausplatzte, und ſagte: Je, Herr Magiſter, mein
Vater ſprach: Hans, gib mir den Nachtſchir-
bel
her! Kann ſich nun der Herr Magiſter,
fuhr Hans fort, was draus nehmen, ſo thue
ers! So wenig ich nun darnach frage, weil
ich mich in die Stelle und den Character krie-
chender Poeten
einmal geſetzet, ob dieſes Hi-
ſtoͤrgen allhier ſeine rechte Stelle habe, und ſich
zu meiner vorhabenden Abhandlung ſchicke: So
deutlich werden daraus meine Leſer abnehmen,
wie ich durch die wirkliche That meinen uͤber-
nommenen Character auszudruͤcken ſuche, naͤm-
lich ſo kauderwelſch unter einander allhier zu
ſchreiben, als es die Reim-Schmiede in ihren
K 3Gedich-
[150]Vorzug der kriechenden Poeſie
Gedichten zu machen pflegen. Jch glaube, ich
wuͤrde ſehr unnatuͤrlich handeln, wenn ich ei-
nen kriechenden Poeten beſchreiben, und nicht
ſelber par compagniemitkriechen, oder ihm
nachkriechen wollte; ſo wie ich oben, da ich die
ſchlammigten Poeten beſchrieben, ſelbſt in ihre
Pfuͤtzen habe treten, und es nicht achten muͤſ-
ſen, von dem aufſpruͤtzenden Unflathe mit be-
ſpruͤtzet
zu werden. (S. viertes Probeſtuͤck,
23, 25 und 26 Frage.
)


§ 22. Die kriechenden Poeten haben auch
ein Großes vor den erhabenen voraus, daß ſie
ruͤckwaͤrts und vorwaͤrts kriechen duͤrfen, wie
die Krebſe; bald traben, bald galoppiren, wie
die Pferde; bald Luft-Spruͤnge, bald ſeitwaͤrts
einen Satz thun, wie die kollernde Schimmel.
Dagegen ſoll, nach der erhabenen Poeten Re-
gel,
der Dichter allezeit in gradem Gleiſe blei-
ben; nicht eher ſeinen poetiſchen Gaul anſpor-
nen, als wenn er allzuſchlaͤfrig trabet; nicht ei-
nem Reuter gleichen, der uͤber die Graben ſetzet,
oder mit einem Sprunge vom Felſen ins Thal
ſtuͤrzet. Er ſolle vielmehr ſtuffenweiſe auf- und
niederſteigen, damit eine Gleichheit in ſeinem
Gedichte ſey, und man nicht denke: Jtzt habe
der Poete geraſet; nun ſey er ſchlaftrunken
worden; itzt habe er eine Bouteille Wein beym
Verſemachen geſoffen, bald darauf den Durſt
mit duͤnnem Biere geloͤſchet; itzt ſey er im Thal
Joſaphat
geweſen; bald habe ihn der Teufel,
oder ſonſt ein poetiſcher Geiſt, durch die Luft
auf
[151]vor der erhabenen Dichterey.
auf die Zinne des Tempels geſtellet, ohne erſt
die Treppe hinaufgeſtiegen zu ſeyn. Aber ein
kriechender Poete verſtellt ſich in einen Sprin-
ger,
damit man nicht merken ſolle, daß er krie-
che. Er affectirt einen wachſamen Hund, der
aber traͤumet, und im Schlafe aufbelfert. Jtzt
flieget er aus der Tiefe in die Hoͤhe, damit jeder
Leſer ſehe, der hohe Einfall ſey nicht aus ſeinem
Kopfe entſprungen, ſondern anderswo entlehnet.
Folglich ſey er aufrichtiger, als mancher erha-
bener Poet, den man nicht auf ſeinem poeti-
ſchen Diebſtahle
wegen Gleichheit des Styls
ertappen koͤnne, ob er gleich ſich vieler Gedanken
von ſeines gleichen erhabenen Dichtern zu nutze
gemacht. Mithin ſtecke eine Argliſt dahinter,
wenn die erhabenen Poeten ſo einen gleichen
Styl fuͤhrten; damit man naͤmlich nicht merken
ſolle, wo ſie aus fremden Brunnen geſchoͤpfet
und in andern Teichen gekrebſet. Zudem erfor-
dere es oft die Natur der Sache, ſtehenden Fuſ-
ſes einen ſchnellen Affect anzunehmen. Z. E.
wenn einer in ſeiner Gelaſſenheit Abends ſtella-
tim
gegangen, und er purzelte daruͤber in ein
Schlamm-Loch: So werde er ſich bald alteri-
ren; mithin muͤſſe auch der Poete geſchwinde
den Affect veraͤndern,
und augenblicks von ei-
nem raſenden Zorne ſich in die ſanfte Stille
eines der Allerſanftmuͤthigſten verſetzen koͤnnen.


§ 23. Die erhabenen Poeten ſteigen von
der natuͤrlichen zur maͤnnlichen, und von dieſer
erſt zur erhabenen Beredſamkeit. Jch aber
K 4komme
[152]Vorzug der kriechenden Poeſie
komme hier ruͤckwaͤrts, von der Beſchreibung
der Vortheile eines kriechenden Poeten vor einem
erhabenen, nunmehro erſt auf die Vortheile
vor einem maͤnnlichen Dichter. Jch kann hier
vom Groͤßern aufs Kleinere ſchlieſſen. Hat der
kriechende Poet und Reim-Schmied ſo gar ein
vieles vor den erhabenen Poeten voraus, viel-
mehr vor den maͤnnlichen, die dem Bathos
um eine Stuffe ſchon naͤher ſind, als jene.
Aber in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, wo
das Frauenzimmer gleiches Recht des Beytritts
hat, wird dieſe Diſtinction unter einer maͤnnli-
chen
und weiblichen Poeſie ganz verworfen;
zumal wir z. E. an der ehemaligen Erfurtiſchen
großen Dichterinn,
der Jungfer Zaͤuneman-
nin,
eine recht maͤnnliche Poetinn gehabt, als
die ſich manchmal in Manns-Kleider verkleidet,
ein Rappier einem praͤſentiret, zu Pferde mit
Sporen geſeſſen, und einen ſtarken Fußgaͤnger
abgegeben, daß ſie auch bey ſolcher Marſch-
Route
fuͤr etlichen Jahren das Ungluͤck gehabt,
zu ertrinken. Lebte ſie noch, wir wuͤrden ſie,
in unſere Geſellſchaft einzutreten, allen Fleiſſes
einladen. Denn man hat ihren Gedichten nach-
geſaget, an vielen Orten gucke ein masquirter
Mann,
er heiſſe nun Guͤnther, oder Kunad,
oder Ruhekopf, oder Langenau, oder Boͤrner,
oder Briontes der Juͤngere, oder ſonſt wer
hervor. Sie dichte an vielen Orten zaͤrtlich;
aber nicht maͤnnlich und geſetzt. Ein Frauen-
zimmer moͤge auch ſo eine große Dichterinn ſeyn,
als
[153]vor der erhabenen Dichterey.
als ſie wolle, brauche ſie doch nicht ihren Na-
men darunter zu ſetzen, daß ſie ein Frauenzim-
mer ſey, es verrathe ſich uͤberall aus dem Styl.
Sie ſey nicht geſchickt, einen Mann vorzuſtel-
len; der Reifenrock gucke unter allen Gedichten
hervor. Sie dichteten manchmal erhaben; aber
die Frauenzimmer-Pantoffeln koͤnne man auch
ſehen. Dagegen koͤnne auch ein maͤnnlicher
Dichter nicht ſo zaͤrtliche und tendre Ausdruͤk-
kungen aufs Tapet bringen, als ein poetiſches
Frauenzimmer. Guͤnther habe ein großes Kunſt-
Stuͤck in tendrer Beſchreibung des ehelichen
Beyſchlafes abgeleget; aber wenn eine Mada-
me von Steinwehr,
die den Eheſtand dreymal
probirt, es poetiſch beſchreiben ſollte, wuͤrde es
noch dreymaltendrer geklungen haben.


§ 24. Durch obige Diſtinction alſo, die
ich hier widerlege, und andere critiſche Gloſſen,
wird demnach der Saame der Zwietracht zwi-
ſchen dem maͤnnlichen und weiblichen Geſchlech-
te nur mehr ausgeſtreuet. Daher hat E. Loͤbl.
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft,en faveur des
ſchoͤnen Geſchlechts, die Diſtinction unter der
maͤnnlichen und weiblichen Poeſie ganz unter
ihren Gliedern annulliret und aufgehaben. Es
mag dem Frauenzimmer eine Mannsperſon ein-
helfen
oder nicht, es heiſſet ein ſchoͤnes Gedichte.
Wir ſagen auch von der Frauenzimmer Gedich-
ten, daß ſie wohl geſetzet, daß ein geſetztes We-
ſen darinn ſo gut ſtecke, als bey Gedichten von
Mannsperſonen. Denn ſie haben ſich wenig-
K 5ſtens
[154]Vorzug der kriechenden Poeſie
ſtens ſo gut, als die Maͤnner, nieder geſetzet,
wenn ſie ſolche gefertigt. Und was will das
ſagen: Die maͤnnliche Poeſie habe ein mehr
geſetztes
Weſen? Soll es ſo viel heiſſen, als
daß den Frauenzimmern das Kalb-Fleiſch le-
benslang anhange? daß ſie zum ſchaͤkern gebo-
ren? daß ihre Gedanken nie zu ſolcher Reife kaͤ-
men, als der maͤnnlichen Dichter? daß ſie das
Erhabene und Galante nie in rechter Doſi und
Proportion zu miſchen wuͤßten? ſondern ent-
weder in die Schmetterlings- oder Phoͤbus-
Poeſie
verfielen, oder ſich als eine auf dem Can-
nabee ſchmachtende Schoͤne abſchilderten, die
gern einen Zeitvertreib haben wolle? Sollte es
wahr ſeyn, daß, wenn ſie den Affect der Liebe
abſchilderten, ſich ſelber dabey ſo ſehr lebhaft
beſchrieben, daß man aus dem Gedichte deutlich
ſaͤhe, ſie muͤßten ſelbſt in einer verliebten Ohn-
macht
kurz zuvor gelegen haben, da ſie ſolches
aufgeſetzet? Jſt es nicht was ſchoͤnes, daß ſie
uns in die Geheimniſſe ihres Herzens ſo merk-
lich ſehen laſſen, wenn ſie mit ſolcher Aufrich-
tigkeit
ſich ganz ausleeren. Welche Schreib-
Art wuͤrde wol den Vorzug haben, etwa die,
da der Herr Profeſſor Gottſched ſeiner Liebſten
die vernuͤnftigen Tadlerinnen dediciret, und ſo
vornehm mit ihr thut, daß, wenn ſie im Ehebette
auch ſo fremd gegen einander thun, ohnmoͤglich
daraus Kinder
kommen koͤnnen? Oder aber,
wenn dieſe große Dichterinn, zur Erkenntlich-
keit, ihrem Liebſten auch ein Buch dediciren ſollte?
Wuͤrde
[155]vor der erhabenen Dichterey.
Wuͤrde nicht darinn Zaͤrtlichkeit, Feuer, Aech-
zen, Umarmung, Ermattung
und der ſuͤße
Tod
deutlich abgeſchildert ſeyn? Wuͤrde nicht
ſolches weit natuͤrlicher klingen, als wenn ſie
ihm eine große Lob-Rede halten, und ſo un-
bekannt
ſich gegen ihn ſtellen wollte, als ob ſie
noch nie erfahren, was ehliche Careſſen waͤren?
Alſo darf kein Dichter auf ſeine maͤnnliche Be-
redſamkeit trotzen, und ſolche der weiblichen
vorziehen wollen.


§ 25. Die großen Dichter unſerer Zeit ge-
ben unſerer Froſchmaͤusler-Geſellſchaft ein
Schwert in die Hand, das wir ſtark gegen ſie
brauchen, und weil es bereits gewetzet, treff-
liche Kreuzhiebe damit gegen ſie, bey beſorgli-
chem Angriffe, thun koͤnnen. Setzen ſie nicht
die burlesque Poeſie der maͤnnlichen entgegen?
Nun aber gehoͤrt ſolche weder zur erhabenen,
noch natuͤrlichen. Nicht zu jener, es waͤre
denn ſelber zur Badinerie, z. E. wenn ich an ei-
ne Schoͤne, mit der ich mich ſchon verſtuͤnde,
ſchriebe: Der Liebe Angel-Stern, Compaß zu
meiner Magnet-Nadel, und dergleichen hohe
Gedanken. Zur natuͤrlichen Poeſie aber ge-
hoͤrt die Burlesque auch nicht. Denn ob ſie
wol nicht unnatuͤrlich iſt, ſondern es bey jedem
Einfalle ganz natuͤrlich hergehet, wie man von
einem aufs andre koͤmmt: So nimmt man doch
in ſcherzhaften Gedichten vieles ganz anders,
als was die Worte ſagen. Man bringet bons-
mots
hinein, dahinter logice oft falſche Schluͤſ-
ſe
[156]Vorzug der kriechenden Poeſie
ſe und erſchlichene Wahrheiten ſtecken. Z. E.
wenn ich alſo reimte:


Es iſt ein neu Patent, die Jungfern ſollen

freyn:

So wird denn Fieckgen auch dahin bemuͤ-

het ſeyn,

Sich, dem Edict gemaͤß, zur Heyrath zu

bequemen,

Es duͤrfte das Patent ſie ſonſt in Strafe

nehmen.

Wenn einer nun dieſe Einfaͤlle auf eine frey-
ſuͤchtige Jungfer
machte, waͤren die in dieſen
vier Zeilen angebrachte Touren alle burleskiſch,
aber zugleich falſche Gedanken. Denn wo iſt
denn ſo ein Patent heraus? Und wenn ſie gern
heyrathen moͤgte, bedarf ſie nicht erſt eines En-
couragir-Patents,
ſondern ſie wuͤrde ſelber je
eher je lieber freyen, wenn ſich nur eine anſtaͤn-
dige Perſon faͤnde. Auch waͤre es logicefalſch,
daß ſie in ſolchen Umſtaͤnden aus Furcht der
Strafe, wenn ſie nicht heyrathen wuͤrde, ſich
dazu entſchloͤſſe. Jndeß koͤnnte Fieckgen nicht
uͤber ſo ein Scherz-Gedichte boͤſe werden. Denn
waͤre ſie witzig, wuͤrde ſie wol die darunter ver-
ſteckte Pillen merken. Waͤre ſie aber nicht frey-
ſuͤchtig,
wuͤrde dieſe Tour nur ſo viel ſagen,
als wenn man in proſa zu einer im Scherze
ſpraͤche: Mademoiſelle, ſie werden nun bald
zum Eheſtande ſchreiten muͤſſen. Wenn ſie nun
fruͤge: Warum? und man verſetzte: Darum,
weil ein Patent heraus iſt, daß alle ſchoͤne Maͤd-
gen
[157]vor der erhabenen Dichterey.
gen binnen Jahres Friſt heyrathen, oder in
Strafe fallen ſollen: So waͤre es ein aufge-
weckter Spaß, der zu vielem weitern Scherz
Anlaß geben koͤnnte.


§ 26. Da nun alſo die burlesque Poeſie
nicht zur natuͤrlichen, wo lauter Beſchreibun-
gen nach dem Leben,
und keineFictiones, ſind,
vielweniger zur erhabenen Poeſie gehoͤret: So
muͤſſen die neuen Poeten entweder ſolche zur
maͤnnlichen rechnen, der ſie doch ſolche entgegen
ſetzen, mithin ſich ſelber widerſprechen, oder aber
die Diſtinction unter einer maͤnnlichen und un-
maͤnnlichen Poeſie,
damit nicht etwa gar ein
Zwitter herauskomme, fahren laſſen. Sie
wollen ſich zwar helfen, und ſagen, die ſcher-
zende kriechende
Poeſie verfalle ins Schaͤkern,
Haſeliren
und Narrentheiding. Jhre bur-
lesque
Poeſie aber ſchreite nie aus den Schran-
ken der Beſcheidenheit. Es ſey bloß eine Art
ingenieuſer Einfaͤlle, da die maͤnnliche Poeſie
mehr judicieuſe Gedanken habe. Allein es ge-
hoͤrt oft mehr iudicium diſcretiuum zu einem
rechten Scherz, daß er nicht ins Plumpe oder
Niedertraͤchtige falle, als wenn man eine Sa-
che plattweg fein ernſthaft oder maͤnnlich be-
ſchreibet. Daher koͤmmt ein Reim-Schmied
beſſer weg, wenn er bald ernſthaft thut, bald
ſchaͤkert, bald kollert; bald trotzet, bald ra-
ſet,
bald zu Kreuze kriechet; bald labbert, bald
zweyzuͤnglet, bald zuplumpet. Denn wie es
die Menſchen wirklich machen, daß der eine erſt
lange,
[158]Vorzug der kriechenden Poeſie
lange, wie die Katze um den heiſſen Brey, ge-
het, ein anderer aber dreiſter iſt, und geſchwin-
de zutebſet: Alſo muß ein Reim-Schmied es
auch in Reimen abſchildern, ſonſt komme ein un-
geſalzener
und trockener Scherz heraus. Die-
ſemnach wird ein Reim-Schmied lieber alle
Dicht-Kunſt
eintheilen in eine ernſthafte und
kurzweilige. Die ernſthafte iſt entweder auf
der Erde hinkriechend, oder fallend, wenn man
aus der Hoͤhe ins Bathos faͤllt, und aus der
Tiefe in die Hoͤhe geſchleudert wird. Die kurz-
weilige Poeſie
aber iſt entweder ſchaͤkernd oder
kollernd. Jenes bey angenehmen, dieſes bey
piquirenden Begebenheiten.


§ 27. Jch eile zum Ende, und braucht es
alſo keiner großen Widerlegung, daß die Reim-
ſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie ein Groſ-
ſes auch vor der ſogenannten natuͤrlichen Poeſie
habe. Die neuen Dichter ſagen: Es koͤnne ein
poetiſcher Gedanke natuͤrlich ſeyn, ob er gleich
noch nicht zur Stuffe eines maͤnnlichen und er-
habenen
geſtiegen ſey. Jeder erhabener Ge-
danke ſey zugleich natuͤrlich und maͤnnlich; aber
umgekehrt folge es nicht. Da aber die Reim-
ſchmiede-Kunſt ihr poetiſches Reich zu erweitern
ſucht: So nimmt ſie auch das unnatuͤrliche,
unwahrſcheinliche, unmoͤgliche, abgeſchmack-
te
und ſchamrothmachende mit in ihren Be-
zirk. Bey der letzten Sorte beſchreibt ein Reim-
Schmied jedes Ding mehr als zu natuͤrlich;
dagegen ein Poet von der neuen Facon einen
Vorhang
[159]vor der erhabenen Dichterey.
Vorhang oder Flohr davor ziehet. Jch frage
aber: Ob das natuͤrlich ſey, wenn ich ein Ding
ſo beſchreiben ſoll, wie es vor mir lieget, und
es hat keinen Flohr, der gewiſſe Theile verdek-
ket, ich wollte aber ſprechen: Es ſey ein Flohr
davor?
Daher unſere Grobſchmieds-Poeten
ihre derben Einfaͤlle ſo lange auf den Amboß
bringen, bis die Ohren der Zuhoͤrer angewoͤhnet
werden, den rauhen Schall zu hoͤren. Die
phantaſtiſchen Reim-Schmiede aber folgen ei-
ner ungemeſſenen ausſchweifenden Einbildungs-
Kraft. Es ſchicken ſich in die Gedichte der krie-
chenden Poeten ſolche abentheuerliche Erdich-
tungen,
die alleContes de Fées und tauſend
Viertelſtunden weit uͤbertreffen. Muß man
die Reime zwingen, daß es oft heiſſet: Reim
dich, oder ich freß dich:
Warum ſollte man
nicht auch die Einfaͤlle zwingen, einem zu Ge-
bote zu ſtehen? Die Gedanken duͤrfen ſich
nicht zuſammen reimen, ſondern nur die Syl-
ben.
Daher hat keine Wiſſenſchaft ein ſo wei-
tes unumſchraͤnktes Gebiete,
als ein Reim-
Schmied und kriechender Poete.


Sechſtes Probeſtuͤck.
Eine unumſtoͤßliche Widerlegung von des
Horaz Buche de arte poëtica.


Es gehet mir, meine Herren, hart an, daß
ich mich mit dem laͤngſt vermoderten Horaz nun
noch erſt herum tummeln, und ſeine Urne, als
den
[160]Widerlegung des Horaz
den Aufbehalt ſeiner Aſche, ruͤhren ſoll. Doch
ich halte mich nicht an ſeinen Coͤrper, vielweni-
niger ſeine Seele, von der ich nicht weiß, wo
ich ſie ſuchen oder ausgattern ſoll, ſondern bloß
an ſein Buchde arte poëtica.


Jch habe vor ein zehn Jahren, oder wie lan-
ge es iſt, bey dem damals lebenden Aſſeſſore des
Schoͤppenſtuhls, D. Reichhelm, eine erſtaun-
liche Collection von allen nur zu habenden Edi-
tionen des Horaz
geſehen; und iſt es Schade,
daß ſolche, nach erfolgter Verauctionirung ſei-
ner Bibliothec, ſo ſehr zerſtreuet worden, da
ſchwerlich ein anderer Gelehrter ſich die Muͤhe
genommen haben wird, alle nur moͤgliche E-
ditionen
und Handſchriften von des Horaz
Schriften,
ſo viel deren zu haben, aufzutreiben.
Meine Erſtaunung aber wuchs um ein merkli-
ches, da mir der ſelige Mann ein mit großem
Fleiße mundirtes Manuſcript
wies. Es war
ſolches eine in den zierlichſten deutſchen Verſen
beſchehene Ueberſetzung der zwoͤlf BuͤcherAe-
neidos
des Virgils, und auch aller Gedichte
des Horaz.
Er hat wol dreyßig und mehr Jah-
re daran gearbeitet, ehe er es in ſo vollkomme-
nen Stand
geſetzet. Er hat nie den Ruhm ei-
nes großen Dichters geſucht; aber er verdient
den Ruhm eines der groͤßten Dichter. Weil
wir die Verſtorbenen nach ihrem wahren Wer-
the
ſchaͤtzen: So iſt alles, was ich hier anfuͤh-
re, mein purer Ernſt. Zudem hat er alles auf
Conto ſeines Originals uͤberſetzt. Er gehet
den
[161]de arte poëtica.
den Gedanken des Horaz genau nach, und iſt
ein getreuer Dollmetſcher. Folglich muß
mans ihm noch Dank wiſſen, daß er viel ſchwe-
re Stellen
in ſolch Licht geſetzet, daß man den
Horaz verſtehet, wo er vorher unverſtaͤndlich war.
Weil alſo ſeine Ueberſetzung accurat und in zier-
lichen deutſchen Verſen geſetzet iſt, koͤnnen wir
dem D. Reichhelm ohnmoͤglich im Grabe feind
ſeyn, noch ihn widerlegen wollen; ſondern es iſt
bloß der Horaz ſelbſt, mit dem wirs zu thun
haben, und man kann ihn um deſto eher in
ſeiner Bloͤße attaquiren, da er ſo deutlich uͤber-
ſetzet
iſt. Meines Wiſſens hat der Herr Am-
broſius Haude
in Berlin den Reichhelmiſchen
Erben
80 Rthlr. fuͤr das Manuſcript geboten,
die es aber, ſo viel ich vernommen, fuͤr 150
Rthlr. nach Hamburg verkaufet, oder vielleicht
noch das Original-Concept beſitzen.


Sie muthen mir, meine Herren, nicht an,
daß ich des Horaz Buch de arte poëtica, bey
der vorhabenden unumſtoͤßlichen Widerlegung
deſſelben, von Stuͤck zu Stuͤck durchgehen und
refutiren ſolle. Muß man denn einen Gegner
eben wie eine Veſtung tractiren, da man erſt
weitlaͤuftige Circumwallations-Linien macht,
hernach approſchiret, darauf die Trenſcheen er-
oͤffnet, Batterien aufwirft, Stuͤcke pflanzet,
und Fuß vor Fuß avanciret? Nein, ich werde
es hier mit dem Horaz machen, wie es bey der
erſten Belagerung der Stadt Praag ergangen.
Sie ward mit ſtuͤrmender Hand erobert. Jch
Lwerde
[162]Widerlegung des Horaz
werde mir des Horaz Buch wie einen Gewap-
neten
vorſtellen, dem man mit einer einzigen
Kugel vor den Kopf
das Lebens-Licht ausbla-
ſen kann.


Jch mache einen Syllogiſmum in forma
probante,
welcher ein rechter Treffer auf den
Scheitel des Horaz waͤre, falls er noch lebte.
Jch ſchlieſſe alſo: Was der Horaz ſelber hoͤchſt
tadelt,
das muß man, nach aller Horazianer
Ausſpruch,
auch tadeln. Nun aber ſchreibet
er ſelbſt: O imitatorum ſeruum pecus; und
tadelt alſo die Nachahmer, ſo daß er ſie auch
mit ſclaviſchem Vieh vergleichet; folglich wuͤr-
de er uns neue Poeten, wo er noch lebte, fuͤr
ſclaviſche Beſtien halten, wenn wir ſeine Imi-
tatores
ſeyn, mithin auch, wenn wir aus ſeinem
Buche de arte poëtica uns Regeln der Nach-
ahmung in der Dichterey
ziehen wollen.


Waͤren wir nun ein ſeruum pecus, wenn
wir ſeine Imitatores wuͤrden: So ſoll er vor
uns wol Friede haben, daß wir nicht ſuchen wer-
den, ihn zu imitiren. Er mag ſeine poetiſche
Weisheit
immer fuͤr ſich behalten. Was nuz-
zet aber ſein Buch de arte poëtica, wenn man
die Dicht-Kunſt nicht draus lernen ſoll? Zu
nichts; man muͤßte denn ihm nachahmen duͤr-
fen. Denn er hat nicht eines andern Dicht-
Kunſt beſchrieben, ſondern was ihm ſelbſt als
dichtermaͤßig
vorgekommen. Setzet er nun
einen ſo ſtarken Trumpf darauf, daß er die imi-
tatores
ſchlechtweg ein ſeruum pecus heiſſet:
So
[163]de arte poëtica.
So gilt es auch auf die imitatores ſeiner artis
poëticae.


Wollte man ſagen, er rede nicht von den imi-
tatoribus
uͤberhaupt, daß dieſe alle ein ſeruum
pecus
waͤren; ſondern dieſer Ausdruck ſeruum
pecus
ſey eine idea acceſſoria ſubiecti, oder daß
er nur von ſclaviſchen Nachaͤffern rede: So
iſt dis eben, was ich ſage, daß wir es fuͤr eine
ſclaviſche Nachaͤffung halten, uns an ſeine re-
gulas artis poëticae
zu binden.


Jch trete nunmehro, meine Herren, ab, und
hoffe, meinen Gegner Horaz mit ſeinem eignen
Schwerdte erleget zu haben. Doch ſie lachen,
meine Herren, und weiſen mich mit ihren Au-
gen, auf den Tiſch zu ſehen, wo lauter mathe-
matiſche Thier-Kreiſe
abgezeichnet zu finden.
Jch merke, dis wolle ſo viel ſagen, als: Jch
haͤtte mich bloß in einem Kreiſe herum gedre-
het,
und, wie es die Lateiner nennen, ſo ich aber
nicht deutſch zu geben weiß, eine petitionem
principii
begangen.


Da ich alſo ſchon im Begriffe war, abzutre-
ten, ſehe mich genoͤthiget, noch ein wenig Stand
zu halten, und mit ein paar Worten darzu-
thun, daß ich entweder keine petitionem prin-
cipii
begangen, oder aber es erlaubt ſey, ſolche
zu machen. Jch beſinne mich nun, es ſiehet faſt
ſo aus, als habe ich eins durch das andre be-
wieſen.
Denn ich habe hinter der Hand, oder
per obliquum, behauptet, Horaz ſey zu ver-
werfen: ratio, weil er ſelbſt es verwirft, einen
L 2zu
[164]Widerlegung des Horaz
zu imitiren. Nun koͤnnte man mir einwerfen:
Er tadle nicht jede Jmitation, ſondern nur die
ſeruilem. Die imitationem maſculam aber
nehme er tacite aus. Jch verſetze dawider: Es
gebe keine imitationem maſculam. Denn ent-
weder bemauſe man ihn, wenn man ganze Stel-
len ausſchreibt, oder es klappt nicht recht, wenn
man parodiret; folglich iſt alle imitatio ſerui-
lis,
oder eine ſclaviſche Nachaͤffung.


Jch ſehe eine neue Einwendung voraus. Man
wird mir ein in meinen Schluͤſſen begangenes
noch anderes Sophiſma beymeſſen, naͤmlich ei-
ne fallaciam a dicto ſecundum quid ad dictum
ſimpliciter.
Horaz rede nur von ſclaviſchen
Nachaͤffern; ich aber mache alle Nachahmer
zu einem ſclaviſchen Vieh. Jch behaupte dage-
gen: Horaz rede gar zu uneingeſchraͤnkt: O imi-
tatorum ſeruum pecus!
welches man ja nicht
ſuͤglicher uͤberſetzen kann, als entweder nach den
Worten: O du knechtiſches Vieh derer Nach-
ahmer!
oder aber nach den Gedanken: O ihr
ſclaviſchen Nachaͤffer anderer!
Er will alſo,
ſo viel ich einſehe, es nicht untaxirt laſſen, wenn
man ſich einen andern, wer es auch ſey, zum
Muſter genauer Nachahmung vorſetzet. Es
ſey entweder affectirt, wenn man einen andern
imitire; oder dem andern ungelegen, wenn er
ehrgeizig ſey: Alſo praͤtendire er, daß man ihn
wol bewundern, aber nicht nachahmen ſolle.
Nun fragen wir Reim-Schmiede und kriechende
Poeten nichts darnach, ob unſere Nachahmung
anderer
[165]de arte poëtica.
anderer affectirt herauskomme, oder die Origi-
nale, denen wir nachahmen, ſichs fuͤr einen
Schimpf achten, daß, anſtatt ihnen nachzuflic-
gen,
wir ihnen nachkriechen, mithin von der
Nachahmung derſelben weit ab ſind; aber die
erhabenen Poeten bekommen doch dadurch ihre
Lection, daß, wenn ſie ſich zu genau an irgend
eines Poeten Muſter baͤnden, ſollte es auch ſelbſt
Horaz ſeyn, ſie ein ſeruum pecus imitatorum
ſeyn wuͤrden.


Noch ein Sophiſma ſcheinet hinter meiner
Dollmetſchung von den angefuͤhrten Worten
des Horaz
zu ſtecken. Man nennet das ein
Sophiſina in diuiſione, wenn man diejenige
Idee zum praedicato einer Propoſition referiret,
die zum ſubiecto haͤtte geſchlagen werden ſollen.
Alſo ſey hier der Satz eigentlich dieſer nicht:
Imitatores ſunt ſeruum pecus. Denn ſo waͤ-
re die Idée eines ſerui pecoris das praedica-
tum
von dem ſubiecto, oder imitatoribus; ſon-
dern eben dieſe idea: pecus ſeruum, gehoͤre,
als eine Neben-Jdee, ja als eine idea limitans,
zum ſubiecto, naͤmlich imitatorum, ſo daß Ho-
raz ſo viel ſagen wollen, als: Illi imitatores,
qui ſunt ſeruum pecus, ſunt reprehendendi.

Aber auf dieſe Art haͤtte Horaz das ganze prae-
dicatum
verſchlucket. Denn wenn ich nun
ſpraͤche: O ihr ſclaviſchen Nachaͤffer anderer!
O ihr plumpes Vieh bey Nachahmung anderer!
So waͤre es doch keine vollſtaͤndige Propoſi-
tion,
wo man nicht zu dieſem ſubiecto wenig-
L 3ſtens
[166]Widerlegung des Horaz.
ſtens in mente ein ſubiectum ſupplirte. Wer
kann uns aber dafuͤr gut ſeyn, ob Horaz die J-
dee ſeruum pecus habe als eine acceſſoriam et
reſtringentem ſubiecti,
naͤmlich imitatorum,
angeſehen wiſſen wollen; oder ob er nicht viel-
mehr den Satz im Kopfe gehabt: Vos imita-
tores eſtis ſeruum pecus.
Jhr Nachahmer
ſeyd ein ſclaviſches Vieh.
Haͤtte er dieſes ſa-
gen wollen: So iſt mein Schluß richtig: Sind
alle Nachahmer ein ſclaviſch Vieh, alſo auch
die Nachahmer des Horaz poetiſcher Dicht-
Kunſt.
Und gewiß, es laͤßt ſich kaum einer
imitiren, wo man ſich nicht in Gedanken an
ſeine Stelle
ſetzet, ihm auf dem Fuße nachgehet,
und ſeinen Character auszudruͤcken ſuchet. Die-
ſes habe ich mir nun, in Anſehung ihrer poeti-
ſchen Meiſterſtuͤcke, meine Herren, zu thun vor-
genommen, wenn gleich Horaz mich hundert-
mal ein ſeruum pecus hieſſe!


Siebentes Probeſtuͤck.
Etliche, nach den Regeln der Reimſchmiede-
Kunſt und kriechenden Poeſie gefliſſentlich
eingerichtete, poetiſche Meiſterſtuͤcke.


Vorerinnerung.


Jch haͤtte von Rechts wegen bey E. loͤblichen
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft annoch zwey poeti-
ſche Proben
uͤberreichen ſollen, darunter die ei-
ne ein Knittel-Gedichte, oder Hans-Sachſen-
Poeſie,
die andere ein ſpecimen von kriechen-
der
[167]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
der Poeſie geweſen waͤre. Weil ich aber, bey
den ſechs vorhergehenden Probeſtuͤcken, ſchon ſo
viel Arbeit und Zeit-Aufwand gehabt: So iſt
der Secretair obiger Geſellſchaft fuͤr mich por-
tirt geweſen, und hat in Vortrag gebracht:
Daß die beyden poetiſchen Meiſterſtuͤcke, die ich
hierdurch uͤberliefere, per imputationem mora-
lem
dafuͤr angenommen werden moͤgten, als
wenn ich ſie ſelber aufgeſetzt.


Das erſte iſt ein Knittel-Gedicht, welches
gewiß einer muß gemacht haben, der kein ge-
meiner Reim-Schmied
geweſen. Es ſind faſt
alle Regeln der Reimſchmiede-Kunſt und krie-
chenden Poeſie mit Fleiß darinn angebracht,
und lautet, wie folget:


Wenn mich etwan Unmuth und Grillen

Daheime wollen plag’n und trillen:

So pfleg ich dann ganz ſaͤuberlich

Auf das Land zu erheben mich,

Vergeß daſelbſt das widrig Gluͤck

Und mein leidiges Geſchick,

Welche ſind Geſchwiſter Hur-Kinder,

Martern mich alle beyd’ nicht minder,

Laſſen mich ſtehn, woll’n mich nicht dingen,

Laſſen mirs in keinem Stuͤck gelingen;

Sondern plagen und nagen mich baß,

Als wenn ich waͤr ein Raben-Aas.

Wenn ich nun ſo daran gedenk,

Fehlt wenig, daß mich nicht erhenk;

Jedoch, weil es verbothen iſt,

Auch nicht fein ſtehet, wenn ein Chriſt

Jſt aufgeknuͤpft mit einem Strang,

Und haͤngt ſo da die Laͤnge lang:

So bleibe ich denn immer leben,

Thu mich zu gut’n Freund’n begeben,

L 4Sowol
[168]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Sowol in als auſſer der Stadt,

Wie ſich noch neulich begeben hat,

Daß ich drauß’n in Loſchowitz

Hielt ein Paar Tage meinen Sitz,

Und fuhr darnach wieder zuruͤck

Mit einer Schiffs-Frau kurz und dick,

Jſt vielen Leuten wohl bekannt,

Wohnt drauſſen an der Elben Strand.

Sie erzehlet mir manch alte Maͤhr,

Als wenn es geſtern geſchehen waͤr,

Sprach unter andern auch zu mir:

Jch ſollt anitzt zuſehen hier,

Wie der Elb-Fluß da waͤr ſo klein,

Als er wol moͤgt geweſen ſeyn,

Da wir gehabt die blaue Noth,

Zu viel Fleiſch und zu wenig Brod:

Meynt, da die Schweden hier geweſen.

Thaͤt ferner den Planeten leſen,

Sagt: Es waͤr ein ſo truckner Sommer,

Macht Schiff- und Muͤllern großen Kommer,

Auch andern ehrlichen Leut’n mehr.

Ein boͤs Zeichen muͤßt regieren ſehr,

Etwan Saturn, od’r Scorpion,

Daß der Gift fiel herab davon.

Der Mond haͤtt auch viel ſchlimm Ausfluͤß,

Wie ihr Calender gaͤb Zeugniß,

Verkuͤndigte viel Wunder-Dinge,

Daß der Himmel voll Jammer hienge.

Von Krieg, Peſt, theurer Zeit und Tod

Waͤr duͤrrer Somm’r gewiß ein Bot,

So auch kleine Waſſer prophezey,

Welches ſie oft erfahren frey;

Und macht davon ſo viel Gerede,

Daß ich dacht: Haͤtte dich der Schwede!

Sie iſt gleich alſo vielen Leuten,

Die meynen, gleich muß was bedeuten,

Wenn Hunde heulen, Katzen mauen,

Oder dicke Nebel zu ſchauen,

Wenn
[169]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Wenn Winde wehn und regnet viel,

Wenns Waſſer waͤchſt, ſteigt uͤbers Ziel,

Wenn Sonn und Monden etwan roth,

Legen ſie’s aus von Krieg und Tod;

Wenn Wolken wunderlich gethuͤrmt,

Alsdenn viel Ungeluͤck herſtuͤrmt;

Wenn etwan auftrit ein Comet,

Mit ſeinem Schweif gar praͤchtig geht:

So ſchreyen ſie gleich aus Mirakel,

Guck’n in Gottes Tabernakel,

Halten alles fuͤr Wunder-Zeich’n,

Denk’n die Deutung zu erreich’n.

Da ſolche Thoren beſſer thaͤten,

Laͤſen Moſen und die Propheten,

Auch der Evangeliſten Schaar,

Die koͤnnen beſſer ſagen wahr,

Die ſprechen: Wenn herrſcht Suͤnd und Schand:

So ſtrafe Gott ein ſolches Land.

Wo man ab’r leb in Ehrbarkeit:

So ſchon uns Gott mit Plag und Leid.

Das iſt die rechte Prophezey;

Das andre iſt nur Phantaſey,

Das alte Weib’r, Kinder und Gecken

Jn ihrem Kalbs-Gehirne hecken,

Und plagen damit ehrlich Leut,

Wie mir geſchehn zu dieſer Zeit:

Denn ich mußt ſolches mehr anhoͤren,

Bis wir thaͤten zu Lande kehren,

Da mußt ſie ſchweigen wider Will.

Wie es denn giebt der Weiber viel,

Die immer in das Gelag nein waſchen,

Und brauch’n alſo ihre Maul-Taſchen,

Daß man davon wird als wie taub,

Jn die Haͤnd mir kommen iſt der Glaub.

Darum ſpricht jener weiſe Mann:

Daß der ſtark ſey, ſo ſchweigen kann.

Auch Syrach und Fuͤrſt Salomon

Schreiben mit Fug und Recht davon:

L 5Daß
[170]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Daß die Zung zwar ein kleines Ding,

Daran doch’s Menſchen Wohlfahrt hieng.

Mancher hat erobert Thurm und Mauren,

Muß letzt um ſeine Zunge trauren.

Drum Schwatzen und Plaudern bringt Elend;

Schweigen hat niemals einen geſchaͤndt.

Sonderlich das lieb und ſchoͤne Geſchlecht

Weiß ihre Zung zu brauchen nicht recht:

Plappern, plerren, waſchen und reden,

Wenn ſie mit Schweigen beſſer thaͤten.

Doch giebt es auch gar viele Maͤnner,

Die von ihrer Zung nicht ſeyn Herr,

Machen viel Wort, und ſagen nicht viel,

Die taug’n nicht ein’n Birnen-Stiel.

Als ich nun ſo erloͤſet war

Von dieſer augenſcheinlich Gefahr,

Zu verlieren auf eines mein Gehoͤr,

Wenn die Fahrt haͤtt gedauret mehr:

So gieng ich heim in meine Stube,

Da kam zu mir mein Knecht und Bube,

Sprach: Es ſtuͤnd dort an meiner Thuͤr

Ein Mann, der kaͤm ihm ehrlich fuͤr,

Saͤh ehrbar aus, waͤr ſchwarz bekleidt,

Haͤtt eine Krauſe lang und breit,

Mit Seif und Laugen weiß gewaſchen,

Und einen Brief in ſeiner Taſchen.

Jch ließ ihn bald zu mir rein kommen,

Damit ſein Antrag werd vernommen.

Bin nicht, wie viel hochmuͤthig Leut,

Die thun, als haͤtten’s nicht der Zeit,

Thun als was rechts, verſtecken ſich,

Mit ihn’n zu ſprechen iſt ſchwerlich;

Machen ſich gar groß und viel zu ſchaffen,

Und ſind der Vornehmen ihre Affen;

Wollen, als wie die großen Herrn,

Mit jedermann nicht ſprechen gern;

Meynen, es ſey verkleinerlich,

Wenn ſie ſo viel erniedern ſich;

Blaſen
[171]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Blaſen die Backen; ſtrotzen den Ranz;

Denk’n, ſinds ſelber gar und ganz.

Hochmuth und Geiz ſind von den Dingen,

Die jedermann in Abſcheu bringen.

Ein jeder des Hoffaͤrt’gen lacht,

Ob er gleich wird von ihm veracht.

Drum Demuth iſt ein zierlich Tugend,

Schmuͤckt Mann und Weib, Alt’r und Jugend,

Jch mich derſelben auch befleiß,

Verdien damit auch Ehr und Preis.

Obwoln Kayſerlich Majeſtaͤt

Mir unverdient die Gnade thaͤt,

Macht mich durch ein Palatinus

Zus Roͤmiſchen Reichs Notarius.

Bin auch ein kuͤnſtlich Advocat,

Dien meinem Naͤchſten fruͤh und ſpat,

Darf frey bey hieſiger Canzeley

Rechts-Sachen fuͤhren ohne Scheu,

Jſt manchem Kautzen nicht vergoͤnnt,

Ob er ſich gleich die Schuh abrennt.

Doch dieſe Ehren mannigfalt

Verhindern mich in keiner Geſtalt,

Daß ich nicht Demuth lieben ſollt.

Denn was bey Erzen iſt das Gold,

Das iſt die Tugend der Demuth,

Schad niemand, iſt zu vielen gut.

Deswegen, wie ich hab verſtahn,

Daß an der Thuͤre waͤr ein Mann,

Ließ ich ihn alſobald hertreten.

Er kam mit zierlichen Geberden,

Sah aus, als wie ein geiſtlich Ritter,

Es war der Grab- und Hochzeit-Bitter,

Sprach zu mir mit maͤnnlicher Stimm:

Mein Herr Notarius, vernimm,

Wie ich anitzt bin hergeſandt

Von Braut und Braͤut’gam, wohlbekannt,

Bitten ſich aus ſeine Beywohnung,

Wenn man ſie fuͤhret zur Trauung;

Darnach
[172]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Darnach ſoll er nebſt andern Gaͤſten

Mit Speis und Trank ſich weidlich maͤſten:

Denn in des Rathes Breyhan-Haus

Wird zugericht ein Hochzeit-Schmaus;

Kann dabey luſtig lachen und ſcherzen,

Die Jungfern, wenn ſie wollen, herzen;

Machen auch ſonſten gute Schwier,

Trink’n guten Wein und friſches Bier,

Das man herbringt von Gavernitz,

Loͤſcht aus den Durſt, vertreibt die Hitz,

Und was er ſagte noch vielmehr,

Der Ehre mich bedankte ſehr,

Ließ machen ein ſchoͤn Compliment,

Wie Braut und Braͤut’gam wohl bekennt.

Darauf ſo fiel mir jaͤhling ein,

Wie ich der Braut, ſo ſchoͤn und fein,

Unlaͤngſt mit Hand und Mund verſprochen:

Daß, wenn ihr Kraͤnzlein werd zerbrochen,

Wollt ich mit Vers und Dichterey

Auch ſchmuͤcken ihre Hochzeit frey.

Nun weiß ich wol zu dieſer Friſt,

Was ehedem geſchehen iſt:

Wie ich mir vormals eingebildt,

Als koͤnnte ich gar huͤbſch und mild

Die Wort in Vers und Reime zwingen,

Und ſchoͤn Poeterey vollbringen;

Wie ich denn in mein juͤngern Jahren,

Ob ich der Sach gleich unerfahren,

Reimte die Laͤnge und die Queer,

Meynt was fuͤr ein Poet ich waͤr,

Hielt mich fuͤr Phoͤbus Spieß-Geſellen,

Dacht, ich koͤnnt fein Gedichte ſtellen.

Wie denn inſonderheit die Jugend

Hat dieſes Laſter und Untugend,

Vermeynen, alles zu verſtehn,

Und habn die Sache kaum geſehn,

Bildn ſich gar groß Dinge ein,

Wollen gelehrt und altklug ſeyn,

Protzen,
[173]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Protzen, prangn und bruͤſten ſich,

Denken, alle Leut itzt ſehn auf dich.

Und ſo gehts zu in allen Staͤnden,

Wo wir uns in der Welt hinwenden,

Jeder denkt, er habs erwiſcht,

Da man ihn heimlich doch ausziſcht;

Man lacht geheim ins Faͤuſtgen nein,

Daß Thoren meynen klug zu ſeyn:

Denn Weisheit wird bey ihn’n geacht,

Als kaͤm ſie ohnvermerkt die Nacht,

Wenn ſie dort ſchnarchen, ſchlafn und raſtn,

Und kroͤch in ihrn Narren-Kaſtn,

Als wie eine Maus in eine Fall,

Mach ſie verſtaͤndig uͤberall.

Und dieſes iſt die wahr Urſach,

Warum ich keinen Vers mehr mach:

Denn ich trag daran keinen Zweifel,

Was ich dicht, taugt nichts, wie der Teufel.

Bin nicht, wie manche junge Laffen,

Die, gleich als die poßirlich Affen,

Halten ihr Kind fuͤr huͤbſch und fein,

Da es doch nur Meer-Katzen ſeyn.

Jedoch, weil Wort und Zuſag halten

Gar wohl anſtehet Jung und Alten:

So hab ich dieſes ausgedacht,

Und einen Bogen voll gemacht.

Schickt ſichs nicht gut: So reimt ſichs doch.

Jch hab viel mehr geſehen noch,

Das ſich noch wenger reimt und ſchickt,

Und wird doch immer hingedruͤckt.

Jch meyn, ſoll gut genug noch ſeyn,

Den Bratn huͤbſch zu wickeln drein,

Auch Kuchn und Aepfel einzupacken,

Und das Confect hinein zu ſacken;

Weil doch von meiſtn wird gedacht,

Daß man darzu die Reime macht.

Das macht, ihr Haupt iſt wuͤſt und leer,

Wie es bey der Erſchaffung waͤr;

Daher
[174]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Daher haben ſie nur Spott daran

Mit Sachen, die ſie nicht verſtahn.

Doch, wenn ich laͤnger ſchreib Moral,

Schreib ich von hier bis Portugal,

Und auch noch wol eine Ecke druͤber,

Weil mir darob kommt an das Fieber,

Und werde ich gar ſehr erboſt,

Wenn mir ſo ein Laßduͤnkl aufſtoßt,

Meynt, er hab all Weisheit gefreſſen,

Da andre Leut doch mehr vergeſſen,

Als er, ſein Vatr und ganz Geſchlecht

Habn ihr Tage gelernet recht.

Doch hier will ich nunmehr abbrechn,

Und letzlich ein fein Wuͤnſchlein ſprechn,

Thu mich daher gar zierlich wenden

Mit Hofmaͤnniſch gefaltnen Haͤnden

Zur lieben Braut und Braͤutigam,

Die heut beginn’n einen neuen Stamm,

Und fangen an nun Haushaltung,

Sind zufrieden mit Gottes Schickung,

Der ſie zuſammen hat gebracht,

Wie ers mit Ev’ und Adam macht.

Jch hoff, ſie ſollens auch ſo machn,

Und nicht vergeſſen Scherzn und Lachn,

Wie Jſaac thaͤt mit Rebecca,

Als man von ferne ihm zuſah.

Jch wuͤnſch daher an dieſem Tag:

Daß ganz abweich all Noth und Plag;

Hingegen moͤge Gottes Segen

Auf ihr Haus und die Jhr’gen regen,

Und zwar ſo haͤufig und Brets-dick,

Daß alles Boͤs davon erſtick;

Der Neid mit ſeinen gift’gen Laffen,

Der mache ihnen nichts zu ſchaffen;

Der Himmel laß ihr Thun gelingen,

Daß ſie Frucht hundertfaͤltig bringen;

Und obſchon um ein großes minder,

Schadt nicht, weil nicht gut ſeyn viel Kinder,

Sie
[175]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
Sie plappern, ſchreyn, kluchzen und ſchnarr’n,

Daß man moͤgt werden faſt zum Narr’n,

Sie machen den Kopf wuͤſt und toll,

Wenn davon das Haus gar zu voll.

Drum wen’g und gut iſt ein Sprichwort,

So itzo auch anher gehort.

Daher an dieſen Hochzeit-Tagen

Wuͤnſch ich es auch mit Herz und Magen

Und meinem ganzen Eingeweid:

Der liebe Gott geb ſtete Freud!

Gewiß, es kommen in vorſtehendem Hans-
Sachſen-Gedichte
artige Treffer vor, und laͤßt
ſich mit Luſt leſen. Uebrigens habe nachgedacht,
warum man wol dergleichen Gedichte Knittel-
Verſe
nenne? Kaͤme die Bedeutung vom Wor-
te Knittel: So hat man zwey Spruͤch-Woͤr-
ter
in der deutſchen Sprache, die ſich darauf in
etwas appliciren laſſen. Das eine lautet:
Wenn man mit Knitteln unter die Hunde
wirft, weldet ſich der getroffene. Das heißt
in hypotheſi: Man kann in Knittel-Reimen
einen ſo gut railliren, als in einer foͤrmlichen
Satyre.
Hiernaͤchſt iſt ein ander Spruͤch-
Wort: Der Knittel iſt nicht weit vom Hun-
de. Denn man laͤßt ſie oft mit einem Knittel
am Halſe
laufen. So hat denn auch ein ſcher-
zender Poete
ſeinen Knittel am Halſe, das iſt,
er muß nicht aus den Schranken eines Dich-
ters gehen, damit er nicht auf die Finger geklop-
fet werde.


Nun fuͤge ich noch das andere Meiſter-Stuͤck
hinzu, welches ein, à deſſein, nach den Regeln
der
[176]Poetiſche Meiſterſtuͤcke.
der kriechenden Poeſie, von einem unſerer Mit-
glieder, dem kleinen Schlangen-Kopfe, auf-
geſetztes Lob-Gedichte auf den Knobloch iſt,
ſamt einer, in Hans-Sachſen-Reimen verfer-
tigten, Zueignungs-Schrift ſothanen Lob-Ge-
dichtes an Tit. Hn. D. Knobloch, vornehmen
Rechts-Conſulenten und beruͤhmten Dichter in
Zittau, auch, dem Vernehmen nach, ernannten
Krieges-Rath,ſed neſcio vbi? Jch habe nicht
die Ehre, ihn von Perſon, ſondern nur aus ſeinen
haͤufigen Gedichten zu kennen. Er wird es nicht
uͤbel nehmen, daß, da wir dis ganze Werkgen der
preiswuͤrdigen Freymaͤurer-Geſellſchaft in Ber-
lin
dediciret, wir dis letzte Gedichte ſeinem poeti-
ſchen Namen beſonders weihen. Nach der ſehr
guten Meynung, die ich inſonderheit von ihm ha-
be, und nach dem eingefuͤhrten Gebrauch E. Loͤbl.
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, habe ich, in meiner
Eintritts-Rede, ihn, nebſt noch zweien andern
wuͤrdigen Poeten, vorgeſchlagen, alle drey zu erſu-
chen, in unſere kurzweilige Geſellſchaft zu treten.
Sollte ich nun mit meinem wohlgemeynten Vor-
ſchlage, wie man ſpruͤchwortsweiſe redet, den bloſ-
ſen ſchlagen:
So wuͤrde ich daruͤber ſehr erroͤthen.
Wir hoffen daher, er werde Scherz und Ernſt zu
diſcerniren wiſſen, und uns auf dieſe oͤffentliche
Einladung
einer Antwort wuͤrdigen, oder ſolche
an den, bey der erſten Dedication ſich nennenden,
Secretair unſerer Geſellſchaft uͤberſenden. Jch
rede ihn, im Namen eines meiner getreuen Mitge-
huͤlfen, alſo an:



[177]

Kunſtbewaͤhrtes Quodlibetiſches
Lob-Gedichte
auf den Knobloch,

ein,
ſonderlich bey Juden, hochgehaltenes
Kraͤutrig.

Samt
einer Zuſchrift
an
(S.T.)Herrn D. Knobloch,
weltberuͤhmten Poeten und hoch-
beſtallten Krieges-Rath,

aufgeſetzt
in kunſtreichen Hans-Sachſen-Reimen
von
Hans Reimſchmidten,
Baccalaureus in der Dicht-Kunſt.

Freyberg, 1742.


M
[178]

Ganz gehorſamſte Zuſchrift
an
den weltberuͤhmten Poeten und hoͤchſt
gluͤcklichen Reim-Erfinder,
auch hochbeſtallten Krieges-Rath,
(S. T.)Herrn Doctor Knobloch,
aus Zittau;

in
vormals beliebten,
nunmehro
aber altfraͤnkiſchen, Hans-Sachſen-Reimen,
demuͤthigſt abgefaßt
von
Hans Reimſchmidt, aus Sachſen,
gekroͤnten Baccalaureus in der Dicht-Kunſt.



Du in der Reim-Kunſt großer Mann!

Du Erz-Poete unſrer Zeiten!

Haupt-Dichter! welchem ich nicht kann,

Noch will, den Ehren-Ruhm abſtreiten;

Jch, ja ich armer Coridon,

Such einen großmaͤchtgen Patron;

Lies hier mein Knoblochs-Lob-Gedicht,

Jch habe es an Dich gericht,

An Sie, Herr Kriegs-Rath, wollt ich ſaan.

Nun geht mein rechtes Reimen an,

Nach des Hans Sachſens guter Art,

Die ſonſten hochgehalten ward.

Es
[179]Zuſchrift.
Es fließt mir da beſſer mein Vers,

Als hochtrabend, mir glaube Ers.

Herr Doctor, ich gaͤb alles weg,

Wenn jemand mir zeigte den Steg,

So ſchoͤn zu reimen, als mein Herr:

Denn ich trage laͤngſtens groß Ver-

langen, als Baccalaureus

Der Dicht-Kunſt, die ich ruͤhmen muß,

Daß ich etwas von Seiner Kunſt

Nachmachen koͤnnte, ohne Dunſt.

Herr Doctor, Kriegs-Rath, ich es wag,

Weil man mir oftermals geſagt,

Man ſoll ein Muſter nehmen vor

Von Jhm, ich ſag es Jhm ins Ohr.

Jch hab mir Seine Vers gekauft,

Und manches alhier umgetauft,

Das iſt, ich bringe vieles an,

Davon ich nicht verſchweigen kann,

Jch habe es von Jhm geborgt;

Nun habe ich dabey beſorgt,

Jch, Dichts-Kunſt-Baccalaurcus,

Moͤgt heiſſen Plagiarius,

Das heißt, der aus den Schriften ſtiehlt,

Unds fuͤr ſeine Arbeit ausgiebt;

Damit mirs nun nicht auch ſo geh:

So ſag ich Jhme, ſonder Weh,

Was guts an meinm Gedichte iſt,

Das dank ich Jhm zu jeder Friſt.

Nur hab ich auch aus meinem Kopf,

Um nicht zu ſeyn ein armer Tropf,

Etwas eigenes zugethan,

Er ſeh es nur, Herr Doctor, an.

Jch bin auch ſchluͤßlich im Gemuͤth

Sein willger Diener


Hans Reimſchmied.


M 2Quod-
[180]
Quodlibetiſches
Lob-Gedichte auf den Knobloch,
ein Kraͤutrig,

das ſonderlich die Juden ſehr gernè
eſſen.
1.
Knobloch ſchmeckt gut, bey meiner Seel:

So ſprach juͤngſt Mauſchel Jſmael;

Er ſtank nach Knobloch, wie ein Bock,

Jn ſeinem abgeſchabten Rock.

Er kam aus dem entlegnen Polen,

Sich bey uns; nein, aus Halberſtadt,

Recht guten Knobloch abzuholen,

Weil man da ſolchen oͤfters hat.

2.
Knobloch ſchmeckt kauſch, ich bleib dabey:

So machte Eſther ein Geſchrey,

Des Rabbi Großbarts Eheweib;

Ja, ſie ſchrieb den hochſchwangern Leib

Der Kraft des edlen Knoblochs-Krautes

Jm Ernſte zu, und ſprach: Da kaut es,

Es ſchmeckt wie ſuͤße Marcipan,

Mir iſts ſo lieb, als wie mein Mann.

3.
Hier that nun zweyer Zeugen Mund

Des Knoblochs Lob mir erſtlich kund.

Jch haͤtte ſonſt nicht dran gedacht;

So aber hatt ich darauf Acht.

Jch konnt ein Thema nicht erfinden,

Denn alles war ſchon durchgereimt;

Jch ſaß gleich unter Leipzigs Linden,

Man hatte Verſe angeleimt:

4. Zu
[181]Lob des Knoblochs.
4.
Zu wiſſen, (ſo war es geſetzt)

Daß, welcher ſeinen Witz gewetzt,

Und auf den Knobloch ein Gedicht

Aufſetzet, das gut eingericht,

Dem geb ich dafuͤr zwey Ducaten,

Nebſt einem fetten Schweine-Braten,

Den habe ich ſchon zugeſchickt,

Und iſt mit Knobloch wohl durchſpickt.

5.
Halt! zwey Ducaten, dachte ich,

Sind ſchon der Muͤh werth, ſicherlich,

Daß man dafuͤr den Knobloch lobt,

Wenn gleich der Neid dawider tobt.

Man giebet heut fuͤr ein Gedicht

So leichte zwey Ducaten nicht.

Ein Braten geht noch oben drein,

Gewiß, der ſchmecket auch ganz fein!

6.
So thu ich denn dagegen kund,

Und ſchwoͤre hier mit Herz und Mund:

Woferne niemand mich abſticht:

So geb ich dies mein Lob-Gedicht

Vom Knobloch fuͤr zwoͤlf ganze Batzen;

Denn zwey Ducaten iſts nicht werth,

Nur wird der aus der Schul nicht ſchwatzen,

Der mir ſo weniges verehrt.

7.
Nun geht das Lob vom Knobloch an:

Der Knobloch ſtaͤrket Frau und Mann;

Der Knobloch iſt dem Magen gut;

Der Knobloch machet friſchen Muth;

Der Knobloch taugt bey jedem Eſſen;

Den Knobloch ſoll man nicht vergeſſen;

Der Knobloch ſtinkt, und nutzt doch ſehr,

Der Knobloch iſt in großer Ehr.

M 38. Er-
[182]Nachſpiel.
8.
Erregt euch ein Proceß die Gall,

Der Knobloch hilft euch uͤberall.

Haͤtt ein jung Weibgen gern ein Kind,

Der Knobloch hilft dazu geſchwind.

Hat einer Grimmen in dem Bauch,

Der Knobloch hilft dawider auch.

Der Knobloch hilft zu allen Sachen,

Und auch ſogar zum Verſemachen.

Nachſpiel,
oder
Kurze Nachricht von den Ceremonien
bey Aufnahme
eines neuen Candidaten oder Candidatin
in die Hans-Sachſen- und Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft allhier.


Nachdem ich vorſtehende ſieben Probeſtuͤcke
uͤberreichet, und E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-
Geſellſchaft
ſolche ein acht Tage in Deliberation
gezogen: So wurde mir, zur wirklichen Auf-
nahme, gerade der Tag angeſetzt, den die Geſell-
ſchaft hochfeyerlich begehet, weil ihr erkohrnes
Oberhaupt, der weyland beruͤhmte deutſche Poe-
te, Hans Sachſe, an ſolchem Tage ehedem gebo-
ren
worden, deſſen Ehren-Gedaͤchtniß, unter ei-
ner eigenen Compoſition, ſowol beym Anfange
als Schluß der Aſſemblée, vornemlich durch ge-
meinſame Abſingung
des folgenden, ihm zu Ehren
gefertigten, Liedleins, bey uns celebrirt wird.
Wir
[183]Nachſpiel.
Wir haben einen eigenen Marſch darauf com-
poniren laſſen; es kann aber auch nach der Me-
lodie des erbaulichen Morgenliedes: Wie ſchoͤn
leuchtet der Morgenſtern am Firmament des
Himmels fern, ꝛc.
geſungen werden, und lautet
alſo:


Hans Sachs! Hans Sachs ſo loͤbelich,

Jſt uns geboren ſaͤuberlich

Von ſeiner Mutter heute.

Unſer lieber Froſchmaͤuſeler

War ein Poet, fuͤrtrefflicher,

Als wir verdorbne Leute.

Zucket, ducket!

Jhm zu Ehren laßt uns hoͤren;

Holt die Leyer,

Auch die Sackpfeif zu der Feyer!

Nach beſchehener Abſingung wurden mir Hans
Sachſens Buͤcher,
nebſt dem Froſchmaͤuſeler,
in Schweins-Leder eingebunden, vorgeleget. Jch
mußte von der einen Ecke des Bandes uͤber die an-
dere mit dem Daumen und kleinen Finger hinweg
ſpannen, ob ichs uͤberſpannen koͤnnte. Weil
aber niemand die Hand ſo weit ausdehnen kann:
So muß jedes Mitglied bey der Aufnahme angelo-
ben, daß, ſo wenig er dieſe Buͤcher uͤberſpannen
koͤnne, ſo wenig wolle er aus den Schranken der
Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie
weichen.


Darauf wieſe man mir die Froſchmaͤuſeler-
Bibliothec,
darinn lauter Scribenten in proſa
und ligata vorkommen, die etwas kriechendes,
M 4oder
[184]Nachſpiel.
oder auch Hans-Sachſiſches, an ſich gehabt; da
denn manche große Namen, wegen gewiſſer
Froſchmaͤusleriſcher Stellen, ſo in ihren Schrif-
ten ſtehen, mit in ſolcher Bibliothec, jedoch in einem
beſondern Repoſitorio, zum Zeichen, daß ſie in
den uͤbrigenChapitren ganz von uns abgingen,
zu finden waren. Weil mir nun Vorhaltung
geſchahe, daß ich, durch Ausſprechung des Na-
mens: Briontes der Juͤngere, wie auch durch
etliche Paſſagen, zu Anfange des fuͤnften Pro-
beſtuͤckes,
ein jetzig Mitglied dieſer Geſell-
ſchaft
zu merklich verrathen, jedoch wegen des re-
cipirten Wahlſpruchs: Honny ſoit, qui ſe chan-
ge!
die Sache nicht mehr zu aͤndern und zu cor-
rigiren ſtehe: So verſtand ich mich zu einem ſelbſt-
beliebigen Beytrage, zu Augmentirung ſothaner
Bibliothec.


Nach dieſem ward, aus der Naturalien-Kam-
mer,
ein mit einer Maus zuſammengewachſener
Froſch gebracht, als ein recht natuͤrlich Ebenbild
der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. Jch mußte
ſolche in die rechte und linke Hand nehmen, zum
Zeichen, daß ich angelobte, lebenslang gut froſch-
maͤusleriſch
geſinnet ſeyn zu wollen. Denen ein-
tretenden Frauenzimmern wird noch eine andere
Curioſitaͤt
zur Beruͤhrung vorgelegt, davon ein
mehrers, wenn unſere Amarinthede Feaux-
Eſprit
ihre Probeſtuͤcken in Druck geben wird.
Jch weiß alſo nichts mehr hinzu zu fuͤgen, als mei-
nen Leſern noch zu ſagen: Si vales, bene eſt, ego
valeo!



[[185]]

D. P.
Zwey hundert
Waximen
von
dem geſunden Witz
und guten Geſchmacke

in
allen Theilen der Gelehrſamkeit,
wie auch
D. I. E. P.
Vier und zwanzig
Louverts,

als ein
Gratial fuͤr den Herrn Baumeiſter
des Tempels
vom guten Geſchmacke.

Egregiam vero laudem, et ſpolia ampla refertis
Tu, templumque tuum, magnum et memorabile no-
men!

(virgil. 4. Aeneid.)


Freyſtadt, 1743.


[[186]][[187]]

Dem
Wohl-Edlen und Kunſt-
erfahrnen Herrn,
Herrn

Critico Incognito,
weitberuͤhmten
Baumeiſter des Tempels
vom guten Geſchmack,

widmen
nachſtehende
zwey hundert Maximen

und
vier und zwanzig Couverts,
als ein beſcheiden Eſſen,



Deſſen gute Freunde,
Cordatus Pallatin, und
Hans Carl Gutſchmecker.


[[188]]

Zwey hundert
Regeln und Maximen
vom
geſunden Witze, dem Wohlklange
und guten Geſchmacke.



Erſtes Hundert.


  • I.
  • Ein geſunder Witz, oder bon ſens, der
    Wohlklang und gute Geſchmack koͤnnen
    nie von einander getrennet werden; ſon-
    dern ſind drey Schweſtern, die ſich einander
    freundlich herzen.
  • II. Der bon ſens, oder geſunde Witz, be-
    urtheilet, was wohl klinge, und gut ſchmecke.
    Wenn nun etwas mit dem guten Geſchmacke
    und dem Wohlklange uͤbereinkoͤmmt: So kann
    man ſicher auf den vorhandenen geſunden Witz
    ſchlieſſen.
  • III. Wer eine Sprache aus dem Grunde ver-
    ſtehet, der hoͤret gleich, ob eine Redens-Art gut
    klinge;
    ſein zartes Gehoͤr beurtheilet alſofort,
    was falſch und unrein iſt. Eben ſo iſt der ge-
    ſunde Witz der genaue Aufmerker, ob etwas
    dem Wohlklange und guten Geſchmacke gemaͤß
    ſey, oder nicht.
  • IV. Der geſunde Witz iſt hauptſaͤchlich eine
    Gabe der guͤtigen Natur; doch kann er durch
    die Wiſſenſchaften und den Umgang mit beaux
    Eſprits,
    [189]Zwey hundert Maximen ꝛc.
    Eſprits, oder ſcharfſinnigen Koͤpfen, und Leſung
    ihrer Schriften, mehr poliret werden.
  • V.Der geſunde Witz ſiehet auf die Rich-
    tigkeit der Gedanken; der Wohlklang auf
    deren netten Ausdruck; der gute Geſchmack
    auf die daher entſtehende Ruͤhrung des Her-
    zens.
  • VI. Die Wahrheit, und der Geſchmack der-
    ſelben, ſind zwey gar unterſchiedene Dinge. Jſt
    nun der Geſchmack verdorben: So wird einem
    das Wahre fuͤr falſch, und das Falſche als wahr
    vorkommen.
  • VII. Ein wirkliches Gut, und die Empfin-
    dung oder der Geſchmack eines wahrhaften Gu-
    res, iſt ebenfalls von einander oft weit unter-
    ſchieden. Die verkehrten Leidenſchaften des
    Herzens, und die vorgefaßten Meynungen eines
    unaufgeklaͤrten Verſtandes, machen, daß man-
    chem das wahre Gute gar nicht nach ſeinem Ge-
    ſchmacke iſt.
  • VIII. So weit die Menſchen in den Gemuͤths-
    Neigungen von einander unterſchieden ſind: So
    weit gehen ſie auch im Geſchmacke von einander
    ab. Was daher nach dem Geſchmacke eines
    Narren
    iſt, das wird einem weiſen Manne ei-
    nen Ekel verurſachen; und was dem Weiſen
    gut ſchmeckt, das wird einem Thoren uͤbel zu
    verdauen ſeyn.
  • IX. Die Liebe, der Haß und die Gleichguͤl-
    tigkeit haben einen großen Einfluß in den Ge-
    ſchmack. Eben der Einfall, der nach eines guſto
    iſt,
    [190]Zwey hundert Maximen
    iſt, weil er von einem Freunde oder angeſehenen
    Manne, herruͤhret, wuͤrde ihm unſchmackhaft
    vorkommen, wenn ihn ſein Feind oder ein un-
    angeſehener Mann vorgebracht haͤtte.
  • X. Manche Schriften der Gelehrten, die das
    Ungluͤck haben, in uͤblem Rufe zu ſtehen, wuͤr-
    den fuͤr die herrlichſten Gedanken angeprieſen
    werden, wenn nur ein beruͤhmter Name davor
    ſtuͤnde; hingegen auch wuͤrden viele Schriften
    großer Maͤnner einem anſtinken, wenn ein
    verhaßter Name ſolchen vorangeſetzet waͤre.
    Der Credit, darinn ein Scribent ſtehet, giebt
    oft den ſchlechteſten Gedanken das trefflichſte
    Anſehen.
  • XI. Es iſt etwas ohnmoͤgliches, und eine
    Thorheit, zu verlangen, daß alle Menſchen ei-
    nerley Geſchmack
    haben ſollen. Wie die Na-
    tur einen Unterſchied unter denen Sachen und
    Perſonen gemacht: Alſo auch in dem Geſchmak-
    ke. Daher koͤnnen zwey einen ganz widrigen,
    und doch beyde einen guten Geſchmack haben.
  • XII. Wie derjenige, der gern Saures iſſet,
    darum nicht einen beſſern Geſchmack hat, als
    der gern Suͤßes koſtet, ſondern den einen das
    Suͤße ſo empfindlich ruͤhren kann, als den an-
    dern das Saure; eben ſo kann einer, der ernſt-
    haften Gemuͤthes iſt, mehr Geſchmack an ernſt-
    haften Sachen finden; dagegen dem, der eines
    luſtigen ſcherzhaften Gemuͤthes iſt, die aufge-
    weckten badinirenden Einfaͤlle mehr gefallen.
    Gleichwol kann man nicht ſagen, daß einer von
    beyden
    [191]vom geſunden Witze, ꝛc.
    beyden einen beſſern oder verdorbenern Geſchmack
    habe; ſondern man muß auch hier ſagen: Je-
    des Ding nach ſeiner Art.
  • XIII. Ein durchdringender Verſtand, der
    durch ſchnelle Einſicht das Verdeckte in den Ge-
    danken leicht aufdecken kann, wird an tiefſinni-
    gen bon-mots einen Geſchmack finden, da hin-
    gegen einer, der lange erſt nachdenken muß, bis
    er den rechten Sinn erraͤth, leicht einen Ekel
    daran bekommen wird.
  • XIV. Wo alſo die Natur ſelbſt die Gaben
    des Verſtandes verſchiedentlich ausgetheilt hat,
    muß kein Vernuͤnftiger einen andern in dem ta-
    deln, was ſeinem natuͤrlichen guſto gemaͤß, des
    andern Naturell aber entgegen iſt; vielmehr koͤn-
    nen beyde in ihrer Art einen guten Geſchmack
    haben.
  • XV. Wenn hingegen auf der einen Seite
    eine wirkliche Schwaͤche des Verſtandes iſt:
    So muß der Schwachkoͤpfige und im Denken
    Langſame den nicht tadeln, der mit ſeinem ſchnel-
    len Witze in die Tiefe eines Gedanken flugs
    dringet, die dem andern verborgen bleibt. Der
    Scharfſinnige hingegen muß auch den, der we-
    niger Witz und Geſchmack hat, nicht verachten.
    Denn beydes ſind Talente der weiſen und frey
    ausſpendenden Natur.
  • XVI. Wenn aber des einen Geſchmack aus
    einem Jrrthume oder Laſter herruͤhret, iſt er
    nothwendig verdorben, und alſo tadelnswerth.
    Alſo wenn ein keuſches Gemuͤth keinen Ge-
    ſchmack
    [192]Zwey hundert Maximen
    ſchmack an Zoten, unzuͤchtigen Bildern und
    Stellungen findet, zeiget es einen richtigen gu-
    ten Geſchmack an; einen verdorbenen aber, wer
    ſich an ſolchen Dingen beluſtiget, und damit
    kuͤtzelt.
  • XVII. Es giebt Wahrheiten, die von keinem
    ſonderlichen Gewichte noch Nutzen ſind. Wer
    nun daran einen beſondern Geſchmack findet,
    und ſie denen noͤthigern und nuͤtzlichern Wahr-
    heiten vorziehet, der verraͤth damit ſeinen ver-
    dorbenen Geſchmack.
  • XVIII. Es giebt Kuͤnſte und Wiſſenſchaften,
    die ſich fuͤr gewiſſe Staͤnde und Lebens-Arten
    ſchicken. Wer aber nicht in ſolchem Stande
    lebet, noch dergleichen Profeßion ſich fuͤr ihn ei-
    gentlich ſchicket, gleichwol ſie ſeinem eigenen
    Stande und Beruf vorziehet, der hat einen un-
    richtigen
    Geſchmack. Z. E. wenn ein Fuͤrſt
    wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks-
    Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re-
    geln fuͤr Cabinets-Miniſter ſchreiben: So haͤt-
    ten beyde einen verkehrten guſto.
  • XIX. Wer eines andern Schriften unpar-
    teyiſch beurtheilen will, der komme ja nicht mit
    einem widrigen Affecte daruͤber, wenn der Au-
    tor etwa ſein Feind iſt, oder in keinem großen
    Anſehen ſtehet; ſonſt wird er wenig Geſchmack
    an deſſen beſten Gedanken finden; ſondern, wenn
    er ſeines Feindes Schriften lieſet, thue er, als
    wenn ſie ſein beſter Freund geſchrieben haͤtte.
    Hat ſie aber ſein Freund aufgeſetzt: So thue
    er
    [193]vom geſunden Witze, ꝛc.
    er im Gemuͤthe, als ob er den ſchaͤrfſten Gegner
    vor ſich habe.
  • XX. Wenn einer vor einer Schrift einen
    großen Namen ſiehet: So beſinne er ſich auf
    einen Scribenten, der einen verhaßten Namen
    hat, und thue, als ob ſolcher davor ſtuͤnde.
    Spricht nun ſein Verſtand dennoch das Urtheil,
    daß die Gedanken des Verfaſſers ſchoͤn ſind:
    So wird er ſchwerlich gegen den guten Geſchmack
    pecciren.
  • XXI. Hingegen auch, wenn vor einer Schrift
    ein verhaßter oder verdaͤchtiger Name ſtehet:
    So ſtelle er ſich einen angeſehenen Mann vor,
    als ob der ſolche Schrift gemacht. Giebt nun
    da ſein Verſtand gleichwol den Ausſchlag, daß
    die Gedanken des Verfaſſers mager, ſchluͤpfrig,
    leichtſinnig, unuͤberlegt und ohne bons ſens ſind:
    So wird er ſchwerlich einem unrichtigen Ge-
    ſchmacke folgen.
  • XXII. Einen richtigen Geſchmack zu erhalten,
    muß man zuvoͤrderſt die ſaͤmtlichen Kraͤfte des
    Verſtandes wohl uͤberlegen; denn jede beſondre
    Kraft hat auch einen beſondern Geſchmack.
  • XXIII. Wer von Natur ein Talent zu in-
    genieuſen Einfaͤllen
    hat, deſſen Geſchmack wird
    auch mehr darauf gehen, als auf tiefſinnige ju-
    dicieuſe Wahrheiten. Daher z. E. die Franzo-
    ſen, wegen ihres witzigen Naturels, zu denen
    bons-mots aufgelegter ſind, als die Spanier,
    oder Englaͤnder.

NXXIV.
[194]Zwey hundert Maximen
  • XXIV. Ein ſcharfes iudicium findet mehr
    Geſchmack
    an ſoliden, und durch ſtarke Be-
    weiſe oder Vernunfts-Gruͤnde veſtgeſtellten
    Wahrheiten, als an lebhaften Einfaͤllen eines
    aufgeweckten Kopfes.
  • XXV. Wer ſein Gedaͤchtniß gern mit Auf-
    hebung ſolcher Gedanken bemuͤhet, die andere
    gehabt, der wird mehr Geſchmack an Leſung
    fremder Schriften finden, als ſeinen eigenen Ge-
    danken nachzuſpuͤren.
  • XXVI. Einer, der von Natur eine ſtarke
    Jmagination hat, wird ſelten an ſolchen Wahr-
    heiten einen Geſchmack finden, die per intel-
    lectum purum
    und durch abſtracte Jdeen muͤſ-
    ſen begriffen werden. Er wird uͤberall Bilder,
    und was Sinnliches, ſuchen; wo er das nicht
    antrifft, iſt es ſeinem natuͤrlichen Geſchmacke
    entgegen.
  • XXVII. Solche gluͤckſeligen Koͤpfe, die
    einen ſehr lebhaften Witz, dabey aber auch durch-
    dringendes iudicium und ſtarke Jmagination
    haben, wie z. E. Leibnitz, Wolf, Lock, Neu-
    ton, Carteſius ꝛc.
    beſitzen einen hohen und ſich
    weit erſtreckenden Geſchmack.
  • XXVIII. Ein Gemuͤth, das uͤber alle ge-
    meine Vorurtheile erhaben
    iſt, und nichts fuͤr
    wahr oder gut annimt, als was es durch voͤlli-
    ge Ueberzeugung und uͤbereinſtimmende Erfah-
    rung dafuͤr erkannt hat, beſitzet einen hohen oder
    ungemeinen Geſchmack.
  • XXIX. Ein Gemuͤth, das ſeine eigene wah-
    re
    [195]vom geſunden Witze, ꝛc.
    re Groͤße ohne Zuſatz noch Mißtrauen abzumeſ-
    ſen, und ſeinen eigenen Geſchmack ſo richtig,
    als etwa eines andern, zu beurtheilen vermag,
    gehoͤrt zu den wahrhaften ſtarken Geiſtern und
    Leuten von dem feinſten Geſchmacke.
  • XXX. Ein Gemuͤth hingegen, das alle ſeine
    Kraͤfte fuͤr ſehr hoch und unvergleichlich an-
    ſiehet; des andern aber aus Hochmuth oder
    Neid geringe ſchaͤtzet, hat einen vollkommenen Ge-
    ſchmack der Eigenliebe und des Selbſtduͤnkels.
  • XXXI. Die den Spott-Geiſt haben, duͤn-
    ken ſich
    meiſtens große Geiſter und Leute von
    dem feineſten Geſchmacke
    zu ſeyn, da es doch
    oͤfters ſehr elende unbrauchbare Stuͤmper ſind.
  • XXXII. Welche vom Spott-Geiſte beſeſſen
    ſind, taugen zu keinen ernſthaften Verrichtun-
    gen, noch zu Saͤulen des gemeinen Weſens.
    Die Religion, Staats-Klugheit, buͤrgerliche
    Geſetze, ja alles wird ihnen laͤcherlich und kurz-
    weilig
    vorkommen; welches ihren hoͤchſtver-
    dorbenen
    Geſchmack anzeiget.
  • XXXIII. Wer die Geſchicklichkeit, einen an-
    dern ſcharfſinnig anzuſtechen, denen ſoliden
    Wiſſenſchaften
    der Gottes-Gelehrſamkeit,
    Rechts-Wiſſenſchaft, Arzeney-Kunſt und Welt-
    Weisheit vorziehet, der bezeiget ſelbſt damit ſei-
    nen verdorbenen Geſchmack.
  • XXXIV. Wer da meynet, es reichen alle
    Gruͤnde der Vernunft und Schrift nicht zu,

    einen von der Gewißheit der Religion zu uͤberzeu-
    gen, der verraͤth ſeinen verdorbenen Geſchmack.

N 2XXXV.
[196]Zwey hundert Maximen
  • XXXV. Ein epicuriſcher Menſch, der nicht
    uͤberlegt, ob er ſich zeitlich und ewig ungluͤckſelig
    mache, oder nicht, hat von ſeiner eigenen Wohl-
    fahrt den allerverdorbenſten Geſchmack.
  • XXXVI. Wer in Sachen, das ewige Wohl
    oder Uebel betreffend, nicht mit eigener Empfin-
    dung ſchmecken,
    ſondern nur andern nachko-
    ſten
    will, der hat einen ſehr unſichern und miß-
    lingenden Geſchmack.
  • XXXVII. Ein eigenſinniger verwoͤhnter
    Geſchmack
    iſt dieſer, wenn einer fordert, daß
    ſich alles nach ſeinem Kopfe richten, und gerade
    ſo denken
    ſoll, wie er.
  • XXXVIII. Ein verzaͤrtelter verwerflicher
    Geſchmack iſt der, welchem nur das gefaͤllt, was
    mit denen bey weichlicher Auferziehung und Ju-
    gend-Hitze eingeſogenen ſentimens uͤberein-
    koͤmmt; da ihm denn alles zuwider, was ſolchen
    entgegen iſt.
  • XXXIX. Wem in der Erziehung die ankle-
    benden Fehler des Verſtandes und der verkehrten
    Leidenſchaften nicht abgewoͤhnet werden, deſſen
    verdorbener Geſchmack thut dem gemeinen
    Weſen deſto mehr Schaden, je mehr er aͤuſſer-
    lichen hohen Stand, Rang und Anſehen hat.
  • XL. Daher ein Prinz, der von ruchloſen,
    ſchmeichleriſchen, laſterhaften Hofmeiſtern und
    Raͤthen umgeben iſt, einen ſo verdorbenen Ge-
    ſchmack
    bekommen kann, daß Land und Leute
    daruͤber ins Verderben gerathen.
  • XLI. Die genaue Ueberlegung und richtige
    Erfin-
    [197]vom geſunden Witze, ꝛc.
    Erfindung, was die Natur einem jeden Weſen,
    Stande und Sache fuͤr einen Character beyge-
    legt habe, kann einem in vielen Dingen, ſo weit
    die menſchliche Einſicht gehet, zu einem unbe-
    truͤglichen Geſchmacke
    verhelfen.
  • XLII. Alſo, wer uͤberzeuget iſt, daß Gott,
    nach ſeinem allerrichtigſten Verſtande, ohnmoͤg-
    lich irren,
    und, nach ſeiner vollkommenſten
    Treue, ohnmoͤglich etwas Falſches fuͤr wahr,
    und was Boͤſes fuͤr gut ausgeben, mithin uns
    ohnmoͤglich betruͤgen koͤnne, der wird einen in-
    nigſten Geſchmack
    an dem finden, was Gott
    entweder in die Natur eingepraͤget, oder beſon-
    ders geoffenbaret hat.
  • XLIII. So ſehr demnach die Geheimniſſe
    der Natur und goͤttlichen Offenbarung den na-
    tuͤrlichen Geſchmack
    weit uͤberſteigen: So ein
    ehrerbietiges Vergnuͤgen wird doch derjenige
    daran finden, der einen rechten Geſchmack von
    der Religion hat.
  • XLIV. Wer hingegen die Maxime im Kopfe
    hat, alles zu verwerfen, was er nicht deutlich
    einſiehet, der hat einen ſehr verderbten Ge-
    ſchmack,
    und iſt ein ohnfehlbarer Narr, wenn
    er in hohen Wuͤrden ſtehet, oder macht ſich ſelbſt
    ungluͤcklich, wenn er von Hoͤhern dependiren
    muß. Denn die werden oͤfters ſagen: Sic vo-
    lo, ſic iubeo.
    Jch will keinen Raiſonneur,
    ſondern bereitwilligen Gehorſam haben.
  • XLV. Doch verrathen auch die Hoͤhern ih-
    ren verderbten Geſchmack des Hochmuths,
    N 3wenn
    [198]Zwey hundert Maximen
    wenn ſie allenthalben blinden Gehorſam for-
    dern, oder Ausſpruͤche thun, ohne die geringſte
    Urſache anzugeben. Der allerhoͤchſte Gott, der
    doch am befugteſten waͤre, einen blinden Ge-
    horſam zu fordern, ſuchet gleichwol die Men-
    ſchen auch durch genugſame Gruͤnde zu uͤber-
    fuͤhren.
  • XLVI. Das aber weichet von dem guten
    Geſchmacke eines Geſetzgebers
    ab, wenn er,
    in denen Geſetzen ſelbſt, viel raiſonniret; denn
    das ſollte er denen Geſetz-Lehrern uͤberlaſſen.
    Sein Character aber iſt, zu gebieten, und nicht,
    zu disputiren.
  • XLVII. Wenn ſich ein Richter in der hoͤch-
    ſten Jnſtanz nicht recht ſicher weiß, daß ſeine
    Ausſpruchs-Motiven in ſich ſolide ſind: So
    thut er beſſer, bloß den Ausſpruch zu thun, als
    rationes decidendi anzugeben. Denn manch-
    mal iſt der Ausſpruch in ſich richtig, obwol nicht
    aus den angegebenen rationibus decidendi.
  • XLVIII. Nach dem Logiſchen Geſchmacke
    hat jeder Satz ſeine innerliche Wahrheit und
    Gewißheit. Daher faͤllt er nicht allezeit uͤber
    den Haufen, wenn gleich die Raiſon, daraus er
    hergeleitet worden, falſch iſt. Aber nach dem
    richterlichen und Advocaten-Geſchmacke darf
    man das in ſich richtigſte Urthel als verwerflich
    angeben, wenn es auf unrichtigenrationibus
    decidendi
    beruhet.
  • XLIX. Jede Wiſſenſchaft hat ihre eigene
    Art des Vortrages. Wer dieſen Character
    nicht
    [199]vom geſunden Witze, ꝛc.
    nicht genau beobachtet, der verfaͤllt in einen uͤb-
    len Geſchmack.
  • L. Alſo mag z. E. der Mathematicus ſeine
    Saͤtze durch Erklaͤrungen, Grundſaͤtze, Lehrſaͤtze,
    Aufgaben und dergleichen, durchfuͤhren. Wer
    aber ſich dieſes Vortrages bedienen wollte, wenn
    er eine Sache vor Gerichte vorzutragen haͤtte, von
    dem wuͤrde man ſagen, daß er einen laͤcherli-
    chen
    und ungereimten Geſchmack beſaͤße.
  • LI. Wer alſo der Schreib-Art nicht maͤchtig
    iſt, darinn jede Wiſſenſchaft am fuͤglichſten vor-
    getragen wird, der wage ſich nicht an deren Be-
    ſchreibung; ſonſt wird man ſeinen unrichtigen
    Geſchmack
    bald abmerken, z. E. wenn er in
    Rechts-Sachen nicht den ſtylum curiae ver-
    ſtehet.
  • LII. Alle Wiſſenſchaften, die aus untruͤgli-
    chen Anfangs-Gruͤnden (principiis) durch eine
    unumſtoͤßliche Folge koͤnnen hergeleitet werden,
    erfordern einen geſunden Geſchmack von der
    analytiſchen und ſynthetiſchen Methode.
  • LIII. Daher kann man die Haupt-Gruͤnde
    der Gottes-Gelehrſamkeit, Rechts-Wiſſenſchaft,
    Arzeney-Kunſt und Welt-Weisheit nach ma-
    thematiſcher Lehr-Art
    vortragen; und wenn
    es gleich neu waͤre, iſt es doch nicht gegen den
    bon ſens, oder guten Geſchmack.
  • LIV. Die Ausfuͤhrung einer Wiſſenſchaft
    durch die vier cauſſas, als efficientem, forma-
    lem, materialem
    und finalem, iſt ſo ſehr trok-
    ken und gezwungen, daher auſſer dem heutigen
    Guſto der gelehrten und galanten Welt.

LV.
[200]Zwey hundert Maximen
  • LV. Man muß auch den genium ſeculi
    wohl bedenken. Denn jetzo iſt manche Art des
    Vortrages ſchmackhaft, die vielleicht unſern
    Vorfahren abgeſchmackt geſchienen, und un-
    ſern Nachkommen ſehr verwoͤhnt vorkommen
    duͤrfte. Nach dieſem guſto des jetzigen Seculi
    luxuriantis
    pflegen ſich inſonderheit auch die
    Buchhaͤndler zu richten; daher manche Schar-
    teke
    itzt ſtark gehet, die zu einer andern Zeit
    wuͤrde des Verlags nicht werth geachtet wor-
    den ſeyn.
  • LVI. Wer ſich gegen die allgemeine Obſer-
    vanz und eingefuͤhrten Gebrauch, oder gar den
    durchgaͤngigen Wohlſtand und ſenſum com-
    munem
    polirter Nationen auflehnet, der muß
    entweder ſonſt ſchon ein Mann von ſehr hohem
    Anſehen
    ſeyn, um durch den Damm eingeriſſe-
    ner allgemeiner Vorurtheile
    und Foibleſſen
    hindurch zu brechen; oder man wird ſagen, daß
    er mit ſeinem ſingulairen Geſchmacke zu Hauſe
    bleiben, und ſich nicht ſelber proſtituiren ſolle.
  • LVII. Wer einer hohen Schreib-Art ſich
    bedienen will, da doch die Sache, die er abhan-
    delt, in ſich gemein und niedrig iſt, der wird fuͤr
    einen Menſchen von laͤcherlichem Geſchmacke
    gehalten werden.
  • LVIII. Aufgeblaſene Worte, dahinter kahle
    oder kriechende Gedanken ſtecken, verrathen
    einen naͤrriſchen Phoͤbus-Geſchmack.
  • LIX. Wer viel verwirrte Gedanken in
    unverſtaͤndliche Worte
    zuſammen raffet; der
    verraͤth
    [201]vom geſunden Witze, ꝛc.
    verraͤth ſeinen laͤcherlichen Galimathias-Ge-
    ſchmack.
  • LX. Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen,
    oder Patron, deſſen Fehler oder gar Laſter zu
    loben, verraͤth einen ſehr niedertraͤchtigen Ge-
    ſchmack.
  • LXI. Ein anmuthiger Vortrag iſt der, wo
    das Tiefſinnige mit dem Lebhaften, das Ernſt-
    hafte mit dem Scherzhaften, das Ausſchweifen-
    de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro-
    portion abwechſelt; folglich iſt es dem guten
    Geſchmacke
    am naͤchſten.
  • LXII. Die Neugierde iſt den Menſchen an-
    geboren. Je mehr ſolche geſtaͤrket wird, oder
    einer an ihm ſelbſt wahrnimmt, daß er einen
    Zuwachs auserleſener Gedanken bekomme,
    und merklich profitire, oder in der Erkenntniß
    zunehme; je mehr wird es nach dem allgemei-
    nen
    guſto ſeyn.
  • LXIII. Daher ſind lebhafte Geſchicht-Buͤ-
    cher, kuͤnſtlich ausgeſonnene Romanen, wun-
    derbare Abentheuer, ſcharfgewuͤrzte Wochen-
    Schriften nach dem Geſchmacke der meiſten Ge-
    lehrten und Liebhaber der Wiſſenſchaften.
  • LXIV. Man hat ſich aber dabey inacht zu
    nehmen, daß ſich nicht die Neugierde in einen
    ſtraͤflichen Vorwitz verwandle. Alſo, wer gern
    großer Herren und Miniſter Handlungen durch-
    ziehet, und daruͤber critiſiret, der kann wol nach
    dem Geſchmacke der Vorwitzigen geſchrieben
    haben; aber ſich ſelbſt durch ſeinen unzeitigen
    N 5Kuͤtzel
    [202]Zwey hundert Maximen
    Kuͤtzel und uͤberſteigenden Geſchmack viel Un-
    gelegenheit zuziehen.
  • LXV. Ein uͤbertriebener Geſchmack, der
    in die Pedanterey und Grillenfaͤngerey verfaͤllt,
    iſt derjenige, wenn einer die klaͤrſten Grund-
    Wahrheiten noch erſt durch ſpitzfindige Beweiſe
    weiter durchtreiben, oder durch viele Umſchweife
    und allotria ſich auf ſein Haupt-Thema ſpielen
    will. Dieſen Fehler trifft man in vielen Reden
    des Cicero, und vielen Stellen des Virgils,
    Horazens
    und anderer poetiſchen Helden an.
  • LXVI. Je mehr der Vortrag von dem Na-
    tuͤrlichen
    abweichet, je mehr entfernt er ſich vom
    guten Geſchmacke. Je tiefer auch einer in das
    Bathos, oder in niedertraͤchtige,vulgaire, poͤ-
    belhafte und nichts importirende Gedanken ver-
    ſinket, je mehr verletzet er den Wohlklang, mit-
    hin auch den guten Geſchmack.
  • LXVII. Ein Jedermanns-Tadler muß ent-
    weder ein ſehr großer bel Eſprit ſeyn; oder aber,
    wenn er ſelbſt ſo ofte ſchlaͤgelt, als der Verfaſ-
    ſer der Schrift vom Tempel des guten Ge-
    ſchmacks,
    wird man von ihm ſagen: Er ver-
    ſtehe ſelber noch nicht,
    was gut oder uͤbel
    ſchmecke.
  • LXVIII. Eine Wiſſenſchaft durch Maximen,
    ungezwungene Regeln und kurze deutliche Saͤtze
    vorzutragen, reizet den Geſchmack der Leſer und
    Zuhoͤrer.
  • LXIX. Sinnbilder, Deviſen, Ueberſchriften
    und Apophthegmata vergnuͤgen den Geſchmack;
    nur
    [203]vom geſunden Witze, ꝛc.
    nur muß man ſolche als eigene Gedanken vor-
    tragen, und nicht ſprechen: Jener malte das
    und das,
    und ſetzte die oder die Ueberſchrift dar-
    uͤber. Denn ſolches iſt dem guſtounſers itzi-
    gen
    ſeculi entgegen. Man ſchmelze vielmehr
    das Sinnbild und die Ueberſchrift in einen ein-
    zigen an einander haͤngenden Gedanken. Z. E.
    ein richtiger Verſtand gleichet einer accura-
    ten Minuten-Uhr, vermittelſt der man alle
    falſche Pulſe anderer Uhren beurtheilen, und
    allenthalben das rechte Gleichgewichte beob-
    achten kann.
    Dieſes wird ohnſtreitig beſſer
    klingen, als wenn mans ſo ausdruͤckte: Jener
    malte eine Uhr,
    und ſetzte daruͤber: Jn der
    Anzeige richtig, im Gewichte gleichhaltend.
  • LXX. Alles, was in der Ausſprache hart
    klinget,
    die Ohren verletzet, ſehr undeutlich iſt,
    oder allzuviel vorgekauet wird, daß dem Leſer
    nichts uͤbrig bleibet, ſelber dabey zu denken, iſt
    dem guten Geſchmacke entgegen.
  • LXXI. Doch muß man einen Unterſchied un-
    ter den Perſonen und Sachen machen. Schwe-
    re tiefſinnige Sachen erfordern oft, daß, da-
    mit ſie begriffen werden moͤgen, durch mehrma-
    lige Umſchreibung
    erſt verſtaͤndlich gemachet
    werden. Hat man mehr einfaͤltige, als wiz-
    zige,
    vor ſich: So weichet es vom guten Ge-
    ſchmacke nicht ab, einerley mehrmals zu wieder-
    holen, damit man ihrem ſchwachen Gedaͤcht-
    niſſe
    nachhelfe; dagegen einem witzigen Kopfe
    einen Ekel verurſachen wuͤrde, wenn ihm das,
    was
    [204]Zwey hundert Maximen
    was er leicht begriffe, vielmals eingeblaͤuet wuͤrde.
  • LXXII. Sachen, die ihrer Natur nach ernſt-
    haft
    ſind, muͤſſen nicht ſcherzhaft, oder durch
    Spoͤttereyen vorgetragen werden; daher der
    gravitaͤtiſche Geſchmack den Vorzug behaͤlt.
  • LXXIII. Es bringet wenig Ehre, wenn ei-
    ner uͤberall ſich zu luſtigen Einfaͤllen dringet.
    Man urtheilt, es ſchicke ſich ein ſolcher beſſer
    auf die Schaubuͤhne, als in ein anſehnlich Amt.
    Es giebt Arten von Kuͤtzel, die ſelbſt dadurch
    ekelhaft werden, wenn man ſie in Uebermaaſſe
    brauchet. Wer immer railliret, bonmotiſiret
    und ſchaͤkert, den haͤlt man fuͤr einen Menſchen
    von leichtſinnigem Geſchmacke.
  • LXXIV. Wer an ſolchen Orten, wo er al-
    ler luͤſternen Ausſchweifungen ſeiner Fantaſie
    uͤberhaben ſeyn koͤnnte, und die Gedanken in
    Schranken halten ſollte, ſich dennoch zweyden-
    tiger Redens-Arten
    bedienet, da der verdeckte
    Verſtand zuͤchtige Ohren beleidiget, oder dem
    Geſichte eine Schaamroͤthe abjaget, der verraͤth
    ſeinen leichtfertigen und geilen Geſchmack.
    Es gehet einem da, wie mit allzuluͤſternen Spei-
    ſen, daran einer bald Ekel bekoͤmmt.
  • LXXV. Ein Lehrer der Religion ſoll billig
    den Character eines Geſandten Gottes aus-
    druͤcken; folglich handelt er gegen den bon ſens,
    wenn er auf dem Lehrſtuhle keifet, prahlet, Hi-
    ſtoͤrgen erzehlt, ſpottet, Maͤhrgen vorbringet,
    und ſich in Wort-Kriegen vertiefet.
  • LXXVI. Ein Geſandter, der fuͤr einen groſ-
    ſen
    [205]vom geſunden Witze, ꝛc.
    ſen Herrn redet, handelt gegen den guten Ge-
    ſchmack,
    wenn er ſchulfuͤchſiſche Chrien, und
    Realien des oratoriſchen Schlendrians, oder
    der Gymnaſiaſten Schwaͤtze-Kunſt einſtreuet.
    Sein Vortrag muß ſo abgefaßt ſeyn, wie ſein
    hoher Principal, ſeinem Character gemaͤß, ſelbſt
    reden wuͤrde. Daher beduͤrften die geſammle-
    ten Reden großer Herren
    und vornehmer Mi-
    niſter
    in ſehr vielen Stellen einer Verbeſſerung;
    dagegen in denen Mercurs, ſo in Holland ſonſt
    herausgekommen, viel Meiſterſtuͤcke eines bon
    ſens
    vorkommen, und werth waͤren, daß aus
    allen hundert Baͤnden eine deutſche Ueberſetzung
    derer darinn eingeruͤckten merkwuͤrdigſten Ha-
    ranguen
    von einem, der der franzoͤſiſchen und
    deutſchen Sprache gleichmaͤchtig waͤre, unter-
    nommen wuͤrde.
  • LXXVII. Das Ceremoniel und die behoͤri-
    gen Titulaturen muß ein Geſandter, ja ein je-
    der Redner und Scribent, wohl inacht nehmen,
    ſonſt man ihm einen unrichtigen Geſchmack
    beylegen wird.
  • LXXVIII. Die angebrachten verdeckten
    Schoͤnheiten,
    oder ſolche ſcharfſinnige wohlge-
    ſetzte Gedanken, dabey man dem Leſer oder Zu-
    hoͤrer zutrauet, ſolche durch eigenes Nachſinnen
    entdecken und aufloͤſen zu koͤnnen, gehoͤren zu
    dem reizenden Geſchmacke in allen Wiſſen-
    ſchaften. Daher werden rechte bons- mots
    hochgeachtet, weil der andere dadurch heimlich
    flattirt
    wird, daß er einen großen Witz beſitze,
    ſolche geſchwind und gluͤcklich zu errathen.

LXXIX.
[206]Zwey hundert Maximen
  • LXXIX. Scharfſinnige Jnſinuationen, und
    was man das Zaͤrtliche und Galante nennet,
    reizen den Geſchmack ungemein, ſonderlich in
    Briefen. Daher die Briefe eines Voltaire,
    Balzacs, Bourſeaults ꝛc.
    und anderer großen
    beaux Eſprits, alle Talanders, Menantes und
    dergleichen Briefſteller weit an gutem Geſchmak-
    ke
    uͤbertreffen.
  • LXXX. Wenn einer merket, daß man einem
    andern die feinen Gedanken abgeſtohlen, oder
    wenigſtens ohne einige Veraͤnderung abgeborget
    habe: So verlieren ſolche einen großen Theil
    der Annehmlichkeit,
    den ſie behalten wuͤrden,
    wenn man daͤchte, der Autor habe ſie aus dem
    eigenen Schatze guter Gedanken hervorgelanget.
  • LXXXI. Die meiſten Oratoriſchen Figu-
    ren
    haben ihren eigenen beſtimmten Sitz. Wenn
    man ſie aus ihrer Stelle verruͤcket, wie auf
    Schulen geſchiehet, da oͤfters Jmitationen auf
    ganz widrige obiecta aufgegeben werden, ver-
    liehren
    ſie allen bon ſens.
  • LXXXII. So laſſen ſich z. E. viel oratoriſche
    Figuren, welche bey traurigen Begebenheiten
    gluͤcklich angebracht werden, nicht ohne Gefahr,
    ins Laͤcherliche zu verfallen, bey froͤhlichen Be-
    gebenheiten anbringen. Die Spoͤtter aber
    verdrehens, und wenn ſie einen laͤcherlich
    machen wollen, parodiren ſie die traurigen Fi-
    guren
    auf Schnaken und Kurzweile; da denn
    das Laͤcherliche bloß in ihrer verkehrten Paro-
    dirung
    oder Nachahmung ſtecket.

LXXXIII.
[207]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • LXXXIII. So viel es unterſchiedene Vor-
    wuͤrfe bey der Redner-Kunſt giebt, ſo viel giebt
    es auch beſondere Regeln des guten Ge-
    ſchmacks.
    Daher die Hof- die Canzel- und
    die Schul-Reden ihre eigene Geſetze des bon
    ſens
    haben.
  • LXXXIV. Nach den Regeln des guten Ge-
    ſchmacks muß man ſorgfaͤltig verhuͤten, daß man
    den Leſer oder Zuhoͤrer nicht auf falſche Gedan-
    ken, unrichtige Auslegung,
    und daß ers uͤbel
    empfinde,
    verleite.
  • LXXXV. Wer dem Affecte, den er bey dem
    andern erregen will, gerade entgegen handelt,
    oder ſeinen Gedanken eine unrechte Tour giebet,
    der aͤuſſert damit ſeinen verwechſelten Ge-
    ſchmack.
    Alſo, wenn der Redner Urſache haͤt-
    te, den, ſo er anredet, zu beſaͤnftigen, und er
    bringt ihn durch heftige Ausdruͤcke, polternde
    Worte und hitzige Geberden in Harniſch: So
    handelt er gegen ſeinen Character, mithin gegen
    den Wohllaut und guten Geſchmack.
  • LXXXVI. Dieſemnach iſt das Spruͤchwort
    ſo uneben nicht: Ein Loth Mutterwitz und
    practiſche Klugheit ſey beſſer, als ein Centner
    Gelehrſamkeit ohne Geſchick, ſolche recht an
    Mann zu bringen.
  • LXXXVII. Man muß auch die Verfaſſung
    der Republic
    anſehen, darinn einer ſtehet. Wer
    alſo z. E. heute zu Tage in unſern monarchiſchen
    Republiken mit ſolcher Dreiſtigkeit reden wollte,
    als ehedem Cicero in der roͤmiſchen, democrati-
    ſchen,
    [208]Zwey hundert Maximen
    ſchen, der wuͤrde gegen denbon ſens handeln,
    und auf die Finger geklopfet werden.
  • LXXXVIII. Haͤmiſche Stiche, grobe an-
    zuͤgliche Reden, argwoͤhniſche Beſchuldigungen
    und luͤgenhafte Erdichtungen ſind dem Character
    eines honnêt- homme entgegen, mithin auch
    gegen den bon ſens, oder guten Geſchmack.
  • LXXXIX. Alle gefaͤhrliche Ausdruͤcke, da-
    durch ſich einer die Hohen in der Welt zu Fein-
    den machen, oder angeſehene Maͤnner reizen
    kann, an eines Ruin zu arbeiten, werden wider
    den bon ſens eingeſtreuet. Denn das iſt ein
    Narr, wer ſich muthwillig ungluͤcklich machet.
  • XC. Hingegen aber iſt es nicht dem guten
    Geſchmacke entgegen, uͤberwitzigen Großduͤnk-
    lern
    und fantaſtiſchen Spoͤttern nach Gelegen-
    heit die Kolbe zu lauſen, und ihnen ihre Schwaͤ-
    chen aufzudecken.
  • XCI. Wenn einer in einer Schrift ohne
    Namen
    mit Bedacht einen ganz andern Cha-
    racter
    annimmt, als er fuͤr ſich ſelbſt ſonſt hat:
    So muß man ihn billig nach dem angenomme-
    nen Character
    beurtheilen. Hat er ſolchem ein
    Gnuͤge gethan: So ſtimmt ſeine Schrift mit
    dem bon ſens uͤberein. Doch muß die Klug-
    heit den Ausſchlag geben, daß man nicht einen
    laͤcherlichen Character annehme, oder abbilde,
    damit nicht die Laͤſterer einen in die Pfanne druͤ-
    ber hauen.
  • XCII. Wer eine ſolche Profeßion hat, wie
    Moliere, oder andere beruͤhmte Comoͤdianten,
    der
    [209]vom geſunden Witze, ꝛc.
    der zeiget ſeinen guten Geſchmack an, wenn er
    einen Pantomimen natuͤrlich ausdruͤcken kann;
    aber z. E. einem Geiſtlichen wuͤrde nicht wohl
    anſtehen, Opern oder Comoͤdien zu ſchreiben.
  • XCIII. Der poetiſche gute Geſchmack dif-
    feriret ebenfalls nach den unterſchiedlichen Arten
    von Gedichten. Man muß einem Epiſchen
    Gedichte
    eine andere Tour geben, als z. E. ei-
    nem Schaͤfer-Gedichte, oder Hochzeit-Car-
    mini,
    oder Trauer-Ode. Weil aber bald eine
    Schrift im Druck erſcheinen duͤrfte, unter dem
    Titel: Regeln der Reimſchmiederey und krie-
    chenden Poeſie;
    da man nur per inuerſionem
    auf das Schoͤne und Wunderbare in der Poe-
    ſie
    ſchlieſſen kann: So werde mich bey dem poe-
    tiſchen Geſchmacke
    nicht weiter aufhalten. Die
    nachſtehenden vier und zwanzig Couverts wer-
    den auch einige Erlaͤuterung des poetiſchen bon
    ſens
    geben.
  • XCIV. Der gute Geſchmack in den Kuͤn-
    ſten der Malerey, Bildhauer-Kunſt und Kupfer-
    ſtechen beſtehet in der Gleichfoͤrmigkeit der Ab-
    druͤcke mit ihren Originalien, und in den Regeln
    des Ebenmaßes. Jſt nun das Urbild ſchoͤn und
    regelmaͤßig: So wird auch eine natuͤrliche Ab-
    ſchilderung deſſelben in die Augen fallen, und
    nach eines guſto ſeyn. Es haben aber alle dieſe
    Kuͤnſte ihre beſondere Regeln, die hieher nicht
    gehoͤren.
  • XCV. Die uͤbrigen Kuͤnſte, als geſchickte
    Maſchinen, Uhrwerke, Glockenſpiele, Auszie-
    Orun-
    [210]Zwey hundert Maximen
    rungen von Juwelen, und dergleichen, haben
    auch ihren eigenenguſto, der doch oft auf die
    Mode ankoͤmmt; und weil die Moden von An-
    beginn der Welt faſt unendlich differiren: So
    iſt auch der guſto hierinn faſt unzehligen Veraͤn-
    derungen
    unterworfen.
  • XCVI. Doch iſt es wol bey der Kleider-
    Tracht
    ein verderbter Geſchmack, wenn er
    nach großer Eitelkeit und zu Reizung der Geil-
    heit eingerichtet; der Buͤcher-Geſchmack iſt
    verderbt, wenn einer mehr auf atheiſtiſche,
    ſchwaͤrmeriſche, ketzeriſche und geile Schriften,
    als auf ſolide, haͤlt. Der Meublirungs-Ge-
    ſchmack
    iſt verderbt, wenn einer uͤber ſeinen
    Stand, oder in koſtbaren Baggatellen, groſ-
    ſen Aufwand machet.
  • XCVII. Der gute Geſchmack bey den Hand-
    werken
    iſt meiſtens zunftmaͤßig. Denn was
    als ein Meiſterſtuͤck von Kennern gelobet wird,
    darf niemand leicht tadeln.
  • XCVIII. Es giebt auch unter den Bauren
    Leute von Witz und gutem Geſchmacke, ſon-
    derlich in Haushaltungs-Sachen und Ackerbau.
  • XCIX. Fuͤr Ungluͤckſelige iſt der beſte Ge-
    ſchmack,
    wenn ſie in ihrem Elende, ſonderlich
    da ſie in unverſchuldete Fatalitaͤten gerathen,
    gelaſſen, geduldig und großmuͤthig ſind. Wer
    ſich aber durch ſein widrig Schickſal uͤberwaͤl-
    tigen laͤſſet,
    zeiget damit an, daß er von dem,
    denen Menſchen ſo heilſamen, Creuze noch we-
    nig Geſchmack
    bekommen habe.

C.Ein
[211]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • C.Ein redliches Gemuͤth, das allen Men-
    ſchen wohl will, und alle Foibleſſen, ſo der
    menſchlichen Natur anhangen, mitleidig an-
    ſiehet, beſitzet einen, heute zu Tage ſehr ra-
    ren, Geſchmack.

Das andere Hundert
Practiſcher Maximen

vom
hohen und gemeinen Geſchmacke
in allen Theilen der Weltweisheit.


  • CI.
  • So weit der erhabene Flug eines Adlers von
    dem niedertraͤchtigen Kriechen eines Ge-
    wuͤrmes entfernet iſt: So weit iſt auch der hohe
    Geſchmack von dem gemeinen, oder poͤbelhaf-
    ten,
    unterſchieden.
  • CII. Der hohe Geſchmack findet ſich nicht
    allezeit bey Leuten von hoher Geburt, Range
    und Anſehen; dagegen giebt es manche gemeine
    Leute,
    die, in ihrer Art und Metier, einen fuͤr-
    trefflichen und ungemeinen Geſchmack beſitzen.
  • CIII. Der Geſchmack derer Hof-Leute ſollte
    billig durchgaͤngig ein erhabener Geſchmack
    ſeyn, weil die wichtigſten und erhabenſten Din-
    ge bey Hoͤfen getrieben werden; aber es giebt
    genug Hof-Leute, die ſich in ihren Sentiments
    und Maximen wie Leute von der ſchlechteſten
    Sorte
    auffuͤhren.

O 2CIV.
[212]Zwey hundert Maximen
  • CIV. Der erhabene Geſchmack gehet mit
    lauter erhabenen Vorwuͤrfen um, und betrach-
    tet ſolche durch einen weitaufgeklaͤrten Verſtand.
    Der niedrige Geſchmack aber verwandelt ſogar
    die erhabenſten Sachen in unanſehnliche Bag-
    gatellen.
  • CV. Der wahrhaftig erhabene Geſchmack
    gleichet der Suͤßigkeit einer in ihr ſelbſt ſaftigen
    Melone oder Pfirſchke; der entlehnte Geſchmack
    aber, der Dinge ausputzet, und als erhaben aus-
    giebet, die doch in ſich gemein und niedrig ſind,
    gleichet den Kuͤnſten der Koͤche, die ein mageres
    Wildpret brav ausſpicken, damit es ein appe-
    titlich Anſehen bekommen moͤge.
  • CVI. So weit eine natuͤrliche Schoͤnheit
    von einer geſchminkten entfernet iſt, und jene
    vor dieſer einen Vorzug hat; eben ſo weit iſt der
    wahrhaftig hohe Geſchmack von dem hochge-
    triebenen
    unterſchieden.
  • CVII. Die wahre Hoͤhe der Gedanken glei-
    chet einer Schoͤnheit, die, wie eine ausgehauene
    Ceder, in ſchlanker Taille vor einem ſtehet; die
    falſche Hoͤhe des Witzes aber gleichet einem auf-
    gedunſteten
    Leibe, oder einer theatraliſchen
    Nymphe, die auf Stelzen gehet.
  • CVIII. Was nach den Regeln des erhabenen
    Geſchmackes abgefaſſet iſt, frappiret das Herz
    eines jeden, der es hoͤret, oder lieſet; hingegen
    verfaͤllt die uͤbertriebene Vorſtellung einer Sa-
    che gar oft ins Laͤcherliche und ins Erbarmens-
    wuͤrdige.

CIX
[213]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CIX. Wie es mehr Reizung erwecket, wenn
    eine wahrhafte Schoͤnheit nur ihr Angeſicht,
    Haͤnde und Buſen ſehen laͤſſet, die uͤbrigen Glied-
    maßen aber verdecket: Alſo iſt bey dem erhabe-
    nen
    Geſchmacke auch etwas verdecktes, das
    der andere durch ſcharfes Nachſinnen erſt heraus-
    bringet, und dieſe verſteckte Schoͤnheit machet
    den Vortrag deſto durchdringender und herz-
    ruͤhrender.
  • CX. So wenig eine zuͤchtige Schoͤne ſich
    vor jedermann ganz entbloͤßen, noch ſich voͤllig
    nackend zeigen wird: So wenig wird einer, der
    einen hohen Geſchmack beſitzet, ſolchen lieder-
    lich verſchwenden, und bey Dingen, die, ihrer
    Natur nach, niedrig ſind, ſich nicht die Muͤhe
    nehmen, erhabens Gedanken anzubringen.
  • CXI. Es iſt keine Nation, die den hohen
    Geſchmack fuͤr ſich allein gepachtet haͤtte; auch
    iſt kein Volk ſo barbariſch, daß es nicht unter
    ſolchem etliche geben ſollte, die einen fuͤrtrefflichen
    bon ſens beſitzen.
  • CXII. Doch pfleget man eine Nation dar-
    nach zu benennen, nachdem die meiſten Koͤpfe
    entweder munter, aufgeweckt, lebhaft, feurig,
    und von hohem Witze ſind; oder aber, wenn
    die meiſten traͤge, langſam, ſtumpf, matt, und
    nur von gemeinem Witze ſich befinden.
  • CXIII. So ſagt man daher, daß der Fran-
    zoſe
    einen lebhaftern Geſchmack habe, als ein
    Spanier. Der Englaͤnder hat eine natuͤrliche
    Neigung zum hohen Geſchmacke. Der Jta-
    O 3liaͤner
    [214]Zwey hundert Maximen
    liaͤner haͤlt viel auf verdeckte Schoͤnheit der Ge-
    danken. Der Deutſche hat den Geſchmack
    gleichſam in ſeiner Hand, nachdem er durch gu-
    ten Unterricht abgerichtet iſt, oder große Vor-
    gaͤnger
    findet, denen er gerne nachahmet.
  • CXIV. Man muß Deutſchland, ſonderlich
    in Ober- und Nieder-Sachſen, den Ruhm laſ-
    ſen, daß es, ſeit einer Zeit von etwa zwanzig
    Jahren,
    viel witzige Koͤpfe hervorgebracht, die
    einen ausnehmenden Geſchmack in allen ſchoͤnen
    Wiſſenſchaften, ſonderlich der Beredſamkeit und
    Poeſie, von ſich blicken laſſen.
  • CXV.Hamburg und Leipzig ſind zwey
    Werkſtaͤte in Deutſchland, da der reine Ge-
    ſchmack hoch gebracht, und von den ehemaligen
    Maͤngeln ſehr gereiniget worden. Die Poeſie
    und Redner-Kunſt ſcheinet an beyden Orten den
    Gipfel der Vollkommenheit erreicht zu haben.
  • CXVI.Feine Satyren haben einen großen
    Eingang, edle Gemuͤther vor ſolchen Foibleſſen
    des Gemuͤths zu verwahren, die an andern mit
    ſcharfſinnigem Nachdrucke geſtrafet worden;
    und ein edles Gemuͤthe, das ſich durch ſolche Sa-
    tyren getroffen findet, iſt ſo weit entfernet, ſich
    daruͤber zu entruͤſten, daß es vielmehr ſeinen Geg-
    nern verbunden iſt, die mit ihm ſo umgehen, als
    ein kluger Jngenieur, der dem Commendanten
    einer Veſtung anzeiget, wo ſie ihre Schwaͤche
    habe. Denn dadurch lernet er, ſie von dieſer
    Seite deſto beſſer zu verſchanzen, und gegen den
    feindlichen Angriff veſter zu verwahren.

CXVII.
[215]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXVII. Jch lobe demnach hier oͤffentlich den
    ſinnreichen Verfaſſer der Lob-Rede, Brion-
    tes der Juͤngere,
    und von der Nothwendig-
    keit der elenden Scribenten.
    Er hat in ſol-
    chen Schriften wie ein vorſichtiger Feind ge-
    handelt, der eine Veſtung nicht an der ſtaͤrk-
    ſten,
    ſondern ſchwaͤcheſten, Seite attaquiret;
    auch ſich zuweilen ſtellet, als achte er ſeinen Geg-
    ner geringe, vor dem er ſich doch heimlich ſcheuet.
  • CXVIII. Jſt es billig, auch ſelbſt an dem
    Feinde die Tapferkeit zu loben: So mag man
    dem Herrn Profeſſor Gottſched zu Leipzig es
    zum Ruhme nachſagen, daß er, durch ſeinen
    Eifer, dem guten Geſchmacke der Deutſchen
    aufzuhelfen, viele gereizet habe, ſich um einen
    beſſern Geſchmack zu bekuͤmmern, als vor zehn
    Jahren noch in Deutſchland geweſen.
  • CXIX. Es wuͤrden die Jenaiſchen, und an-
    derer Univerſitaͤten Gelehrten, ſonderlich auch zu
    Goͤttingen und Halle, wohl thun, wenn ſie ſich
    die Streitſchriften, die gegen den Herrn Pro-
    feſſor Gottſched und D. Philippi herausge-
    kommen ſind, beſſer, als bisher, zu Nutze mach-
    ten, um ihren halb guten und halb verdorbe-
    nen Geſchmack
    darnach zu verbeſſern; damit
    ganz Deutſchland eine Kennerinn des feinſten
    Geſchmackes
    heiſſen moͤge.
  • CXX. Dem alamodiſchen Geſchmacke iſt
    es zuzuſchreiben, daß man die ganze Gelehr-
    ſamkeit
    nach den vier Facultaͤten, der theolo-
    giſchen, juriſtiſchen, mediciniſchen und philoſophi-
    ſchen, eintheilet.

O 4CXXI.
[216]Zwey hundert Maximen
  • CXXI. Es giebt aber manche ſolche, von der
    Natur voraus begabte, Koͤpfe, die ſich nicht
    in die Schranken einer einzigen Facultaͤt ein-
    ſchlieſſen laſſen, ſondern mit ihrem weit ausſe-
    henden Witze
    durch die Schoͤnheiten aller Haupt-
    Wiſſenſchaften durchdringen, oder wenigſtens
    eine gluͤckliche Streiferey in eine andere Diſci-
    plin thun, davon ſie nicht hauptſaͤchlich fait
    machen.
  • CXXII. Es hat mancher, als von ohngefehr,
    einen ſo gluͤcklichen Einfall in einer Wiſſen-
    ſchaft, daß die, ſo davon hauptſaͤchlich Profeſ-
    ſion machen, wol nimmer darauf gefallen waͤren,
    wenn nicht ein ſolcher Univerſal-Kopf, der alle
    Wiſſenſchaften ins Große uͤberſchauet, ihnen
    erſt auf die Spruͤnge geholfen, und ſolche frucht-
    bare Wahrheiten
    angegeben haͤtte, daraus ſie
    hernach mit halb ſo leichter Muͤhe tauſend andere
    nuͤtzliche Wahrheiten haben erfinden und herlei-
    ten koͤnnen.
  • CXXIII. Es waͤre ein Uebermuth und Thor-
    heit, die Zahl beſtimmen zu wollen, welche Ge-
    lehrte in der Welt fuͤr wahrhafte Univerſal-
    Koͤpfe
    (§ 122) zu halten waͤren. Denn eben
    der, der ſich heraus naͤhme, ſolches zu beſtim-
    men, muͤßte noch hoͤher ſeyn, als die alle, die
    er dafuͤr angaͤbe; weil er, wenn ſein Urtheil zu-
    traͤfe, eine Fertigkeit beſitzen muͤßte, alle Uni-
    verſal-Koͤpfe en gros zu uͤberſchauen. Kein
    Weiſer aber wird von ſich ſagen, oder alſo urthei-
    len, daß andre von ihm denken muͤßten, er halte ſich
    fuͤr den allerweiſeſten.

CXXIV.
[217]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXXIV. Dieſemnach haben die allgemei-
    nen Buͤcher-Raiſonneurs,
    die ſich unterwin-
    den, alle herauskommende Schriften, in allen
    vier Facultaͤten, mit ihrer Critic anzutaſten, ſich
    wohl vorzuſehen, damit man nicht von ihnen
    billig denken muͤſſe, daß ſie entweder die groͤßten
    gelehrten Windbeutel
    und Marktſchreyer,
    oder die eingebildeſten Fantaſten in ihnen ſelber
    ſind. Denn wer vermag alle Maͤngel in allen
    Wiſſenſchaften anzuzeigen, wenn er nicht alle
    Diſciplinen aus dem Grunde
    verſtehet? Doch
    koͤnnen ſie ſich durch eine tuͤchtige Bruſtwehre
    bedecken, wenn ſie, bey ihrer Critic, nur das
    nicht vergeſſen zu ſagen: Uns duͤnket ſo; oder:
    Nach unſerm wenigen Urtheil, ꝛc.
  • CXXV. Jndeß muß man es denen Verfaſ-
    ſern gelehrter Journale, als: La Bibliotheque
    choiſie, Bibliotheque raiſonnée, Bibliotheque
    germanique, Journal des Savans, Acta Eru-
    ditorum,
    Goͤttinger gelehrter Zeitungen, und
    dergleichen critiſchen Schriften, zum Ruhme
    laſſen, daß ſie, durch ihre theils gruͤndliche,
    theils aufgeweckte, theils beiſſende Critic, vie-
    len Fehlern der Scribenten abgeholfen, manche
    gebeſſert, und manche in Harniſch gebracht ha-
    ben, die hernach durch ihre ausgelaſſene gelehrte
    Wuth
    manchem Leſer das Vergnuͤgen verſchaf-
    fet, auf beyder Unkoſten zu lachen.
  • CXXVI. Eine aufrichtige Critic kann in
    einer gemeinen Schreib-Art aufgeſetzet ſeyn, die
    ihr die Anmuth und Lebhaftigkeit benimmt; da-
    O 5gegen
    [218]Zwey hundert Maximen
    gegen kann eine gehaͤßige Critic in reizender
    Schreib-Art abgefaſſet ſeyn, daß, wenn man
    nicht wohl Acht auf ſich hat, einer dadurch wie
    angeſtecket wird, auch wol einen Unſchuldigen
    anzufeinden.
  • CXXVII. Es giebt Schriften, die die Reli-
    gion durch eine ſolche Tour angreifen, die, in
    ihr ſelbſt betrachtet, admirable und unverbeſ-
    ſerlich
    iſt, obgleich die Abſicht des Schriftſtel-
    lers haͤmiſch und ruchlos geweſen. Da hat
    man ſich alſo vorzuſehen, daß man ſieh nicht
    durch den einnehmenden Geſchmack der ſchoͤnen
    Schreib-Art verleiten laſſe, die wahre Religion
    ſelbſt fuͤr verdaͤchtig oder niedertraͤchtig zu halten.
    Man bedaure alſo den Mißbrauch ſchoͤner Ge-
    danken, und lobe die angebrachte ſinnreiche Art
    zu denken.
  • CXXVIII. Gleichwie eine Schoͤnheit da-
    durch aufhoͤret, eine wahre Schoͤne zu ſeyn,
    wenn ſie ſich gleich von vielen debouchiren lieſſe:
    Alſo koͤnnen gottloſe und laſterhafte Gedanken
    doch in einer ſchoͤnen Schreib-Art eingekleidet
    ſeyn; da man alſo die genothzuͤchtigte Wahr-
    heit
    beklagen, das Sinnreiche aber in dem Aus-
    drucke
    ſolcher Gedanken dennoch loben muß.
    Doch iſt es beſſer, ein einfaͤltiger weiſer Mann,
    als ein ſcharfſinniger Thor, zu ſeyn. Unge-
    uͤbten aber werden dadurch Fallſtricke geleget,
    ſich durch die einnehmende Schreib-Art zu La-
    ſtern verleiten zu laſſen. Denn die Luͤſternheit
    des, zu Ausſchweifungen ohnedem geneigten,
    Herzens
    [219]vom geſunden Witze, ꝛc.
    Herzens wird dadurch ſonderlich geſtaͤrket, wenn
    lebhafte Abſchilderungen im Gemuͤthe entſte-
    hen, dahinter ſich die verbotene Reizungen, als
    hinter einer Scheide-Wand, verſtecken.
  • CXXIX. Ein geſunder Witz und guter Ge-
    ſchmack findet drey Haupt-Arten von Wahr-
    heiten. Etliche ſind, ihrer Natur nach, ſo hoͤchſt-
    noͤthig zu wiſſen, daß man ohne ſolche fuͤr keinen
    vernuͤnftigen Menſchen angeſehen werden kann.
    Dieſe heiſſen die Wahrheiten vom oberſten
    Range.
    Hierauf folgen, in natuͤrlicher Ord-
    nung, diejenigen, welche nach der jetzigen Be-
    ſchaffenheit der Menſchen unentbehrlich, oder
    doch ſehr nuͤtzlich ſind. Das heiſſen die Wahr-
    heiten vom andern Range.
    Endlich giebt es
    gewiſſe Huͤlfs-Wahrheiten, dadurch man zu
    einer oder der andern Haupt-Wahrheit deſto
    leichter gelanget, und dieſe heiſſen die Wahrhei-
    ten vom dritten
    oder unterſten Range.
  • CXXX. Dieſemnach koͤnnte man die ganze
    Gelehrſamkeit, wenn man den gewoͤhnlichen
    Schlendrian der vier Facultaͤten beyſeite ſetzte,
    eintheilen in die Wiſſenſchaften der Wahrheiten
    von der erſten, andern und dritten Claſſe; oder
    der oͤberſten, mittleren und unterſten Gattung.
    Wer nun eine Wahrheit, die, ihrer Natur nach,
    zur unterſten oder mittlern Claſſe gehoͤret, fuͤr
    eine Wahrheit vom oͤberſten Range haͤlt, der
    verraͤth ſeinen falſchen Geſchmack; eben ſo, wer
    eine Wahrheit vom oͤberſten Range nur fuͤr eine
    von der mittlern oder niedrigſten Sorte anſiehet.

CXXXI.
[220]Zwey hundert Maximen
  • CXXXI. Die Wiſſenſchaft, ſich zeitlich und
    ewig gluͤckſelig zu machen, begreifet Wahrhei-
    ten vom oͤberſten Range. Folglich iſt die Er-
    kenntniß des allerhoͤchſten Weſens und der wah-
    ren Religion eine Wiſſenſchaft der hoͤchſten Claſ-
    ſe; daher derjenige, der ſolche gering achtet, ſei-
    nen verdorbenen Geſchmack merklich veroffen-
    baret.
  • CXXXII. Wer nicht im Stande iſt, in de-
    nen noͤthigen Wahrheiten einzuſehen, was wirk-
    lich wahr, oder falſch ſey, der kann fuͤr keinen
    vernuͤnftigen Menſchen gehalten werden. Folg-
    lich gehoͤret die Aufklaͤrung des Verſtandes, da-
    durch man eine Fertigkeit erlanget, richtig zu
    denken, zu den Wahrheiten vom oͤberſten Ran-
    ge (§ 129). Wer demnach ſeinen Verſtand in
    Jrrthum und Ungewißheit ſtecken laͤſſet, und
    meynet, daß ſolches nichts auf ſich habe, der
    verraͤth dadurch ſeinen verkehrten Geſchmack.
  • CXXXIII. Wer ſich nicht in den Stand
    ſetzet, eines andern Vortrag auf uͤberzeugende
    Art in ihm ſelber zu unterſcheiden, was wahr
    oder falſch ſey, ſondern ſich die Maxime in den
    Kopf ſetzet, das fuͤr wahr oder falſch zu halten,
    was ihm der andre dafuͤr ausgiebt, der verleug-
    net den Adel ſeiner Seele, wird ein wahrhafter
    Mucker oder Kriecher mit ſeinem Verſtande,
    ſtehet in beſtaͤndiger Gefahr, durch Einfalt oder
    Betrug eines andern verfuͤhret zu werden, und
    hat einen ekelhaften Geſchmack, indem er das
    bloß nachkaͤuet, was ihm ein anderer vorgekaͤuet
    hat.

CXXXIV.
[221]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXXXIV. Die Wiſſenſchaft, aus uͤberzeu-
    genden Gruͤnden darzuthun, warum das recht
    ſey, was Gott und ein vernuͤnftiger Geiſt thut
    oder laͤſſet, iſt, ihrer Natur nach, hoͤchſt edel
    und wichtig. Daher die Wiſſenſchaft des all-
    gemeinen Rechtes in der ganzen Natur billig zu
    den Wahrheiten vom oͤberſten Range gehoͤret.
    Die Erkenntniß von dem unumſchraͤnkten
    Rechte Gottes
    iſt die Stuͤtze aller wahren Re-
    ligion, und der ſtaͤrkſte Bewegungs-Grund, das
    hoͤchſte Weſen zu ehren, zu lieben, und ihm zu
    gehorchen.
  • CXXXV. So lange hingegen der Menſch
    nicht wahrhaftig uͤberzeuget iſt, daß Gott nicht
    nur die hoͤchſte Macht, ſondern auch das hoͤch-
    ſte Recht
    beſitze, wird er entweder unwillig ſeyn,
    Gott zu gehorſamen, oder gar tuͤckiſch und re-
    belliſch. Beydes aber zeiget an, daß ein ſolcher
    Menſch noch keinen rechten Geſchmack von
    der wahren Religion habe.
  • CXXXVI. Die Erkenntniß von der Ein-
    richtung des Weltgebaͤudes, von den Geiſtern,
    von der Seele des Menſchen, und von den Kraͤf-
    ten der Natur, iſt zwar, in ihrer Natur, nicht
    ſo hoch, daß einer ohne ſolche nicht koͤnnte ein
    vernuͤnftiger Menſch ſeyn; aber ſie iſt doch an
    ihr ſelbſt edel und reizend. Daher die Coſmo-
    logie, Pnevmatic, Anthropologie und Phyſic zu
    den Wahrheiten vom andern Range billig ge-
    hoͤret. Wer ſich aber um dieſe Sachen mehr
    in der Abſicht bekuͤmmert, um ſeiner Neugierde
    dadurch
    [222]Zwey hundert Maximen
    dadurch ein Gnuͤge zu thun, als hingegen, ſei-
    nen Schoͤpfer daraus deſto mehr ehren und lie-
    ben zu lernen, der bezeiget damit ſeinen unor-
    dentlichen Geſchmack.
    Doch geht es an ſich
    an, daß einer ein großer Naturforſcher und
    Weltweiſer ſeyn kann, der doch ein Atheiſte
    in der Haut iſt. Ein ſolcher gleichet derjenigen
    Art von Gemuͤths-Verruͤckten, die nur bey ei-
    nem gewiſſen Punkt eine verletzte Einbildungs-
    Kraft
    haben, in andern Dingen aber voͤllig
    richtig denken. Man nennet es einen Wahn-
    witz,
    oder Abweichung von dem allgemeinen
    bon ſens in gewiſſen Punkten.
  • CXXXVII. Wenn der Menſch ſich unpar-
    teyiſch erforſchet, findet er an ſich und andern
    eine Unvermoͤgenheit und Ohnmacht, das Wah-
    re und Falſche, Gute und Boͤſe durchgaͤngig zu
    treffen, nebſt einer Luͤſternheit, ſich gegen das
    Regiment der Vernunft zu empoͤren, und manch-
    mal etwas vorzunehmen, das er zu andrer Zeit
    anfeindet und verwirft. Daher iſt die Erkennt-
    niß der Tugend und Laſter, auch der natuͤrlichen
    Zuneigung zu Jrrthum und Untugend, eine,
    nach der jetzigen Beſchaffenheit des Menſchen
    hoͤchſt nuͤtzliche, ja unentbehrliche, Wiſſenſchaft;
    mithin gehoͤrt ſolche zu den Wahrheiten vom
    andern Range.
    Waͤren aber keine Laſter in
    der Welt, welches ſeyn wuͤrde, wenn man voll-
    kommen vernuͤnftig waͤre: So beduͤrfte man
    auch nicht dieſer Wiſſenſchaft; dagegen die Er-
    kenntniß Gottes, die Richtigkeit des Verſtan-
    des,
    [223]vom geſunden Witze, ꝛc.
    des, und die Beobachtung deſſen, was recht iſt,
    nicht bloß nach der jetzigen Beſchaffenheit der
    Menſchen, ſondern ewig und unveraͤnderlich zu
    dem Weſen eines vernuͤnftigen Menſchen ge-
    hoͤret.
  • CXXXVIII. Jrrthum und Untugend iſt was
    boͤſes, weil es der Wahrheit und Tugend wi-
    derſtreitet, und alſo nicht beydes zugleich kann
    gut ſeyn. Die Quelle hievon haben einige
    faͤlſchlich in Gott, andere in einem ewig boͤſen
    Weſen, das ſie Gott entgegen geſetzet, geſuchet.
    Beydes zeiget einen verkehrten Geſchmack von
    der Natur der Dinge an. Waͤre ein Weſen,
    das, vermoͤge ſeiner ewigen Natur, ſolche Wir-
    kungen hervorbraͤchte, die wir boͤſe Handlungen
    nennen: So thaͤte es dennoch recht. Denn
    nach ſeiner ewigen Natur konnte es nicht an-
    ders handeln; mithin waͤre es unrecht, ihm an-
    zumuthen, anders zu handeln, als es ſeine ewi-
    ge unveraͤnderliche Natur
    mit ſich braͤchte.
    Das andere Weſen aber, das, vermoͤge ſeiner
    ewigen Natur, gerade dem entgegen handelte,
    was jenes thaͤte, handelte ebenfalls recht. Da-
    her kann unter zweyen ewigen Weſen, die ein-
    ander entgegen handeln, keines boͤſe genannt
    werden, ſo wenig das Feuer darum boͤſe iſt,
    daß es den Kraͤften und Wirkungen des entge-
    genſtehenden Elements, des Waſſers, zuwider iſt.
  • CXXXIX. Es waͤre ein Ungluͤck in der Na-
    tur, wenn ein ewig guͤtiges Weſen durch die
    contrebalancirende Kraft eines ewigen feindſeli-
    gen
    [224]Zwey hundert Maximen
    gen Weſens beſtaͤndig gehemmet, oder endlich
    gar uͤberwaͤltiget wuͤrde; doch koͤnnte man nicht
    ſagen, daß eines gegen das andere unrecht ver-
    fuͤhre. Denn beyde handelten nach ihrer ewi-
    gen unveraͤnderlichen Natur. Welches alſo
    dem andern an Kraͤften uͤberlegen waͤre, es zu
    uͤberwaͤltigen, das thaͤte es de iure. Aber es
    waͤre ein falſcher Geſchmack, wenn man ſich ſo
    fuͤrchterliche Vorſtellungen machen wollte, als
    wenn es einen ewigen Teufel wirklich gaͤbe.
  • CXL. Wenn ein ewiges Weſen vorhanden
    iſt, ehe noch Geſchoͤpfe da ſind: So zeiget es
    an, daß die Kraft, dadurch es von Ewigkeit ge-
    weſen, und ſich in ewiger Dauer erhaͤlt, eine
    hoͤhere ſey, als diejenige Kraft, dadurch es ſich
    gegen Geſchoͤpfe guͤtig erzeiget. Daher erken-
    net der menſchliche Verſtand nicht deutlich, ob
    die moraliſche Guͤtigkeit eines Weſens eben
    nothwendig zu der Kraft gehoͤre, dadurch es ewig
    da iſt; mithin ſcheinet es an ſich nicht unmoͤg-
    lich, daß ein Weſen koͤnnte durch eine ewige ei-
    gene Kraft exiſtiren, wenn es gleich gegen andere
    Weſen keine guͤtige Zuneigung haͤtte. Eben
    daher kann der bloße menſchliche Verſtand nicht
    entſcheiden, ob die in einem Weſen herrſchende
    Feindſeligkeit gegen andere Weſen ein Hinder-
    niß ſey, daß es nicht koͤnne ewig da ſeyn; da
    doch ein ewig Weſen vorhanden, das in ſich
    von Ewigkeit durch ſeine Dauers-Kraft gelebet,
    ehe noch Geſchoͤpfe vorhanden geweſen, denen
    es Guͤte erzeigen koͤnnen.

CXLI.
[225]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CXLI. Die Kraft, dadurch ein ewiges We-
    ſen ewig da iſt, iſt eine andere, als die Schoͤp-
    fers-Kraft, ſo daß es nicht bloß dadurch ewig
    da iſt, weil es die Kraft hat, eine Welt zu ſchaf-
    fen. Vielmehr iſt die Kraft, dadurch es ewig
    vorhanden, ehe es noch eine Welt ſchaffet, in
    ihr hoͤher, als die ganze Fuͤlle der Schoͤpfers-
    Kraft. Denn dieſe bringet nur endliche Weſen
    hervor; dagegen zu einem ewigen Daſeyn eine
    unendliche und unermeßliche Kraft gehoͤret.
    Weil nun die Schoͤpfers-Kraft eine andere iſt,
    als die Kraft der ewigen Exiſtenz: So kann der
    menſchliche Verſtand aus ihm ſelber nicht ent-
    ſcheiden, ob zur Kraft der ewigen Exiſtenz
    auch eben erfordert werde, daß es eine Schoͤp-
    fers-Kraft
    zugleich beſitze. Vielmehr wuͤrde
    ein Weſen von unendlicher Kraft ſchon ſeyn,
    wenn es auch nur ihm ſelbſt zur ewigen Exiſtenz
    genug waͤre, wenn es gleich nicht eine Welt
    ſchaffen koͤnnte. Umgekehrt iſt es wol wahr,
    daß ein Weſen, das allen andern Dingen das
    Seyn giebt, auch zugleich ewig da ſeyn muͤſſe,
    weil es ſonſt, wenn es einmal waͤre ein Nichts
    geweſen, ſich nicht haͤtte ſelber zu einem Weſen
    machen koͤnnen; aber der Schluß folgt nicht:
    Welches Weſen durch ſeine eigene Kraft ewig
    da iſt, das muß nothwendig auch Geſchoͤpfe her-
    vorbringen, oder die Kraft dazu beſitzen.
  • CXLII. Ja, da der menſchliche Verſtand
    einen undeutlichen Begriff von derjenigen Kraft
    hat, dadurch ein Weſen von ihm ſelber ewig da
    Piſt:
    [226]Zwey hundert Maximen
    iſt: So kann man aus bloßer Vernunft nicht
    darthun, daß eben nur ein einziges ewiges We-
    ſen moͤglich oder vorhanden ſey, ſondern, wenn
    wirklich ein Weſen in ihm ſelber eine ewige Kraft
    haben koͤnnen, die zu ſeiner Exiſtenz hinlaͤnglich
    geweſen, koͤnnte ja wol an ſich auch ein ander
    Weſen
    eben ſo eine hohe Kraft beſitzen, durch
    ſich ſelber ewig da zu ſeyn. Ob alſo gleich, zu
    Erklaͤrung des ganzen Welt-Gebaͤudes, eine
    einzige Gottheit zureichend iſt: So wuͤrde man
    doch, nach bloßer Vernunft, fuͤr nicht unmoͤg-
    lich halten, daß noch andere ewige Weſen waͤ-
    ren, denen aber dieſe Welt nichts angienge.
    Gleichwol waͤre es ein uͤberſchreitender Ge-
    ſchmack,
    wenn einer, wie die Heiden, darum
    mehr Gottheiten glauben wollte, weil wir nicht
    begreifen koͤnnen, warum gerade nur ein einig
    Weſen von Ewigkeit ſolche Vorzuͤge habe, daß
    es ohne allen Anfang beſtaͤndig da geweſen?
    Jch fuͤhre aber ſolche hochgetriebene Maximen
    an, damit man deſto mehr die Nothwendig-
    keit der goͤttlichen Offenbarung
    erkenne, und
    der heiligen Schrift glaube.
  • CXLIII. Wenn wir nun aber aus Gottes
    Wort wiſſen, daß nur eine einzige Gottheit wirk-
    lich ſey, auch auſſer Gott kein ewig Weſen,
    Gott aber in ſeiner Natur kein grimmiges feind-
    ſeliges Weſen, ſondern, als Schoͤpfer der gan-
    zen Welt, alle ſeine Geſchoͤpfe in Verhaͤltniß
    gegen ſich betrachte, mithin ſie, als Meiſterſtuͤcke
    ſeiner Allmacht, auch liebe; das Boͤſe auch nicht
    einen
    [227]vom geſunden Witze, ꝛc.
    einen ewigen Urſprung habe, ſondern in der Zeit
    entſtanden ſey: So iſt doch bisher die Lehre
    vom wahren Urſprunge und eigentlicher Beſchaf-
    fenheit des Boͤſen den Weltweiſen ein Gordia-
    niſcher Knoten geweſen, den einige große Ge-
    lehrte, als Leibnitz, Bayle, Wolf, Haller,
    ſamt andern, aufzuloͤſen getrachtet, aber, ſo viel
    man aus ihren Schriften erſiehet, noch nicht
    das letzte Ziel erreichet, ſondern ein weiteres
    Nachſinnen uͤbrig gelaſſen haben.
  • CXLIV. Da der menſchliche Verſtand beſſer
    zurechte kommt, wenn er ſich Einheiten vor-
    ſtellet, als wenn er unzehlbare Vielheiten mit
    einmal zuſammen nimmt: So ſtelle man ſich
    Gott als die eine Einheit, und die Welt als die
    andere Einheit vor. Aus der ganzen Welt neh-
    me man nur einen einzigen vernuͤnftigen Geiſt,
    oder ſtelle ſich vor, als wenn nichts vorhanden
    waͤre, als nur Gott, und ein einziger erſchaffe-
    ner Geiſt. Dieſer erſchaffene Geiſt hat eben
    darum, weil er erſchaffen iſt, nichts mehr, als
    die Kraft, die ihm Gott gegeben. Der er-
    ſchaffene Geiſt hat alſo nichts eigenes, als was
    von Gott ihm zugetheilt worden. Er beſitzet,
    auſſer der anerſchaffenen Kraft, keine weitere,
    ſondern, wenn ich ihm alles das entnehme, was
    er von Gott hat, iſt er ein Unding, und ein
    Nichts. Es kommen demnach alle Veraͤnde-
    rungen, alle Gedanken und Neigungen, die der
    erſchaffene Geiſt von ſich auslaͤßt, aus der an-
    erſchaffenen Kraft her. Alle ſeine Handlungen
    P 2muͤſſen
    [228]Zwey hundert Maximen
    muͤſſen aus dieſer Kraft aufgeloͤſet werden, und
    uͤber ſolche beſitzet er nichts m̃ehr. Wollte man
    nun ſagen, er mißbrauche ſich ſeiner Kraft:
    So hat der erſchaffene Geiſt keine aparte Kraft
    uͤber die anerſchaffene, dadurch er ſich eines
    Dinges mißbrauchen koͤnnte. Eigentlich alſo
    mißbraucht er ſeine Kraft niemals; aber es kann
    wol ſolche nicht hinreichend ſeyn, dasjenige zu
    praͤſtiren, was er praͤſtiren wuͤrde, wenn er mehr
    Kraft haͤtte.
  • CXLV. Spraͤche man alſo: Der erſchaffe-
    ne Geiſt hat in dem oder jenem unrecht gethan:
    So laͤßt ſich ſolches nur in Verhaͤltniß gegen
    andere Weſen ſagen, die naͤmlich, wenn ſie mehr
    Kraͤfte gehabt, auch anders wuͤrden gedacht und
    gethan haben. Wollte man aber ſagen, er ha-
    be ſich nicht durch die anerſchaffene Kraft die-
    ſer und jener Dinge unrecht gebraucht, ſondern
    durch ſeine eigene Schuld: So muͤßte man zu-
    voͤrderſt annehmen, daß der erſchaffene Geiſt
    annoch uͤber die anerſchaffene Kraft eine be-
    ſondere eigene habe, die ihm zur Schuld ange-
    rechnet werden koͤnne. Da aber dieſes ohn-
    moͤglich: So folget eben daraus, daß es lauter
    Reden ohne richtigen Begriff ſind, wenn man
    ein ſo langes und breites bisher von der Freyheit,
    und deren Mißbrauch, von Selbſtverſchuldung,
    von Selbſtverderbung, oder daß ein Geſchoͤpfe
    ſich ſelber habe frevelhaft verdorben, und andern
    ſolchen Alfanzereyen, geſchwaͤtzet. Wer aber
    der Wahrheit einen rechten Geſchmack ab-
    gewinnet,
    [229]vom geſunden Witze, ꝛc.
    gewinnet, der lernet aus dem angefuͤhrten hand-
    greiflich, daß, weil Gott kein wahres Boͤſe ſchaf-
    fen, kein Geſchoͤpf aber auch ſich ſelber boͤſe
    machen,
    ſondern bloß ſich der anerſchaffenen
    Kraft gebrauchen kann, alle unrechte Handlun-
    gen aus keiner boͤſen Quelle kommen, ſondern
    nur Abſchilderungen ſind, wie weit die einge-
    ſchraͤnkten Kraͤfte
    zureichen.
  • CXLVI. Die Ohnmoͤglichkeit nun, daß ein
    Geſchoͤpf uͤberall ſo vollſtaͤndige Einſicht haben
    koͤnne, als Gott, iſt die Quelle ſo vielerBe-
    vuën,
    die ein Erbtheil der menſchlichen Natur
    ſind. Je weniger Verſtands-Kraͤfte, je mehr
    Jrrthum; je weniger Triebe in der Natur, je
    matter die Neigungen. Daß aber auch der
    Menſch ſolche Dinge nicht einmal weiß, die er
    doch auf erhaltenen Unterricht faſſen lernet, zei-
    get an, daß der Menſch theils unter den Feſſeln
    der Allmacht liege, die ihm Zeit und Punkt be-
    ſtimmt, wenn ſich ſeine Seele regen ſoll; theils
    in den Banden der Ohnmacht, da Gott, nach
    ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt, uns gewiſſen
    feindſeligen Kraͤften anderer Weſen uͤberlaͤßt,
    die unſern Verſtand gefangen nehmen, bis er
    ſich Gott ganz ergiebet.
  • CXLVII. Viele halten ſich fuͤr Leute von ei-
    nem gar hohen Geſchmacke, wenn ſie alle Teu-
    fel
    verlachen, und fuͤr Maͤhrgen halten koͤnnen.
    Aber ich halte den Teufel fuͤr das allerkunſt-
    reichſte
    Paradoxon in der ganzen Natur. Gott
    ſiehet in ihm einen Abdruck ſolcher Gedanken,
    P 3die
    [230]Zwey hundert Maximen
    die in Gott hoͤchſt gerecht, bey dem Teufel ein
    Wahnwitz ſind. Gott denkt von ſich ſelber:
    Jch bin der Weiſeſte, Maͤchtigſte, Souverain-
    ſte, Jndependenteſte, und der Unaufhoͤrliche.
    Dis denket der Satan von ſich auch. Alſo
    ſiehet Gott in ihm den Abdruck ſeiner Gedan-
    ken, welches Gott als ein Luſt-Spiel vorkoͤmmt.
    Gott ſtellet zugleich an dem Satan allen ver-
    nuͤnftigen Geſchoͤpfen ein lebendig Bild vor, daß
    ein Geſchoͤpf mit aller ſeiner Kraft gegen Gott
    ohnmaͤchtig ſey. Gott wird ihn auch nicht ei-
    gentlich ſtrafen, ſondern nur zeigen, wie tief er
    ihn erniedrigen koͤnne. Jch erſtaune uͤber die-
    ſem goͤttlichen Luſt- und Schatten-Spiele!
  • CXLVIII. Wenn man vorſtehende Grund-
    Saͤtze tief zu Herzen nimmt, bekoͤmmt man ei-
    nen deutlichen Begriff von Wahrheit und Jrr-
    thum, Tugend und Laſter, Gutem und Boͤſen.
    Alles, was Gott ſaget, gebietet und wirket, iſt
    in ſich gut. Alles, was die abtruͤnnigen Ge-
    ſchoͤpfe thun, iſt unrichtig, mangelhaft, verwerf-
    lich. Handlen gleich alle untere abtruͤnnige
    Geiſter
    nach den Geſetzen der Bewegung, die
    ihnen der oͤberſte abtruͤnnige Geiſt eingepflanzet:
    So ſetzet doch Gott ſein angenehmes Schatten-
    Spiel
    fort, daß er dem Satan manchen ent-
    reiſſet, die andern auf eine andere Oeconomie
    aufhebet. Der oͤberſte abtruͤnnige Geiſt aber
    handelt nach den Geſetzen der goͤttlichenEnan-
    tiometrie,
    oder des Gegen-Satzes, gleich als
    ſpraͤche Gott: Verſuche alle dein Heil, ich gebe
    dir
    [231]vom geſunden Witze, ꝛc.
    dir ſo viel Kraft und Nachſicht, als ich einem
    Geſchoͤpfe, ohne mich der Gottheit zu begeben,
    irgend verſtatten kann; aber am Ende wirſt du
    und alle Welt erfahren, daß kein Geſchoͤpf es
    mit dem ewigen Gott aushalten koͤnne, ſondern
    entweder in ſein vorig Nichts zuruͤck fallen, oder
    ſich endlich vor ihm demuͤthigen muͤſſe. Die
    Quelle alſo aller Touren des oͤberſten abtruͤnni-
    gen Geiſtes iſt kein wirklich boͤſesprincipium,
    ſondern daß die Macht Gottes ihn in gewiſſen
    Grund-Begriffen mit einem Wahnwitze beleget
    hat. Gott verfaͤhret freylich mit denen abtruͤn-
    nigen Geiſtern ſo, als er verfahren wuͤrde, wenn
    ſie ſelbſtſtaͤndige Weſen waͤren, die ſich gegen
    Gott feindſelig auffuͤhreten. Dieſes kommt aus
    dem unumſchraͤnkten Rechte Gottes, mit ſei-
    nen Geſchoͤpfen frey umzugehen, um alle Arten
    ſeiner goͤttlichen Macht kund zu thun. Weil
    aber Gott die ewige Liebe iſt, wird er endlich
    allen Geſchoͤpfen, die er zur Luſt gedemuͤthiget
    hat, hinlaͤnglichen Erſatz thun. Wer es faſ-
    ſen kann, der faſſe es!
  • CXLIX. Es iſt eine recht wunderbare Ein-
    richtung in der menſchlichen Seele, daß ſie durch
    Furcht und Hoffnung, mithin durch Strafen
    und Belohnungen, von vielen Laſtern abgezo-
    gen und zur Tugend gewoͤhnet wird. Ob auch
    gleich in jedem Menſchen ein zureichender oder
    uͤberwichtiger Grund aller ſeiner Handlungen
    iſt, ſonſt keine zur Wirklichkeit kaͤme, wenn nicht
    ein Uebergewichte in der Seele waͤre, da es
    P 4denn
    [232]Zwey hundert Maximen
    denn in eben den Umſtaͤnden nicht moͤglich iſt,
    daß ſie anders agiren ſollte: So wird doch durch
    vorherſtehende Grund-Begriffe von der goͤttli-
    chen
    Enantiometrie, die in den Geſchoͤpfen zu
    erſehen, nichts an den eingefuͤhrten Begriffen
    von Verbrechen und Strafen benommen. Denn
    wenn gleich der, ſo etwas verbricht, in ſolchen
    Gemuͤths-Umſtaͤnden geſtanden, die das Ueber-
    gewichte
    gegeben haben: So dienet doch ſeine
    Abſtrafung entweder zu ſeiner eigenen Beſſerung,
    oder aber andern zur Nachhelfung, daß ſie einen
    deſto tiefern Eindruck bekommen, welcher ſonſt
    nachgeblieben waͤre, wenn nicht ſo ein Beyſpiel
    abgeſtrafter Verbrechen ihnen vorgekommen
    waͤre. Will man aber die Sache in einen ho-
    hen Begriff
    faſſen: So ſind alle am Leben ge-
    ſtrafte Verbrecher eigentlich Schlacht-Opfer
    der hoͤchſten Gewalt
    uͤber den lebendigen Odem;
    und eben der Menſch, der itzo als ein Uebelthaͤ-
    ter abgeſtrafet wird, wuͤrde ſolche That unter-
    laſſen haben, wenn ſeine Seele ſich in einem
    andern Coͤrper befunden haͤtte. Dieſe Vor-
    beſtimmung
    aber der Ordnung, darinn jeder
    Menſch auf die Schaubuͤhne der Welt kommt,
    oder wieder abtritt, dependirt lediglich von der
    freyen Vorſehung Gottes. Die Comoͤdien
    und Tragoͤdien, die Gott bey Regierung der
    Welt verhaͤnget, haben einen ſchwereren Auf-
    loͤſungs-Knoten,
    als unſere Schauſpiele; aber
    es haͤnget alles im Ganzen fuͤrtrefflich an ein-
    ander.

CL.
[233]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CL. Dieſemnach gehoͤrt die Wiſſenſchaft,
    die Handlungen der Menſchen zu beſtimmen, da-
    mit ſie in der Republik einander nicht beeintraͤch-
    tigen, und, wo ſolches geſchehen, Erſatz geſche-
    he, auch wol die unrechte That nach Befinden
    beſtrafet werde, oder mit einem Worte, die
    Rechts-Gelehrſamkeit, zu denen Wahrheiten
    vom andern Range. Zur oͤberſten Claſſe kann
    man ſie nicht rechnen, weil ſie nur nach dem
    ſtatu hominum praeſenti eingerichtet ſind.
    Waͤren wir alle vollkommen vernuͤnftig, wuͤrde
    man nicht wiſſen, was laeſiones in lure waͤ-
    ren. Man wuͤrde keine Proceſſe haben; denn
    jeder wuͤrde gleich wiſſen, was recht waͤre, oder
    doch durch deutlichen Vortrag ſich flugs uͤber-
    zeuget finden. Es iſt aber die Rechts-Wiſſen-
    ſchaft nach der jetzigen Beſchaffenheit der Men-
    ſchen hoͤchſt nuͤtzlich, und einem Richter der Strei-
    tigkeiten unentbehrlich.
  • CLI. Der menſchliche Leib uͤbertrifft an kuͤnſt-
    licher Zuſammenſetzung alle Maſchinen in der
    Welt. Der Umlauf des Gebluͤtes iſt ſo ein
    Meiſterſtuͤck der Natur, daß die Bewegung un-
    aufhoͤrlich fortgehen koͤnnte, wenn nicht durch
    Speiſe und Trank, auch andre Zufaͤlle, ſolches
    kuͤnſtliche Triebwerk nach und nach zerſtoͤret
    wuͤrde. Die Unwiſſenheit nun in der zu hal-
    tenden Diaͤt, wie viel naͤmlich zum Erſatz der
    abgehenden Kraͤfte noͤthig ſey, desgleichen die
    Einfuͤhrung ſolcher Theilgen ins menſchliche Ge-
    bluͤte, die es inflammiren, oder aber ins Stok-
    P 5ken
    [234]Zwey hundert Maximen
    ken bringen, iſt die Quelle aller Krankheiten.
    Auch kommen von auſſen manche gewaltſame
    Anfaͤlle durch Verletzung der Gliedmaßen. Da-
    her gehoͤren die Wiſſenſchaften der Medicin, oder
    innern Cur, und der Chirurgie, oder aͤuſſeren
    Heilungs-Mittel, zu den Wahrheiten vom an-
    dern Range,
    oder die nach jetziger Beſchaffen-
    heit der Menſchen noͤthig und nuͤtzlich ſind. Bey
    dem Stande vollkommener Vernunft aber wuͤr-
    de man weder Aerzte noch Barbierer beduͤrfen.
  • CLII. Der ſittliche Gebrauch ganzer Voͤlker,
    die Regeln der Humanitaͤt und der Betrug arg-
    liſtiger Menſchen haben die Politic erfunden.
    Weil nun ſolche ebenfalls nach dem itzigen Zu-
    ſtande der Menſchen, da man bald mit Klugen,
    bald Narren, bald Aufrichtigen, bald Falſchen,
    bald mit denen von dieſer Profeßion, bald einer
    andern, zu thun hat, noͤthig, ja unentbehrlich
    iſt: So gehoͤrt ſolche gleichergeſtalt zu den Wahr-
    heiten von der mittlern Gattung (§ 129). Sie
    iſt entweder die Staats-Politic, oder kluge Ein-
    richtung eines ganzen Staates, nach derjenigen
    Verbindung, darinn die hoͤchſte Gewalt des
    Landes, ſie ſey nun bey einem oder mehrern, mit
    denen ihr Untergebenen, wie auch aller Staͤnde
    des gemeinen Weſens, unter einander ſtehen;
    oder aber die Privat-Politic, welche anweiſet,
    wie man ſich gegen Hohe, ſeines Gleichen und
    Niedere, gegen Einheimiſche und Fremde, Fein-
    de und Freunde, ja gegen alle Menſchen, auf-
    fuͤhren muͤſſe.

CLIII.
[235]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CLIII. Die Gemuͤther der Menſchen ſind ſo
    gar mannigfaltig, daß es in der Ausuͤbung ſchwer
    iſt, ſich in alle Leute zu ſchicken. Doch werden
    als Leute von gutem Geſchmacke und politer
    Converſation
    diejenigen gehalten, die leutſelig,
    beſcheiden, keine Großſprecher, demuͤthig, freund-
    lich, dienſtfertig, ſchlau, treuherzig, aufgeweckt,
    ſcharfſinnig und tugendhaft ſind. Es iſt ein ſo
    wunderbarer Gegenſatz unter den Menſchen,
    daß mancher das liebet, was der andere haſſet;
    dieſer etwas hochachtet, was dem andern als
    gering vorkoͤmmt; einer etwas billiget, das der
    andere tadelt. Hier iſt nun der Klugheit gemaͤß,
    wenn man bey Leuten iſt, vor denen man Re-
    ſpect brauchen muß, mit ſeinem Urtheile zuruͤck
    zu halten, bis man jene ausgeforſchet. Kom-
    men wir mit ihren Maximen uͤberein: So wer-
    den wir nach ihrem Geſchmacke ſeyn. Gehen
    ſie von uns ab, und wir wiſſen uns kluͤglich zu ver-
    ſtellen: So werden wir ſelten dabey uͤbel fahren.
  • CLIV. Mißtrauen, Argwohn, Eiferſucht,
    ſchicken ſich beſſer fuͤr Leute von niedertraͤchti-
    gem Geſchmacke,
    als edle Gemuͤther. Ein
    heimtuͤckiſch Gemuͤth iſt im Umgange unleidlich,
    und man trauet ihm niemals. Ein redlich Herz
    wird wol wegen ſeiner allzugroßen Aufrichtigkeit
    heimlich manchmal verlachet; aber man verſie-
    het ſich doch zu ihm kein Boͤſes. Die haͤmi-
    ſchen
    Gemuͤther denken zwar, ſie haben die
    Klugheit bey allen Zipfeln; aber ſie werden
    ſchwerlich einen einzigen guten Freund haben,
    und
    [236]Zwey hundert Maximen
    und ein Haͤmiſcher haſſet den andern, ob er ihm
    ſchon am Gemuͤthe gleich iſt, dennoch innerlich
    oͤfters aufs aͤuſſerſte.
  • CLV. Das weibliche Geſchlecht iſt groͤßten-
    theils zur Schwatzhaftigkeit, Eitelkeit, Fanta-
    ſie in Kleiderputz, Luͤſternheit und Wankelmuth
    geneigt. Doch giebt es auch manche von einem
    fuͤrtrefflichen Witze, guten Geſchmacke und
    maͤnnlicher Tapferkeit. Ueberhaupt aber wer-
    den Leute von feinem Geſchmacke mit dem ſchoͤ-
    nen Geſchlechte gern umgehen.
  • CLVI. Die Ausſuchung der Freunde erfor-
    dert einen gar vorſichtigen Geſchmack. Ein
    wohlgeſpickter Beutel kann dir viel Freunde er-
    wecken. Eine reichlich gedeckte Tafel noch meh-
    rere. Die aufſtoßende Noth aber wird man-
    chem weiſen, wie duͤnne wahre Freunde geſaͤet
    ſind. Ein Freund zeiget eben nicht dadurch ſei-
    nen guten Geſchmack der Freundſchaft, wenn
    er, unter dem Scheine der Aufrichtigkeit, ſei-
    nem Freunde grob begegnet, ihm ſolche empfind-
    liche Vorruͤckung thut, als kaum ein Feind thun
    wuͤrde, oder ihm kleine Fehler hoch aufmutzet.
    Wohl dem, der in ſolchen Vortheilen ſtehet, daß
    er ſich weder um viel Freunde bewerben, noch
    Feinde fuͤrchten darf. Ein ſtilles geruhiges Le-
    ben in einem mittelmaͤßigen Stande uͤbertrifft
    alle Fineſſen und Cabalen, darein ſich viele, die
    fuͤr Leute von auſſerordentlichem Diſcernement
    und ausnehmendem Geſchmacke angeſehen ſeyn
    wollen, einflechten, auch gar oft hinters Licht fuͤh-
    ren laſſen muͤſſen.

CLVII.
[237]vom geſunden Witze, ꝛc.
  • CLVII. Der beſte Geſchmack im Eheſtan-
    de iſt, wenn gleiche Gemuͤther, und geſunde
    auch noch in der Bluͤte ſeyende Leiber ſich mit
    einander vereinigen. Wo aber Luͤſternheit und
    Eiferſucht einreiſſet, kann ein Ehegatte leicht ei-
    nen verwoͤhnten Geſchmack bekommen, und
    ſich nach fremder Speiſe umſehen. Es iſt ein
    Geſchmack des Eigenſinnes, mit ſeinem Weibe
    um die Herrſchaft ſtreiten; denn wahre Liebe
    weiß von keiner Herrſchaft, ſondern gemein-
    ſchaftlicher Gefaͤlligkeit, alles zu thun und zu
    laſſen, was es dem andern an den Augen anſe-
    hen kann. Die Brumm-Baͤre, Kalmaͤuſer
    und Buͤcher-Wuͤrmer, die ihre ſchoͤnen jungen
    Weiber Braach liegen laſſen, haben einen
    wunderlichen Geſchmack. Es hat alles ſeine
    Zeit; und wer immer uͤber den Buͤchern knau-
    ſtern will, ſollte lieber gar nicht heyrathen. Da-
    her that jene raſche Frau nicht unrecht, daß ſie,
    mit Aufhebung ihres Appetits-Roͤckgens, zu
    ihrem Mann ſagte: Mann, hier iſt dasCor-
    pus Iuris,
    da ſollteſt du fleißiger in leſen, als
    in deinen alten Staͤnkern!
  • CLVIII. Ein redlicher Buͤrger des gemeinen
    Weſens findet keinen Geſchmack an Aufwie-
    gelung, Ohrenblaͤſerey, Verunglimpfung der
    Obrigkeit, noch weniger an ſolchen Laſtern, da-
    durch die oͤffentliche Ruhe und Sicherheit des
    gemeinen Weſens geſtoͤret wird; am allerwe-
    nigſten aber an Aufruhr, Rebellion und Landes-
    Verraͤtherey. Die buͤrgerliche Honnettetaͤt er-
    ſtrecket
    [238]Zwey hundert Maximen
    ſtrecket ſich auch ſo weit, daß man nach ſolcher
    keinen Geſchmack an liederlicher Geſellſchaft,
    Saufgelachen, Laͤrmen, Unzucht, Schwaͤchung
    der Jungfrauen und Ehebruch findet. Wer
    ſolche Dinge fuͤr Kurzweil oder Galanterie haͤlt,
    hat noch nicht einmal den Geſchmack von dem,
    was ein honnêt-homme ſey.
  • CLIX. Die Unempfindlichkeit der ſtoiſchen
    Weltweiſen, nach welcher man alle ſchmerzhaf-
    te Empfindungen nichts achten, und die Natur
    gegen alle widrige Zufaͤlle verhaͤrten ſoll, iſt eine
    Anzeige eines gar rauhen Geſchmacks. Wer
    von keinem Zufalle, der ihm ſelbſt begegnet, ge-
    ruͤhret
    wird, iſt nothwendig noch viel haͤrter
    und unempfindlicher, wenn andern dergleichen
    ſchmerzliches widerfaͤhret. Ein ſolcher Hartkopf
    aber ſchicket ſich beſſer in die Wuͤſten, daß er
    verſuche, ſich von wilden Thieren verletzen zu
    laſſen, und ſeinen Schmerz zu verbeiſſen, als
    daß er im gemeinen Weſen die Menſchen in un-
    empfindliche Steine verwandeln wollte. Es
    ſind auch ſolche ſtoiſche Weltweiſe ſchlechte Aus-
    uͤber ihrer auſtéren Moral. Man mache nur
    Mine, daß man ſich uͤber ſie aufhalte, ſie wer-
    den bald daruͤber empfindlich genug werden.
  • CLX. Weder die Tollkuͤhnen, noch die Ver-
    zagten,
    haben einen geſetzten Geſchmack. Der
    Gefahr, der man entgehen kann, ſich unbedacht-
    ſamer Weiſe ſelbſt in den Wurf zu geben, iſt
    keine Herzhaftigkeit, ſondern Verwegenheit.
    Die wahre Herzhaftigkeit beſtehet in dem uner-
    ſchrockenen
    [239]vom geſunden Witze, ꝛc.
    ſchrockenen Muthe, die Verhaͤngniſſe der alles
    lenkenden Vorſehung getroſt uͤber ſich ergehen
    zu laſſen. Ein Verzagter hingegen glaubt ent-
    weder keine goͤttliche Vorſehung, oder aber,
    weil er laſterhaft iſt, fuͤrchtet er ſich vor der
    Strafe der erzuͤrnten Gerechtigkeit. Jedoch ein
    Herz, das da weiß einen gnaͤdigen Gott zu ha-
    ben, wird in widrigen Zufaͤllen die Gemuͤths-
    Gegenwart nicht fallen laſſen, und alſo weder
    kleinmuͤthig ſeyn, um nicht das Regiment der
    Vorſehung zu tadeln, noch verwegen, um den
    Character der Gottesfuͤrchtigen nicht zu pro-
    ſtituiren.
  • CLXI. Die Gemuͤths-Gegenwart(Pré-
    ſence d’Eſprit)
    iſt eine Univerſal-Tugend,
    ohne welche man zu keinem erhabenen Geſchmacke
    in keiner Wiſſenſchaft gelangen kann. Sie
    begreifet eine ſchnelle Gemuͤths-Fertigkeit, uͤber
    ſich ſelbſt zu reflectiren. Man iſt alsdann gleich-
    ſam ein Aufmerker ſeiner ſelbſt, ein Zeuge von
    beſchehener genauer Unterſuchung der Wahrheit,
    und ein unpartheyiſcher Richter, daß man ſolche
    gefunden.
  • CLXII. Die Gemuͤths-Gegenwart ma-
    chet, daß man alle ſeine Gedanken, Reden und
    Thaten am Zuͤgel, auch gleichſam am Schnuͤr-
    gen hat, ſo daß man im Stande iſt, aus dem
    Stegereif einen ſchoͤnen Einfall, guten Rath
    und loͤbliches Unternehmen auszuſinnen. Man
    beherrſchet ſich durch die Gemuͤths-Gegenwart
    ſelber, und haͤlt vermittelſt derſelben alle aus-
    ſchwei-
    [240]Zwey hundert Maximen
    ſchweifende Leidenſchaften in behoͤrigen Schran-
    ken.
  • CLXIII. Wie ein wachſamer Soldate, wenn
    er im Felde auf dem Poſten ſtehet, des Nachts alle
    Voruͤbergehende anſchreyet, und, wenn es ein
    Feind iſt, gleich Feuer giebet: Alſo examinirt
    einer, der die Gemuͤths-Gegenwart beſitzet,
    alle ſeine aus- und eingehende Gedanken. Will
    ſich nun eine Leidenſchaft gegen die Vernunft
    empoͤren: So giebt er gleich Feuer darauf. Er
    haͤlt die aufſteigende Wallung des Gemuͤthes in
    Schranken. Er beſitzet ſich ſelbſt, und laͤuft
    mit einem uͤberdenkenden Urtheile allen ſeinen
    aufſteigenden Affecten auf dem Fuße nach. Ue-
    bereilt ihn nun ja etwa der Zorn, oder eine an-
    dere Leidenſchaft: So recolligirt er ſich doch bald
    wieder. Er daͤmpfet die Gemuͤths-Entzuͤn-
    dung
    durch Vorſtellung, daß er Meiſter uͤber
    ſich ſelbſt ſeyn, auch andrer Schwachheiten nicht
    ſo hoch empfinden, noch ſich uͤber andrer Ver-
    gehungen zu ſehr entruͤſten muͤſſe.
  • CLXIV. Ohne die Gemuͤths-Gegenwart (Pré-
    ſence d’Eſprit)
    wird einer auch an denen ihm
    erzeigten Gutthaten keinen rechten Geſchmack
    finden. Ein leichtes Gemuͤth vergiſſet der
    Wohlthat bald, und achtet ſolche wenig. Ein
    erkenntliches Gemuͤth aber hat ſolche in ſtetem
    Andenken, und verbindet damit einen Trieb der
    Dankbarkeit. Die Wohlthaten, die einem
    dankbaren Gemuͤthe erzeiget werden, ſind bey
    ihm, als in einer Schatzkammer, verwahret.
    Nichts
    [241]vom geſunden Witze, ꝛc.
    Nichts iſt ihm ſo angelegen, als ſich inacht zu
    nehmen, damit er ſeinem Wohlthaͤter ja nichts
    zum Verdruß thue. Jrrt er nun manchmal
    gleich in ſeiner Einſicht: So iſt er doch nicht
    im Stande, den Wohlthaͤter vorſetzlich zu be-
    leidigen. Auch wenn er hoch ſteiget, wird er
    die im niedrigen Stande ihm erzeigte Gutthaten
    in deſto verpflichteterm Andenken behalten.
  • CLXV. Die Wiſſenſchaft, allgemeine Be-
    griffe
    anzugeben, deren man ſich in allen Thei-
    len der Gelehrſamkeit bedienen koͤnne, gehoͤrt
    unter die Huͤlfs-Wahrheiten, mithin zu der
    dritten Claſſe, oder den Wahrheiten vom un-
    terſten Range. Sie ſind nicht um ihrer ſelbſt
    willen, ſondern dadurch die Begriffe in den hoͤ-
    hern Wiſſenſchaften zu erleichtern. Alſo wenn
    einer z. E. gleich uͤberhaupt wuͤßte, was eine
    Subſtanz, ein Zufaͤlliges, eine Abſicht, ein
    Mittel, oder dergleichen, bedeute: So wuͤßte
    er doch aus ſolchen Huͤlfs-Woͤrtern nicht, was
    nun z. E. der finis der Theologie, Jurisprudenz,
    Medicin ꝛc. ſey; ſondern er muͤßte ſolches aus
    ſolchen Disciplinen ſelbſt erlernen. Jndeß aber,
    weil alle practiſche Wiſſenſchaften ihre fines oder
    Abſichten haben, iſt es gut, wenn man uͤber-
    haupt einen Begriff bekoͤmmt, was durch fines
    verſtanden werde.
  • CLXVI. So iſt demnach die ganze Meta-
    phyſic
    eine Huͤlfs-Disciplin, um mit denen
    darinn erlernten Grund-Begriffen in andern
    Haupt-Wiſſenſchaften deſto beſſer fortzukom-
    Qmen.
    [242]Zwey hundert Maximen
    men. Wer aber in dieſen allgemeinen Begrif-
    fen beſtehen bleiben, und nicht die Wahrheiten
    vom oͤberſten und andern Range faſſen wollte,
    der waͤre wie einer, der ſich immer mit einer
    Meß-Schnure ſchleppte, ohne ſolche wirklich an-
    zulegen, noch etwas darnach auszumeſſen.
  • CLXVII. Die kuͤnſtliche Logic, in ſo fern
    ſie Vortheile anweiſet, ſich von den Sachen de-
    ſto leichtere Begriffe zu machen, Urtheile abzu-
    faſſen, und Schluͤſſe auszuſinnen, oder zu be-
    urtheilen, gehoͤrt auch zu den Wahrheiten vom
    unterſten Range. Jn ſo ferne aber darinn
    ſelbſt die weſentlichen Kraͤfte des menſchlichen
    Verſtandes und die Regeln der Rechtdenkung
    vorgetragen werden, gehoͤret ſie zu den Wahr-
    heiten vom oͤberſten Range. Es ſind aber vie-
    le tauſend Menſchen, die richtig denken und ur-
    theilen, wenn ſie gleich ihr Lebtage keine kuͤnſt-
    liche Logic erlernet haben.
  • CLXVIII. Wer in der kuͤnſtlichen Logic die
    abſtrahirten Begriffe uͤbertreibet, und, anſtatt
    einer vernuͤnftigen Anatomie des Verſtandes,
    ihn gleichſam zerſplittert und zerpitzelt, der hat
    einen ſo laͤcherlichen Geſchmack, als wenn ei-
    ner, bey Beſchreibung eines Pallaſtes, alle Qua-
    derſteine und Balken daran zehlen wollte. Sol-
    che Staͤubleins-Gruͤbler und Zerlaͤſterer des
    geſunden Witzes
    muß man fuͤr Wuͤrmer hal-
    ten, die in ihren eigenen Grillen ſich ſelber ver-
    graben, und in ihrem eigenen Spinnegewebe ſich
    verſitzen. Lernt er aber die Logic gar deswegen,
    um
    [243]vom geſunden Witze, ꝛc.
    um einen Sophiſten und ſpitzfindigen Verleum-
    der
    abzugeben: So iſt er wie eine Horniſſe,
    die ihren Stachel nicht zum Einſammlen des
    Honigs, ſondern zu heftigem Anſtechen derer
    gebrauchet, die ihr zu nahe kommen.
  • CLXIX. Die Wiſſenſchaft der Sprachen
    gehoͤret ebenfalls zu den Huͤlfs-Wahrheiten,
    mithin zu der dritten Claſſe. Eine Sprache
    an ſich iſt eine Miſchung unterſchiedener Laute,
    die eine gewiſſe eingefuͤhrte Bedeutung haben.
    Alſo liegt in der Sprache ſelbſt keine Realitaͤt.
    Aber weil keine Wahrheit vom erſten oder an-
    dern Range einem andern kann fuͤglich beyge-
    bracht werden, als vermittelſt der Sprache;
    hingegen einer dis, der andere jenes beſſer ver-
    ſtehet: So kann alſo einer, der mehrere Spra-
    chen weiß, ſich dadurch die Erkenntniß wichtiger
    Wahrheiten deſto mehr erleichtern.
  • CLXX. Die grammaticaliſchen, philolo-
    giſchen
    und critiſchen Sprach-Schriften ſind
    beſondere Huͤlfs-Mittel zu Erleichterung der
    Sprach-Wiſſenſchaft. Da nun aber alle
    Sprach-Wiſſenſchaft nur zu der unterſten Claſſe
    der Wahrheiten gehoͤret (§ 169): So verraͤth
    der ſeinen pedantiſchen Geſchmack, der ſich auf
    die Sprach-Critic mehr einbildet, und ſolche
    hoͤher ſchaͤtzet, als die reellen Wiſſenſchaften.
  • CLXXI. Das Leſen der Buͤcher iſt gut
    und heilſam, um ſich daraus einen Vorrath noͤ-
    thiger und nuͤtzlicher Wahrheiten einzuſammeln.
    Wer aber nichts thut, als auswendig lernen,
    Q 2ohne
    [244]Zwey hundert Maximen
    ohne ſelber ein gruͤndlich Urtheil vom Wahren
    und Falſchen faͤllen zu koͤnnen, der iſt ein leben-
    dig Woͤrter-Buch und eine klingende Schelle,
    oder ein lebendiges Buͤcher-Repoſitorium, auf
    welchem ganz widerwaͤrtige Schriften neben
    einander ſtehen koͤnnen, dazu der Entſcheider
    fehlet.
  • CLXXII. Die Beredſamkeit iſt eine Fer-
    tigkeit, ſeine Gedanken in einer Sprache nicht
    nur rein, ſondern auch deutlich und ſchoͤn aus-
    zudruͤcken, daß man von der vorgetragenen
    Wahrheit lebendig geruͤhrt wird. Wer aber
    keine reelle Wahrheiten aus der erſten und an-
    dern Claſſe hat, wird ſich entweder mit andrer
    Gedanken behelfen muͤſſen, oder einen gelehr-
    ten Waͤſcher
    abgeben, der ſixcalax von allem
    plaudert, was ihm ins Maul koͤmmt. Der
    groͤßte Redner, in ſo fern er ein Redner iſt, ſte-
    het nur in der unterſten Claſſe der Gelehrten.
    Traͤget er aber Wahrheiten vom erſten Range
    oratoriſch vor: So gehoͤrt er unter die Gelehr-
    ten vom oͤberſten Range. Nicht der Rede-
    Vortrag, ſondern die Wichtigkeit der vorgetra-
    genen Sache macht den Unterſchied zwiſchen
    großen und kleinen Gelehrten.
  • CLXXIII. Die Poeſie iſt eine Huͤlfs-Wiſ-
    ſenſchaft,
    gruͤndliche Wahrheiten in wohlge-
    ſchloſſenen Reimen nachdruͤcklich und lebhaft
    vorzutragen. Sind nun die Sachen, ſo in
    Reimen vorgetragen werden, niedrig, gemein,
    laͤppiſch und leichtfertig: So iſt die ganze Poe-
    ſie
    [245]vom geſunden Witze, ꝛc.
    ſie eine Rhapſodie und Reimſchmiederey.
    Werden wichtige Wahrheiten nicht mit dem
    gehoͤrigen Feuer und Nachdrucke in Reime ge-
    faßt: So iſt es eine kriechende Poeſie. Wer-
    den aber entweder wichtige, oder ſchlechte Wahr-
    heiten in ſchwuͤlſtige Worte, oder ein kahler Ge-
    danke in poetiſche Luft-Blaſen eingewickelt: So
    heißt es eine Dunſt-Poeſie, und poetiſcher Phoͤ-
    bus,
    oder Galimathias. Dieſemnach gehoͤrt
    die Poeſie an ſich zu der unterſten Claſſe der
    Gelehrſamkeit, und bekoͤmmt einzig das Ge-
    wichte und den Adel von den Materien, die in
    wohlklingende Reime geſetzet werden.
  • CLXXIV. Wer die Poeſie dazu mißbrau-
    chet, um ſein haͤmiſch Gemuͤthe gegen andere
    auszulaſſen, mithin die Grenzen eines vernuͤnf-
    tigen Straf-Gedichtes uͤberſchreitet, der iſt ein
    gedoppelter Narr. Einmal, daß er die Poeſie
    nothzuͤchtiget, und ihren Abſichten zuwider
    handelt. Sodann, daß er die Galle ſeines
    Gemuͤths
    ſo boshaftig verſpruͤtzet. Er gleichet
    dem, der einen goldenen Pocal dazu mißbrau-
    chet, daß er einem andern darinn Gift praͤſen-
    tiret.
  • CLXXV. Wer zur Poeſie nicht von Na-
    tur
    aufgelegt iſt, und doch mit Macht ein Poete
    ſeyn will, der hat einen uͤberwitzigen Geſchmack.
    Er koͤmmt mir vor, als wenn ein Lahmer woll-
    te einen Tanzmeiſter, oder ein Pfarrer einen
    Scaramuz in der Comoͤdie abgeben. Es gehet
    einem wahren Gelehrten dadurch nichts ab, wenn
    Q 3er
    [246]Zwey hundert Maximen
    er gleich keinen einzigen Vers ſein Lebetage ge-
    macht haͤtte. So wenig einer mit verhauenen
    Fingern
    das Clavier oder die Theorbe ſpielen
    kann: So wenig ſoll ſich einer zur Poeſie drin-
    gen, wenn ihm die Natur das Talent verſagt
    hat, in Einfaͤllen gluͤcklich zu ſeyn, und auf un-
    gebundene Art die Reime zu verbinden.
  • CLXXVI. Der wahre poetiſche Geſchmack
    erfordert einen ſcharfſinnigen Kopf, geſchwinde
    Einfaͤlle, verdeckte Schoͤnheiten, lebhafte Vor-
    ſtellungen, paradoxe und unerwartete Gedan-
    ken, eine edle Dreiſtigkeit in Ausdruͤcken, und
    ein Feuer, das den Leſer und Zuhoͤrer in Be-
    wegung ſetze. Die Poeſien der Ober- und
    Nieder-Sachſen, die Gedichte eines Brocks,
    Richeys, Weichmanns, Koͤnigs, Canitzens,
    Beſſers, Pietſchens, Neukirchs, Opitzens,
    Hallers, Gottſcheds, Picanders, Guͤnthers,

    Madame von Steinwehr, oder vormaligen
    Madame von Ziegler, Loͤberinn, Zaͤuneman-
    ninn, ꝛc.
    enthalten einen fuͤrtrefflichen poeti-
    ſchen Geſchmack. Doch verlaſſen auch die groͤß-
    ten
    Poeten unterweilen ihre Staͤrke, und nei-
    gen ſich manchmal zum Bathos, oder auch Phoͤ-
    bus;
    welches ſie leicht verbeſſern wuͤrden, wenn
    ſie ihre Gedichte nochmals uͤberſehen ſollten.
  • CLXXVII. Der Verfaſſer des hamburgi-
    ſchen Patrioten
    hat die Eigenſchaften des wah-
    ren poetiſchen Geſchmacks auf ſinnreiche Art
    dadurch vorgeſtellet, daß er die reine Poeſie ei-
    ner hellen Quelle vergleichet, die ganz anmuthig
    dahin
    [247]vom geſunden Witze, ꝛc.
    dahin rauſchet, und liebliche Waſſer-Faͤlle hat.
    Sie iſt kein reiſſender Strohm, kein aus dem
    Uſer ſchreitendes Meer, kein truͤber Timpel, kei-
    ne Grube voll Schlamm-Waſſer; ſondern eine
    helle Cryſtall-Quelle, oder wie ein hellpolirter
    Brenn-Spiegel mit einem richtigen Brenn-
    Puncte.
  • CLXXVIII. Wer den Muſtern großer Poe-
    ten durchgaͤngig ohne Pruͤfung eines jeden Ge-
    danken folget, der thut es entweder aus blinder
    Nachahmung,
    oder aber er haͤlt die Sonnen-
    Makel
    fuͤr Zierathen. Wie man aber z. E.
    bey den Reden des Cicero die Nettigkeit ſeiner
    Worte von den Touren ſeiner Gedanken wohl
    unterſcheiden muß, weil er manchmal wie ein
    Sophiſt und Windbeutel raiſonniret: Alſo
    muß man auch die bey großen Dichtern einge-
    ſchlichene Fehler zwar uͤberſehen, und ſie wegen
    ſolcher kleinen Flecken nicht herunter machen,
    oder beiſſend anſtechen; aber doch auch nicht
    ſolche Fehler zu Muſtern der Nachahmung
    vorſtellen.
  • CLXXIX. Noch weniger aber darf man ſich
    an das Gewaͤſche eines Stuͤmpers kehren, der
    etliche ſchoͤne Gedanken andern abgeſtohlen, und
    die Quelle verſchweiget, daraus er Waſſer ge-
    ſchoͤpfet; was er aber aus ſeinem eigenen Ge-
    hirne
    dazu gethan, ganz mager und erbaͤrmlich
    ausſiehet, ſo daß die gebrauchte Schreib-Art
    einander ſo ungleich iſt, als wie z. E. in der
    Schrift: Tempel des guten Geſchmacks; da
    Q 4die
    [248]Zwey hundert Maximen
    die Gedanken ſehr ſchlecht an einander hangen,
    indem einige ſchoͤn und gruͤndlich, andre aber
    recht laͤppiſch und abgeſchmackt ſind. (S. die
    24 beſcheidene Eſſen.)
  • CLXXX. Man muß auch vor den poetiſchen
    Hohn-Sprechern
    nicht erſchrecken, noch ſich
    durch ihre Spoͤttereyen irre machen laſſen. Sie
    tadeln manchmal eines andern unnachahmliche
    Kunſt-Stuͤcke, oder ſchmaͤhlen auf einen Scri-
    benten, den ſie heimlich beſtehlen, aber darum
    losziehen, daß man ihren gelehrten Diebſtahl
    nicht merken ſolle. Zuweilen iſt es auch aus
    Aergerniß, daß ſie unvermuthet bey andern ei-
    nen gluͤcklichen Einfall finden, der ihnen ohnge-
    fehr auch eingefallen, und ſich damit ſo viel ge-
    wußt, wie jene Amme des Dauphins, die den
    Preis behalten, daß ſie die milchreichſte Bruſt
    habe, und daruͤber fuͤr Freuden des Todes ge-
    blieben. Es kitzelt mancher ſich auſſerordentlich
    uͤber dieſen oder jenen habenden Einfall. Fin-
    det er aber, daß ſolchen laͤngſt vor ihm ſchon ein
    anderer gehabt: So geraͤth er uͤber die Frucht
    ſeines Leibes
    in Wuth, und zerſchmettert ſie
    an einem Steine. Er erſtickt alſo ſeinen eigenen
    Einfall lieber in der Geburt, als daß er ſolchen
    an andern loben ſollte. Manchmal aber duͤnkt
    er ſich auch ſchrecklich viel damit, wenn er etwa
    einmal plumperweiſe auch ſo einen Einfall be-
    koͤmmt, als er in großer Dichter Poeſien nach-
    her findet.
  • CLXXXI. Die Krieges-Kunſt iſt eine
    Huͤlfs-
    [249]vom geſunden Witze, ꝛc.
    Huͤlfs-Wiſſenſchaft bey der Staats-Klugheit.
    Denn da dieſe die Abſicht mit hat, den Staat
    vor feindlichem Angriff und innerlichem Aufruhr
    zu bedecken: So braucht man dazu Armeen,
    zu Waſſer und zu Lande, zu Roß und zu Fuß.
    Man braucht auch Gewehre und Geſchuͤtze; da-
    her die Canonir- und Artillerie-Wiſſenſchaft
    erfordert wird. Man braucht auch Veſtungen,
    oder greift feindliche an; wozu die Jngenieur-
    und Fortifications-Kunſt Anleitung giebt.
  • CLXXXII. Die Unkoſten des Staats zu be-
    ſtreiten gebrauchet man einer Wiſſenſchaft zu
    Einhebung und Vermehrung landesherrlicher
    Revenuͤen, welches die Cameral-Wiſſenſchaft
    heiſſet. Da ſchlagen nun viele beſondere Wiſ-
    ſenſchaften
    ein, als der Bergwerke und Salz-
    Quellen;
    der Muͤnze und des Gepraͤges; des
    Poſtweſens; der Forſte mit Jagd und Wal-
    dung; der Grund-Steuern, Contributionen
    und Acciſen; der verpachteten Aemter und
    Cammer-Guͤther; und der eigenen Menagerie
    des Fuͤrſten, wenn er Laͤndereyen, Vorwerke,
    Viehzucht, Aecker, Wieſen, Muͤhlen, eigene
    Fabriken und Manufacturen beſitzet, nebſt
    Zoͤllen, Geleiten, Schoß, und andern oͤffent-
    lichen Abgaben.
  • CLXXXIII. Die Haushaltungs-Kunſt iſt
    eine Huͤlfs-Wiſſenſchaft, ſich ehrlich fortzubrin-
    gen, gut Gewerbe zu haben, und etwas zu gewin-
    nen. Dahin gehoͤret Ackerbau, Gaͤrten, Vieh-
    zucht, Handel und Wandel, guter Ueberſchlag der
    Q 5Ein-
    [250]Zwey hundert Maximen
    Einnahme und Ausgabe, hauswirtliche Menage
    und eine ehrliche Profeßion.
  • CLXXXIV. Unter die Huͤlfs-Wiſſenſchaf-
    ten
    gehoͤret auch ſonderlich die Hiſtorie, oder An-
    merkung gegenwaͤrtiger und vergangener Ge-
    ſchichten. Solche theilt ſich wieder in drey beſon-
    dere Diſciplinen, als die Kirchen-Hiſtorie, die
    weltliche Hiſtorie und die gelehrte Hiſtorie. So
    giebt es auch eine Univerſal- und Special-Hiſto-
    rie. Die Lebens-Beſchreibungen großer Hel-
    den, Monarchen und beruͤhmter Gelehrten, wenn
    ſie in magnifiquer Schreib-Art und pragmatiſch
    abgefaſſet ſind, haben einen reizenden Geſchmack.
  • CLXXXV. Der reiche Vorrath an geſchrie-
    benen und gedruckten Buͤchern hat große Herren,
    Univerſitaͤten, Collegia, Miniſtros und anſehnli-
    che Gelehrte veranlaſſet, ganze Bibliotheken zu
    ſammlen. Die Wiſſenſchaft anſehnlicher Buͤ-
    cher-Saͤle
    iſt alſo auch eine beſondre Huͤlfs-Wiſ-
    ſenſchaft,
    und dienet dazu, wenn man eine Schrift
    recht vollkommen abfaſſen will, aus großen Bibli-
    otheken den benoͤthigten Stoff, ſonderlich wenn es
    hiſtoriſche, diplomatiſche und Rechts-Sachen be-
    trifft, zu ſammlen, und zu erkennen, was ſchon an-
    dere vorher in der abzuhandelnden Materie praͤſti-
    ret haben.
  • CLXXXVI. Die Mathematic beſtehet aus
    vermiſchten Wahrheiten, deren etliche zur ober-
    ſten Claſſe (§ 129), andere zur mittlern, die mei-
    ſten zu den Huͤlfs-Wahrheiten, oder der letzten
    Claſſe, gehoͤren. Alſo iſt die demonſtrative Lehr-
    Art
    [251]vom geſunden Witze, ꝛc.
    Art der Mathematicorum in dem Weſen der
    Vernunft gegruͤndet, und gehoͤret hiernach zu den
    Wahrheiten vom oͤberſten Range. Eben ſo,
    wenn man die Aſtronomie in der Abſicht erklaͤret,
    um aus dem ganzen Weltgebaͤude darzuthun, daß
    nothwendig ein Gott ſey.
  • CLXXXVII. Die Arithmetic iſt eine Huͤlfs-
    Wiſſenſchaft
    der Cameral-Wiſſenſchaft und
    Haushaltungs-Kunſt. Die Geometrie, oder
    Feldmeß-Kunſt, iſt der Grund bey Anlegung re-
    gulairer Gebaͤude und Veſtungen. Auch wer-
    den die Streitigkeiten unter Feld-Nachbarn dar-
    aus entſchieden, oder auch, wenn der Strohm ſei-
    nen Gang verlaͤſſet, und einen andern Alveum
    ſuchet.
  • CLXXXVIII. Die Optic, Catoptric, Di-
    optric
    und Perſpectiv, welche alle mit Licht und
    Schatten, auch Verfertigung kuͤnſtlicher Glaͤſer
    und Spiegel umgehet, thut der Mahler- und
    Zeichnungs-Kunſt beſondere Huͤlfe.
  • CLXXXIX. Die Mechanic lehret die Kraͤfte
    der Bewegung, des Steigens und Fallens, kuͤnſt-
    licher Maſchinen, die mit leichterer Muͤhe das ver-
    richten, wozu ſonſt viel Menſchen-Haͤnde wuͤrden
    erfordert werden. Applicirt man die Grund-Re-
    geln der Maſchinen auf das ganze Weltgebaͤude:
    So iſt ſolches eine große Maſchine; und ſelbſt in
    dem Weſen jeder Maſchine lieget der Begriff, daß
    ſie ſich nicht ſelber zuſammengeſetzet, noch von E-
    wigkeit da ſeyn kann; folglich kann man aus den
    Geſetzen der Mechanic darthun, daß nothwendig
    ein
    [252]Zwey hundert Maximen
    ein Gott ſey. Auch zeigt die Mechanic, in
    Vergleich mit der organiſchen Structur leben-
    diger Coͤrper, daß in allen lebenden Geſchoͤpfen et-
    was mehrers, als ein bloßerMechaniſmus, ſey,
    obgleich vieles auf mechaniſche Weiſe zugehet.
  • CXC. Die Aerometrie erklaͤret die Kraͤfte der
    Luft, und ſonderlich die Wirkungen der Luft-
    Pumpe. Die Hydraulic zeiget die Kraͤfte des
    Waſſers an, und aller fluͤßigen Materie, auch was
    jeder Coͤrper an ſeiner Schwere verliere, wenn er
    in fluͤßiger Materie ſchwebet. Sie iſt der Grund
    aller kuͤnſtlichen Spring-Brunnen, Waſſer-Lei-
    tungen und Druck-Werke, das Waſſer mit Ge-
    walt in die Hoͤhe zu treiben. Sie erlaͤutert auch
    die Lehre vom Umlaufe des Gebluͤts in lebendigen
    Coͤrpern. Die Pyrotechnie gehet mit den Kraͤf-
    ten des Feuers um, und iſt eine beſondere Huͤlfs-
    Wiſſenſchaft der Krieges-Kunſt. Denn ſie leh-
    ret mit Geſchuͤtz umgehen, und das Schießpulver
    alſo zu gebrauchen, daß die groͤßten Veſtungen
    koͤnnen durch Feuer-Moͤrſer, Bomben, Feuer-Ku-
    geln und Canon-Kugeln ruiniret werden. Sie
    lehret auch kuͤnſtliche Luſt-Feuer, Jlluminationen
    und Entzuͤndungen durch Fermentation anzu-
    geben.
  • CXCI. Die Trigonometrie und Sphaͤric,
    oder Ausmeſſungs-Kunſt aller eckigten und run-
    den Flaͤchen, wie auch, wenn man die ganze Exten-
    ſion, den Umfang und Jnhalt eines angegebenen
    hohen oder auch ausgefuͤllten Coͤrpers wiſſen will,
    iſt eine Huͤlfs-Wiſſenſchaft bey der Geometrie,
    Aſtro-
    [253]vom geſunden Witze, ꝛc.
    Aſtronomie, Gnomonic, Geographie und ganzen
    Mathematic.
  • CXCII. Die Bau-Kunſt iſt im menſchlichen
    Leben zur Erhaltung bequemen Dachs und Fachs
    ſehr nuͤtzlich. Sie begreift drey beſondere Diſei-
    plinen, als die Architectur, welche ganze Pallaͤſte
    und Gebaͤude angiebet; die Krieges-Baukunſt,
    welche lehret Veſtungen zu machen und Lager zu
    verſchanzen; und denn die Schiffs-Baukunſt,
    ohne welcher kein Handel und Wandel zur See,
    dabey doch der groͤßte Profit iſt, koͤnnte getrieben
    werden.
  • CXCIII. Die Aſtronomie erklaͤret das an
    einander in ſchoͤnſter Ordnung haͤngende erſtaun-
    liche Weltgebaͤude; den richtigen Lauf der Ge-
    ſtirne, ſonderlich der Sonnen und des Monden,
    dadurch Zeiten, Jahre, Monate und Tage beſtim-
    met werden. Die Gnomonic iſt eine beſondere
    Diſciplin, welche lehret, kuͤnſtliche Sonnen-Uh-
    ren, und Abrichtung des Magneten, zu Anweiſung
    der Himmels-Gegenden zu machen. Die Geo-
    graphie
    bezeichnet den Umfang der Erd-Kugel,
    die Lage der Laͤnder, Staͤdte und Haupt-Fluͤſſe,
    mithin iſt ſie eine beſondere Huͤlfs-Wiſſenſchaft
    fuͤr Seefahrer und reiſende Paſſagiers.
  • CXCIV. Die Algebra iſt die Wiſſenſchaft
    aller Verhaͤltniſſe und Groͤßen gegen einander, bis
    ſie ins Unendliche laufen. Man giebt darinn den
    Alphabet-Buchſtaben eine gewiſſe Bedeutung
    von einer angenommenen Groͤße, und erfordert gar
    ſubtile Koͤpfe, die algebraiſchen Ausrechnungen zu
    verſtehen.
CXCV.
[254]Zwey hundert Maximen
  • CXCV. Nach den mathematiſchen Wiſſen-
    ſchaften iſt die Cryptographie, oder Chifrirungs-
    und Dechifrirungs-Kunſt auch heut zu Tage ei-
    ne bey hohen Standesperſonen ſonderlich im
    Schwange gehende Wiſſenſchaft, und lehret auf
    verdeckte Art zu ſchreiben, durch Verwandlung ei-
    ner Schrift in abgeredte Zahlen, oder verſetzte
    Buchſtaben, oder verworfene Leſe-Arten, daß man
    ſie ohne Schluͤſſel nicht fuͤglich leſen kann, wie
    auch, wenn ſolche Chifer-Schriften gefunden oder
    aufgefangen werden, wie man hinter ihren Jnhalt
    kommen koͤnne.
  • CXCVI. Die Zeichnungs- und Maler-
    Kunſt,
    desgleichen das Kupferſtechen, Bild-
    hauen, Bildgieſſen, Steinſchneiden,
    und im
    Feuer emailliren, ſind curieuſe Wiſſenſchaften,
    die anmuthig in die Augen fallen, und die Natur
    nachahmen. Die Meiſter in ſolchen Kuͤnſten
    werden oft hoͤher geſchaͤtzet, als Gelehrte vom
    oͤberſten Range.
  • CXCVII. Die Muſic, ſowol die Singekunſt,
    als auf Jnſtrumenten zu ſpielen, hat viel Reizen-
    des
    fuͤr die Ohren. Einige finden mehr Geſchmack
    am rauſchenden Getoͤne der Trompeten, Pauken,
    Waldhoͤrner, Orgeln und Poſaunen; andere an
    den ſanften Toͤnen einer Laute, Clavecimbels, Cy-
    ther, Traverſe, Floͤte und Violine. Die Vir-
    tuoſen
    in der Muſic bekommen oft ſtaͤrkere Penſio-
    nen, als die Gelehrten von der oberſten Claſſe.
  • CXCVIII. Alle Kuͤnſte und Handwerker ſind
    Hilfs-Wiſſenſchaften zur Bequemlichkeit des
    menſch-
    [255]vom geſunden Witze, ꝛc.
    menſchlichen Lebens. Sie ſind faſt unzehlbar.
    Und weil die Gelehrten ſo zahlreich ſind, daß man-
    cher lange harren muß, ehe er ein Amt bekoͤmmt:
    So waͤre es nicht undienlich, wenn die Mode ein-
    gefuͤhrt wuͤrde, daß ein Gelehrter, wie ehedem bey
    den Juden die Rabbinen, auch eine Kunſt oder
    Handwerk mit lernte, um ſich deſſen bis auf erfol-
    gendes Amt zu gebrauchen.
  • CXCIX. Es giebt auch entbehrliche Kuͤnſte,
    die dennoch genug Liebhaber finden, weil der Ge-
    ſchmack
    vieler Menſchen auf Kurzweil, Gaukeley
    und Begierlichkeit erpicht iſt. Dahin gehoͤren
    die Luftſpringer und Seiltaͤnzer, Taſchenſpieler,
    Comoͤdianten, Gluͤcksbuͤdener, Lotterie- und A-
    ctienkraͤmer, nebſt Karten- und Wuͤrfelſpielern.
    Endlich giebt es fuͤrwitzige und unſichere Kuͤnſte,
    daran doch manche einen Geſchmack finden, als die
    Goldmacher-Kunſt; Aſtrologie, oder Wahr-
    ſagerey aus dem Geſtirne; die Chiromantie;
    Punctir-Kunſt; weiſſe Kunſt,
    oder Umgang mit
    guten Geiſtern; die ſchwarze Kunſt, oder Be-
    ſchwoͤrung boͤſer Geiſter; das Veſtemachen; Cry-
    ſtallgucken;
    die Befragung der Wuͤnſchel-Ru-
    the,
    und dergleichen falſchberuͤhmte Kuͤnſte, die
    oͤfters entweder eine Beruͤckung von boͤſen Gei-
    ſtern, oder eine Begierde, die Leute ums Geld zu
    ſchneiden, hinter ſich haben.
  • CC. Jch ſchlieſſe mit den Worten eines ehema-
    ligen großen Mathematici und Weltweiſen vom
    erſten Range, des Hn. von Tzſchirnhauſen, wel-
    cher in ſeiner Medicina mentis et corporis an einem
    Orte
    [256]Zwey hundert Maximen ꝛc.
    Orte alſo ſchreibet: Quicunque ſaltem termi
    norum et diſtinctionum occurrentium ſignifi-
    cationem cognitam habet, tantumque nouit,
    in quot diſciplinas diuidi ſoleat, quot ſectae in
    hac a principio vsque ad noſtra tempora floru-
    erint, et ſimilia; infimvm ſaltem philosophiae
    gradvm
    obtinuiſſe cenſendus, ac nullo modo
    realis philosophvs appellandus erit, ſed ver-
    balis
    potius; ſiquidem philosophi realis no-
    men illi ſaltem competit, qui ad tantum perue-
    nit cognitionis gradum, vt re ipſa obſeruet, in
    sva potestate
    eſſe, quidquid incognitum, ſed
    humano tamen intellectui peruium eſt, pro-
    prii ingenii svi viribvs
    in lucem producere.

    Das ſind eben ſolche Univerſal-Koͤpfe, die ihnen
    ſelbſt zu Erfindung der Wahrheit genug ſind, und
    die Haupt-Wiſſenſchaften en gros uͤberſchauen
    koͤnnen.
  • Jch muß hier abbrechen; denn mein naͤchſter
    Nachbar,
    Herr Hans Carl Gurſchmecker, win-
    ket mir, daß er im Begriffe ſey, die Tafel zu decken,
    und die 24 Couverts, die er dem neuen Hn. Bau-
    meiſter des Tempels vom guten Geſchmacke,

    als ein beſcheiden Eſſen, zugedacht hat, ohne An-
    ſtand aufzutragen. Er hat mir die 200 Maximen
    in die Feder dictiret, und ich ihm die Beſchreibung
    ſeiner 24 Schau-Eſſen; folglich werden wir uns
    beyde gerade drein theilen, wenn dem geneigten
    Leſer
    entweder die Maximen, oder die Schau-
    Eſſen,
    beſſer gefallen ſollten.


Scherz
[[257]]

Scherz bey Ernſt.
Oder:
Hans Carl Gutſchmeckers,
Mund-Kochs der Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft,
vier und zwanzig
Couverts,
oder
verdeckte Gerichte,
als ein
beſcheiden Eſſen,
zu
einem Gratial
fuͤr den
ingenieuſen Herrn Baumeiſter
des Tempels
vom guten Geſchmacke,
aufgetragen.


R
[[258]] (Virgil. 5. Ecclog.)
Cur non, mopse, boni quoniam conuenimus ambo,
Tu calamos
inflare leves, ego dicere versvs,
Poſſemus?

TAVBMANNVS,
Epigrammat. Lib. II. pag. 372.

Nec plene me ſcire ſatis, nec ſcribere plane,
marcvle,
verſiculis ſpargis vbique tuis.
marcvlvs eſt plagii convictvs nuper; an hoc
eſt
Sat plene et plane, Marcule, poſſe loqui?

[259]

Ganz kleine Vorrede.


Jhr Freunde vom guten Geſchmacke!

Eine Hoͤflichkeit iſt der andern werth. Der
HerrCriticus Incognito hat, in ſeinem
Tempel des guten Geſchmacks, einiger mei-
ner Goͤnner und Freunde Erwehnung gethan.
Zum ſchuldigen Gratial dafuͤr verehre ich ihm,
als ein beſcheiden Eſſen, folgende vier und
zwanzig Couverts, oder verdeckte Schau-Ge-
richte.
Er hat darunter das Ausleſen, wel-
ches am beſten nach ſeinem Geſchmacke ſeyn
moͤgte. Weil ich aber, meiner Profeßion nach,
ein Koch bin: So iſt es wider meine Gewohn-
heit, lange Vorreden zu machen; ſondern ich
trage meine Tractamenten flugs auf. Wer
Belieben hat, kann anbeiſſen; wer keinen Ap-
petit
hat, kann es ſtehen laſſen: es verdirbt
nicht, und koͤmmt nicht um! Vom Hauſe,
den 17ten Junius, 1743.


Hans Carl Gutſchmecker,
Mund-Koch E. Loͤbl. Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft zu Liebenſeeburg.


R 2Erſtes
[260]I. Eine zerfahrne Eyer-Suppe.

Erſtes Couvert.
Eine zerfahrne Eyer-Suppe.


Da ich, bereits vor mehrern Jahren, bey ei-
nem gewiſſen großen Koͤnige als Mund-
Koch
geſtanden: So hoffe, einigermaßen im
Stande zu ſeyn, vom guten Geſchmacke ur-
theilen zu koͤnnen. Jch habe drey Haupt-Oer-
ter
bemerket, wo ſich der gute Geſchmack aͤuſ-
ſert. Bey den Tafeln großer Herren; denn
da muͤſſen alle Geſpraͤche ſehr fein herauskom-
men, damit nicht denen hohen Gaͤſten der Ap-
petit
verderbet werde. Ferner in den Cabinet-
tern
vornehmer Miniſter; denn wenn der hohe
Miniſter auf der Serviette ſpeiſet, muß ſich der
gemeine Geſchmack ganz entfernen. Endlich
ſind die oͤffentlichen Speiſe-Haͤuſer, Coffee-
Haͤuſer, Opern-Haͤuſer und große Joachims-
Thaͤler
der Sammel-Platz, wo Leute von gu-
tem Geſchmacke
zuſammen zu kommen pflegen.


Daß aber die Gelehrten, gleich uns, vom
guten Geſchmacke auch reden wollen, haben
ſie bloß uns Koͤchen abgeborget. Denn wir
ſind ohnſtreitig Leute von dem allerfeinſten Ge-
ſchmacke. Doch ſind wir nicht ſo albern, daß
wir den guten Geſchmack, den wir in der Kuͤ-
che
lernen muͤſſen, ſollten in einem Tempel ſu-
chen. Gleichwol iſt ein neuer gelehrter Mar-
ketenter
aufgeſtanden, der hat einen eigenen
Tempel erfunden, wo man den guten Geſchmack
lernen
ſoll. Jch zweifle, daß ſich die Tempel
dazu
[261]I. Eine zerfahrne Eyer-Suppe.
dazu ſchicken. So was iſt noch nicht erhoͤrt!
Es iſt rar, merveilleux und erſtaunlich, daß
ein Tempel die Stelle einer Garkuͤche vertreten
ſoll! Nennet mit einen alten oder neuen Scri-
benten,
der von Geſchmacks-Tempeln geſpro-
chen! Der Einfall hat nicht ſeines gleichen,
und uͤberſteigt den gemeinen Horizont des
menſchlichen Witzes!


Der gute Geſchmack und der Begriff eines
Tempels iſt weiter von einander, als das Ey-
weiß
in einer zerfahrnen Suppe aus einander
gedehnet und von dem Dotter abgeſondert iſt.
Der Titel einer jeden Schrift iſt wie das erſte
Gerichte,
oder die Suppe. Wer nun die
Suppe nicht einmal recht zurichten kann, oder
ſo einen laͤcherlichen Titel ausſinnet, daß er
von Geſchmacks-Tempeln redet, was ſoll der
wol fuͤr einen Verſtand vom guten Geſchmacke
haben? Cape tibi hoc, et arrige aures,
Pamphile!


Anderes Couvert.
Vorkoſt von Stockfiſch.


Es haltens manche Standes-Perſonen und
Leute von gutem Geſchmacke alſo, daß ſie,
nach der Suppe, erſt einen kleinen Grund durch
eine Vorkoſt, die brav widerhaͤlt, legen, dazu
ein gepfluͤckter Stockfiſch nicht undienlich iſt.
Beynahe dachte ich, es ſtuͤnde dergleichen auch
vor mir, da ich uͤber das neumodiſche Schild,
R 3oder
[262]II. Stockfiſch.
oder Traiteur-Zeichen, das mir neulich in der
W .... Buchhandlung aufſtieß, meine
Verwunderung dem naͤchſten Nachbar zu er-
kennen gab. Es will mir durchaus noch nicht
in den Kopf, eine Marketender-Bude, ja wenn
es auch die allerſauberſte und magnifiqueſte Kuͤ-
che
waͤre, einen Tempel des guten Geſchmacks
zu nennen. Allein ich merke wol, das neuge-
malte Schild, das der curieuſe Baumeiſter des
Tempels vom guten Geſchmacke ſich ſelber er-
dacht, ſoll ihm bey dem Poͤbel ein Anſehen ma-
chen, oder die großen Geiſter ſollen denken: Hier
iſt des Herrn Tempel, der Leute von gutem Ge-
ſchmacke recht zu bewirthen weiß! Aber, meine
Herren, die mir bisher die Ehre gethan, und
meine aufgeſetzten Gerichte ſich wohl ſchmek-
ken
laſſen, kehren ſie ſich nicht an dieſen neuen
Windbeutel.
Sein vorgegebener Tempel des
guten Geſchmacks iſt ein bloßes Karten-Haus,
von ohngefehr vierzehn Blaͤttern zuſammenge-
ſetzet; ich ſchwoͤre aber drauf, er wird kein Pri-
vilegium
auswirken koͤnnen, ſeinen zuſammen-
geraffelten Kuͤchen-Kram und Melange-Bou-
tique
einen Tempel vom guten Geſchmacke
nennen zu duͤrfen. Wer von fuͤrtrefflichem
Geſchmacke
iſt, der denke nicht, in einem Tem-
pel
einen beſſern Geſchmack bekommen zu wol-
len; und wer noch gar nicht weiß, was gut
ſchmecke,
oder was dazu gehoͤre, ein Mann
von gutem Geſchmacke
genannt zu werden,
der denke ja nicht, daß er in einen Tempel ge-
hen
[263]II. Stockfiſch.
hen muͤſſe, um ſolches da erſt zu lernen! Will
er aber einen rechten Geſchmack von der Leicht-
glaͤubigkeit bekommen: So halte er ſich zu ſol-
chen Geiſtlichen,
die viel mit Glaubens-Sa-
chen
umgehen. Meines Ortes will ich nicht
prahlen,
daß ich vollkommen wiſſe, was gut
ſchmecke, ohnerachtet ich ſchon vor zwoͤlf Jah-
ren
ein privilegirter koͤniglicher Leib-Koch ge-
weſen, und aus langer Erfahrung weiß, daß
ein Tempel des guten Geſchmacks eben ſo ein
Miſchmaſch ungereimter Jdeen ſey, als wenn
einer in meiner Garkuͤche zum andern Couver-
te
wollte Stockfiſch fordern, und ich wollte ihm
einen Fiſch bringen, dabey aber auch einen Stock
auf die Schuͤſſel legen. Man nennet das ſonſt
ein Galimathias, wenn zwey Jdeen in der Ver-
bindung abgeſchmackt
werden. Dis trifft hier
zu. Man weiß wol, was ein guter Geſchmack
ſey; aber wenn das Wort Tempel dazu koͤmmt:
So moͤgte man die Raths-Herren zu Nuͤrn-
berg
erſt fragen: Was denn ein Tempel des
guten Geſchmacks
fuͤr ein Ding, und ob der,
ſo dieſen Namen erfunden, nicht ſelber ein Stock-
fiſch
ſey?


Drittes Couvert.
Ein Ragout von Wildpret.


Unſere gemeinen Ragouts ſind rechte Miſch-
maſche
von Gerichten. Denn da liegt oft ein
Stuͤckgen maͤnnliches Fleiſches vom Schoͤpſe,
bald ein Stuͤckgen weibliches von einer Haͤſinn
R 4in
[264]III. Ein Ragout.
in einer Schuͤſſel zuſammen. Gerade ſo ein
appetitliches Haſen- und Schoͤps-Ragout traͤ-
get der neue Speiſe-Wirth in ſeinem Tempel
des guten Geſchmacks
auf. Jch muß doch
nun einmal mich angewoͤhnen, ſeine Garkuͤche
einen Tempel zu nennen, ob mir gleich das
Wort wol zehnmal im Halſe, wie ein Knoͤchel-
gen, oder eine Graͤte, ſtecken geblieben. Aber
weil er ſich recht viel damit weiß, und auf al-
len Seiten ſeinen ſo betitelten guten Ge-
ſchmacks-Tempel
anpreiſet: So will ich hin-
fort bey dieſer ſeiner Benennung bleiben, ohne
ihm im geringſten dadurch einzugeſtehen, daß er
einen guten Geſchmack gehabt, da er dieſen
Titel ſeiner Schrift gegeben. Alle Jdeen, die
einen wahrhaften bon goût haben, oder rich-
tige ſchoͤne Gedanken
ſind, laſſen ſich in allen
politen Sprachen nach den Worten ausdruͤk-
ken. Wenn aber ein Ausdruck in allen ga-
lanten Sprachen nicht klappen
will, und ei-
nen undeutlichen Begriff wenigſtens enthaͤlt:
So iſt ſolcher gewiß und ohnfehlbar unrichtig.
Nun ſagt ſonſt kein Deutſcher: Das iſt ein
Tempel von gutem Geſchmacke; auch kein Fran-
zoſe: C’ eſt un Temple de bon goût; auch
kein Lateiner: Templum ſenſus recti; ja man
verſuche es in italiaͤniſcher, engliſcher, ſpani-
ſcher
und ſogar ulaniſcher Sprache; es wird
mich keiner verſtehen, wenn ich vom Tempel
des guten Geſchmacks
rede; oder, wenn einer
gern ſich ſpeiſen laſſen moͤgte, ich zu ihm ſagen
wollte:
[265]III. Ein Ragout.
wollte: Der Herr gehe in den großen Jochims-
Thal,
da iſt ein Tempel des guten Geſchmacks;
anſtatt zu ſagen: Da iſt ein guter Speiſe-Wirth,
ein guter Traiteur, ein guter Gaſt-Hof, ein
gut Speiſe-Haus; welches alles das kleinſte
Kind verſtehen wuͤrde. Dieſemnach kann ich
den Ausdruck: Tempel des guten Geſchmacks,
mit nichts anders, als einem Ragout von
Schoͤpſen- und Haſen-Fleiſch, vergleichen.
Denn wie jedes, fuͤr ſich gekocht, ganz gut ſchmeckt,
nachdem der Liebhaber iſt, hingegen zahm und
Wildprets-Fleiſch ſich, nach den Regeln der
Koch-Kunſt, nicht in eine Schuͤſſel ſchickt: Al-
ſo iſt der Ausdruck vom guten Geſchmack ein
ganz feiner Begriff; desgleichen das Wort
Tempel, wenn es allein ſtehet, oder wenn der
ehemalige Halliſche RednerD. P. ſagte: Der
eroͤffnete Tempel der Ehren, der Tempel der
Vorſehung,
der Tempel der Venus, u. d. g.
Denn ſolche Redens-Arten ſind durch den ein-
gefuͤhrten Woͤrter-Brauch bereits voͤllig in
Anfnahme. Aber ein guter Geſchmacks-Tem-
pel
ſteht in keinem Woͤrter-Buche, noch einem
einzigen guten Scribenten. Daher iſt es ein
vollkommenes deutſches Ragout von widrigen
Speiſen, als ſuͤßen und ſauren, zahmem Fleiſch
und Wildpret, gekochtem und gebratenem.
Es iſt ſo viel, als wenn ich meinen Herren Gaͤ-
ſten wollte Rebhuͤner auftragen, und ringsher-
um gebratene Sperlinge, anſtatt der Lerchen
oder Kramsvoͤgel, legen. Daher hoffe ich
R 5nicht,
[266]IV. Ein Gehacktes.
nicht, daß man die Gerichte, die in dem ſo poſ-
ſirlichen Tempel des guten Geſchmacks aufge-
tragen, denen kochmaͤßigen vorziehen werde.


Viertes Couvert.
Ein Gehacktes mit Roſinen und Kapern.


Wenn wir Koͤche ein Gerichte, das an ſich
nicht gar zu appetitlich iſt, als z. E. Lunge,
Kaldaunen, Flecke, Fuͤße und dergleichen, ſo
zurichten wollen, daß es von gutem Geſchmak-
ke
werde: So machen wir draus ein Gehack-
tes.
Z. E. ein Lungenmus mit kleinen Roſi-
nen, eine Gallert, Gaͤnſe-Klee, Schoͤpſen-But-
ten mit Kraut, ꝛc. Ein ſolches Gehacktes hat
der neue Traiteur im eroͤffneten Tempel des
guten Geſchmacks,
anſtatt gebratener Faſa-
nen, oder anderer in ſich reizender Speiſen,
aufgetragen. Er liefert uns ein Gedichte, das
er in viel kleine Stuͤckgen zerhackt hat. Er
hat ſich einer neuen Erfindung bedient, oder
vielmehr um ein altes, kahles, und durch den
gemeinſchaftlichen Demuͤthiger, wie ihn der
Autor nennt, als unſchmackhaft erklaͤrtes Zu-
gemuͤſe eine neue Bruͤhe gegoſſen. Was iſt
naͤmlich bekannter und abgedroſchener, als daß
man auf einer Seite eine Reihe Verſe hinſchrei-
bet, darauf Sterngen bey etlichen Paſſagen
macht, eine Linie unter den Text zieht, und die
Sterngen-Paſſagen in gewiſſen Anmerkungen
erlaͤutert? Bey dieſer Methode konnte man
nun doch den Vortheil haben, daß, wenn die
Noten
[267]IV. Ein Gehacktes.
Noten geſcheidt, die Verſe aber ungereimt wa-
ren, man den Text konnte fahren laſſen, und
ſich an die Noten halten; waren aber die Ver-
ſe gut, und die darunter ſtehende Anmerkung
ſo, als des Verfaſſers der Noten uͤber die Zer-
ſtoͤhrung Jeruſalems:
So konnte man die
andaͤchtige Geſchichte in einem Striche fortle-
ſen, ohne ſich an die Noten zu kehren. Aber
der neue Traiteur im Tempel des guten Ge-
ſchmacks
iſt liſtig. Damit man durchaus den
Text ſeiner Verſe nebſt den Noten leſe, hat er
die Sterngen, Zahlen und Buchſtaben, wo-
durch man ſonſt die Noten oder Anmerkungen
vom Texte unterſcheidet, meiſtens weggelaſſen;
hingegen proſam und ligatam glatt an einander
geſetzet, und ſein Gedichte alſo zerhackt, daß itzt
ein Fleck Verſe, gleich darauf ein Fleckgen An-
merkungen
koͤmmt, jedoch ohne Kennzeichen,
daß es Noten ſind, ſondern beydes wie Text
ausſiehet, und noch dazu mit großen Lettern
gedruckt iſt, damit der Autor es durchaus nicht
verrathe, daß es Text-Noten ſind, als dazu
man ſonſt kleinern Druck zu nehmen pfleget.
Aufdaß ſich aber der Verleger nicht etwa be-
ſchweren moͤgte, daß dieſer verkappte Noten-
Druck
zu viel Platz nehme: So iſt dafuͤr der
Text, oder das ganze Gedichte, mit ſehr kleiner
Corpus-Schrift gedruckt, zum Merkmahl, daß
die Verſe doch das eigentliche Corpus, die dran
geflickte proſaiſche Flecke aber ſo gut als An-
merkungen
ſind. Wenn alſo kuͤnftig ein Dich-
ter,
[268]IV. Ein Gehacktes.
ter, der gerne gelehrte Anmerkungen unter ſei-
nen Gedichten anbringet, wie z. E. der beruͤhm-
te
Herr Kriegs-Rath Knobloch zu thun ge-
wohnt iſt, die Leſer uͤberliſten wollte, daß ſie
Text und Noten leſen muͤßten, ſie moͤgten wol-
len, oder nicht: So mache er nur auch ſo ein
Zerhacktes, wie unſer neuer Speiſe-Kuͤnſtler
im Tempel des guten Geſchmacks gethan, und
ſetze itzt ein paar Strophen Verſe, gleich drauf
in einem Striche die Anmerkungen, und loͤte
ſie durch ein paar Flick-Formeln mit dem fol-
genden neuen Stuͤcklein von ein paar Verſen
zuſammen; dieſen fuͤge er, in gerader Reihe,
und daß er ja die Sterngen, Zahlen und Buch-
ſtaben, oder das verdammte Wort Anmerkung
weglaſſe, ein Fleck Proſa wieder an: So wird
ein voͤlliges Lungenmus herauskommen. Man
koͤnnte es auch ein Zwitter-Gerichte nennen,
welches bey uns Koͤchen das heißt, wenn in ei-
ner
Schuͤſſel Gekochtes und Geſottenes, oder
Geſottenes und Gebratenes liegt. Denn wo
zugleich proſaiſcher und metriſcher Text iſt,
gereimt und ungereimt: So iſt es noch mehr,
als ein gehackt Lungenmus. Es iſt ein Zwit-
ter,
weil es weder pure Proſe, noch pure Poe-
ſie
iſt.


Fuͤnftes Couvert.
Eine Potage von Huͤhnern.


Ein Traiteur iſt oft uͤbel dran, wenn Leute
von allzuverſchiedenem Geſchmacke in ſein
Spei-
[269]V. Potage von Huͤhnern.
Speiſe-Haus kommen. Was dem einen gut
ſchmecket, das ſtehet dem andern gar nicht an.
Einer will Saures, der andere Suͤßes haben.
Einer harte, der andere weiche Speiſen. Einer
verlangt Huͤhner mit Potage, dafuͤr der andere
gerade einen Ekel hat. Einer will lieber das
Hinterviertel einer Gans, der andre lieber den
Fluͤgel, oder von der Bruſt. Gleichwol hoͤrt
man unter vernuͤnftigen Gaͤſten nicht, daß einer
den andern daruͤber hohnecke, oder auslache,
wenn er ſich gerade was anders geben laͤſſet,
als der andere. Darum traͤgt eben der Wirth
vielerley auf, oder ſchreibt mancherley Gerichte
an die Speiſe-Tafel, damit jeder eſſen koͤnne,
was ihm beliebet. Dieſer univerſellen Koch-
und Geſchmacks-Regel entgegen traͤgt der neue
Traiteur in ſeinem ſogenannten Tempel des gu-
ten Geſchmacks nur ein einzig Gerichte auf,
naͤmlich Huͤhner mit Potage, und wer nicht
dieſes einzige Gerichte eſſen will, oder andere
Gerichte gegeſſen hat, den erklaͤrt ſein critiſcher
Magen
glatt weg fuͤr einen Menſchen von uͤb-
lem Geſchmacke. Zwar er redet ja von Red-
nern und Dichtern, Alten und Neuen, von Pro-
feßions-Poeten und Paſſagieren in der Poeſie,
von Gottesgelehrten, Weltweiſen und Juriſten,
von Schweizern, Sachſen, Schleſiern, Ham-
burgern und Preuſſen; aber ich bleibe dabey,
er will durchaus haben, alle ſeine Gaͤſte ſollen
Huͤhner mit Budaſche, wie jener Traiteur an-
ſtatt Potage ſchrieb, eſſen. Denn alle dieſe
einge-
[270]VI. Spiegel-Karpfen.
eingeſtreute obige vielerley Namen ſind bloß wie
das Mengſel der Potage, dazu man ja auch
vielerley nimmt, als Morgeln, Caſtanien, Bien-
gen, Bluhmen-Kohl, Krebſe, Wurzeln, Kloͤſ-
ſergen, ja wol Roſinen und Mandeln. Gleich-
wol bleibt es eine Huͤhner-Potage. So laͤßt
ſich der gute Geſchmacks-Tempel-Herr auch
allzudeutlich merken, daß er alle Arten von
Schmecken
auf eine einzige will reducirt wiſ-
ſen, und ſein Apollo, der den Ausſpruch uͤber
die Magens thut, die gern vielerley gegeſſen,
muß entweder zu armſelig oder zu geizig gewe-
ſen ſeyn, daß er allen auferleget, ſich an einem
einzigen Gerichte ſatt zu eſſen.


Sechſtes Couvert.
Spiegel-Karpfen.


Die Schmerlen ſind an ſich gute ſchmack-
hafte Fiſche; aber ein rechter fetter Spiegel-
Karpfen
iſt doch mehr werth, als wol hundert
Stuͤck Schmerlen. Der neue Garkoch ruͤh-
met in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks
etliche Redner und Poeten, die zwar mit guten
ſchmackhaften Schmerlen koͤnnen verglichen
werden, aber doch nicht an die Groͤße der Spie-
gel-Karpfen, die ich auftrage, gelangen. Un-
ter denen Dichtern ruͤhmt er faſt am meiſten den
Opitz und Haller in der Schweiz. Ob nun
zwar beyde ganz gute Dichter ſind: So reichen
ſie doch denen Dichtern vom oberſten Range
kaum das Waſſer. Denn was iſt wol Opitz
und
[271]VII. Geraͤucherte Zungen.
und Haller gegen einen Brockes, Richey,
Weichmann, Johann Ulrich von Koͤnig,
Pietſch, Neukirch?
und noch etliche, die ich
zur Reſerve habe, wenn etwa meine Herren
Gaͤſte, anſtatt der Karpfen, lieber Forellen,
oder Hechte, oder Lachſe, aufgetragen haben
wollten. Jedoch es iſt mehr Ehre fuͤr die weg-
gelaſſene
große Dichter, daß ſie in ſolchem bau-
faͤlligen
Tempel gar nicht ſtehen.


Siebendes Couvert.
Geraͤucherte Rinds-Zungen.


Wenn ich meinen Gaͤſten gute geraͤucherte
Rinds- oder Schoͤpſen-Zungen vortrage, fin-
den ſich dazu viel Kenner des guten Geſchmacks.
Wollte ich ihnen aber Jgel-Zungen, oder von
Stachel-Schweinen vorſetzen, wuͤrden ſie mich
uͤbel anlaſſen. Der neue Tempel-Bauer hin-
gegen, der ſich ſelbſt fuͤr einen Kenner des fein-
ſten Geſchmacks
ausgiebet, traͤget, in ſeinem
Tempel, lauter Jgel- und Stachel-Schweins-
Zungen
auf. Man leſe nur alle ſeine ſtache-
lichte
Ausdruͤcke, inſonderheit da er Huͤbnern,
D. P. und den ſel. D. Rodigaſten, (ſ. die
neue Staats-Zeitungen zu Dreßden vom 16ten
Jan. 1743,) durchnimmt. Sonderlich zieht
er auf Huͤbnern los, und hat es Urſach. Denn
wenn er gleich allen Buchhaͤndlern in Ober-
und Nieder-Sachſen Geld zugaͤbe, ſeinen Tem-
pel des guten Geſchmacks,
oder andere Char-
tequen,
zu verlegen: So wuͤrden doch ſo viel
Exem-
[272]VIII. Lenden-Braten.
Exemplarien nicht vergriffen werden, als der
einzige Gledirſch mit denen Huͤbneriſchen
weltbekannten Schriften
gethan hat.


Achtes Couvert.
Lenden-Braten.


Lenden-Braten werden von manchen Ken-
nern des guten Geſchmacks
fuͤr eine Delica-
teſſe
gehalten. Daher ſetze ich ſie auch auf mei-
ne offene Tafel von vier und zwanzig Couver-
ten,
oder verdeckten Gerichten. Hingegen
aber Lenden-Hiebe zu geben, oder ſo ſehr ge-
ſaͤuerte, uͤberſalzene
und angebrannte Speiſen
aufzutragen, daß einer Seitenſtechen, und
Magendruͤcken, oder Sodbrennen, nothwen-
dig davon bekommen muß, iſt nicht kochmaͤßig
zugerichtet. Gleichwol hat der neue Koch, in
ſeinem Tempel des guten Geſchmacks, die
meiſten ſeiner Bruͤhen zu ſehr verſalzen, allzu
ſcharf gewuͤrzet,
und uͤberfluͤßig geſaͤuret.
Dahin gehoͤrt ſonderlich die haͤmiſche Paſſage,
als wenn D. P. und Rodigaſt ſeinen Weg
nach Waldheim genommen; da doch erſterer
unter die Moͤrder gefallen geweſen, die ihn
mit Gewalt dahin geſchleppt; er aber, bereits
vor einem halben Jahre,
ihren Klauen gluͤck-
lich entrunnen; D. Rodigaſt aber nie nach
Waldheim
gekommen, ſondern in Dreßden
ehrlich geſtorben. (S. Dreßdner Zeitungen.)
Nun heißt es zwar ſonſt: Liuor poſt fata
quieſcit.
Aber der neue Baumeiſter decket bey
ſeinem
[273]IX. Paſtete mit Schnepfen.
ſeinem neuen Tempelbau ſogar die Graͤber
auf, und laͤßt die Todten nicht ruhen. Wie
ſoll man ihn alſo nennen? Er kan ſich ſei-
nen Namen ſelber auschifriren.


Neuntes Couvert.
Paſtete mit Schnepfen.


Schnepfen gehoͤren ohnſtreitig unter die
Leckerbiſſen, zumal wenn ſie in eine ſchmack-
hafte Paſtete eingeſchlagen ſind. Jch behal-
te mir vor, bey anderer Gelegenheit zu erklaͤ-
ren, was, nach der geheimen Sprache E.
Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft, alle hier
theils angefuͤhrte, theils noch zu benennende
vier und zwanzig Couverts oder verdeckte
Schau-Gerichte
eigentlich ſagen wollen.
Die meiſten Leſer werden es mit ſehenden Au-
gen uͤberleſen,
und doch nicht verſtehen, wo-
hin ich hauptſaͤchlich ziele. Doch laſſe ich
mir voritzo genuͤgen, eine Paralele mit denen
Gerichten anzuſtellen, die der neue Baumei-
ſter
in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks
zur Schau aufſetzen laſſen, weil er ſelbſt die
Kocherey nicht recht verſtanden. Denn Tem-
pel
aufbauen, und uͤber den Geſchmack rai-
ſonniren, ſind zwey gar unterſchiedliche Din-
ge. Anſtatt der Schnepfen nun traͤgt er
Schnepfen-Koth auf, welcher auch von vie-
len fuͤr eine groſſe Delicateſſe gehalten wird,
weil er gut ſchmecket. Dahin gehoͤren die
ſaftigen Stellen aus dem Guͤnther, Racheln
Sund
[274]X. Gebratener Reh-Ruͤcken.
und andern, welche anzufuͤhren er gar wohl
haͤtte uͤberhoben ſeyn koͤnnen. Es laͤßt eben
ſo, als wenn ich den Gaͤſten wollte ſtinkend
Fleiſch aufſetzen,
und ſagen: Dis ſchmeckt
uͤbel; alſo werden die Herren aus dem Ge-
genſatze
abnehmen, was gut ſchmecke. Jch
halte aber, meine Herren Gaͤſte wuͤrden als-
denn zu mir ſagen: Narr, eben darum,
weil es uͤbel ſchmeckt und anſtinkt, mußt du
es nicht aufſetzen, und uns den guten Ge-
ſchmack
verderben!


Zehendes Couvert.
Gebratener Reh-Ruͤcken.


Armſelige Koͤche, die ſich nicht ganze Stuͤcke
von Wildpret zulegen koͤnnen, tragen doch
zuweilen ein paar Portionen gut Wildpret
auf, die ſie entweder von denen Silber-Waͤ-
ſchern
bey großer Herren Tafeln, weil es
Auf hub oder Ueberbleibſel geweſen, erkaufet,
oder zu einem andern anſehnlichen Traiteur
erſt ſelber geſchickt, und etliche Portionen ho-
len laſſen, damit ſie an ihre Speiſe-Tafeln
ſetzen koͤnnen: Reh-Ruͤckeu, Faſanen, Schwein-
Widpret ꝛc.
Gerade eben ſo hat es der neu-
aufgekommene Koch
in dem Tempel des gu-
ten Geſchmacks
gemacht. Er hat etliche ſehr
ſchoͤne Gedanken
ſowol in ſeinem zerhackten
Gedichte,
als eingeflickten Proſa. Aber er
hat portionenweiſe bey andern geholet, und
ich will ihm keine Roͤthe abjagen, diejenigen
zu
[275]XI. Poͤckel-Fleiſch. XII. Friſche Auſtern.
zu nennen, bey denen er ſich Raths erholet
hat. Herr Profeſſor Gottſched hat ihm ohne
Zweifel eingeholfen!


Eilftes Couvert.
Poͤckel-Fleiſch.


Dem Magen eine Veraͤnderung zu machen,
iſt gewiß das Poͤckel-Fleiſch ſehr gut. Es muß
aber fein friſch ſeyn, und nicht etwa zu Ham-
burg
allzulang in Faͤſſern gelegen haben. Der
neue Traiteur aber traͤgt in ſeinem Tempel
des guten Geſchmackes viel alt verlegen Poͤk-
kel-Fleiſch
auf. Er critiſiret uͤber Maͤnner,
deren Namen ſchon laͤngſt wieder vergeſſen
ſind. Er moquirt ſich uͤber die Wort-For-
ſcher,
und iſt doch ſelber einer von den ſchaͤrf-
ſten
Wortfuchſern, weil er genau nachgruͤ-
belt,
was ein Pfuydichan und Schweizer-
Woͤrter
ſeyn. Er ſagt auch: Philippi habe
den Weg ſeitwaͤrts nach Waldheim genom-
men, da es doch ſchon uͤber drey Jahr iſt,
daß er ſolche Fantaſten, wie der Autor im
Spiegel, antreffen kan, alldort zur Luſt beob-
achtet
hat.


Zwoͤlftes Couvert.
Friſche Auſtern.


Der neue Gaſt-Wirth im Tempel des gu-
ten Geſchmacks
mag mirs uͤbel nehmen oder
nicht, ich muß dasmal ein Wortſpiel anbrin-
gen, weil er in ſeinem zerhackten Gedichte ſo
S 2ſehr
[276]XIII. Gefuͤllte Tauben.
ſehr mit den Gedanken ſpielet. Kenner des
guten Geſchmacks wiſſen gar wohl, was Au-
ſtern
vor ein delicat Eſſen ſind. Aber von
auſteren oder ſauertoͤpfiſchen Leuten wird man
nicht viel bon mots herauslocken. Ein ſol-
cher auſterer Kopf iſt auch unſer neuer Gaſt-
Herr. Er hat ſich uͤber ſeinem Tempel-Bau des
guten Geſchmacks ſo ſehr vertiefet und uͤberſon-
nen, daß E. Loͤbl. Froſchmaͤuſeler-Geſellſchaft
ihn eheſtens einladen wird, in ihre Geſellſchaft
zu treten, um, nach beſchehenem Schnitte
an den Ohren,
ihm die auſteren Minen, wo-
mit er ſeine Critik vorbringet, abzugewoͤhnen.


Dreyzehendes Couvert.
Gefuͤllte Tauben.


Durch das Fuͤllſel bekommen die magern
Tauben ein Anſehen, als wenn ſie ſehr fett
waͤren. Dieſes Kunſtſtuͤckes hat ſich auch
der neue Speiſemeiſter in dem Tempel des
guten Geſchmacks
bedienet. Er ſtreichet
manche Scribenten von der mittlern Sorte
als ſolche Helden heraus, vor denen alle Pro-
feſſores der Poeſie und Beredſamkeit erbe-
ben,
und ſich in den Staub vor ſie legen muͤſ-
ſen. Allein ſeine Worte ſind aufgepauſte
Tauben. Nehmet das Fuͤllſel weg, ſie wer-
den ganz mager erſcheinen. Wenn die obge-
dachte Regeln der Reimſchmiede-Kunſt und
kriechenden Poeſie
erſt ans Licht getreten ſeyn
werden, wird der Autor finden, daß man ſei-
ne
[277]XIII. Gefuͤllte Tauben.
ne meiſten Maximen allda in Regeln gebracht.
Spraͤche ich gleich itzo, er raiſonnire manch-
mal wie ein poetiſcher Schmetterling, er
quaͤke wie ein poetiſcher Froſch, er paußte
ſich auf, wie ein poetiſcher Maulwurf, er
mache ſo ein Gepraſſel, wie ein poetiſcher
Meſſer-Schmied:
So wird doch weder er
noch meine Leſer mich voͤllig verſtehen, bis
E. Loͤbl. Froſchmaͤusler-Geſellſchaft gedachtes
Manuſcript als ein Woͤrterbuch ihrer gehei-
men Sprache
wird herausgegeben haben.
Auch in der Republik der redenden Wuͤrmer
von der vierten und ſiebenden Claſſe, die ein
ander Mitglied gedachter Geſellſchaft aus
dem Engliſchen uͤberſetzet hat, werden die
Pfuſcher von Koͤchen, und die gemiſchten Pro-
feßioner, auch Allermanns-Tadler, mit dem-
jenigen Namen benennet, den ihnen die Na-
tur an die Stirne gegraben. Bis dahin ſtehe
der Geſchmacks-Tempel-Bauer in Geduld.
Damit aber gleichwol geſcheidte Leſer erken-
nen, daß mich kein Neid oder Bitterkeit an-
treibe, dem neu-aufgeſtandenen Kuͤchenmei-
ſter
die ihm noch gar ſehr fehlende Wiſſen-
ſchaft
derer rechten Koch- und Geſchmacks-
Regeln
mit guter Manier vorzuhalten, oder,
gleich dem Wurm-Saamen, in einem Saͤft-
gen
beyzubringen; will ich zur Probe ein
paar Dutzend Redens-Arten,
die in ſeinem zer-
hackten Gedichte
des ſogenannten Geſchmacks-
S 3Tem-
[278]24 unſchmackhafte Reden
Tempels vorkommen, alhier mit dem Kuͤchen-
Meſſer
anatomiren. Solche ſind:


  • 1. Die deutſche Leyer ruͤhren,p. 3. heißt
    ihm ſo viel, als ein beruͤhmter deutſcher Poe-
    te
    ſeyn. Poßirlich genung gegeben!
  • 2. Der Dichter entfuͤhrt ſein Feuer dem
    Himmel.
    Mein! was iſt das geredt? Die
    Poeten ſollen nun gar Diebe ſeyn, die dem
    Himmel das Feuer entwenden, das doch ſo
    ſehr hoch in den Blitzen verſteckt iſt, daß der
    ohnmaͤchtige Poete aus ſeinem Geſchmacks-
    Tempel
    nicht dahin ſteigen kan.
  • 3. Der Dichter entfuͤhrt ſein Feuer dem
    Himmel, wie Prometheus.
    Jſt ein durch-
    aus falſcher Gedanke. Denn verſteht ers vom
    poetiſchen Feuer; ſo iſt Prometheus nie als
    ein Poete, der Feuer gehabt, beſchrieben;
    dasjenige Feuer aber, welches Prometheus
    entwandt
    zu haben von den alten Poeten er-
    dichtet worden, ſchickt ſich ſchlecht zu dem
    poetiſchen Feuer; denn dis ſtiehlt man ja
    nicht dem Himmel ab, wie Prometheus dem
    Jupiter das Feuer ſoll geſtohlen haben, ſon-
    dern der Poete hat es ſchon in ſich, und laͤßt
    es ausbrechen; aber der Autor hat andre nach
    ſich
    gerichtet. Er will lieber den gelehrten
    Dieben
    oder Plagiariis das Wort reden, als
    ſich ſelber ſchelten.
  • 4. Dem Himmel das Feuer ſchlau, doch
    fromm, entfuͤhren.
    Der Verfaſſer hat
    wol gedacht, was vor Witz in dieſer Ver-
    glei-
    [279]in dem Tempel des guten Geſchmacks.
    gleichung ſtecke; aber es iſt ein Galimathias.
    Denn ein frommer Diebſtahl iſt ſo viel, als
    eine ſchlaue, doch fromme, Hure.
  • 5. Der Dichter durch der Muſen Lehre.
    Welch deutſch Mutter-Kind redet ſo kauder-
    welſch? Der Autor will ſo viel ſagen, als:
    derjenige, der durch den Unterricht der Mu-
    ſen ein Dichter geworden.
    Dieſer Gedanke
    iſt an ſich nichts apartes, auch dem Spruͤch-
    worte entgegen: Poëta naſcitur, non fit.
    Geſetzt aber, der Gedanke waͤre untadelhaft:
    So ſpricht man doch nicht im Deutſchen:
    Ein Dichter durch der Muſen Lehre. Da-
    her moͤgte man ſagen: Reim dich, oder ich
    ſtoß dich die Treppe hinunter, daß du mit dei-
    nen Einfaͤllen die Beine zerbrichſt!
  • 6. Nicht der, der was ſchwimmt und
    fliegt, was lauft und kriechet, was glaͤnzt
    und ſcheint, was ſchmeckt und riechet, in ei-
    nen ſtarren Vers gerafft.
    Wer des fuͤr-
    trefflichen Brockes irrdiſch Vergnuͤgen in
    Gott
    geleſen, wo er das Wunderbare der
    Geſchoͤpfe Gottes und der Sinne in patheti-
    ſche Verſe
    gebracht, der wird ſich ſchwerlich
    bereden, daß ein After-Poete, der jenem groſ-
    ſen Dichter die Schuh-Riemen aufzuloͤſen
    nicht wuͤrdig iſt, ſich erkuͤhnen duͤrfen, ihn
    heimlich anzuſtechen. Denn wer hat ſonſt
    die goͤttliche Weisheit an denen niedrigen Ge-
    ſchoͤpfen, als Voͤgeln, Fiſchen, Gewuͤrmen, ꝛc.
    desgleichen die Weisheit Gottes in Einrich-
    S 4tung
    [280]24 unſchmackhafte Reden
    tung der fuͤnf Sinne poetiſch beſchrieben, als
    eben Brockes? Jſt es denn unrecht, das,
    was ſchwimmt, fleucht, kriechet, in Verſe
    zu bringen? Jſt es gegen den guten Ge-
    ſchmack,
    das, was glaͤnzt, ſcheinet, geſchmeckt
    und gerochen wird, poetiſch abzuſchildern?
    Fuͤhre dich ab, poetiſcher Marketender! die
    Bruͤhe treufelt dir am Barte herunter; wi-
    ſche das fette Maul erſt ab, ehe du es ſo voll
    nimmſt, beruͤhmte Dichter mit deinem Gei-
    fer
    zu beſpruͤtzen! Doch nein, ich eifere nicht
    fuͤr den groſſen Brockes, ſondern brachte nur
    eben eine oratoriſche Figur, die Apoſtro-
    phe,
    an.
  • 7. Nicht Hofmann und nicht Lohenſtein.
    Hier giebt der Kuͤchenmeiſter einen Fleiſcher
    und Scharfrichter ab, der dem Namen Hof-
    mannswaldau,
    den er in Gedanken hat, glatt
    den Rumpf beym Kopfe wegnimmt. Denn
    kein Hofmann iſt unter den Dichtern bekannt,
    auf den ſich des Autoris ganze Paſſage ſchick-
    te; alſo ſoll es Hofmannswaldau ſeyn. Aber
    packe ein, poetiſcher Criticus; Hofmanns-
    waldau, Lohenſtein,
    und der Reimſchmied
    im Tempel des Geſchmacks differiren toto
    coelo
    von einander! Du reicheſt jenen nicht
    das Waſſer!
  • 8. Kurz, eben dieſer Opitz ſagte einsmahls
    des Nachts im Traume zu mir, ich ſollte mit
    ihm den Tempel des guten Geſchmacks be-
    ſuchen.
    p. 4. Das iſt Opitzen nicht in den
    Sinn
    [281]in dem Tempel des guten Geſchmacks.
    Sinn gekommen. Und geſetzt, daß er ihm
    den Einfall vom Geſchmacks-Tempel zu dan-
    ken haͤtte: So haͤtte Opitz eben ſo ſeltſam
    vorgeleyert, als der neumodiſche Poete ihm
    nachleyert. Denn ich bleibe dabey, ein Tem-
    pel
    ſchickt ſich gar nicht zu dem Begriff von
    gutem Geſchmacke. Er haͤtte eher ſagen moͤ-
    gen: Gaſthaus des guten Geſchmacks, oder
    des Apollo Garkuͤche, darinn der gute Ge-
    ſchmack gelernet
    wird; aber einen Tempel in
    der Abſicht zu bauen, um den guten Geſchmack
    darinn zu aͤuſſern, iſt noch keinem einzigen
    Baumeiſter,
    weder von der alten corinthi-
    ſchen, doriſchen, joniſchen und theſſaliſchen
    Baukunſt, noch neuen Tempelbauer, er baue
    nun moſaiſch, oder grotesco, oder italieniſch,
    oder hollaͤndiſch, oder deutſch, bis Dato ein-
    gekommen. Trolle dich alſo, du neumodi-
    ſcher Baumeiſter,
    mit deinen Bau-Riſſen zu
    denen Spittel-Weibern von achtzig Jahren,
    die nicht mehr ſchmecken koͤnnen, was gut
    oder ſchlimm ſey.
  • 9. Dis iſt ein Ort, wovon jedermann re-
    det, und darum ſich die Reiſenden nicht ſehr
    bekuͤmmern.
    Solch unſchmackhaft Zeug ſoll
    Opitz
    im Traune dem Verfaſſer vorgeſagt
    haben. Es iſt aber a) ein Widerſpruch in
    dieſen Worten. Denn wenn jedermann
    vom Geſchmacks-Tempel redet: So iſt es
    falſch, daß ſich die Reiſenden ſehr wenig dar-
    um bekuͤmmern. b) Jſt unverſtaͤndlich, daß
    S 5die
    [282]24 unſchmackhafte Reden
    die Reiſenden ſich um den guten Geſchmack
    nicht ſehr
    bekuͤmmerten. Auf dieſe Art,
    moͤgte man auch denken, habe der Autor in
    ſeinem Leben viel gereiſet.
  • 10. Es wird dienlich ſeyn, daß du in der
    Naͤhe einen Gott betrachteſt, dem du dienen
    willſt.
    Hier nennet er den einen Gott, den
    er gleich darauf einen Meiſter nennet, und
    man wird doch am Ende nicht klug, wer ſein
    Gott und Meiſter eigentlich ſey.
  • 11. Du willſt ihn deinen Meiſter nennen;
    er iſt es, oder ſolls doch ſeyn. Stell dich
    bey ſeinem Tempel ein; alsdenn wirſt du ihn
    beſſer kennen.
    Jch frage alle unparteyiſche
    Leſer,
    ob in dieſen vier Reimen ein ſonderli-
    cher Witz ſey? Es ſind bloſſe Reimſchmieds-
    Einfaͤlle,
    und kann es der Bauer nicht anders
    machen, als, wenn der Gott des guten Ge-
    ſchmacks
    in einem Tempel ſaͤſſe; ſo muͤſte er
    freylich hineingehen, um ihn kennen zu lernen!
    Heißt dis nun der bon ſens, wenn man ſo
    gemein
    redet, daß die vom Poͤbel eben ſo
    ſchwaͤtzen? Denn auch der Bauer, wenn
    man ihn fruͤge: Wo kann man euren Pfarr
    kennen lernen? wuͤrde antworten: Gieht in
    de Kerche oder Gottshus,
    da werdt ihr ihn
    kennen lernen. Heißt das nun ſcharfſinnig?
  • 12. Vater der deutſchen Muſen, ich
    bin etwas ſchwaͤtzhaft.
    Da hat der Herr
    wahr geredt; er geſteht ſeine eigene Schan-
    de.
    Er ſchwaͤtzt in den Tag hinein, wies ihm
    ins
    [283]in dem Tempel des guten Geſchmacks.
    ins Maul koͤmmt. Notetur haec phraſis
    non ſemper occurrit!
  • 13. Ein andrer, der nichts glauben kann,
    wird meiner Reiserzehlung lachen.
    pag. 5.
    Der Herr hat ſich ſein richtig Prognoſticon
    ſelber geſtellet! Er hat Materie gnug an die
    Hand gegeben, auf ſeine Unkoſten zu lachen.
  • 14. Noch mehr, vielleicht will man gar
    wiſſen, wo des Geſchmackes Tempel ſteht.

    Das braucht keines Kopfbrechens, noch daß
    er den gleich darauf genannten goͤttlichen Poe-
    ten
    erſt bemuͤhe, ihm im Schlafe daruͤber ein
    Oracul auszuſtellen. Opitz wuͤrde, wenn er
    noch lebte, ſprechen: Ein Geſchmacks-Tem-
    pel
    iſt nirgends zu finden, als in deinem an-
    bruͤchigen Gehirne,
    du fantaſtiſcher Tempel-
    Bauer!
  • 15. Geſchaͤhe es auch, daß man ſich ein
    wenig deswegen uͤber mich aufhielte.
    Ey,
    Monſieur, nicht nur ein wenig, ſondern recht
    ſtark. Er legt einem ſo viel Quaderſtuͤcken
    ſeines nur erſt in Gedanken abgeriſſenen,
    aber noch nicht aufgefuͤhrten Tempels in den
    Weg, daß man ſich Tritt vor Tritt dabey
    aufhalten muß, weil man doch gern fuͤr die
    vier Groſchen, die ſein Tempel-Riß koſtet,
    was reelles haben moͤgte. Doch die Actien
    ſind ſeitdem gefallen. Jn denen dresdniſchen
    Staats-Zeitungen
    ſtehets, daß der Geſchmacks-
    Tempel
    nun fuͤr zwey Groſchen zu haben
    ſey.

16.
[284]24 unſchmackhafte Reden
  • 16. Von dem ein Witzling jetzt mit Fleiſſe
    ſich entfernet.
    pag. 6: Was fantaſiret der
    Tempel-Bauer? Was iſt denn Witzling vor
    ein Ding? Jſt es etwa ein Witzher? wie
    jene Jungfer gerne wiſſen wolte, was ein
    Witzher ſey, weil ihr Schulmeiſter ihr geſagt:
    Penis heiſſe ein Witzher. Jſt es auch in rei-
    ner Poeſie
    vergoͤnnt, die Conſtruction zu ver-
    werfen, und, anſtatt zu ſagen: Von dem
    ſich ein Kluͤgling mit Fleiß entfernet,
    auch
    noch dazu mit Einflickung eines Fuͤllwoͤrt-
    gens jetzt, alſo die Worte zu verſetzen: Von
    dem ein Witzling jetzt mit Fleiſſe ſich entfer-
    net.
    Gewiß, wenn Opitz ſich keinen ge-
    ſcheidtern Lehrpurſchen, dem er ſeine Ge-
    ſchmacks-Tempel-Riſſe
    vorlegen koͤnnen, aus-
    zuſuchen gewußt, als den Verfaſſer, dem ers
    im Traume ſoll beygebracht haben, wird Opitz
    wenig Credit
    mehr behalten. Aber zu gutem
    Gluͤck
    hats ihm nur ſo getraͤumet; Opitz hin-
    gegen ſchlaͤft ſo ſanfte und [b]eſte, daß es ein
    Pſeudo-Opitz muß geweſen ſeyn, der dem
    Tempel-Baumeiſter erſchienen.
  • 17. Jch ſahe, die einatquedurch einet,
    modo Minellii,
    zum Troſt der Chriſtenheit
    recht freudenreich erklaͤrten.
    Was ſind das
    nicht vor abgeſchmackte Scherz-Reden? Und
    wie jaͤmmerlich muß ſich der vorhergegangene
    Reim: Schweiß und Muͤh, durch den dar-
    auf folgenden: modo Minellii, verhunzen, ſtu-
    priren,
    und, nach den Regeln der Reim-
    ſchmie-
    [285]in dem Tempel des guten Geſchmacks.
    ſchmiederey, zuſammenloͤten laſſen? O du
    armſeliger Belehrer des guten Geſchmacks!
    lerne doch erſt ſelber ohne großen Schweiß
    und Muͤhe,
    ein paar Reime, die gut klap-
    pen,
    auf einander zu fuͤgen! Aber hier magſt
    du wol dich viel wiſſen, daß du den herrlichen
    Einfall: modo Minellii, haſt mit Schweiß
    und Muͤh
    zuſammen reimen koͤnnen! Jch
    ſchwoͤre darauf: Kein Buchhaͤndler haͤtte dei-
    ne Charteque verlegt, wenn du nicht Geld
    uͤber Geld
    zugegeben, damit nur der uͤbel-
    gerathene Witzling,
    wie du pag. 6. ſagteſt,
    zur Welt kaͤme!
  • 18. Wollt ihr nie zum Geſchmack und
    ſeinem Tempel gehn? Wir? ſchrien ſie, wahr-
    lich, nein, es iſt ein Hirngeſpinſte!
    Aber-
    mahls: Notetur haec phraſis, non ſemper
    occurrit!
    Der Autor geſtehet hier ſelber zu,
    daß ſein Geſchmacks-Tempel ein bloßes Hirn-
    geſpenſte
    ſey; folglich habe ich ihm vorhin
    ſub No. 14. nicht Unrecht gethan. Undeutſch
    aber ſind die Worte: Wollt ihr nie zum
    Geſchmacke gehn?
  • 19. Wir gruͤbeln, forſchen nach, und ſez-
    zen in ein Licht, was andre ſonſt gedacht;
    wir aber denken nicht.
    pag. 7. Das ſoll
    ein ſehr feiner Stich auf die Criticos ſeyn.
    Weil er aber ſelber durchgaͤngig einen Cri-
    ticum agirt: So muß er entweder zugeſtehen,
    daß er ſelbſt nicht Gedanken gehabt, da er
    andere beurtheilet, oder aber, daß einer gnung
    zu
    [286]24 unſchmackhafte Reden
    zu denken habe, um des andern Gedanken
    voͤllig zu treffen, ſonderlich wenn er ſo confus
    ſchreibt, als bisher vom Verfaſſer deducirt
    worden.
  • 20. Wir ſollten die beyden erhitzten Geg-
    ner (Gronowen und Fellern) entſcheiden.

    Gewiß, der Autor hat große Jdeen von ſich.
    Er ſagte kurz vorher: Die ſaͤmmtliche Her-
    ren Critici haͤtten ihn und ſeinen Reiſegefaͤhr-
    ten
    umringet, und gebeten, zween ihrer be-
    ruͤhmteſten
    Criticorum aus einander zu ſetzen.
    Aber mein! wie kan der Autor ſolch elend
    Zeug
    erdichten? Es iſt den Criticisnie in
    die Gedanken
    kommen, einen ſo erbaͤrmlichen
    Schiedsrichter
    zwiſchen Gronowen und Fel-
    lern
    zu erwehlen. Jedoch er kann ſich gut
    heraushelfen. Er ſagte oben pag. 4. es habe
    ihm nur ſo getraͤumet. Aber ich wollte ihm
    rathen, er lernte erſt beſſer traͤumen, oder
    belaͤſtigte die ſo ſchon mit Chartequen gnug
    uͤberhaͤufte
    Buchlaͤden nicht auch noch mit ſei-
    nen abgeſchmackten Traͤumen.
  • 21. Kaum waren wir hundert Schritte
    fortgegangen.
    Ein Scribent, der, wie der
    Autor, die kleinſten Fehlet anderer hoch auf-
    mutzet,
    und infallible Regeln eines vollkom-
    menen Geſchmacks
    geben will, muß billig
    auch von jedem ſeiner gethanen Schritte Re-
    chenſchaft und rationem ſufficientem angeben
    koͤnnen. Warum ſagt er alſo, daß er eben
    hundert Schritte von den Criticis ſich entfer-
    net
    [287]in dem Tempel des guten Geſchmacks.
    net gehabt, da ihm eine griechiſche Ueberſez-
    zung
    des Virgils angeboten worden? Ein
    Ueberſetzer gehoͤrt billig noch zu denen Criti-
    cis;
    wenigſtens iſt er nicht hundert Schritte
    von ihnen entfernt. Jedoch, er eilet zu ſei-
    nem Geſchmacks-Tempel. Daher nimmt er
    ein hundert oder tauſend geometriſche Schrit-
    te voraus,
    um einen guten Vorſprung zu ha-
    ben, daß ihm keiner im Laufen vorkomme.
  • 22. Wollte uns ein ander Gelehrter noͤ-
    thigen, in einer poͤbelhaften Anſprache ſeine
    Schrift zu leſen.
    Der Autor bezeigt hier ei-
    nen Verdruß gegen poͤbelhafte Ausdruͤcke,
    deren er ſich doch ſelber gnug in ſeiner Schrift
    bedienet hat. Auch iſt es wol dem gelehrten
    Verfaſſer, der die Wahrheit der chriſtlichen
    Religion
    zu der Zeit ſchon vertheidiget gehabt,
    ehe er gewußt, daß nach ihm ein ſo poßirli-
    cher Tempelbauer
    aufſtehen wuͤrde, nicht zu
    Gemuͤthe geſtiegen, ihn zu Leſung ſeiner Schrift
    noͤthigen zu wollen. Daß er ſich aber daruͤ-
    ber auf haͤlt, wenn man ex teſtimonio hoſtis
    contra hoſtem
    diſputirt, iſt er viel zu wenig,
    ſolche Methode zu tadeln. Wie viel große
    Gelehrte
    haben nicht die Wahrheit der chriſt-
    lichen Religion ſogar aus heydniſchen Schrif-
    ten
    zu beveſtigen ſich angelegen ſeyn laſſen,
    z. E. Humphrey, Prideaux, Grotius, Hue-
    tius
    ꝛc. Warum ſollte man alſo nicht auch
    viel richtige Auslegungen der Rabbinen ge-
    gen die anfuͤhren koͤnnen, die zwar das al-
    te
    [288]24 unſchmackhafte Reden
    te Teſtament, aber nicht das neue, anneh-
    men?
  • 23. Da er wol eingeſehen, daß die Gruͤn-
    de aus der Vernunft und der goͤttlichen Of-
    fenbarung, deren man ſich bisher wider den
    philoſophiſchen Muthwillen der ſtarken Gei-
    ſter bedienet, nicht zureichend waͤren, ſelbi-
    gen zu zaͤhmen. Hier
    verraͤth der Schrift-
    ſteller,
    wes Geiſtes Kind er ſey. Denn er
    nennt die, ſo die chriſtliche Religion attaqui-
    ren, ſtarke Geiſter, da es doch ſehr ſchwache
    Koͤpfe
    ſind. Er treibt ſelber Muthwillen,
    da er ſeinen benannten ſtarken Geiſtern einen
    philoſophiſchen Muthwillen beyleget. Er
    raiſonnirt untheologiſch, und nach Art der
    Religions-Spoͤtter, daß er ſpricht: Alle Gruͤn-
    de
    der Vernunft und goͤttlichen Offenbarung
    waͤren nicht hinreichend, die ſtarken Geiſter
    oder Religions-Feinde zu zaͤhmen. Reichen nun
    alle Gruͤnde nicht bey Leuten ſeines Schlages
    zu: So iſt der beſte Rath, man ſchaffe ſie
    in ein Tollhaus, da ſie ungeſtoͤrt ihren Muth-
    willen auslaſſen duͤrfen. Jch habe derglei-
    chen Religions-Spoͤtter bey meiner Durch-
    reiſe durch Waldheim angetroffen. Sie la-
    gen an der Kette; da mogten ſie labbern,
    was ſie wollten. Sie ſagten z. E.: Die gan-
    ze Bibel
    ſey ein Maͤhrgen von der Tonne;
    Chriſtus ſey eine Fabel ꝛc. Aber man hielt
    es ihrem verruͤckten Gehirn zu gute, und
    ſtrafte ſie nicht darum, daß ſie ſo ſchwaͤtz-
    ten.
    [289]in dem Tempel des guten Geſchmacks.
    ten. Das merke ſich der Autor zur Witzi-
    gung.
  • 24. Noch andre theilten allerley Wochen-
    ſchriften aus, ‒ ‒ ſie kehrten aber alle dem
    Tempel des guten Geſchmacks den Ruͤcken
    zu.
    Hier verraͤth der Autor entweder ſeine
    Unbeleſenheit, daß er von allen Wochen-
    ſchriften
    ſchwaͤtzet, als wenn ſie vom guten
    Geſchmack abwichen, da doch z. E. der Spe-
    ctateur, Guardian, Baggatelle, Patriot,
    Freydenker,
    und mehr andre Wochenſchrif-
    ten mehr bon ſens in einem Blate haben, als
    der Verfaſſer auf 40 Seiten gezeiget; folglich
    haͤtte er mit Ausnahme reden ſollen, wenn er
    ſie geleſen; oder aber er verraͤth ſeinen eignen
    uͤblen Geſchmack, daß ihm keine einzige Wo-
    chenſchrift
    gefallen. Es geht ihm, wie einem
    Febricitanten, der da meynt, weil er den Ge-
    ſchmack verlohren, und ihm alles widrig
    ſchmecket, als waͤren andre, die die Lecker-
    biſſen loben, von verdorbenem Geſchmacke.
    Nun ziehe einer eine Proportions-Regel, da
    ich in bloſſen acht Seiten ſchon vier und zwan-
    zig unſchmackhafte Redens-Arten gleich beym
    erſten Aufſtoß angetroffen, wie hoch die uͤbri-
    ge Anzahl erſt ſteigen wuͤrde, wenn ich alle
    vierzig Seiten ſo durchnehmen wollte. Doch
    es ſey zur Probe an 24 genung. Will er
    ſich daran nicht begnuͤgen laſſen, kann er
    kuͤnftig noch 24 neue Brocken bekommen, die
    Tich
    [290]XIV. Ein wilder Schweins-Kopf.
    ich vorjetzo noch zur Reſerve behalte! Ein
    gewiſſer großer Mann ſagte gar: Jch ſollte
    mich mit ſo einem dummen Kerl gar nicht
    einmahl einlaſſen.

Vierzehendes Couvert.
Ein zugerichteter wilder Schweins-
Kopf.


Kenner des guten Geſchmacks wiſſen, oh-
ne meine weitlaͤuftige Anpreiſung, daß ein
recht zugerichteter wilder Schweins-Kopf
auch ein delicat Gerichte ſey. Aber wenn
aus zahmer Schweine Daͤrmen, ohne ſie
vorher recht ſauber zu waſchen, Bratwuͤrſte
gemacht werden, vergehet einem wol der Ap-
petit. Dergleichen Bratwuͤrſte traͤgt der
neue Mundkoch an vielen Orten auf; unter
andern auch kurz vorher, da er denen von
ihm genannten ſtarken Geiſtern, oder Reli-
gions-Spoͤttern
p. 8. das Wort redet, und
alle Wochen-Schriften fuͤr abgeſchmackt er-
klaͤret. Jch werde mich nicht bemuͤhen, ſei-
nen uͤbrigen Unflath aufzuruͤhren, damit ich
nicht meinen Leſern einen Ekel verurſache, oder
es mir nach dem Sprichworte ergehe: Quodſi
cum ſtercore certo, vinco, ſeu vincor, ſem-
per
ego maculor!
Jch habe noch andre Cou-
verts uͤbrig, und will es, wie er p. 11. ſchreibt,
kurz machen.


Funf-
[291]XV. Fricaſſee von Kalbfleiſch.

Funfzehendes Couvert.
Fricaſſee von Kalbfleiſch.


Wenn man die harlequiniſche Paſſage
p. 10. von den Worten an: Zwoͤlf Affen von
dem großen Haſſen,
unpartheyiſch anatomirt,
ſiehet man, daß der Autor ſich gleichſam ſelbſt
in eine Fricaſſee von Kalbfleiſch verwandelt.
Wenigſtens ſpringt er da herum, wie die jun-
gen muthwilligen Kaͤlber, oder wie die muͤſ-
ſigen Hengſte, die das Futter ſticht. Endlich,
ſpricht er, ſey er zum Tempel des Geſchmacks
gelanget.
Weil er nun ſich elf Seiten
herum getummelt, ehe er alda angelanget
ſeyn will, muͤſſen wir ihm ſeine Spruͤnge
und Fehltritte, die er unterwegens gethan,
zu gute halten. Aber er faͤllt bald mit
der Thuͤre ins Haus, da er kaum an die
Schwelle ſeines geruͤhmten Tempels gekom-
men. Denn da er hoch fliegen will, ſtol-
pert
er gewaltig. Er ſpricht p. 10: Den ve-
ſten Grund zu dieſem Gottheits-Sitze hat
Griechenland ſchon ehedem gelegt.
Lieber
Leſer, ſage mir aufrichtig, verſteheſt du dieſe
Phoͤbus-Rede? Aber er verſinket noch tie-
fer,
da er fortfaͤhrt: Der die von Zeit zu Zeit
erhoͤhte Spitze zuletzt bis an die dunkeln Wol-
ken traͤgt.
Ja wol muß ſein Einfall bis an
die dunkeln Wolken getragen worden ſeyn,
welche verhindern, daß man nicht ſehen kann,
T 2was
[292]XVI. Gedaͤmpft Rindfleich ꝛc.
was er mit dieſem hochtrabenden Geſchrey
ſagen wolle. Jſt etwa das ſeine Meynung:
Der Tempel des guten Geſchmacks ſey nun
zu ſeiner vollkommenen Groͤße gelanget: So
haͤtte er dieſen natuͤrlichen Gedanken nicht
durch ſolche Wort-Ballonen erſt bis in die
dunkle Wolken ſchleudern ſollen. Je hoͤher
der gute Geſchmack ſteiget, je lichter wird
es, und die dunkeln Wolken werden zer-
ſtreuet.


Sechszehendes Couvert.
Gedaͤmpft Rindfleiſch mit Lorbeern
und Wacholderbeern.


Wenn mir eine Stelle gefallen hat, wor-
inn der Autor zeiget, daß er noch nicht alle
geſunde Schmecke verlohren: So iſt es ſon-
derlich die elfte und zwoͤlfte Seite; ausge-
nommen die eingeflickte proſaiſche Stelle.
Denn was iſt das vor Deutſch: eine weit-
ſchweifige Beſchreibung?
Man ſpricht wol:
weit ausſchweifende, aber weitſchweifig ſchickt
ſich beſſer fuͤr die Roßkaͤufer, wenn ſie die
Pferde mit weiten Schweifen beſehen. Was
ſoll ferner der Einfall ſagen: Er habe Gele-
genheit, eine umſtaͤndliche Beſchreibung der
Baukunſt bey dem Geſchmacks-Tempel an-
zubringen, wenn er Luſt haͤtte, ungeleſen zu
bleiben?
Dieſer Anhang iſt vollkommen
verwirrt.
Denn eben das ſuchet und wuͤn-
ſchet
[293]XVII. Gebratener Haaſen.
ſchet man in ſeiner Schrift, daß, da er einen
ſo neumodiſchen Tempel angegeben, er einen
vollſtaͤndigen Riß davon dem Leſer mitgetheilt
haͤtte, zumal er hintenher eine von ihm in der
Note p. 31. genannte Nebencapelle, nemlich
den Tempel der Freunoſchaft, angeflicket;
da man wahrlich nicht ſiehet, was der gute
Geſchmack
mit der Freundſchaft vor eine Con-
nexion
habe. Man ſiehets wol, der Autor
iſt zum Scherzen nicht gebohren. Sein Ba-
diniren
hat weder Saft noch Geſchmack.


Siebenzehendes Couvert.
Gebratener Haaſen.


Ein gebratener Haaſe in der Schuͤſſel iſt un-
ſtreitig von beſſerm Geſchmack, als ein leben-
diger Haaſe
auf der Schaubuͤhne. Als ei-
nen ſolchen fuͤhrt ſich beynahe der Autor auf
der 13 und 14 Seite auf. Denn wie haſi-
lirt
er nicht da ungeſcheut, daß er alſo reimet:
Das ſind, Gott gebs! die großen Geiſter, im
Schreiben Flink, im Tadeln Meiſter.
Wie
ſchickt ſich doch immer hier die Brocke: Gott
gebs?
Er hat gewiß das andre Gebot ver-
geſſen! Wer redet ferner alſo: Jm Schrei-
ben flink ſeyn?
Er hat vielleicht ſagen wol-
len: Zum Schreiben leicht fertig ſeyn; ſo hat
er ſich ja ſelber abgeſchildert. Die Worte
aber: im Tadeln Meiſter, und ſelbſt zum
Schreiben noch zu jung,
mag er mit guͤldnen
T 3Buch-
[294]XVII. Gebratener Haaſen.
Buchſtaben uͤber ſeinen Geſchmacks-Tempel
ſetzen, oder denken, der Kuckuck rufe ſeinen
eigenen Namen aus. Denn er tadelt ja alle,
und ſchlaͤgelt doch ſelber ſo unzaͤhlige mal;
daher gebe ihm ſeinen eigenen Einfall in opti-
ma juris forma
zuruͤck: Und ſelbſt zum Schrei-
ben noch zu jung, und ſelbſt zum Tadel reif
genung.
Jn dem zweymaligen und ſelbſt
liegt zwar ſo wenig Patheſis, als jener Pfarr
in dem Woͤrtlein ιδου, ιδου, ecce, ecce,ſiehe,
ſiehe,
ſuchte; doch mag es cum caeteris er-
roribus
durchwiſchen. Auch ſagt man nicht
in reinem Deutſch: Der iſt zum Tadel reif
genug,
wenn es ſo viel heiſſen ſoll, als: Der
iſt ſelber tadelnswehrt.
Jedoch auch dieſer
Solœciſmus mag mit drein gehen, gleich dem
naͤchſt drauf folgenden: Das ſind des Witzes
Widerſacher.
Mein! welcher Oberſachſe hat
ſo geredt: Der iſt des Witzes Widerſacher?
Jedoch propter rythmum ſequentem konnte
der Widerſacher nicht wegbleiben. Denn
der Schluß-Gedanke charmirte ihn gar zu
ſehr, da er ſchreibet: Das ſind des Phoͤbus
Luſtigmacher,
und darauf reimt ſich Wider-
ſacher.
Nun frage ich alle Kenner der deut-
ſchen Sprache, was ein Luſtigmacher des
Phoͤbus
vor ein Ding ſey? Soll es heiſ-
ſen: die ſo ſchwuͤlſtig ſchreiben, und doch
elende Gedanken dahinter verſtecken, wie die
Phoͤbus-Redner thun: So hat er ſich zwar
ſelber
[295]XVIII. Ein Kalbes-Kopf.
ſelber verdeckt abgemahlt; gleichwol iſt es
auch gar zu kauderwelſch geredt, ſich und ſei-
nes gleichen des Phoͤbus Luſtigmacher zu
nennen. Jch rathe ihm nochmals, er laſſe
das Badiniren bleiben, damit es nicht haſe-
lantiſch
herauskomme.


Achtzehendes Couvert.
Ein appetitlicher Kalbes-Kopf.


Jener Page hoͤrte bey der Tafel ſeines
Herrn ſagen: Die Sternſeher haͤtten kein
Gehirn
im Kopf. Als er nun darauf einen
Kalbs-Kopf auftragen ſollte, naſchte er unter-
wegens das Gehirn heraus, und da ihn ſein
Herr zur Rede ſetzte, wo denn das Gehirn
hingekommen, antwortete der Page: Es war
ein Sternſeher,
woruͤber ſein Herr lachte.
Jch weiß nicht, wo der Autor ſein critiſch
Gehirn
muß hingethan haben, da er die Paſ-
ſage p. 13. von dem gemeinſchaftlichen Demuͤ-
thiger L..
anfuͤhret. Er weiß gewiß noch
nicht, daß ſolcher nun ein aufrichtiger Goͤn-
ner
des D. P. den er daſelbſt anſticht, ſey.
Der Autor hat Urſache, den Scepter des ge-
meinſchaftlichen Demuͤthigers
in Zeiten zu
kuͤſſen, damit er nicht etwa auch in deſſen
Zucht-Ruthe falle. Es iſt aber auch ganz
falſch, daß Philippi und Rodigaſt ſich ganz
leiſe auf der Seite davon geſchlichen, und ſich
ſelbſt
auf den Weg gewandt, der nach Wald-
T 4heim
[296]XVIII. Ein Kalbes-Kopf.
heim fuͤhrt. Es muß dis dem Autor nur ſo
getraͤumt haben; ſonſt wuͤrde er einen Unter-
ſcheid
zwiſchen dem heimlichen davon ſchlei-
chen
und gewaltthaͤtigen Entfuͤhren machen.
Gnade ihm der Himmel, daß er nicht ſo eine
Fatalitaͤt erlebe; er wuͤrde gewiß ohne Schiff-
bruch ſeines Verſtandes
nicht acht Tage dort
aushalten; da Philippi die waldheimiſchen
Narren-Comoͤdien ganzer zwey Jahre gelaſ-
ſen mit angeſehen, und die ſeinetwegen gehal-
tene Acta gnuͤglich darlegen, daß auch große
Leute
ſich im Decretiren uͤbereilen, und ei-
nen, der manchem was haͤtte von ſeinem Ver-
ſtande abzugeben vermogt, auf boͤſer Leute
Verleumdung
und unterlaſſene Erkundigung
der Sache,
fuͤr hoͤchſtmelancholiſch halten
koͤnnen, weil in dem Reſcript geſtanden: den
D. P. genau zu verwahren, daß er ſich oder
andern am Leben keinen Schaden thaͤte;
welches aber die waldheimiſchen Offician-
ten
alſofort fuͤr ſo uͤberfluͤßig gehalten, daß
ſie ihn gar nicht genau verwahrt, ſondern
zu einem Magiſter und Obriſt-Lieutenant
flugs auf die Stube gethan, auch der Medi-
cus
atteſtirt hat, daß dem D. P. die ganze Zeit
ſeines Daſeyns
nichts am Verſtande gefehlet,
auſſer, daß er einsmals eine große Ohnmacht
gehabt. Bey welchem Zufall ſeine damalige
Cameraden in der Angſt ihm ein ganz Glas
opiſche Tropfen
eingefuͤllet, davon er etliche
Tage
[297]XIX. Ein Spanferkel.
Tage ſchlaftrunken geworden, und, wie der
traͤumende Tempelbauer, eine Weile getraͤu-
met
hat.


Neunzehendes Couvert.
Ein wohlzugerichtetes Spanferkel.


Mir iſt, als wenn ſolches von dem neuen
Mundkoch in einer Schuͤſſel aufgetragen und
vor mir ſtehen ſaͤhe, wenn ich die Paſſage des
Autoris pag. 13. vom kleinen dicken Franzo-
ſen
leſe. Er grunzet daſelbſt und pag. 14.
wie ein ſpaniſch Ferklein, dem das Meſſer an
die Kehle geſetzt wird. Der von ihm beſchrie-
bene Cerberus hat ihm die Zaͤhne gewieſen;
aber wie er geſehen, daß er nicht einmal recht
Deutſch reden koͤnne, alſo ihn das nicht an-
gehe, was er, der Cerberus, mit den Deut-
ſchen
auszumachen gehabt, hat er ihn, wegen
ſeines anmuthigen Grunzens, mit durchpaſ-
ſiren laſſen. Er will auch in der Stern-No-
te
pag. 14. dem Voltaire eins an die Waden
verſetzen, daß er ihm den Tempel des guten
Geſchmacks vor der Naſe zugeſchloſſen habe.
Vielleicht hat Voltaire gedacht, es moͤgten
die deutſchen Oui-oui-Rufer mit in den Tem-
pel wiſchen, und in dem Kehrig wuͤhlen, deſ-
ſen der Autor pag. 27. gedenket, daher er die
Thuͤre mit Bedacht verſchloſſen, um ihnen
das Einlaufen zu verwehren.


T 5Zwan-
[298]XX. Eine Carbonade.

Zwanzigſtes Couvert.
Eine Carbonade oder Grilliade.


Wenn die weichen Schoͤps-Ribben erſt
gekochet, hernach uͤber den Roſt gebraten
werden, pflegt mans, nach der Koͤche Mund-
art, eine Carbonade oder Grilliade zu nennen.
Dergleichen hat ſich der Autor in der Stelle
pag. 15. ſelber zugerichtet, und mag ganz ſich er-
lich auf ſich ſelbſt deuten, da er ſpricht: Der
Hochmuth und der Neid hat dieſe Brut ge-
zeuget, die Unverſtand verwoͤhnt, und Bos-
heit
unterſtuͤtzt; die nun auf das Verdienſt
mit Haß und Grobheit blitzt, (ſiehe das acht-
zehende Couvert) darob der dumme (hier wol-
le Autor cum actu reflexoſich und ſeinen Tem-
pel
im Spiegel beſchauen) raaſt; dazu der
Kluge ſchweigt. (Man kan klug ſeyn, und
muß nicht eben zu allen Narrheiten der Eigen-
duͤnkler
ſchweigen.) Weil doch den ſtarren
Stolz,
gebt auf die Beyſpiel (des Baumei-
ſters von dem Geſchmacks-Tempel
) acht!
der ſtrafende Satyr (dieſe Ehre will ich mei-
nem Gegner laſſen, ein ſtrafender Satyr oder
heßlicher Wald-Faune zu ſeyn) zuletzt geſchmei-
dig macht. Das hoͤffe ich an dem Autor
noch zu erleben, ſo bald er dieſe Couverts
wird gekoſtet haben. Er hat das Ausleſen
und Wechſel!


Ein
[299]XXI. Gebratene Lerchen.

Ein und zwanzigſtes Couvert.
Am Spieß gebratene Lerchen.


Die luſtigen Stellen p. 16. 17. ſind ſo
ſchmackhaft, als bey uns zu Michael im groſ-
ſen Jochims-Thale zu Leipzig
eine Schuͤſſel
mit Spieß-Lerchen. Er hat ſogar die Platz-
Majors
und Saͤnftentraͤger mit in ſeinen
Geſchmacks-Tempel gebracht, als welche das
Leibwort haben: Platz! Platz! oder: vorge-
ſehn! vorgeſehn!
Und es haͤtte ihm ſelber
billig einer vorrufen moͤgen: Platz, Platz vor
den Wohledlen und Kunſterfahrnen Bau-
meiſter des Geſchmacks-Tempels.
Denn
ſonſt hat ihm Huͤbner und Neukirch, die er
pag. 16. 17. anſticht, den Platz ſo verrennt,
daß jener Schriften in allen Buchlaͤden noch
werden aufgeſucht werden, wenn ſein Tem-
pel-Riß
das Schickſal erleben duͤrfte, endlich
in den Kram-Laͤden als ein tuͤchtiger Um-
ſchlag
der abgewogenen Pfeffer-Waaren ge-
braucht zu werden; wiewol ich glaube, wenn
man ſeine Schrift pulveriſirte, werde ſolche,
weil ſie ſehr gepfeffert iſt, indem man, nach
beſchehener Durchleſung, ſich die dafuͤr ge-
zahlte vier Groſchen faſt reuen laͤſſet, mit
der Zeit vor ſpaniſchen Pfeffer paßiren. Hat
nun Neukirch zu viel Ambra in ſeinen Ge-
dichten, wie der Autor pag. 18. vorgiebt: So
iſt doch ſolcher, wegen ſeines lieblichen Ge-
ruchs,
[300]XXII. Ein weſtphaͤliſcher Schinken.
ruchs, des Aufhebens weit wuͤrdiger, als
da der Autor ſeine Schrift mit allzu vielem
Pfeffer
uͤberſtreuet hat.


Zwey und zwanzigſtes Couvert.
Ein guter weſtphaͤliſcher Schinken


ſchmeckt mir beſſer, als alle die Einfaͤlle des
neuen Kuͤchenmeiſterspag. 18. 19. 20. 21. Er
ſaͤuget Muͤcken, die man, wenn der Schin-
ken
nach dem Aufſchnitte noch inwendig gut
iſt, nicht aͤſtimirt, wenn ſie ſich gleich auf die
aͤuſſerſte Haut anſetzen, und ſolche beſchmeiſ-
ſen.
Er verſteht ſich auch treflich auf die phi-
loſophiſche Rang-Ordnung, daß er pag. 22.
ſeinem geruͤhmten poetiſchen Helden eine Stel-
le zwiſchen Lucrez und Leibnitzen anweiſet.
Wenn er noch ſpraͤche: zwiſchen Baylen und
Leibnitzen, oder Wolfen und Buͤlfingern:
So daͤchte man, ſein Held habe dieſe beyde
Erforſcher des Uebels, das in der Natur
ſeyn ſoll, an Tiefſinnigkeit uͤbertroffen. Was
aber Lucrez bey Leibnitzen ſolle, weiß ich nicht.
Er ſchickt ſich zu ihm, wie Schinken zur But-
termilch.


Drey und zwanzigſtes Couvert.
Ein Aufſatz mit Confect.


Die Madame Neuberinn wird dem Herrn
Speiſe-Wirth im Tempel des Geſchmacks
viel Obligation wiſſen, daß er ihr pag. 23.
Con-
[301]XXIII. Confect.
Confect vorſetzet. Vielleicht erlangt er die
Ehre, wenn er ſich nennet, zum Gratial, eben
ein ſolch Vorſpiel zu erhalten, als ohnlaͤngſt
auf den großen PoetenP. G. deſſen Namen
er, aus Beſcheidenheit und Demuth, ganz
verſchwiegen,
weil er ihm mit Blutfreund-
ſchaft
vielleicht verwandt iſt, auf der Schau-
buͤhne
und im Druck herausgekommen. Die
Stellen pag. 24. 25. ſind auch Confect, das
meiſt ſo wieder von der Tafel koͤmmt, wie
es hinaufgeſetzt worden; das heißt, man laͤßt
es in ſeinem Werthe, und begnuͤget ſich an
ſolidern Speiſen. Denn ein Bildgen mah-
len, ſtechen oder hauen zu koͤnnen, erfordert
wol Geſchicklichkeit; aber wenn man den gu-
ten Geſchmack
bis dahin ausdehnen will:
So haͤtte der Autor noch gar viel Claſſen des
guten Geſchmacks machen ſollen; z. E. der
mathematiſche Geſchmack, der wolfiſche Ge-
ſchmack, in puncto des artlichen Gedichts
der Harmoniae præſtabilitae; der Hof-Gout;
der richterliche Geſchmack; der mediciniſche
Guſto, wenn z. E. eine Jungfer ſich will aus
dem Harn-Glaſe wahrſagen laſſen, ob ſie
ſchwanger ſey; der philoſophiſche Geſchmack
in der Methaphyſic, Jure naturæ, Logic, Phy-
ſic ꝛc. der theologiſche Geſchmack, da die
Frage auszu machen: Ob nicht die Herren
Geiſtlichen, weil ſie immer mit Glaubens-
Sachen
umgehen, vor allen andern zum leich-
ten
[302]XXIV. Obſt.
ten Glauben geneigt ſind? ꝛc. Sed manum
de tabula,
ich eile zum Beſchluſſe.


Vier und zwanzigſtes Couvert.
Eine Schuͤſſel mit Obſt.


Wenn man mitten im Winter noch friſch
Obſt,
als Weintrauben, Aepfel, Pergamot-
ten ꝛc. auftragen kann, reizet es faſt mehr den
Geſchmack, als wenn es im Sommer und
Herbſt in aller Haͤnden iſt. Dieſe Cautel
recommendire dem Traiteur im Tempel des
Geſchmacks.
Er traͤgt von pag. 25. bis 40.
noch viel Gerichte auf; aber ſie kommen mir
vor, wie gedoͤrrete Pflaumen und gebackne
Hutzeln.
Ehe ſeine Schrift unter die Preſſe
kommmen koͤnnen, iſt mancher Einfall in-
deſſen eingeſchrumpfet. Er lege ſich alſo fein
kuͤnftig lauter friſch Obſt zu, oder das doch
wenigſtens ſo inacht genommen worden, daß
es der Froſt nicht unſchmackhaft machen moͤ-
ge.
Sed ſat prata biberunt! Es iſt Zeit, von
der Tafel aufzuſtehen, und Billiard zu ſpielen.

[[303]][[304]][[305]][[306]][[307]]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpbk.0